Zween Monate ſinds, ſeit ich Jhnen ſchrieb; ſeit ich, von Zweifel und Argwohn gemartert, mich von aller Geſell - ſchaft enthielte, und mich endlich durch einen uͤbelverſtandenen Eifer fuͤr die Tu - gend zu dem elendeſten Geſchoͤpfe auf der Erde machte. O, waͤr’ ich es allein, ich wuͤrde mich gluͤcklich dabey achten; aber ich habe die beſte, die edelſte Seele zu ei - nem Entſchluß der Verzweiflung gebracht; ich bin die Urſache des Verderbens meines angebeteten Fraͤuleins von Sternheim. II Theil. AKein2Kein Menſch kann mir was von ihrem Schickſal ſagen; aber mein Herz ſagt mir, daß ſie ungluͤcklich iſt. Dieſer Gedanke frißt das Herz, in welchem er ſich ernaͤhrt. Aber ich ſage Jhnen unbegreifliche Dinge! ich muß mich verſtaͤndlich machen; Sie wiſſen, wie misvergnuͤgt ich von dem Feſte des Grafen F. zuruͤck kam, und daß ich von dieſem Augenblick mich aller Ge - ſellſchaft entaͤußerte. Meine Liebe war verwundet, aber nicht getoͤdtet; ich dachte, ſie wuͤrde durch Verachtung und Fliehen geheilt werden; ich wollte ſo - gar nichts von dem Fraͤulein reden hoͤ - ren; als endlich mein Oheim meine Lei - denſchaften auf einmal zu loͤſchen glaubte, da er mir die Nachricht gab: „ daß auf „ das Geburtsfeſt des Fuͤrſten ein Masken - „ ball angeſtellt waͤre; daß der Fuͤrſt die „ Maske des Fraͤuleins tragen wuͤrde, und „ ſie Kleidung und Schmuck von ihm be - „ komme. Jch koͤnnte alſo ſchlieſſen, daß „ ſie ſich aufgeopfert habe; ſie haͤtte ſchon „ vorher Gnaden von ihm erbeten, und „ alles erhalten, was ſie verlangt habe;„ der3„ der Fuͤrſt kaͤme Abends in den Garten „ des Grafen Loͤbau, allein von ſeinem „ Liebling begleitet u. ſ. w. — “Mein Oheim erreichte ſeinen Zweck; die Sorge meiner Liebe verlor ſich mit meiner Hoch - achtung, und mit der Hoffnung, die ich immer blindlings behalten hatte. Aber gleichguͤltig war ich noch nicht; meine See - le war durch das Andenken ihres Geiſtes und ihrer Tugend gekraͤnkt. Wie gluͤck - lich, o Gott, wie gluͤcklich haͤtte ſie mich machen koͤnnen, (rief ich) wenn ſie ihrer Erziehung und ihrer erſten Anlage getreu geblieben waͤre! Ohne Erinnerung und Beſtrafung wollt’ ich ſie nicht laſſen, und der Maskenball duͤnkte mich ganz bequem zu meinem Vorhaben. Jch machte eine doppelte Maske. Jn der erſten wollt’ ich mich noch von allem uͤberzeugen, was mir von der Vergeſſenheit ihres Werths und ihrer Pflichten geſagt worden war. Sie kam von allen Grazien begleitet in den Saal; ſie trug den Schmuck, wel - chen der Hofjuwelier dem Lord gewieſen hatte. Sie war ſo niedertraͤchtig gefaͤl -A 2lig,4lig, ihre ſchoͤne Stimme hoͤren zu laſſen und ihn nebſt der Geſellſchaft zur Freude aufzumuntern. Haͤtte ich Kraͤfte gehabt, ſie ihrer reizenden Geſtalt und aller ihrer Talenten zu berauben, ich wuͤrd’ es in dieſem Augenblick gethan haben. Leich - ter waͤr’ es mir geweſen, ſie elend, haͤß - lich, ja gar todt zu ſehen, als ein Zeuge ihrer moraliſchen Zernichtung zu ſeyn. Der tiefſte Schmerz war in meiner Seele, als ich ſie ſingen hoͤrte, und mit dem Fuͤr - ſten und mit andern Menuette tanzen ſah. Aber als er ſie um den Leib faßte, an ſeine Bruſt druͤckte, und den ſittenloſen, fre - chen Wirbeltanz der Deutſchen, mit einer, aller Wohlſtandsbande zerreiſſenden Ver - traulichkeit an ihrer Seite daher huͤpf - te — da wurde meine ſtille Betruͤbniß in brennenden Zorn verwandelt; ich eilte in meine zwote Maske, naͤherte mich ihrer darinn, und machte ihr bittre und heftige Vorwuͤrfe uͤber ihre Frechheit, ſich mit ſo vieler Luſtigkeit in ihrem ſchaͤndli - chen Putz zu zeigen. Jch ſetzte hinzu: daß alle Welt ſie verachtete, ſie, die manange -5angebethet habe — Meine erſte Anrede brachte das vollkommenſte Erſtaunen in ihr hervor; ſie konnte nichts ſagen, als ihre Hand gegen die Bruſt heben, — ich — ich — ſtotterte ſie — mit der andern wollte ſie mich haſchen. Aber ich Elen - der, entfloh, ohne auf die Wirkung ach - ten zu wollen, die meine Rede machen wuͤrde. Nach Hauſe eilte ich, ließ mir ſechs Poſtpferde vor meine Chaiſe geben, nahm meinen alten Dik mit, und fuhr ſechs Tage ohne zu wiſſen, wohin; bis ich endlich in einem Dorfe liegen bleiben mußte, wo ich Diken auf das aͤußerſte verbot, jemanden Nachricht von mir zu geben. Mein Gemuͤthszuſtand iſt nicht zu beſchreiben; gefuͤhllos, geiſtlos war ich, misvergnuͤgt, unruhig, und dennoch verſagt’ ich mir die einzige Huͤlfe, die mei - ne Leiden erforderten — Nachrichten von D. zu haben. Dieſer unſelige Eigenſinn legte den Grund zu der tiefen Traurigkeit, die mich bis an mein Ende begleiten wird. Denn waͤhrend ich das ſtumme Wuͤthen meiner unuͤberwindlichen Liebe in demA 3aͤußer -6aͤußerſten Winkel eines einſamen Dorfes verbarg, um die erſten Triumphtage des Fuͤrſten vorbeyrauſchen zu laſſen, hatte das Fraͤulein den edelſten Widerſtand ge - macht, hatte aus Kummer beynahe das Leben verloren, und war endlich aus dem Hauſe ihres Oheims entwichen, weil man ſie nicht auf ihre Guͤter gehen laſſen woll - te. Einen Monat nach dieſem Vorgang kam ich abgezehrt und finſter zuruͤck; Mylord empfieng mich mit vaͤterlicher Zuneigung; er ſagte mir alle Sorgen, die ich ihm verurſacht haͤtte, auch daß er auf den Gedanken gerathen ſey, ich moͤchte das Fraͤulein entfuͤhrt haben.
Wollte Gott, Sie haͤtten mir’s erlaubt, rief ich; ich waͤre nicht ſo elend. Aber reden Sie mir nicht mehr von ihr.
Er umarmte mich und ſagte:
Lieber Carl, du mußt doch hoͤren was geſchehen iſt. Sie war doch edel, tu - gendhaft, alles was uns zu ihrem Nach - theil geſagt wurde, war Betrug, und ſie iſt entflohen.
Meine7Meine Begierde, alles zu wiſſen, war nun ſo groß, als vorher meine Sorge daruͤber geweſen war.
Das Fraͤulein ſoll geglaubt haben, ihre Tante haͤtte ihren Schmuck neu faſſen laſ - ſen, und lehnte ihn ihr zum Ball; die Klei - der habe ſie ihrem Kaufmann ſchuldig zu ſeyn geglaubt; ihr Singen waͤre eine ge - zwungene Gefaͤlligkeit geweſen, und ſie haͤtte in einem Brief an den Fuͤrſten eine weiße Maske geſegnet, die ihr alle Bos - heiten entdeckt habe, welche ihren Ruhm zernichtet haͤtten.
O Mylord, rief ich; dieſe weiße Maske war ich; ich habe mit ihr geſprochen, und ihr Vorwuͤrfe gemacht; aber gleich nach dieſer Unterhaltung eilt’ ich fort. Er fuhr fort mir zu erzaͤhlen: das Fraͤulein haͤtte noch auf dem Ball dem Fuͤrſten ſei - nen Schmuck vor die Fuͤße geworfen, und waͤre in der aͤußerſten Beaͤngſtigung nach Haus gefahren; ſie waͤre aber acht Tage ſehr krank gelegen, und haͤtte keinen Men - ſchen vor ſich gelaſſen. Bey ihrer Wie - derherſtellung haͤtte ſie auf ihre Guͤter zuA 4gehen8gehen verlangt, ihr Oncle aber haͤtte ſie nicht gehen laſſen, und acht Tage darauf, als man dem Prinzen von P. zu Ehren bey Hofe Luſtbarkeiten angeſtellt, ſey ſie mit ihrer Kammerjungfer verſchwunden. Der Graf und die Graͤfin Loͤbau, die bis Morgens bey dem Ball geweſen, und ihre Leute, welche auch nicht fruͤh munter ge - worden, haͤtten nicht an das Fraͤulein gedacht, bis Nachmittags, da man die Tafel fuͤr den Grafen gedeckt hatte, man erſt angefangen, das Fraͤulein und ihr Maͤdchen zu vermiſſen; aber als man ihre Zimmer aufgeſprengt, an ihrer Statt blos Briefe gefunden habe, einen an den Fuͤr - ſten, einen an Mylord C, und einen an ihren Oheim, dem ſie noch ein Verzeich - niß angeſchloſſen von den Kleidern, die ſie an den Pfarrer geſchickt habe, um ſie zu verkaufen, und das Geld den Armen des Kirchſpiels zu geben. Jhrem Oheim haͤtte ſie kurz, aber mit vieler Wuͤrde und Ruͤhrung von den Klagen geſprochen, die ſie uͤber ihn und ſeine Frau zu fuͤhren ha - be, und von den Urſachen, warum ſie ſichvon9von ihnen entfernte, und ſich in den Schutz eines Gemahls begebe, den ſie ſich ge - waͤhlt haͤtte, und mit welchem ſie als ſei - ne vermaͤhlte Frau aus ihrem Hauſe gehe, um ſich nach Florenz zum Grafen R. zu begeben, woher ſie wieder Nachricht von ihr erhalten ſollten; indeſſen uͤberlaſſe ſie ihm auf drey Jahre den Genuß aller Ein - kuͤnfte ihrer Guͤter, um damit die Been - digung ſeines Rechtshandels zu betreiben, die er auf eine niedertraͤchtige Art durch die Aufopferung ihrer Ehre zu erhalten ge - ſucht haͤtte; es waͤre ein Geſchenk, wel - ches ſie ſeinen zweenen Soͤhnen machte, und wodurch ſie mehr Segen erhalten wuͤr - den, als durch den Entwurf ihres Unter - gangs. Dem Fuͤrſten haͤtte ſie geſchrieben: ſie fliehe an der Hand eines edelmuͤthigen und wuͤrdigen Gemahls vor den Verfol - gungen ſeiner verhaßten und entehrenden Leidenſchaft; ſie habe inzwiſchen ihrem Oncle die Einkuͤnfte von ihren Guͤtern auf drey Jahre uͤberlaſſen, hoffe aber nach Verfluß dieſer Zeit ſie von der Ge - rechtigkeit des Landesfuͤrſten wieder zuruͤckA 5zu10zu erlangen; gegen Mylord aber haͤtte ſie ſich erklaͤrt: daß ſie ſeinen Geiſt und ſei - nen Gemuͤthscharacter jederzeit verehrt, und gewuͤnſcht habe, einigen Antheil an ſeiner Achtung zu haben; es waͤre ſehr wahrſcheinlich, daß die Umſtaͤnde, in wel - che man ſie geſtellt, ihre Gemuͤthsart mit einem ſo ſtarken Nebel umhuͤllet haͤtten, daß Er ſich keinen richtigen Begriff davon habe machen koͤnnen; ſie verſichere ihn aber, daß ſie ſeiner Hochachtung niemals unwuͤrdig geweſen, und ſeine harte nach - theilige Beurtheilung nicht verdient habe; und dieſes moͤchte er auch ſeinem Neffen Seymour leſen laſſen; Loͤbau ſey nach dieſer Entdeckung zum Fuͤrſten geeilt, der daruͤber ins groͤßte Erſtaunen gerathen, und aller Orten habe nachſchicken wollen; aber Graf F. haͤtte es misrathen, und es waͤre allein ein Courier an den Grafen R. nach Florenz abgeſchickt worden, von wannen man aber bis itzt keine Nachricht von dem Fraͤulein erhalten habe.
Solange die Erzaͤhlung von Mylord dauerte, ſchienen alle Triebfedern meinerSeele11Seele zuruͤckgehalten zu ſeyn; aber als er aufhoͤrte, kamen ſie in volle Bewegung. Er mußte meine bitterſten Klagen uͤber ſeine Politik hoͤren, durch die er mich verhindert hatte, mich mit dem edelſten Herzen zu verbinden. Jhre großmuͤthige Wohlthaͤtigkeit an ihrem Oncle, dieſe edle Rache fuͤr ſeine abſcheuliche Beleidigung, ihr Andenken an die Arme; und an mich, bey dem ſie gerechtfertigt zu ſeyn ſuchte; wie viele Riſſe in mein Herz? Wie ver - haßt wurde mir D., wie viele Muͤhe hatte ich, die Ausdruͤcke meines Zorns zu ver - bergen, wenn ich ihre Feinde ſah, oder wenn mir jemand von ihr reden wollte! Denn der herzhafte Schritt, welchen ſie zu ihrer Rettung gemacht, wurde von jedermann getadelt, alle ihre vortrefflichen Eigenſchaften verkleinert, und ihr Fehler und Laͤcherlichkeiten angedichtet, deren ſie gaͤnzlich unfaͤhig war. Wie elend, aber auch wie allgemein iſt das Vergnuͤgen, Fehler am Verdienſt auszuſpaͤhen! Tau - ſend Herzen ſind eher bereit, ſich zu der Bosheit zu erniedrigen, an einer vortreff -lichen12lichen Perſon die Gebrechen der Menſch - heit zu entdecken, als eines zu finden iſt, das die edle Billigkeit hat, einem andern den groͤßten Antheil an Kenntniſſen und Tugend einzugeſtehen, und ihn aufrichtig zu verehren.
