PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Das Leben und die Meinungen des Herrn Magiſter Sebaldus Nothauker.
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Dritter und letzter Band.
Mit Kupferſtichen, von Dan. Chodowiecki gezeichnet und geaͤtzet.
Mit Königl. Preuß. Churfürſtl. Brandenb. Churfürſtl. Sächſi - ſchen allergnädigſten Freyheiten.
Berlin und Stettin,beyFriedrich Nicolai. 1776.
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Siebentes Buch.

Erſter Abſchnitt.

Das Schiff, worauf ſich Sebaldus befand, ſe - gelte eine Zeitlang mit gutem Winde, und naͤherte ſich ſchon der hollaͤndiſchen Kuͤſte, als ploͤtz - lich in Oſten ein Sturm aufſtieg, der das Schiff, Vlie und Texel vorbey ſchleuderte, und es an die Nord - hollaͤndiſche Kuͤſte warf, wo es, da der Wind in Nord-Weſt lief, ohnweit Egmont ſcheiterte. Der Schiffer und die vornehmſten Perſonen wollten ſich in einem Boote retten, aber es ſprangen zu viel Per - ſonen hinein, und das Bott ſank, in dem Augen - blicke, da die darinn befindlichen Ungluͤcklichen, das auf dem Sande feſtſitzende Schiff von den Wellen zerſchmettern ſahen.

A 2Jeder4[3]

Jeder arbeitete gegen die ungeſtuͤmen Wogen, ſo lange noch einige Kraft da war, aber die meiſten er - matteten, und giengen zu Grunde. Sebaldus war unter den wenigen, die von den Wellen ſelbſt ans flache ſandigte Ufer geworfen wurden. Er kroch mit aͤuſſerſter Muͤhe den Strand hinan, denn die bey - nahe voͤllig erſchoͤpften Kraͤfte, der heftige Regen und Wind, die ausgeſtandene Muͤhſeligkeiten, die Menge verſchlucktes Seewaſſers machten ihn tod - krank. Ohnweit von ihm, ward der Koͤrper des Schiffers ans Land geworfen. Der halbtodte Se - baldus ſtrengte alle Kraͤfte an, um ſeinem Wohlthaͤ - ter zu helfen, umſonſt, er lag, ohne ein Zeichen des Lebens zu geben. Dieſer neue Kummer, uͤberwaͤltigte die geringen Lebenskraͤfte des kaum mehr Athem - ſchoͤpfenden Sebaldus. Er fiel in Ohnmacht, wo - rinn er eine geraume Zeit lag. Als er ein klein we - nig zu ſich ſelbſt kam, ſahe er, in dem ſchrecklichſten Wetter, da ſich nur das aͤußerſte Wuͤten des Sturms gelegt hatte, einige Strandbewohner die Ueberbleib - ſel der Ladung des zertrummerten Schiffs aufs eil - fertigſte pluͤndern, ehe ſie der Schout in Egmont etwan ertappen koͤnnte. Um ihn aber bekuͤmmerte man ſich ſo wenig, als um die uͤbrigen todten Koͤr - per. So lag der huͤlfloſe Mann den Reſt des Tages,von5[4]von der ganzen Natur verlaſſen, troſtlos, das Le - ben, deſſen er ſchon vorher ſatt war, nicht weiter wuͤnſchend, fiel endlich, aus gaͤnzlicher Ermattung, in ein taubes Hinbruͤten zwiſchen Schlummer und Ohnmacht, ſein letztes Bewuſtſeyn, der Wahn, daß ſein Hinſinken des Todes Anfang ſey.

Er erwachte wieder, mit Tagesanbruch, bloß nur vermoͤgend, zu empfinden, den erwaͤrmenden Strahl der Sonne, und die Ruhe des beſaͤnftigten Meeres, aber ohne Kraft ſich zu bewegen, ohne Anſchein von Huͤlfe, in der todten Stille der Gegend, die Hof - nung des nahen Todes, ſein einziger Wunſch.

So fand ihn nach einigen Stunden, ein guther - ziger nordhollaͤndiſcher Fiſcher, der weil er einige Zei - chen des Lebens an ihm ſpuͤrte, und aus ſeiner ſchwar - zen Kleidung ſchloß, daß er ein Geiſtlicher ſey, ihn weiter den Strand hinauf ſchleppte, ſo gut er konnte erquickte, und endlich Mittel fand, ihn bis in ſeine Huͤtte zu bringen. Der gutherzige Nordhollaͤnder pflegte ihn daſelbſt, wie es ſeine eigene Armuth er - laubte, ſo daß der Kranke bald wieder an Kraͤften zunahm.

Beide konnten nur mit vieler Muͤhe einander verſtehen, durch Huͤlfe des Plattdeutſchen, das Se - baldus in Holſtein gelernet hatte. Sebaldus ver -A 3heelte6[5]heelte die Verlegenheit nicht, in der er ſich befand, da er von allem Nothwendigen entbloͤßt, die weite Reiſe nach Oſtindien unternehmen ſollte, die in ſei - nem Elende noch ſeine einzige Hofnung war. Da der Fiſcher vernahm, daß Sebaldus lutheriſch ſey, ſchlug er ihm vor, er wolle ihn zu einem lutheriſchen Prediger nach Alkmar bringen, der ihm zu ferne - rem Fortkommen behuͤflich ſeyn werde.

Weg! rief Sebaldus, deſſen Gemuͤth durch man - nigfaltiges Ungluͤck verbittert war, weg mit den Geiſtlichen, ſie ſind an allem meinem Ungluͤcke ſchuld! wehe mir! wenn ich mich wieder an ſie wenden ſollte!

Aber dieſer, ſagte der Fiſcher, iſt ein frommer wohlthaͤtiger Mann.

Wohlthaͤtig? rief Sebaldus voll Unwillen, ich kenne ſie! Sind ſie nicht kalt und hartherzig, ſo thun ſie nur denen gutes, die mit ihnen im gleichen engen Zirkel ihrer Lehrmeinungen herumgehen, außer demſelben, beſtreiten ſie, verdammen ſie, laſſen Hun - gers ſterben, ſo ſehr ſie vermoͤgen.

Dieſer iſt aber doch ein recht guter Mann, verſetzte der Fiſcher. Der vorige Prediger, hat immer mit der Ehrw. Claſſis viel Streit gehabt, dieſer aber ver traͤgt ſich mit den Reformirten und mit den Menno - niſten, ſo wie mit ſeinen eignen Glaubensbruͤdern.

Er7[6]

Er iſt vertraͤglich? rief Sebaldus. Wohl! ſo laßt uns zu ihm gehen. Doch lieber Mann, ſagte er, ſeufzend, indem ſie fortgiengen, wißt ihr nicht einen gutherzigen Kraͤmer oder Bauern, zu dem wuͤrde ich beynahe mehr Zutrauen haben. Der Fiſcher wuſte ſonſt niemand, und ſie giengen nach Alkmar.

Als ſie in des Predigers Haus traten und ihn zu ſprechen verlangten, rief ihnen die Magd entgegen: Jhr werdet ihn ietzt nicht ſprechen koͤnnen, denn er iſt eben von dem Leichenbegaͤngniſſe ſeines einzigen Sohnes zuruͤckgekommen, und noch ganz in Traurig - keit verſunken. Doch als ſie die Fremdlinge an - meldete, wurden ſie vorgelaſſen.

Der Fiſcher ſagte ihm kurz: Er bringe ihm einen auf der See verungluͤckten lutheriſchen Prediger aus Deutſchland, der, weil er ſonſt keine Huͤlfe finden koͤnnen, habe nach Oſtindien gehen wollen.

Der Prediger fragte den Sebaldus lateiniſch: Was ihn bewogen habe, ſein Vaterland zu verlaſ - ſen?

Ungluͤck und Mangel antwortete Sebaldus, ſich nicht getrauend, gegen den Prediger eine naͤ - here Veranlaſſung anzugeben.

A 4 Aber8[7]

Aber Ungluͤck und Mangel, laͤßt ſich beſſer in der Naͤhe abhelfen, ohne daß man die Seinigen verlaſſe.

Ach! mir iſt niemand uͤbrig, der mich vermiſſen koͤnnte, niemand iſt (die Thraͤnen floſſen ihm von den abgehaͤrmten Wangen,) in dieſem ganzen Welt - theile, den ich den Meinigen nennen koͤnnte.

Du biſt alſo nicht verheurathet, Freund, haſt keine Kinder? Er ſah den Sebaldus ſtarr an und ſeufzete.

Ach meine Frau iſt laͤngſt unter Kummer und Ungluͤck erlegen. Kinder? Ach ja, leider! ich habe Kinder. Eine Tochter, die meiner ganz unwuͤrdig iſt, einen Sohn, der in der Welt herumirret, ſeinen Vater laͤngſt vergeſſen hat, oder vielleicht auch, ſetzte er verzweifelnd hinzu, nicht mehr herum - irret, denn ſeit zwey Jahren, habe ich keine Nach - richt von ihm.

Und du nenneſt dich ungluͤcklich, Freund! da du Kinder haſt? Siehe mich an! Er bedeckte ſein Angeſicht mit der Rechten, Mein einziger Sohn iſt tod! die Stuͤtze meines Alters iſt dahin! wollte Gott! er irrte noch in der Welt herum. Jch wollte ſein warten, Jahre lang ſein warten! Haͤtte er Fehler begangen? welches goͤttliche Vergnuͤ - gen,9[8] gen, ihn zu beſſern, ihm in meinen vaͤterlichen Ar - men zu vergeben! Du haſt Unrecht, Freund. Dein Sohn wird von ſeinen Wanderungen zuruͤckkehren, deine Tochter wird den Jrrweg verlaſſen, ins vaͤter - liche Haus, zur Tugend, zuruͤckkehren wollen, und das vaͤterliche Haus iſt leer! Jhr Vater iſt von ihnen geflohen! Ach, Freund! Sie ſind un - gluͤcklicher, als du!

Fuͤr mich iſt kein Haus mehr da! Er ſahe den Prediger mit ſtarrer Verzweiflung an. Nicht einmahl ein Obdach in dieſem ganzen Welttheile! Sein Haupt ſenkte ſich, und er legte ſeine gefalteten Haͤnde auf ſeine Knie.

Und wer hat es dir genommen? ſagte der Pre - diger mit einem Tone voll hollaͤndiſcher Kaͤlte, die Sebaldus fuͤr Gleichguͤltigkeit nahm.

Prieſter haben mich verfolgt verſetzte Sebaldus, auffahrend, weil ich Wahrheit bekannte. Er ſtand hitzig auf. Haben mich von Lande zu Lande gejagt, wollen mich nicht einen Biſſen Brod eſſen laſſen.

Und Freund! du biſt gewuͤrdigt worden, um der Wahrheit willen zu leiden, und nenneſt dich un - gluͤcklich? Weiſt du nicht, welcher Lohn deiner dort wartet? Wer waren die Feinde die dich verfolg -A 5 ten?10[9] ten? Vermuthlich herrſchſuͤchtige Praͤlaten, blut - gierige Moͤnche, die Gott einen Dienſt zu thun glauben, wenn ſie die Ketzer vom Erdboden vertil - gen. Unſere reformirten Bruͤder in Deutſch - land denken wohl zu gut, als daß ſie, wie hier zu Lande noch zuweilen geſchiehet, ihre proteſtantiſchen Bruͤder verfolgen ſollten.

Ja hat ſich wohl! Reformirten? Lutheraner wa - ren es, der Reformation Erſtgebohrne, die auch nur allein die reine Lehre zuvor geerbt zu haben glau - ben

Und nun, weil der gute Mann mit dem Anblicke der niederdruͤckenden Laſt ſeiner Ungluͤcksfaͤlle, ſeine gewoͤhnliche Sanftmuth, und mit der Hofnung eines beſſern Zuſtandes, auch ſeine Beſonnenheit verlohren hatte, kam ſeine ganze Geſchichte, und alle ſeine heterodoxen Meinungen an den Tag.

Der Prediger, voll Erſtaunen, ſaß einige Minu - ten ſtille, ſchlug die Haͤnde zuſammen und rief:

Wie? Keine Genugthuung, keine Erbſuͤnde, keine ewigen Strafen? Freund, du behaupteſt ver - derbliche Jrrthuͤmer, die mit dem einzigen Wege zur Seligkeit nicht beſtehen koͤnnen!

Sebaldus hob ungeduldig die Augen empor und redete den Fiſcher in gebrochenem Hollaͤndiſchen an:

Kennt[10]
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Kennt ihr keinen Handwerker oder Tagloͤhner, der noch nichts vom einzigen Wege zur Seligkeit gehoͤrt hat, der wird vielleicht noch einen Biſſen Brod mit mir theilen. Jch ſagt euchs gleich, daß wir hier nichts ausrichten wuͤrden.

Damit wandte er ſich zornig um. und wollte zur Thuͤr hinausgehen.

Der Prediger ſprang auf, drehte den Sebaldus mit beiden Haͤnden herum, hielt ihn feſt, ſchaute ihm gerade ins Geſicht und rief: Menſch warum verabſcheuſt du einen Menſchen, der den Weg zur Seligkeit fuͤr einzig haͤlt? Warum haſſeſt du ihn, ehe du ihn kenneſt?

Sebaldus, bey dem der ſchnelle Zorn allemahl der Uebergang zur Selbſterkonntniß war, antwor - tete mit ſehr gemaͤßigter Stimme:

Jch haſſe niemand, aber, Gott weiß es, dieſe Prieſter, welche ausſchließende Seligkeit an Lehr - formeln binden, haben mich gezwungen, ſie zu ver - abſcheuen, weil ſie jeden haſſen und verfolgen, der, ſo wie ich, glaubt, daß Leben und nicht Lehre, hier rechtſchaffen und dort ſelig mache.

Und, wenn du, erwiederte der Prediger, indem er die Haͤnde ſinken ließ, und ſeine Rechte auf Se - baldus Schulter legte, glaubſt, daß man bey je - der12[11] der Lehrmeinung rechtſchaffen ſeyn kann, warum willſt du, daß man es allein bey der orthodoxen lutheri - ſchen Lehre nicht ſeyn koͤnne, die von frommen Leuten in Form gebracht worden, die die Kirche ange - nommen und die Obrigkeit beſtaͤtigt hat?

Guter Alter! verſetzte Sebaldus, etwas ſtamm - lend, wenn du ſo viel Ungemach von herrſchenden Rechtglaͤubigen erlitten haͤtteſt, als ich, ſo wuͤrdeſt du die Frage nicht thun. Sie verdammen den, der anders denkt als ſie, in alle Ewigkeit, und hier auf Erden, haſſen ſie ihn als einen Verdammten, und vertreiben ihn, ſo weit ſie ihn erreichen koͤnnen.

Und das thun alle? Kennſt du ſie alle? Freylich, mein Freund! wer herrſchen will, wird verfolgen. Auch ich lebe unter einer herrſchenden Kirche, die verfolgt, ſo weit es die Obrigkeit zulaͤßet. Aber da - zu treibt nicht Lehre, ſondern Herrſchſucht und Rechthaberey. Du haſt Ungemach erlitten, von heftigen und herrſchſuͤchtigen Maͤnnern, die orthodox waren. Freund! Haſt du noch keinen Heterodoxen geſehen, der auch herrſchſuͤchtig war? Denn haͤt - teſt du weniger Erfahrung als ich. Jch habe ſchon oft mit dem erſten Keime der Heterodoxie, auch Eigenduͤnkel und Rechthaberey aufſprießen ſehen.

Sebal -13[12]

Sebaldus, beſchaͤmt, vermeinte: die boͤſe Lehre von der ewigen Verdammniß, mache doch die Ge - muͤther ſo ſehr geneigt, denjenigen, den man ſchon als einen kuͤnftig ewig Verdammten anſiehet, auch ſchon hier zu verabſcheuen,

Mein Freund! rief der Prediger: die dordrechti - ſchen Rechtglaͤubigen dieſes Landes, haben nebſt der Ewigkeit der Hoͤllenſtrafen noch die unbedingte Praͤdeſtination. Und dennoch, iſt in Alkmar ſo mancher brave Kalviniſt, der mich nicht fuͤr praͤde - ſtinirt haͤlt, und mich doch herzlich liebet. Jch bin lange in Amſterdam geweſen, wo hundert Sekten ſich ihrem Lehrſyſteme nach verdammen, und fried - lich neben einander leben.

Jch bin, fiel ihm Sebaldus haſtig ins Wort, in Berlin geweſen, wo auch Religionsverwandten aller Art friedlich miteinander umgehen, und ich habe dort nicht einmahl vom Verdammen etwas gehoͤrt, ausgenommen etwann einmahl

Ey, rief der Prediger, wenn du es auch nur ein - mahl gehoͤrt haſt, ſo wird es doch wohl, auch dort, mehrmahl geſchehen. Hoͤre meine Meinung: Nach meinem Lehrſyſteme, daß ich Jahre lang durchge - dacht habe, biſt du ich kann es nicht bergen in Jrrthuͤmern, die deiner kuͤnftigen Seligkeit hin - derlich14[13] derlich ſind, wenn Gottes Gnade nicht viel weiter gehet, als die Einſichten die ich aus ſeinem Worte ſchoͤpfen kann. Dieß getraue ich mir aber, nicht zu beſtimmen. Sey alſo Gotte und deinem Gewiſſen uͤberlaſſen. Und nun? Warum ſollte ich dich nicht lieben, wenn du ſonſt Liebe verdienſt? Jch ſagte vorher, wenn mein Sohn, deſſen Tod ich beweine, bloß verirrt waͤre, und endlich wieder zu mir kaͤme, wuͤrde ich ihm vergeben, und ihn zu beſſern ſuchen. So denke ich auch gegen jeden verirrten Glaubens - bruder, ſo gewiß denke ich ſo, als ich wuͤnſche, daß jeder Glaubensbruder, wenn ich mich verirre, ge - gen mich ſo denke. Auch dich, Freund! ſehe ich als meinen Bruder an! Nicht dieſer ganze Welttheil hat dich verſtoſſen, hier iſt noch ein Ort, und er iſt hoffentlich nicht der einzige, wo Einfalt der Sitten, Eintracht und Gaſtfreundſchaft herrſchen. Bleib bey mir, mein Bruder! Mein Haus iſt das dei - nige, und meinen Biſſen theile ich mit dir, ſo lange ich ſelbſt noch einen Biſſen habe.

Hiemit ſchloß er ihn in ſeine Arme, und Sebaldus, ſeiner Uebereilung halber beſchaͤmt, vor freudigem Er - ſtaunen ſtumm, konnte nur durch Thraͤnen antworten.

Der Prediger hielt redlich, was er verſprochen hatte. Er nahm den Sebaldus in ſein Haus auf, er ver -ſahe15[14]ſahe ihn mit den nothwendigſten Erforderniſſen. Sie hatten den freundſchaftlichſten Umgang. Freylich konnte es nicht fehlen, daß nicht beide, ſehr bald, uͤber Erbſuͤnde, Wiedergeburt und Genugthuung zu diſputiren anfiengen, aber dieſes machte in den menſchenfreundlichen Geſinnungen des Predigers keine Aenderung, ſelbſt alsdenn noch nicht, da Se - baldus zuweilen Argumente vorbrachte, bey denen der gute Prediger einige Minuten ſtill ſchweigen, und ſich erſt auf Gegenargumente beſinnen mußte.

Auf dieſe Art giengen einige Wochen vorbey, bis ein Kaufmann aus Rotterdam, der eine Parthey Guͤter auf dem geſtrandeten Schiffe gehabt hatte, deshalb nach Egmont reiſete, und ſich bey dieſer Ge - legenheit einige Tage in Alkmar aufhielt, wo er den lutheriſchen Prediger, ſeinen alten Bekannten, be - ſuchte. Er ſahe daſelbſt den Sebaldus, und nach einiger naͤhern Erkundigung, trug er demſelben die Erziehung ſeines zweyten Sohnes unter vortheil - haften Bedingungen an. Sebaldus beurlaubte ſich alſo bey ſeinem Wohlthaͤter, und reiſete mit dem Kaufmanne nach Rotterdam.

Dritter Theil. BZwey -16[15]

Zweyter Abſchnitt.

Der Kaufmann hatte bereits in ſeinem Hauſe einen Hofmeiſter, der zu Erziehung ſeiner bei - den Soͤhne gar wohl haͤtte hinlaͤnglich ſeyn koͤnnen. Allein er hatte eine lutheriſche Frau, und in den Ehe - pakten war verſehen, daß das erſte Kind reformirt und das zweyte lutheriſch erzogen werden ſollte. Seine Frau, eine gutmuͤthige Matrone, mit der er in allen Dingen, auch ſelbſt in Abſicht der zwiſchen ihnen verſchiedenen Konfeſſion, in groͤßter Eintracht lebte, wuͤrde mit dem Einen Hofmeiſter fuͤr ihre beiden Soͤhne, ob er gleich reformirt war, ſehr wohl zufrieden geweſen ſeyn; wenn nicht Domine Ter - Breidelen, ihr lutheriſcher Gewiſſensrath, ihr die Nichterfuͤllung dieſes Theils der Ehepakten, ſo oft zu einer Gewiſſensſache gemacht, und uͤber dieſe Be - eintraͤchtigung der reinen Lehre, bey ihren Mitluthe - riſchen Vettern und Muhmen, ſo oft bittere Klagen gefuͤhrt haͤtte; daß Frau Elſabe endlich anfangen mußte, ihrem Manne uͤber dieſe Sache in den Oh - ren zu liegen. Dieſer wuͤrde auch zu Beveſtigung des Hausfriedens, ſo wie des Kirchenfriedens, ſchon laͤngſt ihrem Verlangen ein Genuͤge gethan haben. Bloßder17[16]der Mangel eines dazu faͤhigen lutheriſchen Kandi - daten, war bisher daran hinderlich geweſen.

Es ward alſo der zweyte Sohn des Kaufmanns dem Sebaldus uͤbergeben, zu nicht geringem Mis - vergnuͤgen des reformirten Hofmeiſters, Meeſter Puiſtma, der den Knaben ſchon als ſein Eigenthum betrachtet hatte, und es als ein Mistrauen gegen einen ſo gelehrten Mann, auslegte, daß man einen Knaben, deſſen Erziehung er ſchon angefangen hatte, einem andern anvertrauen wollte. Wahr iſt es, daß er zu Erziehung der Jugend, ganz beſondere Talente hatte. Er war nicht umſonſt fuͤnf Jahre in Groͤningen und in Utrecht geweſen, ſondern hatte daſelbſt alle Worte der beruͤhmteſten Hochlehrer nachgeſchrieben und den reichſten Schatz hollaͤndiſcher Schulgelehrſamkeit und hollaͤndiſcher Rechtglaͤubigkeit geſammlet. Er - hatte alle Spitzfindigkeiten der Voetiſchen und Coc - cejaniſchen Theologie durchkrochen. Er wuſte ſo genau, in wie mancherley Sinne alle moͤgliche Theo - loganten in den ſieben vereinigten Provinzen, die Haushaltungen des goͤttlichen Gnadenbundes geordnet und verſtanden hatten, daß er noch eine neue Haushaltung haͤtte erdenken koͤnnen. Er konnte auf ein Haar beſtimmen, ob Chriſtus im al - ten Teſtamente nur ein Buͤrge und fidejuſſor fuͤr dasB 2menſch -18[17]menſchliche Geſchlecht geweſen, oder noch etwas an - ders. Dabey hatte Meeſter Puiſtma einen beſon - dern Fleiß auf die geſegnete Lehre von der Praͤdeſti - nation gewendet, und konnte, trotz einem von Mil - tons philoſophiſchen Teufeln, uͤber Vorherbeſtim - mung und freyen Willen diſputiren*)Others apart ſat on a hill retir’d In thoughts more elevate and reaſon’d high Of Providence, foreknowledge, will, and fate. Fix’d fate, free will, foreknowledge abſolute, And found no end, in wandring maxes loſt. Milton’s Paradiſe loſt. B. II. v. 557. Ja was noch mehr, da nach Miltons Berichte, ſelbſt die Teufel, ſich aus dem Diſpute uͤber dieſe Materien nicht herausfinden koͤnnen, ſo ſchien dieſer hollaͤndi - ſche Theologant, eine hoͤhere Scharfſinnigkeit zu be - ſitzen, denn er wuſte ſo genau zuſammengekettete Schlußfolgen, um den partikularſten Partikularis - mus zu behaupten, daß er ſich ſelbſt der Verdamm - niß wuͤrde uͤbergeben haben, wenn ihm haͤtte bewie - ſen werden koͤnnen, daß er nicht praͤdeſtinirt waͤre.

Dieſe theologantiſche Weisheit, hatte Puiſtma denn auch unverzuͤglich bey ſeinen beiden Zoͤglingen an den Mann gebracht, und ſie bereits ziemlich tief in die Haushaltungen hineingefuͤhrt. Zugleich, da er ſich erinnerte, daß dieſe Knaben einſt Buͤrger eines Freyſtaates werden ſollten, war er bemuͤht,ihnen19[18]ihnen die nuͤtzlichſten Stuͤcke der vaterlaͤndiſchen Ge - ſchichte zu erklaͤren. Dahin gehoͤrte beſonders die Geſchichte des Synods zu Dordrecht, mit ſeinen po - litiſchen und theologiſchen Veranlaßungen, und wie wohl man gethan, die Remenſtranton lieber nicht zu hoͤren, damit man ſie deſto gemaͤchlicher verdam - men konnte, deßgleichen die Vorfaͤlle mit der ſoge - nannten Loeveſteinſchen Parthie, nebſt der loͤbli - chen Hinrichtung des unruhigen Oldenbarne - veld u. ſ. w. Da er aber einſt wahrnahm, daß die Knaben, als er pathetiſcher Weiſe beklagte, daß das Schloß Loeveſtein nicht jetzt noch zum Gefaͤngniſſe fuͤr die widerſpenſtigen Unrechtſinnigen gebraucht wuͤrde, indeſſen unter dem Tiſche mit Keulchen und papiernen Voͤgeln ſpielten; ſo ward er dadurch nicht wenig entruͤſtet, und erklaͤrte ſich, nach dem Bey - ſpiele erfahrner Paͤdagogen, welche unartigen Kna - ben die Leckerbiſſen verſagen, ihnen das koͤſtliche Feſt dieſer Erzaͤhlungen ſo lange zu entziehen, bis ſie hungriger darnach wuͤrden.

Daher beſtand zu der Zeit, als Sebaldus ins Haus kam, der Unterricht der beiden Knaben, bloß darinn, daß ſie taͤglich aus dem Heidelbergiſchen Ka - techiſmus, ein Penſum der Abtheilung von des Menſchen Elende, auswendig lernen und herſagen,B 3dabey20[19]dabey taͤglich ein Kapitel aus Beza lateiniſcher Ue - berſetzung des Neuen Teſtaments exponiren mußten, und von einem beſondern Lehrmeiſter in den fuͤnf Specien der Rechenkunſt unterrichtet wurden, weil, wie leicht zu erachten, ein ſo gelehrter Mann, wie Meeſter Puiſtma, ſich mit ſo gemeinen Dingen nicht abgeben konnte.

Sebaldus aber brauchte bey ſeinem Zoͤglinge, eine etwas veraͤnderte Lehrart. Er lehrte ihn nebſt dem Ka - techiſmus, der lateiniſchen Sprache und dem Schoͤn - ſchreiben, noch die Geſchichte, Erdbeſchreibung und die hochdeutſche Sprache. Dieſe Lehrart gefiel den Eltern, obgleich der gelehrte Puiſtma uͤber dieſe unnuͤtze Dinge ſeine Verachtung bezeugte. Als aber Sebaldus ſich freywillig erbot, beide Knaben das Rechnen und die Muſik zu lehren, fieng Meeſter Puiſtma daruͤber Feuer, lief zu dem reformirten Domene Dwanghuyſen, und klagte, daß man den aͤlteſten Knaben lutheriſch zu machen ſuchte, weil ihm der lutheriſche Jnformator Stunden geben ſollte. Domine Dwanghuyſen war mit dieſer Neuerung freylich nicht recht zufrieden, weil aber der Kauf - mann gedeputeerde Ouderling, oder Kirchenvorſteher war, ſo wollte er ihn in etwas ſchonen, und ſprach noch vorjetzt den eifrigen Puiſtma zufrieden.

