Den ein und vierzigſten Abend (Freytags, den 10ten Julius,) wurden Cenie und der Mann nach der Uhr, wiederholt. (*)S. den 23ſten und 29ſten Abend, Seite 153 und 172.„ Cenie, ſagt Chevrier gerade heraus,(**)Obſervateur des Spectacles Tome I. p. 211. führet den Namen der Frau von Graffigni, iſt aber ein Werk des Abts von Voiſenon. Es war Anfangs in Verſen; weil aber die Frau von Graffigni, der es erſt in ihrem vier und funfzigſten Jahre einfiel, die Schriftſtellerinn zu ſpielen, in ihrem Leben keinen Vers gemacht hatte, ſo ward Cenie in Proſa gebracht. Mais l’Auteur, fügt er hinzu, y a laiſſé 81 vers qui y exiſtent dans leur entier. „ Das iſt, ohne Zweifel, von einzeln hin und wieder zer -ſtreu -A2ſtreuten Zeilen zu verſtehen, die den Reim ver - loren, aber die Sylbenzahl beybehalten haben. Doch wenn Chevrier keinen andern Beweis hat - te, daß das Stück in Verſen geweſen: ſo iſt es ſehr erlaubt, daran zu zweifeln. Die franzöſi - ſchen Verſe kommen überhaupt der Proſa ſo nahe, daß es Mühe koſten ſoll, nur in einem etwas geſuchteren Stile zu ſchreiben, ohne daß ſich nicht von ſelbſt ganze Verſe zuſammen fin - den, denen nichts wie der Reim mangelt. Und gerade denjenigen, die gar keine Verſe machen, können dergleichen Verſe am erſten entwiſchen; eben weil ſie gar kein Ohr für das Metrum ha - ben, und es alſo eben ſo wenig zu vermeiden, als zu beobachten verſtehen.
Was hat Cenie ſonſt für Merkmahle, daß ſie nicht aus der Feder eines Frauenzimmers könne gefloſſen ſeyn? „ Das Frauenzimmer überhaupt, ſagt Rouſſeau,(*)à d’Alembert p. 193. liebt keine einzige Kunſt, verſteht ſich auf keine einzige, und an Genie fehlt es ihm ganz und gar. Es kann in kleinen Werken glücklich ſeyn, die nichts als leichten Witz, nichts als Geſchmack, nichts als Anmuth, höchſtens Gründlichkeit und Philoſophie ver - langen. Es kann ſich Wiſſenſchaft, Gelehr - ſamkeit und alle Talente erwerben, die ſich durch Mühe und Arbeit erwerben laſſen. Aber jenes himmliſche Feuer, welches die Seele erhitzet undent -3entflammet, jenes um ſich greifende verzehrende Genie, jene brennende Beredſamkeit, jene er - habene Schwünge, die ihr Entzückendes dem Innerſten unſeres Herzens mittheilen, werden den Schriften des Frauenzimmers allezeit feh - len. „
Alſo fehlen ſie wohl auch der Cenie? Oder, wenn ſie ihr nicht fehlen, ſo muß Cenie nothwen - dig das Werk eines Mannes ſeyn? Rouſſeau ſelbſt würde ſo nicht ſchlieſſen. Er ſagt viel - mehr, was er dem Frauenzimmer überhaupt ab - ſprechen zu müſſen glaube, wolle er darum kei - ner Frau insbeſondere ſtreitig machen. (Ce n’eſt pas à une femme, mais aux femmes que je refuſe les talens des hommes(*)Ibid. p. 78..) Und dieſes ſagt er eben auf Veranlaſſung der Cenie; eben da, wo er die Graffigni als die Verfaſſerinn derſelben anführt. Dabey merke man wohl, daß Graffigni ſeine Freundinn nicht war, daß ſie übels von ihm geſprochen hatte, daß er ſich an eben der Stelle über ſie beklagt. Dem ohngeachtet erklärt er ſie lieber für eine Ausnahme ſeines Satzes, als daß er im gering - ſten auf das Vorgeben des Chevrier anſpielen ſollte, welches er zu thun, ohne Zweifel, Frey - müthigkeit genug gehabt hätte, wenn er nicht von dem Gegentheile überzeugt geweſen wäre.
A 2Che -4Chevrier hat mehr ſolche verkleinerliche ge - heime Nachrichten. Eben dieſer Abt, wie Che - vrier wiſſen will, hat für die Favart gearbeitet. Er hat die komiſche Oper, Annette und Lubin, gemacht; und nicht Sie, die Aktrice, von der er ſagt, daß ſie kaum leſen könne. Sein Be - weis iſt ein Gaſſenhauer, der in Paris darüber herumgegangen; und es iſt allerdings wahr, daß die Gaſſenhauer in der franzöſiſchen Ge - ſchichte überhaupt unter die glaubwürdigſten Dokumente gehören.
Warum ein Geiſtlicher ein ſehr verliebtes Singſpiel unter fremdem Namen in die Welt ſchicke, ließe ſich endlich noch begreifen. Aber warum er ſich zu einer Cenie nicht bekennen wol - le, der ich nicht viele Predigten vorziehen möchte, iſt ſchwerlich abzuſehen. Dieſer Abt hat ja ſonſt mehr als ein Stück aufführen und drucken laſ - ſen, von welchen ihn jedermann als den Verfaſ - ſer kennet, und die der Cenie bey weiten nicht gleich kommen. Wenn er einer Frau von vier und funfzig Jahren eine Galanterie machen woll - te, iſt es wahrſcheinlich, daß er es gerade mit ſeinem beſten Werke würde gethan haben? —
Den zwey und vierzigſten Abend (Montags, den 13ten Julius,) ward die Frauenſchule von Moliere aufgeführt.
Moliere hatte bereits ſeine Männerſchule ge - macht, als er im Jahre 1662 dieſe Frauenſchuledarauf5darauf folgen ließ. Wer beide Stücke nicht kennet, würde ſich ſehr irren, wenn er glaubte, daß hier den Frauen, wie dort den Männern, ihre Schuldigkeit geprediget würde. Es ſind beides witzige Poſſenſpiele, in welchen ein Paar junge Mädchen, wovon das eine in aller Strenge erzogen und das andere in aller Einfalt aufge - wachſen, ein Paar alte Laffen hintergehen; und die beide die Männerſchule heiſſen müßten, wenn Moliere weiter nichts darinn hätte lehren wol - len, als daß das dümmſte Mädchen noch immer Verſtand genug habe zu betrügen, und daß Zwang und Aufſicht weit weniger fruchte und nutze, als Nachſicht und Freyheit. Wirklich iſt für das weibliche Geſchlecht in der Frauen - ſchule nicht viel zu lernen; es wäre denn, daß Moliere mit dieſem Titel auf die Eheſtandsregeln, in der zweyten Scene des dritten Akts, geſehen hätte, mit welchen aber die Pflichten der Wei - ber eher lächerlich gemacht werden.
„ Die zwey glücklichſten Stoffe zur Tragödie und Komödie, ſagt Trublet,(*)Eſſais de Litt. & de Morale T. IV. p. 295. ſind der Cid und die Frauenſchule. Aber beide ſind vom Corneille und Moliere bearbeitet worden, als dieſe Dichter ihre völlige Stärke noch nicht hat - ten. Dieſe Anmerkung, fügt er hinzu, habe ich von dem Hrn. von Fontenelle. „
A 3Wenn6Wenn doch Trublet den Hrn. von Fontenelle gefragt hätte, wie er dieſes meine. Oder Falls es ihm ſo ſchon verſtändlich genug war, wenn er es doch auch ſeinen Leſern mit ein Paar Wor - ten hätte verſtändlich machen wollen. Ich we - nigſtens bekenne, daß ich gar nicht abſehe, wo Fontenelle mit dieſem Räthſel hingewollt. Ich glaube, er hat ſich verſprochen; oder Trublet hat ſich verhört.
Wenn indeß, nach der Meinung dieſer Män - ner, der Stoff der Frauenſchule ſo beſonders glücklich iſt, und Moliere in der Ausführung deſſelben nur zu kurz gefallen: ſo hätte ſich dieſer auf das ganze Stück eben nicht viel einzubilden gehabt. Denn der Stoff iſt nicht von ihm; ſondern Theils aus einer Spaniſchen Erzehlung, die man bey dem Scarron, unter dem Titel, die vergebliche Vorſicht, findet, Theils aus den ſpaßhaften Nächten des Straparolle genommen, wo ein Liebhaber einem ſeiner Freunde alle Tage vertrauet, wie weit er mit ſeiner Geliebten ge - kommen, ohne zu wiſſen, daß dieſer Freund ſein Nebenbuhler iſt.
„ Die Frauenſchule, ſagt der Herr von Vol - taire, war ein Stück von einer ganz neuen Gat - tung, worinn zwar alles nur Erzehlung, aber doch ſo künſtliche Erzehlung iſt, daß alles Hand - lung zu ſeyn ſcheinet. „
Wenn7Wenn das Neue hierinn beſtand, ſo iſt es ſehr gut, daß man die neue Gattung eingehen laſſen. Mehr oder weniger künſtlich, Erzeh - lung bleibt immer Erzehlung, und wir wollen auf dem Theater wirkliche Handlungen ſehen. — Aber iſt es denn auch wahr, daß alles darinn erzehlt wird? daß alles nur Handlung zu ſeyn ſcheint? Voltaire hätte dieſen alten Einwurf nicht wieder aufwärmen ſollen; oder, anſtatt ihn in ein anſcheinendes Lob zu verkehren, hätte er wenigſtens die Antwort beyfügen ſollen, die Moliere ſelbſt darauf ertheilte, und die ſehr paſ - ſend iſt. Die Erzehlungen nehmlich ſind in die - ſem Stücke, vermöge der innern Verfaſſung deſſelben, wirkliche Handlung; ſie haben alles, was zu einer komiſchen Handlung erforderlich iſt; und es iſt bloße Wortklauberey, ihnen die - ſen Namen hier ſtreitig zu machen. (*)In der Kritik der Frauenſchule, in der Per - ſon des Dorante: Les recits euxmêmes y ſont des actions ſuivant la conſtitution du ſujet. Denn es kömmt ja weit weniger auf die Vorfälle an, welche erzehlt werden, als auf den Eindruck, welchen dieſe Vorfälle auf den betrognen Alten machen, wenn er ſie erfährt. Das Lächerliche dieſes Alten wollte Moliere vornehmlich ſchil - dern; ihn müſſen wir alſo vornehmlich ſehen, wie er ſich bey dem Unfalle, der ihm drohet, ge -behr -8behrdet; und dieſes hätten wir ſo gut nicht geſe - hen, wenn der Dichter das, was er erzehlen läßt, vor unſern Augen hätte vorgehen laſſen, und das, was er vorgehen läßt, dafür hätte er - zehlen laſſen. Der Verdruß, den Arnolph empfindet; der Zwang, den er ſich anthut, die - ſen Verdruß zu verbergen; der höhniſche Ton, den er annimmt, wenn er den weitern Progreſſe des Horaz nun vorgebauet zu haben glaubet; das Erſtaunen, die ſtille Wuth, in der wir ihn ſehen, wenn er vernimmt, daß Horaz dem ohn - geachtet ſein Ziel glücklich verfolgt: das ſind Handlungen, und weit komiſchere Handlungen, als alles, was außer der Scene vorgeht. Selbſt in der Erzehlung der Agneſe, von ihrer mit dem Horaz gemachten Bekanntſchaft, iſt mehr Hand - lung, als wir finden würden, wenn wir dieſe Bekanntſchaft auf der Bühne wirklich machen ſähen.
Alſo, anſtatt von der Frauenſchule zu ſagen, daß alles darinn Handlung ſcheine, obgleich alles nur Erzehlung ſey, glaubte ich mit meh - rerm Rechte ſagen zu können, daß alles Hand - lung darinn ſey, obgleich alles nur Erzehlung zu ſeyn ſcheine.
Den drey und vierzigſten Abend (Dienſtags, den 14ten Julius,) ward die Mütter - ſchule des La Chauſſee, und den vier und vierzigſten Abend (als den 15ten,) der Graf von Eſſex wiederholt. (*)S. den 26ſten u. 30ſten Abend Seite 161 u. 173.
Da die Engländer von je her ſo gern dome - ſtica facta auf ihre Bühne gebracht haben, ſo kann man leicht vermuthen, daß es ihnen auch an Trauerſpielen über dieſen Gegenſtand nicht fehlen wird. Das älteſte iſt das von Joh. Banks, unter dem Titel, der unglückliche Lieb - ling, oder Graf von Eſſex. Es kam 1682 aufs Theater, und erhielt allgemeinen Beyfall. Damals aber hatten die Franzoſen ſchon drey Eſſexe; des Calprenede von 1638; des Boyer von 1678, und des jüngern Corneille, von ebendie -B10dieſem Jahre. Wollten indeß die Engländer, daß ihnen die Franzoſen auch hierinn nicht möch - ten zuvorgekommen ſeyn, ſo würden ſie ſich viel - leicht auf Daniels Philotas beziehen können; ein Trauerſpiel von 1611, in welchem man die Geſchichte und den Charakter des Grafen, unter fremden Namen, zu finden glaubte. (*)Cibber’s Lives of the Engl. Poets. Vol. I. p. 147.
Banks ſcheinet keinen von ſeinen franzöſiſchen Vorgängern gekannt zu haben. Er iſt aber ei - ner Novelle gefolgt, die den Titel, Geheime Geſchichte der Königinn Eliſabeth und des Gra - fen von Eſſex, führet,(**)The Companion to the Theatre. Vol. II. p. 99. wo er den ganzen Stoff ſich ſo in die Hände gearbeitet fand, daß er ihn blos zu dialogiren, ihm blos die äußere dramatiſche Form zu ertheilen brauchte. Hier iſt der ganze Plan, wie er von dem Verfaſſer der unten angeführten Schrift, zum Theil, ausge - zogen worden. Vielleicht, daß es meinen Leſern nicht unangenehm iſt, ihn gegen das Stück des Corneille halten zu können.