Jch ſchickte einen Courier nach Florenz, und ſchrieb dem Grafen R. die Geſchichte ſeiner wuͤrdigen Nichte. Aus der Ant - wort, ſo ich von ihm erhielt, erfuhr ich, daß er nicht das geringſte von ihrem Auf - enthalte wiſſe. Alle Bemuͤhungen, wel - che er bis itzt angewandt, ſie auszuſpaͤ - hen, ſind vergeblich geweſen; — und alles dieß vergroͤßert die Vorwuͤrfe, die ich mir wegen meiner uͤbereilten Abreiſe von D. mache. Warum wartete ich nicht auf die Folge meiner Unterredung? — wenn man beſſern will, iſt es genug, bit - tere Verweiſe zu geben? — Mein ganzes Herz wuͤrde ſich empoͤren, wenn ich einen Kranken ſchlagen oder mishandeln ſaͤhe: und ich gab einer Perſon, die ich liebte, die ich fuͤr verblendet hielt, Streiche, die ihre Seele verwunden mußten! Aber ichſah13ſah ſie als eine freywillige weggeworfene meiner Achtung unwuͤrdige Creatur an, und duͤnkte mich berechtiget, ihr auch ſo zu begegnen. Wie grauſam war meine Eigenliehe gegen das liebenswerthe Maͤd - chen! erſt wollte ich nicht von meiner Liebe reden, bis ſie ſich ganz nach meinen Begriffen in dem vollen Glanz einer triumphierenden Tugend gezeigt haben wuͤrde. Sie gieng ihren eigenen ſchoͤ - nen Weg, und weil ſie meinen idealiſchen Plan nicht befolgte, eignete ich mir die Gewalt zu, ſie daruͤber auf das empfind - lichſte zu beſtrafen. Wir beurtheilten und verdammten ſie alle! aber ſie — wie edel, wie groß wird ſie, in dem Augen - blick, da ich ſie fuͤr erniedrigt hielt! ſie ſegnete in der weißen Maske mich wuͤten - den Menſchen, da ſie an den Rand eines fruͤhen Grabes geſtoßen hatte — O, was kann ſie itzt von dem Geſchoͤpfe ſa - gen, durch deſſen Unbeſonnenheit ſie in eine uͤbereilte und gewiß ungluͤckliche Ehe geſtuͤrzt wurde, die ſie ſchon bereut, und nicht wieder brechen kann. Sie ſchriebmeinen14meinen Namen noch, ſie wollte, daß ich Gutes von ihr glauben ſoll! O Stern - heim, ſelbſt in deinem von mir verurſach - ten Elende wuͤrde deiue großmuͤthige, un - ſchuldige Seele die Marter meines Her - zens beweinen, wenn du darinn das Bild meiner erſten Hoffnungen mit allen Schmerzen der Selbſtberaubung vereinigt ſehen wuͤrdeſt!
Derby iſt nach einer Abweſenheit von acht Wochen wieder von einer Reiſe nach H. zuruͤckgekommen, und bewies mir eine ganz beſondere Achtſamkeit; ich goß allen meinen zaͤrtlichen Kummer bey ihm aus; er belachte mich, und behauptete, daß er mit dem Ruf ſeiner Bosheit viel weniger ſchaͤdlich ſey, als ich es durch dieſen Tu - gendeifer geweſen; ſeine Bosheit fuͤhre eine Art von Verwarnung bey ſich, die alle Menſchen vorſichtig machen koͤnne. Die Strenge meiner Grundſaͤtze haͤtte mir eine Grauſamkeit gegen die anſcheinenden, und unvermeidlichen Fehler der Menſchen gegeben, welche die Widerſpenſtigkeit der Boͤſen vermehre, und die guten Leute zurVer -15Verzweiflung bringe. Wie koͤmmt Derby zu dieſem Anſpruch der Wahrheit? ich fuͤhlte, ja ich fuͤhlte, daß er Recht hatte, daß ich grauſam war, daß ich es war, ich — Elender! der die Beſte ihres Ge - ſchlechts ungluͤcklich gemacht.
O mein Freund, mein Lehrer, das Maaß meines Verdruſſes iſt voll; alle Stunden meines Lebens ſind vergiftet. John, unſer Sekretaire, iſt zwey Tage vor der Flucht des Fraͤuleins abgereiſet, und ſeitdem nicht mehr gekommen. Die Kammerjungfer des Fraͤuleins war ein - mal bey ihm, und unter ſeinen Papieren hat man ein zerriſſenes Blatt gefunden, wo mit der Hand meiner Sternheim ge - ſchrieben ſtund, — „ ich gehe in alle Ur - „ ſachen ein, die Sie wegen der Verbor - „ genheit unſerer Verbindung angeben; „ ſorgen Sie nur fuͤr unſere Trauung; „ denn ohnvermaͤhlt werd’ ich nicht fort - „ gehen, ob ich gleich die Verbindung „ mit einem Englaͤnder allen andern vor - „ ziehe —
So16So iſt ſie alſo das Eigenthum eines der verwerflichſten Menſchen aller Natio - nen geworden! O, — ich verfluche den Tag, wo ich ſie ſah, wo ich die ſympa - thetiſche Seele in ihr fand! — und, ewig verdamme Gott den Boͤſewicht, dem ſie ſich in die Arme warf! Was fuͤr Raͤn - ke muß der Kerl gebraucht haben! es iſt nicht anders moͤglich, der Kummer hat ihren Verſtand zerruͤttet. Aber die Brie - fe, die ſie zuruͤck ließ, ſind in einem ſo wohlthaͤtigen, ſo edlem Ton, und mit ſo vielem Geiſte geſchrieben! — doch duͤnkt mich einſt geleſen zu haben, daß juſt in einer Zerruͤttung der kuͤnſtlichen und ge - lernten Bewegung des Verſtandes die Triebfedern an den Tag kaͤmen, durch welche er von unſern natuͤrlichen und vorzuͤglichen Neigungen gebraucht wird. Urtheilen Sie alſo von dem edlen Grund des Charakters unſers Fraͤuleins. —
Hier in einem einſamen Dorfe, allen die mich ſehen, unbekannt, denen, die mich kannten, verborgen, hier fand’ ich mich wieder, nachdem ich durch meine Eigen - liebe und Empfindlichkeit ſo weit von mir ſelbſt gefuͤhrt worden, daß ich mit haſti - gen Schelten einen Weg betrat, vor welchem ich in gelaſſenen denkenden Ta - gen mit Schauer und Eifer geflohen waͤre; O wenn ich mir nicht ſagen koͤnnte, wenn meine Roſine, wenn Mylord Derby ſelbſt nicht zeugen muͤßten, daß alle Kraͤfte meiner Seele durch Unmuth und Krank - heit geſchwaͤcht und unterdruͤckt waren; wo, meine Emilia, wo naͤhme ich einen Augenblick Ruhe und Zufriedenheit bey dem Gedanken, daß ich heimliche Veran - ſtaltungen getroffen — ein heimliches Buͤndniß gemacht, und aus dem Hauſe entflohen bin, in welches ich ſelbſt durch meinen Vater gegeben wurde.
II Theil. BEs18Es iſt wahr, ich wurde in dieſem Hau - ſe grauſam gemishandelt; es war ohn - moͤglich, daß ich mit Vertrauen und Ver - gnuͤgen darinn bleiben konnte; gewiß war meine Verbitterung nicht ungerecht; denn wie konnte ich ohne den aͤußerſten Unmuth denken, daß mein Oncle, und meine Tante mich auf eine ſo niedertraͤch - tige Weiſe ihrem Eigennutze aufopferten, und Fallſtricke fuͤr meine Ehre flechten, und legen halfen?
Jch hatte ſonſt keinen Freund in D., mein Herz empoͤrte ſich bey der geringſten Vorſtellung, die ich nach wiedererlangter Geſundheit, Verwandte, die mich mei - nes Ruhms beraubt, und diejenigen wie - der ſehen muͤßte, die uͤber meinen Wider - ſtand und Kummer geſpottet hatten, und alle ſchon lange zuvor die Abſichten wuß - ten, welche man durch meine Vorſtellung bey Hofe erreichen wollte. Ja, alle wußten es, ſogar mein Fraͤulein C., und keines von allen war edel und menſchlich genug, mir, nachdem man doch meinen Charakter kannte, nur den geringſtenFinger -19Fingerzeig zu geben; mir, die ich keine Seele beleidigte, mich bemuͤhte, meine Geſinnungen zu verbergen, ſo bald ſie die ihrige zu tadeln, oder zu verdrießen ſchienen! Wie bereit war ich, alles, was mir Fehler daͤuchte, zu entſchuldigen! Aber ſie dachten, es waͤre nicht viel an einem Maͤdchen, aus einer ungleichen Ehe, ver - loren. Konnte ich bey dieſem vollen Uebermaaße von Beleidigungen, die uͤber meinen Charakter, meine Geburt und meinen Ruhm ausgegoſſen wurden, den Troſt von mir werfen, den mir die Ach - tung und Liebe des Mylord Derby anbot? Die Entfernung des Grafen, und der Graͤfinn R., ihr Stillſchweigen auf meine letzten Briefe, die Unart, mit welcher mir die Zuflucht auf meine Guͤter verſagt wur - de; und, meine Emilia, ich berge es Jh - nen nicht, meine Liebe zu England, der an - geſehene Stand, zu welchem mich Mylord Derby durch ſeine Hand und ſeine Edelmuͤ - thigkeit erhob; auch dieſe zwo Vorſtellun - gen hatten große Reize fuͤr meine verlaſſene und betaͤubte Seele. Jch war vorſichtig ge -B 2nug,20nug, nicht unvermaͤhlt aus meinem Hau - ſe zu gehen, ich ſchrieb es dem Fuͤrſten, dem Mylord Craſton und meinem Oheim. Jch nannte meinen Gemahl nicht; wie - wohl er ſo großmuͤthig war, mir die volle Freyheit dazu zu laſſen, ohngeachtet er damit die Gnade des Geſandten und ſei - nes Hofes verwirkt haͤtte; weil man den Gedanken faſſen konnte, Mylord Craſton haͤtte dazu geholfen, und dieſer Argwohn widrige Folgen haͤtte haben koͤnnen; ſoll - te ich da nicht auch großmuͤthig ſeyn, und denjenigen, der mich liebte und rettete, durch mein Stillſchweigen vor Verdruß und Verantwortung bewahren? Es war genug, daß er den Geſandtſchaftspredi - ger gewann, dem ich die ganze Geſchichte meiner geheimen Trauung ſchrieb, und welchem Mylord eine Penſion giebt, wo - von er wird leben koͤnnen, wenn er auch die Stelle bey dem Geſandten verliert. Durch alles dieſes unterſtuͤtzt, reißte ich mit frohem Herzen von D. ab, von einem der getreueſten Leute des Lords begleitet; mein Gemahl mußte, um allen Verdachtauszu -21auszuweichen, zuruͤckbleiben, und den Feſten beywohnen, welche zween frem - den Prinzen zu Ehren angeſtellt wurden. Dieſer Umſtand war mir angenehm, denn ich wuͤrde an ſeiner Seite gezittert und gelitten haben, da ich hingegen mit un - ſerer Roſine gluͤcklich und ruhig meinen Weg fortſetzte, bis ich in dieſem kleinen Dorfe meinen Aufenthalt nahm, wo ich vier Wochen war, ehe Mylord den ſchick - lichen Augenblick finden konnte, ohne Be - ſorgniß zu mir zu eilen. Mein erſter Gedanke war immer, meine Reiſe nach Florenz zu verfolgen, und Mylorden da zu erwarten; aber ich konnte ſeine Ein - willigung dazu nicht erlangen, und auch itzt will er ſich vorher voͤllig von Mylord Craſton losmachen, und erſt alsdann mit mir zum Grafen R., nach dieſem aber ge - rade in ſein Vaterland gehen.
Jn dieſen vier Wochen, da ich allein war, hielt ich mich eingeſperrt, und hat - te keine andere Buͤcher, als etliche eng - liſche Schriften von Mylord, die ich nicht leſen mochte, weil ſie uͤbergebliebene Zeug -B 3niſſe22niſſe ſeiner durch Beyſpiel und Verfuͤh - rung verderbten Sitten waren. Jch warf ſie auch alle an dem erſten kalten Herbſttage, der mich noͤthigte Feuer zu machen, in den Ofen, weil ich nicht ver - tragen konnte, daß dieſe Buͤcher und ich einen gemeinſamen Herrn, und Wohn - platz haben ſollten. Die Tage wurden mir lang, meine Roſina nahm ſich Naͤh - arbeit von unſrer Wirthinn, und ich fieng an mit dem zunehmenden Gefuͤhl, der ſich wieder erhohlten Kraͤfte meines Geiſtes, Betrachtungen uͤber mich und mein Schickſal anzuſtellen.
Sie ſind traurig, dieſe Betrachtungen, durch den Widerſpruch, der ſeit dem Tod meines geliebten ehrwuͤrdigen Vaters, noch mehr aber ſeit dem Augenblick mei - nes Eintritts in die große Welt, zwiſchen meinen Neigungen und meinen Umſtaͤnden herrſchet.
O haͤtte ich meinen Vater nur behal - ten, bis meine Hand unter ſeinem Seegen an einen wuͤrdigen Mann gegeben gewe - ſen waͤre! Meine Gluͤcksumſtaͤnde ſindvortheil -23vortheilhaft genug, und da ich nebſt meinem Gemahl den Spuren der edlen Wohlthaͤtigkeit meiner Aeltern gefolgt waͤre, ſo wuͤrde die ſelige Empfin - dung eines woylangewandten Lebens, und die Freude uͤber das Wohl meiner Untergebenen alle meine Tage gekroͤnt haben. Warum hoͤrte ich die Stimme nicht, die mich in P. zuruͤckhalten wollte, als meine Seele ganz mit Bangigkeit er - fuͤllt, ſich der Zuredungen meines Oheims, und Jhres Vaters widerſetzte? Aber ich ſelbſt dachte endlich, daß Vorurtheil und Eigenſinn in meiner Abneigung ſeyn koͤnn - te, und willigte ein, daß der arme Faden meines Lebens, der bis dahin ſo rein und gleichfoͤrmig fortgeloffen war, nun mit dem verworrnen, ungleichen Schickſal meiner Tante verwebt wurde, woraus ich durch nichts als ein gewaltſames Abreißen aller Nebenverbindungen loskommen konn - te. Mit dieſem vereinigte ſich die Ver - ſchwoͤrung wider meine Ehre, und meine von Jugend auf genaͤhrte Empfindſamkeit, die nur ganz allein fuͤr meine beleidigteB 4Eigen -24Eigenliebe arbeitete. O, wie ſehr hab’ ich den Unterſchied der Wuͤrkungen der Em - pfindſamkeit fuͤr andere, und der fuͤr uns allein kennen gelernt!
Die zwote iſt billig, und allen Men - ſchen natuͤrlich! aber die erſte allein iſt edel; ſie allein unterhaͤlt die Wahrſchein - lichkeit des Ausdrucks, daß wir nach dem Ebenbild unſers Urhebers geſchaffen ſeyn, weil dieſe Empfindſamkeit fuͤr das Wohl und Elend unſers Nebenmenſchen die Triebfeder der Wohlthaͤtigkeit iſt, der einzigen Eigenſchaft, welche ein zwar un - vollkommnes, aber gewiß aͤchtes Gepraͤge dieſes goͤttlichen Ebenbildes mit ſich fuͤhrt; ein Gepraͤge, ſo der Schoͤpfer allen Crea - turen der Coͤrperwelt eindruͤckte, als in welcher das geringſte Grashaͤlmchen durch ſeinen Beytrag zur Nahrung der Thiere eben ſo wohlthaͤtig iſt, als der ſtarke Baum es auf ſo mancherley Weiſe fuͤr uns wird. Das kleinſte Sandkoͤrnchen erfuͤllt ſeine Beſtimmung wohlthaͤtig zu ſeyn, und die Erde durch Lockernheit fruchtbar zu erhalten, ſo wie die großenFelſen25Felſen, die uns ſtaunen machen, unſern allgemeinen Wohnplatz befeſtigen helfen. Jſt nicht das ganze Pflanzen - und Thier - reich mit lauter Gaben der Wohlthaͤtig - keit fuͤr unſer Leben erfuͤllt? Die ganze phyſicaliſche Welt bleibt dieſen Pflichten getreu; durch jedes Fruͤhjahr werden ſie erneuert; nur die Menſchen arten aus, und loͤſchen dieſes Gepraͤge aus, welches in uns viel ſtaͤrker, und in groͤßerer Schoͤnheit glaͤnzen wuͤrde, da wir es auf ſo vielerley Weiſe zeigen koͤnnten.