Noch21[20]

Noch ſchlimmer aber ward es, als Sebaldus anfieng, ſeinen Zoͤgling im Griechiſchen zu unterwei - ſen, und der Kaufmann, ſeinem aͤlteſten Sohne, aus dem er einen gelehrten Mann machen wollte, befahl, daß er dieſen Lehrſtunden beywohnen ſollte. Sebaldus ließ darinn Xenophons Denkwuͤrdig - keiten des Sokrates leſen und uͤberſetzen, und er - klaͤrte auch zuweilen einige Stellen aus Antonins Betrachtungen. Er nahm hierbey Gelegenheit, den Knaben, gute moraliſche Grundſaͤtze einzupraͤ - gen, und dieſe Grundſaͤtze, ihnen ſelbſt durch Erklaͤ - rung dieſer vortreflichen Buͤcher anſchauend zu ma - chen. Hieruͤber ſetzte Puiſtma den Sebaldus in Gegenwart beider Eltern, aufs heftigſte zur Rede Er ſagte ſonder Scheu, wenn Sebaldus ein rechter Chriſt waͤre, ſo wuͤrde er den Kindern nichts als die gewyde Bladeren*)(Geweihte Blätter) d. h. die Bibe|. und andere chriſtliche Buͤcher vor - legen, ihnen aber nicht ſolche ungeweihte blinde Hei - den, wie Sokrates und Antonin, zu Beyſpielen vorſtellen, deren Tugend ſchon der heilige Auguſtin als blendende Laſter verdammt habe. Sebaldus vertheidigte ſich, aber was konnte vernuͤnftige Ver - theidigung bey einem Manne, wie Puiſtma, hel - ſen. Der ſchrie, ohne Gruͤnde anzuhoͤren, und liefB 4voller22[21]voller Wuth, abermahls zu Domine Dwanghuy - ſen, ihm dieſe neue Ketzerey zu berichten.

Menſchliche Tugenden, beſonders die Tugenden der Heiden, waren zu der Zeit in Rotterdam eben nicht im beſten Rufe. Zwar hatte damahls Domine Hof - ſtede, noch nicht, die Laſter der beruͤhmten Hei - den angezeigt, zum Beweiſe, wie unbedacht - ſam man dieſelben ſelig geprieſen*)Dieſes Buch iſt ins deutſche uͤberſetzt. Leipzig 1769. 8. Es iſt aber auch leicht zu erachten, daß die unſinnige Behaup - tung: die groͤßten Maͤnner des Alterthums waͤ - ren, ohne Ausnahme, laſterhaft geweſen, nicht auf einmahl in eines Menſchen Gehirn kommen kann, ohne daß vorbereitende Thorheiten anderer Leute vor - hergegangen waͤren. Wirklich war ſchon ſeit gerau - mer Zeit in Friesland und durch das ganze Suͤd - holland, die Meinung gaͤnge und gaͤbe geweſen, das menſchliche Geſchlecht ſey von Natur elend, dumm und zum Guten unfaͤhig. Wenn irgend je - mand auf einige Art das Gegentheil behaupten, be - ſonders wenn er ſich etwann auf die Tugenden der Heiden berufen wollte, war es ſehr gewoͤhnlich, von Arminianiſcher Anſteckung, Pelagianiſchem Sauer - teige, und Socmianiſchem Gifte zu reden, auch wohlzu23[22]zu ſchreiben. Domine Dwanghuyſen war nicht der geringſte unter den rechtſinnigen Verdammern der Heiden; alſo iſt leicht zu begreifen, daß Meeſter Puiſtma’s Klage, ihn in nicht geringe Bewegung moͤge geſetzt haben.

Er gieng auch unverzuͤglich zum Kaufmanne, und fuhr den Sebaldus, in deſſen Gegenwart, heftig daruͤber an, daß er der Jugend heidniſche Schriften in die Haͤn - de gebe, um ihr darinn Beyſpiele der heiduiſchen ſuͤndli - chen Tugend, zur Nachahmung vorzuſtellen. Er deci - dirte, daß weder Xenophon noch Sokrates, noch Antonin praͤdeſtinirt geweſen, daß ſie wegen ihrer ver - meintlichen ſcheinbaren Tugenden kein Gegenſtand der goͤttlichen Barmherzigkeit haͤtten ſeyn koͤnnen, und alſo in dem hoͤlliſchen Schwefelpfuhle ewig bra - ten muͤſten. Sebaldus unternahm unbedachtſamer weiſe, die großen Maͤnner, wider dieſes hatte Ver - dammungsurtheil zu vertheidigen, machte aber da - durch das Uebel viel aͤrger, denn Dwanghuyſen ward ſehr heftig ergrimmt, daß Sebaldus gegen ihn, als gegen einen Seelenhirten, ohne Scheu ſol - che ſeelenverderbliche Meinungen behaupten wolle, und ſchrie, indem er aus dem Zimmer ſchritt, dem Kaufmanne zu, daß er einen ſolchen heidniſchen Un - chriſten nicht ferner einen Augenblick unter ſeinemB 5Dache24[23]Dache dulden ſollte, weil er ſonſt fuͤr nichts ſtehen wollte, wenn der ſeinen Hirten liebende Poͤbel, ſo - bald er ein ſolches Anathema Maran Atha*)1 Cor. XVI. 22. verſpuͤre, Unheil anſangen ſollte.

Der Kaufmann, der den Frieden liebte, und wohl wuſte, mit welcher Heftigkeit Domine Dwanghuy - ſen, das durchzuſetzen pflegte, was er einmahl be - gehrt hatte, waͤre ſehr geneigt geweſen, von Se - baldus zu ſcheiden. Aber ſeine Frau nahm ihren lutheriſchen Sebaldus in Schutz, und wollte ihn eher nicht wegſchaffen, bis ihr lutheriſcher Gewiſ - ſensrath auch ſein Gutachten daruͤber gegeben haͤtte.

Dritter Abſchnitt.

Domine Ter Breidelen, ward alſo erſucht, den folgenden Tag in dem Hauſe des Kaufmanns zu erſcheinen, und der eifrige Dwanghuyſen, wel - cher dieß ſogleich von Meeſter Puiſtma erfuhr, fand ſich, ungebeten, dazu ein.

Die Sitzung ward damit eroͤfnet, daß ſich Ter Breidelen den ganzen Caſum vortragen ließ, welches Meeſter Puiſtma, mit vieler Redſeligkeit verrich - tete. Darauf ſagte der Domine viel triftige Dinge,von25[24]von der Unnuͤtzlichkeit der heidniſchen Weisheit, und ſprach zugleich das Urtheil der ewigen Verdamm - niß uͤber Sokrates und Antonin aus. Sebaldus wolte ihre Tugend und folglich ihre Seligkeit ver - theidigen, aber dadurch machte er die Sache noch aͤrger, und ward ſelbſt verdammt. Domine Dwang - huyſen neigte ſich darauf freundlichſt gegen Domine Ter Breidelen, und zeigte in einer wohlgeſetzten Rede, daß, ſo herzlich er ſonſt ſeine lutheriſchen Bruͤder liebe, ſo koͤnne er doch eine ſo gefaͤhrliche Lehre, wie Sebaldus hege, auf keine Weiſe ent - ſchuldigen. Ter Breidelen rief: Sebaldus ſey kein Lutheraner, ſondern ein Synergiſt und Pe - lagianer, der die aͤchte lutheriſche Lehre, von der gaͤnzlichen Verderbniß der menſchlichen Natur ver - ſchmaͤhe. Dwanghuyſen erwiederte; faſt ſollte man denſelben, der Holland ſo ſchaͤdlichen Sekte der Ar - minianer beygethan halten, weil er zu behaupten ſchiene, die bekehrende Gnade, ſey lenis ſuaſio oder eine ſanfte Ueberredung, welche Lehre in den Ka - nonen des Dordrechtſchen Synods, Kap. IV, 7. verdammet worden. Ter Breidelen ruͤmpfte ein wenig die Naſe, bey Erwaͤhnung des Dordrecht - ſchen Synods. Sebaldus erſchrocken, daß er bey Behauptung der unſchuldigſten Wahrheiten ver -dammt26[25]dammt ward, und durch vorhergehende Verfolgung furchtſam gemacht, wolte ſich entſchuldigen, und ſich dem angenommenen Lehrbegriffe gemaͤßer ausdruͤcken. Dieß verurſachte einen weitlaͤuftigen polemiſchen Wortwechſel, in welchem beide Domine ſehr hart aneinander kamen. Denn ob ſie gleich ſehr einig waren, den Sebaldus zu verdammen, ſo wurden ſie doch, durch ſeine Vertheidigung, uͤber die Urſach der Vordammung wieder uneinig. Ter Breidelen be - ſorgte naͤmlich, die Meinung des Sebaldus fuͤhre zu der ſchaͤdlichen Lehre von der Praͤdeſtination, Dwanghuyſen hingegen vermeinte, ſie fuͤhre zu weit von dieſer heilſamen Lehre ab. Dieß brachte ſie in einen langen Diſput uͤber den Vorzug der Aug - ſpurgiſchen Confeßion und des Dordrechtiſchen Synods, wobey ſie von Sebaldus Meinungen ganz weg geriethen, und nur endlich, da ſie die Mit - tagsglocke ans Weggehen erinnerte, uͤbereinkamen, daß Sebaldus nach keinem von beiden lehre. Er ward alſo abermahls unwiderruflich verdammt. Dwanghuy - ſen ermahnte, als ſie zur Thuͤr hinausgiengen, ſeinen Kirchenvorſteher, und Ter Breidelen ſein Kirch - kind, einen ſo heilloſen Menſchen, der mit keinem einzigen Symbolum uͤbereinſtimmte, ſogleich von ſich zu laſſen, und Dwanghuyſen beſonders, erwaͤhntenoch -27[26]nochmals beylaͤufig, des hirtenliebenden Jan Ha - gels.

Gutmuͤthige Layen, welche aufmerkſam zuhoͤren, wenn geiſtliche Herren, uͤber die Orthodorie und He - terodoxie eines andern ſtreiten, befinden ſich ohnge - faͤhr in der Lage, als wenn gewoͤhnliche Menſchen, bey der Konſultation gelehrter Aerzte, uͤber den un - gewiſſen Zuſtand eines Kranken, zugegen ſind. Sie trauen dem Patienten, nicht allein, bald alle die frem - den Krankheiten zu, deren griechiſche Namen ihm von beiden Seiten zugeworfen werden, ſondern, es faͤngt ſie wohl ſelbſt an, ein Schwindel, Kopfweh oder Gliederreiſſen anzuwandeln; wenn man die ganze Pathologie ſo vor ihnen die Muſterung paſ - ſiren laͤßt.

So gieng es dem Kaufmanne und ſeiner Frau, die den ganzen Streit voll Betaͤubung angehoͤrt hat - ten. Sie ſahen bald den Sebaldus ganz furchtſam daruͤber an, daß er, wider alles Vermuthen, ſich ſo graͤßliche Lehren behaupte, bald wollten ſie ihn, mit dem vielen Guten, das ſie ſonſt an ihm be - merkt hatten, entſchuldigen, bald fiengen ſie an, fuͤr ſich ſelbſt zu fuͤrchten, ob ſie wohl in ihrem Chriſtenthume ſo lau geworden, um die Jrrlehren nicht zu fuͤhlen, bald gereute es ſie, daß die wohlan -gefangene28[27]gefangene Erziehung ihrer Kinder, wieder liegen blei - ben ſollte.

So herrſchte beym Mittagsmahle ein todtes Still - ſchweigen, und einer ſahe den andern aͤngſtlich an, bis Meeſter Puiſtma, der, nach ſo wohlvoll - drachten Verrichtung, ſich Eſſen und Trinken ſehr gut hatte ſchmecken laſſen, noch zeitiger als ſonſt, zu ſeinem gewoͤhnlichen Mittagsſchlaͤſchen, vom Tiſche wegſchlich.

Als er weg war, ſagte Frau Elſabe, zum Se - baldus, mit niedergeſchlagnen Augen: Aber lieber Meiſter, warum habt ihr auch meinen Kindern heid - niſche Buͤcher vorgelegt?

Weil eure Kinder Griechiſch lernen ſollten und dieſe Buͤcher gut Griechiſch geſchrieben ſind.

Aber warum habt ihr ihnen ſo boͤſe gottloſe Leute zur Nachahmung vorgeſtellt?

Urtheilt ſelbſt, verſetzte Sebaldus, ob ſie boͤſe und gottlos geweſen? Hier erzaͤhlte er ausfuͤhrlich die Geſchichte des Sokrates, und ſchilderte den Cha - rakter des Antonin. Er fragte, ob es nicht vielmehr gottlos ſey, einen Fuͤrſten zu verdammen, der nach ſeiner eignen Nachricht, von ſeinem Großvater ge - lernet: Leutſelig zu ſeyn und ſich nicht zu erzuͤrnen; von ſeinem Vater: Beſcheiden und maͤnnlich zuwer -29[28]werden; von ſeiner Mutter: Gottesfurcht und Freigebigkeit, und nicht nur nichts Boͤſes zu thun, ſondern es auch nicht einmahl zu den - ken*)S. Antonins Betrachtungen uͤber ſich ſelbſt. 1ſtes Buch im Anfange. u. ſ. w.

Der Kaufmann und ſeine Frau hoͤrten aufmerk - ſam zu. Frau Elſabe geſtand, wenn dieſer Heide ſo geſinnet geweſen, koͤnne es wohl nicht verdamm - lich ſeyn, ihn zum Beyſpiele darzuſtellen. Ja ſie moͤchte ſich ſelbſt nicht unterſtehen, einen ſo guten Heiden zu verdammen.

Hiemit ſtimmte der Kaufmann uͤberein. Aber dieß iſt nicht das ſchlimmſte, ſagte er zum Sebal - dus; denn die Domine wiſſen ohnedem mit dem Verdammen geſchwinder umzuſpringen als unſer einer. Das ſchlimmſte iſt, daß ich Euch wider Wil - len der Domine nicht im Hauſe behalten kann, weil ſie allen Leuten ſagen werden, daß ihr keine rechte gewiſſe Religion habt.

Eine rechte gewiſſe Religion? Mein Herr! die habe ich, Gott Lob! denn ich weiß, an wen ich glaube. Aber daß mein Glauben, mit dem, was verſchiedene andere Leute glauben, oder andern Leuten, als Formulare zu glauben vorſchreiben, zu - weilen30[29] weilen nicht uͤbereinſtimmt, iſt nicht meine Schuld. Der Glauben iſt eine Gewiſſensſache, welche nicht kann geboten werden. Jch laße gern einen jeden glauben, wovon er uͤberzeugt zu ſeyn meinet, wa - rum wollt ihr mir dieſes nicht auch frey laſſen?

Jch wohl, verſetzte der Kaufmann, aber die Do - mine ſchwerlich. Die laſſen ſich nicht gern wider - ſprechen. Wenn Jhr einmahl nicht vor rechtſin - nig gehalten werdet, werden ſie beſtaͤndig gegen Euch was einzuwenden haben, und wenn ich Euch in meinem Hauſe behalte, auch gegen mich.

Und wenn ihr nicht recht lutheriſch ſeyd, rief Frau Elſabe, wird’s immer heiſſen, unſern Ehe - pakten ſey kein Genuͤge geſchehen, nach denen mein zweyter Sohn recht lutheriſch erzogen werden muß.

Lutheriſch! rief Sebaldus aus. Sind es denn etwann lutheriſche Glaubensartikel, woruͤber geſtrit - ten worden, oder waͤre nur der geringſte Streit ge - weſen wenn euer Meeſter Puiſtma nicht einen ſo unvernuͤnftigen Laͤrmen gemacht haͤtte. Jch ſon - dere mich ja von der lutheriſchen Kirche noch nicht ab. Und wenn ich es auch thaͤte. Sind denn die Menſchen jeder Konfeſſion, durchaus auch in eine eben ſo eingeſchraͤnkte buͤrgerliche Geſellſchaft einge - ſchloſſen. Muß der, der ſich von dieſer oder jenerLehr -31[30] Lehrmeinung nicht uͤberzeugen kann, deshalb auch aller buͤrgerlichen Gemeinſchaft entſagen? Darf man, ohne den genaueſten Glauben an theologiſche Formulare, nicht die alten Sprachen oder die Geo - graphie lehren? Macht ein Verdacht des Pelagia - niſmus, auch eine aſtronomiſche Rechnung unrich - tig, oder eine Leibrentenberechnung unſicher? Wie weit wird endlich die Einſchraͤnkung durch Bekennt - nißbuͤcher gehen? Fragt man nicht faſt ſchon, wenn man einen Baͤlgetraͤter, Pedell oder Einheizer braucht, ob er auch rechtſinnig ſey. Endlich wird man nicht Luft ſchoͤpfen, oder einen Tritt ins Land thun duͤrfen, wenn man nicht erſt die ſymboliſchen Buͤcher unterſchreibt!

Nein! verſetzte der Kaufmann, da geht ihr zu weit, mein lieber Meiſter! Unſere hochmoͤgen - den und edelmoͤgenden Herren, dulden in den ſie - ben vereinigten Provinzen jedermann, weß Glau - bens er auch ſey. Nur freilich uuſere ehrwuͤrdi - gen Herren, examiniren diejenigen genauer, die ſich in den Haͤuſern der Rechtſinnigen aufhalten. Wenn Jhr nicht in meinem Hauſe waͤret, koͤnntet Jhr glauben, was Jhr wolltet Aber, ich geſtehe es Euch, da Euch die Domine anklagen, kann ichDritter Theil. C euch32[31] euch nicht bey mir behalten, und mit dem hirtenlieben - den Jaͤn Hagel mag ich auch nichts zu thun haben.

Wahr iſts, ſagte Frau Elſabe, mit einem Seuf - zer, Domine Ter Breidelen, wuͤrde es mir bey allen Hausbeſuchen vorhalten.

Ja! fuhr der Kaufmann fort, und Domine Dwanghuyſen, wuͤrde es mir in den kerkelyken Samenkomſten, beſtaͤndig zu hoͤren geben, daß ich einen Arminianer herbergte.

Großer Gott! rief Sebaldus, die Haͤnde gen Himmel hebend. Guͤtigſtes Weſen, voll allge - meiner Liebe, voll allmaͤchtiges Wohlthuns! Wie iſts moͤglich, daß die, die ſich deine Diener nennen, ſelbſt beinahe die Sonne, die du uͤber Gerechte und Ungerechte ſcheinen laͤſſeſt, denen entziehen wollen, die dir auch dienen, nur nicht nach ihrer Vorſchrift, ſondern nach eigenem Gewiſſen! wie iſts moͤglich, daß ſie ſie aus der Welt ſtoßen moͤchten, wenns an - gienge! Er legte ſeine Stirn in ſeine linke Hand.

Frau Elſabe ſagte, indem ſie die Augen trockne - te: Nicht aus der Welt, lieber Meiſter! Es wird ſich fuͤr euch ein anderer Aufenthalt finden.

Und ich will, ſetzte der Kaufmann hinzu Euch dazu alle moͤgliche Anleitung geben. Wollt ihr nach33[32] nach Alkmaar zuruͤck, oder ſonſt nach einer andern Stadt?

Sebaldus, ohne ihn zu hoͤren, fuhr in ſeinem Selbſtgeſpraͤche fort: Was ſollte Deine vernuͤnfti - gen Geſchoͤpfe, zu Vertraͤglichkeit und Liebe mehr vereinigen, als dein Dienſt, und was trennt ſie mehr, zu bitterm Zanke und Feindſchaft!

Der Kaufmann nahm ihn bey der Hand, und ſagte: Beruhigt Euch. Hoͤrt mich. Wollt Jhr zuruͤck nach Alkmaar zu dem guten Pfarrer, oder wollt Jhr wieder nach Deutſchland, oder denkt Jhr nach Oſtindien zu fahren. Es ſey wo es ſey. Jch will Euch Rath, Empfehlung, Unterſtuͤtzung geben.

Sebaldus ſahe ihn an, ſchlug die Augen wieder nieder, und ſagte ſtaunend: Nach Alkmaar? Ja das war ein guter lieber Mann, ſo gut wie Jhr, mein Herr! Aber wer ſteht mir dafuͤr, daß ein anderer Eiferer, nicht Jhn, ſo wie Euch noͤthiget, mir einen Platz unter ſeinem Dache zu verſagen. Nach Deutſchland? Soll ich da ſchmerz - liche Erinnerung, an das was mir lieb war, holen, und vielleicht noch eine neue Art von Verfolgern kennen lernen? Nein! lieber nach Oſtindien, ſo weit und ſo gefaͤhrlich der Weg auch iſt. Vielleicht iſt man dort noch vertragſam Wo das Schulge -C 2 zaͤnk34[33] zaͤnk noch nicht Menſchen gegeneinander aufgehetzt hat, wird wohl die Liebe nicht an Konfeſſionen ge - bunden ſeyn. Vielleicht faͤnde ſich da eine Geſell - ſchafft, die, ſtreitige Lehrmeinungen bey Seite ſe - tzend, nur gemeinſam erkannte Wahrheiten nu - tzen wollte, die, ohne nach Lehrformeln zu fra - gen, ſich verſammelte, um ſich gemeinſchaftlich zum Lobe Gottes zu ermuntern, ſich gemein - ſchaftlich an gemeinnuͤtzige Pflichten zu erinnern. Welches Gluͤck fuͤr mich, ſolche Geſellſchafft zu fin - den! Welches Vergnuͤgen, ſie zu errichten! Oder iſts nur ein ſchoͤner Traum? Mags doch! Dort iſt wenigſtens moͤglich, was in Europa durch Konfeſ - ſionen und Synoden unmoͤglich gemacht wird.

Unmoͤglich? doch wohl nicht ganz; verſetzte der Kaufmann. Wenn Jhr, lieber Freund, ſonſt kei - ue Urſachen habt nach Oſtindien zu gehen, als eine ſolche Geſellſchafft zu ſuchen, ſo koͤnnt Jhr ſie viel naͤher, bey uns, finden.

Wie? wo? fiel ihm Sebaldus haſtig ins Wort.

Jn den vereinigten Provinzen, und ſelbſt auch hier in Rotterdam. Sie heiſſen Kollegianten, oder Reinsburger, von einem Dorfe bey Leiden, wo ſie jaͤhrlich zweymahl zuſammen kommen, um das Abend - mahl zu halten. Man findet ſie beſonders in Am - ſterdam35[34] ſterdam, wo ſie auch ein Wayſenhaus haben. Jch habe daſelbſt ihren gottesdienſtlichen Verſammlun - gen, auf der Kaiſersgracht, im Oranienapfel, oft mit inniger Erbauung beygewohnt.

Der Kaufmann erzehlte nun dem Sebaldus auf Verlangen, kuͤrzlich, die Geſchichte und die Verfaſ - ſung dieſer bisher, in ihrer Art, einzigen Geſell - ſchafft.

Sie entſtand um 1619*)Wer von dieſer vortreflichen Geſellſchafft umſtändlichere Nachricht verlangt, kann ſie finden, in S. F. Rues Nach - richten von dem gegenwaͤrtigen Zuſtande der Menneniten oder Taufgeſinnten, wie auch der Kollegianten oder Reinsburger. Jena 1743. 8. S. 241. u. ſ., als politiſcher Ur - ſachen willen, denen die Religion zum Vorwande dienen mußte, die Remonſtranten ſo ſehr verfolgt wurden, daß man ihnen auch nicht, Gottesdienſt zu halten, verſtatten wolte. Damals verſammelten, um der unbilligen Haͤrte der damaligen Geſetze zu entgehen, vier Bruͤder, Maͤnner von unſtraͤflichem Wandel, Kollegien oder Zuſammenkuͤnfte, wo - von die Geſellſchaft den Namen behalten hat. Jn der Folge geſelleten ſich zu ihnen, nicht wenig von den friedſamen Taufgeſinnten, doch nicht ſie allein; denn die Kollegianten, laßen zu ihren bruͤderlichen Verſammlungen alle Chriſten, ohne auf beſondereC 3Lehr -36[35]Lehrmeinungen oder Konfeſſionen, zu ſehen; weil ſie ſagen: daß man in die Stadt Gottes durch ver - ſchiedene Thore eingehen koͤnne*)S. Rues. S. 277.. Jeden un - beſcholtenen Mann, und der keine Meinungen vor - traͤgt, die ausdruͤcklich der Bibel zuwider ſind, laſ - ſen ſie nicht allein zum gemeinſchaftlichen Genuſſe des Abendmahls, ſondern verſtatten ihm auch, oͤffentlich uͤber gemeinnuͤtzige Wahrheiten zu reden, wozu ſie keine beſonders beſtellte Lehrer haben. Denn jeder, der Kraft in ſich fuͤhlt, nuͤtzliche Lehren zu geben, traͤgt ſie, ohne Lehrton, wie ein Freund an Freunde vor, und pflegt, am Ende ſeiner Rede die Verſamm - lung, beſcheiden zu fragen: Ob jemand wider dieſen Vortrag etwas einzuwenden habe, oder zur fernern Aufklaͤrung der Wahrheit noch et - was beytragen wolle. Und hierauf faͤhrt fort, wer will, mit gleicher Beſcheidenheit ſeine Gedanken zu eroͤfnen.

Sebaldus war entzuͤckt uͤber dieſe Nachricht, und wuͤnſchte nichts, als bald ein Glied einer Verſamm - lung zu ſeyn, die mit ſeinen Wuͤnſchen ſo vollkom - men uͤbereinſtimmte. Da er in Rotterdam weder bleiben wollte noch konnte, ſo bekam er von dem Kaufmanne, nachdem er fuͤr ſeine Hofmeiſterſchaftanſtaͤn -37[36]anſtaͤndig belohnet worden, Empfehlungsſchreiben an einen ihm wohlbekannten Kolleglanten in Amſterdam. Sebaldus ſuchte ſogleich ſeine Sachen zuſammen, die ein maͤßiges Paͤckchen ausmachten, fuhr nach Gouda, ſetzte ſich daſelbſt in die Nachtſchuit, und ließ ſich unter den froheſten Erwartungen fortziehen.

Vierter Abſchnitt.

Er kam des Morgens fruͤh um fuͤnf Uhr, vor Am - ſterdam, an dem Utrechter Thore, an. Gleich bey dem Ausſteigen aus der Schuit, kam ihm ein Deutſcher entgegen, der ihn ſehr dienſtfertig: Herr Landsmann, anredete, und ſich erbot, ihn in eine gute Herberge zu bringen.

Sebaldus verſetzte: Wenn ſie nur nicht zu koſt - bar iſt, denn meine Baarſchaft iſt gering. Jch bin ein armer abgeſetzter Prediger.

Sie ſollen ſehr billig behandelt, und doch gut be - dient werden, rief der Herr Landsmann, und griff nach Sebaldus Reiſeſack, den er dienſtwillig auf die Schulter nahm.

Sie giengen alſo bey Eroͤfnung des Thores in die Stadt. Sebaldus konnte nicht umhin, ſeine Freude zu bezeugen, daß er einen Deutſchen gefunden, derC 4ihn38[37]ihn in dieſer großen Stadt zurecht weiſe, zumahl da er der Sprache noch nicht gaͤnzlich kundig ſey.

Ach ja, ehrwuͤrdiger Herr, ſagte ſein Begleiter, es iſt mir Jhretwegen ſelbſt lieb, daß ich mich von ohngefehr am Thore befunden. Sie koͤnnen gar nicht glauben, ehrwuͤrdiger Herr, wie gefaͤhrlich es in dieſer Stadt iſt. Jnſonderheit giebt es boͤſe Leute die man Seelenverkaͤufer nennet, welche die uner - fahrnen Fremden, beſonders Deutſche, mit Liſt in ihre Haͤuſer locken, um ſie nach Oſtindien, in ein un - beſchreibliches Elend, zu verkauffen.

Sebaldus erſtaunte daß es ſo boshafte Menſchen geben koͤnne. Jndem ſchrie ſie ein gemeines Weib auf hollaͤndiſch heftig an: Sieh den verdammten Seelhund, da hat er wieder eine Seele!

Kommen Sie geſchwind, raunte ihm ſein Be - gleiter ins Ohr, dieß iſt eine Kreatur der Seelen - verkaͤufer, welche mit uns Zank anfangen will, da - mit Sie im Tumulte den Seelenverkaͤufern in die Haͤnde fallen.

Sie verdoppelten alſo ihre Schritte, um dieſem Ungluͤcke zu entgehen, und kamen endlich an das Haus, wo die Herberge ſeyn ſollte. Sie giengen ei - lig hinein. Die Thuͤr ward hinter ihnen zugeſchloſ - ſen. Wie erſchrack aber Sebaldus, als ihn ſeinBeglei -39[38]Begleiter in eine Art von Unterkammer ſtieß, wo ohngefaͤhr dreißig elende Menſchen auf Stroh lagen. Er brach in die heftigſten Vorwuͤrfe gegen ſeinen Be - gleiter aus, die dieſer, nachdem er ihm einigemahl in einem trotzigen Tone ſtillzuſchweigen geboten hatte, durch derbe Schlaͤge mit einem dicken Seile, beant - wortete, wovon Sebaldus ganz betaͤubt auf das Strohlager niederfiel.

