Allen edeln Seelen widm’ ich dieſes Buch, die beym Leſen etwas mehr, als blos Befriedigung der Neugierde, und Beſchaͤfti - gung der Einbildungskraft ſuchen. Faſt jeder Schriftſteller, und der Dichter beſonders — deſſen Beruf ich fuͤr einen der erhabenſten hal - te — ſollte hauptſaͤchlich auf das Herz ſei - ner Leſer Ruͤckſicht nehmen. Dadurch bahnt er ſich am leichteſten den Weg zum Unterricht und zur Belehrung. Wer Empfindungen erhoͤht und beſſert, der erreicht gewiß einen eben ſo erhabnen Zweck, als der, welcher blos fuͤr den Verſtand ſorgt. Der letztere Schrift - ſteller kann auch nicht ſo ausgebreitet wir - ken. Er hat immer nur eine kleinere An - zahl von Leſern, weil er Menſchen vorausſetzt, die ſchon in den Wiſſenſchaften geuͤbt ſind.
Jeder Roman — ein Wort, das, leider! vielleicht durch ſchlechte Muſter veraͤchtlich wor - den iſt — ſollte, meinem Jdeal nach, zugleich4 unterrichten. Der Romanſchreiber hat ſich Leſer von verſchiednen Staͤnden, von verſchied - nem Geſchlecht, von verſchiedner Denkungsart u. ſ. w. zu verſprechen, daher ſollte er, ſoviel als moͤglich, Allen alles werden. Daher muß ſein Unterricht mannigfaltig, und an kei - ne gewiſſe Form gebunden ſeyn.
Jeder Schriftſteller wuͤnſcht nach dem Zweck ſeiner Arbeit beurtheilt zu werden. Jch habe dieſes, wegen gewiſſer Stellen meines Buches, beſonders zu wuͤnſchen, bey denen man, wenn man billig urtheilen will, am erſten das be - denken muß: fuͤr welche Menſchen, und fuͤr welche Gegenden von Deutſchland ich zunaͤchſt geſchrieben habe. Dann werden viele Einwuͤrfe wegen ſchon bekannter, oft geſagter Sachen, oder wegen anſcheinender Weitſchweifigkeiten wegfallen.
5Siegwart, ein edelgeſinnter Juͤngling, war auf einem Oettingiſchen Dorf in Schwaben, an der Donau gebohren. Sein Vater, ein Mann von aͤcht deutſch-ſchwaͤ - biſchem Charakter, war ſeit vier und zwanzig Jah - ren Amtmann auf dem Dorfe. Von ſeiner, ihm zu fruͤh verſtorbnen Frau hatte er zwo Toͤchter, und drey Soͤhne, wovon unſer Siegwart der juͤng - ſte war; ein[geſelliger] Knabe, der ſich nie mehr fuͤhlte, als wenn er andre Kinder luſtig ſah, ih - nen Freude machen, und tauſend kleine Gefaͤllig - keiten erweiſen konnte. Wenn der Winter ihn ins Zimmer einſchloß, ſo war ihm nirgends wohl, die Geſellſchaft ſeiner aͤltern Bruͤder, und zwoer muntrer Schweſtern war ihm nicht groß genung; er rief alle Baurenkinder, die ſein Haus vorbey - giengen, zu ſich, und tummelte ſich mit ihnen auf dem Saal herum. Dann ſchlich er ſich wieder6 in den Stall, beſah die Pferde, ritt ſie an die Traͤnke, warf ſich mit Schneeballen, oder fuhr auf ſeinem kleinen Schlitten den ſteilſten Berg herab, und thats an Kuͤhnheit, oft auch an Ver - wegenheit, den kuͤhnſten Baurenknaben zuvor.
Sobald die Fruͤhlingsſonne ſchien, konnt’ ihn gar nichts mehr zu Hauſe halten. Er trieb den Kreiſel, warf den Ball, ſtellte mit den Bauren - jungen Jagden an, theilte immer die Rollen aus, machte den einen zum Jaͤger und den andern zum Hirſch, und umzingelte den ganzen Wald mit jungen Jaͤgern, wie ers bey der fuͤrſtlichen Jagd geſehen hatte. Dann ſpielte er wieder den Sol - daten, warb alle Jungen des Dorfs an, und be - ſtellte ſie am Sonntag auf das Feld hinaus. Da gab er ihnen hoͤlzerne, ſelbſt geſchnitzte Flin - ten; hoͤlzerne Saͤbel; drey Kindertrommeln, die ihm und ſeinen Bruͤdern gehoͤrten; papierne Fahnen, und ein altes Jaͤgerhorn. Jeder Knabe mußte zugleich eine Schlehenbuͤchſe, und zwanzig Kugeln dazu haben. Damals wuͤthete der Krieg der Oeſter - reicher mit den Preußen. Obgleich ſein Fuͤrſt auf der oͤſterreichiſchen Seite war, ſo hielt ers doch mit den Preußen, weil er in den Zeitungen ge - leſen hatte, daß dieſe immer mehr den Sieg da -7 von truͤgen. Er theilte ſein Heer in zwey Thei - le, und waͤhlte immer die ſtaͤrkſten Knaben fuͤr die Preußen aus, deren Anſuͤhrer er beſtaͤndig war, und an deren Spitze er die Oeſterreicher mehren - theils zuruͤckſchlug. Er machte ſelbſt ein Kriegs - lied, das ſeine Krieger, nach ihrer Weiſe, abſan - gen. Beym Nachſetzen muſten die Knaben mit den Schlehenbuͤchſen ſchieſſen; wer getroffen war, muſte fallen, und am Ende der Schlacht wurden die Todten gezaͤlt; da denn immer die Preußen die wenigſten hatten.
Wenns waͤrmer wurde, badete er ſich in der Donau, und ſchwamm unter allen Jungen am be - ſten. Ein paarmal war er in Lebensgefahr, und wurde von den Fiſchern gerettet; dieß hielt ihn aber nicht ab, gleich den andern Tag ſich wieder zu baden. Halbe Tage brachte er im Walde zu, wo er Vogelneſter aufſuchte. Er hielt ein ordent - liches Verzeichnis davon, und fand alle Tage neue. Kein Baum, auf dem er ein Neſt ſah, war fuͤr ihn zu hoch; er klomm wie ein Eichhoͤrnchen hinauf und wag - te ſich auf die duͤnnſten Aeſte. Demohngeachtet war er nicht grauſam gegen die Voͤgel. Er nahm nie ein Neſt ganz aus, ſondern nahm nur den ſchoͤnſten Vogel, den er zu Hauſe aͤtzte, und groß zog; die8 andern ließ er ihren Eltern. Beſonders holte er die jungen Staaren und Wiedehopfen aus den hohlen Baͤumen, weil er gehoͤrt hatte, daß man dieſe ſprechen lehren koͤnne, und gab ſich mit de - ren Unterricht, wiewol vergeblich, viele Muͤhe.
Aus dieſer Anlage des jungen Siegwart ſchloß ſein Vater, der kein unvernuͤnftiger Mann war, daß ſein Sohn wol am beſten zum Jaͤger oder Soldaten taugen moͤchte. Er hatte auch ſchon bey ſich den Plan gemacht, ihn in ſeinem 15ten Jahr (Siegwart war jetzt dreyzehn) zu ſeinem Bruder, einem Forſtmeiſter in der Gegend, zu thun, und ihn die Jaͤgerey erlernen zu laſſen; da - her drang er auch nicht ſehr in ihn, das Lateini - ſche, und gelehrte Wiſſenſchaften zu lernen. Er ſuchte nur ſeine Anlage zum rechtſchaffnen deutſchen Mann zu entwickeln, und durch gute moraliſche Grundſaͤtze, die aus der Religion hergeleitet waren, mehr zu befeſtigen; denn, obgleich der alte Sieg - wart ein Katholik war, ſo hatte er ſich doch die Erlaubnis erkauft, in der Bibel leſen zu duͤrfen, deren Geſchichten und Lehrſaͤtze er ſeinen Kindern fruͤhzeitig einzupraͤgen ſuchte. Und dieß legte wirklich den Grund zu der fruͤhen Rechtſchaffen - heit des jungen Siegwart, die ſich nachher ſo oft9 in ſeinem Leben aͤuſſerte, ihn bey allen ſeinen Wi - derwaͤrtigkeiten unterſtuͤtzte, und zulezt ſo ruhig ans Grab wandeln lehrte.
Siegwart wuſte den Plan ſeines Vaters wohl, und freute ſich daruͤber; Er war in ſeinem Sinne ſchon ein Jaͤger, und legte oft, wenn der Vater ausgeritten war, ſeinen Hirſchfaͤnger an, hieng die Flinte um, und ſpazierte ſo, mit ſchwerem Tritt, das Zimmer auf und ab; oder ſchlich ſich wol, wenn der Vater nicht ſobald zuruͤckkommen koͤnnte, in den Wald, und ſchoß einmal zu ſeinem innigen Vergnuͤgen einen Haſen, den er aber, weil er ihn nicht mit nach Hauſe bringen durfte, einem armen Mann ſchenkte.
Allein ein Zufall vernichtete auf einmal ſei - ne Hofnungen, und aͤnderte den ganzen Plan ſei - nes Vaters um.
Obwol Siegwart fuͤr das maͤnnliche und charakteriſtiſche des Deutſchen geſchaffen war, ſo liebte er doch auch das Sanfte, und die ſchoͤne ſtil - le Natur. Beydes iſt ſehr oft beyſammen, und bildet einen liebenswuͤrdigen, fuͤr die Welt ſehr brauchbaren Charakter; er iſt mehrentheils ein Ei - genthum des Dichters; und zu dieſem hatte Sieg - wart alle Anlage, die, bey gluͤcklicheren aͤuſſerlichen10 Umſtaͤnden noch mehr emporgeflammt ſeyn, und die Herzen ſeiner Mitbuͤrger noch mehr erwaͤrmt haben wuͤrde.
Oft ſchlich er ſich im Fruͤhling, mitten im Spiel, von ſeinen Kameraden weg, ſammelte Blumen, und band ſie in einen Strauß zuſam - men; beobachtete alle Auftritte und Veraͤnderun - gen der Natur; gab auf jedes Wuͤrmchen acht; ſah der Biene zu, wie ſie in die Blumenkelche ſchlupfte, und Honig oder Wachs an ihren Bein - chen heraustrug; er horchte jedem Vogel, am mei - ſten aber der Lerche, der Graſemuͤcke und der Nach - ligall: die letzte gefiel ihm am beſten, ob er wol ihren Namen noch nicht gehoͤrt hatte. Oft lag er an der Quelle, die durch Tropfſtein und Moos, und nieder - haͤngendes Gras am Berg herabmurmelte; da fuͤhl - te er ein ungewohntes Sehnen und eine nie em - pfundne Wehmuth in der Seele; mit glaͤnzendem Auge gieng er weg, druͤckte jedem Baurenjungen, der ihm begegnete, die Hand ſtaͤrker, und gab ihm von ſeinem Abendbrod. Oft gieng er an das Grab ſeiner Mutter, wo er Roſen und Jeſmin und Todtennelken gepflanzt hatte, und weinte da. Kein Geraͤuſch weckte ihn ſo leicht aus dem Schlaf; aber wenn vor Sonnen Aufgang an ſeinem Kam -11 merfenſter, das in den Garten gieng, die Nach - tigall auf einem Apfelbaume ſang, da wachte er ſchnell auf, ward munter, ſprang aus dem Bette, hoͤrte ihr unbeweglich zu, und ſah mit Entzuͤcken die Sonne hinter den Baͤumen aufgehn. Noch lieber hoͤrte er die Nachtigall des Abends, wenn die Blumen und die Apfelbluͤthen ſuͤſſer dufteten, und alles ſtille war, und der Mond herabſah. Da hatte er Gefuͤhle, die beym Juͤngling, der ihm gleich iſt, zu Liedern werden. Da dachte er oft an ſeinen Bruder, der vor 4 Jahren in ſeinem 6ten Jahr geſtorben war, und machte einſt ein Lied auf ihn; da vergaß er oft ſich und die gan - ze Welt; da rief man ihn oft zum Abendeſſen, und er hoͤrte nichts, bis ihn ſein Bruder oder Va - ter fand, und zu Tiſche holte, wo er wehmuͤthig ſaß, und nichts ſprach. Nach dem Abendeſſen lag er wieder unter ſeinem Kammerfenſter, hoͤrte bis 11 Uhr oder 12 Uhr der Nachtigall zu; wuͤnſchte nichts, als wie ſie ſingen zu koͤnnen, und traͤumte ſich im Schlaf in paradieſiſche Gegenden zu ſei - nem Bruder.
