Galotti. Aeltern der Emilia.
Prinz von Guaſtalla.
Kammerherr des Prinzen.
Einer von des Prinzen Raͤthen.
Maler.
Klagen, nichts als Klagen! Bittſchriſten, nichts als Bittſchriften! — Die traurigen Geſchaͤfte; und man be - neidet uns noch! — Das glaub ich, wenn wir allen helfen koͤnnten: dann waͤren wir zu beneiden. — Emilia?
Eine Emilia? — Aber eine Emilia Bruneschi —A 2nicht4Emilia Galotti.nicht Galotti. Nicht Emilia Galotti! — Was will ſie, dieſe Emilia Bruneschi?
Viel gefodert; ſehr viel. — Doch ſie heiſt Emilia. Gewaͤhrt!
Es iſt wol noch keiner von den Raͤthen in dem Vorzimmer?
Nein.
Jch habe zu fruͤh Tag ge - macht. — Der Morgen iſt ſo ſchoͤn. Jch will ausfahren. Marcheſe Marinelli ſoll mich begleiten. Laßt ihn rufen
— Jch kann doch nicht mehr arbeiten. — Jch war ſo ruhig, bild’ ich mir ein, ſo ruhig — Auf einmal muß eine arme Bruneschi, Emilia heißen; — weg iſt meine Ruhe und alles! —
Nach dem Marcheſe iſt geſchickt. Und hier, ein Brief von der Graͤfinn Orſina.
Der Orſina? Legt ihn hin.
Jhr Laͤufer wartet.
Jch will die Antwort ſenden; wenn es einer bedarf. — Wo iſt ſie? Jn der Stadt? oder auf ihrer Villa?
Sie iſt geſtern in die Stadt gekommen.
Deſto ſchlimmer — beſſer; wollt’ ich ſagen. So braucht der Laͤuſer um ſo weniger zu warten.
Meine theure Graͤfinn!
So gut, als geleſen!
— Nun ja; ich habe ſie zu lieben geglaubt! Was glaubt man nicht alles? Kann ſeyn, ich habe ſie auch wirklich geliebt. Aber — ich habe!
Der Maler Conti will die Gnade haben — —
Conti? Recht wohl; laßt ihn herein kommen. — Das wird mir andere Ge - danken in den Kopf bringen. —
Guten Morgen, Conti. Wie leben Sie? Was macht die Kunſt?
Prinz, die Kunſt geht nach Brodt.
Das muß ſie nicht; das ſoll ſie nicht, — in meinem kleinen Gebiethe gewiß nicht. — Aber der Kuͤnſtler muß auch arbeiten wollen.
Arbeiten? Das iſt ſeine Luſt. Nur zu viel arbeiten muͤſſen, kann ihn um den Namen Kuͤnſtler bringen.
Jch meyne nicht vieles; ſondern viel: ein Weniges; aber mit Fleiß. — Sie kom - men doch nicht leer, Conti?
Jch bringe das Portraͤtt, welches Sie mir befohlen haben, gnaͤdiger Herr. Und bringe noch eines, welches Sie mir nicht befohlen: aber weil es geſehen zu werden verdient —
Jenes iſt? — Kann ich mich doch kaum erinnern —
Die Graͤfinn Orſina.
Wahr! — Der Auftrag iſt nur ein wenig von lange her.
Unſere ſchoͤnen Damen ſind nicht alle Tage zum malen. Die Graͤfinn hat, ſeit dreyMo -7Emilia Galotti.Monathen, gerade Einmal ſich entſchließen koͤn - nen, zu ſitzen.
Wo ſind die Stuͤcke?
Jn dem Vorzimmer: ich hole ſie.
Jhr Bild! — mag! — Jhr Bild, iſt ſie doch nicht ſelber. — Und vielleicht find’ ich in dem Bilde wieder, was ich in der Perſon nicht mehr erblicke. — Jch will es aber nicht wieder - finden. — Der beſchwerliche Maler! Jch glaube gar, ſie hat ihn beſtochen. — Waͤr’ es auch! Wenn ihr ein anderes Bild, das mit andern Far - ben, auf einen andern Grund gemalet iſt, — in meinem Herzen wieder Platz machen will: — Warlich, ich glaube, ich waͤr es zufrieden. Als ich dort liebte, war ich immer ſo leicht, ſo froͤhlich, ſo ausgelaſſen. — Nun bin ich von allem das Gegentheil. — Doch nein; nein, nein! Behaͤg - licher, oder nicht behaͤglicher; ich bin ſo beſſer.
Jch bitte, Prinz, daß Sie die Graͤnzen unſerer Kunſt erwaͤgen wollen. Vieles von dem Anzuͤglichſten der Schoͤnheit liegt ganz außer den Graͤnzen der - ſelben. — Treten Sie ſo! —
Vor - trefflich, Conti; — ganz vortrefflich! — Das gilt ihrer Kunſt, Jhrem Pinſel. — Aber ge - ſchmeichelt, Conti; ganz unendlich geſchmeichelt!
Das Original ſchien dieſer Meynung nicht zu ſeyn. Auch iſt es in der That nicht mehr geſchmeichelt, als die Kunſt ſchmeicheln muß. Die Kunſt muß malen, wie ſich die plaſtiſche Natur, — wenn es eine giebt — das Bild dachte: ohne den Abfall, welchen der widerſtrebende Stoff unver - meidlich macht; ohne das Verderb, mit welchem die Zeit dagegen an kaͤmpfet.
Der denkende Kuͤnſtler iſt noch eins ſo viel werth. — Aber das Original, ſagen Sie, fand dem ungeachtet —
Verzeihen Sie, Prinz. Das Ori - ginal iſt eine Perſon, die meine Ehrerbietung fodert. Jch habe nichts nachtheiliges von ihr aͤuſſern wollen.
So viel als ihnen beliebt! — Und was ſagte das Original?
Jch bin zufrieden, ſagte die Graͤfinn, wenn ich nicht haͤßlicher ausſehe.
Nicht haͤßlicher? — O das wahre Original!
Und mit einer Miene ſagte ſie das, — von der freylich dieſes ihr Bild keine Spur, kei - nen Verdacht zeiget.
Das meynt’ ich ja; das iſt es eben, worinn ich die unendliche Schmeicheley finde. — O! ich kenne ſie, jene ſtolze hoͤhniſche Miene, die auch das Geſicht einer Grazie entſtel - len wuͤrde! — Jch leugne nicht, daß ein ſchoͤner Mund, der ſich ein wenig ſpoͤttiſch verziehet, nicht ſelten um ſo viel ſchoͤner iſt. Aber, wohl gemerkt,A 5ein10Emilia Galotti.ein wenig: die Verziehung muß nicht bis zur Gri - maſſe gehen, wie bey dieſer Graͤfinn. Und Augen muͤſſen uͤber den wolluͤſtigen Spoͤtter die Aufſicht fuͤhren, — Augen, wie ſie die gute Graͤfinn nun gerade gar nicht hat. Auch nicht einmal hier im Bilde hat.
Gnaͤdiger Herr, ich bin aͤußerſt be - troffen —
Und woruͤber? Alles, was die Kunſt aus den großen, hervorragenden, ſtieren, ſtarren Meduſenaugen der Graͤfinn gutes machen kann, das haben Sie, Conti, redlich daraus ge - macht. — Redlich, ſag’ ich? — Nicht ſo red - lich, waͤre redlicher. Denn ſagen Sie ſelbſt, Conti, laͤßt ſich aus dieſem Bilde wohl der Charakter der Perſon ſchließen? Und das ſollte doch. Stolz ha - ben Sie in Wuͤrde, Hohn in Laͤcheln, Anſatz zu truͤbſinniger Schwaͤrmerey in ſanfte Schwermuth verwandelt.
Ah, mein Prinz, — wir Maler rechnen darauf, daß das fertige Bild den Liebhaber noch eben ſo warm findet, als warm er es beſtellte. Wir malen mit Augen der Liebe:und11Emilia Galotti.und Augen der Liebe muͤßten uns auch nur be - urtheilen.
Ja nun, Conti; — warum kamen Sie nicht einen Monath fruͤher damit? — Setzen Sie weg. — Was iſt das andere Stuͤck?
Auch ein weibliches Portraͤtt.
So moͤcht’ ich es bald — lieber gar nicht ſehen. Denn dem Jdeal hier,
— oder vielmehr hier,
koͤmmt es doch nicht bey. — Jch wuͤnſchte, Conti, Jhre Kunſt in andern Vor - wuͤrfen zu bewundern.
Eine bewundernswuͤrdigere Kunſt giebt es; aber ſicherlich keinen bewundernswuͤrdi - gern Gegenſtand, als dieſen.
So wett’ ich, Conti, daß es des Kuͤnſtlers eigene Gebietherinn iſt. —
Was ſeh’ ich? Jhr Werk, Conti? oder das Werk meiner Phantaſie? — Emilia Galotti!
Wie, mein Prinz? Sie kennen die - ſen Engel?
So halb! — um ſie eben wieder zu kennen. — Es iſt einige Wochen her, als ich ſie mit ihrer Mutter in einer Vegghia traf. — Nachher iſt ſie mir nur an hei - ligen Staͤten wieder vorgekommen, — wo das Angaffen ſich weniger ziemet. — Auch kenn’ ich ihren Vater. Er iſt mein Freund nicht. Er war es, der ſich meinen Anſpruͤchen auf Sabionetta am meiſten widerſetzte. — Ein alter Degen; ſtolz und rauh; ſonſt bieder und gut! —
Der Vater! Aber hier haben wir ſeine Tochter. —
Bey Gott! wie aus dem Spie - gel geſtohlen!
O, Sie wiſſen es ja wohl, Conti, daß man den Kuͤnſtler dann erſt recht lobt, wenn man uͤber ſein Werk ſein Lob vergißt.
Gleichwohl hat mich dieſes noch ſehr unzufrieden mit mir gelaſſen. — Und doch bin ich wiederum ſehr zufrieden mit meiner Unzufrie - denheit mit mir ſelbſt. — Ha! daß wir nicht un - mittelbar mit den Augen malen! Auf dem langenWege13Emilia Galotti.Wege, aus dem Auge durch den Arm in den Pin - ſel, wie viel geht da verloren! — Aber, wie ich ſage, daß ich es weiß, was hier verloren gegan - gen, und wie es verloren gegangen, und warum es verloren gehen muͤſſen: darauf bin ich eben ſo ſtolz, und ſtolzer, als ich auf alles das bin, was ich nicht verloren gehen laſſen. Denn aus jenem erkenne ich, mehr als aus dieſen, daß ich wirklich ein großer Maler bin; daß es aber meine Hand nur nicht immer iſt. — Oder meynen Sie, Prinz, daß Raphael nicht das groͤßte maleriſche Genie ge - weſen waͤre, wenn er ungluͤcklicher Weiſe ohne Haͤnde waͤre geboren worden? Meynen Sie, Prinz?
Was ſagen Sie, Conti? Was wollen Sie wiſſen?
O nichts, nichts! — Plauderey! Jhre Seele, merk’ ich, war ganz in Jhren Augen. Jch liebe ſolche Seelen, und ſolche Augen.
Alſo Conti, rechnen Sie doch wirklich Emilia Galotti mit zu den vorzuͤglichſten Schoͤnheiten unſerer Stadt?
Alſo? mit? mit zu den vorzuͤglich - ſten? und den vorzuͤglichſten unſerer Stadt? — Sie ſpotten meiner, Prinz. Oder Sie ſahen, die ganze Zeit, eben ſo wenig, als Sie hoͤrten.
Lieber Conti, —
wie darf unſer einer ſeinen Augen trauen? Eigentlich weiß doch nur allein ein Maler von der Schoͤnheit zu urtheilen.
Und eines jeden Empfindung ſollte erſt auf den Ausſpruch eines Malers warten? — Jns Kloſter mit dem, der es von uns lernen will, was ſchoͤn iſt! Aber das muß ich Jhnen doch als Ma - ler ſagen, mein Prinz: eine von den groͤßten Gluͤckſceligkeiten meines Lebens iſt es, daß Emilia Galotti mir geſeſſen. Dieſer Kopf, dieſes Antlitz, dieſe Stirn, dieſe Augen, dieſe Naſe, dieſer Mund, dieſes Kinn, dieſer Hals, dieſe Bruſt, dieſer Wuchs, dieſer ganze Bau, ſind, von der Zeit an, mein einziges Studium der weiblichen Schoͤnheit. — Die Schilderey ſelbſt, wovor ſie geſeſſen, hat ihr abweſender Vater bekommen. Aber dieſe Kopie —
Nun, Conti? iſt doch nicht ſchon verſagt?
Jſt fuͤr Sie, Prinz; wenn Sie Geſchmack daran finden.
Geſchmack! —
Dieſes Jhr Studium der weiblichen Schoͤnheit, Conti, wie koͤnnt’ ich beſſer thun, als es auch zu dem mei - nigen zu machen? — Dort, jenes Portraͤtt neh - men Sie nur wieder mit, — einen Rahmen dar - um zu beſtellen.
Wohl!
So ſchoͤn, ſo reich, als ihn der Schnitzer nur machen kann. Es ſoll in der Gal - lerie aufgeſtellet werden. — Aber dieſes bleibt hier. Mit einem Studio macht man ſo viel Um - ſtaͤnde nicht: auch laͤßt man das nicht aufhaͤngen; ſondern hat es gern bey der Hand. — Jch danke Jhnen, Conti; ich danke Jhnen recht ſehr. — Und wie geſagt; in meinem Gebiethe ſoll die Kunſt nicht nach Brodt gehen; — bis ich ſelbſt keines habe. — Schicken Sie, Conti, zu meinem Schatzmeiſter, und laſſen Sie, auf Jhre Quit - tung, fuͤr beyde Portraͤtte ſich bezahlen, — was Sie wollen. So viel Sie wollen, Conti.
Sollte ich doch nun bald fuͤrchten, Prinz, daß Sie ſo, noch etwas anders belohnen wollen, als die Kunſt.
O des eiferſuͤchtigen Kuͤnſtlers! Nicht doch! — Hoͤren Sie, Conti; ſo viel Sie wollen.
So viel er will! —
Dich hab’ ich fuͤr jeden Preis noch zu wohlfeil. — Ah! ſchoͤ - nes Werk der Kunſt, iſt es wahr, daß ich dich beſitze? — Wer dich auch beſaͤße, ſchoͤnres Mei - ſterſtuͤck der Natur! — Was Sie dafuͤr wollen, ehrliche Mutter! Was du willſt, alter Murrkopf! Fodre nur! Fodert nur! — Am liebſten kauft’ ich dich, Zauberinn, von dir ſelbſt! — Dieſes Auge voll Liebreiz und Beſcheidenheit! Dieſer Mund! und wenn er ſich zum reden oͤffnet! wenn er laͤchelt! Dieſer Mund! — Jch hoͤre kommen. — Noch bin ich mit dir zu neidiſch.
Es wird Marinelli ſeyn. Haͤtt’ ich17Emilia Galotti.ich ihn doch nicht rufen laſſen! Was fuͤr einen Morgen koͤnnt’ ich haben!
Gnaͤdiger Herr, Sie werden verzeihen. — Jch war mir eines ſo fruͤhen Be - fehls nicht gegenwaͤrtig.
Jch bekam Luſt, auszufahren. Der Morgen war ſo ſchoͤn. — Aber nun iſt er ja wohl verſtrichen; und die Luſt iſt mir vergan - gen. —
Was ha - ben wir Neues, Marinelli?
Nichts von Belang, das ich wuͤßte. — Die Graͤfinn Orſina iſt geſtern zur Stadt gekommen.
Hier liegt auch ſchon ihr guter Morgen,
oder was es ſonſt ſeyn mag! Jch bin gar nicht neugierig darauf. — Sie haben ſie geſprochen?
Bin ich, leider, nicht ihr Ver - trauter? — Aber, wenn ich es wieder von einerBDame18Emilia Galotti.Dame werde, der es einkoͤmmt, Sie in gutem Ernſte zu lieben, Prinz: ſo — —
Nichts verſchworen, Marinelli!
Ja? Jn der That, Prinz? Koͤnnt’ es doch kommen? — O! ſo mag die Graͤ - finn auch ſo Unrecht nicht haben.
Allerdings, ſehr Unrecht! Meine nahe Vermaͤhlung mit der Prinzeſſinn von Maſſa, will durchaus, daß ich alle dergleichen Haͤndel fuͤrs erſte abbreche.
Wenn es nur das waͤre: ſo muͤß - te freylich Orſina ſich in ihr Schickſal eben ſo wohl zu finden wiſſen, als der Prinz in ſeines.
Das unſtreitig haͤrter iſt, als ihres. Mein Herz wird das Opfer eines elenden Staatsintereſſe. Jhres darf ſie nur zuruͤckneh - men: aber nicht wider Willen verſchenken.
Zuruͤcknehmen? Warum zuruͤck - nehmen? fragt die Graͤfinn: wenn es weiter nichts, als eine Gemahlinn iſt, die dem Prinzen nicht die Liebe, ſondern die Politik zufuͤhret? Neben ſo einer Gemalinn ſieht die Geliebte nochimmer19Emilia Galotti.immer ihren Piatz. Nicht ſo einer Gemahlinn fuͤrchtet ſie aufgeopfert zu ſeyn, ſondern — —
Einer neuen Geliebten. — Nun denn? Wollten Sie mir durchaus ein Verbrechen machen, Marinelli?
Jch? — O! vermengen Sie mich ja nicht, mein Prinz, mit der Naͤrrinn, deren Wort ich fuͤhre, — aus Mitleid fuͤhre. Denn geſtern, wahrlich, hat ſie mich ſonderbar geruͤhret. Sie wollte von ihrer Angelegenheit mit Jhnen gar nicht ſprechen. Sie wollte ſich ganz gelaſſen und kalt ſtellen. Aber mitten in dem gleichguͤltigſten Geſpraͤche, entfuhr ihr eine Wen - dung, eine Beziehung uͤber die andere, die ihr gefoltertes Herz verrieth. Mit dem luſtigſten We - ſen ſagte ſie die melancholiſchten Dinge: und wiederum die laͤcherlichſten Poſſen mit der aller - traurigſten Miene. Sie hat zu den Buͤchern ihre Zuflucht genommen; und ich fuͤrchte, die werden ihr den Reſt geben.
So wie ſie ihrem armen Ver - ſtande auch den erſten Stoß gegeben. — Aber was mich vornehmlich mit von ihr entfernt hat,B 2das20Emilia Galotti.das wollen Sie doch nicht brauchen, Marinelli, mich wieder zu ihr zuruͤck zu bringen? — Wenn ſie aus Liebe naͤrriſch wird, ſo waͤre ſie es, fruͤher oder ſpaͤter, auch ohne Liebe geworden — Und nun, genug von ihr. — Von etwas andern! — Geht denn gar nichts vor, in der Stadt? —
So gut, wie gar nichts. Denn daß die Verbindung des Grafen Appiani heute voll - zogen wird, — iſt nicht viel mehr, als gar nichts.
Des Grafen Appiani? und mit wem denn? — Jch ſoll ja noch hoͤren, daß er verſprochen iſt.
Die Sache iſt ſehr geheim gehal - ten worden. Auch war nicht viel Aufhebens da - von zu machen. — Sie werden lachen, Prinz. — Aber ſo geht es den Empfindſamen! Die Liebe ſpielet ihnen immer die ſchlimmſten Streiche. Ein Maͤdchen ohne Vermoͤgen und ohne Rang, hat ihn in ihre Schlinge zu ziehen gewußt, — mit ein wenig Larve: aber mit vielem Prunke von Tugend und Gefuͤhl und Witz, — und was weiß ich?
Wer ſich den Eindruͤcken, die Unſchuld und Schoͤnheit auf ihn machen, ohne weitere Ruͤckſicht, ſo ganz uͤberlaſſen darf; — ich daͤchte, der waͤre eher zu beneiden, als zu be - lachen. — Und wie heißt denn die Gluͤckliche? — Denn bey alle dem iſt Appiani — ich weiß wohl, daß Sie, Marinelli, ihn nicht leiden koͤnnen; eben ſo wenig als er Sie — bey alle dem iſt er doch ein ſehr wuͤrdiger junger Mann, ein ſchoͤner Mann, ein reicher Mann, ein Mann voller Ehre. Jch haͤtte ſehr gewuͤnſcht, ihn mir verbinden zu koͤnnen. Jch werde noch darauf denken.