Als er ſich ein wenig erholte, ſah er um ſich eine Anzahl elender Schatten-aͤhnlicher Menſchen, von Hunger, Vloͤße, Schlaͤgen, Krankheit und Kinn - mer ganz ausgemergelt, von ihrem Strohlager auf - kriechen. Neben ihm lag ein Menſch, guͤnſtiges An - ſehens, aber vom Fieber ganz abgezehrt, der ihm, auf ſeine laute Klagen mit mattaufgehobner Hand, und ſchwacher Stimme, hochdeutſch zuſprach; Sey geduldig Freund, denn es wartet dein noch mehr Elend; das meinige iſt hoffentlich bald zu Ende.

Sebaldus fiel wieder in ſchwermuͤthiges Stau - nen, aus welchem er ohngefaͤhr nach einer Stunde erweckt wurde, da man ihn holte, um vor dem See - lenverkaͤufer zu erſcheinen, der nicht laͤngſt aufge - ſtanden war.

C 5Sebal -40[39]

Sebaldus fand ihn in einem praͤchtig aufgeputzten und mit Huyſums und Mignons Meiſterſtuͤcken ausgeziertem Seitenzimmer ſitzen, das von dem Elende, womit im Keller Menſchen gequaͤlt wur - den, ſo wenig Spur zeigte, als das Angeſicht des hartherzigen Beſitzers. Dieſer nahm mit zufriedner Geberde ſein Fruͤhſtuͤck zu ſich, und vor ihm lagen Erbauungsbuͤcher, aus denen er eben ſeine Morgen - andacht hergeleſen hatte. Denn Buͤcher dieſer Art, ſind dem Schurken und dem ſchwachen ehrlichen Man - ne gleich behaglich. Dieſer zieht Troſt im Ungluͤcke, und Beveſtigung frommer Entſchließungen aus ih - nen, jener aber, der taͤgliche Gottloſigkeit unſtraf - bar gemacht zu haben glaubt, wenn er ſie Morgens und Abends in vorgeſchriebenen Gebeten bereuet, der den Mangel innrer Rechtſchaffenheit durch aͤuſſere Re - ligion erſetzen will, ſucht die Unruhe ſeines Gewiſ - ſens, in der Ruhe einer ſelbſtgefaͤlligen Andacht zu erſticken.

Dieſer Bube, der mit kalter Fuͤhlloſigkeit jeden Menſchen im Elende konnte ſchmachten ſehen, ließ es dabey an keiner aͤuſſerlichen Religionsuͤbung man - geln. Er war in der gangbaren Landestheo - logie ſehr bewandert, und fand ſogar durch dieſelbe eine Hinterthuͤr, alles Boͤſe, was ihn zu thun ge -luͤſtete,41[40]luͤſtete, mit ſeiner pflegmatiſchen Gewiſſensruhe zu vereinigen, denn er hatte ſich uͤberzeugt, alles ſey ab - ſolut nothwendig, er fey daher praͤdeſtinirt die Mof - fen*)So pflegt der niedertändiſche Pöbel, die Deutſchen, beſon - ders die Niederſachſen und Weſiphälinger zu nennen. zu ſchinden, und die Moſſen ſeyen praͤdeſti - nirt, ſich von ihm ſchinden zu laſſen. Deshalb konnte er mit eben der Gleichmuͤthigkeit einen Moſſen in ſeinen Keller ſtoſſen ſehen, als der Koch einen Krebs in den ſiedenden Keſſel wirft.

Er fragte den Sebaldus, deſſen geiſtlichen Stand er von ſeinem Unterhaͤndler erfahren hatte, zuvoͤr - derſt nach der Geſchichte ſeiner Abſetzung, und nach ſeinen folgenden Begebenheiten, und da er dadurch deſſen heterodoxe Meinungen erfuhr, ſo ließ er ſich in einen theologiſchen Diſput ein, deſſen Ende war, zu behaupten, daß die dem Sebaldus aufgeſtoßnen widrigen Begegniſſe, eine Folge der goͤttlichen Straf - gerechtigkeit waͤren, deren unwuͤrdiges Werkzeug er jetzt auch ſeyn ſolle. Er fuͤhrte ihm dabey zu Ge - muͤthe, daß er Gott verſuchen wuͤrde, wenn er lie - ber zu den ſtinkenden Ketzern, den Kollegianten, gehen wollte, als nach Batavia, der orthodoxen Stadt, wohin ſich noch nie eine Ketzerey habe wagen duͤrfen. Er legte alſo dem Sebaldus einen ſchon aufgeſetz -ten42[41]ten Kontrakt zur Unterſchrifft vor. Dieſer weigerte ſich aber, weil ihm die Art, wie er zu dieſer Reiſe ge - zwungen werden ſollte, eine ſchreckliche Ausſicht gab, und verlangte endlich, nach verſchiedenem Hin - und Wiederreden, wenigſtons Bedenkzeit, wolche ihm endlich auch, bis den morgenden Tag, aber laͤnger nicht, verſtattet ward, worauf ihn der Seelenverkaͤufer entließ, und wieder ruhig auf ſein Erbauungsbuch fiel.

Als Sebaldus in den Keller zuruͤck kam, ſah er ihn von Stroh aufgeraͤumt, und ſeine Ungluͤcksge - faͤhrten, theils in ſtummem Kummer, theils in fuͤhlloſer Sorgloſigkeit, theils in tobender Ver - zweiflung. Nur ſein vorheriger Nachbar lag in einem Winkel, in großer Schwachheit. Da des Sebaldus geiſtlicher Stand ſchon bekannt wor - den war, ſo verlangte der Kranke ſeinen Zuſpruch, den ihm Sebaldus, ſo troſtlos er ſelbſt auch war, von ganzem Herzen gewaͤhrte. Der Kranke wurde dadurch in etwas erquickt, und konnte nun des Se - baldus Erzehlung und Klagen anhoͤren, dem noch alles, was ihm dieſen Morgen begegnet war, als ein Traum vorkam, und der ſich beſonders noch nicht zu uͤberreden wuſte, daß Menſchen ſo tief ſinken koͤnn - ten, ihre Nebenmenſchen vorſetzlich ins Elend zu ſtuͤrzen.

Was43[42]

Was bewegt dieſe Leute zu ſolcher Ungerechtig - keit? rief er zuletzt aus, Warum ſind wir hier wie Uebelthaͤter eingeſchloſſen? Was will man mit uns anfangen? Darf man in dieſem Lande der Freyheit den friedſamen Wanderer, unverſchuldet ins Ge - faͤngniß ſchleppen? Jſt hierwider kein Schutz bey der Obrigkeit zu finden.

Er wuͤrde gewiß zu finden ſeyn, erwiederte der Kranke mit ſchwacher Stimme, wenn ihr unſere Noth nur bekannt werden koͤnnte. Aber in den ſechs Wochen, die ich in dieſem abſcheulichen Loche zuge - bracht habe, merkte ich gnugſam, welche ſichere Maas - regeln unſere Peiniger nehmen, um dieſes unmoͤg - lich zu machen. Von auſſen hat dieſe Einrichtung das Anſehen, als ob der Zweck ſey, ganz armen Leu - ten, die von allen Huͤlfsmitteln entbloͤßet ſind, und freywillig nach Oſtindien gehen wollen, bis zur Abfahrt Nahrung und Equippirung zu geben, und ſich durch das Handgeld, welches die Oſtindiſche Compagnie giebt, und durch eine Verpfaͤndung des kuͤnftigen Soldos, wieder bezahlt zu machen. Es kann ſeyn, daß die Abſicht im Anfange ganz gut ge - weſen ſeyn mag, aber jetzt wird ſie, durch die Liſt hartherziger Boͤſewichter, oft zu einem Misbrauch, der der Menſchheit Schande macht. Wenige gehen frey -44[43] freywillig, viele werden durch Raͤnke ins Garn ge - lockt, durch Peinigungen zur Unterſchrifft gezwun - gen, in Gefaͤngniſſe geſperrt, mit der elendeſten Koſt kaum beym Leben erhalten, und zuletzt oft, von uͤbler Vegegnung und Kummer abgemergelt, anſtatt aller Erforderniſſe, zu einer Seereiſe von eini - gen tauſend Meilen, kaum mit ein Paar groben Hemden vorſehen. Und fuͤr dieſe elende Ver - pflegung werden ſo große Koſten angeſetzt, daß das ungluͤckliche Schlachtopfer, in Oſtindien, wohl ſechs oder ſieben Jahre, nicht fuͤr ſich, ſondern fuͤr den Seelhund fahren muß. O! koͤnnte doch die chriſtliche Obrigkeit dieſes Laudes, ſolche unmenſch - liche Begegnung allezeit wiſſen, ſie wuͤrde gewiß die Gerechtigkeit, die ſie ſonſt immer ausuͤbt, auch hier ausuͤben. Sie hat wirklich ſchon in den wenigen Faͤllen, die zu ihrer Kenntniß gekommen ſind, exem - plariſch geſtraft. Koͤnnte die edle Oſtindiſche Kom - pagnie doch nur erfahren, wie unerhoͤrt man oft ihren Namen mißbraucht, ſie wuͤrde zu ihrem Ruhme und zu ihrem Nutzen, Boͤſewichtern ein ſchaͤndliches Handwerk dadurch legen, daß ſie, auf dem oſtindiſchen Hauſe, diejenigen, die ſich ihrem Dienſte widmen wollen, oͤffentlich und freywillig annehmen, und ſelbſt, unter der Auf - ſicht45[44] ſicht redlicher Leute, unterhalten und ausruͤſten lieſſe. Aber, bis einſt ein Menſchenfreund, die Stimme der Nothleidenden bis zu den Ohren derer bringt, die dem Elende bis in die geheimſten Winkel nachſpuͤren, und ihm abhelfen koͤnnen; moͤchten doch dieſe ſchreyenden Ungerechtigkeiten, wenigſtens in Deutſchland bekannt ſeyn, moͤchte man ſie doch in den Seeſtaͤdten, auf allen Straffen, in allen Wirthshaͤuſern, bey allen Zuͤnften bekannt machen, moͤchte man auf den Kanzeln dafuͤr war - nen. Denn die Boͤſewichter ſchicken ihre Unter - haͤndler nicht nur bis an die Graͤnze, ſie ſchicken ſie bis Hamburg, Bremen und Stade. Sie ge - brauchen unzaͤhliche Raͤnke, um den unvorſichtigen Seemann, den einfaͤltigen Handwerker, den treu - herzigen Bauer in ihre Schlingen zu ziehen. Jch ſelbſt bin von ihnen, aus Bremen, durch die ſuͤßeſten Vorſpiegelungen, weggelockt und in dieſen elenden Zuſtand gebracht worden, ich habe aber zur Vorſicht das Vertrauen, daß er ſich nun bald endigen wird.

Hier ſchwieg der Kranke, aus Entkraͤftung, und Sebaldus war wieder ſeinen traurigen Gedanken uͤberlaſſen. Er blieb darinn den ganzen uͤbrigen Tag, die Zeit ausgenommen, da eine ſparſame Mahlzeit verzehrt wurde, die zugleich ſo elend war, daß kaumder46[45]der haͤrteſte Hunger den Widerwillen dagegen be - zwingen konnte. Abends mußte er ſich, unter den uͤbrigen, auf das elende Strohlager legen.

Den andern Morgen ward er wieder vor den See - lenverkaͤufer gebracht. Dieſer ſuchte ihn nunmehr durch freundliches Zureden und durch ſtarkes Getraͤnk zur Unterſchrift zu verleiten. Da Sebaldus ſich aber ſtandhaft weigerte, und aus ſeiner ungerechten Gefangenſchaft entlaßen zu werden verlangte, ſo hieß es endlich, er moͤchte vierzehn Gulden fuͤr Woh - nung und Koſt des geſtrigen Tages zahlen, ſo koͤnne er frey weggehen. Sebaldus, froh, griff in die Ta - ſche, aber ein angeſtellter Bube, hatte ihm in der Nacht ſein Geld geſtohlen. Er ward nunmehr hart angefahren, und ihm nur noch bis auf den Abend Bedenkzeit gegeben, und da er alsdenn noch bey ſei - ner[Weigerung] blieb, ward er auf den Soͤller ge - fuͤhrt, daſelbſt an einen Pfoſten gebunden, und ſo lange unbarmherzig gegeiſſelt, bis die Schmerzen ihn noͤthigten, endlich die verlangte Einwilligung zu geben.

Er ward wieder in den Keller zuruͤckgebracht, und konnte die ganze Nacht kein Auge ſchlieſſen, theils wegen Schmerzen, theils wegen der Seufzer ſeines kranken Nachbars, welcher mit dem Tode rang undgegen47[46]gegen Morgen ſtarb. Sebaldus fiel in die ſtum - pfe Fuͤhlloſigkeit, die den tiefſten Jammer erdulden hilft, und erwartete ſonder Bewegung, in welches unbekannte Land man ihn ſchleppen wuͤrde, und wel - chem unbekanntem Elende er noch entgegen ſehen ſollte.

Jndeſſen verſchafte der Tod des einen Ungluͤckli - chen, den uͤbrigen unvermuthet einige Erleichterung. Des Seelenverkaͤufers Geiz machte ihn etwas menſch - licher. Er glaubte ein Kapital verlohren zu haben, indem er den Verſtorbenen ſechs Wochen vergebens genaͤhrt hatte. Bey einigen der uͤbergebliebenen aͤußer - ten ſich Schwachheiten, die die Furcht erweckten, daß ein anſteckendes Fieber unter ihnen einreißen moͤchte. Er entſchloß ſich alſo, ſie ſaͤmmtlich, nachdem ſie mit Wein und ſtarken Getraͤnken etwas erquickt worden, friſche Luft ſchoͤpfen zu laſſen. Vorher wurde jeder, der unterweges mir muchſen wuͤrde, mit der ſchaͤrf - ſten Strafe bedrohet, und ſo ließ er ſie unter Be - gleitung von ſechs ſeiner Knechte und Unterhaͤndler, ausgehen.

Sie zogen ganz langſam fort. Mancher ehrlicher Buͤrgersmann ſah ihnen mit Mitleiden nach. Hin und wieder zuckte ein Vornehmerer uͤber ſie die Achſel, und rief: ’s ſind ja nur Mofjes! So zogen Sie durch die ſchattigen Gaͤnge der Plantage endlichDritter Theil. Dzum48[47]zum Muider Thore heraus, um auf dem Dyk nach Seeburg reine Luft zu genieſſen.

Sebaldus Geiſt, obgleich von tiefem Elende nie - dergedruͤckt, erhob ſich, bey Erblickung der Ausſicht die nirgend ihres gleichen hat: auf dem Y und auf der Suͤderſee, tauſend Seegel, das ganze Gewuͤhl des arbeitſamen Fleißes, auf der Landſeite, gruͤnen - de Wieſen und Goͤrten, die ruhige Schoͤnheit der Natur.

Die Geſellſchaft warf ſich ins Graß, und ruhte eine Stunde lang, erquickt von dem kuͤhlen Wehen der Luft, und dem friſchen Geruche des federweichen Lagers. Sebaldus inſonderheit, an Geiſt und Koͤr - per erfriſcht, brach in der Fuͤlle ſeines Herzens, end - lich in ein lautes Lob des Allmaͤchtigen aus, der, fuͤr ſeine geplagteſten Kreaturen, in den einfaͤltigſten Ge - nuß ſeiner Schoͤpfung Troſt und Staͤrkung gelegt hat.

Der Schall ſeines Dankgebets, erweckte die Auf - merkſamkeit zweener ehrwuͤrdigen Geiſtlichen, die in der Gegend gleichfalls ſpazieren giengen. Sie hatten vorher die ungluͤckliche Geſellſchafft nur mit der allge - meinen Theilnehmung betrachtet, welche die Men - ſchenliebe keinem Elenden verſagt. Jtzt traten ſie naͤ - her, durch Sebaldus Stimme und Geberden geruͤhrt, ob ſie gleich ſeine Worte nicht verſtehen konnten. Siebetrach -49[48]betrachteten ihn aufmerkſam, beſonders ſchien der aͤlteſte von beiden ſehr bewegt, hob endlich die Haͤnde empor, that einen Ausruf, und wolte auf den Sebal - dus zugehen. Der andere hielt ihn zuruͤck, und man hoͤrte, daß er ſagte: Laſt ’s ſeyn, Jhr wuͤr - ’det ’s ſonſt noch ſchlimmer machen. Sie kehrten ſich darauf um, und ſprachen einander ins Ohr.

Sebaldus, in frommer Entzuͤckung, hatte dieſen Vorfall nicht einmahl bemerkt, aber ſeine Gefaͤhrten fiengen an, die Koͤpfe zuſammen zu ſtecken. Dieß war genug fuͤr die argwoͤhniſchen Waͤchter, den gan - zen Trupp ſogleich aufſtehen zu laſſen, und ihn nach Hauſe zu fuͤhren. Die beiden Geiſtlichen, nachdem der Zug ſich in etwas entfernt hatte, folgten demſel - ben von weiten, bis an des Seelenverkaͤufers Haus, das ſie auf dieſe Art entdeckten.

Fuͤnfter Abſchnitt.

Der eine dieſer Geiſtlichen, der den Sebaldus hatte anreden wollen, war niemand anders als der rechtſchaffene Prediger aus Alkmaar, der der Erb - ſchaft eines Waiſen wegen, eine Reiſe nach Amſter - dam hatte thun muͤſſen, und bey dieſem zufaͤlligen Spa - ziergange, den Mann, den er ſchon einmahl aus demD 2Elende50[49]Elende errettet hatte, wieder in einer andern Noth erblickte. Er war jetzt zu ſeiner abermaligen Erret - tung nicht minder thaͤtig als vorher. Es waͤhrte nicht eine Stunde, ſo hatte er ſchon bey dem Hoofd - Officier Anzeige gethan, und kam, in Begleitung eines Gerichtsdieners, in des Seelenverkaͤufers Haus, den Sebaldus zu fodern. Er haͤtte nur wenig Mi - nuten ſpaͤter kommen duͤrfen, ſo waͤre ſeine men - ſchenfreundliche Vorſorge vergeblich geweſen. Denn da die Knechte, aller Vorſicht ungeachtet, wohl merkten, daß ihnen die beiden Geiſtlichen nicht ohne Urſach nachfolgten; ſo war der Seelenverkaͤufer, eben im Begriffe, zu thun, was er ſonſt that, wenn er eine Entdeckung befuͤrchtete, naͤmlich den Sebaldus in das Haus eines ſeiner Mitgenoſſen zu ſchicken, um den - ſelben den Nachforſchungen der Obrigkeit zu entziehen. Man wollte ihn auch jetzt verlaͤugnen, aber der Ge - richtsdiener, der dieſes Haus der Tyranney ſchon kannte, wollte ſich durch keine Einwendungen ab - weiſen laſſen. Der Seelenverkaͤufer hatte daher kaum Zeit, in der groͤßten Verwirrung, in den Keller zu laufen, dem Sebaldus ſeinen Reiſeſack wiederzuge - ben und denſelben auf die kriechendeſte Weiſe faſt fuß - faͤllig zu bitten, ihn nicht ungluͤcklich zu machen; als ihm ſchon der Gerichtsdiener mit dem Geiſtlichenfolgte.51[50]folgte. Der rechtſchaffne Prediger umarmte den Se - baldus, und da er aus andern Vorfaͤllen die Ge - wohnheit eines ſolchen Hauſes wohl kannte, ſo zahl - te er ſogleich dem Seelenverkaͤufer, ohne Einwen - dung, eine betraͤchtliche Summe, die fuͤr das Elend von ſechs oder ſieben Tagen gefordert ward. Aber ſobald dieſes geſchehen, ſagte er ihm auch ins Ge - ſicht, daß er alles anwenden wuͤrde, ſeine gewiſſen - loſe Behandlung unſchuldiger Menſchen, zur Beſtra - fung, ans Licht zu ziehen. Er ließ ſich weder durch des Seelenverkaͤufers vielfaͤltige Entſchuldigungen, noch ſelbſt durch Sebaldus Bitten, zuruͤckhalten. Er that dem Hoofd-Officier noch eine ausfuͤhrlichere Anzei - ge, worauf dieſer, ſeinem Amte gemaͤß, auf dem Stadt - hauſe, vor den Schoͤppen den Seelenverkaͤufer an - klagte. Sebaldus ward uͤber alle Umſtaͤnde der erlit - tenen grauſamen Begegnung vernommen. Der Seelenverkaͤufer ward in Verhaft gezogen, und ihm mit vielem Eifer der Proceß gemacht. Er ward ins Raſpelhaus geſetzt, obgleich der Prediger, vor Endigung des Proceſſes, nach Alkmaar zuruͤckreiſen mußte, und Sebaldus, der von aller Rachbegierde frey war, deshalb weiter keinen Schritt gethan hat.

Jndeſſen fuͤhrte der Prediger den Sebaldus, ſo - bald’er ihn aus den Haͤnden des SeelenverkaͤufersD 3erloͤſet52[51]erloͤſet hatte, in das Haus ſeines Freundes, mit dem er vorher ſpazieren gegangen war. Es war ein men - noniſtiſcher Lehrer, ein Mann von Verſtande und Redlichkeit, mit den Kollegianten wohl bekannt, der den Sebaldus von der Verfaſſung dieſer friedſa - men Geſellſchaft noch naͤher unterrichtete, und mir ihm und dem lutheriſchen Prediger in derſelben got - tesdienſtliche Verſammlung gieng; wo ſie alle, der Verſchiedenheit ihres Lehrbegriffs und aller ſtrei - tigen Fragen vergeſſend, in gemeinſamer Andacht das Lob Gottes anſtimmten, und gemeinſam er - kannte Wahrheit zu ihrer Erbauung anwendeten. Eine Art des Gottesdienſtes, die Sebaldus Wuͤnſche ganz befriedigte.

Nach der Verſammlung giengen ſie mit dem Se - baldus, um das Empfehlungsſchreiben aus Rotter - dam an den Kollegianten, abzugeben, weil er Un - paͤßlichkeitshalber nicht zugegen geweſen war. Er nahm den Sebaldus, als ein Vater und als ein Freund in ſein Haus auf, ſo daß derſelbe, bey dieſer liebreichen Begegnung, in kurzem ſeine vorigen Wi - derwaͤrtigkeiten vergaß.

Der Kollegiant war ein wohlhabender Mann, aber auch ein Mann von ausgebreiteter Gelehrſam - keit, und von edlen Geſinnungen, der ſeine Mußezum53[52]zum Beſten der Wahrheit und Tugend anwendete. Er hatte ſchon verſchiedene ſchaͤtzbare Werke auf ſeine Koſten drucken laſſen, beſonders hatte er eben ein gelehrtes Tagebuch angefangen, das zur Abſicht hatte, den Weg zu bahnen, daß gemeinnuͤtzige Religions - begriffe von leeren Schulſpitzfindigkeiten geſondert wuͤrden. Er ſchrieb es in lateiniſcher Sprache, weil damals, in Holland, die Vorurtheile fuͤr eine herge - brachte Orthodoxie noch ſo ſtark waren, daß ſich nie - mand, ſo wie jetzt*)Jn den Vaderlandſen Letter-Oeffeningen, einem gekehrtem Tagebuche, deſſen vornebinſte Verfaſſer Kollegianten ſind., getrauete, Meinungen, die nicht im Kompendium ſtehen, in der Landesſprache vorzutragen. Denn die Gottesgelehrten in allen Laͤndern laſſen meiſtens noch eher geſchehen, daß man neue Meinungen und Zweiſel, in der gelehrten Sprache, fuͤr ſie allein vortrage, damit ſie ihre Streit - kunſt aufs ſtattlichſte daran uͤben koͤnnen, als in der Mutterſprache, damit gemeinnuͤtzige Wahr - heiten ſich in die Gemuͤther aller Einwohner eines Landes verbreiten moͤgen.

Sebaldus, der die Arbeit liebte, erbot ſich in kur - zem ſelbſt, ſeinem Wirthe in deſſen Beſchaͤftigun - gen behuͤlflich zu ſeyn. Er that dadurch zugleich ſei -D 4ner54[53]ner vorzuͤglichſten Neigung Genuͤge, Jdeen, die ihm wichtig waren, zu entwickeln und auszubilden.

Der Kollegiant hingegen, mußte einen Mann, deſſen Neigungen mit den ſeinigen ſo ſehr uͤberein - ſtimmten, bald liebgewinnen. Sie arbeiteten uͤber verſchiedene Materien im Anfange gemeinſchaftlich. Jndeſſen blieb die Arbeit bald dem Sebaldus allein uͤberlaſſen, da die Krankheit des Kollegianten ſchnell zunahm. Der rechtſchaffene Mann ward immer ſchwaͤcher, und ſtarb nach einigen Monaten. Vor - her noch vermachte er im Teſtamente, dem Sebal - dus, den Vorrath und das Verlagsrecht ſeiner ſaͤmmtlichen Werke, beſonders des gelehrten Tage - buchs, welches anfieng Aufſehen zu machen, und allenthalben mit großer Aufmerkſamkeit geleſen ward.

Sebaldus beweinte von Herzen den Tod ſeines Freundes und Wohlthaͤters. Jndeſſen, ausgenom - men, daß er den Umgang dieſes redlichen Mannes entbehren mußte, war ſein Zuſtand ganz ſeinen Wuͤn - ſchen gemaͤß. Er hatte durch den Verkauf der ihm vermachten Werke, und durch die Fortſetzung des Tagebuchs, ein zwar ſehr maͤßiges, aber fuͤr ihn hinlaͤngliches Auskommen, konnte ſeine Lieblings - neigung, die Spekulation, befriedigen, war uͤbri -gens55[54]gens unabhaͤngig, konnte in Frieden, ſeiner Ueber - zeugung gemaͤß, Gott dienen, und war noch nicht Religionsmeinungen halber angefeindet worden.

So wuͤnſchenswerth indeſſen dieſe Lage war, ſo ſchien es doch Sebaldus Schickſal zu ſeyn, daß er, wenn er am meiſten Nutzen zu ſchaffen glaubte, durch einen geringſcheinenden Zufall, ſelbſt Gelegen - heit geben mußte, ſeinen Zuſtand zu verſchlimmern.

Er hatte, ſchon beym Leben ſeines Wohlthaͤters, ſich in der hollaͤndiſchen Sprache feſtzuſetzen geſucht, und es war ihm gelungen. Nachher trieb ihn die Einſamkeit langer Winterabende, auf die Leſung englaͤndiſcher Buͤcher, die er ſchon in ſeiner Jugend geliebt hatte. Er fand unter andern ein Buch*)Remarks on man, manners, and things; by the Author of the Life of John Bunele. London gr. 8., deſſen Jnhalt ihm groͤßtentheils ſo wohl gefiel, daß er auf den Gedanken kam, es zu uͤberſetzen, weil er meinte, daß es auch in einer andern Sprache nuͤtz - lich ſeyn koͤnnte.

Er beſchaͤftigte ſich einige Monate lang mit dieſer Arbeit, und da er meiſt damit fertig war, gieng er zu Mynheer van der Kuit, dem Buchhaͤndler, der bisher den Verkauf der ſaͤmmtlichen Werke des ver - ſtorbenen Kollegianten, und auch des gelehrten Ta -D 5grbuchs56[55]gebuchs beſorgt hatte, um ihm dieſe Ueberſetzung zum Verlage anzubieten.

Van der Kuit unterließ nicht, die gewoͤhnlichen Schwierigkeiten zu machen: Daß er mit Verlag uͤber - haͤuft, daß der Handel gefallen ſey, daß Druck und Papier immer theurer werde, daß man vorher et - was von dem Werke ſehen, daß man es allenfalls gelehrten Leuten zur Pruͤfung uͤbergeben, und be - ſonders, daß man, der Kunſtrichter wegen, erfor - ſchen muͤſſe, ob nicht wider die Reinigkeit der hollaͤn - diſchen Sprache gefehlet ſey.

Auf dieſe Erklaͤrung, zog Sebaldus einige Hef - te ſeiner Ueberſetzung aus der Taſche. Jndem die - ſes geſchahe, trat Domine de Hyſel, ein gelehrter reformirter Prediger herein, welchen Sebaldus kannte, weil er ihn oft im Buchladen geſehen hatte. Sebaldus erbot ſich alſo, beiden etwas von ſeiner Ueberſetzung vorzuleſen. Sie giengen ſaͤmmtlich in die Schreibſtube des Buchhaͤndlers, und der Ueberſetzer las, wie folget.

