PRIMS Full-text transcription (HTML)
Geſchichte des Fraͤuleins von Sternheim.
Von einer Freundin derſelben aus Original - Papieren und andern zuverlaͤßigen Quellen gezogen.
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Zweyter Theil.
Leipzig,bey Weidmanns Erben und Reich.1771.
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Geſchichte des Fraͤuleins von Sternheim.

Seymour an Doctor T.

Zween Monate ſinds, ſeit ich Jhnen ſchrieb; ſeit ich, von Zweifel und Argwohn gemartert, mich von aller Geſell - ſchaft enthielte, und mich endlich durch einen uͤbelverſtandenen Eifer fuͤr die Tu - gend zu dem elendeſten Geſchoͤpfe auf der Erde machte. O, waͤr ich es allein, ich wuͤrde mich gluͤcklich dabey achten; aber ich habe die beſte, die edelſte Seele zu ei - nem Entſchluß der Verzweiflung gebracht; ich bin die Urſache des Verderbens meines angebeteten Fraͤuleins von Sternheim. II Theil. AKein2Kein Menſch kann mir was von ihrem Schickſal ſagen; aber mein Herz ſagt mir, daß ſie ungluͤcklich iſt. Dieſer Gedanke frißt das Herz, in welchem er ſich ernaͤhrt. Aber ich ſage Jhnen unbegreifliche Dinge! ich muß mich verſtaͤndlich machen; Sie wiſſen, wie misvergnuͤgt ich von dem Feſte des Grafen F. zuruͤck kam, und daß ich von dieſem Augenblick mich aller Ge - ſellſchaft entaͤußerte. Meine Liebe war verwundet, aber nicht getoͤdtet; ich dachte, ſie wuͤrde durch Verachtung und Fliehen geheilt werden; ich wollte ſo - gar nichts von dem Fraͤulein reden hoͤ - ren; als endlich mein Oheim meine Lei - denſchaften auf einmal zu loͤſchen glaubte, da er mir die Nachricht gab: daß auf das Geburtsfeſt des Fuͤrſten ein Masken - ball angeſtellt waͤre; daß der Fuͤrſt die Maske des Fraͤuleins tragen wuͤrde, und ſie Kleidung und Schmuck von ihm be - komme. Jch koͤnnte alſo ſchlieſſen, daß ſie ſich aufgeopfert habe; ſie haͤtte ſchon vorher Gnaden von ihm erbeten, und alles erhalten, was ſie verlangt habe; der3 der Fuͤrſt kaͤme Abends in den Garten des Grafen Loͤbau, allein von ſeinem Liebling begleitet u. ſ. w. Mein Oheim erreichte ſeinen Zweck; die Sorge meiner Liebe verlor ſich mit meiner Hoch - achtung, und mit der Hoffnung, die ich immer blindlings behalten hatte. Aber gleichguͤltig war ich noch nicht; meine See - le war durch das Andenken ihres Geiſtes und ihrer Tugend gekraͤnkt. Wie gluͤck - lich, o Gott, wie gluͤcklich haͤtte ſie mich machen koͤnnen, (rief ich) wenn ſie ihrer Erziehung und ihrer erſten Anlage getreu geblieben waͤre! Ohne Erinnerung und Beſtrafung wollt ich ſie nicht laſſen, und der Maskenball duͤnkte mich ganz bequem zu meinem Vorhaben. Jch machte eine doppelte Maske. Jn der erſten wollt ich mich noch von allem uͤberzeugen, was mir von der Vergeſſenheit ihres Werths und ihrer Pflichten geſagt worden war. Sie kam von allen Grazien begleitet in den Saal; ſie trug den Schmuck, wel - chen der Hofjuwelier dem Lord gewieſen hatte. Sie war ſo niedertraͤchtig gefaͤl -A 2lig,4lig, ihre ſchoͤne Stimme hoͤren zu laſſen und ihn nebſt der Geſellſchaft zur Freude aufzumuntern. Haͤtte ich Kraͤfte gehabt, ſie ihrer reizenden Geſtalt und aller ihrer Talenten zu berauben, ich wuͤrd es in dieſem Augenblick gethan haben. Leich - ter waͤr es mir geweſen, ſie elend, haͤß - lich, ja gar todt zu ſehen, als ein Zeuge ihrer moraliſchen Zernichtung zu ſeyn. Der tiefſte Schmerz war in meiner Seele, als ich ſie ſingen hoͤrte, und mit dem Fuͤr - ſten und mit andern Menuette tanzen ſah. Aber als er ſie um den Leib faßte, an ſeine Bruſt druͤckte, und den ſittenloſen, fre - chen Wirbeltanz der Deutſchen, mit einer, aller Wohlſtandsbande zerreiſſenden Ver - traulichkeit an ihrer Seite daher huͤpf - te da wurde meine ſtille Betruͤbniß in brennenden Zorn verwandelt; ich eilte in meine zwote Maske, naͤherte mich ihrer darinn, und machte ihr bittre und heftige Vorwuͤrfe uͤber ihre Frechheit, ſich mit ſo vieler Luſtigkeit in ihrem ſchaͤndli - chen Putz zu zeigen. Jch ſetzte hinzu: daß alle Welt ſie verachtete, ſie, die manange -5angebethet habe Meine erſte Anrede brachte das vollkommenſte Erſtaunen in ihr hervor; ſie konnte nichts ſagen, als ihre Hand gegen die Bruſt heben, ich ich ſtotterte ſie mit der andern wollte ſie mich haſchen. Aber ich Elen - der, entfloh, ohne auf die Wirkung ach - ten zu wollen, die meine Rede machen wuͤrde. Nach Hauſe eilte ich, ließ mir ſechs Poſtpferde vor meine Chaiſe geben, nahm meinen alten Dik mit, und fuhr ſechs Tage ohne zu wiſſen, wohin; bis ich endlich in einem Dorfe liegen bleiben mußte, wo ich Diken auf das aͤußerſte verbot, jemanden Nachricht von mir zu geben. Mein Gemuͤthszuſtand iſt nicht zu beſchreiben; gefuͤhllos, geiſtlos war ich, misvergnuͤgt, unruhig, und dennoch verſagt ich mir die einzige Huͤlfe, die mei - ne Leiden erforderten Nachrichten von D. zu haben. Dieſer unſelige Eigenſinn legte den Grund zu der tiefen Traurigkeit, die mich bis an mein Ende begleiten wird. Denn waͤhrend ich das ſtumme Wuͤthen meiner unuͤberwindlichen Liebe in demA 3aͤußer -6aͤußerſten Winkel eines einſamen Dorfes verbarg, um die erſten Triumphtage des Fuͤrſten vorbeyrauſchen zu laſſen, hatte das Fraͤulein den edelſten Widerſtand ge - macht, hatte aus Kummer beynahe das Leben verloren, und war endlich aus dem Hauſe ihres Oheims entwichen, weil man ſie nicht auf ihre Guͤter gehen laſſen woll - te. Einen Monat nach dieſem Vorgang kam ich abgezehrt und finſter zuruͤck; Mylord empfieng mich mit vaͤterlicher Zuneigung; er ſagte mir alle Sorgen, die ich ihm verurſacht haͤtte, auch daß er auf den Gedanken gerathen ſey, ich moͤchte das Fraͤulein entfuͤhrt haben.

Wollte Gott, Sie haͤtten mir’s erlaubt, rief ich; ich waͤre nicht ſo elend. Aber reden Sie mir nicht mehr von ihr.

Er umarmte mich und ſagte:

Lieber Carl, du mußt doch hoͤren was geſchehen iſt. Sie war doch edel, tu - gendhaft, alles was uns zu ihrem Nach - theil geſagt wurde, war Betrug, und ſie iſt entflohen.

Meine7

Meine Begierde, alles zu wiſſen, war nun ſo groß, als vorher meine Sorge daruͤber geweſen war.

Das Fraͤulein ſoll geglaubt haben, ihre Tante haͤtte ihren Schmuck neu faſſen laſ - ſen, und lehnte ihn ihr zum Ball; die Klei - der habe ſie ihrem Kaufmann ſchuldig zu ſeyn geglaubt; ihr Singen waͤre eine ge - zwungene Gefaͤlligkeit geweſen, und ſie haͤtte in einem Brief an den Fuͤrſten eine weiße Maske geſegnet, die ihr alle Bos - heiten entdeckt habe, welche ihren Ruhm zernichtet haͤtten.

O Mylord, rief ich; dieſe weiße Maske war ich; ich habe mit ihr geſprochen, und ihr Vorwuͤrfe gemacht; aber gleich nach dieſer Unterhaltung eilt ich fort. Er fuhr fort mir zu erzaͤhlen: das Fraͤulein haͤtte noch auf dem Ball dem Fuͤrſten ſei - nen Schmuck vor die Fuͤße geworfen, und waͤre in der aͤußerſten Beaͤngſtigung nach Haus gefahren; ſie waͤre aber acht Tage ſehr krank gelegen, und haͤtte keinen Men - ſchen vor ſich gelaſſen. Bey ihrer Wie - derherſtellung haͤtte ſie auf ihre Guͤter zuA 4gehen8gehen verlangt, ihr Oncle aber haͤtte ſie nicht gehen laſſen, und acht Tage darauf, als man dem Prinzen von P. zu Ehren bey Hofe Luſtbarkeiten angeſtellt, ſey ſie mit ihrer Kammerjungfer verſchwunden. Der Graf und die Graͤfin Loͤbau, die bis Morgens bey dem Ball geweſen, und ihre Leute, welche auch nicht fruͤh munter ge - worden, haͤtten nicht an das Fraͤulein gedacht, bis Nachmittags, da man die Tafel fuͤr den Grafen gedeckt hatte, man erſt angefangen, das Fraͤulein und ihr Maͤdchen zu vermiſſen; aber als man ihre Zimmer aufgeſprengt, an ihrer Statt blos Briefe gefunden habe, einen an den Fuͤr - ſten, einen an Mylord C, und einen an ihren Oheim, dem ſie noch ein Verzeich - niß angeſchloſſen von den Kleidern, die ſie an den Pfarrer geſchickt habe, um ſie zu verkaufen, und das Geld den Armen des Kirchſpiels zu geben. Jhrem Oheim haͤtte ſie kurz, aber mit vieler Wuͤrde und Ruͤhrung von den Klagen geſprochen, die ſie uͤber ihn und ſeine Frau zu fuͤhren ha - be, und von den Urſachen, warum ſie ſichvon9von ihnen entfernte, und ſich in den Schutz eines Gemahls begebe, den ſie ſich ge - waͤhlt haͤtte, und mit welchem ſie als ſei - ne vermaͤhlte Frau aus ihrem Hauſe gehe, um ſich nach Florenz zum Grafen R. zu begeben, woher ſie wieder Nachricht von ihr erhalten ſollten; indeſſen uͤberlaſſe ſie ihm auf drey Jahre den Genuß aller Ein - kuͤnfte ihrer Guͤter, um damit die Been - digung ſeines Rechtshandels zu betreiben, die er auf eine niedertraͤchtige Art durch die Aufopferung ihrer Ehre zu erhalten ge - ſucht haͤtte; es waͤre ein Geſchenk, wel - ches ſie ſeinen zweenen Soͤhnen machte, und wodurch ſie mehr Segen erhalten wuͤr - den, als durch den Entwurf ihres Unter - gangs. Dem Fuͤrſten haͤtte ſie geſchrieben: ſie fliehe an der Hand eines edelmuͤthigen und wuͤrdigen Gemahls vor den Verfol - gungen ſeiner verhaßten und entehrenden Leidenſchaft; ſie habe inzwiſchen ihrem Oncle die Einkuͤnfte von ihren Guͤtern auf drey Jahre uͤberlaſſen, hoffe aber nach Verfluß dieſer Zeit ſie von der Ge - rechtigkeit des Landesfuͤrſten wieder zuruͤckA 5zu10zu erlangen; gegen Mylord aber haͤtte ſie ſich erklaͤrt: daß ſie ſeinen Geiſt und ſei - nen Gemuͤthscharacter jederzeit verehrt, und gewuͤnſcht habe, einigen Antheil an ſeiner Achtung zu haben; es waͤre ſehr wahrſcheinlich, daß die Umſtaͤnde, in wel - che man ſie geſtellt, ihre Gemuͤthsart mit einem ſo ſtarken Nebel umhuͤllet haͤtten, daß Er ſich keinen richtigen Begriff davon habe machen koͤnnen; ſie verſichere ihn aber, daß ſie ſeiner Hochachtung niemals unwuͤrdig geweſen, und ſeine harte nach - theilige Beurtheilung nicht verdient habe; und dieſes moͤchte er auch ſeinem Neffen Seymour leſen laſſen; Loͤbau ſey nach dieſer Entdeckung zum Fuͤrſten geeilt, der daruͤber ins groͤßte Erſtaunen gerathen, und aller Orten habe nachſchicken wollen; aber Graf F. haͤtte es misrathen, und es waͤre allein ein Courier an den Grafen R. nach Florenz abgeſchickt worden, von wannen man aber bis itzt keine Nachricht von dem Fraͤulein erhalten habe.

Solange die Erzaͤhlung von Mylord dauerte, ſchienen alle Triebfedern meinerSeele11Seele zuruͤckgehalten zu ſeyn; aber als er aufhoͤrte, kamen ſie in volle Bewegung. Er mußte meine bitterſten Klagen uͤber ſeine Politik hoͤren, durch die er mich verhindert hatte, mich mit dem edelſten Herzen zu verbinden. Jhre großmuͤthige Wohlthaͤtigkeit an ihrem Oncle, dieſe edle Rache fuͤr ſeine abſcheuliche Beleidigung, ihr Andenken an die Arme; und an mich, bey dem ſie gerechtfertigt zu ſeyn ſuchte; wie viele Riſſe in mein Herz? Wie ver - haßt wurde mir D., wie viele Muͤhe hatte ich, die Ausdruͤcke meines Zorns zu ver - bergen, wenn ich ihre Feinde ſah, oder wenn mir jemand von ihr reden wollte! Denn der herzhafte Schritt, welchen ſie zu ihrer Rettung gemacht, wurde von jedermann getadelt, alle ihre vortrefflichen Eigenſchaften verkleinert, und ihr Fehler und Laͤcherlichkeiten angedichtet, deren ſie gaͤnzlich unfaͤhig war. Wie elend, aber auch wie allgemein iſt das Vergnuͤgen, Fehler am Verdienſt auszuſpaͤhen! Tau - ſend Herzen ſind eher bereit, ſich zu der Bosheit zu erniedrigen, an einer vortreff -lichen12lichen Perſon die Gebrechen der Menſch - heit zu entdecken, als eines zu finden iſt, das die edle Billigkeit hat, einem andern den groͤßten Antheil an Kenntniſſen und Tugend einzugeſtehen, und ihn aufrichtig zu verehren.

Jch ſchickte einen Courier nach Florenz, und ſchrieb dem Grafen R. die Geſchichte ſeiner wuͤrdigen Nichte. Aus der Ant - wort, ſo ich von ihm erhielt, erfuhr ich, daß er nicht das geringſte von ihrem Auf - enthalte wiſſe. Alle Bemuͤhungen, wel - che er bis itzt angewandt, ſie auszuſpaͤ - hen, ſind vergeblich geweſen; und alles dieß vergroͤßert die Vorwuͤrfe, die ich mir wegen meiner uͤbereilten Abreiſe von D. mache. Warum wartete ich nicht auf die Folge meiner Unterredung? wenn man beſſern will, iſt es genug, bit - tere Verweiſe zu geben? Mein ganzes Herz wuͤrde ſich empoͤren, wenn ich einen Kranken ſchlagen oder mishandeln ſaͤhe: und ich gab einer Perſon, die ich liebte, die ich fuͤr verblendet hielt, Streiche, die ihre Seele verwunden mußten! Aber ichſah13ſah ſie als eine freywillige weggeworfene meiner Achtung unwuͤrdige Creatur an, und duͤnkte mich berechtiget, ihr auch ſo zu begegnen. Wie grauſam war meine Eigenliehe gegen das liebenswerthe Maͤd - chen! erſt wollte ich nicht von meiner Liebe reden, bis ſie ſich ganz nach meinen Begriffen in dem vollen Glanz einer triumphierenden Tugend gezeigt haben wuͤrde. Sie gieng ihren eigenen ſchoͤ - nen Weg, und weil ſie meinen idealiſchen Plan nicht befolgte, eignete ich mir die Gewalt zu, ſie daruͤber auf das empfind - lichſte zu beſtrafen. Wir beurtheilten und verdammten ſie alle! aber ſie wie edel, wie groß wird ſie, in dem Augen - blick, da ich ſie fuͤr erniedrigt hielt! ſie ſegnete in der weißen Maske mich wuͤten - den Menſchen, da ſie an den Rand eines fruͤhen Grabes geſtoßen hatte O, was kann ſie itzt von dem Geſchoͤpfe ſa - gen, durch deſſen Unbeſonnenheit ſie in eine uͤbereilte und gewiß ungluͤckliche Ehe geſtuͤrzt wurde, die ſie ſchon bereut, und nicht wieder brechen kann. Sie ſchriebmeinen14meinen Namen noch, ſie wollte, daß ich Gutes von ihr glauben ſoll! O Stern - heim, ſelbſt in deinem von mir verurſach - ten Elende wuͤrde deiue großmuͤthige, un - ſchuldige Seele die Marter meines Her - zens beweinen, wenn du darinn das Bild meiner erſten Hoffnungen mit allen Schmerzen der Selbſtberaubung vereinigt ſehen wuͤrdeſt!

Derby iſt nach einer Abweſenheit von acht Wochen wieder von einer Reiſe nach H. zuruͤckgekommen, und bewies mir eine ganz beſondere Achtſamkeit; ich goß allen meinen zaͤrtlichen Kummer bey ihm aus; er belachte mich, und behauptete, daß er mit dem Ruf ſeiner Bosheit viel weniger ſchaͤdlich ſey, als ich es durch dieſen Tu - gendeifer geweſen; ſeine Bosheit fuͤhre eine Art von Verwarnung bey ſich, die alle Menſchen vorſichtig machen koͤnne. Die Strenge meiner Grundſaͤtze haͤtte mir eine Grauſamkeit gegen die anſcheinenden, und unvermeidlichen Fehler der Menſchen gegeben, welche die Widerſpenſtigkeit der Boͤſen vermehre, und die guten Leute zurVer -15Verzweiflung bringe. Wie koͤmmt Derby zu dieſem Anſpruch der Wahrheit? ich fuͤhlte, ja ich fuͤhlte, daß er Recht hatte, daß ich grauſam war, daß ich es war, ich Elender! der die Beſte ihres Ge - ſchlechts ungluͤcklich gemacht.

O mein Freund, mein Lehrer, das Maaß meines Verdruſſes iſt voll; alle Stunden meines Lebens ſind vergiftet. John, unſer Sekretaire, iſt zwey Tage vor der Flucht des Fraͤuleins abgereiſet, und ſeitdem nicht mehr gekommen. Die Kammerjungfer des Fraͤuleins war ein - mal bey ihm, und unter ſeinen Papieren hat man ein zerriſſenes Blatt gefunden, wo mit der Hand meiner Sternheim ge - ſchrieben ſtund, ich gehe in alle Ur - ſachen ein, die Sie wegen der Verbor - genheit unſerer Verbindung angeben; ſorgen Sie nur fuͤr unſere Trauung; denn ohnvermaͤhlt werd ich nicht fort - gehen, ob ich gleich die Verbindung mit einem Englaͤnder allen andern vor - ziehe

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So iſt ſie alſo das Eigenthum eines der verwerflichſten Menſchen aller Natio - nen geworden! O, ich verfluche den Tag, wo ich ſie ſah, wo ich die ſympa - thetiſche Seele in ihr fand! und, ewig verdamme Gott den Boͤſewicht, dem ſie ſich in die Arme warf! Was fuͤr Raͤn - ke muß der Kerl gebraucht haben! es iſt nicht anders moͤglich, der Kummer hat ihren Verſtand zerruͤttet. Aber die Brie - fe, die ſie zuruͤck ließ, ſind in einem ſo wohlthaͤtigen, ſo edlem Ton, und mit ſo vielem Geiſte geſchrieben! doch duͤnkt mich einſt geleſen zu haben, daß juſt in einer Zerruͤttung der kuͤnſtlichen und ge - lernten Bewegung des Verſtandes die Triebfedern an den Tag kaͤmen, durch welche er von unſern natuͤrlichen und vorzuͤglichen Neigungen gebraucht wird. Urtheilen Sie alſo von dem edlen Grund des Charakters unſers Fraͤuleins.

Fraͤu -17

Fraͤulein von Sternheim an Emilia.

Hier in einem einſamen Dorfe, allen die mich ſehen, unbekannt, denen, die mich kannten, verborgen, hier fand ich mich wieder, nachdem ich durch meine Eigen - liebe und Empfindlichkeit ſo weit von mir ſelbſt gefuͤhrt worden, daß ich mit haſti - gen Schelten einen Weg betrat, vor welchem ich in gelaſſenen denkenden Ta - gen mit Schauer und Eifer geflohen waͤre; O wenn ich mir nicht ſagen koͤnnte, wenn meine Roſine, wenn Mylord Derby ſelbſt nicht zeugen muͤßten, daß alle Kraͤfte meiner Seele durch Unmuth und Krank - heit geſchwaͤcht und unterdruͤckt waren; wo, meine Emilia, wo naͤhme ich einen Augenblick Ruhe und Zufriedenheit bey dem Gedanken, daß ich heimliche Veran - ſtaltungen getroffen ein heimliches Buͤndniß gemacht, und aus dem Hauſe entflohen bin, in welches ich ſelbſt durch meinen Vater gegeben wurde.

II Theil. BEs18

Es iſt wahr, ich wurde in dieſem Hau - ſe grauſam gemishandelt; es war ohn - moͤglich, daß ich mit Vertrauen und Ver - gnuͤgen darinn bleiben konnte; gewiß war meine Verbitterung nicht ungerecht; denn wie konnte ich ohne den aͤußerſten Unmuth denken, daß mein Oncle, und meine Tante mich auf eine ſo niedertraͤch - tige Weiſe ihrem Eigennutze aufopferten, und Fallſtricke fuͤr meine Ehre flechten, und legen halfen?

Jch hatte ſonſt keinen Freund in D., mein Herz empoͤrte ſich bey der geringſten Vorſtellung, die ich nach wiedererlangter Geſundheit, Verwandte, die mich mei - nes Ruhms beraubt, und diejenigen wie - der ſehen muͤßte, die uͤber meinen Wider - ſtand und Kummer geſpottet hatten, und alle ſchon lange zuvor die Abſichten wuß - ten, welche man durch meine Vorſtellung bey Hofe erreichen wollte. Ja, alle wußten es, ſogar mein Fraͤulein C., und keines von allen war edel und menſchlich genug, mir, nachdem man doch meinen Charakter kannte, nur den geringſtenFinger -19Fingerzeig zu geben; mir, die ich keine Seele beleidigte, mich bemuͤhte, meine Geſinnungen zu verbergen, ſo bald ſie die ihrige zu tadeln, oder zu verdrießen ſchienen! Wie bereit war ich, alles, was mir Fehler daͤuchte, zu entſchuldigen! Aber ſie dachten, es waͤre nicht viel an einem Maͤdchen, aus einer ungleichen Ehe, ver - loren. Konnte ich bey dieſem vollen Uebermaaße von Beleidigungen, die uͤber meinen Charakter, meine Geburt und meinen Ruhm ausgegoſſen wurden, den Troſt von mir werfen, den mir die Ach - tung und Liebe des Mylord Derby anbot? Die Entfernung des Grafen, und der Graͤfinn R., ihr Stillſchweigen auf meine letzten Briefe, die Unart, mit welcher mir die Zuflucht auf meine Guͤter verſagt wur - de; und, meine Emilia, ich berge es Jh - nen nicht, meine Liebe zu England, der an - geſehene Stand, zu welchem mich Mylord Derby durch ſeine Hand und ſeine Edelmuͤ - thigkeit erhob; auch dieſe zwo Vorſtellun - gen hatten große Reize fuͤr meine verlaſſene und betaͤubte Seele. Jch war vorſichtig ge -B 2nug,20nug, nicht unvermaͤhlt aus meinem Hau - ſe zu gehen, ich ſchrieb es dem Fuͤrſten, dem Mylord Craſton und meinem Oheim. Jch nannte meinen Gemahl nicht; wie - wohl er ſo großmuͤthig war, mir die volle Freyheit dazu zu laſſen, ohngeachtet er damit die Gnade des Geſandten und ſei - nes Hofes verwirkt haͤtte; weil man den Gedanken faſſen konnte, Mylord Craſton haͤtte dazu geholfen, und dieſer Argwohn widrige Folgen haͤtte haben koͤnnen; ſoll - te ich da nicht auch großmuͤthig ſeyn, und denjenigen, der mich liebte und rettete, durch mein Stillſchweigen vor Verdruß und Verantwortung bewahren? Es war genug, daß er den Geſandtſchaftspredi - ger gewann, dem ich die ganze Geſchichte meiner geheimen Trauung ſchrieb, und welchem Mylord eine Penſion giebt, wo - von er wird leben koͤnnen, wenn er auch die Stelle bey dem Geſandten verliert. Durch alles dieſes unterſtuͤtzt, reißte ich mit frohem Herzen von D. ab, von einem der getreueſten Leute des Lords begleitet; mein Gemahl mußte, um allen Verdachtauszu -21auszuweichen, zuruͤckbleiben, und den Feſten beywohnen, welche zween frem - den Prinzen zu Ehren angeſtellt wurden. Dieſer Umſtand war mir angenehm, denn ich wuͤrde an ſeiner Seite gezittert und gelitten haben, da ich hingegen mit un - ſerer Roſine gluͤcklich und ruhig meinen Weg fortſetzte, bis ich in dieſem kleinen Dorfe meinen Aufenthalt nahm, wo ich vier Wochen war, ehe Mylord den ſchick - lichen Augenblick finden konnte, ohne Be - ſorgniß zu mir zu eilen. Mein erſter Gedanke war immer, meine Reiſe nach Florenz zu verfolgen, und Mylorden da zu erwarten; aber ich konnte ſeine Ein - willigung dazu nicht erlangen, und auch itzt will er ſich vorher voͤllig von Mylord Craſton losmachen, und erſt alsdann mit mir zum Grafen R., nach dieſem aber ge - rade in ſein Vaterland gehen.

Jn dieſen vier Wochen, da ich allein war, hielt ich mich eingeſperrt, und hat - te keine andere Buͤcher, als etliche eng - liſche Schriften von Mylord, die ich nicht leſen mochte, weil ſie uͤbergebliebene Zeug -B 3niſſe22niſſe ſeiner durch Beyſpiel und Verfuͤh - rung verderbten Sitten waren. Jch warf ſie auch alle an dem erſten kalten Herbſttage, der mich noͤthigte Feuer zu machen, in den Ofen, weil ich nicht ver - tragen konnte, daß dieſe Buͤcher und ich einen gemeinſamen Herrn, und Wohn - platz haben ſollten. Die Tage wurden mir lang, meine Roſina nahm ſich Naͤh - arbeit von unſrer Wirthinn, und ich fieng an mit dem zunehmenden Gefuͤhl, der ſich wieder erhohlten Kraͤfte meines Geiſtes, Betrachtungen uͤber mich und mein Schickſal anzuſtellen.

Sie ſind traurig, dieſe Betrachtungen, durch den Widerſpruch, der ſeit dem Tod meines geliebten ehrwuͤrdigen Vaters, noch mehr aber ſeit dem Augenblick mei - nes Eintritts in die große Welt, zwiſchen meinen Neigungen und meinen Umſtaͤnden herrſchet.

O haͤtte ich meinen Vater nur behal - ten, bis meine Hand unter ſeinem Seegen an einen wuͤrdigen Mann gegeben gewe - ſen waͤre! Meine Gluͤcksumſtaͤnde ſindvortheil -23vortheilhaft genug, und da ich nebſt meinem Gemahl den Spuren der edlen Wohlthaͤtigkeit meiner Aeltern gefolgt waͤre, ſo wuͤrde die ſelige Empfin - dung eines woylangewandten Lebens, und die Freude uͤber das Wohl meiner Untergebenen alle meine Tage gekroͤnt haben. Warum hoͤrte ich die Stimme nicht, die mich in P. zuruͤckhalten wollte, als meine Seele ganz mit Bangigkeit er - fuͤllt, ſich der Zuredungen meines Oheims, und Jhres Vaters widerſetzte? Aber ich ſelbſt dachte endlich, daß Vorurtheil und Eigenſinn in meiner Abneigung ſeyn koͤnn - te, und willigte ein, daß der arme Faden meines Lebens, der bis dahin ſo rein und gleichfoͤrmig fortgeloffen war, nun mit dem verworrnen, ungleichen Schickſal meiner Tante verwebt wurde, woraus ich durch nichts als ein gewaltſames Abreißen aller Nebenverbindungen loskommen konn - te. Mit dieſem vereinigte ſich die Ver - ſchwoͤrung wider meine Ehre, und meine von Jugend auf genaͤhrte Empfindſamkeit, die nur ganz allein fuͤr meine beleidigteB 4Eigen -24Eigenliebe arbeitete. O, wie ſehr hab ich den Unterſchied der Wuͤrkungen der Em - pfindſamkeit fuͤr andere, und der fuͤr uns allein kennen gelernt!

Die zwote iſt billig, und allen Men - ſchen natuͤrlich! aber die erſte allein iſt edel; ſie allein unterhaͤlt die Wahrſchein - lichkeit des Ausdrucks, daß wir nach dem Ebenbild unſers Urhebers geſchaffen ſeyn, weil dieſe Empfindſamkeit fuͤr das Wohl und Elend unſers Nebenmenſchen die Triebfeder der Wohlthaͤtigkeit iſt, der einzigen Eigenſchaft, welche ein zwar un - vollkommnes, aber gewiß aͤchtes Gepraͤge dieſes goͤttlichen Ebenbildes mit ſich fuͤhrt; ein Gepraͤge, ſo der Schoͤpfer allen Crea - turen der Coͤrperwelt eindruͤckte, als in welcher das geringſte Grashaͤlmchen durch ſeinen Beytrag zur Nahrung der Thiere eben ſo wohlthaͤtig iſt, als der ſtarke Baum es auf ſo mancherley Weiſe fuͤr uns wird. Das kleinſte Sandkoͤrnchen erfuͤllt ſeine Beſtimmung wohlthaͤtig zu ſeyn, und die Erde durch Lockernheit fruchtbar zu erhalten, ſo wie die großenFelſen25Felſen, die uns ſtaunen machen, unſern allgemeinen Wohnplatz befeſtigen helfen. Jſt nicht das ganze Pflanzen - und Thier - reich mit lauter Gaben der Wohlthaͤtig - keit fuͤr unſer Leben erfuͤllt? Die ganze phyſicaliſche Welt bleibt dieſen Pflichten getreu; durch jedes Fruͤhjahr werden ſie erneuert; nur die Menſchen arten aus, und loͤſchen dieſes Gepraͤge aus, welches in uns viel ſtaͤrker, und in groͤßerer Schoͤnheit glaͤnzen wuͤrde, da wir es auf ſo vielerley Weiſe zeigen koͤnnten.

Sie erkennen hier, meine Emilia, die Grundſaͤtze meines Vaters: meine Me - lancholie rief ſie mir ſehr lebhaft zuruͤck, da ich in der Ruhe der Einſamkeit mich umwandte, und den Weg abmaß, durch welchen mich meine Empfindung ge - jagt, und ſo weit von dem Orte meiner Beſtimmung verſchlagen hatte. O, ich bin den Pflichten der Wohlthaͤtigkeit des Beyſpiels entgangen!*)Aber werden nicht eben durch dieſes war - nende Beyſpiel ihre Fehler ſelbſt wohlthaͤtig? Warum NiemandB 5wird26wird ſagen, daß Kummer und Verzweif - lung Antheil an meinem Entſchluß hat - ten; aber jede Mutter wird ihre Tochter durch die Vorſtellung meiner Fehler war - nen; und jedes bildet ſich ein, es wuͤrde ein edlers und tugendhafters Huͤlfsmittel gefunden haben. Jch ſelbſt weiß, daß es ſolche giebt; aber mein Geiſt ſah ſie damals nicht, und es war niemand guͤ - tig genug, mir eines dieſer Mittel zu ſa - gen. Wie ungluͤcklich iſt man, meine Emilia, wenn man Entſchuldigungen ſu - chen muß, und wie traurig iſt es, ſie zu leicht, und unzulaͤnglich zu finden! So lang ich fuͤr andere unempfindlich war, fehlte ich nur gegen die Vorurtheile der fuͤhlloſen Seelen, und wenn es auch ſchien, daß meine Begriffe von Wohlthaͤtigkeit uͤbertrieben waͤren, ſo blieben ſie doch durch das Gepraͤge des goͤttlichen Eben - bildes verehrungs - und nachahmungs -wuͤrdig.*)Warum findet ſie nichts troͤſtendes in dieſer Betrachtung? Weil anch die edelmuͤ - thigſten Seelen nicht auf Unkoſten ihrer Eigenliebe wohlthaͤtig ſind. H.27wuͤrdig. Aber itzt, da ich nur fuͤr mich empfand, fehlte ich gegen den Wohlſtand und gegen alle geſellſchaftliche Tugenden eines guten Maͤdchens. Wie dunkel, o wie dunkel iſt dieſer Theil meines ver - gangenen Lebens! was bleibt mir uͤbrig, als meine Augen auf den Weg zu heften, den ich nun vor mir habe, und darinn einen geraden Schritt, bey klarem Lichte fortzugehen?

Meine erſten Erquickungsſtunden hab ich in der Beſchaͤfftigung gefunden, zwo arme Nichten meiner Wirthinn arbeiten und denken zu lehren. Sie wiſſen, Emi - lia, daß ich gerne beſchaͤfftiget bin. Mein Nachdenken, und meine Feder machten mich traurig; ich konnte am ge - ſchehenen nichts mehr aͤndern, mußte den Tadel, der uͤber mich ergieng, als eine gerechte Folge meiner irregegangenen Ei - genliebe anſehen, und meine Ermunterung außer mir ſuchen, theils in dem Vorſatze, Mylord Derby zu einem gluͤcklichen Ge - mahl zu machen, theils in der Beſtrebungmeinen28meinen uͤbrigen Nebenmenſchen alles moͤg - liche Gute zu thun. Jch erkundigte mich nach den Armen des Orts, und ſuchte ih - nen Erleichterung zu ſchaffen. Bey die - ſer Gelegenheit, ſagte mir die gute Roſina, von zwoen Nichten der Wirthinn, armen verwaißten Maͤdchen, die der Wirth haß - te, und auch ſeiner Frau, deren Schwe - ſter-Toͤchter ſie ſind, wegen dem wenigen, ſo ſie genießen, ſehr uͤbel begegnete. Jch ließ ſie zu mir kommen, forſchte ihre Nei - gungen aus, und was jede ſchon gelernt haͤtte, oder noch lernen moͤchte; beyde wollten die Kuͤnſte der Jungfer Roſine wiſſen; ich theilte mich alſo mit ihr in dem Unterricht der guten Kinder; ich ließ auch beyde kleiden, und ſie kamen gleich den andern Tag, um meinem Anziehen zuzuſehen. Vierzehn Tage darauf be - dienten ſie mich wechſelsweiſe. Jch rede - te ihnen von den Pflichten des Standes, in welchen Gott ſie, und von denen, in welchen er mich geſetzt habe, und brachte es ſo weit, daß ſie ſich viel gluͤcklicher achteten, Kammerjungfern, als Damenzu29zu ſeyn, weil ich ihnen ſehr von der gro - ßen Verantwortung ſagte, die uns wegen dem Gebrauch unſrer Vorzuͤge und unſrer Gewalt uͤber andere aufgelegt ſey. Jhre Begriffe von Gluͤck, und ihre Wuͤnſche waren ohnehin begrenzt, und die kleinen Prophezeyhungen, die ich, jeder nach ih - rer Gemuͤthsart machen kann, vergnuͤ - gen ſie ungemein; ſie glauben, ich wiſſe ihre Gedanken zu leſen. Jch zahle dem Wirth ein Koſtgeld fuͤr ſie, und kaufe al - les, was ſie zu ihren Lehrarbeiten noͤthig haben. Jch halte ihnen Schreibe - und Rechnungsſtunden, und ſuche auch, ih - nen einen Geſchmack im Putz einer Dame zu geben, beſonders lehre ich ſie alle Gat - tung von Charakter zu kennen, und mit guter Art zu ertragen. Die Wirthinn und ihre Nichten ſehen mich als ihren Engel an, und wuͤrden alle Augenblicke vor mir knien, und mir danken, wenn ich es dul - den wollte. Suͤße gluͤckliche Stunden, die ich mit dieſen Kindern hinbringe! Wie oft erinnere ich mich an den Ausſpruch eines neuern Weiſen, welcher ſagte: biſt du30 du melancholiſch, ſiehſt du nicht zu dei - nem Troſt um dich her

Ließ in der Bibel;

Befreye dich von einem anklebenden Fehler; oder ſuche deinem Nebenmen - ſchen Gutes zu thun: ſo wird gewiß die Traurigkeit von dir weichen

Edles unfehlbares Huͤlfsmittel! wie hoͤchſt vergnuͤgt gehe ich mit meinen Lehr - maͤdchen ſpazieren, und rede mit ihnen von der Guͤte unſers gemeinſamen Schoͤpfers! Mit welchem innigen Vergnuͤgen erfuͤllt ſich mein Herz, wenn ich beyde, uͤber meine Reden bewegt, ihre Augen mit Ehrfurcht und Dankbarkeit gen Himmel wenden ſeh, und, ſie mir dann meine Haͤnde kuͤſſen und druͤcken: in dieſen Augenblicken, Emilia, bin ich ſogar mit meiner Flucht zufrieden, weil ich ohne ſie dieſe Kinder nicht gefunden haͤtte.

Fraͤu -31

Fraͤulein von Sternheim an Emilien.

O noch einmal ſo lieb ſind mir mei - ne Maͤdchen geworden, ſeitdem Mylord da war; denn durch die Freude an den unſchuldigen Creaturen, hat ſich mein Geiſt und mein Herz geſtaͤrkt. Mylord liebt das Ernſthafte meiner Gemuͤthsart nicht; er will nur meinen Witz genaͤhrt haben; meine ſchuͤchterne und ſanfte Zaͤrt - lichkeit, iſt auch die rechte Antwort nicht, die ich ſeiner raſchen und heftigen Liebe entgegen ſetze, und uͤber das Verbrennen ſeiner Buͤcher hat er einen maͤnnlichen Hauszorn geaͤußert. Er war drey Wo - chen da. Jch durfte meine Maͤdchen nicht ſehen; ſeine Gemuͤthsverfaſſung ſchien mir ungleich; bald aͤußerſt munter, und voller Leidenſchaft! bald wieder duͤ - ſter und trocken; ſeine Blicke oft mit Laͤ - cheln, oft mit denkendem Misvergnuͤgen auf mich geheftet. Jch mußte ihm die Urſachen meines anfaͤnglichen Widerwil -lens32lens gegen ihn, und meine Aenderung er - zaͤhlen; ſodann fragte er mich uͤber mei - ne Geſinnungen fuͤr Lord Seymour. Mein Erroͤthen bey dieſem Namen gab ſeinem Geſicht einen mir entſetzlichen Aus - druck, den ich ihnen nicht beſchreiben kann, und in einer noch viel empfindlichern Ge - legenheit merkte ich, daß er eiferſuͤchtig uͤber Mylord Seymour iſt; ich werde alſo beſtaͤndig wegen anderer zu leiden ha - ben. Mylord liebt die Pracht, und hat mir viel koſtbare Putzſachen gegeben, ich werde in ſeine Geſinnung eingehen, un - geachtet ich mich lieber in Beſcheidenheit als in Pracht hervorthun moͤchte. Gott gebe, daß dieſes der einzige Punkt ſeyn moͤge, in welchem wir verſchieden ſeyn; aber ich fuͤrchte mehrere. O Emilie, beten Sie fuͤr mich! Mein Herz hat Ahndungen; ich will keine Gefaͤlligkeit, kei - ne Bemuͤhung verſaͤumen, meinem Ge - mahl angenehm zu ſeyn; aber ich werde oft ausweichen muͤſſen; wenn ich nur meinen Charakter, und meine Grund - ſaͤtze nicht aufopfern muß!

Jch33

Jch waͤhlte ihn, ich uͤbergab ihm mein Wohl, meinen Ruhm, mein Leben; ich bin ihm mehr Ergebenheit, und mehr Dank ſchuldig, als ich meinem Gemahl unter andern Umſtaͤnden ſchuldig waͤre.

O wenn ich einſt in England in mei - nem eignen Hauſe bin, und Mylord in Geſchaͤfften ſeyn wird, die dem Stolz ſei - nes Geiſtes angemeſſen ſind: dann wird, hoffe ich, ſein wallendes Blut im ruhigen Schooße ſeiner Familie ſanfter fließen lernen, ſein Stolz in edle Wuͤrde ſich verwandeln, und ſeine Haſtigkeit tu - gendhafter Eifer fuͤr ruͤhmliche Thaten werden. Dieſen Muth werd ich unter - halten, und, da ich nicht ſo gluͤcklich war, eine Griechinn der alten Zeiten zu ſeyn, mich bemuͤhen, wenigſtens eine der beſten Englaͤnderinnen zu werden.

II Theil. CMylord34

Mylord Derby an ſeinen Freund.

Verwuͤnſcht ſeyſt du mit deinen Vorher - ſagungen; was hatteſt du ſie in meine Liebesgeſchichte zu mengen? Meine Be - zauberung wuͤrde nicht lange dauern, ſagteſt du! wie zum Henker konnte dein Dummkopf dieſes in Paris ſehen, und ich hier ſo ganz verblendet ſeyn? Aber Kerl, du haſt doch nicht ganz recht! Du ſprachſt von Saͤttigung; dieſe hab ich nicht, und kann ſie nicht haben, weil mir noch viel von der Jdee des Genuſſes fehlt; und den - noch kann ich ſie nicht mehr ſehen! Mei - ne Sternheim, meine eigene Lady nicht mehr ſehen! Sie, die ich fuͤnf Monate lang bis zum Unſinn liebte! Aber ihr Verhaͤng - niß hat mein Vergnuͤgen, und ihre Geſin - nungen gegen einander geſtellt; mein Herz wankte zwiſchen beyden; ſie hat die Macht der Gewohnheit miskannt; ſie hat die feu - rigen Umarmungen ihres Liebhabers bloß mit der matten Zaͤrtlichkeit einer froſtigenEhe -35Ehefrau erwiedert; kalte mit Seuf - zen unterbrochene Kuͤſſe gab ſie mir, ſie, die ſo lebhaft mitleidend, ſie, die ſo ge - ſchaͤfftig, ſo brennend eifrig fuͤr Jdeen, fuͤr Hirngeſpenſter ſeyn kann! Wie ſuͤß, wie anfeſſelnd, hab ich mir ihre Liebe, und ihren Beſitz vorgeſtellt! wie begierig war ich auf die Stunde, die mich zu ihr fuͤhrte! Pferde, Poſtknechte, und Bedienten haͤt - te ich der Geſchwindigkeit meiner Reiſe aufopfern wollen. Stolz auf ihre Ero - berung, ſah ich den Fuͤrſten und ſeine Helfer mit Verachtung an. Mein Herz, mein Puls klopften vor Freude, als ich das Dorf erblickte, wo ſie war, und bey - nah haͤtt ich aus Ungeduld meine Piſtole auf den Kerl losgefeuert, der meine Chaiſe nicht gleich aufmachen konnte. Jn fuͤnf Schritten war ich die Treppe hinauf. Sie ſtund oben in engliſcher Kleidung, weiß, ſchoͤn, majeſtaͤtiſch ſah ſie aus; mit Entzuͤckung ſchloß ich ſie in meine Arme. Sie bewillkommte mich ſtam - melnd; wurde bald roth, bald blaß. Jh - re Niedergeſchlagenheit haͤtte mich gluͤck -C 2lich36lich gemacht, wenn ſie nur einmal die Miene des Schmachtens der Liebe gehabt haͤtte; aber alle ihre Zuͤge waren allein mit Angſt und Zwang bezeichnet. Jch gieng mich umzukleiden, kam bald wie - der, und ſah durch eine Thuͤre ſie auf der Bank ſitzen, ihre beyden Arme um den Vorhang des Fenſters geſchlungen, alle Muskeln angeſtrengt, ihre Augen in die Hoͤhe gehoben, ihre ſchoͤne Bruſt von ſtarkem tiefen Athemholen, langſam be - wegt; kurz, das Bild der ſtummen Ver - zweiflung! Sage, was fuͤr Eindruͤcke mußte das auf mich machen? Was ſollt ich davon denken? Meine Ankunft konnte ihr neue, unbekannte Erwartungen ge - ben; etwas bange mochte ihr werden; aber wenn ſie Liebe fuͤr mich gehaht haͤt - te, war wohl dieſer ſtarke Kampf natuͤr - lich? Schmerz und Zorn bemaͤchtigten ſich meiner; ich trat hinein; ſie fuhr zu - ſammen, und ließ ihre Arme, und ihren Kopf ſinken; ich warf mich zu ihren Fuͤſ - ſen, und faßte ihre Knie mit ſtarren be - benden Haͤnden.

Laͤcheln37

Laͤcheln Sie, Lady Sophie, laͤcheln Sie, wenn Sie mich nicht unſinnig machen wollen ſchrie ich ihr zu.

Ein Strom von Thraͤnen floß aus ih - ren Augen. Meine Wuth vergroͤßerte ſich, aber ſie legte ihre Arme um meinen Hals, und lehnte ihren ſchoͤnen Kopf auf meine Stirne.

Theurer Lord, o, ſeyn Sie nicht boͤſe, wenn Sie mich noch empfindlich fuͤr meine ungluͤckliche Umſtaͤnde ſehen; ich hoffe, durch Jhre Guͤte alles zu vergeſſen.

Jhr Hauch, die Bewegung ihrer Lippen, die ich, indem ich redte, auf meiner Wange fuͤhlte, einige Zaͤhren, die auf mein Geſicht fielen, loͤſchten meinen Zorn, und gaben mir die zaͤrtlichſte, die gluͤcklichſte Empfindung, die ich in dreyen Wochen mit ihr genoß. Jch umarmte, ich beruhigte ſie, und ſie gab ſich Muͤhe den uͤbrigen Abend, und beym Speiſen zu laͤcheln. Manchmal deckte ſie mir mit allem Zauber der jung - fraͤulichen Schamhaftigkeit die Augen zu, wenn ihr meine Blicke zu gluͤhend ſchienen.

C 3Reizen -38

Reizende Creatur, warum bliebſt du nicht ſo geſinnt? warum zeigteſt du mir deine ſympathetiſche Neigung zu Sey - mour?