Einen Abend nahm ihn ſein Vater zu ei - nem Spaziergange nach einem Kapuzinerkloſter mit, wo dieſer einen alten guten Freund hatte. 12Der Abend war einer der ſchoͤnſten. Sie kamen aus einem kuͤhlen Wald’ heraus, wo die Gra - ſemuͤcken, Amſeln, und Nachtigallen in Geſaͤngen wetteiferten, und die Holztauben drein gurrten. Das Dunkel des Waldes, und der melancholiſche Geſang der Amſel hatten die Seele des jungen Siegwart zum Wehmuͤtigen und Feyerlichen ge - ſtimmt, worein ihn das ernſihafte Geſpraͤch ſeines Vaters uͤber die Schoͤnheit der Natur und die Liebe des Schoͤpfers noch mehr verſenkte. Jhr Geſpraͤch kam auf das Kloſter. Du wirſt, mein Sohn, viel ehrwuͤrdige Leute drinnen antreffen; gu - te ehrliche Maͤnner, die die Thorheiten und Be - truͤgereyen der Welt kennen lernten, und ſich bey Zeiten von ihr los machten, um im Frieden Gott zu dienen, ihr Herz zu beſſern, und ſich fuͤr die Ewigkeit vorzubereiten. So iſt mein Freund, der alte Pater Anton, der deine ganze Hochachtung verdient; aber nicht alle Paters denken ſo; andre werden dir weniger gefallen. Jch ſage dir dieſes nur, damit du dich nicht daran ſtoͤſſeſt, und nicht lauter Engel drinnen ſuchſt. — Es iſt ei - ne eigne Sache um das Moͤnchsleben. Eigentlich ſollten nur Leute da ſeyn, die den Menſchen ſonſt nicht mehr dienen koͤnnen. Doch, das geht uns13 nichts an! — Sieh, dort liegt das Kloſter ſchon; bey den Tannenbaͤumen dort! —
Sie waren nun, auſſerhalb dem Wald’ auf eine Anhoͤhe gekommen, an deren Fuß das Klo - ſter gebaut war. Rechterhand an einem Eichen - walde gieng die Sonne ganz golden unter. Sie ſpielte noch auf den umgebognen Spitzen der Saat, die vor ihnen, wie ein ſanfter Strom da - hin ſchwamm. Druͤber hin waren Geſpinnſte von Spinneweben wie ein Teppich ausgebreitet, die im Stral der Sonne alle Regenbogenſarben tru - gen. Hoch in der Luft ſangen noch die Lerchen, deren Fluͤgel, wenn ſie ſich ein Bischen wende - ten, wie Gold glaͤnzten. Ein Arm der Donau, der ganz ſtill zwiſchen Weiden hin floß, faßte das Bild des rothen Abendhimmels auf, und man konnte die ganze rotdaͤmmernde Gegend drin - nen ſehen. Zur linken Seite ward der Himmel ſchon dunkler; unten am Tannenwalde war er grau, und oben gelbroth. Vor ihnen lag das Kloſter in ruhiger Stille. Die, mit weiſſem Blech beleg - ten Dachkuppeln glaͤnzten noch ein wenig; hinter dem Gebaͤude erhuben ſich zwanzig oder dreißig ho - he ſchwarzgruͤne Tannen; alles war jezt ſtill, da die feyerliche harmoniſche Bethglocke erklang, und14 die ganze Gegend um den jungen Siegwart her zu einem Tempel machte. Seine Seele war jezt weich wie Wachs; unwillkuͤhrliche Thraͤnen, die das Mittel zwiſchen Wehmuth und Freude hielten, glaͤnzten ihm im Auge. Er ſprach nichts; mit halbfrohem und halbbangem Zittern kam er dem Kloſter immer naͤher, und nun waren ſie am Thor. Ein alter ehrwuͤrdiger Kapuziner in ſchnee - weiſſen Haaren empfieng ſie mit der Freundlich - keit eines Engels, und fuͤhrte ſie, weil er den al - ten Siegwart kannte, in den Speiſeſaal. Hier ſaßen dreißig Vaͤter, mehrentheils ehrwuͤrdige Grei - ſe mit einer Glatze, und langen ſilberfarbnen Baͤrten. Sie ſtanden alle auf, bewillkommten mit einem ſtillen heitern Laͤcheln den alten Sieg - wart, und umarmten ihn, einer nach dem andern, mit bruͤderlicher Liebe; Sie gaben auch dem jun - gen Siegwart die Hand, dem das Herz laut ſchlug. Die beyden Ankoͤmmlinge muſten ſich mit zu Tiſche ſetzen, und das kleine maͤßige Mahl mit genieſſen. Stille heitre Zufriedenheit ſaß auf allen Stirnen; jeder begegnete dem andern mit Freundlich - keit und Liebe. Der junge Siegwart ſah einen nach dem andern an, und verlohr ſich in dem Gedanken von dem Gluͤcke dieſer Vaͤter; er fieng jeden an zu15 lieben, und freute ſich, wenn er bald von dieſem, bald von jenem angelaͤchelt, oder angeredet wurde. Beſonders nahm der ehrwuͤrdige Vater Anton, ne - ben dem er ſaß, ſeine ganze Seele ein, denn er ſah wie ein Apoſtel aus, und begegnete ſeinem Va - ter mit der treuherzigſten Liebe.
Wie lange ſind Sie nun, ſagte dieſer zu dem eisgrauen Pater Gregor, der die zwote Stelle an der Tafel einnahm, hier im Kloſter? Vier u. funfzig Jah - re ſinds, Gottlob! antwortete Gregor, daß ich von der Welt mich abgeſondert habe, und hier im Klo - ſter meinem Gott diene, und dem Tod entgegen ſehe. Jn meinem zwanzigſten Jahre that ich Pro - feß, und ſeitdem weiß ich von der boͤſen Welt nichts mehr. Jch bin niemals krank geweſen, aber nun fuͤhl ichs, daß mein ende nahe iſt. Es ſind mir ſo viele vorgegangen, von denen ich geglaubt habe, daß ſie mich begraben wuͤrden: endlich muß die Reihe doch auch an mich kommen. Die naͤchſte Leiche wird wol mir gelten, meine Bruͤder! und hier ſah er alle, heiterlaͤchelnd, an. Das wolle Gott nicht, ſprachen die Paters einmuͤthig; nein, das wolle Gott nicht, daß wir dich ſo bald verlie - ren! Der alte Mann ſah mit einem Blick gen Himmel, und wiſchte ſich die Augen. Nun ward16 ein lange Stille, welche keiner unterbrechen wollte, bis der Guardian vom Tiſche aufſtand, dem die andern alle nachfolgten. Anton und noch ein an - drer Pater baten den alten Siegwart, die Nacht im Kloſter zu ſchlafen, weil der Mond, den er ab - warten wollte, doch erſt um halb 10 Uhr aufgien - ge. Wir haben zwar im Kloſter keine weiche Bet - ten, ſagte er, aber unſer Verwalter drauſſen ſoll Sie gut beherbergen. Wir muͤſſen wieder einmal einen Abend mit einander genieſſen, wer weiß, wie lange uns dieß auf der Welt vergoͤnnt iſt? Der alte Siegwart wars zufrieden.
Nach dem Abendgebeth gieng man in den Garten, wo die Levkoje und die Nachtviole mit der Apfelbluͤthe ſuͤſſer duͤftete. Viele Gaͤnge zwiſchen hohen Hecken durchkreuzten ſich. Jn der Mitte des Gartens plaͤtſcherte das Waſſer des Spring - brunnens lieblich. Von hier konnte man alle Gaͤn - ge uͤberſehen, in die ſich die Vaͤter, je Paar und Paar, vertheilt hatten. Die ſich gleich geſchaffen waren, ſchloſſen ihre Herzen vor einander auf, ent - deckten ſich ihre Gedanken, ſahen zum geſtirnten Himmel, ſprachen vom Grabe, von der Trennung, vom Wiederſehen, und der Ewigkeit. Andere, die die Freundſchaft in der Jugend ſchon vereinigt hatte,17 ſprachen von den Tagen ihrer Kindheit, von ih - ren Freuden oder Leiden, von den Freunden, wel - che ſie verlaſſen hatten, ob ſie wol noch lebten, oder ſie im Himmel ſchon erwarteten?
Sie theilten ſich ihre Beſorgniſſe wegen an - drer mit, von denen ſie wuſten, daß ſie ehedem der Welt und ihren Leidenſchaften zu ſehr nachge - hangen, und nicht rechtſchaffen gedacht und gehan - delt haͤtten; und nun beteten ſie gemeinſchaftlich mit Worten, oder auch mit Blicken fuͤr ihr Wohl und ihre Beſſerung.
Jn andern Gaͤngen ſchlichen weniger edelge - ſinnte Maͤnner, die der Neid gegen andre, oder das Misvergnuͤgen uͤber ihre Vorgeſetzten vereinigt hatte, und die ſich mit den Fehlern oder Schwach - heiten ihrer Mitbruͤder beſchaͤftigten, und boshafte Kraͤnkungen fuͤr ſie ausſannen — Weg von dieſen Unedeln, deren es leider in dem Kloſter, das ein Sitz der Unſchuld ſeyn ſollte, nur zu viele gibt!
Aber laſt uns die bedauren, die einſam, ohne Gefaͤhrten in den dunkelſten und engſten Gaͤn - gen wandelten, um ihre Seufzer dem Ohr ihrer Bruͤder zu entziehen; die zu lebhaften Seelen, die, aus Ueberdruß der Welt, in der nur Ungluͤck ſie verfolgte, ſich in einer Stunde des Unwillens undB18der aufgebrachten Leidenſchaft entſchloſſen, ihr auf ewig zu entſagen, und ein Geluͤbde zu beſchwoͤren, welches ſie nachher ſo oft bereut hatten. Sie glaubten, dem Elend zu entgehen, und fanden neues groͤſſres Elend. Wie mancher beweinte jetzt noch die Stunde des Taumels und der Trunkenheit der Seele, worein ihn der Pomp eines Kloſters, die feyerliche und himmliſche Muſik der Vaͤter, die Ruhe und die Heiterkeit, die auf ihren Ange - ſichtern zu wohnen ſchien, verſetzt, und die den Ent - ſchluß, den falſche, oder einfaͤltige Freunde noch be - ſtaͤrkten, hervorgebracht hatte, nach der gemeinen Redensart, die Welt zu verlaſſen. Nun wuͤthete die Melancholie in ihrer Seele, die jene Vaͤter in der Gegenwart von Fremden immer hinter der Mi - ne der Heiterkeit und Ruhe zu verbergen wuſten. Sie kannten nun kein ander Gluͤck mehr als den Tod, um den ſie mit ſtummen Thraͤnen, und mit unterdruͤckten Seufzern zu Gott beteten.
Jn einem ſolchen Taumel, der ſie ehedem ins Kloſter getrieben hatte, ſchwamm jetzt unſer junger Siegwart, der den langen Gang hinab mit ſeinem Vater und dem guten Pater Anton, dem kleinen dunkeln Tannenwaͤldchen zugieng, das den Kloſter - garten begraͤnzte. Die beyden Freunde giengen19 Hand in Hand, und vertieften ſich in vertrauliche Geſpraͤche, wozu ſie die ſchweigende Fruͤhlingsnacht einlud. Lauſchend gieng der junge Siegwart ne - ben her. Sie kamen nun ans Tannenwaͤldchen, deſſen Wipfel in der Abendluft ſanft ſaͤuſelten; hin - ten, wo der Wald am dunkelſten war, ſetzten ſie ſich in die kuͤhle Grotte, neben der ein kleiner Bach vorbeyrieſelte.
Hier ſitz ich nun, ſagte Pater Anton, ſeit vierzig Jahren jeden ſchoͤnen Fruͤhlings - oder Som - merabend, und uͤberdenke da mein Tagwerk und die Fuͤhrungen des Himmels. Oft, mein guter Siegwart, denk ich auch an dich, und die Tage, die wir in der Welt zuſammen lebten. Ach, wie iſt mein Herz ſeitdem ſo ruhig geworden! Du weiſt, Lieber, was ich ausgeſtanden habe; wie das Un - gluͤck uͤber mich her ſtuͤrmte; wie die Menſchen mich verfolgten; und wie viel ich mit mir ſelbſt und meinen Leidenſchaften zu kaͤmpfen hatte! — Hier ſprach er leiſer, und mit mehr gebrochner Stimme. — Man hat lang zu ſtreiten, bis man ſich von allen Schlacken losreiſt, zumal wenn das Herz den Eindruͤcken der Sinnlichkeit offen, und heftig iſt. Jch glaube, daß man faſt nur in der Einſamkeit dazu gelangen, ſeine Seele reinigen,20 vom Jrrdiſchen abziehen, und in Gottes Liebe ver - ſenken kann; und da iſt die Kloſterregel gewiß das beſte Mittel dazu. Jch ſage nicht, daß alle Men - ſchen das Geluͤbde ablegen ſollen, aber wer es thun und halten kann, der thut wol, und ſorgt fuͤr ſeine Ruhe.
Aber, fiel der alte Siegwart ein, auch fuͤr das Gluͤck der Welt, fuͤr ſeine Bruͤder? denn das ſind doch alle Menſchen. Vergib mir dieſen Ein - wurf, ich weiß wol, daß man ihn bey uns nicht laut machen darf, aber bey Dir darf ichs wol.
Du haſt Recht, ſagte Anton, ich hab oft druͤ - ber nachgedacht, und anfangs konnt ich mich nicht ſogleich beruhigen; aber, ich denke, wenn man ſo lebt wie ich, und es ſo gut meynt, dann thut man ſeiner Pflicht genug. Sieh’ ich will dir meinen jetzigen Lebenslauf erzaͤhlen. Ein Tag iſt wie der andre. Des Morgens ſteh ich fruͤh auf, im Som - mer mit der Sonne, und im Winter um 6 Uhr; dann halt ich meine eigne Morgenandacht, leſe mein Brevier, oder geh im Garten ſpatzieren; dann ſtudir ich etwas, leſe in der Vulgata, im heiligen Chryſoſtomus, oder ſonſt in einem guten und erbaulichen Buche, deren unſre Bibliothek ge - nug hat. Dann ſing ich meine Horas, oder leſe21 eine Meſſe. Wenn ich meditiren muß, ſo denk ich nach, wie ich erbaulich vredigen will, wenn ich zu den Bauren komme. Beym Mittagsmal eſſe ich wenig; nach dem Eſſen geh ich in den Garten, und pflanze verſchiedenes, oder lerne allerley Vor - theile vom Gaͤrtner, die ich dann den Bauren in den Doͤrfern herum wieder ſage. Dann leſ’ ich wieder etwas; nach der Veſper geh ich zu einem oder dem andern Bruder auf die Zelle, wo wir bis ans Abendeſſen von ernſthaften Dingen ſprechen; und nach dieſem geh ich immer, wenn das Wetter ſchoͤn iſt, im Garten ſpatzieren, oder auf den Gottes - acker zu dem Grabe meines lieben Bruder Joſephs, oder ich ſitze hier in der Grotte, und denke ſo uͤber mich ſelbſt nach, und was ich den Tag uͤber ge - than habe.
Trift dich oft das Auswandern, ſagte Sieg - wart, wenn ihr aufs Almoſenholen oder Predigen und Meßleſen ausgeht? — Alle vierzehn Tage einmal, antwortete Anton, und da freu’ ich mich immer recht darauf. Ob ich gleich den Bauren nicht vorſchreibe, was ſie geben ſollen, oder ihnen viel abzuſchwatzen ſuche, weil es mir weh thut, wenn die Leute, die oft weniger, als wir, haben, ſich vom Noͤthigen entbloͤßen ſollen, ſo bring ich doch22 immer ſo viel oder mehr ins Kloſter, als die an - dern Bruͤder; denn die Leute ſagen, daß ich ihnen das alles wieder tauſendfaͤltig einbringe, weil ich ſie, wie ſchon geſagt, Garten - und Ackerkuͤnſte lehre, ihre Kinder unterrichte, wenns im Geſpraͤch auf was Geiſtliches kommt, und in der Kirche allemal nach der Meſſe erbaulich und verſtaͤndlich predige. Da haben mich die Leute ſo lieb, und druͤcken mir die Hand, und wuͤnſchen mir ſoviel Gutes, daß ich vor Freuden ſchon im Himmel zu ſeyn glaube. — Hier rollten dem guten Alten die Thraͤnen in den langen Bart, und er ſprach viel lauter und geſchwin - der; auch dem alten und dem jungen Siegwart ſtunden Thraͤnen in den Augen —
Ja, lieber Siegwart, fuhr der Greis fort, du moͤchteſt es fuͤr Pralerey halten, wenn ich ſo von mir ſelber ſpreche, aber Gott weiß, das iſt es nicht; ich freue mich nur ſo druͤber, wenn ich et - was Gutes thue, und da muß ich zuweilen meine Freude ausbrechen laſſen. Ach, ich habe noch Schwachheiten genug an mir, die mir dieſe Freu - de wieder ganze Wochen lang verbittern; und es giengen lange Jahre hin, eh ichs den Bau - ren ſo gut zu machen wuſte.