Sech -57[56]

Sechſter Abſchnitt.

D viele Prediger, alle Neun und drei - ßig Artikel*)Das Glaubensbekänntniß der engländiſchen Biſchöflichen Kirche, iſt im Jahr 1562, unter der Regierung der Königinn Ellſabeth, auf 39 Artikel feſtgeſetzt und 1571 durch eine Parlamentsakte beſtätigt worden. Wer ein geiſtliches Amt erhält, muß ſie beſchwören. Sie ſind das, was in den meiſten deutſchen Provinzen die ſymboliſchen Bücher ſind. beſchwoͤren, ohne ſie alle zu glauben, liegt am Tage, und man muß es entſchuldigen. Wer ein Hausvater iſt, und ſich und ſeine Familie, um ungerechter Formalien willen, nicht in die birterſte Noth ſtuͤrzen will, der ſey von mir nicht verdammt. Verdamme ihn ein harther - ziger Rechtglaͤubiger, wenn ers vermag!

Aber wie ſtehts um die Wahrheit? Muß die noch immer weg den Neun und dreißig Artikeln nach - ſtehn? Jſts nicht die Pflicht der geſetzgebenden Macht, zu ſorgen, daß nicht, durch Formulare, die Ausbreitung der Wahrheit gehindert werde, und ſollten die Biſchoͤfe nicht ſelbſt die Hand dazu bie - ten? Wenn die Neun und dreißig Artikel die Kette ſind, welche die aͤußerſte Weite mißt, in der der Verſtand eines Geiſtlichen ſich bewegen darf, ſo iſts vergeblich, nach Wahrheit zu forſchen.

Selt -58[57]

Seltſam gnug! daß man denjenigen, die die be - ſten Jahre ihrer Jugend angewendet haben, ſich zu einem geiſtlichen Amt geſchickt zu machen, vorſagen will, ſie haben unrecht, ſich uͤber die Strenge der Neun und dreißig Artikel zu beklagen, da ſie der - ſelben entgehen koͤnnten, wenn ſie kein geiſtliches Amt ſuchten, oder es niederlegten, wenn ſie es ſchon haͤtten. Dieß iſt alſo die Gnade, die man uns an - bietet? Die Uniformitaͤtsakte verurſachte, daß im Jahre 1662, am Bartholomaͤustage an 2000 diſſentirende Prediger auf Einen Tag, ihr Amt nie - derlegten, daher zweytauſend Familien, ohne Brod, und zweytauſend Gemeinen, ohne Gottesdienſt wa - ren. Einen ſolchen Bartholomaͤustag wuͤnſcht ihr alſo wieder, die ihr ſo kalt daher plaudern koͤnnt, es beduͤrfe nur, daß jeder, der nicht nachbeten will, ſein Amt niederlege, damit gar kein Gewiſſens - zwang da ſey! Das nennt ihr Duldung der Diſſen - ters? das nennt ihr Toleranz und Sanftmuth?

Bey Gott! dieſe Sanftmuth der Vertheidiger der Neun und dreißig Artikel, gemahnt mich, wie die Schonung der Rabbinen, die dem Verurtheilten nur neun und dreißig Streiche geben. Warlich! ob er gleich den vierzigſten nicht bekommt, ſo ſchmerzt doch59[58] doch deshalb keiner von den neun und dreißigen weniger.

Die Schriftgelehrten haben von je her ihre Lehr - gebaͤude ſo kuͤnſtlich angelegt, daß jeder das ſeine, trotz aller Widerlegung, beweiſen kann. Sie glei - chen Bergſchloͤſſern, die noch dazu mit hohen Waͤl - len und tiefen Graben umgeben ſind, ſo daß derje - nige, der darinn iſt, ſich ewig vertheldigen, und der, der draußen iſt, ſie nimmer mit Vortheile an - greifen kann. Aber wie? Wenn wir dieſe Veſtun - gen, die uns eigentlich nichts hindern, liegen lieſ - ſen, und mit der geſunden Vernunft geradezu ins Land draͤngen? Die Prieſter hatten bis ins ſechs - zehnte Jahrhundert ihr Syſtem in gar kuͤnſtliche dialektiſche Schlingen verwickelt. Luther ließ ſie, und gieng gerade auf die Bibel, die er allen, die le - ſen konnten, in der Landesſprache in die Haͤnde gab. Die fleißige Leſung dieſes Buchs erwaͤrmte das Herz, und erleuchtete den Verſtand, indem ſie das Nach - denken befoͤrderte. Wollen wir auf einem gleichen Wege nicht weiter fortgehen?

Man ſetzet immer die Vernunft der Offenba - rung entgegen. Dieß mag der noͤthig finden, der an60[59] an eine unerklaͤrliche Theopnevſtie glaubt. Jch hoffe aber, es ſey niemand jetzt mehr ſo einfaͤltig, ſich einzubilden, Gott habe die heiligen Buͤcher, ganz unmittelbar, und uͤbernatuͤrlich, eingehaucht. Es ſind Buͤcher, welche zu ſchreiben, hat muͤſſen Ver - nunft angewendet werden, und zum Leſen und Verſtehen derſelben, gehoͤrt auch Vernunft.

Samuel Werenfels*)S. Sam. Werenfelſii Opuſeula theologica philoſophica & phi - lologica. Lauſannae 1739 4to. Tom. II. p. 509. Der ehrliche Sebaldus hat dieſe Verſe, nach ſeiner Art, folgendermaßen überſetzt: Von Gott gemacht iſt dieſes Buch, Daß jeder ſeine Lehr drinn ſuch Und ſo gemacht, daß jedermann, Auch ſeine Lehr drinn finden kann. , einer der gelehrteſten und rechtſchaffenſten Gottesgelehrten in der Schweiz, ſchrieb in ſeine Bibel:

Hic liber eſt, in quo ſua quaerit dogmata quisque; Invenit & pariter dogmata quisque ſua.

Daß dieß wahr ſey, lehret die Kirchengeſchichte aller Sekten. Der viel, und der wenig glaubet, der Recht - glaͤubige, wie der Schwaͤrmer, ſuchen und finden ihre Lehre in der Bibel. Was nun? Jch meine, was geſchehen iſt, ſey nicht ohne weiſe Abſichten der goͤttlichen Vorſehung geſchehen. Gott hat weder das61[60] das Alte Teſtament noch das Neue Teſtament, ſelbſt, unmittelbar, anfgezeichnet. Er hat gute Leute auserſehen, welche Buͤcher geſchrieben haben, die durch verſchiedene Vorfaͤlle, (in denen, wie in allen Din - gen, auch die goͤttliche Vorſehung mit gewirkt hat) bey einem großen Theile des menſchlichen Geſchlechts in ſolches Anſehen gekommen ſind, daß er aus den - ſelben ſeine Pflichten hat kennen lernen wollen. Dieſe Buͤcher aber ſind ſo eingerichtet, daß dieß nicht ohne Betrachtungen und Schluͤſſe, folglich nicht ohne Nachdenken geſchehen kann. Alſo ſind dieſe Buͤcher hauptſaͤchlich in ſo fern, eine Quelle der Wahrheit, als ſie das Nachdenken uͤber Wahrheit beſoͤrdern. Und wenn denn nun auch die Schluͤſſe und Folgerungen aus denſelben verſchie - den ſind! Wenn ſie nur alle zuletzt in gemein - ſame Wahrheit zuſammenſließen, wollen wir uns beruhigen. Der heil. Hieronymus*)S. Hierouymus in Epiſtolis: Margaritum eſt Verbum Dei, ex omni parte forari poteſt. Nimirum ut Diatraetarii margaritas, prout commodum viſum fuerit, perforant: ita haeretici verba Dei, pro captu ſuo interpretantur, ut volunt. S. Fried. Lindenbrogii Var. Quaeſt. n. 2. adj. Altercationi Hadriani Aug. & Epicteri Philoſophi. Francof. 1628. 8., hat ſchon geſagt: das Wort Gottes iſt eine Perle. Ja wohl, eine Perle! denn gleichwie die Kuͤnſtler die62[61] die Perlen, wo es ihnen gutduͤnkt, durchbohren, ſo haben alle Sekten Gottes Wort, nach ihrem Sin - ne ausgelegt, und es, wie Perlen, auf den Faden ihres Lehrſyſtems gereihet.

Die heiligen Buͤcher ſollen mir beſtaͤndig Quel - len des Nachdenkens uͤber Wahrheit bleiben. Wer aber andere Quellen des Nachdenkens uͤber Wahrheit zu finden glaubt, beſonders, wenn er mit mir auf gleiche gemeinſame Wahrheit zuruͤckkommt, den verdamme wer will, ich nicht. Berdamme wer will, faſt ganz Aſten und Afrika, und den groͤßten Theil von Amerika. Sie kennen dieſe Buͤcher nicht und doch hat ſie der allgemeine Vater, gewiß nicht ohne Wahrheit, und ohne Gluͤckſeligkeit, ihre Fol - ge, laſſen wollen.

Wenn ich in den heil. Buͤchern, eine Stelle finde, in welcher von einem Gotte die Rede iſt; und leſe, erſt nach Jahrhunderten ſey gefunden worden, daß ein durch ein zu duͤnnes Pergament durchgeſchlage - ner Queerſtrich*)Jm Alexandriniſchen Kodex, ſcheint, der mittelſte Queer - ſtrich des erſten Ε in dem Worte ΕΥϹΕΒΕΙΑϹ, durch das Pergament, gerade an der Stelle durch, wo der Spruch 1 Tim. III. 16. geſchrieben iſt. Dadurch, ſcheint das Ο inoc, den Gott veranlaßet hat. Wenn ich63[62] ich leſe, daß nach Jahrhunderten entdeckt worden, es habe ſich ein nicht*)Der berühmte Clericus warf zuerſt Röm. V, 14. das μη aus dem Text, in einem Briefe, der der zweyten Ausgabe von Mills N. T. vorgedruckt iſt, und in Arte crit. P. III. Sect. 1. c. XV. §. 15. Unter den deutſchen Auslegern hat der berühmte Sem - ler eben dieſes, aus guten Gründen gethan. Man ſehe deſſen Apparat. ad libr. N. T. interpr. S. 59. und deſſen[Pa - raphraſe] dieſer Stelle. in den Text geſchlichen, ſo daß anſtatt der nicht ſuͤndigenden, die ſuͤndigen - den verſtanden werden muͤſſen, Bin ich verdam - menswerth, weil ich glaube, die bloßen Buchſta - ben dieſer Offenbarung, die ſo vielen Veraͤnderun - gen unterworfen ſeyn koͤnnen, uͤber deren wahre Lesarten man noch nicht einig iſt, koͤnnen nicht bloß und allein den Grund der Wahrheit und mei - ner kuͤnftigen Gluͤckſeligkeit enthalten.

Wenn ich in der Kirchengeſchichte leſe, man habe Jahrhunderte lang geſtritten, welche Buͤcher kanoniſch ſeyn ſollten und welche nicht. Wenn ich finde, daß der Kanon auf Koncilien beſtimmt wor - den, und aus der Kirchengeſchichte weiß, wie die meiſten Koncilien beſchaffen geweſen. Wenn ichDritter Theil. E finde,*)ΟϹ ein Θ zu ſeyn, deshalb man lange Zeit ΘϹ gele - ſen, welches die Abbreviatur von Θεος iſt. S. Werſtenii Proleg. in N. T. Edit. Halenſ. S. 54. u. f.64[63] finde, daß das Buch des weiſen Sirach unter den apokryphiſchen, und ein anderes Buch, voll myſtiſcher Bilder unter den kanoniſchen ſte - het, kann ich mich enthalten zu zweifeln, zu un - terſuchen? Und was kann ich dazu brauchen, als meine Vernunft, die auch eine Gabe Gottes iſt.

Wenn ich in einem dieſer Buͤcher leſe:*)2 Brief Joh. v. 9-11. Wer uͤbertritt und bleibet nicht in der Lehre Chriſti, der hat keinen Gott. So jemand zu euch kommt, und bringet dieſe Lehre nicht, den nehmet nicht zu Hauſe, und gruͤßet ihn nicht, denn, wer ihn gruͤßet, der macht ſich theilhaftig ſeiner boͤſen Werke. Wenn ich in einem andern leſe:**)Brief Juda v. 5., Der HErr brachte um, die da nicht glaube - ten. Bin ich verfluchenswerth, weil ich nicht mit blindem Koͤhlerglauben alles annehme, wie es buchſtaͤblich da ſtehet, ſondern vermeine, daß in die - ſen Buͤchern, vieles, nicht fuͤr die allgemeine Menſch - heit, nicht fuͤr mich, geſchrieben ſey, aber dennoch redlich, alle das Gute und Nuͤtzliche, das ich in die - ſen Buͤchern finde, zu der Maſſe der Erkenntniß ſchlage, die ich aus Natur und Erfahrung geſchoͤpft habe.

Wenn65[64]

Wenn ich zuruͤckdenke, was man ein Paar Jahr - tauſende lang mit der Bibel vorgenommen hat, um alles, was man wollte, darinn zu finden, ſo muß ich erſtaunen. Man hat ſie, dogmatiſch, exegetiſch, typiſch, myſtiſch, prophetiſch erklaͤrt. Man hat ſie uͤberſetzt und kommentirt, paralleliſirt und analyſirt, abgekuͤrzt und wieder paraphraſirt!

But that’s
*)Nach Sebaldus Ueberſetzung: Das arme Buch! Was muß es nicht ertragen! Von jeher hat es ſich geduldig laßen plagen, Und ſchief verzerrn, nach jedes Lehrers Lehren, Griech’ſch und Hebraͤiſch kann ſich ja nicht wehren!
*) no news to the poor injur ’d page
It has been uſ’d as ill in every age
And is conſtrain’d with patience all to take,
For what defence can Greek and Hebrew make!

Jſt zwiſchen blindem Glauben an die Offenbarung und ſchaͤdlichem Unglauben gar kein Mittelweg? Jſt jeder Freydenker verwuͤnſchenswuͤrdig? O Water - land! Waterland! **)D. Waterland war ein eifriger Bertheidiger der Anglikani - ſchen Orthodoxie.Wenn du gleich den Bieder - mann Herbert, und den Sittenlehrer Shaftes - bury, mit Rocheſter, Etherege und Villers, inE 2 Eine66[65] Eine Klaſſe wirfſt; glaub mir, es kommt eine Zeit, wo weiſe Gottesgelehrten, einem Tindal den Be - weis, daß das Chriſtenthum ſo alt als die Welt iſt, verdanken werden.

Das folgende Kapitel, ſoll D. Pococke in einem zu Cairo befindlichen Codex, anſtatt des 22ten Ka - pitels des 1. Buchs Moſe gefunden haben. Ka - noniſch oder nicht, ich gebe das erſte bis neunte Kapitel des erſten Buchs der Chroniken dafuͤr.

  • 1. Nach dieſen Geſchichten begab ſichs, daß Abraham ſaß in der Thuͤr ſeines Hauſes, da der Tag am heißeſten war.
  • 2. Und ſiehe, ein Mann kam von der Wuͤſten her. Er war gebuͤckt fuͤr Alter, und ſein ſchnee - weiſſer Bart hieng ihm bis auf ſeinen Guͤrtel, und er lehnete ſich auf einen Stab.
  • 3. Und da ihn Abraham ſahe, ſtand er auf, und lief ihm entgegen von der Thuͤr ſeiner Huͤtten und ſprach:
  • 4. Komm herein ich bitte dich. Man ſoll dir Waſ - ſer bringen, deine Fuͤße zu waſchen, und du ſollſt eſſen und die Nacht bleiben, morgen aber magſt du deinen Weg ziehen.
5. Und67[66]
  • 5. Und der Mann ſagte: Nein, ich will unter dieſem Baume bleiben.
  • 6. Aber Abraham bat ihn ſehr; da wandte er ſich und gieng in die Hutte.
  • 7. Und Abraham trug auf, Butter und Milch und Kuchen, und ſie aßen und wurden ſatt.
  • 8. Da aber Abraham ſahe, daß der Mann nicht Gott ſegnete, ſprach er zu ihm: Warum ehreſt du nicht den allmaͤchtigen Gott, den Schoͤpfer des Himmels und der Erden?
  • 9. Und der Mann ſprach: Jch ehre nicht deinen Gott, auch rufe ich ſeinen Namen nicht an; denn ich habe mir ſelbſt Goͤtter gemacht, die in meinem Hauſe wohnen, und hoͤren mich, wenn ich ſie anrufe.
  • 10. Und Abrahams Zorn entbrannte gegen den Mann, und er ſtand auf, und fiel auf ihn, und trieb ihn fort in die Wuͤſten.
  • 11. Und Gott rief Abraham, und er antwor - tete: Hie bin ich
  • 12. Und er ſprach: Wo iſt der Fremdling, der bey dir war.
  • 13. Und Abraham antwortete und ſprach: Herr, er wollte dich nicht ehren und deinen NamenE 3 an -68[67] anrufen, darum habe ich ihn von meinem An - geſichte getrieben, in die Wuͤſten.
  • 14. Und der Herr ſprach zu Abraham: Habe ich ihn nicht ertragen, dieſe hundert und acht und neunzig Jahre, und habe ihm Nahrung und Klei - der gegeben, ob er ſich gleich gegen mich auflehnet, und du konnteſt ihn nicht Eine Nacht ertragen?
  • 15. Und Abraham ſprach: Laß den Zorn des Herrn nicht entbrennen gegen ſeinen Knecht. Siehe ich habe geſuͤndigt, vergieb mir, ich bitte dich.
  • 16. Und Abraham ſtand auf, und gieng fort in die Wuͤſten, und rief, und ſuchte den Mann, und fand ihn, und kehrte mit ihm zuruͤck in ſeine Huͤtte, und that ihm guͤtlich, und den andern Morgen fruͤh ließ er ihn ziehen in Frieden.

D. Thornton in ſeiner Vertheidigung der Neun und dreißig Artikel, ſagt: Zu behaupten, es ſey nicht noͤthig, daß die Meinungen der Prediger mit den ſymboliſchen Buͤchern uͤbereinſtimmen muͤßten; wuͤrde eben ſo ungereimt ſeyn, als zu behaupten, es ſey beſſer, die Decken auf den viereckigten Tiſchen, welche mitten in unſern Zimmern ſtehen, laͤgen ſchief und zipflicht, als gerade und rechtwinklicht. Wahr iſts, zu den Zeiten der Koͤniginn Eliſabeth, war unſer69[68] unſer Religionsſyſtem, wie unſere Philoſophie, einem unanſehnlichen viereckigten Tiſche aͤhnlich, den wir dennoch mitten im Zimmer ſtehen ließen. Er hatte alſo die Decke ſehr noͤthig, und ſie paßte auch ganz wohl darauf. Aber ſeit einiger Zeit meine ich bemerkt zu haben, daß, beſonders bey Leuten nach der Welt, gar keine Tiſche in der Mitte des Zimmers ſtehen. Jch ſehe zwar an den Waͤnden zierlich ausgeſchweifte Marmorplatten, die auf vergoldeten Fuͤßen ruhen. Die beduͤrfen aber keiner Decke, und wollte man die alte Decke darauf legen, ſo wuͤrde ſie eben des - halb zipflicht haͤngen, weil ſie viereckigt iſt. Hat aber noch jemand einen Tiſch nach der alten Art in ſeinem Zimmer, der lege meinetwegen auch die alte Decke darauf.

Der du einen neuen geraden Weg bahnen willſt! Du wirſt auf Huͤgel ſtoßen! Laß dich keine Muͤhe reuen, ſie abzutragen, um den ſchoͤnen Weg nach der Schnur zu fuͤhren! Aber, wenn dein neuer Weg auf ein Haus ſtoͤßet, reiß es nicht weg, ſo lang Men - ſchen drinn wohnen, achte es nicht, daß der Weg lie - ber etwas gekruͤmmt daneben weg gehe! Es kommt in der Zukunft wohl noch eine Zeit, daß das Haus, Baufaͤlligkeitshalber, oder aus andern Urſachen, neuE 4 muß70[69] muß gebauet werden, alsdenn wird ein kluger Mann nicht verſaͤumen, es auf eine andere Stelle zu ſetzen und den Weg ganz gerade zu machen. Sey mit dem zufrieden, was du haſt thun koͤnnen, und uͤberlaß das uͤbrige der Nachkommenſchaft.

Siebenter Abſchnitt.

Hier hielt Sebaldus mit Leſen inne, und fragte ſeine beiden Zuhoͤrer, was ihnen dazu duͤnkte. Van der Kuit antwortete: Hm! ſolch Buch ſollte ſich wohl verkaufen, und ſah dabey mit ſon - derbar ſchlauer Mine, den Domine an.

Domine de Hyſel, verſetzte mit niedergeſchlagenen Augen: das mag mein Herr van der Kuit am be - ſten verſtehen.

Van der Kuit that noch einige Fragen, um den Domine auszuholen. Dieſer aber wich aus, kam auf eine andere Rede, fragte, ob von Sebaldus Journale nicht ein neues Stuͤck heraus gekommen ſey, ſah nach ſeiner Uhr, ſagte, daß er eilen muͤßte, empfol ſich, und gieng fort.

Sebaldus ließ ſeine fertigen Hefte in den Haͤn - den des Buchhaͤndlers, bat ihn die Sache zu uͤberle -gen71[70]gen, und gieng, weil eben einer der erſten Fruͤh - lingstage war, ſehr zufrieden, ſeinen Lieblingsſpa - ziergang auf den Dyk nach Seeburg, um ſich an der Ausſicht auf das Y zu laben.

Der Buchhaͤndler gieng, nachdem er ſowohl den Domine, als den Sebaldus, bis vor die Thuͤr ſei - nes Ladens begleitet hatte, bedaͤchtig in ſeine Schreib - ſtube zuruͤck, um zu uͤberlegen, ob nicht eine Speku - latie zu machen waͤre.

Mynheer van der Kuit, war ein Buchhaͤndler, der das Handwerk verſtand, und trieb es auch als ein Handwerk. Ein Buch ſahe er als ein Ding an, das verkauft werden koͤnnte. Weiter kuͤmmerte ihn nichts dabey. Aber hierzu wuſte er auch alle Vor - theile zu ſuchen, und noch beſſer ſich dabey vor allem Nachtheile zu huͤten. Dabey bemuͤhte er ſich nicht etwan um kleine gemeine Vortheile, z. B. fuͤr ein neues Buch einen pfiffigen Titel zu erſinnen, uͤber ein verlegenes Buch, nebſt einer neuen Jahrzahl, einen neumodiſchen Titel zu ſchlagen, ſich des Ver - lagsrechts eines zu uͤberſetzenden Buches dadurch zu verſichern, daß man es ankuͤndigt, ehe es noch im Originale erſchienen iſt, u. d. gl. mehr. Nein! Myn - heer van der Kuit ſpekulirte ins Große. Er war von weitem her, achtſam auf alles, was ihm einmahlE 5dienen72[71]dienen koͤnnte, und that als ob die Leute, die er zu nichts zu nutzen wußte, ja ſelbſt, als ob die Buͤcher die er nicht hatte, nicht in der Welt waͤren. Sein Hauptgrundſatz war, was er ſelbſt brauchen koͤnnte, muͤſſe ein anderer nicht haben. Hiezu wußte er, oft durch die vierte Hand, Maſchinen in Bewegung zu ſetzen, und konnte nachher ganz unbefangen dabey ausſehen, als ob ihm die Sachen ſo ganz natuͤrli - cherweiſe in die Haͤnde gelaufen waͤren. Es iſt wahr, er handelte dabey nicht allemahl ganz genau nach den gewoͤhnlichen Grundſaͤtzen der Ehrlichkeit und der Menſchenliebe. Er hatte aber ſeine Partie dergeſtalt genommen, daß er, wo es hingehoͤrte, von Ehr - lichkeit und Menſchenliebe ganz fein zu reden wuſte, und da man ihm weder die Ehrlichkeit abſprechen konnte, daß er ſeine Schulden richtig bezahlte, und auch eben ſo puͤnktlich eintrieb, noch die Menſchen - liebe, daß er keinen Beduͤrftigen ohne Allmoſenweg - gehen ließ, wenn jemand zugegen war, und keinen Schuldner verklagte, von dem er vorher ſahe, daß er nicht wuͤrde bezahlen koͤnnen; ſo war keinesweges zu beweiſen, daß er, mit ſeiner Schlangenklugheit, nicht auch die Falſchloſigkeit einer Taube verbinde.

Dieſer Mann hatte es lange mit einer Art von Widerwillen angeſehen, daß er bey dem Drucke, derſo73[72]ſo gut verkaͤuflichen Werke des Kollegianten, nichts als nur der Namenleiher ſeyn ſollte. Beſonders war ihm dieſes bey dem gelehrten Tagebuch aufge - fallen, von welchem er monatlich eine große Anzahl Exemplarien, zu ſeinem Mißvergnuͤgen abſetzte, weil ihm bey jedem Exemplare einfiel, daß dieß Werk ei - gentlich ſein Eigenthum ſeyn ſollte, und nicht des Kollegianten, der nur die Kleinigkeit dabey that, daß er es ſchrieb. Jndeſſen, da der Kollegiant ein reicher und angeſehener Mann war, der auch eine zahlreiche Bibliothek unterhielt, ſo mußte van der Kuit ſchon ſein Mißvergnuͤgen in ſich ſchlucken. Da aber Sebaldus, ein armer unbekannter Fremder, das Eigenthum dieſes Werks erhielt, ſahe der er - fahrne Buchhaͤndler keinen Grund, warum er mit demſelben auch ferner ſo viel Nachſicht haben ſoll - te. Er ſetzte alſo bey ſich feſt, daß er dieſes Werk einſt ganz an ſich ziehen muͤſſe. Er hatte dem Se - baldus, zu dieſem Behufe, einige wohlausgeſon - nene Vorſchlaͤge gethan, welche dieſer, der in Ge - ſchaͤften ziemlich kurzſichtig war, ſich ſehr leicht wuͤr - de haben gefallen laßen, wenn nicht van der Kuit, welcher zu viel Abſichten auf einmahl erreichen woll - te, ihm zugleich ein paar Mitarbeiter haͤtte aufdrin - gen wollen, die zwar nach van der Kuits, nichtaber74[73]aber nach Sebaldus Abſichten arbeiteten. Er bekam alſo eine ausdruͤckliche abſchlaͤgige Antwort. Dieſe Widerſpenſtigkeit eines Antors brachte ihn nicht wenig auf, und beſtaͤrkte ihn in ſeinem loͤbli - chen Vorſatze, das Journal zu beſitzen und zugleich nach eigenem Gefallen zu regieren.

Dieſer Vorſatz, wobey er, nachdem er einmahl einen Schritt deshalb gethan hatte, ſeine Ehre in - tereſſirt glaubte, lag ihm beſtaͤndig im Kopfe. Da er nun jetzt uͤber das Schickſal von Sebaldus Ueber - ſetzung ſpekulirte, und einestheils wohl erwog, daß ſie moͤchte verkaͤuflich ſeyn, anderntheils aber auch Verdrießlichkeiten mit der Geiſtlichkeit befuͤrchtete, durch deren Kundſchaft er ſo manche ſchoͤne uitleg - kundige Vermaaklykheeden, Verklaaringen und Leer - Reeden verkaufte, ſo konnte er mit ſich noch gar nicht einig werden, wie der Gewinn davon, mit rechter Vor - ſicht, und doch unbeſchnitten koͤnnte erlangt werden.

Mit einemmahle fieng ſeine Spekulation an, ei - nen andern Weg zu nehmen. Er hieng das Ange - ſicht, kruͤmmte die Unterlippe, legte den Zeigefin - ger der linken Hand an die Naſe, und endlich ſchien es ihm ganz natuͤrlich vor Augen zu ſtehen, daß durch dieſe Ueberſetzung, auch wenn ſie nicht gedruckt wuͤrde, das gelehrte Tagebuch ſein Eigenthum wer -den75[74]den muͤßte. Dieſe wichtige Entdeckung machte ihn unruhig, er gieng aus ſeiner Schreibſtube in den La - den, aus dem Laden in die Schreibſtube, ſchnalzte mit den Fingern, ruͤckte die Perucke, zog die Bein - kleider auf, rieb ſich die Haͤnde, eilte mit Sebaldus Ueberſetzung nach Hauſe, die er, ohne aus Abend - eſſen zu denken, ganz durchlas, die noͤthigen Stel - len mit einem Kniffe bezeichnete, ſein Projekt noch - mals durchdachte, und ſich darauf voller Zufrieden - heit zu Bette legte.

