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Ueber die neuere Deutſche Litteratur.
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Erſte Sammlung von Fragmenten.
Eine Beilage zu den Briefen, die neueſte Litteratur betreffend.
1767.

Jnhalt der erſten Sammlung.

  • I. Einleitung: die von einem allgemeinen Gemaͤl - de der Deutſchen Litteratur traͤumt, und nach die - ſem Traume, die allgemeine Deutſche Bibliothek, die Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſenſchaften und die Briefe uͤber die neueſte Litteratur zu pruͤfen ver - ſucht. S. 3.
  • II. Fragmente von Abhandlungen:
    • 1. Die Sprache iſt ein großer Theil der Litteratur: Allgemeines Projekt fuͤr einen Philoſophen uͤber die Deutſche Sprache. 19
    • 2. Ueber die verſchiednen Lebensalter einer Spra - che: von ihrem Poetiſchen, Proſaiſchen und Phi - loſophiſchen Zeitpunkte, von denen jener dem hoͤchſten Punkte der Schoͤnheit, der lezte der Stufe der Vollkommenheit ſich naͤhert: der mittlere das Alter der Behaglichkeit iſt. 23
    • 3. Hiedurch bekommen viele Urtheile uͤber den Zu - ſtand der Sprache eine andere Richtung: Probe an zween Klopſtockiſchen. 33
    • 4. Und noch mehr die Plane zur Verbeſſerung ei - ner Sprache. 38
    • 5. Ueber die Philoſophiſchen Sprachenverbeſſerer: inſonderheit uͤber die Sulzerſchen Vorſchlaͤge in dieſer Art. 40
    • 6. Jſt es gut, daß eine Sprache ihre Jdiotismen verliert? gut fuͤr die Nation? fuͤr den Sprach - weiſen? fuͤr die Schriftſteller? Was die Gott - ſchedianer, Schweizer, und neuere Virtuoſen der Deutſchen Sprache fuͤr Geſtalt gegeben? 44
    • 7. Parallele zwiſchen einer richtigen und reichen Sprache; in Vergleichung der Morgenlaͤndiſchen mit der unſrigen. Pruͤfung der Cramerſchen Pſalmen in Abſicht der Deutſchen-Morgenlaͤn - diſchen Wiederholungen. 53
    • 8. Ueber die Aeſthetiſchen Sprachenverbeſſerer, die Ueberſezzungen anpreiſen. Was koͤnnen wir aus dem Poetiſchen, Zeitalter der Griechen fuͤr unſre. Spra -Sprache nuzzen? die Sylbenmaaße? die Lenkung des Perioden? die Jnverſionen? Alles aus dem Geiſt des Zeitalters betrachtet: uͤber die Ueberſezzung Homers und Orpheus fuͤr unſre Sprache. S. 62 9. Ueber die Ueberſezzungen der Griechiſchen Proſe, fuͤr unſern Hiſtoriſchen und Dialogenſtil. 74
    • 10. Ueber die Ueberſezzungen aus dem Lateiniſchen: fuͤr den Poetiſchen und hiſtoriſchen Ausdruck, nach dem Genie der Sprache und Schriftſteller. 81
    • 11. Von neuern Sprachen: die Rauhigkeit der Deutſchen Sprache wird durch Doppellauter und inſonderheit Hauche gemildert. Geſchichte der Aſpi - rationen in verſchiednen Sprachen. Von der Deut - ſchen und Franzoͤſiſchen Ordnung der Worte. 87
    • 12. Allgemeine Ausſicht uͤber die Jnverſionen uͤber - haupt. 95
    • 13. Anwendung dieſer Ausſicht auf neuere Sprachen, die Deutſche und Franzoͤſiſche vornehmlich. 101
    • 14. Ueber den Deutſchen Hexameter, nach der Pro - ſodie und dem Genie unſrer Sprache. 108
    • 15. Vorſchlaͤge uͤber das Klopſtockiſche freie Syl - benmaas, fuͤr die Dithyrainben, Oden, Lyriſchen Gemaͤlde, Kantaten, das Theater und die De - klamation. 126
    • 16. Was haben wir von den Franzoſen zu lernen, um unſre langweilige oder dunkele Schreibart auszubeſſern? Koͤnnen ſie das Laͤcherliche beſ - ſer, als wir, ausdruͤcken? 132
    • 17. Klagen, daß wir ſo wenigen Vortheil von den Englaͤndern ziehen. 141
    • 18. Charakter unſerer Claßiſchen Schriftſteller: Winkelmanns, Hagedorns, Moſers, Abbts mit Zimmermann, Spaldings mit Acken ver - glichen, des Moſes, Leßings und des Verfaſ - ſers der Sokratiſchen Denkwuͤrdigkeiten. 144
  • III. Beſchluß: von der Jdealſchoͤnheit unſrer Spra - che. 162
Ueber
[1]

Ueber die neuere deutſche Litteratur.

A[2][3]

Einleitung

(Die einen Traum von einem allgemeinen Ge - maͤlde der deutſchen Litteratur enthaͤlt, und An - laß gibt, die allgemeine deutſche Bibliothek, die Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſenſchaften, und die Litteraturbriefe zu pruͤfen.)

So ſehr die Schriftſteller der Journaͤle ſich uͤber ihre Leſer erheben: ſo ſind ſie doch beide mit einander Zwillinge eines Schickſals. Beide jagt die liebe Goͤttin Langeweile, die Mutter ſo vieler Menſchen und menſchlichen Werke, in die Arme der Muſen; beide fliehen aus Eckel uͤber Ar - beit oder Muße, uͤber politiſche Neuig - keiten und Schriftſtellerey, in den Schoos der Goͤttin Critik, um ſich hier durch einen wachenden Schlummer zu zerſtreuen und zugleich auch zu ſammlen. Man wird ein Verfaſſer, oder ein Leſer der Journaͤle, um die Ruhe und Geduld zu erlangen, die einem verwundeten Sohne des Mars oder der Pallas ſehr eifrig zu empfehlen iſt*S. Vorrede zu den Litter. Br.. DieA 2Lit -4Litteraturbriefe waren im Anfange ein Zeitvertreib eines kranken Officiers, nach - her des kranken Publikums, und oft auch kranker und ermuͤdeter Verfaſſer, die vom Buͤcherleſen muͤde, und aus dem Felde des Autorruhms ſiech zuruͤckkamen.

Daher iſt auch unſre Zeit um ſo viel reicher an Journaͤlen, als ſie an Original - werken arm wird. Der junge Schrift - ſteller nimmt alten Richtern das Brot vor dem Munde weg, weil er glaubt, urtheilen zu koͤnnen, ohne denken zu doͤrfen; Arbei - ten ſchaͤzzen zu koͤnnen, ohne ſelbſt ein Meiſter zu ſeyn. Der Leſer wiederum lieſet Advokatenberichte, um nicht ſelbſt richten zu duͤrfen; Auszuͤge und Critiken, um keine Buͤcher durchzuſtudiren. Je mehr Buͤcher, ſagt Rouſſeau, deſto weni - ger Weisheit; je mehr Ehebruch, deſto weniger Kinder: je mehr Journaͤle, deſto minder wahre Gelehrſamkeit. Man laͤuft auf die Maͤrkte, Neuigkeiten zu hoͤren: der Kunſtrichter als ein Proſelyt der Ge - rechtigkeit; der Leſer als ein Proſelyt des Thors; und der wahren Buͤrger ſind ſowe -5wenig, daß man auch ſelbſt ſchon zu den Neuigkeiten Fremde braucht.

Jndeſſen denke ich mir ein Journal, das mehr als Briefe, Auszuͤge und Urtheile zum Zeitvertreibe enthielte: ein Werk, das ſich den Plan vorzeichnete zu einem ganzen und vollendeten Gemaͤlde uͤber die Litteratur, wo kein Zug ohne Bedeutung auf das Ganze waͤre, er mag ſich im Schatten verbergen, oder aus Licht her - vortreten: zu einem Gemaͤlde, das die Natur des Titian, mit der Grazie des Correggio und der bedeutungsvollen Jdea des Raphaels zu verbinden ſuchte: kurz! ein Werk, das eine pragmatiſche Geſchichte im gelehrten Staat wuͤrde, ſo wie die Annales des Tacitus im politiſchen Staat dieſen hohen Namen verdienen.

Man laſſe mich meinen Traum verfol - gen! Dieſem allgemeinen und einzigen Werke muͤſte eine Geſchichte der Littera - tur zum Grunde liegen, auf die es ſich ſtuͤzzte. Auf welcher Stuffe befindet ſich dieſe Nation? und zu welcher koͤnnte und ſollte ſie kommen? Was ſind ihre Talente,A 3und6und wie iſt ihr Geſchmack? Wie ihr aͤuſ - ſerer Zuſtand in den Wiſſenſchaften und Kuͤnſten? Warum ſind ſie bisher noch nicht hoͤher gekommen, und wodurch koͤnn - te ihr Geiſt zum Aufſchwunge Freiheit und Begeiſterung erhalten? Alsdenn ruffe der Geſchichtſchreiber der Litteratur aus: Wohlan! Landesleute, dieſe Bahn lau - fet, und jene Abwege und Steine vermei - det: ſo weit habt ihr noch, um hierinn den Kranz des Zieles zu erreichen! Man ſtelle ihnen die Alten als Vorlaͤufer, die Nachbarn als Nebenbuhler vor, und ſu - che die Triebfeder des Nationalſtolzes ſo rege zu machen, als man das National - genie unterſucht hat. Kurz! eine ſolche Geſchichte ſuche das, was ſie bey den Al - ten war, zu werden: die Stimme der patriotiſchen Weisheit und die Verbeſſe - rin des Volks. Sie ſuche das in der Lit - teratur zu ſeyn, was der Schaͤzzer der eng - liſchen Sitten und Grundſaͤzze, der re - publikaniſche Browne, fuͤr den Staat war: eine Stimme patriotiſcher Weisheit, die Verbeſſerin ſeines Vaterlandes.

Jetzt7

Jetzt mache ich den Riß zu dem Ge - baͤude auf dieſe Grundlage: wiefern wird durch jede merkwuͤrdige Frucht des Gei - ſtes ein neuer Stein und Pfeiler dazu ge - bracht werden? wie jener ungluͤcklich ge - bauet; dieſer das gutgebauete ungluͤcklich niedergeriſſen? wie jener Handlanger ein Baumeiſter, und dieſer Baumeiſter ein Kalkloͤſcher ſeyn ſollte? wie viel unerkann - tes Verdienſt jener ſtille Fleißige habe, wie viel Aufmunterung dieſes Genie ver - diene, um nicht im Fleiße zu erſticken; wie viel Schaden jener Laͤrmer dem Gan - zen zugefuͤget, und wie er auf beſſere We - ge zu lenken ſey? Dies alles zeige ein Kunſtrichter im Plan, der Gelehrte uͤbe es aus, und der Pfleger der Wiſſenſchaf - ten halte jene zur Ausuͤbung an, befoͤrdere den Fleiß, und erwecke das Genie.

Wo iſt nun ein hundertaͤugiger Argos, um dies alles zu uͤberſehen? Wo ein Bria - reus mit hundert Haͤnden, um es auszu - fuͤhren? Und wo ein Geſezzgeber, wider den auch die eigenſinnigen Genies, die Ziegenbaͤrtigen Grammatiker, und derA 4Poͤ -8Poͤbel von Ueberſezzern und Syſtemſchrei - bern keine Widerrede haͤtte? Wir arbei - ten in Deutſchland wie in jener Verwir - rung Babels; Secten im Geſchmack, Par - theien in der Dichtkunſt, Schulen in der Weltweisheit ſtreiten gegeneinander: kei - ne Hauptſtadt, und kein allgemeines Jn - tereſſe: kein großer allgemeiner Befoͤrde - rer und allgemeines geſezzgeberiſches Ge - nie. Wenn im Homer die Verſammlung der Griechen erſcheint: ſo bebt vom Ge - murmel die Erde, und neun ſchreiende Herolde laufen mit Staͤben umher, ſie zu baͤndigen, daß ſie die Goͤtterſoͤhne, die Koͤ - nige, hoͤren ſollen.

Da dies Werk fuͤr einen nicht iſt; ſo theile man die Arbeit, oder den Plan. Den Plan? Dies gienge nicht ſo fuͤglich an. Ein großer Theil der Wiſſenſchaften macht einen Koͤrper, wo man kein einzel - nes Glied nach bloßem Gutduͤnken pfle - gen kann, ohne dem Ganzen zu ſchaden: und dieſer Theil traͤgt den Namen Litte - ratur. Ein weiter Name, deſſen Gebiet ſich von den erſten Buchſtabierverſuchener -9erſtreckt, bis auf die ſchoͤnſte Blumenleſe der Dichtkunſt: von der Zuͤchtigung elen - der Ueberſezzer nach der Grammatik und dem Woͤrterbuch bis zu den tiefſten Be - merkungen uͤber die Sprache: von der Tropologie bis zu den Hoͤhen, die nur das Sonnenpferd der Einbildungskraft auf Fluͤgeln der Aurore erreicht: von den Handwerksſyſtemen bis zu den Jdeen des Plato und Leibniz, deren jede, wie ein Sonnenſtral, ſiebenfarbichtes Licht ent - haͤlt: Sprache, Geſchmackswiſſenſchaf - ten, Geſchichte und Weltweisheit ſind die vier Laͤndereien der Litteratur, die ge - meinſchaftlich ſich zur Staͤrke dienen, und beinahe unzertrennlich ſind.

So theile man alsdenn die Arbeit? Nur theile man ſie recht, lenke ſie recht zuſammen, und habe ſtets das Ganze im Auge. Ein wahrer Kunſtrichter in ſol - chem Journal muß nicht Buͤcher, ſondern den Geiſt beurtheilen, ſie mit ihren Schwaͤ - chen und Groͤßen gegen einander abwaͤgen, und nicht ihr Syſtem ſondern ihr Urbild verbeſſern. So lange man nicht JdeenA 5in10in ihre Quelle zuruͤckzulenken weiß, in den Sinn des Schriftſtellers: ſo ſchreibt man hoͤchſtens wider ihn, und erregt wenn er ſich nicht in unſre Stelle zu ſezzen weiß ſtatt Ueberzeugung, Widerſpruch. Wie ſchwer iſts, Proben zu Grundſaͤzzen zuruͤck - zufuͤhren, und Verſuche zu Meiſterſtuͤcken zu erheben; beſtaͤndig mit und ſtatt ſeines Autors denken zu koͤnnen, ſtatt ſeiner zu arbeiten, und das Ganze nicht aus der Acht zu laſſen: wie ſchwer iſts, ſich und ſeinem Schriftſteller, und dem Leſer und der Schutzgoͤttin Litteratur ein Gnuͤge zu thun? ſo ſchwer, daß mein Plan lange ein Traum meiner Phantaſie bleiben wird.

Drey Werke ſind es, die mit dieſem Grundriß eine Aehnlichkeit haben, und die ich alſo darnach beurtheilen darf. Jſt mein Jdeal eigenſinnig ſo zeichne ich, wie es der Geſtalt und Schwaͤche meiner Augen erſcheint. Sie erheben ſich uͤber die uͤbrigen Journaͤle ſo ſehr, als nach Virgils Gleichniß Rom uͤber die Schaͤfer -huͤt -11huͤtten und die Cypreſſen uͤber das Ge - ſtraͤuch. Jndeſſen kann man doch auch uͤber Rom urtheilen.

Die deutſche Bibliothek hat einen zu weiten Plan, um allgemein zu ſeyn. Da ſie ſich uͤber die erſt gezeichneten Graͤnzen der Litteratur auch den ſogenannten hoͤhern Wiſſenſchaften mittheilet: ſo muß ſie die hoͤhern Handwerks - und Kunſtwerke nur in einem philologiſchen Geſichtspunkte zei - gen, der dem gemeinen Leſer zwar bequem, aber dem Liebhaber dieſes Feldes viel zu entfernt iſt. Entweder man befriedigt alſo den leztern nicht, der ſie im ganzen Licht erblicken will: oder man hat dem groͤſten Theil der fremden Leſer die Fra - ge vorzulegen: Verſteheſt du auch, was du lieſeſt? Entweder man thut den Verfaſ - ſern nicht gnug; oder fodert vom exote - riſchen Leſer ein Pythagoraͤiſches αυτος εφα, oder das Sokratiſche Urtheil, das er uͤber Heraklits Schriften faͤllte: auch, was ich nicht verſtehe, iſt gut. Jch koͤnnte aus jedem Theil ſolche Schriften anfuͤhren, die oft blos aus einem Neben -ge -12geſichtspunkt betrachtet ſind, ja von de - nen man gar nur ein allgemeines, und einſeitiges Urtheil faͤllen konnte; weil es in einer allgemeinen Bibliothek ſtehen ſollte. Auf die Art bildet man unvollkommene Polyhiſtors, aber keine Panſophen der Litteratur: das Werk wird ungleich, und mangelhaft: ex omnibus aliquid, ex toto nihil. Man ſieht es jedem Recen - ſenten an, daß er uns mehr ſagen konnte; allein um des Allgemeinen willen muſte er ſich in der Gottesgelahrtheit auf Tole - ranzpredigten, in der Arznei - und Rechts - lehre auf die Graͤnzen dieſer Wiſſenſchaf - ten, und in der Aeſthetik auf Auszuͤge einſchraͤnken.

Gewiß! Recenſionen allein, machen noch keine allgemeine Bibliothek aus; Vergleichungen und Ausſichten, Beob - achtungen uͤber Fehler und Tugenden, dieſe karakteriſiren den hohen kritiſchen Geiſt, der zum Bibliothekar einer Nation gehoͤrt. Das ganze Bild der himmliſchen Goͤttin lebte ſtets in der Seele des Zev[x]es, da er von ſeinen irrdiſchen Goͤttinnen Reizeborg -13borgte. Was in jeder Schrift neu iſt, und wozu Pfade eroͤfnet werden; fuͤr wel - che Claſſe von Leſern jenes und dieſes Werk iſt; was man wegzuwerfen und auszubeſ - ſern habe, um den Bau des Ganzen zu befoͤrdern dies heißt eine allgemeine Bibliothek. Und von dieſem doͤrfte man bisher nicht eben viel neues in dem gedach - ten Werk wahrgenommen haben.

Bloße Auszuͤge, mit einem fluͤchtigen Urtheil uͤber einzelne Saͤzze; Auszuͤge, die gegeneinander nicht immer Ebenmaas ha - ben; Auszuͤge nach Geſezzen und Sazzun - gen, nicht nach dem Genie des Verfaſſers, und der Wichtigkeit der Sache; ſind eine encykliſche Gelehrſamkeit, einer Spiral - linie gleich, die um ihren Mittelpunkt laͤuft, um ihn ſpaͤt zu erreichen. Jch ſehe ſelbſt die Schwuͤrigkeiten ein, die dieſen ſchoͤnen Plan, im Lehnſtul ausgeheckt, ſchwer gnug machen, allein unmoͤglich iſt er nicht fuͤr ei - nen Ort, wie Berlin, fuͤr einen Verleger, wie Nicolai iſt, und fuͤr Verfaſſer, wie die meiſten bey der Bibliothek ſind.

Die14

Die Briefe uͤber die N. Litteratur ha - ben kein Lehrgebaͤude liefern wollen, doch aber nennen ſie es ein Gemaͤlde der Litte - ratur*ſ. Schluß der Litt. Br. in den lezten Jahren. Vielleicht koͤnnte man die Briefe uͤber den jetzigen Zuſtand der ſchoͤnen Wiſſenſchaften**Breslau 1755. in Deutſchland fuͤr ihre Grundlage anſe - hen; allein auch dieſe reden blos von Stuͤckwerken von Betrachtungen, wie ich von Fragmenten: und als Gebaͤude wollen ſie alſo ihr Werk nicht beurthei - len laſſen.

Man dankt es alſo den Verfaſſern, daß ſie manchmal ihre Lieblingswendun - gen ergreifen, um von einer Sache uͤber - haupt zu ſchwazzen: Briefeingaͤnge, Praͤ - ludien und Epiſoden, die mehr werth ſind, als ganze Critiken.

Warum iſts nicht oͤfter geſchehen, daß ſie die Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſenſchaf - ten zur Baſis ihrer Briefe gemacht, wie ſie es verſprachen. Oft wenn dieſe, ihres Namens Bibliothek eingedenk, Auszuͤgevon15von Buͤchern lieferte, die ich mir ſelbſt ma - chen konnte und mußte, waͤre ein freies Urtheil im Geſchmack der Litteraturbriefe willkommen geweſen. Vielleicht waͤren oft beider Urtheile verſchiedner gefallen, wenn ſie ſich mehr bemerkt haͤtten: indeſ - ſen bleiben beide Werke die Pendanten zu einander, die manche Nachbarn nicht auf - zuzeigen haben.

Die Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſenſchaf - ten iſt in ihren Nachrichten von den Aus - laͤndern uns voͤllig und noch mehr als ein Journal étranger; daher ich bey dieſen Nachrichten zu leſen anfange und alsdenn die Bibliothek auf gut alt βουστρεφοδον zu - ruͤckpfluͤge. Allein, wenn man dieſe fremde Nachrichten mehr in Auszuͤge ausbreitete, inſonderheit von Buͤchern die oft ſelbſt ei - ne kleine Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſen - ſchaften ſind? Wenn man einlaͤndiſche Auszuͤge oft verkuͤrzte, von Buͤchern, die man ſelbſt leſen muß? Wenn man bei die - ſen ſich vorzuͤglich auf Urtheile, Beobach - tungen und Ausſichten befliſſe? Wenn die eignen Abhandlungen beſtaͤndig einenahe16nahe Beziehung zum Titel des Buchs Haͤtten? Wenn ſie oͤfters Gemaͤlde der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften in Laͤn - dern und Gegenden enthielten, aͤhnliche Schriftſteller verglichen, und einem Sul - zer fertiges Baugeruͤſt zu ſeiner allge - meinen Aeſthetik lieferten? Wenn ſie an dringender Kuͤrze und ſchoͤner Gruͤndlich - keit den Moſesſchen, Winkelmanniſchen und Hagedornſchen gleich kaͤmen, und in ihrer Wahl fremder Stuͤcke genau waͤren; wenn man die Nachrichten und Urtheile, wie zerſtreuete Perlen in einen Halsſchmuck ſammlen, und bei der Critik der Dichter haͤrter ſeyn wollte ich geſtehe es frei - lich, daß man eher eine Reihe von Ein - wendungen mit dem Worte Wenn ma - chen, als dies Wenn ausbeſſern kann.

Die Litteraturbriefe haben mehr Urtheil; allein ſchaͤzzen ſie nicht die Merkwuͤrdigkeit gewiſſer Werke beinahe blos nach dem Maas, wie ſie dabei Raum zum eignen Urtheil, zur Strafe und Spekulationen fin - den? Das Publikum war verwoͤhnt, bei allen wichtigen Werken ihre Stimme zuer -17erwarten, und ihr Correſpondent wird doch gewiß mit andern Journaͤlen haben buh - len muͤſſen, um die Merkwuͤrdigkeiten alle zu erfahren. Jhre Philoſophie iſt nach dem Ausſpruche Cicerons: Philoſo - phire! aber mit wenigem und dieſe Maͤſ - ſigung hat ſie, als Leitband, vor dem Sin - ken bewahrt. Jn deſſen faͤllt es mir ein, daß einſt in Athen zween Kuͤnſtler ſtritten; jener betrog die Voͤgel, und dieſer gar ſeinen Miteiferer, der nach dem Vorhange grif, und blos ein Gemaͤlde ertappete. Wenn die Litteraturbriefe in ihren Urtheilen oft einfaͤltige Leſer bei dem Naſchen zum be - ſten haben, ſo geht dies noch hin; wenn aber der Ordensbruder, der Philoſoph ſelbſt, nach ihren allgemeinen Anmerkun - gen greift und ſie verſchwinden; ſo iſts beinahe wider die Zunftgeſezze.

Beide Werke, die ich ohngeachtet ihrer Verſchiedenheit vergleiche, haben ſich in - deſſen alle beide um den deutſchen Ge - ſchmack ſehr verdient gemacht, und werden merkwuͤrdig ſeyn, wenn gleich die Nach -Brich -18richten des einen und der homiletiſche Ei - fer des andern nicht mehr zum Neueſten der Litteratur gehoͤren werden.

Jch liefere die vornehmſten Stellen der Litteraturbriefe ausgezogen, und betrach - tet: daher kann meine Arbeit vielleicht fuͤr einen Realauszug aus denſelben gel - ten. Wenn ich ihnen widerſpreche oder beiſtimme, citire ich blos, und uͤberlaſſe dem Leſer, der jenes Werk beſizzet, die Ci - tationen ſelbſt aufzuſchlagen. So vermei - de ich den Ton eines Tadlers und Lobred - ners, und ſpreche mit einigen Verfaſſern Pantomimiſch: wie es dort von jenem Griechiſchen Orakel hieß: ουτε λεγει, ουτε κρυπτει; αλλα σημαινει.

Frag -[19]

Fragmente.

1.

Die Sprache iſt ein Werkzeug der Wiſſen - ſchaften, und ein Theil derſelben: wer uͤber die Litteratur eines Landes ſchreibt, muß ihre Sprache auch nicht aus der Acht laſſen.

Ein Volk, das ohne poetiſche Sprache große Dichter, ohne eine biegſame Sprache gute Proſaiſten, ohne eine genaue Sprache große Weiſe gehabt haͤtte, iſt ein Unding. Wenigſtens muͤſten bei einer unausgebildeten Sprache die Geiſter, die gebohren ſind, Hin - derniſſe zu uͤberwinden, ſelbſt erfinden, ſie muͤſten verwuͤſten und ſchaffen: ſchwaͤchere Nachfol - ger aber quaͤlen ſich, ohne nachher zeigen zu koͤnnen: das habe ich geliefert. Lernet alſo, ihr Kunſtrichter! eure Sprache kennen: und ſucht ſie zur Poeſie, zur Weltweisheit und zur Proſe zu bereiten. Alsdenn ebnet ihr einen Boden, damit er ein Gebaͤude trage. Oder noch mehr! ihr lie - fert Werkzeuge fuͤr den Schriftſteller: fuͤr den Dichter ſchmiedet ihr Donnerkeile; fuͤr den Red -B 2ner20ner glaͤnzet ihr ſeine Ruͤſtung; fuͤr den Welt - weiſen ſchaͤrfet ihr die Waffen.

Sie iſt aber mehr als Werkzeug: Worte und Jdeen ſind genau in der Weltweisheit verwandt: wie viel haͤngt vom Ausdrucke in der Critik der ſchoͤnen Wiſſenſchaften ab: durch die Sprache lernen wir beſtimmt denken, und bei beſtimmten, und lebhaften Gedanken ſuchen wir deutliche und lebendige Worte: unſre Waͤrterinnen, die unſre Zunge bilden, ſind unſre erſte Lehrer der Logik.

Der Genius der Sprache iſt alſo auch der Genius von der Litteratur einer Nation. Die Sprache, ſagt Jſokrates, war die Be - zaͤhmerin der alten Wilden, und man ſezze da - zu auch die Bilderin jeder Nation in den Wiſſenſchaften. Die Griechen, die Roͤmer, wie arbeiteten ſie nicht in ihrer Sprache. Die Araber, die die Grammatik das Salz der Wiſſenſchaften benannten, hatten ſo viel Cri - tiker, daß jener Rabbi 60 Camele mit Woͤr - terbuͤchern bepacken konnte, wie ein arabiſcher Schriftſteller mit arabiſcher Genauigkeit, be - richtet.

Jhr21

Jhr koͤnnt alſo die Litteratur eines Volks ohne ihre Sprache nicht uͤberſehen, ihr koͤnnt jene durch dieſe kennen lernen, ihr koͤnnt bei - de durch einander ausbeſſern, denn ihre Voll - kommenheit geht mit ziemlich gleichen Schrit - ten fort.

Wir haben noch keinen ſprachkundigen Phi - loſophen gehabt, der das fuͤr unſre Sprache gethan haͤtte, was Michaelis*S. Litter. Br. Th. 4. p. 366., in einigen allgemeinen Exempeln der Akademie zeigte: daß die Sprachen einen Einfluß auf die Meinungen; die Meinungen auf die Spra - chen haͤtten, und wie eines durch das andere verbeſſert werden koͤnnte. Folgende Auf - gabe iſt vielleicht nicht unwuͤrdig unterſucht und im Einzeln beſtaͤtigt zu werden.

Wie fern hat auch die natuͤrliche Den - kungsart der Deutſchen einen Einfluß in ihre Sprache? Und die Sprache auf ihre Litteratur. Von ihren Elementen, ihrer Ausſprache und Sylbenmaas an. Wie vielB 3 kann22 kann aus der Beſchaffenheit ihrer Umſtaͤnde und Sprachwerkzeuge erklaͤrt werden? Wie fern kann ihr Reichthum und ihre Armuth nach den Zeugniſſen der Geſchichte von ihrer Denk - und Lebensart entſproſſen ſeyn? Wie - fern die Etymologie ihrer Woͤrter aus den Geſichtspunkten beſtimmt werden, die ih - nen mit andern Nationen gemein, oder ei - gen geweſen? Wiefern halten auch die Sprachregeln, mit den Geſezzen ihrer Denk - art eine Parallele? und wie koͤnnen die Jdio - tismen aus ihr erklaͤrt werden? Welche Revolutionen hat die deutſche Sprache in ihrem Weſentlichen erfahren muͤſſen? Und wie weit iſt ſie jezt fuͤr den Dichter, den Proſaiſten und den Weltweiſen? Eine große Aufgabe! Denn das Wie fern fordert nicht blos Exempel daß ſo etwas ohnge - faͤhr ſeyn koͤnnte ſondern Beweiſe, Samm - lungen von Beiſpielen, die das Allgemeine zeigen, und philoſophiſche Beobachtungen, die bis zu den Grundſaͤzzen heraufſteigen.

Man hat noch in der That wenig uͤber un - ſre Sprache philoſophiret: Breitinger, Bod - mer, Boͤdicker, Heinze, Oeſt, Klopſtock ha -ben23ben zerriſſene Anmerkungen geliefert; und von ſo vielen deutſchen Geſellſchaften haben nur zwey oder drey gezeiget, daß ſie auch nur ſo etwas zu liefern im Stande waͤren Jch kann verſchiedene Litteraturbriefe nennen, die nuͤzliche Beobachtungen in dieſem Felde ge - liefert: ich ſamle ſie, und ſchreibe meine Ein - faͤlle dazu weil nach dem Zuſtand unſerer Philoſophie uͤber die deutſche Sprache, man ſich nicht der Fuͤllſteine ſchaͤmen und noch lan - ge nicht an ein ganzes Gebaͤude denken darf.

