PRIMS Full-text transcription (HTML)
Patriotiſche Phantaſien
Herausgegeben von ſeiner TochterJ. W. J. v. Voigt, geb. Moͤſer.
Erſter Theil.
Mit Koͤnigl. Preußiſcher, Churfuͤrſtl. Brandenburg. allergnaͤdigſter Freiheit.
Berlin, beyFriedrich Nicolai,1775.

Patriotiſche Phantaſien. Erſter Theil.

a 2

Vorrede der Herausgeberinn.

Gegenwaͤrtige Stuͤcke, welchen ich den Namen patriotiſche Phantaſien bey - gelegt habe, ſind mehrentheils ſchon in den Beylagen zu den Oßnabr. Intelligenz - Blaͤttern von dem Jahren 1768. und 1769. abgedruckt geweſen; einige wenige waren vor - her in andern oͤffentlichen Blaͤttern erſchienen. Wie ich meinem Vater entdeckte, daß ich ſolche ſammlen, und was ich von dem Ver - leger dafuͤr erhielte, auf eine patriotiſche Art verwenden wollte, antwortete er mir:

〟DuVorrede

Du kannſt es verſuchen, ich beſor - 〟ge aber, daß dasjenige, was auf ei - 〟nem Provinzial-Theater ertraͤglich ge - 〟ſchienen, auf der großen Buͤhne 〟Deutſchlandes nicht gefallen werde. 〟Vieles iſt zu local und bezieht ſich 〟auf einheimiſche Verbeſſerungen, die 〟zum Theil gemacht, zum Theil miß - 〟lungen ſind. Unſre Landes-Leute 〟ſind einzig und allein fuͤr die politi - 〟ſche Moral, und oft habe ich wider 〟meine Gewohnheit deklamiren, oder 〟bekannte Wahrheiten mit einer wich - 〟tigen Mine vortragen muͤſſen, um mir 〟die Aufmerkſamkeit meiner Zuhoͤrer 〟zu erwerben. Daher wird vieles aus -〟waͤrtsder Herausgeberinn. 〟waͤrts einen Erdgeſchmack haben, oder 〟zudringlich ſcheinen, und weil fuͤr 〟dergleichen woͤchentliche Blaͤtter auf 〟dem Glockenſchlag gearbeitet werden 〟muß, vieles von der Hand geſchla - 〟gen oder doch nicht ſo gerathen ſeyn, 〟wie es die große Welt billig fordert. 〟Dieſes kannſt du zu meiner Entſchul - 〟digung ſagen, und alle uͤbrige Com - 〟plimente unterwegens laſſen.

Nun mein lieber Vater! das ſoll auch ge - ſchehen: indeſſen hoffe ich doch nicht zu ſuͤn - digen, wenn ich alle und jede ſo dieſes leſen werden, inſtaͤndig erſuche, das Werk ſtatt mei - ner zu loben, und mir zu meiner guten Ab -ſichtVorrede der Herausgeberinn. ſicht recht viele Kaͤufer zu verſchaffen. Sie ſollen dann auch noch einen zweyten oder drit - ten Theil haben, wenn ihnen damit gedie - net iſt.

J. W. J. von Voigt geb. Moͤſern.

Inn -I

Innhalt.

  • I. Schreiben an meinen Herrn Schwiegervater. 1
  • II. Gedanken uͤber den Verfall der Handlung in den Landſtaͤdten. 7
  • III. Schreiben einer Mutter uͤber den Putz der Kinder. 24
  • IV. Reicher Leute Kinder ſolten ein Handwerk lernen. 26
  • V. Die Spinnſtube, eine Oſnabruͤckiſche Geſch. 41
  • VI. Man ſorge auch fuͤr guten Leinſamen, wenn der Linnenhandel ſich beſſern ſoll. 55
  • VII. Von dem Nutzen einer Geſchichte der Aemter und Gilden. 60
  • VIII. Gedanken uͤber eine Weinrechnung. 64
  • IX. Klagen eines Meyers uͤber den Putz ſeiner Frauen. 67
  • X. Das Gluͤck der Bettler. 70
  • XI. Etwas zur Verbeſſer. der Armen-Anſtalten. 74
  • XII. Von der Armenpolicey unſrer Verfahren. 79 XIII. Vorſchlag zur Verſorgung alter Bedienten. 84
  • XIV. Unvorgreifliche Beantwortung der Frage: Ob das haͤufige Hollandgehen der Oſna - bruͤckiſchen Unterthanen zu dulden ſey? 85
  • XV. Die Frage: Iſt es gut, daß die Untertha - nen jaͤhrl. nach Holland gehen; wird bejahet. 93
  • XVI. Von dem moraliſchen Geſichtspunkt. 109 XVII. Antwort an den Hn. Paſtor Gildehaus, die Hollandsgaͤnger betreffend. 111
  • XVIII. Schreiben einer Cammerjungfer. 115
  • II
  • XIX. Die Schenkung unter den Lebendigen mit Vorbehalt des Niesbrauchs ſolte verbo - ten werden. 117
  • XX. Die gute ſeelige Frau. 120
  • XXI. Die allerliebſte Braut. 125
  • XXII. Schreiben eines alten Rechtsgelehrten uͤber das ſogenannte Allegiren. 134
  • XXIII. Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤſ - ſigen Schulden der Unterth. zu wehren. 136
  • XXIV. Antwort auf verſchiedene Vorſchlaͤge we - gen einer Kleiderordnung. 149 XXV. Der ſelige Vogt. 153
  • XXVI. Schreiben einer Hofdame an ihre Freun - din auf dem Lande. 158 XXVII. Gedanken uͤber die vielen Lotterien. Bey dem Anfange der Oſnabruͤckiſchen Lotterie. 161
  • XXVIII. Troſtgruͤnde bey dem zunehmenden Mangel des Geldes. 167
  • XXIX. Johann konnte nicht leben. Eine all - taͤgliche Geſchichte. 171
  • XXX. Von Verbeſſerung der Bruanſtalten. 176
  • XXXI. Etwas zur Verbeſſerung der Intelli - genz-Blaͤtter. 179 XXXII. Von dem Verfall des Handwerks in kleinen Staͤdten. 181
  • XXXIII. Die Klagen eines Edelmanns im Stifte Oſnabruͤck. 209 XXXIIII. Die Poltick der Freundſchaft. 213
  • XXXV. Es bleibt beym Alten. 216
  • XXXVI. Klage wider die Packentraͤger. 219 XXXVII. Schutzrede der Packentraͤger. 223
  • III
  • XXXVIII. Urtheil uͤber die Packentraͤger. 230
  • XXXIX. Von der Steuer Freyheit in Staͤdten, Flecken und Weichbilden. 234
  • XXXX. Schreiben eines weſtphaͤliſchen Schul - meiſters, uͤber die Bevoͤlkerung ſeines Va - terlandes. 239 XXXXI. Schreiben eines reiſenden Gaſconiers an den Herrn Schulmeiſter. 247
  • XXXXII. Gruͤnde, warum ſich die alten Sach - ſen der Bevoͤlkerung widerſetzt haben. 251
  • XXXXIII. Alſo ſollen die deutſchen Staͤdte ſich mit Genehmigung ihrer Landesherrn wie - derum zur Handlung vereinigen? 257
  • XXXXIIII. Schreiben des Herrn von H. 266
  • XXXXV. Von den wahren Urſachen des Stei - gens und Fallens der Hanſeatiſch. Handl. 269 XXXXVI. Schreiben einer Dame an ihren Ca - pellan uͤber den Gebrauch ihrer Zeit. 278 XXXXVII. Antwort des Hrn. Commendeurs auf das Schreiben einer Dame, uͤber den Gebrauch ihrer Zeit. 282
  • XXXXVIII. Darf ein Handwerksmeiſter ſo viele Geſellen halten als er will? 286
  • XXXXIX. Haben die V. des Reichsabſch. von 1731. wohl gethan, daß ſie viele Leute ehr - lich gemacht haben, die es nicht waren? 287
  • L. Vorſchl. zu einem beſond. Advocatencollegio. 292
  • LI. Ueber die Art und Weiſe wie unſre Vorfah - ren die Proceſſe abgekuͤrzet haben. 295
  • LII. Vorſchlag zu einer Korn Handlungscom - pagnie auf der Weſer. 307
  • IV
  • LIII. Von dem unterſchiedenen Intereſſe, wel - ches die Landesherrn von Zeit zu Zeit an ih - ren Staͤdten genommen haben. 313
  • LIIII. Der hohe Styl der Kunſt unter den Deutſchen. 317
  • LV. Von dem Urſprung der Amazonen. 323
  • LVI. Kurze Geſchichte der Bauerhoͤfe. 325
  • LVII. Schreiben einer Frau an ihren Mann im Zuchthauſe. 333
  • LVIII. Ein Projekt das nicht ausgefuͤhret wer - den wird. 337
  • LIX. Beantwortung der Frage: Iſt es billig, daß Gelehrte die Criminalurth. ſprechen? 338 LX. Schreiben uͤber ein Projekt unſerer Nach - baren, Coloniſten in Weſtphalen zu ziehen. 344
  • LXI. An meinen Freund zu Oſnabruͤck, uͤber die Beſchwerlichk. Coloniſten anzuſetzen. 352
  • LXII. Ueber die Veraͤnderung der Sitten. 356
  • LXIII. Aufmunterung und Vorſchlag zu einer weſtphaͤliſchen Biographie. 358 LXIV. Vorſtellung zu einer Kreisv. um das Brandteweinsbr. bey dem zu beſorgenden Kornmangel einzuſtellen. 363
  • LXV. Von der Neigung der Menſchen, eher das Gute als das Boͤſe von andern zu glauben. 367
  • LXVI. Klagen einer Hauswirthin. 368 LXVII. Alſo ſoll man die Auſſuchung der Spitz - buben, Vagab. nicht bey Nachte vornehm. 371
I.1

I. Schreiben an meinen Herrn Schwie - gervater.

Endlich iſt es mir, Gott Lob! gelungen, meine Frau hat ihre Puppen fortgeſchickt, und dieſe Veraͤnderung macht ihrer Erzie - hung noch die meiſte Ehre. Das Kam - mermaͤdgen hat die Gelegenheit dazu ge - geben. Sie und meine Frau waren des Nachmittags ſpatzieren, oder wie ſie es nennen, philoſophiren geweſen, und erſtere war bey ihrer Wiederkunft mit einem Abſatze ein klein wenig in die Miſtpfuͤtze gerathen. Ich ſtand eben vor der Thuͤr, aber ohne bemerket zu werden, und da gieng es nun an ein erzehlen, an ein lachen, und an ein leben, das faſt eine Stunde waͤhrete; alles uͤber die kleine Geſchichte von dem Fuße und der Miſtgrube. Meine Frau ergetzte ſich mit, und es war nicht anders, als wenn die Kinder einen Vogel gefangen haͤtten. Ich trat endlich hervor und ſagte: Es thut mir leid! aber Louiſe, die Kuh bloͤkt ſo ſehr; will ſie nicht einmal zuſehen, was ihr fehlt? Das waͤre eine artige Commißion, ſagte das ſchnaͤppiſche Maͤdgen, und fragte mich, ob ich wohl jemals eine Dame mit einer Kapriole und einer Saloppe im Kuhſtalle geſehen haͤtte? Ich ſchwieg, und dach - te, es iſt noch nicht Zeit. Wie aber das Kammermaͤdgen eine eigne Tafel verlangte, und die kleine Magd, welche ihr

Möſers patr. Phantaſ. I. Th. Azur2Schreiben an meinen

zur Aufwartung iſt, nicht mit der Viehmagd eſſen wolte: ſo nahm ich endlich Gelegenheit, mit meiner jungen Frau dar - uͤber im Ernſt zu philoſophiren. Die heutige Erziehung der Toͤchter bemerkte ich, iſt zwar wuͤrklich ſehr gut: man giebet ihnen feinere Sitten, Geſchmack und Verſtand; allein es iſt auch eine nothwendige Folge davon, daß die Haut auf der Zunge feiner, die Haͤnde weicher, und alle Sinnen ſchwaͤcher werden, als ſich jene Faͤhigkeiten vermehren. Es iſt eine ſehr wahrſcheinliche Folge, daß der Verſtand, welcher die Wiſſenſchaften kennet und liebet, ſich ungern mit Erfahrungen in der Kuͤche abgeben werde; und endlich muß diejenige Toch - ter ſchon einen ſehr großen Grad von Vernunft beſitzen, wel - che bey einem feinen Geſchmack und einer vorzuͤglichen Ein - ſicht ihre edlere und zaͤrtlichere Glieder nicht in alle die krau - ſen, gehackten, gezierten, friſirten und Namenloſen Huͤllen kleiden ſoll, wodurch jetzt ſo viele zu einer ordentlichen Haus - arbeit ungeſchickt werden. Wann eine Perſon von vorneh - men Stande ſich dergleichen erlaubt, ſo denkt man endlich, ſie ſey zum Muͤßiggange privilegirt; und die vornehmen Haushaltungen wuͤrden ſchon ſo lange mit Unordnung gefuͤh - ret, daß man es geſchehen laſſen muͤſſe. Bey Menſchen Ge - denken hat man wenigſtens kein Exempel, daß in einer adli - chen Haushaltung etwas betraͤchtliches eruͤbriget worden. Allein wenn der zweyte Rang dem erſten; der dritte dem zweyten; und der vierte dem dritten in dieſer komiſchen Rolle folgt, ſo muß die davon abhangende Haushaltung zuletzt jene Wendung auch nehmen, und wir werden in einem friſirten Hemde unſere Pacht verlaufen muͤſſen. Jetzt, mein liebes Weib, kannſt du noch die Ehre haben, ein Original zu wer - den; du kannſt dich freywillig herablaſſen, und alle die An - toillage, alle dieſe groſſe Beaute, und dieſen verdammten Marly, welcher dem gemeinen Beſten jetzt hundert tauſend

Haͤn -3Herrn Schwiegervater.

Haͤnde ſtiehlt, mit einer ſchicklichern Kleidung vertauſchen, ohne daruͤber roth werden zu duͤrfen. Gott hat uns Mittel gegeben; daher koͤnnen wir es mit Anſtand thun. Wir koͤn - nen keinen gluͤcklichern Gebrauch von unſerm Vermoͤgen ma - chen, als wenn wir die ſchwachen Toͤchter, welchen nichts als ein großes Exempel fehlet, vor der Verſuchung bewahren in gleiche Ausſchweifung zu fallen. Die Muͤtter werden dich preiſen, und die Vaͤter mit Vergnuͤgen auf ihre Kinder ſehen, wenn ſie ſolche nicht mehr als koſtbare Zierpuppen betrachten duͤrfen; und wie zaͤrtlich, wie aufrichtig wird dir das min - der begluͤckte aber auch ehrgeizige Maͤdgen danken, welches ſich jezt, da es ihm an dem Vermoͤgen zu ſo vielen uͤberfluͤßi - gen Nothwendigkeiten fehlet, entweder verſteckt, oder fuͤr eine neue Friſur ihre Unſchuld aufopfert. Alle unſere jetzi - gen Moden haben blos das Verdienſt des wunderbaren, des ausſchweiffenden und des koſtbaren. Sie tragen nichts zur Erhoͤhung deiner Reizungen bey. Dieſe werden vielmehr nur verſteckt, beladen, und auf eine recht gothiſche Art ver - ziert. Neuigkeit und Einbildung haben zwar ihre Rechte; und ich verlange nicht, daß du dieſe verleugnen moͤgeſt. Al - lein hebe dich einmal aus dem Schwarm ſo vieler verdienſt - loſen Affen. Erweitere deine Einbildung, und erwege, ob nicht eine heroiſche Verachtung aller Modeſclaven etwas eben ſo neues, und eben ſo reizendes fuͤr deine Einbildung ſeyn werde, als alles, was dein Kammermaͤdgen mit einem diebi - ſchen Blicke der Hofdame entwenden kann? Es iſt jezt die Mode a la grecque zu ſeyn; und dieſe ſolte in der edelſten Ausbildung des menſchlichen Koͤrpers beſtehen. ....

Ich weis nicht, wie mir dieſes alles in einem Odem vom Herzen fiel, und woher meine kleine Frau die Gedult nahm, dieſen lehrenden Ton zu ertragen. Inzwiſchen muß ich ihr zum Ruhm bekennen, daß ſie mir in allem Beyfall

A 2gab;4Schreiben an meinen

gab; und kaum waren acht Tage verfloſſen, ſo kam ſie auf einmal mit den Worten in die Stube getreten: Nun ſieh mich a la grecque. Nie hatte ich ſie ſo reitzend geſehen. Eine allerliebſte Bauren-Muͤtze bedeckte ihr ſchoͤnes Haar, das ohne Kunſt aufgemacht war, und ſich nur ſo weit ſehen ließ, als man es gerne ſiehet. Durch ein Camiſol mit kur - zen Schoͤſſen druͤckte ſich der ſchoͤnſte Wuchs und noch etwas mehrers aus. Die Ermel an demſelben giengen nicht weiter als bis an den Ellenbogen: und waren frey von dem dreyfa - chen Geſchleppe, wodurch ſie vordem immer gehindert wurde, einem hungerigen Manne einen guten Biſſen mit eigener Hand vorzulegen. Ein netter und huͤbſcher Rock ſchien mit einigem Unwillen den feinſten Fuß zu verrathen, den ein weiſſer Strumpf und ein ſchwarzer Schuh weit gelenker zeig - te, als vorhin, da er mit Stof und Band beſchweret und von einem großen Geſchleppe gefeſſelt war. Kaum hatte ſie mei - nen Beyfall aus meinen entzuͤckten Blicken geleſen: ſo fuͤhrte ſie mich in die Kuͤche, wo die friſche Butter bereit ſtund, welche ſie jetzt mit eigener Hand wuſch; waͤhrender Zeit ihr junger ſchlanker Koͤrper in jeder Bewegung eine neue Reitzung zeigte. Ihr ganzes Geſichte ſchien ſich veraͤndert zu haben. Denn anſtatt, daß ſie vorhin zu ihrer Dormeuſe a la Tching - Tchang - fy,*)Dieſe neue Chineſiſche Art von Dormeuſen iſt oben mit ei - ner Springfeder, die, wenn man die Stirn kraus zieht, beyde Fluͤgel vorn zuſammen ſchlaͤgt. Da die Chineſiſchen Cammer-Jungfern die ganze Ingenieur-Kunſt verſtehen, und ſowol die Angrifs - als Vertheydigungs-Anſtalten ei - nes jeden Kopfs beurtheilen und dirigiren muͤſſen: ſo ſind dergleichen große Erfindungen in dieſem Lande ſehr ge - mein. eine Haut, wie Eſels-Milch, und ein paar unreifer Augen gebrauchte: ſo war ſie jetzt nichts denn Feuer und Leben; und wie wir auf den Acker giengen, konnte ſie

Bei -5Herrn Schwiegervater.

Beine und Haͤnde gebrauchen, da vorher jede Furche fuͤr ſie ein fuͤrchterlicher Grabe, und jeder Steig ein Rieſengebuͤr - ge war.

Seitdem haben wir nun unſern neuen Plan noch mit mehrer Ueberlegung ausgearbeitet. Das Cammer-Neglige, welches ſonſt von acht Uhr bis um 10 des Morgens waͤhrete, iſt voͤllig abgeſchaft; und ſo wie ſie aufſteht, iſt ſie in ihrer kurzen Kleidung geputzt. Das große Neglige, womit ſie ſonſt bey Tiſche erſchiene; wird im Hauſe gar nicht mehr getragen; und alſo auch des Nachmittages nicht zum drittenmal veraͤn - dert, wie ſonſt geſchahe, wenn etwan ein Beſuch vermuthet wurde. Des Abends aber faͤllt der Nacht-Tiſch von ſelbſt weg, indem keine tauſend Nadeln auszuziehen, und keine hundert koſtbare Kleinigkeiten wegzukramen ſind. Durch dieſe Anſtalten gewinnet ſie taͤglich ein plus von acht Stun - den in ihrem wuͤrklichen Leben; welche, da ſie nun zum Be - ſten unſrer Haushaltung angewandt werden, mich nicht allein vor Schaden bewahren, ſondern auch durch Gottes Segen in den Stand ſetzen werden, ein ehrlicher Mann zu bleiben. Das Cammermaͤdgen haben wir in ihrem groͤßten Staat, in unſrer beſten Gutſche, nach der Stadt zuruͤck geſchickt; und meine Frau und ich haben die Dame zu Pferde begleitet. Denn ſie reitet nun auch, und dies iſt ein nuͤtzliches Vergnuͤ - gen, das den Koͤrper ſtaͤrkt, und den Muth des Geiſtes un - terhaͤlt, welchen eine Landhaushaltung erfordert.

Wenn wir einen Beſuch erhalten: ſo empfaͤngt ihn meine Frau in ihrer jetzt gewoͤhnlichen Kleidung, mit einem ſo heroiſchen Anſtande, daß ein jeder ihre großmuͤthige Ver - leugnung bewundert. Da ihrem Anzuge an Reinlichkeit und edler Schoͤnheit nichts fehlet: ſo kann ſie ſich darinn zeigen, ohne den Wohlſtand zu verletzen; und unſer Denkungsart

A 3iſt6Schreiben an meinen Herrn Schwiegervater.

iſt ſo bekannt, daß wir keine uͤble Auslegung befuͤrchten duͤr - fen. Im uͤbrigen aber koͤnnen ſie verſichert ſeyn, daß die Geſellſchaft gerne bey uns iſt; indem Munterkeit und Gefaͤl - ligkeit ſich uͤber alles verbreiten, und das, was wir unſern Freunden vorſetzen, durch die Aufmerkſamkeit meiner Frau merklich verſchoͤnert wird.

Verſuchen ſie es, und kommen zu uns. Die Schnurre, welche ſie Wiſſenſchaft heiſſen, und dem ſchoͤnen Geſchlecht ehedem anprieſen, iſt bey uns ordentlich zum Gelaͤchter ge - worden. Die Arbeit, dieſer Fluch, womit Gott das menſch - liche Geſchlecht ſegnete, giebt uns wahres und dauerhaftes Vergnuͤgen; und wir leſen auſſer der letzten Abendſtunde nicht leicht ein Buch; indem wir einmal uͤberzeuget ſind, daß der Menſch nicht zum Schreiben und leſen, ſondern zum Saͤen und Pflanzen geboren ſey; und daß derjenige, welcher ſich beſtaͤndig damit beſchaͤftiget, entweder keine geſunde Seele, oder ſehr viele lange Weile haben muͤſſe. Die Quelle alles wahren Vergnuͤgens iſt Arbeit. Aus dieſer kommt Hunger, Durſt und Verlangen nach Ruhe. Und wer dieſe drey Be - duͤrfniſſe recht empfindet, kennet Wolluſt.

Leben Sie wohl, und beſuchen uns bald.

II.7

II. Gedanken uͤber den Verfall der Handlung in den Landſtaͤdten.

.... Wir muͤſſen uns ſchaͤmen, wenn wir an unſere Vorfahren in der deutſchen Com - pagnie (die Hanſe) gedenken. Alles, was wir jezt in den Landſtaͤdten thun, iſt dieſes, daß wir unſere Manufacturen einem Bremer oder Hamburger vertrauen, und uns durch die - ſelben herumfuͤhren laſſen. Mancher iſt gar ſo feige, oder geldbeduͤrftig, daß er gleich in Bremen und Hamburg ver - kauft, und ſich dem Preiſe unterwirft, welchen die auf der Boͤrſe daſelbſt verſammleten Aufkaͤufer ſeiner Verlegenheit oder ſeiner kurzen Einſicht beſtimmen. Die Laune eines Seeſtaͤdters, eine Zaghaftigkeit, welche ihm ſeine groͤßere Verwickelung in mehrern Orten des Handels auf einen Poſt - tag zuziehet; eine zufaͤllige Veraͤnderung des Wechſels; eine vortheilhaftere Fracht; die Zeit, welche er noch abwarten kann; die Noth des Verkaͤufers und andere Zufaͤlle entſchei - den den Vortheil des Mannes, der den ganzen Verdienſt ha - ben ſolte; und der Kuppler entfuͤhret ihm die Braut. Kaum wiſſen unſre Landſtaͤdter die Zeit, wenn ihre Waaren am be - ſten gehen. Sie verkaufen ihr Korn nach der Erndte, ihr Linnen um Pfingſten, und bekuͤmmern ſich nicht darum, wenn die Flotten aus England und Spanien nach Oſten und We - ſten abgehen, und der Factoriſt an der Stelle den verlegenen Schiffspatron zuͤchtiget, oder doch an der Waare, wobey die erſte Hand ſich kaum das Leben gefriſtet, noch dreyßig vom Hundert gewinnet. Alles, alles wird dem Seeſtaͤdter gelaſ -A 4ſen,8Gedanken uͤber den Verfallſen, der mit runzelnder Stirne und hangenden Lippen die Ungedult des Landſtaͤdters, der ihm ſeinen Segen feilbietet, oder auf den Hals ſchicket, und Geld und Waare darauf nimmt, haͤmiſch demuͤthiget.

Wie erweitert, wie ſtark, wie gluͤcklich waren dagegen die Einſichten unſerer Vorfahren in der deutſchen Compagnie? Sie bedienten ſich zwar des Schiffbodens der Seeſtaͤdter: Allein ſie verkauften ihre Waaren nicht auf dem Bremiſchen Markte, ſie uͤberlieferten ſich nicht mit Leib und Seele der Aufrichtigkeit eines Hamburgers. Fuͤr eigene Rechnung wurde ihre Waare eingeladen. An dem Orte ihrer Beſtim - mung zu Bergen, Londen, Novogrod, Bruͤgge und ander - waͤrts hielten ſie ihre eigene Bediente, ihre eigne Packhaͤuſer und ihren eignen Markt. Ihre Bediente, welche ſolcherge - ſtalt an allen Enden der Welt waren, gaben ihnen getreue Berichte. Sie ſahen nicht durch die Brillen der Seeſtaͤdt - ſchen Unterhaͤndler. Sie lieſſen ſich nicht von einigen Ne - benbuhlern unterbohren, ſondern wußten gleich, wenn und warum eine Waare nicht mehr zog; wie ſich Geſchmack und Nothdurft aͤnderten, wer beſſere Preiſe gab, wodurch dem - ſelben der Rang abzugewinnen, was fuͤr Farben und Strei - fen den Vorzug hatten, welche Moden am liebſten, und in welchem Stuͤcke es auf die Guͤte der Sache, oder nur auf den Glanz ankam, wo ſich neue Quellen eroͤfneten, und welche Handlungsmaxime der fremde Staat faßte. Jede Veraͤnde - rung wurde ihnen zeitig, gruͤndlich und von getreuer Hand bekannt, jede Theurung oder Thorheit unmittelbar und ſchnell genuzt, jede Ausſicht ſchleunig eroͤffnet, und jede Unterneh - mung derſelben angemeſſen. Alle Zahlungen giengen ohne Umſchweife, und die Seeſtaͤdte mußten ihren Wechſel aus den Landſtaͤdten in der Hanſe kaufen.

Jezt9der Handlung in den Landſtaͤdten.

Jezt iſt es einem Seeſtaͤdter leicht, den Handel eines ganzen Landes zu verderben. Ungeſtraft macht er die Wap - pen und Zeichen anderer Laͤnder nach, druͤckt ſolche auf ſchlechte Waare, und verlaͤumdet damit die Redlichkeit des Mannes und des Orts, der mit aller Treue ſeinem Zeichen und Wap - pen Ehre zu machen ſuchte. Er veraͤndert das Gewicht, ver - kuͤrzt die Elle, und verkauft polniſch fuͤr preußiſch, bis endlich die Empfaͤnger der ſchlechten Waare uͤberdruͤßig auf eine neue Spur geleitet und durch andere Laͤnder oder Waaren beſſer verſorget werden. Wo iſt itzt der Landſtaͤdter, der ſich ruͤh - men kann, einige Nachricht aus dem wahren Sitze der Hand - lung zu empfangen, die Urſache eines ſteigenden und fallenden Wechſels zeitig zu bemerken, ſeinen Plan auf ſichere Gruͤnde zu bauen, die Beduͤrfniſſe jeder Colonie, jedes Reiches zu kennen, und ſofort ſeine Maasregeln darnach zu nehmen? Kaum kann er noch eine geringe Zahlung durch eigene Wech - ſel verrichten. Moſes und Abraham rechne ich aber nicht mit. Dieſe koͤnnen freylich Wechſel in Menge ſchreiben; aber darf man fragen wie? Und koͤnnen wir ohne Erroͤthen daran gedenken? Sie laſſen die Wechſel in Bremen, Hamburg oder Amſterdam aufkaufen, ſchicken ſolche zur Erhebung an ihre Freunde in Spanien oder England, und verkauffen uns denn ihre Anweiſungen auf das erhobene Geld. Der Hamburger, Bremer oder Hollaͤnder gewinnet alſo daran ein halbes vom Hundert. Der Englaͤnder und Spanier eben ſo viel, und Moſes und Abraham ſicher ein ganzes. Und woher ruͤhren dieſe Gelder? Sind es nicht Zahlungen, die wir aus Spa - nien und England zu fordern hatten? Geſchehen ſie nicht fuͤr Waaren, die man aus dem Lande nach den Seeſtaͤdten ge - ſchickt hatte? Und verkauft man uns nicht unſer eigen Geld? Erſt ſchnellen uns die Seeſtaͤdter um die Waare, und nun pluͤndern ſie unſern Beutel. Kann man ſich etwas ſchimpfli -A 5chers10Gedanken uͤber den Verfallchers vorſtellen, und wuͤrde nicht ein Kind aus der alten Hauſe ſagen, wir haͤtten allen Verſtand verlohren?

Dies iſt aber die Sache nur noch von einer Seite; von der Seite, wie wir unſere eigene Producten und Manu - facturen durch die Haͤnde der Seeſtaͤdter los werden, betrach - tet. Nimmt man nun auch vollends die andere, wie wir un - ſere Beduͤrfniſſe, und den ſogenannten nothwendigen Ueber - fluß aus fremden Laͤndern erhalten, hinzu: ſo vermehret ſich der Schade der Landſtaͤdter nach dem Maaße, als die Einfuh - re die Ausfuhre jezt uͤberwieget. Unſere Vorfahren im Han - ſiſchen Bunde, da ſie an den Enden der Welt ihre Factoreyen hatten, erhielten nothwendig alles ohne Mittel und aus der erſten Hand. Sie kauften die Heringe nicht von den Hol - laͤndern; ihr Factor zu Bergen ließ ſie ſelbſt fangen. Sie kauften den Leinſamen nicht um Oſtern zu Bremen, ſondern im Herbſt von dem Landmanne an dem Orte, wo er waͤchſt, oder doch wenigſtens auf dem Markte zu Riga oder in der Li - bau. Jeder Kaufmann, der in einer Hanſeſtadt wohnte, ließ den Thran bey ſeiner Factorey in Bergen ſieden, ſeine Fiſche daſelbſt ſalzen oder trocknen, und die Kaufleute der Stadt Soeſt hatten ſo vieles fuͤr eigene Rechnung auf der See, daß es ihnen der Muͤhe verlohnte, beſondere Freyheitsbriefe von dem daͤniſchen Monarchen zu nehmen. Wo aber iſt jezt der Geiſt einer gleichen Unternehmung? Wie viele ſind in der Hauptſtadt, die nur einmal den Reis aus England ziehen? und gleichwohl ſchickt ihn der Englaͤnder ohne Zahlung nach Bremen, und wartet gern ein Jahr auf ſein Geld. Wer kauft nicht ſeinen Toback bey fuͤnf oder ſechs Faͤſſern in Bre - men, und laͤßt ſich nicht oft dasjenige, was bey der Stuͤrzung in England als ſchadhaft von dem Gewichte der Tonne abge - zogen wird, fuͤr gute Waare verkauffen? Wer achtet auf die Schiffe, welche in England aus den Marylaͤndiſchen Coloniendamit11der Handlung in den Landſtaͤdten. damit ankommen? Wer hat im voraus einige Nachricht, wie der Jahrwachs daſelbſt gerathen? Wer unterſcheidet die gu - ten Glaßgowiſchen und Liverpoliſchen Preiſe von den London - ſchen? Wer weis die Rechte eines jeden Hafens und den Ein - fluß, welchen ſolche auf eine Waare haben? Dies uͤberlaͤßt man der Aufmerkſamkeit des Hamburgers und Bremers; und dieſer allein ziehet den Vortheil ohne Arbeit. Bey dem letz - teren Verkauf der Oſtindiſchen Compagnie in Amſterdam ſahe man italiaͤniſche und franzoͤſiſche Gewuͤrzhaͤndler: aber kei - nen einzigen deutſchen in Perſon. Gleichwol hatte man eine neue Art von Verſteigerung durch Uebergeboth eingefuͤhret, welche die Gewuͤrze merklich theurer, und die Ausrichtung durch die Maͤckler fuͤr die Zukunft weit bedenklicher machen wird. Alles, was man von deutſcher Aufmerkſamkeit dabey bemerkte, war dieſes, daß der feine Canel fuͤr Italien, der mittlere fuͤr Frankreich und die ſchlechteſte Borke fuͤr Deutſch - land erhandelt wurde.

Wie weit ſind dieſe Grundſaͤtze von den Grundſaͤtzen der ehemaligen Hanſe entfernet. Dieſe betrachtete die See - ſtaͤdte als bloße Niederlagen. Sie behauptete zum Vortheile der Seeſtaͤdte, daß jede Bundſtadt nur ihre eigene Waaren ausfuͤhren ſollte und zum Vortheile der Landſtaͤdte, das jede Manufactur an dem Orte, wo ſie fiele, zur Vollkommenheit gebracht werden muͤßte. Dieſem großen Geſetze zufolge, wel - ches, wie man insgemein glaubt, die Koͤnigin Eliſabeth nach - her der ganzen Welt zur Regel und zur ewigen Grundlage des engliſchen Handels gemacht hat, durfte der Seeſtaͤdter ſich nicht unterſtehen, das Faͤrberlohn an einem Stuͤcke Tuche zu gewinnen, oder ein Stuͤck Linnen zu glandern, welches nicht dort gemacht war. Man ſahe ein, daß es dem See - ſtaͤdter an wohlfeilen Haͤnden mangelte, um die Spinnereyzu12Gedanken uͤber den Verfallzu beſtreiten; und daß es ihm im Gegentheile leichter fiele, einem rohen Stuͤcke Tuch Farbe und Glanz zu geben. Man ſahe ein, daß, wenn ihnen dieſes geſtattet wuͤrde, die Land - ſtaͤdte nur fuͤr die Seeſtaͤdte arbeiten, und dieſe zuletzt ſich der Handlung und des wahren Vortheils bemeiſtern wuͤrden.

Was wuͤrden die Maͤnner von ſolchen Einſichten den - ken, wenn ſie hoͤrten, daß jene zwey große Geſetze als die wichtigſte Erfindung dem Engliſchen Genie zugeſchrieben, und in Deutſchland in ihrem ganzen Umfange kaum noch begriffen wuͤrden? wenn ſie hoͤrten, daß jezt in den Seeſtaͤdten alle Ar - ten von Fabriquen beſtehen, und von dort her Huͤte und Struͤmpfe in die Landſtaͤdte geſchickt werden koͤnnen? Sie wuͤrden glauben, die Welt haͤtte ſich umgekehret, und die Handarbeit ſey wohlfeiler in der Seeſtadt, als in der Land - ſtadt. Unſere Gelehrten beſchreiben uns die Hanſiſchen Kriege, aber nicht den Geiſt der damaligen Handlung. Leben und Thaten eines Luͤbeckiſchen Buͤrgermeiſters ſind ihnen ſo wich - tige Gegenſtaͤnde, daß ſie die Thorheit einer handelnden Com - pagnie, die in das Eroberungsſyſtem verfaͤllt, nicht einmal ahnden. Auch damals haben die Seeſtaͤdter die deutſche Land - handlung einem Schwindelgeiſte aufgeopfert. Iſt denn aber den Landſtaͤdten der Weg nach andern Gegenden verſperret? Sind ihnen die Schottiſchen Fabriquen und Hafen unentdeckt? Iſt ihnen Oporto und Bourdeaux mehr, als den Seeſtaͤdtern, verſchloſſen? Koͤnnen ſie nicht eben ſo gut, als dieſe, ihre Factoren in Liſſabon und Cadix haben? Koͤnnen ſie nicht eben ſo gut, als ein Englaͤnder und Hollaͤnder, nach allen Spani - ſchen und Portugieſiſchen Colonien handeln, wenn ſie ein Packhaus in Liſſabon, und den Namen eines Spaniers oder Portugieſen miethen? Verleihet ein Buͤrger in London ſei - nen Namen einzig und allein an einen deutſchen Seeſtaͤdter? Oder13der Handlung in den Landſtaͤdten. Oder iſt es unmoͤglich, an jedem Orte einen Freund zu fin - den, der gegen einigen Genuß des Vortheils, auf aller Welt Beduͤrfniſſe Acht giebt; neue Ausſichten eroͤfnet, und blos die Stelle eines getreuen Spediteurs, vertritt? Und koͤnnten un - ſere muͤßigen Reſidenten nicht in mancher Abſicht dem Staate dienen?

Man wird einwenden, daß man auf ſolche Art ſein Gut dem Meere und unbekannten Perſonen vertrauen, drey Jahre auf den Umſchlag warten, aus dem Spaniſchen und Portugieſiſchen Indien Waare zuruͤck nehmen, und fuͤr letz - tere einen großen Markt haben muͤſſe. Eine Ladung Oel, Zitronen, Roſinen, Weine, Wolle, Domingo, Indigo und dergleichen Waaren, welche Spanien zuruͤck gebe, wuͤrde eine Landſtadt nicht mit Vortheil verſchlingen koͤnnen, und letzteres ſey der wahre Vorzug der Seeſtaͤdte, wodurch ſie ſich der Handlung bisher allein bemeiſtert haͤtten. Allein Un - ſicherheit iſt die Seele des Handels; und je laͤnger man auf ſein Geld warten muß, je groͤßer iſt auch der Vortheil, weil Kraͤmer und Schleicher, die ihrer wenigen Pfennige gleich wiederum beduͤrfen, ſich nicht daran wagen, und den Han - del verderben koͤnnen. Blos die letzte Schwierigkeit wuͤrde erheblich ſeyn; wenn der Bremer und Hamburger Buͤrger den Markt fuͤr ſich allein, und Auswaͤrtige nicht die Frey - heit haͤtten, auf dieſem Markt im Großen zu verkaufen. Ein Landſtaͤdter kann alle ſeine Spaniſche Ruͤckfrachten dort able - gen, verkaufen, und an alle Ende der Welt gehen laſſen. Er darf nur Kunden auf dem Lande haben, und, wenn er denn beſſere Preiſe, als der Bremer geben kann, ſo wird die - ſer keinen Vorzug vor ihm gewinnen. Beſſere Preiſe aber kann er geben; wenn er die Waare, als zum Exempel das Linnen, welches der Bremer in Bezahlung nach Spanien oderun -14Gedanken uͤber den Verfallunter eines Spaniers Namen nach den Indien geſchickt, und aus den Landſtaͤdten gekauft hat, unmittelbar dahin verſendet. Sollte Hamburg und Bremen nicht wollen; ſo iſt Harburg und Emden offen; und beyden fehlet nichts, als Ruͤckfracht in die Fremde.

Man denke nicht, daß der Neid zu ſtark dagegen ar - beiten wuͤrde: Der deutſche Seeſtaͤdter iſt verlegener, als man glaubt. Er wuͤnſcht, und der Hollaͤnder wuͤnſcht es mit ihm, daß aus Deutſchland jaͤhrlich zehen tauſend Schiffsla - dungen ohne ſeine Gefahr abgehen, und ihm weiter nichts, als die Packhausheuer, die Beſorgungsgebuͤhr und die Schiffs - fracht einbringen moͤchten. Er verlanget nicht fuͤr eigene Rechnung zu handeln, und erkennet gern, daß Luͤbeck und Hamburg zur Zeit der Hanſe groͤßer durch die Waarenlager von Deutſchland, als durch eigenen Handel geworden. Zu dieſem Preiſe wird er ſeinen Lieblingshandel mit Franzoͤſiſchen Weinen gern den Landſtaͤdten ſelbſt uͤberlaſſen; und noch et - was mehr, als Tonnenſtaͤbe nach Frankreich zuruͤck fuͤhren koͤnnen. Es fehlet ihm oft an Ruͤckfrachten; und er muß gleich den Schweden in Ermangelung einiger Waaren bey den Fremden ein Fuhrlohn verdienen. Allein der Landſtaͤdter muß die Entwuͤrfe machen, und den Seeſtaͤdter leiten. Er muß wiſſen, was fuͤr Waaren aus Cuͤraſſeau oder St. Euſta - che am beſten verſchleifet; was in der Levante erfordert, und in Norden gebrauchet wird. Der Seeſtaͤdter, ſo lange er blos ſeine Gebuͤhren fuͤr die Beſorgung ziehet, wird ihm kei - nen Faktor in Smirna halten, und nicht fuͤr den Verkauf der Waare an den Orten der Abladung einſtehen. Dies muß der Landſtaͤdter ſelbſt wiſſen, und dieſe Idee hat er jetzt voͤl - lig verlohren. Wenn ihm eine Pflanzung in Suriname an - geboten wuͤrde; wenn er ſeinen Caffee dort ſelbſt bauen laſ -ſen15der Handlung in den Landſtaͤdten. ſen ſollte; er wuͤrde glauben, in einer ganz neuen Welt zu ſeyn. Und gleichwol iſt er ſo nahe dazu, als ein anderer, und durch die Umſtaͤnde zu weiter nichts verbunden, als ſeine Erndte in Holland auszuladen.

Die ganze Levante ſteht ihm offen; der Hollaͤnder hat den Handel, theils weil er der keinen Vortheile ſatt war; theils weil er aus Deutſchland mit keinen Waaren verſorgt wurde, eine ganze Zeit uͤber vernachlaͤßiget. Der aufmerk - ſame Englaͤnder hat ihn verdrungen, und die Leidener Tuch - fabrique, welche in der Tuͤrkey noch beruͤhmter, als in Deutſchland war, iſt daruͤber verſunken. Allein, in Deutſch - land hat niemand darauf gedacht, einige Produkten nach der Levante zu ſchaffen.

Keiner gedenkt ſich in Alexandrien einen Markt zu machen, oder aus Cairo etwas zu erhalten, man laͤßt dem Englaͤnder dort ſeinen Tuͤchern den Preis ſetzen, und das aͤrmeſte Staͤdtgen in Deutſchland wagt es nicht, die ſeinigen dorten wohlfeiler auszubieten. Was die Amerikaniſchen Co - lonien den Englaͤndern, und was England der Stadt London iſt; das ſollte Deutſchland den Hollaͤndern und uͤbrigen See - ſtaͤdten ſeyn koͤnnen. Oder ſollte eine Schiffsladung von Schuhen aus London wohlfeiler abgehen koͤnnen, als aus Bremen? Und ſollten ſelbige, wenn ſie rechtſchaffen gemacht werden, nicht eben ſo viel Kaͤufer in den Spaniſchen Indien finden, als andere, die unter dem Namen eines Spaniſchen Einwohners dahin gehen? Jetzt iſt es freylich die Zeit nicht mehr, auf die Schuhe zu gedenken, nachdem die Ameri - kaniſchen Colonien das Leder ſo wohlfeil liefern, daß Deutſch - land bald ſeine Schuhe aus England erhalten wird. In - deſſen findet ein aufmerkſamer Geiſt allemal noch neue Wege. Es gehen noch ganze Ladungen von geſtickten Schuhen ausSachſen16Gedanken uͤber den VerfallSachſen nach Rußland; und der Franzoſe brachte die Feder - muffen wieder in Mode, nachdem er das Rauchwerk aus Canada verlohren hatte. Einer fleißigen Hand iſt nichts unmoͤglich.

Ueberhaupt aber iſt der Deutſche Handel nicht allein in dem aͤuſſerſten Verfall, ſondern wir ſtehen auch in Ge - fahr, unſer Brod mit der Zeit wohlfeiler aus America zu erhalten, als es bey uns gebacken wird. England, das von uns nichts zuruͤck nimmt, und Gottes Wort fuͤr Con - trebande erklaͤret, wenn es auswaͤrts gebunden iſt, wird unſere offene Haͤfen mit aller Leibes Nothdurft und Nahrung verſorgen; und die Seeſtaͤdter, welche entweder bey der wenigen Ausfuhr aus Deutſchland die Haͤnde in den Schooß legen, oder alle fremde Handlung beguͤnſtigen muͤſſen, werden uns noch mehr Butter, Talg, Wachs, Honig, Hanf und Korn zufuͤhren, uns mit Burton - oder Dorcheſter-Bier traͤnken, und, wenn es ihnen an beſſern Frachten fehlet, aus Noth mit Eis aus Groͤnland handeln. Nach England darf ohne beſondere Erlaubniß des Koͤnigs keine irlaͤndiſche Butter kommen. Allein, in Deutſchland findet ſie uͤberall ihren Markt, und was noch ſchlimmer iſt, Kaͤufer, welche ſie aus Mangel einheimiſcher nehmen muͤſſen. Woher ruͤhret denn dieſes? Und warum befinden wir uns in dieſer Be - duͤrfniſſe? Das einzige, was wir jetzt noch ausfuͤhren, oder den Namen einer Ausfuhre verdienet, iſt Linnen. Auf ſelbigem liegen in England vierzig vom Hundert, wovon auf dasjenige, was nach America 35, und auf dasjenige, was uͤber Liſſabon und Cadix nach Indien gehet, faſt alles zuruͤck gegeben wird.

Geſetzt nun, es kaͤme dahin, wie es bey der vorigen Parlementsſitzung beynahe gekommen waͤre, wenn ſich nichteini -17der Handlung in den Landſtaͤdten. einige beſondere Nebenurſachen ins Mittel geleget haͤtten, daß die 35 vom Hundert auf dasjenige, was nach America gehet, nicht weiter zuruͤckgegeben wuͤrden: ſo iſt nicht der ge - ringſte Zweifel, daß nicht die Schottlaͤndiſchen Fabriken alles Schleſiſche, und die Irlaͤndiſche alles Oſnabruͤckiſche, Ravens - bergiſche, Lippiſche und Weſer-Linnien verdrungen haben wuͤrden. Womit wollte aber denn Deutſchland noch weiter bezahlen? Und woran haͤngt es, daß jener große Entwurf, nach welchem die Americaniſchen Colonien entweder Schott - laͤndiſch und Irriſch Linnen nehmen, oder aber dem Staate die 35 p. C. davon bezahlen ſollten, nicht zum Stande ge - kommen? An einer Furcht vor den Amerikaner, an einem Haß gegen Schottland; an einem Neide der Londonſchen Kaufleute, die, ſo lange das Linnen uͤber Bremen koͤmmt, mehr Meiſter von der Quelle ſind; und an einiger Ruͤckſicht auf die Spaniſche Handlung, wohin das deutſche Linnen den Weg mehr uͤber Holland, wie vor dem, genommen haben moͤchte. Wie leicht moͤgen aber dieſe Bedenklichkeiten nicht verſchwinden, wenn die Seeſtaͤdter ohne Ueberlegung und ohne Gewicht nur immer und aus Noth von den Auswaͤrti - gen abhangen, Weine von Bourdeaux holen, aber nichts als Holz wieder zuruͤck bringen duͤrfen?

Ich erwehne mit Fleiß nichts von der Menge des Caffees, Thees, Zuckers und Weines, welche nunmehro zu den Beduͤrfniſſen eines Bettlers gehoͤren, und Deutſchland auf das ſichtbareſte erſchoͤpfen. Dergleichen Dinge ſind zu klar und zu abgenutzt, als daß ich ihrer erwehnen ſollte. Und die Gefahr kann nicht groͤßer ſeyn, als ſie iſt, wenn man die aͤuſſerſten Beduͤrfniſſe wohlfeiler aus der Fremde ziehet, als daheim bauet; gleichwohl aber mit ſeinen Haͤnden wenig oder nichts ſchaffet, um das Gleichgewicht dagegen zu halten,Möſers patr. Phantaſ. I. Th. Bkei -18Gedanken uͤber den Verfallkeinen Blick in die Welt thut, welche dem Fußgaͤnger, wie dem Reuter, offen ſteht.

Es iſt faſt unglaublich, wie ſehr wir ſeit einigen Jahren die Bilanz der Handlung verlohren haben. Wie lange iſt es, daß hundert Alberts-Thaler 120 Thaler unſerer Muͤnze galten? Und, wie lange ſtehen ſie nun an und uͤber 135? Wer denkt die Zeit, daß der Engliſche Wechſel ſo lange und ſo anhaltend, um und uͤber ſechshundert geſchwebet? Und welcher Menſch in der Welt haͤtte es ſich vorſtellen ſollen, daß England in wenigen Jahren an die zehn Millionen Pf. Sterl. haͤtte nach Deutſchland uͤbermachen koͤnnen, ohne dort ſchuldig zu werden, und den Wechſel gegen ſich zu haben? Fluͤſſe und Haͤfen koͤnnten uns dienen. Allein zufuͤllen und verſenken ſollten wir ſie beynahe, da ſie ihrem Vaterlande ungetreu und fremden dienſtbar werden.

Jedes Seeſtaͤdtgen handelt blos nach ſeiner eigenen Politik, und die Wohlfahrt des Reichs, welche leider mit jedem einzelnem Theile deſſelben contraſtirt, iſt kaum noch, dem Namen nach, bekannt. Aber auch in keinem Friedens - ſchluſſe wird fuͤr die Befeſtigung der Handlung geſorgt. Man hat ſich von Rußland, Frankreich, England und Holland, nie etwas fruchtbares dafuͤr bedungen, und iſt ſtolz, einen Rang - ſtreit ausgemacht, oder eine neue Meſſe angelegt zu haben.

Man glaube aber nicht, daß die Seeſtaͤdte ihren Vore - theil zuerſt von dem Vortheile des Reichs getrennet haben. Den erſten Fehler ausgenommen, welchen ſie jetzt mit der engliſchen Oſtindiſchen Compagnie gemein haben, daß ſie Kriege mit den Reichen anfingen, mit deſſen Einwohnern ſie handeln wollten, ſo ſind es die Landſtaͤdte, welche ſich ihnen zuerſt entzogen, und ſie dadurch in die Nothwendigkeit ge -ſetzet19der Handlung in den Landſtaͤdten. ſetzet haben, alles fuͤr eigene Rechnung zu thun, und in Er - mangelung deutſcher Waaren, uns ſo viel mehr fremde zu - zufuͤhren. Es liegt an uns, daß wir nicht unſern Vortheil mit dem ihrigen wieder vereinigen, und Leute aus ihnen auf - muntern, welche zum Vortheile Deutſchlandes reiſen; neue Oefnungen fuͤr den Handel ſuchen; neue Quellen entdecken; die Beduͤrfniſſe eines jeden Landes ausfinden; den Mitteln, wodurch es jetzt von andern Nationen ausgeholfen wird, nach - ſpuͤren; die Moͤglichkeit, ihm beſſer und wohlfeiler zu dienen, uͤberlegen, und uns denn die Vorſchriften geben, wornach wir in den Landſtaͤdten arbeiten muͤſſen, um ihre Erfahrungen zu nutzen. Dieſes iſt wenigſtens, da wir ſelbſt dergleichen Reiſen nicht unternehmen, und nur mit fremden Augen ſehen wollen, das ertraͤglichſte, und vielleicht braͤchten alle unſere Landſtaͤdte mehr als dreyhundert Fragen zuſammen, welche ſolchen Reiſenden mitgegeben werden koͤnnten.

Es gehet kein Jahr vorbey, daß nicht wenigſtens zehn Englaͤnder der Handlung wegen Deutſchland bereiſen, und ſich Kunden erwerben; zwar ſind es mehrentheils Londoner, welche blos Beſtellungen ſuchen, und eben ſo viel nicht ſcha - den, weil Leute von Einſicht, welche ihre Waaren aus den innern Haͤfen und aus den Landſtaͤdten Großbrittanniens ſelbſt ziehen, ihnen eben das, was ſie anzubieten haben, wohlfei - ler in Deutſchland geben koͤnnen, als es ein Londoner, der ſeine Gebuͤhren auf der Waare und der Zahlung ſuchet, ver - ſchaffen kann. Wie mancher Landſtaͤdter glaubet aber nicht alles gefangen zu haben, wenn er ſeine Waaren nur aus der beſchwerten Themſe erhaͤlt? Und wie ſehr beweiſen dieſe Rei - ſen die Aufmerkſamkeit des Britten? Es war eine Zeit, wo ganz Niederdeutſchland mit den ſogenannten engliſchen Adven - tuͤrers (mercatoribus adventuratoribus) uͤberſchwemmet war. B 2Sie20Gedanken uͤber den VerfallSie hatten ihre Stapel in allen Hanſiſchen Staͤdten, und dieſe mußten ihnen eben das Recht geſtatten, was ſie ſelbſt in ihrer Guildhall, der Hanſiſchen Niederlage in London, ge - noſſen. Nun haben zwar die Englaͤnder den Hanſiſchen ſo viele Schwierigkeit gemacht, daß ſie den Platz raͤumen muͤſ - ſen, und die Adventuͤrers ſind dieſſeits aus ihren Neſtern ge - ſtoſſen. Allein, letzters iſt in der That nur dem Namen nach geſchehen; die Seeſtaͤdter dienen ihnen mit geringeren Unkoſten als Factoren, und die Englaͤnder wuͤrden ein glei - ches fuͤr uns thun, wenn wir nur etwas haͤtten, was ihnen zu gebrauchen beliebte. Letzters aber iſt ſehr wenig. Wir tragen alles, was ſie machen, ſie aber nehmen nur von uns, was ſie ſelbſt nicht hervorbringen koͤnnen. Sie haben ſogar im vorigen Jahre, nachdem die große Geſellſchaft zu Befoͤr - derung der Kuͤnſte einen Preis von hundert Pfund Sterling demjenigen verſprochen hatte, welcher eine gewiſſe Menge Oſnabruͤckſches Linnen, auf gleiche Art und zu gleichem Preiſe, als hier geſchiehet, liefern wuͤrde, das Garn aus Weſtpha - len kommen laſſen, und ſich erſt durch wiederholte Verſuche von der Unmoͤglichkeit uͤberzeugen laſſen. Anfangs wunder - ten ſie ſich, wie wir ſo einfaͤltig ſeyn, und ihnen das Garn zukommen laſſen koͤnnten, ohne das Weberlohn daran zu ver - dienen. Wie ſie aber das Garn faſt theurer fanden als das Linnen, was davon gemacht werden konnte: ſo ſchienen ſie uns doch noch etwas mehr als Klugheit zuzutrauen. Der Britte iſt in der That ſo gefaͤhrlich nicht, als wir glauben. Es giebt nahe bey London ſo ſchoͤne Heyden, als in Deutſch - land; und die Englaͤnder rechnen ſehr maͤßig, wenn ſie auf vierhundert Millionen Quadratruthen wuͤſter Gegenden, blos in England rechnen. Nil deſperandum. Wenn wir uns nur angreifen wollen. Allein, wir kennen die Welt von der Seite der Handlung nicht, und der Seeſtaͤdter treibt dieHand -21der Handlung in den Landſtaͤdten. Handlung als die Alchimie. Sonſt muͤßten wir, die wir unter einer Laſt von Pfenningen ſeufzen, wo der Englaͤnder Pfunde zu entrichten hat, laͤngſt weiter ſeyn, als wir ſind. Alles, was wir zu unſrer Entſchuldigung ſagen koͤnnen, iſt, daß uns der Markt fehle. Woran liegt es aber, daß wir ihn uns nicht verſchaffen? Und, warum muß ein Deutſcher zu Birmingham uns die lackirten Tiſche auf die Meſſe ſchicken? Warum muͤſſen wir eine Sache, als die Fußdecken, wovon die Mode in funfzig Jahren ſo allgemein, als in England ſeyn wird, von Wilton haben? Sollte die Stahlarbeit nicht eben ſo gut auf dem Harze, als in Schweden und England gerathen?

Ein Grund unſers Verderbens liegt in der Schwaͤchung der Handwerker, und in der Ermunterung unſerer Kraͤmer. Man laſſe ſich die Rollen von unſern Handwerkern nur ſeit hundert Jahren zeigen. Die Kraͤmer haben ſich gerade drey - fach vermehret, und die Handwerker unter der Haͤlfte verloh - ren. Der Eiſenkram hat den Kleinſchmid; der Buͤreau - und Stuhlkram den Tiſchler; der Tuchhandel den Tuchmacher; der Goldkram den Bortenwirker; der goldene, haͤrene, gelbe und weiße Knopf den Knopfmacher und Gelbgieſſer verdorben. Und kann man ſich eine Sache gedenken, womit der Kraͤmer jetzt nicht heimlich oder oͤffentlich handelt? Lauret er nicht auf alle Gelegenheiten und Thorheiten, um etwas neues, wun - derbares und fremdes einzufuͤhren? Und kann man ein Exem - pel aufweiſen, daß ein einziger Kraͤmer auch nur einen einzi - gen Handwerker unter ſeinen Mitbuͤrgern, durch ſeine Anlei - tung und Einſicht aufgeholfen habe? Die Rechtshoͤfe, welche die Kraͤmerey fuͤr die Handlung anſehen, und dasjenige, was von der Handelsfreyheit mit Recht gilt, der Kraͤmerey zu gute kommen laſſen, wuͤrden ſich einer Ketzerey ſchuldig zuB 3ma -22Gedanken uͤber den Verfallmachen glauben, wenn ſie eine Handwerks-Gilde gegen die Kraͤmer ſchuͤtzten, ohne, daß erſtere nicht ein Privilegium aufzuweiſen haͤtte. Und, wer iſt denn der Handwerker? Es iſt der Mann, der die Landesprodukten veredelt, an frem - den und rohen die Fruͤchte des Fleißes gewinnet, und dem Staate jaͤhrlich unſaͤgliche Summen erſparet? Was aber iſt der Kraͤmer? Ein Mann der blos fremde, ſie ſeyn Freunde oder Feinde, bereichert; die Wolluſt naͤhret, einen jeden durch neue Arten von Verſuchungen reitzet, den Handwerker und ſei - nen Markt, durch jede neue Mode, ehe er es ſich verſieht, altfraͤnkiſch, durch ſeinen Stolz die Handarbeit veraͤchtlich, und den Juͤngling von Genie zum neuen Kraͤmer macht.

Sind die Handwerker jetzt ſchlecht; ſind ſie eigenſinnig, und theuer: ſo iſt dies nur eine Folge des erſtern. Bey der betruͤbten Ausſicht in die vielen Krambuden kann kein Hand - werker Muth faſſen, er kann nichts wagen, er kann nicht im Großen und mit vielen Haͤnden arbeiten, es verlohnt ſich nicht mehr der Muͤhe Geſchicklichkeit zu haben. Wer Geld hat, wird kein Handwerker, und, wenn alle Kraͤmer dermaleinſt mit Schuhen handeln werden: ſo bedarf ein Schuſter zuletzt nichts mehr, als das Altflicken zu lernen. Der praͤchtigſte Anblick von London zeigt ſich im Gegentheil in den Buden der Handwerker. Jeder Meiſter handelt mit ſeiner Waare, in unſern Landſtaͤdten hingegen arbeitet der Meiſter auf Be - ſtellung; und man ſcheuet ſich zu beſtellen, weil man oft etwas ſchlechtes theuer bezahlen, oder grobe Worte hoͤren muß. Man laſſe ſich aber durch dieſen Cirkelfehler nicht blenden, ſchraͤnke die Kraͤmer ein, und befoͤrdere tuͤchtige Handwerker in genugſamer Menge: ſo wird der Staat nur weniger rohen Materialien beduͤrfen, den Fremden nicht bereichern, und wenigſtens durch Erſparen gewinnen. Man laſſe nur jaͤhrlichvon23der Handlung in den Landſtaͤdten. von Obrigkeits wegen die neueſten Franzoͤſiſchen und Engliſchen Modell-Buͤcher kommen, und den Handwerks-Gilden gegen Erſtattung der Auslagen austheilen. Die Geſchicklichkeit wird ſich bald finden, und eine genugſame Menge der Hand - werker die Preiſe mehr erniedrigen, als alle Kraͤmerey .......

Darf ich es ſagen, daß auch ſogar das Syſtem unſerer Fabriken ungleich ſchlechter ſey, als das alte? Vordem war die Eintheilung ſo, daß alle Fabriken zum Handwerk gehoͤr - ten, und der Kaufmann blos der Verleger und Befoͤrderer des Handwerks blieb. Jetzt hingegen iſt der fabricirende Kaufmann gleichſam der Meiſter; und wer fuͤr ihn arbeitet, nur ein Geſell; und dieſer Geſell arbeitet fuͤr Tagelohn. In einem ſolchen Plan, wenn er nicht von vielem Gluͤcke beglei - tet wird, liegen weit mehr Fehler, als in dem alten: der Tageloͤhner nimmt die Sache nicht ſo zu Herzen; er ſtiehlt manche Stunde; erfordet viele Aufſicht, und eine Reihe von Bedienten, um den richtigen Uebergang der Manufactur aus einer Hand in die andere zu bewahren, zu berechnen und zu balanciren. Der Handwerksmeiſter hingegen, der ſich von jenem, wie der Pachter von dem Verwalter unterſcheidet, koͤnnte dem Kaufmann weit vortheilhafter dienen; und der Staat erhaͤlt Buͤrger ſtatt fluͤchtiger Geſellen. Dieſes war die Maxim der Staͤdte in jenen Zeiten, welche wir die bar - bariſche nennen. Dies war die wahre Quelle ihrer Groͤße, che der Kaufmann den Handwerker verlaſſen, und ſich dafuͤr auf die Kraͤmerey gelegt hat. Durch dieſe heben ſich noch die Staͤdte in der Laußnitz und im Voigtlande wieder empor. Alle Fabrik iſt dort Handwerk, und der Kaufmann ihr Verleger .........

B 4III.24Schreiben einer Mutter

III. Schreiben einer Mutter uͤber den Putz der Kinder.

Mein Herr!

Ich bin eine Mutter von acht Kindern, wovon das aͤlteſte 13 Jahr alt iſt; und mein Stand erfordert, daß ich ſolche miteinander auf eine gewiſſe Art kleiden laſſe, welche demſelben gemaͤß iſt. Ich kann verſichern, daß ich Tag und Nacht darauf denke, alles ſo maͤßig einzurichten, wie es mir im - mer moͤglich iſt, und ſelbſt ſeit meinem Hochzeitstage kein einziges neues Kleid mir habe machen laſſen, auch vieles bereits von meinem jugendlichen Staat fuͤr meine Kinder zerſchnitten habe. Gleichwol bin ich nicht vermoͤgend ſo vieles anzuſchaf - fen, als die heutige Welt bey Kindern aufs mindeſte erfordert. Ich mag ihnen die Rechnung von demjenigen, was mir meine fuͤnf Maͤdgen, ſeitdem ſie die Windeln verlaſſen, koſten, nicht vorlegen. Sie wuͤrden daruͤber erſtaunen. Und das geht alle Tage ſo fort. Wenn ich mit der einen fertig zu ſeyn ver - meine, ſo muß ich mit der andern wieder anfangen, und eine Mutter, die redlich durch die Welt will, hat vom Morgen bis in den Abend nichts zu thun, als ihre Kinder nur ſo zu putzen, daß ſie ſich ſehen laſſen duͤrfen. Vor einigen Tagen mußte ich die Aelteſte in eine feyerliche Geſellſchaft ſchicken: ſo gleich mußten 18 Ellen Blonden, 12 Ellen Band, 6 Ellen groſſe beaute zu Manſchetten ꝛc. geholet werden. Da ſolten ſchottiſche Ohrringe, italiaͤniſche Blumen, engliſche Haͤnſchen, Faͤchtel a la pernvienne und Schoͤnpflaͤſterchen a la Condamine ſeyn. Der Friſeur rief um eau de Pourceaugnac, und umPuder25uͤber den Putz der Kinder. Puder von St. Malo. Das Maͤdgen ſchimpfte auf die Na - deln; die Porteurs auf das lange Zaudern, und der Laquais auf das unendliche Laufen. Kurz, die ganze Haushaltung war in Aufruhr, und meine arme Taſche war dergeſtalt a la grecque friſirt, daß wir die ganze Woche Waſſerſuppen eſſen mußten.

Und gleichwohl waren die damaligen Ausgaben noch nichts in Vergleichung derjenigen, welche ich auf ihr beſetztes Kleid, auf eine neue berliniſche Schnuͤrbruſt, auf eine petite Saloppe und andre weſentliche Kleidungsſtuͤcke hatte wenden muͤſſen.

Ach! waͤhrender Zeit mir eine ungeſehene Thraͤne entwiſchte, hatte das Maͤdgen die unſchuldige Leichtfertigkeit, mir zu ſagen: ſie muͤßte nun auch bald eine goldene Uhr ha - ben, weil ihre Geſpielinnen bereits dergleichen haͤtten.

O! dachte ich in meinem Sinn, moͤchte doch ein Lan - desgeſetz vorhanden ſeyn, wodurch es allen Eltern verboten wuͤrde, ihren Toͤchtern vor dem funfzehnten Jahre Silber oder Gold, Spitzen oder Blonden, Seiden oder Agremens zu geben! oder moͤchten ſich patriotiſche Eltern zu einem ſo heil - ſamen Vorſatze freywillig vereinigen! Mit welchem Vergnuͤ - gen wuͤrde ſo denn manche bekuͤmmerte Mutter auf ihre zahl - reichen Toͤchter herabſchauen! die Ungleichheit der Staͤnde duͤrfte hier den Geſetzgeber nicht aufhalten. Kinder ſind noch alle gleich, und wann die Eltern mit einer ſolchen Ein - ſchraͤnkung zufrieden waͤren: ſo wuͤrde ihre kleine Empfind - lichkeit nicht in Betrachtung kommen. Wie groß wuͤrde die Freude der Maͤdgen ſeyn, wenn ſie ſich nun in ihrem funf - zehnten Jahre zum erſtenmal der aufmerkſamen Neugierde in einem ſeidnen Kleide zeigen duͤrften! Und wuͤrde nicht dieſe Oekonomie mit ihrem Vergnuͤgen, ihnen bey ihrem EintrittB 5in26Reicher Leute Kinderin die junge Welt tauſend kleine Zierrathen in ſo viel reizende Neuigkeiten verwandeln, wenn ſolche nicht in ihren dummen Jahren bey ihnen ſchon veraltet waͤren! Wir erſchoͤpfen das Vergnuͤgen ihrer beſſern Jahre durch unſre unuͤberlegte Ver - ſchwendung. Eine Uhr war ſonſt fuͤr ein Maͤdgen ſo viel als ein Mann. Jetzt giebt man ſie ihnen faſt in Fluͤgel - kleide.

Ein Engliſcher Lord ſchickt ſeinen Sohn bis ins zwan - zigſte Jahr ins Collegium, wo er mit abgeſchnittenen Haaren ungepudert und ungeſchoren in einem ſchlechten Kleide bey Hammelfleiſch und Erdaͤpfeln groß gemacht wird. In Italien laͤßt man die Toͤchter in der Kindheit einen Ordenshabit tra - gen. Die Roͤmer, wie mein Mann ſagt, hatten aus einer gleichen Klugheit eine beſondere Kleidung fuͤr die Jugend; und es war ein groſſes Feſt, wenn der Sohn zum erſtenmal ein Kleid mit Rabbatten anlegte. Koͤnnten wir dieſen großen Exempeln nicht nachfolgen?

Ueberlegen Sie es doch einmal. Die Vereinigung des Adels wegen der Trauer hat mich zu dieſen Gedanken bewo - gen. Ich bin ꝛc.

IV. Reicher Leute Kinder ſolten ein Handwerk lernen.

Der Hauptfehler unſrer mehrſten deutſchen Handwerker iſt der Mangel an Gelde. Das Soͤhngen einer be - mittelten Mutter ſchaͤmet ſich die Hand an eine Zange oder Feile zu legen. Ein Kaufmann muß er werden. Solte erauch27ſolten ein Handwerk lernen. auch nur mit Schwefelhoͤlzern handeln: ſo erhaͤlt er doch den Rang uͤber den Kuͤnſtler, der den Lauf einer Flotte nach ſei - ner Uhr regiert; dem Koͤnige Kronen, dem Helden Schwerd - ter und dem edlen Landmann Senſen giebt; uͤber den Kuͤnſt - ler, der mit ſeiner Nehnadel den Mann macht, und den Gelehrten durch ſeine Preſſe Bewunderung und Ewigkeit ver - ſchaft. Es haͤlt ſchwer, ſich aus dieſem Zirkel zu heben:

Wenn ein Handwerk einmal verachtet wird: ſo treiben es nur arme und geringe Leute, und was arme und ge - ringe Leute treiben, das will ſelten Geſchmack, Anſe - hen, Güte und Vortreflichkeit gewinnen.

Schrecklicher Zirkel, der uns an der Wiederaufnahme der mehrſten deutſchen Landſtaͤdte zweifeln laͤßt! Indeſſen verdient die Wichtigkeit der Sache doch, daß man einmal dieſen Kno - ten aufloͤſe, und dasjenige Ende ergreife, was Natur und Vernunft am erſten hervorſtoſſen. Der Kluͤgſte muß uͤberall den Anfang machen; der ſoll fuͤr dieſesmal der Reiche ſeyn, weil er es am erſten ſeyn kann. Der Reiche ſoll alſo gemeine Vorurtheile mit Fuͤſſen treten, ſeinen Kindern ein Handwerk lernen laſſen und ihnen ſeinen maͤchtigen Beutel geben, da - mit der boͤſe Zirkel zerſtoͤret werde.

Nichts giebt der Stadt London ein praͤchtiger Anſehen als die Buden ihrer Handwerker. Der Schuſter hat ein Magazin von Schuhen, woraus ſogleich eine Armee verſorgt werden kann. Beym Tiſchler findet man einen Vorrath von Sachen, welche hinreichen, ein koͤnigliches Schloß zu meu - bliren. Bey den Goldſchmieden iſt mehr Silberwerk als alle Fuͤrſten in Deutſchland auf ihren Tafeln haben; und durch den Stadtſchmied leben hundert Dorfſchmiede, die ihm in die Hand arbeiten, und ihm die Menge von Waaren liefern, welchen er die letzte Feile und ſeinen Namen giebt.

Solche28Reicher Leute Kinder

Solche Handwerker doͤrfen es wagen, den koͤniglichen Prinzen ihr Gilderecht mitzutheilen. Solche Handwerker ſind es, woraus der Lordmaire erwaͤhlt wird, und Parla - mentsglieder genommen werden. Ein ſolcher war Tailor, der als Generalzahlmeiſter im letztern Kriege ſich als Meiſter zu dem Silberſervice bekannte, woraus er die Generalitaͤt be - wirthete. Was iſt der Kraͤmer dagegen, der mit Caffee und Zucker hoͤckert, oder mit Maͤufefallen, Puppen und Schwaͤr - mern hauſirt!

Zur Zeit des Hanſeatiſchen Bundes hatte das deutſche Handwerk eben die Ehre, die es noch in England hat. Noch in dem vorigen Jahrhundert lieſſen es ſich die Vornehmſten einer Stadt gefallen, das Gilderecht anzunehmen; und Ge - lehrte machten ſich ſowol eine Ehre, als eine Pflicht daraus, Gildebruͤder zu werden. Die fuͤrſtlichen Raͤthe waren Zunft - genoſſen; und man hielt es fuͤr keinem Widerſpruch wie jezt, zugleich ein guter Buͤrger und ein guter Canzler zu ſeyn. Es iſt ein falſcher Grundſatz geweſen, der hier eine Trennung gemacht hat. Sehr viele Streitigkeiten und unnoͤthige Be - freyungen wuͤrden ein Ende haben, wenn ſie nie erfolgt waͤre. Jedes Amt, das ein Buͤrger uͤbernimmt, wuͤrdiget ihn in ſeiner Maaſſe, und ertheilt ihm einige demſelben angemeſſene perſoͤnliche Freyheiten. Es hindert ihn aber nicht in allen uͤbrigen, der buͤrgerlichen Laſten und Vortheile theilhaftig zu bleiben.

Der Verfall der deutſchen Handlung zog den Verfall des Handwerks nach ſich. Der beruͤhmte Reichsabſchied, welcher die Handwerks-Mißbraͤuche heben ſollte, in der That aber den Gilden einen Theil ihrer bis dahin gehabten Ehre raubte, kam hierzu. Und der Kaiſer, der die Vereinigun - gen der Domcapittel und Ritterſchaften, wegen der Ahnen -probe29ſolten ein Handwerk lernen. probe beſtaͤtigte, fand es ungerecht, daß die Gilden nicht alle Soͤhne von Mutterleibe gebohren in ihre Zunft aufnehmen wolten; gerade als ob es nicht die erſte und feinſte Regel der Staatsklugheit waͤre, unterſchiedene Klaſſen von Menſchen zu haben, um jeden in ſeiner Art mit einem nothduͤrftigen Antheil von Ehre aufmuntern zu koͤnnen. In deſpotiſchen Staaten iſt der Herr alles, und der Reſt Poͤbel. Die gluͤck - lichſte Verfaſſung geht vom Throne in ſanften Stufen herun - ter, und jede Stufe hat einen Grad von Ehre, der ihr eigen bleibt, und die ſiebende hat ſo wohl ein Recht zu ihrer Er - haltung als die zweyte. Dieſe Grundſaͤtze hatte man bey dem Reichsabſchiede ziemlich aus den Augen geſetzt; und die Wiſſenſchaften, welche ſich damals immer mehr und mehr ausbreiteten, erhoben den Mann, der von den Schuhen der Griechen und Roͤmer ſchreiben konnte, uͤber den Mann, der mit eigner Hand weit beſſere machte.

Den lezten Stoß empfiengen die Handwerke von den Fabricken. Die Franzoſen, welche ihr Vaterland verlaſſen mußten, adelten dieſen Namen. Fuͤrſten und Grafen durf - ten die Aufſicht uͤber ihre Fabrickleute, welche fuͤr ihre Rech - nung arbeiteten, haben; aber wer ihnen deswegen den Titel eines Amtsmeiſters haͤtte geben wollen, wuͤrde ihrer Ungnade nicht entgangen ſeyn. Der Miniſter eines gewiſſen Herrn war ein Lederfabricant; aber kein Lohgerber. Nach den Plan der neuen iſt es beſſer, daß alle Buͤrger, Geſellen, und die Cammerraͤthe Meiſter ſeyn. Und die weitere Verachtung des Handwerks fuͤhret gerades Weges zu dieſer tuͤrkiſchen Ein - richtung.

Dieſem Uebel kann nicht vorgebeugt werden oder reiche Leute muͤſſen Handwerker werden. Da der Gold - und Sil - berfabricant, der Hut - und Strumpffabriqueur an vielen Or -ten30Reicher Leute Kinderten in Pallaͤſten wohnet, und alle der Vorzuͤge genieſſet, wel - che Erfahrung, Klugheit, Auffuͤhrung und Reichthum ge - waͤhren kann: warum ſollte ein Meiſter Hutmacher und ein Meiſter Strumpfwirker, wenn er es ſo hoch als jene bringt, nicht eben das Anſehen erlangen koͤnnen? die Meiſterſchaft iſt gewiß keine Unehre. Der Czar, Peter der Große, diente als Junge und Geſelle und ward Schifs-Zimmermeiſter. Der Krieg ward ehedem Zunftmaͤßig erlernt. Einer mußte als Junge und Knape gedient haben, ehe er Ritter oder Meiſter werden konnte. Die Zunftgerechte Krieger haben ſich zuerſt von dem gemeinen Landkrieger unterſchieden, und das iſt der erſte Urſprung des Adels geweſen. Noch jetzt iſt im Mili - tairſtande ein Schatten dieſer Verfaſſung uͤbrig. Einer muß erſt als Gemeiner gedienet haben, ehe er von Rechtswegen zum Grade eines Officiers gelangen kann. Unter den Ge - meinen finden ſich oft ſehr ſchlechte Leute, und man iſt in neuern Zeiten, wo jeder geſunder Kerl willkommen iſt, min - der aufmerkſam auf die Ehre der Recruten. Allein es iſt darum kein Schimpf als gemeiner gedienet zu haben, ob man gleich wegen des letztern Umſtandes ſchon anfaͤngt den Recru - ten aus fuͤrſtlichen Gebluͤte hoͤher andienen zu laſſen, und uͤber - haupt einen bedenklichen Eingang macht jenes große Geſetz, dem ſich nur Peter der Große unterwarf, allmaͤhlig in Ver - geſſenheit zu bringen, und damit die Ehre der Gemeinen, wovon doch der Geiſt des Regiments abhaͤngt, zu vermin - dern.

Wenn es alſo an ſich eine Ehre iſt, Zunftgerecht ſeyn; und wenn ſich ſo gleich ein Handwerk hebt, ſo bald es nur Leute treiben, die demſelben den aͤuſſerlichen Glanz geben koͤn - nen; was hindert es denn, daß reiche Leute ihren Kindern ein Handwerk lernen laſſen? Man denke nicht die Ehre ſey blos eine nothwendige Triebfeder des Militairſtandes. Derge -31ſolten ein Handwerk lernen. geringſte Bediente, der geringſte Handwerker ohne Ehrgeitz iſt insgemein ein ſchlechter Menſch.

Um aber dem Handwerke ſeine Ehre wieder zu geben, ſollte man jede Zunft zum wenigſten doppelt eintheilen. In England wie in Frankreich ſteht der handelnde Handwerker mit dem Tagwerkenden (journeymen) nicht in einer Gilde, und uͤberall werden Kaufleute von Krämern unterſchieden.

Die Kaufleute machen billig die erſte Claſſe der Buͤr - gerſchaft aus. Niemand aber ſollte zu dieſer Claſſe gehoͤren, der nicht am Schluß des Jahrs beſcheinigen koͤnnte, daß er eine nach den Umſtaͤnden jedes Orts abgemeſſene Quantitaͤt einheimiſcher Produkten und im Lande verfertigter Waaren auswaͤrts verkaufet habe. Naͤchſt dieſen koͤnnten diejenigen, welche mit fremden Waaren ins Große handeln, ihren Rang behalten.

Auf die Kaufleute aber ſollten alle Handwerker in ihrer Ordnung folgen, welche ein beſtimmtes Lager von ihrer Ar - beit halten. Dieſen moͤchten die Handwerker, welche auf Beſtellung arbeiten oder Tagwerk machen, und gar keinen Verlag haben, folgen. Die Kraͤmerey aber ſollte die un - terſte Claſſe von allen ſeyn, oder jedem Buͤrger offen ſtehen, und folglich gar kein Gilderecht haben.

Denn was iſt doch in aller Welt mancher Kraͤmer? Ein Mann der Tag und Nacht darauf denkt neue Moden, neue Kleidungsarten und neue Reitzungen fuͤr den Geſchmack einzufuͤhren; ein Mann der in der ganzen Welt herum lauſcht, ob nicht irgendwo eine aͤrmere Nation ſey, welche ein Stuͤck Arbeit um etliche Pfennige wohlfeiler macht; und dann ſei - nen Mitbuͤrger, der unter mehrern Laſten und bey theurern Arbeitspreiſen, die ſeinige nicht gleich eben ſo wohlfeil geben kann, ums Brod bringt; ein Mann der jedem Handwerkemit32Reicher Leute Kindermit klugem Fleiße nachſtellet, und ſo bald es einigen Fortgang hat, ſo fort auf Mittel und Wege denkt, etwas aͤhnliches oder etwas anders einzufuͤhren, wodurch die einheimiſche Arbeit entbehret, geſtuͤrzet, und der Vortheil in ſeine Haͤnde ge - bracht werden kann

Der allezeit fertige Einwurf, deſſen ſich Kaͤufer und Verkaͤufer bedienen: Es wird auswärts wohlfeiler gemacht, ſollte nicht leicht von einem jeden nach ſeinem Vorurtheil ge - braucht, ſondern vom Policeyamte beurtheilet werden. Die Hollaͤndiſchen Fabrikſtoffen ſind alle wohlfeiler als die Fran - zoͤſiſchen und dieſe oft glaͤnzender und verfuͤhreriſcher als die Engliſchen. Allein Frankreich haͤlt dafuͤr, und jeder kluger Menſch wird es dafuͤr halten, daß der Staat weniger leide, wenn fuͤnf Thaler an einen Einheimiſchen als drey an einen Fremden bezahlet werden. Die Ausflucht, daß die hollaͤn - diſchen Stoffen wohlfeiler ſeyn, bemaͤchtiget den franzoͤſiſchen Unterthanen nicht, dieſe aus Holland kommen zu laſſen; und der Englaͤnder muß ſeine Butter mit 8. 12. bis 18 Mgr. das Pfund bezahlen, wenn er ſie gleich aus Irrland unter der Haͤlfte frey in ſein Hauß geliefert erhalten koͤnnte, was wuͤrde auch ſonſt aus einem verſchuldeten Staate werden, wenn die Auflagen in demſelben alles theurer, und es dem Einheimi - ſchen unmoͤglich machten, gegen den Fremden zu gleichen Preiſe zu arbeiten? Unſerm ehmaligen zaͤrtlichen Landesvater Ernſt Auguſt dem Andern, kam jedes Loth Silber das auf dem Huͤg - gei hieſelbſt gegraben wurde, auf vier Gulden zu ſtehen; und er gewann ſeiner Großmuth nach mehr dabey, als wenn er es vor einen Gulden haͤtte aus Amſterdam kommen laſſen. Denn was konnte er mehr gewinnen, als den Vortheil, armen Unter - thanen Brod zu geben?

Die33ſolten ein Handwerk lernen.

Die Alten hatten zwey Wege dem Eigenſinn und der Uebertheurung der Handwerker zu wehren. Dieſes war ein jaͤhrlicher freyer Markt und die Freymeiſterey. Das Große, das uͤberlegte, das feine und das nuͤtzliche, was in dieſem ihren Plan ſteckt, verdient die Bewunderung aller Kenner, und beſchaͤmt alle Wendungen der Neuern. Durch tauſend Frey - meiſter, welche in Hamburg auf einer ihnen angewieſenen Freyheit wohnen, entgeht dem Staate kein Pfennig; und zunftmaͤßige Handwerker werden durch ſie in der Billigkeit erhalten. Allein hundert Kraͤmer, welche mit Ehren und Vorzuͤgen dafuͤr belohnet werden, daß ſie fremde Fabriken zum Schaden der einheimiſchen Handwerker empor bringen, alles Geld aus dem Lande ſchicken, und Kinder und Thoren taͤglich in neue Verſuchungen fuͤhren, haͤtten unſre Vorfah - ren nie geduldet. Ein Jahrmarkt duͤnkte ihnen genug zu ſeyn den Fremden auch etwas zuzuwenden, und ſowol die zuͤnftige als freye Meiſterſchaft in Schranken zu halten.

Und was ſoll man von der geringen Art Kraͤmer ſagen? Sollte es wohl der Muͤhe werth ſeyn ihnen Zunftrecht zu vergoͤnnen? Sie muͤſſen, ſagen ſie, ſechs Jahre dieſe Hand - lung muͤhſam lernen, und ſich lange quaͤlen, ehe ſie zu der noͤthigen Wiſſenſchaft gelangen. Allein dieſe Lehrjahre ſind eigentlich bey der Kaufmannſchaft und nicht bey der Kraͤme - rey urſpruͤnglich hergebracht. Und was iſt es noͤthig dem jungen Burſchen dasjenige muͤhſam lernen zu laſſen, was jede Kraͤmerin, wenn ſie einen Monat in der Buden geweſen, ins - gemein beſſer als der ausgelernte Eheherr weis? Ich ſage wohlbedaͤchtlich insgemein, denn es giebt auch große Kraͤmer, welche eben ſo viel Einſicht, Erfahrung und Handlungswiſ - ſenſchaft als der große Kaufmann gebrauchen. Dergleichen privilegirte Seelen rechne ich nie mit, wenn ich von dem großen Haufen ſpreche. Von jenem ſage ich nur, daß er dieMöſers patr. Phantaſ. I. Th. Coͤffent -34Reicher Leute Kinderoͤffentliche Aufmunterung nicht verdiene, und daß die mit der Kraͤmerey bis dahin verknuͤpft geweſene falſche Ehre die An - zahl der Kraͤmer in vielen Staͤdten unendlich vermehret, ver - ſchiedene Handwerker voͤllig verdrungen, andre blos zum pfu - ſchen und alle uͤbrigen um zwey Drittheile herunter gebracht habe. Der ſchlechte Kraͤmer ſorgt nicht dafuͤr, auch nur ei - nen einheimiſchen Buͤrſtenbinder empor zu bringen, und laͤßt ſogar die weiße Staͤrke, welche jede Hausmagd zu machen im Stande iſt, und worauf gerade hundert von hundert zu gewinnen ſind, aus Bremen kommen, ſo groß iſt ſeine Wiſ - ſenſchaft und ſein Patriotiſmus. Wie gluͤcklich werden un - ſre Nachbaren die Preuſſen ſeyn, wenn die mit einer weiſen Hinſicht auf die Verdienſte ſolcher Kraͤmer gemachte Einrich - tungen die Wuͤrkung haben, daß alle Handwerker ſich wieder zu ihrem alten Flor erheben, und alle ſolche Kraͤmer zu Grabe begleiten.

Der handelnde Handwerker in England beſitzt ganz andre Eigenſchaften. Er lernt erſt das Handwerk, und dann den Handel. Die Geſellen eines handelnden Tiſchlers muͤſ - ſen faſt eben ſo vollkommene Buchhalter als manche Kaufleute ſeyn. Der Meiſter greift keinen Hobel mehr an. Er ſieht ſeine vierzig Geſellen den Tag uͤber arbeiten, beurtheilet das - jenige was ſie machen, verbeſſert ihre Fehler, zeigt ihnen Vortheile und Handgriffe, erfindet neue Werkzeuge, beobach - tet den Gang der Moden, beſucht Leute von Geſchmack oder geht zu Kuͤnſtlern, deren Einſicht ihm dienen kann, und koͤmmt in ſeine Werkſtatt zuruͤck, wenn er im Parlament das Wohl von Oſt - und Weſtindien mit entſchieden oder auf der Boͤrſe ſeine Geſchaͤfte verrichtet hat.

Wie unterſchieden iſt dieſes Gemaͤhlde von unſern mehr - ſten deutſchen Fabriken. Da nimmt ein großer Herr Leutean,35ſolten ein Handwerk lernen. an, welche ſich ihm darbieten und ein huͤbſches Projekt aus - gedacht haben. Der vornehme Stuͤmper, der durch einen gluͤcklichen Zufall ein gutes und patriotiſches Herz empfangen hat, ſiehet es mit beyden Augen an, verliebt ſich in die Hof - nung ſein Vaterland aufzuhelfen, uͤberlaͤßt ſich dem ſchlauen Projektmacher, der nur nach ſeinen Beutel trachtet, und fin - det die erſte Probe unverbeſſerlich. Sein Auge entdeckt ihm nichts an dem Stoffe das ihm vorgelegt wird. Er weis nicht, ob zu viel oder zu wenig Wolle, Zeit und Arbeit daran ver - wendet iſt; Er kennt keine Arbeit; hat kein Maaß der Zeit; keine Hand zum Gefuͤhl; und keinen einzigen durch Erfah - rung und Einſicht geſtaͤrkten Sinn um eine Sache richtig und ſchnell zu beurtheilen; und doch will er eine Fabrik regieren. Allein was kommt am Ende heraus? Er freuet ſich noch, und iſt laͤngſt betrogen Zur Strafe, daß er das Handwerk nicht ordentlich gelernet hat.

Doch ich habe mich aus meinem Wege entfernt. Die Eintheilung der Handwerker in Handelnde und Tagwerker und die Erhebung der erſtern zu dem Range wahrer Kauf - leute, ſolte dienen dem Reichen, der ſeinem Sohn ein Hand - werk lernen laſſen will, einen Proſpect zu geben, daß er ſich keinesweges erniedrige, wann er dieſen Schritt thut. Sein Sohn kann als handelnder Handwerker mit Recht zu eben der Ehre gelangen, wozu es der vornehmſte Banquier (das Wort klingt) wenn er gluͤcklich iſt, bringen kann. Es iſt nicht noͤthig, daß er ein Tagwerker bleibe; und verwuͤnſcht ſey der faule Junge, wenn er reich und dumm iſt und hoͤchſtens auf dem Faulbette aller Muͤßiggaͤnger, der betretenen Mittel - ſtraſſe, liegen bleibt.

Die Ehre, wozu es reicher Leute Kinder im Hand - werke bringen koͤnnen, iſt gezeigt. Solte es noͤthig ſeyn auchC 2den36Reicher Leute Kinderden Vortheil zu beweiſen? Ich denke er muͤſſe einem jeden ſelbſt einleuchten. Doch ein Exempel wird allemal noch gern angehoͤrt. Nicht leicht iſt ein Ort zur Lohgerberey beſſer ge - legen, als die hieſige Stadt; und wenn wir wollen, ſo muͤſſen alle Haͤute aus Oſtfriesland ſich zu uns ziehen. Das hieſige Lohgerberamt hat Proben ſeiner Erfahrung und Geſchicklich - keit gegeben. Es iſt ſtark und reich geweſen, und noch jetzt in ziemlichen Anſehen, wiewohl es nach und nach immer mehr abnimmt, weil unſre Kraͤmer ſich ein Geſchaͤfte daraus machen allerley fremdes Leder einzufuͤhren. Worinn ſteckt aber die wahre Urſache des Verfalls? Darinn, daß jeder Loh - gerber nicht einige tauſend Thaler im Vermoͤgen hat?

Von dem engliſchen Leder ſagt man, daß ſechs Jahre daruͤber hingehen, ehe eine rohe Haut gar und zeitig werde. Vielleicht iſt hier etwas uͤbertrieben. Aber wahrſcheinlich iſt es, daß alle Haͤute, wenn ſie drey Jahre zu ihrer Gare und Reife haben, unendlich ſchoͤner, dauerhafter und edler werden als ſie im erſten und andern Jahre ſind. Wenn nun unſre Lohgerber ein ſolches Capital haͤtten, um alle Haͤute, welche jaͤhrlich in Oſtfriesland und hieſigen Gegenden fallen, anzu - kaufen, und ſolche die gehoͤrige Zeit von Jahren uͤber reifen laſſen zu koͤnnen, wuͤrde ſodenn nicht die hieſige Zubereitung der engliſchen und Brabaͤndiſchen gleich, und der Vortheil ſo viel groͤßer ſeyn? Ein Lohgerber, der ſeine Felle unter zwoͤlf Monaten losſchlagen muß, gewinnet vielleicht kaum 4 p. C. und wer ſie drey Jahre liegen laſſen kann, nicht unter 30. Von denen die ihm den groͤßten Vortheil geben, wird er ge - ſegnet, von dem Tagloͤhner hingegen, dem ſeine Schuh von halbgaren Leder im erſten Regen zerflieſſen, ohne Vortheil verdammet.

Ich betrachte die Sache jetzt nicht von ihrer edelſten Seite: ſondern nur von derjenigen, welche auch dem ge -mein -37ſolten ein Handwerk lernen. meinſten Auge aufftoͤßt. Sonſt hat Rouſſeau bereits die Gruͤnde gezeigt, warum ein jeder Menſch ein Handwerklernen ſolle, damit er nicht noͤthig habe fremdes Brod zu eſſen, wenn er eignes haben koͤnnte. Man ſahe dieſe wichtige Wahr - heit ehedem nicht deutlicher ein, als in der Tuͤrkey, wo der gefangene Ungariſche Magnat, weil er nichts gelernet hatte, vor dem Karren gieng, und der Handwerker ſeine Sklaverey ſo leidlich als moͤglich hatte. Wie viel Bedienungen und Staͤnde ſind nicht in der Welt, welche zwar einen Mann, aber nicht den ſechſten Theil ſeines Tages erfordern. Was macht er mit den uͤbrigen Fuͤnfſechſteln. Er ſchlaͤft, und ißt und trinkt und ſpielt und gaͤhnt, und weis nicht was er mit ſeiner Zeit anfangen ſoll. Wie mancher Gelehrte wuͤnſchte ſich etwas arbeiten zu koͤnnen, wobey er ſeinen Kopf und ſeine Augen minder anſtrengen, und ein Stuͤck Brod im Schweiſſe ſeines Angeſichts eſſen koͤnnte, wofuͤr jetzt ſeiner verſtopften Galle oder ſeinem verſaͤuerten Magen eckelt? In einem Lande, worinn ſich hunderttauſend Menſchen befinden, haben zehntauſend gewiß, um nur wenig zu ſagen, den halben Tag nichts zu thun. Man ſetze dieſen halben Tag zu ſechs Stun - den; ſo werden alle Jahr an die zwey und zwanzig Millionen Stunden, und wenn man jede nur auf 1 Pfennig anſchlaͤgt, an die hunderttauſend Tahler verlohren. Wuͤrde aber, wenn ein jeder ein Handwerk koͤnnte, ihn ſeine Geſchicklichkeit und der dem Menſchen gegebene natuͤrliche Trieb zur Arbeit ihn nicht reitzen, etwas mit ſeinen Haͤnden zu ſchaffen? Jedoch dieſe Betrachtungen gehoͤren eigentlich nicht zur Sache.

Eine ſehr wichtige aber iſt es, daß Ihro Koͤnigliche Hoheit unſer gnaͤdigſter Herr, dermaleinſt aus einem Lande zu uns kommen werden, wo alle Handwerker zur groͤßten Voll - kommenheit gediehen ſind. Es iſt kein Zweifel, oder Hoͤchſt - dieſelbe werden wuͤnſchen, alles bey dero geliebten Untertha -C 3nen38Reicher Leute Kindernen zu finden, und nichts in der Fremde ſuchen zu muͤſſen. Die erſten Eindruͤcke, welche Hoͤchſtdieſelbe von Ihren zaͤrt - lichen und rechtſchaffenen Eltern (der Glanz des Thrones darf niemanden hindern, dieſe privat Tugenden an des Koͤnigs und der Koͤniginn Maj. Maj. zu bewundern) erhalten, ſind die ge - heiligten Pflichten, welche ein Landesherr gegen ſein Volk zu beobachten hat; und unter dieſe rechnet man nunmehr auch, daß ein Landesher als Vater ſeinen Kindern das Brod nicht entziehe und es den Fremden gebe. Seine Koͤnigl. Hoheit werden dieſe geheiligte Wahrheit gewiß fruͤh hoͤren, und gern ausuͤben. Wie aber, wenn unſre Handwerker alsdann nichts liefern koͤnnen, was einen Herrn der von ſeiner erſten Jugend an, alles beſſer und vollkommener geſehen hat, mit Billigkeit befriedigen kann? Wenn der Schloͤſſer ein Grobſchmied; der Bildhauer ein Holzſchuhmacher und der Mahler ein Michel angelo della ſcopa iſt? Wenn wir bey den dankbarſten Herzen uns mit unſern dummen Fingern hinter die Ohren kratzen muͤſſen? oder da ſtehen wie der Junge des Hogarths*)In the Noon. Hogarth war auch ein Handwerker, der auf Beſtellung und zum Verkauf arbeitete. In ſeiner Stube, worinn er die ihn taͤglich beſuchende Fremde, im Nachtrocke mit der Muͤtze in der Hand ehrbar empfing, hatte er einen kleinen Schrank, worinn alle ſeine Werke, die er oͤffentlich verkaufte, bereit lagen. Hier erklaͤrte er denn wohl ſelbſt ſei - nen Kaͤufern den Sinn verſchiedener Grouppen, und ver - kaufte davon vor etliche Schillinge. Allein zu welchem Ruhm hat er es nicht gebracht, und wuͤrde nicht die große Welt ſeinen Umgang mit Eyfer geſucht haben, wenn er den beſondern Geiſt in ſeinem Reden gehabt haͤtte, welchen er in ſeinen Karikaturen zeigte? welchem die Paſtete in den Faͤuſten bricht, und die Bruͤhe durch die Hoſen fließt? Werden wir denn nicht mit Wahr - ſcheinlichkeit ſehen, und mit Recht erleiden muͤſſen, daß der Herr dasjenige, was er gebraucht, daher kommen laſſe, wo dieEl -39ſolten ein Handwerk lernen. Eltern ihren Kindern das Handwerk beſſer lernen laſſen? wird nicht der ganze Hof dem Exempel des Herrn folgen? Und wird nicht das Exempel des Hofes alle Affen du bon ton mit Recht dahin reiſſen? Dann werden wir klagen; und wie alle diejenigen, die ihre Schuld fuͤhlen, ungerecht genug ſeyn, uͤber diejenige zu murren, die uns mit Recht verachten. Wir werden den beſten Herrn nicht ſo lieben, wie er es verdient, und aus Schaam zuletzt undankbar werden.

Ihro Koͤnigliche Hoheit Ernſt Auguſt der Andre hatten die Gedult einige Handwerker reiſen zu laſſen. Man weis wie der Erfolg davon geweſen, und wie weit der Schloͤſſer, welcher ſich dieſe Gnade recht zu Nutze machte, alles uͤbertraf, was wir in der Art jemals geſehen hatten. Seine Geſchick - lichkeit hat andre gebildet, die ihn zwar nicht erreicht, ſich aber merklich gebeſſert haben. Ihro Koͤnigliche Majeſtaͤt von Großbritannien fordern die hieſigen Gilden auf, und bieten den jungen Leuten, welche ein Handwerk gelernet haben und Genie zeigen, die Reiſekoſten und alle moͤgliche Befoͤrderung an. Was koͤnnen wir in der Welt mehr er - warten, und iſt es nicht eine auſſerordentliche Vorſorge auf die kuͤnftigen Zeiten, daß diejenigen Knaben, welche ſich jetzt zum Handwerke geben, gerade zu der Zeit, wann die Minder - jaͤhrigkeit unſers Hofnungsvollen Landesherrn ein Ende nimmt, und unſre getreuſten Wuͤnſche Ihn zu uns fuͤhren werden, nicht bloß ausgelernte, ſondern auch große Meiſter ſeyn koͤnnen? Machen wir uns nicht vorſetzlich alles des Un - willens, des Murrens und der Undankbarkeit ſchuldig, welche uns dereinſt, wann wir als zunftmaͤßige Stuͤmper den Frem - den nachgeſetzt werden, gewiß dahin reiſſen wird, im Fall wir uns nicht mit dankbaren Eyfer beſtreben, dieſe Gelegenheit mit beyden Haͤnden zu ergreifen?

Was koͤnnen alſo vernuͤnftige und bemittelte Eltern beſſer thun, als ihre Kinder ein Handwerk lernen zu laſſen? C 4Mit40Reicher Leute KinderMit der Kraͤmerey wird es in zwanzig Jahren ſehr betruͤbt ausſehen, da ſich alles in Kraͤmer verwandelt und zuletzt ei - ner den andern zu Grunde richten muß. Es iſt zu viel ge - fordert, daß einer bloß von der Kraͤmerey leben will. Die Modenkraͤmer in der ganzen Welt wiſſen ihre Coeffuͤren, ihre Broderien, und alle Arten Galanterien ſelbſt zu machen. Die Tyroler arbeiten auf der Reiſe, und machen in jeder muͤßigen Stunde die Ohrringe, die Halsgeſchmeide, die Zit - ternadeln, die Bouquets, die Allongen und unzaͤhlige andre Din - ge ſelbſt, die ſie verkaufen. Die Italiaͤner machen uͤberall Mau - ſefallen, Barometer und Diaboli Carteſiani. Die Franzoſen reiben wenigſtens Taback, um bey einem kleinen Handel die uͤbrigen Stunden nuͤtzlich anzuwenden. Das geſchieht, weil ſie eine Kunſt oder ein Handwerk zum Grunde ihrer Hand - lung gelegt haben. Bey uns hingegen ----- O Scarron! Scarron! wo bleibt deine Peruͤke und was darunter ſaß?

Zur Urkunde der Wahrheit deſſen was oben angefuͤhrt, ſetzen wir folgendes Reſcript hieher:

Wir Georg der Dritte von Gottes Gnaden Koͤnig und Churfuͤrſt.

Uns iſt aus Eurem Berichte vom 11. Febr. unterthaͤnigſt vorgetragen worden, was maſſen in der Stadt Oſnabruͤck eben wie in andern Staͤdten des Hochſtifts die zur Aufnahme derſelben vorzuͤglich dienenden Handwerke nach und nach in Abnahme und Verfall gerathen ſind.

Da wir nun aus beſondrer Gnade fuͤr die dortige Buͤrgerſchaft Uns gnaͤdigſt entſchloſſen haben, die noͤthigſten und dienlichſten derſelben beſtens wieder herzuſtellen, insbeſondere aber einige junge Leute, welche demſelben ſich zu widmen gedenken, und da -zu41ſolten ein Handwerk lernen. zu eine vorzuͤgliche Faͤhigkeit zeigen, nachdem ſie ſattſam vorbereitet und tuͤchtig befunden ſeyn werden, auf ihren Reiſen zu unterſtuͤtzen, und bey ihrer Wiederkunft auf alle thunliche Weiſe zu befoͤrdern:

So habet ihr dem dortigen Magiſtrat von dieſer Unſerer Abſicht Eroͤffnung zu thun, und von dem - ſelben weitere Vorſchlaͤge einzuziehen, auf was Art hierunter das vorgeſetzte Ziel am beſten erreichet werden koͤnne. Wir ꝛc. St. James den 22 Merz 1766.

V. Die Spinnſtube, eine Oſnabruͤckiſche Geſchichte.

Selinde, wir wollen ſie nur ſo nennen, ihr Taufnahme war ſonſt Gertraud, war die aͤlteſte Tochter redlicher Eltern, und von Jugend auf dazu gewoͤhnt worden, das noͤthige und nuͤtzliche allein ſchoͤn und angenehm zu finden. Man erlaubte ihr jedoch, ſo viel moͤglich, alles Nothwendige in ſeiner groͤßten Vollkommenheit zu haben. Ihr Vater, ein Mann von vieler Erfahrung, hatte ſie in Anſehung der Buͤ - cher auf aͤhnliche Grundſaͤtze eingeſchraͤnkt. Die Wiſſenſchaften, ſagte er oft, gehoͤren zum Ueppigen der Seele; und in Haus - haltungen oder Staaten, wo man noch mit dem Nothwendi - gen genug zu thun hat, muß man die Kraͤfte der Seelen beſ - ſer nuͤtzen. Selinde ſelbſt ſchien von der Natur nach gleichen Regeln gebauet zu ſeyn, und alles Nothwendige in der groͤß - ten Vollkommenheit zu beſitzen.

Die ganze Haushaltung beſtand eben ſo. Wo die Mutter von einer beſſern Art Kuͤhe oder Huͤner hoͤrte; da ru - hete ſie nicht eher, als bis ſie daran kam.

C 5Man42Die Spinnſtube,

Man fand das ſchoͤnſte Gartengewaͤchſe nur bey Selinden. Ihre Ruͤben giengen den maͤrkiſchen weit vor; und der Bi - ſchof hatte keine andre Butter auf ſeiner Tafel, als die von ihrer Hand gemacht war. Was man von ihrer Kleidung ſe - hen konnte, war klares oder dichtes Linnen, ungeſtickt und unbeſetzt; jedoch ſo nett von ihr geſaͤumt, daß man in jedem Stiche eine Grazie verſteckt zu ſeyn glaubte. Das einzige, was man an ihr uͤberfluͤßiges bemerkte, war ein Heidebluͤm - gen in den lichtbraunen Locken. Sie pflegte aber dieſen Staat damit zu entſchuldigen, daß es der einzige waͤre, welchen ſie jemals zu machen gedaͤchte; und man konnte denſelben um ſo viel eher gelten laſſen, weil ſie die Kunſt verſtand, dieſe Blu - men ſo zu trocknen, daß ſie im Winter nichts von ihrer Schoͤn - heit verlohren hatten.

In ihrem Hauſe war Eingangs zur rechten Hand ein Saal oder eine Stube, welches man ſo genau nicht unter - ſcheiden konnte. Vermuthlich war es ehedem ein Saal ge - weſen. Jetzt ward es zur Spinnſtube gebraucht, nachdem Selinde ein helles, geraͤumiges und reinliches Zimmer mit zu den erſten Beduͤrfniſſen ihres Lebens rechnete. Aus derſel - ben gieng ein Fenſter auf den Huͤnerplatz; ein anders auf den Platz vor der Thuͤr, und ein drittes in die Kuͤche, der Kel - lerthuͤr gerade gegenuͤber. Hier hatte Selinde manchen Tag ihres Lebens arbeitſam und vergnuͤgt zugebracht, indem ſie auf einem dreybeinigten Stuhle, (denn einen ſolchen zog ſie den vierbeinigten vor, weil ſie ſich auf demſelben, ohne auf - zuſtehen und ohne alles Geraͤuſch auf das geſchwindeſte her - umdrehen konnte) mit dem einen Fuſſe das Spinnrad und mit dem andern die Wiege in Bewegung erhalten, mit einer Hand den Faden und mit der andern ihr Buch regiert, und die Augen bald in der Kuͤche und vor der Kellerthuͤr, bald aber auf dem Huͤnerplatze oder vor der Hausthuͤr gehabt hatte. Oft43eine Oſnabruͤckiſche Geſchichte. Oft hatte ſie auch zugleich auf ihre Mutter im Kindbette acht gehabt, und die ſpielenden Geſchwiſter mit einem freudigen Liede ermuntert. Denn das Kindbette ward zu der Zeit noch in einem Durtich (dortoir). gehalten, wovon die Staats - ſeite in die Spinnſtube gieng und mit ſchoͤnem Holzwerk, welches Pannel hieß, nun aber minder gluͤcklich*)Pannel ouvrage a pans oder Stuͤckelarbeit, wovon auch das Wort Pfennig als das erſte Stuͤck eines Schillings ſeinen Urſprung hat, druckt die Sache unſtreitig beſſer aus, als boiſerie. boiſerie genannt wird, gezieret war. Desgleichen hatten die Eltern ihre Kinder noch mit ſich in der Wohnſtube, um ſelbſt ein wachſames Auge auf ſie zu haben. Ueber dem Durtich war der Hauptſchrank, worinn die Briefſchaften, die Becher und andre Erbſchaftsſtuͤcke verwahret waren; und auch dieſen hatte Selinde zugleich vor Dieben bewahrt.