23Jch weiß, Vater Anton, ich weiß, ſagte Siegwart, daß es keine Pralerey iſt; das war nie dein Fehler. Du haſt den Ruhm in der ganzen Gegend, daß man dich am liebſten ſieht; und die Bauren in meinem Dorfe lieben dich wie ihren Vater. Ja, wenn alle, ſo wie du, waͤren! — Xaver, (ſo hieß der junge Siegwart) wie ſagte doch neulich unſre Nachbarinn vom Pater Anton? du haſt mirs ja heute noch auf dem Herweg er - zaͤhlt. — Der junge Siegwart wurde roth, und ſtotterte: der Pater Anton, fieng er an, und hielt wieder inne; der Pater Anton ſey ein lebendiger Heiliger, ſagte ſie, den man jetzt ſchon anrufen ſoll - te, und man muͤſt ihn zum Pabſt machen, wenns auf ſie ankaͤme. Es ſey alles noch ſo gut, was Er auf der Kanzel ſage, weil mans ſo verſtehen koͤnne.
Hier druͤckte Anton dem Juͤnglinge die Hand; das iſt zu viel Lob, ſagte er, die Leute uͤbertreibens. Jch thue nur, was ein jeder thun ſollte. —
Jnzwiſchen kamen ein paar Kapuziner bey der Grotte vorbey, und gruͤſten den Pater An - ton, den ſie an der Stimme kannten, freundlich.
Das ſind ein paar heilige und rechtſchaffne Leute, ſagte er, indem ſie weggiengen, die mir den Verluſt meines lieben P. Joſeph noch in etwas24 erſetzen. Du wuſteſt wol noch nichts von ſeinem Tode, lieber Siegwart? Du beſuchſt uns auch gar zu ſelten. Er ſagte mir noch den Tag vor ſei - nem Tode, daß ich dich vielmals gruͤſſen ſollte; in der Ewigkeit ſeh er dich einſt wieder. Nun iſts bald ein Vierteliahr; am Charfreytagabend ſtarb er. Ach, du haͤtteſt ihn ſehen ſollen, wie er ſtarb; mit welcher Ruhe, mit welcher Heiterkeit! Aber ſo ein Leben war auch eines ſolchen Todes werth. Jch habe viele Leute gekannt, ſeit ich hier im Kloſter bin, aber einen Mann, der ſo rein und unſchuldig lebte, und ſo viel Gutes ſtiftete, wie er, hab ich nie geſehen! Jedermann hielt ihn fuͤr ſei - nen Vater, und ward in ſeiner Gegenwart froͤm - mer. Du haſt ihn ſelbſt gekannt, Siegwart; und ich wuͤrd’ auch gar zu wehmuͤthig, wenn ich viel von ihm erzaͤhlen wollte. Hier an meiner Seite ſaß er ſo oft, goß ſeine ganze Seele vor mir aus, und ſprach mit einer Freudigkeit vom Himmel, als ob er ſchon einmal da geweſen waͤre. Oft, wenn ich ſo allein in der Daͤmmerung hier ſitze, dann kommt mirs vor, als ob ich ihn hoͤrte, und dann fahr ich auf, und wag’ es kaum, wieder wegzugehen. Groſ - ſer Gott, und er muſte mir entriſſen werden! Doch ich werd ihm bald nachfolgen.
25Wenn dirs recht iſt, Siegwart, ſo gehen wir zu ſeinem Grabe; der Kirchhof liegt an der Seite dort.
Sie ſtunden auf, und giengen ſchweigend, beym Geſang der Nachtigall, ans Grab. — Hier iſts, ſagte Anton, ich hab ihm einen Roſenſtrauch drauf gepflanzt; uͤbers Jahr ſoll er Roſen tra - gen. Hier nebenan werd ich einſt liegen.
Ja, lieber Freund, ſo muͤſſen wir ſterben, wenn wir gluͤcklich ſterben wollen; aber auch ſo leben! — Er kam erſt auf den rechten Weg, als er ins Kloſter gieng. Vorher hat er wenig an Gott gedacht. Er ſagte hundertmal: dem Kloſter hab ich alles zu verdanken. Jch denk immer, Sieg - wart, du ſchenkteſt Gott auch einen Sohn. Wie waͤrs, wenn dein Xaver zu uns gienge? Nicht wahr, lieber Xaver, Er gienge wol gern ins Klo - ſter, und ſagte der Welt ab, um hier in Fried und Ruhe Gott zu dienen?
Der junge Siegwart, deſſen Seele voll von den Bildern dieſes Abends, und der reizenden Be - ſchreibung war, die Anton von dem Kloſterleben gemacht hatte, wuſte nicht, wie ihm zu Muthe war; ſein Herz ſchlug, und er ſagte willig Ja, weil der Wunſch ſchon mehrmals dieſen Abend in26 ihm aufgeſtiegen war, in dieſer ruhigen Einſam - keit, unter Leuten, die er alle fuͤr Engel hielt, zu leben.
Siehſt du, Siegwart, er ſagt ja; er will zu uns kommen. Kannſt du ihm wol ſeinen Wunſch verſagen?
Jch weiß nicht, ſprach der alte Siegwart, ich dachte dieſen Abend auch ſchon einigemal dran; aber mein Xaver taugt nicht fuͤr das Kloſter; er iſt zu munter und zu lebhaft, und hat ſelbſt nie keine Luſt dazu gehabt. Er ſagt jetzt zwar Ja; aber das iſt wol nur ſo ein Einfall. Wie iſts Xaver, gefaͤllt dirs wirklich hier? Haͤtteſt du wol Luſt, einmal beym Pater Anton zu leben?
O ja, ſagte der zu feurige, erhitzte Juͤngling; Jch wuſte vorher nicht, daß es ſo gut hier im Kloſter waͤre.
Nun, wir wollen druͤber nachdenken, es iſt noch Zeit, ſprach der Vater; und ſie giengen wie - der vom Grab weg. Jndeſſen gieng hinter ihnen der faſt volle Mond auf, und beſchien die hohen Tannenwipfel. Als ſie in den langen Gang mit der hohen Hecke kamen, ſah man oben nah am Kloſter ein Paar Kapzuiner wandeln, deren ſchneeweiſſes Haar im Mondſchein glaͤnzte. Die27 Nachtigallen ſchlugen laut, und flogen nicht davon, wenn man dicht bey ihnen ſtand. Das Mond - licht, das nun den ganzen Garten erhellte, und die Schatten, die das Laub der Buͤſche machte, huͤpften vor ihnen in mannigfaltigem Gemiſch da - hin; in der Mitte, wo das Waſſer des Spring - brunnens plaͤtſcherte, und tauſend goldne Stern - chen bildete, kamen nach und nach die Moͤnche aus den verſchiednen Gaͤngen zuſammen, und ſtellten ſich in einem Kreis um den alten und jun - gen Siegwart, und den Pater Anton her. Sie ſahen im Mondſchein noch ſo heilig und ehrwuͤr - dig aus. — Nun, wie gefaͤllts ihm hier im Klo - ſter, junger Herr Amtmann? ſagte einer von den Moͤnchen zu dem jungen Siegwart. O recht gut, fiel ihm Anton ein; ein will bald bey uns Pro - feß thun. Schoͤn, ſchoͤn! riefen alle Moͤnche. Es gibt doch noch immer Leute, welche Gott von Herzen dienen.
Bleib er bey dem Entſchluß, lieber junger Herr! ſprach ein alter Moͤnch, der neben unſerm Siegwart ſtand, und es ſoll ihn nicht gereuen; wir wollen ihm alle Liebs und Gutes thun.
Es iſt noch nicht ſo gewiß, ſagte drauf der alte Siegwart; Pater Anton ſcherzt nur. Ey28 warum, lieber Herr Amtmann? ſagte P. Gre - gor. Haͤtten Sies nicht gerne, wenn Jhr Sohn ein frommer Mann wuͤrde? Sie muͤſſen ihm zu - reden. Glauben Sie; ein frommer Moͤnch tringt Segen uͤber ſeine ganze Familie.
Nun giengen ſie alle mit dem bruͤderlichen Kuß auseinander, und jeder wuͤnſchte noch beſon - ders dem jungen Siegwart gute Nacht. Die beyden Gaͤſte wurden zum Verwalter vors Klo - ſter hinausgefuͤhrt, wo ſie ſchon ein zubereitetes Schlafzimmer fanden. Der alte Siegwart ver - mied vorſetzlich, mit ſeinem Sohn von dem, was dieſen Abend vorgefallen war, zu reden. Er kann - te ſein lebhaftes, leicht zu erhitzendes Tempera - ment, und dachte, die Bilder, die ſich ihm die - ſen Abend eingepraͤgt hatten, wuͤrden wieder mit der Nacht verfliegen.
Allein der junge Siegwart, der in einem be - ſondern Zimmer lag, konnte nicht ſchlafen; der Gedanke an das Kloſter, an die ſtille Ruhe und glaͤnzende Heiligkeit der Moͤnche beſchaͤftigte ihn bis um Mitternacht. Er baute tauſend Luftſchloͤſſer auf; ſeine dichteriſche Phantaſie malte ihm die Tage vor, die er hier ſo gluͤcklich zubringen koͤnn - te; ſie malte ihm das Kloſter als einen Himmel29 auf Erden ab, und er gluͤhte von dem Wunſche, bald ein Einwohner dieſes Himmels zu werden.
Endlich ſchlief er ein; er ſah im Traum En - gel herabſteigen, und ihn zum Altar ſuͤhren, wo er das Geluͤbde ablegen ſollte. Seine Mutter, die ſchon geſtorben war, winkte ihm an der Seite der Maria, ihnen zu folgen; er hoͤrte eine himmliſche Muſik, und wachte von der zu heftigen Bewegung ſeiner Seele auf. Der Tag war ſchon angebro - chen; die Sonne gieng auf. Er konnte nicht laͤn - ger im Bette bleiben, und gieng ans Fenſter, von da aus er das Kloſter und einen Theil des Gar - tens uͤberſehen konnte. Rings ums Kloſter herum lagen Fruchtfelder, die, vom Thau benetzt, in fri - ſcher Farbe prangten. Ueberall ſchwebten Lerchen in der Luft, und ſangen ihr goͤttliches Lied auf die neuerwachte Welt herab. Jm Kloſtergarten ſangen Rothkehlchen, Aemmerlinge, Nachtigallen und Am - ſeln. Einen Pater ſah er ſchon mit gefalteten Haͤnden, die ein kleines Kreuz hielten, in den Gaͤn - gen auf und nieder gehen. Dies erweckte ſeine Andacht, die nie feuriger geweſen war. Lieber Gott! laß mich auch zu ſo einem frommen Mann werden, ſeufzet’ er, und ſchwieg wieder.
30Rechterhand lag der Gottesacker; und er konnte deutlich das Grab ſehen, auf dem ſie geſtern Abend geſtanden hatten. Hier fiel ihm der Pater Joſeph ein, und Thraͤnen ſchoſſen ihm ins Auge.
Jndem trat ſein Vater ins Zimmer; er fuhr zuſammen, drehte ſich um, und ſuchte ſeine Thraͤ - nen zu verbergen.
Wie, mein Sohn, du biſt ſchon auf? und ſo traurig? ich glaube gar, du haſt geweint. Fehlt dir was, Xaver?
Ach nein, Papa, ich ſah da auf den Kirch - hof, wo wir geſtern geweſen ſind. Der Pater Joſeph muß ein treflicher Mann geweſen ſeyn.
Ja, mein Sohn, das iſt er geweſen, und es iſt mir lieb, daß dir ſein Andenken werth iſt. Wie haſt du denn dieſe Nacht geſchlafen? Doch recht ruhig?
Nicht ſo ganz, Papa; Jch hatte allerley Ge - danken durcheinander, und dann[traͤumt]’ ich auch ſo wunderlich.
Nun, wovon denn?
Je, vom Kloſter, und dergleichen.
Ja, das hab ich mir eingebildet, und deswe - gen kam ich auch heruͤber. Du warſt geſtern auf eine31 ausnehmende Art bewegt; ich gab immer auf dich Achtung, aber ich wollte nichts davon ſagen. Es ſchienen mancherley ſonderbare Veraͤnderungen in dir vorzugehen. Heute muß ich nun aufrichtig mit dir reden. Der Pater Anton lag mir ſchon lange an, daß ich dich ins Kloſter thun ſollte. Jch hatte wenig Luſt, weil ich deine Munterkeit kannte, die ſich nicht fuͤrs Kloſter ſchickt; und deswegen hab ich dich auch nie mitnehmen wollen. Nun iſts einmal geſchehen, weil du mir keine Ruhe lieſſeſt. Du ſagteſt geſtern dem Pater Anton, daß du Luſt zum Kloſterleben haͤtteſt. Er fieng das auf, und ſagte es gleich vor den andern Moͤnchen. Dieſe freuen ſich nun immer, wenn ſie neue Ankoͤmm - linge bekommen koͤnnen. Sie werden heute gleich wieder davon anfangen, und darum wollt ich erſt mit dir davon reden. Du ſagſt, es habe dir vom Kloſter getraͤumt; was war es denn?
Jch war in der Kirche, ſagte Xaver, wo die Kapuziner alle um mich herum ſtunden. Jch ſoll - te zum Altar hin gehen; und da war mirs, als ob Engel herabkaͤmen, und als ob die ſelige Ma - ma mit der Mutter Gottes kaͤme, und mir wink - te, daß ich hingehen ſollte. Jch wachte dann wie - der auf, und konnte nicht mehr einſchlafen.
32Das iſt ſonderbar, ſagte der alte Siegwart, und gieng auf und nieder. Es hatte ihm was aͤhn - liches von ſeiner Frau getraͤumt, weil er ſich an Pater Joſephs Grabe allein mit dem Gedanken an ſie beſchaͤftigt hatte. — Xaver, iſt es dir denn Ernſt mit dem Kloſter?
O ja, Papa; wenn Sie es wollen —
Jch will es nicht, mein Sohn; Aber ich will dir auch in deiner Wahl nicht vorgreifen; ich weiß, daß du jetzt dafuͤr biſt; aber du muſt alles wohl uͤberlegen; wenn man hier einmal gewaͤhlt hat, dann iſt die Reue zu ſpaͤt. Jch wuͤnſchte ſchon zu - weilen, daß einer meiner Soͤhne ein Geiſtlicher werden moͤchte; mit Karl und Wilhelm geht es nicht mehr an; die haben ihre Verſorgung; aber wegen deiner war ich immer zweifelhaft. Mit dem Kloſterleben iſts ſo eine Sache; bald gefaͤllt es mir, bald wieder nicht, und die wenigſten ſchicken ſich dazu. Geſtern Abend hat mich nun Pater Anton wieder ganz dafuͤr eingenommen. Er iſt ein guter frommer Mann, und mein vieljaͤhriger Freund. Wenn du ihm gleich werden koͤnnteſt, ſo wuͤrd ich Freude an dir erleben. Aber, Xaver, ich glaubte immer, fuͤr dich waͤre eine ſo ganz einfoͤr - mige Lebensart nicht. Du biſt zwar oft gern al -33 lein; aber zuweilen biſt du wieder immer in Ge - ſellſchaft. Und dann muſt du dir das Kloſter nicht ſo vorſtellen, wie es dir geſtern das erſtemal vor - gekommen iſt! So lange einem etwas neu iſt, da ge - faͤllt es immer. Vor den Leuten thun die Paters immer friedlich, und ſcheinen, wie die Engel zu le - ben; aber es moͤgen wol, wie ich manchesmal aus des Pater Antons Reden merkte, manche boͤſe Leu - te unter ihnen ſeyn, die einem das Leben recht ſauer machen koͤnnen. Kurz, ich weiß nicht, ob ich dir dazu rathen ſoll? — Freylich, wenn ich an den Traum denke; denn ich muß dir nur ſagen, daß mir eben das getraͤumt hat.