Den folgenden Tag, bey fruͤher Tageszeit, ver - fuͤgte er ſich zu Domine de Hyſel, dem er die ganze Ueberſetzung vorlegte, und ihm die Beſchaffenheit des Buchs erklaͤrte. Er las ihm zugleich alle die an - gezeichneten Stellen vor, in deren jeder er eine derbe Ketzerey zu finden vermeinte. Er verſicherte, er wiſſe daß Sebaldus gefaͤhrliche Abſichten gegen die Landesreligion im Schilde fuͤhre, und daß er ein Socinlaner ſey. Er ſuchte zugleich den Domine zu bewegen, dieſes gefaͤhrliche Buch der Obrigkeit anzuzeigen. Oder wenn man, aus Menſchenliebe, dieß noch unterlaßen wolle, ſo gab er zu verſtehen, der Domine werde doch in ſeiner Gegenwart, dem Sebaldus, wegen ſeiner gottloſen Meinungen, die, wie er vernommen, auch ſchon hin und wieder in dem76[75] dem Journale zu Tage laͤgen, ſtark das Gewiſſen ſchaͤrfen, und wenn dieſes, wie zu befuͤrchten waͤre, nicht helfen ſollte, allenfalls bey der Obrigkeit zeu - gen, daß er einen Theil dieſes hoͤſen Buchs vorleſen hoͤren, und daß es habe zum Drucke befoͤrdert wer - den ſollen.

Mynheer van der Kuit, hoffte von dieſer Rede, die er wohl ausſtudirt hatte, den erwuͤnſchteſten Er - folg. Wider Vermuthen aber, antwortete Domine de Hyſel auf verſchiedene Fragen gar nichts, und erkaͤrte endlich, mit zerſtreuter Mine: daß er geſtern wirklich nicht recht acht gegeben, als der Heft vor - geleſen worden. Jm Grunde ſey manches doch auch nicht ſo ſchlimm, und koͤnne beſſer ausgelegt wer - den ob ers gleich auch nicht vertheidigen wol - le Da das Buch noch nicht gedruckt ſey, waͤre es ohnedieß zu hart, die Beſtrafung von der Obrig zu verlangen. Er duͤrfe dem Herrn Nothanker ja nur den Verlag abſchlagen, welches er ihm zwar auch nicht eigentlich rathen wollte Kurz, er baͤte ihn, zu glauben, daß er geſtern gar nicht acht gegeben habe, und niemand ihre heutige Unter - redung zu entdecken er koͤnne ſich nicht wohl in die Sache miſchen. Und bey allen dieſem ließ er deutliche Zeichen der Verlegenheit merken.

Van77[76]

Van der Kurt konnte gar nicht begreifen, wie die Entdeckung eines Ketzers, auf einen rechtſinni - gen Geiſtlichen ſo wenig Eindruck machen koͤnnte, denn er hatte gewiß geglaubt, ihn ganz bey ſeiner Schwaͤche zu faſſen. Da er nun merkte, daß er den Beyſtand, den er gewiß von dem Domine zu erhal - ten hoffte, verfehlt hatte, und es nicht dienlich fand, demſelben die wahre Urſach ſeines Antrags naͤher zu erklaͤren, ſo gieng er, nachdem er ſich dienſtlich em - pfohlen, ziemlich betroffen, zur Thuͤr hinaus.

Wollte der geneigte Leſer etwan aus dieſem Vor - falle ſchließen, daß Domine de Hyſel heimlich hete - rodoxe Geſinnungen gehet, ſo wuͤrde er ſich irren; denn der Domine, wollte an keinem einzigen Schluſſe des Dordrechtſchen Synods etwas geaͤndert wiſſen.

Wollte man etwan vermeinen, der Domine habe die Meinungen des Buchs fuͤr unſchaͤdlich gehalten, und geglaubt, man koͤnne ſie dulden; ſo wuͤrde man noch das rechte Ziel nicht treffen, denn er war gar nicht geneigt ſie zu billigen.

Kurzum, alles zu erklaͤren, darf man nur wiſſen, daß Domine de Hyſel, nachdem er den Zweck ſeiner theo - logiſchen Univerſitaͤtsſtudien, ein geiſtliches Amt, erreicht hatte, ſich nunmehr, ſeine nothwendigſten Amtsgeſchaͤfte ausgenommen, um geiſtliche Angele -genheiten78[77]genheiten ganz und gar nicht bekuͤmmerte, und daher, gegen Orthodoxie und Heterodoxie, gegen Duldung und Verfolgung, eigentlich ganz voͤllig gleichguͤltig war. Er wuͤrde durch Aufmerkſamkeit auf dieſe Dinge, auch nur an ſeiner Lieblingsbeſchaͤftigung, an dem ſuͤſſen Umgange mit den lieblichen Muſen Latiens, gehin - dert worden ſeyn. Er wendete alle ſeine Zeit auf das Studium der lateiniſchen Sprache, die er mit der geſuchteſten Reinigkeit ſchrieb. Beſonders mach - te er die zierlichſten lateiniſchen Gedichte, und er hatte kuͤrzlich einen Band davon drucken laſſen, wo - von er nur vor acht Tagen, ein ſchoͤn gebundenes Exemplar, mit einer hineingeſchriebenen, Carmine elegiaco abgefaßten Epiſtel, ad Seb. A’Α̕ποϱιαγϰυϱοβο - λιον V. CI. dem ehrlichen Sebaldus zur Recenſion ge - ſendet hatte. Nun befuͤrchtete er, daß wenn er ſich in dieſe Sache, von der er ohnedieß keinen Zweck ab - ſahe, mengen wollte, koͤnnten ſeine Gedichte, fuͤr die er eine große Zaͤrtlichkeit hegte, einem widrigen Urtheile ausgeſetzt ſeyn; daher hielte ers fuͤrs ſicher - ſte, in dieſer Sache nicht mit zu erſcheinen.

Uebrigens ſagte er darinn keine Unwahrheit, daß er vorigen Tag auf Sebaldus Vorleſung nicht Acht ge - geben habe, denn da er kein Liebhaber von Proſe, am allerwenigſten von hollaͤndiſcher war, ſo hatte er un -term79[78]term Leſen, eine ſapphiſche Ode, auf den Dordrecht - ſchen Synod, zu Ende bringen wollen, wozu ihm noch ein paar Ausgaͤnge von Strophen fehlten. Er hatte alſo von dem Jnhalte der Handſchrift wirk - lich nichts vernommen, und wußte es dem Buch - haͤndler ſchlechten Dank, daß er ihn damit bekannt gemacht hatte, ja er wuͤrde ſich vor demſelben haben verlaͤugnen laßen, wenn er deſſen Anbringen haͤtte vermuthen koͤnnen.

Van der Kuit gieng indeſſen voll Kopfſchuͤttelns uͤber ſeine fehlgeſchlagene Erwartung nach Hauſe, als ihm ploͤtzlich einfiel, daß noch nichts verlohren waͤre, wenn Sebaldus nur glauben wollte, daß Domine de Hyſel wirklich geſagt haͤtte, was er, van der Kuit, wuͤnſchte, daß er geſagt haben moͤchte. Er kehrte alſo wieder um, und gieng zum Sebaldus, den er nach dem geſtrigen Spaziergang, und einem ruhigen Schlaf, wohlbehaglich bey Durchleſung eines neuen Buchs antraf, worinn er ſo viel gute Gedan - ken, ſo viel menſchenfreundliche Geſinnungen fand, daß dadurch ſein Herz, zu allen angenehmen Ein - druͤcken geoͤffnet war.

Der Buchhaͤndler erzaͤhlte ihm gleich, mit angenom - mener aͤngſtlicher Mine, daß Domine de Hyſel erſt die Handſchrift, und nachher ihn ſelbſt habe zu ſich holenDritter Theil. Flaßen,80[79]laßen, daß er ihm darinn viel gottloſe Meinungen ge - wieſen, und ſich hoch vermeſſen habe, den Ueberſetzer bey der Obrigkeit anzugeben, um ihn zur Strafe zu ziehen.

Eine ſchreckliche Nachricht macht deſto ſtaͤrkern Eindruck, je mehr das Gemuͤth vorher dem Vergnuͤgen geoͤfnet geweſen. Sebaldus war daher ganz be - taͤubt, und da van der Kuit fortfuhr, graͤßliche Maͤhrchen zu luͤgen, von der Strenge, mit der man in dieſem Lande gegen die Ketzer verfahre, daß man ſie in Zuchthaͤuſer bringe, zur Veſtungsarbeit an - ſchmiede, in entfernte Kolonien verbanne u. d. gl. ſo ward der gute Mann, der in Welthaͤndeln ganz unerfahren war, und ſich nie um die Verfaſſung ir - gend eines Landes bekuͤmmert hatte, ganz auſſer Faſ - ſung gebracht, es ſtellten ſich ihm zugleich, Dwang - huyſen, Puiſtma, der Seelenverkaͤufer, Stau - zius, Wulkenkragenius, der Praͤſident, und alle widrigen Begebenheiten ſeines Lebens ſo ſchreckenvoll vor, ſo daß er den treuloſen van der Kuit bey der Hand ergriff, und aͤngſtlich ausrief:

Ach mein Gott was iſt das! Koͤnnte ich doch nur aus dieſem grauſamen Lande entfliehen, ich wollte gehen, ſo weit mich meine Fuͤße tragen koͤnnten.

Van der Kuit war eigentlich nur Willens gewe - ſen, den Sebaldus, deſſen geringe Weltkenntniß eruͤberſah81[80]uͤberſah, durch einen eingebildeten Rechtshandel in ſolche Verlegenheit zu bringen, daß derſelbe ſich ganz in ſeine Arme werfen muͤßte, wodurch er denn ſei - nen Zweck wegen des Tagebuchs und der unterzu - ſchiebenden Mitarbeiter, deſto leichter zu erlangen dachte. Da ihm aber Sebaldus, aus uͤbertriebe - ner Aengſtlichkeit, noch ein ſichereres Mittel an die Hand gab, ſo faßte er, als ein weltkluger Mann, gleich deſſen Gedanken auf, und ſagte mit treuher - zig ſcheinender Mine:

Er glaube, in der That, es ſey fuͤr ihn kein Heil, als in einer ſchnellen Flucht zu finden.

Freylich!, rief Sebaldus, herzlich beklemmt, ich muß weg! Aber wohin? Wie ſoll ich ſo ſchnell und auch unerkannt aus dem Lande kommen. Jch weiß weder Weg noch Steg, habe auch kein Geld! Nach Oſtindien zu gehen, habe ich allen Muth ver - loren. Nach Deutſchland? Wie ſoll ich dahin zu - ruͤckkommen? Großer Gott! was wird aus mir werden!

Dieſen Zeitpunkt nahm van der Kuit wahr, ihn mit vielen ſchoͤnen Worten zu verſichern, daß ein je - der ehrlicher Mann, dem andern beyſtehen muͤſſe. Er ſetzte hinzu, er wolle, mit eben der Ehrlichkeit und Freundſchaft, mit der er ihn vor dem UngluͤckeF 2gewarnt82[81]gewarnt habe, ihm nicht allein zur Flucht nach Deutſchland behuͤlflich ſeyn; ſondern ſogar auch mit Gelde helfen; wenn ihm Sebaldus nur den Vor - rath und das Verlagsrecht der Werke des Kollegian - ten, beſonders, des gelehrten Tagebuchs, abtreten wolle. Sie wurden bald um etwan hundert Gulden einig, woruͤber van der Kuit, mit der ihm eignen Thaͤtigkeit in Geſchaͤften, ſogleich eine Verſchreibung aufſetzte, und auch unverzuͤglich das Geld auszahlte.

Darauf eilte van der Kuit dienſtfertiger weiſe, den Sebaldus unter fremdem Namen auf die Poſt nach Arnhem einſchreiben zu laßen, verließ ihn auch hernach nicht einen Augenblick, bis er ihn den an - dern Morgen fruͤh um ſechs Uhr, nach dem Cin - gel*)Ein Platz in Amſterdam, von welchem alle Morgen die Poſt nach Arnhem abfaͤhr:. gebracht, und ihn und ſein weniges Gepaͤck wohlbehalten auf dem Poſtwagen ſah.

Sebaldus fuhr in groſſer Herzensangſt fort, und ſah ſich beſtaͤndig um, ob nicht ein Wagen mit Ge - richtsdienern hinter ihm kaͤme, um ihn einzuholen. Dieſe83[82]Dieſe heftige Gemuͤthsbewegung, hatte auf ſeine Geſundheit einen ſolchen Einfluß, daß er, als er Abends nach Arnhem kam, ein heftiges Fieber hatte. Er wollte ſich aber, der eingebildeten Gefahr wegen nicht einen Angenblick aufhalten. Gleichwohl war es zu ſpaͤt, als daß er noch wieder aus der Stadt kom - men konnte. Er mußte alſo in großer Herzensangſt die Nacht aushalten. Des Morgens aber, mit Ta - gesanbruch, gieng er in groͤßter Eil, zu Fuß, nach dem zwey Stunden entlegenen erſten Kleviſchen Staͤdtchen Sevenaer, wo er von Fieberhitze und Ermattung uͤbernommen, liegen blieb.

Die Krankheit ward gefaͤhrlich, und da er nach etlichen Wochen zu geneſen anfieng, war durch die Ko - ſten der Reiſe, des Wirths und des Arztes, ſein Geld - vorrath faſt gaͤnzlich aufgezehret, ſo daß er, in großer Schwachheit und Armuth weiter ſchleichen mußte. So kurz ſeine Tagereiſen waren, ſo mußte er faſt immer, einen Tag um den andern, wegen großer Mattigkeit, liegen bleiben, bis er endlich, in einem Doͤrfchen, wieder vom Fieber ergriffen wurde, und als er ſich nach einigen Tagen zu erholen anfieng,F 3nicht84[83]nicht weiter konnte. Er ließ den Muth gaͤnzlich ſin - ten, erwartete alle Naͤchte ruhig den Tod, bey Tage aber, hatte er kaum ſo viel Kraft, ſich bis an den Eingang des Dorfs zu ſchleppen, wo er den Reiſenden das Heck aufzumachen befliſſen war, und von den wenigen Almoſen, die ſie ihm gaben, ſein Leben, deſſen er nun voͤllig ſatt war, kaum kuͤmmerlich hinhalten konnte.

Ende des ſiebenten Buchs.

Achtes85[84]

Achtes Buch.

Erſter Abſchnitt.

Die friſche Luft, und der wohlthaͤtige Einfluß der Sonne, gaben unvermerkt dem matten Koͤrper des Sebaldus ſo viel Kraͤfte, daß auch ſein Geiſt wieder ruhiger ward, und er anfieng, ſeinen Zu - ſtand, ſo elend er war, zu ertragen.

Eines Tages ſahe er zwey Leute zu Pferde, von weitem ankommen, einen, mit einen blauen Frack bekleidet, auf einem muthigen Hengſt, und den andern, in einem roſenrothen Rocke mit ſilbernen Franzen, auf einem gemaͤchlichen Pasgaͤnger. Er eilte, das Heck ſo geſchwind aufzumachen, als es ſeine Schwachheit erlaubte. Er zog zugleich ſeine Muͤtze ab, und zeigte ſein von Alter, Gram und Ungemach gereiftes Haupthaar.

F 4Als86[85]

Als die Reiter naͤher kamen, meinte der Blaurock, fuͤr ſeinen Stuͤber, den er ſchon in der Hand hatte, den dienſtfertigen Thorwaͤrter noch hohnnecken zu duͤrfen.

Alter Knaſterbart! rief er, in einem Tone, der ſpaßhaft ſeyn ſollte, was fuͤr einen zureichenden Grund haſt du, das Heck aufzumachen?

Jch habe einen determinirenten Grund, ſagte der Alte mit beſcheidener Mine: Mangel und Krank - heit haben mich auf dieſen Poſten geſtellt.

Determinirend? ſchrie der Blaurock mit einem lauten Gelaͤchter, ich glaube wahrhaftig, in dem zer - riſſenen Kittel, ſteckt ein verdorbner Cruſianer. He! weiſtu nicht auch ’ne kleine Weißagung aus der Apokalypſe?

Ja, ſagte Sebaldus, und ſahe ihn ernſthaft an: Siehe ich komme bald*)Offenb. Joh. XXII, 12. und mein Lohn mit mir, zu geben einem jeglichen, wie ſeine Wer - ke ſeyn werden.

Ha! Ha! Ha! rief der Blaue, er meraliſirt auch, warhaftig, Herr Saͤugling, (denn die bei - den Reiter waren niemand anders als Saͤugling und Rambold) ſiehe da, eine Scene fuͤr ihren em - pfindſamen Roman, der Kerl hat einen wahren Lo - renzokopf! Hat er nicht?

Dieſes[86]
[figure]
87[]

Dieſes zu verſtehen, muß man wiſſen, daß Saͤugling, ſeitdem ihm die Graͤfinn abgerathen hatte, Verſe zu machen, auf Gedanken gekommen war, einen Roman zu ſchreiben, worinn ihn Rambold beſtaͤrkte, damit er Gelegenheit hatte, ihn taͤglich damit aufzuziehen.

Rambold warf ſeinen Stuͤber hin, und ſprengte fort, Saͤugling ritte vorbey, indem der Alte ſich buͤckte, aber kaum war er vier Schritte vorbey, ſo kehrte er um und ſteckte dem Alten, mit einem herz - lich mitleidigen Blicke, einen Gulden in die Hand.

Ob er das Almoſen, der Armuth, oder der ſchoͤnen Scene, oder dem Lorenzokopfe gegeben habe, kann niemand, auch vielleicht der Geber ſelbſt nicht, be - ſtimmen. Genug; Sebaldus rief:

Gott ſegne Sie mein junger Herr, auch den Se - gen eines armen alten Mannes, laͤßt Gott auf einem mitleidigen Juͤnglinge ruhen.

Saͤugling ſpornte ſein Pferd, und da er Ram - bolden einholte, floß ihm eine Thraͤne ſanft die Wange herunter.

Jch glaube gar, Sie weinen, ſpottete Rambold, fi! wer wird ſo weibiſch ſeyn!

Saͤugling vertheidigte ſeine Empfindſamkeit, Rambold fiel in ſeine gewoͤhnliche Schrauberey, und ſo ritten ſie weiter.

F 5Der88[87]

Der Leſer wird vielleicht wiſſen wollen, wie Ram - bold und Saͤugling hier ſo in der Naͤhe erſchienen. Sie waren, als ſie von dem Schloſſe der Graͤfinn ab - reiſeten, gerade nach Weſel gegangen, wohin ſie Saͤuglings Vater beſchieden hatte, weil er ſich da - ſelbſt, Geſchaͤfte wegen, aufhielt. Nachdem dieſe ge - endigt waren, gieng er, obgleich der Herbſt ſchon da war, mit ſeinem Sohne, und deſſen ehemaligen Hof - meiſter nach einem Gute, das er in der dortigen Ge - gend angekauft hatte. Saͤngling war ſeitdem be - ſtaͤndig bey ſeinem Vater geblieben, wo er ſeinen pootiſchen Phantaſeyen ungeſtoͤrt nachhaͤngen konnte. Rambold hingegen, der, nachdem Mariane, zu ſeinem Erſtaunen, gleichſam verſchwunden war, wei - ter keine Hofnung hatte, durch die Frau von Ho - henauf befoͤrdert zu werden, rechnete zwar die - ſerhalb einigermaßen auf den alten Saͤugling: weil aber der Aufenthalt bey demſelben, beſonders als der Winter angieng, fuͤr ſeinen unruhigen Geiſt, viel zu einfoͤrmig war; ſo machte er, in kurzem, Bekannt - ſchaft mit dem Herrn von Haberwald, einem be - nachbarten Edelmanne. Dieſer war, ſo wie Rambold, ein Liebhaber des Trunks, des Spiels und der Jagd, und hielt, ſo wie er, eben nicht auf die ſtrengſte Sittenlehre; daher dieſe Gleichheit der Neigungen,die89[88]die Freundſchaft ſehr bald ſo heiß machte, daß der Herr von Haberwald nicht einen Augenblick ohne ſeinen Rambold ſeyn konnte, und ihn vermochte, ganz zu ihm zu ziehen. Zuweilen beſuchte Rambold indeſſen noch ſeinen ehemaligen Zoͤgling, und eben an dieſem Tage, war er, um einen ſehr ſchoͤnen Sommertag zu genießen, mit ihm ſpazieren geritten.

Als ſie nach Hauſe kamen und Rambold gegen Abend nach dem Nitterſitze des Herrn von Haberwald zuruͤck gekehrt war, beſchaͤftigte ſich Saͤugling den Reſt des Abends, mit Sebaldus Figur, die in ſein weiches Herz einen tiefen Eindruck gemacht hatte. Er ließ den andern Morgen ein Karriol anſpannen und fuhr allein nach dem Dorfe, wo Sebaldus wie - der am Hecke zu finden war. Auf Verlangen er - zaͤhlte ihm der Alte ſeine vornehmſten Ungluͤcks - faͤlle. Saͤugling war zu gutmuͤthig, um einen ſol - chen Mann laͤnger in einem ſo traurigen Zuſtande ſchmachten zu laßen. Er ließ ihn neben ſich ins Karriol ſitzen, fuhr mit ihm nach ſeines Vaters Dorfe zuruͤck, befahl ihn einem Pachter an, ver - ſorgte ihn mit reiner Waͤſche und Kleidern, und mit noͤthigen Nahrungsmitteln.

Beym Mittagstiſche erzaͤhlte er ſeinem Vater Sebaldus Begebenheiten, und zugleich, daß er den -ſelben90[89]ſelben bey dem Pachter untergebracht habe. Ob die Befriedigung der kleinen Eitelkeit, eine gute Hand - lung, die er verrichtet hatte, auch andern kund zu thun, an dieſer Erzehlung, mehr oder weniger Antheil koͤn - ne gehabt haben, als die Begierde ſeinen Vater zur fernern Wohlthaͤtigkeit gegen Sebaldus zu ver - anlaßen; wird jeder Schreiber einer theologiſchen Moral, je nachdem die Falſchheit der menſchli - chen Tugenden, mit ſeinem Lehrgebaͤude mehr oder weniger verbunden iſt, zu bejahen oder zu ver - neinen wiſſen. Genug, des alten Saͤuglings Neu - gier ward erregt, und er begehrte den Sebaldus ſelbſt zu ſprechen.

Zweyter Abſchnitt.

Saͤugling der Vater, war ein Mann, der we - der große Tugenden noch große Laſter hatte. Sein natuͤrliches Phlegma, verließ ihn nur bloß in dem Falle, wenn er im Handel einen ſichern Ge - winnſt vor ſich ſahe. Daher hatte er, vom erſten An - fange des Krieges an, viel mit Lieferungen fuͤr die Armeen zu thun gehabt, wodurch er einen Reich - thum erworben hatte, der ſelbſt ſeine Erwartungen uͤberſtieg. Den Werth des Geldes, kannte er zwarſo91[90]ſo gut als jemand, doch war er eben nicht geizig, ob er gleich auch nichts vom Verſchwenden hielt. So bald der Krieg zu Ende zu gehen ſchien, und er die Moͤglichkeit ſahe, daß ein Lieferant Schaden haben koͤnnte, entſagte er allen fernern Unternehmungen, und kaufte dieſes Rittergut, wo er nunmehr ſeine große Reichthuͤmer genießen wollte. Er fand aber, daß dieß, mit einem Geiſte ohne Kenntniſſe und ohne Thaͤtigkeit, ſchwerer iſt, als er wohl anfaͤnglich mochte gedacht haben. Er fieng an zu bauen, aber er ward ſehr bald fertig, mit einem Hauſe, das ſchon groͤßer war als er es brauchte. Es fanden ſich zu ihm bald Kunſtkenner, fleißige betriebſame Per - ſonen, welche, ausdruͤcklich fuͤr reiche Leute die keine Kenntniſſe haben, Gemaͤlde der groͤßten Meiſter aus Werken der Stuͤmper und Lehrlinge verferti - gen laßen, und ſie durch verdorbenen Firniß und ver - ſchoſſenes Kolorit, meiſterhafter Weiſe zu erheben wiſſen. Dieſe verfehlten aber gaͤnzlich ihres Zweckes bey ihm, weil ſie ihm den erſten, bey allen reichen Kunſtliebhabern noͤthigen Schritt, nicht abgewinnen konnten, naͤmlich ihm einzubilden, daß er Geſchmack habe. Sie konnten ihn daher nicht dazu bringen, ſich ein Kabinett anzuſchaffen, weil er ihnen immer, mit dummer Ehrlichkeit, ins Geſicht geſtand, daßer92[91]er an ihren ſo ſchoͤn geprieſenen Rubene, van Dyk, Guercino und Luca Jordano keine Augenweide finden koͤnne, und daß ihm die Bildniſſe ſeiner Vor - aͤltern, mit ihren Kragen, guͤldnen Ehrenketten und Knotenperncken viel beſſer gefielen. Sie konn - ten alſo bey ihm nichts als ein Paar von Jakobs van der Laenen oder Jan Steens Fratzengemaͤl - den anbringen; bey denen nicht viel verdient wurde, weil ſie wirklich aͤcht waren. Sie verließen ihn da - her gaͤnzlich, mit vielem Achſelzucken uͤber ſeine un - begreifliche Unwiſſenheit. Es fanden ſich zwar an - dere Leute von Geſchmack, welche ihn lehren woll - ten, ſeinen Garten nach der neueſten engliſch-chine - ſiſchen Art anzulegen, die damals in Weſtphalen noch ganz unerhoͤrt war. Da er aber, zu dieſem Be - hufe, den groͤßten Theil ſeines Parks ſollte umhauen laßen, und nach der Anlage, gerade auf dem Platze, wo ſein beſtes Franzobſt und alle ſeine Spargelbeete befindlich waren, ein chineſiſcher Thurm und hinter demſelben verſchiedene Abgruͤnde und Wildniſſe an - gelegt werden ſollten; ſo folgte er wieder ſeiner ein - faͤltigen Ueberlegung, daß er, dieſer Verbeſſerung zu Folge, viele Jahre lang weder Spargel noch Obſt ko - ſten, und vielleicht Zeitlebens nie wieder Schatten und Kuͤhlung genießen wuͤrde, und ließ alles wie eswar.93[92]war. Er haͤtte zwar gern Geſellſchafft gehabt, und ſetzte ſich daher auf den Fuß offne Tafel zu halten, aber es kam ſelten jemand, weil ihn der benachbarte Adel uͤber die Achſel anſahe. Der Herr von Haber - wald, welcher ihn freylich wegen der Rehe und Ha - ſen ſeiner Wildbahn, und wegen des guten Weins in ſeinem Keller, oft beſuchte, war ihm zu laͤrmend, ſo wie Rambold zu ſpitzfindig und hoͤniſch. Sein Sohn war alſo ſeine einzige Geſellſchaft. Er hoͤrte deſſen Gedichte auch wohl bey ſeiner Nachmittags - pfeife an, und freuete ſich, wenn er in den Zeitungen, welche die Zeit der Morgenpfeife ausfuͤllten, zuwei - len ſchwarz auf weiß las, daß derſelbe ein großer Poet waͤre; aber dieß wollte doch gegen die große Portion von langer Weile nicht wiederhalten, die ihm uͤbrig blieb, und wider die er, nach langem Nachſinnen, nichts erdenken konnte, als daß er be - gann, zumahl da die langen Winterabende allzume - lancholiſch wurden, woͤchentlich dreymahl Betſtunde zu halten.

Da er alſo den Sebaldus kennen lernte, warf er die Augen auf ihn, als auf einen Mann, der ge - ſchickt waͤre, ihm beſtaͤndig Geſellſchafft zu leiſten. Sebaldus war ohngefaͤhr von gleichem Alter, von gleichem ruhigen Gemuͤthe, er konnte beſtaͤndig umihn94[93]ihn ſeyn, konnte von ſehr vielen Sachen ſprechen, die, ohne ſeinen zur Bemuͤhung ungewohnten Geiſt durch Anſtrengung zu ermuͤden, doch einige Beſchaͤf - tigung darboten.

Er trug alſo dem Sebaldus, nebſt freyer Koſt und Wohnung, ein jaͤhrliches Gehalt an, welches, wie leicht zu erachten, ſehr willig angenommen ward. Sebaldus kam dadurch, aus dem tiefſten Elende, in einen Stand der Ruhe und Gemaͤchlichkeit, der ihn wieder zum Genuſſe des Lebens empfindlich machte. Der Hauch vaterlaͤndiſcher deutſcher Luft, erweckte wieder das Verlangen nach ſeiner Tochter und nach ſeinem Sohne. Bloß der gaͤnzliche Mangel an Nachricht von dieſen geliebten Kindern, unterbrach zu - weilen die Behaglichkeit, in der er lebte, und die ſeine leicht zu befriedigende Wuͤnſche ſonſt ganz erſchoͤpfte.

