Meine jetzige haͤuffige Arbeit bey einer weitlaͤuftigen Gemeinde, zu deren Lehrer ich durch die gnaͤdige Fuͤ - gung GOttes vor einiger Zeit bin beſtimmet worden, erlaubet mir nicht dieſe Blaͤtter fortzuſetzen. Und5Und da ich nicht weiß, ob die guͤ - tige Vorſehung fuͤr mich jemahls andere Umſtaͤnde auserſehen hat, in welchen mir meine ordentlichen Amtsgeſchaͤfte Zeit laſſen den zweyten Theil dieſer Schrift, zu welchem ſchon eines und das ande - re geſamlet, auszuarbeiten; ſo will ich wenigſtens die Grundriſ - ſe von einigen Betrachtungen, zu welchen mir gute Freunde Anlaß gegeben, und welche nebſt andern zu dem zweyten Theile gewidmet waren, den vorigen Betrachtun - gen beyfuͤgen. Jch wuͤnſche, daß ein ander und geſchickterer Geiſt denen Liebhabern einer gruͤndli - chen Erkaͤntniß in goͤttlichen Din -a 3gen6gen die weiſen Abſichten GOttes bey dem, was uns die Offenbah - rung entdecket, in einem eben ſo uͤberzeugenden und netten Zuſam - menhange liefern moͤge, als der Herr Regierungsrath WOLFF die Abſichten der natuͤrlichen Din - ge vorgetragen. Ehe dieſes aber geſchiehet, bediene ſich der geneig - te Leſer dieſes geringen Anfanges zu einem ſo nuͤtzlichen Wercke, und bleibe gewogen
dem Verfaſſer.
Als die verblendeten Jſraeliten den Mittler der Welt an das betruͤbte Holtz gehangen, ver - langten ſie zu ihrer Ueberzeu - gung von ſeiner goͤttlichen Sendung zu dem Amte des Meßias, daß er ſolte vom Creutze ſteigen. Sie verſprachen, ihn alsdenn fuͤr den Sohn GOttes aufzu - nehmen. Jſt er der Koͤnig Jſrael, heiſ - ſet ihre Rede, ſo ſteige er nun vom Creutz, ſo wollen wir ihm glaͤuben. Matth. Cap. 27. v. 42.
Man wundert ſich, warum der Erloͤſer ihr Begehren nicht erfuͤllet, und viel tau - ſend Unglaͤubige dadurch auf einmal zuma 4Glau -8Glauben gebracht. Wir wollen die Fol - gen entdecken, die dieſes Wunderwerck wuͤrde gehabt haben, ſo wird es ſich zei - gen, warum es der Weißheit gemaͤſſer ge - weſen, dieſem Verlangen der Juden kein Gehoͤr zu geben.
Die Juden ſetzten zum vornehmſten Merckmahle des Meßias dieſes, daß er ein irdiſch Reich anfinge und ſie zu Herren der gantzen Welt machte. Ein Meßias, der die Suͤnde der Welt truͤge, und nur wahre Gottſeeligkeit in die Hertzen der Menſchen zu bringen ſuchte, war ihnen ein Aergerniß. Es hatte dieſe Meinung in ihren Gemuͤthern ſo tieffe Wurtzeln ge - faſſet, daß auch die Apoſtel bey der Him - melfahrt Chriſti noch eine weltliche Herr - ſchaft fuͤr das Hauß Jſrael hofften. Ap. Geſch. Cap. 1. v. 6.
Als daher dorten der Heiland eine groſ - ſe Menge Volckes mit wenigen Brodten und ein paar Fiſchen geſaͤttiget hatte, und dieſes Volck daher den Schluß machte, daß er der Meßias waͤre, ſo faſſeten ſie gleich den Vorſatz ihn zum Koͤnige zu ma - chen Joh. C. 6. v. 15. Sie gedachten al - ſo unter ihm als ihrem Anfuͤhrer auf dieRoͤmer9Roͤmer loszugehen, ſich von deren Joch frei zu machen und im Gegentheil uͤber ſie zu herrſchen. Solte daher kein ungluͤck - licher Aufruhr entſtehen, ſo muſte JEſus entweichen.
Man begreiffe hieraus, was geſchehen ſeyn wuͤrde, wenn der gecreutzigte JEſus mit geheilten Wunden vom Creutze geſtie - gen waͤre. Wuͤrden die hochmuͤthigen Juden nicht augenblicklich einen Aufruhr angefangen und ſich wider die Roͤmer em - poͤret haben, beſonders, da beynahe das gantze Jſrael wegen des Oſterfeſtes bey einander war? Es erhaͤlt dieſe Muthmaſ - ſung dadurch die groͤſte Wahrſcheinlich - keit, daß laut der Geſchichte die Juden al - lezeit Tumult und die unvernuͤnftigſten und verwegenſten Empoͤrungen angefan - gen, ſo bald ſie jemand fuͤr den Meßias gehalten. Siehe des Herrn Probſt REINBECKS Betrachtungen uͤber die Augſp. Confeßion Theil III. Betracht: XXXIX. §. LXII-LXXII. EISEN - MENGERS Entdecktes Judenthum Theil II. pag. 654-672.
Dieſes aber wuͤrde der Chriſtlichen Religion, welche gepflantzet werden ſolte,a 5die10die groͤſte Hinderniß gegeben haben. Chri - ſtus wuͤrde den Juden widerſtanden und abermahls bezeuget haben, ſein Reich ſey nicht von dieſer Welt. Er wuͤrde ſie in ihrer Wuth und Aufruhr haben verlaſſen muͤſſen, und wenn denn die Macht der Roͤmer ſie uͤberſchwemmet, und, wie her - nach bey ihren unvernuͤnftigen Empoͤrun - gen geſchehen, ihre Staͤdte zerſtoͤhret und ſie theils durch die Schaͤrffe des Schwerd - tes aufgerieben, theils in die betruͤbte Ge - fangenſchaft gefuͤhret haͤtte, wuͤrden ſie JEſum eben ſo wenig fuͤr den Meßias ge - halten haben, als ſo geſchahe. Konnten ſie, da er die Teufel austrieb, ſprechen, er treibe die Teufel durch Beelzebub den Oberſten der Teufel aus, ſo wuͤrden ſie auch hernach geſagt haben, er iſt durch Beelzebub vom Creutze geſtiegen. Die Juden wuͤrden alſo durch das bloſſe Her - abſteigen vom Creutze nicht ſeyn gewon - nen worden, weil JEſus doch ihren Hochmuth durch Anrichtung eines weltli - chen Reichs nicht haͤtte ſaͤttigen koͤnnen, ſondern ſie vielmehr zur Demuth und Ge - horſahm vermahnen muͤſſen.
Die Heiden aber wuͤrden dadurch auf das allerheftigſte wider die Chriſtliche Re - ligion ſeyn aufgebracht worden. Siewuͤr -11wuͤrden ſie fuͤr eine ſolche Religion gehal - ten haben, welche zu Aufruhr und unge - rechten und grauſamen Kriegen Anleitung gaͤbe. Sie wuͤrden ſelbige alſo noch mehr gehaſſet und ihrer Ausbreitung wi - derſtanden haben, als ſo geſchehen iſt.
Da derowegen die Chriſtliche Religion mehr Schaden als Vortheil davon wuͤr - de gehabt haben, wenn der Erloͤſer auf Verlangen der hochmuͤthigen Juden vom Creutze geſtiegen waͤre, ſo iſt hinlaͤnglich zu begreiffen, warum er ihrer Forderung kein Gehoͤr gegeben.
Eben diejenigen Folgen, welche §. 6. 7. angefuͤhret ſind, wuͤrden ſich geaͤuſſert ha - ben, wenn Chriſtus ſich nach ſeiner Auf - erſtehung allem Volck gezeiget haͤtte. Es war daher der Weißheit gemaͤſſer, daß er ſich nur von den vorerwehlten Zeugen von ſeinen Apoſteln und andern treuen Bruͤdern in ſeinem verklaͤrten Leibe ſehen ließ.
Aus den vorhin angezeigten Urſachen iſt auch begreifflich, warum der Heiland den Juden auf ihr Verlangen kein Zeichen vom Himmel gab. Matth. C. 16. v. 1. Marc.12Marc. C. 8. v. 11. Luc. C. 11. v. 16. Al - le ihre Gedancken zielten dabey auf eine ir - diſche Herrſchaft, auf Tumult und Em - poͤrung.
Man fragt nicht unbillig, warum GOtt zu Tyro und Sidon nicht ehemahls eben die Wunder thun laſſen, welche zu den Zeiten Chriſti hie und da geſchahen, da doch der Erloͤſer verſichert, Matth. Cap. 11. v. 21. daß, wenn ſol - ches geſchehen waͤre, ſie im| Sack und der Aſche wuͤrden Buſſe gethan haben, und alſo erhalten worden ſeyn. Wir wollen dieſe Frage nach unſerer Muth - maſſung beantworten.
Da nicht alle Menſchen durch gehoͤri - ge Mittel zur Froͤmmigkeit und ihrer wah - ren Wolfahrt zu bringen, (ſiehe Betrach - tung VII. ) ſo wird GOtt vermoͤge ſeinerVoll -13Vollkommenheiten denjenigen Zuſam - menhang der Dinge erwehlen, in wel - chem die groͤſte(*)Wenn hier von der groͤſten Anzahl der Seeligen geredet wird, ſo vergleicht man ſie nicht mit der Anzahl unſeeliger Men - ſchen, ſondern mit der Menge der See - ligen, die in einer jeden andern moͤgli - chen Verfaſſung der Welt koͤnnte erhal - ten werden. Anzahl kan erhalten werden.
Vermoͤge dieſes Satzes kan es ſich zutragen, daß ein Menſch in dem jetzigen Zuſammenhange der Dinge verlohren gehet, der in einem andern ſich zur Gott - ſeeligkeit gelencket haͤtte.
Jndeſſen kan ſich ein ſolcher uͤber GOtt nicht beſchwehren, wenn er ihm nur hin - laͤngliche Gelegenheit giebt ſeine See - ligkeit zu ſuchen. Denn niemand kann von dem weiſeſten Schoͤpfer verlangen, daß er eines oder etlicher Menſchen wegen ſolte auſſerordentliche Dinge thun, durch deren Gelegenheit ſie erhalten, aber eine noch weit groͤſſere Menge in das Verder - ben geſtuͤrtzet wuͤrde.
Es iſt muthmaßlich oder vielmehr ge - wiß, daß, wenn GOtt den Meßias mit ſeinen Wundern zu den Zeiten Tyro und Sidons geſandt, das Chriſtenthum kei - nen ſo guten Fortgang gehabt haͤtte, als da die ewige Vorſehung die Zeit ſeiner Ankunft in den Anfang der Roͤmiſchen Monarchie geſetzet. (*)Den Beweiß hievon leſe man in des Hn. Probſt REINBECKS Betrachtungen uͤber die Augſp. Confeßion Theil III. Be - tracht. XL. §. LVIII. Jngleichen in JACOB FOSTERS heiligen Reden und zwar in der XXIII. Rede.
Es wuͤrde alſo das Reich Chriſti we - niger Buͤrger bekommen haben, wenn der Meßias zu den Zeiten Tyro und Sidons mit ſeinen Wundern erſchienen waͤre.
Hieraus laͤſſet ſich begreiffen, warum GOtt den Tyriern und Sidoniern vor ihrer Verwuͤſtung die Herrlichkeit des Meßias nicht ſehen laſſen. GOtt muß vermoͤge ſeiner Eigenſchaften diejenige Einrichtung der Dinge erwehlen, durch welche das Reich ſeiner Herrlichkeit die mehreſten Einwohner bekommt. (§. 1.) Da15Da nun das Chriſtenthum ſich weniger wuͤrde ausgebreitet haben, wenn der Meßias vor der Zerſtoͤhrung Tyro und Sidons kommen waͤre, und alſo das Reich GOttes wenigere Buͤrger erhalten haͤtte, als bey der Erſcheinung Chriſti unter der Monarchie der Roͤmer: (§. 5. 6. ) ſo hat ſeine unendliche Weißheit erfor - dert, dieſe letztere Zeit zu den Tagen des Meßias zu beſtimmen.
Man wird weiter fragen: Warum hat GOtt zu Tyro und Sidon nicht eben ſolche Wunder durch andere thun laſſen, als der Heiland zu ſeiner Zeit verrichtet? Denn Chriſtus verſichert, daß ſie ſich wuͤrden bekehret haben, wenn dergleichen Zeichen bey ihnen geſchehen waͤren. Wir antworten darauf zweyerlei. Erſtlich doͤrffen Wunderwercke nicht gemein ge - macht werden: Zweytens muſte der Meſ - ſias nothwendig etwas vor ſich behalten.
Wunder doͤrffen nicht gemein gemacht werden. Sie haben ſonſt keinen Ein - druck in die Gemuͤther der Menſchen. Man ſiehet dieſes bey den groͤſten Wun - dern der Natur, welche ſehr wenige ihrer Aufmerckſamkeit wuͤrdigen, weil ſie ſel -bige16bige oͤfters und zum Theil taͤglich wahr - nehmen. Wer erſtaunt uͤber das groſſe Wunder, da die Sonne taͤglich aufgehet?
Ferner: Wenn GOtt alle Zeiten wol - te reich von Wundern machen, und uns dergleichen ſehr oft hoffen laſſen, ſo wuͤr - den viele Betruͤger die Einfalt mit fal - ſchen Wundern hintergehen und viel Un - heil anrichten. Man kan hiervon Pro - ben genug leſen in der Geſchichte derje - nigen Chriſtlichen Secte, welche ſich noch bis auf den heutigen Tag allerhand Wundergaben ruͤhmet.
Der Meßias muſte auch etwas vor ſich behalten, und daher durfte niemand anders in ſeinem Glantze zu andern Zei - ten erſcheinen. Man ſolte ihn hoͤher achten als alle Propheten, die Welt ſol - te ihn als den Sohn GOttes verehren: ihm geziemete daher eine ſolche Herrlich - keit und ſolche Zeichen, die ihn von allen andern, ſo von Weibern gebohren, un - terſchieden.
Wer die Schriften Altes Teſtaments lieſet, wird finden, daß GOTT mit ſeinen Geſetzen insgemein zeitliche Belohnungen und zeitliche Strafen ver - knuͤpfft. Man ſchlage 5 B. Moſ. C. 28. nach, ſo wird man daſelbſt lauter leibli - che Fluͤche und irdiſche Seegen antreffen, womit GOtt die Jſraeliten verbindet ſeine Geſetze vor Augen zu haben. Eben der - gleichen lieſet man an den mehreſten Or - ten, wo Verheiſſungen oder Drohungen aufgezeichnet ſind. Man wird wenige Stellen antreffen, wo das A. Teſt. auf ein Leben nach dem Tode fuͤhret. (*)Man findet dieſe Stellen groͤſtentheils in des Herrn Probſt REINBECKS Betrach - tungen uͤber die Augſp. Confeßion Betr. XL. §. LXXIV-LXXIX. Siehe auch FLACII Clauem Scripturae S. Part. II. pag.