Sie erkennen hier, meine Emilia, die Grundſaͤtze meines Vaters: meine Me - lancholie rief ſie mir ſehr lebhaft zuruͤck, da ich in der Ruhe der Einſamkeit mich umwandte, und den Weg abmaß, durch welchen mich meine Empfindung ge - jagt, und ſo weit von dem Orte meiner Beſtimmung verſchlagen hatte. O, ich bin den Pflichten der Wohlthaͤtigkeit des Beyſpiels entgangen!*)Aber werden nicht eben durch dieſes war - nende Beyſpiel ihre Fehler ſelbſt wohlthaͤtig? Warum NiemandB 5wird26wird ſagen, daß Kummer und Verzweif - lung Antheil an meinem Entſchluß hat - ten; aber jede Mutter wird ihre Tochter durch die Vorſtellung meiner Fehler war - nen; und jedes bildet ſich ein, es wuͤrde ein edlers und tugendhafters Huͤlfsmittel gefunden haben. Jch ſelbſt weiß, daß es ſolche giebt; aber mein Geiſt ſah ſie damals nicht, und es war niemand guͤ - tig genug, mir eines dieſer Mittel zu ſa - gen. Wie ungluͤcklich iſt man, meine Emilia, wenn man Entſchuldigungen ſu - chen muß, und wie traurig iſt es, ſie zu leicht, und unzulaͤnglich zu finden! So lang ich fuͤr andere unempfindlich war, fehlte ich nur gegen die Vorurtheile der fuͤhlloſen Seelen, und wenn es auch ſchien, daß meine Begriffe von Wohlthaͤtigkeit uͤbertrieben waͤren, ſo blieben ſie doch durch das Gepraͤge des goͤttlichen Eben - bildes verehrungs - und nachahmungs -wuͤrdig.*)Warum findet ſie nichts troͤſtendes in dieſer Betrachtung? — Weil anch die edelmuͤ - thigſten Seelen nicht auf Unkoſten ihrer Eigenliebe wohlthaͤtig ſind. H.27wuͤrdig. Aber itzt, da ich nur fuͤr mich empfand, fehlte ich gegen den Wohlſtand und gegen alle geſellſchaftliche Tugenden eines guten Maͤdchens. — Wie dunkel, o wie dunkel iſt dieſer Theil meines ver - gangenen Lebens! was bleibt mir uͤbrig, als meine Augen auf den Weg zu heften, den ich nun vor mir habe, und darinn einen geraden Schritt, bey klarem Lichte fortzugehen?
Meine erſten Erquickungsſtunden hab’ ich in der Beſchaͤfftigung gefunden, zwo arme Nichten meiner Wirthinn arbeiten und denken zu lehren. Sie wiſſen, Emi - lia, daß ich gerne beſchaͤfftiget bin. Mein Nachdenken, und meine Feder machten mich traurig; ich konnte am ge - ſchehenen nichts mehr aͤndern, mußte den Tadel, der uͤber mich ergieng, als eine gerechte Folge meiner irregegangenen Ei - genliebe anſehen, und meine Ermunterung außer mir ſuchen, theils in dem Vorſatze, Mylord Derby zu einem gluͤcklichen Ge - mahl zu machen, theils in der Beſtrebungmeinen28meinen uͤbrigen Nebenmenſchen alles moͤg - liche Gute zu thun. Jch erkundigte mich nach den Armen des Orts, und ſuchte ih - nen Erleichterung zu ſchaffen. Bey die - ſer Gelegenheit, ſagte mir die gute Roſina, von zwoen Nichten der Wirthinn, armen verwaißten Maͤdchen, die der Wirth haß - te, und auch ſeiner Frau, deren Schwe - ſter-Toͤchter ſie ſind, wegen dem wenigen, ſo ſie genießen, ſehr uͤbel begegnete. Jch ließ ſie zu mir kommen, forſchte ihre Nei - gungen aus, und was jede ſchon gelernt haͤtte, oder noch lernen moͤchte; beyde wollten die Kuͤnſte der Jungfer Roſine wiſſen; ich theilte mich alſo mit ihr in dem Unterricht der guten Kinder; ich ließ auch beyde kleiden, und ſie kamen gleich den andern Tag, um meinem Anziehen zuzuſehen. Vierzehn Tage darauf be - dienten ſie mich wechſelsweiſe. Jch rede - te ihnen von den Pflichten des Standes, in welchen Gott ſie, und von denen, in welchen er mich geſetzt habe, und brachte es ſo weit, daß ſie ſich viel gluͤcklicher achteten, Kammerjungfern, als Damenzu29zu ſeyn, weil ich ihnen ſehr von der gro - ßen Verantwortung ſagte, die uns wegen dem Gebrauch unſrer Vorzuͤge und unſrer Gewalt uͤber andere aufgelegt ſey. Jhre Begriffe von Gluͤck, und ihre Wuͤnſche waren ohnehin begrenzt, und die kleinen Prophezeyhungen, die ich, jeder nach ih - rer Gemuͤthsart machen kann, vergnuͤ - gen ſie ungemein; ſie glauben, ich wiſſe ihre Gedanken zu leſen. Jch zahle dem Wirth ein Koſtgeld fuͤr ſie, und kaufe al - les, was ſie zu ihren Lehrarbeiten noͤthig haben. Jch halte ihnen Schreibe - und Rechnungsſtunden, und ſuche auch, ih - nen einen Geſchmack im Putz einer Dame zu geben, beſonders lehre ich ſie alle Gat - tung von Charakter zu kennen, und mit guter Art zu ertragen. Die Wirthinn und ihre Nichten ſehen mich als ihren Engel an, und wuͤrden alle Augenblicke vor mir knien, und mir danken, wenn ich es dul - den wollte. Suͤße gluͤckliche Stunden, die ich mit dieſen Kindern hinbringe! Wie oft erinnere ich mich an den Ausſpruch eines neuern Weiſen, welcher ſagte: „ biſt„ du30„ du melancholiſch, ſiehſt du nicht zu dei - „ nem Troſt um dich her —
„ Ließ in der Bibel;
„ Befreye dich von einem anklebenden „ Fehler; oder ſuche deinem Nebenmen - „ ſchen Gutes zu thun: ſo wird gewiß die „ Traurigkeit von dir weichen — “
Edles unfehlbares Huͤlfsmittel! wie hoͤchſt vergnuͤgt gehe ich mit meinen Lehr - maͤdchen ſpazieren, und rede mit ihnen von der Guͤte unſers gemeinſamen Schoͤpfers! Mit welchem innigen Vergnuͤgen erfuͤllt ſich mein Herz, wenn ich beyde, uͤber meine Reden bewegt, ihre Augen mit Ehrfurcht und Dankbarkeit gen Himmel wenden ſeh, und, ſie mir dann meine Haͤnde kuͤſſen und druͤcken: in dieſen Augenblicken, Emilia, bin ich ſogar mit meiner Flucht zufrieden, weil ich ohne ſie dieſe Kinder nicht gefunden haͤtte.
O — noch einmal ſo lieb ſind mir mei - ne Maͤdchen geworden, ſeitdem Mylord da war; denn durch die Freude an den unſchuldigen Creaturen, hat ſich mein Geiſt und mein Herz geſtaͤrkt. Mylord liebt das Ernſthafte meiner Gemuͤthsart nicht; er will nur meinen Witz genaͤhrt haben; meine ſchuͤchterne und ſanfte Zaͤrt - lichkeit, iſt auch die rechte Antwort nicht, die ich ſeiner raſchen und heftigen Liebe entgegen ſetze, und uͤber das Verbrennen ſeiner Buͤcher hat er einen maͤnnlichen Hauszorn geaͤußert. Er war drey Wo - chen da. Jch durfte meine Maͤdchen nicht ſehen; ſeine Gemuͤthsverfaſſung ſchien mir ungleich; bald aͤußerſt munter, und voller Leidenſchaft! bald wieder duͤ - ſter und trocken; ſeine Blicke oft mit Laͤ - cheln, oft mit denkendem Misvergnuͤgen auf mich geheftet. Jch mußte ihm die Urſachen meines anfaͤnglichen Widerwil -lens32lens gegen ihn, und meine Aenderung er - zaͤhlen; ſodann fragte er mich uͤber mei - ne Geſinnungen fuͤr Lord Seymour. Mein Erroͤthen bey dieſem Namen gab ſeinem Geſicht einen mir entſetzlichen Aus - druck, den ich ihnen nicht beſchreiben kann, und in einer noch viel empfindlichern Ge - legenheit merkte ich, daß er eiferſuͤchtig uͤber Mylord Seymour iſt; ich werde alſo beſtaͤndig wegen anderer zu leiden ha - ben. Mylord liebt die Pracht, und hat mir viel koſtbare Putzſachen gegeben, ich werde in ſeine Geſinnung eingehen, un - geachtet ich mich lieber in Beſcheidenheit als in Pracht hervorthun moͤchte. Gott gebe, daß dieſes der einzige Punkt ſeyn moͤge, in welchem wir verſchieden ſeyn; aber ich fuͤrchte mehrere. — O Emilie, beten Sie fuͤr mich! — Mein Herz hat Ahndungen; ich will keine Gefaͤlligkeit, kei - ne Bemuͤhung verſaͤumen, meinem Ge - mahl angenehm zu ſeyn; aber ich werde oft ausweichen muͤſſen; wenn ich nur meinen Charakter, und meine Grund - ſaͤtze nicht aufopfern muß! — —
Jch33Jch waͤhlte ihn, ich uͤbergab ihm mein Wohl, meinen Ruhm, mein Leben; ich bin ihm mehr Ergebenheit, und mehr Dank ſchuldig, als ich meinem Gemahl unter andern Umſtaͤnden ſchuldig waͤre.
O wenn ich einſt in England in mei - nem eignen Hauſe bin, und Mylord in Geſchaͤfften ſeyn wird, die dem Stolz ſei - nes Geiſtes angemeſſen ſind: dann wird, hoffe ich, ſein wallendes Blut im ruhigen Schooße ſeiner Familie ſanfter fließen lernen, ſein Stolz in edle Wuͤrde ſich verwandeln, und ſeine Haſtigkeit tu - gendhafter Eifer fuͤr ruͤhmliche Thaten werden. Dieſen Muth werd’ ich unter - halten, und, da ich nicht ſo gluͤcklich war, eine Griechinn der alten Zeiten zu ſeyn, mich bemuͤhen, wenigſtens eine der beſten Englaͤnderinnen zu werden.
Verwuͤnſcht ſeyſt du mit deinen Vorher - ſagungen; was hatteſt du ſie in meine Liebesgeſchichte zu mengen? Meine Be - zauberung wuͤrde nicht lange dauern, ſagteſt du! wie zum Henker konnte dein Dummkopf dieſes in Paris ſehen, und ich hier ſo ganz verblendet ſeyn? — Aber Kerl, du haſt doch nicht ganz recht! Du ſprachſt von Saͤttigung; dieſe hab’ ich nicht, und kann ſie nicht haben, weil mir noch viel von der Jdee des Genuſſes fehlt; und den - noch kann ich ſie nicht mehr ſehen! — Mei - ne Sternheim, meine eigene Lady nicht mehr ſehen! Sie, die ich fuͤnf Monate lang bis zum Unſinn liebte! Aber ihr Verhaͤng - niß hat mein Vergnuͤgen, und ihre Geſin - nungen gegen einander geſtellt; mein Herz wankte zwiſchen beyden; ſie hat die Macht der Gewohnheit miskannt; ſie hat die feu - rigen Umarmungen ihres Liebhabers bloß mit der matten Zaͤrtlichkeit einer froſtigenEhe -35Ehefrau erwiedert; kalte — mit Seuf - zen unterbrochene Kuͤſſe gab ſie mir, ſie, die ſo lebhaft mitleidend, ſie, die ſo ge - ſchaͤfftig, ſo brennend eifrig fuͤr Jdeen, fuͤr Hirngeſpenſter ſeyn kann! Wie ſuͤß, wie anfeſſelnd, hab’ ich mir ihre Liebe, und ihren Beſitz vorgeſtellt! wie begierig war ich auf die Stunde, die mich zu ihr fuͤhrte! Pferde, Poſtknechte, und Bedienten haͤt - te ich der Geſchwindigkeit meiner Reiſe aufopfern wollen. Stolz auf ihre Ero - berung, ſah’ ich den Fuͤrſten und ſeine Helfer mit Verachtung an. Mein Herz, mein Puls klopften vor Freude, als ich das Dorf erblickte, wo ſie war, und bey - nah haͤtt’ ich aus Ungeduld meine Piſtole auf den Kerl losgefeuert, der meine Chaiſe nicht gleich aufmachen konnte. Jn fuͤnf Schritten war ich die Treppe hinauf. Sie ſtund oben in engliſcher Kleidung, weiß, ſchoͤn, majeſtaͤtiſch ſah ſie aus; mit Entzuͤckung ſchloß ich ſie in meine Arme. Sie bewillkommte mich ſtam - melnd; wurde bald roth, bald blaß. Jh - re Niedergeſchlagenheit haͤtte mich gluͤck -C 2lich36lich gemacht, wenn ſie nur einmal die Miene des Schmachtens der Liebe gehabt haͤtte; aber alle ihre Zuͤge waren allein mit Angſt und Zwang bezeichnet. Jch gieng mich umzukleiden, kam bald wie - der, und ſah durch eine Thuͤre ſie auf der Bank ſitzen, ihre beyden Arme um den Vorhang des Fenſters geſchlungen, alle Muskeln angeſtrengt, ihre Augen in die Hoͤhe gehoben, ihre ſchoͤne Bruſt von ſtarkem tiefen Athemholen, langſam be - wegt; kurz, das Bild der ſtummen Ver - zweiflung! Sage, was fuͤr Eindruͤcke mußte das auf mich machen? Was ſollt’ ich davon denken? Meine Ankunft konnte ihr neue, unbekannte Erwartungen ge - ben; etwas bange mochte ihr werden; aber wenn ſie Liebe fuͤr mich gehaht haͤt - te, war wohl dieſer ſtarke Kampf natuͤr - lich? Schmerz und Zorn bemaͤchtigten ſich meiner; ich trat hinein; ſie fuhr zu - ſammen, und ließ ihre Arme, und ihren Kopf ſinken; ich warf mich zu ihren Fuͤſ - ſen, und faßte ihre Knie mit ſtarren be - benden Haͤnden.
„ Laͤcheln37„ Laͤcheln Sie, Lady Sophie, laͤcheln „ Sie, wenn Sie mich nicht unſinnig „ machen wollen — ſchrie ich ihr zu.
Ein Strom von Thraͤnen floß aus ih - ren Augen. Meine Wuth vergroͤßerte ſich, aber ſie legte ihre Arme um meinen Hals, und lehnte ihren ſchoͤnen Kopf auf meine Stirne.
„ Theurer Lord, o, ſeyn Sie nicht boͤſe, „ wenn Sie mich noch empfindlich fuͤr „ meine ungluͤckliche Umſtaͤnde ſehen; „ ich hoffe, durch Jhre Guͤte alles zu „ vergeſſen.
Jhr Hauch, die Bewegung ihrer Lippen, die ich, indem ich redte, auf meiner Wange fuͤhlte, einige Zaͤhren, die auf mein Geſicht fielen, loͤſchten meinen Zorn, und gaben mir die zaͤrtlichſte, die gluͤcklichſte Empfindung, die ich in dreyen Wochen mit ihr genoß. Jch umarmte, ich beruhigte ſie, und ſie gab ſich Muͤhe den uͤbrigen Abend, und beym Speiſen zu laͤcheln. Manchmal deckte ſie mir mit allem Zauber der jung - fraͤulichen Schamhaftigkeit die Augen zu, wenn ihr meine Blicke zu gluͤhend ſchienen.
C 3Reizen -38Reizende Creatur, warum bliebſt du nicht ſo geſinnt? warum zeigteſt du mir deine ſympathetiſche Neigung zu Sey - mour?