Seine vornehmſte Pflicht war, beym Fruͤhſtuͤcke die Zeitungen aller Art vorzuleſen. Der alte Saͤug - ling hatte dieſe Lektur, von der erſten Zeit ſeiner Ein - ſamkeit an, als ein hauptſaͤchliches Huͤlfsmittel wi - der die lange Weile gebrauchet. Die Zeitungen ge - ben undenkenden Koͤpfen eine ſo unſchuldige Ge - legenheit, ihre wenigen Seelenkraͤfte auf eine halbe Stunde in eine Art von Bewegung zu ſetzen, und veranlaßen wohl noch ein viertelſtuͤndiges Geſpraͤchbey95[94]bey der Mittagstafel, wo ihnen oft der Biſſen viel leichter in den Mund, als das Wort aus dem Munde zu gehen pflegt; daß ſie ihnen, des Morgens, zu einer eben ſo nothmendigen Seelenatzung geworden ſind, als das Kartenſpiel, des Abends. Dazu kam, daß die Zeitungsſchreiber damals, wenigſtens monatlich ein paarmahl, Beſorgniß wegen eines bevorſtehenden Krieges aͤußerten. So oft dieſes geſchahe, pflegte der alte Saͤugling, in Gedanken, und oft auch auf dem Papiere, zu berechnen, wie viel Lieferungen von mancherley Art fuͤr die Armeen noͤthig ſeyn moͤch - ten, und Entwuͤrfe zu machen, wie ſie in den ver - ſchiedenen Laͤndern, wo der Schauplatz des Krieges vorausgeſetzet ward, koͤnnten herbey geſchaft werden. Denn ob er gleich gar nicht willens war, ſelbſt wieder etwas zu unternehmen, ſo waren doch Spekulationen dieſer Art, wie er aus der Erfahrung ſehr wohl wußte, ein ſicheres Mittel, ſeinen Geiſt in der anſpannungs - loſen Thaͤtigkeit zu erhalten, durch welche der Koͤrper, die vornehmſte Sorge reicher muͤßiger Leute, ſo wohl - behaglich genaͤhret wird, daß alle ſechs nicht natuͤr - liche Dinge*)Die Aerzte begreifen unter dieſer Benennung: Athemholen, Speiſe und Trank, Ausführungen, Schlaf, Bewegung, Leidenſchafften. in der beſten Ordnung von Statten gehen.

Dritter Theil. GEin96[95]

Ein gleiches wirkſameres Huͤlfsmittel, waren die vielen Zahlenlotterien, von denen er in den Zeitungen Nachrichten las. Er ſetzte in alle. Die Spekulationen uͤber die an verſchiedenen Orten her - ausgekommenen und noch herauszukommenden Zah - len, die Komponirung und Dekomponirung verſchie - dener Einſetzungsarten, u. dergl. mehr, fuͤhrten ihn in ſo mancherley ernſthaft ausſehende Rechnungen, aus denen ſo viele ſonderbar ſcheinende Reſultate ent - ſprangen, daß er zuweilen verleitet ward, ſeine Hirn - geſpinſte, mit Wohlgefallen, fuͤr mathematiſche Ein - ſichten zu halten. Dazu kam, daß die geringe Furcht zu verlieren und die groͤſſere Hofnung zu gewinnen, der Verdruß die Zahlen verfehlet, und die Freude ſie errathen zu haben, ſeine ſonſt ſo leere Seele mit et - was Leidenſchaften aͤhnlichem erfuͤllte, welches mach - te, daß er weniger traͤge zu denken, und lebhafter zu ſprechen begann, und welches zugleich ſeine Saͤfte, in ſo ordentlicher Wirkung und Gegenwirkung erhielt, daß er nie weniger von Jndigeſtionen zu befuͤrchten hatte, als kurz vor und kurz nach den verſchiedenen Ziehungstagen. Man kann alſo leicht erachten, daß er hierdurch in der beſten Geſundheit erhalten worden ſey, da verſchiedene Patrioten in verſchiedenen Pro - vinzen Deutſchlandes, dafuͤr geſorgt haben, daß keineWoche97[96]Woche vorbeygeht, ohne daß irgendwoher den Rei - chen ein ſo ſtattliches Digeſtivmittel dargeboten wer - de, welches fuͤr ſie allemahl wohlthaͤtig, und nur blos den Armen zuweilen etwas zu draſtiſch iſt.

Wenige Tage, nachdem Sebaldus in ſein Amt eines Zeitungsleſers eingeſetzt worden war, ſtand in einer Zeitung, die Gewinnliſte, ich weiß nicht wel - cher Zahlenlotterie. Er mußte ſie ganz vorleſen, weil ſie dem alten Saͤugling, wegen vieler, uͤber die Folge der Zahlen in dieſer Lotterie, gemachten Spe - kulationen, ſehr intereſſant war. Sebaldus verſtand aber ſo wenig davon, als ob ſie polniſch geſchrieben geweſen waͤre. Der alte Saͤugling, der ſchon dieſe Tage uͤber, wenn er in den Zeitungen uͤber man - che Namen und Sachen zweifelte, Sebaldus hiſto - riſche und geographiſche Kenntniſſe, nachgebend hatte annehmen muͤſſen, that ſich jetzt was rechts darauf zu gute, daß er nun demſelben erklaͤren konnte, was Ambe und Terne, und andere zur Lotterie gehoͤ - rige Worte bedeuteten. Er gerieth dabey in ſol - chen Eifer, daß er dem Sebaldus anlag, ſich fuͤnf Zahlen auszuleſen und auf dieſelben zu ſetzen. Se - baldus hatte keine Luſt, und verirrte ſich in die Lo - gik der Wahrſcheinlichkeit, um zu beweiſen, daß keine Zahl vor der andern, mehr WahrſcheinlichkeitG 2heraus -98[97]herauszukommen habe, und daß er alſo keine vor der andern zu waͤhlen wiſſe. Der alte Saͤugling, voll Begierde, vermeinte auf dem rechten Wege zu ſeyn, indem er den arabiſchen Lotteriewahrſager und das Vademecum fuͤr Zahlenlotterien, mit ſeinen daraus gezogenen Deutungen und Verbindungen dem Sebaldus vorerzaͤhlte. Zuletzt, nach vielen Hin - und Wiederreden, verblieb Saͤugling, wie es ei - nem reichen Manne gegen ſeinen Hausgenoſſen ge - buͤhret, auf ſeiner Meinung, und verlangte: Sebal - dus ſollte nur Eine Zahl anzeigen, die er im Sinne haͤtte, ſo wolle er ihm die uͤbrigen vier daraus ziehen.

Sebaldus ſagte: Jn meinem Sinne iſt gar keine Zahl, als die Zahl 666.

Gut! rief der alte Saͤugling: Sehen Sie 6 und 66 iſt drinn, verdoppeln Sie die erſte und theilen die letztere, kommt 12 und 33, ziehen Sie dieſe beiden von einander ab, bleibt 11 Sehen Sie 6. 11. 12. 33. 66. da haben wirs aber wahrhaftig ſchlechte Zahlen, die einzige 11 iſt gut. Sie verſtehen’s Spiel noch nicht, Herr Noth - anker, das ſieht man. Die geraden Zahlen kom - men dieſes Jahr in dieſer Lotterie nicht heraus, am wenigſten in dem erſten Funfzig. Aber ſo iſts, ſolche junge Anfaͤnger muͤſſen Lehrgeld geben. Bleiben Sie99[98] Sie nur bey Jhren Zahlen. Jch will Jhnen meine nicht ſagen, aber die 11 iſt dabey. Wir wollen ſe - hen, uͤber drey Wochen, wenn die Ziehung vorbey iſt. Die 11 kommt heraus, und noch eine Zahl. Aber ſt! Laßen Sie uns die Saͤtze reguliren. Sie ſollen Sechs Thaler ſetzen, dieß iſt allemahl mein Satz in jeder Lotterie.

Der alte Saͤugling beſorgte den Einſatz, mit ſei - nen eigenen, und ſtellte dem Sebaldus den Schein zu. Zugleich machte er bey Vergleichung der Saͤtze, ſeiner Einſicht nochmals ein Kompliment, und ſpe - kulirte, wie gewoͤhnlich, noch einige Tage uͤber ver - ſchiedene Verbindungen der Zahlen, dahingegen Se - baldus die Sache, da ſie kaum geſchehen war, vergaß.

Dritter Abſchnitt.

Einige Zeit darauf, fiel Saͤugling, der Vater, als er nur ſeinen gewoͤhnlichen Fruͤhlingsſchnu - pfen zu erhalten vermeinte, ploͤtzlich in ein ſtarkes Fieber, welches ihn einige Tage lang bettlaͤgerig hielt. Es fuͤgte ſich, da er ſich beſſerte, und Nach - mittags ruhen wollte, daß Sebaldus, nebſt dem jungen Saͤugling, indeſſen einen kleinen Spazier - gang machte. Eben unter der Zeit, kam Rambold angeritten. Da er auf dieſe Art niemand ſpre -G 3chen100[99]chen konnte, vertrieb er ſich indeſſen |die Zeit damit, daß er die Zeitungen durchlief und die Aufſchriften der Briefe uͤberlas, die der Poſtbote nicht lange ge - bracht hatte, und die noch im Zimmer auf dem Ti - ſche lagen. Er fand unter den Briefen einen an den jungen Saͤugling, davon ihm die Handſchrift be - kannt ſchien, und ſteckte ihn zu ſich, um einen Scha - bernack damit zu machen, wovon er, wie wir ſchon wiſſen, ein Liebhaber war. Er konnte ſich nicht lange darauf bedenken, indem Saͤugling der Sohn eben zuruͤck kam, und ihm den Sebaldus, den er hier noch nicht geſehen hatte, vorſtellte. Sebaldus gieng gleich darauf, zu ſehen, ob der Kranke erwacht ſey, und gab Rambolden freye Hand, Saͤuglin - gen wegen deſſen Neigung zu einem Bettler, ge - woͤhnlicher Art nach, aufzuziehen. Dennoch hoͤrte er Saͤuglings Erzaͤhlung von Sebaldus Namen, Stand und Begebenheiten mit beſonderer Aufmerk - ſamkeit an, fragte auch ſelbſt, mit mehr als gewoͤhn - licher Neugier, nach verſchiedenen Umſtaͤnden. Da indeſſen Saͤugling fortfuhr, mit warmer Theilneh - mung die Geſchichte zu erzehlen, ſchien Rambold daruͤber betroffen zu ſeyn, ward wider ſeine Ge - wohnheit ernſthaft, ſtand auf und gieng ein paar - mahl im Zimmer auf und nieder, ſchien uͤber die Er -zehlung101[100]zehlung unruhig zu werden, lehnte ſich ins Fen - ſter, nahm, ohne daran zu denken, den Brief aus der Taſche, erbrach ihn in der Zerſtreuung, las ihn, ward feuerroth, nahm mit einemmahle eine ganz an - dere, vergnuͤgte, Mine an, ſchlug in die Haͤnde, ſah nach der Uhr, brach kurz ab, rief aus dem Fenſter, daß man ſein Pferd gleich ſatteln ſolle, ſagte, er muͤſte unum - gaͤnglich gleich wieder nach Hauſe, umarmte Saͤuglin - gen, ſchwang ſich aufs Pferd, und ritt ſchnell davon.

Saͤugling wußte nicht, welcher Veranlaßung er Rambolds ploͤtzlichen Aufbruch zuſchreiben ſollte, indeſſen da er an demſelben ſchon mancherley Launen gewohnt war, ſo dachte er weiter nicht darauf, oder glaubte vielleicht wirklich, Rambold wuͤrde durch ein Geſchaͤft nach Hauſe gerufen. Jndeſſen ritt Rambold nicht nach Hauſe, ſondern einen ganz an - dern Weg, wie berichtet werden ſoll, wenn wir erſt zuruͤckgeſehen haben, wo Mariane geblieben, von der wir, ſeitdem ſie dem Oberſten entſprungen war, keine Nachricht erhalten haben.

Vierter Abſchnitt.

Nachdem Mariane, beinahe eine halbe Meile lang, ſo geſchwind ſie konnte, gelaufen war, mußte ſie ſich endlich, aus Mangel des Athems, ohnweitG 4der102[101]der Landſtraſſe, niederſetzen. Als ſie ſich ein wenig erholet hatte, fieng ſie an, ihren Zuſtand zu uͤberden - ken. Sie war in einer unbekannten Gegend, von jedermann verlaſſen, und mußte befuͤrchten, ihrem Nachſteller, der ſie vermuthlich verfolgen laßen wuͤrde, wieder in die Haͤnde zu gerathen. Als ſie indeſſen in ihrer Taſche ihr Geld wiederfand, ſo ver - zweifelte ſie nicht, Mittel zu finden, ſich geſchwin - der zu entfernen, und da eben ein Bauerwagen vor - bey fuhr, welcher in ein einige Meilen entlegenes Dorf gehoͤrte, ſetzte ſie ſich auf denſelben und ließ ſich unverzuͤglich weiter bringen. Sie fuhr auf dieſe Art, beynahe ohne auszuruhen, von Dorfe zu Dorfe fort, in der Abſicht des Freyherrn v. D *** Guͤter zu erreichen. Jndeſſen, da ſie ſelbſt den Weg da - hin nicht recht wußte, und niemand als Bauern darum fragen konnte, deren Kenntniß ſich gemeinig - lich nicht weiter als einige Tagereiſen in die Runde erſtrecket, ſo ward ſie anſtatt ins Hildesheimiſche, tief in Weſtphalen hineingefahren. Nachdem ſie ſo acht Tage lang fortgereiſet war, fieng ein eingefall - nes Regenwetter an, ihr beſchwerlich zu werden, da ſie ganz leicht bekleidet war. Jndeſſen beſtand ſie doch darauf, weiter zu reiſen, bis ſie ein Platzregen und Ungewitter noͤthigte, in einem im Walde ſtehendeneinzel -103[102]einzelnen Hauſe einzukehren. Der Regen hoͤrte den ganzen Tag nicht auf, der Bauer wollte nicht war - ten, weil er den andern Tag einen Hofedienſt zu thun hatte, und da ſie von dem Bewohner des Hau - ſes, welcher, weil er in ſeiner Jugend Soldat ge - weſen, die Gegend weit und breit kannte, auf ihre Erkundigung nach dem Wege, vernahm, daß ſie ſehr weit von dem Hildesheimiſchen entfernt ſey; ſo ent - ſchloß ſie ſich kurz, den Bauer abzulohnen, und bis zur Beſſerung des Wetters in dieſem Hauſe zu bleiben.

Das Haus war von einem Greiſe, ſeiner Frau und ſeiner Tochter bewohnt, die ſich theils vom Spin - nen, der gewoͤhnlichen Winternahrung der Weſt - phaͤliſchen Hausleute, erhielten, theils die Milch einer Kuh, und die Fruͤchte eines Krautgartens verzehr - ten, der durch ihren eignen Fleiß war urbar gemacht worden. Der alte Hauswirth verband mit der treu - herzigen Ehrlichkeit eines Landmanns, die Weltkennt - niß, die lange Feldzuͤge gewaͤhren. Er hatte mit ſeinem Gutsherrn, der ſein Oberſter geweſen war, alle Gefahren der Feldzuͤge in Braband getheilt, und war ihm in allen Vorfaͤllen ſo treu und ergeben ge - weſen, daß der Gutsherr, aus edler Dankdarkeit, das Schickſal ſeines alten Kriegskammeraden zu ver - beſſern ſuchte. Als der Mann alt ward, ward derG 5Hof104[103]Hof deſſen Sohne uͤbergeben, und er auf Leib - zucht*)Leibzucht, heiſt in Weſtphalen die Wohnung eines vom Hofe abgegangenen Bauers. geſetzt. Der Markenherr gab ihm aber nicht allein aus der Mark einen betraͤchtlichen Zu - ſchlag, und gab ihm ſeine Tochter, von Hofedien - ſten frey, mit auf die Leibzucht, ſondern er ließ ihm auch in einem angenehmen Sundern**)Ein Sundern heiſt in Weſtphalen ein beträchtliches Ge - hölz, welches in Abſicht der Viehweide offen, aber was das Holz hetrifft, davon geſondert, oder einem Herrn zuſtän - dig iſt. S. Moͤſers patriotiſche Phantaſien 2 Th. S. 493. ein eignes bequemeres Haus, mit einem Schornſtein bauen, ſo daß ſich der Leibzuͤchter, nicht, wie ſeine Nachbarn, mit ſeinen Schinken zugleich, raͤuchern durfte. Da - bey hatte er, unter ſeinem Strohdache, eine beſon - dere abgeſchlagene Kammer, welche eigentlich diente, ſeinen Wintervorrath zu verwahren, jetzt aber Ma - rianen zur Schlafkammer angewieſen ward.

Sie genoß darinn nach einer ungewohnt langen Reiſe die erſte Nacht eine ſuͤße Ruhe. Sie ſtand des Morgens erquickt auf, das Wetter hatte ſich anfgeklaͤrt, ſie ſah aus dem Fenſter das Waͤld - chen im ſchoͤnſten Laube, und hinter demſelben gruͤnende Wieſen. Als ſie herunter kam, ward ſie von den Hausleuten mit laͤndlicher Gaſtfreundſchaft empfangen. Nach dem Fruͤhſtuͤcke ſpazierte ſie inder105[104]der umliegenden Gegend, wo ſie die Natur in aller ihrer Schoͤnheit fand. Sie irrte auf einem Fußſteige, der, zwiſchen dichten Buͤſchen, zu einem kleinen gruͤn - bewachſenen Huͤgel fuͤhrte, neben dem ſich ein klarer Bach ſchlaͤngelte. Dieſe Gegend ſchien ihr ungemein reizend. Sie beſtieg den kleinen Huͤgel, von wel - chem ſie in dem Waͤldchen umherſchauen konnte, und in der Ferne die Ausſicht auf wallende Kornfelder hatte. Hier uͤberlegte ſie ihren Zuſtand, ſie ſahe, daß ſie von dem Zwecke ihrer Reiſe weit entfernt war, daß ſie, wenn ſie auch wieder zuruͤckreiſen wollte, nicht gewiß wiſſen koͤnnte, in welchen Ge - ſinnungen ſie den Herrn von D *** finden moͤchte, daß ſie vielleicht von ohngefehr dem Oberſten in die Haͤnde fallen koͤnnte u. d. m. Dagegen ſchien ihr dieſer Winkel der Erde, ganz paradieſiſch zu ſeyn. Es duͤnkte alſo ihrem ohnedieß etwas zum romanti - ſchen geneigten Geiſte das zutraͤglichſte, wenn es moͤg - lich waͤre, in dieſem Aufenthalte der Ruhe und der Un - ſchuld, von der ganzen Welt abgeſondert zu leben.

Sie entdeckte ihren Vorſatz ihren Wirthsleuten, welche ſich denſelben wohl gefallen ließen, fall ſie mit ihrem Hausweſen, ſo wie es war, vorlieb neh - men wollte. Mariane war vielmehr entzuͤckt da - ruͤber. Jhr Wirth, mit ſeinem ehrwuͤrdigen ſchnee -weißen106[105]weißen Haupte, und mit ſeiner ungekuͤnſtelten Auf - richtigkeit, ſchien ihr, mit ſeiner redlichen Hausfrau, ein Philemon und Baucis, das Haͤuschen ein Tem - pel, und die Gegend eine arkadiſche Flur zu ſeyn. Alles verſchoͤnerte ſich in ihren Augen. Wenn ſie mit Spinnen und andern haͤuslichen Arbeiten einen Tag zubrachte, einen andern, mit Beſorgung der Milchkammer, oder einmahl ihr eigen Geruͤcht pfluͤcken und in den Topf werfen konnte, glaubte ſie, aus dem Prunke eines verderbten Zeitalters, zur Einfalt und auch zur Unſchuld der erſten Welt, zuruͤckgekehret zu ſeyn. Und wenn ſie des Abends, mit der Tochter ihres Wirthes, einem guten Maͤd - chen, nach dem Huͤgel ſpazierte, oder ſich mit ihr am Rande des Bachs ins Gras ſetzte, ſchien ſie ſich zu den Nymphen Dianens zu gehoͤren, und wenn ſie ſang, welches oft geſchah, ſchienen ihr die Hama - dryaden aus dem Waͤlde von fern zu antworten.

Wahr iſts inzwiſchen, daß dieſe reizenden Vorſtel - lungen, wie mehrere poetiſche Phantaſien, ins ge - meine Leben gebracht, nicht allzulange Stich hielten, und daß, nach einem Monate, die gute Mariane ihre Einbildungskraft ſchon auſtrengen mußte, wenn ſie in das ſeelenvolle Gefuͤhl uͤbergehen wollte, das ihr ſonſt ſo natuͤrlich ſchien. Als aber vollends der ſpaͤteHerbſt107[106]Herbſt die Blaͤtter ſtreifte, und der Nordwind mit ungeſtuͤmem Brauſen, jeden Schritt außer dem Hauſe verwehrte, ſank Philemon in ihrer Jdee wirklich zu einem gemeinen Bauer herab, und Baucis zu einer weſtphaͤliſchen Hausmutter, die auch wohl, wenn ihr in der Haushaltung nicht alles nach Sinne gieng, ſchel - ten und ſchmollen konnte. Der Tempel ward wieder eine enge und unbequeme Huͤtte, in welcher die harte Koſt, ſo ſehr ſie der Einfalt unſchuldiger Hirtenvoͤl - ker gemaͤß war, doch nicht ſchmecken wollte. Ja, Mariane hat nachher ganz natuͤrlich geſtanden, daß ſie ihrer phantaſiereichen Vorſtellungen ungeachtet, dennoch zuweilen, bey einem patriarchaliſchen Milch - brey in einer hoͤlzernen Satte, nach einem wohlfil - trirten Kaffee in meisniſcher Schaale, luͤſtern ge - weſen ſey.

Jn den erſten Tagen dieſer laͤndlichen Einſamkeit, hatte ſie ſich, in liebliche Jdeen von arkadiſcher Un - ſchuld verſenkt, bereden wollen, daß ihr Herz von Liebe frey ſey. Aber eben dieſe kleinen empfindſamen Schwaͤrmeleyen, oͤfneten es jedem ſuͤßen Eindrucke. Sie lebte die vorigen gluͤcklichen Zeiten in Gedanken noch einmahl, ſie erinnerte ſich ihres Saͤuglings ehrerbietiger, zaͤrtlicher, inbruͤnſtiger Geſinnungen, ſie beſann ſich, wie er ſich ihrer bey einer ſchimpfli -chen108[107]chen Beleidigung angenommen habe. Denn machte ſie ſich Vorwuͤrfe, daß ſie ihm, wider ihre Neigung, ſo kalt begegnet habe, ſie konnte nun nicht begreifen, wie ſie ihr Herz vor ihm nicht habe ausgießen koͤnnen.

Dieſe Erinnerung war, als im Winter, durch lange Weile und Widerwillen, ihr Geiſt taͤglich mehr zu erſchlaffen begann, ihr einziger Troſt. Sie wieg - te ſich in dem Gedanken, daß Saͤugling ſie wirklich noch liebe, daß ſie noch einſt mit ihm vereinigt und gluͤcklich ſeyn werde. Sie maß ſeinen Schmerz von ihr entfernt zu ſeyn, nach dem ihrigen ab, und fand oft Wolluſt darinn, wenn ſie, indem ſie ihren eige - nen Schmerz beweinte, den Schmerz ihres Gelieb - ten zu beweinen glaubte.

Als der Fruͤhling wieder kam, und alle ihre Em - pfindungen heitrer wurden, drangen die zaͤrtlichen Gefuͤhle mit jedem Fruͤhlingshauche tiefer in ihre Bruſt. Saͤuglings Bild ſpiegelte ſich ihr in jedem hervorgruͤnenden Blatte, in jeder entfalteten Knoſpe. Bey ihren einſamen Spaziergaͤngen nach dem Baͤch - lein, begleitete es ſie. Dann ſaß ſie in wonnetrunk - nem Staunen, dann glaubte ſie es zu umfaſſen, dann ſprang ſie auf, und erroͤthete vor ihrem eige - nem Phantome. Dann wandelte ſie am Ufer herab, und ſang Lieder, die er auf ſie gemacht hatte, zudem109[108]dem Falle des kleinen Stroms, der uͤber glatte Kie - ſel herabrieſelte, und indem er ſich ausbreitete, den gruͤnenden Wieſengrund, zu Entſproſſung neuer Blu - men befeuchtete.

Mit dieſen anmuthsreichen Phantaſien verband ſie auch Betrachtungen uͤber ihren gegenwaͤrtigen Zu - ſtand. Sie ſahe ein, es ſey ihr unmoͤglich, noch einen Winter in dieſem Hauſe zuzubringen, gleich - wohl ſahe ſie auch kein Mittel, wie ſie auf eine an - ſtaͤndige Art, ihre Lage veraͤndern koͤnnte. Sie ſchien ſich einzeln, von aller Welt verlaßen zu ſeyn, beſonders, nachdem ſie auf einen Brief an Hierony - mus ſchon ſeit ein paar Monaten keine Antwort er - halten hatte, vermuthlich weil er nicht zu handen ge - kommen war. Da nunmehr ihre Liebe zu Saͤuglingen ſich ihrer ganzen Seele bemaͤchtigte, und ſich das Verlangen, auch von ſeinen Geſinnungen gegen ſie unterrichtet zu ſeyn, in ihre innerſten Gedanken ein - flocht; ſo entſchloß ſie ſich endlich, nach vielein ver - geblichen Zaudern, ihm, nach Weſel, wohin ſie wußte, daß er mit Rambolden hatte reiſen ſollen, ihren Aufenthalt zu melden.

Der Entwurf dieſes Briefs koſtete verſchiedene Tage, denn ſie hatte ſich feſt vorgenommen, alle Merkmale der Liebe daraus wegzuwiſchen, und blosals110[109]als ein ungluͤckliches Frauenzimmer zu ſchreiben, das ſich, weil ſie von jedermann verlaßen iſt, an einen edelmuͤthigen Juͤngling wenden muß. Dennoch hatte ſie die Spuren ihrer Leidenſchaft nicht ganz ausloͤ - ſchen koͤnnen, denn die Liebe, wie ein ſuͤſſer Geruch, duftet unvermerkt um ſich. Saͤugling, deſſen Em - pfindungen den ihrigen ſo ſehr entſprachen, wuͤrde auch gewiß mit unnennbarer Wolluſt gefuͤhlet haben, was in ihrer Seele war, wenn er ſo gluͤcklich gewe - ſen waͤre, dieſen Brief zu erhalten. Der Brief ward vom Poſtamte zu Weſel, nach ſeines Vaters Gute, geſendet, und war eben derſelbe, den Rambold erſt aus Schaͤkerey beyſteckte, nachher aus Zerſtreuung las, und da er daraus Marianens Aufenthalt er - ſahe, nicht einen Augenblick ſaͤumen wollte, zu ihr zu eilen, denn der Ort ihres Aufenthalts war in der That nicht eine Meile entlegen.

Rambold that, als ob ihn ein ungefaͤhrer Zufall dahin gefuͤhrt haͤtte, und huͤtete ſich wohl, von dem geleſenen Briefe etwas zu erwaͤhnen. Mariane ver - wunderte und freuete ſich, ihn zu ſehen, weil ſie von ihm, Nachricht von ihrem Saͤugling zu empfangen hoffte. Aber er ſchwieg, und da ſie endlich mit einigen Um - ſchweifen nach demſelben fragte, nahm er eine betruͤbte Mine an, und verſicherte ſie, weil ihm eben nichts an -ders111[110]ders einfiel, daß Saͤugling geſtorben ſey. Dieſe Nachricht ſetzte Marianen außer ſich. Rambold war zwar ſehr bemuͤht, ſie zu bereden, daß ſie ſich deſſen Tod nicht gar zu ſehr zu Sinne ziehen moͤchte, weil Saͤugling ein Haͤschen geweſen, der allen Frauenzimmern Suͤßigkeiten vorgeſagt haͤtte; aber, bey Marianen wollten dieſe leidigen Troſtgruͤnde kei - nen Eingang finden, daher kuͤrzte er ſeinen Beſuch ab, und ritt wieder nach Hauſe.