Eben das getraͤumt? rief Xaver. O Papa, das iſt gewiß nicht umſonſt geſchehen! Es gefaͤllt mir ſo gut hier, als mirs noch an keinem Ort ge - fallen hat. Jch wollte Sie wol bitten, daß Sie mich hier lieſſen! — Hier im Kloſter bleiben kannſt du jetzt noch auf alle Faͤlle nicht, erwiederte der Vater, denn die Kapuziner unterrichten keine jun - gen Leute, und dann muͤſteſt du auch noch vorher auf Akademien. Aber dazu wollt’ ich dir wol ra - then, daß du einige Tage lang hier zuruͤcke blie - beſt, um die Einrichtung der Lebensart genauer ken -C34nen zu lernen. Du muſt auf alles genau Acht ge - ben, ob die Paters dir gefallen? ob du dich an die beſtaͤndigen Andachtsuͤbungen; an den Gehorſam; an die ſtrenge Kloſterzucht; an die, mehrentheils geringe und ſchlechte Koſt; an das einfoͤrmige, ſtille, von der uͤbrigen Welt abgeſchnittne Leben gewoͤh - nen kannſt? Ob du dich fuͤr ſtark genug haͤltſt, den Vergnuͤgungen der Welt zu entſagen, und, von ihr ungekannt, nur dir und Gott zu leben? Pater Anton ſoll dich von allem noch genauer unterrich - ten, auf ihn kannſt du dich verlaſſen. Jn vier oder fuͤnf Tagen komm’ ich wieder, um deine Mey - nung zu erfahren; denn nun iſts gerade Zeit, daß du dich zu einer Lebensart entſchlieſſeſt, welche kuͤnf - tig dein ganzes Leben ausfuͤllen ſoll. Jch werde alt, war weiß wie lange ich noch lebe; und ich wuͤnſchte dich ſo gern vor meinem Ende noch ver - ſorgt. Jch dachte, dich zu meinem Bruder dem Forſtmeiſter zu thun, aber der iſt nun vor ſechs Wochen auch geſtorben. Doch ich laſſe dir die freye Wahl, und rede dir zu nichts zu, um nachher keine Vorwuͤrfe zu haben. Willſt du ſo, mein Sohn?
O ja, Papa; Sie ſind auch gar zu guͤtig. Laſſen ſie mich nur hier! Jch hoffe, daß es mir35 recht wohl gefallen ſoll; denn| ſo ſchoͤn haͤtt’ ich mir das Kloſterleben gar nicht vorgeſtellt.
Nun kam der Thorwart des Kloſters, und fragte, ob ſie in das Converſatorium kommen woll - ten? die Paters waren alle ſchon da verſammelt, und hatten ihre Vigilien ſchon geſungen. Sie be - ſprachen ſich uͤber den jungen Siegwart, den ſie gern bey ſich im Kloſter gehabt haͤtten, und rede - ten dem Pater Anton zu, weil er doch ſoviel uͤber den Herrn Amtmann vermoͤge, daß er ihm ja recht anliegen ſollte, ſeinen Sohn der Kirche und dem Kloſter zu ſchenken!
Jndem trat der Vater mit dem Sohn herein. Sie eilten dem erſten mit offnem Arm entgegen, und empfiengen ihn, einer nach dem andern. Dem jungen Siegwart druͤkten ſie treuherzig die Hand, und nannten ihn ihren jungen Bruder. Das ge - fiel dem Juͤngling. —
Morgen ſollt er hier ſeyn! ſagte der Guar - dian. Wir haben Feſttag, da wirds ihm gefallen!
Ja, ich bleibe hier, rief der enzuͤkte junge Siegwart, der Papa hats ſchon geſagt.
Gemach, mein Sohn, ſprach der Vater; du muſt erſt von den Ehrwuͤrdigen Herren die Erlaub - nis dazu haben.
36O recht gerne, ſagte Pater Gregor, der da - bey ſtand, und wandte ſich zu den uͤbrigen: der junge Herr moͤchte etwas bey uns bleiben. Sie erlaubens doch?
Warum nicht? riefen alle. Herr Amtmann, ſagte einer, Sie muͤſſen Jhren Sohn ja der Kirche ſchenken! Er hat recht einen goͤttlichen Beruf dazu. Wir ſahens ihm ſchon geſtern an, und ſprachen noch heute viel davon. Er wird ihnen Freude, und dem Orden Ehre machen. Wir glaubten ſchon, Jhren Karl zu kriegen; aber Xaver taugt noch mehr dazu. Laſſen Sie ihn ſo lange bey uns, als Sie wollen; Er ſoll gewiß gut aufgehoben ſeyn.
Das bin ich uͤberzeugt, ſprach der alte Sieg - wart; wenn Sie ſo erlauben wollen, ſo laſſe ich ihn etliche Tage hier; er bat mich heut darum. Es ſcheint, daß er recht viele Luſt zum Kloſter hat, und wenn es Gottes Wille waͤre, ſo bin ichs auch recht wohl zufrieden. Jch ſollte auch einmal ins Kloſter, und vielleicht waͤr’ mirs beſſer gegangen, als ſo. Doch ich bin jetzt auch zufrieden. Wol - len Sie erlauben, ſo ſchick ich heute ſtatt des Koſt - gelds etwas Wein und Korn. Jn ein paar Ta - gen hol ich meinen Sohn dann wieder ab.
37Sie muͤſſen aber heut doch erſt bey uns zu Mittage eſſen, ſagte Gregor, und das Kloſter ein bischen beſehen.
Er und Anton giengen nun mit den bey - den Siegwarts auf die Bibliothek, wo ſie Buͤ - cher mit den ſchoͤnſten Kupfern ſahen. Dann be - ſahen ſie die herrlichen mit Perlen und Gold ge - ſtickten Meßgewande, deren Anblick das Auge des jungen Siegwarts faſt verblendete; die goldnen, mit Steinen beſetzten Kelche; Silberne und ver - goldete Bildniſſe von Apoſteln und Heiligen. Jn der Kirche ſchimmerten die goldbedeckten Altaͤre im Stral der Morgenſonne. An den Waͤnden hiengen herrliche Gemaͤlde von Heiligen, und Ka - puzinern, die als Maͤrtyrer geſtorben ſind. Be - ſonders ruͤhrte ein Gemaͤlde den jungen Siegwart bis zu Thraͤnen. Viele Kapuziner hiengen todt - blaß, aber doch mit einer innern Heiterkeit, und einem halbgebrochnen, muͤhſam zum Himmel empor gehobnen Auge, an Kreuzen. Ueber ih - nen ſchwebten, in halberleuchteten Gewoͤlken, Engel mit Siegerkronen, und Palmzweigen in der Rech - ten. Auf einer andern Seite wurden welche durch das Schwert hingerichtet. Verſchiedne, mit Blut befleckte Ruͤmpfe lagen ſchon vor ihnen. 38Auf einem derſelben kniete ein alter ſilberhaarich - ter Kapuziner, der eben hingerichtet werden ſollte, mit dem Kruzifix in der Hand. Auf dem Vor - dergrunde wurden andre an einem Thurm vorbey, ge - fuͤhrt, aus deſſen, feſtvergitterten Oefnungen ab - gehaͤrmte Geſichter herausſahen, die ſich eben ei - nen ſolchen Tod mit Sehnſucht zu wuͤnſchen ſchie - nen; beſonders ruͤhrte unſern Siegwart das Ge - ſicht eines Juͤnglings, der ihn mit Thraͤnen an - zuſehen ſchien.
Das waren alle unſre Bruͤder, ſagte Anton, die als Miſſionarien nach tauſendfachen Leiden der Maͤrtyrerkrone ſind theilhaftig geworden. Wir werden ſie einſt alle wieder bey Gott antreffen, wenn wir, wie ſie, willig Armuth, und, wenns ſeyn ſoll, auch Verfolgung tragen.
Mit dieſen Worten ſah er den jungen Sieg - wart an, der den ganzen Ausdruck dieſes Blickes fuͤhlte.
Nun kamen ſie im Hof an ein kleines ſtei - nernes Haͤuschen, das ans Kloſter angebaut war. Gregor machte das Thuͤrchen auf, und ein Hau - fen Kruͤcken und Staͤbe lag da uͤber einander ge - thuͤrmt.
39Das ſind Zeugen von den Kuren, ſagte Gregor, welche mit Gottes Huͤlfe durch unſer Ge - beth, und die Kraft unſers wunderthaͤtigen Ma - rienbildes, das Sie in der Kirche geſehen haben, hier im Kloſter verrichtet worden ſind. Kruͤppel und Lahme kamen an ihren Kruͤcken, und auf Wa - gen zu uns. Geſund und friſch konnten ſie in ihre Haͤuſer zuruͤckgehen, und lieſſen zum Anden - ken ihrer Heilung ihre Kruͤcken und Staͤbe hier. So thun wir Gutes, was wir koͤnnen, an Leib und Seele.
Der junge Siegwart betrachtete dieſe Stuͤ - tzen der Elenden, die ſie nun nicht mehr bedurf - ten, mit einer heiligen Ehrfurcht; und noch mehr die Vaͤter, denen er in ſeiner frommen Einfalt ſolche Wunderkraͤfte zutraute. Er glaubte nun, er muͤſſe ein Moͤnch werden, und brannte vor Begier - de, es ſchon jetzt zu ſeyn. Seine ganze Seele war von einem Taumel ergriffen, der ihn nichts hoͤren, und nichts ſehen ließ, als nur das Kloſter. Die ganze andre Welt war ihm nun verhaſt, und oͤde. Er betrachtete ſie als den Wohnplatz abgeſchiedner, bedaurenswuͤrdiger Seelen; und haͤt - te in dieſem Augenblicke den gehaſt, der ihn wie - der aus ſeinem ertraͤumten Himmel haͤtte heraus40 reiſſen wollen. So ſchnell werden lebhafte Seelen, die jedem Eindruck offen ſind, oft durch Schatten - bilder zu Entſchluͤſſen hingeriſſen, die einen Einfluß auf ihr ganzes kuͤnftiges Gluͤck oder Ungluͤck ha - ben. Moͤchten doch nicht Leute, die dieſe ſchwa - che Seite einer feurigen Seele kennen, ſie ſo oft misbrauchen!
Noch verweilten ſie ſich eine Zeitlang in den Zellen der beyden Moͤnche. Alles gefiel hier un - ſerm jungen Siegwart; das kleine Krucifix, das hoͤlzerne Bette, und beſonders der Todtenkopf, den Pater Anton auf ſeinem kleinen Tiſche ſtehen hatte.
Nun wars bald Eſſenszeit. Man ſpeiſte heute, um der beyden Fremden willen, in dem Gar - tenſaal. Die Paters begegneten dem jungen Sieg - wart mit beſondrer Achtung, um ihn immer noch mehr fuͤrs Kloſter einzunehmen. Gegeneinander zeig - ten ſie eine auſſerordentliche bruͤderliche Freund - lichkeit; einer erzaͤlte nach dem andern etwas Ange - nehmes aus dem Kloſter; ſprach veraͤchtlich von der Welt und ihren Freuden; ruͤhmte das Gluͤck der Einſamkeit, und pries den Tag als den gluͤck - lichſten ſeines Lebens, an welchem er das Geluͤbde abgelegt hatte.
41Der alte Siegwart muſte verſprechen, wenn es, wie nicht zu zweifeln waͤre, ſeinem Sohn fer - ner im Kloſter gefiele, ihn in kein anderes, als in das ihrige zu thun. Jn der Stadt koͤnne Xaver bey den Piariſten, wohin ſie ihn empfehlen woll - ten, in 3 oder 4 Jahren die Anfangswiſſenſchaf - ten lernen, und dann koͤnne er gleich auf die Uni - verſitaͤt gehen.
Nach Tiſche gieng man noch ein paar Stun - den im Garten ſpazieren, oder ſetzte ſich ins Ge - buͤſch, wo eine Menge Amſeln, Nachtigallen und andre Voͤgel faſt ganz zahm herumhuͤpften, und ſangen, weil ihnen die Paters nie nichts zu Leide thaten.
Gegen Abend gieng der alte Siegwart nach Hauſe, nachdem er ſeinen Sohn den Moͤnchen noch einmal empfohlen hatte. P. Anton, P. Gre - gor und ſein Sohn begleiteten ihn bis ans Waͤld - chen; wo ſie zaͤrtlich von einander Abſchied nahmen.
Traurige und freudige Gedanken wechſelten nun in ſeiner Seele mit einander ab. Er wuͤnſch - te ſehr, daß ſein Sohn ein Moͤnch werden moͤchte, denn er war noch vom Aberglauben nicht ganz frey, und glaubte, ein gutes Werk zu thun,42 wenn er ſeinen Sohn Gott, das heiſt, nach den angenommnen irrigen Begriffen, dem Kloſter ſchenk - te; aber er konnte ſich doch auch des, nur zu rich - tigen Gedankens nicht entſchlagen, daß ſein Sohn nicht fuͤrs Kloſter gebohren, und daß ſein jetziger Entſchluß nur eine Art von Betaͤubung ſey, die eben ſo bald wieder voruͤber gehen koͤnne.
Doch wenn der Aberglaube mit der Vernunft ringt, ſo ſiegt dieſer mehrentheils, weil er immer ſehr furchtſam und aͤngſtlich macht. Der gleiche Traum von ſeiner Frau, den Siegwart mit ſei - nem Sohn gehabt hatte, und den er fuͤr ein goͤtt - liches Werk hielt; das ſchon lang anhaltende Zureden ſeines Freundes Anton; das Dringen der Moͤnche, dem er nicht ausweichen konnte, und die eigne Neigung ſeines Sohnes, deſſen freyer Wahl er alles uͤber - ließ, beruhigten ihn wieder von der andern Seite, und befeſtigten ihn in dem Entſchluſſe, ſeinen Sohn der Welt abſagen zu laſſen. Er wird einſt unter Antons Anfuͤhrung ein frommer Mann werden, und mehr kann ich ihm nicht wuͤnſchen.
Auch der Gedanke gab ſeinem Entſchluß noch einiges Gewicht, daß er dann mehr fuͤr das Wohl ſeiner beyden andern Soͤhne und fuͤr die Verſor - gung ſeiner beyden Toͤchter thun koͤnne, weil er auf43 dieſe Art nicht ſoviel an ſeinen Xaver zu verwen - den brauche.
