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Betrachtungen uͤber die Weiſen Abſichten GOttes,
bey denen Dingen, die wir in der menſchlichen Geſellſchaft und der Offenbahrung antreffen.
Goͤttingen,Bey C. H. Cuno,1741.
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Grund-Riſſe zu einigen Betrachtungen uͤber die Weiſen Abſichten GOttes bey denen Dingen, die wir in der menſchlichen Geſellſchaft und der Offenbahrung antreffen.

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Vorbericht.

Meine jetzige haͤuffige Arbeit bey einer weitlaͤuftigen Gemeinde, zu deren Lehrer ich durch die gnaͤdige Fuͤ - gung GOttes vor einiger Zeit bin beſtimmet worden, erlaubet mir nicht dieſe Blaͤtter fortzuſetzen. Und5Und da ich nicht weiß, ob die guͤ - tige Vorſehung fuͤr mich jemahls andere Umſtaͤnde auserſehen hat, in welchen mir meine ordentlichen Amtsgeſchaͤfte Zeit laſſen den zweyten Theil dieſer Schrift, zu welchem ſchon eines und das ande - re geſamlet, auszuarbeiten; ſo will ich wenigſtens die Grundriſ - ſe von einigen Betrachtungen, zu welchen mir gute Freunde Anlaß gegeben, und welche nebſt andern zu dem zweyten Theile gewidmet waren, den vorigen Betrachtun - gen beyfuͤgen. Jch wuͤnſche, daß ein ander und geſchickterer Geiſt denen Liebhabern einer gruͤndli - chen Erkaͤntniß in goͤttlichen Din -a 3gen6gen die weiſen Abſichten GOttes bey dem, was uns die Offenbah - rung entdecket, in einem eben ſo uͤberzeugenden und netten Zuſam - menhange liefern moͤge, als der Herr Regierungsrath WOLFF die Abſichten der natuͤrlichen Din - ge vorgetragen. Ehe dieſes aber geſchiehet, bediene ſich der geneig - te Leſer dieſes geringen Anfanges zu einem ſo nuͤtzlichen Wercke, und bleibe gewogen

dem Verfaſſer.

Erſter[7]

Erſter Grund-R Zu einer Betrachtung uͤber die Urſach, Warum Chriſtus nicht vom Creutz geſtiegen, oder nach der Aufer - ſtehung ſich allem Volck gezeiget.

§. 1.

Als die verblendeten Jſraeliten den Mittler der Welt an das betruͤbte Holtz gehangen, ver - langten ſie zu ihrer Ueberzeu - gung von ſeiner goͤttlichen Sendung zu dem Amte des Meßias, daß er ſolte vom Creutze ſteigen. Sie verſprachen, ihn alsdenn fuͤr den Sohn GOttes aufzu - nehmen. Jſt er der Koͤnig Jſrael, heiſ - ſet ihre Rede, ſo ſteige er nun vom Creutz, ſo wollen wir ihm glaͤuben. Matth. Cap. 27. v. 42.

§. 2.

Man wundert ſich, warum der Erloͤſer ihr Begehren nicht erfuͤllet, und viel tau - ſend Unglaͤubige dadurch auf einmal zuma 4Glau -8Glauben gebracht. Wir wollen die Fol - gen entdecken, die dieſes Wunderwerck wuͤrde gehabt haben, ſo wird es ſich zei - gen, warum es der Weißheit gemaͤſſer ge - weſen, dieſem Verlangen der Juden kein Gehoͤr zu geben.

§. 3.

Die Juden ſetzten zum vornehmſten Merckmahle des Meßias dieſes, daß er ein irdiſch Reich anfinge und ſie zu Herren der gantzen Welt machte. Ein Meßias, der die Suͤnde der Welt truͤge, und nur wahre Gottſeeligkeit in die Hertzen der Menſchen zu bringen ſuchte, war ihnen ein Aergerniß. Es hatte dieſe Meinung in ihren Gemuͤthern ſo tieffe Wurtzeln ge - faſſet, daß auch die Apoſtel bey der Him - melfahrt Chriſti noch eine weltliche Herr - ſchaft fuͤr das Hauß Jſrael hofften. Ap. Geſch. Cap. 1. v. 6.

§. 4.

Als daher dorten der Heiland eine groſ - ſe Menge Volckes mit wenigen Brodten und ein paar Fiſchen geſaͤttiget hatte, und dieſes Volck daher den Schluß machte, daß er der Meßias waͤre, ſo faſſeten ſie gleich den Vorſatz ihn zum Koͤnige zu ma - chen Joh. C. 6. v. 15. Sie gedachten al - ſo unter ihm als ihrem Anfuͤhrer auf dieRoͤmer9Roͤmer loszugehen, ſich von deren Joch frei zu machen und im Gegentheil uͤber ſie zu herrſchen. Solte daher kein ungluͤck - licher Aufruhr entſtehen, ſo muſte JEſus entweichen.

§. 5.

Man begreiffe hieraus, was geſchehen ſeyn wuͤrde, wenn der gecreutzigte JEſus mit geheilten Wunden vom Creutze geſtie - gen waͤre. Wuͤrden die hochmuͤthigen Juden nicht augenblicklich einen Aufruhr angefangen und ſich wider die Roͤmer em - poͤret haben, beſonders, da beynahe das gantze Jſrael wegen des Oſterfeſtes bey einander war? Es erhaͤlt dieſe Muthmaſ - ſung dadurch die groͤſte Wahrſcheinlich - keit, daß laut der Geſchichte die Juden al - lezeit Tumult und die unvernuͤnftigſten und verwegenſten Empoͤrungen angefan - gen, ſo bald ſie jemand fuͤr den Meßias gehalten. Siehe des Herrn Probſt REINBECKS Betrachtungen uͤber die Augſp. Confeßion Theil III. Betracht: XXXIX. §. LXII-LXXII. EISEN - MENGERS Entdecktes Judenthum Theil II. pag. 654-672.

§. 6.

Dieſes aber wuͤrde der Chriſtlichen Religion, welche gepflantzet werden ſolte,a 5die10die groͤſte Hinderniß gegeben haben. Chri - ſtus wuͤrde den Juden widerſtanden und abermahls bezeuget haben, ſein Reich ſey nicht von dieſer Welt. Er wuͤrde ſie in ihrer Wuth und Aufruhr haben verlaſſen muͤſſen, und wenn denn die Macht der Roͤmer ſie uͤberſchwemmet, und, wie her - nach bey ihren unvernuͤnftigen Empoͤrun - gen geſchehen, ihre Staͤdte zerſtoͤhret und ſie theils durch die Schaͤrffe des Schwerd - tes aufgerieben, theils in die betruͤbte Ge - fangenſchaft gefuͤhret haͤtte, wuͤrden ſie JEſum eben ſo wenig fuͤr den Meßias ge - halten haben, als ſo geſchahe. Konnten ſie, da er die Teufel austrieb, ſprechen, er treibe die Teufel durch Beelzebub den Oberſten der Teufel aus, ſo wuͤrden ſie auch hernach geſagt haben, er iſt durch Beelzebub vom Creutze geſtiegen. Die Juden wuͤrden alſo durch das bloſſe Her - abſteigen vom Creutze nicht ſeyn gewon - nen worden, weil JEſus doch ihren Hochmuth durch Anrichtung eines weltli - chen Reichs nicht haͤtte ſaͤttigen koͤnnen, ſondern ſie vielmehr zur Demuth und Ge - horſahm vermahnen muͤſſen.

§. 7.

Die Heiden aber wuͤrden dadurch auf das allerheftigſte wider die Chriſtliche Re - ligion ſeyn aufgebracht worden. Siewuͤr -11wuͤrden ſie fuͤr eine ſolche Religion gehal - ten haben, welche zu Aufruhr und unge - rechten und grauſamen Kriegen Anleitung gaͤbe. Sie wuͤrden ſelbige alſo noch mehr gehaſſet und ihrer Ausbreitung wi - derſtanden haben, als ſo geſchehen iſt.

§. 8.

Da derowegen die Chriſtliche Religion mehr Schaden als Vortheil davon wuͤr - de gehabt haben, wenn der Erloͤſer auf Verlangen der hochmuͤthigen Juden vom Creutze geſtiegen waͤre, ſo iſt hinlaͤnglich zu begreiffen, warum er ihrer Forderung kein Gehoͤr gegeben.

§. 9.

Eben diejenigen Folgen, welche §. 6. 7. angefuͤhret ſind, wuͤrden ſich geaͤuſſert ha - ben, wenn Chriſtus ſich nach ſeiner Auf - erſtehung allem Volck gezeiget haͤtte. Es war daher der Weißheit gemaͤſſer, daß er ſich nur von den vorerwehlten Zeugen von ſeinen Apoſteln und andern treuen Bruͤdern in ſeinem verklaͤrten Leibe ſehen ließ.

§. 10.

Aus den vorhin angezeigten Urſachen iſt auch begreifflich, warum der Heiland den Juden auf ihr Verlangen kein Zeichen vom Himmel gab. Matth. C. 16. v. 1. Marc.12Marc. C. 8. v. 11. Luc. C. 11. v. 16. Al - le ihre Gedancken zielten dabey auf eine ir - diſche Herrſchaft, auf Tumult und Em - poͤrung.

Zweyter Grund-R zu einer Betrachtung uͤber Matth. Cap. 11. v. 21. Warum GOTT die zu Tyro und Sidon nicht durch ſolche Wunder bekehret, als zu den Zeiten Chri - ſti geſchehen.

§. 1.

Man fragt nicht unbillig, warum GOtt zu Tyro und Sidon nicht ehemahls eben die Wunder thun laſſen, welche zu den Zeiten Chriſti hie und da geſchahen, da doch der Erloͤſer verſichert, Matth. Cap. 11. v. 21. daß, wenn ſol - ches geſchehen waͤre, ſie im| Sack und der Aſche wuͤrden Buſſe gethan haben, und alſo erhalten worden ſeyn. Wir wollen dieſe Frage nach unſerer Muth - maſſung beantworten.

§. 2.

Da nicht alle Menſchen durch gehoͤri - ge Mittel zur Froͤmmigkeit und ihrer wah - ren Wolfahrt zu bringen, (ſiehe Betrach - tung VII. ) ſo wird GOtt vermoͤge ſeinerVoll -13Vollkommenheiten denjenigen Zuſam - menhang der Dinge erwehlen, in wel - chem die groͤſte(*)Wenn hier von der groͤſten Anzahl der Seeligen geredet wird, ſo vergleicht man ſie nicht mit der Anzahl unſeeliger Men - ſchen, ſondern mit der Menge der See - ligen, die in einer jeden andern moͤgli - chen Verfaſſung der Welt koͤnnte erhal - ten werden. Anzahl kan erhalten werden.

§. 3.

Vermoͤge dieſes Satzes kan es ſich zutragen, daß ein Menſch in dem jetzigen Zuſammenhange der Dinge verlohren gehet, der in einem andern ſich zur Gott - ſeeligkeit gelencket haͤtte.

§. 4.

Jndeſſen kan ſich ein ſolcher uͤber GOtt nicht beſchwehren, wenn er ihm nur hin - laͤngliche Gelegenheit giebt ſeine See - ligkeit zu ſuchen. Denn niemand kann von dem weiſeſten Schoͤpfer verlangen, daß er eines oder etlicher Menſchen wegen ſolte auſſerordentliche Dinge thun, durch deren Gelegenheit ſie erhalten, aber eine noch weit groͤſſere Menge in das Verder - ben geſtuͤrtzet wuͤrde.

§. 5.14

§. 5.

Es iſt muthmaßlich oder vielmehr ge - wiß, daß, wenn GOtt den Meßias mit ſeinen Wundern zu den Zeiten Tyro und Sidons geſandt, das Chriſtenthum kei - nen ſo guten Fortgang gehabt haͤtte, als da die ewige Vorſehung die Zeit ſeiner Ankunft in den Anfang der Roͤmiſchen Monarchie geſetzet. (*)Den Beweiß hievon leſe man in des Hn. Probſt REINBECKS Betrachtungen uͤber die Augſp. Confeßion Theil III. Be - tracht. XL. §. LVIII. Jngleichen in JACOB FOSTERS heiligen Reden und zwar in der XXIII. Rede.

§. 6.

Es wuͤrde alſo das Reich Chriſti we - niger Buͤrger bekommen haben, wenn der Meßias zu den Zeiten Tyro und Sidons mit ſeinen Wundern erſchienen waͤre.

§. 7.

Hieraus laͤſſet ſich begreiffen, warum GOtt den Tyriern und Sidoniern vor ihrer Verwuͤſtung die Herrlichkeit des Meßias nicht ſehen laſſen. GOtt muß vermoͤge ſeiner Eigenſchaften diejenige Einrichtung der Dinge erwehlen, durch welche das Reich ſeiner Herrlichkeit die mehreſten Einwohner bekommt. (§. 1.) Da15Da nun das Chriſtenthum ſich weniger wuͤrde ausgebreitet haben, wenn der Meßias vor der Zerſtoͤhrung Tyro und Sidons kommen waͤre, und alſo das Reich GOttes wenigere Buͤrger erhalten haͤtte, als bey der Erſcheinung Chriſti unter der Monarchie der Roͤmer: (§. 5. 6. ) ſo hat ſeine unendliche Weißheit erfor - dert, dieſe letztere Zeit zu den Tagen des Meßias zu beſtimmen.

§. 8.

Man wird weiter fragen: Warum hat GOtt zu Tyro und Sidon nicht eben ſolche Wunder durch andere thun laſſen, als der Heiland zu ſeiner Zeit verrichtet? Denn Chriſtus verſichert, daß ſie ſich wuͤrden bekehret haben, wenn dergleichen Zeichen bey ihnen geſchehen waͤren. Wir antworten darauf zweyerlei. Erſtlich doͤrffen Wunderwercke nicht gemein ge - macht werden: Zweytens muſte der Meſ - ſias nothwendig etwas vor ſich behalten.

§. 9.

Wunder doͤrffen nicht gemein gemacht werden. Sie haben ſonſt keinen Ein - druck in die Gemuͤther der Menſchen. Man ſiehet dieſes bey den groͤſten Wun - dern der Natur, welche ſehr wenige ihrer Aufmerckſamkeit wuͤrdigen, weil ſie ſel -bige16bige oͤfters und zum Theil taͤglich wahr - nehmen. Wer erſtaunt uͤber das groſſe Wunder, da die Sonne taͤglich aufgehet?

§. 10.

Ferner: Wenn GOtt alle Zeiten wol - te reich von Wundern machen, und uns dergleichen ſehr oft hoffen laſſen, ſo wuͤr - den viele Betruͤger die Einfalt mit fal - ſchen Wundern hintergehen und viel Un - heil anrichten. Man kan hiervon Pro - ben genug leſen in der Geſchichte derje - nigen Chriſtlichen Secte, welche ſich noch bis auf den heutigen Tag allerhand Wundergaben ruͤhmet.

§. 11.

Der Meßias muſte auch etwas vor ſich behalten, und daher durfte niemand anders in ſeinem Glantze zu andern Zei - ten erſcheinen. Man ſolte ihn hoͤher achten als alle Propheten, die Welt ſol - te ihn als den Sohn GOttes verehren: ihm geziemete daher eine ſolche Herrlich - keit und ſolche Zeichen, die ihn von allen andern, ſo von Weibern gebohren, un - terſchieden.

Drit -17

Dritter Grund-R Zu einer Betrachtung uͤber die Urſach, Warum GOtt im A. T. ſein Volck mehrentheils durch leibliche Bewe - gungsgruͤnde zur wahren Gott - ſeeligkeit aufgemuntert.

§. 1.

Wer die Schriften Altes Teſtaments lieſet, wird finden, daß GOTT mit ſeinen Geſetzen insgemein zeitliche Belohnungen und zeitliche Strafen ver - knuͤpfft. Man ſchlage 5 B. Moſ. C. 28. nach, ſo wird man daſelbſt lauter leibli - che Fluͤche und irdiſche Seegen antreffen, womit GOtt die Jſraeliten verbindet ſeine Geſetze vor Augen zu haben. Eben der - gleichen lieſet man an den mehreſten Or - ten, wo Verheiſſungen oder Drohungen aufgezeichnet ſind. Man wird wenige Stellen antreffen, wo das A. Teſt. auf ein Leben nach dem Tode fuͤhret. (*)Man findet dieſe Stellen groͤſtentheils in des Herrn Probſt REINBECKS Betrach - tungen uͤber die Augſp. Confeßion Betr. XL. §. LXXIV-LXXIX. Siehe auch FLACII Clauem Scripturae S. Part. II. pag.

b§. 2.18

§. 2.

Das Neue Teſtament hergegen redet wenig von zeitlichen Belohnungen und Beſtrafungen, es meldet aber deſtomehr von Himmel und Hoͤlle, wo ſo wol die Seelen gleich nach dem Tode, als auch endlich die wieder hergeſtellten Leiber ſol - len verſammlet werden, damit ein jeder empfahe nach dem er gehandelt hat bey Leibes Leben, es ſey Gutes oder Boͤſes.

§. 3.

Wir unterſuchen daher, warum doch GOtt im A. T nicht ſo viel und deut - lich von den Strafen und Belohnungen nach dieſem Leben ſchreiben laſſen als im N. T. GOtt als ein weiſer Beherr - ſcher der Welt bequemet ſich nach den Zeiten und richtet ſeine Verordnungen ſo ein, wie es die Gemuͤther zu einer je - den Zeit erfordern. Wir muͤſſen alſo die Beſchaffenheit der damahligen Zeiten in Betrachtung ziehen, in ſelbiger wird die Urſach zu finden ſeyn, welche GOtt bewogen, mehr von zeitlichen als ewigen Strafen und Belohnungen zu reden.

§. 4.

(*)pag. 51. wo bewieſen wird, daß unter einigen leiblichen Verheiſſungen auch geiſtliche begriffen werden.

19

§. 4.

Der groͤſte Theil der Welt war da - mahls der Abgoͤtterey und dem Aberglau - ben ergeben. Nicht nur die Voͤlcker, ſon - dern auch die Familien hatten ihre beſon - deren Schutzgoͤtter. (Conf. MOSHE - MII Notae ad Cudworthi Syſtema in - tellectuale pag. 418. et GERH. JO. VOSSII Theolog. Gentil. inprimis Lib. IX. Cap. XXXIII. p. m. 573. 574.) Das eine Volck hielt auch des andern Volckes Goͤtter fuͤr wahre Gottheiten, ob es ſelbige gleich nicht verehrete, ſon - dern andern Goͤttern dienete. Nur ach - tete man den einen Gott fuͤr beſſer und maͤchtiger als den andern.

§. 5.

Die Hoheit und Macht eines Gottes und ſeine Liebe zu dem Volcke, ſo ihn ver - ehrete, ſchloß man aus zweyerlei Dingen: aus dem Gluͤck, ſo er einem Volck beſon - ders wider ſeine Feinde im Kriege gab, und aus den geheimen und kuͤnftigen Din - gen, die er offenbahrete. 2 Chron. C. 36. v. 23. Eſr. C. 1. v. 1. Dan. C. 3. v. 29. C. 6. v. 26. C. 2. v. 47. Eſ. C. 43. v. 9.

§. 6.

Wenn derowegen ein Volck ungluͤck - lich war, ſo ſpotteten die andern Nationen der Gottheit, von welcher ein ſolch un -b 2gluͤck -20gluͤcklich Volck Schutz und Beyſtand hoffete. Pſ. 79. v. 10. Pſ. 115. v. 2. Joel C. 2. v. 17. 5 B. Moſ. C. 32. v. 37. 38. 2 B. der Koͤn. C. 18. v. 28-35.

§. 7.

Es geſchahe daher auch ſehr leicht, daß die Voͤlcker aus andern Laͤndern neue Gottheiten annahmen und ſelbige verehr - ten, wenn ſie ſich von ihnen gleichfals Schutz und Gluͤck verſprachen. Buch Judith C. 11. v. 17.

§. 8.

Bey dem groͤſten Hauffen der Juden galt ehemahls eben der Schluß, den wir §. 5. angefuͤhrt. Der Gott war in ih - ren Gedancken der maͤchtigſte und beſte, welcher ſein Volck am gluͤcklichſten mach - te, die wichtigſten Siege ſchaffte, und die gewiſſeſten Antworten auf Fragen uͤber geheime und zukuͤnftige Dinge gab. Pſ. 84. v. 8. Pſ. 85. v. 9. Eſ. C. 41. be - ſonders v. 23-29.

§. 9.

Es war ihnen daher auch ein leichtes, den wahren und lebendigen GOtt zu ver - laſſen und fremder Voͤlcker falſche Gott - heiten zu verehren. Die Suͤnde der Ab - goͤtterey war die gemeineſte. Wenn ſie ein - mahl einige Jahre dem einigen Schoͤpfer Himmels und der Erden gedienet, ſo ſchlu -gen21gen ſie ſich wieder zu den Goͤtzendienern, bis ſie der wahre GOtt verließ und ſie in der That erfuhren, daß die Goͤtzen nicht helffen noch gluͤcklich machen koͤnten. Man leſe das Buch der Richter und die Buͤcher der Koͤnige, ſo wird man dieſes beſtaͤndig finden.

§. 10.

Die Anſtalten und Ordnungen GOt - tes unter den Juden muſten daher vor - nehmlich wider die Abgoͤtterey gehen. Wie denn auch das Hauptwerck des Geſetzes und die mehreſten Predigten der Prophe - ten wider ſelbige gerichtet ſind.

§. 11.

Wenn man dieſes zum voraus ſetzet, ſo laͤſſet ſich leicht begreiffen, warum GOtt mit ſeinen Geſetzen und Ermahnungen vornehmlich leibliche Strafen und Be - lohnungen verknuͤpffen muſte. Es gien - gen ſelbige ins beſondere gegen die Abgoͤt - terey und die Suͤnden, ſo damit vergeſell - ſchafftet waren. Wider die Abgoͤtterey aber waren nach den damahligen Um - ſtaͤnden die Strafen und Belohnungen nach dieſem Leben keine zureichende und gegen die Haͤrte ihres Gemuͤths gnugſah - me Bewegungsgruͤnde. Der groͤſte Hauffe beurtheilte damahls die Gotthei - ten blos nach dem, was in die Sinne fiel:b 3(§. 5.22(§. 5. 6. 8.) Der weiſeſte Schoͤpfer mu - ſte daher mit ſeinem Dienſt auch ſolche Bewegungsgruͤnde verbinden, welche die Sinne ruͤhreten, nemlich zeitliches Gluͤck. Wenn ſie ſeinen Dienſt aber verlieſſen, muſte er ihnen zeitlich Ungluͤck drohen, und ſo wol das Gluͤck als das Ungluͤck genau ſo kommen laſſen, wie er es vorher ver - kuͤndigen ließ. Dieſes war damahls das eintzige, dadurch er den groͤſten Hauffen uͤberfuͤhren konnte, daß er maͤchtig ſey, und geheime und zukuͤnftige Dinge wiſſe, und er alſo allein fuͤr einen wahren GOtt zu achten und zu ehren. (§. 4.) Durch die Vorſtellungen des Ewigen waren ſie zu denen Zeiten von der Abgoͤtterey nicht ſo leicht abzuziehen, weil viele Heiden bey ihrem Goͤtzendienſt ebenfals von ſeeligen und unſeeligen Orten, wo die Seelen nach dem Tode hinkaͤmen, obſchon mit vieler Ungewißheit, redeten. (*)Zu dieſen gehoͤren auch die alten Aegypter. Siehe BRUCKERS Fragen aus der Phil. Hiſt. Th. I. B. I. Cap. VIII. §. VII. p. 178.Es war da - mahls noͤthig, daß die Bewegungsgruͤn - de, welche die Juden von der Abgoͤtterey abhalten und zur Verehrung des wahren GOttes reitzen ſolten, zugleich einen in die Augen fallenden Beweiß in ſich faſſeten,daß23daß der Jehova der eintzige und lebendige GOtt ſey, und vor allen andern Gotthei - ten einen Vorzug habe. Dergleichen aber war in der Vorſtellung eines Him - mels und der Hoͤlle nicht enthalten. Sie muſten alſo hauptſaͤchlich auf die Regie - rung der gegenwaͤrtigen Welt gewieſen und durch das Gluͤck und Ungluͤck, welches nach ihrem Verhalten uͤber ſie verhaͤnget wurde, und durch die Entdeckung kuͤnfti - ger und geheimer Dinge uͤberzeuget wer - den, daß Jehova das eintzige hoͤchſte We - ſen ſey, durch welchen die gantze Welt ent - ſtanden, und von deſſen gnaͤdigen Vorſe - hung alles Gluͤck und Ungluͤck komme.

Der vierte Grund-R Zu einer Betrachtung uͤber die Abſicht GOttes, Warum er das Boͤſe nicht allezeit unmittelbahr ſtrafet.

§. 1.

Man ſolte dencken, es wuͤrde weit beſſer um die Welt ſtehen, wenn GOtt allezeit das Boͤſe unmittelbahr ſtrafte. Man ſolte dencken, es wuͤrde als - denn Tugend und Gluͤck an allen Orten in der gantzen Welt bluͤhen. Da wir aber indeſſen finden, daß der weiſeſte Schoͤpferb 4die24die Gottloſen auch duldet, ſo muͤſſen wir dennoch ſchlieſſen, daß mehr Gutes da - durch erhalten und mehr Boͤſes in der Welt verhindert werde, und es alſo beſſer ſey, wenn ſeine Guͤte den Gottloſen nach - ſiehet, als wenn er ſie allezeit bey einer je - den boͤſen That unmittelbahr ſtrafen wol - te. Und wenn wir die Folgen uͤberdencken, welche aus ſolchen unmittelbahren Stra - fen entſtehen wuͤrden, ſo werden wir fin - den, daß es beſſer und der Weißheit GOt - tes gemaͤſſer ſey, wenn er Langmuth aus - uͤbet, als wenn er die Gottloſen allezeit un - mittelbahr mit Strafen verfolgete.

§. 2.

Wenn die Gottloſen allezeit unmittel - bahr bey einer jeden muthwilligen Ueber - tretung der goͤttlichen Geſetze ſolten geſtraft werden, ſo muͤſte dieſes entweder an ihrer Seele, oder am Leibe, oder an ihrem Ver - moͤgen, oder gar am Leben geſchehen.

§. 3.

Wuͤrden die Laſterhaften allezeit bey ei - ner jeden muthwilligen Suͤnde an der Seele durch Verwirrung der Gedancken und heftige Betruͤbniß, oder am Leibe durch Schmertzen und Kranckheit, oder durch Verluſt an ihrem Vermoͤgen ge - ſtraft, ſo muͤſten die Frommen und Tu - gendhaften allezeit mit jenen leiden. Waͤ -ren25ren die Gottloſen an der Seele oder an dem Leibe kranck, ſo wuͤrde die Arbeit, welche ſonſt das unartige Geſchlecht verrichtet, allein auf das kleine Haͤufflein der Gerech - ten kommen, und wuͤrden dieſe aͤrger ge - plagt ſeyn als die Jſraeliten in Aegypten. Die Frommen wuͤrden zehnmahl ſo viel ackern und andere Arbeit verrichten muͤſ - ſen, wenn anders nicht die groͤſte Noth und Theurung in die Welt kommen ſolte. Sie muͤſten der Suͤnder Knechte werden, und ſie verpflegen helffen. Wolte aber GOtt die Boßhaftigen an ihren Guͤtern ſtrafen und ſie in Armuth ſetzen, ſo wuͤr - den die Frommen abermahls dieſe Armuth muͤſſen tragen helffen. Sie wuͤrden ſel - bige nicht nur in ihrer Armuth mit Almo - ſen unterſtuͤtzen, ſondern auch die gemeinen Ausgaben des Staats allein uͤbernehmen muͤſſen. Und wie groß wuͤrde die Anzahl der Diebe und Raͤuber werden, welche den Frommen nachſtelleten und ihr Gut ſuchten?

§. 4.

Man wird dencken: es wuͤrden die Gottloſen ſich alsdenn bald bekehren und tugendhaft werden. Allein die dieſes muthmaſſen, erwegen die wahre Beſchaf - fenheit einer rechten Bekehrung, und be - trachten dabey die Gemuͤther der Men - ſchen, ſo wird man bald anderer Meinungb 5wer -26werden. Wer ſich bekehret, muß ſeine Seele in eine gantz andere Verfaſſung ſe - tzen. Was er zuvor geliebet, muß er nach - gehends haſſen, und was ihm eckelhaft geweſen, ſelbiges muß ſein angenehmſtes Vergnuͤgen werden. GOtt und Tu - gend muß er anfangen zu lieben und an ſelbigen ſich zu vergnuͤgen, die Laſter aber, die vorher ſeine vornehmſte Freude gewe - ſen, muß er nunmehr haſſen und verab - ſcheuen. Nun aber betrachte man das menſchliche Gemuͤth, ob ſelbiges durch harte Strafen zur Liebe gebracht wird? Gewiß, es wird dadurch nichts verhuͤtet als etwa der aͤuſſerliche Ausbruch der boͤ - ſen Begierden, indem durch ſolche Stra - fen eine knechtiſche und betruͤbte Furcht er - regt wird, die Liebe zum Boͤſen aber bleibt, und indem die eine Suͤnde verhuͤtet wird, wird die andere durch die harten Schick - ſahle insgemein gezeuget. Man bemer - cke die Veraͤnderungen, welche in einem rohen Gemuͤthe vorgehen, wenn GOtt ſelbiges zuͤchtiget. Wird ein Saͤuffer kranck, ſo glaubet er nicht, daß er ſolches verdienet, ſondern meinet, es geſchehe ihm von GOtt zu viel, und wird daher unge - dultig und murret wider GOtt. Solte ein ſolcher ſo lange mit Schmertzen gepla - get werden, bis er zur Erkaͤntniß ſeiner Suͤnden kaͤme und anfienge GOtt undTugend27Tugend wahrhaftig zu lieben, gewiß, er wuͤrde nimmer vom Bette kommen. Wie viele liegen etliche Jahre auf dem Kranckenbette, welche doch dadurch nicht einmahl dahin gebracht werden, daß ſie von Haß und Schelten und Fluchen ab - ſtehen? Man frage Lehrer, die bey weit - laͤuftigen Gemeinden ſtehen, ſie werden Exempel von dergleichen Leuten anfuͤhren koͤnnen. Man gehe ferner hin, wo eine Gluth das Vermoͤgen eines ungerechten Geitzhalſes verzehret, und vernehme aus ſeinen Worten, ob er dabey anfaͤnget Gott und Tugend zu lieben, oder ob der Haß gegen ſelbige noch groͤſſer wird. Man erwege hierbey, was Betr. VII. §. 9. 10. 11. geſagt worden.

§. 5.

Jch will zwar nicht leugnen, daß nicht etwa einige von denen, die anjetzo verlohren gehen, durch dergleichen Zwangmittel erſtlich zu einer knechtiſchen Furcht, und endlich zu einer freudigen Liebe gegen GOtt gebracht wuͤrden: aber daran zweiffelte ich ſehr, ob der Hauffe der Frommen uͤber - haupt alsdenn wuͤrde groͤſſer ſeyn als an - jetzt. Es wird mir dieſer Zweiffel durch folgende Gruͤnde erreget. Wolte GOtt die Bosheit der Menſchen durch beſtaͤndi - ge Strafen daͤmpfen, ſo wuͤrde immer die groͤſte Noth in der gantzen Welt ſeyn,(§. 3. 4.)28(§. 3. 4. ) und ſo wol Fromme als Gottloſe wuͤrden ſich auf das kuͤmmerlichſte nehren muͤſſen. Wie wuͤrde es alsdenn mit der Erkaͤntniß des Heils ſtehen? Wie viele Gemeinen wuͤrden ohne Lehrer ſeyn, wenn alle laſterhafte Lehrer ſolten auſſer den Stand geſetzet werden ihr Amt zu verwal - ten? Und wie wenige Eltern wuͤrden we - gen der elenden Zeiten vermoͤgend ſeyn ihre Kinder zur Schule zu halten? Wie viele wuͤrden alsdenn verlohren gehen, welche bey der jetzigen Verfaſſung der Welt zur Erkaͤntniß GOttes und Chriſti gelangen, und dadurch zum ewigen Leben erhalten werden? Da nun aber GOtt denjenigen Zuſammenhang vermoͤge ſeiner unendli - chen Vollkommenheiten erwehlen muß, in welchem die mehreſten zur wahren Gluͤck - ſeeligkeit koͤnnen gebracht werden; (ſiehe den zweyten Grundriß §. 2.) ſo kan er wegen einiger wenigen keinen Zuſammen - hang machen, in welchem ein weit groͤſſe - rer Hauffe von andern ungluͤcklich waͤre.

§. 6.

Wer uͤberhaupt den Folgen weiter nachdencket, welche daraus entſtehen wuͤr - den, wenn GOtt einen jeden muthwilli - gen Suͤnder unmittelbahr bey einer jeden Uebertretung an Leib und Seel und Guͤ - tern ſtrafte, der wird finden, daß die groͤ - ſte Verwirrung dadurch in der Welt ent -ſprin -29ſpringen wuͤrde. Es iſt daher beſſer und der Welt vortheilhafter, wenn hierinnen eine weiſe Maͤßigung getroffen wird, und GOtt den Suͤndern bisweilen eine Zeit - lang nachſiehet, und ihnen zu einer Zeit ſeine Gnade, zu einer andern Zeit aber auch ſeinen gerechten Ernſt zeiget.

§. 7.

Dieſe Frage koͤnnte noch aufgeworffen werden, warum GOtt diejenigen Suͤn - der, von welchen er zum voraus ſiehet, daß ſie ſich niemahls bekehren werden, nicht gleich bey der erſten muthwilligen Suͤnde aus dieſer Welt wegſchaffe. Jch will Kuͤrtze halber nicht alles anfuͤhren, was man hierauf antworten koͤnnte. Dieſes eintzige mag genug ſeyn: Es wuͤr - de alsdenn die Welt mit wenig Menſchen beſetzt ſeyn, indem wenige einen Ge - ſchmack an der Tugend finden. (ſiehe §. 3.) Dieſe wenige Menſchen wuͤrden im Stande ſeyn, ſich wie viele der America - niſchen und andern Voͤlcker von den Wurtzeln, Obſte, Wilde und einer ge - ringen Viehzucht zu ernehren. Dieſes wuͤrde ſie aber gantz gewiß zum Muͤßig - gang und uͤbermaͤßigen Wolluſt und al - len Suͤnden, ſo damit verknuͤpfft ſind, verleiten. Der Verſtand wuͤrde daher ſchlecht gebauet werden und welche anjetzt bey einer guten Erkaͤntniß und mancher -lei30lei Noth und Bedruͤckungen der Tugend ſich befleißigen, wuͤrden ſich alsdenn gar bald zu den Laſtern wenden und auch um - kommen. Wer die Seele der Menſchen kennet und auf die Erfahrung achtet, wird hieran nicht zweiffeln. Man erinnere ſich, wie es in den erſten Zeiten der Welt, da die Erde wenige Einwohner hatte, er - gangen iſt, wie die mehreſten Menſchen bey der Unwiſſenheit der Abgoͤtterey und den ſchaͤndlichſten Suͤnden ſich ergeben, und wie viele Wunder und Muͤhe es geko - ſtet, daß GOtt nur ein kleines Haͤuflein erhalten. Man erkundige ſich, wie es auch noch heutiges Tages in den Laͤndern um Wiſſenſchaft und Tugend ſtehet, wo wenig Einwohner ſind. Es iſt gewiß: allzugroſſes Elend hindert Erkaͤntniß und Tugend, (§. 3. 4. ) allzugroſſer Ueber - fluß aber thut bey den jetzigen Menſchen desgleichen. (ſiehe auch Betr. V. §. 38.) Es wuͤrde derowegen auch bey dieſer Strafe der Suͤnder um die Gottſeeligkeit und das Gluͤck der Menſchen ſchlechter ſtehen, als anjetzt. Woraus zu begreif - fen, warum GOtt auch den muthwilli - gen Suͤndern das Leben einige Zeit fri - ſtet.

§. 8.

Daß es denen Frommen und uͤber - haupt der Tugend ſelbſt wuͤrde nachthei -lig31lig ſeyn, wenn GOtt die Laſterhaften ſo gleich ſaͤmtlich aus der Welt wegraffen wolte, lehret auch JEſus Matth. Cap. 13. v. 29. 30. Er ſtellet ſich unter einem Menſchen vor, der guten Saamen auf ſeinen Acker ſaͤet d. i. der hie und da in der Welt durch ſein Evangelium tugend - hafte Seelen erwecket. Der Feind aber, der Satan, ſaͤet Unkraut darunter, er reitzet viele Menſchen zur Bosheit. (ſiehe Matth. Cap. 13. v. 37. 38. 39.) Sei - ne Knechte wuͤnſchen, daß ihnen Macht gegeben wuͤrde dieſes Unkraut auszugaͤ - ten, die Boͤſen aus der Welt wegzu - ſchaffen. Allein was antwortet der Hausvater? Er ſprach: nein, auf daß ihr nicht zugleich den Weitzen mit aus - rauffet, ſo ihr das Unkraut ausgaͤtet. Laſſet beydes mit einander wachſen bis zur Erndte. Unſerer Einſicht nach will der Heiland hiedurch nichts anders, als dieſes ſagen: es koͤnnen die Gottloſen vor dem juͤngſten Tage nicht von den From̃en abgeſondert werden, ohne den Tugend - haften ſelbſt Schaden zuzufuͤgen. Man wuͤrde der Tugend Abbruch thun, wenn man anietzt alle Laſterhafte aus der Welt wegſchaffen wolte. Die Wur - tzeln des Weitzens und des Unkrautes ſind dergeſtalt mit einander verknuͤpfft, daß man das Unkraut ohne Schadendes32des Weitzens nicht gantz ausgaͤten darff. Die Frommen ſtehen mit den Gottloſen in ſolcher Verbindung, daß die Gottlo - ſen bey der jetzigen Verfaſſung nicht oh - ne Schaden der Frommen gantz doͤrffen aufgeraͤumet werden.

§. 9.

Da nun auſſer den bisher erwehnten Strafen keine andere moͤglich, womit ei - ne jede muthwillige Suͤnde allezeit gleich unmittelbahr koͤnnte belegt werden: (§. 2.) dieſe aber insgeſamt, wenn ſie mit einer jeden muthwilligen Uebertretung ſo gleich verknuͤpfft wuͤrden, dem Rei - che GOttes mehr Schaden als Vortheil braͤchten; (§. 3-8. ) ſo iſt daraus zu be - greiffen, warum der weiſeſte GOtt, wel - cher allezeit das Beſte wehlet, den muth - willigen Suͤndern |in dieſer Zeit einiger maſſen nachſiehet, und eine groſſe Langmuth gegen ſie ausuͤbet.

[1]

Betrachtungen uͤber die Weiſen Abſichten GOTTes / bey den Dingen, die wir in der menſchlichen Geſellſchafft und in der Offenbahrung antreffen. Erſtes Stuͤck. Goͤttingen, Bey Chriſtian Heinrich Cuno. 1738.

[2][3]

Vorrede.

Geneigter Leſer!

Es iſt nicht nur angenehm, ſondern auch nuͤtzlich, die Abſichten der Dinge dieſer Welt zu wiſſen, und einzuſehen, warum dieſes ſo und nicht anders ſey. Der weiſe Schoͤpffer hat ſelbſt einen ſehr ſtarcken Trieb in unſere Natur geleget, die geheimen Abſich - ten der Dinge zu erforſchen. Es aͤuſſert ſich derſelbe gleich in den erſten Jahren unſerer zarten Kindheit. Was iſt wol die erſte Frage bey Sachen die wir erblicken? Gewißlich dieſe: Worzu dienet das? Was macht man mit jenem? Worzu nutzet dieſes? Und unſere Eltern koͤnnen nicht leicht etwas thun, ohne daß wir fragen: Warum ge - ſchiehet dieſes? Warum wird dieſes ſo und nicht anders gemacht? Es nimt auch dieſe Begierde mit den Jahren nicht ab, ſondern zu. Hoͤren wir, daß ein groſſer Herr ein Regiment aufbrechen laͤſſet, ſoA 2dencken4Vorrede. dencken und fragen wir: Warum mag dieſes wol geſchehen? Unſere ſehr groſſe Begierde ſelbiges zu wiſſen, laͤſſet nicht zu, den Ausgang davon zu erwarten, ſondern bringet gleich allerhand und zum Theil un - gegruͤndete Muthmaſſungen hervor. Ha - ben wir aber die wahre Urſache entdecket, ſo werden wir daruͤber ungemein vergnuͤgt. Da es denn ſo angenehm iſt, den Endzweck einer ſo geringen Sache zu wiſſen, wie viel - mehr ſolte es uns nicht erfreuen, die goͤttli - chen Abſichten bey den Dingen dieſer Welt zu erkennen? Es hat aber auch ſonſten die Einſicht in die goͤttlichen Abſichten ihren vortreflichen Nutzen. Wir gelangen da - durch zu einer deutlichern Erkaͤntniß ſeiner unendlichen Weißheit und Guͤte, und be - mercken derſelben unausſprechliche Groͤſſe auch in den allerkleinſten Dingen. Wir finden, daß dasjenige, was eine Unvollkom - menheit zu ſeyn ſcheinet, uns oͤffters zur groͤ - ſten Vollkommenheit gereichet. Die Geſetze des Hoͤchſten bekommen in unſerer Seelen ein gantz anderes Anſehen, ſo bald wir nur ihre heilige Abſicht erkennen. Denn da wir vorhero wol geglaubt, daß ſie den Geſetzen der weltlichen Obern aͤhnlich waͤren, welche offt nur der Obern Vortheil befoͤrden, denUnter -5Vorrede. Unterthanen aber zur Beſchwehrde gerei - chen; ſo bemercken wir hernach, daß ſie von denſelben weit unterſchieden ſind, und nichts als unſere Wolfahrt zum Ziel haben. Die - ſe Einſicht aber hat eine ungemeine Wuͤr - ckung in unſerer Seelen, indem ſie in derſel - ben eine Liebe gegen dieſe wolgemeinten Ge - bothe entzuͤndet, und verurſachet, daß wir ſelbigen mit deſto groͤſſerer Freude und Be - reitwilligkeit ſuchen nachzukommen. Es iſt demnach nicht nur angenehm ſondern auch nuͤtzlich, die Abſichten der Dinge dieſer Welt einzuſehen. Es haben ſich derowegen auch die gelehrteſten Leute bemuͤhet, ſelbige zu er - forſchen: Die Phyſici haben unterſucht die Abſichten der Lufft, der Erde, des Waſſers, des Feuers, der Sonne, Mond, Sterne und anderer natuͤrlichen Dinge, und die Anato - mici haben ſich groſſe Muͤhe gegeben, die Ab - ſichten der Theile, die man an Menſchen, Thie - ren und Pflantzen findet, zu erfahren, und ſind auch ziemlich gluͤcklich darinnen geweſen Beſonders hat der Herr Regierungs - Rath Wolff ſeine beſondere Einſicht in die - ſelben an den Tag geleget, indem er ſich die gelehrte Welt mit zwey beſondern Schriff - ten hiervon verbindlich gemacht, deren eineA 3die6Vorrede. die Abſichten der natuͤrlichen Dinge die andere aber die Abſichten der Theile des Menſchen, der Thiere und der Pflan - tzen vortraͤgt. Die Theologi haben auch keinen Fleiß geſpahret die Abſichten der Din - ge, die man in der Offenbahrung antrifft, zu entdecken: indeſſen aber iſt nicht zu leugnen, daß ſie die Abſichten einiger Dinge gar un - beruͤhrt gelaſſen, einige aber, ſo von ihnen ſchon entdecket worden, noch in groͤſſere Deut - lichkeit koͤnnen geſetzet werden. Man hat ſich auch noch nicht bemuͤhet ſelbige zuſam - men zu leſen, und in einer ordentlichen Ver - bindung vorzutragen. Da aber inzwiſchen der Hauffe der Spoͤtter, welche ſich dadurch ſuchen groß zu machen, daß ſie die Haupt - Stuͤcke der geoffenbahrten Religion verla - chen, immer zunimt, und ſelbigen ihr frecher Mund durch nichts beſſer kann geſtopffet werden, als wenn man zeiget, daß in den Dingen der Offenbahrung die groͤſte Weiß - heit anzutreffen: ſo entſchloß mich vor ei - nem Jahre die Abſichten der in der Offen - bahrung enthaltenen Sachen in einem be - ſondern Buche und ordentlichen Zuſammen - hange auszuarbeiten und heraus zu geben. Als aber die Feder zu dieſem Wercke anſetz -te,7Vorrede. te, ſo merckte, daß ich eine Arbeit unternom - men, welche zu vollfuͤhren ich noch nicht im Stande war. Theils fehlten mir die Buͤ - cher, aus welchen mich Raths erholen ſolte; theils wurden die Gedancken durch meine gewoͤhnliche Arbeit gar zu ſehr unterbro - chen, und ich dadurch verhindert ein weit - laͤufftiges Werck in einer beſtaͤndigen Ver - bindung fortzuſetzen: endlich fand ich, daß ich die Abſicht manches Dinges zu der Zeit, da ich ſie eben ſuchte, durch alle meine Be - muͤhung nicht erforſchen konte; hernach aber doch oͤffters bey einer zufaͤlligen Gelegenheit ohne ſonderliche Arbeit entdeckte. Jch aͤn - derte derowegen meinen Vorſatz, und faßte den Entſchluß einzelne Betrachtungen uͤber die Abſichten der in der Offenbahrung ent - haltenen Sachen in meinen wenigen Ne - ben-Stunden aufzuſetzen, und Stuͤck-weiſe, ohne auf die Verbindung und den natuͤrli - chen Zuſammenhang der Materien zu ſe - hen, unter die Preſſe zu geben. Und weil ich in der menſchlichen Geſellſchafft gleich - fals viele Dinge wahrnahm, in deren Ab - ſicht eine beſondere Weißheit GOttes ver - borgen lieget; und welche doch von wenigen erkannt wird, ſo nahm mir vor, auch uͤber die Abſichten ſolcher Dinge BetrachtungenA 4anzu -8Vorrede. anzuſtellen, und unter die andern mit ein - zuſtreuen. Jch uͤberlieffere hiemit die erſte Probe von dieſer Arbeit. Jch habe mich bey derſelben ſo bemuͤhet zu ſchreiben, daß dieſe Blaͤtter auch werden von ſolchen koͤn - nen geleſen und verſtanden werden, welche nicht ſtudiret haben. Wenn ſie das Gluͤcke haben geneigte Leſer zu finden, ſo ſoll, wenn GOtt will, alle Viertel Jahre ein ſol - ches Stuͤcke heraus kommen. Solte ich auch in einigen Dingen irren, und es will mich jemand eines beſſern und beſcheidenen Unterrichts wuͤrdigen, ſo werde ſolchen je - derzeit mit ſchuldigſten Dancke annehmen, und dadurch vielleicht nach und nach in den Stand geſetzet werden, dereinſten meinen er - ſteren Vorſatz ins Werck zu richten, und die goͤttlichen Abſichten bey den Dingen, die wir in der menſchlichen Geſellſchafft und der Of - fenbahrung antreffen, in einer natuͤrlichen Verbindung an des Tages Licht zu ſtellen.

Johann Friedrich Jacobi.

Die[9]

Die Erſte Betrachtung Von der Haupt-Abſicht GOttes, bey der Erſchaffung aller Dinge.

§. 1.

Wer von den einzelnen Abſich -Warum dieſe Be - trachtung voran ge - ſetzt wird. ten verſchiedener Dinge, ſo von einem vernuͤnftigen We - ſen mit einander verknuͤpfft worden, richtig urtheilen will, der muß von dem Haupt-Endzweck, wohin alle ſolche Dinge abziehlen ſollen, eine hinlaͤngliche Erkaͤnntniß haben. Jſt er ſelbige zu er - langen noch nicht bemuͤhet geweſen, ſo iſt er auch noch nicht im Stande die eintzelnen Abſichten der unterſchiedenen Theile, welche in einen Zuſammenhang gebracht worden, gruͤndlich einzuſehen, und die Weisheit, ſo darinnen verbor - gen lieget, zu entdecken. Da wir uns nun unternehmen, die weiſen AbſichtenA 5GOt -10GOttes bey denjenigen Dingen, welche wir in der menſchlichen Geſellſchafft und der goͤttlichen Offenbahrung antreffen, zu betrachten, und in einer tieffen Ehr - furcht zu bewundern: ſo wird noͤthig ſeyn, daß wir die goͤttliche Haupt-Ab - ſicht aller Dinge zum Vorwurff unſe - rer erſten Betrachtung machen, und uns der wunderbahren Zuſammenſtimmung der eintzelnen Abſichten mit dieſem letz - ten Haupt-Endzweck die unendliche Weißheit unſers GOTTes erkennen und verehren.

§. 2.

Es iſt ein GOtt.
5

Jch ſetze aber hierbey als ausgemacht zum voraus, daß ein ſelbſtaͤndiges, ewi - ges und nothwendiges Weſen ſey, wel - ches einen unendlichen Verſtand und den allervollkommenſten Willen beſitze, welches dieſe Welt und alles was zu derſelben gehoͤret, durch ſeine unum - ſchraͤnckte Macht hervor gebracht und zuſammen geſetzet habe. (*)Man findet eine groſſe Menge Schriff - ten, welche Beweiſe von dem Seyn und Weſen eines Gottes in ſich halten, welche aber insge - mein nur aufgeſetzt ſind, Gelehrte von dieſer wichtigen Wahrheit zu uͤberfuͤhren. Hingegen ſolche Beweiſe, welche ſo eingerichtet waͤren, daß ſie von einem Ungelehrten verſtanden werden,und11(*)und ſelbigen, daß ein GOtt ſey, uͤberreden koͤn - nen, findet man wenig genug. Jch will alſo de - nen, welche nicht im Stande ſind, einen tieffſin - nigen Beweiß von dem Seyn eines GOttes zu zergliedern und einzuſehen, kuͤrtzlich zeigen, wie ſie ſich von dieſer edelſten Wahrheit uͤberreden koͤnnen. Stelle dir derowegen vor, mein Menſch, du kaͤmeſt an die See, und haͤtteſt noch niemahls ein Schiff geſehen, du wuͤrdeſt gewahr, daß von fer - ne ein groſſes Ding geſchwommen kaͤme, auf wel - chen du keinen eintzigen Menſchen erblickteſt. Jndem nun dieſes groſſe Ding je mehr und mehr heran nahete, ſo erkenneteſt du die groſſen und kleinen Seegel, welche aus groſſen Stuͤcken Lei - newand zuſammen geſetzt, du bemerckteſt die vie - len Stricke und Thaue, die hohen und niedrigen Maſten mit ihren ſchoͤnen Flaggen. Du betrach - teteſt ferner den Bau, und ſaͤheſt daß dieſes groſſe Bebaͤude aus dem ſtaͤrckſten Holtze zuſammen gefuͤget, mit ſtarcken Naͤgeln und Klammern ver - wahret, und mit Theer und Pech uͤberzogen waͤ - re. Du merckteſt, daß an dieſem Gebaͤude auch ein kleines Ruder waͤre, welches ſich bald ſo bald anders bewegte und verurſachte, daß ſich das Schiff bald hieher bald dorthin drehete, und zwiſchen gefaͤhrlichen Klippen unverſehrt durch - ſeegelte. Du wuͤrdeſt ferner nach einer kurtzen Zeit gewahr, daß ſich an dieſem Gebaͤude ein klei - nes Thuͤrchen aufthaͤte, aus welchem Feuer und Rauch mit dem ſtaͤrckſten Gepraſſel heraus fuͤh - re, und nach dieſem Knalle thaͤte ſich das Thuͤr - chen wieder zu. Wie wuͤrdeſt du wol urtheilen, was vor einen Schluß wuͤrde wol deine Uberle - gungs-Krafft hervor bringen. Wuͤrdeſt du auch wol gedencken, alles dieſes Holtz, dieſe Breter, Baͤume, Stricke, Flaggen, Ruder und Seegel ſind ſo zuſammen kommen, ohne daß ein vernuͤnffti -ges12(*)ges Weſen Hand daran geleget? Wuͤrdeſt du wol urtheilen, dieſes Gebaͤude bewegt ſich von ohn - gefehr um die Klippen herum, indem ſich das Ruder von ohngefehr drehet? Wuͤrdeſt du glau - ben, das Thuͤrchen thut ſich von ſelbſten auf und zu, und das Feuer mit dem Rauch und Knall ent - ſtehet ohne dem geringſten Beytrag eines ver - nuͤnfftigen Weſens? Gewiß, du wirſt dich hier - von weder ſelbſt noch auch ein anderer uͤberre - den. Du wirſt bey dir ſelbſt ſprechen: Solte dieſes alles ohne Verſtand zuſammen kommen ſeyn und regieret werden? Woher waͤren denn die dicken Breder ſo ordentlich zu rechte gehauen und auf einander geleget? Warum finde ich die eiſernen Klammern eben da, wo ſie das Holtz zu - ſammen fuͤgen ſollen? Warum ſind eben Maſten da mit ſo vielen Stricken? Warum ſind die groſ - ſen Seegel eben an einem ſolchen Orte, wo ſie ſich am beſten hinſchicken, und die kleinen wie - derum an einer andern bequemen Stelle? War - um ſind an den Thuͤrchen Heſpen? Warum dre - het ſich das Schiff nur zur Rechten und Lincken, wenn Felſen da ſind, und warum gehet es wie - derum gerade fort, wenn es eine ſichere Tieffe des Meers unter ſich hat, da doch dieſes alles nicht nothwendig ſo iſt, ſondern auch anders ſeyn koͤnte? Es iſt unmoͤglich, daß dieſes Gebaͤude oh - ne jemand Verſtaͤndiges zuſammen kommen, es iſt unmoͤglich, daß dieſes groſſe Werck ohne eine vernuͤnfftige Seele regieret werde. Es muͤſſen Menſchen geweſen ſeyn, die dieſes Schiff gebauet, es muß jemand Vernuͤnfftiges dieſes Schiff be - wohnen und ſeine Ruder fuͤhren. Stelle dir fer - ner vor, die natuͤrliche Begierde etwas neues ge - nau zu betrachten triebe dich an, ein ſolches Schiff auch von innen zu beſehen. Es truͤge ſich zu, daß du ein ſolches Schiff an einem Orte am Ufer faͤndeſt vor Ancker liegen. Die Schiff-Leute waͤ -ren13(*)ren bis auf ein Paar Bots-Knechte ohne dein Wiſſen ausgetreten. Du bemuͤheteſt dich in das Schiff zu kommen, und nachdem du an Bort ge - ſtiegen, ſo traͤffeſt du nur ein Paar Bots-Knech - te an, welche eine fremde Sprache ſpraͤchen, und dich alſo nicht unterrichten koͤnten, woher dieſes Gebaͤude kommen und entſtanden. Jndeſſen ſaͤ - heſt du in dem Schiff eine genaue Eintheilung ſeines innern Raumes, viele Kammern und al - lerhand Behaͤltniſſe, in einigen erblickteſt du Brodt, in andern Mehl, in einigen trocken Fleiſch, in andern Faͤſſer mit ſuͤſſem Waſſer, Wein und Brantewein, in noch andern die koſtbahrſten Wahren, deren bloſſes Anſchauen ſchon ein be - ſonders Vergnuͤgen erweckte. Du kaͤmeſt ferner in ein Gemach, worinnen du Keſſel, Heerd, Feuer und Licht, nebſt allerhand Kuͤchen-Geraͤthe antraͤf - feſt. Ferner kaͤmeſt du in ein Zimmer, worinnen Fenſter, Tiſche, Stuͤhle und Baͤncke, deren jedes an den Boden feſte gemacht, damit es bey dem Seegeln des Schiffes nicht umfallen koͤnte. Du ſtiegeſt endlich unten in das Schiff, und faͤndeſt allerhand Holtz zum Brennen u. zu allerhand an - dern Gebrauch und viele andere Geraͤthſchafft, du ſaͤheſt auch allerhand lebende Thiere, Huͤner, Gaͤnſe, Schweine, Hammel und andere, und vor jegliche Arth faͤndeſt du beſondere Behaͤltniſſe, Troͤge, Krippen, Hilten und Trinck Geſchirre, auch vor jede Arth beſonder Futter in der groͤſten Men - ge und beſten Ordnung. Wuͤrde nicht hierbey dein Schluß ſeyn: Dieſes alles muß ein kluger Verſtand ausgeſonnen, und eine geſchickte Hand verfertiget haben? Schließ eben ſo, mein Freund bey Betrachtung dieſer Welt, weil du gleiche Ur - ſache findeſt eben alſo zu gedenken. Schwim - men nicht die unzaͤhligen groſſen Welt-Coͤrper, Sonne, Erde, Mond und Sterne in einer gantz fluͤßigen beweglichen und durchſichtigen Materie? Und14(*)Und dennoch ſincken, wancken und fallen ſelbige nicht, ſie zergehen auch nicht, ſondern halten feſte zuſammen. Sie ſchwimmen ihren Weg immer fort, und ſtoſſen niemahls zuſam̃en und zerſchei - tern. Sonne, Mond und Sterne haben ihre ge - wiſſe Zeit, da ſie auf - und untergehen, und dieſe beobachten ſie auf das allergenaueſte. Sommer und Winter wechſeln mit einander ab, damit die Fruͤchte nicht nur bey uns, ſondern auch an an - dern Orten zu ihrem Wachsthum und Reiffe ge - deien. Sollte dieſes alles wohl ohne eines ver - ſtaͤndigen Weſens Einrichtung in eine ſolche Ord - nung kommen ſeyn? Gedencke an den Schluß, den du bey dem Schiffe machteſt. Jch habe dir die Welt anjetzo, wie anfaͤnglich das Schiff gleichſam nur von auſſen vorgeſtellet, komm, und beſiehe ſelbige auch ein wenig von innen. Beſchaue dieſe Erde und was drauff iſt. Ach! was vor man - cherley Behaͤltniſſe und Boden, findeſt du nicht auf - u. in derſelben, welche alle mit den ſchoͤnſten Sachen und Thieren angefuͤllet ſind? Erde, Lufft und Waſſer ſind voll lebendiger Creaturen, und ein jedes findet ſeine Nahrung nach ſeiner Arth. Die Wieſen geben Graß und Blumen, die Gaͤrten, Kraut, Wurzeln und Obſt. Das Land bringet ſeine Fruͤchte, und die Waͤlder ſind voller Holtz zum Brennen, Bauen, und andern Geraͤtſchaff - ten. Die Quellen geben unaufhoͤrlich Waſſer, und die Weinberge den ſchoͤnſten Wein. Die Wolcken befeuchten die Gewaͤchſe, daß ſie wachſen koͤnnen, und Blitz und Donner reiniget die Lufft von ſchaͤdlichen Duͤnſten. Solte dieſes alles wohl ohne Einfluß eines vernuͤnfftigen Weſens alſo ſeyn? Gewiß viel weniger als die Einrichtung ei - nes kleinen und elenden Schiffes. Siehe dich ſelbſt an, mein Menſch, zeugen nicht die kleine - ſten und ſchlechteſten Theile deines Coͤrpers von einer weiſen Hand die ihn bereitet? Du ſchloſſeſtbey15(*)bey dem Schiffe ſo: es iſt eine groſſe Ordnung in demſelben, alles hat ſeinen beſondern Nutzen, und alles koͤnte doch anders ſeyn, und iſt nicht noth - wendig ſo, derowegen muß es von einem weiſen Baumeiſter aufgerichtet und angegeben ſeyn. Be - ſiehe nur die Naͤgel an deinen Fingern, u. du wirſt gleiche Urſache finden eben ſo zu ſchlieſſen. Sie haben einen groſſen Nutzen. Denn ſie dienen dar - zu, daß wir das foͤrderſte der Finger nicht gar zu leicht zerſtoſſen und mit ihnen deſto feſter halten koͤnnen, ſie ſind nur an denen Orten, wo ſie Nutzen haben, an andern findet man ſie nicht. Sie ſind nicht nothwendig an dieſem Orte. Es waͤre moͤg - lich, daß ſie an andern Orten gleichfalls hervor wuͤchſen. Deñ Haut, Fleiſch, Blut und Knochen fin - den ſich an mehrern Theilen des Leibes. Warum kommen ſie daſelbſt nicht ebenfals hervor? Solte nicht ein weiſer Baumeiſter geweſen ſeyn, der da geſehen haͤtte, daß ſie an den Fingern und Zaͤhen ihren Nutzen haͤtten, an andern Orten aber ſchaͤd - lich und hinderlich waͤren, und ſie derowegen nur an dieſe, nicht aber an andere Orte des Leibes geleget? Betrachte die weiſe Ubereinſtimmung der Natur in andern Dingen, und uͤberlege, ob ſelbige uns nicht Gelegenheit gebe auf ein Weſen zu kommen, welches den groͤſten Verſtand, eine unendliche Guͤtigkeit, und eine erſtaunende Macht beſitze? Einige Thiere muͤſſen nach ihrer Geburth erſtlich einige Zeit durch Milch ernaͤhret werden, und ſiehe ihre Muͤtter haben Euter, welche reich - lich damit verſehen ſind. Andere Thiere, als das Gevoͤgel braucht keine Milch, und ihre Alten ha - ben auch keine Gliedmaſſen zum Saͤugen. Eine Katze, ein Hund, eine Sau pflegen insgemein vie - le Junge auf einmal hervor zu bringen, und dero - wegen haben ſie auch mehrere Sauge-Jnſtru - mente als andere Thiere, die wenigere ihres glei - chen auf einmahl zeugen. Warum hat ein Huhn,eine16(*)eine Taube, eine Gans keinen Euter? Und warum hat eine Sau mehr Milch-Gefaͤſſe als ein ander Thier? Solte man nicht Urſach finden zu muth - maßen: es muß ſich jemand dieſe Dinge vorher vorgeſtellet u. geſehen haben, daß ein Vogel keine Milch-Gefaͤſſe brauche, die andern aber ſelbiger nach der Anzahl ihrer Jungen noͤthig haben. Beſie - he nur den Unterſchied zwiſchen den Fuͤßen eines Vogels der auf dem Waſſer und zwiſchen den Fuͤſ - ſen eines Vogels ſo auf den Baͤumen ſich aufzu - halten pfleget, und ſie werden dich auf einen wei - ſen Schoͤpffer fuͤhren. Haͤtte eine Gans und eine Ante keine breite Lappen zwiſchen ihren Klauen, ſo wuͤrden ſie nicht wohl ſchwimmen koͤnnen, und waͤre ein Rabe, ein Haͤger, ein Krammets-Vo - gel und ein Sperling damit verſehen, ſo wuͤrde er mit ſeinen Klauen die Zweige der Baͤume nicht wohl umfaſſen, und ſich auf denſelben halten koͤn - nen. Wenn nun die Welt von keinem weiſen Bau - meiſter eingerichtet worden, woher kommt denn dieſe Ubereinſtimmung und groſſe Ordnung? Gewiß betaͤubt nicht eine ſchlaͤffrige und wolluͤſti - ge Unachtſamkeit alle unſere Sinne, u. macht uns ein unſinniger Hochmuth und verſtockte Bosheit nicht zu Narren, ſo werden wir auch bey dem ge - ringſten Dinge dieſer Welt auf die Gedancken kommen muͤſſen: Es iſt ein GOtt. Eine kleine Spinne, eine kuͤnſtliche Biene und eine arbeitſame Omeiſe ruffen uns zu: Es iſt ein GOtt, der die - ſes Welt-Gebaͤude durch ſeine Macht herfuͤr ge - bracht, und mit unendlicher Weisheit eingerichtet. Jch koͤnte dieſen Satz weitlaͤufftiger aus den kurtz - angefuͤhrten Gruͤnden herleiten, auch die mehre - ſten Eigenſchafften GOttes auf eine aͤhnliche Arth darthun, wenn meine Abſicht anjetzo weiter gien - ge, als bloß einen ſolchen, der ſich in gruͤndlichen Wiſſenſchafften nicht ungeſehen, auf die erſten Spuhren der Erkaͤnntniß GOttes zu bringen, unddahin17(*)dahin zu bewegen, daß er gedencke: Es moͤchte doch wohl ein GOtt ſeyn, ich muß mich bemuͤhen hiervon weitere Gewißheit zu erlangen, und den - ſelben beſſer kennen zu lernen.

§. 3.

Wenn denn als unſtreitig kann ange -GOtt fin - det an Er - ſchaffung der Welt ein Ver - gnuͤgen. nommen werden, daß dieſe Welt von einem ewigen, ſelbſtaͤndigen, weiſen und guͤtigen Weſen hervor gebracht und in dieſe ſchoͤne Ordnung zuſammen geſetzet worden, ſo fragt ſichs, was denn GOtt bewogen einen ſolchen groſſen Bau auf - zufuͤhren, und mit lebendigen Creatu - ren zu beſetzen, und welches hierbey ſei - ne Haupt-Abſicht geweſen? Ein ver - nuͤnfftiges Weſen erwehlet nichts, es muß denn etwas gutes ſeyn, und von ihm als etwas ſchoͤnes angeſehen wer - den, ſo daß es ſein Vergnuͤgen daran findet, wenn eine ſolche Sache iſt. Da nun GOttes Einſicht alle andere Ver - nunfft auf eine unendliche Weiſe uͤber - wieget, und er die Erſchaffung dieſer Welt durch ſeinen allervollkommenſten Willen beſchloſſen und vollbracht; ſo muß er dieſe Welt als etwas gutes an - geſehen, und an ihrer Wuͤrcklichkeit ein beſonderes Vergnuͤgen haben.

Erſtes Stuͤck. B§. 4.18

§. 4.

Wohin dieſes Vergnuͤ - gen gehe?
13

Wenn wir bey dieſem Vergnuͤgen un - ſere Gedancken laͤnger aufhalten, und ſel - biges weiter unterſuchen, ſo finden wir, daß es in GOtt beſonders darinnen beſte - he, daß er Dinge, die nur bloß moͤglich und noch nicht wuͤrcklich, und alſo noch keiner Vollkommenheiten faͤhig ſind, aus ihrem Nichts hervor rufft, zur Wuͤrcklich - keit bringet, und ihnen ſo viel Vollkom - menheiten mittheilet, als durch weiſe Mit - tel moͤglich iſt. Es iſt dieſes der Natur eines guͤtigen und weiſen Weſens gemaͤß, daß es darinnen ſeine Freude ſuchet, wenn es andere vollkommen machet. Und da nun die Dinge dieſer Welt und ihre ſchoͤ - ne Anordnung ohne GOtt nicht ſeyn koͤn - nen, jemahls auch nicht geweſen ſind; ſo muß es ihm ein Vergnuͤgen ſeyn, wenn er Dingen, die nicht ſind, ihre Wuͤrcklichkeit giebet, und ſie mit ſo vielen Vollkommen - heiten auszieret, als er es ſeiner Weiß - heit gemaͤß befindet, Ja da GOtt das allervernuͤnfftigſte Weſen iſt, ſo wird ſein Vergnuͤgen uͤber die Geſchoͤpffe deſto groͤſ - ſer ſeyn, je vollkommener ſelbige ſind, und wird alſo alles thun, was zu dieſer Voll - kommenheit etwas beytragen kann. (*)Die Erfahrung zeiget dieſes augenſchein - lich. Wie viel hat GOtt nicht gethan um des Menſchen willen? Man betrachte nur ſeine Hand. Aus wie vielen Knochen, Sehnen, Ge - lencken, Adern, fleiſchigten Stuͤcken und Haͤu - ten iſt ſelbige nicht zuſammen geſetzt uns zu einer beſondern Vollkommenheit? Denn wie viel tau - ſenderley Bewegungen koͤnnen wir nicht vermoͤge dieſer vielen Theile zu unſern groͤſten Vergnuͤgen machen? Was vor mancherley kuͤnſtliche Arbeit koͤnnen wir mit denſelben nicht verrichten? Wie viel angenehme und ergoͤtzende Tone koͤnnen wir nicht mit den Fingern auf Saͤiten und Pfeiffen machen? Und wer kañ den unzehligen Gebrauch der Glieder an der Hand beſchreiben, welcher von ihrer Vollkommenheit ein Zeugniß giebet. Und hat GOtt eine ſo groſſe Vollkommenheit in eine eintzige Hand geleget, wie wird man nicht in an - dern Dingen dieſer Welt die Begierde GOttes erblicken, die Creatur vollkommen zu machen? Jch uͤbergehe Kuͤrtze halber mit Stillſchweigen, was uns die goͤttliche Offenbahrung von dieſer Begierde entdecket.

(*) Die19

§. 5.

Wer an einer Sache und ihrer Voll -GOtt lie - bet die Geſchoͤpf - fe. kommenheit ein Vergnuͤgen findet, und ſelbige auf alle Art und Weiſe zu befoͤr - dern ſucht, der liebt dieſelbe. Da nun GOtt an den Geſchoͤpffen ein Vergnuͤgen findet, und aus dieſer Urſach aus dem Nichts hervor gezogen, und ſie mit aller - hand Vollkommenheiten ausgezieret, ſo er - hellet daraus ſeine ungemeine Liebe, wel - che er gegen Creaturen heget. Derowe -B 2gen20gen wird auch der innere Bewegungs - Grund, welcher GOtt Geſchoͤpffe zu ma - chen angetrieben, in nichts anders als ſei - ner weſentlichen Liebe zu ſuchen ſeyn.

§. 6.

Es ſind zweyerley Quellen der Liebe.
14

Das Vergnuͤgen, welches ein vernuͤnff - tiges Weſen aus einer Sache empfindet, und die Liebe, die es alſo gegen ſelbige hat, entſtehet entweder daher, weil eine ſolche Sache das vernuͤnfftige Weſen, ſo ſie liebt, vollkommener macht, oder ſie ruͤhret von denen Vollkommenheiten her, die ein ſol - ches vernuͤnfftiges Weſen ſchon beſitzet. Z. E. Wir lieben das Geld, weil wir vieles vor daſſelbe bekommen koͤnnen, und es auf dieſe Weiſe viel zu unſerer aͤuſſeren Gluͤckſeligkeit beytraͤget. Wir vergnuͤ - gen uns an der Ehre, weil ſie gleichfals zu der Vollkommenheit unſers aͤuſſern Zu - ſtandes vieles thut. Wir lieben ein ſchoͤ - nes, groſſes Hauß, weil es uns viele Ge - maͤchlichkeit giebet. Ein Gelehrter liebt die Buͤcher, weil ſie ihn zu vieler Erkaͤnt - niß bringen, und ein Soldat den Degen, weil er ihm Ehre und Brod giebet. Alle dieſe Dinge lieben wir wegen der beſondern Vollkommenheit, deren wir durch ſie theil - hafftig werden. Wir koͤnnen uns aberauch21auch uͤber eine Sache vergnuͤgen, welche unſere Vollkommenheiten nicht vermeh - ren, blos deswegen, weil wir ſchon gewiſſe Vollkommenheiten beſitzen, die dieſes Ver - gnuͤgen in uns verurſachen. Z. E. Wenn wir leutſelig und mitleidig ſind, | und hoͤren daß ein unſchuldig verdammter auf eine wunderbahre Weiſe iſt gerettet worden, ſo freuen wir uns und empfinden daruͤber ein recht innerliches Vergnuͤgen, ob wir gleich nicht den geringſten Vortheil davon zu erwarten haben, ſondern bloß weil un - ſere Leutſeligkeit unſer Gemuͤth zum Mit - leiden uͤber ſolche Leute beweget. Ja es kann ſo gar eine auf dieſe Weiſe erdichtete Geſchichte in einem Roman dieſe ver - gnuͤgte Empfindung bey einem| leutſeligen Gemuͤth erregen. Daß alſo gewiß iſt: es kann ſich einer, der gewiſſe innere Voll - kommenheiten hat, vermoͤge derſelben uͤber etwas vergnuͤgen und ſelbiges lieben, ohne daß er dadurch neuer Vorzuͤge theilhafftig wird.

§. 7.

GOTT iſt das allervollkommenſteWoher die Liebe GOttes gegen die Geſchoͤpf - fe ruͤhre? Weſen, und iſt ſelbiges von Ewigkeit her geweſen. Es koͤnnen alſo ſeine Vollkom - menheiten in ihm durch nichts erhoͤhetB 3oder22oder vermehret werden. Folglich kann er die Geſchoͤpffe nicht lieben, weil er durch ſie vollkommener wuͤrde, ſondern weil in ihm ſchon ſolche Vollkommenheiten von Ewigkeit her befindlich, die ihn dazu an - treiben. Es leuchtet nemlich unter ſeinen Vollkommenheiten eine unendliche Guͤtig - keit hervor, vermoͤge welcher er eine we - ſentliche Geneigheit hat ſich an dem Seyn der Geſchoͤpffe zu vergnuͤgen, und ſelbige vaͤterlich zu lieben, ohne daß er dadurch vollkommener wird und neue Vorzuͤge er - haͤlt.

§. 8.

Wem zum be - ſten GOtt die Welt gemacht?
14

Hieraus iſt denn aber klar, daß GOtt die Geſchoͤpffe liebet und ſich an ihren Vollkommenheiten vergnuͤget, nicht ſich, ſondern dem Geſchoͤpff zum beſten. Folg - lich hat er auch nicht ſeine Vollkommen - heiten zu vermehren geſucht, da er die Welt gemacht, ſondern ſeine Neigung iſt geweſen Dinge, die in dem Nichts verbor - gen lagen, zu etwas zu machen, und an denſolben ſeine Herrlichkeit und Ehre zu offenbahren, damit ſelbige dadurch einiger Vollkommenheiten moͤchten faͤhig werden. Er hat alſo nicht ſich, ſondern dem Geſchoͤpff zu gute geſchaffen. GOtt iſt das voll -kommenſte23kommenſte Weſen, und genieſſet einer un - veraͤnderlichen Seligkeit. Dieſes macht ihm ein gnaͤdiges Verlangen auch andern Dingen eine Seligkeit zu goͤnnen, und derowegen rufft er ſie aus dem Nichts hervor und bringet ſie zur Wuͤrcklichkeit. Ja vermoͤge dieſer Liebe kann er nicht an - ders, als daß er die Geſchoͤpffe zu einem ſolchen hohen Grad der Vollkommenheit bringet, als ihr Weſen leidet, und durch weiſe Mittel kann erhalten werden. (*)Jch ſage, in GOtt iſt eine Geneigheit de - nen Creaturen ſo viel Vollkommenheiten mitzu - theilen, als vermoͤge ihres Weſens geſchehen kann, und weiſe Mittel vorhanden ſind, dieſen Endzweck ins Werck zu richten. Es iſt unmoͤglich, daß mehr als ein GOtt ſeyn ſolte, und es kañ nur ein Weſen unter allen das vollkommenſte ſeyn. Derowegen muͤſſen alle Dinge, die auſſer GOtt ſind, gewiſſe Schrancken haben, uͤber welche ſie nicht hinauf ſteigen koͤnnen. Es iſt alſo auch un - moͤglich, daß GOtt denen andern Dingen gleiche Vollkommenheiten mit ihm ſelber ſolte anerſchaf - fen, er kann das, was vor ſich endlich iſt, nicht unendlich machen, und derowegen kann er denen Geſchoͤpffen nicht mehrere Vollkommenheiten mittheilen, als die Beſchaffenheit eines endlichen Weſens es zulaͤſſet. Wie er nicht machen kann, daß 8. ſey 100. ſo kann es auch nicht ſeyn, daß er denen Creaturen mehr Vollkommenheiten ge - ben ſolte, als ihre Schrancken faſſen koͤnnen. Und da hat denn die eine Creatur engere, die an - dere aber weitere Schrancken, nachdem es nem - lich die Moͤglichkeit derer Dinge mit ſich bringet.B 4Dieſes24(*)Dieſes iſt alſo eins, wornach, ſich GOtt in Aus - theilung der Vollkommenheiten richtet. Das andere iſt ſeine Weißheit, welche beſtehet in ei - ner Wiſſenſchafft das beſte zu erwehlen und durch geſchickte und gute Mittel ins Werck zu richten. Dieſe Weißheit laͤſſet nicht zu, daß er einer Crea - tur allemahl zu denen Vollkommenheiten verhelf - fe, deren ſie ſonſt wol faͤhig waͤre. z. E. ein ehr - liches Ankommen iſt etwas gutes vor einen Men - ſchen: Hunger, Durſt, Bloͤſſe und Verachtung ſind etwas boͤſes vor denſelben. Wenn indeſſen GOtt einem Faulen, der wegen ſeines Muͤßig - ganges muß Noth leiden, durch ſeine bloſſe All - macht zu einem guten Auskommen verhelffen wolte, ſo waͤre ſelbiges wider ſeine Weisheit. Denn dieſes Mittel waͤre nicht gut und reimte ſich mit andern Dingen nicht: Ja ſie machte die - ſe ſonſt gute Sache zu etwas boͤſem. Denn der Faule wuͤrde auf dieſe Weiſe in ſeiner Faulheit geſtaͤrcket, und faͤnde nichts, das ihn koͤnte antrei - ben, und einiger maſſen noͤthigen zum beſten der Welt zu arbeiten und etwas gutes zu verrich - ten. Dieſe Folge aber eines ſolchen Wunder - wercks waͤre nichts gutes, ſondern etwas boͤſes. Und dergleichen Faͤlle ſind unendlich viel in der Welt, da GOtt wegen ſeiner Weißheit der Crea - tur gewiſſe Vollkommenheiten nicht darff ange - deihen laſſen, deren ſonſten bey andern Mitteln die Creatur faͤhig waͤre.

§. 9.

Nicht zum be - ſten der lebloſen Geſchoͤpf - fe.
16

Wenn nun ausgemacht iſt, daß GOTT die Welt nicht ſich zum beſten, ſondern dem Geſchoͤpffe zu gute erſchaf - fen und eingerichtet; ſo muͤſſen wir wei - ter unterſuchen, auf welche Geſchoͤpffe er vor andern ſeine gnaͤdigſte und weiſeſteAbſicht25Abſicht gerichtet? Wir koͤnnen hier die Creaturen fuͤglich in lebendige und lebloſe oder todte eintheilen. Denen todten und lebloſen Geſchoͤpffen kann nichts zum beſten geſchehen, denn ſelbige haben keine Em - pfindung, ſie ſind ſich ihrer nicht bewuſt, ſie koͤnnen ſich uͤber nichts freuen und uͤber nichts betruͤben. Es iſt einem Holtze, Steine und Klumpen Erde gleich viel, ob ſie ſind oder nicht, ob ſie bleiben oder wie - der in ein Nichts verwandelt werden. Es gilt ihnen gleich, ob ſie zu Aufrichtung ei - nes ſchoͤnen Gebaͤudes gebraucht, oder ob ſie durch ein Feuer in falbe Aſche, Kalck und Staub aufgeloͤſet und durch den Wind verſtreuet werden. Da alſo GOtt Crea - turen zum beſten etwas machen wollen, ſo muß ſeine Abſicht auf die lebendigen Ge - ſchoͤpffe gegangen ſeyn. Denn dieſe haben Empfindungen, ſind ſich ihrer bewuſt und koͤnnen einer Gluͤckſeligkeit und eines Ver - gnuͤgens theilhafftig werden, und dieſen zum beſten kann alſo GOtt ſchaffen und etwas machen.

§. 10.

Unter den lebendigen Geſchoͤpffen tref -Sondern zum Vor - theil der lebendi - gen und fen wir wiederum einen groſſen Haupt - Unterſchied an, wodurch ſie in zwey groſſeB 5Ge -26beſonders der ver - nuͤnff - tigen Cre - aturen.Geſchlechter abgetheilet ſind. Der eine Theil iſt von Natur unvernuͤnfftig, der andere aber mit dem Vermoͤgen vernuͤnff - tig zu gedencken ausgezieret. Jene haben auſſer dem Gebrauch ihrer Sinnen nichts, was ihnen ein beſonderes Vergnuͤgen und einen hohen Grad der Gluͤckſeligkeit geben koͤnte. Sie ſind keiner Sprache faͤhig, wodurch ſie ihre Gedancken koͤnten aus einander ſetzen und andern mittheilen, und muͤſſen alſo ihre Gedancken ſehr dunckel und verworren ſeyn. Jhre Sinne hangen vermoͤge ihrer Natur nur auf der Erden, ſie ſind nur mit dem gegenwaͤrtigen be - ſchaͤfftiget, ſie wiſſen von dem vergan - genen ſehr wenig, und in das kuͤnfftige ha - ben ſie gar keine Einſicht. Wir koͤnnen uns ihren Zuſtand einiger maſſen vorſtel - len, wenn wir auf die Jahre zuruͤcke gehen, da wir kleine Kinder geweſen. Von de - nen Dingen, die geſchehen ſind, ehe wir haben ſprechen lernen, wiſſen wir gar nichts, und von denen Gedancken, die wir bey Erlernung der Sprache gehabt, wiſſen wir auch wenig, auſſer dieſes, daß ſie ſehr verworren geweſen. Und nichts beſſers koͤnnen wir von den Empfindungen der Thie - re muthmaſſen, und ſind ſie alſo keines be -ſondern27ſondern Vergnuͤgens faͤhig. Es gilt ihnen auch gleich viel, ob ſie ſind oder nicht, in - dem ſie den Tod nicht kennen und mit dem Leben nicht vergleichen koͤnnen. Sie fuͤrch - ten dahero den Tod auch nicht, ſondern bloß den Schmertz, welcher vorher gehet. Denn es iſt ihnen unbekannt, daß ſie ſter - ben werden, eben wie uns, wenn wir klei - ne zarte Kinder ſind. Wenn denn die Thiere nicht vermoͤgend ſind, ihr Leben und Seyn als etwas beſonders anzuſehen, noch auch ihren Untergang als etwas boͤſes, ſo kann man nicht ſagen, daß ihnen durch ihr Seyn und Leben eine beſondere Wol - that und Liebe erwieſen werde. Da nun aber GOtt der Creatur zum beſten ſchaf - fet, um ſelbiger durch ihr Seyn und Leben eine Wohlthat und etwas gutes zu erwei - ſen, ſo muß er ſeine Abſicht beſonders auf diejenigen Creaturen gerichtet haben, wel - che einer vernuͤnfftigen Einſicht faͤhig ſind. Denn dieſen wiederfaͤhret durch ihre Er - ſchaffung eine groſſe Wolthat, indem ſie die Vortrefflichkeit des Lebens und den Vorzug, den ſie durch die Erſchaffung er - halten, erkennen, und von dem Nichts, welches ſie geweſen, unterſcheiden koͤnnen. Dieſen kann wegen ihrer Vernunfft einhoher28hoher Grad des Vergnuͤgens und der Gluͤckſeligkeit mitgetheilet werden. Sie koͤnnen ſich weit mehr ergoͤtzen, denn ein Thier, beſonders, wenn ſie ihrer Vernunfft gebrauchen. Jch will bey Dingen ſtehen bleiben, die den mehreſten Menſchen ge - mein ſind. Was vor ein Vergnuͤgen giebt uns nicht eine ſchoͤne Muſick? Ein bloſſer Geſang, der wol geſetzt und eine anmuthige Melodey hat, kann uns Schmer - tzen lindern, unruhige Gedancken vertrei - ben, das Gemuͤth aufrichten und in eine Zufriedenheit ſtellen, ja ein Lied, eine Me - lodey und der Klang eines Jnſtruments kann uns freudig machen, wenn wir trau - rig ſind, und Seel und Coͤrper erquicken. Was vor Vergnuͤgen geben uns nicht die Geſellſchafft, der Umgang und das Ge - ſpraͤch mit andern Leuten? Wie ange - nehm ſind uns nicht die Stunden, welche wir mit guten Freunden zubringen? Was vor Vergnuͤgen giebt uns nicht die Be - trachtung der Dinge, ſo in dieſer Welt ſind? Wie freudig iſt nicht ein Bauer, wenn er ſeinen fruchtbaren Acker und ſchoͤ - nes Vieh anſiehet? Ein Gelehrter, wenn er ſich in den geſchloſſenen Waͤnden ſeines Buͤcher-Schatzes aufhaͤlt? Ein Sternſe -her,29her, wenn er die Weite des Himmels aus - miſſet, und die Ordnung, Bewegung und Groͤſſe der Sterne betrachtet? Wie freuet ſich ein Soldat, wenn ſein Degen blitzet und der Schall ſeines donnernden Ge - wehrs die Lufft erfuͤllet? Wie angenehm iſt nicht vor Augen, Geruch und Ge - ſchmack ein ſchoͤner Garten? Wie belu - ſtiget uns nicht ferner das Andencken loͤbli - cher Handlungen, welche uns vor andern Ehre und Vorzug geben? Und was ſoll ich endlich ſagen von dem innern Vergnuͤ - gen, welches eine vernuͤnfftige Seele auch wohl in einem finſtern Caͤmmerchen aus der Betrachtung des hoͤchſten Weſens ſchoͤpffet? So vieler Vergnuͤgen und ei - ner ſolchen Gluͤckſeligkeit iſt ein vernuͤnff - tiges Weſen bey ſeiner Wuͤrcklichkeit faͤ - hig. Was flieſſet aber hieraus vor ein Schluß? Dieſer, den wir oben ſchon be - ruͤhret, daß es hauptſaͤchlich die vernuͤnffti - gen Creaturen ſind, welchen GOtt durch ihr Seyn und durch die Erſchaffung dieſer Welt hat eine Wohlthat erzeigen wollen.

§. 11.

Die vernuͤnfftigen Creaturen kommenDie ver - nuͤnfti - gen Ge - ſchoͤpffe immer zu einer groͤſſern Vollkommenheit und vergnuͤgtern Seligkeit, je mehr ſiean30werden gluͤckſeeli - ger, wenn ſie an Ver - nunfft zuneh - men.an Vernunfft und an Einſicht zunehmen. Beſonders, wenn ſie die Kraͤffte ihres Ver - ſtandes anwenden, das gute recht kennen zu lernen und von dem boͤſen zu unterſchei - den, auch durch dieſe Erkenntniß den Wil - len auf das Gute lencken.

Nicht eine jede Verbeſſerung des Verſtandes, und nicht eine jede Einſicht in den Zuſammen - hang der Dinge hat einen Einfluß in unſere wahre Vollkommenheit und Gluͤckſeligkeit; ſon - dern nur diejenige, welche gehet auf eine lebendige Unterſcheidung des guten von den boͤſen. Und dieſes iſt die Urſach, warum der groͤſte Theil der Gelehrten eben ſo wenig zu einer wahren Vollkom - menheit ihres Gemuͤths gelanget, als die andern Menſchen, welche ſich auf die Wiſſenſchafften nicht geleget. Denn die wenigſten Gelehrten be - muͤhen ſich eine lebendige Erkenntniß von dem gu - ten und boͤſen zu gelanget. Und daher kommt es, daß man unter ihnen eben ſowohl findet Be - trieger, Hurer, Saͤuffer, Zaͤncker, Verleumder, Neidiſche, Hochmuͤthige, als unter denen Unge - lehrten. Bey dieſen unvernuͤnftigen Neigungen iſt ihr Leben eben ſo mißvergnuͤget und muͤhſelig als bey andern, und hilfft ihnen alſo ihre andere Einſicht, ſo ſie durch vieles Studiren erhalten, ſehr wenig, und iſt mancher Bauer, welcher ſei - nen Verſtand auf eine lebendige und fleißige Vorſtellung des guten richtet, weit gluͤckſeliger als jene. Denn wer in guten ſucht vernuͤnfftig zu werden, der gehet von einer Vollkommenheit zur andern fort, und gelanget immer zu einem hoͤhern Grad der Gluͤckſeligkeit. Denn indem er das gute ſucht und das boͤſe fliehet, wird ſein Vergnuͤgen immer groͤſſer, und ſein Gemuͤth wirdimmer31immer mehr und mehr von Unruhe, Schmertz und Verdrießlichkeiten abgezogen und entfernet.

§. 12.

Da nun GOtt bey der SchoͤpffungGott will, daß die vernuͤnff - tigen Ge - ſchoͤpffe an Ver - nunfft zu - nehmen. hauptſaͤchlich auf die vernuͤnftigen Crea - turen ſeine Abſicht gerichtet, und ſein gnaͤ - diger Wille geweſen, ſie durch ihre Erſchaf - fung gluͤcklich zu machen, und ihnen eine Wohlthat zu erweiſen: ſo muß auch ſein ernſter Wille ſeyn, daß ſie zum Gebrauch ihrer Vernunfft kommen, und eine beſſere und genauere Einſicht von den Dingen der Welt erlangen als die Thiere, und ins beſondere diejenigen Handlungen kennen und ausuͤben lernen, welche zu ihrer Voll - kommenheit etwas beytragen. Soll aber dieſes geſchehen, ſo iſt noͤthig, daß ſie ver - nuͤnfftig und weiſe werden, und hierinne beſtaͤndig zunehmen. Sucht der Menſch nicht vernuͤnfftig zu werden, und dieſe Vernunft auch in ſeinen freyen Hand - lungen ſehen zu laſſen, ſo ziehet er ſich viele Schmertzen und Verdrießlichkeiten uͤbern Hals, wird mißvergnuͤgt, kommt von einer Unſeligkeit zur andern. Weil nun aber GOtt will, daß die vernuͤnfftigen Creaturen zu einer wahren Gluͤckſeligkeit gelangen moͤgen, ſo muß auch ſein Willeſeyn,32ſeyn, daß dieſe Creaturen in der Vernunfft und Weißheit ſo weit kommen, als vermoͤ - ge ihrer Natur und durch weiſe Mittel moͤglich iſt. Wer das geoffenbahrte Wort GOttes annimmt, kann hieran noch weniger zweiffeln. Denn warum hat uns das hoͤchſte Weſen ſein Wort ge - geben? Jſt es nicht geſchehen, uns ver - nuͤnfftig und ſelig zu machen? Paulus preiſet dieſen Nutzen der heiligen Schrifft, wenn er an ſeinen Timotheus folgender Geſtalt ſchreibet: Und weil du von Kind - heit an die heilige Schrifft weiſſeſt, kann dich dieſelbe unterweiſen zur Seligkeit durch den Glauben an Chriſto JEſu. Denn alle Schrifft von GOtt eingegeben, iſt nutz zur Lehre, zur Straffe, zur Beſſerung, zur Zuͤchgtigung in der Gerechtigkeit, daß ein Menſch GOttes ſey vollkommen zu allem gu - ten Werck geſchickt. 2. Timoth. 3. v. 15. 16. 17.

§. 15.

Welches die Haupt - Abſicht GOttes. geweſen bey Er - ſchaffung der Welt.
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Dieſes iſt demnach die Haupt-Abſicht GOttes bey Erſchaffung der Welt. Er will ſeine Vollkommenheiten in derſelben offenbahren und beſonders verſtaͤndigen Creaturen Wohlthaten erweiſen. Er will ſie bey ihrer Vernunfft eines Vergnuͤgens und einer Gluͤckſeligkeit theilhafftig machen. Das33Das Wort GOttes uͤberfuͤhret uns hier - von noch kraͤftiger. Denn wohin gehet das gantze Werck der Erloͤſung, wovon die Schrifft ſo viel redet? Hat es eine an - dere Abſicht als den Frieden, die Ruhe und die Seligkeit des Menſchen? Und zwar, welches das mehreſte iſt, verſichert uns die goͤttliche Offenbahrung, daß unſer Seyn nicht mit dem engen Schrancken dieſes Lebens aufhoͤren, ſondern eine ewige Daure haben, und daß, wenn wir anders nur wollen, ein ewiges und unwandelbah - res Vergnuͤgen uns vollkommen gluͤcklich machen ſoll. Vielleicht werden ſich hier viele vor die Augen ſtellen die unaus - ſprechlichen Martern der Verdammten, ingleichen die vielen Ungluͤcks-Faͤlle dieſes Lebens, und werden in ihnen einen Zweif - fel erregen an der Guͤtigkeit GOttes und an ſeiner Geneigheit denen Creaturen durch ihre Erſchaffung eine Wohlthat zu erwei - ſen. Sie werden vielleicht gedencken, es hat vielmehr das Anſehen, als habe GOtt die mehreſten vernuͤnfftigen Creaturen nur darzu geſchaffen, daß ſie durch ihr Exem - pel zeigen ſollen, wie groß diejenigen Mar - tern, die einem vernuͤnfftigen Geſchoͤpffe koͤnnen angethan werden. Daß aber die -Erſtes Stuͤck. Cſer34ſer Zweiffel ohne Grund ſey, und auch ei - ne ewige Verdammniß mit der Geneigheit GOTTes Creaturen ſo gluͤcklich zu ma - chen, als durch weiſe Mittel moͤglich iſt, beſtehen koͤnne, ja aus derſelben und der unendlichen Weißheit GOttes koͤnne be - griffen werden, wollen wir, wenn GOtt Leben und Geſundheit verleihet, in einem andern Stuͤcke dieſer Betrachtungen dar - thun, wenn wir von der weiſen Abſicht GOttes bey dem Himmel und der Hoͤllen handeln werden. Anjetzo begnuͤgen wir uns damit, daß wir ſo wol aus den Voll - kommenheiten GOttes, als auch aus der Schrifft dargethan haben, daß die Haupt - Abſicht GOttes bey Erſchaffung der Welt geweſen, vernuͤnfftigen Creaturen dadurch eine Wolthat zu erweiſen.

§. 14.

Wie man die Abſich - ten GOt - tes entde - cken kann?
16

Ein vernuͤnfftiges Weſen pflegt nichts umſonſt zu machen, ſondern alles wol vor - hero zu uͤberlegen und ſo einzurichten, daß es mit ſeiner Haupt-Abſicht genau zuſam - men ſtimme, und dasjenige gute, welches eine Sache zu dieſem Haupt-Endzwecke beytraͤget, pflegt die Urſache zu ſeyn, wa - rum ſie von einem ſolchen Weſen erwehlt wird. GOTT iſt nun der allerweiſeſte,und35und geſchiehet bey ihm nichts von ohnge - fehr und durch einen bloſſen Gluͤcks-Fall, ſondern er ſiehet alles vorher ein, und er - wehlet eine jede Sache deſſentwegen, weil ſie zu ſeiner Haupt-Abſicht etwas beytraͤ - get. Derowegen koͤnnen wir in denen Dingen, die von ihm allein herkommen, ſicher ſchlieſſen: Das gute, was aus ihnen erfolget, iſt die Abſicht geweſen, warum er ſie erwehlet, warum er es ſo und nicht anders macht. Wenn wir alſo in den folgenden die weiſen Abſichten GOttes, die er bey den eintzelnen Dingen dieſer Welt hat, entdecken wollen: ſo werden wir allezeit genau Achtung geben auf das gute, worzu ſie einen Grund abgeben, be - ſonders aber darauf, was ſie zum Wohl der vernuͤnfftigen Creaturen beytragen, und ſolches als GOttes weiſe Abſicht be - wundern, und ſeine Guͤtigkeit darbey in tieffſter Demuth verehren.

C 2Die36

Die Zweyte Betrachtuug Darſtellend Die weiſe Abſicht GOttes bey der beſondern Gebuhrt u. Schwach - heit der Kinder vor allen an - dern Thieren.

§. 1.

Die Ge - buhrt der Thiere.
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Jch habe mich oͤffters gar ſehr ver - wundert, wenn ich die Gebuhrt und Ohnmacht der jungen Kin - der betrachtet, und ſelbige mit der Gebuhrt und Umſtaͤnden eines jungen Thieres ver - glichen. Denn ich fand, daß alle Thiere hierinne einen Vorzug vor den Menſchen haben. Eine Kuh, ein Hirſch, ein Reh, ein Schaaff, ein Schwein, ein Hund und andere vierfuͤßige Thiere gebaͤhren insge - mein ohne alle Huͤlffe. Die Nabel - Schnur des jungen Thieres iſt duͤnne und reiſſet von ſelbſten ab, weder das junge noch die alte Mutter bluten ſich tod, ſon - dern die Nabel Schnur ziehet ſich von beyden Seiten ſogleich zu und haͤlt das Blut zuruͤcke. Die Gebaͤhr-Mutter des alten Thieres ziehet ſich nicht feſte zuſam -men37men und wirfft nach einiger Zeit die Nach - gebuhrt, worinne das junge Thier gelegen, von ſelbſten aus. Das alte Thier darff gleich nach der Gebuhrt in der freyen Lufft umher gehen, und ſeine vorigen har - ten Speiſen freſſen ohne allen Schaden. Das junge Thier tritt gleich auf ſeine Fuͤſ - ſe, und laufft hinter ſeiner Mutter. Es ſaugt wenig Wochen ſeiner Mutter Milch und hernach ernehret es ſich von ſelbſten und verlaͤſſet ſeine Mutter, die es geſaͤu - get. Bey dem Feder-Vieh trifft man gleichfals viel beſonders an. Sie legen ihre Eyer und bruͤten dieſelbe aus ohne fremde Huͤlffe. Die jungen ſind gleich ohne alle Anweiſung auf ihre Reinlichkeit bedacht. Jch habe oͤffters mit groſſer Verwunderung an den juͤngſten Schwal - ben wahrgenommen, daß ſie ihren Miſt nicht in ihr Neſt werffen, ſondern ihren Hintern bey Verrichtung ihres natuͤrlichen Behuffs zum Neſte heraus halten, und dadurch verhuͤten, daß ihr Neſt nicht zu enge und unrein werde. Nach kurzer Zeit fliegen ſie aus und brauchen nicht fer - ner von den alten erhalten zu werden. Die kleinſte Spinne, wenn ſie kaum aus dem Eie gekrochen, webet ihr Geſpinſte mitC 3der38der groͤſten Kunſt, leichte Fliegen zu ihrer Nahrung darinne zu fangen. Und ſo finde ich die Umſtaͤnde der mehreſten Thiere.

§. 2.

Die Ge - buhrt der Menſchen und ihre ſchwache Kindheit.
16

Sehe ich aber des Menſchen Gebuhrt und zarte Kindheit an, wie viel Dinge fin - de ich da nicht, welche von beſondern Unvollkommenheiten ein Zeugniß zu ge - ben ſcheinen? Die Gebuhrt kann nicht wohl ohne fremde Huͤlffe gluͤcklich von ſtatten gehen, groſſe Ohnmachten uͤberfal - len oͤffters die Gebaͤhrenden, die ſchwehren Gebuhrten ſind bey den Menſchen weit haͤuffiger, als bey den Thieren. Die Nabel-Schnur, wodurch das Kind mit der Mutter verknuͤpfft iſt, hat eine beſon - dere Dicke und ſtarcke Blut-Gefaͤſſe. Sie reiſet nicht von ſelbſten ab, ſie muß feſte verbunden werden, wann das Kind der Gefahr ſich zu verbluten nicht ſoll unter - worffen ſeyn. Es traͤgt ſich nicht gar ſel - ten zu, daß die Nachgebuhrt nicht von ſelbſten folget, ſondern durch fremde Huͤlffe und einige Geſchicklichkeit muß befoͤrdert werden. Geſchiehet dieſes nicht, ſo ſchlieſ - ſet ſich die Gebaͤhr-Mutter gar bald zu, und die Frau muß oͤffters wegen zuruͤckgeblie -39gebliebener Nachgebuhrt ſterben. Und wenn alles gluͤcklich von ſtatten gangen, ſo muß doch die Woͤchnerin einige Tage der Waͤrme des Bettes genieſſen, und ſich vor harter Speiſe huͤten. Das Kind iſt ſehr ſchwach und hinfaͤllig, und vieler Ge - fahr unterworffen. Der Kopff iſt nicht, wie bey den Thieren, an allen Orten mit ſtarcken Knochen geſchloſſen, ſondern an vielen Stellen umgiebt ihn nur eine duͤnne Haut, worunter ſo gleich das Gehirne liegt, und groſſer Gefahr gequetſchet und zerſtoſſen zu werden unterworffen iſt. Und dieſe Oeffnung bleibet bey vielen weit uͤber ein Jahr. Die Zaͤhne kommen auch weit langſamer bey einem Kinde, als bey einem Thiere, und iſt derowegen unumgaͤnglich nothwendig, daß ein Kind lange geſaͤuget und mit weichlicher Speiſe und Breie ge - futtert werde. Es verlaͤuft mehr als ein Jahr, ehe ein Kind auf ſeine ſehr ſchwa - chen Fuͤße treten, und hinter der Mutter herlauffen kann. Noch eine weit laͤngere Zeit verſtreichet, ehe das Kind ſeine eigene Nahrung ſuchen, und ohne ſeiner Eltern oder guter Freunde Huͤlffe leben kann.

§. 3.

Es wird vielleicht jemand einwendenDie Men - ſchen koͤn -C 4und40nen nicht wol ohne Wartung erwach - ſen.und ſagen: Es iſt nicht nothwendig, daß die zarten Kinder auf den Armen getra - den, mit Windeln umwunden und lange Zeit gewartet und ernaͤhret werden, ſie koͤn - ten auf Haͤnden und Fuͤßen umher krie - chen, Graß, Eicheln und Nuͤße freſſen, und in den Waͤldern ſich vor der Kaͤlte verbergen. Man ſaͤhe ja die Moͤglichkeit ſchon in einigen wenigen Exempeln, da Leute in ihrer Kindheit in die Waͤlder ge - rathen, von menſchlicher Geſellſchafft abge - kommen, und einige Jahre mit den wil - den Thieren umher gelauffen, und ſich un - ter ihnen ernaͤhret. Daß aber durch die - ſe wenige und ſehr rare Exempel die allge - meine Moͤglichkeit, daß Kinder wie die Thiere koͤnten aufwachſen und erhalten werden, nicht zu erhaͤrten ſtehe, iſt aus fol - genden abzunehmen. Man weiß ja nicht, wie alt dieſe Leute geweſen, ehe ſie ſich von der menſchlichen Geſellſchafft verlohren. Es iſt wenigſtens gar nicht muthmaßlich, daß ſie vor dem Alter eines Jahres in die Wildniß gerathen(*)Von dem jungen Maͤgdlein, welches man anno 1717. im Monath Auguſt in dem Walde von Cranenburg bey Schwoll in Ober-Yſſel ge - funden, iſt gewiß, daß es 16. Monath alt gewe - ſen, als es verlohren worden. Siehe des Herrn D. Kœnigs Schediasma de hominum inter fe - ras edueatorum ſtatu naturali ſolitario pag. 62.. Und ſind ſie juͤn - ger geweſen, ſo muß man an ihnen mehr eine beſondere Vorſicht des hoͤchſten We - ſens bewundern, als durch ſie auf die Ge - danken gerathen, das gantze menſchlicheGeſchlecht41Geſchlecht koͤnne auf dieſe Weiſe auferzo - gen werden. Wenn man die Probe machen und tauſend halbjaͤhrige Kinder in den Wald ſetzen wuͤrde, ſo zweifle, ob zweye davon das zehende Jahr erreichen wuͤrden. Sehr viele wuͤrden ſich in den Gebuͤ - ſchen den noch offenen Kopff zerſtoſſen, andere wuͤrden von den wilden Thie - ren, beſonders in den warmen Laͤn - dern von den Loͤwen, Tiegern, Crocodil - len und Drachen gefreſſen werden, andere wuͤrden verſchmachten, und noch andere wuͤrden beſonders in den kalten Laͤndern erfrieren. Denn kann ein ſtarcker Sol - dat nicht einmahl des Winters wohl im Felde aushalten, der doch Kleider, ein Ge - zelt und Feuer hat, wie viel weniger wuͤr - de ein ſolches zartes Kind im Regen, Schnee und Froſt erhalten werden? Wir finden derowegen auch auf den |gantzen Erdboden, in ſo weit es uns bekant iſt, kein einziges Volck, welches an ſeine Kinder nicht mehr Muͤhe und Fleiß wendete als die Thiere. Wie denn GOtt auch ſo wol die Kinder als uns durch die Bloͤſſe von allen andern Thieren, ſo ſich beſtaͤn - dig uͤber den Erdboden aufhalten, unter - ſchieden, und uns in die Umſtaͤnde geſetzet,C 5daß42daß Regen, Schnee, Wind und Froſt uns weit empfindlicher ſeyn muͤſſe, als den Thieren. Ein vierfuͤßiges hat ſein rau - ches Fell und bringet ſolches mit von Mut - ter Leib, und ein Vogel wird gar bald mit Federn bedecket. Der Menſch aber komt gantz nackend auf die Welt, und behaͤlt dieſe Bloͤſſe bis an ſeinen Tod. Wel - ches denn den Menſchen zwinget ſich gantz anders zu erhalten, und ſeine Jungen groß zu ziehen als die Thiere.

§. 4.

Die Schwach - heit der Kinder bahnet ih - nen den Weg zum Gebrauch der Ver - nunfft.
17

Wir wollen derowegen unterſuchen, was doch wol des Hoͤchſten Weſens heilige Abſicht mag geweſen ſeyn, deß er den Men - ſchen in einer groͤſſern Zaͤrtlichkeit und Schwachheit laͤſſet gebohren werden, als die Thiere. Wir wiſſen aus der erſten Betrachtung, daß GOtt der Menſchen Gluͤckſeligkeit will, und alles ſo einrichtet, daß dieſer Endzweck auf eine weiſe Arth moͤge erhalten werden. Wir wiſſen aus eben derſelben Betrachtung, daß unſerwahres43wahres Vergnuͤgen den Gebrauch der Ver - nunfft zum Grunde habe, und daß es noͤthig ſey vernuͤnfftig zu werden, wenn eine ver - gnuͤgte Ruhe des Gemuͤthes uns ſoll gluͤck - ſelig machen. Da nun GOtt als das allerweiſſeſte Weſen die Dinge ſo mit ein - ander verknuͤpffen muß, daß immer eines dem andern zu ſtatten komme und auf den Haupt-Endzweck abziele, ſo iſt nicht zu zweiffeln, die Schwachheit der Kinder und ihre ſehr muͤhſame Erziehung wer - de zu ihrer Vernunfft und Gluͤckſeligkeit etwas beytragen, welches bey ihnen in andern Umſtaͤnden nicht ſo wohl koͤn - te erhalten werden. Wir wollen dero - wegen unterſuchen, was aus dieſer Un - vollkommenheit der Kinder gutes erfol - ge?

§. 5.

Damit dieſes mit deſto beſſerer OrdnungDie Men - ſchen ge - langen zum Ge - brauch der Ver - nunfft durch den Umgang mit an - dern. geſchehen moͤge, ſo wollen wir erſt ſehen, was darzu erfordert werde, daß der Menſch zu einigem Gebrauch ſeiner Vernunfft komme und ſich von den Thieren unter - ſcheide. Es gehoͤret darzu ein Umgang mit andern Leuten, welche ſchon einigen Gebrauch ihres Verſtandes haben, und welche uns zum Theil durch Guͤte, theilsaber44aber auch durch Schaͤrffe zu einigen Ge - brauch der Vernunft und zu der Erkaͤnnt - niß guter Handlungen bringen. Und zwar muß dieſes in der zarteſten Jugend geſchehen. Denn je aͤlter wir werden oh - ne Unterrichtung, deſto ſchwehrer wird es den Verſtand und Willen zu beſſern, und uns zu einer beſſern Uberlegung als die Thiere zu bringen. GOtt hat uns die - ſes gewieſen, indem er ſehr weislich zuge - geben, daß unterweilen einmahl ein Menſch in ſeinen erſten Jahren von der menſchli - chen Geſellſchafft abkommen, ſich in einer Wildniß verlohren und einige Zeit in der - ſelben gelebet, und hernach wieder gefun - den worden. Dieſe Leute haben nicht den geringſten Gebrauch der Vernunfft erhal - ten, und ihr Verſtand iſt gantz verwildert und oͤde geweſen, und ihre menſchliche Ge - ſtalt iſt das eintzige geweſen, welches ſie von den Thieren unterſchieden. Und auf dieſe Weiſe ſind ſie keiner groͤſſern gluͤck - ſeligkeit faͤhig geweſen als ein unvernuͤnff - tiges Thier. Es hat hernach auch ſehr viel Muͤhe gekoſtet ihren Verſtand ein we - nig zu zaͤhmen, aufzuwecken und menſchli - cher zu machen, ja man hat ſie nicht ſo weit in der Vernunfft bringen koͤnnen alseinen45einen Menſchen, der von Jugend auf in menſchlicher Geſellſchafft geblieben und erzogen worden. Wer hiervon unſtreiti - ge Exempel haben will, der leſe des Herrn D. Kœnigs Schediasma de hominum inter feras educatorum ſtatu naturali & ſolitario. Aus dieſen Exempeln aber erhellet zur Gnuͤge, daß der Menſch ohne Umgang mit andern Leuten zu keinem Ge - brauch der Vernunfft gelange und alſo keinen Vorzug von den Thieren erreiche. Soll alſo der Menſch zur Vernunfft und einiger Gluͤckſeligkeit kommen, ſo iſt noͤ - thig, daß er Umgang mit Leuten habe, de - ren Verſtand ſchon zu einiger deutlichen Erkaͤntniß gekommen. Bewundere dero - wegen, mein Leſer, mit mir die weiſe Guͤ - tigkeit GOttes, daß er die Menſchen durch ſo ſehr viel Dinge noͤthiget einiger maſſen ein geſellſchafftliches Leben zu fuͤhren, weil ohne daſſelbe unſere Vernunfft und unſere Gluͤckſeligkeit, die uns doch die Guͤtigkeit unſers gnaͤdigen Schoͤpffers zugedacht, in der tieffſten Unwiſſenheit und Unvernunfft vergraben bliebe.