Die uͤbrigen Tage ſuchte ich munter zu ſeyn. Jch hatte ihr eine Laute mitgebracht, und ſie war gefaͤllig genug, mir ein artiges welſches Liedchen zu ſingen, welches ſie ſelbſt gemacht hatte, und worinn ſie die Venus um ihren Guͤrtel bat, um das Herz, ſo ſie liebte, auf ewig damit an ſich zu ziehen. Die Gedanken waren ſchoͤn und fein ausgedruͤckt, die Melodie ruͤhrend, und ihre Stimme ſo voll Affect, daß ich ihr mit der ſuͤßeſten und ſtaͤrkſten Leiden - ſchaft zuhoͤrte. Aber mein ſchoͤner Traum verflog durch die Beobachtung, daß ſie bey den zaͤrtlichſten Stellen, die ſie am beſten ſang, nicht mich, ſondern mit haͤn - gendem Kopfe die Erde anſah, und Seuf - zer ausſtieß, welche gewiß nicht mich zum Gegenſtande hatten. Jch fragte ſie am Ende, ob ſie dieſes Lied heute zum er - ſtenmale geſungen? Nein, ſagte ſie erroͤ - thend; dieſes veranlaßte noch einige Fra -gen39gen, uͤber die Zeit, da ſie angefangen haͤt - te, gut fuͤr mich zu denken, und uͤber ih - re Geſinnungen fuͤr Seymour. Aber verdammt ſey die Freymuͤthigkeit, mit welcher ſie mir antwortete; denn damit hat ſie alle Knoten losgemacht, die mich an ſie banden. Hundert Kleinigkeiten, und ſelbſt die Muͤhe, die es ſie koſtete, zaͤrt - lich und froͤhlich zu ſeyn, uͤberzeugten mich, daß ſie mich nicht liebte. Ein we - nig Achtung fuͤr meinen Witz und fuͤr mei - ne Freygebigkeit, die Freude nach Eng - land zu kommen, und kalter Dauk, daß ich ſie von ihren Verwandten, und dem Fuͤrſten befreyet hatte: dieß war alles, was ſie fuͤr mich empfand, alles, was ſie in meine Arme brachte! Ja, ſie war un - vorſichtig genug, mir auf meine verliebte Bitte, die Eigenſchaften zu nennen, die ſie am meiſten an mir lieben wuͤrde, nichts anders als ein Gemaͤhlde von Sey - mour vorzuzeichnen; und immer betrieb ſie unſere Reiſe nach Florenz; deutliches Anzeigen, daß ſie nicht fuͤr das Gluͤck meiner Liebe, ſondern fuͤr die Befriedi -C 4gung40gung ihres Ehrgeizes bedacht war! denn ſie vergiftete alle Tage ihres Beſitzes durch dieſe Erinnerung, welcher ſie alle moͤgli - che Wendungen gab, ſo gar, daß ſie mich verſicherte, ſie wuͤrde mich erſt in Florenz lieben koͤnnen. Sie vergiftete, ſagt ich, dir mein Gluͤck, aber auch zugleich mein Herz, welches naͤrriſch genug war, ſich zuweilen meine falſche Heurath gereuen zu laſſen, und ſehr oft ihre Partie wider mich ergriff. Jn der dritten Woche fraß das Uebel um ſich. Jch hatte ihr engli - ſche Schriften gegeben, die mit dem feu - rigſten und lebendigſten Gemaͤhlden der Wolluſt angefuͤllt waren. Jch hoffte, daß einige Funken davon, die entzuͤndbare Seite ihrer Einbildungskraft treffen ſoll - ten: aber ihre widerſinnige Tugend ver - brannte meine Buͤcher, ohne ihr mehr zu erlauben, als ſie durchzublaͤttern, und zu verdammen. Der Verluſt der Buͤcher, und meiner Hoffnung brachte einen klei - nen Ausfall von Unmuth hervor, den ſie mit gelaſſener Tapferkeit aushielt. Zween Tage hernach, kam ich an ihren Nacht -tiſch41tiſch, juſt wie ihre ſchoͤnen Haare gekaͤmmt wurden; ihre Kleidung war von weißem Muſſelin, mit rothem Taft, nett an den Leib angepaßt, deſſen ganze Bildung das vollkommenſte Ebenmaaß der griechiſchen Schoͤnheit iſt; wie reizend ſie ausſah! ich nahm ihre Locken, und wand ſie unter ihrem rechten Arme um ihre Huͤften. Milton’s Bild der Eva kam mir in den Sinn. Jch ſchickte ihr Kammermenſch weg, und bat ſie, ſich auf einen Augen - blick zu entkleiden, um mich ſo gluͤcklich zu machen, in ihr den Abdruck des erſten Meiſterſtuͤcks der Natur zu bewundern. *)Welche Zumuthung, Mylord Derby? Konn - ten Sie ihre Zeit nicht beſſer nehmen. H.Schamroͤthe uͤberzog ihr ganzes Geſicht; aber ſie verſagte mir meine Bitte gerade zu; ich drang in ſie, und ſie ſtraͤubte ſich ſo lan - ge, bis Ungeduld und Begierde mir einga - ben ihre Kleidung vom Hals an durchzureiſ - ſen, um auch wider ihren Willen zu meinem Endzweck zu gelangen. Sollteſt du glau - ben, wie ſie ſich bey einer in unſern Umſtaͤn - den ſo wenig bedeutenden Freyheit gebehr -C 5dete?42dete? Mylord, rief ſie aus, Sie zerreiſſen mein Herz, und meine Liebe fuͤr Sie; niemals werd ich Jhnen dieſen Mangel feiner Empfindungen vergeben! O Gott, wie verblendet war ich! Bittere Thraͤnen, und heftiges Zuruͤckſtoſ - ſen meiner Arme, begleiteten dieſe Ausru - fungen. Jch ſagte ihr trocken: ich waͤre ſicher, daß ſie dem Lord Seymour dieſe Unempfindlichkeit fuͤr ſein Vergnuͤgen nicht gezeigt haben wuͤrde. Und ich bin ſicher, ſagte ſie im hohen tragiſchen Ton, daß Mylord Seymour mich einer edlern, und feinern Liebe werth gehalten haͤtte.

Haſt du jemals die Narrenkappe einer ſonderbaren Tugend mit wunderlichern Schellen behangen geſehen, als daß ein Weib ihre vollkommenſte Reize nicht geſe - hen, nicht bewundert haben will? Und wie albern eigenſinnig war der Unter - ſchied, den ſie zwiſchen meinen Augen, und meinem Gefuͤhl machte? Jch wollt es Nachmittags von ihr ſelbſt erklaͤrt wiſ - ſen, aber ſie konnte mit allem Nach - ſinnen nichts anders ſagen, als daß ſiebey43bey Entdeckung der beſten moraliſchen Ei - genſchaften ihrer Seele, die nehmliche Widerſtrebung aͤußern wuͤrde, ungeachtet ſie mir geſtund, daß ſie mit Vergnuͤgen be - merkte, wenn man von ihrem Geiſt, und von ihrer Figur vortheilhaft urtheile; dennoch wolle ſie lieber dieſes Vergnuͤgen entbehren, als es durch ihre eigene Be - muͤhung erlangen. *)Jn der That loͤſet dieſe Antwort das Raͤth - ſel gar nicht auf. Mylord Derby erſparte ihr ja dieſe eigene Bemuͤh[u] ng Warum wurde ſie dennoch ſo ungehalten? War - um ſagte ſie, er zerreiſſe ihr Herz, da er doch nur ihr Deshabille zerriß? Ver - muthlich, weil ſie ihn nicht liebte, nicht zu einer ſolchen Scene durch die gehoͤrige Gra - dation vorbereitet, und uͤberhaupt in einer Gemuͤthsverfaſſung war, welche einen zu ſtar - ken Abſatz von der ſeinigen machte, um ſich zur Gefaͤlligkeit fuͤr einen Einfall, in welchem mehr Muthwillen als Zaͤrtlichkeit zu ſeyn ſchien, herabzulaſſen. H.Denkſt du wohl, daß ich mit dieſem verkehrten Kopfe ver - gnuͤgt ſollte leben koͤnnen? Dieſes Gemi - ſche von Verſtand und Narrheit hat ihrganzes44ganzes Weſen durchdrungen, und gießt Traͤgheit und Unluſt uͤber alle Bewegun - gen meiner muntern Fibern aus. Sie iſt nicht mehr die Creatur, die ich liebte; ich bin alſo auch nicht mehr verbunden, das zu bleiben, was ich ihr damals zu ſeyn ſchien. Sie ſelbſt hat mir den Weg gebahnt, auf welchem ich ihren Feſ - ſeln entfliehen werde. Der Tod meines Bruders ſtimmt ohnehin die Saiten mei - ner Leyer auf einen andern Ton; Jch muß vielleicht bald nach England zuruͤcke, und dann kann Seymour ſein Gluͤcke bey meiner Witwe verſuchen; denn ich denke, ſie wird’s bald ſeyn; und bloß ih - rem eigenen Betragen wird ſie dieß zu danken haben. Da ſie ſich fuͤr meine Ehefrau haͤlt, war es nicht ihre Pflicht, ſich in allem nach meinem Sinne zu ſchi - cken? Hat ſie dieſe Pflicht nicht gaͤnzlich aus den Augen geſetzt? Liebt ſie nicht ſo gar einen andern? Und iſt es alſo nicht billig und recht, daß der Betrug, den ihr Ehrgeiz an mir begangen, auch durch mich an ihrem Ehrgeiz geraͤchet werde? Freu -dig45dig ſeh ich um mich her, wenn ich beden - ke, das ich das auserwaͤhlte Werkzeug war, durch welches die Niedertraͤchtigkeit ihres Oheims, die Luͤſternheit des Fuͤrſten, und die Dummheit der uͤbrigen Helfer ge - ſtraft wurde! Es iſt ja ein angenomme - ner Lehrſatz; daß die Vorſicht ſich der Boͤſewichter bediene, um die Vergehun - gen der Frommen zu ahnden. Jch war alſo nichts als die Maſchine, durch welche das Weglaufen der Sternheim ge - buͤßt werden ſollte; dazu wurde mir auch das noͤthige Pfund von Gaben und Ge - ſchicklichkeit gegeben. Meine Belohnung hab ich genoſſen. Sie moͤgen ſich nun ſammt und ſonders ihre erhaltene Zuͤchti - gung zu Nutz machen!

Wiſſe uͤbrigens, daß ich wuͤrklich der Vertraute von Seymourn geworden bin. Auf einem Dorfe ſaß er, und beheulte den Verluſt der Tugend des Maͤdchens, waͤhrend, daß ich es in aller Stille auf der andern Seite unter Dach brachte, und ihn belachte. Er wollte von mir wiſſen, wer wohl der Gemahl, mit demſie46ſie, nach ihrem Briefe, entflohen waͤre, ſeyn koͤnnte? Er hat Couriere nach Flo - renz abgeſchickt; aber ich hab ein Mittel gefunden, ſeinen Nachſpuͤrungen Einhalt zu thun, da ich in dem letzten Billet, das mir die Sternheim nach D. geſchrieben hatte, alle Worte abriß, die mich haͤtten verrathen koͤnnen, und das uͤbrige Stuͤck unter die Papiere des Sekretairs John warf, uͤber deſſen Ausbleiben man ſtutzig wurde, und ſein Zimmer auf mein An - rathen ausſuchte. Bey dieſem Stuͤck Pa - pier wurden dann die Vermuthungen auf ihn feſtgeſetzt, und er fuͤr den Erloͤſer er - klaͤrt, den ſich das feine Maͤdchen erwaͤhlt habe. Eine Sache, die man als den Beweis anſah, daß lauter buͤrgerliche Begriffe und Neigungen in ihrer Seele herrſchen; und ein Text, woruͤber nun die adelichen Muͤtter ihren Toͤchtern gegen die Heurathen außer Stand Jahre lang predigen werden. Seymours Liebe ver - ſinkt in Unmuth und Verachtung; er nennt ihren Namen nicht mehr, und ſchickt keine Couriere mehr fort, ich abererwarte47erwarte einen aus England, und dann wirſt du erfahren, ob ich zu dir komme oder nicht.

Roſina an ihre Schweſter Emilia.

O meine Schweſter, wie ſoll ich dir den entſetzlichen Jammer beſchreiben, der uͤber unſer geliebtes Fraͤulein gekommen iſt! Lord Derby! Gott wird ihn ſtrafen, und muß ihn ſtrafen! der abſcheuliche Mann! er hat ſie verlaſſen, und iſt allein nach England gereiſt. Seine Heurath war falſch; ein gottloſer Bedienter, wie ſein Herr, in einen Geiſtlichen verkleidet, ver - richtete die Trauung. Ach, meine Haͤn - de zittern es zu ſchreiben; der ſchaͤndliche Boͤſewicht kam ſelbſt mit dem Abſchieds - briefe, damit uns ſein Geſicht keinen Zweifel an unſerm Ungluͤck uͤbrig laſſen ſollte. Der Lord ſagte: die Dame haͤtteihn48ihn nicht geliebt, ſondern nur immer Mylord Seymourn im Herzen gehabt; dieſes haͤtte ſeine Liebe ausgeloͤſcht, ſonſt waͤre er unveraͤndert geblieben. Der ruchloſe Menſch! Ewiger Gott! Jch, ich habe auch zu der Heurath geholfen! Waͤr ich nur zum Lord Seymour ge - gangen! ach wir waren beyde verblen - det ich darf unſere Dame nicht an - ſehen; das Herz bricht mir; ſie ißt nichts; ſie iſt den ganzen Tag auf den Knien vor einem Stuhl, da hat ſie ihren Kopf lie - gen; unbeweglich, außer, daß ſie manch - mal ihre Arme gen Himmel ſtreckt, und mit einer ſterbenden Stimme ruft: ach Gott, ach mein Gott!

Sie weint wenig, und nur ſeit heute; die erſten zween Tage fuͤrchtete ich, wir wuͤrden beyde den Verſtand verlieren, und es iſt ein Wunder von Gott, daß es nicht geſchehen iſt.

Zwo Wochen hoͤrten wir nichts vom Lord; ſein Kerl reiſte weg, und fuͤnf Tage darnach kam der Brief, der uns ſo ungluͤcklich machte. Der verfluchte Boͤſe -wicht49wicht gab ihn ihr ſelbſt. Blaß und ſtarr wurde ſie; endlich, ohne ein Wort zu ſa - gen, zerriß ſie mit der groͤßten Heftigkeit ſeinen Brief, und noch ein Papier, warf die Stuͤcke zu Boden, deutete mit einer Hand darauf, und mit einem erbaͤrmli - chen Ausdruck von Schmerzen ſagte ſie dem Kerl: geh, geh; zugleich aber fiel ſie auf ihre Knie, faltete ihre Haͤnde, und blieb uͤber zwo Stunden ſtumm, und wie halb todt liegen. Was ich ausſtund, kann ich dir nicht ſagen; Gott weiß es allein! Jch kniete neben ſie hin, faßte ſie in meine Arme, und bat ſie ſo lange mit tauſend Thraͤnen, bis ſie mir mit gebro - chener matter Stimme und ſtotternd ſag - te: Derby verlaſſe ſie ihre Heurath waͤre falſch, und ſie haͤtte nichts mehr zu wuͤnſchen als den Tod. Sie will ſich nicht raͤchen; bey dir, liebſte Schweſter, will ſie ſich verbergen. Uebermorgen rei - ſen wir ab; ach Gott ſey uns gnaͤdig auf unſerer Reiſe! Du mußt ſie aufnehmen; Dein Mann wird es auch thun, und ihr rathen. Wir nehmen nichts mit, wasII Theil. Dvom50vom Lord da iſt; Seinen Wechſelbrief von ſechshundert Carolinen hat ſie zerriſſen. All ihr Geld belaͤuft ſich auf dreyhundert; davon giebt ſie den zwoen Maͤdchen noch funfzig, und den andern Armen noch funf - zig. Jhr Schmuck und ein Coffre mit Kleidern iſt alles, was wir mitbringen. Du wirſt uns nicht mehr kennen, ſo elend ſehen wir aus. Sie ſpricht mit niemand mehr, der Bruder von den zwoen Maͤd - chen fuͤhrt uns den halben Weg zu dir. Wir ſuchen Troſt bey dir, liebe Schwe - ſter! Sie moͤchte dir ſelbſt ſchreiben, und kann kaum die lieben wohlthaͤtigen Haͤn - de bewegen. Jch darf nicht nachdenken, wie gut ſie gegen alle Menſchen war, und nun muß ſie ſo ungluͤcklich ſeyn! Aber Gott muß und wird ſich ihrer an - nehmen.

Fraͤu -51

Fraͤulein Sternheim an Emilien.

O meine Emilia, wenn aus dieſem Ab - grunde von Elend die Stimme Jhrer Jugendfreundinn noch zu Jhrem Herzen dringt, ſo reichen Sie mir Jhre liebreiche Hand; laſſen Sie mich an Jhrer Bruſt meinen Kummer und mein Leben auswei - nen. O wie hart, wie grauſam werde ich fuͤr den Schritt meiner Entweichung beſtraft! O Vorſicht

Ach! ich will nicht mit meinem Schick - ſal rechten. Das erſtemal in meinem Le - ben erlaube ich mir einen Gedanken von Rache, von heimlicher Liſt; muß ich es nicht als eine billige Beſtrafung an - nehmen, daß ich in die Haͤnde der Bos - heit und des Betrugs gefallen bin? Warum glaubte ich dem Schein? aber, o Gott! wo, wo ſoll ein Herz wie dieß, das du mir gabſt, wo ſoll es den Gedanken hernehmen, bey einer edeln,D 2bey52bey einer guten Handlung boͤſe Grund - ſaͤtze zu argwohnen!

Eigenliebe, du machteſt mich elend; du hießeſt mich glauben, Derby wuͤrde durch mich die Tugend lieben lernen! Er ſagt: er haͤtte nur meine Hand, ich aber ſein Herz betrogen. Grau - ſamer, grauſamer Mann! was fuͤ einen Gebrauch machſt du von der Aufrichtig - keit meines Herzens, das ſo redlich be - muͤht war, dir die zaͤrtlichſte Liebe und Achtung zu zeigen! du glaubſt nicht an die Tugend, ſonſt wuͤrdeſt du ſie in mei - ner Seele geſucht und gefunden haben.

Wahr iſt es, meine Emilia, ich hatte Augenblicke, wo ich meine Befreyung von den Haͤnden des Mylord Seymour zu erhalten gewuͤnſcht haͤtte; aber ich riß den Wunſch aus meinem Herzen; Dank - barkeit und Hochachtung erfuͤllten es fuͤr den Mann, den ich zu meinem Gemahl nahm toͤdtender Name, wie konnte ich dich ſchreiben aber mein Kopf, meine Empfindungen ſind verwuͤſtet, wie es mein Gluͤck, mein Ruhm, und meineFreude53Freude ſind. Jch bin in den Staub ernie - driget; auf der Erde liege ich, und bitte Gott, mich nur ſo lange zu erhalten, bis ich bey Jhnen bin, und den Troſt ge - nieße, daß Sie die Unſchuld meines Her - zens ſehen, und eine mitleidige Thraͤne uͤber mich weinen. Alsdann, o Schick - ſal, dann nimm es, dieſes Leben, wel - ches mit keinem Laſter beſchmutzt, aber ſeit vier Tagen durch deine Zulaſſung ſo elend iſt, daß es ohne die Hoffnung eines baldigen Endes unertraͤglich waͤre.

Derbey an ſeinen Freund.

Jch reiſe nach England, und komme vorher zu dir. Sage mir nichts von meiner letzten Liebe; ich will nicht mehr daran denken; es iſt genug an der un - ruhigen Erinnerung, die ſich mir wider meinen Willen aufdringt. Meine halbe Lady iſt fort, aus dem Dorfe, wo ihrem abentheuerlichen Charakter ein abentheu - erliches Schickſal zugemeſſen wurde; mitD 3ſtolzem54ſtolzem Zorn iſt ſie fort; meinen Wechſel - brief zerriß ſie in tauſend Stuͤcke, und alle meine Geſchenke hat ſie zuruͤckgelaſſen Jch haͤtte ſie bald deswegen wieder einge - hohlt, aber wenn ſie mir meine Streiche vergeben koͤnnte, ſo wuͤrde ich ſie verach - ten. Lieben kann ſie mich nach allem die - ſem unmoͤglich, und ich haͤtte nicht mehr gluͤcklich mit ihr ſeyn koͤnnen; wozu wuͤr - de alſo die Verlaͤngerung meiner Rolle gedient haben? Sie muß doch immer meine Wahrheitsliebe verehren, und mei - ne Kenntniſſe der geheimſten Triebfedern unſrer Seele bewundern. Jch verließ ſie, unſchluͤßig, was ich mit ihr und mei - nem Buͤndniß machen ſollte; aber ihre unaufhoͤrliche Anfoderung, ſie nach Flo - renz zu fuͤhren, und die Drohung auch ohne mich abzureiſen, brachte mich dahin, ihr ganz trocken zu ſchreiben:

Jch ſehe wohl, daß ſie ſich meiner Lie - be nur bedient habe, um ihren Oheim Loͤbau zu entgehen, und ihren Ehr - geiz in Sicherheit zu ſetzen, daß ſie das Gluͤck meiner Liebe, und meines Herzens55 Herzens niemals in Betrachtung gezo - gen, indem ſie mir nicht den gering - ſten Zug meines eigenen Charakters zu gut gehalten, und mich nur dann geachtet habe, wenn ich mich nach ihren Phantaſien gebogen, und mei - ne Begriffe mit ihren Grillen geputzt; es ſey mir unmoͤglich dem Gemaͤlde gleich zu werden, welches ſie mir von den beliebten Eigenſchaften ihres Mannes vorgezeichnet, indem ich nicht Seymour waͤre, fuͤr welchen allein ſie die zaͤrtliche Leidenſchaft naͤhrte, die ich von ihr zu verdienen gewuͤnſcht haͤt - te; ihre Beſtuͤrzung, wenn ich ihn ge - nennt, ihre Sorgſamkeit nicht von ihm zu reden, ja ſelbſt die Liebkoſungen, die ſie mir zu Vertilgung meines Arg - wohns gemacht waͤren lauter Be - kraͤftigungen der Fortdauer ihrer Nei - gung zu Seymour. Sie waͤre die Erſte, welche mich zu dem Entſchluſſe mich zu vermaͤhlen gebracht haͤtte; dennoch aber haͤtt ich noch ſo viel Vorſichtigkeit uͤbrig behalten, michD 4 zuvor56 zuvor ihrer ganzen Geſinnungen ver - ſichern zu wollen; hierzu haͤtte mir die Maske des Prieſterrocks, den ei - ner meiner Leute angezogen, die Ge - legenheit verſchafft. Meine Liebe und Ehre wuͤrde dadurch eben ſo feſt ge - bunden geweſen ſeyn, als durch die Trauung, und wenn ſie der Primas von England, oder der Pabſt ſelbſt verrichtet haͤtte; aber da die Verei - nigung unſerer Gemuͤther als das erſte Hauptſtuͤck fehlte, ſo waͤre es gut, daß wir uns ohne Zeugen und Gepraͤnge trennten, wie wir uns verbunden haͤtten, weil ich nicht nie - dertraͤchtig genug ſey, mich mit dem bloßen Beſitz ihrer reizenden Perſon zu vergnuͤgen, ohne Antheil an ihrem Herzen zu haben, und nicht einfaͤltig genug, um ſie fuͤr den Lord Seymour nach England zu fuͤhren; ſie haͤtte nicht Urſache uͤber mich zu klagen, denn ich waͤre es, der ſie den Verfol - gungen des Fuͤrſten, und der Gewalt ihres Oncles entriſſen; ich haͤtte nur ihre57 ihre Hand, ſie aber, weil ſie die Liebe nicht fuͤr mich gefuͤhlt habe, welcher ſie mich verſichert, haͤtte mein Herz betrogen; und nun ſchenke ich ihr ihre volle Freyheit wieder.

Jch ſchickte den Kerl ab, und gieng nach B. bey meiner Taͤnzerinn ein ohn - fehlbares Mittel gegen alle Gattungen von unruhigen Gedanken zu ſuchen; auch gab ſie mir einen guten Theil meiner Munterkeit wieder.

Mein Bruder koͤnnte zu keiner geleg - nern Zeit geſtorben ſeyn, als itzt. Mei - ne Gelder wurden ſeltner geſchickt, und dieſer naͤrriſche Roman war ein wenig koſtbar; doch, ſie verdiente alles. Haͤtte ſie mich nur geliebt, und ihre Schwaͤrme - rey abgeſchworen! Jch war naͤrriſch genug, mich meinen Brief gereun zu laſ - ſen, und ließ vor zween Tagen nach ihr fragen; aber weg war ſie; und alles wohl erwogen, hat ſie recht daran ge - than; wir koͤnnen und ſollen uns nicht mehr ſehen. Jhre Briefe, ihr Bildniß hab ich zerriſſen, wie ſie meinen Wechſel;D 5aber58aber D., wo alles von ihr ſpricht, wo mich alles an ſie erinnert, iſt mir uner - traͤglich. Halte mir eine luſtige Bekannt - ſchaft zurechte, wie ſie fuͤr einen engli - ſchen Erben gehoͤrt, um meine wieder erhaltene Portion Freyheit mit ihr zu ver - zehren. Denn mein Vater wird mir das Joch uͤber den Hals werfen, ſo bald ich ihm nahe genug dazu ſeyn werde. Er kann mir geben, welche er will; keine Liebe bring ich ihr nicht zu. Das wenige was von meinem Herzen noch uͤbrig war, hat mein deutſches Landmaͤdchen aufge - zehrt; der Platz iſt nun voͤllig leer, ich fuͤhle es; hier und da ſchwaͤrmen noch einige verirrte Lebensgeiſter herum, und wenn ich ihnen glaubte, ſo fluͤſterten ſie mir was von dem Bilde meiner vierzigtaͤ - gigen Gemahlin zu, deren Schatten noch darinn herumwandern ſoll; aber ich achte nicht auf dieſes Geſumſe. Meine Ver - nunft und die Umſtaͤnde reden meinem ausgefuͤhrten Plan das Wort; und am Ende iſt es doch nichts anders, als die Ge - wohnheit, die mir ihr Bild in D. zuruͤck -ruft,59ruft, wo ich ſie in allen Geſellſchaften zu ſehen pflegte, und immer von ihr reden hoͤre. Aber bey dem allen ſchwoͤr ich dir, nimmermehr ſoll eine Methaphyſi - kerinn, noch eine Moraliſtinn meine Ge - liebte werden. Ehrgeiz und Wolluſt al - lein haben Leute in ihren Dienſten, die Unternehmungen wagen, und ausfuͤhren helfen! auch ſind dieſes die einzigen Gott - heiten, die ich kuͤnftig verehren will; Je - ner, weil ich von ihm ſo viel Anſehen und Gewalt zu erlangen hoffe, um alle Gat - tungen des Vergnuͤgens in meinen Schutz zu nehmen und zu vertheidigen, bis ich einſt die liebenswuͤrdigſte davon bey einer Parlamentswahl erſaͤufe, oder bey einem Pferderennen den Kopf zerquetſche. Ha, ſiehſt du, wie ſchoͤn die gewoͤhnlichen Lordseigenſchaften in mir erwacht ſind; erſt durch alle ſeine Raͤnke ein artiges Maͤdchen an mich gezogen, und ſie denen entriſſen, durch welche ſie gluͤcklich gewor - den waͤre; unſinnige Verſchwendungen gemacht, und wenn man alles deſſen ſatt iſt, den Ton eines Patrioten bey Wette -rennen60rennen und Wahlen angenommen und der Zeit uͤberlaſſen, was nach dieſen verſchie - denen Aufgaͤhrungen in dem Faß nuͤtzli - ches uͤbrig bleiben mag.

Hier, meine Freundin, muß ich ſelbſt wieder das Wort nehmen, und ihnen von dem, was auf die ungluͤckliche Veraͤnde - rung in dem Schickſal meiner geliebten Dame gefolget iſt, eine zuſammenhan - gende Geſchichte zu liefern.

Das Haus meiner Schweſter war itzt der einzige Ort, wohin wir in dieſen Um - ſtaͤnden Zuflucht nehmen konnten. Man durfte ihr weder von Rache, noch von Behauptung ihrer Rechte ſprechen; und der Gedanke auf ihre Guͤter zu gehen, war in dieſen Umſtaͤnden auch nicht zu faſſen. Jhr Kummer war ſo groß, daß ſie hoffte, er wuͤrde ſie toͤdten; ich glaube auch, daß es geſchehen waͤre, wenn wir uns laͤnger in dem Hauſe aufgehalten haͤtten, wo die ungluͤckliche Heurath vollzogen wor -den61den war. Da ich bey den Zuruͤſtungen auf unſre Abreiſe ein paar mal die Thuͤre des Wohnzimmers von Lord Derby oͤff - nete, und ſie einen Blick hinwarf, glaubte ich, ihr Schmerz wuͤrde ſie auf der Stelle erſticken. Sie blieb mit dem aͤußerſten Jammer beladen in meinem Zimmer, waͤh - rend, daß ich einpacken mußte. Aber alle Geſchenke von Lord Derby, welche ſehr ſchoͤn und in großer Menge da wa - ren, mußte ich der Wirthinn uͤbergeben. Wir nahmen nichts als das wenige zu - ſammen, ſo wir von unſrer Flucht aus D. mitgebracht hatten. Die Wirthinn, welche auf einen Monat voraus bezahlt war, wollte uns noch behalten; aber wir reiſten den zweyten Tag, von ihrem Seegen fuͤr uns, und Fluͤchen uͤber den gottloſen Lord begleitet, Morgens um vier Uhr ab.

Still und blaß wie der Tod, die Au - gen zur Erde geſchlagen, ſaß meine liebe Dame bey mir; kein Wort, keine Thraͤne erleichterte ihr beklemmtes Herz; zween Tage reiſten wir durch herrliche Land -ſchaften,62ſchaften, ohne daß ſie auf etwas achtete; nur manchmal umfaßte ſie mich mit einer heftigen gichteriſchen Bewegung, und legte ihren Kopf einige Augenblicke auf meine Bruſt; Jch wurde immer aͤngſtiger, und weinte mit lauter Stimme; daruͤber ſah ſie mich ruͤhrend an, und ſagte mit ihrem himmliſchen Ton, indem ſie mich an ſich druͤckte.

O meine Roſina, dein Kummer zeigt mir erſt den ganzen Umfang meines Elends. Sonſt laͤchelteſt du, wenn du mich ſahſt, und nun betruͤbt mein Anblick dein Herz! O, laß mich nicht denken, daß ich auch dich ungluͤcklich gemacht habe! ſey ruhig, du ſiehſt ja mich ganz gelaſſen.

Jch war froh, ſie wieder ſo viel reden zu hoͤren, und einige Zaͤhren aus ihren erſtorbnen Augen fallen zu ſehen; Jch antwortete:

ich wollte gerne ruhig ſeyn, wenn ich Sie nicht ſo niedergeſchlagen ſaͤhe, und wenn ich nur noch einige Funken der Zufriedenheit bey Jhnen bemerkte,die63die ſie ſonſt bey dem Anblick einer ſchoͤ - nen Gegend fuͤhlten.

Sie ſchwieg einige Minuten, und be - trachtete den Himmel um uns her; dann ſagte ſie unter zaͤrtlichen Weinen:

Es iſt wahr, liebe Roſina, ich lebe, als ob mein Ungluͤck alles Gute und Angenehme auf Erden verſchlungen haͤtte; und dennoch liegt die Urſache meines Jammers weder in den Ge - ſchoͤpfen, noch in ihrem wohlthaͤtigen Urheber. Warum bin ich von der vor - geſchriebenen Bahn abgewichen?

Sie fieng darauf eine Wiederholung ihres Lebens, und der merkwuͤrdigſten Um - ſtaͤnde ihres Schickſals an. Jch ſuchte ſie mit ſich ſelbſt, und den Beweggruͤnden ihrer Handlungen, beſonders mit den Ur - ſachen ihrer heimlichen Heurath, und Flucht aus D., zufrieden zu ſtellen, und gewann doch ſo viel, daß ſie bey dem An - blick der vollen Scheuren, und dem Ge - wuͤhle der Herbſtgeſchaͤffte in den Doͤrfern die wir durchfuhren, vergnuͤgt ausſah, und ſich uͤber das Wohl der Landleutefreute.64freute. Aber der Anblick junger Maͤdchen, beſonders, die in einerley Alter mit ihr zu ſeyn ſchienen, brachte ſie in ihre vorige Traurigkeit, und ſie bat Gott mit gefal - teten Haͤnden, daß er ja jede reine wohl - denkende Seele ihres Geſchlechts, vor dem Kummer bewahren moͤge, der ihr zaͤrtli - ches Herz durchnage.

Unter dieſen Abwechslungen kamen wir gluͤcklich in Vaels an. Mein Schwager und meine Schweſter empfiengen uns mit allem Troſt der tugendhaften Freundſchaft, und ſuchten meine liebe Dame zu beruhigen; aber am fuͤnften Tage wurde ſie krank, und zwoͤlf Tage lang dachten wir nichts anders, als daß ſie ſterben wuͤrde. Sie ſchrieb auch einen kleinen Auszug ihres Verhaͤngniſſes, und ein Teſtament. Aber ſie erhohlte ſich wider ihr Wuͤnſchen; und als ſie wieder auf ſeyn konnte, ſetzte ſie ſich in die Kinderſtube meiner Emilia, und lehrte ihr kleines Pathgen leſen; dieſe Beſchaͤfftigung, und der Umgang mit meinem Schwager und meiner Schweſter, beruhigten ſie augenſcheinlich; ſo, daßman65mein Schwager es einmal wagte, ſie uͤber ihre Entſchließungen und Entwuͤrfe fuͤr die Zukunft zu befragen. Sie ſagte:

Sie haͤtte noch nichts bedacht, als daß ſie auf ihren Guͤtern ihr Leben beſchließen wollte; aber bis zu Ende der drey Jahre, fuͤr welche ſie dem Graf Loͤbau ihre Einkuͤnfte ver - ſichert haͤtte, wollte ſie nichts von ſich wiſſen laſſen; und wir mußten ihrem eifrigen Anhalten hierinn nachgeben. Sie nahm eine fremde Benennung an; ſie wollte in Beziehung auf ihr Schickſal Madam Leidens heißen, und als eine junge Officiers - witwe bey uns wohnen. Sie verkaufte die ſchoͤnen Brillianten, welche die Bild - niſſe ihres Herrn Vaters und ihrer Frau Mutter umfaſſeten, und entſchloß ſich auch den uͤbrigen Theil ihres Schmucks zu Geld zu machen, und von den Zinſen zu leben; daneben aber wollte ſie Gutes thun, und einige arme Maͤdchen im Ar - beiten unterrichten.

II Theil. EDie -66

Dieſer Gedanke wurde nachher die Grundlage zu dem uͤbrigen Theil ihres Schickſals. Denn eines dieſer Maͤdchen, welches von einer der reichſten Frauen in der Gegend aus der Taufe gehoben wor - den, gieng zu ihrer Pathe, um ihr etwas von der erlernten Arbeit zu weiſen. Dieſe Frau fragte nach der Lehrmeiſterinn, und drang hernach in meinen Schwager, daß er die Madam Leidens zu ihr bringen moͤchte, um eine wohlthaͤtige Schule in ihrem Hauſe zu errichten, und als Ge - ſellſchafterinn bey ihr zu leben. Meine Dame wollte es Anfangs nicht eingehen, indem ſie fuͤrchtete, zuviel bekannt zu werden; aber mein Schwager ſtellte ihr ſo eifrig vor, daß ſie eine Gelegenheit ver - ſaͤume, viel Gutes zu thun, daß er ſie end - lich uͤberredte, zumal da ſie dadurch das Haus ihrer Emilia zu erleichtern glaubte, wo ſie befuͤrchtete, Beſchwerden zu ma - chen, ohngeachtet ſie Koſtgeld bezahlte.

Sie kleidete ſich bloß in ſtreifige Lein - wand, zu Leibkleidern gemacht mit großen weißen Schuͤrzen, und Halstuͤchern, weilihr67ihr noch immer etwas englaͤndiſches im Sinne lag; ihre ſchoͤne Haare und Ge - ſichtsbildung verſteckte ſie in außerordent - liche große Hauben; ſie wollte ſich damit verſtellen, aber ihre ſchoͤne Augen, das Laͤcheln der edlen Guͤte, ſo unter den Zuͤgen des innerlichen Grams hervor - leuchtete, ihre feine Geſtalt und Stellung, und der artigſte Gang zogen alle Augen nach ſich, und Madam Hills war ſtolz auf ihre Geſellſchaft. Jhre Abreiſe ſchmerzte uns, denn der Wohnort von Madam Hills war drey Stunden entfernt; aber ihre Briefe troͤſteten uns wieder. Auch Sie werden ſie gewiß lieber leſen, als mein Geſchmier.

E 2Fraͤu -68

Fraͤulein von Sternheim als Madam Leidens an Emilia.

Erſt den zehnten Tag meines Hierſeyns ſchreibe ich Jhnen, meine ſchweſterliche Freundinn! bisher konnte ich nicht; meine Empfindungen waren zu ſtark und zu wallend, um den langſamen Gang meiner Feder zu ertragen. Nun haben mir Gewohnheit und zween heitere Mor - gen, und die Ausſicht in die ſchoͤnſte und freyeſte Gegend, das Maas von Ruhe wiedergegeben, das noͤthig war, um mich ohne Schwindel und Beaͤngſtigung die Stufen betrachten zu laſſen, durch welche mein Schickſal mich von der Hoͤhe des Anſehens und Vorzugs herunter gefuͤhrt hat. Meine zaͤrtlichſten Thraͤnen floſſen bey der Erinnerung meiner Jugend und Erziehung; Schauer uͤberfiel mich bey dem Gedanken an den Tag, der mich nach D. brachte, und ich eilte mit geſchloſſenen Augen bey der folgenden Scene voruͤber. Nur69Nur bey dem Zeitpuncte meiner Ankunft in Jhrem Hauſe verweilte ich mit Ruͤh - rung; denn nachdem mir das Verhaͤng - niß alles geraubt hatte, ſo war ich um ſo viel aufmerkſamer auf den Zufluchtsort, den ich mir gewaͤhlt hatte, und auf die Aufnahme, die ich da fand. Zaͤrtliches Mitleiden war in dem Geſichte meiner treuen Emilia, Ehrfurcht und Freund - ſchaft in dem von ihrem Manne gezeich - net; ich ſah, daß ſie mich unſchuldig glaubten, und mein Herz bedauerten; Jch konnte ſie als Zeugen meiner Unſchuld und Tugend anſehen. O, wie erquickend war dieſer Gedanke fuͤr meine gekraͤnkte Seele! Meine Thraͤnen des erſten Abends waren der Ausdruck des Danks fuͤr den Troſt, den mich Gott in der treuen Freundſchaft meiner Emilia hatte finden laſſen. Der zweyte Morgen war hart durch die wiederhohlte Erzaͤhlung aller Umſtaͤnde meiner jammervollen Geſchichte. Die Betrachtungen und Vorſtellungen ih - res Mannes troͤſteten mich, noch mehr aber meine Spaziergaͤnge in ihrem Hauſe, derE 3armen70armen uͤbelgebauten Huͤtte, worinn mit Jhnen alle Tugenden unſers Geſchlechts, und mit ihrem Manne alle Weisheit und Verdienſte des ſeinigen wohnen. Jch mit ihnen, ich ſah Sie bey Jhren Kin - dern; ſah die edle Genuͤgſamkeit mit Jh - rem kleinen Einkommen, Jhre zaͤrtliche muͤtterliche Sorgen, die vortreffliche Art, mit der Jhr Mann ſeine arme Pfarrkin - der behandelt. Dieſes, meine Emilia, goß den erſten Tropfen des Balſams der Beruhigung in meine Seele. Jch ſah Sie, die in ihrem ganzen Leben alle Pflichten der Klugheit und Tugend erfuͤl - let hatten, mit Jhrem Hochachtungswuͤr - digen Manne und fuͤnf Kindern unter der Laſt eines eiſernen Schickſals, ohne daß Jhnen das Gluͤck jemals zugelaͤchelt haͤt - te; Sie ertrugen es mit der ruͤhmlichſten Unterwerfung; und ich! ich ſollte fort - fahren uͤber mein ſelbſtgewebtes Elend ge - gen das Verhaͤngniß zu murren? Eigen - ſinn und Unvorſichtigkeit, hatten mich, ungeachtet meiner redlichen Tugendliebe, dem Kummer, und der Veraͤchtlichkeitent -71entgegen gefuͤhrt; ich hatte vieles verlo - ren, vieles gelitten; aber ſollte ich des - wegen das genoſſene Gluͤck meiner erſten Jahre vergeſſen, und die vor mir liegende Gelegenheit, Gutes zu thun, mit gleich - guͤltigem Auge betrachten, um mich allein der Empfindlichkeit meiner Eigenliebe zu uͤberlaſſen? Jch kannte den ganzen Werth alles deſſen, was ich verloren hatte; aber meine Krankheit und Betrachtungen, zeigten mir, daß ich noch in dem wahren Beſitz der wahren Guͤter unſers Lebens geblieben ſey.

Mein Herz iſt unſchuldig und rein;

Die Kenntniſſe meines Geiſtes ſind unvermindert;

Die Kraͤfte meiner Seele und meine guten Neigungen haben ihr Maas behalten; und ich habe noch das Vermoͤgen, Gutes zu thun.

Meine Erziehung hat mich gelehrt, daß Tugend und Geſchicklichkeiten das ein - zige wahre Gluͤck, und Gutes thun, die einzige wahre Freude eines edlen HerzensE 4ſey;72ſey; das Schickſal aber hat mir den Be - weis davon in der Erfahrung gegeben.

Jch war in dem Kreiſe, der von gro - ßen und glaͤnzenden Menſchen durchloffen wird; nun bin ich in den verſetzt, den mittelmaͤßiges Anſehen und Vermoͤgen durchwandelt, und graͤnze ganz nahe an den, wo Niedrigkeit und Armuth die Haͤnde ſich reichen. Aber ſo ſehr ich nach den gemeinen Begriffen vom Gluͤck geſun - ken bin, ſo viel Gutes kann ich in dieſen zween Kreiſen ausſtreuen.

Meine reiche Frau Hills, laſſ ich durch meinen Umgang und meine Unterredun - gen, das Gluͤck der Freundſchaft und der Kenntniſſe genießen. Meinen armen Maͤdchen gebe ich das Vergnuͤgen, ge - ſchickt und wohl unterrichtet zu werden, und zeige ihnen, eine angenehme Ausſicht in ihre kuͤnftigen Tage.

Madam Hills hat mir ein artiges Zimmer, wovon zwey Fenſter ins Feld gehen, eingeraͤumt; von da geh ich in ihren Saal, der fuͤr die Unterrichtsſtun - den meiner dreyzehn Maͤdchen beſtimmt iſt,Sie57[73]Sie ernaͤhrt und kleidet ſie, ſchafft Buͤ - cher und Arbeitsvorrath an; nicht eine Stunde verſaͤumt ſie, und hoͤrt meinen Unterricht mit vieler Zufriedenheit; manch - mal vergießt ſie Thraͤnen, oder druͤckt mir die Haͤnde, und wohl zwanzigmal nickt ſie mir den freundlichſten Beyfall zu. So oft es geſchieht, faͤllt ein Strahl von Freude in mein Herz. Es iſt angenehm um ſein ſelbſt Willen geliebt zu werden! Und nun hab ich einen Gedanken, Emi - lia; aber ihr Mann muß mir ihn ausar - beiten helfen.

Madam Hills hat eine Art von Stolz, aber er iſt edel und wohlthaͤtig. Sie moͤchte ihr großes Vermoͤgen zu einer ewig daurenden Stiftung verwenden; aber ſie ſagt, es muͤßte eine Stiftung ſeyn, die ganz neu waͤre, und die ihr Ehre und Segen braͤchte; und ſie will, daß ich auf etwas ſinne. Koͤnnte itzt nicht meine kleine Maͤdchenſchule der Anlaß dazu werden, ein Geſindhaus zu ſtiften, wor - inn arme Maͤdchen zu guten und geſchick - ten Dienſtmaͤdchen gezogen wuͤrden? JchE 5wollte74wollte an meinen dreyzehn Schuͤlerinnen die Probe machen, und theilte ſie nach der Anlage von Geiſt und Herzen in Claſſen.

  • 1) Sanfte, gutherzige Geſchoͤpfe, bil - dete ich zu Kinderwaͤrterinnen;
  • 2) Die Anlage zu Witz, und geſchickte Finger zur Cammerjungfer;
  • 3) Nachdenkende und fleißige Maͤdchen zu Koͤchinnen und Haushaͤlterinnen; und
  • 4) die letzte Claſſe von dienſtfaͤhigen zu Haus-Kuͤchen - und Gartenmaͤgden

Dazu muß ich nun ein ſchickliches Haus mit einem Garten haben; einen vernuͤnf - tigen Geiſtlichen, der ſie die Pflichten ih - res Standes kennen und lieben lehrte; und dann wackere und wohldenkende ar - me Witwen, oder betagte ledige Perſo - nen, die den verſchiedenen Unterricht in Arbeiten beſorgten.

Dieſe Jdee beſchaͤfftiget mich genug, um dem vergangenen ſchmerzhaften Theil meines Lebens, das meiſte meines Nach - denkens zu entziehen, und uͤber meinen bittern Kummer den ſuͤßen Troſt zu ſtreuen,daß75daß ich die Urſache, ſo vieler kuͤnftigen Wohlthaten werden koͤnnte. Aber hier - bey faͤllt mir ein Gleichniß ein, ſo ich mit der Eigenliebe machen moͤchte; daß ſie von Polypen-Art ſey; man kann ihr alle Zweige und Arme nehmen, ja ſo gar den Hauptſtamm verwunden; ſie wird doch Mittel finden, ſich in neue Aus - wuͤchſe zu verbreiten. Wie verwundet, wie gedemuͤthiget war meine Seele! und nun leſen ſie nur die Blaͤtter meiner Betrachtungen durch, und beobachten ſie es, was fuͤr ſchoͤne Stuͤtzen meine ſchwankende Selbſtzufriedenheit gefunden hat, und wie ich allmaͤhlig zu der Hoͤhe eines großen Entwurfs empor geſtiegen bin o, wenn die wohlthaͤtige Naͤch - ſtenliebe, nicht ſo tiefe Wurzeln in mei - nem Herzen gefaſſet haͤtte, daß ſie mit meiner Eigenliebe ganz verwachſen waͤre, was wuͤrde aus mir geworden ſeyn?

Zwey -76

Zweyter Brief von Madam Leidens.