Wenn es nicht zu ſpaͤt iſt. — Denn ſo viel ich hoͤre, iſt ſein Plan gar nicht, bey Hofe ſein Gluͤck zu machen. — Er will mit ſei - ner Gebietherinn nach ſeinen Thaͤlern von Pie - mont: — Gemſen zu jagen, auf den Alpen; und Murmelthiere abzurichten. — Was kann er beſſeres thun? Hier iſt es durch das Mißbuͤndniß, welches er trift, mit ihm doch aus. Der Zir - kel der erſten Haͤußer iſt ihm von nun an ver - ſchloſſen — —
Mit euren erſten Haͤußern! — in welchen das Ceremoniel, der Zwang, die Lan - geweile, und nicht ſelten die Duͤrftigkeit herr - ſchet. — Aber ſo nennen Sie mir ſie doch, der er dieſes ſo große Opfer bringt.
Es iſt eine gewiſſe Emilia Galotti
Wie, Marinelli? eine gewiſſe —
Emilia Galotti.
Emilia Galotti? — Nim - mermehr!
Zuverlaͤſſig, gnaͤdiger Herr.
Nein, ſag ich; das iſt nicht, das kann nicht ſeyn. — Sie irren ſich in dem Na - men. — Das Geſchlecht der Galotti iſt groß. — Eine Galotti kann es ſeyn aber nicht Emilia Ga - lotti; nicht Emilia!
Emilia — Emilia Galotti!
So giebt es noch eine, die beide Nahmen fuͤhrt. — Sie ſagten ohnedem, eine gewiſſe Emilia Galotti — eine gewiſſe. Von der rechten koͤnnte nur ein Narr ſo ſprechen —
Sie ſind außer ſich, gnaͤdiger Herr. — Kennen Sie denn dieſe Emilia?
Jch habe zu fragen, Marinelli, nicht Er. — Emilia Galotti? Die Tochter des Oberſten Galotti, bey Sabionetta?
Eben die.
Die hier in Guaſtalla mit ih - rer Mutter wohnet?
Eben die.
Unfern der Kirche Allerhei - ligen?
Eben die.
mit einem Worte —
Da! — Dieſe? Dieſe Emilia Galot - ti? — Sprich dein verdammtes „ Eben die ‟ noch einmal, und ſtoß mir den Dolch ins Herz.
Eben die!
Henker! — Dieſe? — Die - ſe Emilia Galotti wird heute — —
Graͤfinn Appiani! —
Die Trauung geſchiehet in der Stille, auf dem Landgute des Vaters bey Sa - bionetta. Gegen Mittag fahren Mutter undB 4Toch -24Emilia Galotti.Tochter, der Graf und vielleicht ein paar Freunde dahin ab.
So bin ich verloren! — So will ich nicht leben!
Aber was iſt Jhnen, gnaͤdiger Herr?
Verraͤther! — was mir iſt? — Nun ja ich lie - be ſie; ich bete ſie an. Moͤgt ihr es doch wiſſen! moͤgt ihr es doch laͤngſt gewußt haben, alle ihr, denen ich der tollen Orſina ſchimpfliche Feſſeln lie - ber ewig tragen ſollte! — Nur daß Sie, Mari - nelli, der Sie ſo oft mich Jhrer innigſten Freund - ſchaft verſicherten — O ein Fuͤrſt hat keinen Freund! kann keinen Freund haben! — daß Sie, Sie, ſo treulos, ſo haͤmiſch mir bis auf dieſen Augenblick die Gefahren verhoͤlen duͤrſen, die mei - ner Liebe drohte: wenn ich Jhnen jemals das ver - gebe, — ſo werde mir meiner Suͤnden keine ver - geben!
Jch weiß kaum Worte zu fin - den, Prinz, — wenn Sie mich auch dazu kom -men25Emilia Galotti.men lieſen — Jhnen mein Erſtaunen zu bezei - gen. — Sie lieben Emilia Galotti? — Schwur dann gegen Schwur: Wenn ich von dieſer Liebe das geringſte gewußt, das geringſte vermuthet ha - be; ſo moͤge weder Engel noch Heiliger von mir wiſ - ſen! — Eben das wolt’ ich in die Seele der Or - ſina ſchwoͤren. Jhr Verdacht ſchweift auf einer ganz andern Faͤhrte.
So verzeihen Sie mir, Mari - nelli; —
und betaueren Sie mich.
Nun da, Prinz! Erkennen Sie da die Frucht ihrer Zuruͤckhaltung! — „ Fuͤrſten haben keinen Freund! koͤnnen keinen Freund ha - ben! ‟ — Und die Urſache, wenn dem ſo iſt? — Weil Sie keinen haben wollen. — Heute beehren ſie uns mit ihrem Vertrauen, theilen uns ihre geheimſten Wuͤnſche mit, ſchließen uns ihre ganze Seele auf: und morgen ſind wir ihnen wieder ſo fremd, als haͤtten ſie nie ein Wort mit uns gewechſelt.
Ach! Marinelli, wie konnt’ich Jhnen vertrauen, was ich mir ſelbſt kaum ge - ſtehen wollte?
Und alſo wohl noch weniger der Urheberinn Jhrer Qual geſtanden haben?
Jhr? — Alle meine Muͤhe iſt vergebens geweſen, ſie ein zweytesmal zu ſprechen. —
Und das erſtemal —
Sprach ich ſie — O, ich komme von Sinnen! Und ich ſoll Jhnen noch lange er - zaͤhlen? — Sie ſehen mich einen Raub der Wel - len: was fragen Sie viel, wie ich es geworden? Retten Sie mich, wenn Sie koͤnnen: und fragen Sie dann.
Retten? iſt da viel zu retten? — Was Sie verſaͤumt haben, gnaͤdiger Herr, der Emilia Galotti zu bekennen, das bekennen Sie nun der Graͤfinn Appiani. Waaren, die man aus der erſten Hand nicht haben kann, kauft man aus der zweyten; — und ſolche Waaren nicht ſelten aus der zweyten um ſo viel wohlfeiler.
Ernſthaft, Marinelli, ernſthaft, oder —
Freylich, auch um ſo viel ſchlech - ter — —
Sie werden unverſchaͤmt!
Und dazu will der Graf damit aus dem Lande. — Ja, ſo muͤßte man auf et - was anders denken. —
Und auf was? — Liebſter, beſter Marinelli, denken Sie fuͤr mich. Was wuͤrden Sie thun, wenn Sie an meiner Stelle waͤren?
Vor allen Dingen, eine Kleinig - keit als eine Kleinigkeit anſehen; — und mir ſa - gen, daß ich nicht vergebens ſeyn wolle, was ich bin — Herr!
Schmeicheln Sie mir nicht mit einer Gewalt, von der ich hier keinen Gebrauch abſehe. — Heute ſagen Sie? ſchon heute?
Erſt heute — ſoll es geſchehen. Und nur geſchehenen Dingen iſt nicht zu rathen. —
Wollen Sie mir freye Hand laſſen, Prinz? Wollen Sie alles genehmi - gen, was ich thue?
Alles, Marinelli, alles, was dieſen Streich abwenden kann.
So laſſen Sie uns keine Zeit verlieren. — Aber bleiben Sie nicht in der Stadt. Fahren Sie ſogleich nach Jhrem Luſtſchloſſe, nach Doſalo. Der Weg nach Sabionetta geht da vor - bey. Wenn es mir nicht gelingt, den Grafen augenblicklich zu entfernen: ſo denck’ ich — Doch, doch; ich glaube, er geht in dieſe Falle gewiß. Sie wollen ja, Prinz, wegen Jhrer Vermaͤh - lung einen Geſandten nach Maſſa ſchicken? Laſſen Sie den Grafen dieſer Geſandte ſeyn; mit dem Bedinge, daß er noch heute abreiſet. — Ver - ſtehen Sie?
Vortrefflich! — Bringen Sie ihn zu mir heraus. Gehen Sie, eilen Sie. Jch werfe mich ſogleich in den Wagen.
Sogleich! ſogleich! — Wo blieb es? —
Auf der Erde? das war zu arg!
Doch betrachten? betrach -29Emilia Galotti.betrachten mag ich dich fuͤrs erſte nicht mehr. — Warum ſollt’ ich mir den Pfeil noch tiefer in die Wunde druͤcken?
— Geſchmach - tet, geſeufzet hab’ ich lange genug, — laͤnger als ich geſollt haͤtte: aber nichts gethan! und uͤber die zaͤrtliche Unthaͤtigkeit bey einem Haar’ alles verlo - ren! — Und wenn nun doch alles verloren waͤre? Wenn Marinelli nichts ausrichtete? — Warum will ich mich auch auf ihn allein verlaſſen? Es faͤllt mir ein, — um dieſe Stunde,
um dieſe nemliche Stunde pflegt das fromme Maͤd - chen alle Morgen bey den Dominikanern die Meſſe zu hoͤren. — Wie wenn lich ſie da zu ſprechen ſuchte? — Doch heute, heut’ an ihrem Hoch - zeittage, — heute werden ihr andere Dinge am Herzen liegen, als die Meſſe. — Jndeß, wer weiß? — Es iſt ein Gang. —
Laßt vor - fahren! — Jſt noch keiner von den Raͤthen da?
Camillo Rota.
Er ſoll herein kommen.
Nur aufhalten muß er mich nichtwollen30Emilia Galotti.wollen. Dasmal nicht! — Jch ſtehe gern ſeinen Bedenklichkeiten ein andermal um ſo viel laͤnger zu Dienſten. — Da war ja noch die Bittſchrift einer Emilia Bruneschi —
Die iſts. — Aber, gute Bruneschi, wo deine Vorſpre - cherinn — —
Kommen Sie, Rota, kommen Sie. — Hier iſt, was ich dieſen Morgen erbro - chen. Nicht viel Troͤſtliches! — Sie werden von ſelbſt ſehen, was darauf zu verfuͤgen. — Neh - men Sie nur.
Gut, gnaͤdiger Herr.
Noch iſt hier eine Bittſchrift einer Emilia Galot ‒ ‒ Bruneschi will ich ſagen. — Jch habe meine Bewilligung zwar ſchon beyge - ſchrieben. Aber doch — die Sache iſt keine Klei - nigkeit — Laſſen Sie die Ausfertigung noch an - ſtehen. — Oder auch nicht anſtehen: wie Sie wollen.
Nicht wie ich will, gnaͤ - diger Herr.
Was iſt ſonſt? Etwas zu un - terſchreiben?
Ein Todesurtheil waͤre zu unterſchreiben.
Recht gern. — Nur her! ge - ſchwind.
Ein Todesurtheil, ſagt’ ich.
Jch hoͤre ja wohl. Es koͤnn - te ſchon geſchehen ſeyn. Jch bin eilig.
Nun hab’ ich es doch wohl nicht mitgenommen! — Verzeihen Sie, gnaͤdiger Herr. — Es kann An - ſtand damit haben bis morgen.
Auch das! — Packen Sie nur zuſammen: ich muß fort — Morgen, Rota, ein Mehres!
Recht gern? — Ein Todesurtheil recht gern? — Jch haͤtt’ es ihn in dieſem Augenblicke nicht moͤgen unterſchreiben laſ -ſen,32Emilia Galotti.ſen, und wenn es den Moͤrder meines einzigen Sohnes betroffen haͤtte. — Recht gern! recht gern! — Es geht mir durch die Seele dieſes graͤßliche Recht gern!
Wer ſprengte da in den Hof?
Unſer Herr, gnaͤdige Frau.
Mein Gemahl? Jſt es moͤglich?
Er folgt mir auf dem Fuße.
So unvermuthet? —
Ach! mein Beſter! —
Guten Morgen, meine Liebe! — Nicht wahr, daß heißt uͤberraſchen?
Und auf die angenehmſte Art! — Wenn es anders nur eine Uebereilung ſeyn ſoll.
Nichts weiter! Sey unbeſorgt. — Das Gluͤck des heutigen Tages weckte mich ſo fruͤh; der Morgen war ſo ſchoͤn; der Weg iſt ſo kurz; ich vermuthete euch hier ſo geſchaͤfftig — Wie leicht vergeſſen Sie etwas: fiel mir ein. — Mit einem Worte: ich komme, und ſehe, und kehre ſogleich wieder zuruͤck. Wo iſt Emilia? Unſtreitig beſchaͤftigt mit dem Putze?
Jhrer Seele! — Sie iſt in der Meſſe. — Jch habe heute, mehr als jeden an - dern Tag, Gnade von oben zu erflehen, ſagte ſie, und ließ alles liegen, und nahm ihren Schleyer und eilte —
Ganz allein?
Die wenigen Schritte — —
Einer iſt genug zu einem Fehl - tritt! —
Zuͤrnen Sie nicht, mein Beſter; und kommen Sie herein, — einen Augenblick auszuruhen, und, wann Sie wollen, eine Erfri - ſchung zu nehmen.
Wie du meyneſt, Claudia. — Aber ſie ſollte nicht allein gegangen ſeyn. —
Und Jhr, Pirro, bleibt hier in dem Vorzimmer, alle Beſuche auf heute zu ver - bitten.
Die ſich nur aus Neugierde melden laſſen. — Was bin ich ſeit einer Stunde nicht alles ausgefragt worden! — Und wer koͤmmt da?
Pirro! — Pirro!
Ein Bekannter? —
Himmel! Angelo? — Du?
Wie du ſiehſt. — Jch bin lange ge - nug um das Haus herumgegangen, dich zu ſpre - chen. — Auf ein Wort! —
Und du wagſt es, wieder ans Licht zu kommen? — Du biſt ſeit deiner letzten Mord - that vogelfrey erklaͤret; auf deinen Kopf ſteht eine Belohnung —
Die doch du nicht wirſt verdienen wollen? —
Was willſt du? Jch bitte dich, ma - che mich nicht ungluͤcklich.
Damit etwa?
— Nimm! Es gehoͤret dir!
Mir?
Haſt du vergeſſen? Der Deutſche, dein voriger Herr, — —
Schweig davon!
Den du uns, auf dem Wege nach Piſa, in die Falle fuͤhrteſt —
Wenn uns jemand hoͤrte!
Hatte ja die Guͤte, uns auch einen koſtbaren Ring zu hinterlaſſen. — Weißt du nicht? — Er war zu koſtbar, der Ring, als daßC 2wir36Emilia Galotti.wir ihn ſogleich ohne Verdacht haͤtten zu Gelde machen koͤnnen. Endlich iſt mir es damit gelun - gen. Jch habe hundert Piſtolen dafuͤr erhalten: und das iſt dein Antheil. Nimm!
Jch mag nichts — behalt’ alles.
Meinetwegen! — wenn es dir gleich viel iſt, wie hoch du deinen Kopf feil traͤgſt —
So gieb mir!
— Und was nun? Denn daß du bloß deswegen mich auf - geſucht haben ſollteſt — —
Das koͤmmt dir nicht ſo recht glaub - lich vor? — Halunke! Was denkſt du von uns? — daß wir faͤhig ſind, jemand ſeinen Verdienſt vor - zuenthalten? Das mag unter den ſo genannten ehrlichen Leuten Mode ſeyn: unter uns nicht. — Leb wohl! —
Eins muß ich doch fragen. — Da kam ja der alte Galotti ſo ganz allein in die Stadt ge - ſprengt. Was will der?
Nichts will er: ein bloßer Spatzier - ritt. Seine Tochter wird, heut’ Abend auf dem Gute, von dem er herkoͤmmt, dem Grafen Ap -piani37Emilia Galotti.piani angetrauet. Er kann die Zeit nicht er - warten —
Und reitet bald wieder hinaus?
So bald, daß er dich hier trifft, wo du noch lange verzieheſt. — Aber du haſt doch keinen Anſchlag auf ihn? Nimm dich in Acht. Er iſt ein Mann —
Kenn’ ich ihn nicht? Hab ich nicht unter ihm gedienet? — Wenn darum bey ihm nur viel zu holen — waͤre Wenn? fahren die junge Leute nach?
Gegen Mittag.
Mit viel Begleitung?
Jn einem einzigen Wagen: die Mut - ter, die Tochter und der Graf. Ein Paar Freun - de kommen aus Sabinetta als Zeugen.
Und Bediente?
Nur zwey; außer mir, der ich zu Pferde voraus reiten ſoll.
Das iſt gut. — Noch eins: weſſen iſt die Equipage? Jſt es eure? oder des Grafen?
Des Grafen.
Schlimm! Da iſt noch ein Vorrei - ter, außer einem handfeſten Kutſcher. Doch! —
Jch erſtaune. Aber was willſt du? — Das Bißchen Schmuck, das die Braut etwa ha - ben duͤrfte, wird ſchwerlich der Muͤhe lohnen —
So lohnt ihrer die Braut ſelbſt!
Und auch bey dieſem Verbrechen ſoll ich dein Mitſchuldiger ſeyn?
Du reiteſt vorauf. Reite doch, reite! und kehre dich an nichts!
Nimmermehr!
Wie? ich glaube gar, du willſt den Gewiſſenhaften ſpielen. — Burſche! ich denke, du kennſt mich. — Wo du plauderſt! Wo ſich ein einziger Umſtand anders findet, als du mir ihn angegeben! —
Aber, Angelo, um des Himmels willen! —
Thu, was du nicht laſſen kannſt!
Ha! Laß dich den Teufel bey Einem Haare faſſen; und du biſt ſein auf ewig? Jch Ungluͤcklicher!
Sie bleibt mir zu lang’ aus —
Noch einen Augenblick, Odoardo! Es wuͤrde ſie ſchmerzen, deines Anblicks ſo zu verfehlen.
Jch muß auch bey dem Grafen noch einſprechen. Kaum kann ichs erwarten, die - fen wuͤrdigen jungen Mann meinen Sohn zu nen - nen. Alles entzuͤckt mich an ihm. Und vor allem der Entſchluß, in ſeinen vaͤterlichen Thaͤlern ſich ſelbſt zu leben.
Das Herz bricht mir, wenn ich hieran gedenke. — So ganz ſollen wir ſie verlie - ren, dieſe einzige geliebte Tochter?
Was nennſt du, ſie verlieren? Sie in den Armen der Liebe zu wiſſen? Vermenge dein Vergnuͤgen an ihr, nicht mit ihrem Gluͤcke. — Du moͤchteſt meinen alten Argwohn erneuern: — daß es mehr das Geraͤuſch und die Zerſtreuung der Welt, mehr die Naͤhe des Hofes war, als die Nothwen - digkeit, unſerer Tochter eine anſtaͤndige ErziehungC 4zu40Emilia Glotti.zu geben, was dich bewog, hier in der Stadt mit ihr zu bleiben; — fern von einem Manne und Vater, der euch ſo herzlich liebet.
Wie ungerecht, Odoardo! Aber laß mich heute nur ein einziges fuͤr dieſe Stadt, fuͤr dieſe Naͤhe des Hofes ſprechen, die deiner ſtren - gen Tugend ſo verhaßt ſind. — Hier, nur hier konnte die Liebe zuſammen bringen, was fuͤr ein - ander geſchaffen war. Hier nur konnte der Graf Emilien finden; und fand ſie.
Das raͤum’ ich ein. Aber, gute Claudia, hatteſt du darum Recht, weil dir der Ausgang Recht giebt? — Gut, daß es mit die - ſer Stadterziehung ſo abgelaufen! Laß uns nicht weiſe ſeyn wollen, wo wir nichts, als gluͤcklich ge - weſen! Gut, daß es ſo damit abgelaufen! — Nun haben ſie ſich gefunden, die fuͤr einander be - ſtimmt waren: nun laß ſie ziehen, wohin Unſchuld und Ruhe ſie rufen. — Was ſollte der Graf hier? Sich buͤcken, ſchmeicheln und kriechen, und die Marinellis auszuſtechen ſuchen? um endlich ein Gluͤck zu machen, deſſen er nicht bedarf? um end -lich41Emilia Galotti.lich einer Ehre gewuͤrdiget zu werden, die fuͤr ihn keine waͤre? Pirro!
Hier bin ich.
Geh und fuͤhre mein Pferd vor das Haus des Grafen. Jch komme nach, und will mich da wieder aufſetzen.
— Warum ſoll der Graf hier dienen, wenn er dort ſelbſt befehlen kann? — Dazu bedenkeſt du nicht, Claudia, daß durch unſere Tochter er es vol - lends mit dem Prinzen verderbt. Der Prinz haßt mich —
Vielleicht weniger, als du beſorgeſt.