Die uͤbrigen Tage ſuchte ich munter zu ſeyn. Jch hatte ihr eine Laute mitgebracht, und ſie war gefaͤllig genug, mir ein artiges welſches Liedchen zu ſingen, welches ſie ſelbſt gemacht hatte, und worinn ſie die Venus um ihren Guͤrtel bat, um das Herz, ſo ſie liebte, auf ewig damit an ſich zu ziehen. Die Gedanken waren ſchoͤn und fein ausgedruͤckt, die Melodie ruͤhrend, und ihre Stimme ſo voll Affect, daß ich ihr mit der ſuͤßeſten und ſtaͤrkſten Leiden - ſchaft zuhoͤrte. Aber mein ſchoͤner Traum verflog durch die Beobachtung, daß ſie bey den zaͤrtlichſten Stellen, die ſie am beſten ſang, nicht mich, ſondern mit haͤn - gendem Kopfe die Erde anſah, und Seuf - zer ausſtieß, welche gewiß nicht mich zum Gegenſtande hatten. Jch fragte ſie am Ende, ob ſie dieſes Lied heute zum er - ſtenmale geſungen? Nein, ſagte ſie erroͤ - thend; dieſes veranlaßte noch einige Fra -gen39gen, uͤber die Zeit, da ſie angefangen haͤt - te, gut fuͤr mich zu denken, und uͤber ih - re Geſinnungen fuͤr Seymour. Aber verdammt ſey die Freymuͤthigkeit, mit welcher ſie mir antwortete; denn damit hat ſie alle Knoten losgemacht, die mich an ſie banden. Hundert Kleinigkeiten, und ſelbſt die Muͤhe, die es ſie koſtete, zaͤrt - lich und froͤhlich zu ſeyn, uͤberzeugten mich, daß ſie mich nicht liebte. Ein we - nig Achtung fuͤr meinen Witz und fuͤr mei - ne Freygebigkeit, die Freude nach Eng - land zu kommen, und kalter Dauk, daß ich ſie von ihren Verwandten, und dem Fuͤrſten befreyet hatte: dieß war alles, was ſie fuͤr mich empfand, alles, was ſie in meine Arme brachte! Ja, ſie war un - vorſichtig genug, mir auf meine verliebte Bitte, die Eigenſchaften zu nennen, die ſie am meiſten an mir lieben wuͤrde, — nichts anders als ein Gemaͤhlde von Sey - mour vorzuzeichnen; und immer betrieb ſie unſere Reiſe nach Florenz; deutliches Anzeigen, daß ſie nicht fuͤr das Gluͤck meiner Liebe, ſondern fuͤr die Befriedi -C 4gung40gung ihres Ehrgeizes bedacht war! denn ſie vergiftete alle Tage ihres Beſitzes durch dieſe Erinnerung, welcher ſie alle moͤgli - che Wendungen gab, ſo gar, daß ſie mich verſicherte, ſie wuͤrde mich erſt in Florenz lieben koͤnnen. Sie vergiftete, ſagt’ ich, dir mein Gluͤck, aber auch zugleich mein Herz, welches naͤrriſch genug war, ſich zuweilen meine falſche Heurath gereuen zu laſſen, und ſehr oft ihre Partie wider mich ergriff. Jn der dritten Woche fraß das Uebel um ſich. Jch hatte ihr engli - ſche Schriften gegeben, die mit dem feu - rigſten und lebendigſten Gemaͤhlden der Wolluſt angefuͤllt waren. Jch hoffte, daß einige Funken davon, die entzuͤndbare Seite ihrer Einbildungskraft treffen ſoll - ten: aber ihre widerſinnige Tugend ver - brannte meine Buͤcher, ohne ihr mehr zu erlauben, als ſie durchzublaͤttern, und zu verdammen. Der Verluſt der Buͤcher, und meiner Hoffnung brachte einen klei - nen Ausfall von Unmuth hervor, den ſie mit gelaſſener Tapferkeit aushielt. Zween Tage hernach, kam ich an ihren Nacht -tiſch41tiſch, juſt wie ihre ſchoͤnen Haare gekaͤmmt wurden; ihre Kleidung war von weißem Muſſelin, mit rothem Taft, nett an den Leib angepaßt, deſſen ganze Bildung das vollkommenſte Ebenmaaß der griechiſchen Schoͤnheit iſt; wie reizend ſie ausſah! ich nahm ihre Locken, und wand ſie unter ihrem rechten Arme um ihre Huͤften. Milton’s Bild der Eva kam mir in den Sinn. Jch ſchickte ihr Kammermenſch weg, und bat ſie, ſich auf einen Augen - blick zu entkleiden, um mich ſo gluͤcklich zu machen, in ihr den Abdruck des erſten Meiſterſtuͤcks der Natur zu bewundern. *)Welche Zumuthung, Mylord Derby? Konn - ten Sie ihre Zeit nicht beſſer nehmen. H.Schamroͤthe uͤberzog ihr ganzes Geſicht; aber ſie verſagte mir meine Bitte gerade zu; ich drang in ſie, und ſie ſtraͤubte ſich ſo lan - ge, bis Ungeduld und Begierde mir einga - ben ihre Kleidung vom Hals an durchzureiſ - ſen, um auch wider ihren Willen zu meinem Endzweck zu gelangen. Sollteſt du glau - ben, wie ſie ſich bey einer in unſern Umſtaͤn - den ſo wenig bedeutenden Freyheit gebehr -C 5dete?42dete? — „ Mylord, rief ſie aus, Sie „ zerreiſſen mein Herz, und meine Liebe fuͤr „ Sie; niemals werd’ ich Jhnen dieſen „ Mangel feiner Empfindungen vergeben! „ O Gott, wie verblendet war ich! “— Bittere Thraͤnen, und heftiges Zuruͤckſtoſ - ſen meiner Arme, begleiteten dieſe Ausru - fungen. Jch ſagte ihr trocken: ich waͤre ſicher, daß ſie dem Lord Seymour dieſe Unempfindlichkeit fuͤr ſein Vergnuͤgen nicht gezeigt haben wuͤrde. „ Und ich bin ſicher, „ ſagte ſie im hohen tragiſchen Ton, daß „ Mylord Seymour mich einer edlern, und „ feinern Liebe werth gehalten haͤtte.
Haſt du jemals die Narrenkappe einer ſonderbaren Tugend mit wunderlichern Schellen behangen geſehen, als daß ein Weib ihre vollkommenſte Reize nicht geſe - hen, nicht bewundert haben will? Und wie albern eigenſinnig war der Unter - ſchied, den ſie zwiſchen meinen Augen, und meinem Gefuͤhl machte? Jch wollt’ es Nachmittags von ihr ſelbſt erklaͤrt wiſ - ſen, aber ſie konnte mit allem Nach - ſinnen nichts anders ſagen, als daß ſiebey43bey Entdeckung der beſten moraliſchen Ei - genſchaften ihrer Seele, die nehmliche Widerſtrebung aͤußern wuͤrde, ungeachtet ſie mir geſtund, daß ſie mit Vergnuͤgen be - merkte, wenn man von ihrem Geiſt, und von ihrer Figur vortheilhaft urtheile; dennoch wolle ſie lieber dieſes Vergnuͤgen entbehren, als es durch ihre eigene Be - muͤhung erlangen. *)Jn der That loͤſet dieſe Antwort das Raͤth - ſel gar nicht auf. Mylord Derby erſparte ihr ja dieſe eigene Bemuͤh[u] ng — Warum wurde ſie dennoch ſo ungehalten? War - um ſagte ſie, er zerreiſſe ihr Herz, da er doch nur ihr Deshabille zerriß? — Ver - muthlich, weil ſie ihn nicht liebte, nicht zu einer ſolchen Scene durch die gehoͤrige Gra - dation vorbereitet, und uͤberhaupt in einer Gemuͤthsverfaſſung war, welche einen zu ſtar - ken Abſatz von der ſeinigen machte, um ſich zur Gefaͤlligkeit fuͤr einen Einfall, in welchem mehr Muthwillen als Zaͤrtlichkeit zu ſeyn ſchien, herabzulaſſen. H.Denkſt du wohl, daß ich mit dieſem verkehrten Kopfe ver - gnuͤgt ſollte leben koͤnnen? Dieſes Gemi - ſche von Verſtand und Narrheit hat ihrganzes44ganzes Weſen durchdrungen, und gießt Traͤgheit und Unluſt uͤber alle Bewegun - gen meiner muntern Fibern aus. Sie iſt nicht mehr die Creatur, die ich liebte; ich bin alſo auch nicht mehr verbunden, das zu bleiben, was ich ihr damals zu ſeyn ſchien. — Sie ſelbſt hat mir den Weg gebahnt, auf welchem ich ihren Feſ - ſeln entfliehen werde. Der Tod meines Bruders ſtimmt ohnehin die Saiten mei - ner Leyer auf einen andern Ton; Jch muß vielleicht bald nach England zuruͤcke, und dann kann Seymour ſein Gluͤcke bey meiner Witwe verſuchen; denn ich denke, ſie wird’s bald ſeyn; und bloß ih - rem eigenen Betragen wird ſie dieß zu danken haben. Da ſie ſich fuͤr meine Ehefrau haͤlt, war es nicht ihre Pflicht, ſich in allem nach meinem Sinne zu ſchi - cken? Hat ſie dieſe Pflicht nicht gaͤnzlich aus den Augen geſetzt? Liebt ſie nicht ſo gar einen andern? Und iſt es alſo nicht billig und recht, daß der Betrug, den ihr Ehrgeiz an mir begangen, auch durch mich an ihrem Ehrgeiz geraͤchet werde? Freu -dig45dig ſeh ich um mich her, wenn ich beden - ke, das ich das auserwaͤhlte Werkzeug war, durch welches die Niedertraͤchtigkeit ihres Oheims, die Luͤſternheit des Fuͤrſten, und die Dummheit der uͤbrigen Helfer ge - ſtraft wurde! Es iſt ja ein angenomme - ner Lehrſatz; daß die Vorſicht ſich der Boͤſewichter bediene, um die Vergehun - gen der Frommen zu ahnden. Jch war alſo nichts als die Maſchine, durch welche das Weglaufen der Sternheim ge - buͤßt werden ſollte; dazu wurde mir auch das noͤthige Pfund von Gaben und Ge - ſchicklichkeit gegeben. Meine Belohnung hab’ ich genoſſen. Sie moͤgen ſich nun ſammt und ſonders ihre erhaltene Zuͤchti - gung zu Nutz machen!
Wiſſe uͤbrigens, daß ich wuͤrklich der Vertraute von Seymourn geworden bin. Auf einem Dorfe ſaß er, und beheulte den Verluſt der Tugend des Maͤdchens, waͤhrend, daß ich es in aller Stille auf der andern Seite unter Dach brachte, und ihn belachte. Er wollte von mir wiſſen, wer wohl der Gemahl, mit demſie46ſie, nach ihrem Briefe, entflohen waͤre, ſeyn koͤnnte? Er hat Couriere nach Flo - renz abgeſchickt; aber ich hab’ ein Mittel gefunden, ſeinen Nachſpuͤrungen Einhalt zu thun, da ich in dem letzten Billet, das mir die Sternheim nach D. geſchrieben hatte, alle Worte abriß, die mich haͤtten verrathen koͤnnen, und das uͤbrige Stuͤck unter die Papiere des Sekretairs John warf, uͤber deſſen Ausbleiben man ſtutzig wurde, und ſein Zimmer auf mein An - rathen ausſuchte. Bey dieſem Stuͤck Pa - pier wurden dann die Vermuthungen auf ihn feſtgeſetzt, und er fuͤr den Erloͤſer er - klaͤrt, den ſich das feine Maͤdchen erwaͤhlt habe. Eine Sache, die man als den Beweis anſah, daß lauter buͤrgerliche Begriffe und Neigungen in ihrer Seele herrſchen; und ein Text, woruͤber nun die adelichen Muͤtter ihren Toͤchtern gegen die Heurathen außer Stand Jahre lang predigen werden. Seymours Liebe ver - ſinkt in Unmuth und Verachtung; er nennt ihren Namen nicht mehr, und ſchickt keine Couriere mehr fort, — ich abererwarte47erwarte einen aus England, und dann wirſt du erfahren, ob ich zu dir komme oder nicht.
O meine Schweſter, wie ſoll ich dir den entſetzlichen Jammer beſchreiben, der uͤber unſer geliebtes Fraͤulein gekommen iſt! — Lord Derby! Gott wird ihn ſtrafen, und muß ihn ſtrafen! der abſcheuliche Mann! er hat ſie verlaſſen, und iſt allein nach England gereiſt. Seine Heurath war falſch; ein gottloſer Bedienter, wie ſein Herr, in einen Geiſtlichen verkleidet, ver - richtete die Trauung. Ach, meine Haͤn - de zittern es zu ſchreiben; der ſchaͤndliche Boͤſewicht kam ſelbſt mit dem Abſchieds - briefe, damit uns ſein Geſicht keinen Zweifel an unſerm Ungluͤck uͤbrig laſſen ſollte. Der Lord ſagte: die Dame haͤtteihn48ihn nicht geliebt, ſondern nur immer Mylord Seymourn im Herzen gehabt; dieſes haͤtte ſeine Liebe ausgeloͤſcht, ſonſt waͤre er unveraͤndert geblieben. Der ruchloſe Menſch! Ewiger Gott! Jch, ich habe auch zu der Heurath geholfen! Waͤr’ ich nur zum Lord Seymour ge - gangen! ach wir waren beyde verblen - det — ich darf unſere Dame nicht an - ſehen; das Herz bricht mir; ſie ißt nichts; ſie iſt den ganzen Tag auf den Knien vor einem Stuhl, da hat ſie ihren Kopf lie - gen; unbeweglich, außer, daß ſie manch - mal ihre Arme gen Himmel ſtreckt, und mit einer ſterbenden Stimme ruft: ach Gott, ach mein Gott!
Sie weint wenig, und nur ſeit heute; die erſten zween Tage fuͤrchtete ich, wir wuͤrden beyde den Verſtand verlieren, und es iſt ein Wunder von Gott, daß es nicht geſchehen iſt.
Zwo Wochen hoͤrten wir nichts vom Lord; ſein Kerl reiſte weg, und fuͤnf Tage darnach kam der Brief, der uns ſo ungluͤcklich machte. Der verfluchte Boͤſe -wicht49wicht gab ihn ihr ſelbſt. Blaß und ſtarr wurde ſie; endlich, ohne ein Wort zu ſa - gen, zerriß ſie mit der groͤßten Heftigkeit ſeinen Brief, und noch ein Papier, warf die Stuͤcke zu Boden, deutete mit einer Hand darauf, und mit einem erbaͤrmli - chen Ausdruck von Schmerzen ſagte ſie dem Kerl: geh, geh; zugleich aber fiel ſie auf ihre Knie, faltete ihre Haͤnde, und blieb uͤber zwo Stunden ſtumm, und wie halb todt liegen. Was ich ausſtund, kann ich dir nicht ſagen; Gott weiß es allein! Jch kniete neben ſie hin, faßte ſie in meine Arme, und bat ſie ſo lange mit tauſend Thraͤnen, bis ſie mir mit gebro - chener matter Stimme und ſtotternd ſag - te: Derby verlaſſe ſie — ihre Heurath waͤre falſch, und ſie haͤtte nichts mehr zu wuͤnſchen als den Tod. — Sie will ſich nicht raͤchen; bey dir, liebſte Schweſter, will ſie ſich verbergen. Uebermorgen rei - ſen wir ab; ach Gott ſey uns gnaͤdig auf unſerer Reiſe! Du mußt ſie aufnehmen; Dein Mann wird es auch thun, und ihr rathen. Wir nehmen nichts mit, wasII Theil. Dvom50vom Lord da iſt; Seinen Wechſelbrief von ſechshundert Carolinen hat ſie zerriſſen. All ihr Geld belaͤuft ſich auf dreyhundert; davon giebt ſie den zwoen Maͤdchen noch funfzig, und den andern Armen noch funf - zig. Jhr Schmuck und ein Coffre mit Kleidern iſt alles, was wir mitbringen. Du wirſt uns nicht mehr kennen, ſo elend ſehen wir aus. Sie ſpricht mit niemand mehr, der Bruder von den zwoen Maͤd - chen fuͤhrt uns den halben Weg zu dir. Wir ſuchen Troſt bey dir, liebe Schwe - ſter! Sie moͤchte dir ſelbſt ſchreiben, und kann kaum die lieben wohlthaͤtigen Haͤn - de bewegen. Jch darf nicht nachdenken, wie gut ſie gegen alle Menſchen war, und nun muß ſie ſo ungluͤcklich ſeyn! Aber Gott muß und wird ſich ihrer an - nehmen.
