PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Leben der Schwediſchen Gräfinn von G ***
Erſter Theil.
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Leipzig, beyJohann Wendler. 1747.
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Vielleicht würde ich bey der Erzäh - lung meines Geſchlechts eben ſo beredt oder geſchwätzig als andere ſeyn, wenn ich anders viel zu ſagen wüßte. Meine Aeltern ſind mir in den zarteſten Jahren geſtorben, und ich habe von mei - nem Vater, einem Liefländiſchen von Adel, weiter nichts erzählen hören, als daß er ein rechtſchaffner Mann geweſen iſt, und wenig Mittel beſeſſen hat.

Mein Vetter, der auch ein Landedel - mann war, doch in ſeiner Jugend ſtudi - ret hatte, nahm mich nach meines Va - ters Tode zu ſich auf ſein Landgut, und erzog mich bis in mein ſechzehntes Jahr. Jch habe die Worte nicht vergeſſen kön - nen, die er einmal zu ſeiner Gemahlinn ſagte, als ſie ihn fragte, wie er es künf - tig mit meiner Erziehung wollte gehaltenA 2wiſſen.4Leben der Schwediſchenwiſſen. Vormittage, fieng er an, ſoll das Fräulein als ein Mann, und Nachmit - tage als eine Frau erzogen werden. Mei - ne Muhme hatte mich ſehr lieb, zumal weil ſie keine Tochter hatte, und ſie ſah es gar nicht gern, daß ich, wie ihre jungen Herren die Sprachen und andre Pedante - reyen, wie ſie zu reden pflegte, erlernen ſollte. Sie hätte mich dieſer Mühe gern überhoben; allein ihr Gemahl wollte nicht. Fürchten ſie ſich nicht, ſprach er zu ihr, das Fräulein lernt gewiß nicht zu viel. Sie ſoll nur klug und gar nicht gelehrt werden. Reich iſt ſie nicht, alſo wird ſie niemand als ein vernünftiger Mann nehmen. Und wenn ſie dieſem gefallen, und das Leben leicht machen helfen ſoll: ſo muß ſie klug, geſittet und geſchickt wer - den. Dieſer rechtſchaffene Mann hat kei - ne Koſten an mir geſparet; Und ich wür - de gewiß noch etliche Jahre eher vernünf - tig geworden ſeyn, wenn ſeine Frau eini - ge Jahre eher geſtorben wäre. Sie hatmich5Gräfinn von G **mich zwar in Wirthſchaftsſachen gar nicht unwiſſend gelaſſen; allein ſie ſetzte mir zu gleicher Zeit eine Liebe zu einer ſolchen Ga - lanterie in den Kopf, bey der man ſehr glück - lich eine ſtolze Närrinn werden kann. Da - mit ſie etwas zu putzen hätte, ſo hat ſie ſich oft in ihr Zimmer mit mir verſchloſſen, und mir die ſchönſten Kleider und den größten Schmuck angeleget, mich vor den Spie - gel geführt, und mir hundertmal geſagt, daß ich recht englich ausſähe. Wenn dieſes geſchehen war, ſo kleidete ſie ihren Engel zum Zeitvertreibe wieder aus. Jch war freylich damals noch nicht alt; allein ich war alt genug, eine Eitelkeit an mich zu nehmen, zu der unſer Geſchlecht recht verſehn zu ſeyn ſcheinet. Aber zu meinem Glücke ſtarb meine Frau Baſe, ehe ich noch zehn Jahre alt war, und gab mei - nem Vetter durch ihren Tod die Freyheit, mich deſto ſorgfältiger zu erziehen, und die übeln Eindrücke wieder auszulöſchen, wel - che ihr Umgang und ihr Beyſpiel in mirA 3gemacht6Leben der Schwediſchengemacht hatten. Jch hatte von Natur ein gutes Herz, und er durfte alſo nicht ſowohl wider meine Neigungen ſtreiten, als ſie nur ermuntern. Er lieh mir ſei - nen Verſtand, mein Herz recht in Ord - nung zu bringen, und lenkte meine Be - gierde zu gefallen nach und nach von ſolchen Dingen, die das Auge ein - nehmen, auf diejenigen, welche die Ho - heit der Seele ausmachen. Er ſah, daß ich wußte, wie ſchön ich war; um deſto mehr lehrte er mich den wahren Werth eines Menſchen kennen, und an ſol - chen Eigenſchaften einen Geſchmack fin - den, die mehr durch einen geheimen Bey - fall der Vernunft und des Gewiſſens, als durch eine allgemeine Bewunderung be - lohnet werden. Man glaube ja nicht, daß er eine hohe und tiefſinnige Philoſophie mit mir durchgieng. O nein, er brachte mir die Religion auf eine vernünftige Art bey, und überführte mich von den groſ - ſen Vortheilen der Tugend, welche ſieuns7Gräfinn von G**uns in iedem Alter, in iedem Stande, im Glücke und Unglücke, im Tode, und nach dieſem Leben bringt. Er hatte die Ge - ſchicklichkeit, mir alle dieſe Wahrheiten nicht ſo wohl in das Gedächtniß, als in den Verſtand zu prägen. Und dieſen Be - griffen, die er mir beybrachte, habe ichs bey reifern Jahren zu verdanken gehabt, daß ich die Tugend, nie als eine beſchwer - liche Bürde, ſondern als die angenehm - ſte Gefährtinn betrachtet habe, die uns die Reiſe durch die Welt erleichtern hilft. Jch glaube gewiß, daß die Religion, wenn ſie uns vernünftig und gründlich beyge - bracht wird, unſern Verſtand eben ſo vor - trefflich aufklären kann, als ſie unſer Herz verbeſſert. Und viele Leute würden mehr Verſtand zu den ordentlichen Geſchäften des Berufs und zu einer guten Lebensart haben, wenn er durch den Unterricht der Religion wäre geſchärft worden. Jch durfte meinem Vetter nichts auf ſein Wort glauben, ja er befahl mir in Dingen, dieA 4noch8Leben der Schwediſchennoch über meinen Verſtand waren, ſo lan - ge zu zweifeln, bis ich mehr Einſicht be - kommen würde. Mit einem Worte, mein Vetter lehrte mich nicht die Weisheit, mit der wir in Geſellſchaft prahlen, oder wenn es hochkömmt, unſere Ehrbegier - de einige Zeit ſtillen, ſondern die von dem Verſtande in das Herz dringt, und uns geſittet, liebreich, großmüthig, gelaſſen, und im ſtillen ruhig macht. Jch würde nichts anders thun, als beweiſen, daß mein Vetter ſeine guten Abſichten ſehr ſchlecht bey mir erreicht hätte, wenn ich mir alle dieſe ſchönen Eigenſchaften beyle - gen, und ſie als meinen Charakter den Leſern aufdringen wollte. Es wird am beſten ſeyn, wenn ich mich weder lobe noch tadele, und es auf die Gerechtigkeit der Leſer ankommen laſſe, was ſie ſich aus meiner Geſchichte für einen Begriff von meiner Gemüthsart machen wollen. Jch fürchte, wenn ich meine Tugenden und Schwachheiten noch ſo aufrichtig be -ſtimmte,9Gräfinn von G**ſtimmte, daß ich doch dem Verdachte der Eigenliebe oder dem Vorwurfe einer ſtol - zen Demuth nicht würde entgehen kön - nen.

Jch war ſechzehn Jahre alt, da ich an den Schwediſchen Grafen von G. verhey - rathet wurde. Mit dieſer Heyrath gieng es folgender maſſen zu. Der Graf hatte in dem Liefländiſchen Güter, und zwar la - gen ſie nahe an meines Vaters Ritterſitze. Das Jahr vor meiner Heyrath hatte der Graf nebſt ſeinem Vater eine Reiſe aus Schweden auf dieſe Güter gethan. Er hatte mich etlichemal bey meinem Vetter geſehen und geſprochen. Jch hatte ihm gefallen, ohne mich darum zu beſtreben. Jch war ein armes Fräulein; wie konnte ich alſo auf die Gedanken kommen, einen Grafen zu feſſeln, der ſehr reich, ſehr wohlgebildet, angeſehen bey Hofe, ſchon ein Obriſter über ein Regiment, und viel - leicht bey einer Prinzeßinn willkommenA 5war?10Leben der Schwediſchenwar? Doch daß ich ihm nicht habe ge - fallen wollen, iſt unſtreitig mein Glück geweſen. Jch that gelaſſen und frey ge - gen ihn, weil ich mir keine Rechnung auf ſein Herz machte, an ſtatt daß ich vielleicht ein gezwungenes und ängſtliches Weſen an mich genommen haben würde, wenn ich ihm hätte koſtbar vorkommen wollen. Jn der That gefiel er mir im Herzen ſehr wohl; allein ſo ſehr ich mir ihn heimlich wünſchen mochte: ſo hielt ichs doch für unmöglich, ihn zu beſitzen.

Nach einem Jahre ſchrieb er an mich, und der ganze Jnnhalt ſeines Briefs be - ſtund darinn, ob ich mich entſchließen könnte, ſeine Gemahlinn zu werden, und ihm nach Schweden zu folgen. Sein Herz war mir unbeſchreiblich angenehm, und die großmüthige Art, mit der er mirs anboth, machte mirs noch angenehmer. Es giebt eine gewiſſe aufrichtige Art, ei - nem zu ſagen, daß man ihn liebt, welcheganz11Gräfinn von G**ganz bezaubernd iſt. Der Verſtand thut nicht viel dabey, ſondern das Herz redet meiſtens allein. Vielleicht wird man das, was ich ſagen will, am beſten aus ſeinem Briefe ſelber erkennen:

Mein Fräulein,

Jch liebe Sie. Erſchrecken Sie nicht über dieſes Bekenntniß, oder wenn Sie ja über die Dreiſtigkeit, mit der ichs Jh - nen thue, erſchrecken müſſen: ſo beden - ken Sie, ob dieſer Fehler nicht eine Wir - kung meiner Aufrichtigkeit ſeyn kann. Laſ - ſen Sie mich ausreden, liebſtes Fräulein. Doch was ſoll ich ſagen? Jch liebe Sie, dieß iſt es alles. Und ich habe Sie von dem erſten Augenblicke an geliebet, da ich ſie vor einem Jahre geſehen und geſpro - chen habe. Jch geſtehe Jhnen aufrichtig, daß ich mich bemüht habe, Sie zu ver - geſſen, weil es die Umſtände in meinem Vaterlande verlangten; aber alle meine Mühe iſt vergebens geweſen, und hat zunichts12Leben der Schwediſchennichts gedienet, als mich von der Gewiß - heit meiner Liebe und von ihren Verdien - ſten vollkommner zu überzeugen. Jſt es möglich, werden Sie durch meine Zärt - lichkeit beleidiget? Nein, warum ſollte Jhnen die Liebe eines Menſchen zuwider ſeyn, deſſen Freundſchaft Sie ſich haben gefallen laſſen. Aber werden Sie es auch gelaſſen anhören, wenn ich Jhnen mein Herz noch deutlicher entdecke? Darf ich wohl fragen, ob Sie mir Jhre Liebe ſchenken, ob Sie mir als meine Gemah - linn nach Schweden folgen wollen? Sie ſind zu großmüthig, als daß Sie eine Frage unbeantwortet laſſen ſollten, von deren Entſcheidung meine ganze Zufrie - denheit abhängt. Ach liebſte Freundinn, warum kann ich nicht den Augenblick er - fahren, ob ich Jhrer Gewogenheit wür - dig bin, ob ich hoffen darf? Ueberlegen Sie, was Sie, ohne den geringſten Zwang ſich anzuthun, einem Liebhaber antwor - ten können, der in der Zärtlichkeit undHoch -13Gräfinn von G **Hochachtung gegen Sie ſeine größten Verdienſte ſucht. Jch will Jhr Herz nicht übereilen. Jch laſſe Jhnen zu Jhrem Entſchluſſe ſo viel Zeit, als Sie verlan - gen. Doch ſage ich Jhnen zugleich, daß mir jeder Augenblick zu lang werden wird, bis ich mein Schickſal erfahre. Wie in - ſtändig müßte ich Sie nicht um Jhre Lie - be bitten, wenn ich bloß meiner Empfin - dung und meinen Wünſchen folgen woll - te! Aber nein, es liegt mir gar zu viel an Jhrer Liebe, als daß ich ſie einem andern Bewegungsgrunde, als Jhrer freyen Einwilligung zu danken haben wollte. So entſetzlich mir eine unglückliche Nachricht ſeyn wird: ſo wenig wird ſie doch meine Hochachtung und Liebe gegen Sie ver - ringern. Sollte ich deswegen ein liebens - würdiges Fräulein haſſen können, weil ſie nicht Urſachen genung findet, mir ihr Herz auf ewig zu ſchenken? Nein, ich werde nichts thun, als fortfahren, Sie, meine Freundinn, hochzuſchätzen, und michüber14Leben der Schwediſchenüber mich ſelbſt beklagen. Wie ſauer wird es mir, dieſen Brief zu ſchlieſſen! Wie gern ſagte ich Jhnen noch hundert - mal, daß ich Sie liebe, daß ich Sie un - aufhörlich liebe, daß ich in Gedanken auf Jhre geringſte Mine bey meinem Bekennt - niſſe Achtung gebe, aus Begierde etwas vortheilhaftes für mich darinn zu finden. Leben Sie wohl. Ach liebſtes Fräulein, wenn wollen Sie mir antworten?

Der Vater des Grafen hatte zugleich an meinen Vetter geſchrieben. Kurz, ich war die Braut eines liebenswürdigen Grafen. Jch wollte wünſchen, daß ich ſagen könnte, was von der Zeit an in meinem Herzen vorgieng. Jch hatte noch nie geliebt. Wie unglaublich wird dieſes Bekenntniß vielen von meinen Leſerinnen vorkommen! Sie werden mich deswe - gen wohl gar für einfältig halten, oder ſich einbilden, daß ich weder ſchön, noch empfindlich geweſen bin, weil ich in mei -nem15Gräfinn von G **nem ſechzehnten Jahre nicht wenigſtens ein Dutzend Liebeshändel zählen konnte. Doch ich kann mir nicht helfen. Es mag nun zu meinem Ruhme, oder zu meiner Schande gereichen: ſo kann man ſich dar - auf verlaſſen, daß ich noch nie geliebet hat - te, ob ich gleich mit vielen jungen Manns - perſonen umgegangen war. Nunmehr aber fieng mein Herz auf einmal an zu em - pfinden. Mein Graf war zwar auf et - liche vierzig Meilen von mir entfernt; al - lein die Liebe machte mir ihn gegenwärtig. Wo ich ſtand, da war er bey mir. Es war nichts ſchöners, nichts vollkomm - ners, als er. Jch wünſchte nichts als ihn. Jch fieng oft mit ihm an zu reden. Er erwies mir in meinen Gedanken aller - hand Liebkoſungen, und ich weigerte mich mit einer verſchämten Art, ſie anzu - nehmen. Vielen wird dieſes lächerlich vorkommen, und ich habe nicht viel dar - wider einzuwenden. Eine unſchuldige, eine recht zärtliche Braut iſt in der Thateine16Leben der Schwediſcheneine Creatur aus einer andern Welt, die man nicht ohne Erſtaunen betrachten kann. Jhr Vornehmen, ihre Sprache, ihre Mi - nen, alles wird zu einem Verräther ihres Herzens, ie ſorgfältiger ſie es verbergen will. Jch und trank viele Wochen nicht, und ich blühete doch dabey. Jch ſage es im Ernſte, daß ich glaube, die Liebe kann uns einige Zeit erhalten. Jch ward viel reizender, als ich zuvor gewe - ſen war.

Mein Vetter machte ſich nunmehr mit mir auf die Reiſe nach Schweden. Es begleiteten mich verſchiedene junge Herren und Fräuleins einige Meilen, und der Ab - ſchied von ihnen ward mir gar nicht ſauer. Unſere Reiſe gieng glücklich von ſtatten; Und es iſt mir auf einem Wege von etlichen vierzig Meilen nicht das geringſte be - gegnet. Meine Leſer die viel Romane und Heldenbücher geleſen haben, wer - den mit dieſer Nachricht gar nicht zufrie -den17Gräfinn von G **den ſeyn. Hätte mich nicht einer von den jungen Herren, die mich begleiteten, entführen, und eine kleine Verwirrung in meiner Geſchichte anrichten können? Jch war ja ſchön, und wie die Leute ſagten, recht ſehr ſchön; und ich bin auf einem ſo weiten Wege nicht ein einzigmal entführet worden? Jſt dieſes wohl glaublich? Oder iſt es vielleicht mit meinen Annehmlichkei - ten nicht ſo gewiß geweſen? Jch will mir dieſe Vorwürfe gern machen laſſen. Ge - nug, ich bin nicht entführet worden, und ich würde mit einer ſolchen Verwegenheit eines verliebten Räubers ſehr übel zufrie - den geweſen ſeyn; denn mir ward ohnedieß jeder Augenblick bis zum Anblicke mei - nes Grafen zu lang.

Jch kam alſo, wie ich geſagt habe, in Begleitung meines Vetters glücklich auf dem Landgute des Grafen an. Jch fand ihn viel liebenswürdiger, als er mir vor einem Jahre vorgekommen war. ManErſter Theil. Bdarf18Leben der Schwediſchendarf ſich darüber gar nicht verwundern. Damals wußte ich noch nicht, daß er mich liebte; itzt aber wußte ichs. Eine Perſon wird gemeiniglich in unſern Augen voll - kommener und verehrungswürdiger, wenn wir ſehen, daß ſie uns liebt. Und wenn ſie auch keine beſondere Vorzüge hätte: ſo iſt ihre Neigung zu uns die Vollkommen - heit, die wir an ihr hochſchätzen. Denn wie oft lieben wir nicht uns in andern? Und wo würde die Beſtändigkeit in der Liebe herkommen, wenn ſie nicht von un - ſerm eigenen Vergnügen unterhalten würde?

Mein Bräutigam, mein lieber Graf, erwies mir bey meiner Ankunft die erſinn - lichſten Liebkoſungen; und ich glaube nicht, daß man glückſeliger ſeyn kann, als ich an ſeiner Seite war. Unſer Beylager wur - de ohne Gepränge, mit einem Worte, ſehr ſtille, aber gewiß ſehr vergnügt vollzogen. Manches Fräulein wird dieſe beyden Stü -cke19Gräfinn von G **cke nicht zuſammen reimen können. Dem zu gefallen muß ich eine kleine Beſchrei - bung von meinem Beylager machen. Jch war etwan acht Tage in Schweden, und hatte mich völlig von der Reiſe wieder er - holet, als mein Graf mich bat, den Tag zu unſerer Vermählung zu beſtimmen. Jch verſicherte ihn, daß ich die Ehre, ſeine Ge - mahlinn zu heiſſen, nie zu zeitig erlangen könnte; doch würde mir kein Tag angeneh - mer ſeyn, als der, den er ſelber dazu ernennen würde. Wir ſetzten, ohne uns weiter zu berathſchlagen, den folgenden Tag an. Er kam des Morgens zu mir in mein Zim - mer, und fragte mich, ob ich noch entſchloſ - ſen wäre, heute ſeine Gemahlinn zu wer - den. Jch antwortete ihm mit halb nieder - geſchlagenen Augen und mit einem freu - digen und beredten Kuſſe. Jch hatte nur einen leichten, aber wohl ausgeſuchten Anzug an. Sie gefallen mir vortrefflich in dieſem Anzuge, fieng der Graf zu mir an. Er iſt nach ihrem Körper gemacht,B 2und20Leben der Schwediſchenund ſie machen ihn ſchön. Jch dächte, ſie legten heute keinen andern Staat an. Wenn ich ihnen gefalle, mein lieber Graf, verſetzte ich: ſo bin ich ſchön genug angeputzt. Jch war alſo in meinem Brautſtaate, ohne daß ichs ſelber gewuſt hatte. Wir redten den ganzen Morgen auf das zärtlichſte mit einander. Jch trat endlich an das Clavecin, und ſpielte eine halbe Stunde, und ſang auf Verlangen meines Grafen und meines eigenen Her - zens dazu. Auf dieſe Art kam der Mit - tag herbey. Der Vater meines Grafen (denn die Mutter war ſchon lange geſtor - ben, und die einzige Schweſter auch) kam nebſt meinem Vetter zu uns. Sie ſtatte - ten ihren Glückwunſch ab, und ſagten, daß der Prieſter ſchon zugegen wäre. Wir giengen darauf herunter in das Ta - felzimmer. Die Trauung ward ſehr bald vollzogen, und wir ſetzten uns zur Tafel, nämlich wir viere und der Prieſter. Die Tafel war etwan mit ſechs oder achtGerich -21Gräfinn von G **Gerichten beſetzt. Dieſes war die Anſtalt zu meiner Vermählung. Sie wird man - cher Braut lächerlich und armſelig vor - kommen. Gleichwohl war ich ſehr wohl damit zufrieden. Jch war ruhig, oder beſſer zu reden, ich konnte recht zärtlich unruhig ſeyn, weil mich nichts von dem rauſchenden Lärmen ſtörte, der bey den gewöhnlichen Hochzeitfeſten zur Quaal der Vermählten zu ſeyn pflegt. Nach der Tafel fuhren wir ſpatzieren, und zwar zu dem Herrn R der meinen Gemahl auf ſeinen Reiſen begleitet hatte, und itzt auf einem kleinen Landgute etliche Meilen von uns wohnte. Mein Gemahl liebte dieſen Mann ungemein. Hier bringe ich ihnen, fieng er zu ihm an, meine liebe Gemahlinn. Jch habe mich heute mit ihr trauen laſſen. Jſt es nicht wahr, ich habe vortrefflich gewählet? Sie ſollen ein Zeuge von meinem und ihrem Vergnügen ſeyn; kommen ſie, und begleiten ſie uns wieder zurück. Wir fuhren alſo in ſeinerB 3Geſell -22Leben der SchwediſchenGeſellſchaft wieder auf unſer Landgut zu - rück, ohne uns aufzuhalten. Kurz, der Abend verſtrich eben ſo vergnügt, als der Mittag.