Wann die langen Winder-Abende herankamen, ließ ſie die Hausmaͤgde, welche ſich daher ebenfalls uͤberaus rein - lich halten mußten, mit ihren Raͤdern in die Spinnſtube kommen. Man ſprach ſodann von allem was den Tag uͤber im Hauſe geſchehen war, wie es im Stalle und im Felde ſtuͤnde, und was des andern Tages vorzunehmen ſeyn wuͤrde. Die Mutter erzaͤhlte ihnen auch wohl eine lehrreiche und lu - ſtige Geſchichte, wenn ſie haſpelte. Die kleinen Kinder lie - fen von einem Schooße zum andern, und der Vater genoß des Vergnuͤgens, welches Ordnung und Arbeit gewaͤhren, mittlerweile er ſeine Haͤnde bey einem Fiſch - oder Vogelgarn beſchaͤftigte, und ſeine Kinder durch Fragen und Raͤthſel un - terrichtete. Bisweilen ward auch geſungen, und die Raͤder vertraten die Stelle des Baſſes. Um alles mit wenigen zu ſagen: ſo waren alle nothwendige Verrichtungen in dieſer Haushaltung ſo verknuͤpft, daß ſie mit dem mindeſten Zeit -ver -44Die Spinnſtube,verluſt, mit der moͤglichſten Erſparung uͤberfluͤßiger Haͤnde und mit der groͤßten Ordnung geſchehen konnten; und die Spinnſtube war in ihrer Anlage ſo vollkommen, daß man durch dieſelben auf einmal ſo viele Abſichten erreichte, als moͤglicher Weiſe erreichet werden konnten.

Nicht weit von dieſer gluͤcklichen Familie lebte Ariſt; der einzige Sohn ſeiner Eltern, und der fruͤhe Erbe eines ziemlichen Vermoͤgens. Als ein Knabe und huͤbſcher Junge war er oft zu Selinden in die Spinnſtube gekommen, und hatte manche ſchoͤne Birn darinn gegeſſen, welche ſie ihm ge - ſchaͤlet hatte. Nach ſeiner Eltern Tode aber war er auf Rei - ſen gegangen, und hatte die große Welt in ihrer ganzen Pracht betrachtet. Er verſtand die Baukunſt, hatte Ge - ſchmack und einen natuͤrlichen Hang zum Ueberfluͤßigen, wel - chen er in ſeiner erſten Jugend nicht verbergen konnte, da er ſchon nicht anders als mit einem Federhute in die Kirche ge - hen wollte. Man wird daher leicht ſchlieſſen, daß er bey ſeiner Wiederkunft jene eingeſchraͤnkte Wirthſchaft nicht von ihrer beſten Seite betrachtet und die Spinnſtube ſeiner Mut - ter in einen Vorſaal veraͤndert habe. Jedoch war er nichts weniger als verderbt. Er war ein billiger und vernuͤnftiger Mann geworden, und ſein einziger Fehler ſchien zu ſeyn, daß er die edle Einfalt als etwas niedriges betrachtete und ſich ei - nes braunen Tuchs ſchaͤmte, wenn andre in goldgeſticktem Scharlach uͤber ihn triumphirten.

Seine Eltern hatten ſeine fruͤhe Neigung zu Selinden gern geſehen, und die ihrigen wuͤnſchten ebenfalls eine Ver - bindung, welche allen Theilen eine vollkommene Zufrieden - heit verſprach. Seinen Wuͤnſchen ſetzte ſich alſo nichts entge - gen; und ſo viele Schoͤnheiten als er auch auswaͤrts geſehen hatte, ſo war ihm doch nichts vorgekommen, welches ihreRei -45eine Oſnabruͤckiſche Geſchichte. Reitzungen uͤbertroffen haͤtte. Er widerſtand daher nicht lange ihrem maͤchtigen Eindruck, und der Tag zur Hochzeit ward von den Eltern mit derjenigen Zufriedenheit angeſetzt, welche, eine ausgeſuchte Ehe unter wohlgerathenen Kindern insgemein zu machen pfleget. Allein ſo oft Ariſt ſeine Braut beſuchte, fand er ſie in der Spinnſtube, und er muſte man - chen Abend, die Freude, ſeine Geliebte zu ſehen, mit dem Verdruß, zwiſchen Raͤdern und Kindern zu ſitzen, erkaufen.

Er konnte ſich endlich nicht enthalten, einige ſatyriſche Zuͤge gegen dieſe altvaͤteriſche Gewohnheit auszulaſſen. Iſt es moͤglich, ſagte er einsmal gegen den Vater, daß ſie unter dieſem Geſumſe, unter dem Geplauder der Maͤgde und unter dem Laͤrm der Kinder ſo manchen ſchoͤnen Abend hinbringen koͤnnen? In der ganzen uͤbrigen Welt iſt man von der alten deutſchen Gewohnheit, mit ſeinem Geſinde in einem Rauche zu leben, zuruͤck gekommen, und die Kinder koͤnnen unmoͤg - lich edle Geſinnungen bekommen, wenn ſie ſich mit den Maͤg - den herum zerren. Ihre Denkungsart muß nothwendig ſchlecht, und ihre Auffuͤhrung nicht beſſer gerathen. Ueberall wo ich in der Welt geweſen, haben die Bediente ihre eigne Stube; die Maͤgde haben die ihrige beſonders; die Kammer - jungfer ſitzt allein; die Toͤchter ſind bey der Franzoͤſin; die Knaben bey dem Hofmeiſter; der Herr vom Hauſe wohnt in einem und die Frau im andern Fluͤgel. Blos der Eßſaal nebſt einigen Vorzimmern dienen zu gewiſſen Zeiten des Tages, um ſich darinn zu ſehen und zu verſammlen. Und wenn ich meine Haushaltung anfange, ſo ſoll die Spinnſtubr gewiß nicht im Corps de logis wieder angelegt werden.

Mein lieber Ariſt, war des Vaters Antwort, ich habe auch die Welt geſehen, und nach einer langen Erfahrung ge - funden, daß Langeweile unſer groͤßter Feind, und eine nuͤtz -liche46Die Spinnſtube,liche Arbeit unſre dauerhafteſte Freundinn ſey. Da ich auf das Land zuruͤckkam, uͤberlegte ich lange, wie ich mit mei - ner Familie meine Zeit fuͤr mich ruhig und vergnuͤgt hinbrin - gen wollte. Die Sommertage machten mich nicht verlegen. Allein die Winterabende fielen mir deſto laͤnger. Ich fieng an zu leſen, und meine Frau nehete. Im Anfang gieng al - les gut. Bald aber wollten unſre Augen dieſe Anſtrengung nicht aushalten, und wir kamen oft zu dem Schluſſe, daß das Spinnen die einzige Arbeit ſey, welche ein Menſch bis ins hoͤchſte Alter ohne Nachtheil ſeiner Geſundheit aushalten koͤnnte. Meine Frau entſchloß ſich alſo dazu; und nach und nach kamen wir zu dem Plan, welcher ihnen ſo ſehr mißfaͤllt. Dies iſt die natuͤrliche Geſchichte unſers Verfahrens; Nun laſſen ſie uns auch ihre Einwuͤrfe als Philoſophen be - trachten.

In meiner Jugend diente ich unter dem General Mon - tecuculi. Wie oft habe ich dieſen Helden in regnigten Naͤch - ten auf den Vorpoſten, ſich an ein ſchlechtes Wachfeuer nie - derſetzen, aus einer verſauerten Flaſche mit den Soldaten trinken, und ein Stuͤck Commisbrod eſſen ſehen? Wie gern unterredete er ſich mit jedem Gemeinen? Wie aufmerkſam hoͤrte er oft von ihnen Wahrheiten, welche ihm von keinen Adjutanten hinterbracht wurden? Und wie groß duͤnkte er ſich nicht, wenn er in der Bruſt eines jeden Gemeinen Muth, Gedult und Vertrauen erwecket hatte? Was dort der Feld - herr that, das thue ich in meiner Haushaltung. Im Kriege ſind einige Augenblicke groß; in der Haushaltung alle, und es muß keiner verlohren werden. Solte nun aber wohl das - jenige, was den Helden groͤßer macht, den Landbauer beſchim - pfen koͤnnen? Iſt der Ackerbau minder edel als das Krieges - handwerk? Und ſollte es vornehmer ſeyn, ſein Leben zu ver - miethen, als ſein eigner Herr zu ſeyn, und dem Staate ohneSold47eine Oſnabruͤckiſche Geſchichte. Sold zu dienen? Warum ſollte ich alſo nicht mit meinem Ge - ſinde wie Montecuculi mit ſeinen Soldaten umgehen?

Ein geſunder und reinlicher Menſch hat von der Na - tur ein Recht, ein ſtarkes Recht uns zu gefallen. Der Ehr - geitzige braucht ihn; die Wolluſt ſucht ihn; und der Geitz verſpricht ſich alles von ſeinen Kraͤften. Ich habe allzeit ge - ſundes und reinliches Geſinde; und bey der Ordnung, welche wir in allen Stuͤcken halten, faͤllt es uns nicht ſchwer es wohl zu ernaͤhren und gut zu kleiden. Das Kleid macht nicht blos den Staatsmann; es macht auch eine gute Hausmagd; und es kann ihnen, mein lieber Ariſt, nicht unbemerkt geblieben ſeyn, daß der Zuſchnitt ihrer Muͤtzen und Waͤmſer ihnen eine vorzuͤgliche Leichtigkeit, Munterkeit und Achtſamkeit gebe. Ich erniedrige mich nicht zu ihnen; ich erhebe ſie zu mir. Durch die Achtung, welche ich ihnen bezeige, gebe ich ihnen eine Wuͤrde, welche ſie auch im Verborgnen zur Rechtſchaf - fenheit leitet. Und dieſe Wuͤrde, dieſes Gefuͤhl der Ehre dienet mir beſſer als andern die Furcht vor dem Zuchthauſe. Wenn ſie des Abends zu uns in die Stube gelaſſen werden, haben ſie Gelegenheit manche gute Lehre im Vertrauen zu hoͤren, welche ſich nicht ſo gut in ihr Herz praͤgen wuͤrden, wenn ich ſie ihnen als Herr im Voruͤbergehen mit einer ernſthaften Mine ſagte. Durch unſer Betragen gegen ſie, ſind ſie ver - ſichert, daß wir es wohl mit ihnen meynen, und ſie muͤßten ſehr unempfindliche Geſchoͤpfe ſeyn, wenn ſie ſich nicht dar - nach beſſerten. Ich habe zugleich Gelegenheit, ohne von meiner Arbeit aufzuſtehen, und meine Zeit zu verlieren, von ihnen Rechenſchaft wegen ihrer Tagesarbeit zu fordern, und ihnen Vorſchriften auf den kuͤnftigen Morgen zu geben. Meine Kinder hoͤren zugleich wie der Haushalt gefuͤhret, und jedes Ding in demſelben angegriffen werden muß. Sie ler - nen gute Herrn und Frauen zu werden. Sie gewoͤhnen ſichzu48Die Spinnſtube,zu der nothwendigen Achtſamkeit auf Kleinigkeiten; und ihr Herz erweitert ſich bey Zeiten zu den chriſtlichen Pflichten im niedrigen Leben, wozu ſich andre ſonſt mehr aus Stolz als aus Religion herab laſſen. Ordentlicher Weiſe aber laſſe ich meine Kinder mit dem Geſinde nicht allein. Wenn es aber von ungefehr geſchieht; ſo habe ich weniger zu fuͤrchten, als andre, deren Kinder mit einem verachteten Geſinde ver - ſtohlne Zuſammenkuͤnfte halten. Ich muß aber dabey be - merken, daß ich meine Kinder hauptſaͤchlich zur Landwirth - ſchaft, und zu derjenigen Vernunft erziehe, welche die Erfah - rung mit ſich bringt. Von gelehrten Hofmeiſtern lernen tau - ſend die Kunſt nach einem Modell zu denken und zu handlen. Aufmerkſamkeit und Erfahrung aber bringen nuͤtzliche Origi - nale oder doch brauchbare Copien hervor.

Ariſt ſchien mit einiger Ungedult das Ende dieſer lan - gen Rede zu erwarten, und vielleicht haͤtte er Selindens Va - ter in manchen Stellen unterbrochen, wenn der Ernſt, wo - mit dieſe ihrem Vater zuhoͤrte, ihn nicht behutſam gemacht haͤtte. Es iſt einem jeden nicht gegeben, fiel er jedoch hier ein, ſich mit ſeinem Geſinde ſo gemein zu machen; und ich glaube man thut allezeit am beſten, wenn man ſie in gehoͤri - ger Ehrfurcht und Entfernung haͤlt. Alle Menſchen ſind zwar von Natur einander gleich. Allein unſre Umſtaͤnde wollen doch einigen Unterſchied haben; und es iſt nicht uͤbel ſolchen durch gewiſſe aͤuſſerliche Zeichen in der Einbildung der Men - ſchen zu unterhalten. Mit eben den Gruͤnden, womit ſie mir die Spinnſtube anpreiſen, koͤnnte ich ihnen die Dorfſchenke ruͤhmen. Und vielleicht bewieſe ich ihnen aus der Geſchichte des vorigen Jahrhunderts, daß verſchiedene Kayſer und Koͤ - nige, wenn ihnen die allezeit in einerley Gemuͤthsuniforme erſcheinende Hofleute Langeweile verurſachet, ſich oft in einem Baurenhauſe gelabet, und ihren getreueſten Unterthanen un - erkannter Weiſe zugetrunken haben.

Und49eine Oſnabruͤckiſche Geſchichte.

Und ſie wollten dieſes verwerfen? verſetzte Selindens Vater mit einem edlen Unmuthe. Sie wollten eine Hand - lung laͤcherlich machen, welche ich fuͤr die gnaͤdigſte des Koͤ - nigs halte? Kommen ſie, fuhr er fort, ich habe hier noch ein Buch, welches ich oft leſe. Dieſes iſt Homer. Hier hoͤren ſie (und in dem Augenblick las er die erſte Stelle ſo ihm in die Hand fiel) der alte Neſtor zitterte ein wenig, aber Hector kehrte ſich an nichts. Welch eine natuͤrliche Schilderung rief er aus? Wie ſanft, wie lieblich, wie flieſ - ſend iſt dieſe Schattirung in Vergleichung ſolcher Gemaͤhlde, worauf der Held in einem einfaͤrbigen Purpur ſteht, den Him - mel uͤber ſich einſtuͤrzen ſieht, und den Kopf an einer poeti - ſchen Stange unerſchrocken in die Hoͤhe haͤlt? Wodurch war aber Homer ein ſolcher Mahler geworden? Wahrlich nicht dadurch, daß er alles in einen praͤchtigen aber einfoͤrmigen Mo - deton geſtimmt, und ſich in eine einzige Art von Naſen ver - liebt? Nein, er hatte zu ſeiner Zeit die Natur uͤberall, wo er ſie angetroffen, ſtudirt. Er war auch unterweilen in die Dorf - ſchenke gegangen, und der ſchoͤnſte Ton ſeines ganzen Werks iſt dieſer, daß er die Mannigfaltigkeit der Natur in ihrer wirklichen und wahren Groͤße ſchildert, und durch uͤbertrie - bene Vergroͤßerungen oder Verſchoͤnerungen ſich nicht in Ge - fahr ſetzt, ſtatt hundert Helden nur einen zu behalten. Er ließ der Helene ihre ſtumpfe Naſe, ohne ihr den ſchoͤnen Huͤ - gel darauf zu ſetzen; und Penelopen ließ er in der Spinnſtube die Aufwartung ihrer Liebhaber empfangen.

Ariſt wollte eben von dem Durtich ſprechen, welcher beym Homer wie ein Vogelbauer in die Hoͤhe gezogen wird, damit die darinn ſchlafende Prinzen nicht von den Ratzen oder andern giftigen Thieren angegriffen wuͤrden. Allein der Alte ließ ihn nicht zu Worte kommen, und ſagte nur noch: ich weis wohl, die veredelten, verſchoͤnerten, erhabenen und ver -Möſers patr. Phantaſ. I. Th. Dwehn -50Die Spinnſtube,wehnten Koͤpfe unſer heutigen Welt lachen uͤber dergleichen Gemaͤhlde. Allein mein Troſt iſt: Homer wird in England, wo man die wahre Natur liebt, und ihr in jedem Stande Gerechtigkeit wiederfahren laͤßt, mehr geleſen und bewun - dert, als in dem ganzen uͤbrigen Theile von Europa; und es gereicht uns nicht zur Ehre, wenn wir mit den niedrigſten Stande nicht umgehen koͤnnen, ohne unſre Wuͤrde zu verlie - ren. Es giebt Herrn, welche in einer Dorfſchenke am Feuer mit vernuͤnftigen Landleuten, die das ihrige nicht aus der Encyclopedie, ſondern aus Erfahrung wiſſen, und aus eignem Verſtande wie aus ofnen Herzen reden, allezeit groͤßer ſeyn werden, als orientaliſche Prinzen, die, um nicht klein zu ſchei - nen, ſich einſchlieſſen muͤſſen. Wenn wir daͤchten, wie wir denken ſollten: ſo muͤßte uns der Umgang mit laͤndlichen un - verdorbenen und unverſtelleten Originalen ein weit angeneh - mer Schauſpiel geben, als die Buͤhne, worauf einige abge - richtete Perſonen ein auswendig gelerntes Stuͤck in einem geborgten Affekte daher ſchwatzen.

Wie Selinde merkte, daß ihr Vater eine Wahrheit, welche er zu ſtark fuͤhlte, nicht mehr mit der ihm ſonſt eignen Gelaſſenheit ausdruͤckte, unterbrach ſie ihn damit, daß ſie ſagte: ſie wuͤrde ſichs von Ariſten als die erſte Gefaͤlligkeit ausbitten, daß er ſeiner Mutter Spinnſtube wieder in den vorigen Stand ſetzen lieſſe. Und ſie begleitete dieſe ihre Bitte mit einem ſo ſanften Blicke, daß er auf einmal die Satyre vergaß, und ihr unter einer einzigen Bedingung den vollkom - menſten Gehorſam verſprach. Selinde wollte zwar Anfangs keine Bedingung gelten laſſen. Doch ſagte ſie endlich, die Bedingungen eines geliebten Freundes, koͤnnen nichts widri - ges haben, und ich weis zum voraus, daß ſie zu unſerm ge - meinſchaftlichen Vergnuͤgen ſeyn werde. Ariſt erklaͤrte ſich alſo, und es ward von allen Seiten gut gefunden, daß Se -linde51eine Oſnabruͤckiſche Geſchichte. linde ein Jahr nach ihres Mannes Phantaſie leben, und als - dann dasjenige geſchehen ſollte, was ſie Beyderſeits wuͤnſchen wuͤrden. Jeder Theil hofte in dieſer Zeit den andern auf ſeine Seite zu ziehen.

Der Hochzeitstag gieng froͤlich voruͤber, und wann gleich Ariſt ſich an demſelben in ſeiner ſchoͤnſten Groͤße zeigte, ſo bemerkte man doch auf der andern Seite nichts was man Ueberfluß nennen konnte. Selindens Vater kleidete alle Arme im Dorfe neu; nur ſich ſelbſt nicht, weil ſein Rock noch voͤl - lig gut war. Er gab nicht mehr als drey Speiſen und ein gutes Bier, welches im Hauſe gemacht war. Denn der Wein war damals noch keine allgemeine Mode, und es hatte ſich kein Leibarzt beyfallen laſſen, der Braunahrung zum Nach - theil das Waſſer geſunder zu finden. Die Braut trug ihr Heidebluͤmgen, und die liebenswuͤrdige Sittſamkeit war das durchſcheinende Gewand vieler edlen und maͤchtigen Reitzun - gen. Sie war weis und nett ohne Pracht. Des andern Morgens aber erſchien ſie nach der Abrede in unausſprechli - chen Kleidungen. Denn die Zeit hat die Modenamen aller Kopfzeuge, Huͤllen und Phantaſien, welche zu der Zeit zum Putz eines Frauenzimmers gehoͤrten, laͤngſt in Vergeſſenheit kommen laſſen. Und wenn ſie ſolche auch erhalten haͤtte: ſo wuͤrde man ſie doch eben ſo wenig verſtehen, als dasjenige, was man in der Limburger Chronick*)Die Worte davon lauten in faſtis Limburg. S. 18. alſo: Die Kleidung von den Leuten in deutſchen Landen war alſo gethan. Die alte Leute mit Namen, tru - gen lange und weite Kleider, und hatten nicht Knauff, ſondern an den Armen hatten ſie vier oder fünf Knäuff. Die Ermel waren beſcheidentlich weit. Die - ſelben Röcke waren um die Bruſt oben gemützert und geflützert, und waren vornen aufgeſchlitzt bis an den Gürtel. Die junge Männer trugen kurze Kleider,die von gemuͤtzerten, ge -D 2fluͤtzer -52Die Spinnſtube,fluͤtzerten, verſchnittenen und verzattelten, von kleinſpalt, ko - geln, ſorkett und diſſelſett lieſet.

Selinde, die alles was ſie war, jederzeit aus Ueberlegung war, ſpielete ihre neue Rolle wuͤrklich ſchoͤner, als wenn ſie ſolche gelernet haͤtte. Sie ſtand ſpaͤt auf, ſaß bis um neun Uhr am Coffeetiſche, putzte ſich bis um zwey, bis um vier, ſpielete bis achte, ſetzte ſich wieder zu Tiſche bis zehn, zog ſich aus bis um zwoͤlfe und ſchlief wieder bis achte; und in dieſemein -*)die waren abgeſchnitten auf den Lenden, und ge - mützert und gefalten mit engen Armen. Die Kogeln waren groß. Darnach zu Hand trugen ſie Roͤcke mit vier und zwanzig oder dreyßig Geren, und lange Hoicken, die waren geknäufft vornen nieder bis auf die Füß. Und trugen ſtumpe Schuhe. Etliche tru - gen Kugeln, die hatten vornen einen Lappen und hinten einen Lappen, die waren verſchnitten und ge - zattelt. Das manches Jahr gewähret. Herren, Rit - ter und Knechte, wann ſie hoffarthen, ſo hatten ſie lange Lappen an ihren Armen bis auf die Erden, ge - füdert mit Kleinſpalt oder mit Bund, als den Her - ren und Rittern zugehört, und die Knechte als ihnen zugehört. Die Frauen giengen gekleidet zu Hof und Dänzen mit paar Kleidern, und den Unterrock mit engen Armen. Das oberſte Kleid hieß ein Sorkett, und war bey den Seiten neben unten aufgeſchliffen, und gefüdert im Winter mit Bund, oder im Sommer mit Zendel, das da ziemlich einem jeglichen Weib war. Auch trugen die Frauen die Burgerſen in den Städ - ten gar zierliche Hoicken, die nennte man Fyllen, und war das kleine Geſpenſe von Diſſelſett, krauß und eng beyſammen gefalten mit einem Same beynahe einer Spannen breit, deren koſtet einer neun oder zehen Gülden. Die Kugeln hiengen vermuthlich auch an den Kappen; und ruͤhrt daher das heutige Sprichwort: Kappen und Kugeln verſpielen.53eine Oſnabruͤckiſche Geſchichte. einfoͤrmigen Zirkel verfloß der erſte Winter in einer benach - barten Stadt, wohin ſie ſich nach der Mode begeben hatten.

Wie der folgende Winter ſich naͤherte, fing Ariſt all - maͤhlig an Ueberlegungen zu machen. Sein ganzes Hausge - ſinde hatte ſich nach ſeinem Muſter gebildet. In der Haus - haltung war vieles verlohren, vieles nicht gewonnen, und in der Stadt ein anſehnliches mehr als ſonſt verzehrt. Er mußte ſich alſo entſchlieſſen auf dem Lande zu bleiben, wofern er ſeine Wirthſchaft in Ordnung halten wollte. Selinde hatte ihm bis dahin noch nichts geſagt. Denn auch dieſes hatte er ſich bedungen. Allein nunmehr da das Probjahr zu Ende gieng, ſchien ſie allmaͤhlig mit einem Blicke zu fragen, wiewohl mit aller Beſcheidenheit, und nur ſo, daß man ſchon etwas auf dem Herzen haben mußte, um dieſen Blick zu verſtehen.

Zur Zeit, wie Ariſt in Paris geweſen war, hatte man eben die Spinnraͤder erfunden, welche die Damen mit ſich in Geſellſchaft trugen, auf dem Schooß ſetzten, und mit ei - nem ſtaͤhlernen Hacken an eben derſelbigen Stelle befeſtigten, wo jetzt die Uhr zu haͤngen pflegt. Man drehete das Rad mit einem ſchoͤnen kleinen Finger, und taͤndelte oder ſpann mit einem andern. Von dieſer Art hatte er heimlich eines fuͤr Selinden kommen laſſen; und fuͤr ſich ein Geſtell zu Knoͤtgen. Denn die Mannsperſonen fingen eher an zu knoͤt - gen als zu trenſeln. *)Das Trenſeln, welches vor dreyßig Jahren Mode war, beſtand darinn, daß man goldne und ſilberne Borten, auch ſeidne Zeuge in ihre Faͤden aufloͤſete. Viele modiſche Leute kauften ſich neue Borten, um ihre Haͤnde ſolcherge - ſtalt zu beſchaͤftigen.Ehe ſichs Selinde verſah, ruͤckte Ariſt mit dieſen allerliebſten Kleinigkeiten hervor; und gedachte da - mit eine Wendung gegen ſein feyerliches Verſprechen zu ma -D 3chen.54Die Spinnſtube,chen. Vielleicht waͤre es ihm auch eine Zeitlang gegluͤckt, wenn nicht das charmante Raͤdgen mit einer unendlichen Menge Berloquen waͤre gezieret geweſen. Sie wußte zwar die Geſchichte ihres Urſprungs, und zu welchem Ende der Gott der Liebe dieſe kleinen Siegeszeichen erfunden hatte, nicht. Allein ſie ſahe doch ganz wohl ein, daß dieſer uͤber - fluͤßige Zierrath ein kleiner Spott uͤber ihre ehmaligen Grund - ſaͤtze ſeyn ſolte. Indeſſen ſchwieg ſie und ſpann. Ariſt aber machte Knoͤttgen.

Kaum aber war ein Monat und mit dieſem die Neuig - keit voruͤber, ſo fuͤhlete Ariſt ſelbſt die ganze Schwere dieſer langweiligen Taͤndeley. Laͤngſt hatte er eingeſehen, daß nichts als nuͤtzliche Arbeit die Zeit verkuͤrzen, und ein dauer - haftes Vergnuͤgen erwecken koͤnnte; Allein dieſe ſeine Erkennt - niß war unter dem Geraͤuſch jugendlicher Luſtbarkeiten ver - ſchwunden; jetzt verwandelte ſie ſich aber in eine lebhafte Ueberzeugung, da die Noth ſich bey ihm als ein ernſthafter Sittenlehrer einſtellte. Er fing alſo an Selinden offenherz - und zaͤrtlich zu geſtehen, wie es wohl ſchiene, daß ſie Recht behalten wuͤrde ......

Die Scene, welche hierauf erfolgte, iſt zu ruͤhrend um ſie zu beſchreiben. Es iſt genug zu wiſſen, daß Selinde den Sieg, und eine ganz neue Spinnſtube erhielt; woraus ſie, wie zuvor, ihre ganze Haushaltung regieren konnte. Nur wolte Ariſt nicht, daß ſie Eingangs zur linken liegen ſolte, weil er hier ſeinen Saal behalten, und die Damen ſo ihn be - ſuchten, wie im Menuet, von der rechten zur linken fuͤhren wollte. Dies war leicht eingeraͤumt; und jedermann weis daß ſie beyde unter Raͤdern und Kindern ein ſehr hohes und vergnuͤgtes Alter erreichet haben. Man ſagt dabey, daß die damalige Landesfuͤrſtin ihnen die Ehre erwieſen, ſie in der Spinnſtube zu beſuchen; und daß ſie zum Andenken derſelbeneine55eine Oſnabruͤckiſche Geſchichte. eine dergleichen auf dem Schloſſe zu Iburg angelegt habe, welche bis auf den heutigen Tag die Spinnſtube genannt wird.

VI. Man ſorge auch fuͤr guten Leinſaamen, wenn der Linnenhandel ſich beſſern ſoll.

Der Handel ins große mit Leinſaat iſt ſo laͤuniſch und falſch, daß mancher, der dreyßig Jahre damit gehandelt, am Ende der Rechnung nicht das mindeſte gewonnen hat. Er wuͤrde auch laͤngſt gefallen ſeyn, wenn nicht die Kaufleute, welche Schifstheile haben, und dieſe auf eine oder andre Art nutzen muͤſſen, ſich oft aus Noth und in Ermanglung andrer Speculationen damit bemengten, und noch dann und wann einen ſo ploͤtzlichen Vortheil daraus zoͤgen, daß ſie den Schaden vieler Jahre uͤbertragen koͤnnten. Es hat ſich daher auch dieſer Handel, nehmlich der große, welcher das Lein unmittel - bar aus der Quelle holete, ſeit 1750 im hieſigen Stifte ganz verlohren; und der jetzige beſtehet darinn, daß einige Land - kraͤmer mit demjenigen, was ſie von Bremen holen, hoͤkern, oder aber die Landleute ſich zuſammen thun, und den Saamen ſelbſt zu Bremen einkaufen.

Die Urſache jenes Abfalls iſt folgende. Es geſchehen im Jahr aus den deutſchen Haͤfen zwey Farthen des Leinſaa - mens halber nach der Oſtſee. Die erſte zu Ende des Som - mers, oder im Anfange des Herbſtes, und die andre zu Ende des Winters, oder im Anfang des Fruͤhjahrs. Denn im November, December, Jenner und Februar kann die OſtſeeD 4nicht56Man ſorge auch fuͤr guten Leinſaamen,nicht ohne große Gefahr befahren werden, und ſo muͤſſen die Schiffe ſich an obige beyde Perioden halten. Der Preiß des Leinſaamens in den Haͤfen der Oſtſee richtet ſich natuͤrlicher Weiſe nach der Menge der ankommenden Schiffe, und des vorhandenen Saamens.

Geſetzt nun, daß der Vorrath groß iſt, und wenig Schiffe kommen: ſo kaufen die, ſo im Auguſt und Septemper ab - fahren, den Saamen ſehr wohlfeil. Sie legen denſelben in Bremen und Hamburg ab; und den Winter uͤber erhaͤlt der Kaufmann Briefe, daß wenig oder gar kein Leinſaamen fuͤr diejenigen, welche im Fruͤhjahr dahin fahren werden, in den Haͤfen der Oſtſee angelanget ſey. Alsdenn erhoͤhen ſie den Preiß und gewinnen vielleicht hundert Procent.

Geſetzt aber umgekehrt, daß im Auguſt und September viele Schiffe nach der Oſtſee gehen, und zu der Zeit wenig Saamen in den dortigen Haͤfen vorhanden iſt: ſo muͤſſen ſie ihre Ladung theuer bezahlen. Laͤuft nun den Winter uͤber Nachricht ein, daß vieler Saame auf Schlitten aus den innern Theilen Lieflandes in den Haͤfen angelanget ſey, und daß die Fruͤhjahrsfahrer vor halb Geld kaufen werden: ſo ver - lieren ſie vielleicht hundert Procent.

Ein drittes Ungluͤck kann ſeyn, daß die Verkaͤufer in der Oſtſee ſpeculiren wollen, und ihren Saamen, wenn die erſten Schiffe im Fruͤhjahr ankommen, hoch halten, in der Meinung, daß noch mehrere kommen werden, zuletzt aber, wenn dieſe Meinung triegt, alles losſchlagen und den letzten Saamen zum Drittel des Preiſes abſchicken, wozu ſie ihn vorher verkaufet haben. Alsdenn ſind beyde ſo wohl die Herbſt - als Fruͤhjahrsfahrer hintergangen.

Man ſolte denken, es lieſſe ſich dieſer Handel einiger - maſſen in beſſere Gleiſe bringen, wenn die Herbſtfahrt ganz eingeſtellet, und alles nach dem Fruͤhjahrspreiſe in den Haͤfender57wenn der Linnenhandel ſich beſſern ſoll. der Oſtſee eingekaufet, nachher aber gar kein Schiff mit Lein - ſaat in einen deutſchen Hafen weiter mehr zugelaſſen, indem dadurch die Verkaͤufer in der Oſtſee von weitern Speculiren zuruͤckgebracht werden wuͤrden. Allein andrer Schwierigkeiten, welche jeder Kornhaͤndler einſehen kann, nicht zu gedenken; ſo koͤnnen die erſten Fruͤhjahrsfahrer vor den 6 May nicht zuruͤck ſeyn, und folglich ſehr viele Gegenden, wo fruͤh geſaͤet wird, zu keinem Saamen gelangen. Der Unterſchied in der Saatzeit, und der oͤftere Mangel des Saamens in der Oſtſee im Herbſte, machen alſo zwey Farthen nothwendig, und daher entſteht es, daß diejenigen, ſo hier im Stifte den 22. 23 und 24 May ſaͤen, ihren Saamen oftmals fuͤr 6 und 7 Thaler in Bremen kaufen, wann die hieſigen Landkraͤmer, welche ihren Vorrath gegen den April fuͤr die Fruͤhſaat gemacht, und alſo von der Herbſtfahrt gekaufet haben, 13 bis 16 Thaler nehmen muͤſſen. Oder aber der Preiß des im Herbſt einge - holten Saamens laͤuft bereits in Bremen nach dem Verhaͤlt - niſſe herunter, als die Nachrichten aus der Oſtſee melden, daß die Fruͤhjahrsfahrer einen wohlfeilen Markt finden werden. Im vorigen Monat fiel daher jede Tonne ſchon um 18 Mgr.

Dies ſind die Folgen der Unſicherheit im großen Han - del mit Leinſaat! und der kleine hat wiederum ſeine Tuͤcke, wenn der Kraͤmer den Saamen a) ein Jahr borgt, b) vor Mißwachs einſteht, und c) dasjenige, was ihm liegen bleibt, zu ſeinem Schaden behalten muß. Dieſe drey Gefahren ver - wirren manchen Kraͤmer, beſonders wenn er erſt ein Ungluͤck erlebt hat, den Kopf, und er nimmt um ſicher zu gehen den groͤßten Vortheil.

Es haͤlt ſchwer den Folgen dieſer ganz natuͤrlich wirken - den Urſachen in den hieſigen Landen vorzubauen; und be - ſonders die Verſuchung zu ſchwaͤchen, worinn ſich der große Kaufmann befindet, nicht den beſten und theuerſten SaamenD 5ein -58Man ſorge auch fuͤr guten Leinſaamen,einzukaufen. Die Vorſorge der Landesobrigkeiten in den Haͤfen der Oſtſee kann nicht weiter gehen, als daß ſie den beſten und mittlern Saamen durch Zeichen an den Tonnen bemerket, und den ſchlechten gar ungezeichnet laͤßt. Allein was hilft dieſes, wenn das Kronlein mehrentheils allein von den Hollaͤndern und faſt wenig von den Bremern eingekauft, folglich auch zu uns faſt gar nicht gebracht wird. Nur Schweden hat dieſes Jahr den Entſchluß faſſen koͤnnen, einen eignen Commiſſair nach Riga zu ſchicken, durch denſelben alle Tonnen, welche fuͤr dieſes Reich geladen werden, zeichnen, und darauf ein Verbot zu erlaſſen, daß kein andrer Saame, als welcher von dem Commiſſair der Krone geſtempelt, ins Reich zugelaſſen werden ſolle. Die Ausfuͤhrung dieſes Ent - ſchluſſes iſt fuͤr unſre unverbundene Staͤdte einzeln zu koſtbar; und noch haben ſie ſich nicht vereinigt einen gemeinſchaftlichen Conſul NB. der ſelbſt nicht handelt, zu dergleichen Ver - richtungen in Riga oder anderwaͤrts zu halten.

Indeſſen iſt doch ſo viel augenſcheinlich

Daß eben, wie in Schweden, der beſte Leinſaamen unter obrigkeitlicher Aufſicht angeſchaft, und alle Unſicherheit ab - gewandt werden koͤnne, wenn nachher, und ſo bald dieſes geſchehn, alle weitere Einfuhr verboten wuͤrde.

Der Preis in der Oſtſee, oder in Bremen, moͤchte nachher ſteigen und fallen: ſo haͤtte dieſes keinen Einfluß auf den an - gekauften Vorrath; und die Unſicherheit, welche vorhin der Kaufmaun tragen und um derentwillen er ſich allerhand ſchaͤdlicher Huͤlfsmittel bedienen muͤßte, fiele aufs ganze Land zuruͤck. Dieſes leiſtete gleichſam die Aſſecuranz. In einem Jahre profitirte es nicht von der ſpätern Wohlfeiligkeit, und im andern verloͤhre es nicht bey der ſpaͤtern Theurung, mithin haͤtte es im Durchſchnitt von dreyßig Jahren, wie jener Kauf - mann nichts daran verlohren oder gewonnen, aber allezeit ſicher guten aͤchten Saamen erhalten.

Wie59wenn der Linnenhandel ſich beſſern ſoll.

Wie iſt aber dieſer Endzweck zu erhalten? Soll die Obrigkeit den Saamen ſelbſt kommen laſſen? Dieſes iſt uͤber - aus bedenklich, und was zuerſt mit der redlichſten Abſicht angefangen wird, den groͤſten Mißbraͤuchen unterworfen. Hier im Stifte mag ehedem etwas aͤhnliches eingefuͤhrt ge - weſen ſeyn. Dann die Bemuͤhungen, welche weyland der Biſchof Ernſt Auguſt der Erſte anwandte, um den Handel mit Leinſaamen aus den Haͤnden der Beamte und Voͤgte zu bringen, laſſen glauben, daß dieſes Uebel unter dem Schein der obrig - keitlichen Vorſorge eingeriſſen ſey.

Soll der Handel einer Compagnie anvertrauet werden? Dieſes wuͤrde allerdings das bequemſte ſeyn, wenn man nicht Monopolien befuͤrchten muͤßte, wiewohl dieſes durch ein gutes Temperament leicht vermieden werden koͤnnte.

Das Beſte unter allen ſcheinet mir eine Compagnie zum Handel, aber dabey eine allgemeine freye Einzeichnung zu ſeyn. Ich will mich deutlicher erklaͤren. Es treten ei - nige Perſonen zuſammen, welche den Einkauf nach der Vor - ſchrift uͤbernehmen, ein Schif oder mehrere im Herbſt ab - ſchicken, den Saamen uͤberkommen laſſen, die Bezahlung ver - fuͤgen, und nichts wie die Proviſion nebſt der Aſſecuranz, wenn ſie wollen, daran verdienten, ſelbſt aber keine einzige Tonne für eigne Rechnung kommen lieſſen. Vor einem ge - wiſſen anzuſetzenden Tage meldeten ſich bey ihnen alle Kraͤ - mer im Lande, und lieſſen die Anzahl der Tonnen einzeich - nen, welche ſie verlangten. Jene bezahlten an der Quelle, dieſe zahlten beym Empfang der Tonnen. Die Rech - nungen der erſten wuͤrden einer obrigkeitlichen Perſon vorge - legt, darnach die Ausrechnung gemacht, und die Kraͤmer er - hielten den geſetzten Preiß, und zahlten daruͤber, wenn ih - nen die Compagnie borgen wollte, ein zu beſtimmendes Intereſſe.

In60Von dem Nutzen einer Geſchichte

In der Theorie ſcheinet dieſem Plan nichts zu wider - ſtehn. Aber die Ausfuͤhrung? Nun dieſe haͤngt blos von vielen kleinen Umſtaͤnden ab, welche, da ſie einzig und allein die mindere oder mehrere Aufmerkſamkeit der Landesobrigkeit betreffen, zu beruͤhren unnoͤthig ſind.

Nur eins iſt wichtig. In der Gegend von hieſiger Stadt und der Seite von Oeſede geraͤth der rigaiſche, auch der pernauiſche: nach Biſſendorf und weiter hinauf der libaui - ſche; wo fein Flachs gezogen wird, der windauiſche Saame, und um Borgloh das Seelaͤndiſche Sack-lein am beſten. Al - lein in dieſe Abſichten muß ſich die Compagnie ſchicken, und vielleicht haͤtte dieſelbe Gelegenheit, eben ſo wie in Sachſen vor zwey Jahren geſchehn, mit Anconitaniſchen und andern Saamen Verſuche anſtellen zu laſſen, welches bey dem jetzi - gen Handel, wo der Kraͤmer den Saamen nach dem Willen ſeiner Kaͤufer kauft, nicht mit Sicherheit geſchehen kann. Die Compagnie kann bey obigen Plan allezeit beſtehen, und ſich uͤberdem den Vortheil zueignen, welchen der gleiche Cours des Albertsthalers mit dem Rubel in den rußiſchen Provinzen den ſchlauen Hollaͤndern darbietet, und der zur geheimen Com - merzrechnung gehoͤret.

VII. Von dem Nutzen einer Geſchichte der Aemter und Gilden.

Es iſt kein Feld worinn die Gelehrten ſo viele Entdeckun - gen machen, als in der Handlung und dem Fabrikweſen. Denn da ſie ſehr vieles nicht wiſſen: ſo muͤſſen ſie nothwen - dig vieles zuerſt entdecken, und der kluge Kaufmann laͤßt ſie ſchreiben, und die gluͤcklichen Cameraliſten ſich den Kopf mitneuen61der Aemter und Gilden. neuen Vorſchlaͤgen fuͤllen, um vor ſich in der Stille ſeinen Handel ungeſtoͤrt zu behalten. Indeſſen wuͤrde es doch den Gelehrten nicht zu verdenken ſeyn, wenn ſie ſich um die Ge - ſchichte der Handlung und beſonders der Aemter und Gilden jedes Orts einige Muͤhe geben wollten.

Dieſe Geſchichte aber hat ihre eigne Schranken. In den Lebenslaͤufen großer Herrn macht die Abſtammung mit Recht ein großes aus. In der Geſchichte vornehmer Fami - lien erwartet man große Thaten, Helden, und glaͤnzende Scenen. In einer Staatsgeſchichte die Veraͤnderungen ſeiner Verfaſſung, Geſetze, Gewohnheiten und Syſteme. In der Amts - und Gildengeſchichte aber koͤnnen ſogar die Na - men der Mitglieder und die Lebenslaͤufe aller Gildemeiſter entbehret werden, es ſey denn, daß ſich einer durch eine neue Erfindung oder durch eine kuͤhne Wendung in der Art des Gewerbes ruͤhmlich hervorgethan habe.

Man denke nicht, daß eine ſolche Geſchichte ohne Nutzen und Reitzungen ſeyn wuͤrde. Wenn man hoͤret, daß das Tuchmacher Amt in hieſiger Stadt ehedem uͤber zwey hundert Meiſter gezaͤhlt, und uͤber zwey tauſend Menſchen ernaͤhret habe: ſo wuͤrde es wahrlich kein geringer Anblick ſeyn, die Urſachen ſeines auſſerordentlichen Verſalls zu kennen, die Stuffen, worauf es nach und nach geſunken, mit einem ge - ruͤhrten Auge zu betrachten, durch die Erkenntniß der Fehler, wodurch die geſetzgebende Macht einen ſolchen Verfall ent - weder befoͤrdert oder zugelaſſen, ſich zu beſſern, und die Be - rechnung der Folgen nach ihren Urſachen in einer zuſammen - hangenden Kette zu haben. Eine ſolche Geſchichte wuͤrde ei - nem Philoſophen faſt ſo vielen Stof zu Betrachtungen als die Todten-Liſten geben. Sie wuͤrde den Fuͤrſten die trau - rigen Folgen verſchiedener Auflagen und Einſchraͤnkungen vor - legen; unſre Gedanken uͤber die Handelsfreyheit herichtigen;alte62Von dem Nutzen einer Geſchichtealte Wege zum Erwerb wieder eroͤfnen, oder die Moͤglichkeit neuer zeigen. Wir wuͤrden aus derſelben die Abnahme ver - ſchiedener Staaten deutlicher entdecken; die Einfluͤſſe aus - waͤrtiger Veraͤnderungen gleichſam auf der That ertappen; die Klugheit mancher Nation in ihren Friedenſchluͤſſen deut - licher bemerken; die großen Einſichten des handelnden Ge - nies mit dankbarer Hochachtung erkennen, und unſre Be - wunderung nicht blos dem Helden, ſondern auch dem großem privat Manne bezeugen koͤnnen. Und wie mancher Kauf - mann oder Kuͤnſtler wuͤrde nicht um Gewinnſt ſondern fuͤr ſeinen Ruhm arbeiten, wenn ihm dergleichen Jahrbuͤcher die Unſterblichkeit verſicherten?

Staaten und Handwerks-Gilden haben ihre ungleichen Perioden. Manche ſterben ganz aus, oder fallen doch durch die Zeitumſtaͤnde ſo ſehr herunter, daß man auf andre Wen - dungen denken muß; welches die Geſchichte am beſten zeigen kann.

Die Urſachen, warum einige Handwerker dem Staat abſterben, ſind klar. Die Gilde der Panzerfeger mußte mit dem Panzer fallen. Die Schwerdfeger nahmen ab, wie die heutige Militz nach und nach vollkommener, und ihr Gewehr auf den Huͤtten gemacht wurde. Die alte Verfaſſung, da der Buͤrger noch zu Walle zog, und keine ſammetne Hoſen trug, ernaͤhrte weit mehr Weißgerber als die neuere, worinn der goldene Degen an einem ſeidenen Bande haͤngt, und der Sol - dat von auſſen verſorgt wird. Eine Mode von Federmuffen kann ein Pelzeramt ſehr herunter bringen; der Geſchmack an Rohrſtuͤhlen alle Stuͤhlmacher vertreiben; die Begierde al - les von Mahagony-Holz zu haben, die Tiſchler zu Grunde richten; die Einfuhr der Eiſenwaare von den Eiſenhuͤtten, wo alles durch Muͤhlen in großen gearbeitet wird, die Zahlder63der Aemter und Gilden. der Schmiede vermindern. Der Untergang der Tuchmacher reißt die Schoͤnfaͤrber zu Boden. Die Art, wie die Uhren an großen Orten gemacht werden, verhindert alle Uhrmacher in kleinen Staͤdten. Und ein Geſchichtſchreiber, der dieſe verſchiedenen Abfaͤlle mit ihren Urſachen genau bemerkte, wuͤrde manchen jungen Kuͤnſtler anweiſen koͤnnen, ſeine Auf - merkſamkeit dahin zu wenden, wohin der Hang der Moden, des Geſchmacks, des Eigenſinns, und der Staatsbeduͤrf - niſſe mit einem nur ſcharfen Augen einleuchtenden Blicke win - ket. Was wuͤrde es helfen, die beſten Hutmacher zu haben, wenn die Franzoſen es ſich einfallen lieſſen auf einmal Huͤte von Wachstuche zu tragen? Wie leicht beraubt eine neue Mode das beſte Handwerk ſeines Verdienſtes? Und wohin muß ein Staat verſinken, der ſich hierinn zuvor kommen laͤßt, oder nicht geſchwind ſein Handwerk aͤndert? Wie viele Wachstuch-Fabriken ſind nicht blos durch die papierne Tape - ten geſtuͤrzet worden? Und wer ſoll uns hierinn klug machen, wenn es eine Geſchichte nicht thut?

Und wie pragmatiſch koͤnnte nicht eine ſolche Geſchichte gemacht werden? denn ſo giebt der Urſprung eines jeden Amts ein Zeugniß von den Nothwendigkeiten der damaligen Zeit; von der Art zu handeln, zu kriegen, zu denken, ſich zu kleiden und zu ernehren; Der maͤchtige Anwachs eines Amts erweckt Vermuthungen von dem, was der Staat da - mals ausgefuͤhret habe. Beym Verfall deſſelben entdeckt man, wie und wodurch eine Nation uͤber die andre das Ueber - gewicht erhalten. Er kann die Veraͤnderungen in dem Mili - tair-Syſtem anzeigen, Geſetze und Moden erlaͤutern, und den Buͤrger lehren, diejenige Verfaſſung, welche ehedem von zwanzig tauſend Schultern getragen wurde, nun aber kaum noch von ſo viel hunderten mit Angſt und Muͤhe empor ge - halten wird, nach veraͤnderten Umſtaͤnden ſparſamer einzurich -ten.64Gedanken uͤber eine Weinrechnung. ten. Wie viele Gewißheit wuͤrde nicht auch die Vergleichung der verſchiedenen Epoquen in der Handlungs - und Staats - geſchichte manchen Nachrichten geben? Jeder Krieg zwiſchen den Hanſeeſtaͤdten und den nordiſchen Kronen hat einen ſichtbaren Einfluß auf die Gilden und Aemter in den nie - derſaͤchſiſchen und weſtphaͤliſchen Staͤdten gehabt. Zur Zeit, wie die Comtoirs zu Novogrod und Bergen in ihren großen Anſehen waren, wurden uͤber 20000 Stuͤck Tuͤcher aus hie - ſiger Stadt abgeſetzt. Und die Wahrheit eines jeden Sieges, den die nordiſchen Voͤlker, oder die Hanſeeſtaͤdte erhalten, laͤßt ſich an dem Steigen und Fallen der niederſaͤchſiſchen Hand - werker ziemlich bemerken.

Nichts koͤnnte uns die Urſachen von dem Verfall der mehrſten Staͤdte deutlicher als eine ſolche Geſchichte entwickeln. Die oͤffentlichen Rechnungen einer Stadt, worinn die Ein - nahme von ein - oder ausgefuͤhrten Waaren verzeichnet iſt, wuͤrde zur Erlaͤuterung und Controlle aller Begebenheiten dienen; und mit wie vieler Bewunderung und Neugierde wuͤrden wir dieſe Einfluͤſſe der oͤffentlichen Caſſen bemerken, woraus unſre Vorfahren ſo viele anſehnliche Gebaͤude mit einer recht ſtolzen Verſchwendung erbauet haben?

VIII. Gedanken uͤber eine Weinrechnung.

Die Geſchichtſchreiber haben bisher eine Hauptquelle zur Erlaͤuterung der Geſchichte verfehlet; indem ſie ſich um die Weinrechnung gar nicht bekuͤmmert haben. Gleich - wohl zeiget die hiernach gedrukte Urkunde aus eines erbaren Raths Weinregiſter, welch einen vortreflichen Zuwachs dieStaats -65Gedanken uͤber eine Weinrechnung. Staatsgeſchichte von Europa dadurch erhalten koͤnnte; beſon - ders zu unſern gegenwaͤrtigen Zeiten, wo man ſo ſehr auf die Erfindung und Schilderung hiſtoriſcher Charakter erpicht iſt, und anſtatt in Handlungen zu reden, das Gemaͤhlde mit ſchim - mernden Colorit beſchwert. Das ganze Gewicht der Nieder - ſaͤchſiſchen Kreis-Generalitaͤt, welche im Jahr 1626 vor hie - ſiger Stadt war, und die Coadjutorwahl des koͤnigl. daͤniſchen Prinzen unterſtuͤtzte, wird durch jene Weinrechnung ins Licht geſetzt. Man ſieht leicht, daß der Herzog von Sachſen-Wei - mar das mehrſte gegolten habe, weil er vier Ohm Wein be - kommen; und um den hiſtoriſchen Charakter des Prinzen von Birkenfeld feſtzuſetzen, darf man nur ſagen: er war ein Herr, der mit einem Faͤßgen von 58½ Maaß gern vorlieb nahm. Der kaiſerl. General Graf von Anhalt aber mußte uͤber die der Kreisgeneralitaͤt wiederfahrene Ehre, ſehr erzuͤrnet ſeyn, indem ſein Zorn nicht anders als durch ſechs Ohm geſtillet werden konnte; der Obriſt Limbach iſt nach Ausweiſe der Rechnung, die Seele des Corps geweſen; und der Obriſt Schepf ein Guͤnſtling des Herrn Generallieutenants, indem er dieſem ſeinen Ohm uͤberlaſſen mußte. So viele wichtige Schluͤſſe laſſen ſich aus einer Weinrechnung machen.

Anlage. Auf Beſchluß der Stiftsſtaͤnde ſind nachfolgende Weine aus eines Erbaren Raths Weinkel - ler gefuͤrdert.

  • Anno 1626 dem Herrn Pfenningmeiſtern Arnold von der Burgk, verkauft ein Faß Wein, ſo dem Herrn General, Sachſen-Weimar, iſt verehret worden 3 Ohm, 1 Maaß.
    • Der Ohm 28 Thlr. facit 85 Thlr.
Möſers patr. Phantaſ. I. Th. EDen66Gedanken uͤber eine Weinrechnung.
  • Den 8 und 10ten Martii. Dem Obriſten Limbach ſind den 8ten und 10ten Octob. verehret worden 2 Faͤſſer, haltend zuſammen 2 Ohm, Viertel.
  • Den 16 Martii. Noch dem Hrn. General, Sach - ſen-Weimar, auf St. Gertrudenberg 1 Ohm, 1 V. 2M.
  • Den 17 Martii. Einem Pfalzgrafen von Birken - feld ein Faͤßgen von 58½ Maaß.
  • Den 28 Martii. Auf Begehren Herrn Canzlern ausgefordert ein Faß von 2 Ohm, 10 Viertel.
    • So nach Meller gekommen.
  • Den 29 Martii. Auf Erfordern Herrn Werpup, Droſten, ein Faͤßgen Wein, ſo nach Melle ge - bracht 67 Maaß.
  • Den 14 Junii. Herrn Grafen von Anhalt nach Wiedenbruͤgt verehret 6 Ohm.
  • Den 4 Julii. Dem Herrn Generallieutenant Ver - praet verehret, ſo nach Aſtrupf gebracht 1 Ohm, 23 V.
  • Den 5ten Julii. Herrn Obriſten Lymbach verehret 1 Ohm, 17 Viert. 3 Maaß.
  • Den 5 Julii. Herrn Obriſten Schepf zugeordnet 1 Ohm, 3 Maaß.
    • welche der Generallieutenant an ſich genommen.
  • Den 7 Jul. Selbigem Obriſten verehret 1 Ohm, 2 Maaß.
  • Den 7 Jul. Dem Obriſten Conrad Vellen vereh - ret 1 Ohm min. 2 Maaß.
  • Den 7ten Julii. Eodem Herrn Obriſten Gortzki 25 Viertel, 2 Maaß.
Dem67Gedanken uͤber eine Weinrechnung.
  • Dem Obriſten-Proviantmeiſtern 18 Viertel, Maaß.
    • Summa 24 Ohm 3 Maaß.
  • Thun mit Unkoſten der Faͤſſer 672 Thlr. 15 ß. 5 pf.
  • Item wegen Danitzen, ſo auf Befehl J. F. G. ausgeholet 45 Thlr.
    • Summa 717 Thlr. 1 ß. 9 pf.

J. F. G. in Gnaden bevohlen, den alten Pfenning - meiſtern hieruͤber zu hoͤren, und was er in Rech - nung geſtaͤndig befunden, zu berichten. Prout factum den 28 Jan. 1630.

IX. Klagen eines Meyers uͤber den Putz ſeiner Frauen.

O mein Herr, Sie ſolten uns arme Maͤnner klagen laſ - ſen! hier im Kirchſpiel, wo ich wohne, tragen unſre ehelichen Wirthinnen zwar noch keinen Merlin oder Andullage; und verlangen auch noch nicht, daß unſre Koͤpfe nach ihren goldnen Uhren gerichtet ſeyn ſollen. Nein, ſie ſind mit der Zeit zufrieden, wie ſie der Kuͤſter eintheilt; ob wir gleich nichts davon hoͤren und uns nach unſern Magen richten muͤſ - ſen. Allein ſehen Sie nur einmal folgende Rechnung von einem einzigen Sonntagsputze an, welchen meine ſelige Frau getragen, und mein gnaͤdiger Gutsherr nun zum Sterbfall gezogen hat, und den ich jezt an einen Kaufmann noch bezah - len muß, wenn ich nicht will, daß meine ſelige Frau mich in der Ruhe mit meiner zukuͤnftigen ſtoͤren ſoll. Hier iſt ſie:

E 21) Fuͤr68Klagen eines Meyers
  • 1) Fuͤr eine fammtne Obermuͤtze mit goldnen Blumen geſtickt = = = 5 Thlr.
  • 2) Fuͤr Gold darauf = = = 4 =
  • 3) Fuͤr 2 Ellen Spitzen zur Untermuͤtze a 5 Thlr. 10 =
  • 4) Fuͤr eine Halsſchnur von ſilbernen Perlen mit drey goldnen Schloͤſſern und einer gold - nen Schleife = = = 50 =
  • 5) Fuͤr 2 Ellen Spitzen zur Tour de Gorge 10 =
  • 6) Fuͤr Elle Cammertuch zum Halstuch 3 =
  • 7) Fuͤr 6 Ellen Spitzen darum = 30 =
  • 8) Fuͤr Elle bunten Cammertuch zu Man - ſchetten = = = = 3 =
  • 9) Fuͤr 3 Ellen Spitzen darum = 15 =
  • 10) Fuͤr ein paar ſammtne Winterhandſchuh mit maßiv ſilbernen Knoͤpfen = =
  • 11) Fuͤr fuͤnf Ellen Damaſt zum Camiſol a Thaler = = = = 12½ =
  • 12) Fuͤr das Schnuͤrleib = = 5 =
  • 13) Fuͤr 4 Ellen beſten Sitz zur Schuͤrze, a Thaler = = = = 10 =
  • 14) Fuͤr acht Ellen Tuch zum Oberrock, a Thlr. = = = = 20 =
  • 15) Fuͤr den zweyten Rock von Serſe = 4 =
  • 16) Fuͤr den kleinen Fiſchbeinen Rock = =
  • 17) Fuͤr Schuhſchnallen = = 5 =
  • 18) Fuͤr ein paar Camuslederne Schuh = 1 =
  • 19) Fuͤr ein Geſangbuch mit Silber = 10 =
    • Summa 203 Thlr. 18 Mgr.
Rech -69uͤber den Putz ſeiner Frauen.

Rechnen Sie dabey, daß die gute ſelige Frau dieſen ihren Putz neunmal veraͤndern konnte, und daß im Sterbefall noch eine goldne Halskette, drey paar ſeidene Handſchuh, und ſechs ge - ſtickte Tuͤcher ſich befanden, welche mit 15 Thalern das Stuͤck bezahlet waren. Erwegen Sie, daß an den hohen Feſttagen ſchwarz, und Camiſol und Schuͤrze von Damaſt getragen wurde; und bedenken Sie endlich, daß die Selige, um mich und ihre Verwandte zu betrauren, ihr Trauerzeug ſo vollſtaͤn - dig hatte, daß ſie das andre Jahr, denn hier im Kirchſpiel wird zwey Jahr getrauret, mit Abwechſelungen erſcheinen konnte: ſo werden Sie gewiß finden, daß es mir als einen armen Leibeignen ſchwer gefallen ſey, mich ſofort zu einer un - dern Heyrath zu entſchlieſſen. Doch habe ich mich jetzt beſſer vorgeſehen als mein Nachbar, der zwar einen freyen Kotten erheyrathet, aber 14 Tage nach der Hochzeit erfahren hat, daß ſeine Hausehre vor Galanteriewaaren an Kraͤmer und Packentraͤger 300 Thaler ſchuldig waͤre. Sie muß zwar da - fuͤr redlich buͤſſen; und koͤmmt nicht anders als braun und blau zu Bette, ſo bunt ſie auch zur Kirche geht. Allein was iſt einem ehrlichen Manne damit gedienet, daß er ſeine beſte Zeit, die er ruhig im Kruge vertrinken koͤnnte, mit pruͤgeln zubringen muß? Meine zukuͤnftige ſoll, wie ich hoffe, mir wenigſtens einige Muͤhe in dieſem Stuͤcke erſparen. Denn ich ſehe, ſie ſiehet mehr auf das weſentliche, und hat ihre Bett - tuͤcher von feinem Drell machen laſſen. Wie gluͤcklich ſind gegen uns die Kirchſpiele auf der Heyde, wo der ganze Staat einer Hausfrauen mit dreyßig Thaler bezahlet iſt. Allein ich hoͤre auch, da lieben die Frauen Coffee und Muſcatwein, und die Maͤnner trinken fleißig mit. Das thun wir hier nun nicht. Wir halten uns an gutes Bier und redliche Koſt. Allein der Putz unſrer Weiber iſt die Zuchtruthe des Him - mels, womit wir weidlich geſtaͤupet werden. Wenn man ſieE 3ent -70Das Gluͤck der Bettler. entbehren koͤnnte, welch ein ſchoͤner Viehſtapel koͤnnte nicht dafuͤr angelegt werden? Allein kaum iſt die eine tod: ſo nimmt man ſchon eine andre wieder. Es iſt ein wunderli - ches Ding.

X. Das Gluͤck der Bettler.

Neulich ſah ich einen Handwerksmann mit ſeiner Frauen bereits um 4 Uhr des Morgens in ſeiner Werkſtaͤtte an der Arbeit. Der Mann ſchien mir munter und zufrieden zu ſeyn, die Frau aber mit einer gewiſſen aͤngſtlichen Eilfertigkeit zu ſpinnen. Auf eine kleine Warnung: ſie wuͤrde ſich auf dieſe Weiſe uͤberarbeiten: antwortete ſie mit ſeufzen: Ach ich habe acht lebendige Kinder. Und in dem Augenblick traten die vier aͤlteſten ſchon munter herein um zu beten und zu ar - beiten. Der Anblick war uͤberaus ruͤhrend; und der Mann erzaͤhlte mir mit einem anſtaͤndigen Stolze, wie ſauer er es ſich werden lieſſe, als ein ehrlicher Mann mit den Seinigen durch die Welt zu kommen; und wie ſichtbar Gott ſeinen Fleiß und Ordnung ſegnete. Wir haben, ſetzt er hinzu, im Anfange oft Waſſer und Brod gegeſſen; waren aber geſund und freudig dabey; bis uns endlich GOtt mit Kindern ſeg - nete, und mein taͤglicher Verdienſt mit ihnen zunahm. Sauer iſt es mir geworden, ſchloß er; Blutſauer! aber ich habe Brod, und bin vergnuͤgt ..

Ich verglich hiemit eine Scene, die mir einmal zu Lon - den in einem Speiſekeller, im Kirchſpiele St. Giles aufge - ſtoſſen iſt. Herr Schuter, ein beruͤhmter Acteur auf dem Schauplatze in Covent-Garten, welcher damals eben die nie -drigen71Das Gluͤck der Bettler. drigen Claſſen der Menſchen ſtudirte, um ſich in der komi - ſchen Mahlerey feſt zu ſetzen, und eine voͤllige Kenntniß vom high Live below Stairs zu erhalten, fuͤhrte mich dahin. Die Magd, welche uns empfieng, ſetzte geſchwind die Leiter an, worauf wir herunter ſtiegen, und zog ſolche ſo gleich wieder herauf, damit wir ihr ohne Bezahlung nicht entlaufen moͤch - ten. Im Keller fanden wir zehn ſaubere Tiſche, woran Meſſer und Gabel in langen Ketten hiengen. Man ſetzte uns eine gute Rindfleiſch Suppe; etwa vier Loth Rindfleiſch mit Senf; einen Erbſen-Pudding mit etwa 6 Loth Speck, zwene Stuͤck gutes Brod und 2 Glaͤſer Bier vor; und vor der Mahlzeit forderte die Waͤſcherin unſer Hemd, um es waͤh - rend derſelben zu waſchen und zu trocknen; alles vor Pence oder 16 Pfennig unſer Muͤnze, mit Einſchluß der Waͤſche, Doch dieſe Beſchreibung im voruͤber gehen. Am Sonntag wird kein Hemd gewaſchen; und dafuͤr ½ Pfund gebratenes Rindfleiſch mit Kartoffeln zur Mahlzeit aufgeſetzt.

In dieſem Keller fanden wir uns in Geſellſchaft der Gaſſenbettler. Da wir uns vorher eine dazu ſchickliche Klei - dung vom Troͤdelmarkte gemiethet hatten; ſo wurden wir bald mit ihnen vertraut; und man that uns leicht die Ehre zu glauben, daß wir Diebe oder Bettler aus einem andern Kirchſpiel waͤren. Allein wie ſehr erſtaunten wir nicht, als wir die angenehme und unbekuͤmmerte Lebensart dieſer Bett - ler erblickten.

Erſtlich zaͤhlte ein jeder ſeinen Gewinnſt vom Tage; und beſonders lieſſen ſich die Blinden von zweyen andern ihre Einnahme oͤffentlich und auf ihre Ehre zehlen, damit ſie von ihren Fuͤhrerinnen nicht betrogen werden moͤchten. Es war keiner unter ihnen, der nicht doppelt und dreymal ſo viel erbettelt hatte, als der fleißigſte Handwerksmann in einemE 4Tage72Das Gluͤck der Bettler. Tage verdienen kann. Nachdem das Finanzweſen in Ord - nung gebracht, und die Mahlzeit voruͤber war, ließ ſich ein jeder nach Gewohnheit, einen Bumper mit ſtarken Porter - bier geben, welcher auf die Geſundheit aller wohlthaͤtigen See - len ausgeleeret wurde. Hierauf ſpielten die Blinden zum Tanz; und es war ein Vergnuͤgen zu ſehen, wie geſchickt Bettler und Bettlerinnen, auch ſo gar einige die des Tages uͤber lahm geweſen waren, mit einander tanzten. Die kraͤftigſten Gaſſenlieder folgten auf dieſe Bewegung; bis endlich der er - wartete Durſt erfolgte. Dann ward von gewaͤrmten Porter und Rum ein ſtarker Ponſch gemacht, die Zeitung dabey ge - leſen, und der Abend bis drey Uhr des Morgens mit trinken und politiſchen Urtheilen uͤber das Miniſterium auf das ver - gnuͤgteſte zugebracht.

Ueberhaupt aber hat der Bettelſtand ſehr viel reitzen - des. Unſer Vergnuͤgen wird durch nichts beſſer befoͤrdert als durch die Menge von Beduͤrfniſſen. Wer viel durſtet, hun - gert und frieret, hat unendlich mehr Vergnuͤgen an Speiſe, Trank und Waͤrme, als einer der alles im Ueberfluß hat. Was iſt ein Koͤnig, der nie zum hungern oder duͤrſten koͤmmt, und oft zwanzig große und kleine Miniſter gebraucht, um eine einzige neue Kitzelung fuͤr ihn auszufinden, gegen einem ſol - chen Bettler, der ſechs Stunden des Tages Froſt, Regen, Durſt und Hunger ausgehalten; und damit alle ſeine Beduͤrf - niſſe zum hoͤchſten gereitzet hat; jezt aber ſich bey einem guten Feuer niederſetzt, ſein erbetteltes Geld uͤberzaͤhlt, vom ſtaͤrk - ſten und beſten genießt, und das Vergnuͤgen hat, ſeine Wol - luſt verſtohlner weiſe zu ſaͤttigen? Er ſchlaͤft ruhig und unbe - ſorgt; bezahlt keine Auflagen; thut keine Dienſte; lebt un - geſucht, ungefragt, unbeneidet und unverfolgt; erhaͤlt und beantwortet keine Complimente; braucht taͤglich nur eine ein - zige Luͤge; erroͤthet bey keinem Loche im Strumpfe, kratztſich73Das Gluͤck der Bettler. ſich ungeſcheut wo es ihm juckt; nimmt ſich ein Weib und ſcheidet ſich davon unentgeltlich und ohne Proceß; zeugt Kin - der ohne aͤngſtliche Rechnung, wie er ſie verſorgen will; wohnt und reiſet ſicher vor Diebe, findet jede Herberge bequem, und uͤberall Brod; leidet nichts im Kriege oder von betriegeriſchen Freunden; trotzt dem groͤßten Herrn, und iſt der ganzen Welt Buͤrger. Alles was ihm dem Anſchein nach fehlt, iſt die Delicateſſe, oder derjenige zaͤrtliche Eckel, womit wir al - les, was nicht gut ausſieht, verſchmaͤhen. Allein, wer iſt im Grunde der Gluͤcklichſte; der Mann, der ein Stuͤck Brod, wenn es gleich ſandig iſt, vergnuͤgt herunter ſchlucken kann; oder der Zaͤrtling, der in allen Herbergen hungern muß, weil er ſeinen Mundkoch nicht bey ſich hat? Und wie ſehr erwei - tert derjenige nicht die Sphaͤre ſeines Vergnuͤgens, der ſich jedes Brod wohl ſchmecken laͤßt?

Wie beſchwerlich iſt dagegen der Zuſtand des fleißigen Arbeiters, der ſich von dem Morgen bis zum Abend quaͤlet, ſich und ſeine Familie von eignem Schweiſſe zu ernaͤhren? Alle oͤffentliche Laſten fallen auf ihn. Bey jedem Ueberfall feind - licher Partheyen muß er zittern. Um ſich in dem noͤthigen Anſehen und Credit zu erhalten, muß er oft Waſſer und Brod eſſen, ſeine Naͤchte mit aͤngſtlicher Sorge zubringen, und eine heimliche Thraͤne nach der andern vergieſſen ..... Wenn ich ſolchergeſtalt den ehrlichen fleißigen Arbeiter mit dem Bettler vergleiche: ſo muß ich geſtehen, daß es eine uͤberaus ſtarke Verſuchung ſey lieber zu betteln als zu arbeiten. Das einzige was den Bettlern bishero gefehlt, iſt dieſes, daß ihre Nahrung unruͤhmlich geweſen, und dieſen Fehler will ich nechſtens abhelfen.

E 5XI. 74Etwas zur Verbeſſerung

XI. Etwas zur Verbeſſerung der Armen - Anſtalten.

Wie, Sie wollen das Betteln ruͤhmlich machen? In der That, das fehlt den faulen Muͤßiggaͤngern noch. Allein herunter mit dem Schleyer, herunter mit dem Regen - tuche, worinn ſich viele unſrer Bettlerinnen verſtecken, um ihre Ehre nicht zu verlieren. Verdient eine arme ungluͤckliche Perſon ſo viel Schonung: ſo ſorge man fuͤr ſie daheim; und ſetze dieſelbe nicht der traurigen Nothwendigkeit aus, ihr Brod vor den Thuͤren zu ſuchen. Verdienet ſie es aber nicht; ſo verfolge Schimpf und Verachtung den verſchuldeten Bettler. Er gehe, wenn er ja gehen ſoll, als ein Scheuſahl durch die Gaſſen, und ſey allen jetzt wankenden, jetzt auf die faule Seite nach und nach ſinkenden, jetzt ſorglos darauf los zehrenden Einwohnern, ein ſo ſchreckliches Exempel, daß ſie ſich lieber das Blut aus den Fingern arbeiten, und Waſſer und Brod genieſſen, als auf kuͤnftige Almoſen ihre Zeit und ihren Fleiß ungenutzt verſchlafen oder verpraſſen. Eine Bettlerinn im Regentuch iſt eine Satyre wider die Obrigkeit, die entweder die Ungluͤckliche nicht verſorgt, oder die Schuldige nicht ſtrafet. Nirgends giebt es mehr Bettler, als wo eine unuͤberlegte Guͤtigkeit ſich als chriſtliches Mitleid zeigt, und jeden Armen ernaͤhrt; nirgends giebt es weniger, als bey den Fabriken, wo man den Bettler, der noch arbeiten kann, auf dem Miſt - haufen ſterben laͤßt, um andre zum Fleiſſe zu zwingen.

Doch ich will die Sache gelaſſen betrachten. Von dem großen Geſetze, daß niemand im Staat ſein Brod um -ſonſt75der Armen-Anſtalten. ſonſt haben muͤſſe, weil die Verſuchung zur Faulheit ſonſt zu ſtark werden wuͤrde; und daß es beſſer ſey, denjenigen, der nur noch einzig und allein ein geſundes Auge uͤbrig hat, ſein Brod durch eine ihm anvertrauete Aufſicht verdienen zu laſſen, als ihn auf dem Faulbette zu ernaͤhren, will ich jetzt nichts er - wehnen. Es iſt bekannt genug; der Satz, worauf ich bauen will, ſoll ſeyn, Armuth muß verächtlich bleiben.

Nur muß man mich wohl verſtehen. Ein geſunder fleißiger Menſch iſt nie arm. Der Reichthum beſtehet nicht in Gelde ſondern in Staͤrke, Geſchicklichkeit und Fleiße. Dieſe haben einen guͤldnen Boden; und verlaſſen einen nie; das Geld ſehr oft. In der letzten Erndte ſahe ich die Frau eines Heuermanns, deren Mann ein Hollands-Gaͤnger iſt, welche ſelbſt maͤhete und band, und ihr vierteljaͤhriges Kind neben ſich in der Furche liegen hatte; wo es ſo geruhig als in der beſten Wiege ſchlief. Nach einer Weile warf ſie muthig ihre Senſe nieder, ſetzte ſich auf eine Garbe, legte das Kind an die geſunde Bruſt und hieng mit einem zufriedenen und muͤt - terlichen Blicke uͤber den ſaugenden Knaben. Wie groß, wie reich, dachte ich, iſt nicht dieſe Frau? Zum maͤhen, binden, ſaͤugen und Frau zu ſeyn, gehoͤren ſonſt vier Perſonen. Aber dieſer ihre Geſundheit und Geſchicklichkeit dienet fuͤr viere. Die Natur zeigt hier eine homeriſche Allegorie fuͤr die Arbeit - ſamkeit ohne Caylus und Winkelmann.

Wenn ich es alſo als ein Geſetz annehme, daß Armuth ſchimpfen muͤſſe; ſo bald ſie nicht durch ein beſonders Ungluͤck ehrlich gemacht wird: ſo verſtehe ich darunter den Mangel, der aus Ungeſchicklichkeit und Faulheit entſpringt; und mache mit Fleiß dieſes große Geſetz hart, weil wir von Natur ohne hin weichherzig genug ſind, mit jedem Armen ohne Unter - ſuchung Mitleid zu haben; und unſer Herz insgemein den Verſtand betriegt, wenn es aufs Wohlthun ankoͤmmt. DasSpruͤch -76Etwas zur VerbeſſerungSpruͤchwort: Armuth ſchimpft niemand, dienet insgemein nur dem ſtolzen Armen, deſſen Eitelkeit ſich beleidigt fuͤhlt. Und wenn wir mit dem Armen ins Verhoͤr gehen: ſo finden ſich immer viele zweydeutige Umſtaͤnde zu ſeiner Entſchuldigung. Daher mag die Armuth uͤberhaupt immer etwas veraͤchtliches behalten; wenn wir nur dabey unſre Hochachtung gegen die Frau, die zugleich maͤhet, bindet und ſaͤuget, verdoppeln. Jene Verachtung und dieſe Hochachtung muͤſſen zuſammen bleiben, und die Bewegungsgruͤnde zum Fleiße verſtaͤrken.

Dieſes Geſetz muß aber nicht eher in Uebung kommen, bevor wir nicht einige Voranſtalten gemacht haben, wozu folgende meines Ermeſſens hinreichen werden. Man theile alle Arme in drey Claſſen.

In die erſte Klaſſe ſollen diejenige kommen, welche durch Ungluͤcksfaͤlle oder Gebrechlichkeit arm ſind; und einige Schonung verdienen;

In die andre; alle, welche eben keine Schonung ver - dienen, und ſich nur damit entſchuldigen, daß ſie keine Ge - legenheit zu arbeiten haben, um ihr Brod zu gewinnen;

In die dritte, alle muthwillige Bettler, die durch ihr eigen Verſchulden arm ſind, und gar nicht arbeiten wollen, ohnerachtet ſie Gelegenheit, Geſchicklichkeit und Kraͤfte dazu haben.

Die Einrichtung dieſer Klaſſen werde mit Zuziehung der Pfarrer und mit der genaueſten Unterſuchung gemachet; ſo dann aber die erſtre Klaſſe durch oͤſfentliche Vorſorge zu Hauſe verſorgt; die andere mit Arbeit verſehen; und die dritte in dem angelegten Werkhauſe dazu gezwungen.

Man ſieht leicht ein, daß bey dieſem Plan alles auf die Vorkehrungen fuͤr die zweyte Klaſſe ankomme. Und wennich77der Armen-Anſtalten. ich zeige, daß mit den Armengeldern, welche jetzt vertheilet werden, noch halb ſo viel mehr als ſonſt ausgerichtet werden koͤnne: ſo glaube ich wenigſtens einen guten Rath dazu mit - getheilet zu haben. Ich will ſolchen auf einen ganz leichten Satz bauen. Man nehme z. E. in ſeine Hand zween 〟Thaler, und gebe einigen Armen davon 6 mgr.: ſo ſind 〟12 Perſonen verſorgt. Man laſſe aber dieſe 12 Perſonen, 〟jede 2 Stuͤcke Garn, welche zuſammen 4 Mgr. werth ſind, 〟ſpinnen, und bezahle ihnen ſolche mit 8 Mgr.: ſo ernaͤhrt 〟man

  • a) mit eben dieſen zween Thalern 18 Perſonen; jede da - von bekommt
  • b) 2 Mgr. mehr; Es bleiben
  • c) die Armen durch die Arbeit geſund; ſie genieſſen
  • d) ihr Brod nicht umſonſt; locken alſo
  • e) andre nicht zum Unfleiße; und laufen
  • f) nicht herum.

Dieſe Saͤtze ſind klar; nur wird man ſagen: Die Armen werden entweder das Garn von andern auf - kauffen; oder es werden auch ſelbſt fleißige Leute ſich zu den Armen geſellen, um ihr Garn zum doppelten Preiſe zu verkaufen. Der Einwurf iſt richtig. Allein hier muß man durch einigen Schimpf vorbauen.

Man waͤhle folglich ein oͤffentliches Zimmer auf einem Armenhofe. Dort ſeyn Raͤder und Flachs. Dieſes ſey des Winters gewaͤrmt und erleuchtet; und von dem fruͤheſten Morgen bis zum ſpaͤteſten Abend keinem Armen verſchloſſen. Und was in dieſem Zimmer geſponnen wird, das werde doppelt bezahlt. Der Schimpf in einem oͤffentlichen Zimmer zuſpin -78Etwas zur Verbeſſerungſpinnen, und in der Zahl der Armen bekannt zu ſeyn, wird den fleißigen und empfindlichen Mann hinlaͤnglich abhalten, ſeine Hand ſinken zu laſſen. Hingegen iſt eben dieſer Schimpf nicht unſchwer fuͤr diejenige zu tragen, die ſonſt auf den Gaſſen betteln, und von Obrigkeitswegen in die zweyte Klaſſe geſetzt ſind. Die Anſtalt wird den Betrug verhuͤten, und bey ei - nem Lichte und einer Waͤrme koͤnnen mehrere Perſonen zu - ſammen ſitzen, mithin vieles erſparen. Dabey hat jeder Arme ſeine Freyheit zu gehen und zu kommen, und wenn er des Tages eine beſſere Arbeit findet, ſolcher nachzugehen.

So bald iſt aber nicht die oͤffentliche Anſtalt gemacht: ſo muß keiner ſich unterſtehen zu betteln; oder er muß ſich gefallen laſſen in die dritte Klaſſe geſetzt ins Werkhaus einge - ſperret und zur Arbeit gezwungen zu werden. Denn nun iſt die Entſchuldigung, daß er keine Gelegenheit habe ſein Brod zu verdienen, gehoben, und folglich die Obrigkeit berechtiget, das letzte Mittel zu gebrauchen.

Die Armengelder in hieſiger Stadt, welche von Obrig - keitswegen geſammlet, und vor den Thuͤren gegeben werden, belaufen ſich des Jahrs zum allerwenigſten auf 12000 Thaler. Davon ſollen 40 Hausarme einen jaͤhrlichen Zuſchuß von 50 Thaler empfangen: ſo bleiben noch 10000 Tahler uͤbrig. Wenn dieſe auf obige Art verwendet werden: ſo koͤnnen 150 Arme der zweyten Klaſſe, jeder das Jahr 100 Thaler ver - dienen; und ſo viel Arme finden ſich hoffentlich nicht.

Man wird einwenden: Die Anſtalt ſey ganz gut, 〟wenn man jaͤhrlich mit Gewißheit auf eine ſichere Summe 〟rechnen koͤnnte. Allein warum kann man das nicht? In der Stadt London ſind die Almoſen von jedem Hauſe fixirt und zum Etat gebracht. In Deutſchland, oder doch wenigſtens in einem großen Theil deſſelben, hat man die un - beſtaͤndigſten Gefaͤlle zu fixiren gewußt. Warum ſolte dieſesnicht79der Armen-Anſtalten. nicht auch mit den Almoſen geſchehen koͤnnen? Wir legen Schatzungen an, um Pulver zu kaufen, und die beſten Staͤdte damit in den Grund zu ſchießen. Solte man denn nicht auch ſo etwas thun koͤnnen, um andre wiederum gluͤcklich zu machen? Sind die Armen nicht ein eben ſo wichtiger Gegen - ſtand der oͤffentlichen Vorſorge als andre Dinge? Und wuͤrde ſich nicht jeder Hauswirth, jaͤhrlich gern zu einem gewiſſen Almoſen Beytrag ſelbſt ſubſcribiren, wenn er dagegen von allen andern Ueberlauf enthoben ſeyn koͤnnte? Wuͤrden dieſe Gelder nicht beſſer angewandt werden, als diejenigen, die wir ohne genugſame Pruͤfung vor den Thuͤren oft an un - wuͤrdige verſchwenden? Und werden wir von unſern neuan - gelegtem Werkhauſe, welches wir mit ſo großen Koſten auf - gefuͤhret haben, den wahren Vortheil haben, wofern wir nicht durch jene Claßification zuvor alle moͤgliche Uegerechtig - keit entfernen? Wie viele Vermaͤchtniſſe, Hoſpitaͤler und Stiftungen lieſſen ſich nicht ohnehin mit jener Anſtalt fuͤr die Arme vereinigen, ſo daß eins den andern die Hand boͤte, und den Fleiß gemeinſchaftlich befoͤrderte?

XII. Von der Armenpolicey unſrer Vor - fahren.

Man glaubt insgemein, unſre Vorfahren haͤtten ſich we - nig um die Policey bekuͤmmert und die Sachen ſo ge - hen laſſen, wie ſie gewolt. Um dieſen Vorwurf abzulehnen, wollen wir einige die Armenanſtalten betreffende Geſetze der mittlern Zeit wiederum in Erinnerung bringen.

Das80Von der Armenpolicey

Das erſte, was hieher gehoͤrt, lautet alſo:

Es ſoll ſich kein Bettler unterſtehen herumzulaufen. Wer dergleichen auf ſeinem Hofe oder auf ſeinen Guͤ - tern hat, ſoll ſie ernaͤhren; und keiner ſoll ſich unterſte - hen ſolchen einige Beyhuͤlfe zu geben, wo ſie nicht ar - beiten. De mendicis qui per patrias diſcurrunt, volumus ut unusquisque fidelium noſtrorum ſuum pauperem de beneficio aut de propria familia nu - triat, et non permittat alibi ire mendicando. Et ubi tales inventi fuerint, niſi manibus laborent, nullus eis quicquam tribuere praeſumat. Capit. V. ann. 805. §. 10. ()
Um andern hierinn ein gutes Exempel zu geben, verpflichtete ſich der Kaiſer ſelbſt, diejenigen Armen, welche ſich auf ſeinen Guͤtern befaͤnden, ernaͤhren zu wollen. Fiſcalini qui manſos non habent, de Dominica ac - cipiant praebendam (einen Proͤven) Capit. d. miſ - ſis §. 50.
Zur Beyhuͤlfe fleißiger Armen ward in jedem Kirchſpiele der vierte Theil des Zehnten ausgeſetzt. Ut decimae populi in quatuor partes dividantur. Prima pars Epiſcopis detur, alia Clericis, tertia pauperibus, quarta in fabrica ipſius eccleſiae v. CAROLI M. LL. §. 95.
Und Gott ſolte die Seele der Armen von den Prieſtern for - dern, die ſolches verſaͤumten, und die Armen daruͤber ſterben lieſſen. Capit. addit. IV. §. 153.

Zur Zeit der Hungersnoth wurden jedem Menſchen, die Ar -men81unſrer Vorfahren. men ſo er ernaͤhren und die Allmoſen ſo er geben ſolte, vor - geſchrieben:

Epiſcopi Abbates et Abbatiſſae pauperes famelicos quatuor pro illa ſtriccitate nutrire debent, usque ad tempora meſſium Comites fortiores libram de argento aut valente donent in eleemoſyna ib. §. 143. ()
Die Armenſachen ſollten an den Gerichtstagen allezeit zuerſt vorgenommen und durch nichts aufgehalten werden. CAROL. M. LL. §. 58.
Die Biſchoͤffe und Grafen ſolten ſie in ihrem unmittelbaren Schutze haben. Capit. add. IV. 5 115.
Die Wundaͤrzte wurden von Gerichtswegen augehalten der Armen zu warten. Si quis medicum ad placitum pro infirmo viſitan - do aut vulnere curando popoſcerit: ut viderit vul - nus medicus aut dolores agnoverit, ſtatim ſub cer - to placito cautione emiſſa infirmum ſuſcipiat. *)Es zwar hier nicht eigentlich, daß von armen Kranken die Rede ſey. Vermuthlich aber beduͤrfte es keines Zwan - ges, um reiche Patienten in die Cur zu nehmen. Doch konnte bey den Weſtgothen auch dieſes unterweilen noͤthig ſeyn, weil dieſes Volk auf den Einfall des Herrn v. Mau - pertuis gerathen war, daß der Arzt nicht belohnt und wohl gar beſtraft werden ſolte, wenn er einen Patienten ſterben ließ; daher mancher ſich wegern konnte einen gefaͤhrlichen Patienten in die Cur zu nehmen. Die Weſtgothen waren uͤberhaupt den Wundaͤrzten nicht gewogen. Sie mußtenMöſers patr. Phantaſ. I. Th. F100L. 3. Wiſig. tit. de medicis.
Und82Von der Armenpolicey

Und gewiß mußten ihnen Richter und Advocaten allezeit um - ſonſt helfen, da beyde blos fuͤr die Ehre dienten. Ihre Ord - nung gegen die Bettler und Landſtreicher war ſo ſtrenge, daß jeder Reiſender, der von der Heerſtraſſe auf einen Dorf - oder Nebenweg wich, und kein Nothgeſchrey machte, als ein Straſ - ſenraͤuber von jedermann erſchlagen werden konnte.

Si peregrinus vel alienus extra viam per ſylvas va - getur, & non vociferet, neque cornu inſonet pro fure ſit judicandus vel percutiendus vel redimen - dus v. LL. Inae regis. §. 20. ()

Sie hielten es in dieſem Stuͤcke, eben wie wir es zu Krieges - zeiten halten, wo der General den ankommenden Fremden die Route vorſchreibt, welche ſie gehen muͤſſen, wo ſie nicht als Spions gehangen werden wollen. Eben dahin zielte an - aͤnglich des Koͤnigs - oder Kaiſersgeleit, und die Abzeichnung gewiſſer Heerſtraſſen. Man war mit keinem Geleite auf Dorf - und Nebenwegen ſicher.

Wie verhalten wir uns aber jetzt in dieſen Stuͤcken? Die Heerſtraſſen haben ihren Charakter verlohren. Man weis kaum mehr was ſie bedeuten ſollen. Die Landſtreicher laufen wie und wo ſie wollen. Mit Geleit haͤlt ſich ein jeder ſicher, und berechtiget ſogar andern ins Haus zu kommen.

Die

*)100 Ducaten Strafe geben, wenn ſie einen durchs Ader - laſſen laͤhmten; ſie durften keinem Frauenzimmer ohne daß jemand dabey zugegen war, die Ader oͤffnen. Nullus medicus ſine praeſentia patris mulierem inge - nuam flebotomare praeſumat quia difficilli - mum non eſt, ut tali occaſione ludibrium inter - dum adhaereſcat. L. 1. de medicis. Und ſie wuͤr - den ihnen gewiß das Pulsfuͤhlen verbothen haben, wenn es waͤre Mode geweſen.

83unſrer Vorfahren.

Die Wundaͤrzte ſchicken ihre Rechnungen zur Lan - descaſſe ein, wenn ſie einem armen Ungluͤcklichen gedienet haben.

Die Richter wollen den Armen nicht umſonſt dienen, die Gerichtsſchreiber ihre Copeygebuͤhren nicht fahren laſſen, die Advocaten nicht umſonſt ſchreiben und die Procuratoren nicht umſonſt laufen, ohnerachtet ſie miteinander wenigſtens den Zehnten ihres Fleißes den Armen nach den Carolingiſchen Geſetzen ſchuldig ſind.

Die Zehnten kommen den Armen nicht mehr zu gute; die Allmoſen ſind des Geizigen Willkuͤhr uͤberlaſſen, und die Reichen ſind froh, wenn ſie ſich des Ueberlaufs und Bettlens auf andrer Rechnung erwehren koͤnnen.

Jeder nimmt nach Gefallen Fremde und Arme auf ſeine Gruͤnde, und laͤßt ſie das Land belaufen. Die chriſtliche Religion verpflichtet keinen mehr, ſich armer Anverwandten anzunehmen. Man ſchickt ſie lieber auf die Lansescaſſe. Das iſt die Einrichtung unſrer erleuchteten Zeiten.

Carl der Große wolte nicht haben, daß ein Kind auf - wachſen ſolte, ohne eine Kunſt zu lernen, womit es ſich er - naͤhren koͤnnte. Dies iſt der Sinn des Geſetzes: De com - puto ut omnes veraciter diſcant; de medicinali arte ut infantes hanc diſcere mittantur Cap. I. 1. de 805. §. 5. Wir hingegen laſſen die Jugend auf dem Lande, welche der - einſt zum Ackerbau beſtimmt iſt, die Gaͤnſe und Schweine huͤten, wovon ſie wahrlich nicht lernen werden, ſich bey meh - rern Jahren zu ernaͤhren und zu unterhalten. Die Mutter eines Kindes, das im zwoͤlften Jahre ſich ſeine Struͤmpfe nicht knuͤtten oder ſein Hemd nicht naͤhen, oder ſeine andert - halb Stuͤck Garn des Tages nicht haͤtte ſpinnen koͤnnen, wuͤrdeF 2Carl84Vorſchlag zur VerſorgungCarl der Große zum Schandpfahl verdammet haben. Und ſolte ſie es auch nicht verdienen? Wie mancher Menſch wird nicht endlich Kruͤppel, und weil er keine Handarbeit gelernt, ein Straſſenbettler?

XIII. Vorſchlag zur Verſorgung alter Bediente.

Vom Handwerk ſagt man, daß es einen guͤldenen Boden habe. Allein von dem Dienſte kann man behaupten, daß er einen eiſernen habe. Ein Menſch, der ſeine beſte Le - benszeit mit Aufwarten zugebracht, iſt am Ende ſeines Le - bens insgemein ſich und andern unnuͤtz, und wann er treu gedient, hat er von ſeinem Lohn kein Kapital gemacht. Er ſetzt daher oft einen gutherzigen Herrn in die Verſuchung, ihn wider ſein Gewiſſen mit einem Dienſte zu verſorgen, wozu er nicht geſchickt iſt. Waͤre es alſo nicht billig, eine Invali - dencaſſe vor bejahrte Bediente zu ſtiften?

Nach meiner Rechnung koͤnnte es fuͤglich angehen, daß ein Bedienter, der 30. Jahr im Lande wohl gedient, und jaͤhrlich 1 Thaler zu dieſer Invalidenkaſſe contribuiret haͤtte, die uͤbrige Zeit ſeines Lebens monatlich 2 Thaler; und wenn er jaͤhrlich 2 Thaler contribuirt; monatlich 4 Thaler und ſo ferner erhielte. Eben dieſes konnte in Anſehung der weibli - chen Dienſtboten Statt haben. Und wie manche Herrſchaft wuͤrde dieſen Fuͤrſchuß nicht fuͤr ihre Dienſtboten jaͤhrlich gern thun, wenn dieſe ſich dagegen des Caffees und Thees frey - willig enthalten wollten? Wie gluͤcklich waͤre dieſes Geld nicht angewandt; und was kann eine Obrigkeit abhalten, eine ſolcheAn -85alter Bediente. Anſtalt zu treffen? Kaͤme ein Schade dabey heraus: ſo muͤßte ihn das Publikum, das dagegen mit guten und treuen Dienſt - boden verſorgt wuͤrde, uͤbernehmen.

XIV. Unvorgreifliche Beantwortung der Frage: Ob das haͤufige Hollandgehen der Oſnabruͤcki - ſchen Unterthanen zu dulden ſey? *)Dieſes Stuͤck, welches von einem andern Verfaſſer iſt, wird der Verbindung halber mit eingeruͤckt.

Wenn ich uͤber vorſtehende Frage meine Gedanken mit - theile, ſo erſtrecken ſich ſelbige hauptſaͤchlich uͤber den Ort, wohin mich die Vorſehung Gottes vor einigen Jahren gerufen hat. Dieſe kleine Gemeinde liefert jaͤhrlich den Hol - laͤndern wenigſtens 60 Arbeiter, unter welchen aber ein Un - terſcheid gemacht werden muß, da ſie nicht alle zu gleicher Zeit zu ihnen gehen, und auch nicht zu einer Jahrszeit wie - der zu Hauſe kommen. Einige gehen in ihrem 17. bis 18. Jahr nach Holland, und kommen in 10 bis 20 Jahren nicht wieder, oder bleiben Zeit Lebens aus. Andre, und zwar die Haͤlfte treten ihre Reiſe gleich nach Lichtmeſſen an, und ſtel - len ſich um Allerheiligen oder Martini wieder ein, und das ſind die, welche der Hollaͤnder in ſeinen Luſtgaͤrten gebrauchet. Die letztern gehen gleich nach Pfingſten, und kehren zur Erndtezeit wieder zuruͤck, und das ſind die Grasmeher.

Erſtere, ſind gewiſſenloſe Unterthanen gegen ihren Lan - desherrn, und insgemein hoͤchſtundankbare Kinder gegen ihre Eltern. Sie entvoͤlkern das Vaterland, und opfern ihre Kraͤfte einem fremden Volke auf, welche ſie doch ihrem ange -F 3bohr -86Ob das haͤufige Hollandgehenbohrnen Oberherrn mit Gut und Blut zu weihen, ſchuldig waͤren. Der Undankbare gehet inzwiſchen hin, und der el - terliche Seegen wird ihm mitgetheilet. Gott fodert nach et - lichen Jahren ſeinen Vater ab, die Mutter wird in den be - truͤbten Wittwenſtand geſetzet, und die kleinen Kinder verway - ſen. Sie ſchreibt an ihren Sohn in Holland, er moͤchte zu Hauſe kommen und helfen ihr arbeiten; ſie predigt aber tau - ben Ohren. Der Sohn meldet: Ich habe ein Weib genom - men, drum kann ich nicht kommen, und weil ich ſelber Kin - der habe, ſo kann ich euch auch nicht mit Gelde unterſtuͤtzen. Das iſt denn der Dank, den der Sohn ſeiner troſtloſen Mut - ter beweiſet, die ſich denn vor Gram, Kummer und uͤber - maͤßiger Arbeit viel zu fruͤh ihr eigen Grab zubereitet.

Ich komme zu der zweyten Gattung dieſer Art Leute, welche drey Theile des Jahrs in Holland zubringet. Und das iſt eben die betrieglichſte Sorte von Menſchen, die unſerm Lande ſo viel Schaden bringen, welches ich meinen Leſern deutlich vor Augen legen will. Es wuͤrde zwar zu einem glaͤnzenden Vorzuge gereichen, wenn der beruͤhmte Hr. D. Buͤſching in ſeiner neuen Erdbeſchreibung von unſerm Hoch - ſtifte berichtet, daß die Unterthanen deſſelben jaͤhrlich ſo viel tauſend Gulden aus Holland hereinſchleppen, zu welchen man ſagen muͤßte: Quis poteſt reſiſtere tot armatis? Allein es iſt nicht alles Gold, was glaͤnzet. Nach der genaueſten Erkundigung, bringet ein arbeitſamer und ſchonender Menſch in ſeiner 40woͤchigen Abweſenheit 100. Gulden zu Hauſe, und das iſt das allerhoͤchſte, was er baar haben kann. Wie gluͤcklich waͤre er, wenn er alles fuͤr reinen Profit halten koͤnnte. Es muß aber ein nicht geringes Rabat gemacht wer - den. Ein ſolcher Arbeiter kaufet ſich jaͤhrlich ein Schwein und maͤſtet ſolches von ſeinem Boden, weil er alle Jahr keine Baum-Maſt haben kann. Speck und Schinken duͤrfen nichtange -87der Oſnabruͤck. Unterth. zu dulden ſey. angetaſtet werden, weil dieſe beſten Theile der Vater mit nach Holland haben muß. Alle Butter der Haushaltung wird ver - wahret und leiſtet dem Speck Geſellſchaft. Das den Winter durch geſponnene Garn muß gewirket, und dem Vater zu Hemden, Beinkleidern und Futterhemden mitgegeben wer - den. Doch, dieſes alles iſt nichts zu rechnen, denn es muß doch gegeſſen, getrunken und der Leib bekleidet ſeyn. Nur Schade, daß Frau und Kinder durch Entziehung dieſer beſten Nahrung entkraͤftet, und nicht ſelten in Krankheit geſtuͤrzet werden! Der Faden meiner Gedanken ziehet mich aber auf eine weit wichtigere Betrachtung bey dieſen Leuten. Der verehelichte Theil von ihnen hat wenigſtens 8 oder 10 Scheffel Saatlandes unter den Pflug. Er kommt zu Martini und folglich zu einer Zeit zu Hauſe, da ein rechtſchaffner Ackers - mann ſeine Winterſaat ſchon laͤngſt beſtellet hat. 8 bis 14 Tage ruhet der zu Hauſe gekommene Vater aus, und faͤnget nunmehro ſein Land zu bearbeiten an, und wird nach Neujahr auch wohl oͤfters um Lichtmeſſen mit ſeiner Rockenſaat fertig - Anſtatt, daß Koͤrner ſollen eingeerndtet werden, ſo hat er Gras und Stroh, und wenigſtens 3 Scheffel Rocken von je - dem Scheffelſaat weniger, als er bey gehoͤrigem Fleis und rech - ter Zeit ohnfehlbar erhalten haͤtte. Die Zeit der Abreiſe ſtel - let ſich wieder ein. Er ſchnuͤret ſeinen Buͤndel, er gehet und laͤſſet der Frau den troſtreichen Segen: Siehe zu, wie du mit Acker, Viehe, Haushaltung und Kindern fertig wirſt. Mein Gott! wie muß das arme Weib rennen und laufen, daß ſie Wagen und Pflug erhaͤlt, um ihren Haber und Buch - weitzen in die Erde zu kriegen. Da liegen die kleinen Kinder um den Heerd oder hinter den Kuͤhen, um ſelbige zu huͤten, herum; ſie ſchreyen nach der Mutter und nach Brod, aber die iſt nicht da, weil ſie nicht zugleich bey den Ihrigen und auf dem Acker ſeyn kann. Sie iſt dennoch bey der groͤßtenF 4Un -88Ob das haͤufige HollandgehenUnordnung im Hauſe wohl zufrieden, wenn die Kinder nur des Viehes gut huͤten; denn das waͤre Schade, wenn der mehrſte Bauer nicht glauben ſollte, daß ſeine Kinder nur um ſeines Viehes willen allein in der Welt waͤren! Solte der abweſende Mann wohl den Schaden in der Fremde durch ſei - nen Fleis wieder erſetzen koͤnnen, der in ſeiner Abweſenheit in der Haushaltung verurſachet wird? Dieſes alles lege ich folgendergeſtalt in eine Waage:

  • An Speck und Butter wird mitgenommen und nachgeſendet = = = 15 Fl.
  • An 8 Schfl. Saat-Landes hat er wegen Verſaͤu - mung und ſchlechter Beſtellung Schaden 24 =
  • An Kleidung wird zerriſſen = = 10 =
  • An Verſaͤumungen in der Haushaltung = 10 =
  • Bey ſeinem zu Hauſe bleiben haͤtte er in 9 Mo - naten mit Spinnen und Taglohn verdienen koͤnnen, wenigſtens = = 30 =
  • Summa 89 Fl.

Aus dieſer billigmaͤßigen Vergleichung entſtehet mit Recht die Frage: Was hat denn ein ſo abgematteter Mann fuͤr alle ſeine Muͤhe, Arbeit und lange Reiſe? In der That nichts als einen glaͤnzenden Betrug; denn der ſchlaue Hollaͤn - der kriegt ſeine Arbeiten verrichtet und ſteckt den Vortheil in die Taſche. Und ſind denn auch die etwann noch uͤberſchieſ - ſende eilf Gulden zu des Vaters Beruhigung hinreichend, daß er ſeine Kinder ſo gewiſſenlos verſaͤumet, ſelbige der Erkennt - niß Gottes und der Schule entzogen, und ſeine eigene Haus - haltung ſo ſchaͤndlich vernachlaͤßiget hat?

Ich gehe weiter. Nicht ſelten geſchiehet es, daß ein eine Kraͤfte ſo vergeudender Menſch vor der Zeit ein Raubdes89der Oſnabruͤck. Unterth. zu dulden ſey. des Grabes wird. Der Bauer, in deſſen Behauſung der Er - blaßte gewohnet, nimmt ſich der zuruͤckgebliebenen Wayſen an. Die Knaben machet er zu ſeine Schaͤfer, lernet ſie mit Pferden umgehen, und werden ſeine Knechte. Was gewin - net er aber dadurch? Er muß es nur allzu ſpaͤt erfahren, daß er Schlangen in ſeinem eignen Buſen genaͤhret hat. Der Knecht iſt kaum der Kinderlehre entlaufen; ſo faͤngt er an trotzig gegen ſeinen Brod-Herrn zu werden. Er ſpricht im hohen Thone: Wollet ihr mir nicht 20 bis 24 Thl. Lohn, ſo viele Ellen Hemde - und Wollenlaken nebſt ein paar Schuhe jaͤhrlich geben: adieu patrie! ich gehe nach Holland. Ver - miethet ſich ein auswaͤrtiger Knecht bey einem hieſigen Bau - ren, ſo fodert er obiges Lohn, und bedinget ſich dabey einen jaͤhrl. hollaͤndiſchen Gang ausdruͤcklich mit aus. Und eben da ich dieſes ſchreibe, hat kein Bauer ſeinen Knecht zu Hauſe, ſondern er mehet das waſſerlaͤndiſche Gras ab. Die Maͤgde fangen es jetzt eben ſo an. Koͤnnen ſie nicht 10 bis 12 Thlr. Lohn, ſo viel Lein geſaͤet und ſo viel Stock Linnen jaͤhrlich er - halten, ſo gehen ſie in die hollaͤndiſchen Bleichen oder in die Salzbrennereyen.

Ein wolluͤſtiger Juͤngling gehet nach jenen Oertern um ſeine Leidenſchaften zu befriedigen. Er hat ſich in ſeinem Geburtsorte ein Maͤdgen, oder auch eine junge Witwe auser - ſehen, der er aber zu ſchlecht iſt, weil er nicht gut genug ge - kleidet, und ſeine Umſtaͤnde nicht brillant genug ſind. Er laͤuft nach den guͤlden Inſeln, und arbeitet aus allen Kraͤften. Alles was er verdienet, haͤngt er auf ſeinen Leib. Er kommt als ein Stutzer wieder: ein modefaͤrbigtes Kleid von hollaͤn - diſchen Tuch bedecket ihn, große ſilberne Schnallen, womit ſich leicht drey behelfen koͤnnten, ſpielen an ſeinen Fuͤſſen. In dieſem reitzenden Gewande gehet er zu ſeinem vorerwaͤhl - ten Schatz, wiederholet ſeine Anwerbung, iſt gluͤcklich undF 5ſieget.90Ob das haͤufige Hollandgehenſieget. Schwiegereltern und Verwandte glauben hier den reichen Hollaͤnder an ſeinem Kleide und Beutel zu erblicken, und die Ehe wird getroffen. Aber ach! Was entſtehet dar - aus? Die betrogene Frau bereuet ihre Thorheit ohne Erhoͤ - rung und ſtirbet endlich vor Gram. Der durch Faulheit zum Weichling gewordene Mann geraͤth in die groͤſte Armuth - und die ungluͤcklichen Kinder werden zur Laſt der Gemeinde auf den Armen-Kaſten verwieſen.

Noch mehr. Solche Art Leute, als wir bisher abge - malet haben, machen faule und uͤppige Bauren, die ihren Landes - oder Gutsherrn betriegen, und ihr Erbe in ewige Schulden ſetzen. In unſern wolluͤſtigen Tagen weis der Bauer, allen ſtrengen Geſetzen ohngeachtet, eben ſo gut Cof - fee und Thee zu trinken, als der vornehme Mann in der Stadt. Er hat bey ſeiner Staͤtte 8 bis 12 Malter Saatlan - des, und dieſe ſind ſeine Goldgruben; und ſie wuͤrden es auch ohnfehlbar ſeyn, wenn ers nur nicht auf die verkehrteſte Art anfienge. Anſtatt ſein Land gehoͤrig zu bearbeiten, ver - pfaͤndet er lieber ein Schfl. Saat nach dem andern. Kommt ein Creditor, ſo ſpricht er ihn bis Allerheiligen zufrieden, und iſt die Schuld nicht allzugroß, ſo giebt er ihm ein Gedulthuhn, ſonſt aber wohl gar ein Schwein mit auf dem Weg. Sein hollaͤndiſcher Heuermann iſt kaum zu Haufe, ſo klopfet der Bauer ſchon an deſſen Taſche und holet 80 Gulden auf 4 Schfl. Saatlandes zu deſſen Gebrauch und Unterpfand. Damit be - zahlet er nun ſeine wolluͤſtigen Schulden, und machet ſeine Staͤtte immer kleiner und druͤckender. Endlich nimmt er ſeine Zuflucht zum 6 oder 12 jaͤhrigen Stillſtand, und ſetzet ſich, ſein Erbe und Kinder in die klaͤglichſten Umſtaͤnde, die auch der unermuͤdete Schweiß ſeiner Nachkommen eines Jahrhun - derts nicht zu beſſern vermoͤgend ſind. Wuͤrde nun der Bauer dieſe Quelle ſeines Verderbens nicht kennen; ſo wuͤrde erauch91der Oſnabruͤck. Unterth. zu dulden ſey. auch gewiß regelmaͤßiger leben, ſeine Arbeiten ununterbrochen und gebuͤhrender verrichten, und folglich ſich und ſeine Staͤtte gluͤcklicher machen.