Als er nach Hauſe kam, und den beyden Soͤhnen, davon der aͤlteſte ihm an die Seite ge - ſetzt war, ſein Verfahren bekannt machte, billigten ſie daſſelbe auch aus eigennuͤtzigen Abſichten ſehr, ob ſie gleich die Religion zum Deckmantel nah - men, und viel von Verdienſtlichkeit und guten Werken ſprachen. Nur Thereſe, die aͤlteſte Toch - ter, billigte den Entſchluß nicht, und bedaurte ins - geheim ihren armen Bruder, ohne daß ſies merken laſſen durfte.
Der junge Siegwart gieng indeſſen zwiſchen ſeinen beyden Moͤnchen langſam wieder nach dem Kloſter zu. Dieſe wetteiferten, ihm angenehme Dinge vorzuſagen, und ſeinen Entſchluß zu loben.
Der Abend ſtrich ihm in der Geſellſchaft der Kapuziner, die ſich beym Abendeſſen faſt allein mit ihm beſchaͤftigten, und ihm das Kloſterleben von der reizendſten Seite abzuſchildern ſuchten, ſehr an - genehm hin. Sein Herz ward immer mehr ge - feſſelt; wo er hin ſah, erblickte er Ruhe, Zufrie - denheit, und bruͤderliche Liebe; Bilder, die bisher immer nur in ſeiner Einbildungskraft geſchwebt hatten, und die nun wirklich und lebendig vor44 ihm da ſtanden. Nach dem Abendeſſen gieng man wieder in den Garten. Heute hatte ſich eine Nach - tigall ganz nahe zu der Grotte gemacht, und ſang da ihr goͤttliches Lied. Siegwarts Seele war ganz voll. Er druͤckte einigemal dem P. Anton mit ei - ner innigen Bewegung die Hand.
Er beſuchte noch mit ihm und Pater Gregor einen kranken Pater, der mehr vor Alter als vor Krankheit langſam dahin zu ſterben ſchien, und der Roſe glich, die an einem ſtillen Abend, wenn kein Luͤftchen ſich bewegt, die Blaͤtter nach und nach ver - liert. Der Kranke athmete ſtill, und ſprach we - nig. Neben ihm lag ſein Gebetbuch, und der Ro - ſenkranz. Dazwiſchen ſtand ein Krucifix. Einige Blu - men welkten in einem irdenen Gefaͤß. Ein paar Arzneyglaͤſer ſtanden dabey. Jn der Ecke der Zelle hing eine duͤſtre Lampe, die ihr Licht nur ſchwach umher verbreitete. Anton und der andre Pater, die dem Kranken wachen ſolten, ſprachen leiſe. Je - de lautere Bewegung ward vermieden, und tiefe feyerliche Stille herrſchte rings umher, wie es bey dem Sterbebette der Mutter Siegwarts geweſen war. Jhr Andenken wachte auch hell in ſeiner Seele auf, und ſie erſchien ihm noch einmal im Traum; lebhafter als die Nacht zuvor.
45Anton, der ſeine tiefe Traurigkeit wahrnahm, fuͤhrte ihn ganz langſam an die Thuͤre, oͤſnete ſie leiſe, und liſpelte ihm in die Ohren: der gute Pa - ter wirds nicht lange mehr machen. Komm er morgen fruͤh, wenn er Luſt hat, wieder zu mir in die Zelle; vielleicht hat mein Freund bis dahin uͤberwunden.
Siegwart gieng nun mit traurigen Gedanken ſchlafen; um fuͤnf Uhr wachte er auf, und ſein er - ſter Gedanke war an den kranken Pater. Die Sonne gieng neblicht auf; der halbe Himmel war blutrot, und warf einen blaſſen Wiederſchein an die weiſſe Wand des Schlafgemachs. Er zog ſich ſchnell an, und gieng an die Zelle. Er klopfte zweymal an die Thuͤre, ohne daß ihm geantwortet wurde; doch hoͤrte er laut reden.
Als er aufmachte, hielt P. Anton dem Ster - benden den Kopf in die Hoͤhe und nickte ihm mit Thraͤnen in den Augen zu. Der andre Pater las aus einem Buche vor. Der Kranke war mehr gelb, wie blaß; Seine Augen ſtanden unbeweglich, und man ſah nur das Weiſſe davon. Er ſammelte ſeine letzten Kraͤſte, und betete laut nach. So flammt die ſterbende Lampe noch einmal hell auf, und verliſcht. Die letzten Worte, die er46 mehr herausſtieß, als ſprach, waren: Hilf, Herr Jeſu! Nun zuckte er ein paarmal, und lag todt da.
Gottlob! hat wieder einer uͤberwunden, ſagte Pater Anton, ließ den Kopf des Todten ſinken, und druͤckte ihm die Augenlieder zu. Er iſt bey ſeinem Heiland Jeſu Chriſto, und bey allen Heili - gen. Du guter Pater, Martin, warſt ein from - mer Mann; mein Ende ſey wie deines! Der an - dre Pater gieng hin, es dem Guardian anzuzei - gen; Anton legte eine Decke uͤber den Leichnam, gieng ans Fenſter, und ſchwieg eine Zeitlang ſtill.
Siegwart gieng hierauf mit ſchwerem Her - zen, und allein im Garten auf und nieder; ſtellte ſich die Zuͤge des Sterbenden wieder vor, druͤckte ſie in ſeinem Herzen tief ein, und folgte ſeiner Seele in Gedanken in den Himmel nach, ſah den Jubel der Gerechten, die die Siegerinn empfien - gen, und ihr Palmenzweige ſtreuten. Seine gan - ze Seele war emporgehoben, und er wuſte lange nicht, daß ihm helle Zaͤhren aus den Augen rollten. Alle ſeine Wuͤnſche waren auch ein ſolcher Tod; und der einzige Weg dahin ſchien ihm das Kloſter. Er warf ſich auf eine Raſenbank, verhuͤllte ſein Geſicht in beyde Haͤnde, und lag in einer Art von47 Betaͤubung da, als der Schall von allen Glecken den Anbruch des Feſts verkuͤndete.
Er gieng in den Verſammlungsſaal, wo die Vaͤter traurig bey einander ſtanden, und ſich vom Verſtorbnen unterhielten. Alle lobten ihn ein - muͤthig, und ſchickten ihm ihren Segen nach. Sein Begraͤbnis ward auf uͤbermorgen angeſetzt, und nun giengen die Paters Paar und Paar in die Kirche, die mit Blumen beſtreut, und mit Meyen ausgeſchmuͤckt war. Mehr, als hundert Wachslichter wurden angeſteckt. Dicke Weih - rauchswolken ſtiegen auf, und umgaben die Paters und den jungen Siegwart. Es ward ein ſeyerli - cher voller Choral angeſtimmt, der wie ein Meer daherbrauſte. Der langſame, andachtsvolle Ge - ſang und der begeiſternde Weihrauchsduft trugen unſers Siegwarts Seele zu den Wolken. Er hat - te tauſend, ſich durchkreuzende Empfindungen, ohne Eine davon deutlich zu fuͤhlen. Es war ihm, als ob er zwiſchen Himmel und Erde ſchwebte, und zuweilen einen Blick durch die Wolken an den Thron des Hoͤchſten thaͤte. Das Geſicht der Geiſt - lichen ſchien ihm zu glaͤnzen, und verklaͤrt zu ſeyn. Er warf einen Blick auf das Gemaͤlde, wo die Kapuziner hingerichtet wurden. Sie ſchienen ihm48 zu leben, und ihn anzublicken. Er hielt ſich ſchon fuͤr ein Mitglied des Ordens, und blickte in die Welt, wie in ein Grab zuruͤck, von dem ſich ſein Geiſt dem Himmel zugeſchwungen hatte. Der Guardian hielt das Hochamt; die Gemeinde kniete nieder, und ein heiliges Te Deum trug die Seele des Juͤnglings in noch tieferes Erſtaunen und Entzuͤcken uͤber. Nach vollendetem Gottes - dienſt gieng er mit dem P. Anton in die Zelle des Verſtorbenen, der ſchon in einem ſchlechten Sarge lag, um welchen brennende Wachskerzen ſtanden. Nach einer kurzen Unterredung von den Tugen - den des Todten, die in Siegwarts Seele eine brennende Nacheiferung erweckte, ward zum Eſſen gelaͤutet.
Waͤhrend der ganzen Mahlzeit herrſchte eine faſt ununterbrochene feyerliche Stille. Die Augen waren niedergeſchlagen; zuweilen ſah ein Pater den andern an, und kehrte ſchnell, wenn er be - merkt wurde, den Blick, in welchem Thraͤnen ſchwammen, wieder weg. Wider Willen ſtieß der eine und der andre einen lauten Seufzer aus, der die Loſung zu einer neuen allgemeinen Be - ſtuͤrzung gab. Jnzwiſchen redete doch jeder mit dem jungen Siegwart, den das allgemeine Be -49 dauren des Verſtorbenen, und die Liebe gegen ihn, wovon dieſes ein Zeuge war, im Jnnerſten ruͤhr - te. Er gewann die Vaͤter, die ſo vieler Freund - ſchaft faͤhig waren, nur um deſto mehr lieb, und wuͤnſchte ſich, nur auch recht bald dieſer Freund - ſchaft wehrt zu werden. Es ward ihm nun ſchon als einem, der zum Orden gehoͤrte, begegnet, und dieſe Art von Vertraulichkeit nahm ihn voͤllig ein.
Den Nachmittag brachte er groͤſtentheils in P. Antons Zelle zu, wo noch ein andrer Moͤnch hin kam, der ihm lauter abentheuerliche Wunder - geſchichten von Leuten aus ſeinem Orden erzaͤlte, und ihm beſonders das Leben des heil. Franciſ - cus von Aßißi empfahl, das er ihm ſelbſt, zum Durchleſen zu leihen verſprach. Gegen Abend gien - gen ſie im Garten ſpatzieren, wo die Moͤnche zerſtreut und niedergeſchlagen umher giengen. Sie kamen durch verſchiedne Gaͤnge unvermerkt an den Gottes - acker, wo ſchon ein Grab aufgeworfen wurde. Der Abend war zu traurigen Betrachtungen gemacht, truͤb und neblicht. Die Sonne gieng verhuͤllt un - ter, und ſchickte erſt, eh ſie ganz am Horizont hinabſank, noch einige blutrote Stralen auf das ſchweigende Gefild des Todes. Nach dem Abend -D50eſſen gieng Siegwart auf ſein Zimmer, hatte halb - traurige und halbfreudige Gedanken, legte ſich zu Bette, und beſchaͤftigte ſich die halbe Nacht durch im Traum mit dem Verſtorbenen, den er mit allen Zuͤgen und Bewegungen auf dem Sterbebette liegen und ver - ſcheiden ſah. Zuweilen wachte er auf, und da deucht’ es ihm, als ob Engel ihm zulispelten: Folge dem Gerechten nach! Gleich am Morgen kam Pater Jgnatz, mit dem Leben des H. Franciſcus, und einigen andern Legenden, deren immer eine fabel - hafter war, als die andre, zu dem jungen Sieg - wart, und empfahl ſie ihm nochmals mit tauſend uͤbertriebnen Lobserhebungen zum Durchleſen. Die - ſer hatte kaum zu leſen angefangen, ſo war ſeine ganze, leicht zu erhitzende Einbildungskraft in einer andern Welt. Seine Seele wurde mit dem Wunderthaͤter vertraut, ſchwaͤrmte mit ihm in der Welt herum, hatte mit ihm Erſcheinungen, und wuſte ſich kaum in die neuen uͤberirrdiſchen Em - pfindungen zu finden. Er wuͤnſchte ſich, auch Ver - moͤgen zu haben, um es ſo, wie ſein Heiliger, den Armen auszutheilen; er wuͤnſchte, ſchon den Orden zu haben, um, gleich ſeinem Vorbilde, nach Cairo gehen, und den Tuͤrken das Evangelium predigen zu koͤnnen. Er hielt ſchon in Gedanken Predigten,51 deren Feuer und Beredſamkeit, wie er glaubte, Menſchen und Thiere, deren ſich ſein Patron auch angenommen hatte, zur Ueberzeugung hinreiſſen muͤſte. Er hofte, auch einmal des Eindrucks der Stigmatum wehrt zu werden, weil er eben das thun zu koͤnnen hofte, was Franz in ſeinem heili - gen Eifer gethan hatte. Nichts beſchaͤftiget das Herz mehr, als Chimaͤren und Entwuͤrfe, die man in die Zukunft baut. Man ſteigt von Einem auf - gethuͤrmten Schloß aufs andere, und ſieht mit Ver - achtung auf die uͤbrigen Menſchenkinder herab, die im Staube kriechen, und den ordentlichen Weg ge - hen. Alle Hinderniſſe ſchwinden weg; man ſieht nichts vor ſich, was im Wege ſtehen koͤnnte; oder ſchreitet mit Rieſenſchritten druͤber weg, und ſieht mit Wolgefallen auf die zuruͤckgelegte ſteile Bahn herab. Einem Schwaͤrmer iſt in ſeinem Sinne alles moͤglich; und kein Herz iſt mehr zur Schwaͤr - merey geneigt, als ein ſolches, das, bey einer leb - haften Einbildungskraft ein zartes moraliſches Ge - fuͤhl hat, und es mit den Menſchen, ſeinen Bruͤ - dern, gut meynt. So giengs unſerm jungen Sieg - wart; er ſah lauter Huͤlfsbeduͤrftige vor ſich, ſah ſchon ihre Thraͤnen rinnen, hoͤrte ſchon den Dank52 von Lippen erſchallen, die er Gott und| Jeſum hat - te anrufen lernen.
P. Anton uͤberraſchte ihn in dieſer heiligen Begeiſterung, und ſchlug ihm vor, ihn auf den Nachmittag in ein paar nahgelegne Doͤrfer zu be - gleiten, um Allmoſen einzuſammeln. Siegwart nahm den Vorſchlag mit Freuden an, und gieng, nachdem er erſt ſeine Buͤcher ſorgfaͤltig aufgehoben, und eins davon zu ſich geſteckt hatte, mit dem P. Anton in den Speiſeſaal, erzaͤhlte da dem P. Jgnatz ſeine Freude uͤber die geliehnen Buͤcher, und unterhielt ſich mit den andern Vaͤtern waͤhrend dem Eſſen von den Wundern des H. Franciſcus. Alle lob - ten ſeine Liebe zu ihrem Stifter, und prophezeyten ihm ein gluͤckliches und heiliges Leben. Man gab ihm einige Bilder vom H. Franz und andern Hei - ligen, die er den Bauerknaben und Maͤdchen aus - theilen koͤnnte. Ein Bild vom H. Franciſcus behielt er ſelbſt, um es in ſeinem Zimmer anzu - kleben, und ſich taͤglich an ſeinem Anſchauen zu be - luſtigen und zu erbauen.