§. 6.

Wenn wir denn in der menſchlichenZur Ver - nunfft traͤgt die Geſellſchafft leben, ſo traͤgt das mehreſtezu46Sprache vieles bey.zu unſerer Vernunfft bey die Sprache, wodurch wir einander unſere Gedancken eroͤffnen, und die Sachen beſſer, als ohne Worte von einander unterſcheiden. Die Sprache iſt eins der ſchoͤnſten Jnſtrumen - te unſerer Gluͤckſeligkeit. Es iſt wider meine Abſicht allhier zu zeigen, wie noͤthig die Sprache ſey, wenn wir wollen allge - meine Begriffe und vernuͤnfftige Schluͤſſe machen, und daß wir ohne Sprache darzu nicht wol geſchickt ſind. Jch will dero - wegen meinen Satz zu behaupten den ge - neigten Leſer nur bitten einen ſtummen Menſchen zu betrachten, und ſich deſſen elende Umſtaͤnde recht lebendig vorzuſtellen, ſo wird er bald inne werden, was vor ei - ne groſſe Gluͤckſeligkeiter vor einen Stum - men zum voraus habe, und wie vieler Nach - richten, Bequemlichkeiten und Vergnuͤgen er durch die Sprache theilhafftig werde, deren er ſonſt entbehren muͤſte. Jch will nur dieſes gedencken, wie viele vergnuͤgte Stunden machen wir uns nicht dadurch, daß wir mit guten Freunden reden, aller - hand Schrifften leſen, und ein angeneh - mes und artiges Lied ſingen?

§. 7.

Wie der Menſch
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Die Sprache aber muͤſſen wir auf die -ſe47ſe Weiſe lernen, daß uns ein Wort be - ſonders im erſten Anfange, mehr als zehn - mahl, ja wohl hundert und noch mehrmahl vorgeſaget werde. Geſchiehet dieſes nicht, ſo gelangen wir zu keiner Sprache. Der groſſe Mogul in Jndien Akebar ließ ein - ſten zwoͤlff junge Kinder in ein Gemach ſchlieſſen, und von ſtummen Leuten ver - wahren und ernehren, um zu ſehen, was vor eine Sprache ſie annehmen wuͤrden. Aber nach zwoͤlff Jahren hatten ſie ſich noch nicht gewoͤhnet ein eintziges Wort, ſo aus Sylben beſtanden, auszuſprechen, und damit eine Sache zu benennen, ſon - dern druckten ihr Verlangen durch lauter wincken der Haͤnde aus. Siehe Olai Borrichii Diſſertationem de cauſis diuerſitatis linguarum, in initio, und des Herrn D. Kœnigs Schediasma de hominum inter feras educatorum ſtatu naturali ſolitario. §. XVI. pag. 23. Eben dergleichen Proben findet man mehr, woraus zur Gnuͤge erhellet, daß wir die Fertigkeit zu reden nicht bekommen, wenn wir nicht mit ſprechenden Leuten haͤufig umgehen, und ein Wort oͤffters hoͤren. Und auf eine aͤhnliche Weiſe verhaͤlt es ſich mit der Vernunfft. Wir kommenzu48zu einiger Deutlichkeit in der Erkaͤntniß verſchiedener Dinge, indem uns eine Sa - che und eine Regel oͤffters erzehlet und vorgeſagt oder ſchrifftlich vorgeleget wird. Und hierbey zeiget ſich in uns eine ſolche Nachlaͤßigkeit und Faulheit, daß wir oͤff - ters mit Schaͤrffe zum guten muͤſſen ge - zwungen werden.

§. 8.

Die Schwach - heit der Kinder bahnt ih - nen den Weg zur Erler - nung der Sprache.
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Nachdem wir alſo geſehen, wie der Menſch zum Gebrauch ſeines Verſtandes und alſo zum Grunde ſeiner uͤbrigen Gluͤck - ſeligkeit gelange, ſo wollen wir nunmeh - ro unterſuchen, was die Schwachheit, wo - rinne die Kinder gebohren werden, zu die - ſem Haupt-Endzwecke beytrage, damit wir die Guͤte und Weisheit GOttes da - bey erkennen und in tieffſter Ehrfurcht be - wundern moͤgen. Die Kinder koͤnnen nicht wohl ohne anderer verſtaͤndiger Leute Beyhuͤlffe gebohren werden. Was folgt hieraus? Dieſes, daß die Menſchen ſich um einige Geſellſchafft bemuͤhen und ſelbi - ger einiger maſſen zu Gefallen leben muͤſ - ſen. Dieſes aber iſt dienlich zu Verbeſſe - rung des Verſtandes und der Menſchen Gluͤckſeligkeit. Das Kind iſt elend und ſchwach, und kann ſich ſelber nicht helffen. Dieſes49Dieſes bewegt die Eltern zum Mitleiden, und vermehret die von GOtt ohne dem ſchon in die Natur gepflantzte Liebe zu denjenigen, die wir zeugen. Dieſe Liebe bewegt die Eltern das Kind zu pflegen und zu erhal - ten, biß es ſich ſelbſt ernehren kann. Das erſte Jahr muͤſſen die Eltern oder die Waͤr - terinnen das Kind auf den Armen tragen, und das andere dritte und vierdte Jahr doͤrffen ſie es auch nicht weit von ſich laſ - ſen. Das Kind will immer Veraͤnderung haben, und in Ermangelung derſelben faͤn - get es an zu weinen. Die Muſic iſt de - nen, die es warten, ſehr unangenehm, und werden dahero genoͤthiget das Kind viel anzureden. Sie muͤſſen ihm beſtaͤndig etwas vorquaͤckeln, und alſo immer mit dem Kinde ſprechen. Bey dieſer Gele - genheit wird ihnen das Papa und Mama und andere Worte hundertmahl vorgeſagt und vorgeſungen. Sie kriegen eine Be - gierde dieſes nachzuſprechen. Und auf dieſe Weiſe lernen ſie reden. Durch den beſtaͤndigen Umgang wird die Liebe zwi - ſchen Eltern und Kindern immer unver - merckt groͤſſer. Die Eltern ſuchen entwe - der ihren Kindern dasjenige wieder beyzu - bringen, was ſie wiſſen, oder ſie unterge -Erſtes Stuͤck. Dben50ben ſelbige andern zu unterrichten, und ſie zu noͤthiger Arbeit anzufuͤhren, biß denn endlich die Kinder nach langen Jahren ſelbſt in den Stand kommen, ihren Unter - halt zu ſuchen und zu beſorgen. Und auf die - ſe Arth gelangen die Kinder durch langen Umgang mit ihren Eltern zu dem Ver - moͤgen ihren Verſtand zu gebrauchen, und werden gewoͤhnet ein geſellſchafftliches Le - ben mit andern zu fuͤhren.

§. 9.

Ohne ei - nen ſehr ſchwachẽ Leib wuͤr - den die Kinder ſchwehr - lich Spra - chen ler - nen und zur Ver - nunfft kommen.
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Man ſtelle ſich nun vor, die Kinder wuͤrden nicht ſo ſchwaͤchlich und hinfaͤllig gebohren, ſondern koͤnten, wie die Thiere, nach wenigen Wochen ihre Eltern verlaſ - ſen und ihre Nahrung ſelber ſuchen, wuͤr - den ſich erſtlich die Eltern wol ſo viel Muͤ - he wegen der Kinder geben? Wuͤrden ſie ſich ſo lange mit ihnen ſchleppen? Wuͤr - den ſie ihnen ſo viel zureden, wenn ſie an - fiengen zu weinen? Es wuͤrde dieſes alles ſchwehrlich ſtatt finden. Geſetzt aber, die Eltern wolten alle dieſe Muͤhe uͤber ſich nehmen, wuͤrde das Kind auch wol bey den Eltern bleiben? Wuͤrde es ſich wol durch die Schaͤrffe zu etwas anhalten laſ - ſen? Wuͤrde es Stock und Schlaͤge vor - lieb nehmen? Wuͤrde es nicht bey dem er -ſten51ſten Schlage die Eltern verlaſſen und nim - mermehr wieder kommen? Woher wuͤr - de alsdenn die Fertigkeit zu ſprechen kom - men, und wie wuͤrde der Verſtand zu eini - ger Vernunft gebracht werden? Gewiß, es wuͤrden die Menſchen eben als das Vieh ohne rechte Geſellſchafft und ohne Ver - nunfft in den Waͤldern herum irren, und alſo der Gluͤckſeligkeit nicht theilhafftig werden, der ſie doch von der Natur faͤhig ſind.

§. 10.

Mir deucht ich muthmaſſe nicht unrechtDie Schwach - heit der Kinder machet ſie geſellig. wenn ich die groſſe Schwachheit, Unver - moͤgen und Nothdurfft der Kinder als eine Haupt-Urſache mit annehme, wodurch auch die wildeſten Voͤlcker der Erden, als die Hottentotten in Africa, die Hurons, Jroquois und andere in America unter ſich ein geſellſchafftliches Leben fuͤhren, und ſich der Herrſchafft ihrer Koͤnige un - terwerffen. Dieſe Leute bauen keinen Acker, ſondern leben, wie das Land ſehr wenige Einwohner hat, von dem Wildpret und Gewaͤchſen, welche ſie in den dortigen groſſen Waͤldern von hundert und mehr Meilen antreffen. Sie bauen keine Haͤuſſer, ſondern nur kleine Huͤtten. D 2Es52Es fallen alſo bey ihnen viele von denen Urſachen hinweg, welche uns Europaͤer noͤthigen, uns auch bißweilen der Herrr - ſchafft eines harten Ober-Herrens zu un - terwerffen. Denn bey uns ſind alle Plaͤ - tze beſetzet, und haͤlt es ſchwehr an frem - den Orten unter zu kommen. Wir ha - ben Aecker, Haͤuſer, Gaͤrten, ausſtehende Gelder, welche wir nicht gerne verlaſſen wollen. Jene aber haben in den groſſen Waͤldern und Einoͤden Raum genug ſich von einander zu trennen, ſie haben kein Geld, kein Land und keine ſchoͤne Haͤuſer, welche ſie koͤnten zuruͤck halten und noͤthi - gen, ſich nachdem Willen anderer zu rich - ten. Woher kommt es denn aber, daß ſie geſellig ſind und bey einander bleiben, und kleinen Koͤnigen gehorchen? Jch muthmaſſe, daß nebſt andern Urſachen auch das groſſe Unvermoͤgen, mit welchem wir gebohren werden, vieles dazu beytraͤget. Dieſes noͤthiget ſie bis ins vierdte, ja zwoͤlffte Jahr ihrer Eltern und Freunde Liebe und Ge - wogenheit zu genieſſen. Dieſes erwecket in ihnen eine beſondere und unvermerckte Lie - be gegen den Ort und die Geſellſchafft, in wel - cher ſie von der zarteſten Kindheit an ſo viel gutes genoſſen. Und wenn ſie denngleich53gleich etwas hartes erfahren muͤſſen, ſo laͤſ - ſet doch dieſe Liebe nicht leichtlich zu, daß ſie ſich von den Jhrigen trennen und ent - fernen ſolten. Daß dieſe Liebe allgemein, ſiehet man an denenjenigen, die ihr Vater - land und den Ort ihrer Erziehung verlaſ - ſen muͤſſen. Denn dieſes thut ihnen alle - zeit etwas wehe, wenn ſie auch gleich wiſ - ſen, daß ſie an einen beſſern Ort kommen. Dieſes wuͤrde aber ſchwehrlich ſeyn, wenn die Kinder ihre Eltern in dem erſten hal - ben Jahre verlaſſen und als Thiere leben koͤnten. Wie vortrefflich und wie weiſe iſt alſo die Abſicht, welche GOtt dabey hat, daß er die Kinder in einem weit krafftloſern Zuſtande laͤſſet gebohren werden, als an - dere Thiere der Erden. Es iſt dieſes noͤ - thig, wenn ſie zur Sprache, zum Verſtan - de, zum geſellſchafftlichen Leben und alſo zu einer groͤſſern Gluͤckſeeligkeit als die Thiere ſollen gebracht werden.

§. 11.

Jch habe oben erwehnet, daß bey derWarum der Kopff der kleinẽ Kinder nicht voͤl - lig mit Knochen umgeben? Geburth des Menſchen auch dieſes beſon - dere anzutreffen, daß der Menſch nicht mit einer geſchloſſenen und feſten Hirn-Schaa - le auf die Welt komme, wie die Thiere, ſondern daß ein groſſer und breiter StrichD 3auf54auf dem Kopffe nur mit der Haut bedeckt ſey, und darunter die Hirn-Schaale nach und nach nnd bißweilen erſt in anderthalb Jahren zuwachſe. Die Abſicht GOttes hierbey iſt gantz beſonders, und wird alſo hier von uns billig noch ein wenig genauer betrachtet. Es traͤgt dieſes nicht nur dazu etwas bey, daß die Eltern dieſerwegen das Kind ſehr muͤſ - ſen inacht nehmen, mehr bey ſich haben und auf den Armen tragen, als umher kriechen laſſen: ſondern ich erblicke darinnen auch noch eine andere Weisheit und beſondere Guͤtigkeit. GOTT macht nichts um - ſonſt, und was er alſo herfuͤr bringet, muß zur Vollkommenheit der Welt und der Cre - atur gereichen, weil er unendlich guͤtig iſt. Nun bemercket man, daß der Menſch nach ſeiner Groͤße vier bis ſechsmahl mehr Ge - hirne habe als die Thiere. Da nun die - ſes allen Menſchen gemein, und von der weiſen Einrichtung GOttes gantz allein herkommet, ſo muß die Vielheit des Gehir - nes bey dem Menſchen noͤthig und von groſſen Nutzen ſeyn. Die Medici ma - chen ſehr wahrſcheinlich, daß ein groſſes Gehirne noͤthig bey einer Creatur, deren Seele vieles empfinden und zugleich genau von einander unterſcheiden, und deren Coͤr -per55per vielerley Bewegungen machen ſolle. Da nun der Menſch die vielen Sylben der Woͤrter, die ſehr vielen Thone einer Muſick und viele andere tauſend Sachen durch die Empfindung unterſcheiden ſolle, ſo muͤſſe er ein groſſes Gehirne haben, da - mit viele beſondere Bewegungen in demſel - ben durch die aͤuſſern Dinge koͤnnen ver - urſachet werden, indem die Seele durch dieſe beſondern Bewegungen oder wenig - ſtens nach denſelben die aͤuſſern Sachen un - terſcheide. Und weil der Menſch auch ſehr vielerley Bewegungen mit der Zunge, Fingern, Haͤnden, Armen und andern Glie - dern machen ſolle, ſo muͤſſe er auch viel Ge - hirne haben, welches zu dieſen Bewegun - gen ein Hauffen Nerven-Safft abſonde - re, und die Bewegungen verurſache und regiere. Hingegen ein Thier brauche ſo viel Gehirn nicht, weil es keine Seele ha - be, die vermoͤge ihrer Natur viele Dinge genau unterſcheiden koͤnne, und alſo nicht noͤthig habe, daß im Gehirn viele Bewe - gungen unterſchieden werden. Denn ein Thier vermoͤge nur wenig Sylben zu er - kennen, und von den unterſchiedenen Tho - nen der Muſick und andern Dingen ſchiene[e]s gar keinen Begriff bekommen zu koͤnnen. D 4Weil56Weil es auch keine Vernunfft habe, ſey der Coͤrper nicht geſchickt ſo vielerley Bewe - gungen zu machen als der menſchliche Coͤr - per, u. brauche alſo auch zu ſeinen Bewegun - gen nicht ſo viel Gehirn. Dem ſey nun, wie wie ihm wolle, ſo koͤnnen wir doch aus den Vollkommenheiten GOttes verſichert ſeyn: der Menſch muͤſſe weit mehr Gehirn vonnoͤ - then haben als ein Thier, denn ſonſt wuͤrde er es ihm nicht gegeben haben. Jſt dieſem aber alſo; ſo folgt von ſelbſten, daß der Menſch muͤſſe einen groſſen Kopff und eine weitlaͤuff - tige Hirn-Schaale haben. Haͤtte nun dieſer Kopff gleich gantz um ſich herum eine run - de und feſte Hirn-Schaale, und koͤnte alſo gar nicht ein wenig zuſammen gedruckt werden, ſo wuͤrde die Geburth weit be - ſchwehrlicher und gefaͤhrlicher werden, als ſo geſchiehet, ja oͤffters wuͤrde ſie gar un - moͤglich ſeyn. Waͤre ferner der Kopff der Kinder bey der Geburth ſchon geſchloſ - ſen, ſo wuͤrden die Knochen ſich bey dem Wachsthum des Kindes nicht wohl und ſo ſtarck koͤnnen aus einander dehnen, als bey ihrer offenen Hirn-Schaale geſchiehet. Denn da ſelbige insgemein uͤber ein Jahr offen bleibet, ſo kann das Gehirn ſtarck wach - ſen, ſich ausbreiten und die noch eintzelnenStuͤcke57Stuͤcke Knochen gar leicht auseinander treiben, damit der Kopf ſeine gehoͤrige Groͤſ - ſe erlangen koͤnne. Wir finden de - rowegen auch, daß der Kopff bey den Kindern weit ſtaͤrcker wachſe, als die uͤbri - gen Theile des Leibes, und zu dem uͤbrigen Coͤrper eine gantz andere Verhaͤltniß habe, als bey einem Erwachſenen. Aus wel - chem Umſtaͤnden genugſam erhellet, daß auch in den gemeinen Schwachheiten klei - ner Kinder eine groſſe Weißheit GOttes und eine Abſicht auf der Menſchen Gluͤck - ſeligkeit anzutreffen ſey.

Die Dritte Betrachtung. Uber die weiſe Abſicht GOttes, welche er dabey hat, daß er die meh - reſten Prophezeihungen verbluͤhmt und etwas dunckel aufſetzen laſſen.

§. 1.

Diejenigen, welche ein boͤſer HochmuthDie Gele - genheit zu dieſer und groſſe Einbildung von ihrer Ein -D 5ſicht,58Betrach - tung.ſicht, oder auch ein ungluͤckſeliges Verlan - gen ohne Furcht der Straffe die verderb - liche Luſt der Suͤnden zu genieſſen, auf die ungluͤcklichen Bemuͤhungen uͤber das ge - offenbahrte Wort zu ſpotten bringet, pfle - gen unter andern auch die verbluͤhmten und dunckeln Ausdruͤcke, worein GOtt einige Prophezeihungen einkleiden laſſen, zu einer bequemen Gelegenheit ihrer unſeligen Laͤ - ſterungen zu machen. Sie pflegen ihre ungegruͤndete Gedancken auffolgende ſchein - bahre Arth vorzubringen. Jſt GOTT Urheber von der Schrifft, und iſt ſein Wille denen Sterblichen zu ihrer Nach - richt und Wohlfahrt etwas von kuͤnffti - gen Dingen wiſſen zu laſſen und zu offen - bahren; ſo wird er ja als das allerwei - ſeſte Weſen hierinne durch dunckele Re - dens-Arten nicht ſeinem eigenen Endzwecke zuwieder ſeyn, ſondern wird das, was er prophezeihen will, in klare, deutliche und verſtaͤndliche Worte einkleiden laſſen, daß ſie ein jeder gar leicht einſehen und durch die Prophezeihungen zu einer richtigen Er - kaͤntniß kuͤnfftiger Dinge gelangen koͤnne. Man wuͤrde es ja einem Menſchen nicht einmahl zu gute halten, ſondern ihn einer prahlenden Thorheit beſchuldigen, wenner59er ausſprengete: er wolle uns zukuͤnfftige Dinge entdecken, deren Nachricht vieles zu unſerer Gluͤckſeeligkeit ſolte beytragen; er thaͤte dieſes aber mit ſo dunckeln und verſteckten Redens-Arten, daß man ſich die Sachen, die darunter zu verſtehen waͤren, nur als in einem unordentlichen und un - terbrochenen Traume fuͤrſtellen koͤnte. Was ſolte man alſo wohl von den mehre - ſten Prophezeihungen der Schrifft geden - cken, ſolten ſelbige von der unendlichen Weißheit ihren Urſprung haben, ſolte man ſelbige wohl GOTT zuſchreiben koͤnnen, ohne ſeinen Vollkommenheiten zu nahe zu treten, und ohne ihm Schuld zu geben, daß er bey ſeinen Weiſſagungen weniger Klugheit bewieſen, als ein vernuͤnfftiger Menſch wuͤrde gethan haben? Solte man nicht vielmehr mit Recht behaupten, die Urheber der Weiſſagungen in der Schrifft ſeyen eher von einer traͤumenden, verdor - benen und ſchwermenden Einbildungs - Krafft oder von einer gewinnſuͤchtigen Hoffnung andere Leute zu betruͤgen als von dem Geiſt GOttes getrieben worden? So urtheilet und ſchlieſſet ein ſich weiſe duͤnckender oder in Bosheit verſtockter Na - turaliſte und Spoͤtter des geoffenbahrtenWortes.60Wortes. Damit wir nun dieſen Spoͤt - tern zeigen, wie ungegruͤndet ihre Schluͤſſe ſeyn, und wie ſehr es ihnen mangele an der ſich eingebildeten Einſicht in den Zu - ſammenhang der Dinge, ſo wollen wir in dieſer Betrachtung vor Augen legen die gantz beſondere und weiſeſte Abſicht, wel - che GOTT bey den verbluͤhmten und zum Theil dunckeln Abfaſſungen ſeiner Prophe - zeihungen gehabt.

§. 2.

Die goͤtt - liche Ab - ſicht bey der gan - tzen Of - fenbah - rung.
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Jch koͤnte hier Gelegenheit nehmen von der Abſicht des gantzen geoffenbahrten Wortes weitlaͤufftig zu reden, ich halte aber ſolches vor unnoͤthig, indem dieſes gleich demjenigen in die Augen fallen muß, der von dem goͤttlichen Urſprung der hei - ligen Schrifft uͤberfuͤhret iſt, und ſelbige nur hier und da geleſen hat. Es giebt Wahrheiten, welche in unſere Gluͤckſelig - keit einen groſſen Einfluß haben, und doch ſo beſchaffen ſind, daß wir ſie mit der bloſſen Vernunfft gar nicht erkennen koͤnnen, wie z. E. die Lehre von den Werck der Erloͤ - ſung und Verſoͤhnung GOttes durch Chri - ſtum. Damit wir nun nicht in der Un - wiſſenheit einer ſo heilſahmen Lehre ſtecken bleiben, ſo erweiſet uns GOtt die Gnadeund61und oͤffnet uns ſelbige auf eine uͤbernatuͤr - liche Weiſe. Andere zu unſerm Wol dienende Wahrheiten koͤnnen wir zwar mit unſerer Vernunfft einiger maſſen erreichen; aber es gehoͤret vieles Nachſin - nen und lange Zeit darzu, ehe wir darauf kommen, oder die Grentzen unſerer Ver - nunfft ſind zu enge und verhindern, daß wir zu keiner voͤlligen Gewißheit gelangen koͤnnen. Dahin rechne ich: daß man ſei - nen Feinden vergeben und ſie lieben ſolle, daß die Seele unſterblich, und nach dem Tode Straffe und Belohnung zu gewar - ten habe, und andere, welche doch eine ſehr groſſe Wuͤrckung in unſere Seele haben. Und auch hierinnen kommt GOtt unſerer Schwachheit zu Huͤlffe, und fuͤhret uns durch eine auſſerordentliche Offenbahrung auf dergleichen vortrefliche Wahrheiten. GOttes Wort iſt in dergleichen der Weg - weiſer, welcher unſere Vernunfft auf ſol - che Spuhren bringet, welche ſie ſonſt nicht gefunden haͤtte. Denn daß die heilige Schrifft unſern Philoſophis zu gruͤndli - cher Erkaͤnntniß und Erweiſung vieler ſchoͤ - ner Wahrheiten Gelegenheit gegeben, iſt wol unlaͤugbar. Ja GOtt thut noch mehr, er ſchaͤrfft in ſeinem Worte auch Lehrenein,62ein, welche zwar die Vernunfft ohn alzu groſſe Muͤhe einſehen kann, z. E. daß ein jeder muͤſſe dem andern das Seine laſſen: aber es erfordert dieſe Einſicht doch einen aufgemunderten Verſtand, und iſt dero - wegen nicht gleich ein jeder im Stande die natuͤrliche Verbindlichkeit darzu einzu - ſehen. Damit nun auch Einfaͤltige von dergleichen Wahrheiten und Pflichten eine rechte Uberfuͤhrung bekommen moͤgen, und die Klugen mit Gewißheit erkennen lernen, daß ſolche Pflichten auch nach dem Tode etwas nach ſich ziehen, ſo offenbahret GOtt auch ſolche Lehren und Pflichten, welche ſonſt die bloſſe Vernunfft mit Gewißheit ausmachen kann, und zeigt, daß damit nicht nur zeitliche ſondern auch ewige Straffen und Belohnungen verknuͤpfft ſeyn. GOtt bedienet ſich dabey eines Beweiſes, wel - cher ſo viel vermag, als die genaueſte phi - loſophiſche Verbindung eines Satzes mit ſeinen Gruͤnden, und doch zugleich von Einfaͤltigen gar leicht kann eingeſehen wer - den. GOtt bekraͤfftiget ſeine Offenbah - rungen durch Wunder-Wercke. Wie leicht iſt es hier nicht auch einen Ungelehr - ten zu ſchlieſſen: wem GOtt das Ver - moͤgen Wunder-Wercke zu verrichten mit -thei -63theilet, der muß kein Betruͤger ſeyn. Denn wie ſolte das allerweiſeſte und guͤtigſte We - ſen Betruͤger, welche die Menſchen ſuch - ten in Jrthum und Verderben zu fuͤhren, mit auſſerordentlichen und uͤbernatuͤrlichen Gaben ausruͤſten, um ihren Betruͤgereyen den wichtigſten Nachdruck geben zu koͤn - nen? Es ſtritte dieſes mit denen Vollkom - menheiten eines unendlichen Weſens. Koͤn - nen diejenigen aber, welche die Krafft Wunder zu thun haben, keine Betruͤger ſeyn, ſo muß dasjenige, was ſie ſagen, Wahrheit ſeyn. Diejenigen aber, welche die Schrifften verfertiget, ſo wir vor goͤtt - lich halten, haben viele wahrhaffte Wun - der gethan: derowegen muß dasjenige, was ſie bezeugen mit der Wahrheit nicht ſtrei - ten. Sie bekraͤfftigen aber auch ſo gar mit ihrem Tode und groͤſtem leiblichen Schaden, daß ihre Lehren ihnen von GOtt eingegeben und geoffenbahret: wer wol - te alſo zweiffeln, daß dieſe Lehren goͤttlich, und von dem hoͤchſten Weſen ihren Ur - ſprung haͤtten? Auf dieſe Weiſe kann auch ein Einfaͤltiger von den wichtigſten Wahr - heiten uͤberfuͤhrt werden und ſie zu ſei - ner Gluͤckſeligkeit anwenden, auf deren Beweiß ein ſcharffſinniger Weltweiſer biß -weilen64weilen einige Jahre und noch wohl gar vergebens zubringet. Wie groß iſt alſo nicht der Nutzen der goͤttlichen Offenbah - rung in Anſehung der menſchlichen Erkaͤnt - niß zu ſeiner Wohlfahrt, und wie genau ſtimmet ihre Abſicht nicht uͤberein mit der goͤttlichen Haupt-Abſicht, die er bey Er - ſchaffung dieſer gantzen Welt gehabt, da er vernuͤnfftigen Creaturen eine Wol - that erweiſen und einiger Gluͤckſeligkeit theilhafftig machen wollen? Denn ſie brin - get uns auf eine leichte Art zu der Erkaͤnt - niß derjenigen Dinge, welche unſer Wol und Weh betreffen. Doch dieſes iſt faſt einen jeden bekannt: derowegen will ich nur unmittelbahr auf die goͤttlichen Weiſ - ſagungen kommen, und auf die Frage ant - worten, warum GOtt ſelbige mehrentheils verbluͤhmt und etwas dunckel ausdrucken laſſen?

§. 3.

Erſte Ur - ſache, warum die Pro - phezei - hungen insge - mein et - was dunckel ausge -
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Man pflegt zur Urſach insgemein fol - gendes anzufuͤhren. Es ſey damahls un - ter allen Voͤlckern gebraͤuchlich geweſen verbluͤmt und figuͤrlich zu ſchreiben, und man habe diejenigen Schrifften vor die zierlichſten, artigſten und angenehmſten gehalten, welche alles durch Gleichniſſe undBilder65Bilder abgeſchildert. Man habe auchdruckt worden? diejenige Lehr-Art vor die beſte gehalten, worinne man ſich vieler Gleichniß-Reden bedienet. GOtt habe derowegen vermoͤ - ge ſeiner Weißheit nicht zugeben koͤnnen, daß ſeine Schrifften und Offenbahrungen ſo ſchlechthin und ohne damahls gebraͤuchli - chen Zierrath waͤren aufgeſetzt worden, ſon - dern er habe ſeine Lehren mit eben einer ſol - chen Annehmlichkeit wollen vortragen laſ - ſen, welche andere ihren Gedancken durch verbluͤhmte Redens-Arten zu geben pfleg - ten. Und aus dieſer Abſicht ſey die hei - lige Schrifft mit ſo vielen Gleichniſſen und verbluͤhmten Redens-Arten angefuͤllet wor - den, damit man damahls nicht habe ſchlieſ - ſen moͤgen: dieſe Schrifften ſeyen ſchlecht und haben weniger Leben als ein Werck, welches von einem geſchickten Menſchen aufgeſetzt worden, und muͤſſe dahero nicht GOTT ſondern einen Menſchen zum Ur - heber haben, deſſen Einfalt man gleich aus den ſchlechten Worten abnehmen koͤnne. Es hat dieſe Urſache ihre Richtigkeit(*)Daß vor alten Zeiten ſo wohl Geſchichte als auch Lebens-Regeln in Gleichniſſen zu be - ſchreiben ſehr beliebt geweſen, koͤnnen bloß die vielen Gedichte der Poeten und die Aeſopiſchen Fabeln beweiſen. Und wer in den Juͤdiſchen Sachen nicht unerfahren iſt, der weiß, wie ſehr die Juden ſich an Gleichniſſen ergoͤtzet. Diejeni - gen, welche ſich ſtoſſen an die Redens-Arten des hohen Lieds Salomonis, geben zu erkennen, daß ſie die Schreib-Arth der Alten, beſonders der Juden nicht wiſſen. Denn ſonſt muͤſte ihnen bekannt ſeyn, daß es den Juden ſehr gewoͤhnlich, ſich unter dem Bilde einer Frauen, deren Mann GOtt iſt, abzuſchildern und darzuſtellen. Und was war alſo der Weißheit GOttes gemaͤſſer, als ſeine Schrifften und Lehren ſo abfaſſen zu laſſen, wie die damahlige Schreib Arth es erforderte, damit auch die aͤuſſerliche Zierde und Annehm - lichkeit die Menſchen bewegen moͤchte, ſie deſto fleißiger zu leſen? Ja daß die Schreib Arth auch heutiges Tages noch ſehr bequem ſey, ſo wohl Geſchichte als Lebens-Regeln vorzutragen und die Thorheit der Laſter vorzuſtellen, zeigen der ſo beliebte Hamburgiſche Patriote, die ver - nuͤnfftige Tadlerin, und andere dergleichen Schrifften, und iſt die Schreib-Art auch noch an - jetzt das beſte Mittel zu machen, daß ein Buch von dem groͤſten Hauffen mit Vergnuͤgen geleſen wer - de. Man muß ſich alſo wundern, daß man das - jenige an der H. Schrifft tadelt und verwirfft, was man an andern Schrifften vor vernuͤnfftig, artig und ſchoͤn haͤlt.: damit aber denen Spoͤttern das Maul noch mehr moͤge geſtopffet werden, ſo wol - len wir noch eine wichtigere Urſache an - fuͤhren, welche GOtt bewogen beſondersErſtes Stuͤck. Edie66die Weiſſagungen in Gleichniſſen und verbluͤhmten Worten vortragen zu laſſen.

§. 4.67

§. 4.

Goͤttliche Weiſſagungen ſind ein Un -Unter - ſchied zu - kuͤnfftiger Dinge. terricht von zukuͤnfftigen Dingen, wel - chen GOtt den Menſchen vermoͤge ſeiner unendlichen Guͤtigkeit zu geben pfleget, wenn die Wiſſenſchafft der zukuͤnfftigen Dinge einen beſondern Einfluß in ihre Gluͤckſeligkeit hat. Dieſe zukuͤnfftige Din - ge aber ſind von verſchiedener Arth. Ei - nige kommen her von dem freyen Willen desjenigen, dem die Weiſſagungen gege - ben und von welchem ſie als goͤttlich ange - nommen werden; Andere aber haben ih - ren Grund gantz auſſer demſelben, ſo daß ſie durch dieſen freyen Willen nicht wohl koͤnnen geaͤndert werden, ſondern kommen, wenn ſie der Menſch, uͤber welchen ſie aus weiſen Urſachen verhaͤnget ſind, auch gleich zu hindern ſucht. Beide Arthen will durch ein Exempel erlaͤutern und beſtaͤtigen. Die Hinrichtung des Heylandes war eine ſol - che Sache, die von den Propheten verkuͤn - diget wurde, und von der Juden freyen Willen gantz allein abhieng. Es war auſſer ihrer verſtockten Bosheit nichts, wel - ches ſie darzu genoͤthiget haͤtte. Von gantz anderer Arth aber war die BabyloniſcheE 2Ge -68Gefaͤngniß, mit welcher GOtt den Juden gleichfals drohen ließ. Dieſe ſtand nicht in der Juden freyen Willen, ſondern kam uͤber ſie, ob ſie ſelbige gleich mit vie - len Seuffzern beweineten, und ihre Ban - den mit Thraͤnen benetzten.

§. 5.

Es koͤn - nen nicht alle zu - kuͤnfftige Dinge deutlich vorher verkuͤndi - get wer - den.
18

Dieſe beyden Gattungen von kuͤnffti - gen Dingen koͤnnen nicht auf einerley Arth und Weiſe vorher verkuͤndiget werden. Die letztere Gattung kann mit deutlichen Worten und ohne Decke offenbahret wer - den, und bleibet deßwegen nicht auſſen, in - dem ſie nach unſerer Ausſage nicht von dem freyen Willen derjenigen, denen die Weiſ - ſagung geſchiehet, kann geaͤndert werden. Die erſtere Gattung kuͤnfftiger Begeben - heiten aber iſt gantz anders beſchaffen, be - ſonders wenn ſie recht unangenehme Folgen haben. Denn da ſie bloß auf den freyen Willen des Menſchen ankommen, der ſie aͤndern kann, wenn er ſie vorher weiß, ſo doͤrffen ſie, wenn anders die Weiſſagung durch den Erfolg nicht ſoll zur Luͤgen ge - macht werden, nicht allezeit mit klaren, deutlichen und platten Worten vorher ver - kuͤndiget, ſondern muͤſſen nur gantz verſteckt und gleichſam von Ferne gezeiget werden. Da -69Damit ich dieſes beweiſe, ſo ſtelle dir vor, geehrteſter Leſer, GOtt wolte dir die Gna - de erweiſen und offenbahren, welcher Tod dich aus der Zeitlichkeit wuͤrde hinweg raf - fen, damit du dich deſto beſſer zu einem ſe - ligen Abſchiede ſchicken koͤnteſt. GOtt ſaͤhe aber nach ſeiner Allwiſſenheit zum voraus, du wuͤrdeſt den 6ten May 1738. uͤber ein Steg gehen, ein Schwindel im Haupte wuͤrde deine Fuͤße wanckend machen, daß du vom Stege herunter in das Waſſer fieleſt, und durch die Gewalt deſſelben fortgeriſſen und erſaͤufft wuͤrdeſt. Setze, GOtt wolte dir dieſes mit ausdruͤcklichen Worten auf das allergenaueſte nebſt der Gegend, dem Jah - re, dem Tage und der Stunde vorher ver - kuͤndigen, wuͤrde alsdenn dieſe Offenbah - rung wohl eintreffen, wuͤrdeſt du nicht an demſelben Tage dich vor dem Waſſer huͤ - ten? Wuͤrdeſt du wohl uͤber das bedeu - tete Steg gehen? Wuͤrdeſt du nicht viel - mehr zu Hauſe bleiben, und dieſen Tag vorbey ſtreichen laſſen, ohne deinen Fuß uͤber ein Waſſer zu ſetzen? Wie ſoll ſich die ewige Weißheit hierbey verhalten? Of - fenbahret ſie dir dieſes nicht, ſo ſtirbeſt du nach unſerer angenommenen Bedingung unvermuthet und unbereitet, welches doch,E 3wie70wie wir hier angenommen, GOTT nicht zugeben will; ſondern er hat ſich vorgeſetzt, dich auf eine auſerordentliche Weiſe zur ſteten Bereitung zum Tode zu bringen. Ver - kuͤndiget ſie dir es aber zum voraus mit ausdruͤcklichen und klaren Worten und mit allen Umſtaͤnden, ſo geſchiehet es nicht, und ſie wird zur Luͤgnerin, beſonders, wenn du ein groſſer Herr waͤreſt, und nicht noͤ - thig haͤtteſt eben allein, und uͤber einen Steg zu gehen? Was bliebe hier der Weißheit GOttes vor ein Mittel uͤbrig, wenn ſie dich durch eine ſolche Vorherver - kuͤndigung zu einer ernſtlichen Bekehrung bewegen, und doch keiner Luͤgen ſchuldig wer - den wolte? Keines, als dieſes, daß ſie dir die Art dieſes Todes verbluͤhmt und auf eine verdeckte Art zu erkennen gaͤbe und die meh - reſten Umſtaͤnde verſchwiege. Denn dieſes waͤre genug dich zu erinnern dein Hauß je - derzeit zu beſtellen, und die goͤttliche Weiſſa - gung wuͤrde durch den Erfolg bekraͤfftiget werden. Hieraus ſchlieſſe ich alſo dieſen Satz: Es ſind Faͤlle moͤglich, bey welchen GOtt, wenn er ſie vorher verkuͤndigen will, ſich dunckler und verbluͤmter und ſolcher Redens-Arten bedienen muß, wodurch war die allgemeinen Umſtaͤnde (generalia) einer71einer Sache entdecket werden, die beſonde - re Umſtaͤnde aber (determinationes ſpe - ciales) mehrentheils verborgen bleiben.

§. 6.

Weil in der Heil. Schrifft die Weiſſa -Von der - gleichen Arth ſind die meh - reſten Dinge, welche ehmahls von Chri - ſto zu - kuͤnfftig waren. gungen von Chriſto einen groſſen Theil der Prophezeihungen ausmachen, ſo will anjetzo bey ſelbigen allein ſtehen bleiben, und zeigen, daß ſie eine groſſe Aehnlichkeit ha - ben mit der im vorhergehenden paragrapho erdichteten Weiſſagung. GOtt hat vor noͤthig erachtet auch denen Alt-Vaͤtern ei - nige Nachricht von dem damahls zukuͤnff - tigen Meßias zu geben und von ihm weiſ - ſagen zu laſſen, damit ſo wohl diejenigen, welche vor ſeiner Gebuhrt lebten, ſich ſei - ner getroͤſten und erfreuen koͤnten, als auch damit die, welche bey ſeiner Ankunfft ins Fleiſch und nach derſelben den Erdboden bewohnten, deſto mehr Merckmahle ha - ben moͤchten, woran ſie ihn erkenneten. Viele Umſtaͤnde des Meßias waren ge - gruͤndet in den freyen Willen derer, wel - che auf ihn hofften und die Prophezeihun - gen von ihm als goͤttliche Verkuͤndigun - gen verehrten. Es ſtand bey den Juden, ob ſie Chriſtum als den wahren Heyland wolten annehmen, oder ob ein EigennutzE 4ihre72ihre Gemuͤther von ihm abwenden wuͤr - de. GOtt ſahe zum voraus, daß er ih - nen wuͤrde ein Aergerniß und ſein geiſtli - ches Scepter eine unertraͤgliche Laſt ſeyn, daß ſie ihn, weil er kein weltliches Reich ſon - dern ein geiſtliches anheben wolte, verfolgen, ſeine Predigten verachten, und ihn endlich unter die Ubelthaͤter ans Creutz hefften wuͤr - den. Es war heilſam, daß dieſes GOtt zu - vor verkuͤndigen ließ, damit dieſe wunder - bahren und der Macht des Meßias gantz zuwiderſcheinende Dinge nicht jederman verblenden und von ihn abwenden moͤch - ten. Man nehme nun aber an: GOtt haͤtte dieſe Leiden des Heylandes mit aus - druͤcklichen und klaren Worten und ohn alle Decke offenbahren wollen, wuͤrden ſie alsdenn wol erfolget ſeyn? Geſetzt GOtt haͤtte die Weiſſagung hiervon in folgenden Worten ausdrucken laſſen: Es wird zu den Zeiten, da die Herodiſche Familie un - ter dem Schutz der Roͤmer einen Theil von dem Lande der Juden beherrſchen wird, ein Prediger und Prophet mit Nahmen Johannes, ein Sohn Zacharias kommen und Buſſe predigen und das Volck tauf - fen, und endlich durch anſtifften des Wei - bes Herodes im Gefaͤngniß enthauptetwer -73werden. Kurtz vor deſſen gewaltſamen Tode wird einer Nahmens JEſus Juͤn - ger annehmen und anfangen Wunder zu thun, und nach der Enthauptung Johan - nis wird er predigen: Thut Buſſe und glaͤubet an das Evangelium, und dieſer iſt der Meßias. Dieſer wird in den Tem - pel gehen und lehren, und heraus treiben, die darinnen kauffen und verkauffen, und der Wechsler Tiſche umſtoſſen. Er wird die Krancken heilen, Lazarus und einen Juͤngling zu Nain von den Todten auf - erwecken. Den Sadducaͤern wird er das Maul ſtopffen, und den Phariſaͤern ihre in Schaaffs-Kleidern verſteckte Bosheit aufdecken. Dieſes wird ihnen ſehr ver - drieſſen und in den bitterſten Haß gegen ihn ſetzen. Sie werden ihn verfolgen und ſprechen: er treibet die Teuffel aus durch Beelzebub den Oberſten der Teuffel. Sie werden Steine aufheben ihn zu ſteinigen, er wird aber verborgen unter ihnen durch gehen. Endlich werden ſie einem ſeiner Juͤnger Nahmens Judas dreißig Silber - linge geben, daß er ihnen dieſen JEſum bey Nachtzeit in die Haͤnde uͤbergebe, und werden es endlich durch vieles Ruffen, Schreyen und Zuſammenbringung des Volckes bey dem Roͤmiſchen LandpflegerE 5Pila -74Pilatus dahin bringen, daß er ihn nebſt zwey andern Ubelthaͤtern creutzigen laͤſſet. Geſetzt GOtt haͤtte auf ſolche Arth die Umſtaͤnde und Leiden des Heilandes vor - her verkuͤndigen wollen, wuͤrden die Weiſ - ſagungen wol durch den Erfolg ſeyn erfuͤl - let worden? Wuͤrden die Phariſaͤer wol ihre verfluchten Haͤnde an den Geſalbten des HErrn gelegt haben? Wuͤrde Chri - ſtus am Creutze wol Eßig gekoſtet und die Erde zu Golgatha ſein Blut verſchluckt haben? Wuͤrden die Juden wohl geruf - fen haben: Sein Blut komme uͤber uns und uͤber unſere Kinder? Gewiß es wuͤr - de das Volck ehender die Schrifft-Gelehr - ten getoͤdtet, als zugegeben haben Chriſtum zu creutzigen, und keiner von den Schrifft - Gelehrten ſelbſt wuͤrde haben das Anſehen haben wollen, daß er von der gottloſen Rot - te waͤre, von welcher GOtt prophezeihen laſſen. Waͤre auch ihr Hertz gleich voll Galle geweſen uͤber die Straff-Predigten des Heylandes, ſo wuͤrde doch ihr Mund lauter ſuͤſſe Worte geſprochen haben, und die Weiſſagungen GOttes zu Luͤgen wor - den ſeyn. Was wuͤrde man aber als - denn von dieſen Prophezeihungen geurthei - let haben? Wuͤrden wir heutiges Tageswohl75wohl glauben, daß ſie GOtt zum Urheber haͤtten? Keinesweges, denn wir wiſſen auch aus der Vernunfft: GOtt koͤnne kei - ne Unwahrheit vorher verkuͤndigen laſſen. Oder haͤtten wir eine ſolche Weiſſagung als goͤttlich angenommen, ſo wuͤrden wir als - denn urtheilen: derjenige JEſus, welcher nicht iſt gecreutziget worden, iſt nicht der rech - te Meßias, und wuͤrden alſo dadurch verfuͤh - ret werden, den wahren Heyland als einen Betruͤger anzuſehen, welches wiederum wider die Abſicht GOttes waͤre.

§. 7.

Vielleicht dencket ein ſpottender Kluͤg -Eben daſ - ſelbe wird weiter ansge - fuͤhret. ling, welcher auch die Weißheit GOttes zu tadeln ſich unterſtehet: GOtt haͤtte ja ſeine Weiſſagungen von Chriſto folgender Geſtalt koͤnnen einrichten laſſen, daß er nur die erſteren Umſtaͤnde des Meßias ge - nau haͤtte vorher verkuͤndigen laſſen, ſo wuͤr - de ihn nicht nur jederman erkannt haben, ſondern es wuͤrde auch die abſcheuliche Ver - gieſſung ſeines unſchuldigen Blutes von den Juden nicht ſeyn fuͤrgenommen worden. GOtt haͤtte nemlich nur offenbahren doͤrfen, daß Johannes des Zacharias und der Eliſa - beth Sohn des Meßias Vorlaͤuffer ſeyn wuͤrde, und er ſelbſt wuͤrde zu Bethlehemvon76von einer Jungfrau Nahmens Maria, de - ren Mann Joſeph hieſſe, gebohren werden, und andere dergleichen Umſtaͤnde. Aber ſiehe, daß deine Einſicht in den Zuſammen - hang der Dinge noch nicht ſo groß ſey, als du dir einbildeſt. Was meineſt du, wenn dich GOtt zu ſeinem Rathgeber angenom - men und deinen Vorſchlaͤgen folgen wol - len, wie viel Leute wuͤrden ſeyn Zachari - as und Eliſabeth genant worden, und wie viele Eltern wuͤrden ihrem Sohne den Nahmen Johannes beygeleget haben in der Hoffnung, daß ihn der Nahme zum Vorlaͤuffer Chriſti wuͤrde gemacht haben? Und wie viele dieſes Nahmens wuͤrden in die Wuͤſten gegangen ſeyn, dem Meßias den Weg zu bereiten? Wie viele Joſephs und Marien wuͤrde man nicht in Bethlehem und an andern Orten gefunden haben, und wie viele wuͤrden ſich ſolcher Umſtaͤnde nicht zu Betruͤgereyen bedienet und viele Unruhe in dem gelobten Lande u. unter den Juden an - gerichtet haben? Ja es wuͤrde der einen Ma - rien von der andern aus Eifferſucht der Hals ſey zerbrochen worden. Die wenigſten wuͤr - den den wahren Meßias von den falſchen ha - ben unterſcheiden koͤnnen, und haͤtte ſich viel - leicht zugetragen, daß dennoch der wahreHeyland77Heyland als ein Betruͤger waͤre hingerich - tet worden. Wenn nun der guͤtigſte GOtt allen dieſen Verwirrungen will zu - vor kommen, und doch denen Menſchen zu ihren beſten von dergleichen Dingen etwas vorher verkuͤndigen, wie ſoll er ſolches auf eine beſſere Arth thun, als geſchehen iſt? Seine Abſicht kann auf keine kluͤgere und leichtere Weiſe erhalten werden, als wenn er das zukuͤnfftige, in welchen der Menſchen freyer Wille, wenn er ſie deutlich und mit allen Umſtaͤnden vorher weiß, vieles aͤn - dern kann, nur dunckel und in Bildern gleichſam von ferne zeiget. Bewundere alſo mehr die Weiſſagungen GOttes und ſeine ſehr weiſe Arth ſelbige einzukleiden, als daß du durch unbeſonnenes Geſpoͤtte deine Thorheit an den Tag legeſt, und dich an der hoͤchſten Weißheit groͤblich verſuͤn - digeſt.

§. 8.

Frageſt du etwan: worzu dienen dennDer Nu - tzen der Weiſſa - gungen wird durch ihre Dunckel - heit nicht aufgeho - ben. die Weiſſagungen, und was nutzen ſie den Sterblichen, wenn ihre Natur doch ſo be - ſchaffen iſt, daß ſie nur dunckel und unter Bildern muͤſſen vorgeſtellet werden? So wiſſe, daß dieſe Beſchaffenheit ihren Nu - tzen nicht aufhebe. Denn es kann auchdie78die bloſſe Wiſſenſchafft von den allgemei - nen Umſtaͤnden einer Sache einen groſſen Eindruck in die menſchlichen Gemuͤther und alſo einen Einfluß in ihre Gluͤckſelig - keit haben. Z. E. War dieſes den glaͤu - bigen Alt-Vaͤtern zur Beruhigung ihres Gemuͤthes nicht genug, daß ſie nur uͤber - haupt wuſten: es wird ein Erloͤſer kom - men, welcher GOttes Gerechtigkeit genug thun und die Straffen der Suͤnden hin - weg nehmen wird? Und ſind die in den Schrifften Altes Teſtaments gegebene Kennzeichen des Meßias uns nicht hinlaͤng - lich mit Gewißheit zu erkennen: JEſus Maria Sohn iſt der rechte Heyland der Welt? Und derowegen ſind ſolche Weiſ - ſagungen nicht ohne allen Nutzen, ſondern ſie ſind vollkommen hinlaͤnglich denjenigen Endzweck zu erhalten, zu welchem ſie gege - ben ſind.

§. 9.

Der Schluß dieſer Be - trach - tung.
18

So ſieheſt du alſo, geehrteſter Leſer, die wichtige Urſache, welche GOtt bewogen, viele ſeiner heiligen Weiſſagungen in Bil - dern und verbluͤhmten Redens-Arthen vor - zutragen. Es iſt ſolche die innere Be - ſchaffenheit derer zukuͤnfftigen Dinge, wel - che von dem freyen Willen der Menſchenabhan -79abhangen, ſelbige leidet nicht allezeit, daß man ſie mit deutlichen und platten Wor - ten vorher verkuͤndige. Denn eben eine ſolche Weiſſagung wuͤrde dem Menſchen gantz andere Bewegungs-Gruͤnde ſeiner Handlungen geben, und alſo den Zuſam - menhang der Dinge aͤndern, und GOtt zum Luͤgner machen, welches eine ſolche Folge iſt, die den Menſchen in Jrthum ver - fuͤhrete, und alſo GOtt nicht ſelbſt ver - anlaſſen kann. Derowegen muß das hoͤchſte Weſen entweder nichts von der - gleichen Dingen vorher verkuͤndigen, oder er muß ſie in Bildern vorſtellen, aus welchen man nur die allgemeinen Umſtaͤnde abneh - men kann, die beſondern aber verborgen bleiben. Jch habe hier nur ſolche Urſa - chen angefuͤhret, welche auch von einem, der nicht ſtudiret hat, koͤnnen eingeſehen werden, Wer aber auſſer dieſen noch mehrere und hoͤhere Gruͤnde, nach wel - chen GOTT ſeine Weiſſagungen, als ein weiſes Weſen, richten muͤſſen, wiſſen will; der leſe des Herrn Prof. IOACH. OPO - RINI Gloriam obſcurioris de Meſſia teſtimonii Prophetici in den Parergis Gœttingenſibus Tom. I. Lib. I. pag. 1-44.

Die80

Die Vierdte Betrachtung Enthaltend eine weiſe Abſicht, die GOtt gehabt, da er den Juden einige Arthen von Fleiſch zu eſſen verbothen.

§. 1.

Einlei - tung zu dieſer Be - trach - tung.
18

Unter denen Geſetzen, welche GOtt denen Kindern Jſrael gegeben, finden wir auch eines, wodurch ihnen einige Arthen von Fleiſch unterſaget worden. Wir leſen dieſes Verboth in dem 11. Cap. des dritten Buchs und in dem 14. Cap. des fuͤnfften Buchs Moſes. Fragen wir nach der weiſen Urſache, warum GOtt dieſes Geſetze gege - ben, ſo haben wir einen zwiefachen Weg - weiſer, welcher uns zu der Erkaͤntniß der - ſelben fuͤhret, Vernunfft und Schrifft. Wir wollen zuerſt hoͤren, was die Ver - nunfft ſagt, und hernach deren Ausſpruch aus dem geoffenbahrten Worten bekraͤffti - gen.

§. 2.

Das Ge - ſetz von
18

Wenn wir mit den bloſſen Kraͤfften der Vernunfft die weiſen Abſichten GOtteserfor -81erforſchen wollen; ſo muͤſſen wir beſondersreinen und un - reinen Thieren verurſa - chet nach und nach einen Eckel vor dem Fleiſch der unrei - nen Thie - re. Achtung geben auf das gute, welches aus einer Sache erfolget. Denn daß dieſes die Abſicht GOTTes bey einer jeden Sa - che ſey, haben wir in der erſten Betrach - tung erwieſen. Was hat aber das Ge - both ſich verſchiedener Thiere zu enthalten und ihr Fleiſch nicht zu eſſen vor Folgen? Eine natuͤrliche Folge iſt dieſe, daß die Kin - der vor ein ſolches Fleiſch, welches den El - tern verbothen und von ihnen nicht gegeſ - ſen wird, einen ſtarcken Eckel und Abſcheu bekommen, und diejenigen Taffeln fliehen, auf welche ſolches aufgetragen wird. Wer hiervon will uͤberzeuget werden, der beden - cke nur, wie eckelhafft den mehreſten unter uns Katzen, Hunde, Fuchs, Wolff, Pfer - de und vieles ander Fleiſch ſey. Und woher kommt dieſes? Aus keiner andern Urſache, als weil unſere Eltern und Freun - de dergleichen Fleiſch nicht eſſen, und wir alſo von Jugend auf ſolches zu nehmen nicht gewoͤhnet worden. Denn daß der - gleichen Fleiſch zur gewoͤhnlichen Speiſe zu machen der menſchlichen Natur nicht gantz zuwider ſey, ſiehet man daraus, daß es gantze Voͤlcker giebt, die mit groſſer Begierde das Fleiſch eſſen, welches wirErſtes Stuͤck. Fver -82verabſcheuen. Wie vergnuͤget das in Teutſchland unter dem Nahmen der Tar - tarn bißweilen herumſchweiffende liederli - che Geſindel ſeinen Geſchmack nicht mit einer gebratenen Katze? Und wie begie - rig ſind die Hurons und Jroquois in Ame - rica nicht auf das Fleiſch der Menſchen, die ſie im Kriege von ihren Feinden er - beutet? Wuͤrde uns ſelbiges nicht eben ſo gut ſchmecken, wenn wir unter ihnen erzo - gen waͤren? Woraus genugſam erhellet, daß die Erziehung uns das eine Fleiſch an - genehm, das andere aber eckelhafft mache. Was kann derowegen das Verboth ge - wiſſer Arthen von Fleiſch bey den Juden nach und nach anders als einen Eckel davor verurſachen? Die Erfahrung be - kraͤfftiget dieſes. Jch weiß Juden, welche ſich haben tauffen laſſen, und dennoch aus einem natuͤrlichen Eckel niemals Schwei - ne-Fleiſch gegeſſen haben, ob ſie ſich gleich durch Annehmung des wahren Meßias dem Joch ihres Ceremonial-Geſetzes entzogen. Dieſes iſt alſo die natuͤrliche Folge, welche bey einem Volcke aus dem Verboth dieſes oder jenes Fleiſch nicht zu eſſen entſtehet.

§. 3.

GOtt verbiethet
18

Was vor Vortheile aber konnten beyden83den Juden durch dieſen Eckel erhalten wer -den Ju - den den Umgang mit den Heiden. den? Es werden uns ſelbige alſo bald in die Augen fallen, wenn wir uns nur ge - wiſſer Umſtaͤnde der Kinder Jſrael werden erinnert haben. Die Buͤcher der goͤttli - chen Offenbahrung und andere Geſchicht - Schreiber berichten uns, daß ehemals bey nahe die gantze Welt den Goͤtzen geopffert, und des wahren GOttes Himmels und der Erden vergeſſen und ſelbigem nicht ge - dienet. Es wolte die ewige Weißheit dieſem Verderben Einhalt thun und nicht zugeben, daß die gantze Welt in ſelbiges eingeflochten wuͤrde. Er wendete dero - wegen alle Mittel an, wenigſtens ein klei - nes Haͤufflein zu erhalten, welches von dem wahren GOtte uͤberzeuget waͤre, und in deſſen Gebothen wandelte. Sie erwehl - te darzu die Nachkommen einiger from - men Vaͤter, welche den wahren GOTT fuͤrchteten und auf ſein Heil warteten. 1. Buch Moſes Cap. 49. v. 18. nemlich die Kinder Jſrael. Bey dieſem Volcke ſolte die Ehrfurcht vor den wahren GOTT die damals herrſchende Begierde zur Ab - goͤtterey unterdrucken und beſiegen, die le - bendige Hoffnung auf den Heiland der Welt ſolte durch daſſelbe fortgepflantzetF 2und84und endlich durch ſeine Gebuhrt von einer Jſraelitin erfuͤllet werden. Dieſer Ab - ſicht aber ſtand im Wege das boͤſe Exem - pel derjenigen Voͤlcker, welche theils unter den Jſraeliten ſelbſt wohneten, theils aber ihre Grentzen beruͤhrten und umgaben. So wol dieſer Exempel als auch ihre Be - muͤhung die Jſraeliten zu Goͤtzen-Die - nern zu machen, waren leicht vermoͤgend ſelbige von den wahren GOTT und deſ - ſen Dienſt abzuziehen und zu bewegen, Holtz und Stein anzubethen und zu vereh - ren. Dieſer Verfuͤhrung muſte derowe - gen GOtt nach ſeiner weiſen Guͤtigkeit wehren. Er unterſagte ihnen derowegen einen genauen Umgang mit den Heiden, und verboth, ſich mit ihnen in ein ehliches Buͤndniß einzulaſſen, damit die Frauen nicht von den Maͤnnern und die Maͤnner von den abgoͤttiſchen Frauen verfuͤhret wuͤrden, wie bey dergleichen Verbindung leicht zu geſchehen pfleget. 5. Buch Moſes 7. v. 2. 3. 4.

§. 4.

Zu Hal - tung die - ſes Ge - ſetzes die - net der Eckel vor
18

Zu Beobachtung dieſes Verboths ſchei - net mir der Eckel vor verſchiedene Speiſen deren ſich die Heiden zum Theil bedienten, vieles beyzutragen. Denn es iſt nichtskraͤffti -85kraͤfftiger uns von einem ſehr vertrautendie verbo - thenen Thiere. Umgange und ehligen Verbindung mit gewiſſen Perſonen abzuhalten als ſolche Dinge auf der einen Seite, die auf der andern Seite einen groſſen Eckel verurſa - chen. Hiervon uͤberfuͤhrt zu werden ſtelle man ſich vor, es wohnete ein Volck neben uns, welches alle Suppen, Brie, Gemuͤſe und Braten mit Hunde-Schmaltze fett machte und begoͤſſe, und mit Hunde, Pfer - de und anderem Fleiſche ſo uns ein Eckel iſt, die Tafeln beſetzte; wuͤrden wir uns wol bewegen laſſen bey ihnen zur Mahl - zeit zu gehen und uns unter ſie zu verhei - rathen? Ja wuͤrde den meiſten unter uns nicht | auch dasjenige Fleiſch, welches wir ſonſten lieben, und nur in ihren Toͤpffen gekocht worden, ekelhafft ſeyn? Gewiß wir wuͤrden uns nicht leicht bereden laſſen we - der mit ihnen zu eſſen, noch auch uns un - ter ſie zu verheirathen. Wenigſtens wuͤr - de der Eckel vor des andern Volckes Spei - ſen verurſachen, daß ſelbiges nicht haͤuffig und offt geſchehe. Ja es wuͤrde vielen dasjenige eckeln, was die Haͤnde dieſes Volcks beruͤhret haͤtten. Jch koͤnnte die - ſes mit verſchiedenen Exempeln beſtaͤttigen, wenn mir nur erlaubt waͤre ſelbige nebenF 3ein -86einander zu ſetzen. Weil aber ſelbiges zu thun wider den Wolſtand lieffe, ſo will mich nur allein beruffen auf den Eckel, wel - chen wir bezeigen vor allem denjenigen, was die Hand eines Abdeckers oder ſoge - nandten Schinders angeruͤhret hat. Wo - bey wir keine andere Urſache anzugeben wiſſen, als dieſe, daß er ſeine Haͤnde an todten Menſchen und Vieh beſudeln muͤſ - ſe. Doch ich darf noch ein Exempel an - bringen. Jch erinnere mich, daß auf ei - nem gewiſſen Hoffe ein Schaͤffer einſt - mal ein geſtorbenes Schaff abgedecket, und das Fell mit nach Hauſe gebracht, daß es die Maͤgde auf demſelben Hoffe geſe - hen. Hiedurch bekamen dieſe Maͤgde ei - nen ſolchen Abſcheu vor dem Schaͤffer, daß, da ſie ihn vorhero gerne gekuͤſſet und umarmet, ſie anjetzo nicht mit ihm eſſen wolten. Und als der Herr des Hoffes ſie dazu zwang, waren ſie kaum im Stande einige wenige Loͤffel voll Suppen mit dem groͤſten Schauder und Widerſtande in Leib zu bringen, und fehlete nicht viel, daß ſie nicht zuſammen vor Eckel in eine Kranckheit verfielen. Und von allen die - ſen gewaltigen Veraͤnderungen war keine andere Urſache vorhanden, als daß derSchaͤf -87Schaͤffer, welcher ſonſten von den Maͤg - den wegen ſeines guten Anſehens und Gel - des ſehr geliebt wurde, ein todtes Aas an - geruͤhret, vor welches ſie einen Abſcheu hatten. Aus welchem allen gnugſam erhellet, was der Eckel der Kinder Jſrael vor vielem Fleiſche und Speiſen der Hei - den mag beygetragen haben, ſie vom ver - trauten Umgange mit den Heiden abzu - halten, als welche zum Theil Schweine - Fleiſch, zum Theil aber ander Fleiſch aſſen, welches den Kindern Jſrael verbothen war, und vor welches ſie nach und nach einen Eckel bekamen, und hingegen einiges Flei - ſches ſich enthielten, deſſen die Kinder Jſ - rael ſich zu ihrer Speiſe bedienten. Sie - he SPENCERI Tractat de Legibus Iud. Ritualibus Lib. I. Cap. V. Sect. III. & V. Und ich vermuthe auch nicht, daß die heutigen Juden von der Gemeinſchafft mit den Chriſten wuͤrden ſo ſehr getrennet bleiben, wenn nicht die Warnung vor ei - niges Fleiſch, deſſen die Chriſten ſich bedie - nen, vieles dazu beytruͤge.

§. 5.

Dieſes ſind denn die guten Folgen, wel -Das Ge - both von reinen und un - che die goͤttliche Unterſagung mancherleyF 4Flei -88reinen Thieren verwah - ret alſo die Kin - der Jſrael vor dem Umgang mit den Heiden und von ihrer Ab - goͤtterey.Fleiſches bey den Jſraeliten hat mit ſich verknuͤpfft gehabt. Dieſes Geſetz pflantz - te nehmlich in ihre Seele einen natuͤrlichen Eckel und Abſcheu vor dasjenige Fleiſch, welches ihnen zu eſſen verbothen wurde. Dieſer Eckel hielt ſie ſehr zuruͤcke von dem vertrauten Umgange und fleiſchlichen Ver - miſchung mit den Heiden, und trug alſo ſehr vieles bey zur Beobachtung desjeni - gen Geſetzes, darinne den Jſraeliten der ge - naue Umgang und ehliche Verbindung mit den Heiden unterſagt wurde. Dieſes aber verurſachte, daß ſie deſto eher vor den boͤ - ſen Sitten der Heiden und ihrer Abgoͤtte - rey verwahret wurden. Und dieſe gute Folgen lehret uns die Vernunfft vor eine goͤttliche Abſicht dieſes Ceremonial-Geſe - tzes halten. Wir wollen nun auch ſehen, ob wir in der goͤttlichen Offenbahrung et - was finden koͤnnen, welches dieſen Aus - ſpruch der Vernunfft bekraͤfftiget.

§. 6.

Eben die - ſes wird aus der Schrifft bekraͤffti - get.
18

Als dem Apoſtel Petrus in der Apoſtel Geſchichte Cap. 10. ſolte zu erkennen ge - geben werden, daß das Verboth mit den Heiden umzugehen 5. Moſ. 7. v. 2. 3. 4. ſolte aufgehoben ſeyn, ſo geſchahe ſolchesdurch89durch folgendes Geſichte. Es wurde ihm vom Himmel ein Tuch voll allerhand un - reiner Thiere vorgeleget mit dem Befehl, davon zu ſchlachten und zu eſſen. Es hebt GOtt das Geſetz von reinen und un - reinen Thieren auf, wenn er den Umgang mit Heiden dem Apoſtel nicht nur erlau - ben, ſondern auch anbefehlen will. Wer ſiehet hieraus nicht, daß dieſe beiden Ge - ſetze einige Verwandſchafft mit einander haben? GOTT giebt hier ihre Verbin - dung ſelbſt zu erkennen, indem er das eine erſt abſchafft, da das andere ſeinen Werth verliehren ſoll. Waͤren dieſe beyden Ge - ſetze nicht ſo eingerichtet geweſen, daß das erſtere dem letzteren dergeſtalt waͤre zu Huͤlffe kommen, daß auch das letztere ohne das erſtere nicht haͤtte koͤnnen aufgehoben werden; was haͤtte GOtt vor Urſache gehabt das Geſetz von reinen und unreinen Thieren aufzuruffen, da er dem Petrus nicht mehr wolte zu erkennen geben, als er ſolte ſich nicht entziehen mit Heiden um - zugehen und ihnen das Evangelium zu pre - digen? Hat aber das erſtere Geſetze einen ſolchen Einfluß in das letztere, und befeſti - get ſelbiges ſo ſehr, daß das letztere ſeine Wuͤrckung ohne das erſtere nicht verlierenF 5kann;90kann; wer wolte denn zweiffeln, daß der allweiſe GOTT bey Anordnung des er - ſten ſeine Abſicht nicht mit auf das letztere gehabt? Man bemercke aber hierbey die Weißheit und Guͤtigkeit GOTTes bey ſeinen Geſetzen, und wie er ſelbige nach den Umſtaͤnden der Menſchen einrichtet, ſie vor Abwege zu bewahren, und zur wah - ren Gluͤckſeligkeit zu fuͤhren. Jſrael iſt, wenn es mit den Heiden umgehet, vor den Zeiten des Heylandes in Gefahr zur Ab - goͤtterey verfuͤhrt zu werden. GOTT will ſie bey ſeinem Dienſt erhalten, darum verbiethet er ihnen einen vertrauten Um - gang mit den Goͤtzen-Dienern zu pflegen, und dieſes Verboth umzaͤunt er mit dem Geſetz von reinen und unreinen Thieren. Meßias komt, Sein Reich nimt zu, die Bekehrung der Heiden iſt vor der Hand, die Verfuͤhrung zum Goͤtzen-Dienſt hoͤrt auf, und damit verliehret auch ſeine Krafft dasjenige Geſetze, ſo dieſer Verfuͤhrung ent - gegen geſetzt worden, und wird, da es kei - nen Nutzen mehr hat, von GOtt ſelbſt aufgehoben und abgeſchafft. (*)Zum Beſchluß muß dieſes erinnern, daß, da nur einen eintzigen Nutzen dieſes Geſetzes hier angefuͤhrt, ich dadurch nicht anzeigen wolle, als wenn ſelbiger die eintzige goͤttliche Abſicht dieſes Geſetzes geweſen. Denn daß GOtt bey die - ſem Geſetze auch andere Abſichten gehabt, haben andere ſchon laͤngſt erwieſen, und wuͤrde ich ihre Meinungen davon hieher geſetzt haben, wenn ſie nicht ohne dem faſt einem jeden, der ſich um dieſe Dinge bekuͤmmert, bekant waͤren. Wer indeſſen etwas weitlaͤufftigers hiervon nachleſen will, der ſchlage nach SPENCERI Tractat de legibus Judaeorum ritualibus Lib. I. Cap V. und BVDDEI Hiſtoriam Eccleſ. V. T. Part. I. pag. 733. ſqq.

(*) Zum91[92]

Jnhalt. dieſes erſten Stuͤcks.

  • I. Betrachtung. Von der Haupt-Abſicht GOttes bey der Erſchaffung aller Dinge. pag. 9.
  • II. Betrachtung. Von der weiſen Abſicht GOttes bey der be - ſondern Gebuhrt und Schwachheit der Kinder vor allen andern Thieren. pag. 36.
  • III. Betrachtung. Von der weiſen Abſicht GOttes, welche er dabey hat, daß er die mehreſten Prophe - zeihungen verbluͤhmt und etwas dun - ckel aufſetzen laſſen. pag. 57.
  • IV. Betrachtung. Von der weiſen Abſicht, die GOtt gehabt, da er den Juden einige Arthen von Fleiſch zu eſſen verbothen. pag. 80.
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Betrachtungen uͤber die Weiſen Abſichten GOTTes, bey den Dingen,[d]ie wir in der menſchlichen Geſellſchafft und in der Offenbahrung antreffen. Zweytes und Drittes Stuͤck. Goͤttingen, Bey Chriſtian Heinrich Cuno. 1738.

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Die Fuͤnfte Betrachtung Von Der weiſen und guͤtigen Abſicht GOttes bey dem Himmel und der Hoͤlle.

§. 1.

ES ſind verſchiedene Urſachen,Einlei - tung. welche mich, gleich bey dem Anfang dieſer Schrifft eine Betrachtung uͤber die letzten Dinge Himmel und Hoͤl - le anzuſtellen, bewogen. Die vielen Streitigkeiten, welche auch zu unſern Zei - ten hieruͤber ſind gefuͤhret worden, und die Frage: ob auch wol die Hoͤlle und derſel - ben erſchroͤckliche Foltern eben wie der Himmel und deſſen Herrlichkeit mit der unendlichen Gnade GOttes koͤnten gereimt werden? machten bey mir den Vorſatz, zu unterſuchen, ob die unumſchraͤnkte Guͤ - te GOttes auch wol in der Hoͤlle ſelbſt zu finden waͤre. Die lebendige Uberfuͤh -G 2rung100[96]rung von dieſer Vollkommenheit des Schoͤpffers gab mir hierzu voͤllige Hoff - nung, wenn nur anders die Abſicht GOt - tes ſo wohl bey dem Himmel als der Hoͤl - le wuͤrde entdecken koͤnnen. Das unge - meine Verlangen, ſelbige einiger maſſen einzuſehen, ließ derowegen nicht zu, die Betrachtung dieſer Dinge, welche wir die letzten zu nennen pflegen, auch auf die letz - ten Blaͤtter dieſes Werckgens zu verſpa - ren, ſondern derſelben vielmehr ihren Platz ſo gleich in dieſem zweyten Stuͤck anzu - weiſen. Jch wurde in dieſem Vorhaben noch hitziger, als auf die Abſichten GOt - tes bey der Erloͤſung, bey der Forderung des Glaubens und der Tugend und bey andern Stuͤcken der Chriſtlichen Religion dachte und wahrnahm, daß mir ſelbige we - der ſelbſt deutlich vorſtellen, noch andern ordentlich und verſtaͤndlich vortragen wuͤr - de, wenn nicht vorhero Himmel und Hoͤl - le und deren Abſichten etwas genauer be - trachtet, und derſelben wahre Umſtaͤnde, ſo weit die engen Schrancken unſerer jetzi - gen Erkaͤnntniß es zulaſſen, bemercket haͤt - te. Jch fand hierbey zwar viele Schwie - rigkeiten, welche mich gewiß uͤberredeten, ich wuͤrde in meinen Muthmaſſungen man -chen101[97]chen Fehler begehen, und machten, daß die Feder zu dem erſten Aufſatze mit groſſer Furcht anſetzte. Und wuͤrde mich viel - leicht zu deſſen letztern Ausarbeitung, wel - che hiermit uͤberliefere, nicht entſchloſſen haben, wenn mich nicht mit der Hoffnung geſchmeichelt, es wuͤrde der Geneigte Le - ſer ſolche Fehler mit eben derſelben Gelin - digkeit uͤberſehen als diejenigen, welche in das erſte Stuͤck mit einſchleichen laſſen, und das ſich vielleicht Goͤnnere und gute Freunde finden wuͤrden, welche durch ihre gruͤndlichere Einſicht zu derſelben Verbeſ - ſerung Gelegenheit gaͤben.

§. 2.

Wenn wir aber die weiſe und guͤtigeBeſchrei - bung des Him - mels. Abſicht GOttes bey dem Himmel und der Hoͤlle in etwas begreiffen wollen; ſo iſt noͤthig, daß wir beyder Beſchaffenheit und Umſtaͤnde ein wenig beruͤhren, und daraus den Schluß auf die goͤttliche Ab - ſicht machen. Wir begeben uns zwar in ein Feld, in welchem viele Gelelehrte, theils mit Leutſeligkeit, theils aber auch mit groſſem Ungeſtuͤm gegen einander fechten: ich will mich aber bemuͤhen, dieſen ſtreiten - den Partheien nicht zu nahe zu kommen, und an ihrem Streit, ſo viel als moͤglich,G 3keinen102[98]keinen Theil zu nehmen. Jch will bey den kla - ren Ausſpruͤchen GOttes bleiben, und zu - ſehen, ob durch die Kraͤffte der Vernunfft zeigen koͤnne, wie ihr Jnhalt mit den Voll - kommenheiten GOttes und ſeiner Haupt - Abſicht bey der Erſchaffung dieſer Welt ſehr genau und weißlich zuſammen ſtim - me. Laſſe ich einige Muthmaſſungen mit einflieſſen; ſoll ſolches mit dem Bedinge geſchehen, daß ſelbige niemals mit Hefftig - keit verfechten, ſondern ſo bald wiederruf - fen wolle, als von ihren Ungrund mit Be - ſcheidenheit uͤberfuͤhrt worden. Wir ver - ſtehen hier aber unter dem Wort Himmel einen ſolchen Ort, an welchem das hoͤchſte Weſen ſich und ſeine unendliche Vollkom - menheiten auf eine weit deutlichere, herr - lichere und praͤchtigere Art zu erkennen giebt, als auf dieſem Erdboden, und an welchem die Frommen nach dieſer Sterb - lichkeit nebſt den Engeln einer ewigen und veraͤnderlichen Seligkeit theihafftig machen ſollen. (*)Weil bey dieſen Blaͤttern unſere Haupt - Abſicht die Erbauung iſt, ſo bekuͤmmern wir uns anjetzo nicht wo dieſer Ort ſeyn moͤge, ſondern weiſen nur, daß er irgend wo ſey. Aus eben derſelben Urſache uͤbergehen wir auch mit Still - ſchweigen, wie vielerley Bedeutungen das Wort Himmel in alten und neuern Zeiten gehabt,ſondern

103[99]
(*)ſondern laſſen ſolches denen uͤber, welche den Endzweck bey ihren Schrifften haben, daß ſie durch Anfuͤhrung vieler Meinungen ihre Be - leſenheit zeigen wollen.
(*)

§. 3.

Daß aber ein ſolcher Ort, als wir be -Es| iſt ein Himmel. ſchrieben, vorhanden ſey, wollen wir kuͤrtz - lich beweiſen. Chriſtus iſt, als er ſeine ſichtbare Gegenwart dieſer Erden entzogen, gen Himmel gefahren. Ap. Geſch. Cap. 1. Es wird von dannen wieder kommen und die Seinen, d. i. die Frommen zu ſich holen, auf daß ſie ſind, wo er iſt. 1. Theſſ. Cap. 4. v. 16. 17. Joh. Cap. 17. v. 24. Alsdenn ſoll erſt die Herrlichkeit des groſ - ſen GOttes und unſers Heylandes JE - SU Chriſti recht erſcheinen, oder auf eine gantz beſondere Arth in die Augen leuchten. Tit. Cap. 2. v. 13. Joh. Cap. 17. v. 24. Wenn die Seele die ſterbliche Huͤtte verlaſſen und den Schooß Abrahams er - reichet, ſo ſoll ſie mehr von der Herrlichkeit GOttes ſehen, als da ſie durch den Leib an dieſen Erdklumpen gebunden; ſie ſoll mehr Glantz erblicken, als wenn ſie hier dem Geſicht mit dem ſchoͤnſten Vergroͤſſerungs - und Fern-Glaͤſern zu Huͤlffe kommt. Ja wenn dereinſten die vermoderten Knochen wieder anfangen ſich zu bewegen und zuG 4leben104[100]leben, und die Seele in denſelben eine ewi - ge und unverweßliche Wohnung bekom - met, alsdenn ſoll erſt erſcheinen, was die Kinder GOttes ſeyn werden, daß ſie GOtt werden gleich ſeyn, indem ſie ihn ſehen wer - den, wie er iſt. 1. Joh. Cap. 3. v. 2. Unſere jetzige Erkaͤntniß iſt gegen jene nur Stuͤck-Werck, wir ſehen jetzt nur in einen Spiegel in einem dunckeln Wort: denn aber von Angeſicht zu Angeſicht. 1. Cor. Cap. 13. v. 12. Daß die Engel an die - ſem Orte ſchon einer ſolchen Erkaͤntniß theilhafftig ſind, und GOtt daſelbſt ſich ihnen mit mehrer Herrlichkeit zeiget als den Einwohnern dieſes Erdbodens, iſt aus Matth. 18. v. 10. vollkommen klar. Es iſt dannenhero ein Ort, welchen die Schrifft Himmel nennet, wo GOtt durch eine em - pfindlichere Offenbahrung ſeiner Herrlich - keit, als auf dieſer Erden zu finden, die Engel und frommen Menſchen, wenn ſie dieſe unteren Wohnungen verlaſſen, gluͤck - lich machen will. Und weil denn der Himmel ein ſolcher Ort iſt, an welchen GOtt weit hellere und praͤchtigere Strah - len ſeiner Vollkommenheiten von ſich wirfft als hiernieder, ſo kan man begreiffen, war - um, da er doch an allen Orten unumſchraͤncktzu -105[101]zugegen iſt, beſonders der Himmel ſeine Wohnung, Sitz und Stuhl genennet wird. Siehe Apoſt. Geſchicht am 7. v. 49. 2. Chro - nica 6. v. 30. 33. 39.

§. 4.

Der Himmel wird derowegen am fuͤg -Der Him - mel iſt ein Reich, in welchem Gott und Chriſtus regieren. lichſten mit einem Reiche verglichen, in welchem ein Koͤnig und eine unendliche Zahl Unterthanen ſind. Matth. 25. v. 34. Wir wollen die vortreffliche und herrliche Beſchaffenheit dieſes Reichs ein wenig ge - nauer betrachten. Der Beherrſcher deſ - ſelben iſt unendlich an Weißheit, Guͤte und Macht, denn es iſt GOtt. 1. Cor. 15. v. 28. O was vor ein Vorzug vor den irdiſchen Reichen dieſer Welt gibt dem Himmel nicht der bloſſe Nahme dieſes Koͤ - niges? Erhebt euch ihr Feinde wider die - ſen Koͤnig, beſchlieſſet einen heimlichen Rath wider ſein Reich, uͤberfallt daſſelbe unvermuthet, uͤberſteiget Wall und Mau - ern, ſetzet die Unterthanen durch das Feu - er eurer Wuth in Furcht und Schrecken. Gewiß ihr werdet erfahren, daß die Klufft zwiſchen euch und dieſem Reiche zu groß, das Feuer dieſes Koͤniges hefftiger denn euers ſey, und ein eintzig Wort alle eure Macht daͤmpffe, weicht derowegen zuruͤckeG 5und106[102]und erkennet euer Unvermoͤgen. O ein vortrefliches und herrliches Reich, welches das Scepter eines ſolchen Koͤniges regieret und beſchuͤtzet! Beſonders finden die Menſchen, welche das Buͤrger-Recht in dieſem Reiche erlangen, eine beſondern Vorzug darinne, daß einer aus ihrem Mit - tel als Statthalter mit am Ruder ſitzet, nemlich Chriſtus in ſo fern er unſerer Na - tur theilhafftig iſt. Phil. 2. v. 9. 10. 11. Hebr. 2. v. 7. 8. 10. Epheſ. 1. v. 20. 21. 22. 1. Cor. 15. v. 24 -, 28. Erwegt ihr Sterblichen die Liebe, erwegt die Ehre, welche euch GOTT in dieſem Reiche er - zeiget. Beſinnet euch auf alles, was ihr an einem Beherſcher nur wuͤnſchen moͤget, gewiß ihr findet es hier beyſamen. Jſt es Macht? Selbige findet ihr hier im hoͤch - ſten Grade. Jſt es Gerechtigkeit? Nie - mand iſt gerechter als GOtt und Chriſtus. Jſt es Leutſeligkeit? GOTT nennet ſeine Buͤrger ſeine Kinder, 1. Joh. 3. v. 1. Roͤm. 8. v. 17. und Chriſtus nennet ſie gar ſeine Bruͤder. Hebr. 2. v. 11. Es iſt alſo klar, daß in Abſicht auf den Koͤnig kein Reich dieſem vorgehe.

§. 5.

Die Buͤr - ger dieſes
21

Doch die Macht, die Herrlichkeit, dieGerech -107[103]Gerechtigkeit und Guͤte des BeherrſchersReichs und deren Beſchaf - fenheit. ſind es nicht allein, welche ein Reich voll - kommen gluͤckſelig machen, die Beſchaf - fenheit der Buͤrger traͤgt auch etwas dar - zu bey. Wir wollen dahero die Buͤrger des Himmels auch ein wenig betrachten. Es ſind ſelbige blos die guten Engel und frommen Menſchen. Matth. 18. v. 10. Cap. 25. v. 34. Diejenigen, welche die Finſterniß und die Wercke derſelben lieben, ſollen die Grentzen dieſes Reichs nicht be - ruͤhren, die Hurer und Trunkenbolde ſol - len es nicht verunreinigen, und die Hoch - muͤthigen, Geitzigen, Zaͤnckiſchen und Nei - diſchen ſollen den Frieden deſſelben weder ſchmecken noch ſtoͤhren. Gal. 5. v. 19. 20. 21. Ja auch die Teuffel ſelbſten ſollen kein Theil an denſelben haben. Matth. 25. v. 41. Es bewohnen alſo dieſes Reich nur ſolche Geiſter, welche ſich in wahren Tugenden geuͤbt und in denſelben eine Fer - tigkeit oder Gewohnheit erlanget, derge - ſtalt, daß ſie ſich Gewalt anthun muͤſten, wenn ſie die Laſter lieben und ſich ſelbigen ergeben ſolten. Man findet hier nur ſolche Gemuͤther, welche GOtt und Neben-Buͤr - ger wahrhafftig lieben. Jhre Neigun - gen ſind durch einen langen Kampf in ſol -che108[104]che Ordnung geſetzt, daß ſie Herren uͤber ihre Gemuͤths-Bewegungen ſind und von denſelben niemahls in Unordnung gebracht, und in eine verworrene Unordnung verwi - ckelt werden. Sie ſind alſo zu einer be - ſtaͤndigen Gemuͤths-Ruhe und zu einer wahren und vergnuͤgenden Freund - ſchafft aufgeleget. Sie ſind ein Hertz und eine Seele, und einerley Nei - gung verknuͤpft ſie unzertrennlich zuſam - men. Keiner iſt hochmuͤthig und ſucht ſich uͤber den andern zu erheben, und kei - ner beneidet des andern Vollkommenheit, ſondern ſie ſind zufrieden in GOtt und ei - ner achtet des andern Gluͤckſeligkeit mit vor die ſeine. Dieſes aber alles ſetzet zum voraus ein richtiges Urtheil des Verſtan - des und eine wahre Weisheit, das Gute nebſt den darzu gehoͤrigen Mitteln zu erwehlen, und das Boͤſe einzuſehen, und zu verabſcheuen. Denn iſt der Ver - ſtand noch dunckel, ſo kan er in Unterſchei - dung des Guten und Boͤſen leicht ir - ren und in Jrthum ſich verderben. Epheſ. 4. v. 22. Da denn dorten keine unſelige Neigung die Ruhe der tugendhafften Buͤr - ger in Gefahr ſetzen ſoll, ſo muß ihr Ver - ſtand erleuchtet und vor ſchaͤdlichen Jrthumſicher109[105]ſicher ſeyn. 1. Cor. 13. v. 12. Dieſes waͤre alſo ein kurtzer Abdruck der innern Be - ſchaffenheit der Buͤrger des Himmels.

§. 6.

Wir kommen derowegen wieder aufDie Buͤr - ger des Himmels werden durch kei - ne natuͤrl. Dinge be - unruhi - get. ihre aͤuſſerlichen Umſtaͤnde. Und damit wir unten deſto deutlicher zeigen koͤnnen, wie in dieſem Reiche alles zum Vergnuͤ - gen der Unterthanen eingerichtet ſey, ſo wollen wir immer mit dem einen Auge auf dieſer Erde, mit dem andern aber in jene Herrlichkeit ſehen, damit wir durch dieſe Vergleichung deſto lebendiger von jener Freude moͤgen uͤberfuͤhrt werden. GOtt goͤnnet uns auf dieſer Erden ſchon man - ches Vergnuͤgen, er zeigt und giebt uns tauſend und mehr Dinge, welche uns er - freuen koͤnnen. Damit wir uns aber nicht gar zu ſehr in ſelbige verlieben, unſer Ge - muͤth an dieſelben binden, ſie mißbrauchen und von dem Wege der wahren Tugend und Gluͤckſeligkeit abweichen; ſo verſetzt er ſie mit vielen unangenehmen Veraͤnde - rungen, womit unſer Vergnuͤgen faſt be - ſtaͤndig unterbrochen wird. Mangel, ver - aͤnderliche Geſundheit der Glieder und Schmertzen des Leibes und endlich gar derTod110[106]Tod verurſachen das groͤſte Mißvergnuͤ - gen, und machen auch das Leben des Al - lergluͤcklichſten voller Jammer und Unru - he. Dieſes alles aber wird dort aufgeho - ben ſeyn. Der Tod wird nicht mehr ſeyn. Offenb. Joh. 21. v. 4. 1. Cor. 15. v. 26. 54.

§. 7.

Auch ſie ſelbſten machen einander keine be - truͤbte Stun - den.
21

Jch habe anjetzo nur von ſolchen Ver - drießlichkeiten geredet, welche uns die na - tuͤrliche Dinge auf dieſer Erden mehren - theils verurſachen und gewieſen, daß ſelbi - ge dort nicht ſeyn. Jch muß aber auch an - derer Unruhen gedencken, welche uns in dieſen untern Wohnungen unſere Mitbuͤr - gere und ihre Bosheit erregen, und mer - cken, das auch von ſelbigen dort nichts werde gehoͤret werden. Das Mißver - gnuͤgen und der Schmertz, welchen uns die natuͤrlichen Dinge hernieder zu wege brin - gen, koͤnte in etwas gelindert und verſuͤſſet werden, wenn ein Neben-Menſch ſeine Schultern mit unter des andern Laſt ſetzte und ſelbige tragen huͤlffe. Wenn der Reiche von ſeinem Uberfluſſe die Noth - durfft des Armen erleichterte, und der Ste - hende dem Gefallenen die Hand reichte ihn wieder aufzurichten. Aber auch dieſen Troſt ſucht man oͤffters vergebens. Jawas111[107]was noch mehr iſt, einer vermehrt des an - dern Laſt, und freuet ſich, wenn er des an - dern Ungluͤck vergroͤſſern koͤnnen. Dort liegt ein Hochmuͤthiger gantz unruhig in ſeinem Bette, und kan die Augen nicht ehender geruhig ſchlieſſen, biß er ein Mit - tel erſonnen ſeinen Bruder zu ſtuͤrtzen. Da erbricht ein Dieb, indem wir unſere Kraͤffte durch den Schlaff wieder ſamm - len, unſere Thuͤren, und beraubt uns deſſen, was wir im Schweiß unſers Angeſichts erworben. Dort iſt ein Geitzhalß und ſperret ſeinen unerſaͤttlichen Rachen auf, unſer Haab und Gut unter dem Schein des Rechten durch die Liſt der Advocaten zu verſchlingen, da ſitzt ein Spoͤtter, und druͤckt mit ſeiner ſpitzigen Zunge in kurtzer Zeit mehr als tauſend ſpitzige Pfeile ab, um unſer Hertz durch Verletzung unſerer Ehre zu durchbohren, und wer kan alle Verdrießlichkeiten erzehlen, welche ein Menſch dem andern macht? Dieſes alles aber hoͤret dort auf, indem weder Hoch - muͤthige, noch Geitzige, noch Verleumdere, noch irgend ein ander Laſterhaffter zu ei - nem Gliede jenes Reiches angenommen wird. Gal. 5. v. 19. 20. 21.

§. 8.112[108]

§. 8.

Die frommen Men - ſchen be - kommen dereinſten den voll - kommen - ſten Leib.
21

Doch dieſe Erzehlung zeiget nur, daß diejenigen Unvollkommenheiten, die uns hier ungluͤcklich machen, dorten nicht mehr ſeyn werden. Wir wollen derowegen auch, ſo weit die Schrancken unſer jetzi - gen Erkaͤnntniß es zulaſſen, einen Blick auf die aͤuſſerlichen Vollkommenheiten thun, welche jenem Reiche einen Vorzug vor dieſer wandelbahren Wohnung geben. Hier ſtellen ſich aber meinen Augen zu al - lererſt Engel und Seelen der Frommen, welche kein Ungemach eines verderbten Leibes beſchweret, ſondern ohne einen ſol - chen Leib die Herrlichkeit GOttes mit ei - ner beſtaͤndigen Freude empfinden. Jch ſehe die Seele eines Lazarus frey von Schwehren in Abrahams Schooß. Nach einer kurtzen Zeit wird der Schau-Platz veraͤndert und ein neuer Himmel geoͤffnet, und in dieſem zeigen ſich mir die Seelen der tugendhafften Menſchen in auferweck - ten und verklaͤrten Leibern, welche die Ver - weßlichkeit abgeleget und die Unſterblichkeit angezogen. Jch erblicke nur Leiber mit voll - kommenen und geſunden Gliedmaſſen und deren Anſehen einem jeden ein Vergnuͤgen verurſachen muß. Jch bemercke kein blin -des113[109]des Auge, kein verdorben Gehoͤr, keinen verſtuͤmleten Arm, keinen lahmen Fuß. Es entſtehet hier niemahls ein verdorben Ge - bluͤth, kein unordentl. Puls-Schlag drohet jemahls ein Fieber oder gar den Tod. Die Kraͤffte dieſer Leiber nehmen auch nicht ab, das Haar wird nicht grau, die Haut nicht runtzlicht, die Haͤnde nicht zitternd, der Fuß nicht wanckend. Mit einem Wort: hier finde ich lauter Leiber von ei - ner ewigen Dauer, welche kein ander Coͤr - per im geringſten vernichtet oder in Unord - nung bringet, Philip. 3. v. 21. 1. Cor. 15. v. 40 -- 44. 50 -- 54. (*)Den 41. Vers dieſes 15. Cap. des erſten Briefes an die Corinther pflegt man zwar ins - gemein anzufuͤhren die unterſchiedenen Stuf - fen jener ewigen Herrlichkeit daraus zu bewei - ſen. Daß aber dieſer Spruch nicht die Leiber jenes Lebens unter einander vergleiche und de - ren verſchiedenen Glantz anzeige, ſondern von dem Unterſchiede unſerer jetzigen und der kuͤnffti - gen Leiber handele, iſt aus dem vorhergehenden und nachfolgenden unſtreitig klar. Es iſt hier die Frage: mit was vor einem Leibe werden die Todten auferſtehen? Vers 35. Paulus antwor - tet, daß es an Vollkommenheiten gantz andere Leiber ſeyn wuͤrden als die jetzigen. Sie wuͤr - den himmliſche Coͤrper ſeyn, und die irdiſchen, welche unſere Seele anjetzo bewohnet, an Herr - lichkeit bey weiten uͤbertreffen. Er ſtellet dero - wegen eine Vergleichung der himmliſchen und irdiſchen Coͤrper an, und ſpricht. v. 40. Es ſind2. und 3. Stuͤck. Hhimm -114[110](*)himmliſche Coͤrper und irdiſche Coͤrper. Aber eine andere Herrlichkeit haben die himmliſchen und eine andere die irdiſchen. Hierauf ſchaltet der Apoſtel den 41 Vers ein und faͤhrt in ſeiner Vergleichung folgender geſtalt fort: Eine an - der Klarheit hat die Sonne, eine andere Klar - heit hat der Mond, eine andere Klarheit haben die Sterne: denn ein Stern uͤbertrifft den andern nach der Klarheit: alſo auch die Aufer - ſtehung der Todten. Jn dieſem folgenden 42. Vers vergleicht der Apoſtel ohne allen Wieder - ſpruch wieder die irdiſchen und himmliſchen Coͤr - per mit einander nicht aber die Leiber der Seeligen untereinander ſelbſt. Denn er ſpricht: Es wird geſaͤet verweßlich und wird auferſte - hen unverweßlich. Es wird geſaͤet in Unehre, und wird auferſtehen in Krafft, u. ſ. w. Da nun in dem 40. 42. und 43. Verſe unſtreitig von dem Unterſchiede der ſterblichen uud der verklaͤrten Leiber geredet wird, ſo habe ich kein Bedencken getragen mit andern auch den 41. Vers auf eben denſelben Unterſchied zu ziehen und daraus bloß zu beweiſen, daß jene verklaͤr - ten Leiber weit vollkommener ſeyn werden, als unſere jetzigen.

§. 9.

Gelegen - heit zu ei - nem Zweiffel wieder die Auferſte - hung.
23

Da ich hier von der Abſicht GOttes bey dem Himmel und der Hoͤlle handeln will; ſo ſetze ich zwar den Artickel von der Aufferſtehung der Todten, damit nicht al - lerley unter einander miſche, als ausge - macht zum voraus. Jndeſſen aber hoffe doch, daß es den geneigten Leſer nicht gantz von der vorigen Materie abfuͤhren undver -115[111]verdrießlich machen werde, wenn auf einen Einwurff antworte, welcher auch jetzo bey einigen Jrrgeiſtern umher ſchleicht, und womit ſie die Lehre von der Aufer - ſtehung der Todten meinen gaͤntzlich uͤber den Hauffen zu werffen. Sie nehmen dieſen Einwurff von dem artigen und wei - ſen Zuſammenhange dieſer Welt und de - ren wunderbahren Abwechſelung her. Sie bemercken, daß, ſoweit unſere Erfahrung und Einſicht nemlich reichet, nichts in der Welt in ſein voriges Nichts vergehe, ſondern alles bleibe und nur immer verwandelt werde aus einem Dinge in das andere. Sie gehen mit ihren Gedancken auf die Aecker und in die Gaͤrten und ſehen, daß aus der Erde ein Hauffen Graß, Sten - gel, Koͤrner, Baͤume und Obſt hervor wachſe. Sie erfahren, daß ſelbiges zum Theil ohne Gebrauch wieder vermodere und zur Erden werde, zum Theil aber durch die Flamme in Rauch und Aſche und end - lich wieder in ſolche Erde, als es geweſen, verwandelt, und ſehr vieles von Menſchen und Vieh verzehret oder auf andere Arth gebraucht und endlich auch wieder in ſeine vorigen Theile aufgeloͤſet werde. Sie fin - den, daß die Natur dieſe Theile wieder -H 2um116[112]um brauche, eben dergleichen Dinge, als ſie vorher ausgemacht, nemlich Graß, Ge - ſtaͤude, Koͤrner, Baͤume und ihre Fruͤchte daraus von neuen zuſammen zu ſetzen. Sie nehmen dieſes beſonders daraus ab, weil man diejenigen Theile, welche wegen ihrer Grobheit und Schwehre nicht von der Lufft koͤnnen wieder auf den Acker und in die Gaͤrten gefuͤhret werden, mit dem Wa - gen oder andern Geſchirr, auf denſelben bringen und damit duͤngen muͤſſe, wenn anders der Boden an den mehreſten Or - ten ſeine Fruchtbarkeit nicht gantz oder wenigſtens zum Theil verlieren ſolle. Und eben ſo, ſagen ſie, verhalte es ſich mit den Leibern der Menſchen. Die mehreſten Theile derſelben wechſelten ſchon ab noch bey ihren Lebzeiten, und waͤren wie ein al - gemeiner Mandel in einem Hauſe, wel - chen bald dieſer bald jener umhienge. Denn diejenigen Theile, welche dieſen Au - genblick dem einem menſchlichen Leibe eigen waͤren, giengen nach kurtzer Zeit in einen andern uͤber. Die Theile des Gebluͤthes, des Fettes, des Fleiſches giengen immer durch die kleinen Loͤchergen der Haut fort und die aͤuſſere Haut riebe und ſchehlte ſich nach und nach ab und eine neue kaͤmean117[113]an ihre Stelle. Die abgegangenen Theile wuͤrden durch die Lufft fort getrieben, und die Natur bediente ſich ſelbiger wieder zu andern Coͤrpern, welche wir und andere Menſchen aͤſſen und traͤncken, und wodurch die abgehende Theile wieder erſetzt wuͤr - den. Und auf dieſe Weiſe waͤre dasjeni - ge, was anjetzo unſere Haut fuͤlte und beſaͤſſe, nach kurtzer Zeit an einem andern menſchlichen Leibe. Jnſonderheit aber doͤrffte man nicht glauben, daß diejenigen Glieder und Theile, welche dereinſten der Sarg und die Grufft einſchloͤſſe, oder die Tieffe des Waſſers verſchluͤnge, keinem andern menſchlichen Leibe wieder zu gute kaͤmen. Denn wer wuͤſte, wie viele hun - dert andere Adern das Blut ſchon durch - krochen, welches ſich jetzo in unſern Ge - faͤſſen bewegte, und wie vielmahl ſelbiges ſchon geronnen in die Grufft geleget, oder das Waſſer der Fluͤſſe und Meere gefaͤr - bet? Man ſolte erwegen, ob auf den Graͤ - bern nicht Graß wuͤchſe, welches Thiere fraͤſſen deren Fleiſch und Milch wir genoͤſ - ſen, und wovon wir an unſer Fleiſch, Haut und Knochen anſetzten? Man ſolte beden - cken ob nicht die Wurtzel manches Bau - mes ſeinen Safft aus einem Grabe zoͤge,H 3welchen118[114]welchen wir nachgehends durch Genieſſung ſeiner Frucht zu einem Theile von unſe - rem Leibe machten? Wuͤrde ferner nicht das Fleiſch manches Menſchen von den Fiſchen verzehrt und in Fleiſch eines Fi - ſches verwandelt, welches wir nach kurtzer Zeit als Lecker-Bißgen aͤſſen und unſerem Coͤrper wieder einverleibten? Es muͤſte dieſes ein jeder zugeben, welcher nicht Wahrheiten leugnen wolte, die ein jeder Einfaͤltiger bemerckte, wenn er nur ſeinen wenigen Verſtand gebrauchte. Ja wenn dieſes nicht ſolte richtig ſeyn, ſo muͤſten die Kirchhoͤffe oder GOttes-Aecker nach und nach zu groſſen Bergen werden: da aber dieſes nicht geſchaͤhe, ſo waͤre klar, daß der Staub der menſchlichen Leiber nach und nach wieder in andere Coͤrper gienge, und bald ein gruͤnes Graß, bald ein Thier und bald wieder einen Menſchen vorſtellete.

10.

Der Zwei - fel ſelbſt.
23

Hieraus ziehen diejenigen, welche die Aufferſtehung der vermoderten Leiber vor unglaublich halten, folgende Fragen, wo - mit ſie die Unmoͤglichkeit der kuͤnfftigen Auferweckung meinen dargethan zu haben. Erſtlich fragen ſie: Welcher Leib oder vielmehr welche Theile unſers Lei -bes119[115]bes ſollen denn auferſtehen? Dieſe - nigen welche wir mit ins Grab neh - men, oder die, welche wir vor der Kranckheit oder gar vor einigen Jahren gehabt haben? Die zweite Frage iſt dieſe: Wie werden ſich denn die Seelen um die Leiber und deren Theile vertragen? Denn die eine See - le wird ſagen, dieſes ſind Theile von einem Leibe, den ich ehemahls belebt habe, und die andere Seele wird gleichfals aus - ruffen, dieſes ſind Theile, welche ehemahls an meiner Huͤtten geweſen. Wer wird da die Oberhand behalten, wenn hundert Seelen um einen Leib einen Krieg fuͤhren, und woher werden die uͤbrigen Seelen, welche in dieſem Streit von der ſtaͤrckſten beſieget werden, einen Leib bekommen? So laͤcherlich redet man von der allerernſt - haffteſten und wichtigſten Sache.

§. 11.

Paulus ſoll uns auf beyde Fragen ant -Aufloͤ - ſung deſſelben. worten. Auf die erſte Frage finden wir die Antwort 1. Cor. 15. v. 36. 37. 38. in fol - genden Worten. Du Narr, daß du ſaͤ - eſt, wird nicht lebendig, es ſterbe denn. Und das du ſaͤeſt iſt ja nicht der Leib, der da werden ſoll, ſondern ein bloßH 4Korn,120[116]Korn, nehmlich, Weitzen oder der andern eins. Zu den Zeiten Pauli waren ebenfals Leute, welche auf aͤhnliche Arth die ſelige Hoffnung der Aufferſte - hung zu nichte machen wolten. Sie frag - ten gleichfals: mit was vor Leibern wer - den denn die Todten hervorkommen? Paulus antwortet, um deſto deutlicher und uͤberfuͤhrender zu reden, in einem Gleich - niß: Wie ſichs nehmlich verhalte mit ei - nem Korne, das geſaͤet wird und in einen neuen Stengel aufſchieſſet: eben ſo ſey auch die Verweſung und Auferſtehung der Todten anzuſehen. Wie das Korn, ſo in die Erde geworffen werde, nicht nach allen Theilen derjenige Coͤrper ſey, der da werden ſolle, ſo ſey auch dieſe zerbrech - liche Huͤtte, welche anjetzo unſere Seele auf eine kleine Zeit belebet, nicht in allem derjenige Leib, welchen wir in der Aufer - ſtehung wiederbekommen ſollen. Hat dieſes aber nach dem Ausſpruch Pauli ſeine Richtigkeit, was bekuͤmmern wir uns denn darum, aus was vor Theilen der kuͤnffti - ge verklaͤrte Leib werde zuſammen geſetzt werden, ob GOTT von denjenigen eini - ge nehmen werde, die wir vor zwantzig Jahren gehabt, oder, die wir mit in dieGrufft121[117]Grufft nehmen? Doͤrffen wir mit dem Apoſtel von einem Stengel, welcher aus einem Saamen Koͤrnlein hervor keimet, auf dem Leib ſchlieſſen, welchen wir an ſtatt dieſer verweßlichen Glieder, erhalten werden; gewißlich, ſo werden nicht alle Theilchen deſſelben von dem jetzigen Ge - bluͤt, Fleiſch, Haut und Knochen, ſeyn, welche dereinſten den Sarg fuͤllen, ſondern es werden auch andere von der Hand GOt - tes hinzugeſetzt werden. Denn wie viel Theile beſitzet wol ein gefuͤlter Stengel Weitzen von ſeinem erſten Saamen Koͤrn - lein? Haben nicht das mehreſte die Wur - tzeln aus der Erden und die Blaͤtter aus der Lufft in ſich geſogen, und dem Sten - gel mitgetheilet? Und heiſſet es da nicht mit Recht: das man ſaͤet, iſt nicht der Leib, der da werden ſoll, GOtt aber giebt ihm einen Leib, wie er will, und einem jeg - lichen von dem Saamen oder jeden Saa - men ſeinen eigenen Leib, 1. Cor. 15. v. 38. Und eben alſo wird GOtt einem jeden an jenem Tage ſeinen eigenen Leib geben, laut ſeiner Zuſage, welche unmoͤglich truͤgen kan. Welche Theile er zu denſelben neh - men wird, laſſen wir ſeiner alweiſen Vor - ſicht uͤber. Unſere Unwiſſenheit machtH 5das122[118]das Verſprechen GOttes nicht unmoͤglich. Und hiermit iſt auch zu gleicher Zeit die andere Frage beantwortet, wie ſich nem - lich die Seelen um die Leiber vertragen werden? Wird GOtt einer jeden Seele einen beſondern und eigenen Leib wieder geben, ſo faͤlt alle Urſache des Krieges hin - weg, ſie werden nicht fragen, ob auch et - wan ein Theilchen, welches ſie an einem andern Coͤrper wahrnehmen, jemahls in die - ſer Welt ihre gehoͤrt. Es verdrieſſet uns ja in dieſer Welt nicht, wenn etwan einer diejenigen Theile, ſo wir heute ausduͤn - ſten, den folgenden Tag in ſeinem Coͤrper hat, und unſere Seele iſt zufrieden, wenn ſie nur einen Leib hat, den ſie den ihrigen nennen kan, nach deſſen Bewegungen ſie empfindet, und uͤber welchen ſie ihre Herr - ſchafft hat, ob derſelbe gleich keinen Au - genblick in allem aus eben denſelben Thei - len beſtehet, ſondern ſelbige beſtaͤndig ver - wechſelt.

§. 12.