Was faͤngt nun aber der vierteljaͤhrige Unterthan in ſeinem Hauſe an? Er fuͤhlet die Mattigkeit ſeiner erſchoͤpften Kraͤfte; der Zuſtand ſeiner Geſundheit wird wankend, und muß ſeine eroberten Stuͤber dem Apotheker, oder wozu er am meiſten geneigt iſt, einem Quackſalber in die Haͤnde geben, und wird dabey geſchneutzet. Er trinket ſeinen mitgebrachten Thee und Coffee in ſtiller Ruhe, arbeitet aber nicht mehr, als was er nothwendig thun muß, und die Wohlfahrt ſeiner Kinder lieget ihm an wenigſten am Herzen, denn die gehoͤrt fuͤr keinen Vater, ſondern allein fuͤr die Mutter. Er wird muͤrriſch und verdrießlich; ſeine mannbare Jahre haben ihn ſchon ins graue Alter verfetzet: ſein Grab oͤfnet ſich ihm vor der Zeit, und laͤſſet eine junge ſeufzende Witwe mit vielen Kindern nach, die nicht ſelten der Gemeinde zur groͤßten Laſt werden. Wuͤrde dieſes alles erfolget ſeyn, wenn er im Lande geblieben waͤre, und ſich redlich genaͤhret haͤtte? Woher kommt es doch, daß wir ein ſo ſchlechtes Chriſtenthum und Erkennt - niß bey ſolcher Leute Kindern antreffen, daß wir einen ſo ver - dorbenen und elenden Acker haben? Woher ruͤhret es, daß der Bauer die Arbeiten ſeines verwoͤhnten Knechts mit ſchwe - rem Gelde aufwiegen muß, oder gar keinen kriegen kann? Was iſt die Urſache, daß der Linnenhandel unſers Vaterlan - ders nicht empor kommen kann und ſo ſehr faͤllt? Wer brin - get die Baurenhoͤfe in uͤberwiegende Schuldenlaſten? Von allen dieſen und noch mehrerern Uebeln iſt der nach Holland gehende Unterthan der vornehmſte und eigentliche Schoͤpfer.

Die letztern Arbeiter ſind die Grasmeher. Dieſe gehen zu einer Zeit zu dem Hollaͤnder, da ſie ihre Haus - und Feld -arbei -92Ob das haͤufige Hollandgehenarbeiten hier verrichtet haben. Sie verſehen ſich auf ihre zwey monatliche Abweſenheit mit Speck, Brod und Butter. Kommt ein ſolcher nach Jacobi zu Hauſe, ſo hat er etwan aufs hoͤchſte 30 Fl. in der Taſche. Fuͤnf davon hat er zum wenigſten an Eßwaaren mitgenommen, und drey hat er am Zeuge zerriſſen. Ein ſolcher Mann ſiehet bey ſeiner Wieder - kunft aus, als wenn er ſchon 3 Tage im Grabe gelegen haͤtte, und wie iſt das anders moͤglich? der Geizige unter ihnen hat ſich durch ſeine entſetzlichen Arbeiten alle Kraͤfte ausgepreſſet. Bey ſeinem Speck und Brodte hat er die hollaͤndiſche Wad - dicke Eimerweiſe eingeſchlungen, und des Nachts iſt unter blauen Himmel die Heufime ſein Bette geweſen. Kaum das der Tag grauet, ſo wadet er mit ſeiner Senſe ſchon im Thaue, zapfet ſich den Schweiß ab. Dieſe Leute ſind insgemein in ihrem ganzen Leben ungluͤcklich. Kommen ſie zu Hauſe, ſo finden ſie ſchon beyde Haͤnde voll Arbeit wieder; denn unſre Erndte wartet ihrer ſchon mit Schmerzen. Sie ſind aber ganz ermuͤdet und koͤnnen nicht zu Kraͤften kommen. Geſund und wohl ſind ſie hingegangen, haben aber gelaͤhmte Glieder, auch ſehr oͤfters die Schwind - und Waſſerſucht, oder eine enge Bruſt nebſt den ſogenannten hollaͤndiſchen Pipp, der in einer immerwaͤhrenden Schuͤtterung oder ſchleichenden Froſt beſte - het, wieder mitgebracht. Solten dieſe Leute nicht große Schuld mit dran ſeyn, wenn unſer Hochſtift ſo ſchlecht bevoͤl - kert iſt: wenn hier und da im Lande oft hinreiſſende Krank - heiten ſich einfinden: wenn ſie ſelbſt ſo viele ungeſunde Kin - der in die Welt ſetzen, und mit denſelben vor der Zeit hin - ſterben?

Ein jeder wird alſo aus dieſer wahrhaften Vorſtellung ſchon die Frage beantworten koͤnnen: Ob die ſtarken Zuͤge nach Holland unſerm Hochſtifte vortheilhaft oder ſchaͤdlich ſeyn?

So93der Oſnabruͤck. Unterthan. zu dulden ſey.

So ſehr ich auch mit dieſen Gruͤnden meinen eignen Nutzen ſchade, und wenigſtens der dritte Theil meines ohne - hin geringen Einkommens ſchwinden wuͤrde, wenn dieſem ſchaͤdlichen Hollandgehen abhelfliche Maas geſetzet wuͤrde; ſo bin ich voͤllig verſichert, daß mein allergnaͤdigſter Koͤnig die - ſen Verluſt auf andre Weiſe reichlich erſetzen wuͤrde. Der aͤchteſte Patriotiſmus belebet mich, und wuͤnſche nichts ſo ſehr, als das unſre Landesſtuͤtzen dieſem immer mehr und mehr ein - reiſſenden Uebel durch weiſe und zur Kraft kommende Geſetze vorzubeugen, gnaͤdigſt geruhen moͤchten.

XV. Die Frage: Iſt es gut, daß die Unterthanen jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet.

Es liegt alles an dem Geſichtspunkt, woraus man eine Sache betrachtet; und Phidias lief Gefahr von den Athenien - ſern geſteiniget zu werden, wie ſie die von ihm mit aller Kunſt verfertigte Statue der Minerve, welche fuͤr einen hohen Altar beſtimmet war, in der Naͤhe und nicht in gehoͤriger Ehrfurchtsvoller Entfernung kniend betrachteten.

Eben ſo wahr iſt es, daß große Rechnungen die Probe nicht leicht im kleinen halten. In einer großen Menge von Faͤllen kann jeder einzelner Fall vor ſich unrichtig, und doch der daraus gezogene Schluß auf das genaueſte wahr ſeyn. Man weis z. E. wie viel Menſchen von einer gewiſſen gegebe - nen Anzahl jaͤhrlich ſterben; man weis zu ſeiner großen Be - ruhigung, daß ungefehr Knaben und Maͤdgen in gleichen Ver -haͤlt -94Die Frage: Iſt es gut, daß die Unterthan. haͤltniß gegen einander geboren werden. Nun moͤgen alle Hausmuͤtter auftreten, und auf ihr Gewiſſen bezeugen, GOtt habe ihnen Toͤchter und Knaben in ungleicher Anzahl beſcheret; es moͤgen alle Todtengraͤber bezeugen, ſie haͤtten mehr oder weniger Leute von der in ihren Dorf-Gemeinden befindlichen Anzahl begraben, als nach jener Regel haͤtten ſterben ſollen: ſo ſchadet dieſes der Rechnung im Großen nichts. Die große Regel bleibt wahr, wenn ſie gleich in der Anwendung auf jeden einzelnen Fall nicht zutrift.

Nach dieſer kurzen Vorerinnerung will ich alles, was wider die Hollands-Gaͤnger aus dieſem Stifte, angefuͤhret worden, zugeſtehen. Ich will aber zeigen, daß der Geſichts - punkt, woraus man die Sache betrachtet, zu nahe an der Statue genommen; und ein einzelner Fall von dieſen oder jenen Kirchſpielen nicht hinlaͤnglich ſey, um darnach die Rech - nung im Großen zu machen. Jedoch noch eins zum voraus.

Es gehen jaͤhrlich uͤber zwanzig tauſend Franzoſen nach Spanien, um den Spaniern in der Erndte zu helfen. Eben ſo viel Brabaͤnder gehen in gleicher Abſicht nach Frankreich. Eine nicht geringere Menge Weſtphaͤlinger geht den Hollaͤn - dern und Brabaͤndern zu Huͤlfe; und mittlerweile kommen die Schwaben, Thuͤringer und Baiern nach Weſtphalen, um unſre Mauren zu verfertigen; die Italiaͤner weiſſen unſre Kirchen und verſorgen uns mit Mauſefallen; die Tyroler rei - nigen unſere Teiche; die Schweizer gehen nach Paris, um den Franzoſen die Thuͤr zu huͤten oder die Schuh zu putzen; und ſo wandert eine Nation zur andern, um bey ihr des Sommers ein Stuͤck Brod zu verdienen, was ſie des Winters zu Hauſe verzehre. Nichts iſt hier leichter als zu fragen: Warum jede Nation nicht zu Hauſe bleibe, ſo lange ſie noch Beduͤrfniſſe hat, welche ſie durch fremde Haͤnde beſtellen laſ -ſen95jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet. ſen muß? Warum nicht der Weſtphaͤlinger ſeine Teiche ſelbſt rein mache? Warum er ſeine Kirchen nicht weiſſe, und ſeine Haͤuſer nicht ſelbſt maure? Und, ob es nicht weit leichter und vortheilhafter ſey Wetterglaͤſer zu machen, als in Holland Torf zu ſtechen, oder in England Thran zu ſieden? Allein nichts iſt auch offenbarer, als daß Landes-Einwohner, welche ſich auf gewiſſe Dinge allein legen, und ihre Kinder von Jugend auf dazu erziehen, es darinn zu einer ſo vorzuͤglichen Fertig - keit und Geſchicklichkeit bringen koͤnnen, daß ſie fuͤr halbes Geld mehr thun als andre fuͤr doppeltes. Nichts iſt ſicht - barer, als daß auch in groben Arbeiten eben die Vortheile aus der Simplification entſtehen, welche den feinern Kuͤnſten daraus zugewachſen ſind, wenn nemlich ein ander die Federn, ein ander die Raͤder, und ein dritter die Zieferblaͤtter ver - fertiget, ſo dann der Uhrmacher nur blos zuſammen ſetzt. Nichts iſt endlich gewiſſer, als daß ſich oft in ganzen Gegen - den eine Handarbeit von Vater auf Sohn und von Nachbar zu Nachbar auf das gluͤcklichſte ausbreite und ſich gleichſam mit den National-Charakter vermiſche.

Geſetzt nun, die Einwohner eines Landes bringen es durch das Exempel ihrer Vorfahren, durch die taͤgliche Uebung und andere Vortheile zu einer vorzuͤglichen Geſchicklichkeit in einer groben Arbeit: ſo koͤnnen ſie nicht wie die feinere Hand - arbeiter an einem Orte wohnen, ſondern muͤſſen herumziehen; weil eine Nation die aus lauter Maurern beſtehet, keine Bruͤcken zu Hauſe machen, und ſolche auf der Poſt verſchicken kann. Sie muͤſſen weiter doppelt gewinnen, und ihre Art zu arbeiten lieben, weil ſie durch ihre Fertigkeit und Ge - ſchicklichkeit gar zu viel vor allen andern voraus haben. Und man koͤnnte ſich wuͤrklich den Fall vorſtellen, daß die Tyroler in Weſtphalen Graͤben ausbraͤchten; die Weſtphaͤlinger hin - gegen in Tyrol Torf gruͤben, und beyde mehrern Vortheilvon96Die Frage: iſt es gut, daß die Unterthan. von ihren weiten Reiſen haͤtten, als wenn ſie jedes Orts ihre Sachen zu Hauſe verrichteten. Denn die Nerven, der Ruͤck - grad und alle Gliedmaſſen biegen ſich zu einer von Jugend auf gelernten, taͤglich geſehenen und geuͤbten Arbeit auf das vollkommenſte, und auch der kleinſte Vortheil wird zuletzt entdeckt und genutzt. Wer wuͤrde es nun aber wagen, jede Nation hierinn auf andere Gedanken ’zu bringen? Die alten von dreyßig vierzig und funfzig Jahren zu bekehren iſt faſt unmoͤglich, und allezeit gefaͤhrlich. Um die Kinder aber in ihrer Eltern Hauſe, unter ihrer Aufſicht und Lehre, voͤllig umzubilden, dazu gehoͤren ſolche Anſtalten, welche nicht ſo leicht auszufuͤhren ſeyn moͤchten. Und ſo iſt es eine ſehr be - denkliche Sache, einem Volke ſeinen gewohnten Weg zu ver - ſperren, um ihn mit Unſicherheit auf einen ungewohnten zu fuͤhren.

Wahr iſt es, daß die Leute, welche nach Holland und England zur Arbeit gehen, fruͤher alt und unvermoͤgend werden als andere, die bey ordentlicher Land - und Hausarbeit ihre Kraͤfte nicht uͤbernehmen: denn wenn ſie etwas verdienen wollen, muͤſſen ſie alle Augenblicke nutzen, und keinen Odem - zug ohne Arbeit thun. Der Gewinnſt ſtaͤrkt ihre Begierde; und die Begierde giebt eine groͤßere aber kurze Staͤrke. Allein es iſt auch nicht weniger wahr, daß die Fortpflanzung des menſchlichen Geſchlechts unter den Heuerleuten um ein Drittel ſchneller gehe, als unter den Landbeſitzern. Hier muß insge - mein der Anerbe warten, bis der Vater ſtirbt oder abzieht; ehe iſt fuͤr eine junge Frau kein Platz im Hauſe offen. Die Mahljahre von Stiefeltern gehen insgemein ſo weit bis der Anerbe ſein dreyßigſtes Jahr erreicht. Dreyßig Jahre ma - chen alſo das gewoͤhnlichſte Alter aus, worinn Landbeſitzer beyrathen; und wenn Tacitus es der deutſchen Enthaltſam - keit zuſchreibt, daß ſie vor den 25. Jahre nicht heyratheten:ſo97jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet. ſo bedachte er nicht, daß das fruͤhere Heyrathen nur bey Hand - thierungen, wovon Buͤrger und Heuerleute leben, moͤglich ſey, und die deutſche Nation, welche er ſchilderte, nicht aus Buͤrgern und Heuerleuten, ſondern aus Landbeſitzern beſtand. Die hieſigen Heuerleute heyrathen mit zwanzig Jahren; und mithin zehn Jahr fruͤher als Anerben. Geſetzt alſo, ſie waͤ - ren mit funfzig Jahren alt und kuͤmmerlich: geſetzt, ein gan - zes Kirchſpiel ſaͤhe ſeine beſten Leute; und ein Mann alle ſeine Bruͤder und Verwandte ſterben: ſo wird derjenige, der nahe am Kirchhofe wohnet; oder den dieſer Verluſt hauptſaͤchlich triſt, das ungluͤckliche Hollandsgehen leicht beklagen. Allein die große Staatsrechnung leidet darunter nichts. Es ver - haͤlt ſich hierinn mit den hieſigen Hollandsgaͤngern, wie mit den Bergleuten. Dieſe erreichen kein hohes Alter, und ſind fruͤh kuͤmmerlich. Ihre Anzahl vermindert ſich aber da - durch nicht. Sie werden ſich doppelt vermehren, wenn hin - laͤngliche Arbeit vorhanden.

Wahr iſt es weiter, daß von den Leuten, welche ſol - chergeſtalt in die Fremde gehen, jaͤhrlich zehen von hundert verlohren gehen. Einige gehn auf den Herings - und Wall - fiſchfang; und die Reiſen zur See verfuͤhren manchen nach Oſt - und Weſtindien. Wie viel Einwohner in Cuiraſſeau ſind nicht aus hieſigem Stifte? Viele, die nach England in die Thranſiedereyen, oder nach Holland auf allerhand Arbeit aus - gehen, laſſen ſich, wenn ſie zu Hauſe keine Weiber haben, leicht bereden, gar auszubleiben. Allein es iſt auch wiederum wahr, daß wir die große Menge von Heuerleuten nicht ha - ben wuͤrden, wenn der Verdienſt in der Fremde wegfallen ſollte. Wir wuͤrden alsdenn ſicher nicht den zehnten Theil derjenigen haben, die jetzt im Lande ſind; und ſo iſt der ge - genwaͤrtige Verluſt nichts gegen denjenigen, welchen wir im Gegentheil leiden wuͤrden. Ein Baum, wovon viele wurm -Möſers patr. Phantaſ. I. Th. Gſtichi -98Die Frage: Iſt es gut, daß die Unterthan. ſtichige Aepfel fallen, iſt insgemein fruchtbarer, als ein an - der, worunter keiner liegt. Wer hier blos auf die Erde und nicht in die Hoͤhe ſieht, der wird leicht unrichtig urtheilen, und nicht erkennen, daß jener mehr Fruͤchte habe als dieſer.

Es laͤßt ſich ſehr wahrſcheinlich zeigen, daß in dieſem Jahrhundert, ſich uͤber viertauſend Neubauer im hieſigen Stifte niedergelaſſen haben; und der unmaͤßige Preis unſer Laͤndereyen, welcher hoͤher iſt, als er irgendwo in Europa ſeyn wird, beſtaͤrket dieſe Vermuthung. Sechs und funfzig Qua - dratruthen von unſern beſten Feldlande, und wahrlich unſer beſtes kann in Vergleichung anderer Laͤnder, kaum fuͤr mit - telmaͤßiges gelten, iſt in verſchiedenen Gegenden uͤber vier Thaler jaͤhrlichen Heuergeldes ausgebracht worden; und das Gartenland doppelt ſo hoch als das Feldland. Es iſt kein ein - ziger ſogenannter großer Haushalt im ganzen Stifte mehr, weil kein Paͤchter das Land ſo hoch bezahlen und kein Eigen - thuͤmer es ſo theuer nutzen kann, als es die Heuerleute bezah - len. Da dieſe in den oͤffentlichen Laſten weislich geſchonet; von aller Werbung befreyet, und an manchen Orten mit der Feurung und Weide leicht verſorget werden: ſo verheuret der Eigenthuͤmer der Laͤndereyen nicht blos ſein Land, ſondern auch die freye edle Luft unter einer milden Regierung; und alle die Vortheile, die ein Land ohne Truppen, ohne Acciſe, und ohne Cameraliſten gewaͤhren kann; die Vortheile, welche Heiden und Mohre darbieten; und den oͤffentlichen Credit, worinn unſere gluͤckliche Verfaſſung, ſowol die heilſame Gerechtigkeit, als die Landesherrliche Macht erhalten hat; alle dieſe Vor - theile wuͤrden ungenutzt ſeyn, wenn wir die Menge von Heuer - leuten nicht haͤtten; und dieſe wieder wegfallen, wenn ſie ihr Brod aus dem Heid - Sand - oder Mohrlande ziehen ſollten.

Viele Edelleute machen ſich mit Recht ein Gewiſſen daraus, ihre Laͤnder an den Meiſtbiethenden zu vermiethen. Die99jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet. Die geringen Nebenwohner, da ſie einmal da ſind, und in benachbarten Laͤndern nicht gleiche Vortheile finden, koͤnnen es nicht entbehren; und die Prediger in manchen Kirchſpielen eifern gegen das Verheuren an den Meiſtbiethenden auf den Canzeln als gegen eine Suͤnde. Wo iſt aber ein Land, da man dieſe Art von Suͤnde kennt? Der vornehme Verfaſſer des Hausvaters, der gewiß den Haushalt von allen moͤglichen Seiten betrachtet hat, der Herr Landdroſt von Muͤnchhauſen geſteht, daß, wenn er ſeine Guͤter in unſerm Stifte haͤtte, ſie ihm doppelt ſo viel als jetzt einbringen wuͤrden. Dies wuͤrden ſie thun, ohne daß er noͤthig haͤtte, ſich des Jahrs mehr als einmal, wenn der Zahlungstag der Heuergelder iſt, darnach umzuſehen. Die Urſachen, ſo derſelbe hievon an - giebt, beſteht in der vorzuͤglichen Bevoͤlkerung durch jene Heuerleute.

Wahr iſt es, daß dieſe Bevoͤlkerung den Landbeſitzern auf ſichere Weiſe zur Laſt falle; und die unzaͤhlichen Beſchwer - den, welche die Landſtaͤnde ehedem uͤber die Zunahme der Neubauer gefuͤhret haben, ſind damals nicht ohne Grund geweſen. Wir haben Landesherrliche Verordnungen von dem Biſchoffe Philipp Sigismund, worinn die Anſetzung eines neuen Hauſes, bey einer Strafe von 10 Goldfl. verboten iſt; und der Landtags-Abſchied vom Jahr 1608. enthaͤlt buchſtaͤb - lich, daß auf den ganzen und halben Erben, wo vorhin zwey Feuerſtaͤtten geweſen, nur die Sahlſtaͤtte und Leibzucht geſtat - tet, auf den Kotten, wo vorhin keine geweſen, keine neue er - richtet, und auf jeder Feuerſtaͤtte nur eine Parthey geduldet werden ſollte. Allein ſeitdem ſich unter der Territorial-Ho - heit die Grundſaͤtze in dieſem Stuͤcke veraͤndert haben, und die Bevoͤlkerung in einen andern Geſichtspunkt gekommen iſt; ſeitdem der Landbeſitzer ſich nicht mehr mit ſeinem eigenen Vieh und Korne fertig machen kann, ſondern auch Geld noͤ -G 2thig100Die Frage: Iſt es gut, daß die Unterthan. thig hat; ſeitdem die Landesherrn ihre Naturalgefaͤlle in Geld verwandelt haben, und der Edelmann dieſem Exempel gefolget iſt; ſeitdem endlich tauſend vorhin entbehrte Reitzun - gen der Wolluſt und Bequemlichkeit den Fremden baar bezah - let werden muͤſſen, haben ſich die Grundſaͤtze in dieſem Stuͤcke ſo geaͤndert, daß man jene Verordnung laͤcherlich findet. Jezt wohnen nicht eine, ſondern vier Partheyen in Nebenhaͤuſern, welche in die quer durchgeſetzt ſind, und wovon jede Parthey eine Seite hat. Man mag immerhin ſagen: Die Heuerleute beſchweren nur die gemeinen Weiden, beſtehlen die Holzun - gen, und zeugen Bettler oder Diebe. So lange die Theu - rung der Landpreiſe im Ganzen ein Vortheil vor Zeiten iſt, worinn alles auf Geld ankoͤmmt: ſo ſind jene Zufaͤlle nur Flecken, die von der praͤchtigen Hoͤhe kaum geſehen werden muͤſſen, und durch gute Verordnungen gehoben werden koͤnnen.

Jedoch die wichtigſte Betrachtung verdienet Garn und Linnen. Schwerlich kann ein Menſch ſich mit Spinnen er - naͤhren. Spinnen iſt die armſeligſte Beſchaͤftigung; und kann nur in ſo weit vortheilhaft ſeyn, als es zur Ausfuͤllung der in einem Haushalt uͤberſchieſſenden Stunden gebraucht wird. Haͤtten wir nun keine Leute die im Sommer nach Hol - land giengen; ſo wuͤrden dieſe auch den Winter nicht ſpinnen koͤnnen. Wir wuͤrden auch ihre Weiber und Kinder nicht beym Rade haben. Es wuͤrde alſo vielleicht nicht die Haͤlfte des Linnens im Stifte gemacht werden, was aus demſelben jetzt verfuͤhret wird.

Der ſcheinbarſte Einwurf unter allen, welcher gegen das Hollandsgehen gemacht wird, iſt die Theurung des Ge - ſindes. Ich will dieſen Einwurf mit den Worten vortragen, womit er in der Landtags-Propoſition vom Jahr 1608. vor - getragen iſt, um dabey zu erinnern, daß unſre Vorfahrenſich101jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet. ſich mit uns aus einerley Tone beklagt, und die Zeiten ſich alſo in 160 Jahren nicht verſchlimmert haben. Der Biſchof Philipp Sigismund erklaͤret ſich aber folgendergeſtalt:

Ueberdies zum Vierten waͤren J. F. G. nun eine zeither faſt aus allen Aemtern vielfaͤltige Klage und Ueppigkeit, Muthwille und Frevel des gemeinen Dienſtvolks, Knech - ten und Maͤgden und Jungen, auch gemeinen Arbeitsleu - ten und Tageloͤhnern vorgekommen; indem weil GOtt all - maͤhlig etliche Jahr her wohlfeile Zeit am Getreide und andern verliehen, daß faſt alles Geſinde daher widerſpenſtig wuͤrde, ſich hin und wieder auf dem Lande in den Doͤr - fern, Flecken und Staͤdten, in Backhaͤuſern, Spiekern, Koͤtten, Gaden und ſonſt niederlieſſe und ſelbſt erhielte, und niemand zu dienen begehrte, und daruͤber die erbge - ſeſſen Bauren, Buͤrger und andre ſo ihrer Arbeit gebrau - chen muͤßten und noͤthig haͤtten, zum aͤuſſerſten ausſoͤgen, ſonſten auch das ledige Volk ſeines Gefallens wiederum da - von ſtreiche, anderer Orten ſich verhielte, auch wohl bey andern in Dienſt ſich wieder einſtellete und aufgenommen wuͤrde, auch wohl ganz an andere Orte nacher Friesland und ſonſt auſſerhalb Stifts davon ſtreiche, da es etwa auf eine geringe Zeit ein mehrers verdienen koͤnnte, hernacher ſeines Gefallens wieder herein kaͤme, und das ganze Jahr hernach im Stifte unterhalten werden muͤßte; wie denn ebenmaͤßig bey den Arbeitsleuten und Tageloͤhnern die Be - zahlung uͤbermaͤßig waͤre, und zweifelten J. F. G. nicht, die Anweſende von den Staͤnden ſaͤmtlich wuͤrden davon gute Zeugniß geben koͤnnen; ſtuͤnde derowegen zu reiflichen Bedenken, ob man ſich nicht mit einer beſtaͤndigen Poli - cey-Ordnung, wie es damit auf alle Faͤlle gehalten werden ſolle, dem gemeinen Nutzen zum Beſten ſich hieruͤber zu vergleichen ꝛc. ()G 3Da -102Die Frage: Iſt es gut, daß die Unterthan.

Damals hielte man es alſo dem Lande ſo gar nachtheilig, daß die Leute, welche nach Friesland, (worunter das jetzige Weſt - Friesland und Holland verſtanden iſt) giengen, des Winters zuruͤcke kamen, und das Korn, uͤber deſſen Wohlfeiligkeit doch geklagt wird, fuͤr ihr erworbenes Geld, verzehren hal - fen. Man ſuchte durch Erſchwerung der Heyrathen; durch Verminderung der Anbauer und durch Einſchraͤnkung des Er - werbs wohlfeiles Geſinde zu erhalten. Jetzt aber wuͤnſcht man viele Miteſſer zum Korn, um gute Preiſe; viele Heuer - leute, um theures Land, und viele Menſchen, um deſto leich - ter Geſinde zu haben. Schade vor beyde Grundſaͤtze, daß das Land kein Sack iſt, worinn man die unangeſeſſene Heuerleute nach ſeinen Gefallen ſchuͤtteln kann. Wie wei - land Ihro Churfuͤrſtl. Durchl. Ernſt Auguſt der Erſte das Hollandsgehen zum Vortheil der Werbung einſchraͤnkten, beſchwerten ſich unterm 19 Febr. 1671. die Stiftsſtaͤnde:

Daß wegen der Hollandsgaͤnger, ſo vor dieſem viel Geld ins Stift geholet, itzt dem Lande viele tauſend abgiengen, indem ſelbige ſich erſt bey den Amthaͤuſern melden muͤßten, weil die Leute bey vorgehenden Zwang zur Werbung ſich befuͤrchteten, daß ſie beym Kopf genommen wuͤrden. ()

Hier war der Sack zugeknuͤpft; und man war auch nicht zu - frieden. Die Klage in den alten Zeiten war indes noch ge - gruͤndeter als jezt. Damals gieng es dem Land-Eigenthuͤmer, wie jetzt dem Menſchen uͤberhaupt. Dieſer glaubt alle Sterne und Thiere ſeyn blos um ſeinetwillen erſchaffen; und der Land-Eigenthuͤmer behauptete, vielleicht gar nicht mit Un - recht, er ſey der Mann um deſſentwillen ein Regent und Staat zuerſt entrichtet worden. Jetzt ſind alle Menſchen um des Regenten willen in der Welt, und wann dieſem die Menge von Koͤpfen zu ſeiner Groͤße dienlich iſt: ſo iſt es beſ -ſer,103jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet. ſer, daß zehntauſend geringe als tauſend wohllebende Fami - lien im Lande ſind. Vordem war es umgekehrt.

Jedoch um auf den Einwurf zuruͤck zu kommen: ſo iſt es uͤberhaupt noch eine große Frage, ob es beſſer ſey, daß der Handlohn hoch oder niedrig ſtehe. Zur Bequemlichkeit der Großen iſt vielleicht ein niedriges Lohn das beſte; die kleine Menge aber, die den Geſetzgeber ernaͤhret, und daher auch ſeine vorzuͤgliche Aufmerkſamkeit verdienet, duͤrfte wohl eine andere Sprache fuͤhren. So viel aber iſt allezeit gewiß, daß ein Land, wo die Handarbeit wohlfeil iſt, die wenigſten; und wo ſie theuer iſt, die mehreſten Einwohner habe. Die - ſer Satz gruͤndet ſich in der Erfahrung und Vernunft. Es iſt weiter gewiß, daß das Handlohn, welches hier verdienet wird, dem Staate nicht entgehe. Der Verpaͤchter kann mehr Geld von ſeinem Paͤchter ziehen, wenn dieſer ſeinen Acker mit lauter wohlſeilen Haͤnden beſtellen kann; allein was jener mehr ziehet, gehet vielleicht vor Wein aus dem Lande, und was dieſer mehr verdienet, wird zu Hauſe vor Korn ausgege - ben. Endlich iſt es offenbar, daß der Handlohn nicht nie - drig ſeyn koͤnne, ohne daß das Korn und mithin auch Laͤnde - derey im Preiſe falle. Diejenigen alſo, die einen Knecht fuͤr den niedrigſten Lohn und zugleich fuͤr ihr Land den hoͤchſten Preis haben wollen, fordern etwas widerſprechendes. Wie kann der Heuermann ſeinen Sohn dem Land-Eigenthuͤmer des Jahrs vor 8 oder 10 Thaler Lohn vermiethen, wenn er dasjenige Land, welches er geheuret hat, ſo uͤbermaͤßig be - zahlen muß? Er wuͤrde ſich nie geſetzt, nie geheyrathet, oder doch wie die vornehmen in Italien und Frankreich zur Er - haltung der Stammguͤter thun, nur einen Sohn gezeuget ha - ben, wenn er fuͤr ſich und ſeine ungezaͤhlte Kinder keine an - dere Ausſicht als ein ſo geringes Dienſtlohn gehabt haͤtte. Der Gutsherr wuͤrde ſeine Paͤchte alle in Natur empfangen, undG 4ſie104Die Frage: Iſt es gut, daß die Unterthan. ſie fuͤr die Haͤlfte des jetzigen Preiſes verkaufen muͤſſen, wenn der Haͤnde ſo wenig; oder die Erwerbungsmittel ſo gering waͤren, daß man einen Knecht fuͤr 5 Thaler des Jahrs ha - ben koͤnnte. Ich koͤnnte Exempel von Laͤndern beybringen, wo ſich die Umſtaͤnde wuͤrklich ſo verhalten; wo niemand nach Holland gehet, das hieſige Malter Rocken im vorigen Jahr halb ſo viel als hier gegolten, und dennoch der Mangel des Geſindes Klagen veranlaſſet hat.

Aber wie, wenn ein reiches und armes Land neben einan - der laͤgen; wovon das erſtere die Handarbeit immer doppelt bezahlte, wuͤrde dann nicht endlich das letztere von Leuten voͤllig erſchoͤpft werden? Dem erſten Anblick nach ja! Allein in der That nicht. Ich beruͤhre die großen Gruͤnde nicht, nach welchen Hume dieſes politiſche Problema zum Vortheil der bejahenden entſchieden hat; glaube aber, daß wenn jaͤhr - lich noch zehntauſend Leute mehr nach Holland giengen als jetzt, die Vermehrung in dem Lande, worinn dieſe Leute, Freyheit und Brod finden, in gleichem Verhaͤltniß ſteigen werde. Ich glaube, daß das arme Land ſeine in reiche Laͤn - der reiſende Heuerleute eher in ihre Heymath zuruͤckziehe, als das reiche; weil jeder doch gern in ſeinem Dorfe, und vor ſeinen Nachbarn glaͤnzen, und ſein erworbenes Geld da am liebſten ausgoben will, wo es am mehrſten gilt. Ich ſchließe endlich, daß Leute von der Art, wie wir ſie annehmen, nie ſo viel erwerben, um in dem reichen Lande bleiben zu koͤnnen, und daher immer wieder zuruͤckkehren muͤſſen. Und alles dies iſt der Erfahrung gemaͤs. Weſtphalen muͤßte laͤngſt von den Hollaͤndern verſchlungen, und diejenige Provinz, woraus gar keine Leute nach Holland gehen, die volkreichſte ſeyn, wenn obiger Satz ſeine Richtigkeit haͤtte. Es zeigt ſich aber von beyden das Gegentheil.

Ins -105jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet.

Insgemein klagt man auch daruͤber, daß die Hollands - Gaͤnger den Landbauer in die Taſche ſteckten; ihm leichtfertiger und unnoͤthiger Weiſe Geld vorſtreckten, ſeine beſten Laͤnde - reyen dafuͤr unternaͤhmen, zu den oͤffentlichen Laſten faſt nichts entrichteten, und zur Zeit der Anfechtung den Landbauer in der Beſchwerde ſtecken ließen. Dieſe Klage hat nun zwar einigen Grund, in ſo fern man ſich beklagen darf, daß die Braut zu ſchoͤn ſey. Allein ſeit dem man in den neuern Zeiten ſich keine Muͤhe verdrieſſen laſſen, den Landbauer um allen Credit zu bringen, indem man dem Leibeigenen, ja ſo gar dem Freyen, wie doch ohne gehoͤrige Unterſuchung und Be - willigung der Glaͤubiger nie geſchehen ſolte, einen Stilleſtand faſt nach Willkuͤhr gegeben, und ſonſt davor geſorget hat, den leichtfertigen Glaͤubigern Ziel zu ſetzen: ſo iſt zu glauben, daß dieſe Klage in den naͤchſten funfzig Jahren nicht gemacht, und in ſolcher Zeit ein Gutsherr nicht den vierten Theil an auſſer - ordentlichen Gefaͤllen erhalten werde, die er vorhin erhalten hat, als der Leibeigene noch tapfer borgen, und die Heuerleute in dieſes ſchoͤne Spiel ziehen konnte. Wer borgt jetzt noch einem Leibeigenen? Um zehn Thaler willen muß er ſich pfaͤnden und zum Concurs bringen laſſen. Und wenn es mit Ver - heurung der Staͤtten nur erſt recht zur Orduung iſt, und die Abaͤuſſerungs-Urſachen voͤllig beſtimmet ſind: ſo ſind hundert gegen eins zu wetten, daß jene Klage nie wieder vorkommen werde. Denn die Welt wird immer beſſer und kluͤger.

Die Urſache, warum man die Heuerleute in den oͤffent - lichen Laſten ſo ſehr ſchonet, iſt aber gewiß der feinſten Poli - tik gemaͤs. Wir haben keine beſſere Reeruten fuͤr den Leib - eigenthum als die Heuerleute; dieſe allein ſind im Stande ihren Kindern etwas erhebliches mitzugeben, oder ein erledig - tes Erbe mit voller Hand zu beweinkaufen; und ſo ſchimpflich es ehedem der leibeigene Landbauer hielt, ſeine Kinder unterG 5ih -106Die Frage: Iſt es gut, daß die Unterthan. ihrem Stande unangeſeſſene freye Leute zu geben: ſo anſtaͤn - dig iſt es doch in den neuern Zeiten geworden; und wenn die Gutsherrn, ſo wie der Eingang gemacht iſt, fortfahren den Stand des Leibeigenthums immermehr einzuſchraͤnken, zu er - niedrigen und zu beſchimpfen: ſo duͤrfte ſich bald der freye Heuersmann zu vornehm halten, ſich oder ſein Kind auf ein Erbe zu bringen. Was iſt aber der erſte Grund des Ver - moͤgens der Heuerleute? Sicher das Hollandsgehen, als wodurch ſie zur Einſicht, Unternehmung und Handlung ge - langen. Wie manches Vermoͤgen, wie manche Erbſchfat iſt nicht uͤberdem aus Holland und Oſtindien in hieſiges Stift gekommen? Und wie mancher, der ſich in Holland gluͤcklich niedergelaſſen, hat von dorther ſeine arme Verwandte unter - ſtuͤtzt, oder ihnen Mittel und Wege zum Erwerb geoͤfnet?

Daß in hieſigem Stifte uͤberhaupt der Ackerbau ver - nachlaͤßiget werde, glaube ich nicht, und daß das Hollands - gehen daran Schuld ſey, noch weniger. Fremde geben den hieſigen Einwohnern, welche gute Wirthe ſind, das Zeugniß einer guten Acker-Beſtellung; und da die Laͤnderey im hoͤchſten Preiſe ſtehet: ſo darf man eine beſſere Vermuthung faſſen. Ich habe 56 Quadrat-Ruthen, worauf noch erſt einige hun - dert Fuder Plaggen gebracht werden mußten, ehe ſie urbar gemacht werden konnten, und welche die Markgenoſſen nicht an den Meiſtbietenden, ſondern an die unter ihnen wohnende geringe Koͤtter aus der Gemeinheit uͤberlieſſen, mit hundert Thaler freudig bezahlen ſehen; und faſſe daher gute Gedanken von ihrem Fleiße, ohne mich durch die ſchlechte Wirthſchaft einiger der Faulheit, und der Ueppigkeit ergebenen andern irren zu laſſen. Wenn der Landbauer ſelbſt nach Holland gienge: ſo wuͤrde es zum Schaden des Ackerbaues gereichen. Dies aber geſchiehet hier im Stifte nicht, außer wenn der Landbauer, um ſich aus ſeinen Schulden zu retten, ſein ErbeMeiſt -107jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet. Meiſtbietend verheuret, und immittelſt eine Handarbeit in der Fremde ſucht, um nicht eben bey ſeinen Nachbarn zu die - nen. Die Klage uͤber den Mangel und in Theurung des Ge - ſindes, kann auch wohl einen Neid der Landbauer gegen die mit freudigem Geſange nach Holland tanzenden und auf luſtige Ebentheuer irrende Heuerleute zum Grunde haben; die bey ihrer Wiederkunft ein petit air erranger zeigen und ſich vom beſten einſchenken laſſen. Wenigſtens finde ich die Klage uͤber die Theurung des Geſindes, wenn ich ſcharf nachfrage, nicht ſo gegruͤndet, als es uns der Mund mancher Redner bereden will, und ich habe die Klagen anderer Laͤnder uͤber dieſe Theurung, woraus niemand nach Holland gehet, noch bitte - rer als die unſrigen gefunden.

Einer Treuloſigkeit gegen ihr Vaterland kann man die Hollandsgaͤnger mit Billigkeit nicht beſchuldigen. Die Freyheit nach ihrem Gefallen zu reiſen, iſt die erſte Bedin - gung geweſen, worunter ſie ſich bey uns niedergelaſſen und worauf ſie geheyrathet haben. Dieſe Freyheit macht ſie eben ſo getreu, daß ſie wieder kommen; und ſie zu zwingen auf einem Boden zu bleiben, der ihnen nicht zum Erbtheil uͤber - geben, ſondern fuͤr baar Geld verheuret iſt, wuͤrde ſo ſchaͤd - lich als unbillig ſeyn. In den ſtrengſten Laͤndern geht der Zwang nicht weiter, als den treuloſen Unterthanen ihr Erb - theil zu entziehen. Eigentlich ſolte dieſe Entziehung ſich nur auf das Erbtheil an liegenden Gruͤnden erſtrecken, welches der Beſitzer unter der Bedingung empfangen hat, es zu ver - theidigen oder zu verlaſſen. Dergleichen Erbtheil aber hat das Vaterland jenen Fluͤchtlingen nicht angewieſen.

Der Einwurf, daß die Hollandsgaͤnger nichts als Gras oder elendes Korn von ihren geheuerten Laͤndereyen erndten ſolten, koͤmmt mit der hohen Landmiethe nicht uͤberein. Wenner108Die Frage: Iſt es gut, daß die Unterthan. Wenn er ſeine Richtigkeit haͤtte: ſo wuͤrden dieſe Leute lieber das Korn kaufen, als Land zum Bau miethen; und uͤberhaupt bleibt allemal der Schluß wahrſcheinlich, daß keiner auf die Dauer etwas unternehme, wovon er keinen Vortheil hat. Es verdient uͤbrigens bemerkt zu werden, daß vom Lande da - hier kein Korn zur Stadt oder zu Markte gebracht werde. Die Urſache davon iſt, daß jeder ſein Korn aus dem Hauſe los werden kann. Eine Bequemlichkeit, welche der Landbauer ſicher denjenigen zu verdanken hat, die den Sommer uͤber in Holland liegen, und des Winters ihr Brod zu Hauſe kaufen. Wie gern wuͤrden unſere Nachbaren an der Weſer, die von zehn Meilen her uns ihr Korn zufuͤhren, ſich die weite Reiſe erſparen, wenn einige tauſend Hollandsgaͤnger bey ihnen uͤber - wintern wolten. Sie wuͤrden ſie als ehrliche und nicht als treuloſe Zugvoͤgel behandeln.

Die Rechnung von denjenigen, was die Hollandsgaͤn - ger mitnehmen, verreiſen und verſaͤumen ſollen, ſcheinet mir uͤbertrieben zu ſeyn; und wenigſtens noch eine naͤhere Unter - ſuchung zu erfordern, wozu ich einen erfahrenen Landwirth hiemit aufgefordert haben will. Im voraus aber glaube ich, daß die Familie, wovon der Vater die Schinken, den Speck, das Garn, die Wolle und das Linnen in Holland verzehrt und verreiſt, den beſten Markt habe, und ihre Waare am theuerſten ausbringe. Meiner Meynung nach waͤre es gut, wenn all unſer Linnen ſo gluͤcklich verriſſen wuͤrde. Das Schwein der Heuerleute wuͤrde nicht gemaͤſtet, und das Garn nicht geſponnen ſeyn, wenn der Weg nach Holland nicht die Urſache geweſen, daß dieſe Leute ſich unter uns beſetzt haͤtten. In andern Laͤndern wohnen die Heuerleute, welche Taglohn verdienen, in Barraken, und werden nie ſo reich, eine eigne Kuh oder ein Schwein unterhalten zu koͤnnen. Ihre Weiber und Kinder tragen keine Modefaͤrbige Kleider, und keine breiteSchuh -109jaͤhrlich nach Hollandgehen; wird bejahet. Schuhſchnallen. Verſaͤuerte Schafmilch iſt ihr Futter; und ihre Geſichtsfarbe nichts roͤther als die unſrige. Wenn dort der Wirth ſeinem Knechte nicht den Lohn geben will was er fordert: ſo wird er Soldat; und hier geht er nach Holland.

Uebrigens bleibt es allemal eine ewige Wahrheit, daß es beſſer ſeyn wuͤrde, wenn alle Landeseinwohner zu Hauſe blieben, und dort eben ſo viel, oder doch nicht viel weniger verdienten. Bis dahin aber den Leuten dieſe Mittel zum Er - werb verſchaffet werden, iſt es am ſicherſten, ſie nicht zu ſtoͤ - ren. Kein einziger wird ſo unvernuͤnftig ſeyn, in Holland auf der Heufime unterm blauen Himmel zu ſchlafen, und ſein ſchwarzes Brod mit Waddike zu eſſen, wenn er zu Hauſe nur Dach und Stroh, und Brod und Milch haben, und eben ſo viel als in Holland verdienen kann. Wie ſtark muͤſſen die Bewegungsgruͤnde dieſer Leute ſeyn, wenn ſie bey ſolchem Un - gemach Geſundheit und Leben wagen? Und darf der Geſetz - geber hoffen, ſie auf andre Art als durch ein beſſeres Auskom - men davon zuruͤck zu bringen?

XVI. Von dem moraliſchen Geſichtspunkt.

Koͤnnen Sie mir ein einziges ſchoͤnes Stuͤck aus der phy - ſikaliſchen Welt nennen, welches unter dem Microſco - pio ſeine vorige Schoͤnheit behielte? Bekoͤmmt nicht die ſchoͤnſte Haut Huͤgel und Furchen; die feinſte Wange ei - nen fuͤrchterlichen Schimmel; und die Roſe eine ganz falſche Farbe? Es hat alſo jede Sache ihren Geſichts - punkt, worinn ſie allein ſchoͤn iſt; und ſo bald ſie dieſen veraͤndern; ſo bald ſie mit dem anatomiſchen Meſſer in dasEin -110Von dem moraliſchenEingeweide ſchneiden: ſo verfliegt mit dem veraͤnderten Ge - ſichtspunkt die vorige Schoͤnheit. Das, was ihnen durch das Vergroͤßerungsglas ein rauhes Ding; eine fuͤrchterliche Borke; ein heßlicher Quark ſcheinet; wird dem ungewafneten Auge eine ſuͤſſe und liebliche Geſtalt. Der Berg in der Naͤhe iſt voller Hoͤhlen; und der Herkules auf dem Weiſſenſtein ein ungeheures Geſchoͤpfe; aber unten in der Ferne wie praͤchtig iſt beydes?

Wann dieſes in der phyſicaliſchen Welt wahr iſt; warum wollen wir denn dieſe Analogie in der moraliſchen verkennen? Setzen ſie ihren Helden einmal auf die Nadelſpitze, und laſ - ſen ihn dieſesmal unter ihrem moraliſchen Mikroſcopio einige Maͤnnchen machen! Nicht wahr, Sie finden ihn recht ſchwarz, grauſam, geizig und ſeinem Bruder ungetreu .... Aber treten Sie zuruͤck; wie groß, wie wundernswuͤrdig wieder?

Wer heißt Ihnen nun die Schoͤnheit dieſes großen Ein - drucks um deswillen anfechten, weil die dazu wuͤrkende Theile bey einer ſchaͤrfern Unterſuchung ſo heßlich ſind? Gehoͤret nicht ein guter Theil Grauſamkeit eben ſo gut zur wahren Tapferkeit, als Kienruß zur grauen Farbe? Muß nicht ein Strich von Geitz durch den Charakter des Haushalters gehen, um ihn ſparſam zu machen? Iſt nicht Falſchheit zum Miß - trauen, und Mißtrauen zur Vorſicht noͤthig?

Die Leute, welche von der Falſchheit der menſchlichen Tugenden ſchreiben, wollen immer Fuͤmet ohne Faͤulung; und Blitze haben, die nicht zuͤnden. Sie werden zwar ſa - gen, die Grauſamkeit ſey alsdenn nur Strenge; der Geitz nur Haͤrte und die Faͤulung eine natuͤrliche Aufloͤſung: Allein daß Sie die Peſt unter den Woͤlfen zu einem Erhaltungsmit - tel ihre Schaafe machen, veraͤndert die Sache nicht. Wir wollen alſo aufrichtig zu Werke gehen, und die Tugend blosfuͤr111Geſichtspunkt. fuͤr die Taugſamkeit oder die innere Guͤte eines jedweden Dinges nehmen. So hat ein Pferd, ſo hat das Eiſen ſeine Tugenden, und der Held auch, der ſeinen gehoͤrigen Antheil Stahl, Haͤrte, Kaͤlte und Hitze beſitzt. Die Anwendung ſoll ſein Verdienſt, und die Menge der Wirkungen, welche das menſch - liche Geſchlecht davon zieht, die Groͤße ſeines Verdienſtes be - ſtimmen ....

XVII. Antwort an den Herrn Paſtor Gildehaus, die Hollandsgaͤnger betreffend.

....... Ihr Hollandsgaͤnger haͤtte alſo, wenn man

  • vor mitgenommene Speiſen, = = 15 Fl.
  • vor Schaden am Lande, = = 24 =
  • vor Verſaͤumung in der Haushaltung, = = 10 =
  • vor Abgang an Kleidung, = = 10 =
  • die er zu Hauſe haͤtte gewin - nen koͤnnen, = = 30 =
  • Summa 89 Fl.

abrechnet; noch immer in vierzig Wochen eilf Gulden uͤbrig.

Laßt uns nun aber auch einmal ſehen, wie immittelſt der Heuermann, der ſein gemaͤſtetes Schwein mit ſeiner lie - ben Frau zu Hauſe verzehrt, beſtanden ſey? Wir wollen ſetzen, er habe in eben der Zeit 20 Wochen geſponnen, und 20 mitTag -112Antw. an den Hn. Paſtor Gildehaus,Taglohn zugebracht. Gegeſſen hat er wenigſtens dreymal des Tages, jedesmal verzehrt 1 Stuͤber, thut in 20 Wochen

  • 21 Fl. -St.
  • In den uͤbrigen 20 Wochen ſoll er die Koſt mitver - dienet, die Sonn - und Feſttage aber a 3 St. wie vorher verzehret haben = = 5 =
  • Wie er auf Tagelohn, beſonders bey Holz und Stei - nen gearbeitet, hat er leicht ſo viel und mehr als in den Hollaͤndiſchen Luſtgarten zerriſſen. Es bleiben alſo obige = = 10 =
  • Wenn ich ihm hiernaͤchſt volles Spinn - und Taglohn in der Rechnung gut thue: ſo muß er ebenfalls im Haushalt verſaͤumen = = 10 =
  • Es koſtet ihm alſo ſein Aufenthalt im Lande = 46 =
  • Nun wollen wir ſehen, was er dagegen zu Hauſe ver - dient. Wer gut ſpinnen kann, der bringt taͤglich hervor Stuͤck Schiergarn oder 37½ Ge - bind uͤber einen Siebenviertel Haſpel, oder 3 Stuͤcke vom ſogenannten Moltgarn. Dieſes giebt etwa 6 Stuͤver, das Stuͤck zu 2 Stuͤver gerechnet. Der hiezu noͤthige Flachs koſtet aufs genaueſte ausgerechnet 3 St., folglich bleibt rei - ner Gewinnſt in 20 Wochen, 32 Feyertage ab - gezogen, = = 16 Fl. 3 St.
  • In den uͤbrigen 20 Wochen, welche 108 Werk - tage halten, ſoll er taͤglich nach Abzug der nothduͤrftigen Koſt, uͤbrig haben, 3 Stuͤ - ver, iſt = = 16 Fl. 3 St.
  • Summa 32 Fl. 6 St.
An -113die Hollandsgaͤnger betreffend.

Anſtatt alſo wie jener 11 Fl. uͤbrig zu haben, koͤmmt er um 13 Fl. 14 Stuͤber zu kurz.

Sie werden mir ſagen; der Mann ſoll ſein Garn nicht roh verkaufen, ſondern Linnen daraus machen. Allein wer da weis, wie mancher Tag zum Garnkochen, Bleichen, Trocknen, Bocken, Winden, Schieren und Weben erfor - dert wird; wie vieles Aſche und Potaſche koſten; und wie manche Eßſtunde der letzte Schlag der Weberin vom Haſpel entfernet iſt, der weis auch, daß es weit vortheilhafter ſey, Garn roh zu verkaufen, als Linnen daraus zu machen, und daß diejenigen, welche letzters erwaͤhlen, ſolches blos aus der Urſache thun, weil ſie die Gelegenheit nicht haben, das das Garn roh zu verkaufen; oder weil das Linnen auf ein - mal ein beſſer Stuͤck Geld bringt; oder aber, weil ſie nicht ſo viel Flachs haben, um ihre Weibsleute den Winter uͤber mit Spinnen zu beſchaͤftigen, und ſie daher Weben laſſen muͤſſen, damit ſie die Koſt, welche ihren Gang gehet, in et - wa bezahlen. Mancher verſteht es auch nicht beſſer; oder folgt dem Herkommen; oder gedenkt ſein bisgen Hede beſſer zu nutzen.

Dies waͤre nun die erſte Bilanz. Aber wie ſteht es jetzt um die 24 Fl. welche ſie dem Hollandsgaͤnger fuͤr Scha - den am Lande an ſeinem Gewinnſt abziehen? Wenn der fleiſ - ſige Mann zu Hauſe 40 Wochen am Rade geſeſſen, oder Tag - lohn verdienet hat: ſo kann er ebenfalls nicht auf ſeinem Acker geweſen ſeyn. Dieſe fallen alſo aus ihrer Rechnung heraus; oder wir muͤſſen ſie dem andern auch anrechnen. Wir wollen das erſte thun, und ſo hat der Hollandsgaͤnger 35 Fl. uͤbrig; und der Heuermann zu Hauſe bleibt 13 Fl. 14 Stuͤber ſchuldig.

Ueberhaupt aber ſind die 24 Fl. welche der Hollands - gaͤnger am Ackerbau Schaden leiden ſoll, zu hoch berechnet. Möſers patr. Phantaſ. I. Th. HEr114Antw. an den Hn. Paſtor Glidehaus ꝛc. Er ſelbſt hat keine Pferde; und der Heuermann zu Hauſe auch nicht. Beyde muͤſſen alſo mit ihrer Beſtellung ſo lange warten, bis der Bauer fertig iſt. Ob der Mann am Rade oder in Holland ſitzt, das iſt dem Acker einerley. Einer Or - ten kann er nur ſeyn; und ſo geht die Beſtellung ihren Gang. Vermuthlich aber dienet der Bauer dem Hollandsgaͤnger, auf deſſen vollen Beutel er rechnet, beſſer als dem Heuermann, der 13 Fl. 14 Stuͤber weniger einnimmt, als er ausgegeben hat. Und wie viele Dienſte muß der Heuermann, der zu Hauſe iſt, ſeinem Bauer in der Erndte und ſonſt thun, wofuͤr ihm nur ein großer Dank zu Theil wird?

Der einzige Vortheil des Heuermanns daheim gegen den Hollandsgaͤnger, waͤre alſo wohl nur der Troſt ſeiner Frauen, die Geſundheit, und die beſſere Kinderzucht. Das erſte will ich nicht beurtheilen. Meine Anmerkungen daruͤber moͤchten ſatyriſch werden. Das andre wollen wir dahin, oder auf die große Staatsrechnung ſtellen. Der Mann, der zu Hauſe Waſſer trinkt und nicht auskoͤmmt, graͤmt ſich vielleicht zu Tode, indeſſen daß der Hollandsgaͤnger ſich zu Tode arbeitet: und alſo auf dem Bette der Ehre ſtirbt. So viel aber die Kinderzucht betrift, haben ſie ſich beyde ſo gar viel nicht vor - zuwerfen. Des Sommers laufen beyderley Kinder, ſo bald ſie einen Stecken aufheben koͤnnen, hinter den Kuͤhen; und wenn die Zeit dazu voruͤber iſt, jagt ſie die Mutter in die Schule; oder ſie liegen beym Heerde, und das groͤſſere war - tet den kleinern. Die Mutter liegt im Garten oder auf dem Lande zu arbeiten; der Vater iſt auf Taglohn; und wenn die Kinder des Hollandsgaͤngers oder des einheimiſchen Tagloͤh - ners nach Brod ſchreyen: ſo waͤhret dieſes ſo lange, bis ſie von ſelbſt wieder aufhoͤren, oder von der Mutter geſtillet werden.

XVIII. 115

XVIII. Schreiben einer Cammerjungfer.

Sie thun in der That recht wohl daran, daß Sie mir den Coffee als ein ſehr ſchaͤdliches und ſchleichendes Gift widerrathen, und ich weis ihnen die ernſthafte Mine recht von Herzen Dank, womit ſie mein Gewiſſen in dieſem wichtigen Punkte zu ruͤhren geſucht haben. Da er mir ſchon lange nicht mehr geſchmeckt hat: ſo habe ich ihren Gruͤnden vollkommen Beyfall gegeben, und wir ſind hier zu Lande alle darinn eins, daß in den Familien, worinn ſeit funfzig Jah - ren Coffee getrunken worden, keiner mehr ſey, der ſeinem El - tervater an die Schulter reiche. Und wo ſind die braunro - then Kernbacken der vormaligen Großtanten geblieben? Sind unſre jungen Herrn nicht lauter Marionetten? und unſre al - lerliebſten Puppen, Dinger, die ſich in verſchloſſenen Saͤnf - ten herum tragen laſſen muͤſſen, damit der Fruͤhlingswind ſie nicht austrockne? Indeſſen glauben Sie ja nicht, daß wir hier noch ſo altfraͤnkiſch ſind, um funfzig Jahr bey einem Ge - traͤnke zu bleiben. Mich duͤnkt, die Mode eine ſchwarze Lauge zu trinken, hat lange genug gewaͤhrt; und es iſt wohl hohe Zeit, daß man endlich einmal etwas anders genieße. Ich und meine gnaͤdige Frau haben die letzte Zeit ſchon das abgeſchmackte Zeug nicht mehr herunter bringen koͤnnen, und immer auf jedes Loth Coffee einen Theeloͤffel voll Senfſaat zugeſetzt, um ihm nur noch einigen haut gout zu geben. Ich wollte aber, daß wir vor zehn Jahren ſo klug geweſen waͤ - ren wie jetzt: ſo wuͤrde unſer gnaͤdiges Fraͤulein nicht ſo man - ches Herzklopfen gefuͤhlt, und mich nicht durch ſo manchen Schwindel erſchreckt haben. Und wer weis wo es herkoͤmmt, daß wir ſeit zwanzig Jahren einen ſolchen abſcheulichen Man -H 2gel116Schreiben einer Cammerjungfer. gel an Freyern haben, und einem Leibarzt Jahrgeld geben muͤſſen? Es iſt dieſes gerade zu der Zeit aufgekommen, wie man angefangen hat Coffee zu trinken. Meine Großmutter hatte nichts als Rhabarber und Hollunderbeerenſaft im Hauſe, damit erhielt ſie 12 Kinder ſo geſund als wie die Fiſche. Aber damals wußte man nichts von Coffee, von Blehungen, von Koliken, von Hypokundrie und von den verzweifelten Ma - genkraͤmpfen. Meine gnaͤdige Frau hat ihren noch uͤbrigen Coffee den Waſchweibern vermacht. Dieſe koͤnnen ihn bey der Waſchmulde wieder ausduͤnſten; oder ein Schluck Seif - fenwaſſer darauf nehmen, damit keine Steine davon wachſen. Neulich kam ein junger Herr aus Frankreich, der erzaͤhlte uns, wie ſich bey einer angeſtelleten Ueberſuchung gefunden haͤtte, daß kein einziger in Paris ſey, deſſen Großvater nicht vom Lande in die Stadt gezogen waͤre. Die dortigen Familien ſagte er, gehen alle im dritten Gliede aus. Und woher kann dieſes anders kommen als vom Coffee?

Wir armen Cammerjungfern ſind dabey am uͤbelſten daran, keiner getrauet ſich in allen Ehren an uns, weil wir leider in dem Rufe ſind, als wenn wir nichts wie Coffee und Wein trinken, und nichts als vergebliche Arbeit machen koͤnn - ten. Dies ſoll mir aber keiner nachſagen koͤnnen. Ich eſſe ein Stuͤck hausbacken Brod mit wahren Vergnuͤgen, und ſpinne alle Abend heimlich mein Stuͤck Garn, um nicht in jenen boͤſen Ruf zu kommen. Wenn es doch die Leute nur wiſſen moͤchten!

Unſer Gaͤrtner hat Suͤßholz-Weiden ſetzen laſſen, und hoft, die Leute ſollen davon zu dem neuen Zigorien-Coffee, welcher jezt ſo ſehr getrunken wird, gebrauchen. Allein ich fuͤrchte, unſre Aerzte werden ſich bald dagegen ſetzen, weil bey dieſem Getraͤnke kein Menſch krank werden wird. Es wird damit wie mit den Kartoffeln gehen, welchen die Becker und Muͤlleran -117Schreiben einer Cammerjungfer. anfangs Schuld gaben, daß ſie die Waſſerſucht befoͤrderten. Wo wollten auch unſre vielen Kraͤmer bleiben, wenn kein Coffee und Zucker mehr gebraucht, und die lieblichen jungen Pfirſchenblaͤtter anſtatt des ſchaalen Thees getrunken wuͤrden?

Unlaͤngſt hatte unſer junger Herr eine Rechnung ge - macht, worinn er zeigte, daß, wenn jede Familie in hieſigem Stifte jaͤhrlich 5 Thaler fuͤr Coffee, Thee und Zucker ausgaͤbe, 150000 Rthlr. alle Jahr aus dem Lande giengen, fuͤr welche Summe 150 Maͤdgen ausgeſteuret werden koͤnnten. Der allerliebſte junge Herr! helfen Sie doch ja den Coffee verban - nen, damit ſein Projekt zu Stande komme. Denn gewiß ich bin ein recht huͤbſches fleißiges gutes Kind. Mir fehlt nichts als eine gute Ausſteuer. Ich bin ....

XIX. Die Schenkung unter den Lebendigen mit Vor - behalt des Niesbrauchs ſolten verboten werden.

Klage einer Wittwe.

Ach mein guter Herr, es iſt mir wunderlich in dieſer Welt gegangen. Allein es hilft Ihnen und mir nichts, daß ich Ihnen ſolches weitlaͤuftig klage. Nur eins will ich Ihnen doch erzaͤhlen, weil ſich vielleicht andre daran ſpiegeln koͤnnen.

Ich bin eine betagte Wittwe aber ohne Kinder. Um Troſt in meinem Alter zu haben, nahm ich meines Brudern Kinder zu mir; und um ſie zu einiger Dankbarkeit zu ver - pflichten, gieng ich zu einem Notarius in der Abſicht, ihnen alles auf meinen Todesfall zu ſchenken. Dieſer Mann hatH 3mich118Die Schenkung unter den Lebendigenmich aber ohne daß ich es begriffen, das meinige unter den Lebendigen verſchenken laſſen; und nun trotzen mir meine kuͤnftigen Erben taͤglich im Hauſe, und ſagen: Sie waͤren Herrn meiner Koͤtterey, und ich koͤnnte ihnen keinen groͤßern Gefallen thun, als wenn ich mich zu Tode aͤrgerte.

Dieſe Undankbarkeit ſchneidet mich durch die Seele; und ich bin deswegen zu einem Rechtsgelahrten in die Stadt gegangen, um mich bey demſelben Raths zu erholen; ob ich nicht noch mit dem meinigen thun koͤnnte was ich wollte? Allein er hat mir ſchlechten Troſt gegeben.

Der Beweis, ſagte er, daß ich eine Schenkung auf den Todesfall und keine Schenkung unter den Lebendigen haͤtte machen wollen, wuͤrde mir ſchwer fallen, indem der Notarius mit zween Zeugen das Gegentheil bekraͤftigte. Mit dem Be - weiſe der Undankbarkeit wuͤrde ich ſo leicht nicht auslangen, weil meines Brudern Kinder keine Zeugen dabey gerufen ha - ben wuͤrden, wenn ſie mich fuͤr eine alte Hexe geſcholten, und mir den Tod gewuͤnſchet haͤtten. Endlich beliefe ſich auch mein verſchenktes Vermoͤgen nicht uͤber 500 Ducaten, und ſo waͤre dieſe Schenkung, ob ſie gleich auſſer Gerichts geſchehen, zu Recht beſtaͤndig.

Wie kann aber eine geringe Koͤtters Frau den Unter - ſchied zwiſchen ſchenken auf den Todesfall und ſchenken unter den Lebendigen wiſſen, wenn ſie in beyden Faͤllen das ver - ſchenkte Zeit Lebens in Beſitz behaͤlt? Wer huͤtet ſich fuͤr ſolche verzweifelte Quinten? Und haben die Geſetzgeber, welche eine auſſer gerichtliche Schenkung alsdenn, wenn ſie unter 500 Ducaten iſt, fuͤr guͤltig erkennen, auch wohl an eine Koͤtters Frau in Weſtphalen gedacht? Sind dieſer ihre fuͤnfhundert Pfennige nicht eben ſo lieb und wichtig, als ei - nem Edelmann 500 Ducaten? Und ſolten die Geſetze nichteher119mit Vorbehalt. des Niesbr. ſolten verboten werden. eher die Armen und Einfaͤltigen als die Reichen und Klugen gegen dergleichen Uebereilung ſchuͤtzen?

Ach mein Herr! wenn es moͤglich iſt: ſo bewegen ſie doch unſere Obrigkeit, daß ſie alle Schenkungen unter den Lebendigen, welche mit Vorbehalt des Niesbrauchs auf Lebens - zeit, geſchehen, (denn durch dieſe verzweifelte Maske werden wir einfaͤltige Leute am erſten verfuͤhrt,) einmal fuͤr alle wiederruflich machen, und ihnen keine mehrere Kraft als ei - ner Schenkung auf den Todesfall oder einem Teſtamente bey - legen. Stellen Sie ihr doch auf das lebhafteſte vor, wie ungluͤcklich wir alten Leute ſind, wenn wir in den Jahren, wo wir ſchwaͤchlicher, leichtglaͤubiger und huͤlfsbeduͤrftiger ſind, durch einige Liebkoſungen um Freyheit und Eigenthum gebracht, und der bittern Gnade undankbarer Erben unter - worfen werden koͤnnen. Sagen ſie ihr doch, wie gefaͤhrlich unſer Zuſtand ſey, wenn es uns frey gelaſſen iſt, eine ſolche Thorheit zu begehen, und wir den Kuͤnſten und Liſten ſchmei - chelnder Erben nichts als ein: ich will nicht entgegen zu ſetzen haben, und daruͤber bey unſern Leben von ihnen ange - feindet werden. Hat man doch fuͤr die Ehefrauen geſorgt, und ihnen die Buͤrgſchaften fuͤr ihre Maͤnner aus der Ur - ſache verboten, weil ſie in taͤglicher Gefahr ſind durch Liſt oder Gewalt dazu gebracht oder verfuͤhrt zu werden? Iſt aber der Zuſtand einer betagten Wittwe, welche ihre Erben zunaͤchſt um Troſt, Huͤlfe und Beyſtand anſprechen, und dieſelben oft zu ſich ins Haus nehmen muß, minder gefaͤhrlich? Und da die Geſetze einmal die uͤbermaͤßigen Schenkungen, welche ſich uͤber 500 Ducaten belaufen, auf eine vernuͤnftige Weiſe ein - geſchraͤnkt haben; ſolten ſie denn nicht auch zum Vortheil der Aermern verordnen, daß ſie nicht uͤber ein Drittel ihres Ver - moͤgens mit Vorbehalt des Niesbrauchs, verſchenken duͤrften? Solten ſie nicht eben wie beym Eide, eine Warnung fürH 4gröſ -120Die gute ſeelige Frau. größere Schenkungen den Partheyen vorleſen, und ihnen ihre eigne Noth und den Undank der Erben recht nachdruͤck - lich vorhalten laſſen, ehe eine ſolche Schenkung zum Gerichts - protocoll genommen werden duͤrfte? Solten ſie nicht wenig - ſtens eine Jahresfriſt ſetzen, worinn eine ſolche Schenkung noch widerrufen werden koͤnnte? Koͤnnten ſie nicht uͤberhaupt, wie es bereits in verſchiedenen Laͤndern geſchehen ſeyn ſoll, verordnen, daß alle Schenkungen, welche entweder uͤber 500 Ducaten, oder wann darunter, mehr als ein Drittel des Ver - moͤgens enthielten, nicht anders als gerichtlich geſchehen ſolten?

Ich bitte ſie inſtaͤndigſt, ſtellen Sie doch meine Noth vor. Denn da ich meine Koͤtterey verſchenkt habe, ſo kann ich kein Geld zu Proceſſen darauf borgen, und ich bin von allen Menſchen verlaſſen; ich arme Frau!

XX. Die gute ſeelige Frau.

Ich habe meine Frau im vierzigſten Jahre verlohren, und meine Umſtaͤnde erfordern, daß ich mich wieder verhey - rathe. Allein ſo viele Muͤhe ich mir auch dieſerhalb bereits gegeben: ſo kann ich doch keine finden, die mir anſteht, und der lieben Seeligen einigermaßen gleich iſt. Ich hoͤre von keiner, oder man ſagt mir ſo gleich, dieſe Perſon hat ſehr vie - len Verſtand eine ſchoͤne Lektuͤre, und ein uͤberaus zaͤrtliches Herz. Sie ſpricht franzoͤſiſch, auch wohl engliſch und italiaͤ - niſch, ſpielt, ſingt und tanzt vortreflich, und iſt die artigſte Perſon von der Welt.

Zu meinem Ungluͤck iſt mir aber mit allen dieſen Voll - kommenheiten gar nichts gedient. Ich wuͤnſche eine recht -ſchaf -121Die gute ſeelige Frau. ſchaffene chriſtliche Frau, von gutem Herzen, geſunder Ver - nunft, einem bequemen haͤuslichen Umgange, und lebhaften doch eingezogenen Weſen; eine fleißige und emſige Haushaͤl - terinn, eine reinliche verſtaͤndige Koͤchin und eine aufmerk - ſame Gaͤrtnerin. Und dieſe iſt es, welche ich jetzt nirgends mehr finde.

Der Himmel weis, daß ich es nie verlangt habe, allein meine ſeelige ſtand alle Morgen um fuͤnf Uhr auf, und ehe es ſechſe ſchlug, war das ganze Haus aufgeraͤumet, jedes Kind angezogen und bey der Arbeit, daß Geſinde in ſeinem Beruf, und des Winters an manchen Morgen oft ſchon mehr Garn geſponnen, als jetzt in manchen Haushaltungen binnen einem ganzen Jahr gewonnen wird. Das Fruͤhſtuͤck ward nur beylaͤufig eingenommen; jedes nahm das ſeinige in die Hand, und arbeitete ſeinen Gang fort. Mein Tiſch war zu rechter Zeit gedeckt, und mit zween guten Gerichten, welche ſie ſelbſt mit Wahl und Reinlichkeit ſimpel aber gut zubereitet hatte, beſetzt.

Kaͤſe und Butter, Aepfel, Birn und Pflaumen, friſch oder trocken, waren von ihrer Zubereitung. Kam ein guter Freund zu uns: ſo wurden einige Glaͤſer mit Eingemachtem aufgeſetzt, und ſie verſtand alle Kuͤnſte ſo dazu gehoͤrten ohne es eben mit einer Menge von Zucker verſchwenderiſch zu zwin - gen: was nicht davon gegeſſen wurde, blieb in dem ſorgfaͤl - tig bewahrten Glaſe. Ihre Pickels*)Er verſteht vermuthlich Sachen ſo in Salz oder Eßig gelege werden. uͤbertrafen alles was ich jemals gegeſſen habe; und ich weis nicht wie ſie den Eßig ſo unvergleichlich machen konnte. Sie machte alle Jahr ein Bitters fuͤr den Magen, wogegen Dr. Hills und Stoughtons Tropfen nichts ſind. Ihren Hollunderſaft kochte ſie ſelbſt;H 5und122Die gute ſeelige Frau. und in keinem Nonnenkloſter fand man beſſers Krauſemuͤn - zen Waſſer als das ihrige. In unſerm ganzen Eheſtande hat keines aus dem Hauſe dem Apotheker einen Groſchen ge - bracht, und wenn ſie etwas laͤcherliches nennen wollte: ſo war es ein Kraͤuterthee aus der Apotheke. Auf jedes Stuͤck Holz das ins Feuer kam, hatte ſie acht. Nie ward ein großes Feuer gemacht, ohne mehrere Abſichten auf einmal zu erfuͤllen. Sie wußte wie viel Stunden das Geſinde von einem Thran brennen mußte. Ihre Lichter zog ſie ſelbſt, und wußte des Mor - gens an den Enden genau, ob jedes ſich zu rechter Zeit des Abends niedergelegt hatte. Das Bier ward im Hauſe gebraut, das Malz ſelbſt gemacht, und der Hopfe daheim beſſer gezogen, als er von Braunſchweig eingefuͤhret wird. Der Schluͤſſel zum Keller kam nicht aus ihrer Taſche. Sie wußte genau, wie lange ein Faß laufen und wie viel ein Brod waͤgen mußte. Butter und Speck gab ſie ſelbſt aus, und ohne geitzig zu ſeyn, bemerkte ſie das Geſinde ſo genau, daß nichts davon verbracht werden konnte. Eben ſo machte ſie es mit der Milch. Sie kannte jedes Huhn das legte, und futterte nach der Jahrszeit ſo, daß kein Korn zu viel oder zu wenig gege - ben wurde. Das Holz kaufte ſie zu rechter Jahrszeit, und ließ die Maͤgde des Winters alle Tage zwey Stunde ſaͤgen, um ſie bey einer heilſamen Bewegung zu bewahren. Im Sommer ward des Abends nie warm gegeſſen. Die war - men Suppen ſchienen ihr eine laͤcherliche Erfindung der Fran - zoſen; und bey dem kalten Eſſen konnte das Geſchirr auch mit kalten Waſſer gewaſchen werden. Man brauchte alsdenn kein Feuer, und bey Winter-Abenden ward bey dem letzten Feuer im Ofen gekocht. Was in der Daͤmmerung geſchehen konnte, geſchahe nicht bey Lichte, und die Arbeit war darnach abgepaßt. Ihre ſchmutzige Waͤſche unterſuchte ſie alle Sonn - abend, und hieng ſolche des Winters einige Tage auf Linien,da -123Die gute ſeelige Frau. damit ſie nicht zu feucht weggelegt und ſtockigt werden moͤchte. Wenn die Bettetuͤcher in der Mitte zu ſehr abgenutzt ſchienen, ſchnitt ſie ſolche los, und kehrte die auſſen Seite gegen die Mitte. Auch die Hemde wußte ſie auf eine aͤhnliche Art um - zukehren und die Struͤmpfe zwey bis dreymal anzuknuͤtten. Alles, was ſie und ihre Kinder trugen, ward im Hauſe ge - macht; und ſie verſtand ſich auch ſehr gut auf einen Manns - ſchlafrock. Sie konnte ihn in einem Tage mit eigner Hand fertig machen. Im Stopfen gieng ihr keine Frau vor; alle Jahr wurden einige Stuͤcken Linnen in der Haushaltung ge - macht, und einige greis zugekauft, welche ſie hernach zuſam - men bleichen ließ. Sie buͤckete ſolches ſelbſt, und bewahrte es ſo viel moͤglich fuͤr die gewaltſame Behandlung des Blei - chers. Das Garn zu einem Stuͤcke mußte von einer Hand, und von einer Art Flachs geſponnen ſeyn. Von dem Beſten ward gezwirnet; und keine Nadel oder Nehnadel konnte verlohren gehen, weil nicht ausgefegt werden durfte, ohne daß ſie zugegen war.

Ihr Garten war zu rechter Zeit, und mit ſelbſt gezo - genen Saamen beſtellt. Im Fruͤhjahr erholte ſie ſich in dem - ſelben von der langen Winterarbeit, indem ſie ſaͤete und jaͤ - tete. Die Fruͤchte lachten dem Auge entgegen, ob ſie gleich kaum den halben Duͤnger gebrauchte, den ihre Nachbaren ohne Verſtand untergruben. Da ſie allem Unkraut zeitig widerſtand: ſo hatte ſie nicht die halbe Arbeit. Alles was ſie pflanzte, gerieth recht wunderbarlich, und ihr Vieh gab bey kluger Futterung beſſere und mehr Milch, als andre mit doppelten Futter erhalten konnten. Keine Feder wurde ver - lohren, und kein Brocken fiel auf die Erde.

Das Bewußtſeyn ihrer guten Eigenſchaften gab ihr ei - nen ganz vortreflichen Anſtand. Alles was bey Tiſche mit Appetit gegeſſen wurde, war die ſchmeichelhafteſte Lobredefuͤr124Die gute ſeelige Frau. fuͤr ſie. Das Tiſchzeug konnte nicht bewundert werden, ohne daß nicht der Ruhm davon auf ſie fiel. Ihre emſigen, rein - lichen und muntern Kinder verkuͤndigten der Mutter Lob vor allen Augen; und die Ordnung im Hauſe, die Fertigkeit, womit alles von ſtatten gieng, und die Zufriedenheit, womit ſie vieles ohne Beſchwerde geben konnte, erheiterten ihre Blicke dergeſtalt, daß alle Gaͤſte davon entzuͤckt wurden. Keiner Frau iſt mehr geſchmeichelt, und keiner weniger ſchmei - chelhaftes geſagt worden. Ihr Blick breitete Luſt und Zu - friedenheit uͤber alles aus, und ich kann es nicht genug ſagen, wie artig ſie jede Geſellſchaft mit in den Plan ihrer Arbei - ten ziehen konnte. In der Daͤmmerung ſchaͤleten wir Aepfel mit ihr, oder pfluͤckten Hopfen, und wer ſein ihm zugetheil - tes Werk zuerſt fertig hatte, bekam von ihr einen Kuß. Man glaube es oder nicht, der eine hielt den Zwirn; der andre wickelte ihn auf, der dritte laß Erbſen oder andere Saamen aus; der vierte machte Dochte zu Lichtern, und ich glaube, wir haͤtten ihr zu Gefallen gern mit geſponnen, wenn wir es verſtanden haͤtten. Spinnen, ſagte ſie uns oft, giebt alle - zeit warme Fuͤße, und wuͤrde ſehr gut gegen die Hypochon - drie ſeyn. Wenn wir unſre Arbeit gut gemacht hatten, ſetz - ten wir uns, nachdem die Jahrszeit war, an das Darrenfeuer, und trunken ein Glas September-Bier, welches damals noch nicht ſo ſchwach gebrauet wurde, daß es in dem erſten Mo - nat ſauer werden mußte; oder wir thaten uns ſonſt mit Plau - dern etwas zu gute.

Nach ihrem Tode, ach ich kann ohne Thraͤnen nicht daran gedenken, fand ich die Brautwagen fuͤr unſre vier Toͤch - ter fertig; und wie ich alles, was ſie waͤhrend unſerm 16 jaͤh - rigen Eheſtande in der Haushaltung gezeugt hatte, uͤberſchlug, belief es ſich hoͤher als das Geld, was ſie in aller Zeit von mir empfangen hatte. So vieles hatte ſie durch Fleis, Ord - nung und Haushaltung gewonnen.

Jezt125Die allerliebſte Braut.

Jezt will ich Ihnen ſagen, wie es mir damalen mit meiner allerliebſten Braut gehet.

XXI. Die allerliebſte Braut.

Wir haben zwar in unſerm letztern verſprochen, die Ab - bildung der allerliebſten Braut, welche dem Wittwer von allen Menſchen empfohlen worden, von ſeiner Hand zu geben. Allein er iſt ſo unerfahren in der feinen Sprache und der zarten Manier, worinn dergleichen Abbildungen gezeich - net werden muͤſſen; er hat ſo wenig Empfindung und Kennt - niß von dem jetzt uͤblichen Schoͤnen; und die Art, womit er das Ding angreift, iſt ſo unbehuͤlfſam, daß wir Bedenken tra - gen, unſre Leſer mit ſeiner extra curioͤſen Relation zu unterhal - ten. Die jetzigen Schoͤnheiten ſind ohnehin ſo fein, ſo zart und ſo geiſtig ſie verfliegen, ſo leicht; und ſind ſo changeant, daß man es faſt nicht wagen kann mit dem Pinſel oder der Feder daran zu kommen, ohne etwas davon zu zerſtoͤren. Was dem guten Manne am ſeltſamſten vorgekommen iſt, iſt dieſes, daß er keine einzige geſund angetroffen hat. Alle ha - ben ſich uͤber eine Schwaͤche der Nerven, und einige uͤber Migraine und Wallungen beklagt. Zwey haben ihre Sinnen dergeſtalt verfeinert gehabt, daß die eine von dem Schnurren eines Rades, und die andre von dem Geruch eines kurzen Kohls in Ohnmacht gefallen ſind. Die mehrſten haben fran - zoͤſiſch und immer die Worte tant pis und tant mieux uͤber - aus zierlich geſprochen. Alles iſt Empfindung an ihnen ge - weſen. Weswegen auch keine das Herz gehabt, ſich zum Saͤen und Pflanzen in die Merzen - und Aprillenluft zu wa -gen.126Die allerliebſte Braut. gen. Einsmal iſt ihm eingefallen mit ihnen von Kartoffeln mit Senf zu reden; er hat ſich aber dadurch dergeſtalt laͤcher - lich gemacht, daß man mit ihm eine geſchlagene Stunde von nichts als dem Beliſaire des Marmontels geſprochen. Die Farbe der Nachtmuͤtze, womit Voltaire zu Fernex bisweilen aufs Theater ſpringt, wenn der Kutſcher den Orosmann nicht recht ſpielt, iſt keiner unbekannt geweſen. Allein, kaum eine hat einen Tiſſot auch nur den Namen nach gekannt, oder ihm zu ſagen gewußt, wie lange ein Rockenbrey kochen muͤſte, ehe er gar wuͤrde. Seine Beſchreibung von ihrem Auszuge iſt vollends eine auſſerordentliche Karikatur. Die Worte haben ihm hier ſchlechterdings gefehlt, und ſeine Abſicht iſt, ſie zur Warnung aller Freyer mit Anmerkungen in Kupfer ſtechen zu laſſen. Am Ende ſagt er blos, daß eine Cammerjungfer mit einem Cacadoue en Colere auf dem Kopfe, ihm die Thuͤre gewieſen habe, nachdem er ſich bey ihr erkundiget, ob ihre Jungfer im vorigen Sommer auch Kohlſaamen aufgenommen habe.

Die Vollkommenheit in der franzoͤſiſchen Sprache muß ihm beſonders anſtoͤßig geweſen ſeyn, denn er thut auf die - ſelbe einen recht ernſthaften Ausfall. Iſt, ſagt er, wenn es uns erlaubt iſt, ſeine Gruͤnde recht zu verdeutſchen, der aller - mindeſte Gebrauch in der Haushaltung in Kuͤchen und Kellern davon zu machen. Iſt irgend ein Nutzen anzugeben, welcher unſre Kinder fuͤr den Zeitverluſt ſchadlos haͤlt, den ſie in ihren lehrbegierigen Alter darauf verwenden muͤſſen? Zugegeben, daß ſie ihre Erkenntniſſe dadurch erweitern, die Sphaͤre ihrer Zeitkuͤrzungen dadurch ausdehnen und in allen Geſellſchaften erſcheinen koͤnnen, ſind darum dieſe Erkenntniſſe nuͤtzlich? Haben wir bey einer guten Haushaltung noͤthig unſre Zeitkuͤr - zungen aus franzoͤſiſchen Romans zu betteln? Und iſt die Kunſt in allen Geſellſchaften erſcheinen zu koͤnnen, nicht dieab -127Die allerliebſte Braut. abſcheulichſte Verraͤtherin ihrer Beſitzer? Wer erſcheinet in Geſellſchaften anſtaͤndiger, der redliche, fleißige, beſcheidene Mann, der ſeinen Beruf wuͤrdig erfuͤllt, und ſein Gutes in der Welt mit Freuden thut; oder der Unbeſonnene, der nicht einſieht, daß ihm ſeine glaͤnzendſten Vorzuͤge zum groͤßten Verbrechen angerechnet werden? Der Mann, der dem Kaiſer einen guten Tag wuͤnſchet, ſpricht freyer und anſtaͤndiger mit ihm, als alle unterthaͤnigſte Buͤcklinge.

Und wie groß ſind denn die Wahrheiten, womit ſie durch Huͤlfe der franzoͤſiſchen Sprache ihr Erkenntniß erwei - tern? Ich habe eines der gelehrteſten Maͤdgen, das ich ſonſt wohl leiden mochte, befragt: Wie viel Pfund Mehl aus ei - nen Scheffel Rocken kaͤmen? Wie viel Garn auf ein Stuͤck Linnen von 60 Ellen zu Schierung und Einſchlag gehoͤret? Und welches die beſte Art ſey, einen Monatlang das Geſinde gut und wohlfeil zu unterhalten? Allein ſo wahr ich ehrlich bin, ſie hat mir nichts als dreymal comment? geantwortet, und mich Spottweiſe gefragt, ob ich wohl eine Sauçe de diable zum wilden Schweinskopf verſtuͤnde, und wuͤßte, wie man die Citronen am feinſten dazu ſchaͤlen koͤnnte.

Vermehrung unſers Vergnuͤgens Das muͤßte erſchrecklich ſeyn, wenn ſich meine Maͤdgen nicht mehr in ei - ner Comoͤdie ergetzen ſolten, als alle, die ſich daran muͤde und krank geleſen haͤtten. Dieſer Luſt genieſſen ſie ſehr leicht und wohlfeil, und brauchen darum das Magazin der Frau Beaumont nicht zu leſen. Sie genieſſen ihrer beſſer, als die - jenigen, die in der Comoͤdie nicht lachen duͤrfen, als wenn ihnen von dem bel eſprit du jour die Erlaubniß darzu erthei - let wird.

Die ganze ſogenannte ſchoͤne Erziehung iſt hoͤchſtens die Friſur der geſunden Vernunft, und es iſt eine laͤcherliche Thor -heit,128Die allerliebſte Braut. heit, ehender an die Friſur als an das Linnen zum Hembde zu gedenken. Wann der Luxus den Ueberfluß zum Grunde hat: ſo iſt er anſtaͤndig; und er kann auch dem Staate nuͤtz - lich ſeyn. Allein da, wo er auf Koſten des Nothwendigen geſucht wird; wo die Seele noch Mangel an den nothduͤrftig - ſten Wahrheiten leidet, und ſich dennoch mit einem ohnmaͤch - tigen Schwunge zur Tafel der hoͤhern Weisheit erheben will; wo unſre Toͤchter franzoͤſiſch und engliſch plaudern ſollen, ohne die geringſte Theorie oder Praxis von der Haushaltung zu haben: Da iſt dieſer Luxus der Seelen nichts als ein praͤchti - ges Elend, und die Folge davon iſt fuͤr die Seele eben ſo er - ſchrecklich, als die uͤbermaͤßige Wolluſt fuͤr den Koͤrper iſt. Sie verzaͤrtelt, ſchwaͤcht und verwoͤhnt den Geiſt von den alten ehrlichen Tugenden, womit unſre Mutter wie in einer ſamt - nen Muͤtze umher giengen; ſie bringt der Empfindung einen Eckel gegen die alltaͤglichen haͤuslichen Pflichten bey; ſie ver - fuͤhrt die Einbildung gutherziger und leichtglaͤubiger Kinder zu Hofnungen, die kaum der Romanſchreiber mit aller ſeiner Zauberey kunſtmaͤßig erfuͤllen kann, und ſo wie der durch den Genuß der Wolluſt geſchwaͤchte Gaume mit der Zeit Liqueurs und uͤbertriebene Speiſe zu ſeiner Kitzelung haben muß: eben ſo muß die Seele zuletzt ſich an allerhand moraliſches Tollkraut, an ſchwermeriſche und beiſſende Schriften halten, um ſich des Eckels und der toͤdtenden Langenweile zu erwehren. Und der Himmel ſey demjenigen gnaͤdig, der alsdenn nicht ohne Schwin - del leſen, und ohne Migraine denken oder verdauen kann: ja der Himmel erbarme ſich des Maͤdgens, das ſich aus Buͤchern und philoſophiſchen Gruͤnden beruhigen ſoll. Die Philoſo - phie iſt eine abgefeimte Kupplerin; und die beſte Sittenlehre eine barmherzige Schweſter; zur Zeit der Truͤbſale und Anfech - tung hilft nichts beſſer als ein Rad fuͤr die Schiene und ein: Wer nur den lieben Gott läßt walten.

Die129Die allerliebſte Braut.

Die ſchoͤnen Wiſſenſchaften, ſchließt unſer Wittwer wei - ter, vertreten beym Frauenzimmer jetzt hoͤchſtens die Stelle der Leberreime. Sie dienen ihnen blos zur Zeitkuͤrzung; und in dieſem Falle ſey es beſſer das nuͤtzliche dem unnuͤtzlichen vorzuziehen. Bey den erſtern komme nichts heraus. Eine Franzoͤſin werde mit Huͤlfe des Rollins und der Frau Beau - mont keine Genies aus ihren Untergebenen ziehen. Sie ſey nur eine Putzmacherinn fuͤr den Geiſt, und alles was ſie die Maͤdgen lehrte, ſey ein bisgen gelehrte Entoillage; und hoͤch - ſtens laufe alles auf einen kleinen Schleichhandel der Eigen - liebe beyderley Geſchlechter hinaus; indem die weiblichen Thoren ſo viel lernten als ſie gebrauchten, um ſich von dem maͤnnlichen Narren bewundern zu laſſen; und umgekehrt. Beyde haͤtten ſich ganz unbeſonnen verglichen alle Tage von einem dutzend Kerls, von Schakeſpear, Young, Voltairen, Leßingen und andern zu ſprechen. Man waͤre vor funfzig Jahren ehe Talander und Menantes auf den Nachttiſchen er - ſchienen, gluͤcklicher und vergnuͤgter geweſen. Das menſchliche Herz habe ſich bey allen guten Buͤchern eher verſchlimmert als verbeſſert, und die Treuherzigkeit, womit ſeine gute ſeelige Frau ihre Knipptaſche den Armen geoͤfnet, waͤre eine ganz andre Tugend geweſen, als das zaͤrtliche Mitleid, womit man jetzt die Noth der Ungluͤckſeeligen empfaͤnde. Er ſiehet es als einen Reſt der ehemaligen Galanterie des franzoͤſiſchen Hofes unter Ludewig dem XIV. an, der ſich aus der Gar - derobe auf den Troͤdelmarkt geſchlichen haͤtte, daß ein Frauen - zimmer viele Buͤcher geleſen haben muͤßte; gerade als ob ſie nicht zehnmal ſo viel Vernunft, Geſchicklichkeit, Wuͤrde und Anſtand aus eigner Erfahrung und von guten Leuten lernen koͤnnte.

Möſers patr. Phantaſ. I. Th. JEnd -130Die allerliebſte Braut.

Endlich kommt er in das Haus, wo er ſeine jetzige Braut findet. Die Mutter ſitzt bey ihrer Arbeit, und ſagt ihm, ohne aufzuſtehen, er moͤge ſich ſetzen wenn er wolle. Dieſer Empfang reizt ihn gleich, verfuͤhrt ihn aber auch zu einer abermaligen bittern Ausſchweifung uͤber die Vernei - gungen und Complimente. Was iſt erſchrecklicher, will er ungefehr ſagen, als die laͤcherliche Nachahmung des franzoͤ - ſiſchen Verneigens. Wie edel iſt der Stolz einer Frau, die feſt im Knie, ihren Gaſt mit einem freundlichen Blicke be - willkommt, gegen die beſchaͤmte Verlegenheit einer knickſenden Aeſfin? Erſtere iſt in ihrer Art vollkommen; ſie iſt original; ſie iſt dreiſt mit Anſtand; ſie behauptet ihre Wuͤrde gegen eine Fuͤrſtin, und ſagt ihr einen großen Dank, wenn ihr dieſe einen guten Tag bietet. Man ſieht daß ſie ſich fuͤhlt; und gluͤcklich iſt das Land, wo das Maͤdgen das das beſte Garn geſponnen hat, auf ihr Werk ſo ſtolz iſt, als Voltaire auf ſein Marquiſat. Es war eine Zeit, wo die Hofdame ſich raͤuchern ließ, wenn ſie mit einer Handwerks-Frau geſprochen hatte. Allein dieſe Zeit iſt nicht mehr. Jezt verachtet man nur, und verachtet mit Recht die Thoͤrinnen die ihren eignen Stand verachten; und ehret die Frau, die ihren Sitten und ihrem Stande getreu, dasjenige rechtſchaffen iſt was ſie ſeyn muß. Der Miniſter beſucht den Handwerker, aber nicht den laͤcher - lichen Stutzer; und die ganze Welt erkennet, daß eine unuͤber - legte Geringſchaͤtzung der niedrigen aber ehrlichen arbeitſamen und beſcheidenen Staͤnde, uns beynahe in die Gefahr geſetzt habe, anſtatt einer guten tuͤchtigen Hausehre hundert Mode - prinzeßinnen zu erhalten. In England veraͤndert die groͤßte Frau, nach dem dreyßigſten Jahre ihre Moden nicht mehr; ſie geht damit ſtolz dem ganzen Hofe unter Augen; bey uns hingegen will man auch noch im Sarge coquettiren, und die Wuͤrme in einem friſirten Todtenhembde empfangen. Beyuns131Die allerliebſte Braut. uns ſoll jedes Knie, wenn es auch mit Ruhm und Ehre ſteif geworden iſt, einen Knicks machen, und die falſche Scham - haftigkeit bettelt um Verzeihung fuͤr den ungelenkten Ruͤckgrad, da ſie kuͤhn ihre beyden runden Arme in die Seite ſetzen, und ungebeugt den Muth ausdruͤcken koͤnnte, womit Arbeit und Redlichkeit ihre Freunde erfuͤllet. Hat der Menſch denn keine Wuͤrde mehr, als in ſo fern er ein Affe des Hofes iſt? Iſt da Freyheit und Eigenthum wo das vaͤterliche Erbe der Mode verpfaͤndet, der Geiſt ein ſklaviſcher Nachahmer, und unſer edles Selbſt eine entlehnte Rolle iſt?

Jedoch wir duͤrfen unſerm Wittwer in ſeiner altdeutſchen Laune nicht zu weit folgen. Zu ſeiner Entſchuldigung muß ich aber noch ſagen, daß er dem vornehmen Damen einiges Klapperwerk erlaube, um einigen vornehmeren Kindern die Langeweile zu vertreiben. Er bedauret ſie aber von Herzen, und bemerkt nicht unrecht, daß ſehr viele unter ihnen heimlich ſeufzeten und arbeiteten, und nichts mit den Affen gemein haͤtten, die ihre Manieren copirten, ohne ſich an ihre Werke wagen zu duͤrfen.

Endlich kommt er auf ſeine Braut. Wir wollen ihn hier ſelbſt reden laſſen. Meine gute Catharine, ſagte er, ſaß hinterm Webeſtuhle und webte den Drell zu ihrem Braut - bette. Der Webeſtuhl war huͤbſch, und vielleicht eben ſo ſchoͤn als derjenige, welchen die Fuͤrſtin von Ithaca in ihrem Viſitenzimmer hatte. Ich fragte ſie, ob es nicht vortheilhafter waͤre, auſſer Hauſes weben zu laſſen? Ich glaube wohl, war ihre Antwort; allein wann wir auch nichts dabey gewinnen: ſo ſind wir doch ſicher, daß unſer gutes Garn vom Leinweber nicht vertauſcht, nicht halb untergeſchlagen, und nicht ver - dorben wird. Ich habe, fuͤgte die Mutter hinzu, allen mei - nen Toͤchtern das Weben gelernt. Es dient zu ihrer Veraͤn - derung; ſie lernen eine gute Arbeit kennen, und wiſſen bisJ 2auf132Die allerliebſte Braut. auf einen Faden, was der Leinweber gebraucht. Vordem war in jedem Hauſe, und unſer Paſtor ſagt, es waͤre bey den Hebraͤern, Griechen und Roͤmern auch ſo geweſen, ein Webe - ſtuhl; und das Weben iſt leichter gelernt als das Clavierſpie - len. Wenn man es recht kann: ſo iſt es auch wuͤrklich ange - nehmer, und unſre Nachbarinnen koͤnnen ſich nicht ſo ſehr an einem Concert ergoͤtzen, als meine Toͤchter an einem neuen Muſter. Was ihre Augen ſehen, koͤnnen ihre Haͤnde machen, und der Nutze davon iſt merklich groͤßer als der verſchwin - dende Schall des ſchoͤnſten Concerts. Meiner Meinung nach iſt es gut, daß die Kinder allerhand Arbeit lernen. Die mei - nigen knuͤtten alle ihre Struͤmpfe ſelbſt; ſie machen ihre Kanten, ihr Linnen, und weben ſich bunte Zeuge, von Baumwolle und allerley Garn. Sie zeigte mir ein Bette, wozu der Um - hang wie die Schnuͤre von ihrer Arbeit waren. Ich bewun - derte die ſchoͤne Zeichnung an verſchiedenen Stuͤcken, und hoͤrte mit Vergnuͤgen, daß alle Maͤdgen auch zeichnen und mahlen koͤnnten. Die Mutter machte hier wieder eine An - merkung, die nicht uneben war. Wenn man, ſagte ſie, in mei - ner Jugend, wie das Frauenzimmer noch keine Buͤcher las, auf ein fuͤrſtliches, graͤfliches oder adeliches Schloß kam: ſo wurden einem in jedem Zimmer Tapeten, Stuͤhle, Bettge - ſtelle und andere huͤbſche Meubles gezeigt; und dabey erzaͤhlt, daß dieſes Stuͤck von der Großmutter, jenes von der Groß - tante, und ein anders von der Ururtante hoͤchſteigenhaͤndig waͤre gemacht worden. Man erſtaunte denn uͤber die ſchoͤne Stickerey, uͤber den großen Fleiß, uͤber die artigen Erfin - dungen, und uͤber den Witz, womit jedes Laͤppgen Zeuges, was hundert andre weggeworfen haͤtten, genutzt und angebracht war, und gieng mit dem heimlichen Wunſche nach Hauſe, daß man doch auch ſo geſchickt ſeyn moͤchte. Die lieben Ehe - maͤnner, welche nichts als die Jagd verſtanden, waren ent -zuͤckt133Die allerliebſte Braut. zuͤckt uͤber die vorzuͤgliche Geſchicklichkeit ihrer Weiber und Toͤchter, und blieſen ſich von dem Lobe auf, welches dieſe er - hielten und verdienten. Dieſe Umſtaͤnde bewogen mich, da ich noch klein war, meine Eltern zu bitten, mich doch auch ſo etwas lernen zu laſſen, und in einigen Jahren brachte ich es ſo weit, daß ich mein Brod auf zehnerley Art haͤtte verdienen wollen. Und ſo habe ich auch meine Maͤdgen erzogen. Solte ihnen Gott ein Ungluͤck zuſchicken: ſo ſind ſie gewiß im Stande ſich mit ihrer Haͤnde Arbeit zu ernaͤhren. Wenn ich ihnen das Werkzeug dazu gaͤbe: ſo ſolten ſie mir Uhren machen. So kunſtmaͤßig iſt ihr Gefuͤhl durch eine beſtaͤndige Uebung in allerley Arbeiten geworden.

Ich bewunderte die alte Frau, die ob ſie gleich den Kopf nicht gerade, und den Leib nicht ſo einwerts hielt, wie es der franzoͤſiſche Tanzmeiſter den guten Dentſchen ohne Unterſcheid befiehlt, meine ganze Hochachtung erhielt; und ich verſprach mir von ihrer Tochter, die waͤhrend dieſer Rede immer fort - webte, daß ſie eine eben ſo gute Mutter fuͤr meine Kinder ſeyn wuͤrde. Die Mutter befahl ihr aufzuſtehen, und mir das letzte Stuͤck Dammaſt zu zeigen, was ſie von ihrem eigenen Garn gewirkt haͤtte. Flugs war ſie bey der Hand, und brachte es ihrer Mutter mit einer Zuverſicht, die meines Bey - falls gewiß war. Erſtere zeigte mir zugleich die Spitze, die ihre Tochter vor der Muͤtze hatte, mit dem beyfuͤgen, daß Muſter und Arbeit von ihr waͤren. Allein, fuͤgte ſie hinzu, dergleichen Arbeit erlaube ich ihnen nur zu ihrer Veraͤnderung in den Feyerſtunden. Durch die Groͤße der Ordnung, durch ihre Fertigkeit, und durch die Aufmerkſamkeit, womit ſie jedes kleine Uebel in der Geburt erſticken, gewinnen ſie ſich Zeit genug. Sie duͤrfen mir kein Wurmloch ins Holz kommen laſſen, oder ich ſchmaͤle, und erlaube ihnen den ganzen Tag keine Feyerſtunde zu ihrer eigenen Arbeit. Eben ſo halte ichJ 3es134Schreiben eines alten Rechtsgelehrtenes, wann ſie einen Schluͤſſel verlegt haben, oder ich ein Stuͤck von ihnen auf der unrechten Stelle finde. Diejenige, welche des Tages das Hausweſen und die Kuͤche zu beſorgen hat, darf mir in den Zwiſchenzeiten nichts thun als Spinnen, weil dieſes eine Arbeit iſt, wobey man ab - und zugehen kann, und keinen Augenblick verlieret. Mit Ordnung und Fleiß kann einer mehr beſchicken als zehn andre; und es iſt unglaub - lich, wie reichlich ſich beydes belohne. Ich erſtaune oft uͤber die kuͤnſtlichen Sachen, welche wir aus der Tuͤrkey erhalten, und gleichwohl ſoll dort alles von Frauensleuten im Hauſe ge - zeugt werden.

Wir koͤnnen das uͤbrige aus der Erzaͤhlung unſers Witt - wers weglaſſen, weil er mit ſeiner Catharine keinen Roman ſpielt, und an ihr eine wuͤrdige Tochter ihrer Mutter findet.

XXII. Schreiben eines alten Rechtsgelehrten uͤber das ſogenannte Allegiren.

Sie kommen von einer Akademie zuruͤck, deren Mitglie - der ſich mehrentheils zu gros duͤnken, um ihre Ent - ſcheidung mit Anfuͤhrung andrer Rechtsgelehrten zu unterſtuͤ - tzen; und vermuthlich werden ſie als Advokat einem ſo groſ - ſen Exempel folgen, mithin lauter Gruͤnde und keine Dokto - res anfuͤhren wollen. Wie kindiſch, wie pedantiſch ſieht es nicht aus, ſagten Sie juͤngſt, einen jeden Rechtgrund mit ei - nem ſolchen juriſtiſchen Zaunpfahl zu unterſtuͤtzen? Haben Faber und Mevius mehr Verſtand gehabt, als andre ehr - liche Leute? Und kann die Wahrheit durch den Beyfall einesſol -135uͤber das ſogenannte Allegiren. ſolchen alten Knaſterbarts etwas gewinnen oder verlieren? Die geſunde Vernunft iſt uns gegeben, um ſelbſt zu pruͤfen, nicht aber um andern nachzuſchreiben; und der ganze Schwarm von Rechtsgelehrten vermag nichts gegen die Wahrheit

Allein wiſſen Sie auch wohl, in welchen Staaten man zuerſt einen Haß auf die alte Methode geworfen? Es waren diejenigen, welche ſich dem Deſpotiſmus naͤherten. Haben Sie auch bemerkt, welches diejenigen ſind, die ſich lieber nach der geſunden Vernunft, als nach der Lehre eines ehrba - ren alten Rechtsgelehrten richten? Es ſind die fuͤrſtlichen Cammerraͤthe. Erinnern Sie ſich eines Krieges, worinn Grotius und Pufendorf wenig allegirt, und lauter Vernunft - ſchluͤſſe gebraucht ſind? Es war der letzte, worinn ein jeder that, was er konnte. Haben Sie endlich auch wohl bemerkt, daß in England, Holland, in den Stiftern und den Reichs - ſtaͤdten die Gewohnheit zu allegiren und die Ehre der Advo - katen ſich am laͤngſten erhalten hat?

Mich duͤnkt, dieſe allgemeinen Betrachtungen ſolten uns ſchon bewegen, der Sache weiter nachzudenken; und wenn wir den großen Haß dazu nehmen, welcher in allen de - ſpotiſchen Staaten den von der Familie des Bartolus und Baldus bewieſen wird, indem man ſie von allen Befoͤrderun - gen ſo viel moͤglich entfernt, und mit Verachtung druͤckt: ſo ſolten wir billig ſchlieſſen, die geſunde Vernunft, nach welcher jetzt alles behandelt und entſchieden werden ſoll, muͤſſe eine gefaͤllige Schmeichlerin der Maͤchtigen, und jene Pedanterie eine ziemliche Stuͤtze der Freyheit ſeyn. Ja, wir ſolten ſchlieſ - ſen, die Verachtung ſolcher Rechtsgelehrten ſey ein Verſuch, um die Vertheydigung der Freyheit mit der Zeit in lauter ſchluͤpfrige oder verachtete Haͤnde zu bringen.

Die Frage: Was iſt Wahrheit? iſt ſehr alt; und nach - dem man einige tauſend Jahr ſich daruͤber gezankt hat, iſt manJ 4end -136Gedanken uͤber die Mittel, den uͤberfluͤßigenendlich in den neuern Zeiten auf den alten Grundſatz zuruͤck - gekommen: der ſicherſte Probierſtein ſey die Mehrheit der Stimmen in der groͤßten Verſammlung Sachverſtaͤndiger Maͤnner. Dieſen Grundſatz hatte die erſte Kirche. Ihn waͤhlte Grotius, indem er aus der Geſchichte das Vetragen der kriegenden Maͤchte in allen vorgekommenen Faͤllen ſamm - lete, und daraus die Folge zog, was man zu thun habe. Ihn haben die groͤßten Maͤnner, die alten fuͤrſtlichen Canzler mit dem Stutzbarte befolgt. Und wir thun fuͤr uns und unſre Kinder wohl, wenn wir ihn nicht verlaſſen, mithin ſo oft wir einen ſtreitigen Satz zu beurtheilen haben, die Stimmen ſol - cher Rechtsgelehrten mitzaͤhlen, die ohne Partheylichkeit die Sache angeſehen und entſchieden haben.

Folgen Sie alſo der neuen Mode, eine Sache durch Raiſonnements auszufuͤhren, nicht. Sie fuͤhrt gewiß zur Sclaverey; und es iſt in vielen Faͤllen weit ſicherer, ſich auf einen Mevius und Faber als auf ſeine eigne Logik, die ſelten ſo demonſtrativiſch als die Cabinetslogik iſt, zu verlaſſen. Ich bin ꝛc.

XXIII. Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigen Schulden der Unterthanen zu wehren.

Die Frage; iſt es gut, daß der Mann, der die gemei - nen Laſten des Staats tragen muß, Eigenthum habe? iſt uͤberaus wichtig. Man hat in Petersburg einen Preis auf ihre Beantwortung geſetzt; und vielleicht wird ihre Ver - neinung jetzt das erſte Grundgeſetz der rußiſchen Nation.

Um137Schulden der Unterthanen zu wehren.