Nun gieng er mit P. Anton auf ein, andert - halb Stunden weit vom Kloſter entferntes Dorf. Sie konnten auf dem Wege wenig miteinander ſpre - chen, weil die Leute, die im Feld und auf den Wie -53 ſen arbeiteten, Hauffenweis herbeygeſprungen kamen, und den Pater, den ſie alle liebten, um den Seegen baten. Jeder blieb mit ſeiner Harke, oder was er ſonſt in der Hand hatte, ſtehen, oder ſprang herbey, und gruͤßte den Ehrwuͤrdigen Vater mit der groͤſten ſchwaͤbiſchen Treuherzigkeit. Andre baten ihn, in ihrem Hauſe einzukehren, und ſprangen voraus, um mit allem Vorrath aufzuwarten, den ſie hatten. Sie gruͤßten alle auch den jungen Siegwart, den ſie kannten, weil er aus der Nachbarſchaft war, und ſahen ſich vergnuͤgt und einander zulaͤchelnd an, daß ihm P. Anton ſo freundlich begegnete, wie ein Vater ſeinem Sohn. Dieſer machte ihm die Freude, und ließ ihn die Gemaͤlde von Heili - gen unter die Bauerkinder austheilen, die ihn da - rum baten. Er fuͤhlte das innerſte Vergnuͤgen druͤber, wie die Kinder ſich verneigten, das Ge - ſchenk anſahen, und dann mit froher Eile ihren Eltern zuflogen und ſie ſehen lieſſen, was der Ehr - wuͤrdige Pater, und der junge Herr ihnen ſchoͤnes geſchenkt habe.
Waͤhrend daß die Dorfglocke zum Allmoſen - geben gelaͤutet wurde, ſprang eine Baͤurinn mit zerriſſnen Haaren und verweinten Augen aus der Huͤtte heraus, um dem Pater ihre Noth vorzutra -54 gen. Jhr Mann hatte ſie geſchlagen, und nun ſollte Anton der Friedensrichter werden. Er gieng mit ihr und dem jungen Siegwart in die Huͤtte, wo der Bauer noch ganz wild in der Stu - be ſtand, und ſich das Blut aus dem Geſicht wiſchte, das ihm ſeine Frau, um ſich zu verthei - digen, zerritzt hatte. Hinter dem Ofen ſtand ein kleiner Knabe weinend, und zitterte, weil er ſei - nen Vater ſo in Wuth ſah. Die Tochter, ein unſchuldiges Maͤdchen von 16 Jahren, weinte auch in ihre Schuͤrze, weil der Vater ſie geſchlagen hatte, als ſie ihrer Mutter hatte zu Huͤlfe kom - men wollen. Der Bauer ward vor Schrecken ſchneeweiß, als er den Pater mit der Mine des Friedens und der Ruhe hereintreten ſah. Er nahm die Muͤtze ab, fieng an einen guten Abend zu ſtottern, um ſeine Verwirrung zu verbergen, und ward dadurch nur noch verwirrter.
Ey, Ey! was muß ich ſehen? fieng Anton endlich an; Was iſt das, Michel, daß ihr ſo zer - ſtreut und blutruͤnſtig ausſeht? Es ſcheint, da hats Haͤndel gegeben; das iſt doch nicht ſchoͤn, Michel, eure Frau ſo unchriſtlich zu ſchlagen, wie ſie mir erzaͤlt hat. — Ja, ſie hat mirs auch darnach ge - macht, fiel der Bauer ein; wenn Sie wuͤſten,55 Jhro Wohlehrwuͤrd — So? Haſt du nicht ſelbſt angefangen, du? rief das Weib, und trat aus dem Winkel hervor.
Eins nach dem andern, lieben Kinder! ſagte Anton, ſetzte ſich auf eine Bank und winkte dem jungen Siegwart, es auch zu thun — Eins nach dem andern! Sonſt kann ich nicht draus klug werden, wer Recht oder Unrecht hat? Jhr ſeyd noch zu hitzig, Michel! laßt euer Weib erzaͤlen, wie der Handel angieng?
Die Frau. Ja, Jhr Wohlehrwuͤrd, ſehn Sie nur, da ſtund ich da drauſſen vor der Thuͤr, und nahm meiner Kinder Waͤſche vom Seil herab; kommt da ein armer Soͤldner vom naͤchſten Lu - therſchen Dorf her, der ſchon drey Jahr mit der Schwindſucht zu thun hat, und keinen Menſchen, der ſich ſeiner annimmt, weil er arm iſt, und ein Fremder, aus dem Salzburgerland, da von den Vertriebenen, wie Sie werden g’hoͤrt haben — Der koͤmmt, an zwey Stoͤcken, daß er kaum aus der Stelle kommen kann, ſieht aus, wie der bit - tre Tod, der leibhafte Hunger gukt’ ihm aus den Augen, und bittet mich um Gottes und um Je - ſus willen um ein Stuͤcklein Brod, und einen halben Scherben ſaure Milch, weil er noch den56 ganzen Tag nichts geſſen hab, und ſo kraftlos ſey. Es war ein Jammer anzuſehen, wie er klaͤglich that, und zitterte. Jch, ohne lang mich zu beſtimmen, lauf ins Haus, will ihm einen Scherben ſuͤſſe Milch, und ein gut Stuͤck Brod dazu holen; denn ich denk halt immer, was man den Armen gibt, das gibt man Gott, und unter den Lutheranern gibts doch auch Arme, und ſind auch Menſchen, wie unſer eins. — Mein Mann kommt wie wuͤthig hergelaufen, ſagt, was will der Ketzer drauſſen? Mach, daß er ſich fort ſchiert! — Je, Mann, ſagt ich, ſey doch nicht ſo arg! Jch wollt ihm nur ein Stuͤcklein Brod ge - ben. Siehſt nicht, wie er ausſieht? — So! das waͤr ſchoͤn, hub er an; willſt noch gar den Ketzern geben, den verfluchten Hunden! Sapper - ment! Du biſt mir ein rechtes Weib! Beym Teu - fel! Man ſollt dich aus dem Haus ſchmeiſſen. Wirſt wol gar noch Lutheriſch werden wollen; haſt doch immer ſo Geſchmeiß gnug an dir. Komm mir nur, und gib ihm was! Theilſt doch immer gnug unter die Halunken unſers Glaubens aus. Und da fieng er an zu fluchen, daß es ſchroͤcklich war.
57Jch ward denn auch hitzig, wie’s ſo geht, Jhr Wohlehrwuͤrd! und geb ihm brav heraus, und ſag, daß ein Ketzer auch ein Menſch ſey, und auch einen Gott hab, wie wir, und einen Seelig - macher, Jeſus Chriſtus; und lang nach dem Brod - meſſer, und will ein Stuͤck Brod abſchneiden; da kommt er auf mich zu, nimmt mich bey der Gurgel, ſchmeiſt mir’s Meſſer aus der Hand, und ſchlaͤgt mich ins Geſicht, und wo’s hingeht. Er haͤtt mich ſchier erwuͤrgt, waͤr mein Maͤdel nicht dazwiſchen kommen, und da faͤllt er uͤber die her, ſchlaͤgt ſie braun und blau, daß ich nur gnug ab - zuwehren hatte. Und da ſprang ich endlich aus dem Haus und traf zu allem Gluͤck Ew. Wohl - ehrwuͤrden an, ſonſt haͤtt er mich gewiß umge - bracht. Es iſt ein Elend, bey ſo einem Mann zu leben; und nun fieng ſie an, bitterlich zu weinen.
P. Anton. Jſt das wahr, Michel, iſt der Handel ſo angegangen?
Michel. Ja, Jhr Wohlerwuͤrd, nun will ich ſehn wer recht hat! Hab ich nicht chriſtlich gehandelt? Muͤſſen Sie’s nicht ſelber ſagen?
P. Anton. Chriſtlich, Michel? Ey, Ey! Das waͤr ſchlimm, wenn das chriſtlich waͤre! Wer58 hat euch ſo was gelehrt? Hoͤrt mir einmal ruhig zu, wenn ihr koͤnnt! — Seht! daß die Ketzer Menſchen ſind, wie ihr, und unſer eins, koͤnnt ihr ja ſchon daraus ſehen: wenn einer davon zum katholiſchen Glauben uͤbertrit, ſo wird er ja nicht verwandelt; er bleibt, was er vorher war; hat Augen, Ohren, Naſen, wie wir, ißt und trinkt, wie wir, und wird um kein Haar anders. Und daß man alle, die wie wir Menſchen ſind, und Fleiſch und Blut, wie wir haben, lieben muͤſſe, werdet ihr doch glauben; es ſteht hundertmal in der Bibel geſchrieben. Warum ſollten wirs auch nicht thun? Sind wir doch alle von Einem Va - ter, Adam. Und, nicht wahr? Leute, die Einer - ley Vater haben, heiſſen Bruͤder oder Schweſtern, und die muͤſſen doch einander lieben?
Michel. Das iſt wahr, Herr! Aber —
P. Anton. Nun, ihr meynt wohl, die Ke - tzer koͤnn unſer Herr Gott nicht lieb haben; aber denkt nur einmal nach! Scheint die liebe Sonn etwa nur in katholiſche Doͤrfer, oder nicht auch in die lutheriſchen? Haben wir allein Waſſer, und Brod? oder haben’s eure lutheriſche Nachbarn nicht auch? Regnet’s nur bey uns, wenns noͤthig iſt, oder auch bey den Lutheranern? Jhr duͤrft ja nur eure59 Aecker und Wieſen anſehen, ſie ſtoſſen oſt an die luthri - ſche. Bey ihnen gedeyht das Korn und das Gras ſo gut, wie bey uns, und wenn ein Wetterſchaden kommt, ſo trift er eure Felder ſo gut, wie die ih - rigen; das iſt alles eins. Meynt ihr denn, Gott wuͤrde Menſchen erhalten, wenn er ſie nicht lieb haͤtte? Oder wollt ihr ſie verhungern laſſen, oder todtſchlagen? Wollt ihrs beſſer machen, wie Er? Jn der Bibel ſteht kein Wort davon, daß man ſeinem Nebenmenſchen, wenn er auch ein Ketzer iſt, ſo hart und unmenſchlich begegnen ſoll. Jch will euch gleich eine Geſchichte erzaͤlen; unſer See - ligmacher hat ſie ſelbſt erzaͤlt, und ihr werdet draus ſehen, daß ein Ketzer auch ein guter Menſch ſeyn kann, an dem Gott Wohlgefallen hat; und an wem er Wohlgefallen hat, den macht Er ſelig, wenn er auch ein Ketzer iſt.
Die Geſchichte lautet ſo: Ein Rechtglaubiger wollte eine Reiſe machen, und da fiel er unter Spitzbuben, die ihn halb todt ſchlugen, und ſo lie - gen lieſſen. Da reiſte ein Prieſter vorbey, das war ein Rechtglaubiger, der ſah ihn, und ließ ihn ohne alle Barmherzigkeit liegen. Drauf kam ein Levit, das war auch ein Rechtglaubiger, der ließ ihn auch in ſeinem Elend da liegen. Nun gebt60 Acht! Was geſchieht? Ein Ketzer, ein Samariter reiſt von ungefaͤhr vorbey, ſieht den halbrodten Menſchen, der nicht ſeines Glaubens, und, ſeiner Meynung nach, ein Ketzer iſt, liegen; ſieht ihn mitleidig an, geht zu ihm hin, verbindet ihm ſei - ne Wunden, legt ein Pflaſter drauf, und bringt ihn auf ſeinem Mauleſel in ein Wirthshaus, war - tet ihn da ſelber, und traͤgt dem Wirth auf, als er weiter reiſen muß, er ſoll fuͤr den Kranken ſor - gen, und bezalt von ſeinem eignen Geld dem Wirth auf einige Tage voraus, daß ihm ja nichts abgehen ſoll. Jſt das nicht ſchoͤn? Und das hat ein Ke - tzer gethan, und den Ketzer lobt Chriſtus, und ſagt, daß mans ihm nathmachen ſoll.
Meynt ihr nicht, Michel, daß unter euren Nachbarn, die ihr ſo verketzert, auch ſolche gute Leu - te ſind? Jch wenigſtens wuͤſte nicht, daß ſie euch was zu leid thaͤten; vielmehr halten ſie gute Nach - barſchaft, und thun euch alles Guts; wuͤrden euch auch wol ein Kruͤmchen Brod und etwas Milch geben, wenn ihr ſo, wie der arme Mann, weß - wegen ihr eure Frau ſo geſchlagen habt, vor ihre Thuͤr kaͤmet und betteltet. Pſuy, das iſt nicht fein, ſo mit Menſchen umzugehen!
61Hier fieng Michel an zu weinen. Und wißt ihr denn nicht, daß es heiſt: Chriſtus der Herr iſt fuͤr alle geſtorben? fuͤr die chriſtkatho - liſche, wie fuͤr die Ketzer. Jhr duͤrft deswegen nicht lutheriſch werden; da behuͤt mich Gott davor, euch ſo was zu rathen. Es iſt immer beſſer, den geraden Weg gegangen, als den krummen. Aber friedlich und nachbarlich ſollt ihr leben; und ich wollt, wir haͤtten all Einen Glauben!
Und was ſeyd ihr denn fuͤr ein Mann, Mi - chel? Da iſts euch nicht genug mit den Ketzern ſo unmenſchlich umzugehn; da muß noch eure arme Frau dran, die beſſer und chriſtlicher denkt, als ihr. Da entſteht Unfried im Haus druͤber; Eure Kinder ſchlagt ihr auch, und gebt ein boͤſes Exempel. Aber ich weiß wol, wo der Schaden liegt; ihr ſeyd geitzig, haͤngt am Zeitlichen, und meynt, ihr muͤßt alles allein zuſammen ſcharren, damit’s fein einen groſſen Hauſen gebe. Das ſind mir die rechten Chriſten! Jch habs vorhin wol gemerkt, ihr werft ihr vor, ſie geb den Armen viel. Sie thut recht dran, und Gott wird ihrs einſt im Himmel noch vergelten, wo ihr nicht hin kommt, wenn ihrs ſo macht. Jhr ſeyd ein ſchlech -62 ter, unchriſtlicher Mann, der kein menſchlich Herz im Leibe hat!
Hat … Thuts euch leid? Wacht euch das Gewiſſen auf? Weint ihr? Seht, Michel! Gott weiß! ich meyns herzlich gut mit euch. Es iſt mir nur um eure Seeligkeit zu thun.
Michel (weinend) Ja das weiß ich wohl, Jhr Wohlehrwuͤrden, und es thut mir herzlich leid. Jch habs nicht ſo uͤberlegt; bin eben ein hitziger Mann; und der vorige Herr Pfarr …
P. Anton. Jch weiß wol, was ihr ſagen wollt. Euer voriger Pfarr, Gott geb ihms ewi - ge Leben! Jch hab oft mit ihm druͤber geſprochen. Der wollt auch ſo uͤber die Ketzer her. Aber euer jetziger, der wirds euch ganz anders ſagen, fragt ihn nur!
Michel. Ach, Jhr Wohlerwuͤrd, wenn ichs nur nicht gethan haͤtt! nun geht mirs erſt recht nah.
P. Anton. Nun, nun. Es iſt mir lieb, daß auch noch ein guter Funken in euch iſt! Reu und Leid uͤber ſeine Suͤnden iſt der Anfang zur Beſſerung. Und dann wird euch Gott um Chriſti willen auch gnaͤdig ſeyn, wenn ihrs nur von Herzen meynt. Da, geht hin, gebt eurer63 Frau die Hand, und bittet ſie um Verzeihung! (Jndem ſtand P. Anton und Siegwart auf; die Frau trat naͤher und weinte. Siegwart, und das Maͤdchen ſchluchzten, und der kleine Knabe weinte auch mit.) Nun, in Gottes Namen gebt einander die Haͤnde! — Michel, es iſt euch doch Ernſt?