Jtzt wundere ich mich, daß ich meinen Gemahl noch nicht beſchrieben habe. Er ſah bräunlich im Geſichte aus, und hatte ein Paar ſo feurige und blitzende Augen, daß ſie einem eine kleine Furcht ein - jagten, wenn man ſie allein betrachtete. Doch ſeine übrige Geſichtsbildung wuß - te dieſes Feuer ſo geſchickt zu dämpfen, daß nichts als Großmuth und eine leb - hafte Zärtlichkeit aus ſeinen Minen hervorleuchtete. Er war vortrefflich ge - wachſen. Jch will ihn nicht weiter ab - ſchildern. Man verderbt durch die ge - naue Beſchreibungen oft das Bild, das man ſeinen Leſern von einer ſchönen Perſon machen will. Genug, mein Graf war in meinen Augen der ſchönſte Mann.

Nicht23Gräfinn von G **

Nicht lange nach unſerer Vermählung mußte mein Gemahl zu ſeinem Regimen - te. Sein Vater, der bey einem hohen Alter noch munter und der angenehmſte Mann war, wollte mir die Abweſenheit meines Gemahls erträglich machen, und reiſete mit mir auf ſeine übrigen Güter. Auf dem einen traf ich eine ſehr junge und ſchöne Frau an, die man für die Witwe des Oberaufſehers der Güter ausgab. Dieſe Frau hatte ſo viel reizen - des an ſich, und ſo viel gefälliges und leutſeliges in ihrem Umgange, daß ich ihr auf den erſten Anblick gewogen, und in kurzer Zeit ihre gute Freundinn ward. Jch bat, ſie ſollte mich wieder zurück begleiten, und bey mir leben. Sie ſollte nicht meine Bediente, ſondern meine gute Freundinn ſeyn. Und wenn ſie nicht länger bey mir bleiben wollte, ſo woll - te ich ihr eine anſehnliche Verſorgung ſchaffen. Sie nahm dieſen Antrag mit Thränen an, und ſchützte bald ihrenB 4kleinen24Leben der Schwediſchenkleinen Sohn, bald die Luſt zu einem ſtil - len Leben vor, warum ſie mir nicht folgen könnte. Sie gieng mir indeſſen nicht von der Seite, und bezeigte ſo viel Ehrerbie - tung und Liebe gegen mich, daß ich ſie hundertmal bat, mir zu ſagen, womit ich ihr dienen könnte. Allein ſie ſchlug alle Anerbietungen recht großmüthig aus, und verlangte nichts, als meine Gewogenheit. Der alte Graf wollte wieder fort, und indem mich die junge Witwe an den Wa - gen begleitete, ſo ſah ich ein Kind in dem unterſten Gebäude des Hofes am Fenſter ſtehen. Jch fragte, wem dieſes Kind wäre? Die gute Frau kam vor Schrecken gantz außer ſich. Sie hatte mich beredt, daß ihr Sohn unlängſt die Blattern gehabt hätte. Und damit ich mich nicht fürchten ſollte; ſo hatte ſie mir ihn bey meinem Daſeyn, ungeach - tet meines Bittens, nicht wollen ſehen laſſen. Allein ich ſahe, daß dieſem Kna - ben nichts fehlete, und ich ließ nicht nach,bis25Gräfinn von G **bis man ihn vor mich brachte. Hilf Himmel! wie entſetzte ich mich, als ich in ſeinem Geſichte das lebendige Ebenbild meines Gemahls antraf. Jch konnte kein Wort zu dem Kinde reden. Jch küßte es, umarmte zugleich ſeine Mut - ter, und ſetzte mich den Augenblick in den Wagen. Der alte Graf merkte meine Beſtürzung, und entdeckte mir mit einer liebreichen Aufrichtigkeit das ganze Geheimniß. Die Frau, ſprach er, die ſie geſehen haben, iſt die ehemalige Geliebte ihres Gemahls. Und wenn ſie dieſes Ge - ſtändniß beleidiget, ſo zürnen ſie nicht ſo wohl auf meinen Sohn, als auf mich. Jch bin an der Sache Schuld. Jch ha - be ihn von Jugend auf mit einer beſondern Art erzogen, die ihnen in manchen Stücken ausſchweifend vorkommen dürfte. Mein Sohn mußte in mir nicht ſo wohl ſeinen Vater, als ſeinen Freund lieben und ver - ehren. Er durfte mich nicht fürchten, als wenn er mir etwas verſchwieg. DaherB 5geſtund26Leben der Schwediſchengeſtund er mir alles, und ich erhielt da - durch Gelegenheit, ihn von tauſend Thor - heiten abzuziehen, ehe er ſie begieng, oder doch, ehe er ſich daran gewöhnete. Jch wußte, ehe ich meinen Sohn auf Reiſen ſchickte, daß er ein gewiſſes Frauenzim - mer vom bürgerlichen Stande liebte, wel - ches meine Schweſter als eine Wayſe ſehr jung zu ſich genommen, und, weil das Kind viel Lebhaftigkeit beſaß, in der Ge - ſellſchaft ihrer einzigen Tochter wohl hatte erziehen laſſen. Mein Sohn hatte mir aus dieſer Liebe nie ein Geheimniß ge - macht. Er bat mich, da er ſeine Reiſen antrat, daß ich ihm erlauben möchte, die - ſes Frauenzimmer, als ſeine gute Freun - dinn, mitzunehmen. Kurz, ich war ent - weder zu ſchwach, ihm dieſe Bitte abzu - ſchlagen, oder ich willigte mit Fleiß dar - ein, um ihn von den gefährlichen Aus - ſchweifungen der Jugend durch ihre Ge - ſellſchaft abzuhalten. Und dieſes iſt eben das Frauenzimmer, das ſie itzt geſehenund27Gräfinn von G **und nach der gemeinen Rede für eine Witwe gehalten haben. Sie beſitzt ſehr gute Eigenſchaften, und ich habe ihr zehn tauſend Thaler ausgeſetzt, damit ſie hey - rathen kann, wenn es ihr beliebt. Für ihren Sohn habe ich auch etwas gewiſſes zu ſeiner Erziehung beſtimmt. Und wenn ihnen dieſe Frau gefährlich ſcheint: ſo will ich ſie binnen wenig Tagen nach Lief - land auf meine Güter ſchicken, und ihr daſelbſt alle mögliche Verſorgung ver - ſchaffen.

Man glaube ja nicht, daß ich die ehe - malige Geliebte meines Gemahls zu haſ - ſen anfieng. Nein, ich liebte ſie, und die Liebe beſänftigte die Eiferſucht. Jch bat, daß er ſie mit einer anſtändigen Heyrath verſorgen, und ſie entfernen möchte. Bey unſerer Zurückkunft traf ich meinen Ge - mahl ſchon an. So ſehr ich von der Gewißheit ſeiner Liebe verſichert war: ſo konnte ich doch nicht ruhig werden, bisich28Leben der Schwediſchenich ihn durch allerhand kleine Kaltſinnig - keiten nöthigte, ein Geheimniß aus mir heraus zu locken, das mein Herz nicht um - ſonſt entdecket haben wollte. Er erſchrack, und beklagte ſich über die Unvorſichtigkeit ſeines Vaters, daß er mich an einen Ort geführet hätte, der unſrer Zärtlichkeit ſo nachtheilig ſeyn könnte. Er gab den Au - genblick Befehl, daß man dieſes Frauen - zimmer nebſt ihrem Sohne entfernen, und alles, was ſie verlangte, zu ihrem Unter - halte ausmachen ſollte. Dieſes geſchah auch binnen acht Tagen. Jch konnte kei - ne deutlichere Probe von ſeiner Treue ver - langen, und es war mir unmöglich, ihn wegen dieſer Sache auch nur einen Au - genblick zu haſſen, ob ich mich gleich von aller Unruhe nicht frey ſprechen will.

Er geſtund mir, daß er dieſes Frauen - zimmer gewiß zu ſeiner Gemahlinn erwäh - let haben würde, wenn er die Einwilligung vom Hofe hätte erhalten können. Jn derThat29Gräfinn von G**That verdiente ſie dieſes Glück ſo wohl als ich. Jch ſah bey nahe keinen Vorzug, den ich vor ihr hatte, als daß ich adelich gebohren war. Und wie geringe iſt die - ſer Vorzug, wenn man ihn vernünftig betrachtet! Sie hatte ſich gar nicht aus Leichtſinn ergeben. Die Ehe war der Preis geweſen, für den ſie ihm ihr Herz und ſich überlaſſen hatte. Der Vater des Grafen hatte die Liebe und die Wahl ſeines Soh - nes gebilliget. Sie kannte das edelmü - thige Herz ihres Geliebten. Sie war von der Aufrichtigkeit ſeiner Zärtlichkeit über - zeugt. Ein Frauenzimmer, das ſich un - ter ſolchen Umſtänden in eine vertrauliche Liebe einläßt, verdienet eher Mitleiden, als Vorwürfe. Mein Gemahl erzählte mir einen Umſtand, der Carolinens Werth, ſo will ich ſeine Geliebte künftig nennen, ſehr verſchönert. So bald ſie geſehen, daß er die Einwilligung, ſich mit ihr zu vermählen, nicht würde erhalten können, ohne dabey ſein Glück in Gefahrzu30Leben der Schwediſchenzu ſetzen, und die Gnade des Hofes zu verlieren: ſo hatte ſie ſich des Rechts auf ſein Herz freywillig begeben. Er zeigte mir folgenden Brief von ihr, der mich we - gen ſeines großmüthigen Jnnhalts unge - mein gerühret hat.

Mein lieber Graf,

Jch höre, daß man Jhnen den Ent - ſchluß, mich für ihre Gemahlinn zu erklä - ren, ſehr ſauer macht. Sie dauren mich, weil ich gewiß weis, daß Sie mich lieben, und daß Sie eben ſo viel Ueberwindung brauchen, mir ihr Wort nicht zu halten, als es mich Mühe koſtet, meine Anſprü - che auf das edelſte und großmüthigſte Herz fahren zu laſſen. Doch wenn ich einmal meinen Grafen verlieren ſoll: ſo will ich ihn mit Ruhm verlieren. Kurz, mein liebſter Graf, ich opfere Jhrem Glücke und Jhrem Stande meine Liebe und mei - ne Zufriedenheit auf, und vergeſſe das ſchmeichelhafte Glück, Jhre Gemahlinn zuwerden,31Gräfinn von G **werden, auf ewig. Sie ſind frey, und können ſich zu einer Wahl entſchlieſſen, welche Jhnen nur immer gefällt. Jch bin alles zufrieden, wenn ich nur ſehe, daß Sie glücklich wählen, und die Zufrieden - heit an der Seite Jhrer Gemahlinn erhal - ten, die ich Jhnen durch meine Liebe ha - be verſchaffen wollen. Dieſes iſt, wie der Himmel weis, mein größter Wunſch. Und was gehöret mehr zu der Aufrichtig - keit eines ſolchen Wunſches, als daß man Sie liebt! Jch mache Jhnen nicht den geringſten Vorwurf. Sie haben in mei - nen Augen Jhr Wort vollkommen gehal - ten; denn ich bin überzeugt, daß Sie es erfüllen würden, wenn es bey Jhnen ſtünde. Jch werde mich auch nie über mich ſelbſt beklagen. Jch bin die Jhrige unter der Bedingung geweſen, daß Sie mich einſt öffentlich dafür erklären wür - den. Jch habe Jhnen alſo bey aller mei - ner Zärtlichkeit doch nie meine Tugend aufgeopfert. Nein, das Andenken mei -ner32Leben der Schwediſchenner Liebe wird mir allemal die größte Be - ruhigung geben, ſo traurig auch mein künftiges Schickſal der Welt vorkommen wird. Vermählen Sie ſich, mein lieber Graf, und denken Sie künftig nur an mich, als an Jhre Freundinn. Dieſe Be - lohnung verdiene ich. Leben Sie wohl, und laſſen Sie mir auf einem ihrer Güter einen Platz anweiſen, wo ich nebſt mei - nem Sohne in der Stille leben kann. Ver - lieren Sie weiter kein Wort. Jch blei - be bey meinem Entſchluſſe, Jhnen zu be - weiſen, daß ich Jhr Glück meiner Wohl - fahrt vorziehe. Leben Sie wohl, mein lieber Graf.

Carolinens großmüthigem Entſchluſſe hatte ichs alſo zu danken, daß mir der Graf zu Theil worden war. Sie hatte ſich nach dieſem Briefe nicht mehr, als noch einmal, von ihm ſprechen laſſen, und ſich ſo gleich auf das Landgut begeben, wo ich ſie antraf. Er verſicherte mich, daß erſie33Gräfinn von G **ſie ſeit anderthalb Jahren nicht geſehen, und ich hätte ihr gern das Vergnügen ge - gönnt, den Grafen vor ihrer Abreiſe nach Liefland noch einmal zu ſprechen, wenn es der Wohlſtand hätte erlauben wollen.

Mein Graf verdoppelte ſeine Bemü - hungen, mir zu gefallen, und der Him - mel weis, daß er der liebenswürdigſte Mann war, den man kaum zärtlicher und edler denken konnte. Er war vernünftig und geſittet geweſen, ehe er ein Soldat geworden war, und daher hatte er nicht das geringſte von dem Rohen und Wil - den an ſich genommen, das dieſer Lebens - art ſonſt eigen zu ſeyn pflegt. Er war die Gutheit und Menſchenliebe ſelbſt, und dennoch ward er im ganzen Hauſe ſo ge - fürchtet, daß der kleinſte Wink an ſeine Leute die Wirkung des nachdrücklichſten Befehls that. Er ſchien mir vollkommen zu gehorchen; es war ihm unmöglich mir etwas abzuſchlagen; er hielt alles für ge -Erſter Theil. Cnehm,34Leben der Schwediſchennehm, was ich verlangte. Allein mitten in dieſer zärtlichen Unterthänigkeit wußte er ſich bey mir in einer gewiſſen Ehrfurcht zu erhalten, daß ich bey aller meiner Herr - ſchaft nicht ſo wohl meinen Willen, als vielmehr ſein Verlangen in Gedanken zu Rathe zog, und in der That nichts unter - nahm, als was er befohlen haben würde, wenn er hätte befehlen wollen. Er war der ordentlichſte Mann in ſeinen Geſchäf - ten, und band ſich doch ſelten an die Zeit. Er arbeitete, ſo bald er ſich geſchickt zur Arbeit fühlete, und arbeitete ſo lange fort, als er ſich in dieſer Verfaſſung merkte. Allein er ließ auch von ſeinen Verrichtun - gen nach, ſo bald als er keine Luſt mehr dazu verſpürte. Daher war er ſtets mun - ter, weil er ſich niemals zu ſehr ermüdete, und hatte ſtets Zeit zu den Vergnügun - gen übrig, weil er die Zeit niemals mit vergebenen Bemühungen zu arbeiten ver - ſchwendete. Er hatte eine ſehr ſchöne Bi - bliothek auf ſeinen Reiſen geſammlet. Jchverſtund35Gräfinn von G **verſtund Franzöſiſch, und etwas Latein und Jtaliäniſch. Der Bücherſal ward mir in kurzer Zeit an der Seite meines Gemahls der angenehmſte Ort. Er las mir aus vielen Büchern, die theils hiſto - riſch, theils witzig, theils moraliſch waren, die ſchönſten Stellen vor, und brachte mir ſeinen guten Geſchmack unvermerkt bey. Und ob ichs gleich nicht allemal ſa - gen konnte, warum eine Sache ſchön, oder nicht ſchön war: ſo war doch meine Empfindung ſo getreu, daß ſie mich ſel - ten betrog. Unſere Ehe ſelbſt war nichts, als Liebe, und unſer Leben nichts, als Vergnügen. Wir hatten faſt niemanden zu unſerm Umgange, als uns. Mein Gemahl unterhielt mich, ich ihn, und unſer alter Vater uns alle beyde. Dieſer Mann von ſiebenzig Jahren vertrat die Stelle von ſechs Perſonen. Seine Er - fahrung in der Welt, ſeine brauchbare Gelehrſamkeit und ſein zufriednes und red - liches Herz machten ihn ſtets munter undC 2belebt36Leben der Schwediſchenbelebt in ſeinen Geſprächen. Jch kann ſagen, daß ich dieſen Greis in drey Jah - ren faſt keine Stunde unruhig geſehen ha - be; denn ſo viele Jahre waren in meiner Ehe verſtrichen, als er ſtarb. Gott, wie lehrreich war das Ende dieſes Mannes! Er bekam ſieben Tage vor ſeinem Tode Schwulſt in den Beinen. Dieſe trat im - mer weiter, und er ſah mit iedem Tage ſein Ende näher kommen. Er fragte den Arzt, wie lange es noch mit ihm dauren würde. Wahrſcheinlicher Weiſe, ant - wortete dieſer, über drey Tage nicht. Recht gut, verſetzte der alte Graf. Gott ſey gedankt, daß meine Wallfahrt ſo glücklich abgelaufen iſt. Alſo habe ich nur noch drey Tage von dem Leben zuzubrin - gen, von dem ich meinem Schöpfer Re - chenſchaft geben ſoll? Jch werde ſie nicht beſſer anwenden können, als wenn ich durch meine Freudigkeit den Meinigen ein Beyſpiel gebe, wie leicht und glückſe - lig man ſtirbt, wenn man vernünftigund37Gräfinn von G **und tugendhaft gelebt hat. Er ließ dar - auf alle ſeine Bedienten zuſammen kom - men. Er rühmte ihre Treue, und bat ſie, als ein Vater, daß ſie die Tugend ſtets vor Augen haben ſollten. Jch, fieng er an, bin euer Herr und Aufſe - her geweſen. Der Tod hebt dieſen Un - terſchied auf, und ich gehe in eine Welt, wo ihr ſo viel, als ich ſeyn werdet, und wo ihr für die Erfüllung eurer Pflichten eben ſo viel Glück erhalten werdet, als ich für die Erfüllung der meinigen. Lebt wohl, meine Kinder! Wer mich lieb hat, und mir vor meinem Tode noch ein Ver - gnügen machen will, der verſpreche mir mit der Hand, daß er meine Lehren und meine Bitten erfüllen will. Er befahl dar - auf, iedwedem eine gewiſſe Summe Gel - des auszutheilen. Er ließ dieſen und den folgenden Tag die meiſten von ſeinen Un - terthanen zu ſich kommen, und redete mit ihnen eben ſo, wie mit ſeinen Bedien - ten. Wem er Geld zu ſeiner NahrungC 3vorge -38Leben der Schwediſchenvorgeſtrecket hatte, dem erließ ers. Und alle durften ſich etwas von ihm ausbitten. Die Anzahl der Armen war ſehr klein; denn er hatte ſeine Wohlthaten und ſeine Vorſorge gegen die Unterthanen nicht bis an ſein Ende verſparet. Man kann ſich die Wehmuth dieſer Leute leicht vorſtellen. Ein ieder beweinte in ihm den Verluſt ei - nes Vaters. Nach dieſer Verrichtung fragte der ſterbende Graf, ob noch iemand in ſeinem Hauſe wäre, der nicht Abſchied von ihm genommen hätte. Jch ſagte ihm, daß ich niemanden wüßte, außer die Soldaten, die mein Gemahl bey ſich hät - te. Auch dieſe, ſagte er, ſind mir liebe Leute. Sie brauchen am meiſten den Tod kennen zu lernen, weil ſie ihn vor andern unvermuthet gewärtig ſeyn müſſen. Laßt ſie herein kommen. Hierauf traten vier Leute herein, denen die Wildheit und Unerſchrockenheit aus den Augen ſah. Der alte Graf redete ſie liebreich an, und er hatte kaum angefangen; ſo weinten dieſedem39Gräfinn von G **dem Anſcheine nach ſo beherzte und bar - bariſche Männer, wie die Kinder. Er fragte ſie, wie lange ſie gedienet hät - ten. Sie hatten faſt alle zwanzig Jahre die Waffen getragen. O, fieng der Graf an, ihr verdient, daß ihr die Ruhe des Lebens ſchmeckt, weil ihr die Unruhe ſo lange ausgehalten habt. Mein Sohn mag euch den Abſchied ertheilen. Und ihr ſollt euch in meinem Dorfe niederlaſ - ſen, und ſo lange ihr lebet, noch ſo viel bekommen, als eure ordentliche Löhnung austrägt. Einer von dieſen Leuten hat nachdem meinem Gemahle einen ſehr wich - tigen Dienſt geleiſtet.