Sie ſind, liebſte Freundinn, mit dem Ton meines letzten Briefs beſſer zufrieden, als ſie es ſeit meiner Abreiſe aus D. nie - mals waren. Darf ich wohl meine Emilia einer Ungerechtigkeit anklagen, weil ſie mir von der Veraͤnderung meiner Jdeen und Ausdruͤcke ſpricht. Jch fuͤhle dieſe Verſchiedenheit ſelbſt; aber ich finde auch, daß ſie eine ganz natuͤrliche Wuͤr - kung der großen Abaͤnderung meines Schickſals iſt. Zu D. war ich angeſehen, mit Gluͤcksausſichten umgeben, und mit mir ſelbſt zufrieden, daher auch geſchickter, muntere Beobachtungen uͤber fremde Ge - genſtaͤnde zu machen. Mein Witz ſpielte frey mit kleinen Beſchreibungen, und mit Lob und Tadel alles deſſen, was mit mei - nen Jdeen ſtimmte, oder nicht. Nach dem wurde ich von Gluͤck und Selbſt - zufriedenheit entfernt; Thraͤnen und Jam - mer ſind mein Antheil worden. War esda77da moͤglich, daß ſich die Schwingen mei - ner Einbildungskraft unbeſchraͤnkt und freudig haͤtten bewegen koͤnnen, da das Beſte, was alle Kraͤfte meiner Seele thun konnten, gelaſſene Ertragung meines Schickſals war, eine Tu - gend, wobey der Geiſt wenig Geſchaͤfftig - keit aͤußern kann. Jhr Mann kannte mich; er ſah: daß er mich gleichſam aus mir ſelbſt herausfuͤhren, und mir bewei - ſen mußte, daß es noch in meiner Gewalt ſtehe, Gutes zu thun. Dieſer Gedanke allein, konnte mich ins thaͤtige Leben zu - ruͤckfuͤhren.

Haben Sie Dank, beſte Freunde, daß Sie meinen Entwurf zu einem Geſindhaus ſo ſehr billigen und erheben; es duͤnkt mich, als ob Jemand meiner gebeugten Seele die Hand reiche und ſie liebreich ermuntere, ſich wieder zu erheben, und mit einem edlen Schritte vorwaͤrts zu ge - hen, da ſie von dem kleinen dornichten Pfad, auf welchen ſie durch einen blen - denden Schein gerathen war, nun auf einen ebnen Weg geleitet worden iſt, deſſenSeiten78Seiten freylich mit kleinen glaͤnzenden Pa - laͤſten und praͤchtigen Auftritten der gro - ßen Welt umfaßt ſind, aber dagegen je - dem ihrer Blicke, die reinen Reize der unverdorbenen Natur, in ihren phyſiſchen und moraliſchen Wuͤrkungen zeiget.

Dieſe Ermunterung hatte ich noͤthig, meine Freunde, weil ich ſchon ſo lange dachte, daß ich an dem edlen Stolz eines fehlerfreyen Lebens keinen Anſpruch mehr zu machen habe, indem ich die Haͤlfte meines widrigen Schickſals, meiner eig - nen Unbedachtſamkeit zuzuſchreiben haͤtte; und die Frucht dieſer Betrachtung war Unterwerfung und Geduld. Haͤtte ich nach den Regeln der Klugheit gehan - delt, und durch mein heimliches Verbind - niß und Fliehn, keine Geſetze beleidiget, ſo haͤtte ich in der Jdee einer uͤbenden Standhaftigkeit und Großmuth ſchon eine Stuͤtze des edlen Stolzes gefunden, welche der Schuldloſe ergreift, wenn er durch Bosheit anderer, und unvorgeſehe - nes Ungluͤck, in dem Genuß ſeines Ver - gnuͤgens geſtoͤrt wird. Er kann ſeineBelei -79Beleidiger mit Herzhaftigkeit anſehen, oder ſeinen Blick mit ruhiger Verachtung von ihnen wenden; Er ſieht ſich nicht nach Freunden, die ihn bedauren, ſondern nach Zeugen ſeines bewundernswuͤrdigen Betragens um; unter dieſen Beſchoͤffti - gungen ſeines Geiſtes, ſtaͤrkt ſich ſeine Seele, und ſammelt ihre Kraͤfte, um den Berg der Ehre, und des Wohlergehens auf einer andern Seite zu erſteigen. Jch aber mußte mich durch die Erinnerung meiner Unvorſichtigkeit in den Schleyer der Verborgenheit huͤllen, ehe ich mich der neuern Fuͤhrung meines Geſchickes uͤberließ. Dennoch fehe ich bluͤhende Blumen, welche die Hoffnung eines gu - ten Erfolgs, zum Beſten vieler Nachkom - menden, auf meine nun betretenen Wege ausſtreuet; Ruhe und Zufriedenheit laͤ - cheln mir zu; die Tugend, hoffe ich, wird mein Flehen erhoͤren, und meine be - ſtaͤndige Begleiterinn ſeyn. Das Gluͤck meines Herzens wird groͤßer und edler, da es Antheil an dem Wohlergehen ſo vieler anderer nimmt, ſeine angenehmſtenGewohn -80Gewohnheiten und Wuͤnſche vergißt, und ſein Leben und ſeine Talente zum Beſten ſeines Naͤchſten verwendet. Aber bey je - dem Schritte meines itzigen Lebens ver - groͤßert ſich das Gluͤck meiner genoſſenen Erziehung, worinn mir alles in den rich - tigen moraliſchen Geſichtspunkt geſtellet wurde. Nach dieſem bildete man meine Empfindungen, waͤhrend dem mein Ver - ſtand zu Beobachtungen uͤber verkehrte Begriffe, und dadurch eingewurzelte Ge - wohnheiten geleitet wurde.

Wie gluͤcklich iſt es fuͤr mein Herz, daß mir die Wahrheit: daß vor Gott kein anderer, als der moraliſche Unterſchied unſerer Seelen Statt finde; ſo tief einge - praͤgt wurde! was haͤtte ich in meinen itzigen Umſtaͤnden zu leiden, wenn ich mit den gewoͤhnlichen Vorurtheilen meiner Geburt behaftet waͤre! Wie verehrungs - wuͤrdig, wie verdienſtsvoll iſt der kluge Ge - brauch, den meine geliebte Aeltern von der uns allen angebornen Eigenliebe, bey meiner Erziehung machten! Waͤren koſt - bare Kleider und Putz jemals ein Theilmeiner81meiner Gluͤckſeligkeit geweſen; wie ſchmerz - haft waͤre mir der Anzug meiner geſtreiften Leinwand? Reinlichkeit, und wohlausge - ſuchte Form meiner Kleider, laſſen meine ganze Welblichkeit zufrieden vom Spiegel gehen; und was bleibt meiner hoͤchſten Einbildung noch zu wuͤnſchen uͤbrig, da ich mich in dieſer geringen Kleidung mit Liebe und Ehrfurcht betrachtet ſehe, und dieſ Geſinnungen allein dem Ausdruck meines moraliſchen Charakters zu danken habe?

Jch ſtehe fruͤh auf, ich lege mich an mein Fenſter, und ſehe, wie getreu die Natur die Pflichten des ihr aufgelegten ewigen Geſetzes der Nutzbarkeit in allen Zeiten und Witterungen des Jahres er - fuͤllt. Der Winter naͤhert ſich; die Blu - men ſind verſchwunden, und auch bey den Stralen der Sonne hat die Erde kein glaͤnzendes Anſehen mehr; aber einem empfindſamen Herzen giebt auch das leere Feld ein Bild des Vergnuͤgens. Hier wuchs Korn, denkt es, und hebt ein dankbares Auge gen Himmel; der Gemuͤß -II. Theil. Fgarten,82garten, die Obſtbaͤume ſtehen beraubt da, und der Gedanke des Vorraths von Nah - rung, den ſie gegeben, miſchet unter den Schauer des anfangenden Nordwindes ein warmes Gefuͤhl von Freude. Die Blaͤtter der Obſtbaͤume ſind abgefal - len, die Wieſen verwelkt, truͤbe Wolken gießen Regen aus; die Erde wird locker, und zu Spaziergaͤngen unbrauchbar; das gedankenloſe Geſchoͤpf murret daruͤber; aber die nachdenkende Seele ſieht die er - weichende Oberflaͤche unſers Wohnplatzes mit Ruͤhrung an. Duͤrre Blaͤtter und gelbes Gras werden durch Herbſtregen zu einer Nahrung der Fruchtbarkeit unſrer Erde bereitet; dieſe Betrachtung laͤßt uns gewiß nicht ohne eine frohe Empfindung uͤber die Vorſorge unſers Schoͤpfers, und giebt uns eine Ausſicht auf den nachkom - menden Fruͤhling. Mitten unter dem Verluſt aller aͤußerlichen Annehmlichkei - ten, ja ſelbſt dem Widerwillen ihrer ge - naͤhrten und ergoͤtzten Kinder ausgeſetzt, faͤngt unſere muͤtterliche Erde an, in ih - rem Jnnern fuͤr das kuͤnftige Wohl derſel -ben83ben zu arbeiten. Warum, ſag ich dann, warum iſt die moraliſche Welt ihrer Be - ſtimmung nicht eben ſo getreu, als die phyſicaliſche? Die Frucht der Eiche brach - te niemals was anders, als einen Eich - baum hervor; der Weinſtock allezeit Trau - ben; warum ein großer Mann klein den - kende Soͤhne? warum der nuͤtzliche Gelehrte und Kuͤnſtler unwiſſende elende Nachkoͤmmlinge? tugendhafte Aeltern Boͤſewichter? Jch denke uͤber dieſe Ungleichheit, und der Zufall zeigt mir eine unzaͤhlige Menge Hinderniſſe, die in der moraliſchen Welt (ſo wie es auch oͤfters in der phyſicaliſchen begegnet) Urſache ſind, daß der beſte Weinſtock aus Man - gel guter Witterung ſaure, unbrauchbare Trauben traͤgt und vortreffliche Ael - tern ſchlechte Kinder erwachſen ſehen. Etliche Schritte weiter in meiner Vorſtel - lung ſtehe ich ſtill, kehre in mich ſelbſt zu - ruͤck und ſage: iſt nicht die helle Ausſicht meiner gluͤcklichen Tage auch truͤbe ge - worden, und der aͤußerliche Schimmer wie vertrocknetes Laub von mir abgefal -F 2len?84len? vielleicht hat unſer Schickſal auch Jahrszeiten? Jſt es, ſo will ich die Fruͤchte meiner Erziehung und Erfahrung waͤhrend dem traurigen Winter meines Verhaͤngniſſes zu meiner moraliſchen Nah - rung anwenden; und da die Aernte da - von ſo reich war, dem Armen, deſſen kleiner, ungebeſſerter Boden wenig trug, davon mittheilen was ich kann. Wuͤrk - lich hab ich einen Theil guter Saamen - koͤrner in eine dritte Hand gelegt, um ei - nen magern, duͤrren Boden anzubauen. Der ſanften Freundſchaft iſt die Pflege anvertraut, und ich werde acht Tage lang die Oberaufſicht haben. Leben Sie wohl!

Madam85

Madam Hills an Herrn Prediger Br **.

Erſchrecken Sie nicht, lieber Herr Pre - diger, daß Sie anſtatt eines Briefes von Madam Leidens einen von mir bekommen. Sie iſt nicht krank, gewiß nicht; aber die liebe Frau hat mich auf vierzehn Tage verlaſſen, und wohnt in einem ganz frem - den Hauſe, wo ſie viel arbeitet, und was mir Leid thut auch gar ſchlecht ißt; hoͤren Sie nur wie dieß zugieng! O, ein ſolcher Engel iſt noch nie in eines Reichen, noch in eines Armen Hauſe ge - weſen! ich kann das nicht ſo ſagen was ich denke, und ſchreiben kann ich gar nicht. Doch ſehen Sie: Jhre Frau weiß, wie arm der Herr G. nach Verluſt ſeines Amts mit Frau und Kindern gewor - den iſt. Nun, ich gab immer was; aber ich konnte die Leute nicht dulden; Jeder - mann ſagte auch, daß Er hochmuͤthig und Sie nachlaͤßig waͤre, und daß alles GuteF 3an86an ihnen verloren ſey. Dieß machte mich boͤſe, und ich redte davon mit der Jung - fer Lehne, der ich auch Huͤlfe gebe; Sie arbeitet aber auch; Madam Leidens war dabey, und fragte die Jungfer nach den Leuten; und ſie erzaͤhlte ihr den ganzen Lebenslauf, weil ſie von Kind auf bey - ſammen geweſen waren. Den andern Tag beſuchte Madam Leidens die Frau G., und kam ſehr geruͤhrt nach Hauſe. Beym Nachteſſen ſagte ſie mir von den Leuten ſo viel bewegliches, daß ich uͤber ſie weinte, und ihnen ſo gut wurde, daß ich gleich ſagte: ich wollte Aeltern und Kinder verſorgen. Aber dieß wollte ſie nicht haben. Den folgenden Morgen aber brachte ſie mir dieß Papier. Sie muͤſſen mirs wie - der geben, es ſoll bey meinem Teſtamente liegen mit meiner Unterſchrift, und ein Lob auf Madam Leidens von meiner eige - nen Hand, und noch etwas uͤber Madam Leidens, das ich itzt nicht ſage. Sie gieng zu ihren Maͤdchen, und ließ mir das Papier. Jch habe mein Tage nichts kluͤger ausgedacht geſehen. Zween Fiſchemit87mit Einer Angel zu fangen, und die Leute klug und geſchickt zu machen, nun dieß verſteht ſich recht ſchoͤn. Jch verwunderte mich, und weinte zweymal, weil ich es zweymal durchleſen mußte, um es recht zu faſſen. Jch ſchrieb darunter: alles, alles bewilligt, und gleich auf Morgen, aber dieß ſagte ich ihr muͤndlich, und ich ſchrieb es auch auf das Papier, wenn ichs zum Teſtament lege, daß ſie mich nicht ihre Wohlthaͤterinn nennen ſoll. Was gab ich ihr dann? ein Bißchen Eſſen und ein Zimmerchen. Aber warten Sie nur, ich will ſchon was ausſinnen; ſie ſoll nicht aus meinem Hauſe kommen, wie ſie meint. Wenn ich nur noch den Bau meines Geſindhauſes erlebe; da laß ich ihren Namen zu dem meinigen in Stein hauen, und da heiße ich ſie meine ange - nommene Tochter, und da wird ſich jeder wundern, daß ſie mein Geld nicht fuͤr ſich behalten, und einen andern huͤbſchen Mann genommen habe, und da lobt man mich und ſie zuſammen, und dieß goͤnn ich ihr recht wohl. Sie muß mir auchF 4arme88arme Kinder aus der Taufe heben, damit es Kinder mit ihrem Namen hier giebt, und dieſe ſollen, wie meine Aennchens, vorzuͤglich in mein Geſindhaus kommen.

Meine Brille machte mich muͤde; ich konnte heute fruͤh nicht weiter ſchreiben, und da mir die Zeit nach Madam Leidens lang war: ſo gieng ich ſchnur gerade hin ins Haus der Frau G. Es reute mich, weil mir die Leute ſo viel dankten, und vielleicht geglaubt haben, ich waͤre des - wegen gekommen; und es geſchah doch bloß, um meine Tochter zu ſehen; denn ich ſag Jhnen, wenn ſie zuruͤck koͤmmt, muß ſie mich ihre Mutter nennen.

Jch ließ mein Aufwartmaͤdchen die Thuͤre ein wenig aufmachen, und es war gewiß ſchoͤn in dem Zimmer durch die Leute darinn, nicht durch die Moͤbeln, denn es ſind keine ſchoͤne da; Stroh - ſtuͤlchen und ein Paar Tiſche. Jn einer Ecke war der Vater mit dem aͤlteſten Sohne, der bey ihm ſchrieb und rechnete; im halben Zimmer der andre Tiſch; Frau G. ſtrickte; Jungfer Lehne ſaß zwiſchen den zwoklei -89kleinen Maͤdchen, und lehrte ihr naͤhen; Ma - dam Leidens hatte ein Bouquet italiaͤniſche Blumen vor ſich, die ſie fuͤr Stuͤhle zum Verkauf abzeichnet. Der juͤngere Sohn und die aͤlteſte Tochter ſahen ihr auf die Finger, und ſie redete recht ſuͤß und freund - lich mit ihnen. Jch mußte uͤber ſie wei - nen, und auch uͤber die Kinder, die ſie ſo lieb haben, und mir ſo dankten. Der wilde Mann wurde roth, wie er mir dankte, und die Frau lachte ganz leicht - ſinnig dabey; das thut aber nichts, ich will Jhnen, wie es Madam Leidens ver - anſtaltete, aufhelfen, bis ſie ganz auf den Beinen ſind; und Jungfer Lehne ſoll den erſten Platz der Lehrmeiſterinnen fuͤr Cammerjungfern haben. Jch ließ zartes Abendbrodt und gutes Obſt holen; Sie koͤnnen nicht glauben, wie die Kinder Freude daran hatten; aber Madam Lei - dens war nicht damit zufrieden. Sie fuͤrchtet, die geringen Speiſen, welche das wenige Vermoͤgen zulaͤßt, moͤchten itzt den Kindern nicht mehr ſo lieb ſeyn; ſie ſagt: ſie wolle ſie nicht durch denF 5Ma -90Magen belohnen, und itzt gebe ich nichts wieder; Sie auch nur einen Apfel und ein Stuͤck Hausbrodt. Jch fragte ſie darum, und ſie ſagte zu der Tochter: ſolche Aepfel koͤnnen wir in un - ſerm Garten ziehen, aber dieß Brodt kann nur eine Madam Hills backen laſſen. Da hatte ichs! Aber ich wurde nicht boͤ - ſe; ſie hatte Recht; Sie will nicht, daß man gewoͤhnliches Brodt eſſen fuͤr Ungluͤck halte. Nun ſind acht Tage vorbey, daß ſie bey den Leuten iſt; kuͤnftige Wo - che koͤmmt ſie wieder zu mir, und da wird ſie Jhnen ſchreiben. Beten Sie fuͤr das liebe Kind, und fuͤr mein Le - ben. O, niemals werde ich vergeſſen, daß Sie mir dieſe Perſon anvertrauten; ich war mein Tage nicht ſo froͤhlich mit allem meinem Gelde, als ich es bin, ſeit ich ſie bey mir habe!

Plan91

Plan der Huͤlfe fuͤr die Familie G. und die Jungfer Lehne.

Meine liebe Wohlthaͤterinn hat mir auf - getragen, meine Gedanken der Huͤlfe fuͤr die Familie G. aufzuſchreiben. Jch moͤch - te mit dieſen aus eigner Schuld elend ge - wordnen Leuten gerne umgehen, wie der Arzt mit einem Kranken, der ſeine Ge - ſundheit muthwillig verdorben hat; er thut alles, was zur Huͤlfe noͤthig iſt, aber er verbindet ſeine Verordnungen zugleich mit Ausuͤbung einer Diaͤt, die er ihm durch Vorſtellung der kuͤnftigen Gefahr und der vergangenen Leiden augenſchein - lich nothwendig macht; durch eine lang - ſame, aber anhaltende Cur hilft er ihm zu neuen Kraͤften, ſo, daß er endlich wie - der ohne Arzt leben kann. Zu ſehr ſtaͤr - kende Mittel gleich Anfangs gebraucht, wuͤrden das Uebel in dem Coͤrper befeſti - gen, und alſo fuͤr die Zukunft ſchaͤdlich ſeyn. Der Familie G. wuͤrde es mit großen Geſchenken auch ſo ergehen; wir wollen ihr alſo mit Vorſicht zu Huͤlfekommen,92kommen, und die Wurzel des Uebels zu heilen ſuchen.

Die wohlthaͤtige Guͤte der Madam Hills giebt Anfangs die noͤthigen Kleider, Leinen und Hausgeraͤthe. Von den er - ſten wurden nur die allerunentbehrlichſten Stuͤcken ſchon verfertigt gegeben; das uͤbrige aber im Ganzen, damit die Frau und ihre Toͤchter es mit eigner Handar - beit zurechte machen; und wenn ſie damit fertig ſind, ſo bekommen ſie einen Vor - rath an Flachs und Baumwolle, um ſel - bige zu verarbeiten, und in Zukunft das abgehende an Leinen - und baumwollenen Zeuge erſetzen zu koͤnnen, und dieſes iſt die Sache der Muͤtter und Toͤchter.

Die Talente und den Stolz des Herrn G. will ich dahin zu bringen ſuchen, ſei - nen zerfallenen Ruhm durch die Bemuͤ - hung einer guten Kinderzucht wieder auf - zubauen. Erziehung iſt er ſeinen Kin - dern ſchuldig; das Vermoͤgen hat er nicht, Lehrmeiſter zu bezahlen, wie edel waͤr es, wenn er mit Fleiß und Vater - treue den Schaden des verſchwendetenVer -93Vermoͤgens erſetzte, und ſeinen Kindern Schreib - und Rechnungsunterricht gaͤbe! Fuͤr das Latein der Soͤhne erhalten Ma - dam Hills zween Plaͤtze, welche armen Schuͤlern beſtimmt ſind; Herr G. haͤlt aber die Lehr - und Wiederholungsſtunden ſelbſt mit ihnen; und gewiß wuͤrde man einem Mann, der ſeine vaͤterliche Pflich - ten ſo getreu erfuͤllte, mit der Zeit ein Amt des Vaterlandes anvertrauen. Nun koͤmmt die Betrachtung, daß die beſchul - digte Nachlaͤßigkeit der Frau G. alles wie - der zu Grunde richten wuͤrde; dieſem Ue - bel hoffe ich durch die Jungfer Lehne zuvor zu kommen.

Sie war die Jugendfreundinn der Frau G., und hat von ihren Aeltern Gutes ge - noſſen. Jch denke, ſie wuͤrde es der Toch - ter gerne vergelten, wenn ſie nicht ſelbſt arm waͤre; da ſie aber einen vorzuͤglichen Reichthum an Geſchicklichkeit beſitzt, ſo koͤnnte ſie dadurch eine Wohlthaͤterinn ihrer Freundinn werden, wenn ſie das Amt einer Aufſeherinn uͤber den Gebrauch der Wohlthaten und der Lehrmeiſterinnbey94bey den Toͤchtern der Frau G. verwal - ten wollte.

Madam Hills thun der Jungfer Lehne Gutes, ich weiß, daß ſie dankbar ſeyn moͤchte, und wie kann ſie es auf eine ruͤhmlichere Art werden, als wenn ſie ihrer eignen Beſchuͤtzerinn die Haͤnde reicht, um ihre ungluͤckliche Freundinn aus dem Verderben zu ziehen? Und mit wie vieler Achtung wird ſie von den beſten Einwohnern angeſehen werden, wenn ſie durch die Guͤte ihres Herzens die Grund - lage der Wohlfahrt von drey unſchuldi - gen Kindern befeſtigen und bauen hilft?

Wenn meine theure Frau Hills mit die - ſen Gedanken zufrieden ſind, ſo will ich ſie dem Herrn und der Frau G., wie auch der Jungfer Lehne vortragen; und, dann bitte ich, mir zu erlauben, auf zwo Wo - chen in dem Hauſe des Herrn G. zu woh - nen, um ihnen zu zeigen, daß dieſe Vor - ſchriften zu der Verwendung ihres Lebens nicht hart und nicht unangenehm ſind. Denn ich will durch gute Worte und Ach - tung den Mann an ſein Haus und anſeine95ſeine Familie gewoͤhnen, und dann einige Tage die Stelle der Mutter, und wieder einige die Stelle der Jungfer Lehne be - kleiden, und daneben die Herzen der Kin - der zu guten Neigungen zu lenken, und ihre Faͤhigkeiten ausfindig zu machen ſu - chen, um ſie mit der Zeit nach ihrem be - ſten Geſchicke anzubauen. Aber in Klei - dung, Eſſen, Hausgeraͤthe, ſollen ſie noch den Mangel fuͤhlen, und durch dieſes Ge - fuͤhl zu Erkenntniß und Aufmerkſamkeit kommen; bis ſie durch Genuͤgſamkeit, Fleiß und gute Geſinnungen wieder in die Claſſe eintreten koͤnnen, aus der ſie durch Verſchwendung und Sorgloſigkeit gefallen ſind. Vorwuͤrfe werde ich ihnen nicht machen; aber ich werde ihnen durch Er - zaͤhlung einiger Umſtaͤnde meines Lebens die Zufaͤlligkeit des Gluͤcks beweiſen, und den Kindern ſagen, daß mir nichts als meine Erziehung uͤbrig geblieben ſey, welche mir die Freundſchaft von Madam Hills, und die Gelegenheit gegeben haͤtte, ihnen Dienſte zu leiſten. Dann werde ich auch von dem Stolze reden koͤnnen, deruns96uns bloß fuͤhren ſoll, einen edlen Ge - brauch von Gluͤck und Ungluͤck zu ma - chen. Denn ich moͤchte nicht bloß ihren Koͤrper ernaͤhrt und gekleidet ſehen, ſon - dern auch die ſchlechten Geſinnungen ih - rer Seele gebeſſert, und ihren Verſtand mit ſchicklichen Begriffen erfuͤllet wiſſen.

Madam Leidens an Emilien.

Nun bin ich wieder zu Haus, und wollte Jhnen von der Ausſaat reden, wovon mein letzter Brief ſagte, daß ich ſie einer dritten Hand anvertrauen wuͤr - de; aber Madam Hills erzaͤhlt mir: daß ſie Jhnen alles geſchrieben habe. O meine Freundin! wie ſchoͤn waͤre der moraliſche Theil unſers Erdkreiſes, wenn alle Reichen ſo daͤchten wie Ma - dam Hills, die ſich freut, wenn man ihr Gelegenheit giebt, ihre Gluͤcksguͤter wohl anzuwenden! Sie, meine Emilia,ſollen97ſollen die Beweggruͤnde ſehen, die mich dazu brachten, der Jungfer Lehne das Verwaltungsamt zu geben. Sie wiſſen, wie ich die arme Familie kennen lernte: eben dieſe Perſon redte bey Frau Hills von ihren Umſtaͤnden. Jch bemerkte in ihrem halb mitleidigen, halb anklagenden Ton eine Art von Neid uͤber die Wohlthaten, welche jene genoſſen, und die Begierde, ſie allein an ſich zu ziehen. Sie ſprach zu - gleich viel davon, wie ſie es an der Stelle von Frau G. machen wuͤrde. Jch aͤr - gerte mich, ſo kalte, und uͤbelthaͤtige Ue - berbleibſel einer ſo ſtark geweſenen Jugend - freundſchaft anzutreffen, und hatte Muth genug den Plan zu faſſen, dieſes halb ver - moderte Herz zu dem Nutzen ſeiner erſten Freundinn brauchbar zu machen. Jch ließ ſie nichts von meinen Betrachtungen uͤber ſie merken, und ſagte ihr nur, daß ſie mich in das Haus fuͤhren ſollte. Der Anblick des Elends, und die Zaͤrtlichkeit, welche ihr die Frau bewieß, ruͤhrte ſie, und in dieſer Bewegung nahm ich ſie in mein Zimmer, las ihr meinen Plan vor,II. Theil. Gund98und mahlte mit den lebhafteſten Farben die Schoͤnheit der Rolle, die ich ihr auf - truͤge, worinn ſie ſich das Wohlgefallen Gottes, und die Achtung und die Seg - nungen aller Rechtſchaffenen zu verſpre - chen haͤtte. Jch uͤberzeugte ſie, daß ſie mehr Gutes thue als Frau Hills, wel - che bey ihren Geldgaben nur das Ver - gnuͤgen genoͤſſe, von ihrem Ueberfluſſe von Zeit zu Zeit etwas abzugeben; da hingegen ihre taͤgliche Bemuͤhungen und ihre Geduld die Tugenden des edelſten Herzens ſeyn wuͤrden. Jch gewann ſie um deſto leichter, weil ich ihr das Lob der Madam Hills dadurch zuzog, daß ich ſagte: der Einfall waͤre ihr ſelbſt ge - kommen. Mein Plan wurde bewilligt, und ich fuͤhrte ihn die erſten zwo Wochen ſelbſt aus.

Die Annahme einer Verwalterinn ſchien beſchwerlich, aber ich erhielt doch die Ein - willigung, beſonders da ich ſagte, daß ich ſelbſt vierzehn Tage bey ihnen wohnen wuͤrde.

Den99

Den erſten Tag legte ich ihnen die Ge - ſchenke von Madam Hills vor, theilte jedem das Seinige, mit Ermahnung zur Sorgfalt, zu, und ſagte ihnen: daß ſie durch Scho - nen, und ſparſamen Gebrauch der Wohl - thaten, theils ihre Dankbarkeit, theils ein edles Herz zeigen wuͤrden, welches die Guͤte, die man ihm beweiſt, nicht mis - brauchen moͤchte. Hierauf ſagte ich, wie ich ihre Umſtaͤnde anſaͤhe, und was ich fuͤr einen Plan ihres Lebens, und ihrer Be - ſchaͤfftigung daraus gezogen haͤtte; bat aber jedes: mir ſeine Wuͤnſche, und Ein - wendungen zu ſagen.

Ehe ich dieſe beantwortete, machte ich ihnen einen kurzen und nuͤtzlichen Auszug meiner eigenen Geſchichte. Jch blieb beſonders bey dem Artikel des Anſehens und Reichthums ſtehen, worinn ich ge - boren und erzogen worden; ſagte ihnen meine ehemaligen Wuͤnſche und Neigun - gen, auch wie ich ſie mir itzt verſagen muͤſſe, und ſchloß dieſe Erzaͤhlung mit freundlichen Anwendungen, und Zuſpruͤ - chen fuͤr ſie. Durch dieſes oͤffnete ſichG 2ihr100ihr Herz zum Vertrauen, und zur Bereit - willigkeit meinem Rathe zu folgen. Die beſten Sachen, ſo eine reiche und gluͤck - liche Perſon geſagt haͤtte, wuͤrden wenig Eindruck gemacht haben; aber der Ge - danke, daß auch ich arm ſey, und andern unterworfen leben muͤſſe, brachte Biegſam - keit in ihre Gemuͤther. Jch fragte: was ſie an meiner Stelle wuͤrden gethan ha - ben? Sie fanden aber meine Moral gut, und wuͤnſchten auch ſo zu denken. Dar - auf gieng ich in den Vorſchlag ein, was ich an ihrem Platze thun wuͤrde; und ſie waren es herzlich zufrieden. O, dachte ich, wenn man bey Beweggruͤnden zum Guten allezeit in die Umſtaͤnde und Nei - gungen der Leute eingienge, und der uns allen gegebenen Eigenliebe nicht ſchnur - ſtracks Gewalt anthun wollte, ſondern ſie mit eben der Klugheit zum Huͤlfsmittel verwaͤnde, wodurch der ſchmeichelnde Verfuͤhrer ſie zu ſeinem Endzweck zu len - ken weiß: ſo wuͤrde die Moral ſchon laͤngſt die Grenzen ihres Reichs und die Zahl ihrer Ergebenen vergroͤßert haben.

Eigen -101

Eigenliebe! angenehmes Band, welches die liebreiche Hand unſers guͤtigen Schoͤp - fers dem freyen Willen anlegte, um uns damit zu unſrer wahren Gluͤckſeligkeit zu ziehen; wie ſehr hat dich Unwiſſenheit und Haͤrte verunſtaltet, und die Menſchen zu ei - nem unſeligen Misbrauch der beſten Wohl - that gebracht! Laſſen Sie mich zuruͤck - kommen.

Am zweyten Tage ſtellte ich die Frau G. vor, und in ihrer Perſon ſprach ich mit Jungfer Lehne von unſrer alten Liebe, und wie gern ich ihr die Stelle goͤnnte, die ſie in meinem Hauſe zu vertreten haͤt - te, da ich glaubte: ſie wuͤrde den Ge - brauch eines guten Herzens davon machen. Jch ſagte, was ich (nach dem Willen der Frau G, mit der ich allein vorher ge - ſprochen hatte) von ihr wuͤnſchte, wieß die Toͤchter an ſie an, und ſetzte hinzu: daß wir allezeit alles gemeinſchaftlich uͤberlegen und vornehmen wollten. So - dann war ich zween Tage Jungfer Lehne, und die folgenden drey in der Stelle der drey Toͤchter.

G 3Unter102

Unter dem Arbeiten machte ich ſie durch Huͤlfe der Religion mit dem beruhigenden Vergnuͤgen bekannt, welches die Betrach - tung der Natur in verſchiedenem Maaße in unſer Herz gießt. Frau Hills ſchaffte Buͤcher an, die ich ausgeſucht hatte, und die beyden Soͤhne mußten wechſelsweiſe etwas daraus vorleſen, wobey ich die Kinder immer Betrachtungen und Anwen - dungen machen lehrte. Die zwo aͤlteſten Maͤdchen haben viel Geſchicke und Ver - ſtand. Jch lehrte ſie meine Tapetenar - beit, und die aͤlteſte Zeichnungen dazu zu machen. Jch ermunterte ihren Fleiß durch den Stolz, indem ich ihnen ſagte: daß ſie dieſe Arbeit entweder ganz an Kaufleute verhandeln, oder ſich um die Haͤlfte wieder neue Wolle ſchaffen, und fuͤr die andre etwas eintauſchen koͤnnten, ſo ihnen noͤthig waͤre; ich verſprach ihnen auch, dieſe Arbeit ſonſt niemanden zu leh - ren. Nun ſitzen des Tages die zwo Maͤd - chen und die Mutter daran, weil die Vor - ſtellung vom Verhandeln ihrer Eitelkeit ſchmeichelt.

Jungfer103

Jungfer Lehne ſagte: daß alles gut fortgehe, und iſt daſelbſt ungemein ver - gnuͤgt, da ſie wegen ihrer Aufſicht und Probe einer wahren Freundſchaft ſo ſehr gelobt wird.

Jch habe das Haus mit Thraͤnen ver - laſſen, und werde alle Woche zween halbe Tage hingehen. Die vierzehn Ta - ge, die ich da zubrachte, floſſen voll Un - ſchuld und Friede dahin; eine jede Minute davon, war mit einer uͤbenden Tugend erfuͤllt, da ich Gutes that und Gutes lehrte. Nun bitten Sie Gott, liebſte Emilia, daß er dieſe kleine Saat meiner verarmten Hand zur reichen Aernte fuͤr das Wohl dieſer Familie werden laſſe. Niemals, nein, niemals haben mir die Ein - kuͤnfte meiner Guͤter, welche mich in Stand ſetzten, dem Armen durch Geldgaben zu Huͤlfe zu kommen, ſo viel wahre Freude gegeben, als der Gedanke: daß mein Herz ohne Gold, allein durch Mittheilung meiner Talente, meiner Geſinnungen, und etlicher Tage meines Lebens, das Beſte fuͤr dieſe Familie gethan hat.

G 4Meine104

Meine kleinen Zeichnungen ſind Urſa - che, daß der zweyte Sohn zu einem Mi - gnatuͤrmahler koͤmmt, weil der junge Kna - be ſie mit der groͤßten Puͤnktlichkeit und außerordentlich fein nachahmte.

Die ganze Familie liebt und ſegnet mich. Madam Hills laͤßt bereits die Steine zum Geſindhaus fuͤhren und be - hauen. Denken ſie nicht, beſte Freun - dinn, daß ſich zu gleicher Zeit, dauer - hafte Grundtheile eines neuen moraliſchen Gluͤcksbaues in meiner Seele ſammlen, worinn meine Empfindungen Schutz und Nahrung finden werden, bis der Sturm von ſinnlichem Ungluͤck voruͤber ſeyn wird, der den Wohnplatz meines aͤußerlichen Wohlergehns zerſtoͤrte?

Madam105

Madam Leidens an Emilien.

Emilia! fragen Sie den metaphyſiſchen Kopf ihres Mannes, woher der Wider - ſpruch kaͤme, der ſich, zwiſchen meinen ſtaͤrkſten immerwaͤhrenden Empfindungen und meinen Jdeen zeigte, als ich von Frau Hills gebeten wurde: ihre liebſte Freundinn, die ſchoͤne anmuthsvolle Wit - we von C. zu einem guͤtigen Ent - ſchluß, fuͤr einen ihrer Verehrer, bereden zu helfen? Woher kam es, daß ich der Liebe und dem aus ihr kommenden Gluͤck irgend eines Mannes das Wort reden konnte, da die Fortdauer meiner durch die Liebe erfahrnen Leiden mich eher zur Unterſtuͤtzung der Kaltſinnigkeit der ſchoͤ - nen Witwe haͤtte bringen ſollen? Jch kann nicht denken; daß allein der Geiſt des Widerſpruchs, durch welchen es uns natuͤrlich iſt anders zu denken als andre Leute, daran Urſache ſey. Oder waͤre es moͤglich, daß in einem Stuͤcke meines,G 5durch106durch die Haͤnde der Liebe zerriſſenen Her - zens noch ein Abdruck der wohlthaͤtigen Geſtalt geblieben waͤre, worunter ich mir einſt in den heitern Tagen meiner laͤcheln - den Jugend, ihr Bild vormahlte? Oder konnte wohl der lange Gram meine junge Vernunft zu dem Grade der Reife ge - bracht haben, welcher noͤthig iſt: mich uͤber die Umſtaͤnde einer andern Perſon, ohne alle Einmiſchung meiner eignen Em - pfindungen nachdenken und urtheilen zu laſſen? Sie ſehen, daß ich uͤber mich zweifelhaft bin; helfen Sie mir zu Rechte.

Hier iſt mein Geſpraͤch mit der Witwe.

Vier rechtſchaffene Maͤnner bewerben ſich um ihre Gunſt, woher koͤmmt es, theureſte Frau von C. daß Sie ſo lange waͤhlen?

Jch waͤhle nicht; ich will meine Frey - heit genießen, die ich durch ſo viele Bitterkeit erkaufen mußte.

Sie haben nicht Unrecht Jhre Frey - heit zu lieben, und auf alle Weiſe zu genießen, der edelſte Gebrauch davon waͤre,107 waͤre aber doch derjenige: aus freyem Willen jemanden gluͤcklich zu machen.

O, das Gluͤck, wovon Sie reden, iſt meiſtens nur in der feurigen Phanta - ſie eines itzt brennenden Liebhabers, und verſchwindet, ſobald die erloſche - ne Flamme ihr Zeit giebt, ſich wieder abzukuͤhlen.

Dieſes, meine geliebte Frau von C kann wahr ſeyn, wenn die Liebe eines jungen Mannes allein durch die Augen entſtanden iſt, und an der Seite des bluͤhenden Maͤdchens lodert, deren un - ausgebildeter Charakter dieſem Feuer keine dauerhafte Nahrung geben kann. Aber Sie, die wegen Jhrem Geiſt, we - gen Jhrem edlen Herzen geliebet werden, Sie ſind ſicher es unausloͤſchlich zu machen.

Meine Verdienſte haͤtten alſo die Ei - genſchaft des perſiſchen Naphta; aber in welchem meiner Liebhaber liegt das Herz, welches ein gleichdauerndes Feuer aushalten koͤnnte?

Jn108

Jn jedem; denn Liebe und Gluͤckſelig - keit ſind der unverzehrbare Stoff, wor - aus unſere Herzen gebauet ſind. *)Der ziemlich ins Precioͤſe fallende und von der gewoͤhnlichen ſchoͤnen Simplicitaͤt unſrer Sternheim ſo ſtark abſtechende Styl dieſes Dialogen ſcheint zu beweiſen, daß ſie bey dieſer Unterredung mit Frau von C. nicht recht à ſon aiſe war.

Jeder hat aber auch eine eigne Jdee von der Gluͤckſeligkeit; ich koͤnnte alſo bey meiner zwoten Wahl, wieder juſt das Herz treffen, deſſen Begriffe von Gluͤckſeligkeit nicht mit meinem Cha - rakter uͤbereinſtimmten, und da ver - loͤhren wir beyde.

Jhre Ausflucht iſt fein, aber nicht richtig. Zehn Jahre, welche zwiſchen der erſten und letzten Wahl ſtehen, ha - ben durch viele Erfahrungen Jhren Ein - ſichten die Kraft gegeben, die Verſchie - denheit der Perſonen und Umſtaͤnde zu beurtheilen, und beſonders die Gewalt zu bemerken, mit welcher die letztere Sie109 Sie in Jhre erſte Verbindung hinein - gezogen.

Wie genau Sie alles hervorſuchen; Aber ſagen Sie, liebe Madam Lei - dens, wen wuͤrden Sie waͤhlen, wenn Sie an meiner Stelle waͤren?

Den, von dem ich hoffte, ihn am meiſten gluͤcklich machen zu koͤnnen.

Und dieß waͤre in ihren Augen

Der liebenswuͤrdige Gelehrte, deſſen ſchoͤner und aufgeklaͤrter Geiſt Jhnen das Vergnuͤgen gewaͤhrte, daß nicht die geringſte Schattirung Jhrer Verdienſte ungefuͤhlt, und ungeliebt blieben, in deſſen Umgang der edelſte Theil Jhres Weſens unendliche Vortheile genießen koͤnnte, indem Er Sie an der Hand der Zaͤrtlichkeit durch das weite Gebiet ſei - ner Wiſſenſchaft fuͤhren wuͤrde, wo ſich Jhr Geiſt ſo angenehm unterhalten und ſtaͤrken koͤnnte. Wie gluͤcklich wuͤrde ſein gefuͤhlvolles Herz durch das Ver - gnuͤgen, durch die Verdienſte und die Liebe ſeiner ſchaͤtzbaren Gattinn werden; und110 und wie gluͤcklich wuͤrde Jhre empfind - ſame Seele durch das von Jhnen ge - ſchaffene Gluͤck dieſes wuͤrdigen Mannes ſeyn; Wie ſuͤß waͤre Jhr Antheil an ſei - nem Ruhm, und an ſeinen Freunden!

O Madam Leidens! wie ſtark mah - len Sie die ſchoͤne Seite! Soll ich nicht ſehen, daß alle Staͤrke dieſer ſchaͤtzbaren Empfindlichkeit ſich auch bey meinen wahren, und zufaͤlligen Fehlern zeigen wuͤrde, und wohin neigt ſich da die Waagſchale der Gluͤck - ſeligkeit?

Dahin, wo ihre angeborne Sanft - muth, und Gefaͤlligkeit ſie feſt halten wird.

Gefaͤhrliche Frau, wie viele Blumen Sie auf die verſteckte Kette ſtreuen!

Sie thun mir Unrecht, ich zeige nur den Vorrath von Blumen, deren Werth ich kenne, und die Jhnen die Liebe anbie - tet, um eine Kette von Zufriedenheit daraus zu binden

Und111

Und uͤberſehen die Menge von Dor - nen, welche unter dieſen Roſen ver - borgen ſind

Darauf antworte ich nicht, ich wuͤr - de Jhre Klugheit und Billigkeit belei - digen.

Werden Sie nicht boͤſe, und weiſen Sie mir noch die ſchoͤnen Farben der uͤbrigen Baͤnder, wovon Sie mir Schleifen knuͤpfen wollen.

Kommen Sie, vielleicht wird der ar - tige Uebermuth, den Jhnen Jhre vorzuͤg - liche Liebenswuͤrdigkeit giebt, durch die Eigenſchaft der Geburt und Perſon ei - nes der edelſten Soͤhne des preußiſchen Kriegsgottes leichter gezaͤhmt, als durch die ſanfte Hand der Muſen: dieß Band iſt ſchoͤn, ein glaͤnzender Nahme, Edel - muͤthigkeit der Seele, wahre Liebe und Verehrung ihres Charakters iſt darinn verwebt; goldene Streifen des angeſehe - nen Rangs, des neuen ſchoͤnen Kreiſes, in den ſie dadurch verſetzt werden, lie - gen im Grunde, Blicke in angenehme Gegen -112 Gegenden, wo Jhnen die Briefe der Hochachtungswuͤrdigen Frau von *** zeigen, daß ſeine Liebe Jhnen ſchon Freundinnen und Verehrer bereitet hat; und verdiente nicht ſchon die großmuͤthi - ge Aufopferung aller Vorrechte des alten Adels, das Gegenopfer Jhrer Unſchluͤßig - keit und Jhres Mistrauens?

Zauberinn! wie kuͤnſtlich miſchen Sie Jhre Farben!

Warum Zauberinn, liebſte Frau von C ? fuͤhlen Sie den ſtarken Reiz der ſtrahlenden Faͤden, womit der Zufall dieß Band umwunden hat?

Ja, aber dem Himmel ſey Dank, Sie ſchrecken mich deswegen, weil Sie mich blenden.

Liebenswuͤrdige Schuͤchternheit, o, koͤnnte ich dich in die Seele jedes gefuͤhl - vollen Geſchoͤpfs legen, welches von den ſchoͤnen Farben eines Kunſtfeuers angelockt, verblendet, und auf einmal in der grauſamen Finſterniß eines trau - rigen Schickſals verlaſſen wird!

Liebe113

Liebe Frau! wie ruͤhrend loben Sie mich; wie ſehr erwecken Sie die muͤt - terliche Sorgen fuͤr meine anwachſen - de Tochter!

Zaͤrtlich umarmte ich Sie fuͤr dieſe edle Bewegung ihres, von wahrer Guͤte be - lebten Herzens; goͤnnen Sie mir, ſagte (ich) in dieſem, der Empfindung ge - weyheten Augenblicke, Jhre Aufmerkſam - keit, fuͤr die, in Wahrheit wenig ſchim - mernde, aber feſt gegruͤndete Zufrieden - heit, die Sie in dem artigen Landhauſe des Herrn T. erwartet, worinn Sie durch einen edelmuͤthigen Entſchluß zu - gleich drey der heiligſten Pflichten erfuͤl - len koͤnnten; Die ſehnlichen Wuͤn - ſche eines verdienſtvollen angenehmen Mannes zu kroͤnen, der Sie nicht um der Reize ihrer Perſon willen, (denn dieſe kennt er nicht) ſondern wegen dem reizenden Bilde liebt, ſo ihm von Jhrer Seele gemacht wurde; der, nachdem Er allen Ausdruck ſeiner Empfindungen fuͤr Sie erſchoͤpft hatte; mit der edelſten Be - wegung, die jemals das Herz eines Rei -II. Theil. Hchen114 chen erſchuͤtterte, hinzuſetzte: Jhre Tochter ſollte das Kind ihres Herzens werden, und alles ſein Vermoͤgen ihr zugewandt ſeyn. Wuͤrden ſie nicht dadurch zugleich der muͤtterlichen Pflicht auch fuͤr die aͤußer - liche Gluͤckſeligkeit ihres Kindes zu ſor - gen, genug thun? Und konnte die ge - horſame Ergebung des Willens Jhrer Ju - gendlichen Jahre dem Herzen Jhres ehr - wuͤrdigen Vaters jemals ſo viel Freude machen, als Sie ihm in den itzigen Jah - ren Jhrer Freyheit machen wuͤrden, wenn Sie ſeinen Rath, ſeine zaͤrtlichen Wuͤnſche fuͤr eine Verbindung befolgten, wodurch Sie ihm genaͤhert, und in den Stand geſetzt wuͤrden, ſein vaͤterliches Herz in dem letzten Theile ſeines Lebens fuͤr alle Muͤhe der Erziehung ſeiner Kin - der zu belohnen? Bedenken Sie ſich, liebreiche und gegen alle Menſchen leut - ſelige und wohlthaͤtige Frau! Jch will Jhnen nichts von der hochachtungswuͤr - digen Hand ſagen, die in einer unſrer ſchoͤnſten Reſidenzſtaͤdte auf den guͤtigen Wink der Jhrigen wartet, wo eine An - zahl115 zahl verdienſtvoller Perſonen, Jhnen Buͤrge fuͤr die Tugend des Herzens, fuͤr die Kenntniſſe des Geiſtes, und fuͤr die zaͤrtliche Neigung ſind, die einer der ſchoͤnſten und beſten Maͤnner fuͤr Sie ernaͤhrt, und der darum der Gluͤcklichſte wurde, weil er in Jhnen die beſte wuͤrdig - ſte Mutter fuͤr ſeine zwey Kinder zu erhal - ten hoffte. Sie wiſſen, daß Er ein edler Beſitzer eines ſchoͤnen Vermoͤgens iſt, und kennen alle geſellſchaftlichen Annehmlichkeiten, die in dieſer Stadt auf ſie warten. Aber thun Sie, liebenswuͤrdige Frau von C. was Sie wollen, ich habe Jhnen die Beweggruͤnde meines Herzens geſagt; ich weiß wohl, daß wir alle einen verſchiedenen Geſichts - punct uͤber den nehmlichen Gegenſtand haben, und unſer Gefuͤhl darnach rich - ten; doch iſt eine Seite, die wir alle be - trachten muͤſſen die Gluͤckſeligkeit unſers Naͤchſten eben ſo ſehr, als die unſrige zu lieben, und ſie nicht aus klei - nen Beweggruͤnden verzoͤgern.