2.

Warum mag es doch ſo ſchwer ſeyn, uͤber den Urſprung der Sprachen mit einiger Gruͤndlichkeit zu philoſophiren? Jch weiß wohl, daß ſich von geſchehenen Dingen, da - von wir keine urkundliche Nachrichten ha - ben, ſelten mehr als Muthmaßungen her - ausbringen laſſen. Allein warum will den Weltweiſen auch keine Muthmaßung, keine Hypotheſe gluͤcken? Wenn ſie uns nicht ſa - gen koͤnnen, wie die Sprachen wirklich ent - ſtanden, warum erklaͤren ſie uns nicht we -B 4 nig -24 nigſtens, wie ſie haben entſtehen koͤnnen? Sollte es nicht daher kommen, weil uns die Sprachen ſo natuͤrlich geworden, daß wir nicht ohne dieſelben denken koͤnnen? So wenig die Augen in ihrem natuͤrlichen Zu - ſtande, das Werkzeug des Sehens, die Licht - ſtralen deutlich wahrnehmen: eben ſo we - nig mag vielleicht die Seele das Werkzeug ihrer Gedanken, die Sprache, bis auf ihren Ur - ſprung unterſuchen koͤnnen Dies mag uns ſo lange zur Entſchuldigung dienen, bis ein gluͤcklicheres Genie die Entſchuldigungen un - noͤthig macht*Litter. Br. Th. 4. p. 366..

Jch bin nicht dies gluͤckliche Genie, ſondern ſezze, da ich von einer aͤhnlichen, nicht aber der - ſelben Aufgabe ſchreiben will, dieſe Entſchuldi - gungen zum Voraus, weil ich ihrer noͤthig habe.

Jm 13. Theil der Litt. Briefe**p. 100. kommen Bemerkungen vor, die ich gleichſam meinem Geiſt entwandt glaubte: ſie gefielen mir aber nicht ſo, daß ich nicht eine ſorgfaͤltigere Ent - wikkelung, Auseinanderſezzung und Anwendung fuͤr moͤglich gehalten haͤtte Mein Aufſazz, wo ich dieſe Materie weitlaͤuftiger behandelthatte,25hatte, war verlohren gegangen, und ich neh - me alſo jene Worte zum Leitfaden, etwas uͤber die Lebensalter einer und beſonders unſerer Sprache zu ſagen. Hier iſt die Stelle:

Das Genie einer Sprache iſt in ihrer Ju - gend nicht weiter beſtimmt, als durch die Bil - dung der Worte, ihre Abaͤnderungen und ih - re Reihen in einer gewiſſen Abhaͤngigkeit. Zu dem erſten Stuͤcke laͤßt ſich vermittelſt der Analogie, vieles dazu ſezzen: das an - dre Stuͤck bleibt wohl meiſt unwandelbar, aber der verſchiedene Gebrauch kann noch beſtimmt werden: und das dritte Stuͤck be - haͤlt zwar ſeine weſentlichen Zuͤge; aber die feinern Zuͤge koͤnnen noch hinzu gethan und veraͤndert werden, ohne daß das Geſicht zu einem andern Geſicht wird, als es urſpruͤng - lich war. Ohne Verſuche, die mit dieſer Abſicht verknuͤpft ſind, kann keine rohe Spra - che vollkommen, kann kein Proſaiſte in der - ſelben vollkommen werden. Eine ausgear - beitete Sprache druͤckt ſchon die Namen der Begriffe aus, erhaͤlt Nachdruck und Reuig - keit durch die mannichfaltige Anordnung der Vorſtellungen; Deutlichkeit und GenauigkeitB 5 durch26 durch die Verſchiedenheit ihrer Beugungen; Kurze und Ernſt durch gut bezeichnete Ver - bindungen. Man gebe einem rohen Genie eine ganz rohe Sprache: es wird nichts vortrefliches hervorbringen koͤnnen, als das Drama, und zwar dieſes nur in ſeinen be - ſten Theilen. Zum Ausdruck der Leiden - ſchaften, zu lebhaften Bildern ſind alle Spra - chen in den Haͤnden eines Geniesreich. Aber der kaͤltere zierliche Vortrag; der ernſthafte hiſtoriſche Styl; die gute Verſifikation in der Dichtkunſt, dieſe erfordern eine ganz be - arbeitete Sprache. Daher erſcheinen auch die beſten Schriftſteller von den lezten Ar - ten nicht vor dieſer Periode, und wenn ſie in ihrer Landesſprache erſcheinen: ſo haben ſie dieſelbe erſt nach dem Muſter einer an - dern gefeilet. Die Roͤmer und Shakeſpea - re und ſelbſt die griechiſche Litteratur, wenn wir vor Homers Zeiten etwas gewiſſers als Muthmaßungen von ihr wuͤſten; koͤnnen ſich in dieſem Punkte fuͤr mich verbuͤrgen.

Wie fern ich mit dem Verfaſſer einerlei Meinung bin, mag folgendes Fragment zeugen.

Von27

Von den Lebensaltern einer Sprache.

So wie der Menſch auf verſchiedenen Stuf - fen des Alters erſcheinet: ſo veraͤndert die Zeit alles. Das ganze Menſchengeſchlecht, ja die todte Welt ſelbſt, jede Nation, und jede Fa - milie haben einerlei Geſezze der Veraͤnderung: vom Schlechten zum Guten, vom Guten zum Vortreflichen, vom Vortreflichen zum Schlech - tern, und zum Schlechten: dieſes iſt der Kreislauf aller Dinge. So iſts mit jeder Kunſt und Wiſſenſchaft: ſie keimt, traͤgt Kno - ſpen, bluͤht auf, und verbluͤhet. So iſts auch mit der Sprache. Daß man dies bis - her ſo wenig als moͤglich unterſchieden, daß man dieſe Zeitalter beſtaͤndig verwirret, wer - den die Plane zeigen, die man ſo oft macht, um eine Stuffe aus der andern ausbilden zu wollen: man reifet das Kind zu fruͤh zum Milchhaar des Juͤnglings; den muntern Juͤng - ling feſſelt man durch den Ernſt des Mannes, und der Greis ſoll wieder in ſeine vorige Kind - heit zuruͤckkehren; oder gar eine Sprache ſollauf28auf einmal die Tugenden aller Alter an ſich haben. Verkehrte Verſuche, die ſchaͤdlich wuͤr - den, wenn nicht die Natur mit vielen nach - theiligen Entwuͤrfen einen Grad von Schwaͤ - che verbunden haͤtte, der ſie zuruͤckhaͤlt. Ein junger Greis, und ein Knabe, der ein Mann iſt, ſind unleidlich, und ein Ungeheuer, das alles auf einmal ſeyn will, iſt nichts ganz.

Eine Sprache in ihrer Kindheit bricht wie ein Kind, einſylbichte, rauhe und hohe Toͤ - ne hervor. Eine Nation in ihrem erſten wil - den Urſprunge ſtarret, wie ein Kind, alle Ge - genſtaͤnde an; Schrecken, Furcht und als - denn Bewunderung ſind die Empfindungen, derer beide allein faͤhig ſind, und die Sprache dieſer Empfindungen ſind Toͤne, und Ge - berden. Zu den Toͤnen ſind ihre Werkzeuge noch ungebraucht: folglich ſind jene hoch und maͤchtig an Accenten; Toͤne und Geber - den ſind Zeichen von Leidenſchaften und Em - pfindungen, folglich ſind ſie heftig und ſtark: ihre Sprache ſpricht fuͤr Auge und Ohr, fuͤr Sinne und Leidenſchaften: ſie ſind groͤßerer Leidenſchaften faͤhig, weil ihre Lebensart voll Gefahr und Tod und Wildheit iſt: ſie ver -ſtehen29ſtehen alſo auch die Sprache des Affects mehr, als wir, die wir dies Zeitalter nur aus ſpaͤ - tern Berichten und Schluͤſſen kennen; denn ſo wenig wir aus unſrer erſten Kindheit Nach - richt durch Erinnerung haben, ſo wenig ſind Nachrichten aus dieſer Zeit der Sprache moͤg - lich, da man noch nicht ſprach, ſondern toͤnete; da man noch wenig dachte, aber deſto mehr fuͤhlte; und alſo nichts weniger als ſchrieb.

So wie ſich das Kind oder die Nation aͤn - derte: ſo mit ihr die Sprache. Entſezzen, Furcht und Verwunderung verſchwand all - maͤlich, da man die Gegenſtaͤnde mehr ken - nen lernte; man ward mit ihnen vertraut und gab ihnen Namen, Namen, die von der Na - tur abgezogen waren, und ihr ſo viel moͤglich im Toͤnen nachahmten. Bei den Gegenſtaͤn - den fuͤrs Auge muſte die Geberdung noch ſehr zu Huͤlfe kommen, um ſich verſtaͤndlich zu ma - chen: und ihr ganzes Woͤrterbuch war noch ſinnlich. Jhre Sprachwerkzeuge wurden biegſamer, und die Accente weniger ſchreyend. Man ſang alſo, wie viele Voͤlker es noch thun und wie es die alten Geſchichtſchreiber durchgehends von ihren Vorfahren behaupten. Man30Man pantomimiſirte, und nahm Koͤrper und Ge - berden zu Huͤlfe: damals war die Sprache in ih - ren Verbindungen noch ſehr ungeordnet und unregelmaͤßig in ihren Formen.

Das Kind erhob ſich zum Juͤnglinge: die Wildheit ſenkte ſich zur politiſchen Ruhe: die Le - bens - und Denkart legte ihr rauſchendes Feuer ab: der Geſang der Sprache floß lieblich von der Zunge herunter, wie dem Neſtor des Ho - mers, und ſaͤuſelte in die Ohren. Man nahm Begriffe, die nicht ſinnlich waren, in die Spra - che; man nannte ſie aber, wie von ſelbſt zu vermuthen iſt, mit bekannten ſinnlichen Namen; daher muͤſſen die erſten Sprachen bildervoll, und reich an Metaphern geweſen ſeyn.

Und dieſes jugendliche Sprachalter, war blos das Poetiſche: man ſang im gemeinen Leben, und der Dichter erhoͤhete nur ſeine Accente in einem fuͤr das Ohr gewaͤhlten Rhythmus: die Sprache war ſinnlich, und reich an kuͤhnen Bildern: ſie war noch ein Ausdruck der Leidenſchaft, ſie war noch in den Verbindungen ungefeſſelt: der Periode fiel aus einander, wie er wollte Seht! das iſt die Poetiſche Sprache, der Poetiſche Perio -de.31de. Die beſte Bluͤthe der Jugend in der Sprache war die Zeit der Dichter: jezt ſangen die αοιδοι und ραψωδοι: da es noch keine Schriftſteller gab, ſo verewigten ſie die merkwuͤrdigſten Thaten durch Lieder: durch Geſaͤnge lehrten ſie, und in den Geſaͤngen waren nach der damaligen Zeit der Welt Schlachten und Siege, Fabeln und Sitten - ſpruͤche, Geſezze und Mythologie enthalten. Daß dies bei den Griechen ſo geweſen, be - weiſen die Buͤchertitel der aͤlteſten verlohrnen Schriftſteller, und daß es bei jedem Volk ſo geweſen, zeugen die aͤlteſten Nachrichten.

Je aͤlter der Juͤngling wird, je mehr ern - ſte Weisheit und politiſche Geſeztheit ſeinen Carakter bildet: je mehr wird er maͤnnlich, und hoͤrt auf Juͤngling zu ſeyn. Eine Spra - che, in ihrem maͤnnlichen Alter, iſt nicht ei - gentlich mehr Poeſie; ſondern die ſchoͤne Proſe. Jede hohe Stuffe neiget ſich wieder zum Ab - fall, und wenn wir einen Zeitpunkt in der Sprache fuͤr den am meiſten poetiſchen an - nehmen: ſo muß nach demſelben die Dicht - kunſt ſich wieder neigen. Je mehr ſie Kunſt wird, je mehr entfernet ſie ſich von der Na -tur.32tur. Je eingezogener und politiſcher die Sitten werden, je weniger die Leidenſchaften in der Welt wirken, deſto mehr verlieret ſie an Gegenſtaͤnden. Je mehr man am Perio - den kuͤnſtelt, je mehr die Jnverſionen ab - ſchaffet, je mehr buͤrgerliche und abſtrakte Woͤrter eingefuͤhret werden, je mehr Regeln eine Sprache erhaͤlt: deſto vollkommener wird ſie zwar, aber deſto mehr verliert die wahre Poeſie.

Jezt ward der Periode der Proſe geboren, und in die Runde gedrehet: durch Uebung und Bemerkung ward dieſe Zeit, da ſie am beſten war, das Alter der ſchoͤnen Proſe, die den Reichthum ihrer Jugend maͤßig brauchte, die den Eigenſinn der Jdiotismen einſchraͤnkte, ohne ihn ganz abzuſchaffen, die die Freiheit der Jnverſionen maͤßigte, ohne doch noch die Feſſeln einer philoſophiſchen Conſtruction uͤber ſich zu nehmen, die den poetiſchen Rhythmus zum Wohlklang der Proſe herunter ſtimmte, und die vorher freie Anordnung der Worte mehr in die Runde eines Perioden ein - ſchloß: dies iſt das maͤnnliche Alter der Sprache.

Das33

Das hohe Alter weiß ſtatt Schoͤnheit blos von Richtigkeit. Dieſe entziehet ihrem Reichthum, wie die Lacedaͤmoniſche Diaͤt die At - tiſche Wohlluſt verbannet. Je mehr die Gram - matici den Jnverſionen Feſſeln anlegen; je mehr der Weltweiſe die Synonymen zu unter - ſcheiden, oder wegzuwerfen ſucht, je mehr er ſtatt der uneigentlichen eigentliche Worte ein - fuͤhren kann; je mehr verlieret die Sprache Reize: aber auch deſto weniger wird ſie ſuͤn - digen. Ein Fremder in Sparta ſiehet keine Unordnungen und keine Ergoͤzzungen. Dies iſt das Philoſophiſche Zeitalter der Sprache.

3.

Endlich kann ich Othem ſchoͤpfen, und unſ - rer Sprache naͤher treten. Man ſiehet von ſelbſt, daß dieſe Zeitalter ſo wenig zu einer Zeit ſeyn koͤnnen bei der Sprache, als bei dem Menſchen. Wenn ſie zur Poeſie am hoͤchſten geſchickt iſt: ſo kann ſie nicht eine hoͤchſt Philoſophiſche Sprache ſeyn. So wie Schoͤnheit und Vollkommenheit nicht einerlei iſt: ſo iſt auch die ſchoͤnſte und voll -Ckommen -34kommenſte Sprache nicht zu einer Zeit moͤg - lich; die mitlere Groͤße, die ſchoͤne Proſe, iſt unſtreitig der beſte Plaz, weil man von da aus auf beide Seiten auslenken kann.

Hier zeigt ſich alſo der Lieblingsgedanke ſo vieler neuen Sprachverbeſſerer in ſeinem fal - ſchen Licht: ſo lange eine Sprache die Mund - art des ſinnlichen Volks war: ſo blieb ſie ein - geſchloſſen und unvollkommen; das Denken, Philoſophiren, die ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſ - ſenſchaften brachten ſie zur Vollkommenheit. *Breitingers Crit. Dichtk. Th. 2. durchgaͤngig. Ja zur Philoſophiſchen Vollkommenheit wohl; aber zum Ungluͤck daß die ſchoͤnen Wiſſen - ſchaften ein andres Hoͤchſtes haben: Schoͤn - heit und dieſer wurde durch jene entzogen.

So loͤſet ſich auch der Zweifel eines ſprach - gelehrten Mannes hiemit leicht auf:**Klopſtocks Abhandl. uͤber die Poet. Sprache Litt. Br. Th. 6. Jch weiß nicht, ob es wahr iſt, was man in vielen Buͤchern wiederholet hat, daß bei al - len Nationen, die ſich durch die ſchoͤnen Wiſſenſchaften hervorgethan haben, die Poe - ſie eher, als die Proſe zu einer gewiſſen Hoͤhe35 Hoͤhe geſtiegen ſey? Es iſt allerdings wahr, was alle alte Schriftſteller einmuͤthig behaupten, und was in den neuen Buͤchern wenig angewandt iſt, daß die Poeſie, lange vorher, ehe es Proſe gab, zu ihrer groͤſten Hoͤhe geſtiegen ſey, daß dieſe Proſe darauf die Dichtkunſt verdrungen, und dieſe nie wie - der ihre vorige Hoͤhe erreichen koͤnnen. Die erſten Schriftſteller jeder Nation ſind Dich - ter: die erſten Dichter unnachahmlich: zur Zeit der ſchoͤnen Proſe wuchs in Gedichten nichts als die Kunſt: ſie hatte ſich ſchon uͤber die Erde erhoben und ſuchte ein Hoͤchſtes, bis ſie ihre Kraͤfte erſchoͤpfte und im Aether der Spitzfuͤndigkeit blieb. Jn der ſpaͤtern Zeit hat man blos 'verſificirte Philoſophie, oder mittelmaͤßige Poeſie. Ueberhaupt bekommt hierdurch die ganze ſchoͤne Abhandlung: wie man den Poetiſchen Stil uͤber den Proſai - ſchen erheben koͤnne?*Litt. Br. Th. 3. p. 305. durchaus eine an - dere Wendung. Sein Grundſaz iſt: Keine Nation iſt weder in der Poeſie noch in der Proſe vortreflich geworden, die ihre Poetiſche Sprache nicht ſehr merklich von der Proſai -C 2 ſchen36 ſchen unterſchieden haͤtte. Und nach den Zeugniſſen der Alten, und nach einer Philoſo - phiſchen Kaͤnntniß von der Verwandlung ei - ner Sprache nach den Sitten heißt er ſo: Jede Nation lieferte die vortreflichſte Meiſter - ſtuͤcke der Poeſie, ehe ſich noch die Proſe von jener getrennet und zu ihrer Runde ausgebil - det hatte. Da die Sprache aus der Wild - heit zur Politiſchen Ruhe trat, war ſie merk - lich von der Proſaiſchen unterſchieden: die ſtaͤrkſten Machtwoͤrter, die reichſte Frucht - barkeit, kuͤhne Jnverſionen, einfache Parti - ckeln, der klingendſte Rhythmus, die ſtaͤrkſte Declamation alles belebte ſie, um ihr ei - nen ſinnlichen Nachdruck zu geben, um ſie zur Poetiſchen zu erheben. Aber da die Proſe aufkam, die zuerſt, wie Herodot, auch noch ihren Perioden, ohne Schwung und Fuͤlle zerfallen ließ da ſie ſich mehr zur Vollkom - menheit bildete, entfernte ſie ſich von der ſinnlichen Schoͤnheit. Der Deutlichkeit we - gen wurden die Machtwoͤrter umſchrieben, die Synonyme ausgeſucht, beſtimmt, ausge - muſtert, die Jdiotismen gemildert: ſo wie das Voͤlkerrecht jezt im Staat zum Geſezzward:37ward: ſo auch in der Sprache: man bilde - te eine Sprache nach der andern, mit der ſie umgieng. Es entſtand ein Adel, ein Poͤbel und ein Mittelſtand unter den Woͤrtern, wie er in der Geſellſchaft entſtand: die Beiwoͤrter wurden in der Proſe Gleichniſſe, die Gleich - niſſe Exempel: ſtatt der Sprache der Leiden - ſchaft ward ſie eine Sprache des mittlern Wiz - zes: und endlich des Verſtandes. So iſt Poeſie und Proſe in ihrem Urſprunge unterſchieden.

Noch zehn Autoren haͤtte ich anzufuͤhren, die dieſe ganz natuͤrliche Metempſychoſis der Sprachen, uͤberall verfehlt, und nicht gnug aus ihrem Laude in eine andere Zeit zuruͤck zu gehen wiſſen, um von entfernten Altern und abgelebten Sprachen zu urtheilen. Allein alles dies gehoͤret nicht zu meinem Buch: hier kann ich doch nicht, wie ich ſelbſt weiß, dieſe ganze Wahrheit in ihrem voͤlligen Lichte zei - gen, mit aller Aehnlichkeit zuſammenhalten und gegen die Einwuͤrfe retten, die man uns unſrer Zeit macht. Jch rede alſo von den Zeitaltern der Deutſchen Sprache, und verſpa - re das uͤbrige auf eine andere Gelegenheit.

C 34. Wo38

4.

Wo ſteht unſre Deutſche Sprache? Jn allen Staaten iſt zu unſrer Zeit die Proſe die Spra - che der Schriftſteller, und die Poeſie eine Kunſt, die die Natur der Sprache verſchoͤnert, um zu gefallen. Gegen die Alten und gegen die wilden Sprachen zu rechnen, ſind die Mund - arten Europens mehr fuͤr die Ueberlegung, als fuͤr die Sinne und die Einbildungskraft.

Die Proſe iſt uns die einzig natuͤrliche Sprache, und das ſeit undenklichen Zeiten ge - weſen nun ſollen wir dieſe Sprache aus - bilden? Wie kann das ſeyn? Entweder zur mehr dichteriſchen Sprache, damit der Stil vielſeitig, ſchoͤn und lebhafter werde; oder zur mehr Philoſophiſchen Sprache, damit er einſeitig, richtig und deutlich werde; oder wenn es moͤglich iſt, zu allen beiden.

Das lezte kann in einem gewiſſen Grade geſchehen; und muß nach unſrer Zeit, Denk - art und Nothwendigkeit auch geſchehen. Als - denn werden wir zwar von beiden Seiten nicht die hoͤchſte Stuffe erreichen, weil beide Enden nicht einen Punkt ausmachen koͤnnen; allein wir werden in der Mitte ſchweben,und39und von den ſinnlichen Sprachen durch Ue - berſezzungen und Nachbilden borgen; andern - theils durch Reflexionen der Weltweisheit das geborgte haushaͤlteriſch anwenden. Wir wer - den fuͤr neue Buͤrger Vortheile ausmachen; und nicht dem Spartaniſchen Eigenſinn nach - ahmen, der allen fremden Ankoͤmmlingen und Gebraͤuchen den Eintritt verſagt; wir werden aber auch, ſo wie die Akademie della Cruſca, und Johnſon in ſeinem Woͤrterbuch, die Landeskinder zaͤhlen, ordnen und gebrau - chen, ſo daß die fremde Kolonien blos die Maͤngel des Staats unterſtuͤzzen doͤrfen. Man bilde alſo unſre Sprache durch Ueber - ſezzung und Reflexion.

Man ſehe die meiſten Vorſchlaͤge zur Bil - dung der Sprache, und ſie fallen in ein Aeuſ - ſerſtes, ſtatt das Mittel zu halten. Einige entwerfen einen Plan zur Philoſophiſchen Spra - che; andere wollen ſie allein auf die dichteri - ſche Seite lenken. Daß, wenn beide etwas wir - ken, beide einander die Stange halten, macht das Gluͤck unſrer Sprachenverbeſſerung.

C 45. Unter40

5.

Unter ſo vielen Philoſophiſchen Sprach - verbeſſerern nehme ich einen, deſſen Lob ich in den Litteraturbriefen gern unterzeichne: Sulzer, in ſeinem beliebten Jnbegriff der Wiſſenſchaften,*Litter. Br. Th. 4. p. 230. in dem vielleicht kein Ar - tikel aͤrmer iſt, als der uͤber die Sprache. Er fordert zur Vollkommenheit einer Sprache

  • 1) einen hinlaͤnglichen Vorrath von Woͤrtern und Redensarten, wodurch jeder Begriff deutlich und beſtimmt ausgedruckt wird. Nun! und wenn die Sprache einen uͤber - fluͤßigen Vorrath hat? So muß der Ue - berfluß fort! Vollkommen fuͤr den Philoſo - phen, aber ſchlecht fuͤr den Dichter, der von dieſem Ueberfluß leben muß, der nicht Be - griffe deutlich und beſtimmt, ſondern Be - griffe und Empfindungen ruͤhrend und reich ausdruͤcken will. Wenn dieſer neue Plato eine Republik errichtet, wo Synonyme, und uneigentliche Woͤrter verbannt werden:lebet41lebet wohl, ihr Dichter! ihr muͤßt von ſelbſt Abſchied nehmen.
  • 2) Eine gnugſame Anzahl deutlicher Len - kungen, und
  • 3) eine Biegſamkeit in der Zuſammenſez - zung vieler Woͤrter in einen Sazz, damit ein ganzer Gedanke richtig, beſtimmt und nach Beſchaffenheit der Sache leicht und nach - druͤcklich ausgedruckt werde. Hier ſteigt ſchon der Weltweiſe etwas herunter, weil er ſieht, daß ſeine Sprache von Menſchenkindern geredet werden ſoll. Wenn der Weiſe ſich ganz genau, ganz richtig und beſtimmt aus - drucken will: ſo braucht er keinen biegſamen, keinen leichten, keinen nachdruͤcklichen Perioden; die Richtigkeit iſt ſteif, die Gruͤndlichkeit veſt, und die Ueberzeugung ſtatt des Nachdrucks.
  • 4) Eine hinlaͤngliche Mannigfaltigkeit langer und kurzer, hoher und tiefer, heller und dunkler Sylben, und der daher entſte - henden Fuͤße, Perioden und Versarten. Ei - ne vollkommene Sprache braucht dieſe gar nicht. Wenn wir blos als Geiſter einander Begriffe in die Seele reden: ſo fragen wir nicht nach hohen und tiefen Sylben: ſo we -C 5nig42nig als in den Buͤchern, wo dieſe Philoſophi - ſche Sprache allein gelten kann, die helle und dunkle Sylben ins Auge fallen.

Auf die Art gehe man das ganze Stuͤck von der Sprache durch, und man findet in allen Vorſchlaͤgen den nehmlichen Fehler, daß er dem Schoͤnen der Sprache immer zu nahe tritt. Ja waͤren wir ganz Geiſt: ſo ſpraͤchen wir blos Begriffe, und Richtigkeit waͤre das einzige Augenmerk; aber in einer ſinnli - chen Sprache muͤſſen uneigentliche Woͤrter, Synonymen, Jnverſionen, Jdiotismen ſeyn. Sein Plan, der Philoſophiſch ſeyn ſoll, iſt alſo ein Hermaphrodit: die Philoſophiſche Vollkommenheit erreicht er nicht, und der ſinn - lichen Schoͤnheit thut er zu viel: als Plan, was eine vollkommene Sprache ſeyn ſollte, zu wenig; als Projekt, was irgend eine wirk - liche Sprache ſeyn koͤnnte, viel zu viel: und was die beſte Sprache waͤre, vielleicht nicht getroffen.

Der Kunſtrichter in den Litteraturbrie - fen*Litter. Br. Th. 4. p. 230. ſtoͤßt auch auf dieſen Fehler. Sulzer ſagt: Es waͤre nuͤtzlich, wenn man eine all - gemeine43 gemeine Philoſophiſche Grammatik haͤtte, welche Regeln gaͤbe, nach denen die Vollkom - menheit einer Sprache beurtheilt werden muͤßte; mit dieſen Regeln koͤnnten die, durch den Gebrauch eingefuͤhrten verglichen, und daraus gebeſſert, und vermehrt werden. Und der Recenſent ſezt dazu: Jch weiß nicht, ob die ſchoͤuen Wiſſenſchaften von dieſer Ver - gleichung Vortheil haben wuͤrden. So wie die Sprachen jetzt ſind, hat eine jede, ſo zu ſagen, ihre Eigenſinnigkeit, die der ſchoͤne Geiſt vortreflich zu nutzen weiß. Er zieht aus dem Ueberfluͤßigen und Unregelmaͤßigen ſeiner Sprache oͤfters Schoͤnheiten, die eine richtige Philoſophiſche Sprache entbehren muß. Nur ein einziges Exempel anzufuͤh - ren: die Philoſophiſche Grammatik wuͤrde vermuthlich die Unterſcheidung der Geſchlech - ter bei lebloſen Dingen fuͤr uͤberfluͤßig er - klaͤren, und gleichwohl wuͤrden ſich die Fran - zoͤſiſchen und Deutſchen Dichter die Schoͤn - heiten ungern rauben laſſen, die ſie aus die - ſem unnoͤthigen Unterſcheide der Geſchlechter gezogen haben. Einige Sprachen unter - ſcheiden die Geſchlechter auch in der Conju - gation44 gation der Zeitwoͤrter, welches ihren Schrif - ten zu einer beſondern Zierde gereicht*So iſts fuͤr die Orientaliſche Dichter eine be - queme und vortheilhafte Schoͤnheit, daß ſie, die bei ihren Kaͤnntniſſen in der Botanik ver - muthlich auch das Geſchlecht der Pflanzen ſchon gekannt haben, in ihrer Sprache auch das Ge - ſchlecht unterſcheiden, ja ſo gar fuͤr eine Pflan - ze, die Jungfer und Ehefrau iſt, verſchiedne Namen haben. So haben die Griechiſchen und Roͤmiſchen Dichter, alle unuͤberſezbare Schoͤn - heiten, aus dem Eigenſinn ihrer Sprache ge - zogen, und in ihn verwebt.. Eine Anmerkung, die man oft in dieſem Frag - ment wird wiederholen muͤſſen.

6.