O meine Emilia, wenn aus dieſem Ab - grunde von Elend die Stimme Jhrer Jugendfreundinn noch zu Jhrem Herzen dringt, ſo reichen Sie mir Jhre liebreiche Hand; laſſen Sie mich an Jhrer Bruſt meinen Kummer und mein Leben auswei - nen. O wie hart, wie grauſam werde ich fuͤr den Schritt meiner Entweichung beſtraft! O Vorſicht —
Ach! ich will nicht mit meinem Schick - ſal rechten. Das erſtemal in meinem Le - ben erlaube ich mir einen Gedanken von Rache, von heimlicher Liſt; muß ich es nicht als eine billige Beſtrafung an - nehmen, daß ich in die Haͤnde der Bos - heit und des Betrugs gefallen bin? Warum glaubte ich dem Schein? — aber, o Gott! wo, wo ſoll ein Herz wie dieß, das du mir gabſt, wo ſoll es den Gedanken hernehmen, bey einer edeln,D 2bey52bey einer guten Handlung boͤſe Grund - ſaͤtze zu argwohnen!
Eigenliebe, du machteſt mich elend; du hießeſt mich glauben, Derby wuͤrde durch mich die Tugend lieben lernen! — Er ſagt: er haͤtte nur meine Hand, ich aber ſein Herz betrogen. Grau - ſamer, grauſamer Mann! was fuͤ einen Gebrauch machſt du von der Aufrichtig - keit meines Herzens, das ſo redlich be - muͤht war, dir die zaͤrtlichſte Liebe und Achtung zu zeigen! du glaubſt nicht an die Tugend, ſonſt wuͤrdeſt du ſie in mei - ner Seele geſucht und gefunden haben.
Wahr iſt es, meine Emilia, ich hatte Augenblicke, wo ich meine Befreyung von den Haͤnden des Mylord Seymour zu erhalten gewuͤnſcht haͤtte; aber ich riß den Wunſch aus meinem Herzen; Dank - barkeit und Hochachtung erfuͤllten es fuͤr den Mann, den ich zu meinem Gemahl nahm — toͤdtender Name, wie konnte ich dich ſchreiben — aber mein Kopf, meine Empfindungen ſind verwuͤſtet, wie es mein Gluͤck, mein Ruhm, und meineFreude53Freude ſind. Jch bin in den Staub ernie - driget; auf der Erde liege ich, und bitte Gott, mich nur ſo lange zu erhalten, bis ich bey Jhnen bin, und den Troſt ge - nieße, daß Sie die Unſchuld meines Her - zens ſehen, und eine mitleidige Thraͤne uͤber mich weinen. Alsdann, o Schick - ſal, dann nimm es, dieſes Leben, wel - ches mit keinem Laſter beſchmutzt, aber ſeit vier Tagen durch deine Zulaſſung ſo elend iſt, daß es ohne die Hoffnung eines baldigen Endes unertraͤglich waͤre.
Jch reiſe nach England, und komme vorher zu dir. Sage mir nichts von meiner letzten Liebe; ich will nicht mehr daran denken; es iſt genug an der un - ruhigen Erinnerung, die ſich mir wider meinen Willen aufdringt. Meine halbe Lady iſt fort, aus dem Dorfe, wo ihrem abentheuerlichen Charakter ein abentheu - erliches Schickſal zugemeſſen wurde; mitD 3ſtolzem54ſtolzem Zorn iſt ſie fort; meinen Wechſel - brief zerriß ſie in tauſend Stuͤcke, und alle meine Geſchenke hat ſie zuruͤckgelaſſen Jch haͤtte ſie bald deswegen wieder einge - hohlt, aber wenn ſie mir meine Streiche vergeben koͤnnte, ſo wuͤrde ich ſie verach - ten. Lieben kann ſie mich nach allem die - ſem unmoͤglich, und ich haͤtte nicht mehr gluͤcklich mit ihr ſeyn koͤnnen; wozu wuͤr - de alſo die Verlaͤngerung meiner Rolle gedient haben? Sie muß doch immer meine Wahrheitsliebe verehren, und mei - ne Kenntniſſe der geheimſten Triebfedern unſrer Seele bewundern. Jch verließ ſie, unſchluͤßig, was ich mit ihr und mei - nem Buͤndniß machen ſollte; aber ihre unaufhoͤrliche Anfoderung, ſie nach Flo - renz zu fuͤhren, und die Drohung auch ohne mich abzureiſen, brachte mich dahin, ihr ganz trocken zu ſchreiben:
„ Jch ſehe wohl, daß ſie ſich meiner Lie - „ be nur bedient habe, um ihren Oheim „ Loͤbau zu entgehen, und ihren Ehr - „ geiz in Sicherheit zu ſetzen, daß ſie „ das Gluͤck meiner Liebe, und meines„ Herzens55„ Herzens niemals in Betrachtung gezo - „ gen, indem ſie mir nicht den gering - „ ſten Zug meines eigenen Charakters „ zu gut gehalten, und mich nur dann „ geachtet habe, wenn ich mich nach „ ihren Phantaſien gebogen, und mei - „ ne Begriffe mit ihren Grillen geputzt; „ es ſey mir unmoͤglich dem Gemaͤlde gleich zu werden, welches ſie mir „ von den beliebten Eigenſchaften ihres „ Mannes vorgezeichnet, indem ich nicht „ Seymour waͤre, fuͤr welchen allein ſie „ die zaͤrtliche Leidenſchaft naͤhrte, die ich „ von ihr zu verdienen gewuͤnſcht haͤt - „ te; ihre Beſtuͤrzung, wenn ich ihn ge - „ nennt, ihre Sorgſamkeit nicht von ihm „ zu reden, ja ſelbſt die Liebkoſungen, „ die ſie mir zu Vertilgung meines Arg - „ wohns gemacht — waͤren lauter Be - „ kraͤftigungen der Fortdauer ihrer Nei - „ gung zu Seymour. Sie waͤre die „ Erſte, welche mich zu dem Entſchluſſe „ mich zu vermaͤhlen gebracht haͤtte; „ dennoch aber haͤtt’ ich noch ſo viel „ Vorſichtigkeit uͤbrig behalten, michD 4„ zuvor56„ zuvor ihrer ganzen Geſinnungen ver - „ ſichern zu wollen; hierzu haͤtte mir „ die Maske des Prieſterrocks, den ei - „ ner meiner Leute angezogen, die Ge - „ legenheit verſchafft. Meine Liebe und „ Ehre wuͤrde dadurch eben ſo feſt ge - „ bunden geweſen ſeyn, als durch die „ Trauung, und wenn ſie der Primas „ von England, oder der Pabſt ſelbſt „ verrichtet haͤtte; aber da die Verei - „ nigung unſerer Gemuͤther als das „ erſte Hauptſtuͤck fehlte, ſo waͤre es „ gut, daß wir uns ohne Zeugen und „ Gepraͤnge trennten, wie wir uns „ verbunden haͤtten, weil ich nicht nie - „ dertraͤchtig genug ſey, mich mit dem „ bloßen Beſitz ihrer reizenden Perſon „ zu vergnuͤgen, ohne Antheil an ihrem „ Herzen zu haben, und nicht einfaͤltig „ genug, um ſie fuͤr den Lord Seymour „ nach England zu fuͤhren; ſie haͤtte „ nicht Urſache uͤber mich zu klagen, „ denn ich waͤre es, der ſie den Verfol - „ gungen des Fuͤrſten, und der Gewalt „ ihres Oncles entriſſen; ich haͤtte nur„ ihre57„ ihre Hand, ſie aber, weil ſie die Liebe „ nicht fuͤr mich gefuͤhlt habe, welcher „ ſie mich verſichert, haͤtte mein Herz „ betrogen; und nun ſchenke ich ihr ihre „ volle Freyheit wieder.
Jch ſchickte den Kerl ab, und gieng nach B. bey meiner Taͤnzerinn ein ohn - fehlbares Mittel gegen alle Gattungen von unruhigen Gedanken zu ſuchen; auch gab ſie mir einen guten Theil meiner Munterkeit wieder.
Mein Bruder koͤnnte zu keiner geleg - nern Zeit geſtorben ſeyn, als itzt. Mei - ne Gelder wurden ſeltner geſchickt, und dieſer naͤrriſche Roman war ein wenig koſtbar; doch, ſie verdiente alles. Haͤtte ſie mich nur geliebt, und ihre Schwaͤrme - rey abgeſchworen! — Jch war naͤrriſch genug, mich meinen Brief gereun zu laſ - ſen, und ließ vor zween Tagen nach ihr fragen; aber weg war ſie; und alles wohl erwogen, hat ſie recht daran ge - than; wir koͤnnen und ſollen uns nicht mehr ſehen. Jhre Briefe, ihr Bildniß hab ich zerriſſen, wie ſie meinen Wechſel;D 5aber58aber D., wo alles von ihr ſpricht, wo mich alles an ſie erinnert, iſt mir uner - traͤglich. Halte mir eine luſtige Bekannt - ſchaft zurechte, wie ſie fuͤr einen engli - ſchen Erben gehoͤrt, um meine wieder erhaltene Portion Freyheit mit ihr zu ver - zehren. Denn mein Vater wird mir das Joch uͤber den Hals werfen, ſo bald ich ihm nahe genug dazu ſeyn werde. Er kann mir geben, welche er will; keine Liebe bring ich ihr nicht zu. Das wenige was von meinem Herzen noch uͤbrig war, hat mein deutſches Landmaͤdchen aufge - zehrt; — der Platz iſt nun voͤllig leer, ich fuͤhle es; hier und da ſchwaͤrmen noch einige verirrte Lebensgeiſter herum, und wenn ich ihnen glaubte, ſo fluͤſterten ſie mir was von dem Bilde meiner vierzigtaͤ - gigen Gemahlin zu, deren Schatten noch darinn herumwandern ſoll; aber ich achte nicht auf dieſes Geſumſe. Meine Ver - nunft und die Umſtaͤnde reden meinem ausgefuͤhrten Plan das Wort; und am Ende iſt es doch nichts anders, als die Ge - wohnheit, die mir ihr Bild in D. zuruͤck -ruft,59ruft, wo ich ſie in allen Geſellſchaften zu ſehen pflegte, und immer von ihr reden hoͤre. — Aber bey dem allen ſchwoͤr’ ich dir, nimmermehr ſoll eine Methaphyſi - kerinn, noch eine Moraliſtinn meine Ge - liebte werden. Ehrgeiz und Wolluſt al - lein haben Leute in ihren Dienſten, die Unternehmungen wagen, und ausfuͤhren helfen! auch ſind dieſes die einzigen Gott - heiten, die ich kuͤnftig verehren will; Je - ner, weil ich von ihm ſo viel Anſehen und Gewalt zu erlangen hoffe, um alle Gat - tungen des Vergnuͤgens in meinen Schutz zu nehmen und zu vertheidigen, bis ich einſt die liebenswuͤrdigſte davon bey einer Parlamentswahl erſaͤufe, oder bey einem Pferderennen den Kopf zerquetſche. Ha, ſiehſt du, wie ſchoͤn die gewoͤhnlichen Lordseigenſchaften in mir erwacht ſind; erſt durch alle ſeine Raͤnke ein artiges Maͤdchen an mich gezogen, und ſie denen entriſſen, durch welche ſie gluͤcklich gewor - den waͤre; unſinnige Verſchwendungen gemacht, und wenn man alles deſſen ſatt iſt, den Ton eines Patrioten bey Wette -rennen60rennen und Wahlen angenommen und der Zeit uͤberlaſſen, was nach dieſen verſchie - denen Aufgaͤhrungen in dem Faß nuͤtzli - ches uͤbrig bleiben mag. —
Hier, meine Freundin, muß ich ſelbſt wieder das Wort nehmen, und ihnen von dem, was auf die ungluͤckliche Veraͤnde - rung in dem Schickſal meiner geliebten Dame gefolget iſt, eine zuſammenhan - gende Geſchichte zu liefern.
Das Haus meiner Schweſter war itzt der einzige Ort, wohin wir in dieſen Um - ſtaͤnden Zuflucht nehmen konnten. Man durfte ihr weder von Rache, noch von Behauptung ihrer Rechte ſprechen; und der Gedanke auf ihre Guͤter zu gehen, war in dieſen Umſtaͤnden auch nicht zu faſſen. Jhr Kummer war ſo groß, daß ſie hoffte, er wuͤrde ſie toͤdten; ich glaube auch, daß es geſchehen waͤre, wenn wir uns laͤnger in dem Hauſe aufgehalten haͤtten, wo die ungluͤckliche Heurath vollzogen wor -den61den war. Da ich bey den Zuruͤſtungen auf unſre Abreiſe ein paar mal die Thuͤre des Wohnzimmers von Lord Derby oͤff - nete, und ſie einen Blick hinwarf, glaubte ich, ihr Schmerz wuͤrde ſie auf der Stelle erſticken. Sie blieb mit dem aͤußerſten Jammer beladen in meinem Zimmer, waͤh - rend, daß ich einpacken mußte. Aber alle Geſchenke von Lord Derby, welche ſehr ſchoͤn und in großer Menge da wa - ren, mußte ich der Wirthinn uͤbergeben. Wir nahmen nichts als das wenige zu - ſammen, ſo wir von unſrer Flucht aus D. mitgebracht hatten. Die Wirthinn, welche auf einen Monat voraus bezahlt war, wollte uns noch behalten; aber wir reiſten den zweyten Tag, von ihrem Seegen fuͤr uns, und Fluͤchen uͤber den gottloſen Lord begleitet, Morgens um vier Uhr ab.
Still und blaß wie der Tod, die Au - gen zur Erde geſchlagen, ſaß meine liebe Dame bey mir; kein Wort, keine Thraͤne erleichterte ihr beklemmtes Herz; zween Tage reiſten wir durch herrliche Land -ſchaften,62ſchaften, ohne daß ſie auf etwas achtete; nur manchmal umfaßte ſie mich mit einer heftigen gichteriſchen Bewegung, und legte ihren Kopf einige Augenblicke auf meine Bruſt; Jch wurde immer aͤngſtiger, und weinte mit lauter Stimme; daruͤber ſah ſie mich ruͤhrend an, und ſagte mit ihrem himmliſchen Ton, indem ſie mich an ſich druͤckte.
O meine Roſina, dein Kummer zeigt mir erſt den ganzen Umfang meines Elends. Sonſt laͤchelteſt du, wenn du mich ſahſt, und nun betruͤbt mein Anblick dein Herz! O, laß mich nicht denken, daß ich auch dich ungluͤcklich gemacht habe! ſey ruhig, du ſiehſt ja mich ganz gelaſſen.
Jch war froh, ſie wieder ſo viel reden zu hoͤren, und einige Zaͤhren aus ihren erſtorbnen Augen fallen zu ſehen; Jch antwortete:
ich wollte gerne ruhig ſeyn, wenn ich Sie nicht ſo niedergeſchlagen ſaͤhe, und wenn ich nur noch einige Funken der Zufriedenheit bey Jhnen bemerkte,die63die ſie ſonſt bey dem Anblick einer ſchoͤ - nen Gegend fuͤhlten.
