(Die einen Traum von einem allgemeinen Ge - maͤlde der deutſchen Litteratur enthaͤlt, und An - laß gibt, die allgemeine deutſche Bibliothek, die Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſenſchaften, und die Litteraturbriefe zu pruͤfen.)
So ſehr die Schriftſteller der Journaͤle ſich uͤber ihre Leſer erheben: ſo ſind ſie doch beide mit einander Zwillinge eines Schickſals. Beide jagt die liebe Goͤttin Langeweile, die Mutter ſo vieler Menſchen und menſchlichen Werke, in die Arme der Muſen; beide fliehen aus Eckel uͤber Ar - beit oder Muße, uͤber politiſche Neuig - keiten und Schriftſtellerey, in den Schoos der Goͤttin Critik, um ſich hier durch einen wachenden Schlummer zu zerſtreuen und zugleich auch zu ſammlen. Man wird ein Verfaſſer, oder ein Leſer der Journaͤle, um die Ruhe und Geduld zu erlangen, die einem verwundeten Sohne des Mars oder der Pallas ſehr eifrig zu empfehlen iſt*S. Vorrede zu den Litter. Br.. DieA 2Lit -4Litteraturbriefe waren im Anfange ein Zeitvertreib eines kranken Officiers, nach - her des kranken Publikums, und oft auch kranker und ermuͤdeter Verfaſſer, die vom Buͤcherleſen muͤde, und aus dem Felde des Autorruhms ſiech zuruͤckkamen.
Daher iſt auch unſre Zeit um ſo viel reicher an Journaͤlen, als ſie an Original - werken arm wird. Der junge Schrift - ſteller nimmt alten Richtern das Brot vor dem Munde weg, weil er glaubt, urtheilen zu koͤnnen, ohne denken zu doͤrfen; Arbei - ten ſchaͤzzen zu koͤnnen, ohne ſelbſt ein Meiſter zu ſeyn. Der Leſer wiederum lieſet Advokatenberichte, um nicht ſelbſt richten zu duͤrfen; Auszuͤge und Critiken, um keine Buͤcher durchzuſtudiren. Je mehr Buͤcher, ſagt Rouſſeau, deſto weni - ger Weisheit; je mehr Ehebruch, deſto weniger Kinder: je mehr Journaͤle, deſto minder wahre Gelehrſamkeit. Man laͤuft auf die Maͤrkte, Neuigkeiten zu hoͤren: der Kunſtrichter als ein Proſelyt der Ge - rechtigkeit; der Leſer als ein Proſelyt des Thors; und der wahren Buͤrger ſind ſowe -5wenig, daß man auch ſelbſt ſchon zu den Neuigkeiten Fremde braucht.
Jndeſſen denke ich mir ein Journal, das mehr als Briefe, Auszuͤge und Urtheile zum Zeitvertreibe enthielte: ein Werk, das ſich den Plan vorzeichnete zu einem ganzen und vollendeten Gemaͤlde uͤber die Litteratur, wo kein Zug ohne Bedeutung auf das Ganze waͤre, er mag ſich im Schatten verbergen, oder aus Licht her - vortreten: zu einem Gemaͤlde, das die Natur des Titian, mit der Grazie des Correggio und der bedeutungsvollen Jdea des Raphaels zu verbinden ſuchte: kurz! ein Werk, das eine pragmatiſche Geſchichte im gelehrten Staat wuͤrde, ſo wie die Annales des Tacitus im politiſchen Staat dieſen hohen Namen verdienen.
Man laſſe mich meinen Traum verfol - gen! Dieſem allgemeinen und einzigen Werke muͤſte eine Geſchichte der Littera - tur zum Grunde liegen, auf die es ſich ſtuͤzzte. Auf welcher Stuffe befindet ſich dieſe Nation? und zu welcher koͤnnte und ſollte ſie kommen? Was ſind ihre Talente,A 3und6und wie iſt ihr Geſchmack? Wie ihr aͤuſ - ſerer Zuſtand in den Wiſſenſchaften und Kuͤnſten? Warum ſind ſie bisher noch nicht hoͤher gekommen, und wodurch koͤnn - te ihr Geiſt zum Aufſchwunge Freiheit und Begeiſterung erhalten? Alsdenn ruffe der Geſchichtſchreiber der Litteratur aus: „ Wohlan! Landesleute, dieſe Bahn lau - fet, und jene Abwege und Steine vermei - det: ſo weit habt ihr noch, um hierinn den Kranz des Zieles zu erreichen! „ Man ſtelle ihnen die Alten als Vorlaͤufer, die Nachbarn als Nebenbuhler vor, und ſu - che die Triebfeder des Nationalſtolzes ſo rege zu machen, als man das National - genie unterſucht hat. Kurz! eine ſolche Geſchichte ſuche das, was ſie bey den Al - ten war, zu werden: die Stimme der patriotiſchen Weisheit und die Verbeſſe - rin des Volks. Sie ſuche das in der Lit - teratur zu ſeyn, was der Schaͤzzer der eng - liſchen Sitten und Grundſaͤzze, der re - publikaniſche Browne, fuͤr den Staat war: eine Stimme patriotiſcher Weisheit, die Verbeſſerin ſeines Vaterlandes.
Jetzt7Jetzt mache ich den Riß zu dem Ge - baͤude auf dieſe Grundlage: wiefern wird durch jede merkwuͤrdige Frucht des Gei - ſtes ein neuer Stein und Pfeiler dazu ge - bracht werden? wie jener ungluͤcklich ge - bauet; dieſer das gutgebauete ungluͤcklich niedergeriſſen? wie jener Handlanger ein Baumeiſter, und dieſer Baumeiſter ein Kalkloͤſcher ſeyn ſollte? wie viel unerkann - tes Verdienſt jener ſtille Fleißige habe, wie viel Aufmunterung dieſes Genie ver - diene, um nicht im Fleiße zu erſticken; wie viel Schaden jener Laͤrmer dem Gan - zen zugefuͤget, und wie er auf beſſere We - ge zu lenken ſey? Dies alles zeige ein Kunſtrichter im Plan, der Gelehrte uͤbe es aus, und der Pfleger der Wiſſenſchaf - ten halte jene zur Ausuͤbung an, befoͤrdere den Fleiß, und erwecke das Genie.
Wo iſt nun ein hundertaͤugiger Argos, um dies alles zu uͤberſehen? Wo ein Bria - reus mit hundert Haͤnden, um es auszu - fuͤhren? Und wo ein Geſezzgeber, wider den auch die eigenſinnigen Genies, die Ziegenbaͤrtigen Grammatiker, und derA 4Poͤ -8Poͤbel von Ueberſezzern und Syſtemſchrei - bern keine Widerrede haͤtte? Wir arbei - ten in Deutſchland wie in jener Verwir - rung Babels; Secten im Geſchmack, Par - theien in der Dichtkunſt, Schulen in der Weltweisheit ſtreiten gegeneinander: kei - ne Hauptſtadt, und kein allgemeines Jn - tereſſe: kein großer allgemeiner Befoͤrde - rer und allgemeines geſezzgeberiſches Ge - nie. Wenn im Homer die Verſammlung der Griechen erſcheint: ſo bebt vom Ge - murmel die Erde, und neun ſchreiende Herolde laufen mit Staͤben umher, ſie zu baͤndigen, daß ſie die Goͤtterſoͤhne, die Koͤ - nige, hoͤren ſollen.
Da dies Werk fuͤr einen nicht iſt; ſo theile man die Arbeit, oder den Plan. Den Plan? Dies gienge nicht ſo fuͤglich an. Ein großer Theil der Wiſſenſchaften macht einen Koͤrper, wo man kein einzel - nes Glied nach bloßem Gutduͤnken pfle - gen kann, ohne dem Ganzen zu ſchaden: und dieſer Theil traͤgt den Namen Litte - ratur. Ein weiter Name, deſſen Gebiet ſich von den erſten Buchſtabierverſuchener -9erſtreckt, bis auf die ſchoͤnſte Blumenleſe der Dichtkunſt: von der Zuͤchtigung elen - der Ueberſezzer nach der Grammatik und dem Woͤrterbuch bis zu den tiefſten Be - merkungen uͤber die Sprache: von der Tropologie bis zu den Hoͤhen, die nur das Sonnenpferd der Einbildungskraft auf Fluͤgeln der Aurore erreicht: von den Handwerksſyſtemen bis zu den Jdeen des Plato und Leibniz, deren jede, wie ein Sonnenſtral, ſiebenfarbichtes Licht ent - haͤlt: Sprache, Geſchmackswiſſenſchaf - ten, Geſchichte und Weltweisheit ſind die vier Laͤndereien der Litteratur, die ge - meinſchaftlich ſich zur Staͤrke dienen, und beinahe unzertrennlich ſind.
So theile man alsdenn die Arbeit? — Nur theile man ſie recht, lenke ſie recht zuſammen, und habe ſtets das Ganze im Auge. Ein wahrer Kunſtrichter in ſol - chem Journal muß nicht Buͤcher, ſondern den Geiſt beurtheilen, ſie mit ihren Schwaͤ - chen und Groͤßen gegen einander abwaͤgen, und nicht ihr Syſtem ſondern ihr Urbild verbeſſern. So lange man nicht JdeenA 5in10in ihre Quelle zuruͤckzulenken weiß, in den Sinn des Schriftſtellers: ſo ſchreibt man hoͤchſtens wider ihn, und erregt — wenn er ſich nicht in unſre Stelle zu ſezzen weiß — ſtatt Ueberzeugung, Widerſpruch. Wie ſchwer iſts, Proben zu Grundſaͤzzen zuruͤck - zufuͤhren, und Verſuche zu Meiſterſtuͤcken zu erheben; beſtaͤndig mit und ſtatt ſeines Autors denken zu koͤnnen, ſtatt ſeiner zu arbeiten, und das Ganze nicht aus der Acht zu laſſen: wie ſchwer iſts, ſich und ſeinem Schriftſteller, und dem Leſer und der Schutzgoͤttin Litteratur ein Gnuͤge zu thun? ſo ſchwer, daß mein Plan lange ein Traum meiner Phantaſie bleiben wird.
Drey Werke ſind es, die mit dieſem Grundriß eine Aehnlichkeit haben, und die ich alſo darnach beurtheilen darf. Jſt mein Jdeal eigenſinnig ſo zeichne ich, wie es der Geſtalt und Schwaͤche meiner Augen erſcheint. Sie erheben ſich uͤber die uͤbrigen Journaͤle ſo ſehr, als nach Virgils Gleichniß Rom uͤber die Schaͤfer -huͤt -11huͤtten und die Cypreſſen uͤber das Ge - ſtraͤuch. Jndeſſen kann man doch auch uͤber Rom urtheilen.
Die deutſche Bibliothek hat einen zu weiten Plan, um allgemein zu ſeyn. Da ſie ſich uͤber die erſt gezeichneten Graͤnzen der Litteratur auch den ſogenannten hoͤhern Wiſſenſchaften mittheilet: ſo muß ſie die hoͤhern Handwerks - und Kunſtwerke nur in einem philologiſchen Geſichtspunkte zei - gen, der dem gemeinen Leſer zwar bequem, aber dem Liebhaber dieſes Feldes viel zu entfernt iſt. Entweder man befriedigt alſo den leztern nicht, der ſie im ganzen Licht erblicken will: oder man hat dem groͤſten Theil der fremden Leſer die Fra - ge vorzulegen: Verſteheſt du auch, was du lieſeſt? Entweder man thut den Verfaſ - ſern nicht gnug; oder fodert vom exote - riſchen Leſer ein Pythagoraͤiſches αυτος εφα, oder das Sokratiſche Urtheil, das er uͤber Heraklits Schriften faͤllte: „ auch, was ich nicht verſtehe, iſt gut. „ Jch koͤnnte aus jedem Theil ſolche Schriften anfuͤhren, die oft blos aus einem Neben -ge -12geſichtspunkt betrachtet ſind, ja von de - nen man gar nur ein allgemeines, und einſeitiges Urtheil faͤllen konnte; weil es in einer allgemeinen Bibliothek ſtehen ſollte. Auf die Art bildet man unvollkommene Polyhiſtors, aber keine Panſophen der Litteratur: das Werk wird ungleich, und mangelhaft: ex omnibus aliquid, ex toto nihil. Man ſieht es jedem Recen - ſenten an, daß er uns mehr ſagen konnte; allein um des Allgemeinen willen muſte er ſich in der Gottesgelahrtheit auf Tole - ranzpredigten, in der Arznei - und Rechts - lehre auf die Graͤnzen dieſer Wiſſenſchaf - ten, und in der Aeſthetik auf Auszuͤge einſchraͤnken.
Gewiß! Recenſionen allein, machen noch keine allgemeine Bibliothek aus; Vergleichungen und Ausſichten, Beob - achtungen uͤber Fehler und Tugenden, dieſe karakteriſiren den hohen kritiſchen Geiſt, der zum Bibliothekar einer Nation gehoͤrt. Das ganze Bild der himmliſchen Goͤttin lebte ſtets in der Seele des Zev[x]es, da er von ſeinen irrdiſchen Goͤttinnen Reizeborg -13borgte. Was in jeder Schrift neu iſt, und wozu Pfade eroͤfnet werden; fuͤr wel - che Claſſe von Leſern jenes und dieſes Werk iſt; was man wegzuwerfen und auszubeſ - ſern habe, um den Bau des Ganzen zu befoͤrdern — dies heißt eine allgemeine Bibliothek. Und von dieſem doͤrfte man bisher nicht eben viel neues in dem gedach - ten Werk wahrgenommen haben.
Bloße Auszuͤge, mit einem fluͤchtigen Urtheil uͤber einzelne Saͤzze; Auszuͤge, die gegeneinander nicht immer Ebenmaas ha - ben; Auszuͤge nach Geſezzen und Sazzun - gen, nicht nach dem Genie des Verfaſſers, und der Wichtigkeit der Sache; ſind eine encykliſche Gelehrſamkeit, einer Spiral - linie gleich, die um ihren Mittelpunkt laͤuft, um ihn ſpaͤt zu erreichen. — Jch ſehe ſelbſt die Schwuͤrigkeiten ein, die dieſen ſchoͤnen Plan, im Lehnſtul ausgeheckt, ſchwer gnug machen, allein unmoͤglich iſt er nicht fuͤr ei - nen Ort, wie Berlin, fuͤr einen Verleger, wie Nicolai iſt, und fuͤr Verfaſſer, wie die meiſten bey der Bibliothek ſind.
Die14Die Briefe uͤber die N. Litteratur ha - ben kein Lehrgebaͤude liefern wollen, doch aber nennen ſie es ein Gemaͤlde der Litte - ratur*ſ. Schluß der Litt. Br. in den lezten Jahren. Vielleicht koͤnnte man die Briefe uͤber den jetzigen Zuſtand der ſchoͤnen Wiſſenſchaften**Breslau 1755. in Deutſchland fuͤr ihre Grundlage anſe - hen; allein auch dieſe reden blos von Stuͤckwerken von Betrachtungen, wie ich von Fragmenten: und als Gebaͤude wollen ſie alſo ihr Werk nicht beurthei - len laſſen.