Weitere Ausfuͤh - rung.
23

Du wirſt vielleicht ſprechen, hieraus iſt zwar klar, daß die abgeſchiedenen Seelen nach dieſen wieder andere Leiber bekom - men koͤnnen, ſelbige auch dereinſten wuͤrck - lich erhalten werden: es wird aber dar -bey123[119]bey doch dieſer Satz unrichtig bleiben, wenn unſere GOttes Gelehrten mit Hiob am 19. v. 25. 26. ſagen, daß wir mit die - ſer unſer Haut wieder werden umgeben, und alſo eben denjenigen Leib wieder erhalten werden, den wir hier gehabt. Aber auch die - ſer Satz behaͤlt ſeine Richtigkeit. Wenn wir eine Kranckheit gehabt, welche unſer Fett und Fleiſch verzehret, die Haut in Runtzein geleget und die duͤrren Knochen ſichtbahrer als ſonſt gemacht, und uns al - ler Kraͤffte und unſerer vorigen Geſtalt und Schoͤnheit beraubet; ſo ſagen wir, daß wir eben den Leib, eben das Fett, eben das Fleiſch und eben die Haut wieder bekom - men, welche wir vor der Kranckheit ge - habt. Wenn wir das Bette wieder ver - laſſen, die Kraͤffte wieder ſamlen, durch neue Speiſen zu neuem Fleiſche ge - langen, die verruntzelte Haut abſchelen und mit einer andern verwechſeln, ſo bekraͤff - tigen wir, daß wir den vorigen Leib annoch haben. Alles, was dieſe Redens-Arth rechtfertiget, giebet auch jener ihre Richtig - keit. Ein jeder weis, daß, wenn wir die Sache auf das genaueſte nehmen wollen, nicht eben alle diejenigen Fleiſch-Theilchen, welche die Knochen vor der Kranckheit be - kleidet, ſelbige auch nach der Geneſungwiede124[120]wieder umgeben und die verlohrnen nicht aus der Lufft gleich in den Leib zuruͤcke ge - hen: Und dennoch haͤlt man nicht vor unrecht, wenn man ſpricht, man habe ſei - ne vorige Haut, Fleiſch und Kraͤffte wie - der bekommen. Die Urſache davon iſt, weil wir viele von den vorigen Theilen be - halten, und die neuen, welche wieder erſetzt werden, den verlohrnen aͤhnlich ſind. Die Theologen haben gleiche Urſache zu ſagen, daß wir dorten eben dieſelben Leiber haben werden, welche wir hier gehabt. Denn wie ein Stengel Weitzen wenigſtens eini - ge Theilchen von ſeinem Saamen-Koͤrn - lein beſitzet, ſo werden auch die verklaͤrten Leiber von den vermoderten Gliedern eini - ge Theile bekommen, und die aufferweck - ten Coͤrper werden den jetzigen in etwas aͤhnlich ſeyn, wie aus dem Exempel des aufferweckten Heylandes unſtreitig klar iſt. Sind nun dieſe Urſachen hinlaͤnglich in dem jetzigen Leben zu ſagen, daß ein Leib, der doch eine groſſe Veraͤnderung erlitten, noch eben derſelbe Leib ſey; ſo wird es auch den Theologen nicht zu verdencken ſeyn, wenn ſie mit der Schrifft eben ſo re - den. Will man aber den GOttes-Ge - lehrten Schuld geben, daß ſie dieſe Re -dens -125[121]dens-Art nicht im angefuͤhrtem Verſtan - de naͤhmen, ſo buͤrdet man ihnen insgeſamt nach der heutigen Mode etwas auf, wor - an doch die wenigſten wol gedacht haben. Denn daß ſie nicht zugeben, daß jene Lei - ber weder in Anſehung aller Theile, woraus ſie beſtehen, noch in Abſicht auf ihre Voll - kommenheiten eben die jetzigen Leiber ſeyn werden, iſt aus dieſem eintzigen klar. Sie behaupten aus der Schrifft, daß die Un - vollkommenheiten unſerer jetzigen Coͤrper im Grabe bleiben und nicht mit aufferſte - hen werden, ja daß ſo gar diejenigen Glied - maſſen, welche manchen Menſchen in die - ſem Leben von der Natur verſagt worden, dorten nicht fehlen, ſondern vollkommen da ſeyn werden. Wer ſiehet allſo hieraus nicht, wen anders kein Geiſt der Verleum - dung blind gemacht, was die Theologen ſagen wollen, wenn ſie behaupten, daß wir mit eben derſelben Haut werden umgeben werden, welche hier Fleiſch und Knochen bekleidet hat? (*)Es giebt zu dieſen Jrrungen eine Redens - Arth der Theologen Anlaß, welche man nicht recht verſtehet. Die GOttes Gelehrten ſagen: Reſurget corpus idem numero quoad ſubſtan - tiam: Dieſes erklaͤren die Gegner ſo: Reſutget corpus idem numero quoad omnes partes,quae126[122](*)quae unquam corporis humani ſubſtanſtiam compoſuerunt, und hieraus ſchlieſſen ſie die Unmoͤglichkeit der Auferſtehung Denn, ſagen ſie, ſollen uns alle Theile, welche jemahls an unſerm Leibe geweſen, in der Aufferſtehung wie - der gegeben werden, ſo muͤſſen dort viele Lei - ber, die doch zu gleicher Zeit neben einander ſeyn ſollen, einerley Theile haben, indem ſie in dieſer Welt, da ſie nach und nach auf einander gefolget, bey nahe aus einerley Theilen zuſam - mengeſetzt geweſen, und alſo einer des andern Theile geerbet. Solte nun ein jeder alle die Theile wieder bekommen, die er hier gehabt, ſo muͤſte ein Theil zugleich an dem Leibe des Ca - jus und auch des Titius ſeyn, welches unge - reimt und unmoͤglich. Es wird ein jeder zuge - ben muͤſſen, daß dieſer Schluß ſeine Richtigkeit habe, wenn man den angefuͤhrten Satz der Theologen auf eine ſo verkehrte Arth erklaͤret. Wer hat ihn aber unter den Theologen jemahls ſo genommen? Man erklaͤre dieſen Satz nach dem Sinn derer, die ihn gebrauchen, und nicht nach ſeiner eigenen Phantaſei, ſo wird man ſo ungereimte Folgen nicht daraus ziehen koͤnnen. Wir wollen derowegen den Gegnern die wahre Erklaͤrung des gemißbrauchten Satzes hier mit - theilen. Bey einem Coͤrper, welcher Veraͤnde - rungen unterworffen, unterſcheidet man zweier - ley Theile, die beſtaͤndigen oder unveraͤnder - lichen und die unbeſtaͤndigen oder veraͤnderli - chen. Durch die beſtaͤndigen, Theile verſtehet man diejenigen, welche ein Coͤrper von ſeinem erſten Anfange hat und biß an ſein Ende be - haͤlt. Unter den unbeſtaͤndigen begreifft man alle diejenigen, welche der Coͤrper zu der einen Zeit hat, zu der andern aber nicht. Bey einem Menſchen ſind alſo beſtaͤndige Theile, die er von dem erſten Augenblick ſeiner Exiſtenz bißan127[123](*)an ſein Ende beſitzet: alle diejenigen aber ſind veraͤnderlich, welche hinzu kommen und mehren - theils wieder hinweg gehen. Man ſagt von ei - nem Coͤrper, er ſey noch idem numero quoad Subſtantiam ſo lange ſeine beſtaͤndigen Theile in einer gewiſſen Form zuſammengeſetzt bleiben, von den veraͤnderlichen Theilen moͤgen da ſeyn, welche nur wollen. Ein Bret iſt noch idem numero quoad ſubſtantiam, ſo lange ſeine be - ſtaͤndigen Theile in der Geſtalt eines Brets zu - ſammen bleiben, und wird dadurch zu keinen zwey Bretern numero quod ſubſtantiam diver - ſis. wenn das einemahl ſich etwa mehr Waſſer - Theilgen in demſelben befinden, als zu einer andern Zeit. Ein Baum bleibt arbor eadem numero quoad ſubſtantiam, wenn er gleich das einemahl etliche Ellen hoͤher und einige Zoll dicker iſt, als das andere mahl. Man ſagt: ein Menſch ſey idem numero quoad ſub - ſtantiam, ſo lange die beſtaͤndigen Theile des erſten ſtaminis humani die Geſtalt eines Men - ſchen behalten, ſie moͤgen nun mit andern der - geſtalt vermiſcht und von denſelben ſo ausge - dehnt werden, daß ein Coͤrper von einer oder drey Ellen heraus kommt. Und nach dieſer Erklaͤrung nehmen die Theologen ihre Worte, wenn ſie ſprechen: reſurget idem numero cor - pus quoad ſubſtantiam. Reſurget nempe idem numero corpus quoad partes ſubſtantiae hu - manae conſtantes, non quoad omnes partes va - gas, quae iam cum hoc, iam cum alio corpo - re coniunguntur. Siehe BALDVINI Com - mentar. in Epiſtol. Pauli. 1. Cor. Cap - XV. pag. m. 543. Wenn der Haß, den viele ge - gen die Theologen haben, ihnen keine Vorur - theile beybraͤchte, wuͤrden ſie die rechte Erklaͤ - rung des angefuͤhrten Satzes aus jener Schriff - ten leicht haben finden koͤnnen. Die Theologenbe -128[124](*)behaupten ja, daß die verklaͤrten Leiber eine ordentliche Menſchen-Groͤſſe haben ſollen: wie koͤnten ſie dieſes annehmen, wenn ſie glaubten, daß alle unbeſtaͤndige Theile, welche wir hier jemahls ausgedunſtet, ſolten zuſammen gebracht werden? Es wuͤrden daraus Leiber wie Berge, nicht aber von menſchlicher Groͤſſe entſtehen. Woraus gnugſam erhellet, daß ſie indentitatem corporis humani numericam nicht in der iden - titate partium vagarum, ſondern conſtantium ſuchen. Ja, was noch mehr iſt, darff man, wie einige annehmen, daß die aufferſtandenen Leiber keine Eingeweide haben werden, ſo wird man die Identitatem corporis reſurgen - di numericam quoad ſubſtantiam ſo gar nur in identitatem partium conſtantium quarun - dam ſetzen muͤſſen. Verſtehen die Theologen aber ihren Satz auf dieſe Weiſe, ſo wird man die Un - moͤglichkeit der Auferſtehung nicht daraus her - leiten koͤnnen. Denn man muͤſte beweiſen, daß die beſtaͤndigen Theile, aus welchen der Menſch von ſeinem erſten Anfange zuſammen geſetzt gewe - ſen, auch wiederum die beſtaͤndigen Theile eines andern menſchlichen Leibes wuͤrden. Wo will man aber tuͤchtige Gruͤnde finden dieſes zu be - haupten? beſonders, da man diejenigen noch mit keiner Gewißheit eines Jrthums beſchuldigen kan, welche muthmaſſen, daß GOtt alle ſtami - na humana bey der erſten Schoͤpffung gemacht und dergeſtalt in der Welt zerſtreuet, daß ſie nach und nach an denjenigen Orth kommen, wo ſie gewiſſe ſpirituoͤſe Theile in eine Bewegung ſetzen und ihnen das Leben geben. Sind aber auf dieſe Weiſe keine Gruͤnde vorhanden, wo - mit man die Auferſtehung unſerer Leiber be - ſtreiten und ihre Unmoͤglichkeit zeigen koͤnne; ſo iſt auch keine Urſache da, warum wir an demjenigen zweiffeln ſollten, was uns dieSchrifft129[125](*)Schrifft ſo deutlich lehret und die Gottes-Ge - lehrten aus derſelben behaupten. Siehe BVD - DEI inſtitutiones Theolog. Dogm. Lib. II. Cap. III. §. XXI. ſqq. HERMANNI WITSII Ex - ercitationes Sacras in Symbolum Apoſtol. Exer - citat. XXVI. JO. ADAMI SCHERZERI Col - legium Antiſocinian. Diſputat. de Reſurrectio - ne mortuorum.

§. 4.

Es giebt auch Perſonen, welchen oͤff -Mittel, wodurch Schwach glaͤubige die Zweif - fel wider die Aufer - ſtehung beſtreiten koͤnnen. ters ohne ihr Bemuͤhen und wider ihren Willen dieſer Zweiffel einfaͤllet und ſie be - unruhiget: ob auch wol die Aufferſtehung der verweſeten Gebeine moͤglich, und ob auch wol eine Allmacht hinlaͤnglich ſey, der Seele den Verluſt des ſterblichen Leibes durch einen Coͤrper von einer ewigen Dau - er zu erſetzen. Solche Schwach-Glaͤubi - ge koͤnnen dieſem Zweiffel durch folgende Gedancken begegnen, und dadurch ihr wanckendes Gemuͤth wieder in Ruhe ſe - tzen. Sie dencken ſo: wenn die hoͤchſte Allmacht etwas weit wichtigers bewerck - ſtelligen kann, als die Auffweckung der Todten iſt; ſo wird ihr auch dieſe als et - was geringeres und leichteres nicht un - moͤglich ſeyn. Was iſt nun aber wol ſchwehrer und unbegreifflicher, ein Paar Menſchen dergeſtalt erſchaffen, daß viele tauſend aus ihnen nach und nach entſtehen,2. und 3. Stuͤck. Joder130[126]oder aus einer daſeyenden Materie viel tauſend Menſchen zuſammen ſetzen? Daß das erſtere weit wichtiger und unbegreifli - cher ſey als das letztere, kan uns folgendes Gleichniß zeigen. Man erwege, was ſchwerer ſey, aus Leim, Thon, Gips oder anderer Materie zehn Statuͤen oder Bilder zuſammen zu ſetzen, oder eine Statue zu machen, aus welchen zehn andere durch eine bloſſe natuͤrl. Ordnung entſprieſſen und zu eben derſelben Vollkommenheit gelan - gen als die erſte. Daß das erſtere leich - ter als dieſes letztere ſey, erhellet daraus, weil die Menſchen jenes zu thun vermoͤ - gend ſind, zu dem letztern aber ihre Ohn - macht nicht hinreichet. Da wir nun ſe - hen, daß die Macht GOttes Menſchen hervor bringen koͤnnen, aus welchen nach und nach hundert ja tauſend andere ihren Urſprung nehmen, wie viel leichter wird es denn nicht zu begreiffen ſeyn, daß eben die Macht diejenigen Theile, welche durch den Tod nicht aus der Welt geſchickt und zu nichts gemacht worden, ſondern durch die Verweſung nur eine andere Geſtalt bekommen, wieder zuſammen ſetze und zu einem menſchlichen Leibe mache? Gewiß, die wunderbahre Fortpflantzung des menſch -lichen131[127]lichen Geſchlechts wird gantz allein ver - moͤgend ſeyn, uns von der Moͤglichkeit der Aufferſtehung zu uͤberreden, ſo bald wir nur anfangen, auch bey Dingen, die wir taͤglich erfahren, mit unſern Gedancken ſte - hen zu bleiben, und das, was wunderbah - res in ihnen anzutreffen, bemercken. Wir werden hierinne gluͤcklicher ſeyn, und uͤber die Wunder der Natur deſto ehender er - ſtaunen, wenn wir uns vorſtellen, was wir gedencken wuͤrden, wenn wir von derglei - chen niemahls gehoͤrt, ſondern die erſten Menſchen waͤren, und uns z. E. geſagt wuͤrde, daß viel tauſend andere aͤhnliche Menſchen aus uns entſtehen ſolten. Jch zweiffele nicht, daß ein jeder bey ſich befin - den werde, er wuͤrde ſich weit leichter bey - bringen laſſen, daß eine Allmacht aus dem Staube der Erden koͤnte Menſchen ma - chen, als daß aus ihm dergleichen durch eine natuͤrliche Folge ſolten gebohren wer - den.

§. 14.

Wir kehren wieder zuruͤck auf die Be -Die Seli - gen wer - den GOtt ſchen. trachtung des Himmels. Hier faͤlt mir eben ein, daß Johannes 1. Joh. 3. v. 3. 4. unter die Vorzuͤge der Kinder GOttes im Himmel auch dieſes zehlet, daß ſie GOttJ 2ſehen132[128]ſehen werden, wie er iſt. Es bekraͤfftigen eben dieſes auch andere Oerter der Schrifft. Man ſchlage nach Matth. 5. v. 8. Ebr. 12. v. 14. 1. Corinth. 13. v. 12. Damit wir nun in folgenden zeigen koͤnnen, was vor ein Vergnuͤgen dieſes Anſchauen GOttes den Seligen geben werde, ſo muͤſſen wir unterſuchen, was vor einen Begriff wir uns von demſelben zu machen haben. Wenn die Schrifft ſagt, daß man eines groſſen Monarchen Angeſicht ſehe, ſo verſte - het ſie darunter zweyerley: Erſtlich daß man um den groſſen Herren ſey und ſeine Per - ſon nebſt ſeiner Herrlichkeit und Pracht mit den Augen empfinde und betrachte. Hernach aber ſagt auch die Schrifft, daß man eines Koͤniges Angeſicht ſehe, wenn man in beſondern Gnaden bey dem - ſelben ſtehet, von ihm ſehr geliebet und ſei - ner Ergetzlichkeiten theilhafftig gemacht wird. So kam die Koͤnigin aus dem Reich Arabien und andere Koͤnige, den Salomo und ſeine Herrlichkeit zu ſehen, d. i. mit ihren eigenen Augen zu betrach - ten, 2. Chron. 9. v. 1-6. 23. 1. Koͤnig. 10. v. 1-7. 24. Jn dieſem letztern Verſtan - de aber finden wir dieſe Redens-Arth un - ter andern in dem Buch Eſther 1. v. 14. wo133[129]wo es von ſieben Fuͤrſten der Perſer und Meder heiſſet, daß ſie die nechſten bey dem Koͤnige geweſen und ſein Angeſicht ge - ſehen. Hier wird nicht nur die Gegen - wart dieſer Herren um den Koͤnig ange - deutet, ſondern auch dieſes, daß ſie bey dem - ſelben in beſondern Gnaden geſtanden und ſeiner Liebe und Umganges gewuͤrdiget worden und ſeiner Herrlichkeit genoſſen. Und wenn Abſolon 2. Sam. 14. v. 32. bittet, das Angeſicht des Koͤniges zu ſe - hen, ſo verlanget er nicht nur die Erlaub - niß, vor den Koͤnig zu kommen, ſondern beſonders ſeine Gnade wieder zu erhalten und an der Herrlichkeit des Hoffes wieder Theil zu haben. Beiderley Bedeutung findet auf gewiſſe Arth ſtatt, wenn von den Seligen geſagt wird, daß ſie GOtt ſe - hen ſollen. Sie ſollen GOtt ſehen, wie er iſt, das heiſt, ſie ſollen GOtt und ſeine Vollkommenheiten auf das deutlichſte er - kennen, ſo klar, als wir einen Coͤrper ſehen, wenn ſeine Strahlen unſere Augen beruͤh - ren, 1. Joh. 3. v. 2. Die Armen werden Matth. 5. v. 8. ſelig geprieſen, weil ſie GOtt ſehen werden, d. i. weil ſie nicht nur naͤher mit GOtt ſollen vereiniget werden, ſondern auch ſeine Gnade mit dem groͤſtenJ 3Troſte134[130]Troſte empfinden, und der Herrlichkeit GOttes und eines unveraͤnderlichen Ver - gnuͤgens theilhafftig gemacht werden.

§. 15.

Der Him - mel wird alſo die praͤchtig - ſten Pro - ben der Vollkom - menhei - ten GOt - tes zei - gen.
28

Wir wollen hieraus auf einige andere Beſchaffenheit des Himmels einen Schluß machen. Wir ſollen dorten die Voll - kommenheiten GOttes, ſeinen Glantz und Majeſtaͤt weit deutlicher erkennen, als auf dieſer Erd-Kugel. Nun kann man aber ſelbige nicht klaͤrer abnehmen als aus ſol - chen Wercken, worinnen ſie ſich aͤuſſern. Weißheit leuchtet am mehreſten hervor, wenn viele Dinge dergeſtalt neben einan - der geſetzt werden, daß ſie auf eine beſon - dere und nette Arth einen guten Endzweck hervorbringen. Guͤtigkeit laͤſſet ſich ſehen durch Wolthaten, die man andern erwei - ſet. Und Macht wird am deutlichſten durch groſſe, praͤchtige und herrliche Wer - cke offenbahret. Was vor eine Menge der ſchoͤnſten und praͤchtigſten Coͤrper wird ſich derowegen dorten den Augen der Seli - gen nicht zeigen, welche alle Muſter der goͤttlichen Macht, Weißheit und Guͤte ab - geben? Was vor ſchoͤne und angenehme Abwechſelungen werden nicht machen, daß die Buͤrger jenes Reichs auch in der un -endl.135[131]endl. Ewigkeit keine lange und verdrießliche Zeit empfinden? Jch wuͤrde die ſchoͤnen Gegenden und angenehmen Veraͤnderun - gen des Himmels ein weneg lebhaffter ab - ſchildern, wenn mir die goͤttliche Offen - bahrung die Worte dazu liehe, weil ſelbi - ge aber beſondere Umſtaͤnde davon ent - decket, ſo werde keine beſſere Beſchreibung davon geben koͤnnen, als wenn ich ſage: daß die Anmuthigkeit der himmliſchen Ge - genden und Abwechſelungen unausſprech - lich ſey.

§. 16.

Endlich muß ich auch mit wenigen aufDer ſeli - gen Ver - richtun - gen. die Verrichtungen der Seligen kommen. Man macht ſich hierbey viele unrichtige Begriffe, welche bey manchem verurſa - chen, daß er von der Freude jenes Lebens keine lebendige Uberzeugung erhalten kann. Viele, beſonders unter den gemeinen Leu - ten, ſtellen ſich den Himmel als einen groſ - ſen Saal vor, wo einer dem andern in alle Ewigkeit unbeweglich im Schooſſe ſitzet, und was andere dergleichen unge - gruͤndete Einbildungen ſind. Die Heil. Schrifft giebt uns darzu keine Gelegen - heit, ſondern laͤſſet uns ein gantz an - ders muthmaſſen. Eine von den vor -J 4nehm -136[132]nehmſten Verrichtungen iſt das Lob GOt - tes, Offenb. Joh. 7. Wer einen andern im Ernſt lobet, der muß ſich des andern Vollkommenheiten lebhafft vorſtellen: die Seligen werden derowegen eine ewige Be - gierde haben, die Herrlichkeit GOttes zu betrachten. Selbige aͤuſſert ſich in den allerſchoͤnſten Coͤrpern und angenehmſten Abwechſelungen derſelben: dieſe werden alſo unter andern das Augenmerck ſeyn, worauf die Himmels-Einwohner ihre Sinnen richten. Dieſer Glantz der goͤtt - lichen Vollkommenheiten wird auch nicht in enge Schrancken eingeſchloſſen ſeyn, ſon - dern den allergroͤſten Raum erfuͤllen, da - mit ſo wol die Unendlichkeit der Majeſtaͤt GOttes deſto mehr hervorleuchte, als da - mit auch die groſſe Anzahl dieſer Buͤrger nicht uͤber Enge des Orts ſich zu beklagen haben. Dieſes aber wird den Seligen die angenehmſte Gelegenheit zu den ver - gnuͤgteſten Spatzier-Gaͤngen und Reiſen geben, indem ſie die Begierde, GOtt an allen Orten zu ſehen und die Mannigfal - tigkeit ſeiner Wercke mit einer bewundern - den Ehrfurcht in Augenſchein zu nehmen von einem Ort des Himmels zum andern treiben wird.

§. 17.137[133]

§. 17.

Dieſe allgemeine Begierde der SeligenDer Se - ligen an - genehme Freund - ſchaft und Um - gang. und ihre Tugenden werden ſie in eine ewi - ge Freundſchafft mit einander verbinden. Jhre Worte werden die reineſten Aus - druͤcke der eiffrigſten Liebe ſeyn. Sie werden die angenehmſten Geſellſchafften unter ſich aufrichten und ſelbige mit den anmuthigſten Unterredungen unterhalten. Der Vorwurff der Geſpraͤche wird unter dieſen vollkommenen Geiſtern keine ſchlech - te und nichtswuͤrdige Sache ſeyn, vielwe - niger wird man ſelbige durch Verſpottun - gen der Mit-Buͤrger wuͤrtzen und ange - nehm machen: denn dieſes thun nur nie - dertraͤchtige und neidiſche Seelen. Der Jnhalt ihrer Reden wird gantz etwas an - ders ſeyn. Die Betrachtungen der Din - ge, durch welche ihnen GOtt ſeine Macht, Weißheit und Guͤte offenbahren wird, werden ihnen Gelegenheiten genug geben vergnuͤgende Gedancken hervorzubringen und ſelbige in die zierlichſten Worte einzu - kleiden und den andern mitzutheilen. Es iſt auch kein Zweiffel, daß ſie ihre Stim - men gebrauchen werden, die Wercke GOt - tes in entzuͤckenden Muſicken abzuſingen,J 5indem138[134]indem ſie alle Mittel ergreiffen werden, ih - ren Beherrſcher zu verehren und ſich zu vergnuͤgen. Hier wird ſich zwar ein hei - liger Eiffer zeigen ſich vor andern hervor zu thun, indem keiner der unterſte in dem Lobe GOttes und der Tugend wird ſeyn wollen: aber dieſen Eiffer wird kein Neid und Verachtung begleiten, indem dieſe Dinge nicht nothwendig mit einander verknuͤpfft, und die Vollkommenheiten der Seligen ſolche unordentliche Gemuͤths - Bewegungen nicht zulaſſen, ſondern ein jeder auch darinnen einen Vorzug ſuchen wird, daß er die andern auf alle erſinnliche und vernuͤnfftige Arth ehret. Denn die - ſes iſt die Gewohnheit weiſer und tugend - haffter Geiſter. Man ſollte zwar meinen, es wuͤrde dort bißweilen ein kleiner Neid die Vertraulichkeit der Freundſchafft tren - nen, indem, wie wir aus der bloſſen Er - fahrung in dieſer Welt lernen koͤnnen, die Natur der Dinge nicht zugiebet, daß wir alle mit gleichen Vollkommenheiten pran - gen, alſo auch in jenem Leben nothwendig einiger Unterſchied ſeyn wird. Aber auch dieſes wird dorten nicht zu befuͤrchten ſeyn. Denn ein ſolcher Neid trennet nur thoͤrig - te Gemuͤther: weiſe und tugendhaffteSeelen139[135]Seelen aber betruͤben ſich niemahls uͤber des andern Vollkommenheiten, beſonders wenn ſie gleichfals an dem, was ihnen noͤ - thig iſt, einen Uberfluß haben, ſondern ſind wie Bruͤder, unter welchen eine hertzliche Liebe waltet; unter dieſen freuet ſich der eine, wenn der andere gluͤcklich iſt, wenn ſelbiger auch gleich vor ihm einigen Vor - zug bekommt. Und hieraus iſt denn klar, daß eine ewige Freundſchafft die Ein - wohner des Himmels in der vergnuͤgte - ſten Ruhe ohne Aufhoͤren erhalten werde.

§. 18.

Nachdem wir die Beſchaffenheit desDie Freu - de des Himmels iſt ſehr groß. Himmels in etwas abgemahlet, ſo koͤnnen wir nun noch weitlaͤufftiger und uͤberzeu - gender, als ſchon hier und da geſchehen iſt, zeigen, was vor Vergnuͤgen in demſelben den Seligen bereitet iſt. Die Schrifft ſagt, daß ſelbiges ungemein groß ſeyn wer - de. Paulus vergleicht die Herrlichkeit je - nes Lebens mit den unbeſchreiblichen Mar - tern der Chriſten ſeiner Zeit, und ſaget, daß die Groͤſſe ihrer Truͤbſahlen als ein Nichts anzuſehen ſey gegen die Groͤſſe je - ner Freude, Roͤm. 8. v. 18. und 2. Cor. 4. v. 17. nennet er jene Herrlichkeit ewigund140[136]und uͤber alle maſſe wichtig. Es koͤnnen viele nicht begreiffen, wie im Himmel ein ſo hoher Grad der Freude ſeyn ſoll, da ihnen doch geſagt wird, daß ſie dorten den Wein und niedliche Bißgen nicht mehr ſchmecken, keine Frauens-Perſon auf eine fleiſchliche Arth beruͤhren und das Klap - pern der Wuͤrffel nicht mehr hoͤren wer - den. Jch muß alſo darthun, daß auch auſſer dieſen Dingen ein hoher Grad des Vergnuͤgens moͤglich ſey. Es wird dieſes mit deſto groͤſſerer Uberzeugung geſchehen koͤnnen, wenn wir zuvor erwegen, was uns in dieſer Welt das mehreſte und groͤſ - ſeſte Vergnuͤgen giebet, und was es mit demſelben vor eine Beſchaffenheit habe.

§. 19.

Alles Vergnuͤ - gen ent - ſtehet durch ge - wiſſe Vor. ſtellun - gen.
28

Alles Vergnuͤgen dieſer Welt wird in unſer Seele durch Empfindungen und an - dere Vorſtellungen erwecket. Wir gehen in einen ſchoͤnen Garten, und alsbald em - pfindet unſere Seele eine Freude. Wo - her kommt ſelbige? Wir nehmen in dem - ſelben ſchoͤne Gewaͤchſe, kuͤnſtliche Statuͤ - en, rauſchende Fontainen, ſchattigte Spa - tzier-Gaͤnge und andere dergleichen Dinge wahr, wir bemercken auch die Ordnungder -141[137]derſelben, und bey dieſen Vorſtellungen entſtehet in uns ein Vergnuͤgen. Ein Geitziger gehet bey ſeinen Kaſten, in wel - chem ſein baares Geld und ſeine Obliga - tiones verwahret liegen. Er freuet ſich. Warum? Weil der Glantz des Silbers und Goldes ſeine Augen ruͤhret, und die vielen Obligationes ihm eine reiche Ernd - te von Zinſen verſprechen. Er ſtellt ſich vor, daß er nunmehro einen guten Vor - rath habe, welcher ſich jaͤhrlich mehren wer - de. Er ſey alſo nicht nur ſicher, daß er niemahls Mangel empfinden werde, ſon - dern ſeine Kinder und Kindes-Kinder wuͤr - den ſich dieſer geſammleten Pfennige auch noch erfreuen koͤnnen. Ein ander iſt ver - gnuͤgt, wenn er den Geſchmack des Weins und angenehmer Speiſen auf ſeiner Zun - ge fuͤhlet. Und will man die Empfindun - gen auch als eine Arth der Vorſtellungen anſehen, ſo kan man uͤberhaupt in allen Faͤllen ſagen, daß unſere Seele durch ge - wiſſe Vorſtellungen vergnuͤgt werde. Jch wuͤrde hiervon mehrere Exempel beybrin - gen, wenn nicht ohne dem die Erfahrung einen jeden davon uͤberfuͤhrte.

§. 20.142[138]

§. 20.

Die Ver - moͤgen der Seele, ſo dieſe vergnuͤ - genden Vorſtel - lungen hervor - bringen.
28

Unſere Seele gelanget zu dieſen Em - pfindungen und Vorſtellungen durch ver - ſchiedene Vermoͤgen, welche als Vollkom - menheiten an ihr hervorleuchten. Einen groſſen Theil derſelben und des daher ent - ſtehenden Vergnuͤgens erwecken in uns die fuͤnff aͤuſſerlichen Sinne, durch welche wir die Dinge, die auſſer unſer Seele ſind, empfinden, und der innere Sinn, durch welchen wir das, was in unſer Seele vor - gehet, wahrnehmen. Nechſt dem bringen uns beſonders die Einbildungs-Krafft, das Gedaͤchtniß, das Vermoͤgen zu uͤberlegen, zu urtheilen und zu ſchlieſſen zu mancherley Vorſtellungen, welche unſerm Gemuͤth das groͤſte Vergnuͤgen geben. Auf ſolche Wei - ſe wird auch alles Mißvergnuͤgen in uns erreget. Es entſtehet daſſelbe gleichfals aus gewiſſen Empfindungen und Vorſtel - lungen, zu welchen uns benannte Vermoͤgen der Seelen bringen.

§. 21.

Warum uns eini - ge Dinge vergnuͤ -
28

Es iſt noͤthig, daß ich wegen des folgenden noch einiges von dem Vergnuͤgen und Miß - vergnuͤgen der Menſchen anfuͤhre, und un -terſuche,143[139]terſuche, woher es kommt, daß die Vorſtel -gen, ande - re aber nicht, und was da - bey be - ſonders zu bemer - cken? lungen und Empfindungen gewiſſer Dinge uns vergnuͤgt und andere mißvergnuͤgt ma - chen. Meine Einſicht reicht zwar ſo weit nicht, daß ich aus der Beſchaffenheit der See - le zeigen koͤnte, wie es zugehet, daß uns das eine vergnuͤge, das andere aber verdrieß - lich falle; indeſſen aber wird zu meinem Vorhaben genug ſeyn, wenn ich folgendes bemercke, daß bey dem Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen uͤber einige Dinge kein an - der Grund koͤnne angegeben werden als die Natur des Menſchen gantz allein:(*)Wenn man ſonſten nach dem nechſten Grunde fraget, warum uns etwas vergnuͤget, ſo pflegt man ſelbigen uͤberhaupt in einer lebendi - gen Vorſtellung derjenigen Vollkommenheit, welche eine Sache entweder wuͤrcklich hat, oder wir ihr nur zueignen, zu ſetzen, und alles Miß - in vielen Faͤllen aber die Erziehung und andere aͤuſſerliche Dinge eine Neben-Ur - ſache davon in ſich enthalten. Daß ein Menſch die Geſundheit ſeiner Glieder liebt, hingegen Schmertzen ſcheuet, hat, ſo viel wir wiſſen, keine andere Urſache als al - lein die menſchliche Natur, als welche von ihrem Schoͤpffer ſo eingerichtet iſt, daß ſie das erſtere vergnuͤget, das letztere ihr aber ein Mißvergnuͤgen erwecket. Daß hinge - gen dem einen der Toback ſchmecket, dem andern aber eckelt, dem einen das Solda - ten-Weſen und das Geraͤuſche der Trom - meln, dem andern aber eine ſanffte Stille und eine Stube voll Buͤcher gefaͤllet, hatauſſer144[140]auſſer der menſchlichen Natur auch noch ei - nen Grund in der Erziehung, Gewohnheit, Gſellſchafft, veraͤnderlichen Beſchaffenheit unſers Leibes und vielleicht auch noch in an - dern aͤuſſerlichen Dingen. Von dieſen letztern bemercken wir folgendes:

I. Diejenigen Vergnuͤgen und Mißver - gnuͤgen, welche unter anderr ſich auf die Erziehung, Gewohnheit, Geſellſchafft, ver - aͤnderliche Beſchaffenheit des Leibes und andere aͤuſſerliche Dinge gruͤnden, ſind bey verſchiedenen Menſchen unterſchieden, ſo daß ſich der eine an dieſem, der andere an jenem vergnuͤget. Sie ſind auch bey ei - nem Menſchen veraͤnderlich, dergeſtalt, daß diejenigen Dinge, die ihn zu der einen Zeit ergetzet, nach einigen Jahren kein Vergnuͤ - gen mehr geben, ſondern wol gar unange - nehm werden. Z. E. Jn unſer Kindheit iſt uns nichts angenehmer, als huͤpffen, ren - nen und lauffen: und einige Stunden ſtille zu ſitzen iſt uns faſt eine unertraͤgliche Laſt. Das Alter aber kehret dieſe Nei - gung gantz um, und macht, daß man gerne mit einer ſtillen Ruhe hinter einem war - men Offen verlieb nimmt. Man kan zu dieſer Veraͤnderung des Vergnuͤgens undMiß -145[141]Mißvergnuͤgens in verſchiedenen Faͤllen vie - les dadurch beytragen, daß man eine Em - pfindung oͤfters erreget, eine Handlung oͤfters vornimt, und beſonders die wahre Beſchaffenheit einer Sache ſich fleißig und vernuͤnfftig vorſtellet und richtg davon urtheilet. Wer weiß z. E. nicht, daß der Toback den mehreſten Menſchen im Anfang und bey dem erſten Gebrauch ſehr unangenehm iſt? wenn wir uns aber deſſel - ben oͤfters bedienen, ſo wird uns ſein Ge - ſchmack lieblich. Eine aͤhnl. Beſchaffen - heit hat es mit unſern Handlungen. Vie - len iſt die heutige Arth mit andern Leuten zaͤrtlich umzugehen ſehr verhaſſet. Kommen ſie aber in Umſtaͤnde, daß ſie darzu eini - germaſſen gezwungen werden, auch dabey uͤberlegen, daß es beſſer ſey mit andern hoͤf - lich als grob zu leben, ſo wird die Hoͤf - lichkeit ihnen nach und nach zur Gewohn - heit, und die Liebe zu einem leutſeligen Umgange ſo groß als vorhero der Eckel vor demſelben geweſen.

II. Wenn jemand durch erwehnte aͤuſ - ſerliche Urſachen dahin gebracht, daß er an einer gewiſſen Sache einen Geſchmack bekommen, ſo pflegen ihm andere Dinge2. und 3. Stuͤck. Kwenige146[142]wenige oder wol gar keine Ergetzung zu machen, ja ſie ſind ihm wol gar hoͤchſt ver - drießlich und unangenehm. Man kan dieſes am beſten in Geſellſchafft, wo Leute von verſchiedenen Neigungen zuſammen ſind, wahrnehmen. Sind ein Paar Sternſeher da, ſo beluſtigen ſie ſich gleich etwa mit der Betrachtung des Mondes, ſeiner Flecke, Berge und Thaͤler, und un - terſuchen mit der groͤſten Begierde, ob den - ſelben auch wol Menſchen bewohnen, und ob dieſelbe kleine Zwerge oder groſſe Rie - ſen ſind? Wohnen dieſer Geſellſchafft ein Paar Jaͤger bey, ſo wird ihnen Zeit und Weile lang, ehe dieſes Geſpraͤch zu Ende gehet, ja die Ohren thun ihnen wol gar ſo weh, daß ſie vor Verdruß davon lauffen. Komt aber von ohngefehr ein ſchoͤner Huͤ - ner-Hund ins Zimmer und giebt Gelegen - heit von guten Jagd-Hunden zu reden: ſo wird von dieſen eine angenehme Unterredung angefangen. Jhre Zunge wird gleich be - redt, und haͤlt der eine ſeinem Wachtel, der andere ſeinem Petri und Manillie eine gantze Stunde eine Lob-Rede, und fuͤhren dieſer Hunde Geſchlecht-Regiſter wol auf das fuͤnffte und ſechſte Glied zu - ruͤcke, welches im Gegentheil den erſternſo147[143]ſo unangenehm iſt, daß ſie nichts mehr wuͤnſchen, als daß das Hunde-Geſpraͤch gleich mit dem Anfange auch ſein Ende wieder haͤtte. Woraus genugſam erhel - let, daß wenn einige Dinge die Neigung eines Menſchen auf ſich gezogen, er hernach andere Dinge gering achtet, oder wol gar einen hefftigen Eckel vor denſelben bekomt. Ja das Vergnuͤgen einiger Dinge iſt ſo beſchaffen, daß es einen Eckel vor einer andern Sache nothwendig mit ſich ver - knuͤoft hat. Wer z. E. an Laſtern ein Vergnuͤgen findet, dem muß die Tugend nothwendig unangenehm ſeyn. Denn wie kan Voͤllerey und Maͤßigkeit, Hochmuth und Demuth zu gleicher Zeit ein Hertze einnehmen, da dieſe ſo beſchaffen ſind, daß des einen Wachsthum des andern Un - tergang iſt?

III. Hat jemand durch aͤuſſerliche Ur - ſachen, als durch die Erziehung und Ge - wohnheit, eine etwas ſtarcke Neigung zu einer Sache bekommen, ſo iſt es ſehr ſchwer das Gemuͤth von derſelben wieder abzuzie - hen. Mann muß einen ſehr harten Kampff eingehen, wenn man eine ſolche Neigung beſiegen will. Der Sieg wirdK 2immer148[144]immer zweiffelhaffter, je laͤnger man ihrer Bewegung, die ſie in unſerm Gemuͤthe macht, nachgiebt, und nach einer kurtzen Zeit legt ſie uns unvermerckt ſolche Feſſeln an, welche von den wenigſten gebrochen und abgeſchuͤttelt werden. Jſt nun die Neigung gut, ſo ſind wir gluͤckſelige Sclaven und genieſſen in der groͤſten Knechtſchafft die angenehmſte Freiheit: iſt aber die Neigung boͤß, ſo iſt ſie gleich einem grau - ſamen Uberwinder, der uns in einen tief - fen Thurm wirfft, in welchem nichts als eine unſelige und betruͤbte Finſterniß iſt. Will man dieſe Wahrheit an Exempeln erkennen, ſo ſtelle man ſich ernſtlich einen vor Augen, der wahre Ehre liebt und durch lange Ubung dieſe Neigung ſeinem Ge - muͤth feſt eingepraͤget; ein ſolcher wuͤrde ſich gewiß den groͤſten Zwang anthun muͤſ - ſen, wenn er etwas thun ſolte, welches ihm eine wahrhaffte Schande machte. Man ſtelle ſich ferner einen Menſchen vor, in welchem die Geneigheit zum uͤbermaͤßigen trincken durch die Gewohnheit einige Krafft bekommen. Gewiß ſehr ſelten beſiegen vernuͤnfftige Vorſtellungen ein ſolches ein - gewurtzeltes Laſter. Ja, welches am mehreſten zu verwundern, wenn eine ſolcheBe -149[145]Begierde auch durch die empfindlichſten Schmertzen beſtrafft wird, ſo wird ſie oͤf - ters doch nicht unterdruckt, ſondern das Feuer derſelben wird dennoch immer durch einen beſtaͤndigen Zunder unterhalten. Und eine gleiche Bewandniß hat es mit unſern Abneigungen, welche wir von gewiſſen Dingen haben, und welche durch die Ge - wohnheit und andere aͤuſſerliche Umſtaͤnde erſt Wurtzeln geſchlagen, und iſt es gleich - fals ſehr ſchwehr, einen alten Eckel abzule - gen und in eine Liebe zu verwandeln.

IV. Endlich bemercke ich auch noch die - ſes, daß, wenn wir von einer Sache ein groͤſſer Vergnuͤgen empfinden als von ei - ner andern, wir das geringere Vergnuͤgen ohne Schmertz fahren laſſen, ſo lange wir des groͤſſern koͤnnen theilhafftig werden. Wer an der Jagd mehr Vergnuͤgen fin - det als an einem Kartenſpiel, wird die Kar - ten ohne Verdruß hinweg werffen, wenn ihm Gelegenheit gegeben wird ein Wild - pret zu verfolgen.

K 3ver -150[146]
(*)vergnuͤgen leitet man her aus einer lebendigen Vorſtellung der Unvollkommenheiten, die wir in einer Sache anzutreffen vermeinen. Jch habe mich aber nicht unterſtehen moͤgen dieſen Grund als allgemein anzugeben, indem mir deucht, daß wenn man alles Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen daraus begreiffen will, man in vielen Faͤllen weiter nichts ſagt, als dieſes; eine Sache ver - gnuͤget mich, weil ſie mich vergnuͤget, und eine andere iſt mir verdrießlich und unangenehm, weil ſie mir unangenehme Empfindungen macht. Z. E. Wenn man fraget, warum vergnuͤget uns der Geſchmack des Weins? So muͤſte man antworten, weil wir eine Vollkommenheit in demſelben antreffen. Fragte man weiter, wel - ches iſt denn dieſe Vollkommenheit? So kan man keine andere angeben als dieſe, daß ein ſolcher Geſchmack angenehm ſey oder ein Vergnuͤgen mache. Folglich hat man durch die erſte Ant - wort nur mit andern Sylben geſagt: der Ge - ſchmack des Weins vergnuͤget uns, weil er uns vergnuͤget. Und dergleichen Faͤlle ſind weit mehr. Jch glaube derowegen, daß, wenn man die Sache genau nehmen und accurat reden wolle, man wol ſagen koͤnne: eine Sache, in wel - cher wir beſondere Vollkommenheiten wahrneh - men und uns lebhafft vorſtellen, vergnuͤget uns, und eine Sache, in welcher wir Unvollkommen - heiten mit einer lebhafften Vorſtellung antref - fen, iſt uns unangenehm: ich meine aber nicht, daß ſich dieſe Saͤtze allezeit umkehreu laſſen, und man bekraͤfftigen koͤnne: ein jedes Ding iſt uns angenehm oder unangenehm, weil wir uns bey demſelben entweder Vollkommenheiten oder Unvollkommenheiten vorſtellen; ſondern man wird oͤffters bloß bey der Natur der Seele muͤſſen ſtehen bleiben, und ſagen: dieſes Ding iſt mir an -genehm,
(*)151[147]
(*)genehm, jenes aber zuwider, weil es meine Na - tur ſo mit ſich bringet.
(*)

§. 22.

Nachdem wir nun den Urſprung undWelche Vermoͤ - gen der Seele uns zu den meh - reſten Vergnuͤ - gen fuͤh - ren. die Beſchaffenheit des Vergnuͤgens und Mißvergnuͤgens in etwas betrachtet, ſo wol - len wir nunmehro ſehen, welche von er - wehnten Vermoͤgen der Seele uns zu dem mehreſten Vergnuͤgen Anlaß geben. Die erſte Gelegenheit zu allen Vergnuͤ - gen geben wol die Sinne. Es wird ſel - biges aber nachgehends erhoͤhet und ver - mehret durch die Krafft zu uͤberlegen, durch die Einbildungs-Krafft, das Gedaͤchtniß, und durch das Vermoͤgen zu urtheilen und zu ſchlieſſen. Jch will derowegen haupt - ſaͤchlich bey den Sinnen ſtehen bleiben, und unterſuchen, welche uns zu den mehreſten und groͤſſeſten Vergnuͤgen Anlaß geben. Der innere Sinn vergnuͤget uns ohne al - len Zweiffel mit auf das empfindlichſte, indem er uns uͤberfuͤhrt, daß wir ſind. Wie angenehm uns dieſes ſey, koͤnnen wir daraus abnehmen, weil wir, wenn uns anders keine Verzweiffelung unſinnig macht, lieber alles verlieren als unſer ſeyn. Unter den fuͤnf aͤuſſerlichen Sinnen fuͤhrenK 4uns152[148]uns wol keine zu mehrerem und groͤſſerem Vergnuͤgen als das Geſicht und das Ge - hoͤr. Man kan dieſes darthun theils aus der Zeit, welche uns ein jeder Sinn ver - gnuͤget, theils aus dem hohen Grad der Beluſtigungen ſelbſt, und endlich aus der Gelegenheit, welche ein jeder Sinn der Einbildungs-Krafft, dem Gedaͤchtniß und der Vernunfft giebt, ſolche Vorſtellungen hervor zu bringen, die uns angenehm ſind. Was die Zeit betrifft, ſo uͤberlege ein jeder ſelbſt, ob er wol mehrere Stunden ſich durch den Geſchmack, Geruch und Gefuͤhl ergetze als durch das Geſicht und das Ge - hoͤr? Man zehle die Minuten zuſammen, da man etwas iſſet u. trincket, da man eine ſchoͤne Blume und angenehmen Balſam riecht, und da man durch die Beruͤhrung der Haut dem Gefuͤhl eine Beluſti - gende Kitzelung verurſachet, und halte ſie zuſammen mit der Zeit, da ein Anblick al - lerhand Coͤrper unſer Geſicht und ein ſuͤſ - ſer Ton und vergnuͤgendes Geſpraͤch un - ſer Gehoͤr beluſtiget: man wird vermuthlich finden, daß die Anzahl dieſer letzten Stunden die erſte Zeit bey weiten uͤbertreffe. Sol - ten mich aber die ſehr vielen Lippen, welche mit dem Rauche ſpielen, und die vielenſpitzi -153[149]ſpitzigen Finger, welche die Naſe mit To - back kitzeln, hierinne eines Jrthums uͤber - fuͤhren; ſo wird doch dieſes gewiß ſeyn, daß der Grad des Vergnuͤgens, das uns Geſicht und Gehoͤr geben, die Beluſtigung der uͤbrigen Sinne bey weiten uͤberſteige. Es wird ſich hiervon ein jeder leicht uͤber - fuͤhren, wer da erwegt, ob er nicht lieber Geſchmack, Geruch und Gefuͤhl verlieren wuͤrde als Geſicht und Gehoͤr? Kommen wir endlich auf die Eibildungs, Krafft, das Gedaͤchtniß und die Vernunfft, ſo iſt gewiß keiner von den fuͤnf Sinnen, welcher dieſen mehr dienet als Geſicht und Gehoͤr. Das Geſicht macht in unſerm Gemuͤth die allerklaͤreſten Abdrucke und Bilder von den Dingen die auſſer uns ſind, kein Ge - ſchmack, kein Geruch und kein Gefuͤhl ſtelt uns die Coͤrper und ihre Eigenſchafften deutlicher vor als das Geſicht. Das Gehoͤr macht uns anderer Gedancken be - kannt und ihrer Einſicht theilhaftig. Es bekomt alſo die Vernunfft durch keine an - dere Sinne haͤuffigere Vorwuͤrffe zu be - urtheilen und Schluͤſſe daraus herzuleiten als durch die Augen und die Ohren. Auch die Einbildungs-Krafft und das Gedaͤcht - niß iſt mit keinen Dingen mehr beſchaͤffti -K 5get,154[150]get, als mit dem, was wir geſehen und gehoͤret. Folglich koͤnnen wir auch das ungemeine Vergnuͤgen, ſo dieſe letztern Vermoͤgen unſerer Seele geben, keinen Sinnen mehr zu ſchreiben, als dem Geſicht und Gehoͤr.

§. 23.

Welche Vergnuͤ - gen im Himmel bleiben werden?
31

Wir wollen nun unterſuchen, welche Vergnuͤgen in jenem Leben bleiben und vollkommener gemacht werden. Die See - le verlieret nichts von ihren Vollkommen - heiten, ſondern es werden ſelbige noch er - hoͤhet. Sie wird auch mit einem neuen Leibe, welcher mit einer ſo vollkommenen Seele uͤbereinſtimmet, verbunden. Sie behaͤlt alſo das Vermoͤgen durch die Sin - ne zu empfinden, die empfundene Sachen zu uͤberlegen, durch das Gedaͤchtniß zu be - halten und durch die Vernunfft weit deut - licher und richtiger von ihnen zu urtheilen als in dieſer Sterblichkeit. Weil uns aber das bloſſe Vermoͤgen zu empfinden und zu beurtheilen wenig beluſtiget, wenn uns nicht der Gebrauch deſſelben vergoͤn - net iſt; ſo muͤſſen wir wieder zuruͤck gehen auf diejenigen Dinge, welche den Seligen zu einer ewigen Empfindung und Betrach - tung vorbehalten ſind. Der innere Sinnempfin -155[151]empfindet weit mehr Vollkommenheiten der Seele, als er jemahls in dieſem Leben wahrgenommen. Die Augen finden die ſchoͤnſten Coͤrper zu ihrer Beluſtigung. Unſere und unſerer Mit-Bruͤder Leiber ſind lauter Muſter der Vollkommenheit, und ſelbige wird eine weit vollkommenere Welt umſchlieſſen als dieſe. Der Pracht der dortigen Gegenden wird die ſchoͤnſte Fruͤhlings-Zierde aller unſer Auen uͤber - treffen. Die hohen Farben unſer zierlich - ſten Blumen werden dort noch auf eine angenehmere Arth mit einander verſetzt ſeyn, als auf dieſem Erdballen, welchen die gerechte Rache GOttes wegen der un - wuͤrdigen Einwohner verflucht. Es wird dort ein ewiger Fruͤhling ohne aufhoͤren eine angenehme Zeit machen. Auch die Strahlen der Diamanten werden nur dun - ckel gegen den Glantz jener Coͤrper ſeyn. Und alle dieſe Anmuth einer vollkommenen Augen-Weide wird eine beſtaͤndige ſchoͤne Abwechſelung erhalten und vermehren. Die Uberlegung wird durch Huͤlffe des Gedaͤchtniſſes das gegenwaͤrtige mit dem vergangenen und abweſenden vergleichen, und die Vernunfft in allen die weiſeſte Ubereinſtimmung antreffen. Die Ver -nunfft156[152]nunfft wird in der Pracht dieſer Wercke GOtt ſchauen, und von dem Glantz ſeiner unendlichen Vollkommenheiten in eine ſe - lige und entzuͤckende Verwunderung ge - ſetzt werden. Beſonders aber werden wir ihn von Angeſicht zu Angeſicht ſehen in der Perſon unſers Erloͤſers, welcher die Seli - gen in dieſen angenehmen Himmels-Auen ewig weiden wird. Joh. 4. v. 9. Ver - gnuͤgt es uns nun auf dieſer Erden, wenn wir einen ſterblichen Koͤnig, der manch - mahl wenig Vollkommenheiten beſitzet, ſe - hen koͤnnen; freuen wir uns, wenn von ſeinem Glantze auch einige Strahlen auf uns fallen; beluſtiget uns der Anblick ſei - nes Pallaſts, ſeines ſchoͤnen Gartens, ſei - ner kuͤnſtlichen Waſſer-Spiele: gewiß, ſo wird es uns noch mehr vergnuͤgen, den HErrn aller Herren naͤher kennen zu ler - nen, ſeinen Pallaſt nicht nur zu ſehen, ſon - dern gar darinne zu wohnen und in den himmliſchen Auen ruhig umher zu wan - deln. O gluͤckſelige Augen, die dieſe Herr - lichkeit ſehen werden! O gluͤckſelige See - le, der durch ſolche Anblicke die angenehmſte Gelegenheit zu den vergnuͤgteſten Betrach - tungen gegeben wird.

§. 24.157[153]

§. 24.

Jch komme auf die Vergnuͤgen, zu wel -Weitere Ausfuͤh - rung des vorigen. chen uns das Gehoͤr Gelegenheit giebet. Es mangelt dort an nichts, was das Ohr eines vollkommenen Geiſtes zu hoͤren wuͤn - ſchet. Man findet dort die vernuͤnfftigſte, artigſte und leutſeligſte Geſellſchafft der Engel und der Menſchen. Mit was vor angenehmen Geſpraͤchen wird da ein Geiſt den andern nicht unterhalten? Es wird ihnen auch niemahls an Materie darzu mangeln. Sie werden nicht noͤthig ha - ben die Beſchaffenheit des Wetters oder den Schlag der Uhr zu einem ewigen An - fange ihrer Unterredungen zu machen, ſon - dern die Weite des Himmels, die Man - nigfaltigkeit der Dinge und der Abwech - ſelungen in denſelben werden ihnen Mate - rie gnug an die Hand geben vergnuͤgte Geſpraͤche daruͤber zu halten. Wer ſich nun in dieſer Welt gewoͤhnet hat an ver - nuͤnfftigen Geſpraͤchen ein Vergnuͤgen zu finden, der wird dorten genug zu hoͤren haben, was ihn beluſtigen kan. Es wer - den dort die vollkommenſten Redner ſeyn, welche von den majeſtaͤtiſchen Eigenſchaff - ten GOttes und deſſen Wercken mit denpraͤch -158[154]praͤchtigſten Worten und geſchickteſten Minen reden. Kan es uns nun in dieſer Welt gantz beſonders ergetzen, wenn wir mehrentheils ertichtete Thaten eines Hel - den in einem geſchickten und vernuͤnfftigen Schau-Spiele erzehlen hoͤren, und dabey angenehme Gegenden vorſtellen ſehen, wie viel mehr wird es uns nicht vergnuͤgen, wenn wir uns dort in den ſchoͤnſten Gegen - den ſelbſt befinden, und die Thaten unſers GOttes von den geſchickteſten Rednern ruͤhmen hoͤren? Auch die dem Menſchen angebohrne Begiede etwas neues zu ver - nehmen, wird nirgends mehr, als hier koͤn - nen geſaͤttiget werden. Denn wie viel neue Veraͤnderungen werden ſich nicht an allen Orten des Himmels zu jederzeit zu - tragen, unter welchen keine eintzige betruͤbt und unangenehm ſeyn wird? Und wie viel Neuigkeiten werden ſich nicht unter ſo vielen tauſend erleuchteten Geiſtern be - geben. Ja es iſt mir ſehr wahrſcheinlich, daß auch dorten nicht alle neue Erfindun - gen aufhoͤren werden. Es wird mir die - ſes daher glaubhafft. Wir ſollen dort Chriſti ja GOTTES Ebenbilde weit naͤher kommen, als in dieſer Unvollkom - menheit. 1. Joh. 3. v. 2. Und werdenalſo159[155]alſo GOtt aͤhnlicher ſeyn, als die erſten Menſchen vor dem Falle geweſen ſind. Nun finde ich aber bey GOTT und Chriſto daß ſie ein Vergnuͤgen daran fin - den, ihre unendlichen Kraͤffte zu gebrauchen und ſelbige in Wercken ſehen zu laſſen. Dieſes Vergnuͤgen hat GOtt bewogen zu ſchaffen, dieſes treibt ihn noch an die Welt zu erhalten und zu regieren. (Sie - he die erſte Betrachtung des erſten Stuͤcks dieſer Neben-Stunden.) Chriſtus will ſeine Heerde in alle Ewigkeit weiden und ſie einer unveraͤnderlichen Gluͤckſeligkeit theilhafftig machen. Of - fenbahrung Joh. 7. v. 17. Er will alſo keiner nachlaͤßigen Ruhe genieſſen, ſondern immer in Koͤniglichen Verrichtungen be - ſchaͤfftiget ſeyn. Jch finde ferner bey dem Menſchen noch anjetzo etwas aͤhnliches, und zweiffele nicht, daß ſolches einige Uber - bleibſel von dem Ebenbild GOttes ſind: obgleich zu bedauern iſt, daß wir nicht in Anwendung deſſelben GOtt nachahmen. Wir bemercken bey dem Menſchen eine natuͤrliche Begierde etwas zu thun. Von unſer kleinen Kindheit an biß ins hohe Al - ter aͤuſſert ſich dieſe Begierde, und wir klagen, daß uns die Zeit lang und verdrieß -lich160[156]lich ſey, wenn wir gar keine Verrichtun - gen haben. Die kleinſten Kinder bauen von Leimen Haͤuſer und reiſſen ſie wieder nieder, damit ſie nur etwas zu thun haben. Ja die Faulen und die ſonſten mit ihren Haͤnden nichts guts ſchaffen wollen, erden - cken und erwehlen allerhand Spiele, damit ihre Gedancken und Glieder doch mit et - was beſchaͤfftiget ſind. Ob nun gleich dieſe Neigung zu Verrichtungen anjetzo oͤfters auf unnuͤtze Erfindungen und Arbei - ten gerichtet wird; ſo zweiffele doch nicht, daß ſie an und vor ſich unſchuldig und noch ein kleiner Reſt von dem verlohrnen Ebenbilde GOttes ſey. Denn es iſt ver - muthlich, daß der erſte Menſch auch im Stande der Unſchuld damit ausgezieret geweſen, indem wir finden, daß ihn GOtt gleich anfaͤnglich zu einiger Arbeit geſchaf - fen, 1. Buch Moſ. 2. v. 15. Weswegen er ihm eben ſo wol als uns einige natuͤrli - che Neigung darzu wird gegeben haben. Jn dieſem aber, was ich bisher erwehnet habe, finde zwey Gruͤnde zu glauben, daß die Seligen keinen beſtaͤndigen Muͤßiggang lieben, ſondern die Kraͤffte der Seele und die Glieder zu allerhand Verrichtungen, die ihnen aber keine Laſt, ſondern angenehmſeyn,161[157]ſeyn, gebrauchen werden. Der erſte iſt dieſer: Hat GOtt eine Neigung durch ſei - ne Kraͤffte etwas wuͤrcklich zu machen, und ſollen ihm die Seligen dereinſten, ſo weit es moͤglich iſt, gleich ſeyn, 1. Joh. 3. v. 2. So wird ſich auch bey ihnen eine Geneig - heit aͤuſſern, das uns gegebene Vermoͤgen der Seele und die Glieder des verklaͤrten Leibes zu allerley Geſchaͤfften anzuwenden. Der zweyte Schluß, der mir dieſes wahr - ſcheinlich macht, beſtehet in folgenden. Hat die Geneigheit der Menſchen ſich die Zeit durch gewiſſe Verrichtungen angenehm zu machen, zum Ebenbild GOttes gehoͤrt, ſo iſt es eine beſondere Vollkommenheit. Nun wiſſen wir aber, daß diejenigen Voll - kommenheiten, welche auch in jenem Le - ben dieſen Nahmen noch behalten koͤnnen, nicht werden aufgehoben, ſondern erhoͤhet werden. Da wir nun nicht zeigen koͤn - nen, daß dieſe Neigung in jenem Leben die Geſtalt einer Unvollkommenheit anzie - hen werde, ſo iſt muthmaßlich, daß auch der Himmel noch eine Werckſtelle ſey, auf welcher die Seligen die Geſchicklichkeit ihres Verſtandes und ihrer Glieder uͤben und ſehen laſſen. Fragt mich jemand, wo - zu ſie wol das Vermoͤgen ihrer Glieder2. und 3. Stuͤck. Lan -162[158]anwenden ſolten? So kan zwar nichts an - ders angeben, als daß ſie damit ſolche Wercke auffuͤhren werden, welche den Pracht des Himmels vermehren, ihr Ver - gnuͤgen befoͤrdern, und den Nahmen GOt - tes verherrlichen koͤnnen. Jndeſſen aber macht meine Unwiſſenheit diejenige Sa - che nicht unwahrſcheinlich, welche andere wichtigere Gruͤnde bekraͤfftigen. Jſt mir erlaubt etwas Hohes mit einer geringern Sache in Vergleichung zu ziehen; ſo hat vielleicht GOtt den Himmel ſo eingerichtet wie den Garten Eden, daß auch die Ein - wohner deſſelben etwas zu ſeiner Pracht beytragen koͤnnen. Vielleicht goͤnnet GOtt den Buͤrgern des Himmels das Vergnuͤ - gen, daß ſie in demſelben auch etwas als ihr Werck anſehen. Solte ich nun in die - ſer Muthmaſſung nicht irren, ſo werden wir dorten auch unter den Geiſtern der ſeligen Unſterblichkeit mehrere und ange - nehme Neuigkeiten erfahren, als auf die - ſem Erd-Ballen, da boͤſes und gutes mit einander vermiſcht iſt. Noch eines Ver - gnuͤgens muß ich erwehnen, deſſen wir hie - nieden durch das Gehoͤr theilhafftig wer - den, und ohne Zweiffel auch dorten unſe - re Seligkeit vermehren wird, nemlich derange -163[159]angenehmen Empfindung, ſo uns die Mu - ſick giebet. Solte wol zu zweiffeln ſeyn, daß die Seligen nicht auch ihre Stimme gebrauchen, den Himmel mit wohlklingen - den Toͤnen zu erfuͤllen und die Majeſtaͤt GOttes und die Herrlichkeit des triumphi - renden Reiches Chriſti in ſchoͤnen Liedern zu beſingen? Und wer weiß, ob ihre Haͤn - de nicht auch Jnſtrumente verfertigen und ſpielen, die unſere an einem anmuthigen Klange uͤbertreffen? (*)Vielleicht wird jemand dencken, ich thue eine vergebliche Arbeit, da ſo viele Muthmaſ - ſungen von den Arten des Vergnuͤgens im Him - mel beybringe. Mein Endzweck ſey den Sterb - lichen den Himmel angenehm zu machen, die - ſes werde aber durch Muthmaſſungen nicht er - halten, indem ſehr viele den Gedancken hegen wuͤrden: vielleicht iſt es dort auch wohl an - ders. Man thue beſſer, wenn man ſage: Es ſey jene Freude ſo groß, daß dergleichen noch niemand geſehen, noch gehoͤrt, und wir noch auf keine Weiſe empfunden. Jch ſolte aber da - vor halten, daß ſolche Meynungen nicht gantz ohne Nutzen angefuͤhret wuͤrden. Denn es wird dadurch der hohe Grad jenes Vergnuͤgens nicht aufgehoben, indem nur uͤberhaupt und gleichſam in einem dunckeln Spiegel gewieſen wird, was vor Vollkommenheiten dort ohnge - fehr ſeyn moͤgen. Ferner ſind ſie auch nicht ohne allen Grund, ſondern haben eine Wahr - ſcheinlichkeit. Und ſind ſie ja falſch, ſo koͤn - nen ſie doch als Bilder jener Freude angeſehen werden, in welchen wenigſtens einige LinienL 2der

164[160]
(*)der ewigen Herrlichkeit abgeſchildert ſind. Sie ſind dahero annoch geſchickt uns einen ange - nehmen Begriff von dem Himmel beyzubringen, wenn wir dabey gedencken: Koͤnnen allerhand abwechſelnde Verrichtungen uns die Zeit kurtz und angenehm machen, koͤnnen die Geſchichte verſchiedener neuer Begebenheiten uns beluſti - gen und eine wohlgeſetzte Muſick unſere Ohren auf eine gantz entzuͤckende Art ruͤhren; ſo muß die Freude jenes Lebens gantz beſonders ſeyn, indem uns dort aͤhnliche und noch groͤſſere Vergnuͤgen von der Guͤte GOttes bereitet ſind. Koͤnnen aber die erwehnten Dinge wenigſtens als Bilder jener Seligkeit angenommen wer - den, ſo wird niemand ihren Vortrag verwerf - fen, noch demſelben allen Nutzen abſprechen koͤnnen, indem CHriſtus ſelbſt ſich gewiſſer Gleichniſſe, ſo von dieſer Erde genommen, be - dienet hat, wenn er von jener Herrlichkeit be - wegend und uͤberzeugend reden wollen.
(*)

§. 25.

Ob Ge - fuͤhl, Ge - ſchmack und Ge - ruch im Himmel vergnuͤ - gen wer - den?
33

Nachdem ich theils mit voͤlliger Ge - wißheit, theils durch Muthmaſſungen ge - wieſen, daß diejenigen Sinne, welche uns in dieſem Leben zu dem mehreſten Vergnuͤ - gen Anlaß geben, nemlich Geſicht und Ge - hoͤr dort alles finden werden, was man nur wuͤnſchen kan; ſo gehe ich nunmehre weiter auf die uͤbrigen Sinne, das Ge - fuͤhl, Geſchmack und Geruch. Es wird aber auch das Gefuͤhl dorten nicht aller an - genehmen Empfindungen beraubet ſeynWir165[161]Wir haben oben gehoͤret, daß im Himmel alles auf das allervollkommenſte eingerich - tet und nichts darinnen zu finden ſey, wel - ches uns einen Schmertz verurſachen koͤnn - te. Hieraus iſt aber leicht abzunehmen, daß wir weder vor Kaͤlte zittern, noch vor Hitze ſchwitzen werden. Folglich wird uns allezeit nach irdiſcher Art zu reden eine ge - maͤßigte Fruͤhlings-Lufft umgeben. Wie angenehm aber ſelbige dem Gefuͤhl ſeyn werde, iſt unnoͤthig durch viele Worte zu erweiſen. Jch komme derowegen endlich auf den Geſchmack und Geruch. Daß die Seligen auch dieſe beyden Sinne dor - ten noch beſitzen, iſt wol unſtreitig. Denn unſer Leib ſoll Chriſti verklaͤrtem Leibe aͤhn - lich werden. Dieſer aber hat mit ſeinem Mund eſſen, und auch ohne allen Zweiffel ſchmecken koͤnnen, Luc. 24. v. 43. Er hat auch wieder eine Naſe gehabt, indem ſein verklaͤrter Leib dem, der am Creutz gehan - gen, vollkommen aͤhnlich geweſen, Joh. 20. v. 20. 27. Wer wolte denn wol muth - maſſen, daß er mit derſelben den Geruch der Coͤrper nicht empfinden koͤnnen? Man kan derowegen wol als eine gewiſſe Wahr - heit annehmen, daß auch die Seligen wer - den ſchmecken und riechen koͤnnen. DennL 3da166[162]da der Coͤrper diejenigen Gliedmaſſen wie - der bekommt, durch welche die Seele hier geſchmeckt und gerochen, ſo iſt nicht zu zweiffeln, die Seele werde eben dieſe bey - den Sinne auch in jenem Leben behalten. Ob aber die Seligen dieſer Sinne ſich zu ihrem Vergnuͤgen bedienen werden, kan aus Mangel der Gruͤnde, indem die Schrifft nichts davon mit einer voͤlligen Gewißheit erwehnet, weder ausdruͤcklich bejahen noch verneinen. Jndeſſen kommt mir die ge - meine Meynung, daß die Seligen in dem Geſchmack und Geruch keine Beluſtigung ſuchen werden, nicht unglaublich vor. Denn ein verklaͤrter Leib bedarf vermuth - lich keiner Speiſe, und hat alſo weder Hunger noch Durſt. Treibt ſie aber kein Schmertz des Magens zum eſſen und trin - cken, und noͤthiget ſie kein unangenehmer Geruch einen beſſern zu ſuchen, ſo wird ſie die bloſſe Begierde zu einer ſolchen gerin - gen Wolluſt nicht darzu bewegen. Sie haben weit empfindlichere und hoͤhere Ver - gnuͤgen als dieſe. Wir wiſſen aber, daß wir der geringen Beluſtigungen vergeſſen, wenn wir einer groͤſſern Ergetzung koͤnnen theilhafftig werden. (Siehe §. 21.) Wir erfahren dieſes ſchon in unſerem jetzigenLeben.167[163]Leben. Sind wir in einer recht angeneh - men Geſellſchafft, oder in einem ſchoͤnen Garten, oder in einem recht wol verfertig - ten Schau-Spiele und bey einer beluſti - genden Muſick, ſo vergeſſen wir der Ver - gnuͤgen, ſo uns Geſchmack und Geruch geben, auf eine Zeitlang gar leicht, und ich glaube, wir wuͤrden bey andern groͤſ - ſeren Beluſtigungen des eſſen und trinckens ohne Betruͤbniß gantz und gar entbehren, wenn uns kein Hunger und Durſt darzu noͤthigte. Jſt dieſes aber ſchon in dieſem Leben, was werden wir denn dorten nach den Empfindungen des Geruchs und Ge - ſchmackes fragen, da uns tauſend andere wichtigere Vergnuͤgen umgeben?

§. 26.

Seelen, welche diejenige Art von Wol -Der Mangel fleiſchli - cher Ver - miſchung wird den Seligen kein Miß - vergnuͤ - gen ver - urſachen. luͤſten, welche ihnen die fleiſchliche Ver - miſchung mit dem andern Geſchlecht gie - bet, vor ihr hoͤchſtes Gut achten, pflegen dieſes als eine groſſe Unvollkommenheit des Himmels anzuſehen, daß ſie in dem - ſelben nicht freyen, noch ſich freyen laſſen. Allein es haben diejenigen, welche ſich durch Glauben und Tugend zu jenem Le - ben vorbereiten, nicht zu fuͤrchten, daß derL 4Man -168[164]Mangel dieſer Wolluſt ihnen dort das ge - ringſte Mißvergnuͤgen verurſachen werde. Wir erfahren ſchon in dieſem Leben, daß die ſehr groſſe Neigung zu der fleiſchlichen Vermiſchung von gewiſſen Beſchaffenhei - ten unſers Leibes abhange. So bald ſel - bige aufhoͤren, macht uns auch der Man - gel dieſer Wolluſt nicht die geringſte Be - truͤbniß. Ein abgelebter Greiß lebt ohne Frau eben ſo vergnuͤgt als mit derſelben. Wenn wir derowegen in der Auferſtehung ſolche Leiber bekommen, welche nicht dar - zu gemacht, daß durch ſie die Anzahl der Menſchen ſoll vermehret werden, ſo wird auch die Begierde zu fleiſchlichen Empfin - dungen mit dem erſten Leibe im Grabe vermodert und aufgehoben ſeyn. Treibt uns aber alsdenn der Leib nicht mehr an, ſolche Wolluͤſte zu ſuchen, ſo wird ſich auch die Seele im geringſten nicht betruͤben, daß dieſelben mit dieſem Leben ihre Endſchafft erreichet.

§. 27.

Das Lob GOttes wird die Seligen beſondeꝛs ergetzen.
33

Endlich ſcheinet ſolchen Seelen, welche an der Ehre GOttes keinen Antheil neh - men, und deſſen Ruhm vor etwas nieder - traͤchtiges achten, die Freude des Himmelsſehr169[165]ſehr gering zu ſeyn, weil die Seligen einen groſſen Theil ihrer Zeit in dem Lobe GOt - tes zubringen werden. Denn weil ſie kei - nen Geſchmack an der Verherrlichung des Nahmens GOttes finden, ſondern es ih - nen ſehr verdrießlich faͤllet eine kleine Zeit einer Geſellſchafft beyzuwohnen, welche ſich von den Vollkommenheiten GOttes unter - redet, und dieſelben ruͤhmend bewundert; ſo halten ſie davor, es koͤnne das Lob GOt - tes nur einfaͤltige und niedrige Geiſter be - luſtigen, hohen Gemuͤthern aber waͤre daſ - ſelbe etwas ſehr abgeſchmacktes. Jch muß derowegen ſolchen noch wilden und rohen Seelen zeigen, daß es moͤglich ſey, daß das Lob GOttes auch einen hohen Geiſt ver - gnuͤgen koͤnne. Wenn ein ſolcher ſich ſelbſt hochduͤnckender Geiſt bey einem groſſen Koͤ - nige beſonderer Gunſt genieſſet, und von demſelben mit hohen Ehren-Stellen und groſſen Guͤtern begnadiget wird, ſo pflegt ihm nichts angenehmers zu ſeyn, als wenn er gantze Stunden davon reden und die Macht, Herrlichkeit und Gnade ſeines Koͤ - niges ruͤhmen kan. Ja ſolte ihm jemand widerſprechen, ſo iſt er wol bereit die Eh - re ſeines Herrn mit dem Degen in der Fauſt zu retten. Hat ihm ſein Herr eineL 5koſt -170[166]koſtbahre Uhr, ein ſchoͤnes Gemaͤhlde oder ſonſten etwas, ſo bisweilen auch wol we - nig wehrt iſt, geſchencket, ſo zeiget er ſol - ches niemand ohne die groſſe Hulde ſeines Koͤniges dabey in einer beſondern Ehr - furcht zu loben. Solte es denn wol den Seligen nicht gleich angenehm ſeyn die Ehre GOttes zu verherrlichen, von wel - chem ſie dort die lieblichſte Gnade, die hoͤch - ſte Ehre und unaufhoͤrliches Vergnuͤgen genieſſen? Solte die unendliche Freude, die uns GOtt dort giebt nicht die Worte ausprefſen: Dieß iſt der Tag, den uns der HERR gemacht hat? Urtheilet nun ihr hohen Geiſter, braucht nur den zehnten Theil des Verſtandes, den ihr euch ein - bildet zu haben, ob es den Seligen kan eine Laſt ſeyn GOtt zu loben, oder ob der Glantz des Himmels ſie in der unendli - chen Freude voller Lob, und in dem be - ſtaͤndigen Lobe voller Freuden machen wer - de? Jch muß noch mehr ſagen, urtheilet, ob das Vergnuͤgen der Himmels - Buͤrger nicht ſehr gemindert und mit mancher miß - vergnuͤgten Stunde verſetzt wuͤrde, wenn ſie bey ihrer Freude GOtt nicht ruͤhmen ſolten? Damit ihr euch hiervon uͤberfuͤh - ret, ſo ſtellt euch vor: ein groſſer Herrlieſſe171[167]lieſſe euch ſeiner Gnade verſichern, die koſt - bahreſten Kleinodien und Geld im Uber - fluß reichen, ja er ſchickt euch auch den Ti - tel eines Geheimen Raths zu, aber mit dem Geboth niemand von dieſer Gnade auch nicht einmahl euern vertrauteſten Freun - den und Anverwandten das geringſte zu ſagen, auch ſelbſt ſehr wenig daran zu ge - dencken, daß dieſe Gnaden-Bezeigungen von einem ſo groſſen Herrn ihren Urſprung haͤtten. Uberlegts, wuͤrdet ihr euch nicht die groͤſte und ſchmertzhaffteſte Gewalt an - thun muͤſſen? Wuͤrde das freudige An - dencken an dieſe beſondere Hulde durch die Vergeſſenheit wol koͤnnen ausgeloͤſchet werden? Wuͤrden euch nicht ſelbſt die Traͤume oͤffters daran erinnern? Wuͤrde euer Hertz nicht gantz beklemt ſeyn, wenn ihr euern Anverwandten und guten Freun - den nichts von dieſen Gnaden-Geſchencken offenbahren ſoltet? Ja wuͤrde es euch nicht eine groſſe Marter ſeyn, ſelbige Fremden zu verhelen? Vielleicht ſprecht ihr: Wir wuͤrden uns in einem ſolchen Falle nicht daruͤber betruͤben, daß uns nicht erlaubt waͤre einen ſolchen Koͤnig oder Fuͤrſten und ſeine beſondere Leutſeligkeit bey andern zu ruͤhmen; ſondern daß wir uns durchdie172[168]die hohe Ehre bey einen ſolchen Herrn in Gnaden zu ſtehen, bey unſern Neben-Men - ſchen in kein groſſes Anſehen ſetzen ſolten. Und wenn uns im Gegentheil erlaubt waͤ - re, dieſer Hulde bey andern zu gedencken, wuͤrden wir uns nicht uͤber den Ruhm, den wir bey Gelegenheit einem ſolchen Herrn geben, freuen, ſondern uͤber unſere eigene Ehre. Da nun aber eine ſolche Ehr-Begierde im Himmel nicht ſtatt fin - den ſoll; ſo kan auch aus dieſem Exempel nicht erwieſen werden, daß das Lob GOt - tes den Seligen zu einem beſondern Ver - gnuͤgen gereichen koͤnne. Jch gebe gar gerne zu, daß die Gemuͤths-Bewegung, welche im erwehnten Falle das Lob eines andern pflegt angenehm zu machen, die Lippen der Seligen, die Ehre GOttes zu beſingen, nicht bewegen werde. Jndeſ - ſen wird niemand leugnen, daß aus dem angefuͤhrten Exempel ſo viel klar ſey: Wir koͤnnen in ſolche Umſtaͤnde geſetzt werden, daß wir mit groſſer Begierde und Ver - gnuͤgen einen andern in Gedancken und Worten verehren, und alle Gelegenheit wahrnehmen ſeinen Ruhm auszubreiten, es mag nun unſere damit verknuͤpffte Eh - re oder etwas anders die wahre Urſachedavon173[169]davon ſeyn. Jch habe eben dieſes Exem - pel erwehlt, weil ich glaube, daß ſelbiges bey ſolchen Geiſtern, die ſich ſelbſt vor an - dern erheben und ſrarck duͤncken, den meh - reſten Eindruck habe. Jch will nun aber auch zeigen, daß die Liebe zu jemand un - ſer Gemuͤth ebenfalls in die Umſtaͤnde ſe - tze, an des andern Lobe ein Vergnuͤgen zu finden. Woran gedencken Eltern, welche wohlgerathene Kinder haben und ſelbige lieben, mehr als an dieſe Sproſſen ihrer Ehe? Und wovon reden ſie lieber als von ihren Vollkommenheiten? Und welche Stunden ſind Vater und Mutter ver - gnuͤgter, als diejenigen, welche ſie mit ei - ner Unterredung von den Tugenden und der Geſchicklichkeit derer, die ſie erzeuget, hingebracht? Wuͤrde es ihnen nicht ſehr nahe gehen, wenn ſie derſelben niemahls mit Ruhm gedencken ſolten? Sehet die Wuͤrckung einer natuͤrlichen Liebe, welche uns die Stunden kurtz und angenehm ma - chet, die wir der Betrachtung und Lobe derjenigen widmen, welche wir hochach - ten. Es aͤuſſert ſich dieſe Wuͤrckung auch ſo gar, wenn wir lebloſe Dinge unſerer Liebe wuͤrdigen. Nun wiſſen wir aber, daß alle Einwohner des Himmels GOttvor174[170]vor das hoͤchſte Gut achten, dem ſie See - le, Leib und alle ihre Gluͤckſeligkeit zuzu - ſchreiben haben, wir wiſſen, daß dieſer Ge - dancke die reineſte und ſtaͤrckſte Liebe ge - gen denſelben erwecket. Solte denn die - ſe einmahl eingewurtzelte Liebe wol zuge - ben, daß ſie GOtt nicht in ihren Gedan - cken verehrten? Solte ſelbige wol zulaſ - ſen, daß eine wilde Unbedachtſamkeit ih - ren Mund verſchlieſſe, GOtt niemahls zu loben? Wuͤrde es ihnen wohl moͤglich ſeyn bey Erblickung ihres verklaͤrten Leibes dieſen Gedancken zu unterdruͤcken: dieſes ſind die Glieder, welche die Verweſung zu einem Abſcheu gemacht, nun aber der Vermoderung durch die guͤtige Macht GOttes in alle Ewigkeit entriſſen worden? Wuͤrden ſie wol bey der unendlichen Gna - de, die ihnen GOtt erweiſet, und bey der unausſprechlichen Pracht, womit ihre Au - gen beſtaͤndig gefuͤllet werden, die Zunge ſo binden und die Lippen ſo zuſammen zwingen koͤnnen, daß ſie in keine Lob-Re - den ausbrechen ſolten? Nein, es wird auch dort die Liebe ihre Macht ſehen laſſen, und die Seligen in eine vergnuͤgte und lobende Bewunderung der vollkommenſten Eigen - ſchafften GOttes ſetzen und in derſelbenbeſtaͤn -175[171]beſtaͤndig erhalten. Es wuͤrde ihnen einen innerlichen Schmertz verurſachen, wenn ſie das Feuer ihrer Liebe gegen GOTT nicht ſolten durch aͤuſſerliche Lob-Spruͤche ſehen laſſen. Zwar Seelen die nur an den Laſtern eine angenehme Beluſtigung finden und durch dieſelben ihren Geſchmack verdorben, koͤnnen nicht begreiffen, daß die Betrachtung und Verehrung GOttes ein ſo herrliches Vergnuͤgen geben koͤnne. Aber ſie uͤben ſich eine Zeitlang in wah - ren Tugenden, und vereinigen ſich durch dieſelben mit GOtt, ſo werden ſie mit dem Pſalmiſten ſagen koͤnnen: GOtt iſt mei - ne Freude, Pſ. 43. v. 4. Die Laſterhaff - ten ſind in dieſem Stuͤcke denen gleich, die nicht ſtudieret haben. Selbige koͤnnen auch nicht einſehen, wie eine von allem Lermen abgeſonderte Stube, eine einſame Stille und das Leſen ſo vieler Buͤcher be - luſtigen koͤnne; aber man uͤberwinde auch hier den erſten Eckel und die erſte Arbeit, man beiſſe nur durch die harte und her - be Schaale durch, ſo ſchmecket man die Suͤßigkeit des Kerns. (Siehe oben §. 21.) Wie aber das Unangenehme, ſo mit Er - lernung der Wiſſenſchafften verknuͤpfft iſt, die mehreſten davon abſchrecket, ſo haͤltauch176[172]auch der ſchwehre Kampff, mit welchem die Laſter zu beſiegen ſind, die mehreſten zuruͤcke, daß ſie das Vergnuͤgen der Tu - gend und der Verehrung GOttes nie - mahls empfinden. Wer aber die unor - dentlichen Begierden einmahl uͤberwunden, der weiß von keinem hoͤhern Vergnuͤgen, als demjenigen, ſo die Tugend und das Lob GOttes giebet.

§. 28.

Die Ver - gnuͤgen des Him - mels ſind unwan - delbahr und ewig.
33

Endlich muß ich auch des Vorzuges ge - dencken, welche eine unwandelbahre Ewig - keit dem himmliſchen Vergnuͤgen vor al - lem irdiſchen giebt. GOtt und Menſchen unterbrechen die Freude dieſer Erde. GOtt bedienet ſich oͤffters der Lufft, des Feuers, des Waſſers ja der Erde ſelbſt, unſere ir - diſche Herrlichkeit in Staub und Aſche zu verwandeln und mit Schlamm zu bede - cken. Unſer Leib muß der Seele oͤffters die empfindlichſten Schmertzen verurſa - chen, und wenn wir am ſicherſten ſind, ſo rufft uns der HERR unſers Lebens zu: Beſtelle dein Hauß, denn du muſt ſterben. Andere Menſchen ſtoͤhren unſere Ruhe viel - faͤltig, indem ſich einer wider den andern auflehnet und ihn zu kraͤncken ſucht. Auchunſere177[173]unſere eigene verderbte Neigungen brechen oͤffters in ein Feuer aus, welches Marck und Bein verzehret, und ſo wechſelt Ver - gnuͤgen und Mißvergnuͤgen in dieſer Sterb - lichkeit beſtaͤndig ab, bis endlich der Fa - den unſers Lebens abgeſchnitten und unſe - re zeitliche Freude damit gantz aufgehoben wird. Dort aber iſt eine ewige und un - veraͤnderte Ruhe: denn weder GOtt noch Menſchen noch boͤſe Luſt ſtoͤhren ſelbige. GOtt verheiſſet ein ewiges, unvergaͤngli - ches, unbeflecktes und unverwelckliches Er - be, Hebr. 9. v. 15. 1. Petr. 1. v. 4. eine ewi - ge und uͤber alle maſſe wichtige Herrlich - keit, 2. Cor. 4. v. 17. Er verſpricht eine Erndte ohne Aufhoͤren, Gal. 6. v. 9. ein Leben ohne Ende, Joh. 3. v. 16. Die Mit - Buͤrger unter einander werden jenen ewi - gen Frieden nicht brechen. Denn, es wird wie wir oben erwieſen, kein unruhiges und laſterhafftes Gemuͤth die Grentzen jenes Reiches jemahls beruͤhren. Endlich wer - den auch unſere eigene unordentlichen Be - gierden uns nicht mehr beunruhigen, in - dem alsdenn nicht nur der Tod, ſondern auch der Stachel deſſelben die Suͤnde voͤl - lig beſiegt zu unſern Fuͤſſen liegen, 1. Cor. 15. v. 56.

2. und 3. Stuͤck. M§. 29.178[174]

§. 29.

Der Him - mel bie - thet uns alles dar, was man nur wuͤn - ſchẽ mag.
33

Was kan nun eine Seele verlangen, ſo ihr der Himmel nicht darbiethet? Jſt es Ehre? Wir koͤnnen keine groͤſſere wuͤn - ſchen, als Kinder des hoͤchſten Monarchen zu ſeyn, und an ſeiner Herrlichkeit Antheil zu haben. Sind es Guͤter? GOTT iſt der Seligen Gut, und ſie beſitzen ein Reich, welches die weitlaͤufftigſten Gren - tzen umgiebet. Begehret man Beluſti - gungen der Sinnen? ſelbige ſind dort un - zehlich. Wuͤnſcht man langes Leben? Siehe, dort wird dir ein ewiges angebo - then.

§. 30.

Was die Hoͤlle ſey?
33

Wir moͤchten wuͤnſchen, daß die Ge - rechtigkeit GOttes es zulieſſe, allen Men - ſchen das Buͤrger-Recht in dieſem Reiche zu geben, und daß die Laſter die Sterblichen nicht unwuͤrdig machten jener Herrlichkeit zu genieſſen. Da aber die wenigſten den ſchmahlen Weg zum Himmel betreten, ſondern lieber dem breiten Wege der ver - derblichen Luͤſte folgen, ſo finden wir uns genoͤthiget denjenigen Ort zu betrachten, wohin ſelbiger fuͤhret. Die Schrifft nen - net dieſen Ort Hoͤlle, und verſtehet darun -ter179[175]ter eine Wohnung, welche den Teuffeln und laſterhafften Menſchen nach dieſem Le - ben vorbehalten iſt, und in welcher ſie be - truͤbtere Folgen ihrer Suͤnden empfinden werden als in dieſer Welt. Siehe Luc. 16. v. 23. Marc. 9. v. 43. 45. Matth. 10. v. 28. Cap. 25. v. 41. Offenb. Joh. 20. v. 10.

§. 31.

Da nun ſo wol der Teuffel als derDie Buͤr - ger der Hoͤllen. Menſchen, welche die Suͤnde lieben, eine ſehr groſſe Anzahl iſt, ſo muß man auch die Hoͤlle als ein Reich anſehen, welches mit den weitlaͤufftigſten Grentzen umgeben. Wir wollen ſo wol auf die Buͤrger als auf die aͤuſſere Beſchaffenheit deſſelben un - ſere Gedancken ein wenig richten. Die Buͤrger ſind von gar ſchlechter Art. Sie lieben die Suͤnde, welche ihnen die Ge - wohnheit ſo angenehm gemacht, daß ſie das groͤſte Mißvergnuͤgen empfinden, wenn ſie ihre verderbten Begierden nicht in ver - bothenen Dingen ſaͤttigen ſollen. Die boͤ - ſen Neigungen haben eine ſolche Macht uͤber ſie bekommen, daß ſie es vor unmoͤg - lich halten ſelbige zu unterdrucken und ſe - ligern Trieben Platz zu geben. Sie wen - den dannenhero wenige oder nicht gnug -M 2ſame180[176]ſame Muͤhe an, den ſuͤndlichen Luͤſten zu widerſtehen. Sie ergreiffen nicht die Mit - tel, wodurch ſie das Feuer der ſchaͤdlichen Gemuͤths-Bewegungen loͤſchen koͤnnten, und nehmen alſo in ihrem Verderben im - mer zu. Wahre Tugend kan ihnen de - rowegen nicht anders als ſehr verhaßt und zuwider ſeyn. Die Liebe gegen GOTT und Nechſten iſt bey ihnen verloſchen, und das, was wahrhafftig erhaben und edlen Gemuͤthern anſtaͤndig, iſt ihnen nieder - traͤchtig, einfaͤltig und ſchlecht. Das wah - re Chriſtenthum als das Mittel gluͤckſelig zu werden iſt ihnen eine Thorheit und Aer - gerniß. Mit einem Wort; Verſtand und Wille iſt bey ihnen im hoͤchſten Grad ver - dorben.

§. 32.

Die Unſe - ligkeit die - ſer Buͤr - geꝛ, ſo aus ihrem ei - genen boͤ - ſen Nei - gungen entſtehet.
33

Wir koͤnnen hieraus auf die Unſelig - keit dieſer Geſellſchafft einen Schluß ma - chen. Einen jeden wird Unruhe erregt durch ſeine eigene unordentliche Gemuͤths - Bewegungen, und ſelbige wird vermehrt durch die boͤſen Neigungen ſeiner Mit - Buͤrger. Es iſt dieſes die Natur derſel - ben. Man ſiehet ſolches in dieſer Welt. Man gebe Achtung auf einen Hochmuͤthi -gen.181[177]gen. Was vor Mißvergnuͤgen verurſacht ihm dieſe boͤſe Neigung? Er erboſſet, er ſchaͤumet, er knirſchet mit den Zaͤhnen, er ſchlaͤgt mit Haͤnden und Fuͤſſen, wenn ihm ein ander nicht die verlangte Ehrerbietung erzeigt. Er iſt Tag und Nacht betruͤbt, wenn er ſich nicht uͤber andere erheben, und ſelbige zu ſeinen Fuͤſſen ſtellen kan. Er wird dadurch auch anderer Vergnuͤgen be - raubt, deren er ſonſten genieſſen koͤnnte. Ein ſtoltzer Haman hat an allen Ehren und Guͤtern kein Gnuͤge, ſo lange ein Mar - dochai an des Koͤniges Thor ſitzet, und die Knie nicht vor ihm beuget, Buch Eſther 5. v. 13. Und muß er ſelbigem gar Ehre er - weiſen, ſo traͤgt er Leide mit verhuͤlletem Kopffe, und klagt ſeinen Schmertz ſeinem Weibe und Anverwandten, und weiß kei - nen andern Balſam in ſeine Wunde, als das unſchuldige Blut Mardochai und al - ler Juͤden, Buch Eſth. 3. v. 6. Und eine gleiche Macht haben andere boͤſe Leiden - ſchafften, ſie aͤuſſern an uns die grauſam - ſte und betruͤbteſte Tyrannei. Weswe - gen auch Paulus uns nicht genug warnen kan uns ihrer Herrſchafft nicht zu unter - werffen, Roͤm. 6. v. 12. Es bleiben aber dieſe Leidenſchafften und ihre unſelige Scla -M 3verey182[178]verey nicht in der Seele allein verborgen, ſondern ſie brechen auch wie bey dem Ha - man in aͤuſſerliche Wercke aus, welche aber insgemein nichts als die Unruhe der Geſellſchafft mit ſich verknuͤpfft haben. Ein Haman durſtet nach dem Blute der Juͤden, eine Jeſebel laͤſſet den Naboth toͤd - ten, ein Cain nimmt ſeinem Bruder das Le - ben, ein Abſalon treibt ſeinen Vater vom Throne, und ein Joab ſtoͤſſet dem Abner einen Dolch in den Leib. Und ſo macht ein Menſch, indem er ſeinen verderbten Nei - gungen folget, dem andern und ſich ſelbſt ein muͤhſames verdrießliches und Jammer - volles Leben. Man ſchilt und wird wieder geſcholten, man neidet und wird wieder be - neidet, man haſſet und wird wieder gehaſ - ſet, man betriegt und wird wieder betro - gen, man ſchlaͤgt und wird wieder geſchla - gen, man betruͤbet und wird wieder betruͤ - bet. Geſchiehet aber dieſes in dieſer Welt, da noch Gute und Boͤſe mit einander ver - miſcht ſind, und da die Bloͤſſe und Duͤrff - tigkeit unſers Leibes uns noch noͤthiget, oͤff - ters wider unſern Willen mit andern in Ruhe zu leben, was ſoll man denn wol anders in der Hoͤlle hoffen, wo die gantze Geſellſchafft aus ſolchen Gliedern beſtehet,welche183[179]welche niemand als ihre boͤſe Neigungen vor ihren Herrn erkennen, und aus Furcht vor dem Tode ihres Leibes nichts unterlaſ - ſen? Und dieſes eintzige waͤre genug die Hoͤlle abſcheulich und fuͤrchterlich zu ma - chen und uns zu warnen, daß wir den Weg in zeiten verlieſſen, welcher uns in dieſe unſelige Geſellſchafft fuͤhret.

§. 33.

Es ſind aber auch noch andere aͤuſſerli -Jn der Hoͤlle ſind unange - nehme Coͤrper. che Umſtaͤnde, welche dieſen Ort hoͤchſt un - angenehm machen muͤſſen. Die Schrifft redet von einem Feuer, welches den Ein - wohnern der Hoͤlle den empfindlichſten Schmertz verurſachen ſoll, Matth. 25. v. 41. Cap. 13. v. 42. Marc. 9. v. 44. 45. 46. Sie beſchreibet die Hoͤlle als einen finſtern Ort, wo Heulen und Zaͤhnklappen, Matth. 8. v. 12. Cap. 22. v. 13. Brief Jud. v. 6. 13. Sie gedencket eines Wurmes, der die Ver - dammten dort nagen ſoll, Marc. 9. v. 44. 45. 46. Aus welchem allen wir dieſes deutlich abnehmen: es werden in dem Rei - che der Hoͤllen ſolche Coͤrper ſeyn, welche den Verdammten vielfaͤltigen Schmertz und alſo die betruͤbteſten Empfindungen erregen werden. Feuer brennt, das Na -M 4gen184[180]gen eines Wurmes iſt ſehr empfindlich, und Finſterniß iſt uns fuͤrchterlich und ſehr un - angenehm. Die Gegenden und Abwechſe - lungen der Hoͤlle werden alſo ſehr traurig ſeyn. Bald wird dieſer bald ein ander Coͤr - per den Begierden der unſeligen Einhalt thun, und ihre Abwechſelungen werden ih - nen nichts als Betruͤbniß verurſachen.

§. 34.

Die Hoͤl - lẽ - Straf - fen ſind ewig.
33

Das allerſchroͤcklichſte bey dieſen allen iſt dieſes, daß die Grentzen des hoͤlliſchen Reichs verſchloſſen, und kein Weg vorhan - den, welcher aus demſelben an einen beſ - ſern Ort fuͤhret. CHriſti richterlicher Ausſpruch benimmt den Verdammten alle Hoffnung zu einer Erloͤſung. Er verweiſet ſie in das ewige Feuer, Matth. 25. v. 46. Er verſichert bey dem Marcus 9. v. 43. 44. 45. daß dieſes Feuer nimmer verloͤſchen und der Wurm, der ſie naget, nimmer ſterben werde. Es wird dahero auch die Unſeligkeit der Hoͤllen die ewige Pein, das ewige Verderben und eine ewige Finſter - niß genennet, 2. Theſſ. 1. v. 9. Matth. 25. v. 46. 2. Petr. 2. v. 17. Brief Jud. v. 13. O unbeſchreibliches Elend, Jammer und Noth, in welche uns die Suͤnde ſtuͤrtzet!

§. 35.185[181]

§. 35.

Weil aber nicht alle Menſchen gleichUnter - ſchied der Hoͤllen - Straffen. weit in der Boßheit kommen, ſo koͤnnen auch die Folgen derſelben nicht gleich hart ſeyn. Wer ſeinen Leidenſchafften mehr nachhaͤnget, wird auch mehr Unruhe von denſelben haben, und nach ſeinen Laſtern werden auch die aͤuſſeren Straffen einge - richtet ſeyn. Chriſtus bekraͤfftiget dieſes, wenn er Matth. 11. v. 22. ſpricht: Es wird Tyro und Sidon ertraͤglicher ergehen, als denen, die ſeine Wunder geſehen, und ſei - ne Predigten gehoͤret, und ſich doch nicht gebeſſert. Woraus vollkommen klar iſt, daß der gerechte Ausſpruch unſers Erloͤ - ſers dem einen mehr Straffe als dem an - dern zuerkennen wird. Siehe auch Matth. 10. v. 15. Luc. 12. v. 47.

§. 36.

Nachdem wir nun einige Umſtaͤnde desGOtt be - weiſet ſich bey Him - mel und Hoͤlle als das guͤ - tigſte We - ſen. Himmels und der Hoͤlle angefuͤhret, ſo wollen wir uns bemuͤhen die Abſichten, ſo GOtt bey denſelben hat, zu entdecken, und ſehen ob wir ſie auf ſeine Haupt-Abſicht, ſo er bey Erſchaffung der Creaturen ge - habt, hinaus fuͤhren koͤnnen. Wir habenM 5in186[182]in der erſten Betrachtung erwieſen, daß GOtt nicht ſich ſondern der Creatur zum beſten geſchaffen, und daß ſeine Haupt - Abſicht bey der Welt ſey, vernuͤnfftigen Creaturen durch ihr ſeyn eine Wohlthat zu erweiſen. Wir muͤſſen alſo zeigen, daß diejenigen Dinge, ſo wir bey Himmel und Hoͤlle bemercket, mit der Geneigheit GOt - tes Geſchoͤpffe gluͤcklich zu machen oder mit ſeiner Guͤtigkeit uͤbereinſtimmen. Daß die Herrlichkeit des Himmels ein Abdruck der goͤttlichen Guͤte ſey, und ſeine Haupt-Ab - ſicht erſt recht erfuͤlle, bedarf keines weit - laͤufftigen Beweiſes. Dieſes aber iſt zu unterſuchen, warum GOtt nicht einer je - den vernuͤnfftigen Creatur verſtatten will in jenen Auen zu wohnen, und jener Pracht ſich zu erfreuen, und warum dieſer Gluͤck - ſeligkeit die Tugendhafften allein ſollen ge - wuͤrdiget werden? Wer die Beſchaffen - heit der Laſter bedencket, wird dieſe Urſa - che leicht finden. Laſter ſind ein fruchtbah - rer Saame allerhand boͤſer Fruͤchte, und ſchaden in einer Geſellſchafft nicht nur dem - jenigen, der ihnen ſein Hertz zum Acker einraͤumet, ſondern auch den andern Glie - dern. Die Welt, in welcher wir anjetzt leben, beweiſet dieſes hinlaͤnglich. Woherruͤhren187[183]ruͤhren die vielen Unruhen dieſer Erden, welche ein Menſch dem andern macht. Woher entſtehen ſo viel Streitigkeiten? Warum hoͤrt man ſo viel beiſſende und ſreſſende Worte? Was bewegt die Sterb - lichen, die grauſamſten Gewehre gegen ein - ander zu gebrauchen? Was macht ſie ſo durſtig nach ihrer Bruͤder Blut? Sind es nicht die Laſter und boͤſen Neigungen, wel - chen die Menſchen ſich unterwerffen, und deren Triebe ſie ſo willig folgen? Wolte nun GOtt auch denen das Buͤrger-Recht des Himmels ſchencken, welche durch viele boͤſe Thaten zu einer verſtockten Gewohn - heit in Laſtern kommen; ſo wuͤrde der Him - mel eben zu einer ſolchen unruhigen Woh - nung werden, als dieſe Erde. Einer wuͤr - de den andern beneiden, haſſen, verfolgen und allen erſinnlichen Verdruß machen, und die Tugendhafften wuͤrden dort nicht viel gluͤckſeliger ſeyn, als in dieſen irdiſchen Huͤtten. Stimmt es derowegen mit der Geneigheit GOttes Geſchoͤpffe gluͤckſelig zu machen nicht uͤberein, daß er derein - ſten Fromme und Gottloſe von einander trennet? Ja wuͤrde man daraus wol ei - nen hoͤhern Grad der goͤttlichen Guͤte ab - nehmen koͤnnen, wenn er die frommen En -gel188[184]gel und Menſchen in alle Ewigkeit von den Teuffeln und ſeiner Geſellſchafft wolte in ihrer Ruhe ſtoͤhren und betruͤben laſſen? Oder laͤſſet er mehr Liebe blicken, wenn er zwiſchen Gute und Boͤſe eine groſſe Klufft befeſtiget, und dadurch verhindert, daß die, ſo in ſeinem Lobe und in der Liebe zu ihren Heyland ſuchen geſaͤttiget zu werden, an der Unſeligkeit der Laſterhafften keinen An - theil haben, ſondern in einer ruhigen und holdſeligen Geſellſchafft ihrer Tugend ge - nieſſen koͤnnen?

§. 37.

Ob die Suͤnder, wenn ſie in den Himmel kaͤmen, wuͤrden aufhoͤren zu ſuͤndi - gen?
33

Vielleicht denckt jemand: die Suͤnder wuͤrden aufhoͤren zu ſuͤndigen, ſo bald ſie nur die Thore des Himmels erreichten, in - dem mit dieſer Welt ſich auch die Bewe - gungs-Gruͤnde zur Suͤnde endigten. Die Duͤrfftigkeit des Leibes wuͤrde niemand zum ſtehlen bringen, und die Beſchaffen - heit des verklaͤrten Coͤrpers wuͤrde niemand antreiben, fleiſchliche Vermiſchung zu ſu - chen. Jch wuͤrde hierauf nicht antworten koͤnnen, wenn alle diejenigen andern das Jhrige lieſſen, welche an Lebens-Unterhalt keinen Mangel, ſondern einen Uberfluß ha - ben, und wenn alle diejenigen tugendhafftwaͤren,189[185]waͤren, deren Leib zu fleiſchlichen Wolluͤ - ſten ungeſchickt iſt. Weil aber auch vie - le von den reicheſten Koͤnigen ſehr groſſe Raͤuber geweſen, und auch diejenigen noch Laſter lieben, welchen die Natur, das Al - ter und andere Begebenheiten die Wolluſt mit dem andern Geſchlecht verſagt; ſo iſt kein Zweiffel, die Begierde zu ſuͤndigen koͤn - ne bey boͤſen und verhaͤrteten Gemuͤthern auch im Himmel bleiben. Ja es wuͤrde ſel - bige geſtaͤrcket und vermehrt werden, wenn ſie bey derſelben gar den Himmel zum Lohn bekaͤmen. Damit dieſes deſto feſter geſetzt werde, ſo wollen wir die Haupt - Quellen der Suͤnden bemercken und zeigen, daß ſelbige im Himmel auch bleiben wuͤrden, wenn die laſterhafften einen Platz in dem - ſelben erhielten. Man wird, wenn nicht alle, doch die mehreſten Suͤnden aus dem Hochmuthe, Geitze und der Begierde zu ſinnlichen Wolluͤſten herleiten koͤnnen. Eben dieſe boͤſen Neigungen koͤnnten ſich in Himmel durch mancherley Dinge aͤuſſern, und dieſe herrliche Wohnung beunruhigen. Hochmuth macht in dieſer Welt, daß wir einander beneiden, haſſen, verachten, ſchel - ten und allerhand Verdruß verurſachen. Eben dieſe Suͤnden koͤnnten ſich auch imHimmel190[186]Himmel unter den Hochmuͤthigen ereignen. Hochmuth macht, daß wir hienieden ein - ander oͤffters auf der breiteſten Straſſe nicht wollen ausweichen, und daher einen Krieg anfangen, ein gleiches koͤnnte ſich im Himmel unter eigenſinnigen Stoltzen be - geben. Auch der Geitz koͤnnte dorten ſei - ne Nahrung haben, wodurch er unterhal - ten wuͤrde. Jch will nur einen moͤglichen Fall hiervon anfuͤhren. Man findet auf dieſer Erden, daß der Hochmuth und die Begierde vor andern etwas beſonders zu haben, Menſchen, die in einem heiſſen Lan - de wohnen und keine Kleider bedoͤrffen noch tragen; dennoch ihren Leib mit allerhand Zierrathen behangen. Sie nehmen dar - zu ſolche Dinge, die an ihrem Ort rar ſind, und nicht jedermann ſo gleich bekom - men kan. Eben dieſe Thorheit koͤnnte bey Unverſtaͤndigen und Laſterhafften im Him - mel ſtatt finden. Jhre Leiber haͤtten zwar keiner Kleidung noͤthig: aber der Hoch - muth koͤnnte ſie dahin bewegen, daß ſie ſich zu ihrem Schmuck entweder ſolcher Coͤrper bedienten, welche dorten nicht ſo haͤuffig, wie andere, waͤren, oder die ſich durch ihre eigene Kunſt rar machten. Die - ſes aber koͤnnte einen Geitz bey ihnen erre -gen,191[187]gen, wie bey uns viele tauſend geitzig ſind, daß ſie nur ein wenig Silber oder Gold an ſich tragen koͤnnen. Und wer wolte endlich zweiffeln, daß eine unerlaubte Be - gierde zu ſinnlichen Wolluͤſten dorten zu einen Mißbrauch der Dinge, welche GOtt zur Beluſtigung der Sinne gemacht, Ge - legenheit geben koͤnnte. Es iſt auch gar nicht zu muthmaſſen, daß diejenigen, wel - che die Feſſeln der boͤſen Begierden ein - mahl angeleget, ſelbige ſo gleich mit den Banden des ſterblichen Leibes abſchuͤtteln ſolten. Hochmuth, Geitz und Wolluſt haben ihren Sitz in der Seele. Selbige bleibt auch nach dem Tode. Eben dieſel - be Seele, welche hier einen Abſcheu vor der Tugend gehabt, muͤſte dahero auf ein - mahl ihren Geſchmack aͤndern, ſie muͤſte dasjenige lieben, was ſie ſo lange Jahre gehaſſet, ſie muͤſte verlaſſen und fliehen, was ſo viele Jahre ihr hoͤchſtes Gut ge - weſen. Wer nun bedenckt, was vor ein ſchwerer Kampff darzu gehoͤret, eingewur - tzelte Gewohnheiten zu beſiegen: wer da bedencket, daß weder die haͤrteſten Straf - fen noch die groͤſten Belohnungen, ein Ge - muͤth, ſo erſt im Boͤſen verſtockt iſt, aͤn - dern, der wird auch leicht begreiffen, daßdie192[188]die Beſitzung des Himmels daſſelbe nicht froͤmmer, ſondern halsſtarriger machen wuͤr - de. Bliebe aber bey ihnen die Neigung zu den Laſtern, ſo wuͤrde bey ihnen auch, wie hier, der Eckel vor der Tugend blei - ben, und dieſer wuͤrde ſie ebenfalls, wie hiernieden, zu den haͤrteſten Verfolgungen der Frommen anſpornen. (Siehe oben §. 21.) Urtheilet nun ihr, die ihr meynet, GOtt waͤre grauſam, wenn er den Gott - loſen eine Wohnung unter den Huͤtten der Seligen verſagte, urtheilet, ob GOtt nicht vielmehr grauſam zu nennen waͤre, wenn er Boͤſe und Tugendhaffte in alle Ewigkeit in einer Geſellſchafft laſſen wuͤrde? Denn was waͤre wol grauſamer bey GOtt, die Veraͤchter ſeiner weiſeſten Geſetze von der Herrlichkeit derer, die ihn fuͤrchten aus - ſchlieſſen, oder die, welche ihn als gehorſa - me Kinder verehren, zu einem ewigen Opf - fer der Wuth boßhaffter Geiſter machen? Urtheilet ob ſeine Gerechtigkeit nicht eine weiſe Guͤtigkeit zu nennen, und ob ihr ſeine Liebe nicht leugnen muͤſſet, wenn ihr ſeinen Zorn gegen das Boͤſe wollet in Zweiffel〈…〉〈…〉 hen? (*)Man hat auch zu unſern Zeiten Leute, welche meynen, weil GOtt die Liebe ſelbſt ſey, ſo koͤnne er nichts haſſen. Jch will kuͤrtzlichdas

193[189]
(*)das Gegentheil aus der unendlichen Liebe GOt - tes ſelbſt herleiten. Wer etwas liebet, der muß dasjenige, was dem entgegen iſt, nothwendig haſſen, d. i. die Vollkommenheiten, wodurch demjenigen Abbruch geſchiehet, was er liebet, muͤſſen ihm zuwider ſeyn. Denn zwey Dinge hochachten, die nicht neben einander ſtehen koͤn - nen, iſt eine groſſe Thorheit. Z. E. Liebet ein Vater ſeine Kinder, und findet ein Vergnuͤgen an ihrer Gluͤckſeligkeit, ſo kan er als ein ver - nuͤnfftiger Vater nicht auch diejenigen lieben und hegen, welche ſeine Kinder ungluͤcklich ma - chen, und um Geſundheit und Guͤter bringen wollen, ſondern er muß ſie auf eine vernuͤnff - tige Weiſe haſſen, d. i. er muß eine Neigung haben, ihnen die Gelegenheit und Macht, wel - che ſeinen Kindern ſchaͤdlich iſt, zu benehmen. Jſt dieſem aber ſo; wie wird denn GOtt, der die Frommen unendlich liebt, auch denjenigen geneigt ſeyn koͤnnen, welche durch ihre Laſter diejenige Gluͤckſeligkeit ſtoͤhren, welche die goͤtt - liche Guͤte den ihrigen goͤnnet. Gewiß liebt GOtt die Tugendhafften wahrhafftig, ſo muß er die boͤſe Rotte dergeſtalt haſſen, daß er eine ernſte Geneigheit hat, den Ruchloſen dereinſten die Vollkommenheiten zu verſagen, welche ſie noch weiter in den Stand ſetzen koͤnnten die Frommen zu betruͤben. Oder man muͤſte glau - ben, GOtt liebte die boßhafften Suͤnder mehr, als die, ſo ihn verehren, welcher Gedancke doch niemanden ohne die groͤſte Beleidigung der goͤttlichen Majeſtaͤt aufſteigen darf.
(*)

§. 38.