Sie ſchwieg einige Minuten, und be - trachtete den Himmel um uns her; dann ſagte ſie unter zaͤrtlichen Weinen:
Es iſt wahr, liebe Roſina, ich lebe, als ob mein Ungluͤck alles Gute und Angenehme auf Erden verſchlungen haͤtte; und dennoch liegt die Urſache meines Jammers weder in den Ge - ſchoͤpfen, noch in ihrem wohlthaͤtigen Urheber. Warum bin ich von der vor - geſchriebenen Bahn abgewichen? —
Sie fieng darauf eine Wiederholung ihres Lebens, und der merkwuͤrdigſten Um - ſtaͤnde ihres Schickſals an. Jch ſuchte ſie mit ſich ſelbſt, und den Beweggruͤnden ihrer Handlungen, beſonders mit den Ur - ſachen ihrer heimlichen Heurath, und Flucht aus D., zufrieden zu ſtellen, und gewann doch ſo viel, daß ſie bey dem An - blick der vollen Scheuren, und dem Ge - wuͤhle der Herbſtgeſchaͤffte in den Doͤrfern die wir durchfuhren, vergnuͤgt ausſah, und ſich uͤber das Wohl der Landleutefreute.64freute. Aber der Anblick junger Maͤdchen, beſonders, die in einerley Alter mit ihr zu ſeyn ſchienen, brachte ſie in ihre vorige Traurigkeit, und ſie bat Gott mit gefal - teten Haͤnden, daß er ja jede reine wohl - denkende Seele ihres Geſchlechts, vor dem Kummer bewahren moͤge, der ihr zaͤrtli - ches Herz durchnage.
Unter dieſen Abwechslungen kamen wir gluͤcklich in Vaels an. Mein Schwager und meine Schweſter empfiengen uns mit allem Troſt der tugendhaften Freundſchaft, und ſuchten meine liebe Dame zu beruhigen; aber am fuͤnften Tage wurde ſie krank, und zwoͤlf Tage lang dachten wir nichts anders, als daß ſie ſterben wuͤrde. Sie ſchrieb auch einen kleinen Auszug ihres Verhaͤngniſſes, und ein Teſtament. Aber ſie erhohlte ſich wider ihr Wuͤnſchen; und als ſie wieder auf ſeyn konnte, ſetzte ſie ſich in die Kinderſtube meiner Emilia, und lehrte ihr kleines Pathgen leſen; dieſe Beſchaͤfftigung, und der Umgang mit meinem Schwager und meiner Schweſter, beruhigten ſie augenſcheinlich; ſo, daßman65mein Schwager es einmal wagte, ſie uͤber ihre Entſchließungen und Entwuͤrfe fuͤr die Zukunft zu befragen. Sie ſagte:
„ Sie haͤtte noch nichts bedacht, als „ daß ſie auf ihren Guͤtern ihr Leben „ beſchließen wollte; aber bis zu Ende „ der drey Jahre, fuͤr welche ſie dem „ Graf Loͤbau ihre Einkuͤnfte ver - „ ſichert haͤtte, wollte ſie nichts von „ ſich wiſſen laſſen; — und wir mußten ihrem eifrigen Anhalten hierinn nachgeben. Sie nahm eine fremde Benennung an; ſie wollte in Beziehung auf ihr Schickſal Madam Leidens heißen, und als eine junge Officiers - witwe bey uns wohnen. Sie verkaufte die ſchoͤnen Brillianten, welche die Bild - niſſe ihres Herrn Vaters und ihrer Frau Mutter umfaſſeten, und entſchloß ſich auch den uͤbrigen Theil ihres Schmucks zu Geld zu machen, und von den Zinſen zu leben; daneben aber wollte ſie Gutes thun, und einige arme Maͤdchen im Ar - beiten unterrichten.
II Theil. EDie -66Dieſer Gedanke wurde nachher die Grundlage zu dem uͤbrigen Theil ihres Schickſals. Denn eines dieſer Maͤdchen, welches von einer der reichſten Frauen in der Gegend aus der Taufe gehoben wor - den, gieng zu ihrer Pathe, um ihr etwas von der erlernten Arbeit zu weiſen. Dieſe Frau fragte nach der Lehrmeiſterinn, und drang hernach in meinen Schwager, daß er die Madam Leidens zu ihr bringen moͤchte, um eine wohlthaͤtige Schule in ihrem Hauſe zu errichten, und als Ge - ſellſchafterinn bey ihr zu leben. Meine Dame wollte es Anfangs nicht eingehen, indem ſie fuͤrchtete, zuviel bekannt zu werden; aber mein Schwager ſtellte ihr ſo eifrig vor, daß ſie eine Gelegenheit ver - ſaͤume, viel Gutes zu thun, daß er ſie end - lich uͤberredte, zumal da ſie dadurch das Haus ihrer Emilia zu erleichtern glaubte, wo ſie befuͤrchtete, Beſchwerden zu ma - chen, ohngeachtet ſie Koſtgeld bezahlte.
Sie kleidete ſich bloß in ſtreifige Lein - wand, zu Leibkleidern gemacht mit großen weißen Schuͤrzen, und Halstuͤchern, weilihr67ihr noch immer etwas englaͤndiſches im Sinne lag; ihre ſchoͤne Haare und Ge - ſichtsbildung verſteckte ſie in außerordent - liche große Hauben; ſie wollte ſich damit verſtellen, aber ihre ſchoͤne Augen, das Laͤcheln der edlen Guͤte, ſo unter den Zuͤgen des innerlichen Grams hervor - leuchtete, ihre feine Geſtalt und Stellung, und der artigſte Gang zogen alle Augen nach ſich, und Madam Hills war ſtolz auf ihre Geſellſchaft. Jhre Abreiſe ſchmerzte uns, denn der Wohnort von Madam Hills war drey Stunden entfernt; aber ihre Briefe troͤſteten uns wieder. Auch Sie werden ſie gewiß lieber leſen, als mein Geſchmier.
Erſt den zehnten Tag meines Hierſeyns ſchreibe ich Jhnen, meine ſchweſterliche Freundinn! bisher konnte ich nicht; meine Empfindungen waren zu ſtark und zu wallend, um den langſamen Gang meiner Feder zu ertragen. Nun haben mir Gewohnheit und zween heitere Mor - gen, und die Ausſicht in die ſchoͤnſte und freyeſte Gegend, das Maas von Ruhe wiedergegeben, das noͤthig war, um mich ohne Schwindel und Beaͤngſtigung die Stufen betrachten zu laſſen, durch welche mein Schickſal mich von der Hoͤhe des Anſehens und Vorzugs herunter gefuͤhrt hat. Meine zaͤrtlichſten Thraͤnen floſſen bey der Erinnerung meiner Jugend und Erziehung; Schauer uͤberfiel mich bey dem Gedanken an den Tag, der mich nach D. brachte, und ich eilte mit geſchloſſenen Augen bey der folgenden Scene voruͤber. Nur69Nur bey dem Zeitpuncte meiner Ankunft in Jhrem Hauſe verweilte ich mit Ruͤh - rung; denn nachdem mir das Verhaͤng - niß alles geraubt hatte, ſo war ich um ſo viel aufmerkſamer auf den Zufluchtsort, den ich mir gewaͤhlt hatte, und auf die Aufnahme, die ich da fand. Zaͤrtliches Mitleiden war in dem Geſichte meiner treuen Emilia, Ehrfurcht und Freund - ſchaft in dem von ihrem Manne gezeich - net; ich ſah, daß ſie mich unſchuldig glaubten, und mein Herz bedauerten; Jch konnte ſie als Zeugen meiner Unſchuld und Tugend anſehen. O, wie erquickend war dieſer Gedanke fuͤr meine gekraͤnkte Seele! Meine Thraͤnen des erſten Abends waren der Ausdruck des Danks fuͤr den Troſt, den mich Gott in der treuen Freundſchaft meiner Emilia hatte finden laſſen. Der zweyte Morgen war hart durch die wiederhohlte Erzaͤhlung aller Umſtaͤnde meiner jammervollen Geſchichte. Die Betrachtungen und Vorſtellungen ih - res Mannes troͤſteten mich, noch mehr aber meine Spaziergaͤnge in ihrem Hauſe, derE 3armen70armen uͤbelgebauten Huͤtte, worinn mit Jhnen alle Tugenden unſers Geſchlechts, und mit ihrem Manne alle Weisheit und Verdienſte des ſeinigen wohnen. Jch aß mit ihnen, ich ſah Sie bey Jhren Kin - dern; ſah die edle Genuͤgſamkeit mit Jh - rem kleinen Einkommen, Jhre zaͤrtliche muͤtterliche Sorgen, die vortreffliche Art, mit der Jhr Mann ſeine arme Pfarrkin - der behandelt. Dieſes, meine Emilia, goß den erſten Tropfen des Balſams der Beruhigung in meine Seele. Jch ſah Sie, die in ihrem ganzen Leben alle Pflichten der Klugheit und Tugend erfuͤl - let hatten, mit Jhrem Hochachtungswuͤr - digen Manne und fuͤnf Kindern unter der Laſt eines eiſernen Schickſals, ohne daß Jhnen das Gluͤck jemals zugelaͤchelt haͤt - te; Sie ertrugen es mit der ruͤhmlichſten Unterwerfung; und ich! ich ſollte fort - fahren uͤber mein ſelbſtgewebtes Elend ge - gen das Verhaͤngniß zu murren? Eigen - ſinn und Unvorſichtigkeit, hatten mich, ungeachtet meiner redlichen Tugendliebe, dem Kummer, und der Veraͤchtlichkeitent -71entgegen gefuͤhrt; ich hatte vieles verlo - ren, vieles gelitten; aber ſollte ich des - wegen das genoſſene Gluͤck meiner erſten Jahre vergeſſen, und die vor mir liegende Gelegenheit, Gutes zu thun, mit gleich - guͤltigem Auge betrachten, um mich allein der Empfindlichkeit meiner Eigenliebe zu uͤberlaſſen? Jch kannte den ganzen Werth alles deſſen, was ich verloren hatte; aber meine Krankheit und Betrachtungen, zeigten mir, daß ich noch in dem wahren Beſitz der wahren Guͤter unſers Lebens geblieben ſey.
„ Mein Herz iſt unſchuldig und rein;
„ Die Kenntniſſe meines Geiſtes ſind „ unvermindert;
„ Die Kraͤfte meiner Seele und meine „ guten Neigungen haben ihr Maas „ behalten; und ich habe noch das „ Vermoͤgen, Gutes zu thun.
Meine Erziehung hat mich gelehrt, daß Tugend und Geſchicklichkeiten das ein - zige wahre Gluͤck, und Gutes thun, die einzige wahre Freude eines edlen HerzensE 4ſey;72ſey; das Schickſal aber hat mir den Be - weis davon in der Erfahrung gegeben.
Jch war in dem Kreiſe, der von gro - ßen und glaͤnzenden Menſchen durchloffen wird; nun bin ich in den verſetzt, den mittelmaͤßiges Anſehen und Vermoͤgen durchwandelt, und graͤnze ganz nahe an den, wo Niedrigkeit und Armuth die Haͤnde ſich reichen. Aber ſo ſehr ich nach den gemeinen Begriffen vom Gluͤck geſun - ken bin, ſo viel Gutes kann ich in dieſen zween Kreiſen ausſtreuen.
Meine reiche Frau Hills, laſſ’ ich durch meinen Umgang und meine Unterredun - gen, das Gluͤck der Freundſchaft und der Kenntniſſe genießen. Meinen armen Maͤdchen gebe ich das Vergnuͤgen, ge - ſchickt und wohl unterrichtet zu werden, und zeige ihnen, eine angenehme Ausſicht in ihre kuͤnftigen Tage.
Madam Hills hat mir ein artiges Zimmer, wovon zwey Fenſter ins Feld gehen, eingeraͤumt; von da geh’ ich in ihren Saal, der fuͤr die Unterrichtsſtun - den meiner dreyzehn Maͤdchen beſtimmt iſt,Sie57[73]Sie ernaͤhrt und kleidet ſie, ſchafft Buͤ - cher und Arbeitsvorrath an; nicht eine Stunde verſaͤumt ſie, und hoͤrt meinen Unterricht mit vieler Zufriedenheit; manch - mal vergießt ſie Thraͤnen, oder druͤckt mir die Haͤnde, und wohl zwanzigmal nickt ſie mir den freundlichſten Beyfall zu. So oft es geſchieht, faͤllt ein Strahl von Freude in mein Herz. Es iſt angenehm um ſein ſelbſt Willen geliebt zu werden! Und nun hab’ ich einen Gedanken, Emi - lia; aber ihr Mann muß mir ihn ausar - beiten helfen.
Madam Hills hat eine Art von Stolz, aber er iſt edel und wohlthaͤtig. Sie moͤchte ihr großes Vermoͤgen zu einer ewig daurenden Stiftung verwenden; aber ſie ſagt, es muͤßte eine Stiftung ſeyn, die ganz neu waͤre, und die ihr Ehre und Segen braͤchte; und ſie will, daß ich auf etwas ſinne. — — Koͤnnte itzt nicht meine kleine Maͤdchenſchule der Anlaß dazu werden, ein Geſindhaus zu ſtiften, wor - inn arme Maͤdchen zu guten und geſchick - ten Dienſtmaͤdchen gezogen wuͤrden? JchE 5wollte74wollte an meinen dreyzehn Schuͤlerinnen die Probe machen, und theilte ſie nach der Anlage von Geiſt und Herzen in Claſſen.
Dazu muß ich nun ein ſchickliches Haus mit einem Garten haben; einen vernuͤnf - tigen Geiſtlichen, der ſie die Pflichten ih - res Standes kennen und lieben lehrte; und dann wackere und wohldenkende ar - me Witwen, oder betagte ledige Perſo - nen, die den verſchiedenen Unterricht in Arbeiten beſorgten.
Dieſe Jdee beſchaͤfftiget mich genug, um dem vergangenen ſchmerzhaften Theil meines Lebens, das meiſte meines Nach - denkens zu entziehen, und uͤber meinen bittern Kummer den ſuͤßen Troſt zu ſtreuen,daß75daß ich die Urſache, ſo vieler kuͤnftigen Wohlthaten werden koͤnnte. Aber hier - bey faͤllt mir ein Gleichniß ein, ſo ich mit der Eigenliebe machen moͤchte; — daß ſie von Polypen-Art ſey; man kann ihr alle Zweige und Arme nehmen, ja ſo gar den Hauptſtamm verwunden; ſie wird doch Mittel finden, ſich in neue Aus - wuͤchſe zu verbreiten. Wie verwundet, wie gedemuͤthiget war meine Seele! und nun — leſen ſie nur die Blaͤtter meiner Betrachtungen durch, und beobachten ſie es, was fuͤr ſchoͤne Stuͤtzen meine ſchwankende Selbſtzufriedenheit gefunden hat, und wie ich allmaͤhlig zu der Hoͤhe eines großen Entwurfs empor geſtiegen bin — o, wenn die wohlthaͤtige Naͤch - ſtenliebe, nicht ſo tiefe Wurzeln in mei - nem Herzen gefaſſet haͤtte, daß ſie mit meiner Eigenliebe ganz verwachſen waͤre, was wuͤrde aus mir geworden ſeyn?