„ Um unſer Mitleid gegen den unglücklichen Grafen deſto lebhafter zu machen, und die hef - tige Zuneigung zu entſchuldigen, welche die Kö - niginn für ihn äußert, werden ihm alle die erha - benſten Eigenſchaften eines Helden beygelegt;und11und es fehlt ihm zu einem vollkommenen Cha - rakter weiter nichts, als daß er ſeine Leidenſchaf - ten nicht beſſer in ſeiner Gewalt hat. Burleigh, der erſte Miniſter der Königinn, der auf ihre Ehre ſehr eiferſüchtig iſt, und den Grafen wegen der Gunſtbezeigungen beneidet, mit welchen ſie ihn überhäuft, bemüht ſich unabläßig, ihn ver - dächtig zu machen. Hierinn ſteht ihm Sir Walter Raleigh, welcher nicht minder des Gra - fen Feind iſt, treulich bey; und beide werden von der boshaften Gräfinn von Nottingham noch mehr verhetzt, die den Grafen ſonſt geliebt hatte, nun aber, weil ſie keine Gegenliebe von ihm erhalten können, was ſie nicht beſitzen kann, zu verderben ſucht. Die ungeſtüme Gemüths - art des Grafen macht ihnen nur allzugutes Spiel, und ſie erreichen ihre Abſicht auf fol - gende Weiſe.
Die Königinn hatte den Grafen, als ihren Generaliſſimus, mit einer ſehr anſehnlichen Ar - mee gegen den Tyrone geſchickt, welcher in Irr - land einen gefährlichen Aufſtand erregt hatte. Nach einigen nicht viel bedeutenden Schar - mützeln ſahe ſich der Graf genöthiget, mit dem Feinde in Unterhandlung zu treten, weil ſeine Truppen durch Strabazen und Krankheiten ſehr abgemattet waren, Tyrone aber mit ſeinen Leu - ten ſehr vortheilhaft poſtiret ſtand. Da dieſe Unterhandlung zwiſchen den Anführern münd -B 2lich12lich betrieben ward, und kein Menſch dabey zu - gegen ſeyn durfte: ſo wurde ſie der Königinn als ihrer Ehre höchſt nachtheilig, und als ein gar nicht zweydeutiger Beweis vorgeſtellet, daß Eſſex mit den Rebellen in einem heimlichen Ver - ſtändniſſe ſtehen müſſe. Burleigh und Raleigh, mit einigen andern Parlamentsgliedern, treten ſie daher um Erlaubniß an, ihn des Hochver - raths anklagen zu dürfen, welches ſie aber ſo wenig zu verſtatten geneigt iſt, daß ſie ſich viel - mehr über ein dergleichen Unternehmen ſehr aufgebracht bezeiget. Sie wiederholt die vori - gen Dienſte, welche der Graf der Nation er - wieſen, und erklärt, daß ſie die Undankbarkeit und den boshaften Neid ſeiner Ankläger verab - ſcheue. Der Graf von Southampton, ein auf - richtiger Freund des Eſſex, nimmt ſich zugleich ſeiner auf das lebhafteſte an; er erhebt die Ge - rechtigkeit der Königinn, einen ſolchen Mann nicht unterdrücken zu laſſen; und ſeine Feinde müſſen vor dieſesmal ſchweigen. (Erſter Akt.)
Indeß iſt die Königinn mit der Aufführung des Grafen nichts weniger, als zufrieden, ſon - dern läßt ihm befehlen, ſeine Fehler wieder gut zu machen, und Irrland nicht eher zu verlaſſen, als bis er die Rebellen völlig zu Paaren getrie - ben, und alles wieder beruhiget habe. Doch Eſſex, dem die Beſchuldigungen nicht unbekannt geblieben, mit welchen ihn ſeine Feinde bey ihran -13anzuſchwärzen ſuchen, iſt viel zu ungeduldig, ſich zu rechtfertigen, und kömmt, nachdem er den Tyrone zu Niederlegung der Waffen ver - mocht, des ausdrücklichen Verbots der Königinn ungeachtet, nach England über. Dieſer unbe - dachtſame Schritt macht ſeinen Feinden eben ſo viel Vergnügen, als ſeinen Freunden Unruhe; beſonders zittert die Gräfinn von Rutland, mit welcher er insgeheim verheyrathet iſt, vor den Fol - gen. Am meiſten aber betrübt ſich die Königinn, da ſie ſieht, daß ihr durch dieſes raſche Betra - gen aller Vorwand benommen iſt, ihn zu ver - treten, wenn ſie nicht eine Zärtlichkeit verrathen will, die ſie gern vor der ganzen Welt verbergen möchte. Die Erwägung ihrer Würde, zu wel - cher ihr natürlicher Stolz kömmt, und die heim - liche Liebe, die ſie zu ihm trägt, erregen in ihrer Bruſt den grauſamſten Kampf. Sie ſtreitet lange mit ſich ſelbſt, ob ſie den verwegnen Mann nach dem Tower ſchicken, oder den geliebten Verbrecher vor ſich laſſen und ihm erlauben ſoll, ſich gegen ſie ſelbſt zu rechtfertigen. Endlich entſchließt ſie ſich zu dem letztern, doch nicht ohne alle Einſchränkung; ſie will ihn ſehen, aber ſie will ihn auf eine Art empfangen, daß er die Hoffnung wohl verlieren ſoll, für ſeine Verge - hungen ſo bald Vergebung zu erhalten. Bur - leigh, Raleigh und Nottingham ſind bey dieſer Zuſammenkunft gegenwärtig. Die KöniginnB 3iſt14iſt auf die letztere gelehnet, und ſcheinet tief im Geſpräche zu ſeyn, ohne den Grafen nur ein einzigesmal anzuſehen. Nachdem ſie ihn eine Weile vor ſich knien laſſen, verläßt ſie auf ein - mal das Zimmer, und gebiethet allen, die es redlich mit ihr meinen, ihr zu folgen, und den Verräther allein zu laſſen. Niemand darf es wagen, ihr ungehorſam zu ſeyn; ſelbſt Sout - hampton gehet mit ihr ab, kömmt aber bald, mit der troſtloſen Rutland, wieder, ihren Freund bey ſeinem Unfalle zu beklagen. Gleich darauf ſchicket die Königinn den Burleigh und Raleigh zu dem Grafen, ihm den Kommandoſtab abzu - nehmen; er weigert ſich aber, ihn in andere, als in der Königinn eigene Hände, zurück zu liefern, und beiden Miniſtern wird, ſowohl von ihm, als von dem Southampton, ſehr verächt - lich begegnet. (Zweyter Akt.)
Die Königinn, der dieſes ſein Betragen ſo - gleich hinterbracht wird, iſt äußerſt gereitzt, aber doch in ihren Gedanken noch immer unei - nig. Sie kann weder die Verunglimpfungen, deren ſich die Nottingham gegen ihn erkühnt, noch die Lobſprüche vertragen, die ihm die un - bedachtſame Rutland aus der Fülle ihres Her - zens ertheilet; ja, dieſe ſind ihr noch mehr zu - wider als jene, weil ſie daraus entdeckt, daß die Rutland ihn liebet. Zuletzt befiehlt ſie, dem ohngeachtet, daß er vor ſie gebracht werdenſoll.15ſoll. Er kömmt, und verſucht es, ſeine Auf - führung zu vertheidigen. Doch die Gründe, die er desfalls beybringt, ſcheinen ihr viel zu ſchwach, als daß ſie ihren Verſtand von ſeiner Unſchuld überzeugen ſollten. Sie verzeihet ihm, um der geheimen Neigung, die ſie für ihn hägt, ein Genüge zu thun; aber zugleich entſetzt ſie ihn aller ſeiner Ehrenſtellen, in Betrachtung deſſen, was ſie ſich ſelbſt, als Königinn, ſchuldig zu ſeyn glaubt. Und nun iſt der Graf nicht län - ger vermögend, ſich zu mäßigen; ſeine Unge - ſtümheit bricht los; er wirft den Stab zu ih - ren Füßen, und bedient ſich verſchiedner Aus - drücke, die zu ſehr wie Vorwürfe klingen, als daß ſie den Zorn der Königinn nicht aufs höchſte treiben ſollten. Auch antwortet ſie ihm darauf, wie es Zornigen ſehr natürlich iſt; ohne ſich um Anſtand und Würde, ohne ſich um die Folgen zu bekümmern: nehmlich, anſtatt der Antwort, giebt ſie ihm eine Ohrfeige. Der Graf greift nach dem Degen; und nur der einzige Gedanke, daß es ſeine Königinn, daß es nicht ſein König iſt, der ihn geſchlagen, mit einem Worte, daß es eine Frau iſt, von der er die Ohrfeige hat, hält ihn zurück, ſich thätlich an ihr zu vergehen. Southampton beſchwört ihn, ſich zu faſſen; aber er wiederholt ſeine ihr und dem Staate geleiſteten Dienſte nochmals, und wirft dem Burleigh und Raleigh ihren niederträchtigenNeid,16Neid, ſo wie der Königinn ihre Ungerechtigkeit vor. Sie verläßt ihn in der äußerſten Wuth; und niemand als Southampton bleibt bey ihm, der Freundſchaft genug hat, ſich itzt eben am wenigſten von ihm trennen zu laſſen. (Dritter Akt.)
Der Graf geräth über ſein Unglück in Ver - zweiflung; er läuft wie unſinnig in der Stadt herum, ſchreyet über das ihm angethane Un - recht, und ſchmähet auf die Regierung. Alles das wird der Königinn, mit vielen Uebertrei - bungen, wiedergeſagt, und ſie giebt Befehl, ſich der beiden Grafen zu verſichern. Es wird Mannſchaft gegen ſie ausgeſchickt, ſie werden gefangen genommen, und in den Tower in Ver - haft geſetzt, bis daß ihnen der Proceß kann ge - macht werden. Doch indeß hat ſich der Zorn der Königinn gelegt, und günſtigern Gedan - ken für den Eſſex wiederum Raum gemacht. Sie will ihn alſo, ehe er zum Verhöre geht, allem, was man ihr darwider ſagt, ungeachtet, nochmals ſehen; und da ſie beſorgt, ſeine Verbrechen möchten zu ſtrafbar befunden werden, ſo giebt ſie ihm, um ſein Le - ben wenigſtens in Sicherheit zu ſetzen, einen Ring, mit dem Verſprechen, ihm gegen dieſen Ring, ſobald er ihn ihr zuſchicke, alles, was er verlangen würde, zu gewähren. Faſt aber bereuet ſie es wieder, daß ſie ſo gütig gegen ihn geweſen, als ſie gleich darauf erfährt, daß er mit der Rutland vermählt iſt; und es von der Rutland ſelbſt erfährt, die für ihn um Gnade zu bitten kömmt. (Vierter Akt.)
Was die Königinn gefürchtet hatte, ge - ſchieht; Eſſex wird nach den Geſetzen ſchuldig befunden und verurtheilet, den Kopf zu verlieren; ſein Freund Southampton desgleichen. Nun weiß zwar Eliſabeth, daß ſie, als Königinn, den Verbrecher begnadigen kann; aber ſie glaubt auch, daß eine ſolche frey - willige Begnadigung auf ihrer Seite eine Schwäche verrathen würde, die keiner Königinn gezieme; und alſo will ſie ſo lange warten, bis er ihr den Ring ſenden, und ſelbſt um ſein Leben bitten wird. Voller Ungeduld indeß, daß es je eher je lieber geſchehen möge, ſchickt ſie die Nottingham zu ihm, und läßt ihn erinnern, an ſeine Rettung zu denken. Nottingham ſtellt ſich, das zärtlichſte Mitleid für ihn zu fühlen; und er vertrauet ihr das koſtbare Unterpfand ſei - nes Lebens, mit der demüthigſten Bitte an dieCKö -18Königinn, es ihm zu ſchenken. Nun hat Not - tingham alles, was ſie wünſchet; nun ſteht es bey ihr, ſich wegen ihrer verachteten Liebe an dem Grafen zu rächen. Anſtatt alſo das auszu - richten, was er ihr aufgetragen, verleumdet ſie ihn auf das boshafteſte, und mahlt ihn ſo ſtolz, ſo trotzig, ſo feſt entſchloſſen ab, nicht um Gnade zu bitten, ſondern es auf das Aeußerſte ankommen zu laſſen, daß die Königinn dem Berichte kaum glauben kann, nach wiederholter Verſicherung aber, voller Wuth und Verzweif - lung den Befehl ertheilet, das Urtheil ohne Anſtand an ihm zu vollziehen. Dabey giebt ihr die boshafte Nottingham ein, den Grafen von Southampton zu begnadigen, nicht weil ihr das Unglück deſſelben wirklich nahe geht, ſondern weil ſie ſich einbildet, daß Eſſex die Bit - terkeit ſeiner Strafe um ſo vielmehr empfinden werde, wenn er ſieht, daß die Gnade, die man ihm verweigert, ſeinem mitſchuldigen Freunde nicht entſtehe. In eben dieſer Abſicht räth ſie der Königinn auch, ſeiner Gemahlinn, der Gräfinn von Rutland, zu erlauben, ihn noch vor ſeiner Hinrichtung zu ſehen. Die Königinn williget in beides, aber zum Unglücke für die grauſame Rathgeberinn; denn der Graf giebt ſeiner Gemahlinn einen Brief an die Königinn, die ſich eben in den Tower befindet, und ihn kurz darauf, als man den Grafen abgeführet,er -19erhält. Aus dieſem Briefe erſieht ſie, daß der Graf der Nottingham den Ring gegeben, und ſie durch dieſe Verrätherinn um ſein Leben bitten laſſen. Sogleich ſchickt ſie, und läßt die Voll - ſtreckung des Urtheils unterſagen; doch Bur - leigh und Raleigh, dem ſie aufgetragen war, hatten ſo ſehr damit geeilet, daß die Bothſchaft zu ſpät kömmt. Der Graf iſt bereits todt. Die Königinn geräth vor Schmerz außer ſich, ver - bannt die abſcheuliche Nottingham auf ewig aus ihren Augen, und giebt allen, die ſich als Feinde des Grafen erwieſen hatten, ihren bitterſten Un - willen zu erkennen. „
Aus dieſem Plane iſt genugſam abzunehmen, daß der Eſſex des Banks ein Stück von weit mehr Natur, Wahrheit und Uebereinſtimmung iſt, als ſich in dem Eſſex des Corneille findet. Banks hat ſich ziemlich genau an die Geſchichte gehalten, nur daß er verſchiedne Begebenheiten näher zuſammen gerückt, und ihnen einen un - mittelbarern Einfluß auf das endliche Schickſal ſeines Helden gegeben hat. Der Vorfall mit der Ohrſeige iſt eben ſo wenig erdichtet, als der mit dem Ringe; beide finden ſich, wie ich ſchon angemerkt, in der Hiſtorie, nur jener weit frü - her und bey einer ganz andern Gelegenheit; ſo wie es auch von dieſem zu vermuthen. Denn es iſt begreiflicher, daß die Königinn dem Gra - fen den Ring zu einer Zeit gegeben, da ſie mitC 2ihm20ihm vollkommen zufrieden war, als daß ſie ihm dieſes Unterpfand ihrer Gnade itzt erſt ſollte ge - ſchenkt haben, da er ſich ihrer eben am meiſten verluſtig gemacht hatte, und der Fall, ſich deſ - ſen zu gebrauchen, ſchon wirklich da war. Die - ſer Ring ſollte ſie erinnern, wie theuer ihr der Graf damals geweſen, als er ihn von ihr erhal - ten; und dieſe Erinnerung ſollte ihm alsdann alle das Verdienſt wiedergeben, welches er un - glücklicher Weiſe in ihren Augen etwa könnte verloren haben. Aber was braucht es dieſes Zeichens, dieſer Erinnerung von heute bis auf morgen? Glaubt ſie ihrer günſtigen Geſinnun - gen auch auf ſo wenige Stunden nicht mächtig zu ſeyn, daß ſie ſich mit Fleiß auf eine ſolche Art feſſeln will? Wenn ſie ihm in Ernſte ver - geben hat, wenn ihr wirklich an ſeinem Leben gelegen iſt: wozu das ganze Spiegelgefechte? Warum konnte ſie es bey den mündlichen Ver - ſicherungen nicht bewenden laſſen? Gab ſie den Ring, blos um den Grafen zu beruhigen; ſo verbindet er ſie, ihm ihr Wort zu halten, er mag wieder in ihre Hände kommen, oder nicht. Gab ſie ihn aber, um durch die Wiedererhaltung deſſelben von der fortdauernden Reue und Unter - werfung des Grafen verſichert zu ſeyn: wie kann ſie in einer ſo wichtigen Sache ſeiner tödlichſten Feindinn glauben? Und hatte ſich die Notting - ham nicht kurz zuvor gegen ſie ſelbſt als eine ſolche bewieſen?