H 2Sie116

Sie haben mein Herz in die aͤußerſte Verlegenheit gebracht, (ſagte ſie mir mit Thraͤnen) aber meine traurige Erfahrung empoͤrt ſich wider jede Jdee von Verbindung; ich wuͤnſche dieſen Maͤnnern wuͤrdigere Gattinnen, als ſie ſich mich abſchildern; aber mein Nacken iſt von dem erſten Joche ſo verwundet worden, daß mich das leichteſte Seidenband druͤcken wuͤrde.

Jch habe die Bitte ihrer Freundinn erfuͤllt, und nichts anders bey Jhrem Entſchluſſe zu ſagen, als daß Sie immer gluͤcklich ſeyn moͤgen.

Sie umarmte mich, und bat Ma - dam Hills: bey meiner Zuruͤckkunft die liebe Frau ruhig zu laſſen; wunderte mich aber in meinem Zimmer uͤber den Eifer, womit ich mich in dieſe Sache gemiſcht hatte.

Klaͤren Sie mir das Dunkle in meiner Seele daruͤber auf; es duͤnkt mich: daß ich lauter unrechte Urſachen haſche.

Lord117

Lord Seymour an Doctor T.

Beſter Freund, geben Sie mir Jhren Rath, um mich in dem Kummer zu er - halten, in welchen ich aufs neue, und, gewiß auf ewig gefallen bin! Sie wiſſen, daß ich meine Leidenſchaft fuͤr das Fraͤu - lein von Sternheim ganz unterdruͤckt hatte, weil die Verſicherung ihres niedertraͤchti - gen Buͤndniſſes mit John ihren Geiſt und Charakter aller meiner Hochachtung be - raubte. Jch fieng auch an, eine ruhige und reizende Liebe zu koſten, indem ich meine ganze Zaͤrtlichkeit dem Fraͤulein von C widmete, und der ihrigen voͤllig ver - ſichert war: als mein Oheim unverſehens den Befehl vom Hofe erhielt, eine Reiſe nach W. zu machen. Die Empfindlich - keit des liebenswuͤrdigen Fraͤuleins von C hatte vieles bey unſerer Tennung zu leiden, und ich war eben ſo traurig als ſie. Misvergnuͤgt und murrend uͤber die Feſſeln, welche mir der Ehrgeiz meiner Familie, und die Zuneigung von Mylord Crafton anlegten, ſaß ich ſtumm und fin -H 3ſter118ſter neben dem liebreichſten Manne, deſſen feſte Ruhe des Geiſtes meinen empoͤrten Empfindungen aͤrgerlich war, ſo, daß ich der Geduld nicht achtete, mit welcher er meine Unart ertrug. Aber, mein Freund, ſtellen Sie ſich, wenn es moͤglich iſt, die Bewegung vor, in die ich gerieth, als wir den zweyten Tag Abends bey ſehr ſchlimmen Wetter, durch Verſehen des Poſtillions, auf ein Dorf kamen, wo wir uͤbernachten mußten, am Wirths - hauſe anfuhren, und eben ausſteigen wollten, als die Wirthinn auf einmal anfieng: was, Sie ſind Englaͤnder? fahren Sie fort, ich laſſe Sie nicht in mein Haus; Sie koͤnnen meinetwegen im Walde bleiben, aber meine Schwelle ſoll kein Englaͤnder mehr betreten Waͤhrend dem letztern Worte, zog ſie ihren Sohn, der wie ein wackerer Menſch aus - ſah, und ihr immer zuredete, beym Arme gegen die Thuͤre des Hauſes, ſo ſie zu - ſchließen wollte. Der ſchreyende Unwille dieſer Frau war ſeltſam genug, um mich aufmerkſam zu machen; unſere Kerlsſchrien119ſchrien und zankten wieder, die Poſtil - lions auch. Mylord befahl unſern Leu - ten zu ſchweigen, und ſagte zu mir: hier muß etwas ernſthaftes vorgegangen ſeyn, da es wichtig genug iſt, die gewoͤhnliche Gewinnbegierde dieſer Leute zu unter - druͤcken.

Er rief der Frau freundlich zu: ſie moͤchte ihm die Urſache ſagen, warum ſie uns nicht aufnehmen wollte?

Weil die Englaͤnder gewiſſenloſe Leu - te ſind, die ſich nichts aus dem Ungluͤ - cke der beſten Menſchen machen, und ich meine Tage keinen mehr beherbergen will; fahren Sie mit ihren ſchoͤnen Worten nur fort, ſie koͤnnen alle ſo ſchoͤ - ne Worte geben.

Sie wandte ſich von uns weg, und ſagte zu ihrem Sohne, der ihr vermuth - lich wegen dem Gewinn zuredete. Nein, und wenn ſie meine Stube voll Gold ſteckten, ſo brech ich meine Geluͤbde nicht, das ich der lieben Dame wegen that

Jch kochte vor Ungeduld; aber My - lord, der von ſeiner Parlamentsſtelle herH 4gewohnt120gewohnt war, den wuͤthenden Aufwal - lungen des Poͤbels nachzugeben, winkte ganz ruhig dem Sohne, und fragte ihn um die Urſache der Abneigung und der Vorwuͤrfe meiner Mutter.

Vor einem halben Jahre, antwortete dieſer, fuͤhrte ein Englaͤnder ſeine Frau, eine ſchoͤne guͤtige Dame, zu uns; er gieng weg und kam wieder, nachdem er viele Wochen weggeweſen, indeſſen hatte die junge Frau, die immer ſehr traurig war, meine Baaſen gekleidet, ſie viele huͤbſche Sachen gelehret, und den Ar - men viel Gutes gethan; o, ſie war ſo ſanft als ein Lamm! ſogar mein Va - ter wurde ſanft ſeit ſie in unſerm Hauſe war; wir mußten ſie alle lieben. Aber einen Tag, da der boͤſe Lord lange weg geweſen, kam einer ſeiner Leute geritten, und ſagte, er haͤtte Briefe an die Da - me; wir fragten; ob ſein Herr bald kaͤ - me? nein ſagt er, Er koͤmmt nicht wieder; hier iſt noch Geld fuͤr den uͤbri - gen Monat; und dieß ſagte er wild und trotzig, wie ein boͤſer Hund. Meiner Mut -121 Mutter ahndete nichts gutes, und ſie ſchlich ſich in eine Nebenkammer, um auf den Brief zu horchen; da ſah ſie un - ſre liebe ſchoͤne Dame auf der Erde knien und weinen, und ihrem Cammermaͤdchen erzaͤhlen: in dem Briefe ſtuͤnde: ihre Heurath waͤre falſch geweſen: der Bo - the, der ihn gebracht, waͤre in einen Geiſtlichen verkleidet geweſen, und haͤtte ſie eingeſegnet; ſie koͤnne hin wo ſie wol - le; da iſt ſie auch zwey Tage darauf fort; aber ſie muß unterweges geſtorben ſeyn, ſo krank und betruͤbt war ſie; da will nun meine Mutter keinen Englaͤnder mehr ins Haus aufnehmen.

Mylord ſah mich geruͤhrt an;

Carl, was ſagt dein Herz zu dieſer Er - zaͤhlung?

O Mylord, es iſt mein Fraͤulein Stern - heim, ſchrie ich aber der Boͤſe - wicht ſoll es bezahlen! Aufſuchen will ich ihn; es iſt Derby; kein andrer iſt dieſer Grauſamkeit faͤhig.

Junger Freund, ſagte Mylord dem Sohne der Wirthin; ſag er ſeiner Mut -H 5ter:122ter: ſie haͤtte recht, den boͤſen Englaͤnder zu haſſen; auch ſoll er vom Koͤnig nach der Schaͤrfe abgeſtraft werden. Aber mach Er, daß ich ins Haus komme.

Steigen Sie aus, ich will meine Mutter befriedigen.

Er lief hinein, und bald darauf kam uns die Frau ſelbſt entgegen; Wenn Sie den abſcheulichen Mann recht ſtrafen wollen, wie Sie ſagen, ſo kommen Sie, ich will Jhnen alles erzaͤhlen wie es war; Sie ſind ein alter Herr, gnaͤdiger Lord, Sie koͤnnen das Unrecht junger Leute gut einſehen, machen Sie ein Exempel aus dem boͤſen Mann, er koͤnnte noch viele Streiche anfangen.

Still, und langſam folgte ich ihr und Mylorden die Treppe hinauf. Hier, ſagte ſie oben, hier iſt der liebe Engel geſtanden, wie ihr Herr das erſtemal kam, ſie zu beſuchen, nun, er herzte ſie recht ſchoͤn, und ſie hatte ihre lieben Haͤnde ſo huͤbſch nach ihm ausgeſtreckt, daß mich ihre Einigkeit freute; aber ſie redte ſo ſanft und wenig, und er ſo laut, ſeine123 ſeine Augen waren ſo groß, und be - ſchauten ſie ſo geſchwind, er rufte auch gleich ſo viel nach ſeinen Kerls, daß man wohl daraus haͤtte etwas vermu - then koͤnnen. Mein Mann war wild, doch hat er im Anfange allezeit leiſe und freundlich geredt, und geblinzelt; aber man denkt, jeder Menſch hat ſeine Weiſe, und wie ſollte einem einfallen: daß man ein ſchoͤnes frommes Tugend - bild betruͤgen koͤnne?

Nun waren wir im Zimmer, wo ihre Cammerfrau gewohnt hatte; hernach wieß ſie uns das von der Dame; ſie rufte Gretchen, die ſich hinſetzen und zeigen mußte, wo die Dame geſeſſen, wie ſie die Maͤdchen gelehrt haͤtte; hernach nahm ſie ein Bild von der Wand, und ſagte; da, mein Gaͤrtchen, meine Bienenge - ſtelle, und das Stuͤck Matte, wo meine Kuͤhe auf der Weide giengen, zeichnete ſie. Jndem ſie es Mylorden hingab, kuͤßte ſie das Stuͤck, und ſagte mit Wei - nen: Du liebe, liebe Dame, Gott habe dich ſelig, denn du lebſt gewiß nicht mehr.

Ein124

Ein einziger Blick uͤberzeugte mich voͤl - lig: daß es die Sternheim gemacht hatte; die richtigen Umriſſe, die feinen Schattie - rungen erkannte ich; mein Herz wurde beklemmt; ich mußte mich ſetzen; Thraͤ - nen fuͤllten meine Augen; das Schickſal des edlen Maͤdchens, die rauhe, aber herzliche Liebe dieſer Frau ruͤhrten mich; es gefiel ihr, Sie klopfte mich auf die Achſel: das iſt recht, daß Sie betruͤbt ſind, bitten Sie Gott um ein gutes Herz, daß Sie niemanden verfuͤhren; denn Sie ſind auch ein Englaͤnder, und ein huͤbſcher Meuſch; Sie koͤnnen einem in die Augen gehen.

Nun mußte das Maͤdchen und der Sohn, und die uͤbrigen Leute erzaͤhlen, wie gut die Dame geweſen, und was ſie gemacht hatte; dann wieß ſie uns das Schlafzimmer. Seit dem Brief, fuhr ſie fort, iſt ſie nicht mehr hinein gegan - gen, ſondern ſchlief im Bette ihrer Jung - fer; ich denke es wohl, wer moͤchte noch unter der Decke eines Spitzbuben ſchla - fen? Hier iſt der Schrank, worein ſie125 ſie alle Koſtbarkeiten von Gold, von Ge - ſchmeide, o, gar viele Sachen legte, die er ihr mitgebracht hatte, und die ich ihm zuruͤckgeben ſollte; denn ſie nahm nichts davon mit; zween Tage nachdem ſie weg war, kam wieder ein Brief; er wolle kommen, ſagte der Menſch; aber ich gab ihm ſeinen Pack Sachen, und ſchaffte ihn aus dem Hauſe.

Mylord fragte ſie noch genauer um alles was geſchehen war; halb hoͤrte ichs, halb nicht; ich war außer mir; und da die Frau nicht ſagen konnte: wo die Da - me hingereiſet waͤre; ſo war mir am uͤbrigen nichts gelegen. Jch hatte genug gehoͤret, um in Mitleiden zu zerſchmelzen, und das geliebte Bild der leidenden Tu - gend mit erneuerter Zaͤrtlichkeit in meine Seele zu faſſen. Jch nahm das Zimmer ihrer Jungfer, weil ich darinn den Platz bemerket hatte, wo ſie geknieet, wo ſie den unausſprechlichen Schmerzen gefuͤhlt hat - te, betrogen und verlaſſen zu ſeyn. Derbys Schlafzimmer gab mir den nehm - lichen Abſcheu wie ihr ſelbſt, und ichwarf126warf mich unausgekleidet mit halb zerruͤt - teten Sinnen auf das Bette, worinn Sternheim ſo Kummervolle Naͤchte zuge - bracht hatte. Troſtloſe Zaͤrtlichkeit, und ein Gemiſche von bitterm Vergnuͤgen be - maͤchtigten ſich meiner mit der Empfindung, welche mir ſagte: hier lag das liebens - wuͤrdige Geſchoͤpfe, in deſſen Armen ich alle meine Gluͤckſeligkeit gefunden haͤtte; hier beweinte ihr blutendes Herz die Treulo - ſigkeit des verruchteſten Boͤſewichts! Und ich O Sternheim, ich beweine dein Schickſal, deinen Verluſt, und meine verdammte Saumſeligkeit, deine Liebe fuͤr mich zu gewinnen! Vergnuͤgen, ja ein ſchmerzhaftes Vergnuͤgen genoß ich bey dem Gedanken: daß meine verzwei - flungsvolle Thraͤnen noch die Spuren der ihrigen antreffen, und ſich mit ihnen vereinigen wuͤrden. Jch ſtund auf, ich kniete auf den nehmlichen Platz, wo der ſtumme zerreiſſende Jammer uͤber ihre Er - niedrigung ſie hingeworfen hatte; wo ſie ſich Vorwuͤrfe uͤber das blinde Vertrauen machte, womit ſie ſich dem grauſamſtenManne127Manne ergab, und wo ich ihrem Andenken ſchwur: ſie zu raͤchen.

O mein Freund, warum, warum konn - te Jhre Weisheit meinen Muth nicht ſtaͤh - len? Wie elend, wie beklagungswerth war ich, da ich mit ihr jeden Augenblick verfluchte, worinn ſie das Eigenthum von Derby war! alle ihre Schoͤnheit, alle ihre Reize ſein Eigenthum waren! Sie liebte ihn; ſie empfieng ihn mit offenen Armen an der Treppe. Wie war es moͤglich: daß die edle reine Guͤte ihres Herzens den gefuͤhlloſen boßhaften Men - ſchen lieben konnte?

Jch habe das kleine Hauptkuͤſſen vom Sohn der Wirthinn gekauft; ihr Kopf hatte ſich mit der nehmlichen Bedraͤngniß darauf gewaͤlzt, wie meiner; ihre und meine Thraͤnen haben es benetzt; ihr Un - gluͤck hat meine Seele auf ewig an ſie ge - feſſelt; von ihr getrennt, vielleicht auf immer getrennt, mußten ſie in dieſer armen Huͤtte die ſympathetiſchen Bande ganz in meiner Seele verwinden, welchemich128mich ſtaͤrker zu ihr, als zu allem, was ich jemals geliebt habe, zogen.

Mylord fand mich am Morgen in ei - nem Fieber; ſein Wundarzt mußte mir eine Ader oͤffnen, und eine Stunde her - nach folgte ich ihm in dem Wagen, nach - dem ich die kleine Zeichnung des Gaͤrtchens geraubt, und dem Maͤdchen, welches die Schuͤlerinn meiner Sternheim geweſen, ei - nige Guineen zugeworfen hatte.

Die Kaͤlte, welche die Politik ohnver - merkt bald in groͤßerem, bald in kleinerem Maaße auch in das waͤrmſte Herz zu gießen pflegt, und es uͤber einzelne Uebel hinaus gehen heißt, gab Mylorden eine Menge Vernunftgruͤnde ein, womit er mich zu zerſtreuen, und gegen meinen Kummer und Zorn zu bewaffnen ſuchte. Jch mußte ihn anhoͤren und ſchweigen; aber Nachts hielt mich mein Kuͤſſen ſchad - los; ich zehrte mich ab, und erſchoͤpfte mich. Mein Schmerz iſt ruhiger, und meine Kraͤfte erhohlen ſich in dem Vor - ſatze, das Ungluͤck des Fraͤuleins an Der - by zu raͤchen, wenn er auch den erſtenNang129Nang des Koͤnigreichs beſitzen ſollte. Beobachten Sie ihn wenn Sie nach Lon - don kommen, ob Sie nicht Spuren von Unruhe und quaͤlender Reue an ihm ſehen. Ewigkeiten durch moͤchte ich ihm die Marter der Reue empfinden laſſen, dem ewig haſſenswuͤrdigen Mann!

Jch gebe mir alle moͤgliche Muͤhe, die Folgen des Schickſals des Fraͤuleins zu erfahren, aber bis itzt war alles vergeb - lich; ſo wie Jhre Bemuͤhungen vergeblich ſeyn werden, wenn Sie ihr Andenken in mir ausloͤſchen wollten; mein Kummer um ſie iſt meine Freude, und mein einziges Vergnuͤgen geworden.

Graf R an Lord Seymour.

Sie geben mir Nachricht von meiner theuren ungluͤcklichen Nichte. Aber, o Gott, was fuͤr Nachrichten, Mylord! das edelſte, beſte Maͤdchen der Raub eines teufliſchen Boͤſewichts! Jch dachte wohl, als Sie mir den Secretair JhresII. Theil. JOheims130Oheims nannten, daß ein gemeiner ſchlecht denkender Menſch ihre Hand nie - mals haͤtte erhalten koͤnnen. Ein Heuch - ler, ein die Klugheit und Tugend lebhaft ſpielender Heuchler mußte es ſeyn, der ihren Geiſt blendete, und ſie aus den Schranken zu fuͤhren wußte. Jch flehe den Lord Crafton um ſeine Beyhuͤlfe an, den nichtswuͤrdigen Mann auch unter dem Schutze der ganzen Nation zur Verant - wortung zu ziehen.

Nichts, als die ſchlechten Geſund - heitsumſtaͤnde meiner Gemahlinn, und meines einzigen Sohns, hindern meine Abreiſe von hier; aber ich habe fuͤr das Andenken dieſer liebenswuͤrdigen Perſon doch dieſes gethan: von dem Fuͤrſten zu begehren, daß er ihre Guͤter durch einen fuͤrſtlichen Rath beſorgen laſſe. Die Ein - kuͤnfte ſollen ihrer Geſinnung gemaͤß fuͤr die Kinder des Grafen Loͤbau geſammlet werden; aber der Vater und die Mutter ſollen nichts davon genießen, ſie, die zu - erſt das Herz des guten Kindes zerriſſen haben, und allein die Urſache ſind, daßſie131ſie von Angſt betaͤubt ihrem Verderben zulief.

Kaͤme ich nur bald nach D. und haͤt - ten wir nur einiges Licht von ihrem Auf - enthalt! Aber es geſchehe das eine und das andere wenn es will: ſo ſoll der Elen - de, der ihren Werth nicht zu ſchaͤtzen wußte, Rechenſchaft von ihrer Entfuͤh - rung und Verlaſſung geben.

Jch bedaure Sie, Mylord, wegen der Leiden ihres Gemuͤths, die nun durch die wiederkehrende Liebe vergroͤßert ſind. Aber wie konnte ein Mann, dem die weib - liche Welt bekannt ſeyn muß, dieſes aus - erleſene Maͤdchen miskennen, und den allgemeinen Maaßſtab vornehmen, um ihre Verdienſte zu pruͤfen? Unterſchied ſie ſich nicht in allem? Verzeihen Sie My - lord, es iſt unbillig ihren Kummer zu ver - mehren! die Zaͤrtlichkeit meiner nahen Verwandſchaft uͤbertrieb meinen Unmuth, und machte mich das geſchehene und un - geſchehene mit gleichem Haß verfolgen.

Fliehen Sie keinen Aufwand, um den Aufenthalt des geliebten Kindes zu erfah -J 2ren;132ren; ich fuͤrchte, o, ich fuͤrchte, daß wir ſie nur todt wieder finden werden!

Wehe dem Lord Derby; Wehe Jhnen, wenn Sie nicht Jhre Hand mit der meinigen vereinigen, um ſie zu raͤ - chen! Aber alles was Sie thun werden, um Jhre edelmuͤthige Liebe, obwohl zu ſpaͤt zu beweiſen, ſoll ſie in dem Oheim des edelſtens Maͤdchens den beſten Freund und Diener finden laſſen. Allen Aufwand theile ich mit Jhnen, wie ich alle Jhre Sorgen und Schmerzen theile. Hier halte ich alles geheim, weil ich meiner Gemahlinn zaͤrtliches Herz nicht mit un - maͤßigem Jammer beladen will.

Madam Leidens an Emilien.

Meine liebenswuͤrdige Witwe, Frau von C., hat eine ſchoͤne Seele voll zaͤrtli - cher Empfindungen. Sie bemerkte letzt -hin133hin das kurz abgebrochene Ende meiner Vorſtellungen ſehr genau, und kam etli - che Tage nachher zu mir, um mit freund - licher Sorgſamkeit nach der Urſache da - von zu fragen. Jch hatte die ſtutzige Art meines ſchnellen Stillſchweigens ſelbſt em - pfunden, aber da meine Beweggruͤnde ſo ſtark in mir arbeiteten, und ich ihren Empfindungen nicht zu nahe treten woll - te, ſo ſah ich keinen andern Weg, als abzubrechen, und nach Hauſe zu gehen, wo ich den Unmuth recht deutlich fuͤhlte, den ich bloß deswegen uͤber ſie hatte, weil ſie den Ausſichten von Wohlthaͤtigkeit nicht ſo eifrig zueilte, als ich an ihrer Stelle wuͤrde gethan haben. Es freut mich auch, daß der Mann meiner Emilie den warmen Ton meiner Fuͤrſprache zum Beſten der Liebe allein in meiner Neigung zum Wohlthun ſuchte, ob er mich ſchon einer Schwaͤrmerey in dieſer Tugend be - ſchuldigt.

(O! moͤchte doch dieſes Uebermaaß ei - ner guten Leidenſchaft der einzige Fehler meiner kuͤnftigen Jahre ſeyn!)

J 3Jch134

Jch antwortete der lieben Frau von C. ganz aufrichtig:

Daß es mich ſehr befremdet haͤtte: eine Seele voller Empfindlichkeit ſo fro - ſtige Blicke in das Gebiete der Wohl - thaͤtigkeit werfen zu ſehen Sie ant - wortete:

Jch erkenne ganz wohl: daß ihr thaͤ - tiger Geiſt misvergnuͤgt uͤber meine Un - entſchloſſenheit werden mußte; Sie wuß - ten nicht, daß die Jdee des Wohlthuns meine erſte Wahl beſtimmte; aber ich habe ſo ſehr erfahren, daß man andere gluͤcklich machen kann, ohne es ſelbſt zu werden; daß ich nicht Herz genug habe, mich noch einmal auf dieſen ungewiſſen Boden zu wagen, wo die Blumen des Vergnuͤgens ſobald unter dem Nebel der Sorgen verbluͤhen.

Der aͤußerſte Grad der Ruͤhrung war in allen Zuͤgen der reizenden Bildung die - ſer ſanften Blondine ausgedruͤckt; ihr Ton ſtimmte mit ein, und rief in mir die Erinnerung des jaͤhen Verderbens zuruͤck, welches meine kaum ausgeſaͤete Hoffnungbetroffen135betroffen hatte. Meine eignen Leiden ha - ben die Empfindung der Menſchlichkeit in mir erhoͤhet, und ich fuͤhlte nun ihre Sorgen ſo ſtark, als ich die Vorſtellung der Gluͤckſeligkeit der andern empfunden hatte.

Vergeben Sie mir, liebe Madam C ! (ſagte ich) ich erkenne: daß ich gegen Sie die beynahe allgemeine Unbilligkeit ausuͤbte, zu fodern: daß Sie in alle Gruͤnde meiner Denkungsart eingehen ſoll - ten; und ich foderte es um ſo viel eifri - ger, als ich von der innerlichen Guͤte mei - ner Bewegurſachen uͤberzeugt war. War - um hab ich mich nicht fruͤher an ihren Platz geſtellt; die Seite, welche Sie von meinen Vorſchlaͤgen ſehen, hat in Wahr - heit viel abſchreckendes, und ich werde, ohne Jhnen Unrecht zu geben, nichts mehr von allen dieſem reden.

Es freut mich: daß Sie mit mir zu - frieden ſcheinen; aber Sie haben mir viele Unruhe und Misvergnuͤgen uͤber mich ſelbſt gegeben.

Jch fragte ſie eilig wie, und worinn?

J 4Durch136

Durch die Vorſtellung aller dieſer Gelegenheiten gluͤckliche Perſonen zu ma - chen. Mein Widerwille und Auswei - chen ſchmerzt mich; ich moͤchte es in irgend etwas anders erſetzen. Koͤnnen Sie mir nichts bey Jhrem Geſindhauſe zu thun geben?

Sie bekam ein freymuͤthiges Nein zur Antwort. Aber, ſagte ich laͤchelnd, da ich ſie bey der Hand nahm: ich moͤchte mir bald das Gefuͤhl ihrer Reue, und die Begierde des Erſatzes zu Nutze machen, und Sie verbinden: daß, da Sie durch ihr eigen Herz keinen Mann mehr gluͤck - lich machen wollen, Sie die liebreiche Muͤhe naͤhmen, durch Jhren Umgang und gefaͤllten Unterricht den Toͤchtern Jhrer Verwandten und Freunde, Jhre edle Denkungsart mitzutheilen, und da - durch Jhren Wohnort liebenswuͤrdige Frauenzimmer zu bilden, und fuͤr der Madam Hills gute Maͤdchen, auf ihrer Seite gute Frauen zu ziehen.

Dieſer137

Dieſer Vorſchlag gefiel ihr; aber gleich wollte ſie von mir einen Plan dazu haben.

Das werde ich nicht thun, Madam C , ich kann mich nicht von meinem Selbſt ſo loß machen, daß der Plan zu Jhrer Abſicht und Jhrem Vergnuͤgen zu - gleich paßte. Sie haben Klugheit, Er - fahrung, Kenntniß der Gewohnheiten des Orts, und ein Herz voll Freundlich - keit. Dieſe vereinigte Stuͤcke werden Jh - nen alles anweiſen, was zu dieſem Plan das Beſte ſeyn kann.

Daran zweifle ich ſehr; ſagen Sie mir nur ein Buch, darinn ich eine Ordnung fuͤr meinen Unterricht finden wuͤrde.

Nach der Ordnung eines Buchs zu ver - fahren, wuͤrde Sie und Jhre junge Freundinnen bald muͤde machen. Dieſe ſind nach verſchiedener Art erzogen; die Umſtaͤnde der meiſten Aeltern leiden keine methodiſche Erziehung, auf funfzehn - jaͤhrige Maͤdchen, wie die Geſpielinnen Jhrer Tochter, gewoͤhnen ſich nicht gerneJ 5mehr138mehr daran. Sie ſollen auch keine Schule halten; nur einen zufaͤlligen ab - wechſelnden Unterricht in dem Umgange mit dem jungen Frauenzimmer ausſtreuen. Zum Beyſpiel: es klagte eine uͤber den Schnee, der waͤhrend der Zeit fiel, da ſie bey Jhnen zum Beſuch waͤre, und ſie we - gen ihres Zuruͤckgehens ungeduldig uͤber die Beſchwerde machte; ſo wuͤrden Sie fragen: ob ſie nicht wiſſen moͤchte, woher der Schnee kommt? es kurz und deutlich erzaͤhlen, die Nutzbarkeit davon nach der weiſen Abſicht des Schoͤpfers an - fuͤhren, ſanft von der Unbilligkeit ihrer Klagen reden, und ihr mit einem muntern liebreichen Ton in dem heut unangeneh - men Schnee nach etlichen Tagen das Ver - gnuͤgen einer Schlittenfahrt zeigen. Die - ſes wird Jhre jungen Zuhoͤrerinnen auf die Unterredungen von ſchoͤner Winterklei - dung, ſchoͤner Gattung Schlitten, und ſ. w. fuͤhren. Unterbrechen Sie ſelbige ja nicht durch irgend eine ernſte oder mis - vergnuͤgte Mine; ſondern zeigen Sie, daß Sie gerne ihre verſchiedenen Gedankenanhoͤr -139anhoͤrten. Sagen Sie etwas vom guten Geſchmack in Putz, in Verzierungen, und wie Sie ein Feſt anſtellen und halten wuͤrden; laſſen Sie Jhren Witz alles die - ſes mit der Farbe der heiterſten Freude mahlen; Geſtehen Sie Jhren jungen Leu - ten das Recht ein, dieſe Freude zu ge - nießen, und ſetzen Sie mit einem zaͤrtli - chen ruͤhrenden Ton dazu: daß Sie aber Sorge haben wuͤrden den Schauplatz die - ſer Ergoͤtzlichkeit durch die Fackeln der Tugend, und des feinen Wohlſtandes zu beleuchten.

Bey dieſer erſten Probe koͤnnen Sie die Herzen und Koͤpfe Jhrer Maͤdchen aus - ſpaͤhen: aber ich muͤßte mich ſehr betruͤ - gen, wenn ſie nicht gerne wieder kaͤmen, Sie von etwas reden zu hoͤren.

Das denke ich ſicher; aber erlauben Sie mir einen Zweifel! Sie fuͤhren das Maͤdchen zur phyſikaliſchen Kennt - niß des Schnees, und zum moraliſchen Gedanken der Wohlthaͤtigkeit Gottes dar - uͤber; aber wird nicht die Schlittenfahrt das Andenken des erſtern ausloͤſchen, und alſo140 alſo den Nutzen des ernſten Unterrichts verlieren machen?

Dieß glaube ich nicht; denn wir ver - geſſen nur die Sachen gerne, die mit kei - nem Vergnuͤgen verbunden ſind; und die laͤchelnde, zu der Schwachheit der Men - ſchen ſich herablaſſende Weisheit will da - her, daß man die Pfade der Wahrheit mit Blumen beſtreue. Die Tugend braucht nicht mit ernſten Farben geſchildert zu wer - den, um Verehrung zu erhalten; ihr in - neres Weſen, jede Handlung von ihr iſt lauter Wuͤrde. Wuͤrde iſt ein unzer - trennbarer Theil von ihr, auch wenn ſie in der Kleidung der Freude und des Gluͤcks erſcheint. Jn dieſer Kleidung allein er - haͤlt ſie Vertrauen und Ehrfurcht zugleich. Laſſen Sie ſie die Hand ja niemals zu ſtrengem Drohen, ſondern allein zu freundlichen Winken erheben! Denn, ſo lange wir in dieſer Koͤrperwelt ſind, wird unſere Seele allein durch unſere Sinnen handeln; wenn dieſe auf eine widerwaͤr - tige Weiſe und zu unrechter Zeit zuruͤck - geſtoßen werden, ſo kommen aus demCon -141Contraſt des Zwanges der Lehre, und de - Staͤrke, der durch die Natur in uns geleg. ten Liebe zum Verguuͤgen, lauter ſchlimme Folgen fuͤr den Wachsthum unſers mo - raliſchen Lebens hervor. Umſonſt hat der Schoͤpfer die ſuͤßen Empfindungen der Freude nicht in uns gelegt; umſonſt uns nicht die Faͤhigkeit gegeben, tauſenderley Arten des Vergnuͤgens zu genießen. Mi - ſchen Sie nur eine froͤhliche Tugend un - ter den Reyhen der Ergoͤtzlichkeiten, und ſehen Sie, ob die junge Munterkeit noch vor ihr fliehen, und in entlegenen Orten, mit Unmaͤßigkeit und wilder Luſt vereinigt, ſich uͤber verſagten Freuden ſchadloß hal - ten wird. Giebt nicht die goͤttliche Sit - tenlehre ſelbſt reizende Ausſichten in ewi - ge, himmliche Gluͤckſeligkeiten, wenn ſie uns auf die Wege der Tugend und Weis - heit leitet?

Das ſchoͤne Auge der Madam C war mit einem ſtaunenden Vergnuͤgen auf mich geheftet. Jch bat ſie um Verzei - hung ſo viel geredet zu haben; ſie verſi - cherte mich aber ihrer Zufriedenheit, undwollte142wollte wiſſen: warum ich nicht lieber ge - ſucht haͤtte, als Hofmeiſterinn junger Frauenzimmer zu erſcheinen, als eine Leh - rerin von angehenden Dienſtmaͤdchen ab - zugeben?

Jch ſagte ihr: weil ich in Verglei - chung des Antheils von Gluͤckſeligkeit, ſo jedem Stande zugemeſſen wurde, den von der niedrigen Gattung ſo klein, und un - vollſtaͤndig gefunden, daß ich mich freute etwas dazuzuſetzen. Die Großen und Mittlern haben muͤndlichen und ſchriftli - chen Unterricht neben allen Vortheilen des Reichthums und Anſehens; und die ge - ringe, ſo nuͤtzliche Claſſe bekoͤmmt kaum den Abfall des Ueberfluſſes von Kenntniſ - ſen und Wohlergehen.

Sie reden von Kenntniſſen; ſoll ich ſuchen meine junge Frauenzimmer ge - lehrt zu machen?

Gott bewahre Sie vor dieſem Gedanken, der unter tauſend Frauenzimmern des Pri - vatſtandes kaum bey Einer mit ihren Um - ſtaͤnden paßt! Nein, liebe Madam C halten143halten Sie ſie zur Uebung jeder haͤusli - chen Tugend an: aber laſſen Sie ſie dane - ben eine einfache Kenntniß von der Luft, die ſie athmen, von der Erde, die ſie be - treten, der Pflanzen und Thiere, von welchen ſie ernaͤhret und gekleidet werden, erlangen; einen Auszug der Hiſtorie, da - mit ſie nicht ganz fremde da ſitzen und lange Weile haben, wenn Maͤnner ſich in ihrer Gegenwart davon unterhalten, und damit ſie ſehen, daß Tugend und La - ſter beſtaͤndig einen Kreislauf durch das ganze menſchliche Geſchlecht gemacht ha - ben; laſſen Sie ſie jedes Wort, ſo eine Wiſſenſchaft bezeichnet, verſtehen. Zum Ex. was Philoſophie, was Mathematik ſey aber von der Bedeutung des Ausdrucks Edle Seele, von jeder wohl - thaͤtigen Tugend, geben Sie ihnen den vollkommenſten Begriff, theils durch Be - ſchreibung, theils und am meiſten durch Beyſpiele von Perſonen, welche dieſe oder jene Tugend auf eine vorzuͤgliche Art ausgeuͤbt haben.

Soll144

Soll ich ſie auch Romane leſen laſſen?

Ja, zumal da Sie es ohnehin nicht werden verhindern koͤnnen. Aber ſuchen Sie, ſo viel Sie koͤnnen, nur ſolche, wor - inn die Perſonen nach edlen Grundſaͤtzen handeln, und wo wahre Scenen des Le - bens beſchrieben ſind. Wenn man das Romanenleſen verbieten wollte, ſo muͤßte man auch in Geſellſchaft vermeiden, vor jungen Perſonen, bald einen kurzen, bald weitlaͤufigen Auszug von einer Liebesge - ſchichte zu erzehlen, die in der nehmlichen Stadt oder Straße wo man wohnt, vor - gieng; unſerer Vaͤter, Maͤnner und Bruͤ - der muͤßten nicht ſo viel von ihren artigen Begebenheiten und Beobachtungen auf Reiſen und ſ. w. ſprechen; ſonſt machte auch dieſes Verbot und die Gegenuͤbung wieder einen ſchaͤdlichen Contraſt. Ein vortrefflicher Mann und Kenner des Menſchen wuͤnſcht: das man jungen Per - ſonen beyderley Geſchlechts zur Stillung der Neugierde die meiſten großen Reiſe - beſchreibungen gaͤbe, wo von der Natur -hiſtorie145hiſtorie und den Sitten des Landes viel vorkoͤmmt, weil dadurch viele nuͤtzliche Wiſſenſchaft in ihnen ausgebreitet wuͤr - de. Moraliſche Gemaͤhlde von Tugen - den aller Staͤnde, beſonders von unſerm Geſchlechte, moͤchte ich geſammlet haben; und darinn ſind die Franzoͤſinnen gluͤckli - cher als wir. Das weibliche Verdienſt erhaͤlt unter ihnen oͤffentliche und dauern - de Ehrenbezeigungen.

Vielleicht aber verdienen wir mehr als ſie, weil wir uns auch ohne Beloh - nung um Verdienſte bemuͤhen.

Dieß iſt wahr, aber nur fuͤr die kleine Anzahl von Seelen, die ſich uͤber alle Schwierigkeiten erheben, die ſie antreffen, und woruͤber andere durch nichts als Er - munterungen ſiegen. Jch moͤchte daher in jeder Standesclaſſe Beyſpiele aufſtellen, die aus ihrem Mittel gezogen waͤren, da - mit man ſagen koͤnnte: ihre Geburt, ihre Umſtaͤnde waren wie die eurige; der Eifer der Tugend, und die gute Verwendung ihres Verſtandes haben ſie verehrungs - werth gemacht. Ein vorzuͤglicher PlatzII. Theil. Kin146in einer oͤffentlichen Verſammlung, ein beſonderes Stuͤck Kleidung, koͤnnte den Werth der Belohnung erhalten, wie es die alten großen Kenner der menſchlichen Herzen gemacht haben. Aber wir ſind nicht mit dem Auftrage beladen, dieſe Ein - richtung anzuordnen, ſondern allein mit der Pflicht ſo viel Gutes zu thun als wir koͤnnen. Jch ſtehe wuͤrklich in dem Kreiſe armer und dienender Perſonen; alſo achte ich mich verbunden: dieſe durch Unter - richt und Beyſpiel zu ihrem Maaß von Tugend und Gluͤck zu fuͤhren; wobey ich aber ſehr vermeiden werde, ihnen Be - griffe oder Geſinnungen einzufloͤßen, die meinen glaͤnzenden und angeſehenen Um - ſtaͤnden gemaͤß waren, weil ich fuͤrchten wuͤrde: daß aus der vermiſchten Den - kensart vermiſchte Begierden und Wuͤn - ſche mit allen ihren Fehlern entſtehen moͤchten. Sie ſind eine Witwe von erſtem Range Jhres Orts. Jhre Leutſeligkeit Jhr vernuͤnftiger angenehmer Umgang macht, daß Sie von allen Perſonen Jh - res Standes geſucht werden. Sie habeneine147eine Tochter zu erziehen. Sie wuͤrden alſo an allen Maͤdchen ihres Alters und Standes Edelmuͤthigkeit ausuͤben, wenn diejenigen unter denſelben mit bey den Lehrſtunden Jhrer Tochter waͤren, deren Muͤtter durch Hausſorgen oder kleinere Kinder verhindert ſind: mit ihren Toͤch - tern viel zu leſen, oder zu reden. Ma - chen Sie ſie denken, und handeln wie Frauenzimmer vom Privatſtande es ſollen, um in ihrer Claſſe vortrefflich zu werden. Dieſes wird das einzige Mittel ſeyn, wo - mit Sie den Schaden erſetzen koͤnnen, welchen Sie durch den Vorſatz verurſa - chen, unverheurathet zu bleiben. Sie laͤchelte uͤber dieſes, und uͤber meine Ab - bitte ihr eine Vorſchrift gemacht zu haben, und gab mir alle Merkmale von Freund - ſchaft und Zufriedenheit.

K 2Ma -148

Madam Leidens an Emilien.

Ungern, ſehr ungern, meine Emilia, begleite ich die Madam Hills ins Bad. Es iſt wahr, meine Geſundheit zerfaͤllt, und ich erkenne, daß ich die Huͤlfe brau - che, die mir die Waſſereur verſpricht: denn mein ſtillſchweigender Gram denagt die Kraͤfte meines Koͤrpers, und der jaſtige Eifer, den ich dieſe Zeit uͤber in mein moraliſches Leben legte, hat auch vieles zu der Schwaͤchlichkeit beygetragen, uͤber welche Sie, liebe Freundinn, ſo jammer - ten, als ich die letzten zehn gluͤcklichen Tage bey Jhnen zubrachte. Jhr Mann hat geſtern meinen Widerwillen uͤberwaͤl - tigt, aber allein damit, daß Er die erſte Woche bey uns bleiben wird; bis dahin, hofft Er, werde mein Haß gegen große und fremde Geſellſchaft gemindert ſeyn. Er behauptet auch: daß mein Herz dieſen Winter uͤber alle Kraͤfte meines Geiſtes in Dienſtbarkeit gehalten und ermuͤdet haͤtte,und149und daß dieſer ſich allein in freyer Luft und durch Umgang erhohlen wuͤrde. Jch bin ſo hager und blaß, meine Augen, de - nen man Anzuͤglichkeit zuſchrieb, erheben ſich ſo ſelten, und meine Kleidung iſt ſo einfach, daß ich keine Verfolgungen von Mannsleuten zu befuͤrchten habe. Alſo auf zwey Monate an die lieſte Freundinn; morgen fruͤh reiſen wir mit Jhrem Manne, einem Aufwartmaͤdchen und einem Bedien - ten ab.

Madam Leidens an Emilien aus Spaa.

Sagen Sie mir, meine Freundinn, wo - her kommt die Gewalt, mit welcher Jhr Mann uͤber meine Seele herrſchet? Erſt fuͤhrte er mich in den geſchaͤfftigen Kreis, den ich bey Madam Hills durchlief; dann brachte Er mich, ungeachtet meines Wi - derſtandes nach Spaa, macht mich denK 3vierten150vierten Tag mit Lady Summers be - kannt, und nun, meine Liebe, bin ich durch ſeine Haͤnde an die Lady gebunden, und ich werde mit ihr nach England ge - hen. Sie wiſſen von ihm, daß unſere Reiſe gluͤcklich war; daß der Reichthum der Madam Hills uns vier ſehr bequeme Zimmer verſchaffte, und uns ein Anſehen giebt, ſo wir nicht einmal ſuchten. Er gieng gleich den erſten Abend zur La - dy; den zweyten Tag wies er mir ſie auf dem Spaziergang. Jhre Geſtalt iſt edel, obgleich ſehr ſchwaͤchlich; ihre Geſichts - bildung lauter Leutſeligkeit; ihr ſchoͤnes großes Auge voller Empfindung, und alle ihre Bewegungen, Wuͤrde voller An - muth. Sie gruͤßte und betrachtete uns zwey Frauenzimmer mit Aufmerkſamkeit, ohne uns etwas zu ſagen, ob ſie ſchon den Herrn B. von uns wegrief. Den folgen - den Tag nahm ſie ihn auch von unſrer Sei - te weg zum Mittagseſſen, und ſagte nur auf Engliſch zu mir: Dieſen Abend ſollen Sie meine Geſellſchaft ſeyn. Als ich mich verbeugt hatte, und antworten wollte,war151war ſie ſchon weit weg. Aber ich wuͤrde auch geſtottert haben, denn Sie koͤnnen nicht glauben, was fuͤr einen Schmerzen der Seele ich bey dem wahren Accent der engliſchen Sprache fuͤhlte; ſchnell wie die Wuͤrkung des Blitzes fuͤhlte ich ihn, und eben ſo ſchnell drangen ſich traurige Erin - nerungen und Bilder in meine Seele. Gut war es, Emilia, daß die Lady mich nicht gleich mit ſich begehrte, meine Verle - genheit war zu ſichtbar. Abends ſpeiſete Madam Hills und Herr B. mit mir bey der Lady; ſie war ſehr guͤtig, aber mit unterſuchenden Blicken war ihr Auge bey allem was ich vornahm und redete. Sie lobte Madam Hills wegen der Stiftung des Geſindhauſes, und ſetzte hinzu, daß ſie ihrem Beyſpiel folgen, und auch eins in England errichten wollte. Herr B., welcher der Madam Hills dieſes uͤberſetzte, machte der guten Frau viele Freude da - mit, und ihr redliches Herz laͤchelte durch thraͤnende Augen, da ſie ſchnell meine Hand nahm und zu Herrn B. ſagte: er moͤchte die Lady unterrichten: daß ſie nurK 4ein152ein uͤberfluͤßiges Geld, ich aber die Erfin - dung dazu gegeben haͤtte. Jch erroͤthete außerordentlich dabey, und die Lady ſtrei - chelte meine Wangen, indem ſie ſagte: Das iſt gut, meine Tochter, wahre Tugend muß beſcheiden ſeyn;

Die Achtſamkeit, welche ich hatte, Madam Hills zu unterhalten, und ihr alles zu uͤberſetzen, wovon die Lady mit mir oder Herrn B. in gleichguͤltigen Din - gen redte, erhielt auch den ganzen Bey - fall der Lady.

Sie muß noch gute Tage erleben, ſagte ſie, weil ihre Tugend das Alter gluͤck - lich zu machen ſucht.

Dieſe Anweiſung auf meine kuͤnftige Tage bewegte mein Jnnerſtes, und un - moͤglich wars meine Augen trocken zu er - halten. Die Lady ſah es, und neigte ſich gegen mich mit feſtem zaͤrtlichem. Blick.

Arme, gute Jugend, ſagte ſie, ich weiß eine Hand, die alle deine kuͤnftige Zaͤhren abwiſchen wird.

Jch153

Jch verbeugte mich und ſah Herrn B. an; er antwortete mir mit muntern Nicken; die Lady winkte ihm. Heute nichts, ſagte ſie; aber morgen ſollen Sie alles verſichern.