Ueberhaupt wuͤrde dieſer weiſe Vorſchlag, ſo wie jener andre**Litt. Br. Th. 4. p. 232.: es ſollte keiner Schrift - ſteller werden, der nicht die Alten geleſen uns alle Originalſchriftſteller rauben. Jdio - tismen ſind Patronymiſche Schoͤnheiten, und gleichen jenen heiligen Oelbaͤumen, die riugs um die Akademie bei Athen ihrer Schuzgoͤt - tin Minerve geweiht waren. Jhre Fruchtdorfte45dorfte nicht aus Attica kommen, und war blos der Lohn der Sieger am Panathenaͤiſchen Feſte. Ja da die Lacedaͤmonier einſt alles verwuͤſteten: ſo ließ die Goͤttin es nicht zu, daß dieſe fremde Barbaren ihre Haͤnde an die - ſen heiligen Hain legten. Eben ſo ſind die Jdiotismen Schoͤnheiten, die uns kein Nach - bar durch eine Ueberſezzung entwenden kann, und die der Schuzgoͤttin der Sprache heilig ſind: Schoͤnheiten in das Genie der Sprache eingewebt, die man zerſtoͤrt, wenn man ſie austrennet: Reize, die durch die Sprache, wie der Buſen der Phryne durch einen ſeid - nen Nebel, durch das Waſſergewand der al - ten Statuen, das ſich an die Haut anſchmie - get, durchſchimmern. Wober lieben die Britten ſo ſehr das Launiſche in ihrer Schreib - art? Weil dieſe Laune unuͤberſezzbar und ein heiliger Jdiotisme iſt. Warum haben Sha - keſpear und Hudibras: Swift und Fielding ſich ſo ſehr das Gefuͤhl ihrer Na - tion zu eigen gemacht? Weil ſie die Fund - gruben ihrer Sprache durchforſchet, und ih - ren Humour mit Jdiotismen, jeden nach ſeiner Art und ſeinem Maas, gepaart haben. War -46Warum vertheidigen die Englaͤnder ihren Shakeſpear, ſelbſt, wenn er ſich unter die Concetti, und Wortſpiele verirrt Eben die - ſe Concetti, die er mit Wortſpielen ver - maͤhlt, ſind Fruͤchte, die nicht in ein anderes Clima entfuͤhrt werden koͤnnen: Der Dichter wuſte den Eigenſinn der Sprache ſo mit dem Eigenſinn ſeines Wizzes zu paaren, daß ſie fuͤr einander gemacht zu ſeyn ſcheinen: hoͤchſtens gleicht jener dem ſanften Widerſtande einer Schoͤne, die blos aus Liebe ſproͤde thut, und bei der ihre jungfraͤuliche Beſcheidenheit dop - pelt reizet.

Es muß auch wirklich ſchwer ſeyn, zu die - ſen Geheimniſſen zu gelangen; weil wir ſo wenige Deutſche Humoriſten haben. Rab - ner iſt kein voͤlliger National - Swift in Deutſchland ſo wohl in Charakteren, als der Schreibart. Von unſern komiſchen Schrift - ſtellern vielleicht keiner, als Leßing dieſer aber in einem großen Grade. Keine Par - thei hat auch in dieſem Stuͤck, dem wahren Genie der Deutſchen Sprache ſo ſehr geſcha - det, als die Gottſchedianer. Waren es nicht noch einige Schimpfwoͤrter, und poͤbel -hafte47hafte Ausdruͤcke, die man beibehielt: ſonſt wurde alles waͤſſerich, und eben, durch eine gedankenloſe Schreibart, und durch ſchlechte Ueberſezzungen Franzoͤſiſcher Buͤcher. Man entmannete ſie voͤllig, die ſchon durch den Weiſiſchen, Talandriſchen, und Menantiſchen Stil wenig Mannheit behalten hatte: man machte ſo wohl die Jnverſionen, als Jdiotis - men der Schweizer laͤcherlich, ſtatt ſie zu pruͤ - fen: Kurz, dieſe Sekte hat ſich der Deutſchen Sprache mit Willen der irrdiſchen, nicht aber himmliſchen Muſe angenommen, und von ihr gilts, was jener Griechiſche Koͤnig auf ei - nen ſchwindſuͤchtigen und doch gefraͤßigen Bettler ſagte:

Αμφοτερους αδικεις, τον Πλουτεα, και Φαε - ϑοντα; Τον μεν, ετ εισοροων, τον δε απολειπο - μενος.

Beiden thuſt du Unrecht, dem Pluto, und Phaeton; dieſem, daß du ihn noch anblickſt; jenem, daß er dich noch nicht hat.

Man muß den Schweizern wirklich das Recht laſſen, daß ſie den Kern der Deutſchen Sprache mehr unter ſich erhalten haben. Sowie48wie uͤberhaupt in ihrem Lande ſich die alten Moden und Gebraͤuche laͤnger erhalten, da ſie durch die Alpen, und den Helvetiſchen Na - tionalſtolz von den Fremden getrennet ſind: ſo iſt ihre Sprache auch der alten Deutſchen Einfalt treuer geblieben. Sie haben unſtrei - tig manches uͤbertrieben; das uͤbertriebene wird freilich durch den Harlekin am beſten ausgedruckt; und ausgelacht hat man ſie zur Gnuͤge; aber ihr Gutes iſt noch zu wenig gepruͤft. Die Gottſchedianer haben ihre Machtwoͤrter, ihre Jnverſionen ſo ziemlich in ihren Pasquillen geſammlet; jetzt iſt die Hitze des Streits verflogen, nun ſollte man nicht mehr lachen, ſondern pruͤfen. Haͤtte der patriarchiſche Bodmer auch kein andres Verdienſt wie hoch hat man Ramlern und Leßingen ihren Logau angerechnet; und aus den alten Schwaͤbiſchen Poeſien iſt doch, meinem Erachten nach, wenigſtens in der Sprache weit mehr zu lernen, als aus Logau. Nur freilich ſollten die Schweizer auch mehr Muͤhe ſich dabei gegeben haben, die Jdiotis - men zu zeigen, zu pruͤfen, und kritiſch einzu - fuͤhren. Wenn ſie auch dieſe Woͤrter verſte -hen;49hen; wer Deutſches in lateiniſchen Lettern leſen kann, iſt ja nicht deswegen ein Schweizer!

Jch rede von ihren Deutſchen Verdien - ſten, denn von ihren Nachbildungen aus dem Griechiſchen muͤſte ich vielleicht anders ur - theilen: ich rede von ihrem Verdienſt um die Sprache, denn von ihrer Dichterei und von ihrer Abneigung gegen die Philoſophie, gegen die ſie aus den Zuͤrchiſchen freimuͤthigen Nach - richten ſo lange Zeit Calefonium-Blizze ge - ſandt, urtheile ich jetzt nicht; und in dieſem eingeſchraͤnkten Geſichtspunkt kann ich ſelbſt ihre Hizze entſchuldigen, die den Gottſchedia - nern die Stange halten muſte. Zwei Geg - ner, die auf beiden Seiten ausſchweifen, und beide ohne Weltweisheit ſtreiten; da kam zum Gluͤck eine dritte Parthei, die Baumgar - tenſche Schule, die Soͤhne des Deutſchen Athens, und brachten ſie beide aus einander.

Jn der Dichtkunſt Ramler, Kleiſt, und inſonderheit Gleim; in der Proſe Leßing und Abbt; wenn man dieſe lieſet, wie be - dauret man nicht den Sulzerſchen Einfall, uns keine Jdiotismen zu laſſen. GleimsDKriegs -50Kriegslieder und ſein verſificirter Philotas inſonderheit iſt voll von dieſer Deutſchen Staͤr - ke. Eine fleißige Seele in Liefland hat einen Anhang zu Friſchens Woͤrterbuch, aus der Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſen - ſchaften, Litteraturbriefen, Leßings, Uz und dergleichen Schriften gemacht; aus dem ich, weil er doch zu gut iſt, um in einem Winkel ohne Anwendung zu vermodern, wenn er vollendet ſeyn wird, einen Auszug liefern werde. Aus den Zeiten der Meiſterſaͤnger, des Opitz und Logau, des Luthers u. ſ. w. ſollte man die Jdiotismen ſammlen, und inſonderheit mehr von Klopſtock lernen, die - ſem Genie in Schoͤnheiten und Fehlern, der ſelbſt in der Deutſchen Sprache ſich den Schoͤ - pfungsgeiſt anmaaßte, und auch dieſen Geiſt der Freiheit eigentlich in Deutſchland zuerſt ausbreitete: wirklich ein Genie, das ſelbſt in ſeiner Eccentricitaͤt groß iſt, und das, ſo wie Alexander Macedonien, die damalige Deutſche Sprache nothwendig fuͤr ſich zu enge finden muſte.

Und ſind die Jdiotismen zu nichts gut: ſo eroͤfnen ſie dem Sprachweiſen die Schach -ten,51ten, um das Genie der Sprache zu unterſu - chen, und daſſelbe zuerſt mit dem Genie der Nation zuſammen zu halten. Viele Jdiotis - men fremder Voͤlker wuͤrden wir daraus er - klaͤren: (z. E. warum die meiſten Nationen der Sonne und die Mond ſagen; wir aber umgekehrt; warum das Lateiniſche fuſus in herba immer fuͤr uns fremde klingt, koͤnnte immer aus dem Zuſtande unſrer alten Urvaͤ - ter bewieſen werden. Sie fingen bekannter maßen von der Nacht zu rechnen an: hielten in der Nacht ihre Zuſammenkuͤnfte, Kriegs - und Friedensſchluͤſſe: und wuſten kein groͤße - res Siegel der Vertraͤge, als das Klirren der Degen, mit dem Zuruf: der Mond iſt Zeuge! Eben daher iſt das: im Graſe hingegoſſen*ſ. Klopſt. Abhandl. von der Poet. Spr. im 1. Th. des Nord. Aufſ. wohl ein zu wohlluͤſtiges Bild fuͤr das wal - digte kalte Deutſchland, wie es vormals ge - weſen.) Wie ſehr ſind nicht die alten Schot - tiſchen Gedichte Abdruͤcke ihres Landes?

Auch die Kuͤhnheit in Jdiotismen bei einem einzelnen Autor gibt Gelegenheit, auf ſein Ge -D 2nie52nie Acht zu haben. Derſelbe Blick, der die Begriffe, wie die Farben im Sonnenſtral, theilt, nimmt auch die Lichtbrechung in den Nuancen der Sprache wahr. Der mittel - maͤßige Scribent bequemt ſich, nach dem or - dentlichen Wege, um ins Cabinett ſeines Fuͤr - ſten zu gelangen; dieſer beſticht jener betriegt, ein andrer ſchmeichelt: ein gewiſſer Deutſcher Pythagoras laͤßt ſich beſchneiden, um hinter die Vorhaͤnge der Weisheit zu kommen; das kuͤhne Genie durchſtoͤßt das ſo beſchwerliche Ceremoniel: findet und ſucht ſich Jdiotismen; graͤbt in die Eingeweide der Sprache, wie in die Bergkluͤfte, um Gold zu finden. Und be - triegt es ſich auch manchmal mit ſeinen Gold - klumpen: der Sprachenphiloſoph probire und laͤutere es: wenigſtens gab er Gelegenheit zu chymiſchen Verſuchen. Moͤchten ſich nur viele ſolche Bergleute und Schmelzer in Deutſchland finden, die, wenn die Deutſche Sprache eine Berg - und Weidſprache iſt, auch als Graͤber und Jaͤger ſie durchſuchten. Caͤſar ſchrieb uͤber die Aehnlichkeit der Spra - chen; Varro uͤber die Etymologie; Leibniz ſchaͤmte ſich nicht, ein Sprachforſcher zu ſeyn,und53und wir, trotz unſrer Deutſchen Geſellſchaft, haben hierinn wenig oder nichts gethan.

7.

Es bleibt uͤberhaupt wahr: die Richtigkeit einer Sprache entzieht ihrem Reichthum: *Litter. Br. Th. 15. p. 179. und wir duͤrfen, um dies in Augenſchein zu ſezzen, die aͤlteſte Sprache, die Hebraͤiſche, oder Arabiſche mit der Unſern in Abſicht auf den Reichthum vergleichen; er iſt ſo unter - ſchieden, wie die Haushaltung jener und un - ſerer Gegenden. Sie ſamleten Vieh und Knechte; wir ſamlen Gold und Hausgeraͤth: ſo iſt auch der Reichthum beider Sprachen.

Jhre iſt reich an Vieh:) Naturna - men ſind in ihr haͤufig: im kleinen Buch der Hebraͤer, das wir allein noch uͤbrig haben, ſind ſchon 250 Botaniſche Woͤrter: Namen, die unſre Sprache zwar kann ausdruͤcken, aber nicht auszudruͤcken weiß;**ſ. Michaelis Reflexions ſur l’influence des opi - nions etc. weil dieD 3καλοι54καλοι καγαϑοι unſerer buͤrgerlichen Welt ſich auf nichts minder legen, als Hirtenkaͤnnt - niſſe einzuziehen: weil unſre Naturphiloſo - phen unter Buͤchern wohnen, und wieder zu Lateiniſchen Buͤchern hinkehren Unſre Schaͤ - ferdichter und Saͤnger der Natur koͤnnen al - ſo die Blumen dieſer Kraͤuter nicht brechen: haͤtte man auch Deutſche Namen: ſo waͤren dieſe nicht bekannt gnug: ſie haͤtten nicht gnug Poetiſche Wuͤrde: denn unſre Gedichte wer - den nicht mehr fuͤr Hirten geſchrieben; ſon - dern fuͤr ſtaͤdtiſche Muſen; unſre Sprache iſt zur Buͤcherſprache eingeſchraͤnkt. Hinge - gen hat es ſchon Leibniz bemerkt, daß unſre Sprache eine Weid - und Bergwerks - ſprache iſt; ich glaube aber, zum Theil, ge - weſen iſt; weil viele dieſer Woͤrter theils veraltet ſind; theils vor Kunſt - und Hand - werkswoͤrter gelten, da unſre Lebensart nicht mehr Jagd und Bergwerke iſt.

Wir bemuͤhen uns alſo mehr um Hausge - raͤth:) Kunſtwoͤrter: buͤrgerliche Ausdruͤcke: Redensarten des Umganges ſind die haͤufig - ſten Scheidemuͤnzen im muͤndlichen und Buͤ - chercommerz: die Alten hingegen wechſeltenmit55mit Goldſtuͤcken: ſie ſprachen durch Bilder; wir hoͤchſtens mit Bildern, und die bilder - volle Sprache unſrer ſchildernden Dichter verhaͤlt ſich zu den aͤlteſten Poeten, wie ein Exempel zur Allegorie, wie eine Allegorie zum Bilde in einem Zuge. Leſet den Homer, und denn leſet Klopſtock; jener malet, indem er ſpricht; er malet lebende Natur und Politi - ſche Welt: dieſer ſpricht um zu malen, er ſchildert; und um neu zu ſeyn: eine ganz andre Welt; die Welt der Seele und der Gedanken, da jener ſie hingegen in Koͤrper kleidet und ſpricht: Laß ſie ſelbſt reden!

Die Oekonomie der Morgenlaͤnder war reich an Knechten; ſo iſt es auch ihre Spra - che.) Die Erfinder der Sprachen, ohne Zweifel nichts minder als Philoſophen, druck - ten natuͤrlicher Weiſe das durch ein neues Wort aus, was ſie noch nicht unter einen andern Begrif zu ordnen wußten. So ent - ſtanden Synonyme, die dem Dichter eben ſo vortheilhaft waren, als ſie dem Gramma - tiſchen Philoſophen zum Aergerniß gereichen. Der Arabiſche Dichter, der zum Loͤwen 500 Woͤrter hat, die verſchiedene Zuſtaͤnde deſſel -D 4ben56ben bedeuten, z. E. junger, hungriger Loͤwe ꝛc. kann durch ein Wort malen, und durch die - ſe mit einem Zuge entworfne Bilder vielſeiti - ger ſprechen, wenn er ſie gegen einander ſezzt; als wir, die dieſen Unterſcheid blos durch da - zu geſezzte Beſtimmungen deutlich machen. Die Choͤre der Morgenlaͤnder koͤnnen ſich in ihren beiden Gegenſaͤzzen beinahe wiederho - len; allein das Bild, oder die Sentenz bekommt durch eine Wendung, oder ein Wort Neu - heit. Das Kolorit veraͤndert ſich, und dieſe Veraͤnderung gefaͤllt dem Ohr der Morgen - laͤnder; hingegen unſre Sprache, die an die - ſen beinahe - Synonymen gefeſſelt iſt, muß entweder die Wiederholungen ohne dieſen Nebenzug ausdruͤcken; und alsdenn ſind ſie fuͤr unſer Ohr verdrießliche Tavtologien; oder ſie druͤckt ſie gar ſchielend aus, und ver - irrt ſich, wie ſehr oft in der Deutſchen Bibel - uͤberſezzung, von der Hauptidee des Gemaͤl - des. Der Fehler liegt wirklich in der Ver - ſchiedenheit unſrer Sprachen, und iſt ſchwer zu vermeiden.

Hieraus erklaͤrt ſich, glaube ich, die Be - merkung unſers Philologiſchen Sehers in denOrien -57Orientaliſchen Sprachen:*Michael, praef. in Lowth. lectiones P. I. daß dieſe Tav - tologien, die dem Ohr der Morgenlaͤnder ge - fielen, unſerm unleidbar ſind jenen waren ſie nicht Tavtologien, denn Tavtologien ſind immer eckelhaft, und koͤnnen wenigſtens nie vergnuͤgen; ſondern wenn ein Chor das andere erklaͤrte, beſtimmte, oder das vorge - tragne Gemaͤlde mit Nebenzuͤgen neu machte: ſo befriedigte dies Aug und Ohr. Jch glau - be, Michaelis wird finden, daß es in der Grundſprache ſelten voͤllige Wiederholungen ſind; nur freilich in der Deutſchen Ueberſez - zung, und am meiſten in den Crameriſchen Pſalmen, da ſind es perpetuae tavtologiae, Europae inuiſae, aures laedentes, pru - dentioribus ſtomachaturis, dormitaturis reliquis.

Cramer ſcheint ſich in ſeinen Predigten ſo - wohl, als in den ſogenannten Oden; in Cantaten und in der fließenden Proſe ſo ſehr an dieſe Wiederholungen und Umſchreibungen gewoͤhnt zu haben, daß er vergißt, ob das Deutſche Ohr, das Kuͤrze fodert, und der Deut -D 5ſch58ſche Verſtand, der Nachdruck liebet, damit zufrieden iſt. Seine ungemein gluͤckliche Leich - tigkeit in der Verſifikation verfuͤhrt ihn ſo ſehr, daß er vergißt, ob ſeine Wiederholun - gen auch der Deutſchen Sprache angemeſſen ſeyn. Seine Oden und ſie waren vor Klopſtock und Ramler das Muſter der Deutſchen Oden ſind ja oft ein Geklin - gel von Reimen, und ich zweifle, ob ein Da - vid und Aſſaph, zu unſerer Zeit, in unſrer Sprache Cramerſche Pſalmen geſchrieben haͤt - te? Er hat ſie ja aber uͤberſezzen, nicht umbilden wollen? Gut! ſo uͤberſezze er ſie als Orientaliſche Pſalmen, mit allem ih - rem Licht und Schatten; nur umſchreiben muß er nichts; alsdenn iſts weit natuͤrlicher fuͤr unſer Genie und Sprache, ſie zuſammen zu ziehen. Jch urtheile frei, weil ich glaube ſo urtheilen zu koͤnnen und doͤrfen: Haͤtte Michaelis Cramers Verſifikation, oder Cramer Michaelis Geſchmack des Orients: ſo wuͤrden wir erſt die Morgenlaͤndiſchen Ge - dichte nach dem Genie unſrer Sprache, als einen Deutſchen Schatz bewahren koͤnnen; jetzt fehlt beiden was.

Aber59

Aber meine Anmerkung verirret ſich zu weit davon ab: daß die Grammatik und das Ver - nuͤnfteln uͤber die Sprache, den Reichthum geſchwaͤchet hat. Der haushalteriſche Philo - ſoph fragte: warum ſind ſo viel unnuͤtze Knechte? ſie ſtehen ſich im Wege! und er hat ſie abgeſchaft; den uͤbrigen aber ihr ge - naues Geſchaͤfte angewieſen, um nicht muͤßig zu ſeyn. Jch will ohne Bilder reden! Da man die Begriffe mehr unter einander ordnen lernte: ſo druckte man das mit einer Beſtim - mung (adiectiuum, participium, aduer - bium) aus, wozu man erſt ein neues Wort ſezzte. Noch blieben aber Synonymen! Aber der Philoſoph ſuchte ſeine Unterſchiede in ſie zu legen, und ſie alſo als neue, guͤltige Woͤrter zu gebrauchen. Zum Beweiſe fuͤhre ich im Deutſchen Wolf und Baumgarten an. Durch die Deutſchen Schriften des er - ſten ſind die Woͤrter, die unter dem Gebiet der Philoſophie ſtehen, ſehr an Synonymen vermindert, da er ſie genau zu beſtimmen ge - ſucht. Und noch mehr Baumgarten: geht ſeine Metaphyſik durch, und bemerkt, die un - ten angezogne Deutſche Woͤrter: die Philo -ſophie60ſophie gibt den meiſten muͤßigen Synonymen Arbeit und beſtimmte Poſten. Das iſt nun aber die Sprache der Philoſophie: laſſet Sulzern, der noch lebende Baumgarten, die Woͤrter: angenehm, ſchoͤn, lieblich, reizend, gefaͤllig, in ſeiner Aeſthetik beſtim - men; die Welt wird ihm vielen Dank wiſ - ſen: laſſet andere auf der Bahn des Baum - gartens fortgehen, und einen Kant in ſeinen Beobachtungen uͤber das Schoͤne und Erhabene, ſeine Unterſchiede zwiſchen bei - nahegleichen Woͤrtern bemerken: ſie arbeiten fuͤr die Deutſche Philoſophie und Philoſophi - ſche Sprache; aber nicht fuͤr die Sprachkunſt, uͤberhaupt. Alle kannſt du nicht beſtimmen, Philologiſcher Weltweiſe! Die wirſt du ver - muthlich auswerfen wollen? Aber wirft ſie auch die Sprache des Umganges aus? Nein! ſo weit reicht noch nicht dein Gebiet, und noch minder ins Land der Dichter Der Dichter muß raſend werden, wenn du ihm die Synonyme raubſt; er lebt vom Ueber - fluß. Und wenn du ſie beſtimmeſt? Ge - ſezt, aber du kannſt es nicht: ſo faͤllt ſchoͤne Proſe und ſchoͤne Poeſie ganz weg; alles wirdein61ein Roſenkranz abgezaͤhlter Kunſtwoͤrter. Jm - mer ein Gluͤck fuͤr den Dichter, und ein Un - gluͤck fuͤr den Weltweiſen, daß die erſten Er - finder der Sprache nicht Philoſophen und die erſten Ausbilder meiſtens Dichter geweſen ſind.

Unſere Sprache hat alſo die Synonyme eingeſchraͤnkt und bemuͤhet ſich ſtatt Knechte, Gold und Muͤnzen zu ſammlen. Man er - laube mir die Woͤrter abſtrakter Jdeen damit zu vergleichen. Beide werden willkuͤhrlich gepraͤgt, und durch einen willkuͤhrlich feſtge - ſezzten Werth gaͤng und gaͤbe; die ſolideſten unter beiden werden als Schaͤzze aufbewahrt; das kleinere wird Scheidemuͤnze. Auch auf dieſer Seite verliert unſre Poeſie, in der der eingebildete Werth ſchwindet, und blos der natuͤrliche gilt; wo die abſtrakten Woͤrter alſo blos gelten, nach dem Maas man ſie ſinnlich darſtellen kann. Durch unſre Philoſophen kann die Dichtkunſt alſo nichts gewinnen, und hat nichts gewonnen; ſo we - nig als die Alten unſre Buͤcher-und Catheder - ſprache in allen ihren Nuancen uͤberſezzen koͤnnten: ſo wenig koͤnnen wir den Alten nachſprechen.

Und62

Und was folgt nun aus allem dieſem? Viel - leicht viel aber hier mag eins genug ſeyn! Es iſt immer ein Girard im Deutſchen zu wuͤnſchen; recht ſehr zu wuͤn - ſchen aber ein Geſezgeber muß er nicht durchaus werden. Jn einer nicht Jdeal - Philoſophiſchen Sprache alle Synonymen ab - ſchaffen zu wollen, gebuͤhret einem zweiten Claudius und Chilperich, die neue Buch - ſtaben einfuͤhren wollten, und Grammatiker zu A B C Maͤrtirern machten.

8.

Von der andern Seite hat man, um unſre Sprache auszubilden, ſo ſehr die Ueberſezzun - gen angerathen, daß ich hieruͤber eine merk - wuͤrdige Stelle der Litteraturbriefe anfuͤhre:*Th. 13. p. 98.

Der wahre Ueberſezzer hat eine hoͤhere Abſicht, als den Leſern fremde Buͤcher ver - ſtaͤndlich zu machen; eine Abſicht, die ihn zum Range eines Autors erhebt, und den kleinen Kraͤmer63 Kraͤmer zum Kaufmann umſchnizzt, der wirklich den Staat bereichert.

Dieſe Abſicht iſt nun keine andere, als ſeiner Mutterſprache vortrefliche Gedanken nach Muſter einer vollkommenern Sprache an - zupaſſen. So machte Apoll, daß Achilles Ruͤſtung Hektorn ſo gerecht war, als ob ſie auf ſeinen Leib verfertiget worden. Ohne Verſuche, die mit dieſer Abſicht verknuͤpft ſind, kann keine rohe Sprache vollkommen, kann kein Proſaiſte in derſelben vollkom - men werden.

Zu eignen Verſuchen uͤber die Bildung der Sprache haben nur die oͤffentlichen Red - ner Anmunterung genug, und die groͤſte Zahl dieſer Verſuche iſt vergeblich; aber man thue es durch Verſuche nach einer beſſern Sprache. Dieſe ſtellt uns ſchon viele Be - griffe deutlich dar, dazu wir Worte ſuchen muͤſſen, und ſtellt dieſe Begriffe ſo ne - ben einander vor, daß uns neue Verbindun - gen noͤthig werden. Von dem Wohlklan - ge jetzt nicht zu reden, der beſſer gemeſſen werden kann, wenn immer das Ohr unmit - tel -64 telbar vorher von einem Perioden ſehr rich - tig angefuͤllet geweſen.

Was fuͤr anſehnliche Vortheile muͤßten nicht unſrer Sprache zuwachſen, wenn ſie ſich an die Griechiſche und Lateiniſche Spra - che, ſo viel als moͤglich, anſchmiegen lernte, und ihre Geſchmeidigkeit den Augen des Publikum zeigte! Dieſe Ueberſezzungen koͤnn - ten unſre Claßiſche Schriftſteller werden. An den Gedanken waͤre nichts auszuſezzen, weil auf dieſe laͤngſt das Siegel der Vor - treflichkeit gedruckt worden: und die Sorg - falt in Erhaltung der Harmonie ihres Aus - drucks, wuͤrde auch ſo viel Wohlklang in unſre Sprache uͤbertragen, als ihr Genie erlaubte. Geſellen ſie zu dieſen Alten noch ei - nige neuere Auslaͤnder; deren Genie bewaͤhrt, und deren Sprache mit der unſrigen verwandt iſt: was wuͤrden wir nicht unſern Ueber - ſezzern zu verdanken haben? und ſie wuͤr - den auch mit unſrer Dankbarkeit zufrieden ſeyn, woruͤber Ebert ihnen die Gewaͤhr lei - ſten kann, den wir als einen vortreflichen Ueberſezzer mit Recht unter unſre beſten Schriftſteller rechnen. Fehlt es uns denn an65 an der Tugend, quae ſerit arbores, vt al - teri ſeculo proſint!

Der wahre Ueberſezzer ſoll alſo Woͤrter, Redarten und Verbindungen ſeiner Mutter - ſprache aus einer ausgebildetern anpaſſen: aus der Griechiſchen und Lateiniſchen vorzuͤg - lich, und denn auch aus neuern Sprachen. Nun wollen wir hieruͤber nach unſern vor - ausgeſezten Pramiſſen ſchwazzen:

Alle alte Sprachen haben, ſo wie die al - ten Nationen, und ihre Werke uͤberhaupt, mehr karakteriſtiſches, als das, was neuer iſt. Von ihnen muß alſo unſre Sprache mehr ler - nen koͤnnen, als von denen, mit welchen ſie mehr verwandt iſt; oder der Unterſchied zwi - ſchen beiden liefert wenigſtens den Sprach - philoſophen eine Menge Stoff zu Betrach - tungen. Wir wollen vom leztern etwas ver - ſuchen.

So wie uns unſre beſten Heldenthaten, die wir als Juͤnglinge thaten, aus dem Gedaͤcht - niß verſchwinden: ſo entgehen uns aus dem Juͤnglingsalter der Sprache jedesmal die be - ſten Dichter, weil ſie vor der Schriftſtellerei vorausgehen. Jm Griechiſchen haben wirEaus66aus dieſer Zeit eigentlich nur den einzigen Ho - mer, deſſen Rhapſodien durch einen gluͤckli - chen Zufall viele Olympiaden nach ſeinem To - de blieben, bis ſie geſamlet wurden: da alle uͤbrige Dichter vor ihm, und viele nach ihm verlohren ſind. Aeſchylus und Sophokles und Euripides beſchloſſen die Poetiſche Zeit; in ihrem Zeitalter erfand Pherecydes die Proſe; Herodot ſchrieb ſeine Hiſtorie, noch ohne Perioden; bald gab Gorgias der Rede - kunſt die Geſtalt einer Wiſſenſchaft, die Welt - weisheit fieng an oͤffentlich gelehrt zu werden, und die Grammatik wurde beſtimmt. Was ſollen wir aus dieſer Zeit durch Ueberſezzun - gen fuͤr unſre Sprache rauben?