So21So wie Banks alſo den Ring gebraucht hat, thut er nicht die beſte Wirkung. Mich dünkt, er würde eine weit beſſere thun, wenn ihn die Königinn ganz vergeſſen hätte, und er ihr plötz - lich, aber auch zu ſpät, eingehändiget würde, indem ſie eben von der Unſchuld, oder wenig - ſtens geringern Schuld des Grafen, noch aus andern Gründen überzeugt würde. Die Schen - kung des Ringes hätte vor der Handlung des Stücks lange müſſen vorhergegangen ſeyn, und blos der Graf hätte darauf rechnen müſſen, aber aus Edelmuth nicht eher Gebrauch davon machen wollen, als bis er geſehen, daß man auf ſeine Rechtfertigung nicht achte, daß die Königinn zu ſehr wider ihn eingenommen ſey, als daß er ſie zu überzeugen hoffen könne, daß er ſie alſo zu bewegen ſuchen müſſe. Und indem ſie ſo bewegt würde, müßte die Ueberzeugung dazu kommen; die Erkennung ſeiner Unſchuld und die Erinne - rung ihres Verſprechens, ihn auch dann, wenn er ſchuldig ſeyn ſollte, für unſchuldig gelten zu laſſen, müßten ſie auf einmal überraſchen, aber nicht eher überraſchen, als bis es nicht mehr in ih - rem Vermögen ſtehet, gerecht u. erkeñtlich zu ſeyn.
Viel glücklicher hat Banks die Ohrfeige in ſein Stück eingeflochten. — Aber eine Ohrfeige in einem Trauerſpiele! Wie engliſch, wie unan - ſtändig! — Ehe meine feinern Leſer zu ſehr dar - über ſpotten, bitte ich ſie, ſich der Ohrfeige imC 3Cid22Cid zu erinnern. Die Anmerkung, die der Hr. von Voltaire darüber gemacht hat, iſt in vieler - ley Betrachtung merkwürdig. „ Heut zu Tage, ſagt er, „ dürfte man es nicht wagen, einem „ Helden eine Ohrfeige geben zu laſſen. Die „ Schauſpieler ſelbſt wiſſen nicht, wie ſie ſich da - „ bey anſtellen ſollen; ſie thun nur, als ob ſie „ eine gäben. Nicht einmal in der Komödie iſt „ ſo etwas mehr erlaubt; und dieſes iſt das ein - „ zige Exempel, welches man auf der tragiſchen „ Bühne davon hat. Es iſt glaublich, daß man „ unter andern mit deswegen den Cid eine Tra - „ gikomödie betitelte; und damals waren faſt „ alle Stücke des Scuderi und des Boisrobert „ Tragikomödien. Man war in Frankreich lange „ der Meinung geweſen, daß ſich das ununter - „ brochne Tragiſche, ohne alle Vermiſchung mit „ gemeinen Zügen, gar nicht aushalten laſſe. „ Das Wort Tragikomödie ſelbſt, iſt ſehr alt; „ Plautus braucht es, ſeinen Amphitruo damit „ zu bezeichnen, weil das Abentheuer des Soſias „ zwar komiſch, Amphitruo ſelbſt aber in allem „ Ernſte betrübt iſt. „ — Was der Herr von Voltaire nicht alles ſchreibt! Wie gern er im - mer ein wenig Gelehrſamkeit zeigen will, und wie ſehr er meiſtentheils damit verunglückt!
Es iſt nicht wahr, daß die Ohrfeige im Cid die einzige auf der tragiſchen Bühne iſt. Vol - taire hat den Eſſex des Banks entweder nichtge -23gekannt, oder vorausgeſetzt, daß die tragiſche Bühne ſeiner Nation allein dieſen Namen ver - diene. Unwiſſenheit verräth beides; und nur das letztere noch mehr Eitelkeit, als Unwiſſen - heit. Was er von dem Namen der Tragiko - mödie hinzufügt, iſt eben ſo unrichtig. Tragi - komödie hieß die Vorſtellung einer wichtigen Handlung unter vornehmen Perſonen, die einen vergnügten Ausgang hat; das iſt der Cid, und die Ohrfeige kam dabey gar nicht in Betrach - tung; denn dieſer Ohrfeige ungeachtet, nannte Corneille hernach ſein Stück eine Tragödie, ſo - bald er das Vorurtheil abgelegt hatte, daß eine Tragödie nothwendig eine unglückliche Kata - ſtrophe haben müſſe. Plautus braucht zwar das Wort Tragicocomœdia: aber er braucht es blos im Scherze; und gar nicht, um eine be - ſondere Gattung damit zu bezeichnen. Auch hat es ihm in dieſem Verſtande kein Menſch ab - geborgt, bis es in dem ſechszehnten Jahrhun - derte den Spaniſchen und Italieniſchen Dichtern einfiel, gewiſſe von ihren dramatiſchen Mißge - burten ſo zu nennen. (*)Ich weiß zwar nicht, wer dieſen Namen ei - gentlich zuerſt gebraucht hat; aber das weiß ich gewiß, daß es Garnier nicht iſt. Hedelin ſagte: Je ne ſçai ſi Garnier fut le premier qui ſ’en ſervit, mais il a fait porter ce titre à ſa Bradamante, ce que depuis pluſieurs ont imité. (Prat. du Th. liv. II. ch. 10.) UndWenn aber auch Plau -tus24tus ſeinen Amphitruo im Ernſte ſo genannt hätte, ſo wäre es doch nicht aus der Urſache geſchehen, die ihm Voltaire andichtet. Nicht weil der Antheil, den Soſias an der Handlung nimmt, komiſch, und der, den Amphitruo daran nimmt, tragiſch iſt: nicht darum hätte Plautus ſein Stück lieber eine Tragikomödie nennen wollen. Denn ſein Stück iſt ganz komiſch, und wir beluſtigen uns an der Verlegenheit des Amphitruo eben ſo ſehr, als an des Soſias ſeiner. Sondern dar - um, weil dieſe komiſche Handlung größtentheils unter höhern Perſonen vorgehet, als man in der Komödie zu ſehen gewohnt iſt. Plautus ſelbſt erklärt ſich dar - über deutlich genug:
‘Faciam ut commixta ſit Tragico-comœdia: Nam me perpetuo facere ut ſit Comœdia Reges quo veniant & di, non par arbitror. Quid igitur? quoniam hic ſervus quoque partes habet, Faciam hanc, proinde ut dixi, Tragico-co - mœdiam. ’ ()Ham -(*)Und dabey hätten es die Geſchichtſchreiber des franzöſiſchen Theaters auch nur ſollen bewen - den laſſen. Aber ſie machen die leichte Ver - muthung des Hedelins zur Gewißheit, und gratuliren ihrem Landsmanne zu einer ſo ſchö - nen Erfindung. Voici la premiére Tragi - Comedie, ou pour mieux dire le premier poeme du Theatre qui a porté ce titre — Garnier ne connoiſſoit pas aſſez les fineſſes de l’art qu’il profeſſoit; tenons-lui cepen - dent compte d’avoir le premier, & ſans le ſecours des Anciens, ni de ſes contempo - rains, fait entrevoir une idée, qui n’a pas été inutile à beaucoup d’Auteurs du der - nier ſiecle. Garniers Bradamante iſt von 1682, und ich kenne eine Menge weit frühere ſpaniſche und italieniſche Stücke, die dieſen Titel führen.
Aber wiederum auf die Ohrfeige zu kom - men. — Einmal iſt es doch nun ſo, daß eine Ohrfeige, die ein Mann von Ehre von ſeines Gleichen oder von einem Höhern be - kömmt, für eine ſo ſchimpfliche Beleidigung ge - halten wird, daß alle Genugthuung, die ihm die Geſetze dafür verſchaffen können, vergebens iſt. Sie will nicht von einem dritten beſtraft, ſie will von dem Beleidigten ſelbſt gerächet, und auf eine eben ſo eigenmächtige Art gerächet ſeyn, als ſie erwieſen worden. Ob es die wahre oder die falſche Ehre iſt, die dieſes gebiethet, davon iſt hier die Rede nicht. Wie geſagt, es iſt nun einmal ſo.
Und wenn es nun einmal in der Welt ſo iſt: warum ſoll es nicht auch auf dem Theater ſo ſeyn? Wenn die Ohrfeigen dort im Gange ſind: warum nicht auch hier?
D„ Die26„ Die Schauſpieler, ſagt der Herr von Vol - taire, wiſſen nicht, wie ſie ſich dabey anſtellen ſollen. „ Sie wüßten es wohl; aber man will eine Ohrfeige auch nicht einmal gern im fremden Namen haben. Der Schlag ſetzt ſie in Feuer; die Perſon erhält ihn, aber ſie fühlen ihn; das Gefühl hebt die Verſtellung auf; ſie gerathen aus ihrer Faſſung; Scham und Verwirrung äußert ſich wider Willen auf ihrem Geſichte; ſie ſollten zornig ausſehen, und ſie ſehen albern aus; und jeder Schauſpieler, deſſen eigene Em - pfindungen mit ſeiner Rolle in Colliſion kommen, macht uns zu lachen.
Es iſt dieſes nicht der einzige Fall, in wel - chem man die Abſchaffung der Maſ ken betauern möchte. Der Schauſpieler kann ohnſtreitig unter der Maſke mehr Contenance halten; ſeine Perſon findet weniger Gelegenheit auszubre - chen; und wenn ſie ja ausbricht, ſo werden wir dieſen Ausbruch weniger gewahr.
Doch der Schauſpieler verhalte ſich bey der Ohrfeige, wie er will: der dramatiſche Dichter arbeitet zwar für den Schauſpieler, aber er muß ſich darum nicht alles verſagen, was dieſem we - niger thulich und bequem iſt. Kein Schauſpie - ler kann roth werden, wenn er will: aber gleich - wohl darf es ihm der Dichter vorſchreiben; gleichwohl darf er den einen ſagen laſſen, daß er es den andern werden ſieht. Der Schau -ſpieler27ſpieler will ſich nicht ins Geſichte ſchlagen laſſen; er glaubt, es mache ihn verächtlich; es verwirrt ihn; es ſchmerzt ihn: recht gut! Wenn er es in ſeiner Kunſt ſo weit noch nicht gebracht hat, daß ihn ſo etwas nicht verwirret; wenn er ſeine Kunſt ſo ſehr nicht liebet, daß er ſich, ihr zum Beſten, eine kleine Kränkung will gefallen laſ - ſen: ſo ſuche er über die Stelle ſo gut wegzu - kommen, als er kann; er weiche dem Schlage aus; er halte die Hand vor; nur verlange er nicht, daß ſich der Dichter ſeinetwegen mehr Bedenklichkeiten machen ſoll, als er ſich der Perſon wegen macht, die er ihn vorſtellen läßt. Wenn der wahre Diego, wenn der wahre Eſſex eine Ohrfeige hinnehmen muß: was wollen ihre Repräſentanten dawider einzuwenden haben?
Aber der Zuſchauer will vielleicht keine Ohr - feige geben ſehen? Oder höchſtens nur einem Bedienten, den ſie nicht beſonders ſchimpft, für den ſie eine ſeinem Stande angemeſſene Züchti - gung iſt? Einem Helden hingegen, einem Hel - den eine Ohrfeige! wie klein, wie unanſtän - dig! — Und wenn ſie das nun eben ſeyn ſoll? Wenn eben dieſe Unanſtändigkeit die Quelle der gewaltſamſten Entſchließungen, der blutigſten Rache werden ſoll, und wird? Wenn jede ge - ringere Beleidigung dieſe ſchreckliche Wirkun - gen nicht hätte haben können? Was in ſeinen Folgen ſo tragiſch werden kann, was unter ge -D 2wiſſen28wiſſen Perſonen nothwendig ſo tragiſch werden muß, ſoll dennoch aus der Tragödie ausgeſchloſ - ſen ſeyn, weil es auch in der Komödie, weil es auch in dem Poſſenfpiele Platz findet? Worüber wir einmal lachen, ſollen wir ein andermal nicht erſchrecken können?