Man dankt es alſo den Verfaſſern, daß ſie manchmal ihre Lieblingswendun - gen ergreifen, um von einer Sache uͤber - haupt zu ſchwazzen: Briefeingaͤnge, Praͤ - ludien und Epiſoden, die mehr werth ſind, als ganze Critiken.
Warum iſts nicht oͤfter geſchehen, daß ſie die Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſenſchaf - ten zur Baſis ihrer Briefe gemacht, wie ſie es verſprachen. Oft wenn dieſe, ihres Namens Bibliothek eingedenk, Auszuͤgevon15von Buͤchern lieferte, die ich mir ſelbſt ma - chen konnte und mußte, waͤre ein freies Urtheil im Geſchmack der Litteraturbriefe willkommen geweſen. Vielleicht waͤren oft beider Urtheile verſchiedner gefallen, wenn ſie ſich mehr bemerkt haͤtten: indeſ - ſen bleiben beide Werke die Pendanten zu einander, die manche Nachbarn nicht auf - zuzeigen haben.
Die Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſenſchaf - ten iſt in ihren Nachrichten von den Aus - laͤndern uns voͤllig und noch mehr als ein Journal étranger; daher ich bey dieſen Nachrichten zu leſen anfange und alsdenn die Bibliothek auf gut alt βουστρεφοδον zu - ruͤckpfluͤge. Allein, wenn man dieſe fremde Nachrichten mehr in Auszuͤge ausbreitete, inſonderheit von Buͤchern die oft ſelbſt ei - ne kleine Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſen - ſchaften ſind? Wenn man einlaͤndiſche Auszuͤge oft verkuͤrzte, von Buͤchern, die man ſelbſt leſen muß? Wenn man bei die - ſen ſich vorzuͤglich auf Urtheile, Beobach - tungen und Ausſichten befliſſe? Wenn die eignen Abhandlungen beſtaͤndig einenahe16nahe Beziehung zum Titel des Buchs Haͤtten? Wenn ſie oͤfters Gemaͤlde der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften in Laͤn - dern und Gegenden enthielten, aͤhnliche Schriftſteller verglichen, und einem Sul - zer fertiges Baugeruͤſt zu ſeiner allge - meinen Aeſthetik lieferten? Wenn ſie an dringender Kuͤrze und ſchoͤner Gruͤndlich - keit den Moſesſchen, Winkelmanniſchen und Hagedornſchen gleich kaͤmen, und in ihrer Wahl fremder Stuͤcke genau waͤren; wenn man die Nachrichten und Urtheile, wie zerſtreuete Perlen in einen Halsſchmuck ſammlen, und bei der Critik der Dichter haͤrter ſeyn wollte — ich geſtehe es frei - lich, daß man eher eine Reihe von Ein - wendungen mit dem Worte Wenn ma - chen, als dies Wenn ausbeſſern kann.
Die Litteraturbriefe haben mehr Urtheil; allein ſchaͤzzen ſie nicht die Merkwuͤrdigkeit gewiſſer Werke beinahe blos nach dem Maas, wie ſie dabei Raum zum eignen Urtheil, zur Strafe und Spekulationen fin - den? Das Publikum war verwoͤhnt, bei allen wichtigen Werken ihre Stimme zuer -17erwarten, und ihr Correſpondent wird doch gewiß mit andern Journaͤlen haben buh - len muͤſſen, um die Merkwuͤrdigkeiten alle zu erfahren. — Jhre Philoſophie iſt nach dem Ausſpruche Cicerons: „ Philoſo - phire! aber mit wenigem „ und dieſe Maͤſ - ſigung hat ſie, als Leitband, vor dem Sin - ken bewahrt. Jn deſſen faͤllt es mir ein, daß einſt in Athen zween Kuͤnſtler ſtritten; jener betrog die Voͤgel, und dieſer gar ſeinen Miteiferer, der nach dem Vorhange grif, und blos ein Gemaͤlde ertappete. Wenn die Litteraturbriefe in ihren Urtheilen oft einfaͤltige Leſer bei dem Naſchen zum be - ſten haben, ſo geht dies noch hin; wenn aber der Ordensbruder, der Philoſoph ſelbſt, nach ihren allgemeinen Anmerkun - gen greift und ſie verſchwinden; ſo iſts beinahe wider die Zunftgeſezze.
Beide Werke, die ich ohngeachtet ihrer Verſchiedenheit vergleiche, haben ſich in - deſſen alle beide um den deutſchen Ge - ſchmack ſehr verdient gemacht, und werden merkwuͤrdig ſeyn, wenn gleich die Nach -Brich -18richten des einen und der homiletiſche Ei - fer des andern nicht mehr zum Neueſten der Litteratur gehoͤren werden.
Jch liefere die vornehmſten Stellen der Litteraturbriefe ausgezogen, und betrach - tet: daher kann meine Arbeit vielleicht fuͤr einen Realauszug aus denſelben gel - ten. Wenn ich ihnen widerſpreche oder beiſtimme, citire ich blos, und uͤberlaſſe dem Leſer, der jenes Werk beſizzet, die Ci - tationen ſelbſt aufzuſchlagen. So vermei - de ich den Ton eines Tadlers und Lobred - ners, und ſpreche mit einigen Verfaſſern Pantomimiſch: wie es dort von jenem Griechiſchen Orakel hieß: ουτε λεγει, ουτε κρυπτει; αλλα σημαινει.
Die Sprache iſt ein Werkzeug der Wiſſen - ſchaften, und ein Theil derſelben: wer uͤber die Litteratur eines Landes ſchreibt, muß ihre Sprache auch nicht aus der Acht laſſen.
Ein Volk, das ohne poetiſche Sprache große Dichter, ohne eine biegſame Sprache gute Proſaiſten, ohne eine genaue Sprache große Weiſe gehabt haͤtte, iſt ein Unding. Wenigſtens muͤſten bei einer unausgebildeten Sprache die Geiſter, die gebohren ſind, Hin - derniſſe zu uͤberwinden, ſelbſt erfinden, ſie muͤſten verwuͤſten und ſchaffen: ſchwaͤchere Nachfol - ger aber quaͤlen ſich, ohne nachher zeigen zu koͤnnen: das habe ich geliefert. Lernet alſo, ihr Kunſtrichter! eure Sprache kennen: und ſucht ſie zur Poeſie, zur Weltweisheit und zur Proſe zu bereiten. Alsdenn ebnet ihr einen Boden, damit er ein Gebaͤude trage. Oder noch mehr! ihr lie - fert Werkzeuge fuͤr den Schriftſteller: fuͤr den Dichter ſchmiedet ihr Donnerkeile; fuͤr den Red -B 2ner20ner glaͤnzet ihr ſeine Ruͤſtung; fuͤr den Welt - weiſen ſchaͤrfet ihr die Waffen.
Sie iſt aber mehr als Werkzeug: Worte und Jdeen ſind genau in der Weltweisheit verwandt: wie viel haͤngt vom Ausdrucke in der Critik der ſchoͤnen Wiſſenſchaften ab: durch die Sprache lernen wir beſtimmt denken, und bei beſtimmten, und lebhaften Gedanken ſuchen wir deutliche und lebendige Worte: unſre Waͤrterinnen, die unſre Zunge bilden, ſind unſre erſte Lehrer der Logik.
Der Genius der Sprache iſt alſo auch der Genius von der Litteratur einer Nation. Die Sprache, ſagt Jſokrates, war die Be - zaͤhmerin der alten Wilden, und man ſezze da - zu auch die Bilderin jeder Nation in den Wiſſenſchaften. Die Griechen, die Roͤmer, wie arbeiteten ſie nicht in ihrer Sprache. Die Araber, die die Grammatik das Salz der Wiſſenſchaften benannten, hatten ſo viel Cri - tiker, daß jener Rabbi 60 Camele mit Woͤr - terbuͤchern bepacken konnte, wie ein arabiſcher Schriftſteller mit arabiſcher Genauigkeit, be - richtet.
Jhr21Jhr koͤnnt alſo die Litteratur eines Volks ohne ihre Sprache nicht uͤberſehen, ihr koͤnnt jene durch dieſe kennen lernen, ihr koͤnnt bei - de durch einander ausbeſſern, denn ihre Voll - kommenheit geht mit ziemlich gleichen Schrit - ten fort.
Wir haben noch keinen ſprachkundigen Phi - loſophen gehabt, der das fuͤr unſre Sprache gethan haͤtte, was Michaelis*S. Litter. Br. Th. 4. p. 366., in einigen allgemeinen Exempeln der Akademie zeigte: „ daß die Sprachen einen Einfluß auf die „ Meinungen; die Meinungen auf die Spra - „ chen haͤtten, und wie eines durch das andere „ verbeſſert werden koͤnnte. „ Folgende Auf - gabe iſt vielleicht nicht unwuͤrdig unterſucht und im Einzeln beſtaͤtigt zu werden.
„ Wie fern hat auch die natuͤrliche Den - „ kungsart der Deutſchen einen Einfluß in „ ihre Sprache? Und die Sprache auf ihre „ Litteratur. Von ihren Elementen, ihrer „ Ausſprache und Sylbenmaas an. Wie vielB 3„ kann22„ kann aus der Beſchaffenheit ihrer Umſtaͤnde „ und Sprachwerkzeuge erklaͤrt werden? Wie „ fern kann ihr Reichthum und ihre Armuth „ nach den Zeugniſſen der Geſchichte von ihrer „ Denk - und Lebensart entſproſſen ſeyn? Wie - „ fern die Etymologie ihrer Woͤrter aus den „ Geſichtspunkten beſtimmt werden, die ih - „ nen mit andern Nationen gemein, oder ei - „ gen geweſen? Wiefern halten auch die „ Sprachregeln, mit den Geſezzen ihrer Denk - „ art eine Parallele? und wie koͤnnen die Jdio - „ tismen aus ihr erklaͤrt werden? Welche „ Revolutionen hat die deutſche Sprache in „ ihrem Weſentlichen erfahren muͤſſen? Und „ wie weit iſt ſie jezt fuͤr den Dichter, den „ Proſaiſten und den Weltweiſen? „ Eine große Aufgabe! Denn das Wie fern fordert nicht blos Exempel „ daß ſo etwas ohnge - „ faͤhr ſeyn koͤnnte „ ſondern Beweiſe, Samm - lungen von Beiſpielen, die das Allgemeine zeigen, und philoſophiſche Beobachtungen, die bis zu den Grundſaͤzzen heraufſteigen.
Man hat noch in der That wenig uͤber un - ſre Sprache philoſophiret: Breitinger, Bod - mer, Boͤdicker, Heinze, Oeſt, Klopſtock ha -ben23ben zerriſſene Anmerkungen geliefert; und von ſo vielen deutſchen Geſellſchaften haben nur zwey oder drey gezeiget, daß ſie auch nur ſo etwas zu liefern im Stande waͤren — Jch kann verſchiedene Litteraturbriefe nennen, die nuͤzliche Beobachtungen in dieſem Felde ge - liefert: ich ſamle ſie, und ſchreibe meine Ein - faͤlle dazu — weil nach dem Zuſtand unſerer Philoſophie uͤber die deutſche Sprache, man ſich nicht der Fuͤllſteine ſchaͤmen und noch lan - ge nicht an ein ganzes Gebaͤude denken darf.
„ Warum mag es doch ſo ſchwer ſeyn, uͤber „ den Urſprung der Sprachen mit einiger „ Gruͤndlichkeit zu philoſophiren? Jch weiß „ wohl, daß ſich von geſchehenen Dingen, da - „ von wir keine urkundliche Nachrichten ha - „ ben, ſelten mehr als Muthmaßungen her - „ ausbringen laſſen. Allein warum will den „ Weltweiſen auch keine Muthmaßung, keine „ Hypotheſe gluͤcken? Wenn ſie uns nicht ſa - „ gen koͤnnen, wie die Sprachen wirklich ent - „ ſtanden, warum erklaͤren ſie uns nicht we -B 4„ nig -24„ nigſtens, wie ſie haben entſtehen koͤnnen? — „ Sollte es nicht daher kommen, weil uns die „ Sprachen ſo natuͤrlich geworden, daß wir „ nicht ohne dieſelben denken koͤnnen? So „ wenig die Augen in ihrem natuͤrlichen Zu - „ ſtande, das Werkzeug des Sehens, die Licht - „ ſtralen deutlich wahrnehmen: eben ſo we - „ nig mag vielleicht die Seele das Werkzeug „ ihrer Gedanken, die Sprache, bis auf ihren Ur - „ ſprung unterſuchen koͤnnen — Dies mag uns „ ſo lange zur Entſchuldigung dienen, bis ein „ gluͤcklicheres Genie die Entſchuldigungen un - „ noͤthig macht*Litter. Br. Th. 4. p. 366.. — „
Jch bin nicht dies gluͤckliche Genie, ſondern ſezze, da ich von einer aͤhnlichen, nicht aber der - ſelben Aufgabe ſchreiben will, dieſe Entſchuldi - gungen zum Voraus, weil ich ihrer noͤthig habe.
Jm 13. Theil der Litt. Briefe**p. 100. kommen Bemerkungen vor, die ich gleichſam meinem Geiſt entwandt glaubte: ſie gefielen mir aber nicht ſo, daß ich nicht eine ſorgfaͤltigere Ent - wikkelung, Auseinanderſezzung und Anwendung fuͤr moͤglich gehalten haͤtte Mein Aufſazz, wo ich dieſe Materie weitlaͤuftiger behandelthatte,25hatte, war verlohren gegangen, und ich neh - me alſo jene Worte zum Leitfaden, etwas uͤber die Lebensalter einer und beſonders unſerer Sprache zu ſagen. Hier iſt die Stelle:
„ Das Genie einer Sprache iſt in ihrer Ju - „ gend nicht weiter beſtimmt, als durch die Bil - „ dung der Worte, ihre Abaͤnderungen und ih - „ re Reihen in einer gewiſſen Abhaͤngigkeit. „ Zu dem erſten Stuͤcke laͤßt ſich vermittelſt „ der Analogie, vieles dazu ſezzen: das an - „ dre Stuͤck bleibt wohl meiſt unwandelbar, „ aber der verſchiedene Gebrauch kann noch „ beſtimmt werden: und das dritte Stuͤck be - „ haͤlt zwar ſeine weſentlichen Zuͤge; aber die „ feinern Zuͤge koͤnnen noch hinzu gethan und „ veraͤndert werden, ohne daß das Geſicht zu „ einem andern Geſicht wird, als es urſpruͤng - „ lich war. — Ohne Verſuche, die mit dieſer „ Abſicht verknuͤpft ſind, kann keine rohe Spra - „ che vollkommen, kann kein Proſaiſte in der - „ ſelben vollkommen werden. Eine ausgear - „ beitete Sprache druͤckt ſchon die Namen der „ Begriffe aus, erhaͤlt Nachdruck und Reuig - „ keit durch die mannichfaltige Anordnung der „ Vorſtellungen; Deutlichkeit und GenauigkeitB 5„ durch26„ durch die Verſchiedenheit ihrer Beugungen; „ Kurze und Ernſt durch gut bezeichnete Ver - „ bindungen. Man gebe einem rohen Genie „ eine ganz rohe Sprache: es wird nichts „ vortrefliches hervorbringen koͤnnen, als das „ Drama, und zwar dieſes nur in ſeinen be - „ ſten Theilen. Zum Ausdruck der Leiden - „ ſchaften, zu lebhaften Bildern ſind alle Spra - „ chen in den Haͤnden eines Geniesreich. Aber „ der kaͤltere zierliche Vortrag; der ernſthafte „ hiſtoriſche Styl; die gute Verſifikation in „ der Dichtkunſt, dieſe erfordern eine ganz be - „ arbeitete Sprache. Daher erſcheinen auch „ die beſten Schriftſteller von den lezten Ar - „ ten nicht vor dieſer Periode, und wenn ſie „ in ihrer Landesſprache erſcheinen: ſo haben „ ſie dieſelbe erſt nach dem Muſter einer an - „ dern gefeilet. Die Roͤmer und Shakeſpea - „ re und ſelbſt die griechiſche Litteratur, wenn „ wir vor Homers Zeiten etwas gewiſſers als „ Muthmaßungen von ihr wuͤſten; koͤnnen ſich „ in dieſem Punkte fuͤr mich verbuͤrgen. „
Wie fern ich mit dem Verfaſſer einerlei Meinung bin, mag folgendes Fragment zeugen.