Wenn denn dieſes auſſer Zweiffel ge -Warum GOtt die boͤſen Gei - ſetzt iſt, daß GOTT wegen ſeiner Guͤte2. und 3. Stuͤck. Nder -194[190]ſter nicht in einen andern Himmel ſetzet?dereinſten die boͤſen von den tugendhafften abſondert; ſo muͤſſen wir ferner unterſu - chen, warum denn GOtt aber die laſter - hafften an einen ſo unangenehmen Ort, als die Hoͤlle iſt, verweiſen wolle, und war - um er ſie nicht in einen andern Himmel ſetze, welcher von dem Ort der Frommen dergeſtalt unterſchieden, daß ſie mit dieſen letztern keine Gemeinſchafft haben? Wir koͤnnen die weiſe Abſicht hiervon in der Einrichtung dieſer Welt finden, wenn wir nehmlich uͤberhaupt bemercken, wie er den Schauplatz dieſer Erden nach den Neigun - gen der darauf ſpielenden Perſonen veraͤn - dert. So lange der erſte Menſch nicht ſuͤndiget und unſeligen Begierden folget, ſo bewohnt er den angenehmſten Garten Eden, und genieſſet ſeiner Fruͤchte ohne ſaure Arbeit. Er folget aber nach kurtzen der Verfuͤhrung eines boͤſen Geiſtes, er bringet boͤſe Neigungen auf ſich und ſeine Nachkommen, und alsbald treibt ihn GOtt aus den ſchoͤnen Auen Eden, verflucht den Acker und verdammt ihn zu einer be - ſchwehrlichen Art ſich zu ernehren. Die Bloͤſſe ſeines Leibes wird ihm empfindlich, und muß eine Decke ſuchen. Der Leib wird matt und kranck, verurſachet derSeele195[191]Seele viele ſchmertzliche Empfindungen, und verfaͤllt endlich gar in eine Hand voll Aſche. Wir wollen auf die Folgen die - ſer Straffe ſehen, damit wir die guͤtige Abſicht derſelben entdecken koͤnnen. Der Menſch ſuͤndigte und wurde dadurch im - mer geneigter zur Suͤnde. Dieſes mach - te ihn zum vernuͤnfftigen, ruhigen, vergnuͤg - ten und geſellſchafftlichen Leben ziemlich ungeſchickt. Hochmuth, Geitz, unartige Wolluſt, Neid, Haß und allerhand Saa - men der Uneinigkeit ſchlugen in ſeinem Hertzen tieffe Wurtzeln und brachten al - lerhand unſelige Fruͤchte hervor. Die guͤ - tige Vorſicht muſte dieſem Unkraut den Safft, ſo weit es die Weisheit zuließ, entziehen und den Wachsthum deſſelben hindern. Sie ließ derowegen die Kinder mit groſſen Schmertzen und in beſonderer Schwachheit gebohren werden, ſie trieb ihn aus den Garten, in welchem er ohne ſonderliche Muͤhe ſeines Lebens Unterhalt fand, ſie ſetzte ihn auf einen Acker der Dor - nen und Diſteln trug und mit Schweiß des menſchlichen Angeſichts muſte befeuch - tet werden, wann er ſolte Fruͤchte zu des Menſchen Nahrung hervor bringen. Er war auch nicht mehr ſicher vor der WuthN 2der196[192]der wilden Thiere, und brauchte alſo al - lerhand Jnſtrumente ſo wol den Acker zu bauen als auch wider die wilden Thiere ſich in Sicherheit zu ſetzen. Haͤtte GOtt die aͤuſſerlichen Umſtaͤnde des Menſchen nicht dergeſtalt veraͤndert, ſo wuͤrde er nach einigen Geſchlechtern gar verwildert ſeyn, und ſich zu keinem vernuͤnfftigen und geſellſchafftlichen Leben bequemet haben. Haͤtte GOtt nicht den Leib des Menſchen geſchwaͤchet und ihn in groͤſter Ohnmacht laſſen gebohren werden, ſo wuͤrde er nicht leicht zur Sprache und zum Gebrauch ſei - nes Verſtandes gelanget und zu einem geſelligen Leben ſeyn gewoͤhnet worden. (Siehe die zweyte Betrachtung des erſten Stuͤcks dieſer Neben-Stunden.) Und waͤre dieſes noch geſchehen und die Noth haͤtte ſie nicht gezwungen ihren Verſtand und die Glieder ihres Leibes auf eine muͤh - ſame Erhaltung zu richten, ſo wuͤrden ſie dennoch unruhiger und elender gelebt ha - ben als anjetzt. Denn da der erſte Menſch einmahl eine groͤſſere Neigung zum Boͤſen als Guten auf ſich und ſeine Nachkommen gebracht, ſo iſt er zu ſaurer Arbeit ſehr traͤge und liebt, wenn ihn nicht die Noth davon abhaͤlt, den Muͤßiggang. Bey demMuͤßig -197[193]Muͤßiggange, welchen ein Uberfluß an al - len den Dingen, welche die Sinne wuͤn - ſchen, unterſtuͤtzt, erſaͤufft er in der Wol - luſt, wie die taͤgliche Erfahrung lehret. Dieſe aber verdirbt Seel und Leib, wie gleichfalls viel tauſend betruͤbte Exempel bekraͤfftigen. Bey Muͤßiggang aͤuſſert ſich ferner der Hochmuth und hat Zeit mehr Unfug anzurichten, als wenn wir von der Arbeit gedruͤckt werden. Zwinget uns nicht die Noth wegen unſerer Erhaltung bekuͤmmert zu ſeyn, ſo ſucht der Hochmuth Stuffen uͤber andere hinauf zu ſteigen. Die erſte Stuffe iſt dieſe, daß man den andern verkleinert. Man gehe nur in die Viſiten-Stuben, wo faule Schwaͤtzer und Schwaͤtzerinnen bey einander ſitzen, ſo wird man dieſes zur Gnuͤge hoͤren. Und was ziehen ſolche Plaudereyen nach ſich? Allerhand Unruhe und Verdruß. Was meynen wir, was geſchehen wuͤrde, wenn GOtt die Erde nicht verflucht, und wir alle bey dem Muͤßiggang einen Uberfluß an Nahrung haͤtten. Wuͤrde es nicht weit ſchlechter um unſere Gluͤckſeligkeit ſtehen, als anjetzt? Was wuͤrde uns noͤthigen un - ſern Verſtand zu gebrauchen und zu beſ - ſern? Was wuͤrde uns bewegen der Tu -N 3gend198[194]gend obzuliegen? Ja was wuͤrde uns an - treiben nur diejenigen Geſetze zu halten, ohne welche die menſchliche Geſellſchafft ſchwehrlich beſtehen kan? Was wuͤrde endlich unſer Gemuͤth von dem Staube dieſer Erden ein wenig abziehen und auf GOtt lencken, wenn nicht widrige Schick - ſale uns von der Nichtigkeit der zeitlichen Dinge uͤberfuͤhrten, und ein hoͤheres Gut zu ſuchen noͤthigten? Jch uͤbergehe hun - dert andere Dinge, welche den Menſchen weit ungluͤcklicher, als er anjetzt iſt, wuͤr - den gemacht haben, wenn GOtt nach dem Suͤnden-Fall die aͤuſſerlichen Coͤrper in ih - rer vorigen Schoͤnheit, Ordnung und Se - gen gelaſſen haͤtte. Hieraus iſt denn aber klar, aus was vor einer Abſicht GOTT die aͤuſſerlichen Coͤrper unvollkommener mache, wenn die Neigungen der Geiſter, ſo in und unter denſelben wohnen, ſich ver - ſchlimmern. Es muͤſſen nemlich die Un - vollkommenheiten der Coͤrper die unſeligen Begierden von dem Wege der Gluͤckſelig - keit abweichender Geiſter dergeſtalt ein - ſchraͤncken, daß ſie nicht zu den allergroͤ - ſten Verderben, welches aus ihnen nur moͤglich iſt, ausſchlagen, ſondern das ver - nuͤnfftige Geſchoͤpff dadurch von ſeinen boͤ -ſen199[195]ſen Neigungen entweder gar abgezogen wird, oder bey denſelben doch noch ſo vie - ler Gluͤckſeligkeit genieſſet, als durch wei - ſe Mittel moͤglich iſt. Und alſo leuchtet auch bey dieſer Art der goͤttlichen Straffe ſeine Begierde, Creaturen gluͤcklich zu ma - chen, gantz deutlich hervor.

§. 39.

Solten wir nun ohne Jrthum anneh -Beant - wortung dieſer Frage. men koͤnnen, daß das hoͤchſte Weſen ſeine Straff-Gerechtigkeit und ihre Abſicht in dieſer Welt ſchon ſo geoffenbahret, als ſie an ſich ſelbſt iſt; ſo werden wir eben die - ſelbe guͤtige Abſicht, welche GOTT bey Verfluchung der Erde nach dem Suͤnden - Falle gehabt, auch bey der Unangenehm - lichkeit der hoͤlliſchen Coͤrper, bey ihrem Feuer, bey ihrer Finſterniß und ihrem Wurme annehmen muͤſſen. GOTT wird nemlich die Wohnung der boͤſen Gei - ſter aus ſolchen Coͤrpern zuſammenſetzen, welche noch mehr widrige Begebenheiten und unangenehme Empfindungen verurſa - chen, als unſere von GOtt verfluchte Er - de, damit den boͤſen Neigungen, welche durch die lange Gewohnheit immer mehr eingewurtzelt und ſtaͤrcker worden, auchN 4mit200[196]mit mehrerer Macht widerſtanden werde. Er wird durch dieſe Coͤrper ihren Begier - den immer Abbruch thun, und manchen boͤſen Anſchlag, wie in dieſer Welt, zernich - ten, und dadurch bey ihnen noch mehrere Vollkommenheiten erhalten, als wenn er ſie in ein Paradieß ſetzte, in welchem ihre boͤſen Neigungen gehegt und unterſtuͤtzt wuͤrden, und dadurch Gelegenheit bekaͤ - men weit betruͤbtere Folgen nach ſich zu ziehen als in einer Welt, die aus lauter widrigen Coͤrpern zugerichtet iſt. Solte dieſe Muthmaſſung anders einer Wahr - heit aͤhnlicher als einem Jrthume ſeyn, ſo koͤnnte ſie meiner Meynung nach einiger - maſſen aus den verſchiedenen Graden der Hoͤllen-Straffen beſtaͤrcket werden. Denn blendet mich kein irriges Vorurtheil, ſo ſehe ich in denſelben die Geneigheit GOt - tes auch den Verdammten noch ſo viel Vollkommenheiten zu laſſen, als eine wei - ſe Guͤtigkeit es verſtattet, gantz deutlich. Denn da er einige nicht ſo hart ſtraffet, als die uͤbrigen, ſo erweiſet er jenen noch Gnade auch mitten in der Hoͤlle. Darf ich aber hieraus den Satz ziehen: GOtt laͤſſet den Verdammten noch ſo viel Gu - tes wiederfahren, als ſeine Weisheit es zu -giebt;201[197]giebt; ſo werde auch dieſes daraus ſchlieſ - ſen koͤnnen, daß die Coͤrper der Hoͤlle mit dieſer Abſicht uͤbereinſtimmen, und deswe - gen zu vielen Mißvergnuͤgen der boͤſen Gei - ſter eingerichtet ſeyn, weil ſie ſonſten ihre verſtockte Boßheit noch mehr ausuͤben und ſich und ihren Zuſtand noch unſeligen ma - chen wuͤrden.

§. 40.

Vielleicht dencket jemand, aus dieſerWarum GOtt die Hoͤllen - Straffen ſo ſehr empfind - lich macht? Muthmaſſung koͤnne man zwar begreiffen, warum GOtt die Laſterhafften an einen unangenehmen und traurigen Ort ſetzen werde: man koͤnne aber daraus nicht ab - ſehen, warum GOTT eben die Einwoh - ner der Hoͤlle mit ſo ſehr empfindlichen Schmertzen heimſuchen wolle. Aber auch hiervon koͤnnen wir nach der angegebenen Abſicht GOttes bey der Hoͤlle eine Urſa - che beybringen, und es iſt uns leicht zu zeigen, daß die Empfindungen der Hoͤlle deſto herber ſeyn muͤſſen, je guͤtiger GOtt iſt. Hat GOtt bey der ewigen Straffe dieſe Abſicht, daß die zur Suͤnde geneig - ten Geſchoͤpffe noch ſo vieler Vollkommen - heiten genieſſen ſollen, als durch weiſe Mit - tel geſchehen kan, und iſt ſein Wille durchN 5die202[198]die Schmertzen der Hoͤlle die boͤſen Begier - den der Gottloſen dergeſtalt zu hemmen, daß ſie nicht zu der allergroͤſten Unſeligkeit, ſo nur moͤglich iſt, ausſchlagen, ſo muß er ſie gewißlich ſehr empfindlich machen, wenn er anders dieſen Endzweck erreichen will. Denn ſind in dieſem Leben die herbeſten Schmertzen allerhand veneriſcher Kranck - heiten, ingleichen der Gicht und des Po - dagra kaum vermoͤgend die unordentlichen Begierden der Hurer, Ehebrecher, Freſſer, Saͤuffer, Zornigen und Rachbegierigen nur in etwas zu maͤßigen, wie hart wer - den denn die Foltern der Hoͤllen nicht ſeyn muͤſſen, wenn ſie die Begierden derjeni - gen ein wenig unterdruͤcken ſollen, welche durch die lange Gewohnheit in ihrer Boß - heit immer verſtockter worden? Und wol - te GOTT ſelbige gelinder machen als in dieſem Leben, ſo wuͤrde man ſagen muͤſ - ſen: GOtt regiere dort nicht ſo ſehr nach ſeiner Guͤte, als bey den Straffen in die - ſer Welt. Denn er gaͤbe dort dem Ver - derben, ſo die boͤſen Neigungen nothwen - dig nach ſich ziehen, mehr Raum als in dieſer ſterblichen Geſellſchafft. An ſtatt alſo, daß andere in den Hoͤllen-Straffen eine goͤttliche Grauſamkeit anzutreffen ver -meynen,203[199]meynen, erblicke ich in der Schaͤrffe derſel - ben die groͤſte Guͤte des weiſeſten Schoͤpf - fers. Er iſt ungnaͤdig, und ſtrafft, weil er guͤtig iſt. (Siehe §. 38.)

§. 41.

Wir kommen auf die Ewigkeit der Hoͤl -Warum die Hoͤl - lẽ-Straf - fen ewig dauren ſollen? len-Straffen, und unterſuchen, ob wir ei - ne ſolche Abſicht derſelben zu erdencken im Stande ſind, bey welcher auch ſelbige mit der Guͤtigkeit GOttes koͤnne gereimt wer - den. Nach dem vorhergehenden erweiſet ſich GOtt durch die Straffen der Ver - dammten ſo lange wie ein guͤtiges Weſen, als die boͤſen Neigungen derſelben dauren. Denn ſo lange ſelbige nicht nachlaſſen, darf auch GOtt vermoͤge ſeiner Guͤte nicht aufhoͤren, ſie durch die unangenehmen Coͤr - per der Hoͤlle zu unterbrechen, damit aus ihnen nicht noch ein groͤſſer Ubel entſtehe, als die Hoͤlle ſelbſt iſt. Koͤnnten wir nun zeigen, daß die Begierde zu ſuͤndigen, bey den Verdammten niemahls ein Ende naͤh - me, ſo haͤtten wir auch die Abſicht, wel - che GOTT bey der Ewigkeit der Hoͤllen - Straffe hat, entdecket. Wir wollen de - rowegen ſehen, ob es nach der Vernunfft wahrſcheinlich ſey, daß die Verdammtenſich204[200]ſich jemahls bekehren werden? Die Na - tur eines ſolchen, welcher erſt einmahl ei - ne Gewohnheit im Boͤſen erhalten, ſoll uns dieſes zeigen. Die Erfahrung lehret uns, daß diejenigen, ſo ſich einige Zeit den Laſtern ergeben, einen ſolchen ſuͤſſen Ge - ſchmack an denſelben finden, daß ihnen ſel - bige auch bey den betruͤbteſten Folgen an - genehm bleiben. Dargegen wird ihnen die Tugend, die Verehrung des hoͤchſten Weſens, und eine leutſelige Demuth gegen den Neben-Menſchen, ſo eckelhafft und un - angenehm, daß ſie davon nicht einmahl gerne reden hoͤren. Empfinden ſie endlich das Elend, in welches ſie ihre boͤſe Nei - gungen geſetzt, ſo wuͤnſchen ſie zwar von demſelben befreyet zu ſeyn, aber mit keiner andern Bedingung, als mit dieſer, daß ſie ihren unordentlichen Begierden noch fer - ner folgen moͤgen. Wird ihnen die Tu - gend als ein Mittel aus ihrem Verderben heraus zu kommen angeprieſen, ſo glauben ſie theils nicht, daß ſie durch ihre Laſter an ihrem Ungluͤck Urſach ſind, theils ſcheint ihnen die Tugend weit unertraͤglicher zu ſeyn, als die Unſeligkeit, in welche ſie ſich durch die Abweichung von den goͤttlichen Geſetzen geſtuͤrtzet. Gewiß ſehr wenigekehren,205[201]kehren, auch bey den empfindlichſten Straf - fen GOttes, von dem breiten Wege ab, und ſiegen in dem Kampffe wider ihre boͤ - ſen Gemuͤths-Bewegungen. Und wuͤrde ihnen in dieſer Welt ein ewiges Leben ver - ſtattet, ſo wuͤrden ſie auch immerwaͤhren - de Sclaven von ihren boͤſen Neigungen bleiben, und die ſchmertzhafften Straffen derſelben erdulten. Faſſen ſie ja in allzu - groſſem Ungluͤck einmahl den Entſchluß ſich zu beſſern, ſo veraͤndern ſie denſelben doch, ſo bald ſie nur ein klein wenig Lin - derung bekommen. Will man hiervon recht lebhaffte Exempel haben, ſo ſehe man ſich nur um nach ſolchen Leuten, welche durch Wolluſt, Hochmuth und Faulheit an den Bettel-Stab gerathen, und den - ſelben bis an ihr Ende in der Hand fuͤh - ren. Uber ſolche Leute ſchlagen insgemein alle Flammen der Truͤbſal zuſammen. Hi - tze und Froſt, Hunger und Durſt, Bloͤſſe, Schande, Verachtung und die beſchwehr - lichſten Reiſen, auch oͤffters ſchmertzhaffte Kranckheiten, machen ihnen beſtaͤndig be - truͤbte Empfindungen. Sie wuͤnſchen da - hero mit den tiefſten Seufftzern eben ſo viel Brod, eben ſo viel Kleider und eben ſo viel Ruhe zu haben als andere, welcheihr206[202]ihr Fleiß und Maͤßigkeit ernehret, und ih - re Leutſeligkeit bey andern beliebt macht. Sie koͤnnten ihres Wunſches gewaͤhret werden, wenn ſie ihre Neigungen aͤnder - ten. Ehe ſie ſelbige aber ablegen, bleiben ſie lieber ein Abſcheu anderer Leute, und ein Muſter ſolcher, welche lieber in Laſtern hoͤchſt ungluͤcklich, als bey der Tugend gluͤckſelig ſeyn wollen. Man betrachte fer - ner Leute, welche einmahl eine Gewohn - heit in der Voͤllerey erhalten oder auch dem Zorne ergeben ſind, werden ſie auch wol durch die herbeſten Schmertzen, wel - che ſie ſich dadurch zuziehen, gebeſſert? Ge - wiß unter tauſenden kaum einer. Und gleiche Macht bekommen auch andere Be - gierden uͤber uns, wenn wir ihnen eine Zeitlang nachhangen. Aeuſſern aber die einmahl angewoͤhnten Neigungen in die - ſer Welt ſchon eine ſo groſſe Gewalt, da die Menſchen noch in einer Geſellſchafft le - ben, in welcher ſie durch das Wort GOt - tes zur Tugend aufgemuntort werden, was wird denn in der Hoͤlle geſchehen, wenn keiner den andern mehr zur wahren Gott - ſeligkeit vermahnet; ſondern vielmehr ei - ner den andern in der Boßheit ſtaͤrcket? Denn auch dieſes bringet die Natur ver -derbter207[203]derbter Geiſter mit ſich, daß ſie mitten in den empfindlichſten Schmertzen ſich noch uͤber ihre Boßheit freuen, und einander die boͤſen Begierden noch ferner rege ma - chen. Man gehe hin in die Geſellſchafft der Hurer, welche eben die haͤrteſte Straf - fe ihrer Unzucht fuͤhlen, hoͤrt man nicht wol gar dieſe Worte: der ſey noch kein verſuchter und hertzhaffter Menſch, der nicht alle oder doch die mehreſten Grade der veneriſchen Kranckheiten mit einer Großmuth ausgeſtanden, ein friſches Hertz muͤſte ſich dadurch von nichts abſchrecken laſſen? Ja haͤlt man es wol nicht gar vor eine Schande, wenn ſich jemand durch dergleichen Straffen will furchtſam ma - chen laſſen? Man hoͤre die Saͤuffer re - den, bereuen ſie ihre Thorheit, wenn ſie vom ſtarcken und uͤberfluͤßigen Getraͤnck Schmertzen im Kopffe fuͤhlen, und beſſern ſie ſich, wenn ihr Leib anfaͤnget zu ver - trocknen oder von ungeſunden Waſſer aufzuſchwellen. Schlieſſet man alsdenn gleich die Sauff-Lieder? Hoͤret man auf einander in vollen Bechern Geſundheiten zuzutrincken? Ach ſaͤufft man nicht, bis man den aͤuſſerſten Rand des Grabes be - ruͤhret? Was ſoll man denn wol andersvon208[204]von der Bekehrung aller Verdammten muthmaſſen, wenn ſie erſt in ihrem eige - nen Reiche allein ſind, kein eintziges gutes Exempel mehr vor ſich ſehen, und niemand mehr da iſt, der ihnen zurufft: Kehret ab von euren boͤſen Wegen und lernet Gutes thun. Will man einwenden, das hoͤlli - ſche Feuer wird den Teuffeln und gottlo - ſen Menſchen viel zu empfindlich ſeyn, als daß ſie durch daſſelbe nicht ſolten zu einer Reue uͤber ihre Suͤnde gezwungen wer - den; ſo unterſtuͤtzt meine Muthmaſſung Jo - hannes in ſeiner Offenbahrung 16. v. 8. 9. Denn dieſer bezeuget, daß GOtt mit den Flammen ſeines Zorns gewiſſe Menſchen heimgeſucht, und daß ihnen vor groſſer Hi - tze ſehr heiß worden, und ſie dennoch nicht Buſſe gethan, ſondern den Nahmen GOt - tes gelaͤſtert. Woraus deutlich genug er - hellet, daß die Hitze des goͤttlichen Straff - Feuers die Bekehrung der Laſterhafften nicht nothwendig mit ſich verknuͤpfft habe. Wenn wir denn aber annehmen doͤrffen, daß die Verdammten das Joch der boͤſen Begierden niemahls abwenden werden, ſo wiſſen wir auch die Urſache, warum ſie GOtt ewig ſtraffen muß. Weil er nem - lich in Ewigkeit guͤtig bleibet, ſo muß erauch209[205]auch ohne Aufhoͤren die boͤſen Neigungen der Hoͤllen-Bruͤder durch Straffen derge - ſtalt hemmen und maͤßigen, daß ſie nicht den allerhoͤchſten Grad des Elendes nach ſich ziehen.

§. 42.

Aber warum braucht denn GOtt hierWarum GOtt die Verdam̃ - ten nicht durch ſei - ne All - macht be - kehre und ſelig ma - che? ſeine Allmacht nicht, die Boͤſen zu bekeh - ren, und ſie des Himmels wuͤrdig zu ma - chen? Jch antworte: Man frage erſt: iſt es denn auch wol ein Werck der Macht GOttes, freye Geiſter durch bloſſe Gewalt dergeſtalt zu aͤndern, daß ſie daran ein Vergnuͤgen finden, was ihnen lange Zeit verhaſſet geweſen? Man frage: laͤſſet ſich die Liebe auch erzwingen, und die Geneig - heit zur Tugend durch Macht erhalten? Man wird zwar gar bald mit JA ant - worten, aber woher beweiſet man ſeine Ausſage? Wir bilden uns oͤffters ein, es ſey etwas ein Werck der Macht GOttes, welches doch durch keine Macht ins Werck zu richten. Jch habe oͤffters gehoͤrt, daß Faule ſagen, warum mag doch GOTT nicht machen, daß die Steine auf den Gaſ - ſen gelten, und man davor Eſſen, Trin - cken und Kleidung kauffen kan? Dieſe Leute uͤberreden ſich, die unumſchraͤnckten2. und 3. Stuͤck. OKraͤff -210[206]Kraͤffte GOttes koͤnnten dieſes bewerckſtel - ligen, da doch hierzu auch keine unendli - che Macht hinreicht. Denn wie lange wuͤrde der Wehrt dieſer Steine dauren koͤnnen? Wuͤrde der Bauer wol ackern und Handwercks-Leute arbeiten, ſo lange ſie vor Steine alles noͤthige kauffen koͤnn - ten? Geſchaͤhe aber dieſes nicht, woher ſolten alsdenn Fruͤchte und Kleider kom - men? Wuͤrden die Steine nicht gar bald ihren Wehrt verlieren, und die Arbeit der faulen Haͤnde wieder muͤſſen ergriffen wer - den? Giebt es aber Dinge, auf welche die Allmacht ſich nicht erſtrecket, ſo hat man Urſach zu unterſuchen, ob auch eine ge - waltſame Bekehrung der innern Seele durch die Allmacht moͤglich ſey, und ehe dieſes gruͤndlich erwieſen, iſt es unnoͤthig zu fragen, warum GOtt bey der Bekeh - rung der Gottloſen ſeiner Allmacht ſich nicht bediene? Jch habe wichtige Gruͤnde zu glauben, daß wenn ſich laſterhaffte Gei - ſter nicht durch Straffen und vernuͤnfftige Vorſtellungen bewegen laſſen, der bekeh - renden Gnade GOttes Raum zu geben, ſie durch keine andere Macht zu beſſern ſind. Weil ich aber beſchloſſen an einem andern Orte von der Hoͤllen-Straffe noch einigeEr -211[207]Erwehnung zu thun, ſo will auch die Aus - fuͤhrung dieſes letztern bis dahin verſpahren.

§. 43.

Zum Beſchluß will diejenigen, welche aufAnwen - dung die - ſer Be - trach - tung. Gnade bis an ihren Tod gedencken fortzu - ſuͤndigen, erinnern den 39. und 40. §. wohl zu uͤberlegen, und zu bedencken daß diejeni - ge Guͤte, auf welche ſie ſich verlaſſen, eben die goͤttliche Eigenſchafft ſey, Vermoͤge wel - cher ſie GOtt verdammen muͤſſe. Will ſie aber die Hoffnung zu einer ſpaͤten Bekeh - rung in ihren boͤſen Begierden ſicher ma - chen, ſo erwegen ſie, wie ſchwehr es ſey boͤ - ſe Gewohnheiten zu beſiegen und ihre Feſ - ſeln zu zerreiſſen. Oder meynen ſie, es ſey dieſes ſehr leicht, und man koͤnne in einem Augenblick ſeine gantzen Neigungen umkeh - ren, ſo machen ſie gleich die Probe davon, ſo werden ſie gar bald inne werden, wie ſchwer es ſey einen Sieg uͤber die ſuͤndli - chen Begierden zu erfechten, und einen an - genehmen Geſchmack an der Gottſeligkeit zu bekommen. Jch wuͤnſche, daß durch die - ſe Zeilen bey vielen dergleichen Gedancken moͤgen erregt und der feſte Vorſatz gefaſſet werden, den Himmel mit Furcht und Zittern zu ſuchen, und den Weg zur Hoͤllen zu flie - hen.

O 2Die212[208]

Die Sechſte Betrachtung, Von Der weiſen Abſicht GOttes bey dem Baum des Erkaͤnntniſſes Gutes und Boͤſes.

§. 1.

Einlei - tung.
35

Der Baum des Erkaͤnntniſſes Gutes und Boͤſes pflegt Spoͤttern und Vereh - rern des geoffenbahrten Wortes ein Stein des Anſtoſſes zu ſeyn. Der Spoͤtter un - beſonnene und freche Mund pflegt zu ſa - gen: die geoffenbahrte Religion gruͤnde ſich auf eine Apffel-Freſſerey. Fromme Chri - ſten aber, welchen ihr elender und ſuͤndli - cher Zuſtand zu Hertzen geht, beſeufftzen wol, daß es dem Schoͤpffer gefallen, das Paradieß durch eine ſo gefaͤhrliche und un - ſelige Frucht zu einem Ort eines betruͤbten Andenckens zu machen. Sie gedencken: was hat doch wol die weiſeſte Guͤtigkeit be - wogen den Menſchen, ſo er nach ſeinem Ebenbild erſchaffen, auf eine ſo gefaͤhrli - che Probe, deſſen betruͤbten Ausgang ſie vorher geſehen, zu ſetzen? Warum hat esdenn213[209]denn der hoͤchſten Vorſicht nicht gefallen, an ſtatt dieſes ſo gefaͤhrlichen Baumes, noch einen Baum des Lebens zu ſetzen, und alſo dem Menſchen alle Gelegenheit zu ſuͤn - digen, zu entziehen? Das Ebenbild GOt - tes waͤre ja alsdenn vielleicht ein ewiges Erbtheil aller Menſchen-Kinder worden, und weder Suͤnde noch Tod haͤtte ihre Gluͤckſeligkeit unterbrochen. Wir wollen uns dahero bemuͤhen dieſe Zweiffel aufzu - loͤſen, indem wir die weiſe Abſicht welche GOtt bey dieſem Baume gehabt, unter - ſuchen, und zu entdecken uns laſſen ange - legen ſeyn.

§. 2.

Ehe wir aber dieſe weiſe Abſicht erbli -Der Menſch muß duꝛch Ubung zu einer Ge - wohnheit gebracht werden. cken koͤnnen, iſt noͤthig zu erweiſen, daß eine Creatur, deren Schrancken ſo enge, als ſie bey einem Menſchen angetroffen werden, einer groſſen Ubung noͤthig habe, theils wenn ſie zu einer Fertigkeit in Gu - ten gelangen, theils wenn ſie ſelbige behal - ten, und darinne bekraͤfftiget werden ſoll. Will man einem jungen Menſchen ange - woͤhnen mit Gelde kluͤglich umzugehen, ſo giebt man ihm etwas in die Haͤnde, und zeigt ihm dabey, wie er ſelbiges vernuͤnff -O 3tig214[210]tig gebrauchen muͤſſe. Will man demſel - ben eine Fertigkeit beybringen, allerhand ſchoͤne Sachen zu ſehen, ohne eine boͤſe Be - gierde zu denſelben zu bekommen, ſo ſetzt man ihm ſolche Dinge vor, zu welchen er einige Neigung hat, mit dem Befehl nichts darvon zu nehmen. Man ſchickt ihn uͤber Geld, Wein und wohlſchmeckende - Waaren, und ſetzt eine Straffe darauf, wenn er ſich wuͤrde etwas davon geluͤſten laſſen. Will man jemanden gewoͤhnen mit andern einen leutſeligen und hoͤfflichen Umgang zu pflegen, ſo bringet man ihn in Geſellſchafften artiger Leute, und uͤbet ihn in Worten und Wercken ſich leutſelig zu bezeigen. Werden ſolche Ubungen eine Zeitlang fortgeſetzet, ſo gelanget man end - lich zu einer ſolchen Fertigkeit und Ge - wohnheit in einer Sache, welche man nicht leicht wieder verlieret.

§. 3.

Der erſte Menſch hat Ubung von noͤ - then ge - habt, um im Guten recht feſt zu werdẽ.
35

Der Geneigte Leſer wird ſich vielleicht wundern, wenn mich unterſtehe zu be - haupten, daß bey den erſten Menſchen auch im Stande der Unſchuld, dergleichen Ubungen noͤthig geweſen, um ihn dadurch zu einer voͤlligen Gewohnheit in allen Gu -ten215[211]ten zu bringen. Es wird dieſe Verwun - derung aber ſo gleich aufhoͤren, ſo bald ich nur dargethan habe, daß auch CHriſtus ſelbſt durch dergleichen Ubungen zu einer Fertigkeit in gewiſſen Tugenden gebracht worden. (*)Damit es niemand befremde, wenn hier behaupte, daß auch Chriſtus nach ſeiner menſch - lichen Natur einige Vollkommenheiten des Ver - ſtandes und des Willens durch Ubung nach und nach erhalten, ſo habe folgende Stelle aus des Starckens Synopſi Bibliothecæ exegeticæ in N. T. hierbey ſetzen wollen, als in welcher eben daſſelbe enthalten. Jch finde aber da -Der heilige Urheber des Brieffes an die Hebraͤer ſchreibt ausdruͤck - lich von ihm Cap. 2. v. 17. 18. Daher mu - ſte er (JESUS) aller Dinge ſeinen Bruͤ - dern gleich werden, auf daß er barm - hertzig wuͤrde, und ein treuer Ho - herprieſter vor GOtt, zu verſoͤhnen die Suͤnde des Volcks. Denn darin - nen er gelitten hat, und verſucht iſt, kan er helffen denen, die verſucht werden; und Cap. 4. v. 15. Wir haben nicht einen Ho - henprieſter, der nicht koͤnnte Mitleiden ha - ben mit unſer Schwachheit, ſondern, der verſucht iſt allenthalben, gleich wie wir, doch ohne Suͤnde. Aus dieſen beyden Orten erhellet ausdruͤcklich, daß Chriſtus durch elende und jaͤmmerliche aͤuſſere Um - ſtaͤnde, durch allerhand Verſuchungen und Leiden ſeinen hohen Grad der Barmher - tzigkeit der menſchlichen Natur nach erlanget. Denn allerhand Verſuchungen und Truͤbſale |ſind die Schule, worinne man Mitleiden und Barmhertzigkeit ler -O 4net.216[212]net. Wer niemahls in betruͤbten Umſtaͤn - den geweſen, wird durch das Elend eines andern nicht gar leicht, und auch nicht ſehr geruͤhret werden. Wer aber ſelbſt viel Widriges verſucht und ausgeſtanden, dem werden durch die Einbildungs-Krafft bey Erblickung eines andern Elenden, ſei - ne ehmahligen Schmertzen und Betruͤbniß wieder ins Gemuͤth gebracht, und daher entſtehet denn bey einem ſolchen, ein Mit - leiden. Chriſtus wird auf gleiche Weiſe barmhertzig und mitleidig gemacht. Durch aͤhnliche Ubungen hat er Gehorſam geler - net. Wir leſen dieſes Ebr. 5. v. 8. und wiewol er GOttes Sohn war, hat er doch an dem, das er leidet, Gehorſam geler - net. Und da er vollendet iſt, oder wie es eigentlicher lauten moͤchte, und da er (nachdem er nemlich durch allerhand Lei - den und Verſuchungen geuͤbet, und in ſei - nen natuͤrlichen Vollkommenheiten befeſti - get worden) vollkommen worden, iſt er worden allen, die ihm gehorſam ſind, eine Urſache zur ewigen Seligkeit. Er ſolte nemlich vor die Suͤnde der gefallenen Men - ſchen genug thun: hierzu aber war noͤthig, daß er ſelber keine Suͤnde hatte. Dahe - ro wurde er in ſolcher Unſchuld gebohren,als217[213]als der erſte Menſch geſchaffen war. Die - ſes aber war nicht genug, ſondern es mu - ſten beſonders die Vollkommenheiten des Willens durch allerhand Ubungen auf den hoͤchſten Grad gebracht werden. Dero - wegen wurde er auf allerhand Art verſucht, Ebr. 2. v. 18. Matth. 4. Er muſte auch unter andern aus der Urſache vieles leiden, damit er barmhertzig wuͤrde, Ebr. 2. v. 17. Hat ſich nun aber die menſchliche Natur Chriſti, die doch mit der goͤttlichen in ei - ner Perſon vereiniget war, gewiſſen Ubun - gen unterwerffen muͤſſen, wenn ſie den hoͤchſten Grad gewiſſer Tugenden errei - chen wollen, ſo wird ſolches noch vielmehr bey den erſten Menſchen ſeyn noͤthig ge - weſen, als welcher ſo viel Vorzuͤge nicht einmahl hatte, als die menſchliche Natur Chriſti. Denn ſelbige war in einer Per - ſon mit GOtt vereiniget, in welcher Ver - einigung weder Adam noch Eva jemahls geſtanden.

O 5ſelbſt218[214]
(*)ſelbſt uͤber Lucaͤ, Cap. 2, 52. folgende Anmer - ckung. Wie ſein (Chriſti) Leib wuchs, und ſei - ne Vernunfft zunahm natuͤrlicher Weiſe, als in andern Menſchen, alſo ſenckte ſich auch im - mer mehr und mehr der Geiſt in ihn, daß er wahrhaftig je aͤlter, je groͤſſer, und je groͤſ - ſer, je vernuͤnfftiger, und je vernuͤnfftiger, je ſtaͤrcker im Geiſte und voller Weißheit iſt wor - den vor GOtt und ihm ſelber, und vor den Leuten. Es iſt aber die Rede hier nicht von der goͤttlichen Weißheit, die er nach der goͤtt - lichen Natur weſentlich hatte, in dero Ge - meinſchafft auch die menſchliche Natur aufge - nommen worden, durch die perſoͤnliche Ver - einigung, denn dieſe kan nicht wachſen; ſon - dern von der menſchlichen Weißheit, die in ihm, wie in andern Glaubigen, durch die Ga - be des Heiligen Geiſtes, durch Unterweiſung und Erfahrung gewachſen. Welcher Wachs - thum ein Stuͤck der Erniedrigung Chriſti iſt; denn haͤtte er ſich der goͤttlichen Herrlichkeit, ſo ihm gebuͤhrte, gleich brauchen wollen, ſo waͤre alles im hoͤchſten Grad der Vollkom - menheit bey ihm geweſen, und haͤtte keinen Wachsthum bedurfft.
(*)

§. 4.

Was die Beſtaͤti - gung im Guten ſey?
37

Wir lernen hieraus, worinnen die Be - kraͤfftigung im Guten (confirmatio in bono) bey einem endlichen Geiſte beſte - he, und wodurch ſelbige erhalten werde? Chriſtus wurde im Guten bekraͤfftiget, in - dem er durch allerhand Ubungen, bey wel - chen die Macht GOttes mitwuͤrckete, zueiner219[215]einer ſolchen Fertigkeit und Gewohnheit in allen Tugenden gelangete, daß es ihm un - moͤglich war etwas wider die goͤttlichen Geſetze vorzunehmen. Es iſt nicht zu zweiffeln, GOtt als das weiſeſte Weſen, werde bey dem Erloͤſer den beſten Weg zur Bekraͤfftigung im Guten erwehlet ha - ben, und daß alſo keine beſſere moͤglich ſey. Hieraus aber wird man | folgenden Begriff von einer GOttes Weißheit ge - maͤſſen Beſtaͤtigung im Guten herleiten koͤnnen. Sie iſt nemlich eine durch goͤtt - liche Gnade und Ubung erlangte Gewohn - heit im Guten, welche ſo eingewurtzelt, daß ſie nicht wieder kan abgeleget werden.

§. 5.

Es wird niemand zweiffeln, daß derDer ver - bothene Baum gab den erſten Menſchen Gelegen - heit zu ei - ner ſeli - gẽ Ubung im Guten, und war ein Mittel ihn darin - ne zu be - ſtaͤtigen. guͤtige Schoͤpffer, welcher den erſten Men - ſchen nach ſeinem Bilde geſchaffen, eine ſeinen goͤttlichen Vollkommenheiten gemaͤſ - ſe Neigung werde gehabt haben dieſes Ebenbild bey ihm zu erhalten und ſo fe - ſte einzupraͤgen, daß ſolches endlich durch nichts mehr haͤtte koͤnnen verdunckelt, und in ein Bild eines durch boͤſe Begierden unſeligen Geiſtes verwandelt werden. Es iſt derowegen aus den VollkommenheitenGOttes220[216]GOttes gewiß, er werde auch alle Mittel angewendet haben dieſe ſo goͤttliche Abſicht zu erhalten. Wir wollen uns bemuͤhen, ob wir die beſten Mittel hierzu entdecken koͤnnen, und ob der Baum des Erkaͤnnt - niſſes Gutes und Boͤſes etwas darzu bey - tragen koͤnnen? Der erſte Menſch, indem er GOtt aͤhnlich war, beſaß ſo viel Voll - kommenheiten des Verſtandes und des Willens, daß er durch dieſelben das Gu - te allezeit haͤtte erkennen und wehlen, und dadurch ſeine Gluͤckſeligkeit befoͤrdern koͤn - nen. Hierinnen beſtand hauptſaͤchlich das goͤttliche Ebenbild, welches nach der guͤ - tigen Abſicht des Schoͤpffers niemahls ſol - te verlohren werden. Dieſe Abſicht erfor - derte derowegen nichts als eine ſolche Be - feſtigung im Guten, welche den Menſchen auſſer Gefahr geſetzet, jemahls etwas Boͤ - ſes zu erwehlen. Wir wiſſen aber aus dem obigen, daß ſelbige bey einer freyen Creatur unter der Gnade GOttes durch nichts fuͤglicher koͤnne erhalten werden, als durch allerhand Verſuchungen, welche ſie zur Ubung und von der Ubung zu einer be - ſtaͤndigen Gewohnheit im Guten bringen. Solte alſo der erſte Menſch auſſer Gefahr geſetzt werden, das Ebenbild GOttes zuverlie -221[217]verlieren, ſo muſte ihm Gelegenheit gege - ben werden ſich im Guten zu uͤben. Die ſinnlichen Begierden ſind dem Menſchen am gefaͤhrlichſten, und verleiten ihn am erſten zur Suͤnde; derowegen war der Weißheit GOttes nichts gemaͤſſer als dem erſten Menſchen ſolche Ubungen an die Hand zu geben, durch welche er zu einer ewigen Herrſchafft uͤber die Sinne gelan - gen koͤnnte. Die ſinnlichen Begierden ge - hen nun entweder auf eine groſſe Anzahl Guͤter und Vermoͤgen, oder auf einen aͤuſ - ſerlichen Vorzug, da ſich viele andere vor uns biegen, und ſich zu unſeren Fuͤſſen le - gen muͤſſen, oder aber auf die beſonders ſo genannten Wolluͤſte des Lebens. Die er - ſte und zweyte Art ſinnlicher Begierden, konnte ſich bey den erſten Menſchen nicht wol aͤuſſern, ſo lange ihre Geſellſchafft noch aus zwey Perſonen beſtand. Denn die gantze Erde both ihnen ihre Schaͤtze dar, und benahm ihnen die Furcht Mangel zu leiden, und verſtopffte alſo die Quelle des Geitzes. Hochmuth vergleicht allezeit an - dere mit ſich ſelbſt, ſucht andern, die voll - kommener ſind, auf eine unerlaubte Art gleich zu werden, und wenn dieſe Gleich - heit da iſt, durch eine unſelige Erhebungſeiner222[218]ſeiner ſelbſt wieder in eine andere Ungleich - heit zu verwandeln. Hochmuth konnte ſich derowegen gleichfalls nicht leicht bey den erſten Menſchen, beſonders im Anfange, ſehen laſſen, auſſer etwa durch eine Begier - de ſich der Herrſchafft GOttes zu entzie - hen, und ſelbigem auf eine unvernuͤnfftige Art gleich zu werden. Denn gegen ande - re Neben-Menſchen konnten ſie nicht hoch - muͤthig ſeyn, weil ſelbige noch nicht da waren, und unter ihnen ſelbſt als jungen Eh-Leuten, war wol die Liebe ſtaͤrcker, als daß ſie dem Hochmuth gegen einander haͤt - ten einen Platz einraͤumen ſollen. Die Ge - fahr auf ſchaͤdliche Wolluͤſte zu verfallen, und Leib und Seel dadurch zu verderben, war gleich im Anfange am groͤſſeſten. Die ſchoͤnen Farben, der angenehme Geruch und liebliche Geſchmack ſo vieler Fruͤchte, welche GOtt den Menſchen zur Nahrung und Vergnuͤgen geſchaffen, waren am er - ſten im Stande eine verderbliche Begier - de ſelbige im Uberfluß zu gebrauchen, zu erregen, und ſie durch ihre vergnuͤgende Empfindung ſo einzunehmen, daß ſie in Genieſſung derſelben allein ihre Gluͤckſelig - keit ſetzen mochten. Es war alſo am noͤ - thigſten die erſten Einwohner dieſer Erdenzur223[219]zur voͤlligen Herrſchafft uͤber dieſe Art ſinn - licher Begierden zu bringen, und ſie in derſelben ſo zu befeſtigen, daß auch der niedlichſte Anblick, Geruch und Geſchmack ſie niemahls zu uͤberwinden, zum Miß - brauch zu verfuͤhren, und ihnen die Feſ - ſeln einer betruͤbten Sclaverey anzulegen vermoͤgend geweſen. Hierzu war, wie oben (§. 3.) erwieſen, Ubung von noͤthen, durch welche die erſten Menſchen zu der Fertigkeit zu bringen, bey keiner ſinnlichen Empfindung gleich einen Entſchluß zu weh - len oder nicht zu wehlen zu machen, und mit einer zeitigen Uberlegung dabey ſtehen zu bleiben, und erſt reifflich zu unterſuchen, ob die Sache auch wahrhafftig gut oder ſchaͤdlich ſey. Wer durch Ubung eine Fertigkeit in einer Handlung erhalten will, der muß ſelbige vielmahl vornehmen. Sol - ten derowegen die erſten Menſchen durch Ubung die Fertigkeit erlangen, bey den an - genehmſten Empfindungen Herren uͤber ih - re Begierden zu bleiben, ſo war noͤthig, daß ſie die ſchoͤnſten und lieblichſten Din - ge oͤffters anſahen, und dennoch ihre Be - gierden in Zaum hielten, und nichts da - von nahmen. (Siehe §. 2.) Was war alſo der Guͤte und Weißheit GOttes ge -maͤſſer,224[220]maͤſſer, als ihnen im Paradieß Gelegen - heit zu einer ſolchen ſeligen Ubung zu ge - ben? Und was konnte die ewige Vorſicht bey den Umſtaͤnden der erſten Menſchen beſſers darzu wehlen, als einen ſchoͤnen Baum mit den lieblichſten Fruͤchten, wel - che ſie zwar anzuſehen, nicht aber zu eſſen erlaubte?

§. 6.

Weitere Ausfuͤh - rung des vorigen.
37

Es war aber dieſer Baum auch noch auf andere Weiſe ſehr heilſam, die erſten Menſchen im Guten zu bekraͤfftigen, und ſie zu einem geſellſchafftlichen Leben mit vielen andern vorzubereiten. Waͤren die Menſchen in dieſer Verſuchung nur eine kleine Zeit ſtandhafft blieben, ſo waͤre es ihnen nach und nach leicht worden ſeyn et - was, ſo zwar ſehr angenehm, aber zu be - gehren verbothen, ohne eine boͤſe Luſt an - zuſehen. Hierdurch aber wuͤrde dem Gei - tze als einer Wurtzel alles Ubels, aller Safft ſeyn benommen worden, und wuͤr - de niemahls zu weitlaͤufftigen Streitigkei - ten und blutigen Kriegen Anlaß gegeben ha - ben. Doch was will ich weitlaͤufftig ſeyn, da ich mit wenigen zeigen kan, daß wenn der Menſch die goͤttliche Verſuchung einekleine225[221]kleine Zeit ausgehalten, er dadurch auf den hoͤchſten Gipffel aller Tugend wuͤrde kom - men ſeyn, und alle Gefahr jemahls durch eine boͤſe Wahl ſich ungluͤcklich zu machen uͤberwunden haben. Der hoͤchſte Grad der Tugend beſtehet darinne, daß man bey allen ſeinen Handlungen ſich nach den Vollkommenheiten GOttes richtet, und bey einem jeden Entſchluß ſelbige vor Au - gen hat, und nichts thut, welches der wei - ſeſten Vorſehung zuwider iſt. Auch die - ſes wird durch Ubung erhalten: Haͤtte de - rohalben der erſte Menſch dem Verbothe GOttes nur einige Zeit nachgelebt, ſo wuͤr - de er dadurch unvermerckt eine ſtandhaff - te Gewohnheit erhalten haben, bey allen ſeinen Handlungen an die Vollkommen - heiten GOttes zu gedencken und ſelbige zu einem ſeligen Geſetz aller ſeiner Begierden zu machen. Kan man aber auf dieſe Weiſe den Baum des Erkaͤnntniſſes Gu - tes und Boͤſes, als ein vortreffliches Mit - tel anſehen, wodurch die erſten Menſchen im Guten haͤtten koͤnnen bekraͤfftiget wer - den, was wundern wir uns denn, daß der guͤtige Schoͤpffer ihn in das Paradieß ge - ſetzet, und den Genuß ſeiner Aepffel mit2. und 3. Stuͤck. Pdem226[222]dem herbeſten Fluche verknuͤpffet? War - um tadeln wir Blinde doch den weiſeſten GOTT, daß er dem Menſchen einen ſol - chen Stein des Anſtoſſes vor die Fuͤſſe ge - leget, da er doch wider ſeine Vorſorge vor die Wohlfahrt des menſchlichen Ge - ſchlechts gehandelt, wenn er ſelbiges nicht gethan haͤtte? Denn waͤre der Menſch nicht ohne ſolche Verſuchung und Ubung in groͤſſerer Gefahr zu fallen geweſen, als bey derſelben?

§. 7.

Warum GOtt die erſten Menſchen nicht durch die bloſſe All - macht im Guten be - ſtaͤtiget?
37

Vielleicht denckt jemand, warum hat denn GOTT die erſten Menſchen eben durch eine ſolche ſchwehre Verſuchung im Guten befeſtigen wollen? Warum hat er nicht beſchloſſen, ſie ohne alle Ubungen zu Herren uͤber die ſinnlichen Begierden zu machen, und warum hat er ihnen nicht eine unveraͤnderliche Gewohnheit im Gu - ten anerſchaffen? Es wuͤrde dieſe Frage ſchwehr zu beantworten ſeyn, wenn aus - gemacht waͤre, daß es moͤglich, einen freyen Geiſt ohne Ubung im Guten feſt zu ſetzen. Da ſelbiges aber nicht kan erwieſen wer - den, ſo hat man vielmehr Urſach zu zweif -feln,227[223]feln, daß ſolches angehe. Es wird dieſes daher ſehr muthmaßlich, weil GOtt we - der den Engeln noch auch Chriſto die Fer - tigkeit in allen Tugenden anerſchaffen, ſon - dern ſie gleichfalls eine Zeitlang im Guten geuͤbt und verſucht, und ſie dadurch im Gu - ten befeſtiget. Wenigſtens iſt dieſes aus dem vollkommenſten Willen GOttes, wel - cher niemahls das ſchlechtere dem beſſern vorziehet, gewiß, daß kein ander Weg eine endliche Creatur auf den hoͤchſten Gipffol der Tugend zu fuͤhren, beſſer ſey, als derje - nige, auf welchem man verſchiedene Stei - ne des Anſtoſſes voruͤber gehen muß, als welche die Standhafftigkeit eines ſolchen Geiſtes uͤben und unuͤberwindlich machen. (Siehe §. 3. 4.) Es ſcheinen mir hierinnen alle freye Creaturen, ſo ohne Suͤnde den Schauplatz der Welt betreten, hertzhaff - ten Soldaten gleich zu ſeyn, deren natuͤr - licher Muth nicht ehender feſt und unver - aͤnderlich wird, bis er in einigen Schlach - ten die Probe ausgehalten, und den Sieg darvon getragen.

§. 8.

Noch eine Frage muß ich hierbey be -Warum GOtt den verbothe - nẽ Baum antworten, nemlich: Warum doch derP 2Schoͤpf -228[224]gepflan - tzet, da er doch ſeine Abſicht dabey nicht er - halten.Schoͤpffer den Baum des Erkaͤnntniſſes Gutes und Boͤſes gepflantzet, da er doch zum voraus geſehen, daß er den Endzweck, den wir hierbey entdecket, nemlich die Be - feſtigung im Guten nicht erhalten, ſondern der Menſch bey demſelben eben ſeinen ſinn - lichen Begierden die Herrſchafft uͤberge - ben wuͤrde? Wenn ich auf dieſe Frage antworten ſoll, ſo ſetze ich zum voraus, daß die Wohlfahrt der freyen Creaturen durch nichts mehr kan befoͤrdert werden, als durch eine lebendige Erkaͤnntniß der Vollkommenheiten GOttes. Da nun GOtt die Gluͤckſeligkeit der freyen Crea - turen ſo hoch zu treiben bemuͤhet iſt, als durch weiſe Mittel geſchehen kan, ſo erfor - dert dieſe Abſicht, daß er denſelben ſeine Vollkommenheiten offenbahre, und ſie aus ſeinen Wercken hervorleuchten laſſe. Be - ſonders iſt den vernuͤnfftigen Geſchoͤpffen ſehr daran gelegen, daß ſie von der Guͤ - tigkeit und vaͤterlichen Vorſorge GOttes uͤberfuͤhrt ſind, und ſelbige in allen Thei - len der Welt erblicken. Dieſe muß ſie zur Liebe und kindlichen Gehorſam gegen den Schoͤpffer antreiben, und den durch widrige Schickſale fallenden Muth unter -ſtuͤtzen229[225]ſtuͤtzen und aufrichten. Es erfordert dero - wegen die Vorſehung GOttes vor ſeine vernuͤnfftige Geſchoͤpffe, daß die Strah - len ſeiner Guͤte an allen Orten ein helles Licht von ſich geben, und die Augen ver - ſtaͤndiger Geiſter ruͤhren. Und hiermit ſtimmet denn auch ungemein uͤberein die Pflantzung des Baums des Erkaͤnntniſſes Gutes und Boͤſes. Es hat GOTT den Menſchen dadurch erwieſen, er laſſe auf ſeiner Seite nicht das geringſte fehlen, was nur etwas zu der Wohlfahrt derſel - ben beytragen koͤnne, er ergreiffe alle Mit - tel ſie vom Verderben abzufuͤhren, und durch ein ewiges Vergnuͤgen gluͤcklich zu machen. Eben dieſe weiſe Abſicht finden wir auch bey Anlegung des Paradieſes. Denn auch hier wuſte GOTT gar wol, daß die Menſchen ſich deſſelben gar bald wuͤrden unwuͤrdig machen. Er laͤſſet aber dennoch nichts an der Schoͤnheit deſſelben ermangeln, und zeigt bloß dadurch, ſeine Liebe gegen das menſchliche Geſchlecht ſey unendlich.

§. 9.

Solte ich in meiner MuthmaſſungAnwen - dung die - ſer Be - deutung. gluͤcklich geweſen ſeyn, und die wahre Ab -P 3ſicht230[226]ſicht GOttes bey dem Baum des Erkaͤnnt - niſſes Gutes und Boͤſes entdeckt haben: ſo koͤnnen wahre Verehrer der Chriſtlichen Religion zu Beruhigung ihres Gemuͤths daraus lernen, daß eben diejenige Guͤtig - keit, welche GOtt zu Erſchaffung dieſer Welt bewogen, ihn auch angetrieben den Baum des Erkaͤnntniſſes Gutes und Boͤ - ſes zu pflantzen, und daß bey demſelben und der gantzen Welt einerley Abſicht an - getroffen werde, nemlich die Gluͤckſelig - keit freyer und vernuͤnfftiger Creaturen. Die Spoͤtter aber werden einſehen, daß die Chriſtliche Religion nicht von einer bloſſen Apffel-Freſſerey anfange, ſondern zeige, wie die betruͤbten Feſſeln wieder zu zerreiſſen, welche die ſinnlichen Begierden unſern erſten Eltern, und zugleich auch uns angeleget, und wodurch wir zu unſeligen Gefangenen gemacht. Denn es kommt bey der Suͤnde Adams nicht bloß auf den Genuß der verbothenen Frucht an, ſon - dern es hat ſelbige etwas mehreres mit ſich verknuͤpfft. Der Menſch hatte im Anfange noch keine unveraͤnderliche Ge - wohnheit im Guten, ſondern ſolte ſelbige erſt durch Ubung erlangen. Er hatte da -zu231[227]zu von GOtt hinlaͤngliche Kraͤffte erhal - ten, und ſtand bey ihm, ob er ſelbige ge - brauchen wolte oder nicht. Die ſinnli - chen Begierden waren es gantz allein, wel - che ſeine Gluͤckſeligkeit noch in einige Ge - fahr ſetzten, mit dieſen hatte er noch um ſeine ewige Freyheit zu ſtreiten. Der Menſch ſolte in dieſem Krieg lernen jeder - zeit auf ſeiner Huth zu ſtehen, und nie - mahls die Dinge nach den Vorſtellungen der Sinne allein, ſondern nach der Einſicht der Vernunfft und der weiſeſten Vor - ſchrifft GOttes zu beurtheilen, und nach dieſem reiffen Urtheil ſeine Wahl einzu - richten. Gewiß ein wichtiger Krieg! Aber ach betruͤbter Ausgang deſſelben. Die ſchmeichelnde und in Jrthum verfuͤhrende Vorſtellungen der Sinne ſchlaͤffern die Vernunfft ein, beſiegen ſie und legen ihr unſelige Feſſeln an. Der Menſch ſagt GOtt einmahl den Gehorſam auf, folgt ei - nem unreiffen und uͤbereiltem Urtheil, und ſetzt ſeine Seele dadurch in die Umſtaͤnde, daß ſie hinfuͤro geneigter iſt unordentlichen Vorſtellungen zu folgen, und wider die weiſeſten Geſetze zu handeln. Denn die Erfahrung lehret, daß dieſes die NaturP 4einer232[228]einer freyen Seele mit ſich bringe, daß wenn ſie einmahl das Vergnuͤgen einer ſinnlichen Vorſtellung geſchmecket, ſie ge - neigter zu derſelben werde, und wenn ſie etlichemahl eine mercklich angenehme Em - pfindung von einer Sache gehabt, eine ſolche Begierde zu derſelben bekomme, daß es ihr faſt unmoͤglich faͤllet ſelbige zu un - terdrucken. (Siehe die fuͤnffte Betrach - tung §. 21.) Es hat dieſe Erfahrung mit dem Exempel unſer erſten Eltern ihren Anfang genommen. Und dieſe betruͤbte Stunde, worinnen die erſten Menſchen den Sieg wider die ſinnlichen Begierden verlohren, und das Joch der Knechtſchafft ſich und ihren Nachkommen uͤber den Hals gezogen, iſt es, woher ein groſſer Theil der Chriſtlichen Religion ihren Ur - ſprung genommen, nemlich derjenige Theil welcher zeiget, wodurch wir aus dieſer un - ſeligen und traurigen Gefangenſchafft wie - der koͤnnen erloͤſet werden. Jſt dieſes aber etwas geringes und niedertraͤchtiges? Ge - wiß iſt es bey einem Artzte vor etwas be - ſonderes zu achten, wenn er dem Kran - cken den Urſprung ſeines Ubels entdecket, und ihm zeiget, wovor er ſich zu huͤten,und233[229]und welcher Medicin er ſich zu bedienen, daß er dem Tode entgehe; ſo kan man ge - wiß die Vortrefflichkeit der Chriſtlichen Religion daraus abnehmen, daß ſie uns den Urſprung und die Urſache unſers Elen - des zu erkennen giebt, und uns die Mit - tel anweiſet, wodurch wir aus demſelben koͤnnen errettet werden.

§. 10.

Bey dieſer Gelegenheit, da von der Ab -Woher der Nah - me des Baums des Er - kaͤñtniſſes Gutes und Boͤ - ſes kom - men. ſicht des Baums des Erkaͤnntniſſes Gutes und Boͤſes gehandelt, iſt mir eine Muth - maſſung von dem Urſprung dieſes Nah - mens beygefallen, welche denn, weil ſie mit der vorher abgehandelten Materie einige Verwandtſchafft hat, mit beyſetzen wol - len. Der erſte Menſch ſolte, wie wir dargethan, im Guten beſtaͤtiget werden. Hierzu war noͤthig, daß er nicht nur das Gute und Boͤſe kennen lernete, ſondern auch einen beſtaͤndigen Denckzettel haͤtte, der ihn in beſondern Faͤllen an die einmahl erlangte Einſicht des Guten und Boͤſen erinnerte. Es iſt hoͤchſt wahrſcheinlich, wenn nicht gantz gewiß, GOTT werde den erſten Menſchen die Erkaͤnntniß Gu -P 5tes234[230]tes und Boͤſes ſelbſt beygebracht, und ihm die heilſamſten Geſetze gegeben haben. Da aber wegen der Schrancken des Men - ſchen auch noͤthig war, daß er daran oͤff - ters erinnert wurde, ſo kan man fragen, wodurch dieſes wol moͤge geſchehen ſeyn? Daß GOtt darzu kein geſchriebenes Ge - ſetz-Buch gebraucht, iſt daraus klar, weil man die Buchſtaben erſt nach der Suͤnd - fluth erfunden, welche man ſonſten gleich vom Anfange muͤſte gehabt haben. Es muß ſich alſo GOTT wol eines andern Mittels darzu bedienet haben. Jch bin auf die Gedancken kommen, daß der ver - bothene Baum zu gleicher Zeit der Denck - Zettel der goͤttlichen Geſetze geweſen, und aus dieſer Urſache der Baum des Erkaͤnnt - niſſes Gutes und Boͤſes genennet worden. Denn es ſcheinet mir dieſer Nahme nichts anders zu ſagen, als daß es ein Baum ſey, welcher anzeigen und dem Menſchen zu Gemuͤthe fuͤhren ſoll, was gut oder boͤ - ſe ſey. Jch bin in dieſer Muthmaſſung geſtaͤrcket worden, da ich mich erinnert, daß man nicht nur jetzt, ſondern auch vor gantz alten Zeiten mit groſſem Eindruck an Thieren und Baͤumen gelernet, was gutoder235[231]oder boͤſe ſey. Der Faule wird zur Ameiſe gewieſen von ihr Fleiß zu lernen, Spruͤch - woͤrt. 6. v. 6. Chriſtus zeigt uns an den Baͤumen, was ein rechtſchaffener frommer Menſch ſey, und was vor traurige Folgen ein gottloß Weſen nach ſich ziehe, Matth. 7. v. 17. 18. 19. Er fuͤhrt ſeine Juͤnger zu den Schlangen und Tauben, von jenen Klugheit und Liſt, und von dieſen Aufrich - tigkeit anzunehmen, Matth. 10. v. 16. Fra - get aber jemand, wie die erſten Menſchen durch den verbothenen Baum ſich erin - nern koͤnnen, was gut oder boͤſe ſey, ſo will ich ihm ſolches vor dieſesmahl nur mit wenigem zeigen. Unſere Einbildungs - Krafft und Gedaͤchtniß erinnern uns an ei - nem gantzen Zuſammenhang vergangener Dinge, wenn uns nur eins oder das an - dere von denjenigen, ſo ehmahls in unſerer Seele mit einander verknuͤpfft geweſen, et - wa durch die Sinne oder auch auf andere Art wieder in unſere Gedancken gebracht wird. Z. E. Man zeige einem jungen Hollaͤnder einen Hollaͤndiſchen Ducaten, und bringe ihm zu gleicher Zeit bey, daß wie der geharniſchte Mann, ſo darauf ge - praͤget, ſeine ſieben Pfeile in der Hand beyein -236[232]einander habe, damit er deſto eher moͤge im Stande ſeyn einem Feinde zu widerſte - hen, alſo muͤſte auch die Einigkeit ihren Staat befeſtigen und gluͤckſelig machen, und wenn ſie ſich durch Uneinigkeit tren - neten, wuͤrden ſie von ihren Feinden auf - gerieben werden. Man bringe dieſem jun - gen Menſchen wieder einen ſolchen Duca - ten zu Geſichte, ſo werden ihm die ſieben Pfeile des geharniſchten Mannes wieder erinnern: man muͤſſe die Einigkeit lieben und ſuchen, damit man nicht von andern verſchlungen werde. Wenn man nun an - nimmt, daß GOtt bey dem verbothenen Baume den erſten Menſchen ſeine Geſetze gegeben, und ſelbige mit allerhand Din - gen an dem Baume verglichen; ſo wird man begreiffen koͤnnen, wie dieſer Baum hat koͤnnen ein Baum des Erkaͤnntniſſes Gutes und Boͤſes ſeyn, und die goͤttlichen Geſetze zu Gemuͤthe fuͤhren. Wenn ſie nemlich dieſen Baum angeſehen, ſo wird ſein Anblick ſie auch wieder an dasjenige, was merckwuͤrdiges bey demſelben vorge - gangen, erinnert, und die beſondern Um - ſtaͤnde dieſes Baums werden ihnen die be - ſondern goͤttlichen Lebens-Regeln, wiederins237[233]ins Gedaͤchtniß gebracht haben. Beſon - ders wuͤrde das Andencken GOttes da - durch bey ihnen jederzeit recht lebhafft blie - ben ſeyn. Denn man erwegt die Unter - thaͤnigkeit gegen ſeinen Ober-Herren alle - zeit ehender bey ſeinen Verbothen und Ein - ſchraͤnckungen unſerer Begierden, als bey einer gluͤcklichen Ruhe und Uberfluß an al - lerley Guͤtern, deren man durch ſeine wei - ſe Regierung genieſſet. Und eben ſo wuͤrde dieſer Baum das Andencken GOttes bey den erſten Menſchen erneuert haben, wenn der Genuß der Reichthuͤmer Edens, ſelbi - ges etwa haͤtte verdunckeln wollen, wenn nur die Menſchen ſich des Anblicks deſſel - ben nicht haͤtten gar zu bald unwuͤrdig ge - macht.

§. 11.

Koͤnnte ich dieſes etwas wahrſcheinli -Abſicht einiger Umſtaͤnde des ver - bothenen Baums. cher machen; ſo koͤnnte ich auch noch eini - ge Urſachen anfuͤhren, warum GOtt auf dieſem Baume zwar aͤuſſerlich ſchoͤne, ſonſt aber hoͤchſt ungeſegnete Fruͤchte haͤtte wach - ſen laſſen, und warum GOTT verbothen denſelben anzuruͤhren? Denn nichts haͤtte dem erſten Menſchen die Suͤnde und ihre betruͤbte Folgen lebhaffter abmahlen koͤn -nen,238[234]nen, als eben dieſe Frucht, indem jene gleich - falls dem erſten Anblick nach ungemein an - genehm iſt, hernach aber die empfindlich - ſten Schmertzen erreget. Das Verboth den Baum| nicht anzuruͤhren, haͤtte dem Menſchen eine beſondere Ehrfurcht vor die goͤttlichen Geſetze muͤſſen beybringen, indem dieſes lebendige Geſetz-Buch ſo heilig, daß es auch nicht einmahl durch Anruͤhrung einer menſchlichen Hand doͤrffe gemein ge - macht werden. Es haͤtte dieſes einige Aehnlichkeit mit dem, was wir leſen 2. B. Moſ. 19. v. 12. und 4. B. Moſ. 4. v. 15. Jch will aber von dieſer Muthmaſſung abbre - chen, bis ſich etwa einmahl naͤhere Gruͤn - de vor dieſelbe angeben laſſen, und ich viel - leicht das Gluͤck habe die Gedancken ande - rer groſſen Maͤnner, die mehr Einſicht als ich haben, daruͤber zu vernehmen.

Jnhalt[235]

Jnhalt Dieſes andern und drit - ten Stuͤcks.

  • V. Betrachtung. Von der weiſen und guͤtigen Ab - ſicht GOttes bey dem Himmel und der Hoͤlle. _ _ pag. 99
  • VI. Betrachtung. Von der weiſen Abſicht GOttes bey dem Baum des Erkaͤnntniſſes Gutes und Boͤſes. _ _ pag. 212
[236][237]

Der Betrachtungen uͤber die Weiſen Abſichten GOttes, bey denen Dingen, die wir in der menſchlichen Geſellſchaft und der Offenbahrung antreffen, Vierdtes Stuͤck. Goͤttingen, Bey C. H. Cuno, 1739.

[238][239]
[figure]

Anhang zu der ſechſten Betrachtung enthaltend eine Muthmaſſung von der Art und Weiſe, wie die boͤſen Begierden von Eltern auf Kinder koͤnnen geerbet werden.

§. 1.

Da meine Gedancken in derGelegen - heit zu dieſer Muth - maſſung. nechſtvorhergehenden Be - trachtung mit dem Bau - me des Erkentniſſes Gutes und Boͤſes und mit dem Fall Adams beſchaͤftiget waren, ſo wur - den ſie durch dieſe Gelegenheit auf die Fort - pflantzung der boͤſen Begierden gefuͤh - ret. Weil ich nun glaube, daß die See - len der Kinder nicht von den Seelen der Eltern als junge Ablegere hervor wachſen koͤnnen, ſondern unmittelbar von der Allmacht GOttes ihren Ur - ſprung haben muͤſſen; ſo wuͤnſchte ichQ 2eine244[240]eine Meynung (hypotheſin) zu wiſſen, nach welcher ich die Fortpflantzung boͤ - ſer Begierden von den Eltern auf die Kinder eben ſo fuͤglich erklaͤren koͤnte, als wenn man annimmt, daß die See - len der Kinder gleichſam junge Schoͤß - linge von den Seelen der Eltern ſind, und deswegen eine gewiſſe Unart an ſich haben, weil ſie aus einem wilden Stamme hervor kommen und alſo deſ - ſen verderbte Natur erben. Dieſes Verlangen brachte mich auf folgende Muthmaſſung, welche dem geneigten Leſer zur guͤtigſten Beurtheilung hiermit uͤberreiche. Es iſt aber hierbey meine Abſicht gar nicht, dasjenige natuͤrliche Verderben, welches wir die Erb-Suͤn - de nennen, und deſſen Fortpflantzung gaͤntzlich zu erklaͤren: Denn dieſes er - fordert eine weit hoͤhere Einſicht, als ich mir ſelbſt zueigne, ich ſuche durch meine Muthmaſſung weiter nichts zu zeigen, als wie ein bloſſer Philoſoph die Moͤg - lichkeit fortgeerbter Begierden ſich vor - ſtellen koͤnne. Jch ſchreibe auch dieſer Meynung keine groͤſſere Gewißheit zu, als die Muthmaſſungen fuͤr ſich haben, wodurch man die mit einander uͤberein - ſtimmende Wuͤrckungen des Leibes und der Seele erklaͤret. Vielweniger un - terſtehe ich mich zu behaupten und fuͤrge -245[241]gewiß zu verſichern, daß die boͤſen Be - gierden bey uns eben ſo fortgepflantzt wer - den, als ich hier angebe. Jch verlange nur denen zu begegnen, welche leugnen, daß Begierden durch die Zeugung fort - geerbet werden, weil ſie keine Art und Weiſe begreiffen, wie ſolches moͤglich ſey.

§. 2.

Daß aber boͤſe Begierden mit unsEs wer - den boͤſe Neigun - gen mit uns gebo - ren. geboren werden und unſere Seele durch die Zeugung eine ſehr groſſe Neigung zum Boͤſen erhaͤlt, will hier nicht weit - laͤuftig erhaͤrten, ſondern einen jeden, der daran zweifelt, auf ſeine eigene Er - fahrung verweiſen. Ein jeder, der auf die erſten Jahre, deren er ſich erinnern kan, zuruͤck gehet, wird leicht inne wer - den, daß ſeine boͤſen Neigungen nicht bloß von ſeiner erſten Erziehung und den Geſellſchafften, welche er zuerſt be - ſucht, herruͤhren. Er wird hiervon - berzeugt werden, wenn er ſich beſinnet, daß, ſo bald er in den Stand kommen, ſeine Neigungen ſehen zu laſſen, ſich bey ihm eine groͤſſere Begierde zum Zorn als zur Gelaſſenheit, eine groͤſ - ſere Neigung zur Rache als zur Verſoͤh - nung, ein ſtaͤrckerer Trieb bey der Faul - heit in Unwiſſenheit zu bleiben, als durch Fleiß den Verſtand mit WiſſenſchaftenQ 3aus -246[242]auszuzieren, geaͤuſſert. Einige von der - gleichen boͤſen Neigungen ſind allen Menſchen gemein, und iſt dieſes beſon - ders merckwuͤrdig, daß ſolche Neigun - gen bey manchen durch die beſte Erzie - hung, durch die ſtrengſten Geſetze und durch die Vorſtellungen des Zukuͤnftigen nicht moͤgen geſchwaͤchet, und nur von wenigen durch ſehr viele Muͤhe und Uebung in etwas uͤberwunden werden. Haͤtte unſere Seele von der Geburt her nicht einen ſo gar ſtarcken Trieb zum Boͤſen und unſeligen Handlungen, und waͤren wir zum Guten und Boͤſen gleich ſtarck geneigt; ſo wuͤrde es nicht ſo viel Muͤhe koſten, einen jungen Menſchen zum Guten zu gewoͤhnen, und wir ſelbſten wuͤrden nicht ſo ſehr zu ſtreiten haben, wenn eine boͤſe Luſt uns uͤberwinden will. (*)Man findet hiervon ein mehreres in des Herrn Probſts REINBECK fuͤnf und zwantzigſten Betrachtung uͤber die Augſpurgiſche Confeßion, beſon - ders §. XVII.

§. 3.

Der erſte Urſprung der boͤſen Neigun - gen.
38

Wir wollen nunmehro gleich auf die Gruͤnde fortgehen, welche wir zum Vor - aus ſetzen muͤſſen, wenn wir die Art und Weiſe, wie die boͤſen Begierden fort -ge -247[243]gepflantzet werden, nach unſerer Muth - maſſung erklaͤren wollen. Neigungen, deren Urſprung wir zuerſt bemercken muͤſſen, entſtehen aus gewiſſen Vor - ſtellungen unſers Verſtandes, und haben zum letzten Endzweck angenehme Em - pfindungen. Je ſuͤſſer ſelbige und je lebhafter deren Vorſtellung iſt, deſto heftiger iſt das Verlangen nach ihnen und denen Dingen, von welchen ſie er - reget werden. Auf eine aͤhnliche Art bekommen wir eine Abneigung von ei - ner Sache, wenn wir nemlich unange - nehme Empfindungen von ihr haben oder befuͤrchten. Der Grad dieſer Ab - neigung iſt deſto groͤſſer, je mehr uns die Empfindung, ſo wir fuͤhlen oder beſor - gen, entgegen iſt. Die Wurtzel der boͤſen Begierden muß derowegen in fol - genden ſtecken. Die Seele muß bey einigen guten Dingen eine gar zu unangenehme Empfindung fuͤhlen, de - ren Grad ſo hoch iſt, daß er die Vor - ſtellung der Vollkommenheit, welche die Vernunft bey einer ſolchen Sache einſieht, uͤberwieget. Hergegen muß der aͤuſſerliche Glantz vieler boͤſen Din - ge ſo kuͤtzeln und verblenden, daß durch dieſe kurtze und wandelbare Luſt die ge - genſeitige Vorſtellung der Vernunft entkraͤftet, beſieget und unterdruckt wird. Q 4Z. E.248[244]Z. E. die Haupt-Quelle der boͤſen Be - gierde zur Rache, welche ſich auch bey Kindern aͤuſſert, wird darinne zu ſuchen ſeyn, daß die Rache eine ſo angenehme Empfindung verurſachet, welche von allen andern Vorſtellungen entweder gar nicht oder mit groſſer Muͤhe uͤberwunden wird.

§. 4.

Die Luſt und Un - luſt uͤber einige Dinge iſt der See - le noth - wendig.
38

Daß uns nun aber dieſe Empfindung angenehm, jene aber zuwider iſt, ſchei - net zwey Urſachen zu haben, nemlich das innere Weſen der Seele, und ge - wiſſe aͤuſſere Umſtaͤnde. Es ſind ge - wiſſe Empfindungen und Vorſtellungen, welche allen Menſchen ohne Abwechſe - lung eine Luſt verurſachen, und hinge - gen ſind andere, welche ihnen jederzeit eine Unluſt erregen. Dahin rechne ich das Vergnuͤgen, ſo uns unſer Seyn giebet, ingleichen die Unluſt, welche uns diejenige Empfindung verurſachet, die wir den Schmertz nennen. Jch muth - maſſe, daß eine ſolche Luſt und Unluſt weder allen Menſchen gemein, noch auch unveraͤnderlich ſeyn wuͤrde, wenn ſie nicht in dem Weſen der Seele noth - wendig gegruͤndet waͤre. Jch ſolte mey - nen, daß wenn die Luſt und Unluſt keine nothwendige Verknuͤpfung mitdem249[245]dem Weſen der Seele haͤtte, es jemand, wie bey andern Dingen dahin bringen koͤnte, daß ihn ſeine Wuͤrcklichkeit an und vor ſich betruͤbte, und hingegen der Schmertz auf eine angenehme Weiſe kuͤtzelte, deſſen ſich aber bis hieher noch niemand ruͤhmen koͤnnen. Will man mir etwa die Exempel derjenigen entge - gen ſetzen, welche ihre Geburt verflu - chen und durch eine moͤrderiſche Hand in ihr voriges Nichts zu gehen meynen und wuͤnſchen: ſo antworte ich, daß ſolche die angenehme Empfindung, ſo ihnen ihr Seyn giebt, nicht verlohren. Denn ſie gehen niemals mit Freuden aus dieſem Leben, ſondern mit dem groͤ - ſten Verdruß, und nur alsdenn, wenn ſie dafuͤr halten, daß das Mißvergnuͤ - gen, ſo ihnen widrige Umſtaͤnde erregen, das Vergnuͤgen, welches ihnen ihr Le - ben verurſachet, bey weiten uͤbertreffe, und auſſer der Verzweifelung iſt nichts, welches uns den Unluſtvollen Wunſch auspreſſen ſolte: daß wir nicht ſeyn moͤchten!

§. 5.

Es iſt aber nicht zwiſchen allen Vor -Das Ver - gnuͤgen und Miß - vergnuͤ - gen uͤber ſtellungen und der Luſt oder Unluſt, welche ſie erregen koͤnnen, eine ſo nothwendi - ge Verbindung: ſondern der GeſchmackQ 5von250[246]einige Dinge iſt veraͤnder - lich.von vielen Dingen iſt bey verſchiedenen Menſchen unterſchieden, ja aͤuſſere Um - ſtaͤnde verurſachen oͤfters, daß er bey ei - ner eintzigen Perſon veraͤnderlich iſt. Den einen vergnuͤgen die Wiſſenſchaf - ten, den andern ſind ſie verdrießlich. Der eine liebt eine gewiſſe Speiſe, dem andern aber erweckt ſie einen Eckel, und anjetzo halten wir etwas vor ein Lecker - Bißgen, welches uns zu einer andern Zeit zuwider iſt. Es iſt auch der Grad dieſer Luſt und Unluſt veraͤnderlich, und ſteigt und faͤllt, nachdem allerhand Um - ſtaͤnde Gelegenheit darzu geben. Mein jetziger Endzweck erfordert nicht, daß ich alle Urſachen hiervon unterſuche, ſondern es iſt mir genug, wenn ich kuͤrtzlich be - mercke, wie viel unſere Einbildungskraft darzu beytraͤget.

§. 6.

Wie die Einbil - dungs - kraft uns eine Sache ange - nehm o - der unan - genehm mache.
38

Es iſt bekant und ein jeder nimmt bey ſich ſelbſt wahr, wenn er auf die Wuͤr - ckungen ſeiner Seele Achtung giebt, daß das Vermoͤgen, welches wir die Einbil - dungskraft nennen, Dinge mit einan - der verknuͤpft, deren Bilder ehemals in der Seele zugleich geweſen, wenn nur eins von dieſen Bildern wieder in der Seele hervorgebracht wird. Die Auf - merckſamkeit auf das, was in unſererSeele251[247]Seele vorgehet, wird auch einen jeden leicht uͤberfuͤhren, daß eben dieſe Einbil - dungskraft diejenige Luſt und Unluſt, welche wir ein - oder etlichemal bey einer Sache empfunden, wieder erreget, ſo bald die Vorſtellung derſelben in unſe - rer Seele wieder enſtehet. Es geſchie - het dieſes bisweilen ſo gar, wenn wir uns nicht einmal erinnern, wo und auf was Art dieſe Dinge ehemals in un - ſerem Gemuͤth bey einander geweſen. Jch will dieſes nur mit einigen Exempeln erlaͤutern. Sehen wir nebſt einigen guten Freunden in einer Bibliotheck ein merckwuͤrdiges Buch; und halten eine beſondere Unterredung von demſelben, und gelangen nach einiger Zeit an einen andern Ort, wo uns eben daſſelbe Buch zu Geſichte kommt, ſo wird unſere Ein - bildungskraft bey dem Anblick dieſes Buchs nicht nur das Bild der vorigen Bibliotheck, ſondern auch der guten Freunde, mit welchen wir ſelbige beſe - hen, und anderer Umſtaͤnde in unſerer Seele hervor bringen. Ferner iſt uns jemand, gegen welchen wir eine zaͤrtliche Liebe geheget, abgeſtorben, und es wer - den bey ſeinem Leich-Begaͤngniß die Glo - cken gelaͤutet und gewiſſe Lieder geſun - gen; ſo werden wir, wenn wir eine ſtar - cke Einbildungskraft haben, eine ziem -liche252[248]liche Zeit nachher eine Traurigkeit em - pfinden, wenn wir die Glocken wieder laͤuten und die vorigen Melodien wieder ſingen hoͤren. Und welches das merck - wuͤrdigſte iſt, ſo wird bey einem ſolchen Gelaͤut oder Geſange oͤfters die vorige Traurigkeit wieder rege gemacht, ob wir gleich nicht an den Tod unſers Gelieb - ten dabey gedencken. Wir pflegen als - denn wol zu ſagen: Das Gelaͤut der Glocken mache uns betruͤbt, und ſey uns unangenehm, und man wiſ - ſe doch nicht warum?

§. 7.

Fernere Anmer - ckung - ber das vorige.
38

Es ſind die Bilder und Gemuͤths - Bewegungen, welche die Einbildungs - Kraft bey gegebener Gelegenheit wieder hervor bringet, vor andern lebhaft, wenn ſie in unſerer Kindheit mit einem beſondern Nachdruck, auf eine empfind - liche Art oder durch vielfaͤltige Wieder - holung tief in das Gemuͤth eingepraͤget worden. Es ſind tauſend Erfahrun - gen, ſo dieſen Satz bekraͤftigen. Mein Endzweck erfordert, daß ich einige da - von anfuͤhre. Es iſt etwas gemeines, daß, wenn man Kindern eine Furcht einjagen will, man ſie in eine dunckele Cammer werfe, und ſie uͤberrede, daß ein Pophans oder Geſpenſt im Dun -ckeln253[249]ckeln ſich aufhalte, welcher unartige Kinder mitnehme. Man macht dadurch, daß die Empfindung der Finſterniß und die Leidenſchaft der Furcht ſich in den zarten Gemuͤthern der Kinder mit einan - der verbinden. Jſt dieſes etlichemal geſchehen, oder hat man das unmuͤndi - ge Kind auch wol gar durch ein Geſpenſt, welches Fleiſch und Bein hat, in das aͤuſſerſte Schrecken geſetzt, ſo wird die Einbildung deſſelben die unangenehme Furcht wieder hervor bringen, ſo oft dieſes Kind ſeinen Fuß an einen finſtern Ort bewegen muß. Ja bey manchen ſchlaͤgt dieſe Leidenſchaft ſo tiefe Wur - tzeln, daß ſie weder durch die Jahre noch durch die vernuͤnftigſten Vorſtellungen mag ausgerottet werden. Jch will ein ander Exempel beybringen, welches ich ſelbſt erlebet. Jch weiß einen jungen Menſchen, welcher in ſeiner zarteſten Kindheit einen ſehr aufgeſchwollenen und harten Leib bekam. Eine alte wei - ſe Frau rieth, man ſolte dem Kinde war - me Milch, in welcher Knoblauch abge - kocht waͤre, zu trincken geben. Es wurde dieſe Cur endlich, nachdem keine Medicin aus der Apotheck anſchlagen wollen, vorgenommen, und that fuͤr dieſesmal erwuͤnſchte Wuͤrckung. Die - ſes Kind aber bekam einen ſolchen Ab -ſcheu254[250]ſcheu vor der Milch, daß, wenn man ihm nur einen Loͤffel voll davon in den Mund gab, daſſelbe ſich allezeit erbre - chen wolte. Es verſchwand dieſer Eckel auch nicht mit den erſten Jahren, ſon - dern blieb bis ins ſechzehende Jahr, da beſondere Umſtaͤnde dieſen jungen Men - ſchen noͤthigten ſich wieder an Milch zu gewoͤhnen.

§. 8.

Beweiß, daß uns die Ein - bildungs - kraft et - was koͤn - ne zuwi - der ma - chen.
38

Fragt mich jemand, woher ich verſi - chert ſey, daß in den angefuͤhrten Exem - peln die Einbildungskraft die Finſter - niß fuͤrchterlich, die Milch aber eckelhaft gemacht; ſo ſind es folgende Gruͤnde, welche mich davon uͤberreden. Jch fin - de nemlich, daß, wenn mir jetzo ei - ne Sache dadurch zuwider wird, daß von ohngefehr etwas unangenehmes da - mit verknuͤpft geweſen, meine Einbil - dungskraft daran Urſach ſey, und da ſchlieſſe ich denn von einem aͤhnlichen Falle auf den andern. Wem dieſes et - wa befremdet, der erwege, daß man die Wahrſcheinlichkeit insgemein auf eine ſolche Weiſe darthue. Der geneigte Leſer aber verzeihe mir, daß ich hier un - appetitliche Erfahrungen anfuͤhren muß, weil mich aus meinem eigenen Leben keiner andern zu erinnern weiß. Jchhabe255[251]habe ehemals eine Purgantz mit Wein einnehmen muͤſſen, welche mir ſehr un - angenehm ſchmeckte. Jch konte darauf in langer Zeit keinen Wein trincken. Denn ſo bald ich denſelben auf der Zun - ge fuͤhlte; deuchte mir, ich ſchmeckte mei - ne vorige Purgantz. Ferner iſt mir ein - mal uͤbel worden, als ich Sallat mit Baumoͤl gegeſſen hatte. Jch konte in einiger Zeit hernach weder Baum - oͤl riechen noch eſſen, indem mir alle - zeit deuchte, meine Zunge fuͤhlte den eckel - haften Geſchmack, den ich bey vorer - wehnter Gelegenheit empfunden. Hier iſt nicht die geringſte Wahrſcheinlichkeit, daß durch die erzaͤhlten Begebenheiten meine Zunge dergeſtalt waͤre geaͤndert worden, daß der Wein auf derſelben eben das Gefuͤhl verurſachet haͤtte, welches ehe - mals die Purgantz mit dem Weine erre - get hatte. Es iſt auch nicht wahrſcheinlich, daß das Baumoͤl die Nerven der Zun - ge auf eine andere Art, wie ſonſten, bewe - get: ſondern es wird dieſe gantze Wuͤr - ckung der Einbildungskraft allein muͤſ - ſen zugeſchrieben werden, welche bey Empfindung des Weins und Baum - oͤls den vorigen unangenehmen Ge - ſchmack ſo deutlich wieder hervor brach - te, daß er gleichfals einer Empfindung gantz aͤhnlich wurde. Und hierinne lagdenn256[252]denn die Urſache, warum mir der Wein und Baumoͤl eckelte. Es entſtand nemlich bey Gelegenheit deſſelben eine ſolche Vorſtellung in der Seele, welche mir ſehr zuwider war, und dieſe machte mir eine Abneigung vor demjenigen, womit ſie verknuͤpft wurde. Es dauer - te dahero dieſer Eckel auch nicht laͤnger, als die Vorſtellung der Einbildungs - kraft von dem vorigen Geſchmack recht klar und lebhaft war; ſo bald aber ſel - bige durch die Laͤnge der Zeit verdunckelt wurde, ſo hoͤrete auch der Eckel auf. Darf man nun in aͤhnlichen Faͤllen aͤhn - liches muthmaſſen; ſo wird die Furcht, welche viele von ihrer Kindheit her in der Finſterniß uͤberfaͤllt, und der Abſcheu, welchen vorerwehnter junger Menſch vor der Milch hatte, gleichfals von der Ein - bildungskraft herzuleiten ſeyn, welche auf eine ſehr dunckele Art diejenige un - angenehme Empfindung hervorbringet, welche ehemals mit der Finſterniß und der Milch vergeſellſchaftet geweſen.

§. 9.

Beweiß, daß die Einbil - dungs, kraft uns etwas
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Wir koͤnnen aber auf dieſe Weiſe nicht nur eine Abneigung vor einer Sa - che bekommen, ſondern es kan uns auf gleiche Art auch etwas angenehm wer - den. Man hat ſchon laͤngſt bemercket,daß257[253]daß die Freude, welche viele an dem Fe -koͤnne an - genehm machen. ſte der Geburt Chriſti empfinden, und das Vergnuͤgen, ſo ſie uͤber die Weihnachts - geſaͤnge haben, blos eine Wuͤrckung der Einbildungskraft ſey, welche bey die - ſem Feſte auf eine undeutliche Art die an - genehme Empfindung wieder hervor brin - get, welche wir ehemals bey dem Chriſt - geſchencke gehabt. Eben dieſe Einbil - dungskraft ſcheinet auch die Urſach zu ſeyn, warum uns diejenige Gegend ſo an - genehm iſt, in welcher wir ſind erzogen worden oder aber eine lange Zeit gewohnt haben. Denn bey Erblickung derſelben werden auch einigermaſſen diejenigen Vorſtellungen wieder lebendig gemacht, welche uns bey unſerm Aufenthalt in der - ſelben ehemals vergnuͤget haben. (*)Von den Wuͤrckungen der Einbildungs - kraft kan man auch nachleſen des ſeeligen BUDDEUS Einleitung in die Moral - Theologie I. Theil, Cap. I. Abtheil. V. §. IX. p. 182.

§. 10.

Hierauf gruͤnde ich nun folgendenDie Ein - bildungs - kraft kan auch ſo gar durch Satz: Die Einbildungskraft kan uns eine Sache, die wir ſonſt lieb - ten, und alſo der Natur der SeeleRgar258[254]dunckele Vorſtel - lungen Neigun - gen und Abnei - gungen verurſa - chen.gar nicht zuwider war, unangenehm machen, und dadurch bey uns eine Abneigung vor derſelben verurſa - chen: Hingegen aber kan ſie uns auch eine Sache angenehm machen, wel - che uns ſonſt wenig vergnuͤgen wuͤr - de. Ja was noch mehr iſt: die Exempel der Leute, welche das Finſtere ſcheuen, und des jungen Menſchen, welchem die Milch eckelt, lehren, daß die Einbildungs - kraft durch ihre Verbindung ver - ſchiedener Bilder, welche ehemals zugleich in der Seele geweſen, uns einige Dinge angenehm, andere aber zuwider machen koͤnne, wenn auch gleich die alte Vorſtellung, welche unſere Einbildung mit einer gegen - waͤrtigen Sache verknuͤpfet, ſo dun - ckel iſt, daß wir ſelbige von andern nicht einmahl unterſcheiden, und uns derſelben nicht recht bewuſt ſind. Der ſchon oft erwehnte junge Menſch wuſte nicht, was es eigentlich vor ein Geſchmack war, welcher bey Em - pfindung der Milch durch ſeine Einbil - dung hervor gebracht wurde, und ihm die erſte Nahrung ſeines Lebens zuwider machte. Denn ſein Gedaͤchtniß reichte nicht bis auf die Zeit, da ſich der Geſchmack der Milch und des Knoblauchs auf ſeiner Zunge vereiniget hatte. Es hieß bey ihm:er259[255]er liebte die Milch nicht, und wuſte nicht, warum?

§. 11.

Es kan uns eben dieſes auch noch beyNoch ei - nige Ex - empel da - von. erwachſenen Jahren begegnen. Jch ſchliff vor einigen Jahren an einem Brenn-Gla - ſe, als mir eben ein ſehr unangenehmer Brief eingehaͤndiget wurde. Es verging einige Zeit, ehe ich wieder bey meine Schleif-Muͤhle kam. Als ich aber das erſtemal mein angefangenes Glaß wieder in die Haͤnde nahm, ſo verſpuͤhrte ich ei - nige Traurigkeit, und wuſte nicht warum. Eine gleiche Leidenſchaft fuͤhlte ich auch zu anderer Zeit, wenn ich nur auf das Zim - mer ging, wo ich mein Schleif-Geraͤthe ſtehen hatte, und ich verlohr faſt alle Luſt zum ſchleiffen, welches mir vorher eine an - genehme Veraͤnderung geweſen war. Jch konte hiervon anfaͤnglich keine Urſache ent - decken, bis ich mich endlich erinnerte, daß bey dieſer Arbeit vor einiger Zeit einen recht verdrießlichen Brief erhalten, deſ - ſen dunckeles Bild mir den Anblick der Schleif-Muͤhle unangenehm machte. Die Staͤrcke ſolcher dunckelen Vorſtel - lungen zeiget ſich beſonders in folgenden Erfahrungen. Es traͤgt ſich zu, daß wir bisweilen bey dem erſten Anblick einer Perſon entweder eine groſſe Liebe oderR 2auch260[256]auch einen groſſen Widerwillen gegen ſel - bige verſpuͤhren, und koͤnnen doch nicht die geringſte Urſache davon angeben. Un - terweilen aber beſinnen wir uns nach eini - ger Zeit, daß eine ſolche Perſon etwas aͤhnliches an ſich habe mit einer andern, welche wir ſonſten gekant, und entweder ſehr geliebet oder wegen gewiſſer Beleidi - gungen beſonders gehaſſet, und erinnern uns, daß dieſes aͤhnliche dasjenige ſey, welches uns dieſe Perſon ſo gleich ange - nehm oder zuwider gemacht, indem die Einbildungskraft bey dem Anblick der - ſelben die vorige Leidenſchaft wieder erre - get.

§. 12.

Wenn wir etwas empfin - den.
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Es ſind noch einige andere Saͤtze, wel - che ich kuͤrtzlich beruͤhren muß, ehe ich mei - ne Muthmaſſung von der Fortpflantzung der boͤſen Neigungen vortragen kan. Ei - ner davon iſt dieſer: Unſere Seele em - pfindet die aͤuſſern Dinge bey der Bewegung der Nerven, welche ſel - bige verurſachen. Z. E. wir ſehen ei - nen Menſchen, wenn die Strahlen des Lichts von demſelben in unſere Augen fal - len, und die Geſichts-Nerven in Bewe - gung ſetzen. Die Empfindung der See - le iſt auch mit einer ſolchen Bewegung ſo nothwendig verknuͤpft, daß die Seele durch ihren freyen Willen nichts dabeyaͤndern261[257]aͤndern kan. Z. E. wenn man jemand mit einem Pruͤgel eine Bewegung in den Nerven des Gefuͤhls machet, ſo kommt es nicht auf ihn an, ob er den Schlag fuͤhlen will oder nicht.

§. 13.

Da aber alſo eine beſondere Bewe -Die Ner ven, wenn ſie bewegt werden, koͤnnen Empfin - dungen von Din - gen ver - urſachen, die nicht da ſind. gung der Nerven die Urſach einer gewiſ - ſen Empfindung iſt, ſo wird die Seele gleiche Empfindung haben, wenn gleich einerley Bewegung auf verſchiedene Art verurſachet wird. Die Erfahrung be - kraͤftiget dieſen Satz. Es mag entwe - der das Gelaͤut einer Glocke oder ein un - ordentlicher Lauf des Gebluͤts unſere Hoͤr - Nerven auf eine gewiſſe Art bewegen; ſo werden wir in beyden Faͤllen einerley Klang empfinden. Aehnliche Erfah - rung haben wir bey dem Geſicht und Ge - fuͤhl. Eine Unordnung in unſerm Coͤr - per kan uns gruͤne und gelbe Farben vor die Augen mahlen, und in den Nerven des Gefuͤhls ſolche Bewegungen verur - ſachen, als wenn viel tauſend Wuͤrmgen unſere Haut beruͤhrten.

§. 14.

Die Fortpflantzung der boͤſen Neigun -Beſonde - re Erfah - rungen von gen zu erklaͤren habe auch noch folgenden Satz von noͤthen: Wenn gewiſſeR 3Ner -262[258]Mahl - zeichen, ſo Kinder mit auf die Welt gebracht, und was daher zu ſchlieſſen?Nerven der Mutter beſonders be - weget werden, ſo werden eben die - ſe Nerven auch bey dem Kinde, mit welchem ſie ſchwanger iſt, in eine beſondere Bewegung geſetzt. Es beweiſen dieſes beſondere Erfahrungen. Es iſt bekant, daß die Kinder in Muterlei - be pflegen Mahlzeichen zu bekommen, wenn ſich die Mutter waͤhrend der Schwan - gerſchaft ſtoſſet und ſich dabey erſchrickt. Und in den Breslauiſchen Sammlungen an einem gewiſſen Orte, den ich nicht auf - gezeichnet, und wegen Mangel des Buchs nicht nachſchlagen kan, ſtehet folgendes merkwuͤrdiges Exempel, daß ein Kind ge - bohren worden, welches eine Natter um den Hals gehabt, worzu ein Schrecken, in welches die ſchwangere Mutter durch ein ſolches Thier, ſo ſich ihr um den Hals geſchlungen, geſetzt worden, Gelegenheit gegeben. Ein ander merckwuͤrdiges Ex - empel hiervon haben der Herr Prof. Hollmann, von welchem dieſes ſelbſt zu vernehmen die Ehre gehabt, in Dreßden geſehen. Es iſt nemlich daſelbſt eine Perſon geweſen, welche einen ordentli - chen Orange-Baum mit Zweigen, Blaͤttern und Fruͤchten auf den Ruͤcken gehabt. Man hat davon keine andere Urſache gewuſt, als dieſe, daß ihrerMut -263[259]Mutter, als ſie mit ihr ſchwanger gewe - ſen, ohngefehr ein Orangen-Baum auf den Ruͤcken gefallen, wobey ſie ſich ziemlich erſchrocken. (*)Wer noch ein paar Exempel hievon leſen will, der ſchlage nach die Hiſtoire de l A - cademie Royal des Sciences anni 1713. p. 27. und die Acta eruditorum anni 1732. p. 521.Darf man mit den Me - dicis muthmaſſen, daß dergleichen Be - gebenheiten, welche gewiſſe Nerven der ſchwangern Mutter in eine beſondere Be - wegung ſetzen, die Urſachen ſind, warum ſolche Kinder im Mutterleib ſo wunderbar gezeichnet werden; ſo wird man auch an - nehmen muͤſſen, daß beſondere Ver - aͤnderungen in gewiſſen Theilen und beſonders Nerven der Mutter, be - ſondere Veraͤnderungen in eben den - ſelben Theilen und Nerven der Frucht, welche ſie bey ſich traͤgt, verurſachen. Hingegen muͤſſen die uͤbrigen Theile und Nerven an dieſer Be - wegung keinen ſolchen Antheil haben, weil man ſonſten die aͤuſſerliche Wuͤrckung davon auch antreffen, und ein Theil ſo gezeichnet ſeyn wuͤrde, wie der andere. Welches aber der Erfahrung entgegen, als welche lehret, daß nur diejenigenR 4Thei -264[260]Theile des Kindes veraͤndert werden, welche bey der Mutter die groͤſte Gewalt gelitten.

§. 15.

Dieſe Er - fahrun - gen wer - den mit einer an - dern ver - glichen.
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Weil es wider die Aehnlichkeit der Natur zu ſeyn ſcheinet, daß nur eben die - jenigen Theile des Kindes eine Veraͤnde - rung leiden ſollen, welche bey der Mutter auf eine beſondere Art beweget werden, da doch alle Theile des Kindes durch die Nabelſchnur faſt auf einerley Art mit der Mutter ſcheinen verknuͤpft zu ſeyn; ſo will eine andere Erfahrung beybringen, welche uns etwas aͤhnliches darſtellet. Man nehme einige Weinglaͤſer, wel - che verſchiedene Thone haben. Man laſſe ſelbige recht reine ſpuͤhlen und neben einander auf einen Tiſch ſetzen. Man nehme ein muſicaliſch Jnſtrument, ſo ein wenig ſtarck klinget, und gebe auf demſel - ben verſchiedene Thone nach einander an; ſo wird allezeit dasjenige Glas einen Klang von ſich hoͤren laſſen, welches den Thon hat, ſo auf dem Jnſtrument angeſtimmet worden, die andern aber werden keinen Schall von ſich geben, bis ihr Thon geruͤhret wird. Hier hat es auch das Anſehen, als wenn alle Glaͤ - ſer durch die Luft, welche ſo wol in dem Jnſtrumente als auch in den Glaͤſernden265[261]den Schall verurſachet, und von einem Ort zum andern forttreibet, auf einerley Art mit dem Jnſtrumente verknuͤpft waͤren: indeſſen wird doch nur dasjeni - ge Glas in eine zitternde Bewegung (tremulum) geſetzt, deſſen Klang mit dem angegebenen Thone des Jnſtrumen - tes eine Verwandtſchaft hat. (*)Ein jedes Gleichniß hincket. Jch kan das obige von dieſer Regel im gering - ſten nicht ausnehmen, ſondern glaube vielmehr, daß es an beyden Fuͤſſen lahm iſt. Jch will aber durch daſſelbe weiter auch nichts zeigen, als dieſes: Es koͤnnen verſchiedene aͤhnliche Dinge mit einer dritten Sache auf eine aͤhnliche Art verknuͤpfet ſeyn, und es haben doch nur einige an gewiſſen Bewegungen der dritten Sache Antheil, nnd nachdem die Bewegung unterſchieden iſt, ſo wird bald dieſes bald jenes mit beweget.

§. 16.

Endlich muß ich auch noch wahr -Die See - len der Kinder im Mut - terleibe haben ſchon Vorſiel - lungen. ſcheinlich machen, daß die Seele eines Kindes in Mutterleibe ſchon einige ob - gleich etwa dunckele Empfindungen ha - be, und daß auch andere VermoͤgenR 5der266[262]der Seele, beſonders die Einbildungs - kraft ſich bey demſelben durch einige Wuͤrckungen aͤuſſere. Die Gruͤnde, welche mich bewegen dieſes zu muth - maſſen, ſind folgende: Das Kind, wenn es auch noch in ſeiner Mutter ver - borgen lieget, beſitzt ſchon alles, was zu Empfindungen und denen Wuͤrckungen, welche wir der Einbildungskraft zu - ſchreiben, gehoͤret. Es iſt die Seele da, und alſo diejenige Kraft, welche ſie zu einem wuͤrcklichen Dinge und zwar zu einer Seele macht. Denn es iſt gar nicht muthmaßlich, daß die Seele erſt bey der Gebuhrt ſolte in den Coͤrper des Kindes geſchoben werden. Es iſt der Leib da, und in demſelben die fuͤnf aͤuſſern Sinne (organa ſenſoria), de - ren bewegte Nerven zu den Empfindun - gen und andern Vorſtellungen Anlaß zu geben pflegen. Es muͤſſen dieſe Nerven auch oͤfters in Bewegung geſetzet wer - den, wegen der Verbindung mit der Mutter. Und daher iſt ſehr muthmaß - lich, daß die Seele eines Kindes ſchon einige Vorſtellungen hat, ehe es noch die enge Cammer ſeiner Mutter verlaͤſſet, und von der aͤuſſern Luft umgeben wird. Es ſcheinet dieſes auch mit der Aehnlich - keit der Natur am mehreſten uͤberein zu ſtimmen. Selbige pflegt keinen Sprungzu267[263]zu thun. Da nun aber aus den Be - wegungen eines Kindes zu ſchlieſſen iſt, daß es nicht lange nach ſeiner Gebuhrt ziemlich klare Vorſtellungen haben muß, indem es gar bald anfaͤnget der Mutter Bruſt zu ſuchen, und was dergleichen mehr iſt; ſo iſt wahrſcheinlich, daß die Seele vorher erſt gantz dunckele und nach und nach immer klaͤrere Vorſtellungen ge - habt, und daß dieſes im Mutterleibe ſei - nen Anfang genommen.

§. 17.

Nachdem ich mir nun den Weg zuBeſonde - re Exem - pel von einer fortgeerb - ten Ab - neigung - einiger Erklaͤrung der Art und Weiſe, wie Neigungen und alſo auch boͤſe Nei - gungen moͤgen fortgepflantzet werden, gebahnet, ſo will ich meine Muthmaſ - ſung davon dem geneigten Leſer zur Be - urtheilung vorlegen. Jch will aber erſt an einem beſondern Exempel zeigen, wie man die Fortpflantzung einer Nei - gung aus den obigen Gruͤnden begreif - fen koͤnne, und alsdenn will ich eben dieſelben anwenden, die unſelige Erb - ſchaft boͤſer Neigungen zu erklaͤren. Jch habe eine Mutter gekannt, welche, da ſie mit einem Sohne ſchwanger war, durch einen ſehr ſtarcken Donnerſchlag in ein groſſes Schrecken geſetzet wurde. Jhren Sohn, den ſie hernach zur Weltbrach -268[264]brachte, ſetzte allezeit der Donner und andere Knalle, ſo demſelben aͤhnlich wa - ren, in ſolche Angſt, daß ihm der kalte Schweiß ausbrach. Als er groͤſſer und vernuͤnftiger wurde, wolte er dieſe Lei - denſchaft gerne ablegen. Er gieng de - rowegen mit mir und andern guten Freunden bisweilen in die Ferne, wenn Soldaten feuerten. Es waren aber al - le Uebungen, denen er ſich mit dem groͤ - ſten Zwange unterwarf, nicht hinlaͤnglich ihn von der Angſt und dem Schmertz zu befreyen, ſo ihm ein harter Knall verur - ſachte. Und alle Vorſtellungen der Vernunft waren dahero auch zu ſchwach, die groſſe Abneigung, welche er vor einen Schuß, Donnerknall und dergleichen hatte, zu beſiegen.

§. 18.

Erklaͤ - rung deſ - ſelben.
41

Wir koͤnnen dieſe ſtarcke Leidenſchaft aus den obigen Gruͤnden folgender Ge - ſtalt begreiflich machen. Als der ange - fuͤhrte Donnerſchlag die Ohren der Mutter und ihre Hoͤr-Nerven heftig ge - ruͤhret; ſo ſind dadurch die Nerven in den Ohren des Kindes gleichfals bewegt worden, (ſiehe §. 14.) und haben in der Seele des Kindes einige Empfindung, welche der Empfindung eines Donner - knalles aͤhnlich geweſen, hervorgebracht(ſiehe269[265](ſiehe §. 16.) mit dem Donnerſchla - ge wurde bey der Mutter ein groſſes Schrecken und Angſt verknuͤpft, bey wel - cher Angſt ſich alle ihre Fibern zuſammen zogen und einen unordentlichen Puls ver - urſachten. Jn dem Coͤrper des Kindes iſt ein aͤhnliches geſchehen, (ſiehe §. 14.) und dadurch in der Seele deſſelben gleich - fals eine aͤngſtliche und ſchmertzhafte Em - pfindung erregt worden. (ſiehe §. 16.) Die Einbildungskraft verbindet die Din - ge, ſo wir ehemals zugleich empfunden: (§. 6.) felbige hat alſo auch bey dieſem Menſchen nach ſeiner Gebuhrt die Em - pfindung einer Angſt mit der Empfin - dung eines ſtarcken Knalles vergeſell - ſchaftet. Und hieraus iſt denn begreif - lich, warum ein ſtarckes Krachen die - ſem Menſchen zuwider geweſen, welches ſonſt der Natur der Seele nicht ſo ſehr entgegen iſt.

§. 19.

Jch muß auch kuͤrtzlich ein ExempelEin Ex - empel von einer fortge - pflantzten Neigung und deſ - ſen Erklaͤ - rung. erklaͤren, da ein Kind von ſeiner Mutter eine groſſe Begierde zu etwas geerbet. Jn dem achten Verſuch der Bres - lauiſchen Verſammlungen pag. 591. wird erzehlet, daß eine ſchwangere Mut - ter ein rauhes Ochſen-Maul zu Geſicht bekommen, und weil ihr ſelbiges einenſehr270[266]ſehr ſtarcken Appetit erreget; ſo habe ſie hernach ein Maͤgdlein zur Welt gebracht, welches eine ſehr groſſe Begierde gehabt, Haare in dem Mund zu kaͤuen, und ha - be dahero nicht nur ſeine eigene Haare, ſondern auch etlichemal Haaſen-Baͤlge gegeſſen. Es laͤſſet ſich dieſes Exempel eben, wie das vorige, aus den oben an - gezeigten Gruͤnden begreiflich machen. Als die ſchwangere Mutter die Augen mit einer groſſen Begierde auf das rau - he Ochſen-Maul gerichtet, ſo ſind ihre Geſichts-Nerven davon beſonders ge - ruͤhret worden, und die Geſichts-Ner - ven des Kindes ſind nicht ohne aͤhnliche Bewegung geblieben. (§. 14.) Hier - durch iſt der Seele des Kindes zu einer Empfindung Anlaß gegeben worden, welche derjenigen aͤhnlich geweſen, wel - che ein wuͤrcklicher Anblick eines rauhen Ochſen-Mauls verurſachet. (§. 16.) Die Mutter hat ein beſonderes Vergnuͤgen uͤber dieſen Anblick empfunden und eine groſſe Begierde gehabt davon zu ko - ſten, was ſo angenehm ausſaͤhe, ja ihre Einbildungskraft wird ihr den ange - nehmen Geſchmack eines ſolchen Bis - gens recht lebhaft vorgeſtellet haben. Hiermit ſind in ihrem Coͤrper wiederum gewiſſe Bewegungen der Nerven ver - knuͤpft geweſen, deren der zarte Leib desKin -271[267]Kindes gleichfals theilhaftig worden, (§. 14.) und welche der Seele deſſelben auch einigermaſſen eine angenehme Em - pfindung verurſachet, (§. 16.) welche ſich nach der Gebuhrt durch die Einbil - dung mit einem jeden Anblick, welcher der ehemahligen Empfindung ziemlich aͤhn - lich geweſen, vereiniget, und daher dem Kinde zu dergleichen Dingen einen Ap - petit erreget, welche rauh geweſen.