Wenn ich die Ohrfeigen aus einer Gattung des Drama verbannt wiſſen möchte, ſo wäre es aus der Komödie. Denn was für Folgen kann ſie da haben? Traurige? die ſind über ihrer Sphäre. Lächerliche? die ſind unter ihr, und gehören dem Poſſenſpiele. Gar keine? ſo ver - lohnte es nicht der Mühe, ſie geben zu laſſen. Wer ſie giebt, wird nichts als pöbelhafte Hitze, und wer ſie bekömmt, nichts als knechtiſche Kleinmuth verrathen. Sie verbleibt alſo den beiden Extremis, der Tragödie und dem Poſſen - ſpiele; die mehrere dergleichen Dinge gemein haben, über die wir entweder ſpotten oder zit - tern wollen.
Und ich frage jeden, der den Cid vorſtellen ſehen, oder ihn mit einiger Aufmerkſamkeit auch nur geleſen, ob ihn nicht ein Schauder überlau - fen, wenn der großſprecheriſche Gormas den alten würdigen Diego zu ſchlagen ſich erdreiſtet? Ob er nicht das empfindlichſte Mitleid für dieſen, und den bitterſten Unwillen gegen jenen empfun - den? Ob ihm nicht auf einmal alle die blutigen und traurigen Folgen, die dieſe ſchimfliche Be -geg -29gegnung nach ſich ziehen müſſe, in die Gedanken geſchoſſen, und ihn mit Erwartung und Furcht erfüllet? Gleichwohl ſoll ein Vorfall, der alle dieſe Wirkung auf ihn hat, nicht tragiſch ſeyn?
Wenn jemals bey dieſer Ohrfeige gelacht wor - den, ſo war es ſicherlich von einem auf der Gal - lerie, der mit den Ohrfeigen zu bekannt war, und eben itzt eine von ſeinem Nachbar verdient hätte. Wen aber die ungeſchickte Art, mit der ſich der Schauſpieler etwa dabey betrug, wi - der Willen zu lächeln machte, der biß ſich ge - ſchwind in die Lippe, und eilte, ſich wieder in die Täuſchung zu verſetzen, aus der faſt jede ge - waltſamere Handlung den Zuſchauer mehr oder weniger zu bringen pflegt.
Auch frage ich, welche andere Beleidigung wohl die Stelle der Ohrfeige vertreten könnte? Für jede andere würde es in der Macht des Kö - nigs ſtehen, dem Beleidigten Genugthuung zu ſchaffen; für jede andere würde ſich der Sohn weigern dürfen, ſeinem Vater den Vater ſeiner Geliebten aufzuopfern. Für dieſe einzige läßt das Pundonor weder Entſchuldigung noch Ab - bitte gelten; und alle gütliche Wege, die ſelbſt der Monarch dabey einleiten will, ſind frucht - los. Corneille ließ nach dieſer Denkungsart den Gormas, wenn ihn der König andeuten läßt, den Diego zufrieden zu ſtellen, ſehr wohl antworten:
D 3Ces30Ces ſatisfactions n’appaiſſent point uneame:Qui les reçoit n’a rien, qui les fait ſediffame.Et de tous ces accords l’effet le pluscommun,C’eſt de deshonorer deux hommes aulieu d’un.
Damals war in Frankreich das Edict wider die Duelle nicht lange ergangen, dem dergleichen Maximen ſchnurſtracks zuwider liefen. Cor - neille erhielt alſo zwar Befehl, die ganzen Zeilen wegzulaſſen; und ſie wurden aus dem Munde der Schauſpieler verbannt. Aber jeder Zu - ſchauer ergänzte ſie aus dem Gedächtniſſe, und aus ſeiner Empfindung.
In dem Eſſex wird die Ohrfeige dadurch noch kritiſcher, daß ſie eine Perſon giebt, welche die Geſetze der Ehre nicht verbinden. Sie iſt Frau und Königinn: was kann der Beleidigte mit ihr anfangen? Ueber die handfertige wehrhafte Frau würde er ſpotten; denn eine Frau kann weder ſchimpfen, noch ſchlagen. Aber dieſe Frau iſt zugleich der Souverain, deſſen Beſchimpfun - gen unauslöſchlich ſind, da ſie von ſeiner Würde eine Art von Geſetzmäßigkeit erhalten. Was kann alſo natürlicher ſcheinen, als daß Eſſex ſich wider dieſe Würde ſelbſt auflehnet, und gegen die Höhe tobet, die den Beleidiger ſeiner Racheent -31entzieht? Ich wüßte wenigſtens nicht, was ſeine letzten Vergehungen ſonſt wahrſcheinlich hätten machen können. Die bloße Ungnade, die bloße Entſetzung ſeiner Ehrenſtellen konnte und durfte ihn ſo weit nicht treiben. Aber durch eine ſo knechtiſche Behandlung außer ſich ge - bracht, ſehen wir ihn alles, was ihm die Ver - zweiflung eingiebt, zwar nicht mit Billigung, doch mit Entſchuldigung unternehmen. Die Königinn ſelbſt muß ihn aus dieſem Geſichts - punkte ihrer Verzeihung würdig erkennen; und wir haben ſo ungleich mehr Mitleid mit ihm, als er uns in der Geſchichte zu verdienen ſcheinet, wo das, was er hier in der erſten Hitze der gekränkten Ehre thut, aus Eigennutz und andern niedrigen Abſichten geſchieht.
Der Streit, ſagt die Geſchichte, bey welchem Eſſex die Ohrfeige erhielt, war über die Wahl eines Königs von Irrland. Als er ſahe, daß die Königinn auf ihrer Meinung beharrte, wandte er ihr mit einer ſehr verächtlichen Ge - behrde den Rücken. In dem Augenblicke fühlte er ihre Hand, und ſeine fuhr nach dem Degen. Er ſchwur, daß er dieſeu Schimpf weder leiden könne noch wolle; daß er ihn ſelbſt von ihrem Vater Heinrich nicht würde erduldet haben: und ſo begab er ſich vom Hofe. Der Brief, den er an den Kanzler Egerton über dieſen Vor - fall ſchrieb, iſt mit dem würdigſten Stolze abge -faßt,32faßt, und er ſchien feſt entſchloſſen, ſich der Kö - niginn nie wieder zu nähern. Gleichwohl fin - den wir ihn bald darauf wieder in ihrer völligen Gnade, und in der völligen Wirkſamkeit eines ehrgeitzigen Lieblings. Dieſe Verſöhnlichkeit, wenn ſie ernſtlich war, macht uns eine ſehr ſchlechte Idee von ihm; und keine viel beſſere, wenn ſie Verſtellung war. In dieſem Falle war er wirklich ein Verräther, der ſich alles ge - fallen ließ, bis er den rechten Zeitpunkt gekom - men zu ſeyn glaubte. Ein elender Weinpacht, den ihm die Königinn nahm, brachte ihn am Ende weit mehr auf, als die Ohrfeige; und der Zorn über dieſe Verſchmälerung ſeiner Einkünf - te, verblendete ihn ſo, daß er ohne alle Ueber - legung losbrach. So finden wir ihn in der Geſchichte, und verachten ihn. Aber nicht ſo bey dem Banks, der ſeinen Aufſtand zu der un - mittelbaren Folge der Ohrfeige macht, und ihm weiter keine treuloſen Abſichten gegen ſeine Kö - niginn beylegt. Sein Fehler iſt der Fehler einer edeln Hitze, den er bereuet, der ihm vergeben wird, und der blos durch die Bosheit ſeiner Feinde der Strafe nicht entgeht, die ihm ge - ſchenkt war.
Banks hat die nehmlichen Worte beybehal - ten, die Eſſex über die Ohrfeige ausſtieß. Nur daß er ihn dem einen Heinriche noch alle Heinriche in der Welt, mit ſammt Alexan - dern, beyfügen läßt. (*)‘Act. III. — — — — By all The Subtilty, and Woman in your Sex, I ſwear, that had you been a Man you durſt not, Nay, your bold Father Harry durſt not this Have done — Why ſay I him? Not all the Harrys, Nor Alexander’s ſelf, were he alive, Shou’d boaſt of ſuch a deed on Eſſex done Without revenge. — — —’ ()Sein Eſſex iſt über - haupt zu viel Prahler; und es fehlet wenig, daß er nicht ein eben ſo großer Gaſconier iſt, als derEſſexE34Eſſex des Gaſconiers Calprenede. Dabey er - trägt er ſein Unglück viel zu kleinmüthig, und iſt bald gegen die Königinn eben ſo kriechend, als er vorher vermeſſen gegen ſie war. Banks hat ihn zu ſehr nach dem Leben geſchildert. Ein Charakter, der ſich ſo leicht vergißt, iſt kein Charakter, und eben daher der dramatiſchen Nachahmung unwürdig. In der Geſchichte kann man dergleichen Widerſprüche mit ſich ſelbſt, für Verſtellung halten, weil wir in der Geſchichte doch ſelten das Innerſte des Herzens kennen lernen: aber in dem Drama werden wir mit dem Helden allzuvertraut, als daß wir nicht gleich wiſſen ſollten, ob ſeine Geſinnungen wirk - lich mit den Handlungen, die wir ihm nicht zu - getrauet hätten, übereinſtimmen, oder nicht. Ja, ſie mögen es, oder ſie mögen es nicht: der tragiſche Dichter kann ihn in beiden Fällen nicht recht nutzen. Ohne Verſtellung fällt der Cha - rakter weg; bey der Verſtellung die Würde deſ - ſelben.
Mit der Eliſabeth hat er in dieſen Fehler nicht fallen können. Dieſe Frau bleibt ſich in der Geſchichte immer ſo vollkommen gleich, als es wenige Männer bleiben. Ihre Zärtlichkeit ſelbſt, ihre heimliche Liebe zu dem Eſſex, hat er mit vieler Anſtändigkeit behandelt; ſie iſt auch bey ihm gewiſſermaßen noch ein Geheim -niß.35niß. Seine Eliſabeth klagt nicht, wie die Eliſa - beth des Corneille, über Kälte und Verachtung, über Gluth und Schickſal; ſie ſpricht von keinem Gifte, das ſie verzehre; ſie jammert nicht, daß ihr der Undankbare eine Suffolk vorziehe, nachdem ſie ihm doch deutlich genug zu verſtehen gegeben, daß er um ſie allein ſeufzen ſolle, u. ſ. w. Keine von dieſen Armſeligkeiten kömmt über ihre Lip - pen. Sie ſpricht nie, als eine Verliebte; aber ſie handelt ſo. Man hört es nie, aber man ſieht es, wie theuer ihr Eſſex ehedem geweſen, und noch iſt. Einige Funken Eiferſucht verra - then ſie; ſonſt würde man ſie ſchlechterdings für nichts, als für ſeine Freundinn halten können.
Mit welcher Kunſt aber Banks ihre Geſin - nungen gegen den Grafen in Action zu ſetzen gewußt, das können folgende Scenen des drit - ten Aufzuges zeigen. — Die Königinn glaubt ſich allein, und überlegt den unglücklichen Zwang ihres Standes, der ihr nicht erlaube, nach der wahren Neigung ihres Herzens zu handeln. In - dem wird ſie die Nottingham gewahr, die ihr nachgekommen. —
Du hier, Nottingham? Ich glaubte, ich ſey allein.
Verzeihe, Königinn, daß ich ſo kühn bin. Und doch befiehlt mir meineE 2Pflicht,36Pflicht, noch kühner zu ſeyn. — Dich bekümmert etwas. Ich muß fragen, — aber erſt auf meinen Knien Dich um Verzeihung bitten, daß ich es fra - ge — Was iſts, das Dich bekümmert? Was iſt es, das dieſe erhabene Seele ſo tief herab beu - get? — Oder iſt Dir nicht wohl?
Steh auf; ich bitte dich. — Mir iſt ganz wohl. — Ich danke dir für deine Lie - be. — Nur unruhig, ein wenig unruhig bin ich, — meines Volkes wegen. Ich habe lange regiert, und ich fürchte, ihm nur zu lange. Es fängt an, meiner überdrüßig zu werden. — Neue Kronen ſind wie neue Kränze; die friſcheſten, ſind die lieb - lichſten. Meine Sonne neiget ſich; ſie hat in ih - rem Mittage zu ſehr gewärmet; man fühlet ſich zu heiß; man wünſcht, ſie wäre ſchon untergegan - gen. — Erzehle mir doch, was ſagt man von der Ueberkunft des Eſſex?
— Von ſeiner Ueberkunft — ſagt man — nicht das Beſte. Aber von ihm — er iſt für einen ſo tapfern Mann bekannt —
Wie? tapfer? da er mir ſo dienet? — Der Verräther!
Gewiß, es war nicht gut —
Nicht gut! nicht gut? — Weiter nichts?
Es war eine verwegene, fre - velhafte That.
Nicht wahr, Notting - ham? — Meinen Befehl ſo gering zu ſchätzen! Er hätte den Tod dafür verdient. — Weit geringere Verbrechen haben hundert weit geliebtern Lieblin - gen den Kopf gekoſtet. —
Ja wohl. — Und doch ſollte Eſſex, bey ſo viel größerer Schuld, mit geringerer Strafe davon kommen? Er ſollte nicht ſterben?
Er ſoll! — Er ſoll ſterben, und in den empfindlichſten Martern ſoll er ſter - ben! — Seine Pein ſey, wie ſeine Verrätherey, die größte von allen! — Und dann will ich ſeinen Kopf und ſeine Glieder, nicht unter den finſtern Thoren, nicht auf den niedrigen Brücken, auf den höchſten Zinnen will ich ſie aufgeſteckt wiſſen, da - mit jeder, der vorübergeht, ſie erblicke und aus - rufe: Siehe da, den ſtolzen undankbaren Eſſex! Dieſen Eſſex, welcher der Gerechtigkeit ſeiner Kö - niginn trotzte! — Wohl gethan! Nicht mehr, als er verdiente! — Was ſagſt du, Notting - ham? Meineſt du nicht auch? — Du ſchweigſt? Warum ſchweigſt du? Willſt du ihn noch vertre - ten?
Weil Du es denn befiehlſt, Königinn, ſo will ich Dir alles ſagen, was die Welt von dieſem ſtolzen, undankbaren Manne ſpricht. —
Thu das! — Laß hören: was ſagt die Welt von ihm und mir?