Um ihre Wichtigkeit voͤllig einzuſehen, muß man ſich auf die beyden Spitzen ſtellen. Hat der ſchatzbare Unterthan ein unumſchraͤnktes Eigenthum: ſo kann er ſich einem Herrn zum Leibeignen uͤbergeben, und ſein Gut mit Zinſen, Paͤch - ten und Dienſten erſchoͤpfen, mithin ſowol ſeine Perſon, als ſein Vermoͤgen voͤllig aus der gemeinen Reihe bringen.

Hat er gar keines, ſo wenig an ſeiner Perſon als an ſeinen Gruͤnden: ſo iſt er eben ſo arm und ohne Mittel wie ohne Credit zur Zeit der Noth ſeine Laſt zu tragen.

Der Punkt, wohin der Geſetzgeber winkt, iſt dieſer: Der Reichsunterthan muß ſo viel Eigenthum haben als er gebraucht, um ſich in allen gewoͤhnlichen und wahrſcheinlichen Faͤllen zu retten, aber nicht ſo viel, um ſich ſelbſt aus Reih und Glie - dern bringen, ſeinen Hof zu Grunde richten und ſeinen Theil der gemeinen Laſt andern zuwaͤlzen zu koͤnnen. Der Geſetz - geber behauptet: ſo bald hundert Menſchen zuſammen treten, um ſich mit ihrem rechten Arm zu wehren: ſo gehoͤre dieſer Arm dem gemeinen Weſen, und keiner von ihnen ſey befugt, ſeinen Daumen zu zerbrechen und hinterm Ofen bleiben zu duͤrfen.

Die Kunſt iſt aber, dieſen Mittelweg zu finden und zwiſchen beyden Klippen ohne Anſtoß durchzukommen, und noch iſt kein ſterblicher Menſch hierinn mit mehrer Weisheit und Vorſicht zu Werke gegangen als Moſes. Es verlohnt ſich der Muͤhe, einen Blick auf ſeinen Plan zu werfen.

Bey den mehrſten bekannten alten Nationen hieß es: So mancher Hof oder eigner Heerd, ſo mancher Degen. Moſes aber forderte ſo manchen Degen, als ſtreitbare Haͤnde vorhanden waren. Bey jenen war die gemeine Vertheydi - gung eine Grundſteuer, bey den Iſraeliten ſollte es, um die Kriegesmacht auf den hoͤchſten Gipfel zu bringen, eine Kopf -J 5ſteuer138Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigenſteuer ſeyn. Jene vertheydigten ihr Eigenthum; dieſe blos die Ehre ihres Geſchlechts. Das Recht vom Saamen Abra - hams zu ſeyn, war der Grund ihrer Kriegesrolle, und das Geſchlechtsregiſter, woraus man ſogleich erſehen mochte, wel - che Knaben die ſtreitbaren Jahre erreicht und welche Vaͤter ihre Dienſtjahre uͤberlebt hatten, ihr erſtes Kataſter.

Nach dieſer Einrichtung konnte kein Iſraelire, ſo lange er die Ehre ſeines Geſchlechts oder ſein Buͤrgerrecht behalten wollte, ſich fuͤr Knecht verkaufen, weil er ſich dadurch der Kriegesrolle entzogen haben wuͤrde. Ein Iſraelite hatte alſo kein Eigenthum an ſeiner Perſon.

Allein auf der andern Seite hatte nun auch ein Mann, der auſſer ſeinen geſunden Gliedern nichts eigenes beſaß, gar keinen Credit fuͤr irgend ein Kapital. Um den uͤblen Folgen, welche daher entſtehen konnten, vorzubeugen, erlaubte Moſes jedem Iſraeliten, ſich ohne Nachtheil ſeiner buͤrgerlichen Ehre, auf 6 Jahr verkaufen, oder welches einerley iſt, ſo viel Geld auf ſeine Perſon borgen zu koͤnnen, als er in 6 Jahren wie - der abverdienen konnte. Damit aber hievon kein Misbrauch gemacht, und kein Iſraelit ſich durch Verſchwendung, Traͤg - heit oder Feigheit auf mehrere Jahre dem Kataſter entziehen moͤchte: ſo verordnete er zugleich, daß man demjenigen, wel - cher laͤnger in der Knechtſchaft bleiben wuͤrde, oͤffentlich und feyerlich ein Loch durch die Ohren bohren und ihn ewig fuͤr einen Knecht halten ſollte; ohne Zweifel verlohr ein ſolcher dadurch zugleich ſein Erbrecht und ſein Name ward im Geſchlechtsre - giſter getilgt. Maͤchtige Bewegungsgruͤnde fuͤr eine empfind - liche Nation, um ſie auf der einen Seite von einer muth - willigen Verſchwendung ihres perſoͤnlichen Eigenthums abzu - halten, und auf der andern Seite der Traͤgheit und Nieder - traͤchtigkeit zu ſteuren, womit mancher eine ruhige Dienſtbar - keit den oͤffentlichen Kriegeslaſten vorgezogen haben wuͤrde.

So139Schulden der Unterthanen zu wehren.

So gluͤcklich Moſes auf dieſe Weiſe das Recht was je - der Menſch in ſeinem natuͤrlichen Zuſtand auf ſeine eigne Per - ſon hat, zum Vortheil der gemeinen Freyheit und der Lan - desvertheydigung eingeſchraͤnkt hatte, ohne dem Credit zu nahe zu treten: eben ſo gluͤcklich war er auch in der Einſchraͤnkung desjenigen Eigenthums, was ein Iſraelit an ſeinem ihm zu - getheilten Grunde haben ſollte.

Sein erſter Grundſatz war: Die Erde iſt des HErrn, oder nach unſer Art zu reden: alles Land gehoͤrt der Krone, und die Landesunterthanen haben nur in ſo fern die Abnutzung davon, als es ihnen dieſe geſtattet. Ein Iſraelit erhielt alſo kein vollkommenes Eigenthum an ſeinem Acker, ſondern nur die Erbnutzung davon. Moſes gieng weiter, und verordnete, daß ein jeder auch ſein Theil oder ſeine Erbnutzung nur zum ewigen Lehn oder Fideicommiß beſitzen ſollte. Die Leviten mußten ein Lagerbuch von allen Aeckern machen, welche ei - nem jeden zugetheilet wurden, und das Geſchlechtsregiſter zeigte allezeit den naͤchſten Lehns - oder Fideicommißfolger ſicher an. Keiner mochte alſo ſein Land verkaufen, und keiner hatte auf dieſe Weiſe Credit: beſonders da Moſes, um ſeinem Hauptplan zufolge beſtaͤndig eine große Menge von freyen Koͤpfen und Eigenthuͤmern zu erhalten, (die ſonſt in einer Reihe von hundert Jahren allemal in die Dienſtbarkeit und Abhaͤngigkeit des reichern Theils der Nation gerathen,) alle Zinſen verboten, und ſolchergeſtalt den Reichen die erſte Ver - ſuchung benommen hatte, ſich ihres Geldes zur Unterdruͤckung der Geringern zu bedienen.

Allein um ihnen nun auch wieder auf der andern Seite den noͤthigen Credit zu verſchaffen, erlaubte er ihnen die Nutzung ihrer Laͤndereyen auf ſichere Jahre zu verkaufen, und ſetzte ein Jahr feſt, worinn mit Verwerfung aller Hypothe - ken, Verſchreibungen, Privilegien und andern Ausreden,ein140Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigenein jeder wieder zu ſeinem Erbtheil kommen mußte. In die - ſem Jahre ward jeder Iſraelit zu einem freyen und freudigen Eigenthuͤmer wieder gebohren; dabey wurde durch das oͤffent - liche Protocoll, welches die Leviten von allen Erbtheilen und Geſchlechtern hielten, allen Proceſſen vorgebeuget. Keine Verdunkelung eines Grundſtuͤckes, keine Verjaͤhrung und kein Zwiſt uͤber den rechten Eigenthuͤmer oder Lehnsfolger konnte die Sache verwirren; und da das Jahr mit Poſau - nen verkuͤndiget und in der ganzen Nation gefeyert werden mußte: ſo war es dadurch dergeſtalt bezeichnet und bekannt, daß keiner ſich ſein Recht durch heimliche Concracte vergeben, und vom Richter ein Urthel gegen das Erlaßjahr erwarten konnte.

Auf dieſe Weiſe ſorgte der große Geſetzgeber ſowol fuͤr die Erhaltung des noͤthigen Credits als des Nationaleigen - thums. Nach ſeinem Plan konnte und ſollte in dem Ge - ſchlechte Abrahams kein einziger beſtaͤndiger Leibeigner, kein Erbpaͤchter und kein Erbzinsmeyer, kein Vaſall und kein Lehns - herr und uͤberhaupt nichts entſtehen, was die Unmittelbarkeit des freyen Eigenthuͤmers unter der Krone auf irgend eine ge - faͤhrliche Weiſe unterbrechen, den gemeinen Krieger in einen privat Dienſtmann und die iſraelitiſche Theokratie in eine Ariſtokratie verwandeln konnte. Keiner war im Stande, auch nur zwey Erbtheile auf ewig zu vereinigen, ein Schloß darauf zu bauen, und ſeines Nachbarn Erbtheil in einen Park oder Thiergarten zu verwandeln, oder ein hundert Erbtheile mit Erbpaͤchtern und Erbzinsmeyern zu beſetzen.

Moſes hatte vorhergeſehen, und jetzt ſind wir im Stande es ihm nachzurechnen, daß alle buͤrgerlichen Verfaſ - ſungen zuletzt alle dahin auslaufen, daß die Menge ein Opfer weniger maͤchtigen wird. Dieſem fehlerhaften aber unwider - ſtehlichen Hange ſetzte er ſein großes Erlaßjahr entgegen; under141Schulden der Unterthanen zu wehren. er iſt der einzige unter allen Geſetzgebern geblieben, der eine ſo große Idee in ſeinen Plan gebracht hat. Die Buͤrger zu Rom wichen zu zweenmalen aus der Stadt, und brachten ſich durch Aufruhr ein Erlaßjahr zuwege. Allein kein Ge - ſetzgeber hat dergleichen mit Ueberlegung und Ordnung zu einem eignen Mittel gebraucht, Freyheit und Eigenthum zu verſichern, und gewiſſe feyerliche Perioden zur jedesmali - gen Wiederherſtellung der urſpruͤnglichen Verfaſſung einzu - fuͤhren.

Es wuͤrde einen wunderbaren Auftritt geben, wenn jezt im Gefolge eines großen Erlaßjahrs alles Lehn in Erbe; aller Erbpacht und Erbzinsgut in Eigenthum; und folgends jeder Leibeigner in einen freyen Mann verwandelt werden muͤßte. Wir duͤrfen es auch nicht einmal wuͤnſchen, indem auſſer einer ſolchen Verfaſſung wie die Iſraelitiſche war, die erſchrecklichſte Sclaverey daraus erwachſen wuͤrde, wenn zwiſchen dem Landesherren und ſo vielen geringen Eigenthuͤ - mern gar keine ſelbſtſtaͤndige mittlere Gewalt in einem Staate vorhanden waͤre. Indeſſen verdienet der Plan doch allemal bewundert, und wenn er ſich durch menſchliche Kraͤfte erhal - ten koͤnnte, allen uͤbrigen vorgezogen zu werden, weil er die groͤßte Summe von Freyheit und Eigenthum enthaͤlt.

Ich ſoll nun jezt auf die Mittel zuruͤck kommen, wo - durch den uͤbermaͤßigen Schulden ſchaͤtzbarer Unterthanen vor - gebeugt werden koͤnnte. Das hauptſaͤchlichſte was ich dieſer - halb vorzuſchlagen habe, iſt auch ein Erlaßjahr; und zwar alſo:

Daß ein Leibeigner oder freyer Erbpaͤchter ſo bald ſeine Glaͤubiger einen Concurs uͤber ihn erregen oder er ſolchen zu veranlaſſen gezwungen iſt, binnen 8 Jahren von allen ſei - nen unbewilligten Schulden gaͤnzlich befreyet ſeyn ſoll.

Acht142Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigen

Acht Jahre ſollen ſeine Glaͤubiger den Ueberſchuß ſeiner Guͤter unter ſich theilen, und ſich daraus bezahlt machen moͤgen. Allein nach Verlauf derſelben ſoll er wiederum frey ſeyn, und unter keinem Scheine Rechtens wegen einer vergangenen Schuld belanget werden moͤgen. So bald ein Concurs ent - ſteht, ſollen ſaͤmmtliche unbewilligte Glaͤubiger zu einem ſolchen Nachlaß angewieſen werden moͤgen, daß die Staͤtte binnen acht Jahren voͤllig befreyet ſeyn kann; und keiner von ihnen ſoll ſein Geld empfangen koͤnnen, ohne zugleich auf das buͤndigſte zu bekennen, daß er eine aufrichtige und vollkom - mene Verlaſſung thue, und mit dem Schuldener ſolcher zu - wider keine heimliche Abrede genommen habe. Der Schuld - ner aber ſoll ohne alle Gnade ſeines Erbpachtrechts verluſtig ſeyn, wenn er nach geendigtem Stilleſtande Schulden zu Ab - findung einiger alten macht.

Dieſer Plan ſcheinet mir uͤberaus billig zu ſeyn. Denn

  • 1) Hat der Erbpaͤchter dadurch einen ziemlichen Credit; und man kann ihm faſt nicht mehr geben, ohne ihm zum voͤlligen Eigenthuͤmer zu machen.
  • 2) Muͤſſen die Glaͤubiger wiſſen wem ſie trauen; und da ſie dem Paͤchter eigentlich auf ſein Gut, ohne Bewilli - gung des Herrn gar nichts leihen ſolten, koͤnnen ſie zu - frieden ſeyn, daß ihnen aus dem Gute noch einiger und billiger maaßen geholfen wird.
  • 3) Vereiniget ſich ihr Vortheil mit dem Vortheil des Schuldners; und ſie werden zuſammen dahin ſehen, daß die 8 jaͤhrige Verwaltung der Staͤtte mit moͤglichſter Erſparung der Koſten geſchehe.
  • 4) Muß es einem ungluͤcklichen Schuldner zu neuem Fleiße aufmuntern, wenn er endlich noch ein Ende ſeiner Nothſieht;143Schulden der Unterthanen zu wehren. ſieht; anſtatt daß unſere jetzigen Verheurungen insge - mein eine unendliche Ausſicht haben, und den Glaͤubi - gern faſt ſo wenig als dem Schuldner helfen.
  • 5) Fordert der Staat mit Recht, daß jedes Erbe gehoͤrig beſetzet ſeyn ſolle. Eine ausgeheuretes Erbe iſt aber in der That nicht gehoͤrig beſetzt; und der gemeine Reihe iſt es nicht wohl zuzumuthen, jede vorkommende Laſt fuͤr das verſchuldete Erbe auszurichten, und ſich dafuͤr einen willkuͤhrlichen Lohn auf laͤngere Zeiten zuwerfen zu laſſen.
  • 6) Verliert der Gutsherr ohnedem genug dadurch, daß er 8 Jahrlang ſein Erbe in fremden Haͤnden, und ſich waͤhrend ſolcher Zeit aller auſſerordentlichen Gefaͤlle be - raubet ſehen, auch ſeine Dienſte und Paͤchte entweder in Gelde, oder von einer aͤrgern Hand als die Hand ei - nes guten Wirths iſt, annehmen muß. Endlich und
  • 7) Iſt in allen Weſtphaͤliſchen Hofrechten, worinn durch - gehends die ſchaͤtzbaren Hoͤfe durch ganz Weſtphalen fuͤr freye Reichsgruͤnde, oder fuͤr Kroneigenthum erkannt ſind, aufs nachdruͤcklichſte verſehen, daß kein Beſitzer, er ſey nun freyen oder leibeigenen Standes, ſein unter - habendes Gut mit mehrern Schulden beſchweren ſolle, als hoͤchſtens durch die Abnutzung von drey oder vier Jahren getilget werden koͤnne. Was dort zur Zeit ehe die Territorialhoheit jeden Staat vom Reiche gleichſam abgeſchnitten hat, Reichseigenthum genannt wird, iſt jezt Staatseigenthum. Und ſo wie letzters den Guts - herren noch bis auf die heutige Stunde es verwehret, einen ſchaͤtzbaren Hof mit neuen Dienſten und Pflichten zu beſchweren; eben ſo verwehret es auch jedem freyen und leibeignen Beſitzer ſolcher Gruͤnde ſich ſelbſt auſſer Stand zu ſetzen, ſeinen Hof in allen gewoͤhnlichen undwahr -144Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigenwahrſcheinlichen Faͤllen vertheidigen und Nachbarn gleich thun zu koͤnnen.

Ein ſolches Erlaßjahr wuͤrde aber dem Schuldner nicht genug fruchten, wenn er nach deſſen Verlauf mit leerer Hand wieder aufs Erbe ziehen ſollte. Er wuͤrde ſich ſo fort um das noͤthige Vieh - und Feldgeraͤthe anzuſchaffen in neuen Schulden ſtuͤrzen muͤſſen, und bey dem annoch friſchen An - denken ſeines vorigen Verfalls ſchwerlich den noͤthigen Cre - dit dazu finden, mithin zu falſchen Umſchlaͤgen ſchreiten muͤſ - ſen. Es ſoll alſo die Verheurung noch vier Jahre dauren, und das darinn aufkounnende Geld zur Haus - und Feldruͤſtung wieder verwendet werden.

Ich folge hierinn abermals dem moſaiſchen Plan. Die - ſer große Geſetzgeber, beſorgte die mehrſten Iſraeliten, welche nach Verlauf von 6 Jahren ihr Buͤrgerrecht wieder erhielten.

Wuͤrden aus Noth, und weil ihnen alle Mittel zur neuen Anlage fehlten, die fortdaurende Knechtſchaft der Frey - heit vorziehen, und folglich die Kriegesrolle ganz verlaſſen, dieſerwegen verordnete er, daß alle Iſraeliten, worunter aber nach dem Coſtume und dem Charakter aller alten Geſetze, (welche von dem heutigen Unterthan, eine Benennung, wo - durch alles was zur Menſchheit gehoͤrt, in eine Claſſe gewor - fen wird, nichts wiſſen,) blos die wuͤrklichen Rechtsgenoſſen oder diejenigen, ſo das iſraelitiſche Buͤrgerrecht wuͤrklich hat - ten, zu verſtehen ſind, im ſiebenden Jahre ihre Laͤnderey, ihre Wieſen, ihre Weinberge, und ihr Vieh, dem Herrn eine große Feyer halten laſſen ſollten. Sie durften alſo weder zu ſaͤen noch zu erndten, und brauchten auch beydes nicht, weil die Erndte vom ſechſten Jahr, da ſie fuͤr den gewoͤhnlichen Haushalt gemacht war, ein Jahr weiter reichte, wenn dieſer Haushalt ſich durch die Freylaſſung aller Knechte um die Haͤlfte verminderte, und dieſe ſich ſelbſt fertig machen, auch was ſiean145Schulden der Unterthanen zu wehren. an Vorſchuß empfangen, von ihrer Erndte wieder erſtatten mußten. Da das ſiebende Jahr den jezt befreyeten Knech - ten den Armen und Fremdlingen zu ſtatten kommen ſollte: ſo ſaͤeten und erndteten dieſe in denſelben umſonſt. Der Ei - genthuͤmer durfte ſich nicht unterſtehen einen Apfel von ſeinem Baume, oder eine Traube von ſeinem Weinſtocke, zu nehmen, auch ſelbſt nicht einmal um allen Chicanen vorzubeugen, als - dann wann kein Knecht es nehmen wollte. Denn in dieſem Falle ſollte es den wilden Thieren Preis gegeben ſeyn. Al - les Ackergeraͤthe, Wagen, Pflug und Zugvieh ſtand ſeinen Eigenthuͤmern im ſiebenden Jahre lahm, und folglich den Knechten gern zu Dienſt. Der Duͤnger wuͤrde jenen nur zur Laſt gefallen ſeyn: ſie mußten ihn alſo nur verſchenken. Scheuren und Tennen waren natuͤrlicher Weiſe leer und of - fen. Und auf dieſe Weiſe gab das ſiebende Jahr, welches vermuthlich auch zugleich nur das letztere in der gewoͤhnlichen Beſtellzeit war, den neuen Buͤrgern nicht allein die Bequem - lichkeit, ſondern auch die Mittel ſich ungefehr ſo viel zu er - werben, als ſie gebrauchten, um ſich als freye Leute und An - faͤnger ſelbſt fertig zu machen, und um nicht noͤthig zu haben noch ferner mit ihrer ſtreitbaren Hand knechtiſche Dienſte zu verrichten.

So bald es einer hiernaͤchſt ſo weit gebracht haͤtte, daß ſeine Glaͤubiger ſich zu einen ſolchen Erlaßjahr nicht vereini - gen koͤnnten und wollten, muͤßte der bloße Mangel dieſer Ver - einigung als ein hinlaͤnglicher Grund zur Abmeyerung oder Ab - aͤuſſerung angeſehen werden.

Ueberhaupt ſollte jedes Unvermögen dem Hofe vor - zuſtehen die Entſetzung oder Abaͤuſſerung nach ſich fuͤhren. Der Hof iſt eine Pfruͤnde oder Vicarey des Staats, wovon dem Gutsherrn die Beſetzung nebſt gewiſſen hergebrachten Dien - ſten und Paͤchten zuſteht. Der Gutsherr vergiebt die PfruͤndeMöſers patr. Phantaſ. I. Th. Kunbe -146Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigenunbeſchwert, unvermindert und ohne alle Nebenbedingungen. Und der darauf gefeſtete Mann, oder der Wehrfeſter, muß ſie unbeſchwert und unveraͤndert erhalten; dem Gutsherrn wie dem Staate das ſeinige davon geben; und wenn er ſolches nicht mehr thun kann, wenn es durch Ungluͤck iſt, auf die Leibzucht, und wenn es durch ſein Verſchulden geſchieht, ganz herunter geſetzt werden. Die deutſchen Rechte ſind in dieſem Stuͤcke klar und allgemein geweſen. Die fuͤrſtlichen Vor - mundſchaften ſind mit der voͤlligen Abnutzung verknuͤpft, ſo lange der Erbfolger zu ſchwach iſt ſein Reichslehn zu verthey - digen. Ein gleiches hat bey allen Guͤtern, welche jemals im Reichs - Lehns - und Landeskataſter geſtanden, Statt ge - habt; und der Grund unſer Mahljahre oder einer auf ſichere Jahre beſtimmten Verwaltung mit der voͤlligen Abnutzung des Hofes liegt darinn. Wer an Jahren, Verſtande, Ver - nunft, Vermoͤgen, guten Willen und Kraͤften zu ſchwach iſt, ſein Land, ſein Lehn oder ſein ſchatzbares Erbe zu vertheydi - gen, der iſt ohne Ruͤckſicht auf Schuld oder Unſchuld ſeiner Pfruͤnde auf ewig oder ſo lange ſein Unvermoͤgen dauret, zu entſetzen.

Wir haben dieſe klaren Begriffe ſelbſt dadurch verwir - ret, daß wir theils den Contract zwiſchen dem Gutsherrn und ſeinen pachtpflichtigen Mann, als eine gemeine aber mit der Zeit erblich gewordene Verpachtung betrachtet und ſolche nach den roͤmiſchen Rechten beurtheilt; ſodann aber zu den Ab - meyerungsurſachen ein Verbrechen, oder doch ſo etwas aͤhnli - ches, erfordert haben, wozu uns dasjenige, was in der Eigen - thumsordnung vom Ehebruch und Hurerey geſagt iſt, ver - fuͤhret haben kann. Allein das erſtere iſt irrig, wie mit un - widerleglichen Gruͤnden gezeigt werden kann, und das letztere ein offenbares Mißverſtaͤndniß. Es iſt nicht der Ehebruch, nicht die Hurerey, ſondern die daraus erwachſende ſchwereLaſt,147Schulden der Unterthanen zu wehren. Laſt, als Gefaͤngniß, Landesverweiſung, ſchwere Geld - oder Leibesſtrafe, wodurch der Pachtpflichtige unvermoͤgend wer - den kann, ſeinen Hof zu vertheydigen, ſo die Abmeyerung nach der Eigenthumsordnung nach ſich ziehen ſoll.

Es kann alſo meines Ermeſſens mit allem Rechte ge - ſchehen, daß ein Pachtpflichtiger, ſo bald ſich die Glaͤubiger mit einer 8 jaͤhrigen Abnutzung nicht befriedigen wollen, als ein Knecht ſeinen Glaͤubiger oder als unvermoͤgend dem Erbe fuͤrzuſtehen, abgemeyert werde; und ſollte der Fall, da ihm ſein Hofgewehr gepfaͤndet wuͤrde, ſofort als ein ſelbſt reden - des Zeugniß ſeiner Unfaͤhigkeit laͤnger auf dem Hofe zu blei - ben angeſehen werden. Wird doch der beſte Soldat aus Reih und Glieder geſetzt, wenn er durch die ruͤhmlichſten Wunden auſſer Stand geraͤth, ſein Gewehr gegen den Feind zu fuͤhren.

Wenn wir aber dieſe nuͤtzliche und in den deutſchen Rechten gegruͤndete Strenge auf der einen Seite einfuͤhren wollen: ſo muͤſſen wir auch auf der andern einen nothwendi - gen Schritt thun. Moſes hob mit dem ſiebenden Jahr alle perſonal Action auf; und dies muͤſſen wir nach obigen Vor - ſchlag mit dem zwoͤlften auch thun.

Die Meynung, daß die Glaͤubiger gegen den abge - meyerten Schuldner eine ewige perſonal Action behalten, iſt bisher angenommen, und ſelbſt durch die Landesgeſetze, wel - che hierinn zu ſehr nach dem roͤmiſchen Fuß abgemeſſen ſind, beguͤnſtiget worden. Sie iſt aber urſpruͤnglich bürgerlichen nicht aber ländlichen Rechtens, und verdienet offenbar in An - ſehung der letztern eingeſchraͤnkt zu werden.

Wenn der Schuldner ſtirbt, und ſich keiner zu ſeinem Erben angiebt: ſo muͤſſen die Glaͤubiger zufrieden ſeyn, wenn ſie auch nichts erhalten. Warum ſollte man alſo nicht durchK 2ein148Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigenein Geſetz verordnen koͤnnen, daß der Schuldner alles was er im 12 Jahr erwerben koͤnnte, ſeinen Glaͤubigern hingeben, und ihnen allenfalls fuͤr Knecht dienen, hiernaͤchſt aber ſeine voͤllige perſoͤnliche Freyheit von allen Anſpruͤchen wieder er - langen ſolte. Vernunft, Billigkeit, Menſchlichkeit, Reli - gion und Landeswohlfahrt ſcheinen ein ſolches Geſetz zu for - dern, damit ein Mitglied der Geſellſchaft nicht auf ſeine ganze Lebenszeit ein Sclave ſeiner Glaͤubiger bleibe. Und wenn ein ſolches Geſetz fuͤr Landbeſitzer gemacht wuͤrde: ſo koͤnnte der Gutsherr ſeinen Hof, wann die Glaͤubiger ſich nicht be - quemen wollen, auf 12 Mahljahre austhun, und hernach das Gebluͤt wieder aufs Erbe und zu Gnaden annehmen, ohne die Perſonalverfolgung der Glaͤubiger zu fuͤrchten. Ein Land - beſitzender Schuldner iſt von dem Handelnden ſehr unterſchie - den. Dieſer braucht viel Credit, und kann, nachdem er eine große Idee von ſeinen unſichtbaren Vermoͤgen erweckt hat, einen großen Banquerott machen. Um dieſen zu zwingen, laͤßt man die perſonal Action gegen ihn ewig dauren, wenn er ſich nicht vergleichen kann. Allein die Gruͤnde und Um - ſtaͤnde eines Pachtpflichtigen Ackermannes ſind ſo verdeckt, kri - tiſch und bedenklich nicht, und die Ewigkeit der perſonal Action iſt gegen ihn eine unbillige und nicht genug uͤberlegte Sache. Dem freyen Schuldner wird, wenn er ſich und das Seinige den Glaͤubigern uͤbergiebt, auf ſichere Weiſe geholfen, dem abgemeyerten aber keine Leibzucht zur Competenz gelaſſen. Die Befreyung von allen perſonellen Anſpruͤchen nach einer gewiſſen Zeit waͤre alſo gleichſam ſeine Competenz. Und was gewinnet der Glaͤubiger durch die Fortdauer ſeiner Forderung an der Perſon des Glaͤubigers? Nichts als ein unnuͤtzes Recht; der Schuldner verliert den Muth, und der Staat eine arbeit - ſame Hand.

Ein149Schulden der Unterthanen zu wehren.

Ein jeder wird zu dieſem Vorſchlage noch vieles hinzu denken koͤnnen, welches ich mit Fleiß nicht anfuͤhre, um nicht zu lange bey einer Sache zu verweilen. Indeſſen will ich doch noch beym Schluß eines Nebenvortheils gedenken, wel - chen der moſaiſche Plan gewaͤhrte. Da alle Laͤndereyen in Iſrael im ſiebenden Jahre auf einen Tag Winn - und Pacht - los, und als voͤllig gemein angeſehen wurden: ſo hatten die Eigenthuͤmer den Vortheil davon, daß ſie mit dem 8ten Jahre alle ihre Laͤndereyen aus freyer Hand beſſer verheuren konn - ten, als wenn die letzten Paͤchter noch waͤren darauf geweſen, und ſie unter dem Vorwand der Beſſerungen oder durch Bit - ten und Betteln bewogen haͤtten, ihnen die Laͤndereyen von neuen zu dem vorigen Preiſe zu laſſen; wie wir denn in Weſt - phalen taͤglich ſehen und erfahren, daß ein Paͤchter oder ein Heuermann den andern nicht uͤberbieten will. Und wie vie - len unendlichen Proceſſen wurde nicht dadurch vorgebogen, daß alle Winnen und Pachtungen mit dem ſechſten Jahre ab - geſchnitten, veraͤndert und erneuert und ein reines petitorium oder poſſeſſorium fuͤr Paͤchter und Verpaͤchter geſetzt, beſon - ders aber das verzweifelte Jus retentionis aufgehoben wurde?

XXIV. Antwort auf verſchiedene Vorſchlaͤge wegen einer Kleiderordnung.

Seitdem man unlaͤngſt den Gedanken geaͤuſſert, daß eine Kleiderordnung ſo gar leicht nicht zu machen ſey, wie ſich manche wohl einbildeten, ſind uͤber zwanzig Vorſchlaͤge dazu eingelaufen, deren Verfaſſer nicht allein zu erwarten,K 3ſon -150Antwort auf verſchiedene Vorſchlaͤgeſondern auch zu fordern ſcheinen, daß man ihre Gedanken oͤf - fentlich mittheile, und ihnen den darauf geſetzten Preis zuer - kenne.

Um allen dieſen Forderungen auf einmal abzuhelfen, will man nur mit wenigen erklaͤren, wie keiner unter andern die Sache auf der rechten Seite getroffen und den verſproche - nen Preis verdienet habe. Einige Proben werden hoffentlich hinreichen, ſie davon ſelbſt zu uͤberzeugen.

Alle ſprechen von Bauern, als der unterſten Klaſſe der Menſchen; vermiſchen unter dieſem Namen alles was einen ſchatzbaren Acker bauet; unterſcheiden weder Freye noch Leib - eigne, und wenn ſie ja recht genau gehen wollen: ſo ſetzen ſie Vollerbe, Halberbe und Koͤtter von einander, ohne zu unter - ſuchen, ob einer ſein eigen Erbgut oder einen fremden Acker baue; oder unter welchen Bedingungen er einen Hof bewohne. Und dann iſt es bey ihnen keinem Zweifel unterworfen, daß nicht der Buͤrger den Rang fuͤr den beſten .......... (leider hat unſre verraͤtheriſche Sprache kein Wort mehr den ruricolam vom Colono zu unterſcheiden,) den Vorzug habe. Allein ſeit wann, moͤchte man wohl fragen, iſt es dann ein Schimpf, ſeinen vaͤterlichen Acker zu bauen? Seit wann hat die Vernunft dem Hochmuthe das Recht beſtaͤtiget, das Wort Bauer ſo unſchicklich gebrauchen zu duͤrfen? Was kann einen Landesherrn bewegen, denjenigen Mann fuͤr den ſchlechteſten zu halten, der monatlich ſeinen Schatz richtig bezahlt, und die erſte Stuͤtze des Staats iſt? In Spanien iſt das Pfluͤ - gen ſo ſchimpflich als in Deutſchland das Abdecken. Sollten wir es etwann auch dahin bringen? Die Hummeln ehren und die Bienen beſchimpfen? Warum ſoll der ſchatzbare Landei - genthuͤmer, der ſein angeſtammtes Gut mit eignen Hengſten bauet, und der ſeinen Pudding ſo oft eſſen kann als er will, bey Thurm - und Leibesſtrafe ein braunes Kleid tragen? weiler151wegen einer Kleiderordnung. er ihn aus Beſcheidenheit bishero gern getragen hat, und ihn aus freyer Wahl allezeit als ein Ehrenzeichen tragen wird?

Alle ſind ferner geneigt, den fuͤrſtlichen Dienern uͤberall große Vorzuͤge einzuraͤumen. Sollte aber der Mann, der ſeinen Ellbogen auf ſeinen eigenen Tiſch ſtuͤtzt und von ſeinem Fleiße oder von ſeinem Vermoͤgen wohl lebt und andern gu - tes thut, nicht eben ſo gut ſeyn, als der ſich im Dienſte kruͤm - met? Soll man den Hunger nach Bedienungen, der jetzt Ueberhand nimmt, und ſo manchen tapfern Kerl dem Fleiße und der Handlung entzieht, noch durch Vorzuͤge und Ehre reitzen? Iſt denn das deutſche Herz ſo tief herabgeſunken, daß es ſchlechterdings den Dienſt uͤber die Freyheit ſetzt? Und ſe - hen dieſe Leute nicht, daß, da ſie ſolchergeſtalt allen Vorzug dem Dienſte geben, kein Mann von Ehre und Empfindung der ungeehrten Freyheit getreu bleiben werde?

Alle ſprechen von fuͤrnehmen und geringen Buͤrgern. Wer iſt aber der fuͤrnehme und geringe? Der Mann, der aus ſeinem Comtoir der halben Welt Geſetze und Koͤnigen Credit giebt; oder der Pflaſtertreter, der in einem langen Mantel zu Rathe geht? Der Handwerker, der tauſend dem Staate gewinnt, oder der Kraͤmer, der ſie herausſchickt? Der Mann, der von ſeinen Zinſen oder der ſo von Beſoldung lebt, und dem gemeinen Weſen in der Futterung gegeben iſt? Der Taugenichts, der ſeines Wohledlen Grosvaters Rang noch mit geerbten Stock und Degen behauptet, oder der Mei - ſter, der die beſte Arbeit macht?

Keiner denkt an die Gefahr die dem Lande bevorſteht, das dem Fleiße die Ehre raubt von ſeinen wohlerworbenen Reichthuͤmern zu glaͤnzen. Wird denn auch wohl nur ein Hollandsgaͤnger, wenn er etwas erworben hat, in ſein un - dankbares Vaterland zuruͤckkehren, wenn es ihm nicht erlaubt ſeine ſilberne Knoͤpfe zu zeigen? Werden wir nicht die LeuteK 4ſo152Antwort auf verſchiedene Vorſchlaͤgeſo Mittel haben, ohne ſich ein bisgen hervorthun zu duͤrfen, durch eine gar zu genaue Einſchraͤnkung zwingen, ſich in ſolche Laͤnder zu begeben, wo ſie unter dem Schutze eines leeren Tittels ihre Thorheit und ihren Reichthum nach Gefallen zeigen koͤnnen? Werden wir diejenigen, ſo wir mit Gewalt in eine niedrige Klaſſe ſetzen, auch abhalten koͤnnen, ſich ei - nen Adelbrief oder einen Tittel und mit dieſem das Recht geben zu laſſen, ſich in derjenigen Farbe zu zeigen, die ihnen am beſten gefaͤllt? Oder werden etwa die Geſetze blos fuͤr kluge Leute gegeben?

Es iſt kein einziger unter ihnen, der nicht den Adel in eine Klaſſe werfe, und ihn alt oder neu, bewieſen oder unbe - wieſen, reich oder arm, im Dienſt oder auſſer Dienſt unter einer Rubrik ſetze. Glauben die Verfaſſer demſelben durch dieſe Vermiſchung zu ſchmeicheln? Oder meinen ſie, daß es etwas ſehr vernuͤnftiges ſey, ein Oberheroldsamt aufzurichten, fuͤr dem - ſelben alle Stammtafeln zu pruͤfen, und um zwey fehlender Ahnen willen den bemittelten Mann, der ſich auf dieſe Art beſchimpft halten wuͤrde, ans dem Lande zu weiſen? Glauben ſie, daß die gemeine Ehre und der gemeine Vorzug ſich eben ſo gut als der Hofrang und die Hofkleidung ausmachen laſſe? Ein Fuͤrſt darf nur ſein Hausrecht gebrauchen um zu befehlen, daß dieſer in dieſer und jener in jener Kleidung an Hof kom - men ſolle. Wer keine Luſt dazu hat, der ſetzt ſich in ſeinem Lehnſtuhl und pfeift. Allein um die Kleider im ganzen Staat zu reguliren, ohne hier wider die Billigkeit, dort gegen die Klugheit, und dann gegen ſein eignes und des Landes Intreſſe anzuſtoſſen, dazu gehoͤret ſehr viel. Ich erwehne nichts von der Tyranney, welche darinn ſteckt, wenn Fuͤrnehmere ſich alles erlauben, und den Geringern alles unterſagen wollen; nichts davon woher ſie die Befugiß nehmen wollen, zehn freyen Eigenthuͤmern das, und zehn andern das zu verbieten,und153wegen einer Kleiderordnung. und die Buͤrger eines Staats in willkuͤhrliche Klaſſen abzu - theilen; und endlich nichts davon, wie gefaͤhrlich ein ſolcher Eingang fuͤr die allgemeine Freyheit ſeyn wuͤrde, wenn ein Landesherr die gemeine Ehre wie die Hofehre beſtimmen, und allen, die ſich wegerten, taͤglich Brod und Lehnungen von ihm anzunehmen, in die niedrigſten Klaſſen zu verweiſen. Was heute dem geringen Eigenthuͤmer wiederfaͤhrt, das wird dem großen auf die Zukunft, unmerklich zubereitet; und ſchon in Frankreich gilt keiner mehr oder er muß gedienet haben; die Heerſtraße zum Deſpotiſmus. In Holland und England weis man von keinen Kleiderordnungen; und um dergleichen Dinge vernuͤnftig zu beſtimmen, werden große Exempel, edle Selbſt - verleugnungen und tapfere Lehrer und Prediger erfordert; der Zwang ſchimpft, und macht aus muthigen, fleißigen und lebhaften Buͤrgern, eine traͤge, verzagte und kriechende Heerde.

XXV. Der ſelige Vogt.

Es iſt laͤngſt angemerkt worden, daß es nicht undienlich ſeyn wuͤrde, jedem Landesbedienten nach ſeinen Tode ein Denkmal aufzurichten. Ein Denkmal, wodurch die Treue oder Untreue ſeiner Amtsverrichtung oͤffentlich bekannt ge - macht; der Redliche von dem Unredlichen unterſchieden; und jeder der ihm im Dienſte folgte, ermuntert oder gewarnet werden moͤchte. Vermuthlich hat die Beſorgniß, daß dieſes Denkmal bald nur ein Werk der Schmeicheley werden moͤchte, eine ſolche oͤffentliche Anſtalt verhindert. Indeſſen koͤnnte es unter gehoͤriger Aufſicht ſeinen großen Nutzen haben. Wenig -K 5ſtens154Der ſelige Vogt. ſtens ſehen wir nicht ab, was uns verhindern ſolte, das Lob eines Vogtes in hieſigen Landen mitzutheilen, welcher zwar fuͤr vielen Jahren bereits verſtorben, aber doch auch bey den aͤlteſten Maͤnnern in ſeiner Vogtey in ſo guten und lebhaften Andenken ſteht, daß man ihn aus ihrer Erzaͤhlung mit allen Zuͤgen aufs genaueſte beſchreiben kann. Der Ort, wo er ge - ſtanden, thut nichts zur Sache. Diejenigen, ſo ihn gekannt haben, werden ſeinen Namen leicht errathen; und die ihn nicht gekannt haben, doch allezeit wuͤnſchen, daß er der ihrige geweſen ſeyn moͤchte.

Wir brauchen nicht anzufuͤhren, daß er ein chriſtlicher, redlicher und gewiſſenhafter Mann geweſen. Dergleichen allgemeine Tugenden gehoͤren nicht hieher. Seine Amtstreue und die Art und Weiſe, wie er ſich in den ihm obliegenden fuͤrnehmſten Pflichten verhalten, iſt dasjenige, was wir aus der Abſchilderung, die man uns von ihm gemacht, mit wenigen bemerken wollen.

Wenn eine neue Landesordnung erlaſſen, und von ei - nigen uͤbertreten wurde, ſetzte er ſolche nicht ſo gleich zur Strafe. Er ließ erſt die Uebertreter zu ſich kommen, erklaͤrete ihnen den Inhalt und die Abſicht der Verordnung, ermahnte ſie ſolche in Zukunft zu beachten, und uͤberſahe fuͤr dasmal ihren Ungehorſam, in dem richtigen Vertrauen, es ſey dem Landesherrn mehr an einem gebeſſerten Unterthan als an ei - nigen Thalern Strafgeldern gelegen. Hoͤrte er von ihnen Gruͤnde, welche die Verordnung beſchwerlich machten, oder eine Einlenkung und Abaͤnderung zu erfordern ſcheinen: ſo unterſuchte er die Sache gruͤndlich, berichtete daruͤber an die hoͤhere Obrigkeit vollſtaͤndig, und zeigte die Mittel an, wo - durch die loͤbliche Abſicht der Landesobrigkeit mit der mindeſten Beſchwerde der Unterthanen fuͤglicher erreichet werden koͤnnte.

Hat -155Der ſelige Vogt.

Hatte einer eine Schuldforderung an den andern: ſo wandte der Glaͤubiger, ehe er ans Gericht gieng, ſich aus bloſ - ſen Vertrauen allemal erſt zu ihm, er ließ dann hierauf den Schuldner rufen, fragte ihn, ob er der Schuld geſtaͤndig und warum er nicht bezahlte, und vermittelte denn insgemein die Sache zwiſchen beyden ſo, daß beyde nach Moͤglichkeit und Gelegenheit zufrieden ſeyn konnten.

Erhob ſich ein Streit zwiſchen ſeinen Leuten uͤber Ge - rechtigkeiten: ſo gieng er mit den aͤlteſten und vernuͤnftigſten Maͤnnern aus ſeiner Vogtey nach dem Orte wo der Streit war; hoͤrte beyde Theile mit Gelaſſenheit, und berieth ſich dann mit jenen erfahrnen Maͤnnern uͤber die Art und Weiſe, wie der Stein des Anſtoſſens am beſten gehoben werden koͤnnte. Fand er dann, daß der eine oder der andre Theil ſich nicht nach ihren billigen Vorſchlaͤgen bequemen wollte: ſo ſetzte er den Streitpunkt deutlich auseinander, und die gut - achtliche Meinung der zugezogenen Maͤnner darunter, und gab ſolche dem unſchuldigen Theile zu ſeiner Vertheidigung ans Gerichte mit, da denn nicht ſelten der Richter ſeine Ent - ſcheidung darnach einrichtete.

Die Auflagen welche ſeine Untergebene zu zahlen hatten, forderte er nie zur unbequemen Zeit. Er borgte ihnen aber auch nicht drey Tage uͤber die Stunde, worinn ſie ihrer Ge - legenheit nach bezahlen konnten und mußten. Hier hielte er die große Strenge nothwendig, weil er wohl wußte, daß aller Aufſchub in ſolchen Faͤllen nur denen zum Schaden ge - reicht, die ihn nehmen. Er kannte eines jeden Vermoͤgen und Gelegenheit, und richtete allemal ſeine Maaßregeln ſo ein, daß der Faule angeſtrengt und der Fleißige nicht unterdruͤcket wurde.

War ein Erbe in Schulden ſo tief verſunken, daß es ſich ohne Stilleſtand nicht retten konnte: ſo machte er mit Zu -zie -156Der ſelige Vogt. ziehung einiger vernuͤnftigen Nachbaren, und nach Gelegen - heit der fuͤrnehmſten Glaͤubiger, einen ſtandhaften Anſchlag vom Gute und deſſen Schulden; zeigte ihnen die Unmoͤglich - keit ihrer Befriedigung; und ihren Nachtheil, wenn ſie den Schuldner ins Gericht ziehen wuͤrden; bediente ſich ſo denn der Glaͤubiger ihrer eignen redlichen Ueberzeugung dem Schuld - ner hinlaͤnglichen Nachlaß und billige Zahlungsfriſten in Guͤte zu erwerben; und hielt den Schuldner, der durch ein ſolches Verfahren zu neuen Fleiß ermuntert ward, zur genaueſten Erfuͤllung des verglichenen an; und die Glaͤubiger waren von ſeiner Redlichkeit dergeſtalt verſichert, daß ſie auf ſein Ver - ſprechen mehr als auf alles uͤbrige baueten.

Wo er von einem neuen Mittel zur Verbeſſerung des Ackerbaues und der Landnahrung hoͤrte oder laß, da war er der erſte der Verſuche anſtellte. Jeder Hauswirth kam zu ihm, ſahe was eine gluͤckliche Erfahrung beſtaͤtigte, und lernte von ihm was Nachahmungswuͤrdig war. Der Ackerbau in ſeiner Vogtey unterſchied ſich von allen Benachbarten durch die Schoͤnheit der Fruͤchte, der Reinlichkeit des Ackers, und der Ordnung der Felder.

Mit dem Pfarrer ſeines Kirchſpiels lebte er in dem voll - kommenſten und angenehmſten Vertrauen. So oft er in Er - fahrung brachte, daß jemand in heimlichen Laſtern und Aus - ſchweifungen lebte, meldete er es dem Pfarrer in Vertrauen, und erſuchte ihn dem angezeigten nachdruͤcklich zuzureden, und ihn von ſeinem boͤſen Wandel zuruͤckzuziehen. Insgemein glau - hen dergleichen heimliche Diebe und Verbrecher ihre Bosheit ſey der ganzen Welt unbekannt. Wie ſehr erſchracken ſie aber, und wie oft beſſerten ſie ſich nicht, wenn der Pfarrer ihnen auf einer Seite ihrer Unthaten halber ruͤhrende Vorſtellun - gen that, der Vogt ihnen aber auf der andern mit einer vaͤ - terlichen Stimme in die Ohren donnerte, und beyde ihnenſolcher -157Der ſelige Vogt. ſolchergeſtalt auf das empfindlichſte zu erkennen gaben, daß das Geruͤchte ihrer Bosheit bereits zu ihren Ohren gekom - men ſey? Wie manchen hat er nicht auf ſolche Weiſe Leibes - und Geldſtrafen erſpart? Und wie viele hat er nicht blos da - durch, daß ſie wußten, er kenne ſie, von boͤſen Unternehmun - gen abgehalten?

Bey ſeinen Oberbeamten ſtand er in einem ſolchen An - ſehen, daß ſie ohne ihm nicht leicht in ſeinem Kirchſpiele et - was vornahmen; Sie wußten wie er dachte, und um ſeinet - willen getraute ſich niemand dem Kirchſpiel bey Einquartie - rungen oder Fuhren ein mehrers zuzuſchieben, als die Ord - nung erforderte. Seine Redlichkeit und Geſchicklichkeit ga - ben ihm Dreiſtigkeit genug die Wahrheit zur gehoͤrigen Zeit und am gehoͤrigen Orte zu reden; und wo es auf die Rechte ſeines Kirchſpiels oder deſſen Eingeſeſſene ankam, ſprach er wie ein Mann der auch das Unrecht des kleinſten vor GOtt zu verantworten hat. Nie verleitete ihn auch ein gerechter Eifer jemanden ſeine Pflichten zu erſchweren, oder ihm ein mehrers aufzubuͤrden, als die Ordnung mit ſich brachte.

Um alles mit wenigen zu ſagen, er war der Vater und der Friedensrichter ſeines Kirchſpiels; der Freund ſeiner Un - tergebenen, und der Rathgeber in allen Wirthſchaften. Er ſtarb im 76. Jahr ſeines Alters am Schlage, und wuͤrde un - ſtreitig ſein Leben hoͤher gebracht haben, wenn er zu ſeiner Zeit, der Rockencaffee, bereits waͤre eingefuͤhrt geweſen. Denn es iſt gewiß, daß er ihn als Patriot getrunken, und auch die - es Exempel ſeinem Kirchſpiele gegeben haben wuͤrde.

XXVI. 158Schreiben einer Hofdame

XXVI. Schreiben einer Hofdame an ihre Freundin auf dem Lande.

Das heißt einmal auf dem Lande geweſen und nun auch in meinem Leben nicht wieder. Bin ich doch beynahe erſtickt von dem Dufte ihrer groben Schuͤſſeln! Welcher Menſch ſetzt einem dann noch Schinken und Kalbsbraten vor? Hatten ſie nicht auch noch einen Rinderbraten oder Markpud - ding? Es war ein Gluͤck fuͤr mich, daß die Fenſter offen wa - ren, ſonſt waͤre ich nicht lebendig aus dem Speiſezimmer ge - kommen, ſo kraͤftig ſo ſaͤttigend war alles bey Ihnen ange - richtet. Ich glaube Sie kennen bey ihnen den Hunger wie der geringſte Tagloͤhner. Gottlob! ich habe in zehn Jahren nicht gewußt was Hunger ſey, und ſetze mich nicht zu Tiſche um zu eſſen, ſondern blos um die unnuͤtze Zeit zwiſchen dem Nachttiſche bis zur Cour zu vertreiben. Alleine Sie .... mit Augen voller Luſt ſehen ſie die Schuͤſſeln. Und die Lich - ter? Himmel, waren doch in jedem ſo ſtarke Dochte wie un - ſre Großmuͤtter machten? Und ſahen die Bediente nicht aus als wenn ſie die Wohlfahrt des Hauſes einem jeden unter die Naſe reiben ſollten? In meinem Leben habe ich ſolche Phy - ſionomien nicht geſehen. Die Leute muͤſſen, deucht mich in ihrem Leben nichts gethan haben, als eſſen. Ich mußte Ih - rem Cammermaͤdgen drey Schritte aus dem Wege gehen, um nicht in ihrer Atmoſphere die Luft zu verlieren.

Geſtehen Sie es nur aufrichtig, es iſt eine beſondre Dummheit, welche Ihnen und den Landleuten uͤberhaupt alle - zeit eigen bleibt, daß ſie nicht es zu derjenigen feinen Vollkom - menheit bringen, welche wir am Hofe haben. Wenn Sieeinen159an ihre Freundin auf dem Lande. einen Garten recht ſchoͤn machen wollen: ſo ſuchen ſie die be - ſten Fruͤchte darinn zu ziehen. Wollen ſie ſich gut kleiden: ſo nehmen ſie vom beſten Zeuge. Und zur Speiſe? Nun das verſteht ſich. Frieſiſches Rindfleiſch, hollaͤndiſches Kalb - fleiſch, Karpen von dreyßig Pfunden und welſche Hahnen ſo groß, wie ſie fuͤr eine Buͤrgerhochzeit gemaͤſtet werden koͤn - nen, oder der Lord Anſon ſie auf der Inſel Tinian fand. Je nun von ſolcher Atzung kann auch wohl eben kein feiner Geiſt in die Dickkoͤpfe kommen. Und es iſt kein Wunder, wenn ſie ſich immer wie die Kugeln zum Ziel werfen laſſen.

Wie allerliebſt ſieht es dagegen nicht bey uns aus. Gaͤr - ten haben wir da, ich will nur allein derer von Porcellain gedenken, worinn alle Baͤume und Blumen von einer ſchoͤpfe - riſchen Hand auf das aͤhnlichſte nachgeahmet, und alle Jahrs - zeiten zu unſerm Befehle ſind. Fordert man Fruͤhling: ſo iſt alles in der Bluͤte, und dieſe Bluͤte hat ſo gar den ihr eig - nen Geruch. Will man Sommer; ſo ſchafft der Gaͤrtner, daß alle Baͤume mit den ſchoͤnſten Fruͤchten prangen; die nun freylich nicht zu eſſen, aber eben deswegen um ſo viel ſchoͤner ſind, weil ſie der gemeine Mann nicht ſo gleich herunter ſchlucken kann.

Unſre Tafeln geben den ſchoͤnſten Gaͤrten in der Pracht des Anblicks gewiß nichts nach, und auf den Anblick kommt doch alles an, weil man bey einer hohen Tafel mehr fuͤr ein goͤttliches Auge als fuͤr einen gemeinen niedertraͤchtigen Ma - gen ſorget. Jeder Tag, ja ſelbſt jeder Gang hat ſeine eigne Farbe. Zur maygruͤnen Suppe ſind die Nebengerichte ganz anders als zum himmelblauen Hecht ſchattirt; und ich wolte keinem Koche rathen eine Bruͤhe couleur de procureur ge - neral zu einer gruͤnen mit Silber incruſtirten Paſtete zu ge - ben, oder moſaique auf dem Schinken aus andern Farbenzu -160Schreiben einer Hofdamezuſammen zu ſetzen, als wovon die Friſur an der Hammel - keule oder der Email andrer Kruſten gemacht iſt. Ich wolte keinem rathen im Fruͤhlinge, wo die Natur und die Tafel mit Blumen beſetzt ſeyn muß, einfarbige oder wohl gar rothe und gelbe Gallerte zu geben und die Tafel mit modernen Dormans zu groupiren, wenn der ganze Aufſatz a la Romaine iſt. Der Kaiſer, der ſich durch die Erfindung der Farcen*)Heliogabulus primus de piſcibus iſitia fecit. Lam - prid. in Heliog. einen unſterblichen Namen gemacht und zuerſt Fiſche**)Dulciarios (confituriers) et lactarios (Milchkoͤche) tales habuit ut quaecumque coqui de diverſis edu - libus exhibuiſſent, illi modo de dulciis modo de lactariis exhiberent. ib. von Schweinefleiſch und Schinken von Kaͤſe erfunden hat, wuͤrde gegen unſre heutigen Koͤche eine ſchlechte Figur machen, und ſeine Tafel, worauf er oft zur Pracht alle Speiſen in petit point oder kuͤnſtlich geſtickter Arbeit nachahmen ließ, gegen die unſrigen, wenn ſie mit Gerichten von Porcellain oder Email beſetzt ſind, ſehr verlieren. ***)Hieran iſt wohl noch zu zweifeln. Denn der Kaiſer ließ auch ganze Tiſche de vitreis, worauf alle Gerichte in ge - faͤrbten Glaſe nachgeahmt waren, aufſetzen; und er hatte Deſerts von Wachs, Elfenbein, Porcellain, Marmor und Stein ſo gut wie wir. In ſecunda coena ſaepe cere - am coenam ſaepe eburneam aliquando fictilem non nunquam vel marmoream vel lapideam exhibuit. ib. In den geſtickten Schaueſſen uͤbertraf er aber uns neuere. Tot picta mantilia in menſam mittebat his eduli - bus picta quae apponerentur, quot miſſus eſſet ha - biturus ita ut de acu aut de textili pictura exhibe - rentur. Unſre Koͤche ſind inder161an ihre Freundin auf dem Lande. der Mythologie, der Geſchichte, der Dichtkunſt, der Mahle - rey, der Heraldik und uͤberhaupt in allen nur immer moͤgli - chen Kuͤnſten und Wiſſenſchaften weit erfahrner als mancher Hofmeiſter, der doch ſonſt auch alles wiſſen muß, und es muͤßte Schade ſeyn, wenn ſie nicht eine Belagerung beſſer ausbacken koͤnnten als der groͤßte Feldmarſchall.

Urtheilen Sie alſo, was ich bey Ihnen auf dem Lande gelitten habe, wo ihre Krebſe nichts als Krebs, und ihre groſ - ſen Karpen nichts als Karpen waren. Wie iſt es aber moͤg - lich, daß Sie ihre Zeit ſo abgeſchmackt zubringen, und ihren Verſtand ſo wenig uͤben koͤnnen. Noch iſt es Zeit ſich zu be - kehren. Sie haben erſt zwanzig Jahr, und eine Figur die wenigſtens etwas verſpricht. Kommen Sie alſo zu uns. Ich will Ihnen die Manier und den Weg zur Bewunderung in einem Monate zeigen, und ſo koͤnnen Sie vielleicht noch eine kleine Rolle am Hofe mitſpielen. ......

XXVII. Gedanken uͤber die vielen Lotterien. Bey dem Anfange der Oſnabruͤckiſchen Lotterie.

Sie haben recht, mein guter Crito, die vielen Lotterien, und der große Beyfall, den ſie uͤberall finden, iſt ein Merkmal unſer hoͤchſtverdorbenen Sitten. Die Menſchen, und ſogar auch diejenigen unter ihnen, denen die weiſe Vor - ſehung nichts ohne Muͤhe zugedacht hat, wollen alle ploͤtzlich reich werden, und fallen in Verſuchung und Stricke; und viel reitzendere Stricke als die Lotterien giebt es, den Stein der Weiſen ausgenommen, gewiß nicht. Die Neigung zuMöſers patr. Phantaſ. I. Th. Lleicht -162Gedanken uͤber die vielen Lotterien. leichtfertigen Gewinnſten hat ſich uͤber ganz Deutſchland aus - gebreitet, und kaum iſt noch hie und da ein alter ehrlicher Vater, dem die ſaure Frucht des Fleiſſes ſchmeckt, und der ſich an dem Abende ſeiner Tage durch die ſuͤſſe Erinnerung ſeiner uͤberſtandenen Muͤhſeligkeiten erquickt. Wenn ehedem eine Geſellſchaft junger Waghaͤlſe dem Gluͤcke mit ſtaͤrkern als gewoͤhnlichen Schritten nacheilen wollte: ſo uͤbernahm ſie Bergwerke zu bauen, Canaͤle zu graben, Schiffe auszuruͤ - ſten, und ſich neue Quellen des Erwerbs und der Handlung zu eroͤfnen. Allein jetzt will jeder ploͤtzlich und leichtfertig reich werden. Die Kriegeslieferungen und die glaͤnzenden Halb - metalle unſer verſchwundenen Muͤnzen liegen den mehrſten noch in Gedanken, und ſtoͤren ihre Ruhe. Der Handwerks - mann kann noch nicht wieder zu dem kleinen, oͤftern und dauer - haften Gewinnſt zuruͤckkehren; er will doppelt und dreyfach gewinnen. Der Landmann vertrinkt die Pfennige, ſo er fuͤr Butter und Eyer einnimmt, und will ſich noch nicht wieder gewoͤhnen, aus vielen Hellern einen Thaler zu ſammlen. Und ſo ſcheinet ein allgemeiner Schwindelgeiſt alle Staͤnde der Menſchen zu beherrſchen.

Allein was thut ein Vater, wenn ſeine Toͤchter nicht mehr ruhig ſchlafen wollen? Er giebt den luͤſternen Maͤdgen gute Maͤnner, und macht ſie zu fruchtbaren Muͤttern. Was thut ein Landesvater, wenn ſeine Kinder zur Verſchwendung geneigt ſind? Er leitet ihre Neigungen auf einheimiſche Pro - dukte; verwandelt die Verſchwender in Patrioten, und legt ſelbſt Lotterien an, wenn ſie durchaus ihr Gluͤck auf eine ploͤtzliche und ſchwermeriſche Art machen wollen. Laßt uns alſo auch die Sache von dieſer Seite betrachten. Laßt uns annehmen, der Strom der Thorheit wolle ſich in ſeinem ſtar - ken Laufe nicht aufhalten laſſen; und ſo ſey es der weiſen und aufmerkſamen Politik gemaͤß, ihm diejenige Richtung zu ge -ben,163Bey dem Anfange der Oſnabruͤck. Lotterie. ben, wo er in ſeinem Laufe annoch einige Wieſen waͤſſern und dem Staate nuͤtzlich werden kann. Sollten denn eben die Lotterien mehr als andre Nothmittel zu tadeln ſeyn?

Koͤnnte man ſie alle verbieten, und dabey verhindern, daß die Menſchen nicht in heimliche Verſuchungen und Stricke fielen: ſo moͤchte man es immerhin thun. Koͤnnte man durch ein ſolches Verbot vollends allen verwoͤhnten Buͤrgern, die Buͤrgerinnen nicht ausgeſchloſſen, wieder einen Geſchmack an den zu ihrer Geſundheit ſowol als zu ihrem wahren Ver - gnuͤgen dienenden ſauren Fruͤchten des Fleiſſes beybringen: ſo wuͤrde es noch beſſer ſeyn. Denn tauſend Thaler, ſo in einer auswaͤrtigen Lotterie oder in Peru gewonnen werden, bezeichnen den wahren Reichthum eines Landes nicht ſo ſehr, als hundert Thaler, die mit der ſchwereſten Arbeit daheim erworben werden. Erſtere koͤnnen dem leichtfertigſten Muͤſ - ſiggaͤnger zufallen: aber letztere ſetzen voraus, daß ein Land viele fleißige Haͤnde, wehrhafte Maͤnner, und eigne Nerven habe.

Allein da ein ſolches Verbot dem herrſchenden Geiſt der Thorheit nicht angemeſſen iſt, und die Verſuchung zum ploͤtz - lichen reich werden, vielleicht gar nur noch verſtaͤrken wuͤrde: ſo iſt nichts uͤbrig als nachzugeben, und aus einem ſchlimmen Wurf den beſten Vortheil zu ziehen.

Die Lotterien haben von einer andern Seite betrachtet auch noch einen wichtigen Vortheil fuͤr den Staat. Denn ſeitdem unſre roͤmiſchgelehrten Richter den Geiſt der deutſchen Verfaſſung verlohren haben, und daher bey allen vorkommen - den Streitigkeiten den Beſitzſtand zur Richtſchnur ihrer vor - laͤufigen Entſcheidungen nehmen muͤſſen; ſo darf es ein ehr - licher Mann faſt nicht mehr wagen, ein gutes Werk zu thun, ohne ſich der Gefahr auszuſetzen, ſich auch fuͤr die Zukunft da - zu pflichtig zu machen. Wie mancher chriſtlicher BauerL 2wuͤr -164Gedanken uͤber die vielen Lotterien. wuͤrde ſeinem Gutsherrn gern dieſe oder jene Gefaͤlligkeit erweiſen; wie mancher freyer Mann wuͤrde mit Vergnuͤ - gen zu dieſer oder jener gemeinen Unternehmung einen Beytrag thun: wie mancher Edelmann wuͤrde den Kirch - weg zu ſeiner Kirche in den vortreflichſten Stand ſetzen laſſen, wenn er nicht befuͤrchten muͤßte, dazu in der Folge als zu ei - ner Schuldigkeit angehalten zu werden? Der Richter fraͤgt in einem zweifelten Falle gleich, wer den Weg das letzte - mal gebeſſert habe, und ſo verdammet er ihn ſofort mit Vor - behalt ſeines Rechtes, ihn auch fuͤr dasmal zu beſſern; und dieſer Vorbehalt nuͤtzt ihm zu nichts, weil die Hauptſache ſel - ten zu Ende kommt.

Dergleichen Unbequemlichkeiten kann durch Lotterien vorgebogen werden, ſo lange dieſer Name ein redendes Zeug - niß bleibt, daß dasjenige, was einer darinn ſetzt, ſein frey - williger Beytrag ſey. Man oͤfnet alſo durch dieſelbe allen freyen Perſonen einen Weg, ihre Großmuth und ihren Eyfer fuͤr das gemeine Beſte ohne alle Gefahr fuͤr ihre Freyheit, zu zeigen. Man oͤfnet ihnen durch dieſelbe einen Weg unge - zwungen, ungeſchaͤtzt und nach eignen Gefallen dem gemeinen Weſen zu Huͤlfe zu kommen. Man gelangt durch dieſelbe an den Geldbeutel, welcher ſich ſonſt noch bis hiezu der Steuer - anlage einigermaßen entzogen hat; und da die Begierde, ploͤtz - lich reich zu werden, wuͤrklich alle Menſchen mehr oder weni - ger in Verſuchung fuͤhret: ſo lockt man ſie dadurch gerade auf den Heerd, wo ſie ſich am liebſten zum gemeinen Beſten fan - gen laſſen. Was jene roͤmiſche Rechtsgelahrſamkeit dadurch verdorben, daß ſie das Wohlthun, das Mitleid, die Gaſt - freyheit und andre Tugenden furchtſam und zuruͤckhaltend ge - macht hat, das kann durch dieſen Weg einigermaßen wieder erſetzt und verguͤtet werden. Die Tugend hat keine eifrigere Verehrerin als die Thorheit, wenn dieſe ihre Rechnung dabeyfin -165Bey dem Anfange der Oſnabruͤck. Lotterie. findet; und wenn es aufs bezahlen geht, ſo hat die letztere ih - ren Beutel allezeit geſchwinder offen als die erſte.

Beynahe moͤchte ich ſagen, es ſey die Schuldigkeit einer Obrigkeit, dafuͤr zu ſorgen, daß eine einheimiſche Lotterie be - ſtaͤndig im Gange ſey. Denn iſt es einmal durch die Erfah - rung bewaͤhrt, daß das heutige Menſchengeſchlecht durchaus Gluͤcksſpiele haben wolle: ſo iſt es beſſer, daß die ein - heimiſche Obrigkeit fuͤr ein redliches Spiel ſorge, als daß die Unterthanen den Schlingen fremder Lotteriepaͤchter blosge - ſtellet werden. Sorget doch die Policey in großen Staͤdten dafuͤr, daß gewiſſe nun einmal herrſchende Laſter mit der min - deſten Unordnung und Unſicherheit ausgeuͤbet werden koͤnnen; und fordert man nicht von einem Vater, daß er ſeinen Sohn ins Spielhaus begleiten ſolle, damit er nicht in unſichere Haͤnde gerathen moͤge?

Ich weis wohl, vordem war es nicht alſo. Vordem reichte der Fluch einer Mutter und die Macht einiger andern dunklen Ideen hin, die Jugend in mancher Verſuchung zu be - wahren. Das Maͤdgen zitterte wie Eſpenlaub, und wußte oft nicht eigentlich warum, wenn es auch nur in aller Unſchuld einen verbotenen Weg betreten wollte. Allein ſeitdem wir die Jugend mit lauter deutlichen Wahrheiten und klaren Ideen erziehen wollen, muͤſſen wir um die Reinigkeit ihrer Sitten und die Geſundheit ihres Koͤrpers zu erhalten, ganz andre Vertheidigungsanſtalten machen; und ſeitdem die Kunſt ohne Muͤhe reich zu werden, der Wunſch aller Menſchen iſt, muͤſſen Obrigkeiten ebenfalls neue Wege verſuchen, dieſen Wunſch mit der unſchaͤdlichſten Nahrung zu unterhalten.

Sie ſehen hieraus mein lieber Crito, daß es noch ei - nige hoͤhere und wichtigere Urſachen giebt als diejenigen ſind, welche ſie nicht gelten laſſen wollen, warum man billig eine Lotterie im Lande haben muͤſſe. Sie ſehen es mit ihrenL 3ſterb -166Gedanken uͤber die vielen Lotterien. ſterblichen Augen, wie ſehr ſich die fremden Lotterien verviel - faͤltigen, und wie ſie in jedem freyen Lande, in jedem kleinen Flecken und in jedem Dorfe bereits ihre Schilder ausgehangen und ihre Werbhaͤuſer aufgerichtet haben. Sie ſehen, wie ſich die anſteckende Begierde ohne Muͤhe reich zu werden, in die kleinſten Koͤttereyen ausbreitet, und wo nicht den Mann, wenn er ſeinen Brantewein trinket, doch gewiß die Frau, wenn ſie ihren Coffee holet, mit einem Billet erhaſchet. Solte denn nicht ein jeder Patriot wuͤnſchen, daß dieſer allgemeine Hang zum gemeinen Beſten genutzt werden moͤchte? Ver - wandelt ſich nicht das Geld, was die Unterthanen auf ſolche Weiſe verſchwenden, in einem nuͤtzlichen Beytrag, wenn es zur allgemeinen Wegebeſſerung verwandt, und denjenigen, die es ausgeben, gleichſam wieder fuͤr die Thuͤre gebracht wird? Gewiß Sie werden noch ſelbſt hundert Billets nehmen, und an dem Beſchlag ihrer Wagen und Pferde jaͤhrlich ſo viel er - ſparen, als ſie dafuͤr ausgeben. Sie werden dieſes Geld mit ſo viel mehrerm Vergnuͤgen ausgeben, je oͤfterer ſie ſchon gewuͤnſcht haben etwas zur Wegebeſſerung ohne Nachtheil ih - rer Freyheit beytragen zu koͤnnen. Dies werden Sie gewiß thun. Ihre Deviſe iſt: Freyheit, und ihre Seele: Patrio - tiſmus ꝛc.

N. S.

Ich uͤberſende Ihnen hiebey einen Plan von der hie - ſigen Lotterie, welchen Ihro Koͤnigl. Majeſtaͤt als Vater ge - nehmiget, und Loͤbl. Stiftsſtaͤnde garantiret haben. An der Sicherheit fehlt ihr alſo gewiß nichts. Daß ſie mit aller moͤglichen Treue und Aufrichtigkeit werde gezogen werden, daran zweifeln ſie gar nicht; und daß ſie eben ſo vortheilhaft als irgend eine andre Lotterie ſey, koͤnnen ſie leicht daher ſchließen, weil man nicht mehr und vielleicht noch weniger da - von nimmt als anderwaͤrts geſchieht, und keine andre Neben -abſicht167Bey dem Anfange der Oſnabruͤck. Lotterie. abſicht dabey hat, als mit einem redlichen Spiele die Gauner zu vertreiben.

XXVIII. Troſtgruͤnde bey den zunehmenden Mangel des Geldes.

Geld! entſetzliche Erfindung! du biſt das wahre Uebel in der Welt. Ohne deine Zauberey war kein Raͤuber oder Held vermoͤgend das Mark zahlreicher Provinzien in eine Hauptſtadt zuſammen zu ziehen, und unzaͤhlbare Heere zum Fluch ſeiner Nachbaren zu erhalten. Du warſt es, wo - durch er zuerſt die Heerden ſeiner getreuen Nachbarn ihre Erndten und ihre Kinder ſich eigen machte, und zum Un - gluͤck einer kuͤnftigen Welt, den Schweiß von Millionen ar - men Unterthanen in tiefen Gewoͤlben bewachen ließ. Ehe du erfunden wurdeſt, waren keine Schatzungen, und keine ſte - hende Heere. Der Hirte gab ein Boͤcklein von ſeiner Heerde, der Weinbauer von ſeinem Stocke einen Eymer Weins, und der Ackersmann den Zehnten gern von allem was er bauete: denn er hatte genug fuͤr ſich, und genoß des Opfers mit, welches er von ſeinem Ueberfluſſe brachte. Der Herr war froh ſeinen Acker zu verleihen, und ſo viel Korn dafuͤr zu em - pfangen, als er fuͤr ſich und ſeine Freunde gebrauchte. Er wuͤrde erſtaunt ſeyn, wenn ihm ſein Knecht, durch die Zau - berkraft des Geldes, die ganze Erndte von funfzig Jahren zum Antrittsgelde oder zum Weinkaufe haͤtte opfern wollen.

Welch ein grauſames und laͤcherliches Geſchoͤpf wuͤrde ein Geizhals zu der Zeit geweſen ſeyn, da man deine Zaube - rey, die Kunſt das Vermoͤgen von hundert Mitbuͤrgern inL 4einer168Troſtgruͤnde bey den zunehmendeneiner papiernen Verſchreibung zu beſitzen, noch nicht kannte! Berge von Korn unzaͤhlbare Heerden haͤtten ſeinen Schatz ausmachen muͤſſen. Zwiſchen dieſen Reichthuͤmern haͤtte er verhungern, haͤtte er den Armen nichts mitgeben, haͤtte er die Beduͤrfniſſe des Staats dem Geringern zuwelzen ſollen? Auf ſeinen Kornhaufen wuͤrde man den Boͤſewicht verbrannt haben; und wer haͤtte ſeinen Vorrath fuͤr Wuͤrmer, ſeine Heerden fuͤr Seuchen und ihn ſelbſt wider die Rache ſeiner Nachbaren ſicher ſtellen wollen?

Ehe du kameſt, war die Wohlthaͤtigkeit die gemeinſte Tugend; wenn man es eine Tugend nennen kann, was die natuͤrliche Folge verderblicher Guͤter war. Komm zu mir, ſprach der Reiche zum Armen, und labe dich von meinem Biere, und von meinem Brodte. Es verdirbt ja doch, und die Erndte iſt wieder vor der Thuͤr. Soll ich fuͤr die Wuͤrmer ſparen und dich darben laſſen? So ſprach der Deutſche, wie er noch dem roͤmiſchen Gelde fluchte; und in der Wohlthaͤtigkeit beſaß er alle Tugenden.

Ehe du kameſt, war der Unterſcheid der Staͤnde und die Begierde ſich zu erheben, nicht groß unter den Menſchen. Jezt hat der Himmel oft Muͤhe ohne Wunder einen Reichen arm zu machen, da er ſeine Fruͤchte in hartes Metall ver - wandelt, und bey unzaͤhligen Schuldnern verwahrt. Da - mals aber lebte er mit ſeiner Heerde und mit ſeinen Scheunen un - ter der unmittelbaren Furcht von jedem Wetterſtrahle; und dankbar und gefuͤhlvoll betete er die goͤttliche Vorſehung bey jeder Landplage gleich den geringſten unter ſeinen Flurgenoſſen an.

Ehe du kameſt, war noch Freyheit in der Welt. Keine Macht konnte unbemerkt und ſicher den Schwaͤchern zu Haupte ſteigen, kein Richter konnte heimlich beſtochen werden, und brauchte ſich beſtechen zu laſſen, kein Zankſuͤchtiger konnte eine Rechtsſache weiter bringen, als ſeine Futterung reichte, keinThor169Mangel des Geldes. Thor mit einem Fuder Korns nach dem Cammergerichte rei - ſen, und kein Kluger in die Verſuchung gerathen mehr Pro - ceſſe fuͤr andre zu fuͤhren, als er zu ſeiner taͤglichen Noth - durft und Nahrung gebrauchte. Groͤßere Feindſchaften waͤh - reten nicht laͤnger als bis der Kriegesvorrath verzehrt war; und der Hunger war ein ſicherer Friedensbote.

Ehe du kameſt, wußte man nichts von fremden Thor - heiten und Laſtern. Deutſchland konnte weder in Frankreich verzehret noch die Erndten aus Weſtphalen fuͤr Wein und Coffee verſandt werden. Wer ſatt hatte, konnte nichts mehr verlangen, und ſatt hatten alle Laͤnder, denen der Himmel Vieh und Futter gab. Jeder liebte ſeinen eignen Acker und ſein Vaterland, weil er nicht anders reiſen konnte als ein Bettler auf die Rechnung der allgemeinen Gaſtfreyheit, und wo er mit einer ſtolzen Begleitung reiſen wollte, als ein Feind zuruͤckgewieſen wurde.

Ehe du kameſt, war der Landbeſitzer allein ein Mit - glied der Nation. Man kannte eines jeden Vermoͤgen, und die Anwendung der Strafgeſetze geſchahe nach einem ſichtba - ren Verhaͤltniß. Die Gerechtigkeit konnte einem jeden das ſeinige mit dem Maasſtabe in der Hand zumeſſen; die Gleich - heit der Menſchen durch eine ſichere Anweiſung der Aecker - zahl beſtimmen, und ewig verhindern, daß keiner zwey Erb - theile zuſammen brachte. Man kannte keine geldreiche Leute dieſe Verraͤther der menſchlichen Freyheit; das Mittel Schul - den zu machen, und tauſend Schuldner zu heimlichen Scla - ven zu haben, war den Menſchen unerhoͤrt. Die Kinder konnten den vaͤterlichen Acker nicht ſchaͤtzen laſſen, und von dem geſetzmaͤßigen Erben nicht fordern, daß er ihnen den Werth deſſelben zu gleichen Theilen herausgeben ſolte. Er gab ihnen Pferde und Rinder; der Richter oder Gutsherr beurtheilte die Billigkeit in dieſem Stuͤcke leicht, weil ſieL 5auf170Troſtgruͤnde bey den zunehmendenauf ſichtbaren Gruͤnden beruhete, und der Staat duldete es nicht, daß der Acker mit jaͤhrlichen Abgiften zum Vortheil der abgehenden Kinder, beſchweret wurde.

Ehe du kameſt, entſchieden Klugheit und Staͤrke dieſe wahren Vorzuͤge der Thiere und Menſchen das Schickſal der Voͤlker. Die Kraͤmer herrſchten nicht mit ihrem Gelde uͤber die Tapferſten; und der Zugang zu den geheimſten Staats - raͤthen konnte fuͤr eine Tonne Poͤckelfleiſch nicht ſo leiſe als fuͤr eine Tonne Goldes in Wechſeln eroͤfnet werden.

Gluͤckſelige Zeiten! denen wir uns nunmehr wieder naͤhern koͤnnen, da die maͤchtige Zauberin zuſehends verſchwin - det. Wie maͤßig, wie ruhig, wie ſicher werden wir leben, wenn wir ohne Geld alles mit Korn wieder bezahlen koͤnnen; wenn der Steuereinnehmer, der Gutsherr, der Richter und der Glaͤubiger nicht mehr nehmen moͤgen, als ſie mit Ge - walt verzehren, und fuͤr Wuͤrmer bewahren koͤnnen! wenn der Bettler mit ſeinem taͤglichen Brodte zufrieden ſeyn muß, und keine Pfaͤnder mehr verkaufet werden koͤnnen!

Bedauret demnach edle Mitbuͤrger den Mangel des Geldes nicht. Bemuͤhet euch vielmehr den Reſt dieſes Uebels vollends los zu werden! Werft eure Reichthuͤmer ins Meer oder ſchickt ſie den boͤſen Nationen zur Strafe zu, die euch mit Wein, Coffee und neuen Moden verſorgen. Hungert die Einwohner der Staͤdte, die ohne Ackerbau, blos von eurer Thorheit leben, voͤllig aus, und zwingt ſie, euch bey eurer Maͤßigkeit zu laſſen. Ihr braucht alsdenn nichts wie Mauſefallen, um euch fuͤr die gefaͤhrlichſte Art von Feinden und Dieben ſicher zu ſtellen.

Johann Jacob. ....

N. S.

Ich hoffe, meine geneigten Leſer, werden dem Sophi - ſten zu gefallen, wenn ſie auch deſſen Gruͤnde nicht beantwor -ten171Mangel des Geldes. ten koͤnnen, keinen Kreuzer wegwerfen. Ich wuͤnſche aber auch, daß ſie die Deklamationes der Freygeiſter unſrer Zeiten gegen den Grundwahrheiten der Religion und Moral mit ei - ner gleichen Wuͤrkung leſen werden.

XXIX. Johann konnte nicht leben. Eine alltaͤgliche Geſchichte.

Haſt du es dem Thorſchreiber geſagt, Johann, daß er kuͤnftig ſeine ſchlaͤfrigen Augen beſſer aufſperren, und die Luͤgen unter Gottes Geleite, ich meine die Frachtbriefe der Kaufleute, nicht ſo blindlings fuͤr Wahrheiten halten ſolle?

Ja, Herr Kriegesrath, aber die Leute muͤſſen auch le - ben, und nach dem bekannten Sprichwort .....

Kein aber, mein guter Kerl! das bitte ich mir aus; und noch weniger Sprichwoͤrter, wenn ſie auch aus deinem geſtempelten A B C-Buch ſeyn ſollten. Sie ſind mir ver - haßter als die Rechtsregeln, und du weiſt ſchon aus der Er - fahrung, daß dergleichen im Cammeretat nicht gut gethan werden.

Je nun, ich ſage ja weiter nichts, als der Mann kann von den hundert Thalern, die er des Jahrs hat, nicht leben, und wenn er die Augen zu weit aufthut: ſo thun die Kauf - leute den Beutel zu.

Schon wieder eine Sentenz. Aber weiſt du auch wohl Johann, was Leben ſey? Leben iſt, ja Leben iſt, daß man lebt. Aber wie? das iſt die Sache. Der Fuͤrſt klagt, daßer172Johann konnte nicht leben. er nicht leben kann; der Feldmarſchall kann nicht leben, der Kriegesrath kann nicht leben, der Thorſchreiber kann nicht leben, und vielleicht kannſt du auch von den zehn Thalern, die ich dir des Jahrs gebe, nicht leben. Das iſt mir ein Le - ben, wovon der Schluß allezeit iſt, wir muͤſſen Betruͤger werden. Wenn ich dich zum Thorſchreiber befoͤrderte, und dies iſt doch dein groͤßter Wunſch; ſo wuͤrdeſt du ja auch nicht leben koͤnnen?

Freylich nicht, Herr Kriegesrath; aber ich haͤtte denn doch beſſere Gelegenheit als jetzt bey ihnen, meine fuͤnf Sinne zu gebrauchen. Wenn ich alsdenn nur meine Augen des Ta - ges einmal zuthue: ſo ſtehe ich weit beſſer, als wenn ich ſie bey ihnen Nacht und Tag aufſperre.

Und dennoch, du magſt es mir nur auf mein Wort glauben, wirſt du nicht leben koͤnnen. Der Koͤnig hoͤrte ein - mal, daß ein Gartenjunge ſich beſchwerte, er koͤnnte nicht leben. Er machte ihn darauf zu ſeinem Hofgaͤrtner; allein, er konnte wieder nicht leben. Er kam als Secretair bey der Gartencanzley; noch konnte er nicht leben. Er wurde end - lich Oberintendant aller Gaͤrten und Luſtſchloͤſſer; und nun glaubte der Fuͤrſt er wuͤrde gewiß leben koͤnnen. Aber nein; Bob, ſo hieß er, hielt jezt Kutſchen und Pferde; er hatte Bediente; hielt Tafel und ſpielte, als wenn er große Liefe - rungen gehabt haͤtte; und wie ihn ſein Herr fragte, ob er nun leben koͤnnte: ſo gab er ihm zur Antwort: Ach! gnaͤdig - ſter Herr, der Staat erfordert heutiges Tages ſo viel; es gehoͤrt ſo vieler Ueberfluß zum Nothwendigen; man wird ſo wenig geachtet, wenn man nicht ſeinem Range gemaͤß lebt; die Frauen ſind ſolche koſtbare Puppen; und die Kinder, wenn ich ſie Standesmaͤßig erziehen ſoll, erfordern ſo viel, daß es unmoͤglich, ja unmoͤglich iſt als Intendant des Jahrs mit zweytauſend Thalern auszukommen ...... Ich wette,Jo -173Eine alltaͤgliche Geſchichte. Johann, du wuͤrdeſt auch Bob oder wohl gar Herr von Bob werden, wenn du erſt ein paar Jahr Thorſchreiber geweſen waͤreſt.

Das kaͤme auf die Probe an, Herr Kriegesrath. In - deſſen iſt es doch ſo gut, als eine geſtempelte Wahrheit, daß wenn die Frau Viſitatorin eine ſchwarze Saloppe traͤgt, meine kuͤnftige Liebſte als Thorſchreiberin doch wenigſtens eine von große Beaute haben muͤſſe.

Juſt ſo philoſophirte Bob auch. Weiſt du aber auch wohl was er ſagte, als er im Zuchthauſe von ſeiner Haͤnde Ar - beit leben mußte? Bin ich nicht ein erzdummer Narr gewe - ſen, ſagte er, daß ich mir gerade die groͤßten Narren zu Muſtern gewaͤhlt habe! Ich daͤchte alſo, mein lieber Johann, wenn die Frau Viſitatorin kollerte: ſo muͤßte die Frau Thor - ſchreiberin dermaleinſt Verſtand genug beſitzen, ſich nach ihrer Decke zu ſtrecken. Du thuſt aber wohl am beſten, daß du das Heyrathen noch eine Zeitlang aufſchiebſt. Denn wuͤrklich, die Weiber ſind es jezt, welche die Maͤnner ins Zuchthaus bringen; und du koͤnnteſt ohnedem leicht dahin kommen, wenn du die Augen zu oft verſchloͤſſeſt.

Ach Herr Kriegesrath, das hat gute Wege. Wem der Koͤnig ein Amt giebt, dem giebt er auch zu leben; dies er - fordert die Billigkeit, die Gerechtigkeit, und was das fuͤr - nehmſte iſt, ſein eignes Intereſſe. Denn wer nicht gut lohnt, wird auch nicht gut gedient.

Nun kein Wort mehr, ich mag das Gewaͤſche gar nicht mehr hoͤren. Dein Bruder iſt Kuͤſter, und zieht dreymal in der Woche an die Glocke. Er hat alſo ein Amt; und nun ſoll ihn das Amt auch ernaͤhren? Das waͤre eine erſchreckliche Sache. Wenn Bediente, die alle Stunden des Tages, und noch manche des Nachts ihrem Herrn aufopfern muͤſſen; vonih -174Johann konnte nicht leben. ihrem Herrn fordern, daß er ihnen nach dem Stande, wor - inn er ſie ſetzt, zu leben gaͤbe: ſo iſt ihre Forderung gerecht. Allein, daß der Mann, der ihm alle Monat ein paar Schuh macht, ſogleich von dieſen zwoͤlf paar Schuhen leben will, das iſt unertraͤglich.

Hoͤren Sie, Herr Kriegesrath, mein voriger Herr, ein Burgemeiſter, ſprach eben ſo. Wovon, ſagte er zu dem vorigen Praͤſidenten, muß ich, wovon muͤſſen ſo viele Raths - herrn leben? Wir ſind nicht, gleich ſo vielen beſoldeten Die - nern, dem gemeinen Weſen in die Futterung gegeben. Nein, die Buͤrgerſchaften haben von je her ganz andre Grundſaͤtze gehabt. Sie waͤhlen bemittelte Leute zu Burgemeiſtern, und fordern von dem Rathsherrn, daß er von ſeinem Fleiße le - ben ſolle. Sie belohnen ſie mit Ehre, mit Achtung und mit Liebe. Dies iſt ihre Beſoldung; das eine Jahr wie das an - dre; und die beſte Beſoldung von jedem rechtſchaffenen Maune. Die großen Herrn haben uͤbel gethan, daß ſie zu allen gemei - nen Verwaltungen lauter beſoldete Diener angenommen ha - ben, die alle klagen, daß ſie nicht leben koͤnnen; und nicht wiſſen wie ſie leben wollen. Eine Zeitlang haben ihnen dieſe Diener plus uͤber plus gebracht, aber am Ende nehmen ſie plus uͤber plus wieder weg; und der Herr hat nicht mehr uͤbrig als er vorher uͤbrig hatte. Es ſchadet ihnen aber nichts; in - dem ſie oft die ſchlechteſten Leute zu ihren Dienern annehmen, und dann ihre Diener uͤber alle andre erheben, und diejeni - gen, welche keine andre Beſoldungen, als die Liebe und den Seegen ihrer Mitbuͤrger haben, unbillig herunterſetzen. In unſerm Buͤrgerrath werden keine andre als angeſeſſene und angeſehene Leute zugelaſſen. Die Bedienungen der Stadt werden als Reihelaſten betrachtet, die jeder nach ſeiner Ord - nung mit uͤbernehmen muß. Keiner wird beſoldet. Beſol - dungen ſind fuͤr die Unterbediente, die keinen Theil an unſrerEhre175Eine alltaͤgliche Geſchichte. Ehre haben. Und der Unterbediente, insbeſondere aber den Untervogt und den Viſitator beſolden wir kaͤrglich, damit dieſe Leute nicht zu viel Zeit zum ſpintiſiren haben, ſondern beym graben, ſpinnen und arbeiten vergeſſen moͤgen, wie ſehr ſie die Buͤrger ſcheren koͤnnen, wenn ſie alles aufs ſchaͤrfſte ſuchen und Knoͤtgen zu Knoten machen wollen. Wenn dergleichen Leute ſo viel Beſoldung haͤtten, daß ſie davon leben koͤnnten: ſo wuͤrden ſie muͤßige Spionen abgeben, und nicht fuͤrs ge - meine Beſte, ſondern blos fuͤr die Caſſe ſorgen. So ſprach mein voriger Herr, der Burgemeiſter, zum ſeligen Praͤſidenten. Und ich habe ſeitdem allezeit gewuͤnſcht ein bemittelter Mann zu ſeyn; das weis der liebe Himmel.

Iſt deine Predigt aus, Johann? Nun ſo gehe hin, und ſage dem Thorſchreiber, daß ihn der Koͤnig ſeines Dienſtes in Gnaden erlaſſen, und dich wieder an ſeine Stelle geſetzt habe. ............

Wer war vergnuͤgter als Johann? Er ward Thorſchrei - ber und konnte nicht leben. Er heyrathete die Cammerjungfer von der Frau Kriegsraͤthin, und konnte noch nicht leben. Er that alle Tage zweymal die Augen zu, und konnte doch alle die Saloppen von große Beaute, welche die junge Frau Thor - ſchreiberin gebrauchte, nicht bezahlen. Sie machte ihn zum Hahnrey, und dem allen ungeachtet, konnte auch ſie nicht leben. Sie kamen beyde ins Zuchthaus. Nun konnten ſie leben.

XXX. 176Von Verbeſſerung der Brauanſtalten.

XXX. Von Verbeſſerung der Brauanſtalten.

In den mehreſten Provinzien Deutſchlandes giebt es auf dem Lande Zwangbrauereyen und Zwangkruͤge. Die Staͤdte, welche ſich von dieſem Zwange losgemacht, haben ihre beſondern Ordnungen, und ſie werden entweder durch eine eigne Bierprobe oder aber durch beeidete Braumeiſter und andre Anſtalten zur Beobachtung einer ſichern Regel im Brauen angehalten. Gleichwohl ſagt man, daß daſelbſt das Bier immer ſchlechter und bey weiten nicht ſo gut als ehedem gemacht werde.

Hier im Stifte weis man von keinem Zwange; die Bierprobe iſt laͤngſt in Vergeſſenheit gerathen, und beeidete Braumeiſter ſind wohl niemals vorhanden geweſen. Auf dem Lande braut und ſchenkt wer Luſt und Mittel dazu hat. In den Staͤdten iſt kein Reihebrauen, kein Brauhaus und keine eigentliche Braugerechtigkeit. Man genießt alſo einer unumſchraͤnkten Freyheit. Dennoch ſagt und ſieht man, daß das Bier uͤberall ſchlechter und lange nicht ſo gut als in den vorigen Zeiten gebrauet werde.

Es haben alſo ſo wenig Zwang als Freyheit den Ver - fall der Braunahrung verhindern koͤnnen. Indeſſen ſcheinet es doch das ſicherſte zu ſeyn, das Brauweſen eher mit als ohne Ordnung fortgehen zu laſſen.

Unſtreitig ſind ehedem und zwar zur Zeit als jedes Kirch - ſpiel noch ein eignes Amt unter ſeinem Kaſpelherrn ausmachte, gute Anſtalten vorhanden geweſen; die aber mit einander ver - lohren gegangen, als man jene kleine Kaſpelämter und Nie -der -177Von Verbeſſerung der Brauanſtalten. dergerichtsbarkeiten geſprengt, und lauter große Aemter ge - macht hat. Es wuͤrde alſo eben nichts neues ſeyn, wenn die allzugroße Freyheit ohne Probe, ohne Aufſicht und ohne Ord - nung zu brauen einigermaaßen eingeſchraͤnket wuͤrde. Wir befinden uns in den gluͤcklichen Umſtaͤnden, daß wir ſo wenig von dem Malze und dem Hopfen als von der Pfanne und dem Gebraͤude das allergeringſte zu entrichten haben. Deſto eher muͤßten wir im Stande ſeyn, mittelſt einer guten Ord - nung ein gutes und geſundes Bier zu haben.

Die beſte Ordnung, welche ich noch kenne, findet ſich bey dem Reichshofe Weſtenhof, in deſſen Rechten*)Beym von Steinen in ſeiner Weſtphaͤl. Geſch. N. VI. S. 1565. es alſo lautet:

〟In deſer Baronie binnen den Ryksvredepaelen iſt de alde 〟Parochiekerke de aͤlſte und hoͤchſte Erve, de dat Recht 〟hefft, dat die dieſes Rykshafes Saete und Maet bewah - 〟ret und uytdelet, und mag ook niemand Beer to koepe 〟brouwen dann in deſer Kerken Brouwpanne, und der 〟Kerken daervan geven. ()

Hier gehoͤrt die Braupfanne im Kirchſpiel der Kirche. Die Gildemeiſter oder Bauerrichter ſind beeidigt, darauf zu ſehen, daß die Wirthe, welche zum feilen Kauf brauen, das gehoͤrige Malz dazu nehmen, und nicht mehr davon ziehen, als die Ordnung erlaubt; der Kuͤſter holet die Probe, ehe es verzapft werden darf; und der Paſtor urtheilet ob es gut ſey oder nicht. Iſt es nicht gut: ſo laͤßt er die ſechs aͤlteſten der Gemeine zuſammen rufen, welche nach einem abermaligen Verſuch, und wenn ihr Urthel mit jenem gleich ausfaͤllt, ſo - fort das Bier um die Haͤlfte oder nachdem es iſt, noch weiter herunter ſetzen.

SieMöſcrs patr. Phantaſ. I. Th. M178Von Verbeſſerung der Brauanſtalten.

Sie haben bey dieſer Anſtalt noch einen andern Vor - theil. Die Kirche bekoͤmmt von jedem Gebraͤude ein Ge - wiſſes, welches zu ihrer Unterhaltung dienet; und die Ein - geſeſſenen merken es nicht, wenn ſie auf eine ſo leichte Art das ihrige zum Bau und zur Beſſerung der Kirchen beytragen koͤnnen.

Wie waͤre es alſo, wenn wir dieſem alten Exempel folg - ten? Dadurch, daß die Pfanne der Kirche gehoͤrt, und jeder - mann in dieſer Pfanne brauen muß, wird keine wahre Zwang - gerechtigkeit eingefuͤhret. Von der Freyheit geht dabey auch nichts verlohren. Die Kirche iſt kein Finanzcollegium, welches mit jeder guten Ordnung neue Auflagen verknuͤpfet. Sie hat auch keine Bruͤchten von den Uebertretern zu empfangen. Sie wird auf dieſe Art unmerklich, und hauptſaͤchlich von Brauern, die das meiſte verdienen und das wenigſte zur Kirchencol - lecte beytragen, unterhalten. Und da die ganze Direction zwiſchen dem Paſtor, dem Kuͤſter und der Gemeine bleibt: ſo iſt auch nicht zu befuͤrchten, daß die Pfanne in eines Paͤch - ters oder Erbpaͤchters Hand werde gegeben werden. Zu be - wundern iſt es uͤbrigens allemal, daß die Eingeſeſſenen der Freyheit Weſthofen ihre Braupfanne wie die Wroge ihrer Kirchen uͤbergeben haben. Man erkennet in dieſer Einrich - tung den Geiſt der alten deutſchen Freyheit, der weit voraus ſahe, das aus ſolchen Rechten, wenn ſie in die Hand der Obrigkeit kaͤmen, leicht Regalien werden wuͤrden, und ſie da - her lieber ihrer Kirche als dem Kirchſpielsamte beylegen wollten.

XXXI. 179

XXXI. Etwas zur Verbeſſerung der Intelligenz - Blaͤtter.

Man muß immer lernen; ſolte es auch von den Wilden ſeyn. Die deutſchen Coloniſten, welche ſich in Amerika befinden, koͤnnen zwar mit Recht nicht unter die Wilden ge - zaͤhlet werden. Indeſſen haͤlt ein Europaͤer doch insgemein dafuͤr, daß er nicht noͤthig habe bey ihnen in die Schule zu gehen. Diesmal aber wollen wir ihn doch dahin ſchicken, und zwar, um die europaͤiſchen Intelligenzblaͤtter aus den Amerikaniſchen verbeſſern zu lernen.

Die Germantowner Zeitung oder Sammlung wahr - ſcheinlicher Nachrichten aus dem Natur - und Kirchenreiche, welche bey Chriſtoph Sauer zu Germantown herauskommen, und bey Daͤſchler in Philadelphia, bey Lauman in Lancaſter, bey Billmayer in Yorkraum, und bey Hofmann in Neuyork zu haben iſt, haben das vorzuͤgliche, daß bey jedem Intelli - genzartikel gleich vor dem erſten Buchſtaben ein kleiner Buch - druckerſtock oder Holzſchnitt angebracht iſt, wodurch der In - halt des Artikels angezeigt wird.

Vor dem Artikel, worinn z. E. einem verlohrnen oder ver - laufenen Pferde nachgefragt wird, ſteht ein Pferd mit dem Kopfe nach der Auſſenſeite gewandt. Iſt von einem aufgefange - nen oder zugelaufenen Pferde darinn die Rede; ſo haͤlt ein Pferd den Kopf einwaͤrts nach den Artikel. Auf gleiche Weiſe ſtehen Ochſen Kuͤhe und Schafe vor ſolchen Artikeln, worinn von die - ſem Viehe geredet wird. Iſt von einem geſtohlnen Pferde dieM 2Frage:180Etwas zur VerbeſſerungFrage: ſo ſitzt ein Reuter darauf, der es wegreitet; und wenn ein andrer Diebſtahl angezeigt wird: ſo ſteht ein Mann, der einen Buͤndel wegtraͤgt, an der Spitze. Vor eine Citation gegen eine verlaufene Frau, ſteht eine Dame im Reiſehute; und ein wilder Mann mit einer Kaͤule bedeutet, daß in dem Artikel von einem verlohrnen oder verloffenen Menſchen die Rede ſey. Iſt ein Haus zu verkaufen: ſo iſt auch ein Haus vorangedruckt; und eine Plantage, wenn dieſe zu verkaufen iſt.

Auf ſolche Art laͤßt man in den amerikaniſchen Zeitungen alle Rubriken, deren wir uns in Europa bedienen, ganz weg: erſparet dadurch vielen Raum, und iſt im Stande den In - halt des ganzen Intelligenzblattes ſogleich aus den Ochſen, Pferden, Haͤuſern, Bouteillen, Medecinglaͤſern und andern aͤhnlichen Zeichen mit einem Blicke zu uͤberſehen. Die Zei - chen ſind faſt nicht groͤßer und kuͤnſtlicher als die ſo auf der letzten Tafel in unſern gewoͤhnlichen A B C-Buͤchern zu ſtehen pflegen. Allein ſie ſind kenntbar und charakteriſtiſch und gleich zu verſtehen.

Verdiente dieſe Mode nun nicht auch von Uns ange - nommen zu werden? Ich meine ja. Allein lieſſen ſich auch zu unſern Artikeln eben ſo bedeutende erfinden? Nun das kaͤme auf die Probe an; und wir wollen gleich einen Verſuch dazu machen.

Unſre mehrſten Artikel beſtehen aus Ladungen gegen Glaͤubiger, welche kommen, hoͤren und ſehen, und nichts empfangen ſollen. Die koͤnnten nun wohl, wenn ſie nichts beſonders enthielten, mit einer großen Nulle, worinn eine Schelle aufgehangen waͤre, bezeichnet werden. Wuͤrden die Glaͤubiger zur Einwilligung eines Stilleſtandes berufen, ſo koͤnnte man das Zeichen zwoer ins Kreuz gelegter Ruthen, als eine fuͤr den Schuldner und eine fuͤr den Glaͤubiger da -vor181der Intelligenz-Blaͤttervor ſetzen, indem insgemein beyde dadurch gezuͤchtiget wer - den. Ein Schuldner der bonis cedirt, kuͤndigte ſich am beſten durch einen Baum mit Voͤgeln an; und ein muthwilliger Bankerottier durch einen Pfal mit dem Halseiſen.

Die Lotterieartikel koͤnnten durch ein vorgeſetztes Perſpec - tiv; Leute ſo ihre Dienſte anbieten, durch ein geſatteltes Pferd mit drey Beinen; Capitalien ſo geſucht werden, durch einen ausgeleerten Beutel, und Capitalien ſo zu verleihen ſind, durch einen erfuͤlleten angezeigt werden. Zur Anzeige nener Buͤcher ſchickten ſich allerley Thiere um den Inhalt anzu - zeigen; und wenn die Intelligenzblaͤtter vollends zu der Voll - kommenheit gelangten, daß auch die Perſonen ſo zu heyrathen ſuchen, oder zu heyrathen verlangt werden, ſich darinn an - zeigen ließen: ſo wuͤrde man auch mehrere artige Zeichen ge - brauchen koͤnnen.

Die ganze Kunſt der Allegorie wuͤrde zugleich auf dieſe Art zur Vollkommenheit gebracht werden koͤnnen, und wer weis, was ein Genie dabey leiſten wuͤrde, wenn nur erſt ein Anfang gemacht waͤre.

XXXII. Von dem Verfall des Handwerks in kleinen Staͤdten.

Die Handwerker in kleinen und maͤßigen Staͤdten nehmen immer mehr und mehr ab; ihre Ausſicht wird taͤglich trauriger, und die natuͤrliche Folge davon iſt, daß ſie ſich zu - letzt in lauter Pfuſcher verwandeln muͤſſen. Die Urſache hie - von iſt zwar ſo ſchwer nicht zu finden. Indeſſen wann manM 3die182Von dem Verfall des Handwerksdie Mittel angeben will, wie einem Uebel abzuhelfen: ſo iſt es doch allemal gut, ſie noch einmal aufzuſuchen und mit Auf - merkſamkeit zu betrachten. Erſt muͤſſen wir aber ſehen, wo - durch die großen Staͤdte den kleinen ſo vieles abgewonnen ha - ben, und noch abgewinnen. Der erſte Meiſter, der es in einer großen Stadt ſo hoch brachte, daß er dreißig, vierzig und mehr Geſellen halten konnte, verfiel ganz natuͤrlicher Weiſe auf den Gedank[e] n, jedem Jungen oder Geſellen ſein eignes Fach anzuweiſen, und denſelben dazu ganz allein zu gebrau - chen. So unterrichtete ein Uhrmacher zuerſt einen Geſellen blos in der Kunſt die Uhrfedern zu machen. Ein ander durfte nichts als Stifte; und ein ander nichts als Raͤder arbeiten. Dieſer verfertigte Ziferblaͤtter, jener emaillirte ſie, und ein andrer machte Gehaͤuſe dazu, die wiederum ein andrer gravirte oder durch getriebene Arbeit verſchoͤnerte. Wie alle dieſe Ge - ſellen ausgelernet hatten, verſtand keiner eine ganze Uhr zu machen. Sie blieben alſo, wie ſie ſich beſonders ſezten und heyratheten, von dem Hauptuhrmacher abhaͤngig und gezwun - gen ſich unter ihm an dem großen Orte aufzuhalten, wo er ſeinen Markt aufſchlug. Eben ſo machte es der Tiſchler. Er hatte funfzig und mehr Geſellen; der eine lernte nichts als Stuhlbeine ſchneiden; der andere lernte ſie ausarbeiten, und der dritte poliren. Nach einer nothwendigen Folge behielt er dieſe ſeine Geſellen, wie ſie alle Haarklauber in ihrer Art, und Meiſter fuͤr ſich waren, als Tagloͤhner neben ſich; oder wo ſie ſich veraͤndern wollten, muſten ſie an einem eben ſo großen Ort gehen, wo ſie andern Hauptmeiſtern in die Hand arbeiten konnten.

Dies iſt die kurze Geſchichte von dem Urſprung der ſo - nenannten Simplification, und noch jetzt der Gebrauch in London wie in Paris. Die großen Meiſter genieſſen auſſer der Huͤl - fe ihrer Geſellen, den Vortheil einige hundert ſolcher in ein -zel183in kleinen Staͤdten. zelnen Stuͤcken vorzuͤglich geſchickter und ums Taglohn arbei - tender Meiſter in ihrer Abhaͤngigkeit zu haben, und gelingt es nur reichen Geſellen, die etwas zuzuſetzen haben, daß der Hauptmeiſter ſie zu allen Arten von Arbeiten des Handwerks anfuͤhret. Sonſt braucht er ſie nur in einzelnen Verrichtun - gen, und wenige Geſellen verlangen es beſſer, weil ſie nicht Mittel genug haben, ſelbſt Hauptmeiſter zu werden, und wenn ſie alle Theile des Handwerks lernen wollten, damit, ſo bald ſie nicht Hauptmeiſter ſind, nichts anfangen koͤnnen. Denn wozu ſollte es ihnen nutzen, alle Theile einer Uhr verfertigen zu koͤnnen, da gar keine Uhr auf die alte Art oder von einer Hand mehr verfertiget werden kann, ohne hoͤher im Preiſe zu kommen; und ſie die Mittel nicht haben als Hauptmeiſter ſich die Arbeit von hundert Untermeiſtern zu Nutze zu machen.

Es konnte alſo erſtlich nicht fehlen, oder in großen Staͤdten muſte beſſer und wohlfeiler gearbeitet werden koͤn - nen als in kleinen.

Ein Mahler, Modelleur, Vergulder, Bildhauer, Ver - niſſeur und Graveur gehoͤren unſtreitig mit dazu, um allen Arten von Handwerkern ihre wahre Vollkommenheit zu geben; der Tiſchler gebraucht ſie wie der Schmidt, und der Zeugma - cher wie der Goldarbeiter. Allein ein kleiner Ort iſt keine Schaubuͤhne fuͤr ſo große Acteurs, und ſchwerlich wird ein maͤßiges Staͤdtgen vortrefliche Mahler, Bildhauer und an - dre Kuͤnſtler unterhalten koͤnnen.

Die Folge iſt hievon zweytens, daß in großen Staͤdten der Handwerker die groͤßten Kuͤnſtler zu ſeiner Fuͤhrung und Huͤlfe haben kann; und da er ſich derſelben nur beylaͤufig bedient, dafuͤr nicht mehr als den wahren Werth bezahlt.

In einer großen Stadt iſt insgemein der Geſchmack, oder wenigſtens die Mode, welche deſſen Stelle vertritt, neuerM 4glaͤn -184Von dem Verfall des Handwerksglaͤnzender und verfuͤhreriſcher als in einer Landſtadt. Die Werke, ſo daſelbſt gemacht werden, zeichnen ſich dadurch vor - zuͤglich aus; und ſo muß drittens der beſte Meiſter in einer Landſtadt in einigen Jahren ſeinen Markt verliehren, weil ihm der Meiſter der großen Stadt ſolchen mit Huͤlfe des Ge - ſchmacks und der Mode, ehe er es noch einmal merkt, abge - wonnen hat.