§. 20.

Eben ſo laͤſſet ſich auch die Fortpflan -Erklaͤ - rung, wie die boͤſen Neigun - gen fort gepflan - tzet wer - den koͤn - nen? tzung der boͤſen Neigungen begreiffen. Jch nehme aber hierbey an, daß unſere Seelen, weil ſie Geiſter ſind, unmittel - bar von GOtt muͤſſen geſchaffen wer - den, und daß derſelbe ſie mit dem erſten Stoff unſers Coͤrpers verknuͤpfet, und mit demſelben in eine Gemeinſchaft geſe - tzet worden. Die Vollkommenheiten GOttes uͤberreden mich ferner, daß er die Seelen ſo zubereitet, daß, wenn ſie nach der Empfaͤngniß ſo blieben, als ſie geſchaffen worden, auch nach der Geburt durch keine boͤſe Exempel verdorben, ſondern einer guten Erziehung theilhaf - tig wuͤrden, weniger Neigung zum Boͤ - fen haͤtten, als anjetzo. Es wuͤrde nemlich die angenehme Empfindung, ſo uns der aͤuſſere Glantz verderblicherDin -272[268]Dinge giebet, nicht ſo ſtarck und ein - nehmend ſeyn, und die Vorſtellungen der Vernunft wuͤrden ſelbige ehender beſiegen und unterdrucken koͤnnen, als da wir von Eltern gebohren und unter ſolchen erzogen werden, deren unordent - liche Gemuͤthsbewegungen nicht alle - zeit gehoͤrigen Widerſtand finden. Da wir aber von ſolchen gezeuget werden, welche ſich viele Dinge, ſo in der That gut ſind, als etwas ſehr unangenehmes und verdriesliches; verſchiedene andere Dinge aber, welche das groͤſte Ver - derben nach ſich ziehen, als etwas an - genehmes und ſchoͤnes vorſtellen, und dabey in die ſtaͤrckſten Gemuͤthsbewe - gungen gerathen, ſo kan es, wenn die oben angefuͤhrten Gruͤnde ihre Richtig - keit haben, nicht anders ſeyn, als daß ein gleiches in die unſchuldigen Seelen der Kinder gepflantzet werde. Denn da die lebhaften Vorſtellungen der Mut - ter, und ihre Leidenſchaften, auch einiger - maſſen in ihrem Kinde wegen der ge - nauen Verbindung, die daſſelbe waͤh - rend der Schwangerſchaft mit ihr hat, er - reget werden, (§. 16.) und die Einbil - dungskraft ſelbige in den folgenden Zeiten immer unvermerckt wieder mit einander verknuͤpft, ſo muß das Kind vermoͤge ſeiner Zeugung vieles Boͤſe lie -ben,273[269]ben, und verſchiedene Dinge von groſſen Vollkommenheiten haſſen. Z. E. Jſt die Mutter der Voͤllerey ergeben, und wird allezeit in die groͤſte Freude geſetzt, wenn ihre Zunge von gewiſſen Speiſen und Getraͤnck geruͤhret wird, ſo wird ſich dieſer Grad des Vergnuͤgens ebenfals bey dem Kinde nach ſeiner Gebuhrt durch die Einbildungskraft einſtellen, ſo bald ſelbiges nur angenehme Sachen auf der Zunge fuͤhlt. Und dieſer gar zu groſſe Grad des Vergnuͤgens wird daſſelbe wolluͤſtig machen. Kommt die Mutter bey einer jeden Empfindung, die etwas ſchmertzhaft iſt, in die groͤſte Betruͤbniß, ſo wird dieſe Leidenſchaft auch ihr Kind unruhig machen, ſo oft ſelbiges aͤhnli - che Empfindungen fuͤhlt oder ſelbige auch nur von ferne ſieht. Denn die Einbil - dungskraft verknuͤpft allezeit diejenigen Empfindungen und Gemuͤthsbewegun - gen, welche in der Seele des Kindes, da ſelbiges noch der Leib der Mutter einſchloß, entweder oft oder auf eine ſehr merckliche Art mit einander vereiniget geweſen. (§. 16. 6. 7.) Hierdurch aber wird das Kind ein Weichling werden, es wird die Arbeit ſcheuen, in der Faul - heit aber das groͤßte Vergnuͤgen ſuchen, und daher zu allen ruͤhmlichen Thaten, welche einige Muͤhe koſten, ungeſchicktSſeyn,274[270]ſeyn, wenn nicht eine recht gute Erzie - hung dieſen angebohrnen Fehler einiger - maſſen verbeſſert. Es wird ſchwerer ſeyn einer ſolchen angeerbten Leiden - ſchaft ihre Kraft zu nehmen, wenn die Mutter in ihrer Schwangerſchaft der - ſelben oft nachgegeben. Denn da eben dieſe Leidenſchaft hierdurch auch oͤfters in der Frucht ihres Leibes erreget wor - den, ſo hat die Seele des Kindes immer eine groͤſſere Geneigtheit darzu bekom - men, und iſt eine ſolche Gemuͤthsbewe - gung dem Kinde zur Gewohnheit wor - den, ehe es noch das Licht dieſer Welt erblicket.

§. 21.

Fortſe - tzung des vorigen.
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Und ſo haͤtte ich denn einigermaſſen er - klaͤret, wie es moͤglich iſt, daß die See - len der Kinder, ob ſie gleich ihren Ur - ſprung nicht aus den Seelen der Eltern haben, dennoch deren Neigungen erben koͤnnen, und wie alſo die boͤſen Begier - den von dem einen auf den andern koͤn - nen fortgepflantzet werden. Es iſt aus dem, was ich zeithero angefuͤhret habe, ſehr begreiflich, wie durch unſere Ge - buhrt von unſern Eltern Verſtand, Wille und auch die Wohnung der Seele, nemlich der Leib, verderbet wer - de. Die Einbildungskraft bringet im -mer275[271]mer diejenigen Eindruͤcke wieder hervor, welche wir im Mutterleibe empfangen, und macht daher, daß wir bey gewiſſen Dingen eine Luſt oder Unluſt empfin - den, welche ſonſten dergleichen Wuͤr - ckungen in unſerer Seele nicht haben wuͤrden, wenn unſer erſter Aufenthalt in dem Leibe der Mutter nicht daran ſchuld waͤre; oder ſie macht auch, daß wir bey andern Sachen, welche in der Seele, vermoͤge ihrer innern Natur, eine Luſt oder Unluſt erregen muͤſſen, einen hoͤhern Grad des Vergnuͤgens oder Mißvergnuͤgens fuͤhlen, als bey einer Gebuhrt von reinen Eltern geſchehen wuͤrde. Daher aber kommt es, daß wir von dem innern Werthe der Din - ge nicht richtig urtheilen koͤnnen, daß die Sinne unſere Vernunft uͤbertaͤuben, und das Gute als etwas beſchwerliches und verdrießliches, das Boͤſe aber als etwas hoͤchſt angenehmes vorſtellen. Der Wille, welcher allezeit den Vor - ſtellungen des Verſtandes folget, muß daher unordentlich und unvollkommen werden, und kan ſich nicht allezeit auf das Gute lencken, da der Verſtand ſel - biges nicht recht lebhaft einſiehet. Was endlich unſern Leib betrift, ſo iſt gar leicht einzuſehen, warum er durch die Gebuhrt ſo gar nahe an das Grab ge -S 2ſetzet276[272]ſetzet wird. Denn dasjenige Blut, welches uns die erſte Nahrung und das Leben giebt, hat zugleich einen ſtarcken Gift bey ſich, welches die Maſchine, ſo es belebt, auch bald wieder unbrauch - bar machet, und in den vorigen Staub aufloͤſet. Es wuͤrde zwar dieſer Gift nicht ſo geſchwind wuͤrcken koͤnnen, wenn nicht die boͤſen Begierden und un - ordentlichen Leidenſchaften der Seele ſeine Kraft vermehreten. Dieſe aber beſchleunigen die an ſich kurtze Reiſe nach der Gruft, und endigen unſere Wallfahrt, da wir ſelbige kaum ange - fangen haben.

§. 22.

Ein Zweifel.
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Einen Zweifel muß ich noch aufheben, welcher vielleicht einigen bey der gege - benen Muthmaſſung von der Fortpflan - tzung der Neigungen einfallen moͤchte. Es werden vielleicht viele gedencken, mit meiner Meynung ſtreite dieſes, daß nicht alle Kinder, ſo von einer Mutter geboh - ren werden, einerley Neigung haben, welches doch wol ſeyn muͤſte, wenn die Neigungen auf die Art forterbeten, wie wir oben angenommen. Denn werden dem Kinde diejenigen Leidenſchaften ein - gedruckt, welchen die Mutter ergeben iſt, ſo muͤſſen alle ihre Kinder eben den -ſel -277[273]ſelben Gemuͤthsbewegungen unterwor - fen ſeyn, weil die Mutter in wenigen Jahren ihre Neigungen nicht mercklich zu aͤndern pflegt.

§. 23.

Allein es iſt vieles hierbey zu erinnern. Aufloͤ - ſung deſ - ſelben.Erſtlich behaupten wir nicht, daß alle Neigungen des Kindes von der Mutter kommen. Denn viele werden der See - le des Kindes anerſchaffen ſeyn, wie denn dem Adam unmittelbar von GOtt ein Wille und alſo gewiſſe Neigungen ſind eingefloͤſſet worden. Dieſe aber werden nicht bey allen Seelen einerley ſeyn, indem wir ſehen, das GOtt bey allen Dingen die Veraͤnderung liebt, und nicht einmal zwey menſchliche Ge - ſichter macht, welche einander ſo aͤhnlich waͤren, daß wir ſie nicht unterſcheiden koͤnten. Hat aber dieſes ſeine Richtig - keit, was iſt es denn Wunder, daß Kin - der von verſchiedenen Neigungen von einer Mutter gebohren werden?

§. 24.

Zweytens hat eine Mutter mehr alsFernere Aufloͤ - ſung. eine Leidenſchaft, der ſie nachhanget. Und da kan es geſchehen, daß ſich die eine zu dieſer Zeit mehr aͤuſſert, die an - dere zu einer andern, nachdem die aͤuſſer -S 3liche278[274]liche Gelegenheit darzu gegeben wird. Bey der einen Schwangerſchaft koͤnnen ſie widrige Schickſale in eine beſtaͤndige Betruͤbniß ſetzen; bey einer andern aber koͤnnen ſie angenehme Begebenheiten er - freuen. Das einemal kan die Furcht herrſchen, das anderemal eine ſuͤſſe Hof - nung bey ihr gruͤnen. Und daher kan dem einen Kinde ein hoͤherer Grad von dieſer, dem andern von jener Leidenſchaft angeerbet werden.

§. 25.

Wie eine geitzige Mutter ein hoch - muͤthig Kind zeu - gen koͤn - ne?
41

Endlich laͤſſet ſich aus den obigen Gruͤnden gar wol begreifen, wie eine hoͤchſtgeitzige Mutter ein ſehr hochmuͤ - thiges Kind zeugen koͤnne. Man neh - me an: Der Geitz habe die Herrſchaft bey einer ſchwangern Mutter, und be - wege ſie bey dem geringſten Verluſt zum Aerger. Sie graͤme ſich, wenn die Fruͤchte nicht gerathen oder nichts gelten. Sie weine, wenn die Ausbeute der Bergwercke und die Zinſen der Capita - lien geringer werden, und reiſſe ſich gar die Haare aus, wenn ſie um etliche Thaler betrogen wird: ſo wird ihr Kind in die Umſtaͤnde geſetzt werden, daß es bey einer jeden Empfindung, die nur ein wenig unangenehm iſt, in den groͤſtenZorn279[275]Zorn geraͤth. (ſiehe §. 20.) Man nehme an, die ſtaͤrckſte Neigung, ſo dem Kinde von GOtt anerſchaffen worden, ſey die Begierde zur Ehre, als welche Begierde an und vor ſich gut und bey ei - nem vernuͤnftigen Geſchoͤpfe der noͤthig - ſte und vortreflichſte Sporn zu loͤblichen Handlungen iſt; ſo wird es ihm ver - moͤge dieſer Neigung unangenehm ſeyn, wenn es ſich der Ehre beraubet ſiehet. Waͤre daſſelbe nun von einer gelaſſenen Mutter gebohren; ſo wuͤrde es zwar in etwas betruͤbt werden, wenn man es nur der unterſten Stelle dieſer Erden wolte wuͤrdig achten, und wuͤrde die Verachtung durch geſchickte Mittel ſu - chen abzulehnen: aber ſein Gemuͤth wuͤr - de nicht gleich in unordentliche Bewe - gung gerathen, wenn ihm andere keine Ehre erzeigeten, ſondern wuͤrde bey Ge - laſſenheit Zeit gewinnen zu unterſuchen, ob es auch wol einer ſolchen Ehre, die es verlanget, werth ſey, und ob es dadurch das Ziel ſeiner natuͤrlichen Nei - gung erreiche, wenn es ſich bemuͤhe Ehrenbezeugungen mit Gewalt zu er - zwingen. Da es aber von einer zum Zorn geneigten Mutter gebohren, ſo regt ſich derſelbe bey ihm auch, ſo bald ihm nur die geringſte unangenehme Empfin - dung erwecket, und folglich auch, wennS 4ihm280[276]ihm etwas Ehre verſagt wird. Die - ſe Leidenſchaft beraubet denn daſſelbe der Vernunft und entkraͤftet alle ihre Vor - ſtellungen. Es iſt daher ein ſolcher Menſch nicht im Stande ſeine natuͤr - liche gute Neigung in den gehoͤrigen Schrancken zu halten, verfaͤllt auf Abwege, iſt geſchaͤftig ſich uͤber ande - re zu erheben und diejenigen zu ſtuͤr - tzen, welche ihm hierbey im Wege ſte - hen. Er ſucht Ehre in Dingen, die kei - nen wahren Ruhm geben. Mit ei - nem Worte, er wird hochmuͤthig und bezeiget ſich als ein Ehrbegieriger, dem unordentliche Gemuͤthsbewegungen den rechten Gebrauch der Vernunft ge - nommen haben. Und hieraus iſt denn begreiflich, wie eine geitzige Mutter in das Gemuͤth ihres Kindes zu der Zeit, da ſie es noch unter ihrem Hertzen traͤgt, den erſten Saamen des Hoch - muths ausſtreuen koͤnne. Es wird unnoͤthig ſeyn, daß ich zeige, wie auf aͤhnliche Weiſe auch andere Leiden - ſchaften von den Muͤttern auf die Kinder koͤnnen gebracht werden, indem es niemanden ſchwer fallen wird, aͤhn - liche Exempel auf gleiche Art zu er - klaͤren.

§. 26.281[277]

§. 26.

Bis hieher haben wir gezeiget, wieWas die Saͤfte des Leibes der El - tern zu Fort - pflan - tzung boͤ - ſer Be - gierden beytra - gen koͤn - nen. muthmaßlich die Gemuͤthsbewegungen der Mutter einen Einfluß in die Seele des Kindes, ſo ſie bey ſich traͤgt, haben koͤnnen, und wie dadurch die Fortpflan - tzung boͤſer Begierden einigermaſſen be - greiflich werde. Nun wollen wir auch kuͤrtzlich beruͤhren, was vielleicht die Saͤfte, welche das Kind ſowol vom Vater als der Mutter bekommt, dazu beytragen koͤnnen. Es iſt bekannt, daß durch verſchiedene Vermiſchung der Saͤfte des menſchlichen Leibes allerhand Bewegungen des Gemuͤths koͤnnen er - regt, ernehrt und vergroͤſſert werden. Wer weiß nicht, daß man die Begier - de zur fleiſchlichen Vermiſchung durch allerhand Medicamente ungemein ver - groͤſſern, ja bey manchen unerſaͤttlich machen kan? Wem iſt unbekant, daß Kranckheiten die Saͤfte des menſchlichen Leibes verderben, und die Menſchen da - durch entweder tollkuͤhne und raſend oder ſchwermuͤthig, zaghaft und furchtſam machen koͤnnen. Wer wolte dahero zweifeln, daß nicht auch die erſten Saͤf - te, welche ſowol vom Vater als der Mutter bey der Empfaͤngniß dem Kin - de eigen werden, und hernach immer ih -S 5res282[278]res gleichen aus der Nahrung des Kin - des zeugen, demſelben zu allerhand Ge - muͤthsbewegungen Gelegenheit geben koͤnnen? Und hieraus erhellet denn, wie es moͤglich, daß auch der Vater zu der Fortpflantzung boͤſer Begierden, ſo durch die Gebuhrt geſchiehet, viel beytrage. Wir moͤgen dieſes aber nicht weitlaͤuftiger ausfuͤhren, weil wir uns dabey noth - wendig fuͤr eine der Meynungen, wo - durch man die Uebereinſtimmung des Leibes mit der Seele ſucht begreiflich zu machen, erklaͤren muͤſten. Da wir aber zeithero alles blos auf Erfahrungen, die niemand leugnen kan, gegruͤndet, und unſere Muthmaſſung ſo eingerichtet, daß ſie ein jeder nach ſeiner Meynung (ſy - ſtemate) wird weiter erklaͤren koͤnnen; ſo wollen wir auch jetzo nicht weiter ge - hen, als uns gewiſſe Erfahrungen die Hand bieten.

§. 27.

Einwurf und deſ - ſen Be - antwor - tung.
41

Vielleicht macht mir jemand den Ein - wurf: koͤnne man aus der Beſchaffen - heit des Leibes und deſſen Saͤfte boͤſe Neigungen erklaͤren, ſo haͤtte man der erſtern Muthmaſſung von Fortpflantzung boͤſer Begierden gar nicht noͤthig. Ein Philoſoph muͤſſe die Dinge und Mey - nungen nicht auſſer Noth haͤuffen. Sollich283[279]ich als ein bloſſer Philoſoph darauf ant - worten, ſo habe ich folgende Urſach, warum ich nicht glauben kan, daß alle boͤſe Neigungen durch Gelegenheit ge - wiſſer Saͤfte des Leibes erregt werden, ob gleich am Tage, daß ſie zu einigen Gemuͤthsbewegungen Anlaß geben. Haͤt - ten alle unordentliche Begierden ihren Grund in den Saͤften des Leibes, ſo ſcheint mir zu folgen, daß der Wille nicht durch bloſſe Vorſtellung koͤnte ver - beſſert werden, ſondern es wuͤrde die Verbeſſerung des Willens mehrentheils aus der Apotheck muͤſſen geholet werden, welches wider die Erfahrung. Jch hal - te alſo dafuͤr, daß der groͤſte Theil boͤ - ſer Begierden ſeine Quelle unmittelbar in der Seele habe, und daß alſo die er - ſtere Muthmaſſung von Fortpflantzung boͤſer Neigungen nicht ohne Urſach hie - her geſetzt ſey.

§. 28.

Zum Beſchluß will ich noch dieſesEine Er - innerung. erinnern, daß ich dieſer meiner vorgetra - genen Muthmaſſung nur einen geringen Grad der Wahrſcheinlichkeit beymeſſe, und alſo noch vielweniger ſie andern als eine ausgemachte Wahrheit anzuprei - ſen ſuche. Jch habe ihr aber indeſſen doch einen Platz in dieſen Blaͤttern goͤn -nen284[280]nen wollen, weil nicht nur die Moͤglich - keit geerbter Begierden daraus erhellet, ſondern ſie auch vielleicht andern Gele - genheit giebet, auf eine beſſere Er - klaͤrung derſelben zu ver - fallen.

Die ſiebende Betrachtung. Von der Abſicht, Warum GOtt das Boͤſe nicht durch ſeine Macht verhindere.

§. 1.

Jnhalt dieſer Be - trach - tung.
41

Auch die Weiſeſten dieſer Erden ſind jederzeit in Verwirrung ge - ſetzt worden, wenn ſie die Voll - kommenheiten des Schoͤpfers und die Zu - laſſung des Boͤſen in dem Meiſterſtuͤck ſeiner Weisheit, Guͤte und Macht gegen einander gehalten. Es iſt den groͤſten Geiſtern immer ſchwer zu begreiffen ge - weſen, wie doch das Weſen, welches die Liebe ſelbſt iſt, und nichts mehr ſu - chet als das Wol ſeiner Creaturen, zu - geben koͤnne, daß ſich ſelbige durch un - ſeelige Neigungen derjenigen Gluͤckſeelig -keit285[281]keit berauben, welcher ſie durch einen andern Gebrauch ihrer ihnen verliehenen Kraͤfte koͤnten theilhaftig werden. Man iſt dahero auf verſchiedene Meynungen gefallen, dieſes zu erklaͤren. Jch bin nicht geſonnen ſie weder zu erzehlen noch zu beurtheilen: ſondern mein Vorhaben iſt nur dem geneigten Leſer meine Muth - maſſung von der Urſach, die das weiſe - ſte Weſen bewogen das Boͤſe zuzulaſſen, zur guͤtigſten Beurtheilung zu uͤbergeben. Solte ſelbige nicht etwa andern ausge - machten Wahrheiten widerſprechen, ſo vermuthe, daß durch dieſelbe alle Zwei - fel, welche die Zulaſſung des Boͤſen eini - gen wider die Guͤte und Weisheit Got - tes erreget hat, gar leicht zu heben ſeyn. Weil aber ſelbſt noch ungewiß bin, ob meine Meynung auch ſtatt finden koͤn - ne, und mit der Aehnlichkeit unſers al - lerheiligſten Glaubens uͤbereinſtimme, ſo will ſelbige anjetzt nicht weitlaͤuftig ausfuͤhren, ſondern nur gantz kurtz vor - tragen, um nur erſt das Urtheil anderer, ſo mehr Einſicht, als ich haben, daruͤ - ber zu vernehmen. Jch muß aber den geneigten Leſer zum Voraus erinnern, daß ich in dieſer Betrachtung meine Ab - ſicht auf die Zulaſſung der boͤſen Hand - lungen, welche von einem groſſen Thei -le286[282]le der freyen Geſchoͤpfe geliebet werden, allein richte.

§. 2.

Die bey - den Haupt - Fragen, ſo hier zu beant - worten ſind.
41

Wir begreiffen dreyerley Mittel, wo - durch ein freyer Geiſt von boͤſen Hand - lungen zuruͤck gehalten wird. Es ſind ſelbige Strafen, eine gewaltſame Ein - ſchraͤnckung der Kraͤfte, welche zu Aus - uͤbung einer boͤſen That noͤthig ſind, und endlich ein ſolcher Verſtand, deſſen vernuͤnftige Vorſtellungen ſo richtig, deutlich und lebhaft ſind, daß kein irri - ges Urtheil entſtehen und ihn zu einer ſchaͤdlichen Handlung verfuͤhren kan. Des erſtern Mittels bedienet ſich der weiſeſte Beherrſcher der Welt; es iſt aber nicht allezeit zureichend, die boͤſen Neigungen zu ihrem Verderben elen - der Creaturen, zu unterdruͤcken. War - um GOtt aber nicht durch das zwey - te und dritte Mittel die Welt fuͤr denen Handlungen ihrer Einwohner, durch welche ſie unvollkommener wird, ſicher mache, wollen wir in den folgenden un - terſuchen. Und zwar fragen wir erſt: warum GOtt nicht durch beſtaͤn - digen Gebrauch ſeiner Allmacht die boͤſen Handlungen verhuͤte?

§. 3.287[283]

§. 3.

Schrift und Vernunft bejahen aus -Alles was Gott in der Welt thut, zie - let auf das Wol der Crea - turen ab. druͤcklich, daß eine unendliche Guͤte den Schoͤpfer bewogen die vernuͤnftigen Creaturen aus dem Nichts hervor zu rufen, und daß ihr Leben eine Wol - that ſey, wofuͤr ſie ihm in tiefſter Ehr - furcht Danck abzuſtatten haben. Nicht weniger bekraͤftigen Schrift und Ver - nunft, daß auch die Erhaltung und Re - gierung GOttes nichts anders als ſeine Guͤte zum Grunde haben, und daß alle ſeine Rathſchlaͤge und Wercke dahin ab - zielen, daß die vernuͤnftigen Geſchoͤpfe eines ſo groſſen Vergnuͤgens theilhaftig werden, als durch weiſe Mittel moͤglich iſt. Es giebt ein jeder, der GOtt nur ein wenig kennet, gar gerne zu, daß man demſelben eine ſehr groſſe Unvoll - kommenheit andichten wuͤrde, wenn man ihn beſchuldigen wolte, daß er bey Erſchaffung, Erhaltung und Regierung der freyen Creaturen eine andere Ab - ſicht als das Wol derſelben haͤtte. Man findet aber, daß unter ſeiner Re - gierung denen, welchen er Verſtand und freyen Willen gegeben, nachgeſe - hen wird, wenn ſich ihre Neigung auf etwas Boͤſes lencken, und ſie nebſt an - dern unvollkommener machen will. Mannimmt288[284]nimmt wahr, daß er als der oberſte Koͤ - nig zulaͤſſet, wenn diejenigen, ſo er gluͤck - lich machen wollen, ſich durch ihre freye Handlungen in das groͤſte Elend ſtuͤr - tzen. Man wuͤrde zweifeln muͤſſen, daß GOtt bey dieſer Zulaſſung des Boͤ - ſen ſich als ein guͤtiger Vater bezeigte, wenn nicht die Offenbahrung behaupte - te, daß alle Wege des HERRN vol - ler Guͤte waͤren, (ſiehe Pſ. 25. v. 10.) und die Vernunft verſicherte, daß ein unendliches Weſen unmoͤglich ſeiner Guͤ - te in einer eintzigen Handlung abſagen koͤnte.

§. 4.

Die Zu - laſſung des Boͤ ſen iſt beſ - ſer, als die ge - waltſame Verhin - derung deſſelben.
41

Jſt es aber der Weisheit und Guͤte GOttes gemaͤſſer, die boͤſen Handlun - gen, und das Verderben, ſo daraus ent - ſtehet, zuzugeben, als ſelbige durch ſeine Allmacht zu verhindern; ſo iſt klar, daß dieſe Zulaſſung des Boͤſen mehr Voll - kommenheiten nach ſich ziehe, als die gewaltſame Verhinderung deſſelben. Man kan ſich nicht uͤberreden, daß das vollkommenſte Weſen das ſchlechtere dem beſſern vorziehen ſolte. Es fehlt ihm nicht am Verſtande das Beſſere ein - zuſehen. Die Weisheit, das Beſſere durch geſchickte Mittel auszufuͤhren, man - gelt ihm auch nicht. Seine Machtſchraͤnckt289[285]ſchraͤnckt auch kein Unvermoͤgen ein, ſei - nen Vorſatz ins Werck zu richten. Und ei - ne unendliche Neigung zum Guten ihm abzuſprechen waͤre die groͤſte Thorheit un - ſers Verſtandes und eine ſtraffenswuͤrdi - ge Beleidigung der goͤttlichen Majeſtaͤt. Sind dieſes aber ausgemachte Wahr - heiten, ſo fallen alle Urſachen hinweg, welche GOtt von dem beſſern abziehen und zur Erwehlung des ſchlechtern bewe - gen koͤnten. Er kan derowegen niemals geringere Vollkommenheiten den groͤſſern vorziehen. Derowegen iſt auch kein Zweifel vorhanden, daß mehr gutes da - durch in der Welt erhalten werde, wenn GOtt zulaͤſſet, daß verſchiedene freye Ge - ſchoͤpfe ſich durch boͤſe Handlungen in Schmerzen und Unruhe ſetzen, als wenn er den hoͤchſten Grad ſeiner Macht gegen ſelbige gebrauchte.

§. 5.

Aber wie? ſolte denn die UebertretungEin Zwei - fel. der heiligſten Geſetze GOttes und die groͤ - ſte Unſeeligkeit, ſo die Veraͤchter derſelben verfolget, in den Augen GOttes beſſer ſeyn, als die Beobachtung derſelben? Darf man von dem Willen Gottes auf die Vortreflichkeit einer Sache ſchlieſſen; ſo wird es ja weit beſſer ſeyn, wenn die ver - nuͤnftigen Geſchoͤpfe durch die VerehrungTder290[286]der heilſamſten Geſetze des weiſeſten Koͤni - ges ihre Gluͤckſeeligkeit befoͤrdern, als wenn ſie ſelbige verlaſſen, und den Weg des Verderbens erwehlen. Denn Of - fenbahrung und Vernunft ſtimmen ja darinne mit einander uͤberein, daß GOtt nichts mehr ſuche, als das Gluͤck ſeiner Buͤrger, und alſo auch die Beobachtung ſeiner Geſetze, ohne welche die ſeelige Ru - he dieſer ſo groſſen Geſellſchaft nicht be - ſtehen kan.

§. 6.

Aufloͤ - ſung deſ - ſelben.
41

Allein man bemercke, daß nicht von uns geſagt worden: es ſey beſſer, daß boͤſe Handlungen in der Welt fuͤrge - nommen werden, als daß der Wille derjenigen, welche mit einem Ver - ſtande ausgezieret worden, ſich nach den Geſetzen GOttes richte; ſondern die Zulaſſung des Boͤſen ſey vortheil - hafter in dem Reiche GOttes, als die gewaltſame Verhinderung deſ - ſelben. Denn daß es weit zutraͤglicher waͤre und die Gluͤckſeeligkeit der Welt weit hoͤher ſtiege, wenn diejenigen, wel - che der Schoͤpfer durch die Vernunft uͤber andere Creaturen erhaben, ſich in ihrer Freyheit und ungezwungen vom Anfang her zum Guten gelencket, wird nicht leicht jemand leugnen. Es iſt dieſes gar zuklar291[287]klar aus der Beſchaffenheit der goͤttlichen Gebote, indem ſelbige nichts befehlen, als was nuͤtzlich iſt, und nichts verbieten, als was Unruhe und Schaden verurſa - chet. Es erhellet dieſes auch daher, weil GOtt vom Anfange verlanget, daß die freyen Geſchoͤpfe ſich ihrer Freyheit zum Guten und nicht zum Boͤſen bedienen ſol - len. Was GOtt aber vor allen andern will, muß wohl nothwendig das Beſte ſeyn. Nun aber kan hiermit ſehr wohl beſtehen, daß die Zulaſſung der boͤſen Handlungen beſſer ſey, als die gewaltſa - me Verhinderung derſelben.

§. 7.

Damit dieſes begreiflicher werde, ſoWeitere Erlaͤute - rung des Vorigen. ſtelle man ſich drey Welten vor, und neh - me an: in der einen erwehlten die vernuͤnf - tigen Creaturen in der Freyheit, die ihnen ihr Schoͤpfer vom Anfange gegeben, kei - ne andere als ſolche Handlungen, welche voͤllig mit den Geſetzen GOttes uͤberein kommen: in der zweyten waͤren zwar eben die Geſchoͤpfe, aber einige unter ihnen mißbrauchten ihre Kraͤfte und Freyheit zum Boͤſen: und in der dritten wuͤrden ſie durch die Allmacht GOttes dergeſtalt ein - geſchraͤnckt, daß ſie keine andere Hand - lungẽ unternehmen koͤnten, als die von denT 2Geſe -292[288]Geſetzen befohlen wuͤrden. Hier behau - pten wir, die erſte Welt ſey zwar die al - lerbeſte, weil die Geſetze des Schoͤpfers beweiſen, daß er ſie vor allen andern wol - le; aber ſie ſtehe nicht blos in ſeinem Wil - len, weil eben ſeine Macht in etwas dabe[y]ausgeſchloſſen und erfordert wird, daß ei - nige Handlungen der Freyheit der ver - nuͤnftigen Geſchoͤpfe uͤberlaſſen werden und die Allmacht ſich dabey nicht weiter aͤuſſere, als vom Anfange her geſchehen. Wir nehmen ferner an: die zweyte Welt in welcher einige Creaturen ihre Kraͤfte zu ihrem Verderben mißbrauchen, ſey zwar ſchlechter als die erſte; aber doch beſſer als die dritte, in welcher alle boͤſe Hand - lungen durch einen voͤlligen Gebrauch der Allmacht hintertrieben werden. Wir ſchlieſſen ſelbiges daraus, weil GOtt die zweyte der dritten vorziehet, und die Hal - tung ſeiner Geſetze nicht erzwinget. Wenn wir derowegen ſagen, die Welt, in wel - cher das Boͤſe zugelaſſen wird, ſey beſſer; ſo vergleichen wir ſelbige nicht mit dem Zuſammenhange, welcher waͤre, wenn die Buͤrger dieſer Welt in ihrer Freyheit ohne fernern Gebrauch der unumſchraͤnck - ten Macht GOttes vom Anfange her das Gute erwehlet haͤtten: ſondern mit der Welt, welche ſeyn wuͤrde, wennGOtt293[289]GOtt durch ſeine Macht alles Boͤſe ver - hinderte. (*)Man findet dieſe Materie weitlaͤufti - ger ausgefuͤhrt in meiner Diſputat. Quo ſenſu hic mundus ſit optimus, wel - che Anno 1734. zu Jena unter dem Vor - ſitz des Herrn Prof. REUSCH gehalten habe.

§. 8.

Worinne wird aber der Vorzug beſte -Die Zu - laſſung des Boͤſen bringet mehr Vergnuͤ - gen in der Welt, als die ge - waltſame Verhin - derung deſſelben. hen, welcher die Zulaſſung des Boͤſen vor der gewaltſamen Hinderung deſſelben hat? Jſt dieſes wahr, daß die Haupt - abſicht GOttes bey Erſchaffung, Erhal - tung und Regierung der Welt das Ver - gnuͤgen und die Gluͤckſeeligkeit der ver - nuͤnftigen Geſchoͤpfe ſey; ſo koͤnnen wir nicht anders glauben, als daß durch die Zulaſſung des Boͤſen mehr Vergnuͤgen unter die freyen Creaturen insgeſamt ge - bracht werde, als wenn ein auſſerordent - licher Gebrauch der Allmacht den Nei - gungen einiger boͤſer Geiſter ſich widerſetz - te. Denn wer wolte ſich wol uͤberreden, daß die hoͤchſte Weisheit und Guͤte ihre unendlichen Kraͤfte wuͤrde ruhen laſſen, wenn die Gluͤckſeeligkeit der Geſchoͤpfe durch eine gewaltſame Verhinderung des Boͤſen hoͤher koͤnte getrieben werden, alsT 3durch294[290]durch eine zugelaſſene Freyheit unſeelige Handlungen zu erwehlen. Es ſcheinet zwar ſehr wider einander zu laufen: das Vergnuͤgen der Creaturen zum Ziel haben, und doch zugeben, daß ein groſſer Haufe derſelben ſich ungluͤck - lich macht: Vielleicht aber laͤſſet ſich dieſer Wiederſpruch heben. Wir wol - len einen Verſuch davon machen.

§. 9.

Die ge - waltſame Verhin - derung des Boͤſen wuͤrde ein groͤſſer Mißver - gnuͤgen in die Welt bringen als die Beſtra - fung deſ - ſelben.
42

Alles Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen entſtehet in uns durch gewiſſe Empfindun - gen und Vorſtellungen unſers Verſtan - des. Einige von denſelben ſind uns an - genehm, andere aber verdrießlich. Die mehreſten Dinge haben etwas vergnuͤgen - des und etwas unangenehmes zugleich mit ſich verknuͤpft. Einige erregen anfaͤng - lich ein kleines Mißvergnuͤgen, erſetzen ſelbiges aber mit tauſendfacher Freude: andere haben unter einer ſuͤſſen Schale das verderblichſte Gift, und verſaltzen ei - ne kurtze Freude mit einer langen Reihe unangenehmer Folgen. Zu der erſten Art rechne ich die Tugenden, welche uns manche Beſchwerde machen, indem wir ſie ſuchen, und bemuͤhet ſind unſerer Seele eine ſolche unvergaͤngliche Zierde zu erwer - ben. Zu der andern Art gehoͤren die La - ſter, welche einiges Vergnuͤgen, aberviel -295[291]vielmehr Unruhe und Verdruß erwecken. Endliche Geiſter ſind dem Jrrthum unter - worfen. Es iſt moͤglich, daß ſie ſich von den geringen Verdrießlichkeiten einer recht guten Sache auf die Gedancken bringen laſſen: es ſey ſelbige boͤſe, mache nicht vergnuͤgt, oder unſere Kraͤfte ſeyn zu ſchwach, die Beſchwerlichkeit, mit wel - cher ſie muß erhalten werden, zu uͤberwin - den. Es iſt moͤglich, daß ſie ſich von dem lieblichen Scheine verderblicher Din - ge blenden laſſen, ſelbige als etwas gutes anſehen, mit aller Muͤhe darnach ſtreben, und glauben, man beraube ſie des hoͤch - ſten Guts, wenn man ſie davon zuruͤck halten will. Es waͤre zwar zu wuͤnſchen, daß die freyen Geſchoͤpfe ihre Kraͤfte alle - zeit anwendeten, ſolche betruͤbte Jrrthuͤ - mer durch eine aufmerckſame Wachſam - keit zu verhuͤten: allein ſo wol das menſchliche Geſchlecht als auch ein groſſer Theil der Engel haben ſich gleich vom An - fange her den ſchaͤdlichſten Jrrthum ein - nehmen und in das aͤuſerſte Elend verfuͤh - ren laſſen. Wolte nun GOtt durch ſeine Macht verhindern, daß ſie des Vergnuͤ - gens, welches ſie vermoͤge ihres Jrrthums wuͤnſchen, niemals theilhaftig wuͤrden, und wolte er ſie zwingen, auf die bittere Schale zu beiſſen, mit welcher die war - haftig guten Dinge pflegen umgeben zuT 4ſeyn;296[292]ſeyn; ſo wuͤrde er ſie ſo lange in das aͤuſer - ſte Mißvergnuͤgen ſetzen, als ihr Jrrthum dauerte. Denn ſie wuͤrden urtheilen, das groͤſte Gut wuͤrde ihnen genommen, und ein unbarmhertziger Entſchluß des Hoͤchſten verdammte ſie zu einem ewigen Mißvergnuͤgen. Sie wuͤrden den Tag ihrer Geburt verfluchen und in einer be - ſtaͤndigen Unruhe ihr Leben fortſetzen, wenn ein beſtaͤndiger Zwang ſie von dem zuruͤck hielte, was ſie vor gut erkenneten, und vor das eintzige hielten, ſo einen Geiſt freudig machen koͤnte. Und auf dieſe Weiſe wuͤrden ſie mehr Unluſt empfinden, als wenn ihnen GOtt die boͤſe Luſt ſchme - cken, und das Verderben derſelben her - nachmals fuͤhlen laͤſſet. Denn ſo wech - ſelt Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen noch bey ihnen ab, und viele begreiffen endlich, daß ſie einen ſchaͤdlichen Jrrthum geheget, indem ſie den Schaden, ſo er wuͤrcket, ſelbſt erfahren: und lernen das, was warhaftig gut iſt, erkennen, und erreichen eine wahre und beſtaͤndige Gluͤckſeeligkeit. Viele gelangen auch durch ſolcher un - gluͤcklichen Geiſter Exempel gleich zu der Erkaͤntniß des Guten, und bekommen durch dieſe Erkaͤntniß eine Liebe zu demſel - ben, welche vielleicht Zwangmittel der goͤtt - lichen Allmacht nicht wuͤrden angezuͤndet haben, indem ſich Liebe nicht erzwingen laͤſſet.

§. 10.297[293]

§. 10.

Man meynet zwar, es muͤſte nothwen -Aufloͤ - ſung ei - nes Zwei - fels. wendig um die freyen Geſchoͤpfe beſſer ſte - hen, wenn ſie GOtt durch Zwangmittel ſeiner Allmacht vom Boͤſen abhielte, in - dem alsdenn niemand die erſchroͤckliche Hoͤllenpein empfinden, und in derſelben ſeine boͤſe Thaten beweinen wuͤrde. Al - lein man bedenckt nicht, daß bey einem ſolchen Gebrauch der Allmacht noch ein groͤſſerer Schmertz die Gemuͤther der Menſchen und unſeeligen Engel beunruhi - gen wuͤrde. Denn in der Hoͤlle haben ſie noch das Vergnuͤgen, welches boͤſe Be - gierden einem Geiſte geben, und wird daſ - ſelbe nur durch Strafen ſo eingeſchraͤnckt, daß ſelbiges nicht mit dem allergroͤſten Mißvergnuͤgen, ſo nur moͤglich iſt, ab - wechſele. (ſiehe unſere fuͤnfte Betrachtung §. 38. 39. 40.) Wuͤrde aber GOtt ſie bey ihren unrichtigen Urtheilen und boͤſen Begierden niemals und auf keine Weiſe ihren Zweck erreichen laſſen, ſo wuͤrde ihr Gemuͤth faſt ohne Abwechſelung hoͤchſt - mißvergnuͤgt ſeyn. Denn den Zwang zum Guten ſaͤhen ſie als etwas hartes und unbarmhertziges, die Beraubung aber deſſen, ſo ſie lieben, als das groͤſte Un - gluͤck an. Man kan dieſes in etwas bey folgendem Exempel abnehmen. T 5Man298[294]Man ſtelle ſich vor einen Podagri - ſten, welcher eine ſtarcke Neigung zu ſchar - fen Eſſen und hitzigen Getraͤncke hat. Man nehme an, er wuͤrde ſo einge - ſchraͤnckt, daß er niemals von dieſen Speiſen und Getraͤnck, welche ſeine Schmertzen vermehrten, das geringſte be - kommen koͤnte. Wuͤrde ihm dieſe Ein - ſchraͤnckung nicht mehr Betruͤbniß verur - ſachen, als die Schmertzen des Podagra mit der abwechſelnden Saͤttigung ſeiner unvernuͤnftigen Begierden? Wuͤrde ihm der Durſt nach Weine nicht empfindlicher ſeyn und der Hunger nach ſcharfen Spei - ſen mehr quaͤlen, als das Podagra ſelbſt? Wer ſich in der Welt ein wenig umſiehet, wird den Beweiß von dem, was ich ge - ſagt habe, gar bald finden. Man hat junge Leute, welche ſich dem ſchaͤndlichen Laſter der Hurerey ergeben, und ſich da - durch ſehr ſchmertzliche und eckelhafte Kranckheiten zuziehen, auch noch wol von der Obrigkeit ſcharf geſtraft werden. Es folget keine Beſſerung bey ihnen. Man giebt ihnen ſolche Aufſicht, daß ſie zu kei - ner liederlichen Metze kommen koͤnnen und ihr Leib von den Schmertzen der Huren - Kranckheiten verwahret bleibet. Man ſolte meinen: es wuͤrde ſolchen Leuten da - durch allezeit ein groͤſſer Vergnuͤgen und eine hoͤhere Gluͤckſeeligkeit geſchaffet wer -den,299[295]den, als wenn man ſie ihren Begierden uͤberlieſſe. Aber die Erfahrung lehret, daß, wenn man ihren Verſtand nicht ver - beſſern und ſie zu einer lebendigen Ueber - zeugung von der Heßlichkeit ihres Laſters bringen kan, man ſie unruhiger, mißver - gnuͤgter und ungluͤcklicher macht, als wenn man ſie eine kurtze Luſt genieſſen und mit vielen Schmertzen, ja mit Armuth und Schande bezahlen laͤſſet. Es ſind dergleichen Leute durch ſolche Einſchraͤn - ckungen oͤfters auf die unſeeligſten Unter - nehmungen verfallen, und man hat durch gewaltſame Zwangmittel nicht ſie, ſon - dern nur die Familie und das gemeine Weſen gluͤcklicher gemacht.

§. 11.

Es ſcheinet alſo dieſer Satz ſeine Rich -Kurtze Wieder - holung des im vorigen erwieſe - nen Haupt - Satzes. tigkeit zu haben: Wenn man freye Gei - ſter, die ſich zum Boͤſen lencken, durch beſtaͤndige Gewalt von der Erfuͤllung ih - rer Neigungen abhaͤlt und zum Guten zwinget, und ihr Verſtand iſt nicht von der betruͤbten Natur der Laſter und der vergnuͤgenden Hoheit der Tugenden uͤber - fuͤhret; ſo macht man ſie mißvergnuͤgter und dahero unſeeliger, als wenn man ſie die Luſt und das Verderben unweiſer Handlungen wechſelsweiſe empfinden laͤſ - ſet. Und GOtt giebt dahero zu, daß ſei -ne300[296]ne vernuͤnftigen Geſchoͤpfe verſchiedene boͤ - ſe Handlungen ausuͤben, und verſtattet oͤfters den Ausbruch ihrer boͤſen Neigun - gen, weil bey gewaltſamer Verhinderung deſſelben ſein Endzweck, nemlich das Vergnuͤgen der Creatur, weniger erhalten wuͤrde, als bey einer weiſen Zulaſſung.

§. 12.

Wieder - holung der zwey - ten Haupt - Frage.
42

Wenn denn alſo eine gewaltſame Ein - ſchraͤnckung aller boͤſen Neigungen freyer Geſchoͤpfe wider die Gluͤckſeeligkeit ſolcher Geiſter und alſo wider die goͤttliche Ab - ſicht iſt; ſo muͤſſen wir ferner unterſuchen, warum ſich GOtt nicht eines andern Mittels bedienet, alle geſchaffene Geiſter vor dem Fall und vor dem Uebel, ſo daher entſpringet, zu bewahren? Warum hat er ihnen nicht einen ſo hohen Grad der Vernunft gegeben, vermoͤge welches ſie alle Dinge haͤtten richtig beurtheilen koͤn - nen? Warum hat er ſie nicht mit einer ſolchen bedaͤchtlichen Aufmerckſamkeit ge - zieret, welche niemals zugelaſſen, daß ſie ſich uͤbereilet haͤtten? Warum hat er ihr Vermoͤgen Dinge zu unterſcheiden nicht ſo durchdringend gemacht, daß ſie nie - mals das Boͤſe fuͤr gut und das Gute fuͤr etwas Boͤſes angeſehen? Warum hat er den vernuͤnftigen Urtheilen von der Voll - kommenheit und Unvollkommenheit einerSache301[297]Sache nicht ein ſolches Leben und eine ſol - che Kraft gegeben, daß ſie die unſeeligen Neigungen, welche unrichtige, undeutli - che und ſinnliche Vorſtellungen gezeuget, gleich in ihrer erſten Gebuhrt erſticket?

§. 13.

Ehe ich hierauf antworte, ſo iſt noͤthig,Erſter Vorbe - reitungs - Satz: GOtt kan keine wider - ſprechen - de Dinge machen. daß ich vorher einige Saͤtze aus den Wiſ - ſenſchaften der Vernunft entlehne und hier anfuͤhre, damit aus denſelben meine Ant - wort herleiten koͤnne. Der erſte iſt die - ſer: Die Allmacht GOttes kan die - jenigen Dinge nicht wuͤrcklich ma - chen, welche einen Widerſpruch in ſich enthalten. Z. E. Er kan kein tro - ckenes Naß, keine helle Finſterniß, keine kalte Hitze, kein Viereck, ſo nur drey Sei - ten hat, machen. Weil dieſe Schrift auch fuͤr ſolche verfertiget wird, welche nicht ſtudiret haben, ſo darf ich dieſe Wahrheit aus den erſten und gewoͤhnli - chen Gruͤnden nicht herleiten, weil ich ſonſt denen, die ſich in der Metaphyſick nicht umgeſehen, unverſtaͤndlich ſeyn wuͤrde. Jch will indeſſen einen andern Beweiß herſetzen, welcher auch Ungelehr - ten wird begreiflich ſeyn.

§. 14.

Ein vollkommener Wille, welchen ei -Beweiß deſſelben. ne unendliche Weisheit regieret, kan mitſich302[298]ſich ſelbſt nicht ſtreiten. Ein Wille, der mit ſich ſelbſt nicht einig iſt, iſt nur eine Unvollkommenheit ſolcher Geiſter, denen es an Vernunft fehlet. Jſt es aber un - recht, dem vollkommenſten Weſen eine ſolche Unvollkommenheit anzudichten, die nur ein Zeichen eines endlichen und fin - ſtern Verſtandes iſt, ſo kan man auch nicht annehmen, daß ſein Wille mit ſich ſelbſt uneinig waͤre. Alle Dinge aber, die ihr Seyn von ihm haben ſollen, muͤſ - ſen durch ſeinen Willen hervorgebracht werden. Folglich muͤſſen ſie ſo beſchaf - fen ſeyn, daß ſie keinen Streit in ſeinem Willen zum voraus ſetzen. Diejenigen Dinge aber, deren Wuͤrcklichkeit einen mit ſich ſelbſt ſtreitenden Willen erfor - dern, koͤnnen durch ſeinen Willen, ob er gleich allmaͤchtig iſt, nicht wuͤrcklich wer - den. Da nun alles das, was einen Wi - derſpruch in ſich enthaͤlt, durch einen mit ſich ſelbſt uneinigen Willen zur Wuͤrck - lichkeit muͤſte gebracht werden, ſo erſtreckt ſich die Allmacht GOttes auf dergleichen Dinge nicht. Z. E. Zugleich trocken und naß ſeyn, widerſpricht einander. Wolte derowegen GOtt ein trockenes Naß machen, ſo muͤſte er wollen, daß et - was ſolte naß und auch zugleich nicht naß ſondern trocken ſeyn. Folglich muͤſte ſein Wille mit ſich ſelbſt ſtreiten. Daer303[299]er aber mit ſich ſelbſt nicht kan uneinig ſeyn, ſo kan er auch kein trockenes Naß und andere dergleichen Dinge ſchaffen, welche ſich ſelbſt widerſprechen.

§. 15.

Der zweyte Satz, welchen ich aus derZweyter Vorbe - reitungs - Satz: Es ſind keine zwey voll - kommen aͤhnliche Dinge moͤglich. Philoſophie hier muß einſchalten, iſt die - ſer: Die Wuͤrcklichkeit zweyer vollkom - men aͤhnlicher und gleicher Dinge haͤlt ei - nen Widerſpruch in ſich, und folglich kan der Wille GOttes keine zwey Dinge darſtellen, welche einander in allen Stuͤ - cken vollkommen gleich waͤren. Man hat verſchiedene Beweiſe von dieſem Sa - tze. Mir ſcheinet derjenige am deutlich - ſten zu ſeyn, welchen man findet in des Herrn IO. PET. REVSCHII, Prof. Ien. Syſtemate metaphyſico §. 568. 569. 570. Er iſt aber dennoch hoͤher, als daß er von einem Ungelehrten koͤnte begriffen werden. Jch will ihn alſo hier nicht her - ſetzen, ſondern den angefuͤhrten Satz nur durch die Erfahrung in etwas wahr - ſcheinlich machen. Die Erfahrung aber lehret, daß kein menſchlich Geſicht, kein Blat, kein Ey, ja nichts, welches wir nur mit unſern Augen ein wenig genau betrachten koͤnnen, dem andern vollkom - men aͤhnlich ſey. Man kan alles, was nur durch die Vergroͤſſerungsglaͤſer groͤſ -ſer304[300]ſer als ein Punct erſcheinet, von einan - der unterſcheiden, und man entdecket im - mer in dem einen etwas, welches man in dem andern nicht findet. Woraus man nicht ohne alle Wahrſcheinlichkeit muth - maſſen kan, daß es dergleichen gar nicht gebe, und es der Natur der Dinge und den Eigenſchaften GOttes muͤſſe zuwider ſeyn, vollkommen aͤhnliche Dinge, die durch gar nichts von einander unterſchie - den waͤren, zu ſchaffen.

§. 16.

Beant - wortung der zwey - ten Haupt - Frage.
42

Doͤrfen wir auf die beyden angefuͤhr - ten Saͤtze etwas gruͤnden, ſo koͤnnen wir einigermaſſen begreiffen, warum der Schoͤpfer nicht allen Geiſtern ſo viel Vernunft und lebendige Erkaͤntniß des Guten gegeben, daß ſie damit alle aufſtei - gende boͤſe Begierden ohne einen groſſen Kampf zu unterdrucken im Stande ge - weſen. Koͤnnen keine zwey Dinge ein - ander vollkommen aͤhnlich gemacht wer - den, ſo kan auch GOtt keine zwey Geiſter ſchaffen, welche in allen Stuͤcken gleiche Vollkommenheiten haͤtten; ſondern der eine iſt groͤſſerer, der andere aber nur ge - ringerer Vorzuͤge faͤhig. Und ſollen vie - le Geiſter aus dem Nichts hervor gerufen werden, ſo koͤnnen einige von denſelben nur mit einem geringen Grad der Ver -nunft305[301]nunft ausgezieret werden. Die Urſach alſo, warum der Schoͤpfer nicht allen Geiſtern einen ſo hohen Verſtand gege - ben, daß ſie vor allen Jrrthum und aller boͤſen Luſt waͤren ſicher geweſen, liegt dar - inne, daß auch keine Allmacht zureicht alle Geiſter mit gleichen Kraͤften auszu - ruͤſten, und es alſo nothwendig iſt, daß einige nur einen niedrigen Grad der Ein - ſicht bekommen, wenn ſie anders nicht ewig in dem Nichts ſollen verborgen blei - ben. Hierbey aber entſtehen zwey andere Fragen. Die erſte iſt: warum GOtt den Menſchen dieſer Erden und den Teufeln, welche ich hinfuͤro mit einem Nahmen die gefallenen Geiſter nennen will, den geringern Grad der Ver - nunft nur gegoͤnnet, und ſelbige nicht zu den hoͤchſten Geiſtern ge - macht? Die zweyte Frage iſt: warum GOtt die freyen Geſchoͤpfe, von wel - chen er vorher geſehen, daß ſie bey ihrer geringern Einſicht unſeeligen Begierden nachgeben wuͤrden, nicht in dem Nichts gelaſſen, und an de - ren Stelle noch andere Geiſter vom hoͤheren Range geſetzet?

§. 17.

Was die erſte Frage betrift, ſo ſcheinetGott hat den gefal - lenen ſelbige eben ſo beſchaffen zu ſeyn, als wennUjemand306[302]Geiſtern keine hoͤ - hert Kꝛaft vernuͤnf - tig zu denken geben koͤnnen.jemand fragte, warum macht GOtt nicht daß zweye achte ſeyn, und doch auch zwey bleiben? Denn wie dieſes einander wi - derſpricht, und dergeſtalt mit einander ſtreitet, daß es von GOtt nicht kan alſo geordnet werden, eben ſo laͤuft es auch wider einander, daß die gefallenen Gei - ſter haͤtten eben die jetzigen Subſtantzen ſeyn ſollen, und doch ſo hohe Kraͤfte des Verſtandes haben, daß ſie gar nicht haͤt - ten in Jrrthum und Suͤnde fallen koͤnnen. Denn da nicht alle Dinge gleiche Voll - kommenheiten haben koͤnnen, und folg - lich nur ein eintziges Weſen das allervoll - kommenſte ſeyn kan, ſo muͤſſen alle Din - ge, ſo auſſer GOtt ſind, ein gewiſſes Ziel ihrer Kraͤfte und Vollkommenheit haben, welches ſie nicht uͤberſchreiten moͤgen. Wie nemlich die Zwey nicht eine Achte werden und zugleich eine Zwey bleiben kan, ſo iſt auch unmoͤglich, daß eine ge - wiſſe Subſtantz eine groͤſſere Kraft etwas zu wuͤrcken erhalten, und doch nicht zu - gleich eine gantz andere Subſtantz werden ſolte. (*)Jch will dieſes mit einem Gleichniß und einem Exempel erlaͤutern. Ein jeder wird leicht zugeben, daß, wenn man eine hoͤl - tzerne Bauerhuͤtte in einen koͤniglichenPal -Koͤnte man die Subſtantzenzu307[303]zu einem jeden Grad der Kraft und Voll - kommenheit erhoͤhen, ſo wuͤrden auch alle Dinge einander vollkom̃en koͤnnen gleich gemacht werden, wovon doch das Gegen -U 2theil(*)Pallaſt von ſchoͤnen Steinen verwandelt, keine Bauerhuͤtte mehr an demſelben Platze ſey, ſondern, daß dieſelbe habe auf - gehoͤret, und etwas anders an deren Stel - le geſetzet worden. Eben aber ſo verhaͤlt es ſich mit denen Subſtantzen, wenn ſie mit einer hoͤhern Kraft ſollen verſehen wer - den. Man nimt in dieſen Worten, wenn man ihren Jnhalt recht uͤberlegt, nichts anders an, als es ſollen an ſtatt der gerin - gern Subſtantzen andere hoͤhere, welche folglich von einer gantz andern Art ſind, gemacht werden. Man ſtelle ſich z. E. vor, es ſolte einer Pferdeſeele die Kraft, wie ein Menſch zu dencken, gegeben werden, ſo wuͤrde ihr gantzes Weſen geaͤndert, und ſie bliebe keine Pferdeſeele, ſondern wuͤrde eine Menſchenſeele, und weil hierzu eine gantz andere Kraft erfordert wuͤrde, ſo hoͤrte die erſte auf, und an deren Stelle fienge eine andere an zu ſeyn. Will man gedencken: Es kan ja eine Kraft auch durch einen Zuſatz erhoͤhet werden, ſo daß die erſtere Subſtantz bleibet, und nur eine andere mit der erſten verknuͤpft wird. Z. E. Wenn einen Menſchen eine verzehren - de Kranckheit matt gemacht, ſo wird nach der Geneſung ſeine Kraft wieder erhoͤhet, wenn der Verluſt der verlohrnen Saͤfte durch bequeme Speiſen wieder erſetzt wird. Allein man mercke, daß es ſich miteiner308[304]theil am Tage liegt. Jſt es aber unmoͤg - lich, daß ein jedes Ding den hoͤchſten oder wenigſtens einen ſehr hohen Grad gewiſ - ſer Vollkommenheiten erreiche, ſo ha〈…〉〈…〉GOt[t](*)einer Seele und Geiſte nicht eben ſo ver - haͤlt, wie mit einem Coͤrper. Ein Coͤrpe[r]iſt aus vielen Subſtantzen und alſo aus vielen Kraͤften zuſammen geſetzt, dere〈…〉〈…〉 eine der andern hilft, und in demſelbe[n]kan dahero die Kraft durch einen Zuſatz vermehret werden, eben wie die Kraft de[r]ziehenden Pferde vor einem Wagen ver - groͤſſert wird, wenn man mehr Pferde da - vor ſpannet. Mit den Seelen und Gei - ſtern aber hat es eine gantz andere Be - wandniß. Selbige ſind nicht aus Theilen zuſammen geſetzt, ſondern ſind einfache oder immaterielle Dinge, und koͤnnen da - hero durch keinen Zuſatz anderer Theile er - hoͤhet werden. Soll alſo ihre Kraft ver - aͤndert werden und ein beſſer Vermoͤgen zu wuͤrcken erhalten, ſo muß es mit ihnen eben ſo zugehen, als wenn man eine hoͤl - tzerne Bauerhuͤtte in einen ſteineꝛn Pallaſt verwandeln will. Es muß nemlich die er - ſte Subſtantz vernichtet und eine andere an deren Stelle geſetzt werden. Aber wie? kan denn nicht die niedere Kraft aus der Subſtantz hinweg genommen und eine neue und beſſere gleichſam hinein gegoſſen werden? Dieſen Einwurf kan niemand machen, als derjenige, welcher in den Ge - dancken ſtehet, es waͤren die Subſtantzen und ihre Kraͤfte in der Natur eben ſo von einander unterſchieden wie das Glaß undder309[305]GOtt auch z. E. den Menſchen nicht an - ders, als mit den Schrancken erſchaffen koͤnnen, welche ſein Weſen nothwendig mit ſich verknuͤpft hat. Haͤtte er dieſes nicht t[h]un wollen, ſo waͤren unſere Sub - ſtantzen in dem Nichts geblieben, und nur andere von einer hoͤhern Art an unſere Stelle geſetzet worden. Wer derowegen fragt, warum GOtt den gefallenen Gei -U 3ſtern(*)der Wein, ſo in demſelben gehalten wird. Die Subſtantzen aber und ihre Kraͤfte ſind nicht ein Ding, und koͤnnen nicht von ein - ander getrennet werden, auſſer nur in un - ſern Gedancken, in welchen wir oͤſters et - was dichten, welches in der Natur nicht ſo beſchaffen iſt, wie wir dencken. Siehe IO. PET. REVSCHII Syſtema metaphyſi - cum §. 537. p. 360. Vielleicht meinet jemand durch die Erfahrung uͤberſuͤhrt zu ſeyn, daß die Kraft eines Dinges ohne Verwandelung der Subſtantz koͤnne erhoͤ - het werden. Z. E. Man koͤnne die Kraft eines Steines dergeſtalt erhoͤhen, daß er ein Loch in die Erde mache, indem man ihn von einem hohen Thurne herunter wirft. Man bemercke aber, daß durch den Fall die Kraft des Steines, d. i. ſein Jn - neres, ſo ihn wirckſam machet, nicht ver - mehret, ſondern nur in die Umſtaͤnde ge - ſetzt werde, daß ſie ſich aͤuſſern kan. Denn die Kraft ein Loch in die Erde zu fallen hat er ſo bald gehabt, als er hat angefangen ein Stein zu ſeyn. Siehe GEORG. ERH. HAMBERGERI Phyſica §. 31.310[306]ſtern nicht eine hoͤhere Kraft vernuͤnftig zu dencken gegeben, der ſagt nichts anders, als warum hat GOtt die Geiſter von der nie - dern Art nicht in dem Nichts gelaſſen und deren Platz Geiſtern von einer hoͤhern Ord - nung angewieſen? welches eben die zweyte Frage iſt, die wir beantworten muͤſſen.

§. 18.

Zweifel dargegen.
46

Ehe ich auf dieſe zweyte Frage meine Antwort gebe, muß ich einem Zweifel zu - vor kommen, welcher vielleicht verſchiede - nen entſtehen moͤchte, wenn ich behaupte: es haͤtte die Kraft der gefallenen Geiſter bey der Schoͤpfung nicht ohne eine voͤllige Verwandelung ihrer Subſtantzen derge - ſtalt koͤnnen erhoͤhet werden, daß ſie vor allem Jrrthum und Suͤnde waͤren voll - kommen ſicher geweſen. Vielleicht denckt jemand: die Kraft vernuͤnftig zu dencken, welche ihnen der Schoͤpfer bey ihrem erſten Anfang gegeben, waͤre ſchon darzu hinlaͤnglich geweſen, wenn er ſie nur gleich anfaͤnglich in andere aͤuſerliche Um - ſtaͤnde geſetzet haͤtte. Die guten Engel ſind die Subſtantzen geblieben, die ſie vom Anfange geweſen, die Seelen der ſeeligen Menſchen werden gleichfals in keine ande - re Subſtantzen verwandelt. Beide ſind indeſſen ſicher fuͤr allem verfuͤhrenden Jrr - thum, und kein Gedancke entſtehet in ih - nen, welcher eine boͤſe Luſt zeugete. Haͤt -te311[307]te nun GOtt gleich die gefallenen Geiſter eben ſolcher Umſtaͤnde gewuͤrdiget, ſo haͤtte ja ihre natuͤrliche Kraft zugereicht, ſie auffer alle Gefahr unſeeliger Begier - den zu ſetzen, und eben dieſe Subſtantzen haͤtten auf dieſe Weiſe fuͤr dem Fall voͤl - lig koͤnnen verwahret werden.

§. 19.

Es hat dieſer Zweifel ſo lange eine groſ -Aufloͤ - ſung deſ - ſelben. ſe Wahrſcheinlichkeit vor ſich, als man nicht recht bedencket, durch welche Mittel die Engel und Seeligen frey ſind von der Gefahr zu ſuͤndigen. Die Mittel, durch welche ſie fuͤr einem ferneren Fall bewah - ret werden, ſind nebſt andern folgende. Erſtlich eine lebendige Erkaͤntniß des Gu - ten und Boͤſen, welche ſie nicht bloß durch Schluͤſſe ihrer Vernunft, ſondern auch und beſonders durch allerhand Erfahrun - gen, die ſie theils an ſich, theils an an - dern wahrgenommen, erhalten. Zwey - tens eine Gewohnheit im Guten, wozu ſie die Gnade GOttes durch allerhand Uebungen und Verſuchungen gebracht. (ſiehe die ſechſte Betrachtung §. 4.) Jh - re Befeſtigung im Guten gruͤndet ſich de - rowegen auf eine Erkaͤntniß und Ge - wohnheit, welche ſie nach und nach erlan - get, und ſo lange ſie ſelbige noch nicht ge - habt haben, ſind ſowol Engel als Men - ſchen dem Falle unterworfen geweſen. U 4Wir312[308]Wir wollen unterſuchen, was noͤthig ge - weſen waͤre, wenn ihnen GOtt dieſe Er - kaͤntniß und Fertigkeit in der erſten Minu - te nach ihrer Schoͤpfung haͤtte geben und ſie in demſelben Augenblick fuͤr allen ſchaͤd - lichen Jrrthum und Suͤnde ſicher machen wollen. Man nehme an: die guten En - gel haͤtten nur zehn Minuten noͤthig ge - habt die Erkaͤntniß und Fertigkeit im Gu - ten zu erreichen, welche ſie in den Stand geſetzt allen Jrrthum und jede boͤſe Nei - gung zu beſiegen. Man nehme an: die Teufel und die Menſchen haͤtten gleichfals keine laͤngere Zeit bedurft im Guten beſtaͤ - tiget zu werden. Haͤtte ſie GOtt auch dieſe zehn Minuten nicht in der Gefahr des Falles laſſen wollen, ſo haͤtte er machen muͤſſen, daß dieſe Geiſter in der erſten Minute die benoͤthigte Erkaͤntniß und Fer - tigkeit im Guten uͤberkommen haͤtten. Hierbey aber haͤtte ihre Kraft wenigſtens zehnmal ſo ſtarck wuͤrcken muͤſſen, als da ſie zu ihren Vorſtellungen und Uebungen zehn Minuten Zeit hatte. Eine zehnfache Wuͤrckung, ſo in einer Zeit geſchiehet, erfordert eine zehnfache Kraft. Haͤtte alſo der Schoͤpfer die geſchaffenen Geiſter in der erſten Minute im Guten beſtaͤtigen wollen, ſo haͤtte er ihnen, nachdem, was wir hier angenommen, eine zehnmal ſtaͤr - ckere Kraft geben muͤſſen, d. i. er haͤtte diejetzi -313[309]jetzigen Subſtantzen hinweg laſſen und an deren Stelle andere ſetzen muͤſſen, welche eine zehnmal hoͤhere Kraft gehabt. (§. 17.) Und ſo iſt denn aus dem Zuſtande der En - gel und der Seeligen nicht zu ſchlieſſen, daß die ietzigen Subſtantzen der gefallenen Geiſter haͤtten gleich in ſolche Umſtaͤnde koͤnnen geſetzt werden, daß ſie ohne alle Verwandelung in gantz andere Subſtan - tzen vom erſten Anfange waͤren voͤllig fuͤr dem Fall geſichert geweſen. Und hier - mit iſt denn auch zugleich dieſe Frage be - antwortet: warum GOtt die Engel und Menſchen nicht gleich in dem erſten Augenblick der Schoͤpfung im Guten beſtaͤtiget?

§. 20.

Wir ſchreiten endlich zur Beantwor -Warum GOtt nicht voll - komme - nere Gei - ſter an die Stelle der Gefalle - nen geſe - tzet? tung der zweyten Frage: Warum nem - lich GOtt die gefallenen Geiſter zu den Perſonen des Schauplatzes der Welt mit erwehlet, und warum er nicht vielmehr vollkommenere Per - ſonen an ihre Stelle geſetzt? Wir wuͤrden auf dieſe Frage nichts antworten koͤnnen, wenn ausgemacht waͤre, daß den vollkommenern Geiſtern, ſo moͤglich ſind, nicht ſchon an andern Orten der Welt ein Platz von GOtt angewieſen worden. Es drehen ſich aber um unſere eintzige Sonne auſſer unſerm Wohn -U 5hauſe314[310]hauſe noch fuͤnf groſſe Erden, um deren eine vier und um die andere fuͤnf Mon - den lauffen. Ferner ſehen wir ſo viel Sonnen, als wir Fixſterne wahrnehmen, um welche vermuthlich auch Erdballen be - wegt werden. Wer weiß, ob in denſel - ben nicht diejenigen Geiſter wohnen, de - ren Weſen die groͤſſeren Vollkommenhei - ten faſſen. Jſt uns erlaubt, dieſes zu muthmaſſen, ſo koͤnnen wir auch mit ei - ner andern Muthmaſſung die Urſache er - reichen, warum der Schoͤpfer eben auch die gefallenen Geiſter mit in dieſe Welt ge - ſetzt? GOtt iſt das allerguͤtigſte Weſen, und hat dahero eine unendliche Neigung ſo vielen Geſchoͤpfen Wohlthaten zu erzei - gen, als nur durch weiſe Mittel geſchehen kan. Er hat geſehen, daß auſſer den voll - kommenern Geſchoͤpfen, ſo er hier und da in verſchiedene groſſe Quartiere der Welt vertheilet, auch wir noch moͤglich waͤren. Er hat bemerckt, daß er uns gleichfals ei - ne Wohlthat erwieſe, wenn er uns zur Wuͤrcklichkeit braͤchte, und hat daher be - ſchloſſen auch uns hervorzubringen und in Wohnungen zu ſetzen, welche unſerer Na - tur gemaͤß ſind. GOtt hat derowegen unſere Behauſung keinen andern vor - treflichern Geiſtern einraͤumen wollen, weil ſelbigen ſchon an andern Orten der Welt diejenige Wohnung, ſo ſich fuͤr ſieſchickt,315[311]ſchickt,(*)Daß GOtt die Wohnungen der freyen Creaturen nach ihrer Natur und Neigun - gen einrichte, und dieſelben ſo zubereite, daß die allgemeine Gluͤckſeeligkeit der Geſchoͤpfe dadurch am hoͤchſten getrie - ben werde, ſiehe in der fuͤnften Betrach - tung §. 38. und in des Herrn CANZII Tract. de Ciuitate Dei Sect. III. Cap. II. angewieſen worden, und ſei - ne Guͤte uns doch auch einen Platz unter den Wercken ſeiner Macht und Weis - heit goͤnnen wollen.

§. 21.

Dieſes iſt kurtz meine MuthmaſſungEinige Erinne - rungen. von der Urſach, warum GOtt das Boͤſe zugelaſſen. Es haben damit verſchiedene andere Fragen einige Verwandſchaft. Z. E. Warum GOtt dem Menſchen einen Willen und nicht blos einen Verſtand gegeben? Warum er nicht alle auf eine ſolche Art bekehret, wie den Paulus? Warum er zu den jetzigen Zeiten keine Apoſtel mehr ſendet, welche ihren Vor - trag mit Wundern bekraͤftigen? u. d. g. m. Jch wuͤrde ſelbige auch ſogleich beant - worten, wenn ich nicht befuͤrchten muͤſte, daß etwa andere, die weiter ſehen, als ich, gefaͤhrliche Grundirrthuͤmer in den vor - getragenen Muthmaſſungen entdeckten, und ich alsdenn verbunden waͤre, gar zuvieler -316[312]vielerley auf einmal zu widerruffen. Jch will derowegen lieber erſt dieſes wenige dem Urtheil anderer unterwerfen, und ver - nehmen, ob es auch werth ſey, das in der Kuͤrtze vorgetragene weiter auszufuͤhren. Solte aber jemand etwas gefaͤhrliches darinne antreffen, und wolte mich und andere eines beſſern Unterrichts wuͤrdigen und von ſchaͤdlichen Jrrthuͤmern befreyen, ſo will ich um folgende Stuͤcke gehorſamſt gebethen haben.

I. Verſchone man mich mit Schelt - worten und jaͤmmerlichen Klaggeſchreyen, welche viele fuͤr die Waffen halten, womit die Kriege des HErrn muͤſſen gefuͤhret werden, welche Waffen ihnen aber wol ſchwerlich von dem Geiſte Chriſti in die Haͤnde gegeben werden. Man verſcho - ne mich auch mit verdrießlichen Folgerun - gen, welche man insgemein mit Gewalt aus keiner andern Abſicht herbey ziehet, als daß man den Vertheidiger einer Mei - nung bey andern verdaͤchtig und verhaßt machen moͤge. Man greiffe den Zuſam - menhang meiner Beweiſe an, und zeige, wo ich entweder in der Form oder der Ma - terie meiner Schluͤſſe gefehlet habe.

II. Wenn man meine Muthmaſſung von der goͤttlichen Abſicht bey Zulaſſung des Boͤſen als irrig befindet, ſo habe man die Gewogenheit fuͤr mich, und befreyemich317[313]mich von folgenden Zweifeln, welche das Gemuͤth eines Menſchen auf das empfind - lichſte beunruhigen koͤnnen, und ich nach keiner andern Meinung zu heben weiß, als nach der, ſo ich anjetzt mit wenigen aus - gefuͤhret habe. Es machen dieſe Zweifel die Unendlichkeit der Guͤte GOttes unge - wiß, das Vertrauen auf dieſelbe unge - gruͤndet, und berauben alſo denjenigen, deſſen Gemuͤth ſie einnehmen, des eintzi - gen Feigenblates, hinter welchen wir in der Hitze der Truͤbſal erquickenden Schatten finden koͤnnen. Es beſtehen dieſe Zweifel in folgenden. Man muß bey der unendlichen Weisheit, die GOtt be - ſitzet, zu zweyerley Dingen ſeine Zuflucht nehmen, wenn man begreiffen will, war - um GOtt das Boͤſe zugelaſſen. Entwe - der man muß annehmen; GOtt habe das Beſſere und den hoͤhern Grad der Voll - kommenheiten, die er ſeinen Geſchoͤpfen haͤtte geben koͤnnen, nicht gewolt: oder man muß muthmaſſen; die Natur der Dinge ſey ſo beſchaffen, daß ſie durch die goͤttliche Allmacht allein zu keiner groͤſſern Vollkommenheit habe koͤnnen erhaben werden. Dieſes letztere bin ich bemuͤhet geweſen in dieſer Betrachtung zu behaupten. Und bey dieſer Meinung bleibet die Unendlichkeit der Guͤte GOttes feſt und unbeweglich, indem nach derſel -ben318[314]ben angenommen wird: der Schoͤpfer ſchencke den Creaturen ſo viel Vollkom - menheiten, und ſuche ihre Gluͤckſeeligkeit ſo hoch zu treiben, als nur durch weiſe Mittel moͤglich iſt. Es vergnuͤget uns dahero auch bey dieſer Meinung ein zu - verlaͤßiges Vertrauen zu dieſer unendli - chen Guͤte, indem wir glauben, daß die - jenigen Vorzuͤge, welche uns die hoͤchſte Vorſicht nicht mittheilet, keine wahre Vorzuͤge ſind, ſondern nur Nullen, wel - che ſich eine traͤumende Einbildung als wahre Zahlen vorſtellet. Solte man aber indeſſen triftige Gruͤnde finden, wel - che unſere angegebene Muthmaſſung voͤl - lig umſtoßten, und im Gegentheil bewie - ſen: es haͤtten die freyen Geſchoͤpfe gar wol uͤberhaupt durch die All - macht in beſſere Umſtaͤnde koͤnnen geſetzt werden; GOtt haͤtte dieſes aber nicht gewolt, und ſeine Nei - gung gienge auch noch nicht dahin; ſo unterrichte man mich guͤtigſt, wie man ſich dabey von der Unendlichkeit der Guͤte des Schoͤpfers uͤberfuͤhren koͤnne? Die groͤſte Guͤtigkeit, ſo man gedencken kan, iſt eine Geneigtheit andern ſo viel Gutes zu erzeigen, als nur durch weiſe Mittel moͤg - lich iſt. Soll alſo die Guͤte GOttes un - endlich und die allerhoͤchſte ſeyn; ſo muß man ihm eben eine ſolche Geneigtheit zu -eignen.319[315]eignen. Wie kan man aber glauben, daß er ſelbige beſitze, wenn man annimmt: er habe niemals den Willen gehabt die Geſellſchaften freyer Geſchoͤpfe ſo gluͤck - lich zu machen, als durch geſchickte Mittel moͤglich ſey? Denn koͤnte er ſich noch guͤ - tiger erzeigen gegen ſeine Geſchoͤpfe, als er wuͤrcklich gethan hat und noch thut, ſo waͤre ja ſeine Guͤte nicht die allerhoͤchſte, die da ſeyn koͤnte; oder man muͤſte ihm eine ſchlaffende und todte Guͤtigkeit an - dichten, welche aber nichts anders als ein viereckigtes Dreyeck ſeyn wuͤrde. Fer - ner unterrichte man mich, wie man GOtt uͤber alles vertrauen koͤnne, wenn man nicht verſichert iſt, daß er alles thue, was nur etwas zu der Gluͤckſeeligkeit der Ge - ſellſchaften, ſo hier und da in der gantzen Welt vertheilet ſind, beytragen kan. Wuͤrde nicht manche Geſellſchaft von vie - len tauſenden dencken muͤſſen: Vielleicht will GOtt nicht, daß ihr einen hohen Grad der Gluͤckſeeligkeit erreichen ſollet? Endlich ſage man mir, was ich gedencken ſoll, wenn GOtt ſelbſt Eſ. Cap. 5. v. 4. ſpricht: Was ſolte man doch mehr thun an meinem Weinberge, das ich nicht gethan habe? Will hier GOtt nicht ſo viel ſagen: Jch habe alles an meinem Weinberge, der damaligen Kir - che des Juͤdiſchen Volcks, gethan, wasich320[316]ich nur gekont habe, und was moͤglich geweſen?

III. Man buͤrde mir bey dem §. 7. 16. 17. 18. 19. nicht auf, daß ich die Unend - lichkeit der Allmacht GOttes leugne, und derſelben Schrancken ſetze. Die All - macht GOttes iſt ein Vermoͤgen alle Dinge wuͤrcklich zu machen, die keinen Widerſpruch in ſich enthalten, (§. 13. 14. ) und ſelbige wird von mir gar nicht in Zweifel gezogen. Es wird nur daran gezweifelt, daß diejenige Verbeſſerung der Welt, welche viele von der Allmacht GOttes wuͤnſchen, von einem innern Widerſpruche frey ſey. Und es wird wahrſcheinlich gemacht, daß dieſe Ver - beſſerung vielmehr eine ſolche Sache ſey, welche einen Streit in dem Willen GOt - tes zum voraus ſetze, und daher gar nicht unter die Dinge gehoͤre, uͤber welche ſich die Macht GOttes erſtre - cket. (§. 14.)

[317]

Der Betrachtungen uͤber die Weiſen Abſichten GOttes, bey denen Dingen, die wir in der menſchlichen Geſellſchaft und der Offenbahrung antreffen, Fuͤnftes und Sechſtes Stuͤck. Goͤttingen, Bey C. H. Cuno, 1740.

[318][319]

Die achte Betrachtung Von Der Abſicht GOTTes bey der Gnugthuung JEſu.

§. 1.

Diejenigen Weiſen, welcheVorbe - richt. geglaubt, ihr Verſtand begreiffe die beſten Re - geln, wornach GOTT dieſe Welt einrichten und regieren muͤſſe, haben oͤfters etwas fuͤr ungereimt und den goͤttlichen Voll - kommenheiten unanſtaͤndig erklaͤret, ſo doch GOtt laut ſeiner Offenbahrung wuͤrcklich fuͤr gut befunden und erweh - let. Sie ſind dadurch insgemein auf einen von zwey Abwegen gerathen. Der eine Theil hat ſich dasjenige aus der Schrift, was er fuͤr ungereimt ge -X 2hal -324[320]halten, bewegen laſſen, die gantze Offen - bahrung zu verwerffen, und ſich zu den Spoͤttern der geoffenbahrten Religion zu wenden. Sie haben ſich eben der Art Wahrheiten zu beſtreiten bedienet, wel - che ich in gewiſſen neuen Streitigkeiten haͤufig antreffe. Eine eintzige Folge aus dem geoffenbahrten Worte, welche ent - weder wegen ihrer Unrichtigkeit eine wuͤrckliche Unwahrheit in ſich enthalten, oder auch ihnen nur ungereimt geſchienen, und insgemein die Unwiſſenheit heiliger und anderer Wahrheiten zur Mutter gehabt, iſt ihnen genug geweſen die Schrift zu verſpotten. Sie haben aber ja nicht die Augen auf die andere Seite gewendet, und die Gruͤnde betrachtet, auf welchen die Goͤttlichkeit der heiligen Buͤcher unumſtoͤßlich ruhet. Sie ha - ben ſich auch nicht leicht unterſtanden, die erſten Gruͤnde ſelbſt anzugreiffen, weil ſie ſelbige zu ſchwehr und unbeweglich ge - funden. Sondern ſie haben lieber in der Ferne auf eine ungereimte Art mit ſtumpfen Augen thoͤrichte Folgen ge - ſucht, und wenn ſie hierinne ihrem Wahne nach gluͤcklich geweſen, ſo ha - ben ſie fuͤrgegeben: ſie haͤtten den gan - tzen Zuſammenhang der geoffenbahrten Wahrheiten zerriſſen und voͤllig umge - kehrt. Ein ander Haufe aber hat geſe -hen,325[321]hen, daß die Goͤttlichkeit der heiligen Buͤcher gar zu deutlich in die Augen leuchte, und unmoͤglich von einem, der Aufmerckſamkeit und Vernunft gebrau - che, koͤnne geleugnet werden. Sie ha - ben derowegen dieſes Mittel ergriffen, gantz deutlich geoffenbahrte Wahrhei - ten aus den goͤttlichen Buͤchern heraus zu werffen. Sie haben bey ſich dieſe Regel feſt geſetzet: was mit meiner Art zu dencken und zu philoſophi - ren meinem Urtheil nach nicht uͤber - einkommt, das iſt ungereimt, und thoͤrigt, und muß daher in der Of - fenbahrung nicht zu finden ſeyn. Alle Worte der Schrift, welche auch auf die deutlichſte Art einen dergleichen Satz ſcheinen zu befe - ſtigen, muͤſſen anders, als ihre na - tuͤrliche Verbindung an die Hand giebt, erklaͤret werden. Nach die - ſer Regel verdrehen ſie die deutlichſten Worte, und tragen Meynungen in die goͤttlichen Buͤcher, welche kein unpar - theyiſcher Leſer darinne finden kan, und werffen Wahrheiten heraus, welche mit den deutlichſten Worten feſt geſetzt ſind. Aus dieſen Urſachen und auf dieſe Art iſt denn auch die Lehre von der Gnug - thuung JEſu von vielen beſtritten wor - den. Man hat viel ungereimtes undX 3den326[322]den hoͤchſten Vollkommenheiten unan - ſtaͤndiges darinne zu erblicken geglaubt, und daher den Schluß gemacht: allen Worten der Schrift, ſo dem Laut nach davon redeten, muͤſte eine andere Be - deutung gegeben werden. Und auf dieſe Weiſe hat man eine Grundwahr - heit aus den heiligen Buͤchern verban - nen wollen, welche an vielen Orten mit den deutlichſten Worten bekraͤftiget worden.

Wer die Schriften der Socinianer, Dippelianer und anderer von dieſer Gattung lieſet, wird dieſe Art zu ſchlieſ - ſen darinne finden, welche wir anjetzt angezeiget. Wir halten mit vielen an - dern dafuͤr, daß die Wahrheit wider dieſe Leute am beſten vertheidiget wird, wenn man ſie von den ungereimten Fol - gen, welche dieſe Lehrer daraus ziehen, befreyet, und zeiget, daß ſie ungegruͤn - det ſind. Wir glauben aber auch, daß dieſes am leichteſten wird, wenn man die weiſen Abſichten vor Augen hat, welche der unendliche Regierer der Welt bey der Gnugthuung JEſu fuͤr unſere Suͤnde gehabt. Dieſes hat uns bewogen, die jetzige Betrachtung daruͤber anzuſtellen. Wir wollen in derſelben unterſuchen, was GOtt be -wogen327[323]wogen JEſum als einen Buͤrgen an der Suͤnder Stelle zu ſetzen, und warum ſeine Gerechtigkeit nicht zugeben koͤnnen, daß die ge - fallenen Menſchen ohne eine frem - de und vollguͤltige Gnugthuung waͤren begnadiget worden.

§. 2.

Wollen wir aber von der Abſicht der Gnugthuung JEſu deutlich reden, ſo iſtWas die Heilig - keit GOt - tes ſey? noͤthig, daß wir einige Worte vorher erklaͤren, und die Sache, ſo dadurch angedeutet wird, genau betrachten. Zu allererſt muͤſſen wir fragen, was denn die Heiligkeit und Gerechtigkeit GOt - tes ſey? Was zuerſt die Heiligkeit be - trift, ſo wird ſelbige entweder ſeinem We - ſen uͤberhaupt oder insbeſondere feinem Willen zugeeignet. Sagt man von dem gantzen goͤttlichen Weſen, daß es heilig ſey, ſo will man dadurch ſo viel zu er - kennen geben: GOtt habe nichts un - vollkommenes, keinen eintzigen Fehler noch Mangel an ſich, ſondern alles, was zur Gottheit gehoͤre, ſey vollkom - men im hoͤchſten Grade. Nennt man den Willen GOttes insbeſondere hei - lig, ſo gedenckt man bey dieſen Wor - ten: ſein Wille ſey der allervollkom - menſte, und ſeine Neigungen ſeyn alle -X 4zeit328[324]zeit auf das Gute gerichtet, und er zie - he daher niemahls das Schlechtere dem Beſſern vor. (*)Siehe des Herrn Probſt REINBECKS zwoͤlfte Betrachtung uͤber die Aug - ſpurgiſche Confeßion §. 1. Jnglei - chen des Herrn Prof. REUSCH Syſte - ma Metaphyſicum §. 935. - 940.

§. 3.

GOtt lie - bet Ord - nung und Schoͤn - heit.
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Da nun GOtt uͤberhaupt das aller - heiligſte Weſen iſt, Eſ. Cap. 6. v. 3. und daher auch den heiligſten Willen hat; ſo kan ihn nichts vergnuͤgen, als was vollkommen, ordentlich und ſchoͤn iſt. Je groͤſſer die Vollkommenheiten eines Dinges, je groͤſſer die Ordnung und Schoͤnheit, ſo dabey anzutreffen, deſto groͤſſer wird auch die Neigung ſeyn, welche dieſer heiligſte Wille gegen daſſelbe hat. Hingegen wird er ge - neigt ſeyn Unvollkommenheit und Un - ordnungen ſo viel zu verhuͤten, als durch weiſe Mittel moͤglich iſt. Viele, ja wol die mehreſten Menſchen eignen GOtt eine ſchlaͤfrige Gleichguͤltigkeit bey allen Dingen zu. Sie uͤberreden ſich leicht, das eine gefalle dem hoͤchſtenWeſen329[325]Weſen eben ſo wie das andere. Es ſind zweyerley Gruͤnde, auf welche die Menſchen dieſen Jrrthum bauen. Eini - ge ſtellen ſich GOtt als ein Weſen vor, welches ſich wegen ſeiner Hoheit um die eintzelnen Dinge dieſer Welt, beſon - ders um die Kleinigkeiten derſelben we - nig bekuͤmmere, und ſelbige gar nicht achte. Sie vergleichen ſelbiges mit ſich, und weil ſie ſich ſelbſt GOtt an die Seite ſetzen, und die Verfaſſung ih - res Gemuͤths fuͤr erhaben, ja fuͤr goͤtt - lich halten, ſo ſprechen ſie demſelben ab, was ſie nicht beſitzen. Sie achten ſich zu hoch, an Dinge, die ihrer Meinung nach gering ſind, zu dencken. Dero - wegen muß es unvernuͤnftig und unbe - ſonnen ſeyn, GOTT eine Sorge uͤber Kleinigkeiten beyzumeſſen. Die Guͤte GOttes iſt das zweyte, welches viele Menſchen bewegt zu glauben: das hoͤch - ſte Weſen ſey insbeſondere bey den freyen Handlungen der vernuͤnftigen Ge - ſchoͤpfe gleichguͤltig. Sie halten dafuͤr, es ſtreite mit einer unendlichen Liebe ei - nen Haß gegen Fehler endlicher Geiſter zu hegen. Am wenigſten aber koͤnne ihm eine widrige Neigung gegen dieje - nigen beygemeſſen werden, welche ſeine heiligſten Geſetze muthwillig uͤbertreten.

X 5§. 4.330[326]

§. 4.

Dieſes wird durch Proben aus der Natur be - wieſen.
48

Wir wollen kuͤrtzlich zeigen, wie ſich ein jeder dieſe Gedancken benehmen, und ſich aus der Betrachtung dieſer Welt uͤberfuͤhren koͤnne: GOtt ſehe auf Ord - nung und Schoͤnheit bey allen Dingen, und bekuͤmmere ſich um die geringſten Kleinigkeiten der Natur. Man betrach - te ein menſchlich Geſicht, und erwege, wie genau der Schoͤpfer die Regeln ei - ner guten Ordnung und Schoͤnheit be - obachtet. Alles, was nur einfach da iſt, hat ſeinen Ort in der Mitte, was aber gedoppelt hat ſeyn ſollen, wird der - geſtalt zu beyden Seiten geſetzt, daß es von dem Mittel gleich weit abſtehet. Mund und Naſen machen die Mitte des Geſichts, Augen und Ohren ſind zu beyden Seiten geordnet. Eben dieſe Ordnung finden wir nicht nur in an - dern aͤuſern Theilen des menſchlichen Leibes, ſondern auch ſo gar bey den kleineſten und geringſten Thieren. Man findet bey ihnen ohne Ausnahme die ſchoͤnſte Einrichtung. Ja was noch mehr zu bewundern iſt, ſo ſiehet man, daß Thiere, die doch keine Vernunft beſitzen, die Geſchicklichkeit haben Din - ge von gantz beſonderer Schoͤnheit und Ordnung auf das kuͤnſtlichſte zuſam -men331[327]men zu ſetzen. Wie regelmaͤßig bauet nicht die Biene ihre Zellen? Wie ac - curat ſind nicht die Sechsecke, welche ſie ohne Circul und Lineal verfertiget? Und wie genau beobachtet ſie nicht die Regeln der Feſtigkeit? Sie ſetzet nie - mals zwey Zellen gerade uͤber einander; ſondern das Mittelpunckt von der einen Zelle iſt eben da, wo auf der gegen uͤber ſtehenden Seite die Grundlinien von drey andern Zellen zuſammen ſtoſſen. Das bewundernswuͤrdigſte iſt, daß erſt - lich etliche tauſend ſolcher Thierchen mit einander in ihrem Bauen uͤbereinſtim - men, und nicht nur nach einer Haupt - regel, ſondern auch nach einerley Maaß - ſtabe ihre Zellen auffuͤhren. Zweytens, daß, wenn man die Regeln der Feſtig - keit und Bequemlichkeit zum voraus ſe - tzet, unter ſo viel moͤglichen mathema - tiſchen Figuren ſich keine eintzige zum Bienenbau beſſer ſchicket, als eben das Sechseck. Unſere Ausſchweiffung wuͤr - de zu weitlaͤuftig werden, wenn wir die - ſes mathematiſch erweiſen wolten. Die - jenigen aber, ſo Mathematick verſte - hen, nehmen nur folgende Regeln, als Hauptgeſetze einer Bienenbaukunſt, an, ſo werden ſie aus mathematiſchen Gruͤn - den leicht den Beweiß finden, daß kei - ne eintzige andere Figur als das ordent -liche332[328]liche Sechseck ſich zu den Zellen der Bienen ſchicke. Die erſte Regel ſey: Es muß bey Zuſammenfuͤgung der Zellen kein leerer Raum entſtehen, in welchen nicht eine Biene fuͤg - lich kommen und darinne arbeiten koͤnte. Die zweyte: Weil die Bie - ne rund iſt und einen dicken Kopf hat, mit deſſelben Schnabel aber doch an alle Orte wegen ihrer Ar - beit muß kommen koͤnnen, ſo muͤſ - ſen die Winckel ihrer Zellen weit und ſtumpf ſeyn, folglich uͤber neuntzig Grad haben. Die dritte: Wegen der Feſtigkeit und guter Verbindung muß das Punckt, wo auf der einen Seite die Grundli - nien von verſchiedenen Zellen zu - ſammen laufen, das Mittelpunckt von der Zelle auf der andern Sei - te der Wachstafel ſeyn. Aus die - ſen Regeln flieſſet ohne alle Ausnahme: die Zellen der Bienen muͤſſen regu - laire und gleich groſſe ſechseckigte Behaͤltere ſeyn. Wir wuͤrden den Bienen einen gantz beſondern Verſtand und hohen Geiſt zueignen muͤſſen, wenn wir wolten annehmen, dieſes Volck haͤtte die Regeln, nach welchen ſie bauen, durch vieles Nachſinnen hervorgebracht, und nach denſelben eine mathematiſcheFigur333[329]Figur zu ihren Grundlinien geſuchet. Weil es nun nicht wol zu glauben, daß GOtt ſo edle Geiſter in ſo ſchlechte Coͤr - per geſetzet, ſo koͤnnen wir nicht anders ſchlieſſen, als daß dieſe Thierchen nur wie Jnſtrumente anzuſehen, welche der Schoͤpfer dergeſtalt bereitet, daß ſie oh - ne vernuͤnftiges Nachſinnen und ohne Erkaͤntniß der Mathematick einen ſo geſchickten und ordentlichen Bau auf - fuͤhren koͤnnen. Die Weißheit, Ord - nung und Schoͤnheit, die man darin - ne wahrnimmt, wird derowegen nicht den Bienen, ſondern dem Schoͤpfer gantz allein zuzuſchreiben ſeyn. Wer begreifft aber hieraus nicht auf das deut - lichſte, daß ſich das hoͤchſte Weſen auch um die Kleinigkeiten der Welt bekuͤm - mere und fuͤr die Ordnung und Schoͤn - heit derſelben Sorge trage. Man ge - he hin zum Ameiſenhaufen, man be - ſchaue das Gewebe einer Spinne; man wird eben dieſe goͤttliche Sorge wahr - nehmen. Auch in dem Ameiſenhaufen iſt eine erſtaunenswuͤrdige Ordnung. Es ſind die kleinſten Stuͤckgen Holtz dergeſtalt uͤber einander gelegt, daß nicht nur artige Keller entſtehen, worinne ſie ihre Eyer verwahren; ſondern auch durch und durch offene Gaͤnge bleiben, damit ſie ſowol ein und auskommenund334[330]und von einem Ort des Haufens zum andern gehen koͤnnen, als auch vermit - telſt der durchſtreichenden Luft fuͤr der Erſtickung ſicher ſeyn. Beſonders kan man bey den Spinnen deutlich ſehen, daß die unendliche Weißheit GOttes ſich bey Dingen aͤuſere, die wir fuͤr nichtswuͤrdig achten. Eine junge Spinne wird, wie ich wenigſtens an verſchiedenen Arten wahrgenommen, von Alten nicht ernaͤhret, ſondern ſo bald ſie aus ihrem Ey durch die Waͤr - me der Luft ausgebruͤtet worden, lauft ſie fort, und ſpinnet ein zartes Netz, worinne ſie ihre Nahrung nemlich gantz kleine Fliegen faͤnget. Dieſes |Gewebe iſt nach allen Regeln der Kunſt und Ordnung ausgeſpannet. Man frage, wer hat dieſe ſo kluge Regeln zuerſt er - ſonnen und der Spinne gelehret? denn ſie ſelbſt koͤnnen wir unmoͤglich fuͤr die Erfinderin derſelben halten. Man frage weiter, durch welche Vorſehung iſt es ſo weißlich eingerichtet, daß die Spinne aus ihrem Ey ſo viel Nahrung mitbringet, daß ſie nicht nur einige Ta - ge dadurch leben, ſondern ſich davon auch ein Netz, neue Nahrung zu fan - gen, aus ſich ſelbſt ſpinnen und weben kan? Gewiß, wer hier die Weißheit des Schoͤpfers nicht erblicket und ſeineunend -335[331]unendliche Begierde eine Welt zu ha - ben, in welcher auch die kleinſten Win - ckel von woleingerichteter Ordnung und kunſtreicher Schoͤnheit prangen, nicht gewahr wird, muß von Tumheit oder verhaͤrteter Boßheit umnebelt ſeyn. (*)Wer mehr dergleichen Exempel in den ſchoͤnſten Worten und angenehmſten Reimen leſen will, der ſchlage nach die Gedichte der beyden groſſen Poeten un - ſerer Zeiten des BROCKES und TRILLERS. Die Schrift bekraͤftiget eben dieſes. Kein Sperling wird von GOtt uͤberſe - hen, keiner faͤllt ohne ſeinen Willen, al - le unſere Haare ſind in ſeinem unendli - chen Verſtande gezaͤhlet. Luc. 12. v. 6. 7. Matth. Cap. 10. v. 29. 30. Auch ſelbſt die Zierde der Blumen wird als ein Muſter ſeiner Vorſehung und Begierde alles durch Schoͤnheit wun - derbar zu machen angefuͤhret. Matth. Cap. 6. v. 28. 29. 30.

§. 5.

Denjenigen, welche meynen: es ſtrei -Die un - endliche Guͤte macht GOtt nicht te mit der unendlichen Liebe des voll - kommenſten Schoͤpfers ſich insbeſon - dere um alle Handlungen der freyen Ge -ſchoͤpfe336[332]gleichguͤl - tig bey den Hand - lungen freyer Geiſter.ſchoͤpfe zu bekuͤmmern, und deren Un - ordnung ſo zu verabſcheuen, daß er ſelbige durch die ſchwereſten Strafen zu verhuͤ - ten ſuche, will abermahls zu uͤberlegen geben, was in der Betracht. V. §. 37. not. angefuͤhrt worden. Jſt die Guͤ - te GOttes unendlich, ſo muß er vermoͤ - ge dieſer Eigenſchaft die Vollkommen - heiten ſeiner vernuͤnftigen Geſchoͤpfe ſu - chen ſo hoch zu treiben, als durch weiſe Mittel moͤglich iſt. Nicht eine jede Handlung ſchickt ſich zu der Natur der - ſelben, und bringet ſie zu der Gluͤckſee - ligkeit, welche ſie wuͤnſchen. Viele Handlungen ſind eine Quelle der Un - ruhe, welche ſich nicht nur uͤber die Thaͤter derſelben, ſondern auch uͤber ih - re Mitbruͤder ausbreitet. Die gering - ſte Handlung kan oͤfters das Elend ei - ner groſſen Geſellſchaft nach ſich ziehen. Jſt derowegen GOTT guͤtig, iſt ſeine Liebe gegen die freyen Geſchoͤpfe unend - lich, ſo muß er auch nothwendig fuͤr ei - ner jeden Handlung einen Abſcheu tra - gen, welche der Gluͤckſeeligkeit ſeiner Ge - ſchoͤpfe entgegen iſt. Man wuͤrde ihm die Weißheit abſprechen, und denſelben der Thorheit unvernuͤnftiger Menſchen beſchuldigen muͤſſen, wenn man wolte glauben, er ſuche die Wolfahrt ſeiner Creaturen, und trage doch keinen Wi -der -337[333]derwillen gegen dasjenige, ſo ſelbige hin - dert. Man wuͤrde GOTT als einen Vater anſehen muͤſſen, der ſeine Kinder aus gar zu zaͤrtlicher Liebe ihren Luͤſten uͤberlieſſe und dadurch ungluͤcklich mach - te. Wir ſind daher genoͤthiget zu ſchlieſſen, weil GOTT weiſe und guͤtig iſt, ſo bekuͤmmert er ſich um eine jede Handlung der Menſchen, und iſt denen entgegen, welche etwas wider die Wol - fahrt derſelben unternehmen. Hinge - gen wird er auch in dem Zuſammenhang der freyen Handlungen nichts mehr ſu - chen, als was denſelben vollkommen und ſchoͤn macht.

§. 6.

Zu mehrerer Deutlichkeit wollen wirWas Vollkom - menheit? kuͤrtzlich anfuͤhren, was die Gelehrten vollkommen und was ſie ſchoͤn nennen. Man eignet aber einer Sache Vollkom - menheiten zu, in ſo fern die verſchiede - nen Dinge in derſelben mit einander uͤbereinſtimmen. Ein Exempel mag den Ungelehrten, ſo etwa dieſe Blaͤtter leſen, die angefuͤhrte Erklaͤrung deutlicher ma - chen. Wiſſenſchaft, Tugend, Geſchick - lichkeit, nette und artige Stellung des Leibes u. d. g. ſtimmen ſehr wol uͤberein mit den uͤbrigen Eigenſchaften des Men - ſchen, und bekommen daher den Nah -Ymen338[334]men der Vollkommenheiten. Hinge - gen Unwiſſenheit, Laſter, ſchlechte Sit - ten ſtreiten z. E. mit der natuͤrlichen Be - gierde des Menſchen zur Gluͤckſeeligkeit und ſind daher Unvollkommenheiten. Vollkommen nennet man alſo dasjeni - ge, in welchem verſchiedene Dinge wo mit einander uͤbereinſtimmen. Je mehr dieſer Dinge ſind und je genauer ihre Uebereinſtimmung, je vollkommener iſt die Sache.

§. 7.

Was Schoͤn - heit?
49

Die Schoͤnheit iſt eine Vollkommen - heit, die ſich in der Zuſammenſetzung verſchiedener Dinge zeiget. Denn die - jenigen Dinge nennet man ſchoͤn, in de - ren Zuſammenſetzung man beſondere Vollkommenheiten wahrnimmt. Z. E. Sind die Glieder eines Menſchen nach einer geſchickten Verhaͤltniß zuſammen geſetzt, ſind die Farben der Haut auf eine gute Art mit einander vermiſcht, ſo giebt man einer ſolchen Perſon das Lob der Schoͤnheit. Sind die Theile eines Hauſes wol neben einander geſtellet, trift man eine gute Zuſammenſetzung vieler Dinge in demſelben an, ſo nennt man es ſchoͤn. Fuͤhret jemand einen Beweiß, und verknuͤpft die Gedancken auf eine beſondere Art mit einander, ſoeignet339[335]eignet man einer ſolchen Reihe der Ge - dancken eine Schoͤnheit zu. Stehen aber Dinge bey einander, die ſich nicht zuſammen ſchicken, oder ſind ſie auf eine unrechte Art in keiner geſchickten Ver - haͤltniß zuſammengeſetzt, ſo ſpricht man einer ſolchen zuſammengeſetzten Sache die Schoͤnheit ab. Z. E. Wolte man an einem koſtbahren Pallaſt uͤber die Thuͤr zwiſchen die praͤchtigſten Pilaren einen Taubenſchlag befeſtigen, ſo wuͤrde ſolches dem Gebaͤude zu einem Uebel - ſtande oder Schandflecken gereichen. Jngleichen wuͤrden die Saͤulen, Fen - ſter und Thuͤren ohne eine geſchickte Ver - haͤltniß neben einander geordnet, ſo wuͤrde die Schoͤnheit gleichfals einen groſſen Abbruch leiden. Eben ſo ver - haͤlt es ſich auch in Dingen, die auf ein - ander folgen. Jn wie vielerley Abſicht ein Ding das andere an Schoͤnheit uͤber - treffen kan, iſt aus dem vorhergehenden leicht abzunehmen. Es kan ein Unter - ſcheid entſtehen durch die Vollkommen - heiten der eintzelnen Dinge, die zuſam - men geſetzt werden, durch die Menge derſelben und endlich durch ihre Ord - nung. Ein Einzug in eine vornehme Stadt, welcher von einer groſſen Men - ge der vornehmſten Perſonen in den praͤchtigſten Wagen mit der anſehnlich -Y 2ſten340[336]ſten Bedienung und Folge in der beſten Ordnung gehalten wird, wirft einen groͤſſern Glantz von ſich als ein Einzug, bey welchem man wenigere und geringe - re Perſonen mit geringerem Pracht in ſchlechterer Ordnung erblicket. Je voll - kommener alſo die eintzelnen Dinge, je mehr derſelben und je accurater ihre Ord - nung, je ſchoͤner iſt die Sache, ſo ſie zu - ſammen ſetzen. (*)Als ich mich entſchloß eine Erklaͤrung der Schoͤnheit hier einzuruͤcken, habe ich verſchiedene andere nachgeleſen: Bey allen aber, ſo ich hier und da angetrof - fen, einige Bedencklichkeiten gefunden. Jch zweifele nicht, andere werden eben der - gleichen bey der meinigen antreffen. Jch will ihr derowegen lieber den Nah - men einer Beſchreibung als einer voll - kommenen Erklaͤrung beylegen. Es wird das Wort ſchoͤn gar zu verſchie - dentlich gebraucht, und es iſt daher ſehr ſchwehr alle Dinge, die man ſchoͤn nen - net, unter eine Erklaͤrung zu bringen. Jch ſelbſt habe bey der gegebenen Er - klaͤrung der Schoͤnheit dieſen Zweifel, ob man nicht Dinge ſchoͤn nennet, in welchen man keine Zuſammenſetzung und Verhaͤltniß eines zu den, andern bemer - cket. Doch habe ich mich bis hieher auf keines beſinnen koͤnnen. Denn ſo viel mir wiſſend, pflegt man weder von Gottnoch

§. 8.341[337]

§. 8.

Weil GOtt heilig iſt, ſo hat er eineGOtt lie - bet die gu - ten und haſſet die boͤſen Hand - lungen. unendliche Neigung alles ſo vollkommen und ſchoͤn in der Welt zu machen, als durch weiſe Mittel moͤglich iſt. Es iſt daher unmoͤglich, daß ſich dieſe Begier - de nicht aͤuſſern ſolte in den zuſammen - hangenden Handlungen freyer Creatu - ren. Vermoͤge ſeiner Heiligkeit wird er alſo nur diejenigen freyen Handlun - gen lieben, welche die Welt vollkomme - ner und gluͤcklicher machen, welche aber Unvollkommenheiten in die Welt hinein - bringen, die wird er nothwendig haſſen muͤſſen, weil ihm eine unvollkommenere Welt nicht ſo viel Vergnuͤgen geben kan, als eine Welt, welche in allen Stuͤcken mit den angenehmſten Voll - kommenheiten ausgezieret iſt. Da nun GOtt die groͤſte Weißheit beſitzt, ſo kan er es auch an Mitteln nicht fehlen laſſen, ſei - ne Abſichten zu erhalten. Unter die Mittel, wodurch diejenigen freyen Hand - lungen befoͤrdert werden, welche die Voll -Y 3kom -(*)noch den Seelen, noch andern Sachen, welche man als einfache Dinge betrach - tet, zu ſagen, daß ſie ſchoͤn ſind, ſondern man nennet ſie, ein jedes nach ſeiner Art, vollkommen.342[338]kommenheiten der Welt vermehren, ge - hoͤren auch die Geſetze, welche die guten und boͤſen Handlungen anzeigen, jene befehlen, dieſe verbieten, und den Ver - ehrern dieſer Geſetze Belohnungen ver - ſprechen, den Veraͤchtern aber Strafe dreuen.

§. 9.

Die Ab - ſicht goͤtt - licher Ge - ſetze.
51

Man begreiffe hieraus die Abſicht al - ler Geſetze, ſo der Schoͤpfer den freyen Creaturen gegeben. Er ſuchet ihnen da - durch keine Laſt aufzulegen, ſondern nur dasjenige vorzuſchreiben, was die Welt vollkommen und ſie gluͤcklich macht: Fuͤr demjenigen aber zu warnen, was der Welt und ihrer Wolfahrt nachthei - lig iſt. Man gehe alle goͤttliche Geſetze durch und unterſuche, ob man ein eintzi - ges findet, bey welchem ſich dieſe guͤtige Abſicht nicht zeiget. Warum verbietet GOtt Geitz, Haß, Hochmuth, Todt - ſchlag, Ehebruch, Diebſtahl, Verleum - dung? Sind dieſes nicht Dinge, wel - che die Ruhe und das Vergnuͤgen der menſchlichen Geſellſchaft ſtoͤhren? War - um dringet er aber darauf, daß wir ihn uͤber alles und unſern Nechſten als uns ſelbſt lieben und daß wir den Verſtand bauen, den Willen beſſern und den Leib erhalten ſollen? Es wird niemand leug -nen343[339]nen koͤnnen, daß ohne Beobachtung die - ſer Gebote die Wolfahrt der Geſchoͤpfe nicht koͤnne erhalten werden. Man be - greiffe zugleich, daß GOtt eine unend - liche Neigung haben muͤſſe uͤber dieſe Geſetze zu halten. Er muͤſte aufhoͤren die Vollkommenheit und Schoͤnheit der Welt und die Gluͤckſeeligkeit der freyen Geſchoͤpfe zu lieben, wenn er ſolte an - fangen bey ſeinen Geboten gleichguͤltig zu ſeyn, und auf deren Beobachtung nicht mehr zu achten als auf die Uebertretung derſelben.