Von Dir, Königinn? — Wer iſt es, der von Dir nicht mit Entzücken und Bewunderung ſpräche? Der Nachruhm eines ver - ſtorbenen Heiligen iſt nicht lauterer, als Dein Lob, von dem aller Zungen ertönen. Nur dieſes einzige wünſchet man, und wünſchet es mit den heiſſeſten Thränen, die aus der reinſten Liebe gegen Dich ent - ſpringen, — dieſes einzige, daß Du geruhen möch - teſt, ihren Beſchwerden gegen dieſen Eſſex abzuhel - fen, einen ſolchen Verräther nicht länger zu ſchützen, ihn nicht länger der Gerechtigkeit und der Schande vorzuenthalten, ihn endlich der Rache zu überlie - fern —
Wer hat mir vorzuſchreiben?
Dir vorzuſchreiben! — Schrei - bet man dem Himmel vor, wenn man ihn in tiefe - ſter Unterwerfung anflehet? — Und ſo flehet Dich alles wider den Mann an, deſſen Gemüthsart ſo ſchlecht, ſo boshaft iſt, daß er es auch nicht der Mühe werth achtet, den Heuchler zu ſpielen. — Wie ſtolz! wie aufgeblaſen! Und wie unartig, pö - belhaft ſtolz; nicht anders als ein elender Lakey auf ſeinen bunten verbrämten Rock! — Daß er tapfer iſt, räumt man ihm ein; aber ſo, wie es der Wolf oder der Bär iſt, blind zu, ohne Plan und Vor - ſicht. Die wahre Tapferkeit, welche eine edle Seele über Glück und Unglück erhebt, iſt fern von ihm. Die geringſte Beleidigung bringt ihn auf; er tobt und raſet über ein Nichts; alles ſoll ſich vorihm39ihm ſchmiegen; überall will er allein glänzen, al - lein hervorragen. Lucifer ſelbſt, der den erſten Saamen des Laſters in dem Himmel ausſtreuete, war nicht ehrgeitziger und herrſchſüchtiger, als er. Aber, ſo wie dieſer aus dem Himmel ſtürzte — —
Gemach, Nottingham, ge - mach! — Du eiferſt dich ja ganz aus dem Athen. — Ich will nichts mehr hören —
Gift und Blattern auf ihre Zunge! — Gewiß, Not - tingham, du ſollteſt dich ſchämen, ſo etwas auch nur nachzuſagen; dergleichen Niederträchtigkei - ten des boshaften Pöbels zu wiederholen. Und es iſt nicht einmal wahr, daß der Pöbel das ſagt. Er denkt es auch nicht. Aber ihr, ihr wünſcht, daß er es ſagen möchte.
Ich erſtanne, Königinn —
Worüber?
Du gebotheſt mir ſelbſt, zu reden —
Ja, wenn ich es nicht be - merkt hätte, wie gewünſcht dir dieſes Geboth kam! wie vorbereitet du darauf wareſt! Auf einmal glühte dein Geſicht, flammte dein Auge; das volle Herz freute ſich, überzufließen, und jedes Wort, jede Gebehrde hatte ſeinen längſt abgezielten Pfeil, deren jeder mich mit trift.
Verzeihe, Königinn, wenn ich in dem Ausdrucke meine Schuldigkeit gefehlet habe. Ich maß ihn nach Deinem ab.
Rach meinem? — Ich bin ſeine Königinn. Mir ſteht es frey, dem Dinge, das ich geſchaffen habe, mitzuſpielen, wie ich will. — Auch hat er ſich der gräßlichſten Verbrechen gegen meine Perſon ſchuldig gemacht. Mich hat er belei - diget; aber nicht dich. — Womit könnte dich der arme Mann beleidiget haben? Du haſt keine Ge - ſetze, die er übertreten, keine Unterthanen, die er bedrücken, keine Krone, nach der er ſtreben könnte. Was findeſt du denn alſo für ein grauſa - mes Vergnügen, einen Elenden, der ertrinken will, lieber noch auf den Kopf zu ſchlagen, als ihm die Hand zu reichen?
Ich bin zu tadeln —
Genug davon! — Seine Königinn, die Welt, das Schickſal ſelbſt erklärt ſich wider dieſen Mann, und doch ſcheinet er dir kein Mitleid, keine Entſchuldigung zu verdienen? —
Ich bekenne es, Königinn, —
Geh, es ſey dir verge - ben! — Rufe mir gleich die Rutland her. —
Nottingham geht, und bald darauf erſchei - net Rutland. Man erinnere ſich, daß Rutland, ohne Wiſſen der Königinn, mit dem Eſſex vermählt iſt.
Kömmſt du, liebe Rutland? Ich habe nach dir geſchickt. — Wie iſts? Ich finde dich, ſeit einiger Zeit, ſo traurig. Woher dieſe trübe Wolke, die dein holdes Auge umziehet? Sey munter, liebe Rutland; ich will dir einen wackern Mann ſuchen.
Großmüthige Frau! — Ich ver - diene es nicht, daß meine Königinn ſo gnädig auf mich herabſiehet.
Wie kannſt du ſo reden? — Ich liebe dich; ja wohl liebe ich dich. — Du ſollſt es daraus ſchon ſehen! — Eben habe ich mit der Nottingham, der widerwärtigen! — einen Streit gehabt; und zwar — über Mylord Eſſex.
Ha!
Sie hat mich recht ſehr ge - ärgert. Ich konnte ſie nicht länger vor Augen ſehen.
Wie fahre ich bey die - ſem theuern Namen zuſammen! Mein Geſicht wird mich verrathen. Ich fühl es; ich werde blaß — und wieder roth. —
Was ich dir ſage, macht dich erröthen? —
Dein ſo überraſchendes, gütiges Vertrauen, Königinn, —
Ich weiß, daß du mein Ve[r]trauen verdieneſt. — Komm, Rutland, ich will dir alles ſagen. Du ſollſt mir rathen. — Ohne Zweifel, liebe Rutland, wirſt du es auch gehört haben, wie ſehr das Volk wider den armen, unglücklichen Mann ſchreyet; was für Verbrechen es ihm zur Laſt leget. Aber das Schlimmſte weißt du vielleicht noch nicht? Er iſt heute aus Irrland angekommen; wider meinen ausdrücklichen Be - fehl; und hat die dortigen Angelegenheiten in der größten Verwirrung gelaſſen.
Darf ich Dir, Königinn, wohl ſagen, was ich denke? — Das Geſchrey des Vol - kes, iſt nicht immer die Stimme der Wahrheit. Sein Haß iſt öfters ſo ungegründet —
Du ſprichſt die wahren Ge - danken meiner Seele. — Aber, liebe Rutland, eriſt43iſt dem ohngeachtet zu tadeln. — Komm her, meine Liebe; laß mich an deinen Buſen mich lehnen. — O gewiß, man legt mir es zu nahe! Nein, ſo will ich mich nicht unter ihr Joch bringen laſſen. Sie vergeſſen, daß ich ihre Königinn bin. — Ah, Lie - be; ſo ein Freund hat mir längſt gefehlt, gegen den ich ſo meinen Kummer ausſchütten kann! —
Siehe meine Thränen, Königinn — Dich ſo leiden zu ſehen, die ich ſo bewundere! — O, daß mein guter Engel Gedanken in meine Seele, und Worte auf meine Zunge legen wollte, den Sturm in Deiner Bruſt zu beſchwören, und Balſam in Deine Wunden zu gießen!
O, ſo wäreſt du mein gu - ter Engel! mitleidige, beſte Rutland! — Sage, iſt es nicht Schade, daß ſo ein braver Mann ein Verräther ſeyn ſoll? daß ſo ein Held, der wie ein Gott verehret ward, ſich ſo erniedrigen kann, mich um einen kleinen Thron bringen zu wollen?
Das hätte er gewollt? das könnte er wollen? Nein, Königinn, gewiß nicht, gewiß nicht! Wie oft habe ich ihn von Dir ſprechen hören! mit welcher Ergebenheit, mit welcher Bewunde - rung, mit welchem Entzücken habe ich ihn von Dir ſprechen hören!
Haſt du ihn wirklich von mir ſprechen hören?
Und immer als einen Begeiſterten, aus dem nicht kalte Ueberlegung, aus dem ein in -F 2neres44neres Gefühl ſpricht, deſſen er nicht mächtig iſt. Sie iſt, ſagte er, die Göttinn ihres Geſchlechts, ſo weit über alle andere Frauen erhaben, daß das, was wir in dieſen am meiſten bewundern, Schön - heit und Reitz, in ihr nur die Schatten ſind, ein größeres Licht dagegen abzuſetzen. Jede weibliche Vollkommenheit verliert ſich in ihr, wie der ſchwache Schimmer eines Sternes in dem alles überſtrömen - den Glanze des Sonnenlichts. Nichts überſteigt ihre Güte; die Huld ſelbſt beherrſchet, in ihrer Perſon, dieſe glückliche Inſel; ihre Geſetze ſind aus dem ewigen Geſetzbuche des Himmels gezogen, und werden dort von Engeln wieder aufgezeichnet. — O, unterbrach er ſich dann mit einem Seufzer, der ſein ganzes getreues Herz ausdrückte, o, daß ſie nicht unſterblich ſeyn kann! Ich wünſche ihn nicht zu erleben, den ſchrecklichen Augenblick, wenn die Gottheit dieſen Abglanz von ſich zurückruft, und mit eins ſich Nacht und Verwirrung über Britan - nien verbreiten.
Sagte er das, Rutland?
Das, und weit mehr. Immer ſo neu, als wahr in Deinem Lobe, deſſen unver - ſiegene Quelle von den lauterſten Geſinnungen gegen Dich überſtrömte —
O, Rutland, wie gern glaube ich dem Zeugniſſe, das du ihm giebſt!
Und kannſt ihn noch für einen Ver - räther halten?
Nein; — aber doch hat er die Geſetze übertreten. — Ich muß mich ſchämen, ihn länger zu ſchützen. — Ich darf es nicht einmal wagen, ihn zu ſehen.
Ihn nicht zu ſehen, Königinn? nicht zu ſehen? — Bey dem Mitleid, das ſeinen Thron in Deiner Seele aufgeſchlagen, beſchwöre ich Dich, — Du mußt ihn ſehen! Schämen? weſ - ſen? daß Du mit einem Unglücklichen Erbarmen haſt? — Gott hat Erbarmen: und Erbarmen ſollte Könige ſchimpfen? — Nein, Königinn; ſey auch hier Dir ſelbſt gleich. Ja, Du wirſt es; Du wirſt ihn ſehen, wenigſtens einmal ſehen —
Ihn, der meinen ausdrück - lichen Befehl ſo geringſchätzen können? Ihn, der ſich ſo eigenmächtig vor meine Augen drengen darf? Warum blieb er nicht, wo ich ihm zu bleiben be - fahl?
Rechne ihm dieſes zu keinem Ver - brechen! Gieb die Schuld der Gefahr, in der er ſich ſahe. Er hörte, was hier vorgieng; wie ſehr man ihn zu verkleinern, ihn Dir verdächtig zu machen ſuche. Er kam alſo, zwar ohne Erlaub - niß, aber in der beſten Abſtcht; in der Abſicht, ſich zu rechtfertigen, und Dich nicht hintergehen zu laſſen.
Gut; ſo will ich ihn denn ſehen, und will ihn gleich ſehen. — O, meine Rut - land, wie ſehr wünſche ich es, ihn noch immerF 3eben46eben ſo rechtſchaffen zu finden, als tapfer ich ihn kenne!
O, nähre dieſe günſtige Gedan - ke! Deine königliche Seele kann keine gerechtere hägen. — Rechtſchaffen! So wirſt Du ihn gewiß finden. Ich wollte für ihn ſchwören; bey aller Deiner Herrlichkeit für ihn ſchwören, daß er es nie aufgehöret zu ſeyn. Seine Seele iſt reiner als die Sonne, die Flecken hat, und irrdiſche Dünſte an ſich ziehet, und Geſchmeiß ausbrütet. — Du ſagſt, er iſt tapfer; und wer ſagt es nicht? Aber ein tapferer Mann iſt keiner Niederträchtigkeit fä - hig. Bedenke, wie er die Rebellen gezüchtiget; wie furchtbar er Dich dem Spanier gemacht, der vergebens die Schätze ſeiner Indien wider Dich verſchwendete. Sein Name floh vor Deinen Flot - ten und Völkern vorher, und ehe dieſe noch eintra - fen, hatte öfters ſchon ſein Name geſiegt.
Wie beredt ſie iſt! — Ha! dieſes Feuer, dieſe Innigkeit, — das bloße Mitleid gehet ſo weit nicht. — Ich will es gleich hören! —
Und dann, Rutland, ſeine Geſtalt —
Recht, Königinn; ſeine Geſtalt. — Nie hat eine Geſtalt den innern Vollkommenheiten mehr entſprochen! — Bekenn es, Du, die Du ſelbſt ſo ſchön biſt, daß man nie einen ſchönern Mann geſehen! So würdig, ſo edel, ſo kühn und gebietheriſch die Bildung! Jedes Glied, in welcherHar -47Harmonie mit dem andern! Und doch das Ganze von einem ſo ſauften lieblichen Umriſſe! Das wahre Modell der Natur, einen vollkommenen Mann zu bilden! Das ſeltene Muſter der Kunſt, die aus hundert Gegenſtänden zuſammen ſuchen muß, was ſie hier bey einander findet!
Ich dacht es! — Das iſt nicht länger auszuhalten. —
Wie iſt dir, Rutland? Du geräthſt außer dir. Ein Wort, ein Bild überjagt das andere. Was ſpielt ſo den Meiſter über dich? Iſt es blos deine Kö - niginn, iſt es Eſſex ſelbſt, was dieſe wahre, oder dieſe erzwungene Leidenſchaft wirket? —
Sie ſchweigt; — ganz gewiß, ſie liebt ihn. — Was habe ich gethan? Welchen neuen Sturm habe ich in meinem Buſen erregt? u. ſ. w.