Nur nicht die Sylbenmaaße! denn es ergiebt ſich gleich, daß dieſe ſchwer nachzuah - men ſeyn muͤſſen. Damals, als noch die αοιδοι, und ραψωδοι ſangen; da man auch im gemeinen Leben die Woͤrter in ſo hohem Ton ausſprach, daß man nicht blos lange und kurze Sylben, ſondern auch hohe und niedri - ge Accente deutlich hoͤren ließ, daß jedes Ohr der Urteiler der Proſodie ſeyn konnte; damals war der Rhythmus der Sprache noch ſo helle,daß67daß die Cadence, in der man die Verſe aus - ſprach, oder nach dem Ausdrucke der Alten ſang, den Gang eines Hexameters aus - halten konnte. Und dieſer war alſo das gewaͤhlteſte Sylbenmaas, das die meiſte Har - monie in ſich ſchloß, das ſo genau in ihrer Sprache lag, als die Jamben unſerm Ge - ſange natuͤrlich werden, und das ihrem Ohr und ihrer Kehle am gemaͤßeſten war, weil ih - re Melodie im Geſange, und Deklama - tion des gemeinen Lebens eine hoͤhere Ton - leiter auf und nieder ſtieg, als unſere. Aber wir reden mit wenigern Accenten monoto - niſcher, man mag es fließend oder ſchleichend nennen; wir ſind alſo an die Menſur eines Hexameters nicht gewoͤhnt. Gebet einem guten geſunden Verſtande ohne Schulweisheit, Jamben, Daktylen und Trochaͤen zu leſen; er wird ſogleich, wenn ſie gut ſind, ſcandiren; gebet ihm einen gemiſchten Hexameter er wird nicht damit fortkommen. Hoͤret den Ca - deneen bei dem Geſange der Kinder und der Nar - ren zu; ſie ſind nie Polymetriſch; oder wenn ihr daruͤber lacht; ſo geht unter die Bauern, gebt auf die aͤlteſten Kirchenlieder acht; ihreE 2Fall -68Falltoͤne ſind kuͤrzer, und ihr Rhythmus ein - foͤrmig: dahingegen ſangen die Griechiſchen Rhapſodiſten ihre lange Gedichte in immer - waͤhrenden Hexametern: ohne Zweifel, weil der Hexameter ihrem Ohr auch ſelbſt fuͤr Gaſſenlieder nicht zu lang, und ihrer Spra - che nicht zu Polymetriſch war: und weil ihre Proſodie und Geſangweiſe jede Sylbe und Re - gion gehoͤrig beſtimmte. Aber jetzt! wollt ihr Griechiſche Hexameter leſen; lernet erſt Proſodie, um die Sylben in ihre rechte Re - gionen bringen zu koͤnnen. Jhr wollt Deutſche Hexameter machen; machet ſie ſo gut ihr koͤnnet, und alsdenn laſſet dem ohngeachtet die Versart druͤber druͤcken, wie man es Klopſtock rieth, oder bittet, wie Kleiſt, dies Sylbenmaas als Proſe zu leſen. Koͤnnet ihr Hexameter deklamiren? Wohl! ſo werdet ihr auch wiſſen, daß das die beſte Deklamation iſt, die ſeine Fuͤße am meiſten verbirgt, und nur alsdenn hoͤren laͤßt, wenn ſie die Mate - rie unterſtuͤzzen. Sehet! ſo wenig iſt der Hexameter und die Polymetriſchen Sylben - maaße unſrer Sprache natuͤrlich: bei den Griechen foderte ihn die ſingende Deklama -tion,69tion, das an den Geſang gewoͤhnte Ohr, die vieltrittige Sprache; bei uns verbeut ihn, Sprache und Ohr und Deklamation.

Was ſollen wir denn aus dieſer Zeit nach - ahmen? Die Lenkung des Perioden? Auch nicht! Homer ſang und wurde ſpaͤt geſamm - let! Die Tragoͤdien des Aeſchylus und So - phokles wurden, wie die Alten gemeinſchaft - lich bezeugen, auf der Buͤhne durchaus ab - geſungen. Die Sprache ſtuͤzzte ſich alſo damals maͤchtig auf eine Deklamation, die fuͤr uns ganz ausgeſtorben iſt, und die ihr damals Geiſt und Leben gab. Mit dieſer Deklama - tion verlieren wir alſo auch den Gebrauch vieler Partikeln, Verbindungen, und Fuͤllwoͤrter, die zur damaligen Deklamation gehoͤren. Das Αλλ οταν, womit jedesmal die Orakel an - fiengen, das αλλα, δε und αυταρ des Ho - mers, womit er die Glieder ſeiner Perioden verbindet, wuͤrden, da wir an Proſaiſche Perio - den gewoͤhnt ſind, ſehr wunderlich in der Ueber - ſezzung klingen; eben ſo laͤcherlich, als wenn der ehrliche blinde Saͤnger aufſtuͤnde, uns ſeine 24 Buchſtaben vorzuſingen.

E 3Nach70

Nachahmen koͤnnen wir hievon alſo nichts; aber doch gehoͤrt es dazu, um die Alten die - ſes Zeitalters Poetiſch zu leſen. Wenn ich den Homer leſe, ſo ſtehe ich im Geiſt in Grie - chenland auf einem verſammleten Markte, und ſtelle mir vor, wie der Sanger Jo, im Plato die Rhapſodien ſeines goͤttlichen Dichters mir vorſinget, wie er voll von goͤttlicher Be - geiſterung ſeine Zuhoͤrer ſtaunen macht, wie, wenn er ſich ſelbſt entriſſen, von dem Ulyſ - ſes redet, da er ſich ſeinen Feinden zu er - kennen giebt, oder da Achilles den Hektor anfaͤllet, er bei jedem Fuͤrchterlichen, die Haa - re aufrecht ſtehen, und das Herz ſchlagen macht; wie er jedem die Thraͤnen in die Augen lockt, wenn er von dem Ungluͤck der Andromache, der Hekuba, des Priamus ſin - get. Wie die Corybanten, von der Melodie des Gottes, der ſie begeiſtert, entzuͤckt, ihre trunkene Freude in Worten und Geberden zeigen; ſo begeiſtert ihn Homer, und macht ihn zum goͤttlichen Boten der Goͤtter. Jn dieſer Entzuͤckung erfuͤllet die ganze Harmonie des Hexameters, und die ganze Pracht ſeines Perioden mir Ohr und Seele; jede Verbin -dung71dung, und jedes Beiwort wird lebendig, und traͤgt zum Pomp des Ganzen bei: und wenn ich mich wieder zuruͤck in mein Vaterland fin - de: ſo beklage ich die, ſo den Homer in einer Ueberſezzung leſen wollen, wenn es auch die richtigſte waͤre. Jhr leſet nicht mehr Ho - mer, ſondern etwas, was ohngefaͤhr wieder - holet, was Homer in ſeiner Poetiſchen Spra - che unnachahmlich ſagte.

Sollen wir unſre Sprache durch die Jn - verſionen bereichern, die damals in ihrer biegſamen Sprache jedem Wink der Leiden - ſchaft und des Nachdrucks nachgaben? Ver - ſucht es; unſrer Sprache, ſelbſt dem freieſten und verworrenſten Klopſtockiſchen Hexameter ſind Feſſeln der Conſtruktion angelegt worden, die die Harmonie des Griechiſchen Perioden meiſtens zerſtoͤren werden. Oder ſollen wir unſre Sprache in Bildung der Machtwoͤr - ter, nach dem Griechiſchen uͤben? Verſucht es; wenn ihr gleich ein Schweizer ſeyd, wer - det ihr die Beiwoͤrter im Homer, Aeſchy - lus und Sophokles, oft genug umſchrei - ben muͤſſen.

E 4Jch72

Jch halte die Hymnen des Orpheus fuͤr nicht ſo alt, daß ſie, ſo wie ſie ſind, bis an den Orpheus reichen ſollten; aber, ſo wie unſre Kirchenſprache, und Kirchenpoeſie, beſtaͤndig Jahrhunderte zuruͤckbleiben: ſo zeigen ſie, nach meiner Meinung, am beſten, wie die aͤl - teſte Sprache der Poeſie, zur Zeit des hohen Stils geweſen iſt. Wohlan nun! verſucht, dieſe Hymnen ſo ins Deutſche zu verpflanzen, als Skaliger ſie in Altlatein uͤberſezte: ihr werdet, ohngeachtet aller Staͤrke doch oft das alte Deutſche vermiſſen, das bei den alten Druiden in ihren heiligen Eichenwaͤldern Or - pheiiſch geklungen haben mag! Solche kuͤh - ne Verſuche mache ein junges munteres Ge - nie fuͤr unſre Sprache; aber es laſſe auch al - te unparteiiſche Philologen daruͤber urteilen.

Homer, Aeſchylus, Sophokles ſchuf - fen einer Sprache, die noch keine ausgebildete Proſe hatte, ihre Schoͤnheiten an; ihr Ueber - ſezzer pflanze dieſe Schoͤnheiten in eine Spra - che, die auch ſelbſt im Sylbenmaas und wie wir bewieſen zu haben glauben ſelbſt im Hexameter Proſe bleibt, daß ſie ſo wenig als moͤglich verlieren. Jene kleideten Ge -danken73danken in Worte, und Empfindungen in Bil - der; der Ueberſezzer muß ſelbſt ein ſchoͤpferi - ſches Genie ſeyn, wenn er hier ſeinem Original und ſeiner Sprache ein Gnuͤge thun will. Ein Deutſcher Homer, Aeſchylus, Sophokles, der im Deutſchen eben ſo klaßiſch iſt, als jene in ihrer Sprache, errichtet ein Denkmal, das weder einem Klein - noch Schulmeiſter ins Auge faͤllt, das aber durch ſeine ſtille Groͤſ - ſe und einfaͤltige Pracht das Auge des Wei - ſen feſſelt, und die Aufſchrift verdienet: Der Nachwelt und Ewigkeit heilig!

Ein ſolcher Ueberſezzer iſt unſtreitig viele Koͤpfe groͤßer, als ein anderer, der aus ei - ner naͤhern Zeit, aus einer verwandten Sprache, aus einem Volke, das mit uns einerlei Denkart und Genie hat, ein Werk uͤberſezzt, das im leichteſten Poetiſchen Ton, Didaktiſch, geſchrieben iſt, und das dem ohn - geachtet doch in der Ueberſezzung ſein beſtes Colorit verlieret ſollte dieſer Ueberſezzer auch Ebert ſelbſt ſeyn. Sein Young haͤt - te im Deutſchen, zu unſrer Zeit, nach unſern Sitten und Religion, immer ſeine NaͤchteE 5ſchrei -74ſchreiben koͤnnen; aber jene ihre Werke in unſrer Sprache? in unſrer Zeit? bei unſern Sitten? Niemals! So wenig als wir Deutſchen je einen Homer bekommen wer - den, der das in allen Stuͤcken fuͤr uns ſey, was jener fuͤr die Griechen war.

9.

So ſehr verzweifle ich alſo an Ueberſez - zung der aͤlteſten Griechiſchen Dichter; aber deſto mehr ſuche man von der Griechiſchen Proſe eines Platons und Xenophons, ei - ues Thucydides und Polybius, und die ſpaͤtern Griechiſchen Dichter zu nuzzen. Zu dieſer Zeit lebten die κἀλοι κἀγαϑοι der Wiſſenſchaften, die mit dem Genie unſerer Zeit naͤher verwandt ſind; der Periode war in ſeinem beſten Glanze, und die Jdiotismen milderten ſich. Von dieſen Schriftſtellern kann die Deutſche Sprache unſtreitig viel lernen; weil ſie ſich in die Griechiſche eher und biegſamer ſchicken kann, als in die Latei - niſche; weil die Griechiſche es auch unſtreitigmehr75mehr verdient, und weil fuͤr die Deutſchen eine ausgebildete Poeſie und Proſe des gu - ten Verſtandes, ohnſtreitig die beſte Spra - che iſt.

Heilmann, der Ueberſezzer des Thucydi - des, der gewiß ſeinen Autor, und die Kunſt zu uͤberſezzen gekannt hat: ſcheint die Biegſamkeit der Deutſchen Sprache nicht genug in ſeiner Gewalt gehabt zu haben, um ſie mit der Grie - chiſchen zuſammen zu paſſen. Jndeſſen hat freilich dieſer Baumgartenſche Philolog noch ziemlich ſeinen Mann gewaͤhlt, da er uns den koͤrnichten Thucydides liefert, deſſen Schreib - art er uns mit Meiſterzuͤgen geſchildert hat:*ſ. Litt. Br. Th. 3. p. 202.

Man ſiehet uͤberall die Miene des großen, des vornehmen Mannes, der als ein Staats - mann ſchreibt, der aber auch nur fuͤr Staats - leute ſchreiben will; der nichts weniger im Sinne hat, als ein klaßiſcher Schriftſteller zu werden, aus welchem einmal kuͤnftig Red - ner Beiſpiele zu ihren Vorſchriften ſamm - len ſollten. Er ſiehet alſo uͤberall nur auf die Wuͤrde in den Gedanken, und auf den Adel76 Adel im Ausdruck. Er faſſet jene kurz und buͤndig, und in dieſem ſucht er ſich beſtaͤn - dig von dem gemeinen zu entfernen. Er hatte in ſeiner Jugend ohnfehlbar die Grund - ſaͤzze der Beredſamkeit gefaſſet; allein er be - hielt ſie hernach, um ſie zu brauchen, und nicht ſich daran zu binden. Er iſt ein Schriftſteller, der aus den Gedanken alles, und aus dem Ausdruck nur ſo viel macht, als zu jenen noͤthig iſt; der ſeine Jdeen ge - nau und buͤndig faſſet und ſie durchaus ſo, wie er ſie gefaſſet, ausdrucken will: und hiernach muͤſſen ſich Ausdruck, Saͤtze, und deren Ver - bindungen, Perioden und deren Beziehungen und alles richten. Seine Schreib - und Denkungsart iſt im hoͤchſten Grade Pathetiſch. Er iſt ſeiner Sprache vollkommen kundig, das Bluͤhende, das er durch den Reichthum des Ausdrucks, welcher ihm voͤllig fehlet, haͤtte erhalten koͤnnen, durch die Wahl der nachdruͤcklichſten Woͤrter, und durch die Ener - giſche Beugung und Verbindung derſelben zu erhalten; und er iſt dreuſt genug, der - gleichen zu machen, wo er es nicht vor ſich findet. Aus dieſen Stuͤcken zuſammenge - nom -77 nommen erwaͤchſt eine Schreibart, die in Anſehung ganzer Ausſpruͤche, ſchwer, ge - drungen und in einander gewunden, in An - ſehung der Wortfuͤgungen ſonderbar und oft unregelmaͤßig, in Anſehung des Ausdrucks ſehr fruchtbar, aber auch neu und unge - woͤhnlich iſt. Er iſt der Schoͤpfer ſeiner ganzen Schreibart. Dieſes erhellet daraus am deutlichſten, daß ſich das beſondre dar - inn nirgends mehr zeigt, als in ſolchen Stel - len, worinn er blos ſelbſt denkt, in ſeinen Reden und eingemiſchten Betrachtungen. Hier ſind die Perioden oft von ungewoͤhnli - cher Laͤnge; denn er ſchließt nicht eher, bis ſeine Reihe von Gedanken zu Ende iſt. Hier ſind die Wortfuͤgungen ſehr verſteckt, und durch haͤufige Einſchaltungen unterbrochen; denn er will jeden Begrif durchaus an dem Orte, in dem Verhaͤltniſſe ausdrucken, wo er ſich in dem zuſammengeſezten Bilde ſei - ner Jdeen befindet; hier ſind die einzelnen Ausdruͤcke von der gewoͤhnlichen Bedeutung und Gebrauch entfernt, weil das Gewoͤhn - liche das Ebenmaas ſeiner Begriffe nicht genau ausdruͤckte, und eine Umſchreibung ihm78 ihm zu langweilig duͤnkte. So ka - rakteriſiret Heilmann des Thucydides Schreib - art und vielleicht die ſeinige ſelbſt mit, ſo wie er ſie durch dieſe Ueberſezzung und das Leſen der Baumgartenſchen Schriften gebildet hatte. Wie ſticht dieſe Schilderung ab, ge - gen die, ſo Geddes vom Thucydides macht: er als ein Schulmeiſter, und Heilmann als ein Mann von Geſchmack. Schade fuͤr die Deutſche Litteratur, daß Heilmann ihr ſo fruͤh entriſſen worden.

GriechiſcheUeberſezzer von ſolchem Geſchmack finden ſich ſelten; und ſie ſollten ſich doch finden, weil der Deutſche hiſtoriſche Stil am mei - ſten durch die Griechen gebildet werden kann. Und dieſer muß vorzuͤglich gebildet werden: denn eine Sprache, die wenig Unterſchied in den Zeiten angiebt, die wenig ohne Huͤlfs - woͤrter thun, nicht leicht einen Modus fuͤr den andern ſezzen, und wenig Aenderung in der Reihe der Worte anbringen kann; eine ſolche Sprache iſt nicht ſonderlich geſchickt zur Geſchichte; und hier muß man ihr alſo die groͤßte Huͤlfe geben.*Litter. Br. Th. 17. p. 187., Und ſo iſt die Deutſche.

Fer -79

Ferner! *Litt. Br. Th. 7. p. 24.Die groſſe Manier im Dia - logiren ſollen wir auch zu erreichen ſtre - ben, die wir an den Alten bewundern? Sie wuſten einen Diſcurs mit vieler Ge - ſchicklichkeit, aber doch natuͤrlich herbeizu - fuͤhren, die Materie unter die unterreden - de Perſonen gluͤcklich zu vertheilen, jede Per - ſon karaktergemaͤß denken, und gelegent - lich ſprechen zu laſſen, und gleichwohl war ihr Augenmerk auf das Ganze mit ge - richtet. Die Einheit des Endzweckes fuͤg - te die mannichfaltige Theile ſo gluͤcklich an einander, daß man dem Faden der Unter - redung ohne Verwirrung folgen, und den Weg, den man zuruͤckgelegt, ganz uͤberſe - hen konnte. Sokrates hatte ſeine eigene Weiſe. Er wuſte ſeinen Gegner durch geſchickte Umwege dahin zu locken, wo er ihn haben wollte; und wenn ein Mißtrauen entſtand, ſo erlaubte er ihm zuruͤck zu kehren, und wenn er es noͤthig findet, ſich beſſer vorzuſehen. Seine groͤßte Kunſt aber ſezte er daran, die wichtigen Lehren, davon er80 er uͤberzeugen wollte, in ihre Elementtheile aufzuloͤſen, ſo wie man die harten Speiſen zerhackt, um ſie fuͤr ſchwaͤchliche Magen etwas verdaulicher zu machen. Er fieng ſodann von dem Bekannteſten an, das ſein Gegner einzuraͤumen nicht umhin konn - te, lockte ihm ein Geſtaͤndniß nach dem an - dern ab, und ganz unvermerkt befand er ſich am Ziele. Es gehoͤrt freilich kein ge - meines Talent dazu, ſich dieſe Manier ei - gen zu machen, und ſelbſt einem Cicero iſt ſie nicht ſonderlich gelungen. Freilich ge - hoͤrt zu ihr kein gemeines Talent, und unter den Neuern weiß ich vorzuͤglich nur einen Shaftesburi, der ſie vom Plato ziemlich abgelernet, ſo wie er ſelbſt wieder der Lehrer des Diderot zu ſeyn ſcheint. Warum wol - len wir aber nicht aus der Quelle ſelbſt ſchoͤ - pfen, da dieſe Art zu dialogiren der Sprache ſelbſt viele Biegſamkeit, Abwechſelung und Munterkeit ertheilt? Unter den Deutſchen bat ſie Leßing vorzuͤglich in ſeiner Gewalt: ſowohl in den Luſtſpielen, als der Fabel.

10. Und81

10.

Und nun die Ueberſezzer aus dem Lateini - ſchen! Eine nuͤtzliche Bemerkung ſchreibe ich her,*Litt. Br. Th. 13. p. 120. und 130. uͤber die Verſchiedenheit des Lateini - ſchen und Deutſchen Perioden.

Jm Deutſchen iſt ein Stil ſchon Perio - diſch, wenn auch die Bindewoͤrter der La - teiner nicht ſo genau dazwiſchen geſtellet, und die Abſaͤzze ſo an einander gekettet ſind. Die Roͤmer muſten dieſes, wegen der Kuͤrze ihrer Worte thun, wenn ſie nicht in den abgeſchnittenen Stil verfallen wollten. Oh - ne Artikel, ohne Huͤlfswoͤrter, reich an Par - ticipien, fuͤgte ſich ihre Sprache ſo an einan - der, daß immer ein Satz in wenigen Worten da ſtand. Weil die Seele alſo wenige Zei - chen zu faſſen hatte: ſo konnten auch die folgenden Begriffe eher angehaͤngt werden, wenn nicht die Wichtigkeit der Betrachtung den Autor zwang, lieber dem Geiſte viel Ruheplaͤzze zu verſchaffen, als das Ohr zu fuͤllen. Jm Deutſchen aber, welcher Un - ter -F82 terſchied! wenn wir die Perioden nicht ſchleppen wollen, muͤſſen wir ſie mannich - mal trennen, und wenn wir nicht ganz zu - ruͤckbleiben wollen, muͤſſen wir unſrer Spra - che Huͤlfe geben. Es iſt wahr! es iſt dem Ueberſezzer nicht erlaubt, den alten Roͤmer zum witzigen Franzoſen zu machen, und ſeine Lehren in Antitheſen zu verwandeln; allein ſeine Lebhaftigkeit muß er ihm erhal - ten. Wir ſind nicht ſo albern, daß wir einem Tullius, wenn er unter uns aufſtehen koͤnnte, nicht anders als friſert zu erſcheinen erlaubten: aber ſeinen muntern Blick und ſein os rotundum wollten wir auch nicht gerne entbehren. Jndeſſen iſt der Unter - ſchied zwiſchen dem Lateiniſchen und Deut - ſchen Perioden ein neuer Grund, warum die Bekanntſchaft mit den Griechen, und auch die Ueberſezzungen aus ihnen, faſt noch mehr anzurathen ſind, als die Uebungen mit den Lateinern. Kann ich wohl dieſes laut ge - nug ruffen, damit man mich in Deutſch - land allenthalben hoͤre?

Wenn ich aus dem Lateiniſchen Ueberſez - zungen riethe; ſo waͤre es erſt ihrer Poeti -ſchen83ſchen Sprache, denn ihres hiſtoriſchen Stils wegen. Die Poetiſche Sprache! Ein Deutſcher Horaz wuͤrde unſre Sprache gewiß bereichern, und unſern Perioden der Ode beſtimmen, daß er ganz das Ohr fuͤl - let. Da Ramler das lezte im Deutſchen am beſten getroffen und uͤberhaupt viele Kaͤnntniß des Antiken und Deutſchen Wohl - klanges zu haben ſcheint: von wem ſollen wir uns einen Deutſchen Horaz lieber wuͤnſchen, als von ihm? Horaz iſt ſeiner Sprache ganz Meiſter. Sein Periode wird ein Gemaͤlde, wo jedes Wort, jedes triftige Beiwort, an denen er gluͤcklich iſt, eine Figur ausmachet: die Anordnung dieſer Figuren erhebet dabei das ganze Gemaͤlde: man verſuche es, Woͤr - ter aus ihrer Stelle, aus ihrer Region zu ruͤcken, und das Bild leidet allemal: dies iſt ein Odendichter, der in jedes Wort Bedeu - tung legt. Jn der That, es kommt mir vor, daß Horaz den Griechen das meiſte unter den Lateiniſchen Dichtern abgelernt: ſeine Freiheit in Bildung ſchoͤner Graͤciſmen, und ſein wirklich Griechiſcher Wohlklang wuͤrden uns in der ſchwerſten Gattung der GedichteF 2zei -84zeigen koͤnnen, wie man eine andere Sprache nachzuahmen haͤtte, wenn nicht Alcaͤus und Sappho und die uͤbrigen Lyriſchen Griechen verlohren waͤren.

Die hiſtoriſche Ueberſezzungen waͤren wieder fuͤr unſern Stil unentbehrlich. Der hiſtoriſche Stil will Kuͤrze, und uns man - geln viele Participien; er fodert Sprach - naivitaͤten, und das Deutſche giebt ſie nicht. Mit wie vielem Reize brauchen nicht die Lateiner ihre Jnfinitiven, wenn wir uns im - merfort mit unſerm Imperfecto ſchleppen muͤſſen: Ille hoſtem aggredi &c. Die Franzoſen haben dies in ihre Sprache uͤber - tragen. Unſre Huͤlfswoͤrter, die wir zur Bildung des Perfecti brauchen, machen den Stil zu weitſchweifig. Die Franzoſen haben ihr erzaͤhlendes Perfectum; wir un - ſer Imperfectum, aber ſie haben es ja auch. Folglich kommen wir immer zu kurz. Jn einem Stil, der durch wenig Zierrathen abgewechſelt wird, wo die Perioden nicht gedehnt, und durch praͤchtige Worte voll - geſtopft werden, kommt unendlich viel auf ſolche Abaͤnderungen an. Hier muͤſſen wir un -85 unſerer Sprache zu helfen ſuchen, und wenn ſie uns ihre Huͤlfe entzieht, doch Wendun - gen ausdenken, dadurch dieſer Mangel er - ſezzt wird. *Th. 9. p. 127. und Th. 17. p. 187. Jn dieſem Geſichts - punkt wie manche Vorzuͤge um das Ver - gnuͤgen im Leſen, um das Deutſche Ohr, und die Deutſche Sprache, hat nicht der Magdeburgiſche Ueberſezzer des Tacitus vor dem Hamburger.

Und Tacitus iſt mehr fuͤr unſre Zeiten ein Muſter, als Livius. Jn ſeinem Geiſt der Erzaͤhlung? gewiß: denn die ſorgfaͤltigen Erzaͤhlungen von allerlei Wunderzeichen ge - hoͤrten zu des Livius Zeiten zur Geſchichte, die ihre Religion unterſtuͤzzen ſollte: die vie - len eingeſtreueten Reden ſchmecken auch nach dem Geiſt der damaligen Zeit, wo Beredſam - keit eine nothwendige Eigenſchaft des Buͤr - gers war: die enthuſiaſtiſchen Wunder der Tapferkeit von Perſonen beiderlei Geſchlechts, belebten einen Roͤmer, einen Republikaner auch zu einem Patriotismus, der in unſrer Zeit eine andre Wendung genommen. Hin - gegen Tacitus mit ſeinen Reflexionen, die inF 3den86den Geiſt der Begebenheiten dringen, iſt ein Geſchichtſchreiber fuͤr Deutſche. Und in ſei - nem Stil auch mehr, als jener. *Litt. Br. Th. 10. p. 213. Der Stil kann durch die verſchiednen Zeiten auch beſtimmt werden. Dies iſt eine Anmer - kung, die ich dem Gordon aus ſeinen Be - trachtungen uͤber den Tacitus abborge. Einige Zeiten koͤnnen eine ſtarke braune Far - be uͤber die meiſten Gemaͤlde verbreiten, wenn andre Zeiten ein hoͤherés und bren - nenderes Colorit geben. Gordon erklaͤrt daraus den Unterſchied zwiſchen dem Stil des Livius und Tacitus. Vielleicht wuͤrde ſich auch in den gegenwaͤrtigen Zeiten der Stil mehr dem Tacitus als Livius naͤ - hern duͤrfen. Unſre Sprache, die ohnehin viel weitſchweifiger iſt, als die Lateiniſche, fodert dies mit deſto ſtaͤrkerm Rechte. Man hat den hiſtoriſchen Stil mit einem ſanften Bach verglichen, der ohne Geraͤuſch ſeinen gleichen Lauf fortmurmelt: aber man muß nur dabei bedenken, daß dieſer Bach immer ſeine gehoͤrige Tiefe behalten muß; weil ſich ſonſt87 ſonſt das Auge nicht mehr an der Durch - forſchung vergnuͤgt, und alſo keine Schoͤn - heiten mehr findet. Ueberhaupt kleidet auch eine Nachdrucksvolle Schreibart die Deutſchen am beſten. Die Points; die Epigrammatiſche Einfaͤlle; die Wendungen, und der blendende Witz des Seneka und Plinius, ſind mehr fuͤr die Franzoſen; und ein Beaumelle, der in mes penſées ſo gluͤcklich iſt, kann auch Penſées de Seneque ſchreiben.

11.

Geſellen Sie nun zu dieſen Alten noch ei - nige neuere Auslaͤnder; deren Genie bewaͤhrt, und deren Sprache mit der unſrigen ver - wandt iſt: was wuͤrden wir nicht unſern Ueberſezzern zu verdanken haben? Dieſe neuere Auslaͤnder ſind ohne Zweifel Franzo - ſen und Englaͤnder, zwiſchen welchen der Deutſche in der Mitte ſteht.

So wie die Franzoſen vormals von der Litteratur unſrer Nation urtheilten: ſo urtheil -F 4ten88ten ſie auch von unſrer Sprache; ich darf die unwiſſende Urtheile des Mauvillon und ſo vieler andern nicht wiederholen; ſie laſſen uns jetzt mehr Gerechtigkeit wiederfahren, ſeitdem das Journal étranger unſerm Stil, Premontval und andere ſogar unſerer Spra - che haben Gerechtigkeit wiederfahren laſſen. Dem ohngeachtet aber macht die wirklich zu große Verſchiedenheit der Nationen, ihrer Denk - und Schreibart, ihrer Sitten und Sprache bei ihnen noch immer Jrrungen, die wir ihren mindern Kaͤnntniſſen zuzuſchrei - ben haben.

Deutſches Ohr, Deutſche Haͤrte, Deutſche Rauhigkeit! heißt es noch immer! Unſere Sprache ſoll etwas barbariſches an ſich haben: ſo wohl wegen der vielen Conſonanten, mit denen ſie uͤberhaͤuft iſt, als wegen der ſonderbaren (biſarren) Con - ſtruktion ihrer Redensarten, die dem Schrift - ſteller keines Weges mehr Freiheit, oder mehr Huͤlfsmittel gibt, ſondern nur ohne Noth die Metaphyſiſche Ordnung der Wor - te ſtoͤret. Wir wollen dieſe Stelle etwas beherzigen.

Un -89

Unſere Sprache hat wegen der Conſonanten etwas barbariſches an ſich:)*Litt. Br. Th. 16. p. 20. und die Fran - zoͤſiſche wegen der oͤftern Eliſionen, wegen der vielen unnuͤtzen Woͤrter, die halb ver - ſchluckt werden, wegen der laufenden Aus - ſprache, keinen gewiſſen Tritt. Aber das erhebt ja nicht unſre Sprache, wenn die andre an einer andern Seite leidet? Nein! aber die unſere leidet darinn nicht ſo, wie ein Franzoſe glaubt. Damit unſre Laute ſich nicht unter den Conſonanten verlieren moͤgen: haben wir mehr Doppellauter, und ſtaͤrkere Vokale, als ſie: ſo daß unſre Sprache eine gewiſſe Doriſche Fuͤlle bekommt, die in ſtarken Monologen des Trauerſpiels, in dem vollen Chor einer Cantate, im maͤnn - lichen Schwunge einer Ode; noch mehr aber im ernſthaften Lehrgedicht, und in nachdruͤck - lichen Betrachtungen ſich unſerm Charakter ſehr anſchmieget. Moͤchte uͤberhaupt nur dieſe Doriſche Rauhigkeit ſo viel Einfluß in das Jnnere unſerer Sprache haben, als die Do - riſche Haͤrte deſto vollere Schoͤnheiten in dieF 5Oden90Oden des Pindars, und in die Aeoliſche Schriftſteller hat einweben koͤnnen: ſo woll - ten wir zu den Franzoſen laut ſagen, was wir ſeit kurzem haben anfangen koͤnnen zu ſagen: Jhr ſagt! meine Sprache ſchaͤnde mich! ſehet zu, daß ihr nicht die eurige ſchaͤn - det: wie einſt der Koͤnigl. Scythe Anachar - ſis, gegen die Griechen ſein Vaterland ver - theidigte.