Das Neue Teſtament hergegen redet wenig von zeitlichen Belohnungen und Beſtrafungen, es meldet aber deſtomehr von Himmel und Hoͤlle, wo ſo wol die Seelen gleich nach dem Tode, als auch endlich die wieder hergeſtellten Leiber ſol - len verſammlet werden, damit ein jeder empfahe nach dem er gehandelt hat bey Leibes Leben, es ſey Gutes oder Boͤſes.
Wir unterſuchen daher, warum doch GOtt im A. T nicht ſo viel und deut - lich von den Strafen und Belohnungen nach dieſem Leben ſchreiben laſſen als im N. T. GOtt als ein weiſer Beherr - ſcher der Welt bequemet ſich nach den Zeiten und richtet ſeine Verordnungen ſo ein, wie es die Gemuͤther zu einer je - den Zeit erfordern. Wir muͤſſen alſo die Beſchaffenheit der damahligen Zeiten in Betrachtung ziehen, in ſelbiger wird die Urſach zu finden ſeyn, welche GOtt bewogen, mehr von zeitlichen als ewigen Strafen und Belohnungen zu reden.
§. 4.(*)pag. 51. wo bewieſen wird, daß unter einigen leiblichen Verheiſſungen auch geiſtliche begriffen werden.
Der groͤſte Theil der Welt war da - mahls der Abgoͤtterey und dem Aberglau - ben ergeben. Nicht nur die Voͤlcker, ſon - dern auch die Familien hatten ihre beſon - deren Schutzgoͤtter. (Conf. MOSHE - MII Notae ad Cudworthi Syſtema in - tellectuale pag. 418. et GERH. JO. VOSSII Theolog. Gentil. inprimis Lib. IX. Cap. XXXIII. p. m. 573. 574.) Das eine Volck hielt auch des andern Volckes Goͤtter fuͤr wahre Gottheiten, ob es ſelbige gleich nicht verehrete, ſon - dern andern Goͤttern dienete. Nur ach - tete man den einen Gott fuͤr beſſer und maͤchtiger als den andern.
Die Hoheit und Macht eines Gottes und ſeine Liebe zu dem Volcke, ſo ihn ver - ehrete, ſchloß man aus zweyerlei Dingen: aus dem Gluͤck, ſo er einem Volck beſon - ders wider ſeine Feinde im Kriege gab, und aus den geheimen und kuͤnftigen Din - gen, die er offenbahrete. 2 Chron. C. 36. v. 23. Eſr. C. 1. v. 1. Dan. C. 3. v. 29. C. 6. v. 26. C. 2. v. 47. Eſ. C. 43. v. 9.
Wenn derowegen ein Volck ungluͤck - lich war, ſo ſpotteten die andern Nationen der Gottheit, von welcher ein ſolch un -b 2gluͤck -20gluͤcklich Volck Schutz und Beyſtand hoffete. Pſ. 79. v. 10. Pſ. 115. v. 2. Joel C. 2. v. 17. 5 B. Moſ. C. 32. v. 37. 38. 2 B. der Koͤn. C. 18. v. 28-35.
Es geſchahe daher auch ſehr leicht, daß die Voͤlcker aus andern Laͤndern neue Gottheiten annahmen und ſelbige verehr - ten, wenn ſie ſich von ihnen gleichfals Schutz und Gluͤck verſprachen. Buch Judith C. 11. v. 17.
Bey dem groͤſten Hauffen der Juden galt ehemahls eben der Schluß, den wir §. 5. angefuͤhrt. Der Gott war in ih - ren Gedancken der maͤchtigſte und beſte, welcher ſein Volck am gluͤcklichſten mach - te, die wichtigſten Siege ſchaffte, und die gewiſſeſten Antworten auf Fragen uͤber geheime und zukuͤnftige Dinge gab. Pſ. 84. v. 8. Pſ. 85. v. 9. Eſ. C. 41. be - ſonders v. 23-29.
Es war ihnen daher auch ein leichtes, den wahren und lebendigen GOtt zu ver - laſſen und fremder Voͤlcker falſche Gott - heiten zu verehren. Die Suͤnde der Ab - goͤtterey war die gemeineſte. Wenn ſie ein - mahl einige Jahre dem einigen Schoͤpfer Himmels und der Erden gedienet, ſo ſchlu -gen21gen ſie ſich wieder zu den Goͤtzendienern, bis ſie der wahre GOtt verließ und ſie in der That erfuhren, daß die Goͤtzen nicht helffen noch gluͤcklich machen koͤnten. Man leſe das Buch der Richter und die Buͤcher der Koͤnige, ſo wird man dieſes beſtaͤndig finden.
Die Anſtalten und Ordnungen GOt - tes unter den Juden muſten daher vor - nehmlich wider die Abgoͤtterey gehen. Wie denn auch das Hauptwerck des Geſetzes und die mehreſten Predigten der Prophe - ten wider ſelbige gerichtet ſind.
Wenn man dieſes zum voraus ſetzet, ſo laͤſſet ſich leicht begreiffen, warum GOtt mit ſeinen Geſetzen und Ermahnungen vornehmlich leibliche Strafen und Be - lohnungen verknuͤpffen muſte. Es gien - gen ſelbige ins beſondere gegen die Abgoͤt - terey und die Suͤnden, ſo damit vergeſell - ſchafftet waren. Wider die Abgoͤtterey aber waren nach den damahligen Um - ſtaͤnden die Strafen und Belohnungen nach dieſem Leben keine zureichende und gegen die Haͤrte ihres Gemuͤths gnugſah - me Bewegungsgruͤnde. Der groͤſte Hauffe beurtheilte damahls die Gotthei - ten blos nach dem, was in die Sinne fiel:b 3(§. 5.22(§. 5. 6. 8.) Der weiſeſte Schoͤpfer mu - ſte daher mit ſeinem Dienſt auch ſolche Bewegungsgruͤnde verbinden, welche die Sinne ruͤhreten, nemlich zeitliches Gluͤck. Wenn ſie ſeinen Dienſt aber verlieſſen, muſte er ihnen zeitlich Ungluͤck drohen, und ſo wol das Gluͤck als das Ungluͤck genau ſo kommen laſſen, wie er es vorher ver - kuͤndigen ließ. Dieſes war damahls das eintzige, dadurch er den groͤſten Hauffen uͤberfuͤhren konnte, daß er maͤchtig ſey, und geheime und zukuͤnftige Dinge wiſſe, und er alſo allein fuͤr einen wahren GOtt zu achten und zu ehren. (§. 4.) Durch die Vorſtellungen des Ewigen waren ſie zu denen Zeiten von der Abgoͤtterey nicht ſo leicht abzuziehen, weil viele Heiden bey ihrem Goͤtzendienſt ebenfals von ſeeligen und unſeeligen Orten, wo die Seelen nach dem Tode hinkaͤmen, obſchon mit vieler Ungewißheit, redeten. (*)Zu dieſen gehoͤren auch die alten Aegypter. Siehe BRUCKERS Fragen aus der Phil. Hiſt. Th. I. B. I. Cap. VIII. §. VII. p. 178.Es war da - mahls noͤthig, daß die Bewegungsgruͤn - de, welche die Juden von der Abgoͤtterey abhalten und zur Verehrung des wahren GOttes reitzen ſolten, zugleich einen in die Augen fallenden Beweiß in ſich faſſeten,daß23daß der Jehova der eintzige und lebendige GOtt ſey, und vor allen andern Gotthei - ten einen Vorzug habe. Dergleichen aber war in der Vorſtellung eines Him - mels und der Hoͤlle nicht enthalten. Sie muſten alſo hauptſaͤchlich auf die Regie - rung der gegenwaͤrtigen Welt gewieſen und durch das Gluͤck und Ungluͤck, welches nach ihrem Verhalten uͤber ſie verhaͤnget wurde, und durch die Entdeckung kuͤnfti - ger und geheimer Dinge uͤberzeuget wer - den, daß Jehova das eintzige hoͤchſte We - ſen ſey, durch welchen die gantze Welt ent - ſtanden, und von deſſen gnaͤdigen Vorſe - hung alles Gluͤck und Ungluͤck komme.
Man ſolte dencken, es wuͤrde weit beſſer um die Welt ſtehen, wenn GOtt allezeit das Boͤſe unmittelbahr ſtrafte. Man ſolte dencken, es wuͤrde als - denn Tugend und Gluͤck an allen Orten in der gantzen Welt bluͤhen. Da wir aber indeſſen finden, daß der weiſeſte Schoͤpferb 4die24die Gottloſen auch duldet, ſo muͤſſen wir dennoch ſchlieſſen, daß mehr Gutes da - durch erhalten und mehr Boͤſes in der Welt verhindert werde, und es alſo beſſer ſey, wenn ſeine Guͤte den Gottloſen nach - ſiehet, als wenn er ſie allezeit bey einer je - den boͤſen That unmittelbahr ſtrafen wol - te. Und wenn wir die Folgen uͤberdencken, welche aus ſolchen unmittelbahren Stra - fen entſtehen wuͤrden, ſo werden wir fin - den, daß es beſſer und der Weißheit GOt - tes gemaͤſſer ſey, wenn er Langmuth aus - uͤbet, als wenn er die Gottloſen allezeit un - mittelbahr mit Strafen verfolgete.
Wenn die Gottloſen allezeit unmittel - bahr bey einer jeden muthwilligen Ueber - tretung der goͤttlichen Geſetze ſolten geſtraft werden, ſo muͤſte dieſes entweder an ihrer Seele, oder am Leibe, oder an ihrem Ver - moͤgen, oder gar am Leben geſchehen.
Wuͤrden die Laſterhaften allezeit bey ei - ner jeden muthwilligen Suͤnde an der Seele durch Verwirrung der Gedancken und heftige Betruͤbniß, oder am Leibe durch Schmertzen und Kranckheit, oder durch Verluſt an ihrem Vermoͤgen ge - ſtraft, ſo muͤſten die Frommen und Tu - gendhaften allezeit mit jenen leiden. Waͤ -ren25ren die Gottloſen an der Seele oder an dem Leibe kranck, ſo wuͤrde die Arbeit, welche ſonſt das unartige Geſchlecht verrichtet, allein auf das kleine Haͤufflein der Gerech - ten kommen, und wuͤrden dieſe aͤrger ge - plagt ſeyn als die Jſraeliten in Aegypten. Die Frommen wuͤrden zehnmahl ſo viel ackern und andere Arbeit verrichten muͤſ - ſen, wenn anders nicht die groͤſte Noth und Theurung in die Welt kommen ſolte. Sie muͤſten der Suͤnder Knechte werden, und ſie verpflegen helffen. Wolte aber GOtt die Boßhaftigen an ihren Guͤtern ſtrafen und ſie in Armuth ſetzen, ſo wuͤr - den die Frommen abermahls dieſe Armuth muͤſſen tragen helffen. Sie wuͤrden ſel - bige nicht nur in ihrer Armuth mit Almo - ſen unterſtuͤtzen, ſondern auch die gemeinen Ausgaben des Staats allein uͤbernehmen muͤſſen. Und wie groß wuͤrde die Anzahl der Diebe und Raͤuber werden, welche den Frommen nachſtelleten und ihr Gut ſuchten?
Man wird dencken: es wuͤrden die Gottloſen ſich alsdenn bald bekehren und tugendhaft werden. Allein die dieſes muthmaſſen, erwegen die wahre Beſchaf - fenheit einer rechten Bekehrung, und be - trachten dabey die Gemuͤther der Men - ſchen, ſo wird man bald anderer Meinungb 5wer -26werden. Wer ſich bekehret, muß ſeine Seele in eine gantz andere Verfaſſung ſe - tzen. Was er zuvor geliebet, muß er nach - gehends haſſen, und was ihm eckelhaft geweſen, ſelbiges muß ſein angenehmſtes Vergnuͤgen werden. GOtt und Tu - gend muß er anfangen zu lieben und an ſelbigen ſich zu vergnuͤgen, die Laſter aber, die vorher ſeine vornehmſte Freude gewe - ſen, muß er nunmehr haſſen und verab - ſcheuen. Nun aber betrachte man das menſchliche Gemuͤth, ob ſelbiges durch harte Strafen zur Liebe gebracht wird? Gewiß, es wird dadurch nichts verhuͤtet als etwa der aͤuſſerliche Ausbruch der boͤ - ſen Begierden, indem durch ſolche Stra - fen eine knechtiſche und betruͤbte Furcht er - regt wird, die Liebe zum Boͤſen aber bleibt, und indem die eine Suͤnde verhuͤtet wird, wird die andere durch die harten Schick - ſahle insgemein gezeuget. Man bemer - cke die Veraͤnderungen, welche in einem rohen Gemuͤthe vorgehen, wenn GOtt ſelbiges zuͤchtiget. Wird ein Saͤuffer kranck, ſo glaubet er nicht, daß er ſolches verdienet, ſondern meinet, es geſchehe ihm von GOtt zu viel, und wird daher unge - dultig und murret wider GOtt. Solte ein ſolcher ſo lange mit Schmertzen gepla - get werden, bis er zur Erkaͤntniß ſeiner Suͤnden kaͤme und anfienge GOtt undTugend27Tugend wahrhaftig zu lieben, gewiß, er wuͤrde nimmer vom Bette kommen. Wie viele liegen etliche Jahre auf dem Kranckenbette, welche doch dadurch nicht einmahl dahin gebracht werden, daß ſie von Haß und Schelten und Fluchen ab - ſtehen? Man frage Lehrer, die bey weit - laͤuftigen Gemeinden ſtehen, ſie werden Exempel von dergleichen Leuten anfuͤhren koͤnnen. Man gehe ferner hin, wo eine Gluth das Vermoͤgen eines ungerechten Geitzhalſes verzehret, und vernehme aus ſeinen Worten, ob er dabey anfaͤnget Gott und Tugend zu lieben, oder ob der Haß gegen ſelbige noch groͤſſer wird. Man erwege hierbey, was Betr. VII. §. 9. 10. 11. geſagt worden.
Jch will zwar nicht leugnen, daß nicht etwa einige von denen, die anjetzo verlohren gehen, durch dergleichen Zwangmittel erſtlich zu einer knechtiſchen Furcht, und endlich zu einer freudigen Liebe gegen GOtt gebracht wuͤrden: aber daran zweiffelte ich ſehr, ob der Hauffe der Frommen uͤber - haupt alsdenn wuͤrde groͤſſer ſeyn als an - jetzt. Es wird mir dieſer Zweiffel durch folgende Gruͤnde erreget. Wolte GOtt die Bosheit der Menſchen durch beſtaͤndi - ge Strafen daͤmpfen, ſo wuͤrde immer die groͤſte Noth in der gantzen Welt ſeyn,(§. 3. 4.)28(§. 3. 4. ) und ſo wol Fromme als Gottloſe wuͤrden ſich auf das kuͤmmerlichſte nehren muͤſſen. Wie wuͤrde es alsdenn mit der Erkaͤntniß des Heils ſtehen? Wie viele Gemeinen wuͤrden ohne Lehrer ſeyn, wenn alle laſterhafte Lehrer ſolten auſſer den Stand geſetzet werden ihr Amt zu verwal - ten? Und wie wenige Eltern wuͤrden we - gen der elenden Zeiten vermoͤgend ſeyn ihre Kinder zur Schule zu halten? Wie viele wuͤrden alsdenn verlohren gehen, welche bey der jetzigen Verfaſſung der Welt zur Erkaͤntniß GOttes und Chriſti gelangen, und dadurch zum ewigen Leben erhalten werden? Da nun aber GOtt denjenigen Zuſammenhang vermoͤge ſeiner unendli - chen Vollkommenheiten erwehlen muß, in welchem die mehreſten zur wahren Gluͤck - ſeeligkeit koͤnnen gebracht werden; (ſiehe den zweyten Grundriß §. 2.) ſo kan er wegen einiger wenigen keinen Zuſammen - hang machen, in welchem ein weit groͤſſe - rer Hauffe von andern ungluͤcklich waͤre.