Sie ſind, liebſte Freundinn, mit dem Ton meines letzten Briefs beſſer zufrieden, als ſie es ſeit meiner Abreiſe aus D. nie - mals waren. Darf ich wohl meine Emilia einer Ungerechtigkeit anklagen, weil ſie mir von der Veraͤnderung meiner Jdeen und Ausdruͤcke ſpricht. Jch fuͤhle dieſe Verſchiedenheit ſelbſt; aber ich finde auch, daß ſie eine ganz natuͤrliche Wuͤr - kung der großen Abaͤnderung meines Schickſals iſt. Zu D. war ich angeſehen, mit Gluͤcksausſichten umgeben, und mit mir ſelbſt zufrieden, daher auch geſchickter, muntere Beobachtungen uͤber fremde Ge - genſtaͤnde zu machen. Mein Witz ſpielte frey mit kleinen Beſchreibungen, und mit Lob und Tadel alles deſſen, was mit mei - nen Jdeen ſtimmte, oder nicht. Nach dem wurde ich von Gluͤck und Selbſt - zufriedenheit entfernt; Thraͤnen und Jam - mer ſind mein Antheil worden. War esda77da moͤglich, daß ſich die Schwingen mei - ner Einbildungskraft unbeſchraͤnkt und freudig haͤtten bewegen koͤnnen, da das Beſte, was alle Kraͤfte meiner Seele thun konnten, gelaſſene Ertragung meines Schickſals war, — eine Tu - gend, wobey der Geiſt wenig Geſchaͤfftig - keit aͤußern kann. Jhr Mann kannte mich; er ſah: daß er mich gleichſam aus mir ſelbſt herausfuͤhren, und mir bewei - ſen mußte, daß es noch in meiner Gewalt ſtehe, Gutes zu thun. Dieſer Gedanke allein, konnte mich ins thaͤtige Leben zu - ruͤckfuͤhren.
Haben Sie Dank, beſte Freunde, daß Sie meinen Entwurf zu einem Geſindhaus ſo ſehr billigen und erheben; es duͤnkt mich, als ob Jemand meiner gebeugten Seele die Hand reiche und ſie liebreich ermuntere, ſich wieder zu erheben, und mit einem edlen Schritte vorwaͤrts zu ge - hen, da ſie von dem kleinen dornichten Pfad, auf welchen ſie durch einen blen - denden Schein gerathen war, nun auf einen ebnen Weg geleitet worden iſt, deſſenSeiten78Seiten freylich mit kleinen glaͤnzenden Pa - laͤſten und praͤchtigen Auftritten der gro - ßen Welt umfaßt ſind, aber dagegen je - dem ihrer Blicke, die reinen Reize der unverdorbenen Natur, in ihren phyſiſchen und moraliſchen Wuͤrkungen zeiget.
Dieſe Ermunterung hatte ich noͤthig, meine Freunde, weil ich ſchon ſo lange dachte, daß ich an dem edlen Stolz eines fehlerfreyen Lebens keinen Anſpruch mehr zu machen habe, indem ich die Haͤlfte meines widrigen Schickſals, meiner eig - nen Unbedachtſamkeit zuzuſchreiben haͤtte; und die Frucht dieſer Betrachtung war Unterwerfung und Geduld. Haͤtte ich nach den Regeln der Klugheit gehan - delt, und durch mein heimliches Verbind - niß und Fliehn, keine Geſetze beleidiget, ſo haͤtte ich in der Jdee einer uͤbenden Standhaftigkeit und Großmuth ſchon eine Stuͤtze des edlen Stolzes gefunden, welche der Schuldloſe ergreift, wenn er durch Bosheit anderer, und unvorgeſehe - nes Ungluͤck, in dem Genuß ſeines Ver - gnuͤgens geſtoͤrt wird. Er kann ſeineBelei -79Beleidiger mit Herzhaftigkeit anſehen, oder ſeinen Blick mit ruhiger Verachtung von ihnen wenden; Er ſieht ſich nicht nach Freunden, die ihn bedauren, ſondern nach Zeugen ſeines bewundernswuͤrdigen Betragens um; unter dieſen Beſchoͤffti - gungen ſeines Geiſtes, ſtaͤrkt ſich ſeine Seele, und ſammelt ihre Kraͤfte, um den Berg der Ehre, und des Wohlergehens auf einer andern Seite zu erſteigen. Jch aber mußte mich durch die Erinnerung meiner Unvorſichtigkeit in den Schleyer der Verborgenheit huͤllen, ehe ich mich der neuern Fuͤhrung meines Geſchickes uͤberließ. Dennoch fehe ich bluͤhende Blumen, welche die Hoffnung eines gu - ten Erfolgs, zum Beſten vieler Nachkom - menden, auf meine nun betretenen Wege ausſtreuet; Ruhe und Zufriedenheit laͤ - cheln mir zu; die Tugend, hoffe ich, wird mein Flehen erhoͤren, und meine be - ſtaͤndige Begleiterinn ſeyn. Das Gluͤck meines Herzens wird groͤßer und edler, da es Antheil an dem Wohlergehen ſo vieler anderer nimmt, ſeine angenehmſtenGewohn -80Gewohnheiten und Wuͤnſche vergißt, und ſein Leben und ſeine Talente zum Beſten ſeines Naͤchſten verwendet. Aber bey je - dem Schritte meines itzigen Lebens ver - groͤßert ſich das Gluͤck meiner genoſſenen Erziehung, worinn mir alles in den rich - tigen moraliſchen Geſichtspunkt geſtellet wurde. Nach dieſem bildete man meine Empfindungen, waͤhrend dem mein Ver - ſtand zu Beobachtungen uͤber verkehrte Begriffe, und dadurch eingewurzelte Ge - wohnheiten geleitet wurde.
Wie gluͤcklich iſt es fuͤr mein Herz, daß mir die Wahrheit: daß vor Gott kein anderer, als der moraliſche Unterſchied unſerer Seelen Statt finde; ſo tief einge - praͤgt wurde! was haͤtte ich in meinen itzigen Umſtaͤnden zu leiden, wenn ich mit den gewoͤhnlichen Vorurtheilen meiner Geburt behaftet waͤre! Wie verehrungs - wuͤrdig, wie verdienſtsvoll iſt der kluge Ge - brauch, den meine geliebte Aeltern von der uns allen angebornen Eigenliebe, bey meiner Erziehung machten! Waͤren koſt - bare Kleider und Putz jemals ein Theilmeiner81meiner Gluͤckſeligkeit geweſen; wie ſchmerz - haft waͤre mir der Anzug meiner geſtreiften Leinwand? Reinlichkeit, und wohlausge - ſuchte Form meiner Kleider, laſſen meine ganze Welblichkeit zufrieden vom Spiegel gehen; und was bleibt meiner hoͤchſten Einbildung noch zu wuͤnſchen uͤbrig, da ich mich in dieſer geringen Kleidung mit Liebe und Ehrfurcht betrachtet ſehe, und dieſ Geſinnungen allein dem Ausdruck meines moraliſchen Charakters zu danken habe?
Jch ſtehe fruͤh auf, ich lege mich an mein Fenſter, und ſehe, wie getreu die Natur die Pflichten des ihr aufgelegten ewigen Geſetzes der Nutzbarkeit in allen Zeiten und Witterungen des Jahres er - fuͤllt. Der Winter naͤhert ſich; die Blu - men ſind verſchwunden, und auch bey den Stralen der Sonne hat die Erde kein glaͤnzendes Anſehen mehr; aber einem empfindſamen Herzen giebt auch das leere Feld ein Bild des Vergnuͤgens. Hier wuchs Korn, denkt es, und hebt ein dankbares Auge gen Himmel; der Gemuͤß -II. Theil. Fgarten,82garten, die Obſtbaͤume ſtehen beraubt da, und der Gedanke des Vorraths von Nah - rung, den ſie gegeben, miſchet unter den Schauer des anfangenden Nordwindes ein warmes Gefuͤhl von Freude. Die Blaͤtter der Obſtbaͤume ſind abgefal - len, die Wieſen verwelkt, truͤbe Wolken gießen Regen aus; die Erde wird locker, und zu Spaziergaͤngen unbrauchbar; das gedankenloſe Geſchoͤpf murret daruͤber; aber die nachdenkende Seele ſieht die er - weichende Oberflaͤche unſers Wohnplatzes mit Ruͤhrung an. Duͤrre Blaͤtter und gelbes Gras werden durch Herbſtregen zu einer Nahrung der Fruchtbarkeit unſrer Erde bereitet; dieſe Betrachtung laͤßt uns gewiß nicht ohne eine frohe Empfindung uͤber die Vorſorge unſers Schoͤpfers, und giebt uns eine Ausſicht auf den nachkom - menden Fruͤhling. Mitten unter dem Verluſt aller aͤußerlichen Annehmlichkei - ten, ja ſelbſt dem Widerwillen ihrer ge - naͤhrten und ergoͤtzten Kinder ausgeſetzt, faͤngt unſere muͤtterliche Erde an, in ih - rem Jnnern fuͤr das kuͤnftige Wohl derſel -ben83ben zu arbeiten. Warum, ſag’ ich dann, warum iſt die moraliſche Welt ihrer Be - ſtimmung nicht eben ſo getreu, als die phyſicaliſche? Die Frucht der Eiche brach - te niemals was anders, als einen Eich - baum hervor; der Weinſtock allezeit Trau - ben; warum ein großer Mann klein den - kende Soͤhne? — warum der nuͤtzliche Gelehrte und Kuͤnſtler unwiſſende elende Nachkoͤmmlinge? — tugendhafte Aeltern Boͤſewichter? — Jch denke uͤber dieſe Ungleichheit, und der Zufall zeigt mir eine unzaͤhlige Menge Hinderniſſe, die in der moraliſchen Welt (ſo wie es auch oͤfters in der phyſicaliſchen begegnet) Urſache ſind, daß der beſte Weinſtock aus Man - gel guter Witterung ſaure, unbrauchbare Trauben traͤgt — und vortreffliche Ael - tern ſchlechte Kinder erwachſen ſehen. Etliche Schritte weiter in meiner Vorſtel - lung ſtehe ich ſtill, kehre in mich ſelbſt zu - ruͤck und ſage: iſt nicht die helle Ausſicht meiner gluͤcklichen Tage auch truͤbe ge - worden, und der aͤußerliche Schimmer wie vertrocknetes Laub von mir abgefal -F 2len?84len? vielleicht hat unſer Schickſal auch Jahrszeiten? Jſt es, ſo will ich die Fruͤchte meiner Erziehung und Erfahrung waͤhrend dem traurigen Winter meines Verhaͤngniſſes zu meiner moraliſchen Nah - rung anwenden; und da die Aernte da - von ſo reich war, dem Armen, deſſen kleiner, ungebeſſerter Boden wenig trug, davon mittheilen was ich kann. Wuͤrk - lich hab’ ich einen Theil guter Saamen - koͤrner in eine dritte Hand gelegt, um ei - nen magern, duͤrren Boden anzubauen. Der ſanften Freundſchaft iſt die Pflege anvertraut, und ich werde acht Tage lang die Oberaufſicht haben. Leben Sie wohl!
Erſchrecken Sie nicht, lieber Herr Pre - diger, daß Sie anſtatt eines Briefes von Madam Leidens einen von mir bekommen. Sie iſt nicht krank, gewiß nicht; aber die liebe Frau hat mich auf vierzehn Tage verlaſſen, und wohnt in einem ganz frem - den Hauſe, wo ſie viel arbeitet, und — was mir Leid thut — auch gar ſchlecht ißt; hoͤren Sie nur wie dieß zugieng! O, ein ſolcher Engel iſt noch nie in eines Reichen, noch in eines Armen Hauſe ge - weſen! ich kann das nicht ſo ſagen was ich denke, und ſchreiben kann ich gar nicht. Doch ſehen Sie: Jhre Frau weiß, wie arm der Herr G. nach Verluſt ſeines Amts mit Frau und Kindern gewor - den iſt. Nun, ich gab immer was; aber ich konnte die Leute nicht dulden; Jeder - mann ſagte auch, daß Er hochmuͤthig und Sie nachlaͤßig waͤre, und daß alles GuteF 3an86an ihnen verloren ſey. Dieß machte mich boͤſe, und ich redte davon mit der Jung - fer Lehne, der ich auch Huͤlfe gebe; Sie arbeitet aber auch; Madam Leidens war dabey, und fragte die Jungfer nach den Leuten; und ſie erzaͤhlte ihr den ganzen Lebenslauf, weil ſie von Kind auf bey - ſammen geweſen waren. Den andern Tag beſuchte Madam Leidens die Frau G., und kam ſehr geruͤhrt nach Hauſe. Beym Nachteſſen ſagte ſie mir von den Leuten ſo viel bewegliches, daß ich uͤber ſie weinte, und ihnen ſo gut wurde, daß ich gleich ſagte: ich wollte Aeltern und Kinder verſorgen. Aber dieß wollte ſie nicht haben. Den folgenden Morgen aber brachte ſie mir dieß Papier. Sie muͤſſen mirs wie - der geben, es ſoll bey meinem Teſtamente liegen mit meiner Unterſchrift, und ein Lob auf Madam Leidens von meiner eige - nen Hand, und noch etwas uͤber Madam Leidens, das ich itzt nicht ſage. Sie gieng zu ihren Maͤdchen, und ließ mir das Papier. Jch habe mein Tage nichts kluͤger ausgedacht geſehen. Zween Fiſchemit87mit Einer Angel zu fangen, und die Leute klug und geſchickt zu machen, nun dieß verſteht ſich recht ſchoͤn. Jch verwunderte mich, und weinte zweymal, weil ich es zweymal durchleſen mußte, um es recht zu faſſen. Jch ſchrieb darunter: alles, alles bewilligt, und gleich auf Morgen, — aber dieß ſagte ich ihr muͤndlich, und ich ſchrieb es auch auf das Papier, wenn ichs zum Teſtament lege, daß ſie mich nicht ihre Wohlthaͤterinn nennen ſoll. Was gab ich ihr dann? — ein Bißchen Eſſen und ein Zimmerchen. — Aber warten Sie nur, ich will ſchon was ausſinnen; ſie ſoll nicht aus meinem Hauſe kommen, wie ſie meint. Wenn ich nur noch den Bau meines Geſindhauſes erlebe; da laß ich ihren Namen zu dem meinigen in Stein hauen, und da heiße ich ſie meine ange - nommene Tochter, und da wird ſich jeder wundern, daß ſie mein Geld nicht fuͤr ſich behalten, und einen andern huͤbſchen Mann genommen habe, und da lobt man mich und ſie zuſammen, und dieß goͤnn’ ich ihr recht wohl. Sie muß mir auchF 4arme88arme Kinder aus der Taufe heben, damit es Kinder mit ihrem Namen hier giebt, und dieſe ſollen, wie meine Aennchens, vorzuͤglich in mein Geſindhaus kommen.
Meine Brille machte mich muͤde; ich konnte heute fruͤh nicht weiter ſchreiben, und da mir die Zeit nach Madam Leidens lang war: ſo gieng ich ſchnur gerade hin ins Haus der Frau G. Es reute mich, weil mir die Leute ſo viel dankten, und vielleicht geglaubt haben, ich waͤre des - wegen gekommen; und es geſchah doch bloß, um meine Tochter zu ſehen; denn ich ſag’ Jhnen, wenn ſie zuruͤck koͤmmt, muß ſie mich ihre Mutter nennen.