Zweitens: wir haben mehr Hauche in un - ſerer Sprache, als ſie: und die Aſpiration gehoͤrt ſo ſehr zum Lieblichen der Rede, als der Seufzer zu den zaͤrtlichen Worten des Liebhabers, als der ſchmeichelnde Weſt, zum Ergoͤtzen des Fruͤhlings: denn mit dieſen hat ſie einige Aehnlichkeit. Gehet die lieblichen, zaͤrtlichen, angenehmen Woͤrter durch: ſie empfehlen ſich alle durch ein ſanftes h oder ch, das uns die rauhern Voͤlker ſo uͤbel nachſpre - chen koͤnnen, die das H, wie z. E. die Ruſ - ſen, in ein ſcharfes G, das weiche ch, in ein rauhes cch, faſt wie das Ain der Hebraͤer aus - ſtoßen muͤſſen: daher das H bei einigen Voͤl - kern das Schibolet iſt, woran man kennen kann, daß ſie gebohrne Gergeſener ſind: dadie91die Letten z. E. Jmmel und Eute (ſtatt Him - mel und Heute) ausſprechen. Das H iſt uͤberhaupt die Graͤnze zwiſchen Laut und Mitlauter: es gibt, nach Gellius Bemer - kung, dem Worte Haltung, und dem Schalle Munterkeit: es nimmt dem Vokal etwas vom Laute, und gibt dem Mitlauter etwas dazu: es verhindert die gar zu große Oeffnung des Mundes bei den Vokalen, und die Zerrung bei den Conſonanten: daher die Griechen, die die Hauche (Spiritus) bei ihrer Sprache ſo ſehr brauchten, um inſonderheit das Ypſi - lon fortzuſtoßen; im Phyſiſchen Verſtande den Ausſpruch des Horaz verdienen:

Grajis dedit ore rotundo Muſa loqui. ()

Und doch reicht die Griechiſche Sprache hierinn nicht an die Morgenlaͤndiſchen, deren Aſpirationen, (z. E. bei den Hebraͤern das〈…〉〈…〉,〈…〉〈…〉,〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉) kaum mehr zu beſtimmen ſind. Die Roͤmer, die ihre Sprache ſo Griechiſch als moͤglich machen wollten, nahmen daher auch die Hauche auf, um ihre alte Mundart zu mildern. Quintilian fuͤhrt an, die Altenhaͤt -92haͤtten aedus, ircus (ſtatt haedus, hircus) geſprochen: man haͤtte aus dem Griechiſchen aber das H dazu genommen: ja, wenn man das Catulliſche Epigramm kennet, das uͤber hinſidias und hionios (ſtatt inſidias und ionios) ſpottet: ſo weiß man, daß die Klein - meiſter von lieblichem Ton ihn endlich zu all - gemein auch bei den ſanften Vokalen, die ihn nicht noͤthig hatten, machen wollten. Cicero aͤrgert ſich, daß er dem Volk zu gefallen, pulcher und triumphus, ſtatt pulcer und triumpus ausſprechen muͤſte, und Quinti - lian aͤrgert ſich, daß man ſchon ausſchweif - te, um chorona und praecho zu ſchreiben. *Hier im Vorbeigehen eine kleine Schulanmer - kung, die unſrer neuen Orthographie noͤthig iſt. Die Alten hatten ſich ſo in das H verliebt, daß ſie es gerne ſprachen, ſelbſt wo ſie es nicht ſchreiben dorften, und auch nicht ſchrieben. Uns neuern iſt ſo wenig an dieſem Muſikali - ſchen Buchſtaben gelegen, daß wir ihn im Schrei - ben ſo gern wegwerfen, da wo wir ihn doch nothwendig, und inſonderheit bei einſylbigen Woͤrtern ſehr unterſcheidend ſprechen muͤſſen. Die Orthographie des Denſo und vieler an - dern iſt mir alſo unausſtehlich: die bewonen, Lon, Son ſchreiben: bald wird man alſo auch Geen (ſtatt geben), aben ſtatt haben, und An,ſtattDie93Die Nordlichen Voͤlker verſchlingen die Aſpi - ration der Kehle durch den ſtarken Gebrauch der Zunge, Lippen und des Gaumens, und da ſie die Lateiniſchen Laͤnder uͤberſchwemmten: ſo fanden ſie das H unausſprechlich. Es verlor ſich alſo aus der Jtaliaͤniſchen und meiſtens auch aus der Franzoͤſiſchen Sprache. Unſrer Deutſchen Sprache, als einer Origi - nalmundart blieb es, und mildert alſo recht ſehr ihre Barbarey der Conſonanten.

Das Deutſche hat aber ſo biſarre Conſtruk - tionen, daß die Metaphyſiſche Ordnung der Worte ohne Noth geſtoͤrt wird, und der Schriftſteller doch keine Freiheit mehr hat. *Litt. Br. Th. 16. p. 20. 21. Zum Exempel! die Metaphyſiſche Ordnung der Worte wird geſtoͤrt: denn wie laͤcher - lich klingts: Hier au ſoir vint le Comte ici par; und doch ſagen die Deutſchen: Geſtern Abend kam der Graf hier an! Wer von den Deutſchen iſt von dieſem Exem - pel nicht ſo getroffen, als von einem Blitze,daß*ſtatt Hahn ſchreiben. Schade fuͤr unſre Spra - che, wenn man zwei Menſchenalter nach uns ſo ſpricht, als dieſe Sprachverderber ſchreiben.94daß er ſo gleich den Eigenſinn der Franzoͤſi - ſchen Sprache, und ihre Ungelenkigkeit fuͤr die wahre, einzige Metaphyſiſche Ordnung der Woͤrter haͤlt, und kuͤnftig immer den Franzoſen zu Gefallen, und zu Ehre der Sprachenphiloſophie folgende Conſtruktions - ordnung einfuͤhret: weil ihr nicht uns da - von habt nicht heute wollen thun den Ge - fallen: wir euch ihn werden thun. Denn dies iſt die aͤchte Franzoͤſiſche Conſtruktions - ordnung (puisque vous ne nous en avez pas aujourd’hui voulû faire la grace; nous vous la ferons); und der Eigenſinn der Franzoͤ - ſiſchen Conſtruktion, iſt doch die Metaphyſiſche Ordnung ſelbſt. Wenn man ſich doch ſcheuen wollte, Sachen in die Welt zu ſchreiben, von denen man nicht die gehoͤrige Kaͤnntniß haben kann.

Jn wie fern Jnverſionen nuͤtzlich oder ſchaͤdlich ſind, muß gewiß, aus ganz andern Gruͤnden, als ſolchen woͤrtlichen Ueberſez - zungen eroͤrtert werden; und die Urſache, warum dergleichen Partikeln in der Deutſchen Sprache ſo und nicht anders geſezzt werden, mag ſich doch wohl koͤnnen Philoſophiſch erklaͤ - ren95 ren laſſen. Jch verſuche es, ſie Philoſophiſch zu erklaͤren; aber nicht die Partikel denn jede Sprache hat ihren Eigenſinn; ſon - dern die Jnverſionen uͤberhaupt: ſo wird ſich ihre Erlaubniß und Nutzen von ſelbſt zeigen.

12.

Das Hauptgeſez bei der Verbindung der Worte zu einer ganzen Jdee iſt folgendes:*Litt. Br. Th. 17. p. 184. Man laſſe mehrere Jdeen, die zuſammen ei - nen Gedanken ausmachen ſollen, in der Ord - nung folgen, die der Faßlichkeit des Gedan - kens, und dem jedesmaligen Zwecke des Re - denden gemaͤß iſt. Nun kann der Zweck des Redenden in tauſend Faͤllen einerlei ſeyn; alſo wird es eine gewiſſe allgemeine Con - ſtruktionsordnung geben. Hundert mal aber gibt es einen beſondern Zweck des Red - ners, und denn iſt die Sprache die beſte, welche raͤumig gnug aufgeſchuͤrzt iſt, um ih - re Ordnung nach dieſem Zwecke wenden zu koͤnnen.

Stel -96

Stellet euch zwei Geiſter vor, die ſich ein - ander ihre Gedanken, und blos Gedanken un - mittelbar mittheilen; ſo wird die Ordnung, in der das eine Weſen ſie denket, auch zugleich die ſeyn, in der ſie das andere erblicket. So wie die Jdeen bei dem einen ſich entweder aus ſeinem innern Grunde hervorwickeln, oder ſo wie es ſie aus den Dingen außer ſich ſchoͤpfet: ſo theilet es dieſelben auch mit. Eine ruhige Venunft, die nichts als Gedan - ken einer andern Vernunft ſaget: gehet alſo den gewoͤhnlichen Pfad der Zuſammenſezzung der Begriffe; ſie zeiget den Gegenſtand zuerſt und ihr Urtheil daruͤber an. Hier iſt alſo der Bau eines Perioden ſo regelmaͤßig be - ſtimmt, daß, nach der Arabiſchen Proſodie zu reden, jedes Wort einen Pfoſten und Saͤule ausmacht, der eben hier an ſeinem Orte ſtehet.

Betrachtet eine Philoſophiſche Sprache; waͤre ſie von einem Philoſophen erdacht: ſo huͤbe ſie alle Jnverſionen auf: kaͤme eine allgemeine Sprache zu Stande: ſo waͤre bei ihren Zeichen nothwendig jeder Plaz und jede Ordnung ſo beſtimmt, als in unſrer Deka - dik. So lange wir aber noch keine durch -aus97aus Philoſophiſche Sprache haben, die blos fuͤr die Weltweisheit erfunden waͤre: ſo nehmt die, die am meiſten zur Weltweisheit ge - braucht wird, die Lateiniſche, nehmt ſie, wie ſie in den Buͤchern der Weltweisheit iſt, wenn ſie Lehrſaͤzze und trockene Beweiſe vortraͤgt; wie iſt ſie? ohne Jnverſionen meiſtentheils.

Nun ſtellet euch zwei ſinnliche Geſchoͤpfe vor, davon der eine ſpricht, der andre hoͤret: Dem erſten iſt das Auge die Quelle ſeiner Begriffe; und jeden Gegenſtand kann er in verſchiedenen Geſichtspunkten ſehen; dem andern zeiget er dieſen Gegenſtand, und es kann auf eben ſo verſchiedenen Seiten geſchehen. Nun betrachtet die Rede, als ein Zeichen die - ſer Gegenſtaͤnde: ſo habt ihr den Urſprung der Jnverſionen. Je mehr ſich alſo die Auf - merkſamkeit, die Empfindung, der Affekt auf einen Augenpunkt heftet; je mehr will er dem andern auch eben dieſe Seite zeigen, am er - ſten zeigen, im helleſten Lichte zeigen und dies iſt der Urſprung der Jnverſionen. Ein Beiſpiel: Fleuch die Schlange! ruft mir jemand zu, der mein fliehen zu ſeinem Haupt - augenmerk hat, wenn ich nicht fliehen wollte. GDie98Die Schlange fleuch! ruft ein anderer, der nichts geſchwinder will, als mir die Schlan - ge zeigen; fliehen werd ich von ſelbſt, ſo bald ich von ihr hoͤre. Er hat mir das Geld geſtohlen; und kein anderer; Er hat mir das Geld geſtohlen; ich weiß es gewiß; das Geld hat er mir geſtohlen (und keinen Ring); Mir hat er das Geld geſtohlen, und keinem andern; geſtohlen hat er mir das Geld (nicht abgeborgt): wie viel Veraͤnderung macht hier nicht die Jnverſion in der Wendung des Ge - dankens.

Entſpringt alſo die Jnverſion von der ſinn - lichen Aufmerkſamkeit: ſo muß bei einer noch ganz ſinnlichen Nation ihre Sprache unregel - maͤßig und voll Veraͤnderungen ſeyn: wie die Gegenſtaͤnde ins Auge fallen, ſo ſaget ſie die - ſelbe; eine Grammatikaliſche Conſtruction iſt noch nicht eingefuͤhrt. So ſind noch jetzt die Sprachen der Wilden, und alle alte Spra - chen, die urſpruͤnglich ſind, und das Gepraͤ - ge der erſten ſinnlichen Lebensart fuͤhren, ſind voll Jnverſionen. Geberden, und Accent kommt zu Huͤlfe, um dies Chaos von Worten verſtaͤndlich zu machen. Noch immer ſprichtman99man von den aͤlteſten Sprachen, als waͤren ſie von GOtt, oder einem Philoſophen erfun - den, und waͤren aus ſeinem Gehirn mit aller Ruͤſtung geſprungen, wie Pallas aus dem Ge - hirn des Jupiters. Alles, was wir ſchoͤnes in den aͤlteſten Sprachen finden: iſt erſt ſpaͤ - ter in ſie gekommen, nur wir kennen die er - ſten unfoͤrmlichen Zeiten nicht; daher ſchei - nen ſie uns gleich im Anfange im Glanz. Nehmet das ſinnreichſte Spiel, wo ein Euler durch die Berechnung der Faͤlle der Wahr - ſcheinlichkeit die weiſeſte Anordnung entdeckt; iſt es im Anfange ſo geweſen nichts als ei - ne Zuſammenhaͤufung ungefaͤhrer Wuͤrfe; ei - ne Folge von Verſuchen, bis Verſuche endlich Kunſt in daſſelbe brachten

So bald gewiſſe Dinge mit beſtimmten Worten fortgepflanzt wurden; wie dies durch die erſten Lieder geſchahe; ſo fieng ſich dieſes unordentliche Chaos an zu ſenken; man ſuchte die Ordnung der Worte aus, die dem Lernenden am faßlichſten waren; das Syl - benmaas muſte ſie einpaſſen, und ſo ward ſie zwar kein Geſez, keine Regel, aber ein Muſter, ein Praͤjudicat: und man weiß, daß alle Voͤl -G 2ker100ker nach bloßen Gebraͤuchen leben, ehe ſie Ge - ſezze haben. Die Gebraͤuche werden zu Gewohnheiten, und ſo ward auch die Con - ſtruktionsordnung dazu, doch daß ihre Ueber - tretung noch keine Suͤnde war.

Endlich naͤherte ſie ſich dem Anſehen ei - nes Geſezzes, da die Buͤcherſprache auf - kam; jezt fiel die Aktion weg, die vorher die Jnverſionen erlaͤutert hatte. Denn dem Sprechenden helfen ſeine Gebaͤrden und der Ton der Stimme den wahren Verſtand be - ſtimmen; da hingegen alles dies im Buche wegfaͤllt. *Litt. Br. Th. 17. p. 186.Man muſte alſo einer ge - wiſſen Ordnung folgen, um dem Leſenden verſtaͤndlich zu werden; indeſſen war dieſe noch ſehr frei, wie die urſpruͤnglichen aͤlteſten Griechiſchen und Roͤmiſchen Dichter bezeugen, denen keine neuere Sprache ihre Veraͤndrun - gen nachmachen kann.

Man beſtimmte die Ordnung der Wor - te ſo lange, bis man endlich den Proſaiſchen Perioden herausdrechſelte, der der Ordnung der Jdeen, ſo wie ſie ſich der Verſtand bildet,folg -101folgte, und doch auch das Ohr und das Auge zu Rathe zog. Und er ward alſo in ſeiner Struktur eine Anordnung von Bildern, ſo wie ſie ſich dem Auge darſtellen wuͤrden, von Jdeen, wie ſie ſich der Verſtand denkt, von Toͤnen, wie ſie das Ohr fodert, daß es mit Wohlluſt erfuͤllet werde. Der bloße Verſtand, der nichts mit Auge und Oho zu thun hat, folgt blos der Ordnung der Jdeen, und hat alſo keine Jnverſionen; ſo iſt der Logiſche Periode. Er verwirft jede Veraͤnderung, weil das Einfache das einzige Deutliche iſt, und jede Jnverſion wenigſtens einen moͤglichen Fall macht, daß eine dop - pelte Beziehung entſpringen kann.

13.

Nun unterſuchen wir hiernach die neuern Sprachen. Je mehr eine derſelben von Gram - matikern und Philoſophen gebildet worden; deſto haͤrtere Feſſeln traͤgt ſie: je mehr ſie ihrem urſpruͤnglichen Zuſtande nahe iſt; deſto freier wird ſie ſeyn. Je mehr ſie lebt: deſtoG 3mehr102mehr Jnverſionen; je mehr ſie zur todten Buͤ - cherſprache zuruͤckgeſezzt iſt; deſto mindere. Alles beweiſet die Franzoͤſiſche Sprache: Diderot klagt, daß ihr die Grammatiker der mittlern Zeiten, die ihre Sprachkunſt gebildet, Feſſeln angelegt, unter denen ſie auch wirklich noch jetzt ſeufzet. Wegen dieſes einfoͤrmigen Ganges mag es vielleicht ſeyn, daß man ſie eine Sprache der Vernunft nennet; daß ſie eine ſo ſchoͤne Buͤcherſprache zum Leſen iſt. Aber fuͤr das Poetiſche Genie iſt dieſe Spra - che der Vernunft ein Fluch, und dieſe ſchoͤne Buͤcherſprache hat, um im Reden nicht zu ſchleppen, den fluͤchtigen und ungewiſſen Tritt annehmen muͤſſen, der fuͤr die hohe Deklama - tion dieſe galante Sprache Nervenlos macht. Wenn es von unſern jetzigen Sprachen gilt, daß wir eine Menge beſonderer Zwecke gar nicht durch die Wortfuͤgung anzuzeigen ver - moͤgend ſind: ſondern ſie nur muͤſſen aus dem Zuſammenhange errathen laſſen: *Litter. Br. Th. 17. p. 186. ſo iſt dieſe Unvollkommenheit gewiß vorzuͤglich bei der Franzoͤſiſchen Sprache.

Aber103

Aber ſo iſt doch ihre Sprache eine Spra - che der Vernunft, weil ihre Ordnung der Metaphyſiſchen Reihe getreuer bleibt? Es ſey ſo! getreuer! aber getreu bleibt ſie ihr nie, und keine menſchliche Sprache ſinnlicher Geſchoͤpfe kann ihr treu bleiben; denn die Franzoͤſiſche Sprache hat ſo gut, wie jede an - dere, unphiloſophiſchen Eigenſinn und nun ſchlieſſe ich mit einemmal! ihre Ordnung iſt ſchlechter, als die unſere, weil die unſrige raͤu - miger aufgeſchuͤrzt iſt, um ihre Ordnung nach jedem Zwecke lenken zu koͤnnen. Vollkom - menheit kann keine Sprache erreichen; die groͤßte Poetiſche Schoͤnheit auch nicht: ſie bleibt alſo in der Mitte, und ſucht: Behag - lichkeit,*Man erlaube mir dies Wort, das ein Claßiſcher Schriftſteller unter uns, wenn ich nicht irre, gerechtfertiget hat: der Verf. der Phil. Schr. und zu der gehoͤren auch Jn - verſionen.

Die Sprache hat den Punkt der Behag - lichkeit getroffen, die Poeten, Proſaiſten, und Philoſophen ein leichtes Werkzeug iſt; die beiden erſten nutzen von den Jnverſionen: wenn nun ihr Nutzen dem dritten nichtG 4nach -104nachtheilig iſt; ſo koͤnnen und muͤſſen ſie bleiben.

Ja! aber beweiſe, daß ſie ihm nutzen! Der Franzoſe leugnet ſchlechterdings, daß ſie ihm Freiheit und Huͤlfsmittel verſchaffen: und denn beweiſe auch, daß ſie dem Weltweiſen nicht ſchaden: ſonſt muß man einen kleinern Nutzen dem groͤßern aufopfern. Jch will es verſuchen.

Jch fange vom leichteſten an. Das Ohr will einen Perioden, der es durch ſeinen Wohl - klang fuͤllet, der gnug abwechſelt, und nicht zu oft wiederkommet. Kann dies eine Rede ohne Jnverſionen erreichen? Schwerlich! ein Periode ſchließt ſich, wie der andre, wenn er ſeine Meinung geſagt hat; das ſtolze Ohr wird durch einerlei Cadencen gequaͤlt: es em - pfindet es, die Jnverſionen in der Sprache ſind eben ſo noͤthig, als das Unebenmaaß in der Malerei, und in der Muſik der Mißlaut. Die Franzoͤſiſche Sprache hat ja noch immer viele Jnverſionen und doch wird ein Griechiſches Ohr in ihrem Poetiſchen und gewoͤhnlichen Proſaiſchen eine große Monotonie bemerken, die oft bei dem leztern d[en]Conſtructionen un - ſers Canzleiſt[il]s gleicht.

Dies105

Dies gienge endlich wohl noch hin aber der Schriftſteller, der fuͤrs Auge, fuͤr die Einbildungskraft ſchreibt, der durch die Ein - bildungskraft, Aufmerkſamkeit, Empfindung, ja oͤfters Leidenſchaft erregen will der braucht ſie nothwendiger. Er malet der Einbildungs - kraft ein Gemaͤlde hin, wo jedes Wort von ſeinem Orte Schoͤnheit erhaͤlt und die Ord - nung der Phantaſie iſt doch gewiß nicht die Ordnung der kalten Vernunft. Dieſe Jn - verſion iſt, um die Aufmerkſamkeit zu erregen, jene, um ſie zu erhalten; dieſe uͤberraſchet, jene beweget die ganze Seele: dieſe gehoͤrt zum Hinterhalt, um unverſehens hervor zu brechen; jene gehoͤren zur Schlachtordnung, daß jedes Wort an ſeinem Orte trift, und in ſeinem Lichte erſcheint. Hiedurch bekommt die Proſe Munterkeit, die Poeſie Feuer; und die muntern Franzoſen haben es bis zur mun - tern Proſe des Umganges gebracht; und die Jnverſionen, die ſich unſre gute Poeten haben erlauben koͤnnen; gehoͤren mit zur Deutſchen Freiheit. *Litter. Br. Th. 16. p. 8.

G 5Aber106

Aber wie? leidet nicht die Philoſophiſche Sprache der Deutſchen darunter? Was das anbetrift: ſo fuͤhlen wir weit eher Feſſeln in der Dichteriſchen, als Philoſophiſchen Sprache; auch wir fuͤhlen es: daß wir eine Menge beſonderer Zwecke gar nicht durch die ordent - liche Wortfuͤgung anzeigen koͤnnen; die wir nur muͤſſen aus dem Zuſammenhange errathen laſſen. Unvollkommenheit unſrer Sprache von der ſinnlichen Seite; aber voll der Seite der Vernunft?

Zur Weltweisheit*Th. 7. p. 163. ſcheint die Deutſche Sprache, mehr als irgend eine von den le - bendigen Sprachen, ausgebildet zu ſeyn. Sie iſt beſtimmt und reich genug, die feinſten Gedanken des Metaphyſikers in ihrer nack - ten Schoͤnheit vorzutragen, und von der andern Seite nachdruͤcklich und bilderreich genug, die abgezogenſten Lehren durch den Schmuck der Dichtkunſt zu beleben. Je - nes hat ſie Wolfen und dieſes Hallern zu danken. Zwei ſolche Schriftſteller ſind genug, einer Sprache von einer gewiſſen Seite die gehoͤrige Ausbildung zu geben. Die Na - tion107 tion hat ihnen auch ſo zu ſagen das Muͤnz - recht zugeſtanden; denn die mit ihrem Stem - pel bezeichnete Ausdruͤcke, ſind in dem Ge - biete der Weltweisheit nunmehr gaͤng und gaͤbe worden.

Der Philoſophiſche Geiſt hat ſich bei uns auf alle Theile der Gelehrſamkeit verbrei - tet, und giebt unſern ſchoͤnen Schriften ſelbſt eine gewiſſe Teinture von Ernſt und Gruͤndlichkeit, die uns eigenthuͤmlich iſt, und einem Auslaͤnder den Karakter der Nation zu erkennen geben muß. Hingegen muͤſſen wir von auswaͤrtigen Leſern aus eben der Urſach der Dunkelheit beſchuldigt werden, ſo lange ſie noch mit unſerer Litteratur nicht genug be - kannt ſind. Wenn uns Deutſchen die Schriften eines Paſcal, Fontenelle, Mon - tesquieu und einiger andern Franzoͤſiſchen Weltweiſen nicht bekannt waͤren; ſo wuͤr - den wir uns in die neuern Schriften dieſer Nation gleichfalls nicht zu finden wiſſen. Und wie viel mehr muß dieſes den Auslaͤndern in Anſehung unſrer Litteratur wiederfahren, da bei uns die Philoſophie eine merkliche Gewalt uͤber die Sprache gewonnen, und wir108 wir zur Verbeſſerung der ſchoͤnen Wiſſen - ſchaften, ſo zu ſagen, den Weg uͤber die Metaphyſik genommen haben.

Jn dieſen Geſichtspunkten hat unſre Spra - che vor der Franzoͤſiſchen voraus, und ſollte es alſo Gelehrten noͤthig geſchienen haben, dieſe Freiheiten aufzuopfern: ſeit dem ſie Philoſophie und Franzoͤſiſche Sprache ſtudirt haͤtten. *Th. 16. p. 20.Philoſophie und Franzoͤſiſche Sprache ein Paar, was ſich hier ſehr fremde zuſammen findet.

14.

Es iſt gut, daß ein Franzoſe es nicht unter - nimmt, uͤber unſre Sylbenmaaſſe zu urthei - len: ſein Ohr iſt zu einer Monotonie ver - woͤhnt, und es wuͤrde ihm, wie einem unge - lenkigen Alten, gehen, der ſeinen muntern Kna - ben das Springen verbeut, weil er ſelbſt nicht mit ſpringen kann. Einem Franzoſen kann man es ſchwerlich begreiflich machen, daß unſre lange und kurze Sylben von ſo ver - ſchiedener Art ſind, daß man, um dieſe Nuan - cen109 cen richtig zu bezeichnen, auſſer dem gewoͤhn - lichen und ̅ wenigſtens noch drei ver - ſchiedene Zeichen haben muͤſte, daß unſer Hexameter alſo durch die Kraft eines Ge - nies ſich dem Hexameter der Alten unge - mein naͤhern koͤnne. *Litter. Br. Th. 16. p. 24.

Jch wollte, da ich von der Ueberſezzung aus den Alten redete, die Materie nicht zer - reißen: jezt ſezze ich die vornehmſten Bemer - kungen der Litteraturbriefe mit einigem Kriti - ſchen Urtheil hieher:

Ueber den Hexameter.

Der Deutſche Ueberſezzer des Rabelais, Huldrich Ellopoſcleros (wahrſcheinlich Johann Fiſchart; denn ελλοπος κληρος heißt, einer, den das Loos der Fiſche getrof - fen, und die Ueberſezzung des Philipp von Marnix von Fiſchart, iſt dem Deutſchen Rabelais ſehr gleich) hat unter ſeinen Zu - ſaͤzzen, den Anfang eines ſcherzhaften Hel - dengedichts in gereimten Deutſchen Hexa - metern,110 metern, und eine Zueignung an die Deutſche Nation in Hexametern und Pentametern, wo ſich nicht blos Pentameter mit Pentameter, ſondern auch jedes Hemiſtichion mit dem an - dern reimet. Das war 1617. Einige Jahre nachher gab Alſted in ſeiner voll - ſtaͤndigen Ausgabe der Encyklopaͤdie ein Mu - ſter von Deutſchen Hexametern. Von Al - ſted bis auf Heraͤus iſt des Deutſchen Hexa - meters ſelbſt nicht in den Lehrbuͤchern der Dichtkunſt gedacht, wo doch Muſter in an - dern Lateiniſchen Sylbenmaaſſen, in dem Alcaiſchen z. E. vorkommen. *Litter. Br. Th. 1. p. 110. ꝛc.Nach He - raͤus gaben bald Omeis, bald Gottſched nach allen ihren Kraͤften Beiſpiele davon; bis endlich andere Maͤnner ins Spiel traten, die der Sache nicht durch ihren Kritiſchen Rich - terſpruch, ſondern durch ihren ſtillſchweigen - den Gebrauch den Ausſchlag gaben. Der Verfaſſer des Meßias und des Fruͤhlings ſchienen ſich das Wort gegeben zu haben, und traten faſt zu gleicher Zeit mit Werken in dieſer Versart hervor, auf deren noch im - mer wachſenden Beifall, ich allein die Hoff - nung111 nung gruͤnde, daß ſich der Deutſche Hexa - meter erhalten werde. Man ſezze aber, das Ungluͤck haͤtte es gewollt, und der Verfaſ - ſer des Nimrods waͤre jenen beiden Dich - tern im Gebrauch deſſelben zuvorgekommen (wie er ſich deſſen auch in allem Ernſte ruͤh - met). Wuͤrde er wohl einen einzigen Nach - folger bekommen haben, wenn ſeine Hexa - meter auch ſchon zehnmal richtiger und wohl - klingender geweſen waͤren, als ſie in der That nicht ſind? *Litter. Br. Th. 2. p. 305.

Klopſtock ſezzte vor ſeinen Meßias, eine Ab - handlung von der Nachahmung des Grie - chiſchen Sylbenmaaſſes im Deutſchen, ein Fragment, das in ſeiner Art kein ſchlech - teres Fragment, als bisher der Meßias ſelbſt iſt, worinn zwar nicht alles geſagt wird, aber was geſagt wird, iſt vortreflich. Nur muß man ſelbſt uͤber die alten Syl - benmaaſſe nachgedacht haben, wenn man alle die ſeinen Anmerkungen verſtehen will, die Herr Klopſtock mehr im Vorbeigehen als mit Vorſaz zu machen ſcheinet. Der Pro -112 Proſaiſche Vortrag des Dichters gefaͤllt mir ſehr wohl, und die ganze Abhandlung iſt ein Muſter, wie man von Grammatikaliſchen Kleinigkeiten ohne Pendanterie ſchreiben ſoll. *Litter. Br. Th. 1. p. 108. 109.Kurz! wenn einige Grammati - ker die Abhandlung des Dionys von Hali - karnaß guͤlden genannt: ſo kann man die bei - den vor dem Meßias, und die uͤber den Poe - tiſchen Stil mit mehrerem Rechte ſo nennen. Klopſtock fand es hierinn moͤglich, dem Grie - chiſchen und Lateiniſchen Hexameter ſo nahe zu kommen, daß er groͤßern Werken einen Vorzug gaͤbe, den wir durch unſre gewoͤhnli - che Sylbenmaaße nicht erreichen koͤnnen. Er fand es moͤglich, ohne doch der Proſodie der Alten ſo genau nachkommen zu doͤrfen, als Uz in ſeinem Gedichte: der Fruͤhling, und oh - ne ihm die Vorſchlagsſylbe geben zu muͤſſen, die Kleiſt in ſeinem Fruͤhlinge der Welt ein - fuͤhrte.