Wer uͤberhaupt den Folgen weiter nachdencket, welche daraus entſtehen wuͤr - den, wenn GOtt einen jeden muthwilli - gen Suͤnder unmittelbahr bey einer jeden Uebertretung an Leib und Seel und Guͤ - tern ſtrafte, der wird finden, daß die groͤ - ſte Verwirrung dadurch in der Welt ent -ſprin -29ſpringen wuͤrde. Es iſt daher beſſer und der Welt vortheilhafter, wenn hierinnen eine weiſe Maͤßigung getroffen wird, und GOtt den Suͤndern bisweilen eine Zeit - lang nachſiehet, und ihnen zu einer Zeit ſeine Gnade, zu einer andern Zeit aber auch ſeinen gerechten Ernſt zeiget.
Dieſe Frage koͤnnte noch aufgeworffen werden, warum GOtt diejenigen Suͤn - der, von welchen er zum voraus ſiehet, daß ſie ſich niemahls bekehren werden, nicht gleich bey der erſten muthwilligen Suͤnde aus dieſer Welt wegſchaffe. Jch will Kuͤrtze halber nicht alles anfuͤhren, was man hierauf antworten koͤnnte. Dieſes eintzige mag genug ſeyn: Es wuͤr - de alsdenn die Welt mit wenig Menſchen beſetzt ſeyn, indem wenige einen Ge - ſchmack an der Tugend finden. (ſiehe §. 3.) Dieſe wenige Menſchen wuͤrden im Stande ſeyn, ſich wie viele der America - niſchen und andern Voͤlcker von den Wurtzeln, Obſte, Wilde und einer ge - ringen Viehzucht zu ernehren. Dieſes wuͤrde ſie aber gantz gewiß zum Muͤßig - gang und uͤbermaͤßigen Wolluſt und al - len Suͤnden, ſo damit verknuͤpfft ſind, verleiten. Der Verſtand wuͤrde daher ſchlecht gebauet werden und welche anjetzt bey einer guten Erkaͤntniß und mancher -lei30lei Noth und Bedruͤckungen der Tugend ſich befleißigen, wuͤrden ſich alsdenn gar bald zu den Laſtern wenden und auch um - kommen. Wer die Seele der Menſchen kennet und auf die Erfahrung achtet, wird hieran nicht zweiffeln. Man erinnere ſich, wie es in den erſten Zeiten der Welt, da die Erde wenige Einwohner hatte, er - gangen iſt, wie die mehreſten Menſchen bey der Unwiſſenheit der Abgoͤtterey und den ſchaͤndlichſten Suͤnden ſich ergeben, und wie viele Wunder und Muͤhe es geko - ſtet, daß GOtt nur ein kleines Haͤuflein erhalten. Man erkundige ſich, wie es auch noch heutiges Tages in den Laͤndern um Wiſſenſchaft und Tugend ſtehet, wo wenig Einwohner ſind. Es iſt gewiß: allzugroſſes Elend hindert Erkaͤntniß und Tugend, (§. 3. 4. ) allzugroſſer Ueber - fluß aber thut bey den jetzigen Menſchen desgleichen. (ſiehe auch Betr. V. §. 38.) Es wuͤrde derowegen auch bey dieſer Strafe der Suͤnder um die Gottſeeligkeit und das Gluͤck der Menſchen ſchlechter ſtehen, als anjetzt. Woraus zu begreif - fen, warum GOtt auch den muthwilli - gen Suͤndern das Leben einige Zeit fri - ſtet.
Daß es denen Frommen und uͤber - haupt der Tugend ſelbſt wuͤrde nachthei -lig31lig ſeyn, wenn GOtt die Laſterhaften ſo gleich ſaͤmtlich aus der Welt wegraffen wolte, lehret auch JEſus Matth. Cap. 13. v. 29. 30. Er ſtellet ſich unter einem Menſchen vor, der guten Saamen auf ſeinen Acker ſaͤet d. i. der hie und da in der Welt durch ſein Evangelium tugend - hafte Seelen erwecket. Der Feind aber, der Satan, ſaͤet Unkraut darunter, er reitzet viele Menſchen zur Bosheit. (ſiehe Matth. Cap. 13. v. 37. 38. 39.) Sei - ne Knechte wuͤnſchen, daß ihnen Macht gegeben wuͤrde dieſes Unkraut auszugaͤ - ten, die Boͤſen aus der Welt wegzu - ſchaffen. Allein was antwortet der Hausvater? Er ſprach: nein, auf daß ihr nicht zugleich den Weitzen mit aus - rauffet, ſo ihr das Unkraut ausgaͤtet. Laſſet beydes mit einander wachſen bis zur Erndte. Unſerer Einſicht nach will der Heiland hiedurch nichts anders, als dieſes ſagen: es koͤnnen die Gottloſen vor dem juͤngſten Tage nicht von den From̃en abgeſondert werden, ohne den Tugend - haften ſelbſt Schaden zuzufuͤgen. Man wuͤrde der Tugend Abbruch thun, wenn man anietzt alle Laſterhafte aus der Welt wegſchaffen wolte. Die Wur - tzeln des Weitzens und des Unkrautes ſind dergeſtalt mit einander verknuͤpfft, daß man das Unkraut ohne Schadendes32des Weitzens nicht gantz ausgaͤten darff. Die Frommen ſtehen mit den Gottloſen in ſolcher Verbindung, daß die Gottlo - ſen bey der jetzigen Verfaſſung nicht oh - ne Schaden der Frommen gantz doͤrffen aufgeraͤumet werden.
Da nun auſſer den bisher erwehnten Strafen keine andere moͤglich, womit ei - ne jede muthwillige Suͤnde allezeit gleich unmittelbahr koͤnnte belegt werden: (§. 2.) dieſe aber insgeſamt, wenn ſie mit einer jeden muthwilligen Uebertretung ſo gleich verknuͤpfft wuͤrden, dem Rei - che GOttes mehr Schaden als Vortheil braͤchten; (§. 3-8. ) ſo iſt daraus zu be - greiffen, warum der weiſeſte GOtt, wel - cher allezeit das Beſte wehlet, den muth - willigen Suͤndern |in dieſer Zeit einiger maſſen nachſiehet, und eine groſſe Langmuth gegen ſie ausuͤbet.
Es iſt nicht nur angenehm, ſondern auch nuͤtzlich, die Abſichten der Dinge dieſer Welt zu wiſſen, und einzuſehen, warum dieſes ſo und nicht anders ſey. Der weiſe Schoͤpffer hat ſelbſt einen ſehr ſtarcken Trieb in unſere Natur geleget, die geheimen Abſich - ten der Dinge zu erforſchen. Es aͤuſſert ſich derſelbe gleich in den erſten Jahren unſerer zarten Kindheit. Was iſt wol die erſte Frage bey Sachen die wir erblicken? Gewißlich dieſe: Worzu dienet das? Was macht man mit jenem? Worzu nutzet dieſes? Und unſere Eltern koͤnnen nicht leicht etwas thun, ohne daß wir fragen: Warum ge - ſchiehet dieſes? Warum wird dieſes ſo und nicht anders gemacht? Es nimt auch dieſe Begierde mit den Jahren nicht ab, ſondern zu. Hoͤren wir, daß ein groſſer Herr ein Regiment aufbrechen laͤſſet, ſoA 2dencken4Vorrede. dencken und fragen wir: Warum mag dieſes wol geſchehen? Unſere ſehr groſſe Begierde ſelbiges zu wiſſen, laͤſſet nicht zu, den Ausgang davon zu erwarten, ſondern bringet gleich allerhand und zum Theil un - gegruͤndete Muthmaſſungen hervor. Ha - ben wir aber die wahre Urſache entdecket, ſo werden wir daruͤber ungemein vergnuͤgt. Da es denn ſo angenehm iſt, den Endzweck einer ſo geringen Sache zu wiſſen, wie viel - mehr ſolte es uns nicht erfreuen, die goͤttli - chen Abſichten bey den Dingen dieſer Welt zu erkennen? Es hat aber auch ſonſten die Einſicht in die goͤttlichen Abſichten ihren vortreflichen Nutzen. Wir gelangen da - durch zu einer deutlichern Erkaͤntniß ſeiner unendlichen Weißheit und Guͤte, und be - mercken derſelben unausſprechliche Groͤſſe auch in den allerkleinſten Dingen. Wir finden, daß dasjenige, was eine Unvollkom - menheit zu ſeyn ſcheinet, uns oͤffters zur groͤ - ſten Vollkommenheit gereichet. Die Geſetze des Hoͤchſten bekommen in unſerer Seelen ein gantz anderes Anſehen, ſo bald wir nur ihre heilige Abſicht erkennen. Denn da wir vorhero wol geglaubt, daß ſie den Geſetzen der weltlichen Obern aͤhnlich waͤren, welche offt nur der Obern Vortheil befoͤrden, denUnter -5Vorrede. Unterthanen aber zur Beſchwehrde gerei - chen; ſo bemercken wir hernach, daß ſie von denſelben weit unterſchieden ſind, und nichts als unſere Wolfahrt zum Ziel haben. Die - ſe Einſicht aber hat eine ungemeine Wuͤr - ckung in unſerer Seelen, indem ſie in derſel - ben eine Liebe gegen dieſe wolgemeinten Ge - bothe entzuͤndet, und verurſachet, daß wir ſelbigen mit deſto groͤſſerer Freude und Be - reitwilligkeit ſuchen nachzukommen. Es iſt demnach nicht nur angenehm ſondern auch nuͤtzlich, die Abſichten der Dinge dieſer Welt einzuſehen. Es haben ſich derowegen auch die gelehrteſten Leute bemuͤhet, ſelbige zu er - forſchen: Die Phyſici haben unterſucht die Abſichten der Lufft, der Erde, des Waſſers, des Feuers, der Sonne, Mond, Sterne und anderer natuͤrlichen Dinge, und die Anato - mici haben ſich groſſe Muͤhe gegeben, die Ab - ſichten der Theile, die man an Menſchen, Thie - ren und Pflantzen findet, zu erfahren, und ſind auch ziemlich gluͤcklich darinnen geweſen Beſonders hat der Herr Regierungs - Rath Wolff ſeine beſondere Einſicht in die - ſelben an den Tag geleget, indem er ſich die gelehrte Welt mit zwey beſondern Schriff - ten hiervon verbindlich gemacht, deren eineA 3die6Vorrede. die Abſichten der natuͤrlichen Dinge die andere aber die Abſichten der Theile des Menſchen, der Thiere und der Pflan - tzen vortraͤgt. Die Theologi haben auch keinen Fleiß geſpahret die Abſichten der Din - ge, die man in der Offenbahrung antrifft, zu entdecken: indeſſen aber iſt nicht zu leugnen, daß ſie die Abſichten einiger Dinge gar un - beruͤhrt gelaſſen, einige aber, ſo von ihnen ſchon entdecket worden, noch in groͤſſere Deut - lichkeit koͤnnen geſetzet werden. Man hat ſich auch noch nicht bemuͤhet ſelbige zuſam - men zu leſen, und in einer ordentlichen Ver - bindung vorzutragen. Da aber inzwiſchen der Hauffe der Spoͤtter, welche ſich dadurch ſuchen groß zu machen, daß ſie die Haupt - Stuͤcke der geoffenbahrten Religion verla - chen, immer zunimt, und ſelbigen ihr frecher Mund durch nichts beſſer kann geſtopffet werden, als wenn man zeiget, daß in den Dingen der Offenbahrung die groͤſte Weiß - heit anzutreffen: ſo entſchloß mich vor ei - nem Jahre die Abſichten der in der Offen - bahrung enthaltenen Sachen in einem be - ſondern Buche und ordentlichen Zuſammen - hange auszuarbeiten und heraus zu geben. Als aber die Feder zu dieſem Wercke anſetz -te,7Vorrede. te, ſo merckte, daß ich eine Arbeit unternom - men, welche zu vollfuͤhren ich noch nicht im Stande war. Theils fehlten mir die Buͤ - cher, aus welchen mich Raths erholen ſolte; theils wurden die Gedancken durch meine gewoͤhnliche Arbeit gar zu ſehr unterbro - chen, und ich dadurch verhindert ein weit - laͤufftiges Werck in einer beſtaͤndigen Ver - bindung fortzuſetzen: endlich fand ich, daß ich die Abſicht manches Dinges zu der Zeit, da ich ſie eben ſuchte, durch alle meine Be - muͤhung nicht erforſchen konte; hernach aber doch oͤffters bey einer zufaͤlligen Gelegenheit ohne ſonderliche Arbeit entdeckte. Jch aͤn - derte derowegen meinen Vorſatz, und faßte den Entſchluß einzelne Betrachtungen uͤber die Abſichten der in der Offenbahrung ent - haltenen Sachen in meinen wenigen Ne - ben-Stunden aufzuſetzen, und Stuͤck-weiſe, ohne auf die Verbindung und den natuͤrli - chen Zuſammenhang der Materien zu ſe - hen, unter die Preſſe zu geben. Und weil ich in der menſchlichen Geſellſchafft gleich - fals viele Dinge wahrnahm, in deren Ab - ſicht eine beſondere Weißheit GOttes ver - borgen lieget; und welche doch von wenigen erkannt wird, ſo nahm mir vor, auch uͤber die Abſichten ſolcher Dinge BetrachtungenA 4anzu -8Vorrede. anzuſtellen, und unter die andern mit ein - zuſtreuen. Jch uͤberlieffere hiemit die erſte Probe von dieſer Arbeit. Jch habe mich bey derſelben ſo bemuͤhet zu ſchreiben, daß dieſe Blaͤtter auch werden von ſolchen koͤn - nen geleſen und verſtanden werden, welche nicht ſtudiret haben. Wenn ſie das Gluͤcke haben geneigte Leſer zu finden, ſo ſoll, wenn GOtt will, alle Viertel Jahre ein ſol - ches Stuͤcke heraus kommen. Solte ich auch in einigen Dingen irren, und es will mich jemand eines beſſern und beſcheidenen Unterrichts wuͤrdigen, ſo werde ſolchen je - derzeit mit ſchuldigſten Dancke annehmen, und dadurch vielleicht nach und nach in den Stand geſetzet werden, dereinſten meinen er - ſteren Vorſatz ins Werck zu richten, und die goͤttlichen Abſichten bey den Dingen, die wir in der menſchlichen Geſellſchafft und der Of - fenbahrung antreffen, in einer natuͤrlichen Verbindung an des Tages Licht zu ſtellen.