So wie der Menſch auf verſchiedenen Stuf - fen des Alters erſcheinet: ſo veraͤndert die Zeit alles. Das ganze Menſchengeſchlecht, ja die todte Welt ſelbſt, jede Nation, und jede Fa - milie haben einerlei Geſezze der Veraͤnderung: vom Schlechten zum Guten, vom Guten zum Vortreflichen, vom Vortreflichen zum Schlech - tern, und zum Schlechten: dieſes iſt der Kreislauf aller Dinge. So iſts mit jeder Kunſt und Wiſſenſchaft: ſie keimt, traͤgt Kno - ſpen, bluͤht auf, und verbluͤhet. — So iſts auch mit der Sprache. Daß man dies bis - her ſo wenig als moͤglich unterſchieden, daß man dieſe Zeitalter beſtaͤndig verwirret, wer - den die Plane zeigen, die man ſo oft macht, um eine Stuffe aus der andern ausbilden zu wollen: man reifet das Kind zu fruͤh zum Milchhaar des Juͤnglings; den muntern Juͤng - ling feſſelt man durch den Ernſt des Mannes, und der Greis ſoll wieder in ſeine vorige Kind - heit zuruͤckkehren; oder gar eine Sprache ſollauf28auf einmal die Tugenden aller Alter an ſich haben. Verkehrte Verſuche, die ſchaͤdlich wuͤr - den, wenn nicht die Natur mit vielen nach - theiligen Entwuͤrfen einen Grad von Schwaͤ - che verbunden haͤtte, der ſie zuruͤckhaͤlt. Ein junger Greis, und ein Knabe, der ein Mann iſt, ſind unleidlich, und ein Ungeheuer, das alles auf einmal ſeyn will, iſt nichts ganz.
Eine Sprache in ihrer Kindheit bricht wie ein Kind, einſylbichte, rauhe und hohe Toͤ - ne hervor. Eine Nation in ihrem erſten wil - den Urſprunge ſtarret, wie ein Kind, alle Ge - genſtaͤnde an; Schrecken, Furcht und als - denn Bewunderung ſind die Empfindungen, derer beide allein faͤhig ſind, und die Sprache dieſer Empfindungen ſind Toͤne, — und Ge - berden. Zu den Toͤnen ſind ihre Werkzeuge noch ungebraucht: folglich ſind jene hoch und maͤchtig an Accenten; Toͤne und Geber - den ſind Zeichen von Leidenſchaften und Em - pfindungen, folglich ſind ſie heftig und ſtark: ihre Sprache ſpricht fuͤr Auge und Ohr, fuͤr Sinne und Leidenſchaften: ſie ſind groͤßerer Leidenſchaften faͤhig, weil ihre Lebensart voll Gefahr und Tod und Wildheit iſt: ſie ver -ſtehen29ſtehen alſo auch die Sprache des Affects mehr, als wir, die wir dies Zeitalter nur aus ſpaͤ - tern Berichten und Schluͤſſen kennen; denn ſo wenig wir aus unſrer erſten Kindheit Nach - richt durch Erinnerung haben, ſo wenig ſind Nachrichten aus dieſer Zeit der Sprache moͤg - lich, da man noch nicht ſprach, ſondern toͤnete; da man noch wenig dachte, aber deſto mehr fuͤhlte; und alſo nichts weniger als ſchrieb.
So wie ſich das Kind oder die Nation aͤn - derte: ſo mit ihr die Sprache. Entſezzen, Furcht und Verwunderung verſchwand all - maͤlich, da man die Gegenſtaͤnde mehr ken - nen lernte; man ward mit ihnen vertraut und gab ihnen Namen, Namen, die von der Na - tur abgezogen waren, und ihr ſo viel moͤglich im Toͤnen nachahmten. Bei den Gegenſtaͤn - den fuͤrs Auge muſte die Geberdung noch ſehr zu Huͤlfe kommen, um ſich verſtaͤndlich zu ma - chen: und ihr ganzes Woͤrterbuch war noch ſinnlich. Jhre Sprachwerkzeuge wurden biegſamer, und die Accente weniger ſchreyend. Man ſang alſo, wie viele Voͤlker es noch thun und wie es die alten Geſchichtſchreiber durchgehends von ihren Vorfahren behaupten. Man30Man pantomimiſirte, und nahm Koͤrper und Ge - berden zu Huͤlfe: damals war die Sprache in ih - ren Verbindungen noch ſehr ungeordnet und unregelmaͤßig in ihren Formen.
Das Kind erhob ſich zum Juͤnglinge: die Wildheit ſenkte ſich zur politiſchen Ruhe: die Le - bens - und Denkart legte ihr rauſchendes Feuer ab: der Geſang der Sprache floß lieblich von der Zunge herunter, wie dem Neſtor des Ho - mers, und ſaͤuſelte in die Ohren. Man nahm Begriffe, die nicht ſinnlich waren, in die Spra - che; man nannte ſie aber, wie von ſelbſt zu vermuthen iſt, mit bekannten ſinnlichen Namen; daher muͤſſen die erſten Sprachen bildervoll, und reich an Metaphern geweſen ſeyn.
Und dieſes jugendliche Sprachalter, war blos das Poetiſche: man ſang im gemeinen Leben, und der Dichter erhoͤhete nur ſeine Accente in einem fuͤr das Ohr gewaͤhlten Rhythmus: die Sprache war ſinnlich, und reich an kuͤhnen Bildern: ſie war noch ein Ausdruck der Leidenſchaft, ſie war noch in den Verbindungen ungefeſſelt: der Periode fiel aus einander, wie er wollte — Seht! das iſt die Poetiſche Sprache, der Poetiſche Perio -de.31de. Die beſte Bluͤthe der Jugend in der Sprache war die Zeit der Dichter: jezt ſangen die αοιδοι und ραψωδοι: da es noch keine Schriftſteller gab, ſo verewigten ſie die merkwuͤrdigſten Thaten durch Lieder: durch Geſaͤnge lehrten ſie, und in den Geſaͤngen waren nach der damaligen Zeit der Welt Schlachten und Siege, Fabeln und Sitten - ſpruͤche, Geſezze und Mythologie enthalten. Daß dies bei den Griechen ſo geweſen, be - weiſen die Buͤchertitel der aͤlteſten verlohrnen Schriftſteller, und daß es bei jedem Volk ſo geweſen, zeugen die aͤlteſten Nachrichten.
Je aͤlter der Juͤngling wird, je mehr ern - ſte Weisheit und politiſche Geſeztheit ſeinen Carakter bildet: je mehr wird er maͤnnlich, und hoͤrt auf Juͤngling zu ſeyn. Eine Spra - che, in ihrem maͤnnlichen Alter, iſt nicht ei - gentlich mehr Poeſie; ſondern die ſchoͤne Proſe. Jede hohe Stuffe neiget ſich wieder zum Ab - fall, und wenn wir einen Zeitpunkt in der Sprache fuͤr den am meiſten poetiſchen an - nehmen: ſo muß nach demſelben die Dicht - kunſt ſich wieder neigen. Je mehr ſie Kunſt wird, je mehr entfernet ſie ſich von der Na -tur.32tur. Je eingezogener und politiſcher die Sitten werden, je weniger die Leidenſchaften in der Welt wirken, deſto mehr verlieret ſie an Gegenſtaͤnden. Je mehr man am Perio - den kuͤnſtelt, je mehr die Jnverſionen ab - ſchaffet, je mehr buͤrgerliche und abſtrakte Woͤrter eingefuͤhret werden, je mehr Regeln eine Sprache erhaͤlt: deſto vollkommener wird ſie zwar, aber deſto mehr verliert die wahre Poeſie.
Jezt ward der Periode der Proſe geboren, und in die Runde gedrehet: durch Uebung und Bemerkung ward dieſe Zeit, da ſie am beſten war, das Alter der ſchoͤnen Proſe, die den Reichthum ihrer Jugend maͤßig brauchte, die den Eigenſinn der Jdiotismen einſchraͤnkte, ohne ihn ganz abzuſchaffen, die die Freiheit der Jnverſionen maͤßigte, ohne doch noch die Feſſeln einer philoſophiſchen Conſtruction uͤber ſich zu nehmen, die den poetiſchen Rhythmus zum Wohlklang der Proſe herunter ſtimmte, und die vorher freie Anordnung der Worte mehr in die Runde eines Perioden ein - ſchloß: — dies iſt das maͤnnliche Alter der Sprache.
Das33Das hohe Alter weiß ſtatt Schoͤnheit blos von Richtigkeit. Dieſe entziehet ihrem Reichthum, wie die Lacedaͤmoniſche Diaͤt die At - tiſche Wohlluſt verbannet. Je mehr die Gram - matici den Jnverſionen Feſſeln anlegen; je mehr der Weltweiſe die Synonymen zu unter - ſcheiden, oder wegzuwerfen ſucht, je mehr er ſtatt der uneigentlichen eigentliche Worte ein - fuͤhren kann; je mehr verlieret die Sprache Reize: aber auch deſto weniger wird ſie ſuͤn - digen. Ein Fremder in Sparta ſiehet keine Unordnungen und keine Ergoͤzzungen. Dies iſt das Philoſophiſche Zeitalter der Sprache.
Endlich kann ich Othem ſchoͤpfen, und unſ - rer Sprache naͤher treten. Man ſiehet von ſelbſt, daß dieſe Zeitalter ſo wenig zu einer Zeit ſeyn koͤnnen bei der Sprache, als bei dem Menſchen. Wenn ſie zur Poeſie am hoͤchſten geſchickt iſt: ſo kann ſie nicht eine hoͤchſt Philoſophiſche Sprache ſeyn. So wie Schoͤnheit und Vollkommenheit nicht einerlei iſt: ſo iſt auch die ſchoͤnſte und voll -Ckommen -34kommenſte Sprache nicht zu einer Zeit moͤg - lich; die mitlere Groͤße, die ſchoͤne Proſe, iſt unſtreitig der beſte Plaz, weil man von da aus auf beide Seiten auslenken kann.
Hier zeigt ſich alſo der Lieblingsgedanke ſo vieler neuen Sprachverbeſſerer in ſeinem fal - ſchen Licht: „ ſo lange eine Sprache die Mund - art des ſinnlichen Volks war: ſo blieb ſie ein - geſchloſſen und unvollkommen; das Denken, Philoſophiren, die ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſ - ſenſchaften brachten ſie zur Vollkommenheit. *Breitingers Crit. Dichtk. Th. 2. durchgaͤngig.„ Ja zur Philoſophiſchen Vollkommenheit wohl; aber zum Ungluͤck daß die ſchoͤnen Wiſſen - ſchaften ein andres Hoͤchſtes haben: Schoͤn - heit — und dieſer wurde durch jene entzogen.
So loͤſet ſich auch der Zweifel eines ſprach - gelehrten Mannes hiemit leicht auf:**Klopſtocks Abhandl. uͤber die Poet. Sprache Litt. Br. Th. 6. „ Jch „ weiß nicht, ob es wahr iſt, was man in „ vielen Buͤchern wiederholet hat, daß bei al - „ len Nationen, die ſich durch die ſchoͤnen „ Wiſſenſchaften hervorgethan haben, die Poe - „ ſie eher, als die Proſe zu einer gewiſſen„ Hoͤhe35„ Hoͤhe geſtiegen ſey? „ Es iſt allerdings wahr, was alle alte Schriftſteller einmuͤthig behaupten, und was in den neuen Buͤchern wenig angewandt iſt, daß die Poeſie, lange vorher, ehe es Proſe gab, zu ihrer groͤſten Hoͤhe geſtiegen ſey, daß dieſe Proſe darauf die Dichtkunſt verdrungen, und dieſe nie wie - der ihre vorige Hoͤhe erreichen koͤnnen. Die erſten Schriftſteller jeder Nation ſind Dich - ter: die erſten Dichter unnachahmlich: zur Zeit der ſchoͤnen Proſe wuchs in Gedichten nichts als die Kunſt: ſie hatte ſich ſchon uͤber die Erde erhoben und ſuchte ein Hoͤchſtes, bis ſie ihre Kraͤfte erſchoͤpfte und im Aether der Spitzfuͤndigkeit blieb. Jn der ſpaͤtern Zeit hat man blos 'verſificirte Philoſophie, oder mittelmaͤßige Poeſie. Ueberhaupt bekommt hierdurch die ganze ſchoͤne Abhandlung: wie man den Poetiſchen Stil uͤber den Proſai - ſchen erheben koͤnne?*Litt. Br. Th. 3. p. 305. durchaus eine an - dere Wendung. Sein Grundſaz iſt: „ Keine „ Nation iſt weder in der Poeſie noch in der „ Proſe vortreflich geworden, die ihre Poetiſche „ Sprache nicht ſehr merklich von der Proſai -C 2„ ſchen36„ ſchen unterſchieden haͤtte. „ Und nach den Zeugniſſen der Alten, und nach einer Philoſo - phiſchen Kaͤnntniß von der Verwandlung ei - ner Sprache nach den Sitten heißt er ſo: Jede Nation lieferte die vortreflichſte Meiſter - ſtuͤcke der Poeſie, ehe ſich noch die Proſe von jener getrennet und zu ihrer Runde ausgebil - det hatte. Da die Sprache aus der Wild - heit zur Politiſchen Ruhe trat, war ſie merk - lich von der Proſaiſchen unterſchieden: die ſtaͤrkſten Machtwoͤrter, die reichſte Frucht - barkeit, kuͤhne Jnverſionen, einfache Parti - ckeln, der klingendſte Rhythmus, die ſtaͤrkſte Declamation — alles belebte ſie, um ihr ei - nen ſinnlichen Nachdruck zu geben, um ſie zur Poetiſchen zu erheben. Aber da die Proſe aufkam, die zuerſt, wie Herodot, auch noch ihren Perioden, ohne Schwung und Fuͤlle zerfallen ließ da ſie ſich mehr zur Vollkom - menheit bildete, entfernte ſie ſich von der ſinnlichen Schoͤnheit. Der Deutlichkeit we - gen wurden die Machtwoͤrter umſchrieben, die Synonyme ausgeſucht, beſtimmt, ausge - muſtert, die Jdiotismen gemildert: ſo wie das Voͤlkerrecht jezt im Staat zum Geſezzward:37ward: ſo auch in der Sprache: man bilde - te eine Sprache nach der andern, mit der ſie umgieng. Es entſtand ein Adel, ein Poͤbel und ein Mittelſtand unter den Woͤrtern, wie er in der Geſellſchaft entſtand: die Beiwoͤrter wurden in der Proſe Gleichniſſe, die Gleich - niſſe Exempel: ſtatt der Sprache der Leiden - ſchaft ward ſie eine Sprache des mittlern Wiz - zes: und endlich des Verſtandes. So iſt Poeſie und Proſe in ihrem Urſprunge unterſchieden.