§. 10.

Wer durch Geſetze, BelohnungenGOtt iſt gerecht. und Strafen ſeine Unterthanen ſucht zu ſolchen Handlungen zu bewegen, welche die Geſellſchaft vollkommen und die Glie - der gluͤcklich machen, dem wird die Ge - rechtigkeit, welche Regenten ziert, (ju - ſtitia rectoria)(*)Siehe BUDDEI inſtitutiones Theolog. Dogmat. Lib. II. Cap. I. §. XXXVII. zugeſchrieben. GOtt aber giebt vermoͤge ſeiner weiſeſten Hei - ligkeit Geſetze, verknuͤpft mit boͤſen Hand - lungen Strafen, und belohnt die guten, damit | die Welt auch durch die freyen Creaturen mehr ausgezieret, und ſie zuY 4der344[340]der Gluͤckſeeligkeit gelangen moͤgen, zu welcher ſie erſchaffen worden: Unter ſei - ne Eigenſchaften iſt derowegen auch die Gerechtigkeit zu zaͤhlen. Wer ſich an des andern Wolfahrt vergnuͤget und ſelbige auf alle Weiſe zu befoͤrdern ſucht, der hat den Ruhm der Guͤtigkeit, und wer mit guten Abſichten gute und beque - me Mittel verknuͤpft, der erlangt den Nahmen eines Weiſen. Die Gerech - tigkeit GOttes hat zum Ziel die Wolfahrt der Welt durch geſchickte Mittel auf das hoͤchſte zu treiben. Man erblickt alſo in derſelben Guͤte und Weißheit, und ſchei - nen uns daher diejenigen nicht zu irren, welche die goͤttliche Gerechtigkeit eine wei - ſe Guͤtigkeit nennen.

§. 11.

Wie ſich die goͤttli - che Ge - rechtig - keit gegen die Guten verhalte.
52

Die Gerechtigkeit GOttes hat zum Zweck die Vollkommenheit der Welt und insbeſondere die Wolfahrt der freyen Geſchoͤpfe, in ſo fern ſelbige durch die freyen Handlungen kan befoͤrdert wer - den. Die groͤſte Vollkommenheit wird erhalten, wenn die Geſetze erfuͤllet wer - den, in welchen GOtt die guten und boͤ - ſen Handlungen zu erkennen gegeben. Denn was kan vollkommener und ſchoͤ - ner ſeyn, als eine Welt, in welcher Gott alles in die ſchoͤnſte Ordnung geſetzt, undalle345[341]alle Winckel mit den angenehmſten Zier - rathen angefuͤllet, und in welcher alle freye Creaturen dahin ſtreben, daß durch ihre Handlungen keine Unordnung und Unvollkommenheit verurſacht, ſondern vielmehr Ordnung und Schoͤnheit erhal - ten und vermehret werde? Die Gerech - tigkeit GOttes muß derowegen nothwen - dig auf das genaueſte uͤber die Geſetze halten. Kommen die freyen Geſchoͤpfe denſelben nach, ſo iſt es unmoͤglich, daß GOtt nicht auch ſolte fortfahren zum Beſten der Welt und ſeiner Geſchoͤpfe zu wuͤrcken, und muͤſſen daher ſelbige nothwendig in einen GOtt aͤhnlichen d. i. allerſeeligſten Zuſtand gerathen, welcher als die Belohnung fuͤr ihre Arbeit kan angeſehen werden.

§. 12.

Wie wird ſich aber GOtt vermoͤgeWie die goͤttliche Gerech - tigkeit ſich gegen die Boͤſen verhalte. ſeiner Gerechtigkeit verhalten muͤſſen, wenn die freyen Geſchoͤpfe die heiligſten Geſetze muthwillig uͤbertreten, und ſich Begierden uͤberlaſſen, welche nur auf Unordnung und Unheil abzielen? Ein je - der wird leicht begreiffen, daß man Gott Weißheit und Guͤte udn folglich auch die Gerechtigkeit abſprechen muͤſte, wenn man glauben wolte, er koͤnte dieſes mit gleich - guͤltigen Augen anſehen. Es iſt daherY 5noth -346[342]nothwendig, daß er ſich dieſen Begier - den widerſetzen und ſelbige entweder um - kehren oder wenigſtens einſchraͤncken muͤſſe, ſo daß ſie nicht in die groͤſte Un - ruhe und Unordnung der Welt ausbre - chen. Dieſes letztere kan aber nicht an - ders geſchehen als durch widrige Schick - ſale, welche theils unmittelbar und noth - wendig aus unordentlichen Begierden entſtehen, theils von der hoͤchſten Fuͤr - ſicht uͤber ſolche Suͤnder verhaͤnget wer - den, und den Nahmen der Strafen be - kommen (ſiehe Betracht. V. §. 38.) Wenn alſo die vernuͤnftigen Geſchoͤpfe ſich von unordentlichen Luͤſten nicht ab - ziehen laſſen, ſondern denſelben nachge - ben, ſo iſt es der Gerechtigkeit gemaͤß die frechen Uebertreter ſo lange mit Strafen heimzuſuchen, als ſie nicht beſſeres Sin - nes werden. Ja dauret bey einigen die Begierde zur Unordnung ewig, ſo muͤſ - ſen ſelbige auch durch ewige Strafen eingeſchraͤncket werden. (ſiehe Betracht. V. §. 41.)

§. 13.

Der erſte Menſch iſt in Suͤnde gefallen.
52

Die Menſchen ſind anfaͤnglich nach dem Ebenbilde GOttes geſchaffen gewe - ſen, 1 B. Moſis Cap. 1. v. 26. 27. Die Seele war heilig, der Leib unſterblich Roͤm. Cap. 5. v. 12. Sein Auffenthaltwar347[343]war ein ſchoͤner Garten auf einer Erden, die freywillig ohne einen ſchweren Bau hervor brachte, was den Menſchen er - nehrte und vergnuͤgte 1 B. Moſis Cap. 2. v. 8. 9. Der Schoͤpfer hatte alles ge - than, was zur Zierde der Welt und zum Vergnuͤgen vernuͤnftiger Geſchoͤpfe et - was beytragen konte 1 B. Moſ. Cap. 1. v. 31. Es kam auf die freyen Geſchoͤpfe an, ob ſie das Jhrige zu Erhaltung die - ſer Ordnung und Seeligkeit wolten bey - tragen. Die Menſchen aber wurden untreu in der erſten Probe ihres Gehor - ſams, die ſie leiſten ſolten. Sie verlieſ - ſen das Gebot ihres Schoͤpfers, und er - gaben ſich unordentlichen Begierden 1 B. Moſ. Cap. 3. v. 6. und eroͤfneten dadurch eine unendliche Quelle der unſeeligſten Folgen, welche als Strafen ihren Un - gehorſam raͤcheten, 1 B. Moſ. Cap. 2. v. 17. Cap. 3. v. 14-24.

§. 14.

Wir wollen dieſe Folgen und Stra -Folgen dieſer Suͤnde in deꝛ Seele. fen des erſten Ungehorſams ein wenig| ge - nauer betrachten. Die erſten Menſchen hatten ſich einmal von dem aͤuſſerlichen Glantze einer verbotenen Sache zu einer unordentlichen Luſt bewegen laſſen und derſelben nachgegeben. Sie hatten da - durch ihre Seele in ſolche Verfaſſunggeſetzt,348[344]ſetzt, daß ſie nunmehr ehender in eine un - ordentliche Bewegung konte geſetzt wer - den, und zu neuen Proben des Unge - horſams geneigter war. Denn dieſes bringet die Natur freyer Geſchoͤpfe mit ſich, daß ſie leichter in eine gewiſſe Be - wegung geſetzt werden, wenn ſie derſel - ben einmal Raum gegeben, beſonders wenn ſie durch die Sinne entſtanden und ſehr ſtarck geweſen.

Jſt jemand erſt einmal zu einer Suͤn - de verleitet worden, ſo faͤllt er insgemein das zweytemal leichter hinein. Da alſo die erſten Menſchen ſich einmal von der Suͤnde uͤberwinden laſſen, hatten ſie die Herrſchaft uͤber ſich ſelbſt verlohren, und wurden unſeelige Sclaven unordentlicher Neigungen. Unordentliche Bewegun - gen des Gemuͤths hindern den rechten Gebrauch des Verſtandes. Was iſt es demnach Wunder? wenn ſelbiger auch bey dem erſten Menſchen durch ſeinen Fall verdunckelt wurde? Siehe Epheſ. Cap. 4. v. 18.

§. 15.

Folgen der Suͤn - de in dem Leibe des erſten Men - ſchen.
52

Unordentliche Neigungen ſetzen die Seele in tauſend Unruhe. Dieſe aber iſt dem Leibe ein Gift, und hindert deſ - ſen Wuͤrckungen, ſo zur Geſundheit noͤ - thig ſind, und machen daher denſelbenhin -349[345]hinfaͤllig. Wer ferner die Herrſchaft uͤber die ſinnlichen Begierden nicht hat, nimt oͤfters etwas zu ſich, ſo dem Leibe ſchaͤdlich, und uͤbergiebt denſelben auch dadurch der Verweſung. Kranckheit und Tod konten alſo wol bey den erſten Menſchen nach ihrem Falle nicht auſſen bleiben. Die Seele war kranck und ſtarb geiſtlicher Weiſe, ihre Huͤtte muſte daher auch baufaͤllig und zerbrechlich werden, weil der Hausherr derſelben auf ihre Erhaltung nicht gnugſam bedacht war, ſondern ſelbſt verzehrend Feuer an ihre Waͤnde legte Roͤm. Cap. 5. v. 12. Roͤm. Cap. 6. v. 23.

§. 16.

Dieſes ſind einige von den natuͤrlichenWilkuͤrli - che Stra - fe GOt - tes, ſo auf die erſte Suͤnde gefolget. Folgen, welche unmittelbar aus der Suͤnde ſelbſt entſtanden, und von den Gelehrten den Nahmen natuͤrlicher Strafen empfangen. Wir wollen auch einige von den unangenehmen Folgen nahmhaft machen, deren Grund blos in dem Willen GOttes zu ſuchen, und da - her den Nahmen der willkuͤhrlichen Strafen zu bekommen pflegen. Der Schoͤpfer hatte den Menſchen ſelbſt den angenehmſten Garten gepflantzet. Die - ſer brachte alles hervor, was zur Erhal - tung und dem Vergnuͤgen des Menſchennoͤthig350[346]noͤthig war. Er fand daſelbſt ſeine Nahrung ohne ſaure Arbeit und Schweiß. Da er aber der Schlangen und ſeinen luͤſternden Begierden mehr gehorchet, als GOtt, ſo erklaͤrte ihn derſelbe eines ſo angenehmen Gartens unwuͤrdig, und jagte ihn aus den Grentzen deſſelben. Er verdammte ihn zu einer muͤhſamen Er - haltung, damit er weniger Zeit haben moͤchte ſeinen unordentlichen Begierden nachzuhangen, und verfluchte daher die Erde, und benahm ihr dadurch ihre vori - ge Fruchtbarkeit. 1 B. Moſis Cap. 3. v. 16 - 24.

§. 17.

Die be - truͤbte Folge der erſten Suͤnde in den Nach - kommen Adams.
52

Die betruͤbteſte Folge der erſten Suͤn - de iſt, daß das gantze Verderben, ſo von ihr den Urſprung genommen, von den erſten Eltern auf alle ihre Nachkommen fortgepflantzet worden. Roͤm. Cap. 5. v. 12. Adam zeugete einen Sohn der ſeinem Bilde aͤhnlich war. 1 B. Moſ. Cap. 5. v. 3. Unſere Seele wird durch die Gebuhrt in ſolche Umſtaͤnde geſetzt, daß ſie viel Gutes verabſcheuet, viel Boͤ - ſes aber liebet. Der Wille iſt dergeſtalt aus ſeinem Gleichgewicht geſetzt, daß er insgemein bey der geringſten Empfin - dung in die ſtaͤrckſte Bewegung kommt. Man betrachte zarte Kinder, der erſteAnblick351[347]Anblick einer Sache kan in ihnen eine ſolche Begierde erwecken, daß ſie wei - nen, ja eine nicht geringe Raſerey ſehen laſſen, wenn ihnen nicht ſo gleich gege - ben wird, was ſie verlangen. Niemand unter den Sterblichen kan ſich ruͤhmen, daß er die Geneigtheit zu den geſchwin - den und heftigen Aufwallungen des Ge - muͤths gaͤntzlich weggeſchaft. Wenige koͤnnen nur ſagen, daß ſie dieſes Feuer der wilden Begierden dergeſtalt gemaͤßi - get, daß es nicht bey einer jeden Gele - genheit in die groͤſten Flammen aus - bricht. Da nun die Seele ſo leicht bey den Empfindungen in die heftigſten Be - wegungen geſetzt wird, wie iſt es moͤglich, daß der Verſtand Raum behaͤlt, die Dinge, ſo er durch die Sinne empfin - det, vernuͤnftig zu uͤberlegen, und von ih - rem Wehrte richtig zu urtheilen? Ehe der Verſtand die Beſchaffenheit der Dinge, ſo unſere Sinne ruͤhren, unter - ſucht, ſo ſind die ſinnlichen Begierden ſchon in voller Bewegung und hemmen den Gebrauch der Vernunft, ohne wel - che der Wille doch nichts wehlen ſolte. Wer da weiß, wie ſehr die heftigen Lei - denſchaften den Verſtand in ſeinen Wuͤrckungen hindern, der wird aus dem, was geſagt worden, begreiffen, warum derſelbe beſonders in geiſtlichenDin -352[348]Dingen ſo ſehr verfinſtert und entfrem - det iſt von dem Leben, ſo aus GOTT iſt. Epheſ. Cap. 4. v. 18. Es iſt dero - wegen bey uns allen, die wir Adam zum Vater haben, Verſtand und Wille verderbt. Der Leib iſt von dem toͤdtli - chen Gift, ſo ſich nach dem Fall in das Gebluͤt der erſten Eltern geſetzt, eben ſo wenig befreyet blieben. Sterbliche El - tern haben ſterbliche Kinder gezeuget. Und zwar hat das Verderben des Gei - ſtes mit dem Verderben des Leibes eine ſo genaue Verbindung, daß die Kranck - heit der Seele von den unordentlichen Bewegungen des Leibes vermehret, und hingegen die Kranckheit des Leibes von den unordentlichen Wallungen des Ge - muͤths befoͤrdert wird.

§. 18.

Fortſe - tzung des vorigen.
52

Jn ſo elenden Umſtaͤnden werden wir auf den Schauplatz dieſer Erden geſetzt. Wir ſind voll unreiner Bewegungen und ſolcher Luͤſte, die wider die goͤttlichen Ge - ſetze und folglich wider unſere Ruhe und Gluͤckſeeligkeit ſtreiten. 1 Pet. Cap. 2. v. 11. Bald fallen wir daher zur rech - ten bald zur lincken, und erregen uns und andern Unruhe, Schmertzen und Elend. Es ruhet derowegen unſerer El - tern und unſere eigene Suͤnde auf uns,und353[349]und ſind unterworfen den Strafen, die mit der Suͤnde ſo wol nothwendig als durch den freyen Rathſchluß GOttes verknuͤpft ſind. Dieſer ſtuͤrtzt ſich durch den Hochmuth, jener macht ſich verhaßt durch einen unleidlichen Geitz. Dieſer toͤdtet ſich durch unerlaubte Wolluſt, je - ner durch unbaͤndigen Zorn. Dieſen ſetzt der Stoltz, jenen die Faulheit und die Huren in ſchmaͤhlige Armuth. Wer ſich aber auch fuͤr groſſen Laſtern huͤtet, und in der Tugend andern ein Muſter iſt, muß dennoch ſagen: ich elender Menſch, wer will mich erloͤſen von dem Leibe dieſes Todes? Roͤm. Cap. 7. v. 24. Die willkuͤhrlichen Strafen GOt - tes druͤcken auch noch den gantzen Erd - boden. Ohne ſaure Muͤhe giebt er uns keine Nahrung. Und wenn wir alle Muͤhe angewandt, ſo beraubet uns bald die Hitze der Sonne, bald der Ueberfluß des Regens, bald ein ſchaͤdliches Gewit - ter der Belohnung, ſo wir hofften.

§. 19.

Dieſes Elend, unter welchem wir ſeuf -Die wich - tigſten Folgen der Suͤn - de koͤnnen durch nichts als zen, iſt groͤſtentheils ſo beſchaffen, daß uns nichts als eine auſſerordentliche Gnade GOttes und die groͤſten Wun - derwercke daraus erretten koͤnnen. Wir wollen das zuerſt anfuͤhren, was amZmehr -354[350]eine auſ - ſeror dentliche Gnade GOttes aufgeho - ben wer - den.mehrſten in die Augen faͤllt. Wer kan den Tod aufheben, wer kan der Seele wieder ein neues Hauß bereiten, in wel - chem ſie ihre Geſchaͤfte verrichtet? Wiſ - ſen wir eine andere Kraft, die hierzu hin - reicht, als die Allmacht GOttes? Wer iſt mit ſolchen Kraͤften des Geiſtes verſe - hen, daß er ſich ſelbſt von allen Neigun - gen kan frey machen, welche wider ſeine und anderer Ruhe ſtreiten? Muͤſſen wir dieſes nicht von einer beſondern Gnade GOttes erwarten, wenn wir anders er - rettet und in einen ſeeligern Zuſtand geſe - tzet werden ſollen? Es trete jemand auf, der ſich ruͤhmen koͤnne, er habe es nun dahin gebracht, daß ſeine Begierden nie - mals mehr uneinig ſeyn, und er das ei - ne mal ſich zu etwas entſchlieſſe, welches ihn ein andermal nicht gereue? Es zeige ſich derjenige, welcher niemals mehr et - was begehrt und thut, ſo ihm Verdruß verurſachet. Gewiß wir ſind zu ſchwach uns ſelbſt in die Verfaſſung zu ſetzen, in welcher alles zu unſerm Vergnuͤgen und Gluͤckſeeligkeit abzielet. Ja der Tod ſelbſt macht dem Elende der Seele kein Ende, wenn nicht eine beſondre Gnade GOTTes ihren Zuſtand aͤndert. Die Schrift ſagt, daß uns GOTT errettet von der Obrigkeit der Finſterniß und uns Sieg gegeben wider den Stachel desTodes355[351]Todes und wider die Hoͤlle Col. Cap. 1. v. 12. 1 Cor. Cap. 15. v. 54 - 57. Hieraus iſt klar, daß wir ewig unter dem Reich und der Herrſchaft des Sa - tans haͤtten verharren, und unſeelige Glieder des Hoͤllenreichs bleiben muͤſſen, wenn ſich GOtt unſerer nicht mit beſon - derer Macht und Gnade angenommen, und ferner annehmen wuͤrde.

§. 20.

Die unendliche Guͤtigkeit des Schoͤpf -GOTT will nichts er - mangeln laſſen die verlohrne Gluͤckſee - ligkeit wieder herzuſtel - len. fers laͤſſet nicht zu die Menſchen in dieſem Verderben zu laſſen. Er hat beſchloſſen ihnen ihre Uebertretungen zu vergeben und die betruͤbten Folgen der Suͤnden, ſo weit die Weißheit es will zugeben, durch auſſerordentliche Gnade und Wun - derwercke zu unterbrechen. Es iſt darzu ſchon ein vor uns hoͤchſt gluͤcklicher An - fang gemacht, und die Schrift verſichert uns, daß ſeine auſſerordentliche Gnaden - wuͤrckungen ſo lange ihre Kraft aͤuſſern ſollen, bis diejenigen, ſo nicht muthwil - lig widerſtreben, in den allerſeeligſten Zu - ſtand erhaben worden. Zu den Wun - derwercken, ſo ſchon zu unſerer Wolfahrt geſchehen, rechne ich das von GOtt un - mittelbar geoffenbahrte Wort, wodurch der heilige Geiſt den verfinſterten Ver - ſtand des Menſchen erleuchtet und denZ 2Wil -356[352]Willen beſſert. Eines aber von den Wunderwercken, ſo noch kuͤnftig, iſt die Aufhebung des Todes und des Sta - chels deſſelben, welcher iſt die Suͤnde 1 Cor. Cap. 15. v. 56. Den Beſchluß derſelben macht, die Erhebung der Be - kehrten zu der Herrlichkeit eines ewigen und ſeeligen Lebens.

§. 21.

Es hat GOtt be - liebt die Suͤnden nicht oh - ne eine fremde Gnug - thuung zu verge - ben.
52

Die Offenbahrung eroͤffnet uns, daß es der unendlichen Weißheit nicht beliebt die Suͤnden der gefallenen Menſchen zu vergeben und die betruͤbten Folgen der - ſelben aufzuheben, ohne vorher an einem andern oͤffentlich zu zeigen, was wir mit unſern Uebertretungen verdienet. Sie berichtet uns, daß das hoͤchſte Weſen in dieſer Abſicht ſich ſelbſt mit einer menſchlichen Natur perſoͤnlich vereiniget, und daß es JEſus von Nazareth ſey, in welchen ſich die Fuͤlle der Gottheit auf eine ſo beſondere Art niedergelaſſen Col. Cap. 2. v. 9. Sie verſichert unwieder - ſprechlich, daß er aller Menſchen Suͤn - de getragen, und die Strafen unſerer Uebertretungen auf ihn gelegt worden Joh. Cap. 1. v. 29. Eſa. Cap. 53. v. 4. 5. Daß er fuͤr uns ein Fluch worden, damit er uns erloͤſe von dem Fluche des Geſetzes Gal. Cap. 3. v. 13. Die Suͤnde, welcheeine357[353]eine Beleidigung der goͤttlichen Majeſtaͤt iſt, wird in der Schrift eine Schuld genen - net, womit wir GOtt verhaftet, und die wir nicht anders, als mit ewigem Gefaͤng - niß, bezahlen koͤnnen. Matth. Cap. 6. v. 12. Cap. 18. v. 24. 32 - 35. Das Leben Chriſti heiſſet im Gegentheil das Loͤſegeld, ſo er fuͤr uns, oder nach dem Grundtext an unſer ſtatt, dahin gegeben, und damit be - zahlet. Matth. C. 20. v. 28. 1 Tim. C. 2. v. 6. Dieſe Stellen ſind vollkommen klar, und erhaͤrten ausdruͤcklich, daß JE - ſus an unſer ſtatt gelitten und ſein Leben gelaſſen, und dadurch etwas geleiſtet, welches uns von GOtt zugerechnet wird. Sein dahin gegebenes Leben iſt die Be - zahlung fuͤr unſere Schuld, und das Loͤſe - geld, womit wir von der Strafe unſerer Suͤnden loßgekauft worden. Man neh - me aus dieſen gantz deutlichen Stellen ab, was die heiligen Verfaſſer der Offenbah - rung haben wollen, wenn ſie ſagen: Chri - ſtus hat unſere Suͤnde ſelbſt geopfert (nach dem Grundtext getragen, auf ſich genommen) an ſeinem Leibe auf dem Holtz 1 Pet. Cap. 2. v. 24. GOtt hat den, der von keiner Suͤnde wuſte, fuͤr uns zur Suͤnde gemacht 1 Cor. Cap. 5. v. 21. Chriſtus hat einmal gelitten fuͤr uns, der Gerechte fuͤr die Ungerechten, 1 Petr. C. 3. v. 18. Chriſtus hat fuͤr alle den TodZ 3geſchme -358[354]geſchmecket. Hebr. Cap. 2. v. 9. u. dergl. (*)Wer dieſe und dergleichen Spruͤche mit der gelehrteſten und zugleich deutlichſten Erklaͤrung und Vertheidigung wider die Feinde der Lehre von der Gnugthuung JEſu Chriſti leſen will, der ſchlage nach des EDWARD STILLINGFLEETS Unterricht von der wahren Urſach des Leidens JEſu, ſo gleich anfangs im zweyten Theil ſeiner kleinern geiſt - reichen Schriften zu finden.

§. 22.

Fortſe - tzung des Bewei - ſes.
53

Um dieſe Lehre noch feſter zu ſetzen, ſo wollen wir noch einen Ort anfuͤhren, wel - cher ſelbige auf das deutlichſte vortraͤget: Jn dem Briefe an die Hebraͤer Cap. 9. v. 24-28. leſen wir folgende Worte: Chriſtus iſt nicht eingegangen in das Heilige ſo mit Haͤnden gemacht iſt, (welches iſt ein Gegenbilde des rechtſchaffenen) ſondern in den Him - mel ſelbſt, nun zu erſcheinen vor dem Angeſicht GOttes fuͤr uns. Auch nicht, daß er ſich oftmals opfere, gleichwie der Hoheprieſter gehet al - le Jahr in das Heilige mit fremden Blut. Sonſt haͤtte er oft muͤſſen lei - den von Anfang der Welt her. Nun aber am Ende der Welt iſt er einmalerſchie -359[355]erſchienen durch ſein eigen Opfer die Suͤnde aufzuheben. Und wie dem Menſchen iſt geſetzt einmal zu ſter - ben, darnach aber das Gericht: al - ſo iſt Chriſtus einmal geopfert, weg - zunehmen vieler Suͤnde, zum an - dernmal aber wird er ohne Suͤnde erſcheinen denen, die auf ihn war - ten zur Seeligkeit. Wir wollen die - ſe Worte erſt kurtz erklaͤren. Die Ab - ſicht des heiligen Verfaſſers dieſes Brie - fes iſt in dem angefuͤhrten und einigen andern Capiteln zu zeigen: Chriſtus ſey mehr als der Hoheprieſter der Juden, und habe viele Vorzuͤge vor demſelben. Jn den angezogenen Worten werden folgende Vorzuͤge nahmhaft gemacht:

I) Sey der Hoheprieſter nur in das Heilige gegangen, ſo mit Haͤnden, mit Haͤnden der Menſchen gemacht. Er ſey nemlich nur eingegangen in das Allerhei - ligſte der Stiftshuͤtte und nach dem Tem - pelbau in das Heiligſte des Tempels, welches nur ein Gegenbild des rechten Al - lerheiligſten nemlich des Himmels ſey. (*)Die Juden hielten dafuͤr, daß das rech - te Urbild (Original) von der Stadt Je - ruſalem, und alle dem, ſo darinne anzu - treffen, folglich auch das Model von demTem -Z 4Chri -360[356]Chriſtus aber ſey als der oberſte Hohe - prieſter in das rechte Allerheiligſte ſelbſt, in die rechte Wohnung GOTTes den Himmel eingegangen, zu erſcheinen vor dem Angeſicht GOttes fuͤr uns.

II) Der Hoheprieſter habe alle Jahr in das Heiligſte gehen, und fuͤr die Suͤn - de opfern und das Volck verſoͤhnen muͤſ - ſen. 3 B. Moſ. Cap. 16. Chriſtus aber ſey uͤberhaupt nur einmal in das rechte Heilige in den Himmel mit ſeinem Ver - ſoͤhnungsopfer und Blut eingegangen, und habe damit eine ewige Erloͤſung er - funden, d. i. eine Ausfoͤhnung geleiſtet, die auf ewig gelte. Hebr. Cap. 9. v. 12. Denn wenn er nicht auf einmal haͤtte koͤnnen alle Suͤnden hinweg nehmen, ſo haͤtte er vom Anfang der Welt her oͤf - ters leiden muͤſſen, indem er mit ſeinem eigenen Blute die Welt heiligen und ver -ſoͤh -(*)Tempel im Himmel zu finden, und daß ihr Jeruſalem und ihr Tempel, nebſt dem Zugehoͤr, nach den himmliſchen Muſtern gebauet und eingerichtet wor - den, und alſo derſelben Gegenbilder ſeyn. Siehe CHRISTIANI SCHOETTGENII Diſſertat. de Hieroſolyma Cœleſti welche hinter ſeinen Horis Hebraicis und Talmudicis zu finden.361[357]ſoͤhnen wollen. Wie aber den ſuͤndi - gen Menſchen nur einmal geſetzt ſey zu ſterben, darnach aber das Gericht; ſo ſey er auch nur einmal fuͤr ſie geſtorben und geopfert, und ſey nun nichts mehr uͤbrig, als daß er zum zweytenmal ohne Suͤnde, und ohne Opfer fuͤr dieſelbe, denen zur Seeligkeit erſcheine, welche auf ihn hoffen und warten. (**)Es hat GROTIUS und andere an - gemercket, daß das Wort〈…〉〈…〉 im N. T. oͤfters eben daſſelbe bedeute, was〈…〉〈…〉 im A. T. und piaculum bey den Lateinern, und nicht nur die Suͤnde ſelbſt, ſondern auch bisweilen das Opfer fuͤr die Suͤnde damit ausgedruͤcket werde. Siehe STILLINGFLEETS kleinerer geiſtreichen Schriften zweyten Theil in dem gruͤndlichen Unter - richt von der wahren Urſach des Leidens JEſu Cap. II. §. XI. Ver - ſchiedene Ausleger uͤberſetzen daher die - ſen Ort: zum andernmal aber wird er ohne Opfer fuͤr die Suͤnde er - ſcheinen. Siehe unter andern SCHOETTGENII Horas Hebr. & Talm. ad hunc locum. Andere aber be - halten die Ueberſetzung unſers ſeel. Lu - thers. Uns kan es bey unſerer Abſicht gleich viel ſeyn, welcher Ueberſetzung der geneigte Leſer einen Vorzug einraͤumen will. Denn will jemand bey dieſer letz -tern

Z 5III)362[358]

III) Sey der Hoheprieſter mit frem - den Blut erſchienen 3 B. Moſ. Cap. 16. v. 14.(**)tern bleiben, ſo wird er doch zugeben, daß ſie bey einer weitern Erklaͤrung und Aufloͤſung der Begriffe mit jener uͤber - einkomme. Denn mit eigener Suͤnde iſt Chriſtus niemals erſchienen Hebr. C 4. v. 15. Will man alſo ſagen: er ſey mit Suͤnde erſchienen, und werde das zweyte mal ohne dieſelbe erſcheinen, ſo heiſſet die - ſes nichts anders, als: Er hat das er - ſte mal fremde Suͤnde auf ſich ge - nommen und die Strafe derſelben getragen, und ſich folglich zu einem Opfer fuͤr dieſelbe dargegeben; das zweyte mal aber wird er nicht auf dieſe Weiſe ſich zeigen. Hieraus er - hellet, daß beyderley Ueberſetzungen ſo mit einander verknuͤpfet ſeyn, daß ein Ausdruck aus dem andern flieſſet. Der Apoſtel zielet mit dieſer letzteren Rede abermals auf den Hohenprieſter A. T. und zeiget auch hierinne einen Vorzug Chriſti vor jenem. Der Hoheprieſter altes Bundes erſchien alle Jahr mit neuen Suͤnden ſo wol ſeiner Perſon als des Volckes, und muſte daher alle Verſoͤh - nungsfeſte fuͤr ſich und das Volck neue Suͤndopfer darbringen, und ſich nebſt dem Volcke von neuen verſoͤhnen und heiligen 3 B. Moſ. Cap. 16. Chriſtus aber als der rechte Hoheprieſter hat alle Suͤnde auf einmal uͤber ſich ſelbſt genommen, und iſt ein hinlaͤngliches Verſoͤhnopfer fuͤr der gantzen Welt Suͤnde worden. Siehe 1 Joh. Cap. 2. v. 2.363[359]v. 14. Chriſtus aber mit ſeinem eige - nem Blut, um durch ſein eigen Opfer die Suͤnde aufzuheben.

§. 23.

Nachdem wir die angezogenen WorteWeitere Fortſe - tzung des vorigen. in etwas erklaͤret und in Deutlichkeit ge - ſetzet, ſo wollen wir unterſuchen, ob ein deutlicher Beweiß darinne enthalten, daß Chriſtus fuͤr unſere Suͤnde und an unſer ſtatt gelitten und die Strafe, ſo wir verdienet, auf ſich genom - men? Der Verfaſſer unſers Briefes ſchreibt v. 26. Er, Chriſtus, iſt ein - mal erſchienen durch ſein eigen Opfeꝛ die Suͤnde aufzuheben, und v. 28. Chriſtus iſt einmal geopfert wegzu - nehmen vieler Suͤnde, zum andern - mal wird er ohne Suͤnde (oder ohne ein Opfer fuͤr die Suͤnde) erſcheinen. Ein jeder Unpartheyiſcher ſage nun, was nach der Sprache der Alten heiſſe: fuͤr eines andern Suͤnden ein Opfer werden, mit eines andern Suͤnden erſcheinen, oder, welches hier einerley iſt, ſich ſelbſt fuͤr eines andern Suͤn - de zum Opfer begeben? Bedeutet die - ſes nicht: dasjenige leyden, was der andere verſchuldet, und ihn dadurch auf freyen Fuß und wieder in die Gnade des beleidigten Theils ſetzen? Gewiß laͤſen wir dergleichen Worte in ei -nem364[360]nem weltlichen Schriftſteller, wir wuͤr - den keine andere Gedancken dabey hegen. Man wendet ein: durch ſein eigen Opfer die Suͤnde aufheben, heiſſe hier allein durch ſein Leiden und Sterben die Suͤnder bewegen Un - tugenden zu meiden. Allein aus dem angezogenen Orte erhellet gantz deutlich: Chriſtus habe mit ſeinem Opfer nicht bloß die noch kuͤnftigen Suͤnden aufgeho - ben, ſondern auch die Miſſethaten, wel - che von Anbeginn, bis auf ſeinen Tod, begangen worden. Denn er ſollte ſich nur einmal opfern v. 25. Dieſes einzige Opfer ſollte die Verſoͤhnung fuͤr der gan - tzen Welt Suͤnde ſeyn 1 Joh. Cap. 2. v. 1. Es ſollte auf einmal die Verge - bung derſelben wuͤrcken, ſo, daß kein Opfer mehr von noͤthen waͤre Hebr. C. 10. v. 18. Sein Opfer ſollte daher nicht etwa nur auf ein Jahr gelten, wie das Opfer des Hohenprieſters im A. T. in - dem er ſonſt, nach unſerem angefuͤhrten Spruche v. 26. oft haͤtte leiden muͤſſen vom Anfang der Welt her; ſondern es ſollte auf ewig guͤltig ſeyn v. 12. Haͤlt man alſo dieſe Saͤtze zuſammen, ſo er - haͤrten ſelbige ausdruͤcklich, daß Chriſtus auch fuͤr die Suͤnden, ſo vor ſein Leiden begangen worden, ein Verſoͤhnopfer ge - weſen, und daß ſelbige durch ſeinen Todauf -365[361]aufgehoben ſeyn. Hiermit aber faͤllt die angefuͤhrte Erklaͤrung hinweg. Sind die Suͤnden, ſo vor Chriſto geſchehen, erſt durch ſein Verſoͤhnopfer aufgehoben worden, ſo hat dieſes durch ſein bloſſes Exempel nicht geſchehen koͤnnen. Denn dieſe Suͤnden waren ſchon laͤngſt voll - bracht, und die Thaͤter derſelben waren geſtorben, und konten alſo durch die Nachahmung des Lebens Chriſti nicht ge - recht werden. Will man ſagen: Das Evangelium von JEſu ſey in der Hoͤlle ge - prediget worden, und ſein Exempel habe die Verdammten zur Buſſe bewogen; ſo antworten wir hierauf zweyerley. Erſt - lich iſt dieſe Lehre ungegruͤndet, und kan nicht erwieſen werden, ſondern iſt viel - mehr wider die Schrift. (*)Siehe des Herrn Abt MOSHEIMS Ge - dancken uͤber die Lehre von dem En - de der Hoͤllenſtrafen, ſo am Ende des erſten Theils ſeiner heiligen Reden zu finden. Jngleichen des Herrn D. WALCHS Hiſtoriſche und Theologi - ſche Einleitung in die Religions - ſtreitigkeiten der Evangeliſch-Luthe - riſchen Kirche P. II. p. 347. ſqq. wo er das Gerhardiſche Syſtem erzehlet und ſehr gruͤndlich widerlegt.Zweytens muͤſten die Heiligen des alten Bundes bis auf den Tod des Erloͤſers ihren Sitz inder366[362]der Hoͤlle gehabt haben, wenn das Ex - empel JEſu ihnen erſt Gelegenheit zu ih - rer Bekehrung haͤtte geben, ſie zur Tu - gend aufmuntern und auf dieſe Weiſe gerecht machen ſollen. Da aber dieſes wider die Schrift, wie aus dem Exem - pel Henochs 1 B. Moſ. Cap. 5. v. 23. 24. Hebr. Cap. 11. v. 5. Abrahams Luc. Cap. 16. v. 23. und Elias 2 Koͤnig. Cap. 2. v. 9. erhellet, ſo kan auch die an - gefuͤhrte Erklaͤrung nicht ſtatt finden. Bleibet man aber bey der ordentlichen Bedeutung und Verbindung der Wor - te, ſo fallen alle dergleichen Schwuͤrig - keiten hinweg. Will etwan jemand einwenden, daß ſelbige auch bey unſerer Erklaͤrung blieben, indem ja die Heili - gen vor Chriſti Leiden eher den Ort der Seeligen nicht betreten koͤnnen, bis die Schuld ihrer Suͤnden durch das Verſoͤhnopfer Chriſti aufgehoben worden, ſo muß derſelbe beweiſen, daß es wider die Weisheit und Heiligkeit GOTTes ſey, jemand eine Schuld zu ſchencken, welche erſt nachher ein Buͤr - ge abtragen ſoll. Hierbey aber wird er ſehen, daß nach unſerer Lehre dasjenige nicht folget, was mit jener Erklaͤrung nothwendig verknuͤpft iſt.

§. 24.367[363]

§. 24.

Chriſtus hat aber nicht nur die Lei -Fernere Fortſe - tzung des vorigen. den auf ſich genommen, welche wir ver - dienet hatten, ſondern hat auch an un - ſerer ſtatt das goͤttliche Geſetz durch ſei - nen Gehorſam erfuͤllet. Paulus bezeu - get dieſes gantz deutlich Roͤm. Cap. 5. v. 18. 19. Wie nun durch eines Suͤnde die Verdammniß uͤber alle Menſchen kommen iſt, alſo iſt auch durch eines Gerechtigkeit die Recht - fertigung des Lebens uͤber alle Menſchen kommen. Denn gleich wie durch eines Menſchen Unge - horſam viel Suͤnder worden ſind, alſo auch durch eines Gehorſam werden viel Gerechte. Dieſe Ueber - ſetzung druͤckt den Sinn der griechiſchen Worte genau aus, obgleich Lutherus in dem 18. Vers von den Worten des Grundtextes ein klein wenig abgewichen. Hat aber dieſes ſeine Richtigkeit, ſo iſt aus den angefuͤhrten Worten klar, daß uns der vollkommene Gehorſam Chriſti zur Gerechtigkeit gereiche. Wie aber dieſes? Vielleicht dadurch, daß wir durch das Exempel Chriſti bewogen werden einen gleichen Gehorſam auszuuͤben? Nein im geringſten nicht. Denn wer kan ſich eines Gehorſams ruͤhmen, derihn368[364]ihn vor GOtt rechtfertigte? Sind wir nicht allzumal Suͤnder und mangeln des Ruhms, den wir an GOtt haben ſollen? Roͤm. Cap. 3. v. 23. Kan auch jemand mercken, wie oft er fehlet? Pſ. 19. v. 13. Jac. Cap. 3. v. 2. Es iſt alſo klar: Chriſti Gehorſam kan uns nicht anders zur Gerechtigkeit vor GOTT gereichen, als dadurch, daß er uns aus Gnaden zugerechnet, und bey GOTT angeſehen wird, als wenn er von uns geleiſtet wor - den. Er hat alſo an unſerer Stelle das Geſetz erfuͤllet, welches uns zu halten nach dem Fall unmoͤglich war. (*)Wer die heilige Schrift ohne Vorur - theil lieſet, der wird Oerter genug fin - den, welche auf das deutlichſte bezeugen: Chriſtus habe an unſer ſtatt gelitten und Gehorſam bewieſen, und dieſes ſey die GOtt gefaͤlligſte Art geweſen uns Suͤndern Gnade zu erzeigen. Wir wol - len uns aber bey Erklaͤrung derſelben Kuͤrtze halber nicht weiter aufhalten. Einem unpartheyiſchen Leſer haben wir ſchon genug geſagt. Ein Socinianer und Dippelianer aber laͤſſet ſich durch Spruͤche nicht uͤberfuͤhren. Denn ein ſolcher nimmt an: Dieſe Lehre ſtreite mit den unendlichen Vollkommenheiten Got - tes, und ſey denſelben hoͤchſt unanſtaͤndig. Er

§. 25.369[365]

§. 25.

Das Leiden, welchem ſich JEſus anVon dem Wort Gnugthu - ung. unſer ſtatt unterworffen, und der voll -kom -(*)Er macht daraus mit dem Socinus den Schluß: Dieſe Lehre kan nicht in der Schrift ſtehen, und wenn gleich einige Stellen mit klaren Worten davon zu re - den ſcheinen, ſo muͤſſen ſie doch anders er - klaͤrt werden. Des SOCINVS Worte in dem Tractat de Servat. Lib. III. Cap. VI. ſind nach STILLINGFLEETS An - zeigung in dem gruͤndlichen Unter - richt von der wahren Urſach des Leidens JEſu Cap. II. §. XII. folgende: Wenn auch die Lehre von der Gnug - thuung JEſu Chriſti nicht ein, ſon - dern oftmals in der Schrift er - waͤhnet waͤre, ſo wuͤrde ich doch nicht glauben, daß die Sache alſo, wie von andern Lehrern vorgege - ben wird, ſich verhielte. Denn da man ſiehet, die Sache ſelbſt koͤnne nicht alſo ſeyn, ſo ergreiffe ich billig diejenige Erklaͤrung, die den wenig - ſten Ungelegenheiten unterworffen iſt, und ziehe daraus einen ſolchen Verſtand, der mit ſich ſelbſt und dem Jnhalt der Schrift beſtehen kan. Wir werden derowegen ſolchen Leutẽ am beſten begegnen, wenn wir im folgenden zeigen, daß dieſe Lehre weder den Vollkommen - heiten GOttes noch ſich ſelbſt wiederſpre - che, ſondern dergeſtalt koͤnne erklaͤrt werden, daß ſie einer unendlichen Weis - heit vollkommen anſtaͤndig ſey.A a370[366]kommene Gehorſam, den er fuͤr uns ge - leiſtet, wird von den Theologen Chriſti Gnugthuung (Satisfactio) genant. Sie ſagen, Chriſtus habe durch ſein Leiden und Gehorſam der goͤttlichen Gerechtigkeit an unſerer Stelle und uns zu gute genug ge - than. Man findet dieſe Redensarten in der Schrift nicht. Will ſie aus die - ſer Urſach ein ander nicht gebrauchen, ſo wollen wir dieſerwegen gar keinen Streit mit ihm anfangen. Nur aber erlaube man auch uns, daß wir dieſe einmal eingefuͤhrte Redens-Arten behalten, und mehr ſehen auf die Sache, welche man damit vortraͤgt, als auf die Worte ſelbſt. Wir wollen dieſe Worte derowegen er - klaͤren.

§. 26.

Was eine Gnug - thuung ſey?
60

Man nennet uͤberhaupt eine Gnugthu - ung die Erfuͤllung deſſen, was ein Geſetz haben will. Ein Geſetz aber fordert ent - weder Gehorſam oder Strafe. Soll alſo dem Geſetz ein Gnuͤge geſchehen, ſo muß demſelben entweder eine gehorſame Folge geleiſtet oder der Ungehorſam durch Erduldung der geſetzten Strafe gebuͤſſet werden. Beydes geſchiehet entweder von demjenigen, dem das Geſetz gegeben und demſelben unterworffen iſt, oder von einem Fremden in des andern Nahmen. Daher371[367]Daher iſt ſo wol eine eigene als fremde Gnugthuung moͤglich.

§. 27.

Von einer fremden Gnugthuung fin -Exempel fremder Gnug - thuung. det man auf den Gerichtsplaͤtzen weltlicher Geſetzgeber Exempel. Man pflegt da - ſelbſt in verſchiedenen Faͤllen ſo wol frem - den Gehorſam als auch Strafen, ſo Un - ſchuldige fuͤr die Schuldigen erlegen, an - zunehmen. Hat eine Stadt Gefange - ne, welche der Buͤrger bewachen muß, ſo iſt es oͤfters erlaubt, daß er einen an - dern in ſeinem Nahmen ſtellet, der die Wache verſiehet. Eben ſo pflegt es auch in den mehreſten Faͤllen mit den Frohn - Dienſten gehalten zu werden. Hier darff insgemein ein Fremder fuͤr denjeni - gen auftreten, der den Dienſt eigentlich zu leiſten ſchuldig iſt. Auch in Krieges - Dienſten wird bisweilen erlaubt, daß ei - ner in des andern Stelle tritt, und ſich wol gar fuͤr den andern in die aͤuſſerſte Gefahr des Lebens begiebt. Dieſes ſind Exempel, da fremder Gehorſam und frem - de Dienſte, ſo fuͤr einen andern geſchehen, genehm gehalten werden. Man laͤſſet aber auch einen Unſchuldigen bisweilen an ſtatt des Schuldigen Strafe geben. Jſt jemand wegen ſeines Ungehorſams in Geld-Strafe verdammt, ſo erlaubt manA a 2auch372[368]auch wol, daß ſie ein Unſchuldiger fuͤr den Schuldigen erleget. Es wird aber in allen dieſen Faͤllen erfordert, daß der Befehlshaber mit einem ſolchen Wech - ſel und fremden Gnugthuung zufrieden ſey, und ein Fremder ſich freywillig dazu angebe.

§. 28.

Jn wie - fern die Anneh - mung einer fremden Gnugthu - ung zu billigen.
60

Wir wollen hierbey kuͤrtzlich die Frage aufwerffen, ob es nicht vernuͤnftiger und beſſer waͤre, wenn die Richter lieber dem Schuldigen alle Strafe ſchenckten, als daß ſie ſelbige von einem Unſchuldigen annaͤhmen? Daß gar keine Faͤlle ſich er - eignen ſolten, in welchen nicht eine groß - muͤthige Schenckung aller Strafe einen Vorzug vor der fremden Genugthuung haͤtte, unterſtehen wir uns nicht zu be - haupten. Wir glauben aber auch nicht, daß wir der Wahrheit zu nahe treten, wenn wir bejahen, daß Faͤlle moͤglich ſind, in welchen es vortheilhaffter und vernuͤnftiger iſt, wenn man die Strafe des Schuldigen auf einen Unſchuldigen, welcher ſich derſelben freywillig unterzie - het, leget. Man ſetze, es haͤtte ſich je - mand vergangen, daß er den Geſetzen nach muͤſte geſtrafet werden, es wuͤrde aber ein ſolcher durch Erlegung dieſer Strafe in die elendeſten Umſtaͤnde geſetzt,ſo373[369]ſo daß er ſich aus denſelben niemahls wie - der wuͤrde retten koͤnnen. Man ſaͤhe aber auch zum voraus, daß das Anſe - hen der Geſetze ſehr wuͤrde geſchwaͤchet, und vielen zu gleichen Suͤnden Anlaß ge - geben werden, wenn man die verordne - te Strafe ohne alle Gnugthuung ſchen - ken wolte. Es waͤre aber jemand vor - handen, welchem die Erlegung dieſer Strafe zu gar wenigem Nachtheil gereich - te, und erboͤthe ſich aus Freundſchaft in des andern Stelle zu treten: wuͤrde es alsdenn nicht vernuͤnftig, billig und gut ſeyn, dieſe fremde Gnugthuung anzuneh - men, und den Schuldigen loszulaſſen, wenn derſelbe anders ſein Verſehen er - kennte und bereuete?

§. 29.

Wenn einem vernuͤnftigen Geſetze einWer dem Geſetze gnug thut, thut auch der Gerech - tigkeit des Geſetzge - bers ein Gnuͤge. Gnuͤge geſchiehet, ſo wird erfuͤllet, was der gerechte Wille des Geſetzgebers erfor - dert. Wer derowegen ſich dem Geſetze unterwirft und entweder Gehorſam leiſtet, oder die geſetzte Strafe uͤber ſich nimmt, von demſelben kan man ſagen, daß er der Gerechtigkeit des Geſetzgebers genug ge - than.

§. 30.

Chriſtus hat ſich den goͤttlichen Ge -Chriſtus hat der goͤttlichen ſetzen unterworffen, welche wir zu haltenA a 3zwar374[370]Gerech - tigkeit gnug ge - than.zwar ſchuldig aber nach dem Falle nicht im Stande waren. Er hat einen voll - kommenen Gehorſam geleiſtet (§. 25.) und an unſer ſtatt die Strafe erduldet, unter welcher wir ewig haͤtten ſeufzen muͤſſen. (§. 21-24.) Hierauf ſind wir von unſern Suͤnden frey geſprochen, und die Gnade GOttes will ſich nun kraͤftig er - zeigen, alles beyzutragen, was uns aus unſerm Elende befreyen und zu einer wah - ren Gluͤckſeeligkeit fuͤhren kan. Er hat den verſchloſſenen Himmel wieder geoͤff - net, und uns frey gegeben hinein zu ge - hen, wenn wir nur ihm und dem, den er uns aus unſerm Mittel zum Koͤnige ge - geben, von neuen huldigen d. i. durch den Glauben als unſern Erloͤſer und HErrn annehmen, und ſeinen Geſetzen uns unterwerffen wollen Roͤm. Cap. 5. v. 1. 2. Epheſ. Cap. 3. v. 12. Ebr. Cap. 10. v. 19. Man kan derowegen mit Recht ſagen, Chriſtus habe fuͤr uns den goͤttlichen Geſetzen und der Gerechtigkeit des hoͤchſten Weſens genug gethan. (§. 29.)

§. 31.

Gott hat ſeiner Ge - rechtig - keit ſelber gnug ge - than.
60

Chriſtus iſt wahrer GOtt Roͤm. Cap. 9. v. 5. Man muß daher zugeben, GOtt habe ſeinen Geſetzen und ſeiner Gerechtig - keit ſelbſt genug gethan. Man pflegt ſich an dieſer Redensart zu ſtoſſen, und zuzwei -375[371]zweifeln, ob ſelbige auf eine GOtt an - ſtaͤndige Art koͤnne erklaͤrt werden. Wir wollen zeigen, was wir hierdurch verſte - hen, und unten ſoll offenbahr werden, daß dieſe Erklaͤrung nichts in ſich halte, ſo den goͤttlichen Vollkommenheiten wie - derſpricht. GOtt hat ſeiner eigenen Ge - rechtigkeit gnug gethan, heiſſet: GOtt hat ſelbſt den Gehorſam geleiſtet, den ſei - ne Geſetze von uns forderten, und die Strafen, ſo unſer Ungehorſam verdienet, auf die Menſchheit geleget, wormit er ſich perſoͤnlich vereiniget, damit er uns Suͤn - dern auf eine weiſe Art wiederum Gnade erzeigen koͤnne. Wir finden hier und da in den weltlichen Geſchichten auch Exem - pel von gerechten Geſetzgebern dieſer Er - den, daß ſie auf eine aͤhnliche Art Gnade erzeiget. Zaleucus gab ſeinen Locren - ſern das Geſetz: Wer im Ehebruch ge - funden wuͤrde, ſolte mit dem Verluſt bey - der Augen geſtraft werden. Sein Sohn war der erſte, welcher wider dieſes Ge - ſetz ſuͤndigte. Es that dieſem gerechten Geſetzgeber wehe, daß ſein eigen Kind des voͤlligen Geſichts ſolte beraubet wer - den, und dennoch wolte er auch das An - ſehen des Geſetzes dadurch nicht ſchwaͤ - chen, daß er bey ſeinem Sohne davon abgienge. Er ergriff derowegen dieſes Mittel, er ließ ſeinem Sohn ein AugeA a 4aus -376[372]ausſtechen, und ſich ſelbſt das zweyte. Auf dieſe Weiſe wurde dem Sohne ein Auge erhalten, und er ſelbſt nahm einen Theil der geſetzten Strafe auf ſich, damit auch dem Geſetz und ſeiner Gerechtigkeit moͤch - te ein Gnuͤge geſchehen, und jedermann ſehen ſolte, wie heilig er uͤber dieſes Ge - ſetz halten wuͤrde. (*)Siehe des Herrn zur Linden Diſſert. de Satisfactionis vicariæ imput atione. §. 4.

§. 32.

Erſte moͤgliche Abſicht GOttes bey der Gnug - thuung JEſu.
61

Dieſe Lehre von der Gnugthuung JE - ſu iſt nun jederzeit ein Stein des An - ſtoſſes geweſen, indem viele, ſo ſich vor andern eine hohe Weisheit zugeeignet, gemeynet, es ſey darinne etwas enthal - ten, ſo den Vollkommenheiten des un - endlichen Weſens unanſtaͤndig. Es werden dieſe Zweifel verſchwinden, wenn wir zeigen, daß die allerweiſeſten Abſich - ten hierbey ſtatt haben, und das hoͤchſte Weſen ſich durch die wichtigſten Urſachen bewegen laſſen eben dieſe Art der Erloͤ - ſung der Menſchen zu erwaͤhlen. Wir wollen zuerſt darthun, daß die weiſeſten Abſichten bey dieſer Gnugthuung moͤg - lich. Man ſetze: es habe die Art Gna - de zu erzeigen mehr Schoͤnheit an ſich als eine jede andere, und die Folge der Dinge, ſo daher in der Welt entſtehe,ſey377[373]ſey in den Augen eines vernuͤnftigen Gei - ſtes, welcher ſelbige einſiehet, weit net - ter und artiger, und ſtimme mit dem uͤbrigen Zuſammenhange der Welt beſſer zuſammen, als eine jede andere Folge, da die Suͤnden ohne Gnugthuung ver - geben werden; ſo iſt dieſes eine hinlaͤng - liche und den Vollkommenheiten GOttes gemaͤſſe Urſache, warum er ohne die Gnugthuung JEſu die Suͤnden nicht ver - geben wollen. Denn iſt GOtt das voll - kommenſte Weſen, iſt ſein Wille heilig, ſo vergnuͤget er ſich mehr an dem, was einen Vorzug an Schoͤnheiten hat, als an dem, welches mit wenigern Annehm - lichkeiten verſehen iſt. Solte es nun aber GOtt wol unanſtaͤndig ſeyn und ſei - nen Vollkommenheiten wiederſprechen, wenn er auf diejenige Art Gnade erzeigt, welche er fuͤr die ſchoͤnſte und artigſte er - kennt und ihm daher das mehreſte Ver - gnuͤgen giebet? Solten ſeine heiligſten Vollkommenheiten ihn auch wol verbin - den demjenigen abzuſagen, was ihm am gefaͤlligſten iſt, und einen Theil ſeiner unendlichen Seeligkeit, deren er genieſ - ſet, ausmachet? Niemand wird dieſes zu bejahen ſich unterſtehen.

§. 33.

Wir koͤnnen eben daraus, was wirZweyte moͤgliche Abſicht. anjetzt angenommen, noch eine andereA a 5moͤgli -378[374]moͤgliche Abſicht begreiffen, warum GOtt erſt ſelbſt eine Gnugthuung ge - ſtiftet, ehe er den Suͤndern Gnade er - zeigen wollen. GOtt ſucht das Ver - gnuͤgen ſeiner freyen Geſchoͤpfe. Sel - bige empfinden aber unter andern freudi - ge und angenehme Bewegungen, wenn ſie in einer Sache beſondere Schoͤnhei - ten und artige aus einander gewickelte Folgen wahrnehmen. Wie vergnuͤgt uns nicht der Anblick ſolcher Gegenden, die der Schoͤpfer vor andern gezieret? Wie beluſtiget uns nicht ein kuͤnſtlicher und ordentlicher Garten? Und mit wie vieler Zufriedenheit wohnen wir nicht ei - nem vernuͤnftigen Schauſpiele bey, in welchem allerhand Abwechſelungen der Geſchichte auf eine nette Art mit einan - der verknuͤpfft werden? GOttwird dero - wegen auch eine Geneigtheit haben das Vergnuͤgen vernuͤnftiger Geiſter dadurch zu vermehren und zu erhoͤhen, daß er ih - nen allerhand Dinge, in deren Zuſam - menſetzung ſich eine beſondere Schoͤn - heit zeiget, zu betrachten vorleget. Wir koͤnnen hieran deſto weniger zweifeln, je mehr Proben er hiervon ſehen laͤſſet. Wa - rum hat er das Feld mit ſo mancher - ley Fruͤchten und Blumen gezieret? Wa - rum giebt es ſo vielerley Baͤume und Stauden? Zu was Ende ſind die Ab -wech -379[375]wechſelungen der Welt ſo mancherley? koͤnnen wir verneinen, daß die unendliche Weisheit hierbey hauptſaͤchlich mit auf das Vergnuͤgen ſeiner vernuͤnftigen Ge - ſchoͤpfe geſehen, und unter andern auch durch den Anblick und Betrachtung der - ſelben ſuͤſſe Bewegungen in ihnen erre - gen wollen? Man ſetze alſo: Jn der Art durch eine Gnugthuung Gnade zu erzei - gen ſey die netteſte Verbindung aller Dinge, ſo dahin gehoͤren, es offenbah - re ſich darinne die groͤſte Weisheit, die ſchoͤnſte Ordnung, die artigſte Auswik - kelung der Folgen, ſo nach einander ent - ſtehen, oder, daß wir mit einem frem - den Worte reden, die artigſten und an - genehmſten Touren. Man nehme fer - ner an: es ſey eine groſſe Anzahl ver - nuͤnftiger Geiſter, welche aus der Be - trachtung derſelben das groͤſte Vergnuͤ - gen ſchoͤpfen; ſo haben wir abermahl ei - ne GOtt anſtaͤndige Abſicht, die ihn bewegen koͤnnen dieſe Art Gnade zu er - weiſen allen andern vorzuziehen. Denn ſolte es GOtt unanſtaͤndig ſeyn und ſei - nen Vollkommenheiten wiederſprechen, diejenige Folge der Dinge zu erwehlen, welche das mehreſte Vergnuͤgen unter ſeine geliebte Unterthanen bringet?

§. 34.380[376]

§. 34.

Dritte moͤgliche Abſicht.
61

Man nehme endlich an, die Gnugthu - ung JEſu Chriſti und die darauf erzeigte goͤttliche Gnade offenbahre gewiſſe Eigen - ſchaften GOttes, ingleichen die Natur der Suͤnde und deren heßliche Geſtalt auf eine deutlichere Weiſe als alle andere Arten Suͤnde zu vergeben. Man ſetze, es gaͤ - be dieſes vielen von den freyen Geſchoͤpf - fen die trifftigſten Bewegungsgruͤnde, das hoͤchſte Weſen zu lieben und zu vereh - ren, die Suͤnde zu verabſcheuen, und das zu ſuchen, was zur wahren Ruhe ihrer Seelen dienet; ſo laͤſſet ſich aber - mahls eine dem hoͤchſten Weſen anſtaͤn - dige Abſicht zeigen, welche daſſelbe hat bewegen koͤnnen ohne Blutvergieſſen ei - nes Mittlers die Suͤnden nicht zu erlaſ - ſen. Denn koͤnnen hierdurch mehr See - len gewonnen und gluͤcklich gemacht wer - den, als durch eine andere Art Gnade zu erzeigen, ſo iſt es der Weisheit und Guͤte GOttes gemaͤß ſelbige zu erwehlen.

§. 35.

Die bloſ - ſe Ver - nunft kan nicht ur - theilen, ob die Gnugthu -
61

Wir fuͤhren die Moͤglichkeit hinlaͤng - licher Urſachen, die GOtt bewegen koͤn - nen durch einen Buͤrgen unſere Schulden hinwegzunehmen, dieſerwegen an. Es giebt Leute, welche erſt die Vernunft fra - gen, ob GOtt eine fremde Gnugthuunghabe381[377]habe fordern und annehmen koͤnnen, eheung JE - ſu GOtt anſtaͤndig oder nicht. ſie die Schrift daruͤber vernehmen. Und weil ſie meynen mit ihrer Vernunft bey einer ſolchen Gnugthuung etwas zu fin - den, welches den Vollkommenheiten GOttes unanſtaͤndig ſey, ſo machen ſie den Schluß: es muß in der Schrift davon nicht das geringſte ſtehen; ſondern die Spruͤche, ſo ſelbiges zu bejahen ſcheinen, muͤſſen anders erklaͤret werden. Mit dieſem Vorurtheil eroͤffnen ſie das Buch der goͤttlichen Offenbahrung, und ſu - chen nicht die Wahrheiten, die GOtt darinne bezeuget, ſondern bringen mit Gewalt diejenigen Meynungen hinein, die ihre Vernunft ausgebruͤtet hat. Man kan daher bey ſolchen Leuten wenig ausrich - ten, ehe man ſie von der Schwaͤche ihrer Vernunftſchluͤſſe uͤberfuͤhret. Wir meynen in dem nechſt vorhergehenden Gruͤnde zu finden, aus welchen wir dar - thun koͤnnen, daß unſere Vernunft vor ſich allein gelaſſen gar nicht im Stande iſt von goͤttlichen Wercken zu urtheilen, welche in einen groſſen Theil der Welt ihren Einfluß haben, und daß ſie ſich gar nicht unterſtehen darff, von einem ſolchen Wercke, als unſere Erloͤſung iſt, zu ſagen, daß es den Vollkommenheiten GOttes anſtaͤndig oder unanſtaͤndig ſey. Dem hoͤchſten Weſen ſind diejenigenWuͤr -382[378]Wuͤrckungen und Einrichtungen in die - ſer Welt unanſtaͤndig, welche der Voll - kommenheit und Schoͤnheit dieſes groſ - ſen Gebaͤudes entgegen ſind, ingleichen ſtreitet alles dasjenige mit ſeinen unend - lichen Eigenſchaften, was wider das Vergnuͤgen und die wahre Gluͤckſeelig - keit der Geſellſchaften von Geiſtern iſt, die dieſe Welt bewohnen. Alles aber, was die Vollkommenheit und Schoͤn - heit dieſer Welt vermehret und die Gluͤck - ſeeligkeit der vernuͤnftigen Geſchoͤpfe er - hoͤhet, iſt dem weiſeſten Schoͤpfer ge - maͤß und anſtaͤndig. (§. 3, 5, 32, 33, 34.) Hieraus urtheile man, was darzu gehoͤ - ret, wenn man nach der bloſſen Vernunft vorgeben will, daß etwas, ſo mit einem groſſen Theile dieſer Welt eine Verbin - dung hat, dem hoͤchſten Weſen gemaͤß und anſtaͤndig ſey oder nicht. Wird nicht unumgaͤnglich nothwendig ſeyn, daß man vorher den Zuſammenhang der Welt, oder wenigſtens einen groſſen Theil derſelben genau kenne, und wiſſe, was aus dieſem und jenem nach und nach erfolgen werde? Wird nicht unumgaͤng - lich noͤthig ſeyn, daß man auch andere moͤgliche Einrichtungen, ſo nicht in die - ſer Welt zu finden, begreiffen, und ſel - bige mit den Dingen, ſo in dieſem Zu - ſammenhang ſind, vergleichen und durchdieſe383[379]dieſe Vergleichung abſehen koͤnne, welche beſſer und den andern vorzuziehen ſey? Wir ſind gar fertig zu ſagen: Dieſes iſt wider die Guͤte, jenes wider die Weisheit GOttes, und die Weisheit muß ſich oft von ihren Kindern meiſtern laſſen: allein koͤnnen wir auch abſehen, aus welcher Einrichtung das mehreſte Gute in dieſer Welt erfolgen wuͤrde? Reicht unſer Verſtand zu, Folgen von mehr als tauſend Jahren, ja von einer unermeßlichen Ewigkeit zu uͤberſehen? Sind wir im Stande die mancherley Verbindung vieler Millionen Dinge zu begreiffen, und zu ſagen wo die netteſte Ordnung anzutreffen? Ueberſchreitet die - ſes aber die Grentzen unſerer ſchwachen Vernunft, ſo koͤnnen wir auch von Din - gen, die weit ausſehende Folgen haben und in einen groſſen Theil der Welt ver - wickelt ſind, nach der bloſſen Vernunft nicht wol urtheilen, ob ſelbige den Voll - kommenheiten GOttes gemaͤß oder nicht. Doͤrffen wir uns nun wol unterſtehen von dem wichtigen Werck der Genug - thuung JEſu Chriſti nach der bloſſen Vernunft zu ſagen, ſelbiges ſtreite mit den Vollkommenheiten des hoͤchſten We - ſens? Haben wir nicht die groͤſte Urſach unſerer Vernunft ein ehrerbietiges Still - ſchweigen aufzulegen und bloß die Of -fenbah -384[380]fenbahrung zu hoͤren? Jſt aber jemand doch noch ſo verwegen, daß er ſich fuͤr einen Meiſter der Weisheit haͤlt, und glaubt er koͤnne uͤberſehen, welche Re - geln die oberſte Weisheit beobachten muͤſſe, der lege uns denn den Plan von zwey Welten vor, in deren einen die Suͤnden nach einer fremden Gnugthu - ung, in der andern aber ohne dieſelbe vergeben werden. Man zeige uns, wel - che Folgen der Dinge, beſonders in dem Reich der freyen Geiſter in beyden Wel - ten, in alle Ewigkeit ſeyn werden. Man eroͤffne uns ihre Verbindung, Ordnung und Uebereinſtimmung mit der letzten und Hauptabſicht des Schoͤpfers, und mache uns hieraus kund, welche Welt den Vorzug vor der andern an Voll - kommenheit und Schoͤnheit hat, ſo wol - len wir glauben, daß man gnugſame Einſicht und folglich ein Recht habe zu urtheilen, dieſes ſchickt ſich fuͤr GOtt, jenes aber iſt ihm unanſtaͤndig. So lange aber jemand dieſes nicht ins Werck richtet, werden wir ihn auch nicht fuͤr tuͤchtig halten weit ausſehende Wercke GOttes ohne beſondere Offenbahrung zu beurtheilen. Da nun aber niemand unter den Sterblichen geſchickt iſt nur die kleine Maſchine ſeines Leibes und noch viel weniger einen groͤſſern Theilder385[381]der Welt zu uͤberſehen, und alles zu be - nennen, was hierbey vortheilhaftig und erſprießlich iſt, ſo wird auch unſere Ver - nunft nicht ausmachen koͤnnen, ob die Vergebung der Suͤnden mit einer Gnug - thuung oder eine Begnadigung ohne die - ſelbe mit dem Zuſammenhange dieſer Welt beſſer uͤbereinſtimme, und alſo den Vollkommenheiten GOTTes gemaͤſſer ſey. (*)Man beliebe zu bemercken, daß wir be - haupten, unſere Vernunft reiche nicht zu, Dinge von groſſen Folgen, und welche mit einem groſſen Theile der Welt eine genaue Verbindung haben, zu uͤberſehen und zu urtheilen, ob ſelbige den Voll - kommenheiten GOttes gemaͤß ſind oder nicht. Hiermit aber wollen wir nicht ſagen, daß gar nichts ſey, von welchem wir nicht mit Gewißheit wiſſen koͤnten, daß es den Vollkommenheiten des Schoͤ - pfers anſtaͤndig oder unanſtaͤndig ſey, denn ſonſt wuͤrden wir vieles aufheben, ſo wir hier und da in unſern eigenen Ar - beiten bejahet haben. Sondern nach unſerer Meinung koͤnnen wir ſo weit mit unſerer Vernunft kommen. Wir koͤn - nen aus den Vollkommenheiten GOttes einige allgemeine Regeln ſchlieſſen, und uͤberhaupt ſagen, dieſes und jenes iſt GOtt anſtaͤndig, das Gegentheil davon aber ſeinen Vollkommenheiten nicht ge -maͤß.

B b§. 36.386[382]

§. 36.

Weitere Ausfuͤh - rung des vorigen.
62

Wir behaupten hier zwey Saͤtze. Der erſte iſt: Wer von Dingen die - ſer Welt nach der bloſſen Vernunft urtheilen will, ob ſie den Vollkom - menheiten GOttes gemaͤß ſind oder nicht, der muß ihre Folgen und den Zuſammenhang mit andern Dingen einſehen. Der zweyte iſt: Unſere Vernunft reicht nicht zu, Dinge,die(*)maͤß. Z. E. Aus der Heiligkeit GOt - tes koͤnnen wir dieſe Regel herleiten: Alles, was den Geſetzen der Voll - kommenheit und Schoͤnheit in ei - ner Welt, die GOtt bauet, entge - gen iſt, das ſtreitet auch wider die goͤttliche Heiligkeit und iſt alſo Gott unanſtaͤndig zu machen. Ferner kan man aus der Guͤtigkeit des Schoͤpfers ſchlieſſen: alles, was der allgemei - nen Gluͤckſeeligkeit der Geſchoͤpfe zuwider iſt, und ſelbige aufhebet, daſſelbe darf GOtt vermoͤge ſeiner Vollkommenheiten nicht hervordrin - gen. Wir leugnen aber, daß wir mit unſerer Vernunft im Stande ſind dieſe Regeln auf eintzelne Dinge dieſer Welt, die einen ſo groſſen Umfang und weit entlegene Folgen haben, daß wir ſie nicht uͤberſehen koͤnnen, zu richten (applici - ren.) Denn wir muͤſſen hierbey ſolche Schluͤſſe machen. Z. E. Was387[383]die weit ausſehende Folgen, und mit einem ſehr groſſen Theil der Welt eine genaue Verbindung ha - ben, zu uͤberſehen, und von ihnen mit Gewißheit zu ſagen, ob ſie den hoͤchſten Vollkommenheiten gemaͤß ſind oder nicht. Damit wir die Ge - wißheit dieſer Saͤtze deſto mehr auſſer Zweifel ſetzen, ſo wollen wir Exempel anfuͤhren, in welchen man ſie ohne al - len Streit zugiebet. Wer von demB b 2Plan(*)Was wider die Vollkommenheit und Zierlichkeit dieſer Welt iſt, ſelbiges iſt wider die Heiligkeit GOttes. Dieſes und jenes z. E. eine frem - de Gnugthuung fuͤr Suͤnder, die begnadiget werden ſollen, iſt wi - der die Vollkommenheit und Zier - lichkeit der Welt. Derowegen iſt eine ſolche Gnugthuung wi - der die Heiligkeit GOttes. Der mittlere Satz muͤſte erwieſen wer - den, ſelbiges aber faͤllt unſerer Vernunft in den Faͤllen unmoͤglich, wo wir die Folgen einer Sache und ihren Zuſam - menhang mit andern Dingen nicht ein - ſehen. Derowegen kan die Vernunft dabey auch keinen Schiedsmann abge - ben, und urtheilen, ob dergleichen mit den hoͤchſten Vollkommenheiten uͤberein komme oder nicht.388[384]Plan einer Feſtung richtig urtheilen will, ob ſie den Regeln einer vernuͤnftigen Kriegsbaukunſt gemaͤß ſey oder nicht, muß ſelbiger nicht, auſſer den allgemei - nen Regeln einer Befeſtigung, die Lage des Orts, die Arten der Angriffe und Gegenwehren, die Veraͤnderungen, wel - che die Wercke bey dem erſten Anfall leiden, und dergleichen genau inne ha - ben? Wird man denjenigen nicht aus - lachen, der ſich unterſtehet, von einem ſolchen Plan ein Urtheil zu faͤllen, wenn er von den oberwehnten Dingen keinen hinlaͤnglichen Begriff hat? Wie will nun ein Menſch von Wercken GOttes in der Welt und deren Einrichtung ur - theilen koͤnnen, wenn er ihre weitlaͤufti - ge Verbindung und Folgen nicht ein - ſiehet? Und eben hieraus wird denn auch unmittelbar folgen, daß unſere Vernunft die Einrichtungen des Schoͤ - pfers, die von einiger Wichtigkeit ſind, wol bewundern aber nicht leicht beur - theilen darff. Denn unſere Einſicht reicht nicht einmal zu, gantz offenbahre Folgen, die aus kleinen Einrichtungen, die wir ſelbſt machen, entſtehen, zu uͤber - ſehen: wie viel weniger werden wir im Stande ſeyn, Dinge uns deutlich vor - zuſtellen, deren Folgen ſich auf eine ewi - ge Zeit erſtrecken, und welche mit einemgroſ -389[385]groſſem Reiche freyer Geiſter verknuͤpfft ſind. Wie gar ungeſchickt wir ſind vie - le Folgen abzuſehen, nehme man ab an dem Exempel der Feſtungen, ſo wir oben angefuͤhrt. Wie lange hat es gedau - ret, ehe man nur ſo weit in der Krieges - baukunſt kommen, daß man nicht mit den groͤſten Unkoſten Wercke angeleget, ohne daß ſie iemals haben koͤnnen ge - braucht werden? Hat man faſt nicht allezeit erſt durch Schaden muͤſſen klug werden? Hat man nicht lange Zeit groſ - ſe Wercke angeleget, welche von an - dern anliegenden bey dem erſten Angrif - fe ſind zugeſchuͤttet worden, ehe man die geringſte Gegenwehr aus denſelben thun koͤnnen? Haben nicht andere zu einer ſi - chern Gegenwehr Gewoͤlber ohne Luft - loͤcher gebauet, ohne vorher zu ſehen, daß der erſte Pulverdampf diejenigen heraus jagen wuͤrde, welche ſich darinne wehren ſolten. Doch ich kan noch naͤher zeigen, wie gering unſer Vermoͤgen ſey, Dinge nach ihrem gantzen Zuſammenhang zu begreiffen. Man gehe bey diejenigen, welche ſich mit dem Damen - oder Schachſpiel beluſtigen, man trete bey die geuͤbteſten Meiſter in dieſen Spielen. Wie lange dauert es, ſo hat der geſchick - teſte Spieler einen Zug gethan, deſſen gefaͤhrliche Folgen er nicht beobachtet,B b 3da390[386]da er ſie doch oͤfters gar leicht haͤtte wiſ - ſen koͤnnen. Wie verſiehet der beſte Meiſter nicht oͤfters die ſchoͤnſte Gelegen - heit das Spiel zu gewinnen? Hier hat ein jeder nur auf wenige Steine und de - ren Verbindung zu achten, und iſt den - noch nicht im Stande ſelbige zu uͤberſe - hen, wie iſt es denn moͤglich, daß unſere Vernunft von der wahren Beſchaffen - heit derjenigen Dinge urtheilen kan, die einen ſehr groſſen Theil der Welt ange - hen ſollen? (*)Wir machen zum Beſchluß dieſer Ma - terie folgende Anmerckung: Wer da will urtheilen, ob etwas den Vollkommen - heiten GOttes gemaͤß oder unanſtaͤndig ſey, der muß vorher genau wiſſen, erſtlich ob eine ſolche Sache moͤglich oder unmoͤg - lich: Zweytens, ob ſie den Zuſammenhang dieſer Welt vollkom̃ener oder unvollkom̃e - ner macht. Es iſt unnoͤthig hiervon weiter einen Beweiß zu geben, er kan leicht aus dem vorhergehenden erſehen werden, und leuchtet auch von ſelbſt in die Augen. Wir wollen nur dieſe Anmerckung mit Exem - peln erlaͤutern. Wer z. E. wie auch ei - nige von den heutigen Gelehrten thun, be - haupten will: Die Erſchaffung einer Welt, die ohne eine Erhaltung und Re - gierung nicht beſtehen koͤnne, ſey wider die Vollkommenheiten GOttes; der muß erſt beweiſen, daß eine Welt moͤglich ſey,die

§. 37.391[387]

§. 37.

Nachdem wir alſo unſerer MeinungErſte wuͤrckli - che Ab - ſicht Got - tes bey der Gnug - thuung JEſu aus der Offen - bahrung bewieſen. nach gnugſam dargethan, daß die Ver - nunft nicht im Stande iſt von einem ſo groſſen und weitlaͤuftigen Wercke, als eine Genugthuung fuͤr aller Welt Suͤn - de nothwendig ſeyn muß, zu urtheilen und einzuſehen, ob ſelbige den Vollkom - menheiten GOttes gemaͤß ſey oder nicht, wir auch einige moͤgliche Abſichten ange - geben, die einem unendlichẽ Weſen anſtaͤn -B b 4dig(*)die keiner Erhaltung und Regierung GOttes beduͤrffe. Es iſt nicht genug, daß man ſpricht: Wenn GOTT eine Welt gemacht, die ohne ſein Erhalten und Regieren nicht beſtehen koͤnte, ſo wuͤrde er nicht anders als ein Uhrma - cher anzuſehen ſeyn, der eine Uhr verfer - tigte, die man beſtaͤndig in der Hand halten und ihre Raͤder umdrehen muͤſte, wenn ſie die Zeit zeigen ſolte. Man muß, wenn dieſes Gleichniß ſoll ſtatt finden, vorher beweiſen, erſtlich, daß uͤberhaupt eine Welt, die ohne Erhaltung und Re - gierung des Schoͤpfers beſtehet, moͤg - lich: Zweytens, daß die beſte Welt oh - ne dieſe Wuͤrckungen GOttes fortdau - ren koͤnne. Geſetzt, es iſt dieſes an und vor ſich unmoͤglich, ſolte es alsdenn auch wol mit den Vollkommenheiten GOttes ſtreiten, eine Welt zu machen, die ſeineHand392[388]dig ſind, und zu einem ſolchen Werck mit Recht bewegen koͤnnen; ſo wollen wir unterſuchen, ob wir auch wol in dem Worte GOttes, welches von einer ſol -chen(*)Hand allezeit erhalten und regieren muß? Wer ſich unterſtehet zu erhaͤrten: die Guͤte GOttes erfordere, daß alle Gott - loſe und auch die Teufel dereinſten be - kehret und in den Himmel verſetzt wuͤr - den, der muß vorher darthun, daß es auch moͤglich, dieſe niedertraͤchtige Gei - ſter dereinſten aus dem tiefſten Schlamm der Laſter zu den erhabenſten Tugenden hervor zu ziehen, und im Guten zu be - feſtigen. Wer da wolte bejahen, daß es den hoͤchſten Vollkommenheiten GOt - tes gemaͤſſer geweſen keinen Baum des Erkaͤntniſſes Gutes und Boͤſes zu pflan - tzen, der muͤſte zeigen koͤnnen, daß eine beſſere und vollkommenere Welt wuͤrde erfolgt ſeyn, als ſo geſchehen iſt, und muͤſte alſo nicht nur dieſe, ſondern auch eine andere moͤgliche Welt, in welcher kein dergleichen Baum zu finden, mit allen ihren Folgen in Ewigkeit uͤberſe - hen koͤnnen. Wie ſchwehr dieſes ſey, haben wir kurtz vorher gewieſen. Wir wollen derowegen nur noch kuͤrtzlich zei - gen, wie viele Schwuͤrigkeiten zu uͤber - winden, wenn man die Moͤglichkeit und Unmoͤglichkeit einer Sache von groſſer Weitlaͤuftigkeit darthun will. Dasje - nige iſt an und vor ſich unmoͤglich, in welchem eines dem andern wiederſpricht. Z. E.393[389]chen Gnugthuung redet, Gruͤnde finden koͤnnen, woraus mit Gewißheit zu ſchlieſ - ſen: GOtt habe wuͤrcklich dergleichen Abſichten bey der Gnugthuung JEſu ge -B b 5habt.(*)Z. E. eine helle Finſterniß, ein trocknes Naß, ein dreyeckigter Zircul u. d. g. m. Moͤglich aber iſt dasjenige, worinne nichts enthalten, ſo das andere aufhe - bet. Wird nun nicht noͤthig ſeyn, daß derjenige, welcher von der Moͤglichkeit oder Unmoͤglichkeit eines Dinges urthei - len und ſeiner Sache recht gewiß ſeyn will, die vornehmſten, oder auch in etli - chen Faͤllen wol alle. Umſtaͤnde deſſelben ſich deutlich vorſtellen koͤnne? Jſt je - mand dieſes zu thun nicht im Stande, ſo darff er ſich auch nicht unterſtehen von der Moͤglichkeit oder Unmoͤglichkeit ei - nes Dinges zu urtheilen, denn er kan leicht einige Umſtaͤnde, deren Erkaͤntniß hiezu noͤthig, vorbey gehen, und daher ein falſches Urtheil faͤllen. Jch halte z. E. dafuͤr, daß keiner auch von den groͤſten Mathematicis und Phiſicis hinlaͤngliche Gruͤnde hat, mit Gewißheit auszumachen, daß die gantz beſondere Bewegung des Mondes um die Erde und mit der Er - de um die Sonne ohne eine beſtaͤndige Regierung des hoͤchſten Weſens moͤglich ſey. Jch muthmaſſe zwar ſelbſt, daß dieſe Bewegung bloß durch natuͤrliche Urſachen zu wege gebracht werde: Allein ich geſtehe, daß ich es nicht mit rechter Gewißheit beweiſen kan. Denn meinSchluß394[390]habt. Wir wollen zuerſt darthun, daß GOtt die Art durch eine Gnugthuung Gnade zu erzeigen erwehlet, weil in der - ſelben beſondere Ordnung und Schoͤn -heit(*)Schluß iſt mit andern nur dieſer: Man ſiehet, daß viele andere wunderbahre Din - ge durch die Kraͤfte der Natur bewerck - ſtelliget werden, derowegen wird die Be - wegung des Mondes auch ohne Wun - derwerck moͤglich ſeyn und geſchehen. Wer ſiebet aber nicht, daß dieſer Schluß groſſe Luͤcken hat, welche noch kein Welt - weiſer mit an einander hangenden Gruͤn - den gefuͤllet? Wolte aber jemand dieſe Luͤcken vollmachen und zeigen, daß die Bewegung des Mondes ohne eine be - ſondere bewegende Macht GOttes moͤg - lich ſey, wie viel muͤſte derſelbe nicht wiſſen, ſo den menſchlichen Verſtand uͤberſteiget? Er muͤſte die Natur der Li - nie, in welcher ſich der Mond beweget, genau inne haben. Er muͤſte die Wuͤr - ckungen zuſammengeſetzter Kraͤfte wol kennen. Er muͤſte wiſſen, was die Ein - heiten der Natur vor ſich allein, und wenn ſie mit einander Athmoſphaͤren und andere Coͤrper ausmachen, vermoͤgen, und was durch dieſes Vermoͤgen geſche - hen koͤnne, wenn verſchiedene Weltcoͤr - per mit groſſen Athmoſphaͤren neben einander geſtellt werden. Weſſen Weiß - heit aber gehet ſo weit, daß er dieſes al - les einſehen koͤnte? Wir ſind noch nicht einmal ſo weit kommen, daß wir dierechte395[391]heit anzutreffen, welche ihm als einem heiligen Weſen mehr gefallen als andere Arten Suͤnde zu vergeben. Wir ſchlieſ - ſen dieſes erſtlich aus einem Orte, wo dergecreu -(*)rechte Beſchaffenheit der Linie erklaͤren koͤnten, in welcher ſich der Mond fort - waltzet, vielweniger kennen wir die inne - re Kraͤfte der Natur. Denn ob man gleich in der Berechnung des Mondlaufs annehmen darf, daß er ſich in einer El - lipſi um die Erde bewege, ſo iſt doch be - kant, daß ſeine wahre Bewegung dieſe Linie nicht beſchreibt, indem er nicht nur um die Erde, ſondern auch mit der Er - de um die Sonne gehet. Man erkenne hieraus, wie ſchwehr es ſey die Moͤglich - keit oder Unmoͤglichkeit von Dingen, die einen groſſen Umfang haben, einzu - ſehen. Doch was iſt es noͤthig unſere Unfaͤhigkeit hierzu in ſo hohen Exempeln zu zeigen, wir koͤnnen einen naͤhern Be - weiß haben. Warum haͤlt der eine fuͤr moͤglich, was der andere fuͤr unmoͤglich erklaͤrt? Wie iſt es zugangen, daß man etliche hundert Jahre etwas fuͤr unmoͤg - lich gehalten, deſſen Moͤglichkeit hernach gezeiget worden, und hergegen etwas fuͤr moͤglich ausgegeben, deſſen Unmoͤg - lichkeit man in den folgenden Zeiten ent - decket? Wuͤrde dieſes wol geſchehen ſeyn, wenn es leicht waͤre die Moͤglichkeit o - der Unmoͤglichkeit einer Sache einzuſe - hen? Man ſtudiere fleißig | die Phyſick und Philoſophiſche Hiſtorie, ſo wird manſehen,396[392]gecreutzigte Chriſtus goͤttliche Kraft und Weißheit genant wird. Wir le - ſen dieſes 1 Cor. Cap. I. v. 23. 24. Wir predigen den gecreutzigtenChri -(*)ſehen, wie weit ſich auch einige von den Weiſeſten vergangen und welche Hirn - geſpinſte ſie zur Welt gebracht, wenn ſie ſich hierinne zuviel zugetrauet. Und was iſt dieſes Wunder? Wir haben in der Application oder Praxi noch kein ander Kennzeichen des Moͤglichen und Unmoͤg - lichen als dieſes: was ſich nach unſer Einſicht und angenommenen Saͤtzen ſelbſt oder andern Dingen, welche wir fuͤr wahr halten, wiederſpricht, das iſt unmoͤglich, was aber ſolcher Geſtalt kei - nen Wiederſpruch in ſich enthaͤlt, das iſt moͤglich. Wie leicht aber koͤnnen wir in unſerer Einſicht und Ueberlegung fehlen, welcher Menſch kan ſich ruͤhmen, daß er keine falſche Saͤtze fuͤr Wahrheiten an - nehme, und wie leicht kan man daher auch nicht das Moͤgliche mit dem Un - moͤglichen verwechſeln? Die Erfahrung lehret, daß dieſes den groͤſten Gelehrten begegnet. Man urtheile hieraus, wie behutſam man billig gehen ſolte, wenn man wolte ſagen, es ſey etwas den Voll - kommenheiten GOttes gemaͤß oder nicht. Man erwege nur, wie manches in der Welt nicht ſeyn und geſchehen wuͤrde, wann GOTT uns vorher fragen ſolte, ob dieſes und jenes auch ſeinen Eigen - ſchaften anſtaͤndig und wol zu der gan -tzen397[393]Chriſtum den Juden eine Aerger - niß und den Heyden eine Thorheit: Denen aber, die beruffen ſind, bey - de Juden und Griechen, predigen wir Chriſtum goͤttliche Kraft und goͤttliche Weißheit. Der Sinn die - ſer Worte iſt wol unſtreitig dieſer: wir predigen Chriſtum den gecreutzigten, in welchem ſich beſondere Kraft und Weiß - heit GOttes offenbahrt. Wir meinen hieraus mit Recht folgenden Satz ſchlieſ - ſen zu koͤnnen: Die Einrichtung GOt - tes, nach welcher er Chriſtum in die Welt geſandt und fuͤr die Suͤnden der Menſchen creutzigen laſſen, iſt voll goͤtt - licher Kraft und Weißheit. Denn of - fenbahret ſich in Chriſto, auch in ſo fern er gecreutziget worden, beſondere Weiß -heit,(*)tzen Welt Beſten gereichte. Wir ſind in dieſer Anmerckung unter andern des - wegen weitlaͤuftig geweſen, damit wir gewiſſen groſſen Goͤnnern, bey welchen wir verdaͤchtig gemacht, als wenn wir der Vernunft zu viel einraͤumten, bewei - ſen moͤgen, daß wir die engen Grentzen der menſchlichen Wiſſenſchaften gar ge - nau kennen, und vielleicht der hoͤchſten menſchlichen Weißheit einen niedrigern Grad zueignen, als denen ſelbſt zu thun beliebt, welche uns in einen ſolchen Ver - dacht ſetzen wollen.398[394]heit, ſo wird ebenfalls die goͤttliche Ein - richtung, nach welcher dieſes verordnet worden, weiſe zu nennen ſeyn. Was aber weißlich und zwar ſo, daß ſich eine beſondere Weißheit GOTTes darinne ſpiegelt, eingerichtet, wird ohne allen Wiederſpruch nett, ordentlich und ſchoͤn ſeyn, Chriſtus aber hat ſein Leben gelaſ - ſen, damit er an unſer ſtatt ein Loͤſegeld zahlte fuͤr unſere Suͤnden, und ſelbige dadurch aufgehaben und vergeben wuͤr - den. Siehe Matth. Cap. 20. v. 28. Jſt alſo der Tod Chriſti, welcher in die - ſer Abſicht von GOtt beſchloſſen wor - den, ein Spiegel der goͤttlichen Weiß - heit, ſo wird nothwendig die Art bey ei - nem fremden Loͤſegelde Gnade zu erzei - gen viele Weißheit in ſich enthalten, und folglich andere Arten, Suͤnde zu vergeben, an artiger Ordnung und Schoͤnheit uͤbertreffen. Eben dieſen Schluß koͤnnen wir zweytens machen bey den Worten Paulus, welche wir 1 Cor. Cap. 2. v. 6. leſen. Da wir aber von reden, ſchreibt er, iſt durch Weißheit bey den Vollkommenen. Wovon redeten ſie aber, und wovon hatte Paulus geredet bey den Corinthern? Wir leſen die Antwort auf dieſe Frage in dem vorhergehenden zweyten Verſe. Jch hielt mich nicht dafuͤr, ſchreibter399[395]er daſelbſt, daß ich etwas wuͤſte, ohn allein JEſum Chriſtum den gecreu - tzigten, oder wie es nach dem grund - text nachdruͤcklicher lautet: ohn allein JEſum Chriſtum, und zwar den gecreutzigten. Chriſtus der gecreutzig - te, welcher Matth. Cap. 20. v. 28. ſelbſt bezeuget, daß ſein Tod das Loͤſegeld fuͤr die Suͤnder ſey, iſt alſo die Weißheit, welche Paulus prediget, und, welche er aller andern Weißheit vorziehet. Wer begreifft aber hieraus nicht, daß in der Reihe der Dinge, ſo mit dem Tode JE - ſu, als einem Loͤſegelde fuͤr der Men - ſchen Suͤnde, verknuͤpfft iſt, Ordnung und Schoͤnheit anzutreffen ſey. Denn wer kan glauben, daß Unordnung und Verwirrung Kinder der goͤttlichen Weißheit ſeyn? Nun aber iſt unter an - dern die Vergebung der Suͤnden damit verbunden. Denn das Blut JESU Chriſti macht uns rein von aller Suͤn - de 1 Joh. Cap. 1. v. 7. Es wird alſo abermals ausgemacht ſeyn: Die Ver - gebung der Suͤnden, welche mit dem Tode JEſu als einem Loͤſegelde verbun - den worden, wird wegen beſonderer Ord - nung und Schoͤnheit die groͤſte Be - wunderung verdienen. Und was doͤrf - fen wir daher weiter fragen, warum ſieGOtt400[396]GOtt vor andern Arten Gnade zu er - zeigen erwehlet? (Siehe §. 3. 32).

§. 38.

Zweyte wuͤrckli - che Ab - ſicht.
72

Was ordentlich, nett und ſchoͤn iſt, gefaͤllet nicht nur GOTT, ſondern ver - gnuͤgt auch die uͤbrigen Geiſter, welche ſolche Ordnung und Schoͤnheit erken - nen. (§. 33.) GOtt ſucht das Vergnuͤ - gen ſeiner vernuͤnftigen Geſchoͤpfe, und legt ihren Sinnen und Verſtande un - endlich viel Dinge vor, deren Ordnung und Schoͤnheit ſie mit Luſt erwegen und bewundern koͤnnen. Wir doͤrffen da - her ohne Wiederſpruch annehmen: Die unendliche Guͤte macht auch in dieſer Abſicht die Anzahl ordentlicher und ſchoͤner Einrichtungen ſo groß, als moͤg - lich, damit vernuͤnftige Geſchoͤpfe einen Ueberfluß an Dingen haben, deren Be - trachtung ſie vergnuͤgen kan. Jſt nun bey der Gnugthuung JESU beſondere Ordnung und Schoͤnheit anzutreffen, ſo wird er ſelbige auch unter andern deßwe - gen geordnet haben, daß ſie vernuͤnftige Geiſter mit Vergnuͤgen bewundern moͤ - gen. Wir werden hieran deſtoweniger zweifeln doͤrffen, wenn zu beweiſen ſtehet, daß viele Geiſter mit der groͤſten Luſt die - ſes Geheimniß betrachtet und eingeſehen, und noch bis hieher erwegen. Dennalles401[397]alles Gute, ſo aus einer Sache erfolget, iſt eine Abſicht, die das weiſeſte Weſen bewegt ſelbige zu machen. (Siehe die erſte Betrachtung §. 14.) Nun aber ſagt Petrus ausdruͤcklich, daß auch die Engel geluͤſtet zu ſchauen die Lei - den, die in Chriſto ſind, und die Herrlichkeit, ſo damit verknuͤpffet. 1. Petr. Cap. 1. v. 11. 12. Diejenigen, welche den Grundtext leſen koͤnnen, belie - ben ſelbigen nachzuſchlagen. Denn nach der teutſchen Ueberſetzung hat es das An - ſehen, als haͤtten die Engel geluͤſtet, das Evangelium zu ſchauen, welches den Menſchen verkuͤndiget worden. Wer aber den Grundtext nachlieſet, wird fin - den, daß ſie geluͤſtet die Leiden Chriſti und ſeine Herrlichkeit zu ſehen, deren v. 11. Erwehnung geſchiehet. Erwegen aber die Engel die Leiden des HErrn und die damit verbundene Herrlichkeit mit be - ſonderer Begierde, wie der Grundtext ſagt; ſo muͤſſen ſie ein beſonder Ver - gnuͤgen an dieſer Betrachtung finden. Mit gleich angenehmer Empfindung be - trachten ſelbige erleuchtete und bekehrte Chriſten, welche ſich ſo weit von dem Jr - diſchen losgeriſſen, daß ſie die Erwegung goͤttlicher Dinge hoͤher achten, als die Empfindung vergaͤnglicher Wolluͤſte. Wir muͤſſen ſolchen, die keine ErfahrungC chier -402[398]hierinne haben, die Moͤglichkeit dieſes Ver - gnuͤgens zeigen. Die Erfahrung lehret, daß vernuͤnftige und artige Schaufpiele auch die Weiſen dieſer Erden beluſtigen, und allen denen ein Vergnuͤgen geben, welche die ordentliche Verbindung ver - ſchiedener Vorſtellungen einſehen Die Erde aber iſt ein Schauplatz, auf wel - chem GOtt ſeine unendliche Vollkom - menheiten auf mancherley Arten offen - bahret. Wen ſolten alſo dieſe goͤttliche Vorſtellungen nicht ergoͤtzen, wenn man die netteſte Verbindung derſelben einſie - het, und ſeine Seele zu ernſthaften und wichtigen Betrachtungen gewoͤhnet. Und wer ſolte derowegen nicht auch die Gnug - thuung JEſu mit einem ſuͤſſen Vergnuͤ - gen bewundern, da ſich in derſelben ver - ſchiedene Eigenſchaften GOttes mit den angenehmſten Farben ſpiegeln, und mit ihr die ſchoͤnſte Reihe der ſeeligſten Ab - wechſelungen in dieſer Welt anfaͤnget. Man wird in einem Schauſpiele demje - nigen Auftritt die Schoͤnheit nicht abſpre - chen, und denſelben ſeiner Aufmerckſam - keit und Bewunderung nicht unwuͤrdig achten, in welchem ein Koͤnig aufgefuͤhret wird, der auf eine geſchickte Art die aller - zaͤrtlichſte Liebe gegen ſeine Unterthanen, die Heiligkeit ſeiner Geſetze und die genaue - ſte Gerechtigkeit durch recht merckliche undbeweg -403[399]bewegliche Proben an den Tag legt. Bey der Gnugthuung JEſu Chriſti aber aͤuſ - ſert ſich die zaͤrtlichſte Liebe GOttes gegen die Menſchen, indem er ſeines eigenen Sohnes nicht verſchonet, ſondern ihn fuͤr uns alle dahin giebt Roͤm. Cap. 8. v. 32. Man erblickt darinne die auf keine Weiſe zu verletzende Heiligkeit ſeiner Geſetze und ſeine unendliche Ge - rechtigkeit. Jſt es nicht eine Probe der zaͤrtlichſten Liebe, daß ſich GOtt ſelbſt mit einem Menſchen in eine perſoͤnliche Vereinigung einlaͤſſet, und unter uns wandelt, damit offenbahr werden moͤge, wie betruͤbt die Folgen der Suͤnden, und was fuͤr Strafen damit verknuͤpfft ſind? Jſt es nicht groſſe Liebe, daß er den Ab - ſcheu vor denſelben dadurch recht groß machen, und uns nicht nur durch ſeine Geſetze, ſondern durch die merckliche That davon abſchrecken und fuͤr Scha - den huͤten will? Jſt es ferner nicht die zaͤrt - lichſte Liebe, daß er uns durch den Tod ſei - nes Sohnes verſichert, er ſorge auch fuͤr die gefallene Menſchen, er wolle ihren Schaden wieder heilen, und ihnen Gna - de wiederfahren laſſen, wenn ſie ihn nur wieder fuͤr ihren Vater erkennen wollen? Man bemerckt aber auch in dieſer Gnug - thuung die Heiligkeit der goͤttlichen Ge - ſetze. Es iſt nichts leichter, als daß dieC c 2Men -404[400]Menſchen ſich uͤberreden: Die Geſetze GOttes ſeyn ſo heilig nicht, und koͤnnen ohne ſonderlichen Schaden verletzet wer - den, GOtt achte die Uebertretung derſel - ben wenig, und es habe alſo nicht viel auf ſich, wenn man ſelbige gleich nicht ſo genau beobachte. Wer die Natur der Suͤnde kennt, und weiß, daß ſelbige eine Quelle, woraus unendlich viel Boͤſes hervorquil - let, wird leicht zugeben, daß dieſer Jrthum hoͤchſt gefaͤhrlich und die ſchaͤdlichſten Fol - gen nach ſich ziehe. Durch den Tod JE - ſu aber wird dieſer Jrthum wiederlegt und kund gethan, wie heilig die Gebote des Hoͤchſten, und wie viel es zu bedeuten habe, wenn man ſelbige gering achtet. Und zu gleicher Zeit aͤuſſert ſich dabey die unendli - che Gerechtigkeit GOttes, doch ſo, daß ſie bußfertigen Suͤndern zu keinem weitern Schrecken gereichet. GOtt offenbahret durch unendlich viel Proben, wie genau er uͤber die Geſetze der Natur halte und alles ſo einrichte, daß das nachfolgende mit dem vorhergehenden genau uͤbereinſtimme, ob es gleich bisweilen ſcheinet, als lauffe es wider die goͤttlichen Vollkommenheiten. Z. E. Gehet der froͤmmeſte Menſch in eine Stube, wo die Peſt iſt, ſo befreiet ihn GOtt durch kein Wunderwerck von die - ſer Kranckheit, ſondern er laͤſſet alles den Geſetzen der Natur gemaͤß erfolgen, obman405[401]man gleich meinen ſolte, es waͤre der Lie - be des hoͤchſten Weſens anſtaͤndiger einen ſolchen Menſchen durch ein Wunder zu er - halten Kommt ein Hagelwetter, ſo ſchmeiſ - ſet ſolches den Acker des Gerechten ſo wol nieder als die Fruͤchte des Ungerechten. Und ſo finden wir uͤberhaupt, daß GOtt von den Geſetzen der Natur ohne die aͤuſ - ſerſte Nothwendigkeit niemahls abgehet. Wir koͤnnen daraus ſchlieſſen: GOtt hat eine Geneigtheit alles ſo zu ordnen, daß die groͤſte Accurateſſe und Uebereinſtimmung darinne zu finden, dergeſtalt, daß das er - ſtere das folgende hervorbringet, und der Erfolg ſo beſchaffen, wie die vorhergehen - den Urſachen es mit ſich bringen. Wer ſolte zweifeln, daß es die Schoͤnheit der Welt vermehre, wenn er in dem Zuſam - menhange der freien Handlungen gleiche Accurateſſe und Uebereinſtimmung beob - achte, und dadurch Proben ſeiner unend - lichen Gerechtigkeit ablege, und daß er ei - ne gleiche Neigung dazu habe? Nun aber fragt ſichs, wie ſoll dieſes geſchehen? Die Menſchen haben geſuͤndiget, und ſich da - durch in die betruͤbten Umſtaͤnde geſetzt, daß ſie aus einem Elend in das andere kommen. Soll hier kein Wunderwerck geſchehen, ſo ſind wir ewig ungluͤcklich. (§ 19.) Soll aber die Allmacht GOttes ſich ins Mittel ſchlagen, ſo iſt keine Ueberein -C c 3ſtim -406[402]ſtimmung da, und der Erfolg iſt den vor - hergehenden Urſachen nicht gemaͤß. Suͤn - den zeugen Ungluͤck und Elend, die All - macht aber ſolte dieſe Folgen hemmen, und die Suͤnder der herrlichſten Vorzuͤge theil - haftig machen. Sehet aber, ihr Sterbli - chen, auf wie eine wunderbahre und weiſe Art GOtt die Suͤnder, welche anders wollen, frei gemacht, und doch auch die Uebereinſtimmung der Dinge in dieſer Welt erhaͤlt und ſeine Heiligkeit in allen Dingen und die Gerechtigkeit in der Ge - ſellſchaft der freien Geiſter offenbahret. Er haͤuffet die Strafen der Suͤnden uͤber ei - nen, welcher im Stande iſt ſelbige in we - niger Zeit zu buͤſſen, und oͤffnet den Suͤn - dern die Thuͤr aus dem Schuldthurm zu gehen, wenn ſie anders nur belieben und ſich des Weges aus demſelben nicht ver - drieſſen laſſen. Leuchten nun aber die un - endlichen Vollkommenheiten des hoͤchſten Weſens auf eine ſo wunderbahre und wei - ſe Art aus der Gnugthuung JEſu hervor, wer wolte denn derſelben und der Reihe der Dinge, ſo ſich darauf gruͤndet, eine nette Schoͤnheit abſprechen, und ſagen, daß ein vernuͤnftiger Geiſt aus ihrer Betrachtung kein Vergnuͤgen ſchoͤpfen koͤnte? Gewiß waͤre eine ſolche Einrichtung in einer er - dichteten Geſchichte von dem Homer,Vir -407[403]Virgil oder Mollier aufgefuͤhret wor - den, ſo wuͤrde ſie auch denen gefallen, die ſie anjetzt verachten. Da ſie aber GOtt auf dem Schauplatz dieſer Erden wuͤrck - lich gemacht, ſo ſoll nichts als unaͤnſtaͤndi - ges Weſen darinne anzutreffen ſeyn. Man dencke aber nicht, daß unſer Verſtand an - jetzt alle Schoͤnheit begreiffet, welche in dem Werck der Erloͤſung durch den Tod Chriſti anzutreffen iſt. Denn wie wenig uͤberſehen wir von der unendlichen Reihe der Dinge, ſo im Himmel und auf Erden damit verknuͤpfft ſind? Es wird alſo dieſe Erkaͤntniß mit gehoͤren unter die Vorzuͤge[j]enes ſeel. Lebens, wo wir auch dieſes Werck Gottes mit mehrer Deutlichkeit und Ver - gnuͤgen betrachten und in demſelben den helleſten Glantz der goͤttlichen Vollkom - menheiten erblicken werden. Wenn denn aber gewiß iſt, daß die Vollkommenheiten GOttes in der Gnugthuung JEſu die hel - leſten Strahlen von ſich werffen, und ſel - bige daher mit der groͤſten Schoͤnheit[p]ranget und vernuͤnftigen Geiſtern zu den angenehmſten Betrachtungen Anlaß gie - bet, ſo iſt auch auſſer allen Zweifel geſetzt, daß dieſes unter andern die Abſicht ge - weſen, welche GOtt bewogen den Suͤn - dern lieber bey einer fremden Gnug -C c 4thuung,408[404]thuung, als ohne dieſelbe Gnade zu er - zeigen. (*)Aus dem, was anjetzt geſagt iſt, kan man auch eigentlicher zeigen, was dasjenige ſey, was GOtt an der erwaͤhlten Art Suͤnde zu vergeben am mehreſten gefaͤllt. Einen Werckmeiſter vergnuͤget dasjenige am mehreſten, was ſeine Wiſſenſchaft und Kunſt am deutlichſten an den Tag leget. Liebet nun GOtt ſich ſelbſten, und belu - ſtiget ſich an ſeinen eigenen Wercken, wie nothwendig iſt, ſo muͤſſen ihm auch dieje - nigen Einrichtungen am angenehmſten ſeyn, welche die beſten Proben und Spie - gel ſeiner unendlichen Vollkommenheiten ſind. Da nun ſelbige ſich auch fuͤr an - dern in der angefuͤhrten Art Suͤndern Gnade zu erzeigen auf das deutlichſte ſe - hen laͤſſet; und beſonders dadurch offen - bahr wird: auch ſeine Gerechtigkeit ſey unendlich und ſuche eine voͤllige Uebereinſtimmung in den Dingen, welche ſich auf die Freiheit der Gei - ſter gruͤnden, ſo muß ihm ſelbige noth - wendig fuͤr andern gefallen.

§. 39.

Dritte wuͤrckli - che Ab - ſicht.
73

Wir gehen weiter und zeigen, daß auch die dritte moͤgliche Abſicht, ſo wir oben §. 34. angefuͤhret, eine wuͤrckliche Abſicht ſey, die GOtt bewogen, eine Gnugthuung zu ſtiften. Alles Gute, ſo mit einer Sache verknuͤpfft iſt, iſt ein Grund, warum GOtt ſelbige wehlet. Die Schrift aber und die Sache ſelbſt erhaͤrten, daß die GnadeGOt -409[405]GOttes, ſo uns durch die Gnugthuung JEſu offenbahr worden, uns die trifftig - ſten Bewegungsgruͤnde an die Hand ge - be, unſer Gemuͤth in eine gute Verfaſſung zu ſetzen, und die Tugend zu ſuchen. Wir muͤſſen alſo zugeben, daß auch dieſes das weiſeſte Weſen angetrieben ohne Gnug - thuung die Suͤnden nicht zu ſchenken. Die Schrift ſagt ausdruͤcklich Tit. Cap. 2. v. 11. 12. Es iſt erſchienen die heilſame Gnade GOttes allen Menſchen, und zuͤchtiget (oder lehret) uns, daß wir ſollen verlaͤugnen das ungoͤttliche Weſen und die weltlichen Luͤſte, und zuͤchtig, gerecht und gottſeelig leben in dieſer Welt. Der Apoſtel verſtehet nach ſeiner Schreibart unter der heilſamen Gnade Gottes nichts anders, als die Gna - de, ſo uns durch Chriſtum erworben wor - den. Von dieſer aber ſchreibt er, daß ſie uns Anleitung gebe und kraͤftiglich antrei - be, die Laſter zu fliehen und der wahren Gottſeeligkeit nachzujagen.

§. 40.