Johann Friedrich Jacobi.
Wer von den einzelnen Abſich -Warum dieſe Be - trachtung voran ge - ſetzt wird. ten verſchiedener Dinge, ſo von einem vernuͤnftigen We - ſen mit einander verknuͤpfft worden, richtig urtheilen will, der muß von dem Haupt-Endzweck, wohin alle ſolche Dinge abziehlen ſollen, eine hinlaͤngliche Erkaͤnntniß haben. Jſt er ſelbige zu er - langen noch nicht bemuͤhet geweſen, ſo iſt er auch noch nicht im Stande die eintzelnen Abſichten der unterſchiedenen Theile, welche in einen Zuſammenhang gebracht worden, gruͤndlich einzuſehen, und die Weisheit, ſo darinnen verbor - gen lieget, zu entdecken. Da wir uns nun unternehmen, die weiſen AbſichtenA 5GOt -10GOttes bey denjenigen Dingen, welche wir in der menſchlichen Geſellſchafft und der goͤttlichen Offenbahrung antreffen, zu betrachten, und in einer tieffen Ehr - furcht zu bewundern: ſo wird noͤthig ſeyn, daß wir die goͤttliche Haupt-Ab - ſicht aller Dinge zum Vorwurff unſe - rer erſten Betrachtung machen, und uns der wunderbahren Zuſammenſtimmung der eintzelnen Abſichten mit dieſem letz - ten Haupt-Endzweck die unendliche Weißheit unſers GOTTes erkennen und verehren.
Jch ſetze aber hierbey als ausgemacht zum voraus, daß ein ſelbſtaͤndiges, ewi - ges und nothwendiges Weſen ſey, wel - ches einen unendlichen Verſtand und den allervollkommenſten Willen beſitze, welches dieſe Welt und alles was zu derſelben gehoͤret, durch ſeine unum - ſchraͤnckte Macht hervor gebracht und zuſammen geſetzet habe. (*)Man findet eine groſſe Menge Schriff - ten, welche Beweiſe von dem Seyn und Weſen eines Gottes in ſich halten, welche aber insge - mein nur aufgeſetzt ſind, Gelehrte von dieſer wichtigen Wahrheit zu uͤberfuͤhren. Hingegen ſolche Beweiſe, welche ſo eingerichtet waͤren, daß ſie von einem Ungelehrten verſtanden werden,und11(*)und ſelbigen, daß ein GOtt ſey, uͤberreden koͤn - nen, findet man wenig genug. Jch will alſo de - nen, welche nicht im Stande ſind, einen tieffſin - nigen Beweiß von dem Seyn eines GOttes zu zergliedern und einzuſehen, kuͤrtzlich zeigen, wie ſie ſich von dieſer edelſten Wahrheit uͤberreden koͤnnen. Stelle dir derowegen vor, mein Menſch, du kaͤmeſt an die See, und haͤtteſt noch niemahls ein Schiff geſehen, du wuͤrdeſt gewahr, daß von fer - ne ein groſſes Ding geſchwommen kaͤme, auf wel - chen du keinen eintzigen Menſchen erblickteſt. Jndem nun dieſes groſſe Ding je mehr und mehr heran nahete, ſo erkenneteſt du die groſſen und kleinen Seegel, welche aus groſſen Stuͤcken Lei - newand zuſammen geſetzt, du bemerckteſt die vie - len Stricke und Thaue, die hohen und niedrigen Maſten mit ihren ſchoͤnen Flaggen. Du betrach - teteſt ferner den Bau, und ſaͤheſt daß dieſes groſſe Bebaͤude aus dem ſtaͤrckſten Holtze zuſammen gefuͤget, mit ſtarcken Naͤgeln und Klammern ver - wahret, und mit Theer und Pech uͤberzogen waͤ - re. Du merckteſt, daß an dieſem Gebaͤude auch ein kleines Ruder waͤre, welches ſich bald ſo bald anders bewegte und verurſachte, daß ſich das Schiff bald hieher bald dorthin drehete, und zwiſchen gefaͤhrlichen Klippen unverſehrt durch - ſeegelte. Du wuͤrdeſt ferner nach einer kurtzen Zeit gewahr, daß ſich an dieſem Gebaͤude ein klei - nes Thuͤrchen aufthaͤte, aus welchem Feuer und Rauch mit dem ſtaͤrckſten Gepraſſel heraus fuͤh - re, und nach dieſem Knalle thaͤte ſich das Thuͤr - chen wieder zu. Wie wuͤrdeſt du wol urtheilen, was vor einen Schluß wuͤrde wol deine Uberle - gungs-Krafft hervor bringen. Wuͤrdeſt du auch wol gedencken, alles dieſes Holtz, dieſe Breter, Baͤume, Stricke, Flaggen, Ruder und Seegel ſind ſo zuſammen kommen, ohne daß ein vernuͤnffti -ges12(*)ges Weſen Hand daran geleget? Wuͤrdeſt du wol urtheilen, dieſes Gebaͤude bewegt ſich von ohn - gefehr um die Klippen herum, indem ſich das Ruder von ohngefehr drehet? Wuͤrdeſt du glau - ben, das Thuͤrchen thut ſich von ſelbſten auf und zu, und das Feuer mit dem Rauch und Knall ent - ſtehet ohne dem geringſten Beytrag eines ver - nuͤnfftigen Weſens? Gewiß, du wirſt dich hier - von weder ſelbſt noch auch ein anderer uͤberre - den. Du wirſt bey dir ſelbſt ſprechen: Solte dieſes alles ohne Verſtand zuſammen kommen ſeyn und regieret werden? Woher waͤren denn die dicken Breder ſo ordentlich zu rechte gehauen und auf einander geleget? Warum finde ich die eiſernen Klammern eben da, wo ſie das Holtz zu - ſammen fuͤgen ſollen? Warum ſind eben Maſten da mit ſo vielen Stricken? Warum ſind die groſ - ſen Seegel eben an einem ſolchen Orte, wo ſie ſich am beſten hinſchicken, und die kleinen wie - derum an einer andern bequemen Stelle? War - um ſind an den Thuͤrchen Heſpen? Warum dre - het ſich das Schiff nur zur Rechten und Lincken, wenn Felſen da ſind, und warum gehet es wie - derum gerade fort, wenn es eine ſichere Tieffe des Meers unter ſich hat, da doch dieſes alles nicht nothwendig ſo iſt, ſondern auch anders ſeyn koͤnte? Es iſt unmoͤglich, daß dieſes Gebaͤude oh - ne jemand Verſtaͤndiges zuſammen kommen, es iſt unmoͤglich, daß dieſes groſſe Werck ohne eine vernuͤnfftige Seele regieret werde. Es muͤſſen Menſchen geweſen ſeyn, die dieſes Schiff gebauet, es muß jemand Vernuͤnfftiges dieſes Schiff be - wohnen und ſeine Ruder fuͤhren. Stelle dir fer - ner vor, die natuͤrliche Begierde etwas neues ge - nau zu betrachten triebe dich an, ein ſolches Schiff auch von innen zu beſehen. Es truͤge ſich zu, daß du ein ſolches Schiff an einem Orte am Ufer faͤndeſt vor Ancker liegen. Die Schiff-Leute waͤ -ren13(*)ren bis auf ein Paar Bots-Knechte ohne dein Wiſſen ausgetreten. Du bemuͤheteſt dich in das Schiff zu kommen, und nachdem du an Bort ge - ſtiegen, ſo traͤffeſt du nur ein Paar Bots-Knech - te an, welche eine fremde Sprache ſpraͤchen, und dich alſo nicht unterrichten koͤnten, woher dieſes Gebaͤude kommen und entſtanden. Jndeſſen ſaͤ - heſt du in dem Schiff eine genaue Eintheilung ſeines innern Raumes, viele Kammern und al - lerhand Behaͤltniſſe, in einigen erblickteſt du Brodt, in andern Mehl, in einigen trocken Fleiſch, in andern Faͤſſer mit ſuͤſſem Waſſer, Wein und Brantewein, in noch andern die koſtbahrſten Wahren, deren bloſſes Anſchauen ſchon ein be - ſonders Vergnuͤgen erweckte. Du kaͤmeſt ferner in ein Gemach, worinnen du Keſſel, Heerd, Feuer und Licht, nebſt allerhand Kuͤchen-Geraͤthe antraͤf - feſt. Ferner kaͤmeſt du in ein Zimmer, worinnen Fenſter, Tiſche, Stuͤhle und Baͤncke, deren jedes an den Boden feſte gemacht, damit es bey dem Seegeln des Schiffes nicht umfallen koͤnte. Du ſtiegeſt endlich unten in das Schiff, und faͤndeſt allerhand Holtz zum Brennen u. zu allerhand an - dern Gebrauch und viele andere Geraͤthſchafft, du ſaͤheſt auch allerhand lebende Thiere, Huͤner, Gaͤnſe, Schweine, Hammel und andere, und vor jegliche Arth faͤndeſt du beſondere Behaͤltniſſe, Troͤge, Krippen, Hilten und Trinck Geſchirre, auch vor jede Arth beſonder Futter in der groͤſten Men - ge und beſten Ordnung. Wuͤrde nicht hierbey dein Schluß ſeyn: Dieſes alles muß ein kluger Verſtand ausgeſonnen, und eine geſchickte Hand verfertiget haben? Schließ eben ſo, mein Freund bey Betrachtung dieſer Welt, weil du gleiche Ur - ſache findeſt eben alſo zu gedenken. Schwim - men nicht die unzaͤhligen groſſen Welt-Coͤrper, Sonne, Erde, Mond und Sterne in einer gantz fluͤßigen beweglichen und durchſichtigen Materie? Und14(*)Und dennoch ſincken, wancken und fallen ſelbige nicht, ſie zergehen auch nicht, ſondern halten feſte zuſammen. Sie ſchwimmen ihren Weg immer fort, und ſtoſſen niemahls zuſam̃en und zerſchei - tern. Sonne, Mond und Sterne haben ihre ge - wiſſe Zeit, da ſie auf - und untergehen, und dieſe beobachten ſie auf das allergenaueſte. Sommer und Winter wechſeln mit einander ab, damit die Fruͤchte nicht nur bey uns, ſondern auch an an - dern Orten zu ihrem Wachsthum und Reiffe ge - deien. Sollte dieſes alles wohl ohne eines ver - ſtaͤndigen Weſens Einrichtung in eine ſolche Ord - nung kommen ſeyn? Gedencke an den Schluß, den du bey dem Schiffe machteſt. Jch habe dir die Welt anjetzo, wie anfaͤnglich das Schiff gleichſam nur von auſſen vorgeſtellet, komm, und beſiehe ſelbige auch ein wenig von innen. Beſchaue dieſe Erde und was drauff iſt. Ach! was vor man - cherley Behaͤltniſſe und Boden, findeſt du nicht auf - u. in derſelben, welche alle mit den ſchoͤnſten Sachen und Thieren angefuͤllet ſind? Erde, Lufft und Waſſer ſind voll lebendiger Creaturen, und ein jedes findet ſeine Nahrung nach ſeiner Arth. Die Wieſen geben Graß und Blumen, die Gaͤrten, Kraut, Wurzeln und Obſt. Das Land bringet ſeine Fruͤchte, und die Waͤlder ſind voller Holtz zum Brennen, Bauen, und andern Geraͤtſchaff - ten. Die Quellen geben unaufhoͤrlich Waſſer, und die Weinberge den ſchoͤnſten Wein. Die Wolcken befeuchten die Gewaͤchſe, daß ſie wachſen koͤnnen, und Blitz und Donner reiniget die Lufft von ſchaͤdlichen Duͤnſten. Solte dieſes alles wohl ohne Einfluß eines vernuͤnfftigen Weſens alſo ſeyn? Gewiß viel weniger als die Einrichtung ei - nes kleinen und elenden Schiffes. Siehe dich ſelbſt an, mein Menſch, zeugen nicht die kleine - ſten und ſchlechteſten Theile deines Coͤrpers von einer weiſen Hand die ihn bereitet? Du ſchloſſeſtbey15(*)bey dem Schiffe ſo: es iſt eine groſſe Ordnung in demſelben, alles hat ſeinen beſondern Nutzen, und alles koͤnte doch anders ſeyn, und iſt nicht noth - wendig ſo, derowegen muß es von einem weiſen Baumeiſter aufgerichtet und angegeben ſeyn. Be - ſiehe nur die Naͤgel an deinen Fingern, u. du wirſt gleiche Urſache finden eben ſo zu ſchlieſſen. Sie haben einen groſſen Nutzen. Denn ſie dienen dar - zu, daß wir das foͤrderſte der Finger nicht gar zu leicht zerſtoſſen und mit ihnen deſto feſter halten koͤnnen, ſie ſind nur an denen Orten, wo ſie Nutzen haben, an andern findet man ſie nicht. Sie ſind nicht nothwendig an dieſem Orte. Es waͤre moͤg - lich, daß ſie an andern Orten gleichfalls hervor wuͤchſen. Deñ Haut, Fleiſch, Blut und Knochen fin - den ſich an mehrern Theilen des Leibes. Warum kommen ſie daſelbſt nicht ebenfals hervor? Solte nicht ein weiſer Baumeiſter geweſen ſeyn, der da geſehen haͤtte, daß ſie an den Fingern und Zaͤhen ihren Nutzen haͤtten, an andern Orten aber ſchaͤd - lich und hinderlich waͤren, und ſie derowegen nur an dieſe, nicht aber an andere Orte des Leibes geleget? Betrachte die weiſe Ubereinſtimmung der Natur in andern Dingen, und uͤberlege, ob ſelbige uns nicht Gelegenheit gebe auf ein Weſen zu kommen, welches den groͤſten Verſtand, eine unendliche Guͤtigkeit, und eine erſtaunende Macht beſitze? Einige Thiere muͤſſen nach ihrer Geburth erſtlich einige Zeit durch Milch ernaͤhret werden, und ſiehe ihre Muͤtter haben Euter, welche reich - lich damit verſehen ſind. Andere Thiere, als das Gevoͤgel braucht keine Milch, und ihre Alten ha - ben auch keine Gliedmaſſen zum Saͤugen. Eine Katze, ein Hund, eine Sau pflegen insgemein vie - le Junge auf einmal hervor zu bringen, und dero - wegen haben ſie auch mehrere Sauge-Jnſtru - mente als andere Thiere, die wenigere ihres glei - chen auf einmahl zeugen. Warum hat ein Huhn,eine16(*)eine Taube, eine Gans keinen Euter? Und warum hat eine Sau mehr Milch-Gefaͤſſe als ein ander Thier? Solte man nicht Urſach finden zu muth - maßen: es muß ſich jemand dieſe Dinge vorher vorgeſtellet u. geſehen haben, daß ein Vogel keine Milch-Gefaͤſſe brauche, die andern aber ſelbiger nach der Anzahl ihrer Jungen noͤthig haben. Beſie - he nur den Unterſchied zwiſchen den Fuͤßen eines Vogels der auf dem Waſſer und zwiſchen den Fuͤſ - ſen eines Vogels ſo auf den Baͤumen ſich aufzu - halten pfleget, und ſie werden dich auf einen wei - ſen Schoͤpffer fuͤhren. Haͤtte eine Gans und eine Ante keine breite Lappen zwiſchen ihren Klauen, ſo wuͤrden ſie nicht wohl ſchwimmen koͤnnen, und waͤre ein Rabe, ein Haͤger, ein Krammets-Vo - gel und ein Sperling damit verſehen, ſo wuͤrde er mit ſeinen Klauen die Zweige der Baͤume nicht wohl umfaſſen, und ſich auf denſelben halten koͤn - nen. Wenn nun die Welt von keinem weiſen Bau - meiſter eingerichtet worden, woher kommt denn dieſe Ubereinſtimmung und groſſe Ordnung? Gewiß betaͤubt nicht eine ſchlaͤffrige und wolluͤſti - ge Unachtſamkeit alle unſere Sinne, u. macht uns ein unſinniger Hochmuth und verſtockte Bosheit nicht zu Narren, ſo werden wir auch bey dem ge - ringſten Dinge dieſer Welt auf die Gedancken kommen muͤſſen: Es iſt ein GOtt. Eine kleine Spinne, eine kuͤnſtliche Biene und eine arbeitſame Omeiſe ruffen uns zu: Es iſt ein GOtt, der die - ſes Welt-Gebaͤude durch ſeine Macht herfuͤr ge - bracht, und mit unendlicher Weisheit eingerichtet. Jch koͤnte dieſen Satz weitlaͤufftiger aus den kurtz - angefuͤhrten Gruͤnden herleiten, auch die mehre - ſten Eigenſchafften GOttes auf eine aͤhnliche Arth darthun, wenn meine Abſicht anjetzo weiter gien - ge, als bloß einen ſolchen, der ſich in gruͤndlichen Wiſſenſchafften nicht ungeſehen, auf die erſten Spuhren der Erkaͤnntniß GOttes zu bringen, unddahin17(*)dahin zu bewegen, daß er gedencke: Es moͤchte doch wohl ein GOtt ſeyn, ich muß mich bemuͤhen hiervon weitere Gewißheit zu erlangen, und den - ſelben beſſer kennen zu lernen.