Ein Meiſter in der großen Stadt haͤlt dreyßig, vierzig und mehr Geſellen, wenn der in einer kleinen, deren nur zwey oder drey hat. Dort wird alſo dasjenige in einer Haushal - tung gemacht, was hier in zwanzigen verfertiget wird; und weil zwanzig Haushaltungen mehr Beſchwerden und Abgiften haben als eine; ſo arbeitet viertens die eine mit vierzig Ge - ſellen wohlfeiler als die zwanzig Haushaltungen mit zween.

In großen Staͤdten ſind insgemein Niederlagen von rohen Materialien, die der große Materialiſt fuͤr eine Menge von Abnehmer haͤlt. In der kleinen Stadt hingegen fehlt es entweder an ſolchen Niederlagen; oder der Handwerker muß ſich ſolche ſelbſt anſchaffen; oder aber ſie ſind nicht ſo gut als in den großen Niederlagen, wo die Menge des Abſatzes im - mer friſchen Vorrath, haͤufigere Umſchlaͤge und beſſere Preiſe aus der erſten Hand zuwege bringt. Der Handwerker hat dort nicht noͤthig, ein Capital in die rohen Materialien zu ſtecken, weil ihm ein ander das Magazin haͤlt; und ſo hat fünftens das Handwerk in großen Staͤdten auch hierinn vieles zum voraus.

Sechſtens ſind insgemein an großen Orten bereits ei - nige Fabricken vorhanden, wobey ſich Preſſer, Tuchſcheerer, Schoͤnfaͤrber und andre Profeſſioniſten befinden. Nun haͤlt es ſchwerer an einem Orte, wo gar keine Fabrik vorhanden, eine einzige, als an andern, wo bereits fuͤnfe vorhanden, nochzehen185in kleinen Staͤdten. zehen zu errichten. Hier iſt der Eſprit de Fabrique bereits zu Hauſe. Der geringe Tuchmacher, der einen Webeſtuhl zuwege bringt, findet ſogleich Gelegenheit, dasjenige, was er gemacht hat, walken, ſcheeren, faͤrben und preſſen zu laſ - ſen, ohne daß es mehr koſtet, als er tragen kann. In einer kleinen Stadt hingegen koͤnnen zehn Tuchmacher nichts anfan - gen. Sie ſind nicht im Stande, die Koſten einer eignen Walkmuͤhle, einer Schoͤnfaͤrberey und andere Erforderniſſe zu uͤbertragen: Sie koͤnnen folglich ihre Arbeit zu keiner Voll - kommenheit bringen; und wenn ſie ja ſo gluͤcklich ſind, ein - mal einen Faͤrber zu erhaſchen: ſo iſt es ein Pfuſcher, der ihre Sachen noch dazu verdirbt; und wenn ſie ſolche zur Apre - tur in große Staͤdte tragen, werden ſie leicht uͤbernommen, angefuͤhrt und in falſche Unkoſten geſtuͤrzt.

Endlich und ſiebendens ſind große Fabriken im Stande koſtbare Erfindungen, und Maſchinen und Wind und Waſſer zu nutzen. Sie koͤnnen auf deren Entdeckung und Anlegung vieles verwenden. Sie koͤnnen eigne Leute zum Abſatze, und zur Entdeckung fremder Nationen Geheimniſſe reiſen laſſen, und eine Fabrik durch die andre unterſtuͤtzen. Alles dieſes fehlt in kleinen Staͤdten. Hier koͤmmt alles auf die koſtbare Hand an; der Verdienſt iſt zu ſchwach, um die Anſchaffung großer Maſchinen und die Anlegung von Waſſerwerkern zu nutzen, und ſo iſt alles hier theurer, als an großen Orten.

Wenn man dieſes uͤberdenkt: ſo wird man leicht einſe - hen, daß das Handwerk in kleinen Staͤdten, wo die Simpli - fication nicht ſtatt hat, ſondern der Handwerker ein Tauſend - kuͤnſtler ſeyn muß, wo ihm die Huͤlfe des Geſchmacks der Mo - den und der ſchoͤnen Kuͤnſte fehlt; wo ihm keine Niederlagen, Maſchinen und große Erfindungen helfen, und wo insgemein der Eſprit de Fabrique mangelt, nothwendig verſinkenM 5muͤſſe.186Von dem Verfall des Handwerksmuͤſſe. Man wird leicht einſehen, daß die Kraͤmer, welche beſſere und wohlfeilere Waare aus jenen großen Orten anſchaf - fen koͤnnen, ſich in der Geſchwindigkeit vernehmen und den Handwerker platt niederdruͤcken muͤſſen. Man wird endlich bemerken, daß ein Ort, der einmal auf dieſe Art zu ſinken anfaͤngt, ſeine edelſten Buͤrger verlieren, und da fuͤr jede zehn Thaler, die der Kraͤmer gewinnt, hundert zum Lande hinaus gehen, ſeinen ſichern Untergang befuͤrchten muͤſſe, wofern er nicht einen uͤbermaͤßigen Reichthum von rohen Materialien zur Ausfuhr beſitzt.

Von dem großen Vortheil, welchen die Handwerker in großen Staͤdten dadurch erlangen, daß ſie gleichſam eine taͤg - liche Meſſe vor der Thuͤr haben, will ich nichts erwehnen, weil er eigentlich nur den Virtuoſen und Marktſchreyern zu ſtatten kommt. Indeſſen iſt er doch zum Vortheil neuer Er - findungen von ungemeinem Werthe. Churchil konnte zu Lon - don binnen acht Tagen leicht funfzig tauſend Stuͤck von ſeinen Satyren abſetzen; Deon de Beaumont mit ſeinen Briefen alle ſeine Schulden bezahlen, und noch ein ziemliches eruͤbri - gen. Ein Mann, der die Mondfinſterniß vom 1 April 1764. in Kupfer ſtechen ließ, und ſolche nebſt einem kleinen Glaſe verkaufte, fand gewiß gleich hunderttauſend Kaͤufer. Einer der lederne Dinteflaſchen von beſondrer Art; ein andrer der einen neuen Korkzieher, welcher den Kork heraushebt indem man ihn einſchraubt; und noch ein andrer der ein Federmeſ - ſer, das auf einer Seite rund geſchliffen war, erfand; ver - diente in der Geſchwindigkeit mehr als alle Handwerker in ei - ner kleinen Stadt das Jahr durch zuſammen verdienen. Und wem ſind die Lectures on Heads oder die Vorleſungen uͤber 51 Stuͤck von Papp verfertigte Koͤpfe unbekannt, wo - mit der Erfinder, Herr Steevens in Londen, in den 298 ma - len, daß er ſeine Vorleſungen daruͤber vor einer zahlreichenGe -187in kleinen Staͤdten. Geſellſchaft wiederholte, ſich mehr erwarb, als alle Comoͤ - dianten und Operiſten in ganz Deutſchland? Ich ſchweige von den Coffee - und Theeconverſations des Herrn Foote. Dergleichen Unternehmungen werden dem beſten Genie in einer maͤßigen Stadt kaum Beyfall vielweniger einen Tha - ler einbringen. Er eilt alſo heraus in den großen Ort, wo er ſich fuͤr beſſer Geld zeigen kann, wenn er anders Lunge genug hat, den großen Markt zu uͤberſchreyen. Und ſo ver - lieret die kleine Stadt ein Genie nach dem andern, weil ſie demſelben nicht alle Tage einige tauſend Zuſchauer, Bewun - derer und Kaͤufer verſchaffen kann.

Doch es iſt hohe Zeit, daß wir die kleinen Staͤdte auch einmal ohne Hinſicht auf die großen betrachten, und die Ur - kunden, warum in ihnen das Handwerk immer mehr und mehr abnimmt, in ihrem eignen Archive aufſuchen.

Es finden ſich hier wichtige Stuͤcke; nur ſchade, daß man ſie nicht recht beurtheilen kann, ohne die ganze ſtaͤdtiſche Anlage und Verfaſſung zu kennen. Und dieſe iſt bey man - chen ſo verdunkelt; man hat die wahren Begriffe davon der - geſtalt vernachlaͤßiget und verlohren, daß es Muͤhe hat ſich einem jeden, deſſen Sache es eben nicht iſt, ſogleich einige Folianten nachzuſchlagen, verſtaͤndlich zu machen. Doch ich weis noch einen Rath, und den wollen wir befolgen, bis man mir einen beſſern angiebt.

Wir wollen hier um die Anlage und Verfaſſung der Staͤdte mit hinlaͤnglicher Deutlichkeit zu uͤberſehen, eine na - gelneue Stadt auf dem Papier anlegen. Hier ſey das Dorf, und dort der Landesherr, der ihm in einem gnaͤdigen Briefe bekannt macht, daß er nach reiflicher Ueberlegung in eine Stadt verwandelt und mit Wall und Mauren umgeben wer -den188Von dem Verfall des Handwerksden ſolle. Was werden die Eingeſeſſene dieſes Dorfs dage - gen vorſtellen?

Ach gnaͤdigſter Herr! werden ſie unterthaͤnigſt ſagen, 〟verſchonen ſie uns doch mit dieſer Gnade. Unſer ſind fuͤnf 〟hundert geringe Marckoͤtter, die nichts als eine Hausſtaͤtte 〟und ein klein Gaͤrtgen dabey beſitzen. Wir haben bis hie - 〟zu als arme geringe Leute, die keinen Acker bauen und keine 〟Pferde halten, unſre Fuß - und Handdienſte ſo oft wir zur 〟gemeinen Vertheidigung aufgeboten worden, ſchuldigſt ver - 〟richtet; unſre Wachen am Hauſe alle 6 Wochen willig ge - 〟than, unſern Rauchſchatz bezahlt, und unſer Pfund Wachs 〟dem Kirchſpielsheiligen reichlich abgefuͤhret. Womit ha - 〟ben wir es denn in aller Welt verbrochen, daß wir jetzt 〟Wall und Graben anlegen, Thore bauen, und unſre Miſt - 〟grube vor der Hausthuͤr, wo unſer einziger beſter Raum 〟iſt, koſtbarlich zufuͤllen, und mit Steinen bepflaſtern ſollen? 〟Womit haben wir es verbrochen, daß wir unſere geringe 〟Marckotten, wobey wir kaum eine Austrift fuͤr unſer Vieh 〟haben, ewig mit der Laſt, alle dieſe koſtbaren Anlagen zu 〟unterhalten, beſchweren ſollen? Es gehen fuͤnf Wege durch 〟unſern kleinen Ort; wir werden alſo auch fuͤnf Thore und 〟fuͤnf Bruͤcken anlegen; und um den dritten Tag auf die 〟Wache ziehen muͤſſen, um ſolche zu bewachen. Wir wer - 〟den uns Kanonen und Doppelhaken, und Gott weis, was 〟alles zur Vertheidigung dieſer Waͤlle, anſchaffen; mit un - 〟ſern Soͤhnen und Knechten auf dem Muſterplatze liegen; 〟und wenn ein großer Herr durch unſre Mauern zieht, ihm 〟zu Ehren mehr Pulver verſchieſſen muͤſſen, als wir mit 〟demjenigen, was wir in einem Monat eruͤbrigen, bezah - 〟len koͤnnen. Kommt ein Feind, dem wir nicht widerſtehen 〟koͤnnen: ſo wird er ſich in unſern Mauren feſtſetzen, und 〟Geld, Quartier, Eſſen und Trinken ſatt fordern. Kom -〟men189in kleinen Staͤdten. 〟men Sie uns gnaͤdigſter Herr mit Ihrer Mannſchaft zu 〟Huͤlfe: ſo werden Sie ſolche in unſre Haͤuſer legen, und 〟von uns fordern, daß wir ihnen unſer einziges Bette und 〟unſre beſte Kammer einraͤumen ſollen. Und was werden 〟uns nicht unſre eigne Vorſteher, unſre Buͤrgercapitains 〟unſre Buͤrgeroberſten und unzaͤhlige andre Bediente, die 〟zu einer ſolchen Anſtalt nothwendig erfordert werden, koſten? 〟Jetzt bringen wir unſern Rauchſchatz an den Vogt, und 〟haben auſſer einen Bauerrichter keinen Vorſteher zu beſol - 〟den. Dann aber werden wir deren wenigſtens funfzig, und 〟Rathhaͤuſer, und Arſenale, und Pulverthuͤrme, und mehr 〟Steinpflaſter zu unterhalten haben, als ſich im ganze Lande 〟befindet. Wie kann man aber uus geringen Leuten dieſes 〟der Billigkeit nach auſbuͤrden? Von unſerm Acker kann 〟man dieſes nicht fordern; denn wir haben keinen. Auf 〟unſere Koͤpfe kann man es nicht legen, da jedermann in 〟hieſigem Lande ſeinen Kopf frey hat; und da ſonſt niemand 〟eine Vermoͤgenſteuer bezahlt: ſo wird man das wenige, 〟was wir mit unſer Hand erwerben, ſo lange Recht noch 〟Recht bleibt, auch nicht damit belegen koͤnnen.

Dieſes werden ihre Gruͤnde ſeyn, dem ſich noch hun - dert andre von gleichem Gewichte hinzufuͤgen laſſen. Was wird aber der Landesherr auf dieſe Beſchwerden verſetzen.

Lieben Leute, wird er ſagen, es iſt wahr, ihr ſeyd 〟nicht ſchuldig dieſe Laſt fuͤr das ganze Land zu uͤbernehmen. 〟Allein es iſt kayſerlicher Befehl, und die Reichs - ſo wie die 〟gemeine Landesnoth erfordert es, daß euer Dorf in eine 〟Stadt verwandelt werde. Wir haben ſonſt in Kriegeszei - 〟ten keine Zuflucht, und ein ſtreifender Feind kann ſonſt alles 〟auf einmal auspluͤndern, wenn wir nicht unſre beſte Sachen 〟hinter eure Mauren fluͤchten koͤnnen. Damit es euch aber〟nicht190Von dem Verfall des Handwerks〟nicht zu hart falle: ſo ſoll das ganze Land zur Errichtung 〟der Waͤlle und Graben helfen. Wir wollen ſolche auf ge - 〟meinſame Koſten in guten Stand ſetzen, und euch eine kleine 〟Acciſe von allem was durch euren Ort geht, erlauben, damit 〟ihr ſolche unterhalten koͤnnt. Ihr ſollet den bisherigen 〟Rauchſchatz dazu einbehalten; und von den Wachen an den 〟Amthaͤuſern befreyet ſeyn. Die Bruchfaͤlle, ſo in euerm 〟Orte vorfallen, ſollen zum Unterhalt eurer Buͤrgercapitains 〟dienen. Sie ſollen die Fiſcherey in den Graben zu ihrer 〟Ergoͤtzlichkeit und fuͤr die Raͤumung behalten. Ihr ſollet, 〟da ihr keinen Acker habt, und alle dieſe Laſten einzig und 〟allein von eurer Handarbeit beſtreiten muͤſſet, nach Vor - 〟ſchrift der vom Kayſer ausgegangenen Befehle, das Hand - 〟werk und den Handel durchs ganze Land allein treiben duͤr - 〟fen, und dabey von allen Zoͤllen befreyet ſeyn. Es ſoll kein 〟Jude oder ander reiſender Kraͤmer gegen euch gedultet wer - 〟den. Und wir wollen ohne die hoͤchſte Noth keinen Krieg 〟anfangen, ohne euch zu Rathe zu ziehen, damit wir euch 〟nicht zu oft mit den Koſten einer auſſerordentlichen Ver - 〟theidigung uͤberladen.

So ſieht der Originalcontrakt zwiſchen dem Lande und ſeinen Staͤdten durch ganz Deutſchland aus; und man wird leicht von ſelbſt einſehen, daß derſelbe nicht anders angenom - men werden koͤnne: er iſt auch wuͤrklich dem Plan vieler orientaliſcher Staͤdte vorzuziehen, worinn man oft tauſend Ackerhoͤfe zuſammen gezogen hat, weil man ſich nicht getrauete, eine ſolche ſchwere Anlage blos dem Fleiße, oder dem Handel und Handwerke allein aufzubuͤrden.

Ehe wir aber die Folgen, ſo wir hieraus zu unſer Ab - ſicht gebrauchen, ziehen wollen, wird es noͤthig ſeyn, einige ſcheinbare Einwuͤrfe zu heben, welche man jetzt einer ſolchenehe -191in kleinen Staͤdten. ehedem unter obigen Bedingungen angelegten Stadt machen koͤnnte. Man kann ſagen, es ſey erſtlich dieſer Originalcon - trakt von den Markkoͤttern ſelbſt gebrochen, da ſie anfaͤnglich ihre Bannkreuze zunaͤchſt an ihrem Kohlgarten gehabt, jetzt aber eine weitlaͤuftige Feldmark und Aecker in Menge haͤtten - Allein man kann dreiſte annehmen, daß kein Weichbild einen Morgen Landes erhalten habe, ohne von jedem jaͤhrlich ein Scheffel Korns zu uͤbernehmen,*)Dies iſt der Urſprung des ſogenannten Morgenkorns, welches noch jetzt aus der Wiedenbruͤcker, Luͤbker, Beckum - mer und andrer Staͤdte Feldmarken entrichtet wird. Die Formul der Verleihung, wenn einem Weichbilde Acker - land zugeſtanden wurde, war insgemein dieſe: Nos Lu - dolfus Dei gratia Monaſterienſis Epiſcopus -- civi - bus in Beckheim curtem Beckem ac duos manſos Moderich et agros eis attinentes ad ſirman locavi - mus, concedentes eos perpetuo dictis civibus et eorum ſucceſſoribus, titulo juris, quod in teutoni - co Wichbelete Rechte dicitur ſub annua penſione ut videlicet centum pullos et de unoquoque jugere quod Morgen ſonat, unum modium tritici annuatim exſolvant. Nunning in monum. Monaſt. p. 117. Von dem Oſnabruͤckiſchen Morgenkorn heißt es z. E. Wedekindus D. G. Oſn. eccl. Ep. -- Mericam (die Mark) inter novam civitatem noſtram et villam quæ vocatur Hetlage juxta communem viam -- de conſenſu eorum qui vulgariter Ervexen nunc dicun - tur, et de conſenſu antiquæ civitatis noſtræ Oſnab. et novæ per certa jugere inter Burgenſes ita diſtri - buendam decrevimus ut de unoquoque jugere unus modius ſiliginis et unus ordei per dimidiam men - ſuram ſingulis annis in Feſto S. Martini perſolvan - tur Docnm. d. 1267. womit insgemein einMann192Von dem Verfall des HandwerksMann beliehen wurde, der dafuͤr die auf dieſen Aeckern haf - tende gemeine Reichs - und Landesvertheydigung ausrichtete. Wo ſie nun dieſes Korn nicht mehr entrichten, da haben ſie ſolches mit baarem Gelde ausgekauft; und ſie genieſſen dieſes ihres Kaufs mit Rechte. Hiernaͤchſt ſind nach geſchloſſenen Originalcontrakt fuͤr jede Stadt weitlaͤufige Landwehren und Wahrthuͤrme hinzugekommen, deren Unterhaltung und Be - ſatzung die Stelle derjenigen gemeinen Vertheydigung vertritt, welche aus der Feldmark, ehe ſie der Stadt zugeſtanden wurde, erfolgte. Allenfals aber muß man ihr den Acker nehmen und ſie auf ihre urſpruͤngliche Verfaſſung von neuen einſchraͤnken.

Man wird zweytens ſagen; die Staͤdte koͤnnten jetzt Waͤlle und Mauren, Landwehren und Wahrthuͤrme eingehen laſſen, auch ihre Wachen abſchaffen, da man jetzt das eine ſo wenig als das andere zur gemeinen Vertheydigung weiter gebrauche; und ſo waͤre es nicht unbillig, wenn die alten Markkoͤtter wieder zu den Amtswachten, zum Rauchſchatze und zu andern gemeinen Auflagen gezogen oder aber die ihnen zugeſtandene Acciſegelder zur gemeinen Landesvertheydigung verwendet wuͤrden. Allein nicht zu gedenken, daß das letztere in vielen Laͤndern, wiewohl nicht durch einen philoſophiſchen Schluß, wuͤrklich geſchehen; und daß man mit dieſem Ein - wurfe alle Lehnguͤter, da die Lehnleute auch nicht mehr die - nen, aufheben, und viele andre geiſt - und weltliche Privile - gien, die unter andern Umſtaͤnden und Bedingungen gegeben ſind, wieder einziehen koͤnnte: ſo ſtehen die den Staͤdten von Reichswegen obliegender Quartier - und Winterquartierslaſten, ſo wie die von ihnen fuͤr das Land uͤbernommenen Einquar - tierungen und viele andre mit ihrer Verfaſſung verknuͤpfte Laſten, noch immer mit ihren Gründen in keiner Verhaͤltniß; und ſo lange der Landmann ſo wenig ſeinen Kopf als ſein Ver - moͤgen zur gemeinen Vertheydigung verſteuret, muß auch derEin -193in kleinen Staͤdten. Einwohner einer Stadt beydes frey haben. Wenn ſie alſo nicht Handwerk und Handel zum voraus behalten; wofuͤr ſoll denn der Koͤtter zwiſchen den Mauren mehr tragen als derje - nige, ſo auſſer den Mauren wohnet? Warum ſoll ein Buͤr - ger, der vom Staate nichts ſteuerbares als ſein Haus und ſein Gaͤrtgen beſitzt, einem Soldaten Quartier geben, da der Beſitzer eines Hauſes und Gaͤrtgens auf dem Lande, Him - mel und Erde bewegen wuͤrde, wenn man ihn damit belegen wollte? Warum ſollen die Koͤtter hinter den Mauren zur ge - meinen Vertheydigung Acciſegelder entrichten, ſo lange im ganzen Lande keine Acciſe eingefuͤhret iſt? Man ſetze ſie wie - der in ihren alten Zuſtand: ſo bezahlen ſie hier von ihren Haͤu - ſern Rauchſchatz; und von ihrem Handel einen traficanten Thaler. Weiter aber in ſolchen Laͤndern nichts, wo keine an - dere gemeine Auflagen insgemein bewilliget ſind.

Man wird endlich und drittens richtig bemerken, daß das Land, welchem zum Beſten das Dorf in eine Stadt verwandelt worden, nicht die ganze Provinz geweſen ſey. Ganz gut; man nehme das Land kleiner an; man ſetze nach dem Sinn der Reichsgeſetze, daß das Land, mit welchem der Originalcon - trakt geſchloſſen worden, vier Meilen lang und vier breit ge - weſen; ſo wird man der Stadt doch auf allen Seiten zwey Bannmeilen geben muͤſſen, binnen welchen ihr der Handel und das Handwerk ganz allein zuſteht, wofern anders jener Originalcontrakt nicht gebrochen werden ſoll.

Jetzt zur Sache. Die erſte Urſache des Verfalls der kleinen und maͤßigen Staͤdte, iſt der Bruch dieſes Original - contrakts, da man demſelben zuwider Handel und Handwer - ker binnen den Bannmeilen (banlieues) dieſer Orte gedulter hat. Ich weis wohl, dieſe Bannmeile iſt nicht uͤberall von gleicher Laͤnge geweſen, indem ein Ort der viele Graben, Waͤlle, Bollwerke, Thoren und Bruͤcken zu unterhalten hat,Möſers patr. Phantaſ. I. Th. Nganz194Von dem Verfall des Handwerksganz andre Bannmeilen bekommen hat, als ein Weichbild, das hoͤchſtens eine ſteinerne Mauer und zwey Thore zur Lan - desvertheidigung unterhaͤlt, oder etwa mit einer Compagnie belegt wird, wenn in dem groͤßern Ort viele Regimenter lie - gen. Allein das hindert nicht, daß nicht eine Bannmeile, ſie ſey nun ſo groß oder ſo klein wie ſie wolle, ſollte ſie auch fuͤr ein kleines Flecken nicht uͤber eine halbe Stunde betragen, aus der urſpruͤnglichen Anlage herfuͤrgehe, und durch keine Verjaͤhrung geſchmaͤlert werden koͤnne, weil dieſe Verjaͤhrung das Staͤdtgen mit der Zeit von ſelbſt aufheben, und in ein Ackerdorf verwandeln wuͤrde.

In Sachſen, wo die Staͤdte noch in ziemlichen Flor ſind, wird auf die Bannmeile ganz genau geſehen, und auf den Doͤrfern kein Handel und kein Handwerk geſtattet. Man findet auf denſelben zwar wohl einige Hoͤker, die mit Theer, Thran, Wagenſtricken und Schwefelhoͤlzern handeln; auch wohl einen Hufſchmied und Rademacher; und endlich von den Handwerkern einen Altflicker. Allein auſſer dieſen wird kein Gewerbe auſſerhalb den Staͤdten und Weichbilden gedultet. In den mehrſten weſtphaͤliſchen Provinzien hingegen, und beſonders in unſerm Stifte, iſt ſeit hundert Jahren ſowol der Handel als das Handwerk aus den Staͤdten auf das Land ge - zogen. In allen Doͤrfern ſind Apotheken, Weinſchenken und Kraͤmer in Menge, und es iſt noch nicht gar lange, daß ſich aus einem einzigen Kirchſpiele dreyßig Schneider meldeten, und Gilderecht verlangten. Wir wollen nun annehmen, daß ſich hier tauſend Kraͤmer und Handwerker auf dem platten Lande befinden und ernaͤhren: ſo iſt dieſes ein Abgang von tauſend Buͤrgern fuͤr die Staͤdte, die ſich ehedem daſelbſt er - naͤhrten, nun aber auf dem Lande frey ſitzen, und ihre zuruͤck - gebliebene Mitbuͤrger unter der Laſt der beſtaͤndigen Wachen, Einquartierungen, und Auflagen zur Unterhaltung von Waͤl -len,195in kleinen Staͤdten. len, Thoren und Mauren ſeufzen laſſen. Dieſe Laſt dauert unvermindert fort; die Zahl der Buͤrger hingegen nimmt ab; und wenn es alſo weit gediehen, daß ſie bis auf zwey oder dreyhundert zuſammenſchmelzen: ſo muß die Stadt ganz ein - gehen, weil in dieſem Falle die Laſt fuͤr jeden bis auf hundert Thaler des Jahrs ſteigen muß, wogegen derjenige, ſo auſſer den Mauren ſitzt, hoͤchſtens einen Thaler bezahlt.

Dieſem gaͤnzlichen Verfalle vorzukommen, iſt kein ander Mittel, als daß ein Landesherr mit ſeinen Staͤnden ſowol den Handel als das Handwerk von dem Lande wieder in die Staͤdte ziehe, und da wo dieſe zu entlegen ſind, das Dorf, was da - zu am bequemſten liegt, zum Weichbilde erhebe.

Die zweyte Urſache des Verfalls der Landſtaͤdte iſt der Mangel einer genauen Bilanz zwiſchen dem Ackerbau und dem Fleiße. So bald der Handel und das Handwerk den Staͤdten vorabgelaſſen und ihnen gleichſam ein Monopolium im Lande eingeraͤumet wird; ſo muͤſſen die Buͤrger in gleichem Verhaͤltniſſe mit dem Landmann die oͤffentlichen Laſten tragen. Dies iſt der erſte Grund ihrer Verfaſſung geweſen. Ihnen iſt die Unterhaltung von Thoren, Waͤllen, Graben, Pulver - thuͤrmern und Zeughaͤuſern nebſt deren Vertheidigung als ihr Antheil der gemeinen Landesvertheidigung auferlegt worden; waͤhrender Zeit der Landmann entweder ſelbſt fuͤrs Vaterland fochte, oder einen Lehnmann unterhielt, oder eine Steuer zu Bezahlung der Soͤldner entrichtete. Wollten nun die Staͤdte den Handel und das Handwerk vorab be - halten, und gleichwohl ſich auf keine Bilanz mit dem umlie - genden Lande einlaſſen: ſo werden ſie leicht zu viel oder zu wenig beytragen. Hiernechſt und da jede Landſchaft insge - mein aus dreyen Staͤnden beſtehet, wovon zween mehr An - theil an der Wohlfarth des platten Landes als der Staͤdte ha - ben: ſo wuͤrde in der Beurtheilung und Bewilligung der ge -N 2mei -196Von dem Verfall des Handwerksmeinen Vertheidigung ein verſchiedenes und den Staͤdten ſchaͤdliches Intereſſe herrſchen. Daher iſt es billig und noth - wendig, daß eine Bilanz gemacht, und dazu ein Satz von der Art, wie er ſich vieler Orten findet, angenommen werde; nemlich: Wenn einer Stadt zwey Bannmeilen zugeſtanden ſind; und dieſe zwey Bannmeilen zehntauſend Thaler aufzu - bringen haben, ſollen 9 Theile vom Acker und der Zehnte von dem ſtaͤdtiſchen Fleiße entrichtet werden.

Durch dieſen Satz vereiniget ſich das Intereſſe der Staͤnde; und die ſchaͤdliche Vermuthung faͤllt weg, daß ein Stand dem andern die Laſten zuzuwelzen gedenke.

Ein ſolcher Satz, welcher blos nach den Bannmeilen abgemeſſen wird, druͤckt den Groshandel der Staͤdte nicht. Dieſer wird, weil er ſonſt nicht beſtehen kann, nicht dadurch beſchweret, ſondern denſelben zur mehrern Ermunterung des Fleißes, und des daher in die Wohlfarth des ganzen Landes flieſſenden Vortheils billig freygelaſſen. Ein ſolcher Satz wuͤrde auch zugleich dazu dienen, die Laſt, welche die Staͤdte jetzt noch durch die Einquartierung fuͤr dem Lande voraus ha - ben, in richtige Abrechnung zu bringen. Denn geſetzt, daß eine Stadt ſodann mit tauſend Mann belegt wuͤrde: ſo waͤre nichts billigers und leichters als ihr fuͤr jeden Mann ein ſichers an ihrem Beytrage abziehen zu laſſen, oder aber der - ſelben, dasjenige zu verguͤten, was ſie uͤber ihren Antheil an den oͤffentlichen Laſten ſolchergeſtalt tragen muͤßte.

Zur dritten Urſache rechne ich den Abfall der gemeinen Ehre. Zur Zeit, wie der Krieg noch mit Lehnleuten gefuͤhret wurde, verhielten ſich die Buͤrger zu den Lehnleuten, wie ein Garniſonbataillon zum Feldbataillon; und mancher treflicher Lehnmann trug gar kein Bedenken eine Compagnie unter dem Garniſonbataillon anzunehmen. Aber durch diegroße197in kleinen Staͤdten. große Veraͤnderung im Militairweſen hat der Buͤrger als Buͤrger ſehr vieles von ſeiner alten Ehre verlohren. Dies verurſacht, daß die beſten Genies und die bemittelteſten Leute unter ihnen, Gluͤck und Ehre im Herrndienſte, der gemei - nen buͤrgerlichen Ehre vorziehen. Und da der Herrndienſt ſich nicht wie der alte Buͤrgerdienſt mit dem Handel und dem Handwerke vertragen will: ſo macht dieſes einen entſetzlichen Ausfall aus der Zahl der Buͤrger. Der roͤmiſche Soldat gieng lange Zeit vom Pfluge zu Felde, und vom Siege zum Pfluge. Dies erhob und erhielt die gemeine Ehre. So bald aber Schwerdt und Pflug getrennt wurden; ſo wurde dieſer ſchimpflich und verlaſſen, jenes aber geehrt und geſucht.

Hingegen iſt kein ander Mittel als den Buͤrger in Uni - forme zu ſetzen, und ihn auf eine vernuͤnftige Weiſe zu ſeiner vormaligen Ehre wieder zu erheben. In der That iſt auch gar kein hinlaͤnglicher Grund anzugeben, warum der Buͤr - ger und Landwirth, zwiſchen zwanzig und funfzig Jahren, nicht ſowol einen rothen oder blauen als einen braunen Rock tra - gen koͤnne? Warum unſre Kinder auf Schulen und Univer - ſitaͤten nicht eben ſo gut das Exerciren als Reiten, Tanzen und Fechten lernen ſollten? Warum Uebung und Manns - zucht nicht eben das aus ihnen ſollte machen koͤnnen, was aus ihren Soͤhnen gemacht wird? Und warum ein Doctor der Rechte nicht ſo gut mit dem Degen, als mit der Feder fech - ten ſollte? Es liegt einzig und allein an dem Grade der Ehre, welcher damit verknuͤpft wird. Ein Fuͤrſt ſey nur ſo unvor - ſichtig, und gebe einem Land - oder Garniſonbataillon nicht den gehoͤrigen und zaͤrtlichen Grad der Ehre der ihm zukoͤmmt; ſogleich wird es ſeine beſten Leute, und ſeinen ganzen Ton verlieren. Er beehre ſeine Buͤrger, ſo bald ſie in Uniforme geſetzt, und gleich andern geuͤbt ſind, mit ſeinem Beyfalle und mit der noͤthigen Achtung! ſogleich werden ſich die reichſtenN 3und198Von dem Verfall des Handwerksund bemittelteſten Leute um die Wette beſtreben einen Platz darunter zu erhalten. So war die alte Verfaſſung. Durch dieſe kluge Vertheilung der Ehre erhielt man alle Staͤnde in ihrer gluͤcklichſten Gradation, und man brauchte nicht nach dem Exempel des jetzigen Kriegs von Frankreich jaͤhrlich zwey Kaufleute zu adeln (ein Ausweg der allein die Schwaͤche un - ſer neuern Politik zeigt) um den Handel empor zu bringen.

Der Gedanke, daß alle Buͤrger in Uniforme geſetzt werden ſollen, wird manchem ſeltſam vorkommen. Ich be - haupte aber, daß dieſes der erſte und fuͤrnehmſte Schritt zur Wiederſtellung der ſtaͤdtiſchen Wohlfarth ſeyn werde. Wenn der Soldat ein Handwerk treibt: ſo ſieht der Officier dieſes gern. Er betrachtet ihn als einen tuͤchtigen guten und ſichern Mann; und wenn er heyrathen will: ſo iſt das Handwerk die beſte Empfehlung bey ſeiner Braut. Sie ſieht darauf als auf ſeine ſicherſte Penſion im Alter. Wenn hingegen ein buͤrgerlicher Handwerker den Degen ergreift: ſo lacht man daruͤber. So naͤrriſch iſt unſre Einbildung. Der Grund iſt und bleibt aber unſtreitig, daß die nordiſchen Voͤlker und beſonders die Deutſchen die Ehre hauptſaͤchlich mit den Waf - fen verknuͤpfen, und diejenigen auf die Dauer verachten, die ſolche zu tragen und zu brauchen nicht berechtiget ſind. Und ſo iſt kein ander Mittel, als den Degen mit dem Handwerke wieder zu verbinden, um dieſem Stande die noͤthige Ehre zu verſchaffen. Die hartnaͤckigteſten Belagerungen, wovon wir in der Geſchichte leſen, ſind von Buͤrgern ausgehalten wor - den, die fuͤr ihren Heerd, fuͤr Weiber und Kinder gefochten. Man lieſet, daß dieſe mit zu Walle gegangen, und ihren Maͤnnern geholfen, ſie verbunden und begraben haben. War - um ſollte ihnen denn nicht nach den Feldregimentern die Ehre von Garniſonregimentern eingeraͤumet werden koͤnnen? War - um ſollte ein kluger Fuͤrſt, ſolche Leute, die ihre Pflicht ohneSold199in kleinen Staͤdten. Sold thun, die ihre Uniforme ſelbſt bezahlen, ihre Penſion ſelbſt erwerben, ihre Officier, Feldprediger, Feldaͤrzte und Commiſſarien ſelbſt unterhalten, Pulver, Bley und Waffen ſelbſt anſchaffen, und ihre ganze Bezahlung allein in der noͤ - thigen Ehre finden wuͤrden, warum, ſage ich, ſollte ein klu - ger Fuͤrſt dieſe nicht wieder zu ihrem alten Range, und durch denſelben dahin bringen koͤnnen, daß ſie ihr Handwerk mit Eifer, Muth und Freude fortſetzten? und ſolches allezeit in Verbindung mit der Ehre betrachteten? Ich will nichts da - von erwehnen, daß die Uniforme zugleich ein Mittel ſeyn wuͤrde, der Kleiderpracht abzuhelfen und dem Staate unend - liche Summen zu erſparen; nichts davon, wie ſehr der Wett - eifer dadurch angeflammet werden koͤnnte, wenn keinem Tag - loͤhner, keinem Beywohner, und keinem andern als wuͤrkli - chen Buͤrgern und Meiſtern die Ehre der Uniforme und an - derer Ehrenzeichen zugeſtanden wuͤrde. Und endlich nichts davon, wie reich und mannichfaͤltig die Quelle der buͤrgerli - chen Belohnungen werden wuͤrde, welche man jezt aus Noth, aber zum Verderben des Staats, in Adelsbriefen und Titeln ſuchen muß. Es iſt genug, daß fuͤr drey hundert Jahren die buͤrgerliche Verfaſſung ſo geweſen, daß ſie damals in großen Flor war; und daß in London die Buͤrger den Titel Livree - men als ihren eigentlichen Ehrennamen betrachten, wodurch ſie ſich von Beywohnern und Einliegern, die nicht zur Fahne und Farbe gehoͤren, unterſcheiden.

Mancher wird zwar gedenken, es ſey gefaͤhrlich, ſo vie - len Leuten das Recht der Waffen zu erlauben, und ſelbige den regulairen Truppen gleich zu uͤben. Allein dies iſt die Politik der Deſpoten, die ihren freyen Unterthanen das Recht zu klagen, nicht aber das Recht ihren Worten Nachdruck zu geben, verſtatten wollen. Fuͤrſten, welche anders denken, tragen kein Bedenken, eine wohlgeuͤbte Nationalmiliz zu un -N 4ter -200Von dem Verfall des Handwerksterhalten; und nichts iſt gewiſſer, als daß nach der Wendung, welche die Sachen nehmen, in hundert Jahren die National - miliz uͤberall das Hauptweſen ausmachen, und Freyheit und Eigenthum, welche ſonſt bey der Fortdauer unſer jetzigen Verfaſſung zu Grunde gehen muß, von neuen befeſtigen werde.

Die vierte Urſache des ſtaͤdtiſchen Verfalls iſt, daß das beſchwerliche der alten Einrichtungen beybehalten und das nuͤtz - liche davon verlohren iſt. Das Regiment iſt durch den Ver - luſt ſeiner Ehre auseinander gejagt und die Officiers ſind ge - blieben. Eine Stadt hat ehedem leicht dreytauſend wehrhaf - ter Buͤrger gehabt; jetzt ſind deren an manchen Orten keine fuͤnfhundert vorhanden; und doch ſollen dieſe den General - ſtab oder den Magiſtrat nach dem erſten Plan unterhalten. Dies iſt nicht moͤglich; und ſo verlaͤuft ein Buͤrger nach dem andern das Regiment, und ſetzt ſich in Freyheit aufs Land.

Es muß daher entweder die alte Verfaſſung durch Mit - theilung der noͤthigen Ehre wieder hergeſtellet oder aber auch dasjenige, was davon zuruͤck geblieben, voͤllig aufgehoben, und fuͤr den ganzen Generalſtab ein einziger Amtmann mit einem tuͤchtigen Schreiben eingefuͤhret werden, wofern an - ders die noch uͤbrigen Buͤrger unter der Laſt nicht erliegen ſollen. Alsdenn aber ſind die Buͤrger, wofern man ſie nicht willkuͤhrlich behandeln will, keiner andern Steuer als den all - gemeinen Landſteuren unterworfen, und das ganze Land iſt ſchuldig ihnen fuͤr jeden einquartierten Soldaten die Miethe, fuͤr jede Wache ſo ſie außer der gemeinen Reihe thun, den Lohn; und fuͤr jedes Vollwerk die Unterhaltungskoſten zu be - zahlen. Geſchicht dieſes nicht: ſo zieht ſich jeder aus einem ſo beſchwerlichen Kefigt heraus; und die Stadt hoͤret allmaͤh - lig auf Stadt zu ſeyn.

Eine201in kleinen Staͤdten.

Eine andre Frage iſt es jedoch, ob eine Stadt unter einem Amtmann ſolchergeſtalt beſtehen koͤnnen? Hievon findet ſich kein Exempel in der Geſchichte; und es iſt auch gar nicht glaublich oder wahrſcheinlich, daß irgend eine betraͤchtliche Anzahl von geſchickten, fleißigen und unternehmenden Hand - werkern oder Kaufleuten ſich jemals auf andre Art vereinigen koͤnne und werde, ohne eine buͤrgerliche Obrigkeit ihres Mit - tels zu haben. Eben deswegen aber iſt es um ſo viel noͤthi - ger auf die Wiederherſtellung der gemeinen Ehre zu denken. Die Mittel, Staͤdte in Flor zu bringen, jedem Buͤrger Pa - triotiſmus einzufloͤßen, und ihn zu großen Unternehmungen zu begeiſtern, waren in den alten Zeiten Ehre, Ruhm, Frey - heit und Privilegien. In den neuern Zeiten glaubt man ſich zu verſuͤndigen, wenn man ihnen einen Ehrentittel mehr giebt, als ſie vor drey hundert Jahren gehabt. Trefliche Politik, deren Ungrund nicht deutlicher als aus dem elenden Anblicke der Staͤdte ſelbſt erhellet. Der Abfall jener Ehre hat aber nicht allein die beſten und bemittelteſten Leute in den Herrn - dienſt gejagt; ihre Soͤhne zu Titteln, und ihre Toͤchter zu unbuͤrgerlichen Ehen verfuͤhrt; ſondern auch auf die niedrig - ſte Claſſe der Einwohner gewuͤrket. Sie iſt an manchen Or - ten Schuld daran, daß der Tagloͤhner dem Buͤrger gleich auf die Wache ziehen, und ſolchergeſtalt den vierten Pfennig von ſeinem Erwerb ſteuren muß. Denn da er des Jahrs gewiß 50 Wachen thun muß, und nach der von den franzoͤſiſchen Generalpaͤchtern jetzt gemachten Rechnung, welche jedoch das Parlament noch viel zu ſtark findet, nur zweyhundert Arbeits - tage im Jahr, ſonſt aber kein Vermoͤgen hat: ſo ſteuret der Tagloͤhner, der funfzigmal des Jahrs auf die Wache zieht, den vierten von allem was er hat. Dies iſt eine uͤbermaͤßige Steuer; die ihm nie wuͤrde aufgebuͤrdet ſeyn, wenn der wahre Buͤrger die alte Ehre eines Garniſonſoldaten behalten, undN 5man202Von dem Verfall des Handwerksman es fuͤr einen Schimpf geachtet haͤtte, dieſe Ehre mit ei - nem Tagloͤhner zu theilen. Die ſicherſte Folge davon iſt, daß Tagloͤhner, Beywohner und alle Arten geringer Leute, welche doch zum Flor der Manufakturen und zur wohlfeilen Hand ſo unentbehrlich ſind, ſchlechterdings unter der Buͤrgerſchaft nicht beſtehen, und entweder auf befreyten Plaͤtzen oder auf dem Lande wohnen, mithin ſolchergeſtalt den ſtaͤdtiſchen We - ſen nicht zum Vortheil kommen koͤnnen. Die buͤrgerliche Ehre erwaͤchſt aus dem Vermoͤgen viele Beſchwerden freudig uͤber - ſtehen zu koͤnnen. Und will ein Tagloͤhner dieſe Ehre haben: ſo muß er Buͤrger werden, und ſeinen Antheil der Beſchwerde uͤbernehmen. Allein es muß erſt wieder eine Ehre werden, das Buͤrgerrecht zu haben; und das kann allein durch eine allgemeine Vereinigung der Reichsfuͤrſten geſchehen, wodurch ſie dem Buͤrger wieder zu ſeiner ehemaliger kriegeriſchen Ehre verhelfen.

Die Menge von kleinen Territorien, und ihr beſtaͤndi - ger heimlicher Krieg gegen einander, mag fuͤglich zur fuͤnften Urſache ihres Verfalls gezaͤhlet werden, beſonders da ſo wenig an Reichs - als Kreistagen die gemeine deutſche Wohlfahrt in Handel und Wandel in einige Betrachtung gezogen wird.

Man muß erſchrecken und lachen, wenn man an man - che Kreistagesgeſchaͤfte gedenkt. Vorzeiten, wie erfahrne Canzler, Burgemeiſter und Syndici aus den Staͤdten als Geſandten auf den allgemeinen Reichstag geſchickt wurden, ſo las man in den Reichsabſchieden noch wohl, daß kein un - gefaͤrbter Ingwer verkauft, kein ungenetzt und ungeſchornes Tuch ausgeſchnitten, keines mit Teufelsfarbe gefaͤrbt, keine Haͤute ungeſalzen verfuͤhrt, keine Wolle auſſerhalb Reichs ge - bracht, und keinem Wandſchneider ein dunkles Vordach ver - ſtattet werden ſolle. *)S. die Policeyordnung von 1577. Tit. 20. 21. 22.Seitdem aber ſolche Herrn, de -nen203in kleinen Staͤdten. nen man es eben nicht zum Schimpf anrechnen kann, wenn ſie von Wollen - und Lederarbeiten nichts verſtehen, zum Reichstage abgeſchickt worden, hat man zwar von vielen wich - tigen Dingen aber nichts von ſolchen gehoͤrt, welche auf den Handel der Nation und eine gute allgemeine Policey die ge - ringſte Beziehung haͤtten. Aber deſto fleißiger und reiflicher ſollten dergleichen Sachen auf den Kreistagen, und beſonders auf denen Kreistagen, welche von einer Menge kleiner Reichs - ſtaͤnde beſchickt werden, und dazu in der Reichs-Policeyord - nung eigentlich angewieſen ſind, uͤberleget werden. Die Landſtaͤdte ſollten hier, ohne Nachtheil ihrer Mittelbarkeit, ihre eigne Handelstage, ihre Kreisboͤrſe, und ihre Verei - nigungen haben. Sie ſollten die Handels - und Handwerks - Policeyſachen fuͤr ſich abthun moͤgen, und von ihren Landes - herrn mit dem Vertrauen beehret werden, daß ſie ſolche beſ - ſer als ſeine Krieges - und Cammerraͤthe beurtheiten und ein - richten wuͤrden.

Die heutige Politik der einander nacheifernden Natio - nen beſtehet darinn, daß die eine fuͤr der andern ſchoͤnere, beſ - ſere und wohlfeilere Waaren zu verfertigen, und damit den auswaͤrtigen Markt zu gewinnen und zu erhalten ſich bemuͤ - het. Die Politik der Kreisſtaͤdte und der kleinen Staaten hingegen geht einzig und allein dahin, ſich einander durch ſchlechte, betriegliche und wohlfeilere Waaren den Vortheil ab - zujagen. Wenn die Stadt Coͤlln es wagt, zwoͤlfloͤthig Silber zu verarbeiten, um den Augſpurgern den Preis abzugewinnen: ſo wagt es .... eilfloͤthig Silber zu verarbeiten; und kaum hat dieſe damit den Anfang gemacht: ſo macht die Stadt ihre Probe zehnloͤthig, und damit dieſe nicht zu viel gewinne: ſo iſt die Probe der Stadt achtloͤthig; und der Jude hat ſeine Hauſirwaare aus ſechsloͤthigem verfertigen laſſen. Der arme Unterthan, der von allen dieſen nichts ver -ſte -204Von dem Verfall des Handwerksſtehet, und das neue Silber immer glaͤnzend genug findet, wird indeß betrogen; und denkt, der Markt, worauf er ein Loth Silber fuͤr 12 mgr. kaufen kann, ſey ungleich ſchoͤner, als ein ander, der es zu 24. mgr. ausbietet. Sollte aber einem ſolchen Unweſen nicht durch Kreisſchluͤſſe abgeholfen, einerley Silberprobe eingefuͤhrt, und der Preis deſſelben auf dem Kreistage ſo geſetzt werden, wie es die auswaͤrtige Cor - reſpondenz mit ſich braͤchte?

Der weſtphaͤliſche Kreis muß ſich ſchaͤmen, wenn er an die Art und Weiſe gedenkt, wie er ſich von einigen Frankfur - ter Kaufleuten mit dem Zinn behandeln laͤßt. Die Wilden in Amerika werden nicht ſo arg mit glaͤſernen Corallen, Spie - geln und Puppenzeug als wir init dem Zinne um unſer gutes Geld betrogen. Die Italiaͤner, Tyroler, Bayern, Schwa - ben und Franken, welche unſre Gegenden mit allerhand un - geprobten Waaren belaufen, verſorgen ſich alle in Frankfurt, und dort arbeitet man fuͤr das platte Land in weſtphaͤliſchen Kreiſe wie fuͤr die Hottentotten. Das Pfund Zinn, was die Tyroler den Landleuten aufhaͤngen, haͤlt uͤber drey Viertel Bley; und da iſt es kein Wunder, daß die Zinngießer in den Staͤdten, die Gewiſſen und Ehre haben, gegen eine ſolche Waare keinen Markt halten koͤnnen. Der Englaͤnder iſt noch großmuͤthig mit uns umgegangen, da er uns die engliſche Zinn - arbeit entzogen. Er hat das rohe feine Zinn faſt ſo hoch im Preiſe als das verarbeitete gehalten, und uns dadurch auſſer Stand geſetzt, es ſo wohlfeil zu verarbeiten, als er es uns durch die allzeit fertigen Bremer zuſchickt. Allein die Frank - furter doch warum ſind wir ſo ſorglos; oder viel - mehr ſo uneinig im weſtphaͤliſchen Kreiſe, daß wir uns der - gleichen Handlungen nicht gemeinſchaftlich widerſetzen?

Wie ſchwach ſind unſre Maasregeln, die wir gegen ſolche Mißbraͤuche ergreifen? Wir ſehen mit den einheimi -ſchen205in kleinen Staͤdten. ſchen Handwerkern durch die Finger, und erlauben ihnen erſt ein bisgen und dann wieder ein bisgen, und noch ein bisgen von der alten wahren Reichsgeſetzmaͤßigen Silber - oder Zinn - probe herunter zu gehen, damit ſie gegen die Betrieger doch noch einigermaßen den Markt halten koͤnnen. Wir werfen ein Auge auf die angrenzende Laͤnder, und haben auf jeder Grenze eine beſondre Probe, ſinken immer nach dem Maaße als unſer Nachbar ſinkt, und bringen es durch dieſen Landver - derblichen Wetteifer dahin, daß zulezt alle Handwerker Be - trieger und allerſeits Unterthanen betrogen werden muͤſſen. Dieſes wuͤrde nicht geſchehen, wenn die geſamten Staͤdte im Kreiſe ſich vereinigten; die fremden Hauſirer ausſchafften, und ihre Landesherrn dahin bewoͤgen, die Schluͤſſe der Kreis - ſtaͤdte mit ſeiner Macht zu unterſtuͤtzen.

Die Vereinigung aller weſtphaͤliſchen Staͤdte; eine Kreis-Handlungsverſammlung, und ein gutes Einverſtaͤnd - niß zwiſchen dieſer Verſammlung und einer gleichen im nie - derſaͤchſiſchen Kreiſe, wuͤrde uͤberdem gewiß fuͤr die Wieder - aufnahme der Staͤdte von unendlichem Vortheil ſeyn. Es iſt eine ganz irrige Meinung, wenn man glaubt, daß die Verſchiedenheit der Laͤnder und ihrer Landesherrn ſolches gar nicht zulaſſe. Wir haben zu Bremen und Emden alle Frey - heit zur Handlung die wir noͤthig haben. Wir haben ſogar einen Vergleich mit England, daß die Bremer nicht blos ihre eigne Producte, ſondern auch die nachbarlichen mit Bremi - ſchen Schiffen ins Grosbrittanniſche Reich fahren duͤrfen. Es iſt an beyden Orten kein Landesherr der ſich der Aufnahme des Handels widerſetzt. Wir koͤnnen uns vielmehr von ih - nen alle nur moͤgliche Beguͤnſtigung verſprechen. Warum ſolten ſie alſo nicht gemeinſchaftlich eine Schifsfracht von ih - ren Producten und verfertigten Waaren zuſammen bringen, und einen offnen Hafen beſuchen; gemeinſchaftlich ſich derEin -206Von dem Verfall des HandwerksEinfuhr dieſer oder jenen fremden Producte widerſetzen; und eine einfoͤrmige Handelsordnung behaupten koͤnnen? Der Schiffer liegt auf der Rhede, laͤuft ganze Monate um einige Fracht zu erhalten, und ſegelt endlich mit halber Fracht ab; da doch, wenn eine richtige Correſpondenz unter den Kreis - ſtaͤdten fuͤrwaltete, wann man zeitige Nachricht von den Pro - ducten und Waaren haͤtte, welche auswaͤrts abzuſetzen ſind, und uͤberhaupt die auswaͤrtige Handlung hinlaͤnglich kennete, eine der andern die Hand bieten, die Abſeglung der Schiffe ſicher und zeitig wiſſen, ſich darnach einrichten, und ſolcherge - ſtalt mit Nachdruck und Vortheil handeln koͤnnte.

Eine ſolche Verſammlung muͤßte ſich leicht ſelbſt er - halten koͤnnen. Von einzelnen Kreisſtaͤnden koͤnnen die frem - den Waaren, die der Aufnahme unſerer einheimiſchen Fabri - ken entgegen ſind, mit keinem Impoſt belegt werden. Was man in Bremen damit beſchweren wuͤrde, das wuͤrde uͤber Emden frey kommen; und was man auch hier mit neuen Impoſt belegen wollte, das wuͤrde man uͤber Holland kommen laſſen. Allein wenn alle Kreisſtaͤnde eins ſind: ſo kann die Speculation hoͤher gehen, und die ſchoͤnſte Bilanz erhalten werden. Man kann aus einigen zum beſten des Kreiſes go - reichenden Impoſten eine eigne Kreiscaſſe errichten, Leute daraus beſolden, und auf neue Unternehmungen in der Hand - lung denken, deren Moͤglichkeit wir jezt zwar einſehen, aber gewiß einzeln nie zu Stande bringen werden. Es ſteht ſo - denn bey uns, Frankreich zu noͤthigen, uns billige Vortheile in der Handlung einzuraͤumen, oder uns nicht zu verdenken, wenn wir, wie die Englaͤnder, fuͤr alle franzoͤſiſchen Weine und Branteweine, rheiniſche, portugieſiſche und italiaͤniſche trin - ken. Es ſteht bey uns mit allen nordiſchen Reichen Hand - lungsverbindungen zu errichten, uns Vortheile zu bedingen, und doch einige Figur in der Welt zu machen, anſtatt daßwir207in kleinen Staͤdten. wir jezt annehmen, was jede Nation uns zuſchickt; und uns auf die ſchimpflichſte Art von allen Vortheilen verdringen laſſen muͤſſen. In der ganzen Welt iſt kein Reich, von der Groͤße und Lage als der niederſaͤſichſche und weſtphaͤliſche Kreis iſt, der eine erbaͤrmlichere Figur in der Seehandlung mache als wir. Und warum? Weil jedes Dorf auf ſein Privatin - tereſſe ſieht, und kein großes Ganze vorhanden iſt, daß ſich zur Handlung vereinigt.

Alle Bemuͤhungen einzelner kleiner Kreisſtaͤnde in Handlungs - und Policeyſachen bedeuten nichts; ſo lange man das Werk nicht mit geſamter Hand angreift. Ja es ſind Handwerksſachen die ſelbſt der Kreis nicht zwingen kann, und die durchaus von dem geſamten Reiche verbeſſert werden muͤſ - ſen. Sachen die ihrer Nation und Eigenſchaft nach, eben ſo gut als Reichs-Lehn - und Adelsſachen einzig und allein von dem allerhoͤchſten Reichsoberhaupt*)Silites oriantur inter opifices cujuscumque generis diſcordiae hae deſerti debent ad Caeſarem ſiue ad ejus electos ſcabinos S. Ius Caeſar. §. 43. beym Senkenb. in Corp. Iur. Germ. T. 1. p. 41. beurtheilet und verord - net werden koͤnnen und muͤſſen.

Zum Exempel wollen wir blos der Freymeiſterey ge - denken. Alle Rechtsgelehrte geben den Landesherrn das Recht, wofern die Handwerker ausſpuͤrig werden, denſelben einen oder mehrere Freymeiſter entgegen ſetzen zu duͤrfen. Allein ſie bedenken nicht, daß dieſes Recht beynahe von gar keinem Nutzen ſey, weil ſich kein Burſche bey dem Freymeiſter in die Lehre giebt; und wo er ja einen erhaͤlt, ſolcher hernach in Deutſchland nicht reiſen kann, und ſo vieler Vortheile beraubt iſt, daß es faſt kein einziger wagen mag, ſeinen Sohn einem Freymeiſter zu uͤbergeben. Was hilft alſo dem angenomme - nen Freymeiſter das Landesherrliche Privilegium, wenn erden208Von dem Verfall des Handwerksden Vortheil Lehrburſche zu haben, entbehren, und wofern er einen Geſellen haben will, ſolchen koſtbarlich aus fremden auſſerhalb Reichs gelegenen Orten kommen laſſen muß.

Wie aber, wenn Ihro Kayſerl. Majeſtaͤt, nach dem Beyſpiele des jetzigen Koͤniges von Frankreich, in allen groſ - ſen deutſchen Staͤdten vier Freymeiſter in jeder Kunſt privile - girten, die miteinander eben wie die zuͤnftigen Meiſter cor - reſpondirten; ihre Lehrburſchen zu Freygeſellen machten; ihre Logen oder Kruͤge zu deren Aufnahme hielten und in allen eben ſo aneinander hiengen, als die geſchloſſenen Zuͤnfte? Wie wenn es Ihro Kayſerl. Majeſtaͤt gefiele, ſich mit England, Frankreich und Holland daruͤber zu vereinigen, daß die Haupt - Freymeiſterlogen in jedem Reiche eine gemeine Kundſchaft zu - ſammen errichteten und die Freygeſellen wechſelsweiſe von ein - ander annaͤhmen? Solte alsdenn nicht das Recht eines jeden Landesherrn, nach Gefallen einen Freymeiſter anzuordnen, von ganz andrer Wuͤrkung ſeyn? Jetzt iſt es ein Schatten; alsdenn aber wuͤrde es das allerkraͤftigſte Mittel werden auf einmal den groͤßten Wetteifer in ganz Deutſchland zu erregen.

In den alten Zeiten waren viele Geſellſchaften, und beſonders die von der ſogenannten runden Tafel, worinn nie - mand zugelaſſen wurde, als der gewiſſe Ahnen beweiſen konn - te. Dieſe Geſellſchaften hieſſen Maſſoneyen, welches mit dem hollaͤndiſchen Maetſchapy und dem deutſchen Maſcopey uͤbereinkoͤmmt. Gegen dieſe Geſellſchaften wurden freye Maſ - ſoneyen errichtet, worinn jeder ehrlicher Mann ohne Ruͤck - ſicht auf ſeine Geburt aufgenommen wurde. Ihre Mitglie - der nennten ſich freye Maſſons, welche laͤcherlich genung durch Freymaͤurer*)Die Erbauung der Paulskirche in London, welche die jetzt ſo - genannten Freymaͤurer durch Beyſchuͤſſe an Gelde zu Stan - de brachten, hat zu jener Mißdeutung und auch dazu Ge - legenheit gegeben, daß jene Freygeſellſchaft die Maurer - Werkzeuge als Ordenszeichen angenommen haben. uͤberſetzt iſt, und in der That nur einenFrey -209in kleinen Staͤdten. Freygeſellen bedeutet, wie denn Mate im hollaͤndiſchen und Maſſon im alten engliſchen noch einen Geſellen bezeichnet. So wie nun dieſe Freygeſellen ſich gegen jene adliche Zuͤnfte empor gebracht haben; eben ſo ſollte ſich auch die Freymeiſte - rey in allen Kuͤnſten gegen die Zuͤnfte ausbreiten. Frank - reich hat uns in dieſem Stuͤcke vor zweyen Jahren ein Exem - pel gegeben. Woran liegts alſo, daß wir ihm nicht nachfol - gen? An dem Willen der Landesfuͤrſten? Nein; dieſe ſind dazu laͤngſt bereit, aber nicht im Stande ein ſolches Werk auszufuͤhren. Es gehoͤret fuͤr den Kayſer, und die Reichs - ſtaͤnde muͤſſen es gemeinſchaftlich befoͤrdern. Ein ſolches Werk wuͤrde das groͤßte ſeyn, was in dieſem Jahrhundert am Reichstage vorgenommen worden; und die Einrichtung der Freymaͤurer koͤnnte in allen Stuͤcken dabey zum Muſter die - nen. Doch wir wollen hier ſchlieſſen.

XXXIII. Die Klagen eines Edelmanns im Stifte Oſnabruͤck.

Wenn das ſo fort gehet, ſo will ich meinen Hof nur da - ran geben; kein Stockholz iſt mehr zu verkaufen, ſeitdem die Berge getheilet ſind. Vordem konnte man noch einen Noth - und Ehrenpfennig daraus machen, und jederman glaubte die Verwuͤſtungen des Krieges wuͤrden eine gluͤckliche Theu - rung im Holze bringen. Aber es geht gerade umgekehrt. Fuͤr einen Schlag, welcher mir vor dem Kriege mit fuͤnfhun - dert Thalern zu allem Danke bezahlet wurde, erhalte ich jetzt kaum die Haͤlfte, und wenn ſich das nicht aͤndert, mag ich nur eine Glashuͤtte anlegen und Pottaſche brennen. UndMöſers patr. Phantaſ. I. Th. Oden -210Die Klagen eines Edelmansdennoch ſchreiben die Gelehrten immer von der Holzſparkunſt: die Narren! moͤchten ſie doch auf den Wink der Vorſehung achten, die uns bereits mit Woͤlfen und wilden Schweinen ſtraft, ſeitdem unſre Berge mit Holze wieder bewachſen ſind! ich hoffe den Tag noch zu erleben, daß man alles niederhauet, um ſich von dieſer Strafe wieder zu erretten.

Eben ſo geht es uns mit allen den Zuſchlaͤgen,*)Zuſchlaͤge nennt man im Stifte Oſnabruͤck, was aus der gemeinen Heide und Weide zugeſchlagen, und urbar ge - macht, oder im Zaune genutzet wird. die man nun ſeit etlichen Jahren gemacht hat. Kein Henker will mehr eine Wieſe heuren. Jeder hat nun ſelbſt Wieſen, und macht ſo viel Heu als er braucht. Ich glaube, daß ſeit dem Kriege hier im Stifte uͤber ſechstauſend und in dem benach - barten Muͤnſterlande uͤber dreyßigtauſend Morgen Acker - und Wieſeland neu gemacht ſind. Die Tecklenburger und Lingi - ſchen geben den andern darinn nichts nach; und die weſtphaͤ - liſchen Gemeinen, um ihre Kriegesſchulden zu bezahlen, ver - kaufen ihre ſchoͤnen Plaggengruͤnde um die Wette, und den - ken nicht, daß die Heuerleute und Koͤtter, welche ihnen vor - dem fuͤr ein Scheffel Saatland ſo viel Geld als ſie wollten, und die ſchoͤnſten Worte dazu geben mußten, bey dieſem Ver - kaufe allein gewinnen. Ich will eben kein Prophet ſeyn; aber Gott laſſe nur noch einen ſolchen Krieg kommen, wie der vorige war: ſo wollen wir ſehen, ob die Marken nicht ganz darauf gehen werden.

Es iſt uͤberhaupt jezt eine ſehr wunderliche Welt. Die großen Herren, dieſe Zerſtoͤrer des menſchlichen Geſchlechts, den - ken auf nichts als auf Bevoͤlkerung; und wir werden ſicher, naͤchſtens ein philoſophiſches Syſtem erhalten, worinn die moͤglichſte Vermehrung der Menſchen, als die groͤßte Verherr -lichung211im Stifte Oſnabruͤck. lichung Gottes angeprieſen wird, blos um eine Menge menſch - liches Vieh anzuziehen, welches ſie auf die Schlachtbank lie - fern koͤnnen. Allein die Bevoͤlkerung will es wahrlich nicht ausmachen. Wir ziehen Bettler und Diebe damit an; das iſt es alles, die Voll - und Halberbe bleiben in der Laſt ſtecken; und das Vieh der vielen Neubauer nimmt ihrem Viehe die beſte Weide vor dem Maule weg. Die Weidelaͤnder ſind kluͤger als wir Schlucker auf der Heide. In Oſtfriesland werden mehr Kaͤlber gebohren als Kinder; und ſie ſtehen ſich wohl dabey. Wir hingegen wollen alle Sandhuͤgel bebauen und bepflanzen, und meynen Wunder was wir gethan haben, wenn wir zum groͤßten Nachtheil unſer Erblaͤndereyen ein Stuͤck Heide urbar gemacht haben.

Die Gutsherrn ſollten ſich mit geſammter Hand allem fernern Anbau widerſetzen. In England darf keiner ſich un - terſtehen ein neues Haus zu bauen, wenn er nicht drey Mor - gen Erbland beſitzt. Dieſem Exempel ſollten wir folgen: ſo muͤßte die Menge von Markkoͤttern, die ſich, ſo bald ſie ein Kohlgaͤrtgen erhaſchen koͤnnen, ſogleich eine Huͤtte bauen, wohl unterbleiben. Unſre Vorfahren ſind hierinn kluͤger ge - weſen. Sie erlaubten zum hoͤchſten nur zwey Gezimmer auf jedem Erbe; und eiferten gegen die Menge von Heuerleuten ja ſo ſtark, als die Cameralphiloſophen jezt fuͤr die Bevoͤlke - rungen ſtreiten. Die Markkoͤtter ſind wie der Krebs, der rund um ſich frißt, und man wuͤrde erſtaunen, wenn man eine Nachmeſſung anſtellen wollte, wie vieles dieſe Leute in funfzig Jahren von der Mark eingezaͤunet haben.

Und wie viel Proceſſe entſtehen nicht daruͤber? Alle unſre Markprotocolle weiſen deutlich nach, daß keiner als ein wahrer Erbmann in der Mark etwas zu ſagen hat. Ihre Einwilligung wurde allein erfordert, wenn etwas zugeſchla -O 2gen212Die Klagen eines Edelmannsgen oder verkaufet werden ſollte. Jezt aber wollen alle Ein - koͤmmelinge mit ſprechen. Unter dem Vorwande, daß ihr Vieh keine Weide behalte, widerſetzen ſie ſich den nuͤtzlichſten Anſtalten; und man kann keinen Fußbreit verkaufen, ohne von dieſen Leuten, die doch nur aus Gnaden eingenommen ſind, einen Widerſpruch zu befuͤrchten. Das gute Geld wird daruͤber den Gerichten zu Theil; und ſelten wird mehr ein Zuſchlag verkauft, deſſen ganzer Werth nicht der lieben Juſtitz aufgeopfert wird.

Die Proceſſe ſind uͤberhaupt der wahre Verderb un - ſers Landes, und die einzige Urſache, warum ſo viele Land - leute einen Stilleſtand nehmen muͤſſen. Der Himmel weis, wie es unſre Vorfahren angefangen, ob ſie friedfertiger oder vernuͤnftiger geweſen, daß ſie ſo wenig Proceſſe gefuͤhret haben. Allein wahr iſt es, daß zu ihrer Zeit kein Bauer die Reichsgerichte kannte. Die Reichsfuͤrſten haben es dem Kayſer wohl abgeſeſſen, und ihm in ſeiner Capitulation vor - geſchrieben, daß er die Unterthanen gegen ihre Landesherrn nicht leicht hoͤren ſolle. Wir ſollten ein gleiches Geſetz im Lande haben, wodurch den Gerichten geboten wuͤrde, die Markgenoſſen gegen ihren Holzgrafen, und die Leibeigene ge - gen ihre Gutsherren nicht zu hoͤren, oder wenigſtens vorher einen Bericht zu fordern, ehe ſie mit Befehlen hervorzuſchnel - len ſich unterſtuͤnden. Die Reichsſtaͤnde ſind jederzeit ein Vorbild der Landſtaͤnde geweſen; und was jenen Recht iſt, muͤßte auch billig dieſen Recht ſeyn.

Das baare Geld nimmt taͤglich ab; und doch erhaͤlt man noch nicht mehr fuͤr einen Thaler als fuͤr zwanzig Jahren. Vielmehr konnte man damals mit tauſend Thaler weiter kom - men, als jetzt mit zweytauſend. Der Himmel weis, wie das zugeht; und was es endlich fuͤr ein Ende nehmen wird. Aberalles213im Stifte Oſnabruͤck. alles wird ſchlimmer in der Welt. Sogar die Sommer ſind lange ſo heiß nicht mehr als in meiner Jugend. Und wer hat ſo viele naſſe Fruͤhjahre erlebt, als wir ſeit zwanzig Jah - ren gehabt haben.

XXXIIII. Die Politick der Freundſchaft.

Zu ihr hin will ich gehen; ihr ſagen, daß ſie die nieder - traͤchtigſte Creatur von der Welt ſey; das ſie das edelſte und zaͤrtlichſte Vertrauen gemißbraucht, und mich auf eine recht ſchaͤndliche Art hintergangen habe. Ja dies will ich thun; dieſe Genugthuung will ich haben. Ich will ſie in ihren eignen Augen erniedrigen, ihr den verraͤtheriſchen Brief vorlegen, und ſie dann ihrer Schaam und den Biſſen ihres Gewiſſens uͤberlaſſen. ....

Und wenn Sie das denn nun gethan haben Madame? So bin ich gerochen.

Gerochen? und wodurch? Dadurch, daß ſie ihre ganze Schwaͤche zeigen? Das iſt in der That eine ſonderbare Rache. O meine liebe Ißmene; ſollten ſie mich je beleidigen; ſo glau - ben Sie nicht, daß ich es Ihnen ſo leicht machen werde mich zu vergeſſen und ſich zu beruhigen.

Alſo ſollte ich es mir wohl gar nicht einmal merken laſ - ſen, Ariſt, daß ich ſo ſchaͤndlich hintergangen bin?

Nein, Ißmene. Ihr Eyfer mag noch ſo gerecht; das Ihnen wiederfahrne Unrecht mag noch ſo klar ſeyn: ſo muß es der letzte Schritt unter allen ſeyn, ſeinem Freunde wiſſen zu laſſen, daß man von ſeiner uns zugefuͤgten BeleidigungO 3un -214Die Politick der Freundſchaft. unterrichtet ſey. Nie kann dieſer uns hernach wieder unter die Augen treten, ohne ſich zu ſchaͤmen: und wer ſich vor uns zu ſchaͤmen hat, der flieht uns erſt, haßt uns leicht, und ver - folgt uns zuletzt, um ſich eines beſchwerlichen Zeugens ſeiner Unwuͤrdigkeit zu entledigen.

Aber wenn mir nun der Haß und die groͤßte Feindſchaft einer ſolchen Perſon als diejenige iſt, woruͤber ich mich beklage, angenehmer waͤre als alle die Freundſchaft, welche ſie mir ehedem gezeigt hat?

Das iſt nicht moͤglich. Eine Perſon, welche Sie ein - mal werthgeſchaͤtzt haben, kann nicht ohne alle Verdienſte ſeyn. Sie muß werth ſeyn gebeſſert und wiedergewonnen zu werden; und das koͤnnen Sie nie hoffen, wenn Sie ihr einmal ge - rechte Vorwuͤrfe gemacht haben. Falſche Vorwuͤrfe treffen flach; aber wahre faſſen tief, und man vergißt ſie um ſo viel weniger, je mehr man ſie verdient hat. Sie benehmen dem Schuldigen ſeinen Werth; und diejenige redliche Zuverſicht, welche doch zum wahren Vertrauen und zu einer aufrichtigen Freundſchaft unentbehrlich iſt. Erinnern Sie ſich nur ein - mal ihrer Geſchichte mit Cephiſen. Dieſe ihnen jetzt ſo werthe Freundin hatte Ihnen faͤlſchlich ein Verbrechen Schuld gegeben, welches man niemals erweiſet, und allezeit ohne Be - weis glaubt. Sie hoͤrten es und beruhigten ſich damit, daß es aus Eyferſucht geſchehen ſeyn koͤnnte. Sie veraͤnderten nichts in ihrem Betragen gegen ſie. Sie bezeugten ihr immer das zaͤrtliche Vertrauen; die nemliche Achtung und eben die Gefaͤlligkeiten, welche Sie allezeit gegen ſie gehabt hatten. Keine Zuruͤckhaltung, kein Ernſt im Blicke verrieth die min - deſte Empfindlichkeit. Kaum waren einige Wochen verfloſſen; ſo gereuete Cephiſen ihre Verlaͤumdung. Sie ward unruhig, und das Bekenntniß ihres Verbrechens ſchwebte ihr hundert - mal auf der Zunge, ohne daß ſie es wagen mochte um Ver -zeihung215Die Politick der Freundſchaft. zeihung zu bitten. Von der edelſten Reue geruͤhrt, kam ſie endlich in Geſellſchaft derjenigen Perſonen, gegen welche ſie mit der falſchen Beſchuldigung herausgegangen war, zu ihnen, und that Ihnen unter tauſend Thraͤnen gleichſam eine oͤffent - liche Erklaͤrung. Damals geſtanden Sie mir, Ißmene, daß Sie ſich keinen Begriff von einer edlern Genugthuung machen koͤnnten, als dieſe geweſen waͤre. Ihre Zaͤrtlichkeit fuͤr Cephiſen verdoppelte ſich, und dasjenige was unter andern die groͤßte Feindſchaft veranlaſſet haben wuͤrde, iſt der Grund einer der dauerhafteſten Freundſchaft geworden. Wuͤrde aber der Er - folg eben ſo angenehm geweſen ſeyn, wenn ſie ihre Freundin gleich zur Rede geſtellet; derſelben ihre Verlaͤumdung vorge - worfen, und ſie damit auf ewig ihrer Schande uͤberlaſſen haͤtten? Wuͤrde die Reue Cephiſens jemals zugereicht haben, eine voͤllige Verſoͤhnung unter ihnen herzuſtellen? Und war nicht gleichſam ihr heroiſcher und freywilliger Entſchluß noͤthig, um ihr ein Vertrauen zu ſich ſelbſt, und mit dieſem die Wuͤrde wieder zu geben, ſich als eine Freundin in ihre Arme werfen zu koͤnnen?

Es iſt wahr, Ariſt, ich fuͤhle die Wahrheit deſſen was ſie ſagen: und bin nun zu groß um in Vorwuͤrfe auszubre - chen.

Glauben Sie nur, liebenswuͤrdigſte Freundin, der Un - ſchuldige verzeihet leicht. Aber der Schuldige kann nie wie - der ein Herz zu uns gewinnen, wofern wir ihm nicht helfen ſich vor dem Richterſtuhl ſeines eignen Gewiſſens zu rechtfer - tigen, und erſt wiederum ein Vertrauen zu ſich ſelbſt zu ge - winnen. Die Gelegenheit dazu koͤnnen wir ihm nicht beſſer unterlegen, als wenn wir ihn zuerſt in der guten Meinung laſſen, daß wir ſein Verbrechen nicht wiſſen. Hierdurch wird er allmaͤhlich ſicher; bemuͤht ſich erſt etwas wieder gut zu machen, wird immer eifriger, und zuletzt, nachdem er uns viele neueO 4Be -216Es bleibt beym AltenBeweiſe von ſeiner Redlichkeit gegeben, wagt er es, Verzei - hung fuͤr das vergangene zu erwarten und zu bitten. Ehen - der kann er es nicht thun, ohne ſich in ſeinen eignen Ge - danken zu erniedrigen. Es fehlt ihm auch die Gelegenheit zu jener Rechtfertigung, wofern wir ihn gleich durch verdiente Vorwuͤrfe beſchaͤmen und entfernen.

Dies wird aber doch wohl nur die Pflicht gegen ſolche ſchuldige Freunde ſeyn, die wuͤrklich Verdienſte haben?

Freylich; aber ſelten iſt ein Menſch ohne einige Ver - dienſten; und man kann auch oft einen Boͤſewicht auf kurze Zeit oder in einzelnen Geſchaͤften ehrlich machen, wenn man ihn fuͤr ehrlich haͤlt, und Vertrauen auf ihn ſetzt. Es ge - reicht der Tugend zur Ehre, daß auch der boͤſeſte Menſch denjenigen ungern hintergehet, der ihm fuͤr einen rechtſchaffe - nen Mann haͤlt. Glauben Sie, Iſmene, daß ich nicht bis - weilen in die Verſuchung gerathen wuͤrde, Ihnen ungetreu zu werden, wenn ich verſichert waͤre, daß Sie ein Mißtrauen in mich ſetzten?

O ſchweigen Sie, Ariſt; oder ihre Gruͤnde fangen an bey mir allen ihren Werth zu verlieren.

XXXV. Es bleibt beym Alten.

Es geht doch auch jetzt ſehr weit in der Welt. Bisher ſind es nur die Gelehrten geweſen, welche uns Landleuten den Vorwurf gemacht haben, daß wir ſo feſt am Alten, als der Roſt am Eiſen, klebten, und gar nichts neues verſuchen wollten; und dieſen Gelehrten, unter deren Nachtmuͤtzen nichts wie Projekte zur Verbeſſerung der Landesoͤkonomie aus -ge -217Es bleibt beym Alten. geheckt werden, hat man das zu gute gehalten, und es ihnen als ein Mittel ohne viel Arbeit ihr taͤgliches Brod zu erwer - ben, gegoͤnnet, daß ſie uns ſolche Vorwuͤrfe in gedruckten Buͤchern, die eben nicht viele von uns leſen, gemachet haben. Sie muͤſſen doch von etwas ſchreiben, da ſie leben und ſchrei - ben muͤſſen, und ſonſt nichts zu verdienen wiſſen.

Allein nun faͤngt auch ſogar unſer Kuͤſter an, unſern Kindern die bey ihm dann und wann in die Schule gehen, von einem ſchrecklichen Geſpenſte, welches er das Vorurtheil des Alterthums nennet, etwas vorzuplaudern, und verlangt ſie ſollen ihren vaͤterlichen Acker dermaleinſt ganz anders pfluͤ - gen, als wir, unſre Vaͤter, Großvaͤter und Eltervaͤter ihn gepfluͤget haben. Er verlangt, ſie ſollen die Beſtellung deſ - ſelben aus großen Buͤchern lernen, bald bey den Englaͤndern, bald bey den Franzoſen und bald bey den Schweden in die Schule gehen; und ſpricht von Projekten, wogegen die Er - fahrung von zehn Menſchenaltern nicht das allermindeſte er - heben ſoll.

Dies iſt in Wahrheit von einem Manne, der kaum den Sonnenzeiger an unſer Kirche recht zu ſtellen weis, un - ertraͤglich, und die ganze Gemeinde hat mir aufgetragen, ihm hiemit oͤffentlich zu ſagen, daß wir fuͤr dasjenige, was unſre Vorfahren, die ihren Acker lange gekannt, und ihn fruͤh und ſpaͤt betreten haben, eingefuͤhrt, mehrere Ehrfurcht haben, als fuͤr alle Projekte der neuern.

Wie wuͤrde es uns armen Leuten gegangen ſeyn, wenn wir alle die Vorſchlaͤge, die nun ſeit zehn Jahren zur Verbeſ - ſerung des Ackers gemachet ſind, befolget haͤtten? Wenn wir alle die Saͤemaſchinen, und alle die Arten von Pfluͤgen an - geſchaffet haͤtten, welche in dieſer Zeit angeprieſen und ver - geſſen ſind? Wenn wir alle die Futterkraͤuter geſaͤet und alleO 5die218Es bleibt beym Alten. die Ackerbeſtellungen nachgeahmet haͤtten, wovon man uns ein ſo herrliches Bild gemahlet hat? Sollte der Gutsherr ſeine Paͤchte, der Zehntherr ſeinen Zehnten und der Vogt ſeine Schatzungen wohl nachgegeben haben, wenn wir ihnen er - zaͤhlet haͤtten, daß wir neue Verſuche gemacht und damit ver - ungluͤcket waͤren?

Eine hundertjaͤhrige Erfahrung iſt eine erſtaunende Probe; hundert, ja tauſend Jahr haben wir mit Plaggen geduͤngt, im ſauren Schweiſſe unſers Angeſichts damit ge - duͤngt, und uns wohl dabey befunden. Warum ſollen wir denn davon ablaſſen? Meynen Sie nicht, das wir alle Jahr mit den Plaggen auf einigen Feldern zu kurz kommen, und alſo auch hundertjaͤhrige Erfahrungen von ſolchen Feldern ha - ben, die nicht damit geduͤngt ſind? Da wir verſchiedene Kirch - ſpiele und Gegenden haben, die keine Plaggen gebrauchen, und einen Grund bauen, der dieſes Duͤngers entbehren kann: Meynen Sie denn nicht, daß unſre Vorfahren auch wohl bis - weilen auf den Gedanken gerathen ſind, zu verſuchen, ob ſie dieſes muͤhſeligen Duͤngers entrathen koͤnnten? Und glauben Sie nicht, daß wir gute durch die Erfahrung beſtaͤtigte Gruͤn - de haben, warum wir dabey beharren?

Man beſchuldige uns keines Eigenſinns. Die Kartof - feln ſind noch nicht viel uͤber dreyßig Jahren in Weſtphalen bekannt; und gleichwol baut ſie ſchon ein jeder. Die Feld - mauern ſind erſt vor 40 Jahren aufgekommen, dennoch ſind ſie nunmehro faſt durchgehends, wo Steine zu haben und Feldmauern nuͤtzlich ſind, anſtatt der Zaͤune und Hecken ein - gefuͤhrt. Der Hanfbau iſt funfzig Jahr in hieſigen Gegen - den alt, und gleichwol jezt ſchon uͤberall, wo es nur moͤglich iſt, gemein; vor ſechzig Jahren ſaͤete noch niemand Buch - weizen ins Mohr; und jezt wird er uͤberall geſaͤet. DerWei -219Es bleibt beym Alten. Weizenbau vermehrt ſich taͤglich in Gegenden, wo man ihn vorhin gar nicht moͤglich glaubte. Wir ſind alſo folgſam aber gegen Erfahrungen und nicht gegen Projekte und unſichere Proben.

Proben und Verſuche ſind fuͤr den Edelmann, der et - was verlieren kann; nicht fuͤr den Landmann, der jedes Han - debreite Land zu Rathe halten muß. Dies mag ſich der Kuͤ - ſter merken.

XXXVI. Klage wider die Packentraͤger.

Die Packentraͤger ſind der Verderb des ganzen Landes. Wie mancher Viehmagd kroch ehedem ihr braunes Haar unter einer mit Schraubſchnur eingefaßten Muͤtze her - vor; die der Packentraͤger erſt zu Lioner-Golde, drauf zu Kannten, und zuletzt wohl gar zu Spitzen verfuͤhret hat. Nur ſtolz, wenn ihre Kuͤhe nach einem harten und langen Winter dick und glatt waren, dachte ſie noch nicht an ſich ſelbſt; und wuͤnſchte blos durch die Zierde ihrer Kuͤhe, ſich als eine gute Haushaͤlterin dem Großknecht zu empfehlen. Sie ſchaͤmte ſich nicht in Holzſchuhen, dieſem den Bewohnern naſſer Gegenden von der Vorſehung angemeſſenen Fußwer - tea)Die Holzſchuhe ſind den naſſen Weidegegenden, und den - jemgen ſo darauf gehen oder arbeiten, unentbehrlich, weil die lederne Sohlen theils ſchwammicht werden, theils mit der Feuchtigkeit eine beſtaͤndige Kaͤlte bewahren. In den Berggegenden werden ſie wenig gebraucht. Wo ein ſchwe - rer Acker und die Erde klebrich iſt, kennt man ſie gar nicht;weil zu Dorfe und barfuß zur Kirche, deren Boden noch nichtmit220Klage wider die Packentraͤger. mit Teppichen belegt war, zu kommen. Ihr Hals zeigte ſeine wohlerworbene braune Farbe; und der einzige Staat war eine runde ſilberne Schnalle, womit ſie ihr ſelbſt gezeugtes Hemd befeſtigte; und zwey Roͤcke, wovon ſich nur einer ſe - hen laſſen durfte. Der Knecht hatte die Haͤlfte ſeines Garns, welches er bey Feyerabend geſponnen, in einer Grube mit Eichenlaub gefaͤrbt; und die Webemagd ihm ein buntes Zeug zum Wamms daraus gemacht, zur Belohnung, daß er ihr Flachs in die Roͤtheb)Man ſchreibt jezt vielſaͤltig: Rotten. Allein das franzoͤſi - ſche rouir und rouiſſage lehrt, daß es beym alten Roͤ - then verbleiben muͤſſe. und wieder heraus gebracht hatte. Sie wußten mit einander nichts von fremden Putze; und be - wunderten den Staat der Frau Paſtorin als etwas Fuͤrſtliches, ohne ſich den Wunſch beyfallen zu laſſen, ſo etwas nachah - men zu duͤrfen.

Wer hat aber dieſe guten Sitten verderbt? Gewiß nie - mand mehr als der Packentraͤger, der mit ſeinen Galanterie - waaren nicht auf den Heerſtraſſen, ſondern auf allen Bauer - wegen wandelt, die kleineſten Huͤtten beſucht, mit ſeinem Geſchwaͤtz Mutter und Tochter horchend macht, ihnen vor - luͤgt, was dieſe und jene Nachbarin bereits gekauft; ihnen den Staat, welchen dieſe am naͤchſten Chriſtfeſte damit ma - chen werde, mit verfuͤhriſchen Farben mahlt; der entzuͤckten Tochter ein Stuͤck Sitz auf die Schulter haͤngt, ihr eine ſanfte Roͤthe uͤber ihren kuͤnftigen Staat ablockt, und der gefaͤlligen Mutter ſelbſt eine neue Spitze aufſchwatzt, damit ſie ſich vorihrera)weil man nicht darinn fortkommen kann. Sie ſind nichts weniger als ein Zeichen der Armuth, indem wir Bauren - frauen ſehen, die zwanzig Thaler auf eine Muͤtze, und zehn Thaler auf einen Halstuch wenden, aber doch, aus angefuͤhrten Urſachen, bis zur Stadt in Holzſchuhen kom - men muͤſſen.221Klage wider die Packentraͤger. ihrer Tochter im ſitzenen Camiſole, beym naͤchſten Kirchgange nicht ſchaͤmen duͤrfe. Dem Knechte gefallen die ſchoͤnen ſei - denen Halstuͤcher, die großen ſilbernen Schnallen, der huͤbſch beſchlagene Pfeifenkopf; und andre entbehrliche Kleinigkei - ten, welche ihm die Wirthin aus Hoͤflichkeit gegen den Packen - traͤger anpreiſet; und dieſer, der gern eine Zeitlang borget, wenn er nur die Haͤlfte, als den wahren Werth bezahlt er - haͤlt, geht freudig weiter, um eine andre Frau Nachbarin zur Nachfolge zu ermuntern. Er hat von allen was ſich fuͤr jeden Stand paßt, und weis einer jeden gerade das anzuprei - ſen, was ſich am beſten fuͤr ſie ſchickt. Das Vermoͤgen aller Familien iſt ihm bekannt; er weis wie die Frau mit dem Manne ſteht, und nimmt die Zeit wahr, jene heimlich zu be - reden, wenn der graͤmliche Wirth nicht zu Hauſe iſt. Kurz, der Packentraͤger iſt der Modekraͤmer der Landwirthinnen, und verfuͤhrt ſie zu Dingen, woran ſie ohne ihm niemals ge - dacht haben wuͤrden.

Solche gefaͤhrliche Leute ſollten in einem Staate um ſo viel weniger gedultet werden, da es mehrentheils Auslaͤnder ſind, die unſre Thorheit in Contribution ſetzen; und keine funfzig Jahr hingehen werden, daß nicht die Franzoſen, wel - che ſeit dem letzten Kriege die offne Handelsfreyheit der Stifter bemerkt haben, in dem Beſitze dieſes ganzen Handels ſeyn werden. Wir ſehen ſchon wie ſie ſich taͤglich vermehren; und wie Leute, die im Jahr 1763 noch mit einigen Stuͤcken Cammertuche aus Champagne und den Luͤttichiſchen herunter ſchlichen, jezt mit Pariſer Nippes auf den Poſten reiſen, und ganze Ballen nachkommen laſſen. Knaben die zuerſt mit Chanſons handelten, ſind große Libraires Ambulans gewor - den, und verſorgen uns mit den Fabrik-Romans, die vorhin nach Canada zu gehen pflegten. Wie haͤufig kommen nicht die Muͤtzenprinzeßinnen? Und wie leicht iſt es moͤglich, daßſie222Klage wider die Packentraͤger. ſie auch mit der Zeit einige allerliebſte Baurenmuͤtzen mit - bringen und die Doͤrfer bereiſen? Man darf an nichts mehr zweifeln; und es iſt nicht unmoͤglich, daß wir in funfzig Jah - ren eine Bande von franzoͤſiſchen Comoͤdianten auf jeden Dorfe haben werden? Es iſt ein leichter und luſtiger Erwerb; und ich ſehe es als etwas ſehr wahrſcheinliches an, daß waͤhrender Zeit die Weſtphaͤlinger in Holland Torf ſtechen, die Franzoſen ihren Weibern ein Ballet vortanzen, und eine Opera im Kaſten zeigen.

Die Alten duldeten keinen Kraͤmer auf dem platten Lande; ſie waren ſparſam in Ertheilung der Markfreyheiten; ſie ver - banneten die Juden aus unſern Stifte; und warum dieſe Strenge; Sicher aus der Urſache, damit der Landmann nicht taͤglich gereizt, verſucht, verfuͤhrt und betrogen werden ſolte. Sie baueten auf die practiſche Regel: Was man nicht ſiehet, das verfuͤhrt einen auch nicht.

Der Packentraͤger iſt ein wichtiger Mann fuͤr ſolche Fabriken, denen es an einem großen Verleger mangelt. Da er zu Fuße geht; ſein Eſſen von der guten Mutter, die ſich etwas von ſeiner Waare aufſchwaͤtzen laͤßt, im Kauf erhaͤlt, und des Nachts bey frommen Leuten zu Gaſte ſchlaͤft: ſo ver - zehrt er nichts, nimmt auch mit einem kleinen Gewinnſt vor - lieb, und dient den Fabriken, welche keinen Haber fuͤr Pferde abwerfen, ſtatt des Packeſels. Die Bielefeldiſchen Linnen - haͤndler wuͤrden ohne ſolche Packentraͤger laͤngſt den wichtigſten Theil ihres Handels verlohren haben. So groß aber dieſe Wohlthat iſt; ſo lange ſie uns mit nuͤtzlichen und unentbehr - lichen Dingen verſorgen; ſo ſehr gereicht es zu unſerm und der einheimiſchen Manufactunren Nachtheil, wenn durch den wohlfeilen Preis reitzender Kleinigkeiten, und ſofort durch den geringſten Vortheil, welchen eine fremde Manufacturuͤber223Klage wider die Packentraͤger. uͤber die einheimiſche giebt, das baare Geld aus dem Lande und deſſen kleinſten Quellen gezogen, und der einheimiſche Fleiß geſtuͤrzet wird.

Von Markt zu Markt mag er reiſen; das iſt nothwen - dig, um die einheimiſchen Kraͤmer und Fabrikanten vom uͤber - theuren abzuhalten. Auf den Maͤrkten iſt er auch ſo gefaͤhr - lich nicht, weil der Mann ſeine Frau dahin begleitet; und wenn ſie dort etwas kauft, ſeinen unmaßgeblichen Rath dazu ertheilet. Allein auſſer dieſer Zeit, und von Huͤtte zu Huͤtte ſolte er nicht geduldet werden. Vordem da aller Handel in den Staͤdten war, mußte ſich ein ſolcher Packentraͤger noth - wendig an dieſe wenden; und hier erhielt er nach vorgaͤngiger Unterſuchung der Frage, ob ſeine Waare den Einwohnern nuͤtzlich und noͤthig ſey, die Erlaubniß zu Hauſiren. Seit - dem ſich aber die Handelsfreyheit aufs Land ausgebreitet hat, und es faſt ſchwer iſt, Handlungs-Policeygeſetze auſſer - halb einer Ringmauer beobachten zu laſſen, hat ſich dieſer Theil der Obrigkeitlichen Vorſorge nothwendig verlieren muͤſſen. ....

XXXVII. Schutzrede der Packentraͤger.

Da die Policey jetzt faſt iu allen benachbarten Laͤndern gegen die ſogenannten Bund - oder Packentraͤger auf - wacht; und ſelbige entweder gaͤnzlich verbannet, oder doch ſehr einſchraͤnkt: ſo verdient es allergings eine Unterſuchung, in wie fern dieſe Bemuͤhungen zum beſten eines Staats ge - reichen oder nicht?

Wenn224Schutzrede der Packentraͤger.

Wenn man die handelnden Patrioten eines jeden Lan - des fraͤgt: ſo haben dieſelbe insgeſamt nur eine Stimme gegen dieſe armen Leute. Die kleinen Staͤdte ſehen ſie als ihre ge - ſchwornen Feinde an; die Cameraliſten ſagen, daß ſie das Geld aus dem Lande ſchleppten. Die Moraliſten rufen mit lauter Stimme, daß ſie Ueppigkeit und Eitelkeit in die klein - ſten Huͤtten verbreiteten; und die Maͤnner ſchreyen, daß ſie ihre Weiber und Toͤchter zu allerhand Thorheiten verfuͤhrten.

Was ſagen aber die armen Packentraͤger dazu? Bis dato nichts; ſo oft wir ſie auch dazu aufgefordert haben. Viel - leicht iſt ihnen die in dieſen Blaͤttern wider ſie eingefuͤhrte Klage nicht einmal zu Geſichte gekommen. Vielleicht verlaſ - ſen ſie ſich auch auf ihre gute Sache. Es ſey aber dieſe oder eine andre Urſache ihres Stillſchweigens: ſo iſt es unſre Pflicht ſie nicht ungehoͤrt zu verdammen. Wir muͤſſen ſie, da ſich kein Advocat fuͤr ſie gefunden, ſelbſt reden laſſen; da - mit ſie aber nicht zu weitlaͤuftig werden, ſollen ſie blos zu uns reden. Denn jeder Staat hat in dieſem Stuͤcke ſein eig - nes Intereſſe; und wir bekuͤmmern uns billig zuerſt um das unſrige.

Was bewegt euch, koͤnnten ſie zu uns Oſnabruͤckern ſagen, uns das freye hauſiren zu verbieten? Ihr wohnet in einem Lande, wo die Auflagen gering ſind, wo ihr gar keine Rekruten zu ſtellen, keine Cavallerie zu ernaͤhren und keine Acciſe zu entrichten habet; In einem Lande, wo die Zinſen gering, Haͤnde genug, und die Lebensmittel in einem billigen Preiſe ſind. Wenn ihr wollt: ſo muͤſſet ihr alles was ihr macht, eben ſo wohlfeil geben koͤnnen, als wir es euch auf unſern Ruͤcken zutragen; Und wenn ihr dieſes thut: ſo muͤſ - ſen wir von ſelbſt zu Hauſe bleiben. Daß in ſolchen Laͤndern, wo die Landesſchulden hoch, und die Anflagen ſtark, derHaͤnde225Schutzrede der Packentraͤger. Haͤnde aber aus Furcht fuͤr die Werbung wenig ſind, der Landesherr alles Gewerbe und alle Handlung im Lande zu er - halten ſucht; damit deſſen Einwohner fuͤr ſo viele Beſchwerden einigen Vortheil haben, und demſelben gewachſen bleiben moͤgen, das laſſen wir gelten. Allein bey euch iſt dieſes gluͤck - licher Weiſe nicht noͤthig; und man wuͤrde nur euere Faulheit oder die Gewinnſucht eurer Kraͤmer zum Schaden des Ganzen unterhalten, wann man uns verbannen, und dieſen die Will - kuͤhr laſſen wollte euch nach Gefallen zu behandeln. Ihr ſeht es ja an euern Beckern und Brauern, wie reich dieſe Leute wer - den, da niemand mit Vier und Brodte hauſiren darf. Daß wir umſonſt bey euch ſchlafen und eſſen, wo wir fuͤr Geld le - ben muͤſſen, nichts als Waſſer trinken, und unſern Weg zu Fuße machen, iſt euer Vortheil. Ihr habet die Waare, die wir euch zubringen, dagegen ſo viel wohlfeiler. Machen es doch eure Kaufleute in vielen Stuͤcken auch ſo, die ihre Waa - ren aus eben der Hand nehmen, woraus ſie der Hamburger, Bremer und Hollaͤnder nimmt, und ſolche hernach wohlfeiler geben, als dieſe, welche aus ihrer Handlungscaſſe Kutſchen und Pferde, Luſtgarten und Maitreſſen unterhalten. Unſrer geringen Meinung nach ſind in eurem Lande hundert Ackers - leute gegen einen Kraͤmer; wenn nun jene ein Scheermeſſer fuͤr 2 ggr. von uns erhalten: ſo ſteht ſich unfehlbar der groͤſ - ſere und wichtigere Theil des Landes beſſer, als wenn er euren Kraͤmer dafuͤr einen halben Gulden bezahlt, den ſie hernach nur in Wein vertrinken, oder auf andre leichtfertige Art ver - ſpielen. Ueberdem muͤſſen wir euch ſagen, daß ihr mit vielen Sachen gar nicht handeln koͤnnet, womit ein Hauſirer handelt. Dieſer beſucht des Jahrs fuͤnfhundert Doͤrfer, und wenn er in deren zehn jaͤhrlich von gewiſſen Waaren nur ein Stuͤck abſetzt: ſo kann er ſchon ein Lager von hundert Stuͤcken dar - auf halten, und euch eine jedem Kaͤufer angenehme Wahl ver -Möſers patr. Phantaſ. I. Th. Pſchaf -226Schutzrede der Packentraͤger. ſchaffen, wohingegen ein Kaufmann, der dieſe zehn Doͤrfer verſorgen will, deren jedesmal nur ein oder zwey vorraͤthig haben kann, weil ihm der Abſatz von mehrern mangelt. Haͤtte er mehr auf dem Lager: ſo muͤßten die Zinſen des Capitals, welches darinn ſteckt, auf das eine Stuͤck geſchlagen und dieſes um ſo viel theurer verkauft werden, wo der Mann nicht zu Grunde gehen will. Wir hingegen, die wir immer von ei - nem Lande ins andre reiſen, und taͤglich Markt haben, ver - kaufen immer, und koͤnnen um ſo viel wohlfeiler verkaufen, je geſchwinder wir unſer Capital umſetzen. Wenn wir 1 p. C. verdienen, und unſer Capital alle Monat von neuen anlegen: ſo gewinnen wir mehr, als ein Kaufmann der 10 p. C. hat, und kaum alle Jahr umſetzet. Denket aber nicht, daß es damit genug ſey, wenn ihr uns blos den freyen Markt laſſet. Ja, wenn eure alten Kreisſtaͤnde ſo klug geweſen waͤren, daß ſie alle Jahrmaͤrkte in geographiſcher Ordnung angelegt haͤt - ten: ſo daß wir um Lichtmeſſen von einem Punkt aus in ei - ner Kette, immer von einem Jahrmarkt aufs andre ziehen, und ſodann gegen Martini zu Hauſe ſeyn koͤnnten, ſo lieſſe ſich das noch hoͤren. So aber gehn die Jahrmaͤrkte zick zack, zehn Meile hin zehn Meile her; und bald muͤſſen wir 14 Tage bald achte in der Schenke liegen und unſer Geld ver - zehren, wenn wir in der Zwiſchenzeit nichts verdienen, oder von jedem Jahrmarkte nach Hauſe, und ſodann wieder auf ein anders reiſen ſolten. Und wuͤrden wir dieſe Unkoſten nicht auf die Waare legen, und folglich euch zur Laſt bringen muͤſſen? Was ihr von euern Weibern und Toͤchtern ſagt, daß dieſe ſich ſo leicht von uns beſchwatzen lieſſen, iſt eure Schuld. Warum haltet ihr ſie nicht in beſſerer Zucht? Und geſetzt, wir ſagten ihnen bisweilen ein Wort mehr als ſie von andern hoͤren, ſind wir denn allein Diebe unſerer Nahrung? Werdet ihr euch nicht in Ewigkeit Aderlaſſen und den Bartſcheren227Schutzrede der Packentraͤger. ſcheren laſſen muͤſſen: ſo ſange ihr Balbierer im Lande duldet? Sind eure Weinſchenken auf den Doͤrfern nicht aͤrger als die falſchen Spieler? Ihr duldet ſie aber doch, damit der Rei - ſende und der Kranke ſich bey ihnen erquicke. Je nun ſo duldet auch von uns um des groͤſſern Vortheils willen ein ge - ringeres Uebel, und werft es euren Weibern und Toͤchtern nicht ſo haͤmiſch vor, wenn wir ihnen bisweilen ein paar Nehe - nadeln im Kauf dafuͤr geben, daß wir bey ihnen oder bey euch zu Gaſte ſchlafen. Was will endlich daraus werden, wenn jeder kleiner Reichsſtand ſeinen kleinen Bezirk ſo zuſchlieſſen will? Ihr habt in eurem Lande gewiß fuͤnfhundert Packen - traͤger, welche die benachbarten Laͤnder beziehen? Warum wollt ihr uns denn nicht die Freyheit goͤnnen, die ihr ſelbſt noͤthig habt? Sind nicht unter uns viele, die ihre Waare von euern eignen Kaufleuten nehmen? Und wuͤrden wir nicht noch gern ein mehrers von euren Fabriken nehmen, wenn dieſe uns ihre Waaren nur eben ſo wohlfeil geben, als wir ſie ander - waͤrts haben koͤnnen? Verbietet uns allenfalls den Handel mit ſolchen Sachen, die ihr im Lande ſelbſt zieht oder macht; aber laſſet es nicht zu, daß eure Kaufleute den Kohlſaamen mit ſchweren Koſten von der Braunſchweiger Meſſe holen, den wir euch aus unſern Kohlgarten ohne alle Unkoſten zu - tragen.

Wie wir das letztemal in Leipzig waren, fragten uns die Kaufleute, wovon wir ſo die geſtickten Tuͤcher und andre huͤb - ſchen Sachen vor eure jungen Weiber nehmen, wohin wir alle dieſe Waaren braͤchten, und wie es moͤglich waͤre, daß wir zehntauſend Stuͤck dergleichen Tuͤcher im Jahre abſetzen koͤnnten; und auf unſre Antwort, daß wir ſolche mehrentheils in den weſtphaͤliſchen Stiftern vertrieben, und die Menſchen aus allen vier Welttheilen und mit allerley Waaren daſelbſt freyen Aus - und Eingang haͤtten, wollte er ſich zu Tode wun -P 2dern.228Schutzrede der Packentraͤger. dern. Mein Gott, rief er aus, was muß da fuͤr eine Poli - cey ſeyn; das arme Land muß ja bis auf den Grund ausge - ſogen werden. Es hat ja keine Fabriken und nichts. Die Leute muͤſſen ja aͤrmer ſeyn als die Wilden; und man hat mir gar dabey geſagt: ſie haͤtten keine Juſtitz, und ein Proceß kaͤme nie zu Ende. Da moͤgte der Henker Kaufmann ſeyn und borgen.

Wiſſet ihr, was einer von uns darauf antwortete? Ich kann ihnen, ſagte er, von der dortigen Policey und Juſtitz nichts ſagen; ich habe wenigſtens nie von einem Geſetzbuche*)In peſſima quavis republica plurimæ ſunt leges. Tacit. , von Hypothekenbuche, von Proceßordnung dort gehoͤrt. Aber das weis ich, daß die Zinſen dort vor dem Kriege nicht hoͤher als zu 3 p. C. geweſen, und jezt zum Theil zu vieren geſtie - gen ſind; daß man dort hundertmal mehr auf eine Privat - handſchrift oder auf ein Wort borge als anderwaͤrts auf ge - richtliche Briefe; daß die liegenden Gruͤnde dort hoͤher im Preiſe ſind, als ſonſt irgendwo; daß man ſeine Bezahlung dort richtig erhalte, und der Richter gegen die Schuldner nicht ſaͤumig ſey; daß die Leute dort zufriedener ſind, als bey euch, und daß ohne Policey - und Juſtitzverordnungen, ein jeder ſo ziemlich weis, was er zu thun hat. Dagegen hoͤren wir in den Laͤndern, worinn von nichts als Juſtitz und Poli - cey geſprochen wird, daß die Zinſen ohne Handel allemal um 1 bis 2 p. C. hoͤher geweſen; daß man dort adeliche und freye Guͤter um ein Drittheil, wo nicht um die Haͤlfte wohlfeiler verkaufe; und daß man alle Muͤhe in der Welt habe, auf große praͤchtige und koſtbare Verſchreibungen ein tauſend Tha - ler zu borgen. Es muß alſo doch, wenn der Erfahrung zu trauen, dort ſo uͤbel nicht ſeyn, als ihr meynet; und es muß eine wunderliche Beſchaffenheit mit der Klugheit aller Poli -cey -229Schutzrede der Packentraͤger. ceyanſtalten haben, daß ſie das Geld ſeltener, den Credit ſchwaͤcher und die liegende Gruͤnde wohlfeiler machen.

Der Kaufmann gab uns ſeine Waare und ſchuͤttelte den Kopf. Was wir aber damals zu ihm ſagten, das ſagen wir jezt zu euch. Wenn es nach allen politiſchen Rechnungen gienge; ſo muͤſſet ihr laͤngſt keinen baaren Schilling mehr im Lande haben; und gleichwol iſt es in dieſem Stuͤcke bey euch jezt nicht ſchlimmer, als in den ſo geprieſenen wohl eingerich - teten Staaten; und ihr habt das Vergnuͤgen zu ſehen, daß ſogar die komiſchen Packentraͤger, welche eine Oper im Kopfe und kein Geld in der Taſche haben, aus der Mitte von Frank - reich der Quelle aller Policey zu euch kommen. Ihr habt miteinander Menſchenverſtand; und wenn ihr euern Beutel ſelbſt nicht flicken koͤnnt: ſo werden ihn wahrlich alle Poli - ceyanſtalten nicht fuͤr Loͤcher bewahren. Fegen koͤnnen ſie ihn, das iſt gewiß. Sie koͤnnen euch auch ſo arm machen, daß ihr nichts von uns kaufen koͤnnt. Allein dasjenige, was ihr drein habt, wird nie nach Verordnungen, ſondern allezeit nach euern freyen Willen gebraucht werden. Das glaubt mir gewiß: wir kriegen Jahr aus Jahr ein viele Menſchen und viele Staͤdte zu ſehen, wir kennen ſie, und der große Mo - gul ſelbſt wird dieſes nicht aͤndern.