Beſorgeſt! Jch beſorg’ auch ſo was!
Denn hab ich dir ſchon geſagt, daß der Prinz unſere Tochter geſehen hat?
Der Prinz? Und wo das?
Jn der letzten Vegghia, bey dem Kanzler Grimaldi, die er mit ſeiner Gegenwart beehrte. Er bezeigte ſich gegen ſie ſo gnaͤdig. — —
So gnaͤdig?
Er unterhielt ſich mit ihr ſo lange — —
Unterhielt ſich mit ihr?
Schien von ihrer Munterkeit und ihrem Witze ſo bezaubert — —
So bezaubert? —
Hat von ihrer Schoͤnheit mit ſo vielen Lobeserhebungen geſprochen — —
Lobeserhebungen? Und das alles erzaͤhlſt du mir in einem Tone der Entzuͤckung? O Claudia! eitle, thoͤrichte Mutter!
Wie ſo?
Nun gut, nun gut! Auch das iſt ſo abgelaufen. — Ha! wenn ich mir einbilde — Das gerade waͤre der Ort, wo ich am toͤdtlichſten zu verwunden bin! — Ein Wolluͤſtling, der be - wundert, begehrt. — Claudia! Claudia! der bloße Gedanke ſetzt mich in Wut. — Du haͤtteſt mir das ſogleich ſollen gemeldet haben. — Doch, ich moͤchte dir heute nicht gern etwas unangeneh - mes ſagen. Und ich wuͤrde,
wenn ich laͤnger bliebe. — Drum laß mich! laß mich! — Gott befohlen, Clau - dia! — Kommt gluͤcklich nach!
Welch ein Mann! — O, der ranhen Tu - gend! — wenn anders ſie dieſen Namen verdie - net. — Alles ſcheint ihr verdaͤchtig, alles ſtraf - bar! — Oder, wenn das die Menſchen kennen heißt: — wer ſollte ſich wuͤnſchen, ſie zu kennen? — Wo bleibt aber auch Emilia? — Er iſt des Va - ters Feind: folglich — folglich, wenn er ein Auge fuͤr die Tochter hat, ſo iſt es einzig, um ihn zu be - ſchimpfen? —
Wohl mir! wohl mir! Nun bin ich in Si - cherheit. Oder iſt er mir gar gefolgt?
Jſt er, meine Mutter? iſt er? — Nein, dem Him - mel ſey Dank!
Was iſt dir, meine Tochter? was iſt dir?
Nichts, nichts —
Und blickeſt ſo wild um dich? Und zitterſt an jedem Gliede?
Was hab’ ich hoͤren muͤſſen? Und wo, wo hab’ ich es hoͤren muͤſſen?
Jch habe dich in der Kirche ge - glaubt —
Eben da! Was iſt dem Laſter Kirch’ und Altar? — Ach, meine Mutter!
Rede, meine Tochter! — Mach’ meiner Furcht ein Ende. — Was kann dir da, an heiliger Staͤte, ſo ſchlimmes begegnet ſeyn?
Nie haͤtte meine Andacht inniger, bruͤnſtiger ſeyn ſollen, als heute: nie iſt ſie weni - ger geweſen, was ſie ſeyn ſollte.
Wir ſind Menſchen, Emilia. Die Gabe zu beten iſt nicht immer in unſerer Gewalt. Dem Himmel iſt beten wollen, auch beten.
Und ſuͤndigen wollen, auch ſuͤndigen.
Das hat meine Emilia nicht wollen!
Nein, meine Mutter; ſo tief ließ mich die Gnade nicht ſinken. — Aber daß frem -des45Emilia Galotti.des Laſter uns, wider unſern Willen, zu Mitſchul - digen machen kann!
Faſſe dich! — Sammle deine Ge - danken, ſo viel dir moͤglich. — Sag’ es mir mit eins, was dir geſchehen.
Eben hatt’ ich mich! — weiter von dem Altare, als ich ſonſt pflege, — denn ich kam zu ſpaͤt — auf mein Knie gelaſſen. Eben fieng ich an, mein Herz zu erheben: als dicht hinter mir etwas ſeinen Platz nahm. So dicht hinter mir! — Jch konnte weder vor, noch zur Seite ruͤcken, — ſo gern ich auch wollte; aus Furcht, daß eines an - dern Andacht mich in meiner ſtoͤren moͤchte. — Andacht! das war das ſchlimmſte, was ich be - ſorgte. — Aber es waͤhrte nicht lange, ſo hoͤrt’ ich, ganz nah’ an meinem Ohre, — nach einem tiefen Seufzer, nicht den Namen einer Heili - gen, — den Namen, — zuͤrnen Sie nicht, meine Mutter — den Namen Jhrer Tochter! — Mei - nen Namen! — O daß laute Donner mich ver - hindert haͤtten, mehr zu hoͤren! — Es ſprach von Schoͤnheit, von Liebe — Es klagte, daß dieſer Tag, welcher mein Gluͤck mache, — wenn er esanders46Emilia Galotti.anders mache — ſein Ungluͤck auf immer entſchei - de. — Es beſchwor mich — hoͤren mußt’ ich dieß alles. Aber ich blickte nicht um, ich wollte thun, als ob ich es nicht hoͤrte. — Was konnt’ ich ſonſt? — Meinen guten Engel bitten, mich| mit Taubheit zu ſchlagen; und wann auch, wann auch auf immer! — Das bat ich; das war das ein - zige, was ich beten konnte. — Endlich ward es Zeit, mich wieder zu erheben. Das heilige Amt gieng zu Ende. Jch zitterte, mich umzukehren. Jch zitterte, ihn zu erblicken, der ſich den Frevel erlauben duͤrfen. Und da ich mich umwandte, da ich ihn erblickte —
Wen, meine Tochter?
Rathen Sie, meine Mutter; ra - then Sie — Jch glaubte in die Erde zu ſinken — Jhn ſelbſt.
Wen, ihn ſelbſt?
Den Prinzen.
Den Prinzen! — O geſeegnet ſey die Ungeduld deines Vaters, der eben hier war, und dich nicht erwarten wollte!
Mein Vater hier? — und wollte mich nicht erwarten?
Wenn du in deiner Verwirrung auch ihn das haͤtteſt hoͤren laſſen!
Nun, meine Mutter? — Was haͤtt’ er an mir ſtrafbares finden koͤnnen?
Nichts; eben ſo wenig, als an mir. Und doch, doch — Ha, du kenneſt deinen Vater nicht! Jn ſeinem Zorne haͤtt’ er den unſchuldigen Gegenſtand des Verbrechens mit dem Verbrecher verwechſelt. Jn ſeiner Wuthaͤtt’ ich ihm geſchie - nen, das veranlaßt zu haben, was ich weder ver - hindern, noch vorherſehen koͤnnen. — Aber wei - ter, meine Tochter, weiter! Als du den Prinzen erkannteſt — Jch will hoffen, daß du deiner maͤch - tig genug wareſt, ihm in Einem Blicke alle die Verachtung zu bezeigen, die er verdienet.
Das war ich nicht, meine Mutter! Nach dem Blicke, mit dem ich ihn erkannte, hatt’ ich nicht das Herz, einen zweyten auf ihn zu rich - ten. Jch floh’ —
Und der Prinz dir nach —
Was ich nicht wußte, bis ich in der Halle mich bey der Hand ergriffen fuͤhlte. Und von ihm! Aus Scham mußt’ ich Stand halten: mich von ihm loszuwinden, wuͤrde die Vorbeyge - henden zu aufmerkſam auf uns gemacht haben. Das war die einzige Ueberlegung, deren ich faͤhig war — oder deren ich nun mich wieder erinnere. Er ſprach; und ich hab’ ihm geantwortet. Aber was er ſprach, was ich ihm geantwortet; — faͤllt mir es noch bey, ſo iſt es gut, ſo will ich es Jhnen ſagen, meine Mutter. Jetzt weiß ich von dem allen nichts. Meine Sinne hatten mich verlaſ - ſen. — Umſonſt denk’ ich nach, wie ich von ihm weg, und aus der Halle gekommen. Jch finde mich erſt auf der Straße wieder; und hoͤre ihn hinter mir herkommen; und hoͤre ihn mit mir zu - gleich in das Haus treten, mit mir die Treppe hinauf ſteigen — —
Die Furcht hat ihren beſondern Sinn, meine Tochter! — Jch werde es nie vergeſ - ſen, mit welcher Gebehrde du hereinſtuͤrzteſt. — Nein, ſo weit durfte er nicht wagen, dir zu fol - gen. — Gott! Gott! wenn dein Vater daswuͤßte!49Emilia Galotti.wuͤßte! — Wie wild er ſchon war, als er nur hoͤrte, daß der Prinz dich juͤngſt nicht ohne Miß - fallen geſehen, — Jndeß, ſey ruhig, meine Toch - ter! Nimm es fuͤr einen Traum, was dir begegnet iſt. Auch wird es noch weniger Folgen haben, als ein Traum. Du entgeheſt heute mit eins allen Nachſtellungen.
Aber, nicht, meine Mutter? Der Graf muß das wiſſen. Jhm muß ich es ſagen.
Um alle Welt nicht! — Wozu? warum? Willſt du fuͤr nichts, und wieder fuͤr nichts ihn unruhig machen? Und wann er es auch itzt nicht wuͤrde: wiſſe, mein Kind, daß ein Gift, welches nicht gleich wirket, darum kein minder ge - faͤhrliches Gift iſt. Was auf den Liebhaber keinen Eindruck macht, kann ihn auf den Gemahl ma - chen. Den Liebhaber koͤnnt’ es ſogar ſchmeicheln, einem ſo wichtigen Mitbewerber den Rang abzu - laufen. Aber wenn er ihm den nun einmal abge - laufen hat: ah! mein Kind, — ſo wird aus dem Liebhaber oft ein ganz anderes Geſchoͤpf. Dein gutes Geſtirn behuͤte dich vor dieſer Erfahrung.
Sie wiſſen, meine Mutter, wie gern ich Jhren beſſern Einſichten mich in allem un - terwerfe. — Aber, wenn er es von einem an - dern erfuͤhre, daß der Prinz mich heute geſprochen? Wuͤrde mein Verſchweigen nicht, fruͤh oder ſpaͤt, ſeine Unruhe vermehren? — Jch daͤchte doch, ich behielte lieber vor ihm nichts auf dem Herzen.
Schwachheit! verliebte Schwach - heit! — Nein, durchaus nicht, meine Tochter! Sag’ ihm nichts. Laß ihn nichts merken!
Nun ja, meine Mutter! Jch habe keinen Willen gegen den Jhrigen. — Aha!
Auch wird mir wieder ganz leicht. — Was fuͤr ein albernes, furchtſames Ding ich bin! — Nicht, meine Mutter? — Jch haͤtte mich noch wohl anders dabey nehmen koͤnnen, und wuͤrde mir eben ſo wenig vergeben haben.
Jch wollte dir das nicht ſagen, meine Tochter, bevor dir es dein eigner geſunder Verſtand ſagte. Und ich wußte, er wuͤrde dir es ſagen, ſobald du wieder zu dir ſelbſt gekommen. — Der Prinz iſt galant. Du biſt die unbedeutende Sprache der Galanterie zu wenig gewohnt. EineHoͤf -51Emilia Galotti.Hoͤflichkeit wird in ihr zur Empfindung; eine Schmeicheley zur Betheurung; ein Einfall zum Wunſche; ein Wunſch zum Vorſatze. Nichts klingt in dieſer Sprache wie Alles: und Alles iſt in ihr ſo viel als Nichts.
O meine Mutter! — ſo muͤßte ich mir mit meiner Furcht vollends laͤch erlich vorkom - men! — Nun ſoll er gewiß nichts davon erfahren, mein guter Appiani! Er koͤnnte mich leicht fuͤr mehr eitel, als tugendhaft, halten. — Huy! daß er da ſelbſt koͤmmt! Es iſt ſein Gang.
Ah, meine Theuer - ſte! — Jch war mir Sie in dem Vorzimmer nicht vermuthend.
Jch wuͤnſchte Sie heiter, Herr Graf, auch wo Sie mich nicht vermuthen. — So feyerlich? ſo ernſthaft? — Jſt dieſer Tag keiner freudigern Aufwallung werth?
Er iſt mehr werth, als mein gan - zes Leben. Aber ſchwanger mit ſo viel Gluͤckſelig - keit fuͤr mich, — mag es wohl dieſe Gluͤckſeligkeit ſelbſt ſeyn, die mich ſo ernſt, die mich, wie Sie es nennen, mein Fraͤulein, ſo feyerlich macht. —
Ha! auch Sie hier, mei - ne gnaͤdige Frau! — nun bald mir mit einem in - nigern Namen zu verehrende!
Der mein groͤßter Stolz ſeyn wird! — Wie gluͤcklich biſt du, meine Emi - lia! — Warum hat dein Vater unſere Entzuͤ - ckung nicht theilen wollen?
Eben habe ich mich aus ſeinen Ar - men geriſſen: — oder vielmehr er, ſich aus mei - nen. — Welch ein Mann, meine Emilia, Jhr Vater! Das Muſter aller maͤnnlichen Tugend! Zu was fuͤr Geſinnungen erhebt ſich meine Seele in ſeiner Gegenwart! Nie iſt mein Entſchluß im - mer gut, immer edel zu ſeyn, lebendiger, als wenn ich ihn ſehe — wenn ich ihn mir denke. Und womit ſonſt, als mit der Erfuͤllung dieſes Entſchluſſes kann ich mich der Ehre wuͤrdig machen,ſein53Emilia Galotti.ſein Sohn zu heißen; — der Jhrige zu ſeyn, meine Emilia?
Und er wollte mich nicht erwarten!
Jch urtheile, weil ihn ſeine Emilia, fuͤr dieſen augenblicklichen Beſuch, zu ſehr er - ſchuͤttert, zu ſehr ſich ſeiner ganzen Seele be - maͤchtiget haͤtte.
Er glaubte dich mit deinem Braut - ſchmucke beſchaͤfftiget zu finden: und hoͤrte —
Was ich mit der zaͤrtlichſten Be - wunderung wieder von ihm gehoͤrt habe. — So recht, meine Emilia! Jch werde eine fromme Frau an Jhnen haben! und die nicht ſtolz auf ihre Froͤmmigkeit iſt.
Aber, meine Kinder, eines thun, und das andere nicht laſſen! — Nun iſt es hohe Zeit; nun mach’, Emilia!
Was? meine gnaͤdige Frau.
Sie wollen ſie doch nicht ſo, Herr Graf, ſo wie ſie da iſt, zum Altare fuͤhren?
Wahrlich, das werd’ ich nun erſt gewahr — Wer kann Sie ſehen, Emilia, undD 3auch54Emilia Galotti.auch auf Jhren Putz achten? — Und warum nicht ſo, ſo wie ſie da iſt?
Nein, mein lieber Graf, nicht ſo; nicht ganz ſo. Aber auch nicht viel praͤchtiger; nicht viel. — Huſch, huſch, und ich bin fer - tig! — Nichts, gar nichts von dem Geſchmeide, dem letzten Geſchenke Jhrer verſchwenderiſchen Großmuth! Nichts, gar nichts, was ſich nur zu ſolchen Geſchmeide ſchickte! — Jch koͤnnte ihm gram ſeyn, dieſem Geſchmeide, wenn es nicht von Jhnen waͤre. — Denn dreymal hat mir von ihm getraͤumet —
Nun! davon weiß ich ja nichts.
Als ob ich es truͤge, und als ob ploͤtzlich ſich jeder Stein deſſelben in eine Perle ver - wandele. — Perlen aber, meine Mutter, Per - len bedeuten Thraͤnen.
Kind! Die Bedeutung iſt traͤume - riſcher, als der Traum. — Wareſt du nicht von je her eine groͤſſere Liebhaberinn von Perlen, als von Steinen? —
Freylich, meine Mutter, freylich —
Be - deuten Thraͤnen — bederten Thraͤnen!
Wie? Jhnen faͤllt das auf? Jhnen?
Ja wohl; ich ſollte mich ſchaͤ - men — Aber, wenn die Einbildungskraft ein - mal zu traurigen Bildern geſtimmt iſt —
Warum iſt ſie das auch? — Und was meynen Sie, das ich mir ausgedacht habe? — Was trug ich, wie ſah ich, als ich Jhnen zuerſt gefiel? — Wiſſen Sie es noch?
Ob ich es noch weiß? Jch ſehe Sie in Gedanken nie anders, als ſo; und ſehe Sie ſo, auch wenn ich Sie nicht ſo ſehe.
Alſo, ein Kleid von der nehmlichen Farbe, von dem nehmlichen Schnitte; fliegend und frey —
Vortrefflich!
Und das Haar —
Jn ſeinem eignen braunen Glanze? in Locken, wie ſie die Natur ſchlug —
Die Roſe darinn nicht zu vergeſſen! Recht! recht! — eine kleine Geduld, und ich ſtehe ſo vor Jhnen da!
Perlen bedeuten Thraͤnen! — Ei - ne kleine Geduld! — Ja, wenn die Zeit nur außer uns waͤre! — Wenn eine Minute am Zeiger, ſich in uns nicht in Jahre ausdehnen koͤnnte! —
Emiliens Beobachtung, Herr Graf, war ſo ſchnell, als richtig. Sie ſind heut’ ernſter als gewoͤhnlich. Nur noch einen Schritt von dem Ziele Jhrer Wuͤnſche, — ſollt’ es Sie reuen, Herr Graf, daß es das Ziel Jhrer Wuͤnſche ge - weſen?
Ah, meine Mutter, und Sie koͤn - nen das von Jhrem Sohne argwohnen? — Aber, es iſt wahr; ich bin heut’ ungewoͤhnlich truͤbe und finſter. — Nur ſehen Sie, gnaͤdige Frau; — noch Einen Schritt vom Ziele, oder noch gar nicht ausgelaufen ſeyn, iſt im Grunde eines. — Alles was ich ſehe, alles was ich hoͤre, alles was ich traͤume, prediget mir ſeit geſtern und ehegeſterndieſe57Emilia Galotti. dieſe Wahrheit. Dieſer Eine Gedanke kettet ſich an jeden andern, den ich haben muß und haben will. — Was iſt das? Jch verſteh’ es nicht. —
Sie machen mich unruhig, Herr Graf —
Eines koͤmmt dann zum an - dern! — Jch bin aͤrgerlich; aͤrgerlich uͤber meine Freunde, uͤber mich ſelbſt —
Wie ſo?
Meine Freunde verlangen ſchlech - terdings, daß ich dem Prinzen von meiner Heyrath ein Wort ſagen ſoll, ehe ich ſie vollziehe. Sie geben mir zu, ich ſey es nicht ſchuldig: aber die Achtung gegen ihn woll’ es nicht anders. — Und ich bin ſchwach genug geweſen, es ihnen zu ver - ſprechen. Eben wollt’ ich noch bey ihm vorfahren.
Bey dem Prinzen?
Gnaͤdige Frau, der Marcheſe Ma - rinelli haͤlt vor dem Hauſe, und erkundiget ſich nach dem Herrn Grafen.
Nach mir?
Hier iſt er ſchon.
Jch bitt’ um Verzeihung, gnaͤ - dige Frau. — Mein Herr Graf, ich war vor Jhrem Hauſe, und erfuhr, daß ich Sie hier tref - fen wuͤrde. Jch hab’ ein dringendes Geſchaͤfft an Sie — Gnaͤdige Frau, ich bitte nochmals um Verzeihung; es iſt in einigen Minuten geſchehen.
Die ich nicht verzoͤgern will.
Nun, mein Herr?
Jch komme von des Prinzen Durchlaucht.
Was iſt zu ſeinem Befehle?
Jch bin ſtolz, der Ueberbringer einer ſo vorzuͤglichen Gnade zu ſeyn. — Und wenn Graf Appiani nicht mit Gewalt einen ſeiner erge - benſten Freunde in mir verkennen will — —
Ohne weitere Vorrede; wenn ich bitten darf.
Auch das! — Der Prinz muß ſogleich an den Herzog von Maſſa, in Angelegen - heit ſeiner Vermaͤhlung mit deſſen Prinzeſſinn Tochter, einen Bevollmaͤchtigten ſenden. Er war lange unſchluͤßig, wen er dazu ernennen ſollte. Endlich iſt ſeine Wahl, Herr Graf auf Sie ge - fallen.
Auf mich?