Und dieſer Morgen war vor ſechs Ta - gen, wo mein Herz zwiſchen Vorſchlaͤgen und Entſchließungen wankte, und end - lich auf dem Gedanken befeſtigt wurde, dieſes Jahr bey der Lady auf ihrem Land - hauſe zuzubringen, und kuͤnftige Waſ - ſerszeit wieder mit ihr zuruͤckzukommen.

Nach London wuͤrde ich nicht gegangen ſeyn; Gott bewahre mich vor der Gele - genheit Englaͤnder, die ich ſchon kenne, zu ſehen! Aber keiner von dieſen wird eine alte Frau in ihrem einſamen Wohnorte ſuchen, und ich kann ruhig meine lange Begierde ſtillen, dieſes Land zu ſehen, und nach der Familie Watſon mich zu erkundi - gen. Herr B. hat der Madam Hills eine Pflicht daraus gemacht: mich nicht auf - zuhalten, weil ich ein Geſindhaus ein - richten ſolle, und hat ſie am meiſten durch den Gedanken beruhiget; daß es in Eng -K 5land154land heißen werde, es ſey nach dem Plan des ihrigen und durch ihr edles Beyſpiel erbauet worden.

Meine Lady, Emilia, O! dieſe iſt ein Engel, der lange Jahre unter den Menſchen wandelte, um den ſuͤßen Bal - ſam der edelſten Freundſchaft in fuͤhlbare Seelen zu gießen. Meine Seele lebt wieder ganz auf.

Madam Leidens an Emilia aus Summerhall.

Mein erſter Brief hat Jhnen ſchon ge - ſagt, daß ich gluͤcklich, ſehr gluͤcklich mit der guͤtigen Lady angelangt bin. Jch hoffe auch, meine Roſine und Herr B. ſind eben ſowohl zuruͤckgekommen. Es war mir leid, daß Roſina nicht uͤber die See wollte; Uebelkeit macht ſie, aber es iſt leicht zu uͤberſtehen.

Gewiß155

Gewiß haben Sie ſchon Beſchreibun - gen von engliſchen Landhaͤuſern geleſen. Denken Sie ſich das ſchoͤnſte im alten Ge - ſchmacke davon, und nennen es Summer - hall; legen Sie aber an die Seite des Parks ein großes huͤbſches Dorf, und ſtellen Sie ſich meine Lady und mich vor, wie wir, einander im Arme die Gaſſen durchgehen, mit Kindern oder Arbeitern reden, einen Kranken beſuchen, und den Beduͤrftigen Huͤlfe reichen. Dieß iſt Nachmittags und Abends das Geſchaͤffte meiner Lady; Morgens leſe ich ihr vor, und beſorge ihr Haus; Beſuche, die ſie von der wenigen Nachbarſchaft erhaͤlt, und der Umgang mit dem vortrefflichen Pfarrherrn des Orts fuͤllen das uͤbrige der Zeit ſo aus, daß mir wenig zu meinem beſondern Leſen uͤbrig bleibt. Die Buͤcher, welche ſich meine Lady aus - geſucht hat, bezeichnen den Nationalgeiſt, und die Empfindung der ſich immer naͤ - hernden Grenzen Jhres Lebens. Jenes Fach fuͤllen die Geſchichtſchreiber von England und die Hofzeitungen, dieſes diebeſten156beſten engliſchen Prediger aus. Jch ha - be mir die Naturhiſtorie von England dazu genommen, und hievon reden wir in den Spaziergaͤngen mit des Pfarrers Familie, weil ſeine Frau und zwo Toͤch - ter ſehr vernuͤnftig ſind, und ich meine Lieblingskenntniſſe gern vermehre und aus - breite. Jch bin wohl, und genieße einer ſanften Zufriedenheit, die aber eher einer Beruhigung, als einem Vergnuͤgen glei - chet, indem ich die eifrige Geſchaͤfftigkeit nicht in mir fuͤhle, welche ſonſt meine Empfindungen und Gedanken beherrſchte. Vielleicht hat mich der Hauch der ſanften Schwermuth getroffen, welche die beſten Seelen der brittiſchen Welt beherrſchet, und die lebhaften Farben des Charak - ters wie mit einem feinen Duft uͤberzieht. Jch habe meine Laute und meine Stimme wieder hervorgeſucht; beyde ſind mir un - ſchaͤtzbar, wenn ich bey meinem Singen, meine Lady mir einen Kuß zuwerfen, oder bey einem wohlgeſpielten Adagio ihre Haͤn - de falten ſehe. Aber urtheilen Sie uͤber - haupt, wie ſtark meine Liebe zu Englandſeyn157ſeyn mußte, da ich, ungeachtet der grau - ſamen Erinnerungen, die ich von einem Eingebornen habe, dennoch mit einiger Freude die Luft eines Parks athme, und dieſes Land fuͤr mein vaͤterliches Land an - ſehe. Jch habe die Kleidung und den Ton der Sprache ganz, und wuͤnſchte auch das Thun, und das Bezeigen der Englaͤnderinnen zu haben; aber meine Lady ſagt, daß alle meine Bemuͤhungen den liebenswuͤrdigen fremden Genius nicht verjagen wuͤrden, der jede meiner Bewe - gungen regierte. Das Vertrauen ihrer Leute, welches ich erworben; die außer - ordentliche Aufmerkſamkeit auf ihre Lady, und die Ergebenheit die ſie ihr beweiſen, welches ſie als Folgen von jenem anſieht, und meinem Einfluß auf ihre Gemuͤ - ther zuſchreibt, dieß iſt von allem was ich fuͤr ſie thue, dasjenige, wovon Sie am meiſten geruͤhrt ſcheint, und wofuͤr ſie mir die zaͤrtliche Dankbarkeit bezeugt. We - nige Abende bin ich hier ohne Empfindung einer reinen Gluͤckſeligkeit ſchlafen gegan - gen, wenn mich die gute alte Lady ausihrem158ihrem Bette ſegnete, und ihre Hausbe - diente mit zufriedner Mine und einem liebenden Ton mir gute Ruhe wuͤnſchten; und mit einer ſuͤßen Bewegung gehe ich Morgens bey Aufgang der Sonne in den Park, wo der Hirt mich wundernd an - ſieht, und mir mit ſeinem Knaben guten Morgen, gute Miß, zuruft. Dieſer Zu - ruf duͤnkt mich in dem Augenblick, wo ich auf der Flur die Wohlthaten Gottes ver - breitet ſehe, ein Zeugniß zu ſeyn, daß ich auch gerne die Pflicht des Wohlthuns uͤbe; mit thraͤnenden Augen danke ich dann unſerm Urheber, daß er mir dieſe Macht meines Herzens gelaſſen hat. Sie wiſſen, daß mir ein Mooswaͤldchen und die ge - ringſten Arten von Bluͤmchen vergnuͤgte Stunden geben koͤnnen; und ſie denken alſo wohl, daß ich in unſerm Park dieſe alten Freunde meiner beſten Lebenszeit aufſuche, und mit Ruͤhrung betrachte. Denn immer binden ſich in mir die Jdeen des Vergangenen, mit der Empfindung des Gegenwaͤrtigen bey allen Anlaͤſſen zu - ſammen. Ein freundliches Moos, undZweige,159Zweige, die aus der Wurzel eines geſtuͤrz - ten Baums aufgewachſen waren, machten mich ſagen: bin ich nicht wie ein junger Baum, der in ſeiner vollen Bluͤthe durch Schlaͤge eines ungluͤcklichen Schickſals ſeiner Crone und ſeines Stammes be - raubt wurde? lange Zeit ſteht der Ueber - reſt traurig und trocken da, endlich aber ſproſſeu aus der Wurzel neue Zweige her - vor, die unter dem Schutz der Natur wie - der ſtark und hoch genug werden koͤnnen, in einem gewiſſen Zeitlauf wieder wohl - thaͤtige Schatten um ſich zu verbreiten. Mein Ruhm, mein gluͤckliches Ausſehen, meine Stelle in der großen Welt hab ich verloren; lange betaͤubte der Schmerz meine Seele, bis die Zeit meine Empfind - lichkeit verringerte, die Wurzeln meines Lebens, welche mein Schickſal unberuͤhrt ließ, neue Kraͤft ſammelten, und die gu - ten Grundſaͤtze meiner Erziehung, friſche, obwohl kleine Zweige von Wohlthaͤtigkeit und Nutzen fuͤr meine Nebenmenſchen em - portrieben. Sie ſind, wie die Wurzel - zweige meines Ebenbildes bey niedrigemMoos,160Moos, und kleinen Grasarten aufkeim - ten, auch unter der geringen Claſſe mei - ner Nebenmenſchen entſproſſen; aber es erfreut mich dieſe Claſſe in der Naͤhe ge - ſehen zu haben; denn ich habe manche ſchoͤne Blume darunter entdeckt, die dem erhabenen Haupte eines großen hochge - wachſenen Baums unbekannt verbluͤhet; und kann ich nicht zu meinem ſuͤßeſten Troſte ſagen, daß unter dem Schatten meines Umgangs und meiner Sorgen die freygebige Ausſaat der liebreichen Stifte - rinn des Geſindhauſes ſo viele nuͤtzliche Creaturen erwachſen macht? Und nun ruht das edle Herz meiner geliebten Lady Summers von großen und kleinen Lebens - ſorgen ungeſtoͤrt unter der vereinigten Be - muͤhung aller meiner Faͤhigkeiten und meiner Dankbegierde, von den muͤhſamen Schritten aus, welche das ſechzigſte Jahr unſers Alters zwiſchen fliehenden Freuden, und ankommenden Schwaͤchlichkeiten zu machen hat.

Madam161

Madam Leidens an Emilien.

Nicht wahr, meine Emilia, es giebt Reiche, die eine Art von Mangel fuͤhlen, welchen ſie durch Haͤufung aller Arten von Ergoͤtzlichkeiten zu heben ſuchen, und dennoch dem Uebel nicht abhelfen koͤnnen, weil ſie von Niemand unterrichtet wurden, daß unſer Geiſt und Herz auch ihre Be - duͤrfniſſe haben, zu deren Befriedigung alles Gold von Jndien, und alle ſchoͤ - nen wolluͤſtigen Koſtbarkeiten Frankreichs nichts vermoͤgen, weil die wahren Huͤlfs - mittel dagegen allein in der Hand eines empfindungsvollen Freundes, und in einem lehrreichen und unterhaltenden Um - gang zu finden ſind. Wie klein iſt die Anzahl gluͤcklicher Reichen, welche dieſe Vortheile kennen? Wuͤrklich bin ich im Beſitze mancher angenehmen Guͤter des Lebens, ich fuͤhle den vergnuͤgenden Reiz, welcher darinn liegt, ich genieße die Ge -II Theil. Lſchenke162ſchenke des Gluͤcks mit aller Empfindung, welche das Schickſal fuͤr dieſe Gaben for - dern kann; aber es mangelt meinem Her - zen der Buſen einer vertrauten Freundinn, in den es das Uebermaaß ſeiner Empfin - dungen ausgießen koͤnnte. Jch bin be - liebt; meine hie und da mit Beſcheiden - heit erſcheinende Grundſaͤtze ziehen mir Verehrung zu; das Gefuͤhl der Schoͤnhei - ten Shakeſpears, Thomſons, Addiſons und Pope’s haben meinem Geiſte eine neue lebendige Nahrung in den Unterhaltungen unſers Pfarrers und eines ſehr philoſo - phiſch denkenden Edelmanns in der Nach - barſchaft erworben. Die aͤlteſte Tochter des Pfarrers iſt ſanft, geſuͤhlvoll, und dabey mit wahrem Verſtande begabt; ich liebe ſie; aber mitten in einer zaͤrtlichen Um - armung empfinde ich, wie viel mein Herz noch zu wuͤnſchen hat, um den Erſatz fuͤr meine Emilia zu erhalten. Schelten Sie mich deswegen nicht undankbar; ich weiß, daß ich Jhre Freundſchaft noch beſitze, und die von der liebenswuͤrdigen Emma zugleich habe; Jhnen ſchreibe ich von demTheile163Theile meiner Seele, den ich hier nicht gei - gen kann, und mit Emma rede ich von dem, der in dem Zirkel meines engliſchen Aufenthalts ſichtbar wird; aber ich kann mich nicht verhindern die Laͤnge des We - ges abzumeſſen, den meine armen Briefe durchlaufen muͤſſen, bis ſie zu Jhnen kommen, und zu fuͤhlen, daß dieſe Ent - fernung der liebſten Gewohnheit meines Herzens ſchmerzlich faͤllt. Vielleicht, meine Emilia, bin ich beſtimmt die ganze Reyhe moraliſcher Empfindniſſe durchzu - gehen, und werde dadurch geſchickt, mit ſchneller Genauigkeit ihre mannichfaltige Grade und Nuͤancen im bittern und ſuͤßen zu bemerken. Jch will mich auch dieſem Theile meines Geſchickes gerne unterwer - fen, wenn ich nur zugleich den nehmli - chen Grad von Fuͤhlbarkeit fuͤr alles Weh und Wohl meines Naͤchſten behalte, und, ſo viel ich kann, ſeine Leiden zu vermin - dern ſuche.

Lady Summers hat zu gleicher Zeit fuͤr ihre Ehre und fuͤr meinen vermutheten Stolz zu ſorgen geglaubt, da ſie mich alsL 2eine164eine Perſon von ſehr edlem Herkommen dargeſtellt hat, welche aͤlternlos ſich mit wenigem Vermoͤgen verheurathet, und ihren Mann gleich wieder verloren haͤtte. Meine Haͤnde, meine feine Waͤſche und Spitzen, die in Feuer ſo ſchoͤn gemahlten Bildniſſe meiner Aeltern, und der Ton meines geſellſchaftlichen Bezeugens, haben mehr zu Bekraͤftigung dieſer Jdee beyge - tragen als meine eigentliche Denkungsart haͤtte thun koͤnnen. Aber ein ſchoͤnes, und fuͤr die Tugend der Lady Summers feſt errichtetes Denkmal, iſt der Glaube an die Reinigkeit meiner Sitten, in wel - che, weil ſie mich liebt, keine Seele den geringſten Zweifel ſetzt; denn, ſagt der Pfarrer, die Luftſaͤule, in welcher die La - dy athme, waͤre ſo moraliſch geworden, daß der Laſterhafte ſich ihr niemals naͤhern wuͤrde. Denken Sie nicht mit mir, daß dieſes die erhabenſte Seele des wahren Ruhms iſt? O was fuͤr ein Kummer der Menſchen, des Guten und Edlen iſt Jhr Mann, der mir in den ehrwuͤrdigen Fal - ten der Stirne meiner Lady alles dießzeigte,165zeigte, als er mir in ihrem Hauſe die Beſtaͤrkung meiner Tugend, und Uebung meiner Geiſteskraͤfte verſprach! Lord Rich, der philoſophiſche Edelmann, von dem ich im Anfange dieſes Briefes ſchrieb, hat ſein Haus nur eine Meile von hier; es iſt ganz einfach, aber in dem edelſten Geſchmacke gebauet. Die beſten Auszie - rungen des Jnnern beſtehen aus verſchie - denen ſchoͤnen Sammlungen von Natura - lien, aus einem vollſtaͤndigen Vorrath mathematiſcher Jnſtrumenten, und einer großen Buͤcherſammlung, worunter zwan - zig Folianten ſind, in denen er beynahe alle merkwuͤrdige Pflanzen des Erdbodens mit eigner Hand getrocknet hat. Sein wohlangelegter Garten, in welchem er ſelbſt arbeitet, und ſein Park, der an den unſern ſtoͤßt, haben uns das erſtemal an - gelockt hinzugehen. Aber die ſimple deutliche Art, womit er uns alle ſeine Schaͤtze vorlegte und benennete, die großen aſiatiſchen Reiſen, welche er gemacht, und ſeine weitlaͤuftige Kenntniß ſchoͤner Wiſ - ſenſchaften, machen ſeinen Umgang ſo rei -L 3zend,166zend, daß die Lady ſelbſt entſchloſſen iſt, ihn oͤfters zu beſuchen, weil es ihr, wie ſie ſagt, ſehr erfreulich iſt, nah an dem Abend ihres Lebens ſo ergoͤtzende Blicke in die Schoͤpfung zu thun. Lord Rich, der bisher ganz einſam gelebet, und Nie - mand als den Pfarrer zu ſehen pflegte, iſt ſehr vergnuͤgt uͤber unſre Bekannt - ſchaft, und koͤmmt oft zu uns. Sein Thun und Laſſen ſcheint mit lauter Ruhe bezeichnet zu ſeyn, gleich als ob ſeine Handlungen die Natur der Pflanzenwelt angenommen haͤtten, die unmerkſam, aber unnblaͤßig arbeitet; doch duͤnkt mich auch, daß ſein Geiſt den moraliſchen Theil der Schoͤpfung nun eben ſo unter - ſuchend betrachtet, wie ehemals den phy - ſikatiſchen. Meine Emma, und meine Lady Summers gewinnen viel dabey; aber mich hat er ſchuͤchtern gemacht. Da ich letzthin ſeine Meynung uͤber meine Gedanken wiſſen wollte, ſagte er: gerne moͤchte ich von den Wurzeln der ſchoͤnen Fruͤchte Jhrer Empfindungen reden, aber wir erhalten ſie nur von der Hand Jh - rer167 rer Gefaͤlligkeit, welche ſie uns mitten aus dem dichten Nebel darbietet, der ihr urſpruͤngliches Land beſtaͤndig um - giebt. Jch fand mich in Verlegen - heit, und wollte mir durch den Witz hel - fen laſſen, der ihn fragte: ob er denn meinen Geiſt fuͤr benebelt hielte? Er ſah mich durchdringend und zaͤrtlich an; gewiß nicht auf die Art, wie Sie meynen, ſagte er; beweiſt nicht dieſe Thraͤne in Jhren Augen, daß ich Recht haͤtte, da ich Jhren Geiſt fuͤr umwoͤlkt hielte? Denn warum kann die kleinſte Bewegung Jhrer Seele dieſen Nebel, wovon ich rede, in Waſſertropfen verwandeln? Aber liebe Madam Leidens, ich will niemals mehr davon ſprechen; aber fragen Sie auch mein Herz nicht mehr um ſein Urtheil von dem Jhrigen.

Sehen Sie, Emilia, wie viel mir mit Jhnen fehlt; alle Empfindungen, die ſich in mir zuſammen dringen, wuͤrde ich Jh - nen ſagen; da waͤre mein Herz erleichtert, und ſchien nicht durch dieſen bemerkten Nebel hindurch. Jch war froh, michL 4genug168genug zu faſſen, um ihm in ſeinem phyſi - kaliſchen Ton zu antworten, daß Er glauben moͤchte, dieſe Wolken wuͤrden durch meine Umſtaͤnde, und nicht durch die Natur meines Herzens hervorge - bracht. Jch bin es uͤberzeugt, ſagte er, auch ſeyn Sie ruhig! es gehoͤrt alle mei - ne Beobachtung dazu, dieſes feine Ge - woͤlke zu ſehen. Andere ſind nicht ſo auf - merkſam und erfahren, als ich es bin. Unſere Unterredung wurde durch Miß Emma unterbrochen, und Mylord Rich traͤgt ſeitdem Sorge, daß er mich nicht zu genau betrachtet.

Madam Leidens an Emilia.

Sagen Sie, meine Emilia, woher koͤmmt es, daß man auch bey der beſten Gat - tung Menſchen eine Art von eigenſinni - ger Befolgung eines Vorurtheils antrifft. Warum169Warum darf ein edeldenkendes, tugend - haftes Maͤdchen nicht zuerſt ſagen, dieſen wuͤrdigen Mann liebe ich? warum ver - giebt man ihr nicht, wenn ſie ihm zu ge - fallen ſucht, und ſich auf alle Weiſe um ſeine Hochachtung bemuͤhet? *)Dieſe Frage iſt eben nicht ſchwer zu beant - worten; das edeldenkende, tugendhafte Maͤdchen darf dieß nicht, weil man keine eigene Moral fuͤr ſie machen kann.

Den Anlaß dieſer Fragen gab mir Lord Rich, deſſen Geiſt alle Feſſeln des Wahns abgeworfen zu haben ſcheint, und der allein der wahren Weisheit und Tugend zu folgen denkt. Er bezeugt eine Art Widerwillen gegen die zaͤrtliche Neigung der Miß Emma, von welcher er doch alle - zeit mit der groͤßten Achtung ſprach, ih - ren Verſtand, ihr Herz ruͤhmte, alle ihre Handlungen ſeines Beyfalls wuͤrdigte, und den ihrigen liebte. Nun ſetzt er der ſanften Glut, die ſeine Verdienſte in ihrem Herzen angefacht haben, nichts als die kaͤlteſte Heftigkeit entgegen; und gewiß aus dem nehmlichen EigenſinneL 5faͤngt170faͤngt er an, mir, die ich außer meiner Hochachtung fuͤr ſeine Kenntniſſe ganz gleichguͤltig geſinnt bin, eine anhaltende zaͤrtliche Aufmerkſamkeit, die mir Zwang anthut, zu bezeugen. Jch unterdruͤcke zehnmal die Ausſpruͤche einer Empfindung, oder eines Gedankens, nur um ſeinen Bey - fall zu vermeiden, und nicht einen Tropfen Oel wiſſentlich in das anglimmende Feuer zu gießen. Denn, da ich nicht geneigt bin, ſeine Liebe anzunehmen, warum ſollte ich ſie meiner weiblichen Eitelkeit zu gefallen vergroͤßern? Wir werden heute nach Mittag zu ihm gehen, um einem neuen Verſuch von Beſaͤung der Aecker mit einer Maſchine zuzuſchauen. Meine liebe Lady iſt gar zu gerne dabey, wenn etwas umgegraben oder gepflanzet wird; Jeder Tag, ſagt ſie, fuͤhrt mich naͤher zu der Vereinigung mit unſerer muͤtterlichen Erde, und ich glaube, daß dieſes meine innerliche Neigung gegen ſie beſtaͤrkt. Jch wuͤrde, liebſte Emilia, einen gluͤckli - chen Tag gehabt haben, wenn nicht der Zufall wider mich und den guten LordRich171Rich gearbeitet haͤtte. Der Pfarrer war da, ich kam neben ihm zu ſitzen, als uns Lord Rich von dem Feldbau und der Ver - ſchiedenheit der Erde, und der nachher er - foderlichen Verſchiedenheit des Anbaues redte. Sein Ton war edel, einfach, und deutlich; er erzaͤhlte uns von den vielfa - chen Empfindungen, wozu der ſchlechte Er - trag der Guͤter, die Landleute dieſer und jener Nation getrieben haͤtte; und wie weit ihre Muͤhe belohnt worden ſey. Da er zu reden aufhoͤrte, konnte ich mich nicht hindern den Pfarrer zuzuliſpeln, daß ich wuͤnſchte, die Moraliſten moͤchten durch ihre Kenntniß der verſchiedenen Staͤrke und Gattung angeborner Neigun - gen und Leidenſchaften, auch auf Vor - ſchriften der mannichfaltigen Mittel gera - then, wie alle auf ihre Art nuͤtzlich und gut gemacht werden koͤnnten.

Es iſt ſchon lange geſchehen, ſagte er, aber es giebt zu viel unverbeſſerlichen moraliſchen Boden, wo der beſte Bau und Saamen verloren iſt.

Es172

Es iſt mir leid, erwiederte ich; daß ich denken muß, es gebe in der moraliſchen Welt auch ſandige Striche in denen nichts waͤchſt Heiden, die kaum kleines trocknes Geſtraͤuche hervorbringen, und moraſtige Gegenden, welche die allgemei - ne moraliſche Verbeſſerung eben ſo weit hinausſetzen, wie in der Phyſikaliſchen viele Menſchenalter vorbeygehen, ehe Noth und Umſtaͤnde ſich vereinigen; den Sand mit Baͤumen und Hecken durchzu - ziehen, um dadurch wenigſtens zu verhin - dern, daß ihn der Wind nicht auf gutes Land treibe, und auch dieſes verderbe. Lange brauchts bis man Heiden anbaut, Moraͤ - ſten ihr Waſſer abzapft, und ſie nuͤtzlich macht; dennoch beweiſen alle Jhre Ver - ſuche, daß die Tugend der Nutzbarkeit in der ganzen Erde liege, wenn man nur die Hinderniſſe ihrer Wirkung wegnimmt. Der Grundſtoff der moraliſchen Welt haͤlt gewiß auch durchgehends die Faͤhigkeiten der Tugend in ſich; aber ſein Anbau wird oft vernachlaͤßiget, oft verkehrt angefan - gen, und dadurch Bluͤthe und Fruͤchteverhin -173verhindert. Die Geſchichte beweiſt es, wie mich duͤnkt. Barbariſche Voͤlker werden edel, tugendhaft; andere, die es waren, durch Nachlaͤßigkeit wieder ver - wildert: wie ein Acker, der einſt Waitzen trug, und eine ganze Familie ernaͤhrte, durch Unterlaſſung des Anbaues Dorn - buͤſche und ſchaͤdliches Gehecke zu tragen anfaͤngt. Mit ruhiger Geduld hoͤrte der Pfarrer mir zu; aber Lord Rich, der ſich hinter uns geſetzt hatte, ſtund auf einmal lebhaft auf, und indem er mich uͤber meinen Stuhl bey den Armen faßte, ſagte er geruͤhrt: o, Madam Leidens, was haben Sie mit dem Ton Jhres Herzens in der großen Welt gemacht? Sie koͤnnen nicht gluͤcklich darinn geweſen ſeyn! Dan - noch Mylord, antwortete ich: man lernt da die wahre Verſchiedenheit zwiſchen Geiſt und Herz kennen, und ſieht, daß der erſte als ein ſchoͤner Garten angelegt wer - den kann. Mit Enthuſtasmus ſagte er: edelangebaute Seele, in einer geſegne - ten Gegend biſt du erwachſen, und die ſchoͤne Menſchlichkeit pflegte dich!

Aus174

Aus Bewegung meines Herzens kuͤßte ich die Bildniſſe meiner Aeltern, die ich immer an meinen Haͤnden trage; Thraͤ - nen fielen auf ſie; ich gieng ans Fenſter; Lord Rich folgte mir; eine antheilneh - mende Traurigkeit war in ſeinen Zuͤgen, als ich nach einigen Minuten ihn anſah, und er ſeine Blicke auf die Bilder heftete. Dieß ſind die Bildniſſe Jhrer Aeltern, Madam Leidens, leben Sie noch? ſagte er ſanft. O, nein, Mylord, ſonſt waͤre ich nicht hier, und meine Au - gen wuͤrden nur Freudenthraͤnen zu ver - gießen haben. Alſo hat Sie ein Sturm nach England gefuͤhrt? Nein, Mylord, denn Freundſchaft und freye Wahl iſt kein Sturm, verſetzte ich, indem ich mich zu laͤcheln bemuͤhte. Lebhaft ſagte Lord Rich, Dank ſey Jhrer hal - ben Aufrichtigkeit, daß Sie mich Jhrer Freyheit zu waͤhlen verſichert. Die edel - ſte Neigung, welche jemals ein Mann er - naͤhrte, wird auf dieſen Grund ihre Hoff - nung bauen. Das kann nicht ſeyn, Mylord, denn ich ſage Jhnen, daß dieEigen -175Eigenthuͤmerinn dieſes Grunds auf ewig mit der Hoffnung entzweyet iſt. Lady Summers war bey uns, als ich dieſes ſag - te, und ſtreckte bey den letzten Worten ihre Hand aus, mir den Mund zuzuhalten; das ſollen Sie nicht ſagen, ſprach ſie; wollen Sie eigenmaͤchtig die kuͤnftigen Tage zu den vergangenen werfen? Die Vorſicht wird Jhrer nicht vergeſſen, meine liebe, machen Sie nur keine ei - genſinnigen Foderungen an Sie. Dieſer Vorwurf machte mich aus Em - pfindlichkeit erroͤthen, ich kuͤßte die Hand der Lady, mit welcher ſie meinen Mund hatte zuhalten wollen, und fragte ſie zaͤrtlich: theure Lady, wenn Sie mich eigenſinnig in meinen Foderungen ge - funden? Jn Jhrer beſtaͤndigen Traurigkeit uͤber das Vergangene, wo Sie Zuruͤckfoderungen aus dem Reiche der Todten machen, war ihre Ant - wort. O meine geliebte wuͤrdige La - dy Summers, warum, ach war - um Dieſe Ausrufung entfloh mir, weil ich; geruͤhrt uͤber ihre Guͤte, innigbedauerte,176bedauerte, daß wir ſie durch eine falſche Erzaͤhlung betruͤgen mußten; aber ſie nahm es anders; und fiel mir ein: Meine Tochter, ſagen Sie mir, kein Ach warum mehr; leiten Sie das Gefuͤhl Jhres Her - zens auf die Gegenſtaͤnde der Zufrieden - heit, die ſich Jhnen anbieten, und zaͤhlen Sie auf meine muͤtterliche Zaͤrtlichkeit, ſo lange Sie ſie genießen moͤgen. Jch druͤckte ihre Hand an meine Bruſt, und ſah ſie voll Ruͤhrung an mit dem voll - kommenſten Gefuͤhle kindlicher Liebe; ihr Herz empfand es, und belohnte mich durch eine muͤtterliche Umarmung. Lord Rich hatte uns mit Bewegung betrachtet, und ich ſah den nehmlichen Augenblick die ſchoͤnen Augen der Emma voll ſchmelzen - der Liebe euf ihn geheftet; Jch ſagte ihm auf italiaͤniſch, dort waͤren unvermiſchte Empfindungen, die allein faͤhig ſeyn, die Tage eines edeldenkenden Mannes mit der feinſten Gluͤckſeligkeit zu erfuͤllen. Er antwortete in nehmlicher Sprache: Nicht ſo Madam Leidens, denn dieſe Art Em - pfindlichkeit iſt nicht diejenige, welcheeinſam -177einſamwohnende Perſon begluͤcken kann. Was wollte er damit ſagen? Jch ſchuͤt - telte den Kopf halb misvergnuͤgt und ſagte nur: O Mylord von was fuͤr einer Farbe ſind Jhre Empfindungen? Von der allerdauerhafteſten, denn ſie ſind aus uͤbender Tugend entſtanden. Jch gab keine Antwort, ſondern wandte mich, nach einer Verbeugung gegen Jhn, zur Emma, die an meinem Arm, aber ganz in ein trauriges Stillſchweigen ge - huͤllt, nach Summerhall zuruͤck gieng; und nun hoͤre ich, daß ſie wegreiſen wird.

Madam Leidens an Emilia.

Ueberfluß iſt, wenn Sie ihm die Ge - walt der Wohlthaͤtigkeit nehmen, kein Gluͤck, meine liebe Emilia; er zerſtoͤrt den aͤchten Gebrauch der Guͤter, er zer - bricht in der Seele des Leichtſinnigen dieII Theil. MSchran -178Schranken unſerer Begierden, ſchwaͤcht das Vergnuͤgen des Genuſſes, und ſetzt, wie ich erfahre, ein grauſames Herz und ſeine maͤßigen Wuͤnſche in eine Art unan - genehmer Verlegenheit. Sie wiſſen vermuthlich nicht, meine Freundinn, wo Sie die Urſache dieſes Ausfalls auf einen Zuſtand, der von meinem dermaligen ſo weit entfernt iſt, ſuchen ſollen. Aber Sie wiſſen doch, daß mich alle Gegen - ſtaͤnde auf eine beſondere Art ruͤhren, und werden ſich nicht wundern, wenn ich Jhnen ſage, daß die Geſinnungen des Lord Rich der eigentliche Anlaß zu meiner anmuthi - gen Betrachtung des Ueberfluſſes waren. Er verfolgte mich mit Liebe, mit Bewun - derung, mit Vorſchlaͤgen, und (was mir Kummer macht) mit der Ueberzeugung, daß ich ihn gluͤcklich machen wuͤrde. O, haͤtte ich denken koͤnnen, daß die Sympa - thie unſers Geſchmacks an den Vergnuͤ - gungen und Beſchaͤfftigungen des Geiſtes in ihm die Jdee hervorbringen wuͤrde, daß ich auch eine ſympathetiſche Liebe empfin - den muͤßte, ſo ſollte er nicht die Haͤlfteder179der Gewalt geſehen haben, womit die Reize der Schoͤpfung auf meine Seele wuͤrken, und niemals haͤtte ich mich in Geſpraͤche mit ihm eingelaſſen. Aber ich war um ſo ruhiger, da ich wußte, daß er ein niedliches Bild griechiſcher Schoͤn - heiten von der Jnſel Scio mit ſich ge - bracht, und in ſeinem Hauſe hatte. Jch hielt lange Zeit ſein Anſuchen meiner Ge - ſellſchaft und das Ausfragen meiner Ge - danken fuͤr nichts anders, als fuͤr die Luſt der Befriedigung meiner Lieblings - ideen, weil ich, ohne die geringſte Zer - ſtreuung, mit ununterbrochener Aufmerk - ſamkeit bald die Hiſtorie eines Landes, bald einer Pflanze, bald eines griechiſchen Ruins, bald eines Metalls, bald eines Steins anhoͤrte, nicht muͤde wurde, und ihm alſo die Freude gab, ſeine Kenntniſſe zu zeigen, und zu ſehen, daß ich die edle Verwendung ſeines Reichthums und Le - bens zu ſchaͤtzen, und zu loben wußte. Sein Umgang war mir durch ſeine Wiſ - ſenſchaft und Erzaͤhlungen unendlich werth; ſein Entſchluß, nach zehnjaͤhrigenM 2Reiſen180Reiſen durch die allerentfernteſten Gegen - den des Weltkreiſes, ſeine uͤbrigen Tage in Anbauung eines Theils ſeiner muͤtter - lichen Erde zuzubringen, machte mir ihn vorzuͤglich angenehm; dieſes erfreute mich; aber ſeine Liebe iſt der Ueberfluß davon, der mich belaͤſtigt und in Verlegenheit ſetzt. Er hat ſich bey der Lady um mich erkun - diget; ihre Antwort hat ſeinen Eifer nicht vermehrt, aber anhaltender ge - macht; und ein einziges Wort von mir gegen die Lady, brachte ihn zu dem Ent - ſchluß ſeine Griechinn zu verheurathen, und mit ihrem Manne nach London zu ſchicken. Sie koͤnnen nicht glauben, wie ſchwer meinem Herzen dieſes vermeynte Opfer wiegt, da er, wegen leerer Hoffnungen des kuͤnftigen Vergnuͤgens meiner Geſellſchaft, die Ermunterung von ihm entfernt; wel - che der Beſitz des reizenden Maͤdchens ihm gegeben haͤtte. Sein Secretaͤr liebte ſie, ſagte er, ſchon lang, und das Maͤdchen ihn auch; beyde haͤtten ihn auf den Knien fuͤr ihre Vereinigung gedankt. Er fuͤhlt aber das Leere, ſo ihre Abreiſe in ſeinemHerzen181Herzen gelaſſen hat, denn er iſt ſeitdem mit aufgehender Sonne in unſerm Park, und beraubt mich der Morgenluft, weil ich ihn vermeiden will, da er eine An - foderung von Erſatz an mich zu machen ſcheint. Niemals, nein, niemals mehr werde ich den Witz um Huͤlfe bitten, mich aus einer Verwirrung zu reißen. Die Lady Summers hatte mit mir uͤber die an - gehende Liebe des Lords geſcherzt; ich wi - derſprach ihr lange in gleichem Ton, und behauptete, es waͤre nichts als Selbſtliebe, weil ich ihm ſo gerne zuhoͤrte. Sie be - ſtrafte mich ganz ernſthaft uͤber dieſe An - klage: Lord Rich verehret Jhre edle Wißbegierde, er ſucht ſie durch Mit - theilung ſeiner Kenntniſſe zu befriedigen, und ſeine Belohnung ſoll in dieſer beiſſen - den Beſchuldigung beſtehen? Jch war geruͤhrt, weil ich nicht einmal das Anſehen einer Ungerechtigkeit dulden kann, und nun ſelbſt eine ausuͤbte; aber meine Lady fuhr ganz guͤtig fort, mir viele Be - weiſe ſeiner zaͤrtlichen Hochachtung zu wie - derholen, die ich als wahre KennzeichenM 3der182der edelſten Neigung anſehen mußte; Jch geſtund auch, daß ſie eine Ruͤckgabe ver - dienten; aber da ſie bey allem, was ich von meinen freundſchaftlichen Gegenge - ſinnungen ſagte, immer den Kopf ſchuͤt - telte, und mehr fuͤr den Lord foderte: ſo verſicherte ich ſie, daß es unmoͤglich ſey, daß Lord Rich mehr von mir wuͤn - ſchen koͤnnte, da er bey ſeiner ſchoͤnen Griechinn alles faͤnde, was die Liebe bey - tragen koͤnne, ihn gluͤcklich zu machen. Sie ſchwieg freundlich, und ließ mich nicht merken, ſie daͤchte das einzige Hin - derniß meiner Verbindung mit Lord Rich entdeckt zu haben. Dieſer war auch ei - nige Tage ſtill von ſeiner Liebe und ſehr munter, beſonders an dem, wo er mit dem ruhigſten und ungezwungenſten Ton von der Heurath und Abreiſe ſeiner Aſſy redte. Jch war betroffen, und fuͤrchtete mich vor dem Erbtheil ſeines ganzen Her - zens, welches ihm ihre Heurath ruͤckfaͤllig machte; Er ſage mir nichts, die Lady aber deſto mehr. Warum, liebſte Lady, wollen Sie Jhre angenommene Tochter von183 von ſich entfernen? bin ich Jhnen unan - genehm geworden? ſagte ich. Sie reich - te mir die Hand, nein, mein Kind, Sie ſind mir unendlich werth, und ich werde die zaͤrtliche Beſorgerinn meines Alters gewiß vermiſſen; aber ich habe fuͤr den Herbſt meines Lebens Fruͤchte genug ge - ſammlet, ohne noͤthig zu haben, Jhren Fruͤhling ſeiner ſchoͤnſten Bluͤthe zu be - rauben. Sie ſind jung, reizend, und fremde, was wollen Sie nach meinem Tode machen? Wenn ich dieſes Ungluͤck erlebe, ſo gehe ich zu meiner Emilia zuruͤck.

Liebe Leidens, bedenken Sie ſich! ein Frauenzimmer von ihrer Geburt und Lie - benswuͤrdigkeit muß entweder bey nahen Verwandten, oder unter dem Schutz eines wuͤrdigen Mannes ſeyn. Lord Rich hat Jhre ganze Hochachtung; der edle Mann verdient ſie auch; Sie wiſſen, daß Sie ihn gluͤcklich machen koͤnnen; ſeine Freund - ſchaft, ſein Umgang iſt Jhnen angenehm; Jhr Wille, Jhre Perſon iſt frey; die edel - ſte Beweggruͤnde leiten Sie zu dieſerM 4Ver -184Verbindung; machen Sie Jhrer gefun - denen Mutter die Freude, in Jhnen und dem Lord Rich die aͤchten Bildniſſe maͤnn - licher und weiblicher Tugend vereint zu ſehen.

So nahe drang die theure Lady in mich. Jch legte meinen Kopf auf ihre Hand, die ich kuͤßte, und mit den zaͤrt - lichſten Thraͤnen benetzte; es war in mei - ner Seele, als ob ich den Widerhall der Stimme meiner geliebten zaͤrtlichen Mut - ter gehoͤrt haͤtte. Ach, dieſe Tugenden waren das Band ihrer Ehe! Wie un - gleich hatte ich gewaͤhlt! Die Verdienſte des Lord Rich konnten Sie an die Seite der vortreflichen Eigenſchaften meines Va - ters ſetzen; mein Gluͤck waͤre wie das ih - rige geweſen; aber meine Verwicklung, meine unſelige Verwicklung! O, Emi - lia, ſchreiben Sie mir bald, recht bald Jhre Gedanken. Aber ich kann nicht mehr lieben; ich kann mich nicht mehr verſchenken; ja die zaͤrtliche Achtung ſelbſt, welche ich fuͤr den Lord Rich habe, em - poͤrt ſich wider dieſen Gedanken; MeinSchick -185Schickſal hat mich durch die Hand der Bosheit in den Staub geworfen; die Menſchenfreundlichkeit nahm mich auf; an dieſe allein habe ich Anſpruͤche; meine Leichtglaͤubigkeit hat mich aller uͤbrigen beraubet, und ich will kein fremdes, kein unverdientes Gut an mich ziehen.

Madam Leidens an Emilia.