Wenn denn als unſtreitig kann ange -GOtt fin - det an Er - ſchaffung der Welt ein Ver - gnuͤgen. nommen werden, daß dieſe Welt von einem ewigen, ſelbſtaͤndigen, weiſen und guͤtigen Weſen hervor gebracht und in dieſe ſchoͤne Ordnung zuſammen geſetzet worden, ſo fragt ſichs, was denn GOtt bewogen einen ſolchen groſſen Bau auf - zufuͤhren, und mit lebendigen Creatu - ren zu beſetzen, und welches hierbey ſei - ne Haupt-Abſicht geweſen? Ein ver - nuͤnfftiges Weſen erwehlet nichts, es muß denn etwas gutes ſeyn, und von ihm als etwas ſchoͤnes angeſehen wer - den, ſo daß es ſein Vergnuͤgen daran findet, wenn eine ſolche Sache iſt. Da nun GOttes Einſicht alle andere Ver - nunfft auf eine unendliche Weiſe uͤber - wieget, und er die Erſchaffung dieſer Welt durch ſeinen allervollkommenſten Willen beſchloſſen und vollbracht; ſo muß er dieſe Welt als etwas gutes an - geſehen, und an ihrer Wuͤrcklichkeit ein beſonderes Vergnuͤgen haben.
Wenn wir bey dieſem Vergnuͤgen un - ſere Gedancken laͤnger aufhalten, und ſel - biges weiter unterſuchen, ſo finden wir, daß es in GOtt beſonders darinnen beſte - he, daß er Dinge, die nur bloß moͤglich und noch nicht wuͤrcklich, und alſo noch keiner Vollkommenheiten faͤhig ſind, aus ihrem Nichts hervor rufft, zur Wuͤrcklich - keit bringet, und ihnen ſo viel Vollkom - menheiten mittheilet, als durch weiſe Mit - tel moͤglich iſt. Es iſt dieſes der Natur eines guͤtigen und weiſen Weſens gemaͤß, daß es darinnen ſeine Freude ſuchet, wenn es andere vollkommen machet. Und da nun die Dinge dieſer Welt und ihre ſchoͤ - ne Anordnung ohne GOtt nicht ſeyn koͤn - nen, jemahls auch nicht geweſen ſind; ſo muß es ihm ein Vergnuͤgen ſeyn, wenn er Dingen, die nicht ſind, ihre Wuͤrcklichkeit giebet, und ſie mit ſo vielen Vollkommen - heiten auszieret, als er es ſeiner Weiß - heit gemaͤß befindet, Ja da GOtt das allervernuͤnfftigſte Weſen iſt, ſo wird ſein Vergnuͤgen uͤber die Geſchoͤpffe deſto groͤſ - ſer ſeyn, je vollkommener ſelbige ſind, und wird alſo alles thun, was zu dieſer Voll - kommenheit etwas beytragen kann. (*)Die Erfahrung zeiget dieſes augenſchein - lich. Wie viel hat GOtt nicht gethan um des Menſchen willen? Man betrachte nur ſeine Hand. Aus wie vielen Knochen, Sehnen, Ge - lencken, Adern, fleiſchigten Stuͤcken und Haͤu - ten iſt ſelbige nicht zuſammen geſetzt uns zu einer beſondern Vollkommenheit? Denn wie viel tau - ſenderley Bewegungen koͤnnen wir nicht vermoͤge dieſer vielen Theile zu unſern groͤſten Vergnuͤgen machen? Was vor mancherley kuͤnſtliche Arbeit koͤnnen wir mit denſelben nicht verrichten? Wie viel angenehme und ergoͤtzende Tone koͤnnen wir nicht mit den Fingern auf Saͤiten und Pfeiffen machen? Und wer kañ den unzehligen Gebrauch der Glieder an der Hand beſchreiben, welcher von ihrer Vollkommenheit ein Zeugniß giebet. Und hat GOtt eine ſo groſſe Vollkommenheit in eine eintzige Hand geleget, wie wird man nicht in an - dern Dingen dieſer Welt die Begierde GOttes erblicken, die Creatur vollkommen zu machen? Jch uͤbergehe Kuͤrtze halber mit Stillſchweigen, was uns die goͤttliche Offenbahrung von dieſer Begierde entdecket.
Wer an einer Sache und ihrer Voll -GOtt lie - bet die Geſchoͤpf - fe. kommenheit ein Vergnuͤgen findet, und ſelbige auf alle Art und Weiſe zu befoͤr - dern ſucht, der liebt dieſelbe. Da nun GOtt an den Geſchoͤpffen ein Vergnuͤgen findet, und aus dieſer Urſach aus dem Nichts hervor gezogen, und ſie mit aller - hand Vollkommenheiten ausgezieret, ſo er - hellet daraus ſeine ungemeine Liebe, wel - che er gegen Creaturen heget. Derowe -B 2gen20gen wird auch der innere Bewegungs - Grund, welcher GOtt Geſchoͤpffe zu ma - chen angetrieben, in nichts anders als ſei - ner weſentlichen Liebe zu ſuchen ſeyn.
Das Vergnuͤgen, welches ein vernuͤnff - tiges Weſen aus einer Sache empfindet, und die Liebe, die es alſo gegen ſelbige hat, entſtehet entweder daher, weil eine ſolche Sache das vernuͤnfftige Weſen, ſo ſie liebt, vollkommener macht, oder ſie ruͤhret von denen Vollkommenheiten her, die ein ſol - ches vernuͤnfftiges Weſen ſchon beſitzet. Z. E. Wir lieben das Geld, weil wir vieles vor daſſelbe bekommen koͤnnen, und es auf dieſe Weiſe viel zu unſerer aͤuſſeren Gluͤckſeligkeit beytraͤget. Wir vergnuͤ - gen uns an der Ehre, weil ſie gleichfals zu der Vollkommenheit unſers aͤuſſern Zu - ſtandes vieles thut. Wir lieben ein ſchoͤ - nes, groſſes Hauß, weil es uns viele Ge - maͤchlichkeit giebet. Ein Gelehrter liebt die Buͤcher, weil ſie ihn zu vieler Erkaͤnt - niß bringen, und ein Soldat den Degen, weil er ihm Ehre und Brod giebet. Alle dieſe Dinge lieben wir wegen der beſondern Vollkommenheit, deren wir durch ſie theil - hafftig werden. Wir koͤnnen uns aberauch21auch uͤber eine Sache vergnuͤgen, welche unſere Vollkommenheiten nicht vermeh - ren, blos deswegen, weil wir ſchon gewiſſe Vollkommenheiten beſitzen, die dieſes Ver - gnuͤgen in uns verurſachen. Z. E. Wenn wir leutſelig und mitleidig ſind, | und hoͤren daß ein unſchuldig verdammter auf eine wunderbahre Weiſe iſt gerettet worden, ſo freuen wir uns und empfinden daruͤber ein recht innerliches Vergnuͤgen, ob wir gleich nicht den geringſten Vortheil davon zu erwarten haben, ſondern bloß weil un - ſere Leutſeligkeit unſer Gemuͤth zum Mit - leiden uͤber ſolche Leute beweget. Ja es kann ſo gar eine auf dieſe Weiſe erdichtete Geſchichte in einem Roman dieſe ver - gnuͤgte Empfindung bey einem| leutſeligen Gemuͤth erregen. Daß alſo gewiß iſt: es kann ſich einer, der gewiſſe innere Voll - kommenheiten hat, vermoͤge derſelben uͤber etwas vergnuͤgen und ſelbiges lieben, ohne daß er dadurch neuer Vorzuͤge theilhafftig wird.
GOTT iſt das allervollkommenſteWoher die Liebe GOttes gegen die Geſchoͤpf - fe ruͤhre? Weſen, und iſt ſelbiges von Ewigkeit her geweſen. Es koͤnnen alſo ſeine Vollkom - menheiten in ihm durch nichts erhoͤhetB 3oder22oder vermehret werden. Folglich kann er die Geſchoͤpffe nicht lieben, weil er durch ſie vollkommener wuͤrde, ſondern weil in ihm ſchon ſolche Vollkommenheiten von Ewigkeit her befindlich, die ihn dazu an - treiben. Es leuchtet nemlich unter ſeinen Vollkommenheiten eine unendliche Guͤtig - keit hervor, vermoͤge welcher er eine we - ſentliche Geneigheit hat ſich an dem Seyn der Geſchoͤpffe zu vergnuͤgen, und ſelbige vaͤterlich zu lieben, ohne daß er dadurch vollkommener wird und neue Vorzuͤge er - haͤlt.
Hieraus iſt denn aber klar, daß GOtt die Geſchoͤpffe liebet und ſich an ihren Vollkommenheiten vergnuͤget, nicht ſich, ſondern dem Geſchoͤpff zum beſten. Folg - lich hat er auch nicht ſeine Vollkommen - heiten zu vermehren geſucht, da er die Welt gemacht, ſondern ſeine Neigung iſt geweſen Dinge, die in dem Nichts verbor - gen lagen, zu etwas zu machen, und an denſolben ſeine Herrlichkeit und Ehre zu offenbahren, damit ſelbige dadurch einiger Vollkommenheiten moͤchten faͤhig werden. Er hat alſo nicht ſich, ſondern dem Geſchoͤpff zu gute geſchaffen. GOtt iſt das voll -kommenſte23kommenſte Weſen, und genieſſet einer un - veraͤnderlichen Seligkeit. Dieſes macht ihm ein gnaͤdiges Verlangen auch andern Dingen eine Seligkeit zu goͤnnen, und derowegen rufft er ſie aus dem Nichts hervor und bringet ſie zur Wuͤrcklichkeit. Ja vermoͤge dieſer Liebe kann er nicht an - ders, als daß er die Geſchoͤpffe zu einem ſolchen hohen Grad der Vollkommenheit bringet, als ihr Weſen leidet, und durch weiſe Mittel kann erhalten werden. (*)Jch ſage, in GOtt iſt eine Geneigheit de - nen Creaturen ſo viel Vollkommenheiten mitzu - theilen, als vermoͤge ihres Weſens geſchehen kann, und weiſe Mittel vorhanden ſind, dieſen Endzweck ins Werck zu richten. Es iſt unmoͤglich, daß mehr als ein GOtt ſeyn ſolte, und es kañ nur ein Weſen unter allen das vollkommenſte ſeyn. Derowegen muͤſſen alle Dinge, die auſſer GOtt ſind, gewiſſe Schrancken haben, uͤber welche ſie nicht hinauf ſteigen koͤnnen. Es iſt alſo auch un - moͤglich, daß GOtt denen andern Dingen gleiche Vollkommenheiten mit ihm ſelber ſolte anerſchaf - fen, er kann das, was vor ſich endlich iſt, nicht unendlich machen, und derowegen kann er denen Geſchoͤpffen nicht mehrere Vollkommenheiten mittheilen, als die Beſchaffenheit eines endlichen Weſens es zulaͤſſet. Wie er nicht machen kann, daß 8. ſey 100. ſo kann es auch nicht ſeyn, daß er denen Creaturen mehr Vollkommenheiten ge - ben ſolte, als ihre Schrancken faſſen koͤnnen. Und da hat denn die eine Creatur engere, die an - dere aber weitere Schrancken, nachdem es nem - lich die Moͤglichkeit derer Dinge mit ſich bringet.B 4Dieſes24(*)Dieſes iſt alſo eins, wornach, ſich GOtt in Aus - theilung der Vollkommenheiten richtet. Das andere iſt ſeine Weißheit, welche beſtehet in ei - ner Wiſſenſchafft das beſte zu erwehlen und durch geſchickte und gute Mittel ins Werck zu richten. Dieſe Weißheit laͤſſet nicht zu, daß er einer Crea - tur allemahl zu denen Vollkommenheiten verhelf - fe, deren ſie ſonſt wol faͤhig waͤre. z. E. ein ehr - liches Ankommen iſt etwas gutes vor einen Men - ſchen: Hunger, Durſt, Bloͤſſe und Verachtung ſind etwas boͤſes vor denſelben. Wenn indeſſen GOtt einem Faulen, der wegen ſeines Muͤßig - ganges muß Noth leiden, durch ſeine bloſſe All - macht zu einem guten Auskommen verhelffen wolte, ſo waͤre ſelbiges wider ſeine Weisheit. Denn dieſes Mittel waͤre nicht gut und reimte ſich mit andern Dingen nicht: Ja ſie machte die - ſe ſonſt gute Sache zu etwas boͤſem. Denn der Faule wuͤrde auf dieſe Weiſe in ſeiner Faulheit geſtaͤrcket, und faͤnde nichts, das ihn koͤnte antrei - ben, und einiger maſſen noͤthigen zum beſten der Welt zu arbeiten und etwas gutes zu verrich - ten. Dieſe Folge aber eines ſolchen Wunder - wercks waͤre nichts gutes, ſondern etwas boͤſes. Und dergleichen Faͤlle ſind unendlich viel in der Welt, da GOtt wegen ſeiner Weißheit der Crea - tur gewiſſe Vollkommenheiten nicht darff ange - deihen laſſen, deren ſonſten bey andern Mitteln die Creatur faͤhig waͤre.