Er unterließ aber doch nicht, oft wieder zu kom - men, und ward von Marianen, die nunmehr in beſtaͤndiger Traurigkeit lebte, gern geſehen, weil er ſie an Saͤuglingen erinnerte, von welchem er ihr, auf ihre Fragen, allerhand Maͤhrchen erzaͤhlte, wel - che, ſo unbetraͤchtlich ſie waren, doch in Maria - nens zum Trauren geſtimmter Einbildungskraft, ein mitleidiges Wohlgefallen erregten.

Der Herr von Haberwald merkte Rambolds oͤftere Abweſenheit, und unterließ nicht, ihn daruͤ - ber zu hohnnecken. Rambold mußte endlich geſte - hen, daß er ein huͤbſches Maͤdchen beſuchte, wel - ches er zu ſeiner Frau machen wuͤrde, wenn er eine Verſorgung haͤtte. Der Herr von Haberwald ſpitzte hieruͤber die Ohren, und beſtand darauf, daß er ihn mitnehmen ſollte. Dieß geſchah, und weil Ram -Dritter Theil. Hbold112[111]bold dem Herrn von Haberwald einen Wink gege - ben hatte, daß er klug ſeyn ſollte, ſo wuſte er ſich ſo ehrbar zu betragen, daß Mariane an beider Auf - fuͤhrung nichts auszuſetzen haben konnte.

Als ſie zuruͤckkamen, ſo wurde, nachdem, bey eini - gen Flaſchen Wein, Marianens Schoͤnheit von beiden Theilen war geprieſen worden, von dem Hrn. von Haberwald die weiſe Anmerkung gemacht, daß eine huͤbſche Frau Paſtorinn in einem Kirchſpiele eine nuͤtzliche Sache waͤre. Durch dieſe Aeußerung ward eine kleine Unterhandlung eroͤfnet, die, wenn ſie weitlaͤufig auf dem Papiere beſchrieben werden ſollte, Leſern von feinen Empfindungen, niedertraͤch - tig und widerwaͤrtig ſcheinen koͤnnte, die aber, im Laufe der Welt, unter manchen Leuten ohne Beden - ken ſtatt findet, eben, weil ſie keine feine Empfin - dungen haben. Das Reſultat derſelben war, daß der Herr von Haberwald feyerlich verſprach: ſobald Rambold von Marianen das Jawort erhalten haͤtte, ſollte er die Adjunktur des abgelebten Pfar - rers, mit einem beſtimmen Gehalte, bekommen.

Rambold warb nun im Ernſte um ſie. Ma - riane gab ihm zwar eine ausdruͤckliche abſchlaͤgige Antwort, und brachte, in ihrem Herzen, dem Anden - ken ihres Saͤuglings dieſes Opfer. Jndeſſen wie -derholte113[112]derholte Rambold, obgleich ohne Hofnung einiges Erfolgs, ſo oft einen Antrag, uͤber den, an ſich, ein junges lediges Frauenzimmer niemals zornig wird, wenn er nicht gerade zu wider ihre Abſichten ſtreitet; daß ihn Mariane mit einiger Nachſicht anhoͤrte. Die Heldinn eines Romans, haͤtte freylich eine un - verletzte Beſtaͤndigkeit an den Tag legen, und ſich eher toͤdten laßen muͤſſen, als ſich einem Gegenſtande zu ergeben, fuͤr den ſie nicht die heißeſte Liebe fuͤhlte. Aber im gemeinen Leben haben wir haͤufige Bey - ſpiele, daß wohlgezogene Frauenzimmer, wenn ſie gleich zur bruͤnſtigſten Leidenſchaft in ſich Zunder fuͤhl - ten, dennoch, ſelbſt nicht in ſo mißlicher Lage wie Mariane, mit kalter Vernunft uͤberlegt haben, was vieles junge Volk nicht wiſſen will, daß Liebe nicht ewig in gleicher Anſpannung dauren kann, und daß neben der Liebe, ſo wuͤnſchenswerth ſie iſt, den - noch noch mehr Gegenſtaͤnde in der Welt ſind, ed - len Seelen auch wuͤnſchenswerth. Da nun Ram - bold von Perſon nicht widrig war, da er ſich ſeit der erſten Zeit ſeines Umgangs mit Marignen, in ihre Gemuͤthsart geſchickt, und ſich dabey ſo ſein hatte zu verſtellen wiſſen, daß ſie von ſeiner ſchlech - ten Seite faſt nichts gemerkt hatte; ſo iſt ſchwer zu entſcheiden, wozu ſie ſich vielleicht noch endlich koͤnnteH 2ent114[113]entſchloſſen haben, wenn das Schickſal, welches doch, wie die Poeten verſichern, beſtaͤndig uͤber die Verliebten wachen ſoll, ihr beſtaͤndig, Nachricht von Saͤuglings Leben verweigert haͤtte.

Fuͤnfter Abſchnitt.

Saͤugling, der von dieſen, ſo wie von allen ſeit Marianens Entfuͤhrung vorgefallenen Be - gebenheiten, nichts wußte, blieb in ſeiner Zunei - gung gegen ſeine Geliebte beſtaͤndig. Sie war noch beſtaͤndig der Gegenſtand aller ſeiner einſamen Phan - taſien. An ſie waren alle verliebte Verſe gerichtet, die er nicht unterlaßen konnte, von Zeit zu Zeit zu machen. Er gab ſich unablaͤßig, obwohl fruchtlos, Muͤhe, Nachricht von ihr einzuziehen. Er beklagte ſich deshalb oft bey dem treuloſen Rambold, wel - cher aber, beſonders in den letzten Zeiten, ſeine Liebe zu einer abweſenden Perſon, die vielleicht wer weiß wo in der Welt herumſchweifen moͤchte, mit gewoͤhn - licher Narrentheidung zu beſpoͤtteln ſuchte, welches auf das Gemuͤth des treuen Saͤuglings, ſo empfind - lich er ſonſt auch gegen das laͤcherliche war, keinen Eindruck machen konnte.

Ob115[114]

Ob nun gleich, Mariane immer die Koͤni - ginn ſeines Herzens blieb, der alle ſeine Gedanken gewidmet waren, ſo wuͤrde doch ſeine ſo weiblich ge - ſtimmte Seele ungluͤcklich geweſen ſeyn, wenn er nicht mit einem gegenwaͤrtigen Frauenzimmer oͤf - ters haͤtte umgehen koͤnnen. Auf dem Gute ſeines Vaters aber, war keine weibliche Seele, ſei - ner Achtſamkeit wuͤrdig, daher war es ein Gluͤck fuͤr ihn, daß ſich bald eine Gelegenheit fand, mit einem jungen Frauenzimmer in der Nachbarſchaft bekannt zu werden.

Die Betſtunden, welche Saͤugling der Vater zu halten anfieng, machten ihn mit der Frau Gertrud - tinn, einer reichen Wittwe bekannt, die in einem benachtbarten Staͤdtchen wohnte. Jhr ſeliger Ge - mahl, Herr Gertrud, war ein betriebſamer Mann, der beſtaͤndig bedacht geweſen war, ſein kleines Ta - lent, ſo gut wie moͤglich, und zwar hauptſaͤchlich zu ſeinem eigenem Vortheile zu nuͤtzen. Weil er wußte, wie viel leichter es iſt, auf einem gutmuͤthi - gen Menſchen zu reiten, als pfiffige Kunden zu uͤber - liſten, und weil er von Natur ein ehrbares und be - daͤchtiges Anſehen hatte, ſo trieb er ſein Weſen haupt - ſaͤchlich unter verſchiedenen enthuſiaſtiſchen und ſe - paratiſtiſchen Religionspartheyen. Er fuͤgte ſich ganzH 3ihren116[115]ihren Einrichtungen, drang ſehr geſtiſſentlich in die ihnen am Herzen liegende Glaubenspunkte ein, be - ſorgte ihre Angelegenheiten, correſpondirte mit den entfernten Bruͤderſchaften, und vertheilte ihre Almo - ſen. Er hatte ſich beſonders, lange bey den Herrn - hutern aufgehalten, und war nur erſt alsdenn von ihnen geſchieden, da man ihn uͤber gewiſſe Verwal - tungen bruͤderlich befragen wollte, uͤber welche er nicht bruͤderlich zu antworten gemeinet war. Seine Frau war ihm, eho dieß geſchah, durchs Loos des Heilandes zu gefallen, und dieſes Loos behagte ihm ſehr wohl, denn die ihm zugefallne Schweſter, war in ihrem neunzehnten Jahre, hatte eine feine Haut, ein wohlbeleibtes Anſehen, und große blaue Augen, die ſie bey geiſtlichen und weltlichen Entzuͤckungen ſehr andaͤchtig zu verdrehen wuſte. Als er ſtarb, ließ er ſeiner Wittwe, nebſt einem Vermoͤgen von funfzig - tauſend Thalern, eine einzige Tochter, die Jungfer Anaſtaſia Gertrudtinn. Dieſe war jetzt in ihrem achtzehnten Jahre, und ſahe ohngefaͤhr eben ſo aus, als ihre Mutter, zu der Zeit, als ſie ihrem Vater durchs Loos zufiel. Sie hatte das gebenedeyte An - ſehn, welches der Froͤmmling aus der Zerknirſchung des Herzens herleitet, und der Weltling zuweilen in einem ganz andern Verſtande annimmt. Jhre Au -gen117[116]gen waren faſt immer niedergeſchlagen; doch wenn ſie ſie aufhob, war ihr Blick zwar ſehr durchdrin - gend, aber ihre Augen fielen ſogleich wieder ehrbar - lich nieder. Sie trieb keine Kleiderpracht, und gieng weder in Sammt noch Seide, aber das allerfeinſte Leinen, die ausgeſuchteſten Spitzen, die Chitſe er - ſter Sorte, obgleich ſictſamer Farbe, dienten, eine ſehr zarte Haut und eine volle Wange, zu erhoͤhen, die, ohne daß es ſchien, doch ſehr ſorgfaͤltig gepflegt wurden. Sie ſprach ſehr wenig, eigentlich, weil ſie nicht viel zu ſprechen wuſte; aber dieſe Einfalt diente ihr zu einer frommen Koketterie. Sie ſchien aus verſchaͤmter Zuruͤckhaltung zu ſchweigen, indem ſie ſanft ſeufzete, und das Haupt langſam ſeitwaͤrts ſinken ließ.

Mit dieſem jungen Frauenzimmer unterhielt ſich Saͤugling der Sohn, wenn ihre Mutter ſeinen Vater oder er ſie beſuchte, welches faſt woͤchentlich geſchahe. Unterdeſſen die Frau Gertrudtinn mit Sebaldus uͤber theologiſche Materien diſputirte, wie ſie denn in der Dogmatik, ſo gut wie in der Polemik, bewandert war, oder unterdeſſen ſie mit ſeinem Va - ter die Materie von Hypotheken und Pfandbriefen abhandelte; pflegte Saͤugling mit der Jungfer Anaſtaſia die ſuͤſſen Gedanken zu theilen, die wieH 4Honig118[117]Honig von ſeinen Lippen floſſen. Daß ſie ſie nicht ver - ſtand, that nichts zur Sache, ſie machte doch einen beſcheidenen Knix, als ob ſie ſie verſtuͤnde, ſchlug ihre großen Augen kurz auf und wieder nieder, und erroͤ - thete zuweilen, wenn etwas von Liebe, oder heidniſcher Mythologie vorkam. Saͤugling der dieſes bemerkte, und, einem Frauenzimmer zu gefallen, gern alle Geſtal - ten annahm, verſuchte einige geiſtliche Lieder nach be - kannten Melodien zu machen. Dieſes gelang ihm uͤber Vermuthen. Denn die Jungfer Anaſtaſia, begann ſie nicht allein mit vieler Begierde zu leſen, und ſang ſie ihm mit ihrem ſchoͤnen Munde vor, ſondern die Frau Gertrudtinn fand auch ſo viel Salbung da - rinn, daß ſie, aus eignem Betriebe, ſich dahin zu verwenden verſprach, daß dieſe Lieder in ein Geſang - buch, von welchem im Herzogthume Juͤlich eine ver - beſſerte und vermehrte Auflage beſorgt werden ſollte, eingeruͤckt wuͤrden. Eine Hofnung, welche Saͤug - lings kleiner Eitelkeit nicht wenig ſchmeichelte.

Auf dieſe Art ward der Umgang zwiſchen Saͤug - lingen und der Jungfer Anaſtaſia taͤglich genauer, und die ſchuͤchterne Anaſtaſia, ward, obgleich in aller Ehrbarkeit, etwas geſpraͤchiger und unterhalten - der, welches beiderſeits Eltern ſehr wohl gefiel. Denn Saͤugling der Vater, der den Reichthum der FrauGertrud -119[118]Gertrudtinn kannte, berechnete, daß ſein Sohn keine beſſere Partie thun koͤnnte, und Frau Ger - trudtinn, welche auch wohl wußte, wie warm der alte Saͤugling ſaß, fieng an, der Sache etwas naͤ - her zu treten, indem ſie zuweilen bemerkte, daß die Ehen im Himmel geſchloßen wuͤrden, und daß die Menſchen, ſobald dieß erſichtlich ſey, dem Himmel nicht widerſtreben muͤßten.

Saͤugling der Sohn, argwohnte alle dieſe Ab - ſichten gar nicht, ſondern der Umgang mit einem Frauenzimmer diente ihm nur, wie einer Uhr das Oel, um ſeine zaͤrtlichen Phantaſien in einem glei - chem Gange zu erhalten. Er lebte ganz unbefangen mit der Jungfer Anaſtaſia, und widmete nichts deſtoweniger beſtaͤndig, ſeiner abweſenden Mariane die zaͤrtlichſte Liebe.

Sechſter Abſchnitt.

Nachdem Saͤugling der Vater von ſeiner Krank - heit geneſen war, ward er einſt, mit ſeinem Sohne, zu der Frau Gertrudtinn in die Stadt, zu Mittage eingeladen. Die ſchoͤne Anaſtaſia, welche des jungen Saͤuglings Achtſamkeiten, gleich ihrer Mutter, ganz ernſthaft auslegte, hatte dieſen TagH 5alle120[119]alle ihre ſittſamen Reizungen aufgeboten, weil ſie nunmehr zutraͤglich hielt, ſein Herz ganz zu feſ - ſeln. Man fand an ihr heute nicht bloß, die, wohl - beguͤterten Betſchweſtern, ſonſt eigenthuͤmliche an - daͤchtige Selbſtgenuͤgſamkeit, nicht nur das ihnen ſonſt gewoͤhnliche ſelbſt behagliche Achtgeben, auf ge - ſundes Anſehen, auf Weiche der Haut, auf Glaͤtte der Bekleidung, auf Gelindigkeit der ganzen Per - ſon, welches ſogar bey Nonnen die Stelle alles welt - lichen Putzes erſetzt; ſondern, ihr mit brabandiſchen Spitzen beſetztes Haͤubchen war auch einen halben Zoll hoͤher auf die Stirne geruͤckt, ſie ſchlug die Au - gen oͤfter lieblich in die Hoͤhe und ließ ſie mit langſa - mern Schmachten niederſinken, und ihre weichlich liſpelnde Stimme, ſonſt mit Seufzerchen uͤberhaucht, erſtarb heute auf ihren Lippen, mit einer faſt hol - dem Laͤcheln nahe kommenden Freundlichkeit.

Alle dieſe ſchmachtende Reize, ließ ſie mit der, an - daͤchtelnden Maͤdchen ſo eignen, zuruͤckhaltenden Jn - nigkeit, auf Saͤuglingen wirken, als ſie nach dem Mittagsmahle, mit ihm allein im Garten ſpazieren gieng. Jungfer Anaſtaſia die, in ſeinen Augen, bald die unverſtellten Merkmale des Wohlgefallens las, glaubte ſichere Zeichen ihres geheimen Sieges zu fin - den, und ihrem wohlmeinenden Zwecke, aus einemweltli -121[120]weltlichen Juͤnglinge, einen frommen Ehemann zu machen, ziemlich nahe zu ſeyn.

Jndeſſen, da ſie, mit ſtillem Herzklopfen, einer zaͤrt - lichen Erklaͤrung entgegen ſahe, ließ ſich Saͤugling, weit gefehlt, daß er ſeiner einzig geliebten Marians nur einen Augenblick haͤtte untreu werden ſollen, durch ihre anmuthige Vertraulichkeit zu nichts be - wegen, als daß er einige von ſeinen Lieblingsliedern, uͤber die Freuden des Lebens, aus der Taſche nahm, die er ſich bisher noch nicht getrauet hatte, ihr vorzuleſen. Sie hoͤrte ſie, mit voͤlliger Ergebung in ihr Schickſal, an. Bey feinen Gedanken, die ſie nicht verſtand, ſahe ſie freylich ein wenig daͤmiſch aus, aber dieß ward durch das ſanfte Laͤchein verguͤ - tet, welches zugleich diente ihre ſchoͤnen Zaͤhne, und die Gruͤbchen in ihren runden Wangen zu zeigen. Bey verliebten Stellen erroͤthete ſie nicht gleich, wie ſonſt, ſondern hob die Augen ſeitwaͤrts, mit einem Blicke zwiſchen Verſchaͤmtheit und Sehnſucht, in die Hoͤhe, und erſt, wenn, im Herabſinken, ihre Augen, Saͤuglings auf ihren Beyfall gierigem Blicke, be - gegneten, ſtieg ein ſanftes Roth auf ihre vollen Wangen, indem ihre Augen nochmals furchtſam aufblinzten.

Unter -122[121]

Unterdeſſen daß dieſes vorgieng, hatte ſich ein mit - gebetener Freund der Frau Gertrudrinn des alten Saͤuglings bemaͤchtigt, und ihn nach Tiſche ebenfalls in eine andere Gegend des Gartens gefuͤhret. Er brach - te, ungezwungner Weiſe, das Geſpraͤch auf die Jung - fer Anaſtaſia, und breitete ſich ausfuͤhrlich uͤber das große Heuratsgut aus, das ſie zu gewarten haͤtte. Er erzaͤhlte zugleich, es haͤtten ſich ſchon viele Par - theyen gefunden, die aber, weil ſie Weltkinder ge - weſen, von der Frau Gertrudtinn abgewieſen wor - den, bis ſich kuͤrzlich erſt, ein annehmlicher Braͤuti - gam, ſogar ein Edelmann gefunden haͤtte, deſſen Anſuchen jetzt wirklich in Erwegung gezogen wuͤrde.

Dieſe Nachricht that auf den alten Saͤugling die begehrte Wirkung. Er ward etwas ſtill, blies einige Minuten lang, den Rauch langſamer aus ſeiner Pfeife, und fragte, ſo gleichguͤltig als er konn - te: Ob denn der bewußte Braͤutigam ſchon das Ja - wort erhalten haͤtte?

Bis jetzt noch nicht, ſagte der Freund des Hau - ſes, die Sache iſt jetzt wirklich in Ueberlegung, und verdient ſie.

Jch wuͤnſchte, ſagte der alte Saͤugling, nach - dem er wieder einige Minuten pauſiret hatte, daß ich eher etwas davon gewußt haͤtte, denn ich muß geſte -123[122] geſtehen, daß ich die Jungfer Anaſtaſia immer fuͤr eine meinem Sohne ſchickliche Parthey gehalten habe.

Der Hausfreund verſicherte, daß hierbey noch nichts verlohren waͤre, man ſey mit dem andern Braͤutigam auf keine Weiſe gebunden, und ob der - ſelbe gleich nicht nur ein Mann von Stande ſey, ſondern auch ein rechtes frommes Gnadenkind ge - worden: ſo ſey er doch ein Officier, und man wiſſe wohl, daß Leute dieſes Standes, am leichteſten in Ruͤckfall gerathen koͤnnen; daher werde die Frau Gertrudtinn ſeinem Sohne gewiß den Vorzug geben, nur muͤſſe er, wie leicht zu erachten, ſich ſehr bald deshalb erklaͤren.

Der alte Saͤugling ward uͤber dieſe Nachricht uͤberaus vergnuͤgt, verſicherte, daß er morgen un - verzuͤglich mit ſeinem Sohne reden wollte, welcher ihm ſchon laͤngſt eine beſondere Neigung zur Jungfer Anaſtaſia zu haben ſchiene, und da er gar nicht zweifelte, derſelbe werde zu dieſer Heurath die groͤße - ſte Begierde zeigen: ſo nahm er zugleich die Abrede, daß die Frau Gertrudtinn, nebſt ihrer Tochter, und ihm, dem Hausfreunde, auf den uͤbermorgenden Tag, auf ſein Gut, zum Mittagseſſen gebeten werden ſoll - ten; damit alsdenn der erſte Antrag geſchehen, undviel -124[123]vielleicht gar die Sache gleich in Richtigkeit gebracht werden koͤnnte.

Der Freund der Frau Gertrudtinn, beſtaͤrkte den alten Saͤugling ſehr in dieſem Vorſatze, und fuhr fort, ihm eine ausfuͤhrliche Auskunſt uͤber der - ſelben Vermoͤgen zu geben, nebſt andern dahin einſchla - genden dem Alten uͤberaus angenehmen Geſpraͤchen. Es entſpann ſich daher zwiſchen beiden eine wechſelſei - tige Vertraulichkeit, und ſie hatten einander ſo viel zu ſagen, daß, als gegen Abend, die Zeit zur Abfarth herankam, der alte Saͤugling ſich, ohne Umſtaͤnde, in den Wagen des fremden Herrn ſetzte; damit ſie in ihrem Geſpraͤche fortfahren, und ihre Rathſchlaͤge und Entwuͤrfe ferner ins Reine bringen koͤnnten.

Der junge Saͤugling fuhr alſo ganz allein. Dieſer war durch die Lieblichkeit der Jungfer Anaſtaſia, und durch den Weihrauch, den ſie ſeinen Gedichten angezuͤndet hatte, (denn er hielt ihr Seufzen und Erroͤthen bloß fuͤr eine ſtarke Wirkung ſeiner Ge - dichte) in die wohlgefaͤlligſte Laune geſetzt worden. Es war einer der ſchoͤnſten Sommerabende. Er ſtieg daher aus dem Wagen, als der Weg neben einem Walde vorbeygieng, um einen Spaziergang zu Fuße zu machen. Der Kutſcher beſchrieb ihm einen Fusſteig, der nach einer Viertelmeile wieder aus demWalde[124]

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125[]Walde herausfuͤhrte. Dahin ward der Wagen be - ſchieden, und Saͤugling gieng in das Gebuͤſch, mit der Schreibtafel in der Hand, um, unter den Ein - fluͤſſen der ſchoͤnen Gegend, einer Scene in ſeinem empfindſamen Romane nachzudenken.

Er war ſchon, eine geraume Zeit, in aller Wolluſt der Autorempfaͤngniß, fortgewandelt, als er, ohnge - faͤhr dreißig Schritte vom Fußſteige ab, im Walde einen angenehmen Geſang zu hoͤren glaubte. Er ward dadurch noch mehr aufmerkſam gemacht, da ihm die Melodie bekannt war, noch mehr, da es ihm bey naͤherm Hinzugehen, eines ſeiner Lieder zu ſeyn ſchien, noch mehr, da ihm die Stimme Marianens Stimme zu ſeyn beduͤnkte. Er eilte durch das Ge - ſtraͤuch. Es war wirklich Mariane, die bey ihrem gewoͤhnlichen einſamen Abendſpaziergange, ſich am Ufer des kleinen Baches niedergeſetzt hatte, ihren ſchwermuͤthigen Gedanken, uͤber ihren geliebten ihr ſo fruͤhzeitig geraubten Saͤugling nachzuhaͤngen, und in dieſem ſuͤßen Staunen, ein von demſelben ehe - mals an ſie gerichtetes Lied ſang.

Als ſie Saͤuglingen erblickte, ſprang ſie auf, und that einen lauten Schrey, weil ſie glaubte ein Ge - ſpenſt zu ſehen. Er uͤberzeugte ſie aber bald, daß er lebte, da er ſie aufs feurigſte in ſeine Arme ſchloß,und126[125]und den erſten Kuß auf ihre jungfraͤulichen Lippen druͤckte. Unnennbare Freude zitterte aus beiden in dieſer Umarmung, fuͤr alle Beſchreibung zu innig. Marianens ganze Zuruͤckhaltung zerfloß in dieſem Gefuͤhle, wie Eis beym Blick eines Maytages. Sie ſchwor die Seinige zu ſeyn, ſie war die Seinige.

Jn dieſer wonnevollen Unterhaltung verſtrich eine Stunde, ohne daß ſie es merkten. Saͤuglings Be - dienter, der, an dem abgeredeten Orte, mit dem Wa - gen ſo lange gewartet hatte, ward endlich unruhig, ſuchte ſeinen Herrn im Walde, fand ihn, und erin - nerte ihn, nach Hauſe zu fahren.

Siebenter Abſchnitt.

Saͤugling kam ſo ſpaͤt nach Hauſe, daß er ſei - nen Vater dieſen Abend nicht ſprechen konnte. Nach einer Nacht voll unruhiges Schlafs, ließ er bey fruͤhem Morgen ſeinen Paßgaͤnger ſatteln, und ritt ganz allein nach dem Hauſe im Walde. Wie ihn Mariane, in deren Herzen, nach langem freudelo - ſen Harren, die heißeſte Liebe wallte, empfangen habe, kann nicht beſchrieben werden, und iſt nicht noͤ - thig zu beſchreiben. Beide waren im erſten Tau - mel wechſelſeitig geſtandener Liebe, wo jedes halbge -ſtammelte127[126]ſtammlete Wort Entzuͤckung iſt, jeder Blick ein Ge - luͤbd, dieſe Entzuͤckung ſolle ewig danern. Jhre geſtrige Zuſage, einander ewig treu zu bleiben, ward durch den heißeſten Kuß beſiegelt. Saͤugling ſteckte ihr einen brillantenen Ring an den Fin - ger, der, wenn man eine kleine Feder druͤckte, aufſprang, und ein Sinnbild entdeckte, mit der Ueberſchrift: Ewig getreu. Mariane ſchenkte ihm eben den kleinen Demantring in Form eines flammenden Herzens, den ihre Mutter einſt ihrem Vater, am Tage ihrer Verlobung gab*)S. Wilhelmine S. 50., und den ſie bisher, als ein werthes Andenken, an ihrem Fin - ger getragen hatte.

Auf dieſe Art kam der Mittag heran, da ſie ein laͤndliches Mahl unter den baͤuriſchen Gluͤckwuͤnſchun - gen der ehrlichen Hausleute, mit herzlicherm Wohl - geſchmacke verzehrten, als die theure Kuͤche des lie - bemangelnden Schwelgers gewaͤhren kann.

Erſt Nachmittags, konnte Mariane ihrem Saͤugling Rambolds Betrug, wovon ſie frey - lich den ſchaͤndlichſten Theil nicht wußte, aus - fuͤhrlich erzaͤhlen. Jn den erſten wonnetrunknen Ausbruͤchen der Liebe, hatte ſie ihn kaum mit wenig Worten beruͤhrt. Beide entbrannten uͤber ſeine niedertraͤchtige Erdichtung, wodurch ihr Gluͤck ſo lange war zuruͤckgehalten worden. Als ihr Unmuth gegen ihn aufs hoͤchſte geſtiegen war, ſahen ſie ihn, unvermuthet, ſelbſt ankommen, um einen ſeiner ge -Dritter Theil. Jwoͤhn -128[127]woͤhnlichen Beſuche abzulegen. Er war nicht we - nig betroffen, Saͤuglingen zu finden, und wollte ſich erſt mit ſeiner gewoͤhnlichen Hohnneckerey heraushelfen; da ihm aber, ſowohl von Saͤuglingen als von Marianen, ſeine Niedertraͤchtigkeit mit den bitterſten Worten vorgeworfen ward, brachte ihn der Zorn daruͤber, und der Verdruß, ſein Projekt gaͤnzlich mißlungen zu ſehen, ſo auſſer aller Faſſung, daß er unverſehens, und faſt ehe Saͤugling ſich in Vertheidigung ſetzen konnte, mit bloßem Degen uͤber ihn herfiel. Mariane warf ſich zwiſchen beide, aber vielleicht wuͤrde dieß dem erboßten Rambold doch nicht Einhalt gethan haben, wenn nicht der alte Hauswirth, welcher ein Zeuge dieſes Auftritts war, der auf einem gruͤnen Platze vor dem Hauſe vorgieng, mit einem Hebebaume, ſo wirkſam nach Rambolds Schulter gefahren waͤre, daß dieſer ſein Schwert einſteckte, und unter vielen Fluͤchen, ſein Pferd wieder beſtieg und davon jagte.