Die Nacht vor ſeinem letzten Ende brach nunmehr an. Er fragte den Doctor noch einmal um die Zeit ſeines Todes, und hör - te mit der gröſten Standhaftigkeit, daß er kaum vier und zwanzig Stunden noch auf der Welt ſeyn würde. Er forderte darauf zu eſſen. Er , und ließ ſich auchC 4ein40Leben der Schwediſchenein Glas Wein reichen. Gütiger Gott, fieng er an, es ſchmeckt mir bey meinem Ende noch ſo gut, als es mir vor funfzig Jahren geſchmeckt hat. Hätte ich nicht mäßig gelebt: ſo würden meine Gefäße zu dieſer Erqvickung nicht mehr geſchickt ſeyn. Nun, fuhr er fort, will ich mich zu meinem Aufbruche aus der Welt noch durch einige Stunden Schlaf erholen. Er ſchlief drey Stunden. Alsdann rief er mich, und bat, ich ſollte ihm aus ſei - nem Schreibetiſche ein gewiſſes Manu - ſcript hohlen. Dieſes war ein Ver - zeichniß ſeines Lebens ſeit vierzig Jahren. Und dieſes mußte ich ihm bis zu anbre - chendem Tage vorleſen. Als wir fertig waren, ſo that er das brünſtigſte Gebet zu Gott, und dankte ihm für die Güte und Liebe, welche er ihm in der Welt hatte genießen laſſen, auf eine ganz ent - zückende Weiſe, und bat, daß er ihn in der künftigen Welt die Wahrheit und Tugend, der er hier unvollkommen nach -geſtrebt,41Gräfinn von G **geſtrebt, möchte vollkommen erreichen laſſen. Er ließ ſeinen Sohn rufen, nam uns beyde in die Arme, und fieng an zu weinen. Dieſes, ſagte er, ſind ſeit vierzig und mehr Jahren die erſten Thrä - nen, die ich vergieße. Sie ſind keine Zeichen meiner Wehmuth und Furcht - ſamkeit, ſondern meiner Liebe. Jhr habt mir mein Leben angenehm gemacht; allein das Glück, das ich nach meinem Tode hoffe, macht mir den Abſchied von euch ſehr erträglich. Liebt getreu, und ge - nießt das Leben, das uns die Vorſehung zum Vergnügen und zur Ausübung der Tugend geſchenkt hat. Er gab mir noch allerhand Regeln, wie ich meine Kinder ziehen ſollte, wenn unſre Ehe fruchtbar ſeyn würde. Und in eben der Bemü - hung, auch ſeine Nachkommen durch ei - ne weiſe Vorſorge noch glücklich zu ma - chen, ſtarb er.

Wir lebten darauf noch einige Jahre in der größten Zufriedenheit auf unſermC 5Land -42Leben der SchwediſchenLandgute. Endlich erhielt mein Gemahl Befehl am Hofe zu erſcheinen, und ich folgte ihm dahin.

Jch war kaum bey Hofe angekommen: ſo ward ich verehrt und bewundert. Es war, wie es ſchien, niemand ſchöner, nie - mand geſchickter und vollkommner, als ich. Jch konnte vor der Menge der Aufwar - tungen und vor dem ſüſſen Klange der Schmeicheleyen kaum zu mir ſelber kom - men. Zu meinem Unglücke bekam mein Gemahl Ordre zum Marſche, und ich mußte zurück bleiben. Es hieß, ich ſollte ihm bald nachfolgen; allein es vergiengen drey Monate, ehe ich ihn zu ſehen bekam. Jch hatte meine ganze Philoſophie nöthig, die ich bey meinem Vetter, meinem Ge - mahle und ſeinem Vater gelernet hatte, wenn ich nicht eitel und hochmüthig wer - den wollte. Die Ehre, die mir allenthal - ben erwieſen ward, war eine gefährliche Sache für eine junge und ſchöne Frau, die den Hof zum erſtenmal ſah.

Ein43Gräfinn von G **

Ein gewiſſer Prinz von S --, der ſchon eine Gemahlinn, und unſtreitig nicht die erlaubteſten Abſichten gegen mich hatte, ſuchte ſich die Abweſenheit meines Ge - mahls zu Nutze zu machen. Er bedien - te mich bey aller Gelegenheit mit einer ungemeinen Ehrerbietung, und mit einem Vorzuge, der recht prächtig in die Augen fiel. Er wagte es zuweilen mir von einer Neigung zu ſagen, die ich verabſcheuete. Dennoch wußte ich der Ehrerbietung, die er ſtets mit untermengte, nicht genug zu widerſtehen. Jch war ſo treu und tu - gendhaft, als man ſeyn kann; allein viel - leicht nicht ſtrenge genug in dem äußerli - chen Bezeigen. Hierdurch machte ich den Prinzen nur beherzter. Er kam an einem Nachmittage unangemeldet zu mir. Er machte mir allerhand kleine Liebkoſun - gen; doch bey der erſten Freyheit, die er ſich heraus nahm, ſagte ich zu ihm: Er - lauben ſie mir, daß ich es ihrer Gemah - linn darf melden laſſen, daß Sie bey mirſind,44Leben der Schwediſchenſind, damit ſie mir das Glück ihrer Ge - genwart auch gönnt. Sie iſt ſchon in Gedanken bey mir, fieng er an. Und mein Gemahl, antwortete ich, iſt auch bey mir, wenn er gleich im Felde iſt. Dar - auf machte er mir ein froſtig Compli - ment, und gieng fort. Wie rachgierig dieſer Herr war, wird die Folge aus - weiſen.

Mein Gemahl kam wieder zurück, und nach ſeiner Ankunft ward ihm der Hof verbothen. Dieſes war die erſte Ra - che eines beleidigten Prinzen. Wir gien - gen darauf auf unſer Landgut. Jch ent - deckte meinem Gemahle ohne Bedenken die Urſache der erlittenen Ungnade, und bat ihn tauſendmal um Vergebung. Jch bin ſehr wohl, ſprach er, mit meinem Un - glücke zu frieden. Fahren ſie nur fort, mich durch ihre Tugend zu beleidigen; ich will ihnen zeitlebens dafür danken. Jch habe es voraus geſehen, daß ihnen derHof45Gräfinn von G **Hof gefährlich ſeyn würde. Jch konnte mir einbilden, daß man ſie bewundern, und daß ihr Herz der Verſuchung der Lob - ſprüche und Ehrenbezeigung nicht gleich den erſten Augenblick widerſtehen würde. Die erlittene Ungande iſt nichts, als ein Beweis, daß ich eine liebenswürdige und tugendhafte Frau habe.

Wir lebten auf unſerm Landgute ſo ru - hig und zärtlich, als iemals. Und damit wir den Verluſt unſers klugen Vaters de - ſto weniger fühlten: ſo nahm mein Ge - mahl ſeinen ehemaligen Reiſegefährten, den Herrn R -- zu ſich. Er war noch ein junger Mann, der aber in einer groſ - ſen Geſellſchaft zu nichts taugte, als ei - nen leeren Platz einzunehmen. Er war ſtumm und unbelebt, wenn er viele Leu - te ſah. Doch in dem Umgang von drey oder vier Perſonen, die er kannte, war er ganz unentbehrlich. Seine Beleſenheit war außerordentlich, und ſeine Beſchei -den -46Leben der Schwediſchendenheit eben ſo groß. Er war in der Tu - gend und Freundſchaft ſtrenge bis zum Eigenſinn. So traurig ſeine Mine aus - ſah, ſo gelaſſen und zufrieden war er doch. Er ſchlug keine Vergnügung aus; allein mir kam es immer vor, als ob er ſich nicht ſo wohl an den Ergötzlichkeiten ſelbſt, als vielmehr an dem Vergnügen beluſtigte, das die Ergötzlichkeiten andern machten. Sein Verlangen war, alle Menſchen ver - nünftig, und alle Vernünftige glücklich zu ſehen. Daher konnte er die großen Ge - ſellſchaften nicht leiden, weil er ſo viel Zwang, ſo viel unnatürliche Höflichkeiten und ſo viel Verhinderungen, frey und ver - nünftig zu handeln, darinnen antraf. Er blieb in allen ſeinen Handlungen uneigen - nützig, und gegen die Glücksgüter, und gegen alle Ehrenſtellen faſt gar zu gleich - gültig. Die Schmeichler waren ſeine ärgſten Feinde. Und er glaubte, daß dieſe Leute der Wahrheit und Tugend mehr Schaden thäten, als alle Ketzer undFrey -47Gräfinn von G **Freygeiſter. Einem geringen Manne dien - te er mit größern Freuden, als einem vornehmen. Und wenn man ihn um die Urſache fragte, ſo ſagte er: Jch fürchte, der vornehme möchte mich bezahlen, und durch eine reiche Belohnung mich zu ei - nem Laſtträger ſeiner Meynungen, und zu einem Beförderer ſeiner Affecten er - kaufen wollen. Er hatte einen geſchick - ten Bedienten, der ihm aber des Tages nicht mehr, als etliche Stunden, aufwar - ten durfte. Als er ſeinen Herrn in un - ſerer Gegenwart einmal fragte, ob er nichts zu thun hätte; ſo ſagte er: Denkt ihr denn, daß ihr bloß meinetwegen und meiner Kleider und Wäſche wegen in der Welt ſeyd? Wollt ihr denn ſo unwiſſend ſterben, als ihr gebohren ſeyd? Wenn ihr nichts zu thun habt, ſo ſetzt euch hin, und überlegt, was ein Menſch iſt; ſo wer - den euch Beſchäftigungen genug einfallen. Er gab ihm verſchiedene Bücher zu leſen. Und wenn er ihn auskleidete: ſo mußte erihm48Leben der Schwediſchenihm allemal ſagen, wie er den Tag zuge - bracht hätte. Wer ſich ſchämt, ſagte er, einen Menſchen vernünftig und tugendhaft zu machen, weil er geringe iſt, der ver - dient nicht, ein Menſch zu ſeyn. Mein Gemahl liebte den Herrn R --, als ſeinen Bruder, und wir beſchloſſen niemals et - was wichtiges, ohne ihn zu Rathe zu ziehen.

Um dieſe Zeit bekam mein Gemahl Be - fehl zum Marſche, weil Schweden mit der Krone Pohlen in einen Krieg verwickelt wurde. Nunmehr gieng mein Elend an. Mein Gemahl hatte einen engen und ge - fährlichen Paß vertheidigen ſollen. Al - lein er hatte das Unglück gehabt, ihn und faſt alle ſeine Mannſchaft zu verlieren. Man glaubte der Prinz von S --, der mit zu Felde war, hätte ihn mit Fleiß zu die - ſer gefährlichen Unternehmung beſtimmt, um ihn zu ſtürzen. Genug, mein Gemahl ward zur Verantwortung gezogen. Mangab49Gräfinn von G **gab ihm Schuld, er hätte ſeine Pflicht nicht in Acht genommen, und es ward ihm durch das Kriegsrecht der Kopf ab - geſprochen. Gott, in welch Entſetzen brachte mich folgender Brief von meinem Gemahl!

Lebt wohl, liebſte Gemahlinn, lebt ewig wohl! Es hat der Vorſicht gefal - len, meinen Tod zu verhängen. Er kömmt mir nicht unvermuthet; doch wür - de mich die Art meines Todes erſchrecken, wenn ich meinen Ruhm mehr in der Ehre der Welt, als in einem guten Gewiſ - ſen ſuchte. Gerechter Gott! Jch ſoll durch das Schwerdt ſterben, weil ich es nicht beherzt genug für das Vaterland ge - führet habe. Der Himmel weis, daß ich unſchuldig bin. Und fünf Wunden, die ich bey meiner Gegenwehr empfangen ha - be, mögen Zeugen ſeyn, ob ich meiner Pflicht nachgelebt. Der Prinz von S --, den ihr durch eure Tugend beleidiget habet,Erſter Theil. Diſt50Leben der Schwediſcheniſt ohne Zweifel die Urſache meines ge - waltſamen Todes. Vergebt es ihm, daß er euch euren Gemahl entreißt. Es iſt weit weniger, als wenn er euch eure Tu - gend entriſſen hätte. Lebt wohl, meine Gemahlinn, und betet, daß ich bey dem Anblicke meines Todes ſo beherzt ſeyn mag, als ich itzt bin. Meine Wunden ſind gefährlich. Wollte Gott, daß ſie tödtlich wären, und mich der Schmach entriſſen, als ein Verbrecher vor den Au - gen der Welt zu ſterben. Jn fünf Ta - gen ſoll mein Urtheil vollſtreckt werden. Nehmet von dem redlichen R -- in mei - nem Namen Abſchied. Er wird euch in eurem Unglück nicht verlaſſen. Jch ha - be den König in einem Bittſchreiben er - ſucht, daß er euch meine Güter laſſen ſoll; aber ich glaube nicht, daß es geſchehen wird. Seyd unbekümmert, meine Ge - treue! Flieht, wohin ihr wollt, nur daß ihr den Nachſtellungen des Prinzen ent - geht. Lebt wohl. Ach wenn doch derfünfte51Gräfinn von G **fünfte Tag ſchon da wäre! O warum muß ich denn ein Schlachtopfer meiner Feinde werden! Doch es iſt eine Schi - ckung. Jch will meinen Tod mit Stand - haftigkeit erwarten. Lebt noch einmal wohl, liebſte Gemahlinn. Jch fühle den Augenblick eine außerordentliche Schwach - heit in meinem Körper. Vielleicht ſterbe ich noch heute an meinen Wunden. Mein Feldprediger kömmt. Jch will ihn bit - ten, daß er euch dieſen Brief zuſtellen läßt. Faßt euch. Jch liebe euch ewig, und ich ſehe euch in der künftigen Welt gewiß wieder.

Meinen Schmerz über dieſe Nachricht kann ich nicht beſchreiben. Die Spra - chen ſind nie ärmer, als wenn man die gewaltſamen Leidenſchaften der Liebe und des Schmerzes ausdrücken will. Jch habe alles geſagt, wenn ich geſtehe, daß ich etliche Tage ganz betäubt geweſen bin. Alle Troſtgründe der Religion und derD 2Ver -52Leben der SchwediſchenVernunft waren bey meiner Empfindung ungültig, und ſie vermehrten nur meine Wehmuth, weil ich ſah, daß ſie ſolche nicht beſänftigen konnten. Der angeſetz - te Todestag meines Gemahls brach an. Jch brachte ihn mit Thränen und Gebete zu, und fühlte den Streich mehr, als ein - mal, der meinem Gemahle das Leben nehmen ſollte. Niemand ſtund mir in meinem Elende redlicher bey, als der Herr R --. Er klagte und weinte mit mir, und erwarb ſich durch ſeine Traurigkeit den Vortheil, daß ich die Troſtgründe anhörte, mit denen er mich nunmehr an - fieng aufzurichten.

Binnen acht Tagen kam der Reitknecht meines Gemahls, und brachte mir die Poſt, daß ſein Herr drey Tage vor dem Tage des Urthels an ſeinen Wunden ge - ſtorben wäre. Dieſe Nachricht vergnüg - te mich, ſo betrübt ſie war, doch unend - lich. So iſt er denn, als ein Held, anſeinen53Gräfinn von G **ſeinen Wunden geſtorben? rief ich aus. So hat er die traurigen Zubereitungen zu einem gewaltſamen Tode, welche ärger als der Tod ſelber ſind, nicht mit anſehen dürfen? Nunmehr bin ich ruhig. Jch fragte, ob man ihn ohne Schimpf zur Er - den beſtattet hätte. Er ſagte mir, daß dieſes gar nicht hätte geſchehen können, weil in der Nacht, da er geſtorben wäre, die Feinde das Dorf angefallen, und das Bataillon, bey dem mein Gemahl gefan - gen geſeſſen, genöthiget hätten, ſich in der gröſten Eil und mit Verluſt zurückzuzie - hen. Jn eben dieſer Unordnung wäre er mit gewichen, und der Feldprediger von meines Gemahls Regimente hätte ihm Gelegenheit geſchafft, mit einem Deta - ſchement zurückzugehen, und mir die Nachricht und etliche Kleinodien von mei - nem Gemahle zu überbringen.

Der Feldprediger hatte ſelbſt an mich geſchrieben, und mir in meines GemahlsD 3Namen54Leben der SchwediſchenNamen gerathen, Schweden ſo bald zu verlaſſen, als es möglich wäre, da - mit ich nicht der Rache des Prinzen oder ſeiner Wolluſt weiter ausgeſetzt ſeyn möchte. Der Befehl wegen der Einzie - hung unſerer Güter war, wie ich erfuhr, ſchon vor meines Gemahls Tode unter - zeichnet worden. Jch entſchloß mich alſo zur Flucht, und bat den Herrn R -- Schweden mit mir zu verlaſſen. Wir gaben in unſerm Hauſe eine Reiſe auf die andern Güter vor, und nahmen nichts, als die Chatoulle, in welcher etwan tau - ſend Ducaten waren, (denn mein Ge - mahl hatte ſein baares Vermögen der Kro - ne vorgeſtreckt) nebſt dem Geſchmeide und den Kleinodien mit uns. Alles Silber - geſchirr lieſſen wir im Stiche, und kamen in Begleitung des vorhin gedachten Reit - knechts, und des Bedienten des Herrn R -- glücklich über die Grenzen. Wir erfuh - ren bald darauf, daß man die Güter ein - gezogen, und daß man mir etliche Meilenhatte55Gräfinn von G **hatte nachſetzen laſſen. Wir waren nun - mehr in Liefland; allein ich war deswe - gen noch nicht ſicher. Der Prinz wollte mich in ſeiner Gewalt haben. Mein Vet - ter, der mich nach Schweden gebracht hatte, war todt, und ich wußte nicht, welches Land ich zu meinem Aufenthalte ausſuchen ſollte. Mein getreuer Beglei - ter ſollte mein Rathgeber werden. Er ſchlug mir Holland vor, weil er in Am - ſterdam Freunde hatte, und er verſi - cherte mich, daß es mir an dieſem Orte gefallen würde. Hier können ſie ſich, ſagte er, ein Paar Jahre aufhalten, bis ſich die Umſtände in Schweden ändern. Vielleicht glückt es ihnen, daß ſie durch Vorbitte mit der Zeit einen Theil von ih - res Gemahls Vermögen zurück bekom - men.