O meine Freundinn! ein neues uner - wartetes Uebel draͤngt ſich mir zu; Jch zweifle, ob alle meine Standhaftigkeit hin - reichen wird, es zu ertragen, da ich ohne - hin gezwungen bin, zu meiner gehaͤßig - ſten Feindinn, der Verſtellung, meine Zuflucht zu nehmen. Aber weil in mei - nen itzigen Umſtaͤnden mehr Aufrichtigkeit mir nichts nuͤtzen, und andern ſchaden wuͤrde, ſo will ich den freſſenden Kummer in meine Bruſt verſchließen, und ſelbſt fuͤr das Vergnuͤgen des Urhebers meinerM 5Lei -186Leiden, die Ueberreſte einer ehemals laͤ - chelnden Einbildungskraft verwenden. Hoͤren Sie, meine Emilia, hoͤren Sie was fuͤr eine Ruͤckkehr das Ungluͤck macht, das Jhre Jugendfreundinn ver - folgt. Vor einigen Tagen mußte ich die ganze Geſchichte von Lord Richs Her - zen anhoͤren; ihr letzter Theil enthielt die Abſchilderung ſeiner Liebe fuͤr mich. Es iſt, ſpricht er, die Leidenſchaft ei - nes fuͤnf und vierzig jaͤhrigen Mannes, die durch die Vernunft in ſein Herz ge - bracht wurde, alle Kraͤfte meiner Erfah - rung, meiner Kenntniß der Menſchen be - ſtaͤrken ſie. Theurer Lord Rich, Sie betruͤgen ſich; niemals hat die Vernunft fuͤr die Liebe gegen die Freundſchaft ge - ſprochen; Sie beſitzen den hoͤchſten Grad dieſer edlen Neigung in meinem Herzen; laſſen Sie Nichts mehr Madam Lei - dens, ehe Sie mich angehoͤrt haben. Meine Vernunft machte mich zu Jhrem Freund, und wieß Jhnen in meiner Hoch - achtung einen Platz an, den ich auch dem Verdienſte eines Mannes wuͤrde gegebenhaben. 187haben. Hier rechnete er mir Tugen - den und Kenntniſſe zu, wovon ich ſagen mußte, daß ich ſie fuͤr nichts anders als ſchoͤne Gemaͤhlde liebenswuͤrdiger Fremd - linge betrachten koͤnnte. Und ich, (fuhr er fort) muß Jhnen in erhoͤhetem Maaße das feine Lob zuruͤckgeben, welches die Beſcheidenheit meiner ſchoͤnen Landsmaͤn - ninnen von einem Fremden erhielt, da Jhnen die Vorzuͤge Jhres Geiſtes eben ſo unbekannt ſind, als jenen die Reize ihrer Geſtalt. Hierauf beſchrieb er meine mir eigenen Weiblichkeiten, wie er ſie nannte, als Fruͤchte eines feurigen Genie, und einer ſanften empfindſamen Grazie, und machte aus dieſem allen den Schluß; daß der Ton meines Kopfs und Herzens juſt derjenige waͤre, welcher mit dem ſeinigen ſo genau zuſammenſtimmte, als noͤthig ſey, die vollkommenſte Harmonie ei - ner moraliſchen Vereinigung zu ma - chen. Das Bild ſeiner Gluͤck - ſeligkeit folgte mit ſo ruͤhrenden Zuͤgen, daß ich uͤberzeugt wurde, er kenne alle Triebfedern meiner Seele, und wiſſe wo -hin188hin mich der Gedanke vom Wohlthun fuͤh - ren koͤnne. Mit aller Feinheit der Em - pfindung zeichnete er einen fluͤchtigen Ent - wurf davon. O meine Emilia, es war der Abdruck meiner ehemaligen Wuͤnſche und Hoffnungen im ehelichen Leben. Aeußerſt geruͤhrt und beſtuͤrzt konnte ich meine Thraͤnen nicht zuruͤckhalten. Er ſtund von der Raſenbank auf, und er - griff meine beyden Haͤnde; eine vielden - kende maͤnnliche Zaͤrtlichkeit war in ſei - nem Geſichte, als er mich betrachtete, und meine Haͤnde an ſeine Bruſt druͤck - te. O Madam Leidens, ſagte er, was fuͤr ein Ausdruck von tiefem Kummer iſt in Jhren Geſichtszuͤgen! Entweder hat der Tod Jhrem Herzen alle Freuden des Lebens und der Jugend entriſſen, oder es liegt in ihren Umſtaͤnden irgend eine Quelle von bitterm Jammer verborgen. Sagen Sie, theure geliebte Freundinn, wollen Sie nicht, koͤnnen Sie nicht die - ſer Quelle einen Ausfluß in den Buſen Jhres treuen, Jhres Sie anbetenden Freundes verſchaffen? Mein Kopf ſankauf189auf ſeine Haͤnde, die noch immer die mei - nigen hielten. Mein Herz war beklemm - ter als jemals in meinem Leben. Das Bild meines Ungluͤcks, die Verdienſte die - ſes edelmuͤthigliebenden Mannes, die ſchwere Kette meiner wiewohl falſchen Verbindung, mein auf ewig verlornes Vergnuͤgen bedraͤngten auf einmal mei - ne Seele. Reden konnte ich nicht; ſchluchzen und ſeufen mußte ich. Er ſchwieg tiefinnig, und mit einer zittern - den Bewegung ſeiner Haͤnde, ſagte er, in dem traurigſten aber ſanfteſten Ton, in - dem er ſeinen Kopf ſachte gegen den mei - nigen neigte: O dieſer Sie quaͤlende Kummer giebt mir ein trauriges Licht Jhr Gemahl iſt nicht todt Eine Seele wie die Jhrige wuͤrde durch einen Zufall, den die Geſetze der Natur herbeybringen, nicht zerriſſen, ſondern nur niedergeſchla - gen. Aber der Mann iſt Jhrer unwuͤr - dig, und das Andenken dieſer Feſſeln ver - wundet Jhre Seele. Hab ich Recht, o, ſagen Sie, ob ich nicht Recht ha - be? Seine Rede machte michſchau -190ſchauern; ich konnte noch weniger die Sprache wieder finden als vorher. Er war ſo guͤtig mir zu ſagen: heute nichts mehr! beruhigen Sie ſich; laſſen Sie mich nur ihr Vertrauen erwerben. Jch erhob meine Augen, und druͤckte aus einer unwillkuͤhrlichen Bewegung ſeine Haͤnde. O Lord Rich war alles was ich ausſprechen konnte. Beſtes weibliches Herz! was fuͤr ein Unmenſch konnte dich miskennen, und elend ma - chen? Lieber Lord, Sie ſollen al - les, alles wiſſen, Sie verdienen mein Vertrauen. Dieß ſagte ich, als ein Bedienter der Lady Summers kam, mich zu rufen, weil wichtige Briefe von London angekommen waͤren. Jch ſuchte mich ſo viel als moͤglich zu faſſen, und eilte zur Lady, die mir gleich die angeſehene Heu - rath ihrer einzigen Nichte mit Mylord N** anzeigte, und ſich auf den Beſuch freute, den ihr Bruder und die Neuvermaͤhlten in vierzehn Tagen bey ihr ablegen wuͤr - den. Wir muͤſſen auf ein artiges Landfeſt ſinnen, ſagte ſie, um den jungen LeutenFreude191Freude bey ihrer alten Tante zu machen. Hierauf gab Sie mir im Aufſtehen einen Brief zu leſen, den das junge Paar ihr zuſammen geſchrieben hatte, und ent - fernte ſich, um den Bedienten wieder ab - zufertigen. Was fuͤr ein Grauen uͤber - fiel mich, meine Emilia, als ich die Hand des Lord Derby erblickte, der nun wirkli - cher Gemahl der jungen Lady Alton war! Mit bebenden Fuͤſſen eilte ich in mein Zimmer, um meine Betaͤubung vor der Lady Summers zu verbergen. Weinen konnte ich nicht, aber ich war dem Er - ſticken nahe. Wie fuͤhlte ich meine Un - vorſichtigkeit nach England gegangen zu ſeyn! Meinen Schutzort mußte ich ver - lieren; unmoͤglich war’s in Summerhall zu bleiben. Ach ich goͤnnte dem Boͤſe - wicht ſein Gluͤcke; aber warum mußte ich abermals das Opfer davon werden? Jch gieng ans Fenſter, um Athem zu ſchoͤpfen, und erhob meine Augen gen Himmel; O Gott, mein Gott der du al - les zulaͤßt, erhalte mich in dieſem Be - draͤngniß! Was ſoll ich thun? o meineEmilia,192Emilia, beten Sie fuͤr mich! Ein Wun - der, ja ein Wunder iſts, daß ich mich ſammlen konnte. Jch beſchloß, mich zu verſtellen, der Lady alle Anſtalten des Empfangs machen zu helfen, und dann eine Krankheit und Ermattung vorzu - ſchuͤtzen, ſo lange die Gaͤſte da ſeyn wuͤr - den, und in meinem Zimmer bey zugezo - genen Vorhaͤngen zu liegen, als ob der Tag meinem Kopf, und meinen Augen ſchmerzte. Jch fand in dieſer aͤußerſten Roth kein anders Mittel; ich unterdruͤckte alſo meinen Jammer, und gieng zur La - dy, die ich noch aus dem Fenſter dem zuruͤckkehrenden Abgeſchickten freundlich zurufen hoͤrte. Die Lady erzaͤhlte mir die Groͤße des Reichthums und Anſehen des Hauſes von Lord N** der durch den Tod ſeines Bruders einziger Erbe war. Nun, ſagte ſie, wuͤrde ihr Bruder vergnuͤgt ſeyn, der ſonſt ſeinen Fehler als den Ehrgeiz haͤt - te; ſeine Freude machte die ihrige. Dank - barkeit und Freundſchaft, ihr unterſtuͤtzet mich Denn wo haͤtte ſonſt meine Ver - nunft, meine voͤllig zerſtoͤrte Seele, dieKraft193Kraft gehabt, mich aufrecht zu erhalten, mich laͤcheln zu laſſen? Der Antheil, den ich an der Freude meiner Wohlthaͤterinn nahm, ſtaͤrkte mich. Alles Uebel war geſchehen; wenn ich geredet haͤtte, wuͤrde nur das Gute, nicht das Boͤſe, unter - brochen worden ſeyn. Die erſte Stunde war voll der groͤßten Quaal, die mein Herz jemals betroffen haͤtte; aber grauſam wuͤrde ich geweſen ſeyn, wenn ich das Herz der lieben Lady durch meine Ent - deckungen geaͤngſtiget hatte. Sie liebt mich, ſie iſt gerecht und tugendhaft; der heftigſte Abſcheu wuͤrde ſie gegen den boͤ - ſen Menſchen erfuͤllen, der nun ihr Neffe, der geliebte Gemahl ihrer Nichte iſt. Vielleicht iſt er auf dem Wege der Beſſe - rung und gewiß waͤre er ſelbſt in der aͤußerſten Sorge, wenn er wuͤßte, daß ich hier bin. Er kannte mich niemals; niemals dachte Er, daß das Schickſal mir einſt die Gewalt geben wuͤrde, ihm ſo ſehr zu ſchaden. Aber ich will ſie nicht gebrauchen, dieſe Gewalt; ungeſtoͤrt ſoll er das Gluͤck genießen, welches ihm das Ver -II Theil. Nhaͤngniß194haͤngniß giebt, und meinem Herzen ſoll es nicht umſonſt die Probe angebothen haben, in welcher die Tugend ihre wahren Ergebe - nen erkennt, den Feinden wohlzuthun. Laß mich, o Vorſicht, laß mich dieſes Ge - praͤge der wahren Groͤße der Seele erhal - ten! viele, aber milde Thraͤnen uͤber - ſtroͤmton nach dieſem Gebet meine Lager - ſtaͤtte. Die Wohlthaͤtigkeit, die ich mei - nem groͤßten Feind gelobte, wurde durch die ſeligſte Empfindung belohnt; mein Herz fuͤhlte den Werth der Tugend, es fuͤhlte, daß es durch ſie edel und erhaben war. Nun falteten ſich meine Haͤnde mit der reinen Bewegung des Danks, da ſie wenige Stunden vorher der Schmerz der Verzweiflung in einander gewunden hatte. Sanft ſchlief ich ein, ruhig wachte ich auf, ruhig hab ich ſchon ei - nen Plan des Landfeſtes aufgeſetzt, das die Lady geben will. Aber bemerken Sie, meine Emilia, wie leicht ſich Boͤſes mit Gutem miſcht. Einige Minuten lang war der Gedanke in mir, das Feſt in kleinem ſo zu veranſtalten, wie dasvom195vom Grafen F. auf ſeinem Landgut war, um den Lord in ein kleines Staunen zu ſetzen. Aber auch dieſes verwarf ich als eine masquirte Rache, die ſich in meine Einbildung ſchleichen wollte, da ſie aus meinem Herzen verbannet war. Jch glaube, Emilia, Rich ſieht beynahe was ich denke. Er kam erſt den vierten Tag nach meiner Unterredung mit ihm zu uns. Die Lady erzaͤhlte ihm bey dem Mittag - eſſen die Urſache, warum wir alle ſo be - ſchaͤfftiget ſeyn, und fuͤhrte ihn Nach - mittags in die ſchon bereiteten Zimmer. Jch mußte ſie begleiten, und auch die Veranſtaltungen fuͤr das Pachterfeſt vor - leſen. Lord Rich ſchien ſehr aufmerk - ſam, lobte alles, aber ſehr kurz, und be - gleitete alle meine Bewegungen mit Bli - cken, welche Neugierde und Unruhe in ſich zeigten. Lady Summers verließ uns einige Minuten, und er kam an den Tiſch, wo ich italiaͤniſche Blumen aus - ſuchte und zuſammen band. Mit einer ſorgſamen zaͤrtlichen Miene nahm er eine meiner Haͤnde; Sie ſind nicht wohl,N 2meine196meine Freundinn, Jhre Haͤnde arbeiten zitternd; eine gewiſſe Haſtigkeit iſt in ih - ren Bewegungen, welche durch die ange - nommene Munterkeit wider ihren Willen hervorbricht; Jhr Laͤcheln kommt nicht aus dem Herzen; was bedeutet dieſes? Lord Rich, Sie machen mir bange mit Jhrer Scharfſicht, antwortete ich. Jch ſehe alſo doch gut? Fragen Sie mich nicht weiter, Mylord; meine Seele hat den aͤußerſten Kampf erlitten, aber ich will itzt dem Vergnuͤgen der Lady Summers alles, was mich angeht, auf - opfern. Jch beſorge nur, Sie opfern ſich ſelbſt dabey auf, ſagte der Lord. Fuͤrchten Sie nichts, antwortete ich, das Schickſal hat mich zum Leiden beſtimmt; es wird mich dazu erhalten. Jch ſagte dieß, wie mich duͤnkte, ruhig und laͤ - chelnd; aber Lord Rich ſah mich mit Be - ſtuͤrzung an. Wiſſen Sie, Madam Lei - dens, daß dieß, was Sie ſagen, den groͤßten Grad von Verzweiflung anzeigt, und mich in die toͤdlichſte Unruhe wirft? Reden Sie reden Sie mit197mit der Lady Summers; Sie werden ein muͤtterliches Herz in ihr finden. Jch weiß es, beſter Lord! aber es kann itzt nicht ſeyn, bleiben Sie unbeſorgt uͤber mich; mein Zittern iſt nichts anders als die letzte Bewegung eines Sturms, dem bald eine ruhige Stille folgen wird. O Gott, rief er aus, wie lange werden Sie die Marter dauern laſſen, die mir der Ge - danke von Jhrem Kummer macht? Die Lady kam zuruͤck, und zog mich aus der Sorge weichherzig zu werden. Lord Rich gieng mit einem Anſehen von trotzi - gem Misvergnuͤgen hinweg. Wir be - merkten es beyde. Lady Summers ſagte mir laͤchelnd: koͤnnen Sie gutherzig ſeyn und gute Leute plagen? o wenn ich denken koͤnnte, daß eine dieſer Blumen Sie als die Braut von Lord Rich zum Altare ſchmuͤcken wuͤrde! Mein Bruder ſoll die Vaterſtelle vertreten, ſo wie ich die Mutter ſeyn werde. Liebſte Lady, antwortete ich in der aͤußerſten Bewegung, meine Widerſetzung wird mir immer ſchmerzhafter; aber noch immerN 3iſt198iſt es mir unmoͤglich eine Entſchließung zu faſſen. Dulden Sie mich, ſo wie ich bin, noch einige Zeit. Ein Strom von Thraͤnen, den ich nicht zuruͤckhalten konnte, machte die Lady gleichfalls wei - nen; aber ſie verſprach mir, nicht weiter in mich zu ſetzen.

Auszug aus einem Briefe von Lord N. an Lord B.

Du weiſt, daß ich mit der reichen zier - lichen Alton vermaͤhlt bin, und daß ſie ſtolz darauf iſt, mich in Hymens Feſſeln gebracht zu haben. Einfaͤltig bruͤſtet ſie ſich, wenn ich, um das Maaß ihrer al - bernen Denkensart zu ergruͤnden, mir ei - ner Mine voller Gefaͤlligkeit nach ihren neuen Wuͤnſchen frage. Jch wollte da - mit eine Zeitlang meinen Scherz haben, um mein Regiſter uͤber weibliche Narr - heiten vollzumachen, und ich habe mir einen ſehr weſentlichen Dienſt dadurch ge -than.199than. Denn nachdem das elende Ge - praͤnge vorbey war, womit neuvermaͤhlte einander im Triumphe herumzufuͤhren ſcheinen, fragte ich meine Lady, ob ſie nicht irgend eine Landreiſe machen wollte, und ſie ſchlug mir einen Beſuch bey ihrer Tante Summers vor, die eine langwei - lige Frau, aber reich und angenehm zu erben ſey. Wir ſchrieben ihr, und ich ſchickte den John mit unſerm Briefe unſern Beſuch zu melden. Die Matrone nahm ihn ſehr freundlich auf; waͤhrend ſie mit der Antwort beſchaͤfftigt war, gieng John mit ihrem Hausmeiſter in ei - nem Zimmer auf und ab; die Lady hatte gleich um eine Madam Leidens geſchickt. Eine Viertelſtunde darauf, tritt mit eil - fertigem Schritte eine feine engliſch ge - kleidete Weibsperſon in den Vorſaal, und geht mit beynahe geſchloſſenen Angen ins Zimmer der Lady. John, wie vom Blitz geruͤhrt, erkennt die Sternheim in ihr, erhohlt ſich aber gleich, und fragt, wer dieſe Lady ſey? Der Hausmeiſter erzaͤhlt, daß ſie mit der Lady aus Deutſchland ge -N 4kommen200kommen waͤre, und daß die Lady ſie außerordentlich liebte; ſie ſey ein Engel von Guͤte und Klugheit, und Lord Rich, deſſen Guͤter an der Lady ihre grenzten, wuͤrde ſie heurathen. Mein armer Teufel, John, zitterte vor Aengſten, zu der Lady gerufen zu werden, und betrieb ſeine Abfertigung. Die Alte kam, aber allein; John ließ ſich ſo ſchnell als moͤg - lich abfertigen, und jagte zuruͤck. Urtheile ſelbſt wie ich von dieſer Nachricht uͤberraſcht wurde! Ueber keinen meiner kleinen Streiche bin ich jemals ſo verle - gen geweſen, als dieſen Augenblick uͤber den, welchen ich dieſer Schwaͤrmerinn ge - ſpielet hatte. Wo mag ſie die Verwegen - heit genommen haben, ſich in England zu zeigen? Aber geht’s nicht allezeit ſo? Die furchtſamſte Creatur wird in den Armen eines Mannes herzhaft gemacht. Jch hatte ihr alſo etwas von meiner Unver - ſchaͤmtheit mitgetheilt, welches ſie mir in dem Hauſe der Lady Summers wieder zu - ruͤckgeben konnte. Dieſem wollte ich mich nicht ausſetzen, indem meine Abſich -ten201ten unumgaͤnglich die Beobachtung des Wohlſtandes erfoderten. Jch wußte mir Dank, den John bey mir behalten zu ha - ben; denn der liſtige Hund fand eher einen Ausweg als ich. Er ſchlug mir vor, ſie entfuͤhren zu laſſen; dieß mußte aber bald geſchehen, und der Ort ihres Aufenthalts mußte ſehr entfernt ſeyn. Jch beſtimmte ihr den nehmlichen Platz in den ſchottiſchen Gebuͤrgen auf Hop - tons Guͤtern, wo ich vor einigen Jahren die Nancy aufgehoben habe; und da die - ſe von ihrem Vater, der ein Advocat war, nicht gefunden werden konnte, wer ſollte eine Auslaͤnderinn da ſuchen? Jch geſiehe dir, es iſt ein verfluchtes Schickſal fuͤr eines der artigſten Maͤdchen, daß ſie ſo viele hundert Meilen von ihrem Geburts - ort bey einem armen Bleyminenknecht in Schottland Haberbrod freſſen muß. Aber was zum T hatte ſie mir auf meinem Weg nach England zu begegnen? Es iſt billig, daß ſie dieſe Frechheit bezahle. Sie iſt bereits ſicher an Ort und Stelle angekommen, und ich habe Befehl gege -N 5ben,202ben, daß man gut mit ihr umgehen ſoll. John machte die Anſtalten, und weil er vom Hausmeiſter der Lady Summers wußte, daß Lord Rich, und die Toͤchter und Frau des Pfarrers oͤfters mit meiner Heldinn im Park Unterredungen hatten, ſo ließ er ſie im Nahmen der Miß Emma auf einen Augenblick in den Park rufen. Sie kam, er packte ſie auf, und brachte ſie, wie er ſagt, mit Muͤhe lebendig nach Schottland. Den ganzen Weg uͤber hat ſie nichts als ein paar Glaͤſer Waſſer zu ſich genommen, und, eine Ausrufung uͤber mich unter dem Namen Derby aus - genommen, wie ein todtes Bild in der Schaͤſe geſeſſen. Wenn du toller Narr hier geweſen waͤrſt, ſo haͤtte ich ſie Dir in Verwahrung gegeben; und gewiß, wenn der heulende Genius, der dich ehe - mals regierte, um ſie geſchwebt waͤre, haͤtteſt du ſie zahm machen koͤnnen, und noch eine beſſere Beute an ihr gemacht, als alles dein Gold in den Galanteriebu - den zu Paris nicht erkaufen kann. Denn ſie iſt eine der ſchoͤnſten Blumen von allen,die203die an dem feurigen Buſen deines Freun - des verwelkt ſind. Sobald ich Nachricht von ihrer zweytaͤgigen Abreiſe hatte, gieng ich mit meiner Lady und ihrem Va - ter nach Summerhall, wo die Matrone im Bette lag, und um ihre Pflegtochter wehklagte. Alle Leute im Hauſe und im Orte, die Familie des Pfarrers, beſon - ders Lord Rich, ein alter Knabe, der den Philoſophen ſpielt, bejammerten den Ver - luſt von Madam Leidens. Lady Sum - mers flehte mich um Huͤlfe an; ich gab mir auch das Anſehen aller Bewegungen, ſie ſuchen zu helfen, und erfuhr bey die - fer Gelegenheit, wie ſie nach England ge - kommen war. Jedermann ruͤhmte ihre Reize, ihre Talente und ihr gutes Herz; die Narren machten mich toll und muͤde damit; beſonders Rich, der Weiſe, der mich zum Vertrauen ſeiner Leidenſchaft machte, und ſo weiſe iſt ſich einzubilden, daß ſie ſich vor ihm gefluͤchtet habe, weil er ſie ſo weit gebracht haͤtte, ihm die Erzaͤhlung ihrer Geſchichte zu verſprechen, die gewiß beſonders ſeyn muͤſſe, indemdas204das junge Frauenzimmer alle Merkmale der edelſten Erziehung, der vollkommen - ſten Tugend, und der feinſten weiblichen Zaͤrtlichkeit in ihrem Betragen haͤtte. Er vermuthete, ein Boͤſewicht habe ihre Gut - herzigkeit betrogen, und dadurch den Grund des Kummers gelegt, mit wel - chem er ſie immer kaͤmpfen ſehen. War es nicht eine verdammte Sache, alles dieſes anzuhoͤren und fremde zu ſcheinen? Er wies mir ihr Bildniß wohl getroffen, vor einem Tiſche, wo ein Geſtelle mit Schmetterlingen war, von denen ſie, ich weiß nicht welchen, Gebrauch zu einem Feſt machen wollte, ſo mir zu Ehren an - geſtellt werden ſollte, und wovon ſie die Erfinderinn war. Der Einfall war nicht gut gewaͤhlt; ſie verſtund ſich wenig auf die Schmetterlingsjagd, ſonſt haͤtte ſie meine Fittige nicht freygelaſſen. Aber ihr Bild machte mehr Eindruck auf mich als alle Zuͤge von ihrem Charakter. Es iſt, bey meinem Leben! Schade um ſie; und ich moͤchte wiſſen, was ſie bey der Vor - ſicht, die ſie doch ſo ſtark verehrt, ver -ſchuldet205ſchuldet haben mag, daß ſie in der ſchoͤnſten Bluͤthe ihres Lebens aus ihrem Vaterlande geriſſen, zu Grunde gerichtet, und in den elendeſten Winkel der Erde ge - worfen werden mußte. Und was wollte das Verhaͤngniß mit mir, daß ich der Henkerbube ſeyn mußte, der dieſe Verur - theilung vollzog? O ich ſchwoͤr es, wenn ich jemals eine Tochter erziehe, ſo ſoll ſie alle Stricke kennen lernen, womit die Bosheit unſers Geſchlechts die Unſchuld des ihrigen umringt! Aber was hilft dieß die arme Sternheim? Komm zuruͤck, wir wollen im Fruͤhjahre ſie ein - mal beſuchen; dieſen Winter muß ſie aus - harren, ob ſie mich ſchon jammert.

Einſchaltung der Abſchreiberinn.

Hier, meine Freundinn, muͤſſen Sie noch etwas von meiner Feder leſen, um eine Luͤcke auszufuͤllen, welche ſich in den Papieren, wovon ich Jhnen die Auszuͤge mittheile, findet. Meine liebe Dame wurde nach dem Anſchlage des gottloſenLords206Lords in den Garten zu den Toͤchtern des Pfarrers gerufen, juſt, da ſie eben ihren letzten Brief an meine Emilia endigte; ſie ſteckte die ganze Rolle des Papiers zu ſich, um zu verhindern, daß man nichts zum Nachtheil des Lords finden moͤchte, gieng gegen den Park zu, und da ſie ſich zwanzig Schritte weit an der Seite des Gartens gegen das Dorf umgeſehen hatte, und niemand erblickte, gieng ſie zuruͤck. Aber ploͤtzlich zeigte ſich im Park eine Weibsperſon die ihr winkte; ſie eilte ge - gen ihr; dieſe Perſon eilte gleichfalls auf ſie zu, und faßte ſie an der Hand; Jm nehmlichen Augenblicke kamen noch zwo vermummte Perſonen, warfen ihr eine dichte runde Kappe uͤber den Kopf, und ſchleppten ſie mit Gewalt fort. Jhr hef - tiges Straͤuben, ihre Bemuͤhung zu ru - fen, war vergebens; man warf ſie in eine Halbſchaͤſe, und jagte die ganze Nacht mit ihr fort. Eſſen und Trinken bot man ihr in einem Walde an; ſie konnte aber und mochte nichts als ein Glaß Waſſer neh - men! gleich jagte man wieder weiter;aͤußerſt207aͤußerſt traurig und abgemattet ſaß ſie ne - ben einer Perſon in Weibskleidern, von welcher ſie feſt umfaßt gehalten wurde; Sie bat einmal auf den Knien um Erbar - men, erhielt aber keine Antwort, und wur - de endlich in der Huͤtte eines ſchottiſchen Bleyminenknechts auf ein elendes Bette geſetzt. Dieß war alles was ſie von ihrer Entfuͤhrung zu ſagen wußte, denn ſie war beynahe ſinnlos. Jhr Tagbuch kann zum Beweis dienen, wie ſehr ein heftiger Schmerz des Gemuͤths das edel - ſte Herz zerruͤtten kann. Aber eben dieſes Tagbuch beweiſt, daß, ſobald ihre Kraͤfte ſich erhohlten, auch die vortrefflichen Grundſaͤtze ihrer Erziehung wieder ihre volle Wirkſamkeit erhielten.

Den Kummer, in welchen durch dieſen Zufall die Lady Summers geſetzt wurde, und den Jammer meiner Emilia und den meinigen uͤber die Nachricht von ihrem Unſichtbarwerden koͤnnen Sie ſich leichter ſelbſt vorſtellen, als ich ihn beſchreiben koͤnnte; zumal da alles moͤgliche, um aufihre208ihre Spur zu kommen, vergebens ange - wandt wurde. Unvermeidliche Zufaͤlle hielten meinen Schwager den Winter durch zuruͤck ſelbſt nach England zu ge - hen, um der Lady Summers ſeine Ver - muthungen gegen Lord Derby zu ent - decken; und dieſer Winter war der laͤngſte und traurigſte, den jemals eine kleine Familie erlebt hat, welche durch das Ungluͤck einer innigſt geliebten Freundinn elend gemacht wurde.

Madam209

Madam Leidens in den ſchottiſchen Bleygebuͤrgen.

Emilia! theurer geliebter Name! Ehe - mals warſt du mein Troſt und die Stuͤtze meines Lebens, itzt biſt du eine Vermeh - rung meiner Leiden geworden. Die kla - gende Stimme, die Briefe deiner ungluͤck - lichen Freundinn dringen nicht mehr zu dir, alles, alles iſt mir entriſſen, und noch mußte mein Herz mit der Laſt des bittern Kummers beſchweret werden, die Angſt meiner Freunde zu fuͤhlen. Beſte Lady! liebſte Emilia! warum mußte euer lieb - reiches Herz mit in das Loos von Quaal der Seele fallen, welches das Verhaͤngniß mir Ungluͤcklichen zuwarf? O Gott, wie hart ſtrafeſt du den einzigen Schritt meiner Abweichung von dem Pfade der buͤrgerlichen Geſetze! Kann meine heimliche Heurath dich beleidiget ha - ben? arme Gedanken, wo irret ihr umher? Niemand hoͤret euch, niemand wird euch leſen; dieſe Blaͤteer werden mit mir ſterben und verweſen; Niemand alsII Theil. Omein210mein Verfolger wird meinen Tod erfah - ren, und er wird froh ſeyn die Zeugniſſe ſeiner Unmenſchlichkeit mit mir begraben zu wiſſen. O Schickſal, du ſiehſt meine Unterwerfung, du ſiehſt, daß ich nichts von dir bitte; du willſt mich langſam zermalmen; thue es rette nur die Herzen meiner tugendhaften Freun - de von dem Kummer, der ſie meinetwegen beaͤngſtiget!

Dritter Monat meines Elendes.

Noch einen Monat hab ich durchge - lebt, und finde mein Gefuͤhl wieder, um den ganzen Jnbegriff meines Jammers zu kennen. Selige Tage, wo ſeyd ihr, an denen ich bey dem erſten Anblick des Mor - genlichts meine Haͤnde dankbar zu Gott erhob und mich meiner Erhaltung freute? Jtzt benetzen immer neue Thraͤnen mein Auge und mit neuem Haͤnderingen bezeich - ne ich die erſte Stunde meines erneuerten Daſeyns. O mein Schoͤpfer, ſollteſt du wohl die bittere Zaͤhre meines Jammerslieber211lieber ſehen, als die uͤberfließende Thraͤne der kindlichen Dankbarkeit?

Hoffnungslos, aller Auſichten auf Huͤlfe beraubt, kaͤmpfe ich wider mich ſelbſt; ich werfe mir meine Traurigkeit als ein Vergehen vor, und folge dem Zug zum Schreiben. Eine Empfindung von beſſerer Zukunft regt ſich in mir. Ach! redete ſie nicht noch lauter in meinen ver - gangenen Tagen? Taͤuſchte ſie mich nicht? Schickſal! hab ich mein Gluͤck gemisbraucht? Hieng mein Herz an dem Schimmer, der mich umgab? Oder iſt der Stolz auf die Seele, die ich von dir em - pfieng, mein Verbrechen geweſen? Arme, arme Creatur, mit wem rechte ich! Jch beſeelte Handvoll Staubes, em - poͤre mich wider die Gewalt die mich pruͤft und erhaͤlt. Willt du, o mei - ne Seele, willt du durch Murren und Un - geduld das aͤrgſte Uebel in den Kelch mei - nes Leidens gießen? Vergieb, o Gott, vergieb mir, und laß mich die WohlthatenO 2auf -212aufſuchen, mit denen du auch hier mein empfindliches Herz umgeben haſt.

Komm, du treue Erinnerung meiner Emilia, komm und ſey Zeuge, daß das Herz deiner Freundinn ſeine Geluͤbde der Tugend erneuert, daß es zu dem Wege ſeiner Pflichten zuruͤckkehrt, ſeiner eigen - ſinnigen Empfindlichkeit abſagt, und vor den Merkmalen einer liebreichen immer - dauernden Vorſicht nicht mehr die Augen verſchließt. Beynahe drey Mo - nate ſinds, daß ich durch einen betruͤge - riſchen Ruf in dem Park von Summers - hall anſtatt meiner gefuͤhlvollen freund - lichen Emma einem der grauſamſten Men - ſchen in die Gewalt kam, der mich Tag und Nacht reiſen machte, um mich hie - her zu bringen; Derby! Niemand als du, war dieſer Barbarey faͤhig! Jn der Zeit, wo ich fuͤr dein Vergnuͤgen arbeitete, zettelteſt du ein neues Gewebe von Kum - mer fuͤr mich an. Ehre und Großmuth muͤſſen dir ſehr unbekanntſeyn,213ſeyn, weil du nicht denken konnteſt, daß ſie mich deinen Augen entziehen, und mich ſchweigen heißen wuͤrden! Was fuͤr ein Spiel machſt du dir aus der Truͤbſal eines Herzens, deſſen ganze Empfindſam - keit du kennſt? Warum, o Vorſicht, warum mußten alle boshafte Anſchlaͤge dieſes verdorbenen Menſchen in Erfuͤllung kommen, und warum alle guten Ent - wuͤrfe der Seele, die du mir gabſt, in dieſe traurige Gebuͤrge verſtoßen werden?

Wie unſtaͤt macht die Eigenliebe den Gang unſerer Tugend! Vor zween Tagen wollte mein Herz voll edler Entſchluͤſſe geduldig auf dem dornichten Pfade mei - nes ungluͤcklichen Schickſals fortgehen, und meine Eigenliebe fuͤhrt die Wieder - erinnerung dazu, welche meine Blicke von dem gegenwaͤrtigen und kuͤnftigen entfernt, und allein auf das unveraͤnderliche ver - gangene heftet. Tugendlehre, Kennt - niſſe und Erfahrung ſollen alſo an mir ver - loren ſeyn, und ein niedertraͤchtiger FeindO 3ſoll214ſoll die verdoppelte Gewalt haben, nicht nur mein aͤußerliches Anſehen von Gluͤck, wie ein Raͤuber ein Kleid von mir zureiſ - ſen, ſondern meine Geſinnungen, die Ue - bung meiner Pflichten, und die Liebe der Tugend ſelbſt in meiner Seele zu zerſtoͤren?

Gluͤckliche, ja allergluͤcklichſte Stunde meines Lebens, in der ich mein ganzes Herz wieder gefunden habe; in welcher die ſelige Empfindung wieder in mir er - wachte, daß auch hier die vaͤterliche Hand meines Schoͤpfers fuͤr die beſten Guͤter meiner Seele geſorget hat! Er iſt es, der meinen Verſtand von dem Wahnſinne er - rettete, welcher in den erſten Wochen ſich meiner bemeiſtern wollte; Er gab meinen rauhen Wirthen Leutſeligkeit und Mitlei - den fuͤr mich; das reine moraliſche Ge - fuͤhl meiner Seele erhebt ſich allmaͤhlig uͤber die Duͤſternheit meines Grams; Die Heiterkeit des Himmels, der dieſe Einoͤde umgiebt, gießt, ob ich ihn ſchon ſeuf - zend anblicke, eben ſo viel Hoffnung undFriede215Friede in mein Herz, als der zu Stern - heim, Vaels und Summerhall. Dieſe aufgethuͤrmten Berge reden mir von der allmaͤchtigen Hand, welche ſie ſchuf; uͤberall iſt die Erde mit den Zeugniſſen ſeiner Weisheit und Guͤte erfuͤllt, und uͤberall bin ich ſein Geſchoͤpf. Er wollte hier meine Eitelkeit begraben, und die letzten Probeſtunden meines Lebens ſollen allein vor ſeinen Augen und vor dem Zeugniß meines Herzens verfließen! Viel - leicht werden ſie nicht lange dauern. Soll ich denn nicht ſuchen, ſie mit dem Ueberreſt von Tugend auszufuͤlleu, deren Ausuͤbung noch in meiner Gewalt geblie - ben iſt! Gedanke des Todes, wie wohlthaͤtig biſt du, wenn du, von der Ver - ſicherung der Unſterblichkeit unſerer Seele begleitet, zu uns kommſt! wie lebhaft er - weckeſt du das Gefuͤhl unſerer Pflichten, und wie eifrig machſt du unſern Willen Gutes zu thun? Dir danke ich die Ueber - windung meines Grams, und die erneuer - ten Kraͤfte der Tugend meiner Seele! Du machteſt mich mit Lebhaftigkeit den Ent -O 4ſchluß216ſchluß faſſen, meine letzten Tage mit edlen Geſinnungen auszufuͤllen, und zu ſehen, ob ich nicht auch hier Gutes thun kann.

Ja, ich kann, ich will noch Gutes thun; o! Geduld, du Tugend des Lei - denden, nicht des Gluͤcklichen, dem alle Wuͤnſche gewaͤhret ſind, wohne bey mir, und leite mich zu ruhiger Befolgung der Rathſchluͤſſe des Schickſals! Muͤh - ſam und einzeln ſammlet man die Wur - zeln und Kraͤnter, welche unſere leibli - chen Uebel heilen. Eben ſo beſorgt ſollte man die Huͤlfsmittel unſerer moraliſchen Krankheiten ſuchen; ſie finden ſich oft, wie jene, am naͤchſten Fußſteige von un - ſerem Aufenthalt. Aber wir ſind ge - wohnt das Gute immer in der Ferne zu ſuchen, und das an der Hand liegende mit Verachtung zu uͤberſehen. Jch mach - te es ſo; meine Wuͤnſche und meine Kla - gen fuͤhrten meine Empfindung weit von dem was mich umgab; wie ſpaͤt erkenneich217ich die Wohlthat, eine ganze Rolle Pa - pier mit mir gebracht zu haben, die mir bisher in den Sammlungsſtunden meines Geiſtes ſo große Dienſte gethan hat. War es nicht Guͤte der Vorſicht, die mich auf meiner beſchwerlichen Reiſe hieher vor aller Beleidigung ſchuͤtzte, und mir al - les erhielt, was mir in den Zeiten meiner Ruhe nuͤtzen konnte?

Emilia, heilige Freundſchaft, gelieb - tes Andenken! dein Bild ſteigt aus dem Schutte meiner Gluͤckſeligkeit laͤchelnd em - por. Thraͤnen, viele Thraͤnen koſteſt du mich. Aber komm, dieſe Blaͤtter ſol - len dir geweyhet ſeyn! Von Jugend auf ergoſſen ſich meine geheimſten Empfindun - gen in dein treues zaͤrtliches Herz; der Zufall kann dieſe Papiere erhalten, ſie koͤnnen dir noch zukommen, und du ſollſt darinn ſehen, daß mein Herz die Tugend des Deinigen, und ſeine Guͤte fuͤr mich niemals vergeſſen hat. Vielleicht benetzt einſt die Zaͤhre deiner freundſchaft -O 5lichen218lichen Liebe dieſe Ueberbleibſel deiner un - gluͤcklichen Sophie. Auf meinem Grabe wirſt du ſie nicht weinen koͤnnen; denn ich werde das Schlachtopfer ſeyn, wel - ches die Bosheit des Derby hier ver - ſcharret; und da der Gedanke an Tod und Ewigkeit, meine Klagen und Wuͤn - ſche endiget, ſo will ich dir noch den jaͤ - hen Umſturz beſchreiben, der mich in meine fruͤhe Grube bringt. Jch konnte es nicht eher thun; ich wurde zu ſehr erſchuͤttert, ſo oft ich daran dachte.

Halb leblos bin ich hier angelangt, und drey Wochen in einer Gemuͤthsver - faſſung geweſen, die ich nicht beſchreiben kann; was ich in dem zweyten und drit - ten Monat meines Aufenthalts war, zei - gen die Stuͤcke, die ich in meinen Er - quickungsſtunden ſchrieb. Urtheilen Sie aber, Emilia, von der Zerruͤttung mei - ner Empfindniſſe, weil ich nicht beten konnte; ich rief auch den Tod nicht, aber in dem vollen Gefuͤhl des Uebermaaß es vonUngluͤck,219Ungluͤck, ſo mich betroffen, wuͤrde ich dem auf mich fallenden Blitz nicht ausgewichen ſeyn. Ganze Tage war ich auf meinen Knien, nicht aus Unterwerfung, nicht um Gnade vom Himmel zu erflehen; Stolz, empoͤrter Stolz war mit dem Ge - danken des unverdienten Elends in meine Seele gekommen. Aber, o meine Emi - lia, dieſer Gedanke vermehrte mein Uebel, und verſchloß jeder uͤbenden Tugend mei - ner Umſtaͤnde mein Herz; und uͤbende Tugend allein kann den Balſam des Troſts in die Wunden der Seele traͤuflen. Jch empfand dieſes das erſtemal, als ich das arme fuͤnfjaͤhrige Maͤdchen, die auf mich Acht haben mußte, mit Ruͤhrung anſah, weil ſie ſich bemuͤhte, meinen nie - dergeſunknen Kopf mit ihren kleinen Haͤn - den aufzurichten; ich verſtund ihre Spra - che nicht, aber ihr Ton und der Ausdruck ihres Geſichts war Natur und Zaͤrtlich - keit und Unſchuld; ich ſchloß ſie in meine Arme, und vergoß einen Strom von Thraͤnen; es waren die erſten Troſtthraͤ - nen, die ich weinte, und in die Dankbar -keit220keit meines Herzens gegen die Liebe dieſes Geſchoͤpfs miſchte ſich die Empfindung, daß Gott dieſem armen Kinde die Gewalt gegeben haͤtte, mich die Suͤßigkeit des Mitleidens ſchmecken zu laſſen. Von dieſem Tage an rechne ich die Wieder - herſtellung meiner Seele Jch fieng nun an dankbar die kleinen Broſamen von Gluͤckſeligkeit aufzuſammlen, die hier neben mir im Staube lagen. Meine er - ſchoͤpften Kraͤfte, die Schmerzen, welche mir das Haberbrodt verurſachte, ließen mich meinen Tod nahe glauben; ich hatte keinen Zeugen meines Lebens mehr um mich; ich wollte meinem Schoͤpfer ein gelaſſenes, ihn liebendes Herz zuruͤckge - ben, und dieſer Gedanke gab den tugend - haften Triebfedern meiner Seele ihre ganze Staͤrke wieder. Jch nahm meine kleine Wohlthaͤterinn zu mir in den ar - men abgeſonderten Winkel, den ich in der Huͤtte beſitze, ich theilte mein Lager mit ihr, und von ihr nahm ich die erſte Un - terweiſung der armen Sprache, die hier geredet wird. Jch gieng mit ihr in dieStube221Stube meiner Hauswirthe; der Mann hatte lang in den Bleyminen gearbeitet, und iſt nun aus Kraͤnklichkeit unvermoͤ - gend dazu geworden, bauet aber mit ſei - ner Frau und Kindern ein kleines Stuͤck Feld, das ihm der Graf Hopton nah an einem alten zerfallenen Schloſſe gegeben, mit Haber und Hanf an; den Haber ſto - ßen ſie mit Steinen zum Gebrauch klein, und der Hanf muß ſie kleiden. Es ſind arme gutartige Leute, deren ganzer Reich - thum wirklich in den wenigen Guineen be - ſteht, welche ſie fuͤr meine Verwahrung erhalten haben. Es freute ſie, daß ich ruhiger wurde, und zu ihnen kam; Je - des befließ ſich, mir Unterricht in ihrer Sprache zu geben, und ich lernte in vier - zehn Tagen ſo viel davon, um kurze Fra - gen zu machen, und zu beantworten. Die Leute wiſſen, wie weit ſie mich außer dem Hauſe laſſen duͤrfen, und der Mann fuͤhrte mich an einem der letzten Herbſt - tage etwas weiter hinaus. O! wie arm iſt hier die Natur! man ſieht, daß ihre Eingeweyde bleyern ſind. Mit thraͤnen -den222den Augen ſah ich das rauhe magere Stuͤck Feld, auf dem mein Haberbrodt waͤchſt, und den uͤber mich fließenden Him - mel an; die Erinnerung machte mich ſeuf - zen, aber ein Blick auf meinen abgezehrten Fuͤhrer hieß mich zu mir ſelbſt ſagen; ich habe mein Gutes in meiner Jugend reich - lich genoſſen, und dieſer gute Mann und ſeine Familie ſind, ſo lange ſie leben in Elend und Mangel geweſen; ſie ſind Geſchoͤpfe des nehmlichen goͤttlichen Urhebers, ihrem Koͤrper fehlt keine Sehne, keine Muskel, die ſie zum Genuß phyſikaliſcher Beduͤrf - niſſe noͤthig haben; da iſt kein Unterſchied unter uns; aber wie viele Theile der Faͤhig - keiten ihrer Seele ſchlafen, und ſind unthaͤ - tig geblieben! Wie verborgen, wie unbe - greiflich ſind die Urſachen, die in unſrer koͤr - perlichen Einrichtung keinen Unterſchied entſtehen ließen, und im motaliſchen Wachs - thum und Handeln ganze Millionen Ge - ſchoͤpfe zuruͤcklaſſen! wie gluͤcklich bin ich heute noch durch den erhaltenen Anbau meines Geiſtes und meiner Empfindung gegen Gott und Menſchen! WahresGluͤck,223Gluͤck, einzige Guͤter, die wir auf Erden ſammlen und mit uns nehmen koͤnnen, ich will aus Ungeduld euch nicht von mir ſtoßen; ich will die Gutherzigkeit meiner armen Wirthe durch meine Freundlichkeit belohnen. Eifrig lernte ich an ihrer Sprache fort, und erfuhr beym Nachfor - ſchen uͤber ihre manchmalige Haͤrte gegen das junge Maͤdchen, daß es nicht ihr Kind, ſondern des Lords Derby waͤre, daß die Mutter des Kindes, bey ihnen geſtorben ſey, und der Lord nichts mehr zu deſſen Un - terhalt hergaͤbe. Jch mußte bey dieſer Nachricht in meinen Winkel; ich empfand mit Schmerzen mein ganzes Ungluͤck wie - der. Die arme Mutter! ſie war ſchoͤn wie ihr Kind, und jung, und gut; bey ihrem Grabe wird das meinige ſeyn. O Emilia, Emilia, wie kann, o wie kann ich dieſe Pruͤfung aushalten! Das gute Maͤdchen kam und nahm meine Hand, die uͤber mein armes Bette hieng, waͤh - rend mein Geſicht gegen die Wand ge - kehrt war. Jch hoͤrte ſie kommen; ihr Anruͤhren, ihre Stimme machte michſchanern,224ſchauern, und widerwillig entriß ich ihr meine Hand. Derbys Tochter war mir verhaßt. Das arme Maͤdchen gieng mit Weinen an den Fuß meines Lagers und wehklagte. Jch fuͤhlte mein Unrecht, die ungluͤckliche Unſchuld leiden zu machen; ich gelobte mir, meinen Widerwillen zu un - terdruͤcken, und dem Kinde meines Moͤr - ders Liebe zu erweiſen. Wie froh war ich, da ich mich aufrichtete und ſie rief. Auf ihre kleine Bruſt gelehnt legte ich das Geluͤbde ab, ihr Guͤte zu erweiſen. Jch werde es nicht brechen, ich hab es zu theuer erkauft!

O Derby! wie voll, wie voll machſt du das Maaß deiner Haͤrte gegen mich! heute kommt ein Boote, und bringt einen großen Pack Vorrath zur Tapezerey; nie - dertraͤchtig ſpottet er: da mir bey Hofe die Zeit ohne Tapetenarbeit zu lang ge - weſen, ſo moͤchte es hier auch ſo ſeyn; er ſchickte mir alſo Winterarbeit; im Fruͤh - jahre wuͤrde er es holen laſſen. Esiſt225iſt zu einem Cabinet; die Riſſe liegen da - bey. Jch will ſie anfangen, ja ich will; er wird nach meinem Tode die Stuͤcke kriegen; er ſoll die Ueberreſte ſei - ner an mir veruͤbten Barbarey ſehen, und ſich erinnern, wie gluͤcklich ich war, als er das erſtemal meine Finger arbei - ten ſah; er wird auch denken muͤſſen, in was fuͤr einen Abgrund von Elend er mich ſtuͤrzte und darinn zu Grunde gehen machte.

Niemals mehr, o Schickſal! Niemals mehr will ich mich dem Murren meiner Eigenliebe uͤberlaſſen! wie verkehrt heißt ſie uns urtheilen! Jch klagte uͤber das, was mein Vergnuͤgen geworden iſt. Meine Arbeit erheitert meine truͤben Win - tertage; meine Wirthe ſehen mir mit ro - her Entzuͤckung zu, und ich gebe ihrer Tochter Unterweiſung darinn. Mit fro - hem Stolz ſah das Maͤdchen um ſich, als ſie das erſte Blaͤttchen genaͤht hatte. Ungluͤck und Mangel hat ſchon viele er -II Theil. Pfindſam226findſam gemacht; ich bin es auch wor - den. Jch weiß, daß der Graf von Hop - ton, den die Bleyminen zugehoͤren, einige Meilen von hier ein Haus hat, und daß er manchmal auf einige Tage hinkoͤmmt. Auf der letzten Reiſe hatte er eine Schweſter bey ſich, die er ſehr liebt, und die als Witwe oft bey ihm iſt. Auf dieſe Dame baue ich Hoffnungen, die mit der Dauer meines Lebens wieder rege in mir ſind. Jch habe meinen Wirthen den Gedanken gegeben, ihre Tochter Maria in die Dienſte dieſer Dame zu bringen; ich verſprach ſie alles zu lehren was dazu noͤthig ſey. Schon lehre ich ſie engliſch reden und ſchreiben; die Tapetenarbeit kann ſie, und da mich der Mangel dazu trieb, aus den Spitzen meines Halstuchs noch zwo Hauben zu machen, ſo hat ſie auch dieſe Kunſt gelernet; Vom uͤbrigen gebe ich ihr Unterricht bey der Arbeit. Das Maͤdchen iſt ſo geſchickt zum faſſen und urtheilen, daß ich oft daruͤber er - ſtaune. Dieſe ſoll mir den Weg zur Freyheit bahnen; denn durch ſie hoffe ichder227der Lady Douglaß bekannt zu werden. O Schickſal, laß mir dieſe Hoffnung!

Jch will meiner Emilia noch ein Ne - benſtuͤck meines quaͤlenden Schickſals er - zaͤhlen. Sie wiſſen, wie reinlich ich im - mer in Waͤſche war, und hier zog ich mich, ich weiß nicht wie lang, gar nicht aus; endlich kam mit meiner Ueberlegung das Misvergnuͤger uͤber den Kleiderman - gel, und beym Nachdenken war ich ſehr froh, daß ich bey meiner Entfuͤh - rung ein ganz weißes leinen Kleid an hatte, welches ich gleich auszog, und der modiſchen Ueppigkeit fuͤr die vielen Falten dankte, die ſie darinn gemacht hatte; denn ich konnte fuͤglich drey Hemden dar - aus ſchneiden, und ein kurz Kleid dane - ben behalten; meine Schuͤrze machte ich zu Halstuͤchern, und aus dem erſten Rock Schuͤrzen, ſo daß ich mit ein wenig leich - ter Lauge meine Kleidung recht reinlich halten kann, und abzuwechſeln weiß. Jch plaͤtte ſie mit einem warmen Stein. P 2Die228Die kleine Lidy hab ich auch naͤhen ge - lernt, und ſie macht recht artige Stiche in meinem Tapetengrund. Meine Wir - the ſaͤubern ihre Wohnung mir zu Lieb alle Tage ſehr ordentlich, und mein ge - kochtes Haberbrodt faͤngt an mir wohl zu bekommen. Die Beduͤrfniſſe der Natur ſind klein, meine Emilia; ich ſtehe ſatt von dem magern Tiſche auf, und meine Wirthe hoͤren mich mit Erſtaunen von den uͤbrigen Theilen der Welt erzaͤhlen. Jch habe die Bildniſſe meiner Aeltern noch; ich wieß ſie den Leuten, und er - zaͤhlte ihnen von meiner Erziehung und ehemaligen Lebensart, was ſie faſſen konn - ten, und ihnen gut war. Ungekuͤnſtelte mitleidige Zaͤhren traͤufelten aus ihren Augen, da ich von meinem genoſſenen Gluͤcke ſprach, und ihnen die Geduld er - klaͤrte, die wirklich in meinem Herzen iſt. Jch rede wenig von Jhnen, meine Liebe! Jch bin nicht ſtark genug, oft an Jhren Verluſt zu denken, an Jhren Kummer um mich zu denken. Koͤnnte ich durch mein Leiden nur Jhres, um mich, und meinerguͤti -229guͤtigen Lady ihres, loskaufen, ich wollte mich bemuͤhen nicht mehr zu ſagen, daß ich leide; aber das Schickſal wußte, was mich am meiſten quaͤlen wuͤrde; es wuß - te, daß mich meine Unſchuld und meine Grundſaͤtze troͤſten und beruhigen wuͤrden, es wußte, daß ich Armuth und Mangel ertragen lernen wuͤrde; daher gab es mir das Gefuͤhl von dem Weh meiner Freun - de, ein Gefuͤhl, deſſen Wunde unheilbar iſt, weil es ein Vergehen waͤre, wenn ich mich davon loszumachen ſuchte. Wie gluͤcklich machte mich dieſes Gefuͤhl ehemals, da ich im Beſitz meiner Guͤter jeden belauſchten Wunſch meiner Freunde befriedigen, und jeden bemerkten Schmer - zen lindern konnte. Zwey Jahre ſind es, daß ich glaͤnzend unter den ſchimmernden Haufen trat, und Ausſichten von Gluͤck vor mir hatte, mich geliebt ſah, und waͤhlen oder verwerfen konnte. O mein Herz, warum huͤteteſt du dich ſo lange vor dieſer Erinnerung! Niemals mehr getrauteſt du dir den Namen Seymour zu denken, nun fragſt du,P 3was230was wuͤrde er ſagen? und weinſt uͤber ſeine Vergeſſenheit! O! nimm dieſen Theil weg, laß ihn immer in mein Ge - daͤchtniß kommen; ſein Herz kannte das meine fuͤr ihn niemals, und nun iſt es zu ſpaͤt! Mein Papier, ach Emi - lia, mein Papier geht zu Ende; ich darf nun nicht mehr viel ſchreiben; der Win - ter iſt lange; ich will den Ueberreſt auf Erzaͤhlung meiner noch dunklen Hoffnun - gen erhalten. O mein Kind! einige Bo - gen Papier waren mein Gluͤck, und ich darf es nicht mehr genießen! Jch will Cannevas ſparen und Buchſtaben hinein naͤhen.