Wenn nun ausgemacht iſt, daß GOTT die Welt nicht ſich zum beſten, ſondern dem Geſchoͤpffe zu gute erſchaf - fen und eingerichtet; ſo muͤſſen wir wei - ter unterſuchen, auf welche Geſchoͤpffe er vor andern ſeine gnaͤdigſte und weiſeſteAbſicht25Abſicht gerichtet? Wir koͤnnen hier die Creaturen fuͤglich in lebendige und lebloſe oder todte eintheilen. Denen todten und lebloſen Geſchoͤpffen kann nichts zum beſten geſchehen, denn ſelbige haben keine Em - pfindung, ſie ſind ſich ihrer nicht bewuſt, ſie koͤnnen ſich uͤber nichts freuen und uͤber nichts betruͤben. Es iſt einem Holtze, Steine und Klumpen Erde gleich viel, ob ſie ſind oder nicht, ob ſie bleiben oder wie - der in ein Nichts verwandelt werden. Es gilt ihnen gleich, ob ſie zu Aufrichtung ei - nes ſchoͤnen Gebaͤudes gebraucht, oder ob ſie durch ein Feuer in falbe Aſche, Kalck und Staub aufgeloͤſet und durch den Wind verſtreuet werden. Da alſo GOtt Crea - turen zum beſten etwas machen wollen, ſo muß ſeine Abſicht auf die lebendigen Ge - ſchoͤpffe gegangen ſeyn. Denn dieſe haben Empfindungen, ſind ſich ihrer bewuſt und koͤnnen einer Gluͤckſeligkeit und eines Ver - gnuͤgens theilhafftig werden, und dieſen zum beſten kann alſo GOtt ſchaffen und etwas machen.
Unter den lebendigen Geſchoͤpffen tref -Sondern zum Vor - theil der lebendi - gen und fen wir wiederum einen groſſen Haupt - Unterſchied an, wodurch ſie in zwey groſſeB 5Ge -26beſonders der ver - nuͤnff - tigen Cre - aturen.Geſchlechter abgetheilet ſind. Der eine Theil iſt von Natur unvernuͤnfftig, der andere aber mit dem Vermoͤgen vernuͤnff - tig zu gedencken ausgezieret. Jene haben auſſer dem Gebrauch ihrer Sinnen nichts, was ihnen ein beſonderes Vergnuͤgen und einen hohen Grad der Gluͤckſeligkeit geben koͤnte. Sie ſind keiner Sprache faͤhig, wodurch ſie ihre Gedancken koͤnten aus einander ſetzen und andern mittheilen, und muͤſſen alſo ihre Gedancken ſehr dunckel und verworren ſeyn. Jhre Sinne hangen vermoͤge ihrer Natur nur auf der Erden, ſie ſind nur mit dem gegenwaͤrtigen be - ſchaͤfftiget, ſie wiſſen von dem vergan - genen ſehr wenig, und in das kuͤnfftige ha - ben ſie gar keine Einſicht. Wir koͤnnen uns ihren Zuſtand einiger maſſen vorſtel - len, wenn wir auf die Jahre zuruͤcke gehen, da wir kleine Kinder geweſen. Von de - nen Dingen, die geſchehen ſind, ehe wir haben ſprechen lernen, wiſſen wir gar nichts, und von denen Gedancken, die wir bey Erlernung der Sprache gehabt, wiſſen wir auch wenig, auſſer dieſes, daß ſie ſehr verworren geweſen. Und nichts beſſers koͤnnen wir von den Empfindungen der Thie - re muthmaſſen, und ſind ſie alſo keines be -ſondern27ſondern Vergnuͤgens faͤhig. Es gilt ihnen auch gleich viel, ob ſie ſind oder nicht, in - dem ſie den Tod nicht kennen und mit dem Leben nicht vergleichen koͤnnen. Sie fuͤrch - ten dahero den Tod auch nicht, ſondern bloß den Schmertz, welcher vorher gehet. Denn es iſt ihnen unbekannt, daß ſie ſter - ben werden, eben wie uns, wenn wir klei - ne zarte Kinder ſind. Wenn denn die Thiere nicht vermoͤgend ſind, ihr Leben und Seyn als etwas beſonders anzuſehen, noch auch ihren Untergang als etwas boͤſes, ſo kann man nicht ſagen, daß ihnen durch ihr Seyn und Leben eine beſondere Wol - that und Liebe erwieſen werde. Da nun aber GOtt der Creatur zum beſten ſchaf - fet, um ſelbiger durch ihr Seyn und Leben eine Wohlthat und etwas gutes zu erwei - ſen, ſo muß er ſeine Abſicht beſonders auf diejenigen Creaturen gerichtet haben, wel - che einer vernuͤnfftigen Einſicht faͤhig ſind. Denn dieſen wiederfaͤhret durch ihre Er - ſchaffung eine groſſe Wolthat, indem ſie die Vortrefflichkeit des Lebens und den Vorzug, den ſie durch die Erſchaffung er - halten, erkennen, und von dem Nichts, welches ſie geweſen, unterſcheiden koͤnnen. Dieſen kann wegen ihrer Vernunfft einhoher28hoher Grad des Vergnuͤgens und der Gluͤckſeligkeit mitgetheilet werden. Sie koͤnnen ſich weit mehr ergoͤtzen, denn ein Thier, beſonders, wenn ſie ihrer Vernunfft gebrauchen. Jch will bey Dingen ſtehen bleiben, die den mehreſten Menſchen ge - mein ſind. Was vor ein Vergnuͤgen giebt uns nicht eine ſchoͤne Muſick? Ein bloſſer Geſang, der wol geſetzt und eine anmuthige Melodey hat, kann uns Schmer - tzen lindern, unruhige Gedancken vertrei - ben, das Gemuͤth aufrichten und in eine Zufriedenheit ſtellen, ja ein Lied, eine Me - lodey und der Klang eines Jnſtruments kann uns freudig machen, wenn wir trau - rig ſind, und Seel und Coͤrper erquicken. Was vor Vergnuͤgen geben uns nicht die Geſellſchafft, der Umgang und das Ge - ſpraͤch mit andern Leuten? Wie ange - nehm ſind uns nicht die Stunden, welche wir mit guten Freunden zubringen? Was vor Vergnuͤgen giebt uns nicht die Be - trachtung der Dinge, ſo in dieſer Welt ſind? Wie freudig iſt nicht ein Bauer, wenn er ſeinen fruchtbaren Acker und ſchoͤ - nes Vieh anſiehet? Ein Gelehrter, wenn er ſich in den geſchloſſenen Waͤnden ſeines Buͤcher-Schatzes aufhaͤlt? Ein Sternſe -her,29her, wenn er die Weite des Himmels aus - miſſet, und die Ordnung, Bewegung und Groͤſſe der Sterne betrachtet? Wie freuet ſich ein Soldat, wenn ſein Degen blitzet und der Schall ſeines donnernden Ge - wehrs die Lufft erfuͤllet? Wie angenehm iſt nicht vor Augen, Geruch und Ge - ſchmack ein ſchoͤner Garten? Wie belu - ſtiget uns nicht ferner das Andencken loͤbli - cher Handlungen, welche uns vor andern Ehre und Vorzug geben? Und was ſoll ich endlich ſagen von dem innern Vergnuͤ - gen, welches eine vernuͤnfftige Seele auch wohl in einem finſtern Caͤmmerchen aus der Betrachtung des hoͤchſten Weſens ſchoͤpffet? So vieler Vergnuͤgen und ei - ner ſolchen Gluͤckſeligkeit iſt ein vernuͤnff - tiges Weſen bey ſeiner Wuͤrcklichkeit faͤ - hig. Was flieſſet aber hieraus vor ein Schluß? Dieſer, den wir oben ſchon be - ruͤhret, daß es hauptſaͤchlich die vernuͤnffti - gen Creaturen ſind, welchen GOtt durch ihr Seyn und durch die Erſchaffung dieſer Welt hat eine Wohlthat erzeigen wollen.
Die vernuͤnfftigen Creaturen kommenDie ver - nuͤnfti - gen Ge - ſchoͤpffe immer zu einer groͤſſern Vollkommenheit und vergnuͤgtern Seligkeit, je mehr ſiean30werden gluͤckſeeli - ger, wenn ſie an Ver - nunfft zuneh - men.an Vernunfft und an Einſicht zunehmen. Beſonders, wenn ſie die Kraͤffte ihres Ver - ſtandes anwenden, das gute recht kennen zu lernen und von dem boͤſen zu unterſchei - den, auch durch dieſe Erkenntniß den Wil - len auf das Gute lencken.
Nicht eine jede Verbeſſerung des Verſtandes, und nicht eine jede Einſicht in den Zuſammen - hang der Dinge hat einen Einfluß in unſere wahre Vollkommenheit und Gluͤckſeligkeit; ſon - dern nur diejenige, welche gehet auf eine lebendige Unterſcheidung des guten von den boͤſen. Und dieſes iſt die Urſach, warum der groͤſte Theil der Gelehrten eben ſo wenig zu einer wahren Vollkom - menheit ihres Gemuͤths gelanget, als die andern Menſchen, welche ſich auf die Wiſſenſchafften nicht geleget. Denn die wenigſten Gelehrten be - muͤhen ſich eine lebendige Erkenntniß von dem gu - ten und boͤſen zu gelanget. Und daher kommt es, daß man unter ihnen eben ſowohl findet Be - trieger, Hurer, Saͤuffer, Zaͤncker, Verleumder, Neidiſche, Hochmuͤthige, als unter denen Unge - lehrten. Bey dieſen unvernuͤnftigen Neigungen iſt ihr Leben eben ſo mißvergnuͤget und muͤhſelig als bey andern, und hilfft ihnen alſo ihre andere Einſicht, ſo ſie durch vieles Studiren erhalten, ſehr wenig, und iſt mancher Bauer, welcher ſei - nen Verſtand auf eine lebendige und fleißige Vorſtellung des guten richtet, weit gluͤckſeliger als jene. Denn wer in guten ſucht vernuͤnfftig zu werden, der gehet von einer Vollkommenheit zur andern fort, und gelanget immer zu einem hoͤhern Grad der Gluͤckſeligkeit. Denn indem er das gute ſucht und das boͤſe fliehet, wird ſein Vergnuͤgen immer groͤſſer, und ſein Gemuͤth wirdimmer31immer mehr und mehr von Unruhe, Schmertz und Verdrießlichkeiten abgezogen und entfernet.
Da nun GOtt bey der SchoͤpffungGott will, daß die vernuͤnff - tigen Ge - ſchoͤpffe an Ver - nunfft zu - nehmen. hauptſaͤchlich auf die vernuͤnftigen Crea - turen ſeine Abſicht gerichtet, und ſein gnaͤ - diger Wille geweſen, ſie durch ihre Erſchaf - fung gluͤcklich zu machen, und ihnen eine Wohlthat zu erweiſen: ſo muß auch ſein ernſter Wille ſeyn, daß ſie zum Gebrauch ihrer Vernunfft kommen, und eine beſſere und genauere Einſicht von den Dingen der Welt erlangen als die Thiere, und ins beſondere diejenigen Handlungen kennen und ausuͤben lernen, welche zu ihrer Voll - kommenheit etwas beytragen. Soll aber dieſes geſchehen, ſo iſt noͤthig, daß ſie ver - nuͤnfftig und weiſe werden, und hierinne beſtaͤndig zunehmen. Sucht der Menſch nicht vernuͤnfftig zu werden, und dieſe Vernunft auch in ſeinen freyen Hand - lungen ſehen zu laſſen, ſo ziehet er ſich viele Schmertzen und Verdrießlichkeiten uͤbern Hals, wird mißvergnuͤgt, kommt von einer Unſeligkeit zur andern. Weil nun aber GOtt will, daß die vernuͤnfftigen Creaturen zu einer wahren Gluͤckſeligkeit gelangen moͤgen, ſo muß auch ſein Willeſeyn,32ſeyn, daß dieſe Creaturen in der Vernunfft und Weißheit ſo weit kommen, als vermoͤ - ge ihrer Natur und durch weiſe Mittel moͤglich iſt. Wer das geoffenbahrte Wort GOttes annimmt, kann hieran noch weniger zweiffeln. Denn warum hat uns das hoͤchſte Weſen ſein Wort ge - geben? Jſt es nicht geſchehen, uns ver - nuͤnfftig und ſelig zu machen? Paulus preiſet dieſen Nutzen der heiligen Schrifft, wenn er an ſeinen Timotheus folgender Geſtalt ſchreibet: Und weil du von Kind - heit an die heilige Schrifft weiſſeſt, kann dich dieſelbe unterweiſen zur Seligkeit durch den Glauben an Chriſto JEſu. Denn alle Schrifft von GOtt eingegeben, iſt nutz zur Lehre, zur Straffe, zur Beſſerung, zur Zuͤchgtigung in der Gerechtigkeit, daß ein Menſch GOttes ſey vollkommen zu allem gu - ten Werck geſchickt. 2. Timoth. 3. v. 15. 16. 17.
Dieſes iſt demnach die Haupt-Abſicht GOttes bey Erſchaffung der Welt. Er will ſeine Vollkommenheiten in derſelben offenbahren und beſonders verſtaͤndigen Creaturen Wohlthaten erweiſen. Er will ſie bey ihrer Vernunfft eines Vergnuͤgens und einer Gluͤckſeligkeit theilhafftig machen. Das33Das Wort GOttes uͤberfuͤhret uns hier - von noch kraͤftiger. Denn wohin gehet das gantze Werck der Erloͤſung, wovon die Schrifft ſo viel redet? Hat es eine an - dere Abſicht als den Frieden, die Ruhe und die Seligkeit des Menſchen? Und zwar, welches das mehreſte iſt, verſichert uns die goͤttliche Offenbahrung, daß unſer Seyn nicht mit dem engen Schrancken dieſes Lebens aufhoͤren, ſondern eine ewige Daure haben, und daß, wenn wir anders nur wollen, ein ewiges und unwandelbah - res Vergnuͤgen uns vollkommen gluͤcklich machen ſoll. Vielleicht werden ſich hier viele vor die Augen ſtellen die unaus - ſprechlichen Martern der Verdammten, ingleichen die vielen Ungluͤcks-Faͤlle dieſes Lebens, und werden in ihnen einen Zweif - fel erregen an der Guͤtigkeit GOttes und an ſeiner Geneigheit denen Creaturen durch ihre Erſchaffung eine Wohlthat zu erwei - ſen. Sie werden vielleicht gedencken, es hat vielmehr das Anſehen, als habe GOtt die mehreſten vernuͤnfftigen Creaturen nur darzu geſchaffen, daß ſie durch ihr Exem - pel zeigen ſollen, wie groß diejenigen Mar - tern, die einem vernuͤnfftigen Geſchoͤpffe koͤnnen angethan werden. Daß aber die -Erſtes Stuͤck. Cſer34ſer Zweiffel ohne Grund ſey, und auch ei - ne ewige Verdammniß mit der Geneigheit GOTTes Creaturen ſo gluͤcklich zu ma - chen, als durch weiſe Mittel moͤglich iſt, beſtehen koͤnne, ja aus derſelben und der unendlichen Weißheit GOttes koͤnne be - griffen werden, wollen wir, wenn GOtt Leben und Geſundheit verleihet, in einem andern Stuͤcke dieſer Betrachtungen dar - thun, wenn wir von der weiſen Abſicht GOttes bey dem Himmel und der Hoͤllen handeln werden. Anjetzo begnuͤgen wir uns damit, daß wir ſo wol aus den Voll - kommenheiten GOttes, als auch aus der Schrifft dargethan haben, daß die Haupt - Abſicht GOttes bey Erſchaffung der Welt geweſen, vernuͤnfftigen Creaturen dadurch eine Wolthat zu erweiſen.