Betrachten wir das Werck der Erloͤ -Fortſe - tzung des vorigen. ſung ſelbſt, ſo iſt es auch nicht ſchwehr zu zeigẽ wie dieſes zugehe. Es offenbahren ſich darinne gantz beſondere Bewegungsgruͤn - de unſer Gemuͤth in eine gute Verfaſſung zu ſetzen. Haͤtte GOtt ohne Gnugthuung die Suͤnde ſchencken und die betruͤbtenC c 5Fol -410[406]Folgen derſelben aufheben wollen, ſo wuͤr - den die Menſchen noch mehr, als jetzo ge - ſchiehet, auf den Wahn gerathen ſeyn: Das heiligſte Weſen ſey gantz gleich - guͤltig bey dem Verhalten der freien Geiſter, und achte die Ordnung und Vollkommenheit in dem Zuſammen - hang der freien Handlungen ſehr wenig. Dieſes Vorurtheil aber wuͤrde ihr Gewiſſen bey den Laſtern in die gefaͤhr - lichſte Sicherheit geſetzt haben. Da GOtt aber ſelbſt eine Gnugthuung veran - ſtaltet, ſo erhellet recht, daß ſeine Heiligkeit unendlich und er ſich auch um die Ordnung und Schoͤnheit der geringſten Dinge be - kuͤmmere. Es wird dadurch offenbahr, wie ſehr ihm die Suͤnden entgegen, indem er ſie nicht einmahl ſchencken wollen, ohne der gantzen Welt auf die nachdruͤcklichſte Art zu zeigen, was die Suͤnden wehrt ſind. Kan ein Vernuͤnftiger hieraus einen an - dern Schluß ziehen als dieſen? Jſt GOtt den Suͤnden ſo zuwider, haſſet er ſelbige dergeſtalt, daß er auch die begangenen Suͤnden nicht einmahl nach einer bloſſen Reue vergeben, ſondern ſeinen unendlichen Abſcheu fuͤr dieſelben, durch die mercklich - ſte Probe zeigen wollen, ſo muß auch ich der Suͤnden abſterben, wenn ich anders in einer ſeel. Gemeinſchaft mit dieſem heilig - ſten Weſen leben will. Siehet GOtt der -geſtalt411[407]geſtalt auf Ordnung und eine vollkomme - ne Schoͤnheit, beobachtet er die Ueberein - ſtimmung aller Dinge (§. 38.) ſo genau, daß er auch nicht einmahl die unſeel. Fol - gen der Suͤnden hemmen wollen, ohne ſie an einem dritten zu offenbahren: ſo muß ich die boͤſen Begierden als die unreineſte Quelle der groͤſten Unordnungen und Un - vollkommenheiten ablegen, wenn ich an den Ort kommen will, wo alles ſchoͤn und herrlich ſeyn ſoll, und wo GOtt den groͤ - ſten Glantz ſeiner unendlichen Vollkom - menheiten in den reineſten und helleſten Strahlen zeigen will. (ſiehe 1. Pet. Cap. 2. v. 24. Roͤm. Cap. 6. v. 11.) Das Werck der Erloͤſung muß uns nothwendig auf dieſe Gedancken bringen: Haͤtte das heiligſte Weſen muthwillige Suͤnder und ruchloſe Geiſter zu Buͤrgern des Himmels machen wollen, was waͤre es noͤthig gewe - ſen, ſeine unendliche Heiligkeit auf eine ſo erſtaunenswuͤrdige Art zu beweiſen? Was waͤre es noͤthig geweſen durch den Tod ei - nes Unſchuldigen die Suͤnder von ihrer Schuld u. Verbindlichkeit zur Strafe und von allem Vorwurff zu befreien, was waͤ - re es noͤthig geweſen ſie durch fremdes Blut zu heiligen, wenn er in jenen ſeel. Auen So - dom wieder aufbauen und ein neues Go - morra aufrichten wolte? Da ſich aber Chriſtus fuͤr uns zu einem Loͤſegeld geben(ſiehe412[408](ſiehe Gal. Cap. 3. v. 13.) und uns durch ſein Blut heiligen muͤſſen, ſo iſt daraus klar, er wolle ſich eine Gemeinde darſtellen, die nicht habe einen Flecken oder Runtzel oder des etwas, ſondern die da heilig ſey und unſtraͤflich Epheſ. Cap. 5. v. 25, 26, 27. (*)Die Gnugthuung JEſu giebt die trifftig - ſten Bewegungsgruͤnde und die kraͤftigſte Verbindung GOtt und Menſchen zu lie - ben, und leitet zu der reineſten Quelle aller Tugenden, ſie erweckt das ſuͤſſeſte Ver - trauen zu GOtt und iſt die angenehmſte Mediein wieder die Unruhe, welche eine lebendige Erkaͤntniß der begangenen Suͤn - den in unſern Gewiſſen verurſachet, und fuͤhret doch dabey, wie ſchon in etwas ge - wieſen worden, die Suͤnder von der Si - cherheit ab. Es verdienet dieſes einer weit - laͤuſtigern Abhandlung, welche daher in dem nechſten Stuͤck dieſer unſerer Betrach - tungen folgen ſoll.

§. 41.

Die Gnug - thuung JEſu iſt vermoͤge der goͤttli - chen Voll - kommen - heiten nothwen - dig.
74

Diejenigen, welche die Lehre von der Gnugthuung JEſu bisher fuͤr ungereimt erklaͤret und dieſerwegen auf das haͤrteſte beſtritten, eroͤffnen uns nun, was in der - ſelben enthalten, ſo mit unendlichen Voll - kommenheiten nicht auf das genaueſte uͤbereinſtimmet. Jſt es dem hoͤchſten We - ſen etwa unanſtaͤndig, daß ſelbiges auf ei - ne allgemeine Uebereinſtimmung, Ord - nung und Schoͤnheit aller Dinge ſiehet,und413[409]und eine ſolche Reihe, in welcher eine groͤſ - ſere Ordnung, Artigkeit und Schoͤnheit anzutreffen, mehr liebt als eine andere von geringerm Wehrte? Oder iſt es zu nieder - traͤchtig, wenn GOtt eine Begierde hat die Unendlichkeit ſeiner Vollkommenheiten zu offenbahren, und durch die mercklichſten Proben zu zeigen, daß auch ſeine Heiligkeit keine Schrancken hat, und daß ſeine Liebe und Gerechtigkeit einander gleich ſind? O - der iſt es der goͤttlichen Majeſtaͤt entgegen, daß ſie den Menſchen den Unfug ihrer Suͤnden, und die unſeeligen Folgen derſel - ben, und die Heiligkeit ihrer Geſetze auf die beweglichſte Art vor Augen legt, und da - durch viele bewegt das Joch unordentli - cher Begierden abzuwerffen und eine wah - re Gluͤckſeeligkeit zu ſuchen? Jch glaube nicht, daß jemand hierinne etwas unge - reimtes und den goͤttlichen Vollkommen - heiten unanſtaͤndiges finden koͤnne. Man begreiffe vielmehr, wie nothwendig es ver - moͤge der unwandelbahren Eigenſchaften GOttes geweſen eine Gnugthuung fuͤr die Suͤnder, denen er ſeine Gnade wolte wie - der anbieten laſſen, zu ſtiften. Haͤtte er auf eine andere Art die Suͤnden vergeben wollen, ſo haͤtte er dadurch die erſte Probe ablegen muͤſſen, daß das vollkommenſte Weſen das Geringere dem Beſſern, das Schlechtere dem Schoͤneren, das Unor -dent -414[410]dentliche dem Ordentlichern vorziehen koͤnne. Wird hiemit aber etwas anders geſagt als dieſes? GOtt haͤtte muͤſſen ſei - ner unendlichen Heiligkeit und Gerechtig - keit abſagen, und die Geſtalt endlicher Geiſter annehmen. (§. 5. 6.) So noth - wendig es derowegen iſt, daß GOtt in allen Dingen ſeiner Heiligkeit und Gerech - tigkeit nachgehet, und folglich das Beſſe - re und Vollkommenere mehr liebet, als das Schlechtere, ſo nothwendig iſt es auch, daß ohne Blutvergieſſen keine Ver - gebung der Suͤnden habe geſchehen moͤ - gen. Hebr. Cap. 9. v. 22.

§. 42.

GOtt iſt durch die Gnug - thuung JEſu ver - ſoͤhnet worden.
74

Die Schrift ſagt, daß GOtt durch das Verdienſt JEſu ſey verſoͤhnt worden. Es ſind viele, welchen dieſe Redensart anſtoͤßig ſcheint, wir wollen ſelbige dero - wegen zum Beſchluß dieſer Betrachtung erklaͤren, und zeigen, daß ſie nichts in ſich enthaͤlt, welches den Vollkommenheiten GOttes entgegen ſeyn koͤnte. Es iſt aber noͤthig, daß wir erſt beweiſen, daß dieſe Redensart wenigſtens der Bedeutung nach in der Offenbahrung enthalten. Denn diejenigen, ſo ſie verwerffen, leug - nen dieſes. Wir leſen aber Roͤm. Cap. 5. v. 8. 9. folgendes: GOtt preiſet ſeineLiebe415[411]Liebe gegen uns, daß Chriſtus fuͤr uns ge - ſtorben iſt, da wir noch Suͤnder waren. So werden wir je vielmehr durch ihn be - halten werden fuͤr dem Zorn, nachdem wir durch ſein Blut gerecht worden ſind. Denn ſo wir GOtt verſoͤhnet ſind durch den Tod ſeines Sohnes, da wir noch Feinde waren, wie vielmehr wer - den wir ſeelig durch ſein Leben, ſo wir nun verſohnet ſind. Hier iſt zu unterſuchen, ob die Worte: Wir ſind Gott verſoͤhnet, dieſe Bedeutung haben, der Zorn Got - tes wider uns iſt geſtillet und er ge - gen uns verſoͤhnet worden: oder ob ihr Sinn iſt, die Menſchen hatten eine Feindſchaft wider Gott und ſelbige iſt gedaͤmpfet und ſie ſind alſo gegen GOtt verſoͤhnt worden. An einigen Orten ſcheint die letztere Erklaͤrung moͤg - lich zu ſeyn: Dieſe Stelle aber beweiſet, daß Paulus mit dieſer Redensart andere Gedancken verbindet. Er ſchreibt: wir werden behalten werden fuͤr dem Zorn, d. i. wir werden errettet und erhalten werden, daß uns der Zorn nicht ſchadet. Wir wollen erſt fragen: Wem iſt der Zorn zu - zueignen, fuͤr welchem wir ſollen erhalten werden. Zielet Paulus auf den Zorn der Menſchen, welchen ſie nach der gegenſeiti - gen Meinung gegen GOtt haben? Kei - nesweges. Denn ſonſt muͤſte es heiſſen:wir416[412]wir SJND befreiet von dem Zorn, nachdem wir gerecht und verſoͤhnet worden. Denn kan man von dem wol ſagen, daß er von ſeinem Zorn werde be - freiet werden, und daß deſſen Grimm wer - de nachlaſſen und geſtillet werden, der doch ſchon verſoͤhnet iſt? Nun ſchreibt aber Paulus von den Bekehrten und Freunden GOttes, unter welchen er ſelbſt einer der vornehmſten war, daß ſie wuͤrden behal - ten fuͤr dem Zorn: er muß alſo nicht von ihrem eigenen Zorn, ſondern von dem Zorn GOttes reden. Er redet nemlich von dem Zorn GOttes, welcher bleibet uͤber den Unglaͤubigen Joh. Cap. 3. v. 36. und welcher dereinſten vom Himmel wird offenbahret werden uͤber alles gott - loſe Weſen Roͤm. Cap. 1. v. 18. Er redet von dem Zorn, den er 1. Theſſal. Cap. 1. v. 10. zukuͤnftig nennet, und von welchem er daſelbſt gleichfals verſi - chert, daß er durch JEſum aufgehaben ſey. Nun urtheile aber ein unpartheii - ſcher Leſer, was der Sinn des Paulus ſey, wenn er ſchreibt: Wir werden durch ihn behalten werden fuͤr dem Zorn, nachdem wir durch ſein Blut gerecht worden ſind. Denn ſo wir GOtt verſoͤhnet ſind, durch den Tod ſei - nes Sohnes, da wir noch Feinde waren, vielmehr werden wir ſeelig werden durchſein417[413]ſein Leben, ſo wir nun verſoͤhnet ſind. Jſt es moͤglich, daß man folgendes bey den Worten Paulus gedencket: Wir werden behalten werden fuͤr dem Zorn des gerechten GOttes durch den Tod JEſu, denn durch denſel - ben iſt unſer Zorn geſtillet: oder iſt dieſe Erklaͤrung natuͤrlicher: Der kuͤnf - tige Zorn GOttes wird uns nicht treffen, denn GOtt iſt durch das Blut JESU verſoͤhnet worden: Wir koͤnnen an der Richtigkeit dieſer letz - tern Auslegung deſto weniger zweifeln, weil Paulus ſagt: Wir ſind GOTT verſoͤhnet worden, da wir noch Fein - de geweſen. Koͤnte dieſer Ausdruck ſtatt finden, wenn Paulus Meinung waͤ - re, wir Menſchen ſind gegen GOtt ver - ſoͤhnt worden? Hieſſe dieſes nicht eben ſo viel: Wir haben den Zorn gegen GOTT fahren laſſen, da wir doch noch einige Zeit ſeine Feinde waren: Wer ſiehet nicht den Wiederſpruch, wel - cher in dieſer Erklaͤrung lieget? Es iſt de - rowegen klar: dieſer Spruch redet von einer Verſoͤhnung GOttes durch den Tod JEſu. Hiernach beurtheile man aͤhnliche Schriftſtellen. Z. E. 2 Cor. Cap. 5. v. 19. Eph. Cap. 2. v. 16. Col. Cap. 1. v. 19. 22. 1 Joh. Cap. 2. v. 2.

D d§. 43.418[414]

§. 43.

Exempel einer Ver - ſoͤhnung.
74

Da denn dieſer Satz in der Offen - bahrung lieget: GOTT iſt durch die Gnugthuung JEſu gegen die Menſchen verſoͤhnet worden, ſo wollen wir unter - ſuchen, was fuͤr ein Begriff, der GOtt anſtaͤndig iſt, mit dieſen Worten zu ver - knuͤpfen ſey. Auf der Erden finden wir eine zwiefache Verſoͤhnung. Die eine ſetzt eine unvernuͤnftige und heftige Ge - muͤthsbewegung zum voraus, welche aus einer wuͤrcklichen oder vermeinten Belei - digung eines andern entſtanden, und nach verſchiedenen Umſtaͤnden den Nahmen des Zorns, Haſſes und Rachbegierde be - kommt. Wenn ſelbige bey jemand ge - ſtillet und aufgehaben wird, ſo ſagt man, er ſey verſoͤhnt worden. Die zweyte Art der Verſoͤhnung aber entſtehet, wenn jemand einen vernuͤnftigen und rechtmaͤſ - ſigen Widerwillen gegen eines andern uͤbeles Verhalten hat, und ſich bewegen laͤſſet dieſe widrige Neigung fahren zu laſſen, und ſich gegen den andern wie ſonſt zu bezeigen. Z. E. Ein Kind thut etwas unanſtaͤndiges, und beleidiget da - durch den Vater, der Vater geraͤth dar - uͤber in einen gerechten Eiffer wider daſ - ſelbe, und ſetzt ſich fuͤr ſelbiges gehoͤrig zu zuͤchtigen; das Kind aber bezeugt ei - ne wahre Reue uͤber ſein Vergehen, undſtil -419[415]ſtillet durch ein demuͤthiges Bitten ſeines Vaters Unwillen, ſo ſagt man, der Va - ter ſey verſoͤhnt worden.

§. 44.

Beyderlei Verſoͤhnung kan man uͤber -Was eine Verſoͤh - nung bey einem Men - ſchen ſey? haupt erklaͤren, daß ſie ſey eine Befrie - digung derjenigen widrigen Neigung, welche man gegen eine Perſon gehabt, die etwas wider unſern Willen gethan: oder eine Wiederherſtellung derjenigen Neigung gegen einen Beleidiger, die wir vor der Beleidigung gegen ihn gehabt haben. Bey einem Menſchen, der ver - ſoͤhnt wird, gehet derowegen jederzeit ei - ne Veraͤnderung vor.

§. 45.

GOtt iſt unveraͤnderlich, ſeine Nei -Was eine Verſoͤh - nung bey Gott ſey? gungen und Rathſchluͤſſe ſind ſo alt als ſein Weſen, welches niemals einen An - fang gehabt. Will man derowegen von GOtt ſagen: er werde verſoͤhnt, ſo wird man von dem Begriff der Ver - ſoͤhnung alles dasjenige entfernen muͤſ - ſen, was ſich nur fuͤr endliche und der Veraͤnderung unterworffene Geiſter ſchickt. Man wird die Erklaͤrung der - ſelben ſo einzuſchraͤncken haben, daß man den unendlichen GOTT nicht zu einem veraͤnderlichen Weſen macht. Es wirdD d 2leich -420[416]leichter werden mit dem Wort Verſoͤh - nung den rechten Begriff, ſo GOtt zu - kommt, zu verknuͤpfen, wenn wir uns erinnern, was wir gedencken, wenn wir ſagen: GOtt iſt zum Zorn bewegt worden. Wir wollen damit zu erken - nen geben: Die freien Geſchoͤpfe haben ſolche Handlungen fuͤrgenommen, wider welche GOtt von Ewigkeit her eine Ab - neigung gehabt, und um welcher willen er angefangen ſich gegen die freien Gei - ſter in der Einrichtung dieſer Welt ſo zu verhalten und zu offenbahren, als je - mand zu thun pflegt, der einen gerechten Zorn wider einen Beleidiger hat. (*)Siehe des ſeel. BUDDEI inſtit. Theol. Dogmat. Lib. II. Cap. I. §. XXXII. not. **. QUENSTEDT. Syſtem. Theol. Didact. Pol. Part. III. Cap. III. Membr. II. Theſ. XXV. ſqq. Er hat nemlich angefangen durch unan - genehme Verhaͤngniſſe, ſo er mit derglei - chen Handlungen verknuͤpft, zu zeigen, daß ſie ihm entgegen ſind. Hoͤret GOtt auf mit widrigen Schickſalen gegen die Veraͤchter ſeines Willens zu verfahren, ſo nennen wir ihn verſoͤhnt. Dieſes ge - ſchiehet aber, wenn der Zuſammenhang der freien Handlungen (nexus moralis) der -421[417]dergeſtalt geaͤndert wird, daß ſeine unend - liche Vollkommenheiten und ewige Rath - ſchluͤſſe es zulaſſen ſich wieder durch an - genehme Fuͤgungen als ein gnaͤdiges Weſen ſehen zu laſſen. Wann man derowegen von GOtt ſagt, er ſey ver - ſoͤhnet worden; ſo iſt dieſes die Mei - nung: Der Zuſammenhang der freien Handlungen (nexus moralis) iſt der - geſtalt geaͤndert und eingerichtet worden, daß GOtt nach ſeinen unendlichen Voll - kommenheiten und weiſeſten Rathſchluͤſ - ſen hat koͤnnen anfangen, ſich auch ge - gen die Suͤnder wieder als einen gnaͤdi - gen HErrn zu offenbahren. Hieraus iſt auch leicht zu begreiffen, was dieſe Worte bedeuten: GOtt iſt durch die Gnugthuung JEſu verſoͤhnt wor - den. Der Sinn derſelben iſt: Der Zuſammenhang der freien Handlungen hat durch das Verdienſt JEſu ein ſol - ches Anſehen gewonnen, daß GOtt nach ſeinen Vollkommenheiten, beſonders nach ſeiner unendlichen Heiligkeit, welche die Ordnung, ſchoͤne Uebereinſtimmung und Vollkommenheit aller Dinge auf das genaueſte beobachtet, hat wieder koͤnnen anfangen gegen die Uebertreter ſeines ge - rechteſten Willens ſich als einen gnaͤdigen Vater zu bezeigen. Wir ſehen nicht ab, wie jemand in dieſer Erklaͤrung etwasD d 3finden422[418]finden koͤnne, ſo den Vollkommenhei - ten GOttes zuwider lieffe, und unan - ſtaͤndig waͤre.

§. 46.

Erklaͤ - rung der Redens art: Gott hat ſich ſelbſt ver - ſoͤhnt.
75

Der Heiland hat GOtt verſoͤhnet, (§. 42.) Dieſer aber iſt kein bloſſer Menſch, ſondern auch zugleich GOtt. Joh. Cap. 1. v. 1. 2. 3. 14. 17. GOtt hat ſich derowegen ſelbſt verſoͤhnt. (ſiehe 2 Cor. C. 5. v. 19.) Es halten dieſes eini - ge beſonders von denen, die des DJP - PELS Lehrſaͤtzen gewogen ſind, fuͤr eine ſo ungereimte Folge, daß ſie meinen, es hebe ſelbige allein die gantze Lehre von der Gnugthuung und Verſoͤhnung Chri - ſti auf. Jch finde aber auf ihrer Sei - te den Fehler, daß ſie dieſe Redensart entweder gar nicht, oder nicht recht er - klaͤren. Nach unſerer Beſchreibung koͤnnen wir nichts ungereimtes darinne antreffen. Denn nach derſelben iſt der Verſtand dieſer Worte folgender: GOtt hat den Zuſammenhang der freien Handlungen der Menſchen in ſolche Verfaſſung geſetzt, daß er nach ſeiner unendlichen Heiligkeit hat koͤnnen wieder anfangen gegen die Suͤnder auf die or - dentlichſte und weiſefte Art Gnade zu of - fenbahren. Was iſt nun hierbey den Vollkommenheiten GOttes zuwider undunan -423[419]unanſtaͤndig? Jſt dieſes unendlichen Vollkommenheiten entgegen: auf hoͤ - ren die Suͤnder mit Strafen heim - zuſuchen, und wieder anfangen ſie durch angenehme Gnadenbezeu - gungen gluͤcklich zu machen: Oder ſtreitet dieſes mit einem unendlichen We - ſen: auf eine ſolche Art, welche der weiſeſten Heiligkeit und Gerechtig - keit am gemaͤſſeſten iſt, d. i. auf die ordentlichſte, vollkommenſte und netteſte Art Gnade erzeigen? Ge - wiß keines von beyden. Es wird dero - wegen auch dieſer Satz nicht ungereimt koͤnnen genannt werden: GOtt hat ſich ſelbſt verſoͤhnt.

D d 4Anhang424[420]

Anhang zu der Achten Betrachtung, Darinne Verſchiedene Bewegungsgruͤnde zur Tugend aus der Gnugthuung JEſu hergeleitet werden.

§. 1.

Es giebt mancher - lei Bewe - gungs gruͤnde zum Gu - ten.
75

Es giebt vielerlei Bewegungs - gruͤnde, die uns reitzen koͤnnen das Gute zu thun und das Boͤ - ſe zu laſſen, die Tugend zu lieben und die Laſter zu verabſcheuen. Die erſten liegen in der innern Beſchaffenheit des Boͤſen und Guten ſelbſt. Das Gute hat die Natur, daß es freie Geiſter gluͤcklich und vergnuͤgt macht; das Boͤ - ſe aber ſtuͤrtzt vermoͤge ſeines inneren Weſens den, der es liebt, in Ungluͤck. (ſiehe Betracht. VIII. §. 9.) Die Na - tur des Boͤſen und Guten befiehlt uns daher ſchon, was wir thun und laſſen muͤſſen, wenn wir anders der natuͤrli - chen Begierde zur Gluͤckſeeligkeit gemaͤß leben wollen. Die Natur der boͤſen und guten Handlungen, und die Reihe derDin -425[421]Dinge, in welche ſie uns ſetzen, verbin - det uns ſchon die Tugend auszuuͤben, die Laſter aber zu meiden. Dieſe Ver - bindlichkeit wird zweytens erhoͤhet durch die Vollkommenheiten GOttes und die Verhaͤltniß, welche wir zu ihm haben. GOtt als das heiligſte Weſen muß das Vollkommene und Gute nothwendig lie - ben, und wie dieſe Liebe zum Guten kei - ne Einſchraͤnckungen hat, ſo muß auch ſein Abſcheu fuͤr das Boͤſe unendlich ſeyn. Eine Welt, in welcher alle Kraͤf - te durch eine angenehme Uebereinſtim - mung zur Vollkommenheit und Schoͤn - heit wuͤrcken, muß ihm mehr gefallen als ein Zuſammenhang, in welchem ei - nes wider das andere lauft und viele Un - ordnung der Vollkommenheit deſſelben entgegen iſt. Da nun aber die guten Handlungen der freien Geiſter eine Welt vollkommener und ſchoͤner machen, die Laſter aber den angenehmſten Zuſam - menhang der Dinge verderben und ihm ein traurig Anſehen geben; ſo iſt gewiß, ſein Wille gehet dahin, daß die vernuͤnf - tigen Geiſter ihre Perſon ſo ſpielen, als die Vollkommenheit der Welt es erfor - dert. Wir ſind ſein Geſchoͤpf, ſeine Guͤte iſt es, daß wir ſind, da wir vor - her nichts geweſen, ſeine Guͤte iſt es, daß wir vernuͤnftig gedencken koͤnnenD d 5und426[422]und dadurch vieles Vergnuͤgens faͤhig werden. Unſer Seyn ſtehet in ſeiner Hand, das Wort, ſo unſere Kraͤfte aus dem Nichts hervorgerufen, kan uns Au - genblicks in daſſelbe wieder verſencken. Es iſt daher unſtreitig, wir ſind ſchul - dig ihn als unſern HErrn zu verehren und ſeinem Willen uns zu unter - werffen. Es ſtehet ferner in ſeiner Hand uns in angenehme oder betruͤbte Umſtaͤn - de zu ſetzen. Es ſind in der Welt Pa - radieſe aber auch Zucht - und Marter - haͤuſer. Dieſe ſind den Ungehorſahmen zur Furcht und Strafe, jene erwecken bey den Vernuͤnftigen eine kindliche Lie - be und Ehrfurcht, indem ſie ihnen zur Belohnung gebauet. Auch dieſes ſind daher trifftige Bewegungsgruͤnde dem Guten nachzujagen. Endlich iſt auch das Werck der Erloͤſung reich an ſol - chen Gruͤnden, die einen vernuͤnftigen Menſchen bewegen muͤſſen den hoͤchſten Grad der Tugend zu ſuchen. So wol die Begnadigung des Suͤnders als die weiſe Art derſelben, da GOtt die Men - ſchen bey einer fremden Gnugthuung, ſo er ſelbſt geſtiftet, zu der verlohrnen Gluͤckſeeligkeit wiederzubringen trachtet, verbindet und treibet uns an, die Laſter zu fliehen und uns als heilige Buͤrger des heiligſten GOttes zu bezeigen. DieBewe -427[423]Bewegungsgruͤnde zum Guten, die aus der Erloͤſung Chriſti begriffen werden, unterſcheiden eben die Chriſtliche Sitten - lehre von andern Moralen. (*)Siehe des Herrn WOLFFENS ver - nuͤnftige Gedancken von der Men - ſchen Thun und Laſſen. §. 677.Sie verdienen derowegen von einem Chriſten oft erwogen zu werden. Einige davon ſind in der vorhergehenden Betrachtung beſonders aus der Gnugthuung JEſu hergeleitet worden. Wir wollen un - ſerem damahls gethanen Verſprechen gemaͤß, noch einige, welche die Schrift aus dieſem wichtigen Wercke ſchlieſſet, hiermit anfuͤhren.

§. 2.

Ueberhaupt wird die SchuldigkeitErklaͤ - rung der Worte 1 Cor. C. 6. v. 20. GOtt mit aufrichtigem Hertzen zu die - nen und JEſu zu leben und zu ſterben aus ſeiner Gnugthuung hergeleitet. Pau - lus ſchreibt 1. Cor. Cap. 6. v. 20. Jhr ſeyd theuer erkaufft, ſo preiſet Gott an eurem Leibe und in eurem Gei - ſte, welche ſind GOttes. Wir wollen die Worte deutlich machen und alsdenn dem Zuſammenhang der Sacheſelbſt428[424]ſelbſt nachdencken. Paulus ſchreibt: Jhr ſeyd theuer erkaufft. Er zielet ohn allen Zweifel auf den Handel, der damahls mit Knechten und Maͤgden ge - trieben wurde, als welche auch bey den Griechen unter der Leibeigenſchaft ſtun - den, und von dem einen Herrn an den andern verkaufft wurden. Wer eine ſol - che Perſon erhandelte, bekam ein Recht nach ſeinem Belieben uͤber ſie zu befeh - len, und ein ſolcher Knecht oder Magd war ſchuldig zu thun, was ihr Herr nur verlangete, und alles, was ſie hat - ten und erwurben, gehoͤrete dem Herrn. So, ſchreibt Paulus, waͤren die Glaͤu - bigen anzuſehen, ſie waͤren theuer erkaufft und ihr Leib und Seele waͤren GOttes: darum ſolten ſie GOtt mit beyden prei - ſen und verherrlichen. Dieſes letztere Wort iſt zwar dem Laut nach bekant genug; weil aber die wenigſten, welche ſelbiges gebrauchen, einen rechten Be - griff damit zu verknuͤpfen wiſſen, ſo wollen wir daſſelbe erklaͤren. Das Griechiſche Wort, ſo hier ſtehet, bedeu - tet mehr, als wir mit einem Teutſchen Worte ausdruͤcken koͤnnen. Es heiſſet fuͤr den andern eine groſſe Hochachtung haben und von ſeinen Vollkommenhei - ten ein liebreiches Urtheil faͤllen. Es bedeutet auch das, was wir Teutſchenehren429[425]ehren nennen, nemlich durch allerhand aͤuſſerliche Merckmahle ſehen laſſen, daß man fuͤr jemand eine innere Hochach - tung habe und ſeine Vollkommenheiten zu ſchaͤtzen wiſſe. Endlich wird durch dieſes Wort auch angezeiget, was wir ruͤhmen und loben nennen, da man ſich bemuͤhet nicht nur eines Vollkommen - heiten bekant zu machen, ſondern auch andere dahin zu bewegen, daß ſie gleiche Hochachtung fuͤr ſelbige haben. Wer alſo alles thut, was durch dieſes Wort angedeutet wird, der hat eine liebreiche Hochachtung gegen den andern, und laͤſ - ſet ſelbige auf alle Weiſe blicken, damit ſo wol andere dieſe Hochachtung erken - nen, als auch zu einer gleichen Vereh - rung bewogen werden. Wir wollen noch naͤher an dem Exempel eines Kin - des zeigen, wie man jemand ehren und bey andern verherrlichen koͤnne. Ein Kind ehret ſeine Eltern erſtlich, wenn es ſeine innere Hochachtung durch liebreiche Worte und demuͤthige Geberden an den Tag leget. Zweytens ehret ein Kind ſeine Eltern in einem noch hoͤhern Grad, wenn es ſich aus Liebe gegen ſie[i]n allen Dingen nach ihrem Willen[r]ichtet, und durch einen unterthaͤnigen Gehorſam ſich ihnen ſucht gefaͤllig zu nachen. Den hoͤchſten Grad der Ehrezei -430[426]zeiget ein Kind denen, von welchen es gezeuget und erzogen worden, wenn es ſo wol durch Worte, als beſonders durch viele Tugenden und Vollkommenheiten andere dahin bewegt, daß ſie ſeine El - tern lieben und ehren. Und auf gleiche Weiſe kan ein Knecht ſeinen Herrn, bey welchem er einige Zeit dienet, ehren und zum Ruhm gereichen. (*)Ein Knecht ehret gleichfals ſeinen Herrn, wenn er uͤberhaupt eine wahre und auf - richtige Hochachtung gegen denſelben ſe - hen laͤſſet, und ins beſondere durch ei - nen unterthaͤnigen und liebreichen Ge - horſahm an den Tag leget, er erkenne ſei - nen Herrn fuͤr einen ſolchen, dem er Hochachtung und Unterthaͤnigkeit ſchul - dig. Endlich ehrt er ſeinen Herrn und macht ihm Ehre, wenn er deſſelben Voll - kommenheiten bey andern ruͤhmet, und ſich ſelbſt bey jederman wohl auffuͤhret. CORNELIUS NEPOS legt es dem At - ticus einem vornehmen Roͤmiſchen Rit - ter zu einem beſondern Ruhme aus, daß er geſchickte und wolgezogene Knechte gehabt. (ſiehe das Leben des Atticus Cap. 13.) Die Tugenden ſo wol eines Kindes als eines Knechts gereichen deß - wegen dem Vater und dem Herrn zu ei - ner Ehre, weil man ihre gute Einrich - tung und eigene Vollkommenheiten dar - aus abnehmen kan und von dem KindeundDa wirnun431[427]nun als Kinder und Knechte GOTTes koͤnnen angeſehen werden, ſo begreiffe man aus dem vorhergehenden, was Paulus haben will, wenn er ſchreibt: preiſer GOtt an eurem Leibe und in oder durch euren Geiſt. Es heiſ - ſet dieſes: Habt eine wahre Hochach - tung gegen GOtt und laſſet ſelbige auf alle Weiſe ſehen. Beſonders offenbah - ret ſelbige durch einen heiligen Gehor - ſahm. Alle Bewegungen des Leibes und der Seele ſuchet nach ſeinem heiligſten Willen einzurichten. Beyder Vermoͤ - gen brauchet, wie es ſeine weiſen Abſich - ten erfordern und ſeyd treu in dem Be - ruf, in welchen er euch ſetzet. Ueber - haupt ſehet dahin, daß ihr ſeinem Mei - ſterſtuͤcke, dieſer Welt, zu keinem Uebel - ſtande und Unehre gereichet, ſondern laſ - ſet euer Licht, das Licht eurer goͤttlichen Erkaͤntniß und Tugenden leuchten vor den Leuten, daß ſie eure gute Wercke ſe - hen und gleichfals GOtt zu preiſen be - wogen werden. Man erkenne hieraus, wie man GOtt auch beſonders durch al - lerhand Arbeit ſeines Berufs ehren und preiſen koͤnne. Auch ein Tageloͤhnerehret(*)und Knechte einen Schluß auf den Va - ter und den Herrn macht.432[428]ehret GOtt mit ſeiner Arbeit, wenn er die Abſicht dabey hat den gnaͤdigen Willen ſeines GOttes dadurch zu er - fuͤllen, im Schweiß ſeines Angeſichts ſich ehrlich zu ernehren und etwas gutes und nuͤtzliches in der Welt zu verrich - ten.

§. 3.

Erklaͤ - rung der im obigen Spruche enthalte - nen Sa - che.
78

Die Worte unſers angezogenen Spruches ſind nunmehr deutlich, wir eroͤrtern zweytens die Buͤndigkeit des Schluſſes, den ſie ausdruͤcken, und zei - gen, wie uns die Gnugthuung JESU verbindet uns als ein Eigenthum GOt - tes gehoͤrig zu bezeigen. Jhr ſeyd theuer erkaufft. Hierinne wird der Grund angezeiget, warum wir GOtt eigen und ihm zu dienen ſchuldig ſind. Ein jeder ſiehet, daß dieſe Redensart verbluͤmt iſt, denn im eigentlichen Ver - ſtande kan uns GOTT nicht kauffen, denn wir ſind ſchon durch die Schoͤpfung und Erhaltung ſein Eigenthum. Wir wollen dieſe Sache erſt voͤllig mit ihrer verbluͤmten Decke fuͤrtragen und hernach dieſe Decke davon hinwegnehmen. Die Schrift ſagt, daß wir vor der Bekeh - rung und Rechtfertigung Knechte der Suͤnden ſind, und von derſelben den Todzum433[429]zum Lohne davon tragen. Nach der Bekehrung und empfangenen Gnade GOttes durch Chriſtum nennet ſie uns Knechte der Gerechtigkeit und GOttes, deren Belohnung ein ewiges Leben iſt. Roͤm. Cap. 6. v. 16-22. GOtt habe uns nemlich durch einen ſehr theuern Preiß durch das Blut JEſu von der Knecht - ſchaft der Suͤnde losgekaufft, damit wir wieder bey ihm Dienſte annehmen moͤch - ten 1. Petr. Cap. 1. v. 18. 19. So bald der Menſch ſich nun bequehmte dieſe Be - freiung anzunehmen, waͤre er ſchuldig ſich als einen treuen Knecht GOttes zu be - weiſen, denn Leib und Seele waͤren ohne dem GOttes. Eigentlich verhaͤlt ſich die Sache folgender Geſtalt. Der Menſch iſt nach dem Falle einem ſehr ſtarcken Triebe zum Boͤſen unterworffen. Wir ſind von Natur ſo ſehr zu unor - dentlichen Bewegungen geneigt, daß wir ihnen nicht allezeit wiederſtehen koͤnnen. Daher ſpricht die Schrift, daß wir von Natur unter die Suͤnde verkaufft und Knechte derſelben ſind. Roͤm. Cap. 7. v. 14. Cap. 6. v. 17. Dieſe verderbte Begierden wuͤrcken die betruͤbteſten Fol - gen, welche die Schrift der Suͤnden Sold nennet. Roͤm. Cap. 6. v. 23. Un - ſere Kraͤfte reichen nicht zu, weder die ſinnlichen Begierden noch die unſeeligenE eFol -334[330]Folgen derſelben aufzuheben. Es iſt noͤ - thig, daß, wenn wir durch ſelbige nicht ewig ſollen ungluͤcklich werden, eine auſ - ſerordentliche Gnade GOttes uns beſſe - re. (Siehe Betracht. VIII. §. 19.) Sol - len wir einer wahren Gluͤckſeeligkeit wie - der faͤhig werden, ſo muß die groͤſte Ver - aͤnderung in unſerer Seele vorgehen. Der Verſtand muß durch die Erkaͤnt - niß des Heils erleuchtet und der Wille von den boͤſen Begierden befreiet und zum heiligen Gehorſahm gegen die Ge - ſetze des Reiches GOttes gebracht wer - den. Dieſe ſeelige Veraͤnderung muß in dieſem Leben durch das goͤttliche Gna - dengeſchenck des Worts den Anfang nehmen und nach dem Tode vollendet werden. So bald wir anfangen den boͤſen Neigungen uns mit Ernſt zu wie - derſetzen und den heilſamen Verordnun - gen des Reichs GOttes uns zu unter - werffen, nennt uns die Schrift Knechte GOttes. Die Gnade GOttes muß uns derowegen durch das Wort aus Knech - ten der Suͤnden d. i. der ſuͤndlichen Be - gierden zu ſeinen Knechten machen. Die Uebereinſtimmung, Vollkommenheit und Schoͤnheit der Dinge hat aber erfordert, daß der heiligſte GOtt uns ſeine Gna - de hierzu ohne die Gnugthuung JEſu nicht angedeihen lieſſe und zu ſeinenKnech -435[431]Knechten wieder machte und annaͤhme. (Siehe Betracht. VIII. §. 37. u. f.) Das Verdienſt JEſu beſonders ſeine Leiden werden daher der Wehrt genant, dadurch uns die Freiheit erkaufft wor - den, daß wir das Joch der Suͤnde ab - legen und in dem Dienſte GOttes ſeelig werden koͤnnen. Das Leben und das Blut Chriſti ſind etwas Koſtbahres; Da nun beydes fuͤr uns dahin gegeben, ſo ſind wir theuer erkaufft. GOtt hat, damit wir auf eine weiſe Arth von der unſeeligen Sclaverei der Suͤnden moͤch - ten frei werden, ein Werck von dem hoͤchſten Wehrt geſtiftet. Da nun der Schoͤpfer, dem wir ohne dem durch die Schoͤpfung eigen ſind, ſo viel gethan, daß wir den Dienſt der Suͤnden moͤgen aufſagen und in ſeinem Dienſt unſere wahre Gluͤckſeeligkeit ſuchen, ſo hat er auf mehr als einerlei Weiſe ein Recht an unſerem Leibe und an der Seele. Wir ſind daher ſchuldig, ſelbige nach ſeinem Belieben und zu ſeiner Ehre zu gebrau - chen. Es iſt derowegen klar, die Gnug - thuung JEſu verbindet uns aufs neue Leib und Seele dem Dienſt und der Eh - re GOttes zu widmen.

§. 4.

Wir wollen die Verbindlichkeit GOttDie Gnug - thuung zu dienen und zu ehren, welche aus derE e 2Gnug -436[432]JEſu ver - bindet uns uͤber haupt GOtt zu ehren und ihm treu zu ſeyn.Gnugthuung JEſu flieſſet, denen Unge - lehrten in einem Gleichniß begreiflicher machen: Denen aber, welche auch die Wahrheiten der Chriſtlichen Religion gerne mit andern Wahrheiten verknuͤpf - fen, wollen wir dieſe Verbindlichkeit in einem Zuſammenhang mit den nechſten Gruͤnden der natuͤrlichen Rechte vorle - gen. Man nehme an, eine Anzahl leib - eigener Knechte verlieſſen den Dienſt ih - res Herrn, geſelleten ſich zu einer Bande wilder Raͤuber, und verpflichteten ſich bey dieſer grauſamen Geſellſchaft zu le - ben und zu ſterben, legten auch zur Ver - ſicherung ihrer Treue ſolche Feſſeln an, welche ſie auſſer den Stand ſetzten jemahls durch die Flucht von der Bothmaͤßigkeit dieſer Bande ſich frei zu machen. Man ſetze, ſie fiengen an ihres eigenen Herrn Guͤter zu berauben, und ſuchten noch an - dere Knechte zu einer gleichen Untreue zu verfuͤhren. Man ſetze ferner, in dieſer Raͤubergeſellſchaft gienge es ſo zu, wie die Eigenſchaften ſolcher Gemuͤther es mit ſich bringen. Sie machten ſich ei - nige gute Tage, wenn ſie eine gute Beute erhaſchet, waͤren aber dabey unmaͤßig, erhitzten ſich durch ſtarck Getraͤncke, ge - riethen in Schlaͤgereien, und verletzten einander auf das grauſamſte. Es aͤuſ - ſerte ſich nicht gleich eine neue Gelegen -heit437[433]heit zum Raube, und muͤſten daher auch einige Zeit darben. Der Herr ſelbſt lieſ - ſe ihnen auch oͤfters nachſetzen und Scha - den zufuͤgen, und beſchloͤſſe endlich gar ſie mit einem Heer aufbringen zu laſſen und zu einem beſchwerlichen Feſtungsbau zu verdammen. Er wolte aber vorher, um ſeine Gnade und erhabenes Gemuͤth zu offenbahren, ſeine Knechte zur Umkeh - re und Gehorſahm ermahnen und ihnen Vergebung ihres Unrechts antragen laſ - ſen. Und damit ſie die Feſſeln, die ih - nen angelegt, zerbrechen und ſich von der Raͤuberbande losmachen koͤnten, ſchick - te er ihnen ſelbſt Jnſtrumente, womit ſie dieſes ausrichten moͤchten. Daß er ſie aber ſo wol ſeiner Gnade verſicherte, als auch ſeinen Haß gegen ihre Bosheit recht deutlich offenbahrte und ſie deſto mehr von ihrer Raſerei abſchreckte, ſchickte er ſeinen eigenen Sohn unter ſie, lieſſe ih - nen durch denſelben Gnade und Ungnade verkuͤndigen, und zugleich an ihm zeigen, was ſie verdienet, und wie er mit ihnen verfahren wuͤrde, wenn ſie ſich nicht be - kehren und von ihrer Bosheit abſtehen wuͤrden. Er lieſſe ihnen unter den un - treuen Knechten mit einer beſchwerlichen Bande einhergehen und mit ſolchen Jn - ſtrumenten arbeiten, als auf einer Feſtung gebraucht werden. Er lieſſe ihm ſchlechtE e 3Eſſen438[434]Eſſen und Trincken geben und das elen - deſte Lager anweiſen, und daneben von einem ſcharffen Zuchtmeiſter hart tracti - ren, um die abtruͤnnigen Knechte auf das lebhafteſte von ſeinem gerechten Eifer zu uͤberfuͤhren. Geſetzt der Herr veranſtal - tete alles dieſes, wird man nicht glauben, daß er dadurch ſich ſeine Knechte auf das neue verbunden und ihnen die trifftigſten Urſachen gegeben umzukehren und in die vorigen Dienſte zu treten? Wird man nicht diejenigen, ſo dennoch halsſtarrig bleiben, gedoppelter Strafe, diejenige aber, ſo zuruͤck kommen, zwiefacher Treue ſchuldig achten? So aber hat es GOtt mit uns Suͤndern gemacht. Wir wa - ren durch die Schoͤpfung ſeine Knechte. Uns lag ob in dem Dienſt treu zu ſeyn, in welchen uns unſer HErr geſetzet. Wir waren verbunden ſeinen heiligſten Wil - len als die Richtſchnur aller unſerer Hand - lungen mit aufrichtigen Gehorſahm zu - verehren. Wir aber ſind abtruͤnnig wor - den, und haben uns zu den untreuen En - geln geſellet und deren Herrſchaft uns unterworffen. Wir haben die betruͤbte - ſte Bande unſeeliger Begierden angelegt, ſo daß wir vor uns gar nicht im Stande ſind uns von der Obrigkeit der Finſterniß loß zu machen. Wir beunruhigen das Reich GOttes, und machen uns ſelbſt un -ter439[435]ter einander ungluͤcklich. Wir ſind daher der haͤrteſten Strafe wehrt, und wuͤrden ſelbige ewig empfinden muͤſſen, wenn die unendliche Gnade GOttes nicht Mitleiden mit uns Elenden haͤtte. Da aber die Liebe des Schoͤpfers gegen uns zu groß, ſo hat er uns nicht nur in ſeinem Worte unter ge - wiſſen Bedingungen der Weißheit Ver - gebung ankuͤndigen laſſen, und wieder in ſeinen Dienſt gerufen und uns bey der gerechteſten Strafe fuͤr wiederſpaͤnſtiger Hartnaͤckigkeit gewarnet; ſondern hat auch ſo gar ſeinen eingebohrnen Sohn geſandt, und uns durch denſelben ſeiner Gnade verſichert, die verſchertzte Seelig - keit erwerben laſſen, aber auch an ihm zu unſerer Warnung gezeiget, was die Suͤnde vermoͤge ſeiner Heiligkeit nach ſich ziehe. Ueberdem hat er uns auch hinlaͤngliche Kraͤfte geſchencket das Joch der unſeeligen Begierden zu zerbrechen und abzuwerffen. Bedenckt, Sterbli - che, ſolten dieſe gnaͤdigen Bemuͤhungen GOttes, die er ſich um unſere Wol - fahrt gegeben, uns nicht verbinden ihm treu zu ſeyn? Solte ſeine Liebe nicht Ge - genliebe, ſein gnaͤdiger Ruf eine wil - lige und freudige Folge und ſeine treuen Warnungen einen ehrerbietigen Gehor - ſahm verdienen? Solte endlich das Blut JEſu, ſo er fuͤr uns vergoſſen, nicht dieE e 4ge -440[436]geringſte Schuldigkeit auf uns bringen ihm zu leben und zu ſterben? Erwegt Menſchenkinder, was fuͤr ein Urtheil ihr uͤber einen Knecht ſprechen wuͤrdet, um welchen ihr ſo viel gethan, und der ſich dennoch dadurch nicht zu der gering - ſten Ehrerbietung bewegen lieſſe? Gewiß es wuͤrde nach eurem Urtheil dem hals - ſtarrigen Ungehorſahm und der verhaͤrte - ten Bosheit eines ſolchen Knechtes ge - maͤß ſeyn, daß man ihn ſo lange aller Gna - denbezeigungen unwuͤrdig achtete, als ſeine verſtockte Haͤrte unerweichlich waͤre. Jhr wuͤrdet ihn wuͤrdig achten, daß er haͤrtere Strafe empfaͤnde, als ein ander Knecht, der bey geringern Wolthaten ſeines Herren einige Untreue bewieſen. Man begreiffe hieraus, wie groß die Boß - heit derer, welche ſich durch alles, was GOtt gethan, zu keiner treuen und lieb - reichen Ehrerbietung gegen denſelben be - wegen laſſen. Man begreiffe, daß ſie gedoppelte Streiche verdienen.

§. 5.

Dieſe Verbind - lichkeit wird mit mehrerm betraͤfti - get.
78

Wir wollen eben dieſe Verbindlichkeit der Erloͤſeten, ihrem Herrn treu zu ſeyn, aus Gruͤnden des natuͤrlichen Rechtes herleiten. Wir wuͤrden hierbey auf die erſten Gruͤnde zuruͤck gehen, wenn ſich bey denſelben nicht eine gar zu groſſe und hefftige Uneinigkeit der Gelehrten zeigte. Da441[437]Da aber der eine diejenigen Gruͤnde fuͤr albern ja atheiſtiſch haͤlt, welche nach an - derer Einſicht die natuͤrlichſten, feſteſten und deutlichſten ſind, ſo wollen wir die Verbindlichkeit, welche aus der Gnug - thuung JEſu entſpringet, nur mit einem ſolchen Satze verknuͤpffen, worinne die Lehrer des natuͤrlichen Rechts mit einan - der uͤbereinſtimmen. Niemand wird leicht dieſen Satz leugnen: Je mehr Muͤhe man ſich giebt, und je mehr und je koſtbahrere Mittel man an - wendet, einen, der ſich durch Un - treue an ſeinem gerechten Herrn ver - ſuͤndiget, zur Erkaͤntniß ſeines Ver - brechens, zum neuẽ Gehorſahm und Liebe zu bewegen; deſto groͤſſer wird ſeine Schuldigkeit umzukeh - ren und ſeine Pflicht mit genauer Aufrichtigkeit zu leiſten. Setzet ein ſolcher alle liebreiche Vorkehrungen, die ſein Herr ſeinetwegen macht, aus den Au - gen und verachtet ſelbige, oder begehet nach kurtzen aͤhnliche Untreue, ſo wird Nie - mand zweifeln, daß er deſto groͤſſerer Strafe wuͤrdig ſey. Man ſtelle ſich ei - nige Soldaten fuͤr, die einem Herrn frei - willig die Treue geſchwohren. Man neh - me an, ſie verlaſſen ihren Poſten und flie - hen aus ihrem Dienſt in ein entferntes Land. Man ſetze, der Herr ſchicke ihnenE e 5nach,442[438]nach, laſſe ihnen Gnade anbiethen und ſie ermahnen, ihrem Eide Folge zu lei - ſten, er ſende ihnen gar Geld zu, damit ſie bequehm zuruͤck reiſen koͤnnen:(*)Wir ſetzen hier ein Exempel, dergleichen man in der Welt antrifft, will man noch einige moͤgliche Umſtaͤnde hinzu dichten, ſo wird ſelbiges noch mehr Aehnlichkeit mit der Begnadigung GOttes bey einer Gnugthuung, die er ſelbſt geſtiftet, ha - ben. Man nehme an, dieſe Soldaten haͤtten die Regimentscaſſe beſtohlen, und haͤtten dieſes Geld an fremden Or - ten liederlich durchgebracht. Der Herr aber haͤtte dennoch beſchloſſen ſie zu be - gnadigen, und fuͤr ſie die Regiments - caſſe aus ſeinen eigenen Mitteln zu be - ſriedigen. Er lieſſe ihnen daher dieſe Gnade verkuͤndigen und zuruͤck berufen. Werden dieſe Umſtaͤnde zu dem obigen Exempel hinzu gedichtet, ſo ſtellet ſelbi - ges einiger maſſen die Begnadigung des Suͤnders vor GOtt bey der Gnugthu - ung JEſu fuͤr. Wir ſind untreue Knech - te, wir haben viele Unordnung in die Welt gebracht und dadurch einen groſ - ſen Theil derſelben ſeiner Schoͤnheit be - raubet, (ſiehe Betracht. VIII. §. 8-12. ) dieſe aber hat GOtt ſelbſt durch die Gnugthuung JEſu erſetzet, und uns auf die weiſeſte und guͤtigſte Arth begnadi - get, wenn wir nur ſeine Gnade anneh -men, gewiß jedermann wird zugeben, daß hier -durch443[439]durch ihre Verbindung gegen ihren Herrn groͤſſer werde. Ein jeder wird auch leicht begreiffen, daß ein ſolcher, der ſich dieſes nicht bewegen laͤſſet umzukeh - ren, oder von neuen entweder nachlaͤßig oder gar untreu wird, haͤrterer Strafe wuͤrdig iſt, als ein ander, um den man ſich nicht ſo viel Muͤhe gegeben und dem nicht ſo viel Gnade erzeiget worden. Wir aber ſind in Anſehung GOttes ſol - che untreue Knechte. Wir ſind durch die Schoͤpfung und Erhaltung des ober - ſten Weſens verbunden ihm den aufrich - tigſten Gehorſahm zu leiſten und mit aͤuſ - ſerſtem Fleiſſe dasjenige zu thun, was ſeinen gnaͤdigſten Abſichten gemaͤß iſt und mit der Vollkommenheit ſeines Reichs uͤbereinſtimmet. Wir aber ſind von Natur ſeinen Ordnungen entgegen. Unſere Seele heget Begierden, welche der Ruhe und Gluͤckſeeligkeit der menſch - lichen Geſellſchaft entgegen ſind. GOtt hat alles gethan, daß wir aus der Scla - verei dieſer unſeeligen Begierden moͤch - ten errettet und zu einem ſeeligern Leben bereitet werden. Er hat uns ſein Wortgege -(*)men, zu ihm zuruͤckkehren und ihm mit deſto groͤſſerer Treue anhangen wollen. (Siehe Betracht. VIII. §. 37. u. f.)444[440]gegeben, und darinne das ſchroͤckliche Ende muthwilliger Suͤnder offenbahret, aber auch zugleich Gnade angebothen u. den Weg zum ewigen Frieden gezeiget. Und damit wir ſeine Gnade nicht auf Muthwillẽ ziehen moͤchten, hat er ſeine Ge - rechtigkeit an ſeinem Sohne geoffenbah - ret und an demſelben gezeiget, was wir verdienet. Da nun GOtt ſo viel um die untreuen Menſchen gethan, und um ſie zu gewinnen ſeinen Geliebteſten fuͤr ſie dahin gegeben; ſo iſt klar, daß hierdurch die Verbindung zur Treue, womit wir ihm ſchon verhafftet ſind, ungemein er - hoͤhet, ja auf das hoͤchſte getrieben wird, und unſere Untreue, wenn wir darinne beharren, die haͤrteſte Strafe verdienet. Sollen dieſe vielen Bemuͤhungen GOt - tes um uns, ſoll das Blut ſeines Soh - nes uns nicht zur aufrichtigſten Liebe, zum treueſten Gehorſahm und ehrerbietig - ſten Unterthaͤnigkeit verbinden, ſo haͤuffe ja kein Vater ſeine Klagen uͤber einen ungehorſahmen Sohn deßwegen, weil er alles moͤglich an denſelben gewendet, Nie - mand halte einem falſchen Freunde die Wolthaten fuͤr, die er ihm erwieſen, und kein Herr beſchwehre ſich uͤber den Un - danck eines Knechts, den er als einen Sohn erzogen und gehalten.

§. 6.445[441]

§. 6.

Nachdem wir bewieſen, daß das WerckDie Gnug - thuung Chriſti kan bey rohen Suͤndern Furcht er - wecken. der Gnugthuung JEſu uns uͤberhaupt zur Treue verbindet, ſo wollen wir auch ins - beſondere mit wenigem zeigen, was fuͤr heilige Bewegungen in einer Seele noth - wendig entſtehen muͤſſen, die ſich dieſes Werck mit einem vernuͤnftigen Nachden - cken fuͤrſtellet. Wenn ein roher Suͤn - der dieſe Gnugthuung gehoͤrig uͤberleget, ſo muß die Furcht, welche er fuͤr den Stra - fen GOttes hat, nothwendig vermehret werden: oder hat er von dieſer Furcht noch gar nichts empfunden, ſo iſt dieſes eintzige Werck hinlaͤnglich ſie in ihm zu erwecken. Bedencket ein freches Kind der Finſterniß, GOtt hat einen ſolchen Abſcheu fuͤr der Suͤnde, daß er ſelbige nicht einmahl verge - ben wolle, ohne ſeinen Widerwillen dar - gegen an einem andern recht deutlich zu of - fenbahren, hat er die nothwendigen Folgen der Suͤnden nicht aufheben und uns durch das Wort ſeiner Gnade wider die unſee - lige Knechtſchaft der Suͤnden waffnen wollen, ſo muß nothwendig der Schluß in ihm entſtehen: wie hefftig werden denn ſei - ne Neigungen nicht wider diejenigen ſeyn, welche an der Suͤnde ein ſolches Vergnuͤ - gen finden, daß ſie ſich durch dieſe beſonde - re Offenbahrung ſeiner Gerechtigkeit nicht bewegen laſſen, von derſelben abzuſtehen,und446[442]und die Gnade bis an ihr Ende verachten, die ihnen zu ihrer Errettung aus der Suͤn - de und dem Verderben derſelben angebo - then wird? Ein Suͤnder muß durch die Gnugthuung JEſu, wenn er ſelbige recht erwegt, nothwendig auf die Gedancken kommen: iſt es den unendlichen Vollkom - menheiten GOttes gemaͤß geweſen, ſeinen Abſcheu fuͤr die Suͤnden an einem Unſchul - digen, der in der Suͤnder Stelle tritt, zu zeigen; wie vielmehr wird er nicht gegen diejenigen Rache ausuͤben, welche ſich hierdurch nicht abſchrecken und warnen laſſen, ſondern in ihren Boßheiten fort - fahren, und die angebothenen Gnaden - mittel nicht ergreiffen das Joch boͤſer Begierden abzuwerffen. Ein Suͤnder, ſo bald er nur anfaͤnget mit einiger Ver - nunft und Ueberlegung an die Gnugthu - ung JEſu zu gedencken, muß auf den Schluß kommen: hat Chriſtus einmahl fuͤr meine Suͤnden gnug gethan, und ich will mich dennoch nicht bekehren, ſo wer - de ich endlich ſelbſt meine Boßheit auf das haͤrteſte buͤſſen muͤſſen. Es wird ihm leicht beyfallen, wie man auch in weltlichen Ge - richten eines ſolchen nicht verſchonet, der die Gnade des Richters und die Gnugthu - ung ſeiner Freunde, die etwa ſonſten von dem Gericht angenommen worden, auf Muthwillen ziehet. Der heilige Ver -faſ -447[443]faſſer des Briefes an die Hebraͤer giebt Cap. 10. v. 26. 27. Gelegenheit zu dieſem Schluſſe, wenn er ſchreibt: So wir muthwillig ſuͤndigen, nachdem wir die Erkaͤntniß der Warheit empfan - gen haben, haben wir fuͤrder kein an - der Opfer mehr fuͤr die Suͤnde, ſon - dern ein ſchroͤcklich Warten des Ge - richts und des Feuer-Eiffers, der die Wiederwaͤrtigen verzehren wird. Wenn wir, nachdem uns durch das Evan - gelium die Gnade GOttes in Chriſto und der Friede mit dem Schoͤpfer kund wor - den, fortfahren muthwillig zu ſuͤndigen,(*)Daß die Worte des Apoſtels: muthwil - lig ſuͤndigen, von einer ſolchen vorſetzli - chen Bosheit zu verſtehen, darinne man bis ans Ende fortfaͤhret, nicht aber von ei - ner jeden muthwilligen Ubertretung, dazu ſich etwa ein Bekehrter verleiten laͤſſet, die er aber hernach wieder verabſcheuet, erhel - let aus Offenb. Joh. Cap. 3. v. 19. wo der Biſchoff zu Laodicea, der weder kalt noch warm, ſondern lau war, vermahnet wird Buſſe zu thun und in Ausuͤbung der Chriſtl. Tugenden fleißig zu werden. Waͤre es daher gantz unmoͤglich, daß je - mand, der die Erkaͤntniß Chriſti erlanget, und ſich nachher wieder zu den Suͤndern geſellet, von neuen bekehrt und zu Gna - den angenommen wuͤrde, ſo wuͤrde auch dieſer Biſchoff nicht haben zur Buſſe koͤnnen ermahnet werden.und448[444]und die angebothene Gnade nicht zur Beſ - ſerung anwenden, ſondern auf Muthwil - len ziehen, ſo doͤrffen wir nicht hoffen, daß noch einmahl oder gar beſtaͤndig jemand kommen werde, der fuͤr uns gnugthue, und dasjenige immer durch Wunder wieder in Ordnung bringe, was wir durch unſere Suͤnden verderben. Nein, dieſes wird nicht geſchehen, ſondern die weiſe Regie - rung des Hoͤchſten wird uns, wenn wir zu keiner Aenderung zu bringen, unſerem Verderben uͤberlaſſen, und unſern Muth - willen durch gehoͤrige Strafe einſchraͤn - cken. (Siehe Betracht. V. §. 36-42.)

§. 7.

Bey Be - kehrten vermehrt ſie den Ab - ſcheu fuͤr der Suͤn - de.
81

Denen Bekehrten, welche die Gnug - thuung JEſu mit gehoͤriger Aufmerckſam - keit uͤberlegen, giebt ſelbige eine Urſach zu einem deſto groͤſſern Abſcheu fuͤr der Suͤnde. Sie halten ſich fuͤr ſolche, welche wegen der Suͤnde ſchon einmahl hart ge - ſtraft ſind, obgleich ein ander dieſe Stra - fe fuͤr ſie erduldet. Dieſer Gedancke aber erweckt bey einem vernuͤnftigen Ge - muͤth einen Abſcheu fuͤr dem, woruͤber es iſt geſtraft worden. Bey einer nieder - traͤchtigen Seele hat zwar dieſer Gedan - cke keine Kraft, aber ein erhabner und edler Geiſt hat allezeit einen Eckel an dem - jenigen, was ihm ſchon einmahl eineſchimpfli -449[445]ſchimpfliche Strafe zugezogen. Die Bekehrten ſagen daher: wie ſolten wir in Suͤnden wollen leben, der wir abgeſtorben, oder um derentwillen wir ſchon in Chriſto gecreutziget und geſtor - ben ſind? Roͤm. Cap. 6. v. 2-6. Sie ſchaͤmen ſich vielmehr der unſeeligen Frucht der Suͤnde, welche ihnen der Tod Chriſti allezeit auf das lebhafteſte vorſtellet, und ſtreben daher als verfoͤhn - te Knechte GOTTes nach einer reinen Heiligkeit und ſehen auf das ſeelige En - de derſelben, das ewige Leben. Roͤm. C. 6. v. 21. 22.

§. 8.

Die Gnugthuung des Mittlers ent -Die Gnug - thuung Chriſti reitzet zur Liebe ge - gen Gott. haͤlt ferner |den trifftigſten Bewegungs - grund zur aufrichtigſten Liebe gegen GOtt in ſich. Sie offenbahret die zaͤrt - lichſte Liebe des unendlichen Schoͤpfers und ſeine allerweiſeſte Vorſehung fuͤr das Wol der Menſchen. Die Ueber - einſtimmung und Schoͤnheit der Din - ge erfordert uns nicht anders als bey ei - ner fremden Gnugthuung zu begnadi - gen; und ſehet, o Sterbliche, GOTT ſelbſt kleidet ſich in euer Fleiſch, damit ein geſchickter Buͤrge eure Schuld tra - ge und euch zu eurem Beſten die unſee - ligſten Folgen der Suͤnden auf die leb -F fhaf -450[446]hafteſte Art vor Augen lege. Die hoͤch - ſte Weißheit konte nicht anders als die - ſe Welt zu einem Spiegel der Vollkom - menheiten einer unendlichen Gottheit ma - chen. Die Gerechtigkeit muſte ſich da - her in derſelben auch in einem unendli - chen Glantze zeigen. Wir als Suͤnder waͤren ungluͤcklich geweſen, wenn ſie ſich an uns haͤtte ſpiegeln ſollen. So aber ruͤſtet das hoͤchſte Weſen ſelbſt einen Mittler aus, an welchem ſie ſich auf die mercklichſte Art offenbahret, und welcher doch dabey im Stande iſt, dasjenige im kurtzen zu leiſten, was uns ewig zur be - ſchwehrlichſten Laſt gereichet haͤtte. Wer erblickt aber hierinne nicht die zaͤrtlichſte Liebe GOttes gegen die Menſchen und die weiſeſte Vorſehung fuͤr ihre Wol - fahrt? Johannes ſchreibet daher mit Recht 1 Joh. Cap. 4. v. 9. 10. Da - ran iſt erſchienen die Liebe GOttes gegen uns, daß er ſeinen einge - bohrnen Sohn geſandt hat in die Welt, daß wir durch ihn leben ſol - len. Darin ſtehet die Liebe, nicht, daß wir GOTT geliebet haben, ſondern daß er uns geliebet hat, und geſandt ſeinen Sohn zur Ver - ſoͤhnung fuͤr unſere Suͤnde. Sol - te dieſe Liebe aber bey einer vernuͤnfti - gen Seele ohne alle Wuͤrckung ſeyn undnicht451[447]nicht die aufrichtigſte Gegenliebe erwe - cken? Gewiß eine Seele, die ſelbige mit heiliger Vernunft erwegt, und die Groͤſ - ſe derſelben betrachtet, wird dabey keinen andern Schluß machen, als den wir 1 Joh. Cap. 4. v. 19. leſen: Laſſer uns ihn lieben, denn er hat uns zu - erſt geliebet.

§. 9.

Die Gnugthuung JEſu erwecket fer -Sie wuͤr - cket auch das ange - nehmſte Ver - trauen zu demſel - ben. ner das ſicherſte und angenehmſte Ver - trauen zu GOtt unſerem Erloͤſer. Wie kan man zweiffeln, daß GOtt die Men - ſchen liebet und fuͤr ihre Wolfahrt ſor - get, da er ſich ſelber ihnen zum Beſten mit einer menſchlichen Natur vereiniget? Wie kan man zweiffeln, er wolle ſie gluͤcklich machen, da er JEſum ſterben laͤſſet, damit ſeine Gerechtigkeit und Gnade zugleich kund werde, und jene uns vom Boͤſen abſchrecke, dieſe zur Liebe gegen ihn und zur Tugend reitze? Kan man glauben, daß er ein ſo groſ - ſes Wunder wuͤrde geſtiftet haben, da - mit wir auf eine hoͤchſt weiſe Art moͤch - ten begnadiget werden, wenn er ſich nicht auf das genaueſte um die Men - ſchen bekuͤmmerte und auf alle moͤgliche Weiſe ihre Ruhe ſuchte? Er ſahe zum voraus, daß durch eine BegnadigungF f 2ohne452[448]ohne Gnugthuung nicht ſo viel Gutes wuͤrde erhalten werden, als wenn er die Unendlichkeit ſeiner Gerechtigkeit und Haſſes gegen das Boͤſe bey einer Gnug - thuung offenbahrte: und ſo ſtifftete er ſelbſt eine Gnugthuung, die uns keine Beſchwehrde machte, und durch welche doch die groͤſte Schoͤnheit und Voll - kommenheit in dem Zuſammenhange al - ler Dinge erhalten wurde. Erhellet hieraus nicht auf das deutlichſte: er wolle alles wol machen? Dieſes aber iſt die Wahrheit, deren lebendige Erkaͤnt - niß das angenehmſte Zutrauen zu GOtt in einer Seele feſt ſetzet. Die Gnug - thuung JEſu leitet alſo zum Vertrauen auf GOtt. (*)Wir zeigen hier allein, wie aus der Gnug - thuung Chriſti die goͤttliche Vorſehung hervorleuchte, und dadurch ein feſtes Vertrauen zu GOtt in uns kan erwe - cket werden. Will aber jemand auch die wunderbahre Erfuͤllung der Verheiſ - ſungen von dem Meßia, die Zeit ſeiner Gebuhrt und andere Umſtaͤnde in Er - wegung ziehen, ſo wird er in allen Stuͤ - cken die mercklichſten Proben einer wei - ſen Vorſehung finden, und dadurch auf den Schluß gebracht werden: Es iſt gut auf den HErrn vertrauen.

§. 10.453[449]

§. 10.

Beſonders iſt die Wahrheit von derDie Gnug - thuung Chriſti iſt ein Mit - tel wider das unru - hige Ge - wiſſen ei - nes Buß - fertigen. Gnugthuung des Mittlers ein kraͤftiges Mittel wider ein unruhiges Gewiſſen, welches durch eine lebendige Erkaͤntniß der Suͤnden zu allerhand Zweiffeln wi - der die Guͤte GOttes gebracht worden. Eine Seele darff nur fragen: warum iſt Chriſtus geſtorben? ſo wird ſie durch dieſe Frage gleich auf Wahrheiten ge - leitet, welche alle Zweiffel eines beiſſenden Gewiſſens heben koͤnnen. Warum iſt Chriſtus geſtorben? die Antwort iſt: Er hat ſein Leben an ſtatt der Suͤnder ge - laſſen, auf daß die Bußfertigen auf eine weiſe Art koͤnten begnadiget werden. Er hat ſein Leben gelaſſen zur Er - loͤſung fuͤr viele. Matth. Cap. 20. v. 28. Er iſt geſtorben, daß wir an ihm haben moͤchten die Erloͤ - ſung durch ſein Blut, nemlich Ver - gebung der Suͤnden, nach dem Reichthum ſeiner Gnade Eph. Cap. 〈…〉〈…〉. v. 7. Er iſt worden ein Fluch fuͤr uns, daß er uns befreiete von dem Fluch des Geſetzes. Gal. Cap. 3. v. 13. Wie kan nun eine bußferti - ge Seele an der Gnade GOttes zweif - feln, wenn ſie dieſe ſo deutliche Offen - bahrung und Verſicherung der Barm -F f 3her -454[450]hertzigkeit GOttes gegen uns erweget? Ein bußfertiger Suͤnder, der die Gnug - thuung Chriſti und die dabey geoffen - bahrte Gnade GOttes betrachtet, kan mit dem Paulus ſagen: Jſt GOtt fuͤr uns, wer mag wider uns ſeyn, wel - cher auch ſeines eigenen Sohnes nicht hat verſchonet, ſondern hat ihn fuͤr uns alle dahin gegeben wie ſolt er uns mit ihm nicht al - les ſchencken? Wer will die Aus - erwehlten GOTTes beſchuldigen〈…〉〈…〉 GOTT iſt hie, der gerecht macht Wer will verdammen? Chriſtus iſt hie, der geſtorben iſt, ja vielmehr der auch auferwecket iſt, welcher iſt zur Rechten GOttes und vertrit[t]uns. Roͤm. Cap. 8. v. 31-34. Siehe auch v. 1-4.

§. 11.

Sie befe - ſtiget die Hofnung zur ewi - gen See - ligkeit.
82

Die geleiſtete und vollbrachte Gnug - thuung JEſu befeſtiget auch die Hoff - nung zu der groͤſſeſten und ewigen See - ligkeit. Bey dem Elend, in welches uns die Suͤnde geſetzt, iſt nichts angeneh - mer als die Hoffnung beſſerer Zeiten Was iſt ſuͤſſer bey den Unruhen dieſe Welt, als die Verſicherung: Der HErr wird die Gerechten nicht ewiglich in Un - ruhe laſſen? Pſ. 55. v. 23. Was kanuns455[451]uns bey dem ſchmertzlichen Tode gelieb - ter Freunde troͤſtlicher ſeyn, als die Hoff - nung, der guͤtigſte GOtt wird die Sei - nen in einem beſſerem Reiche wieder ver - ſammlen? Was kan endlich uns auf - richten, wenn unſere Huͤtte den Einfall drohet, und eine ſchwehre Kranckheit uns den Tod ankuͤndiget? Was kan unſer Gemuͤth alsdenn in Zufriedenheit ſetzen, als dieſes: Die Seele kommt zu GOtt und der Leib ſoll auch nicht ewig in der Verweſung bleiben? da nun aber derje - nige, ſo als Buͤrge unſere Schuld getra - gen und fuͤr uns ein Fluch worden, ſeine Seele bey ſeinem Tode in die Haͤnde des Vaters befehlen, und gewiß hoffen koͤnnen, ſie werde noch an dem Tage in das Paradieß kommen, Luc. Cap. 23. v. 43. 46. da dieſe Seele auch mit dem durchbohrten Coͤrper wieder vereiniget und demſelben gleichfals die Unſterblich - keit angezogen worden, Matth. Cap. 28. Luc. Cap. 24. und er endlich gar gen Himmel aufgehaben worden und ſich in der Hoͤhe mit der groͤſten Macht hoͤren laſſen, Apoſtelgeſch. Cap. 1. v. 9. Cap. 9. v. 4. 5. 6. ſo koͤnnen wir gewiß hoffen: eben dieſes werde auch an uns erfuͤllet werden. Es liegen folgende Gruͤnde darinne, die unſere Hoffnung befeſtigen. Erſtlich bekraͤftiget die Auferſtehung JE -F f 4ſu456[452]ſu uͤberhaupt die Chriſtliche Lehre und be - weiſet ihr goͤttliches Anſehen, und macht uns alſo gewiß von alle dem, was der Erloͤſer gelehret, und lehren laſſen. Denn wer kan ſich wol uͤberreden, daß der wei - ſe und guͤtige GOtt einen Menſchen vor allen andern von den Todten erwecken und gen Himmel aufnehmen und daſelbſt im herrlichſten Glantze zeigen werde, welcher doch alles dieſes mißbrauchte an - dere Menſchen zu hintergehen? Da nun aber JEſus und ſeine Juͤnger die Un - ſterblichkeit der Seele, die Auferſtehung der Todten und ein ſeeliges Leben der Gerechten gelehret; Matth. Cap. 10. v. 28. Joh. C. 6. v. 49. 1 Cor. C. 15. ſo erlangen auch dieſe Wahrheiten durch die Auferſtehung des Erloͤſers die groͤſte Ge - wißheit. Zweytens aber wird die Hoff - nung der Heiligen zu dem zukuͤnftigen Le - ben aus der geleiſteten und vollbrachten Gnugthuung Chriſti auch durch folgen - den Schluß feſter. Wenn uns jemand viele Verheiſſungen, die mit einander ei - ne Verwandſchaft haben, thut, ſo wird unſere Hoffnung zu den letztern immer gewiſſer, jemehr von den erſten ihre Er - fuͤllung erreichen. Z. E. Verſpricht uns jemand, er wolle uns erziehen, auf Schu - len und Univerſitaͤten halten, reiſen laſ - ſen, zur Bedienung verhelffen und end -lich457[453]lich gar ſeine Guͤter ſchencken, ſo wird die Hoffnung zu dieſen letztern immer groͤſſer, jemehr von den vorhergehenden erfuͤllet wird. GOtt aber hat den ge - fallenen Menſchen die Verheiſſungen ge - than, er wolle ihnen aus den Nachkom - men Abrahams einen Erloͤſer ſenden, ſel - biger ſolle zu Bethlehem auf die Welt treten, viele Wunder thun, unſere Suͤn - de tragen und ein Opfer fuͤr ſelbige wer - den: Doch aber ſolle er die Verweſung nicht ſehen, ſondern bald aus der Angſt und Gericht genommen werden: und niemand ſolle ſeines Lebens Laͤnge aus - ſprechen. Uns ſolle dadurch Friede ge - ſchaffet und unſere Wunden geheilet werden. 1 B. Moſ. C. 12. v. 3. Mich. Cap. 5. v. 1. Eſ. Cap. 53. Der groͤ - ſte Theil hiervon iſt auf die wunder - bahrſte Art erfuͤllet worden. Wie oft hat man beſchloſſen gehabt das gantze Volck auszurotten, aus welchem der Meſ - ſias ſolte gebohren werden? Siehe 2 B. Moſ. Cap. 1. v. 15. 16. Buch Eſther Cap. 3. 2 B. Maccab. Cap. 6. Die hoͤchſte Vorſehung aber hat es al - lezeit noch ſo gefuͤget, daß es geheiſſen: Beſchlieſſet einen Rath und es werde nichts daraus. Wie wunderbahr iſt es nicht zugangen, daß der Mittler zu Bethlehem gebohren und hernach denF f 5grim -458[454]grimmigen Haͤnden des Herodes entriſ - ſen worden? Matth. Cap. 2. v. 13-19. Ja der Ausgang hat bis hieher uͤber - haupt gelehret, GOtt koͤnne und wolle ſeine Verheiſſungen auf das genauſte und wunderbarſte erfuͤllen. Wer kan daher zweiffeln, es werde nun auch das Letzte, um welches willen alles Vorher - gehende geſchehen, zu ſeiner Zeit erfuͤllet werden? Wer kan zweiffeln, die See - len der Heiligen werden gleich nach dem Tode zu JEſu kommen, und daſelbſt in der ſeeligſten Ruhe bleiben, bis es ihm gefaͤllet ihnen auch die Leiber in dem Glantz einer ewigen Unſterblichkeit wie - der zu ſchencken, und damit die letzte Folge der Suͤnden aufzuheben. (*)Wer | die Kirchengeſchichte der erſten Zeiten durchgehet, und die wunderbahre Erfuͤllung der Weiſſagung Chriſti von der Zerſtoͤhrung des Juͤdiſchen Tempels und voͤllige Aufhebung ihres Regiments und Gottesdienſtes erweget: wer ferner auf die gar ſonderbare Fortpflantzung der Chriſtlichen Religion ſiehet, der wird mercken, daß immer mehr und mehr von den Verheiſſungen GOttes erfuͤllet wor - den, und dadurch in den Gedancken be - ſtaͤrcket werden: es muß und wird auch nun noch das Letztere von den goͤttlichen Verheiſſungen in ſeine Erfuͤllung treten.Drit -459[455]Drittens zeiget GOtt durch die Gnug - thuung JESU, daß es ihm ein rechter Ernſt ſey die Menſchen wieder in einen beſſern Zuſtand zu ſetzen und ſie aus dem Elende, in welches ſie durch die Suͤnde gefallen, wieder voͤllig heraus zu reiſſen, und daß er alles moͤgliche thun wolle ſie zu erretten. Denn wer mercket im folgen - den wol nicht den groͤſten Eiffer GOt - tes unſere verlohrne Gluͤckſeeligkeit wie - der herzuſtellen. Es iſt unmoͤglich, daß uns GOTT bey der Suͤnde ſolte voll - kommen gluͤcklich machen koͤnnen. Die ſuͤndlichen Begierden der Menſchen lauf - fen gar zu ſehr wider einander und koͤn - nen nichts als Unruhe und Ungluͤck zeu - gen. Die verdorbene Welt, in welcher wir leben, beweiſer dieſes hinlaͤnglich. Da uns derowegen GOtt begnadigen will, ſo muß er auch dahin ſehen, daß die Suͤnde ſelbſt aufhoͤre. Er erwehlet daher das kraͤftigſte Mittel darzu, er laͤſ - ſet an einem andern zeigen, was wir uns durch die Suͤnde zuziehen, damit wir von derſelben moͤgen abgeſchrecket werden. Wer kan hieraus einen andern Schluß als dieſen machen? GOtt will ernſtlich, daß die Suͤnden und ihre betruͤbten Fol - gen aufhoͤren. O ſichere Hoffnung zu einem beſſern Zuſtande, die eine Seele, welche die Suͤnden haſſet, hierauf bauen kan.

§. 12.460[456]

§. 12.

Die Gnug - thuung Chriſti reitzet zur Liebe ge - gen den Neben - menſchen.
83

Die Gnugthuung Chriſti giebt auch Anleitung zu aufrichtiger Liebe gegen den Nebenmenſchen, und die Schrift braucht ſelbige zu einem Bewegungsgrunde der Liebe. Johannes ſchreibet: 1 Joh. Cap. 4. v. 11. Jhr Lieben, hat uns GOtt alſo geliebet, nemlich alſo, daß er uns ſeinen Sohn geſandt zur Verſohnung fuͤr unſere Suͤnde, v. 20. ſo ſollen wir uns auch untereinander lieben. Johannes fuͤhrt hier die Leſer ſeines Briefes auf die Betrachtung der Verſoͤh - nung durch Chriſtum, und will, ſie ſol - len daraus die Groͤſſe der allgemeinen Liebe GOttes gegen die Menſchen er - kennen, und daraus den Schluß ziehen, wir muͤſſen uns untereinander lieben, denn GOtt hat durch die Sendung ſei - nes Sohnes gewieſen, daß er uns ins - geſamt auf das zaͤrtlichſte liebe. Es iſt dieſer Schluß vom groſſen Nachdruck. Wer unterſtehet ſich wol demjenigen zu - wider zu ſeyn, welchen ein groſſer Herr recht zaͤrtlich liebet, und gegen welchen er die mercklichſten Proben ableget, daß er ihn auf alle moͤgliche Art wolle gluͤcklich machen. Wie ſolte daher ein Ver - nuͤnftiger wol gegen jemand einen unver - ſoͤhnlichen Haß hegen koͤnnen, wenn erſich461[457]ſich recht lebhaft vorſtellet: ſiehe dieß iſt auch eine Seele, fuͤr welche GOtt ſei - nen Sohn dahin gegeben? Wie ſolte ein Gemuͤth von Ueberlegung, welches durch das Andencken der Gnugthuung JEſu zur Liebe GOttes bewogen wor - den, gegen den Nebenmenſchen ohne alle Liebe bleiben koͤnnen, der doch von GOtt durch Chriſtum gleiche Gnade empfan - gen? Wuͤrde es nicht eine Verachtung GOttes ſeyn, wenn wir denjenigen aller Liebe wolten unwuͤrdig ſchaͤtzen, den er doch ſo hoch geachtet, daß er JEſum fuͤr ihn ſterben laſſen? Paulus ſtellet den Corinthern gleichfalls die Gnugthuung Chriſti vor, wenn er ſie bewegen will, ſich gegen ihre Nebenmenſchen als Bruͤ - der zu beweiſen. Es waren unter den Corinthern geſetzte Chriſten, welche ſich der chriſtlichen Freiheit bedienten und von dem Fleiſch aſſen, davon ein Theil von den Heiden den Goͤtzen war geopf - fert worden. Es waren aber auch an - dere beſonders aus dem Judenthum da - ſelbſt, welche ſich ein Gewiſſen machten von ſolchem Fleiſch zu nehmen. Aus dem Zuſammenhange des Cap. 8. 1 Cor. beſonders aus v. 9. 10. kan man leicht abnehmen, daß diejenigen Corinther, welche ſich kein Gewiſſen machten ſolch Fleiſch zu eſſen, die Schwaͤchern biswei -len462[458]len dahin gebracht, daß ſie wider ihr Ge - wiſſen dergleichen mit gegeſſen und da - durch ihr ſchwaches Gewiſſen befleckt und unruhig gemacht. Sintemahl ein jeder nach ſeiner Erkaͤntniß handeln muß. Die Staͤrckern mochten wol, wie zu ge - ſchehen pflegt, die Schwaͤchern wegen ihres Gewiſſens verlacht und dadurch bisweilen bewegt haben etwas zu thun, das ſie fuͤr Unrecht hielten. Andern mochten ſie auch gar dadurch einen ſo groſſen Anſtoß geben, daß ſie widrige Gedancken von dem Chriſtenthum be - kommen, und geglaubt, es haͤtte ſolches einige Gemeinſchaft mit dem Goͤtzen - dienſt, und ſie daher das Chriſtenthum verabſcheuet. So viel iſt gewiß, die geſetztern Chriſten machten durch den un - zeitigen Gebrauch ihrer Freiheit, daß ſchwache Bruͤder daruͤber konten verloh - ren gehen. Die erſtern nun zu bewegen mehr Liebe gegen die Bruͤder zu bewei - ſen, und dasjenige, was den Schwa - chen bis daher anſtoͤßig war, zu laſſen, erinnert ſie Paulus, daß durch ſie See - len verlohren giengen, fuͤr welche doch Chriſtus geſtorben, und ſie ſich alſo ſchwehr an Chriſto verſuͤndigten, in - dem ſie derer nicht wahrnaͤhmen, fuͤr welche doch der Heiland ſein Leben ge - laſſen. Siehe 1 Cor. Cap. 8. v. 11. 12. Pau -463[459]Paulus ſucht hierdurch folgende Ge - dancken bey den Corinthern zu erwecken: Eine Seele, welche Chriſtus ſeines Blu - tes wuͤrdig geachtet, muß man nicht ge - ring ſchaͤtzen, ſondern man muß zu ihrer Erhaltung alles moͤgliche beytragen. Man verachtet ſonſt JEſum, wenn man diejenigen aller Liebe will unwuͤrdig hal - ten, die er doch ſeines Blutes gewuͤrdi - get. Hieraus erhellet alſo zur Gnuͤge, wie die Gnugthuung Chriſti vernuͤnf - tige Gemuͤther auch zur Liebe gegen den Nebenmenſchen reitzet.

§. 13.

Chriſtus hat ferner auch durch einenJndem Chriſtus auch durch Ge - horſahm gnug ge - than, hat er uns ein Exempel eines hei - ligen Le - bens ge - geben. voͤlligen Gehorſahm der goͤttlichen Ge - rechtigkeit ein Gnuͤge gethan. Roͤm. C. 5. v. 19. Sein Leben dienet uns daher auch zu einem vollkommenen Muſter, wornach die ſich zu| richten, welche an ſeiner Erloͤſung und dem Reiche, ſo ihm der Vater beſchieden, wollen Antheil haben. Chriſtus heiſſet es 1 Petr. C. 2. v. 21. hat gelitten fuͤr uns, und uns ein Fuͤrbild gelaſſen, daß wir ſollen nachfolgen ſeinen Fußrapffen. Und Paulus ſchreibt Phil. Cap. 2. v. 5. Ein jeglicher ſey geſinnet, wie JE - ſus Chriſtus auch war. Dieſesvoll -464[460]vollkommene Exempel hat einen gantz beſondern Einfluß in unſern Wandel. Wie bey den Kindern der Welt die Ex - empel der Hohen den groͤſſeſten Eindruck haben, ſo aͤuſſert das Exempel Chriſti bey den Glaͤubigen die groͤſſeſte Kraft. Denn da ſie ſelbigen als ihren Koͤnig verehren, bey dem ſie ewig zu bleiben gedencken, ſo fuͤhlen ſie den ſtaͤrckeſten Trieb ihm aͤhnlich zu ſeyn, damit ſie ihm gefallen moͤgen. Dieſes Exem - pel giebt auch den Geſetzen der Chriſtli - chen Religion das helleſte Licht. Es iſt denen, welche die Welt lieben, ſehr leicht, die Vorſchriften GOttes ſo zu drehen und einzuſchraͤncken, daß ihre Be - gierden dadurch die weiteſten Graͤntzen bekommen und ein jeder ſeiner Neigung nachgeben kan. Das Verhalten Chri - ſti aber zeiget den rechten Sinn der goͤttlichen Gebote und die Abſichten der - ſelben auf das deutlichſte. Laͤſſet er die kleinſten Kindlein zu ſich kommen und ſeegnet ſie, Marc. C. 10. v. 13. 14. 15. ſo iſt daraus klar, wie weit die Leutſee - ligkeit gehen ſoll und wie niemand zu verachten. Waͤſchet er den Juͤngern die Fuͤſſe, Joh. C. 13. v. 4-15. ſo zeigt er, wie weit Liebe und Demuth ſich er - ſtrecken ſoll. Redet er ſeinen Verraͤ - ther liebreich an, Luc. Cap. 22. v. 48. Bit -465[461]Bittet er fuͤr ſeine Feinde, Luc. Cap. 23. v. 34. ſo erklaͤret er, was das heiſſet: Liebet euere Feinde.

§. 14.

Nun urtheile ein jeder Unpartheiiſcher,Ob die Lehre von der Gnug - thuung Chriſti zur Si - cherheit leite? ob das Vorgeben derer, welche die Lehre von der Gnugthuung JEſu verwerffen, richtig ſey, wenn ſie ſagen, daß dieſe Leh - re die Leute ſicher mache und zu den Suͤn - den verleite. Redet man nicht wider die Wahrheit, wenn man leugnen will, daß dieſe Lehre uns die trifftigſten Bewe - gungsgruͤnde zu der wahren Tugend vor - haͤlt? Ja man urtheile, ob nicht vielmehr die Lehre derer, welche die Gnugthuung Chriſti in Zweiffel ziehen, und GOtt zu ei - nem ſehr gleichguͤltigem Weſen bey der Suͤnde machen, Gelegenheit zu einem ſi - chern Leben giebt? Jnzwiſchen aber koͤn - nen wir nicht leugnen, daß viele dieſe an ſich unſchuldige und heilige Lehre derge - ſtalt verkehrt auslegen und im Leben an - wenden, daß ſie ihr boͤſes Gewiſſen da - durch einſchlaͤfern und bey ihren Suͤnden in eine geruhige Sicherheit ſetzen. Eben dieſem Mißbrauche aber ſind mehrere Wahrheiten unterworffen. Wie viele laſſen ſich die Wahrheit von der unendli - chen Guͤte GOttes zur Sicherheit dienen,G gda466[462]da ſie ſich durch ſelbige ſolten zur Buſſe lei - ten laſſen? Roͤm. Cap. 2. v. 4. Der Mißbrauch und die falſche Erklaͤrung und Anwendung einer Lehre hebt die Wahrheit derſelben nicht auf. Wir wollen die Vor - nehmſten von den verkehrten Erklaͤrungen und Anwendungen der heiligſten Lehre von der Gnugthuung JEſu Chriſti an - fuͤhren.

§. 15.

Eine jede weiſe Gnug - thuung giebt An - leitung zur Buſſe.
83

Man macht ſich folgende irrige Vor - ſtellung. Man dencket: Chriſtus hat fuͤr die Suͤnden der Welt gnug gethan, damit man ſicher in Suͤnden koͤnne wegleben und dennoch ſeelig werden. Man macht Chriſtum zu einem Suͤndendiener, der die Erlaubniß zu ſuͤndigen feſtgeſetzt, dawi - der doch Paulus ernſtlich warnet Gal. Cap. 2. v. 17. Es gruͤndet ſich dieſer ir - rige Gedancken auf eine falſche Vorſtel - lung, die man ſich von einer Gnugthu - ung uͤberhaupt, und denn auch ins beſon - dere von der Gnugthuung JEſu Chriſti macht. Man meinet, ein Suͤnder, fuͤr welchen ein ander buͤſſet, koͤnne frei ſuͤndi - gen. Hierzu aber giebet keine Gnugthu - ung, die ein vernuͤnftiger Richter an - nimmt, Freiheit, ſondern die Gnugthu - ung ermahnt uns vielmehr von Suͤnden abzuſtehen. Denn warum laͤſſet ein wei -ſer467[463]ſer Richter eine Gnugthuung leiſten, war - um begnadiget er den Suͤnder nicht ohne dieſelbe? Jſt dieſes nicht die Urſache, da - mit man nicht dencken moͤge, es werde die Suͤnde nicht geachtet, und damit man we - gen der Begnadigung nicht ſicher werde u. Gelegenheit nehme in den Suͤnden muth - willig fortzufahren? Fordert ein weiſer Regente nicht deſſentwegen eine Gnug - thuung, damit ſeine ernſte Gerechtigkeit oͤffenbahr und ſeine Gnade nicht auf Muthwillen gezogen werde? Will man nicht den Ungehorſahmen dadurch die Ge - dancken erwecken, ſie muͤſſen von ihrem verkehrten Weſen abſtehen, wenn ſie nicht endlich ſelbſt die Strafe empfinden wol - len? (Betracht. VIII. §. 28.) Man he - get derowegen irrige Gedancken von der Abſicht einer Gnugthuung, welche von ei - nem weiſen Regenten angenommen wird, wenn man daraus eine Freiheit zu ſuͤndi - gen herleiten will.

§. 16.

Von der Gnugthuung JEſu insbeſon -Die Gnug - thuung Chriſti giebt kei - ne Frei - heit zu ſuͤndigen, dere hat man folgende unrichtige Gedan - cken. Man meinet, Chriſtus iſt die Ver - ſoͤhnung vor der gantzen Welt Suͤnde, er hat auch die Schulden ſchon bezahlet, die wir noch in Zukunft machen, es iſt daherG g 2unnoͤ -468[464]ſondern leitet zur Buſſe.unnoͤthig, daß man der ſuͤndlichen Luſt mit ſo gar groſſer Sorgfalt widerſtehet. Chriſtus hat uns die Seeligkeit erwor - ben, derowegen iſt es unnoͤthig mit Furcht und Zittern zu ſchaffen, daß man ſelbige erhalten moͤge. Die erſten Saͤ - tze in dieſen Schluͤſſen ſind nicht genug - ſam eingeſchraͤncket und umſchrieben, und daher kommt die Unrichtigkeit der Folgen, ſo daraus hergeleitet werden. Chriſtus hat fuͤr alle Suͤnden gnug gethan, aber nur in ſo fern, daß einem jeden unter der Bedingung und Ordnung wahrer Buſ - ſe Gnade angebothen und die Suͤnder er - mahnet werden ſelbige anzunehmen. Wir ſind von Natur abtruͤnnige Knechte. GOtt haͤtte uns dieſerwegen auf ewig ver - werffen koͤnnen, er hat aber beſchloſſen ſich unſer zu erbarmen. Er will, daß wir wie - der umkehren und in ſeinem Dienſt einer wahren Seeligkeit genieſſen moͤgen. Da - mit wir hierzu deſto eher moͤchten beweget werden, hat er an JEſu ſeine Gerechtig - keit und ernſtlichen Abſcheu fuͤr der Suͤn - de offenbahret. Dieſes iſt alſo nicht ge - ſchehen, daß wir abtruͤnnige und wider - ſpenſtige Knechte bleiben ſollen, ſondern daß wir deſtomehr Bewegungsgruͤnde haben moͤgen wieder umzukehren, und an den Leiden des Mittlers lernen, was fuͤr Strafen auf uns warten, wenn wir dieange -469[465]angebothene Gnade verachten. Chri - ſtus hat auch fuͤr die kuͤnftigen Suͤnden gnug gethan, nicht aber dergeſtalt, daß ſie uns nicht ſchaden ſollen, wenn wir dar - inne beharren, ſondern daß uns dabey, ſo lange wir hier leben, die Gnaden - mittel zu einer ſeeligen Umkehrung be - ſtaͤndig dargebothen werden. Ob gleich die Suͤnder fortfahren ihren boͤſen Ver - gnuͤgen zu folgen, ſo will GOtt doch vermoͤge der Gnugthuung Chriſti nicht aufhoͤren ſich gegen ſie in ſo weit als einen Vater zu erweiſen: er will ihnen noch beſtaͤndig ſeine liebreiche Hand darbie - then, er will ihnen in ſeinem Wort zu - rufen ihre unſeelige Geſellſchaft zu ver - laſſen, er will ihnen unter der Bedingung wahrer Buſſe die begangenen Suͤnden vergeben und die betruͤbten Folgen der - ſelben aufheben. (Siehe Betracht. VIII. §. 19. 20.) Verachten ſie aber dieſe Gna - de, ſo will er ſie auch ihrem Verderben uͤberlaſſen. Wer derowegen ſich uͤberre - det, daß die Gnugthuung Chriſti deswe - gen geſchehen, daß man ſicher ſuͤndigen koͤnne, der nimmt etwas an, ſo der Schrift und dem Weſen einer Gnug - thuung entgegen iſt. Eben ſo ungegruͤn - det iſt dieſer Satz: Chriſtus hat uns den Himmel dergeſtalt erworben, daß wir bey der unordentlichen Verfaſſung unſersG g 3Ge -470[466]Gemuͤthes und ohne ſonderliche Muͤhe Buͤrger deſſelben werden koͤnnen. Der Mittler hat uns die Gnade GOttes und die Seeligkeit nur dergeſtalt durch ſeine vollkommenſte Gnugthuung wieder her - geſtellet, daß wir auf eine weiſe Art von der Strafe losgeſprochen werden, wo - mit unſere unordentliche Neigungen ſon - ſten einzuſchraͤncken waren, wenn auch wir dieſen boͤſen Begierden durch Kraft des heiligen Geiſtes Einhalt thun wollen. Er hat uns den Himmel dergeſtalt er - worben, daß wir in denſelben kommen koͤnnen, wenn wir den Weg, ſo in den - ſelben fuͤhret, betreten wollen. Chriſtus hat durch ſeine Gnugthuung alle die Din - ge, welche ſich auf die Freiheit der Gei - ſter gruͤnden, (den Nexum moralem) in ſolche Ordnung geſetzet, daß GOtt auf eine weiſe und den Regeln der Schoͤn - heit gemaͤſſe Art ſeine maͤchtige Gnade an - wenden kan unſern verdorbenen Zuſtand zu verbeſſern und die verſchertzte Gluͤckſee - ligkeit dereinſten voͤllig wiederum herzu - ſtellen. Dieſes aber kan nicht anders geſchehen, als wenn wir in die goͤttliche Heilsordnung treten, nemlich wenn wir Buſſe thun, glauben und gottſeelig le - ben. Thun wir dieſes nicht, ſo haben wir von der Erloͤſung Chriſti keinen Vortheil als dieſen, daß uns die goͤttli -che471[467]che Gnade wieder angetragen wird und wir in eine beſſere Welt unter den ge - hoͤrigen Bedingungen eingeladen werden. Wollen wir nun zuruͤck bleiben, ſo lei - det die Weisheit nicht und iſt nicht moͤg - lich uns mit Gewalt in beſſere Umſtaͤn - de zu ſetzen. (Siehe Betr. V. §. 36. - 39. VII. §. 10. u. f.)

§. 17.

Wir wollen dieſe Sache DeutlichkeitEben daſ - ſelbe wird mit meh - reren er - laͤutert. halben mit verbluͤhmten Worten aus - drucken. Wir ſitzen von Natur in Fin - ſterniß und Schatten des Todes gefan - gen, wir ſind nach dem Suͤndenfall aus dem angenehmen Eden in ein betruͤbtes und unangenehmes Land verwieſen. Die Grentzen ſind ſo bewahrt, daß wir durch unſer eigen Vermoͤgen aus unſerem be - truͤbten Becirck nicht haͤtten kommen koͤnnen. Vermoͤge der Gnugthuung Chriſti aber ſind dieſe Grentzen, die uns einſchloſſen, geoͤffnet und uns die kraͤftige Erlaubniß gegeben, dieſen unſeren unſeeligen Ort zu verlaſſen, und das Paradieß wieder zu bewohnen. Nun aber iſt es unſere Schuld, fals wir uns von der Geſellſchaft und den Gegenden dieſes elenden Reichs nicht entfernen und die Reiſe nach dem Paradieſe uͤbernehmen wollen. Der Weg iſt etwas ſchmalG g 4und472[468]und beſchwehrlich, ſchreckt uns dieſes ab, ſo bleiben wir in der unſeeligen Gefan - genſchaft, in welcher wir durch den Fall unſerer erſten Eltern und durch die ange - erbten boͤſen Begierden uns von Natur befinden, und hilfft uns nichts, daß Chri - ſtus auch uns die Freiheit erworben, wenn wir uns ſelbige nicht wollen zu Nutze machen.

§. 18.

Beweis davon aus der Schrift.
83

Die Schrift lehret dasjenige, was wir bisher geſagt haben. Paulus ſchreibet Col. Cap. 1. v. 12. 13. 14. 23. Danck - ſaget dem Vater, der uns tuͤchtig gemacht hat, zu dem Erbtheil der Heiligen im Licht, welcher uns er - rettet hat von der Obrigkeit der Fin - ſterniß, und hat uns verſetzt in das Reich ſeines lieben Sohnes, an wel - chem wir haben die Erloͤſung durch ſein Blut, nemlich die Vergebung der Suͤnden. Aber unter welcher Be - dingung? Sie ſtehet v. 23. So ihr anders bleibet im Glauben gegruͤn - det und feſt und unbeweglich von der Hoffnung des Evangelii. Chri - ſtus hat alſo die Vergebung der Suͤn - den durch ſeine Gnugthuung nicht derge - ſtalt feſt geſtellet, daß wir derſelbenohne473[469]ohne alle Bedingung theilhaftig wuͤrden, ſondern wer nun die Gnade GOttes wuͤrcklich genieſſen will, muß mit dem - jenigen Glauben, den GOtt wuͤrcken will, gezieret ſeyn, welcher die unordent - lichen Begierden beſieget. Daß uns fer - ner durch die Gnugthuung JEſu der Himmel nur unter gewiſſen Bedingun - gen erworben und zugeeignet werde, leh - ret die Schrift an unzaͤhligen Orten. Chriſtus zeiget dieſe Bedingungen ſelbſt an Marc. Cap. 16. v. 16. Joh. Cap. 3. v. 16. 17. 18. Matth. Cap. 7. v. 21. Und haͤtte GOtt einer jeden boshaftigen See - le einen Ort in dem Himmel goͤnnen wollen, was waͤre es noͤthig geweſen ſei - nen gerechten Abſcheu fuͤr der Suͤnde auf eine ſo merckliche Art an einem un - ſchuldigen Buͤrgen zu offenbahren? Ja wuͤrde es nicht wider einander lauffen, den groͤſten Abſcheu fuͤr der Suͤnde auf der einen Seite an den Tag legen, und auf der andern ſich gegen boshafte Suͤn - der und gegen treue und fromme Seelen auf eine gleich gnaͤdige Weiſe verhalten? Der heilige Verfaſſer des Briefes an die Hebraͤer ſchreibt daher, daß uns Chriſtus die Freiheit zu dem Eingange in den Himmel erworben, wir ſolten daher nicht ſtille ſitzen und mit den thoͤrigten Jung - frauen ſchlafen, ſondern auf gehoͤrigeG g 5Weiſe474[470]Weiſe mit den geziemenden Tugenden hinzu treten. Wenn wir dieſes nicht thaͤten, ſondern fortfuͤhren an den Suͤn - den uns zu beluſtigen, bliebe uns nichts uͤbrig als ein ſchroͤcklich Warten des Gerichts und des Feuer-Eifers, der die Wiederwaͤrtigen verzehren wuͤrde. Seine Worte davon ſtehen Ebr. Cap. 10. v. 19-27. Und Paulus bekraͤftiget gar deutlich, daß Chriſtus nicht fuͤr uns geſtorben, damit wir deſto freier ſuͤndigen koͤnten, ſondern daß wir uns der Heiligkeit befliſſen. Er ſchrei - bet davon Epheſ. Cap. 5. v. 25. 26. 27. Chriſtus hat geliebet die Gemeinde und hat ſich ſelbſt fuͤr ſie gegeben, auf daß er ſie heiliget: und hat ſie gereiniger durch das Waſſerbad im Wort. Auf daß er ſie ihm ſelbſt darſtellete eine Gemeinde, die herr - lich ſey, die nicht habe einen Fle - cken oder Runtzel oder des etwas, ſondern daß ſie heilig ſey und un - ſtraͤflich. Wer derowegen an der Er - loͤſung Chriſti will Antheil haben, der muß der Heiligkeit mit allem Ernſt nach - jagen.

§. 19.

Was von der ſpaͤten
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Viele geben endlich zu, daß ſie keine Vergebung der Suͤnden empfahen koͤn -nen,475[471]nen, wenn ſie nicht wahre Buſſe thun;Buſſe zu halten? daß ſie in den Himmel nicht kommen koͤnnen, wenn ſie nicht den ſchmalen Weg des Glaubens und der Tugend be - treten: ſie meinen aber, die letzteren Stunden des Lebens ſchicken ſich dazu am fuͤglichſten und ſeyn dazu hinlaͤnglich. Jch ſetze dieſer Meinung folgendes ent - gegen. Es iſt entweder leicht oder es iſt ſchwehr ſich zu bekehren und auf den Weg der Gottſeeligkeit ſeinen Fuß zu ſe - tzen. Jſt es leicht die unordentlichen Be - gierden zu zaͤhmen, iſt es leicht der Welt und den angebohrnen Neigungen abzu - ſagen und JEſu im Glauben zu huldi - gen, iſt es leicht den Hochmuth in De - muth, den Zorn in ein gelaſſenes We - ſen, den Geitz in eine vernuͤnftige Frei - gebigkeit, die Rachbegierde in Sanft - muth, die Voͤllerei in Maͤßigkeit, die Unzucht in Keuſchheit zu verwandeln, koͤnnen wir dieſes in einem Augenblicke, ohne groſſe Ueberlegung, ohne einen harten Kampf bewerckſtelligen, warum wollen wir denn nicht lieber den erſten Augenblick zu unſerer Bekehrung erweh - len? warum wollen wir unſerm Schoͤpf - fer ſo lange widerſtreben? warum wol - len wir ihm nicht gleich die Liebe erzei - gen, und ſeinem Willen uns unterwerf - fen? warum wollen wir erſt ſo langeuns476[472]uns und die Welt durch unſere Laſter in Unordnung und Unruhe ſetzen? Jſt es aber ſchwehr ſein gantzes Gemuͤth zu aͤn - dern, iſt es ſchwehr die natuͤrlichen Nei - gungen zu beſiegen, gehoͤret viel Ueber - legung und ein groſſer Kampf dazu, kan man von den Grentzen der Hoͤllen nicht durch einen Sprung vor die Pforte des Himmels kommen, ſo ſage man ob es vernuͤnftig, wenn man dieſe ſo groſſe und wichtige Veraͤnderung auf eine Stunde verſchiebt, die hoͤchſt ungewiß iſt? Jſt es weiſe, wenn man ein ſo groſ - ſes Werck in einer ſehr kurtzen Zeit aus - zufuͤhren gedencket? Jſt es klug, ein Werck, daß die groͤſte Ueberlegung und Ueberwindung ſeiner ſelbſt erfordert, auf eine Zeit auszuſetzen, wo der Verſtand durch die Schmertzen und die Furcht des Todes gantz verwirret, die Gedan - cken durch die unordentlichen Bewegun - gen des Leibes zerſtreuet und die Kraͤfte der Seelen auſſer den Stand geſetzet werden, wichtige Dinge zu uͤberlegen? Daß die Bekehrung aber ſehr ſchwehr ſey, erhellet eben daraus, weil man ſie immer von einer Zeit zur andern ausſe - tzet und ſich ſo ſehr ſcheuet an der ver - derbten Seele zu arbeiten. Pflegen wir ſonſt wol ſo ſehr zu zaudern eine Sache anzugreiffen, die in einem Augenblickvoll -477[473]vollbracht iſt? Jndem man aber die Bekehrung immer aufſchiebet, begehet man noch folgende Thorheit. Man macht durch das Zaudern die Buſſe im - mer ſchwehrer und entfernet ſich immer weiter von dem Himmel. Die Erfah - rung lehret, wie die Neigungen wach - ſen, welchen wir eine Zeitlang nachge - ben, und wie ſie endlich die voͤllige Herrſchaft uͤber uns erhalten. Man ſehe an die Hochmuͤthigen, die Geitzi - gen, die Saͤuffer, die Hurer, die Be - truͤger, die Zornigen, die Eigenſinni - gen und diejenigen, welche die Zunge zum Schelten und Fluchen gewoͤhnen, nehmen dieſe boͤſen Neigungen nicht mit den Jahren zu, wenn man ihnen nicht mit allem Fleiß Einhalt thut? Ja wur - tzeln ſie nicht bey den mehreſten derge - ſtalt ein, daß ſie gleichſam zu der an - dern Natur des Menſchen werden? Und hat man viel Exempel, daß ſolche Leute ſich recht bekehren? Heiſſet es nicht von ihnen? kan auch ein Mohr ſeine Haut wandeln und ein Parder ſei - ne Flecken, ſo koͤnnet ihr auch Gu - tes thun, weil ihr des Boͤſen ge - wohnet ſeyd. Jer. Cap. 13. v. 23. Trifft nicht bey ihnen ein? Ein fauler Baum kan nicht gute Fruͤchte bringen. Matth.478[474]Matth. Cap. 7. v. 18. Wird man auch wol einen faulen und unnuͤtzen Baum in einem Augenblick in einen guten und fruchtbaren Baum verwan - deln? Wie ſelten dieſes auf dem Kran - ckenbette geſchehe, lehret die Erfahrung bey denen, welche ihre Geſundheit wie - der bekommen und zu deren Leben nach der Kranckheit noch einige Jahre hin - zugeſetzet werden. Hat man viel Exem - pel, daß nach der Kranckheit ein Zorni - ger gelinde und gelaſſen, ein Hochmuͤ - thiger demuͤthig, ein Stoͤrriger leutſee - lig, ein Geitziger milde, ein Saͤuffer maͤßig und ein Zanckſuͤchtiger friedfertig worden? Gewiß es ſind ſolche Exempel ſo rar, daß es auch zum Spruͤchwort worden: Ein Krancker wird nach ſeiner Kranckheit aͤrger. Was iſt aber hier - aus zu ſchlieſſen? Dieſes, daß die Buſ - ſe ſolcher Leute nur in Worten beſtan - den, das Hertz aber nicht geaͤndert wor - den. Waͤre ihre Buſſe rechtſchaffen geweſen, ſo muͤſte ſie nach der Kranck - heit ihre Fruͤchte zeigen. (Siehe Luc. Cap. 3. v. 8. -14. Eſ. Cap. 58. Matth. Cap. 7. v. 19.) Man begreiffe hier - aus, wie wenige ſich wahrhaftig be - kehren, und in den Himmel kommen, welche ihre Beſſerung bis an ihr Endeauf -479[475]aufſchieben, und etwa in der letzten Stun - de ſprechen: HErr ſey mir Suͤnder gnaͤdig! Man verlaͤſſet ſich auf das Exempel des Schaͤchers, welcher ſich kurtz vor ſeinem Tode bekehrte. Luc. Cap. 23. v. 42. 43. Es war ſelbiger zwar ein Moͤrder oder Raͤuber Marc. Cap. 15. v. 27. allein wer weiß ob er dieſem Laſter ſchon lange nach - gehangen und in demſelben eine ſtar - cke Gewohnheit gehabt? Wer weiß, ob er nicht vorher from geweſen und durch Uebereilung und Verfuͤhrung zu ſeinem Fall kommen? Es iſt bekant, wie ſich David vergangen und ein Moͤrder wor - den, da er doch ſonſt GOtt fuͤrchtete. 2. Buch Sam. Cap. 11. Dieſes mer - cket man wenigſtens aus der Rede des Schaͤchers, daß er eine gute Erkaͤntniß von dem Meßia und ſeinem Reiche ge - habt, und kan es gar wol ſeyn, daß er ein guter Menſch geweſen und etwa in einen Aufruhr oder ſonſt unter lieder - lich Geſindel gerathen, und mit demſel - ben geraubet, aber bald darauf gefan - gen worden, ehe die Suͤnde rechte Wur - tzeln bey ihm gefaſſet. Und da haben die groſſen Wunder, welche bey der Creutzigung des Mittlers geſchahen, leicht bey ihm Eindruck finden, ihn zum Nach -den -480[476]dencken bewegen und vermittelſt ſeiner Erkaͤntniß ſein Hertz aͤndern koͤnnen. Es kommt dieſes hinzu, daß Rauberey eine ſolche Suͤnde, deren Abſcheulichkeit leicht zu erkennen, und die von einer Seele, die nicht gantz verwildert iſt, ehender im Ernſt verflucht wird, als andere Laſter, die mehr Reitzung haben. Wie thoͤ - rigt iſt es daher etwas zu hoffen, davon man nur ein eintziges Exempel weiß, deſſen Umſtaͤnde dazu unbekant, und deſſen Gemuͤthsverfaſſung von der unſe - rigen vielleicht gantz unter - ſchieden geweſen?