Die Furcht, in des rachgierigen Prin - zen Hände zu fallen, machte mir alle Länder angenehmer, als mein Vaterland. D 4Jch56Leben der SchwediſchenJch entſchloß mich alſo mit ihm nach Am - ſterdam zu gehen, und ich wünſchte, daß mich die ehemalige Geliebte meines Ge - mahls dahin begleiten möchte. Wir wa - ren etwan achtzehn Meilen von ihr ent - fernet, denn wir bildeten uns ein, daß ſie noch auf meines Gemahls Gütern wäre, die er in Liefland hatte. Herr R -- reiſete alſo dahin ab, um ſich nach ihr zu erkundigen. Er war kaum weg, ſo brachte mir der Reitknecht die Nachricht, daß er Carolinen in der Kirche des Dor - fes, in welchem ich mich insgeheim auf - hielt, geſehen, aber nicht geſprochen hät - te. Jch ſchickte ihn fort, und binnen we - nig Stunden ſah ich ſie zu meinem größ - ten Vergnügen bey mir. Sie hatte bin - nen den acht Jahren, da ich ſie nicht ge - ſehen, etwas von ihren äußerlichen Rei - zungen, doch nichts von ihrer Annehm - lichkeit im Umgange verlohren. Jch er - zählte ihr mein Schickſal, und fragte ſie, ob ſie mit mir nach Amſterdam gehenwollte.57Gräfinn von G **wollte. Sie vergoß tauſend Thränen über mein Unglück, und über die Liebe, die ich noch gegen ſie hatte. Sie ver - fahren, ſprach ſie, gar zu liebreich mit mir. Sie bezeigen mir die ſtärkſte Gewogenheit und hätten doch vielleicht Urſache mich zu haſſen. Jch halte es für mein größtes Unglück, daß ich ihnen nicht folgen kann; allein ich bin ſeit einem Jahre, denn ſo lange iſt es, daß ich mich von ihres Ge - mahls Gütern an dieſen Ort begeben ha - be, ſehr krank geweſen, und ſie werden mir es leicht anſehen, daß es mir unmög - lich iſt, eine ſo weite Reiſe mit ihnen zu thun. Jndeſſen ſchwöre ich ihnen zu, daß mich, wofern ich wieder geſund wer - de, nichts in der Welt abhalten ſoll, ih - nen nachzufolgen. Und damit ich ſie von der Gewißheit meines Verſprechens deſto ſtärker überführe: ſo will ich ihnen mei - nen Sohn mit geben, wenn er ihnen nicht zur Laſt wird. Er iſt bey mir. Jch habe mir für das Geld, das der Herr Va -D 5ter58Leben der Schwediſchenter ihres Gemahls zu meiner und meines Kindes Erhaltung ausgeſetzet hat, ein kleines Landgut hier in dieſem Dorfe ge - kauft, und ich biete es ihnen nicht allein zu ihrem Aufenthalte, ſondern mit dem größten Vergnügen zu ihrem Eigenthume an. Wollte Gott ſie blieben unerkannt bey mir, wie ruhig wollten wir nicht le - ben! Das Verlangen, ihnen zu dienen, ſoll - te mich wieder geſund und munter ma - chen.

Jch wagte es, mich auf ihren kleinen Ritterſitz zu begeben. Jch traf keinen Reichthum, keinen Ueberfluß da an; aber Ordnung und Beqvemlichkeit, die von dem guten Geſchmacke der Beſitzerinn zeug - ten. Jch fand eine Menge ſchöner - cher in ihrer beſten Stube. Und ſie war ſo beſcheiden, daß ſie ſagte, ſie gehörten ihrem Sohne, da ich doch leicht merken konnte, daß ſie ihr ſelber zugehörten. Es waren faſt alle die Franzöſiſchen undSchwe -59Gräfinn von G **Schwediſchen Bücher, welche mein Ge - mahl hochzuhalten pflegte, und ich konn - te leicht errathen, wem ſie dieſen guten Geſchmack zu danken hatte. Unter ihrem Spiegel hieng das Bildniß meines Ge - mahls. So bald ſie merkte, daß mirs in die Augen fiel: ſo überreichte ſie mirs zum Geſchenke, und geſtund mir, daß ſie es ſelber gemahlet hätte; denn ſie konnte vor - trefflich in Miniatür malen. Jch hielt es für eine Grauſamkeit, ſie um dieſes An - denken zu bringen. Darum bat ich ſie, das Bild noch einmal zu malen, und die - ſes ſo lange zu behalten.

Jhr Sohn war noch nicht völlig drey - zehn Jahr alt. Er war ein ſehr artiger und lebhafter Knabe. Sie hatte ihn ſchon in ſeinen zarteſten Jahren einem ge - ſchickten Manne zur Aufſicht anvertraut, und ihn itzt nur auf etliche Wochen zu ſich kommen laſſen, weil ſie wegen der anhal - tenden Krankheit ihr Ende vermuthet. Sie60Leben der SchwediſchenSie geſtund mir zu gleicher Zeit, daß ſie von meinem verſtorbenen Gemahle auch eine Tochter gehabt hätte. Sie wäre mit ihr in Holland darnieder gekommen, und hätte ſie bey ihrem Bruder, einem Kauf - manne im Haag, theils auf ſein Bitten, theils aus andern Urſachen zurück gelaſ - ſen; dieſes Kind aber wäre in ſeinem ſechsten Jahre geſtorben, wie ihr ihr Bru - der geſchrieben hätte. Jch wollte wün - ſchen, fuhr ſie fort, daß ſie ihren Auf - enthalt in Holland bey meinem Bruder nehmen könnten. Doch, ſo viel ich weis, iſt er nicht mehr in den beſten Umſtänden. Jch habe lange keine Nachricht von ihm, und weis nicht, ob er ſich von ſeinem ſtar - ken Bankerotte wieder erholet hat, oder nicht?

Der Herr R -- kam unterdeſſen von ſeiner vergebenen Reiſe wieder. Es war Zeit, daß wir uns von einem Orte weg machten, wo wir länger nicht wohlver -61Gräfinn von G **verborgen bleiben konnten. Ehe wir noch fortgiengen, ſo ſtarb der Bediente des Herrn R --, deſſen Verluſt uns nicht wenig daurete. Dieſer redliche Menſch gab ſeinem Herrn vor ſeinem Tode vier hundert Stück Ducaten. Dieſes Geld, ſagte er, habe ich in ihrem Dienſte und durch ihre Freygebigkeit geſammlet, und ich bin froh, daß ich es ihnen wieder ge - ben kann. Jhrer Güte, ihrem Unterrich - te und ihrem Exempel habe ichs zu dan - ken, daß ich itzt gelaſſen und freudig ſter - ben kann. Wenn ſie nur wieder einen Menſchen hätten, auf den ſie ſich verlaſſen könnten. So gewiß iſts, daß man auch den niedrigſten Menſchen edelmüthig ma - chen kann, wenn man ihn nicht bloß als ſeinen Bedienten und Sclaven, ſondern als ein Geſchöpf anſieht, das unſerer Auf - ſicht anvertraut, und zu einem allgemei - nen Zwecke nebſt uns gebohren iſt.

Wir verließen nunmehr Carolinen, in Begleitung ihres Sohnes. Sie ver -ſprach,62Leben der Schwediſchenſprach, ſo bald es möglich wäre, uns zu folgen, und ihr Landgütchen zu verkau - fen. Wir kamen glücklich in Amſterdam an. Der Vetter des Herrn R --, bey dem wir uns aufhalten wollten, war zwar ge - ſtorben, doch lebte ſeine Tochter noch. Sie kannte den Herrn R --, ſo bald ſie ihn ſah; denn er war, wie ich ſchon ge - ſagt habe, mit meinem Gemahl ehedem durch Holland gereiſet. Sie nahm uns ſehr gütig auf, und ihr Ehemann war ebenfalls ein vernünftiger und dienſtferti - ger Mann. Jch entdeckte mich ihnen, und bat, daß ſie meinen Stand nicht allein verſchwiegen halten, ſondern ihn auch ver - geſſen, und mich nicht mehr als eine Grä - finn, ſondern als eine unglückliche Freun - dinn betrachten möchten. Sie hatten von dem Schickſale meines Gemahls ſchon durch die Zeitungen gehöret. Und wenn ich auch keine Eigenſchaften gehabt hätte, mich bey dieſen Leuten in Gewogenheit und Anſehen zu ſetzen: ſo war doch meinUnglück63Gräfinn von G **Unglück ſchon die beſte Empfehlung. Ja ich erfuhr, daß ein groſſes Unglück in den Gemüthern vieler Menſchen faſt eben die Wirkungen hervor bringt, welche ſonſt ein groſſes Glück zu verurſachen pflegt. Man ſchätzt uns hoch, weil wir viel erlit - ten oder viel verlohren haben, und man macht unſern Unfall zu unſerm Verdien - ſte, ſo wie man oft unſer Glück, ob wir gleich nichts dazu beygetragen haben, als unſre Vollkommenheit anſieht. Mit ei - nem Worte, dieſe Leute erwieſen mir, ehe ich ſie noch kannte, mehr Hochach - tung und Gefälligkeit, als ich fordern konnte. Sie gaben mir einen ganzen Theil von ihrem Hauſe zu meiner Woh - nung ein; ich nahm aber nicht mehr, als ein Paar Zimmer. Und damit ich dieſen gutthätigen Leuten nicht zur Laſt werden möchte: ſo entdeckte ich dem Herrn R -- daß ich willens wäre, meine Juwelen zu Gelde zu machen, und das Geld in die Handlung ſeiner Frau Muhme zu legen. Er64Leben der SchwediſchenEr ſagte, daß er es mit ſeinen vier hun - dert Ducaten, die ihm ſein Bedienter ge - geben, ſchon alſo gemacht hätte. Mein dienſtwilliger Wirth verhandelte meine Juwelen für zwölf tauſend Thaler, und ſagte, daß er mir keine Jntereſſen, ſon - dern den ordentlichen Gewinnſt davon ab - geben wollte, der bey der Rechnung in ſeinem Handel auf dieſes Capital fallen würde. Jch bat ihn, daß er mir keine Rechnung ablegen, ſondern mich und mei - ne beyden Reiſegefährten, an ſtatt der Jntereſſen, erhalten ſollte. Jch lebte hier ſo ruhig, daß ich mir keinen andern Ort wünſchte. Herr R -- hatte den Sohn von Carolinen bey ſich. Weil er kein Amt hatte: ſo gab er ſich ſelber eins, und zog dieſen jungen Menſchen mit ſo vieler Sorgfalt auf, als ein Mann thun kann, der in dem Bewuſtſeyn edler Abſichten und nützlicher Thaten ſeine Belohnung ſucht. Und wie ſehr würden nicht die Groſſen viele niedrige und unberühmteMänner65Gräfinn von G **Männer beneiden, wenn ſie die Beloh - nung kennten, welche ſolchen Leuten das Gedächtniß ihrer rühmlichen Abſichten und guten Thaten zu ſchenken pflegt. Er unterrichtete den jungen Menſchen in den Sprachen und Künſten, und brachte ihm die edelſten Meynungen von der Religion und der Tugend bey. Was ſein Unter - richt nicht that, das richtete ſein Exempel aus. Der Schüler ward ſeinem Lehrer ähnlich, und belohnte deſſen Mühe durch einen fähigen Verſtand und durch ein gu - tes Herz. Jch brachte meine Zeit mei - ſtens mit Studiren zu, wenn anders ein Frauenzimmer ohne Eitelkeit dieſes von ſich ſagen kann. Jch redte des Tages ge - meiniglich eine Stunde mit unſerm jungen Schüler, und ſuchte ihm das Wohlan - ſtändige beyzubringen, das junge Manns - perſonen oft am erſten von einem Frauen - zimmer lernen können. Jch ſuchte ſein flüchtiges und feuriges Weſen der Jugend durch meine Ernſthaftigkeit zu mäßigen. EJch66Leben der SchwediſchenJch that ſtets fremd gegen ihn, und ſtell - te verſchiedene Perſonen vor, damit er meinen Umgang nicht zu gewohnt werden, und in meiner Geſellſchaft immer etwas neues finden ſollte. Mit der Tochter mei - ner Wirthinn, welche ein Mädchen von etwan acht Jahren war, vertrieb ich mir manche Stunde. Jch lehrte ſie franzö - ſiſch, zeichnen, ſticken, und auch ſingen. Kurz, ich führte eine ſehr ruhige Lebens - art. Mein Wirth und ſeine Frau be - qvemten ſich nach meinem Geſchmacke, und lernten mir die Vergnügungen ab, mit welchen ſie mich unterhalten wollten. Sie brachten mich niemals in große Geſell - ſchaften. Sie ſtörten mich nicht in mei - ner Einſamkeit, als bis ich geſtört ſeyn wollte. Jch durfte weder befehlen, noch bitten, wenn ich ein Vergnügen haben wollte. Jch durfte nur wählen. Man hielt mich in unſerm Hauſe für eine An - verwandtinn der Wirthinn. Und wer ſonſt mit mir umgieng, wußte es auchnicht67Gräfinn von G **nicht beſſer. Mein verſchwiegener Stand nöthigte mich alſo nicht den glänzenden und ſehr beſchwerlichen Charackter einer Standsperſon in Geſellſchaften zu behaup - ten, und dieſes zu meinem großen Vor - theile. Hätte man gewußt, daß ich eine Gräfinn wäre; ſo würde man, an Statt mich zu bewundern, nur mein gutes für einen nothwendigen Antheil meines Stan - des angeſehen haben. Oder wenn es hoch gekommen wäre; ſo würde man mich nur verehret haben, da man mich gegen - theils itzt zugleich verehrte und liebte, und meinen Umgang ſuchte.

Vier Jahre hatte ich nunmehr in Am - ſterdam zugebracht, und zu verſchiedenen malen an Carolinen geſchrieben, und ſie an ihr Verſprechen, zu mir zu kommen, erinnert; allein ſie blieb aus.

Jhr Sohn ſollte ſich nunmehr eine Le - bensart erwählen, welche er wollte. ErE 2bezeig -68Leben der Schwediſchenbezeigte Luſt zu dem Soldatenſtande, und der Herr R -- war ſo wenig dawider, daß er ſeine Wahl vielmehr billigte. Geſitte - te und geſchickte Leute, ſagte er, ſind nir - gends nöthiger und nützlicher, als wo es viele Ungeſittete giebt. Werden ſie ein Soldat, und zeigen ſie, daß man uner - ſchrocken, tapfer, ſtrenge, und doch auch weiſe, vorſichtig und liebreich ſeyn kann. So lange ſie die Religion und ein gutes Gewiſſen haben werden: ſo lange wer - den ſie den Tod zwar nicht gleichgültig anſehen; aber doch ohne Entſetzen erwar - ten, und nie aus Zagheit vermeiden. Die - ſes iſt die wahre Tapferkeit. Wir kauf - ten ihm eine Fähndrichsſtelle; und er gieng zu ſeinem Regimente ab, welches nachmals an die Grenze von Holland zu ſtehen kam.

Nunmehr kömmt eine von den wunder - ſamſten Begebenheiten meines Lebens, welche mir von Leuten, die den Standlieben,69Gräfinn von G **lieben, und die Menſchen nicht nach ihren Neigungen und Eigenſchaften, ſondern ſtets nach der Geburt und nach dem Ran - ge unter einander vergleichen, ſchwerlich wird vergeben werden. Jch war noch in meinen beſten Jahren, und die An - nehmlichkeiten in meiner Bildung waren noch nicht verlohren gegangen, oder höch - ſtens zum Theile nur ſo verloſchen, wie die kleinen Züge in einem Gemälde die man nicht ſehr vermißt. Es fanden ſich verſchiedene Holländer von Anſehen und groſſem Vermögen, die mich zur Frau be - gehrten. Allein ihr Suchen war um - ſonſt. Wer einen ſo liebenswürdigen und vortrefflichen Gemahl, als ich, gehabt, konnte in der Liebe leicht etwas eigenſin - nig ſeyn. Ob nun gleich keiner von mei - nen Freyern ſeine Abſicht erreichte: ſo weckten ſie doch die Erinnerung von der Süßigkeit der Liebe bey mir wieder auf. Du willſt, dachte ich, um dieſer Herren los zu werden, dich ſelbſt zu einer WahlE 3ent -70Leben der Schwediſchenentſchließen. Dieſe Urſache zu einer Ehe iſt etwas weit hergeholet. Jndeſſen war es gewiß, daß ich ſie bey mir ſelber vor - wand, weil es mein Herz haben wollte. Der Herr R -- kam an einem Nachmit - tage zu mir auf meine Stube und fragte mich, ob ich mich bald der Ehe zum Be - ſten entſchloſſen hätte. Rathen ſie mir denn, ſprach ich, daß ich wieder heyra - then ſoll? Nicht ehe, verſetzte er, als bis ich ſehe, daß es ihnen ihr eigen Herz ge - rathen hat. Sie kennen meine Aufrich - tigkeit, und ſie wiſſen, daß ich nichts für ein Glück halte, was man nicht verlangt und freywillig wählt. Unter der großen Anzahl Männer, die ſich um ihr Herz be - mühen, gefällt mir keiner beſſer, als der Herr von der H --; Nicht deswegen, weil er ſehr gelehrt iſt; ſondern weil er außer ſeinen Wiſſenſchaften und ſeiner wichtigen Be - dienung ſehr viele Vortheile hat, die ihm Liebe erwerben, und ihn zur Liebe geſchickt machen. Jch habe gewiß Recht, daß erein71Gräfinn von G **ein liebenswürdiger Mann iſt; allein die - ſem Urtheile dürfen ſie darum nicht trauen. Jch betrachte den Mann zwar nach einerley Begriffen mit ihnen, al - lein nicht nach einerley Empfindungen. Jch liebe ihn als einen Freund, und als ein Freund kann er ihnen angenehm und liebenswerth vorkommen, aber dar - um noch nicht als ein Ehemann. Un - ſer Herz iſt oft ſo beſchaffen, daß es die Liebe gegen eine ihm angenehme Perſon zurück hält, ſo bald es auf das genaue - ſte mit ihr verbunden werden ſoll. Viel - leicht, fuhr er fort, gefällt ihnen einer von den andern Herren beſſer zur Liebe, ob ihnen dieſer gleich zu einem guten Freunde genug gefällt.

Jch verſicherte ihn, daß ich mich ſei - nes Raths bedienen würde, ſo bald ich meine eigene Neigung zu Rathe gezogen hätte. Warum, fuhr ich fort, heirathen ſie denn nicht? O, ſagte er, ich würdeE 4es72Leben der Schwediſchenes gewiß gethan haben, wenn meine Um - ſtände und die Liebe mir zur Ehe gera - then hätten. Die Liebe und meine Phi - loſophie ſind einander gar nicht zuwider. Eine recht zufriedene Ehe bleibt nach allen Ausſprüchen der Vernunft die größte Glückſeligkeit des geſellſchaftlichen Lebens. Zeigen ſie mir nur eine Per - ſon, die mir anſtändig iſt, und die ihnen die Verſicherung giebt, daß ſie mich zu beſitzen wünſcht: ſo werde ich ſie, ſo bald ich ſie kenne, mit der größten Zu - friedenheit zu meiner Gattinn wählen. Wir haben alle eine Pflicht, uns das Leben ſo vergnügt und anmuthig zu machen, als es möglich iſt. Und wenn es wahrſcheinlich iſt, daß es durch die Liebe geſchehen kann: ſo ſind wir auch zur Liebe und Ehe verbunden. Allein, verſetzte ich, ſie haben ja, ſo lange ich ſie kenne, gegen unſer Geſchlecht ſehr gleichgültig zu ſeyn geſchienen; wie kömmt es denn, daß ſie der Liebe itzt das Wortreden?73Gräfinn von G **reden? Jch bitte, ſprach er, vermengen ſie die Beſcheidenheit nicht mit der Gleichgültigkeit. Jch weis, daß man dem andern mit ſeiner Liebe oft ſo be - ſchwerlich fallen kann, als mit ſeinem Haſſe. Und aus dieſem Grunde bin ich ſtets behutſam, aber darum nicht gleichgültig gegen das Frauenzimmer. Jch weis eine Perſon, hub ich an, die ſie liebt, und ich glaube nicht, daß ſie ihnen misfallen wird. Allein deswegen weis ich auch noch nicht, ob es eben diejenige iſt, mit der ſie das genaueſte Band der Liebe ſchlieſſen wollen. Er ward beſtürzt, und fragte mich wohl zehnmal, wer ſie wäre. Jch hielt ihn lange auf, und endlich verſprach ich ihm, daß er ſie Nachmittage zu ſehen bekom - men ſollte. Nachmittage ſchickte ich ihm mein Portrait, und ſchrieb ein Billet ungefehr dieſes Jnnhalts an ihn:

So hat die Perſon in ihrer Jugend ausgeſehn, die ſie liebt. Erſt hat ſie nurE 5Freund -74Leben der SchwediſchenFreundſchaft und Erkenntlichkeit gegen ſie empfunden. Die Zeit und ihr Werth hat dieſe Regungen in Liebe verwandelt. Der liebſte Freund meines Gemahls hat das erſte Recht auf mein Herz. Sie ſind ſo großmüthig und tugendhaft mit mir umgegangen, daß ich Sie lieben muß. Antworten Sie mir ſchriftlich. Entſchul - digen Sie ſich nicht mit ihrem Stande. Sie haben die Verdienſte; was geht die Vernünftigen die Ungleichheit des Stan - des an? Um die Unvernünftigen dürfen wir uns nicht bekümmern, weil hier nie - mand von meinem Stande weis.