Ein vernuͤnfftiges Weſen pflegt nichts umſonſt zu machen, ſondern alles wol vor - hero zu uͤberlegen und ſo einzurichten, daß es mit ſeiner Haupt-Abſicht genau zuſam - men ſtimme, und dasjenige gute, welches eine Sache zu dieſem Haupt-Endzwecke beytraͤget, pflegt die Urſache zu ſeyn, wa - rum ſie von einem ſolchen Weſen erwehlt wird. GOTT iſt nun der allerweiſeſte,und35und geſchiehet bey ihm nichts von ohnge - fehr und durch einen bloſſen Gluͤcks-Fall, ſondern er ſiehet alles vorher ein, und er - wehlet eine jede Sache deſſentwegen, weil ſie zu ſeiner Haupt-Abſicht etwas beytraͤ - get. Derowegen koͤnnen wir in denen Dingen, die von ihm allein herkommen, ſicher ſchlieſſen: Das gute, was aus ihnen erfolget, iſt die Abſicht geweſen, warum er ſie erwehlet, warum er es ſo und nicht anders macht. Wenn wir alſo in den folgenden die weiſen Abſichten GOttes, die er bey den eintzelnen Dingen dieſer Welt hat, entdecken wollen: ſo werden wir allezeit genau Achtung geben auf das gute, worzu ſie einen Grund abgeben, be - ſonders aber darauf, was ſie zum Wohl der vernuͤnfftigen Creaturen beytragen, und ſolches als GOttes weiſe Abſicht be - wundern, und ſeine Guͤtigkeit darbey in tieffſter Demuth verehren.
Jch habe mich oͤffters gar ſehr ver - wundert, wenn ich die Gebuhrt und Ohnmacht der jungen Kin - der betrachtet, und ſelbige mit der Gebuhrt und Umſtaͤnden eines jungen Thieres ver - glichen. Denn ich fand, daß alle Thiere hierinne einen Vorzug vor den Menſchen haben. Eine Kuh, ein Hirſch, ein Reh, ein Schaaff, ein Schwein, ein Hund und andere vierfuͤßige Thiere gebaͤhren insge - mein ohne alle Huͤlffe. Die Nabel - Schnur des jungen Thieres iſt duͤnne und reiſſet von ſelbſten ab, weder das junge noch die alte Mutter bluten ſich tod, ſon - dern die Nabel Schnur ziehet ſich von beyden Seiten ſogleich zu und haͤlt das Blut zuruͤcke. Die Gebaͤhr-Mutter des alten Thieres ziehet ſich nicht feſte zuſam -men37men und wirfft nach einiger Zeit die Nach - gebuhrt, worinne das junge Thier gelegen, von ſelbſten aus. Das alte Thier darff gleich nach der Gebuhrt in der freyen Lufft umher gehen, und ſeine vorigen har - ten Speiſen freſſen ohne allen Schaden. Das junge Thier tritt gleich auf ſeine Fuͤſ - ſe, und laufft hinter ſeiner Mutter. Es ſaugt wenig Wochen ſeiner Mutter Milch und hernach ernehret es ſich von ſelbſten und verlaͤſſet ſeine Mutter, die es geſaͤu - get. Bey dem Feder-Vieh trifft man gleichfals viel beſonders an. Sie legen ihre Eyer und bruͤten dieſelbe aus ohne fremde Huͤlffe. Die jungen ſind gleich ohne alle Anweiſung auf ihre Reinlichkeit bedacht. Jch habe oͤffters mit groſſer Verwunderung an den juͤngſten Schwal - ben wahrgenommen, daß ſie ihren Miſt nicht in ihr Neſt werffen, ſondern ihren Hintern bey Verrichtung ihres natuͤrlichen Behuffs zum Neſte heraus halten, und dadurch verhuͤten, daß ihr Neſt nicht zu enge und unrein werde. Nach kurzer Zeit fliegen ſie aus und brauchen nicht fer - ner von den alten erhalten zu werden. Die kleinſte Spinne, wenn ſie kaum aus dem Eie gekrochen, webet ihr Geſpinſte mitC 3der38der groͤſten Kunſt, leichte Fliegen zu ihrer Nahrung darinne zu fangen. Und ſo finde ich die Umſtaͤnde der mehreſten Thiere.
Sehe ich aber des Menſchen Gebuhrt und zarte Kindheit an, wie viel Dinge fin - de ich da nicht, welche von beſondern Unvollkommenheiten ein Zeugniß zu ge - ben ſcheinen? Die Gebuhrt kann nicht wohl ohne fremde Huͤlffe gluͤcklich von ſtatten gehen, groſſe Ohnmachten uͤberfal - len oͤffters die Gebaͤhrenden, die ſchwehren Gebuhrten ſind bey den Menſchen weit haͤuffiger, als bey den Thieren. Die Nabel-Schnur, wodurch das Kind mit der Mutter verknuͤpfft iſt, hat eine beſon - dere Dicke und ſtarcke Blut-Gefaͤſſe. Sie reiſet nicht von ſelbſten ab, ſie muß feſte verbunden werden, wann das Kind der Gefahr ſich zu verbluten nicht ſoll unter - worffen ſeyn. Es traͤgt ſich nicht gar ſel - ten zu, daß die Nachgebuhrt nicht von ſelbſten folget, ſondern durch fremde Huͤlffe und einige Geſchicklichkeit muß befoͤrdert werden. Geſchiehet dieſes nicht, ſo ſchlieſ - ſet ſich die Gebaͤhr-Mutter gar bald zu, und die Frau muß oͤffters wegen zuruͤckgeblie -39gebliebener Nachgebuhrt ſterben. Und wenn alles gluͤcklich von ſtatten gangen, ſo muß doch die Woͤchnerin einige Tage der Waͤrme des Bettes genieſſen, und ſich vor harter Speiſe huͤten. Das Kind iſt ſehr ſchwach und hinfaͤllig, und vieler Ge - fahr unterworffen. Der Kopff iſt nicht, wie bey den Thieren, an allen Orten mit ſtarcken Knochen geſchloſſen, ſondern an vielen Stellen umgiebt ihn nur eine duͤnne Haut, worunter ſo gleich das Gehirne liegt, und groſſer Gefahr gequetſchet und zerſtoſſen zu werden unterworffen iſt. Und dieſe Oeffnung bleibet bey vielen weit uͤber ein Jahr. Die Zaͤhne kommen auch weit langſamer bey einem Kinde, als bey einem Thiere, und iſt derowegen unumgaͤnglich nothwendig, daß ein Kind lange geſaͤuget und mit weichlicher Speiſe und Breie ge - futtert werde. Es verlaͤuft mehr als ein Jahr, ehe ein Kind auf ſeine ſehr ſchwa - chen Fuͤße treten, und hinter der Mutter herlauffen kann. Noch eine weit laͤngere Zeit verſtreichet, ehe das Kind ſeine eigene Nahrung ſuchen, und ohne ſeiner Eltern oder guter Freunde Huͤlffe leben kann.
Es wird vielleicht jemand einwendenDie Men - ſchen koͤn -C 4und40nen nicht wol ohne Wartung erwach - ſen.und ſagen: Es iſt nicht nothwendig, daß die zarten Kinder auf den Armen getra - den, mit Windeln umwunden und lange Zeit gewartet und ernaͤhret werden, ſie koͤn - ten auf Haͤnden und Fuͤßen umher krie - chen, Graß, Eicheln und Nuͤße freſſen, und in den Waͤldern ſich vor der Kaͤlte verbergen. Man ſaͤhe ja die Moͤglichkeit ſchon in einigen wenigen Exempeln, da Leute in ihrer Kindheit in die Waͤlder ge - rathen, von menſchlicher Geſellſchafft abge - kommen, und einige Jahre mit den wil - den Thieren umher gelauffen, und ſich un - ter ihnen ernaͤhret. Daß aber durch die - ſe wenige und ſehr rare Exempel die allge - meine Moͤglichkeit, daß Kinder wie die Thiere koͤnten aufwachſen und erhalten werden, nicht zu erhaͤrten ſtehe, iſt aus fol - genden abzunehmen. Man weiß ja nicht, wie alt dieſe Leute geweſen, ehe ſie ſich von der menſchlichen Geſellſchafft verlohren. Es iſt wenigſtens gar nicht muthmaßlich, daß ſie vor dem Alter eines Jahres in die Wildniß gerathen(*)Von dem jungen Maͤgdlein, welches man anno 1717. im Monath Auguſt in dem Walde von Cranenburg bey Schwoll in Ober-Yſſel ge - funden, iſt gewiß, daß es 16. Monath alt gewe - ſen, als es verlohren worden. Siehe des Herrn D. Kœnigs Schediasma de hominum inter fe - ras edueatorum ſtatu naturali ſolitario pag. 62.. Und ſind ſie juͤn - ger geweſen, ſo muß man an ihnen mehr eine beſondere Vorſicht des hoͤchſten We - ſens bewundern, als durch ſie auf die Ge - danken gerathen, das gantze menſchlicheGeſchlecht41Geſchlecht koͤnne auf dieſe Weiſe auferzo - gen werden. Wenn man die Probe machen und tauſend halbjaͤhrige Kinder in den Wald ſetzen wuͤrde, ſo zweifle, ob zweye davon das zehende Jahr erreichen wuͤrden. Sehr viele wuͤrden ſich in den Gebuͤ - ſchen den noch offenen Kopff zerſtoſſen, andere wuͤrden von den wilden Thie - ren, beſonders in den warmen Laͤn - dern von den Loͤwen, Tiegern, Crocodil - len und Drachen gefreſſen werden, andere wuͤrden verſchmachten, und noch andere wuͤrden beſonders in den kalten Laͤndern erfrieren. Denn kann ein ſtarcker Sol - dat nicht einmahl des Winters wohl im Felde aushalten, der doch Kleider, ein Ge - zelt und Feuer hat, wie viel weniger wuͤr - de ein ſolches zartes Kind im Regen, Schnee und Froſt erhalten werden? Wir finden derowegen auch auf den |gantzen Erdboden, in ſo weit es uns bekant iſt, kein einziges Volck, welches an ſeine Kinder nicht mehr Muͤhe und Fleiß wendete als die Thiere. Wie denn GOtt auch ſo wol die Kinder als uns durch die Bloͤſſe von allen andern Thieren, ſo ſich beſtaͤn - dig uͤber den Erdboden aufhalten, unter - ſchieden, und uns in die Umſtaͤnde geſetzet,C 5daß42daß Regen, Schnee, Wind und Froſt uns weit empfindlicher ſeyn muͤſſe, als den Thieren. Ein vierfuͤßiges hat ſein rau - ches Fell und bringet ſolches mit von Mut - ter Leib, und ein Vogel wird gar bald mit Federn bedecket. Der Menſch aber komt gantz nackend auf die Welt, und behaͤlt dieſe Bloͤſſe bis an ſeinen Tod. Wel - ches denn den Menſchen zwinget ſich gantz anders zu erhalten, und ſeine Jungen groß zu ziehen als die Thiere.
Wir wollen derowegen unterſuchen, was doch wol des Hoͤchſten Weſens heilige Abſicht mag geweſen ſeyn, deß er den Men - ſchen in einer groͤſſern Zaͤrtlichkeit und Schwachheit laͤſſet gebohren werden, als die Thiere. Wir wiſſen aus der erſten Betrachtung, daß GOtt der Menſchen Gluͤckſeligkeit will, und alles ſo einrichtet, daß dieſer Endzweck auf eine weiſe Arth moͤge erhalten werden. Wir wiſſen aus eben derſelben Betrachtung, daß unſerwahres43wahres Vergnuͤgen den Gebrauch der Ver - nunfft zum Grunde habe, und daß es noͤthig ſey vernuͤnfftig zu werden, wenn eine ver - gnuͤgte Ruhe des Gemuͤthes uns ſoll gluͤck - ſelig machen. Da nun GOtt als das allerweiſſeſte Weſen die Dinge ſo mit ein - ander verknuͤpffen muß, daß immer eines dem andern zu ſtatten komme und auf den Haupt-Endzweck abziele, ſo iſt nicht zu zweiffeln, die Schwachheit der Kinder und ihre ſehr muͤhſame Erziehung wer - de zu ihrer Vernunfft und Gluͤckſeligkeit etwas beytragen, welches bey ihnen in andern Umſtaͤnden nicht ſo wohl koͤn - te erhalten werden. Wir wollen dero - wegen unterſuchen, was aus dieſer Un - vollkommenheit der Kinder gutes erfol - ge?
Damit dieſes mit deſto beſſerer OrdnungDie Men - ſchen ge - langen zum Ge - brauch der Ver - nunfft durch den Umgang mit an - dern. geſchehen moͤge, ſo wollen wir erſt ſehen, was darzu erfordert werde, daß der Menſch zu einigem Gebrauch ſeiner Vernunfft komme und ſich von den Thieren unter - ſcheide. Es gehoͤret darzu ein Umgang mit andern Leuten, welche ſchon einigen Gebrauch ihres Verſtandes haben, und welche uns zum Theil durch Guͤte, theilsaber44aber auch durch Schaͤrffe zu einigen Ge - brauch der Vernunft und zu der Erkaͤnnt - niß guter Handlungen bringen. Und zwar muß dieſes in der zarteſten Jugend geſchehen. Denn je aͤlter wir werden oh - ne Unterrichtung, deſto ſchwehrer wird es den Verſtand und Willen zu beſſern, und uns zu einer beſſern Uberlegung als die Thiere zu bringen. GOtt hat uns die - ſes gewieſen, indem er ſehr weislich zuge - geben, daß unterweilen einmahl ein Menſch in ſeinen erſten Jahren von der menſchli - chen Geſellſchafft abkommen, ſich in einer Wildniß verlohren und einige Zeit in der - ſelben gelebet, und hernach wieder gefun - den worden. Dieſe Leute haben nicht den geringſten Gebrauch der Vernunfft erhal - ten, und ihr Verſtand iſt gantz verwildert und oͤde geweſen, und ihre menſchliche Ge - ſtalt iſt das eintzige geweſen, welches ſie von den Thieren unterſchieden. Und auf dieſe Weiſe ſind ſie keiner groͤſſern gluͤck - ſeligkeit faͤhig geweſen als ein unvernuͤnff - tiges Thier. Es hat hernach auch ſehr viel Muͤhe gekoſtet ihren Verſtand ein we - nig zu zaͤhmen, aufzuwecken und menſchli - cher zu machen, ja man hat ſie nicht ſo weit in der Vernunfft bringen koͤnnen alseinen45einen Menſchen, der von Jugend auf in menſchlicher Geſellſchafft geblieben und erzogen worden. Wer hiervon unſtreiti - ge Exempel haben will, der leſe des Herrn D. Kœnigs Schediasma de hominum inter feras educatorum ſtatu naturali & ſolitario. Aus dieſen Exempeln aber erhellet zur Gnuͤge, daß der Menſch ohne Umgang mit andern Leuten zu keinem Ge - brauch der Vernunfft gelange und alſo keinen Vorzug von den Thieren erreiche. Soll alſo der Menſch zur Vernunfft und einiger Gluͤckſeligkeit kommen, ſo iſt noͤ - thig, daß er Umgang mit Leuten habe, de - ren Verſtand ſchon zu einiger deutlichen Erkaͤntniß gekommen. Bewundere dero - wegen, mein Leſer, mit mir die weiſe Guͤ - tigkeit GOttes, daß er die Menſchen durch ſo ſehr viel Dinge noͤthiget einiger maſſen ein geſellſchafftliches Leben zu fuͤhren, weil ohne daſſelbe unſere Vernunfft und unſere Gluͤckſeligkeit, die uns doch die Guͤtigkeit unſers gnaͤdigen Schoͤpffers zugedacht, in der tieffſten Unwiſſenheit und Unvernunfft vergraben bliebe.