Noch zehn Autoren haͤtte ich anzufuͤhren, die dieſe ganz natuͤrliche Metempſychoſis der Sprachen, uͤberall verfehlt, und nicht gnug aus ihrem Laude in eine andere Zeit zuruͤck zu gehen wiſſen, um von entfernten Altern und abgelebten Sprachen zu urtheilen. Allein alles dies gehoͤret nicht zu meinem Buch: hier kann ich doch nicht, wie ich ſelbſt weiß, dieſe ganze Wahrheit in ihrem voͤlligen Lichte zei - gen, mit aller Aehnlichkeit zuſammenhalten und gegen die Einwuͤrfe retten, die man uns unſrer Zeit macht. — Jch rede alſo von den Zeitaltern der Deutſchen Sprache, und verſpa - re das uͤbrige auf eine andere Gelegenheit.
Wo ſteht unſre Deutſche Sprache? Jn allen Staaten iſt zu unſrer Zeit die Proſe die Spra - che der Schriftſteller, und die Poeſie eine Kunſt, die die Natur der Sprache verſchoͤnert, um zu gefallen. Gegen die Alten und gegen die wilden Sprachen zu rechnen, ſind die Mund - arten Europens mehr fuͤr die Ueberlegung, als fuͤr die Sinne und die Einbildungskraft.
Die Proſe iſt uns die einzig natuͤrliche Sprache, und das ſeit undenklichen Zeiten ge - weſen — nun ſollen wir dieſe Sprache aus - bilden? Wie kann das ſeyn? Entweder zur mehr dichteriſchen Sprache, damit der Stil vielſeitig, ſchoͤn und lebhafter werde; oder zur mehr Philoſophiſchen Sprache, damit er einſeitig, richtig und deutlich werde; oder wenn es moͤglich iſt, zu allen beiden.
Das lezte kann in einem gewiſſen Grade geſchehen; und muß nach unſrer Zeit, Denk - art und Nothwendigkeit auch geſchehen. Als - denn werden wir zwar von beiden Seiten nicht die hoͤchſte Stuffe erreichen, weil beide Enden nicht einen Punkt ausmachen koͤnnen; allein wir werden in der Mitte ſchweben,und39und von den ſinnlichen Sprachen durch Ue - berſezzungen und Nachbilden borgen; andern - theils durch Reflexionen der Weltweisheit das geborgte haushaͤlteriſch anwenden. Wir wer - den fuͤr neue Buͤrger Vortheile ausmachen; und nicht dem Spartaniſchen Eigenſinn nach - ahmen, der allen fremden Ankoͤmmlingen und Gebraͤuchen den Eintritt verſagt; wir werden aber auch, ſo wie die Akademie della Cruſca, und Johnſon in ſeinem Woͤrterbuch, die Landeskinder zaͤhlen, ordnen und gebrau - chen, ſo daß die fremde Kolonien blos die Maͤngel des Staats unterſtuͤzzen doͤrfen. — Man bilde alſo unſre Sprache durch Ueber - ſezzung und Reflexion.
Man ſehe die meiſten Vorſchlaͤge zur Bil - dung der Sprache, und ſie fallen in ein Aeuſ - ſerſtes, ſtatt das Mittel zu halten. Einige entwerfen einen Plan zur Philoſophiſchen Spra - che; andere wollen ſie allein auf die dichteri - ſche Seite lenken. Daß, wenn beide etwas wir - ken, beide einander die Stange halten, macht das Gluͤck unſrer Sprachenverbeſſerung.
Unter ſo vielen Philoſophiſchen Sprach - verbeſſerern nehme ich einen, deſſen Lob ich in den Litteraturbriefen gern unterzeichne: Sulzer, in ſeinem beliebten Jnbegriff der Wiſſenſchaften,*Litter. Br. Th. 4. p. 230. in dem vielleicht kein Ar - tikel aͤrmer iſt, als der uͤber die Sprache. Er fordert zur Vollkommenheit einer Sprache
Auf die Art gehe man das ganze Stuͤck von der Sprache durch, und man findet in allen Vorſchlaͤgen den nehmlichen Fehler, daß er dem Schoͤnen der Sprache immer zu nahe tritt. Ja waͤren wir ganz Geiſt: ſo ſpraͤchen wir blos Begriffe, und Richtigkeit waͤre das einzige Augenmerk; aber in einer ſinnli - chen Sprache muͤſſen uneigentliche Woͤrter, Synonymen, Jnverſionen, Jdiotismen ſeyn. Sein Plan, der Philoſophiſch ſeyn ſoll, iſt alſo ein Hermaphrodit: die Philoſophiſche Vollkommenheit erreicht er nicht, und der ſinn - lichen Schoͤnheit thut er zu viel: als Plan, was eine vollkommene Sprache ſeyn ſollte, zu wenig; als Projekt, was irgend eine wirk - liche Sprache ſeyn koͤnnte, viel zu viel: und was die beſte Sprache waͤre, vielleicht nicht getroffen.
Der Kunſtrichter in den Litteraturbrie - fen*Litter. Br. Th. 4. p. 230. ſtoͤßt auch auf dieſen Fehler. Sulzer ſagt: „ Es waͤre nuͤtzlich, wenn man eine all -„ gemeine43„ gemeine Philoſophiſche Grammatik haͤtte, „ welche Regeln gaͤbe, nach denen die Vollkom - „ menheit einer Sprache beurtheilt werden „ muͤßte; mit dieſen Regeln koͤnnten die, durch „ den Gebrauch eingefuͤhrten verglichen, und „ daraus gebeſſert, und vermehrt werden. „ Und der Recenſent ſezt dazu: „ Jch weiß nicht, „ ob die ſchoͤuen Wiſſenſchaften von dieſer Ver - „ gleichung Vortheil haben wuͤrden. So wie „ die Sprachen jetzt ſind, hat eine jede, ſo zu „ ſagen, ihre Eigenſinnigkeit, die der ſchoͤne „ Geiſt vortreflich zu nutzen weiß. Er zieht „ aus dem Ueberfluͤßigen und Unregelmaͤßigen „ ſeiner Sprache oͤfters Schoͤnheiten, die eine „ richtige Philoſophiſche Sprache entbehren „ muß. Nur ein einziges Exempel anzufuͤh - „ ren: die Philoſophiſche Grammatik wuͤrde „ vermuthlich die Unterſcheidung der Geſchlech - „ ter bei lebloſen Dingen fuͤr uͤberfluͤßig er - „ klaͤren, und gleichwohl wuͤrden ſich die Fran - „ zoͤſiſchen und Deutſchen Dichter die Schoͤn - „ heiten ungern rauben laſſen, die ſie aus die - „ ſem unnoͤthigen Unterſcheide der Geſchlechter „ gezogen haben. Einige Sprachen unter - „ ſcheiden die Geſchlechter auch in der Conju -„ gation44„ gation der Zeitwoͤrter, welches ihren Schrif - „ ten zu einer beſondern Zierde gereicht*So iſts fuͤr die Orientaliſche Dichter eine be - queme und vortheilhafte Schoͤnheit, daß ſie, die bei ihren Kaͤnntniſſen in der Botanik ver - muthlich auch das Geſchlecht der Pflanzen ſchon gekannt haben, in ihrer Sprache auch das Ge - ſchlecht unterſcheiden, ja ſo gar fuͤr eine Pflan - ze, die Jungfer und Ehefrau iſt, verſchiedne Namen haben. So haben die Griechiſchen und Roͤmiſchen Dichter, alle unuͤberſezbare Schoͤn - heiten, aus dem Eigenſinn ihrer Sprache ge - zogen, und in ihn verwebt.. „ Eine Anmerkung, die man oft in dieſem Frag - ment wird wiederholen muͤſſen.
Ueberhaupt wuͤrde dieſer weiſe Vorſchlag, ſo wie jener andre**Litt. Br. Th. 4. p. 232.: „ es ſollte keiner Schrift - „ ſteller werden, der nicht die Alten geleſen „ uns alle Originalſchriftſteller rauben. Jdio - tismen ſind Patronymiſche Schoͤnheiten, und gleichen jenen heiligen Oelbaͤumen, die riugs um die Akademie bei Athen ihrer Schuzgoͤt - tin Minerve geweiht waren. Jhre Fruchtdorfte45dorfte nicht aus Attica kommen, und war blos der Lohn der Sieger am Panathenaͤiſchen Feſte. Ja da die Lacedaͤmonier einſt alles verwuͤſteten: ſo ließ die Goͤttin es nicht zu, daß dieſe fremde Barbaren ihre Haͤnde an die - ſen heiligen Hain legten. Eben ſo ſind die Jdiotismen Schoͤnheiten, die uns kein Nach - bar durch eine Ueberſezzung entwenden kann, und die der Schuzgoͤttin der Sprache heilig ſind: Schoͤnheiten in das Genie der Sprache eingewebt, die man zerſtoͤrt, wenn man ſie austrennet: Reize, die durch die Sprache, wie der Buſen der Phryne durch einen ſeid - nen Nebel, durch das Waſſergewand der al - ten Statuen, das ſich an die Haut anſchmie - get, durchſchimmern. Wober lieben die Britten ſo ſehr das Launiſche in ihrer Schreib - art? Weil dieſe Laune unuͤberſezzbar und ein heiliger Jdiotisme iſt. Warum haben Sha - keſpear und Hudibras: Swift und Fielding ſich ſo ſehr das Gefuͤhl ihrer Na - tion zu eigen gemacht? Weil ſie die Fund - gruben ihrer Sprache durchforſchet, und ih - ren Humour mit Jdiotismen, jeden nach ſeiner Art und ſeinem Maas, gepaart haben. War -46Warum vertheidigen die Englaͤnder ihren Shakeſpear, ſelbſt, wenn er ſich unter die Concetti, und Wortſpiele verirrt — Eben die - ſe Concetti, die er mit Wortſpielen ver - maͤhlt, ſind Fruͤchte, die nicht in ein anderes Clima entfuͤhrt werden koͤnnen: Der Dichter wuſte den Eigenſinn der Sprache ſo mit dem Eigenſinn ſeines Wizzes zu paaren, daß ſie fuͤr einander gemacht zu ſeyn ſcheinen: hoͤchſtens gleicht jener dem ſanften Widerſtande einer Schoͤne, die blos aus Liebe ſproͤde thut, und bei der ihre jungfraͤuliche Beſcheidenheit dop - pelt reizet.
Es muß auch wirklich ſchwer ſeyn, zu die - ſen Geheimniſſen zu gelangen; weil wir ſo wenige Deutſche Humoriſten haben. Rab - ner iſt kein voͤlliger National - Swift in Deutſchland ſo wohl in Charakteren, als der Schreibart. Von unſern komiſchen Schrift - ſtellern vielleicht keiner, als Leßing — dieſer aber in einem großen Grade. Keine Par - thei hat auch in dieſem Stuͤck, dem wahren Genie der Deutſchen Sprache ſo ſehr geſcha - det, als die Gottſchedianer. Waren es nicht noch einige Schimpfwoͤrter, und poͤbel -hafte47hafte Ausdruͤcke, die man beibehielt: ſonſt wurde alles waͤſſerich, und eben, durch eine gedankenloſe Schreibart, und durch ſchlechte Ueberſezzungen Franzoͤſiſcher Buͤcher. Man entmannete ſie voͤllig, die ſchon durch den Weiſiſchen, Talandriſchen, und Menantiſchen Stil wenig Mannheit behalten hatte: man machte ſo wohl die Jnverſionen, als Jdiotis - men der Schweizer laͤcherlich, ſtatt ſie zu pruͤ - fen: Kurz, dieſe Sekte hat ſich der Deutſchen Sprache mit Willen der irrdiſchen, nicht aber himmliſchen Muſe angenommen, und von ihr gilts, was jener Griechiſche Koͤnig auf ei - nen ſchwindſuͤchtigen und doch gefraͤßigen Bettler ſagte:
Αμφοτερους αδικεις, τον Πλουτεα, και Φαε - ϑοντα; Τον μεν, ετ’ εισοροων, τον δε απολειπο - μενος.
„ Beiden thuſt du Unrecht, dem Pluto, und „ Phaeton; dieſem, daß du ihn noch anblickſt; „ jenem, daß er dich noch nicht hat. „
Man muß den Schweizern wirklich das Recht laſſen, daß ſie den Kern der Deutſchen Sprache mehr unter ſich erhalten haben. Sowie48wie uͤberhaupt in ihrem Lande ſich die alten Moden und Gebraͤuche laͤnger erhalten, da ſie durch die Alpen, und den Helvetiſchen Na - tionalſtolz von den Fremden getrennet ſind: ſo iſt ihre Sprache auch der alten Deutſchen Einfalt treuer geblieben. Sie haben unſtrei - tig manches uͤbertrieben; das uͤbertriebene wird freilich durch den Harlekin am beſten ausgedruckt; und ausgelacht hat man ſie zur Gnuͤge; aber ihr Gutes iſt noch zu wenig gepruͤft. Die Gottſchedianer haben ihre Machtwoͤrter, ihre Jnverſionen ſo ziemlich in ihren Pasquillen geſammlet; jetzt iſt die Hitze des Streits verflogen, nun ſollte man nicht mehr lachen, ſondern pruͤfen. Haͤtte der patriarchiſche Bodmer auch kein andres Verdienſt — wie hoch hat man Ramlern und Leßingen ihren Logau angerechnet; — und aus den alten Schwaͤbiſchen Poeſien iſt doch, meinem Erachten nach, wenigſtens in der Sprache weit mehr zu lernen, als aus Logau. Nur freilich ſollten die Schweizer auch mehr Muͤhe ſich dabei gegeben haben, die Jdiotis - men zu zeigen, zu pruͤfen, und kritiſch einzu - fuͤhren. Wenn ſie auch dieſe Woͤrter verſte -hen;49hen; wer Deutſches in lateiniſchen Lettern leſen kann, iſt ja nicht deswegen ein Schweizer!
Jch rede von ihren Deutſchen Verdien - ſten, denn von ihren Nachbildungen aus dem Griechiſchen muͤſte ich vielleicht anders ur - theilen: ich rede von ihrem Verdienſt um die Sprache, denn von ihrer Dichterei und von ihrer Abneigung gegen die Philoſophie, gegen die ſie aus den Zuͤrchiſchen freimuͤthigen Nach - richten ſo lange Zeit Calefonium-Blizze ge - ſandt, urtheile ich jetzt nicht; und in dieſem eingeſchraͤnkten Geſichtspunkt kann ich ſelbſt ihre Hizze entſchuldigen, die den Gottſchedia - nern die Stange halten muſte. Zwei Geg - ner, die auf beiden Seiten ausſchweifen, und beide ohne Weltweisheit ſtreiten; — da kam zum Gluͤck eine dritte Parthei, die Baumgar - tenſche Schule, die Soͤhne des Deutſchen Athens, und brachten ſie beide aus einander.