Was ihr uͤbrigens davon ſagt, daß ſich unter uns Packen - traͤgern viele Diebe und Spitzbuben faͤnden, iſt ein falſcher Gedanke. Habt ihr je gehoͤret, daß ein Mauſefallen - oder Barometerkraͤmer zu einer Diebesbande gehoͤret habe? Und warum dieſes nicht? Sind die Italiaͤner weniger diebiſch als die Deutſchen? Nein. Die Urſache iſt, daß ein einzelner Menſch, der weder Freunde noch Verwandte hat, ſich in ei - nem fremden Lande doppelt in Acht nehmen muß. Kein Franzoſe wird daher leicht in Deutſchland, und kein Deut - ſcher in Frankreich ſtehlen. Iſt dieſe Urſache wahr: ſo wer -P 3det230Urtheil uͤber die Packentraͤger. det ihr auch bekennen muͤſſen, daß wir Packentraͤger nach ei - ner ganz richtigen Politik minder diebiſch ſind als andre Men - ſchen. Demjenigen unter uns, der ſich damit abgaͤbe, wuͤrde es gewiß an aller Fuͤrſprache mangeln. Seinen Packen be - hielte man erſt, und ihn futterte man gewiß ſo lange in Ket - ten, bis man es muͤde wuͤrde.

XXXVIII. Urtheil uͤber die Packentraͤger.

Die Packentraͤger laſſen ſich uͤberhaupt in zwey Klaſſen theilen, wevon die eine mit Waaren, welche in ihrer Heymath fallen oder gemacht werden, handelt; die andre aber eine Art von von zweyter Hand iſt, welche die Waare ſo ſie fuͤhret, auf den Meſſen oder von Großhaͤndlern nimmt und zum Verkauf umher traͤgt. Die erſte von dieſen Klaſſen verdienet eine ganz andre Aufnahme, als die zweyte; und ich glaube nicht zu fehlen, wenn ich mit ihnen nach dem großen Grundſatze verfahre, welchen die engliſche Nation in der Weltberuͤhmten Acte of Navigation vom 23 Sept. 1660 in Anſehung der Seehandlung feſtſetzte. In derſelben heißt es:

Daß jedes Land ſeine eignen Producten und ſeine eignen Fabriken mit eignen Schiffen nach England bringen koͤnnte.

Und die Abſicht dabey iſt, auf einer Seite zu verhin - dern, daß die Hollaͤnder, welche aller Welt Waaren fuͤhren, oder die Schweden, welche aller Welt Fuhrleute abgeben, oder andre Nationen, die eine gute und bequeme Ladung nach England bringen koͤnnten, keine Vorkaͤufer abgeben und ihnen fremde Waaren zubringen ſollen; auf der andern Seite aberihren231Urtheil uͤber die Packentraͤger. ihren eignen Kaufleuten, welche ſolchergeſtalt den Einkauf fremder Waaren, die aus der Quelle nicht hergefuͤhret werden, allein haben, und die engliſchen Waaren wieder in die Laͤnder verfuͤhren, woher ſie fremde holen, dieſen Vortheil mit Aus - ſchluß aller andern zuzuwenden.

Nach dieſem von der ganzen handelnden Welt bewun - derten Grundſatze muͤſſen wir es zum erſten Hauptgeſetze ma - chen, daß

Jeder Fremder mit den Waaren, die in ſeiner Heymath fallen oder gemacht werden, zu uns kommen und hauſiren koͤnne; das Recht aber mit andern Waaren zu handeln und zu hauſiren, keinem als einheimiſchen im Lande wohnenden Unterthanen verſtattet werden ſolle.

Auf dieſe Art bliebe den Franzoſen der Handel mit Cam - mertuch, Neſſeltuch und andern dergleichen in Frankreich fal - lenden Waaren; den Leuten, von denen Glas - und Eiſenhuͤt - ten, der Handel mit Glaͤſern, Schneidemeſſern, Senſen, Naͤgeln und dergleichen Eiſenwaaren; den Sieb - und Korb - machern, der Handel mit Sieben und Koͤrben; den Ravens - bergern, der Handel mit klaren und ſeinen Linnen; verſchie - denen Nachbaren der Handel mit Drellen, Kanefaſſen, wol - lenen Decken, wollenen und leinenen Struͤmpfen, mit Mau - ſefallen und Barometern ungehindert; und da dieſer Sachen, welche aus der Quelle von Leuten, ſo an derſelben wohnen, hergebracht werden, ſo gar viel nicht ſind: ſo lieſſe ſich dieſes bey weiter Ueberlegung leicht auf das genaueſte beſtimmen; indem doch uͤberhaupt keinem das Hauſiren im Lande ohne vorherige Unterſuchung und Vergeleitung geſtattet wird. Da - gegen waͤre es aber blos einheimiſchen erlaubt mit andern Waaren, als Meſſern, Scheeren, metallenen Knoͤpfen, Schnal - len, Spiegeln, Bohren, Pfeiffenkoͤpfen, Handſchuhen, baum - wollenen Muͤtzen und Struͤmpfen ꝛc. zu hauſiren.

P 4Gleich -232Urtheil uͤber die Packentraͤger.

Gleichwie aber jene Acte of Navigation die den frem - den Nationen erlaubte Einfuhr eigner Waaren nur in ſofern zulaͤßt, als dieſe Waaren nicht contrebande ſind: alſo muß es ein zweytes Hauptgeſetz ſeyn, ein gleiches auch dahier zu beobachten, und ſowol den fremden als einheimiſchen Packen - traͤgern das Hauſiren mit ſichern Waaren gaͤnzlich zu unter - ſagen; als nemlich mit allen Spitzen, allen geſtickten Sachen, allen Seidenwaaren, allen Zitzen oder Cattunen, allen wol - lenen Stoffen und dergleichen Sachen, als welche entweder in den Staͤdten oder auf Jahrmaͤrkren gekaufet werden koͤnnen.

Ich rede hier blos von dem Hauſiren auſſerhalb Jahr - markts. Denn dieſer muß vor wie nach frey bleiben; und iſt es meine Meynung jezt nicht, ſolchen gleichfalls auf jene Grundſaͤtze einzuſchraͤnken. Damit aber diejenigen, welche zu Markte kommen, dieſe ihnen zugeſtandene Freyheit nicht mißbrauchen, und unter Weges auspacken moͤgen: ſo iſt

Drittens noͤthig, die Heerſtraſſen zu bezeichnen, und das Urtheil dahin zu faſſen, daß wer ſich mit denen blos auf Jahrmaͤrkten zugelaſſenen Waaren auſſerhalb der Heerſtraſſe betreten laſſen wird, ſofort aller ſeiner bey ſich fuͤhrenden Waare verluſtig ſeyn ſolle. Die Lage der weſtphaͤliſchen Laͤn - der beguͤnſtiget dieſe Anſtalt ungemein. In andern Gegen - den gehen die Heerwege von Dorf zu Dorf; und die Land - leute wohnen alle im Dorfe. In Weſtphalen hingegen woh - net in den Doͤrfern und an der Heerſtraſſe faſt kein einziger Landmann, ſondern blos Wirthe, Kraͤmer und Handwerker; und dieſe ſind nur ſchlechte Kunden fuͤr die Packentraͤger. Der wahre Bauer liegt in Hoͤlzern zerſtreuet, und man kann nicht zu ihm kommen, ohne die Heerſtraſſe zu verlaſſen. Es waͤre alſo ſowol in dieſer als in mancher andern Abſicht noͤthig die Heerſtraſſen zu bezeichnen, als wodurch zugleich die nachder233Urtheil uͤber die Packentraͤger. der Lage andrer Laͤnder noͤthige und beſchwerliche Verſiege - lung der Packen voͤllig hinwegfallen wuͤrde.

Ich denke nicht, daß durch dieſes Urtheil uͤber die Packentraͤger ſich jemand mit Recht beſchwert erachten koͤnne; denn daß man darin

  • 1) Diejenigen beguͤnſtiget, die uns ihre eignen Waa - ren, welche wir noͤthig haben, mit der erſten Hand zubringen, hat in ſo fern ſeinen guten Grund, als wir ſonſt der zweyten und dritten Hand unnoͤthig zinsbar werden wuͤrden; daß man
  • 2) den Vortheil der zweyten Hand, wenn eine Waare aus der erſten nicht zu haben iſt, ſelbſt zu gewinnen, und ſolchen einheimiſchen Unterthanen zu zuwenden ſuchet, iſt der Klugheit gemaͤs, daß man
  • 3) alles Hauſiren mit Spitzen, geſtickten Sachen ꝛc. wobey die einfaͤltigen Unterthanen uͤberliſtiget und uͤbervor - theilet werden, verbiete, iſt um ſo nothwendiger, weil der Werth dieſer Sachen nicht ſo gut als der Werth eines Schnei - demeſſers beurtheilet werden kann, und das Geld was fuͤr wahre Beduͤrfniſſe aus dem Lande gehet, nicht den zehnten Theil von demjenigen ausmacht, was auf Thorheiten ver - wandt wird.
  • Endlich und
  • 4) wird ein maͤßiger Ueberſchlag zeigen, daß von hun - dert fremden Packentraͤgern, welche das Land belaufen, neun - zig die nichts als fremde zuſammengekaufte Waaren fuͤhren, zu Hauſe bleiben muͤſſen. Die Leute ſo von einer Quelle kommen, fuͤhren insgemein nur einerley Waare, und es iſt gar nicht ſchwer ſie zu unterſcheiden, und dem Befinden nach, mit einem beſtaͤndigen Geleitsbriefe zu verſehen.
P 5Man234Von der Steuer-Freyheit

Man will indeſſen doch die Gruͤnde derjenigen, welche gegen dieſes Urtheil etwas einzuwenden haben, gern verneh - men, und ihnen in der fernern Appellations Inſtanz nicht allein Gehoͤr ſondern auch Gerechtigkeit wiederfahren laſſen.

XXXIX. Von der Steuer-Freyheit in Staͤdten, Flecken und Weichbilden.

Es iſt nicht leicht eine Sache, woruͤber in den Staͤdten und Flecken mehr geſtritten wird, als uͤber die Frage, ob dieſe oder jene Perſon einer Freyheit von buͤrgerlichen La - ſten genieſſe oder nicht? und nichts iſt dabey gewoͤhnlicher, als daß man ſich auf ſeinen geiſtlichen Stand, ſeinen Adel oder ſeine Bedienung berufe, und dem Magiſtrate ſolcher Staͤdte und Flecken es ſehr uͤbel nehme, daß er es ſich nur einmal einfallen laſſe, befreyeten Perſonen dergleichen anzu - muthen. Ich geſtehe, daß mich die Gruͤnde der Befreyeten mehrmalen geblendet haben; und daß ich es ſehr unanſtaͤndig gefunden, wenn der Fleckensdiener einen Reichsfreyen Mann zu Stadtspflichten verabladen wollen. Allein, nachdem ich die Sache in aller Einfalt erwogen und von allem falſchen Schein entbloͤßet habe; ſo bin ich davon voͤllig zuruͤckge - kommen.

Ich hoffe, ein jeder wird mit mir darinn einſtimmen, wenn ich ihm die Sache ſo vortrage, wie ſie mir vorgekom - men iſt. Ehe ich aber ſolches thun kann, muß ich bemerken, worinn die Freyheit in ofnen Doͤrfern und auf dem platten Lande, ſich von der Freyheit in geſchloſſenen Orten, derglei -chen235in Staͤdten, Flecken und Weichbilden. chen Staͤdte, Weichbilder und Flecken ſind, unterſcheide. Eine Befreyung im Reiche oder im Lande geht dem Ganzen ab; und folglich kann ſie von demjenigen, der uͤber das Ganze zu ſagen hat, ertheilet werden. Eine Befreyung in einer Stadt oder in einem Flecken, geht aber blos einem Theile ab, und da dieſer nicht ſchuldig iſt, fuͤr das Ganze zu leiden: ſo kann derjenige, der uͤber das Ganze zu ſagen hat, ſolche nicht ertheilen. Z. E. ein Landesherr mit ſeinen Staͤnden kann einen Hof ſchatzfrey machen; aber kein Haus in einem Flecken, ohne dieſem ſolches an ſeinem Anſchlage abzuſetzen. Jezt wollen wir die Anwendung machen.

Der Kaiſer, ohnerachtet er das allerhoͤchſte Reichsober - haupt iſt, mag kein Haus in irgend einem Flecken befreyen. Denn da das Haupt vom ganzen Koͤrper getragen werden muß: ſo wuͤrde es ungerecht ſeyn, ſolches einem einzelnen Flecken aufzubuͤrden; und vermuthlich war dieſes auch der wahre Grund, warum Kayſer und Koͤnige ehedem immer von einem Orte des Reichs zum andern reiſen mußten, damit eine Provinz und eine Stadt die Laſt nicht allein zu tragen hatte.

Ein Landesherr iſt in keinem Staͤdtgen oder Flecken ſeines Landes frey, weil ſeine Freyheit dem ganzen Lande nicht aber einem einzelnen Theile deſſelben berechnet werden muß. Es hindert aber nichts, daß nicht der Kayſer wie der Landes - herr einen freyen Pallaſt neben oder an einem Flecken habe, deſſen Befreyung dem ganzen nicht aber einem Theile zur Laſt faͤllt.

Landesherrliche Bediente ſind aus einem gleichen Grun - de, zwar im Ganzen, aber in keinem einzelnen Flecken frey. Eben ſo kann des Adelsfreyheit zwar wohl dem Reiche oder dem Reichslande, dem er dienet oder gedienet hat, keines - weges aber einem einzelnen Flecken aufgebuͤrdet werden. Derge -236Von der Steuer-Freyheitgeringſte Edelmann wuͤrde es nicht leiden, daß ihm der Kay - ſer einen Burgfeſtendienſt aus der Reihe naͤhme, und ihm dafuͤr einen Reichsgrafen, wenn er auch den Erbfeind des chriſtlichen Namens zur See und zu Lande geſchlagen haͤtte, einſchoͤbe. Und eben die Bewandniß hat es mit den Staͤd - ten und Flecken.

Die Beamte, welche mehrere Kirchſpiele unter ſich ha - ben, die Richter, Gerichtſchreiber, Voͤgte, Pedellen und Amtsdiener, ja ſelbſt der Pfarrer und der Kuͤſter, wenn Bauerſchaften in dem Flecken eingepfarret ſind, koͤnnen dem - ſelben mit ihren Freyheiten nicht zur Laſt fallen, weil dieſelbe von dem ganzen Amte, dem Gerichtsſprengel, der Vogtey oder dem Pfarrſprengel, der offenbareſten Billigkeit und Ge - rechtigkeit nach, mit gemeinſamen Schultern uͤbertragen wer - den muͤſſen. Dies iſt die Regel der Vernunft; eine Folge des Originalcontrakts, und der Grundſatz, worauf das Al - terthum gebauet hat. Nun wollen wir aber auch die Ausnah - men betrachten.

Die erſte giebt uns das Wehdum, welches ſeinen Na - men von geweihten Gute hat. Dieſes wurde zwar in der ſaͤchſiſchen Anlage von Carln dem Großen nicht Dienſtfrey erklaͤrt. Allein der gemeine Dienſt, ſo davon kommen mußte, wurde ans Altar gelegt; und auf dieſe Art wurde es in der weltlichen Dienſtleiſtung frey. Das Wehdum iſt faſt durch - gehends aͤlter als Staͤdte und Flecken, und dieſe haben folglich nie ein Recht gehabt, ſolches zum Weichbildesgute zu rech - nen, und eine Beyhuͤlfe davon zu fordern. Eben das gilt von allen geiſtlichen Gruͤnden, deren beſitzlich hergebrachte Freyheit einen gleichen Urſprung rechtlich vermuthen laͤßt.

Die zweyte Ausnahme macht Reichs - oder Amtsgut. Lange vorher ehe Staͤdte und Flecken ſich ſchloſſen, warenAmts -237in Staͤdten, Flecken und Weichbilden. Amts - und Vogtshoͤfe vorhanden; und jene entſtanden insge - mein an und neben einem Amtshofe oder einer Burg; und ob ſie gleich, nachdem die ſich daneben anbauende Handwer - ker und Kraͤmer eine Mauer oder einen Bannkreis erhielten, mit darinn zu liegen kamen: ſo laͤßt ſich doch leicht gedenken, daß das Amtsgut ſeine vollkommenſte Freyheit behalten habe.

Die dritte Ausnahme macht Burgmannsgut. Dieſes iſt theils aus alten Reichs - oder Amtsgute entſtanden, und folglich zwar wohl in den ſtaͤdtiſchen Bannkreis gekommen, aber nicht zum Weichbilde pflichtig geworden; theils hat es die Sicherheit der Staͤdte und Flecken erfordert, Burgleute an ſich zu ziehen; da ſie denn denſelben, dafuͤr, daß ſie den Flecken und die Stadt beſchuͤtzet, eine Freyheit zugeſtanden haben. Hierauf gruͤnden ſich die Freyheiten adelicher Haͤu - ſer in Staͤdten.

Die vierte Ausnahme gruͤndet ſich auf alten Verglei - chen. So ſehen wir, daß in den neuern Zeiten, wie in hie - ſigem Stifte die Staͤdte und Flecken zum Schatze angeſchla - gen ſind, denenſelben fuͤr diejenigen Landesbediente, welche ſich darin aufhielten, ſo viel nachgelaſſen worden, als ihr An - theil der Schatzung betragen konnte; und ſo wird noch ver - ſchiedenen Landesbedienten ein ſicheres fuͤr ihre Wohnung aus der Landescaſſe bezahlet, damit ſie dem Orte wo ſie wohnen, nicht allein zur Laſt fallen moͤgen. Man hat alſo immer den Grundſatz befolgt, daß die Landesfreyheit der Landescaſſe, nicht aber der Caͤmmerey des Staͤdtgens obliege; und es er - hellet aus den jetzt angefuͤhrten beyden Umſtaͤnden, daß man nach der von mir oben feſtgeſetzten Regel verfahren, und kei - nem Staͤdtgen oder Flecken anmuthen wollen, die den Lan - desherrlichen Bedienten von dem ganzen Lande zu verſchaffen - de Freyheit, ganz allein zu ſtehen. Was wir in den neuernZei -238Von der Steuer-FreyheitZeiten ſehen, das kann in den alten geſchehen ſeyn, und wo Landesherrliche Bediente an einzelnen Orten einer Freyheit genieſſen, da muß man ebenfalls einen alten Vergleich zum Grunde dieſer Freyheit annehmen.

Ich ſolte noch der fünften Ausnahme, nemlich der kay - ſerlichen Befreyungen, gedenken. Allein da ſolche eigentlich zu der Zeit ihren Urſprung nahmen, wo alles noch zum Reiche ſteuerte; da ſie hiernaͤchſt insgemein nur dem Amtsgute was an dem Flecken oder Staͤdtgen lag, und nicht eigentlich buͤr - gerlicher Grund war, ob er gleich mit in der Mauer befaſſet wurde, zu ſtatten kamen; und da ſie endlich die Regel offen - bar befeſtigen, indem ſie nicht mehr ſtatt haben, ſeitdem die Laͤnder geſchloſſen ſind: folglich auch ſchwerlich ſtatt hatten, ſo bald ein Flecken oder Staͤdtgen ſich mit kayſerlicher Be - willigung geſchloſſen hatte: ſo iſt es eben nicht noͤthig daraus eine beſondre Ausnahme zu machen; indem faſt alles kaiſer - lich freye Gut unter Wehdum, Amtsgut, und Burgmanns - gut verſtanden iſt.

Dies ſind meines Ermeſſens uͤberaus begreifliche Wahr - heiten, woraus man zugleich abnimmt, warum der Thor - ſchreiber eines Fleckens mehrere Freyheit zur Stelle haben koͤnne, als der erſte Miniſter eines Landesherrn. Denn je - ner iſt der Bediente dem das Flecken die Freyheit zur Beſol - dung reicht; dieſer hingegen iſt der Landesbediente, dem das Flecken keine Beſoldung ſchuldig iſt. Es verdienen dieſe Wahrheiten um ſo viel mehr in Betracht gezogen zu werden, da die Freyheiten durch ein offenbares Mißverſtaͤndniß gar zu weit ausgedehnet, und auch viele Staͤdte dadurch auſſer Stand geſetzt werden, nur eine maͤßige Einquartierung zu tragen, und man es oft dem Landesherrn glaubend machen will, daß ſeine Ehre daran liege, wenn ſeine Bedienten nicht uͤberall im Lande frey gelaſſen werden wollen.

Ich239in Staͤdten, Flecken und Weichbilden.

Ich leugne nicht, daß es uͤberaus billig ſey, diejenigen, welche fuͤr des Landes Beſte ſtreiten, arbeiten oder beten, von allen Auflagen und Beſchwerden frey zu machen. Es kann ihnen dieſe Freyheit zur Aufmunterung und zur Beloh - nung dienen. So ſeltſam es aber einem Privatmann vor - kommen wuͤrde, wenn man ihm anmuthen wollte, ſeines Fuͤrſten Bedienten allein zu bezahlen; eben ſo ſeltſam iſt es auch von einem Reichsflecken oder von einer Landſtadt zu for - dern, dem Kaiſer oder dem Fuͤrſten mit ſeinem ganzen Hof - ſtaat eben die Freyheit in ihren Mauren zu geben, welche ſie ihren eignen ſtaͤdtiſchen Bedienten ſtatt der Beſoldung giebt.

XXXX. Schreiben eines weſtphaͤliſchen Schulmeiſters, uͤber die Bevoͤlkerung ſeines Vaterlandes.

Euer Intelligenzien erlauben mir großguͤnſtig, daß ich mir durch den Canal ihrer Blaͤtter von Sr. Wohlweißheiten dem Herrn Publico etwas Erlaͤuterung uͤber einen Punct ausbitte, den ich in meinem einfaͤltigen Kopfe nicht recht begreifen kann. Ich hoͤre und leſe nemlich oft, daß unſer dunkles Weſtphalen unter allen Laͤndern am ſchlechteſten bevoͤl - kert und angebauet ſey; und man will daher ſchlieſſen, daß wir faule, ungeſchickte und ungezaͤhmte Leute waͤren, die ſich aller guten Policey ſchlechterdings widerſetzten und lieber auf Eben - theuer in die weite Welt giengen, als zu Hauſe den ihnen von Gott verliehenen Acker baueten. Nun will ich nicht laͤugnen, daß unſre Kinder ſehr haͤufig in die Fremde ziehen, und man - ches ehrlichen Mannes Sohn in den benachbarten Handels -orten240Schreiben eines weſtphaͤl. Schulmeiſters,orten hangen bleibe, auch wohl auf der See ſein junges Leben einbuͤſſe. Allein es kommt mir doch immer ſo vor, als wenn wir auch etwas mehrers verlieren koͤnnten als andre Laͤnder; und daß der undankbare Boden, worauf uns die Vorſehung ſo hingeworfen, wohl ſo gut beſetzet ſey, als die retchen und ge - ſegneten Fluren, welche gluͤcklichere Nationen zu ihrem Erb - theil erhalten haben. Ich kann ſolches Euer Intelligenzien nicht beſſer bedeuten, als wenn ich Ihnen den Streit vorlege, welchen ich mit meinem Sohne, den ich ohne Ruhm zu mel - den, ſelbſt im Rechnen und Schreiben unterwieſen habe, bey Feyerabend mehrmalen gehabt habe.

Gedachter mein Sohn, der mit einem Herrn aus un - ſerm Lande nur als Bedienter gereiſet iſt, aber doch auf alles gute Acht gegeben hat, erzaͤhlete mir, daß die Franzoſen, dieſe volkreiche Nation, ihr Land auf 10000 geographiſche Quadratmeilen rechneten, und daß auf dieſem großen Boden zur Zeit Ludewigs des XIV. zwanzig; nachwaͤrts unter der Minderjaͤhrigkeit Ludewigs des XV. achtzehn, und im Jahr 1764 ſechzehn Millionen gezaͤhlet und gerechnet worden. Gut, dachte ich, nun wollen wir bald ſehen, wer der beſte ſey. Unſer Stift haͤlt nach der von dem Herrn Obriſtlieutenant von dem Buſſche verfertigten Charte 28 Quadratmeilen und folglich betraͤgt unſer Land nur den 350ten Theil von Frankreich. Wie viel Einwohner muͤßten wir alſo haben, wenn unſer Land eben ſo volkreich als Frankreich ſeyn ſolte? Die Antwort war leicht, hoͤchſtens 50000. Wie viel haben wir aber wuͤrklich? An gezaͤhlten Koͤpfen hundert ſechzehntauſend ſechshundert vier und ſechzig. *)Die Zaͤhlung geſchahe erſt bey der Theurung im Jahr 1772. und wurden damals 19684. Wohnungen gezaͤhlt; mithin kommen auf jedes Haus uͤber 5 Menſchen.

Das241uͤber die Bevoͤlkerung ſeines Vaterlandes.

Das iſt nicht moͤglich, ſagte mein Sohn; in Frank - reich ſind ſo viele Hauptſtaͤdte, ſo viele Seehafen, und allein uͤber achtmal hundert tauſend Bediente; denket nur einmal an 12000 Equipagen in Paris ..... das kann alles wohl ſeyn, war meine Antwort; und ich freue mich, daß wir nicht den 350 - ten Theil von Bedienten und Gutſchen haben. Allein es iſt klar, daß unſer Land mehr als doppelt ſo ſtark bevoͤlkert ſey als Frank - reich; und aller ihrera Huptſtaͤdte und Seehaͤfen ungeachtet, den Vorzug behalte. Doch wir wollen der Sache naͤher treten. Wie viel Feuerſtaͤtten haben die Franzoſen im Lande?

Man rechnete ſie ehedem, ſagte er, auf vier Millio - nen. Andre ſagen nur von Millionen, oder 3713563. Noch andre ſetzen ſie auf ; und zu meiner Zeit (1764) nahm man ſie zu zwey Millionen an. Gut, erwiederte ich, wir wollen ih - nen die 4 Millionen laſſen; es koͤmmt hier auf ein paar Millionen nicht an; und ſo muͤßten in unſerm Stifte nur et - wa 11000 Wohnungen ſeyn. Es ſind ihrer aber wie du weiſt vom Herzoge Ferdinand 18000 gezaͤhlet worden; und man kann wohl annehmen, daß man dieſem großen boͤſen General zweytauſend weniger geſagt habe als wuͤrklich vorhanden ſind. Du ſiehſt alſo, daß nach dem angenommenen Verhaͤltniſſe in unſerm Lande doppelt ſo viel Feuerſtaͤtte als in Frankreich ſind.

Es ſey darum wie es wolle, verſetzte er: ſo hat Frank - reich 38000 Kirchſpiele; und hier im Stifte ſind deren nicht viel uͤber funfzig. In Frankreich wird das Saͤeland auf 150 Millionen und das Wieſen-Garten - und Weinbergsland auf 50 Millionen Arpens, den Arpent zu 150 Quadratruthen gerechnet, angeſchlagen. So viel wird von unſern Heyden und Moͤhren doch jaͤhrlich nicht genutzt. Und wie ſchoͤn iſt dort nicht der Acker gebauet, ſeitdem man eigne Akademien dafuͤr errichtet? Möſers patr. Phantaſ. I. Th. QWie242Schreiben eines weſtphaͤl. Schulmeiſters,Wie herrlich iſt nicht ihre Viehzucht? Und wie fleißig ſind nicht alle Menſchen?

Hoͤre einmal, ſagte ich zu ihm: ein weſtphaͤliſches Kirch - ſpiel, worunter einige 1500 bis 2000 Feuerſtaͤtten haben, iſt gewiß dreymal ſo ſtark als ein franzoͤſiſches. Ich habe in meiner Schule 373 Kirchſpielskinder; diejenige, ſo in die catholiſche Schule, und in die vorhandene Nebenſchulen gehen, ungerechnet. So viel wirſt du ſchwerlich in einer franzoͤſiſchen Dorfſchule gefunden haben. Und was den Acker betrift: ſo beſitzen wir an Heyden, Moͤhren und Gebuͤrgen 948672 Mor - gen, jeden zu 120 Calenb. Ruthen gerechnet, hierauf leben 116664 Menſchen; und nach dieſem Verhaͤltniß muͤſſen in Frankreich uͤber 40 Millionen Menſchen ſeyn, ohne daß wir einmal unterſuchen wollen, ob unter den 200 Millionen Ar - pens lauter urbares, oder auch Heide - und Mohrland mit be - griffen ſey. Ueberdem traue ich dir, lieber Fritz,

Erſtens dieſes, daß ſo viel gebauetes Land in Frankreich ſey, auf dein Wort noch nicht zu. Denn der Landſchatz in Frankreich betraͤgt nur, wie du wohl eher geſagt haſt, 75 Millionen Livres; und wenn ich den vierten Theil deiner 200: 000: 000 Arpens fuͤr die Geiſtlichkeit und den Adel ab - rechne, als welche zum Landſchatze nichts beytragen: ſo muͤßte jeder Arpent nur zu ½ Livre angeſchlagen ſeyn, folglich in Frankreich von jeden funfzig Quadratruthen nur 1 ggl. an Schatzung jaͤhrlich bezahlet werden. Das glaube ich nicht. Denn du haſt mir von einem franzoͤſiſchen Paͤchter geſagt, der von 550 Arpens oder von 1500 Scheffelſaat 1800 Livres im Landſchatze bezahlt haͤtte.

Fürs andre, machen ſie in Frankreich ein Geſchrey uͤber die 400 Millionen Livres, die jaͤhrlich aufzubringen ſind, als wann Himmel und Erde vergehen ſoll. Dies waͤre nicht moͤglich, wenn die Bevoͤlkerung und der Ackerbau mitden243uͤber die Bevoͤlkerung ſeines Vaterlandes. den weſtphaͤliſchen Landen in Vergleichung ſtuͤnde. Denn in Verhaͤltniß mit ihnen muͤßten wir 800: 000 Livres oder 200: 000 Thaler jaͤhrlich aufzubringen haben; und dieſe wer - den wir mehrentheils, mit Einſchluß der Domainen aufbrin - gen, ohne daß wir alle die Auflagen kennen, die in Frank - reich ein eignes Woͤrterbuch erfordern, ohne einen Pfennig von allem, was wir eſſen, trinken, rauchen, ſchnupfen und am Leibe tragen, zu bezahlen, ohne von Stempel-Acciſe-Licent - und Kopfgeld etwas zu wiſſen.

Fürs dritte haſt du mir geſagt, daß dein Herr ſich bey einem Edelmann zu Brie aufgehalten haͤtte, der von 550 Ar - pens, oder 1500 hieſigen Scheffelſaat, des beſten Landes jaͤhr - lich 4800 Livres oder 1200 Rthlr. an Pachtgelde erhalten haͤtte. Daneben haͤtte der Paͤchter 450 Thaler Landſchatz, und 150 Thaler Kopfſchatz jaͤhrlich entrichten muͤſſen. Die 1500 Scheffelſaat haben alſo uͤberhaupt zur Heuer gethan 1800 Thaler. Hier im Stifte haͤtten ſolche uͤber 3000 Thal. zur Heuer oder Pacht thun muͤſſen, ohnerachtet zu Brie das Land weit beſſer iſt als hier. Du ſiehſt alſo, daß wir unſre Heyden und Moͤhre eben wohl nutzen;

Fürs vierte mußt du wiſſen, daß man in Frankreich Brache und in Weſtphalen keine habe; weil wir die Heyde - plaggen anſtatt der Brache gebrauchen. Es bauet alſo Frank - reich jaͤhrlich ein drittel Land weniger als du angegeben haſt, wohingegen wir ſolches jaͤhrlich nutzen, und im Ackerbau den Franzoſen gleich ſeyn wuͤrden, wenn wir von unſern 28 Quadratmeilen ſchlechterdings ungenutzt, und noch ein Drit - tel des genutzten anſtatt der Brache in der Heyde liegen haͤtten.

Fürs fünfte zaͤhlteſt du zu Brie bey dem Paͤchter 40 Stuͤck Hornvieh auf 1500 Scheffelſaat genuͤtztes Land; wenn du aber die weſtphaͤliſche Wirthſchaft anſiehſt, und aus dieſen 1500 Scheffelſaat 12½ Bauerhoͤfe, jeden von 10 Malter -Q 2ſaat244Schreiben eines weſtphaͤl. Schulmeiſters,ſaat macheſt: ſo kommen auf jeden Hof etwa 3 Stuͤck Horn - vieh, und ich glaube doch, daß Hoͤfe von 10 Malterſaat nicht unter 8, viele aber wohl 16 haben werden; beſonders wenn ich das Vieh der Heuerleute mit einrechne.

Fürs ſechſte hatte der Paͤchter zu Brie 48 Leute, an Knechten und Maͤgden im Dienſten; welches mit ihm, ſeiner Frau und 4 Kindern, 56 Perſonen auf 1500 Scheffelſaat ausmachte. Wenn du aber hier dafuͤr 12½ Bauerhoͤfe nimmſt; auf jeden Hof die Leibzucht und nur einen einzigen Kotten rechneſt, deren doch jeder insgemein 2 oder 4 hat: ſo kommen 37½ Haͤuſer heraus; und dieſe enthalten, auf jedes Haus 5 Menſchen gerechnet, 187 Menſchen.

Du magſt mir alſo ſagen was du willſt, mein Sohn: ſo ſehe ich noch nicht, daß die Franzoſen Urſache haben, unſer Land la vuide Weſtphalie zu nennen. Denn was von un - ſerm Stifte gilt, das gilt hoͤchſtens mit einem fuͤnftel Abſatz von ganz Weſtphalen.

Euer Intelligenzien duͤrfen aber nicht denken, daß ich unſere Moͤhre und Heyden allein mit dem galanten franzoͤſi - ſchen Boden verglichen habe. Nein, ich habe auch meine bey - den Augen, womit ich noch zur Zeit ohne Brillen ſehe, auf andre Laͤnder gewandt. So haͤlt zum Exempel England 2916. geographiſche Quadratmeilen, und 5,340,000. Einwohner. Dies macht auf jede Quadratmeile 1831 Einwohner, wovon man noch abrechnen ſollte, weil London nicht mit zum An - ſchlag bey der gegenwaͤrtigen Vergleichung kommen kann. Dagegen aber haͤlt unſer Stift 28. dergleichen Quadratmei - len, und hat folglich bey der ſicher als richtig angenommenen Zahl von 116664 Einwohnern, uͤber 4000 Koͤpfe, auf jede Quadratmeile und lauter Koͤpfe, die leſen und ſchreiben lernen.

Dies245uͤber die Bevoͤlkerung ſeines Vaterlandes.

Dies uͤbertrift auch noch die ſchleſiſchen Lande, als welche nach Herrn Büſchings Angabe (wenn der Multiplica - tor gehoͤrig verbeſſert wird) 2552 Seelen auf jede Quadrat - meile haben; und die Koͤnigl. Preußiſchen Lande uͤberhaupt, worinn im Jahr 1756., 4,512,528., auf 2940 Quadrat - meilen, folglich auf jede derſelben nur 1534. gerechnet wurden.

Nach gedachten Herrn Büſchings Rechnung hat auch Deutſchland im Durchſchnitt nur 2135 Menſchen auf jeder Quadratmeile. Der Elſaß, der fuͤr ziemlich bevoͤlkert gehal - ten wird, und wo gewiß alle Lebensmittel im Ueberfluß und wohlfeil ſind, ernaͤhrt nach dem Süßmilch nur 1835. auf einer dergleichen; und um wieder auf Frankreich zu kommen: ſo zaͤhlt ſolches nach dem Süßmilch 1900.; nach dem - ſching 2000. und nach dem Schmeichler d’Expilly 2201 Men - ſchen auf einer Quadratmeile. Aus welchen allen denn meiner unterdienſtlichen Meynung nach zur Gnuͤge erſcheinet, daß ich Recht, die ganze uͤbrige Welt aber Unrecht habe.

Dieſelben werden mir zwar vermuthlich erwiedern, daß man in Weſtphalen an der Heerſtraſſe kaum ein Haus, und noch ſeltener ein Dorf ſehe; wohingegen man in den bluͤhen - den Gegenden Deutſchlandes oft 70 bis 80 Doͤrfer aus ei - nem nur einigermaßen erhobenen Fenſter erblicken kann. Allein ich kann Ihnen hierauf weiter nichts antworten, als daß eins von den obgedachten Doͤrfern insgemein 80 bis hundert Ziegeldaͤcher halte, deren ſich eine Menge in einem ebnen Felde leicht uͤberſehen laͤßt; wohingegen ſich ſchwerlich ein Standort finden laſſen wird, woraus man die in einem weſtphaͤliſchen Kirchſpiel auseinander geſtreute 1000 bis 2000 Wohnungen uͤberſehen kann; weil das Land uneben und meh - rentheils jedes Haus mit Baͤumen umgeben iſt. Daneben findet man, daß ſich alles von der Heerſtraſſe entfernt, inQ 3Win -246Schreiben eines weſtphaͤl. Schulmeiſters,Winkeln verſteckt, und die Ausſicht, wo es die bare Heyde nicht verhindert, ſo viel immer moͤglich unterbrochen habe; eine Politick, die im Kriege nicht ohne Nutzen und vermuth - lich eine Folge deſſelben iſt. Soll ich ihnen aber auch meine Meynung von der vorzuͤglichen Bevoͤlkerung der weſtphaͤliſchen Laͤnder ſagen: Don Geronimo de Uſtaritz, erſchrecken Sie nicht, es iſt ein Spanier, hat bemerkt, daß die ſpaniſchen Provinzien, welche die mehrſten Leute nach Indien ſchicken, die volkreichſten ſind, und man kann, verzeihen Sie mir das Gleichniß, das menſchliche Geſchlecht mit einer Waare vergleichen, die, wenn ſie ſtark abgeht, auch ſtark verarbeitet wird. ......

  • Vollſtaͤndige Berechnung der Menſchen im Stifte Oſnabruͤck, wie ſolche im Jahr 1772. gezaͤhlet wurden.
  • Hausvaͤter = = = 21308
  • Hausmuͤtter = = = 24481
  • Soͤhne uͤber 14 Jahr = = 5197
  • = unter 14 Jahr = = 19668
  • Toͤchter uͤber 14 Jahr = = 5228
  • = unter 14 Jahr = = 19647
  • Maͤnnliche Angehoͤrige bey ihren Verwand - ten im Hauſe = = 1552
  • Weibliche = = = 1949
  • Geſellen und Burſche = = 549
  • Knechte = = = 5062
  • Maͤgde = = = 5910
  • Ohne Unterſchied der Jahre und des Ge - ſchlechts angegebene = = 6113
  • Summa 116664
XXXXI. 247

XXXXI. Schreiben eines reiſenden Gaſconiers an den Herrn Schulmeiſter.

Euer Wohlehrwuͤrden moͤgen mir noch ſo viel zum Lobe ihres Vaterlandes ſagen: ſo kann ich es ihnen doch nicht verheelen, daß ich noch zur Zeit, ohnerachtet ich zu Lande und zur See gereiſet bin, kein Land angetroffen habe, worinn es weniger Originalnarren giebt als in dem ihrigen. Ich bin meines Handwerks ein Comoͤdienſchreiber, und in der Abſicht zu ihnen gereiſet, um einige beſondre laͤcherliche Charaktere fuͤr meine Buͤhne bey ihnen aufzuſuchen; ſo wie mancher in die Fremde reiſet, um Loͤwen und Meerkatzen oder andre ſeltne Thiere zu erhandeln. Allein es iſt mir in dero Heymath kein Narr vorgekommen, wovon ich es der Muͤhe werth ge - achtet haͤtte, eine Schilderung mit zunehmen. Dies bewei - ſet denn doch wohl unſtreitig, daß Sie auch keine große Ge - nies unter ſich haben.

Ich will Ihnen den Ruhm von guten ehrlichen und fleißigen Leuten nicht abſprechen. Allein dergleichen findet man uͤberall; und wenn man einen geſehen hat: ſo hat man ſie alle geſehen. Es liegt mir auch nichts daran, wie wiel Menſchengeſichter ſich in ihrem Lande befinden, wenn ſie alle die Naſen auf einer Stelle haben. Die Hauptſache iſt jetzt Wunder der Natur zu ſehen, und bey mir kommt hinzu, ſie vor Geld ſehen zu laſſen.

Anfangs glaubte ich, der Fehler dieſer Einfoͤrmigkeit waͤre blos den gemeinen Leuten in ihrem Lande eigen; und ich hoffte noch immer unter den Vornehmen, oder doch wenig -Q 4ſtens248Schreiben eines reiſenden Gaſconiersſtens unter den Damen etwas zu finden, was ſich in meine Sammlung von ſeltenen Thieren ſchicken wuͤrde. Allein auch hier ſchlug meine Vermuthung fehl. Ich traf einen vorneh - men Edelmann an, der mit ſeinen Leibeignen als mit vernuͤnf - tigen Menſchen umgieng; der ihre Beduͤrfniſſe fuͤhlte; ihnen mit Rath an die Hand gieng; ihnen in der Noth Vorſchuß that; und ſich um ihr ganzes Hausweſen mit einer vaͤterlichen Sorgfalt bekuͤmmerte. Die Frau vom Hauſe verließ mich mitten in einer intereſſanten Erzaͤhlung, um mit einer armen Frau zu ſprechen. Und was ich beynahe fuͤr etwas origina - les gehalten haͤtte: ſo gieng das gnaͤdige Fraͤulein aus dem Zimmer in den Keller um den Wein auszulangen; ohnerach - tet ich ihr eben eine neumodiſche Caricaturhaube vorzeichnete. In dem Zimmer fand ſich nichts als Ordnung und Reinlich - keit, und wie wir nach Tiſche in den Garten giengen, fan - den ſich, erzittern Sie doch, keine Orangeriebaͤume mehr. Der Herr vom Hauſe erzaͤhlte mir dabey, daß zu ſeines Groß - vaters Zeiten kein Edelmann ohne eine Orangerie geweſen waͤre; und jeder ſein beſtes Gehoͤlze dazu verbraucht haͤtte, um dieſe fremden Puppen zu unterhalten. Jezt aber hielte man mehr auf eine Eiche, als auf einen Lorbeerbaum. Der gute Mann, daß er ſeine Orangerie nicht behalten hat? Wer vordem zu ihm kam, erzaͤhlte ihm allemal, wo er dieſelbe beſſer geſehen; und das mußte er fuͤr ein Compliment auf - nehmen. Jezt wird man ihn fragen muͤſſen: Ob es dieſes Jahr auch Maſt geben werde? Und dann wird die Rede wohl gar auf die Schweine fallen. Was fuͤr eine Erniedrigung!

Ich dachte endlich; auf dem Lande iſt es ſchlecht; aber in den Staͤdten wird es doch Merkwuͤrdigkeiten fuͤr mich ge - ben. Aber nein, auch hier fand ich einige verungluͤckte Co - peyen, wovon ich die Originale unendlich ſchoͤner geſehen hatte, ausgenommen, nichts als geſunde Leute; die emſig und zu -frie -249an den Herrn Schulmeiſter. frieden vor ſich hin arbeiteten, und mir nichts zu mahlen ga - ben; nicht eine menſchliche Figur, welche werth geweſen waͤre, in einem Kunſtſaale aufbehalten zu werden. Eine Dame, der ich meine Verwunderung hieruͤber bezeugte, verſprach mir jedoch eine Seltenheit zu zeigen, welche ich in andern Laͤndern nicht geſehen haben wuͤrde: und hierauf fuͤhrte ſie mich in ihre Kinderſtube, wo der Mann ſich die Muͤhe gab, ſeinen Kindern die Gruͤnde des Chriſtenthums beyzubringen; wo er dem Hofemeiſter Lehren gab; und ſich, nachdem die erſten Hoͤflichkeiten voruͤber waren, in meiner Gegenwart nicht ſcheuete, in ſeiner Arbeit fortzufahren. Die Dame ſetzte ſich, wie ich glaube, mir zum Poſſen, bey ihrer Toch - ter nieder, und druͤckte ihr die Hand, wann ſie dem Vater wohl antwortete, und das Maͤdgen war entzuͤckter uͤber die - ſen Beyfall, als uͤber mich; ohnerachtet ich doch glaube, kein alltaͤglicher Kerl zu ſeyn.

Himmel, dachte ich bey mir, wie willſt du aus dieſer verwuͤnſchten Kinderſtube kommen. Ich ſahe es dem Herrn an, daß er es nach dero Landesart fuͤr eine Grobheit aufge - nommen haben wuͤrde, wenn ich ihm nicht mit Aufmerkſam - keit zugehoͤret haben wuͤrde; und die Frau vom Hauſe, ohn - erachtet ſie mich anfangs auf eine loſe Art dahin gefuͤhret hatte, ſchien nunmehro ebenfalls bey dem Vergnuͤgen ihre Kinder zu ſehen, auf meine Ungedult keine Acht zu haben. Zum Gluͤck vor mich, nahm die zu dieſer Arbeit beſtimmte Zeit von ſelbſt ein Ende; und ich hatte wahrlich kein Verlan - gen mehrere Originalien in einem Hauſe aufzuſuchen, wo man nichts als die Erfuͤllung ſolcher Pflichten ſahe, die jeder Pfarrer ſeiner Gemeinde alle Sonntage ohne Unterlaß vor - predigt. Ich glaube gar, daß die Leute mit den gemeinſten Mann zur Kirche gehen, und ſich nicht einmal davon traͤu -Q 5men250Schreiben eines reiſenden Gaſconiersmen laſſen, daß die zehn Gebote mehr als hundert Jahr aus der Mode ſind.

Bey einer ſolchen Lebensart, und in einem Lande, wor - inn, wie ich vermuthe, Mann und Frau noch in einem Bette ſchlafen, iſt es wohl kein Wunder, daß aus langer Weile des Jahres viele Kinder erzeugt werden. Mich wundert nur, daß Euer Wohlehrwuͤrden nicht auf jeder Quadratmeile eine ganze Million gefunden haben. Allein, ihre Kirchſpielsſchule mag ſich ſo gut dabey ſtehen, als ſie immer will: ſo danke ich fuͤr ein Land, worinn man nichts als Geſundheit und Arbeit kennet, und ohne Cedras verdauen muß. Ich nehme aus demſelben nichts als einen rohen Schinken und ein Stuͤck Pumpernickel mit, um es den Pariſern fuͤr Geld ſehen zu laſſen.

Ich will ihnen naͤchſtens eine Rechnung ſchicken, wie viel Thoren ſich in andern Laͤndern auf jeder Quadratmeile finden; und da ſollen ſie ſehen, wie ſehr ſie die Bilanz gegen ſich haben. Bis dahin begnuͤgen ſie ſich der einzige in ihrem Kirchſpiel zu ſeyn, den ich auf meiner Wunderreiſe einiger Aufmerkſamkeit gewuͤrdiget habe.

Geſchrieben auf der Reiſe.

N. S.

Apropos, noch eins! In ganz Weſtphalen habe ich keine Obſtbaͤume an der Heerſtraſſe gefunden; und ich habe mich wuͤrklich oft darnach umgeſehen, weil ich hungrig war. Wie iſt es aber moͤglich, in einem ſo weſentlichen Stuͤcke zu fehlen? Sollten ſie nicht uͤberall Datteln - Pignolen - Capern - Oliven - und Feigenbaͤume ſtehen haben? Sollte jedes Dorf nicht angewieſen ſeyn, einen Zuſchlag fuͤr Melonen zu ma - chen? Wahr iſt es zwar, in manchen niederſaͤchſiſchen Ge -gen251an den Herrn Schulmeiſter. genden ſehen die Obſtbaͤume an der Heerſtraſſe ziemlich ver - froren, kruͤpplicht und bemooſet aus; und es hat das Anſe - hen, als wenn der erſte Nordweſtwind dieſer herrlichen Po - liceyanſtalt bald ein Ende machen und den Cameraliſten ſagen werde, daß die Natur das fuͤr 32 Winden offne Feld nicht eigent - lich zum Obſtbau beſtimmet habe. Indeſſen iſt es doch ein Beweis von dem Genie einer Nation, wenn ſie den Kirch - thurm mit zur Windmuͤhle gebraucht. Sie kann ſodann al - lemal deren Fluͤgel nach dem Hahnen ſtellen.

XXXXII. Gruͤnde, warum ſich die alten Sachſen der Bevoͤlkerung widerſetzt haben.

Indem jetzt die Bevoͤlkerung eines Staats als deſſen vor - nehmſte Gluͤckſeligkeit angeſehen wird: ſo verlohnt es ſich wohl der Muͤhe, die Gruͤnde zu unterſuchen, warum unſre Vorfahren, die Sachſen, ſich derſelben von den aͤlteſten Zeiten her widerſetzet, und ihre Jugend lieber zur Ueberziehung und zum Anbau fremder Laͤnder ausgeſchickt, als zu Hauſe neben ſich gedultet haben. Ihre Meinung war unſtreitig, wie ſich aus unendlichen Spuren zeigt, daß ſie ihre Hoͤfe und Erbe beſetzt halten, und auſſerdem keine freye Markkoͤtter, Brink - lieger, Heuerleute, Buͤrger und andre Neubauer um und neben ſich haben wollten; und es iſt hoͤchſt wahrſcheinlich, daß ihre Kinder, in ſofern ſie keine Hoffnung hatten einen Hof zu erben, oder nicht niedertraͤchtig genug waren als Knechte zu dienen, ſich dadurch genoͤthiget ſahen auszuwandern und auf Ebentheuer zu ziehen. Allein die Gruͤnde, welche ſie fuͤr dieſe ihre Meinung hatten, ſind nicht ſo einleuchtend: und wirkoͤn -252Gruͤnde, warum ſich die alten Sachſenkoͤnnen uns ſolche nicht lebhafter vorſtellen, als wenn wir einen dieſer Alten in oͤffentlicher Verſammlung auftreten, und gegen die Neubauer ſprechen laſſen:

Liebe Freunde und Rechtsgenoſſen, mogte er ſagen, 〟wir haben uns in dieſer Mark als Maͤnner vereiniget, wel - 〟che Ehre und Gut beſitzen; die Geſetze woruͤber wir uns 〟verglichen haben, gruͤnden ſich auf dieſen Beſitz; die hoͤchſte 〟Strafe iſt der Verluſt deſſelben, und die mindern Vergehun - 〟gen werden mit einem Theil unſers Vermoͤgens gebuͤſſet. 〟Was ſollen wir aber mit freyen Neubauern anfangen, die wenn 〟ſie ein Verbrechen begehen, ihre geringe Huͤtte, ihr Gaͤrtgen 〟oder ihre anderthalb Scheffelſaat Landes im Stiche laſſen und 〟davon fluͤchten koͤnnen? Unſer einer, der einen ganzen Hof be - 〟ſitzt; der mit ſeinem Hofe auch ſeinen Stand und ſeine Ehre un - 〟ter uns einbuͤſſet; und wo er ſich auf fluͤchtigen Fuß ſetzt, uͤber - 〟all mit ſeinen Kindern nichts als die Knechtſchaft oder ein 〟ſchlechter Loos zu erwarten hat; wird ſich wohl huͤten die 〟Geſetze zu brechen. Unſer einer wird nicht gern ſein ganzes 〟oder halbes Vermoͤgen daran wagen, um ſeinen Nachbaren 〟todtzuſchlagen. Wie koͤnnen wir aber von Neubauern, die 〟wenig oder nichts zu verlieren haben, ein gleiches erwarten? 〟Werden wir dadurch gebeſſert, wenn ſie ein Verbrechen be - 〟gehen, daß wir ihnen ein elendes Leben nehmen, oder ſie 〟mit Ruthen peitſchen laſſen? Koͤnnen wir Leute, die unter 〟ſolchen Strafen ſtehen, fuͤr unſere Rechtsgenoſſen erkennen; 〟ſie mit zu unſrer Verſammlung ziehen, und wenn ſie ſich, 〟wie leicht vorher zu ſehen, gleich den Heuſchrecken vermeh - 〟ren werden, von der Mehrheit ihrer leichtfertigen Stim - 〟men das Wohl unſers Staats und unſer eigenes abhangen 〟laſſen? Werden ſie nicht mit der Zeit, wenn ſie von dem 〟Maͤchtigern geheget und geſchuͤtzet werden, dieſem ihren 〟Schutzherrn zu gefallen, unſre Verraͤther und Unterdruͤcker〟wer -253der Bevoͤlkerung widerſetzt haben. 〟werden? Werden ſie nicht bald den groͤßten Haufen aus - 〟machen, und eine ganz neue Geſetzgebung erfordern? Kann 〟ein ſolches liederliches Gemengſel anders als durch Leib - und 〟Lebensſtrafen regieret werden? Und wird derjenige Schutz - 〟herr, der ſie auf dieſe Art regiert, nicht bald zu maͤchtig, 〟nicht bald unſer Oberherr und zulezt unſer Tyrann werden? 〟Und warum ſollen wir dergleichen Leute in unſern Marken 〟ſich anſetzen laſſen? Im Kriege kommen ſie uns nicht zu 〟ſtatten; von einem elenden Kotten koͤnnen ſie ſich ſo wenig 〟Waffen als Unterhalt ſchaffen; und mit Billigkeit koͤnnen 〟wir auch nicht fordern, daß ſie ſich fuͤr einen Staat aufopfern 〟ſollen, der ihnen nichts als eine elende Huͤtte erlaubt hat. 〟Weg alſo mit dieſem Ungeziefer. Wollen ſie als Knechte 〟dienen, ſo mag ſie derjenige annehmen, der fuͤr ihr Ver - 〟brechen einſtehen und fuͤr ſie bezahlen will. Knechte haben 〟eine ewig todte Hand; ſie koͤnnen nicht fechten, nie etwas 〟erwerben, nichts verjaͤhren, und uns mithin auf keine Art 〟gefaͤhrlich werden? Goͤnnet man ihnen auch ein Stuͤck Vieh 〟auf der gemeinen Weide: ſo widerſpricht ihr Stand alle - 〟mal ihrer Befugniß. Wir ſind alſo ſicher gegen ihre Aus - 〟dehnung. Aber freye Neubauer koͤnnen erwerben; ſie koͤn - 〟nen Markgerechtigkeit erhalten; ſie koͤnnen ſich eins 〟uͤber das andre anmaßen; ſie muͤſſen nothwendig un - 〟ſre Weiden und unſer Holz, es ſey nun heimlich oder 〟oͤffentlich mitgebrauchen; und wenn wir nicht beſtaͤn - 〟dig gegen ſie auf unſer Hut und auf der Jagd ſind; ſo wer - 〟den ſie ſich wie Heerden zuſammen ziehen, Mauren um ſich 〟aufwerfen, und uns auf die Koͤpfe ſchleudern, wenn wir 〟ſie in Schranken halten wollen. Und was werden unſre 〟Nachbaren ſagen, wenn einer von dieſen Neubauern zu ih - 〟nen koͤmmt, und bey ihnen ein Verbrechen begehet? Wer - 〟den ſie nicht von uns fordern, daß wir den Umſtaͤnden nach,〟den254Gruͤnde, warum ſich die alten Sachſen〟den Schaden*)Die alten Nationen hatten alle mittelſt des bekannten Wehr - geldes eine Art von Cartel unter ſich, nach welchem ſie ſich einander den Schaden verguͤteten und die Gefangenen loͤſeten. fuͤr ihn gut machen ſollten? Woher neh - 〟men wir aber dieſen, wenn der Neubauer keinen Hof unter 〟uns beſitzt? Wollen wir es aus den unſrigen bezahlen, oder 〟werden unſere Nachbaren damit zufrieden ſeyn, daß wir 〟ohne alle Vorſicht ſtoͤßiges Vieh oder unſichere Menſchen 〟unter uns dulden?

Es kann niemand, der den Geiſt der ſaͤchſiſchen Frey - heit kennet, und den Mitteln, wodurch ſie ſolche erhalten ha - ben, aufmerkſam nachſpuͤret, an der Richtigkeit dieſer Gruͤnde zweifeln; und wenn wir uns einigermaßen wieder in ihre Stelle ſetzen: ſo werden wir gerade eben ſo denken. Wir duͤrfen nur z. E. in Gedanken mit einigen guten Freunden und Freundinnen in eine wuͤſte Gegend ziehen, und dort ei - nen kleinen Staat errichten. Keiner von uns wird leicht auf eine Leib - und Lebensſtrafe verfallen; keiner wird es wagen, ſeinem Freunde anzumuthen, daß er des andern Henker**)Es muß Muͤhe gekoſtet haben, in der erſten buͤrgerlichen Geſellſchaft, einen Henker zu finden. Sie haben ihn auch nicht gehabt; und die Schinderlehne ſind jung. Das ſchoͤnſte Auskunftsmittel in einem ſolchen Falle hatten die Juden mit ihrer Steinigung. Der Verbrecher ward her - ausgefuͤhrt, und jeder Mitbuͤrger warf ihm ſein Votum an den Kopf. Ein Volk, daß auſſer ſeiner Haut anfaͤnglich wenig eignes hatte, mußte nothwendig auf Lebensſtrafen verfallen; und wie es ſolche erwaͤhlte, war es wuͤrklich eine ſchoͤne Anſtalt, daß ein jeder durch einen Steinwurf ſeinen Theil an der Beſtrafung des Verbrechers nehmen mußte. Wenn ſie blos den proceſſum accuſatoriumhat -ſeyn255der Bevoͤlkerung widerſetzt haben. ſeyn ſolle. Wir werden es alſo zur erſten Regel machen, daß derjenige, der ſich wider einen andern verſuͤndiget hat, dem - ſelben genug thun, oder aber von allen Vortheilen und Nu - tzungen ausgeſchloſſen, und der Rache des Beleidigten uͤber - laſſen ſeyn ſolle. So bald wir aber von dieſem Grundſatze ausgehen, werden wir keine fluͤchtige unangeſeſſene Leute un - ter uns dulden. Wir werden keinen zum Mitbuͤrger aufneh - men, der nicht Schaden und Vortheil mit uns theilet, und durch den Verluſt ſeines Antheils hinlaͤnglich geſtrafet werden kann. Man findet dieſen Plan in den aͤlteſten Verfaſſungen, und es gehoͤrte ſchon eine ganz andre Denkungsart dazu Staa - ten nach heutiger Art einzurichten.

Leib - und Lebensſtrafen haben entweder bey ziehenden Voͤlkern, oder aber bey einer vermiſchten Bevoͤlkerung Ueber - hand genommen. Man uͤbte ſie zuerſt blos an Knechten aus; und die ebenbuͤrdige Geſellſchaft mußte ſich erſt in eine Mi - ſchung von Unterthanen verwandeln, ehe man es wagen mochte, ihr von Staupenſchlaͤgen und Torturen vorzuſprechen.

Die vermiſchte Bevoͤlkerung nahm zuerſt unter dem Schutze maͤchtiger Herren ihren Anfang. Dieſe maſſeten ſich des Armenſchutzes an, und unter Armen ſind alle Einwohner der Staͤdte, Heuerleute und alle kleine Beywohner verſtan - den. Die Hyen und Hoden, und allerhand Gotteshaus - und heiligen Schutzleute wurden erfunden, um Neubauer zu decken. Diejenigen ſo einzeln unſicher ſchienen, wurden in ſolche Hoden zuſammen geſchoben, um die Sicherheit mit geſamter Hand zu beſtellen, und mit Huͤlfe ihrer Beſchuͤtzerent -**)hatten, was mußte der Klaͤger ſodann nicht fuͤr ein ſtand - hafter Mann ſeyn, wenn er den erſten Stein auf ſeinen Verklagten zu werfen hatte; und was fuͤr ein Boͤſewicht mußte er ſeyn, wenn er bey voͤlliger Ueberlegung einem Unſchuldigen die Hirnſchaͤdel einſchmiß?256Gruͤnde, warum ſich die alten Sachſen der ꝛc. entſtanden bald große Staͤdte, welche die ehrbaren Grund - ſaͤtze der Landeigenthuͤmer zulezt ganz verdunkelten. Vorher war die Menge der Knechte groß, und wer ſich darunter nicht begeben wollte, gleichwol aber nicht zum Eigenthum eines er - forderlichen Landerbes gelangen konnte, mußte nothwendig auswandern und neue Gegenden anbauen; ein Umſtand, wel - cher die erſten Menſchen immer mehr noͤthigte auseinander zu ziehen, und nach des Schoͤpfers Abſichten den ganzen Erd - kreis zu bevoͤlkern.

Noch vor zweyhundert Jahren, wie man keine Neu - bauer aufnahm, war die Menge der Knechte*)In verſchiedenen alten Rechnungen findet man daher noch eine Rubrik von Extravaganten, worunter man die Leibeig - nen verſtand, welche nicht Hofgeſeſſen waren. Jezt kennet man dieſe Rubrik nicht mehr. in Weſtpha - len ſehr groß. Ein beguͤterter Edelmann hatte derſelben ins - gemein einige hundert, welche ihre Freyheit nicht ſuchten, und bey den ihrigen ſo haͤngen blieben. Seitdem aber der Neu - bau uͤberhand genommen und eine Menge von Nebenhaͤuſern entſtanden, kauft ſich jedes Kind, das nicht zum Hofe gelangt, frey, und ſetzt ſich auf ſeine eigne Hand. Vorher mußte ei - ner, der eine zweyte Leibzucht bauete, ſich verbinden, ſolche nach dem Abſterben desjenigen, fuͤr welchem ſie hatte geſetzt werden muͤſſen, wieder niederzureiſſen; jezt ſind wir nicht ſo ſtrenge, und die Beduͤrfniſſe von Menſchen und Gelde haben dem Staate ſo wie den menſchlichen Begriffen eine ganz an - dre Wendung gegeben.

XXXXIII. 257

XXXXIII. Alſo ſollen die deutſchen Staͤdte ſich mit Ge - nehmigung ihrer Landesherrn wiederum zur Handlung vereinigen?

Deutſchland hat ſeine Haͤfen wie andre Reiche, und es iſt zur Handlung ſo gut gelegen als das beſte. Allein ſo lange ſeine gegenwaͤrtige Regierungs-Verfaſſung dauret, wird es nie zu der Groͤße in der Handlung gelangen, wozu es nach ſeinen Kraͤften gelangen koͤnnte.

Schon in der Taufe, wie unſre Vorfahren aus dem Heydenthum bekehret wurden, mußten ſie nicht blos dem Teu - fel, ſondern auch den Teufelgilden, das iſt, allen den großen Verbindungen entſagen, welche ſie in Ermanglung einer voll - kommenen Oberherrſchaft nach dem Exempel aller freyen Voͤlker unter dem Schutze einer irrdiſchen Gottheit zu ihrer Vertheidigung und Aufnahme errichtet hatten. Die beſorgte Eyferſucht Carls des Großen verſtattete ihnen kaum ihre Schif - und Brandaſſecurations-Geſellſchaften beyzubehalten. Alle uͤbrigen Verbindungen wurden aufgehoben.

De Sacramentis pro Gildonia invicem conjuranti - bus ut nemofacere praeſumat. Alio vero modo de eorum eleemoſynis aut de incendio aut de nau - fragiis, quamvis convenientiam faciant, nemo in hoc jurare præſumat. Capit. Caroli M. de 779. ()

Auf dem Reichstage zu Worms von 1231 ward die Frage aufgeworfen: ob eine Stadt oder Gemeinheit mit andernMöſers patr. Phantaſ. I. Th. RVer -258Alſo ſollen die deutſch. Staͤdte ſich mit Genehm. Verbindungen oder Geſellſchaften aufrichten koͤnnte? und der gute Kayſer Henrich erkannte mit Rath der Reichsfürſten, daß ihnen dergleichen nicht erlaubt ſeyn koͤnnte.

In der neueſten Wahlcapitulation heißt es endlich noch, wiewohl leider zu einem ſehr großen Ueberfluſſe:

Ihro Kayſerliche Majeſtaͤt wollen die Commertia des Reichs zu Waſſer und zu Lande nach Moͤglichkeit befor - dern Dagegen aber die großen Geſellſchaften, Kauf - gewerbsleute und andre ſo bisher mit ihrem Gelde regiert gar abthun.

Und ſo hat zu allen Zeiten von dem erſten Augenblick an, da der deutſche Nationalgeiſt ſich einigermaßen erheben wollen, bis auf die heutige Stunde ein feindſeliges Genie gegen uns geſtritten. Man denke aber nicht, daß unſre Geſetzgeber zu ſchwache Augen gehabt haben. Nein, die Territorialhoheit ſtritt gegen die Handlung. Eine von beyden mußte erliegen; und der Untergang der letztern bezeichnet in der Geſchichte den Aufgang der erſtern. Waͤre das Loß umgekehrt gefallen; ſo haͤtten wir jezt zu Regenſpurg ein unbedeutendes Oberhaus, und die verbundenen Staͤdte und Gemeinden wuͤrden, in ei - nem vereinigten Koͤrper die Geſetze handhaben, welche ihre Vorfahren, mitten in dem heftigſten Kriege gegen die Terri - torialhoheit, der uͤbrigen Welt auferlegt hatten. Nicht Lord Clive, ſondern ein Rathsherr von Hamburg wuͤrde am Ganges Befehle ertheilen.

Noch ſind es keine vierhundert Jahre daß der Hanſea - tiſche Bund den Sund und die Handlung auf Daͤnnemark, Schweden, Pohlen und Rußland mit Ausſchluß aller uͤbrigen Nationen behauptete; Philipp den IV. von Frankreich noͤ - thigte, den Britten alle Handlung auf den franzoͤſiſchen Kuͤſten zu verbieten; und endlich mit einer Flotte von hundert Schif -fen259ihrer Landesh. wiederum zur Handl. vereinigen? fen Liſſabon eroberte, um auch dieſen großen Stapel zur Hand - lung vor alle entdeckte und zu entdeckende Welttheile zu ſei - nem Winke zu haben; eine Unternehmung, welche mehr Genie zeiget, als die Erfindung des Pulvers, deren die Reichsgeſchichte noch wohl gedenket, wenn ſie jenen großen Entwurf auf Liſſabon mit Stillſchweigen uͤbergeht.

Kaum ſind dreyhundert Jahre verfloſſen (1475) daß eben dieſer Bund England noͤthigte den Frieden von ihm mit 10000 Sterling zu erkaufen, Daͤnnemark feil bot, Lief - land erobern half, und den Ausſchlag in allen Kriegen mit eben dem Uebergewichte gab, womit es England ſeit einigen Jahren gethan hat. Keine Krone wegerte ſich die Ambaſſia - dores dieſer deutſchen Kaufleute (ſie hieſſen mercatores Ro - mani Imperii) zu empfangen und dergleichen an ſie abzu - ſchicken. Noch im ſechszehnten Jahrhundert hehauptete er die alleinige Handlung in der Oſtſee mit einer Flotte von 24 Kriegesſchiffen gegen die Hollaͤnder. Und dieſer große Geiſt der Nation iſt es, welchen Ihro Kayſerliche Majeſtaͤt aller - gnaͤdigſt abzuthun, geſchworen haben. Dieſer Geiſt welcher ſich gewiß von beyden Indien Meiſter gemacht, und den Kayſer zum Univerſal-Monarchen erhoben haben wuͤrde, iſt es, welchen die Reichsfuͤrſten nicht ohne Urſache verfolgt, aber allezeit uͤbereilt erſticket haben. Was muß ein Deutſcher nicht empfinden, wenn er die Nakommen ſolcher Maͤnner gleich - ſam in der Karre ſchieben, oder Auſtern fangen, Citronen aus Spanien holen, und Bier aus England einfuͤhren ſieht?

Fuͤnf und achtzig verbundene Staͤdte in der untern Haͤlfte von Deutſchland waren es indeſſen, welche dieſe Wunder verrichteten, und in der Handlung die Mittel fanden, ſo große Koſten zu beſtreiten; waͤhrender Zeit in der obern Haͤlfte von Deutſchland eine Suͤdſee-Compagnie mit ihrer Handlung dieR 2Le -260Alſo ſollen die deutſch. Staͤdte ſich mit Genehm. Levante beherrſchte, und die Schaͤtze aus Aſien und Africa in Deutſchland zuruͤckbrachte. Beyde Compagnien ſo wohl die Hanſeatiſche oder die nordliche und weſtliche als die ſuͤdliche verſtanden ihr gemeinſchaftliches Intereſſe; und man kann es nicht ohne Erſtaunen betrachten, daß Englands Handlung damals durch deutſchen Fleiß nach der Levante getrieben wurde. Die Groͤße der Venetianer und die Flotten, womit die ungluͤck - lichen Creutzzuͤge unterſtuͤtzet, und die wichtigen Unternehmun - gen auf Africa und Aſien ausgefuͤhret wurden, ſind aus dem Handel erwachſen, welchen die verbundenen Staͤdte in Ober - deutſchland aus den Italiaͤniſchen Haͤfen trieben.

Jedoch dieſe guͤldnen Zeiten der deutſchen Handlung kommen wohl niemals wieder. Sie werden kaum mehr ge - glaubt; ſo ſehr haben wir uns von ihnen entfernt. Das be - ſonderſte dabey iſt, daß alle Handwerker zugleich ausgeartet und der fliehenden Handlung nachgefolget ſind. Man ſehe nur auf die alten Arbeiten an Altaͤren, Einfaſſungen der Re - liquien, Monſtranzen, Kelchen, Bechern und dergleichen, auf die Kaͤſtlein von Ebenholz; auf die Kunſtwerke von Elfen - bein und auf verſchiedene andre getriebene, geſchnitzte, einge - legte und durchgearbeitete Stuͤcke, welche ſich noch hie und da in Cabinetten finden; Man betrachte nur einige Denk - maͤler der Mahlerey, Bildhauerkunſt und Baukunſt, ſo uns aus dem XIV. XV. und XVI. Jahrhundert noch uͤbrig ſind; man gedenke an das Dauerhafte, Kuͤhne und Praͤchtige der gothiſchen Stuͤcke, welche um deswillen, daß ſie nach einem beſondern Zeitgeſchmack gearbeitet ſind, ihren Kunſtwehrt nicht verlohren haben: ſo wird man ſehen, daß zur Zeit der Henſeatiſchen Handlung eine Periode in Deutſchland geweſen, worinn es die groͤßten Meiſter in jedem Handwerke gegeben habe. Und man kann dreiſte behaupten, daß die Deutſchen die Handlung und den damaligen gothiſchen Styl der Kunſtzu261ihrer Landesh. wiederum zur Handl. vereinigen? zu gleicher Zeit aufs hoͤchſte gebracht hatten. Man wuͤrde jezt Muͤhe haben einen einzigen ſolchen Meiſter in Ebenholz, Elfenbein und Silber wieder aufzubringen, dergleichen vor dreyhundert Jahren in allen Staͤdten angetroffen wurden. Faſt alle deutſche Arbeit hat zu unſer Zeit etwas unvollendetes, dergleichen wir an keinem alten Kunſtſtuͤck und gegenwaͤrtig an keinem rechten engellaͤndiſchen Stuͤcke antreffen. So ſehr iſt das Handwerk zugleich mit der Handlung geſunken. Die einzige Aufmunterung der Handwerke kommt jezt noch von Hoͤfen, und was ſollen einige wenige mit Beſoldungen ange - lockte Hofarbeiter gegen Handwerker, die waͤhrend des Han - ſeatiſchen Bundes fuͤr die ganze Welt in die Wette arbeiteten?

Das Exempel der Staͤdte in Frankreich, wovon die vornehmſten im vorigen Kriege dem Koͤnige ein Schif baueten; der aͤhnliche Entſchluß des Theaters zu Paris, und der große Anſchein, daß jede große Stadt und Herrſchaft in Deutſch - land, wenn der Landesherr wollte, ein Schif zur See haben koͤnnte, moͤgte zwar manchen auf den Einfall bringen, daß man endlich auch wohl eine deutſche Flotte in See ſetzen und ſich damit eben die Vortheile wieder erwerben koͤnnte, welche unſre Vorfahren beſaſſen, und andre Seemaͤchte beſitzen, die ihre Commerzientractaten mit der Kriegesmacht unterſtuͤtzen. Man koͤnnte wenigſtens hoffen, die Handlung damit offen, und die Seemaͤchte abzuhalten, ſich in jedem Reiche Monopo - lien zu bedingen. Denn was ſind die heutigen Commerzien - tractaten anders als Monopolien? Und ermaͤchtiget ſich nicht beynahe jeder Herr die Handlung ſeines Reichs den meiſtbie - tenden Seemaͤchten zu verpachten? Allein dergleichen ſuͤſſe Traͤume, ohne deren Erfuͤllung Deutſchland gleichwohl niemals einen einzigen Commerzientractat mit den nordiſchen Reichen zu Stande bringen wird, verbietet uns die Reichsverfaſſung und auf ſichere Weiſe ſelbſt die Kayſerliche Capitulation. R 3Beym262Alſo ſollen die deutſch. Staͤdte ſich mit Genehm. Beym Anfang des dreyßigjaͤhrigen Krieges legten es die Schweden dem Kayſer ſogar zum Uebermuth aus, daß er an eine Reichsflotte in der Oſtſee, welche doch, wenn man ſich nur uͤber den Nahmen verſteht, nichts ungewoͤhnliches war, gedacht hatte. Wir muͤſſen uns alſo durch andere Wege helfen.

Faſt alle Reiche haben ſich auf ſichere Weiſe gegen uns geſchloſſen, ſeitdem die Flotten der Gewerksleute, welche mit ihrem Gelde regierten, wie die Capitulation es zur Ehre der Nation noch ausdruͤckt, allerunterthaͤnigſt abgeſchaft werden muͤſſen. Den Luͤbeckern, Bremern und Hamburgern, welche einzeln zu ſchwach waren den Unterhandlungen der Seemaͤch - te ſich mit Nachdruck entgegen zu ſetzen, iſt nichts weiter uͤbrig geblieben, als dasjenige aus der Fremde abzuholen, was man daſelbſt gern los ſeyn will, und etwas wieder dahin zu bringen, was man von den Seemaͤchten noch zur Zeit nicht erhalten kann. Man laͤßt ihnen blos die Allmoſen, welche jene verachten. Die einzige Handlung in der Levante iſt noch frey, ſo lange bis es der Seemacht, welche gegenwaͤr - tig daruͤber aus iſt ſolche durch einen Commerzientractat zu pachten, gelingt auch dieſen Ausfluß zu ſperren.

Wie iſt aber die Levantiſche Handlung beſchaffen? Ge - rade ſo wie wir ſolche gebrauchen. Die dortigen Tuͤrken, Griechen, Mohren und Juden ſind wie unſre Weſtphaͤliſchen Packentraͤger, oder wie die Italiaͤniſchen Hechel - und Baro - meterkraͤmer, welche ſo viel Waare borgen als ſie tragen koͤn - nen, damit tief ins Land hauſiren gehn, und wenn ſie ſolche verkauft haben, das Geborgte bezahlen, und ihren Packen von neuen fuͤllen. Dies iſt die ganze Handlung; und man trift faſt keinen großen tuͤrkiſchen Kaufmann an, welcher ein Waarenlager fuͤr ſolche Hauſirer hielte. Dieſes uͤberlaſſen ſie den Fremden.

Bey263ihrer Landesh. wiederum zur Handl. vereinigen?

Bey ſolchen Umſtaͤnden ſollte man gedenken, es wuͤr - den einige hundert Bremer oder Hamburger Kaufleute dort ihre Waarenlager haben, und fuͤr die Hauſirer alles was in Niederſachſen und Weſtphalen nur verfertiget werden koͤnnte, in Bereitſchaft halten; beſonders da die dortigen Senſali oder Maͤkeler die Hauſirer genau kennen, und gegen eine billige Proviſion den ganzen Handel fuͤhren. Allein die genaueſte Erkundigung zeigt, daß kein Bremiſches oder Hamburgiſches Comptoir in der ganzen Levante ſey. Man laͤßt dieſe Vor - theile den Franzoſen, Englaͤndern und Hollaͤndern uͤber, die natuͤrlicher Weiſe dasjenige zu Hauſe verfertigen laſſen, was ſie dort abzuſetzen gedenken. Wie wichtig iſt aber nicht die - ſer Handel? und zu welchem Reichthume erhob ſich nicht da - mit der Herr Fremaux in Smyrna? der in einer Theurung fuͤr hundert tauſend Gulden Korn unentgeltlich austheilen, und dennoch Millionen nach Amſterdam zuruͤckbringen konnte?

Sollte es denn aber nicht moͤglich ſeyn, daß einige Land - ſtaͤdte nur ein oder anders gemeinſchaftliches Packhaus in den Levantiſchen Haͤfen errichteten, und dort einen gemeinſchaft - lichen Bedienten hielten? welchem ſie ihre Waaren in Com - mißion zuſchicken koͤnnten? Sollten alle Caͤmmereyen der Weſtphaͤliſchen Staͤdte, wenn die Unternehmung fuͤr einen einzelnen Kaufmann im Anfange zu groß iſt, nicht im Stande ſeyn, eine ſo leichte Sache zum Vortheil ihrer Buͤrger und Handwerker auszufuͤhren? Sie brauchen dazu weder Schiffe noch Flotten. Der Hollaͤnder iſt alle Stunde bereit, unſre Produkten dahin zu fuͤhren. Er bittet darum, und fraͤgt nur an wen die Ablieferung geſchehen ſolle. Und dieſes An wen? iſt es was wir nicht beantworten koͤnnen: ſo lange wir in den Landſtaͤdten ſo einfaͤltig ſind zu glauben, daß die See - ſtaͤdte auf ihre Gefahr und Rechnung unſre Waaren dort ab - ſetzen, ausborgen, und verhandeln werden. Wir haben dieR 4gluͤck -264Alſo ſollen die deutſch. Staͤdte ſich mit Genehm. gluͤcklichſte Lage zur Handlung. Tauſend und abermals tau - ſend Schifsboͤden ſind in Holland fuͤr uns bereit. Wir ſind der Lage nach den Hollaͤndern das was die Englaͤnder im Lande ihren Seehaͤfen ſind. Aber in England ſind die im Lande fleißige Handwerker und ſchaffen den Seefahrern Stof zum Abſatz. Wir hingegen verſorgen die Hollaͤnder mit wenigen oder Nichts. Dieſe verlieren daruͤber an allen Ecken den Markt; und ſie ſind noch zu groß, um zugleich unſre Hoͤker und Maͤkeler zu werden. Dafuͤr muͤſſen wir ſorgen; Wir muͤſſen Comptoirs und Waarenlager in der Fremde halten; und die Caͤmmereyen in den Staͤdten koͤnnten durch eine Ver - einigung dieſen Endzweck befoͤrdern. Unſre Kaufmannsſoͤhne ſpatzieren nach Bremen und Hamburg. Nach Cadix, nach Liſſabon, nach Smyrna, nach Aleppo, nach Cairo ſollten ſie gehn, ſich um dasjenige bekuͤmmern, was dort mit Vortheil abgeſetzt werden kann, ſich dort Bekannte und Aſſociirte er - werben, und dann handlen.

Es ſind bisher Oſtindiſche, es ſind Levantiſche Com - pagnien errichtet worden. Man hat das dazu erforderliche Capital in Actien vertheilet, und nicht den Innhabern jeder einzelen Actie, ſondern nur denjenigen, welcher zehn oder zwanzig zuſammen gehabt, als ein ſtimmbares Mitglied be - trachtet. Dieſer Plan iſt gut fuͤr Compagnien in großen Hauptſtaͤdten, aber ſchlecht fuͤr eine Compagnie, deren Actio - nairs weit auseinander zerſtreuet wohnen. Wer will daſelbſt eine Actie nehmen, ſich blindlings der Fuͤhrung einiger weni - gen ſtimmbaren vielleicht durch beſondre Abſichten geleiteten Mitglieder uͤberlaſſen, und um einer Actie willen einen großen Briefwechſel unterhalten? der Beſitzer einer ſolchen einzelnen Actie, kann mit Billigkeit nicht fordern, daß ihm die Direk - teurs von allen Nachricht geben ſollen; und ſo denken viele - es iſt beſſer ſein Geld zubehalten, als ſolches an Orte und Leu -te265ihrer Landesh. wiederum zur Handl. vereinigen? te auf guten Glauben hinzuſchicken, die man nicht kennt, und von welchen man keine Nachricht erwarten kann

Eine ganz andre Geſtalt bekoͤmmt aber die Sache, wenn eine Stadt zehn, zwanzig oder hundert Actien zuſam - men nimmt, mithin eine oder mehrere Stimmen zur Haupt - handlung erhaͤlt. Fuͤr dieſe iſt es der Muͤhe werth, einen beſondern Correſpondenten darauf zu halten, und dieſe kann fordern, daß ihr die Directeurs von allen Vorfaͤllen, Abſich - ten und Unternehmungen ordentliche Nachricht geben ſollen. So hielt es die deutſche Hanſe. Die Kaufleute einer Stadt machten Eins; mehrere Staͤdte zuſammen ein Quartier, und alle Quartiere den Bund aus; und auf dieſe Weiſe konnte eine Correſpondenz bequem gefuͤhrt, die Handlung wohl diri - girt, und alles zeitig beachtet werden; anſtatt daß tauſend einzelne Actionairs entweder die Direction verwirren, oder ſich wie Schafe fuͤhren laſſen muͤſſen.

Die Uebernehmung einer ſtimmbaren oder zuſammen - geſetzten Actie iſt vor eine Stadt leicht, und wenn es auch ungluͤcklich geht, der Schade ſo empfindlich nicht wozu viele beytragen. Es iſt aber auch nicht noͤthig, daß eben die Caͤmmerey einer Stadt die große Actie auf ihre Gefahr nehme. So bald die Sache nur ſo eingerichtet wird, daß jeder Ort eine ganze und damit auch eine Stimme zur Direction er - haͤlt, finden ſich leicht ſo viel Theilnehmer die zuſammen tre - ten, und ihre Stimme durch einen gemeinſchaftlichen Bevoll - maͤchtigten fuͤhren laſſen. Sie ſind alsdenn ſicher von allem was unternommen wird, zeitige und gehoͤrige Nachricht zu empfangen. Sie erhalten ihren Antheil an dem Einfluſſe; und es wuͤrde eine ganz neue Scene fuͤr die deutſche Hand - lung ſeyn, wenn die Conſuls aller Niederſaͤchſiſchen und Weſt - phaͤliſchen Staͤdte zu Hamburg, Bremen, oder Emden ihreR 5eigne266Schreiben des Herrn von H…eigne Verſammlung haͤtten, und das Handlungs-Intereſſe jeder Landſtadt in der Seeſtadt wahrnehmen.

XXXXIIII. Schreiben des Herrn von H…

Auf meine Ehre. Die Liebhaber der edlen Jaͤgerey ſind miteinander ausgeſtorben. Ich wuͤnſche, daß ich beyde Beine zerbreche, wenn ich heute, Hubertustag, ein Horn ge - hoͤret habe. Wenn ich das in meiner Jugend erlebt haͤtte: ſo wuͤrde ich ſolches fuͤr ein weit boͤſer Zeichen als funfzig Co - meten gehalten haben. Wo will das aber hinaus? Und was will man zulezt auf dem Lande anfangen?

Mein Vater, der lange in Ungarn gegen die Tuͤrken gedienet und ſein Lederwerk, was er auf der Jagd brauchte, dieſen Unchriſten bey lebendem Leibe aus dem Baſte geriſſen hatte und gewiß die Welt kannte, pflegte mir oft zu ſagen: Mein Sohn, bleib der edlen Jaͤgerey treu. Sie erhaͤlt und vergnuͤgt dich daheim; ehrt dich bey großen Herrn; dienet dir im Felde, und macht dir alle Biſſen gut ſchmecken. Und dieſe Lehre habe ich auf meine Ehre richtiger gefunden, als alles, was ich mein Lebetage in Buͤchern geleſen.

Vier Jaͤger, ein gut Stuͤck Rindfleiſch und ein ehr - licher Trunk, daruͤber geht mir nichts. Was haben die fuͤr Geſichter gegen unſre gekraͤuſelten junge Herrn und aufge - thuͤrmten Paſteten? Ich komme alle Jahr fuͤr meine Suͤnde in die Stadt, und ſpeiſe bey Hofe. Da ſitzt ein jeder als wenn er aufs Maul geſchlagen waͤre. Von politiſchen Dingen duͤrfen ſie nicht ſprechen. Aus Buͤchern ſchaͤmen ſie ſich zuſpre -267Schreiben des Herrn von H…ſprechen. Luſtige Hiſtoͤrgen ſind gar aus der Mode. Die Komplimente ſind bald aus. Den Wein trinken ſie aus Fingerhuͤten; und ein Boͤf alle Mode koͤmmt gar nicht mehr auf den Tiſch. Wenn ich mich dagegen erinnere, was zu meines Großvaters Zeit die Geſellſchaften waren, wie ein halb Duzend Weidgenoſſen, die den Tag uͤber ſich im Felde gebraten hatten, Haͤnde und Maͤuler bey Tiſche gehen lieſſen, was da geſprochen, gelacht und getrunken wurde: ſo moͤchte ich auf meine Ehre lieber der wilde Jaͤger als ein heutiger Landmann ſeyn.

Das Landleben iſt jezt nichts als die abgeſchmackteſte Langweile die man ſich erdenken kann. Man koͤmmt zuſam - men in der Stube; ſteht auf einem gewaͤchſten Boden, daß man ſich alle Augenblick den Hals zerbrechen moͤchte, und geht ſo nuͤchtern auseinander, wie man zuſammen gekommen iſt; und wenn man ſich recht vergnuͤgen will: ſo bringt man die verdammten Karten her. Hoͤchſtens ſpatziert man, und ſpatziert und ſpatziert bis einem der Angſtſchweiß ausbricht.

Ich wundre mich gar nicht, daß manche Haushaltungen nicht fort kommen. Wenn man vordem von der Jagd zuruͤck kam: ſo beſuchte man noch wohl einmal ſeine Hofdiener, und ſahe was ſie machten; und hielt ſie beſtaͤndig bey der Arbeit, weil ſie einen hinter allen Hecken vermuthen mußten. Aber jezt; jezt wiſſen die Faullenzer, der Herr kommt im Thau ge - wiß nicht; auch nicht wenns regnet; auch nicht wenn die Sonnne brennt; auch nicht vor 11 Uhr des Morgens; auch nicht vor 5 Uhr des Abends; und ſo ſtehlen ſie dem lieben Gott den Tag, und ihrem Herrn das Brod. Die Englaͤnder das waren noch Leute. Wie ſie hier waren, jagten ſie nach einen Kirchthurm uͤber Stock und Block. Hecken und Graben, wenn ſie keinen Fuchs auftreiben konnten; oder ſie lieſſen des Morgens fruͤh eine gebratene Speckſeite uͤber den Weg ſchleifen,und268Schreiben des Herrn von H…und jagten hernach mit ihren Hunden auf der Spur dieſes Schweinewildes, blos um ſich an dem Gelaͤut der[Hunde] zu ergetzen, und ihren Roſtbif im Schweiß ihrer Angeſichts zu verzehren. Einem ſolchem Exempel muͤſſen wir folgen, wenn wir das Landleben von dem Fluche der Langweile befreyen wollen.

Ich habe noch eine Sammlung, von achtehalbhundert Weidſpruͤchen, und einen dicken Band voller Fuchshiſtorien, welche von meinen Vorfahren geſamlet ſind: damit konnte man ſich Jahr aus Jahr eine auf die angenehmſte Art in Ge - ſellſchaften ergoͤtzen. Aber jezt iſt die ewige, und allezeit fertige Karte der einzige Behelf; und ich will einen koͤrper - lichen Eyd darauf ablegen, daß keine von unſern Froͤlens auch nur einmal einen rechten Leberreim zu machen weis. Vor - dem ſchoſſen ſie noch wohl einmal mit nach der Scheibe, und brachten demjenigen, der den beſten Schuß gethan hatte, den großen Becher zu. Aber nun, das Gott erbarme, ſinken ſie in Ohnmacht, wenn ſie einen Schuß hoͤren.

Die heutige Zierlichkeet iſt der Tod aller Luſtbarkeiten. Kein Ellenboge auf dem Tiſche, kein Glas in der Hand, kein Auge das gluͤet, kein Herz das lacht, .......... Schieß mich todt Kerl, damit ich das Ungluͤck nicht laͤnger anſehen moͤge.

P. S. A propo! wie befindet ſich des Hrn. Oberjaͤgermeiſters gruͤne Peruͤke, worinn er vordem dieſen Tag zu feyren pflegte? Hat er ſie auch von den Maͤuſen auffreſſen laſſen?

XXXXV. 269

XXXXV. Von den wahren Urſachen des Steigens und Fallens der Hanſeatiſchen Handlung.

In dem aͤlteſten bekannten Freyheitsbriefe welchen der hanſeatiſche Bund ums Jahr 1237. von dem Koͤnige in England Henrich dem III. erhielt, und folgenden Inhalts iſt;

Henricus, Dei gratia Rex Angliae &c. Sciatis, Nos conceſſiſſe, et preſenti Charta noſtra confirmaſſe, pro Nobis et Heredibus noſtris, omnibus Mercatoribus de Gutlandia, quod ipſi, et heredes eorum in perpetuum, ſalvo et ſecure veniant in Angliam, cum rebus et Mercandiſis ſuis, quas emerint in terra noſtra Angliae, ducendas verſus partes ſuas. Et quod predicti Mercatores et Heredes ſui, in per - petuum ſint quieti, per totam poteſtatem noſtram Angliae, ad quascunque partes venerint, de omni theolonio, et conſuetudine, ad Mercatores pertinente, tam de rebus et mercandiſiis ſuis, quas ducent de partibus ſuis in Angliam, quam de illis, quas emerint in Anglia, ducen - das verſus partes ſuas. Quare volumus, et firmiter precipimus, pro No - bis et Heredibus noſtris, quod predicti Mercatores de Gutlandia, et heredes ſui, in perpetuum ſalvo, et ſecure veniant in Angliam, cum rebus et Mercandiſis ſuis, quas ducant de partibus ſuis Gutlandie, et quod ſalvo ibi mo - rentur, et quod ſalvo inde recedant, cum rebus, et mer - candiſis ſuis, quas emerint in terra noſtra Anglie, du - cendas verſus partes ſuas. Et270Von den wahren Urſachen des SteigensEt quod predicti Mercatores, et Heredes ſui im - perpetuum quieti ſint, per totam poteſtatem noſtram Anglie, ad quascunque partes venerint, de omni Theo - lonio, et conſuetudine, ad Mercatores pertinente, tam de rebus, et Mercandiſis ſuis, quas ducant de partibus ſuis in Angliam, quam de illis, quas emerint in Anglia, ducendas verſus partes ſuas. His Teſtibus: Venerabilibus Patribus: P. Winton. R. Dunelium. et W. Careolum. Epiſcopis. W. Com. WARANN. SYME. de MONTE SANCTO AMANDO. BARTRAMO de CRYOIL. HENRICO de CAPELLA. Et aliis. Data. per manum Venerabilis Patris R. Cyſter. Epiſcopi, Cancellarii noſtri. Apud Weſtmonaſterium. (Viceſimo die Martii.) Anno regni noſtri Viceſimo primo. a)Dieſe wichtige Urkunde hat vor einigen Jahren der Herr Hofrath Häberlin in ſeinen Analectis medii ævi pag. 3. zuerſt bekannt gemacht. Sie erwehnt zwar nur der Goth - landiſchen Kaufleute. Allein unter dieſen iſt gewiß eine Oſtſee-Compagnie, die zu Wißby auf der Inſel Gothland ihr Hauptcomtoir gehabt haben mag, verſtanden; welche Compagnie nachgehends die deutſche Hanſe genannt wor - den. Wann eben dieſer Koͤnig in dem Privilegio was er im Jahr 1257. der deutſchen Hanſe namentlich ertheilet, der libertatum quas Teutonici mercatores ab ipſo et progenitoribus ſuis obtinuerunt, gedenket: ſo ſcheint er auf obiges Privilegium vom Jahr 1237. zu zie - len, und es wuͤrde dieſes in einem diplomatario Hanſæ Teutonicæ nicht voranſtehen, wenn dieſe Vermuthung nicht ihre Richtigkeit haͤtte. ()

Wird es viermal wiederholt, daß ſie ſicher kommen und gehen moͤgen, mit allen Waaren die ſie aus ihrer Heymathbrin -271und Fallens der Hanſeatiſchen Handlungbringen und aus England in ihre Heymath wieder zurück - führen; und man mag daraus wohl ſchlieſſen, daß ſchon da - mals der Geiſt, welcher im Jahr 1660. die Schiffahrtsacte eingab, fuͤr die engliſche Handlung gewachet habe. Denn hier wird es ebenfalls ausdruͤcklich feſtgeſetzt, daß keiner mit fremder Waare in England Markt halten; und keiner engli - ſche Waare auf fremde Maͤrkte verfuͤhren ſollte. Beydes wollten die Englaͤnder zur Befoͤrderung ihrer Schiffahrt ſelbſt thun, oder ſie giengen von den damals in ganz Europa her - gebrachten Satze aus: Daß dasjenige, was einer von ſeinen Guͤtern nach der Stadt und von dieſer wieder nach ſeinen Guͤ - tern bringt, Zollfrey ſey; gleich es ſich denn noch auch wohl erweiſen lieſſe, daß in dieſen Faͤllen alle Bauren Zollfrey ge - weſen, und der Zoll blos die Handlung mit fremder Waare ruͤhren ſollen.

Indeſſen giengen die Englaͤnder von dieſem großen Grundſatze bald hernach ſelbſt ab, und Eduard der erſte war derjenige, der 1303. ganz England gleichſam zu einem Frey - hafen machteb)Ibid. pag. 12. n. 4., und allen Nationen gegen ſichere ſchwere Abgaben erlaubte ſowol ihre eigne als fremde Waaren dahin zu bringen und en Gros zu verhandeln, mithin auch allerley Waaren von dort wieder mitzunehmen, und hinzufahren wo - hin ſie wollten, ſelbſt von einem engliſchen Hafen zum andern. Jedoch wurde dadurch das beſondre Privilegium der deutſchen Hanſe nicht aufgehoben, indem dieſe mit allen Waaren, welche ſie aus ihrer Heymath nach England, und von dorther wie - der dahin zuruͤck brachten, nach wie vor ohne jene neuen Ab - gaben zu entrichten, auf den vorigen Fuß handlen konnten. c)Ibid. pag. 48.Natuͤrlicher Weiſe mißbrauchten die Hanſiſchen Kaufleute dieſeFrey -272Von den wahren Urſachen des SteigensFreyheit, welche ſich blos aus der Heymath und dahin er - ſtreckte, dergeſtalt, daß ſie unter dieſem Vorwande alle fremde Waare ein und allerley engliſche Waare wohin ſie wollten ausfuͤhrten,d)Unter andern Waaren kommen auch panni lanoſi vor, welche Herr Häberlin fuͤr wollene Tuͤcher anſieht. Allein es ſind wollichte oder wie wir jezt ſprechen, ungeſchorne und ungepreßte Tuͤcher, welche denen Lectis et pannis de Worſtede als einer voͤllig bereiteten und beſiegelten Waare entgegen geſetzt worden. Man erkennet dieſes aus der ganzen Handelsgeſchichte, und das Recht ungeſchornes Tuch auszufuͤhren, welches nach dem Hanſeatiſchen ſtatu - to: ubi confectus pannus ibi et tingatur nicht er - laubt war, wurde von den Englaͤndern, die an ihren Tuͤ - chern das Appreturlohn ſelbſt verdienen wollten, ungern zugeſtanden. Die Koͤnigin Maria ſagt in ihrem Privile - gio vom Jahr 1534. beym Willebrand in der Hanſiſchen Chronik in app. p. 94.: Daß ihr Vater Henrich der achte es verboten haͤtte, unrowed unborded and unshorne Tuͤcher bey einer gewiſſen Strafe auszufuͤhren, ſie aber ſolches der deutſchen Hanſe auf 3 Jahr erlauben wollte. Dies ſind panni lanoſi. ohne den neuen Impoſt zu entrichten, welchen alle uͤbrige Nationen, denen Eduard der erſte die Handlung eroͤfnet hatte, entrichten mußten; und auf dieſe Weiſe bemaͤch - tigten ſie ſich des ganzen Seehandels.

Unter Richard dem zweyten wurden ſie dieſerhalb maͤch - tig angefochten; und die Einnehmer der Gefaͤlle wollten ſie ſchlechterdings zu allen den Abgaben anhalten, welche die Kaufleute andrer Nationen, und ſelbſt die Deutſchen, ſo nicht zur Hanſe gehoͤrten, entrichten muſten. Sie gewannen aber doch ihren Proceß, und Richard der II. beſtaͤtigte ihnen ihr altes Recht, ohne es deutlich auszudruͤcken, worin ſolches be - ſtanden haͤtte. Sie ſtiegen alſo in ihrer Handlung immer hoͤher, und ohnerachtet es wegen jenen Schleichhandels, wel -cher273und Fallen der Hanſeatiſchen Handlung. cher beynahe unmoͤglich zu verhindern war, mancherley Be - ſchwerden, Kriege, Arreſten und Confiſcationes ſetzte, erhiel - ten ſie ſich doch durch ihr Geld und ihre Macht ſowol dagegen als gegen die Plackereyen der Zolleinnehner und den Neid der engliſchen Kaufleute.

Endlich aber und wie ſie es zu arg machen mogten, ließ ihnen der Koͤnig im Jahr 1411. einige Schiffe mit Arreſt belegen mit der Erklaͤrung, daß er ſolche nicht eher losgeben wuͤrde, bis ſie von allen Waaren, welche ad partes transma - rinas geſchifft werden ſollten, ſubſidia, coſtumas und deverias (dies waren alte neue Impoſten) bezahlet haben wuͤrden; und dies iſt die erſte bekannte und deutliche Erklaͤrung, wodurch ſie auf den Inhalt ihres erſten Privilegiums wiederum zuruͤckge - wieſen wurden; indem unter den partibus transmarinis haupt - ſaͤchlich die jetzigen England am naͤchſten liegende franzoͤſiſche, und ſo ferner hinauf die ſpaniſchen und italiaͤniſchen Haͤfen verſtan - den ſind, als wovon England damals die Hanſiſchen gern aus - geſchloſſen haͤtte.

Die Englaͤnder ſchienen fruͤh den Plan zu haben, die Handlung nach der Oſtſee dem Hanſeatiſchen Bunde uͤberiaſ - ſen zu wollen, dieſem aber dagegen den Ocean zu ſchlieſſen, und ihr Land zum Stapel aller nordlichen Producte zu ma - chen, welche nach Frankreich, Spanien und Italien verfuͤh - ret wuͤrden. Sie machten ſich wenigſtens anfaͤnglich nichts aus dem Handel nach Moſkau, und der Luͤbeckiſche Sekretair Wolf bemerkt es erſt ſpaͤt in ſeinem Gutachten vom Jahr 1556. *)Beym Häberlein in Analectis medii aevi p. 199.

〟Daß ſich die Erbare von Revel beklagten, welcher 〟maſſen nun die Engliſchen ſeit zwey Jahren her die 〟Segelation und Schiffahrt auf die Moſkau gebraucht,〟die -Möſers patr. Phantaſ. I. Th. S274Von den wahren Urſachen des Steigens〟dieſelbe auch ſtaͤrker und mehr zu gebrauchen fuͤrhaͤtten, 〟welches ihnen und allen gemeinen erbaren Anzeſtetten 〟an alter gewoͤhnlicher Nahrung und Handthierung 〟auf die Niederland, England und Frankreich am 〟hoͤchſten nachtheilig und zu Verderb gereichen thaͤte. ()

Und die Deputirte der Hanſe, wiewohl dieſelbe dazu keine Vollmacht hatten, boten den Englaͤndern an

〟daß ſich die Hanſiſchen Kaufleute des Lakenverkaufens 〟in Braband, Flandern, Holland und Seeland gaͤnz - 〟lich enthalten, und aus Frankreich, Spanien und Ita - 〟lien allein einen vierten Theil ſolcher Commoditaͤten, 〟als an dem Orte fallen, zu England bringen ſolten. *)S. Articuli Commiſſariorum legatorum Anze Teu - tonice. Ebend. p. 209. ()

Woraus man zur Gnuͤge erſieht, wie das beyderſeitige Intereſſe gegeneinander geſtanden und wohin ſie ſich verſteckte Winke gegeben haben.

Das ſonderbareſte bey dieſem Streite war, daß die Hanſeeſtaͤdte ſich nie auf das vorhin eingeruͤckte Privilegium vom Jahr 1237, welches von Gothlandiſchen Kaufleuten ſpricht, bezogen, ſondern ihren ruhigen Beſitz der freyen Ein - und Ausfuhr vom Jahr 1260 anrechneten; die Englaͤnder aber ebenfalls jenes Privilegium gar nicht kannten, ſondern blos durch die geſunde Vernunft geleitet, behaupteten, es koͤnne ſich die Einfuhr der Hanſeeſtaͤdte nicht weiter als auf ſolche Waare, ſo in ihrer Heymath fiele, erſtrecken, ihnen auch die Feyheit nicht zuſtehen engliſche Waaren auf auswaͤrtige freye Maͤrkte zu fuͤhren.

Unſtreitig hatten die Hanſiſchen gute Urſachen jenes Privilegium im Dunkeln zu laſſen; und ſich dafuͤr auf den Beſitzſtand, ſodenn auf die vor und nach erhaltene in allge -mei -275und Fallen der Hanſeatiſchen Handlung. meinen Ausdruͤcken abgefaßte Koͤnigl. Privilegien zu beziehen; welche, nachdem man ihnen das von 1237 unterlegte, einen ganzen andern Sinn bekamen, als wenn man ſie nach der Vorausſetzung der Hanſeeſtaͤdte erklaͤrte. Denn die Koͤnigl. Privilegien beſtaͤtigten blos die Freyheiten der Hanſe ſo wie ſie ſolche erlangt hatten; und das Wie? blieb dunkel, weil das allererſte Privilegium von 1237 niemals vorgelegt, ſondern dafuͤr ein ruhiges Herbringen untergeſchoben wurde.

Allein dieſe ſchlaue Wendung, wogegen ſich die Englaͤn - der immer darauf, daß ihnen die authentiſche Erklaͤrung der Privilegien zuſtuͤnde und daß ſie der deutſchen Hanſe ein meh - reres nicht geſtatten wollten, beriefen, half ihnen nichts; und wie endlich die Englaͤnder den Hanſiſchen allen Handel ſo lange in poſſeſſorio ſperreten, bis ſie ihr Recht in petito - rio vor dem engliſchen Rechte ausgefuͤhret haben wuͤrden: ſo neigte ſich die deutſche Handlung ſofort zu ihrem Untergange.

Die ganze damalige Politik der deutſchen Hanſe hatte bisher darinn beſtanden, daß ſie uͤberall den Kaiſern und Koͤ - nigen den Handel in ihren Landen gleichſam abgepachtet hat - ten; oder um mit andern Worten zu reden: ſie machten den großen Herrn praͤchtige Geſchenke, und erhielten dafuͤr im Handel alle diejenigen Rechte, welche die eignen Landesunter - thanen hatten. Nun ſtelle man ſich vor, daß die Hanſea - tiſchen Kaufleute, als Engliſche Unterthanen die freye Ausfuhr, und als Rußiſche, Schwediſche und Daͤniſche Unterthanen die freye Einfuhr in dieſe Laͤnder hatten: ſo wird man auf ein - mal den Grund ihrer Macht uͤberſehen. Man wird ſogleich die große Folge erkennen, daß z. E. kein Englaͤnder nach Ruß - land, und kein Ruſſe nach England handeln konnte, weil dieſe hier und jene dort das Unterthanenrecht nicht hatten, folglich den hohen Zoll, dem uͤberall die Fremden unterworfenS 2ſind,276Von den wahren Urſachen des Steigensſind, entrichten mußten, unter welcher Beſchwerde es ihnen unmoͤglich war den Hanſiſchen gleich zu kommen.

Man wird aber auch gleich den Grund erſehen, warum die Hanſeatiſche Handlung zu Grunde gehen muͤſſen. Denn ſo bald die Englaͤnder dieſen das Unterthanenrecht oder die freye Ausfuhr nach allen Gegenden unterſagten: ſo konnten dieſe die engliſchen Waaren, worauf der Handel ſich haupt - ſaͤchlich gruͤndete, in Rußland, Schweden und Daͤnnemark nicht mehr ſo wohlfeil geben als es die Englaͤnder ſelbſt zu thun vermoͤgend waren. Die Ruſſen, Daͤnen und Schweden ſahen bald ein, daß die Hanſeatiſchen zu einer zweyten Hand herab - geſunken waren, und beguͤnſtigten ſofort die Englaͤnder mit den Freyheiten, welche die Hanſeatiſchen bisher genoſſen hat - ten. Folglich verlohren dieſe in den Nordlanden das Unter - thanenrecht; und ihr Handel mußte ſofort ſtocken, wie ſie uͤberaͤll als Fremde die Beſchwerden der Ein - und Ausfuhr er - legen mußten.