Er kam den Augenblick zu mir. Und eben der Mann, der ſo wohl bey mei - nes Gemahls Lebzeiten, als nach ſeinem Tode nie ſo gethan hatte, als ob er mir eine Liebkoſung erweiſen wollte, wußte mir itzt ſeine Zärtlichkeit mit einer ſo an - ſtändigen und einnehmenden Art zu be - zeigen, daß ich ihn würde zu lieben an -gefangen75Gräfinn von G **gefangen haben, wenn ich ihn noch nicht geliebt hätte. Nunmehr, ſagte er, ha - ben ſie mir das Recht gegeben, ihnen mein Herz ſehen zu laſſen. Und nun - mehr kann ich ihnen ohne Fehler das ge - ſtehen, was mich die Ehrerbietung ſonſt hat verſchweigen heiſſen. Jch habe an das Glück, das ſie mir itzt anbieten, wie der Himmel weis, kaum gedacht. Und wenn ich auch daran gedacht hätte: ſo würde mich meine wenige Eigenliebe nie - mals dieſen Gedanken haben fortſetzen laſſen. Es fehlt zu meiner Zufriedenheit nichts, als daß ſie mich überzeugen, daß ich ihrer werth bin: ſo will ich mich für den glücklichſten Menſchen ſchätzen. Kurz, wir giengen zu unſerer Wirthinn, wir ſagten ihr unſern Entſchluß, und ſie war nebſt ihrem Manne über dieſe unvermu - thete Nachricht ausnehmend erfreut. Un - ſere kleinen Capitale hatten ſich binnen ſechs Jahren in der Handlung faſt um noch einmal ſo viel vermehret, und wirhätten76Leben der Schwediſchenhätten beyde ſehr gemächlich davon le - ben können. Allein unſer freundſchaft - licher Wirth wollte uns nicht aus ſei - nem Hauſe laſſen. Er behielt unſer Geld, und erwies uns, wie zuvor, alle mögliche Gefälliakeiten. Alſo war Herr R -- mein Gemahl, oder wenn ich nicht mehr ſtandesmäßig reden ſoll, mein lie - ber Mann. Jch liebte ihn, wie ich auf - richtig verſichern kann, ganz ausnehmend, und ſo zärtlich, als meinen erſten Ge - mahl. An Gemüthsgaben war er ihm gleich, wo er ihn nicht noch in gewiſſen Stücken übertraf. Aber an dem äußer - lichen kam er ihm nicht bey. Er war wohl gewachſen; allein er hatte gar nicht das Einnehmende an ſich, das gleich auf das erſtemal rührt. Nein, man mußte ihn etliche mal geſehen, man mußte ihn geſprochen haben, wenn man ihm recht gewogen ſeyn wollte. Jch will deswe - gen nicht behaupten, daß er ſich für alle Frauenzimmer geſchickt haben würde. Genug,77Gräfinn von G **Genug, er gefiel mir, und ich fand jeden Tag in ſeinem Umgange eine neue Ur - ſache, ihn zu lieben. Er war nahe an vierzig Jahre, und er hatte ſeit der Zeit, daß ich ihn bey meinem Gemahle kennen lernen, ſich gar nicht von Perſon geän - dert. Seine ordentliche und ſtille Le - bensart erhielten ihn ſo geſund, als ob er erſt zu leben anfieng. Wer war glücklicher, als wir! Unſer Glück fiel nie - manden in die Augen, und deſto ruhiger konnten wir es genießen. Wir lebten ohne zu befehlen, und ohne zu gehor - chen. Wir durften niemanden von un - ſern Handlungen Rechenſchaft geben, als uns ſelbſt. Wir hatten mehr, als wir begehrten, und alſo genug, andern wohl zu thun. Wir hatten eine Geſellſchaft, die ſich zu unſern Neigungen ſchickte. Wir lebten an dem volkreichſten Orte in der größten Stille. Dieſes war un - ſer Verlangen. Wir konnten uns beyde mit dem edelſten Zeitvertreibe, mit Leſenund78Leben der Schwediſchenund Denken unterhalten. Wir ſtudirten, ohne daß uns deswegen jemand bewun - dern ſollte. Wir ſtudirten zu unſerer eigenen Ruhe. Und daß ich alles mit einmal ſage, wir wußten in unſerer Ehe von keinem andern Wechſel, als von Gefälligkeiten und Gegengefälligkeiten. Viele können es nicht vertragen, wenn ſie die Liebe verehlichter Perſonen ſo zärt - lich abgeſchildert ſehen, als die Liebe zwi - ſchen, unverehlichten, weil man ſieht, daß die meiſten Ehen die Liebe eher auslö - ſchen. als vermehren. Doch ſolche Leu - te wiſſen nicht, was Klugheit und Be - hutſamkeit in der Ehe für Wunder thun können. Sie erhalten die Liebe und be - fördern ihren Fortgang, wie das Herz durch ſeine Bewegung den Umlauf des Geblüts. Es iſt wahr, eine beſtändige und ſich ſtets gleiche Zärtlichkeit iſt in der Ehe nicht möglich. Doch wenn nur auf beyden Seiten eine gegründete Liebe vorhanden iſt: ſo kann ſie bis in die ſpä -teſten79Gräfinn von G **teſten Jahre feurig und lebhaft bleiben. Unſere Empfindungen können wohl et - was abnehmen, allein dieſe Abnahme heißt wenig. Derjenige hat allemal ge - nug Vergnügen, ſo lange er ſo viel hat, als das Maaß ſeiner Empfindungen ver - langt. Genug, wir ſind nach vielen Jahren noch ſo verliebt in einander ge - weſen, als wenn wir uns erſt zu lieben angefangen hätten. Man denke ja nicht, weil wir die Wiſſenſchaften liebten, daß wir an uns nur unſere Seelen geliebt hätten. Jch habe bey allen meinen - chern über die metaphyſiſche Geiſterliebe nur lachen müſſen. Der Körper gehört ſo gut, als die Seele, zu unſerer Natur. Und wer uns beredet, daß er nichts als die Vollkommenheiten des Geiſtes an einer Perſon liebt, der redet entweder wider ſein Gewiſſen, oder er weis gar nicht, was er redet. Die ſinnliche Lie - be, die bloß auf den Körper geht, iſt eine Beſchäftigung kleiner und unfrucht -barer80Leben der Schwediſchenbarer Seelen. Und die geiſtige Liebe, die ſich nur mit den Eigenſchaften der Seele gattet, iſt ein Hirngeſpinſte hochmü - thiger Schulweiſen, die ſich ſchämen, daß ihnen der Himmel einen Körper gegeben hat, den ſie doch, wenn es von den Reden zur That käme, um zehen Seelen nicht würden fahren laſſen.

Jch komme wieder zu meiner Ge - ſchichte. Wir lebten, wie ich geſagt habe, ſo vergnügt, als man nur le - ben kann. Wir meldeten Carlſo - nen, ſo hieß Carolinens Sohn, der Fähndrich, unſere Heirath, und baten ihn, daß er uns beſuchen ſollte, wenn es möglich wäre; denn wir hatten ihn nun wohl in vier Jahren nicht geſehen. Er ſchrieb uns, daß er Lieutenant wor - den wäre, daß es ihm ſehr wohl gienge, und daß er ſich vor wenig Wochen mit einem Frauenzimmer, die ihm zu gefal - len das Kloſter heimlich verlaſſen, ver -heirathet81Gräfinn von G **heyrathet hätte. Von ihrem Stande könnte er uns nichts ſagen, weil ſie in dem ſechſten Jahre in das Kloſter ge - kommen, und darinnen bloß unter dem Namen Mariane bekannt geweſen wäre. Sie möchte indeſſen von dem niedrig - ſten Herkommen ſeyn; ſo wäre ſie doch ſo liebenswürdig, daß er ſich nur einen hohen Stand wünſchen wollte, um ſeine Geliebte darein ſetzen zu können. Denn Carlſon wußte nichts weiter von ſeiner Geburt, als daß ſein Vater ein Auf - ſeher auf den Gütern meines erſten Gemahls geweſen und ihm jung geſtor - ben wäre. Er bat uns unbeſchreiblich, daß wir nach dem Haag kommen ſollten, von welchem Orte er itzt nur etliche Meilen weit in dem Quartiere ſtünde. Dieſe Nachricht erſchreckte uns faſt mehr, als ſie uns erfreuete. Wir ver - mutheten bey dieſer Ehe zwar genug Liebe, aber nicht genug Ueberlegung. Jndeſſen ſchickten wir ihm etliche hun -Erſter Theil. Fdert82Leben der Schwediſchendert Ducaten, daß er ſeine Umſtände deſto bequemer einrichten könnte. Wir verſprachen auch, ihn ſo bald zu beſu - chen, als es die Jahrszeit und meine Umſtände erlauben würden; denn ich war mit einer Tochter darnieder gekommen. Wir reiſeten den folgenden Frühling nach dem Haag ab. Wir fanden an unſerm Carlſon und ſeiner Frau ein Paar Eheleute, die einander werth waren. Mariane war ein ganz außerordentlich ſchönes Frauenzimmer. Sie war blond, und hatte ein Paar große blaue und ſchmachtende Augen, die ſich zu ſchämen ſchienen, daß ſie die Verräther von ei - nem ſehr zärtlichen Herzen ſeyn ſollten. Und wenn auch die übrigen Theile ihres Geſichts nicht ſo ausnehmend wohlge - ſtalt und recht abgemeſſen geweſen - ren: ſo hätte ſie doch bloß ihrer Augen wegen den Namen einer Schönheit ver - dient. Von ihrem Verſtande will ich nicht viel ſagen. Sie war in dem Klo -ſter83Gräfinn von G **ſter erzogen. Jhr unſchuldiges und auf - richtiges Herz hätte auch den Mangel des Witzes tauſendmal erſetzt, wenn ſie gleich weniger Einſicht gehabt hätte, als ſie in der That hatte. Es hieng ihr noch etwas Schüchternes aus dem Klo - ſter an; allein ſelbſt dieſe Schüchternheit ſchickte ſich ſo wohl zu ihrer Unſchuld, daß man ſie ungern würde vermißt ha - ben. Ja, ich ſage noch mehr, man lieb - te ſo gar an ihr die Schüchternheit; ſo wie oft ein Fehler unter gewiſſen Um - ſtänden zu einer Schönheit werden kann.

Jch ſuche die Worte vergebens, mit denen ich ihre Zärtlichkeit gegen ihren Mann beſchreiben will. Man ſtelle ſich einen ſehr einnehmenden, feurigen und blühenden Mann, (denn dieſes war Carl - ſon) und dann ein von Natur zärtliches Frauenzimmer vor, die von Jugend auf eine Nonne geweſen war, und bey der dieF 2ſüſ -84Leben der Schwediſchenſüſſen Empfindungen nur deſto mächtiger geworden waren, weil ſie an der ſtren - gen Lebensart und an den Regeln einer hohen Keuſchheit einen beſtändigen Wi - derſtand gefunden hatten: ſo wird man die innbrünſtige und ſchmachtende Liebe dieſer jungen Frau einigermaaßen denken können. Jch war ſo wohl mit unſers Carlſons Wahl zufrieden, als mein Mann, und wir vergnügten uns an der Zufriedenheit dieſes Paars ſo ſehr, daß wir nicht wieder von ihm kommen konn - ten. Wir ließen Geld aus Amſterdam kommen, und blieben ein ganzes Jahr, und länger bey dieſen zärtlichen Eheleu - ten. Nichts fehlte uns, als Carlſons redliche Mutter. Wir hatten Briefe von ihr, daß es ſich mit ihrer Geſundheit ge - beſſert hätte, und daß ſie im Stande wäre, bald zu uns zu kommen. Wir ſchickten auch den Reitknecht, der mir ehemals die Poſt von meines Gemahls Tode gebracht hatte, fort, daß er ſie ab -holen85Gräfinn von G **holen und zu uns bringen ſollte. Er hatte ſie bereits unterwegs angetroffen, und ſie war bey uns, ehe wir es ver - mutheten. Sie hatte ſich recht verjüngt, und ſie ward durch die Freude über ih - res Sohnes Glück und mein Vergnü - gen alle Tage belebter und munterer. Jndeſſen verſicherte uns dieſe rechtſchaf - fene Frau, daß ihr Vergnügen gar zu groß ſey, als daß es lange Beſtand ha - ben könnte. Mariane kam mit einer Tochter darnieder. Auch dieſes diente uns zu einer neuen Freude. Doch ie mehr wir Urſache hatten, mit Marianen zufrieden zu ſeyn, deſto begieriger wur - den wir, etwas gewiſſes von ihrer Her - kunft zu erfahren. Gleichwohl war alle unſere angewandte Mühe vergebens, uns dieſes Geheimniß zu entdecken. Maria - ne hatte ihrem Manne zu Liebe das Kloſter heimlich verlaſſen, und wir muß - ten bey unſerer Nachforſchung ſehr be - hutſam gehen, damit wir ſie nicht in dieF 3Gefahr86Leben der SchwediſchenGefahr ſetzten, entdeckt zu werden. Jm Kloſter fertigte man diejenigen, die wir insgeheim nachfragen ließen, mit der Ant - wort ab, daß ihnen Marianens Stand und Geburt unbekannt wäre, daß ſie in ihrem ſechſten Jahre von einem gemeinen Manne in das Kloſter gebracht worden, der ein gewiſſes Geld zu ihrer Erziehung da gelaſſen, und nichts geſagt hätte, als daß ſie die Tochter eines unglücklichen Holländers wäre, der ſie nicht in der re - formirten Religion erziehen laſſen wollte. Vielleicht könnte er der Aebtiſſinn mehr vertraut haben, dieſe aber wäre todt. Kurz, wir erfuhren nichts, und es konnte ſeyn, daß man in dem Kloſter ſelbſt nichts gewiſſes von Marianens Herkunft wußte. Denn wie viele Kinder werden nicht un - ter einem fremden Namen in die Klöſter gebracht, und durch unbekannte Hände erhalten.

Endlich mußten wir uns doch entſchlieſ - ſen, wieder nach Amſterdam zurück zu ge -hen.87Gräfinn von G **hen. Unſere Umſtände forderten dieſe Trennung. Caroline begleitete uns nach dem Haag. Sie erkundigte ſich hier, ob ſie nicht iemanden antreffen könnte, der ihr von ihrem Bruder, Andreas, Nach - richt geben könnte. Allein ſie erfuhr nichts weiter, als was wir ſchon wußten, nämlich, daß er nach ſeiner Frauen To - de unglücklich in ſeiner Handlung gewor - den, und weil er ſein Vermögen einge - büßet hätte, mit einem Schiffe nach Oſt - indien gegangen wäre, ſein Glück von neuem zu verſuchen. Wir blieben noch etliche Tage in dem Haag, und nahmen unſere Reiſegelder in Empfang. Und eben da wir fort wollten, ſo ließ uns der Kaufmann, der ſie uns ausgezahlt hatte, ſagen, daß in Amſterdam vor etlichen Tagen ein Oſtindienfahrer, und auf die - ſem Schiffe zugleich Herr Andreas, der Kaufmann, nach dem wir ehedem gefragt hätten, zurück gekommen, und heute bey ihm geweſen wäre. Dieſe Zeitung warF 4zu88Leben der Schwediſchenzu wichtig, als daß wir unſere Reiſe hät - ten fortſetzen ſollen, ohne den Herrn An - dreas zu ſprechen. Aber wollte der Him - mel, daß wir ihn in unſerm Leben nicht geſehen hätten! Er kam den andern Tag zu uns. Carolinens erſte Frage war, warum er ihr denn vor ſeiner Abreiſe nach Oſtindien nichts ausführliches von dem Tode ihrer Tochter geſchrieben hät - te? Jſt denn Mariane todt? rief er. Was willſt du denn mit der Mariane? ver - ſetzte ſeine Schweſter. Meine Tochter hieß ja, wie ich, Caroline. Wo iſt ſie denn? Jſt ſie nicht todt? Ach wenn doch die - ſes Gott wollte! Ja doch, ſprach Andreas, ich weis es wohl, ſie hieß Caroline; aber aus Liebe zu meiner Frau, und weil ich ſie an Kindesſtatt angenommen hatte, nennte ich ſie nach meiner Frau, Maria - ne. Jch will dir alles erzählen; aber verſprich mir, daß du mir auch alles ver - geben willſt. Meine liebe Frau ſtarb mir, wie ich dir vor zehn Jahren gemel -det89Gräfinn von G **det habe. Mariane war ebenfalls tödt - lich krank, und ich hielt ſie ſchon für ver - loren. Allein es beſſerte ſich mit ihr. Jndeſſen nöthigte mich mein Bankerott, mein Glück anderwärts zu verſuchen. Jch gieng nach Oſtindien. Du weist, daß ich der Catholiſchen Religion zuge - than bin. Jch liebte deine Tochter, oder vielmehr meine an Kindesſtatt angenom - mene Mariane recht väterlich. Um ſie nun theils in meiner Religion erziehen zu laſſen, theils ſie wohl zu verſorgen: ſo nahm ich, was ich noch hatte, und that dieſes liebe Kind vor meiner Abrei - ſe, und ohne iemanden etwas zu ſagen, in ein Kloſter an der Grenze der Oeſter - reichiſchen Niederlande. Jch war eben im Begriffe dahin zu reiſen, und zu ſehen, ob Mariane noch lebte, als ich hieher gerufen ward. Jch kann nicht länger warten, ich muß wiſſen, ob ſie noch lebt. Komm mit, ſprach er zu Carolinen. Wir wollen den Augenblick in das Kloſter fah -F 5ren.90Leben der Schwediſchenren. Jn drey Tagen ſind wir wieder hier. Und ohne ein Wort weiter zu ſprechen, giengen ſie beyde fort. Mein Mann und ich hatten kaum das Herz uns anzuſehen, geſchweige zu reden. Ein heimlicher Schauer lief mir durch alle Glieder. Gott, was ſoll das werden! fieng endlich mein Mann an. Mariane, das Kloſter -- und nicht weit von der Grenze. Was ſind dieſes für entſetzli - che Nachrichten! Ach der arme, der un - glückliche Carlſon! Möchte doch dieſes - mal unſere Muthmaßung falſch ſeyn! Wäre doch Andreas wieder da, oder wäre er vielmehr nimmermehr wieder nach Europa gekommen! Seine Gegen - wart wird uns ganz gewiß das traurig - ſte Geheimniß offenbaren, das uns ewig hätte verborgen bleiben ſollen. Wird nicht Caroline, um ihre Tochter wieder zu finden, ſie als Frau aus den Armen ihres eigenen Sohns reiſſen müſſen? Mit dieſen grauſamen Vorſtellungen qväl -ten91Gräfinn von G **ten wir uns, bis Andreas mit ſeiner Schweſter, der Caroline, wieder zurück kam. Jhr Anblick ließ uns zu unſerem Unglücke die Sache auf einmal errathen. Caroline zerfloß faſt in Thränen. Sie that untröſtlich, und ihr Bruder, als ein harter Mann, ließ zwar äußerlich keine Traurigkeit ſpüren; allein er ſaß ganz be - täubt. Wir konnten aus beyden lange Zeit kein Wort bringen. Sie hatten mit einem Worte in dem Kloſter erfahren, daß eine Nonne, mit Namen Mariane, welche um das und das Jahr, (Tag und Jahr traf beydes ein,) in das Kloſter gebracht wäre, vor anderthalb Jahren daſſelbe heimlich verlaſſen, und, ſo viel man wüß - te, ſich mit einem jungen von Adel ver - heyrathet hätte. Was war zu thun? Wir mußten, an Statt nach Amſterdam zu reiſen, wieder zurück nach Carlſons Qvartier. Wir ſahen alle viere nur mehr als zu gewiß, daß dieſe Nonne niemand anders, als Carlſons Frau ſeyn würde. Doch92Leben der SchwediſchenDoch man müßte das menſchliche Herz nicht kennen, wenn man glaubte, daß wir zu unſerm Troſte keine Ausflüchte ge - wußt hätten. Eine Nachricht, von der uns die Gewißheit erſchreckt, und das Gegentheil erfreut, mag noch ſo wahr - ſcheinlich ſeyn, als ſie will, ſo ſind wir doch ſinnreich genug, ſie zweifelhaft zu machen. Sollte ich, ſagte Caroline, denn mein Kind, mein leiblich Kind nicht ken - nen? Sollte es denn keine Aehnlichkeit mit mit mir haben? Gleichwohl hatte ſie es verlaſſen, da es kaum einige Monate alt geweſen war. Ein junger von Adel, fieng mein Mann oft unterwegs an, ein jun - ger von Adel? Wenn hat ſich denn Carl - ſon dafür ausgegeben? Er iſt viel zu be - ſcheiden, als daß er ſich einen Stand an - dichten ſollte, in dem er nicht erzogen wor - den iſt. Nein, nein, ſprach ich, das wol - le Gott nicht! Hätte er ſich auch für ei - nen Edelmann ausgegeben, warum hät - te er nicht geſagt, daß er ein Officierwäre?93Gräfinn von G **wäre? Vielleicht iſt in eben dem Jahre noch ein Kind in das Kloſter gekommen, das ebenfalls den Namen Mariane gehabt hat. Andreas, der der Philoſophie wegen nicht nach Oſtindien gereiſet war, meynte, es läge ſchon in der Natur, daß ein Paar ſo nahe Blutsfreunde einander nicht als Mann und Frau lieben könnten. Jch glaube, daß wir uns alle Augenblicke auf dieſer Reiſe widerſprachen, ohne es zu merken. Voll Zittern und Hoffnung kamen wir alſo bey unſerm Carlſon wie - der an. Wir hatten uns vorgenommen, recht behutſam zu gehn, und die Urſache unſerer Zurückkunft weder ihm noch ihr merken zu laſſen. Wir wollten ſagen, daß wir aus Vergnügen über die Ankunft des Herrn Andreas wieder mit umgekehrt wären. Wenn auch, ſprachen wir alle, Mariane die rechte Mariane ſeyn ſollte: ſo würden dieſe zärtlichen Eheleute doch beyde in Verzweifelung gerathen, wenn wir ihnen dieſes traurige Geheimniß aufein -94Leben der Schwediſcheneinmal entdeckten. Nein, fieng ich an, wir bringen Marianen auf dieſe Art um das Leben. Jſt ſie die wahre Caroline: ſo will ich ſie bitten, daß ſie mir zu Liebe auf einige Zeit mit nach Amſterdam rei - ſen ſoll. Jhr Mann wird ihr dieß Ver - gnügen nicht abſchlagen. Jſt ſie einmal in Amſterdam: ſo wird es Zeit ſeyn, ihr das Geheimniß nicht ſo wohl zu entde - cken, als es ſie nach und nach entdecken zu laſſen. Weis es Mariane: ſo ſoll es Carlſon auch erfahren. Er muß ſie in ſeinem Leben nicht wieder zu ſehn bekom - men. Dieſes wird der einzige Troſt ſeyn, mit dem wir ihm in ſeinem mitleidenswür - digen Jrrthume beyſtehen können. Er kennt die Religion, und hört die Ver - nunft. Die Tochter aus dieſer unglück - lichen Ehe will ich erziehen laſſen, damit Mariane den traurigen Beweis einer ſo zärtlichen und nunmehr unerlaubten Liebe nicht vor Augen hat. Jn dieſer Berath - ſchlagung langten wir bey Carlſon an. Er95Gräfinn von G **Er trat in die Thüre, indem wir anka - men, und lief uns mit Verwunderung entgegen. Wir heiterten unſere Geſichter ſo gut auf, als es möglich war, nnd ſag - ten ihm, daß Herr Andreas, Caroli - nens Bruder, den wir in dem Haag von ſeiner Wiederkunft aus Jndien angetrof - fen hätten, die Urſache unſerer Zurückkunft wäre. Wer war froher, als er! Wir traten in die Stube zu ſeiner Mariane. Kaum hatte Andreas Marianen erblickt: ſo fiel er ihr um den Hals, und ſchrie mit einem entſetzlichen Tone: Ach das Gott erbarme, ſie iſt es, ſie iſt es! Jch un - glücklicher Mann, ich bin an allem Schuld! Dieſes war die Erfüllung von dem Vor - ſatze, bey der Sache behutſam zu gehen. Caroline lief als verzweifelnd zur Thüre hinaus. Mariane wollte ſich von dem Andreas los machen; allein er ließ ſie nicht aus ſeinen Armen. Jch hatte nicht ſo viel Gewalt über mich, daß ich hingehen, und ihn von ihr los reiſſen konnte. Carl -ſon96Leben der Schwediſchenſon blieb auf einer Stelle ſtehen, und frag - te hundertmal, was es wäre. Mein Mann wollte es ihm ſagen, und kehrte doch bey iedem Worte wieder ein. Mariane kam endlich auf mich zu. Jch ſollte ihr entde - cken, was es wäre. Jch fieng an zu re - den, ohne zu wiſſen was. Jch bat ſie um Vergebung. Jch verſicherte ſie meiner ewigen Freundſchaft. Jch umarmte ſie. Dieſes war es alles. Jndeſſen kam ihr Mann, und wollte ſie aus meinen Armen nehmen. Nein, nein, ſchrie ich, Mariane iſt nicht ihre Frau, Mariane iſt ihre Schwe - ſter. Jn dieſem Augenblicke ſank Mari - ane nieder, und ich erwachte darüber, als wie aus einem unruhigen Schlafe. Jch und mein Mann waren am erſten wieder bey uns ſelbſt. Wir brachten Marianen auf ein Bette, und ſie erholte ſich aus ei - ner Ohnmacht, um in die andre zu fal - len. Jhre Leibesbeſchaffenheit trug zu dieſer Schwachheit vermuthlich viel bey. Sie war ſchwanger. Wir brachtenſie97Gräfinn von G **ſie den ganzen Tag nicht wieder zu ſich ſelbſt.