Und das, — wenn die Freund - ſchaft ruhmredig ſeyn darf — nicht ohne mein Zuthun —
Wahrlich, Sie ſetzen mich wegen eines Dankes in Verlegenheit. — Jch habe ſchon laͤngſt nicht mehr erwartet, daß der Prinz mich zu brauchen geruhen werde. —
Jch bin verſichert, daß es ihm bloß an einer wuͤrdigen Gelegenheit gemangelt hat. Und wenn auch dieſe ſo eines Mannes, wie Graf Appiani, noch nicht wuͤrdig genug ſeyn ſollte: ſo iſt freylich meine Freundſchaft zu voreilig geweſen.
Freundſchaft und Freundſchaft, um das dritte Wort! — Mit wem red’ ich denn? Des Marcheſe Marinelli Freundſchaft haͤtt’ ich mir nie traͤumen laſſen. —
Jch erkenne mein Unrecht, Herr Graf, mein unverzeihliches Unrecht, daß ich, ohne Jhre Erlaubniß, Jhr Freund ſeyn wollen. — Bey dem allen: was thut das? Die Gnade des Prin - zen, die Jhnen angetragene Ehre, bleiben, was ſie ſind: und ich zweifle nicht, Sie werden ſie mit Begierd’ ergreifen.
Allerdings.
Nun ſo kommen Sie.
Wohin?
Nach Doſalo, zu dem Prinzen. — Es liegt ſchon alles fertig; und Sie muͤſſen noch heut’ abreiſen.
Was ſagen ſie? — Noch heute?
Lieber noch in dieſer nehmlichen Stunde, als in der folgenden. Die Sache iſt von der aͤußerſten Eil.
Jn Wahrheit? — So thut es mir leid, daß ich die Ehre, welche mir der Prinz zugedacht, verbitten muß.
Wie?
Jch kann heute nicht abreiſen; — auch morgen nicht; — auch uͤbermorgen noch nicht. —
Sie ſcherzen, Herr Graf.
Mit Jhnen?
Unvergleichlich! Wenn der Scherz den Prinzen gilt, ſo iſt er um ſo viel luſti - ger. — Sie koͤnnen nicht?
Nein, mein Herr, nein. — Und ich hoffe, daß der Prinz ſelbſt meine Entſchuldi - gung wird gelten laſſen.
Die bin ich begierig, zu hoͤren.
O, eine Kleinigkeit! — Sehen Sie; ich ſoll heut’ eine Frau nehmen.
Nun? und dann?
Und dann? — und dann? — Jhre Frage iſt auch verzweifelt naiv.
Man hat Exempel, Herr Graf, daß ſich Hochzeiten aufſchieben laſſen. — Jch glaube freylich nicht, daß der Braut oder dem Braͤutigam immer damit gedient iſt. Die Sache mag ihr Unangenehmes haben. Aber doch, daͤcht’ ich, der Befehl des Herrn —
Der Befehl des Herrn? — des Herrn? Ein Herr, den man ſich ſelber waͤhlt, iſt unſer Herr ſo eigentlich nicht — Jch gebe zu, daß Sie dem Prinzen unbedingtern Gehorſam ſchuldig waͤren. Aber nicht ich. — Jch kam an ſeinen Hof als ein Freywilliger. Jch wollte die Ehre haben, ihm zu dienen: aber nicht ſein Sklave werden. Jch bin der Vaſall eines groͤſſern Herrn —
Groͤſſer oder kleiner: Herr iſt Herr.
Daß ich mit Jhnen daruͤber ſtrit - te! — Genug, ſagen Sie dem Prinzen, was Sie gehoͤrt haben: — daß es mir leid thut, ſeine Gnade nicht annehmen zu koͤnnen; weil ich ebenheut’63Emilia Galotti. heut’ eine Verbindung vollzoͤge, die mein ganzes Gluͤck ausmache.
Wollen Sie ihm nicht zugleich wiſſen laſſen, mit wem?
Mit Emilia Galotti.
Der Tochter aus dieſem Hauſe?
Aus dieſem Hauſe.
Hm! hm!
Was beliebt?
Jch ſollte meynen, daß es ſonach um ſo weniger Schwierigkeit haben koͤnne, die Ce - remonie bis zu Jhrer Zuruͤckkunft auszuſetzen.
Die Ceremonie? Nur die Cere - monie?
Die guten Aeltern werden es ſo genau nicht nehmen.
Die guten Aeltern?
Und Emilia bleibt Jhnen ja wohl gewiß.
Ja wohl gewiß? — Sie ſind mit Jhrem Ja wohl — ja wohl ein ganzer Affe!
Mir das, Graf?
Warum nicht?
Himmel und Hoͤlle! — Wir werden uns ſprechen.
Pah! Haͤmiſch iſt der Affe; aber —
Tod und Verdammniß! — Graf, ich fodere Genugthuung.
Das verſteht ſich.
Und wuͤrde ſie gleich itzt neh - men: — nur daß ich dem zaͤrtlichen Braͤutigam den heutigen Tag nicht verderben mag.
Gutherziges Ding! Nicht doch!
Nach Maſſa frey - lich mag ich mich heute nicht ſchicken laſſen: aber zu einem Spatziergange mit Jhnen hab’ ich Zeit uͤbrig. — Kommen Sie, kommen Sie!
Nur Geduld, Graf, nur Geduld!
Geh, Nichtswuͤrdiger! — Ha! das hat gut gethan. Mein Blut iſt in Wallung gekommen. Jch fuͤhle mich anders und beſſer.
Gott! Herr Graf — Jch hab’ einen heftigen Wortwechſel gehoͤrt. — Jhr Geſicht gluͤhet. Was iſt vor - gefallen?
Nichts, gnaͤdige Frau, gar nichts. Der Kammerherr Marinelli hat mir einen großen Dienſt erwieſen. Er hat mich des Ganges zum Prinzen uͤberhoben.
Jn der That?
Wir koͤnnen nun um ſo viel fruͤher abfahren. Jch gehe, meine Leute zu treiben, und bin ſogleich wieder hier. Emilia wird indeß auch fertig.
Kann ich ganz ruhig ſeyn, Herr Graf?
Ganz ruhig, gnaͤdige Frau.
Umſonſt; er ſchlug die angetra - gene Ehre mit der groͤßten Verachtung aus.
Und ſo bleibt es dabey? So geht es vor ſich? ſo wird Emilia noch heute die ſeinige?
Allem Anſehen nach.
Jch verſprach mir von Jhrem Einfalle ſo viel! — Wer weiß, wie albern Sie ſich dabey genommen. — Wenn der Rath eines Tho - ren einmal gut iſt, ſo muß ihn ein geſcheuter Mann ausfuͤhren. Das haͤtt’ ich bedenken ſollen.
Da find’ ich mich ſchoͤn belohnt!
Und wofuͤr belohnt?
Daß ich noch mein Leben dar - uͤber in die Schanze ſchlagen wollte. — Als ichſahe,67Emilia Galotti. ſahe, daß weder Ernſt noch Spott den Grafen bewegen konnte, ſeine Liebe der Ehre nachzuſetzen: verſucht’ ich es, ihn in Harniſch zu jagen. Jch ſagte ihm Dinge, uͤber die er ſich vergaß. Er ſtieß Beleidigungen gegen mich aus: und ich forderte Genugthuung, — und forderte ſie gleich auf der Stelle. — Jch dachte ſo; entweder er mich; oder ich ihn. Jch ihn: ſo iſt das Feld ganz unſer. Oder er mich: nun, wenn auch; ſo muß er fliehen, und der Prinz gewinnt wenigſtens Zeit.
Das haͤtten Sie gethan, Ma - rinelli?
Ha! man ſollt’ es voraus wiſſen, wenn man ſo thoͤricht bereit iſt, ſich fuͤr die Großen aufzuopfern — man ſollt’ es voraus wiſſen, wie erkenntlich ſie ſeyn wuͤrden —
Und der Graf? — Er ſtehet in dem Rufe, ſich ſo etwas nicht zweymal ſagen zu laſſen.
Nachdem es faͤllt, ohne Zwei - fel. — Wer kann es ihm verdenken? — Er ver - ſetzte, daß er auf heute doch noch etwas wichtigersE 2zu68Emilia Galotti. zu thun habe, als ſich mit mir den Hals zu brechen. Und ſo beſchied er mich auf die erſten acht Tage nach der Hochzeit.
Mit Emilia Galotti! Der Ge - danke macht mich raſend! — Darauf ließen Sie es gut ſeyn, und giengen: — und kommen und pralen, daß Sie Jhr Leben fuͤr mich in die Schanze geſchlagen; ſich mir aufgeopfert —
Was wollen Sie aber, gnaͤdiger Herr, das ich weiter haͤtte thun ſollen?
Weiter thun? — Als ob er et - was gethan haͤtte!
Und laſſen Sie doch hoͤren, gnaͤdiger Herr, was Sie fuͤr ſich ſelbſt gethan haben. — Sie waren ſo gluͤcklich, ſie noch in der Kirche zu ſprechen. Was haben Sie mit ihr abgeredet?
Neugierde zur Genuͤge! — Die ich nur befriedigen muß. — O, es gieng alles nach Wunſch. — Sie brauchen ſich nicht weiter zu bemuͤhen, mein allzudienſtfertigerFreund!69Emilia Galotti. Freund! — Sie kam meinem Verlangen, mehr als halbes Weges, entgegen. Jch haͤtte ſie nur gleich mitnehmen duͤrfen.
Nun wiſſen Sie, was Sie wiſſen wollen; — und koͤnnen gehn!
Und koͤnnen gehn! — Ja, ja; das iſt das Ende vom Liede! und wuͤrd’ es ſeyn, geſetzt auch, ich wollte noch das Unmoͤgliche ver - ſuchen. — Das unmoͤgliche ſag’ ich? — So un - moͤglich war es nun wohl nicht: aber kuͤhn. — Wenn wir die Braut in unſerer Gewalt haͤtten: ſo ſtuͤnd’ ich dafuͤr, daß aus der Hochzeit nichts werden ſollte.
Ey! wofuͤr der Mann nicht alles ſtehen will! Nun duͤrft’ ich ihm nur noch ein Kommando von meiner Leibwache geben, und er legte ſich an der Landſtraße damit in Hinterhalt, und fiele ſelbſt funfziger einen Wagen an, und riß ein Maͤdchen heraus, das er im Triumpfe mir zubraͤchte.
Es iſt eher ein Maͤdchen mit Ge - walt entfuͤhrt worden, ohne daß es einer gewalt - ſamen Entfuͤhrung aͤhnlich geſehen.
Wenn Sie das zu machen wuͤßten: ſo wuͤrden Sie nicht erſt lange da - von ſchwatzen.
Aber fuͤr den Ausgang muͤßte man nicht ſtehen ſollen. — Es koͤnnten ſich Un - gluͤcksfaͤlle dabey eraͤugnen —
Und es iſt meine Art, daß ich Leute Dinge verantworten laſſe, wofuͤr ſie nicht koͤnnen!
Alſo, gnaͤdiger Herr —
Ha! was war das? — Hoͤrt’ ich recht? — Hoͤrten Sie nicht auch, gnaͤ - diger Herr, einen Schuß fallen? — Und da noch einen!
Was iſt das? was giebts?
Was meynen Sie wohl? — Wie wann ich thaͤtiger waͤre, als Sie glauben?
Thaͤtiger? — So ſagen Sie doch —
Kurz: wovon ich geſprochen, geſchieht.
Jſt es moͤglich?
Nur vergeſſen Sie nicht, Prinz, weſſen ſie mich eben verſichert. — Jch habe nochmals Jhr Wort — —
Aber die Anſtalten ſind doch ſo —
Als ſie nur immer ſeyn koͤnnen! — Die Ausfuͤhrung iſt Leuten anvertrauet, auf die ich mich verlaſſen kann. Der Weg geht hart an der Planke des Thiergartens vorbey. Da wird ein Theil den Wagen angefallen haben, gleichſam, um ihn zu pluͤndern. Und ein anderer Theil, wobey einer von meinen Bedienten iſt, wird aus dem Thiergarten geſtuͤrzt ſeyn; den Angefallenen gleich - ſam zur Huͤlfe. Waͤhrend des Handgemenges, in das beide Theile zum Schein gerathen, ſoll mein Bedienter Emilien ergreifen, als ob er ſie retten wolle, und durch den Thiergarten in das Schloß bringen. — So iſt die Abrede. — Was ſagen Sie nun, Prinz?
Sie uͤberraſchen mich auf eine ſonderbare Art. — Und eine Bangigkeit uͤber - faͤllt mich —
Wornach ſehen Sie?
Dahinaus muß es ſeyn! — Rechts! — und eine Maſke koͤmmt bereits um die Planke geſprengt; — ohne Zweifel, mir den Er - folg zu berichten. — Entfernen Sie ſich, gnaͤdi - ger Herr.
Ah, Marinelli —
Nun? Nicht wahr, nun hab’ ich zu viel gethan; und vorhin zu wenig?
Das nicht. Aber ich ſehe bey alle dem nicht ab — —
Abſehn? — Lieber alles mit eins! — Geſchwind entfernen Sie ſich. — Die Maſke muß Sie nicht ſehen.
Dort faͤhrt der Wagen langſam nach der Stadt zuruͤck. — So langſam? Und in jedem Schlage ein Bedienter? — Das ſind Anzeigen, die mir nicht gefallen: — daß der Streich wohl nur halb gelungen iſt; — daß man einen Verwundeten ge -maͤch -73Emilia Galotti. maͤchlich zuruͤckfuͤhret, — und keinen Todten. — Die Maſke ſteigt ab. — Es iſt Angelo ſelbſt. Der Tolldreiſte! — Endlich, hier weiß er die Schliche. — Er winkt mir zu. Er muß ſeiner Sache gewiß ſeyn. — Ha, Herr Graf, der Sie nicht nach Maſſa wollten, und nun noch einen weitern Weg muͤſſen! — Wer hatte Sie die Af - fen ſo kennen gelehrt?
Ja wohl ſind ſie haͤmiſch. — Nun Angelo?
Paſſen Sie auf, Herr Kammerherr! Man muß ſie gleich bringen.
Und wie lief es ſonſt ab?
Jch denke ja, recht gut.
Wie ſteht es mit dem Grafen?
Zu dienen! So, ſo! — Aber er muß Wind gehabt haben. Denn er war nicht ſo ganz unbereitet.
Geſchwind ſage mir, was Du mir zu ſagen haſt! — Jſt er todt?
Es thut mir leid um den guten Herrn.
Nun da, fuͤr Dein mitleidiges Herz!
Vollends mein braver Nicolo! der das Bad mit bezahlen muͤſſen.
So? Verluſt auf beiden Seiten?
Jch koͤnnte weinen! um den ehrli - chen Jungen! Ob mir ſein Tod ſchon das
um ein Viertheil verbeſſert. Denn ich bin ſein Erbe; weil ich ihn geraͤchet habe. Das iſt ſo unſer Geſetz: ein ſo gu - tes, meyn’ ich, als fuͤr Treu und Freundſchaft je gemacht worden. Dieſer Nicolo, Herr Kammer - herr —
Mit deinem Nicolo! — Aber der Graf, der Graf —
Blitz! der Graf hatte ihn gut ge - faßt. Dafuͤr faßt’ ich auch wieder den Grafen! — Er ſtuͤrzte; und wenn er noch lebendig zuruͤck in die Kutſche kam: ſo ſteh’ ich dafuͤr, daß er nicht lebendig wieder heraus koͤmmt.
Wenn das nur gewiß iſt, Angelo.
Jch will Jhre Kundſchaft verlieren, wenn es nicht gewiß iſt! — Haben Sie noch was zu befehlen? denn mein Weg iſt der weiteſte: wir wollen heute noch uͤber die Graͤnze.
So geh.
Wenn wieder was vorfaͤllt, Herr Kammerherr, — Sie wiſſen, wo ich zu erfragen bin. Was ſich ein andrer zu thun getrauet, wird fuͤr mich auch keine Hererey ſeyn. Und billiger bin ich, als jeder andere.
Gut das! — Aber doch nicht ſo recht gut. — Pfuy, Angelo! ſo ein Knicker zu ſeyn! Einen zweyten Schuß waͤre er ja wohl noch werth geweſen. — Und wie er ſich vielleicht nun martern muß, der arme Graf! — Pfuy, Angelo! Das heißt ſein Handwerk ſehr grauſam treiben; — und verpfuſchen. — Aber davon muß der Prinz noch nichts wiſſen. Er muß erſt ſelbſt finden, wie zutraͤglich ihm dieſer Tod iſt. — Dieſer Tod! — Was gaͤb’ ich um die Gewißheit!
Dort koͤmmt ſie, die Allee her - auf. Sie eilet vor dem Bedienten her. Die Furcht, wie es ſcheinet, befluͤgelt ihre Fuͤße. Siemuß76Emilia Galotti. muß noch nichts argwohnen. Sie glaubt ſich nur vor Raͤubern zu retten. — Aber wie lange kann das dauren?
So haben wir ſie doch fuͤrs erſte.
Und wird die Mutter ſie nicht aufſuchen? Wird der Graf ihr nicht nachkom - men? Was ſind wir alsdenn weiter? Wie kann ich ſie ihnen vorenthalten?
Auf das alles weiß ich freylich noch nichts zu antworten. Aber wir muͤſſen ſehen. Gedulden Sie ſich, gnaͤdiger Herr. Der erſte Schritt mußte doch gethan ſeyn. —
Wozu? wenn wir ihn zuruͤck - thun muͤſſen.
Vielleicht muͤſſen wir nicht. — Da ſind tauſend Dinge, auf die ſich weiter fußen laͤßt. — Und vergeſſen Sie denn das Vornehmſte?
Was kann ich vergeſſen, woran ich ſicher noch nicht gedacht habe? — Das Vor - nehmſte? was iſt das?
Die Kunſt zu gefallen, zu uͤber - reden, — die einem Prinzen, welcher liebt, nie fehlet.
Nicht fehlet? Außer, wo er ſie gerade am noͤthigſten brauchte. — Jch habe von dieſer Kunſt ſchon heut’ einen zu ſchlechten Verſuch gemacht. Mit allen Schmeicheleyen und Vetheue - rungen konnt’ ich ihr auch nicht ein Wort auspreſ - ſen. Stumm und niedergeſchlagen und zitternd ſtand ſie da; wie eine Verbrecherinn, die ihr To - desurtheil hoͤret. Jhre Angſt ſteckte mich an, ich zitterte mit, und ſchloß mit einer Bitte um Verge - bung. Kaum getrau’ ich mir, ſie wieder anzure - den. — Bey ihrem Eintritte wenigſtens wag’ ich es nicht zu ſeyn. Sie, Marinelli, muͤſſen ſie em - pfangen. Jch will hier in der Naͤhe hoͤren, wie es ablaͤuft; und kommen, wenn ich mich mehr ge - ſammelt habe.
Wenn ſie ihn nicht ſelbſt ſtuͤrzen geſehen — Und das muß ſie wohl nicht; da ſie ſo fortgeeilet — Sie koͤmmt. Auch ich will nichtdas78Emilia Galotti. das erſte ſeyn, was ihr hier in die Augen faͤllt.
Nur hier herein, gnaͤdiges Fraͤulein.
Ah! — Ah! — Jch danke ihm, mein Freund; — ich dank’ ihm. — Aber Gott, Gott! wo bin ich? — Und ſo ganz allein? Wo bleibt meine Mutter? Wo blieb der Graf? — Sie kommen doch nach? mir auf dem Fuße nach?
Jch vermuthe.
Er vermuthet? Er weiß es nicht? Er ſah ſie nicht? — Ward nicht gar hinter uns geſchoſſen? —
Geſchoſſen? — Das waͤre! —
Ganz gewiß! Und das hat den Gra - fen, oder meine Mutter getroffen. —
Jch will gleich nach Jhnen aus - gehen.
Nicht ohne mich. — Jch will mit; ich muß mit: komm Er, mein Freund!