Freylich erfolgte dieſe Entwickelung nicht ſo ploͤtzlich, wie ſie hier beſchrieben wird; es gieng ein Zeitraum von mehr als hundert Jahren daruͤber hin, ehe die deutſchen Kaufleute ſolchergeſtalt unterbohret wurden. Allein bey einer aufmerk - ſamen Betrachtung der widerſeitigen Unterhandlungen, ergiebt ſich jener einfache Plan deutlich; die Hanſeatiſchen ſchrien zwar beſtaͤndig uͤber Chicane, Gewalt und Unrecht, und uͤber die Verletzung der heiligſten Vertraͤge; beſonders auch im Norden. Wie konnte man aber den Czaaren und Koͤnigen zumuthen, ihnen ihre Privilegien zu halten, nachdem die Hanſiſchen ihr Unterthanenrecht oder die freye Ausfuhr aus England verlohren hatten, folglich ihres Orts nicht mehr im Stande waren den Ruſſen, Schweden und Daͤnen die Waaren ſo wohlfeil zu liefern, als die Englaͤn - der ſie ſelbſt dahin brachten. Die Bundbruͤchigkeit der Koͤni -ge277und Fallen der Hanſeatiſchen Handlungge gieng aus der Natur des veraͤnderten Handels hervor: und obgleich noch im Jahr 1603. die Hanſiſchen Kaufleute dem Ruſiſchen Kaiſer Foederowitz, einen Adler, Strauß, Peliean, Greif, Baͤren, Einhorn, Pferd, Hirſch und Rhino - ceros; ſo wie deſſen Prinzen einen Adler, eine Fortuna, eine Venus, einen Paulus und ein Pferd alles von vergoldetem Silber uͤberſchickten: ſo mogten ſie doch damit die alte Zoll - freyheit nicht wieder erlangen; mithin andern Nationen den Vorzug abgewinnen. Hiezu kam nun noch das veraͤnderte Cameralintereſſe der allerſeitigen Koͤnige. Dieſe, welche ihre Un - terthanen nicht mit neuen Zoͤllen und Auflagen beſchweren konn - ten, waren froh, einen ſilbernen Adler oder eine ſilberne Venus von den Fremden zu erhaſchen. Wie aber vor und nach die Staatsbeduͤrfniſſe allerhand neue Auflagen und Zoͤlle erforderten; und die Untherthanen ſich ſolchen unterwarfen; hatten ſie kein Intereſſe mehr gleich den heutigen Afrikani - ſchen und Aſiatiſchen Maͤchten, den Handel in ihren Landen fuͤr ein Geſchenk Fremden zu verpachten; der Nutze des Lan - desherrn verband ſich mit der Wohlfahrt der eignen Unter - thanen.

Um eine kleine Sache mit großen zu vergleichen: ſo hatten die Hanſiſchen Staͤdte den Plan der Packen - oder Bundtraͤger, welche in mehrern Städten das Bürgerrecht nehmen, und dadurch bürgerliche Freyheiten erhalten; und die Packentraͤger erleben das Schickſal der Hanſeeſtaͤdte, da ihnen das Einbringen fremder Waaren aus ihrer Hey - math geſtattet, und der Markt mit ſolcher Waare, die nicht in ihrer Heynath faͤllt, verboten, und blos Einheimiſchen erlaubet wird. Die deutſchen Landesherrn fangen an ihr wahres Intereſſe auf die Wohlfahrt einheimiſcher Untertha - nen zu gruͤnden, nachdem ſich dieſe oder die Landſtaͤnde zu ſolchen Abgaben bequemet haben, wogegen ein ſilberner Rhi -S 3no -278Schreiben einer Dame an ihren Capellannoceros der Packentraͤger nicht mehr in Betracht kommen kann.

XXXXVI. Schreiben einer Dame an ihren Capellan uͤber den Gebrauch ihrer Zeit.

Mein lieber Herr Capellan! ich muß Ihnen einmal ei - nige Gewiſſensfragen thun. Sie ſagen mir immer, ich muͤßte von jeder Stunde meines Lebens am Ende Rechen - ſchaft geben; und die Stunde dieſer Rechenſchaft ruͤcke mit jedem Augenblicke naͤher. Nun wollte ich gern beym Schluſſe dieſes Jahrs, um nicht uͤbereilt zu werden, einen kleinen An - fang mit der Rechnung machen. Ich finde aber dabey einige Schwierigkeiten, woruͤber ich mir Ihre Erlaͤuterungen aus - bitten muß.

Erſtlich habe ich auf dem Lande geſehen, daß die Leute bey der ſchwerſten Arbeit nur 5 und hoͤchſtens 6 Stunde ſchla - fen. Ich aber bin des Abends um 11 Uhr zu Bette gegan - gen und des Morgens um 8. wieder aufgeſtanden, mithin vier Stunden laͤnger im Bette geblieben. Sollte ich dieſe auch berechnen muͤſſen, oder werden ſie ſo mit durchlaufen?

Zweytens habe ich in meinen jungen Jahren wohl ei - nige Stunden am Caffee - und Nachttiſche zugebracht; jezt aber, da ich eben keinen Troſt mehr vor dem Spiegel finde, und meine Dormeuſe ſehr geſchwind aufſetze, bringe ich dieſe Zeit mit der groͤßten Langeweile zu. Sollte ich dafuͤr nicht hillig eine Schadloshaltung fordern koͤnnen?

Drittens habe ich oft Gott gedankt, daß ich drey Stunde am Tiſche verweilen koͤnnte, weil mir ſonſt die Zeitbis279uͤber den Gebrauch ihrer Zeit. bis zur Aſſemblee zu lang wurde. Dieſe Wohlthat habe ich mit Dank genoſſen; und ſo wird man von mir doch nicht ver - langen, daß ich dieſerhalb noch lange Rechnung geben ſolle?

Viertens; Hoffe ich doch eine Stunde zum Caffeetrin - ken werde einem jeden Chriſtenmenſchen freygegeben ſeyn?

Fünftens habe ich von 5 Uhr bis um 8. in dieſem Jahre 730 Spiel Karten verbrauchen helfen, und ſolchergeſtalt arme Fabrikanten unterſtuͤtzt; koͤnnte ich dieſe nuͤtzliche Anwendung meiner Zeit nicht doppelt anrechnen?

Sechſtens habe ich von 8 Uhr bis um 11. zu Abend ge - geſſen, und mich einigermaßen zu den Verrichtungen des fol - genden Tages vorbereitet; auch wohl, nachdem ich eben auf - geraͤumet war, ein huͤbſches Buch zu meiner Ermunterung in die Hand genommen; dieſe Stunden koͤnnen alſo richtig berechnet werden. Wollten Sie mir aber wohl dieſerhalb ein Zeugniß geben, womit ich beſtehen koͤnnte?

Sagen Sie mir nicht, daß ich die Zeit haͤtte nuͤtzlicher anwenden ſollen. Denn dieſer iſt hieſigen Orts, wo man weder Opern noch Comoͤdien, weder Redouten noch Akademie haͤlt, faſt unmoͤglich. Geſetzt alſo, ich haͤtte weniger Zeit im Bette und bey Tiſche zubringen wollen, was haͤtte ich in al - ler Welt anfangen ſollen? Reiten habe ich nicht gelernt? die Jagd iſt mir zu muͤhſam; des Spatzirens werde ich bald muͤde; und durch jede Arbeit, die ich verrichtet haͤtte, wuͤrde ein armer Menſch ſein Brod verlohren haben. Mein gutes Einkommen uͤberhebt mich auch der Arbeit, und je weniger ich ſelbſt thue, je mehr gebe ich fleißigen Armen zu verdienen. Es wuͤrde ein ſtraͤflicher Geiz ſeyn, wenn ich ſelbſt die Kuͤche verſehen, oder ein Cammermaͤdgen weniger halten wollte.

Ich habe es einmal verſucht und bin mit einem heroi - ſchen Vorſatze um 4 Uhr des Morgens aufgeſtanden; alleinS 4ſo280Schreiben einer Dame an ihren Capellanſo wahr ich ehrlich bin, ich mußte mich um 6 Uhr wieder nie - derlegen, blos um mich von der Langenweile zu erholen. Was fuͤr ein entſetzlicher Morgen war dieſer! Es fror mich; ich gaͤhnte, mein Cammermaͤdgen graͤmelte; die Leute murreten; und die ganze Haushaltung gerieth in Unordnung. Ich las ein Buch, ohne das geleſene zu empfinden; ich war geſchaͤf - tig ohne was zu beſchicken; dabey regnete es, ſonſt waͤre ich wohl hingegangen um ein bisgen im Holze bey den Nachti - gallen zu ſchaudern. Kurz, den ganzen Tag uͤber war mir nicht wohl; und da that ich ein Geluͤbde niemals ohne die hoͤchſte Noth vor 8 Uhren aufzuſtehen.

Eben ſo bin ich einmal des Nachmittags zu Hauſe und allein geblieben. Um 4 Uhr trank ich meinen Caffee; um 5 Uhr Thee; um 6 Uhr ward ich etwas matt; ich ließ mir meine Tropfen und eine kleine Bouteille Kapwein geben. Ich nahm etwas davon und las; nahm wieder ein Bisgen, und was meynen ſie? Aus war die Bouteille ehe es achte ſchlug. Bey Tiſche des Abends war ich nicht ein bisgen hei - ter, und alles was ich mit Muͤhe herunter bringen konnte, war eine Taſſe Chocolade, und nach Tiſche mußte ich mich gleich zu Bette legen. So uͤbel lief dieſer Verſuch ab.

Was aber bey dem allen das beſte ſeyn mag, mein Herr Capellan; ſo preiſe ich die Leute gluͤcklich, die alle Tage 16 Stunde mit nuͤtzlichen Arbeiten zubringen koͤnnen; ich be - neide ſie ſogar, wenn dieſes etwas zu meiner Entſchuldigung helfen kann. Ja mich duͤnkt, daß Leute die im Leben ſo gluͤcklich ſind, alle ihre Stunden nuͤtzlich hinbringen zu koͤn - nen, wenn es dermaleinſt zur Rechnung kommen ſollte, min - dern Lohn verdient haben, als ich, der es ſo ſauer wird nur eine Stunde ohne Schlaf, Spiel oder Eſſen zu nutzen. Ich ſpreche im Ernſt; die Tage gehen mir ſo langſam und dieJahre281uͤber den Gebrauch ihrer Zeit. Jahre ſo geſchwind hin, daß ich ganz verwirret daruͤber bin. Oft ſchmaͤle ich noch mit meiner ſeligen Mutter im Grabe, daß ſie mir nicht mehrern Geſchmack an der Haushaltung beygebracht; und daß ich in den Jahren, wo die Begierde zu gefallen, mich zu keiner ernſthaften Ueberlegung kommen ließ, mir nicht wenigſtens eine kleine gute Fauſt, womit ich einen Topf vom Feuer nehmen koͤnnte, erworben habe. Al - lein da ſagte meine liebe Mutter: Kind, wer will dir die Hand kuͤſſen, wenn ſie nach der Kuͤche riecht; und um einen kleinen Fuß zu behalten, trippelte ich hoͤchſtens einmal auf ei - ner gruͤnen Terraſſe herum. Jezt in meinen Alter kann ich mir nicht einmal abgewoͤhnen ohne Handſchuh zu ſchlafen; wie wollte ich mich denn in andern Stuͤcken aͤndern koͤnnen?

Sie, Herr Capellan, haben mir oft geſagt, daß Sie keine Stunde hinbringen koͤnnten, ohne eine Priſe Tabak zu neh - men. Ach nehmen Sie jezt auch eine, und uͤberlegen dabey einmal, wie ich meine Rechnung beſſer einrichten koͤnne? Zei - gen Sie mir einen Plan, der meinen Kraͤften und meiner Gewohnheit angemeſſen iſt. Einen Plan, wobey ich nicht noͤthig habe mein Bette fruͤher zu verlaſſen oder die Aſſem - blee zu verſaͤumen. Nehmen Sie mich als ein Geſchoͤpfe an, das lahme Fuͤſſe und Haͤnde, und dabey einen Kopf hat, der durch die Laͤnge der Zeit nun einmal ſo verdorben iſt, daß er zu einſamen ernſthaften Betrachtungen gar nicht mehr aufge - legt iſt, dem Youngs Nachtgedanken ſogleich die heftigſte Schmerzen verurſachen, und der dieſe Nacht gewiß nicht ſchla - fen wird, da ich ſo lange geſchrieben habe.

Ich bin in deſſen Erwartung ꝛc.

S 5XXXXVII. 282Antw. des H. Commendeurs auf das Schreiben

XXXXVII. Antwort des Herrn Commendeurs auf das Schreiben einer Dame, uͤber den Ge - brauch ihrer Zeit.

Ich habe Ihnen einen kleinen Streich geſpielt, meine gnaͤdige Frau, wofuͤr Sie mir wirklich Dank ſchuldig ſind. Ihr Kutſcher brachte mir ihren Brief an den Capellan; und weil der Kerl glaubte, es ſey darinn gewiß die Frage: Ob es erlaubt ſey, Kutſchen und Pferde zu halten, wenn man ſich mit einer Saͤnfte behelfen kann? So brachte er den Brief zu mir, und bat mich, ich moͤchte doch einmal durch die Fal - ten ſehen, und ihm ſagen: ob er ſeinen Kutſcherdienſt wohl verlieren wuͤrde, wenn er ihn beſtellete? Ich wollte meine Herrſchaft ungern verlaſſen, ſetzte der ehrliche Johann hinzu, die Pferde ſind ſo gut im Stande, unſre gnaͤdige Frau auch, ſie bezahlt ſo gut, ſie ſchmaͤhlet ſo ſanft ....... Kurz, dem guten Kerl der gemerkt zu haben glaubte, daß Sie ſeit einiger Zeit ſich allerhand Bedenklichkeiten machten und ganz tiefſinnig geworden waͤren, floſſen die Thraͤnen durch den Schnurbart; und ich ließ mich dadurch bewegen den Brief zu oͤfnen. Beſondre Geheimniſſe dachte ich, ſchreibt man wohl eben an ſeinen Capellan nicht, und die Gewiſſensfragen einer Dame kann ich beſſer als dieſer beantworten, der vielleicht auf einen ſcharfen Text verfallen moͤchte. Genug, ich er - brach ihn; und bediente mich des Rechts, welches Sie mir mehrmalen gegeben haben. Aber nun zum Inhalte.

Wie iſt es moͤglich, daß Euer Gnaden ſich mit zu dem Menſchen rechnen, zu dieſen Geſchoͤpfen die ihre Zeit nuͤtzlichzu -283einer Dame, uͤber den Gebrauch ihrer Zeitzubringen und von jeder Stunde Rechenſchaft geben muͤſſen? Sagen Sie mir doch ums Himmels willen, was Sie mit dieſen gemein haben, und ob Sie ſich vorſtellen koͤnnen, daß Sie eine Seele wie andre Menſchen empfangen haben? Gewiß die Natur verſchwendet ihre Kraͤfte nicht. Ein ſo feiner zaͤrtlicher Koͤrper wie der Ihrige, kann durch die ge - ringſte Wallung des Gebluͤts in Bewegung geſetzet werden; wozu denn eine ganze ruͤſtige Seele? Haben Sie Gefahren zu uͤberſtehen, Ungluͤcksfaͤlle auszudauern, große Entwuͤrfe auszufuͤhren? Nein; Sie eſſen, trinken, ſpielen und ſchlafen; und dieſes ſo regelmaͤßig, daß man keine einzige freye Be - wegung der Seele dabey bemerkt. Die Seele zeugt nur-Ge - danken, und dieſe hindern den Schlaf mehr als daß ſie ihn befoͤrdern; die Verdauung geht auch weit beſſer von ſtatten, wenn man ſich Gedankenlos hinſetzt. Laſſen Sie ſich alſo, ich beſchwoͤre Sie, nicht beyfallen, ſich eine ſolche Unruhe in den Kopf zu ſetzen, die Ihnen zu nichts dienen wuͤrden, als Grillen und Vorwuͤrfe zu machen. Sie haben ſich ſo lange darum beholfen; warum wollten Sie ſich denn dergleichen im Alter wuͤnſchen, und die Natur in unnoͤthige Koſten ſtuͤrzen? Fuͤhlen ſie einige Schwaͤchen: ſo laſſen Sie ihre Kammer mit eau de veniſe beſprengen. Sogleich werden Sie alle noͤ - thige Begeiſterung empfinden.

Ein gemeines Frauenzimmer wuͤrde es vielleicht fuͤr ein ſchlecht Compliment aufnehmen, wenn ich ihm eine Seele ab - ſprechen wollte. Allein Sie, gnaͤdige Frau kennen mich, und wiſſen, daß Sie keinen eifrigern Bewundrer in der Welt ha - ben als mich. Sie ſind alſo auch verſichert, daß ich dieſes nicht thun wuͤrde, wenn ich es nicht als einen beſondern Vor - zug von Ihnen betrachtete, daß Sie ohne Seele tauſendmal mehr thun als andre, die ſich dieſer allgemeinen Gabe ruͤh - men. Bey Ihnen wird der Feldherr zaͤrtlich, der Miniſterhei -284Antw. des H. Commendeurs auf das Schreibenheiter, und der ganze Hof gefaͤllig. Geſetzt nun, Sie wollten durchaus eine Seele haben, ſich andern gleich beſchaͤftigen und auf ihrem Canape der Rechenſchaft, welche Sie davon abzu - legen haͤtten, nachdenken; geſetzt, andre Damen folgten dieſem traurigen Exempel: wo wollte der Arbeiter im Cabinet und im Felde ſich erholen? wer wuͤrde ihnen Empfindungen bey - bringen? Empfindungen, welche das rauhe Herz zum Mit - leiden und zur leutſeligen Huͤlfe herabſtimmen? Ohne Er - holung iſt keine Arbeit; und wo Sie nicht behaupten wol - len, daß wir uns wie unſre Vorfahren blos am Weine erholen ſollen: ſo muͤſſen Sie mit ihrer gluͤcklichen Muße dem allge - meinen Beſten zu ſtatten kommen, ſo muͤſſen Sie ſich vor wie nach in der Gallerie oder in der Aſſemblee zeigen; und die Stelle des Geſtirns vertreten, das auch die finſterſten Philo - ſophen zu ſeiner Betrachtung reizet: ſo muͤſſen Sie den Scherz und die Heiterkeit zu Tiſche fuͤhren, und damit den arbeitſa - men Seelen neue Kraͤfte geben. Dabey aber koͤnnen und duͤrfen Sie nicht arbeiten, nicht denken und nicht rechnen; denn dies wuͤrde Ihnen nichts als fruͤhe Runzeln einbringen; und welcher Staatsmann wuͤrde bey dieſen nur ein einziges Project vergeſſen? Bedenken Sie nur das einzige: Die Leute, welche von ihrer Zeit Rechenſchaft abzulegen haben, ſind zugleich verdammt ihr Brod im Schweiß ihres Ange - ſichts zu eſſen. Wie ſchickt ſich dieſes aber fuͤr eine Hofdame, die den ganzen Tag geſchminkt ſeyn ſoll? Wuͤrde nicht alle Farbe von ihren ſchoͤnen Wangen flieſſen?

Haben Euer Gnaden aber jedoch eine kleine Herzſtaͤr - kung noͤthig; gut, ſo will ich Ihnen eine vorſchreiben, die gewiß nach Ihrem Geſchmack ſeyn wird. Verrichten Sie alle Tage in dieſem Jahre eine gute Handlung. Der Arbeit - ſame, der immer an ſeinem Werke klebt, und unermuͤdet be - ſchaͤftigt iſt, wird nur durch unmittelbare Gegenſtaͤnde zumMit -285einer Dame, uͤber den Gebrauch ihrer Zeit. Mitleid bewegt. Er iſt barmherzig, huͤlfreich und fertig, wenn ihm ſeines naͤchſten Ungluͤck ruͤhrt; allein die Noth derjenigen, ſo im Verborgenen oder in der Entfernung un - gluͤcklich ſind, kommt nicht ſo leicht zu ſeinem Herzen. Euer Gnaden aber hoͤren bey ihrer Muße und Langeweile man - che traurige Erzaͤhlung; ihr empfindliches Herz wird ſchneller geruͤhrt; Sie koͤnnen laͤnger bey der ſuͤſſen Betrachtung, wie ſie einem ungluͤcklichen helfen wollen, verweilen. Sie kom - men taͤglich zu ſolchen Perſonen, welche Verdienſte unterſtuͤ - tzen, und den Fleiß gluͤcklich machen koͤnnen. Bedienen Sie ſich ihres zaͤrtlichen Auges, ihres ſchmeichelhaften Tons, ihres ganzen Einfluſſes, um taͤglich das Gluͤck eines Menſchen zu befoͤrdern, ihn nur in guten Andenken zu erhalten, ihn von der beſten Seite zu zeigen, eine ungegruͤndete uͤble Meinung von ihm zu unterdruͤcken und uͤberall das beſte zu befoͤrdern. Wie mancher wird Ihnen nicht noch beyde Haͤnde dazu kuͤſſen, daß Sie ihm nur Gelegenheit gegeben, eine edle Handlung zu verrichten?

Sie ſehen, ich bin ein bequemer Gewiſſensrath; ich fordere nicht von ihnen, daß Sie Filet machen oder Marly nehen ſollen; dieſes koͤnnen Sie in ihren Umſtaͤnden andern uͤberlaſſen, die ihr Brod damit verdienen. Ich laſſe Ihnen ihren Schlaf, ihr Aſſemblee und ihr Soupe; und gebe ihnen vier und zwanzig Stunden fuͤr eine einzige gute Handlung. Dazu laſſe und goͤnne ich ihnen ihre Langeweile, entweder zur Strafe oder zur Beſſerung.

Es bleibt aber dieſes unter uns. Ihr Capellan iſt ver - pflichtet bey der Regel zu bleiben. Er wird mehrers von Ih - nen erfordern, und die Entſchuldigung der verwoͤhnten Zaͤrt - lichkeit nicht gelten laſſen. Ich aber denke anders, weil ich auch nicht viel mehr in der Welt beſchicke, und ich moͤgtenicht286Darf ein Handwerksmeiſternicht gern, daß die Rechnung von Ihrer Zeit beſſer ausfiele als die meinige. Hiemit kuͤſſe ich Ihnen Ehrfurchtsvoll die Haͤnde und bin wie Sie wiſſen ꝛc.

XXXXVIII. Darf ein Handwerksmeiſter ſo viele Geſellen halten als er will?

Es iſt wohl nicht zu leugnen, daß die Frage:

Ob einem jeden Handwerksmeiſter die Freyheit zu laſſen ſey, ſo viele Geſellen als er wolle, zu halten? von groͤßerer Wichtigkeit ſey, als man vielleicht bey Abfaſſung des Reichs-Abſchiedes von 1731. dafuͤr gehalten hat.

Die Gruͤnde, worauf es bey ihrer Beurtheilung an - kommt, ſind eben dieſelben, welche in den neuern Zeiten fuͤr und wider die großen Pachtungen angefuͤhret werden; der Meiſter der vierzig Geſellen haͤlt, iſt der Paͤchter der vierzig Knechte haͤlt; ſtatt der großen Pachtungen koͤnnten zwanzig Bauerhoͤfe, und ſtatt des einzigen Amtsmeiſters zwanzig Fa - milien leben.

Unſre Vorfahren in den Staͤdten, welche zu Walle ge - hen und ſelbige vertheidigen mußten, erhielten an jedem neuen Buͤrger, einen neuen Vertheidiger, der mit ihnen die Laſten theilte. Was haͤtten ſie anfangen wollen, wenn es in dem Vermoͤgen eines verſchmitzten Meiſters geſtanden haͤtte, mit Huͤlfe einer Menge von Geſellen die Arbeit der ganzen Stadt an ſich zu ziehen, und alle ſeine Mitmeiſter herunter zu brin - gen? Niemand wird leugnen, daß ein Mann mit zehn Ge -ſellen287ſo viele Geſellen halten als er will. ſellen wohlfeiler arbeiten koͤnne, als zehn Meiſter mit einem. Es waͤre alſo einem geſchickten und vermoͤgenden Handwerker gar leicht geweſen, allen uͤbrigen Mitmeiſtern das Brod zu nehmen; und dieſes wollten ſie dadurch verhuͤten, daß ſie fuͤr jedes Amt die Zahl der Geſellen beſtimmten.

Unſtreitig iſt auch noch jezt dem Staate mehr an zwo Familien als zween Geſellen gelegen. Der Geſelle zieht dem Staate keine Kinder, traͤgt keine Einquartierung, bezahlt we - nig Schatzung, und fleugt bey dem geringſten Ungewitter uͤber die Mauer. Daher muß der Reichs-Abſchied billig nach jedes Orts Umſtaͤnden ermaͤßiget, und der Landes-Obrigkeit die Freyheit gelaſſen werden, es wegen der Anzahl der Geſel - len ſo zu halten, wie es das gemeine Beſte erfordert. In Hauptſtaͤdten, Seehaͤven und uͤberhaupt an allen Orten, wo fuͤr auswaͤrtige Maͤrkte gearbeitet wird, iſt es Thorheit die Anzahl der Geſellen einzuſchraͤnken. Wo aber der Meiſter ein Tagloͤhner iſt, und ein Tagloͤhner nur den andern in Pacht hat, iſt die geringſte Anzahl von Geſellen gewiß die beſte.

XXXXIX. Haben die Verfaſſer des Reichsabſchiedes von 1731. wohl gethan, daß ſie viele Leute ehrlich gemacht haben, die es nicht waren?

Es iſt ferner gewiß, daß die Zuͤnfte und Gilden ungemein dadurch gelitten haben, daß ſie nach dem juͤngern Reichs - abſchiede alle von irgend einem Pfalzgrafen ehrlich gemachteHur -288Haben die V. des Reichsabſch. v. 1731. wohl gethan,Hurkinder und beynahe alle Geſchoͤpfe, die nur zwey Beine und keine Federn haben, als Zunftfaͤhig erkennen muͤſſen. Nach der ſeit einiger Zeit Mode gewordenen Menſchenliebe, und vielleicht auch nach unſer Religion, nach welcher Gott keinen Unterſcheid macht unter den Menſchen, von Mutter - leibe gebohren, mag es mit dieſer Verodnung gut genug ge - meint ſeyn. Allein ein rechtſchaffener Policeygrund laͤßt ſich davon nicht angeben; oder man moͤchte denn an jene Verord - nungen eines ſichern Reichsfuͤrſten denken, welche alſo anfieng:

Wir von Gottes Gnaden ꝛc. fuͤgen hiemit zu wiſſen, was maßen und nachdem Wir uns mit unſer fuͤrſtlichen Fa - milie und unſern Raͤthen, der menſchlichen Geſellſchaft entzogen haben, dieſe nur aus lauter Canaille beſteht: Als wollen Wir gnaͤdigſt, daß alle Hurkinder, denen Wir unter unſerm Fuͤrſtl. Siegel die Rechte einer echten Geburt ertheilen, darinn bey hundert Goldgulden Strafe aufgenommen werden ſollen. ()

Was kann das unſchuldige Kind dafuͤr; und warum ſoll dieſes darunter leiden, daß ſeine Mutter ein einziges klei - nes Kind gehabt hat; pflegt man zwar insgemein zu ſagen. Allein zum Henker mit dem Wechſelbalg rief die Aebtißin von ........ als man ein fuͤrſtliches Hurkind ins frey - adeliche Stift bringen wollte. Man erbot ſich zur Kaiſerl. Legitimation, und bedaurete hundertmal das arme unſchuldige Kind. Allein es half alles nicht; der Wechſelbalg mußte fort, weil die Aebrißin keine andere aufnahm, als diejenigen, ſo aus einem reinem adlichen deutſchen Ehebette erzielet waren. Sie handelte recht daran, aber warum ließ man die Gilden nicht bey dieſen mit der deutſchen Ehre zugleich gebohrnen Grundſaͤtzen? Warum ſchaͤndete man die gemeine National - ehre mehr als die hohe oder Dienſtehre? Warum verdiente der große, der wuͤrkſame Theil der Nation mindere Achtungals289daß ſie viele Leute ehrlich gemacht haben? als der geringere und unwuͤrkſame? Wahrlich aus keinem andern Grunde, als den vor Hoͤchſtgedachte Ihro Fuͤrſtl. Gnaden anzufuͤhren geruheten. Die Verfaſſer des Reichs - abſchiedes ſtanden auf der Hoͤhe; und was unten am Berge war, ſchienen ihnen nur aus Muͤcken zu beſtehen.

Der Grundſatz der neuern Geſetzgeber, daß man die Hurerey minder ſchimpflich machen muͤſſe, um den Kindermord zu verhuͤten, iſt falſch und unzureichend. Der alte: daß man den aͤußerſten Schimpf darauf ſetzen muͤſſe, um die Ehe zu befoͤrdern, iſt weit dauerhafter; und nach den feinſten philoſophiſchen Grundſaͤtzen angelegt.

Der Reichsabſchied macht eine Menge von Leuten ehr - lich, welche bis dahin fuͤr unehrlich gehalten wurden. Man kann aber darauf wetten, daß die Verfaſſer den Sinn des Worts Unehrlichkeit verfehlet, und die Sache wiederum aus dem unpolitiſchen Geſichtspunkte der Menſchenliebe betrachtet haben. Bey den Deutſchen war alles unehrlich, was nicht im Heerbann oder im Buͤrgerbanne focht; und nach dieſem Begriffe, wuͤrden ſie zu unſern Zeiten allen Leuten die Ehre abgeſprochen haben, die keine Soldaten ſind. Dieſe Den - kungsart ſcheint ſeltſam zu ſeyn. Verhietet nicht aber noch jetzund ein jeder Hauptmann ſeinen Gemeinen, mit andern Leuten, die nicht zu ihnen gehoͤren, Bruͤderſchaft zu trinken oder ſich mit ihnen zu dutzen? Und hatte der Heerbann min - dre Urſache mit allen Leuten nicht aus einem Kruge zu trinken? Der Krug war der geheiligte Becher, der in einer ebenbuͤrti - gen Geſellſchaft nach der Reihe herum gieng. Wer nicht zu der Geſellſchaft gehoͤrete, gehoͤrte auch nicht zum Kruge; und ſo ſagten unſre Vorfahren: Wir trinken mit keinen Schaͤfern ꝛc. aus einem Kruge, weil ſie nicht mit fuͤrs Vaterland ausziehen, ſondern daheim bey der Heerde bleiben muͤſſen. Sie ſprachen ihnen die chriſtliche und moraliſche Redlichkeit nicht ab. AberMöſers patr. Phantaſ. I. Th. Tſo290Haben die V. des Reichsabſch. v. 1731. wol gethan. ſo wenig der Marketenter die Ehre eines Soldaten hat; ſo wenig hatte der Schaͤfer die Ehre eines Bannaliſten. Eben dieſe Unehrlichkeit wuͤrde allen Heuerleuten, (den Leibzuͤchter als den Invaliden aus dem Heerbann jedoch nicht mitgerechnet) angeklebet haben, wann unſre Vorfahren Heuerleute auf dem platten Lande gekannt haͤtten.

Der Grund, daß Schaͤfer, Hirten ꝛc. und dergleichen Leute, doch gleichwohl unentbehrliche Mitglieder der Geſell - ſchaft ſind, und daher billig aller Ehre genieſſen ſolten; iſt ſcheinbar in dem Munde des Philoſophen, und des Chriſten, aber nicht die Sprache der rechten Policey. Der zweyte Rang kann ſich in der Einbildung fuͤr beſchimpft halten, daß er nicht zum erſten gehoͤrt; und der dritte kann eben ſo em - pfindlich daruͤber ſeyn, daß er nicht zum zweyten gehoͤrt. Aber darum iſt es noch kein Schimpf zum dritten Range zu gehoͤ - ren. Die unehrliche Claſſe in der buͤrgerlichen Geſellſchaft iſt weiter nichts, als die unterſte oder die achte Claſſe. Die Ehre war durch die ſieben Heerſchilde vertheilet. Zum ſieben - den gehoͤrten die gemeinen Bannaliſten. Wann nun die achte Claſſe ſich nicht zu der ſiebenden rechnen kann, muß ſie dieſes nicht mit eben der Gedult ertragen, womit es die ſiebende Claſſe ertraͤgt, daß ſie nicht zur ſechſten gehoͤrt?

Der Reichsabſchied, der chriſtliche und philoſophiſche Ehrlichkeit bey ſolchen Menſchen fand, welche in die Claſſe ohne Ehre gehoͤrten, hatte daher noch keinen Grund, dieſe aus der achten Claſſe, oder aus der Claſſe ohne Nummer, in die ſechſte zu ſetzen; und noch jezt ſolten keine Heuerleute, Markkoͤtter und andre, welche blos Rauchſchatz bezahlen, zur ſiebenden Claſſe, worinn die Voll - und Halberben, wie auch Erbkoͤtter ſtehen, die dem Staate mit dem Monatſchatze, mit Wagen und Pferden ihre Ehre abverdienen, gerechnet wer - den, um ſo viel beſſere Wirthe auf den Staͤtten zu erhalten,und291daß ſie viele Leute ehrlich gemacht haben? und die Heuerleute zu reizen, durch Uebernehmung mehrer Laſten, ſich den Weg zur gemeinen Ehre zu eroͤfnen. Durch die heutige Vermiſchung laufen wir Gefahr alles in Heuer leute zu verwandeln.

Die Folgen des Reichsabſchiedes ſind wuͤrklich traurig, fuͤr Gilden und Zuͤnfte geweſen. Denn dadurch, daß ihre Ehre ſolchergeſtalt, und ihre Claſſe zerſtoͤret iſt, wird es al - maͤhlich veraͤchtlich ſich in eine Zunft zu begeben. Nur in England verſchmaͤht es der Koͤnig nicht. Der Reiche wird lieber ein ſogenannter Fabricant; und die etwas Vermoͤgen haben, kaufen ſich Adelbriefe, um aus der ſiebenden Claſſe in eine hoͤhere zu kommen. Die Politik unſer Vorfahren war unendlich feiner, und nach ihren Grundſaͤtzen ſolte die ge - meine Ehre eben ſo ſorgfaͤltig bewahret werden, als die Hohe, weil der Stand der gemeinen Ehre alle Laſten traͤgt, und dem Staat daran gelegen iſt, daß ſich ſolcher taͤglich vermehre, welches gewiß nicht dadurch geſchicht, daß er beſchimpft wird. So wenig der Kayſer einen aus der ſiebenden Claſſe Stifts - faͤhig machen kann: ſo wenig haͤtte er jemand aus der Claſſe ohne Ehre Zunftfaͤhig machen ſollen.

Allein diejenigen, ſo den Reichsabſchied verfertigten, waren nicht aus der ſiebenden Claſſe; dieſe fuͤhlten nur fuͤr ſich und nicht fuͤr andre. Sie dachten wie vor Hoͤchſtgedach - ter Reichsfuͤrſt, ohne es oͤffentlich zu ſagen. In der That aber war es eine fehlerhafte Geſetzgebung, daß ſolchergeſtalt ein Stand uͤber den richtete. Der gemeine Soldat kann nicht verurtheilet werden, ohne daß nicht zwey ſeiner Cameraden mit zu Gerichte kommen. Und der Reichsabſchied haͤtte nach den Grundſaͤtzen der deutſchen Geſetzgebung nicht ohne beſon - dere Deputirte aus der ſiebenden Claſſe verfertiget werden ſol - len. Dieſe verliert auf einmal Freyheit und Eigenthum, ſo bald man ihr ohne ihre Einwilligung willkuͤhrliche Geſetze ge -T 2ben292Vorſchlag zu einem beſondern Advocatencollegio. ben kann; und die Rußiſche Kaiſerin verfaͤhrt mit ihren Un - terthanen ſo ſtrenge nicht; wie das Reich mit beſtaͤtigten und privilegirten Zuͤnften verfahren hat.

L. Vorſchlag zu einem beſondern Advocaten - collegio.

Es iſt unſtreitig beſſer, daß ein Staat gar keine Advoca - ten dulde, als daß er ihnen mit Verachtung begegne. Ein Mann, der die Kunſt aus dem Grunde gelernt hat, andre zu ſcheeren, und von dieſer Kunſt leben muß, iſt ſo gefaͤhr - lich als ein Kriegscommiſſair, er verkauft andern das Recht ihn zu verachten ſo theuer als er kann, wenn er es durchaus verkaufen muß. Oder wenn er das nicht thut; wenn er ehr - lich und verachtet zugleich bleiben kann; ſo iſt er ganz gewiß ein Stuͤmper.

Unſre Vorfahren hatten den Hauptmann in Heerbann oder den ſpaͤtern Gerichtsherrn zum Advocaten und Sindi - cus ſeiner ihm untergebenen Gemeinen geordnet; dieſer machte es wie es unſre heutigen Capitains noch machen. Wenn ihre Soldaten mit andern, die nicht von ihrer Compagnie ſind, eine Sache haben: ſo fuͤhrt ſie der Capitain aus; und was die Leute von einer Compagnie unter ſich zu thun haben, wird ohne Schriftwechſel entſchieden. Solche Perſonen aber, wel - che nicht zum Heerbann gehoͤrten, oder um nach den jetzigen Styl zu ſprechen, Leute die nicht Amtſaͤßig waren, hatten ihre erwählten Advocaten; dergleichen den Heerbannaliſten oder Amtſaſſen nicht geſtattet wurde.

Natuͤrlicher Weiſe war der erſte, den die ſpaͤtern Zei - ten zum Dynaſten oder auch belehnten Gerichtsherrn erho -ben293Vorſchlag zu einem beſondern Advocatencollegio. ben haben, ein Mann von Ehre und Anſehen; und der Er - waͤhlte, welchem ſich die Dynaſten ſelbſt vertraueten und ihn zu ihrem Patron und Vorſprecher erwaͤhlten, auch kein ſchlech - ter Mann. Nur erſt zu der Zeit, wie die Heerbannsrolle ge - ſprengt, und die Leute vereinzelt oder einzeln genoͤthiget wur - den, ſich Advocaten zu ſuchen, mußten ſich dieſe vermehren und verſchlimmern.

In Frankreich und England gieng man damals zu, und gab den ſich ſolchergeſtalt nothwendig vermehrenden Advoca - ten Gilde - oder Ordensrecht. Sie verſammleten ſich zu Ca - pittel, erwaͤhlten ihren Dechanten, machten Statuta, Stif - tungen und andre Vorkehrungen zur Erhaltung ihres Anſe - hens. In Deutſchland hingegen begnuͤgte man ſich, mit der Doktorwuͤrde geſchickten Leuten das Recht zu advociren zu ertheilen; und des Heil. Roͤm. Reichs Doktoren machten es wie des Heil. Roͤmiſchen Reichs Ritter. Sie blieben un - ter ſich ohne Verein oder Gilde, folglich ohne Stiftungen und Statuten. Daher zeigt ſich bey der Kaiſerwahl kein Dal - wich mehr der Ritter werden will, und kein Landgraf von Heſſen nimmt mehr die Doctorwuͤrde an.

Des Heiligen Roͤmiſchen Reichs Ritter aber ſollten unſtreitig mit den deutſchen Ordensrittern in gleichen Anſehen ſtehen. Allein es fehlt daran ſehr viel; warum? Weil lez - tere ſich zu einer Gilde oder zur Zunft geſchloſſen haben, wor - inn ſie keinen aufnehmen, der nicht ſeine 16 Ahnen beweiſen kann. Eben ſo ſollten alle Edelleute gleich ſeyn. Aber dieje - nigen, die ſich zu einem Capittel oder Collegium vereint, und durch gewiſſe Statuta fuͤr ſich geſorgt haben, erhalten ſich in weit groͤßern Anſehen als jene Zerſtreueten; warum? Weil des Heil. Roͤmiſchen Reichs Edelleute, eben wie des Heil. Roͤmiſchen Reichs Ritter und Doktoren keinen allgemeinen Verein haben und daher vermiſchet werden. Ferner ſolltenT 3die294Vorſchlag zu einem beſondern Advocatencollegio. die Pfarrer den Rang fuͤr einen Canonicus haben; ſie haben ihn aber nicht, weil die Pfarrer unter ſich keine Zunft und keine Statuten haben, mithin ohne Ruͤckſicht auf Geburt al - lerhand Leute zu ihres Gleichen erhalten, wogegen doch alle Collegiatſtifter einige Gegenanſtalten gemacht haben.

Dies muß uns natuͤrlicher Weiſe auf den Gedanken bringen, daß es gut ſeyn wuͤrde, wenn jeder Landesherr da - fuͤr ſorgte, daß die Landesadvocaten ſich zu einem Corpus ver - einigen, ihre Statuten errichten, ihre Mitglieder ſelbſt waͤh - len, oder doch gewiſſe Vorzuͤge der Geburt und des Standes von ihnen erfordern, und ſolchergeſtalt ſich fuͤr alle willkuͤhr - liche und oftmals ehrenruͤhrige Vermiſchung ſicher ſetzen muͤß - ten. Sie wuͤrden dadurch natuͤrlicher Weiſe aufmerkſamer auf ihre Ehre, empfindlicher auf deren Erhaltung, und durch eine Ausſtoſſung aus dieſen Orden haͤrter beſtrafet werden, als durch irgend eine andre Strafe. Sie wuͤrden Stiftun - gen machen und annehmen, die Bejahrten daraus verſorgen, die Wittwen ernaͤhren, und ſich der Kinder ihrer Collegen gemeinſchaftlich annehmen koͤnnen. Sie wuͤrden endlich Col - legialiſche Rechtsbedenken ausfertigen, eine einfoͤrmige Praxin befoͤrdern, eine Praͤbende fuͤr den Advocaten der Armen aus - ſetzen und ſehr viele andere gute Anſtalten, die der eſprit de corps von ſelbſt mit ſich bringt, machen koͤnnen. Dies iſt wenigſtens das Mittel, wodurch ſich der Stand der Advoca - ten in Frankreich, da er ſonſt in allen deſpotiſchen Staaten aus guten Gruͤnden heruntergeſetzt wird, bey einem wahren Anſehen erhalten hat. Und ohne dieſe Vorſorge wird derſelbe mit der Zeit keinen als ſolchen anſtehen, die nach keiner Ver - achtung fragen, wenn ſie nur gewinnen koͤnnen.

LI. 295

LI. Ueber die Art und Weiſe wie unſre Vorfahren die Proceſſe abgekuͤrzet haben.

In dem Frieden, welchen Symon Edler Herrn zur Lippe, mit dem Oſnabr. Biſchofe Ludolf im Jahr 1305. einzuge - hen genoͤthiget wurde, und worin er ſeine beyden Schloͤſſer zu Rhe - da und zu Engerſchleifen zu laſſen verſprach, heißt es zuletzt:a)Ponemus quatuor de noſtris miniſterialibus ſive ca - ſtellanis qui ad aliquem competentem locum con - venient, et intra 15nam, a die notificationis in juriæ propter quam diſcordia eſt exorta, terminabunt diſcordiam vel in amicitia vel in jure et ſi intra 15nam ipſam dictam diſcordiam non terminarent, intra - bunt oppidum Bilevelde in quo jacebunt per conti - nuam 15nam, & ſi intra ipſam 15nam praedictam diſcordiam non decident per proximam 15nam tunc ſequentem jacebunt in oppido Hervorde, & ſic vi - ciſſim in oppidis dictis jacebunt inde non exituri, antequam ipſam diſcordiam decident vel in amici - tia vel in jure, & ſi aliquis & quoties aliquis prae - dictorum miniſterialium vel caſtellanorum obierit ſtatuetur ſtatim alius pro eodem &c. anno 1305. die beatorum Kiliani & Sociorum.

〟Und wenn kuͤnftig unter ihnen ſich neue Irrungen her - 〟vorthun ſollten: ſo wollten ſie beyderſeits vier von 〟ihren Dienſt - oder Burgleuten an einen dritten Ort 〟zuſammen ſchicken, welche die Sreitigkeit binnen 14 〟Tagen entweder in Guͤte oder zu Recht ausmachenT 4〟ſol -296Ueber die Art und Weiſe〟ſolten, und wenn ſie damit binnen 14 Tagen nicht fertig 〟wuͤrden, ſolten ſich dieſe acht Schiedsleute nach Biele - 〟feld, und wenn ſie dort auch binnen 14 Tagen noch 〟nicht uͤbereinkaͤmen, nach Herford begeben, und ſo 〟lange von 14 Tagen zu 14 Tagen aus einer Stadt in 〟die andre gehn, bis ſie ſich eines Spruchs verglichen 〟haͤtten. ()

Dieſe Art, die Streitigkeiten zu entſcheiden, war damals nichts ungewoͤhnliches. Indeſſen verdient die Denkungsart, wor - auf ſich ein ſolcher Plan der Entſcheidung gruͤndete, noch immer eine genauere Betrachtung, beſonders da derſelbe das Geheimniß zu enthalten ſcheint, wodurch unſere Vorfahren die Weitlaͤuftigkeit der Proceſſe zu verhindern gewußt haben.

Das Merkwuͤrdige in dieſem Plan iſt nicht die Wahl einiger Schiedsrichter; dieſe werden auch jezt noch wohl er - waͤhlet; es beruhet auch darauf nicht, daß jeder Theil gleiche Stimmen ſchicken, und keiner vor dem andern wie auch kein Dritter dabey den Ausſchlag zu geben haben ſolte; denn auch dieſes iſt nur eine gemeine Erfindung. Das Große, was in der Sache ſteckt, iſt dieſes, daß den erwaͤhlten Schiedsleuten die Macht gegeben wurde einen Vergleich von Amtswegen zu treffen.

Ich weis nicht, ob ich mich deutlich ausdruͤcke. Wenn unſre heutigen Richter die Partheyen zur Pflegung der Guͤte vorladen, und ihnen die beſte Vorſchlaͤge thun, dieſe aber ſolche nicht annehmen wollen: ſo haben ſie, einige geringe Sachen ausgenommen, nicht die Macht zu ſagen: ihr ſolt ſie annehmen; auch unſre heutigen Schiedsrichter haben eigent - licht dieſe Macht nicht; ſondern beyde ſprechen ein Urtheil, und ſetzen dabey: von Rechtswegen.

Dieſe Art der Entſcheidung kannten unſre Vorfahren gar nicht; ſondern diejenigen, welche eine Sache zu entſcheidenhat -297wie unſre Vorfahren die Proc. abgekuͤrzet haben. hatten, ſie mochten nun dazu erwaͤhlt oder beſtellet ſeyn, er - oͤfneten, was ſie gut und billigb)Jus eſt ars boni et æqui. Dieſe Definition will viel ſagen; das bonum iſt quod convenit fini ſocietatis; das æquum quod cum minimo damno ſociorum obtinentur. befanden, und die Par - theyen mußten dies fuͤr Recht annehmen. Ihre Vollmacht war alſo von ungleich weitern Umfange als die Vollmacht unſrer heutigen Richter, die auf Geſetze und Ordnung ſchwe - ren, und an dem traurigen Buchſtaben kleben muͤſſen. Wenn man von dieſen viere ſo lange zwiſchen Bielefeld und Herford reiſen laſſen wollte, bis ſie ein Urtheil gefunden haͤtten; ſo wuͤrde oftmals ein Gewiſſenszwang mit eintreten koͤnnen. Wenn man aber vier Leute mit der Vollmacht erwaͤhlt, die Sache nach ihrem Gut - und Billigfinden abzuthun: ſo iſt es ihre Schuld, wenn ſie ſich nicht endlich muͤde zanken und ver - einigen. Vier ehrliche Leute von beyden Seiten, die ſich alle Tage quaͤlen, und nur ſtuͤndlich ein Haarbeit gegen ein - ander nachgeben, muͤſſen endlich auf eine Linie zuſammen tref - fen, welche fuͤr beyde Theile von dem mindeſten Nachtheile iſt. Und die Parthey ſo ſich damit nicht beruhiget, verraͤth eine eitle Zankſucht.

Wenn man mit dieſer Vorausſetzung auf die Sorgfalt zuruͤckgeht, womit unſere Vorfahren darauf beſtunden, daß jeder Parthey nicht allein ebenbuͤrtige ſondern auch Gerichts - genoſſe Urtheilsweiſer gegeben werden mußten: ſo fuͤhlt man erſt, wie groß ihre Einſicht geweſen. Denn vier Fuͤrſten konnten die Sache eines Edelmanns nicht damit entſcheiden, daß ſie ſagten: ſie fänden es ſo gut und billig. Vier Edel - leute konnten auf dieſe Weiſe eben wenig die Sache eines Buͤrgers richten; und vier Buͤrger waren auch allerdings un - befugt den Proceß zwiſchen zweyen Landleuten gleichſam nachT 5ih -298Ueber die Art und Weiſeihren Gutduͤnken zu endigen; auſſer dem Falle, wo der Edel - mann, der Buͤrger oder der Landmann ſich dergleichen Richter von freyen Stuͤcken gewaͤhlt und ſein Vertrauen darauf ge - ſetzt hatte. Eine ſolche Vollmacht, wie unſre Vorfahren dem Richter oder vielmehr den Schoͤpfen gaben, konnte keinen andern als ebenbuͤrtigen und gerichtsgenoſſen Perſonen er - theilet werden, die auf den Fall, daß ſie in gleiche Streitig - keiten verwickelt wurden, dasjenige wider ſich gelten laſſen mußten, was ſie als Urtheilsweiſer uͤber andre ihres Mittels gut fanden.

Ueberhaupt aber kommen wir hier auf die beyden Haupt - arten Streitigkeiten zu endigen. Die erſte iſt,

daß ein ebenbuͤrtiger und genoſſer Mann nach ſeinem Gutduͤnken ſage, wie es ſeyn ſolle. ()

Die andre,

daß ein Gelehrter, der den Partheyen ſo wenig eben - buͤrtig als Genoß iſt, ſage, was die Geſetze auf den ſtrei - tigen Fall verordnet haben. ()

Die erſte war die Art unſer Vorfahren: die letztere iſt die unſrige, nach welcher ein Doctor am Cammergericht dem groͤßten Reichsfuͤrſten Recht ſprechen kann.

Es iſt der menſchlichen Freyheit unendlich viel daran ge - legen, daß beyde Arten nicht vermiſchet werden. Unſre heutigen Philoſophen und philoſophiſchen Rechtsgelehrten, ja ſelbſt Cabinetsminiſter und Juſtitzreformatoren, tragen kein Bedenken zu ſagen:

〟Der Richter muͤſſe auf das wahre, das gute, das heyl - 〟ſame und das billige ſehen, ſeine geſunde Vernunft 〟brauchen und darnach ſprechen, ohne ſich um alle roͤ - 〟miſchen Geſetze und die Gloſſatoren zu bekuͤmmern. 〟So haͤtten es unſre Vorfahren gemacht. ()Allein299wie unſre Vorfahren die Proc. abgekuͤrzet haben.

Allein ſo wahr dieſer Satz iſt, wo die Partheyen ebenbuͤrtige und genoſſe Richter erhalten: ſo falſch, ſo verraͤtheriſch iſt er im Gegentheile, und in unſer heutigen Verfaſſung. Wie, ein Fuͤrſt ſolte acht fremde Maͤnner verſchreiben, ihnen ihren Unterhalt reichen, und ihnen die Vollmacht ertheilen koͤnnen, nach der Vernunft, nach der Billigkeit, nach ihrer Weißheit zu entſcheiden? Und das ſollen unſre Vofahren geduldet haben?

Die Weisheit graͤnzt ſo nahe an die Willkuͤhr, daß man unmittelbar von der einen zur andern uͤbergehen kann; und wo Weisheit und Macht in einer Hand ſind, da iſt des Herrn Wille natuͤrlicher Weiſe allezeit die Weisheit ſelbſt. Wenig - ſtens iſt kein ſterblicher Menſch im Stande die Furche anzu - weiſen, wo die Willkuͤhr ſich von der Weisheit ſcheidet. Und wenn es einer wagen wollte: ſo wuͤrden ihm gleich zehn an - dre widerſprechen. Unſre Vorfahren waren in dieſem Stuͤcke ſo genau, daß ſie denjenigen ſofort fuͤr einen Knecht hielten, der von eines ungenoſſena)Es iſt dieſes ein altes deutſches Wort, wofuͤr ich kein beſ - ſers zu finden weis. Ein franzoͤſiſcher und deutſcher Edel - mann koͤnnen einander ebenbuͤrtig ſeyn; ſie ſind aber einer des andern ungenoß. Buͤrger aus verſchiedenen Staͤdten ſind ebenfalls einander ungenoß. Menſchen Ausſpruch abhangen mußte. Alle Fremde erfuhren dieſes, ſo bald ſie ſich ohne Geleit auſſer ihrer Heymath befanden, und ſich mithin nicht auf ihre Genoſſen zu Hauſe berufen mochten.

Ganz anders verhaͤlt es ſich in dem Falle, wo ein ehr - licher Markgenoſſe nicht von der Weisheit ſeines Holzgrafen, nicht von der Vernunft des Partheyenrichters, und auch nicht von der Auslegungskunſt der Geſetzgelehrten, und noch we - niger von dem Deſpotiſmus der unter dem Namen einer gu -ten300Ueber die Art und Weiſeten Policey bisweilen offenbare Gewaltthaten ausuͤbt; ſondern von dem Urtheile ſeiner Mitmaͤrker abhaͤngt. Wenn dieſe es gut und vernuͤnftig finden, daß er nicht mehr als zwey Gaͤnſe und einen Ganten haben ſoll; wenn dieſe ihm verbieten auf dem Grasanger Plaggen zu mehen; wenn dieſe ihm dahin zu Recht weiſen, daß er ſein Schwein krampfen ſoll: ſo hat er die Beruhigung zum voraus, daß ſich mit ihm alle ſo die - ſes Recht weiſen, in einem gleichen Falle befinden; und das Recht was ſie ihm ſprechen, auch wider ſich gelten laſſen muͤſ - ſen; anſtatt, daß wenn ihm der Policeycommiſſarius befiehlt keinen Coffee zu trinken, dieſer den ſeinigen ungeſtoͤrt herun - terſchluͤrft, und ſeinen Befehl blos mit der Vernunft und Weisheit (dieſe ewigen Kupplerinnen der menſchlichen Leiden - ſchaften) rechtfertigen kann.

Da unſre Vorfahren gar keine geſchriebene Geſetze dul - deten, weil ſie voraus ſahen, daß ſolche mit der Zeit eigne Ausleger und Rechtsgelehrte nach ſich ziehen, und die heuti - ge Art Streitigkeiten durch gelehrte und ungenoſſe Maͤnner zu entſcheiden befoͤrdern wuͤrde: ſo konnten ſie auch nicht an - ders verfahren. Es konnte nach keinen Geſetzen geſprochen werden; ſondern die beſtelleten Urtheilsweiſer ſprachen nach dem was ihnen, ihren Kindern, ihren Nachbarn und der ganzen Gemeinheit nuͤtzlich und heylſam ſchien; oder ſie be - zeugten in jedem vorkommenden Fall die loͤbliche Gewohnheit, und dieſes ihr Zeugens war zugleich ein richterliches Urtheil. Zum Zeugniß einer Gewohnheit konnte aber kein bloßer Ge - lehrter zugelaſſen werden. Um eine adliche Gewohnheit zu bezeugen, ward ein Edelmann und zur buͤrgerlichen ein Buͤr - ger erfordert. Jezt hingegen beſteht die Kunſt zu richten faſt nur in der Gelehrſamkeit und Auslegungskunſt, und kein Ort in Europa hat ſich dagegen beſſer gewahret, als die kleineStadt301wie unſre Vorfahren die Proc. abgekuͤrzet haben. Stadt Norica oder Nurſiab)Norica vor Alters Nurſia, eine Stadt, deren Regiment aus 4 Maͤnnern beſteht, welche man li quatri illiterati nennet, weil ſie dem Geſetze nach Leute ſeyn muͤſſen, die weder ſchreiben noch leſen koͤnnen. Alles wird muͤndlich und ohne Schriften abgethan. Dieſe Stadt iſt der Ge - burtsort der Bruchſchneider in Italien. S. Buͤſchings Erdbeſchreibung II. Th. 2. B. p. 1061. in Italien, wo es durchaus erfordert wird, daß die Obrigkeit weder leſen noch ſchreiben koͤnne. Jezt erlauben wir beynahe den Gutsherrn das Zeug - niß daruͤber: ob dieſe oder jene Art von Leuten zu den Leib - eignen oder Freyen gehoͤre,c)Carl der Große ſagte: Solus comes de libertate et pro - prietate judicat. Der Comes aber urtheilete nicht an - ders als mit 12. oder ſieben genoſſen Schoͤpfen. da doch eigentlich und ſo balde daruͤber Streit iſt: ob einer frey oder eigen ſey; oder ob ein Daelfreyer nach Leibeigenthumsrechte gerichtet werden koͤnne oder nicht, die Sache nicht blos von dem Urtheile oder Zeug - niſſe des einen Theiles, ohne daß der andre auch ſeine Ge - noſſen dabey habe, abhangen kann. Ueberhaupt glaubten un - ſre Vorfahren, die Weisheit der Katze koͤnne niemals einen guͤltigen Spruch wider die Maͤuſe hervorbringen; ſondern Maͤuſe mußten von Maͤuſen und Katzen von Katzen beurthei - let werden.

Aber wird man ſagen, der Streit der Maͤuſe unter ſich iſt von ſo großer Wichtigkeit nicht, daß ſie ihn nicht leicht von einigen ihres Mittels austragen laſſen ſollten. Die Haupt - ſache iſt, wenn die Katze gegen die Maͤuſe, oder eine Mark gegen die andre, und eine Genoſſenſchaft gegen die andre die Graͤnzen ihrer Befugniß uͤbertritt, und den Landfrieden bricht. Was hatten unſre Vorfahren hier fuͤr Richter?

Nach302Ueber die Art und Weiſe

Nach dem Exempel der oberwaͤhnten von beyden Seiten erwaͤhlten 4 Schiedsleute zu rechnen, welche ſo lange zwiſchen Herford und Bilefeld reiſen ſolten, bis ſie ein Urtheil faͤnden, mag es hier einige Muͤhe gekoſtet haben. In der That aber erkannte man zuerſt hier keinen Richter, und wie man den Kaiſer nachwaͤrts zum Friedensrichter erhielt, bekuͤmmerte ſich auch dieſer nicht darum, wer von zweyen Partheyen Recht hatte oder nicht. Die Macht des Kaiſers gieng nur dahin zu beachten, daß die Austraͤge alle 14 Tage von Herford nach Bielefeld ritten und ihre Pflicht in dieſem Stuͤcke aufs ge - naueſte beachteten. Aber den Streit ſelbſt konnte der Kaiſer, weil ſeine Weißheit nichts damit zu thun hatte, unmoͤglich entſcheiden. Denn wenn er dieſes haͤtte thun wollen: ſo blieb ihm doch nichts uͤbrig, als vier Schoͤpfen von einer und vier von andrer Seite erwaͤhlen, ſodann ſolche ſo lange in einem Zim - mer verſchlieſſen, oder von einem Orte zum andern reiten, oder auch in geſchloſſenen Schranken fechten zu laſſen, bis ſie das Recht gefunden hatten. Der Kaiſer konnte darauf achten, daß ſie im letztern Fall mit gleichem Winde und gleichem Ge - wehr fochten; er konnte darauf halten, daß redliche und eben - buͤrtige Biederleute gegen einander geſchickt wurden. Aber das Recht oder die Wahrheit ſelbſt konnte er unſern Vorfah - ren nicht weiſen, weil noch keine geſchriebene Geſetze vorhan - den waren, und alle menſchliche Weißheit, ſo lange es an geſchriebenen Geſetzen fehlt, auf eine Willkuͤhr hinaus lauft, und ſo verſchieden iſt, als die Menſchen ſelbſt verſchieden ſind. Natuͤrlicher Weiſe ſagte die Weißheit der einen ſtreitenden Parthey ja; und die Weißheit der andern nein; und wer konnte ohne der einen oder der andern Gewalt zu thun, eine dritte Weißheit urtheilen laſſen?

Die Gallier ſuchten ſich auf eine andre Art zu helfen. Sie hatten ihre Druiden oder eigne Prieſter, welchen ſowol dieCivil -303wie unſre Vorfahren die Proc. abgekuͤrzet haben. Civil - als Criminaljurisdiction anvertrauet war;a)Fere de omnibus controverſiis publicis privatisque Druidae conſtituunt & ſi quod eſt admiſſum facinus, ſi caedes facta, ſi de hereditate de finibus contro - verſia, iidem decernunt praemia, poenasque conſti - tuunt. Caeſ: und die, wie wohl zu merken, von keiner hoͤhern weltlichen Macht be - ſtellet oder beſoldet wurden, indem ſie ihr geiſtliches Ober - haupt ſelbſt durch die Mehrheit der Stimmen waͤhlten, und wann die Stimmen gleich waren, zum Zeichen ihrer voͤlligen Unabhaͤngigkeit die Sache mit dem Degen ausmachten. b)Druidibus praeeſt unus qui ſummam inter eos habet autoritatem. Hoc mortuo, ſi quis ex reliquis ex - cellit dignitate ſuccedit aut ſi ſunt pares plures ſuf - fragio Druidum adlegitur. Nonnunquam etiam de principatu armis contendunt.

Dieſe Druiden, an deren Stellen von dem erſten Mo - narchen beſoldete Richter oder Grafen (comites) angeordnet wurden, moͤgen zwar auch bisweilen zwey ſtreitende Partheyen ſo auseinander geſetzt haben, daß eine gleiche Zahl von beyden Seiten erwaͤhlter Schoͤpfen, das Urtheil mit ihrem Eide oder mit ihrem Degen, oder mit Reiten zwiſchen Herford und Bielefeld haben finden muͤſſen. Allein im Grunde ſcheinen ſie vieles auch durch ihre eigne Weisheit entſchieden zu haben, indem ſie die gelehrteſten Leute ihrer Zeit waren, und uͤber 20 Jahr ſtudieren mußten. Ihre Weißheit war aber bey vorangefuͤhrten Umſtaͤnden lange nicht ſo gefaͤhrlich als die Weißheit ſolcher Richter, welche von der hoͤchſten Macht im Staate angenommen und erlaſſen werden koͤnnen. Zudem wußten ſie die große Kunſt ihre Weißheit in ein Gottesurtheil zu verhuͤllen, und die Partheyen gleichſam mit Orakeln ſchei -den.304Ueber die Art und Weiſeden. Eine Wendung, wodurch die menſchliche Eigenliebe weniger als durch menſchliche Ausſpruͤche gekraͤnket wurde.

Da ſie von keinem Regenten beſoldet wurden; und oh - ne Zweifel eben wie die Leviten keine liegende Gruͤnde erwer - ben konnten, vielleicht auch nicht heyrathen durften. c)Sie waren wenigſtens wie unſre heutigen Orden Sodali - tiis ad ſtricti conſortiis. Ammian: und erhielten ihre novitios a parentibus propinquisque. Caes. genoſſen auch einer vollkommenen Befreyung a tributis Id. So war ihre Weisheit noch einigermaßen ohne Nachtheil der Freyheit zu ertragen; wenigſtens beſſer als die von den ſpaͤtern Grafen, welche von einer hoͤhern Macht verordnet und beſoldet wur - den; jedoch aber das Urtheil nicht ſelbſt zu ſprechen, ſondern nur dasjenige zu beſtaͤtigen hatten, was ihnen von einer glei - chen Anzahl beyderſeits oder von ſaͤmtlichen Genoſſen erwaͤhl - ter Schoͤpfen zugewieſen wurde. Haͤtten die Grafen eben wie jene, Gottesurtheile finden duͤrfen: ſo waͤre ſogleich al - les was unter ihnen geſtanden, Knecht geworden.

Die Einrichtung mit den Druiden hatte indeſſen noch einen feinern Vortheil, welcher darinn beſtand, daß ſie von keiner Parthey als ungenoß angeſehen werden konnten. Das Schoͤpfenwerk hingegen bey den Deutſchen hatte die Unbe - quemlichkeit, oder wie andre denken werden, die Bequem - lichkeit, daß kein Gemeiner mit einem Edelmann unmittel - bar Proceß fuͤhren konnte. (Man muß aber hiebey wiſſen, daß alles, was wir jezt ſchatzbare Unterthanen nennen, noch in eigne Rollen oder Compagnien vertheilt war, und ſeine be - ſondren Vorſteher oder belehnte Gerichtsherrn hatte; und fer - ner, daß zur Zeit, wovon ich hier rede, unter einem Edel - manne der Hauptmann im Heerbanne verſtanden iſt.) Warei -305wie unſre Vorfahren die Proc. abgekuͤrzet haben. einem Gemeinen Unrecht wiederfahren: ſo gieng er zu ſeinem Gerichtsherrn, und nachdem die Umſtaͤnde waren, mußte die - ſer ſein beſtes Pferd tummeln und die Sache fuͤr ihn ausma - chen. Waͤre dieſe Einrichtung nicht geweſen: ſo haͤtte der Fall nothwendig oft eintreten muͤſſen, worinn Edelleute und Bauern, es ſey nun mit reiten zwiſchen Herford und Bielefeld, oder mit dem Degen gegen einander gekommen waͤren. Dieſe Un - ſchicklichkeit zu verhuͤten, war jene Einrichtung noͤthig. Die Anſtalt mit den Druiden hatte dieſe Unbequemlichkeit nicht. Der Druide konnte eben wie jezt ein gelehrter Richter ſelbſt einen Fuͤrſten und ſeine Unterthanen, wenn ſie gegen einan - der auf der Rubrik einer Schrift zu Felde ziehen, ſcheiden.

Der belehnte Richter oder der Gerichtsherr hieß Ad - vocatus, weil er die zu ſeiner Rolle gehoͤrige Leute zu Ge - richte und zu Kampfe vertheydigen mußte. Die unter ſeinen Leuten vorfallende Streitigkeiten, ſo lange ſie nicht Leib und Gut betrafen, machte er nach ihrer Weiſung ſelſt ab. So - bald es aber auf Leib und Gut ankam, mußte er bey den Galliern die Sache zu den Druiden; und ſpaͤter bey den Deutſchen zum Grafen verweiſen; eben wie jetzt noch ein Ca - pitain, oder ein Beamter dergleichen Sachen zum hoͤhern Richter verweiſen muß. Wir ſind noch jezt ſehr eifrig dar - auf, keinen Beamten einige Erkenntniß uͤber das Mein und Dein zu geſtatten, ohne uns zu erinnern, daß der Grund die - ſer Sache in den aͤlteſten Zeiten geleget worden; und ohne zu wiſſen, was das Liberty und Property der Englaͤnderd)Sie wollen damit nichts anders ſagen, als daß ihre Frey heit und ihr Eigenthum nicht von der Weisheit eines Rich - ters, ſondern von dem Erkenntniß ihrer Genoſſen ab - hange. eigentlich zu bedeuten habe.

Möſers patr. Phantaſ. I. Th. UDas306Ueber die Art und Weiſe wie unſre Vorfahren ꝛc.

Das ſonderbarſte bey dem allen iſt die Wendung, welche die Sachen genommen haben. So lange die Schoͤpfen eine ſtreitige Sache, nachdem was ihnen gemeinnuͤtzig und billig duͤnkte, entſcheiden, vergleichen oder abmachen mochten, wurde durchaus erfordert, daß ſie den Partheyen ebenbuͤrtig und genoß waren. So bald aber die Kunſt ſtreitige Sachen zu entſcheiden, ſich auf die beſte Auslegung und Anwendung der Geſetze gruͤndete, ward der gelehrteſte und redlichſte Mann fuͤr den beſten Richter gehalten; der Edelmann verlohr mit Recht ſeinen Stuhl im Gerichte, ſo bald er ſich weniger auf jene Kunſt legte.

Die gefaͤhrlichſte Wendung aber, welche wir zu befuͤrch - ten haben, iſt nun dieſe, daß ungenoſſen Richtern eben die Macht gegeben werde, welche vordem die Genoſſen hatten. Wenn dieſen, wie jenen, die Vollmacht ertheilet wird, blos nach der Billigkeit und nachdem, was ihnen Gemeinnuͤtzig oder Po - liceymaͤßig duͤnket, zu entſcheiden; wenn dieſen erlaubt wird, nach dem gewoͤhnlichen Ausdruck, mit Hindanſetzungen un - noͤthiger Formalitaͤten zu verfahren; wenn dieſe von dem duͤr - ren Buchſtaben der Geſetze nur einen Haarbreit abweichen duͤrfen: ſo beruht Freyheit und Eigenthum einzig und allein auf der Gnade des Landesherrn; ſo kann er ſolche Leute zu Richtern verſchreiben, die in dem Lande, wo ſie nach ihrer Weisheit und Billigkeit verfahren ſollen, nichts eignes haben und keinem genoß ſind; die aus der Tuͤrkey oder Tartarey zu Hauſe ſind, und es nach unverwerflichen Gruͤnden zeigen koͤn - nen, daß es vernuͤnftiger ſey, die Beinkleider als den Huth unter den Arm zu nehmen ..........

LII. 307

LII. Vorſchlag zu einer Korn-Handlungscompagnie auf der Weſer.

Es iſt eine beſondre Sache um uns arme Deutſchen; ohne Hauptſtadt ſollen wir ein eignes Nationaltheater; ohne Nationalintereſſe Patriotiſmus, und ohne ein allgemeines Oberhaupt unſern eignen Ton in der Kunſt erlangen; wir, die wir auf die Buͤhne hoͤchſtens einen Provincialnarren brin - gen; zum allgemeinen Reichsbeſten dann und wann eine gute Hausanſtalt machen; und in den Kunſtwerken ſelten mehr als eine Art von Bocksbeutel kennen, wo wir nicht Muſter in der Fremde ſuchen; und nun ſollen wir auch ſogar Handlungs - compagnien ohne Nationalunterſtuͤtzung errichten? a)Wir kommen nicht einmal zu einem rechten Nationalfluche oder Scheltworte: jede Provinz flucht und ſchimpft anders, oder verbindet mit dem Fluche oder Worte andre Begriffe; anſtatt daß ein Fluch aus Paris nicht allein in Frankreich, ſondern auch ſogar in Deutſchland in ſeinem voͤlligen Ton verſtaͤndlich iſt. Die Pariſer Galgen, Zuchthaͤuſer und Spitaͤler ſind ſo bekannt wie der Fuchs in der Fabel. Jede Allegorie, jede Alluſion, ſo auf Grubſtreet, Tyburn, Bed - lam in der Comedie gemacht wird, iſt voͤllig verſtaͤndlich und ſinnlich. Der dadurch bezeichnete Begriff koͤmmt zu einer hinlaͤnglichen Intuition; einer nenne mir aber einmal einen deutſchen Galgen, der ſo bezeichnet werden koͤnnte. Alles was bey[uns] auf die Buͤhne koͤmmt, iſt noch zur Zeit provincial; und ſo wenig Wien als Berlin und Leipzig ha - ben ihren Ton zum Nationalton erheben koͤnnen.

Nun wohl! wird mancher ſagen: ſo wollen wir die Muſik den Italiaͤnern, die Comedie den Franzoſen, und denU 2Pa -308Vorſchlag zu einer Korn-HandlungscompagniePatriotiſmus als eine Waare, die nirgends beſſer als in Eng - land bezahlt wird, den Englaͤndern uͤberlaſſen. Wir wollen nach Bremen reiſen, um den dortigen Kaufleuten den Sand in ihre Schiffe ſchieben helfen, welchen ſie fuͤr Ballaſt ein - laden; wir wollen uns von den Franzoſen zu Nantes auf die Sandberge fuͤhren laſſen, welche dort am Hafen von den Bremern wieder ausgeſchoben, und unter dem Tittel: Les produits de l’Allemangne bekannt ſind. Das wollen wir thun; Unſer Flegma ſchickt ſich zu allem, warum nicht auch hierzu?

Allein der erſte Anblick mag ſo unguͤnſtig ſeyn wie er will: ſo iſt es doch fuͤr einen ehrlichen Mann hart, dergleichen bittre Vorwuͤrfe mit Gelaſſenheit anzuhoͤren. Es iſt hart, ſich auch des Vergnuͤgens begeben zu ſollen, dann und wann ein glaͤnzendes Project zu machen. Wir wollen alſo immer - hin in unſern Forderungen gegen die deutſche Nation uner - ſchrocken fortgehen, und ſolchemnach auch eine Korn-Hand - lungscompagnie an der Weſer, da dergleichen jezt an der Elbe verſucht wird, errichten; auf dem Papier, das verſteht ſich. Solte ſie auch nur ein bloßer Treum bleiben: ſo iſt es doch angenehmer, gute als ſchreckliche Traͤume zu haben.

An der Oberweſer hoͤrt man nicht ſelten klagen, daß das Korn keinen Preis halten wolle, und im vorigen Jahre galt das hieſige Malterb)Das hieſige Malter beſteht aus 12 Scheffeln oder 11 neu Braunſchweigiſchen Himten, und der Berliner Scheffel verhaͤlt ſich gegen den hieſigen wie 5 zu 9, oder wie 40 zu 72. Rocken oberhalb Paderborn nach der Dimel zu, 4 Thaler. Der dortige Landmann ſeufzete, und verlohr den Muth zu bauen; der Acker fiel daſelbſt im Preiſe; und die durch den letztern Krieg veroͤdeten Gegenden reizten weiter keine Neubauer. Jedermann klagte dort;und309auf der Weſer. und wann gleich die unterhalb Paderborn liegenden Gegen - den von ihrem Ueberfluſſe zum erſtenmalc)Wier ziehen unſer Korn ſonſt von der Emſe; und der Preis iſt in den Gegenden, welche von der Emſe am weitſten entfernt ſind, ſonſt immer am hoͤchſten geweſen; bis auf voriges Jahr, wo aus dem Paderbornſchen vieles Korn heruͤber gekommen. einiges Korn auf der Achſe in unſre Heidlaͤnder brachten: ſo machte doch ſolches keine merkliche Veraͤnderung des Preiſes in den Gegenden an der Dimel.

Warum, hieß es damals, ſchicken dieſe Gegenden ihr uͤberfluͤßiges Korn nicht nach Bremen? Wohin ſo vieles aus Polen und Liefland eingefuͤhrt wird? und der Preis doch noch immer ſo hoch bleibt, als es billiger Weiſe zu erwarten ſteht? Haben Sie nicht die Weſer bey Beverungen und andern Orten in der Naͤhe? Fehlt es ihnen an Fuhrwerk oder an Einſicht? oder ſind ſonſt Schwierigkeiten vorhanden, welche ſich dieſem natuͤrlichen Abfluſſe widerſetzen?

Dies war nun gut genug gefragt; aber es brauchte kei - ner andern Antwort, als: Die Bremer kaufen kein Korn. Und ſo war alle Ausſicht von dieſer Seite verlohren. Man fragte nun nicht weiter; ſondern erwartete in ruhiger Ver - zweiflung, ob die Zeit Kaͤufer oder Wuͤrmer zu dem uͤber - fluͤßigen Seegen bringen wuͤrde? Haͤtte man ſich aber nach der Urſache, warum die Bremer kein Korn kaufen, erkundi - get: ſo wuͤrde man naͤher zur Sache gekommen ſeyn.

In allen Seeſtaͤdten von England und Frankreich, wor - aus das mehrſte Korn verfuͤhret wird, ſteckt kein Handels - mann ſein Geld in Korn; ſondern denkt, 〟die guten Hausvaͤter auf dem platten Lande muͤſſen ihr 〟Korn wohl zur Stadt ſchicken, wenn ſie es los ſeyn wollen;U 3〟ſie310Vorſchlag zu einer Korn-Handlungscompagnie〟ſie koͤnnen unſre Boden heuren und die Proben von 〟ihrem Korn dem Maͤkeler geben. Erhalten wir denn 〟einmal Ordre, aus der Fremde Korn zu verſenden; 〟und mit der Ordre die baare Remeſſe: nun ſo ſchicken 〟wir zu den Maͤkelern, vernehmen ihre Preiſe, und 〟laſſen dieſe, wenn wir einig werden, fuͤr die Einladung 〟ſorgen. Von dieſer Handlung haben wir kein Riſico; 〟wir ziehen unſre Bodenheuer, unſre Proviſion, und 〟was wir auf dem Wechſel verdienen. Was am Korn 〟verdorben, und was davon verlohren oder gewonnen 〟wird, das iſt fuͤr den guten Hausvater.

So ſprechen alle Kaufleute in den Seeſtaͤdten; und ſo ſprechen auch die Bremer; mithin bleibt allen Kornlaͤndern, und uͤberhaupt allen geſegneten Gegenden, welchen ihre Pro - ducte leicht zur Laſt bleiben, kein ander Mittel uͤbrig, als Boden in den Seeſtaͤdten zu heuren, dort ihr Korn fuͤr eigne Rechnung aufzuſchuͤtten, die Proben davon auf der Boͤrſe zu zeigen, und zu erwarten, bis der Commißionair in der See - ſtadt Ordre erhaͤlt, Korn einſchiffen zu laſſen, oder aber ein anderer Kaufmann ſein Geld oder ſein Schiff nicht zu nutzen weis, und es auf Speculation verſchickt.

Iſt alſo nur die Hauptfrage entſchieden: ob von einem Seeorte Korn ausgefuͤhret wird; und dies kann man von Bremen behaupten, weil das Lieflaͤndiſche und Polniſche Korn, was dort jaͤhrlich aufgeſchuͤttet wird, noch niemals dort verfaulet iſt: ſo kommt es lediglich noch darauf an, ob die Laͤnder, welche ihr Korn dahin verſchicken wollen, den Markt gegen das Schiffkorn halten koͤnnen; und hiernaͤchſt, ob ſie fuͤr eigne Rechnung Niederlagen von Korn daſelbſt an - legen wollen? Das erſte, nemlich daß die Gegenden an der Oberweſer, beſonders wenn der Ackerbau daſelbſt durch denver -311auf der Weſer. vermehrten Abſatz in die Hoͤhe ſteigt, den Markt gegen das Schiffkorn halten koͤnnen, iſt nach demjenigen was bereits an - gefuͤhret worden, glaublich; das andre aber erfordert eine Compagnie, oder einen großen Beutel. Denn wenn einzelne Landleute, einzelne Paͤchter ihren Vorrath dahin abſchicken wollten: ſo wuͤrden ſie

  • a) jeder einen beſondern Boden heuren.
  • b) Beſondre Leute zur Aufſicht und zum Umſchlagen halten.
  • c) Unterſchiedene Maͤkeler brauchen, und
  • d) entweder aus Verlegenheit unter Preiſe verkaufen; oder
  • e) ſich untereinander den Handel verderben; und her - nach einzeln zu Grunde gehen; anſtatt, daß wenn eine Com - pagnie oder eine maͤchtige Hand die Niederlage in Bremen haͤlt, alle dieſe Schwierigkeiten wegfallen; uͤberdem aber noch verſchiedene Punkte mit der Obrigkeit wegen beeydeter Meſ - ſer, Probierer, Handelsrichter und dergleichen regulirt wer - den koͤnnen, welche einzelne Leute ſelten ſuchen und erlangen, gleichwol aber zu Vermeidung aller Streitigkeiten mit den Commißionairs, und zu Erhaltung Treu und Glaubens un - umgaͤnglich erfordert werden, auch uͤberall in den Seeſtaͤdten, wo Korn ausgefuͤhret wird, in Gebrauch ſind.

Es iſt aber auch nicht durchaus noͤthig, daß der ganze Vorrath der Compagnie in Bremen aufgeſchuͤttet werde. Wenn ſie maͤchtig genug iſt: ſo wird ſie an allen Stapelorten an der Weſer ihre Niederlagen errichten, und daraus immer, ſo wie ihr Hauptmagazin in Bremen ausgeleerer wird, ſol - ches wieder anfuͤllen koͤnnen. Durch dieſe Vorſorge bleibt der Vorrath in den Stapelorten gewiſſermaßen auch zugleich ein eignes Landesmagazin, deſſen man ſich in Zeit der Noth ſelbſtU 4be -312Vorſchlag zu einer Korn-Handlungscompagniebedient. Man uͤberhaͤuft den Seeort nicht zu ſehr, und ſetzt ſich nicht in Gefahr, das Opfer laurender Speculatorn zu wer - den. Die Bodenheuer und das Handlohn muß in den Sta - pelorten wohlfeiler ſeyn als in dem Seeorte; und wenn es allmaͤhlig nach letztern abgeht: ſo kann es gelegentlich und als Ruͤckfracht auch zur bequemſten Jahrszeit, und wenn die Schiffer ſonſt nicht zu laden haben, fortgeſchaffet werden. Aller dieſer Vortheile kann eine Compagnie ſich bedienen; nie aber ein einzelner Paͤchter, wofern er nicht mehr im Vermoͤ - gen hat, als er in jenen Gegenden zu haben pflegt. Eine Compagnie kann auch ehender die Correſpondenz mit benach - barten wegen der Zoͤlle des Stapelrechts und andern Dingen ausfuͤhren, daruͤber einen Generalaccord ſchlieſſen, und ſich zu gewiſſen Bedingungen einlaſſen, welche ein einzelner Mann nicht leicht; jene aber, da ſie den beyderſeitigen Vortheil da - von zeigen kann, mehrentheils leicht zu erhalten im Stande iſt.

Um nun auch hievon eine Anwendung auf unſer Stift zu machen: ſo werden wir, wenn von der Weſer das Korn auſſerhalb Reichs verfahren wird, nicht zu beſorgen haben, daß die Menge von Kornwagen, welche aus den Gegenden von der Weſer kommen, uns unſre lieben gewohnten theuren Preiſe verderben; beſonders wann auf dem naͤchſten Reichs - tage durch Gottes ſonderbare Fuͤgung eine Praͤmie auf die Ausfuhr geſetzt wuͤrde; welche die Boͤhmen mit Vergnuͤgen allein bezahlen wuͤrden, ſobald der Abzug aus der Elbe und Weſer die ober - und niederſaͤchſiſchen Gegenden von ihrem Ueberfluß entladen, und ſo mit die jetzigen Sperrungen gegen das fruchtbare Boͤhmen unnoͤthig machen koͤnnten. Aber ſo muß der Ueberfluß in der Mitte von Deutſchland unverkauft liegen, waͤhrender Zeit Hamburg und Bremen den Polen und Ruſſen dienen. Sollte das Heil. Roͤm. Reich nicht wenig -ſtens313auf der Weſer. ſtens zu gewiſſen Zeiten die Einfuhr verbieten? und ſich uͤber die Ausfuhr verſtehen?

LIII. Von dem unterſchiedenen Intereſſe, welches die Landesherrn von Zeit zu Zeit an ihren Staͤdten genommen haben.

Die Staͤdte ſind zuerſt Doͤrfer und in ſolcher Maaße meh - rentheils den Reichs Unterbeamten (advocatis) unter - worfen geweſen. Wo aber ein Biſchof, Herzog oder Pfalz - graf ſeinen Sitz in einem ſolchem Dorfe hatte; ſtund der - ſelbe ihm gegen jene Unterbeamte fruͤhzeitig bey und machte, daß der Kayſer eins nach dem andern von ſolcher Botmaͤßig - keit befreyete. Daher findet man in den mehrſten Staͤdtiſchen Privilegien, daß ſolche auf das Vorwort gedachter Reichs - Oberbeamte vom Kaiſer ertheilet worden. Andre, worinn die Kaiſer ſelbſt ihren Sitz hatten, bedienten ſich ebenfalls der Gelegenheit, ſich den Unterbeamten zu entziehen, und unter des Kaiſers unmittelbaren Schutz zu kommen.

Gegen das Ende des zwoͤlften Jahrhunderts hatten die Herzoge, Biſchoͤfe Pfalzgrafen und andre miſſi, die in ihren Sprengeln gelegene Unterbeamte mehrentheils verſchlungen; und die Vereinigung des Oberamts mit dem Unteramte brach - te ein ganz neues Intereſſe hervor. Jenen Fuͤrſten war nun mit der Freyheit der Staͤdte gar nichts mehr gedienet. Sie wuͤnſchten ſolche wo nicht ihrem Unteramte, doch wenigſtens ihrem Oberamte zu unterwerfen. Allein die Staͤdte, ſo durch den Vorſchub der Fuͤrſten ſelbſt das Recht zu Mauern undU 5Waͤl -314Von dem verſch. Intereſſe, welches die Landesh. Waͤllen, und die Macht ſich hinter denſelben zu wehren, erhal - ten hatten, auch mit ihrem durch die Handlung erworbenen Gelde am weiteſten reichen konnten; bedienten ſich der ihnen ertheilten Freyheiten gegen ihre ehmaligen Befoͤrderer, ver - einigten ſich untereinander, und ſetzten dem Oberamte eben die Privilegien entgegen, welche ihnen ehedem gegen das Un - teramt waren ertheilet worden.

Der roͤmiſche Koͤnig Henrich, verbot zwar hierauf auf Begehren der Reichsfuͤrſten alle dergleichen Vereinigungen,*)Ipſi (ſcilicet principes) ſententiantes pronunciando diffinierunt: Quod nulla civitas, nullum oppidum, communiones, conſtitutiones, colligationes, con - fœderationes vel conjurationes aliquas quocunque nomine cenſeantur facere poſſent. Conſtit. regis Henrici de 1231. und der Kaiſer Friederich der II. gieng in der bekannten Con - ſtitution vom Jahr 1232. noch weiter, indem er die Staͤdte namentlich dem Reichsfuͤrſtlichen Oberamte unterwarf,**)Die Conſtitution geht zwar eigentlich nur auf die Erz - und Biſchoͤflichen Staͤdte. Der Grund derſelben ſpricht aber ſowol fuͤr die miſſos imperatorios ſæculares als eccleſiaſticos; wenn es heißt: Sicut enim tempori - bus retroactis ordinatio civitatum & bonorum omnium, quæ ab imperiali celſitudine conferuntur ad archiepiſcopos & epiſcopos (hier muß man noth - wendig hinzudenken, qua miſſos Cæſareos, folglich auch die duces & comites palatinos qua miſſos mit verſte - hen) pertinebat; ſie eandem ordinationem ad ipſos & eorum officiales, ab eis ſpecialiter inſtitutos per - petuo volumus permanere, non ob ſtante abuſu aliquo mit -315von Zeit zu Zeit an ihren St. genommen haben. mithin dieſelben dadurch an der Befugniß ſich mit andern ih - res Gleichen zuſammen zu thun, zu verhindern ſuchte.

Der große Staͤdtebund oder die bekannte Hanſe kam aber dem ungeachtet um dieſe Zeit zu Stande, es ſey nun, daß der Kaiſer, welcher den Fuͤrſten zu gefallen, jene Verordnun - gen gogen das wahre Staatsintereſſe, gegeben, ſolche fuͤr ein - ſeitig erſchlichen achtete und den Bund unter der Hand beguͤn - ſtigte, oder auch nicht maͤchtig genug war, denſelben zu ver - hindern.

Es fiel aber auch dieſer Bund; wovon wir die Urſachen anderwaͤrts angezeigt haben; und die getrenneten Staͤdte wur - den einzeln den Herrn des Landes, worinn ſie lagen, unter - worfen. Ihre eigne Macht half ihnen nicht weiter, und die Reichsgerichtliche Unterſtuͤtzung lenkte auf den Plan ein, wel - chen die vorangezogenen Reichsconſtitutionen mit dunkeln Stri - chen entworfen hatten; unſtreitig von Rechtswegen, jedoch nach einem Rechte, welches die Fuͤrſten dem Kaiſer ſelbſt zu - gewieſen hatten; insbeſondre aber auch von Villigkeitswegen, indem die Staͤdte nicht fordern mochten, daß diejenige, ſo die ganze kaiſerliche Gewalt in ihren Sprengeln oder Ober - Amtsdiſtrikten an ſich gebracht hatten, und mit einer einzigen Petarde das ſtaͤrkſte Stadtthor ſprengen konnten, ſich dieſer ihnen von Gott verliehenen Macht nicht auch gegen ſie nach Gelegenheit bedienen ſollten.

Dieſem ungeachtet, ſahen die Fuͤrſten ihre Staͤdte noch immer mit heimlichen Unwillen an. Denn obgleich dieſe vor und nach, wenn es an Gelde gebrach, angewieſen wur - den, ihrem nunmehrigen Landesherrn zu den gegen den grau - ſamen Erbfeind des chriſtlichen und deutſchen Namens bewil - ligten Steuren und Kriegesvoͤlkern zu Huͤlfe zu kommen: ſobe -316Von dem unterſch. Intereſſe, welches die Landesh. behielten ſie doch das uͤbrige, was ſie nicht freywillig weg - ſchenkten, fuͤr ſich, und dachten noch wohl gar daran, eine neue Confoͤderation zu entrichten. Denn ſo ſchreibt Joh. Ol. Seck aus Braunſchweig in einem uns kuͤrzlich mitgetheilten Briefe:

Sonſten verhalte Deroſelben ich hiemit zu E. E. neuer Zeitung nicht, daß nicht allein die allhie juͤngſt anwe - ſende, ſondern auch viel andre Hanſeſtette mehr die Con - foͤderation mit den Hochmoͤgenden Herrn Staaten Ge - neral der vereinigten freyen Niederlande einzugehen ſich pure erklaͤret, auch guten Theils uf billige uud rechtmaͤſ - ſige Conditiones albereitz, jedoch uf Radification ein - gelaſſen haben. Da irgends die civitates Hanſeaticae in circulo Weſtphaliae auch dazu geneigt ſeyn moͤch - ten, koͤnnen dieſelben aequiſſimis et a nemine impro - bandis conditionibus dazu gelangen. Den 8 Jan. 1608. ſt. v. *)S. der Oßnabr. Unterhaltungen drittes Stuͤck. n. 46. p. 43 ()

Dieſer bey geſunden Verſtande und ſchwachen Leibe er - klaͤrte letzte Wille blieb aber unerfuͤllet. Doch veraͤnderte ſich das Intereſſe der Landesherrn in Anſehung der ihrem Reichs - fuͤrſtlichen Amte, oder wie es jezt heißt, der Territorialhoheit unterworfenen Staͤdte gar bald wieder, indem dieſe

  • 1) Demſelben entweder zu Ausfuͤhrung der gen inen Landes: Beſchwerden mit einem freywilligen Beytrage jaͤhrlich zu Huͤlfe kamen; oder
  • 2) mit demſelben, die in den Staͤdten fallende Acciſe ein vor allemal theileten; oder gar demſelben
3) die217von Zeit zu Zeit an ihren St. genommen haben.
  • 3) die ganze Acciſe uͤberließen, und die Stadtbeſchwer - den von ihren uͤbrigen Einkuͤnften und einer buͤrgerlichen Schatzung trugen.

Die Folge davon iſt natuͤrlicher Weiſe geweſen, daß die Landesherrn den Handel und das Handwerk ſo viel wie moͤglich vom platten Lande in die Stadt gezwungen; und ſich der Staͤdte als eines nunmehrigen Cameralgutes angenommen haben; anſtart daß uͤberall, wo ſich keiner von obigen dreyen Faͤllen eraͤuget, das Landesherrliche Intereſſe ſich dem Staͤdti - ſchen widerſetzt, und die Stadtnahrung dem Lande eroͤfnet hat. Die Landleute waren in den aͤltern Zeiten eben ſo frey als die Staͤdte. Jene dienten zu Felde; dieſe zur Beſatzung hinter den Mauren; und beyde ſteuerten zur Tuͤrkenhuͤlfe und andern dergleichen Reichsbeſchwerden. Jene haben ſich endlich wegen des Felddienſtes mit dem Landesherrn verglichen, und ihm dafuͤr jaͤhrlich ſichere Beyſteuern verwilliget. Dieſe haben zum Theil, in ſo fern ſie ſich zu obigen dreyen Faͤllen verſtan - den haben, ein gleiches gethan; und wo ſie es nicht gethan, da zeigt ſich ein widriges Intereſſe.

LIIII. Der hohe Styl der Kunſt unter den Deutſchen.

Die Zeiten des Fauſtrechts in Deutſchland ſcheinen mir allemal diejenigen geweſen zu ſeyn, worinn unſre Nation das groͤßte Gefuͤhl der Ehre, die mehrſte koͤrperliche Tugend, und eine eigne Nationalgroͤße gezeiget hat. Die feigen Ge - ſchichtſchreiber hinter den Kloſtermauren, und die bequemenGe -218Der hohe Styl der KunſtGelehrten in Schlafmuͤtzen moͤgen ſie noch ſo ſehr verachten und verſchreyen: ſo muß doch jeder Kenner das Fauſtrecht des 12ten und 13ten Jahrhunderts als ein Kunſtwerk des hoͤchſten Styls bewundern; und unſre Nation, die anfangs keine Staͤdte duldete, und hernach das buͤrgerliche Leben mit eben dem Auge anſahe, womit wir jezt ein flaͤmiſches Stilleleben betrachten; die folglich auch keine große Werke der bildenden Kuͤnſte hervorbringen konnte, und ſolche vielleicht von ihrer Hoͤhe als kleine Fertigkeiten der Handwerker bewunderte, ſolte billig dieſe große Periode ſtudiren, und das Genie und den Geiſt kennen lernen, welcher nicht in Stein und Marmor, ſondern am Menſchen ſelbſt arbeitete, und ſo wohl ſeine Em - pfindungen als ſeine Staͤrke auf eine Art veredelte, wovon wir uns jezt kaum Begriffe machen koͤnnen. Die einzelnen Rau - bereyen, welche zufaͤlliger Weiſe dabey unterliefen, ſind nichts in Vergleichung der Verwuͤſtungen, ſo unſre heutigen Kriege anrichten. Die Sorgfalt, womit jene von den Schriftſtellern bemerkt ſind, zeugt von ihrer Seltenheit; und die gewoͤhn - liche Beſchuldigung, daß in den Zeiten des Fauſtrechts alle andre Rechte verletzt und verdunkelt worden, iſt ſicher falſch, wenigſtens noch zur Zeit unerwieſen, und eine Ausflucht ein - ander nachſchreibender Gelehrten, welche die Privatrechte der damaligen Zeit nicht aufſpuͤren wollen. Es werden jezt in ei - nem Feldzuge mehrere Menſchen ungluͤcklich gemacht, als da - mals in einem ganzen Jahrhundert. Die Menge der Uebel macht, daß der heutige Geſchichtſchreiber ihrer nicht einmal gedenkt; und das Kriegsrecht der jetzigen Zeit beſtehet in dem Willen des ſtaͤrkſten. Unſre ganze Kriegesverfaſſung laͤßt keiner perſoͤnlichen Tapferkeit Raum; Es ſind geſchleuderte Maßen ohne Seele, welche das Schickſal der Voͤlker entſchei - den; und der ungeſchickteſte Menſch, welcher nur ſeine Stelle wohl ausfuͤllt, hat eben den Antheil am Siege, welchen deredel -219unter den Deutſchen. edelſte Muth daran haben kann. Eine einfoͤrmige Uebung und ein einziger allgemeiner Charakter bezeichnet das Heer; und Homer ſelbſt wuͤrde nicht im Stande ſeyn, drey Perſonen daraus in ihrem eignen Charakter handeln oder ſtreiten zu laſſen.

Eine ſolche Verfaſſung muß nothwendig alle individuelle Mannigfaltigkeit und Vollkommenheit, welche doch einzig und allein eine Nation groß machen kann, unterdruͤcken. Sie muß, wie ſie auch wuͤrklich thut, wenig jugendliche Uebung erfordern, nicht den geringſten Wetteifer reizen und die Fuß - maaße zur Berechnung der Talente gebrauchen. Aber auf dieſem Wege kann unſre Nation nie zu der Groͤße gelangen, welche die Natur fuͤr ſie allein zu beſtimmen ſchien, als ſie den allmaͤhlig ausartenden Buͤrgern der Griechiſchen und Roͤ - miſchen Staͤdte den Meißel und Pinſel in die Hand gab.

Ich will jezt der Turnire nicht gedenken, welche als nothwendige Uebungen mit dem ehmaligen Fauſtrechte ver - knuͤpft waren, ohnerachtet ihre Einrichtung den Geiſt von mehr als einen Lycurg zeigt; und alles dasjenige weit hinter ſich zuruͤck laͤßt, was die Spartaner zur Bildung ihrer Jugend und ihrer Krieger eingefuͤhret hatten; ich will die Vortheile nicht ausfuͤhren, welche eine wahre Tapferkeit, ein beſtaͤndi - ger Wetteifer, und ein hohes Gefuͤhl der Ehre, das wir jezt zu unſer Schande abentheuerlich finden, nachdem wir uns auch ſelbſt in unſer Einbildung nicht mehr zu den ritterlichen Sitten der alten Zeiten hinaufſchwingen koͤnnen, auf eine ganze Nation verbreiten mußten. Ich will nichts davon er - wehnen, wie gemein die großen Thaten ſeyn mußten, da die Dichter das Reich der Ungeheuer und Drachen als die unterſte Stuffe betrachteten, worauf ſie ihren idealiſchen Helden Proben ihres Muths ablegen lieſſen. Nein, meine Abſicht iſt blos die Vollkommenheit des Fauſtrechts, als eines ehmaligenKrie -320Der hohe Styl der KunſtKriegesrechts zu zeigen; und wie wenig wir Urſache haben, daſſelbe als das Werk barbariſcher Voͤlker zu betrachten.

Rouſſeau mag noch ſo ſehr getadelt werden: ſo bleibt die Staͤrke und die Wiſſenſchaft, ſolche zu gebrauchen, doch alle - mal ein weſentlicher Vorzug. Unſre neuern Geſetzgeber moͤgen dem Menſchen Haͤnde und Fuͤſſe binden; ſie moͤgen ihm Schwerdt und Rad vormahlen; er wird ſeine Kraft allemal gegen ſeinen Feind verſuchen, ſo oft er beleidigt wird. Unſre Vorfahren wagten es nicht, dieſes angebohrne Recht zu unter - druͤcken. Sie goͤnneten ihm ſeinen Lauf; aber ſie lenkten es durch Geſetze. Und das Fauſtrecht war das Recht des Pri - vatkrieges unter der Auſſicht der Land-Friedensrichter.

Die Landfrieden, welche in Pohlen Confoͤderations heiſſen, waren eine Vereinigung mehrer Maͤchte, um die Ge - ſetze des Privatkrieges in Anſehen und Ausuͤbung zu erhalten. Der Pflug war geheiligt; der Landmann in ſeinen Zaͤunen, wenn er keinen Angriff daraus that; und der Fuhrmann auf der Heerſtraſſe, er mochte geladen haben was er wollte, wa - ren gegen alle Gewalt geſichert. Die kriegenden Theile durften im hoͤchſten Nothfalle nicht mehr Fourage vom Felde nehmen, als ſie mit der Lanze von der Heerſtraſſe erreichen konnten. Renten und Guͤlten wurden durch den Krieg nicht aufgehoben. Keiner durfte ſeine Bauern bewafnen und als Helfer gebrau - chen; keiner durſte an gefriedigten Tagena)In dem erſten weſtphaͤliſchen Landfrieden, oder den ſtatutis Synodalibus Concilii Colonienſis de pace publica vom Jahr 1083 heißt es: a primo die adventus domini usque ad exactum diem epiphaniae, et ab intrante Septuageſima usque in octavas pentecoſtes, et per totam illam diem, et per annum omni die Domi -nica, Waffen fuͤhren. Die321unter den Deutſchen. Die Partheyen mußten einander die Wiederſage oder die Befehdung eine genugſame Zeit vorher verkuͤndigen, und wenn ſie ſolches gethan hatten, ſo ordentlich und ruhig die Heerſtraſſe ziehen, als andre Reiſende, wofern ſie ſich nicht den ganzen Landfrieden und deſſen Handhaber auf den Hals ziehen wollten. Da ſie ſolchergeſtalt nicht oft mit großen Laͤgern zu Felde zogen, ſo brauchten ſie die Fluren nicht zu verderben, die Waͤlder nicht auszuhauen, die Laͤnder nicht auszuhungern; und wenn es zum Treffen kam: ſo entſchied perſoͤnliche Staͤrke, Muth und Geſchicklichkeit.

Der Land-Friedensoberſte, welcher in Pohlen der Confoͤderationsmarſchall heißt, ward von den Verbuͤndeten erwaͤhlt, und vom Kaiſer, ehe dieſe Confoͤderations zu maͤchtig wurden, beſtaͤtigt. b)S. den Egriſchen Landfrieden vom Jahr 1389.Deſſen Amt und Gerichte, vor welchem die kriegenden Theile ihre Befehdungen gegen einander zum Protocoll nehmen lieſſen, war denjenigen, welche gegen die Kriegesgeſetze behandelt wurden, ein ſicherer Schutz.

Solchergeſtalt kann man behaupten, daß das ehmalige Fauſtrecht weit ſyſtematiſcher, und vernuͤnftiger geweſen, alsunſera)nica, feriaque VI. et in Sabbatho addita quatuor temporum feria IIIIor omnique apoſtolorum vi - gilia cum die ſubſecuta, inſuper omni die canonice ad jejunandum vel feriandum ſtatuta vel ſtatuenda hoc pacis decretum teneatur. Selbſt in Belagerungen wurde dieſe Tage uͤber eingehalten, und man vermehrte die Feſte, um ſo viel mehr Friedenstage zu haben. Es hat uͤbrigens dieſer bis dato noch nicht bekannt gemachte Landfrieden viel aͤhnliches mit dem beym Chapeau - ville in hiſt. Leod. T. II. p. 38. Dieſer ganze Synodus Colonienſis iſt den Gelehrten, und ſelbſt dem fleißigen Pater Hartzheim S. J. entgangen.Möſers patr. Phantaſ. I. Th. X322Der hohe Stil der Kunſtunſer heutiges Voͤlkerrecht, welches ein muͤßiger Mann ent - wirft, der Soldat nicht ließt, und der Staͤrkſte verlacht. Die mehrſten heutigen Kriegesurſachen ſind Beleidigungen. welche insgemein eine einzige Perſon treffen; oder Forderun - gen, ſo eine einzelne Perſon zu machen berechtiget iſt; und woran Millionen Menſchen Theil nehmen muͤſſen, die, wenn es auch noch ſo gluͤcklich geht, nicht den geringſten Vortheil davon haben. In einem ſolchen Falle haͤtten unſere Vorfah - ren beyde Theile eine ſcharfe Lanze gegen einander brechen laſſen, und dann demjenigen Recht gegeben, welchem Gott den Sieg verliehen hatte. Nach ihrer Meynung war der Krieg ein Gottesurtheil oder die hoͤchſte Entſcheidung zwiſchen Partheyen, welche ſich keinem Richter unterwerfen wollten. Urlog war die Entſcheidung der Waffen; wie Urtheil die Ent - ſcheidung des Richters. Und es duͤnkte ihnen weit vernuͤnf - tiger, billiger und chriſtlicher zu ſeyn, daß einzelne Ritter ein Gottesurtheil mit dem Schwerdte oder mit dem Speere ſuch - ten, als daß hunderttauſend Menſchen von ihrem Schoͤpfer bitten, daß er ſein Urtheil fuͤr denjenigen geben ſolle, welcher dem andern Theile die mehrſten erſchlagen hat.

Nun laͤßt ſich zwar freylich das alte Recht nicht wieder einfuͤhren, weil keine Macht dazu im Stande iſt. Es darf uns aber dieſes nicht abhalten, die Zeiten gluͤcklich zu preiſen, wo das Fauſtrecht ordentlich verfaſſet war; wo die Landfrie - den oder Confoͤderations ſolches aufs genaueſte handhabeten, und in einem Krieg nicht mehrere verwickelt werden konnten, als daran freywillig Theil nehmen wollten; wo die Nation einem ſolchen Privatkriege ruhig zuſehen; und dem Sieger Kraͤnze winden konnte, ohne Pluͤnderungen und Gewalttha - ten zu beſorgen.

Unſre Vorfahren glaubten, jedem Menſchen komme das Recht des Krieges zu; und auch noch jezt koͤnnen wir nichtan -323unter den Deutſchen. anders ſagen, als daß es einem jeden Menſchen frey ſtehe, ſich von dem richterlichen Urtheil auf ſeine Fauſt zu berufen. Er hangt oder wird gehangen, nachdem er oder der Richter der ſtaͤrkſte iſt. Wir haben aber dadurch, daß immer der ſtaͤrkere Theil auf der Seite des Richters iſt, die Ausuͤbung dieſes Rechts beynahe unmoͤglich gemacht. Anſtatt daß unſre Vorfahren, wie ſie zuerſt Confoͤderations errichteten, deſſen Ausuͤbung beguͤnſtigten und ſich in vielen Reichslaͤndern nur dahin erklaͤreten:

〟Daß ſie die Entſcheidung ihres erwaͤhlten Richters 〟zwey Monat erwarten, und wenn dieſe Entſcheidung 〟nicht erfolgte, ſich ihres Degens bedienen wollten. ()

So lauten alle Vereinigungsformeln der ſaͤchſiſchen Staaten; nur kam es doch zulezt ſelten mehr zum Ausbruch, indem der Herzog, Biſchof oder Graf, ſo bald die zwey Mo - nate um waren, einen andern Termin von zween Monaten zu neuen Unterhandlungen anſetzte, und damit den Rechts - handel zum Nachtheil des Fauſthandels verewigte.

LV. Von dem Urſprung der Amazonen.

Eine ganze Republik von Frauenzimmern, worinn kein Mann zugelaſſen wurde, mußte natuͤrlicher Weiſe ſehr vielen Laͤrm in der Welt machen. Und die Dichter konnten unmoͤglich einen Fund ungenutzet laſſen, welcher ihrer Einbil - dungskraft ein ganz vortrefliches Feld eroͤfnete. Es iſt alſo gar kein Wunder, daß die Geſchichte der Amazonen, nachdem ein witziger Kopf ſolche erfunden, ein Dichter ſie geſchmuͤckt, und ein Geſchichtſchreiber ſie als etwas vielleicht gewiſſes viel -X 2leicht324Von dem Urſprung der Amazonen. leicht ungewiſſes angefuͤhret hatte, ſich bis zu unſern Zeiten erhalten, und durch die vor einiger Zeit uͤbliche halbmaͤnnliche Tracht allen Menſchen bekannt gemacht hat. In der That aber bedeutet A30 primorem oder einen Fuͤrſten; und Amazo bezeichnet einen Menſchen, der keinen Fuͤrſten uͤber ſich er - kennet, und entweder wie die Nomaden unabhaͤngig fuͤr ſich, oder wenigſtens in einer Demokratie lebt. Nun hat das Wort A30 wahrſcheinlich eben die Veraͤnderung erlitten, welche das Wort Mann erlitten hat. Dieſes bedeutet nicht blos ei - nen Menſchen maͤnnliches Geſchlechts, ſondern auch einen Vaſallen; und konnte zuerſt, da der Koͤnig der erſte war, wel - cher Vaſallen hielt, den primoribus regni eigen ſeyn. Nach dieſer Vorausſetzung brauchte der erſte Geſchichtſchreiber, wel - cher der Amazonen gedachte, die Begriffe nur zu verwechſeln, um eine Republik ohne Maͤnner herauszubringen. Wir be - gehen taͤglich dieſelbe Verwechſelung, wenn wir Mannlehn fuͤr ſolche Lehne halten, welche blos auf die Soͤhne vererben; da doch ein Frauenzimmer gar wohl ein Mann ſeyn, oder welches einerley iſt, ein Lehn als Mann oder Dienſtmann, oder a titre d’hommage empfangen kann. Männliches Ge - ſchlecht iſt genus miniſteriale; das letztere kann man nicht wohl anders uͤberſetzen, und daher ſind viele Frauenzimmer in Deutſchland männlichen Geſchlechts. Daß dergleichen Verwechſelungen mehr vorgegangen, beweiſen die Arimaſpen, woraus die Griechen einaͤugige Menſchen machten, weil Ari - ma-ſpu (ops) einaͤugig heiſſen kann. So wie nun dieſen die boͤſe Etymologie ein Auge geraubt hat; ſo hat ſie den Ama - zonen mehrer Bequemlichkeit halben eine Bruſt abgeſchnitten.