Jm Aprill.

O Zeit, wohlthaͤtigſtes unter allen We - ſen, wie viel Gutes hab ich dir zu danken! du fuͤhrteſt allmaͤhlig die tiefen Eindruͤcke meiner Leiden und verlornen Gluͤckſelig - keit von mir weg, und ſtellteſt ſie in den Nebel der Entfernung, waͤhrend du eine liebreiche Heiterkeit auf die Gegenſtaͤndeverbrei -231verbreiteteſt, die mich umgeben. Die Er - fahrung, welche du an der Hand fuͤhreſt, lehrte mich die uͤbende Weisheit und Ge - duld kennen. Jede Stunde, da ich mit ihnen vertrauter wurde, verminderte die Bitterkeit meines Grams. Du, alle Wunden des Gemuͤths heilende Zeit, wirſt auch den Balſam der Beruhigung in die Seele meiner wenigen Freunde gießen, und ſie in Umſtaͤnde ſetzen, worinn ſie die frohen Ausſichten ihres Geſchickes ohne den vergaͤllenden Kummer um mich ge - nießen koͤnnen. Du haſt die Troſtgruͤn - de der Guͤte meines Schoͤpfers, die das geringſte Erdwuͤrmchen unter den Schutz kleiner Sandkoͤrner begleitet, wieder in meine Seele gerufen; du haſt mich ſie in dieſen rauhen Gebuͤrgen finden laſſen, den Gebrauch meiner Kenntniſſe in mir er - neuert, und die im Schooße des Gluͤckes ſchlafenden Tugenden erweckt und ge - ſchaͤfftig gemacht. Hier, wo die phyſica - liſche Welt wenige Gaben ſparſam un - ter ihre traurigen Bewohner austheilt, hier habe ich den moraliſchen ReichthumP 4von232von Tugenden und Kenntniſſen in der Huͤtte meiner Wirthe verbreitet, und mit ihnen genieße und koſte ich ihre Suͤßig - keit. Von allem, was den Namen von Gluͤck, Anſehen und Gewalt fuͤhrt, voͤl - lig entbloͤßt, mein Leben den Haͤnden die - ſer Fremdlinge anvertraut, wurde ich ihre moraliſche Wohlthaͤterinn, indem ich ihre Liebe zu Gott erweiterte, ihren Verſtand erleuchtete, und ihre Herzen beruhigte, da ich durch Erzaͤhlungen von andern Welt - theilen und von den Schickſalen ihrer Einwohner in den Erholungsſtunden mei - ner armen Wirthe Vergnuͤgen um ſie hergoß. Jch habe die traurigen un - ſchuldsvollen Tage einer doppelt ungluͤck - lichen Waiſe durch Liebe, Sorge und Un - terricht mit Blumen beſtrent; von dem Genuſſe alles deſſen, was die Menſchen als Wohlſeyn betrachten, entfernt, ge - nieße ich die wahren Geſchenke des Him - mels, die Freude wohlzuthun und die Ruhe des Gemuͤths, als Fruͤchte der wahren Menſchenliebe und erfahrner Tugend. Reine Freude, wahre Guͤ -ter!233ter! ihr werdet mich in die Ewigkeit be - gleiten, und fuͤr euren Beſitz wird meine Seele das erſte Danklied anſtimmen.

Zu Ende des Brachmonats.

Emilia, haben Sie ſich jemals in den Platz eines Menſchen ſtellen koͤnnen, der in einem elenden Kahn auf der ſtuͤrmen - den See aͤngſtlich ſein Leben fuͤhlt, und mit zitternder Hoffnung hin und her um An - ſchein der Hoffnung ſieht? Lange floßen ihn die Wellen herum, und laſſen ihn Ver - zweiflung fuͤhlen; endlich erblickt er eine Jnſel, die er zu erreichen hofft, mit gefal - tenen Haͤnden ruft er: O Gott, ich ſehe Land! Jch, mein Kind, ich fuͤhle alles dieſes; ich ſehe Land. Der Graf von Hopton iſt in ſeinem Haus auf dem Gebuͤrge, und Lady Douglaß, ſeine Schweſter, hat die Tochter meiner Wir - thinn zu ſich genommen. Sie gieng mit ihrem Bruder und einer Tapete zur Lady, ihre Dienſte anzubieten. Voller Ver -P 5wunde -234wunderung uͤber ihre Arbeit und ihre Ant - worten, hat die Lady gefragt, wer ſie unterrichtet haͤtte, und das dankbare Herz des guten Maͤdchens erzaͤhlte ihr von mir was ſie wußte und empfand. Die edle Dame wurde bis zu Thraͤnen ge - ruͤhrt; ſie verſprach dem Maͤdchen ſogleich ſie zu nehmen, ließ den jungen Leuten zu Eſſen geben, und ſchickte den Sohn al - lein nach Hauſe mit zwo Guineen fuͤr ſei - ne Aeltern und dem Verſprechen: ſie woll - te vor ihrer Abreiſe noch ſelbſt zu ihnen kommen. Mich ließ ſie beſonders gruͤ - ßen und fuͤr meine Muͤhe mit ihrem Maͤdchen ſegnen. Jch habe ſie um Pa - pier, Feder und Dinte bitten laſſen; ich will mich dieſer Gelegenheit bedienen, um an meine Lady Summers zu ſchreiben; aber ich will der Lady Douglaß den Brief offen geben, um ihr meine Aufrichtigkeit zu zeigen. Jch wuͤrde ſtrafbar ſeyn, wenn ich nicht alle Gelegenheit an - wendete, um meine Freyheit zu erlangen, da ſich edle Mittel dazu anbieten. Jch will auch den Lord Hopton um ſeineGnade235Gnade fuͤr meine armen Wirthe bitten; die guten Leute wiſſen ſich vor Freude uͤber die Verſorgung ihrer Tochter und uͤber das Geld, ſo ſie bekommen haben, nicht zu faſſen; ſie liebkoſen und ſegnen mich wechſelsweiſe. Meine Waiſe laſſe ich nicht zuruͤck; das Kind wuͤrde nun, da ich ſie an gutes Bezeigen gewoͤhnt habe, durch den Verluſt doppelt ungluͤcklich ſeyn, und alle meine Tage wuͤrden durch ihr Anden - ken beunruhiget, wenn ich zum Gluͤcke zuruͤckkehrte, und ſie dem offenbaren Elend zum Raube ließe.

O! Meine Freundinn, es war Vor - bedeutung, die mich in meinem letzten Blatte das Gleichniß eines auf der toben - den See irrenden Kahns finden ließ; ich war beſtimmt die hoͤchſten Schmerzen der Seele zu fuͤhlen, und dann in dem Augenblick der Hoffnung zu ſterben. Die unausſprechliche Bosheit meines Verfolgers reißt mich dahin, wie eine ſchaͤumende Welle Kahn und Menſchen inden236den Abgrund reißt. Dieſe Gewalt wurde ihm gelaſſen, und mir alle Huͤlfsmittel entzogen; bald wird ein einſames Grab meine Klagen endigen, und meiner Seele die Endzwecke zeigen, warum ich dieſes grauſame Verhaͤniß erdulden mußte. Jch bin ruhig, ich bin zufrieden; mein letzter Tag wird der freudigſte ſeyn, den ich ſelt zwey Jahren hatte. Jhnen, meine bis in den letzten Augenblick zaͤrt - lich geliebte Freundinn, wird die Lady Summers mein Paquet Papiere ſchicken, und Jhr Herz bey dem Gedanken, daß alles mein Leiden ſich in einer ſeligen Ewigkeit verloren hat, beruhiget wer - den. Meine letzten Kraͤfte ſind Jhnen ge - widmet. Sie waren die Zeuginn meines gluͤcklichen Lebens; Sie ſollen auch, ſo viel ich es thun kann, von dem Ende mei - ner truͤbſeligen Tage wiſſen.

Jch war voller Hoffnungen und mit froͤhlichen Ausſichten umgeben, als der vertrauteſte Boͤſewicht des Derby an - langte, um mir den verhaßten Vorſchlag zu thun; ich ſollte mich zu dem Lord nach237 nach London begeben; er liebe ſeine Ge - mahlinn nicht, waͤre auch ſelbſt kraͤnk - lich geworden, und halte ſich meiſtens auf einem Landhauſe zu Windfor auf, wo ihm mein Umgang ſehr angenehm ſeyn wuͤrde. Er ſelbſt ſchrieb in einem Billet: wenn ich freywillig kommen woll - te und ihn lieben wuͤrde, ſo denke er, ſich von Lady Alton ſcheiden zu laſſen, und unſere Henrath zu beſtaͤtigen, wie es die Geſetze und in eine Verdienſte erforderten; aber wenn ich aus einer meiner ehemali - gen Wunderlichkeiten dieſen Vorſchlag verwaͤrfe, ſo moͤchte ich mir mein Schick - ſal gefallen laſſen, wie er es fuͤr gut fin - den wuͤrde. Dieß mußte ich anhoͤ - ren, denn leſen wollte ich das Billet nicht; das Aergſte von dieſer unertraͤgli - chen Beleidigung war, daß ich den unſe - ligen Kerl ſehen mußte, durch deſſen Hand meine falſche Verbindung geſchehen war. Auf das aͤußerſte betruͤbt und erbittert ver - warf ich alle dieſe unwuͤrdigen Vorſchlaͤge, und der Barbar raͤchte ſeinen Herrn, indem er mich nach der zweyten foͤrmlichen Abſagemit238mit der heftigſten Bosheit beym Arm und um den Leib packte, zum Hauſe hinaus gegen den alten Thurm hinſchleppte, und mit Wuͤthen und Fluchen zu einer Thuͤre hinein ſtieß, mit dem Ausdruck, daß ich da crepiren moͤchte, damit ſein Herr und Er einmal meiner los wuͤrden. Mein Straͤuben und die entſetzliche Angſt ſo ich hatte, ich moͤchte mit Gewalt nach Lon - don gefuͤhrt werden, hatte mich abge - mattet, und halb von Sinnen gebracht; ich fiel nach meiner ganzen Laͤnge in das mit Schutt und Moraſt angefuͤllte Ge - woͤlbe, wo ich auf den Steinen meine linke Hand und das halbe Geſicht beſchaͤ - digte, und heftig aus der Naſe und Mund blutete. Jch weiß nicht, wie lang ich ohne Bewußtſeyn da lag; als ich mich wieder fuͤhlte, war ich ganz entkraͤftet und voll Schmerzen; die faule duͤnſtige Luft, die ich athmete, beklemmte in kurzer Zeit meine Bruſt ſo ſehr, daß ich an dem letz - ten Augenblicke meines Lebens zu ſeyn glaubte. Jch ſah nichts, aber ich fuͤhlte mit der einen Hand, daß der Boden ſtarkabhaͤn -239abhaͤngig war, und beſorgte daher bey der geringſten Bewegung gar in einen Keller zu fallen, wo ich nicht ohne Ver - zweiflung meinen Geiſt aufgegeben haͤtte. Mein Jammer und die Empfindungen, die ich davon hatte, iſt nicht zu beſchreiben; die ganze Nacht lag ich da; es regnete ſtark; das Waſſer floß unter der Thuͤre herein auf mich zu, ſo daß ich ganz naß und ſtarr wurde, und von meinem Un - gluͤck gaͤnzlich darnieder geſchlagen, mir den Tod wuͤnſchte. Jch bekam, wie mich daͤucht, innerliche Zuͤckungen. So viel weiß ich noch; als ich mich wieder beſinnen konnte, war ich auf meinem Bette, um welches meine armen furcht - ſamen Wirthe ſtunden, und wehklagten. Meine Waiſe hatte meine Hand und aͤchzte aͤngſtlich; ich fuͤhlte mich ſehr uͤbel, und bat die Leute, mir den Geiſtlichen des Grafen von Hopton zu holen, weil ich ſterben wuͤrde. Mit aufgehobenen Haͤnden bat ich ſie; der Sohn gieng fort, und die Aeltern erzaͤhlten mir, daß ſie mir nicht haͤtten helfen duͤrfen, bis SirJohn240John (wie ſie ihn nannten) abgereiſet ge - weſen waͤre. Schreckliches Loos der Ar - muth, daß ſie ſelten Herz genug hat, ſich der Gewalt des reichen Laſters entgegen zu ſetzen! Der Regen hatte den Boͤſe - wicht aufgehalten, doch, ſagen ſie, ſey er noch an die Thuͤre des Thurns gegan - gen, haͤtte ſie aufgemacht und gehorcht, den Kopf verdrießlich in die Hoͤhe gewor - fen, und ohne die Thuͤre zuzuſchließen, oder ihnen noch etwas zu ſagen, waͤre er davon gegangen. Sie haͤtten aus Furcht vor ihm noch eine Stunde gewartet, und waͤren dann mit einem Licht zu mir ge - kommen, da ſie mich denn fuͤr todt ange - ſehen und heraus getragen haͤtten. Der Geiſtliche kam, und die Lady Douglaß mir ihm; beyde betrachteten mich aufmerk - ſam und mitleidend. Jch reichte der La - dy meine Hand, der ſie die ihrige mit Guͤte entgegen gab. Edle Lady, ſagte ich mit thraͤnenden Augen, Gott wird dieſe menſchenfreundliche Bemuͤhung um mich, an Jhrer Seele belohnen; glauben Sie nur auch, daß ich es wuͤrdig bin. Jch241Jch bemerkte, daß ihre Augen auf meine Hand und das Bildniß meiner Mutter geheftet waren; da ſagte ich ihr, es iſt meine Mutter, eine Enkelin von Lord David Watſon und hier, indem ich die andere Hand erhob, iſt mein Vater, ein wuͤrdiger Edelmann in Deutſchland; ſchon lange ſind beyde in der Ewigkeit, und bald, bald hoffe ich, bey ihnen zu ſeyn, ſetzte ich mit gefalteten Haͤnden hinzu. Die Dame weinte, und ſagte dem Geiſtlichen, er ſollte meinen Puls fuͤhlen; er thats, und verſicherte, daß ich ſehr uͤbel waͤre. Mit liebreichem Eifer ſah ſie um ſich, und fragte, ob ich nicht weggebracht werden koͤnnte. Nicht ohne Lebensgefahr, ſagte der Geiſtli - che ach das iſt mir leid, ſprach die liebe Dame, indem ſie mir die Hand druͤckte. Sie gieng hinaus, und der Geiſtliche fieng an mit mir zu reden; ich ſagte ihm kurz, daß ich aus einer edlen Familie ſtammte, und durch den ſchaͤnd - lichen Betrug einer falſchen Heurath aus meinem Vaterlande geriſſen worden ſey;II Theil. QMyladi242Myladi Summers, unter deren Schutz ich geſtanden, koͤnnte Jhnen Zeugniſſe von mir geben. Jch hieß ihn zugleich die Papiere nehmen, welche ich an ſie ge - ſchrieben hatte, und die hinter einem Bette lagen. Jch ſetzte ſelbſt ohne ſein Fragen ein Bekaͤnntniß meiner Grundſaͤtze hinzu, und bat ihn, ſich mit ihrem Mann in Briefwechſel einzulaſſen. Die Dame klopfte an, und kam, mit Maria, der Tochter meiner Wirthe, die eine Schachtel trug, zu meinem Bette. Sie hatte allerley Labſale und Arzneyen dar - inn, wovon ſie mir gab. Die kleine Lidy kam auch herein, und warf ſich bey meinem Bette auf die Knie. Die Dame betrachtete das Maͤdchen und mich mit zunehmender Traurigkeit. Endlich nahm ſie Abſchied, ließ die Maria bey mir, und der Geiſtliche verſprach, den Morgen wieder da zu ſeyn. Aber er kam den ganzen Tag nicht; doch wurde zweymal nach mir gefragt. Jch war dieſen Mor - gen beſſer als ich geſtern geweſen war; daher ſchrieb ich Jhnen. Nun iſts baldſechs243ſechs Uhr Abends, und ich werde zu - ſehends ſchlechter; meine zitternde unglei - che Schrift wird es Jhnen zeigen. Wer weis, was heute Nacht aus mir wird; ich danke Gott, daß ich ſterblich bin, und daß mein Herz mit dem Jhrigen noch reden konnte. Jch bin ganz gefaßt, und dem Augenblicke nah, wo Gluͤck und Elend gleichguͤltig iſt.

Nachts um neun Uhr.

Das letztemal, meine Emilia, habe ich meine ſchwachen entkraͤfteten Arme nach der Gegend ausgeſtreckt, wo ſie wohnen. Gott ſegne Sie, und belohne Jhre Tu - gend und Jhre Freundſchaft gegen mich! Sie werden ein Papier bekommen, das Jhr Mann meinem Oncle dem Grafen G. ſelbſt uͤbergeben ſoll. Es betrifft meine Guͤter.

Alles, was von der Familie von P. da iſt, ſoll des Grafen Loͤbaus Soͤhnen gegeben werden. Jhr Schwager, der Amtmann, hat das Verzeichniß davon.

Q 2Was244

Was ich von meinem geliebten Vater habe, davon ſoll die Haͤlfte zu Erziehung armer Kinder gewidmet ſeyn. Einen Theil der andern Haͤlfte gebe ich Jhren Kindern und meiner Freundinn Roſina. Von dem andern Theil ſoll meinen armen hieſigen Hauswirthen tauſend Thaler, und der ungluͤcklichen Lidy auch ſo viel gegeben, von dem Ueberreſt aber, mir zu den Fuͤſſen der Grabmaͤler meiner Aeltern, ein Grabſtein errichtet werden, mit der ſimplen Aufſchrift:

  • Zum Andenken ihrer nicht unwuͤrdigen Tochter, Sophia von Sternheim

Jch will hier unter dem Baume begra - ben werden, an deſſen Fuß ich dieſes Fruͤhjahr oft gekniet, und Gott um Ge - duld angeflehet habe. Hier, wo mein Geiſt gemartert wurde, ſoll mein Leib verweſen. Es iſt auch muͤtterliche Erde, die mich decken wird; bis ich einſt in verklaͤrter Geſtalt unter den Reihen der Tugendhaften treten, und auch Sie, meine Emilia, wiederſehen werde. Retteindeſ -245indeſſen, o meine Freundinn, rette mein Andenken von der Schmach des Laſters! Sage: daß ich der Tugend getreu, aber ungluͤcklich, in den Armen des bitterſten Kummers, meine Seele voll kindlichen Vertrauens auf Gott, und voll Liebe gegen meine Mitgeſchoͤpfe ihrem Schoͤpfer zuruͤckgegeben, daß ich zaͤrtlich meine Freunde geſegnet, und aufrichtig meinen Feinden vergeben habe. Pflanzen Sie, meine Liebe, in Jhrem Garten eine Cy - preſſe, um die ein einſamer Roſenſtock ſich winde, an einem nahen Felsſtein. Weyhen Sie dieſen Platz meinem Anden - ken; gehen Sie manchmal hin; vielleicht wird es mir erlaubt ſeyn, um Sie zu ſchweben, und die zaͤrtliche Thraͤne zu ſehen, mit der Sie die abfallende Bluͤthe der Roſe betrachten werden. Sie haben auch mich bluͤhen und welken geſehen; nur das letzte Neigen meines Hauptes und den letzten Seufzer meiner Bruſt entzog das Schickſal Jhrem Blick. Es iſt gut, meine Emilia; du wuͤrdeſt zu viel leiden, wenn du mich ſehen koͤnn -Q 3teſt.246teſt. Der Grund meiner Seele iſt lauter Ruhe; ich werde ſanft einſchlafen, denn das Verhaͤngniß hat mich muͤde, ſehr muͤde gemacht. Lebe wohl, beſte freundſchaftliche Seele; laß deine Thraͤ - nen um mich ruhig ſeyn, wie die, die um dich in meinen truͤben Augen ſchwim - men.

Lord Seymour an Doctor T.

O Gott, warum hindert Jhre Krank - heit Sie, mich auf zween Tage zu ſehen! Jch bin dem Unſinn und der Wuth ganz nahe. Mein Bruder Rich, den Sie noch aus dem Hauſe des erſten Gemahls meiner Mutter kennen, iſt mit aller ſei - ner ſtoiſchen Philoſophie, durch eben den Streich zur Erde gedruͤckt. Jn zween Tagen reiſen wir in die ſchottiſchen Bley - gebuͤrge, um o toͤdtender Gedanke! um das Grab des ermordeten Fraͤuleins von Sternheim aufzuſuchen, und ihren Koͤrper in Dumfries praͤchtig beerdigenzu247zu laſſen. Wie konnteſt du, ewige Vorſicht, wie konnteſt du dem verruch - teſten Boͤſewicht das Beſte, ſo du jemals der Erde gabſt, Preis geben? Meine Leute machen Anſtalten zu unſerer Reiſe; ich kann nichts thun; ich ringe meine Haͤnde wie ein tobender Menſch, und ſchlage ſie tauſendmal wider meine Bruſt und meinen Kopf. Derby, der Elende! hat die Frechheit zu ſagen, um meinet Willen, aus Eiferſucht uͤber mich habe er das edelſte, liebenswuͤrdige Geſchoͤpfe betrogen, ungluͤcklich gemacht, und ge - toͤdtet. Er beheult es nun, der wuͤthen - de Hund, er beheult es. Seine Ruchlo - ſigkeit hat ihn an den Rand des fruͤhen Grabes gefuͤhrt, vor welchem er zittert, und das ihn vor der Rache ſchuͤtzt, die ich an ihm ausuͤben wuͤrde. Hoͤren Sie, mein Freund, hoͤren Sie das Fuͤrchter - lichſte, ſo jemals der Tugend begegnete, und das Aergſte, ſo jemals die Bos - heit ausuͤben konnte. Sie wiſſen, daß ich vor vier Monaten krank mit My - lord Crafton nach England zuruͤck kam,Q 4und248und gleich zu meiner Frau Mutter nach Seymour-Houſe gieng, dem Uebel mei - nes Koͤrpers und meiner Seele nachzu - haͤngen. Jch fragte endlich nach Derby, itzo Lord N., man ſagte mir, daß er auf ſeinem Landhauſe zu Windſor krank liege. Jch wollte ſeine und meine Geneſung abwarten; aber etliche Tage nach meiner Frage um ihn, ließ er mich zu ſich bit - ten. Jch war nicht wohl, und ſchlug es ab. Einige Tage hernach reiſete ich zu meinem Bruder Rich, den ich freund - ſchaftlich eben ſo finſter fand als ich es ſelbſt war. Die bruͤderliche Vertraulich - keit wurde ohnehin ſchon durch die funf - zehn Jahre gehindert, die er aͤlter iſt als ich, und ſeine trockne Stille munterte mich nicht auf, eine Erleichterung bey ihm zu ſuchen. Wir brachten vierzehn Tage hin, ohne von was anders als unſern Reiſen, und auch dieſes nur abgebrochen, zu reden; bis wir endlich in einer Mi - nute zur offenherzigen Sprache kamen, da ein Kammerdiener von Lord N. einen Brief an mich brachte, worinn er michbat,249bat, mit Lord Rich zu ihm zu kommen, in einer Sache, welche des Fraͤulein Sternheim betraͤfe; ich ſollte dem Lord Rich nur ſagen, daß es die Dame waͤre, welche Er bey Lady Summers geſehen, und welche von da entfuͤhrt worden ſey. Jch fuhr wie aus einem ſchreckenden Traume auf, und ſchrie nur dem Kerl zu, ich wuͤrde kommen. Meinen Bruder packte ich beym Arme, und fragte ihn auf eine haſtige Art nach der jungen Dame, die er in Summerhall geſehen. Mit Be - wegung fragte er: ob ich ſie kenne, und was ich von ihr wiſſe? Jch zeigte ihm das Billet, und erzaͤhlte ihm kurz von allem, was das ewig theure geliebte Fraͤulein angieng; Eben ſo kurz, ſo un - terbrochen, erzaͤhlte er, wie er ſie geſe - hen und geliebt haͤtte; gieng, mir ein Bildniß von ihr zu holen, und konnte mir nicht genug von ihrem Geiſte, von ihren edlen Geſinnungen, von der Trau - rigkeit, womit ſie beladen geweſen, ſagen, beſonders zur Zeit da Derbys Heurath mit Lady Alton bekannt worden. WirQ 5waren250waren bald entſchloſſen, abzureiſen, und kamen in Windſor an; Lord Rich tiefſin - nig aber geſetzt; ich voll Unruh, voller Vorſaͤtze und Entſchluͤſſe. Schauer und Hitze eines wuͤthenden Fiebers befielen mich beym Eintritt in Derbys Haus. Mein Haß gegen ihn war ſo aufge - bracht, daß ich ſeines elenden Anſehens und der ſichtbaren Schwachheit, die ihn im Bette hielt, nicht achtete. Mit ſtum - mer Feindſeligkeit ſah ich ihn an; er hef - tete ſeine erſtorbenen Augen mit einem fiehenden Blick auf mich, und ſtreckte ſeine abgezehrte rothbrennende Hand ge - gen mich. Seymour, ſagte er, ich kenne dich; aller Haß deines Herzens liegt auf mir; aber du weiſt nicht, wie viel wuͤthende Scenen in dieſer Bruſt wegen dir entſtanden ſind. Jch hatte ihm meine Hand nicht gegeben, und ſagte mit Widerwillen und trotzigem Kopfſchuͤt - teln: Jch weis keinen Anlaß dazu als die Ungleichheit unſrer Grundſaͤtze. Derby antwortete: Seymour! dieſen Ton haͤt - teſt du nicht wenn ich geſund waͤre, undder251der Stolz, mit dem du von deinen Grundſaͤtzen ſprichſt, iſt ein eben ſo gro - ßes Vergehen, als der Misbrauch, den ich von meinen Talenten machte. Lord Rich fiel ein: daß von allem dieſen die Frage nicht ſeyn koͤnnte, und daß Lord Derby nur Nachricht von der entfuͤhrten Dame geben moͤchte. Ja, Lord Rich, Sie ſollen ſie haben, ſagte er; es liegt mehr Menſchlichkeit in Jhrer Kaͤlte, als in Seymours kochender Empfindlichkeit. Er mag Jhnen ſagen, was in der erſten Zeit unſerer Bekanntſchaft mit dem Fraͤu - lein von Sternheim vorgieng. Wir lieb - ten ſie beyde zum Unſinn; aber ich be - merkte zuerſt ihren vorzuͤglichen Hang fuͤr ihn, und wandte alles an, ihn zu zerſtoͤren. Durch Verſtellung und Raͤnke gelung es mir, ſie unter der Verfolgung des Fuͤrſten und der dummen Bedenklich - keit des Seymours, durch eine falſche Vermaͤhlung in meine Gewalt zu bekom - men. Aber mein Vergnuͤgen dauerte nicht lange; ihr zu ernſthafter Charakter ermuͤdete mich, und ihre geheime Neigunggegen252gegen Seymour regte ſich, ſo bald nur meine Gedanken im geringſten von den ihrigen entfernet waren. Die Eiferſucht machte mich rachgierig, und die Veraͤn - derung meiner Umſtaͤnde, durch den Tod meines Bruders, gab mir Anlaß ſie aus - zuuͤben. Jch verließ ſie; doch reute es mich wenige Tage hernach, und ich ſchickte nach dem Dorfe, wo ſie ſich auf - gehalten hatte, aber ſie war fort. Lange wußte ich nichts von ihr, bis ich ſie in England bey der Tante meiner Lady fand, wo ich ſie nicht laſſen konnte, und ent - fuͤhren ließ. Es jammerte mich ihrer ſchon damals, aber es war kein anders Mittel. Mein Misvergnuͤgen mit der Lady Alton brachte die Sternheim in meine Erinnerung zuruͤck. Jch dachte: ſie iſt mein, und um von dem elenden Leben im Gebuͤrge loszukommen, wird ſie gern in meine Arme eilen. Jch dachte es um ſo mehr, als ich wußte, daß ſie mein, von der Nancy Hatton zu - ruͤckgelaſſenes Maͤdchen liebreich beſorg - te und erzog; ich ſchrieb es einer ArtNei -253Neigung zu, und ſchickte ihr darauf mit angenehmen Vorſchlaͤgen meinen vertrau - ten Kerl ab; aber ſie verwarf alles mit aͤu - ßerſtem Stolz und Bitterkeit. Hier hielt er mit Stocken und Bewegung inne, ſah bald mich, bald den Lord Rich an, bis ich mit ſtampfenden Fuͤßen und mit Schreyen den Verfolg ſeiner Erzaͤhlung foderte. Seymour! Rich! ſagte er mit tiefem traurigen Ton, mit ringenden Haͤn - den und ſtotternd, o waͤre ich elender ſelbſt hin, und haͤtte ihre Vergebung und Liebe erflehet; Mein Kerl, der Hund wollte ſie zwingen zuruͤck zu gehen. Er wußte, wie gluͤcklich mich ihre Geſell - ſchaft gemacht haͤtte er ſperrete ſie in ein altes verfallenes Gewoͤlbe, worinn ſie zwoͤlf Stunden lag, und aus Kummer ſtarb. Sie ſtarb ſchrie ich, Teufel! Unmenſch! und du lebſt noch nach dieſem Mord? Du lebſt noch? Lord Rich ſagt, ich haͤtte die Stimme und das Anſehen der Raſeren gehabt. Er fiel mir in die Arme, und riß mich weg in ein anderes Zimmer,lange254lange brauchte er, mich zu beſaͤnftigen und zu dem Verſprechen zu bringen, daß ich nicht reden wollte. Er ſagte: Derby liegt auf der Folter der Reue und der Erinnerung unwiederbringlicher uͤbel ver - wendeter Lebenstage, wilt du deine Hand an den Gegenſtand des goͤttlichen Ge - richts legen? Glaube, mein Bruder, aber unſer Schmerz iſt ſuͤß gegen die Pein ſei - ner Seele. Mein Herz blutet uͤber das ungluͤckliche Schickſal der Sternheim; aber die Tugend und die Natur raͤchet ſie an ihrem Verfolger; laß mich ihn, ich bitte dich, noch fragen, was er von uns gewollt hat; uͤberwinde dich, ſey groß - muͤthig, ſey auch gegen das ungluͤckliche Laſter mitleidig! Jch verſprachs ihm, wollte aber bey der Unterredung zugegen ſeyn. Der elende Menſch heulte, da wir wieder zu ihm kamen, und foderte, daß wir nach Schottland reiſen, den Koͤr - per des Engels ausgraben laſſen, und ihn in einem zinnernen Sarg zu Dumfries beyſetzen laſſen ſollten. Zwey tauſend Guineen will er auf ihr Grabmal verwen -den,255den, worauf die Beſchreibung ihrer Tu - genden und ihres Ungluͤcks neben den Merkmalen ſeiner ewigen Reue aufgezeich - net werden ſoll. Er bat uns, nach D. Be - richt davon zu geben; uͤbergab uns alle Briefe, die er uͤber ſie an ſeinen Freund B. geſchrieben hatte, und flehte uns, ihm zu ſchwoͤren, daß wir unverzuͤglich abreiſen wollten, damit er noch den Troſt erleben moͤchte, daß dem Andenken der edelſten Seele eine oͤffentliche Ehrenbezeu - gung wiederfahren ſey. Lord Rich redete ihm hierauf wenige pathetiſche Worte zu, und ich bezwang meinen mit der Wuth kaͤmpfenden Kummer; wir rei - ſten ſogleich ab; Morgen gehen mir nach Dumfries. Was fuͤr eine Reiſe! o Gott, was fuͤr eine Reiſe!

Lord256

Lord Rich aus den Bleygebuͤrgen an Doctor T.

Jch glaube, Sie kennen mich nicht mehr, aber die ſtarke Seite meiner Seele iſt mit der Jhrigen verwandt, und Sey - mour iſt mein Bruder. Von dieſem und von dem Gegenſtand ſeiner Schmerzen ſoll ich ihnen reden. Wir kamen heute Abend hier an; unſere Reiſe war traurig, und jeder naͤhernde Schritt zu dieſer Ge - gend beklemmte unſer Herz. Die ganze Erde hat keinen Winkel mehr, der ſo elend, ſo rauh ſeyn kann, wie der Zirkel um dieſe Huͤtte. Mit Grauſamkeit hat das Schickſal in dieſer Landſchaft dem Boshaf - teſten unter allen Menſchen die Hand ge - boten, die empfindſamſte Seele zu martern. Wenn ich an die edle kindliche Bewe - gung ihres Herzens denke, die ſie bey den Schoͤnheiten der Natur gegen ihren Schoͤpfer zeigte, ſo fuͤhle ich das Maaß des Leidens, ſo dieſe unfruchtbare Steine fuͤr ſie enthielten; und die Huͤtte,worinn257worinn ſie eine ſo lange Zeit wohnte, ihre arme Lagerſtaͤtte, wo ſie den edelſten Geiſt aushauchte, der jemals eine weib - liche Bruſt belebte. O Doctor! ſelbſt Jhr theologiſcher Geiſt wuͤrde, wie mein philoſophiſcher Muth, in Thraͤnen aus - gebrochen ſeyn, wenn Sie dieſes, wenn Sie den Sandhuͤgel geſehen haͤtten, der an dem Fuße eines einſamen magern Baums die Ueberbleibſel des liebenswuͤr - digſten Frauenzimmers bedeckt. Der arme Lord Seymour ſank darauf hin, und wuͤnſchte ſeine Seele da auszuweinen und neben ihr begraben zu werden; ich mußte ihn mit unſern zween Leuten davon wegziehen. Jm Hauſe wollt er ſich auf ihr Sterbebette werfen; ich ließ es aber wegnehmen, und fuͤhrte ihn auf den Platz, wo die Leute ſagen, daß ſie mei - ſtens geſeſſen waͤre; da liegt er ſeit zwo Stunden, unbeweglich auf ſeine Arme geſtuͤtzt, ſieht und hoͤrt nichts. Die Leute ſcheinen mir keine guten Leute zu ſeyn; ich fuͤrchte, ſie haben ihre Haͤnde auch zu dem Einkerkern geboten. SieII Theil. Rſehen258ſehen ſcheu aus; ſie beredeten ſich ſchon etlichemal vor der Huͤtte allein, haben auf meine Fragen nach der Dame, kurz und verwirrt geantwortet, und waren ſehr betroffen, wie ich ſagte, das Grab muͤßte Morgen geoͤffnet werden. Jch zittre ſelbſt davor; ich befuͤrchte Merk - male eines gewaltſamen Todes zu finden. Was wuͤrde da aus meinem Bruder wer - den? Jch ſage nichts von mir ſelbſt; ich verberge meinen Jammer um Seymours ſeinen nicht zu vergroͤßern, aber gewiß hat die Angſt des Untergangs in einem Sturm, und die Quaal eines lechzenden Durſtes in den ſandigten Gegenden von Aſien, meine Seele nicht ſo heftig angegriffen, als der Gedanke an den Leiden dieſes weiblichen Engels. Mein Bruder iſt aus Mattig - keit eingeſchlafen, er liegt auf den Klei - dern unſrer Leute, die ſie auf den Boden gebreitet haben; immer faͤhrt er auf, und ſtoͤßt aͤchzende Seufzer aus; doch beruhi - get mich unſer Wundarzt wegen ſeiner Geſundheit. Jch kann nicht ſchlafen, der morgende Tag quaͤlt mich voraus;ich259ich ſammle Muth, um Seymourn zu ſtuͤtzen, aber ich bin ſelbſt wie ein Rohr, und ich fuͤrchte, bey dem Anblick dieſer Leiche, mit ihm zu ſinken. Denn ich liebte ſie nicht mit der jugendlich aufwal - lenden Leidenſchaft meines Bruders; mei - ne Liebe war von der Art Anhaͤnglich - keit, welche, ein edeldenkender Mann fuͤr Rechtſchaffenheit, Weisheit, und Menſchenliebe fuͤhlt. Niemals hab ich Verſtand und Empfindungen ſo moraliſch geſehen als beyde in mir waren; niemals das Große mit einem ſo richtigen Maaß wahrer Wuͤrde, und das Kleine mit einer ſo reizenden Leichtigkeit behandeln geſe - hen. Jhr Umgang haͤtte das Gluͤck ei - nes ganzen Kreiſes geiſtvoller und tu - gendliebender Perſonen gemacht; und hier mußte ſie unter aufgethuͤrmten Stei - nen, bey eben ſo gefuͤhlloſen Menſchen, unter der hoͤchſten Marter des Gemuͤths, ihren ſchoͤnen Geiſt aufgeben! O Vor - ſicht! du ſiehſt die Frage, welche in mei - ner Seele ſchwebt; aber du ſiehſt auch die Ehrerbietung fuͤr das unergruͤndliche dei -R 2ner260ner Verhaͤngniſſe, welche ihren Ausdruck zuruͤck haͤlt!

Fortſetzung den zweyten Tag.

Doctor Menſchenfreund! nehmen Sie Theil an unſerer Freude. Der En - gel, Sternheim, lebt noch. Eine goͤtt - liche Schickung hat ſie erhalten. Sey - mour weint Thraͤnen der Freude, und umfaßt die armen Wirthe dieſer Huͤtte unaufhoͤrlich. Vor einer Stunde ſchlepp - ten wir uns bleich, traurig, mit einer todten Stille gegen den kleinen Gar - ten, wo man uns geſtern das Grab ge - wieſen hatte. Der Mann und ſein Sohn giengen unentſchloſſen und mit einem merklichen Widerwillen mit uns. Als wir nahe an der Stelle des Sandhuͤgels waren, und ich den Leuten kurz ſagte grabt auf ſank mein Bruder an meinen Hals, und umfaßte mich, indem er mit Schmerz, o Rich! ansrief, und ſeinen Kopf auf meiner Achſel verbarg. Dieſe Bewegung von ihm, juſt da dieerſte261erſte Schaufel voll Sand durch einen meiner Leute vom Grab gehoben wurde, durchbohrte meine Seele; ich ſchloß mei - ne Arme um ihn, und erhob meine Au - gen zum Himmel, um Staͤrke fuͤr ihn und mich zu erflehen. Den nehmlichen Augenblick aber, fielen Mann, Frau, und Sohn vor uns auf die Knie, und baten um unſern Schutz. Jch gerieth in die aͤußerſte Beſtuͤrzung, weil ich mich vor der Entdeckung eines an der Dame veruͤbten Mords fuͤrchtete. Leute! was wollt ihr, was ſoll euer Rufen um Schutz? Wir haben unſern Lord betro - gen, riefen ſie; die Frau iſt nicht geſtor - ben, ſie iſt fort. wohin, Leute, wo - hin, rief ich; betruͤgt ihr uns nicht? Nein, guter Lord, ſie iſt bey des Gra - fen Hoptons Schweſter; dieſe hat ſie zu ſich genommen, und geſagt, wir ſollten dem Lord melden, ſie waͤre todt; wir hat - ten die Frau lieb, und ließen ſie gehen; aber wenn es nun der Lord erfaͤhrt, ſo wird er Rache an uns nehmen. Sey - mour umarmte den Mann mit lautemR 3Freu -262Freudengeſchrey, und ſagte, o mein Freund, du ſollſt mit mir kommen, ich will dich beſchuͤtzen und belohnen. Wo iſt der Graf Hopton? wie iſt dieß zuge - gangen? Rich lieber Bruder, Rich, wir wollen gleich abreiſen. Jch verſicherte ihn, daß ich eben ſo begierig ſey, wie er, die Dame ſelbſt zu ſehen; er ſolle Anſtalten zur Reiſe machen, ich woll - te indeſſen mit den Leuten reden. Jch be - ruhigte ſie mit dem Verſprach, daß der Lord ſie fuͤr ihre Liebe zu der Frau ſelbſt belohnen wuͤrde; denn er habe gar nicht gerne gehoͤrt, daß John ſo uͤbel mit ihr umgegangen ſey; dabey gab ich ihnen eine Handvoll Guineen, und fragte ſie nach dem Leben und Bezeugen der Dame. O Doctor! wie viel Glanz breitete die einfache abgekuͤrzte Erzaͤhlung dieſer Leute uͤber die Tugend meiner Freundinn aus! Geſtern murrte ich uͤber ihr hartes Schick - ſal; und itzt moͤchte ich der Vorſicht fuͤr das edle Beyſpiel danken, welches ſie den uͤbrigen Menſchen durch die Pruͤfung die - ſer großen Seele gegeben hat. Tief,unaus -263unausloͤſchlich ſind die Zuͤge ihres Cha - rakters in mein Herz gegraben! Wir reiſen ab. Am Fuße des Berges ſchickte ich einen meiner Leute an Lord Derby, mit der fuͤr ihn gewiß troſtvollen Nach - richt. Denn da er ſich dem Zeitpunct naͤhert, wo man alles verſaͤumte Gute moͤchte einholen, und alles veruͤbte Boͤſe ausloͤſchen koͤnnen: ſo muß es eine Er - quickung fuͤr ihn ſeyn, die Summe ſeiner Vergehungen, um ein ſo großes vermin - dert zu ſehen.

Madam Leidens an Emilia.

Tweedale, Sitz des Grafen von Douglaß - March.