Ah, gnaͤdiges Fraͤulein! Was fuͤr ein Ungluͤck, oder vielmehr, was fuͤr ein Gluͤck, —was79Emilia Galotti. was fuͤr ein gluͤckliches Ungluͤck verſchafft uns die Ehre —
Wie? Sie hier, mein Herr? — Jch bin alſo wohl bey Jhnen? — Verzeihen Sie, Herr Kammerherr. Wir ſind von Raͤubern ohnfern uͤberfallen worden. Da kamen uns gute Leute zu Huͤlſe; — und dieſer ehr - liche Mann hob mich aus dem Wagen, und brachte mich hierher. — Aber ich erſchrecke, mich allein gerettet zu ſehen. Meine Mutter iſt noch in der Gefahr. Hinter uns ward ſogar geſchoſſen. Sie iſt vielleicht todt; — und ich lebe? — Verzeihen Sie. Jch muß fort; ich muß wieder hin, — wo ich gleich haͤtte bleiben ſollen.
Beruhigen Sie ſich, gnaͤdiges Fraͤulein. Es ſtehet alles gut; ſie werden bald bey Jhnen ſeyn, die geliebten Perſonen, fuͤr die Sie ſo viel zaͤrtliche Angſt empfinden. — Jndeß Bat - tiſta, geh’, lauf: ſie duͤrften vielleicht nicht wiſſen, wo das Fraͤulein iſt. Sie duͤrften ſie vielleicht in einem von den Wirthſchaftshaͤuſern des Gartens ſuchen. Bringe ſie unverzuͤglich hierher.
Gewiß? Sind ſie alle geborgen? Jſt ihnen nichts wiederfahren? — Ah, was iſt dieſer Tag fuͤr ein Tag des Schreckens fuͤr mich! — Aber ich ſollte nicht hier bleiben; ich ſollte ihnen entgegen eilen —
Wozu das, gnaͤdiges Fraͤulein? Sie ſind ohnedem ſchon ohne Athem und Kraͤfte. Erholen Sie ſich vielmehr, und geruhen in ein Zimmer zu treten, wo mehr Bequemlichkeit iſt. — Jch will wetten, daß der Prinz ſchon ſelbſt um Jhre theure ehrwuͤrdige Mutter iſt, und ſie Jh - nen zufuͤhret.
Wer, ſagen Sie?
Unſer gnaͤdigſter Prinz ſelbſt.
Der Prinz?
Er floh, auf die erſte Nachricht, Jhnen zu Huͤlfe. — Er iſt hoͤchſt ergrimmt, daß ein ſolches Verbrechen ihm ſo nahe, unter ſeinen Augen gleichſam, hat duͤrfen gewagt werden. Er laͤßt den Thaͤtern nachſetzen, und ihre Strafe, wenn ſie ergriffen werden, wird unerhoͤrt ſeyn.
Der Prinz! — Wo bin ich denn alſo?
Auf Doſalo, dem Luſtſchloſſe des Prinzen.
Welch ein Zufall! — Und Sie glauben, daß er gleich ſelbſt erſcheinen koͤnne? — Aber doch in Geſellſchaft meiner Mutter?
Hier iſt er ſchon?
Wo iſt ſie? wo? — Wir ſu - chen Sie uͤberall, ſchoͤnſtes Fraͤulein. — Sie ſind doch wohl? — Nun ſo iſt alles wohl! Der Graf, Jhre Mutter, —
Ah, gnaͤdiger Herr! wo ſind ſie? Wo iſt meine Mutter?
Nicht weit; hier ganz in der Naͤhe.
Gott, in welchem Zuſtande werde ich die eine, oder den andern, vielleicht treffen! Ganz gewiß treffen! — denn Sie verheelen mir, gnaͤdiger Herr — ich ſeh’ es, Sie verheelen mir —
Nicht doch, beſtes Fraͤulein. — Geben Sie mir Jhren Arm, und folgen Sie mir getroſt.
Aber — wenn ihnen nichts wiederfahren — wenn meine Ahnungen mich truͤgen: — warum ſind ſie nicht ſchon hier? Warum kamen ſie nicht mit Jhnen, gnaͤdi - ger Herr?
So eilen Sie doch, mein Fraͤu - lein, alle dieſe Schreckenbilder mit eins verſchwin - den zu ſehen. —
Was ſoll ich thun!
Wie, mein Fraͤulein? Sollten Sie einen Verdacht gegen mich hegen? —
Zu Jhren Fuͤßen, gnaͤdiger Herr —
Jch bin aͤußerſt be - ſchaͤmt. — Ja, Emilia, ich verdiene dieſen ſtum - men Vorwurf. — Mein Betragen dieſen Mor - gen, iſt nicht zu rechtfertigen: — zu entſchuldigen hoͤchſtens. Verzeihen Sie meiner Schwachheit. Jch haͤtte Sie mit keinem Geſtaͤndniſſe beunruhi - gen ſollen, von dem ich keinen Vortheil zu erwar -ten83Emilia Galotti. ten habe. Auch ward ich durch die ſprachloſe Be - ſtuͤrzung, mit der Sie es anhoͤrten, genugſam beſtraft. — Und koͤnnt’ ich ſchon dieſen Zufall, der mir nochmals, ehe alle meine Hoffnung auf ewig verſchwindet, — mir nochmals das Gluͤck Sie zu ſehen und zu ſprechen verſchafft; koͤnnt’ ich ſchon dieſen Zufall fuͤr den Wink eines guͤnſtigen Gluͤckes erklaͤren, ‒ fuͤr den wunderbarſten Aufſchub meiner redlichen Verurtheilung erklaͤren, um noch - mals um Gnade flehen zu duͤrfen: ſo will ich doch — Beben Sie nicht, mein Fraͤulein — einzig und al - lein von Jhrem Blicke abhangen. Kein Wort, kein Seufzer, ſoll Sie beleidigen. — Nur kraͤnke mich nicht ihr Mißtrauen. Nur zweifeln Sie keinen Augenblick an der unumſchraͤnkteſten Ge - walt, die Sie uͤber mich haben. Nur falle Jhnen nie bey, daß Sie eines andern Schutzes gegen mich beduͤrfen. — Und nun kommen Sie, mein Fraͤulein, — kommen Sie, wo Entzuͤckungen auf Sie warten, die Sie mehr billigen.
Folgen Sie uns, Mari - nelli. —
Folgen Sie uns, — das mag heißen: folgen ſie uns nicht! — Was haͤtte ich ihnen auch zu folgen? Er mag ſehen, wie weit er es unter vier Augen mit ihr bringt. — Alles, was ich zu thun habe, iſt, — zu verhindern, daß ſie nicht geſtoͤret werden. Von dem Grafen zwar, hoffe ich nun wohl nicht. Aber von der Mutter; von der Mutter! Es ſollte mich ſehr wundern, wenn die ſo ruhig abgezogen waͤre, und ihre Toch - ter im Stiche gelaſſen haͤtte. — Nun, Battiſta? was giebts?
Die Mutter, Herr Kam - merherr —
Dacht’ ichs doch! — Wo iſt ſie?
Wann Sie ihr nicht zuvorkom - men, ſo wird ſie den Augenblick hier ſeyn. — Jch war gar nicht Willens, wie Sie mir zum Schein gebothen, mich nach ihr umzuſehen: als ich ihr Geſchrey von weitem hoͤrte. Sie iſt der Tochterauf85Emilia Galotti. auf der Spur, und wo nur nicht — unſerm gan - zen Anſchlage! Alles, was in dieſer einſamen Ge - gend von Menſchen iſt, hat ſich um ſie verſammelt; und jeder will der ſeyn, der ihr den Weg weiſet. Ob man ihr ſchon geſagt, daß der Prinz hier iſt, daß Sie hier ſind, weiß ich nicht, — Was wol - len Sie thun?
Laß ſehen! —
Sie nicht einlaſſen, wenn ſie weiß, daß die Tochter hier iſt? — Das geht nicht. — Freylich, ſie wird Augen machen, wenn ſie den Wolf bey dem Schaͤfchen ſieht. — Augen? Das moͤchte noch ſeyn. Aber der Himmel ſey unſern Ohren gnaͤ - dig! — Nun was? die beſte Lunge erſchoͤpft ſich; auch ſo gar eine weibliche. Sie hoͤren alle auf zu ſchreyen, wenn ſie nicht mehr koͤnnen. — Dazu, es iſt doch einmal die Mutter, die wir auf unſerer Seite haben muͤſſen. — Wenn ich die Muͤtter recht kenne: — ſo etwas von einer Schwiegermutter eines Prinzen zu ſeyn, ſchmeichelt die meiſten. — Laß ſie kommen, Battiſta, laß ſie kommen!
Hoͤren Sie! hoͤren Sie!
Emilia! Emilia! Mein Kind, wo biſt du?
Geh, Battiſta, und ſuche nur ihre neugierigen Begleiter zu entfernen.
Ha! der hob ſie aus dem Wagen! Der fuͤhrte ſie fort! Jch erkenne Dich. Wo iſt ſie? Sprich, Ungluͤcklicher!
Das iſt mein Dank?
O, wenn Du Dank verdieneſt:
— ſo verzeihe mir, ehrlicher Mann! — Wo iſt ſie? — Laßt mich ſie nicht laͤn - ger entbehren. Wo iſt ſie?
O, Jhre Gnaden, Sie koͤnnte in dem Schooße der Seligkeit nicht aufgehobner ſeyn. — Hier mein Herr wird Jhre Gnaden zu ihr fuͤhren.
Zuruͤck da! ihr!
Dein Herr? —
Ha! — Das dein Herr? — Sie hier, mein Herr? Und hier meine Tochter? Und Sie, Sie ſollen mich zu ihr fuͤhren?
Mit vielem Vergnuͤgen, gnaͤdige Frau.
Halten Sie! — Eben faͤllt mir es bey — Sie waren es ja — nicht? — Der den Grafen dieſen Morgen in meinem Hauſe auf - ſuchte? mit dem ich ihn allein ließ? mit dem er Streit bekam?
Streit? — Was ich nicht wuͤßte: ein unbedeutender Wortwechſel in herrſchaftlichen Angelegenheiten —
Und Marinelli heißen Sie?
Marcheſe Marinelli.
So iſt es richtig. — Hoͤren Sie doch, Herr Marcheſe. — Marinelli war — der Name Marinelli war — begleitet mit einer Ver - wuͤnſchung — Nein, daß ich den edeln MannF 4nicht88Emilia Galotti. nicht verleumde! — bekleidet mit keiner Verwuͤn - ſchung — Die Verwuͤnſchung denk’ ich hinzu. — Der Name Marinelli war das letzte Wort des ſterbenden Grafen.
Des ſterbenden Grafen? Gra - fen Appiani? — Sie hoͤren, gnaͤdige Frau, was mir in ihrer ſeltſamen Rede am meiſten auf - faͤllt. — Des ſterbenden Grafen? — Was Sie ſonſt ſagen wollen, verſteh’ ich nicht.
Der Name Ma - rinelli war das letzte Wort des ſterbenden Gra - fen! — Verſtehen Sie nun? — Jch verſtand es erſt auch nicht: ob ſchon mit einem Tone ge - ſprochen — mit einem Tone! — Jch hoͤre ihn noch! Wo waren meine Sinne, daß ſie dieſen Ton nicht ſogleich verſtanden?
Nun, gnaͤdige Frau? — Jch war von je her des Grafen Freund; ſein vertrau - teſter Freund. Alſo, wenn er mich noch im Ster - ben nannte —
Mit dem Tone? — Jch kann ihn nicht nachahmen? ich kann ihn nicht beſchreiben: aber er enthielt alles! alles! — Was? Raͤuberwaͤren89Emilia Galotti. waͤren es geweſen, die uns anfielen? — Moͤrder waren es; erkaufte Moͤrder! — Und Marinelli, Marinelli war das letzte Wort des ſterbenden Gra - fen! Mit einem Tone!
Mit einem Tone? — Jſt es erhoͤrt, auf einen Ton, in einem Augenblicke des Schreckens vernommen, die Anklage eines recht - ſchafnen Mannes zu gruͤnden?
Ha, koͤnnt’ ich ihn nur vor Gerichte ſtellen, dieſen Ton! — Doch, weh mir! Jch vergeſſe daruͤber meine Tochter. — Wo iſt ſie? — Wie? auch todt? — Was konnte meine Tochter dafuͤr, daß Appiani dein Feind war?
Jch verzeihe der bangen Mut - ter. — Kommen Sie, gnaͤdige Frau — Jhre Tochter iſt hier; in einem von den naͤchſten Zim - mern: und hat ſich hoffentlich von ihrem Schrecken ſchon voͤllig erholt. Mit der zaͤrtlichſten Sorgfalt iſt der Prinz ſelbſt um ſie beſchaͤfftiget —
Wer? — Wer ſelbſt?
Der Prinz.
Der Prinz? — Sagen Sie wirk - lich, der Prinz? — Unſer. Prinz?
Welcher ſonſt?
Nun dann! — Jch ungluͤckſelige Mutter! — Und ihr Vater! ihr Vater! — Er wird den Tag ihrer Geburt verfluchen. Er wird mich verfluchen.
Um des Himmels willon, gnaͤ - dige Frau! Was faͤllt Jhnen nun ein?
Es iſt klar! — Jſt es nicht? — Heute im Tempel! vor den Augen der Allerreine - ſten! in der naͤhern Gegenwart des Ewigen! — begann das Bubenſtuͤck; da brach es aus!
Ha, Moͤrder! feiger, elender Moͤr - der! Nicht tapfer genug, mit eigner Hand zu morden: aber nichtswuͤrdig genug, zu Befriedi - gung eines fremden Kitzels zu morden! — morden zu laſſen! — Abſchaum aller Moͤrder! — Was ehrliche Moͤrder ſind, werden dich unter ſich nicht dulden! Dich! Dich! — Denn warum ſoll ich dir nicht alle meine Galle, allen meinen Geifer mit einem einzigen Worte ins Geſicht ſpeyen? — Dich! Dich Kuppler!
Sie ſchwaͤrmen, gute Frau. — Aber maͤßigen Sie wenigſtens Jhr wildes Ge - ſchrey, und bedenken Sie, wo Sie ſind.
Wo ich bin? Bedenken, wo ich bin? — Was kuͤmmert es die Loͤwinn, der man die Jungen geraubet, in weſſen Walde ſie bruͤllet?
Ha, meine Mutter! Jch hoͤre meine Mutter!
Jhre Stimme? Das iſt ſie! Sie hat mich gehoͤrt; ſie hat mich gehoͤrt. Und ich ſollte nicht ſchreyen? — Wo biſt du, mein Kind? Jch komme, ich komme!
Kommen Sie, Marinelli! Jch muß mich erholen — und muß Licht von Jhnen haben.
O der muͤtterlichen Wuth! Ha! ha! ha!
Sie lachen?
Wenn Sie geſehen haͤtten, Prinz, wie toll ſich hier, hier im Saale, die Mutter ge - behrdete — Sie hoͤrten ſie ja wohl ſchreyen! — und wie zahm ſie auf einmal ward, bey dem erſten Anblicke von Jhnen — — Ha! ha! — Das weiß ich ja wohl, daß keine Mutter einem Prin - zen die Augen auskratzt, weil er ihre Tochter ſchoͤn findet.
Sie ſind ein ſchlechter Beobach - ter! — Die Tochter ſtuͤrzte der Mutter ohn -maͤchtig93Emilia Galotti. maͤchtig in die Arme. Daruͤber vergaß die Mut - ter ihre Wuth! nicht uͤber mir. Jhre Tochter ſchonte ſie, nicht mich; wenn ſie es nicht lauter, nicht deutlicher ſagte, — was ich lieber ſelbſt nicht gehoͤrt, nicht verſtanden haben will.
Was, gnaͤdiger Herr?
Wozu die Verſtellung? — Her - aus damit. Jſt es wahr? oder iſt es nicht wahr?
Und wenn es denn waͤre!
Wenn es denn waͤre? — Alſo iſt es? — Er iſt todt? todt? —
Ma - rinelli! Marinelli!
Nun?
Bey Gott! bey dem allgerechten Gott! ich bin unſchuldig an dieſem Blute. — Wenn Sie mir vorher geſagt haͤtten, daß es dem Grafen das Leben koſten werde — Nein, nein! und wenn es mir ſelbſt das Leben gekoſtet haͤtte! —
Wenn ich Jhnen vorher geſagt haͤtte? — Als ob ſein Tod in meinem Plane ge - weſen waͤre! Jch hatte es dem Angelo auf die Seele gebunden, zu verhuͤten, daß niemanden Leides geſchaͤhe. Es wuͤrde auch ohne die geringſteGewalt -94Emilia Galotti. Gewaltthaͤtigkeit abgelaufen ſeyn, wenn ſich der Graf nicht die erſte erlaubt haͤtte. Er ſchoß Knall und Fall den einen nieder.
Wahrlich; er haͤtte ſollen Spaß verſtehen!
Daß Angelo ſodann in Wuth kam und den Tod ſeines Gefaͤhrten raͤchte —
Freylich, das iſt ſehr natuͤrlich!
Jch hab’ es ihm genug verwieſen.
Verwieſen? Wie freundſchaft - lich! — Warnen Sie ihn, daß er ſich in meinem Gebiethe nicht betreten laͤßt. Mein Verweiß moͤchte ſo freundſchaftlich nicht ſeyn.
Recht wohl! — Jch und Ange - lo; Vorſatz und Zufall: alles iſt eins. — Zwar ward es voraus bedungen, zwar ward es voraus verſprochen, daß keiner der Ungluͤcksfaͤlle, die ſich dabey eraͤugnen koͤnnten, mir zu Schulden kom - men ſolle —
Die ſich dabey eraͤugnen — koͤnn - ten, ſagen Sie? oder ſollten?
Jmmer beſſer! — Doch, gnaͤ - diger Herr, — ehe Sie mir es mit dem trocknenWorte95Emilia Galotti. Worte ſagen, wofuͤr ſie mich halten — eine einzige Vorſtellung! der Tod des Grafen iſt mir nichts weniger, als gleichguͤltig. Jch hatte ihn ausge - fodert; er war mit Genugthuung ſchuldig, er iſt ohne dieſe aus der Welt gegangen; und meine Ehre bleibt beleidiget. Geſetzt, ich verdiente un - ter jeden andern Umſtaͤnden den Verdacht, den Sie gegen mich hegen: aber auch unter dieſen? —
Wer das von mir den - ken kann! —
Nun gut, nun gut —
Daß er noch lebte! O daß er noch lebte! Alles, alles in der Welt wollte ich darum geben —
ſelbſt die Gnade meines Prin - zen, — dieſe unſchaͤtzbare, nie zu verſcherzende Gnade — wollt’ ich drum geben!
Jch verſtehe. — Nun gut, nun gut. Sein Tod war Zufall, bloßer Zufall. Sie verſichern es; und ich, ich glaub’ es. — Aber wer mehr? Auch die Mutter? Auch Emi - lia? — Auch die Welt?
Schwerlich.
Und wenn man es nicht glaubt, was wird man denn glauben? — Sie zucken die Achſel? — Jhren Angelo wird man fuͤr das Werkzeug, und mich fuͤr den Thaͤter halten —
Wahrſcheinlich genug.
Mich! mich ſelbſt! — Oder ich muß von Stund an alle Abſicht auf Emilien auf - geben —
Was Sie auch gemußt haͤtten — wenn der Graf noch lebte. —
Marinelli! — Doch, Sie ſollen mich nicht wild machen. — Es ſey ſo — Es iſt ſo! Und das wol - len Sie doch nur ſagen: der Tod des Grafen iſt fuͤr mich ein Gluͤck — Das groͤßte Gluͤck, was mir begegnen konnte, — das einzige Gluͤck, was meiner Liebe zu ſtatten kommen konnte. Und als dieſes, — mag er doch geſchehen ſeyn, wie er will! — Ein Graf mehr in der Welt, oder weni - ger! Denke ich Jhnen ſo recht? — Topp! auch ich erſchrecke vor einem kleinen Verbrechen nicht. Nur, guter Freund, muß es ein kleines Verbrechen, ein kleines ſtilles heilſames Verbrechen ſeyn. Undſehen97Emilia Galotti. ſehen Sie, unſeres da, waͤre nun gerade weder ſtille noch heilſam. Es haͤtte den Weg zwar gerei - niget, aber zugleich geſperrt. Jedermann wuͤrde es uns auf den Kopf zuſagen, — und leider haͤtten wir es gar nicht einmal begangen! — Das liegt doch wohl nur blos an Jhren weiſen, wunderbaren Anſtalten?
Wenn Sie ſo befehlen —
Woran ſonſt? — Jch will Rede!
Es koͤmmt mehr auf meine Rech - nung, was nicht darauf gehoͤrt.
Rede will ich!