Jn der Dichtkunſt Ramler, Kleiſt, und inſonderheit Gleim; in der Proſe Leßing und Abbt; wenn man dieſe lieſet, wie be - dauret man nicht den Sulzerſchen Einfall, uns keine Jdiotismen zu laſſen. GleimsDKriegs -50Kriegslieder und ſein verſificirter Philotas inſonderheit iſt voll von dieſer Deutſchen Staͤr - ke. — Eine fleißige Seele in Liefland hat einen Anhang zu Friſchens Woͤrterbuch, aus der Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſen - ſchaften, Litteraturbriefen, Leßings, Uz und dergleichen Schriften gemacht; aus dem ich, weil er doch zu gut iſt, um in einem Winkel ohne Anwendung zu vermodern, wenn er vollendet ſeyn wird, einen Auszug liefern werde. Aus den Zeiten der Meiſterſaͤnger, des Opitz und Logau, des Luthers u. ſ. w. ſollte man die Jdiotismen ſammlen, und inſonderheit mehr von Klopſtock lernen, die - ſem Genie in Schoͤnheiten und Fehlern, der ſelbſt in der Deutſchen Sprache ſich den Schoͤ - pfungsgeiſt anmaaßte, und auch dieſen Geiſt der Freiheit eigentlich in Deutſchland zuerſt ausbreitete: wirklich ein Genie, das ſelbſt in ſeiner Eccentricitaͤt groß iſt, und das, ſo wie Alexander Macedonien, die damalige Deutſche Sprache nothwendig fuͤr ſich zu enge finden muſte.
Und ſind die Jdiotismen zu nichts gut: ſo eroͤfnen ſie dem Sprachweiſen die Schach -ten,51ten, um das Genie der Sprache zu unterſu - chen, und daſſelbe zuerſt mit dem Genie der Nation zuſammen zu halten. Viele Jdiotis - men fremder Voͤlker wuͤrden wir daraus er - klaͤren: (z. E. warum die meiſten Nationen der Sonne und die Mond ſagen; wir aber umgekehrt; warum das Lateiniſche fuſus in herba immer fuͤr uns fremde klingt, koͤnnte immer aus dem Zuſtande unſrer alten Urvaͤ - ter bewieſen werden. Sie fingen bekannter maßen von der Nacht zu rechnen an: hielten in der Nacht ihre Zuſammenkuͤnfte, Kriegs - und Friedensſchluͤſſe: und wuſten kein groͤße - res Siegel der Vertraͤge, als das Klirren der Degen, mit dem Zuruf: der Mond iſt Zeuge! Eben daher iſt das: im Graſe hingegoſſen*ſ. Klopſt. Abhandl. von der Poet. Spr. im 1. Th. des Nord. Aufſ. wohl ein zu wohlluͤſtiges Bild fuͤr das wal - digte kalte Deutſchland, wie es vormals ge - weſen.) Wie ſehr ſind nicht die alten Schot - tiſchen Gedichte Abdruͤcke ihres Landes?
Auch die Kuͤhnheit in Jdiotismen bei einem einzelnen Autor gibt Gelegenheit, auf ſein Ge -D 2nie52nie Acht zu haben. Derſelbe Blick, der die Begriffe, wie die Farben im Sonnenſtral, theilt, nimmt auch die Lichtbrechung in den Nuancen der Sprache wahr. Der mittel - maͤßige Scribent bequemt ſich, nach dem or - dentlichen Wege, um ins Cabinett ſeines Fuͤr - ſten zu gelangen; dieſer beſticht jener betriegt, ein andrer ſchmeichelt: ein gewiſſer Deutſcher Pythagoras laͤßt ſich beſchneiden, um hinter die Vorhaͤnge der Weisheit zu kommen; das kuͤhne Genie durchſtoͤßt das ſo beſchwerliche Ceremoniel: findet und ſucht ſich Jdiotismen; graͤbt in die Eingeweide der Sprache, wie in die Bergkluͤfte, um Gold zu finden. Und be - triegt es ſich auch manchmal mit ſeinen Gold - klumpen: der Sprachenphiloſoph probire und laͤutere es: wenigſtens gab er Gelegenheit zu chymiſchen Verſuchen. Moͤchten ſich nur viele ſolche Bergleute und Schmelzer in Deutſchland finden, die, wenn die Deutſche Sprache eine Berg - und Weidſprache iſt, auch als Graͤber und Jaͤger ſie durchſuchten. Caͤſar ſchrieb uͤber die Aehnlichkeit der Spra - chen; Varro uͤber die Etymologie; Leibniz ſchaͤmte ſich nicht, ein Sprachforſcher zu ſeyn,und53und wir, trotz unſrer Deutſchen Geſellſchaft, haben hierinn wenig oder nichts gethan.
Es bleibt uͤberhaupt wahr: „ die Richtigkeit „ einer Sprache entzieht ihrem Reichthum: „*Litter. Br. Th. 15. p. 179. und wir duͤrfen, um dies in Augenſchein zu ſezzen, die aͤlteſte Sprache, die Hebraͤiſche, oder Arabiſche mit der Unſern in Abſicht auf den Reichthum vergleichen; er iſt ſo unter - ſchieden, wie die Haushaltung jener und un - ſerer Gegenden. Sie ſamleten Vieh und Knechte; wir ſamlen Gold und Hausgeraͤth: ſo iſt auch der Reichthum beider Sprachen.
Jhre iſt reich an Vieh:) Naturna - men ſind in ihr haͤufig: im kleinen Buch der Hebraͤer, das wir allein noch uͤbrig haben, ſind ſchon 250 Botaniſche Woͤrter: Namen, die unſre Sprache zwar kann ausdruͤcken, aber nicht auszudruͤcken weiß;**ſ. Michaelis Reflexions ſur l’influence des opi - nions etc. weil dieD 3καλοι54καλοι καγαϑοι unſerer buͤrgerlichen Welt ſich auf nichts minder legen, als Hirtenkaͤnnt - niſſe einzuziehen: weil unſre Naturphiloſo - phen unter Buͤchern wohnen, und wieder zu Lateiniſchen Buͤchern hinkehren Unſre Schaͤ - ferdichter und Saͤnger der Natur koͤnnen al - ſo die Blumen dieſer Kraͤuter nicht brechen: haͤtte man auch Deutſche Namen: ſo waͤren dieſe nicht bekannt gnug: ſie haͤtten nicht gnug Poetiſche Wuͤrde: denn unſre Gedichte wer - den nicht mehr fuͤr Hirten geſchrieben; ſon - dern fuͤr ſtaͤdtiſche Muſen; unſre Sprache iſt zur Buͤcherſprache eingeſchraͤnkt. — Hinge - gen hat es ſchon Leibniz bemerkt, daß unſre Sprache eine Weid - und Bergwerks - ſprache iſt; ich glaube aber, zum Theil, ge - weſen iſt; weil viele dieſer Woͤrter theils veraltet ſind; theils vor Kunſt - und Hand - werkswoͤrter gelten, da unſre Lebensart nicht mehr Jagd und Bergwerke iſt.
Wir bemuͤhen uns alſo mehr um Hausge - raͤth:) Kunſtwoͤrter: buͤrgerliche Ausdruͤcke: Redensarten des Umganges ſind die haͤufig - ſten Scheidemuͤnzen im muͤndlichen und Buͤ - chercommerz: die Alten hingegen wechſeltenmit55mit Goldſtuͤcken: ſie ſprachen durch Bilder; wir hoͤchſtens mit Bildern, und die bilder - volle Sprache unſrer ſchildernden Dichter verhaͤlt ſich zu den aͤlteſten Poeten, wie ein Exempel zur Allegorie, wie eine Allegorie zum Bilde in einem Zuge. Leſet den Homer, und denn leſet Klopſtock; jener malet, indem er ſpricht; er malet lebende Natur und Politi - ſche Welt: dieſer ſpricht um zu malen, er ſchildert; und um neu zu ſeyn: eine ganz andre Welt; die Welt der Seele und der Gedanken, da jener ſie hingegen in Koͤrper kleidet und ſpricht: Laß ſie ſelbſt reden!
Die Oekonomie der Morgenlaͤnder war reich an Knechten; ſo iſt es auch ihre Spra - che.) Die Erfinder der Sprachen, ohne Zweifel nichts minder als Philoſophen, druck - ten natuͤrlicher Weiſe das durch ein neues Wort aus, was ſie noch nicht unter einen andern Begrif zu ordnen wußten. So ent - ſtanden Synonyme, die dem Dichter eben ſo vortheilhaft waren, als ſie dem Gramma - tiſchen Philoſophen zum Aergerniß gereichen. Der Arabiſche Dichter, der zum Loͤwen 500 Woͤrter hat, die verſchiedene Zuſtaͤnde deſſel -D 4ben56ben bedeuten, z. E. junger, hungriger Loͤwe ꝛc. kann durch ein Wort malen, und durch die - ſe mit einem Zuge entworfne Bilder vielſeiti - ger ſprechen, wenn er ſie gegen einander ſezzt; als wir, die dieſen Unterſcheid blos durch da - zu geſezzte Beſtimmungen deutlich machen. Die Choͤre der Morgenlaͤnder koͤnnen ſich in ihren beiden Gegenſaͤzzen beinahe wiederho - len; allein das Bild, oder die Sentenz bekommt durch eine Wendung, oder ein Wort Neu - heit. Das Kolorit veraͤndert ſich, und dieſe Veraͤnderung gefaͤllt dem Ohr der Morgen - laͤnder; hingegen unſre Sprache, die an die - ſen beinahe - Synonymen gefeſſelt iſt, muß entweder die Wiederholungen ohne dieſen Nebenzug ausdruͤcken; und alsdenn ſind ſie fuͤr unſer Ohr verdrießliche Tavtologien; oder ſie druͤckt ſie gar ſchielend aus, und ver - irrt ſich, wie ſehr oft in der Deutſchen Bibel - uͤberſezzung, von der Hauptidee des Gemaͤl - des. Der Fehler liegt wirklich in der Ver - ſchiedenheit unſrer Sprachen, und iſt ſchwer zu vermeiden.
Hieraus erklaͤrt ſich, glaube ich, die Be - merkung unſers Philologiſchen Sehers in denOrien -57Orientaliſchen Sprachen:*Michael, praef. in Lowth. lectiones P. I. „ daß dieſe Tav - „ tologien, die dem Ohr der Morgenlaͤnder ge - „ fielen, unſerm unleidbar ſind „ jenen waren ſie nicht Tavtologien, denn Tavtologien ſind immer eckelhaft, und koͤnnen wenigſtens nie vergnuͤgen; ſondern wenn ein Chor das andere erklaͤrte, beſtimmte, oder das vorge - tragne Gemaͤlde mit Nebenzuͤgen neu machte: ſo befriedigte dies Aug und Ohr. Jch glau - be, Michaelis wird finden, daß es in der Grundſprache ſelten voͤllige Wiederholungen ſind; nur freilich in der Deutſchen Ueberſez - zung, und am meiſten in den Crameriſchen Pſalmen, da ſind es perpetuae tavtologiae, Europae inuiſae, aures laedentes, pru - dentioribus ſtomachaturis, dormitaturis reliquis.
Cramer ſcheint ſich in ſeinen Predigten ſo - wohl, als in den ſogenannten Oden; in Cantaten und in der fließenden Proſe ſo ſehr an dieſe Wiederholungen und Umſchreibungen gewoͤhnt zu haben, daß er vergißt, ob das Deutſche Ohr, das Kuͤrze fodert, und der Deut -D 5ſch58ſche Verſtand, der Nachdruck liebet, damit zufrieden iſt. Seine ungemein gluͤckliche Leich - tigkeit in der Verſifikation verfuͤhrt ihn ſo ſehr, daß er vergißt, ob ſeine Wiederholun - gen auch der Deutſchen Sprache angemeſſen ſeyn. Seine Oden — und ſie waren vor Klopſtock und Ramler das Muſter der Deutſchen Oden — ſind ja oft ein Geklin - gel von Reimen, und ich zweifle, ob ein Da - vid und Aſſaph, zu unſerer Zeit, in unſrer Sprache Cramerſche Pſalmen geſchrieben haͤt - te? „ Er hat ſie ja aber uͤberſezzen, nicht „ umbilden wollen? „ Gut! ſo uͤberſezze er ſie als Orientaliſche Pſalmen, mit allem ih - rem Licht und Schatten; nur umſchreiben muß er nichts; alsdenn iſts weit natuͤrlicher fuͤr unſer Genie und Sprache, ſie zuſammen zu ziehen. Jch urtheile frei, weil ich glaube ſo urtheilen zu koͤnnen und doͤrfen: Haͤtte Michaelis Cramers Verſifikation, oder Cramer Michaelis Geſchmack des Orients: ſo wuͤrden wir erſt die Morgenlaͤndiſchen Ge - dichte nach dem Genie unſrer Sprache, als einen Deutſchen Schatz bewahren koͤnnen; jetzt fehlt beiden was.
Aber59Aber meine Anmerkung verirret ſich zu weit davon ab: daß die Grammatik und das Ver - nuͤnfteln uͤber die Sprache, den Reichthum geſchwaͤchet hat. Der haushalteriſche Philo - ſoph fragte: warum ſind ſo viel unnuͤtze Knechte? ſie ſtehen ſich im Wege! und er hat ſie abgeſchaft; den uͤbrigen aber ihr ge - naues Geſchaͤfte angewieſen, um nicht muͤßig zu ſeyn. Jch will ohne Bilder reden! Da man die Begriffe mehr unter einander ordnen lernte: ſo druckte man das mit einer Beſtim - mung (adiectiuum, participium, aduer - bium) aus, wozu man erſt ein neues Wort ſezzte. — Noch blieben aber Synonymen! Aber der Philoſoph ſuchte ſeine Unterſchiede in ſie zu legen, und ſie alſo als neue, guͤltige Woͤrter zu gebrauchen. Zum Beweiſe fuͤhre ich im Deutſchen Wolf und Baumgarten an. Durch die Deutſchen Schriften des er - ſten ſind die Woͤrter, die unter dem Gebiet der Philoſophie ſtehen, ſehr an Synonymen vermindert, da er ſie genau zu beſtimmen ge - ſucht. Und noch mehr Baumgarten: geht ſeine Metaphyſik durch, und bemerkt, die un - ten angezogne Deutſche Woͤrter: die Philo -ſophie60ſophie gibt den meiſten muͤßigen Synonymen Arbeit und beſtimmte Poſten. Das iſt nun aber die Sprache der Philoſophie: laſſet Sulzern, der noch lebende Baumgarten, die Woͤrter: angenehm, ſchoͤn, lieblich, reizend, gefaͤllig, in ſeiner Aeſthetik beſtim - men; die Welt wird ihm vielen Dank wiſ - ſen: laſſet andere auf der Bahn des Baum - gartens fortgehen, und einen Kant in ſeinen Beobachtungen uͤber das Schoͤne und Erhabene, ſeine Unterſchiede zwiſchen bei - nahegleichen Woͤrtern bemerken: ſie arbeiten fuͤr die Deutſche Philoſophie und Philoſophi - ſche Sprache; aber nicht fuͤr die Sprachkunſt, uͤberhaupt. Alle kannſt du nicht beſtimmen, Philologiſcher Weltweiſe! Die wirſt du ver - muthlich auswerfen wollen? Aber wirft ſie auch die Sprache des Umganges aus? Nein! ſo weit reicht noch nicht dein Gebiet, und noch minder ins Land der Dichter — Der Dichter muß raſend werden, wenn du ihm die Synonyme raubſt; er lebt vom Ueber - fluß. — Und wenn du ſie beſtimmeſt? Ge - ſezt, aber du kannſt es nicht: ſo faͤllt ſchoͤne Proſe und ſchoͤne Poeſie ganz weg; alles wirdein61ein Roſenkranz abgezaͤhlter Kunſtwoͤrter. Jm - mer ein Gluͤck fuͤr den Dichter, und ein Un - gluͤck fuͤr den Weltweiſen, daß die erſten Er - finder der Sprache nicht Philoſophen und die erſten Ausbilder meiſtens Dichter geweſen ſind.