Michel. Ja warlich, recht von Herzen Ernſt, Jhr Wohlehrwuͤrd. — Verzeih mir nur, liebes Weib, was ich dir hab zu leid gethan! Es ſoll gewiß nicht wieder geſchehen. Verzeih mir du auch, Cathrine! Der liebe Gott mag mirs auch verzeihen, daß ich bisher ſo ein Menſch war, und mir den Luthriſchen ſo umgieng! — Nicht wahr, liebes Weib, du vergibſt mir, wenn mirs leid iſt? Sollſt kuͤnftig einen ganz andern Mann an mir haben. Jch will dir ſo fromm ſeyn, als ein Lamm. Kannſt den Armen meinetwegen geben, ſo viel du willſt…
Die Frau konnte vor Weinen nicht ſpre - chen, und fiel ihrem Mann ſchluchzend um den Hals. Es war ein Anblick, da ſich Heilige und Engel druͤber freuten. P. Anton ſah beym Fen - ſter hinaus, und wiſchte ſich die Augen. Sieg - wart ſuchte ſeine Thraͤnen mit dem Schnupftuch64 zu verbergen. Dieſer Auftritt machte auf ſein gan - zes Leben einen tiefen Eindruck in ſein Herz. Es hatte ihm immer in der Seele weh gethan, wenn er den Lutheranern und den Juden aͤrger als dem Vieh begegnen ſah. Er dachte immer, ob denn Gott ſo abſcheuliche Menſchen auf der Welt dul - den koͤnne, die man ſo verachten muͤſſe? Und nun hatte er den P. Anton noch gedoppelt lieb, weil er ſo ſeine Meynung hatte, die er nie an Tag zu legen wagen durfte. Der Bauer war nun ſo lieb - reich und freundlich, wollte alles auftragen, was er hatte, um dem Pater nur recht ſeine herzliche Dank - barkeit zu bezeugen. Seiner Frau, und den Luthera - nern begegnete er von dem Augenblick an, und ſein ganzes Leben durch, mit wahrer ehelicher Zaͤrtlich - keit, und ungeheuchelter chriſtlicher Liebe. Wenn er hitzig werden wollte, fiel ihm dieſer Tag, und das ungelehrte aber treuherzige, und eben darum tief eindringende Zureden des P. Anton ein, und da war wieder Fried und Menſchenliebe in ſeiner Seele. Er ſchafte ſich heimlich eine Bibel an, und las am Sonntag, oder an den langen Win - terabenden darinn, und da fand er, daß Gott kei - ner Religionsparthey befohlen habe, die Ketzer zu haſſen, oder zu verfolgen; vielmehr daß das65 erſte und wichtigſte Gebot: Liebe gegen Gott und gegen Alle Menſchen ſey. Seine Frau ſah ſich, wie in einem neuen Leben; ſie glaubte, das Paradies ſey wieder aufgeſchloſſen worden, und ſchloß taͤg - lich mit Thraͤnen in ihr Gebeth den rechtſchaffenen Pater Anton ein, der ſie ſeit dieſem Tage allemal beſuchte, wenn er in ihr Dorf kam.
Voritzt wollten ſie ihn mit Gewalt noch laͤn - ger bey ſich behalten, und ihm Kuchen und Wein vorſetzen; aber er verbats, denn ſein Herz war be - lohnt genug. Laßt mich jetzt weiter, lieben Leute, ſagte er; ich muß noch zum Kloſterbauren; Er hat mir ſchon ein paarmal ſagen laſſen, ich moͤchte doch ja zu ihm kommen, wenn ich hier im Dorf waͤre; Er haͤtte mir gar was wichtiges zu ſagen; ich weiß nicht, was es ſeyn mag? Jch wollte doch noch ins naͤchſte Dorf; aber das wird fuͤr heute wol zu ſpaͤt ſeyn. Nun, ein andermal! Lebt wohl, Michel, und haltet, was ihr mir verſprochen habt! Und ihr, Anna, bleibt bey euren guten Geſinnungen! ſo wirds euch wohl gehn.
Er gieng, von den ausgeſoͤhnten Eheleuten noch eine Strecke weit begleitet, mit Siegwart zu dem Kloſterbauren.
E66Als er von hintenzu durch den Garten nach dem Hauſe gieng, ſah er in der Ecke des Gattens den Sohn vom Hauſe iraurig da ſtehn, und am Zaun was ausbeſſern. Der junge Menſch nahm den Hut freundlich ab, und ſah dem Pater lange ſchwermuͤthig nach. Dies bemerkte der junge Siegwart, und hatte Mitleid mit ihm. Sie tra - ten ins Haus, und trafen den Bauren an, der eben aufs Feld hinaus gehen wollte. Haſtig lehnte er die Harke an die Wand, nahm den Hut ab, und rief: O Herr Pater, ſeyn Sie mir tauſendmal willkommen. Jch hab ſchon ſo gar lang auf Sie gewartet, wollt was wichtiges mit Jhnen reden. Sieh, das iſt ja des Herrn Amtmanns Sohn; will - komm, junger Herr! Wo bringen Sie denn den her, Jhr Wohlehrwuͤrd? Vom Kloſter, ſagte Anton, er iſt bey uns, und will auch ein Geiſtlicher wer - den. Ey, Ey, ſprach der Bauer, das iſt ſchoͤn! Ja, ja, der Herr Amtmann hat halt mehr Kin - der, da muß er ſchon ſehen, wie ers unterbringt. Treten Sie doch in die Stub, Jhr Wohlehrwuͤrd! Hier auſſen ſiehts aus, wie in Kaiſer Karls Ruͤſt - kammer. Jch will gleich wieder bey der Hand ſeyn; Gehen Sie nur zu!
67Jndem ſprang er weg, ließ Wein und Bier und Wecken holen, und kam ſelbſt mit einem Tel - ler voll Fleiſch ins Zimmer. Da, ihr Wohlehr - wuͤrd, es iſt noch friſch; laſſen Sie ſichs brav belie - ben; und Er auch, junger Herr! Anton und Sieg - wart verbatens; Man ſetzte ſich um den Tiſch her - um, und nun fieng Franz an:
Franz. Was ich Jhnen ſagen wollt, Jhr Wohlehrwuͤrd und woruͤber ich lang gern mit Jh - nen geſprochen haͤtt, iſt halt fuͤr mich eine traurige Sach, die mir ſchon viel Herzeleid gemacht hat. Da hab ich einen ungerathnen Sohn; es iſt noch darzu mein einzig Kind; Sie werden ihn wol ge - ſehen haben; Er ſteht da im Garten drauſſen; der will mir uͤbern Kopf wachſen, will kluͤger ſeyn, als ich und ſeine Mutter, die ihm nur zu viel nach - ſieht, und hat ſich ſchon ſeit Jahr und Tag, ohne daß wir das geringſte davon wußten, an ein Maͤdel hier im Dorf gehaͤngt, und das Maͤdel hat nichts, iſt des Joͤrg Silbers Tochter, und ich hab ihm laͤngſt ſchon in Gedanken etwas beſſeres auserſehen. Wie ich nun vor 3 Wochen ſo von ungefaͤhr da - hinter komme, daß er das Maͤdel kareſſirt, und alle Nacht, wenn wir zu Bett ſind, noch mit ihr im Mondſchein herumſpatziert, oder auf dem Kirch -68 hof mit ihr ſitzt; da laß ich ihn am Morgen drauf in meine Kammer kommen, damit’s die Dienſt - bothen nicht hoͤren; die Mutter war auch dabey, und halt’ ihm ſeinen Unfug recht ernſtlich vor; ſag ihm, was er fuͤr ein Kerl ſey; er hab einſt von mir den Hof zu gewarten, und ſchoͤne Feldguͤter, ſo und ſo viel Jauchert Acker, Wieſen, Kuͤh und Gaͤul, und ein ſchoͤn Stuͤck baares Geld und ſo fort an; und haͤng ſich da, wider ſeiner Eltern Wiſſen und Willen an ein Maͤdel, das nichts hab, als ſechs oder ſieben - hundert Gulden und ein glatt Geſicht; was es uns fuͤr Herzeleid mache, ſo was von ihm zu hoͤren; wir hielten doch ſo viel auf ihn, ſcharrten alles fuͤr ihn zuſammen, und was ich ſonſt ſo mehr ſagte. Da fang ich denn an, wacker drauf zu ſchmaͤlen, und das End vom Liede war, er ſoll ſich ja nicht mehr geluͤſten laſſen, mit dem Maͤdel nur ein Wort zu ſprechen, oder ſie den Abend hinter’s Haus zu beſtellen; es werd nichts gutes draus; er werd mich und ſeine arme Mutter ins Grab bringen, wenn er ſo fort mach; aber vorher wer - den wir ihn von Haus und Hof jagen, ihn enter - ben, und ihm ſtatt des Segens auf dem Todbett unſern Fluch geben. Sakerlot, Ehrwuͤrdiger Herr! da faͤngt der Jung an zu greinen: ſagt, er koͤnn69 das Maͤdel nicht laſſen, woll mit ihr leben und ſterben; es koͤnn ihr kein Menſch im Dorf etwas boͤſes nachſagen, ſie hab immer brav gethan, und er hab ihr im Namen der heiligen Jungfrau, und aller Heiligen im Himmel am Oſterabend zuge - ſchworen, ſie zum Weib zu nehmen, und den Tag drauf hab er auch das heilige Nachtmahl drauf genommen. Und nun ſey ſie ſein, und muͤſ - ſe ſein bleiben! — Jch wuſte bey Gott nicht, was ich vor Zorn ſagen ſollte. Die Mutter woll - te ſich durch ſein Greinen ſchon herum bringen laſſen, ich ſtieß ſie aber bey der Thuͤr hinaus, und ſagt ihm noch einmal, er wiſſe meine Mey - nung nun, und koͤnne ſich darnach richten. Wenn ich wieder was erfahre, woll ich ihn ins Loch ſtecken laſſen, und da koͤnn er ſitzen bleiben, bis mein Schimmel ſchwarz werde. Er ſagt’, es ſey ſchon recht, und trotzig gieng weg. Etlich Tage gieng er nun herum, wie vor den Kopf geſchlagen, aß und trank und ſprach nichts, gab kaum Antwort, wenn man ihn um etwas fragte, und Abends, ſagten meine Leute, lieg er immer unterm Kam - merfenſter, kratz die Wand mit den Naͤgeln heraus, ſpreche was fuͤr ſich oder pfeif, und dann wiſch er ſich wieder das Geſicht, als ob er weinte.
70Holla, dacht ich, das iſt ſchon gut; die jun - gen Leutlein ſind immer ſo, wenn ihnen etwas durch den Sinn faͤhrt. Weh muß es ihm frey - lich thun, denn im Grunde hab ich nichts gegen das Maͤdchen, ’s iſt ein brav ſchoͤn Ding, nur daß ſie nicht reich iſt. Kommt Zeit, kommt Rath! Nach und nach wirds ſchon beſſer, und das Grei - nen wird ihm ſchon entleiden. Wenn ich ihm nur erſt von des Wirths Suſanna ſage, denn die hab ich — hier in der Stube g’redt — im Sinn. Jch war alſo ganz ruhig, that aber freund - lich gegen ihn, denn ich ſah, daß er mager wur - de, weil er Nachts gar nicht ſchlief.
Jch denk, es iſt alles gut; er ward wieder muntrer, that ſeine Arbeit, und guckte Abends nicht mehr aus der Kammer, bis vor acht Tagen der Teufel — verzeih mirs Gott! — wieder los geht. Jch lieg Abends ſchon im Bett — es war halb zehn Uhr — da fangen die Gaͤul an, im Stall zu ſchlagen; ich ruf meinem Sixt, weil der Knecht uͤber Feld war; aber da war kein Sixt. Jch ſtund auf, gieng ſelber in den Stall, band den Schimmel an, der ſich losgeriſſen hatte, und viſi - tirte drauf in meines Sohns Bett; Sieh, da war der Vogel ausgeflogen. Jch frug mein Weib,71 ob ſie nichts von ihm wiſſe; ſie ſagte nein, bat mich aber ruhig zu ſeyn, er werd wol bald wie - der kommen, und nur mit den andern Bauren - kerls im Wirthshaus ſeyn. Das Ding war mir aber verdaͤchtig, ich zieh alſo meine Jacke an, und geh nach dem Wirtshaus; da war ſchon kein Licht mehr. Halt, dacht ich, der wird dem Maͤ - del wieder nachgeſchlichen ſeyn; und, indem ich’s ſo denke, ſeh ich von weitem bey des Schmieds Haus was weißes gehen; ich drauf zu; und da wars mein feiner Sohn mit der Dirn am Arm. Tauſend Sapperment, wie mir da zu Muth wurde! Das Maͤdel lief davon, und Sixt kam auf mich zu, als ob nichts geſchehen waͤre. Hol dich dieſer und jener! ſagt ich; heiſt das auch dem Vater gehorchen, wie ichs haben will? Gelt, haſt geglaubt, ich ſchlafe, und da ſtiehlſt du dich hinterruͤks vom Haus weg? du nichtsnutziger, ungerathner Sohn! Jch hab dirs ſo verboten, mit dem Maͤdel nichts mehr zu thun zu haben, und du thuſt mirs doch! Komm nur heim, da will ich dir was anders ſagen! Er wollte ſich noch verantworten, es ſey ihm nicht moͤglich geweſen, ſeine Regine zu verlaſſen; er habs thun wollen, da ſey ihm aber immer ſein Eid wieder eingefallen; er hab Tag und Nacht keine Ruh ge -72 habt; das Maͤdel haͤtte ſich zu Tod gegraͤmt, ſey ſchon ganz abgezehrt, und hab ihm ſagen laſſen: Er ſoll ihr nur bald mit der Leiche gehn; ſie ha - be ſchon die Todtenuhr ſchlagen, und die Sterbe - glocken laͤuten hoͤren. Und da ſey er eben in Got - tes Namen wieder hingegangen. — — Jns Teu - fels Namen, ſagt ich, du verdammter Kerl! Komm nur! Morgen ſollſt’s ſchon hoͤren. Heut will ich mei - ne Nachbarn nicht mehr aufwecken um ſo eines Bu - bens willen. Jch gieng, fluchte ſo vor mich hin, und der Kerl hinterdrein; er war maͤuschenſtill, nur zuweilen ſchluchzte er, als ob er die Seel’ aus dem Leib heraus weinen wollte. Die ganze Nacht uͤber konnt ich kein Auge zuthun. Mein Weib wollt ihm noch die Stange halten, und da ſah ich wohl, daß ſies mit ihm hielte; das brachte mir noch mehr Herzeleid. Gleich am Morgen ließ ich ihn heraufkommen; ſtellt’ ihm Himmel und Hoͤlle vor; ſagt’ ihm, was da zuletzt heraus - kommen wolle? daß ichs ſchlechterdings nie zuge - ben werde. Wenn du ſie nicht laſſen willſt, ſagt’ ich endlich, ſo kannſt du dich packen, wo du hin willſt. — Ja das will ich thun, gab er mir zur Antwort; denn, weiß Gott! ich kann das Maͤdel nicht ſitzen laſſen, Jhr moͤgt mit mir anfangen, was Jhr wollt; es iſt im ganzen Dorf keine Dirne wie ſie, ſo73 arbeitſam und fromm und redlich, und das muß ihr auch ihr aͤrgſter Feind nachſagen. Was habt Jhr denn gegen Sie? Daß ſie nicht ſo viel hat, wie ich? Nun ſie hat doch genug. Arm iſt ſie auch nicht; und dann hat ſie ein redlich chriſtlich Ge - muͤth, und wuͤrde fuͤr mich leben und ſterben. Das iſt mehr, als Geld und Gut. Geſunde ſtarke Haͤnd haben wir auch, und ſind das Arbeiten von Jugend auf gewohnt, und dann laͤſt Gott keinen Vogel Hungers ſterben, geſchweige denn einen Menſchen, der ſich redlich durch die Welt bringt. Jch habs Euch geſagt, Vater, ich kann und darf ſie nicht laſſen, denn ich hab ihrs zugeſchworen; und wenn ihrs nicht anders wollt, ſo werd ich Soldat, da kann ich ſie heyrathen heut und mor - gen, und behalt ein gutes Gewiſſen, und krieg ein bravs Weib; nun bedenkt, was Jhr thun wollt?