Nun dann. Was laͤge an mei - nen Anſtalten? daß den Prinzen bey dieſem Un - falle ein ſo ſichtbarer Verdacht trifft? — An dem Meiſterſtreiche liegt das, den er ſelbſt meinen An - ſtalten mit einzumengen die Gnade hatte.
Jch?
Er erlaube mir, ihm zu ſagen, daß der Schritt, den er heute Morgen in der Kirche gethan, — mit ſo vielem Anſtande er ihn auch ge - than — ſo unvermeidlich er ihn auch thun mußte — daß dieſer Schritt dennoch nicht in den Tanz gehoͤrte.
Was verdarb er denn auch?
Freylich nicht den ganzen Tanz: aber doch voritzo den Takt.
Hm! Verſteh’ ich Sie?
Alſo, kurz und einfaͤltig. Da ich die Sache uͤbernahm, nicht wahr, da wußte Emilia von der Liebe des Prinzen noch nichts? Emiliens Mutter noch weniger. Wenn ich nun auf dieſen Umſtand baute? und der Prinz indeß den Grund meines Gebaͤudes untergrub? —
Ver - wuͤnſcht!
Wenn er es nun ſelbſt verrieth, was er im Schilde fuͤhre?
Verdammter Einfall!
Und wenn er es nicht ſelbſt ver - rathen haͤtte? — Traun! ich moͤchte doch wiſſen, aus welcher meiner Anſtalten, Mutter oder Toch - ter den geringſten Argwohn gegen ihn ſchoͤpfen koͤnnte?
Daß Sie Recht haben!
Daran thu’ ich freylich ſehr Un - recht — Sie werden verzeihen, gnaͤdiger Herr —
Eben koͤmmt die Graͤfinn an.
Die Graͤfinn? Was fuͤr eine Graͤfinn?
Orſina.
Orſina? — Marinelli! — Or - ſina? — Marinelli!
Jch erſtaune daruͤber, nicht we - niger als Sie ſelbſt.
Geh, lauf, Battiſta: ſie ſoll nicht ausſteigen. Jch bin nicht hier. Jch bin fuͤr ſie nicht hier. Sie ſoll augenblicklich wieder um - kehren. Geh, lauf! —
Was will die Naͤrrinn? Was unterſteht ſie ſich? Wie weiß ſie, daß wir hier ſind? Sollte ſie wohl auf Kundſchaft kommen? Sollte ſie wohl ſchon etwas vernommen haben? — Ah, Marinelli! So reden Sie, ſo antworten Sie doch! — Jſt er beleidiget der Mann, der mein Freund ſeyn will? Und durch einen elenden Wortwechſel beleidiget? Soll ich ihn um Verzeihung bitten?
Ah, mein Prinz, ſo bald Sie wieder Sie ſind, bin ich mit ganzer Seele wieder der Jhrige! — Die Ankunft der Orſina iſt mir ein Raͤthſel, wie Jhnen. Doch abweiſen wird ſie ſchwerlich ſich laſſen. Was wollen Sie thun?
Sie durchaus nicht ſprechen; mich entfernen —
Wohl! und nur geſchwind. Jch will ſie empfangen —
Aber blos, um ſie gehen zu heißen. — Weiter geben Sie mit ihr ſich nicht ab. Wir haben andere Dinge hier zu thun —
Richt doch, Prinz! Dieſe an - dern Dinge ſind gethan. Faſſen Sie doch Muth! Was noch fehlt, koͤmmt ſicherlich von ſelbſt. — Aber hoͤr’ ich ſie nicht ſchon? — Eilen Sie, Prinz! — Da,
wenn Sie wollen, werden Sie uns hoͤren koͤnnen. — Jch fuͤrchte, ich fuͤrchte, ſie iſt nicht zu ihrer beſten Stunde ausgefahren.
Was iſt das? — Niemand koͤmmt mir entgegen, außer ein unverſchaͤmter, der mir lieber gar den Eintritt verweigert haͤtte? — Jch bin doch zu Doſalo? Zu dem Doſalo, wo mir ſonſt ein ganzes Heer geſchaͤfftiger Augendiener entgegen ſtuͤrzte? wo mich ſonſt Liebe und Entzuͤcken erwarteten? — Der Ort iſt es: aber, aber! — Sieh’ da, Ma - rinelli! — Recht gut, daß der Prinz Sie mitge - nommen. — Nein, nicht gut! Was ich mit ihm auszumachen haͤtte, haͤtte ich nur mit ihm auszu - machen. — Wo iſt er?
Der Prinz, meine gnaͤdige Graͤfinn?
Wer ſonſt?
Sie vermuthen ihn alſo hier? wiſſen ihn hier? — Er wenigſtens iſt der Graͤ - finn Orſina hier nicht vermuthend.
Nicht? So hat er meinen Brief heute Morgen nicht erhalten?
Jhren Brief? Doch ja; ich er - innere mich, daß er eines Briefes von Jhnen erwaͤhnte.
Nun? habe ich ihn nicht in dieſem Briefe auf heute um eine Zuſammenkunft hier auf Doſalo gebeten? — Es iſt wahr, es hat ihm nicht beliebet, mir ſchriftlich zu antworten. Aber ich erfuhr, daß er eine Stunde darauf wirklich nach Doſalo abgefahren. Jch glaubte, das ſey Ant - worts genug; und ich komme.
Ein ſonderbarer Zufall!
Zufall? — Sie hoͤren ja, daß es verabredet worden. So gut, als verabredet. Von meiner Seite, der Brief: von ſeiner, die That. — Wie er da ſteht, der Herr Marcheſe! Was er fuͤr Augen macht! Wundert ſich das Gehirnchen? und woruͤber denn?
Sie ſchienen geſtern ſo weit ent - fernt, dem Prinzen jemals wieder vor die Augen zu kommen.
Beßrer Rath koͤmmt uͤber Nacht. — Wo iſt er? wo iſt er? — Was gilts, er iſt in dem Zimmer, wo ich das Gequicke, das Gekreu -ſche103Emilia Galotti. ſche hoͤrte? — Jch wollte herein, und der Schur - ke vom Bedienten trat vor.
Meine liebſte, beſte Graͤfinn —
Es war ein weibliches Gekreuſche. Was gilts, Marinelli? — O ſagen Sie mir doch, ſagen Sie mir — wenn ich anders Jhre liebſte, beſte Graͤfinn bin — Verdammt, uͤber das Hof - geſchmeiß! So viel Worte, ſo viel Luͤgen! — Nun, was liegt daran, ob Sie mir es voraus ſa - gen, oder nicht? Jch werd’ es ja wohl ſehen.
Wohin?
Wo ich laͤngſt ſeyn ſollte. — Den - ken Sie, daß es ſchicklich iſt, mit Jhnen hier in dem Vorgemache einen elenden Schnickſchnak zu halten, indeß der Prinz in dem Gemache auf mich wartet?
Sie irren ſich, gnaͤdige Graͤfinn. Der Prinz erwartet Sie nicht. Der Prinz kann Sie hier nicht ſprechen, — will Sie nicht ſprechen.
Und waͤre doch hier? und waͤre doch auf meinen Brief hier?
Nicht auf Jhren Brief —
Den er ja erhalten, ſagen Sie —
Erhalten, aber nicht geleſen.
Nicht geleſen? —
Nicht geleſen? —
Nicht einmal geleſen?
Aus Zerſtreuung, weiß ich, — Nicht aus Verachtung.
Verachtung? — Wer denkt daran? — Wem brauchen Sie das zu ſagen? — Sie ſind ein unverſchaͤmter Troͤſter, Marinelli! — Verachtung! Verachtung! Mich verachtet man auch! mich! —
Freylich liebt er mich nicht mehr. Das iſt ausgemacht. Und an die Stelle der Liebe trat in ſeiner Seele etwas anders. Das iſt natuͤrlich. Aber warum denn eben Verachtung? Es braucht ja nur Gleichguͤltigkeit zu ſeyn. Nicht wahr, Marinelli?
Allerdings, allerdings.
Allerdings? — O des weiſen Mannes, den man ſagen laſſen kann, was man will! — Gleichguͤltigkeit! Gleichguͤltigkeitan105Emilia Galotti. an die Stelle der Liebe? — Daß heißt, Nichts an die Stelle von Etwas. Denn lernen Sie, nachplanderndes Hofmaͤnnchen, lernen Sie von einem Weibe, daß Gleichguͤltigkeit ein leeres Wort ein bloßer Schall iſt, dem nichts, gar nichts ent - ſpricht. Gleichguͤltig iſt die Seele nur gegen das, woran ſie nicht denkt; nur gegen ein Ding, das fuͤr ſie kein Ding iſt. Und nur gleichguͤltig fuͤr ein Ding, das kein Ding iſt, — das iſt ſo viel, als gar nicht gleichguͤltig. — Jſt dir das zu hoch, Menſch?
O weh! wie wahr iſt es, was ich fuͤrchtete!
Was murmeln Sie da?
Lauter Bewunderung! — Und wem iſt es nicht bekannt, gnaͤdige Graͤfinn, daß Sie eine Philoſophin ſind?
Nicht wahr? — Ja, ja; ich bin eine. — Aber habe ich mir es itzt merken laſſen, daß ich eine bin? — O pfuy, wenn ich mir es habe merken laſſen; und wenn ich mir es oͤfterer habe merken laſſen! Jſt es wohl noch Wunder, daß mich der Prinz verachtet? Wie kann einG 5Mann106Emilia Galotti. Mann ein Ding lieben, das, ihm zum Trotze, auch denken will? Ein Frauenzimmer, das den - ket, iſt eben ſo ekel als ein Mann, der ſich ſchmin - ket. Lachen ſoll es, nichts als lachen, um immer - dar den geſtrengen Herrn der Schoͤpfung, bey gu - ter Laune zu erhalten. — Nun, woruͤber lach’ ich denn gleich, Marinelli? — Ach, ja wohl! Ueber den Zufall! daß ich dem Prinzen ſchreibe, er ſoll nach Doſalo kommen; daß der Prinz mei - nen Brief nicht lieſet, und daß er doch nach Do - ſalo koͤmmt. Ha! ha! ha! Wahrlich ein ſonder - barer Zufall! Sehr luſtig, ſehr naͤrriſch! — Und Sie lachen nicht mit, Marinelli? — Mitlachen kann ja wohl der geſtrenge Herr der Schoͤpfung, ob wir arme Geſchoͤpfe gleich nicht mitdenken duͤr - fen. —
So lachen Sie doch!
Gleich, gnaͤdige Graͤfinn, gleich!
Stock! Und daruͤber geht der Au - genblick vorbey. Nein, nein, lachen Sie nur nicht. — Denn ſehen Sie, Marinelli,
was mich ſo herzlich zu lachen macht, das hat auch ſeine ernſthafte — ſehr ernſt - hafte Seite. Wie alles in der Welt! — Zufall? Ein107Emilia Galotti. Ein Zufall waͤr’ es, daß der Prinz nicht daran ge - dacht, mich hier zu ſprechen, und mich doch hier ſprechen muß? Ein Zufall? — Glauben Sie mir, Marinelli: das Wort Zufall iſt Gotteslaͤſterung. Nichts unter der Sonne iſt Zufall; — am wenig - ſten das, wovon die Abſicht ſo klar in die Augen leuchtet. — Allmaͤchtige, allguͤtige Vorſicht, ver - gieb mir, daß ich mit dieſem albernen Suͤnder einen Zufall genennet habe, was ſo offenbar dein Werk, wohl gar dein unmittelbares Werk iſt! —
Kommen Sie mir, und ver - leiten Sie mich noch einmal zu ſo einem Frevel!
Das geht weit! — Aber gnaͤdige Graͤfinn —
Still mit dem Aber! Die Aber ko - ſten Ueberlegung: — und mein Kopf! mein Kopf!
— Machen Sie, Marinelli, machen Sie, daß ich ihn bald ſpreche, den Prinzen; ſonſt bin ich es wohl gar nicht im Stande. — Sie ſehen, wir ſollen uns ſprechen; wir muͤſſen uns ſprechen —
Jch muß ihm zu Huͤlfe kommen —
Sieh da! unſere ſchoͤne Graͤfinn. — Wie ſehr betaure ich, Madame, daß ich mir die Ehre Jhres Beſuchs fuͤr heute ein wenig zu Nutze ma - chen kann! Jch bin beſchaͤfftiget. Jch bin nicht allein. — Ein andermal, meine liebe Graͤfinn! Ein andermal. — Jtzt halten Sie laͤnger ſich nicht auf. Ja nicht laͤnger! — Und Sie, Ma - rinelli, ich erwarte Sie. —
Haben Sie es, gnaͤdige Graͤfinn, nun von ihm ſelbſt gehoͤrt, was Sie mir nicht glauben wollen?
Hab’ ich, hab’ ich wirklich?
Wirklich.
„ Jch bin beſchaͤfftiget. Jch bin nicht allein. ‟ Jſt das die Entſchuldigung ganz, die ich werth bin? Wen weiſet man damit nicht ab? Jeden Ueberlaͤſtigen, jeden Bettler. Fuͤr mich keine einzige Luͤge mehr? Keine einzige kleine Luͤge mehr, fuͤr mich? — Beſchaͤfftiget? womit denn? Nicht allein? wer waͤre denn bey ihm? — Kommen Sie, Marinelli; aus Barm - herzigkeit, lieber Marinelli! Luͤgen Sie mir eines auf eigene Rechnung vor. Was koſtet Jhnen denn eine Luͤge? — Was hat er zu thun? Wer iſt bey ihm? — Sagen Sie mir; ſagen Sie mir, was Jhnen zuerſt in den Mund koͤmmt, — und ich gehe.
Mit dieſer Bedingung, kann ich ihr ja wohl einen Theil der Wahr - heit ſagen.
Nun? Geſchwind, Marinelli; und ich gehe. — Er ſagte ohnedem, der Prinz: „ Ein andermal, meine liebe Graͤfinn! ‟ Sagte er nichtſo?110Emilia Galotti. ſo? — Damit er mir Wort haͤlt, damit er kei - nen Vorwand hat, mir nicht Wort zu halten - geſchwind, Marinelli, Jhre Luͤge; und ich gehe
Der Prinz, liebe Graͤfinn, iſt wahrlich nicht allein. Es ſind Perſonen bey ihm, von denen er ſich keinen Augenblick abmuͤßigen kann; Perſonen, die eben einer großen Gefahr entgangen ſind. Der Graf Appiani —
Waͤre bey ihm? — Schade, daß ich uͤber dieſe Luͤge Sie ertappen muß. Geſchwind eine andere. — Denn Graf Appiani, wenn Sie es noch nicht wiſſen, iſt eben von Raͤubern erſchoſ - ſen worden. Der Wagen mit ſeinem Leichname be - gegnete mir kurz vor der Stadt. — Oder iſt er nicht? Haͤtte es mir blos getraͤumet?
Leider nicht blos getraͤumet! — Aber die Andern, die mit dem Grafen waren, ha - ben ſie gluͤcklich hier nach dem Schloſſe geret - tet: ſeine Braut nehmlich, und die Mutter der Braut, mit welchen er nach Sabionetta zu ſeiner feyerlichen Verbindung fahren wollte.
Alſo die? Die ſind bey dem Prin - zen? die Braut? und die Mutter der Braut? — Jſt die Braut ſchoͤn?
Dem Prinzen geht ihr Unfall ungemein nahe.
Jch will hoffen; auch wenn ſie haͤß - lich waͤre. Denn ihr Schickſal iſt ſchrecklich. — Armes gutes Maͤdchen, eben da er dein auf im - mer werden ſollte, wird er dir auf immer entriſ - ſen! — Wer iſt ſie denn, dieſe Braut? Kenn’ ich ſie gar? — Jch bin ſo lange aus der Stadt, daß ich von Nichts weiß.
Es iſt Emilia Galotti.
Wer? — Emilia Galotti? Emilia Galotti? — Marinelli! daß ich dieſe Luͤge nicht fuͤr Wahrheit nehme!
Wie ſo?
Emilia Galotti?
Die Sie ſchwerlich kennen wer - den —
Doch! doch! Wenn es auch nur von heute waͤre. — Jm Ernſt, Marinelli? EmiliaGalot -112Emilia Galotti. Galotti? — Emilia Galotti waͤre die ungluͤck - liche Braut, die der Prinz troͤſtet?
Sollte ich ihr ſchon zu viel geſagt haben?
Und Graf Appiani war der Braͤu - tigam dieſer Braut? der eben erſchoſſene Appiani?
Nicht anders.
Bravo! o bravo! bravo!
Wie das?
Kuͤſſen moͤcht ich den Teufel, der ihn dazu verleitet hat!
Wen? verleitet? wozu?
Ja, kuͤſſen, kuͤſſen moͤcht’ ich ihn — Und wenn Sie ſelbſt dieſer Teufel waͤren, Ma - rinelli.
Graͤfinn!
Kommen Sie her! Sehen Sie mich an! ſteif an! Aug’ in Auge!
Nun?
Wiſſen ſie nicht, was ich denke?
Wie kann ich das?
Haben Sie keinen Antheil daran?
Woran?
Schwoͤren Sie! — Nein, ſchwoͤ - ren Sie nicht. Sie moͤchten eine Suͤnde mehr begehen — Oder ja; ſchwoͤren Sie nur. Eine Suͤnde mehr oder weniger fuͤr einen, der doch ver - dammt iſt! — Haben Sie keinen Antheil daran?
Sie erſchrecken mich, Graͤfinn.
Gewiß? — Nun, Marinelli, arg - wohnet Jhr gutes Herz auch nichts?
Was? woruͤber?
Wohl, — ſo will ich Jhnen etwas vertrauen; — etwas, das Jhnen jedes Haar auf dem Kopfe zu Berge ſtraͤuben ſoll. — Aber hier, ſo nahe an der Thuͤre, moͤchte uns jemand hoͤren. Kommen Sie hierher. — Und!
Hoͤren Sie! ganz in geheim! ganz in geheim!
Der Prinz iſt ein Moͤrder!
Graͤſinn, — Graͤfinn — ſind Sie ganz von Sinnen?
Von Sinnen? Ha! ha! ha!
Jch bin ſelten, oder nie, mitHmeinem114Emilia Galotti. meinem Verſtande ſo wohl zufrieden geweſen, als eben itzt. — Zuverlaͤßig, Marinelli: — aber es bleibt unter uns —
der Prinz iſt ein Moͤr - der! des Grafen Appiani Moͤrder! — Den ha - ben nicht Raͤuber, den haben Helferſhelfer des Prinzen, den hat der Prinz umgebracht!
Wie kann Jhnen ſo eine Abſcheu - lichkeit in den Mund, in die Gedanken kommen?
Wie? — Ganz natuͤrlich. — Mit dieſer Emilia Galotti, die hier bey ihm iſt, — deren Braͤutigam ſo uͤber Hals uͤber Kopf ſich aus der Welt trollen muͤſſen, — mit dieſer Emilia Ga - lotti hat der Prinz heute Morgen, in der Halle bey den Dominikanern ein Langes und Breites ge - ſprochen. Das weiß ich; das haben meine Kund - ſchafter geſehen. Sie haben auch gehoͤrt, was er mit ihr geſprochen. — Nun, guter Herr? Bin ich von Sinnen? Jch reime, daͤcht’ ich, doch noch ſo ziemlich zuſammen, was zuſammen gehoͤrt. — Oder trifft auch das nur ſo von ungefaͤhr zu? Jſt Jhnen auch das Zufall? O, Marinelli, ſo ver - ſtehen Sie auf die Bosheit der Menſchen ſich eben ſo ſchlecht, als auf die Vorſicht.
Graͤfinn, Sie wuͤrden ſich um den Hals reden —
Wenn ich das mehrern ſagte? — Deſto beſſer, deſto beſſer! — Morgen will ich es auf dem Markte ausrufen. — Und wer mir wi - derſpricht — wer mir widerſpricht, der war des Moͤrders Spießgeſelle. — Leben Sie wohl.
Verzeihen Sie, gnaͤdige Frau —
Jch habe hier nichts zu verzeihen. Denn ich habe hier nichts uͤbel zu nehmen — An dieſen Herrn wenden Sie ſich.
Nun vollends! der Alte! —
Vergeben Sie, mein Herr, ei - nem Vater, der in der aͤußerſten Beſtuͤrzung iſt, — daß er ſo unangemeldet hereintritt.
Vater?
Der Emi - lia, ohne Zweifel. — Ha, willkommen!