Unſere Sprache hat alſo die Synonyme eingeſchraͤnkt und bemuͤhet ſich ſtatt Knechte, Gold und Muͤnzen zu ſammlen. Man er - laube mir die Woͤrter abſtrakter Jdeen damit zu vergleichen. Beide werden willkuͤhrlich gepraͤgt, und durch einen willkuͤhrlich feſtge - ſezzten Werth gaͤng und gaͤbe; die ſolideſten unter beiden werden als Schaͤzze aufbewahrt; das kleinere wird Scheidemuͤnze. Auch auf dieſer Seite verliert unſre Poeſie, in der der eingebildete Werth ſchwindet, und blos der natuͤrliche gilt; wo die abſtrakten Woͤrter alſo blos gelten, nach dem Maas man ſie ſinnlich darſtellen kann. — Durch unſre Philoſophen kann die Dichtkunſt alſo nichts gewinnen, und hat nichts gewonnen; ſo we - nig als die Alten unſre Buͤcher-und Catheder - ſprache in allen ihren Nuancen uͤberſezzen koͤnnten: ſo wenig koͤnnen wir den Alten nachſprechen.
Und62Und was folgt nun aus allem dieſem? Viel - leicht viel — aber hier mag eins genug ſeyn! — Es iſt immer ein Girard im Deutſchen zu wuͤnſchen; recht ſehr zu wuͤn - ſchen — aber ein Geſezgeber muß er nicht durchaus werden. Jn einer nicht Jdeal - Philoſophiſchen Sprache alle Synonymen ab - ſchaffen zu wollen, gebuͤhret einem zweiten Claudius und Chilperich, die neue Buch - ſtaben einfuͤhren wollten, und Grammatiker zu A B C Maͤrtirern machten.
Von der andern Seite hat man, um unſre Sprache auszubilden, ſo ſehr die Ueberſezzun - gen angerathen, daß ich hieruͤber eine merk - wuͤrdige Stelle der Litteraturbriefe anfuͤhre:*Th. 13. p. 98.
„ Der wahre Ueberſezzer hat eine hoͤhere „ Abſicht, als den Leſern fremde Buͤcher ver - „ ſtaͤndlich zu machen; eine Abſicht, die ihn zum „ Range eines Autors erhebt, und den kleinen„ Kraͤmer63„ Kraͤmer zum Kaufmann umſchnizzt, der „ wirklich den Staat bereichert.
„ Dieſe Abſicht iſt nun keine andere, als „ ſeiner Mutterſprache vortrefliche Gedanken „ nach Muſter einer vollkommenern Sprache an - „ zupaſſen. So machte Apoll, daß Achilles „ Ruͤſtung Hektorn ſo gerecht war, als ob ſie „ auf ſeinen Leib verfertiget worden. Ohne „ Verſuche, die mit dieſer Abſicht verknuͤpft „ ſind, kann keine rohe Sprache vollkommen, „ kann kein Proſaiſte in derſelben vollkom - „ men werden.
„ Zu eignen Verſuchen uͤber die Bildung „ der Sprache haben nur die oͤffentlichen Red - „ ner Anmunterung genug, und die groͤſte Zahl „ dieſer Verſuche iſt vergeblich; aber man „ thue es durch Verſuche nach einer beſſern „ Sprache. Dieſe ſtellt uns ſchon viele Be - „ griffe deutlich dar, dazu wir Worte ſuchen „ muͤſſen, und ſtellt dieſe Begriffe ſo ne - „ ben einander vor, daß uns neue Verbindun - „ gen noͤthig werden. Von dem Wohlklan - „ ge jetzt nicht zu reden, der beſſer gemeſſen „ werden kann, wenn immer das Ohr unmit -„ tel -64„ telbar vorher von einem Perioden ſehr rich - „ tig angefuͤllet geweſen.
„ Was fuͤr anſehnliche Vortheile muͤßten „ nicht unſrer Sprache zuwachſen, wenn ſie „ ſich an die Griechiſche und Lateiniſche Spra - „ che, ſo viel als moͤglich, anſchmiegen lernte, „ und ihre Geſchmeidigkeit den Augen des „ Publikum zeigte! Dieſe Ueberſezzungen koͤnn - „ ten unſre Claßiſche Schriftſteller werden. „ An den Gedanken waͤre nichts auszuſezzen, „ weil auf dieſe laͤngſt das Siegel der Vor - „ treflichkeit gedruckt worden: und die Sorg - „ falt in Erhaltung der Harmonie ihres Aus - „ drucks, wuͤrde auch ſo viel Wohlklang in „ unſre Sprache uͤbertragen, als ihr Genie „ erlaubte. Geſellen ſie zu dieſen Alten noch ei - „ nige neuere Auslaͤnder; deren Genie bewaͤhrt, „ und deren Sprache mit der unſrigen verwandt „ iſt: was wuͤrden wir nicht unſern Ueber - „ ſezzern zu verdanken haben? und ſie wuͤr - „ den auch mit unſrer Dankbarkeit zufrieden „ ſeyn, woruͤber Ebert ihnen die Gewaͤhr lei - „ ſten kann, den wir als einen vortreflichen „ Ueberſezzer mit Recht unter unſre beſten „ Schriftſteller rechnen. Fehlt es uns denn„ an65„ an der Tugend, quae ſerit arbores, vt al - „ teri ſeculo proſint! „
Der wahre Ueberſezzer ſoll alſo Woͤrter, Redarten und Verbindungen ſeiner Mutter - ſprache aus einer ausgebildetern anpaſſen: aus der Griechiſchen und Lateiniſchen vorzuͤg - lich, und denn auch aus neuern Sprachen. Nun wollen wir hieruͤber nach unſern vor - ausgeſezten Pramiſſen ſchwazzen:
Alle alte Sprachen haben, ſo wie die al - ten Nationen, und ihre Werke uͤberhaupt, mehr karakteriſtiſches, als das, was neuer iſt. Von ihnen muß alſo unſre Sprache mehr ler - nen koͤnnen, als von denen, mit welchen ſie mehr verwandt iſt; oder der Unterſchied zwi - ſchen beiden liefert wenigſtens den Sprach - philoſophen eine Menge Stoff zu Betrach - tungen. Wir wollen vom leztern etwas ver - ſuchen.
So wie uns unſre beſten Heldenthaten, die wir als Juͤnglinge thaten, aus dem Gedaͤcht - niß verſchwinden: ſo entgehen uns aus dem Juͤnglingsalter der Sprache jedesmal die be - ſten Dichter, weil ſie vor der Schriftſtellerei vorausgehen. Jm Griechiſchen haben wirEaus66aus dieſer Zeit eigentlich nur den einzigen Ho - mer, deſſen Rhapſodien durch einen gluͤckli - chen Zufall viele Olympiaden nach ſeinem To - de blieben, bis ſie geſamlet wurden: da alle uͤbrige Dichter vor ihm, und viele nach ihm verlohren ſind. Aeſchylus und Sophokles und Euripides beſchloſſen die Poetiſche Zeit; in ihrem Zeitalter erfand Pherecydes die Proſe; Herodot ſchrieb ſeine Hiſtorie, noch ohne Perioden; bald gab Gorgias der Rede - kunſt die Geſtalt einer Wiſſenſchaft, die Welt - weisheit fieng an oͤffentlich gelehrt zu werden, und die Grammatik wurde beſtimmt. — Was ſollen wir aus dieſer Zeit durch Ueberſezzun - gen fuͤr unſre Sprache rauben?
Nur nicht die Sylbenmaaße! denn es ergiebt ſich gleich, daß dieſe ſchwer nachzuah - men ſeyn muͤſſen. Damals, als noch die αοιδοι, und ραψωδοι ſangen; da man auch im gemeinen Leben die Woͤrter in ſo hohem Ton ausſprach, daß man nicht blos lange und kurze Sylben, ſondern auch hohe und niedri - ge Accente deutlich hoͤren ließ, daß jedes Ohr der Urteiler der Proſodie ſeyn konnte; damals war der Rhythmus der Sprache noch ſo helle,daß67daß die Cadence, in der man die Verſe aus - ſprach, oder nach dem Ausdrucke der Alten ſang, den Gang eines Hexameters aus - halten konnte. Und dieſer war alſo das gewaͤhlteſte Sylbenmaas, das die meiſte Har - monie in ſich ſchloß, das ſo genau in ihrer Sprache lag, als die Jamben unſerm Ge - ſange natuͤrlich werden, und das ihrem Ohr und ihrer Kehle am gemaͤßeſten war, weil ih - re Melodie im Geſange, und Deklama - tion des gemeinen Lebens eine hoͤhere Ton - leiter auf und nieder ſtieg, als unſere. Aber wir reden mit wenigern Accenten monoto - niſcher, man mag es fließend oder ſchleichend nennen; wir ſind alſo an die Menſur eines Hexameters nicht gewoͤhnt. Gebet einem guten geſunden Verſtande ohne Schulweisheit, Jamben, Daktylen und Trochaͤen zu leſen; er wird ſogleich, wenn ſie gut ſind, ſcandiren; gebet ihm einen gemiſchten Hexameter — er wird nicht damit fortkommen. Hoͤret den Ca - deneen bei dem Geſange der Kinder und der Nar - ren zu; ſie ſind nie Polymetriſch; oder wenn ihr daruͤber lacht; ſo geht unter die Bauern, gebt auf die aͤlteſten Kirchenlieder acht; ihreE 2Fall -68Falltoͤne ſind kuͤrzer, und ihr Rhythmus ein - foͤrmig: dahingegen ſangen die Griechiſchen Rhapſodiſten ihre lange Gedichte in immer - waͤhrenden Hexametern: ohne Zweifel, weil der Hexameter ihrem Ohr auch ſelbſt fuͤr Gaſſenlieder nicht zu lang, und ihrer Spra - che nicht zu Polymetriſch war: und weil ihre Proſodie und Geſangweiſe jede Sylbe und Re - gion gehoͤrig beſtimmte. Aber jetzt! wollt ihr Griechiſche Hexameter leſen; lernet erſt Proſodie, um die Sylben in ihre rechte Re - gionen bringen zu koͤnnen. Jhr wollt Deutſche Hexameter machen; machet ſie ſo gut ihr koͤnnet, und alsdenn laſſet dem ohngeachtet die Versart druͤber druͤcken, wie man es Klopſtock rieth, oder bittet, wie Kleiſt, dies Sylbenmaas als Proſe zu leſen. Koͤnnet ihr Hexameter deklamiren? Wohl! ſo werdet ihr auch wiſſen, daß das die beſte Deklamation iſt, die ſeine Fuͤße am meiſten verbirgt, und nur alsdenn hoͤren laͤßt, wenn ſie die Mate - rie unterſtuͤzzen. Sehet! ſo wenig iſt der Hexameter und die Polymetriſchen Sylben - maaße unſrer Sprache natuͤrlich: bei den Griechen foderte ihn die ſingende Deklama -tion,69tion, das an den Geſang gewoͤhnte Ohr, die vieltrittige Sprache; bei uns verbeut ihn, Sprache und Ohr und Deklamation.
Was ſollen wir denn aus dieſer Zeit nach - ahmen? Die Lenkung des Perioden? Auch nicht! Homer ſang und wurde ſpaͤt geſamm - let! Die Tragoͤdien des Aeſchylus und So - phokles wurden, wie die Alten gemeinſchaft - lich bezeugen, auf der Buͤhne durchaus ab - geſungen. Die Sprache ſtuͤzzte ſich alſo damals maͤchtig auf eine Deklamation, die fuͤr uns ganz ausgeſtorben iſt, und die ihr damals Geiſt und Leben gab. — Mit dieſer Deklama - tion verlieren wir alſo auch den Gebrauch vieler Partikeln, Verbindungen, und Fuͤllwoͤrter, die zur damaligen Deklamation gehoͤren. Das Αλλ οταν, womit jedesmal die Orakel an - fiengen, das αλλα, δε und αυταρ des Ho - mers, womit er die Glieder ſeiner Perioden verbindet, wuͤrden, da wir an Proſaiſche Perio - den gewoͤhnt ſind, ſehr wunderlich in der Ueber - ſezzung klingen; eben ſo laͤcherlich, als wenn der ehrliche blinde Saͤnger aufſtuͤnde, uns ſeine 24 Buchſtaben vorzuſingen.
E 3Nach70Nachahmen koͤnnen wir hievon alſo nichts; aber doch gehoͤrt es dazu, um die Alten die - ſes Zeitalters Poetiſch zu leſen. Wenn ich den Homer leſe, ſo ſtehe ich im Geiſt in Grie - chenland auf einem verſammleten Markte, und ſtelle mir vor, wie der Sanger Jo, im Plato die Rhapſodien ſeines goͤttlichen Dichters mir vorſinget, wie er „ voll von goͤttlicher Be - „ geiſterung ſeine Zuhoͤrer ſtaunen macht, wie, „ wenn er ſich ſelbſt entriſſen, von dem Ulyſ - „ ſes redet, da er ſich ſeinen Feinden zu er - „ kennen giebt, oder da Achilles den Hektor „ anfaͤllet, er bei jedem Fuͤrchterlichen, die Haa - „ re aufrecht ſtehen, und das Herz ſchlagen „ macht; wie er jedem die Thraͤnen in die „ Augen lockt, wenn er von dem Ungluͤck der „ Andromache, der Hekuba, des Priamus ſin - „ get. Wie die Corybanten, von der Melodie „ des Gottes, der ſie begeiſtert, entzuͤckt, ihre „ trunkene Freude in Worten und Geberden „ zeigen; ſo begeiſtert ihn Homer, und macht „ ihn zum goͤttlichen Boten der Goͤtter. „ Jn dieſer Entzuͤckung erfuͤllet die ganze Harmonie des Hexameters, und die ganze Pracht ſeines Perioden mir Ohr und Seele; jede Verbin -dung71dung, und jedes Beiwort wird lebendig, und traͤgt zum Pomp des Ganzen bei: und wenn ich mich wieder zuruͤck in mein Vaterland fin - de: ſo beklage ich die, ſo den Homer in einer Ueberſezzung leſen wollen, wenn es auch die richtigſte waͤre. Jhr leſet nicht mehr Ho - mer, ſondern etwas, was ohngefaͤhr wieder - holet, was Homer in ſeiner Poetiſchen Spra - che unnachahmlich ſagte.