Sehen Sie, Jhr Wohlehrwuͤrd, ſo hat er geſagt, und dann gieng er weg. Jch ſtand da, wie vom Wetter getroffen; ſeine Reden vom Sol - datenwerden giengen mir ſtark im Kopf herum. Es iſt mein einziger Sohn, und er iſt mir lieb, weil er ſonſt immer brav war, und mir nie nichts zu Leid gethan hat. Es ſoll jetzt wieder Krieg werden; wenn ihm eine Kugel vor den Kopf ge -74 ſchoſſen wuͤrde! — Und Kourage hat er auch: Er hat ſeitdem ſchon ein paarmal mit den Werbern hier im Dorf geſprochen. Da bin ich nun voller Aengſten. Mein Weib liegt mir immer in den Ohren, ſagt, ich ſey ein harter Mann, und habs zu verantworten, wenn ich ſie um ihren Sohn bring. Jch ſagt’ endlich, ich will mit dem Herrn Pater Anton ſprechen, was Er davon haͤlt? Ob er unſern Sixt nicht auf beſſre Gedanken bringen kann? Jch hab zu Jhnen ein groß Zutrauen, Jhr Wohlehrwuͤrd. Der neue Herr Pfarr iſt erſt an - gekommen, denn kenn ich noch nicht ſo. Da wollt ich Sie denn bitten, was Sie darzu ſagen? ob Sie meinem Sohn nicht zureden wollen?
P. Anton. Wenn ich die Wahrheit ſagen ſoll, Franz, ſo ſeyd ihr mir ein wunderlicher ei - genſinniger Mann. Jhr habt einen einzigen Sohn, und ein groß Vermoͤgen. Jhr ſagt, daß ihr ihn lieb habt; wenn das iſt, ſo muß euch auch ſein Gluͤck lieb ſeyn. Nun ſeht ihr wohl, daß der junge Menſch anders nicht vergnuͤgt leben kann, als wenn er ſeine Regine zum Weib bekommt. Es muß ihm Ernſt mit ſeiner Liebe ſeyn, weil ers ſo drauf an - kommen laͤſt, daß er lieber euer Haus meiden, und ſein Vermoͤgen verlieren will, als das Maͤdchen laſ -75 ſen. Junge Leute kommen freylich oft ſo aneinan - der, ſie wiſſen ſelbſt nicht, wie? und waͤren dann froh, wenn ſie ſich bald wieder los werden koͤnnten. So aber iſts, wie mir deucht, bey eurem Sohn nicht, da ers ſchon uͤber ein Jahr treibt, und noch immer am Maͤdchen haͤngt. Er iſt ein braver Menſch, und ſie auch, wie ihr ſelber ſagt. Glaubt mir, Franz, in dergleichen Sachen laͤßt ſich nicht viel ſpielen. Euer Sohn koͤnnt ſich das zu Ge - muͤthe ziehen, und ich habe ſchon viel Schwermuͤ - thige gekannt, die’s aus Liebe geworden ſind; ſol - chen Leuten iſt dann ſchwerlich mehr zu helfen, auch wenn man ihnen hinterdrein das Maͤdchen geben wollte. Warum wollt ihrs denn nicht thun? Geſteht mirs nur, daß ſich viel Eigenſinn und Geiz mit einmiſcht! Beydes ſind gar grobe Laſter. Wer ſein ganzes Gluͤck auf Geld und Gut ſetzt, der ver - gißt zuletzt ſeine Seele druͤber. Jhr habt ein ſchoͤn Vermoͤgen, mehr als ihr braucht, wenn ihr auch hundert Jahr alt werdet. Sie hat auch ihre 6 bis 700 Gulden. Wenn die Leutchen nun zuſam - men kommen und fleißig arbeiten, ſo kanns ihnen nicht wol fehlen. Sie werden zuſammen leben wie die Engel, ſtill und friedlich; werden euch ihr Le - belang ihr Gluͤck verdanken, und euch Freude ma -76 chen. Was hilſts, wenn euer Sohn ein reicheres Weib nimmt, das er nicht lieb haben kann? Jch hab ſolche Ehen ſchon geſehen; da leben ſie zuſam - men, wie die Hunde und die Katzen; wenn das eine dahinaus will, will das andre dort hinaus. Da gibts ewigen Unfried, Zank und Schlaͤge und eines wird des andern Teufel. Wollt ihr euren Sohn gluͤcklich ſehen, und ihm eine ſolche Hoͤlle zubereiten? Einigkeit iſt das erſte Gluͤck der Ehe, und erhaͤlt ein Haus allein aufrecht. Jch will mit eurem Sohn reden, Franz, aber ich verſprech euch nicht, daß ich viel ausrichten werde. Wenn ihr wollt, ſo laßt ihn hereinkommen! Aber, wenn mein Zureden nichts uͤber ihn vermag, dann muͤßt ihr mir verſprechen, daß ihr nachgeben wollt. Sonſt mag ich mit der ganzen Sache nichts zu thun ha - ben. Durch mein Zuthun ſoll kein Menſch auf Erden ungluͤcklich werden, weder ihr, noch euer Sohn. Uberlegts wohl!
Franz. Ja ich will mich in Gottes Namen drein ſchicken, Herr! Jch ſag immer, was der P. Anton will, das will ich auch. Er verſteht die Sache beſſer, als unſer eins. — Anne! (zu der Magd, die eben Bier und Wein brachte) Sag dem Sixt, er ſoll hereinkommen; der Herr Pater77 woll was mit ihm ſprechen! — Sie wiſſen einem das Herz im Leib ſo weich zu machen, Jhr Wohlehr - wuͤrd! Es iſt mir ſchon ganz anders zu Muthe, und ſchier kommt mirs vor, als ob ich bisher Un - recht gehabt haͤtte. Ja, ja, wie Gott, und der Herr Pater will, pfleg ich ſo zu ſagen. Da kommt er ſchon! — Sixt, der Wohlehrwuͤrdige Herr will dich etwas fragen. Komm nur naͤher her! Darfſt dich nicht fuͤrchten.
P. Anton. Sixt, ich hab gehoͤrt, ihr habt ein Maͤdel hier im Dorfe?
Sixt. Ja, Herr!
P. Anton. Und wollt nicht von ihr ab - laſſen?
Sixt. Ach ich kann nicht, Wohlehrwuͤrdi - ger Herr! (und hier ſchoſſen ihm die Thraͤnen in die Augen.)
P. Anton. Und warum denn nicht? Da’s doch euer Vater nicht gut heißt?
Sixt. Ja, Herr Pater, das iſt ſo eine eigne Sache; wenn man ſchon will, man kann nicht. Jch hab ſchon hundertmal druͤber geweint, und allerley im Sinn gehabt; aber wenn ich wieder an ſie denke, und an den Eid, den ich ihr gethan habe, und daß ſie ſo brav und gottsfuͤrchtig iſt, und mich78 ſo von Herzen lieb hat, daß ſie druͤber zu Grund gehen wuͤrde; dann iſts, als ob ich mit hundert Haken wieder zu ihr hin gezogen wuͤrde, und ſie in Zeit und Ewigkeit nicht laſſen koͤnnte. — Nein, bey Gott, ich kanns nicht! Bey allen Heiligen will ichs ſchwoͤren, daß es kein Eigenſinn iſt! Jch thu ſonſt ſo willig, was mein Vater will; er muß es ſelber ſagen. Aber wenn ich meine Re - gine nicht haben ſoll, das hieß mir Gift geben, da will ich mich lieber lebendig braten laſſen. Jedermann muß mir’s Zeugniß geben, daß nichts an ihr auszuſetzen iſt, und daß wir nie nichts Unrechtes miteinander vorgehabt haben. Sehen Sie nur, Herr Pater, es iſt ein engelſchoͤnes Maͤdel, friſch und raſch, zu aller Arbeit aufge - legt; ihre Eltern ſind auch brave Leut, die ſie chriſtlich und wohl erzogen haben. Sie verſieht das ganze Hausweſen, ſeit die Mutter krank iſt; den ganzen Tag ſieht ſie bey der Arbeit nicht auf, wenn auch ich zu ihr kaͤme. Alle Men - ſchen ſind ihr gut; ſie haͤtt ſchon zehen Bauren haben koͤnnen, die noch reicher ſind, als ich; aber ſie will keinen, als mich; und da ſollt ich ihr den Stuhl vor die Stube ſetzen? Nein, das will ich nicht, das kann ich nicht! Einem Kerl, der79 ein Maͤdel angefuͤhrt hat, kann’s nicht wohl gehen. (Hier wiſchte er ſich die Augen.)
P. Anton. Nun, Franz, was ſagt ihr da - zu?
Franz. Nichts, als daß der Blitzkerl recht hat.
Sixt. Seht, Vater, es thut mir leid, daß ich euch die Zeit her ſo viel Kummer gemacht hab. Es war mir nirgends wohl. Der liebe Gott weiß, wie ich ganze Naͤchte durch geaͤchzt habe. Jch hab mir tauſendmal den Tod gewuͤnſcht. Aber es iſt einmal nur umſonſt; wider beſſer Wiſſen und Gewiſſen kann man nicht thun. Der Mutter hab ichs oft geſagt, die hatte auch keine ruhige Stunde; aber ſie ſah’s doch ein, und hoͤr - te mir zu.
Franz. Nun, Sixt, gib mir die Hand, und verzeih mir! Es war nicht ſo boͤs gemeynt. Kannſt das Maͤdel haben. Sey’s in Gottes Namen! Stromauf kann man freylich in der Donau nicht ſchwimmen. Sapperment! ich wollt dir des Wirths Tochter geben; das waͤr auch was geweſt. Aber, nicht wahr, Herr Pater, beſ - ſer iſt beſſer? Nun, nun, wenn ihr einander mit Gewalt haben wollt, ſo kriecht zuſammen! Haͤtt80 ichs doch nimmermehr gedacht, daß mich der Herr Pater ſo herum bringen wuͤrde. Heh, Weib! — Sie iſt drauſſen in der Kuͤche — komm her - ein! Sollſt was neues hoͤren. — Friſch! einge - ſchenkt, Herr Pater! .. Wie, Sixt? du ſtehſt ja da, wie ein armer Suͤnder. Da! trink auch eins! Soll leben deine Regine! — Trink ers auch mit, junger Herr! — Das Aug ſteht ihm ja voll Waſſer. Hab ich ihms nicht recht gemacht mit meinem Sohn da?
Siegwart. O ja, voͤllig recht, Nachbar Franz! Es freut mich, daß es ſo gegangen iſt. Eure Geſundheit, Franz! und Eure auch, Sixt, und Eurer Regine ihre!
Sixt. O ich bedanke mich, junger Herr, tau - ſendmal! Ach, ich weiß nicht, was ich ſagen ſoll, Herr Pater! Das Herz iſt mir ſo voll, ich moͤcht Jhnen nur zu Fuͤſſen fallen; weiß nicht, ob ich im Himmel oder auf Erden bin? Gott vergelts, was Sie an mir und meiner Regine gethan haben! Wir arme Leut koͤnnens doch nicht. — Und Jhr, Vater! ach verzeiht mir, und ſeyd tauſendmal be - dankt! — — Jch kann nichts reden, muß nur weinen und mir Luft machen.
Franz. (Zu ſeinem Weib, das herein kommt) Heh Weib! Viktoria! laß dir eine neue Haube ma -81 chen auf die Hochzeit! Unſer Sixt ſoll ſeine Regi - ne haben; da, dem Herrn da haſt du’s zuverdanken; denn ich weiß doch, daß dirs lieb iſt, alte Mutter; nicht wahr?
Die Baͤurinn. Ja wohl. Gott ſey ewig Lob und Dank, Franz, daß du dich beſonnen haſt! O Herr Pater, da haben Sie ein recht gutes Werk gethan. Mein armer Sohn waͤr zu Grund ge - gangen, und ſein Maͤdel auch. Nun Sixt, wie iſt dirs? Siehſt ja ſo traurig aus, und greinſt.
Sixt. Ach Mutter, laſt’s nur ſeyn! Jch kann kein Wort ſprechen; ’s iſt des Gluͤcks gar zu viel auf einmal. Jch weiß wohl, der Herr da nimmts nicht uͤbel; ſieht mir wohl an, daß ich danken woll - te, wenn ich koͤnnte. Laßt mich nur hinaus! Es wird ſchon beſſer werden in der friſchen Luft.
Sixt gieng hinaus, und Siegwart ſah ihm noch durchs Fenſter nach. Nun ward Franz bey ſeinem Glaͤschen Wein immer munterer, und tranks dem P. Anton, und dem jungen Siegwart fleißig zu. Es that ihm wohl, daß ihn Anton und ſein Weib wegen ſeines geaͤnderten Entſchluſſes lobten, und druͤber vergaß er die Bedenklichkeiten wegen der Ungleichheit des Vermoͤgens voͤllig. Ein Geiſt -F82licher hat, vermittelſt der Religion und des Anſe - hens, das ihm ſein Stand in den Augen andrer Leute gibt, viel Gewalt uͤber das Herz der Men - ſchen und beſonders des gemeinen Mannes; Moͤcht’ es doch jeder zu ſo guten Abſichten, wie P. Anton, und nicht, wie ſo viele thun, zu Befriedigung ſeiner Leidenſchaften, ſeines Ehr-und Geldgeizes oder ſei - ner Rachgier anwenden! Der edle Mann, mit dem ſchneeweißen Haar und der breiten Glatze ſaß jetzt da, geſegnet von den Eheleuten