Mein Mann war indeſſen nach Caro - linen gegangen, die wir, ſeit dem ſie aus der Stube gelaufen war, nicht wieder ge - ſehn hatten. Wenn ich einen Roman ſchriebe, ſo hätte ſie Zeit genug gehabt, ſich indeſſen mit einem Dolche, oder mit Gifte, um das Leben zu bringen. Allein die Verzweiflung in den Romanen, und die Verzweiflung im gemeinen Leben, haben nicht allemal einerley Wirkung. Mein Mann hatte ſie in dem Garte hau - ſe auf den Knien angetroffen. Jch will gleich auf den andern Tag kommen. Das Gewaltſame unſers Affects hatte ſich ge - legt, und ſich an Statt deſſen das Bange der Traurigkeit eingeſtellt. Thränen und Seufzer, welche die Beſtürzung geſtern zurück gehalten, hatten nun ihre Freyheit, und wir ſuchten unſern Troſt in Klagen und im Mitleiden. Carlſon kam vor dasErſter Theil. GBette98Leben der SchwediſchenBette ſeiner Mariane, und mit ihm Weh - muth, Furcht, Schaam, Reue und ge - kränkte Zärtlichkeit. Es war erbärmlich anzuſehen, wie ſich dieſe beyden Leute ge - gen einander bezeigten. Die Religion hieß ſie die Liebe der Ehe in Schweſter - und Bruderliebe verwandeln, und ihr Herz verlangte das Gegentheil. Sie hat - ten einander unbeſchreiblich geliebt. Sie waren noch in dem Frühlinge ihrer Ehe, und ſie ſollten dieſes Band itzt ohne An - ſtand zerreiſſen. Sie hatten einander in ihrem Leben nicht geſehen, und alſo kam ihnen die Vertraulichkeit nicht zu Hülfe, die ſonſt die Liebe unter Blutsverwandten auszulöſchen pflegt. Jhre Natur ſelbſt that den Ausſpruch zu ihrem Beſten. Wie konnten ſie etwas in ſich fühlen, das ihre Liebe verdammte, da ſie den Zug der Blutsfreundſchaft nie gefühlt hatten. Ach, mein Bruder, rief Mariane einmal über das andere aus, verlaßt mich, verlaßt mich! Unglückſeliger Gemahl fangt michan99Gräfinn von G **an zu haſſen. Jch bin eure Schweſter. Doch nein! Mein Herz ſagt mir nichts davon. Jch bin euer, Jch bin euer. Uns verbindet die Ehe. Gott wird uns nicht trennen. Jhr Gemahl war nicht beſſer geſinnt. Er hörte die Stimme der Lei - denſchaften, um den Befehl der Reli - gion nicht zu hören. Er hütete ſich ge - nau, ſie nicht ſeine Schweſter zu nennen. Er hieß ſie ſeine Mariane. Er war be - redt und unerſchöpflich in Klagen, die bis in das Herz drungen, weil ſie das Herz hervorbrachte. Er fieng zuweilen mitten in ſeinen Klagen an zu philoſophiren, und wie man leicht glauben kann, ſehr eigen - nützig. Er erwies, daß ihre Ehe vor Gott erlaubt wäre, wenn ſie auch die Welt verdammte. Und er that doch nichts, als daß er zehnmal nach einan - der ſagte, daß ſie öffentlich verbunden wären, und daß nichts als der Tod dieſes Bündniß trennen ſollte. Er wünſchte unzähligemal, in der SpracheG 2des100Leben der Schwediſchendes Affects, das Andreas geſtorben ſeyn möchte, ehe er den Athem zur Entde - ckung dieſes Geheimnißes hätte ſchöpfen können. Dieſer ſaß da, als ob er ſein Todesurtheil anhören ſollte. Jch glau - be, daß er gern mit etlichen Jahren von ſeinem Leben das zerſtörte Vergnügen dieſer Zärtlichen wieder erkauft hätte. Caroline trat endlich zu Marianen an das Bette, und hieß Carlſonen weggehen. Meine Tochter, fieng ſie an, ich habe dich wieder gefunden, um dich aus den Ar - men deines Bruders zu reiſſen. Woll - te Gott, daß ich dieſer betrübten Pflicht zeitlebens hätte überhoben ſeyn können! Vielleicht iſt es die Strafe, daß ich --- doch Gott hat es verhänget. Jhr ſeyd beyde keines Verbrechens ſchuldig. Eure Unwiſſenheit rechtfertiget eure Liebe, und die Gewißheit verbeut ſie nunmehr. Jch bin eure Mutter, und ich liebe euch, als meine Kinder; aber ich verabſcheue euch, wenn ihr das Band der Ehe dem Ban -de101Gräfinn von G **de des Blutes vorzieht. Die Anrede war ſehr fromm; allein ſie war zu heftig, und zu früh angebracht. Sie weckte die Verzweiflung in beyden von neuem auf. Mein Mann erwählte einen gelin - dern Weg, die zärtlichen Gemüther zu beſänftigen. Er bediente ſich eines Schein - grundes, der in der Stunde des Affects eben ſo viel Kraft zu haben pflegt, als die Wahrheit. Er ſagte, es wäre eine Ge - wiſſensſache, die wir nicht entſcheiden könnten. Wir wollen den Ausſpruch ver - ſtändigen Gottesgelehrten überlaſſen. Er glaubte, daß die Ehe vielleicht noch Statt finden könnte. Dieſes war eine Arzney, welche die Wehmuth der beyden Leute verminderte, und zugleich ihrer Liebe Wi - derſtand that. Sie entſchloſſen ſich, ſich dem Ausſpruche der Geiſtlichen zu un - terwerfen; aber gewiß nicht aus Ueber - zeugung, ſondern aus Verlangen, deſto ruhiger ihre Liebe fortſetzen zu können. Wir machten uns indeſſen ihre Bereit -G 3willig -102Leben der Schwediſchenwilligkeit zu Nutze, und ermunterten Ma - rianen, uns, ſo bald es ihre Umſtände zuließen, nach Amſterdam zu folgen; viel - leicht wäre es möglich, daß man von Rom Diſpenſation erlangen könnte. Jhr Mann ſollte ſich Urlaub auf ein halb Jahr aus - bitten, und wenn er ihn erhielte, uns nachkommen. Alles dieſes ließen ſich die beyden Leute gefallen. Es ſtrichen einige Tage dahin, und Mariane war in den Umſtänden, die Reiſe mit anzutreten. Jndem wir uns dazu anſchickten, ſo er - hielt Carlſon Ordre, ſich unverzüglich, und bey Verluſt ſeiner Stelle, zu dem Re - gimente zu verfügen, weil es marſchiren ſollte. Dieſe Nachricht that eine unglei - che Wirkung. Carlſon war darüber erfreut, und Mariane ward von neuem niedergeſchlagen. Kaum ſah ſie ſeine Zu - friedenheit über dieſe Poſt: ſo machte ſie ihm die grauſamſten Vorwürfe. Sie hieß ihn einen Ungetreuen, der ihrer los zu ſeyn wünſchte. Sollte man wohlglau -103Gräfinn von G **glauben, daß eine Frau, die da wußte, daß ihr Mann ihr Bruder war, noch auf ei - nen ſolchen Verdacht fallen könnte? Al - lein was iſt in der Liebe und in dem Trau - me wohl unmöglich? Wir ſahen alſo lei - der nur mehr, als zu deutlich, wie heftig Mariane ihren Mann noch liebte, und wie ſie in ihrem Herzen nichts weniger be - ſchloſſen hatte, als ihn fahren zu laſſen. Carlſon verſicherte ſie mit den größten Be - theurungen, daß er ſie noch unendlich liebte, und daß er über die Nachricht zum Marſche nur deswegen vergnügt wäre, weil er ihn als eine Gelegenheit anſähe, die der Himmel beſtimmt hätte, der Sa - che den Ausſchlag zu geben. Vielleicht, ſprach er, verliere ich mein Leben, wenn es zu einem Feldzuge kömmt. Und wer iſt alsdann glücklicher, als wir? Soll ich den Tod nicht geringer ſchätzen, als die Qvaal, euch zu ſehen, und euch zu lieben? Und wollt ihr nicht lieber mit Gewalt von mir getrennt ſeyn, als dieG 4Pein104Leben der SchwediſchenPein ausſtehen, mich freywillig zu ver - laſſen, und doch dieſe Freyheit niemals von eurer Liebe zu erhalten? Seyd getroſt, liebſte Mariane! Komme ich wieder zu - rück: ſo iſt es ein Zeichen, daß der Him - mel unſre Ehe billiget. Verliere ich mein Leben: ſo iſt es ein Beweis, daß ihr ei - nen Mann verloren habt, der nur euer Bruder, und nicht euer Ehemann ſeyn ſollte. Welche glückſelige Dienſte leiſtet nicht der Jrrthum in gewiſſen Umſtän - den! Und wie gut iſt es nicht oft, daß wir das Vergnügen haben, uns ſelbſt zu betrügen! Genug Carlſons Jrrthum war in Anſehung des Erfolgs vortrefflich. Er beruhigte ihn, und endlich auch Maria - nen. Sie ließen die Sache auf den Him - mel ankommen. Und ſie verſprachen ſich von dieſem Richter nichts als Gerechtig - keit, das iſt, nichts, als was ſie wünſch - ten. Sie flehten Gott um Beyſtand an, nicht anders, als ob ihnen die Menſchen unrecht thäten. Kurz, ſie waren voll Zu -ver -105Gräfinn von G **verſicht und Vertrauen, die alle Wahr - heit nicht würde zuwege gebracht haben. Carlſon reiſete fort, als ob er in dem Treffen ſeine Mariane gewinnen ſollte, und Mariane that ſo geſetzt, als ob ſie ihn von ſich ließe, um ihn auf ewig wie - der zu bekommen. So bald er fort war, ſo folgte ſie uns ganz getroſt nebſt ihrer Tochter und ihrer Mutter nach Amſter - dam. Andreas, der ſich in Oſtindien wie - der ein kleines Vermögen erworben hat - te, blieb in dem Haag, um von neuem ſeinen Handel anzufangen, wozu ihm Ca - roline einen Theil von ihren Geldern gab, die ſie aus Deutſchland mitgebracht hat - te. Wir trafen unſern gütigen Wirth in Amſterdam noch in ſeinen vorigen Umſtän - den an. Wir gaben Marianen für Carl - ſons Frau aus, und Caroline war ſeine Mutter.

Jn wenig Monaten erhielten wir die Nachricht, daß Carlſon zwar nicht gegenG 5den106Leben der SchwediſchenFeind, ſondern an einer hitzigen Feld - krankheit geblieben wäre. Caroline, ich und mein Mann bedaureten ihn ſehr; aber wenn wir an ſeine Ehe dachten, ſo war uns ſein Tod eine erwünſchte Nachricht. Denn wer konnte die gefährliche Sache beſſer ſchlichten, als der Tod? Die Aus - ſprüche der Geiſtlichen würden ganz ge - wiß wider dieſe Ehe geweſen ſeyn. Und Mariane und ihr Mann hätten entweder einander nicht verlaſſen, oder ohne einan - der das unglückſeligſte Leben geführet. Gleichwohl war uns für Marianen noch ſehr bange. Sie hatte ſich zwar dem End - urtheile des Himmels ergeben; aber, wie ich ſchon erinnert, in keiner andern Hoff - nung, als daß es vortheilhaft für ſie aus - fallen würde. Wir ſahen, daß Maria - nens Verzweiflung von neuem wieder aufwachen würde. Dennoch mußte ſie es erfahren. Wir ließen ſie auf unſer Zimmer rufen, und mein Mann nahm es über ſich, ihr ihres Mannes Tod zu ent -decken.107Gräfinn von G **decken. Nicht wahr, Mariane, fieng er an, ſie errathen ſchon, was ich ihnen hin - terbringen will? Erſchrecken ſie nur, denn ſie müſſen doch erſchrecken. Hier iſt ein Brief aus dem Lager. Sagen ſie mir nichts mehr, verſetzte Mariane. Jch kann den Jnnhalt des Briefs ſchon wiſ - ſen. Mein Gemahl iſt todt. Jch un - glückſelige Frau! Doch ich bin zufrieden, daß mir ihn nicht die Welt, ſondern der Himmel entzogen hat. Nun ſehe ich, daß es Gott nicht hat haben wollen. Wie iſt er denn geſtorben? Jſt er im Treffen geblieben?

Wir erſtaunten über dieſe unvermuthe - te Gelaſſenheit, die einer Gleichgültigkeit nicht unähnlich ſah. Wir hatten uns auf die beſten Troſtgründe vergebens gefaßt gemacht. Gleichwohl wußten wir auch nicht, ob wir Marianen trauen durften. Jndeſſen that ſie gelaſſen, und betraurete ihren Mann mehr durch ſtille Thränen,als108Leben der Schwediſchenals durch eine tobende Wehmuth und Un - geduld. Jn etlichen Wochen erhielten wir wieder einen Brief, und die Aufſchrift war Carlſons Hand. Soll ichs aufrich - tig geſtehen, ſo erſchrack ich weit mehr, daß er noch lebte, als ich zuerſt über ſei - nen Tod erſchrocken war. Gott, dachte ich, was wird dieſes wieder werden? Carlſon wird ſeiner Krankheit wegen das Lager verlaſſen, und wohl gar abgedankt haben. Die Liebe wird ihn wieder zu Marianen rufen. Mariane nur war vor Freuden ganz außer ſich. Der Brief war an ſie, und ſie brach ihn nicht etwan gleich auf. O nein, ſo viel Zeit ließ ihr ihre vergnügte Unruhe nicht. Sie gab ihn uns auch nicht zu erbrechen. Sie behielt ihn in den Händen, als einen unbekannten Schatz, den man nicht eröff - nen will, bis man ſich zehnmal vorgeſtel - let hat, wie viel darinnen ſeyn könnte. Da ſie ihn endlich erbrach, ſo war der Brief ſchon viele Wochen älter, als der -jenige,109Gräfinn von G **jenige, der uns Carlſons Tod berichtet hatte. Kurz, es war ein Abſchiedsbrief an Marianen. Jch will die Abſchrift herſetzen.

Liebſte Mariane,

Dieſes ſind ſeit vier Wochen die er - ſten Stunden, da ich mich beſinnen und euch meine Krankheit melden kann. Wie glückſelig bin ich, daß ich krank geweſen, und dem Tode ſo nahe gekommen bin, ohne beydes zu wiſſen! Wie viel würde ich eurentwegen binnen der Zeit ausge - ſtanden haben, wenn ich meiner mäch - tig geweſen wäre! Gott ſey für dieſe Art des Todes gedankt! Jch bin völlig ausgezehrt, völlig entkräftet. Und ich ſehe die Stunden, da ich mir wieder be - wußt bin, für nichts als Augenblicke an, die mir Gott gönnt, mich noch einmal in der Welt, und in meiner eignen See - le umzuſehen, und an das Zukünftige zum letztenmale zu denken. So lebt dennwohl,110Leben der Schwediſchenwohl, Mariane, lebt ewig wohl! Be - weint mich nicht als euren Mann, ſon - dern als euren Bruder. Trauriger Na - me! Verſchweigt unſerer Tochter unſer Schickſal, wenn ſie leben bleibt. Ver - bergt es, wenn es möglich iſt, vor euch ſelbſt. Mein Gewiſſen macht mir keinen Vorwurf, daß ich euch geliebt habe; al - lein es beunruhiget mich, daß ich euch, nach der traurigen Entdeckung, als meine Frau zu lieben nicht habe aufhören wol - len. Gott, wie viel anders denken wir auf dem Todbette, als in unſerm Leben! Was ſieht nicht unſere Vernunft, wie viel ſieht ſie nicht, wenn unſere Leiden - ſchaften ſtille und entkräftet ſind! Ja, ja, ich ſterbe, ich ſterbe getroſt. Doch Gott! ich ſoll euch nicht wiederſehn? Jch ſoll euch verlaſſen, liebſte Mariane? Jch ſoll ſterben? Welche entſetzliche Em - pfindungen fangen itzt in mir an zu ent - ſtehen! Ach ich kann nicht mehr ſchrei - ben! --- So weit war ich vor einerhalben111Gräfinn von G **halben Stunde gekommen. Jch bin wie - der beruhiget. Die Liebe zum Leben hat ſich zum letztenmale geregt. Lebt wohl, meine Mariane! Grüßt meine Mutter, und meine beyden großmüthi - gen Freunde. Mein liebſter Freund, Dormund, den ihr ſo vielmal bey mir ge - ſehen habt, iſt itzt bey mir. Er will mich nicht eher verlaſſen, als bis ich todt bin. Könnt ihr euch entſchließen, wieder zu lieben: ſo vergeßt nicht, daß euer ſter - bender Mann euch niemanden gegönnet hat, als ihm. Er wird euch meine Uhr mit eurem Portrait überbringen. Die andern Sachen habe ich meinen armen Soldaten geſchenkt. Jch fühle meinen Tod. Lebt wohl!