Sollen wir unſre Sprache durch die Jn - verſionen bereichern, die damals in ihrer biegſamen Sprache jedem Wink der Leiden - ſchaft und des Nachdrucks nachgaben? Ver - ſucht es; unſrer Sprache, ſelbſt dem freieſten und verworrenſten Klopſtockiſchen Hexameter ſind Feſſeln der Conſtruktion angelegt worden, die die Harmonie des Griechiſchen Perioden meiſtens zerſtoͤren werden. Oder ſollen wir unſre Sprache in Bildung der Machtwoͤr - ter, nach dem Griechiſchen uͤben? Verſucht es; wenn ihr gleich ein Schweizer ſeyd, wer - det ihr die Beiwoͤrter im Homer, Aeſchy - lus und Sophokles, oft genug umſchrei - ben muͤſſen.
E 4Jch72Jch halte die Hymnen des Orpheus fuͤr nicht ſo alt, daß ſie, ſo wie ſie ſind, bis an den Orpheus reichen ſollten; aber, ſo wie unſre Kirchenſprache, und Kirchenpoeſie, beſtaͤndig Jahrhunderte zuruͤckbleiben: ſo zeigen ſie, nach meiner Meinung, am beſten, wie die aͤl - teſte Sprache der Poeſie, zur Zeit des hohen Stils geweſen iſt. Wohlan nun! verſucht, dieſe Hymnen ſo ins Deutſche zu verpflanzen, als Skaliger ſie in Altlatein uͤberſezte: ihr werdet, ohngeachtet aller Staͤrke doch oft das alte Deutſche vermiſſen, das bei den alten Druiden in ihren heiligen Eichenwaͤldern Or - pheiiſch geklungen haben mag! — Solche kuͤh - ne Verſuche mache ein junges munteres Ge - nie fuͤr unſre Sprache; aber es laſſe auch al - te unparteiiſche Philologen daruͤber urteilen.
Homer, Aeſchylus, Sophokles ſchuf - fen einer Sprache, die noch keine ausgebildete Proſe hatte, ihre Schoͤnheiten an; ihr Ueber - ſezzer pflanze dieſe Schoͤnheiten in eine Spra - che, die auch ſelbſt im Sylbenmaas und — wie wir bewieſen zu haben glauben — ſelbſt im Hexameter Proſe bleibt, daß ſie ſo wenig als moͤglich verlieren. Jene kleideten Ge -danken73danken in Worte, und Empfindungen in Bil - der; der Ueberſezzer muß ſelbſt ein ſchoͤpferi - ſches Genie ſeyn, wenn er hier ſeinem Original und ſeiner Sprache ein Gnuͤge thun will. Ein Deutſcher Homer, Aeſchylus, Sophokles, der im Deutſchen eben ſo klaßiſch iſt, als jene in ihrer Sprache, errichtet ein Denkmal, das weder einem Klein - noch Schulmeiſter ins Auge faͤllt, das aber durch ſeine ſtille Groͤſ - ſe und einfaͤltige Pracht das Auge des Wei - ſen feſſelt, und die Aufſchrift verdienet: Der Nachwelt und Ewigkeit heilig!
Ein ſolcher Ueberſezzer iſt unſtreitig viele Koͤpfe groͤßer, als ein anderer, der aus ei - ner naͤhern Zeit, aus einer verwandten Sprache, aus einem Volke, das mit uns einerlei Denkart und Genie hat, ein Werk uͤberſezzt, das im leichteſten Poetiſchen Ton, Didaktiſch, geſchrieben iſt, und das dem ohn - geachtet doch in der Ueberſezzung ſein beſtes Colorit verlieret — ſollte dieſer Ueberſezzer auch Ebert ſelbſt ſeyn. — Sein Young haͤt - te im Deutſchen, zu unſrer Zeit, nach unſern Sitten und Religion, immer ſeine NaͤchteE 5ſchrei -74ſchreiben koͤnnen; aber jene ihre Werke in unſrer Sprache? in unſrer Zeit? bei unſern Sitten? — Niemals! So wenig als wir Deutſchen je einen Homer bekommen wer - den, der das in allen Stuͤcken fuͤr uns ſey, was jener fuͤr die Griechen war.
So ſehr verzweifle ich alſo an Ueberſez - zung der aͤlteſten Griechiſchen Dichter; aber deſto mehr ſuche man von der Griechiſchen Proſe eines Platons und Xenophons, ei - ues Thucydides und Polybius, und die ſpaͤtern Griechiſchen Dichter zu nuzzen. Zu dieſer Zeit lebten die κἀλοι κἀγαϑοι der Wiſſenſchaften, die mit dem Genie unſerer Zeit naͤher verwandt ſind; der Periode war in ſeinem beſten Glanze, und die Jdiotismen milderten ſich. Von dieſen Schriftſtellern kann die Deutſche Sprache unſtreitig viel lernen; weil ſie ſich in die Griechiſche eher und biegſamer ſchicken kann, als in die Latei - niſche; weil die Griechiſche es auch unſtreitigmehr75mehr verdient, und weil fuͤr die Deutſchen eine ausgebildete Poeſie und Proſe des gu - ten Verſtandes, ohnſtreitig die beſte Spra - che iſt.
Heilmann, der Ueberſezzer des Thucydi - des, der gewiß ſeinen Autor, und die Kunſt zu uͤberſezzen gekannt hat: ſcheint die Biegſamkeit der Deutſchen Sprache nicht genug in ſeiner Gewalt gehabt zu haben, um ſie mit der Grie - chiſchen zuſammen zu paſſen. Jndeſſen hat freilich dieſer Baumgartenſche Philolog noch ziemlich ſeinen Mann gewaͤhlt, da er uns den koͤrnichten Thucydides liefert, deſſen Schreib - art er uns mit Meiſterzuͤgen geſchildert hat:*ſ. Litt. Br. Th. 3. p. 202.
„ Man ſiehet uͤberall die Miene des großen, „ des vornehmen Mannes, der als ein Staats - „ mann ſchreibt, der aber auch nur fuͤr Staats - „ leute ſchreiben will; der nichts weniger im „ Sinne hat, als ein klaßiſcher Schriftſteller „ zu werden, aus welchem einmal kuͤnftig Red - „ ner Beiſpiele zu ihren Vorſchriften ſamm - „ len ſollten. Er ſiehet alſo uͤberall nur auf „ die Wuͤrde in den Gedanken, und auf den„ Adel76„ Adel im Ausdruck. Er faſſet jene kurz und „ buͤndig, und in dieſem ſucht er ſich beſtaͤn - „ dig von dem gemeinen zu entfernen. Er „ hatte in ſeiner Jugend ohnfehlbar die Grund - „ ſaͤzze der Beredſamkeit gefaſſet; allein er be - „ hielt ſie hernach, um ſie zu brauchen, und „ nicht ſich daran zu binden. — Er iſt ein „ Schriftſteller, der aus den Gedanken alles, „ und aus dem Ausdruck nur ſo viel macht, „ als zu jenen noͤthig iſt; der ſeine Jdeen ge - „ nau und buͤndig faſſet und ſie durchaus ſo, wie „ er ſie gefaſſet, ausdrucken will: und hiernach „ muͤſſen ſich Ausdruck, Saͤtze, und deren Ver - „ bindungen, Perioden und deren Beziehungen „ und alles richten. — Seine Schreib - und „ Denkungsart iſt im hoͤchſten Grade Pathetiſch. „ Er iſt ſeiner Sprache vollkommen kundig, „ das Bluͤhende, das er durch den Reichthum „ des Ausdrucks, welcher ihm voͤllig fehlet, „ haͤtte erhalten koͤnnen, durch die Wahl der „ nachdruͤcklichſten Woͤrter, und durch die Ener - „ giſche Beugung und Verbindung derſelben „ zu erhalten; und er iſt dreuſt genug, der - „ gleichen zu machen, wo er es nicht vor ſich „ findet. Aus dieſen Stuͤcken zuſammenge -„ nom -77„ nommen erwaͤchſt eine Schreibart, die in „ Anſehung ganzer Ausſpruͤche, ſchwer, ge - „ drungen und in einander gewunden, in An - „ ſehung der Wortfuͤgungen ſonderbar und oft „ unregelmaͤßig, in Anſehung des Ausdrucks „ ſehr fruchtbar, aber auch neu und unge - „ woͤhnlich iſt. Er iſt der Schoͤpfer ſeiner „ ganzen Schreibart. Dieſes erhellet daraus „ am deutlichſten, daß ſich das beſondre dar - „ inn nirgends mehr zeigt, als in ſolchen Stel - „ len, worinn er blos ſelbſt denkt, in ſeinen „ Reden und eingemiſchten Betrachtungen. „ Hier ſind die Perioden oft von ungewoͤhnli - „ cher Laͤnge; denn er ſchließt nicht eher, bis „ ſeine Reihe von Gedanken zu Ende iſt. Hier „ ſind die Wortfuͤgungen ſehr verſteckt, und „ durch haͤufige Einſchaltungen unterbrochen; „ denn er will jeden Begrif durchaus an dem „ Orte, in dem Verhaͤltniſſe ausdrucken, wo „ er ſich in dem zuſammengeſezten Bilde ſei - „ ner Jdeen befindet; hier ſind die einzelnen „ Ausdruͤcke von der gewoͤhnlichen Bedeutung „ und Gebrauch entfernt, weil das Gewoͤhn - „ liche das Ebenmaas ſeiner Begriffe nicht „ genau ausdruͤckte, und eine Umſchreibung„ ihm78„ ihm zu langweilig duͤnkte. „ — So ka - rakteriſiret Heilmann des Thucydides Schreib - art — und vielleicht die ſeinige ſelbſt mit, ſo wie er ſie durch dieſe Ueberſezzung und das Leſen der Baumgartenſchen Schriften gebildet hatte. Wie ſticht dieſe Schilderung ab, ge - gen die, ſo Geddes vom Thucydides macht: er als ein Schulmeiſter, und Heilmann als ein Mann von Geſchmack. Schade fuͤr die Deutſche Litteratur, daß Heilmann ihr ſo fruͤh entriſſen worden.
GriechiſcheUeberſezzer von ſolchem Geſchmack finden ſich ſelten; und ſie ſollten ſich doch finden, weil der Deutſche hiſtoriſche Stil am mei - ſten durch die Griechen gebildet werden kann. Und dieſer muß vorzuͤglich gebildet werden: „ denn eine Sprache, die wenig Unterſchied „ in den Zeiten angiebt, die wenig ohne Huͤlfs - „ woͤrter thun, nicht leicht einen Modus fuͤr „ den andern ſezzen, und wenig Aenderung in „ der Reihe der Worte anbringen kann; eine „ ſolche Sprache iſt nicht ſonderlich geſchickt „ zur Geſchichte; und hier muß man ihr alſo die „ groͤßte Huͤlfe geben.*Litter. Br. Th. 17. p. 187., Und ſo iſt die Deutſche.
„ Fer -79„ Ferner! *Litt. Br. Th. 7. p. 24.Die groſſe Manier im Dia - „ logiren ſollen wir auch zu erreichen ſtre - „ ben, die wir an den Alten bewundern? „ Sie wuſten einen Diſcurs mit vieler Ge - „ ſchicklichkeit, aber doch natuͤrlich herbeizu - „ fuͤhren, die Materie unter die unterreden - „ de Perſonen gluͤcklich zu vertheilen, jede Per - „ ſon karaktergemaͤß denken, und gelegent - „ lich ſprechen zu laſſen, und gleichwohl war „ ihr Augenmerk auf das Ganze mit ge - „ richtet. Die Einheit des Endzweckes fuͤg - „ te die mannichfaltige Theile ſo gluͤcklich an „ einander, daß man dem Faden der Unter - „ redung ohne Verwirrung folgen, und den „ Weg, den man zuruͤckgelegt, ganz uͤberſe - „ hen konnte. Sokrates hatte ſeine eigene „ Weiſe. Er wuſte ſeinen Gegner durch „ geſchickte Umwege dahin zu locken, wo er „ ihn haben wollte; und wenn ein Mißtrauen „ entſtand, ſo erlaubte er ihm zuruͤck zu „ kehren, und wenn er es noͤthig findet, ſich „ beſſer vorzuſehen. Seine groͤßte Kunſt aber „ ſezte er daran, die wichtigen Lehren, davon„ er80„ er uͤberzeugen wollte, in ihre Elementtheile „ aufzuloͤſen, ſo wie man die harten Speiſen „ zerhackt, um ſie fuͤr ſchwaͤchliche Magen „ etwas verdaulicher zu machen. Er fieng „ ſodann von dem Bekannteſten an, das „ ſein Gegner einzuraͤumen nicht umhin konn - „ te, lockte ihm ein Geſtaͤndniß nach dem an - „ dern ab, und ganz unvermerkt befand er „ ſich am Ziele. Es gehoͤrt freilich kein ge - „ meines Talent dazu, ſich dieſe Manier ei - „ gen zu machen, und ſelbſt einem Cicero iſt „ ſie nicht ſonderlich gelungen. „ Freilich ge - hoͤrt zu ihr kein gemeines Talent, und unter den Neuern weiß ich vorzuͤglich nur einen Shaftesburi, der ſie vom Plato ziemlich abgelernet, ſo wie er ſelbſt wieder der Lehrer des Diderot zu ſeyn ſcheint. Warum wol - len wir aber nicht aus der Quelle ſelbſt ſchoͤ - pfen, da dieſe Art zu dialogiren der Sprache ſelbſt viele Biegſamkeit, Abwechſelung und Munterkeit ertheilt? Unter den Deutſchen bat ſie Leßing vorzuͤglich in ſeiner Gewalt: ſowohl in den Luſtſpielen, als der Fabel.
Und nun die Ueberſezzer aus dem Lateini - ſchen! Eine nuͤtzliche Bemerkung ſchreibe ich her,*Litt. Br. Th. 13. p. 120. und 130. uͤber die Verſchiedenheit des Lateini - ſchen und Deutſchen Perioden.