LVI. 325

LVI. Kurze Geſchichte der Bauerhoͤfe.

Da unlaͤngſt die Frage aufgeworfen iſt:

Ob es nicht gut ſeyn wuͤrde, die ungewiſſen Eigenthums - Gefaͤlle, auf ein gewiſſes Jahrgeld zu ſetzen?

So wird es zu einiger Vorbereitung, ſo wie zur beſſern Beſtimmung verſchiedener Begriffe dienen, wenn wir die Natur der Bauerhoͤfe und ihrer Pflichten etwas genauer unterſuchen, und in ihr wahres Licht ſetzen. Es wird ſolches aber nicht beſſer, als durch folgende kurze Geſchichte geſchehen koͤnnen.

In Oſtfriesland, nicht weit von der Jade, wo man die Thuͤrme verſunkener Staͤdte noch in der Tiefe des Meers er - blickt, lagen vor undenklichen Jahren tauſend Baue oder Hoͤfe, welche ehe und bevor die See einbrach und das Meer die Kuͤ - ſten beſtuͤrmte, tauſend unabhaͤngigen Eigenthuͤmern zugehoͤ - reten, die davon keinem ſterblichen Menſchen den geringſten Zins entrichteten. Wie aber die See einbrach, und faſt alle ihre Nachbaren in den Abgrund ſpuͤlte, ſahen ſie ſich gezwun - gen, einen Teich oder Damm gegen das Meer anzulegen und ein Geſetza)Es iſt unbegreiflich, wie verſchiedene die Richtigkeit der Theo - rie, daß freye Eigenthuͤmer bey ihrer Verbindung einen gewiſſen Theil ihrer Freyheit und ihres Eigenthums auf - opfern, in Zweifel ziehen koͤnnen. Eine ausdruͤckliche Ver - bindung iſt daruͤber wohl nie gemacht: ſie fließt aber alle - mahl aus der Natur der Sache, und giebt den ſicherſten Grundſatz. zu machen:

X 3Daß326Kurze Geſchichte der Bauerhoͤfe. Daß ein jeder von ihnen taͤglich mit der Spade in der Hand auf dem Deiche erſcheinen, oder aber wenn er nicht mehr koͤnnte, ſein Eigenthum verlaſſen und ſeinen Hof einem andern uͤbergeben ſolte. ()

Dies war eine Pflicht, welche ihnen die Noth auflegte; und die ſonderbare aber unvermeidliche Folge davon war, daß ſofort das Meer - Guts - oder Lehnsherr aller Hoͤfe und ein jeder Eigenthuͤmer in einen bloſſen Bauer (cultorem) verwandelt wurde.

Denn von nun an durfte

  • 1) keiner von ihnen ſein Gut mit Schulden beſchweren, verſaͤumen oder verſplittern, weil ſonſt die gemeine Noth - durft nicht mehr davon erfolgen konnte. Man zwang ſogar den geweſenen Eigenthuͤmer ſein Spann - und Fuhr - werk in guter Ordnung zu erhalten, damit er jederzeit im Stande waͤre, Erde zum Deiche zu fahren. Ja, weil viele Eichenpfaͤle erfordert wurden: ſo wurde ihm vom Meere als Gutsherrn verboten, Eichenholz nach Belieben zu hauen.
  • 2) Zeigte ihnen die Erfahrung, daß wann ſie ihre Knechte an den Deich ſchickten, die Arbeit ſchlecht von ſtatten gienge, und nichts dauerhaft gemacht wuͤrde. Sie mußten alſo perſoͤnlich arbeiten, und aus dem Spaden - dienſt einen Ehrendienſt machen, worauf niemand weiter einen Knecht zum gemeinen Werke ſchicken durfte.
  • 3) Sahen ſie ſich genoͤthiget, das Primogeniturrecht einzu - fuͤhren, damit wenn einer von ihnen verſtuͤrbe, der Dienſt am Deiche nicht auf die Großjaͤhrigkeit des juͤngſten Sohns ausgeſtellet bliebe.
4) Fan -327Kurze Geſchichte der Bauerhoͤfe.
  • 4) Fanden ſie es unumgaͤnglich noͤthig, dem naͤchſten maͤnnl. Agnaten die Vormundſchaft und die ganze Nutzung des Hofes waͤhrender Minderjaͤhrigkeit oder auf Mahljahre zu uͤberlaſſen, damit man gleich wiſſe, wer mit der Spade am Deiche erſcheinen muͤſſe, und dieſer ſich aus Mangel von Spaden, Spannung und Belohnung zu keiner Zeit entſchuldigen koͤnnte.
  • 5) Ward es einem jeden nothwendig unterſagt, ſeinen Hof aus der gemeinen Reihe zu bringen, ihn an einen ſchlech - ten Menſchen, der nicht zum Ehrendienſte mit der Spade kommen konnte, oder an einen Knecht und Heuersmann, der bey einbrechender Gefahr weniger als andre zu wagen oder zu vertheidigen hatte, zu uͤberlaſſen, oder durch ein Teſtament die geſetzmaͤßige Primogenitur und Vormund - ſchaft zu veraͤndern.
  • 6) Mußten ſie unter ſich einen Deichgrafen und zehn Deich - voͤgte erwaͤhlen, welche die ihnen von dem Meere auf - erlegte Geſetze handhabeten, die Beſtellungen verrichte - ten, die Ausgebliebene beſtrafeten, die Unvermoͤgende oder Widerſpenſtigen vom Hofe ſetzten, und uͤberhaupt die Stelle einer Obrigkeit vertraten.
  • 7) Starb einer von ihnen ohne Erben: ſo fiel ſein Hof dem Deichgrafen zur Wiederbeſetzung anheim; damit ſich kein ungeehrter und unſicherer Mann eindringen konnte. Und ſo oft ein neuer Beſitzer kam, mußte derſelbe ſich bey dieſem melden; ſich von ihm beſchauen laſſen, ob er den Spaden fuͤhren koͤnne, und bey dieſer Gelegen - heit, da er in die Deichrolle aufgenommen wurde, dem Deichgrafen eine Erkenntlichkeit entrichten.
  • 8) Kam derſelbe auch, ſo oft einer verſtarb, und beſich - tigte Spaden und Spannung oder was ſonſt zum Deich -X 4ge -328Kurze Geſchichte der Bauerhoͤfe. geraͤthe gehoͤrte; beſorgte, daß es dem kuͤnftigen Beſitzer des Hofes richtig uͤberliefert, und der Hof bis zur An - nahme des Vormundes oder des Erben wohl verwahret wurde, wofuͤr ihm denn das beſte Stuͤck aus der Erb - ſchaft zur Belohnung gebuͤhrte. Den abgehenden Kin - dern durfte ohne ſeine Bewilligung nichts ausgelobet werden, damit die Hoͤfe nicht durch gar zu große Verſprechungen auſſer dienſtfertigen Stand gerathen moͤchten.
  • 9) Endlich durfte keiner abweſend ſeyn, oder ſich in fremde Dienſte begeben, weil er ſonſt nicht taͤglich mit der Spade am Deiche fertig werden konnte.

Unter dieſer gluͤcklichen und nothwendigen Einrichtung wurden endlich in hundert Jahren ſaͤmtliche Deiche fertig. Indeſſen blieb die ganze Verfaſſung, weil man dem Meere nicht trauen konnte, beſtehen. Man diente aber nicht taͤg - lich mit der Spade; ſondern verſammlete ſich jaͤhrlich etliche - mal, um ſich in der Deicharbeit zu uͤben. Den Deichgrafen und Voͤgten war ein gewiſſes von jedem Hofe an Korn und Haber zugelegt. Dieſes blieb ihnen; imgleichen die Gerichts - barkeit, und was ihnen von jedem neuen Beſitzer, oder aus dem Sterbehauſe zugebilliget war.

Das Meer war uͤber hundert Jahr ſtille. Dadurch wurden die Hoͤfener ſicher; und verlernten die Deicharbeit. Ploͤtzlich aber zeigte ſich eine neue Gefahr; und der Deich - graf ward gezwungen, ausgelernte Deichgraͤber kommen zu laſſen, ſolchen von jedem Hofe zur Belohnung gewiſſe Korn - paͤchte anzuweiſen, und die Hoͤfe denſelben gleichſam zu After - lehnen zu uͤbergeben, deren Beſitzer nunmehr blos den Acker zu beſtellen, die Fuhren zu verrichten, und ihre Vorarbeiter, welche Dienſtleute genannt wurden, zu ernaͤhren hatten.

Es329Kurze Geſchichte der Bauerhoͤfe.

Es waͤhrete aber nicht lange: ſo riß das Meer von neuen ein; und weil immittelſt eine neue Art zu Deichen aufgekom - men war, welcher die vorigen Dienſtleute nicht gewachſen wa - ren, und zugleich das Geld, ſo bisher unbekannt geweſen, bis zu ihnen gedrungen war; ſo fand man mehrere Bequem - lichkeit darinn, zur beſtaͤndigen Deicharbeit eigne Soͤldner anzunehmen; und einen Geldbeytrag von den Hoͤfen zu for - dern; ohne jedoch im Stande zu ſeyn, die vorhin angenom - mene Lehnarbeiter, welche ſich einige hundert Jahre wohl verhalten hatten, und bereit waren, ſo viel zu thun als ihre Kraͤfte vermochten, abzuſchaffen.

Nunmehro gieng es mit den Hoͤfen uͤber und uͤber. Einige riſſen ſich a) aus der gemeinen Reihe los; andre wur - den b) von den Deichgrafen und Voͤgten mit allerhand Ar - ten von Knechten und unter allerhand beſchwerlichen Bedin - gungen beſetzt; die Amtsgefaͤlle wurden c) verkauft und zer - ſtreut. Was den Dienſtleuten an Kornpaͤchten zugeſtanden war, hatte gleiches Schickſal; und der neue Oberdeichgrafe, der das Geld fuͤr die beſoldeten Deichgraͤber zu erheben hatte, bekuͤmmerte ſich gar nicht mehr um den Beſitzer des Hofes, wenn ihm nur der darauf gelegte Sold zu rechter Zeit bezah - let wurde.

Wenn man fuͤr jene Anwohner des Meeres unſre ſchatz - baren Unterthanen, welche voll - und halbe oder viertel Erbe beſitzen; fuͤr das Meer den Krieg oder die gemeine Noth, fuͤr den Deichgrafen den Carolingiſchen Grafen, und fuͤr die Deichvoͤgte die Reichsvoͤgte ſetzet: ſo hat man die Geſchichte unſer Bauerhoͤfe; und mit derſelben zugleich die Art und Weiſe, wie freye Eigenthuͤmer ganz natuͤrlicher Weiſe zu leib - eignen und hofhoͤrigen Paͤchtern herunter ſinken koͤnnen.

X 5Man330Kurze Geſchichte der Bauerhoͤfe.

Man kann dieſem noch hinzuthun, daß unter dem Amts - ſchutz ſich gar kein vollkommenes Eigenthum erhalten koͤnne; indem das Amt oder diejenige Obrigkeit, welche die Direction der gemeinen Angelegenheiten hat, eine gewiſſe Aufopferung des Eigenthums nothwendig machen, und ſchlechterdings for - dern kann, daß die unter ihm ſtehende Erbe mit keinen Schul - den und Pflichten beſchweret, mit keinen Auslobungena)In den benachbarten Laͤndern traͤgt das Amt eben dieſe Vor - ſorge fuͤr freye ſchatzbare Hoͤfe, welche ein Gutsherr fuͤr ſeine Hoͤfe traͤgt. In den desfals erlaſſenen Verordnungen hat man aber den Grundſatz angenommen, daß die Hoͤfe, welche ein Mann, der keinen Gutsherrn hat, beſitzt, die Natur der Gutsherrlichen behalten haͤtten. Dieſer Grund - ſatz iſt aber unnoͤthig und fuͤhrt leicht zu einen irrigen Nebenbegriffe. er - ſchoͤpfet, nicht verſplittert, nicht verhauen und nicht verwuͤſtet, auch nicht unbeſetzt gelaſſen werden ſollen, weil das Unver - moͤgen des einen zur Zeit der Noth den uͤbrigen beſchwerlich wird, und was der eine nicht leiſten kann, den andern noth - wendig zuwaͤchſt.

Ja man kann behaupten, daß unter dem Amte aller Unterſcheid zwiſchen Leibeignen und Freyen mit der Zeit ver - dunkelt werden muͤſſe. Insgemein ſchließt man jezt, daß alle und jede, welche ihre Kinder am Amte ausloben laſſen, Be - willigungen uͤber ihre Schulden nehmen, wenn ſie einen Baum hauen wollen, die Erlaubniß dazu nachſuchen; und bey der Einfahrt und Ausfahrt gewiſſe Urkunden entrichten muͤſſen, durchaus als Leibeigne anzuſehen ſind. Allein jene Anwoh - ner des Meers, welche nie einen ſterblichen Menſchen pflichtig geweſen waren, mußten ſich eben dieſen Geſetzen unterwerfen, und wir denken es nur nicht ſo deutlich als wir es fuͤhlen, daß das Eigenthum ſeinen Anfang mit der Exemtion vomAmte331Kurze Geſchichte der Bauerhoͤfe. Amte nehmeb)Die Roͤmer erforderten nicht umſonſt zu dem wahren dominio, daß der Eigenthuͤmer civis Romanus ſeyn muͤſſe. und nur derjenige ein wahrer Eigenthuͤmer ſey, der ein exemtes oder adeliches Gut beſitzet. Es iſt auch ganz natuͤrlich, daß ſo bald ein Gut nicht zur Beſſerung des Deiches koͤmmt, keinen Spaden ſchickt und keine Pfaͤle liefert, deſſen Verwuͤſtung, Verſplitterung und Beſchwerung zu einer fuͤr den Staat ganz gleichguͤltigen Sache werde, folglich auch deſſen Beſitzer von ſeinen urſpruͤnglichen Eigenthum nichts aufgeopfert habe.

Noch mehr; die Anſtalten, welche ein Edelmann zur Erhaltung ſeiner Guͤter und Familie trift, beweiſen jene Wahrheit; nemlich den nothwendigen Verluſt des Eigenthums unter jeder Amtsverfaſſung. Um ſeinen Stamm und ſeine Guͤter zu erhalten, um ihre Verwuͤſtung, Verſplitterung und Beſchwerung zu verhindern, hat er zuerſt angefangen Teſta - mente zu machen, deren diejenigen, wofuͤr das Amt ſorgte, gar nicht noͤthig hatten. Er hat Stammguͤter erfunden; Fi - deicommiſſe, Majorate oder Minorate verordnet, die Braut - ſchaͤtze ſeiner Toͤchter beſtimmt, Vormuͤnder angeſetzt und ſolchergeſtalt ſeinen Nachkommen das Eigenthum und die Freyheit entzogen, welche das Amt ſeinen Unterſaſſen entzogen hat. Der Unterſchied zwiſchen beyden iſt, daß dieſes durch ein allgemeines, jenes durch ein beſonders Familiengeſetz ge - ſchiehet; daß dieſes von den verſammleten Eigenthuͤmern auf ewig bewilliget, jenes von einem einzelnen Mann fuͤr ſeine Nachkommen am Gute geſetzet wurde; daß der Staat dieſes nothwendig erfordert, jenes aber der freyen Willkuͤhr des Stifters uͤberlaͤßt. Die aus beyden Anſtalten flieſſende Wahr - heit iſt aber dieſe, daß der Mann, der durch ein oͤffentliches Geſetz das Recht verlohren hat, ſein Gut zu verſplittern, zuver -332Kurze Geſchichte der Bauerhoͤfe. verſchulden, zu verhauen oder mit Auslobungen zu erſchoͤpfen; der dieſerhalb die Bewilligung vom Amte nachſuchen, und fuͤr die Beſchauung ſeines Deich - oder Heergeraͤthes das beſte Pfand liefern, und wenn er ſein Erbe beziehen will, ſich als tuͤchtig darſtellen und die Einweiſung erwarten, auch eine bil - lige Gebuͤhr dafuͤr entrichten muß, noch nicht ſogleich fuͤr ei - nen leibeignen Knecht gehalten werden koͤnne.

Aber hier im Stifte, wird man ſagen, ſchadet das Amt dem Eigenthume nichts. Der Innhaber eines Erbes, Halb - erbes oder Kottens, der ſich frey gekauft hat, verſchuldet ſein Erbe nach gefallen, verhauet und verwuͤſtet es wie er will. Allein dies iſt ein Fehler unſer Verfaſſung, der ſich erſt ſeit zweyhundert Jahren eingeſchlichen hat. Er findet ſich in an - dern Laͤndern nicht; und in dieſen Laͤndern ſind die groͤßten Rechtsgelehrten noch uͤber die Kennzeichen uneinig, woran der Amtsſaͤßige Freye von dem Leibeignen zu unterſcheiden ſey; weil dem einen wie dem andern, alle Auslobung, Be - ſchwerung, Verhauung und Verſplitterung verboten; beyde die Einfahrt dingen, und beyde den Sterbfall von der Landes - obrigkeit loͤſen muͤſſen; eben wie der Paſtor, bey ſeiner Ein - fahrt auf die Wedum die jura inveſtiturae bezahlen und ſeine Exuvien loͤſen muß. Dies hat das hieſige Amt ebenfals von allen Amtsſaͤßigen Unterthanen, welche keinen Gutsherrn ha - ben, fordern koͤnnen; ehe die Zeit es verdunkelt hat. Indeſ - ſen ſieht man noch an den ſogenannten Freyen eine Spur da - von. Wer kann dieſe von den Leibeignen unterſcheiden? Wie viele Verordnungen, wie viele Zeugniſſe ſind nicht vorhanden, welche allen Unterſcheid unter ihnen aufheben? und wie viele Muͤhe hat man nicht oft einen Nothfreyen von einem Wahl - freyen zu unterſcheiden? Das einzige Kennzeichen der erſtern iſt der Gewinn (laudemium) wofuͤr letztere nur Einſchreibe - gebuͤhren bezahlen. Wie aber, wenn eine Zeit geweſen waͤre,wor -333Kurze Geſchichte der Bauerhoͤfe. worinn man ſowol den Gewinn als die Einſchreibungsgebuͤh - ren mit dem Namen von Ein - oder Auffahrtsgeldern belegt haͤtte? Wuͤrden ſodann nicht ſchon beyde verwechſelt und der Unterſchied gar nicht mehr anzugeben ſeyn?

Jedoch es laſſen ſich dieſe Dinge nicht hinlaͤnglich ein - ſehen, ohne von der alten Hörigkeit der Perſonen zu handeln. Das Land, worauf wir wohnen, gehoͤrt dem Staate. Aber der Staat kann auch ein Recht auf die Perſonen haben. Auch dieſe koͤnnen angehörig werden; die Deichanwohner konnten durch die Groͤße der Noth und den Mangel der Haͤnde ge - zwungen werden, ein Geſetz zu machen, daß alle ihre Kinder dem Meere eigen bleiben ſollten. Sie konnten verordnen, daß keines davon ſeinen Abſchied (Freybrief) haben ſolte, ohne einen andern in ſeine Stelle zu verſchaffen. c)Dies iſt der Wechſel und Wiederwechſel, wovon in Frank - reich noch die Rubrik der Koͤnigl. Einkuͤnfte: Les Droits de change et de contre change herruͤhrt.Jedes Kind iſt ein Schuldner des Staats, der zur Rettung ſeines vaͤterlichen Erbes von der Ueberſchwemmung, den Vorſchuß gemeintſchaftlichen Kraͤfte gethan hat ...... Doch hievon ein andermal.

LVII. Schreiben einer Frau an ihren Mann im Zuchthauſe.

Ja ich bin es noch, es iſt die Hand deiner zaͤrtlichen und ungluͤcklichen Frauen, geliebter und armer Mann! von der du dieſe Zeilen erhaͤltſt. Sieh ſie nur recht an, es ſindnoch334Schreiben einer Fraunoch die Zuͤge, worin ſich dir ehedem das beſte, das empfind - lichſte Herz ausdruͤckte, worinn ich dich zum erſtenmal ver - ſicherte: Daß ich dich uͤber alles liebte. Wie glaͤnzend war damals alles! und wie gluͤcklich glaubte ich zu werden! ich ſtellete mir da noch nicht vor, daß ich einſt nach Brodte ſeuf - zen und ſolches nicht erhalten wuͤrde; daß ich die erſte Frucht unſrer Liebe mit andern als Freudenthraͤnen benetzen; und daß dein erſtgebohrner, o Geliebter! an meiner Bruſt ver - hungern wuͤrde. Ich war jung und unerfahren, und lebte nur fuͤr dein Vergnuͤgen. Jedes Geſchenk das du mir ſo ſchmeichelhaft machteſt, nahm ich freudig an, um mich damit zu ſchmuͤcken und dir ſo viel mehr zu gefallen; dir trauete ich Ueberlegung und mir nichts als Folgſamkeit zu. Warum uͤber - legteſt du denn nicht wie deine Ausgaben unſre Einnahme nicht uͤberſteigen duͤrften? Warum munterteſt du mich ſelbſt auf und noͤthigteſt mich faſt jeder Mode zu folgen und in ei - nem Tage das zu verſchwenden, was ein ganzes Jahr zu un - ſern ehrlichen Unterhalt hingereicht haben wuͤrde? Und warum mußte ich mehr der Liebling deiner Eitelkeit als deiner Ver - nunft ſeyn? Dir kam es zu, mir zu ſagen, was ich ausgeben und was ich erſparen ſolte. Von deiner Liebe konnte ich dieſen Rath erwarten; und wie ſuͤß wuͤrde mir in deiner Geſellſchaft auch das Brod geweſen ſeyn, was ich haͤtte mit Spinnen er - werben muͤſſen! Ja Geliebter, wir konnten gluͤcklich ſeyn. Unſre wahren Beduͤrfniſſe waren nicht groß; wir haͤtten ſie mit einiger Arbeit und mit einigem Fleiße von den Einkuͤnf - ten die wir hatten, befriedigen koͤnnen; und wann ich dann nach einem muͤhſamen Tage nur einen erkenntlichen Blick von dir erhalten haͤtte; wie gluͤcklich wuͤrde ich dann in deinen Armen geruhet haben! Ich war jung und zaͤrtlich; und nicht uͤbel erzogen, ein Wort von dir wuͤrde einen unausloͤſchlichen Eindruck in meinem Gemuͤthe hinterlaſſen haben. Ein offen -her -335an ihren Mann im Zuchthauſe. herziges Geſtaͤndniß von deinen Schulden wuͤrde mich viel - leicht in einige Beſtuͤrzung geſetzt haben; aber da es gleich anfangs noch moͤglich geweſen waͤre, dich zu retten, wie lebhaft wuͤrde nicht mein Eyfer geworden ſeyn, dieſes Verdienſt mit dir zu theilen? Dieſe Aufrichtigkeit, liebſter ungluͤcklichſter Mann! wuͤrde mir deine ganze Liebe bewieſen haben; ich wuͤrde mich durch dieſes Vertrauen in deinen Augen recht groß geduͤnkt haben. Und dann welchen Triumph fuͤr meine Liebe, ein Mitarbeiter an deiner Rettung geweſen zu ſeyn? Jeder kleiner Schritt, wodurch wir uns dieſer Hofnung genaͤhert, und welchen wir dann nach jedem fortgearbeiten Tage in der frohen Abendſtunde miteinander uͤberrechnet haͤtten, wuͤrde unſre Muͤhe, unſre Koſt und o Geliebter! auch unſern Kuß verſuͤßet haben. Die ſtolzeſte Frau in der Stadt waͤre ich ge - worden, wenn man von mir ſodann geruͤhmt haͤtte, daß ich um deinetwillen, alle Moden abſagte, alle Pracht vermiede und ein Gericht Gemuͤſe fuͤr dich und mich ſelbſt kochte; wenn man von mir geſagt haͤtte: daß ich dein gutes, dein redliches, dein vernuͤnftiges Weib waͤre. Dies wuͤrde mich zu einer ganz andern Groͤße erhoben haben, als alle die flatternden und koſtbaren Kleinigkeiten, womit du mich deinen ach wie tief gefallenen kleinen Engel in die groͤßten Geſell - ſchaften fuͤhrteſt. Mit was fuͤr einem edlen Stolze, mit was fuͤr einem Bewuſtſeyn deiner und meiner Wuͤrde, wuͤrde ich in Serge und Flanell auf alle die thoͤrichten Weiber herabge - ſehen haben, die dem vergaͤnglichen Glanze eines Tages ihr gutes Vermoͤgen aufopfern; und ein bißgen neidiſcher Be - wunderung der Ruhe ihres Lebens, dem Wohlſtande ihrer Kinder und der Hochachtung aller Rechtſchaffenen vorziehen. Ach Mann! Mann! wie vieles haben wir verlohren! Nicht blos das Vermoͤgen uns zu erhalten; Nicht blos deine Frey - heit; nein was groͤßer als beydes iſt, auch die Werthachtungaller336Schreiben einer Fraualler Rechtſchaffenen; und vielleicht o mein Schmerz iſt der Verzweiflung ſehr nahe auch das, woran ich nur mit Entſetzen gedenke. Konnteſt du, mein Geliebter, in der Verzweiflung, worinn dich deine Schulden ſtuͤrzten, der Ver - ſuchung nicht widerſtehen, auf unſichere Hoffnungen, fremde dir anvertrauete Gelder anzugreifen; wie werde ich dein Kind verſchmachten ſehen koͤnnen, ohne mir zuvor ſelbſt das Leben zu nehmen? Du wareſt redlich; ich bins auch. Aber Gott wende die Verſuchung!

Man hat mir alles gepfaͤndet; Von allen deinen koſt - baren Geſchenken, von allen meinen ſchoͤnen Kleidern habe ich nichts behalten. Unſer Bette iſt fort. Nur mein Kind iſt mir geblieben, und damit ſitze ich nun ſchon in den dritten Tag in meinem binnen vier und zwanzig Stunden zu verlaſſenden Putzzimmer; weil ich das Herz nicht habe vor die Thuͤr zu gehen, und mich den Haͤmiſchen oder ſtolzen Mitleide meiner Nachbarinnen blos zu ſtellen. Was fuͤr eine Ueberwindung wird es mir noch koſten, ſie um ein Suͤck Brod zu bitten! Und wie Verdienſtlos bleibt dieſe Ueberwindung in Vergleichung mit derjenigen, womit ich alle Verſchwendung vermieden und dich bey Ehren erhalten haben koͤnnte! Was ſoll jezt aus mir werden? In meinem 19ten Jahre ſchon ſo ungluͤcklich! und vielleicht auf ewig von dir getrennt! Mit einem Kinde, das nur die Zaͤhren, ſo meine Bruſt herab rollen, einſaugt, und mir in einem ſehnlichen Blicke das ehmals zaͤrtliche Verlan - gen ſeines ungluͤcklichen Vaters zeigt!

Vergieb mir, o Geliebter, den Ausbruch meines Schmer - zens! ich ſolte dich ſchonen; denn du biſt ungluͤcklich genug; und es koͤnnte dich troͤſten mich ruhiger zu wiſſen. Allein du mußt daraus die Hofnung ſchoͤpfen, dein Kind und mich bald zu verlieren; und was haſt du in deinem Ungluͤck mehr zu wuͤnſchen, als bald allein zu leiden und die Beruhigung zuer -337an ihren Mann im Zuchthauſe. erhalten, diejenigen, ſo jezt dein Elend mit dir theilen, nicht mehr in der Welt zu wiſſen! Die Kraͤfte fehlen mir ein mehrers zu ſchreiben. Doch unterzeichne ich mich noch,

Deine ewig getreue und ungluͤck - liche Frau. Filette Marly.

LVIII. Ein Project das nicht ausgefuͤhret werden wird.

Da wir bald eine neue Charte von hieſigem Hochſtifte er - halten werden: ſo waͤre zu wuͤnſchen, daß auch eine dergleichen, worauf nach gehoͤriger Vergroͤßerung uͤberall die Beſchaffenheit des Bodens angezeigt waͤre, verfertiget wuͤrde; es koͤnnte ſolches blos durch Farben geſchehen; und zugleich in den Farben wiederum der Unterſcheid angebracht werden, daß z. E. der beſte Weidegrund durch dunkelgruͤn; der mitt - lere durch etwas hellers, und der ſchlechteſte durch noch hel - lers angezeigt wuͤrde. In der Einfaſſung, wodurch jede Art dieſes Gruͤnen von den andern abzuſondern, wuͤrde durch eine Schattirung von roth, gelb, blau oder ſchwarz angezeigt, ob Mergel - Sand - oder Mohrgrund darunter anzutreffen waͤre; und die Vermiſchung, Verhoͤhung oder Vertiefung dieſer Schattirung wuͤrde auch zu gebrauchen ſeyn, die Art des Mergels - Sandes - oder Mohrgrundes anzuzeigen. Auf gleiche Art verfuͤhre man mit den Heiden, die etwann mit einer hell - oder dunkelbraunen Farbe angezeigt, und durch die Schatti - rung nach ihrer Erdart unterſchieden wuͤrden ....... Möſers patr. Phantaſ. I. Th. YMan338Beantwortung der Frage: Iſt es billig,Man koͤnnte auch auf jeden Fleck durch Nummern die Tiefe einer jeden Lage, oder deren Abſtand von einer gewiſſen an - genommenen Linie, wie auf den Seekarten, bemerken .... Auſſer dieſer Charte muͤßten wir noch eine andre ha - ben, worauf die ganze Flaͤche, ſo wie ſie ſich 6, 7 oder 8 Schuh tief unter der Erden befaͤnde, verzeichnet wuͤrde; ſo daß, wann man die erſtere Charte auf die andre legte, man ſogleich ſehen koͤnnte, wie es in vorgedachter Tiefe beſchaffen waͤre. Man wuͤrde ſolches durch Erdbohrer bald unterſu - chen, und geometriſch auftragen koͤnnen. Aus der Verglei - chung dieſer beyden Charten wuͤrden ſich vermuthlich viele gute Schluͤſſe ziehen laſſen, beſonders wenn die Veraͤnderungen auf der Oberflaͤche mit ſichern Veraͤnderungen auf der Unter - flaͤche uͤbereinkaͤmen. Dieſe Schluͤſſe wuͤrden uns in der Ur - barmachung leiten, und manches was wir in der Ferne ſuchen, in der Naͤhe finden laſſen. Man koͤnnte auch ſolche Charten verſchicken, und das Urtheil der Forſt - und Bergwerksverſtaͤn - digen daruͤber einholen, beſonders wann noch eine kurze Be - ſchreibung der wilden Gewaͤchſe dabey gefuͤget wuͤrde.

LIX. Beantwortung der Frage: Iſt es billig, daß Gelehrte die Criminalurtheile ſprechen?

Dieſe Frage muß meines Ermeſſens mit Nein beantwor - tet werden; und zwar ſelbſt nach der peinlichen Hals - Gerichtsordnung. Denn ſo wie es ſchon in der Vorrede der - ſelben heißt: Daß im Heil. Römiſchen Reich deutſcher Nation alten Gebrauch und Herkommen nach die meiſten peinlichen Gerichte, mit Perſonen die der Kaiſerl. Rechte nicht gelehrt,er -339daß Gelehrte die Criminalurtheile ſprechen? erfahren oder Uebung haben, beſetzt wären; und daß es dieſerwegen noͤthig geweſen, die peinl. Hals-Gerichtsordnung abzufaſſen, damit alle und jede Reichsunterthanen ein ge - rechtes Urtheil zu finden im Stande ſeyn möchten: alſo iſt auch ferner ſogleich im erſten Artickel verordnet, daß die pein - lichen Gerichte beſetzt ſeyn ſollten mit frommen, ehrbaren, verſtändigen und erfahrnen Perſonen, ohne die Rechtsge - lehrſamkeit auch nur im mindeſten zu erfordern. Vielmehr heißt es eben daſelbſt ferner: Daß auch wohl edle und ge - lehrte dazu gebrauchet werden möchten; zu einem ſichern Beweiſe, wie man dafuͤr gehalten habe, daß die Gelehrſam - keit wuͤrklich einen Mann eher unfaͤhig als faͤhig zum Ur - theilsfinder mache. Die ganze Ordnung iſt auch mit der aͤuſſerſten Deutlichkeit fuͤr ungelehrte abgefaſſet, und durch - gehends vorausgeſetzet worden, daß die Urtheiler keine Rechts - gelehrten ſeyn wuͤrden, weil ſie in zweifelhaften Faͤllen be - ſtaͤndig angewieſen werden, ſich bey den Gelehrten Raths aber nicht Urtheils zu erholen.

Der Kaiſer nennet das Urtheilfinden ungelehrter Per - ſonen einen alten deutſchen Gebrauch; und da in England noch jezt ein gleiches uͤblich iſt; ſo fraͤgt ſich billig, ob wir wohl und recht daran gethan haben, dieſen Gebrauch zu ver - laſſen? und dazu ſage ich nein.

Denn was kann unbilliger und grauſamer ſeyn, als ei - nen Menſchen zu verdammen, ohne verſichert zu ſeyn, daß er das Geſetz, deſſen Uebertretung ihm zur Laſt geleget wird, begriffen und verſtanden habe, oder begreifen und verſtehen koͤnnen? Die deutlichſte Probe aber, daß ein Verbrecher das Geſetz verſtanden habe, oder doch verſtehen koͤnnen und ſollen, iſt unſtreitig dieſe, wann ſieben oder zwoͤlf ungelehrte Maͤnner ihn darnach verurtheilen, und durch eben dieſes Urtheil zuY 2er -340Beantwortung der Frage: Iſt es billig,erkennen geben, wie der allgemeine Begrif des uͤbertretenen Geſetzes geweſen, und wie jeder mit bloſſer geſunder Vernunft be - gabter Menſch ſolches ausgeleget habe. Dies iſt die einzige Pro - be von der wahren Deutlichkeit des Geſetzes, welche der Gelehr - te nie geben kann, weil ſeine Sinne zu geſchaͤrft, zu fein und uͤber den gemeinen Begrif zu ſehr erhaben ſind. Der in der peinl. Hals-Gerichtsordnung vorgeſchriebene Eid erfordert von den Urtheilsfindern, daß ſie nach ihrem beſten Verſtänd - niſſe ſprechen ſollen. Das beſte Verſtaͤndniß eines Gelehrten iſt aber nothwendig von dem beſten Verſtaͤndniß des Ver - brechers ſehr unterſchieden. Der Gelehrte iſt ein Naturkuͤn - diger, der durch ein Vergroͤßerungsglas hundert Dinge in ei - ner Sache entdeckt, welche einem gemeinen Auge entwiſchen; und der feine Moraliſt, der das menſchliche Herz lange ſtudi - ret hat, entdeckt Falſchheiten in den Tugenden, welche im ge - woͤhnlichen Leben gar nicht bemerket werden. Wenn alſo ein Gelehrter urtheilet: ſo iſt er in beſtaͤndiger Gefahr von ſeiner feinern Einſicht entweder zum unzeitigen Mitleide oder zu einer uͤbermaͤßigen Strenge verfuͤhret zu werden; und er ſollte ſich um ſeines eignen Gewiſſens willen nie mit peinlichen Urtheilen abgeben. Haben doch die engliſchen Geſetze die Flei - ſcher davon ausgeſchloſſen, weil ſie geglaubt haben, daß ein ſolcher Mann, der alle Tage ein ſterbendes Vieh unter ſeinem Meſſer mit Vergnuͤgen roͤcheln ſaͤhe, leicht zu hart gegen ei - nen armen Suͤnder ſeyn koͤnne. Es iſt

Zweytens unwiderſprechlich, daß ein Gelehrter durch eine feinere Erziehung zu einem ganz andern Gefuͤhle als der gemeine Mann gebildet ſey. Eine garſtige Unordnung, eine Injurie, eine Schlaͤgerey, eine Grobheit wird ihm tauſend - mal eckelhafter und abſcheulicher vorkommen, als ſie einem geringen Mann, der mit dem Viehe aufgewachſen iſt, vor - kommt; und dies muß nothwendig einen ſolchen Einfluß aufſein341daß Gelehrte die Criminalurtheile ſprechen? ſein Urtheil haben, daß er ſchwerlich unpartheyiſch ſeyn kann. Es iſt

Drittens gewiß, daß die Urtheilsfinder, wenn ſie aus der Gegend oder dem Kirchſpiele zu Hauſe ſind, worinn der Verbrecher gewohnt hat, deſſen vorigen Lebenswandel und moͤgliche Beſſerung weit ſicherer und beſſer kennen; und nach dieſer ihrer auf eigne Erfahrung gegruͤndeten Erkenntniß weit beſſer urtheilen, als ein Gelehrter, der ein kaltſinniges Zeug - niß vor ſich hat. Wer einen Menſchen recht kennet, fuͤhlet allemal deſſen uͤble oder gute Gemuͤthsart beſſer, als er ſol - ches ausdruͤcken kann. Er wird ſich nur unvollkommen in der Beſchreibung ausdruͤcken, aber richtig nach ſeiner Ein - pfindung urtheilen, wenn er den Ausſpruch thun ſoll. Nichts iſt aber billiger und vernuͤnftiger, als daß bey Verurtheilung eines Verbrechers deſſen Gemuͤths - und Lebensart mit in Be - tracht gezogen werde. Es leidet

Viertens der Militairſtand kein fremdes und gelehrtes Urtheil. Der Gelehrte oder der Auditeur hat den Vortrag; allein das Urtheil ſelbſt wird von denen, ſo dem Kriegsrecht beywohnen, und die Lebens - und Gemuͤthsart des Verbrechers kennen, nach ungeſpitzten Begriffen gefaͤllet; Eben ſo haͤlt es

Fünftens der Buͤrger in den Staͤdten, der ſich von keinem andern verurtheilen laͤßt, als die er ſelbſt dazu aus ſeinen Mitteln und aus den ungelehrten erwaͤhlet hat, ob er gleich auch die von ihm erwaͤhlten Gelehrten, nachdem ſie in Gefolge der peinlichen Hals-Gerichtsordnung auf den Noth - fall zugelaſſen werden, nicht ausſchließt; und ſchwerlich wuͤr - de ſich

Sechſtens ein Edelmann in ſeinem Lande, oder in einem andern, wohin er auf Geleit gekommen, verurtheilen laſſen, ohne Urtheilsweiſer von ſeinem Stande zu fordern. DiesY 3kann342Beantwortung der Frage: Iſt es billig,kann er mit Recht thun; und die peinliche Hals-Gerichts - ordnung iſt ihm hierin nicht zuwider. Es iſt

Siebendens fuͤr einen Landesherrn ſehr hart, daß er ſich und ſeine Bediente immer mit dem Haſſe der Criminalurtheile beladen ſolte. Die Faͤlle ſind zwar nicht gemein, aber doch bey großen Gaͤhrungen im Staate und wann die Gerechtig - keit nicht gegen Landſtreicher ſondern gegen angeſehene Maͤnner ihr Amt verrichten ſoll, auch nicht ganz ſelten, wo die Obrig - keit das Recht zu urtheilen nicht verlangt, ſondern lieber den geſchwornen Rechtsgenoſſen des Verbrechers uͤberlaͤßt. Es erſtickt auch

Achtens nothwendig alle Liebe zur Freyheit, und den aufrichtigen Ausdruck derſelben, wenn einer vorher fuͤrchten muß, von Gelehrten ſo in Bedienungen ſtehen, verurtheilet zu werden.

Der bisherige Gebrauch, daß die Criminalurtheile von Gelehrten abgefaſſet werden, hindert

Neuntens dagegen nichts, indem dieſer Gebrauch ledig - lich gegen ſchlechte und fluͤchtige Verbrecher geuͤbet worden, welche nicht als wahre angeſeſſene Unterthanen ſondern als Knechte (ſervi poenæ) verurtheilet werden. Ein Fremder, der kein Geleit hat, iſt ein Feind; der, wenn er die buͤrger - lichen Geſellſchaft ſtoͤret, und ſie gleichſam mit Krieg uͤberzieht, als ein Kriegesgefangner ohne Cartel, nach Willkuͤhr gehangen werden kann, und es als eine Gnade anzuſehen hat, daß ihm ein foͤrmlicher Proceß durch Gelehrte gemacht wird. Einer ſolchen Willkuͤhr hat ſich aber kein wahrer Unterthan unter - worfen; und dieſer kann ſich noch immer auf die Hals-Ge - richtsordnung berufen, ohne daß ihm jener Gebrauch mit Be - ſtande entgegen geſetzt werden koͤnne. In der That iſt auch

Zehntens ein ſolcher Gebrauch nur dem Scheine nach vorhanden, indem die Canzleyen kein Urtheil abfaſſen; ſon -dern343daß Gelehrte die Criminalurtheile ſprechen? dern nur ihren rechtlichen Rath geben und daruͤber die Landes - herrliche Beſtaͤtigung auf den Fall einholen, daß die Urtheils - finder oder Saelhoͤfer dem Verbrecher ſein Recht darnach fin - den werden. Solten die Saelhoͤfer anders weiſen, als der Rath der Rechtsgelehrten es mit ſich bringt: ſo kann dieſer Rath nie zum Urtheil werden, und die Landesherrliche Be - ſtaͤtigung ſetzt jene Weiſung unwiderſprechlich voraus. So leer uns daher auch jezt die Ceremonie mit den Saelhoͤfern, wie man die Urtheilsfinder der Gemeinen hier jezt nennt, ſcheinet: ſo wichtig iſt ſie im Grunde, wenn einmal ein an - geſehener Mann peinlich beklagt werden ſolte, indem dieſer unwiderſprechlich fordern kann, daß der Rath der Gelehrten an ihm nicht vollſtrecket werden ſoll, bevor nicht ſeine Rechts - genoſſen denſelben fuͤr Recht geprieſen haben. Ferner und

Eilftens traͤgt es zur Wuͤrde des Menſchen vieles bey, daß er von Jugend auf mit den Geſetzen ſeines Landes be - kannt gemacht wird, und ſchon in der Schule zu einen kuͤnfti - gen Urtheilsfinder auferzogen wird. Dies geſchieht aber nicht, wo blos Gelehrte urtheilen. Bey jedem der zehn Ge - bote ſolten einem Kinde die daraus flieſſenden peinlichen Faͤlle, und was die Geſetze ſeines Landes darauf fuͤr Strafen verord - net haben, bekannt gemacht werden. So koͤnnte er denken und ſich huͤten. Endlich und

Zwölftens iſt die Appellation in peinlichen Faͤllen eben um deswillen verboten, weil man vorausgeſetzt hat, daß der Verbrecher von zwoͤlf ehrlichen frommen und ebenbuͤrtigen Maͤnnern verurtheilet worden, und daher nicht leicht be - ſchweret ſeyn wuͤrde. Unmoͤglich haͤtte aber die Appellation in einer ſo wichtigen Sache abgeſchnitten werden koͤnnen, wenn die Meinung eines gelehrten Richters das Urtheil abgeben ſollen.

Y 4LX. 344Schreiben uͤber ein Project unſerer Nachbaren

LX. Schreiben uͤber ein Project unſerer Nachbaren Coloniſten in Weſtphalen zu ziehen.

O mein werthſter Freund! laſſen Sie doch den Gedan - ken von neuen Colonien in Weſtphalen fahren. Coloni - ſten aus andern und beſonders aus beſſern Gegenden werden auf unſern Heiden nie einſchlagen; und Neubauer, die ihre Nah - rung aus dem Boden ziehen ſollen, werden bey uns allezeit in Bettler ausarten. Ueberhaupt habe ich kein Zutrauen zu den ſogenannten Einigranten. Es iſt entweder Faulheit und Ungeſchicklichkeit, oder aber eine zu ſchwere Steuer, die ſie aus ihrer Heymath treibt. Iſt es das erſte: ſo werden ſie auf unſern Heiden gewiß kein weicher Lager finden; und die Steuer, welche ihnen hier die Natur auflegt, indem der hie - ſige Acker fuͤr doppelte Arbeit nur halben Lohn bezahlt, iſt ſchwerer als alles, was in andern Laͤndern die Herrſchaft for - dern kann. Laßt uns zum Exempel nur eine Vergleichung zwiſchen den Laͤndern am Rheine und den hieſigen anſtellen; und dann urtheilen, ob ein Coloniſt vom Rheine jemals da - hier gedeihen werde?

Der Landmann am Rheine pfluͤgt mit einem Ochſen 2 bis 3 Zoll tief; und der Halm auf ſeinen Acker iſt hoͤher als ein Reuter zu Pferde. Hier im Stifte pfluͤgt man hingegen nach dem Unterſchiede des Bodens mit 2 oder 4 Pferden 8 bis 10 Zoll tief; und der Halm bleibt in den beſten Gegenden um ein Drittel; in den ſchlechtern aber um kuͤrzer, ohne daß ihn der beſte Wirth mit der ordentlichen Kraft hoͤher trei - ben kann. In jenen Gegenden kann man ein Wagenrad ge -gen345Coloniſten in Weſtphalen zu ziehen. gen die Saat legen, ohne daß dieſe ſich niederbeugt; wohin - gegen dieſelbe in hieſigen ſchlechteſten Gegenden keinen Peit - ſchenſtiel wiederſteht.

In jenen Gegenden futtern vier Pfund Stroh ſo ſtark und beſſer als hier ſechs, und alle Futterung hat dort um ein Drittel mehr Wuͤrze. Das Vieh frißt um ein Drittel we - niger und molkt um die Haͤlfte beſſer.

In jenen Gegenden ſtuͤrzt man auf einmal funfzig Fu - der Stroh in den Miſt, um nur Duͤnger zu bekommen; in den hieſigen hat der beſte Wirth ſelten mehr Stroh als er zur Futterung und zum Streuen gebraucht; und der ſchlechteſte hat kaum die Nothdurft zur Futterung; zum Streuen muß er Heide, Laub und Raſen oder Plaggen gebrauchen.

Dort futtert man das ganze Jahr ſein Vieh auf dem Stalle, weil man Stroh und zwar kraͤftiges Stroh hat; an - ſtatt daß man hier an den ſchlechteſten Orten dem Viehe ſchon den Schnee auflecken laͤßt, weil es auch am magern Strohe gebricht.

Dort faͤhret der Landmann ſeinen Strohmiſt mit einen langen Wagen vom Hofe[auf] den Acker; hier muß er ihn von der Heide erſt muͤhſam abnarben, muͤhſam zuſammen fahren, ſeinen Miſt dazwiſchen legen, und hernach mit kurzen Wagen aufs Land bringen.

Dieſe Erfahrungen kann niemand leugnen, der beyde Gegenden verglichen hat; und die unſtreitige Folge davon iſt, daß der Heidewohner mit dreyfacher Arbeit von Menſchen und Pferden, von einem dreyfach groͤßern Boden dasjenige nicht gewinne, was in jenen Gegenden der Landmann mit dem Drittel Arbeit und auf einen Drittel deſſelben Bodens gewinnet. Die Natur macht den Mann auf der Heide zumY 5Scla -346Schreiben uͤber ein Project unſerer Nach barenSclaven der Arbeit; anſtatt daß ſie den Bewohner jener Ge - genden alle Freyheit zur Ergoͤtzung und Begeiſterung goͤnnet.

Nun will ich Ihnen urtheilen laſſen, ob Leute, die jene Gegenden verlaſſen, jemals in den hieſigen mit der ge - hoͤrigen Zufriedenheit arbeiten werden, welche doch nothwen - dig dazu gehoͤret, wenn eine Coloniſtenfamilie Liebe zum Bo - den und zum Fleiße gewinnen ſoll.

Ich getraue mir mit einer Art von Ueberzeugung zu ſagen: Man gebe uns nur Stroh und alle Heiden ſollen be - völkert ſeyn. Dieſes Stroh, ſo viel Kunſt ſie auch darauf verwenden, ſind ſie nie im Stande uns zu verſchaffen. Duͤngen ſie den hieſigen Heide - und Sandgrund zu ſehr: ſo wird die Frucht zu geil und legt ſich; der Halm wird nie zu einer Roͤhre; und die Aehre verwaͤchſt ohne Frucht zu bringen. So lange es aber an Stroh fehlt, um den jetzigen Acker zu duͤn - gen: ſo lange muͤſſen wir den Mangel des Duͤngers von der Heide erſetzen und koͤnnen dieſe nicht urbar machen.

Man ſagt zwar, die Heide muͤſſe Futterkraͤuter tragen; mit dieſen muͤſſe man den Viehſtapel vermehren; von dem Viehe folglich mehrern Duͤnger gewinnen; und durch den ver - mehrten Duͤnger mehr Korn und Stroh ziehen. Allein ſo ſcheinbar dieſer Plan auch iſt: ſo getraue ich mir doch darauf zu wetten, daß ihn niemand zu Stande bringen wird.

Denn die Heide kann keine Futterkraͤuter tragen, ohne im erſten Jahre wohl geduͤngt zu werden. Man muß dieſelbe auch noch im zweyten Jahre duͤngen. Woher ſoll aber Land - mann, der nicht ſo viel Stroh und Duͤnger hat, als er zu ſei - nem Acker gebraucht, dieſe erſte Anlage nehmen, nachdem alle Heiden urbar gemacht, folglich keine Plaggen gebraucht werden ſollen? Geſetzt aber, es regnete zwey Jahr lang Stroh vom Himmel, und der Landmann wuͤrde dadurch einmal in den Stand geſetzt den erſten Schritt zu thun: ſo muͤßte man,wenn347Coloniſten in Weſtphaleu zu ziehen. wenn die Sache nur in der Folge gluͤcklich gehen ſolte, anneh - men koͤnnen, daß der Heideacker immer jaͤhrlich ſo viel Stroh wiederbraͤchte, als zu ſeiner Duͤngung in der Folge erfordert wird; dies iſt aber wider die Erfahrung. Ein Mann, dem ich 24 Malterſaat Heidegrund wohl beſtellt und wohl geduͤngt mit der Bedingung untergebe, daß er dieſe Laͤnderey kuͤnftig mit demjenigen Stroh was darauf waͤchſt und dem Viehe was darauf gehalten werden kann, duͤngen ſolle, bauet ſich darauf gewiß in 30 Jahren zum armen Manne. Die Heide kann nicht gebrachet werden; folglich muß er Jahr aus Jahr ein alle 24 Malter beſtellen. Sie erfordert faſt durchgehends alle Jahr friſchen Duͤnger; und der Mann ſoll noch gebohren wer - den, der 24 Malterſaat dieſes Grundes, jaͤhrlich mit demje - nigen beſtellen will, was darauf gezogen werden kann.

Ich zweifle auch noch ſehr, daß Sie ein Futterkraut, wenn das Land dazu zwey Jahr geduͤngt wird, nur auf 6 Jahr in der Heide erhalten werden. Das dritte und vierte geht an. Aber im fuͤnften ſcheint die Heide ſchon durch, und im ſechſten hat ſie die Oberhand, wo ſie nicht in den beyden lezten Jahren noch etwas nachduͤngen; und wenn dieſes ge - ſchehen muß: ſo iſt es beſſer Korn als Futter zu bauen. In England, wo man ſechs Jahr; und in Holſtein, wo man 9 Jahr bracht, ſind die Futterkraͤuter mit Vortheil zu ziehen, welche 6 Jahr und 9 Jahr dauren, ohne weiter nachgeduͤngt zu werden; aber hier, wo gar nicht gebracht, und faſt jaͤhr - lich geduͤngt werden muß, iſt es in jener Maaſſe und zum voͤl - ligen Anbau der Heide ein eitles Project.

Die Colonien in Amerika, welche ſich auf dem Land - bau gruͤnden, ſind alle auf die Art angelegt worden, daß ei - ner mehr als zehnmal ſo viel Raum eingenommen, als er wuͤrklich gebraucht hat. Dazu ſind noch unendlich viele Nutzun -gen348Schreiben uͤber ein Project unſerer Nachbarengen aus Holzungen und wilden Gegenden gekommen, ſo den Coloniſten bey ſeinen erſten Anbau unterſtuͤtzen muͤſſen.

Das fruchtbare Jamaica bot ſeinen Coloniſten ganze Waͤlder von den beſten fremden Holzarten, als Cedern, Ma - hagoni, China und andern, ſo die Kuͤnſtler und Materiali - ſten in Menge gebrauchen, ohne die geringſte Muͤhe dar. Es hatte eine Menge von wilden Gewaͤchſen zu Oel, Rum, Farben, Gewuͤrzen und dergleichen Specereyen, womit die Natur die neuen Anbauer beſchenkte. Der Boden in Caro - lina bringt den wilden Indigo und die ſchoͤnſte Futterung vor allerley Arten von Vieh, Reis mit weniger Duͤngung, und Fichten zu Terpentin, Theer und Pech in unerſchoͤpfli - cher Menge hervor. Virginien traͤgt Weizen und Toback; und verſorgt ſeine Coloniſten mit Wild und Fiſchen. Der Zucker - und Caffeebau hebt andre Provinzien; und uͤberall leben die Coloniſten, was Weide, Duͤnger und Brandholz betrift, blos auf Koſten der Natur. Wenn in ſolchen Ge - genden Colonien gerathen; und doch kann man von vielen ſagen, daß ſie ſeit einiger Zeit mehr ab - als zugenommen ha - ben: ſo iſt es kein Wunder. Allein, daß einige zugemeſſene Morgen ſchlechten Landes, eine magere Weide ein bisgen Torf, und eine eingeſchraͤnkte ungewiſſe Freyheit Neubauer reizen, ermuntern und erhalten ſoll, das iſt zu viel gefordert. Die Rede iſt nicht von fabricirenden Colonien, welche ſich auf Handlung und Handwerk gruͤnden ſollen; ſondern von Leu - ten, die ihr Brod aus dem Boden und hoͤchſtens von ihren koͤrperlichen zu keinem Handwerke geuͤbten Kraͤften ziehen ſol - len. Von dieſen ſage ich, daß ſie nicht aus der Fremde her - gezogen werden koͤnnen.

Unſer Stift hat ſeine Bevoͤlkerung blos der Arbeit in Holland zu danken. Dies iſt das Capital, wovon ſich die Menge von Nebenwohnern ernaͤhret; und wenn man ihnendieſes349Coloniſten in Weſtphalen zu ziehen. dieſes entzoͤge: ſo muͤßten ſie den Boden und die darauf ſte - hende Huͤtte bald verlaufen. Spinnen und Weben allein er - naͤhrt eine Familie nicht. Geſezt, eine Perſon ſpinne des Tages drey Stuͤck Garn, wovon 18. fuͤr einen Thaler ver - kauft werden; ſo iſt dieſes ein woͤchentlicher Gewinnſt von 18 mgr.; indem das Flachs, was dazu geht, gewiß 18 mgr. keſtet. Solchergeſtalt erwirbt eine Perſon, die alle Woche 6 Tage und taͤglich 3 Stuͤcke ſpinnet, nicht mehr als 26 Tha - ler des Jahrs. Wenn man davon die Haus - und Garten - miethe, die Handdienſte und Auflagen abzieht: ſo bleibt un - gefehr ſo viel uͤbrig, als vor die Feyertage abgerechnet wer - den muß; woher ſoll nun dieſe Perſon Brod, Feuerung und Kleider nehmen? Ein Menſch muß wenigſtens 5 bis 6 mgr. des Tages gewinnen, wofern er auskommen ſoll.

Ueberhaupt aber wollen Coloniſten gleichſam zuſammen bruͤten. Wenn man ſie einzeln zerſtreuet, und unter die Lan - deseinwohner verſteckt: ſo fuͤhlen ſie bald das Heimweh. Der Unterſchied der Sprache, der Nahrung, der Kleidung, macht, daß ſie mit den Landeseinwohnern nie recht vertrauet wer - den. Dieſe behalten allezeit eine Verachtung gegen ſolche arme Fremdlinge, haſſen und vermeiden ſie wohl gar, ſtehen ih - nen wenigſtens in keinen Noͤthen bey, verheyrathen ſich nicht mit ihnen, und ein ſolcher einzelner Coloniſt ſitzt da wie auf einer Inſel, ohne daß er ſich einmal dem Kruge naͤhern darf. Nun ſind aber in Weſtphalen keine ſolche Gegenden, wo eine ganze Gemeinheit von Neubauern angelegt werden kann. Es ſind immer nur einzelne Flecke, worauf ſie unter die alten Einwohner verſteckt werden muͤſſen; und ſo moͤgen ſie ſelbſt urtheilen, ob ſie auf dieſe Art gedeihen werden? Nicht zu ge - denken, daß Coloniſten aus der Ebene ſich nicht in bergigten Gegenden, und Coloniſten aus letztern nicht auf der Ebene ge - woͤhnen; auch der Uebergang von einem ſchweren Boden aufei -350Schreiben uͤber ein Project unſerer Nachbareneinen leichtern eine ganze Verwandlung der Knochen und Ner - ven erfordere.

Unſre Geſetzgeber machen auch jezt viel zu wenig Ge - brauch von dem Hange der Menſchen zu religieuſen Verbin - dungen, um die Anziehung neuer Colonien hoffen zu koͤnnen. Wir ſehen zwar, was die Herrnhuter, die Mennoniten, die Quaͤker und andre mit einer begeiſterten Vereinigung ausrich - ten. Wir legen aber den Plan der Colonien darauf gar nicht an; und nutzen den Hang nicht genug, welchen religieuſe Bruderſchaften ehedem auf den Fleiß und die Sitten der Men - ſchen gehabt haben. Alles ſoll mit Strafen und Bruͤchten gezwungen werden. Die Eitelkeit, die Verſchwendung, die Ueppigkeit, welche unſre Zeiten verderben, ſollen blos durch Policeygeſetze eingeſchraͤnkt werden; da man doch gewiß hun - dertmal mehr ausrichten wuͤrde, wenn man der einen Par - they erlaubte, den Kopf auf die Rechte, und der andern den - ſelben auf die Linke zu tragen. Ohne dieſe Freyheit wuͤrde die Haͤlliſche Apotheke das nicht ſeyn was ſie iſt. Und man kann darauf wetten, daß gewiſſe Einrichtungen, wenn ſie nicht mehr von Sonderlingen, ſondern von einer gemeinen Art von Menſchen dirigirt werden ſollten, bald ihren ganzen Vor - theil verlieren werden. So kraͤftig ſind die ſelbſt erwaͤhlten und ſelbſt geſchaffenen Meynungen der Menſchen. Die allge - meinen Lehren verlieren ihre Kraft. Was reitzen, anfeuern und begeiſtern ſoll, muß durch Neuheit, Sonderbarkeit und eigne Erfindung bezeichnet ſeyn; und es waͤre eine große Frage, ob nicht alle hundert Jahre eine Generalrevolution in den Koͤpfen der Menſchen zu befoͤrdern waͤre, um eine Gaͤhrung in der ſittlichen Maſſe des menſchlichen Geſchlechts, und mit Huͤlfe derſelben beſſere Erſcheinungen, als wir jezt haben, hervorzubringen. Doch nichts weiter von dieſem Texte.

Ge -351Coloniſten in Weſtphalen zu ziehen.

Genug, eine neue Colonie erfordert zu ihrer Aufnahme und Erhaltung ganz andre Maſchinen als man jezt gebrauche und gebrauchen kann. Man muß nach Penſylvanien reiſen. und aus der Vergleichung dieſer einzigen Colonie mit allen uͤbrigen ſich von einer ſo wichtigen Wahrheit uͤberzeugen. a)Wem dieſe Reiſe etwas zu weit duͤnkt, der leſt An Account of the European Settlements in America, ſo zu Lon - don 1765 zum viertenmal in 2 Octavbaͤnden aufgelegt, und im Jahr 1760. verfertiget worden.

Endlich, ſo ſind die Gegenden, ſo man insgemein den Coloniſten anweiſen will, ohne Holz und ohne Baͤche, und ringsherum mit Bauerhoͤfen, welche das Holz, die Baͤche, und den beſten Weidegrund eingenommen haben, beſetzt. Auf dieſen Hoͤfen befinden ſich die Saelſtaͤtte, die Leibzucht, und 2. 4. 6. 8 Nebenhaͤuſer, welche von der naͤchſten Heide die beſten Flecke auf mancherley Art nutzen. Wenn man nun zwiſchen dieſen Gruͤnden einzelne Koͤttereyen fuͤr Neubauer anlegen will: ſo iſt es begreiflich, daß ſie nicht allein von den erſten Anwohnern, ſondern auch von der Natur auf alle Weiſe eingeſchraͤnkt ſind. Sie ſind ſelten im Stande ein Taglohn zu verdienen, weil die Hofgeſeſſene ihre alten Nebenwohner um ſich und von ihnen alle erforderliche Huͤlfe haben; der Alte ſieht es als ein Eingrif in ſein Eigenthum an, daß er dergleichen Neubauer, wodurch er in den oͤffentlichen Laſten nicht erleichtert wird, zum Mitgenuß ſeiner gemeinen Weide laſſen ſoll, und er druͤckt ſie auf ſo mancherley heimliche Art, bis ſie endlich das Weite ſuchen muͤſſen.

Die beſte Art der Bevoͤlkerung in Weſtphalen bleibt alſo allemal dieſe, daß der Hofgeſeſſene vermocht wird, die an ſeinem Hofe zu naͤchſt liegende Gemeinheiten mit zu ſeinem Hofe zu ziehen, darauf Heuerhaͤuſer, welche ihm in allen La - ſten zu Huͤlfe kommen, und in denſelben Nachbars Kinder zuſetzen,352An meinen Freund zu Oſnabruͤck,ſetzen, die der Gegend und der Arbeit gewohnt, und mit ihm verwandt und bekannt ſind. Dieſen, weil es Heuerleute ſind, die nicht fuͤr den Staat und fuͤr ihr Eigenthum arbeiten, wird er Weide, Holz und Huͤlfe geben, nie aber fremden Colo - niſten, die dem Boden zu ihrem Eigenthum haben, und ihm ſeine Rechte ſchmaͤlern ſollen. .....

Ich bin ꝛc.

LXI. An meinen Freund zu Oſnabruͤck, uͤber die Be-ſchwerlichkeiten Coloniſten anzuſetzen.

Von einem unbekannten Verfaſſer.

Und doch mein Wertheſter, bleibe ich allezeit von dem Projecte Coloniſten anzuſetzen, ganz eingenommen, ſo viel Beſchwerlichkeiten Sie auch dabey finden. Projecten - macher erwecken Difficultantenmacher: Wir wundern uns gar nicht daruͤber, daß man in unſerer Nachbarſchaft Sachen unmoͤglich glaubt, die uns leichte vorkommen. Weil wir be - ſtaͤndig Nachahmer finden, ſo halten wir uns des kuͤnftigen Beyfalls der Welt zum voraus verſichert, ſo ſproͤde ſich dieſelbe im Anfang dawider bezeiget. Von ihnen aber verlange ich, daß Sie nicht auf den Ausſchlag warten ſollen, um Ihre Zu - ſtimmung zu unſern Einrichtungen zu geben, weil Sie ver - moͤgend ſind eine Sache von vorne gruͤndlich zu beurtheilen, und weil daran gelegen iſt, daß Sie ſich durch die Luſt Neuig - keiten zu widerſprechen, nicht verleiten laſſen, den Vortheil des Vaterlandes und der Wohlfahrt des menſchlichen Geſchlechts zu widerſprechen.

Ich353uͤber die Beſchwerl. Coloniſten anzuſetzen.

In dem Augenblick, bekennen Sie es nur, als Sie von dem großen Reuter zu Pferde, von dem Wagenrad, von der Fuhrmannspeitſche und von dem aromatiſchen Strohe im Reiche ſchrieben, waren Sie dichteriſch begeiſtert, und mehr redneriſch als die gegenwaͤrtige Sache erforderte.

Bilden Sie ſich von dem Coloniſtenweſen den wahren Begriff, ſo werden Sie anderſt denken.

Der Koͤnig, der Auslaͤnder, die Urſache finden ihr Vaterland zu verlaſſen, ohne Unterſchied der Religion und der Sprachen, in ſeinen Laͤndern aufnimmt, und ihnen von ſeinen eigenthuͤmlichen Grundſtuͤcken oder wuͤſten Feldern, nothduͤrftig Land, große ungezweifelte Freyheiten ſchenket, nimmt den alten Einwohnern nichtes, und befoͤrdert den An - bau ihrer Soͤhne mit gleicher Bereitwilligkeit als der Auslaͤn - der. Dies iſt der Plan wornach wir arbeiten.

Alle Deutſche ſind Unterthanen ihrer Fuͤrſten. So viele Fuͤrſten, ſo viele Koͤpfe. Was Wunder, daß ſich der Unterthan den beſten erwaͤhlet, wenn er die Gelegenheit dazu findet. Es ſind alſo fuͤr Auslaͤnder mehr als die zwey Urſa - chen die Sie angeben, ausziehen, und wenn Sie alle andere auch dahin rechnen wollten, ſo muͤſſen Sie die Neigung, welche Fremde haben, in den preußiſchen Staaten zu wohnen, doch als die dritte hinzuſetzen.

Die Fruchtbarkeit einer Provinz iſt es nicht allein, das die Menſchen vorzuͤglich bewegt, dieſelbe zu bewohnen, denn ſonſt wuͤrden die Corſen, ſich nicht um die rohen Felſen ihres Landes ſtreiten, und wenigſtens gegenwaͤrtig unter der franzoͤ - ſiſchen Herrſchaft gebeuget, Timian ſuchen und daſelbſt die Wolluſt der Eliſaͤen genieſſen.

Was hilft es dem Rheingauer zu Hochheim die fetten Trauben keltern, die wir ohne Durſt und zum Scherz her - unterſchlucken.

Möſers patr. Phantaſ. I. Th. ZUn -354An meinen Freund zu Oſnabruͤck,

Unſer Vaterland aber, liebſter Freund, iſt nicht ſo unfrucht - bar als Sie es beſchreiben. Unſre Heiden ſind durchgaͤngig mit gruͤnen Angern durchwachſen, und ſie ſind nirgends ſo ſchlecht, daß ſie nicht Holz tragen koͤnnten. Die Verſchieden - heit des Erdreichs, welche ſich faſt allenthalben findet, giebt der Kunſt Mittel durch vielerley Vermiſchungen ein neues zu ſchaffen, und aus mehreren unfruchtbaren ein fruchtbares zu machen. Wir ſind hier der ungezweifelten Meinung, daß Weſtphalen um ein unendliches beſſer ſeyn wuͤrde, wenn alles mit Korn und Gras und Holz angebauet waͤre, und daß ſol - ches in unſerm Jahrhundert noch geſchehen koͤnne. So viel hat uns der Fleiß und die Erfahrung vor ihnen bereits voraus gegeben, daß wir von einer Sache Ueberzeugung haben, die ihnen noch lange Zeit zweifelhaft ſeyn wird, denn wir wiſſen wohl, daß ſie noch lange fuͤr das Plaggenmatt ihres Vater - landes patriotiſch ſtreiten werden.

Es iſt keinesweges unmoͤglich einen Rheinlaͤnder, oder einen andern Fremden, in unſern Gegenden zurechte zu helfen; Es iſt hier aber nicht Raum genug und nicht die Gelegenheit Ihnen alle Mittel dazu zu zeigen. Sie wiſſen, daß unſere Kameraliſten einen Vorzug vor vielen haben, und daß ſie die Hinderniſſe, welche anderen unuͤberſteiglich ſcheinen, leicht uͤberwinden. Sie werden das Mittel leicht finden, die alten Einwohner mit den Ankoͤmmlingen zu vereinigen; Und als - denn ſind alle Schwierigkeiten ſchon gehoben. Haben ſo viele Eingebohrne und benachbarte Fremde bey uns gebauet, die nicht die gegenwaͤrtige Vortheile genoſſen haben und dennoch gut beſtehen, warum ſollen jene nicht fortkommen? Sie ar - gumentiren aber uͤberhaupt zu viel, denn es kommt hier nicht allein darauf an, Meyereyen anzulegen: Wir nehmen Hand - werker und Profeßioniſten auf, und wer nicht bauen will,der355uͤber die Beſchwerl. Coloniſten anzuſetzen. der ſetzet ſich zur Heuer, und alſo haben wir ein großes Feld mit Coloniſten zu beſetzen, vor uns.

Ein Eingeborner der reiſet, wird die Wiſſenſchaften vieler Provinzien mit zu Haus bringen, und nichts davon ein - fuͤhren. Fremde, ſo ſich irgendswo niederlaſſen, fuͤhren ihre Gebraͤuche ein, und die Alten nehmen das gute davon an: Der Buchweitzen, die Kartoffeln ſind uns von Fremden ge - bracht, wir haben ſie nicht geholet, wenn man mich recht un - terrichtet hat. Alle gluͤckliche Revolutionen in der Oeconomie ſind durch Kriege, Emigrationen und Transplantationen ent - ſtanden. Wir haben keine große Revolutiones noͤthig, ſo roh iſt unſer Vaterland nicht; Fremde aber zwiſchen unſere Einwohner ſetzen, iſt noch immer von Nutzen: Es ſind in Handwerken und im Ackerbau gewiſſe Behandlungen, und in denen dahin gehoͤrenden Werkzeugen und Maſchinen gewiſſe Vortheile, die nachgeahmt zu werden verdienen. Ich will nicht ſagen, was fuͤr Vortheile in Anſehung der Sitten, der Religion und der Moralitaͤt der Einwohner daraus entſprin - gen. Der Umgang mit Fremden macht ſanftmuͤthig und hoͤflich - und beſieget die Vorurtheile, die jede Nation eigenthuͤmlich hat. Dies ſind die Vortheile fuͤr die Provinz.

Es gehoͤret nicht hiehin, den Vortheil fuͤr den Her - ren oder fuͤr den Staat zu berechnen, der ſonder Zweifel groͤßer iſt.

Als ich die Ehre hatte, Ihren Brief zu empfangen, riß mich erſt der Strom ihrer Reden hin, und ich gieng der Sa - che nachzudenken aufs Feld. Ich traf einen Bauren an, der Ellern um junge Eichen pflanzte. Was wollt ihr doch, ſagte er, mit dem fremden Volke anfangen, das wir haben holen muͤſſen? Warum pflanzeſt du, fragte ich, ſo viel von dem Zeuge um die Telgen, die ſchon dicke genug ſtehen, ſie neh - men ihnen ja nur die Nahrung? Nein, ſprach der Bauer,Z 2das356Ueber die Veraͤnderung der Sitten. das hat keine Noth, die Eller nimmt nichtes von dem, ſo der Eiche zukommt, ſondern nur die ſauren Saͤfte, ſo ihr ſchaden; ſie bruͤtet und ſchuͤtzet aber die Telgen und naͤhret ſie durch ihr Laub, und ſie iſt ein nutzbares Holz. Wohl, ſprach ich, ſo wollen wir auch die fremden Leute um euch pflanzen. Ich konnte dem guten Bauren hiedurch leicht zum ſchweigen brin - gen. Ihnen aber gebe ich dieſe Vergleichung mit dem Nutzen der Bevoͤlkerung in ſeinem ganzen Umfang und in allen ſei - nen Theilen nach Ihren Einſichten zu uͤberlegen, und ich wette, daß Sie minder Widerwillen gegen die Coloniſten empfinden werden, wenn Sie ſolches aufrichtig gethan haben.

Iſt es endlich, mein Wertheſter, eine huldreiche Ge - ſinnung unſeres Monarchen, Fremde, die Urſache finden, ſich uͤber ihr Vaterland zu beklagen, aufzunehmen, ſo laſſen Sie es eine edle Bemuͤhung fuͤr ſeine Diener ſeyn, ihnen zu hel - fen. Und in dieſer Abſicht betrachten Sie die ganze Sache als ein Gluͤck fuͤr Deutſchland.

Uebrigens muß Ihnen ein jeder beypflichten, daß die Bevoͤlkerung durch Heuerleute dem Genie der weſtphaͤliſchen Provinzien am gemaͤßeſten ſey, und ich habe mich gefreuet, Sie am Ende ihres Briefes wieder zu finden. Wir vernach - laͤßigen dies ſo wenig, daß unſere Neubauer ſchon anfangen, Heuerleute anzuſetzen. Leben Sie wohl.

LXII. Ueber die Veraͤnderung der Sitten.

Es iſt oft ein angenehmer und lehrreicher Anblick zu ſehen, wie ſich gewiſſe Thorheiten gegen alle Geſetze erhalten; und oftmals auch Geſetze zu einer Zeit gegen Laſter eifern,welche357Ueber die Veraͤnderung der Sitten. welche zur andern Zeit ungeſtraft hingehen. Nach dem Reichs - abſchiede von 1431. ſollte allen denjenigen, ſo in der Armee ſpielen wuͤrden, die Hand abgehauen werden. Dieſe Ver - antwortung wurde im Reichsabſchiede von 1486. dahin ge - ſchaͤrft, daß den Spielern der Kopf abgeſchlagen werden ſollte. In der Reichs - Fuß - Knechtsbeſtallung von 1570. lenkte man wieder dahin ein, daß niemand auf Credit ſpielen ſollte, bey Verluſt des Gewinnſtes; und nachher hat man es gar unnoͤthig gefunden, dieſerhalb Reichsgeſetze zu machen. In dem Reichsabſchiede von 1577. wird den Weibsleuten das Springen verboten. Und jezt laͤßt man ſie ſo viel ſprin - gen wie ſie wollen. Es iſt faſt kein Reichs-Policeygeſetz, worinn nicht gegen die Schalksnarren geeifert wird. Iſt es aber eine Folge des Verbots oder der veraͤnderten Zeiten, daß die Narren ihre Kappen abgelegt und dafuͤr ehrbare Kleider angezogen haben? Wie vielmal heißt es nicht in eben dieſen Geſetzen, als z. E. in den Reichsabſchieden von 1497, 1498, 1500, 1530, 1548, 1577, daß die Herrn, welche Pfeiffer und Trommeter halten, ſolche bey andern als ihren Untertha - nen, welche es leiden wollen, nicht zum Neujahr blaſen ſchicken ſollen? Dennoch aber ſehen wir deren oft viele aus benach - barten Laͤndern, welche auf dem platten Lande herumziehen, und den Unterthanen das neue Jahr ungerufen verkuͤndigen. Vermoͤge des Reichsabſchiedes vom Jahr 1498. ſoll jeglicher kurzer Rock oder Mantel in der Länge gemacht werden, daß er hinten und vorn ziemlich und wohl decken möge. Jezt aber wuͤrde ein Reichsgeſetz erfordert werden, um die gar zu große Laͤnge der Kleider zu verbieten. Ferner wird im Reichsabſchiede von 1427. verboten, gar keine Frauen mit zur Armee zu bringen; in dem vom Jahr 1431. aber wird dieſes auf die gemeinen Frauen eingeſchraͤnkt. Wer derglei -Z 3chen358Aufmunterung und Vorſchlagchen mitbraͤchte, heißt es, ſollte gehörnetb)Hier hat man den Gebrauch des Hoͤrnertragens, der zwar aͤlter iſt, wie Salmaſius, Menagius und andre Kritiker es gewieſen haben, doch hier als eine reichsgeſetzliche Strafe bekannt gemacht wird. werden. Im Reichsabſchiede vom Jahr 1570. werden beyde zugelaſſen, doch mit dem Unterſcheide, daß man die gemeinen unehrba - ren Weiber zur Zeit der erſten Muſterung oder hernach, wenn es befohlen wuͤrde, zum Troß ſchicken ſolle. In dieſem Stuͤcke hat ſich die neuere Kriegeszucht beſſer gehalten. Allein das Reichsgeſetz von 1667., worinn alle guͤldene und ſilberne Spitzen und Borten, wie auch guͤldene und ſilberne Knoͤpfe, nicht weniger die guͤldene und ſilberne Tuͤcher, die mit Gold und Silber geſtickten Kleider und das unnoͤthige Vergulden verboten ſind, und worinn ferner alle ſeidene und zwirnene Spitzen verboten werden ſollten, iſt vermuthlich nie zur Aus - uͤbung gekommen, und giebt lediglich eine Beylage zur Ge - ſchichte der menſchlichen Thorheiten ab.

LXIII. Aufmunterung und Vorſchlag zu einer weſtphaͤ - liſchen Biographie.

Es iſt unſtreitig eine der groͤßten und feinſten Ideen, daß Menſchen, die ihre Tage in ſtiller Ausuͤbung aller Tu - genden zugebracht haben, nach ihrem Tode von dem Ober - haupte der Kirchen heilig und ſelig geſprochen werden. Maͤn - ner, welchen ihre Demuth im Leben nicht geſtattete, nach ei - nen glaͤnzenden Ruhm zu ſtreben, und ſich entweder an der Spitze eines Heers oder am Ruder des Staats in der Ge -ſchichte359zu einer weſtphaͤliſchen Biographie. ſchichte zu verewigen, erhalten auf dieſe Weiſe auch ihr ver - dientes Ehrenmahl; und die Vergoͤtterung, womit Geſchicht - ſchreiber und Dichter ein ſo unerlaubtes als gefaͤhrliches Mo - nopolium treiben, muß einer Heiligſprechung weichen, welche nicht anders als nach der ſtrengſten Unterſuchung und von Einſichtsvollen Richtern geſchiehet. Die glaͤnzenden Tugen - den oder Laſter, wie man ſie nennen will, ſind ſolchergeſtalt nicht die einzigen, welche der Nachwelt in der Geſchichte zu Muſtern vorgeſtellet werden; die Menſchen lernen dadurch einſehen, daß auch durch ſtille Tugenden ein ruhmvolles An - denken zu erwerben ſey; und nicht jedes Genie das einen Be - ruf empfindet, ſich aus ſeiner Sphaͤre zu heben, wird in die Verſuchung geſetzt, ſich ſogleich durch die Anzuͤndung eines Tempels oder durch die Unterdruͤckung eines Nachbaren zu verewigen.

Nichts koͤnnte wuͤrklich einem Staate vortheilhafter ſeyn, als die Lebensbeſchreibungen ſolcher Heiligen, wann ſie von einer geſchickten Hand verfertiget, und ſolchergeſtalt den From - men und Redlichen im Lande als Muſter zur Nachahmung vorgelegt wuͤrden. Hat gleich mancher Fehler, welche ſich nach dem umerſchiedenen Geſchmacke der Zeiten in die Art der Behandlung eingeſchlichen, insbeſondre aber der Fehler, daß man wider die Natur der Sache in dieſen Lebenslaͤufen auch das Glaͤnzende, das Heroiſche und das Rittermaͤßige zu ſehr und oͤfters auf Koſten des Wahrſcheinlichen geſucht, viele davon anders denken laſſen: ſo bleibt die Sache an ſich doch allemal von einem ſo großen Werth, daß ſie die allergroͤßte Aufmerkſamkeit und Bewunderung verdient. Um die Tugend in Muſtern vorzuſtellen, nehmen wir jezt oft unſere Zuflucht zu moraliſchen Erzaͤhlungen. Dieſe ſind aber nicht ſo wuͤrk - ſam als die Geſchichte ſolcher Maͤnner, deren man ſich als ſei - ner ehemaligen Mitbuͤrger und Verwandte erinnert; insbe -Z 4ſondre360Aufmunterung und Vorſchlagſondre aber fehlt ihnen die wahre Reizung fuͤr uns auch ein - mal ſelbſt und mit den Namen der Nachwelt auf gleiche Art empfohlen zu werden; und dieſe Reizung, welche die ver - nuͤnftige Eigenliebe vielleicht nicht deutlich denkt, aber doch allemal empfindet, iſt nicht das letzte Mittel die Menſchen zur Ausuͤbung ſtiller und wahrer Tugenden zu fuͤhren. Ein Ehrenmal, worauf die Tugend in ihrem feyerlichſten Gewande auf das liebenswuͤrdigſte abgebildet iſt, wird nie ſo vielen Ein - druck in unſern Buſen hinterlaſſen als das Denkmal, das der Staat einem genannten Privatmanne, deſſen Familie, Freund - ſchaft und Andenken noch lebt, zur Dankbarkeit fuͤr ſein Wohl - verhalten errichtet.

Bey dem allen bleibt es aber doch wahr, daß man die Heilig - und Seligſprechung nur ſelten und ſparſam gebrau - chen, und ſie nicht wie unſre heutigen Tittel verſchwenden muͤſſe, woſern man ihren Werth nicht ſchwaͤchen, und den himmliſchen Adel ſo gemein als den irrdiſchen machen will. Es bleibt ferner wahr, daß ſolche nicht die Stelle einer buͤr - gerlichen Krone vertrete und zur Aufmunterung politiſcher Tu - genden diene. Daher reicht derſelbe auch zu allen Abſichten nicht hin, und man denkt billig darauf, das Andenken ſolcher Thaten, welche zu ihrer Ehre erſt den Zeitungsſchreibern und Journaliſten, und hernach ſolchen gelehrten Fabricanten, welche daraus das Leben großer Kriegeshelden beſchreiben, unbekannt bleiben, noch auf mehrere Arten in Segen zu erhalten. Und hiezu iſt das Mittel einheimiſcher Biographien oder Lebens - beſchreibungen gewiß das bequemſte und wohlfeilſte. Unſre Vorfahren kannten dieſen großen Plan, indem ſie die ſoge - nannten Perſonalien eines verdienten Mannes drucken lieſ - ſen. Und es iſt ſchade, daß die Satyre hier das Kind mit dem Bade verſchuͤttet, und nicht darauf eingelenkt hat, daßblos361zu einer weſtphaͤliſchen Biographie. blos verdienten Maͤnnern ex decreto reipublicæ dergleichen Ehre wiederfahren ſolte. Doch dies im Voruͤbergehen.

Deutſchland macht kein recht vereinigtes Ganze aus, wie andre Reiche. Es hat keine Hauptſtadt wie Frankreich und England, und folglich ſtehen diejenigen Perſonen, welche dem Staate und gemeinen Weſen dienen, oder auch ſonſt in ſtiller Groͤße leben, nicht auf der Hoͤhe und in dem Lichte, worinn ſie ſich in jenen Reichen befinden. Wir koͤnnen uns alſo nie ſchmeicheln, ſolche Biographen zu erhalten, wie unſre Nachbaren haben. Wir koͤnnen hoͤchſtens Helden und Ge - lehrte (und dergleichen Muſter brauchen wir ſo gar viel nicht) aber nie den Mann, der dem Staate im Cabinet und auf dem Rathhauſe dienet, zu einem Terrayc)Was muß man ſich fuͤr eine Idee von einem Manne machen, der ſich mit dem Haſſe eines Reichs beladen laͤßt, und allen Spoͤttereyen ausſetzt, um einen voͤllig verdorbenen Staat wieder herzuſtellen? Desgleichen giebt es alle hundert Jahre nur einen. oder Beckford machen. Der Miniſter eines Biſchofen oder Reichsgrafen mag ſeinem kleinen Staate noch ſo große Dienſte leiſten und zehntauſend Unterthanen gluͤcklich machen; ſein Ruhm wird mit ihm bald in die Grube ſinken, wenn er auf einen ſolchen Biographen warten ſoll, wie die Englaͤnder und Franzoſen haben. Daher iſt es noͤthig auf eine einheimiſche Anſtalt zu denken, wofern wir nicht den Nutzen, welchen die Ehre nach dem Tode, dieſer große obgleich unerklaͤrliche Bewegungs - grund, dem gemeinen Weſen ohne viele Koſten verſchafft, ganz verlieren wollen.

Unſer Stift iſt zu klein, um allein etwas zu unterneh - men. Allein Weſtphalen iſt groß genug, und das Leben eines Weſtphaͤlingers kann wenigſtens alle ſeine Landesleute intereſ -Z 5ſiren;362Aufmunterung und Vorſchlag zu einer weſtph. ꝛc. ſiren; es kann Nutzen und Nachahmung erwecken, da man ſich einander kennt, oder doch an ſeinen Landesleuten einen naͤhern Antheil als an fremden nimmt. Wir haben große Maͤnner gehabt; und es iſt zu glauben, daß die Familien, welche dergleichen unter ihre Ahnen zaͤhlen, die Nachrichten gern mittheilen werden, ſo bald ſie ſehen, daß ein ſo nuͤtzli - cher Gebrauch davon gemacht werden ſoll. Wir koͤnnen auch Kuͤnſtler, Mahler und Bildhauer aufweiſen, die entweder von fremden Biographen mit Stillſchweigen uͤbergangen oder auf fremde Rechnung geſchrieben worden. Wie iſt es uns nicht mit den bekannten Iſrael von Mecheln gegangen, der nicht weit von Bokholt im Stifte Muͤnſter zu Hauſe war, dort gelebt und gearbeitet hat? Der juͤngſt verſtorbene Canzler von Braband, Herr von Crumpypen, war eines Schmids Sohn aus Warburg. Er ſelbſt hat es in ſeinem Leben keinen verhehlet; aber ſeine Nachkommen koͤnnten es leicht vergeſſen. Die Geſchichte ſolcher Landesleute, die ſich durch eigne Verdienſte haben heben muͤſſen, bleibt aber allemal angenehm und nuͤtzlich; und das Leben eines Grafen von Oſterman iſt wichtiger als die Sammlung aller Thaten von manchem ge - bohrnen Reichsfuͤrſten. Es ſind aber nicht blos dieſe Art von Cometen, die nur ſelten erſcheinen, deren wunderbaren Lauf eine Beſchreibung verdient. Wir wuͤnſchten auch die Lebens - laͤufe ſolcher Maͤnner und Muſter zu haben, die zur Nachah - mung geſchickter, von minderm Glanze, aber von gleicher Groͤße geweſen; und wir wuͤnſchen, daß ſich eine Geſellſchaft zuſammen thun und vorerſt mit Sammeln den Anfang machen moͤge. Bis dahin dieſes geſchicht, werden alle Kenner und Liebhaber erſucht, diejenigen Nachrichten von ruhmwuͤrdigen Maͤnnern aus Weſtphalen, welche in einer ſolchen Sammlung erwehnt zu werden verdienen, dem Intelligenzcomtoir, wo ſie zu getreuer Hand aufbewahret werden ſollen, einzuſchicken.

LXIV. 363

LXIV. Vorſtellung zu einer Kreisvereinigung, um das Brandteweinsbrennen bey dem zu beſor - genden Kornmangel einzuſtellen.

Es iſt ſchon mehrmalen erinnert worden, wie hoͤchſtnuͤtz - lich es ſeyn wuͤrde, wenn die Reichsſtaͤnde in dem weſt - phaͤliſchen Kreiſe ſich wegen gewiſſer Policeyanſtalten gemein - ſchaftlich vereinigten, und allenfalls auch mit dem benachbar - ten niederſaͤchſiſchen Kreiſe dieſerhalb eine Correſpondenz un - terhielten. Die alten Reichsgeſetze empfehlen dieſes mit ſo vielem Ernſte; und die Noth erfordert es ſo offenbar, daß man ſich billig wundern muß, warum nicht mit mehrern Ernſte und Eifer an eine ſo noͤthige Sache gedacht werde. Die Zeit iſt voruͤber, worinn die anwachſenden Territorialhoheiten ge - gen eine ſolche Anſtalt eiferſuͤchtig waren. Jeder Reichsſtand iſt nunmehro wuͤrklich voͤlliger Herr in ſeinem Lande, und keiner hat zu beſorgen, wenn er durch eine freywillige Ver - einbarung mit ſeinem Kreisgenoſſen ſeiner Macht Vollkom - menheit einige Schranken ſezt, daß ihm ſolches als eine neue Unterwuͤrfigkeit gegen das gemeinſchaftliche Reichsſyſtem und deſſen Oberhaupt werde angerechnet werden. Woran liegt es alſo, daß die Reichsſtaͤnde eines Kreiſes ſich gewiſſer Dinge halber nicht naͤher vereinigen, und gegen allgemeine Uebel nicht mit gemeinſchaftlichen Kraͤften arbeiten?

Nichts ſcheinet eine ſolche Vereinigung dermalen naͤher zu empfehlen, als der Abfall der leztern Erndte, und derda -364Vorſtel. zu einer Kreisv. um das Brandteweinsbr. daher zu beſorgende Kornmangel. Kein einzelner Kreisſtand iſt vermoͤgend ſich in dieſem Falle ſelbſt zu helfen. Will der eine das Brandteweinsbrennen verbieten: ſo laͤßt es der an - dre zu, um den Vortheil allein zu ziehen. Die kleinen Staa - ten beſtehen aus lauter Graͤnzen; und ſo bald den Eingeſeſ - ſenen eines Staats das Getraͤnke um einen halben Pfennig erhoͤ - het wird: ſo geht er uͤber die Graͤnze, wo er wohlfeiler trinken kann und traͤgt ſein Brodkorn zu einer fremden Blaſe. Sucht der eine die Ausfuhr zu verbieten: ſo verfuͤhrt der andre ſeine Nachbarn, ihm das ihrige bey der Nacht zuzubringen; und der Geſetzgeber des einen Kirchſpiels mag ſich wenden und drehen wie er will: der andre belauret ihn doch; und der Mangel uͤbereilt ſie zulezt alle.

Alle dieſe Unbequemlichkeiten und hinterliſtigen Be - handlungen werden aber wegfallen, wenn die Nachbaren ei - nes Kreiſes ſich gemeinſchaftlicher Anſtalten verglichen; wenn ſie die Brandteweinskeſſel insgeſamt verſiegelten; ſich uͤber Ein - und Ausfuhr mit einander verſtuͤnden, und ſolcherge - ſtalt allen Unterſchleifen nachdruͤcklich vorbeugten. Nur als - denn kann die fuͤr das Wohl der Unterthanen wachende obrig - keitliche Vorſorge ihre Abſicht erreichen, anſtatt daß jezt dieje - nige, ſo das Tanzen verbietet, nur die Spielleute ihrer Nach - barn bereichert.

Noch gluͤcklicher wuͤrden die Folgen einer ſolchen Verei - nigung ſeyn, wenn einer zugleich von ſeinem Ueberfluß des andern Mangel abzuhelfen ſuchte. Der Kornhaͤndler wendet ſich bey der geringſten Verlegenheit gleich nach Bremen, treibt dort die Preiſe in die Hoͤhe, und erwecket ein gefaͤhrliches Ge - ſchrey, ohne daß man noch recht verſichert iſt, ob ein wahrer Man - gel im Kreiſe vorhanden ſey? Dies wuͤrde man gewiß nichtzu365bey dem zu beſorgenden Kornmangel einzuſtellen. zu beſoͤrgen haben, wenn die Kreisſtaͤnde mittelſt einer ver - traulichen und ſichern Correſpondenz den wahren Mangel oder Vorrath jedesmal zu beurtheilen im Stande waͤren. Man wuͤrde dem entlegenern Stande, der Korn genug, aber kein Fuhrwerk hat, dienen und ſich ſelbſt helfen koͤnnen. Man wuͤrde das Fuhrwerk im Kreiſe einander zu tarifmaͤßigen Prei - ſen liefern, ſich einander gleichſam in die Hand arbeiten, und die Circulation daheim auf eine Art befoͤrdern koͤnnen, wobey alle Theile ihr Intereſſe finden wuͤrden. Ja man koͤnnte dem - jenigen Stande, der den groͤßten Ueberfluß haͤtte, das Brandte - weinsbrennen von Kreiswegen zugeſtehen, und ſich vereini - gen, dieſes Getraͤnk binnen einer verglichenen Zeit blos von ihm zu nehmen, um ſich auf dieſe Art einander zu ſtatten kommen.

Wollte man die Sache aufs Intereſſe treiben: ſo waͤre nichts leichters als im ganzen Kreiſe eine gleichfoͤrmige Brandte - weinsacciſe einzufuͤhren; anſtatt daß jezt derjenige Stand, ſo ſeine gemeinen Ansgaben durch eine Trankſteuer zu beſtrei - ten ſucht, wenig mehr ausrichtet, als daß die Unterthanen einen Schritt uͤber die Graͤnze thun, und dort ein unverſteuer - tes Glas ausleeren. Alle Financiers ſtimmen darinn uͤber - ein, daß bey erheiſchender gemeinen Noth nichts billiger ſey als eine Steuer auf dieſes Getraͤnk. Die Landſtaͤnde des vorigen Jahrhunderts eiferten gegen das zunehmende Brandte - weintrinken, aͤrger als die Prediger, und baten recht eifrig darum, dem Uebel durch eine Vertheurung zu wehren. Die Englaͤnder und Franzofen haßten unſere Gegenden, weil der Brandtewein darinn zu wohlfeil war, und der Preis die Soldaten zum Geſoͤffe verleitete. Warum ſollte alſo eine ſolche Vereinigung im Kreiſe nicht heilſam und noͤthig ſeyn? be - ſonders wenn der fleißige Unterthan dagegen in andern Aufla -gen366Vorſtel. zu einer Kreisv. um das Brandeweinsbr. gen erleichtert wuͤrde? Kann die Entſchuldigung, daß der Brandtewein zum Nothduͤrftigen gewiſſer Menſchen gehoͤre, dagegen als erheblich angeſehen werden, da vor dreyhundert Jahren auf dem platten Lande noch gar keiner gebrandt, und blos der Vornehmere in den Staͤdten mit Nordhaͤuſer und Quedlinburger gelabet wurde; gleichwol aber der Landmann bey Pumpernickel und Bier eben ſo fleißig, wo nicht fleißiger war, als bey den vielen diſtillirten Giften?

Unſtreitig werden dieſe und aͤhnliche gute Abſichten gar ſehr dadurch gehindert, das die weſtphaͤliſche Kreisgeſand - ſchaft ſich in der Stadt Cölln aufhaͤlt, wo ſie von der wah - ren Beduͤrfniß des Kreiſes nichts erfaͤhret, und ſich auch gar nicht um dergleichen Anſtalten bekuͤmmert. Allein es iſt unſre Schuld, daß wir bey dieſer Stadt, welche blos der franzoͤſiſchen Kriege halber zur Kreisſtadt erwaͤhlet worden, und deren Lage, nachdem die Reichskriege mit Frankreich auf lange Zeit ein Ende genommen haben, allen guten Abſichten zuwider iſt, noch be - harren. Oſnabruͤck hat die wahre Lage zur Kreisſtadt. Sie liegt in der Mitte von allen, bequem zur Correſpondenz mit dem niederſaͤchſiſchen Kreiſe, und ſo, daß man immer den Bremiſchen und Hollaͤndiſchen Markt abſehen, mithin ſeine Maaßregeln darnach nehmen kann. Hier alſo ſollte man ſich zum erſtenmal zur Verſiegelung aller Brandteweinskeſſel im Kreiſe auf ein Jahr vereinigen und damit den Grund zu ei - ner guten Correſpondenz in andern Sachen legen.

LXV. 367

LXV. Von der Neigung der Menſchen, eher das Gute als das Boͤſe von andern zu glauben.

Die Neigung der Menſchen, eher das Boͤſe als das Gute von andern zu glauben, iſt unlaͤngſt ſehr angefochten, und als eine Tochter des Stolzes und des Neides verabſcheuet worden. Unſere Großmuͤtter dachten aber ganz anders, als z. E. wenn ein lediges Frauenzimmer auf oͤffentlichen Plaͤtzen allein ſpatzierte: ſo glaubten ſie gleich, es geſchaͤhe um ein gutes Ebentheuer zu ſuchen. Gieng ſie mit einer Mannsperſon allein, ſo hieß es: die Voͤgel zoͤgen zu Neſte. Gieng einer mit ſchlechten Leuten um: ſo hatte gleich und gleich ſich geſellet; machte ein Bedienter oder eine Bedientin zu großen Aufwand: ſo gieng das nicht von rechten Dingen zu, der Mann muſte Rips Raps und die Frau ſonſt was gemacht haben. Kurz, ſie legten jeden zweydeutigen Schein boͤſe aus, glaubten, daß alle, die ſich einer Verſuchung freywillig blos ſtelleten, leicht darin umkaͤmen, und dachten, Gelegenheit mache Diebe. Durch dieſe practiſche Maximen noͤthigten ſie ſowol junge als alte, nicht allein allen boͤſen Schein, ſondern auch alle Verſu - chung und Gelegenheit zu fliehen.

Der Rechtsgelehrte haͤlt jeden fuͤr einen ehrlichen Mann bis das Gegentheil erwieſen iſt. Dies gilt von aͤuſſerlichen Handlungen, welche der Richter zu beſtrafen hat. Die Sit - tenlehre haͤlt alle Menſchen fuͤr arme Suͤnder, um ſie zu noͤ - thigen, durch eine beſtaͤndige Thaͤtigkeit in guten Handlungen zum allgemeinen Beſten das Gegentheil zu zeigen. Er ſiehtei -368Klagen einer Hauswirthin. einen ruhigen Mann fuͤr faul, einen ungluͤcklichen fuͤr ſchul - dig, einen Bettler fuͤr diebiſch, und eine zu freye Perſon fuͤr liederlich an, um die gegenſeitigen Tugenden ſo viel eher zu erzwingen.

LXVI. Klagen einer Hauswirthin.

Ich weis mit Wahrheit nicht, wie eine ehrliche Frau dieſen Winter (1770) ſich mit ihrem Haushalt noch durchbrin - gen will, da alles was zur Leibes Nothdurft und Nahrung ge - hoͤret, immer theurer wird, und ſo wenig aus Holland als Oſtfriesland Butter vor Geld zu bekommen iſt.

Dabey nimmt der Unglaube ſo ſehr uͤberhand, daß auch das Geſinde die Furcht Gottes ganz auſſer Augen ſetzt, und ſich nicht mehr mit redlicher Koſt begnuͤgen will. Wo die Schweine es nicht noch einigermaßen wieder gut machen: ſo ſehe ich keinen Rath. Denn das eingeſchlachtete Kuhfleiſch verſchwindet im Topfe, und fettes Vieh will man wegen der leidigen Seuche noch nicht durchlaſſen. Talg und Kaͤſe ſind natuͤrlicher Weiſe auch geſtiegen; und die Oſtfrieſen werden uns ihr Ruͤbeoͤl theuer genung verkaufen wollen, da der Wall - fiſchfang in dieſem Jahre ſo ſchlecht ausgefallen iſt. Alles wird aufs liebe Brod fallen, und dieſes iſt uns leider heuer ſo ſparſam zugewogen, daß man es den Arbeitsleuten wohl wieder zuwaͤgen moͤchte. Kurz, wer dieſes Jahr mit Ehren durchkommt, der kann von Gluͤcke ſagen.

Das369Klagen einer Hauswirthin.

Das ſchlimmſte bey dem allen iſt, daß das Geſinde in hieſigen Gegenden immer gleich uͤppig und koſtbar bleibt, und durch keine Ermahnungen dahin zu bringen iſt, ſich mit Brod und Kaͤſe ohne Butter zu begnuͤgen. Anderwaͤrts hat man Birnmuß, Schwetzgenmuß und Moͤhrenſaft ſtatt der Butter; in Frankreich ſind eine Zwiebel und drey Kaſtanien eine herr - liche Mahlzeit; aber hier weis man von dem allen nichts. Das Geſinde wuͤrde einen auslachen, wenn man ihm, wie in Boͤhmen, Brod und Salzgurken, und des Sonntags ein paar Senfbirn vorſetzen wollte. Wir haben auch weder Schaafkaͤſe nach ſaure Schaafmilch, womit der Haushalt in andern Laͤndern Jahr aus Jahr ein unterhalten wird, und ohnerachtet ſich ganze Heere von Staaren in unſern Gegenden zeigten: ſo hat man ſich doch die Muͤhe nicht gegeben, ſie zu fangen, und fuͤr den Winter in Eßig zu ſetzen. Kurz, ich habe in meinem Leben ein ſolches Land nicht geſehn, wo die Einwohner ſo koſtbar leben. Es iſt gar kein Wunder, daß keine Fabriken darinn empor kommen koͤnnen. Denn jedet Bettler verzehrt doppelt ſo viel, als in andern Laͤndern der fleißigſte Fabrikant des Tages gewinnet. Ein Mohr in Africa lebt taͤglich von 3 Pfenningen, wofuͤr er ſich Brod und Zwie - beln kauft, und ſeine hoͤchſte Wolluſt an Feyertagen iſt, daß er ſein Brod roͤſtet und in Oel tunkt. Aber hier ſchreyt alles nach Fleiſch, und iſt kaum mit einerley zufrieden.

Ich wollte daß die Leute, die Philoſophen, wie man ſie heißt, die den Leuten ſo vieles weiß machen, und eine Herrſchaft auſſer Stand ſetzen, einen Haushalt in der Furcht Gottes zu fuͤhren, zum allgemeinen Beſten eingepoͤkelt wuͤr - den: ſo haͤtte man noch was davon. Insbeſondre aber wuͤnſchte ich, daß alle die ſuͤſſen Sittenlehrer, die den Weg zum Himmel ebner als unſre Heerſtraffen machen, und zurMöſers patr. Phantaſ. I. Th. A aBe -370Klagen einer Hauswirthin. Bequemlichkeit fuͤr die vornehmen Suͤnder mit Pelouſe*)à Paris on ne marche actuellement que ſur la Pe - louſe. Pelu oder Velu iſt eins; und zeigt alſo das Pe - louſe ſo viel als einen Grasweg an, der geſchornen Sammte gleicht. belegen, fuͤr den Unterhalt aller von ihnen verdorbenen Haus - haltungen im Zuchthauſe arbeiten muͤßten. Denn ihnen und ſonſt keinem haben wir es zu danken, daß dem Staͤdtiſchen Geſchlechte vor dem lieben Brodte ſo ekelt, und meine Maͤd - gen nichts als Filet machen wollen, da ich ihnen denn die Struͤmpfe fuͤr baar Geld kaufen muß. Ehedem hatte man ein Ehrenkleid fuͤr ſein Lebenlang, und meine Brautſchuh waͤhren noch nach dreyßig Jahren, indem ich ſie nicht anders als auf allen vier hohen Zeiten anziehe: aber jezt gehr alles mit ſeid - nen Schuhen und Struͤmpfen durch dicke und duͤnne, und das zu einer Zeit, wo der liebe Rocken kaum vor Geld zu haben iſt. Doch ich mag gar nicht mehr daran gedenken; Gott beſ - ſere die Zeiten, und gebe uns einen guten Winter, damit das Vieh noch eine Zeitlang drauſſen bleiben und die Frucht auf dem Felde allen denjenigen, welche auf ein theures Fruͤhjahr lauern eine ſolche Ausſicht zeigen moͤge, daß ſie es nicht wagen, ih - ren Vorrath bis zum aͤußerſten zuruͤck zu halten.

LXVII. 371

LXVII. Alſo ſoll man die Aufſuchung der Spitzbuben, Vagabunden, nicht bey Nachte vor - nehmen?

Wenn die Policey nach Landſtreichern und andern ver - daͤchtigen Leuten ſuchen laͤßt: ſo pflegt ſolches insge - mein des Nachts zu geſchehen. Ein hier ſitzender Spitzbube hielt daruͤber unlaͤngſt nachſtehende Rede:

Die Policeybediente muͤſſen glauben, daß wir, wie andre ehrliche Leute, unſer Brod bey hellen Tage verdienen, und des Nachts von unſrer Arbeit ausruhen. Sonſt wuͤrden ſie ſich wohl nicht allemal die vergebliche Muͤhe machen, uns des Nachts in den Schenken aufzuſuchen. Nein, wenn wir ſchlafen: ſo geſchieht dieſes bey Tage, und des Nachts bleiben wir in keiner Schenke, wenn wir auch wuͤrklich ſchlafen woll - ten. Hier iſt es viel zu unſicher vor uns, und jeder Laͤrm wuͤrde uns in Furcht und Gefahr ſetzen. In den Wirths - haͤuſern findet man uns, und unſre kuͤnftigen Mitbruͤder, die Landſtreicher, nicht haͤufiger als im Winter gegen drey oder vier Uhr des Abends. Von den Beſchwerlichkeiten eines kalten und regnigten Tages ermattet, oder von einer Arbeit der vorigen Nacht, durch einen kurzen Schlaf nur halb er - quicket, genießen wir ſodann der erſten Waͤrme beym Feuer oder in der Stube. Die heiſchere Kehle wird durch einen guten Trunk ſodann gelabet, und der hungrige Magen genießt etwas warmes, was wir auf der Landſtraſſe und auſſer den Wirthshaͤuſern nicht finden. Die Reiſenden kehren zu dieſerA a 2Zeit372Alſo ſoll man die Aufſuchung der Spitzbuben ꝛc. Zeit haͤufiger ein, und der durſtige Bauer eilet zur Labung. Wir hoͤren von ihnen die Neuigkeiten des Dorfs, und erfah - ren nicht ſelten, wie ſie des Nachts beſtellet ſind, eine allge - meine Viſitation vorzunehmen. Der Untervogt erzaͤhlet, wie manchen Spitzbuben er in ſeinem Leben beynahe gefangen, und wie er einsmals bey einer naͤchtlichen Viſitation in Ge - fahr geweſen ſey, den Hals zu zerbrechen. Wir hoͤren dieſes ruhig an. Allein gegen dem daß die Waͤrme, das Bier und der Brandtewein die Koͤpfe der Bauern ſchwer machen, wel - ches insgemein gegen 9 Uhr zu geſchehen pflegt: ſo ſchleichen wir davon, um entweder einige Stunden weit nach neuen Eroberungen zu ſtreifen; oder wir kriechen in eine unverdaͤch - tige Scheune aufs Heu, wo uns niemand mit der Leuchte ſieht: hier liegen wir in der vollkommenſten Sicherheit; und das ganze Kirchſpiel hat bey der naͤchtlichen Viſitation nichts als einen guten Rauſch gewonnen.

Der Mann, der dieſe Rede hielt, redete aus der Er - fahrung; er war gewiß hundertmal bey Nachte geſucht, und nicht gefangen, aber endlich bey Tage angeſchloſſen, und ſo gefangen worden.

Ende des erſten Theils.

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TextPatriotische Phantasien
Author Justus Möser
Extent396 images; 96598 tokens; 15081 types; 672671 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

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EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationPatriotische Phantasien Erster Theil Justus Möser. Jenny von Voigts (ed.) . [4] Bl., IV, 372 S. NicolaiBerlin1775.

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HAB Wolfenbüttel HAB Wolfenbüttel, M: Ac 252:1Dig: http://diglib.hab.de/drucke/ac-252-1b/start.htm

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LanguageGerman
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ShelfmarkHAB Wolfenbüttel, M: Ac 252:1
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