Nirgends ward er ſo ſehr Mode, als in der Schweiz: ſie ſahen ihn vor ſo vollkom - men an, daß es nichts weiter bedoͤrfe, als ihn zu gebrauchen, um ſich der ſeltenſten Wirkun -113 Wirkungen des Wohlklanges und des Poe - tiſchen Ausdrucks zu verſichern. Sie wuͤnſchten ſich unter einander Gluͤck, daß eben dieſelben Genien, die den Muth ge - habt, die erhabenſten Wahrheiten der irr - diſchen Wiſſenſchaft zum Gegenſtande ihres Geſanges zu nehmen, und ſich in die Olym - piſchen Sphaͤren, den Wohnplaz hoͤherer Naturen, zu ſchwingen; uns auch den wah - ren heroiſchen Vers, den Hexameter der Griechen und Roͤmer, in aller ſeiner Ver - ſchiedenheit und ſchoͤnſten Harmonie hervor - gebracht haben. *Th. 10. p. 355.Ein Gedicht in He - xametern folgte auf das andere. Noah und Jacob und Joſeph und Rahel und Abraham und Telemach und Suͤndfluthen und Frag - mente, und Hymnen, und Briefe, lebendige und todte keinem Menſchen kam es ein, ihn gegen den Hexameter der Alten recht zu pruͤfen bis es der that, der vielleicht ſelbſt die haͤrteſten unter allen geſchrieben hatte: Oeſt, der Verfaſſer des Siechbettes.

HierH114

Hier iſt der Titel ſeiner neuen Ausgabe: Oeſts Verſuch einer Kritiſchen Proſodie: oder Anmerkungen und Regeln uͤber das Syl - benmaas der Alten, vornehmlich Griechen und Lateiner, nebſt einer Beurtheilung des neuern Deutſchen Hexameters und der ver - miſchten feineren Sylbengroͤßen bei einigen unſerer juͤngern Dichter: 1765. Der Ver - faſſer hat eine groͤßere Kenntniß der Deut - ſchen Sprache, als alle Beurtheiler der Syl - benmaaße vor ihm; ein genaues Gefuͤhl der Rhythmik der Alten; eine große Beleſenheit und eine Geduld, die nicht jedermanns Ding iſt. Allein bei allem dieſen iſt ſeine Kritiſche Proſodie wuͤſte; Finſterniß auf der Tiefe, und Winde, die das Gewaͤſſer bewegen. Eine dunkle affektirte Schreibart, in der die Jdeen ſelbſt nicht im gehoͤrigen Licht erſcheinen. Weitlaͤuftigkeiten, wo Kuͤrze zugereicht haͤtte: Unordnung in den Stuͤcken, und Stuͤcke, die kein Ganzes ausmachen. Vielleicht waͤre es alſo beſſer geweſen, wenn der Herr Pfarrer: Johann Peter Muͤller ſeines Herrn Ober - inſpectors Anmerkungen nicht blos herausge -geben,115geben, ſondern, geordnet, gefeilt, und er - leuchteter herausgegeben haͤtte.

Ramler, einer der einſichtvolleſten Kunſtrichter Deutſchlandes, dem und dem faſt allein wir die feinſten Anmer - kungen uͤber den Wohlklang Deutſcher Ge - dichte zu danken haben, nahm ihn unter ſein Feld der Beobachtung, theils im Bat - teux, theils (wenn ich mich nicht irre) im 18ten Theil der Litteraturbriefe. *p. 119-180.Und dieſe haben hin und wieder ſo davon geur - theilt.

Haben wir den Griechiſchen oder Roͤmi - ſchen Hexameter in aller ſeiner Verſchie - denheit und ſchoͤnſten Harmonie? Leute ſoll - ten dies wenigſtens nicht behaupten, die die Natur der Griechiſchen und Roͤmiſchen Poe - ſie und auch die Natur der unſrigen kennen wollen. Jene haben ein Sylbenmaas, das aufs genaueſte beſtimmet, und gleichſam aus - gerechnet iſt, ſie haben wenige Sylben, die lang und kurz koͤnnen gebraucht werden, ſchon der Zuſammenſtoß zweier ConſonantenH 2 wird116 wird von ihnen gehoͤrt und macht eine Syl - be lang u. ſ. w. Wir haben nichts derglei - chen; wir richten uns blos nach einer zu - weilen ziemlich unbeſtimmten Ausſprache. Faſt alle einſylbichte Woͤrter, deren wir ei - ne ſehr große Menge haben, koͤnnen nach Be - lieben lang oder kurz gebraucht werden; hiezu kommt, daß wir gezwungen ſeyn, uns an - ſtatt der Spondaͤen mehrentheils der Tro - chaͤen zu bedienen, daß wir ſehr wenige Dak - tylen haben u. ſ. w. Blos dieſe beide lezte Punkte beweiſen, daß ein Vers, wo es einer - lei iſt ̅ ̅ oder ̅ ; entweder ̅ oder ̅ ̅ oder gar ̅ ̅ zu ſezzen, ohnmoͤglich eben derſelbe Vers der Alten ſeyn kann, in - dem jedes Sylbenmaas aufs genaueſte be - ſtimmt war.

Wir koͤnnen alſo blos den alten Hexame - ter auf gewiſſe Weiſe nachahmen, und da unſre Tonmeſſung in vielen Stuͤcken noch gar nicht unter gehoͤrige Regeln gebracht iſt: ſo muß indeſſen das Ohr hauptſaͤchlich die Richtigkeit des Deutſchen Hexameters entſcheiden. Dieſes muß am ſicherſten be - ſtimmen, ob ein Wort an einem gewiſſen Orte117 Orte vortheilhafter lang oder kurz gebraucht werden koͤnne: dieſes muß uns lehren, daß man auf einen Trochaͤen nicht einen Dakty - lus muͤſſe folgen laſſen, deſſen erſte Sylbe lang oder kurz ſeyn kann, weil ſonſt das Sylbenmaas verwirrt wird, und derglei - chen mehr; alsdenn erfolget ſtatt der Har - monie eine unausbleibliche Verwirrung, und das Ohr wird weit mißvergnuͤgter, als bei einer noch ſo unharmoniſchen Proſe.

Folgendes ſind alſo die allgemeinen Re - geln des Deutſchen Hexameters. Die Laͤnge und Kuͤrze muß nach dem Accente, der Aus - ſprache gemaͤß, genau beobachtet werden; die Daktylen muͤſſen insbeſondere, ſo viel moͤglich, rein ſeyn; keine Endung muß einer andern, oder der Mitte des Verſes allzuſehr aͤhnlich ſeyn; kein Hexameter muß auf zwei - erlei Art koͤnnen ſcandiret werden. Der Abſchnitt muß, ſo viel moͤglich, im dritten Fuß und maͤnnlich ſeyn.

Wir haben in unſerer Sprache einen Mangel an Spondaͤen, und dieſer Mangel entzieht dem Deutſchen Theater keinen gerin - gen Theil von dem geſezten Wohlklange, denH 3 die118 die Griechiſchen und Lateiniſchen Hexameter haben. Solten wir alsdenn die Spondaͤen, die uns die Sprache noch giebt, nicht ſorg - faͤltig zu Rath halten? Unſre lange Sylben werden ganz genau durch das Zeitmaas der Ausſprache beſtimmt; und dieſes hangt ent - weder von der Natur der Sylbe ſelbſt ab, welche eine merklich laͤngere Zeit zum Aus - ſprechen erfodert, oder von dem Accent, den wir in der Ausſprache drauf legen. Muͤſ - ſen wir nun nicht zweiſylbige Woͤrter, de - ren Sylben einerlei Laͤnge des Zeitmaaßes haben, als natuͤrliche Spondaͤen anſehen, dafuͤr wir der Sprache Dank ſchuldig ſind? z. E. Umgang, Schickſal, Ungluͤck, Aufruhr, Freundſchaft ꝛc. Dieſe muͤſſen wir alſo nie als Trochaͤen und noch weniger als Dakty - len gebrauchen.

Aus Mangel der Spondaͤen muͤſſen wir oft Trochaͤen gebrauchen. Das Ohr ver - liert etwas dabei, und der Hexameter be - kommt einen weniger maͤnnlichen Klang, wir muͤſſen ihn alſo durch Trochaͤen ſo voll - klingend zu machen ſuchen, als es moͤglich iſt. Die Trochaͤen muͤſſen ſich alſo mit ei - ner119 ner beſtimmten langen Sylbe anfangen, daß der Leſer nie verleitet werde, ſie Jambiſch zu leſen: die Daktylen, die wir mit einmiſchen, muͤſſen ſehr rein ſeyn, und dem Ohr die dop - pelte kurze Sylbe merklich zu vernehmen geben. Durch dieſen geſchwindern Fall werden die Trochaͤen gleichſam kontraſtirt und gehoben, ihr langſamer Gang faͤllt deutlicher ins Gehoͤr, und naͤhert ſich dem Spondaͤiſchen. Wenn man aber Trochaͤen nach dem Sylbenmaas Jambiſch leſen muß, wenn man eine natuͤrlich lange Sylbe bald im Trochaͤen lang, bald wieder in Dakty - len kurz gebraucht findet: ſo verſchwindet dem Leſer die Harmonie des Verſes.

Man hat es ſich auch, wie mich duͤnkt, zu leichtſinnig angewoͤhnt, die einſylbigen Woͤrter als gleichguͤltig in der Proſodie zu betrachten. Allein die Ausſprache, oder der Accent, den der Nachdruck der Rede auf ein einſylbiges Wort legt, beſtimmt ſeine Laͤnge oder Kuͤrze in den meiſten Faͤllen ganz genau, und das Ohr wird ſehr beleidigt, wenn es Sylben kurz hoͤren muß, die doch der Nachdruck und die Ausſprache langH 4 macht120 macht und ſo umgekehrt. Je groͤßern Vorrath nun unſre Sprache an einſylbigen Woͤrtern hat; deſto genauer muͤſſen wir in Beobachtung der Proſodiſchen Regeln ſeyn. Hier darf uns die Proſodie der Griechen und Roͤmer, die uͤberdem auf unſere ſchwer - faͤlligere und vollſylbige Sprache nicht ap - plikabel iſt, gar nicht zur Regel dienen. Die einſylbigen Woͤrter, die ſie in ihrer Sprache als gleichguͤltig anſahen, moͤgen wirklich in ihrer Ausſprache ein mitleres Maas gehabt haben: oder das Maas aller uͤbrigen Syl - ben war auch ſo genau beſtimmt, daß die wenigen ancipites keinen Mißklang in der Harmonie machen konnten. Dies iſt bei - des aber nicht bei uns. Die Natur unſrer Sprache ſcheint auch ſelbſt das Tonmaas zu beſtimmen, und vielleicht auf folgende Weiſe: Alle einſylbige Nomina ſind immer lang; die einſylbige Verba auch, nur iſt und hat ſcheint davon eine Ausnahme zu machen, das lang und kurz iſt; die einſyl - bigen Nomina mit ihrem Artikel, und die Verba mit ihrem Vorwort ſind offenbar Jamben, und ein einſylbiges Adiectiuum, das121 das kurz gebraucht wird, beleidigt faſt alle - zeit das Ohr. Unter allen uͤbrigen einſyl - bigen Woͤrtern, die Partikeln und Vorwoͤr - ter ſind, gibts wenige lange; die meiſten ſind kurz, es ſei denn, daß der Nachdruck der Rede einen Accent darauf legt.

Dies ſind die grammatikaliſche Regeln, die die Litteraturbriefe zum Bau des Hexa - meters gegeben; ich ſezze eine Philologiſche Bemerkung dazu, ohne mich in die Gramma - tik einzulaſſen, die blos aus dem Genie der Sprache die Sache betrachtet.

Fraͤgt man denn: koͤnnen wir Hexameter machen? Nein! wir haben ja ſchon gnug! Fraͤgt man: koͤnnen wir welche nach der Pro - ſodie der Alten machen? Nein! denn das koͤnnen hat Uz gezeigt! Sondern iſts unſrer Sprache natuͤrlich, Hexameter zu machen? Und wie weit muͤſſen wir Zwang großen Zwecken aufopfern? Natuͤrlich! und wie iſt das zu ſehen? Entwoder aus der Natur der Sprache, oder aus Verſuchen. Aus dem erſten Geſichtspunkt merke man:

H 5Nach122

Nach Lowths Bemerkung iſt ſelbſt die Hebraͤiſche Sprache zu feurig und in ihren Formen zu einfach, als daß ſie ſo einem ab - gemeſſenen Polymetriſchen Numerus, als die Griechen nachher hatten, ſich haͤtte bequemen koͤnnen. Und trift nicht das Gegentheil auf unſere Sprache vielleicht? Viel zu volltoͤnig und in ihren Formen zu zerſtuͤckt und zu - ſammengeſezt, als daß ſie ſich dem Polyme - triſchen Numerus bequemen koͤnnte. Jene, und unſere halten beide, Extreme, nur beide entfernen ſich von der Mitte.

Zu volltoͤnig;) da die Sprache der Grie - chen hochtoͤnend war, und außer langen und kurzen auch hohe und niedrige Accente hat - te; einen Unterſchied, den wir entbehren. Aber fuͤr Hexameter nicht entbehren koͤnnen, denn bei unſerm niedrigen vollen Accent erhoͤ - het man ſich ja wenig zum Daktylus, ohne einſylbige Woͤrter als Flickwoͤrter in der Rhyth - mik noͤthig zu haben; wie kann die Sprache aber Polymetriſch ſeyn, die eigentlich nur zu Jamben und Trochaͤen eine Hoͤhe und Tiefe hat; die ſich ſelten in Spondaͤen erhaltenkann,123kann, weil ſie dieſe nicht mit den kurzen Syl - ben zu compenſiren weiß.

Zu zerſtuͤckt in ihren Formen;) Dies zei - gen die vielen einſylbigen Woͤrter, und unſe - re ganze Flexion. Unſer ganzer Periode be - kommt alſo, da die meiſten dieſer Woͤrter lang ſind, was ſteifes, oder Proſaiſches. Woher aber ſind ſie lang? Weil unſre volltoͤnige Sprache, die die hoͤheren Accente entbehrt, ſie durch mehrere erſezzen muß, und alſo fal - len die Griechiſchen ατονα im Deutſchen fort, die den Ton auf die vorhergehende Syl - be ſchoben; theils fallen die Lateiniſchen anci - pites weg, die den Ton, der nach einem hohen folgte, ungewiß laſſen konnten. Unſere Sprache mag in der Wendung des Perioden noch ſo biegſam ſeyn; ihre Beſtandtheile kann ſie doch ſchon nicht aͤndern, und ſelbſt unſre Vaͤter im Poetiſchen Zeitalter aͤhnlicher Spra - chen, die Skaldrer, ſie haben nie auf Griechi - ſche Art Polymetriſch geſungen; hoͤchſtens Sapphiſch, und das iſt noch immer die leichtſte Griechiſche Versart fuͤr uns.

Hiezu ſezze man nun noch Verſuche? Nicht in Hexametern, ſondern in einem freienSyl -124Sylbenmaas, um zu ſehen, was fuͤr Fuͤße am meiſten in unſrer Sprache liegen? Ob, wenn man den Gedanken den Zuͤgel laͤßt, man Pindariſche Oden und Tragiſche Choͤre erbli - cken werde, oder einfoͤrmigere Cadencen? Und ich glaube alsdenn; tanzt unſer Deut - ſches nicht einmal nach Griechiſchen Sylben - maaßen ungebunden; wie viel minder, wenn es in Metriſchen Feſſeln ſo tanzen muß.

Ramler that dies in einer andern Abſicht: er loͤſete die Proſe Geßners und Eberts in ihre natuͤrliche Sylbenmaaße auf, um den Wohl - klang zu zeigen. Vielleicht haͤtte er feurigere Stellen zergliedern ſollen, die nicht mehr ge - leſen, ſondern deklamirt werden muͤſſen, um alsdenn gewiß mehr als Proſaiſche Harmonie zu entdecken und ich glaube, wenn man dies thut: ſo wird man immer weniger Polymetriſches finden, als man zu finden glaubt.

Jch darf nicht mehr verſuchen: es hat es ein andrer gethan: Klopſtock hat ſeine Poetiſche Empfindungen ſo frei ausgedruͤckt, daß ſie ſich ſelbſt in ſymmetriſche Zeilen ge - ordnet zu haben ſcheinen, die voller Wohl - klang125 klang ſind, aber kein beſtimmtes Sylben - maas haben. Er hebt am Feſt der Sou - veraͤnitaͤt in Daͤnnemark an:

We̅ht ſan̅ft, au̅f ih̅ren Gruͤ̅ften , ih̅ r Wi̅nde !
Un d ha̅t e in u nw̅iſſen der Ar̅m
De r P̅atr iot̅en Stau̅b wo au̅sge gra̅be n,
Ve rwe̅ht ih ̅n ni̅cht!
Ver ach̅t ih̅n, Le̅yer , we̅r ſie̅ ni̅cht ehr̅t,
Un d ſtam̅mt er au̅ch au̅s al̅tem Hel̅den ſtam̅me ,
Ver ach̅t ih̅n!
Si e ha̅be n un̅s de r hu̅nde rtkoͤ̅pfi ge n Her̅rſchſu̅cht
e ntri̅ſſen
Un d e̅inen Koͤ̅ni g ge ge̅ben .

Man ſezze dies fort: Spondaͤen, Trochaͤen und Jamben wird jedes Naturgenie antref - fen; Daktylen wird es nur in Partici - pien und wenig andern Woͤrtern finden; und zu den uͤbrigen vielſylbigen Tritten, ſind unſreein -126einſylbige Woͤrter wirklich zu unbeſtimmt, und Proſaiſch.

15.

Doch gnug von dieſen grammatiſchen Schwuͤ - rigkeiten, die einem Genie immer verdrießlich ſeyn muͤſſen: um vielleicht einige ſolche ver - drießliche Genies zu verſoͤhnen, ſezze ich fol - gende Anmerkung dazu, von der ich wuͤnſche, angewandt zu werden.

Das Klopſtockiſche angefuͤhrte Sylben - maas ſoll dazu Gelegenheit geben. Bei dem erſten Anblick ſogleich ſchien es mir ſehr aͤhn - lich zu ſeyn mit dem Numerus der Hebraͤer, ſo viel wir von ihm wiſſen, und mit dem Syl - benmaas der Barden. Jch ſahe, daß es Klopſtock, einem Meiſter in der Deutſchen Sprache, oft ſehr wohl, und ſeinen Nachah - mern meiſtens elend gelungen. Jch wuſte nicht, ob dieſe neue gluͤckliche Versart nicht eher die natuͤrlichſte und urſpruͤnglichſte Poeſie*Litt. Br. Th. 3. p. 103. genannt werden koͤnnte, in alle klei -127 kleinen Theile ihrer Perioden aufgeloͤſet, de - ren jeden man als einen einzelnen Vers ei - nes beſondern Sylbenmaaßes betrachten koͤnnte ſtatt daß ihn die Litteraturbriefe eine kuͤnſtliche Proſe nannten. Jch uͤberließ mich meinen Gedanken, und glaubte endlich, daß dies Sylbenmaaß uns vielleicht von vie - lem Uebel erloͤſen, und viel Auſſchluß und Bequemlichkeit bringen koͤnnte. Man hoͤre mich an:

Erſtens: Haͤtten wir einen Dithyrambi - ſchen Dichter, der wirklich von dem Bliz - ſtrahle des Bacchus getroffen, trunken, und begeiſtert toͤnen wuͤrde: natuͤrlich waͤre kein gefeſſeltes Sylbenmaaß fuͤr ihn; er zer - reißt es, wie Simſon die Baſtſeile, als Zwirnsfaͤden. Allein dieſe Verſe ſind Pinda - riſche Pfeile in der Hand des Starken: die, mit Pindar zu reden, blos fuͤr die Mitver - ſtaͤndige klingen, dem großen Haufen der Aus - leger aber, wie eine dunkle Wolke ſcheinen. Unſer mißgluͤckter Dithyrambenſaͤnger kann dieſer Bemerkung, durch ſeinen Jkariſchen Fall ein Gewicht beilegen.

Zwei -128

Zweitens: Die hohen Oden des Affekts werden natuͤrlich ihre Empfindungen aufloͤſen, ſie moͤgen in kurzem Odem jauchzen, oder donnern, oder ſeufzen und weinen. Dies Sylbenmaaß kann, nach jener Scythiſchen Zeichenſprache zu reden, wie ein Pfeil treffen, ſich wie ein Adler aufſchwingen, es kann die Sprache durchgraben, und ſich wieder, ohne zu ſinken, ſchwimmend erhalten. Wenn man manche Deutſche Lehroden in ihrem gewoͤhnlichen Sylbenmaaße anſieht, ſo ſollte man beinahe denken, daß das gewoͤhnliche Strophenmaaß der Graͤnzſtein eines Para - graphen ſeyn ſollte. Das geht denn nun ſo hin, aber ſollen dieſe Oden Affekt ſingen ein Geſang nach einer Kirchenmelodie.

Drittens: Die Gemaͤlde der Einbil - dungskraft koͤnnen ein gefeſſeltes Sylben - maaß nicht ertragen, ohne daß ſie, oder das Sylbenmaaß leidet. Bei Pindar und Horaz laͤuft die Periode und das Gleich - niß uͤber die Strophe; bei den meiſten Deut - ſchen Dichtern ſind ſie zahm genug. ſich in die Strophe einzuſchließen. Eine Karſchin, die jetzt nichts weniger, als den Perioden derOde129Ode trift, wuͤrde in dieſem Sylbenmaaße ihre ganze Phantaſie ausſchuͤtten, und freilich auch allen unregelmaͤßigen Wuſt derſelben. Will man alſo Klopſtocks Poetiſche Stuͤcke von dieſer Art, auch nicht Oden nennen; am Namen liegt nichts: ſo laſſet es Lyriſche Ge - maͤlde ſeyn, zu denen die Griechen den Na - men ειδος hatten.

Ferner: Auf dem Orcheſter kann die Mu - ſikaliſche Sprache in dieſem Leitbande freier und ſicherer gehen. Vornehmlich in den Recitativen, wo der Muſikus die Harmonie wieder zerſtoͤren muß, die dem Dichter ſo un - ſaͤgliche Muͤhe gekoſtet hat: wo der Proſai - ſche Wohlklang entweder von dem Muſikali - ſchen verſchlungen wird, oder wohl gar durch die Colliſion leidet, und Wohlklang zu ſeyn aufhoͤret. Jn den Arien, wo ein Sylben - maas ſeyn muß, koͤnnten die rimes aſſonan - tes der Spanier den Reim erſezzen, und vie - le Freiheit dem Dichter verſchaffen. Ram - ler in ſeiner Muſikaliſchen Jdylle: der May, in der ihm die zwei Schweſtern der Harmo - nie zur Seite geſtanden, hat hier mehr ge - zeigt, als ich ſagen kann.

JUnd130

Und fuͤr das Theater? Es kann ſich die - ſer Vers ſo Proſaiſch als moͤglich machen; und dies iſt in den erſten Auftritten noͤthig, wo das Sylbenmaas oft unleidlich wird. Er kann ſich aber auch hernach zum hoͤch - ſten Tragiſchen Affekt erheben, und dem Brau - ſen des Sturmes nachahmen, der im Virgil auf den Wogen reitet. Er kann die Thea - tergemaͤlde beleben, die Diderot will, und kann die heftigen kurzen Doppelgeſpraͤche fuͤl - len, die die Alten auf ihren Buͤhnen ſo ſehr liebten, und die bei uns ſo ſehr ausarten (auch vielleicht des Sylbenmaaßes wegen), daß bei Franzoſen und ihren Nachahmern, den Deutſchen, ein Wort, das den Vers un - vermuthet ſchließen ſoll, aber oft durch ei - nige gedehnte Verſe deutlich gnug zu erra - then gegeben wird, ein beſonderes Kunſtſtuͤck iſt. Das Jch, oder Du, oder Nein! u. ſ. w. das alsdenn ſo hergeſchraubt wird, gehoͤrt in ein Epigramm, nicht in ein Trauerſpiel.

Wenn nun in dieſem Sylbenmaas ſo viel Schazz von Sprache, Leidenſchaft, Einbil - dungskraft und Muſik liegt; ſo muß es auch ein Muſter der Deklamation ſeyn. Lies ei -ne131ne hinkende Deutſche Alcaͤiſche Ode; dekla - mire ſie gut: verbirg ihre Fehler: laß die Schoͤnheiten des lebendigen Wohlklanges hoͤ - ren; es iſt nicht mehr Alcaͤiſche Ode, es iſt eine Sprache, in dieſe Verſe zerſtuͤckt. Hoͤre einen Redner in ſeinem Feuer. brauſen, oder zerſchmelzen; du wirſt einige Fußſta - pfen dieſer Abſchnitte in ſeiner Deklamation hoͤren; hoͤre einen Garrick in einem Selbſt - geſpraͤche mit ſich ſelbſt kaͤmpfen, faſt unter - liegen und dennoch ſiegen; ſein Affekt wird die Sprache aufloͤſen: er wird einen Takt halten, der dich an das Kunſtſtuͤck der Al - ten erinnern wird, ihren Akteurs Noten und Ton mitzugeben.

Wie waͤre es nun? wenn dies Sylben - maas in den Oden die Griechiſchen Verſe, und in der Affektſprache die Poetiſche Proſe etwas einſchraͤnkte? Wenn ein Dithyramben - dichter, ein Pindar, ein Barde unter uns in dieſem Feierkleide ſich ſehen ließe? Wenn ein Deutſcher Shakeſpear oder wenig - ſtens, wenn man den Engliſchen Shakeſpear in dieſer Tracht bei uns einfuͤhrte; den wir jezt, ohngeachtet der Ueberſezzung, noch ſo we -J 2nig132nig kennen: wenn Ebert den Poetiſchen Perioden des Youngs mit allem ſeinem Ko - lorit in dies Sylbenmaas uͤbertruͤge Der Kunſtrichter ſchreibt vor: Genies, ihr muͤßt die Regeln durch euer Exempel guͤltig machen!

16.

Jn dem Barbariſchen unſrer Sprache, in den Jnverſionen, in den Sylbenmaaßen haben wir nichts von den Franzoſen zu lernen; wir ſind vor ihnen voraus; worinn denn? in ihrer muntern Proſe, und in ih - ren kritiſchen Bemerkungen uͤber die Sprache.

Unſere witzige Proſe hat, nach den meiſten Buͤchern zu rechnen, noch den Ton der alten Wochenſchriften, deutlich, und bis zum Gaͤh - nen deutlich zu ſeyn. Weil unſer Publikum nicht vor gar zu langer Zeit entweder ſo bloͤd - ſichtig war, daß es blos einen Flecken ſahe, wo andere ein fein gezeichnetes Gemaͤlde er - blickten; ſo bequemten ſich die Schriftſteller nach dem Leſer. Das Buch ward das beſte,was133was ihnen die angenehme Ruhe ließ, im Le - ſen wenig zu denken, was ihnen das Ver - gnuͤgen ſchaffte, hie und da ein Bluͤmchen zu finden, ohne ſich beſtaͤndig buͤcken zu doͤrfen, was ſie in den ſuͤßen Traum einwiegte, das hier zu leſen, was ſie ſelbſt ſchon gedacht zu haben glaubten. Das Buͤcherſchreiben ward von Verlegern ausgepachtet, und man be - quemt ſich nach dem Geſchmack ſeines Lehn - herrn. Das Publikum beſtand aus einigen Journaliſten, die nicht zu denken, wohl aber zu recenſiren Zeit hatten; von dieſen ward das Publikum angefuͤhrt und gleichſam ge - bildet. Hier und da fand ſich ein Mecaͤn, der aber blos Arbeiten liebte, und lobte, und lohnte, die ihm nicht viel Kopfbrechens ma - chen nun denke man ſich dieſe Reihe von Leſern; man wird entweder die Feder aus der Hand werfen, oder man wird ſie eintunken, nicht wie jener Grieche in Verſtand, ſondern in waͤſſerichtes, Phlegmatiſches Gehirn; dies hat wie der Mond eine ſympathetiſche Ein - wirkung auf leere Koͤpfe. Willſt du ein Kirchenvater bei Toiletten und Ruhebetten ſeyn; entmanne deinen Stil, wie jener Orige -J 3nes134nes ſich ſelbſt, um des Himmelreichs willen: alsdenn wirſt du allen allerlei, wenn die An - dachtsſeufzer ſich bei dem Leſen deiner Schrif - ten mit dem Gaͤhnen ſatter und bequemer Zuhoͤrer vermiſchen koͤnnen. O wenn man die Stoͤße von Deutſchen Monats-und Wo - chen - von Lehr und Troſt-und Erbauungs - und Luſtreichen Schriften ſiehet, die vormals und auch noch jetzt gelobt, geſucht und ge - ſchmiert werden: muß man nicht ausrufen:

O curas hominum, quantum eſt in rebus inane!
Heic aliquis, cui circum humeros hyacinthina
laena eſt,
Rancidulum quiddam balba de nare locutus
Phyllidas, Hypſipilas, vatum et plorabile ſi quid
Eliquat, et tenero ſupplantat verba palato
Aſſenſere viri ecce inter pocula quaerunt
Romulidae ſaturi, quid dia poemata narrent.

Daher traͤgt ein Chriſt am Sonntage, und ſo viel Baͤnde Andachten, und Erholun - gen und Zerſtreuungen, und Briefe, und den Preis wegen der Deutlichkeit davon: ſie ſchreiben fuͤr die lange Weile des Publikum: ihre Buͤcher ſind alſo des Cedernoͤls und Mar - morbandes werth, und auf ihrem Grabewerden,135werden, nach dem Spott des Perſius, Ro - ſen und Violen wachſen. Jch fuͤhre keine namentlich an; ich muͤßte Aerzte, und Auf - ſeher und Greiſe ꝛc. auch nennen, und fuͤr dieſen Staͤnden habe ich alle gehoͤrige und moͤgliche Ehrfurcht.