„ Jm Deutſchen iſt ein Stil ſchon Perio - „ diſch, wenn auch die Bindewoͤrter der La - „ teiner nicht ſo genau dazwiſchen geſtellet, „ und die Abſaͤzze ſo an einander gekettet ſind. „ Die Roͤmer muſten dieſes, wegen der Kuͤrze „ ihrer Worte thun, wenn ſie nicht in den „ abgeſchnittenen Stil verfallen wollten. Oh - „ ne Artikel, ohne Huͤlfswoͤrter, reich an Par - „ ticipien, fuͤgte ſich ihre Sprache ſo an einan - „ der, daß immer ein Satz in wenigen Worten „ da ſtand. Weil die Seele alſo wenige Zei - „ chen zu faſſen hatte: ſo konnten auch die „ folgenden Begriffe eher angehaͤngt werden, „ wenn nicht die Wichtigkeit der Betrachtung „ den Autor zwang, lieber dem Geiſte viel „ Ruheplaͤzze zu verſchaffen, als das Ohr zu „ fuͤllen. Jm Deutſchen aber, welcher Un -„ ter -F82„ terſchied! wenn wir die Perioden nicht „ ſchleppen wollen, muͤſſen wir ſie mannich - „ mal trennen, und wenn wir nicht ganz zu - „ ruͤckbleiben wollen, muͤſſen wir unſrer Spra - „ che Huͤlfe geben. Es iſt wahr! es iſt dem „ Ueberſezzer nicht erlaubt, den alten Roͤmer „ zum witzigen Franzoſen zu machen, und „ ſeine Lehren in Antitheſen zu verwandeln; „ allein ſeine Lebhaftigkeit muß er ihm erhal - „ ten. Wir ſind nicht ſo albern, daß wir „ einem Tullius, wenn er unter uns aufſtehen „ koͤnnte, nicht anders als friſert zu erſcheinen „ erlaubten: aber ſeinen muntern Blick und „ ſein os rotundum wollten wir auch nicht „ gerne entbehren. Jndeſſen iſt der Unter - „ ſchied zwiſchen dem Lateiniſchen und Deut - „ ſchen Perioden ein neuer Grund, warum die „ Bekanntſchaft mit den Griechen, und auch „ die Ueberſezzungen aus ihnen, faſt noch mehr „ anzurathen ſind, als die Uebungen mit den „ Lateinern. Kann ich wohl dieſes laut ge - „ nug ruffen, damit man mich in Deutſch - „ land allenthalben hoͤre? „ —
Wenn ich aus dem Lateiniſchen Ueberſez - zungen riethe; ſo waͤre es erſt ihrer Poeti -ſchen83ſchen Sprache, denn ihres hiſtoriſchen Stils wegen. Die Poetiſche Sprache! Ein Deutſcher Horaz wuͤrde unſre Sprache gewiß bereichern, und unſern Perioden der Ode beſtimmen, daß er ganz das Ohr fuͤl - let. Da Ramler das lezte im Deutſchen am beſten getroffen und uͤberhaupt viele Kaͤnntniß des Antiken und Deutſchen Wohl - klanges zu haben ſcheint: von wem ſollen wir uns einen Deutſchen Horaz lieber wuͤnſchen, als von ihm? Horaz iſt ſeiner Sprache ganz Meiſter. Sein Periode wird ein Gemaͤlde, wo jedes Wort, jedes triftige Beiwort, an denen er gluͤcklich iſt, eine Figur ausmachet: die Anordnung dieſer Figuren erhebet dabei das ganze Gemaͤlde: man verſuche es, Woͤr - ter aus ihrer Stelle, aus ihrer Region zu ruͤcken, und das Bild leidet allemal: dies iſt ein Odendichter, der in jedes Wort Bedeu - tung legt. Jn der That, es kommt mir vor, daß Horaz den Griechen das meiſte unter den Lateiniſchen Dichtern abgelernt: ſeine Freiheit in Bildung ſchoͤner Graͤciſmen, und ſein wirklich Griechiſcher Wohlklang wuͤrden uns in der ſchwerſten Gattung der GedichteF 2zei -84zeigen koͤnnen, wie man eine andere Sprache nachzuahmen haͤtte, wenn nicht Alcaͤus und Sappho und die uͤbrigen Lyriſchen Griechen verlohren waͤren.
Die hiſtoriſche Ueberſezzungen waͤren wieder fuͤr unſern Stil unentbehrlich. „ Der „ hiſtoriſche Stil will Kuͤrze, und uns man - „ geln viele Participien; er fodert Sprach - „ naivitaͤten, und das Deutſche giebt ſie nicht. „ Mit wie vielem Reize brauchen nicht die „ Lateiner ihre Jnfinitiven, wenn wir uns im - „ merfort mit unſerm Imperfecto ſchleppen „ muͤſſen: Ille hoſtem aggredi &c. Die „ Franzoſen haben dies in ihre Sprache uͤber - „ tragen. Unſre Huͤlfswoͤrter, die wir zur „ Bildung des Perfecti brauchen, machen „ den Stil zu weitſchweifig. Die Franzoſen „ haben ihr erzaͤhlendes Perfectum; wir un - „ ſer Imperfectum, aber ſie haben es ja auch. „ Folglich kommen wir immer zu kurz. Jn „ einem Stil, der durch wenig Zierrathen „ abgewechſelt wird, wo die Perioden nicht „ gedehnt, und durch praͤchtige Worte voll - „ geſtopft werden, kommt unendlich viel auf „ ſolche Abaͤnderungen an. Hier muͤſſen wir„ un -85„ unſerer Sprache zu helfen ſuchen, und wenn „ ſie uns ihre Huͤlfe entzieht, doch Wendun - „ gen ausdenken, dadurch dieſer Mangel er - „ ſezzt wird. *Th. 9. p. 127. und Th. 17. p. 187.„ — Jn dieſem Geſichts - punkt — wie manche Vorzuͤge um das Ver - gnuͤgen im Leſen, um das Deutſche Ohr, und die Deutſche Sprache, hat nicht der Magdeburgiſche Ueberſezzer des Tacitus vor dem Hamburger.
Und Tacitus iſt mehr fuͤr unſre Zeiten ein Muſter, als Livius. Jn ſeinem Geiſt der Erzaͤhlung? gewiß: denn die ſorgfaͤltigen Erzaͤhlungen von allerlei Wunderzeichen ge - hoͤrten zu des Livius Zeiten zur Geſchichte, die ihre Religion unterſtuͤzzen ſollte: die vie - len eingeſtreueten Reden ſchmecken auch nach dem Geiſt der damaligen Zeit, wo Beredſam - keit eine nothwendige Eigenſchaft des Buͤr - gers war: die enthuſiaſtiſchen Wunder der Tapferkeit von Perſonen beiderlei Geſchlechts, belebten einen Roͤmer, einen Republikaner auch zu einem Patriotismus, der in unſrer Zeit eine andre Wendung genommen. Hin - gegen Tacitus mit ſeinen Reflexionen, die inF 3den86den Geiſt der Begebenheiten dringen, iſt ein Geſchichtſchreiber fuͤr Deutſche. Und in ſei - nem Stil auch mehr, als jener. *Litt. Br. Th. 10. p. 213.„ Der „ Stil kann durch die verſchiednen Zeiten auch „ beſtimmt werden. Dies iſt eine Anmer - „ kung, die ich dem Gordon aus ſeinen Be - „ trachtungen uͤber den Tacitus abborge. „ Einige Zeiten koͤnnen eine ſtarke braune Far - „ be uͤber die meiſten Gemaͤlde verbreiten, „ wenn andre Zeiten ein hoͤherés und bren - „ nenderes Colorit geben. Gordon erklaͤrt „ daraus den Unterſchied zwiſchen dem Stil „ des Livius und Tacitus. Vielleicht wuͤrde „ ſich auch in den gegenwaͤrtigen Zeiten der „ Stil mehr dem Tacitus als Livius naͤ - „ hern duͤrfen. Unſre Sprache, die ohnehin „ viel weitſchweifiger iſt, als die Lateiniſche, „ fodert dies mit deſto ſtaͤrkerm Rechte. Man „ hat den hiſtoriſchen Stil mit einem ſanften „ Bach verglichen, der ohne Geraͤuſch ſeinen „ gleichen Lauf fortmurmelt: aber man muß „ nur dabei bedenken, daß dieſer Bach immer „ ſeine gehoͤrige Tiefe behalten muß; weil ſich„ ſonſt87„ ſonſt das Auge nicht mehr an der Durch - „ forſchung vergnuͤgt, und alſo keine Schoͤn - „ heiten mehr findet. „ Ueberhaupt kleidet auch eine Nachdrucksvolle Schreibart die Deutſchen am beſten. Die Points; die Epigrammatiſche Einfaͤlle; die Wendungen, und der blendende Witz des Seneka und Plinius, ſind mehr fuͤr die Franzoſen; und ein Beaumelle, der in mes penſées ſo gluͤcklich iſt, kann auch Penſées de Seneque ſchreiben.
„ Geſellen Sie nun zu dieſen Alten noch ei - „ nige neuere Auslaͤnder; deren Genie bewaͤhrt, „ und deren Sprache mit der unſrigen ver - „ wandt iſt: was wuͤrden wir nicht unſern „ Ueberſezzern zu verdanken haben? „ Dieſe neuere Auslaͤnder ſind ohne Zweifel Franzo - ſen und Englaͤnder, zwiſchen welchen der Deutſche in der Mitte ſteht.
So wie die Franzoſen vormals von der Litteratur unſrer Nation urtheilten: ſo urtheil -F 4ten88ten ſie auch von unſrer Sprache; ich darf die unwiſſende Urtheile des Mauvillon und ſo vieler andern nicht wiederholen; ſie laſſen uns jetzt mehr Gerechtigkeit wiederfahren, ſeitdem das Journal étranger unſerm Stil, Premontval und andere ſogar unſerer Spra - che haben Gerechtigkeit wiederfahren laſſen. Dem ohngeachtet aber macht die wirklich zu große Verſchiedenheit der Nationen, ihrer Denk - und Schreibart, ihrer Sitten und Sprache bei ihnen noch immer Jrrungen, die wir ihren mindern Kaͤnntniſſen zuzuſchrei - ben haben.
„ Deutſches Ohr, Deutſche Haͤrte, „ Deutſche Rauhigkeit! heißt es noch immer! „ Unſere Sprache ſoll etwas barbariſches „ an ſich haben: ſo wohl wegen der vielen „ Conſonanten, mit denen ſie uͤberhaͤuft iſt, „ als wegen der ſonderbaren (biſarren) Con - „ ſtruktion ihrer Redensarten, die dem Schrift - „ ſteller keines Weges mehr Freiheit, oder „ mehr Huͤlfsmittel gibt, ſondern nur ohne „ Noth die Metaphyſiſche Ordnung der Wor - „ te ſtoͤret. „ Wir wollen dieſe Stelle etwas beherzigen.
Un -89Unſere Sprache hat wegen der Conſonanten etwas barbariſches an ſich:)*Litt. Br. Th. 16. p. 20. und die Fran - zoͤſiſche wegen der oͤftern Eliſionen, wegen der vielen unnuͤtzen Woͤrter, die halb ver - ſchluckt werden, wegen der laufenden Aus - ſprache, keinen gewiſſen Tritt. Aber das erhebt ja nicht unſre Sprache, wenn die andre an einer andern Seite leidet? Nein! aber die unſere leidet darinn nicht ſo, wie ein Franzoſe glaubt. Damit unſre Laute ſich nicht unter den Conſonanten verlieren moͤgen: haben wir mehr Doppellauter, und ſtaͤrkere Vokale, als ſie: ſo daß unſre Sprache eine gewiſſe Doriſche Fuͤlle bekommt, die in ſtarken Monologen des Trauerſpiels, in dem vollen Chor einer Cantate, im maͤnn - lichen Schwunge einer Ode; noch mehr aber im ernſthaften Lehrgedicht, und in nachdruͤck - lichen Betrachtungen ſich unſerm Charakter ſehr anſchmieget. Moͤchte uͤberhaupt nur dieſe Doriſche Rauhigkeit ſo viel Einfluß in das Jnnere unſerer Sprache haben, als die Do - riſche Haͤrte deſto vollere Schoͤnheiten in dieF 5Oden90Oden des Pindars, und in die Aeoliſche Schriftſteller hat einweben koͤnnen: ſo woll - ten wir zu den Franzoſen laut ſagen, was wir ſeit kurzem haben anfangen koͤnnen zu ſagen: Jhr ſagt! meine Sprache ſchaͤnde mich! ſehet zu, daß ihr nicht die eurige ſchaͤn - det: wie einſt der Koͤnigl. Scythe Anachar - ſis, gegen die Griechen ſein Vaterland ver - theidigte.
Zweitens: wir haben mehr Hauche in un - ſerer Sprache, als ſie: und die Aſpiration gehoͤrt ſo ſehr zum Lieblichen der Rede, als der Seufzer zu den zaͤrtlichen Worten des Liebhabers, als der ſchmeichelnde Weſt, zum Ergoͤtzen des Fruͤhlings: denn mit dieſen hat ſie einige Aehnlichkeit. Gehet die lieblichen, zaͤrtlichen, angenehmen Woͤrter durch: ſie empfehlen ſich alle durch ein ſanftes h oder ch, das uns die rauhern Voͤlker ſo uͤbel nachſpre - chen koͤnnen, die das H, wie z. E. die Ruſ - ſen, in ein ſcharfes G, das weiche ch, in ein rauhes cch, faſt wie das Ain der Hebraͤer aus - ſtoßen muͤſſen: daher das H bei einigen Voͤl - kern das Schibolet iſt, woran man kennen kann, daß ſie gebohrne Gergeſener ſind: dadie91die Letten z. E. Jmmel und Eute (ſtatt Him - mel und Heute) ausſprechen. — Das H iſt uͤberhaupt die Graͤnze zwiſchen Laut und Mitlauter: es gibt, nach Gellius Bemer - kung, dem Worte Haltung, und dem Schalle Munterkeit: es nimmt dem Vokal etwas vom Laute, und gibt dem Mitlauter etwas dazu: es verhindert die gar zu große Oeffnung des Mundes bei den Vokalen, und die Zerrung bei den Conſonanten: daher die Griechen, die die Hauche (Spiritus) bei ihrer Sprache ſo ſehr brauchten, um inſonderheit das Ypſi - lon fortzuſtoßen; im Phyſiſchen Verſtande den Ausſpruch des Horaz verdienen:
‘— Grajis dedit ore rotundo Muſa loqui. ’ ()Und doch reicht die Griechiſche Sprache hierinn nicht an die Morgenlaͤndiſchen, deren Aſpirationen, (z. E. bei den Hebraͤern das〈…〉〈…〉,〈…〉〈…〉,〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉) kaum mehr zu beſtimmen ſind. Die Roͤmer, die ihre Sprache ſo Griechiſch als moͤglich machen wollten, nahmen daher auch die Hauche auf, um ihre alte Mundart zu mildern. Quintilian fuͤhrt an, die Altenhaͤt -92haͤtten aedus, ircus (ſtatt haedus, hircus) geſprochen: man haͤtte aus dem Griechiſchen aber das H dazu genommen: ja, wenn man das Catulliſche Epigramm kennet, das uͤber hinſidias und hionios (ſtatt inſidias und ionios) ſpottet: ſo weiß man, daß die Klein - meiſter von lieblichem Ton ihn endlich zu all - gemein auch bei den ſanften Vokalen, die ihn nicht noͤthig hatten, machen wollten. Cicero aͤrgert ſich, daß er dem Volk zu gefallen, pulcher und triumphus, ſtatt pulcer und triumpus ausſprechen muͤſte, und Quinti - lian aͤrgert ſich, daß man ſchon ausſchweif - te, um chorona und praecho zu ſchreiben. *Hier im Vorbeigehen eine kleine Schulanmer - kung, die unſrer neuen Orthographie noͤthig iſt. Die Alten hatten ſich ſo in das H verliebt, daß ſie es gerne ſprachen, ſelbſt wo ſie es nicht ſchreiben dorften, und auch nicht ſchrieben. Uns neuern iſt ſo wenig an dieſem Muſikali - ſchen Buchſtaben gelegen, daß wir ihn im Schrei - ben ſo gern wegwerfen, da wo wir ihn doch nothwendig, und inſonderheit bei einſylbigen Woͤrtern ſehr unterſcheidend ſprechen muͤſſen. Die Orthographie des Denſo und vieler an - dern iſt mir alſo unausſtehlich: die bewonen, Lon, Son ſchreiben: bald wird man alſo auch Geen (ſtatt geben), aben ſtatt haben, und An,