So bald ſie geſehen hatte, daß es ein Abſchiedsbrief war, und daß ſie ſich in der bey dem Titel gefaßten Hoffnung betrogen, ſo gieng das Wehklagen erſt recht an. Jch will ihre Troſtloſigkeit und et -liche112Leben der Schwediſchenliche ſchlimme Folgen, die für ſie und uns daraus entſtunden, nicht erzählen. Es ſind Umſtände, an denen wir Theil nahmen, weil wir gleichſam darein ge - flochten waren. Sie waren in Anſehung unſerer Empfindung wichtig; Allein, ich würde übel ſchließen, wenn ich glauben wollte, daß ſie deswegen dem Leſer merk - würdig vorkommen, und ihn rühren wür - den. Jch will daher vieles überge - hen.

Wir lebten wieder ruhig. Es ſchien, als ob uns der Himmel mit Gewalt reich machen wollte. Unſere Capitale brachten mehr ein, als wir verlangten, und weit mehr, als wir brauchten. Und ich dachte nicht einmal daran, meine bey der Krone ſtehende Gelder zu fordern. Jch war vielmehr ruhig, wenn ich nicht an dieſes Land denken durfte. Ueberdie - ſes war es auch durch den Krieg ganz erſchöpft und entblößt. Genug, ich lebteunbe -113Gräfinn von G **unbekannt und zufrieden. Jch war die Frau eines angenehmen und klugen Man - nes. Und ich hätte ſo wenig mit der vornehmſten Reichsgräfinn getauſcht, als ſie mit mir getauſcht haben würde. Das Unglück, das uns zeither betroffen, hatte un - ſere Gemüther gleichſam aufgelöſet, die Ru - he nunmehr deſto ſtärker zu ſchmecken. Man dürfte faſt ſagen, wer lauter Glück hät - te, der hätte gar keines. Es iſt wohl wahr, daß das Unglück an und für ſich nichts angenehmes iſt. Allein es iſt es doch in der Folge und in dem Zuſammenhan - ge. Wenigſtens gleichet es den Arze - neyen, die unſerm Körper einen Schmerz verurſachen, damit er deſto geſünder wird.

Mitten in unſerer Zufriedenheit, die nunmehr über ein Jahr gedauert hatte, kam Herr Dormund, Carlſons guter Freund, und überbrachte Marianen die in dem Briefe erwähnte goldene Uhr mitErſter Theil. Hihrem114Leben der Schwediſchenihrem Portrait. Mariane hatte ihn oft bey ihrem Manne, wir ihn aber noch gar nicht geſehen. Doch was brauchte er zu ſeiner Empfehlung mehr, als den Namen eines guten Freundes von un - ſerm Carlſon? Er war ein Holländer von Geburt, und von Perſon ſehr an - genehm. Er gewann unſere Vertrau - lichkeit ſehr bald. Er war ein Stabs - officier, hatte nunmehr abgedankt, und wollte von ſeinen Renten für ſich le - ben. Er war noch jung. Er hatte nicht ſtudirt; allein er hatte doch etlichen Büchern und dem Umgange einen ge - wiſſen Witz zu danken, der im An - fange ſehr einnahm. Er konnte etliche Sprachen, und auch gut deutſch. Er ließ ſich in Amſterdam nieder, und wir konnten ſeine Abſicht leicht merken. Ma - riane war ſein Wunſch, und Mariane verdiente in der That, daß man ihrent - wegen Feld und Hof verließ. Sie war noch vollkommen ſchön. Das Unglückhatte115Gräfinn von G **hatte ihr von ihren äußerlichen Reizungen nichts entzogen, und zu der Schönheit ih - res Gemüths noch vieles hinzugeſetzt. Sie war durch den Umgang nur noch liebens - würdiger geworden. Sie war erſt acht - zehn oder neunzehn Jahre alt, und noch in ihrem völligen Frühlinge. Dormund wußte ſich bald bey ihr gefällig zu machen. Vielleicht liebte ſie in dem Freunde ihres verſtorbenen Mannes noch ihren Mann. Genug, er gewann ihr Herz. Sie kam einmal zu mir, und fieng mit einer vielbe - deutenden Stimme an: Madam, es wäre doch wohl billig geweſen, daß wir Herr Dormunden die Uhr, die er mir von mei - nem Manne überbracht, zu einem Anden - ken gelaſſen hätten. Jch würde es gewiß gethan haben, wenn mein Portrait nicht darinn geweſen wäre; allein ſo ſchickt ſichs wohl nicht. Jch verſtund dieſe Spra - che ſehr gut. Mariane, ſagte ich, was machen ſie ſich für ein Bedenken, dem ihr Portrait zu geben, dem ſie unſtreitig ihrH 2Herz116Leben der SchwediſchenHerz ſchon überlaſſen haben. Jch merke, ſie wollen Herr Dormunden gern eine Ge - fälligkeit erweiſen, die das Anſehen einer Erkenntlichkeit haben ſollte, ob ſie gleich die Liebe zum Grunde hat. Jch will ih - nen bald aus der Sache helfen. Geben ſie mir die Uhr. Es wird ſich ſchon eine Gelegenheit zeigen, die nicht ſtudirt läßt, bey der ich ſie ihm anbieten kann. Auf die Uebergabe der Uhr folgte bald die Ue - bergabe des Herzens. Mariane ward Dor - munden zu Theil, und ſie ſchienen beyde einander zum Vergnügen gebohren zu ſeyn. Und wenn ja Mariane ihren Mann zuwei - len beunruhigte, ſo geſchah es doch aus ei - nem Grunde, den ein Ehemann ſchwerlich übel nehmen kann. Jhr Fehler war die Eiferſucht, der erbliche Fehler unſers Ge - ſchlechts. Jch beſinne mich, daß Maria - ne einmal mit Thränen auf meine Stube kam. Sie konnte vor Wehmuth nicht re - den, und ich befürchtete, das größte Unglück von ihr zu hören. Allein was kam end -lich117Gräfinn von G **lich heraus? Sie ſeufzete über die Gleich - gültigkeit ihres Ehemannes, und hätte lie - ber von ſeiner Untreue geſprochen. Jch fragte nach der Urſache. Da erfuhr ich fol - gende Kleinigkeit. Jhr Mann hätte kurz vorher Briefe geſchrieben; Sie wäre zu ihm an den Tiſch getreten; Sie hätte ihn einigemal recht zärtlich geküſſet, er aber hätte ihr weder mit einem Gegenkuſſe, noch mit einem Blicke geantwortet, ſondern im - mer fortgeſchrieben, nicht anders, als wenn er ſie nicht ſehen wollte. Ach Gott! fuhr ſie fort, wer weis, an wen der Untreue ſchreibt? Konnten ſie denn nichts in dem Briefe leſen? fieng ich an. Nein, nichts, nichts, als daß der Anfang hieß: Mein Herr. Wer ſollte wohl glauben, daß eine vernünf - tige Frau keine ſtärkere Urſache zur Eifer - ſucht nöthig hätte, als ſo eine? Doch, war - um kann ich noch fragen? Wie oft thut nicht die Liebe einen Schritt über die Gren - zen der Vernunft! Und wenn dieſer Schritt gethan iſt, ſo hilft es nichts, daß wir eineH 3gute118Leben der Schwediſchengute Vernunft haben. Ueberhaupt entſte - hen wohl die meiſten Uneinigkeiten, die in der Ehe vorkommen, aus Kleinigkeiten. Sie heiſſen im Anfange nichts; allein ſie nehmen im Fortgange unſere Einbildung und andere Dinge zu Hülfe, und werden alsdann wichtige Urſachen zur Gleichgül - tigkeit, oder zur Eiferſucht.

Marianens Ehe hatte nunmehr etwan drey Vierteljahre gedauert, als ihr Mann gefährlich krank ward. Er ſtund zween Monate große Schmerzen aus, und man merkte ſehr deutlich, daß ihn eine Gemüths - unruhe eben ſo ſtark quälte, als die Krank - heit. Er bat ſeine Frau oft um Gottes willen, daß ſie ihn verlaſſen ſollte. Er konn - te auch Carolinen nicht leiden, vielweniger Marianens Kind, das ſie mit Carlſonen erzeugt hatte. Jch und mein Mann ſollten ohne Aufhören bey ihm bleiben, und ihm Troſt zuſprechen. Er wollte getröſtet ſeyn, und wir wußten doch nicht, was ihn beun - ruhigte, vielweniger hatten wir das Herzihn119Gräfinn von G **ihn zu fragen. Sein Ende ſchien immer näher herbey zu kommen, und die Aerzte ſelbſt kündigten es ihm an. Es war um Mitternacht, da er uns beyde plötzlich zu ſich rufen ließ. Er rang halb mit dem To - de. Alles mußte aus der Stube. Dar - auf fieng er mit gebrochenen und erpreßten Worten an, ſich und die Liebe auf das ab - ſcheulichſte zu verfluchen. Gott, wie war uns dabey zu Muthe! Er nannte ſich den größten Miſſethäter, den die Welt geſehen hätte. Jch bin, ſchrie er, Carlſons Mör - der. Jch habe ihm mit eigener Hand Gift beygebracht, um Marianen zu bekommen. Jch Unſinniger! Welche Gerechtigkeit, welch Urtheil wartet auf mich! Jch bin verloren. Jch ſehe ihn, ich ſehe ihn! Bringt mich um, rief er wieder. Mein Mann re - dete ihm zu, er ſollte ſich beſinnen, er würde in einer ſtarken Phantaſie gelegen haben. Nein, nein, rief er, es iſt mehr als zu ge - wiß. Mein Gewiſſen hat mich lange ge - nug gemartert. Jch bin der Mörder mei -H 4nes120Leben der Schwediſchennes beſten Freundes; Jch Barbar! Jch Böſewicht! Carlſon beſſerte ſich nach dem Abſchiedsbriefe an Marianen wieder, und weil ich mir ſchon Hoffnung auf ſeinen Tod und auf Marianen gemacht hatte, ſo brachte ich ihm Gift bey. Mein Mann nahm alle ſeine Vernunft und Religion zu Hülfe, und ſuchte dieſem Unglückſeligen damit beyzuſtehen. Seine Verzweiflung wollte ſich nicht ſtillen laſſen. Er verlang - te Marianen noch einmal zu ſehen, und ihr ſeine Bosheit ſelbſt zu entdecken. Wir ba - ten ihn um Gottes willen, daß er Maria - nen dieſe That nicht offenbaren ſollte; Er würde ſeinem Gewiſſen dadurch nichts hel - fen, und durch ſein Bekenntniß nur noch einen Mord begehen. Mariane kam, ehe ſie gerufen ward. Dormund redete ſie an; allein ſie hörte und ſah vor Wehmuth nicht. Er nahm ſie bey der Hand, und wollte das entſetzliche Bekenntniß wieder - holen. Jch hielt ihm den Mund zu. Wir fiengen an zu beten und zu ſingen. Docher121Gräfinn von G **er ſchrie nur deſto mehr. Mariane mußte es erfahren, was er gethan hatte. Er wie - derholte ſeinen Mord umſtändlich. Er be - rufte ſich auf den Regimentsfeldſcheerer und auf den Feldmedicum, die Carlſonen, weil er es befohlen, nach ſeinem Tode ge - öffnet, und das Gift gefunden, und geglaubt hatten, daß er ſich ſelbſt damit vergeben. Mariane gerieth in eine ordentliche Raſe - rey. Sie ſtieß die grauſamſten Namen wider ihn aus. Wir mußten ſie endlich mit Gewalt bey Seite bringen. Er ſchlief zwey Tage und Nächte nach einander, oh - ne ſich zu ermuntern. Wir glaubten auch gewiß, daß er nicht wieder aufwachen wür - de; allein er erholte ſich. Wir kamen zu ihm. Wir mußten ihn als einen Mörder haſſen; doch die allgemeine Menſchenliebe verband uns auch zum Mitleiden. Er war ruhiger, als zuvor, und bat uns mit tauſend Thränen um Vergebung. Er ver - ſicherte uns, wenn er leben bliebe, daß er uns nicht zum Entſetzen vor den AugenH 5herum122Leben der Schwediſchenherum gehen, ſondern ſich den entlegen - ſten Ort zu ſeinem Aufenthalte, und zur Reue über ſeine Schandthat ausſuchen wollte. Er bat, daß wir ihm Marianen nicht möchten wieder ſehen laſſen. Die - ſe war auch ſchon in unſrer Wohnung; denn Dormund hatte ein Haus allein be - zogen. Wir hatten nun genug an Ma - rianen zu tröſten, und konnten Dormun - den in zween Tagen nicht beſuchen. Doch hörten wir, daß es ſich beſſerte. Mein Mann gieng den dritten Tag zu ihm. Al - lein Dormund war fort, und hatte folgen - den Brief an ihn zurück gelaſſen:

Jch gehe, ſo weit als mich die Rache des Himmels kommen läßt. Mariane ſoll mich nicht wieder ſehen. O Gott, wozu kann einen nicht die Liebe verleiten! Der Schatten meines ermordeten Freun - des wird mich auf allen Schritten verfol - gen: Doch ich will lieber alles ausſtehen, als dieſen Mord durch einen Selbſtmordhäufen123Gräfinn von G **häufen. Verfluchen ſie mein Gedächtniß in ihrem Herzen. Jch bin es werth; doch entdecken ſie meine Schande der Welt nicht. Jch bin beſtraft genug, daß ich Marianen und ihre großmüthigen Freun - de verlaſſen muß. Jch will wieder in den Krieg gehen. Vielleicht verliere ich bald ein Leben, das mir eine Marter iſt. Mein zurück gelaſſenes Vermögen ſoll Maria - nen. Wollte ihnen doch Gott die Freund - ſchaft vergelten, die Sie mir in meiner Krankheit erwieſen haben. Doch Sie ha - ben ſie ja einem Unmenſchen erwieſen. Jch bin nicht werth, daß Sie mich bedauren. Ach die unglückſelige Mariane!

Dormund war fort. Wir haben auch in unſerm Leben nichts weiter von ihm gehört. Jch wünſche, daß er ſich nicht aus Verzweiflung ſelbſt umgebracht ha - ben mag. Unſere Mariane war in eine ordentliche Schwermuth gerathen. Sie weinte Tag und Nacht, und wir mußtenihr124Leben der Schwediſchenihr auf einmal zwo Adern ſchlagen laſſen. Sie ſchlief in meiner Stube, und verſi - cherte mich, daß ihr viel beſſer zu Muthe wäre, und daß ſie dieſe Nacht wohl zu ſchlafen hoffte. Der Morgen wies dieſe Prophezeyung aus. Jch warf kaum die Augen auf ihr Bette, ſo ſah ich ganze Ströme Blut davon herunter laufen. Was konnte ich anders vermuthen, als daß ihr die Adern im Schlafe aufgegan - gen ſeyn würden? Mariane lag in einem fühlloſen Schlummer, oder vielmehr in einer Ohnmacht. Jch ſchrie nach Hülfe, und wir banden ihr die Adern zu. Das entſetzlichſte war, daß die Binden nicht abgefallen, ſondern mit Fleiß aufgemacht zu ſeyn ſchienen. Mariane kam gegen Abend etwas wieder zu ſich. Sie geſtund, daß ſie die Binden aus Luſt zum Tode ſelbſt aufgemacht hätte, und wünſchte nichts mehr, als daß ihr Ende bald da ſeyn möchte. Sie küßte mich und ſank, ohne ein Wort weiter zu reden, in einenSchlum -125Gräfinn von G **Schlummer, und in etlichen Stunden darauf war ſie todt.

Mir gieng es, wie denen Leuten, die in einer Gefahr heftig verwundet werden, und es doch nicht eher fühlen, bis ſie aus der Gefahr ſind. So bald Mariane todt war, ſo gieng erſt meine Marter an. Jch hät - te mir lieber die Schuld von ihrem Tode beygemeſſen, weil ich dieſelbe Nacht nicht genauer auf ſie Achtung gegeben hatte. Allein welche menſchliche Klugheit kann alles voraus ſehen! Jch hatte Marianen in der That zur Heyrath mit Dormunden gerathen. Jch ſah, daß dieſer Mann Schuld an ihrem Selbſtmorde war. Jch dachte an Marianens Schickſal in der an - dern Welt. Und ich würde noch tauſend - mal mehr ausgeſtanden haben, wenn mir die Liebe zu Marianen verſtattet hätte, ſie für unglücklich zu halten. Jhre Mutter war noch weit gelaſſener, als ich. Jch weis nicht, wem ſie ihren Beyſtand zudanken126Leben der Schwediſchendanken hatte; vermuthlich der Religion. Sie ſah alles für ein Verhängniß an, deſ - ſen Urſachen ſie nicht ergründen könnte. Sie tröſtete ſich mit der Weisheit und - te des Schöpfers, und verherrlichte ihr Unglück durch Standhaftigkeit. Es iſt gewiß, daß der Beyſtand der Religion in Unglücksfällen eine unglaubliche Kraft hat. Man nehme nur den Unglücklichen die Hoffnung einer beſſern Welt: ſo ſehe ich nicht, womit ſie ſich aufrichten ſollen.

Unſer Unglück ſchien nunmehr beſänf - tiget zu ſeyn. Wir ſchmeckten die Ruhe eines ſtillen Lebens von neuem wieder. Wir kehrten zu unſern Büchern zurück, und die Liebe verſüßte uns das Leben, und be - nahm den traurigen Erinnerungen des Vergangenen ihre Stärke. Mein Mann ſchrieb um dieſe Zeit ein Buch: Der ſtand - hafte Weiſe im Unglück. Etwan ein Vierteljahr nach Marianens Tode ſtarb unſer Wirth, und ſeine Frau hatte auchbereits127Gräfinn von G **bereits die Welt verlaſſen. Dieſer Todes - fall machte eine groſſe Veränderung in un - ſern Umſtänden. Wir mußten unſere Capitale übernehmen, die durch Dor - munds Verlaſſenſchaft ſehr hoch angewach - ſen waren. Jn der That war dieſes eine groſſe Laſt für uns. Weder ich, noch mein Mann, noch Caroline wußten recht mit dem Gelde umzugehen. Und ich glaube, wir hätten ehe die Hälfte wegge - ſchenkt, als daß wir es in unſerer Ver - wahrung hätten behalten ſollen. An - dreas, Carolinens Bruder, hatte wieder eine Handlung in dem Haag angefangen. Wir ſchenkten ihm einige tauſend Thaler, und von dem übrigen Gelde bothen wir ihm die Hälfte in ſeine Handlung an; mit der andern Hälfte dienten wir guten Freun - den. Wenn die Vorſichtigkeit bey dem Gelde eine Tugend ohne Ausnahme iſt: ſo muß ich ſagen, daß wir oft nachläßig damit umgiengen. Es war uns oft ge - nug, es hinzugeben, wenn wir wußten,daß128Leben der Schwediſchendaß derjenige, der uns darum bat, ein rechtſchaffener Mann war, der das Geld nöthiger brauchte, als wir. Ein Wort galt bey meinem Manne ſo viel, als ein Wechſel. Wir haben in der That auf dieſe Art viel Geld eingebüßt; aber wir ſind niemals darum betrogen worden. Un - ſere Schuldner hatten ein gutes Herz; aber wenig Glück. Sie wollten gern wieder bezahlen, je mehr ſie unſere Dienſtfertig - keit ſahen. Und ſie machten uns durch ihre Aufrichtigkeit freygebig, wenn wir es auch von Natur nicht geweſen wären. Man glaubt es kaum, was es für ein Vergnügen iſt, wenn man wackern Leuten dienen kann. Es gehört, wie mich deucht, weit mehr Ueberwindung dazu, das Ver - mögen, zu dienen, zurück zu halten, als es zu erfüllen.