Jch ließ mein Aufwartmaͤdchen die Thuͤre ein wenig aufmachen, und es war gewiß ſchoͤn in dem Zimmer durch die Leute darinn, nicht durch die Moͤbeln, denn es ſind keine ſchoͤne da; — Stroh - ſtuͤlchen und ein Paar Tiſche. Jn einer Ecke war der Vater mit dem aͤlteſten Sohne, der bey ihm ſchrieb und rechnete; im halben Zimmer der andre Tiſch; Frau G. ſtrickte; Jungfer Lehne ſaß zwiſchen den zwoklei -89kleinen Maͤdchen, und lehrte ihr naͤhen; Ma - dam Leidens hatte ein Bouquet italiaͤniſche Blumen vor ſich, die ſie fuͤr Stuͤhle zum Verkauf abzeichnet. Der juͤngere Sohn und die aͤlteſte Tochter ſahen ihr auf die Finger, und ſie redete recht ſuͤß und freund - lich mit ihnen. Jch mußte uͤber ſie wei - nen, und auch uͤber die Kinder, die ſie ſo lieb haben, und mir ſo dankten. Der wilde Mann wurde roth, wie er mir dankte, und die Frau lachte ganz leicht - ſinnig dabey; das thut aber nichts, ich will Jhnen, wie es Madam Leidens ver - anſtaltete, aufhelfen, bis ſie ganz auf den Beinen ſind; und Jungfer Lehne ſoll den erſten Platz der Lehrmeiſterinnen fuͤr Cammerjungfern haben. Jch ließ zartes Abendbrodt und gutes Obſt holen; Sie koͤnnen nicht glauben, wie die Kinder Freude daran hatten; aber Madam Lei - dens war nicht damit zufrieden. Sie fuͤrchtet, die geringen Speiſen, welche das wenige Vermoͤgen zulaͤßt, moͤchten itzt den Kindern nicht mehr ſo lieb ſeyn; ſie ſagt: ſie wolle ſie nicht durch denF 5Ma -90Magen belohnen, und itzt gebe ich nichts wieder; Sie aß auch nur einen Apfel und ein Stuͤck Hausbrodt. Jch fragte ſie darum, und ſie ſagte zu der Tochter: ſolche Aepfel koͤnnen wir in un - ſerm Garten ziehen, aber dieß Brodt kann nur eine Madam Hills backen laſſen. Da hatte ichs! Aber ich wurde nicht boͤ - ſe; ſie hatte Recht; Sie will nicht, daß man gewoͤhnliches Brodt eſſen fuͤr Ungluͤck halte. — Nun ſind acht Tage vorbey, daß ſie bey den Leuten iſt; kuͤnftige Wo - che koͤmmt ſie wieder zu mir, und da wird ſie Jhnen ſchreiben. Beten Sie fuͤr das liebe Kind, und fuͤr mein Le - ben. — O, niemals werde ich vergeſſen, daß Sie mir dieſe Perſon anvertrauten; ich war mein Tage nicht ſo froͤhlich mit allem meinem Gelde, als ich es bin, ſeit ich ſie bey mir habe! —
Meine liebe Wohlthaͤterinn hat mir auf - getragen, meine Gedanken der Huͤlfe fuͤr die Familie G. aufzuſchreiben. Jch moͤch - te mit dieſen aus eigner Schuld elend ge - wordnen Leuten gerne umgehen, wie der Arzt mit einem Kranken, der ſeine Ge - ſundheit muthwillig verdorben hat; er thut alles, was zur Huͤlfe noͤthig iſt, aber er verbindet ſeine Verordnungen zugleich mit Ausuͤbung einer Diaͤt, die er ihm durch Vorſtellung der kuͤnftigen Gefahr und der vergangenen Leiden augenſchein - lich nothwendig macht; durch eine lang - ſame, aber anhaltende Cur hilft er ihm zu neuen Kraͤften, ſo, daß er endlich wie - der ohne Arzt leben kann. Zu ſehr ſtaͤr - kende Mittel gleich Anfangs gebraucht, wuͤrden das Uebel in dem Coͤrper befeſti - gen, und alſo fuͤr die Zukunft ſchaͤdlich ſeyn. Der Familie G. wuͤrde es mit großen Geſchenken auch ſo ergehen; wir wollen ihr alſo mit Vorſicht zu Huͤlfekommen,92kommen, und die Wurzel des Uebels zu heilen ſuchen.
Die wohlthaͤtige Guͤte der Madam Hills giebt Anfangs die noͤthigen Kleider, Leinen und Hausgeraͤthe. Von den er - ſten wurden nur die allerunentbehrlichſten Stuͤcken ſchon verfertigt gegeben; das uͤbrige aber im Ganzen, damit die Frau und ihre Toͤchter es mit eigner Handar - beit zurechte machen; und wenn ſie damit fertig ſind, ſo bekommen ſie einen Vor - rath an Flachs und Baumwolle, um ſel - bige zu verarbeiten, und in Zukunft das abgehende an Leinen - und baumwollenen Zeuge erſetzen zu koͤnnen, und dieſes iſt die Sache der Muͤtter und Toͤchter.
Die Talente und den Stolz des Herrn G. will ich dahin zu bringen ſuchen, ſei - nen zerfallenen Ruhm durch die Bemuͤ - hung einer guten Kinderzucht wieder auf - zubauen. Erziehung iſt er ſeinen Kin - dern ſchuldig; das Vermoͤgen hat er nicht, Lehrmeiſter zu bezahlen, wie edel waͤr’ es, wenn er mit Fleiß und Vater - treue den Schaden des verſchwendetenVer -93Vermoͤgens erſetzte, und ſeinen Kindern Schreib - und Rechnungsunterricht gaͤbe! Fuͤr das Latein der Soͤhne erhalten Ma - dam Hills zween Plaͤtze, welche armen Schuͤlern beſtimmt ſind; Herr G. haͤlt aber die Lehr - und Wiederholungsſtunden ſelbſt mit ihnen; und gewiß wuͤrde man einem Mann, der ſeine vaͤterliche Pflich - ten ſo getreu erfuͤllte, mit der Zeit ein Amt des Vaterlandes anvertrauen. Nun koͤmmt die Betrachtung, daß die beſchul - digte Nachlaͤßigkeit der Frau G. alles wie - der zu Grunde richten wuͤrde; dieſem Ue - bel hoffe ich durch die Jungfer Lehne zuvor zu kommen.
Sie war die Jugendfreundinn der Frau G., und hat von ihren Aeltern Gutes ge - noſſen. Jch denke, ſie wuͤrde es der Toch - ter gerne vergelten, wenn ſie nicht ſelbſt arm waͤre; da ſie aber einen vorzuͤglichen Reichthum an Geſchicklichkeit beſitzt, ſo koͤnnte ſie dadurch eine Wohlthaͤterinn ihrer Freundinn werden, wenn ſie das Amt einer Aufſeherinn uͤber den Gebrauch der Wohlthaten und der Lehrmeiſterinnbey94bey den Toͤchtern der Frau G. verwal - ten wollte.
Madam Hills thun der Jungfer Lehne Gutes, ich weiß, daß ſie dankbar ſeyn moͤchte, und wie kann ſie es auf eine ruͤhmlichere Art werden, als wenn ſie ihrer eignen Beſchuͤtzerinn die Haͤnde reicht, um ihre ungluͤckliche Freundinn aus dem Verderben zu ziehen? Und mit wie vieler Achtung wird ſie von den beſten Einwohnern angeſehen werden, wenn ſie durch die Guͤte ihres Herzens die Grund - lage der Wohlfahrt von drey unſchuldi - gen Kindern befeſtigen und bauen hilft?
Wenn meine theure Frau Hills mit die - ſen Gedanken zufrieden ſind, ſo will ich ſie dem Herrn und der Frau G., wie auch der Jungfer Lehne vortragen; und, dann bitte ich, mir zu erlauben, auf zwo Wo - chen in dem Hauſe des Herrn G. zu woh - nen, um ihnen zu zeigen, daß dieſe Vor - ſchriften zu der Verwendung ihres Lebens nicht hart und nicht unangenehm ſind. Denn ich will durch gute Worte und Ach - tung den Mann an ſein Haus und anſeine95ſeine Familie gewoͤhnen, und dann einige Tage die Stelle der Mutter, und wieder einige die Stelle der Jungfer Lehne be - kleiden, und daneben die Herzen der Kin - der zu guten Neigungen zu lenken, und ihre Faͤhigkeiten ausfindig zu machen ſu - chen, um ſie mit der Zeit nach ihrem be - ſten Geſchicke anzubauen. Aber in Klei - dung, Eſſen, Hausgeraͤthe, ſollen ſie noch den Mangel fuͤhlen, und durch dieſes Ge - fuͤhl zu Erkenntniß und Aufmerkſamkeit kommen; bis ſie durch Genuͤgſamkeit, Fleiß und gute Geſinnungen wieder in die Claſſe eintreten koͤnnen, aus der ſie durch Verſchwendung und Sorgloſigkeit gefallen ſind. Vorwuͤrfe werde ich ihnen nicht machen; aber ich werde ihnen durch Er - zaͤhlung einiger Umſtaͤnde meines Lebens die Zufaͤlligkeit des Gluͤcks beweiſen, und den Kindern ſagen, daß mir nichts als meine Erziehung uͤbrig geblieben ſey, welche mir die Freundſchaft von Madam Hills, und die Gelegenheit gegeben haͤtte, ihnen Dienſte zu leiſten. Dann werde ich auch von dem Stolze reden koͤnnen, deruns96uns bloß fuͤhren ſoll, einen edlen Ge - brauch von Gluͤck und Ungluͤck zu ma - chen. Denn ich moͤchte nicht bloß ihren Koͤrper ernaͤhrt und gekleidet ſehen, ſon - dern auch die ſchlechten Geſinnungen ih - rer Seele gebeſſert, und ihren Verſtand mit ſchicklichen Begriffen erfuͤllet wiſſen.
Nun bin ich wieder zu Haus, und wollte Jhnen von der Ausſaat reden, wovon mein letzter Brief ſagte, daß ich ſie einer dritten Hand anvertrauen wuͤr - de; aber Madam Hills erzaͤhlt mir: daß ſie Jhnen alles geſchrieben habe. O meine Freundin! wie ſchoͤn waͤre der moraliſche Theil unſers Erdkreiſes, wenn alle Reichen ſo daͤchten wie Ma - dam Hills, die ſich freut, wenn man ihr Gelegenheit giebt, ihre Gluͤcksguͤter wohl anzuwenden! Sie, meine Emilia,ſollen97ſollen die Beweggruͤnde ſehen, die mich dazu brachten, der Jungfer Lehne das Verwaltungsamt zu geben. Sie wiſſen, wie ich die arme Familie kennen lernte: eben dieſe Perſon redte bey Frau Hills von ihren Umſtaͤnden. Jch bemerkte in ihrem halb mitleidigen, halb anklagenden Ton eine Art von Neid uͤber die Wohlthaten, welche jene genoſſen, und die Begierde, ſie allein an ſich zu ziehen. Sie ſprach zu - gleich viel davon, wie ſie es an der Stelle von Frau G. machen wuͤrde. Jch aͤr - gerte mich, ſo kalte, und uͤbelthaͤtige Ue - berbleibſel einer ſo ſtark geweſenen Jugend - freundſchaft anzutreffen, und hatte Muth genug den Plan zu faſſen, dieſes halb ver - moderte Herz zu dem Nutzen ſeiner erſten Freundinn brauchbar zu machen. Jch ließ ſie nichts von meinen Betrachtungen uͤber ſie merken, und ſagte ihr nur, daß ſie mich in das Haus fuͤhren ſollte. Der Anblick des Elends, und die Zaͤrtlichkeit, welche ihr die Frau bewieß, ruͤhrte ſie, und in dieſer Bewegung nahm ich ſie in mein Zimmer, las ihr meinen Plan vor,II. Theil. Gund98und mahlte mit den lebhafteſten Farben die Schoͤnheit der Rolle, die ich ihr auf - truͤge, worinn ſie ſich das Wohlgefallen Gottes, und die Achtung und die Seg - nungen aller Rechtſchaffenen zu verſpre - chen haͤtte. Jch uͤberzeugte ſie, daß ſie mehr Gutes thue als Frau Hills, wel - che bey ihren Geldgaben nur das Ver - gnuͤgen genoͤſſe, von ihrem Ueberfluſſe von Zeit zu Zeit etwas abzugeben; da hingegen ihre taͤgliche Bemuͤhungen und ihre Geduld die Tugenden des edelſten Herzens ſeyn wuͤrden. Jch gewann ſie um deſto leichter, weil ich ihr das Lob der Madam Hills dadurch zuzog, daß ich ſagte: der Einfall waͤre ihr ſelbſt ge - kommen. Mein Plan wurde bewilligt, und ich fuͤhrte ihn die erſten zwo Wochen ſelbſt aus.
Die Annahme einer Verwalterinn ſchien beſchwerlich, aber ich erhielt doch die Ein - willigung, beſonders da ich ſagte, daß ich ſelbſt vierzehn Tage bey ihnen wohnen wuͤrde.
Den99Den erſten Tag legte ich ihnen die Ge - ſchenke von Madam Hills vor, theilte jedem das Seinige, mit Ermahnung zur Sorgfalt, zu, und ſagte ihnen: daß ſie durch Scho - nen, und ſparſamen Gebrauch der Wohl - thaten, theils ihre Dankbarkeit, theils ein edles Herz zeigen wuͤrden, welches die Guͤte, die man ihm beweiſt, nicht mis - brauchen moͤchte. Hierauf ſagte ich, wie ich ihre Umſtaͤnde anſaͤhe, und was ich fuͤr einen Plan ihres Lebens, und ihrer Be - ſchaͤfftigung daraus gezogen haͤtte; bat aber jedes: mir ſeine Wuͤnſche, und Ein - wendungen zu ſagen.
Ehe ich dieſe beantwortete, machte ich ihnen einen kurzen und nuͤtzlichen Auszug meiner eigenen Geſchichte. Jch blieb beſonders bey dem Artikel des Anſehens und Reichthums ſtehen, worinn ich ge - boren und erzogen worden; ſagte ihnen meine ehemaligen Wuͤnſche und Neigun - gen, auch wie ich ſie mir itzt verſagen muͤſſe, und ſchloß dieſe Erzaͤhlung mit freundlichen Anwendungen, und Zuſpruͤ - chen fuͤr ſie. Durch dieſes oͤffnete ſichG 2ihr100ihr Herz zum Vertrauen, und zur Bereit - willigkeit meinem Rathe zu folgen. Die beſten Sachen, ſo eine reiche und gluͤck - liche Perſon geſagt haͤtte, wuͤrden wenig Eindruck gemacht haben; aber der Ge - danke, daß auch ich arm ſey, und andern unterworfen leben muͤſſe, brachte Biegſam - keit in ihre Gemuͤther. Jch fragte: was ſie an meiner Stelle wuͤrden gethan ha - ben? Sie fanden aber meine Moral gut, und wuͤnſchten auch ſo zu denken. Dar - auf gieng ich in den Vorſchlag ein, was ich an ihrem Platze thun wuͤrde; und ſie waren es herzlich zufrieden. O, dachte ich, wenn man bey Beweggruͤnden zum Guten allezeit in die Umſtaͤnde und Nei - gungen der Leute eingienge, und der uns allen gegebenen Eigenliebe nicht ſchnur - ſtracks Gewalt anthun wollte, ſondern ſie mit eben der Klugheit zum Huͤlfsmittel verwaͤnde, wodurch der ſchmeichelnde Verfuͤhrer ſie zu ſeinem Endzweck zu len - ken weiß: ſo wuͤrde die Moral ſchon laͤngſt die Grenzen ihres Reichs und die Zahl ihrer Ergebenen vergroͤßert haben.
Eigen -101Eigenliebe! angenehmes Band, welches die liebreiche Hand unſers guͤtigen Schoͤp - fers dem freyen Willen anlegte, um uns damit zu unſrer wahren Gluͤckſeligkeit zu ziehen; wie ſehr hat dich Unwiſſenheit und Haͤrte verunſtaltet, und die Menſchen zu ei - nem unſeligen Misbrauch der beſten Wohl - that gebracht! Laſſen Sie mich zuruͤck - kommen.
Am zweyten Tage ſtellte ich die Frau G. vor, und in ihrer Perſon ſprach ich mit Jungfer Lehne von unſrer alten Liebe, und wie gern ich ihr die Stelle goͤnnte, die ſie in meinem Hauſe