Wenn wir denn in der menſchlichenZur Ver - nunfft traͤgt die Geſellſchafft leben, ſo traͤgt das mehreſtezu46Sprache vieles bey.zu unſerer Vernunfft bey die Sprache, wodurch wir einander unſere Gedancken eroͤffnen, und die Sachen beſſer, als ohne Worte von einander unterſcheiden. Die Sprache iſt eins der ſchoͤnſten Jnſtrumen - te unſerer Gluͤckſeligkeit. Es iſt wider meine Abſicht allhier zu zeigen, wie noͤthig die Sprache ſey, wenn wir wollen allge - meine Begriffe und vernuͤnfftige Schluͤſſe machen, und daß wir ohne Sprache darzu nicht wol geſchickt ſind. Jch will dero - wegen meinen Satz zu behaupten den ge - neigten Leſer nur bitten einen ſtummen Menſchen zu betrachten, und ſich deſſen elende Umſtaͤnde recht lebendig vorzuſtellen, ſo wird er bald inne werden, was vor ei - ne groſſe Gluͤckſeligkeiter vor einen Stum - men zum voraus habe, und wie vieler Nach - richten, Bequemlichkeiten und Vergnuͤgen er durch die Sprache theilhafftig werde, deren er ſonſt entbehren muͤſte. Jch will nur dieſes gedencken, wie viele vergnuͤgte Stunden machen wir uns nicht dadurch, daß wir mit guten Freunden reden, aller - hand Schrifften leſen, und ein angeneh - mes und artiges Lied ſingen?
Die Sprache aber muͤſſen wir auf die -ſe47ſe Weiſe lernen, daß uns ein Wort be - ſonders im erſten Anfange, mehr als zehn - mahl, ja wohl hundert und noch mehrmahl vorgeſaget werde. Geſchiehet dieſes nicht, ſo gelangen wir zu keiner Sprache. Der groſſe Mogul in Jndien Akebar ließ ein - ſten zwoͤlff junge Kinder in ein Gemach ſchlieſſen, und von ſtummen Leuten ver - wahren und ernehren, um zu ſehen, was vor eine Sprache ſie annehmen wuͤrden. Aber nach zwoͤlff Jahren hatten ſie ſich noch nicht gewoͤhnet ein eintziges Wort, ſo aus Sylben beſtanden, auszuſprechen, und damit eine Sache zu benennen, ſon - dern druckten ihr Verlangen durch lauter wincken der Haͤnde aus. Siehe Olai Borrichii Diſſertationem de cauſis diuerſitatis linguarum, in initio, und des Herrn D. Kœnigs Schediasma de hominum inter feras educatorum ſtatu naturali ſolitario. §. XVI. pag. 23. Eben dergleichen Proben findet man mehr, woraus zur Gnuͤge erhellet, daß wir die Fertigkeit zu reden nicht bekommen, wenn wir nicht mit ſprechenden Leuten haͤufig umgehen, und ein Wort oͤffters hoͤren. Und auf eine aͤhnliche Weiſe verhaͤlt es ſich mit der Vernunfft. Wir kommenzu48zu einiger Deutlichkeit in der Erkaͤntniß verſchiedener Dinge, indem uns eine Sa - che und eine Regel oͤffters erzehlet und vorgeſagt oder ſchrifftlich vorgeleget wird. Und hierbey zeiget ſich in uns eine ſolche Nachlaͤßigkeit und Faulheit, daß wir oͤff - ters mit Schaͤrffe zum guten muͤſſen ge - zwungen werden.
Nachdem wir alſo geſehen, wie der Menſch zum Gebrauch ſeines Verſtandes und alſo zum Grunde ſeiner uͤbrigen Gluͤck - ſeligkeit gelange, ſo wollen wir nunmeh - ro unterſuchen, was die Schwachheit, wo - rinne die Kinder gebohren werden, zu die - ſem Haupt-Endzwecke beytrage, damit wir die Guͤte und Weisheit GOttes da - bey erkennen und in tieffſter Ehrfurcht be - wundern moͤgen. Die Kinder koͤnnen nicht wohl ohne anderer verſtaͤndiger Leute Beyhuͤlffe gebohren werden. Was folgt hieraus? Dieſes, daß die Menſchen ſich um einige Geſellſchafft bemuͤhen und ſelbi - ger einiger maſſen zu Gefallen leben muͤſ - ſen. Dieſes aber iſt dienlich zu Verbeſſe - rung des Verſtandes und der Menſchen Gluͤckſeligkeit. Das Kind iſt elend und ſchwach, und kann ſich ſelber nicht helffen. Dieſes49Dieſes bewegt die Eltern zum Mitleiden, und vermehret die von GOtt ohne dem ſchon in die Natur gepflantzte Liebe zu denjenigen, die wir zeugen. Dieſe Liebe bewegt die Eltern das Kind zu pflegen und zu erhal - ten, biß es ſich ſelbſt ernehren kann. Das erſte Jahr muͤſſen die Eltern oder die Waͤr - terinnen das Kind auf den Armen tragen, und das andere dritte und vierdte Jahr doͤrffen ſie es auch nicht weit von ſich laſ - ſen. Das Kind will immer Veraͤnderung haben, und in Ermangelung derſelben faͤn - get es an zu weinen. Die Muſic iſt de - nen, die es warten, ſehr unangenehm, und werden dahero genoͤthiget das Kind viel anzureden. Sie muͤſſen ihm beſtaͤndig etwas vorquaͤckeln, und alſo immer mit dem Kinde ſprechen. Bey dieſer Gele - genheit wird ihnen das Papa und Mama und andere Worte hundertmahl vorgeſagt und vorgeſungen. Sie kriegen eine Be - gierde dieſes nachzuſprechen. Und auf dieſe Weiſe lernen ſie reden. Durch den beſtaͤndigen Umgang wird die Liebe zwi - ſchen Eltern und Kindern immer unver - merckt groͤſſer. Die Eltern ſuchen entwe - der ihren Kindern dasjenige wieder beyzu - bringen, was ſie wiſſen, oder ſie unterge -Erſtes Stuͤck. Dben50ben ſelbige andern zu unterrichten, und ſie zu noͤthiger Arbeit anzufuͤhren, biß denn endlich die Kinder nach langen Jahren ſelbſt in den Stand kommen, ihren Unter - halt zu ſuchen und zu beſorgen. Und auf die - ſe Arth gelangen die Kinder durch langen Umgang mit ihren Eltern zu dem Ver - moͤgen ihren Verſtand zu gebrauchen, und werden gewoͤhnet ein geſellſchafftliches Le - ben mit andern zu fuͤhren.
Man ſtelle ſich nun vor, die Kinder wuͤrden nicht ſo ſchwaͤchlich und hinfaͤllig gebohren, ſondern koͤnten, wie die Thiere, nach wenigen Wochen ihre Eltern verlaſ - ſen und ihre Nahrung ſelber ſuchen, wuͤr - den ſich erſtlich die Eltern wol ſo viel Muͤ - he wegen der Kinder geben? Wuͤrden ſie ſich ſo lange mit ihnen ſchleppen? Wuͤr - den ſie ihnen ſo viel zureden, wenn ſie an - fiengen zu weinen? Es wuͤrde dieſes alles ſchwehrlich ſtatt finden. Geſetzt aber, die Eltern wolten alle dieſe Muͤhe uͤber ſich nehmen, wuͤrde das Kind auch wol bey den Eltern bleiben? Wuͤrde es ſich wol durch die Schaͤrffe zu etwas anhalten laſ - ſen? Wuͤrde es Stock und Schlaͤge vor - lieb nehmen? Wuͤrde es nicht bey dem er -ſten51ſten Schlage die Eltern verlaſſen und nim - mermehr wieder kommen? Woher wuͤr - de alsdenn die Fertigkeit zu ſprechen kom - men, und wie wuͤrde der Verſtand zu eini - ger Vernunft gebracht werden? Gewiß, es wuͤrden die Menſchen eben als das Vieh ohne rechte Geſellſchafft und ohne Ver - nunfft in den Waͤldern herum irren, und alſo der Gluͤckſeligkeit nicht theilhafftig werden, der ſie doch von der Natur faͤhig ſind.
Mir deucht ich muthmaſſe nicht unrechtDie Schwach - heit der Kinder machet ſie geſellig. wenn ich die groſſe Schwachheit, Unver - moͤgen und Nothdurfft der Kinder als eine Haupt-Urſache mit annehme, wodurch auch die wildeſten Voͤlcker der Erden, als die Hottentotten in Africa, die Hurons, Jroquois und andere in America unter ſich ein geſellſchafftliches Leben fuͤhren, und ſich der Herrſchafft ihrer Koͤnige un - terwerffen. Dieſe Leute bauen keinen Acker, ſondern leben, wie das Land ſehr wenige Einwohner hat, von dem Wildpret und Gewaͤchſen, welche ſie in den dortigen groſſen Waͤldern von hundert und mehr Meilen antreffen. Sie bauen keine Haͤuſſer, ſondern nur kleine Huͤtten. D 2Es52Es fallen alſo bey ihnen viele von denen Urſachen hinweg, welche uns Europaͤer noͤthigen, uns auch bißweilen der Herrr - ſchafft eines harten Ober-Herrens zu un - terwerffen. Denn bey uns ſind alle Plaͤ - tze beſetzet, und haͤlt es ſchwehr an frem - den Orten unter zu kommen. Wir ha - ben Aecker, Haͤuſer, Gaͤrten, ausſtehende Gelder, welche wir nicht gerne verlaſſen wollen. Jene aber haben in den groſſen Waͤldern und Einoͤden Raum genug ſich von einander zu trennen, ſie haben kein Geld, kein Land und keine ſchoͤne Haͤuſer, welche ſie koͤnten zuruͤck halten und noͤthi - gen, ſich nachdem Willen anderer zu rich - ten. Woher kommt es denn aber, daß ſie geſellig ſind und bey einander bleiben, und kleinen Koͤnigen gehorchen? Jch muthmaſſe, daß nebſt andern Urſachen auch das groſſe Unvermoͤgen, mit welchem wir gebohren werden, vieles dazu beytraͤget. Dieſes noͤthiget ſie bis ins vierdte, ja zwoͤlffte Jahr ihrer Eltern und Freunde Liebe und Ge - wogenheit zu genieſſen. Dieſes erwecket in ihnen eine beſondere und unvermerckte Lie - be gegen den Ort und die Geſellſchafft, in wel - cher ſie von der zarteſten Kindheit an ſo viel gutes genoſſen. Und wenn ſie denngleich53gleich etwas hartes erfahren muͤſſen, ſo laͤſ - ſet doch dieſe Liebe nicht leichtlich zu, daß ſie ſich von den Jhrigen trennen und ent - fernen ſolten. Daß dieſe Liebe allgemein, ſiehet man an denenjenigen, die ihr Vater - land und den Ort ihrer Erziehung verlaſ - ſen muͤſſen. Denn dieſes thut ihnen alle - zeit etwas wehe, wenn ſie auch gleich wiſ - ſen, daß ſie an einen beſſern Ort kommen. Dieſes wuͤrde aber ſchwehrlich ſeyn, wenn die Kinder ihre Eltern in dem erſten hal - ben Jahre verlaſſen und als Thiere leben koͤnten. Wie vortrefflich und wie weiſe iſt alſo die Abſicht, welche GOtt dabey hat, daß er die Kinder in einem weit krafftloſern Zuſtande laͤſſet gebohren werden, als an - dere Thiere der Erden. Es iſt dieſes noͤ - thig, wenn ſie zur Sprache, zum Verſtan - de, zum geſellſchafftlichen Leben und alſo zu einer groͤſſern Gluͤckſeeligkeit als die Thiere ſollen gebracht werden.
Jch habe oben erwehnet, daß bey derWarum der Kopff der kleinẽ Kinder nicht voͤl - lig mit Knochen umgeben? Geburth des Menſchen auch dieſes beſon - dere anzutreffen, daß der Menſch nicht mit einer geſchloſſenen und feſten Hirn-Schaa - le auf die Welt komme, wie die Thiere, ſondern daß ein groſſer und breiter StrichD 3auf54auf dem Kopffe nur mit der Haut bedeckt ſey, und darunter die Hirn-Schaale nach und nach nnd bißweilen erſt in anderthalb Jahren zuwachſe. Die Abſicht GOttes hierbey iſt gantz beſonders, und wird alſo hier von uns billig noch ein wenig genauer betrachtet. Es traͤgt dieſes nicht nur dazu etwas bey, daß die Eltern dieſerwegen das Kind ſehr muͤſ - ſen inacht nehmen, mehr bey ſich haben und auf den Armen tragen, als umher kriechen laſſen: ſondern ich erblicke darinnen auch noch eine andere Weisheit und beſondere Guͤtigkeit. GOTT macht nichts um - ſonſt, und was er alſo herfuͤr bringet, muß zur Vollkommenheit der Welt und der Cre - atur gereichen, weil er unendlich guͤtig iſt. Nun bemercket man, daß der Menſch nach ſeiner Groͤße vier bis ſechsmahl mehr Ge - hirne habe als die Thiere. Da nun die - ſes allen Menſchen gemein, und von der weiſen Einrichtung GOttes gantz allein herkommet, ſo muß die Vielheit des Gehir - nes bey dem Menſchen noͤthig und von groſſen Nutzen ſeyn. Die Medici ma - chen ſehr wahrſcheinlich, daß ein groſſes Gehirne noͤthig bey einer Creatur, deren Seele vieles empfinden und zugleich genau von einander unterſcheiden, und deren Coͤr -per