Hier erſcheinen Burleigh und die Notting - ham wieder, der Königinn zu ſagen, daß Eſſex ihren Befehl erwarte. Er ſoll vor ſie kommen. „ Rutland, ſagt die Königinn, „ wir ſprechen „ einander ſchon weiter; geh nur. — Notting - „ ham, tritt du näher. „ Dieſer Zug der Ei - ferſucht iſt vortrefflich. Eſſex kömmt; und nun erfolgt die Scene mit der Ohrfeige. Ich wüßte nicht, wie ſie verſtändiger und glücklicher vor - bereitet ſeyn könnte. Eſſex anfangs, ſcheinet ſich völlig unterwerfen zu wollen; aber, da ſie ihm befiehlt, ſich zu rechtfertigen, wird er nachund48und nach hitzig; er prahlt, er pocht, er trotzt. Gleichwohl hätte alles das die Königinn ſo weit nicht aufbringen können, wenn ihr Herz nicht ſchon durch Eiferſucht erbittert geweſen wäre. Es iſt eigentlich die eiferſüchtige Liebhaberinn, welche ſchlägt, und die ſich nur der Hand der Königinn bedienet. Eiferſucht überhaupt ſchlägt gern. —
Ich, meines Theils, möchte dieſe Scenen lieber auch nur gedacht, als den ganzen Eſſex des Corneille gemacht haben. Sie ſind ſo cha - rakteriſtiſch, ſo voller Leben und Wahrheit, daß das Beſte des Franzoſen eine ſehr armſelige Fi - gur dagegen macht.
Nur den Stil des Banks muß man aus mei - ner Ueberſetzung nicht beurtheilen. Von ſeinem Ausdrucke habe ich gänzlich abge - hen müſſen. Er iſt zugleich ſo gemein und ſo koſtbar, ſo kriechend und ſo hochtrabend, und das nicht von Perſon zu Perſon, ſondern ganz durchaus, daß er zum Muſter dieſer Art von Mißhelligkeit dienen kann. Ich habe mich zwi - ſchen beide Klippen, ſo gut als möglich, durchzu - ſchleichen geſucht; dabey aber doch an der einen lieber, als an der andern, ſcheitern wollen.
Ich habe mich mehr vor dem Schwülſtigen gehütet, als vor dem Platten. Die mehreſten hätten vielleicht gerade das Gegentheil gethan; denn ſchwülſtig und tragiſch, halten viele ſo ziem - lich für einerley. Nicht nur viele, der Leſer: auch viele, der Dichter ſelbſt. Ihre Helden ſollten wie andere Menſchen ſprechen? WasGwären50wären das für Helden? Ampullæ & ſesqui - pedalia verba, Sentenzen und Blaſen und ellenlange Worte: das macht ihnen den wahren Ton der Tragödie.
„ Wir haben es an nichts fehlen laſſen, ſagt Diderot,(*)Zweyte Unterredung hinter dem natürlichen Sohne. S. d. Ueberſ. 247. (man merke, daß er vornehmlich von ſeinen Landsleuten ſpricht,) „ das Drama „ aus dem Grunde zu verderben. Wir haben „ von den Alten die volle prächtige Verſification „ beybehalten, die ſich doch nur für Sprachen „ von ſehr abgemeſſenen Quantitäten, und ſehr „ merklichen Accenten, nur für weitläufige Büh - „ nen, nur für eine in Noten geſetzte und mit „ Inſtrumenten begleitete Deklamation ſo wohl „ ſchickt: ihre Einfalt aber in der Verwickelung „ und dem Geſpräche, und die Wahrheit ihrer „ Gemählde haben wir fahren laſſen. „
Diderot hätte noch einen Grund hinzufügen können, warum wir uns den Ausdruck der alten Tragödien nicht durchgängig zum Muſter neh - men dürfen. Alle Perſonen ſprechen und unter - halten ſich da auf einem freyen, öffentlichen Platze, in Gegenwart einer neugierigen Menge Volks. Sie müſſen alſo faſt immer mit Zurück - haltung, und Rückſicht auf ihre Würde, ſprechen; ſie können ſich ihrer Gedanken und Empfindun - gen nicht in den erſten den beſten Worten entla -den;51den; ſie müſſen ſie abmeſſen und wählen. Aber wir Neuern, die wir den Chor abgeſchaft, die wir unſere Perſonen größtentheils zwiſchen ih - ren vier Wänden laſſen: was können wir für Urſache haben, ſie dem ohngeachtet immer eine ſo geziemende, ſo ausgeſuchte, ſo rhetoriſche Sprache führen zu laſſen? Sie hört niemand, als dem ſie es erlauben wollen, ſie zu hören; mit ihnen ſpricht niemand als Leute, welche in die Handlung wirklich mit verwickelt, die alſo ſelbſt im Affekte ſind, und weder Luſt noch Muße haben, Ausdrücke zu controlliren. Das war nur von dem Chore zu beſorgen, der, ſo genau er auch in das Stück eingeflochten war, dennoch niemals mit handelte, und ſtets die handelnden Perſonen mehr richtete, als an ihrem Schickſale wirklichen Antheil nahm. Umſonſt beruft man ſich desfalls auf den höhern Rang der Perſonen. Vornehme Leute haben ſich beſſer ausdrücken ge - lernt, als der gemeine Mann: aber ſie affecti - ren nicht unaufhörlich, ſich beſſer auszudrücken, als er. Am wenigſten in Leidenſchaften; deren jeder ſeine eigene Beredſamkeit hat, mit der al - lein die Natur begeiſtert, die in keiner Schule gelernt wird, und auf die ſich der Unerzogenſte ſo gut verſtehet, als der Polirteſte.
Bey einer geſuchten, koſtbaren, ſchwülſtigen Sprache kann niemals Empfindung ſeyn. Sie zeigt von keiner Empfindung, und kann keineG 2her -52hervorbringen. Aber wohl verträgt ſie ſich mit den ſimpelſten, gemeinſten, platteſten Worten und Redensarten.
Wie ich Banks Eliſabeth ſprechen laſſe, weiß ich wohl, hat noch keine Königinn auf dem franzöſiſchen Theater geſprochen. Den niedri - gen vertraulichen Ton, in dem ſie ſich mit ihren Frauen unterhält, würde man in Paris kaum einer guten adlichen Landfrau angemeſſen finden. „ Iſt dir nicht wohl? — Mir iſt ganz wohl. „ Steh auf, ich bitte dich. — Nur unruhig; „ ein wenig unruhig bin ich. — Erzehle mir „ doch. — Nicht wahr, Nottingham? Thu „ das! Laß hören! — Gemach, gemach! — Du „ eiferſt dich aus dem Athem. — Gift und Blat - „ tern auf ihre Zunge! — Mir ſteht es frey, „ dem Dinge, das ich geſchaffen habe, mitzu - „ ſpielen, wie ich will. — Auf den Kopf ſchla - „ gen. — Wie iſts? Sey munter, liebe Rut - „ land; ich will dir einen wackern Mann ſu - „ chen. — Wie kannſt du ſo reden? — Du ſollſt „ es ſchon ſehen. — Sie hat mich recht ſehr geär - „ gert. Ich konnte ſie nicht länger vor Augen „ ſehen. — Komm her, meine Liebe; laß mich „ an deinen Buſen mich lehnen. — Ich dacht „ es! — Das iſt nicht länger auszuhalten. „ — Ja wohl iſt es nicht auszuhalten! würden die feinen Kunſtrichter ſagen —
Wer -53Werden vielleicht auch manche von meinen Leſern ſagen. — Denn leider giebt es Deutſche, die noch weit franzöſiſcher ſind, als die Franzo - ſen. Ihnen zu gefallen, habe ich dieſe Brocken auf einen Haufen getragen. Ich kenne ihre Art zu kritiſiren. Alle die kleinen Nachläßigkeiten, die ihr zärtliches Ohr ſo unendlich beleidigen, die dem Dichter ſo ſchwer zu finden waren, die er mit ſo vieler Ueberlegung dahin und dorthin ſtreuete, um den Dialog geſchmeidig zu machen, und den Reden einen wahrern Anſchein der au - genblicklichen Eingebung zu ertheilen, reihen ſie ſehr witzig zuſammen auf einen Faden, und wol - len ſich krank darüber lachen. Endlich folgt ein mitleidiges Achſelzucken: „ man hört wohl, daß der gute Mann die große Welt nicht kennet; daß er nicht viele Königinnen reden gehört; Racine verſtand das beſſer; aber Racine lebte auch bey Hofe. „
Dem ohngeachtet würde mich das nicht irre machen. Deſto ſchlimmer für die Königinnen, wenn ſie wirklich nicht ſo ſprechen, nicht ſo ſpre - chen dürfen. Ich habe es lange ſchon geglaubt, daß der Hof der Ort eben nicht iſt, wo ein Dich - ter die Natur ſtudiren kann. Aber wenn Pomp und Etiquette aus Menſchen Maſchinen macht, ſo iſt es das Werk des Dichters, aus dieſen Maſchinen wieder Menſchen zu machen. Die wahren Königinnen mögen ſo geſucht und affek -G 3tirt54tirt ſprechen, als ſie wollen: ſeine Königinnen müſſen natürlich ſprechen. Er höre der Hekuba des Euripides nur fleißig zu; und tröſte ſich im - mer, wenn er ſchon ſonſt keine Königinnen ge - ſprochen hat.
Nichts iſt züchtiger und anſtändiger als die ſimple Natur. Grobheit und Wuſt iſt eben ſo weit von ihr entfernt, als Schwulſt und Bom - baſt von dem Erhabnen. Das nehmliche Ge - fühl, welches die Grenzſcheidung dort wahr - nimt, wird ſie auch hier bemerken. Der ſchwülſtigſte Dichter iſt daher unfehlbar auch der pöbelhafteſte. Beide Fehler ſind unzer - trennlich; und keine Gattung giebt mehrere Ge - legenheit in beide zu verfallen, als die Tragödie.
Gleichwohl ſcheinet die Engländer vornehm - lich nur der eine, in ihrem Banks beleidiget zu haben. Sie tadelten weniger ſeinen Schwulſt, als die pöbelhafte Sprache, die er ſo edle und in der Geſchichte ihres Landes ſo glänzende Per - ſonen führen laſſe; und wünſchten lange, daß ſein Stück von einem Manne, der den tragiſchen Ausdruck mehr in ſeiner Gewalt habe, möchte umgearbeitet werden. (*)‘(Companion to the Theatre Vol. II. p. 105.) — The Diction is every where very bad, and in ſome Places ſo low, that it even becomes unnatural. — And I think, there’ ()can -Dieſes geſchah end -lich55lich auch. Faſt zu gleicher Zeit machten ſich Jones und Brook darüber. Heinrich Jones, von Geburt ein Irrländer, war ſeiner Pro - feßion nach ein Maurer, und vertauſchte, wie der alte Ben Johnſon, ſeine Kelle mit der Fe - der. Nachdem er ſchon einen Band Gedichte auf Subſcription drucken laſſen, die ihn als ei - nen Mann von großem Genie bekannt machten, brachte er ſeinen Eſſex 1753 aufs Theater. Als dieſer zu London geſpielt ward, hatte man bereits den von Heinrich Brook in Dublin geſpielt. Aber Brook ließ ſeinen erſt einige Jahre her - nach drucken; und ſo kann es wohl ſeyn, daß er, wie man ihm Schuld giebt, eben ſowohl den Eſſex des Jones, als den vom Banks, genutzt hat. Auch muß noch ein Eſſex von einem James Ralph vorhanden ſeyn. Ich geſtehe, daß ich keinen geleſen habe, und alle drey nur aus den gelehrten Tagebüchern kenne. Von dem Eſſex des Brook, ſagt ein franzöſiſcher Kunſtrichter,daß(*)‘tannot be a greater Proof of the little Encouragement this Age affords to Merit, than that no Gentleman poſſeſt of a true Genius and Spirit of Poetry, thinks it worth his Attention to adorn ſo celebra - ted a Part of Hiſtory with that Dignity of Expreſſion befitting Tragedy in general, but more particularly, where the Cha - racters are perhaps the greateſt the World ever produced. ’ ()56daß er das Feuer und das Pathetiſche des Banks mit der ſchönen Poeſie des Jones zu verbinden gewußt habe. Was er über die Rolle der Rut - land, und über derſelben Verzweiflung bey der Hinrichtung ihres Gemahls, hinzufügt,(*)‘(Journal Encycl. Mars 1761.) Il a auſſi fait tomber en demence la Comteſſe de Rut - land au moment que cet illuſtre epoux eſt conduit à l’echafaud; ce moment ou cette Comteſſe eſt un objet bien digne de pitié, a produit une tres grande ſenſation, & a été trouvé admirable à Londres: en France il eut paru ridicule, il auroit été ſifflé & l’on auroit envoyé la Comteſſe avec l’Au - teur aux Petites-Maiſons. ’ () iſt merkwürdig; man lernt auch daraus das Pari - ſer Parterr auf einer Seite kennen, die ihm wenig Ehre macht.
Aber einen ſpaniſchen Eſſex habe ich geleſen, der viel zu ſonderbar iſt, als daß ich nicht im Vorbeygehen etwas davon ſagen ſollte. —
Er iſt von einem Ungenannten, und führet den Titel: Für ſeine Gebietherinn ſter - ben. (*)‘Dar la vida por ſu Dama, el Conde de Sex; de un Ingenio de eſta Corte. ’ ()Ich finde ihn in einer Samm - lung von Komödien, die Joſeph Padrino zu Sevilien gedruckt hat, und in der er das vier und ſiebzigſte Stück iſt. Wenn er verfertiget worden, weiß ich nicht; ich ſehe auch nichts, woraus es ſich ungefehr abnehmen ließe. Das iſt klar, daß ſein Verfaſſer weder die franzöſiſchen und engliſchen Dichter, welche die nehmliche Geſchich - te bearbeitet haben, gebraucht hat, noch von ih - nen gebraucht worden. Er iſt ganz original. Doch ich will dem Urtheile meiner Leſer nicht vorgreifen.