Jch ſchreibe auf meinen Knien, um mei - ne Dankbarkeit gegen Gott fuͤr das ent - zuͤckende Gefuͤhl von Freyheit, Leben und Freundſchaft in kindlicher DemuthR 4aus -264auszudruͤcken. O meine geliebte, meine theure Freundinn! durch wie viel Schmer - zen bin ich gegangen, und wie ſehr er - freut es mich, Jhren Kummer und die Sorgen meiner Lady Summers endigen zu koͤnnen. Morgen ſchickt die Graͤfinn Douglaß einen Courier an meine Lady; dieſer wird auch gleich mit einem Paquet an Jhren Mann nach Harwich abgehen, um ja Jhre Unruhe nicht einen Augenblick zu verlaͤngern. Die Auszuͤge von meinen mit Reisbley geſchriebenen Papieren wer - den Jhnen zeigen, wie hart und dornigt der Weg war, welchen ich in dem letztern Jahre zu gehen hatte. Aber wie ange - nehm iſt mir der Ausgang davon gewor - den, da ich von der Hand der leutſeligſten Tugend daraus gefuͤhrt wurde! Jſt die - ſes nicht die Probe, daß ich mich in den Tagen meiner Pruͤfung der Vorſorge Gottes nicht unwuͤrdig machte, weil ſie eine der edelſten Seelen zu meiner Huͤlfe ſchickte? Auf meinem letzten Blatte glaubte ich die letzte Nacht meines Lebens angebrochen zu ſehen, und dachte auch,von265von der Graͤfin Douglaß verlaſſen, zu ſter - ben; aber um eilf Uhr kam der Geiſtliche mit einem Wundarzt, und Morgens dar - auf ein von zwey Pferden getragenes Bette mit der Lady Douglaß ſelbſt, die mir auf die liebreichſte Art ihr Haus, ihre Vorſorge und Freundſchaft anbot. Bald waͤre mir das Uebermaaß meiner Freude ſchaͤdlich geworden; denn indem ich der Lady Hand an meine Bruſt druͤckte, und von meinem Dank und von meiner Freude ſprechen wollte, ſank ich zuruͤck; als ich erwachte, baten ſie mich ruhig zu bleiben, und ſagten, daß ſie mit meinen Wirthen verabredet haͤtten, ſie ſollten ein Grab im Garten aufwerfen, und dem Lord Derby wiſſen laſſen, ich waͤre todt; die Leute waͤren es zufrieden, und ſie wollte mich nun in des Grafen von Hoptons Haus bringen. Nachmittags um vier Uhr fuͤhlte ich mich ſtark genug, um aufzuſte - hen, Molly kleidete mich in Gegenwart der Lady Douglaß an; ich nahm die fuͤnf Guineen, ſo ich bey mir hatte, und machte ſie zuſammen, um ſie meinenR 5Wir -266Wirthen zu geben. Den Augenblick als ich aufſtund, der Lady eine Bitte wegen der guten Waiſe zu machen, kroch die arme kleine Lidy auf ihren Knien herein, und bat mit Schluchzen und aufgehobenen Haͤndchen, ich ſollte ſie doch mitnehmen; innig geruͤhrt ſah ich ſie und die Lady an, welche nach einem Augenblick Nachden - ken, dem Maͤdchen die Hand bot, und mit mitleidiger Stimme ſagte: Ja, meine kleine, du ſollſt auch mit kommen. Gott ſegne Sie, theure Lady, ſagte ich, fuͤr ihre großmuͤthige Menſchenliebe; ich wollte Sie um Erlaubniß bitten, dieſes unſchuldige Opfer auch zu retten. Ger - ne, antwortete ſie, ſehr gerne, es erfreut mich, daß Sie ſo zaͤrtlich fuͤr ſie ſorgen. Jch umarmte meine weinende Wirthe mit Thraͤnen, ſah noch ſeufzend mich in der traurigen Gegend um, und reiſte mit der Lady ab. Graf Hopton empfieng mich mit vieler Hoͤflichkeit; aber ſeine Blicke durchſpuͤrten zugleich meine ganze Perſon mit einem Ausdruck, als ob er abwaͤgen wollte, ob ich mehr die Nach -ſtellun -267ſtellungen meines Liebhabers oder des Mit - leidens einer tugendliebenden Dame ver - diente. Eine Bewegung ſeiner Augen von Betrachtung der Lady auf mich, machte mich erroͤthen, und dieſes ihn laͤcheln; ich errieth, daß er mich fuͤr ihre Mutter hielt, und empfand die Verringe - rung ſeiner fuͤr mich vortheilhaft gefaß - ten Begriffe. Lady Douglaß fuͤhrte mich in ein artiges Zimmer, und hieß mich zu Bette gehen; Molly war dabey und frag - te die Dame, wo die kleine Lidy hin ſollte? Hieher, ſagte Lady Douglaß, denn Sie werden die kleine am liebſten bey ſich haben, und es gefaͤllt mir ſehr, daß Sie auch im Ungluͤck den Pflichten der Natur getreu geblieben ſind. Beſte La - dy, fiel ich ein, Sie Keine Unruhe meine liebe, ſprach ſie mit lebhaftem aber liebreichem Tone, legen Sie ſich, ich komme dann zuruͤck, aber von allem un - angenehmen Vergangenen ſollen Sie nicht reden und damit gieng ſie weg. Jch warf mich aufs Bette mit der trau - rigen Betrachtung, daß ich den erſtenfreyen268freyen Athemzug durch Erduldung eines widrigen Urtheils bezahlen muͤſſe. Jch wollte dieſe Begriffe keine Wurzeln in der Lady Douglaß faſſen laſſen, und ver - langte Schreibzeug und Papier. Jch ſchrieb den andern Tag der Lady die Er - klaͤrung ihrer Zweifel wegen der kleinen Lidy, und zeigte die Beweggruͤnde an, warum ich mich des Kindes angenommen haͤtte. Jch bat ſie daneben mir bald Ge - legenheit zu geben, Nachrichten an Lady Summers gelangen zu laſſen; denn durch dieſe Dame wuͤrde ſie auch uͤberzeugt werden, daß alles was ich ihr ſagte, die Wahrheit ſey, und daß ſie ihre bisherige Guͤte fuͤr mich nicht zu bereuen haben wuͤrde. Sie konnte die drey Blaͤtter kaum geleſen haben, ſo kam ſie zu mir, und bat mich gleich beym Eintritt in das Zimmer, ihr die Unruhe zu vergeben, die ſie mir gemacht haͤtte; aber es waͤre nicht leicht moͤglich geweſen bey einer fremden Perſon einen ſolchen Grad von Liebe und Sorge fuͤr das Kind eines Feindes zu denken, und ich koͤnne glauben, daß, da ſiemich269mich wegen meiner vermehnten Mutter - treue geliebt habe, ſie mich wegen meiner großmuͤthigen Liebe gegen das Blut mei - nes unwuͤrdigen Verfolgers deſto mehr liebe und bewundere. Zwo Stunden redte ſie mit mir von vielen Sachen in einem feinen zaͤrtlichen Tone fort. Die theure Lady beſitzt eine bey den Großen ſeltene Eigenſchaft; ſie nimmt Antheil an den Leiden der Seele, und ſucht mit der edelſten feinſten Empfindung Troſt - worte und Huͤlfsmittel aus. Jn den Zeiten meines ehemaligen Umganges mit der großen gluͤcklichen Welt beobachtete ich, daß ihr Mitleiden meiſtens fuͤr aͤußerliche Uebel, Krankheiten, Armuth u. ſ. w. in Bewegung kam; Kummer des Gemuͤths, Schmerzen der Seele, von denen man ih - nen redete oder die ſie verurſachten, mach - ten wenig Eindruck, und brachten ſelten ei - ne antheilnehmende Bewegung hervor. Aber ſie werden auch ſelten gewoͤhnt, an den innerlichen Werth oder die wahre Be - ſchaffenheit der Sachen zu denken; durch aͤußerlichen Glanz verblenden ſie und wer -den270den verblendet. Witz hat die Stelle der Vernunft, eine kalte gezwungene Umar - mung heißt Freundſchaft, Pracht und Aufwand, Gluͤck O mein Kind, ſollte ich jemals wieder dieſem Kreiſe mich naͤhern, ſo will ich mit einiger Sorge alles vermeiden, was mich in den Stufen mei - ner Erinnerung und meines Ungluͤcks an den Großen und Gluͤcklichen ſchmerzte. Die Graͤfin Douglaß nimmt die kleine Lidy zu ſich; ſie ſagt, ich haͤtte genug fuͤr das Kind gethan, und es ſolle Niemand mehr Anlaß haben, die Uebung der groͤß - ten Tugend als die Folge eines Fehltritts zu beurtheilen; am allerwenigſten aber Derby auch nicht vermuthen koͤnnen, daß eine Anhaͤnglichkeit fuͤr ihn auf irgend eine Weiſe Urſache an meinem Mitleiden geweſen ſey. Jch ſah alles Edle ihrer Beweggruͤnde und dankte ihr zaͤrtlich, daß ſie mich nicht nur fuͤr kuͤnftigen falſchen Beurtheilungen ſchuͤtzte, ſondern auch der Belaͤſtigung des Lobs enthoͤbe, das man meiner ſogenannten Großmuth noch ein - mal geben koͤnnte. Meine Briefe anLady271Lady Summers hat die Graͤfinn geleſen; ſie wollte es nicht thun, um mich von ihrem Vertrauen in mich zu uͤberzeugen. Die Briefe an Sie hab ich ihr durchge - blaͤttert, weil ſie aber ganz deutſch ſind, ſo haͤtte die Ueberſetzung viele Zeit gekoſtet; ich redete ihr alſo kurz von dem Jnhalt eines jeden Blattes; denn ich eilte zu ſehr Jhnen Nachrichten zu geben, und gerne ſchluͤpfte ich uͤber das Gute darinn hin - weg, weil mich duͤnkte, daß das Vergnuͤ - gen mich loben zu hoͤren die Summe mei - ner innerlichen Zufriedenheit vermindert. Moͤchte ich doch bald Nachrichten von Lady Summers haben, und zu ihr reiſen koͤnnen, um mich bald, bald in die Arme meiner Emilia zu werfen. Mein Enthu - ſiasmus fuͤr England iſt erloſchen; es iſt nicht, wie ich geglaubt habe, das Vater - land meiner Seele. Jch will auf meine Guͤter, einſam will ich da leben und Gutes thun. Mein Geiſt, meine Empfindungen fuͤr die geſellſchaftliche Welt ſind erſchoͤpft; ich kann ihr auch zu nichts mehr gut ſeyn, als einigen Un -gluͤckli -272gluͤcklichen eine kleine Lehrſchule von Er - tragung widriger Schickſale zu halten. Jn Wahrheit, es iſt bey der neu erhei - terten Ausſicht in meine kuͤnftigen Tage einer der erſten Wuͤnſche meiner Seele geweſen, daß bey jedem Anbau eines jungen Herzens diejenigen Samen - koͤrner meiner Erziehung eingeſtreuet wuͤr - den, deren erquickende Fruͤchte in der Zeit meiner haͤrteſten Leiden reif wurden, die mein anfaͤngliches Murren beſaͤnftig - ten, und mir die Staͤrke gaben, alle Tugenden des Ungluͤcklichen auszuuͤben. Mein erneuertes Gefuͤhl der Schoͤnheiten unſrer phyſikaliſchen Welt kann ich ihnen unmoͤglich in ſeiner Staͤrke beſchreiben; es war groß, mannichfaltig, wie die ſchoͤne Ausſicht dieſes Edelſitzes, wo man uͤber einen jaͤhen Abſturz an dem Fluſſe Tweda die fruchtbarſten Huͤgel von ganz Schottland uͤberſieht, die von Scha - fen wimmeln. Die Sehkraft meiner Au - gen duͤnkt mich vervielfaͤltigt, wird ver - feinert, ſo wie ſie mich in den Bleyge - buͤrgen vermindert und ſtumpf gemachtduͤnkte.273duͤnkte. Koͤnnen nicht, meine Emilia, alle Kraͤfte meiner Seele wieder ſo aufle - ben wie das Gefuͤhl fuͤr die wohlthaͤtigen Wunder der Schoͤpfung, und das von der frohen Hoffnung, die Freundinn mei - nes Herzens bald wieder zu umarmen?

Lord Rich, von Tweedale, an Doctor T.

Wenn es billig iſt, daß der Staͤrkere nicht nur ſeine eigene volle Laſt, ſondern auch die Buͤrde des Schwaͤchern trage, ſo erfuͤlle ich meine Pflicht, indem ich nicht nur unter dem gehaͤuften Maaß meiner Empfindungen ſeufze, ſondern auch das uͤberſtroͤmende Gefuͤhl von meinem Bru - der zuſammen faſſen muß. Meine Briefe an Sie ſind die Stuͤtze, die meine Seele erleichtert. Seymour ſitzt wirklich zu den Fuͤßen des Gegenſtandes meiner Wuͤnſche; ich entfernte mich; ihre Augen ſagten mir zwar, daß ſie mich gerne blei - ben ſaͤhe; aber mein Bruder hielt ihreII Theil. SHand,274Hand, ſein Herz fuͤhlte den ſanften Druck, den die ihrige ihm vielleicht ohne ihr Wiſſen gab; das einige fuͤhlte ich auch, und dieſes Gefuͤhl hieß mich gehen. Zwey Tage ſinds, daß wir hier ange - kommen. Sechs Pferde machten Auf - ſehen im Schloßhofe, und die Bedienten liefen zuſammen; mein Bruder warf ſich vom Pferde und rief: iſt die Graͤfinn Douglaß mit der Lady aus den Bleyge - buͤrgen hier? Auf die Antwort Ja zog er mich am Arm mit einem eifrigen kommen Sie, Bruder, kommen Sie. Wen muß ich melden? rief ein Die - ner; Lord Rich, Lord Seymour rief mein Bruder haſtig, und eilte dem Kerl nach, der kaum klopfen konnte, als wir ſchon in der Thuͤre waren. Die Graͤfinn Douglaß ſaß der Thuͤre gegen uͤber; Lady Sternheim aber mit dem Ruͤcken gegen uns, und las der Dame etwas vor. Seymours Eindringen, und das eilende Rufen des Bedienten, wer wir waͤren, machte die Graͤfinn ſtutzen und meine engliſche Freundinn den Kopf wen - den. Sie fuhr mit Schrecken zuſam -men275men O Gott, rief ſie, und ließ das Buch auf die Erde fallen, als Sey - mour ſich zu ihren Fuͤßen warf; O die ehrlichen Leute ſie lebt O mein goͤttliches, mein angebetetes Fraͤulein Sternheim! rief er mit aus - geſtreckten Armen. Sie ſah halb außer ſich ihn und mich an, wendete aber den Augenblick den Kopf weg, und ließ ihn auf ihren zitternden Arm ſinken Die Graͤfinn Douglaß ſah mit Staunen hin und her, ich mußte reden aber mein erſtes war auf die Sternheim zu zeigen. Theure Graͤfinn unterſtuͤtzen Sie den En - gel den Sie bey ſich haben! Jch bin Lord Rich, hier iſt Lord Seymour Die Graͤfinn hatte ſich eilends meiner Freun - dinn genaͤhert, die ihre beyden Armen um ſie ſchlug und ihr Geſicht einige Mi - nuten an der Graͤfinn Buſen verbarg. Seymour konnte dieſes Abwenden ihres Geſichts nicht ertragen, und rief in vol - lem Schmerzen aus O mein Oncle, warum mußte ich meine Liebe verbergen! Alle Quaal, alle Zaͤrtlichkeit meines Her - zens kann mich nun nicht vor dem Wi -S 2derwil -276derwillen ſchuͤtzen, den mir meine Nachlaͤſ - ſigkeit zuzog! o Sternheim, Stern - heim! was ſoll aus mir werden, wenn ich in dem Augenblicke der Freude, ſie wieder gefunden zu haben, Jhren Un - muth auf mir liegen ſehe? Goͤnnen Sie mir, o, goͤnnen Sie mir nur Einen guͤti - gen Blick. Mit dem Anblick eines Engels und der ganzen Wuͤrde der ſich fuͤhlenden Tugend, richtete Lady Stern - heim ſich auf, reichte erroͤthend meinem Bruder die Hand, und mit gedaͤmpfter Stimme ſagte Sie: ſtehen Sie auf, Lord Seymour, ich verſichere Sie, daß ich nicht den geringſten Unmuth uͤber Sie habe; und, ſeufzend ſetzte ſie hinzu, wo waͤre mein Recht dazu geweſen? Feurig zaͤrtlich kuͤßte er ihre Hand; meine Augen ſanken zur Erde; aber ſie naͤherte ſich mir mit freundſchaftlichen Blicken, nahm meine Hand: Theurer Lord! was fuͤr Freundſchaft! wie haben Sie mich finden koͤnnen? Hat Lady Summers es Jhnen geſagt? was macht ſie, meine liebreiche Mutter? Jch kuͤßte die Hand auch, die ſie mir gegeben hatte;Lady277Lady Summers iſt wohl, antwortete ich, und wird gluͤcklich ſeyn, Sie wieder zu ſehen; aber die Lady Summers hat mich hergeleitet; Reue und Gerechtigkeit riefen meinen Bruder und mich auf. Mit einer erhoͤheten Geſichtsfarbe fragte ſie mich; iſt Lord Seymour Jhr Bru - der? Ja, und dieß von der edelſten Mutter die jemals lebte. Sie antwor - tete mir nur mit einem bedeutenden Laͤ - cheln, und wandte ſich zur Graͤfinn Doug - laß. Meine großmuͤthige Erretterinn, ſprach ſie, ſehen hier zween unverwerfli - che Zeugen der Wahrheit deſſen, was ich Jhnen von meiner Geburt und meinem Leben ſagte; ich danke Gott, daß er mich den Augenblick erleben laſſen, wo Jhr Herz die Zufriedenheit fuͤhlen kann, daß Jhre Guͤte fuͤr mich nicht verloren iſt. Nein, fiel Seymour ein, niemals lebte eine Seele, welche der Verehrung der ganzen Erde wuͤrdiger waͤre, als die Da - me, welche die Graͤfinn errettet haben; ſo lang ich athmen werde, ſollen Sie, edelmuͤthige Graͤfinn Douglaß, den ewi - gen Dank dieſes Herzens haben. MitS 3thraͤ -278thraͤnenden Augen druͤckte er zugleich die Hand der Graͤfinn an ſeine Bruſt. Jch hatte mich indeſſen gefaßt, um etwas von unſerem Ueberfall zu erklaͤren. Einige Minuten waren wir alle ſtille. Jch nahm die Hand der Lady Sternheim; Koͤnnen Sie, fragte ich, ohne Schaden Jhrer Ruhe und Geſundheit von Jhrem Ver - folger reden hoͤren? Er iſt am Ende ſeines Lebens, und die groͤßte Sorge ſeiner Seele windet ſich unauf hoͤrlich, um das Andenken Jhrer Tugend und ſeiner Unge - rechtigkeit gegen Sie; Sein Kummer uͤber Jhren vermeynten Tod iſt unaus - ſprechlich; er hat mich und Lord Sey - mour zu ſich gebeten, und uns ſchwoͤren laſſen, in die Bleygebuͤrge zu reiſen, um Jhre Leiche da aufzuheben, und mit allen Zeugniſſen Jhrer Tugend und ſeiner Reue in Dumfries beyzuſetzen. Jch will nicht ſagen, wie traurig dieſes Amt uns war. Nachdem wir ſo lange Zeit ver - gebens nach Jhnen geſucht hatten, ſoll - ten wir Sie todt wieder ſehen! Mein armer Bruder und (ich konnte mich nicht verhindern dazu zu ſetzen) Jhr armerFreund279Freund Rich! Eine Thraͤne zitterte in ihren Augen, indem ſie ſagte: Lord Derby iſt grauſam, ſehr grauſam mit mir nmgegangen. Gott vergebe es ihm; ich will es von Herzen gerne thun aber ſehen kann ich ihn niemals wieder, ſein Anblick wuͤrde mir toͤdtlich ſeyn. Jhr Kopf ſank mit ihrer ſinkenden Stimme bey den letzten Worten auf ihre Bruſt. Mein Seymour fuͤhlte die ruͤhrende Verlegen - heit dieſer reinen Seele, und gieng mit ſich kaͤmpfend ins Fenſter Lady Sternheim ſtund auf und verließ uns; Seymour und ich ſahen ihr bewundernd nach. Nur in ſchottiſche Leinwand ge - kleidet, war ſie reizend ſchoͤn durch ihren nach dem vollkommenſten Eben - maaß gebildeten Wuchs, und den ſchoͤn - ſten Anſtand in Gang und Bewegung; und ob ſie ſchon hager und blaß gewor - den, ſo war dennoch ihre ganze Seele mit aller ihrer Schoͤnheit und Wuͤrde in ihren Zuͤgen ausgedruͤckt. Seymour und ich ſagten der Graͤfinn Douglaß alles, was die Lady Sternheim angieng, und ſie er - zaͤhlte uns hingegen was ſie von ihr wußte,S 4ſeitdem280ſeitdem ſie die Tochter des Bleyminen - knechts zu ſich genommen, und wie ſie gleich gedacht haͤtte, dieſe Perſon muͤſſe eine edle Erziehung haben, und in einer ungluͤcklichen Stunde von ihrer Beſtim - mung entfernt worden ſeyn; zaͤrtliches Mitleiden habe ſie eingenommen, beſon - ders da ſie ihre Sorge fuͤr das Kind geſe - hen habe, und ſie waͤre gleich entſchloſſen geweſen, ſie zu ſich zu nehmen, wenn ſie mit ihrem Bruder zuruͤck gienge; die Krankheit der Dame haͤtte es aber fruͤher erfodert. Sie freute ſich ihrem Herzen gefolgt zu haben. Sie gieng hierauf nach ihrem Gaſt zu ſehen, und wir blieben allein. Gedankenvoll blieb ich ſitzen. Seymour kam, und fiel mir mit Weinen um den Hals; Rich! lieber Bruder, ich bin mitten im Gluͤck elend, und wer - de es bleiben. Jch ſehe deine Liebe und deine Verdienſte um ſie. Jch fuͤhle, daß ſie misvergnuͤgt mit mir iſt; ſie hat Recht, tauſend Recht es zu ſeyn Sie hat Recht dir mehr Ver - trauen, mehr Freundſchaft zu zeigen; aber ich fuͤhle es mit einem toͤdtenden Kum -mer.281mer. Meine Geſundheit leidet ſchon lang auf allerley Weiſe unter dieſer Liebe Jch habe ſie nun geſehen; ich werde um ihrentwillen ſterben, und dieß iſt mir ge - nug. Jch druͤckte ihn mit einer ſonder - baren Bewegung an meine Bruſt, und ich glaube ihm etwas kalt und rauh ge - ſagt zu haben; Ja, Seymour, du biſt im Gluͤck ungluͤcklich, aber andre ſinds ganz; Warum muͤſſen deine Neben - buhler allezeit mehr Licht ſehen als du? Derby hat Recht; ſie zieht dich vor. Jhr Zuruͤckhalten beweiſt mir alles was er ſagte. Sey ihrer wuͤrdig, und beneide mir ihre Achtung, ihr Vertrauen nicht! O Rich o mein Bruder, iſt dieſes, kann dieſes wahr ſeyn? betruͤgt dich deine Leidenſchaft nicht, wie mich die meini - ge? O Gott! ich muß ſie erhal - ten oder ſterben wer wird fuͤr mich reden: wer? Jch kann nichts ſagen, und du? Jch will es thun, erwiederte ich, aber heute noch nicht; wir muͤſſen ihre Empfindlichkeit und geſchwaͤchte Geſund - heit ſchonen. Zu meinen Fuͤßen war er, er umfaßte ſie; Beſter, edelſter Bruder,S 5rief282rief er, fodre mein Leben, alles, ich kann nicht genug fuͤr dich thun! du willt du! willt fuͤr mich reden? Gott ſegne dich ewig, mein treuſter, mein guͤtigſter Freund! Jch will nichts, liebſter Seymour, als ſey gluͤcklich, ſey deines Gluͤcks wuͤrdig! du kennſt den ganzen Umfang davon nicht ſo wie ich; aber ich goͤnne, ich wuͤnſche dir es, ſo groß es iſt. Die Damen kamen zuruͤck; wir redeten von Tweedale, und unſere Freundinn er - zaͤhlte, wie geruͤhrt ſie geweſen, Gottes ſchoͤne Erde wieder zu ſehen. Dann ſprach ſie von ihrer Entfuͤhrung und ihren erſten Tagen im Gebuͤrge Abends gab ſie mir ihre Papiere; ich las ſie mit Seymourn durch. O Freund, was fuͤr eine Seele mahlt ſich darinn! Wie uner - meßlich waͤre meine Gluͤckſeligkeit gewe - ſen! Aber ich erſticke meine Wuͤnſche auf ewig. Mein Bruder ſoll leben! Seine Seele kann den Verluſt ihrer Hoff - nungen nicht noch einmal ertragen; mei - ne Jahre und Erfahrung werden mir durchhelfen. Seymour muß das Maaß der Zufriedenheit voll haben, ſonſt genießter283er nichts, mir reicht ein Theil davon zu, deſſen Werth ich kenne. Schicken Sie uns Seymours Briefe an Sie gleich; ſie muͤſſen geleſen werden, und fuͤr ihn reden.

von Sternheim an Emilia.

Was wird die Vorſicht noch aus mir machen? Jn widrigen Begegniſſen, in den empfindlichſten Erſchuͤtterungen aller Kraͤfte der Seele und des Lebens erhaͤlt ſie mich. Gewiß nicht zum Ungluͤck, aber zu jeder moͤglichen Pruͤfung. Allein, o meine Liebe, ganz allein, von Niemand als zuredenden Freunden umgeben, ſtund ich an meinem Scheideweg. Lord Derby iſt todt dieſe beyliegenden Blaͤtter meines Tagebuchs von Tweedale ſagen Jhnen Seymours und Richs Ankunft, und den Erſatz, welchen Derby mir ma - chen wollte. Gott laſſe ſeine ewigen Ta - ge gluͤcklicher ſeyn, als er die meinigen machte, die ihm hier in ſeine Gewalt ge - geben waren! Lord Seymour verfolgt mein Herz; er liebte mich, o meine Emi - lia, er liebte mich zaͤrtlich, rein, vondem284dem erſten Tage da er mich ſah. Der Stolz ſeines Oheims, ſeine Abhaͤnglichkeit von ihm, und eine uͤbertriebne feine Em - pfindung von Tugend und Ehre wollte, daß er ſchwieg, bis ich die Verſuchungen des Fuͤrſten uͤberwunden haͤtte. Sie wiſſen, was dieſes Schweigen mir zuzog; aber Sie wiſſen nicht, was Lord Seymour darunter gelitten hatte. Hier, leſen Sie ſeine Briefe, mit denen vom Lord Derby, und ſenden Sie ſie mir mit allen den meinen an Sie zuruͤck. Sie werden bey Derbys Briefen uͤber den Misbrauch von Witz, Tugend und Liebe ſchaudern. Haͤtte ich nicht ſelbſt boͤſe ſeyn muͤſſen, wenn ich ſeine Raͤnke haͤtte argwoͤhnen ſollen? Was iſt Seymours Herz dagegen? Jhren Rath haͤtte ich gewuͤnſcht, durch einen gemein - ſamen Geiſt erhalten zu koͤnnen. Die Graͤfinn Douglaß iſt eingenommen; Lord Rich, der edle, unſchaͤtzbare Lord Rich, bittet mich ſeine Schweſter zu werden; Der liebenswuͤrdige Seymour iſt taͤglich zu meinen Fuͤſſen! alle Einwendungen meiner Dilicateſſe werden beſtritten; und o Freundinn meines Herzens, du, diedu285du alle ſeine Bewegungen von Jugend auf kannteſt, dir kann ich, dir will ich es nicht verbergen, daß eine innerliche Stim - me mich meine Vermaͤhlung mit Lord Seymour als ein von dem Schickſal gege - benes Mittel ergreifen heißt, um meiner unſtaͤtten Wanderſchaft ein Ende zu ma - chen. Und war er nicht der Mann, den mein Herz ſich wuͤnſchte? Er weis es, ſoll ich nun zuruͤcke? Lord Rich, fuͤrchte ich, wuͤrde an ſeinen Platz eintreten wollen. Seymour zeigte mir viele Tage die heftig - ſte zaͤrtlichſte Liebe. Lord Rich hatte lange Unterredungen mit ihm, war aber kalt, ruhig, ſah oft tiefdenkend lange mich an, und brachte mich dadurch zu dem Ent - ſchluß unverheurathet zu bleiben. Aber zwey Tage nach Seymours Briefe brachte er mir ein Tagebuch und die noch dabey gelegenen letzten Briefe aus Summerhall in mein Zimmer; und mit einer ruͤhren - den vielbedeutenden Mine trat er zu mir, kuͤßte die Blaͤtter meines Tagebuchs, druͤckte ſie an ſeine Bruſt, und bat mich um Vergebung, eine Abſchrift davon ge - nommen zu haben, welche er aber mit derUrſchrift286Urſchrift in meine Gewalt gebe. Aber er - lauben Sie mir, fuhr er fort, Sie um die - ſes Urbild Jhrer Empfindungen zu bitten; laſſen Sie, meine engliſche Freundinn, mich dieſe Zuͤge Jhrer Seele beſitzen, und erhoͤ - ren Sie meinen Bruder Seymour. Das Paquet ſeiner Briefe wird Jhnen die uner - fahrne Redlichkeit ſeines Herzens bewie - ſen haben. Sie werden ihn durch An - nehmung ſeiner Hand zu dem gluͤcklich - ſten und rechtſchaffenſten Mann machen. Nach einigem Stillſchweigen legte er ſeine Hand auf die Bruſt, ſah mich zaͤrtlich und ehrerbietig an, und fuhr mit geruͤhrtem Ton fort: Sie kennen die unbegrenzte Verehrung, die ewig in dieſem Herzen fuͤr Sie leben wird; Sie kennen die Wuͤnſche die ich machte, die nicht aufgehoͤrt haben, aber unterdruͤckt ſind. Jch wuͤrde gewiß meine ſeligſten Tage, dafern es nur Hoff - nungstage waͤren, nicht aufopfern, wenn ich nicht mitten unter der Anbetung, unter dem Verlangen meiner Seele, ſagen muͤßte, und ſagen koͤnnte: Seymour ſey Jhrer wuͤrdig, er verdiene Jhre Achtung und Jhr Mitleiden. Er ſah mich hier ſehrauf -287aufmerkſam an, und hielt inne. Mit ei - nem halb erſtickten Seufzer ſagte ich: O Lord Rich! und er fuhr mit einem maͤnnlich freundlichen Tone fort: Sie ha - ben die Gewalt, einen edlen jungen Mann in der Marter einer verworfenen Liebe vergehen zu machen; wenden Sie, beſte weibliche Seele, dieſe Gewalt zu dem Gluͤck einer ganzen Familie an! Sie koͤnnen mei - ner Mutter, einer wuͤrdigen Frau, den Kummer abnehmen, Jhre Soͤhne unver - heurathet zu ſehen. Jhre ſchweſterliche Liebe wird mich gluͤcklich machen, und ſie werden alle Jhre Tugenden in einem gro - ßen wirkſamen Kreis geſetzt ſehen! Theurer Lord Rich, antwortete ich geruͤhrt, wie nahe dringen Sie in mich! Sehen Sie meine Bedenklichkeiten nicht? Jch verbarg mein Geſicht mit meinen Haͤnden; er ſchloß mich in ſeine Arme und kuͤßte meine Stirne. Beſte, geliebteſte Seele, ja ich kenne ihre feinen Bedenklichkeiten; Sie verdienen die vermehrte Anbetung meines Bruders; aber Sie ſollen den Bau ſeiner Hoffnung nicht zerſtoͤren. Laſſen Sie mich, ich bitte Sie, ihm die Erlaub -288 Erlaubniß bringen zu hoffen. Mit thraͤnenden Augen ſah der wuͤrdige Mann mich an; eine Zaͤhre der meinigen fiel ihm auf ſeine Hand; er betrachtete ſie mit inniger Ruͤhrnng; als aber das anfan - gende Zittern ſeiner Haͤnde ſich bewegte, ſo kuͤßte er ſie hinweg, und ſeine Blicke blie - ben einige Minnten auf die Erde geheftet. Jch nahm das Original meiner Briefe und des Tagebuchs, und reichte es ihm mit der Anrede: Nehmen ſie dieſes, wuͤrdig - ſter Mann, was Sie das Urbild meiner Seele nennen zum Unterpfand der zaͤrtli - chen und reinen Freundſchaft! Meine Schweſter, fiel er mir ins Wort. Keine Liſt, Lord Rich! Jch will ohne Kunſt wer - den, was Sie ſo ſehnlich wuͤnſchen, daß ich ſeyn moͤge. Er ließ ſich auf ein Knie nieder, ſegnete mich, kuͤßte meine Haͤnde mit eifriger Zaͤrtlichkeit und eilte weg. Sagen Sie noch nichts, rief ich ihm nach, ich bitte Sie. Da war ich und weinte, und entſchloß mich Lady Seymour zu werden; ich bekraͤftigte die - ſen Entſchluß am Ende eines Gebets an die goͤttliche Vorſicht.

Nach -289

Nachſchrift. Nun weis es Lord Seymour. Seine Entzuͤckungen gehen uͤber die Kraͤfte meiner Feder. Meine Graͤfinn Douglaß umarmte mich muͤtter - lich, Lord Rich als ein zaͤrtlicher Bruder. Der gute Lord Seymour bewacht mich, als ob er beſorgte es moͤchte Jemand mei - ne Entſchließung aͤndern. Sein Kam - merdiener iſt an ſeine Frau Mutter ge - ſchickt, welche an Tugend und Geiſt eine zweyte Lady Summers ſeyn muß. O ſeg - nen Sie mich, meine Freunde! Mein Herz ſchlaͤgt ruhig. Wie ſelig macht eine Ent - ſchließung, die von Tugend, Weisheit und Rechtſchaffenheit gebilliget wird! Nun freue ich mich auf die Reiſe zu dem Grabe meiner Aeltern. Zu den Fuͤſſen ihres Lei - chenſteins will ich mit meinem Gemahl knien, und ihren himmliſchen Segen auf dieſe Verbindung erflehen. Thraͤnen des Danks will ich auf ihre Aſche vergießen, fuͤr die Liebe der Tugend und der Wohl - thaͤtigkeit, die ſie in meine Seele goſſen, und fuͤr die Sorge, die ſie nahmen, mir richtige Bogriffe von wahrem Gluͤck undII Theil. TUngluͤck290Ungluͤck zu geben! Meine Emilia werd ich umarmen, meine Unterthanen ſehen! O gluͤckliche, ſelige Ausſichten! Mein lie - ber Lord Seymour ſucht ſeinem Bruder nachzufolgen; in allem fragt er Jhn und mit wie vieler zaͤrtlicher Erkenntlichkeit ſehe ich Lord Richs Bemuͤhung um meine Gluͤckſeligkeit, indem er alles verſucht, den ungleichen und oft reiſſenden Lauf von Seymours Charakter ins gleiche und ſanfte zu aͤndern. Er iſt, ſagt er, ein ſchoͤner aber ſtark rauſchender Bach, der im Grund eine Menge reiner Goldkoͤrner fuͤhrt.

Lord Rich an Doctor T.

Jch komme vom Altar, wo mein Bruder eine ewige Verbindung, und ich eine ewige Freyheit meiner Hand geſchworen. Jch gab ihm jene Hand, die mein Herz ſich lange wuͤnſchte, und von deren Mitwer - bung ich abſtund, weil ich mehr Staͤrke in mir fuͤhlte einen Verluſt zu ertragen ais er hat. Es war die Seele, die Ge - ſinnungen der Lady Seymour, die ichliebte.291liebte. Jhre Papiere, die ſie in der vollen Aufrichtigkeit ihres Herzens ſchrieb, be - weiſen mir, daß ſie das Beſte mir ſchenkte, ſo in ihrer Gewalt war; wahre Hochach - tung fuͤr meinen Character, wahres Ver - trauen, zaͤrtliche Wuͤnſche fuͤr mein Gluͤck. Der unaufloͤslich raͤzelhafte Eigenſinn ei - nes einmal gefaßten Vorzugs hatte ſchon lange und unwillkuͤhrlich die Neigung ih - res Herzens gefeſſelt. Jch kenne den hohen Werth ihrer Seele; ihre Freund - ſchaft iſt zaͤrtlicher als die Umarmungen der Liebe einer andern Perſon. Die Herbſt - jahre des Lebens, in denen ich mich befinde, laſſen mich alle reine Suͤßigkeit der Freund - ſchaft mit Ruhe genießen. Jch werde bey dieſen Gluͤcklichen leben; der zweyte Sohn ſoll Lord Rich, ſoll der Sohn meines Her - zens, ſeyn! Alle Tage werde ich mit Lady Seymour ſprechen, und die Schoͤnheit ih - res Geiſtes iſt mein Eigenthum; ich trage zu ihrer Gluͤckſeligkeit bey. Meine Mut - ter ſegnet mich uͤber den Entſchluß von ih - rem geliebten Seymour, und mein Gluͤck haftet an dem von den wuͤdigſten und lieb -T 2ſten292ſten Perſonen die ich kenne. Bald, mein Freund, ſehe ich ſie und ſpreche ſie.

Lady Seymour aus Seymourhouſe an Emilia.

Die erſte freye Stunde meiner Bewoh - nung eines Familienhauſes gebuͤhrte dem Dank an die Vorſicht, die allen meinen Kummer und die fuͤrchterlichen Jrrwege meines Geſchicks in dem Umfang vollkom - mener Gluͤckſeligkeit endigte; Aber die zweyte Stunde gehoͤret der treuen Freun - dinn, die alles Leiden mit mir theilte, die mir es durch ihren Troſt und ihre Liebe erleichterte, und deren Beyſpiel und Rath ich die Staͤrke meiner Anhaͤnglichkeit an Tugend und Klugheit zu danken habe. Emilia, ich bin gluͤcklich; ich bin es voll - kommen, denn ich kann die ſeligſten, die heiligſten Pflichten alle Tage meines Le - bens erfuͤllen. Meine tugendhafte Zaͤrt - lichkeit macht das Gluͤck meines Gemahls; meine kindliche Verehrung und Liebe wirdvon293von ſeiner wuͤrdigen Mutter als die Be - lohnung ihrer geuͤbten Tugenden ange - ſehen. Meine ſchweſterliche Freundſchaft gießt Zufriedenheit in das große aber ſehr empfindliche Herz meines geliebten Lords Rich. Lord Seymour hat weitlaͤuftige Guͤther; er iſt reich, und hat mir eine unumſchraͤnkte Gewalt zum Wohlthun gegeben. O mein Kind, es war gut, daß alle meine Empfindungen durch wi - drige Begebenheiten aufgeweckt und ge - pruͤft wurden; ich bin um ſo viel faͤhiger geworden, jeden Tropfen meines Maaßes von Gluͤckſeligkeit zu ſchmecken. Sie wiſſen, daß ich Gott dankte, daß er in meinem Elende mir den Gebrauch meiner Talente zu Verminderung deſſelben gelaſ - ſen hatte, und meinem Herzen die Freude nicht entzog, wohlthaͤtig zu ſeyn. Jch fuͤhle nun mit aller Staͤrke die verdoppel - ten Pflichten des Gluͤcklichen; Nun muß meine Gelaſſenheit, Demuth, und meine Unterwerfung zur Dankbegierde werden. Meine Kenntniſſe, die die Stuͤtze meiner leidenden Eigenliebe und die HuͤlfsmittelT 3waren,294waren, durch welche ich hier und da einzel - ne Theile von Vergnuͤgen erreichte, ſollen dem Dienſt der Menſchenliebe geweyhet ſeyn, ſie zum Gluͤck derer, die um mich leben und zu Ausſpaͤhung jedes kleinen, jedes verborgenen Jammers meiner Nebenmen - ſchen zu verwenden, um bald große, bald kleine liebreiche Huͤlfe ausfindig zu machen. Kenntniſſe des Geiſtes, Guͤte des Her - zens die Erfahrung hat mir bis an dem Rande meines Grabes bewieſen, daß ihr allein unſere wahre irrdiſche Gluͤckſe - lichkeit ausmachet! An euch ſtuͤtzte meine Seele ſich, als der Kummer ſie der Ver - zweiflung zufuͤhren wollte; Jhr ſollt die Pfeiler meines Gluͤcks werden; auf euch will ich in der Ruhe des Wohlſeyns mich lehnen, und die ewige Guͤte bitten, mich faͤhig zu machen, an der Seite meines edelmuͤthigen menſchenfreundlichen Ge - mahls ein Beyſpiel wohlverwendeter Ge - walt und Reichthuͤmer zu werden!

Sie ſehen, meine Freundinn, daß alle meine Bedenklichkeiten meinen Empfin - dungen weichen mußten. Jch ſah dasVer -295Vergnuͤgen ſo vieler rechtſchaffenen Her - zen an das Gluͤck des meinigen gebunden, daß ich meine Hand gerne zum Unterpfand meiner Liebe fuͤr ihre Zufriedenheit gab. Mylord will ein Schulhaus und ein Ho - ſpital nach der Einrichtung der ſternheimi - ſchen erbauen laſſen; er betreibt den Plan, weil er den Bau waͤhrend unſrer deutſchen Reiſe fuͤhren laſſen will. Kuͤnftige Wo - che gehen wir nach Summerhall; dort wollen wir die Briefe meines Oncles von R erwarten, und dann (ſagen Sey - mour und Rich) wollen ſie jede heilige Staͤtte beſuchen, wo mich mein Kummer herum gefuͤhrt habe. Sie werden alſo, meine Emilia, ſehen, und uͤberzeugt werden, daß die erſte und ſtaͤrkſte Neigung meines Herzens der wuͤrdigſten Perſon meines Geſchlechts gewidmet war. Morgen kom - men Mylord Crafton und Sir Thomas Watſon, meiner Großmutter Bruders Sohn, zu uns; ich werde aber meine uͤbri - gen Verwandten, London und den großen Kreis meiner Nachbarn erſt nach unſerer Zuruͤckkunft aus Deutſchland ſehen.

T 4Mylord296

Mylord Rich an Doctor T.

Jch bin wieder in Seymourhouſe, weil mir ohne die Familie meines Bruders die ganze Erde leer iſt. Mit tauſendfachen geiſtigen Banden hat mich die Lady Sey - mour gefeſſelt, und die Herbſttage meines Lebens wurden ſo gluͤhend, daß unſere Reiſe mich beynahe mein Leben koſtete. Jch ſah ſie in Summerhall; zu Vaels bey ihrer Emilia; in ihrem Geſindhauſe; in D * bey Hofe; in Sternheim bey ihren Unterthanen; bey dem Grabe ihrer Ael - tern! die anbetungswuͤrdige Frau! Jn allen Gelegenheiten, in allen Stel - len, wohin der Lauf des Lebens ſie fuͤhrt, zeigt ſie ſich als das aͤchte Urbild des wah - ren weiblichen Genies, und der uͤbenden Tugenden ihres Geſchlechts. Auf unſe - rer Ruͤckreiſe wurde ſie Mutter; und was fuͤr eine Mutter! O Doctor! ich haͤtte mehr, viel mehr als Menſch ſeyn muͤſſen; wenn der Wunſch, ſie zu meiner Gattinn, zu der Mutter meiner Kinder zu haben, nicht tauſendmal in meinem Her -zen272[297]zen entſtanden waͤre! Mit wie vielem Recht beſitzt die Tugend der großmuͤthi - gen Aufopferung unſers Gluͤcks die erſte Stelle des Ruhms! Wie theuer koſtet ſie auch ein edelgewoͤhntes Herz! Wun - dern Sie ſich ja nicht, wenn ſie ſelten iſt. Doch eine Probe wie diejenige die ich machte, hat nicht leicht Statt. Mit Vergnuͤgen hab ich das Gluͤck mei - nes Bruders dem meinigen vorgezogen. Die Handlung reuet mich nicht, ich litt nicht nur niedertraͤchtigen Neid, ſondern allein durch das gezwungene Stillſchwei - gen meiner Empfindungen, die ich keinem Unheiligen anvertrauen will, um die fal - ſchen Beurtheilungen meiner ehrerbietigen Leidenſchaft zu vermeiden, und die reine Freundſchaft meiner edlen Schweſter in kein zweydeutiges Licht zu bringen. Jch fiel in eine duͤſtre Melancholie, und ent - zog mich Seymours Hauſe auf einige Mo - nate. Die Stille meines Landguths, wo ich ehemals von meiner großen Reiſe aus - ruhete, gab mir dießmal kein ganzes Maaß von Frieden; ich wollte mich uͤber -T 5winden;298winden; aber ich bin an den ſuͤßen Um - gang der fuͤhlbarſten Seele gewoͤhnt; ihre ſchoͤnen Briefe ſind nicht ſie ſelbſt. Mein Lord Rich wurde geboren, und ich flog nach Seymourhouſe; eine ſelige Stunde war es, in welcher Lady Seymour mir dieſes Kind auf die Arme gab, und mir allem Reiz ihren ſeelenvollen Phiſionomie und Stimme ſagte: Hier haben Sie ihren jungen Rich; Gott gebe ihm mit Jhrem Namen Jhren Geiſt, und ihr Herz! Ein entzuͤckender Schmerz durchdrang meine Seele. Er ruht in mir; Niemand ſoll jemals eine Beſchreibung von ihm haben. Der kleine Rich hat die Zuͤge ſeiner Mutter; dieſe Aehnlichkeit ſchließt ein großes Gluͤck fuͤr mich in ſich; Wenn ich das Leben behalte, ſoll dieſer Knabe keinen andern Hofmeiſter, keinen andern Begleiter auf ſeinen Reiſen haben, als mich. Alle Ausgaben fuͤr ihn, ſind meine; ſeine Leute ſind doppelt be - lohnt; ich ſchlafe neben ſeinem Zimmer; ja ich baue ein Haus am Ende des Gar - tens, in das ich mit ihm ziehen werde,wenn299wenn er volle zwey Jahre alt ſeyn wird. Jndeſſen bilde ich mir die Leute, die um ihn ſeyn werden. Dieſes Kind iſt die Stuͤtze meiner Vernunft und meiner Ruhe geworden. Wie werth macht ihn mir jede Umarmung, jede zaͤrtliche Sorge, die er von ſeiner Mutter erhaͤlt und wie gluͤcklich waͤchſt er und ſein Bruder auf! Jede Handlung ihrer Aeltern ſind Bey - ſpiele von Guͤte und Edelmuͤthigkeit. Segen und Freude bluͤhen in jedem Ge - fielde der Gebiete meines Bruders; Dankſagungen und Wuͤnſche begleiten jeden Schritt, den er mit ſeiner Gattinn macht. Mit einer Hand ſtuͤtzen ſie das leidende Verdienſt und helfen andrer Elende ab; mit der andern ſtreuen ſie Verzierungen in der ganzen Herrſchaft aus, aber dieß mit der feinſten Unterſchei - dung. Denn die Lady Seymour ſagt: niemals muͤſſe auf dem Lande die Kunſt die Natur beherrſchen; man ſolle nur die Fußſtapfen ihrer fluͤchtigen Durchreiſe und hier und da einen kleinen Platz ſehen, wo ſie ein wenig ausgeruhet haͤtte. Un -ſere300ſere Abende, und unſere Mahlzeiten ſind reizend; ein munterer Geiſt und die Maͤßig - keit beleben und regieren ſie. Froͤhlich treten wir in die Reihen der Landtaͤnze unſerer Paͤchter, deren Freude wir durch unſern Antheil verdoppeln. Die Geſell - ſchaft der Lady Seymour wird von dem Verdienſt geſucht, ſo wie Laſter und Dummheit vor ihr fliehen; Sie koͤnnen hoffen, in unſerem Hauſe wechſels weiſe jede Schattierung, von Talenten und Tu - genden zu finden, die in dem Kreiſe von etlichen Meilen um uns wohnen. Und hier hat der Charakter meiner geliebten Lady Seymour einen neuen Glanz da - durch erhalten, daß ſie die Verdienſte an - derer Perſonen Jhres Geſchlechts ſo leb - haft fuͤhlt und ſchaͤtzt. Mein Bruder iſt der beſte Ehemann und wuͤrdigſte Ge - bieter von etlichen Hundert Unterthanen geworden; Seligkeit iſt in ſeinem Ge - ſichte, wenn er ſeinen Sohn, an der Bruſt der beſten Frau, Tugend einſaugen ſieht; und jeder Tag nimmt etwas von dem lo - dernden Feuer hinweg, welches in alleſeine301ſeine Empfindungen gedrungen waͤre. Er hat die ſchwere Kunſt gelernt, ſein Gluͤck zu genießen, ohne irgend Jemand durch ein außerordentliches Geraͤuſche mit ſeinem Gluͤcke Schmerzen zu machen. Das einfache obgleich edle Ausſehen un - ſerer Kleidung und unſers Hauſes laͤßt auch die aͤrmſte Familie unſerer Nachbar - ſchaft mit Zuverſicht und Freude zu uns kommen. Von dieſen Familien nimmt Lady Seymour von Zeit zu Zeit ein Paar Toͤchter zu ſich, und floͤßt durch Beyſpiel und liebreiches Bezeugen die Liebe der Tugend und ſchoͤnen Kenntniſſe in ſie. Der reizende Enthuſiasmus von Wohl - thaͤtigkeit, die lebendige Empfindung des Edlen und Guten beſeelt jeden Athem - zug meiner geliebten Schweſter. Sie begnuͤgt ſich nicht gut zu denken; alle ihre Geſinnungen muͤſſen Handlungen werden. Gewiß iſt niemals kein inniger Gebet zum Himmel gegangen, als die Dankſagung war, welche ich die Lady Seymour fuͤr die Empfindſamkeit ihres Herzens, und fuͤr die Macht Gutes zuthun302thun mit thraͤnenden Augen ausſprechen hoͤrte. Wie viel Segen, wie viele Be - lohnung verdienen die, welche uns den Beweis geben, daß alles, was die Moral fodert, moͤglich ſey, und daß dieſe Uebun - gen den Genuß der Freuden des Lebens nicht ſtoͤren, ſondern ſie veredeln und beſtaͤtigen, und unſer wahres Gluͤck zu allen Zufaͤllen des Lebens ſind!

Druckfehler.

  • Jm I. Theil S. 100 iſt zu Ende des Briefes nach den Worten da Sie den treuen Segen Jhres Vaters und alle Tugenden Jhres Geſchlechts, durch ein Verſehen ausgelaſſen worden.
  • Andre wenig erhebliche Fehler wird der geneigte Leſer ſelbſt leicht verbeſſern koͤnnen.

About this transcription

TextGeschichte des Fräuleins von Sternheim
Author Sophie von La Roche
Extent312 images; 43893 tokens; 7245 types; 299019 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationGeschichte des Fräuleins von Sternheim Zweyter Theil Sophie von La Roche. Christoph Martin Wieland (ed.) . [1] Bl., 302 S. Weidmann u. ReichLeipzig1771.

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HAB Wolfenbüttel HAB Wolfenbüttel, Wa 7074Dig: http://diglib.hab.de/drucke/wa-7074-2b/start.htm

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:32:28Z
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ShelfmarkHAB Wolfenbüttel, Wa 7074
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