Ein Bedienter kam mir entgegen geſprengt, mit der Nachricht, daß hierherum die Meinigen in Gefahr waͤren. Jch fliege herzu, und hoͤre, daß der Graf Appiani verwundet wor - den; daß er nach der Stadt zuruͤckgekehret; daß meine Frau und Tochter ſich in das Schloß geret - tet. — Wo ſind ſie, mein Herr? wo ſind ſie?
Seyn Sie ruhig, Herr Ober - ſter. Jhrer Gemahlinn und Jhrer Tochter iſt nichts Uebels wiederfahren; den Schreck ausge - nommen. Sie befinden ſich beide wohl. Der Prinz iſt bey ihnen. Jch gehe ſogleich, Sie zu melden.
Warum melden? erſt melden?
Aus Urſachen — von wegen — Von wegen des Prinzen. Sie wiſſen, Herr Oberſter, wie Sie mit dem Prinzen ſtehen. Nicht auf dem freundſchaftlichſten Fuße. So gnaͤdig er ſich gegen Jhre Gemahlinn und Tochter bezei -get:117Emilia Galotti.get; — es ſind Damen — Wird darum auch Jhr unvermutheter Anblick ihm gelegen ſeyn?
Sie haben Recht, mein Herr; Sie haben Recht.
Aber, gnaͤdige Graͤfinn, — kann ich vorher die Ehre haben, Sie nach Jhrem Wa - gen zu begleiten?
Nicht doch, nicht doch.
Erlauben Sie, daß ich meine Schuldigkeit beobachte. —
Nur gemach! — Jch erlaſſe Sie deren, mein Herr. — Daß doch immer Jhres gleichen Hoͤflichkeit zur Schuldigkeit machen; um was |eigentlich ihre Schuldigkeit waͤre, als die Nebenſache betreiben zu duͤrfen! — Dieſen wuͤr - digen Mann je eher je lieber zu melden, das iſt Jhre Schuldigkeit.
Vergeſſen Sie, was Jhnen der Prinz ſelbſt befohlen?
Er komme, und befehle es mir noch einmal. Jch erwarte ihn.
Mein Herr, ich muß Sie hier mit einer Dame laſſen, die — der — mit deren Verſtan - de — Sie verſtehen mich. Jch ſage Jhnen die - ſes, damit Sie wiſſen, was Sie auf ihre Reden zu geben haben, — deren ſie oft ſehr ſeltſame fuͤh - ret. Am beſten, Sie laſſen ſich mit ihr nicht ins Wort.
Recht wohl. — Eilen Sie nur, mein Herr.
Was er Jhnen auch da ge - ſagt hat, ungluͤcklicher Mann! —
Ungluͤck - licher?
Eine Wahrheit war es gewiß nicht; — am wenigften eine von denen, die auf Sie warten.
Auf mich warten? — Weiß ich nicht ſchon genug? — Madame! — Aber, reden Sie nur, reden Sie nur.
Sie wiſſen nichts.
Nichts?
Guter, lieber Vater! — Was gaͤbe ich darum, wann Sie auch mein Vater waͤ - ren! — Verzeihen Sie! die Ungluͤcklichen ket - ten ſich ſo gern an einander. — Jch wollte treu - lich Schmerz und Wuth mit Jhnen theilen.
Schmerz und Muth? Mada - me! — Aber ich vergeſſe — Reden Sie nur.
Wenn es gar Jhre einzige Toch - ter — Jhr einziges Kind waͤre! — Zwar ein - zig, oder nicht. Das ungluͤckliche Kind, iſt immer das einzige.
Das ungluͤckliche? — Madame! — Was will ich von ihr? — Doch, bey Gott, ſo ſpricht keine Wahnwitzige!
Wahnwitzige? Das war es alſo, was er Jhnen von mir vertraute? — Nun, nun; es mag leicht keine von ſeinen groͤbſten Luͤ - gen ſeyn. — Jch fuͤhle ſo was! — Und glau -H 4ben120Emilia Galotti.ben Sie, glauben Sie mir: wer uͤber gewiſſe Dinge den Verſtand nicht verlieret, der hat keinen zu verlieren. —
Was ſoll ich denken?
Daß Sie mich alſo ja nicht verach - ten! — Denn auch Sie haben Verſtand, guter Alter; auch Sie. — Jch ſeh’ es an dieſer ent - ſchloſſenen, ehrwuͤrdigen Miene. Auch Sie ha - ben Verſtand; und es koſtet mich ein Wort, — ſo haben Sie keinen.
Madame! — Madame! — Jch habe ſchon keinen mehr, noch ehe Sie mir dieſes Wort ſagen, wenn Sie mir es nicht bald ſagen. — Sagen Sie eſ! ſagen Sie es! — Oder es iſt nicht wahr, — es iſt nicht wahr, daß Sie von jener guten, unſers Mitleids, unſerer Hochachtung ſo wuͤrdigen Gattung der Wahnwitzigen ſind — Sie ſind eine gemeine Thoͤrinn. Sie haben nicht, was Sie nie hatten.
So merken Sie auf! — Was wiſſen Sie, der Sie ſchon genug wiſſen wollen? Daß Appiani verwundet worden? Nur verwun - det? — Appiani iſt todt!
Todt? todt? — Ha, Frau, das iſt wider die Abrede, Sie wollen mich um den Verſtand bringen: und Sie brechen mir das Herz.
Das beyher! — Nur weiter. — Der Braͤutigam iſt todt: und die Braut — Jhre Tochter — ſchlimmer als todt.
Schlimmer? ſchlimmer als todt? — Aber doch zugleich, auch todt? — Denn ich kenne nur Ein Schlimmeres —
Nicht zugleich auch todt. Nein, guter Vater, nein! — Sie lebt, ſie lebt. Sie wird nun erſt recht anfangen zu leben. — Ein Leben voll Wonne! Das ſchoͤnſte, luſtigſte Schlar - affenleben, — ſo lang’ es dauert.
Das Wort, Madame; das ein - zige Wort, das mich um den Verſtand bringen ſoll! heraus damit! — Schuͤtten Sie nicht Jhren Tropfen Gift in einen Eimer. — Das einzige Wort! geſchwind.
Nun da; buchſtabiren Sie es zu - ſammen! — Des Morgens, ſprach der Prinz Jhre Tochter in der Meſſe; des Nachmittags, hat er ſie auf ſeinem Luſt — Luſtſchloſſe.
Sprach ſie in der Meſſe? Der Prinz meine Tochter?
Mit einer Vertraulichkeit! mit einer Jnnbrunſt! — Sie hatten nichts Kleines abzure - den. Und recht gut, wenn es abgeredet worden; recht gut, wenn Jhre Tochter freywillig ſich hier - her gerettet! Sehen Sie: ſo iſt es doch keine ge - waltſame Entfuͤhrung; ſondern blos ein kleiner — kleiner Meuchelmord.
Verleumdung! verdammte Ver - leumdung! Jch kenne meine Tochter. Jſt es Meuchelmord: ſo iſt es auch Entfuͤhrung. —
Nun, Claudia? Nun, Muͤtterchen? — Haben wir nicht Freude erlebt! O des guaͤdigen Prinzen! O der ganz be - ſondern Ehre!
Wirkt es, Alter! wirkt es?
Da ſteh’ ich nun vor der Hoͤhle des Raͤubers —
Wun - der, daß ich aus Eilfertigkeit nicht auch die Haͤnde zuruͤck gelaſſen! —
Nichts! gar nichts! nirgends!
Ha, ich verſtehe! — Damit kann ich aushelfen! — Jch hab’ einen mitgebracht.
Da nehmen Sie! Neh - men Sie geſchwind, eh uns jemand ſieht. — Auch haͤtte ich noch etwas, — Gift. Aber Gift iſt nur fuͤr uns Weiber; nicht fuͤr Maͤnner. — Nehmen Sie ihn!
Nehmen Sie!
Jch danke, ich danke — Liebes Kind, wer wieder ſagt, daß du eine Naͤrrinn biſt, der hat es mit mir zu thun.
Stecken Sie bey Seite! geſchwind bey Seite! — Mir — wird die Gelegenheit ver - ſagt, Gebrauch davon zu machen. Jhnen wird ſie nicht fehlen, dieſe Gelegenheit: und Sie wer - den ſie ergreifen, die erſte, die beſte, — wenn Sie ein Mann ſind. — Jch, ich bin nur ein Weib! aber ſo kam ich her! feſt entſchloſſen! — Wir, Alter, wir koͤnnen uns alles vertrauen. Denn wir ſind beyde beleidiget; von dem nehmli - chen Verfuͤhrer beleidiget. — Ah, wenn Sie wuͤßten, — wenn Sie wuͤßten, wie uͤberſchwaͤng - lich, wie unausſprechlich, wie unbegreiflich ich von ihm beleidiget worden, und noch werde: — Siekoͤnn -124Emilia Galotti.koͤnnten, Sie wuͤrden Jhre eigene Beleidigung daruͤber vergefſen. — Kennen Sie mich? Jch bin Orſina; die betrogene, verlaſſene Orſina. — Zwar vielleicht nur um Jhre Tochter verlaſſen. — Doch was kann Jhre Tochter dafuͤr? — Bald wird auch ſie verlaſſen ſeyn. — Und dann wieder eine! — Und wieder eine! — Ha!
welch eine himmliſche Phantaſie! Wann wir einmal alle, — wir, das ganze Heer der Ver - laſſenen, — wir alle in Bacchantinnen, in Furien verwandelt, wenn wir alle ihn unter uns haͤtten, ihn unter uns zerriſſen, zerfleiſchten, ſein Einge - weide durchwuͤhlten, — um das Herz zu finden, das der Verraͤther einer jeden verſprach, und keiner gab! Ha! das ſollte ein Tanz werden! das ſollte!
Erra - then! — Ah, unſer Beſchuͤtzer, unſer Retter! Biſt du da, Odoardo? Biſt du da? — Ausihren125Emilia Galotti.ihren Wiſpern, aus ihren Mienen ſchloß ich es. — Was ſoll ich dir ſagen, wenn du noch nichts weißt? — Was ſoll ich dir ſagen, wenn du ſchon alles weißt? — Aber wir ſind unſchuldig. Jch bin unſchuldig. Deine Tochter iſt unſchuldig. Un - ſchuldig, in allem unſchuldig!
Gut, gut. Sey nur ruhig, nur ruhig, — und antworte mir.
Nicht, Madame, als ob ich noch zweifelte — Jſt der Graf todt?
Todt.
Jſt es wahr, daß der Prinz heute Morgen Emilien in der Meſſe geſprochen?
Wahr. Aber wenn du wuͤßteſt, welchen Schreck es ihr verurſacht; in welcher Be - ſtuͤrzung ſie nach Hauſe kam —
Nun hab’ ich gelogen?
Jch wollt’ auch nicht, Sie haͤtten! Um wie vieles nicht!
Bin ich wahnwitzig?
O, — noch bin ich es auch nicht.
Du gebotheſt mir ruhig zu ſeyn; und ich bin ruhig. — Beſter Mann, darf auch ich — ich dich bitten —
Was willſt du? Bin ich nicht ruhig? Kann man ruhiger ſeyn, als ich bin? —
Weiß es Emilia, daß Appiani todt iſt?
Wiſſen kann ſie es nicht. Aber ich fuͤrchte, daß ſie es argwohnet; weil er nicht erſcheinet. —
Und ſie jammert und winſelt —
Nicht mehr. — Das iſt vorbey: nach ihrer Art, die du kenneſt. Sie iſt die Furcht - ſamſte und Entſchloſſenſte unſers Geſchlechts. Jh - ter erſten Eindruͤcke nie maͤchtig; aber nach der ge - ringſten Ueberlegung, in alles ſich findend, auf alles gefaßt. Sie haͤlt den Prinzen in einer Entfer - nung; ſie ſpricht mit ihm in einem Tone — Mache nur, Odoardo, daß wir wegkommen.
Jch bin zu Pferde. — Was zu thun? — Doch, Madame, Sie fahren ja nach der Stadt zuruͤck?
Nicht anders.
Haͤtten Sie wohl die Gewogen - heit, meine Frau mit ſich zu nehmen?
Warum nicht? Sehr gern.
Claudia, —
Die Graͤfinn Orſina; eine Dame von großem Verſtande; meine Freundinn, meine Wohlthaͤterinn. — Du mußt mit ihr herein; um uns ſogleich den Wagen heraus zu ſchicken. Emilia darf nicht wieder nach Guaſtalla. Sie ſoll mit mir.
Aber — wenn nur — Jch trenne mich ungern von dem Kinde.
Bleibt der Vater nicht in der Naͤhe? Man wird ihn endlich doch vorlaſſen. Keine Einwendung! — Kommen Sie, gnaͤdige Frau.
Sie werden von mir hoͤren. — Komm Claudia.
Hier, gnaͤdiger Herr, aus die - ſem Fenſter koͤnnen Sie ihn ſehen. Er geht die Arkade auf und nieder. — Eben biegt er ein; er koͤmmt. — Nein, er kehrt wieder um. — Ganz einig iſt er mit ſich noch nicht. Aber um ein großes ruhiger iſt er, — oder ſcheinet er. Fuͤr uns gleich viel! — Natuͤrlich! Was ihm auch beide Weiber in den Kopf geſetzt haben, wird er es wagen zu aͤußern? — Wie Battiſta gehoͤrt, ſoll ihm ſeine Frau den Wagen ſogleich heraus ſenden. Denn er kam zu Pferde. — Geben Sie Acht, wenn er nun vor ihnen erſcheinet, wird er ganz unterthaͤnigſt Eurer Durlaucht fuͤr den gnaͤdi - gen Schutz danken den ſeine Familie bey dieſem ſo traurigen Zufalle hier gefunden; wird ſich, mit ſamt ſeiner Tochter, zu fernerer Gnade empfehlen;wird129Emilia Galotti.wird ſie ruhig nach der Stadt bringen, und es in tiefſter Unterwerfung erwarten, welchen weitern Antheil Euer Durchlaucht an ſeinem ungluͤcklichen, lieben Maͤdchen zu nehmen geruhen wollen.
Wenn er nun aber ſo zahm nicht iſt? Und ſchwerlich, ſchwerlich wird er es ſeyn. Jch kenne ihn zu gut. — Wenn er hoͤchſtens ſei - nen Argwohn erſtikt, ſeine Wuth verbeißt: aber Emilien, anſtatt ſie nach der Stadt zu fuͤhren, mit ſich nimmt? bey ſich behaͤlt? oder wohl gar in ein Kloſter, außer meinem Gebiethe, verſchließt? Wie dann?
Die fuͤrchtende Liebe ſieht weit. Wahrhlich! — Aber er wird ja nicht —
Wenn er nun aber! Wie dann? Was wird es uns dann helfen, daß der ungluͤckli - che Graf ſein Leben daruͤber verloren?
Wozu dieſer traurige Seitenblick? Vorwaͤrts! denkt der Sieger: es falle neben ihm Feind oder Freund. — Und wenn auch! Wenn er es auch wollte, der alte Neidhart, was Sie von ihm fuͤrchten, Prinz: —
Das geht! Jch hab’ es! — Weiter als zum Wol -Jlen,130Emilia Galotti.len, ſoll er es gewiß nicht bringen. Gewiß nicht! — Aber daß wir ihn nicht aus dem Ge - ſichte verlieren. —
Bald haͤtt’ er uns uͤberraſcht! Er koͤmmt. — Laſſen Sie uns ihm noch ausweichen: und hoͤren Sie erſt, Prinz, was wir auf den zu befuͤrchtenden Fall thun muͤſſen.
Nur Marinelli! —
Das unſchuldigſte von der Welt!
Noch niemand hier? — Gut; ich ſoll noch kaͤlter werden. Es iſt mein Gluͤck. — Nichts veraͤchtlicher, als ein brauſender Juͤnglingskopf mit grauen Haaren! Jch hab’ es mir ſo oft ge - ſagt. Und doch ließ ich mich fortreißen: und von wem? Von einer Eiferſuͤchtigen; von einer fuͤr Eiferſucht Wahnwitzigen. — Was hat die ge - kraͤnkte Tugend mit der Rache des Laſters zu ſchaf - fen? Jene allein hab’ ich zu retten. — Und dei - ne Sache, — mein Sohn! mein Sohn! — Weinen konnt’ ich nie; — und will es nun nichterſt131Emilia Galotti.erſt lernen — Deine Sache wird ein ganz Ande - rer zu ſeiner machen! Genug fuͤr mich, wenn dein Moͤrder die Frucht ſeines Verbrechens nicht genießt. — Dieß martere ihn mehr, als das Verbrechen! Wenn nun bald ihn Saͤttigung und Eckel von Luͤſten zu Luͤſten treiben; vergaͤlle die Erinnerung, dieſe eine Luſt nicht gebuͤßet zu ha - ben, ihm den Genuß aller! Jn jedem Traume fuͤhre der blutige Braͤutigam ihm die Braut vor das Bette; und wann er dennoch den wolluͤftigen Arm nach ihr ausſtreckt: ſo hoͤre er ploͤtzlich das Hohngelaͤchter der Hoͤlle, und erwache!
Wo blieben Sie, mein Herr? wo blieben Sie?
War meine Tochter hier?
Nicht ſie: aber der Prinz.
Er verzeihe. — Jch habe die Graͤfinn begleitet.
Nun?
Die gute Dame!
Und Jhre Gemahlinn?
Jſt mit der Graͤfinn; — um uns den Wagen ſogleich heraus zu ſenden. Der Prinz vergoͤnne nur, daß ich mich ſo lange mit meiner Tochter noch hier verweile.
Wozu dieſe Umſtaͤnde? Wuͤrde ſich der Prinz nicht ein Vergnuͤgen daraus gemacht haben, ſie beide, Mutter und Tochter, ſelbſt nach der Stadt zu bringen?
Die Tochter wenigſtens wuͤrde dieſe Ehre haben verbitten muͤſſen.
Wie ſo!
Sie ſoll nicht mehr nach Guaſtalla.
Nicht? und warum nicht?
Der Graf iſt todt.
Um ſo viel mehr —
Sie ſoll mit mir.
Mit Jhnen?
Mit mir. Jch ſage Jhnen ja, der Graf iſt todt. — Wenn Sie es noch nicht wiſſen — Was hat ſie nun weiter in Guaſtalla zu thun? — Sie ſoll mit mir.
Allerdings wird der kuͤnftige Aufenthalt der Tochter einzig von dem Willen des Vaters abhangen. Nur vors erſte —
Was vors erſte?
Werden Sie wohl erlauben muͤſ - ſen, Herr Oberſter, daß ſie nach Guaſtalla ge - bracht wird.
Meine Tochter? nach Guaſtalla gebracht wird? und warum?
Warum? Erwaͤgen Sie doch nur —
Erwaͤgen! erwaͤgen! Jch erwaͤge, daß hier nichts zu erwaͤgen iſt. — Sie ſoll, ſie muß mit mir.
O mein Herr, — was brauchen wir, uns hieruͤber zu ereifern? Es kann ſeyn, daß ich mich irre; daß es nicht noͤthig iſt, was ich fuͤr noͤthig halte. — Der Prinz wird es am beſten zu beurtheilen wiſſen. Der Prinz entſcheide. — Jch geh’ und hole ihn.
Wie? — Nimmermehr! — Mir vorſchrei - ben, wo ſie hin ſoll? — Mir ſie vorenthalten? — Wer will das? Wer darf das? — Der hier alles darf, was er will? Gut, gut; ſo ſoll er ſehen, wie viel auch ich darf, ob ich es ſchon nicht duͤrfte! Kurzſichtiger Wuͤtherich! Mit dir will ich es wohl aufnehmen. Wer kein Geſetz achtet, iſt eben ſo maͤchtig, als wer kein Geſetz hat. Das weißt du nicht? Komm an! komm an! — Aber, ſieb da! Schon wieder; ſchon wieder rennet der Zorn mit dem Verſtande davon. — Was will ich? Erſt muͤßt’ es doch geſchehen ſeyn, woruͤber ich tobe. Was plaudert nicht eine Hofſchranze! Und haͤtte ich ihn doch nur plaudern laſſen! Haͤtte ich ſeinen Vorwand, warum ſie wieder nach Gua - ſtalla ſoll, doch nur angehoͤrt! — So koͤnnte ich mich itzt auf eine Antwort gefaßt machen. — Zwar auf welchen kann mir eine fehlen? — Sollte ſie mir aber fehlen; ſollte ſie — Man koͤmmt. Ru - hig, alter Knabe, ruhig!