EſſexH58Eſſex kömmt von ſeiner Expedition wider die Spanier zurück, und will der Königinn in Lon - don Bericht davon abſtatten. Wie er anlangt, hört er, daß ſie ſich zwey Meilen von der Stadt auf dem Landgute einer ihrer Hofdamen, Na - mens Blanca, befinde. Dieſe Blanca iſt die Geliebte des Grafen, und auf dieſem Landgute hat er, noch bey Lebszeiten ihres Vaters, viele heimliche Zuſammenkünfte mit ihr gehabt. So - gleich begiebt er ſich dahin, und bedient ſich des Schlüſſels, den er noch von der Gartenthüre bewahret, durch die er ehedem zu ihr gekommen. Es iſt natürlich, daß er ſich ſeiner Geliebten eher zeigen will, als der Königinn. Als er durch den Garten nach ihren Zimmern ſchleichet, wird er, an dem ſchattichten Ufer eines durch den - ſelben geleiteten Armes der Temſe, ein Frauen - zimmer gewahr, (es iſt ein ſchwüler Sommer - abend,) das mit den bloßen Füßen in dem Waſ - ſer ſitzt, und ſich abkühlet. Er bleibt voller Verwunderung über ihre Schönheit ſtehen, ob ſie ſchon das Geſicht mit einer halben Maſke bedeckt hat, um nicht erkannt zu werden. (Dieſe Schönheit, wie billig, wird weitläuftig beſchrie - ben, und beſonders werden über die allerliebſten weiſſen Füße in dem klaren Waſſer, ſehr ſpitzfin - dige Dinge geſagt. Nicht genug, daß der ent - zückte Graf zwey kryſtallene Säulen in einem fließenden Kryſtalle ſtehen ſieht; er weiß vor Er -ſtau -59ſtaunen nicht, ob das Waſſer der Kryſtall ihrer Füße iſt, welcher in Fluß gerathen, oder ob ihre Füße der Kryſtall des Waſſers ſind, der ſich in dieſe Form condenſirt hat. (*)‘Las dos columnas bellas Metiò dentro del rio, y como al vellas Vi un cryſtal en el rio deſatado, Y vi cryſtal en ellas condenſado, No ſupe ſi las aguas que ſe vian Eran ſus pies, que liquidos corrian, O ſi ſus dos columnas ſe formaban De las aguas, que alli ſe congelaban. ’ ()Dieſe Aehnlichkeit treibt der Dichter noch weiter, wenn er beſchreiben will, wie die Da - me, das Waſſer zu koſten, es mit ihrer hohlen Hand geſchöpft, und nach dem Munde geführt habe. Dieſe Hand, ſagt er, war dem klaren Waſſer ſo ähnlich, daß der Fluß ſelbſt für Schrecken zuſammen fuhr, weil er befürchtete, ſie möchte einen Theil ihrer eignen Hand mit - trinken. ‘Quiſo prabar a caſo El agua, y fueron cryſtalino vaſo Sus manos, acercò las a los labios, Y entonces el arrayo llorò agravios, Y como tanto, en fin, ſe parecia A ſus manos aquello que bebia, Temi con ſobreſalto (y no fue en vano) Que ſe bebiera parte de la mano. ’ ()Noch verwirrter macht ihn die halbe ſchwarze Maſke auf dem weiſſen Geſichte: er kann nicht begrei - fen, in welcher Abſicht die Natur ein ſo göttli -H 2ches60ches Monſtrum gebildet, und auf ſeinem Ge - ſichte ſo ſchwarzen Baſalt mit ſo glänzendem Helfenbeine gepaaret habe; ob mehr zur Be - wunderung, oder mehr zur Verſpottung? (*)‘Yo, que al principio vi, ciego, y turbado A una parte nevado Y en otra negro el roſtro, Juzguè, mirando tan divino monſtruo, Que la naturaleza cuidadoſa Deſigual uniendo tan hermoſa, Quiſo hacer por aſſombro, o por ultrage, De azabache y marfil un maridage. ’ ()) Kaum hat ſich das Frauenzimmer wieder ange - kleidet, als, unter der Ausrufung: Stirb Ty - ranninn! ein Schuß auf ſie geſchieht, und gleich darauf zwey maſkirte Männer mit bloßem De - gen auf ſie los gehen, weil der Schuß ſie nicht getroffen zu haben ſcheinet. Eſſex beſinnt ſich nicht lange, ihr zu Hülfe zu eilen. Er greift die Mörder an, und ſie entfliehen. Er will ih - nen nach; aber die Dame ruft ihn zurück, und bittet ihn, ſein Leben nicht in Gefahr zu ſetzen. Sie ſieht, daß er verwundet iſt, knüpft ihre Schärpe los, und giebt ſie ihm, ſich die Wunde damit zu verbinden. Zugleich, ſagt ſie, ſoll dieſe Schärpe dienen, mich Euch zu ſeiner Zeit zu erkennen zu geben; itzt muß ich mich entfer - nen, ehe über den Schuß mehr Lermen entſteht; ich möchte nicht gern, daß die Königinn den Zu - fall erführe, und ich beſchwöre Euch daher umEure61Eure Verſchwiegenheit. Sie geht, und Eſſex bleibt voller Erſtaunen über dieſe ſonderbare Begebenheit, über die er mit ſeinem Bedienten, Namens Coſme, allerley Betrachtungen anſtellt. Dieſer Coſme iſt die luſtige Perſon des Stücks; er war vor dem Garten geblieben, als ſein Herr hereingegangen, und hatte den Schuß zwar ge - hört, aber ihm doch nicht zu Hülfe kommen dür - fen. Die Furcht hielt an der Thüre Schild - wache, und verſperrte ihm den Eingang. Furcht - ſam iſt Coſme für viere;(*)‘Ruido de armas en la Quinta, Y dentro el Conde? Que aguardo, Que no voi à ſocorrerlé? Que aguardo? Lindo recado: Aguardo à que quiera el miedo Dexarme entrar: — — — — — — — Coſme, que ha tenido un miedo Que puede valer por quatro. ’ () und das ſind die ſpaniſchen Narren gemeiniglich alle. Eſſex be - kennt, daß er ſich unfehlbar in die ſchöne Unbe - kannte verliebt haben würde, wenn Blanca nicht ſchon ſo völlig Beſitz von ſeinem Herzen genommen hätte, daß ſie durchaus keiner andern Leidenſchaft darinn Raum laſſe. Aber, ſagt er, wer mag ſie wohl geweſen ſeyn? Was dünkt dich, Coſme? — Wer wirds geweſen ſeyn, ant - wortet Coſme, als des Gärtners Frau, die ſichH 3die62die Beine gewaſchen? —(*)‘La muger del hortelano, Que ſe lavaba las piernas. ’ () Aus dieſem Zuge, kann man leicht auf das Uebrige ſchließen. Sie gehen endlich beide wieder fort; es iſt zu ſpät ge - worden; das Haus könnte über den Schuß in Bewegung gerathen ſeyn; Eſſex getraut ſich da - her nicht, unbemerkt zur Blanca zu kommen, und verſchiebt ſeinen Beſuch auf ein andermal.
Nun tritt der Herzog von Alanzon auf, mit Flora, der Blanca Kammermädchen. (Die Scene iſt noch auf dem Landgute, in einem Zimmer der Blanca; die vorigen Auftritten waren in dem Garten. Es iſt des folgenden Tages.) Der König von Frankreich hatte der Eliſabeth eine Verbindung mit ſeinem jüngſten Bruder vorge - ſchlagen. Dieſes iſt der Herzog von Alanzon. Er iſt, unter dem Vorwande einer Geſandt - ſchaft, nach England gekommen, um dieſe Ver - bindung zu Stande zu bringen. Es läßt ſich alles, ſowohl von Seiten des Parlaments als der Königinn, ſehr wohl dazu an: aber indeß erblickt er die Blanca, und verliebt ſich in ſie. Itzt kömmt er, und bittet Floren, ihm in ſeiner Liebe behülflich zu ſeyn. Flora verbirgt ihn nicht, wie wenig er zu erwarten habe; doch oh - ne ihm das geringſte von der Vertraulichkeit, in welcher der Graf mit ihr ſtehet, zu entdecken. Sie63Sie ſagt blos, Blanca ſuche ſich zu verheyra - then, und da ſie hierauf ſich mit einem Manne, deſſen Stand ſo weit über den ihrigen erhaben ſey, doch keine Rechnung machen könne, ſo durfte ſie ſchwerlich ſeiner Liebe Gehör geben. — (Man erwartet, daß der Herzog auf dieſen Ein - wurf die Lauterkeit ſeiner Abſichten betheuern werde: aber davon kein Wort! Die Spanier ſind in dieſem Punkte lange ſo ſtrenge und deli - kat nicht, als die Franzoſen.) Er hat einen Brief an die Blanca geſchrieben, den Flora übergeben ſoll. Er wünſcht, es ſelbſt mit an - zuſehen, was dieſer Brief für Eindruck auf ſie machen werde. Er ſchenkt Floren eine güldne Kette, und Flora verſteckt ihn in eine anſtoßende Gallerie, indem Blanca mit Coſme hereintritt, welcher ihr die Ankunft ſeines Herrn meldet.
Eſſex kömmt. Nach den zärtlichſten Bewill - kommungen der Blanca, nach den theuerſten Verſicherungen des Grafen, wie ſehr er ihrer Liebe ſich würdig zu zeigen wünſche, müſſen ſich Flora und Coſme entfernen, und Blanca bleibt mit dem Grafen allein. Sie erinnert ihn, mit welchem Eifer und mit welcher Standhaftigkeit er ſich um ihre Liebe beworben habe. Nachdem ſie ihm drey Jahre widerſtanden, habe ſie end - lich ſich ihm ergeben, und ihn, unter Verſiche - rung ſie zu heyrathen, zum Eigenthümer ihrerEhre64Ehre gemacht. (Te hice dueño de mi ho - nor: der Ausdruck ſagt im Spaniſchen ein wenig viel.) Nur die Feindſchaft, welche un - ter ihren beyderſeitigen Familien obgewaltet, habe nicht erlaubt, ihre Verbindung zu vollzie - hen. Eſſex iſt nichts in Abrede, und fügt hin - zu, daß, nach dem Tode ihres Vaters und Bru - ders, nur die ihm aufgetragene Expedition wider die Spanier dazwiſchen gekommen ſey. Nun aber habe er dieſe glücklich vollendet; nun wolle er unverzüglich die Königinn um Erlaubniß zu ihrer Vermählung antreten. — Und ſo kann ich dir denn, ſagt Blanca, als meinem Geliebten, als meinem Bräutigam, als meinem Freunde, alle meine Geheimniſſe ſicher anvertrauen.(*)‘Bien podrè ſeguramente Revelarte intentos mios, Como a galan, como a dueño Como a eſpoſo, y como a amigo. ’ () —
Hierauf beginnt ſie eine lange Erzehlung von dem Schickſale der Maria von Schott - land. Wir erfahren, (denn Eſſex ſelbſt muß alles das, ohne Zweifel, längſt wiſſen,) daß ihr Vater und Bruder dieſer unglücklichen Königinn ſehr zugethan geweſen; daß ſie ſich ge - weigert, an der Unterdrückung der Unſchuld Theil zu nehmen; daß Eliſabeth ſie daher gefan - gen ſetzen, und in dem Gefängniſſe heimlich hin - richten laſſen. Kein Wunder, daß Blanca die Eliſabeth haßt; daß ſie feſt entſchloſſen iſt, ſich an ihr zu rächen. Zwar hat Eliſabeth nachher ſie unter ihre Hofdamen aufgenommen, und ſie ihres ganzen Vertrauens gewürdiget. Aber Blanca iſt unverſöhnlich. Umſonſt wählte die Königinn, nur kürzlich, vor allen andern das Landgut der Blanca, um die Jahreszeit einige Tage daſelbſt ruhig zu genieſſen. — Dieſen Vor -Jzug66zug ſelbſt, wollte Blanca ihr zum Verderben ge - reichen laſſen. Sie hatte an ihren Oheim ge - ſchrieben, welcher, aus Furcht, es möchte ihm wie ſeinem Bruder, ihrem Vater, ergehen, nach Schottland geflohen war, wo er ſich im Verborgnen aufhielt. Der Oheim war gekom - men; und kurz, dieſer Oheim war es geweſen, welcher die Königinn in dem Garten ermorden wollen. Nun weiß Eſſex, und wir mit ihm, wer die Perſon iſt, der er das Leben gerettet hat. Aber Blanca weiß nicht, daß es Eſſex iſt, wel - cher ihren Anſchlag vereiteln müſſen. Sie rech - net vielmehr auf die unbegrenzte Liebe, deren ſie Eſſex verſichert, und wagt es, ihn nicht blos zum Mitſchuldigen machen zu wollen, ſondern ihm völlig die glücklichere Vollziehung ihrer Rache zu übertragen. Er ſoll ſogleich an ihren Oheim, der wieder nach Schottland geflohen iſt, ſchreiben, und gemeinſchaftliche Sache mit ihm machen. Die Tyranninn müſſe ſterben; ihr Name ſey allgemein verhaßt; ihr Tod ſey eine Wohlthat für das Vaterland, und niemand ver - diene es mehr als Eſſex, dem Vaterlande dieſe Wohlthat zu verſchaffen.
Eſſex iſt über dieſen Antrag äußerſt betroffen. Blanca, ſeine theure Blanca, kann ihm eine ſolche Verrätherey zumuthen? Wie ſehr ſchämt er ſich, in dieſem Augenblicke, ſeiner Liebe! Aber was ſoll er thun? Soll er ihr, wie es bil -lig67lig wäre, ſeinen Unwillen zu erkennen geben? Wird ſie darum weniger bey ihren ſchändlichen Geſinnungen bleiben? Soll er der Königinn die Sache hinterbringen? Das iſt unmöglich: Blanca, ſeine ihm noch immer theure Blanca, läuft Gefahr. Soll er ſie, durch Bitten und Vorſtellungen, von ihrem Entſchluſſe abzubrin - gen ſuchen? Er müßte nicht wiſſen, was für ein rachſüchtiges Geſchöpf eine beleidigte Frau iſt; wie wenig es ſich durch Flehen erweichen, und durch Gefahr abſchrecken läßt. Wie leicht könnte ſie ſeine Abrathung, ſein Zorn, zur Verzweiflung bringen, daß ſie ſich einem an - dern entdeckte, der ſo gewiſſenhaft nicht wäre, und ihr zu Liebe alles unternähme?(*)‘Ay tal traicion! vive el Cielo, Que de amarla eſtoi corrido. Blanca, que es mi dulce dueño, Blanca, à quien quiero, y eſtimo, Me propone tal traicion! Que harè, porque ſi ofendido, Reſpondiendo, como es juſto, Contra ſu traicion me irrito, No por eſſo ha de evitar Su reſuelto deſatino. Pues darle cuenta a la Reina Es impoſſible, pues quiſo Mi ſuerte, que tenga parte Blanca en aqueſte delito. Pues ſi procuro con ruegos’ ()Di - — Die -J 2ſes68ſes in der Geſchwindigkeit überlegt, faßt er den Vorſatz, ſich zu verſtellen, um den Roberto, ſo heißt der Oheim der Blanca, mit allen ſeinen Anhängern, in die Falle zu locken.