Koͤnnte unſer Publikum in ſolchen Schrif - ten denn nicht wenigſtens Franzoͤſiſch ausge - bildet werden? Uns fehlen freilich witzige Aebte, Damen, die den Ton angeben, Mode - ſchoͤnheiten, denen man zu Gefallen, wie Car - teſius ſeine Wirbel, Einfaͤlle erfinden kann! Aber das alles koͤnnte man entbehren, oder ſich anſchaffen, wenn man nur wollte; aber

Wo bliebe alsdenn die Deutſche Gruͤndlich - keit? Ja! das hatte ich vergeſſen! Nun muß man wahrhaftig die Augenbraunen zu einer Wolke zuſammenziehen, um der Pallas nach - zuahmen, wenn ſie bei den Griechen, als Erregerin des Volks erſchien

γλαυκωπις Αϑηνη
Η σειουσα λαον
J 4Die136

Die Schriftſteller des ernſten Helvetiens, Sveviens, und Frankenlandes muͤſſen in dem Toil ihrer Vaterſtadt ſchreiben, und nicht wie die Menſchenkinder in ganz Deutſchland. Jn religioͤſen Geſpraͤchen, vornehmlich wenn ſie im Reiche der Todten ſind, in Spartaniſchen Betrachtungen uͤber die Lykurgiſche Geſezge - bung, darf ſich der Verfaſſer freilich nur de - nen verſtaͤndlich machen, die ihn verſtehen ſollten (nicht wollten; hier liegts nicht an jemandes Wollen oder Laufen, ſondern am Praͤdeſtinirten Sollen). So erſcheint die Py - thiße, in einer heiligen Rauchwolke: die Haare ſtraͤuben ſich: der Mund murmelt Worte, nur denen verſtaͤndlich, die ſie ver - ſtehen ſollten:

Obſcurum verborum ambage novorum
Ter nouies carmen magico de murmurat ore.

Jndeſſen, wir arme, ungeweihete Leſer! denken, als λογωδεου μενοι uͤber dieſe Dun - kelheit folgendes:

Entweder es iſt ein eigenſinniger Zwang, gruͤndlich zu ſcheinen, wie jenes Pferd die Epilepſie bekam, um ein Elendthier zu wer -den,137den, und mancher ein Hyp-Hypochondriſt iſt, um ein Philoſoph zu ſeyn. Dieſem Herrn rufen wir doch endlich zu:

Jch wußt es wohl, daß es ein war. ()

Oder es ſind wirkliche Urſachen der Dun - kelheit, die an dem Verfaſſer liegen: und die - ſe ſind: die Dunkelheit ſeiner Begriffe ſelbſt: die kann man meiſtens, zehn gegen eins, angeben, wenn auch dem Ganzen des Werks Anlage, und der Beſtimmung der Jdeen Genauigkeit fehlt:

Cui lecta potenter erit res,
Non facundia deſeret hunc, nec lucidus ordo.

Alles dies entſpringt alsdenn aus einer Quelle: man ſieht den Geiſt des Verfaſſers, in dem, wie im Chaos des Ovids noch die Elemente der Jdeen, in einiger harmoniſchen Uneinigkeit ſchlummern, und in einer uneini - gen Harmonie ſich zur Bildung draͤngen. Jſt ein ſolcher Schriftſteller noch ein junges Genie, ſo iſt es nicht zu verwundern. Es iſt ein Blinder, der noch Menſchen als Baͤu - me ſieht: der Kunſtrichter verſuche die ge - duldige Cur, ſeine Augen zum Licht zu ge -J 5woͤh -138woͤhnen. Die Kinder ſollen deſto beſſer re - den, die ſpaͤt, und ſchwer lernen, und ſolche Dunkelheit iſt dreimal beſſer, als jenes lang - weilige Plappern, mit vielen deutlichen Wor - ten nichts zu ſagen. Einem Alten iſt nun freilich der Staar ſchwerer zu ſtechen.

Noch oͤfter ruͤhrt dieſe Dunkelheit her, von einer Stubengelehrſamkeit, die durch den muͤndlichen Vortrag nicht hat lebendig wer - den koͤnnen. Durch den muͤndlichen Vor - trag wird man deutlich: man lernt den be - ſten Geſichtspunkt, faßlich zu ſeyn, bemerken: ſo lernte Sokrates von ſeiner Aſpaſie Weis - heit und Vortrag: ſo lerne es der Lehrer in dem Kreiſe ſeiner Zuhoͤrer, wenn er ſie nicht als Maſchinen behandeln will: ſo trete der Gelehrte in die große Welt, um ſich ſeiner Cathederſprache zu entwoͤhnen: er erinnere uns nicht ſo oft, daß er vor ſeinem Schrei - bepult ſizzet; er geſelle die Deutſche Arbeit - ſamkeit und Genauigkeit zur Franzoͤſiſchen Freiheit; denn wird er mehr ſeyn, als ein Franzoͤſiſcher Abbe, mehr als ein fader Kan - zelredner, mehr als ein Zeitungsſchreiber; kurz! mehr als eine waſchhafte Sibylle, diewohl -139wohlriechende, oder heilige, oder neue und ra - re Kraͤuter zum Verkauf traͤgt; er wird mehr, aber doch nicht auf Koſten der Deutlichkeit.

Man ſagt auch, daß eine gewiſſe Deutſche Beſcheidenheit, die kurz ſeyn, die nicht belei - digen, die durch Mienen, nicht Worte ſpre - chen will, Schuld an mancher Dunkelheit ſeyn ſoll; und hier iſts alſo noͤthig, den Schriftſteller aus dieſer Verlegenheit zu zie - hen: und unſere Staatsverfaſſung in der Lit - teratur ſo unabhaͤngig und republikaniſch zu machen, als moͤglich. Bei den Alten war die Wahrheit, nach Cupers*Litter. Br. Th. 4. p. 362. Briefen, oh - ne aͤuſſere Verehrung, aber das Haupt und der Mund der Weiſen war ihr heilig: bei uns hat ſie Tempel und Altaͤre gnug; jeder Kunſtrichter raͤuchert ihr, aber als einer Alle - goriſchen Perſon. Gute Goͤttin! die du die Schuzgoͤttin Deutſchlandes ſeyn ſollteſt:

Si qua Dea es, tua me in ſacraria dono! ()

Wir wollen die Franzoͤſiſche Munterkeit, und Freiheit in unſere Abhandlungen einfuͤh -ren,140ren, und mit dem Deutſchen Nachdruck be - gleiten. Der Vorredner des Journal étran - ger ſchrieb unter andern der Franzoͤſiſchen Sprache einen groͤßern Vorrath von Aus - druͤcken fuͤr das Laͤcherliche zu;*Litter. Br. Th. 16. p. 8. er glaubte, die Deutſche Sprache haͤtte daran Mangel; der Kunſtrichter leugnet es; auch ich, und jenem gebe ich doch den Vorzug der Franzoͤ - ſiſchen Sprache zu, weil ich es ſelbſt erfah - ren. Jch habe ſeit einiger Zeit meine Ne - benſtunden auf eine Unterſuchung des Laͤcher - lichen in Sitten, und des Laͤcherlichen in der Vorſtellung und dem Ausdruck, nach ſeinem Hauptbegrif und ſeinen vielerlei Arten, gewandt: und habe im Franzoͤſiſchen wirklich mehr Worte gefunden, weil dieſe Nation, die ohnedas mehr und lieber lacht, als die Deutſchen; mehr Bemerkung aus der Cultur des Umganges zieht, als wir, und ſich uͤberhaupt mehr zu erklaͤren weiß, wie die Seele durch den Koͤrper ſpricht, als un - ſere Sprache. Man gehe auch nur das Ver - zeichniß durch, was Girard und Mauvillon von Woͤrtern dieſer Art geſammlet: ſo wirdman141man dem Arnaud recht geben. Und uͤberhaupt hat unſere Sprache durch Ueber - ſezzungen von der Franzoͤſiſchen Proſe des Um - ganges ſeit einigen Jahren ſchon merklich viel gewonnen.

17.

Aber Engliſche Ueberſezzungen haben ihnen das Gleichgewicht gehalten, und auch dies zum Vortheil der Denkart, weil unſer Ge - nie ſich mehr auf die Brittiſche Seite neigt, und wir durch die Engliſche Staͤrke die Fran - zoͤſiſche Leichtigkeit nahrhaft machen. Da die erſten Ueberſezzungen aus dieſer Sprache, die ſo voll von Beiwoͤrtern und Schilde - rungen iſt, Poetiſche Proſe enthalten muſten: ſo ward dadurch wider Willen der Ueberſez - zer jener holprichte Proſaiſch-Poetiſche Stil eingefuͤhrt, der unſrer Sprache gar nicht an - gemeſſen iſt. Ganz Deutſchland theilte ſich in drei Haufen: die Hexametriſten, als Reuter mit ſchweren Cuiraſſen, und ſchwerem Gange;die142die Proſaiſchen Poeten, Dragoner, zu Pferde und Fuß ſtreitbar.

Great on the Bench, great in the Saddle
That cou’d as well bind o’er, as ſwaddle
So ſome Rats, of amphibious Nature
Are either for the Land or Water.

Und denn die Franzoͤſirenden leichten Voͤl - ker, die in Critiſchen Briefen, und Arz - neien und Poſſen, mit Franzoͤſiſchen Mo - deausdruͤcken um ſich warfen, und als Schmet - terlinge umherſchwaͤrmten.

Wenn wird unſer Publikum aufhoͤren, die - ſes dreykoͤpfichte Apokalyptiſche Thier, ſchlecht Griechiſch, Franzoͤſiſch und Brittiſch auf ein - mal zu ſeyn? Wenn wird man den Plaz einnehmen, den unſere Nation verdient, Proſe des guten geſunden Verſtandes, und Philoſophiſche Poeſie zu ſchreiben? Oder vorher frage man, wenn wird man aufhoͤren, die beſten Engliſchen Schriftſteller durch Ueberſezzungen zu verunſtalten, und Prior, Milton, Young, in elende oder mittelmaͤßige Hexameter zu uͤberſezzen: einSylben -143Sylbenmaas, an das ſie nicht im Traume gedacht haben? Wie lange wird man Popen in waͤſſerichter Proſe, und Shakeſpear im ungleichſten, faſt nie getroffenen Ton uͤberſez - zen? Wie viel koͤnnten wir von den Britten lernen, und wie wenig haben wir gelernt! Jhr arbeitſamen Deutſchen! Ein Deutſcher Johnſon fehlt uns noch, der das fuͤr die Deutſche Sprache wage, was jener fuͤr die ſeinige! Die Philoſophie, das Nach - denken, das Sammlen iſt ja euer Theil, und wir ſtehen den Britten auch in unſerm Eigen - thume nach? Wird es bald ſeyn, daß ihr eure Sprache durch Unterſuchungen ihr Weltwei - ſen! durch Sammlung und Critik, ihr Phi - lologen! durch Meiſterſtuͤcke, ihr Genies! zu derjenigen macht, die nach dem Plinius, alten Sachen Neuheit; neuen das Anſehen des Al - terthums; verroſteten Glanz; dunkeln Licht; widerlichen Reiz; zweifelhaften Glaubwuͤr - digkeit; allen aber Natur verſchaffen kann. Werden die Deutſchen bald aufhoͤren, durch ihre langweilige Proſe, gegen die Franzoſen ſolche gute Alte vorzuſtellen, als Terenzens Chremes gegen ſeinen Darus? Werdenauch144auch bei ihren Brittiſchen Schriftſtellern bald die Fehler wegfallen, da die Fuͤlle der Ge - danken und der Vorrath von Bildern, aus Mangel der Oekonomie, in dem Perioden in Verwirrung geraͤth; ſo wie Verſchwen - dung nicht den wirklichen, ſondern ſcheinba - ren Reichthum begleitet? Werden die beſten Deutſchen Schriftſteller zu ihrer Titelvignette, bald die drei Gratien, als Sinnbild haben koͤnnen: die Thalia mit ihrem Fuͤllhorn voll Fruͤchte, die leichte, gefaͤllige Euphroſyne, und die bezaubernde Aglaja. Laſſet uns einige neuere Originalſchriftſteller anfuͤhren, die dieſen Gratien geopfert haben, und die Ehre unſrer Deutſchen Litteratur ſind:

18.

1. Winkelmann,*Th. 12. u. 16. der Ruhm der Deutſchen ſelbſt unter dem Roͤmiſchen Himmel, den die Muſe des Alterthums und der Geſchichte, die unſterbliche Clio, hat laſſen geboren werden, um, wie jener, der auf dem Cithaͤron gefun -den145den wurde, die Kunſt der Alten zu erklaͤren. Jch fuͤhre es nicht an, wie er die beſten Bluͤ - then jeder Antiken Schoͤnheit in ſeine Seele geſammlet: wie er hier unter Schriften, dort unter Denkmaͤlern ſein Auge und ſeinen Geiſt gebildet: wie er ſeine Werke, ſo wie Raphael ſeine Gemaͤlde, mit Feuer entwarf, und mit einem gluͤcklichen Phlegma vollendete: wie er eine Syſtematiſche Geſchichte unter Ruinen und Ueberbleibſeln liefern konnte: ſondern ich muß mich hier blos auf die Schreibart einſchraͤn - ken. So wie die Attiſchen Juͤnglinge an dem Altar der Pallas Aglavros ihrem Va - terlande den Eid der Liebe ſchwuren: ſo hat die Muſe auch auf ſeine Schriften geſchrie - ben: dem Vaterlande geweihet. Wenn ich mir zum Gebaͤude des Koͤrpers die weiſe Ein - falt des Sokrates, des Lehrers der Gratie denke, wenn ich dieſem Koͤrper das Gewand der Natur von dem einen Schuͤler des So - krates, dem Xenophon, und ihm von dem andern, die Fluͤgel hoher Jdeen gebe: ſo ſte - het ein Bild vor mir, als wenn es die Muſe der Winkelmanniſchen Schriften waͤre. Ein - faͤltig im Vortrage: natuͤrlich in der Aus -Kfuͤh -146fuͤhrung, und erhaben in den Schilderungen, ſind ſie Werke der Unſterblichkeit wuͤrdig, und der Name unſers Jahrhunderts.

2. Hagedorn*Th. 23. p. 3. hat der Goͤttin der Ge - maͤlde einen Altar von weißem Marmor er - richtet, und mit vieler Annehmlichkeit um ihn Blumen zu ſtreuen gewußt: das ganze Werk zeiget vielen Geſchmack des Kuͤnſtlers, noch mehr Kaͤnntniß des Werkmeiſters, und die feinſte Critik des Coſtume: das Bildniß der Goͤttin ſelbſt aber iſt dem Fleiß, der Muͤh - ſamkeit und Dauer nach, eine aͤchte Moſaiſche Arbeit Doch ich rede frei und ohne Schleier. Der Verfaſſer verraͤth viele Be - kanntſchaft in den Kunſtſaͤlen von hohem Ge - ſchmack, und in den Malerakademien nach dem Ueblichen; aber vielleicht etwas mindere in dem heiligen Haine der ſchoͤnen Natur; daher ſeine Philoſophiſche Betrachtungen uͤber das Schoͤne ꝛc. in der Kunſt nie das Weſen erreichen. Fuͤr Lehrlinge iſt ſein Lehrbuch eine zu dunkle und in den Schoͤnheiten zu verſchloſſene Encyklopaͤdie der Malerei; deſtoan -147angenehmer aber einem Leſer, der eben ſo ſehr Werkmann ſeyn will, als er leichte und ga - lante Betrachtungen anhoͤren, gelehrte und Weltuͤbliche Anſpielungen verſtehen, und den ganzen Zuſchnitt bis auf die kleinſte Nuance Hofmaͤßig bemerken kann. Caͤſar trug be - ſtaͤndig das Bild der Venus bei ſich, deren Sohn, ein zweiter Aeneas! er ſeyn wollte: ſie war nach Roͤmiſchem Geſchmack bewafnet; aber die Griechiſche Venus, wenn ſie die Pal - las uͤberwinden will, iſt nackt, und mit den Zier - rathen ihrer irdiſchen Schweſter nicht be - harniſcht. So kann auch ein Verfaſſer der Sohn der irrdiſchen bekleideten Schoͤnheit ſeyn, bei der man von dem ſchoͤnen Gewande auf das darunter Verhuͤllte, und von dem ſchoͤnen Anſtande auf die Seele ſchließt; allein viel - leicht wuͤrde ein Proxenides uͤber ſein Kunſt - ſtuͤck urtheilen: fuͤhre dieſen Paris in die Eleuſiniſchen Heiligthuͤmer, daß er die Schoͤn - heit nackt erblicke, und nackt ſage. Jndeſ - ſen wer kann ſo genau die Graͤnze finden, daß der Fleiß nicht Muͤhſamkeit verriethe, der Geſchmack ſich nicht manchmal mit einem kleinen ſchoͤnen Eigenſinn paarete, und derK 2Un -148Unterricht nicht oft nach Grundſaͤzzen eine Luͤſternheit uͤbrig ließe. Jch urtheile, wie ein Deutſcher! ihr Deutſche! haltet ein Werk werth, an dem der Franzoſe blos etwas vom Geſchmack; der Britte vom Fleiß, und der Waͤlſche vom Unterricht abborgen kann: das uͤbrige iſt euer!

Von den Denkmaͤlern der Kunſt komme ich zu denen, die den Buͤrger bilden! Und da ſteht ein Deutſcher Browne!

3. Moſer*Th. 5. 11. 18. 20. kennet das Schroot und Korn der Deutſchen Sprache: der alten Lutheri - ſchen Religion, der alten Freiheit, Ehrlich - keit, und geſunden Vernunft unſerer Vaͤter: und er kann mit mehrerem Rechte unſer Deut - ſcher Browne ſeyn; als Jſelin mit ſeinen Platoniſchen Traͤumen, und Wegelin mit ſeiner Hypochondriſchen Fuͤlle von Tugend, in der Schweiz. Wie Parrhaſius dort den Geiſt der Athenienſer malte, der ver - aͤnderlich, rachſuͤchtig, ungerecht, unerbittlich und gnaͤdig, ruhmraͤthig, erhaben und nie - drig, wild und feige, und alles zugleich war ſo149ſo kann Moſer den Geiſt der Deutſchen ma - len, wie er war, und ſeyn ſollte. Alsdenn aber muß auch in dem Geſchmack der Er - findung keine fromme Miſanthropie, in der Zuſammenſezzung kein ungeſunder Ueberfluß, in der Zeichnung kein ſchiefer Geſchmack herr - ſchen, der halb Franzoͤſiſch und halb Brittiſch iſt. Er liefere ſein Werk auch der Form nach mit allen Deutſchen Vollkommenheiten geſchmuͤckt: tiefſinnig, reich, und wahr in der Erfindung; voll Bedeutung in der Zu - ſammenſezzung, maͤnnlich in der Zeichnung, und in der Ausfuͤhrung vollendet. Jetzo muß der ehrliche Deutſche Leſer bei allen Mo - ſeriſchen Schriften ſaͤmtlich und ſonders be - dauren: daß Moſes keinen Aaron hat: daß der Miniſter zu ſichtbar diktire, der Welt - weiſe nicht Zeit gnug, zu verdauen, und der Schriftſteller nicht Muße gnug, ſelbſt zu ſchrei - ben, und anzuordnen habe. Haͤtte der Ver - faſſer irgend in Deutſchland einen andern Amphitruon, der die Macht und Geſchick - lichkeit beſaͤße, ſeine zerſtreute Gedanken zu verbinden; und die Waſſerſuͤchtige Fuͤlle in einen Koͤrper zu verwandeln, wo volle geſun -K 3de150de Adern unter einer ſeinen Haut ſich verber - gen: ein zweiter Moſer, der auch bisweilen ſein Antipode ſeyn koͤnnte, um viele ſchwer - muͤthige Klagen mit leichtem und geſundem Blut zu leſen, und ihn endlich davon ab - braͤchte: ein Prediger in der Wuͤſte zu ſeyn, wie jener, der nur ein Vorbote von dem war, der kommen ſollte, und ganz anders als ſein Vorlaͤufer ſeyn muſte. Sollte es nicht mit zur Deutſchen Nationalfreiheit gehoͤren, daß ein Genie, welches ſelbſt nicht Mutter ſeyn kann, fremde, wohlgebildete aber ausgeſtoße - ne Kinder, aufnaͤhme, und ſich an ihnen Mut - terverdienſt erwuͤrbe? Ein Patriot fuͤr drei Zeitalter in Deutſchland verdient dies!

4. Jezt ein Cenſor, aber ein munterer Cenſor der Verdienſte! Abbts Schriften*Litt. Br. Th. 11. p. 39. ſind fuͤr die Deutſchen Original: der gute geſunde Menſchen - und Buͤrgerverſtand, der in ihnen herrſchet, iſt das Erbſtuͤck unſrer Nation: die Analytiſche Aufloͤſung der Be - griffe iſt die beſte Methode Deutſcher Philo - ſophie; die Laune ſeiner Schreibart, die ſtattder151der Franzoͤſiſchen Karaktere, und der Britti - ſchen erdachten Beiſpiele, durch Geſchichte lehrt, naͤhrt unſern Geiſt, und ſeine Schreib - art unſere Einbildungskraft. Das Feuer der Phantaſie, in dem der Verfaſſer dach - te, und ſchrieb, aber nicht haͤtte leſen ſol - len; gluͤht jeden Leſer an, der es verſteht, ein Buch in eine Perſon, und todte Buchſta - ben in Sprache zu verwandeln; alsdenn hoͤrt man, und denkt, und fuͤhlt mit dem Autor. Kannſt du aber, lieber Leſer! nichts als leſen, nicht die Luͤcken, die dir uͤberlaſſen wurden, in Gedanken ſelbſt ausfuͤllen, nicht weiter den - ken, wo dir Ausſichten eroͤfnet werden: ſo wirſt du inne werden, was vielleicht eben der Verfaſſer ſagt: dem Sprechenden helfen ſeine Geberden, und der Ton der Stimme den Verſtand beſtimmen: da dies alles hin - gegen in einem Buche wegfaͤllt. *Da Abbt in ſeiner Vorrede den werthen Herrn Claville nennt: ſo fuͤhre ich einen andern Fran - zoͤſiſchen Schriftſteller unſers Jahrhunderts an: Tr[a]ité du merite p. Monſ. l’Abbé de Vaſſez: 1703. und die zweite Ausgabe 1704. der aber uͤber das Verdienſt ſehr Franzoͤſirt zu haben ſcheint: da er von den Verdienſten eines bel -eſprit, WennK 4ich152ich dieſen Schriftſteller mit Zimmermann vergleiche: ſo bemerke ich freilich an dem lez - ten mehr Fleiß in der Auswahl der Gedan - ken und Worte; aber einen gewiſſen Franzoͤ - ſiſchen Geſchmack, einen Reichthum von An - fuͤhrungen, der dem Verfaſſer ſelbſt weniger uͤbrig laͤßt als er liefern koͤnnte.

5. Jezt ein Schriftſteller, nicht blos des Vaterlandes, ſondern auch der Menſchheit: Spalding. *Th. 18. p. 3.So wie ſeine Wahrheiten ſich zwiſchen Philoſophie und gemeine Beob - achtungen ſtellen; ſo graͤnzt auch ſein Vor - trag mit Genauigkeit und Aufwand: ſein ge - ſezter Stil nimmt hie und da die Miene des Tiefſinns an, und ſein bluͤhender Stil ſcheint ſich in den Luxus zu verlieren; aber man trete naͤher! Selbſt der Aufwand wird als - denn ein Stuͤck des Nothwendigen, und die Schreibart ſchließt ſich der Denkart ſo an,wie*eſprit, von den ſinnlichen Verdienſten viel zu ſchwazzen weiß, etwas was Abbt p. 284-287. in ſeiner Bloͤße darſtellt. Magre Diſcourſe uͤber den Vorzug des Verdienſts vor Geburt und Reichthum ſcheinen das A und O dieſes Werks zu ſeyn, das ich nur aus Recenſionen kenne.153wie die naſſen Gewaͤnder der Alten den Koͤr - per durchſchimmern ließen. Dies geht ſo weit, daß, wie ich glaube, die dem Verfaſſer bisweilen muͤhſam gewordene Denkart im - mer durchblickt; er mag ſie ſo ſehr mit Blu - men beſtreuen, als er will. Aber eben dies verbuͤrgt auch die Treue, mit der er ſeine Seele entdeckt: und die in den Materien, worinn er ſchreibt, und in unſerer Zeit ein ſeltenes Muſter iſt. Vielleicht gelingt es Spalding, geſunden Menſchenverſtand in den Kanzelvortrag zu bringen, der das Mit - tel zwiſchen gelehrter Weisheit und unver - ſtaͤndlicher Wortkraͤmerei haͤlt, der den Juͤ - diſchen und gelehrten Griechiſchen Ton mit ei - nerlei Vorſicht vermeidet, der die Kanzel er - niedrigt, aber weder zum Moſaiſchen Stuhl eines Rabbi, noch zu einem Philoſophiſchen Catheder zu dem Rednersorte eines Freundes, eines Vertrauten, eines Seelen - ſorgers. Vielleicht wird es ihm gelingen, in die Theologie ein Denken einzufuͤhren, das eben ſo wenig Deiſmus und Freigeiſterei, als nachgebetete Formel iſt. Welch ein Unterſchied, wenn ich Spalding mit einemK 5eben -154ebenfalls denkenden, gelehrten, und beredten Theologen vergleiche; es iſt kein andrer, als Acken. Wenn ich die Predigten dieſes Man - nes, als erbauliche Abhandlungen anſehe: ſo verbinden ſie Philoſophiſche Genauigkeit, Deutſchen Nachdruck, und Griechiſche Schoͤn - heiten mit einander bis zu den kleinſten Thei - len: zu leſen ſind ſie vielleicht die beſten Deutſchen Predigten, die die meiſten Fran - zoſen an Gruͤndlichkeit, die Englaͤnder an fei - nen Verzierungen, und ſeine Landsleute an nachdruͤcklicher Kuͤrze in dieſer Art von Schrif - ten hinter ſich laſſen. Daruͤber wundere ich mich alſo nicht, daß ſie wider ihr Verdienſt unbekannt geblieben; denn ſie ſind ja keine Poſtillen, und keine blendende Sermons; aber daruͤber wundere ich mich, wie dieſer Deutſche Chryſoſtom in ſeinem Pathmos ſich ſo hat verirren koͤnnen, um vom Urſprung der Opfer auf eine ſo myſtiſche Art zu ſchreiben:

Infert ſe tectus nebula. Mirabile dictu! ()

6. Sokrates fuͤhrte die Weltweisheit unter die Menſchen; hier iſt der Philoſophi -ſche155ſche Schriftſteller unſerer Nation, der ſie mit der Schoͤnheit des Stils vermaͤlt haben ſoll: der Verfaſſer der Philoſophiſchen Schriften. *Th. 23. p. 59.Ja er iſts, der ſeine Welt - weisheit in ein Licht der Deutlichkeit zu ſtel - len weiß; als haͤtte es die Muſe ſelbſt geſagt: er denkt da, wo andere ſich begnuͤgen, Schoͤn - heiten zu empfinden: er hat unter den Deut - ſchen die Critik der ſchoͤnen Wiſſenſchaften ausgebreitet, die Baumgarten in Abſicht der Lateiniſchen Schriftſteller ſo vorzuͤglich bewies; und

Jch fuͤhle es doch bei ſeinen Philoſophi - ſchen Schriften manchmal, was er ſelbſt fuͤhlte: ich bekenne es, daß ſich zu blos ſpe - kulativen Unterſuchungen kein Vortrag beſ - ſer ſchickt, als der ſtrenge Syſtematiſche. Jch trauete mir aber das Vermoͤgen und die Fer - tigkeit nicht zu, meine Gedanken beſtaͤndig an eine ſo ſtrenge Ordnung zu kehren. Man hat ihm hieruͤber, als uͤber ein Kompli - ment, Gegenkomplimente gemacht; allein wenn Moſes unter dem Syſtematiſchen Vortragemehr156mehr als eine aͤußere Mathematiſche Lehrart verſtehet, ſo wird jeder ſeine Entſchuldigung fuͤr Wahrheit annehmen. Jugendliche Ein - kleidungen in Briefe, und Geſpraͤche; die Epiſoden in den Briefen, und die fremden Eingaͤnge in den Geſpraͤchen: ſcheint mir ein Putz, den die Philoſophiſche Wuͤrde nicht braucht. Denkende Leſer fuͤhrt er von der Betrachtung der Wahrheit ſelbſt ab: ſie muͤſ - ſen ſich von den Spazziergaͤngen nachher wie - der zuruͤck finden: und wer blos wegen die - ſer Einkleidungen lieſet fuͤr den hat Mo - ſes nicht geſchrieben: eine Braut blos wegen ihres Putzes lieben, iſt laͤcherlich. Der Weiſe ſehe ſeinen Gegenſtand ſo helle als Moſes; er zeige ihn im rechten Geſichtspunkte, er lei - te die Jdeen natuͤrlich fort, er habe die Er - laͤuterungen, und die Sprache in ſeiner Ge - walt: ſo wird eine ſimple Abhandlung draus werden, ohne Trockenheit und fremden Schmuck; ſie wird ihren ganzen Zweck er - reichen, einem Leſer, der Wahrheit ſucht und liebt, ohne Zwang und Umwege, ein Geleits - mann zu ſeyn wozu? nicht zu lernen, ſon - dern ſelbſt zu denken. So ſind die Abhand -lun -157lungen im 2ten Theil der Philoſophiſchen Schriften; einige Litteraturbriefe, die eigene Betrachtungen liefern, vielleicht von eben dem Verfaſſer, und die Leßingſchen Ab - handlungen.

7. Leßing *Th. 4. p. 327. und Th. 16. p. 51. leider! daß ich von ihm ein einziges ausgearbeitetes Proſaiſches Werk anfuͤhren kann, da doch das Publikum laͤngſt eine neue veraͤnderte Ausgabe ſeiner Schriften erwartet hat, die, in Betracht ſeiner Talente in Wiz und Phantaſie; in Betracht ſeines Scharfſinns im Zergliedern, und ſeines gluͤck - lichen Ausdrucks, die Worte zur Aufſchrift verdienen wird: ſo viel that er: Nachwelt! ſchließe draus, was er thun konnte! **Nach der Zeit, da ich dies geſchrieben, iſt ſein Laokoon erſchienen, von dem ich zur andern Zeit reden werde.

8. Wir haben noch einige niedliche Abhand - lungen in der Litteratur, die lezten Jahre her erhalten: unter denen ich die Moͤſerſchen***Th. 23. p. 14. und Th. 12. p. 331. Schriftgen: Harlekin, oder vom Groteske - Komiſchen, ſein Brief an den SavoyiſchenVi -158Vikar u. ſ. w. nenne. Es iſt uͤbrigens zu beklagen, daß man einige der beſten Deut - ſchen Poeten, nicht ſonderlich im Proſaiſchen Stil loben will; wie ich dies bei dreien in - ſonderheit bemerkt zu haben glaube, denen es nicht gleich gut gelingt, Briefe und Lieder, Fabeln und Abhandlungen zu ſchreiben.