Ah, mein lieber, rechtſchaffner Galotti, — ſo etwas muß auch geſchehen, wenn ich Sie bey mir ſehen ſoll. Um ein Geringeres thun Sie es nicht. Doch keine Vorwuͤrfe!
Gnaͤdiger Herr, ich halte es in allen Faͤllen fuͤr unanſtaͤndig, ſich zu ſeinem Fuͤr - ſten zu drengen. Wen er kennt, den wird er fo - dern laſſen, wenn er ſeiner bedarf. Selbſt itzt bitte ich um Verzeihung —
Wie manchem andern wollte ich dieſe ſtolze Beſcheidenheit wuͤnſchen! — Doch zur Sache. Sie werden begierig ſeyn, Jhre Tochter zu ſehen. Sie iſt in neuer Unruhe, wegen der ploͤtzlichen Entfernung einer ſo zaͤrtlichen Mutter. — Wozu auch dieſe Entfernung? Jch wartete nur, daß die liebenswuͤrdige Emilie ſich voͤllig erholet haͤtte, um beide im Triumphe nach der Stadt zu bringen. Sie haben mir dieſen Triumph um die Haͤlfte verkuͤmmert; aber ganz werde ich mir ihn nicht nehmen laſſen.
Zu viel Gnade! — Erlauben Sie, Prinz, daß ich meinem ungluͤcklichen Kinde alle die mannichfaltigen Kraͤukungen erſpare, die Freund und Feind, Mitleid und Schadenfreude in Guaſtalla fuͤr ſie bereit halten.
Um die ſuͤßen Kraͤnkungen des Freundes und des Mitleids, wuͤrde es Grauſam - keit ſeyn, ſie zu bringen. Daß aber die Kraͤnkun - gen des Feindes und der Schadenfreude ſie nicht erreichen ſollen; dafuͤr, lieber Galotti, laſſen Sie mich ſorgen.
Prinz, die vaͤterliche Liebe thei - let ihre Sorgen nicht gern. — Jch denke, ich weiß es, was meiner Tochter in ihren itzigen Umſtaͤnden einzig ziemet. — Entfernung aus der Welt; — ein Kloſter, — ſobald als moͤglich.
Ein Kloſter?
Bis dahin weine ſie unter den Augen ihres Vaters.
So viel Schoͤnheit ſoll in einem Kloſter verbluͤhen? — Darf eine einzige fehlge - ſchlagene Hoffnung uns gegen die Welt ſo unver - ſoͤhnlich machen? — Doch allerdings: dem Va -ter137Emilia Galotti.ter hat niemand einzureden. Bringen Sie Jhre Tochter, Galotti, wohin Sie wollen.
Nun, mein Herr?
Wenn Sie mich ſo gar lauffo - dern! —
O mit nichten, mit nichten.
Was haben Sie beide?
Nichts, gnaͤdiger Herr, nichts. — Wir erwaͤgen blos, welcher von uns ſich in Jhnen geirret hat.
Wie ſo? — Reden Sie, Ma - rinelli.
Es geht mir nahe, der Gnade meines Fuͤrſten in den Weg zu treten. Doch wenn die Freundſchaft gebiethet, vor allem in ihm den Nichter aufzufodern —
Welche Freundſchaft? —
Sie wiſſen, gnaͤdiger Herr, wie ſehr ich den Grafen Appiani liebte; wie ſehr unſer beider Seelen in einander verwebt ſchienen —
Das wiſſen Sie, Prinz? So wiſſen Sie es wahrlich allein.
Von ihm ſelbſt zu ſeinem Raͤ - cher beſtellet —
Sie?
Fragen Sie nur Jhre Gemah - linn. Marinelli, der Name Marinelli war das letzte Wort des ſterbenden Grafen: und in einem Tone! in einem Tone! — Daß er mir nie aus dem Gehoͤre komme dieſer ſchreckliche Ton, wenn ich nicht alles anwende, daß ſeine Moͤrder ent - deckt und beſtraft werden!
Rechnen Sie auf meine kraͤftig - ſte Mitwirkung.
Und meine heißeſten Wuͤnſche! — Gut, gut! — Aber was weiter?
Das frag’ ich, Marinelli.
Man hat Verdacht, daß es nicht Raͤuber geweſen, welche den Grafen angefallen.
Nicht? wirklich nicht?
Daß ein Nebenbuhler ihn aus dem Wege raͤumen laſſen.
Ey! ein Nebenbuhler?
Nicht anders.
Nun dann, — Gott verdamm’ ihn den meuchelmoͤrderſchen Buben!
Ein Nebenbuhler, und ein be - guͤnſtigter Nebenbuhler —
Was? ein beguͤnſtigter? — Was ſagen Sie?
Nichts, als was das Geruͤchte verbreitet.
Ein beguͤnſtigter? von meiner Tochter beguͤnſtiget?
Das iſt gewiß nicht. Das kann nicht ſeyn. Dem widerſprech’ ich, trotz Jhnen. — Aber bey dem allen, gnaͤdiger Herr. — Denn das gegruͤndetſte Vorurtheil wieget auf der Wage der Gerechtigkeit ſo viel als nichts — bey dem allen wird man doch nicht umhin koͤnnen, die ſchoͤne Ungluͤckliche daruͤber zu vernehmen.
Ja wohl, allerdings.
Und wo anders? wo kann das anders geſchehen, als in Guaſtalla?
Da haben Sie Recht, Mari - nelli; da haben Sie Recht. — Ja ſo: das ver -aͤndert140Emilia Galotti.aͤndert die Sache, lieber Galotti. Nicht wahr? Sie ſehen ſelbſt —
O ja, ich ſehe — Jch ſehe, was ich ſehe. — Gott! Gott!
Was iſt Jhnen? was haben Sie mit ſich?
Daß ich es nicht vorausgeſehen, was ich da ſehe. Das aͤrgert mich: weiter nichts. — Nun ja; ſie ſoll wieder nach Guaſtalla. Jch will ſie wieder zu ihrer Mutter bringen: und bis die ſtrengſte Unterſuchung ſie frey geſprochen, will ich ſelbſt aus Guaſtalla nicht weichen. Denn wer weiß, —
wer weiß, ob die Gerechtigkeit nicht auch noͤthig findet, mich zu vernehmen.
Sehr moͤglich! in ſolchen Faͤl - len thut die Gerechtigkeit lieber zu viel, als zu wenig. — Daher fuͤrchte ich ſogar —
Was? was fuͤrchten Sie?
Man werde vor der Hand nicht verſtatten koͤnnen, daß Mutter und Tochter ſich ſprechen.
Sich nicht ſprechen?
Man werde genoͤthiget ſeyn, Mutter und Tochter zu trennen.
Mutter und Tochter zu trennen?
Mutter und Tochter und Vater. Die Form des Verhoͤrs erfordert dieſe Vorſichtigkeit ſchlechterdings. Und es thut mir leid, gnaͤdiger Herr, daß ich mich gezwungen ſehe, ausdruͤcklich darauf anzutragen, wenigſtens Emilien in eine be - ſondere Verwahrung zu bringen.
Beſondere Verwahrung? — Prinz! Prinz! — Doch ja; freylich, freylich! Ganz recht: in eine beſondere Verwahrung! Nicht Prinz? nicht? — O wie fein die Gerechtigkeit iſt! Vortrefflich!
Faſſen Sie ſich, lieber Galotti —
Das ſprach ſein Engel!
Sie ſind irrig; Sie verſtehen ihn nicht. Sie denken bey dem Worte Verwah - rung, wohl gar an Gefaͤngniß und Kerker.
Laſſen Sie mich daran denken: und ich bin ruhig!
Kein Wort von Gefaͤngniß. Ma - rinelli! Hier iſt die Strenge der Geſetze mit der Achtung gegen unbeſcholtene Tugend leicht zu verei - nigen. Wenn Emilia in beſondere Verwahrung gebracht werden muß: ſo weiß ich ſchon — die alleranſtaͤndigſte. Das Haus meines Kanzlers — Keinen Widerſpruch, Marinelli! — Da will ich ſie ſelbſt hinbringen, da will ich ſie der Aufſicht einer der wuͤrdigſten Damen uͤbergeben. Die ſoll mir fuͤr ſie buͤrgen, haften. — Sie gehen zu weit, Marinelli, wirklich zu weit, wenn Sie mehr verlangen. — Sie kennen doch, Galotti, meinen Kanzler Grinaldi, und ſeine Gemahlinn?
Was ſollt’ ich nicht? Sogar die liebenswuͤrdigen Toͤchter dieſes edeln Paares kenn’ ich. Wer kennt ſie nicht? —
Nein, mein Herr, geben Sie das nicht zu. Wenn Emilia verwahrt werden muß: ſo muͤſte ſie in dem tiefſten Kerker verwahret werden. Dringen Sie darauf; ich bitte Sie. — Jch Thor, mit meiner Bitte! ich alter Geck! — Ja wohl hat ſie Rechtdie143Emilia Galotti.die gute Sibylle: Wer uͤber gewiſſe Dinge ſei - nen Verſtand nicht verlieret, der hat keinen zu verlieren!
Jch verſtehe Sie nicht. — Lieber Galotti, was kann ich mehr thun? — Laſſen Sie es dabey: ich bitte Sie. — Ja, ja, in das Haus meines Kanzlers! da ſoll ſie hin; da bring’ ich ſie ſelbſt hin; und wenn ihr da nicht mit der aͤußer - ſten Achtung begegnet wird, ſo hat mein Wort nichts gegolten. Aber ſorgen Sie nicht. — Dabey bleibt es! dabey bleibt es! — Sie ſelbſt, Galotti, mit ſich, koͤnnen es halten, wie Sie wollen. Sie koͤnnen uns nach Guaſtalla folgen; Sie koͤnnen nach Sabionetta zuruͤckkehren: wie Sie wollen. Es waͤre laͤcherlich, Jhnen vorzuſchreiben. — Und nun, auf Wiederſehen, lieber Galotti! — Kom - men Sie, Marinelli: es wird ſpaͤt.
Wie? ſo ſoll ich ſie gar nicht ſprechen meine Toch - ter? Auch hier nicht? Jch laſſe mir alles ge - fallen; ich finde ja alles ganz vortrefflich. Das Haus eines Kanzlers iſt natuͤrlicher Weiſe eine Freyſtadt der Tugend. O, gnaͤdiger Herr, brin -gen144Emilia Galotti.gen Sie ja meine Tochter dahin; nirgens anders als dahin. — Aber ſprechen wollt’ ich ſie doch gerne vorher. Der Tod des Grafen iſt ihr noch unbekannt. Sie wird nicht begreifen koͤnnen, warum man ſie von ihren Aeltern trennet. Jhr jenen auf gute Art beyzubringen; ſie dieſer Tren - nung wegen zu beruhigen: — muß ich ſie ſpre - chen, gnaͤdiger Herr, muß ich ſie ſprechen.
So kommen Sie denn —
O, die Tochter kann auch wohl zu dem Vater kommen. — Hier, unter vier Au - gen, bin ich gleich mit ihr fertig. Senden Sie mir ſie nur, gnaͤdiger Herr.
Auch das! — O Galotti, wenn Sie mein Freund, mein Fuͤhrer, mein Vater ſeyn wollten!
Warum nicht? — Herzlich gern — Ha! ha! ha! —
Wer lacht da? — Bey GOtt,ich145Emilia Galotti.ich glaub’, ich war es ſelbſt. — Schon recht! Lu - ſtig, luſtig. Das Spiel geht zu Ende. So, oder ſo! — Aber —
wenn ſie mit ihm ſich ver - ſtuͤnde? Wenn es das alltaͤgliche Poſſenſpiel waͤre? Wenn ſie es nicht werth waͤre, was ich fuͤr ſie thun will? —
Fuͤr ſie thun will? Was will ich denn fuͤr ſie thun? — Hab’ ich das Herz, es mir zu ſagen? — Da denk’ ich ſo was: So was, was ſich nur denken laͤßt! — Graͤßlich! Fort, fort! Jch will ſie nicht erwarten. Nein! —
Wer ſie unſchuldig in dieſen Ab - grund geſtuͤrzt hat, der ziehe ſie wieder heraus. Was braucht er meine Hand dazu? Fort!
Zu ſpaͤt! Ah! er will meine Hand; er will ſie!
Wie? Sie hier, mein Vater? — Und nur Sie? — Und meine Mutter? nicht hier? — Und der Graf? nicht hier? — Und Sie ſo unruhig, mein Vater?
Und du ſo ruhig, meine Tochter?
Warum nicht, mein Vater? — Entweder iſt nichts verloren: oder alles. Ruhig ſeyn koͤnnen, und ruhig ſeyn muͤſſen: koͤmmt es nicht auf eines?
Aber, was meyneſt du, daß der Fall iſt?
Daß alles verloren iſt; — und daß wir wohl ruhig ſeyn muͤſſen, mein Vater.
Und du waͤreſt ruhig, weil du ruhig ſeyn mußt? — Wer biſt du? Ein Maͤd - chen? und meine Tochter? So ſollte der Mann, und der Vater ſich wohl vor dir ſchaͤmen? — Aber laß doch hoͤren: was nenneſt du, alles verloren? — daß der Graf todt iſt?
Und warum er todt iſt! Warum! — Ha, ſo iſt es wahr, mein Vater? So iſt ſie wahr die ganze ſchreckliche Geſchichte, die ich in dem naſſen und wilden Auge meiner Mutter las? — Wo iſt meine Mutter? Wo iſt ſie hin, mein Vater?
Voraus; — wenn wir anders ihr nachkommen.
Je eher, je beſſer. Denn wenn der Graf todt iſt; wenn er darum todt iſt — darum! was verweilen wir noch hier? Laſſen Sie uns flie - hen, mein Vater.
Fliehen? — Was haͤtt’ es dann fuͤr Noth? — Du biſt, du bleibſt in den Haͤnden deines Raͤubers.
Jch bleibe in ſeinen Haͤnden?
Und allein; ohne deine Mutter; ohne mich.
Jch allein in ſeinen Haͤnden? — Nimmermehr, mein Vater. — Oder Sie ſind nicht mein Vater. — Jch allein in ſeinen Haͤn - den? — Gut, laſſen Sie mich nur; laſſen Sie mich nur. — Jch will doch ſehn, wer mich haͤlt, — wer mich zwingt, — wer der Menſch iſt, der einen Menſchen zwingen kann.
Jch meyne, du biſt ruhig, mein Kind.
Das bin ich. Aber was nennen Sie ruhig ſeyn? Die Haͤnde in den Schoß legen? Leiden, was man nicht ſollte? Dulden, was man nicht duͤrfte?
Ha! wenn du ſo denkeſt! — Laß dich umarmen, meine Tochter! — Jch hab’ es immer geſagt: das Weib wollte die Natur zu ihrem Meiſterſtuͤcke machen. Aber ſie vergriff ſich im Thone; ſie nahm ihn zu fein. Sonſt iſt alles beſſer an Euch, als an Uns. — Ha, wenn das deine Ruhe iſt: ſo habe ich meine in ihr wiederge - funden! Laß dich umarmen, meine Tochter! — Denke nur: unter dem Vorwande einer gericht - lichen Unterſuchung, — o des hoͤlliſchen Gauckel - ſpieles! — reißt er dich aus unſern Armen, und bringt dich zur Grimaldi.
Reißt mich? bringt mich? — Will mich reißen; will mich bringen: will! will! — Als ob wir, wir keinen Willen haͤtten, mein Vater!
Jch ward auch ſo wuͤtend, daß ich ſchon nach dieſem Dolche griff,
um einem von beyden — beyden! — das Herz zu durchſtoßen.
Um des Himmels willen nicht, mein Vater! — Dieſes Leben iſt alles, was die Laſter - haften haben. — Mir, mein Vater, mir geben Sie dieſen Dolch.
Kind, es iſt keine Haarnadel.
So werde die Haarnadel zum Dol - che! — Gleichviel.
Was? Dahin waͤre es gekom - men? nicht doch; nicht doch! Beſinne dich. — Auch du haſt nur ein Leben zu verlieren.
Und nur eine Unſchuld!
Die uͤber alle Gewalt erhaben iſt. —
Aber nicht uͤber alle Verfuͤhrung. — Gewalt! Gewalt! wer kan der Gewalt nicht trog tzen? Was Gewalt heiſt, iſt nichts: Verfuͤhrunn iſt die wahre Gewalt. — Jch habe Blut, mein Vater; ſo jugendliches, ſo warmes Blut, als eine. Auch meine Sinne, ſind Sinne. Jch ſtehe fuͤr nichts. Jch bin fuͤr nichts gut. Jch kenne das Haus der Grimaldi. Es iſt das Haus der Freude. Eine Stunde da, unter den Augen meiner Mut - ter; — und es erhob ſich ſo mancher Tumult in meiner Seele, den die ſtrengſten Uebungen der Re - ligion kaum in Wochen beſaͤnftigen konnten! — Der Religion! Und welcher Religion? — Nichts Schlimmers zu vermeiden, ſprangen Tauſende in die Fluthen, und ſind Heilige! — Geben Sie mir, mein Vater, geben Sie mir dieſen Dolch.
Und wenn du ihn kennteſt dieſen Dolch! —
Wenn ich ihn auch nicht kenne! — Ein unbekannter Freund, iſt auch ein Freund. — Geben Sie mir ihn, mein Vater; geben Sie mir ihn.
Wenn ich dir ihn nun gebe — da!
Und da!
Sieh, wie raſch! — Nein, das iſt nicht fuͤr deine Hand.
Es iſt wahr, mit einer Haarnadel ſoll ich. —
Du noch hier? — Herunter mit dir! Du gehoͤreſt nicht in das Haar einer, — wie mein Vater will, daß ich werden ſoll!
O, meine Tochter! —
O, mein Vater, wenn ich Sie er - riethe! Doch nein; das wollen Sie auch nicht. Warum zanderten Sie ſonſt? —
Ehedem wohl gab es einen Vater, der ſeine Tochter von der Schande zu retten, ihr den erſten den beſten Stahl in das Herz ſenkte — ihr zum zweyten das Leben gab. Aber alle ſolche Thaten ſind von ehedem! Solcher Vaͤter giebt es keinen mehr!
Doch, meine Tochter, doch!
— Gott, was hab — ich gethan!
Eine Roſe gebrochen, ehe der Sturm ſie entblaͤttert. — Laſſen Sie mich ſie kuͤſſen, dieſe vaͤterliche Hand.
Was iſt das? — Jſt Emilien nicht wohl?
Sehr wohl; ſehr wohl!
Was ſeh’ ich? — Entſetzen!
Weh mir!
Grauſamer Vater, was haben Sie gethan?
Eine Roſe gebrochen, ehe der Sturm ſie entblaͤttert. — War es nicht ſo, meine Tochter?
Nicht Sie, mein Vater — Jch ſelbſt — ich ſelbſt —
Nicht du, meine Tochter; — nicht du! — Gehe mit keiner Unwahrheit aus der Welt. Nicht du, meine Tochter! Dein Va - ter, dein ungluͤcklicher Vater!
Ah — mein Vater —
Zieh hin! — Nun da, Prinz! Gefaͤllt ſie Jhnen noch? Reizt ſie noch Jhre Luͤſte? Noch, in dieſem Blute, das wider Sie um Rache ſchreyet?
Aber Sie erwarten, wo das alles hinaus ſoll? Sie erwar - ten vielleicht, daß ich den Stahl wider mich ſelbſt kehren werde, um meine That wie eine ſchaale Tragoͤdie zu beſchließen? — Sie irren ſich. Hier!
Hier liegt er, der blutige Zeuge meines Verbrechens! Jch gehe und liefere mich ſelbſt in das Gefaͤngniß. Jch gehe, und erwarte Sie, als Richter. — Und dann dort — erwarte ich Sie vor dem Richter unſer aller!
Hier! heb’ ihn auf. — Nun? Du bedenkſt dich? — Elender! —
Nein, dein Blut ſoll mit dieſem Blute ſich nicht miſchen. — Geh, dich auf ewig zu verbergen! — Geh! ſag’ ich. — Gott! Gott! — Jſt es, zum Ungluͤcke ſo man - cher, nicht genug, daß Fuͤrſten Menſchen ſind: muͤſſen ſich auch noch Teufel in ihren Freund ver - ſtollen?
Ende des Trauerſpiels.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
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