Blanca wird ungeduldig, daß ihr Eſſex nicht ſogleich antwortet. „ Graf, ſagt ſie, wenn Du erſt lange mit Dir zu Rathe gehſt, ſo liebſt Du mich nicht. Auch nur zweifeln, iſt Verbrechen. Undankbarer! —(*)‘Si eſtàs conſultando, Conde, Allà dentro de ti miſmo Lo que has de hacer, no me quieres, Ya el dudarlo fue delito. Vive Dios, que eres ingrato! ’ () Sey ruhig, Blanca! er - wiedert Eſſex: ich bin entſchloſſen. — Und wo - zu? — Gleich will ich Dir es ſchriftlich geben. „
Eſſex ſetzt ſich nieder, an ihren Oheim zu ſchreiben, und indem tritt der Herzog aus derGal -(*)‘Diſuadirla, es deſvario, Que es una muger reſuelta Animal tan vengativo, Que no ſe dobla à los rieſgos: Antes con afecto impio, En el miſmo rendimiento Suelen aguſar los filos; Y quizà deſeſperada De mi enojo, o mi deſvìo, Se declarara con otro Menos leal, menos fino, Que quizà por ella intente, Lo que yo hacer no he querido. ’ ()69Gallerie näher. Er iſt neugierig zu ſehen, wer ſich mit der Blanca ſo lange unterhält; und er - ſtaunt, den Grafen von Eſſex zu erblicken. Aber noch mehr erſtaunt er über das, was er gleich darauf zu hören bekömmt. Eſſex hat an den Roberto geſchrieben, und ſagt der Blanca den Inhalt ſeines Schreibens, das er ſofort durch den Coſme abſchicken will. Roberto ſoll mit allen ſeinen Freunden einzeln nach London kommen; Eſſex will ihn mit ſeinen Leuten unter - ſtützen; Eſſex hat die Gunſt des Volks; nichts wird leichter ſeyn, als ſich der Königinn zu be - mächtigen; ſie iſt ſchon ſo gut, als todt. — Erſt müßt ich ſterben! ruft auf einmal der Herzog, und kömmt auf ſie los. Blanca und der Graf erſtaunen über dieſe plötzliche Erſcheinung; und das Erſtaunen des letztern iſt nicht ohne Eifer - ſucht. Er glaubt, daß Blanca den Herzog bey ſich verborgen gehalten. Der Herzog rechtfer - tiget die Blanca, und verſichert, daß ſie von ſeiner Anweſenheit nichts gewußt; er habe die Gallerie offen gefunden, und ſey von ſelbſt her - eingegangen, die Gemählde darinn zu betrach - ten. (*)‘Por vida del Rey mi hermano, Y por la que mas eſtimo, De la Reina mi ſeñora, Y por — pero yo lo digo’ ()Que
J 3Der70Bey dem Leben meines Bru - ders, bey dem mir noch koſtbarern Leben der Kö - niginn, bey — Aber genug, daß Ich es ſage: Blanca iſt unſchuldig. Und nur ihr, Mylord, haben Sie dieſe Erklärung zu danken. Auf Sie, iſt im geringſten nicht dabey geſehen. Denn mit Leuten, wie Sie, machen Leute, wie ich —
Prinz, Sie kennen mich ohne Zweifel nicht recht? —
Freylich habe ich Sie nicht recht gekannt. Aber ich kenne Sie nun. Ichhielt(*)‘Que en mi es el mayor empeño De la verdad del decirlo, Que no tiene Blanca parte De eſtar yo aqui — — — — — — Y eſtad mui agradecido A Blanca, de que yo os dè, No ſatisfacion, aviſo De eſta verdad, porque a vos, Hombres como yo — Cond. Imagino Que no me conoceis bien. Duq. No os havia conocido Haſta aqui; mas ya os conozco, Pues ya tan otro os he viſto Que os reconozco traidor. Cond. Quien dixere — Duq. Yo lo digo, No pronuncieis algo, Conde, Que ya no puedo ſufriros. Cond. Qualquier coſa que yo intente —’ ()Duq. 71hielt Sie für einen ganz andern Mann: und ich finde, Sie ſind ein Verräther.
Wer darf das ſagen?
Ich! — Nicht ein Wort mehr! Ich will kein Wort mehr hören, Graf!
Meine Abſicht mag auch geweſen ſeyn —
Denn kurz: ich bin überzeugt, daß ein Verräther kein Herz hat. Ich treffe Sie als einen Verräther: ich muß Sie für einen Mann ohne Herz halten. Aber um ſo weniger darf ich mich dieſes Vortheils über Sie bedienen. MeineEhre(*)‘Duq. Mirad que eſtoi perſuadido Que hacer la traicion cobardes; Y aſſi quando os he cogido En un lance que me dà De que ſois cobarde indicios, Non he de aprovecharme de eſto, Y aſfi os perdona mi brio Eſte rato que teneis El valor deſminuido; Que a eſtar todo vos entero, Supiera daros caſtigo. Cond. Yo ſoi el Conde de Sex Y nadie ſe me ha atrevido Sino el hermano del Rey De Francia. Duq. Yo tengo brio Para que ſin ſer quien ſoi,’ ()Pueda72Ehre verzeiht Ihnen, weil Sie der Ihrigen ver - luſtig ſind. Wären Sie ſo unbeſcholten, als ich Sie ſonſt geglaubt, ſo würde ich Sie zu züchtigen wiſſen.
Ich bin der Graf von Eſſex. So hat mir noch niemand begegnen dürfen, als der Bruder des Königs von Frankreich.
Wenn ich auch der nicht wäre, der ich bin; wenn nur Sie der wären, der Sie nicht ſind, ein Mann von Ehre: ſo ſollten Sie wohl empfinden, mit wem Sie zu thun hätten. — Sie, der Graf von Eſſex? Wenn Sie dieſer beru - fene Krieger ſind: wie können Sie ſo viele große Thaten durch eine ſo unwürdige That vernichten wollen? —
(*)‘Pueda mi valor invicto Caſtigar, non digo yo Solo a vos, mos a vos miſmo, Siendo leal, que es lo mas Con que queda encarecido. Y pues ſois tan gran Soldado, No echeis a perder, os pido, Tantas heroicas hazañas Con un hecho tan indigno —’ ()
Der Herzog fährt hierauf fort, ihm ſein Un - recht, in einem etwas gelindern Tone, vorzuhalten. Er ermahnt ihn, ſich ei - nes beſſern zu beſinnen; er will es vergeſſen, was er gehört habe; er iſt verſichert, daß Blanca mit dem Grafen nicht einſtimme, und daß ſie ſelbſt ihm eben das würde geſagt haben, wenn er, der Her - zog, ihr nicht zuvorgekommen wäre. Er ſchließt endlich: „ Noch einmal, Graf; gehen Sie in ſich! „ Stehen Sie von einem ſo ſchändlichen Vorha - „ ben ab! Werden Sie wieder Sie ſelbſt! Wol - „ len Sie aber meinem Rathe nicht folgen: ſo „ erinnern Sie ſich, daß Sie einen Kopf haben, „ und London einen Henker! „(*)‘Miradlo mejor, dexad Un intento tan indigno, Correſponded à quien ſois,’ ()Y — Hiermitent -K74entfernt ſich der Herzog. Eſſex iſt in der äußer - ſten Verwirrung; es ſchmerzt ihn, ſich für einen Verräther gehalten zu wiſſen; gleichwohl darf er es itzt nicht wagen, ſich gegen den Herzog zu rechtfertigen; er muß ſich gedulden, bis es der Ausgang lehre, daß er da ſeiner Königinn am getreueſten geweſen ſey, als er es am wenigſten zu ſeyn geſchienen. (*)‘Non he de reſponder al Duque Haſta que el ſuceſſo miſmo Mueſtre como fueron falſos De mi traicion los indicios, Y que ſoi mas leal, quando Mos traidor he parecido. ’ ()So ſpricht er mit ſich ſelbſt: zur Blanca aber ſagt er, daß er den Brief ſogleich an ihren Oheim ſenden wolle, und geht ab. Blanca desgleichen; nachdem ſie ih - ren Unſtern verwünſcht, ſich aber noch damit getröſtet, daß es kein Schlimmerer als der Her - zog ſey, welcher von dem Anſchlage des Grafen wiſſe.
Die Königinn erſcheinet mit ihrem Kanzler, dem ſie es vertrauet hat, was ihr in dem Garten begegnet. Sie befiehlt, daß ihre Leibwache alle Zugänge wohl beſetze; und morgen will ſie nach London zurückkehren. Der Kanzler iſt der Mei - nung, die Mäuchelmörder aufſuchen zu laſſen,und(*)‘Y ſino baſtan aviſos, Mirad que ay Verdugo en Londres, Y en vos cabeza, harto os digo. ’ ()75und durch ein öffentliches Edict demjenigen, der ſie anzeigen werde, eine anſehnliche Belohnung zu verheiſſen, ſollte er auch ſelbſt ein Mitſchul - diger ſeyn. „ Denn da es ihrer zwey waren, ſagt er, „ die den Anfall thaten, ſo kann leicht „ einer davon ein eben ſo treuloſer Freund ſeyn, „ als er ein treuloſer Unterthan iſt. „(*)‘Y pues ſon dos los culpados Podrà ſer, que alguno de ellos Entregue al otro que es llano, Que ſerà traidor amigo Quien fue desleal vaſſallo. ’ () — Aber die Königinn mißbilliget dieſen Rath; ſie hält es für beſſer, den ganzen Vorfall zu unter - drücken, und es gar nicht bekannt werden zu laſſen, daß es Menſchen gegeben, die ſich einer ſolchen That erkühnen dürfen. „ Man muß, ſagt ſie, „ die Welt glauben machen, daß die „ Könige ſo wohl bewacht werden, daß es der „ Verrätherey unmöglich iſt, an ſie zu kommen. „ Auſſerordentliche Verbrechen werden beſſer ver - „ ſchwiegen, als beſtraft. Denn das Beyſpiel „ der Strafe iſt von dem Beyſpiele der Sünde „ unzertrennlich; und dieſes kann oft eben ſo ſehr „ anreitzen, als jenes abſchrecken. „(**)‘Y es gran materia de eſtado Dar a entender, que los Reyes Eſtan en ſi tan guardados Que aunque la traicion los buſque,’ ()Nunca
K 2In -76Indem wird Eſſex gemeldet, und vorgelaſſen. Der Bericht, den er von dem glücklichen Er - folge ſeiner Expedition abſtattet, iſt kurz. Die Königinn ſagt ihm, auf eine ſehr verbindliche Weiſe: „ Da ich Euch wieder erblicke, weiß ich von dem Ausgange des Krieges ſchon ge - nug. „ (*)‘Que ya ſolo con miraros Sè el ſuceſſo de la guerra. ’ ()Sie will von keinen nähern Um - ſtänden hören, bevor ſie ſeine Dienſte nicht be - lohnt, und befiehlt dem Kanzler, dem Grafen ſogleich das Patent als Admiral von England auszufertigen. Der Kanzler geht; die Königinn und Eſſex ſind allein; das Geſpräch wird ver - traulicher; Eſſex hat die Schärpe um; die Kö - niginn bemerkt ſie, und Eſſex würde es aus die - ſer bloßen Bemerkung ſchlieſſen, daß er ſie von ihr habe, wenn er es aus den Reden der Blanca nicht ſchon geſchloſſen hätte. Die Königinn hat den Grafen ſchon längſt heimlich geliebt; und nun iſt ſie ihm ſogar das Leben ſchuldig. (**)‘No baſtaba, amor tyranno Una inclinacion tan fuerte, Sin que te aya ayudado Del deberle yo la vida? ’ ()Es(**)‘Nunca ha de poder hallarlos; Y aſſi el ſecreto averigue Enormes delitos, quando Mas que el caſtigo, eſcarmientos Dè de exemplares el pecado. ’ ()77Es koſtet ihr alle Mühe, ihre Neigung zu ver - bergen. Sie thut verſchiedne Fragen, ihn aus - zulocken und zu hören, ob ſein Herz ſchon einge - nommen, und ob er es vermuthe, wem er das Leben in den Garten gerettet. Das letzte giebt er ihr durch ſeine Antworten gewiſſermaaßen zu verſtehen, und zugleich, daß er für eben dieſe Perſon mehr empfinde, als er derſelben zu ent - decken ſich erkühnen dürfe. Die Königinn iſt auf dem Punkte, ſich ihm zu erkennen zu gebene doch ſiegt noch ihr Stolz über ihre Liebe. Eben ſo ſehr hat der Graf mit ſeinem Stolze zu käm - pfen: er kann ſich des Gedankens nicht entweh - ren, daß ihn die Königinn liebe, ob er ſchon die Vermeſſenheit dieſes Gedankens erkennet. (Daß dieſe Scene größtentheils aus Reden beſtehen müſſe, die jedes ſeitab führet, iſt leicht zu erach - ten.) Sie heißt ihn gehen, und heißt ihn wie - der ſo lange warten, bis der Kanzler ihm das Patent bringe. Er bringt es; ſie überreicht es ihm; er bedankt ſich, und das Seitab fängt mit neuem Feuer an.
Thörichte Liebe! —
Eitler Wahnſinn! —
Wie blind! —
Wie verwegen! —
So tief willſt du, daß ich mich herabſetze? —
So hoch willſt du, daß ich mich ver - ſteige?
Bedenke, daß ich Königinn bin!
Bedenke, daß ich Unterthan bin!
Du ſtürzeſt mich bis in den Abgrund, —
Du erhebeſt mich bis zur Sonne, —
Ohne auf meine Hoheit zu achten.
Ohne meine Niedrigkeit zu erwägen.
Aber, weil du meines Herzens dich bemeiſtert: —
Aber, weil Du meiner Seele Dich bemächtiget: —
So ſtirb da, und komm nie auf die Zunge!
So ſtirb da, und komm nie über die Lippen! (*)Rein. Loco Amor — Cond. Necio impoſ - ſible —Rein. Què