9. Darf ich unſre Schriftſteller mit ei - nem Autor beſchließen, der nach dem erſten Urtheil der Litteraturbriefe mit Winkel - mann eine Aehnlichkeit hatte, und nach dem lezten Richterſpruche ſein Antipode gewor - den: der erſt ein Heiligthum unſrer Zeit (αναϑημα) war, und nachher zum Zeichen des Schreckens (αναϑεμα) wurde: es iſt der Verfaſſer der Sokratiſchen Denkwuͤr - digkeiten:*Th. 6. und 1[9]. wer ihn nicht als Geſtirn be - trachten will in unſerer Litteratur: ſehe ihn als Meteor an; ein Phoͤnomenon bleibt er doch immerfort.

Der Kern ſeiner Schriften enthaͤlt viele Samenkoͤrner von großen Wahrheiten, neuen Beobachtungen und einer merkwuͤrdigen Be -leſen -159leſenheit: die Schale derſelben iſt ein muͤh - ſam geflochtenes Gewebe von Kernausdruͤ - cken, Anſpielungen und Wortblumen. Der Philolog hat, damit ich mich ſeines eigenen Zeugniſſes bediene:

Geleſen:) und allerdings, ſehr viel, ſehr weitlaͤuftig und mit Geſchmack geleſen (multa et multum legit); allein die Balſamduͤfte vom Aetheriſchen Tiſch der Alten, mit eini - gen Vapeurs der Gallier und dem Brodem der Brittiſchen Laune vermiſcht, ſind zu einer Wolke geworden. Dieſe umhuͤllt ihn, er mag ſtrafen, oder weißagen (die beiden Verrich - ungen ſeiner Schriften), wie die Juno, wenn ſie den Ehebrecher belauſcht, oder die Pythiſ - ſe, wenn ſie Weißagungen in Kabbaliſtiſcher Proſe murmelt. Seine Beleſenheit iſt alſo zuſammen gefloſſen, ſo wie die Koͤnigliche Schrift, auf unzuſammenhaͤngend Papier ge - ſchrieben, dies zuerſt thut. Jndeſſen wuͤrde oft freilich eine kleine naͤhere Anzeige der Spruchſtelle, woruͤber er commentirt, vieles entraͤzeln, aber auch verrathen; und da ich ſelbſt unter die ſtummen Leſer ſeiner Schriften gehoͤre; ſo bin ich nicht in der La -ge,160ge, hier Errathungen fuͤr Geſichtspunkte an - geben zu koͤnnen.

Beobachtet) Seine Bemerkungen vereini - gen eine ganze Ausſicht in einen Geſichts - punkt: hier ſtehe aber ein Leſer, der dieſen Punkt treffe, der ſein Auge, der ſeine Laune zu Beobachtungen hat ſonſt ſieht er ver - zogne Stellungen, und Schimmel ſtatt eines Mikroſcopiſchen Waͤldchens. Leſer, der du bieſe hingeworfne Beobachtungen verſtehen, brauchen, ergaͤnzen kannſt: du haſt ſie er - funden!

Gedacht:) wie es ſcheint, uͤber Schriften, die ihm ein Aergerniß oder eine Augenweide geweſen und uͤber Vorfaͤlle, dazu er al - lein den Schluͤſſel behaͤlt. Weil er aber die Spinnengewebe der Syſteme haßt: ſo iſt je - der Gedanke eine unaufgefaͤdelte Perle; jeder Gedanke iſt in ein Wort eingekleidet, ohne welches er ihn nicht denken und ſagen konnte.

Angenehme Worte geſucht und gefunden.) Seine Annehmlichkeiten ſind keine Folgen von gelernten Regeln: ſeine Fehler ſind ſo gar, bis auf die Einkleidungen, Anſpielungen und Licht und Schatten, bei ihm regelmaͤßig. Viel -161Vielleicht hat ihn alſo der ehrliche Fulbert Kulmius, umſonſt zum Schuͤler der Baum - gartenſchen Aeſthetik zu machen geſucht, und vielleicht haͤtte ihn der 254ſte Litteraturbrief nicht eben nach allen Regeln zum Verbrecher des Stils machen doͤrfen. Erfindung und Zeichnung ſind Fruͤchte der Denk - und Seh - art, die vielleicht einer gewiſſen Sokratiſchen Unwiſſenheit aͤhnlich ſeyn moͤgen, wie er ſie beſchreibt. Eine Zunge kann ſtammlen, wenn die Seele gewiſſe Jdeen nicht zu ver - knuͤpfen und auszudruͤcken weiß. Baroc - ci malte gruͤnes Fleiſch: und Guercius ein trauriges Colorit: Von den Schriften dieſes Verfaſſers gilt es alſo vermuthlich, was Plinius vom Maler Eutykrates ſagt: auſtero maluit genere, quam iucundo placere.

Seine Nahrung von ferne gebracht:) oft woher und wo es niemand vermuthete, und dachte. Wo der ehrwuͤrdige Satyr, Swift, leichtfertige Traͤumer und fromme Seleni - ten fand; im Monde; da findet ein anderer Ritter und Rieſen:

LJch162
Jch hieb viel tauſend Feinde nieder,
Jn allen Neſſeln, die ich fand
Da lagen denn die kleinen Leichen u. ſ. w.
ſ. Gedichte von Karſchin.

Haͤtte unſer jezo ebentheuerlicher Sokrat, eine Aſpaſia, ſeine Gedanken auszudruͤcken, und einen Alcibiad, ſie auszubilden; viel - leicht haͤtte er Schuͤler und Nachkommen, bis alsdenn vielleicht im dritten Gliede ein Ariſtote - les, Socratis et Platonis peior progenies, ein Syſtem errichtete, in der Philologie und Aeſthetik, woran ſein Großvater nicht ge - dacht hatte.

Beſchluß, uͤber das Jdeal der Sprache. *Litter. Br. Th. 17. p. 180.

Wenn man Werkzeuge nicht ſo vollkommen haben kann, als man ſie wuͤnſchet: ſo muß man aus den vorraͤthigen zu machen ſuchen, was ſich daraus machen laͤßt. Leib - nizens gelehrte Sprache iſt nicht zu bekom - men: wie koͤnnten wir uns der Deutſchen z. E.163 z. E. noch am bequemſten zu den Wiſſen - ſchaften bedienen? Dieſe Frage doͤrfte al - lenfalls eine andre als Vorlaͤuferin haben, welche unter denen in Europa recht bekannt gewordenen Sprachen der Jdealvollkom - menheit einer Sprache, die Worte braucht, am naͤchſten koͤmmt. Eine gar nicht weit - laͤuftige Metaphyſik der Sprache, wuͤrde uns dieſe Jdealvollkommenheit wenigſtens einigermaſſen kennen lernen. Wir wol - len zu dieſen angegebenen Stuͤcken von Jdeal - vollkommenheit einige Anwendungen auf die Deutſche Sprache dazuſezzen; erinnern unſern Leſer aber zuruͤck an den Unterſchied, den wir zwiſchen Jdealſchoͤnheit, mittlern Bequemlich - keit, und wirklichen Vollkommenheit gemacht, und den der Verfaſſer dieſes Briefes hie und da verfehlt hat.

Man kann die Sprache unter zwei Aug - punkten betrachten, in ſofern ſie einmal un - verbundene, und unzuſammenhaͤngende Be - griffe vorſtellt; hernach ſo fern ſie dieſe Be - griffe in Verbindungen anzeigt.

Vom erſten Stuͤcke haͤngt der Reichthum, und der Wohlklang und auch das Bilder -L 2 reiche164 reiche der Sprache ab. ) Der Reichthum kann ſeyn in Namen der Sachen, oder in Zeichen der Begriffe; der erſte macht ei - ne Sprache ſinnlich oder Bilderreich; der zweite abſtrackt oder Gedankenreich; und den Unterſchied von beiden hat das 7te Frag - ment zu zeigen geſucht. Der Wohlklang hat mit Begriffen keine Verbindung, ſondern muß aus der Natur der Sprach - und Hoͤr - werkzeuge erklaͤrt werden: eine Anwendung auf unſre Sprache hat das 11te und 14te Frag - ment verſucht.

Das erſte Stuͤck iſt ſolcher Vollkommen - heiten faͤhig, die mit dem Tode der Sprache, wenn ſie aufhoͤrt, Landesſprache zu ſeyn, ver - loͤſchen. ) Nicht blos mit dem Tode der Sprache, ſondern mit jedem Lebensalter ge - hen gewiſſe Vollkommenheiten verloren, die durch Vollkommenheiten eines andern Lebens - alters erſezzt werden. So lange ſich eine Sprache bildet, als Sprache der Nothwen - Digkeit, iſt bei allen Ungemaͤchlichkeiten der Armuth ihr Vortheil Staͤrke: wenn die Sprache noch nicht Buͤcher-aber Liederſpra - che iſt: ſo hat ſie Reichthum an Bildern, undden165den hoͤchſten Wohlklang: Wird ſie Sprache des ſittlichen Volks: ſo bekommt ſie mehr Reichthum an Politiſchen Ausdruͤcken, allein der hohe Wohlklang und das Bildervolle mil - dert ſich: Als Buͤcherſprache wird ſie rei - cher an Begriffen; allein der Poetiſche Wohl - klang wird Proſe; das Bild wird Gleichniß: die malenden klingenden Beiwoͤrter verlie - ren ſich: Als Philoſophiſche Sprache wird ſie beſtimmt, aber arm; verliert Synonymen; und Bilder und Wohlklang achtet ſle nicht. Dichteriſch iſt eine Sprache am vollkom - menſten, ehe ſie; und Philoſophiſch am voll - kommenſten, wenn ſie blos geſchrieben wird: am brauchbarſten und bequemſten, wenn ſie geſprochen und geſchrieben wird. Die An - wendung auf die Deutſche Sprache macht das 3te bis 5te und 8te Fragment.

Es iſt doch unſtreitig, daß auſſer den fuͤnf Selbſtlautern noch viele Zwiſchenlaute haͤt - ten angebracht werden koͤnnen; ſo wie die vorhergehende und nachfolgende Bewegung der Redewerkzeuge zu ſolchen Lauten noch weit mannichfaltiger einzurichten waͤre. ) Nach der Bewegung der Redewerkzeuge ha -L 3ben166ben wir wirklich mehr Selbſtlauter, als fuͤnfe: weil dieſe fuͤnfe mit verſchiedener Hoͤhe und Tie - fe, Laͤnge und Kuͤrze ausgedruckt werden. Daß wir nun nicht fuͤr dieſe Zwiſchenlaute neue Zeichen, wenigſtens Unterſcheidungen ha - ben; iſt eine große Unvollkommenheit unſrer Orthographie, die unter allen mir bekannten Europaͤiſchen Sprachen die lezte und fuͤr ei - nen Lehrling die ſchwerſte ſeyn doͤrfte. Wer wird Meer und mehr, Zehn, Zeen, Zaͤhn, zaͤ - he u. ſ. w. als Fremdling beſtimmt finden? Was wir bei J zuviel an Zeichen haben, iſt bei A und E zu wenig. Und brauchen wir Accente nicht noch immer, obgleich unſre Spra - che kurzſylbig und eintoͤnig iſt? Der Laͤcherli - che Fehler mit Géſ-pen-ſtern, ſtatt Ge - ſpénſtern; mit vérg-lich, ſtatt ver-glìch; mit Enter-bẽter, ſtatt Ent-érbeter: iſt doch bei Lehrlingen immer moͤglich, da er uns gebohrnen Deutſchen manchmal in Gedanken und bei verzerrtem Druck, oder verzerrter Hand anwandeln kann. Bei vielen Woͤrtern aͤndert ſich ja die Bedeutung ſelbſt; z. E. Unterhálten (entreténir) und únterhalten (ſuppoſer), uͤberſézzen (vertere) und í eber -ſezzen167ſezzen (traiicere), Ueberſézzer (translateur) und Uéberſezzer (Bootsknecht) ſind ja him - melweit verſchieden. Zu dem Hebraͤiſchen Schin fehlt uns gar das Zeichen, weil ich Geſchmack als ein Fremder immer eher Geſ - chmack leſen werde. Der Mangel an punctis diaereticis macht auch inſonderheit fremde Namen verwirrt; und uͤberhaupt kann man den Mangel unſrer Zeichenſchrift am beſten aus Reiſe - und Erdbeſchreibungen ſehen, wenn die Namen fremder Sprachen in unſern Buchſtaben ſich kaum mehr erken - nen. Soll unſer Hexameter ausſtehlich werden; ſo muß er Accente haben, und der erſte Dichter, der ſich die Muͤhe geben wird, wahre Hexameter zu machen, wird ſich auch der Accente nicht ſchaͤmen, weil er ſie vor allen am wenigſten braucht. Sollte unſre Sprache ſterben; Himmel! wie ſchlecht wuͤr - de man ſie aus Buͤchern lernen; um ſie aus - zubilden, ſtelle man ſie ſich todt vor; man nutze die Provinzialismen, um ſie zu beſtimmen.

Bei der Verbindung der Begriffe komme es hauptſaͤchlich an: 1) ob man ſie durch bloße Abaͤnderung des Ausdrucks fuͤr eine jedeL 4 Jdee;168 Jdee; oder 2) durch Zwiſchenſezzung kleiner Worte, oder 3) durch die bloße Stellung der Jdeen anzeigen wolle. Denn dieſe drei Faͤlle ſind, glaube ich, blos moͤglich. Der erſte Fall iſt der einfachſte, und bei dem An - fange jeder Sprache der geradeſte geweſen; er iſt daher noch bei den heutigen Sprachen von antikem Karakter ſehr ſichtbar; gut fuͤr Dichter, aber unphiloſophiſch. Der mit - telſte iſt am uͤblichſten, bei der Deutſchen Sprache ſehr gebraͤuchlich; und fuͤr die Spra - che des gemeinen Lebens bequem. Aber weil dieſe zwiſchengeſchobene kleine Worte nicht Ac - cent gnug haben, und doch nicht wie die wenigen Woͤrterchen der alten Griechen, auch nicht ganz ohne Accent ſind; ſo entſtehet dar - aus die Unbeſtimmtheit der Proſodie, die un - ſern neuen Sprachen ſo laͤſtig faͤllt. Der dritte Fall iſt der philoſophiſchvollkommene; und wenn Leibnizens allgemeine Sprache ja moͤglich waͤre; ſo waͤre es eine Algebra, wo die Verbindung der Jdeen ſehr von ihren Stellung abhienge.

2) Was fuͤr Geſezze man zur Folge einer gewiſſen Anzahl von Jdeen, die in Verbin - dung169 dung ſtehen, annehmen wolle. Hier iſt das Hauptgeſezz; man laſſe ſie in der Ordnung folgen, die der Faßlichkeit des Gedanken und dem jedesmaligen Zweck des Redenden gemaͤß iſt. Nun kann der Zweck des Re - denden in tauſend Faͤllen nur einerlei[ſey]n; alſo wird es eine gewiſſe allgemeine Con - ſtruktionsordnung geben; hundertmal aber gibt es einen beſondern Zweck des Redners, und denn iſt diejenige Sprache die beſte, welche raͤumig genug geſchuͤrzt iſt, um ihre Ordnung nach dieſem Zweck wenden zu koͤn - nen. Ein geringes Nachdenken uͤberzeugt uns, daß wir in unſern jezzigen Sprachen eine Menge beſondrer Zwecke gar nicht durch die Wortfuͤgung anzuzeigen vermoͤgend ſind, ſondern ſie nur aus dem Zuſammenhange unſrer Gedanken muͤſſen errathen laſſen. Unvollkommenheit der Sprache! Ueber dieſen Philoſophiſchen Artikel kann das 11 - 13te Fragment ein Commentar ſeyn, der un - ſern Nachtheil nach der Griechiſchen und La - teiniſchen, aber Vortheil vor der Franzoͤſi - ſchen Sprache zeigt.

L 5Man170

Man muß die Worte ſo ordnen, daß ſie bei aller moͤglichen Kuͤrze keine doppelte Be - ziehung der Abhaͤngigkeit leiden:) Dieſe Zwei - deutigkeit iſt am erſten in Sprachen zu beſor - gen, die wenige Caſus z. E. den Nominativ und Accuſativ gleich haben; die nach dem vorigen zweiten Fall mit Zuſchiebung kleiner Woͤrter flectiren, und bei denen die Conſtruk - tionsordnung wenig beſtimmt iſt. Die erſte Unvollkommenheit aͤuſſert ſich bei der Fran - zoͤſiſchen; die zweite bei dem ſchleppenden Perioden der Deutſchen, und die dritte bei den elenden Lateiniſchen Perioden neuerer Buͤ - cher, die ſich jede Jnverſion erlauben, weil ſie die Geſezze der alten Roͤmer in ihrem vortrefli - chen Perioden nicht kennen, der nichts unbe - ſtimmt laͤßt, und doch fuͤr das Auge und Ohr zugleich ſchreibt.

Nach dieſer Vorſchrift muͤſſen wir die Sprache der Schriftſteller ausbilden: denn dem Sprechenden helfen Geberden und der Ton der Stimme, den wahren Verſtand be - ſtimmen, da hingegen alles dies im Buche wegfaͤllt. ) Eine Sprache hat alſo ganz an - dere Geſezze und Freiheiten, wenn ein Volkſie171ſie ſtammlet, ſinget, ſpricht, ſchreibet, und nicht mehr ſpricht, ſondern allein ſchreibt. Und hierauf gruͤndet ſich mein Fragment von den Zeitaltern, und den Graͤnzen der Nach - ahmung alter Sprachen. (Fragm. 2. und 8.) Jezt ſezze ich folgende wahre Beobachtung Samuel Johnſons dazu: Es giebt Wor - te, deren Sinn allzufein iſt, als daß man ihn mit Worten ſollte faſſen, und in eine Umſchrei - bung bringen koͤnnen. Das ſind diejenigen Worte, welche die Sprachlehrer particulas expletivas, oder ausfuͤllende Woͤrter nennen. Jn todten Sprachen uͤberſieht man ſie als leere Toͤne; als Toͤne, die zu anders nichts dienen, als einen Vers auszufuͤllen, oder einen Perioden wohlklingender zu ma - chen. Aber in lebenden Sprachen wird man bald inne, daß dergleichen Woͤrter mehr, als ausfuͤllende Woͤrter ſind, daß ſie Kraft und Leben haben, ob man gleich ihren Nachdruck mit andern Worten nicht ausdrucken kann. Dies wird jedem bei dem Leſen Homers unzaͤhliche mal bei - fallen; wenige Fuͤllwoͤrter, aber deſto oͤfter und kraͤftiger: die ſpaͤtern Dichter mehr; dieſpaͤ -172ſpaͤtern Proſaiſten noch mehr, und Plutarchs Stil kommt mir in Betracht deſſen gegen He - rodot, vor, als eine Kanzleiſchrift voll alldie - weil, ſintemalen und anerwogen, gegen die fluͤſſende gemeine Sprache. Wie unrecht denken die alſo, die Orientaliſch zu ſchreiben glauben, wenn ſie das Und vor jeden Perio - den, und jedes Glied deſſelben ſezzen; und unausſtehlich im Deutſchen werden, ohne den Schatten des Morgenlandes zu gewinnen.

Durch was fuͤr Kuͤnſte haben es die Fran - zoſen dahin gebracht, daß man ihre Sprache, die Sprache der Vernunft nennet?) Jch glaube, drei Urſachen dazu angeben zu koͤnnen. Jhre Sprache hat bei ihrer Bildung, durch welche Urſachen es auch ſeyn moͤge, eine ge - wiſſe Regelmaͤßigkeit ſich eingedruͤckt, die un - ſere Sprache nicht hat. Da ihre Conſtruk - tionsordnung ſehr beſtimmt iſt: ſo kommt man minder in die Verlegenheit, ſich ſchielend aus - zudruͤcken. Zweitens: in den mitlern Zei - ten hat man an ſie ſo viel Politur angewandt, als nicht viel andere Sprachen erhalten ha - ben: zu einer Zeit, da Deutſchland noch Bar - bariſch oder Lateiniſch ſchrieb, feilte manſchon173ſchon ſehr die Franzoͤſiſche Sprache, weil die Franzoſen immer lieber fuͤr ein Publikum und ſchoͤnes Publikum ſchreiben, wenn der Deutſche fuͤr Studirſtuben und Katheder ſchrieb. So wie ſchon die alten Gallier zur hoͤchſten Obrigkeit ein Weiberrathhaus gehabt haben: ſo iſt das ſchoͤne Geſchlecht auch immer der Mittelpunkt ihres gelehrten Kreiſes ge - blieben: man ſah die Buͤcher immer mehr fuͤr ſchriftliche Geſpraͤche, fuͤr Unterredungen im ſchoͤnen Ton an: und gab ſich alſo die un - terhaltende Miene eines Vernuͤnftlers. Statt daß ich drittens an alle die oͤffentliche An - ſtalten gedenken ſollte, die der Sprache auf - geholfen, will ich blos dazu ſezzen, daß die Franzoͤſiſche Sprache auch nichts waͤre, wenn ſie nicht dies Lob erbeutet haͤtte: zur Muſik elend; waͤſſerich, Nervenlos, unharmoniſch fuͤr die Poeſie; zu unbeſtimmt fuͤr die hohe Weltweisheit, hat ſie ihr Gluͤck eben durch eine Mittelmaͤßigkeit gemacht, die weder in Weltweisheit noch Dichtkunſt eine hohe Stuffe erreicht. Premontval*Premontval préſervatif contre la corru - ption P. 1. urtheiltnicht174nicht unbillig: ſoll ich bei ihrem großen Gluͤcke einen Vorzugstitel fuͤr ſie ausfinden: ſo wuͤrde ich ihn in einer gewiſſen Gleichung mittelmaͤßiger Eigenſchaften ſuchen. Richt ſo ſanft, als die Jtaliaͤniſche; nicht ſo majeſtaͤtiſch, als die Spaniſche; weniger zuſammengedraͤngt, als die Engliſche; an Nachdruck weit unter der Deutſchen; an Reichthum, an Ueberfluß faſt unter jeder Sprache Europens; hat ſie doch bei ihrer Armuth, Mittel, Nachdruck, Kuͤrze, Maje - ſtaͤt und Suͤßigkeit gnug, um ein ſehr ſchaͤzbares Werkzeug der menſchlichen Ge - danken zu ſeyn. Jnſonderheit legt die Klar - heit und Politeſſe / die ſie karakteriſiren, ihr großen Werth bei. So wie nun ein huͤbſcher, artiger Menſch, deutlich und ver - nuͤnftig in Geſpraͤchen, im Umgange mehr gelitten wird, als ein tiefſinniger, ſtiller Mann, ſo hat auch die Franzoͤſiſche Sprache fuͤr der Deutſchen ſich das Lob des Verſtandes geben laſſen, da die unſrige ſich den Titel einer Sprache der Vernunft anmaaſſen koͤnnte.

Stellt eine Philoſophiſche Materie, die ungefaͤhr mit gleicher Genauigkeit in zwo Sprachen175 Sprachen vorgetragen worden, in der ei - nen ſich klaͤrer, netter und uͤberzeugender dar, als in der andern?) Ja! und Exem - pel beſtaͤtigen dies allerdings. Eine tiefe Philoſophiſche Materie kann ſich in der alten reinen Lateiniſchen Sprache nicht ſo klar, ſo nett, ſo uͤberzeugend ausdruͤcken, als in ei - ner gewiſſen neuern Lateiniſchen Sprache, die eben deswegen noch nicht Barbariſch iſt, weil ſie von den Worten der Alten abgeht. Jn den Schriften des Philoſophen Baumgar - ten herrſcht ein gewiſſer aͤchter Roͤmiſcher Geiſt, ſeine Blumen, die gleichſam ſelbſt aus ſeiner Weltweisheit zu wachſen ſcheinen; und nicht uͤber dieſelbe geſtreuet ſind: eine ſo nachdruͤckliche Kuͤrze, daß jeder Gedanke ſich ein Wort ſelbſt zu ſchaffen ſcheint: kurz eine Sprache, die nicht netter und uͤberzeu - gender und fuͤr den denkenden Leſer klaͤrer ſeyn kann. Jch habe mich gezwungen, mir dieſen Eigenſinn auszureden, weil andre ſie eben fuͤr Barbariſch, oft ſpielend und dunkel hielten: ich fieng an, ſie in das flieſſende Latein der Schriften des Cicero zu uͤberſez - zen, zu umſchreiben, zu verſchoͤnern; und derGeiſt176Geiſt der Philoſophie war weg. Nun verſu - che man gar die Ueberſezzung in eine andere Sprache: und es wird immer noch mehr ver - lieren. Die Urſache davon liegt in dem Karakter der Sprache, die zu dieſer Materie gleichſam die Fugen ihrer Gelenkigkeit ge - bildet hat, und an dem geſchickten Schrift - ſteller, der ſich in dieſe Fugen zu ſchicken weiß. Das alſo Dinge in der einen Sprache ſich beſſer ausdruͤcken laſſen, als in der andern, kann eines Theils von der Subtilitaͤt der Gedanken herkommen; zwei - tens, daß man an ihre trockne Bezeichnung bei dem einen Volk mehr gewoͤhnt iſt, als bei dem andern. Theils von dem Schriftſteller ſelbſt, der als Erfinder der Gedanken, auch zugleich ein gewiſſes Haus - und Herrnrecht uͤber den Ausdruck hat, in dem ſelten ein Ueberſezzer ihm nachfolgen kann und darf; weil er theils nicht mit dem Feuer des Schriftſtellers ſelbſt denkt, theils lieber aus Furcht den Gedanken dem Worte auf - opfert. Nach dieſen drei Urſachen muß ſich ſo ziemlich eine Landkarte entwerfen laſſen, wiefern gewiſſe Materien in gewiſſenSprachen177Sprachen ſich vorzuͤglich ſchoͤn behandeln laſſen.

Materien der Weltweisheit theilen ſich am leichtſten jeder ausgebildeten Sprache mit, weil man hier vorzuͤglich die Richtigkeit und Deutlichkeit der Begriffe zum Hauptaugenmerk hat, und dieſe ſich in jeder uͤber das Sinnli - che erhabenen Sprache, obgleich nicht uͤber - all gleich leicht erreichen laͤßt. Daß man an die neuere Lateiniſche Sprache hierinn ſo viel Werth geknuͤpfet, die Weltweisheit gleichſam nach ihren Worten bequemet, und den Be - grif einem Ausdruck zu gut erfunden: iſt zwar durch eine langwierige Gewohnheit uns faſt zur zweiten Natur geworden, und eher nuͤz - lich als ſchaͤdlich. Man glaubt mit gewiſſen geerbten Worten Schaͤzze zu beſitzen, und hat Huͤlſen ſtatt des Kerns. Man machte z. E. einem neuern Gottesgelehrten den Ein - wurf, daß, wenn er ſeine Dogmatik Lateiniſch geſchrieben, viele Heterodoxien weggefallen waͤren; ich gebe es zu, beklage aber eine Or - thodoxie, die ſo ſehr von einer Sprache ab - haͤngt, daß ſie in derſelben, wie in ihremMHauſe,178Hauſe, maͤchtig iſt. Jch betrachte hier die Sache blos aus dem Geſichtspunkt der Phi - loſophie, zu der doch auch unſre Sprache vorzuͤglich ſich gebildet hat.

Eine Sprache, die wenig Unterſchied in den Zeiten angeben, wenig ohne Huͤlfs - woͤrter thun, nicht leicht einen Modus fuͤr den andern ſezzen kann, iſt nicht ſonderlich zur Geſchichte geſchickt, wie z. E. die Deutſche. Wir haben gar keinen Begrif von den temporibus der Griechiſchen Sprache. Der Deutſche hat ſelten das Gefuͤhl von dem Unterſchiede der beiden tem - porum praeteritorum der Franzoſen, daß aus der Verwechſelung oft laͤcherliche Miß - verſtaͤndniſſe entſtehen. Jndeſſen iſt dieſe Ungemaͤchlichkeit nicht ohne Huͤlfe, und unbe - traͤchtlich ſo gar. Sie iſt nur in einzelnen Theilen des Perioden: in ganzen Jnverſio - nen haben wir ſogar vor dem Franzoſen vie - le Vortheile, und wenn einige große Maͤnner bei uns die hiſtoriſche Periode in Gang brin - gen, und ſelbſt als Originale vorleuchten und locken werden; wenn man ſtatt der Aus -zuͤge179zuͤge es unternehmen wird, einzelne Zeitpunkte der Geſchichte mit allem Fleiß zu bearbeiten: ſo wird unſere Sprache ſo leicht Muſter im hiſtoriſchen Stil bekommen, als ſie ſchon in der Weltweisheit hat.

Schoͤne Proſe iſt ſchon mehr in die Jdiotismen verwebt; und unſre Sprache hat alſo in dieſer Schreibart viel von der Franzoͤſiſchen gewonnen. Poeſie iſt beinahe in ihren Schoͤnheiten unuͤberſezzbar, weil hier der Wohlklang, der Reim, einzelne Thei - le der Rede, Zuſammenſezzung der Worte, Bildung der Redarten, alles Schoͤnheit giebt.

Aus alle dieſem folgt, daß unſre Sprache unſtreitig von vielen andern was lernen kann, in denen ſich dies und jenes beſſer ausdruͤ - cken laͤßt (ſollte es auch nur das Schim - pfen ſeyn, wozu den Critikern gemeiniglich das ſchoͤnſte Latein gedienet); daß ſie von der Griechiſchen die Einfalt und Wuͤrde der Ausdrucks, von der Lateiniſchen die Nettigkeit des mittlern Stils, von der Engliſchen die kurze Fuͤlle, von der Fran - zoͤſiſchen die muntere Lebhaftigkeit, undM 2der180der Jtaliaͤniſchen ein ſanftes Maleriſche lernen koͤnne. Allein, man ſieht auch, daß in jeder Gattung der Schreibart kein Genie ſich ſeiner Mutterſprache ſchaͤmen, oder ſich uͤber ſie beklagen darf, weil uͤberhaupt fuͤr einen jeden vortreflichen Schriftſteller die Gedanken Soͤhne des Himmels, die Worte, Toͤchter der Erde ſind.

Ueber

About this transcription

TextUeber die neuere Deutsche Litteratur
Author Johann Gottfried von Herder
Extent184 images; 27329 tokens; 6201 types; 196635 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationUeber die neuere Deutsche Litteratur Eine Beilage zu den Briefen, die neueste Litteratur betreffend Erste Sammlung von Fragmenten Johann Gottfried von Herder. . [6] Bl., 180 S. HartknochRiga1767.

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Staatsbibliothek München BSB München, H.lit.p. 223-1/3

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Sprachwissenschaft; Wissenschaft; Sprachwissenschaft; core; ready; china

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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