[477]

Der Betrachtungen uͤber die Weiſen Abſichten GOttes, bey denen Dingen, die wir in der menſchlichen Geſellſchafft und der Offenbahrung antreffen, Siebendes Stuͤck. Goͤttingen, Bey C. H. Cuno, 1740.

[478][479]

Die Reunte Betrachtung Von Der Urſach, die GOtt bewogen den Glauben auf Seiten des Menſchen zu der Bedingung unſerer Rechtfertigung zu machen.

§. 1.

Es iſt einem jeden bekannt, daß die Lehre der Pro -Einlei - tung. teſtanten ſich beſonders in dem Articul von der Rechtfertigung eines Suͤnders vor GOtt von der Lehre der Roͤmiſchen Kirche unterſcheidet. Dieſe behauptet, daß die Bedingung auf Sei -H h 2ten484[480]ten des Menſchen, (cauſa impulſiua minus principalis,) unter welcher GOtt den Suͤnder rechtfertiget, Glau - be und gute Wercke ſeyn: Die Prote - ſtanten aber lehren, daß der Glaube al - lein einen Menſchen in die Gnade GOt - tes ſetze und ihn zu einem Buͤrger des Reichs Chriſti mache. Weil wir nun dafuͤr halten, daß unſere Lehre hievon ſich am deutlichſten begreiffen und von den Einwuͤrffen der Gegner am leichte - ſten befreien laͤſſet, wenn man die Ur - ſach vor Augen hat, welche GOtt be - wogen den Glauben als eine Bedingung der Rechtfertigung zu fordern; ſo haben wir auch mit wenigen von derſelben in dieſen Blaͤttern handeln wollen. Wir ſetzen die Gruͤnde, ſo wir hierzu von noͤthen haben, wie ſonſt, voraus.

§. 2.

Der na - tuͤrliche rohe Menſch iſt als ein Rebell in dem Rei che GOt - tes anzu - ſehen.
83

Zufoͤrderſt muͤſſen wir mit wenig Worten beruͤhren, wie der Menſch in ſeinem natuͤrlichen Zuſtande in Abſicht auf das Reich GOttes anzuſehen. Wer ſich nun ſelbſt kennet und die unordent - lichen Begierden bemercket, die von Natur in uns herrſchen, der wird uns nicht wiederſprechen, wenn wir behaup - ten, ein natuͤrlicher roher und unbekehr -ter485[481]ter Menſch ſey als ein Rebell in dem Reiche GOttes zu betrachten. Denn wer ſeinem rechtmaͤßigen Oberhaupte den Gehorſahm aufſagt und ſich wider das gemeine Beſte auflehnet, verdienet ſchon den Nahmen eines rebelliſchen Buͤrgers. Dieſes aber wird von einem Unbekehrten nicht ſchwehr zu beweiſen ſeyn. Selbiger gehorchet ſolchen Be - gierden, welche weder mit dem Willen GOttes noch mit der allgemeinen Wol - fahrt des menſchlichen Geſchlechts uͤber - einſtimmen. Ein ſolcher erklaͤrt ſich al - ſo durch die That wider GOtt als ſei - nen rechtmaͤßigen Oberherrn, und ent - ziehet ſich muthwillig dem Gehorſahm, den er dieſem ſeinem Schoͤpfer ſchuldig iſt, er ſetzt das Reich deſſelben in Unru - he und macht die Mitbuͤrger ungluͤcklich. Man betrachte nur dieſe Welt, ſo wird man gewahr werden, wie viel Elend die unordentlichen Begierden der Menſchen〈…〉〈…〉 eugen. Da iſt immer einer wider den andern, einer ſucht des andern Wol -[f]ahrt zu hindern und gaͤntzlich aufzuhe -[b]en, da ein jeder den andern als ſich ſelbſt lieben ſolte. Weil nun ein jeder Menſch von Natur von ſolchen unſeeli - gen Begierden beherrſchet wird, ſo iſt klar, daß ein jeder Menſch vermoͤge ſei - ner verderbten Natur vor ſeiner Bekeh -H h 3rung486[482]rung in dem Gnadenreiche GOttes als ein Rebelle anzuſehen. (*)Jſt jemand mit dieſem Worte nicht zu - frieden, und erfordert mehr zu einem Rebellen, als wir angeben, der beliebe ein ander Wort zu nehmen. Er gebe uns nur die Sache zu, ſo wir mit die - ſem Worte hier andeuten. Er gebe uns zu, daß der natuͤrliche rohe und unbekehrte Menſch auſſer dem Gnadenreiche GOt - tes, d. i. auſſer der Geſellſchaft und Ge - meinſchaft der treuen und gehorſahmen Buͤrger GOttes ſey, und dem gemeinen Beſten dieſes Reichs ſich wiederſetze.

§. 3.

Was die Rechtfer - tigung ſey?
84

Die Rechtfertigung iſt ein ewi - ger Rathſchluß GOttes, vermoͤge welches ein Suͤnder unter gewiſſen Bedingungen(*)Dieſe Bedingungen (cauſae impulſiuae externae) ſind die Gnugthuung Chriſti und der Glaube an dieſelbe. begnadiget und zu der Anzahl und den Vorzuͤgen der Kinder GOttes gelaſſen wird. (**)Es iſt hieraus ohne unſere Erinnerung klar, daß die Rechtfertigung kein actus phyſicus, ſondern ein actus forenſis ſey.Bey der Rechtfertigung finden wir etwas, ſo von Ewigkeit her gewe - ſen, und etwas, ſo mit der Zeit ſeinen Anfang nimmt. Der Rathſchluß GOt -tes,487[483][t]es, die Suͤnder unter gewiſſen Bedin - gungen der Weisheit zu begnadigen und〈…〉〈…〉 u ſeinen Kindern wieder anzunehmen,〈…〉〈…〉 ſt ewig. Epheſ. Cap. 1. v. 4. Roͤm. Cap. 〈…〉〈…〉8. v. 29. 30. Die Erfuͤllung und Wuͤr -[c]kung dieſes Rathſchluſſes aber geſchie -[h]et bey einem jeden Suͤnder zu der Zeit, wenn er dasjenige leiſtet, was die ewi -[g]e Weisheit von ihm fordert. Die Wuͤrckungen dieſes gnaͤdigen Entſchluſ -[ſ]es ſind, erſtlich, daß der Suͤnder durch das Wort der Gnaden die Verſicherung〈…〉〈…〉 n ſeiner Seele erhaͤlt: er ſey nunmehr nicht mehr unter den Kindern des Zorns,[ſ]ondern unter den Auserwaͤhlten und Ge -[l]iebten GOttes: zweytens, daß die[b]etruͤbten Folgen der Suͤnden nach und nach aufhoͤren und ein ſolcher zu den Vorzuͤgen der Kinder GOttes gelanget. (***)Was wir hier ſetzen, das haben wir aus des Herrn Abt MOSHEIMS Moral. Theil II. Hauptſtuͤck I. §. VII. Blat 184. 185. Wir werden uns in dieſer Be - trachtung zwar allezeit auf die angefuͤhr - te Erklaͤrung beziehen: wir wollen aber indeſſen dem geneigten Leſer zur Ueberle - gung anheim geben, ob man ſich die Rechtfertigung eines Suͤnders vor GOtt nicht auch folgender Geſtalt vorſtellen koͤnne. Der unendliche Verſtand GOt -tesWir werden hinfuͤhro von derH h 4Recht -488[484]Rechtfertigung allezeit reden, in ſo[-]fern der goͤttliche Rathſchluß anfaͤnge[t]in(***)tes kan die Dinge nicht anders gedencken als ſie ſind, indem er von allem Jrrthum frei iſt. Folglich kan er ſich das Zukuͤnf - tige nicht als etwas Gegenwaͤrtiges und das Gegenwaͤrtige ſich nicht als etwas Zu - tuͤnftiges vorſtellen: oder, daß wir deut - licher reden, GOtt kan die gegenwaͤrtigen Dinge der Welt nicht unter die zukuͤnfti - gen rechnen, und die blos zukuͤnftigen nicht unter die gegenwaͤrtigen zaͤhlen. Hieraus aber erhellet, daß der Verſtand GOttes einen Suͤnder, der ſich erſt kuͤnf - tiges Jahr bekehren wird, ſich jetzo noch nicht unter der Anzahl der wuͤrcklichen ſondern nur annoch zukuͤnftigen Kinder GOttes vorſtellet, und daß er ſelbigen nur erſt in dem Augenblick, da der Suͤnder die geforderten Bedingungen leiſtet, unter die Buͤrger ſeines Gnadenreichs zaͤhlet. Der geneigte Leſer urtheile daher, ob man die Rechtfertigung nicht auch alſo erklaͤ - ren koͤnne? Sie ſey diejenige Wuͤr - ckung (Handlung, actus) des unend - lichen Verſtandes und der Gnade GOttes, durch welche er anfaͤnget einen Suͤnder zu den ſchon wuͤrckli - chen Buͤrgern und rechtſchaffenen Gliedern des Gnadenreichs zu zaͤh - len. Koͤnte dieſe Erklaͤrung ſtatt haben, ſo haͤtte ſie den Vortheil, daß ſie mehr mit der gemeinen Art, wie unſer ſehr ein - geſchraͤnckter Verſtand von GOtt und goͤttlichen Dingen dencket, uͤberein kaͤme,und489[485]in ſeine Erfuͤllung zu treten und ſeine Wuͤrckung zu zeigen, und werden daher die Rechtfertigung in den Augenblick ſe - tzen, da dieſes geſchiehet.

§. 4.

Wer derowegen von GOtt gerecht -Folgen der Recht - fertigung. fertiget wird, der kommt aus der Zahl der wiederſpaͤnſtigen Rebellen unter die Buͤrger des goͤttlichen Gnadenreichs. Folglich bekommt er dadurch ein Recht zu den Vortheilen, welche das Buͤrger - recht dieſes Reichs mit ſich verknuͤpfft hat. Es ſind ſelbige groͤſſer, als irdiſchgeſinn - te Menſchen zu glauben pflegen. Wir wollen die vornehmſten davon nennen. Der erſte Vortheil iſt, daß man dadurch dem Reiche entgehet, in welchem die wei - feſte Regierung GOttes die Buͤrger we - gen ihrer Wiederſpaͤnſtigkeit mit den haͤr - teſten Schickſalen einſchraͤncken muß. Man entgehet einem Reiche, deſſen Woh - nungen hoͤchſtbetruͤbt ſind und wo die rebelliſchen Geiſter mit Ketten der Fin - ſterniß gebunden, d. i. auf das haͤrteſte gehalten werden. Siehe 2. Petr. Cap. 2. H h 5v. 3.(***)und dennoch auch in der genaueſten Er - klaͤrung mit der Wahrheit und dem goͤtt - lichen Weſen ſtimmete.490[486]v. 3. 4. 9. Matth. Cap. 22. v. 13. Aus dieſer unſeeligen Verfaſſung kommt man heraus, und wird frei von der Strafe der Untreue, ſo man verdienet. Der zweyte Vortheil iſt eine genaue Freundſchaft mit GOtt, vermoͤge welcher man mit der ſuͤſſeſten Gewiſſensruhe an ſeine unendliche Vollkommenheiten geden - cken und ſeiner gnaͤdigſten Vorſehung ſich verſichern kan. Man kommt in ein Reich, in welchem GOtt die Buͤrger ſeine geliebteſten Kinder nennet, und ſie vaͤterliche Gnade genieſſen laͤſſet. Der dritte Vortheil iſt die Einweiſung in die himmliſchen Wohnungen, wo eine ewi - ge Ruhe und unwandelbahre Herrlich - keit den treuen Buͤrgern GOttes aufbe - halten wird. Alle dieſe Vortheile ſind Folgen der Rechtfertigung, welche ver - moͤge des gnaͤdigen und ewigen Rath - ſchluſſes GOttes nothwendig damit ver - knuͤpffet ſind.

§. 5.

Die ein - tzige noth - wendige Bedin - gung der Rechtfer - tigung iſt
89

Die Bedingung, unter welcher GOtt den Menſchen rechtfertiget, iſt nach Auſ - ſage der Schrift auf Seiten des Men - ſchen allein der Glaube, ſo daß die Wer - cke gaͤntzlich ausgeſchloſſen werden. Wir wollen die deutlichſten Spruͤche davonanfuͤh -491[487]anfuͤhren. Paulus ſchreibt Roͤm. Cap.der Glaube. 3. v. 28. So halten wir es nun, daß der Menſch gerecht werde ohne des Geſetzes Werck, allein durch den Glauben. Und Roͤm. Cap. 4. v. 5. 6. Dem aber, deꝛ nicht mit Wer - cken umgehet, glaubet aber an den, der die Gottloſen gerecht machet, dem wird ſein Glaube gerechnet zur Gerech - tigkeit. Nach welcher Weiſe auch Da - vid ſaget, daß die Seeligkeit ſey allein des Menſchen, welchem GOtt zurechnet die Gerechtigkeit ohne Zuthun der Wer - cke. Jn dem Briefe an die Galater Cap. 2. v. 16. leſen wir folgendes Zeug - niß hievon: Doch weil wir wiſſen, daß der Menſch durch des Geſetzes Werck nicht gerecht wird, ſondern durch den Glauben an JEſum Chriſt, ſo glaͤu - ben wir auch an Chriſtum JEſum, auf daß wir gerecht werden durch den Glauben an Chriſtum, und nicht durch des Geſetzes Werck: denn durch des Geſetzes Werck wird kein Fleiſch gerecht. Und an die Epheſer ſchreibt Paulus folgendes, Epheſ. Cap. 2. v. 8. 9. Aus Gnaden ſeyd ihr ſeelig worden durch den Glanben, und daſ - ſelbige nicht aus euch, GOttes Gabe iſt es. Nicht aus den Wercken, auf daß ſich nicht jemand ruͤhme.

§. 6.492[488]

§. 6.

Worauf ſich der Glaube beziehe?
89

Wir unterſuchen zufoͤrderſt, worauf ſich der Glaube erſtrecken muͤſſe, welchen die Schrift von uns fordert. Sie ſchei - net nicht in allen Stellen auf einerlei Glauben zu dringen. An dem einem Orte fordert ſie den Glauben an GOtt, und daß er ein Vergelter ſeyn werde de - nen, die ihn ſuchen, Ebr. Cap. 11. v. 6. Roͤm. Cap. 4. v. 24. An andern Or - ten verlanget ſie bloß den Glauben an JEſum, Apoſt. Geſch. Cap. 16. v. 31. noch an einem andern Orte den Glau - ben an das gantze Evangelium, Marc. Cap. 1. v. 15. Johannes giebt Anlei - tung uͤberhaupt den Zeugniſſen GOttes von ſeinem Sohn zu glauben, 1. Joh. Cap. 5. v. 9. 10. 11. Petrus lobt die - jenigen, welche auf das Prophetiſche Wort achten und folglich ſelbigem glau - ben, 2. Pet. Cap. 1. v. 19. 20. 21. und Paulus tadelt uͤberhaupt diejenigen, wel - che die Liebe zu der Warheit, die ſie pre - digten, nicht angenommen, und alſo ih - rer ſaͤmtlichen Lehre keinen Glauben bey - meſſen wollen. 2. Theſſal. Cap. 2. v. 10. Wir muͤſten wider die Lehre des Erloͤſers mehr als einen Weg zum Him - mel annehmen, wenn wir dafuͤr halten wolten, daß von verſchiedenen Menſchen zu einer Zeit und unter einerlei Umſtaͤn -den493[489]den(*)Daß bey Menſchen, von verſchiedenen Umſtaͤnden und Zeiten, ein verſchiede - ner Glaube koͤnne gefordert werden, wollen wir unten §. 21. beweiſen. ein Glaube von gantz verſchie - denen Wahrheiten gefordert wuͤrde. Da - mit wir daher dieſe Forderungen mit ein - ander in Uebereinſtimmung ſetzen koͤnnen, ſo wollen wir zuerſt dasjenige heraus ſu - chen, was ſie mit einander gemein ha - ben. Wenn man ſelbige aber insge - ſamt zuſammen haͤlt, ſo wird man fol - gende allgemeine Forderung darinne an - treffen: Man ſolle GOtt und die Zeugniſſe, die er von ſich und den Stuͤcken, ſo zu unſerer Wolfahrt noͤthig ſeyn, gegeben, mit geziemen - der Ehrerbietung und Vertrauen annehmen. Hat dieſe Erklaͤrung ihre Richtigkeit, ſo wird es nicht ſchwehr zu finden ſeyn, warum bey dem einen auf die Annehmung dieſer, bey einem andern auf die Annehmung einer andern Wahr - heit gedrungen wird. Gibt z. E. einer den Zeugniſſen, die GOtt von ſich und andern Wahrheiten des Heils im A. T. gegeben, ſchon Beyfall, ſo darf er nur ermahnet werden auch das Zeug - niß GOttes von ſeinem Sohne anzu - nehmen. So war es unnoͤthig den heid - niſchen Hauptmann Cornelius zu demGlau -494[490]Glauben an den lebendigen GOtt zu leiten, weil er ſelbigen ſchon als ein Hei - de bekante, ſondern es konte ihm gleich das Evangelium von Chriſto verkuͤndi - get werden. Apoſt. Geſch. Cap. 10. Den aberglaͤubiſchen Athenienſern aber muſte erſt der ihnen unbekante GOtt der Schoͤpfer Himmels und der Erden ge - prediget werden. Apoſt. Geſch. Cap. 17. v. 23. u. f. Und hieraus iſt klar, wie verſchiedenen Menſchen verſchiedene Wahrheiten zu glauben koͤnnen ange - prieſen und ſie dadurch dennoch zu einer - lei Glauben gefuͤhret werden. Der Glaube iſt als ein Gantzes anzuſehen, der ſo viel Theile hat, als er Wahr - heiten faſſet. Dem einen kan dieſer, dem andern aber ein ander Theil des Glaubens fehlen und er ſelbigen anzuneh - men vermahnet werden. Setzt ein jeder denjenigen Theil hinzu, der ihm mangelt, ſo haben ſie insgeſamt einerlei Glauben, was die Summe aller Wahrheiten be - trifft, die anzunehmen noͤthig ſind. Es kommt dieſes hinzu, daß die Haupt - wahrheiten der Chriſtlichen Religion ſo mit einander verknupfft ſind, daß, wer die eine zugiebt, die andern zugleich an - nehmen muß. Wer glaubt, daß JE - ſus GOttes Sohn, und der Meßias ſey, der die Menſchen erloͤſen ſollen, der mußeinen495[491]einen GOtt, Himmel und Hoͤlle zuge - ben. Verbindet man daher jemand das eine anzunehmen, ſo muß er auch das andere fuͤr wahr halten.

§. 7.

Wir wollen nun mit mehreren feſt ſe -Was der Glaube eigentlich ſey? tzen, was der Glaube ſey, den die Schrift von denen fordert, die ſich Buͤrger GOt - tes nennen wollen. Das Wort glau - ben uͤberhaupt betrachtet hat mehr als eine Bedeutung. Jnsgemein zeigen wir dadurch an, daß wir etwas fuͤr wahr halten, wir moͤgen ſolches durch Beweiß, Muthmaſſung oder durch das Zeugniß eines andern erkennen. (*)Will man auf den ordentlichen und ge - woͤhnlichen Gebrauch des Wortes glau - ben ſehen, ſo wird Niemand leugnen koͤnnen, daß man ſo wol von den Wahr - heiten, die man durch den genaueſten Beweiß erkennet, als auch von denen, die man aus der Erzaͤhlung eines andern hat, ſage: man glaube ſie. Auch die Philoſophen, welche das hoͤchſte We - ſen durch den ſchaͤrfeſten Beweiß erken - nen, ſprechen, ſie glauben einen GOtt. Jn der Heil. Schrift wird daher auch wol die gewoͤhnlichſte Bedeutung die -ſemAndere aberge -496[492]gebrauchen das Wort glauben nur von dem Beyfall, den wir einer Sache we - gen des Zeugniſſes eines andern oder we - gen anderer nur wahrſcheinlichen Gruͤn - de geben, und ſagen, was man bewei - ſen koͤnne, wiſſe man gewiß, was uns aber ein ander erzaͤhle oder nur mit wahr - ſcheinlichen Muthmaſſungen erkannt wer - de, muͤſſe man glauben. (**)Siehe REUSCHII Syſtema Logicum Cap. XII. §. 664. ſqq. pag. 754. ſqq. Dieſe ſe - tzen alſo Wiſſenſchaft und Glauben ein - ander entgegen. Wir aber nehmen hier des Wort glauben uͤberhaupt betrach - tet in der erſten Bedeutung, mit dem Zuſatz, daß es uns eben ſo viel heiſſet als etwas fuͤr eine ſo gewiſſe Wahr - heit annehmen, daß man ſich auf die Gewißheit derſelben voͤllig ver - laͤſſet, es mag ſolches aus hiſtori - ſchen oder andern Gruͤnden oder auch aus beyden zugleich erkannt werden. Nach der Schrift heiſſet denn glauben ſo viel, als GOtt und ſeine heiligſten Zeugniſſe von ſich und den noͤthigen Stuͤcken unſererSee -(*)ſem Worte beyzulegen ſeyn, beſonders da ſie auch viele von ſolchen Wahrhei - ten vortraͤgt, die unſere Vernunft auf das buͤndigſte beweiſen kan.497[493]Seeligkeit mit einer geziemenden Ehrerbietung und ſolcher Ueber - zeugung annehmen, daß man ſich gewiß darauf verlaͤſſet, und ein - folglich der Wille anfaͤnget dadurch in heilige Bewegungen geſetzet zu werden. Will man die Wahr - heit, auf deren Glauben die Offenbah - rung beſonders dringet, in der Erklaͤrung des Glaubens mit ausdruͤcken, ſo kan man ſagen: Der Glaube ſey eine ehr - erbietige, gewiſſe, zuverlaͤßige und den Willen bewegende Annehmung GOttes und ſeiner Zeugniſſe von ſich und den noͤthigen Stuͤcken un - ſerer Seeligkeit, beſonders des Zeug - niſſes von der Erloͤſung durch Chri - ſtum. Daß der Glaube, den die Schrift fordert, ſich auf GOtt und deſ - ſen heilige Zeugniſſe erſtrecke, iſt §. 6. erwieſen worden. Es iſt daher noch zu erhaͤrten, daß er muͤſſe von einem recht feſten Vertrauen begleitet werden und[l]ebendig ſeyn oder den Willen in heilige Bewegungen ſetzen. Jenes beweiſet Ebr. Cap. 11. v. 1. Roͤm. Cap. 4. v. 20. 21. Dieſes wird gefordert Gal. Cap. 5. v. 6. Jacob. Cap. 2. v. 26.

J i§. 8.498[494]

§. 8.

Der Glaube wuͤrcket rechtſchaf - fene Buſ - ſe und Lie - be.
93

Wer derowegen den Glauben hat, welchen die Schrift fordert, der nimmt den dreyeinigen GOtt als ſeinen Schoͤ - pfer und rechtmaͤßigen HErrn und als die eintzige Quelle ſeiner Wolfahrt an. Er unterwirfft ſich folglich allen goͤttlichen Geſetzen, und erkennet ſich ſchuldig ſelbi - gen mit aͤuſſerſtem Vermoͤgen ein Gnuͤ - ge zu leiſten, und eignet ſich dabey ſo wol die goͤttlichen Drohungen als ſeine Ver - heiſſungen auf gewiſſe Maaſſe zu. Hier - aus aber entſtehen bey einem Suͤnder unmittelbahr dieſe Folgen. Er nimmt vermoͤge des Glaubens die goͤttlichen Zeugniſſe an. Selbige aber ſagen ihm nebſt der Erfahrung, daß er vermoͤge ſei - ner ſuͤndlichen und unordentlichen Nei - gungen ein Rebell in dem Reiche ſeines GOttes ſey. Andere Wahrheiten des Glaubens verſichern ihn, daß GOtt ein rechter Richter ſey, der ſein Schwerdt gewetzt, ſeine Feinde auf ewig zu verder - ben. Der Glaube haͤlt ihm ferner vor die groſſen Wolthaten GOttes, die er bisher theils nicht geachtet theils mit der groͤßten Undanckbarkeit gemißbrauchet. Dieſe Ueberzeugung, wenn ſie recht le - bendig iſt, muß in ihm nothwendigSchreck -499[495]Schrecken, Furcht, Scham und Betruͤb - niß erregen und ein ſehnliches Verlan - gen erwecken mit dieſem GOtt ausge - ſoͤhnt zu werden. Andere Wahrheiten des Glaubens hingegen verſprechen dem bußfertigen und glaͤubigen Suͤnder die Gnade GOttes, und halten ihm vor, wie GOtt dieſe Gnade durch die Erloͤ - ſung Chriſti in die groͤſte Gewißheit und in das helleſte Licht geſetzet. Dieſe Gna - de ergreifft er mit einer freudigen Zuver - ſicht, und faͤnget an mit den liebreich - ſten Bewegungen und dem feſteſtem Vorſatz, hinfuͤhro einen treuen Buͤrger in dem Reiche des HErrn abzugeben, an GOtt als ſeinen gnaͤdigen HErrn zu glauben, d. i. er nimmt nunmehr den dreyeinigen GOtt in der zaͤrtlichſten Ehr - furcht als ſeinen rechtmaͤßigen und gnaͤ - digen HErrn, als ſeinen Erloͤſer und Koͤ - nig an, und hat den feſten Vorſatz die Geſellſchaft der Rebellen zu verabſcheu - en, und GOtt ewig treu zu ſeyn. Mit einem Wort: es wuͤrcket dieſer Glaube unmittelbahr rechtſchaffene Buſſe und reitzet zur treuen Liebe gegen GOtt. (*)Wenn wir hier ſagen, daß der Glaube rechtſchaffene Buſſe wuͤrcke, ſo verknuͤpf -fen

J i 2§. 9.500[496]

§. 9.

Wenn die Rechtfer - tigung ge - ſchiehet?
94

Es ſind dieſe Wuͤrckungen des Glau - bens dergeſtalt mit einander verknuͤpfft wie Feuer und Waͤrme, keines kan ohne das andere ſeyn. (*)Der geneigte Leſer beliebe hierbey nach - zuleſen, was der Herr Abt MOSHEIM in ſeiner Sitten-Lehre im zweyten Theile §. I. Blat 14. 15. erinnert. Er beweiſet daſelbſt, daß ſo wol das Wort Buſſe, als das Wort Glaube in ver -ſchie -So lange daherder(*)fen wir damit folgenden Gedancken: Der Glaube, welcher vor GOtt gilt, wuͤrcket auch diejenige Buſſe, welche rechtſchaffen und vor GOtt guͤltig iſt. Eine Buſſe, welche dieſen Glauben nicht zum Grunde hat, iſt unvollkommen und unguͤltig vor GOtt. Eine bloſſe Reue und Betruͤbniß uͤber die Suͤnde, welche ein unvollkommener Glaube an die Zeug - niſſe des HErrn, als etwa der bloſſe Glaube an die Drohungen GOttes er - regt, iſt noch keine rechtſchaffene Buſſe, ſondern ſie erlanget erſt ihre Vollkom - menheit durch denjenigen Glauben, wel - cher auch die uͤbrigen Zeugniſſe des Hoͤch - ſten beſonders die von der unendlichen Gnade GOttes durch Chriſtum annimmt, und ein zuverſichtliches Vertrauen zu derſelben nebſt dem feſten Vorſatz ſich zu beſſern wuͤrcket.501[497]der Glaube noch keine rechtſchaffene Buſ - ſe gewuͤrcket und dieſelbe vollkommen ge - macht, auch die Staͤrcke noch nicht er - langet, daß er anfaͤnget den Menſchen zur Liebe zu reitzen, iſt er todt, eitel und nichtig und gilt nichts vor GOtt. (§. 7. Matth. Cap. 18. v. 3. Joh. Cap. 3. v. 3.) So bald aber der Glaube zu die -J i 3ſer(*)ſchiedener Einſchraͤnckung genommen werde. Wird nemlich Buſſe und Glau - be neben einander geſetzet, ſo wird un - ter der Buſſe nur die Erkaͤnntniß und Bereuung der Suͤnden, unter dem Glau - ben aber der zuverſichtliche Beyfall, den man den gnaͤdigen Zeugniſſen GOttes beſonders dem Zeugniß von ſeinem Soh - ne giebet, in abſtracto oder dergeſtalt, daß man ihn von ſeinen Wuͤrckungen unterſcheidet, verſtanden. Wenn aber der Buſſe allein, wie Matth. Cap. 3. v. 2. 6. Cap. 4. v. 17. Jerem. Cap. 31. v. 19. oder des Glaubens allein, wie Apoſt. Geſch. Cap. 16. v. 31. Luc. 17. v. 11. 12. gedacht und ſelbige als die Bedingung der Vergebung der Suͤnden und der Rechtfertigung angegeben wer - den; ſo begreifft die Buſſe den Glauben und der Glaube die Buſſe in ſich. Wol - te man hieran zweiffeln, wuͤrde man mehr als einerlei Heils-Ordnung an - nehmen und die heiligſte Lehrer eines Wiederſpruchs beſchuldigen muͤſſen.502[498]ſer Vollkommenheit gediehen, geſchiehet die Rechtfertigung eines Suͤnders vor GOtt. Roͤm. Cap. 5. v. 1. Luc. Cap. 23. v. 40. 43. 1. Cor. Cap. 6. v. 11. Es geſchiehet daher die Rechtfertigung des Suͤnders noch in dieſem Leben, nem - lich in dem Augenblick, da der Glaube die beſchriebene Vollkommenheit erreicht. Wir werden unten beweiſen, daß dieſer Glaube alle Eigenſchaften einer neuen Huldigung habe, welche der abgefallene Suͤnder GOtt thut.

§. 10.

Warum der Glau - be als die eintzige Bedin - gung der Rechtfer - tigung ge - fordert wird?
97

Wir wenden uns nun zu der Be - trachtung der Urſach, die GOtt bewo - gen den Glauben gantz allein zu der Be - dingung unſerer Rechtfertigung und folg - lich auch unſerer Seeligkeit zu machen. Wir wollen zeigen, daß bey den gefal - lenen Menſchen keine andere Bedingung moͤglich, als dieſe, und daß GOtt al - ſo keine andere erwaͤhlen koͤnnen. Wir ſind durch den Fall und vermoͤge unſe - rer unordentlichen Begierden Rebellen in dem Reiche GOttes. Nun ſage man, welches ſind die Bedingungen, unter welchen ein Rebell kan begnadiget werden und das verlohrne Buͤrgerrechtwie -503[499]wieder erlanget? Jſt eine andere Be - dingung moͤglich als dieſe, daß er er - kennet, der Landesherr ſey ſein rechtmaͤſ - ſiges Oberhaupt, und daß er denſelben in wahrer Bereuung ſeines Unfugs und mit dem Verſprechen aufrichtiger Treue wieder als ſeinen rechtmaͤßigen Herrn annimmt, und dafuͤr erklaͤret, allen ſei - nen Verordnungen ſich ehrerbietig un - terwirfft, und ihm alſo auf das neue huldiget? Wir glauben nicht, daß je - mand eine andere Bedingung wird an - geben, unter welcher ein weiſer Landes - herr einem Rebellen die Strafe ſchen - cken und unter die Zahl der gehorſah - men Buͤrger aufnehmen koͤnne. (*)Wir reden hier von einem ſolchen Re - bellen, welchem die etwa ſonſt gewoͤhn - liche Strafe ſoll geſchencket, und wel - cher in alle die Rechte, deren er ſich ver - luſtig gemacht, wieder ſoll geſetzet wer - den. Denn wir muͤſſen unſer Gleichniß ſo abfaſſen, daß es bey der goͤttlichen Begnadigung kan| ſtatt finden. Sonſtkoͤnnen

§. 11.

Der Glaube aber, den wir oben be -Weitere Ausfuͤh - chrieben und der von Gott als die Bedin -J i 4gung504[500]rung des vorigen.gung erfordert wird, unter welcher er uns will wieder in ſein Reich nehmen, iſt eine ſolche neue Huldigung. Denn durch den Glauben nehmen wir GOtt, dem wir in unſerm rohen und natuͤrli - chen Zuſtande den Gehorſahm aufgeſa - get, wieder als unſern rechtmaͤßigen Herrn an und bereuen unſere vorige Wie - derſpaͤnſtigkeit. Durch den Glauben an die Gnade, ſo durch JEſum offen - bahret iſt, faſſen wir ein liebreiches Zu - trauen zu der weiſen und guͤtigſten Re - gierung GOttes, und uͤberlaſſen uns derſelben voͤllig mit der treueſten Ehrer - bietung. Durch den Glauben an die goͤttlichen Offenbahrungen nehmen wirend -(*)koͤnnen freilich in weltlichen Reichen noch andere Bedingungen erfordert wer - den. Hat ein Rebell auswaͤrts Vermoͤ - gen, ſo kan man verlangen, daß er von demſelben vorher einen Theil ſeiner Strafe erlege, oder man kan von ihm fordern, daß er zum Beſten des Vater - landes erſt einen Feldzug wider die Fein - de thue, ehe man ihn wieder in die vorige Rechte ſetzet. Da uns aber GOtt ohn alles Verdienſt aus lauter Gnade recht - fertigen d. i. unter die Zahl ſeiner Buͤr - ger wieder aufnehmen und uns alle Stra - fen ſchencken will, Roͤm. Cap. 3. v. 24. ſo muͤſſen wir einen ſolchen Fall ſetzen, der dieſem aͤhnlich iſt.505[501]endlich alle Geſetze und Anordnungen des oberſten Koͤniges an, und unterwerffen denſelben unſern Willen. (§. 7. 8.) Jſt nun aber eine ſolche neue Huldigung die eintzige moͤgliche Bedingung, unter wel - cher ein Rebell voͤllig kan begnadiget, und unter die Anzahl der guten Buͤrger wieder aufgenommen werden; (§. 10.) ſo iſt begreiflich, warum auch GOtt den Glauben gantz allein zu der Bedingung der Rechtfertigung eines Suͤnders ge - macht. Denn ein jeder Suͤnder iſt in dem Reiche GOttes ein Rebelle, (§. 2.) die Rechtfertigung aber iſt nichts anders als eine vollkommene Begnadigung ei - nes ſolchen wiederſpaͤnſtigen Buͤrgers. (§. 3. 4.) Da nun GOtt hoͤchſt wei - ſe iſt, ſo kan er keine andere Bedingung fordern, als diejenige, welche die Na - tur der Sache mit ſich bringet. (§. 10.)

§. 12.

Wir unterſuchen insbeſondere, war -Warum gute Wer - cke keine Bedin - gung der Rechtfer - tigung ſeyn koͤn - nen? um die guten Wercke nicht eine Be - dingung der Rechtfertigung oder Be - gnadigung eines Suͤnders ſeyn koͤnnen. So weit unſere Einſicht reichet, begreif - fen wir folgende Urſache davon. Die Rechtfertigung geſchiehet ſo bald als der Suͤnder glaubt, d. i. GOtt und JE -J i 5ſu506[502]ſu huldiget und den Eid der Treue ab - ſchweret: (§. 9.) folglich geſchiehet die Rechtfertigung eher, als ein ſolcher Menſch gute Wercke thun kan. Denn die Wercke, welche ein Menſch thut, ehe er GOtt, ſeine Zeugniſſe und Ord - nungen geziemender maſſen annimmt, koͤnnen demſelben nicht als etwas gu - tes dergeſtalt beygeleget werden, daß ihn ſolches in den Augen GOttes zu einem wuͤrdigen Gliede ſeines Reiches machte. Die Urſache liegt am Tage. Man laſ - ſe einen Rebellen auſſer dem Reiche, deſ - ſen Haupte er ſich unterwerffen ſolte, noch ſo viel Gutes thun, wird ihn dieſes von ſeinem rechtmaͤßigen Koͤnige, ſo lange als er ihn nicht fuͤr ſeinen Herrn erken - nen und ſeine Geſetze annehmen will, als ein Verdienſt koͤnnen zugerechnet werden, um deßwillen er dieſen wie - derſpaͤnſtigen Kopf unter ſeine treu - en Buͤrger zaͤhlen koͤnte? Niemand wird dieſes bejahen. Kan dieſes aber nicht ſeyn, ſo koͤnnen auch keine Wer - cke, die der Suͤnder ohne Glauben an GOtt und ſeine Zeugniſſe verrichtet, eine Bedingung ſeiner Rechtfertigung abgeben. Denn alles, was er verrich - tet, thut er bloß ſeinetwegen als ein wi - derſpaͤnſtiger Rebell ohne die geringſteAb -507[503]Abſicht auf das Reich GOttes, indem er ſelbigen und ſeine Ordnung verwirfft und verachtet, und geben daher alle ſei - ne Wercke keine Urſach ab, ihn unter die treuen Buͤrger des Hoͤchſten zu zaͤhlen.

§. 13.

Dieſe Frage koͤnte hierbey aufgeworf -Weitere Ausfuͤh - rung des vorigen. fen werden: warum GOtt mit der Rechtfertigung eines Suͤnders nicht ver - ziehe, bis er durch den Glauben etwas Gutes verrichtet? Wir antworten hier - auf zweyerlei. GOtt als ein hoͤchſt weiſes und guͤtiges Weſen muß vermoͤge dieſer unendlichen Eigenſchaften den Suͤnder ſo bald unter ſeine treuen Buͤr - ger wieder annehmen, als hinlaͤngliche Urſachen da ſeyn, um welcher willen er ihn kan als einen ſolchen anſehen. So bald nun aber ein Suͤnder glaubt und dem dreyeinigen GOtt in ſeinem Hertzen aufrichtig huldiget, iſt in den Augen deſſen, der Hertzen und Nieren pruͤfet, eine hinlaͤngliche Urſache vorhanden, warum er ihn unter ſeine treuen Buͤrger wieder zaͤhlen kan. Folglich muß ihn auch die unendliche Guͤte bey der Ver - ſoͤhnung JEſu ſo gleich rechtfertigen, als der rechtſchaffene Glaube da iſt. Wol -te508[504]te GOtt aber auch erſt Wercke fordern, ſo ſchnitte er zweytens denen alle Hoff - nung ab, welche etwa erſt, wie der Schaͤcher, am Ende ihrer Tage zur Er - kaͤnntniß und Glauben gelangen, wel - ches aber ſeiner zaͤrtlichen Vaterliebe zu hart iſt, und iſt ihm alſo auch aus die - ſer Urſache der bloſſe rechtſchaffene Glau - be, deſſen rechtſchaffenes Weſen er als der allwiſſende GOtt noch vor dem Er - folg der guten Wercke vollkommen ein - ſiehet, genug, uns wieder ſeine liebe Kinder zu nennen.

§. 14.

Der Glaube giebt uns das Recht zur See - ligkeit.
99

Die Rechtfertigung iſt die nechſte Stuffe in den Himmel. Durch ſie be - kommen wir das Recht zu der Herrlich - keit der Kinder GOttes. (§. 3. 4.) Die Bedingung, unter welcher uns GOtt rechtfertiget, iſt derowegen auch die Bedin - gung unſerer Seeligkeit. Da nun der rechtſchaffene Glaube die eintzige Bedin - gung unſerer Rechtfertigung iſt, ſo iſt er auch die eintzige Bedingung, die zu un - ſerer Seeligkeit noͤthig iſt, ſo daß auch ein Schaͤcher, der im letzten Augenblick JEſu durch den Glauben huldiget, die Hoffnung bekommt, noch denſelben Tag das Paradieß zu ſehen.

§. 15.509[505]

§. 15.

Jacobus ſcheinet indeſſen die Lehre,Beweis, daß Pau - lus und Jacobus in der Leh - re von der Rechtfer - tigung[ei -]nig ſind. welche wir zeither vorgetragen, mit den deutlichſten Worten umzuſtoſſen, da er Jacob. Cap. 2. v. 24. ſchreibet: So ſe - het ihr nun, daß der Menſch durch die Wercke gerecht wird, nicht durch den Glauben allein. Wir halten dafuͤr, daß dieſe Lehre Jacobi mit der obigen Lehre beſonders mit Pau - li Worten am leichteſten und natuͤrlich - ſten auf folgende Art verglichen wird. Doch wollen wir gerne unſere Meinung wiederruffen, wenn ſie von andern un - richtig befunden wird. Es koͤnnen zwey Fragen aufgeworffen werden. Die er - ſte iſt: welches iſt die Bedingung, unter welcher GOtt den Suͤnder unter ſeine treuen Unterthanen aus Gnaden wieder aufnimmt und ihm die buͤrgerlichen Gnadenrechte ſei - nes Reichs wieder ſchencket? Hier - auf iſt die Antwort, der Glaube oder die neue Huldigung gantz allein. Die[z]weyte Frage iſt dieſe: welches ſind die Bedingungen, unter welchen ei - ner ein treuer Buͤrger GOttes blei - bet? Die Antwort hierauf iſt unſtreitig, Glaube, da man fortfaͤhret GOtt und ſeine Zeugniſſe ehrerbietig anzunehmen, und gute Wercke, welche mit der Zeitund510[506]und Gelegenheit nothwendig aus dem Glauben erfolgen. Man kan durch den bloſſen Glauben ohne gute Wercke ver - richtet zu haben ein Buͤrger GOttes werden; allein man kan ohne gute Werke kein treuer Buͤrger GOttes blei - ben. Ein jeder, der die Sache uͤber - dencket, wird dieſes zugeben. Wir wollen daher Kuͤrtze halber ſolches nicht weitlaͤuftig beweiſen. Dieſes zum vor - aus geſetzet wollen wir unterſuchen, was bey den beyden Apoſteln Paulus und Jacobus rechtfertigen heiſſe. Rechtfer - tigen heiſſet uͤberhaupt bey GOtt einen Suͤnder wieder fuͤr gerecht, fuͤr einen treuen Buͤrger, oder nach der Erklaͤrung Ja[c]o - bi Jac. Cap. 2. v. 23. fuͤr ſeinen Freund erklaͤren, und koͤnte das griechiſche Wort unſerer Meinung nach am beſten uͤberſetzet werden, fuͤr gerecht erklaͤren. Dieſes aber leidet zweyerlei Erklaͤrung. Erſt - lich kan es ſo viel bedeuten: jemand un - ter die guten Buͤrger und Freunde wie - der aufnehmen; zweytens aber kan es auch heiſſen: jemand fuͤr gerecht und fuͤr ſei - nen Freund erklaͤren, dergeſtalt, daß man ihn unter diejenigen zaͤhlet, die ſchon lan - ge gerecht und gute Buͤrger geweſen ſind. Jſt unſere Einſicht nicht zu ſchwach, ſo ſind dieſe beyderlei Bedeutungen desWorts511[507]Worts rechtfertigen in den Briefen Pau - li und in dem Briefe Jacobi anzutreffen.

§. 16.

Paulus, wie uns deucht, unterſucht inPauli Leh - re von der Rechtfer - tigung. dem Briefe an die Roͤmer und an an - dern Orten, wodurch man in das Gnadenreich GOTTes wieder - komme, und unter welcher Bedin - gung man von GOtt begnadiget und unter ſeine Buͤrger wieder auf - genommen werde? Er diſputiret ins - gemein, wenn er von der Rechtfertigung redet, wider die Juden. Selbige glaub - ten, daß Niemand das Buͤrgerrecht in dem Reiche GOttes bekommen koͤn - ne, er erfuͤlle denn zuvor das Geſetz, er laſſe ſich beſchneiden, und thue ſonſt des Geſetzes Wercke, wie aus Roͤm. Cap. 3. v. 20. u. f. Cap. 4. wo Paulus wider dieſe Meinung ſtreitet, erhellet. Paulus fuͤhret hier an, wie ſo gar dem Abraham ohne die Beſchneidung und andere Geſe - tzes-Wercke der Glaube ſey zur Gerech - tigkeit zugeeignet worden; nicht zwar ſo, daß er damahls erſt ſey unter die Freun - de GOttes aufgenommen; denn er war ſchon ein Freund des HErrn, als er deſ - ſen Ruf folgete und aus Chaldaͤa in das Land Canaan zog 1. Buch Moſ. Cap. 12. ſondern daß ihm dieſer Glaube, den er der Verheiſſung GOttes von einemSoh -512[508]Sohne gab, als eine neue Probe ſeiner Gerechtigkeit zugerechnet worden. Hier - aus folgert er, weil hier dem Abraham ein bloſſer Glaube zur Gerechtigkeit ge - rechnet wird; ſo kan man uͤberhaupt durch den Glauben GOtt gefaͤllig wer - den, folglich iſt es nicht ungereimt, wenn wir Apoſtel lehren, daß jemand durch den Glauben allein GOtt dergeſtalt ange - nehm werde, daß er ihn wuͤrdig achte unter ſeine Freunde aufzunehmen, und daß der Glaube allein hinlaͤnglich ſey, damit den erſten Tritt in das Reich GOt - tes zu thun. Daß aber Paulus hier von dem erſten Eintritt in das Reich des Hoͤchſten rede und nur zeigen wolle, wel - ches die Bedingung ſey, unter der man ein Buͤrger GOttes werde, erhellet aus folgenden. Paulus ſchreibt ſelbſt Roͤm. Cap. 3. v. 22. daß er rede von der Ge - rechtigkeit, die durch den Glauben auf uns kommt, und folglich auch von der Bedingung, unter welcher ſie auf uns kommt, nicht aber unter welcher ſie auf uns bleibet. Es ſind daher auch ſeine Worte, die wir Roͤm. Cap. 3. v. 28. leſen, in dem allergenaueſten Verſtande zu nehmen, dergeſtalt, daß man ihnen folgenden Sinn beyleget: So halten wir es nun, daß der Menſch gerecht werde, d. i. den erſten Tritt in dasReich513[509]Reich GOttes thue ohne des Geſetzes Werck, allein durch den Glauben. Daß Paulus in dieſer Materie an dieſem Orte uͤberall auf die erſte Einnahme in das Reich der Gnaden ſeine Gedancken gerichtet, iſt vollkommen klar aus Roͤm. Cap. 5. v. 1. wo er ſchreibt: Nun wir denn ſind gerecht worden durch den Glauben. Er redet hier von der Rechtfertigung durch den Glauben, als einer bey ihm und den uͤbrigen Bekehrten ſchon geſchehenen Sache, und zielet al - ſo in ſeiner gantzen vorhergegangenen Diſputation auf den erſten Augenblick der Aufnahme unter die Kinder GOt - tes. So bald er aber auf die Frage kommt, ob man auch ohne die Wercke der Heiligung ein Kind und Knecht GOt - tes bleiben koͤnne, ſo ſetzt er die guten Wer - cke neben den Glauben, als eine Bedin - gung, ohne welche die erlangte Gerech - tigkeit nicht beſtehen und fortdauren kan. Nachdem er weitlaͤuftig bekraͤftiget, daß GOtt aus lauter Gnade, ohne Verdienſt der Wercke, den glaͤubigen Suͤndern fuͤr gerecht erklaͤren und unter ſeine Kinder zaͤhlen wolle, ſo begegnet er denen, die et - wa dencken moͤchten, ſo kan man ja wol ſuͤndigen, damit GOtt noch mehr Gele - genheit habe ſeine Gnade zu offenbahren. Er wirfft in dieſer Abſicht Roͤm. Cap. 6. K kv. 1.514[510]v. 1. folgende Frage auf: Was wol - len wir hierzu ſagen? Sollen wir in der Suͤnde beharren, auf daß die Gnade deſto maͤchtiger werde? Er verwirfft dieſes mit vielen Worten. Wir wollen nur folgende zu unſerm Beweiſe hieher ziehen. V. 17. heiſſet es: ihr ſeyd Knechte der Suͤnden geweſen, und v. 18. ihr ſeyd Knechte der Ge - rechtigkeit worden, nemlich durch den Glauben. V. 19. wird daraus der Schluß gemacht: begebet euere Glie - der zu Dienſte der Gerechtigkeit, daß ſie heilig werden, d. i. ſo reichet nun dar in eurem Glauben die Tugend. (ſie - he 2. Petr. Cap. 1. v. 5.) V. 22. wird eben dieſer Schluß mit einer geringen Veraͤnderung der Worte wiederholet. Nun ihr aber, heiſſet es daſelbſt, ſeyd von der Suͤnden frei und GOttes Knechte worden, nemlich durch den Glauben, habt ihr euere Frucht, nem - lich die Vergebung der Suͤnden und die Gnade GOttes nebſt den uͤbrigen Heils - guͤtern, daß ihr heilig werdet, oder zur Heiligung. Wer vernimmt hier - aus nicht, daß der Glaube gute und heilige Wercke wuͤrcken ſolle, und daß ohne dieſelben Niemand ein Knecht GOt - tes bleiben koͤnne? Nach der Lehre Pau - li iſt derowegen der Glaube die eintzigeBe -515[511]Bedingung, unter welcher wir Kinder GOttes werden, Glaube und Tugend aber ſind die Bedingungen, ohne wel - che wir keine Knechte GOttes bleiben koͤnnen.

§. 17.

Dieſes letztere iſt es allein, was Ja -Jacobi Lehre von der Recht - fertigung und ſeine Ueberein - ſtimmung mit Pau - lo. cobus lehren will, und widerſpricht da - her ſelbiger dem Paulo nicht im gering - ſten. Jacobus ſchreibt wider Leute, wel - che GOtt und JEſum mit dem Munde bekanten, an ihrem Nebenmenſchen aber Unbarmhertzigkeit ausuͤbeten. Jacob. Cap. 2. v. 6. 9. 13. Bey dieſer Gele - genheit bedient er ſich beſonders zwo Re - densarten, welche einem Mißverſtande unterworffen ſind. Die erſte lautet Cap. 2. v. 14. alſo: Was hilffts, lieben Bruͤder, ſo jemand ſpricht, er ha - be den Glauben und hat doch die Wercke nicht? kan auch der Glau - be ſeelig machen? Er verneinet darin - ne, daß der Glaube allein koͤnne ſeelig und folglich jemand zum Kinde GOttes machen, indem die Kinder GOttes noth - wendig ſeelig werden. Und dieſes ſchei - net der Lehre JEſu und der uͤbrigen Apo - ſtel entgegen zu ſeyn. Allein dieſer Ort wird von den Auslegern mit leichter Muͤ -K k 2he516[512]he mit der oben bewieſenen Lehre vergli - chen. Wir haben oben beſonders aus dem Paulo erhaͤrtet, daß ein Glaube, welcher, wenn er Zeit und Gelegenheit bekommt, in gute Wercke ausbricht, allein die Bedingung ſey, unter welcher wir in das Reich der Gnaden kommen und uns der Himmel geoͤffnet wird. Da nun Jacobus mit ſolchen zu thun hat, welche Zeit und Gelegenheit hatten ihren Glauben durch gute Wercke ſehen zu laſſen, und ſolches nicht thaten, ſo kan er ohne den uͤbrigen Lehrern N. T. zu widerſprechen behaupten, daß der Glau - be ohne Wercke, wenn ihm nemlich Zeit und Gelegenheit dazu gegeben worden, nicht ſeelig mache. Denn dieſe beyden Saͤtze wiederſprechen einander nicht: Ein lebendiger Glaube macht ſee - lig und ein todter Glaube macht nicht ſeelig und bringet Niemand in das Reich GOttes. Mehr Schwuͤ - rigkeit macht die Erklaͤrung der zweyten Redensart, welche wir Cap. 2. v. 24. leſen. So ſehet ihr nun, ſchreibt da - ſelbſt der Apoſtel, daß der Menſch durch die Wercke gerecht wird, nicht durch den Glauben allein. Wir ſind ein Freund von allen unge - zwungenen und gantz natuͤrlichen Erklaͤ - rungen, und ſcheinet uns daher folgendedem517[513]dem Zuſammenhange des Textes und der natuͤrlichen Bedeutung der Worte am gemaͤſſeſten zu ſeyn. Wir uͤberſe - tzen den Griechiſchen Text folgender Ge - ſtalt: So ſehet ihr nun, daß der Menſch durch die Wercke fuͤr ge - recht erkannt oder erklaͤret wird, nicht durch den Glauben allein. Wir haben oben ſchon bemercket, daß dieſe Redensart zweyerlei Erklaͤrungen leidet, welche auf keine Weiſe weit her - geholet, ſondern gantz natuͤrlich und dem Gebrauch der Worte gemaͤß ſind. GOtt erklaͤret den Suͤnder fuͤr ge - recht kan ſo viel heiſſen: GOtt ſetzt den Suͤnder aus der Zahl der Ungerechten in die Zahl der Gerechten, er nimmt ihn auf zu einem Buͤrger in ſein Gnaden - reich. Es kan dieſes aber auch ſo viel bedeuten: GOtt erklaͤret einen Menſchen fuͤr einen Gerechten, nemlich fuͤr einen ſolchen, der es ſchon lange geweſen, und ſich ſchon lange als einen treuen Buͤrger aufgefuͤhrt und immer neue Proben ſei - ner Treue ableget. Wir unterſuchen, welche Bedeutung hier kan ſtatt finden. Jacobus beweiſet aus dem Exempel A - brahams, der auf Befehl GOttes ſei - nen Sohn opfern wolte, daß GOtt die Menſchen um der Wercke willen fuͤr ge -K k 3recht518[514]recht erkenne, indem ſelbiger durch die - ſes Werck fuͤr gerecht erklaͤret worden, daß er ſeinen eintzigen Sohn ſchlachten wollen. Was heiſſet hier: Abraham iſt durch dieſes Werck gerecht oder fuͤr gerecht erklaͤret worden? Bedeutet ſelbiges: Abraham iſt hierdurch zu - erſt gerechtfertiget oder unter die Gerechten, unter die Freunde GOttes aufgenommen worden? Keinesweges. Denn wie lange war Abraham ſchon ein Freund des HErrn geweſen, ehe er ſeinem Sohne in ſeinem ſchon hohen Alter das Opfermeſſer an die Kehle ſetzte? Es kan alſo hier nichts anders bedeuten, als: GOtt erklaͤrete den Abraham durch dieſes Werck fuͤr einen ſolchen gerechten und treuen Freund, der dieſes nicht erſt worden, ſondern ſich als einen ſolchen ſchon durch viele Proben erwieſen. Eben ſo werden denn auch die Worte des v. 24. am fuͤglichſten erklaͤret werden. Man wird ſie kurtz ſo umſchreiben koͤnnen: Da ſehet ihr, daß der Menſch auch durch die Wercke von GOtt unter die Gerechten, die ihre Treue mit vielen Proben beweiſen, gezaͤhler werde, nicht durch den Glauben allein. Des Jacobus Abſicht iſt alſo zu zeigen, daß niemand ohne gute Wer -cke519[515]cke den Nahmen eines Gerechten be - halten koͤnne, ſondern die Bedingun - gen, unter welchen jemand ein Freund GOttes bleibe, Glaube und Tugend ſeyn. Und dieſes wiederſpricht dem Pau - lo nicht, denn er lehret eben dieſes und ſagt nur, daß der Glaube die eintzige Bedingung ſey, dadurch jemand ein Knecht GOttes werde.

§. 18.

Man begreiffe hieraus, warum derJn wie fern Chri - ſtus die Wercke als eine Bedin - gung der Seelig - keit an - fuͤhret? Heiland bey der Einweiſung der Gerech - ten in das Reich ſeines Vaters bloß die Wercke zum Beweiß ihrer Gerechtigkeit anfuͤhren will. (ſiehe Matth. Cap. 25. v. 34. 35. 36.) Seine Anrede iſt auf den groͤſten Hauffen gerichtet. Es iſt ausgemacht, daß ſehr ſelten jemand auf dem letzten Kranckenbette zu einem ſol - chen Glauben gelanget, welcher ſein gan - tzes Hertze aͤndert, und daß alſo ſehr we - nige auf dieſe Weiſe in den Himmel kom - men, daß ſie ſich in ihren letzten Stun - den erſt recht bekehren und darauf von dem Tode uͤbereilet werden, ehe ſie ih - ren Glauben durch gute Wercke bewei - ſen koͤnnen. (Anhang zur Betrach. VIII. §. 19.) Weil alſo der groͤſte Hauffe derer, welche zu jener SeeligkeitK k 4ge -520[516]gelangen werden, ſolche ſind, welche hier bey dem Glauben die Tugend aus - geuͤbet, und durch ihre gute Wercke be - wieſen, daß ſie bis in den Tod treu ver - blieben, ſo will er ihre Wercke auch als den Beweiß ihrer Treue loben und als die Urſache angeben, warum er ſie zu ſeiner Freude eingehen heiſſet.

§. 19.

Warum das N. T. beſonders auf den Glauben an JE - ſum drin - get?
99

Wir handeln bey dieſer Gelegenheit noch ein paar Fragen ab, welche mit der vorgetragenen Materie die genaueſte Verbindung haben. Die erſte iſt, war - um die Buͤcher des Neuen Teſta - ments beſonders auf den Glauben an JEſum ſo ſtarck dringen, da doch gewiß iſt, daß es eben ſo noͤthig iſt an den Heil. Geiſt und andere Lehren des Heils zu glauben, als an die Lehre von dem Meßia? (ſiehe Matth. Cap. 12. v. 31. Ebr. Cap. 11. v. 6.) Man wird die Urſach leicht finden, wenn man bedenckt, wie die hoͤchſte Weisheit ſich bey Unter - richtung der Menſchen in den Wahrhei - ten des Heils zu verhalten habe. Ein jeder wird zugeben, daß unter den Wahr - heiten, die von gleicher Wichtigkeit ſind, diejenige am mehreſten muß eingeſchaͤrf - fet werden, deren Annehmung der groͤ -ſten521[517]ſten Schwuͤrigkeit unterworffen. Da nun die Lehre von dem gecreutzigten JE - ſu den Juden eine Aergerniß und den Heiden eine Thorheit war; 1 Cor. Cap. 1. v. 23. ſo laͤſſet ſich gar leicht begreif - fen, warum die heiligen Lehrer auf den Glauben an JEſum am mehreſten drin - gen. Die Lehre von dem Meßia fand den groͤſten Wiederſtand; ſie muſte alſo mit dem groͤſten Eifer bekraͤftiget und den Gemuͤthern der Menſchen angeprieſen werden.

§. 20.

Die zweyte Frage, ſo wir hier nochWarum GOtt bey dem Glauben ein kindli - ches Ver - trauen ſordert? zu beruͤhren haben, iſt: Warum der allweiſe GOTT bey dem Glauben beſonders eine recht feſte und kind - liche Zuverſicht, ein Vertrauen ohne Zweiffel, und eine Hoffnung ohne Wancken fordert? (Siehe Ebr. Cap. 11. v. 1. Roͤm. Cap. 4. v. 20. 21. Cap. 8. v. 15. Jac. Cap. 1. v. 6.) Wir wol - len die Urſachen davon, weil ſie einem jeden ſogleich begreiflich ſind, nur mit wenigen Worten anfuͤhren. GOTT ſucht durch den Dienſt, den wir ihm lei - ſten ſollen, nichts, als unſere Gluͤckſee - ligkeit und Vergnuͤgen, und will daher,K k 5daß522[518]daß dieſer Dienſt ſelbſt mit Freuden von uns ſoll verrichtet werden. Was kan uns aber ſelbigen wol angenehmer ma - chen, als die Hoffnung, GOtt ſiehet auf die Treue, die wir ihm beweiſen, ſie ge - faͤllet ihm, er wird ſie belohnen? Hier - inne liegt die erſte Urſache, warum GOtt uns ſo ſehr zu einem kindlichen Vertrau - en gegen ihn zu bewegen ſucht. Die zweyte Urſache iſt dieſe: So lange wir in dieſen untern Huͤtten wohnen, muͤſ - ſen wir beſtaͤndig mit groſſer Gewalt wider unſere natuͤrlichen boͤſen Neigun - gen ſtreiten; wir muͤſſen ſtreiten wider die Reitzungen der Welt und der gefal - lenen Geiſter. Hier iſt Muth und Mun - terkeit von noͤthen. Wuͤrde in dieſem Kampf wol jemand ſiegen? wuͤrde wol jemand ſeine eigene Natur uͤberwinden, wenn uns nicht der Glaube und die feſte Hoffnung der ſeeligſten Ewigkeit Muth, Staͤrcke und Kraft gaͤbe? Wird ein Soldat auch wol mit einem freudigen Muthe in ein Treffen gehen, wenn er keinen guten Glauben, und kein ſicheres Vertrauen zu ſeinem Anfuͤhrer hat? Wird er mit Munterkeit ſchlagen, wenn ihn die Hoffnung zum Siege und zur Beute nicht feurig macht? Die dritte Urſache, warum das Evangelium ſo ſehrver -523[519]vermahnet auf die zaͤrtliche Liebe GOt - tes, die ſich ſo deutlich in dem Werck der Erloͤſung ſpiegelt, und auf ſeine gnaͤ - digſten Verheiſſungen uns zu verlaſſen, iſt wol unſtreitig dieſe. Die Dinge dieſer Welt ſind ſehr ungewiß und ſehr vielen Veraͤnderungen unterworffen. Wer nun keine guͤtige Vorſehung des Hoͤchſten glaubt, wer nicht verſichert iſt der zaͤrt - lichſten Liebe GOttes gegen uns, und daß er alles wol mache, wird dabey entwe - der zu allzuaͤngſtlichen Sorgen und zur Verzweiffelung bewogen, oder er ruͤſtet ſich wider die zweiffelhaften Faͤlle die - ſes Lebens durch unrechtmaͤßige Mittel, durch Geitz, Betrug u. d. g. Die Tu - gend kan daher bey den Schickſalen die - ſes Lebens unmoͤglich beſtehen, wenn un - ſere Seele nicht ein rechtes Zutrauen zu GOTT und ſeinen Verheiſſungen hat. Viertens iſt es auch die angenehmſte und hoͤchſte Ehre, die wir jemand er - weiſen koͤnnen, wenn wir ihm ſolche Vollkommenheiten zueignen, daß man ſich ihm in allen Dingen ergeben und nichts als Gutes von ihm hoffen koͤnne. Da nun GOtt als ein weiſer Vater mehr Vergnuͤgen an artigen als unar - tigen Kindern finden muß, ſo iſt es un - moͤglich, daß es ihm nicht gefallen ſolte,wenn524[520]wenn die freien Geiſter ſich auch durch dieſe Arth der Ehre als vernuͤnftige Ge - ſchoͤpfe und wolgearthete Unterthanen be - zeigen. Seine Weißheit und die Liebe zu artigen und wolgeſitteten Geſchoͤpfen erfordert daher, daß er auch aus dieſer Urſach uns zu einem recht kindlichen Ver - trauen reitze und anmahne. Wie er zu ei - nem ſolchen Vertrauen beſonders durch das wichtige Werck der Gnugthuung JEſu Chriſti Gelegenheit gegeben, ſiehe in dem Anhang zur Betracht. VIII. §. 11. Man bemercke und bewundere hier - bey in geziemender Ehrfurcht die unend - liche Weißheit, welche man in den For - derungen GOttes und uͤberhaupt in ſei - ner Regierung antrifft. Alles zielet auf die Schoͤnheit der Welt und die Wol - fahrt der vernuͤnftigen Geſchoͤpfe.

§. 21.

Jn ver - ſchiede - nen Zeiten und Um - ſtaͤnden kan ein in gewiſſen Stuͤcken verſchie - dener
99

Wir muͤſſen zuletzt auch das Ver - ſprechen erfuͤllen, welches wir oben §. 6. Not. * gethan haben, und zeigen, daß zu verſchiedenen Zeiten und in verſchiede - nen Umſtaͤnden ein in gewiſſen Stuͤcken ungleicher Glaube ſtatt finden und vor GOtt gelten koͤnne. Ehe Chriſtus ſich oͤffentlich als den Meßias zeigete unddurch525[521]durch Wunder ſich als den Sohn GOt -Glaube gelten. tes bewieß, kan man diejenigen, welche von den Wundern ſeiner Gebuhrt nichts wuſten, keines ſtrafbahren Unglaubens beſchuldigen, wenn ſie ihn fuͤr einen bloſ - ſen Menſchen und nicht fuͤr den Meßias und den Sohn GOttes hielten. Denn GOtt konnte nicht von ihnen fordern etwas zu glauben, wovon etwas zu wiſſen und zu erfahren ihnen nach ih - ren Umſtaͤnden gantz und gar unmoͤg - lich war. Chriſtus ſagt daher ſelbſt von denen, welche nicht glauben wolten, daß er als der verheiſſene Meßias von GOtt geſandt waͤre: Wenn ich nicht kommen waͤre und haͤtte es ihnen geſagt, ſo haͤtten ſie keine Suͤnde. Es koͤnnte ihnen nemlich dieſes nicht zur Suͤnde ausgelegt werden, daß ſie ihn als einen bloſſen Menſchen angeſehen. Joh. Cap. 15. v. 22. Ehe alſo Chri - ſtus ſich als den Meßias offenbahrete, war Niemand ſchuldig ihn als denſel - ben anzunehmen, ſo bald er ſich aber fuͤr den Heiland der Welt erklaͤrete, und ſei - ne Auſſage mit Wundern bekraͤftigte, wurde man ſchuldig ihn fuͤr denjenigen zu halten, dazu ihn GOtt erwaͤhlet hat - te. Zu verſchiedenen Zeiten kan alſo von GOtt ein in gewiſſen Stuͤcken un - gleicher Glaube gefordert werden. Sokoͤn -526[522]koͤnnen auch zu einer Zeit verſchiedene Umſtaͤnde den Glauben aͤndern. Da Chriſtus anfieng ſich als den Meßias zu zeigen, konnte der Schall davon nicht in einem Augenblick durch alle Welt gehen, ſondern er breitete ſich allgemaͤh - lich von einem Orte zu dem andern aus. Der eine Ort wurde alſo eher verbun - den JEſum den Sohn Mariaͤ fuͤr den Heiland der Welt zu erkennen als der andere. Derowegen koͤnnen auch ver - ſchiedene Umſtaͤnde bey dem einen einen groͤſſern und weitlaͤuftigern, bey einem andern aber nur einen geringern Glau - ben erheiſchen. Es iſt daher zwar un - moͤglich GOtt ohne Glauben zu gefal - len Ebr. Cap. 11. v. 6. doch koͤnnen verſchiedene Menſchen zu verſchiedenen Zeiten und in verſchiedenen Umſtaͤnden GOTT bey einem in etwas unglei - chen Glauben angenehm und treue Buͤr - ger ſeines Reichs ſeyn. (ſiehe Apoſt. Geſch. Cap. 10. v. 1. 2. 4. 22.) Jn weltlichen Reichen findet eben daſſelbe ſtatt. Man ſetze, ein Rußiſcher Monarch, welcher anjetzt das Recht hat ſeinen Nach - folger nach Belieben zu ernennen, ver - ſpraͤche einem Printzen ſeine Crone, richtete ein Teſtament auf und erklaͤrete ihn dar - inne zu ſeinem Cronerben. Er faͤndeaber527[523]aber wichtige Urſachen dieſes den Unter - thanen des Reichs noch nicht zu eroͤfnen; ſo iſt klar, daß auch die Unterthanen noch nicht verbunden ſind ihn als einen Cronerben anzunehmen und mit gehoͤri - ger Hochachtung zu verehren, denn es iſt ihnen unbekannt, daß er ſie derein - ſten beherrſchen ſoll. Und ſind daher die Unterthanen nicht der geringſten Un - treue zu beſchuldigen, wenn ſie dieſen Printzen nicht hoͤher als einen andern von ſeiner Gebuhrt und Stande anſe - hen. Man nehme aber an, der Mo - narch befaͤnde nach einiger Zeit fuͤr gut, dieſe gemachte Erbfolge ſeinen Untertha - nen kund zu thun, ſo werden ſie ſo gleich verbunden, dieſen Printzen nicht mehr als einen bloſſen Printzen, ſondern als ihren kuͤnftigen Monarchen anzunehmen und ihn dafuͤr zu verehren, und dieje - nigen, welche ſolches am erſten erfah - ren, werden hierzu am erſten verpflich - tet. Geſetzt alſo, daß GOtt, wie ei - nige dafuͤr halten, den erſten Vaͤtern altes Bundes die Lehre von der goͤttli - chen Dreyeinigkeit nicht ſo deutlich wie im N. T. kund gethan, ſo haͤtten ſie dennoch einen dem Schoͤpfer wolgefaͤl - ligen Glauben haben koͤnnen, wenn ſie ihn nur als einen ſolchen GOtt ange -nom -528[524]nommen, wie er ſich ihnen geoffenbah - ret hat, und in dieſem Glauben wahre Tugend ausgeuͤbet. Denn ſie waͤren keines Unglaubens, ſondern nur einer ſolchen Unwiſſenheit ſchuldig geweſen, welche zu uͤberwinden nicht in ihren Kraͤften geweſen. Man ſchlieſſe hieraus aber nicht, daß es denn auch heutiges Tages, da ſich GOtt mit mehrerer Deutlichkeit und mehreren Zuſaͤtzen als einen dreyeinigen GOtt bezeuget, gleich - guͤltig ſey, ob man die Dreyeinigkeit nach ſeinen klaͤreren und vermehrten Zeugniſſen annehme oder nicht. Denn wollen wir uns unterſtehen ſelbige nach unſerm Gutbefinden zu erklaͤren, ſo ver - werffen wir ſeine deutlichſten Zeugniſſe von ſich ſelber und ſeinen Befehl, da - durch er uns verpflichtet ihn als einen dreyeinigen GOtt ſo und nicht anders zu verehren, welches wider die Pflicht eines treuen Unterthanen. (§. 10.) Wir wollen auch dieſes mit einem Gleichniß in etwas erlaͤutern. Man nehme an, ein Prinz eines groſſen Monarchens beſuch - te unbekanter Weiſe unter dem Nahmen eines Grafen fremde Laͤnder. Er zoͤge unterweges einige geſchickte Kuͤnſtler an ſich, und bewegte ſie durch Geld und Verſprechen in ſeine Dienſte zu treten. Er529[525]Er entdeckte ihnen aber aus bedenckli - chen Urſachen nicht, daß er ein koͤnigli - cher Printz waͤre, ſondern lieſſe ſich nur als einen Grafen von ihnen verehren. Niemand wird ſagen koͤnnen, daß die - ſe Leute ſuͤndigen, wenn ſie ihren Herrn nicht als einen Printzen anſehen, ſon - dern ihn als einen bloſſen Grafen vereh - ren. Man nehme aber an, er entdeck - te ihnen nach einiger Zeit, daß er ein koͤniglicher Printz waͤre, und bezeugete ihnen ſolches durch ſeine uͤbrige Bedien - ten und andere hinlaͤngliche Beweiß - gruͤnde, und befoͤhle ihnen, ſeine Per - ſon nunmehr als einen Printzen zu ver - ehren. Man ſetze, ſie wolten alle die - ſe Zeugniſſe als abgeſchmackt verlachen, und ihren Herrn nicht fuͤr einen ſolchen Printzen erkennen und ſeinem Befehle folgen, ſo wird ſie Niemand von einer ſtraffbahren Hartnaͤckigkeit frei ſpre - chen. (*)Wir wollen durch dieſes aͤhnliche Exem - pel nichts als dieſen Satz beweiſeu: Es koͤnnen gewiſſe Umſtaͤnde verurſa - chen, daß man keiner Suͤnde ſchul - dig iſt, wenn unſere Gedancken, die wir von einem andern haben,inEiner gleichen Hartnaͤ -L lckigkeit530[526]ckigkeit machen ſich diejenigen ſchuldig, welche ſich unterſtehen, den deutlichſten Zeugniſſen GOTTes zu wiederſpre - chen. Wolte man aber vermoͤge der oben angefuͤhrten Meinung fragen, warum denn uns GOTT eben mehr zu glauben verbinde, als die erſten Vaͤter? ſo koͤnte man dieſe Antwort geben: Vielleicht haben jene Zeiten ſo viele Offenbahrungen von dem goͤtt - lichen Weſen noch nicht ertragen koͤn - nen, als die Tage des neuen Bundes in welchen der menſchliche Verſtand uͤberhaupt betrachtet durch die Wiſſen - ſchaften aufgeklaͤrter iſt, als in den gantz alten Zeiten. Vielleicht haͤtteda -(*)in dieſen und jenen Stuͤcken nicht voͤllig mit des andern Eigenſchaf - ten und Umſtaͤnden uͤbereinſtim - men; zu einer andern Zeit aber koͤnnen andere Umſtaͤnde ſolches zu einer Suͤnde machen. Der geneigte Leſer wolle daher auch dieſes Exempel in keiner andern Abſicht auf das vor - hergehende ziehen und anwenden, und ſich erinnern, daß man in goͤttlichen Dingen keine vollkommene Gleichniſſe habe, und alſo die Anwendung derſel - ben ſehr genau einzuſchraͤncken ſey.531[527]damahls zum Exempel die Lehre von der Dreyeinigkeit, wenn ſie in ihrem vollen Lichte, wie im Neuen Teſtament, waͤre vorgetragen worden, zu der Vielgoͤtte - rey Gelegenheit gegeben, wovon die er - ſten Menſchen ohne dem gar zu leicht angeſtecket wurden. Es iſt alſo fuͤr ei - ne beſondere Gluͤckſeeligkeit der neuern Zeiten zu achten, daß ſich GOTT in denſelben uͤber verſchiedene Stuͤcke deut - licher offenbahren koͤnnen. Wir ha - ben uns alſo daruͤber nicht zu beſchweh - ren, ſondern GOTT fuͤr das groͤſſe - re Licht, deſſen wir genieſſen, zu dan - cken. (**)Damit wir bey niemand wegen dieſer letzten Materie in uͤbeln Verdacht gera - then, ſo wollen wir kuͤrtzlich die unſchul - dige Urſache anfuͤhren, warum wir ſel - bige hier beruͤhret. Es ſind uns Perſo - nen theils Gelehrte theils Ungelehrte auch vom weiblichen Geſchlecht vorge - kommen, welche ſich nicht wol haben uͤberreden koͤnnen, daß die alten Patri - archen eben ſo viel Erkaͤntniß von der Heil. Dreyeinigkeit gehabt, als wir. Sie haben hierinne groſſe Lehrer unſerer ei - genen Kirche zu Vorgaͤngern. Einige verfallen aber hierdurch auf allerhand Zweiffel, mit welchen ſie ſich beunruhi - gen: andere hingegen ſchlieſſen, manhabe

L l 2532[528]
(**)habe nicht Urſach, ſich bey dieſem Glau - bensartickel ſonderlich aufzuhalten, weil die Vaͤter altes Bundes ohne eine gar zu deutliche Erkaͤntniß deſſelben haͤtten koͤnnen ſeelig werden. Wir haben bey beyden mit dem, was wir hier geſetzet, viel ausrichten koͤnnen. Und ſolches hat uns bewogen dieſe Materie hier ein we - nig zu beruͤhren.
(**)
[figure]
Jnhalt[529]

Jnhalt der ſaͤmtlichen Betrachtungen.

  • I. Betrachtung. Von der Hauptabſicht GOt - tes bey der Erſchaffung aller Dinge _ _ pag. 9.
  • II. Betrachtung. Von der weiſen Abſicht GOt - tes bey der beſondern Gebuhrt und Schwachheit der Kinder vor allen andern Thieren _ _ 36
  • III. Betrachtung. Von der weiſen Abſicht GOt - tes, welche er dabey hat, daß er die mehreſten ProphezeihungenL l 3ver -[530]verbluͤhmt und etwas dunckel auf - ſetzen laſſen _ _ pag. 57
  • IV. Betrachtung. Von der weiſen Abſicht, die GOtt gehabt, da er den Juden einige Arten vom Fleiſch zu eſſen verbothen _ _ 80
  • V. Betrachtung. Von der weiſen und guͤtigen Abſicht GOttes bey dem Him - mel und der Hoͤlle _ _ 99
  • VI. Betrachtung. Von der weiſen Abſicht GOt - tes bey dem Baum des Erkaͤnt - niſſes Gutes und Boͤſes _ _ 212
    • Anhang zu der VI. Betrachtung. Enthaltend eine Muthmaſ -ſung[531]ſung von der Art und Weiſe, wie die boͤſen Begierden von El - tern auf die Kinder koͤnnen geer - bet werden _ _ 243
  • VII. Betrachtung. Von der Abſicht, warum GOtt das Boͤſe nicht durch ſeine Macht verhindere _ _ 284
  • VIII. Betrachtung. Von der Abſicht GOttes bey der Gnugthuung JEſu. _ _ 323
    • Anhang zu der VIII. Betrachtung Darinnen verſchiedene Bewe - gungsgruͤnde zur Tugend aus der Gnugthuung JESU hergeleitet werden _ _ 424
  • [532]
  • IX. Betrachtung. Von der Urſache, die GOtt bewogen, den Glauben auf Sei - ten des Menſchen zu der Bedin - gung unſerer Rechtfertigung zu machen _ _ 483
Regi -[533]

Regiſter der vornehmſten Sachen.

A.

  • Abſicht, wie man GOttes Abſicht entdecken koͤnne?34. ſqq. bey der Erſchaffung aller Dinge9 ſqq. bey der Gebuhrt und Schwach - heit der Kinder36. ſqq. bey der Dunckelheit der Prophezeihungen57. ſqq. bey der Offen - bahrung60. ſqq. bey dem Unterſcheid der Spei - ſen im A. T.80. ſqq. bey dem Himmel und der Hoͤlle99. ſqq. bey dem Baum des Erkaͤntniſſes des Guten und Boͤſen212. ſqq. bey der Zulaſ - ſung des Boͤſen284. ſqq. bey der Gnugthuung JEſu324. ſqq. bey der Rechtfertigung aus dem Glauben483. ſqq.
  • Adam, worinnen deſſen Suͤnde eigentlich be - ſtanden?230. ſq.
  • Aehnlich, zwey vollkommen aͤhnliche Dinge ſind unmoͤglich303. ſq.
  • Allerheiligſte,358. ſq.
  • 〈…〉〈…〉,360.
  • Ameiſenhauffen, Ordnung darinnen333. ſq.
  • Anſchauen GOttes,131. ſqq.
  • Auferſtehung der Todten, ein Zweiffel dawider114. ſqq. Aufloͤſung deſſelben119. ſqq. ob wir in der Auferſtehung eben den Leib, den wir jetzt haben, wieder bekommen werden?122. ſqq. was zu dem Zweiffel, wider die Aufer - ſtehung, Anlaß gegeben?125. (*) ſqq. Erklaͤ - rung des Satzes: Reſurget idem numero cor - pus quoad ſubſtantiam ibid.126. Mittel vor Schwachglaͤubige, die Zweiffel wider die Auf -M merſte -[534]Regiſter. erſtehung der Todten zu beſtreiten129. Auf - erſtehung JEſu bekraͤftiget die Chriſtliche Leh - re451.

B.

  • Baum des Erkaͤntniſſes Gutes und Boͤſes, gab dem erſten Menſchen Gelegenheit zu einer ſee - ligen Uebung im Guten, und war ein Mittel, ihn darinnen zu beſtaͤtigen219. ſqq. warum ihn GOtt gepflantzet, da er doch ſeine Abſicht da - bey nicht erhalten?227. ſqq .389. Not. Grund der Benennung233. ſqq. wie ſich die erſten Menſchen daran erinnern koͤnnen, was gut und boͤſe ſey?236. ſq. Abſicht einiger Um - ſtaͤnde deſſelben237. ſq.
  • Bekehrung der innern Seele, ob ſelbige durch eine Allmacht moͤglich ſey?209. ſq.
  • Beſtaͤtigung im Guten, was ſie ſey, und wo - durch ſie erhalten werde?218. ſq .311 . warum GOtt die erſten Menſchen nicht durch bloſſe Allmacht im Guten beſtaͤtiget?226. ſqq.
  • Bewegungsgruͤnde zur Tugend ſind man - cherlei431. ſqq.
  • Bienen, deren Baukunſt331. ſq.
  • Boͤſe, die Mittel, wodurch ein freier Geiſt vom Boͤſen zuruͤck gehalten wird, wie vielerlei?286 warum GOtt nicht durch den Gebrauch ſeiner Allmacht das Boͤſe verhuͤtet?286. ſqq. deſ - ſen Zulaſſung iſt beſſer, als die gewaltſame Verhinderung deſſelben288. ſq. Zweiffel da - wieder289. Aufloͤſung deſſelben290. ſq. wird durch drey moͤgliche Welten erlaͤutert291. ſqq. Zulaſſung des Boͤſen bringet mehr Vergnuͤ - gen in die Welt, als die gewaltſame Verhin - derung deſſelben293. ſq. deſſen gewaltſame Verhinderung wuͤrde ein groͤſſer Mißvergnuͤ - gen in die Welt bringen, als die Beſtrafungdeſſel -[535]Regiſter. deſſelben294. ſqq. Aufloͤſung eines Zweiffels297. ſq. wird durch Gleichniſſe erlaͤutert298. ſq. warum GOtt den Menſchen nicht einen ſo hohen Grad der Vernunft gegeben, der ſie vor dem Boͤſen gaͤntzlich bewahren koͤnnen?300. ſq .305 . ſq.
  • Buͤrger des Himmels106. ſqq. ſiehe Seelige. der Hoͤllen179. ſqq. ſiehe Verdammte.
  • Buſſe, was uns dazu antreibe?462. ſqq. was von einer ſpaͤten Buſſe zu halten?472. ſqq. Thorheit dererjenigen, welche ſie aufſchieben474. ſqq. unterſchiedene Bedeutung und Ge - brauch des Worts Buſſe500. (*)

C.

  • Chriſtus, iſt der wahre hohe Prieſter259. ſqq. hat durch ſein Opfer nicht allein die zukuͤnfti - gen, ſondern auch die vergangenen Suͤnden, die vor ſeinem Leiden begangen worden, auf - gehoben363. hat auch an unſer ſtatt das goͤtt - liche Geſetz durch ſeinen Gehorſam erfuͤllet366. hat der goͤttlichen Gerechtigkeit gnug gethan374. ſq. iſt wahrer GOtt375. Erklaͤrung der Worte 1. Cor. 1, 24. Chriſtus, goͤttliche Krafft und goͤttliche Weisheit396. ſqq.
  • Creaturen, ſiehe Geſchoͤpfe.

D.

  • 〈…〉〈…〉,425.
  • Dreyeinigkeit, ob die Lehre von der Dreyeinig - keit den Vaͤtern A. Teſt. deutlich geoffenbah - ret geweſen?527. ſqq .530.

E.

  • Ebenbild GOttes, worinnen ſolches beſtan - den?220.
M m 2Eiffer,[536]Regiſter.
  • Eiffer, ſich vor andern hervor zu thun, ob er in der Seeligkeit ſtatt haben werde?138.
  • Einbildungskraft, macht uns eine Sache an - genehm, oder unangenehm250. ſqq. wird mit Exempeln erlaͤutert252. ſqq. Beweiß, daß ſie uns etwas koͤnne zuwider machen254. ſqq. daß ſie uns etwas koͤnne angenehm ma - chen256. ſq. kan auch durch dunckele Vor - ſtellungen Neigungen und Abneigungen ver - urſachen257. ſq. wird durch Exempel erlaͤu - tert259.
  • Empfindung, angenehme und unangenehme, deren Urſachen248. ſqq. woher die Empfin - dung entſtehe?260.
  • Engel, geluͤſtet zu ſchauen die Leiden, die in Chriſto ſind, und die Herrlichkeit, ſo damit verknuͤpffet iſt400.
  • Erbſuͤnde, und deren Folgen350. ſqq. ſiehe Suͤnde.
  • Exiſtentz GOttes, wie ſolche einem| Unge - lehrteu koͤnne begreifflich gemacht werden?10. (*) ſeqq.

F.

  • Fortpflantzung der boͤſen Neigungen, ſiehe Neigung.
  • Freude des Himmels, ſiehe Himmel.
  • Freundſchaft der Seeligen, ſiehe Seelige.

G.

  • Gebuhrt der Thiere, deren Beſchaffenheit36. ſq. der Menſchen, deren Beſchaffenheit38. ſq.
  • Gehirn, muß ein Menſch nach ſeiner Groͤſſe mehr haben, als ein unvernuͤnftiges Thier55. ſq.
Gehor -[537]Regiſter.
  • Gehorſam Chriſti, obedientia actiua366. ge - reichet uns zur Gerechtigkeit, und wie?367. dienet uns zum Exempel eines heiligen Le - bens459. ſq.
  • Geiſter, endliche, ſind dem Jrrthum unterworf - fen295. den gefallenen hat GOtt keinen hoͤ - hern Grad der Vernunft geben koͤnnen, als er ihnen wuͤrcklich gegeben306. ſqq. wird mit einem Gleichniß erlaͤutert308. (*) Zweiffel dagegen, und deſſen Aufloͤſung310. ſq. warum GOtt nicht vollkommenere an die Stelle der gefallenen geſetzt?313. ſqq.
  • Gelehrſamkeit, die wahre, worinnen ſie beſte - he?30. Not.
  • Gerechtigkeit GOttes, worinnen ſie beſtehe?343. iſt mit Guͤte und Weißheit verknuͤpfft344. wie ſie ſich gegen die Guten verhalte?344. ſeq. wie gegen die Boͤſen?345. ſq.
  • Geſchoͤpfe, vernuͤnftige, denen zum Beſten hat GOtt die Welt gemacht25. ſqq. unver - nuͤnftige, deren Zuſtand25 .26 . wodurch der vernuͤnftigen Vollkommenheit vermehret wird?29. ſq. ſollen an Vernunft zunehmen31. ſq.
  • Geſetze, ſind Mittel, die guten Handlungen zu befoͤrdern341. ſqq. Abſicht der goͤttlichen Geſetze342. ſq. ſelbige koͤnnen wir nach dem Fall nicht halten367. ſind heilig, und wor - aus die Heiligkeit derſelben erkannt werde?403. von den natuͤrlichen Geſetzen gehet Gott ohne die aͤuſſerſte Noth nicht ab403. ſq.
  • Gewiſſen, unruhige, was daſſelbe befriedigen kan?451. ſqq.
  • Glaube, iſt die eintzige Bedingung der Rechtfer - tigung490. ſq. warum?503. ſqq. worauf ſich der Glaube beziehe? obiectum fidei492. ſqq. iſt als ein Gantzes anzuſehen, der ſo viel Theile hat, als er Wahrheiten faſſet494. was derM m 3Glau -[538]Regiſter. Glaube eigentlich ſey?495. ſqq. unterſchie - dene Bedeutungen des Worts glauben ibid.495. (*)500. (*) ob Wiſſenſchaft und Glau - be beyſammen beſtehen koͤnnen?496. ſqq. muß von einem feſten Vertrauen begleitet wer - den497. muß lebendig ſeyn ibid.513. wuͤrcket rechtſchaffene Buſſe und Liebe498. ſq. todter Glaube498. ſq .515 . eine andere Bedingung der Rechtfertigung iſt nicht moͤglich502. wird mit einer neuen Huldigung verglichen ibid. ſq. giebt uns ein Recht zur Seeligkeit508. ſq. warum das N. Teſt. beſonders auf den Glaͤuben an JEſum dringet?520. warum GOtt bey dem Glauben ein kindliches Ver - trauen fordert?521. ſqq. in verſchiedenen Zeiten und Umſtaͤnden kan ein in gewiſſen Stuͤcken verſchiedener Glaube gelten524. ſqq.
  • Gleichguͤltigkeit, wird von GOtt removirt328. ſq .336 . ſq.
  • Gnugthuung, ohne fremde Gnugthuung will GOtt die Suͤnde nicht vergeben355. ſqq. wer dieſelbe geleiſtet? ibid.373. ſq. wird aus der Schrift bewieſen358. ſq. was die Theologen unter dem Wort, Gnugthuung, verſtehen?368. ſq. was eine Gnugthuung uͤberhaupt ſey?369. Exempel fremder Gnugthuung383. ſeq. was bey einer fremden Gnugthuung erfordert wird?371. in wie fern die Annehmung einer fremden Gnugthuung zu billigen?371. ſqq. wer dem Geſetz gnug thut, thut auch der Ge - rechtigkeit des Geſetzgebers ein Gnuͤge374. ob die Lehre von der Gnugthuung JEſu den Vollkommenheiten GOttes unanſtaͤndig? 377Abſichten der Gnugthuung JEſu: 1) weil die - ſe Art, Gnade zu erzeigen, mehr Schoͤnheit hat, als eine andere377. ſq .396 . ſqq. 2) weil ſelbige denen Menſchen das mehreſte Vergnuͤ -gen[539]Regiſter. gen bringet378. ſqq .399 . ſqq. 3) weil ſelbige die triftigſten Bewegungsgruͤnde zur Tugend giebt, und alſo dadurch mehr Seelen koͤnnen gewonnen werden, als durch eine andere Art, Gnade zu erzeigen380. ſq .407 . ſqq. die Gnug - thuung Chriſti offenbahrt die goͤttlichen Ei - genſchaften und die Natur der Suͤnde380 .402. Vernunft kan nicht urtheilen, ob die Gnugthuung JEſu GOtt anſtaͤndig, oder nicht381. das Wort GOttes giebt uns Gruͤn - de aus welchen wir die Abſichten GOttes bey der Gnugthuung JEſu erkennen moͤgen394. ſqq. ſie offenbahret die Heiligkeit der goͤttlichen Geſetze401. ſqq. giebt Bewegunsgruͤnde zur Tugend408. ſqq .411. (*)427. ſqq. iſt vermoͤ - ge der goͤttlichen Vollkommenheiten nothwen - dig .411 . ſqq. dadurch iſt GOtt verſoͤhnet wor - den413. ſqq .420. Erklaͤrung der Worte 1. Cor. 6, 20. ihr ſeyd theuer erkaufft, ſo preiſet ꝛc .427 . ſqq .432 . ſqq. verbindet uns uͤberhaupt, GOtt zu ehren, und ihm treu zu ſeyn435. ſqq. wird mit einem Gleichniß erlaͤutert ibid. eben dieſes wird aus Gruͤnden des natuͤrlichen Rechts hergeleitet440. ſeqq. kan bey rohen Suͤndern Furcht erwecken444. ſqq. bey Bekehr - ten vermehrt ſie den Abſcheu vor der Suͤnde441. ſq. reitzet zur Liebe gegen GOtt448. ſq. erwecket das angenehmſte Vertrauen zu dem - ſelben430. ſq. iſt ein Mittel wider das unruhi - ge Gewiſſen451. ſqq. befeſtiget die Hoffnung zur ewigen Seeligkeit453. ſqq. reitzet zur Liebe gegen den Nebenmenſchen458. ſqq. ob die Leh - re von der Gnugthuung JEſu zur Sicherheit leite?463. ſq. giebt Anleitung zur Buſſe, und keine Freiheit zu ſuͤndigen465. ſqq.
  • GOtt, wie einem Ungelehrten koͤnne begreiflich gemacht werden, daß ein Gott ſey?10. (*) ſqq. M m 4es[540]Regiſter. es iſt nur ein GOtt23. was bey GOtt un - moͤglich iſt?23 .301 . ſqq. wornach ſich GOtt bey Austheilung der Vollkommenheiten rich - tet?23. ſq. beweiſet ſich bey Himmel und Hoͤlle als das guͤtigſte Weſen185. ſqq. alles, was GOtt in der Welt thut, zielet auf das Wol der Creaturen287. ſq. hat einen voll - kommenen Willen302. liebet Ordnung und Schoͤnheit328. ſq. ſolches wird durch Proben aus der Natur bewieſen330. ſqq. laͤßt nichts ermangeln, die verlohrne Gluͤckſeeligkeit wie - der herzuſtellen354. ſq. hat ſeiner Gerechtig - keit ſelbſt gnug gethan375. ſq. ſolches wird mit einem Exempel erlaͤutert376. was GOtt anſtaͤndig und unanſtaͤndig?382.
  • Gottloſe ſiehe Suͤnder.

H.

  • Hauptabſicht GOttes, davon muß man hin - laͤngliche Erkaͤntniß haben, wenn man die be - ſondern Abſichten deſſelben erkennen will9. ſq. worinnen die Hauptabſicht GOttes bey Erſchaffung der Welt beſtehe?17 .32 . ſq. ſiehe Abſicht.
  • Heiligkeit GOttes, was ſie ſey?327.
  • Himmel, deſſen Beſchreibung101. ſq. daß ein Himmel ſey, bewieſen103. ſq. warum er die Wohnung GOttes heiſſe?105. wird mit ei - nem Reich verglichen105. ſq. der Koͤnig deſ - ſelben Reichs ibid. Unterthanen oder Buͤrger106. zeiget die praͤchtigften Proben der Voll - kommenheit GOttes134. ſqq. Freude deſſel - ben154. ſq. ob alle neue Erfindungen darin - nen aufhoͤren werden?157. ſqq. biethet alles dar, was man nur wuͤnſchen mag178. ob die Beſitzung deſſelben die Gottloſen froͤmmer machen wuͤrde?188. ſqq.
Hoͤlle[541]Regiſter.
  • Hoͤlle, was ſie ſey?178. ſq. wird mit einem Reich verglichen179. Buͤrger des Hoͤllenreichs181. darinnen ſind unangenehme Coͤrper183. ſq. Hoͤllenſtrafen ſind ewig184. ſq.
  • Hoffnung zur Seeligkeit, was dieſelbe befeſti - ge?453. ſqq.
  • Hoheprieſter, die Vorzuͤge des wahren Hohen - prieſters Chriſti, vor dem Hohenprieſter A. T.359. ſqq.
  • 〈…〉〈…〉361.

J.

  • Jacobus, deſſen Lehre von der Rechtfertigung507. ſqq .514 . ſqq.

K.

  • Kopff, der kleinen Kinder, warum er nicht voͤl - lig mit Knochen umgeben?53. ſqq.

L.

  • Leiber der Glaͤubigen in jenem Leben werden vollkommen ſeyn112. ſqq. Erklaͤrung der Worte, 1 Cor. 15, 41. eine andere Klarheit hat die Sonne, eine andere ꝛc .113 . (*) ſq. Leiber der Verdammten ſind unangenehm183. ſqq. ob eben der Leib, den wir jetzt haben, auferſtehen wird? ſiehe Auferſtehung.
  • Liebe, worinnen ſie beſtehe?19. GOtt liebet die Geſchoͤpfe ibid. Quellen der Liebe, wie vie - lerlei? ib. ſqq. woher die Liebe GOttes ge - gen| die Geſchoͤpfe ruͤhre?21. Liebe GOt - tes treibt ihn an, das Boͤſe zu haſſen192. (*) ſq .341 . aͤuſert ſich auch bey den Stra - fen193. ſqq. die unendliche Liebe macht GOtt nicht gleichguͤltig bey den Handlungen der freien Geiſter336. ſq. BewegungsgrundM m 5zur[542]Regiſter. zur Liebe gegen GOtt448. ſq. gegen den Nech - ſten458. ſqq.
  • Lob GOttes wird den Seeligen zum beſondern Vergnuͤgen gereichen168. ſq. wird durch Gleichniſſe erlaͤutert171 .173.

M.

  • Mahlzeichen, der Kinder, was daher zu ſchlieſ - ſen?262. ſq. woher ſelbige entſtehen? ibid. wird mit einem Gleichniß erlaͤutert264.
  • Menſch, der natuͤrliche, iſt als ein Rebell im Reiche GOttes anzuſehen484. ſq.
  • Moͤglich, was es ſey?392. Not.
  • Muihwillig ſuͤndigen446.

N.

  • Neigungen, boͤſe, werden mit uns gebohren245. deren erſter Urſprung246. ſqq. Exempel einer fortgeerbten Abneigung267. ſq. deſſelben Erklaͤrung268. ſq. Exempel einer fortgeerb - ten Zuneigung und deſſen Erklaͤrung269. ſqq. Erklaͤrung, wie die boͤſen Neigungen fortge - pflantzet werden?271. ſqq. Zweiffel dawider, und deſſen Aufloͤſung276. ſqq. wie eine gei - tzige Mutter ein hochmuͤthig Kind zeugen koͤn - ne?278. ſqq.
  • Nerven, aus deren Bewegung entſtehet die Em - pfindung der Dinge, welche die Bewegung verurſachen260. ingleichen ſolcher Dinge, die nicht da ſind261. Bewegung gewiſſer Ner - ven der Mutter verurſachet eine Bewegung eben derſelben Nerven bey dem Kinde, mit welchem ſie ſchwanger iſt262.

O.

  • Offenbahrung, deren Abſicht60. ſqq. wodurch ſie beſtaͤtiget wird?62. ſiehe Schrift.
Opfer,[543]Regiſter.
  • Opfer, fuͤr die Suͤnde369. ſqq .361. (**)262. ſqq.

P.

  • Paulus, deſſen Lehre von der Rechtfertigung511. ſqq.
  • Planeten, deren Einwohner314. ob die Be - wegung der Planeten ohne Regierung GOt - tes moͤglich ſey?393. Not.
  • Prophezeihung ſiehe Weiſſagung.

R.

  • Rebellen, ſind alle natuͤrliche Menſchen im Reiche GOttes484. ſq.
  • Rechtfertigung, wie die Lehre der Proteſtan - ten davon am deutlichſten kan begriffen wer - den?483. was die Rechtfertigung ſey?486. ſq .487 . (***) ſq. Bedingungen der Rechtfer - tigung486. (*)488 ſq .500 . iſt kein actus phy - ſicus, ſondern ein actus forenſis486. (**)488. ſq. Folgen der Rechtfertigung489. ſq. wenn die Rechtfertigung geſchiehet?500. ſq. warum gute Wercke keine Bedingung der Rechtfertigung ſeyn koͤnnen?505. ſqq. war - um GOtt mit der Rechtfertigung eines Suͤn - ders nicht verziehet, bis er durch den Glau - ben etwas Gutes verrichtet?507. ſq. Beweis, daß Paulus und Jacobus in der Lehre von der Rechtfertigung einig ſind509. ſqq.
  • Regierung, ob die Welt ohne Regierung Got - tes beſtehen koͤnne?390. not. ob die Bewe - gung des Mondes um die Erde, und der Er - de um die Sonne ohne beſondere Regierung GOttes moͤglich ſey?393. not.
  • Religion, Chriſtliche, woraus deren Vortreff - lichkeit abzunehmen?232.
S. Saͤf -[544]Regiſter.

S.

  • Saͤfte, des menſchlichen Leibes, durch deren Vermiſchung koͤnnen allerhand Gemuͤthsbe - wegungen erreget werden281. tragen vieles bey zur Fortpflantzung der boͤſen Begierden ib. ſq. Einwurf dawider wird beantwortet282. ſq.
  • Schoͤnheit, worinnen ſie beſtehe?338.
  • Schoͤpfung der Welt, wem zu Gute ſie ge - ſchehen?22 .24 . ſqq.
  • Schrift, heilige, befoͤrdert die Philoſophie61. giebt uns Gruͤnde, woraus wir die Abſichten GOttes bey der Gnugthuung JEſu erkennen moͤgen394. ſqq. ſiehe Offenbahrung.
  • Schwachglaͤubige, durch was fuͤr Mittel ſie die Zweiffel wider die Auferſtehung der Tod - ten beſtreiten koͤnnen? ſiehe Auferſtehung.
  • Schwachheit, der Kinder, bahnet ihnen den Weg zum Gebrauch der Vernunft42. ſq. zur Erlernung der Sprachen46. ſqq. macht ſie geſellig51.
  • Seelen, der Kinder, im Mutterleibe, haben ſchon Vorſtellungen265. ſqq. Urſprung der Seelen271.
  • Seelige, werden durch keine natuͤrliche Dinge beunruhiget109. auch ſie ſelbſt beunruhigen einander nicht110. ſqq. bekommen den al - lervollkommenſten Leib112. genieſſen des An - ſchauens GOttes131. ihre Verrichtungen135. ſqq. ihre Freundſchaft und Umgang137. ſqq. wozu ſie das Vermoͤgen ihrer Glieder an - wenden?157. ſq. der Mangel fleiſchlicher Vermiſchung wird ihnen kein Mißvergnuͤgen verurſachen167. ſq. Lob GOttes wird ſie be - ſonders ergoͤtzen168. ſqq.
See -[545]Regiſter.
  • Seeligkeit, worinnen ſie beſtehe?131. ſqq. ob darinnen ein Eiffer, ſich vor andern her - vor zu thun, ſtatt haben werde, und wie ſol - cher beſchaffen ſey?138. Urſache der See - ligkeit506. ſq. ſiehe Himmel.
  • Sicherheit, ein kraͤftiges Mittel dawider iſt die Gnugthuung JEſu463. ſq.
  • Socinus, deſſen Meinung von der Gnug - thuung Chriſti368.
  • Spinnengewebe, Kunſt und Ordnungen dar - innen334. ſq.
  • Sprache, traͤgt vieles bey zur Vernunft45. wie man zur Sprache komme?46. ſq. was den Kindern den Weg dazu bahnet?48.
  • Strafen der Hoͤllen, find ewig184. ſq. war - um?203. ſqq. deren Unterſcheid185. ſq. der goͤttlichen Strafen Endzweck193. ſqq. End - zweck der Hoͤllenſtrafen insbeſondere199. ſqq. warum die Hoͤllenſtrafen ſo ſehr empfindlich ſind?201. ſqq. die goͤttliche Strafen ſind entweder natuͤrliche oder willkuͤhrliche345. ſq .347 . ſqq .349 . ſqq.
  • Suͤnde, deren Hauptquellen189. Folgen der - ſelben in der Seele347. in dem Leibe348. wuͤrckliche Strafen derſelben349. ſq. die Folgen derſelben koͤnnen durch nichts, als eine auſſerordentliche Allmacht GOttes ge - hoben werden353. ſq. Furcht vor der Suͤn - de, wodurch dieſelbe kan erwecket werden?341. ſqq. Abſcheu vor derſelben, wodurch der - ſelbe vermehret wird?447. ſq. muthwillig ſuͤndigen446.
  • Suͤnder, daß ſolche in den Himmel kommen koͤnnen, ſtreitet mit der Guͤtigkeit GOttes185. ſqq. ob ſie, wenn ſie in den Himmel kaͤ - men, wuͤrden aufhoͤren zu ſuͤndigen?188. ſqq. war -[546]Regiſter. warum ſie GOtt nicht in einen andern Him - mel ſetzt?193. ſqq.

T.

  • Tugend, worinnen der hoͤchſte Grad derſelben beſtehe?225.

U. v.

  • Uebung, dadurch wird man zu einer Gewohn - heit gebracht213. ſq. hat der erſte Menſch noͤthig gehabt, im Guten beſtaͤtiget zu werden214. ſqq. auch Chriſtus ſelbſt iſt durch Uebung zur Fertigkeit gebracht worden215. ſqq .217 . (*) ſq.
  • Verdammniß, gruͤndet ſich auf die goͤttliche Lie - be199. ſeqq.
  • Verdammten, die Unſeeligkeit derſelben, und woher ſie entſtehe?180. ſqq. ob es wahrſchein - lich, daß ſie ſich jemahls bekehren werden?203. ſqq .391. Not. warum ſie GOtt nicht durch ſeine Allmacht bekehre und ſeelig mache?209 ſeqq.
  • Vergnuͤgen, hat GOtt an Erſchaffung der Welt17. wohin dieſes Vergnuͤgen gehe?18. alles Vergnuͤgen, woher es entſtehe?140 .142 .150 . (*) ſeqq .294 . warum uns einige Din - ge vergnuͤgen, andere nicht?143. ſeqq. wel - che Vermoͤgen der Seele uns zu dem mehreſten Vergnuͤgen Anlaß geben?151. welche Ver - gnuͤgen im Himmel bleiben werden?154. ſqq. das Vergnuͤgen im Himmel, ſo aus dem Se - hen entſtehet154. ſeqq. aus dem Gehoͤr157. ob Gefuͤhl, Geſchmack und Geruch auch im Himmel vergnuͤgen werden?164. die Vergnuͤ - gen des Himmels ſind unwandelbahr und ewig176.
  • Vernunft, was dazu erfordert wird, daß ein Menſch zum Gebrauch der Vernunft komme?43 .45 . kan nicht urtheilen, ob die Gnugthu -ung[547]Regiſter. ung JEſu GOtt anſtaͤndig ſey, oder nicht381. ſqq. was dazu gehoͤret, wenn man nach der Vernunſt vorgeben will, daß etwas GOtt anſtaͤndig ſey, oder nicht?382. ſq .390. Schwachheit der Vernunft381. ſqq .385 . (*) ſqq .387 . ſqq .390 . (*) ſqq. wird mit Gleichniſſen erlaͤutert387. ſqq.
  • Verſoͤhnung, wodurch GOtt verſoͤhnet wor - den?413. ſqq. Erkaͤrung der Redensart: wir ſind GOtt verſoͤhnet414. auf wie vielerlei Art das Wort Verſoͤhnung genommen wird?417. was eine Verſoͤhnung bey einem Men - ſchen ſey?418. was eine Verſoͤhnung bey GOtt ſey?418. ſqq. Erklaͤrung der Re - densart: GOtt hat ſich ſelbſt verſoͤhnt421. ſq.
  • Verſtand, durch deſſen Verbeſſerung wird die Vollkommenheit der Menſchen vermehret29. ſq. welches die wahre Verbeſſerung des Ver - ſtandes iſt?30. ſq.
  • Vertrauen auf GOtt, wodurch es befoͤrdert wird?440.
  • Umgang, mit andern Leuten dadurch wird der Gebrauch der Vernunft befoͤrdert43. mit den Heiden war den Juden im A. T. verbothen82. ſqq. was zu Haltung dieſes Verboths befoͤrderlich geweſen?84. ſeqq.
  • Unmoͤglich, was es ſey?392. Not.
  • Unterſcheid der Speiſen im A. T. deſſen Ab - ſicht und Urſache aus der Vernunft bewieſen87. ſeqq. aus der Schrift88. ſqq.
  • Vollkommenheit, was ſie ſey?358. ſeq. die praͤchtigſten Proben der goͤttlichen Vollkom - menheiten zeiget der Himmel134. ſqq. die Vollkommenheiten GOttes geben uns Bewe - gungsgruͤnde zum Guten .424.
W. Weiſſa -[548]Regiſter.

W.

  • Weiſſagungen der Schrift, warum ſie insge - mein etwas dunckel ausgedruckt worden?64. ſeqq. was Weiſſagungen ſind?67. von Chri - ſto, deren Beſchaffenheit71. conf .68 . ſq. mu - ſten in verbluͤhmten Worten ausgedruckt wer - den78. ſqq. ein Einwurf wird beantwortet76. deren Dunckelheit hebt den Nutzen derſelben nicht auf77. ſq.
  • Weißheit GOttes, worinnen ſie beſtehe?24.
  • Welt, welches die beſte ſey?291. ſeqq. ob eine Welt, die ohne Erhaltung und Regierung GOttes nicht beſtehen kan, wider die Voll - kommenheiten GOttes ſey?390. (*)
  • Wercke, gute, koͤnnen keine Bedingung der Rechtfertigung ſeyn505. ſqq. in wie ferne Chriſtus die Wercke als eine Bedingung der Seeligkeit anfuͤhret?519. ſeq.
  • Wille, vollkommener, kan mit ſich ſelbſt nicht ſtreiten302. ſeq.
  • Wolfahrt, der freien Creaturen, wodurch ſel - bige befoͤrdert wird?228.
  • Wunderwercke, dadurch wird die Offenbah - rung beſtaͤtiget62. werden erfordert, die Fol - gen der Suͤnden aufzuheben353. ſeqq. wel - ches dieſelben ſind?355.

Z.

  • Zukuͤnftig, der zukuͤnftigen Dinge Unterſcheid67. koͤnnen nicht alle deutlich vorher verkuͤn - diget werden68. ſolches wird mit einem Gleichniß erlaͤutert69. von was vor Art die zukuͤnftigen Dinge geweſen, die den Meßias betreffen?71. ſeqq.
  • Zulaſſung, des Boͤſen, ſiehe Boͤſe.
[549][550][551][552]

About this transcription

TextBetrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen
Author Johann Friedrich Jacobi
Extent588 images; 96883 tokens; 10089 types; 685437 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationBetrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen Erster Teil Johann Friedrich Jacobi. . 32, 532 S., [10] Bl. CunoGöttingen1741.

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HAB Wolfenbüttel HAB Wolfenbüttel, M: Te 610

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Erbauungsliteratur; Gebrauchsliteratur; Erbauungsliteratur; core; ready; china

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-09T17:31:56Z
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ShelfmarkHAB Wolfenbüttel, M: Te 610
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