Endlich verlieſſen wir aus verſchiedenen Urſachen Amſterdam, und wandten uns mit unſerer Tochter, nebſt Carolinen undCarl -129Gräfinn von G **Carlſons Tochter nach dem Haag zu dem Herrn Andreas. Unſer verſtorbener Wirth hatte uns bey ſeinem Tode ſeine Tochter, als die unſrige, anbefohlen. Dieſe nah - men wir alſo mit uns. Jhr Vermögen blieb in Amſterdam in guten Händen. Dieſes Frauenzimmer, welches nunmehr etwan funfzehn Jahr alt war, ſah eben nicht ſchön aus; ſie hatte aber ſehr gute natürliche Gaben. Sie gefiel, ohne daß ſie ſich einbildete, gefallen zu haben. Die Artigkeit vertrat bey ihr die Stelle der Schönheit. Und wenn man die Wahl hat, ob man ein ſchönes Frauenzimmer, das nicht artig iſt, oder ein artiges, das nicht ſchön iſt, lieben ſoll: ſo wird man ſich leicht für das letzte entſchlieſſen. Jch kann ohne Prahlerey ſagen, daß ich dieſes Kind, welches Florentine hieß, meiſtens erzogen hatte. Und wenn ich geſtehe, daß ſie außerordentlich viel Geſchicklichkeit beſaß, ſo will ich nicht ſagen, daß ich ſie ihr bey - gebracht, ſondern ihr nur zur Gelegen -Erſter Theil. Jheit130Leben der Schwediſchenheit gedienet habe, ſich ſolche zu erwerben. Sie hatte Carolinen und dem Umgange mit meinem Manne ſehr vieles zu danken. Sie war mehr unter Mannsperſonen, als unter ihrem Geſchlechte aufgewachſen. Dieſes halte ich allemal für ein Glück bey einem Frauenzimmer. Denn wenn es wahr iſt, daß die Mannsperſonen in dem Umgange mit uns artig und manierlich werden: ſo iſt es ebenfalls wahr, daß wir in ihrer Geſellſchaft klug und geſetzt wer - den. Jch meyne aber gar nicht ſol - che Mannsperſonen, die insgemein für galant ausgeſchryen werden, und die ſich bemühen, ein junges Mädchen durch nie - derträchtige Schmeicheleyen zu vergöttern; die ihr durch ieden Blick, durch iede Be - wegung des Mundes und der Hand von nichts als einer abgeſchmackten Liebe ſa - gen. Solche Leute müſſen freylich nicht die Sittenlehrer der Frauenzimmer wer - den, wenn man haben will, daß eine jun - ge Schöne keine Närrinn werden ſoll. Mir131Gräfinn von G **Mir wäre es am wenigſten zu vergeben geweſen, wenn ich Florentinen nicht ſo wohl erzogen hätte, als es ſeyn kann, da ich Zeit, Gelegenheit, und ihre gute - higkeit vor mir hatte, und ſeit ihrem ſie - benten Jahre faſt beſtändig um ſie gewe - ſen war. Jhre guten Eigenſchaften mach - ten ſie nachgehends zur Frau eines Man - nes, der in Holland eine der höchſten Ehrenſtellen bekleidete, und an dem ſein Stand noch das wenigſte war, was ihn groß und hochachtungswerth machte. Doch ich will von unſerer Florentine ein andermal reden.

Wir waren kaum einige Monate in dem Haag, ſo lief ein Schiff aus Rußland mit Waaren für unſern Andreas ein. Er bat uns, daß wir mit an Bord gehen, und die Ladung anſehen möchten. Wir ließen uns dieſen Vorſchlag gefallen, und fuhren dem ankommenden Schiffe etwan eine halbe Stunde auf der See entgegen.

J 2Nun -132Leben der Schwediſchen

Nunmehr komme ich auf einen Period aus meinem Leben, der alles übertrifft, was ich bisher geſagt habe. Jch muß mir Gewalt anthun, indem ich ihn beſchreibe; ſo ſehr weigert ſich mein Herz, die Vor - ſtellung einer Begebenheit in ſich zu er - neuern, die ihm ſo viel gekoſtet hat. Jch weis, daß es eine von den Haupttugen - den einer guten Art zu erzählen iſt, wenn man ſo erzählt, daß die Leſer nicht die Sache zu leſen, ſondern ſelbſt zu ſehen glau - ben, und durch eine abgenöthigte Empfin - dung ſich unvermerkt an die Stelle der Per - ſon ſetzen, welcher die Sache begegnet iſt. Allein ich zweifle, daß ich dieſe Abſicht er - halten werde. Wir fuhren, wie ich ge - ſagt habe, dem ankommenden Schiffe eine halbe Stunde entgegen. Es waren zehn bis zwölf Deutſche Reiſende auf dem - ſelben, und auch etliche Ruſſen. Dieſe ſtiegen in unſerm Angeſichte ans Land, und gratulirten den Herrn Andreas zur glückli - chen Ankunft ſeines Schiffes, weil ſie hörten,daß133Gräfinn von G **daß er der Herr davon war. Andreas, der die See ſtets in Gedanken hatte, hörte ihnen begierig zu. Nur mir ward die Zeit zu lang. Jch trat daher mit meinem Manne auf die Seite, und bat ihn, daß er wieder zurück fahren möchte. Da ich noch mit ihm rede, ſo kömmt einer von den Paſſagiern auf mich zugeſprungen, um - armet mich, und ruft: Ja, ja, ſie ſind es, ich habe meinen Augen nicht trauen wol - len; aber ſie ſind meine liebe Gemahlinn. Er drückte mich einige Minuten ſo feſt an ſich, daß ich nicht ſehen konnte, wer mir dieſe Zärtlichkeit erwies. Das Schrecken kam darzu, und ich glaubte nicht anders, als daß ein unſinnig Verliebter mich ange - fallen hätte. Aber ach Himmel, wen ſah ich endlich in meinen Armen! Mei - nen Grafen in Ruſſiſcher Kleidung, mei - nen erſten Mann, den ich zehn Jahr für todt gehalten hatte. Jch kann nicht ſagen, wie mir ward. So viel weis ich, daß ich kein Wort aufbringen konnte. MeinJ 3Graf134Leben der SchwediſchenGraf ſtund und weinte. Er erblickte end - lich ſeinen ehemaligen Freund, als meinen itzigen Mann. Er umarmte ihn; doch von beyden habe ich kein Wort gehört, oder vor Beſtürzung nichts verſtehen können. Un - ſer Wagen hielt gleich neben uns. Nach dieſem lief ich zu, ohne meine beyden Män - ner mit zu nehmen, aber beyde folgten mir nach. Jch umarmte den Grafen unzäh - ligemal in dem Wagen; was ich ihm aber geſagt habe, das iſt mir unbekannt. Wir waren nunmehr in unſerer Behauſung, und ich fieng an mich wieder ſelber zu ver - ſtehen. Mein Graf bezeigte eine unendli - che Zufriedenheit, daß er mich wieder ge - funden hatte, und zwar an einem Orte, wo er mich am wenigſten vermuthet. Er ſagte mir wohl tauſendmal, daß ich noch eben ſo liebenswürdig wäre, als da er mich verlaſſen hätte. Sein Vergnügen war um deſto ſtärker, weil er mich für todt ge - halten hatte, da ich ihm auf etliche Briefe nicht geantwortet. Er glaubte, ich hättees135Gräfinn von G **es erfahren, daß er noch am Leben wäre. Kurz, er hatte von mir eben ſo wenig ge - wußt, als ich von ſeinem Leben. Herr R -- hatte uns verlaſſen, ohne daß wir es ge - merkt. Wir waren alſo ganz allein. Mein Graf erzählte mir ſein gehabtes Schickſal, davon ich bald reden will, und verlangte nunmehr zu wiſſen, wie es mir gegangen wäre. Er fragte mich hundertmal, und ich konnte ihm mit nichts, als Thränen und Umarmungen antworten. Liebe und Schaam machten mich ſprachlos. Einen Mann hatte ich wieder gefunden, den ich ausnehmend liebte, und einen ſollte ich ver - laſſen, den ich nicht weniger liebte. Man muß es fühlen, wenn man wiſſen will, was es heißt, von zween Affecten zugleich beſtürmt zu werden, von denen einer ſo groß, als der andere iſt. Mein Gemahl muthmaßete aus meiner Wehmuth etwas widriges für ſich. Er hielt noch inſtändi - ger an, daß ich ihm mein Herz entdecken, und ihm ſein Glück oder Unglück wiſ -J 4ſen136Leben der Schwediſchenſen laſſen ſollte. Aber umſonſt. Was konnte ich ihm ſagen, wenn ich nicht ſagen wollte, daß ich verheyrathet wäre? Jch ſchwleg, ich ſeufzete; doch dieſes war genug geſagt. Sind ſie nicht mehr meine Gemahlinn? fieng er an. Das wolle Gott nicht! Lieber meinen Tod, als dieſe Nachricht. Jn eben dem Augenblicke trat meine kleine Tochter, ein Kind von fünf Jahren, in das Zimmer, und vermehrte meine Beſtürzung, und entdeckte zu gleicher Zeit das Geheimniß, vor welchem ich zit - terte. Sie ſah mich weinen; ſie trat zu mir. Was fehlt ihnen denn liebe Mama, fieng ſie an, daß ſie weinen? Jch komme von dem Papa, der weint auch, und will gar nicht mit mir reden. Jch habe ihnen doch nichts gethan. Mein Gott, ſprach der Graf zu mir, ſie ſind verheyrathet! Jch unglückſeliger Mann! Habe ich ſie darum wieder finden müſſen, damit meinem Her - zen keine Art von Marter unbekannt blie - be? Wer iſt denn ihr Gemahl? Sagenſie137Gräfinn von G **ſie mirs nur. Jch will ſie durch meine Gegenwart nicht länger quälen. Jch will ſie gleich verlaſſen. Sie ſind mir nicht untreu geworden. Sie haben mich für todt gehalten. Jch mache ihnen keine Vorwürfe. Niemand iſt an meinem Unglücke Schuld, als das Verhängniß. Vielleicht iſt dieſes die Strafe für die Liebe mit Carolinen. Ueberwinden ſie ſich und reden ſie mit mir, fuhr er fort. Jch kann es von niemanden, als von ihnen anhören, wer ihr Mann iſt. Jch ſprang von dem Stuhle auf, und fiel ihm in die Arme, aber ich ſagte noch kein Wort. Nein, fieng er an, erweiſen ſie mir keine Zärtlichkeiten. Jch verdiene ſie, das weis mein Herz; aber ihr itziger Ehegemahl kann ihre Liebe allein fordern, und ich muß dem Schickſale und der Tugend mit meiner Liebe weichen. Durch dieſes Geſtändniß brachte er mich nur mehr in Bewegung. Er fragte end - lich das kleine Kind, wo der Papa wäre, und warum er nicht herein käme? Er iſtJ 5ja138Leben der Schwediſchenja mit ihnen in dem Wagen gekommen, hub ſie an. Er iſt in ſeiner Stube und weint. Alſo, fieng der Graf zu mir an, iſt mein liebſter Freund ihr Gemahl? Die - ſes macht mein Glück noch erträglich. Dar - auf bat er meine kleine Tochter, daß ſie ih - rem Papa rufen ſollte. Allein er kam nicht, ſondern ſchickte durch eben dieſes Kind dem Grafen ein franzöſiſch Billet von die - ſem Jnnhalte:

Mein lieber Graf,

Sie dauern mich unendlich. Jch habe ſie durch die unſchuldigſte Liebe ſo ſehr be - leidigt, als ob ich Jhr Feind geweſen wäre. Jch habe Jhnen Jhre Gemahlinn entzo - gen. Können Sie dieſes wohl von mir glauben? Der Jrrthum, oder vielmehr die Gewißheit, daß Sie nicht mehr am Le - ben wären, hat mir den erlaubten Beſitz ihrer Gemahlinn gegönnt; ihre Gegen - wart aber verdammt nunmehr das ſonſt ſo tugendhafte Band. Sie ſind zu großmü - thig, und wir zu unſchuldig, als daß Sieuns139Gräfinn von G **uns mit Jhrem Haſſe beſtrafen ſollten. Unſere Unſchuld verringert Jhr Unglück; allein ſie hebt es nicht auf. Das einzige Mittel mich zu beſtrafen iſt, daß ich fliehe. Jch verlaſſe Sie, liebſter Graf, und werde mich zeitlebens vor mir ſelber ſchämen. Wollte Gott, daß ich durch meine Abwe - ſenheit und durch die Marter, die ich ausſtehe, Jhren Verluſt erſetzen könnte! Entfernen Sie das Kind, das Jhnen die - ſen Brief bringt, damit Sie das traurige Merkmaal Jhres Unglücks nicht vor den Au - gen haben dürfen. Jſt es möglich, ſo den - ken Sie bey dieſem Briefe zum letztenmale an mich. Sie ſollen mich nicht wieder ſehen.

Der Graf verließ mich, ſo bald er die - ſen Brief geleſen hatte, und ſuchte meinen Mann. Doch er war fort, und niemand wußte, wohin. Dieſe Nachricht ſetzte mich in eine neue Beſtürzung. Mein ganzes Herz empörte ſich. Jch hatte meinen er - ſten Mann wieder gefunden. Jch wußte,daß140Leben der Schwediſchendaß ich ſie beyde nicht beſitzen konnte; al - lein welcher Trieb hört die Vernunft we - niger, als die Liebe. Es war in meinen Augen die grauſamſte Wahl, wenn ich da - ran dachte, welchen ich wählen ſollte. Jch gehörte dem letzten ſo wohl, als dem erſten zu. Und nichts war mir entſetzlicher, als einen von beyden zu verlaſſen, ſo gewiß ich auch von dieſer Nothwendigkeit überzeugt war. Der Herr R -- war indeſſen fort, und der Graf wollte nicht ruhen, bis er ſeinen Freund wieder ſähe. Er ſchickte ſo gleich nach dem Hafen, damit er nicht etwan mit einem Schiffe abgehen ſollte. Jch hatte ihm indeſſen erzählt, daß ich den Herrn R -- freywillig zu meinem Manne erwählt, und daß ich ſeine großmüthige Freundſchaft nicht beſſer zu belohnen gewußt hätte, als durch die Liebe. Jch weis genug, fieng der Graf an, weder ſie, noch mein Freund haben mich beleidiget. Es iſt ein Schickſal, das wir nicht erforſchen können. Jn wenig Stunden kam Herr R -- zurück. Er warſchon141Gräfinn von G **ſchon im Begriffe geweſen, mit einem Schif - fe fortzugehen. Er dankte dem Grafen auf das zärtlichſte, daß er ihn wieder hätte zurück rufen laſſen. Jch will nichts, als Abſchied von ihnen nehmen, fieng er an, von ihnen und ihrer Gemahlinn. Gönnen ſie mir dieſe Zufriedenheit noch, es wird ge - wiß die letzte in meinem Leben ſeyn. So gleich nahm er mich bey der Hand, und führte mich zu dem Grafen. Hier, ſprach er, übergebe ich ihnen meine Gemahlinn, und verwandele meine Liebe von dieſem Au - genblicke an in Ehrerbietung. Hierauf wollte er Abſchied nehmen; doch der Graf ließ ihn nicht von ſich. Nein, ſagte er, bleiben ſie bey mir. Jch fange auf ihr Verlangen mit meiner Gemahlinn die zärt - lichſte Ehe wieder an. Sie iſt mir noch ſo koſtbar, als ehedem. Jhr Herz iſt edel und beſtändig geblieben. Sie hat nicht gewußt, daß ich noch lebe. Nein, mein lieber Freund, bleiben ſie bey uns. Wollen ſie mich etwan darum verlaſſen, daß ich nichteifer -142Leben der Schwediſcheneiferſüchtig werden ſoll, ſo beleidigen ſie die Treue meiner Gemahlinn und mein Ver - trauen. Bitten ſie ihn doch, Madam, fieng er zu mir an, daß er bleibt. Jch hatte kaum ſo viel Gewalt über mich, daß ich zu ihm ſagte: Warum wollen ſie uns verlaſ - ſen? Mein lieber Gemahl bittet ſie ja, daß ſie hier bleiben ſollen. Und ich müßte ſie niemals geliebt haben, wenn mir ihre Ent - fernung gleichgültig ſeyn ſollte. Bleiben ſie wenigſtens in Amſterdam, wenn ſie nicht in unſerm Hauſe bleiben wollen. Jch werde ſie lieben, ohne es ihnen weiter zu ſagen, und ob ich gleich aufhören werde, die ihrige zu ſeyn, ſo unterſagt mir doch die Liebe zu meinem Gemahle nicht, ihnen be - ſtändig Zeichen der Hochachtung und Freundſchaft zu erkennen zu geben. Er blieb auf unſer Bitten auch wirklich in Amſterdam. Er ſpeiſete oft mit uns, und ſeine Aufführung war ſo edel, als man nur denken kann. Wenn auch ich weniger tugendhaft geweſen wäre, ſo hätte mich doch ſein großmüthiges Bezeigen tugend - haft erhalten müſſen. Er that gar nicht, als ob er jemals mein Mann geweſen wäre. Kein vertrauliches Wort, keine vertrauli -liche143Gräfinn von G **che Mine durfte ihm entfahren. Wie er vor meiner Ehe mit mir umgegangen war, ſo gien er itzt mit mir um. Er unterhielt mich mit Freundſchaft und Hochachtung, und beförderte mein und meines Grafen Vergnügen mit Aufopferung des ſeinigen. Er war oft ganze Tage bey mir allein. Jch glaube, daß ich ſo viel Schwachheit gehabt hätte, ihn anzuhören, wenn er an die vori - gen Zeiten gedacht hätte. Und wer weis, ob ich ihm nicht wider meinen Willen durch manchen Blick ein ſtummes Bekenntniß von meiner Liebe gethan habe, ſo gewiſſen - haft ich auch mit ihm umgieng, und ſo ſehr ich meinen Grafen liebte. Ueber die Ge - genwart der Caroline erſtaunte der Graf ſehr. Er hätte es lieber geſehen, wenn ſie unſere Wohnung verlaſſen hätte. Allein ich bat ihn, daß er mir ihre Geſellſchaft nicht entziehen ſollte. Können ſie meiner Tugend trauen, ſagte ich zu ihm, ſo müſſen ſie wiſſen, daß ich der ihrigen gewiß bin. Das Schickſal der beyden Kinder, die er mit Carolinen erzeugt, war eine Sache, die ihn oft ganze Stunden niedergeſchlagen machte. Er führte ſich indeſſen gegen Carolinen ſehr liebreich auf. Er ſcherzte oft mit uns bey -den144Leben der Schwed. Gräf. v. G **den; allein ſein Scherz war ſo behutſam, daß er weder ſie kränken, noch mich belei - digen konnte. Wie es uns ferner gegan - gen, will ich künftig erzählen. Jtzt muß ich nur von meines Gemahls, des Grafen Abweſenheit noch kürzlich ſo viel erwähnen. Die Ruſſen hatten von dem Dorfe Beſitz genommen, darinn mein Gemahl auf den Tod gelegen, und von den Schweden als todt war zurück gelaſſen worden. Da er nach und nach wieder geſund worden, hatte man ihn als einen gefangenen Officier mit nach Rußland geſchickt. Er hatte ſeinen Namen aus Furcht, daß man ihn deſto eher an die Schweden ausliefern möchte, ver - ſchwiegen, und ſich für einen Capitain aus - gegeben. Seine erlittenen Unglücksfälle, und wie er fünf Jahre in Siberien hat zu - bringen müſſen, damit will ich die Fortſet - zung von meiner Geſchichte anfangen. Der arme Graf hat viel ausſtehen müſſen. Er ſtarb. --- Doch ich will itzt nichts mehr ſagen.

Ende des erſten Theils.

Leipzig, druckts Ulrich Chriſtian Saalbach.

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About this transcription

TextDas Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***
Author Christian Fürchtegott Gellert
Extent148 images; 20300 tokens; 3452 types; 132082 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDas Leben der Schwedischen Gräfinn von G.*** Erster Theil Christian Fürchtegott Gellert. . 144 S. WendlerLeipzig1747.

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HAB Wolfenbüttel HAB Wolfenbüttel, Wa 1100 (1)Dig: http://diglib.hab.de/drucke/wa-1100-1s/start.htm

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Prosa; core; ready; china

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
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ShelfmarkHAB Wolfenbüttel, Wa 1100 (1)
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