Dieſer Vorfall, unterbrach in etwas das Vergnuͤ - gen dieſes Tages. Als ſich aber Mariane von ihrem Schrecken erholet hatte, ward er ein Quell noch zaͤrt - licherer Empfindungen. Beide verlohren ſich in der Vorſtellung des Gluͤcks einer ewigen Verbindung, wo - zu Saͤugling, als er ſpaͤt gegen Abend endlich Abſchied nehmen mußte, die Einwilligung ſeines Vaters, in moͤglichſter Geſchwindigkeit zu erlangen verſprach.

Ende des achten Buchs.

Neun -129[128]

Neuntes Buch.

Erſter Abſchnitt.

Des andern Morgens ließ Saͤugling der Va - ter, welcher ſchon den ganzen vorigen Tag, mit Ungeduld nach ſeinem Sohne gefragt hatte, den - ſelben ſehr fruͤh zum Thee rufen.

Jch fuͤrchte mich, ſagte der Alte, du moͤchteſt mir ſonſt heute wieder wegreiſen, wie geſtern.

Jch moͤchte auch wohl, verſetzte der Sohn, nur erſt muß ich Jhnen von meiner geſtrigen Reiſe, wich - tige Dinge erzaͤhlen, beſter Vater!

V. Laß ſeyn! Jch habe dir noch viel wichtigere Dinge zu ſagen. Hoͤr nur, ob du gleich meinſt, du machſt alle deine Dinge ſo heimlich, daß es niemand merkt, ſo hab ich dirs doch lange angeſehen, daß du eine Zuneigung zur Jungfer Gertrudtinn haſt. J 2Jch130[129]Jch habe ſie heute nebſt ihrer Mutter zu Mittage gebeten, Nun, wie waͤrs, wenn ich fuͤr dich heute um ſie anhielte? He?

S. (erſtaunt) Aber, liebſter Vater, wie koͤnnen Sie darauf kommen, daß ein Menſch von Talenten wie ich, mit einem einfaͤltigen Maͤdchen von unkul - tivirten Geiſte, werde ſein ganzes Leben zubringen wollen. Welche Geſellſchaft fuͤr einen Geiſt, wie ich?

V. Einen Geiſt wie du? da ſchweben wir wieder oben im hohen Himmel! Aber glaub mir! Hienie - den kenne ich, fuͤr einen Muͤßiggaͤnger und das biſt du doch wohl der wohl zeitlebens nicht auf Eine Entrepriſe denken wird, keine beſſere Geſell - ſchaft, als funfzigtauſend Thaler, und die wird die Jungfer Gertrudtinn einmahl wohlgezaͤhlt von ihrer Mutter erben. Siehſtu! Funfzigtauſend Thaler!

S. Nein! Reichthum kann mich nicht gluͤcklich machen. Mich, zum Umgange mit Muſen und Grazien gewoͤhnt Liebe, uͤberſchwengliche Liebe

V. Und wie uͤberſchwenglich muß denn die Liebe ſeyn? Jhr waret doch beſtaͤndig gern bey einander, hattet auch immer was zu fluͤſtern, und wenn du denn die Jungfer Anaſtaſia acht Tage lang nicht ge -ſehen131[130]ſehen hatteſt, ſo wars denn, als ob dir was fehlte Das ſah mir doch ſo ziemlich wie Liebe aus.

S. Liebe? Dieß geſchah bloß, weil in dieſer Ein - ſamkeit kein anderes junges Frauenzimmer zu fin - den war. Mir iſt aber wirklich der Umgang mit einem Frauenzimmer nothwendig, damit beſtaͤndig in meinem Herzen ſanfte und gefaͤllige Empfindun - gen herrſchen, und in meine Gedichte hinuͤberfließen moͤgen.

V. Ey nun, ſo heurathe die Jungfer Gertrud - tinn, ſo wird dir ihr Umgang noch aus einer Urſach nothwendig. Zeit iſts ohnedieß, daß du heuratheſt.

S. Das iſt auch mein Vorſatz, mein beſter Va - ter! Dieß war die wichtige Nachricht, die ich Jh - nen von meiner geſtrigen Reiſe erzaͤhlen wollte. Jch habe ſie wieder gefunden, die Goͤttin meiner Seele, die ich ſchon lange liebe, die nun auch mich liebt, die meiner ganzen Liebe wuͤrdig iſt. Jung! Schoͤn! Edel! Verſtaͤndig! Witzig! Sie lebt eine Meile von hier in einer Schaͤferhuͤtte im Walde, in aller Unſchuld des goldnen Zeitalters! Jhr habe ich ewige Treue geſchworen, und nie ſoll eine andere dieß Herz ruͤhren, dieß Herz voll von brennendem zaͤrtlichem Gefuͤhle, gegen die goͤttliche Schoͤne.

J 3V. Was132[131]

A. Was redſt du da? Was fuͤr romanhaftes Ge - ſchwaͤtz? Eine Goͤttin die in einer Huͤtte lebt? Ey nun ja, die wird freylich auch wohl kein Geld ha - ben, denn das braucht man weder im Himmel noch im goldnen Zeitalter. Aber ſage mir nur, iſts moͤglich daß du mir ſolche Streiche machſt? Gleich ſag heraus; wer iſt das Menſch?

S. Aber lieber Papa! Aber wirklich Sie ſprechen in Ausdruͤcken von dem edelſten ſuͤßeſten Maͤdchen Es iſt doch auch nicht ein bischen Sie machen mich warhaftig ganz verwirrt.

V. So! der Herr Sohn meint, ich brauchte nicht Reſpekt genug! Gar fein! Wer iſt denn alſo deine Goͤttinn? Wem gehoͤrt ſie an?

S. Beſter liebſter Vater! Es iſt die ſchoͤnſte Seele in dem ſchoͤnſten Koͤrver, ſanft, gut, gefaͤllig

V. Beſter liebſter Herr Sohn, wem ſie angehoͤrt, wer ihre Eltern ſind, moͤchte ich wiſſen.

S. Sie iſt die Tochter eines wuͤrdigen Mannes, eines redlichen Predigers, eines ungluͤcklichen Man - nes, der von den Feinden vertrieben worden. Sie hat unſchuldig viele Verfolgungen ausſtehen muͤſ - ſen, die Vorſicht hat ſie mir nach langer Abweſen - heit wieder zugefuͤhrt. Jch habe ſie nun, ich liebeſie133[132]ſie mit innigſter Zaͤrtlichkeit und werde nimmer von ihr laßen.

Der Alte ließ fuͤr Schrecken ſeine Pfeife zu Bo - den fallen. Der ſchoͤne Entwurf, ſeinen Sohn mit einem reichen Franenzimmer zu verbinden, den er fuͤr ganz ausgemacht hielt, ſah er mit einemmahle ver - nichtet, ſein Sohn war in ein armes Maͤdchen ver - gafft, das in eine benachbarte Huͤtte, Gott weiß woher, gekommen war, und was das ſchlimm - ſte war, denn ſein Phlegma ſtellte ſich allemahl die naͤchſten Berlegenheiten als die groͤßten vor, er wuſte gar nicht, was er mit der Frau Gertrudtinn, ih - rer Tochter und dem Freywerber anfangen ſollte, die er zu heute Mittage gebeten hatte, um den Heu - rathsantrag zu thun, in der ganz zuverlaͤßigen Vor - ſtellung, daß ſein Sohn nichts lieber wuͤnſchte.

Endlich ermannte er ſich, um ſeinem Sohne zu beweiſen, daß es ſich fuͤr ihn gar nicht ſchicke, ein armes Maͤdchen zu nehmen, und ſein Sohn erman - gelte nicht, mit vielen Gegengruͤnden darzuthun, daß ein Maͤdchen, die er liebte, das einzige Gluͤck ſeines Lebens machen werde. Jn dieſem Streite, ward die kaltſinnige Ruhigkeit des Vaters, bald von der feurigen Heftigkeit des Sohnes betaͤubt. Da Saͤugling alſo merkte, daß ſein Vater ſtiller ward,J 4bekam134[133]bekam er Muth, und bot alle ſeine Beredſamkeit auf, um denſelben zu uͤberzeugen. Jndem er nun mit heller Stimme fuͤr ſeine Meinung kaͤmpfte, und dabey mit den Haͤnden fochte, erblickte der Vater den Ring mit dem flammenden Herzen, an der linken Hand ſeines Sohnes.

He da!, rief er, und nahm ihn bey der Hand, Laß ſehen Junge! ich glaube du haſt dich im ganzen Ernſte verplempert. Jch will nicht hoffen, daß du den Ring von dem Maͤdchen haſt.

Ja! von ihr! rief der Sohn, und kuͤßte den Ring, indem er ihn dem Vater vorhielt, ſie iſt die ſuͤßeſte Seele, voll Unſchuld und Liebe, weiß und glaͤnzend wie dieſe Steine.

Warhaftig, ſagte der Vater bedaͤchtig, indem er den Ring gegen das Fenſter kehrte, der Mittelbril - lant iſt vom erſten Waſſer. Hoͤre nur, das Maͤd - chen kann doch wohl nicht ganz arm ſeyn, wenn ſie ſolche Ringe verſchenkt Sehen Sie Herr Paſtor, einen ſchoͤnen Stein, einen ausbuͤndigen Stein, fuhr er gegen den Sebaldus fort, der eben, mit den Zeitungen in der Hand, herein getreten war.

Sebaldus hatte kaum den Stein erblickt, als er voll Erſtaunen ausrief:

Gott!135[134]

Gott! woher haben Sie den Ring? er gehoͤrt meiner Tochter.

Jhrer Tochter? riefen Vater und Sohn.

Jch habe den Ring, fuhr der Sohn fort, von dem beſten edelſten Maͤdchen, das ich unausſprech - lich liebe, und ewig lieben werde. Jſt ſie Jhre Tochter? wohl mir! So iſt ſie die Tochter eines ſehr redlichen Mannes.

Der junge Saͤugling erzaͤhlte einige Umſtaͤnde, die dem Sebaldus keinen Zweifel mehr uͤbrig ließen. Sebaldus bat den Alten, ihn ſogleich zu ſeiner Toch - ter fahren zu laßen, der junge Saͤugling bat ſeinen Vater fußfaͤllig, daß er mitfahren duͤrfe. Dieſer be - willigte endlich beydes, nur mit dem Bedinge, daß ſie zur Mittagsmahlzeit wiederkaͤmen, und daß ſie ſich, von allem vorgefallenem, gegen die Frau Ger - trudtinn und ihre Tochter, nichts ſollten merken laßen, wodurch er ſich wenigſtens aus ſeiner heuti - gen Verlegenheit zu ziehen hoffte. Der junge Saͤug - ling ſprang gleich fort, um ſellbſt die geſchwinde An - ſpannung eines Wagens zu beſorgen. Unterdeſſen verlangte Saͤugling der Vater vom Sebaldus einen Handſchlag, daß er die Heirath ſeines Sohns mit Marianen nicht befoͤrdern wollte. Sebaldus gab ihm deshalb ausdruͤcklich ſein Wort, und der Alte,J 5der136[135]der Sebaldus ehrliche Denkungsart kannte, machte ſeiner eignen Klugheit insgeheim ein Kompliment, indem er dadurch ſeinem Sohne einen ſtarken Schritt abgewonnen zu haben glaubte.

Sebaldus fuhr mit dem jungen Saͤugling, nach dem Hauſe im Walde. Als Mariane den Wagen ankommen ſah, flog ſie ihrem Liebhaber entgegen. Er war aber kaum aus dem Wagen geſprungen, als ſie auch ihren Vater erblickte. So viele Freude auf einmahl zu ertragen, iſt ein menſchliches Herz zu ſchwach. Sie fiel in Ohnmacht. Als ſie wieder zu ſich kam, ſtuͤrzte ſie, mit Freude ohne Maaße, in ihres Vaters Arme, in die er ſie mit vaͤterlicher Jn - brunſt ſchloß. Aber bald miſchten ſich traurige Em - pfindungen in ihre Freude. Jhr Vater hielt ihr ſeine jetzige Lage gegen den alten Saͤugling vor. Er gab ihr zu uͤberiegen, ob er nicht deſſen Gutthaͤ - tigkeit mit Undanke belohnen und die heiligſten Rechte der Gaſtfreundſchaft verletzen muͤßte, wenn er, wie es allemahl ſcheinen wuͤrde, aus Eigennutz, zu ihrer Heurath mit dem jungen Saͤugling, wider des Va - ters Willen, ſeine Einwilligung geben wollte. Er erklaͤrte ihr endlich, daß er dem Alten foͤrmlich des - halb ſein Wort gegeben habe, und nun forderte erauch[136]

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137[]auch von ihr ein ausdruͤckliches Verſprechen, alle Ge - danken daran, fahren zu laßen.

Marianens innrer Streit war ſehr heftig. Sie war noch nie ihrem Vater ungehorſam geweſen, ſie fuͤhlte, es wuͤrde unedel ſeyn, ihm jetzt, in dem nicht zu gehorſamen, was er mit vaͤterlichem Ernſte und guter Gruͤnde wegen, verlangte, aber ſie fuͤhlte auch, es heiße, ſich das Herz ausreiſſen, wenn man dem einzig Geliebten ploͤtzlich ganz entſagen ſoll. Kind - liche Pflicht ſiegte endlich in der edlen Seele, wie Pflicht uͤber Leidenſchaft allemahl: mir Muͤhe. Sie benetzte ihres Vaters Hand mit Thraͤnen, und ſchwur, nichts wider ſeinen Willen zu thun, nichts, das ihr und ihm unanſtaͤndig waͤre.

Sie ermahnte ſelbſt Saͤuglingen, mit einem Strome von Thraͤnen, ſtandhaft zu ſeyn, ſie zu vergeſſen. Aber der hohe Schmerz, mit dem, bey ihrer großmuͤthigen Entſagung, ihr Auge auf ihn blick - te, befoͤrderte ſelbſt ſeine Liebe bis auf den hoͤchſten Grad. Er gerieth in die heftigſte Leidenſchaft, er ſchwor zu ihren Fuͤßen, nimmer von ihr zu laßen, er bot ihrem, er bot ſeinem Vater Trotz, ſeiner Liebe Hinderniſſe entgegen zu ſetzen, er ſchloß ſie in ſeine Arme, und bot der ganzen Welt Trotz, ſie von ihm zu reißen. Marianens thraͤnende Bitten, ausallem,138[137]allem was Liebe bitteres und ſuͤßes hat gemiſcht, Sebaldus beweglichſte Vorſtellungen, halfen nichts. Er ſchloß ſie nochmals in ſeine Arme, und betheuerte mit den heftigſten Schwuͤren, ſie ſolle ewig die Sei - nige ſeyn.

Sebaldus, hatte ſich noch nie in einer ſo delika - ten Lage befunden. Er ſah ſich in unausſprech - licher Veriegenheit. Er liebte ſein Kind zaͤrt - lich, und doch bewogen ihn Vernunft und Pflicht, ihr zu verſagen, was, wie er ſahe, ſie gluͤcklich ma - chen wuͤrde, und es war nicht abzuſehen, wenn auch Mariane gehorſamte, wie die heftige Leiden - ſchaft des Juͤnglings zu zaͤhmen ſeyn moͤchte.

Jndeſſen verſtrich die Zeit, und Sebaldus, des Verſprechens eingedenk, zur Mittagsmahlzeit zu - ruͤckzukehren, erinnerte Saͤuglingen an die Abreiſe. Saͤugling aber war durch keine Vorſtellung zu be - wegen, ſich von Marianen zu trennen, und ſchwor abermals, nicht eher zu ſeinem Vater zuruͤck zu keh - ren, bis er deſſen Einwilligung zu ſeiner Verbin - dung erhalten haͤtte. Sebaldus ſah endlich, nach vielen fruchtloſen Verſuchen, der Juͤngling ſey zur Ruͤckreiſe nicht zu zwingen, und ihn zuruͤckzulaßen, hielt er ſehr bedenklich, weil, in dieſer convulſivi - ſchen Leidenſchaft, heftige unuͤberlegte Rathſchlaͤge zufuͤrch -139[138]fuͤrchten waren. Er entſchloß ſich alſo in dieſer aͤußer - ſter Verwirrung der Sache (ob er gleich noch nicht wußte, wie dieß der alte Saͤugling aufnehmen koͤnnte) ſeine Tochter mitzunehmen, und bey ſich zu behalten, wo er den weitern Gang dieſer Angelegen - heit, beſſer zu uͤberſehen, und gemeinſchaftlich mit dem alten Saͤugling, die zutraͤglichſten Maasregeln nehmen zu koͤnnen, vermeinte.

Verliebte ſind wie Kinder. Kaum vernahm Saͤugling des Sebaldus Entſchluß, als er, von der aͤußerſten Wuth, zur aͤußerſten Freude uͤbergieng. Mit ſeiner Mariane, deren gegenwaͤrtige Treu - nung von ihm, ſeine Leidenſchaft als das aͤußerſte Ungluͤck darſtellte, nun unter eben dem Dache woh - nen zu koͤnnen, ſchien ihm das aͤußerſte Gluͤck. Er umarmte den Sebaldus, er kuͤßte deſſen Hand, er hat ihn, wegen aller unuͤberlegten Worte, die er in der Wut ausgeſtoßen hatte, um Vergebung. Sein Gemuͤth war ploͤtzlich umgeſtimmt, vernuͤnftigen Vorſtellungen Gehoͤr zu geben, er verſprach ſich zu maͤßigen, verſprach ſeines Vaters zu ſchonen, verſprach alles, Marianens Geſellſchaft uͤberwog alles, fuͤllte ſeine Seele ganz, ließ keinem andern Gefuͤhle Raum.

Sie140[139]

Sie ſetzten ſich ſaͤmmtlich in den Wagen, und fuhren, aͤußerlich beruhigt, zuruͤck.

Zweyter Abſchnitt.

Saͤugling der Vnter, befand ſich in ziemlichet Unruhe, theils, weil ſein Sohn zur geſetzten Zeit nicht zuruͤckkam, theils, weil er unſchluͤſſig war, wie er ſich gegen die Frau Gertrudtinn und ihre Tochter betragen ſollte, die noch nicht wußten, daß der Abſicht, wegen welcher man ſie auf heute gebeten hatte, ein ſo großes Hinderniß in den Weg gelegt war. Jndeſſen ward ihm ein Theil dieſer Verlegenheit benommen, da die Frau Gertrudtinn ohne ihre Tochter erſchien. Ob Saͤuglings Ge - dichte, oder die Furcht und Hofnung wegen ſeiner Entſchließung, oder andere Urſachen, auf ihre zar - ten Nerven allzuſtark gewirket haben mochten, iſt ungewiß. Genug, ſie war denſelben Morgen mit Kopfweh, Uebelkeiten und Zittern der Glieder be - fallen worden, eine Krankheit, wegen welcher ihre Mutter in ziemlichen Sorgen zu ſeyn ſchien.

Kurz nachher kam auch der junge Saͤugling mit ſeiner Geſellſchaft an. Mariane ward indeſſen inSebal -141[140]Sebaldus Zimmer gefuͤhrt, bis man nach Tiſche dem Alten dieſen Vorgang berichten konnte.

Bey Tiſche war die ganze Geſellſchaft nicht ſon - derlich aufgeraͤumt. Alle ſuchten ihre innerliche Ver - legenheit zu verbergen, und dachten ihren beſondern Entwuͤrfen nach. Nach Tiſche zog der Freund der Frau Gertrudtinn, den alten Saͤugling, in das Fenſter eines Nebenzimmers, wo ſie bald in ein tie - fes Geſpraͤch uͤber die Heurathsſachr geriethen. Der junge Saͤugling ſchlich ſich, ohne daß jemand dar - auf dachte, zu ſeiner Mariane, und die Frau Gertrudtinn blieb mit Sebaldus auf einem Kanape ſitzen, weil ſie heute ſich vorgenommen hatte, mit ihm, die wichtige Lehre von dem geiſtlichen Verder - ben der menſchlichen Natur, aus dem Grunde abzu - handeln. Sebaldus hatte, in ihren vorigen Diſpu - ten, der menſchlichen Natur Kraͤfte zur Beſſerung zugeſtanden, die Frau Gertrudtinn aber, hatte hierbey alles der Gnade zugeſchrieben. Sie war ſchon einige mahl vom Sebaldus mit verſchiedenen Argumenten ziemlich eingetrieben worden, heute aber hatte Sie ſich vorbereitet, ihn ſchlechterdings da - nieder zu ſchlagen. Da das Geſchnatter einer Re - ligionscontroverſiſtinn, zumahl, wenn es erſt zu einer gewiſſen Staͤrke gekommen, ſchwer zu uͤberwaͤltigeniſt,142[141]iſt, und da der gute Sebaldus ohnedem von Ma - rianens kritiſcher Lage den Kopf voll hatte, ſo iſt leicht zu erachten, daß dieſesmahl die Frau Ger - trudtinn leichter gewonnen Spiel haben konnte. Sie hieb alſo alle menſchliche Tugenden unbarmher - zig nieder, um nachher der Gnade daraus ein Sie - geszeichen zu errichten. Sie erzaͤhlte, mit gelaͤufi - ger Zunge, alle die Wunder die durch die Gnade, an unwiedergebohrnen Menſchen, im Leben und auf dem Todbette, je haben ſollen verrichtet worden ſeyn, ſie pluͤnderte die duͤſtern Schriften einer Bourignon, eines Hans Engelbrechts, Gerbers, Reiz, Bo - gatzki und anderer, und zuletzt, weil doch ein jeder Heiliger, gern ein Wunder von ſeinem eignen Mach - werke zu haben pflegt, erzaͤhlte ſie, daß in dem Wirthshauſe, ihrem Hauſe gegenuͤber, ein junger Kornet im Quartiere liege, der zwar immer ein na - tuͤrlich guter, aber doch ein unwiedergebohrner Menſch geweſen, nachdem er aber nun, ſeit laͤnger als einem halben Jahre, die Erbauungsſtunden, die ſie in ihrem Hauſe halte, beſucht habe, ſey er von der Gnade auf eine ſo kraͤftige Art ergriffen worden, daß ſie ſeine merkwuͤrdige Bekehrungsgeſchichte auf - gezeichnet habe, und ſie naͤchſtens nach Magdeburg ſchicken wolle, um, den Unglaͤubigen zur Beſchaͤ -mung143[142]mung in das geiſtliche Magazin eingeruͤckt zu werden.

Unter dieſen Geſpraͤchen, fuhr ein Wagen vor die Thuͤre, aus welchem der Hr. von Haberwald halbbetrunken heraustaumelte. Die Frau Ger - trudtinn wollte mit ſolchem Weltkinde nichts zu thun haben, ließ ſich alſo vom Sebaldus in den Garten fuͤhren, ehe der Herr von Haberwald heraufkam.

Dieſer, nachdem er ſich mit ſeiner Flaſche Wein erfriſcht hatte, legte ſich in den Lehnſtuhl und fieng an zu ſchwatzen:

Jch komme da vom Landtage zuruͤck, wo der Sechs und zwanziger gefloſſen iſt, und denn hatte der Praͤlat von *** ein Ohmchen Neuner, ſo juſt fuͤr ’nen Kenner. Doch haben wir auch uͤbers Landes Beſte die Koͤpfe zuſammengeſteckt, denn ſo wahr ich lebe, Nachbar Saͤugling, was mich betrift, ich habe Verſtand fuͤr zwey, wenn ich getrunken habe. Ja nun, was wollte ich doch ſagen, der Landtag war aus, ſo muß man doch auch ’n bischen ſehen, wie ’s zu Hauſe ausſieht ſo fahren wir denn zuruͤck und ich komme heute um halb eilfe nach *** da hab ich im rothen Loͤwen, bey dem putzigen Wir -Dritter Theil. K the144[143] the mit der Stumpfnaſe gegeſſen, der Kerl hat Burgunder, ſo gut wie in Luͤttich, Forçe! Feuer! wer ihn nicht verſteht, den wirft er un - tern Tiſch Ja was wollte ich doch ſagen Gegenuͤber wohnt, du weiſt’s Nachbar Saͤug - ling, die alte reiche Hexe die Gertrudtinn, mit einemmahle, wie wir im beſten Trinken ſind, wird da ein Laͤrm im Hauſe, die Leute liefen vor der Thuͤr zuſammen, und wir ans Fenſter.

Wie ſo? fragte der Freywerber: Es war doch wohl nicht Feuer im Hauſe?

Ey! warum nicht gar! Aber vor neun Mo - naten mag wohl Feuer geweſen ſeyn, da kriegt nun die Tochter jetzt, ich weiß nicht was fuͤr ’nen Zufall, und die Mutter iſt nicht ’nmahl zu Hauſe, druͤber wird ’n Aufruhr, ’s Maͤdchen hohlt ’n Doktor, ja der thut’s noch nicht. He! ſchrie Stumpfnaſe, und wieß mir ’n alt Weib auf der Straße da haben ſie Mutter Jlſen von der andern Ecke geholt, die wirds ins Gleis bringen, und denn der Kornet, der bey mir in Quartiere liegt, iſt auch ſchon heruͤber geſchlichen Ey daß dich uͤbern Kornet, wenn doch unſer einer auch ’nmahl ſo im Quartier laͤge!

Hier -145[144]

Hierbey ſchlug Haberwald eine wiehernde Lache auf, und der Freywerber, dem ſich, waͤhrend der ganzen Erzaͤhlung, die Kinnbacken verlaͤngert hatten, gieng in den Garten, um der Frau Gertrudtinn den fuͤr ihre Abſichten ſo verdrießlichen Vorfall, mit moͤglichſter Vorſicht zu hinterbringen.

Er ſtoͤrte ſie in einer ſehr gluͤcklichen Lage, denn da ſie ihre heutige Ueberlegenheit uͤber Sebaldus vermerkte, hatte ſie ihn warm gehalten und war jetzt eben im Beweiſe begriffen, daß die dritte Po - ſaune*)Offenb. Joh. VIII. 10. in der Apokalypſe, die Jndifferentiſten bedeute, welche von Erbſuͤnde und Wiedergeburt nichts wiſſen wollen, und dadurch eine bittere Re - ligionsmengerey verurſachen, dagegen Sebaldus, der aber jezt gar nicht zum Worte kommen konn - te, vermeinte, daß dadurch die franzoͤſiſchen Athei - ſten angedeutet wuͤrden, welche die erſten Quellen der menſchlichen Gluͤckſeligkeit vergiften.

Der Freywerber raunte der Frau Gertrudtinn die ungluͤckliche Nachricht ins Ohr, wodurch ſie außer aller Faſſung gebracht ward. Sie fiel bey - nahe in Ohnmacht, kam wieder zu ſich, ward in ihren Wagen gepackt und nach Hauſe gefahren.

K 2Der146[145]

Der Herr von Haberwald machte ſich mit noch ein Paar Flaſchen vollends fertig, und ward in ein Bette gebracht, um ſeinen Rauſch auszuſchla - fen. Seine Pferde aber, die nuͤchterner waren, giengen nach Hauſe.

Des alten Saͤuglings Nerven, keiner Anſtren - gung gewohnt, waren, durch die mannigfaltigen dieſen Tag vorgefallenen Begebenheiten, dermaßen erſchuͤttert worden, daß er halb betaͤubt da ſaß. Gleichwohl ſollte er noch nicht zur Ruhe kommen, denn der junge Saͤugling ſtellte ihm, wider alles Vermuthen, Marianen vor. Beide warfen ſich ihm zu Fuͤßen. Sein Sohn, um ihn mit der groͤßten Heftigkeit zu flehen, in ihre Verbindung zu willigen, Mariane, um ihn mit Thraͤnen zu verſichern, daß ſie, ſo ſehr ſie ſeinen Sohn liebe, doch, ohne ſeine Einwilligung, nie demſelben ihre Hand geben wuͤrde. Sebaldus, beſtaͤrkte ſie in dieſem Entſchluße, und ſetzte den Undank, deſſen ſie beide ſich ſonſt ſchuldig machen wuͤrden, weit - laͤufig ins Licht.

Saͤugling der Vater, hob Marianen auf, ver - ſicherte ſie, daß er ſie werthſchaͤtze, daß er ihren Vater werthſchaͤtze, daß er aber ihre Heurath mit ſeinem Sohne nicht zugeben koͤnne. Uebrigensbat147[146]bat er alle, ihn nur heute ruhig zu laßen, denn er koͤnne nun kein Wort weiter ſagen.

Der Abend nahte nun heran, und die ganze Hausgenoſſenſchaft gieng bey Zeiten zu Bette, aber niemand ſchlief ruhig, als der Herr von Haber - wald, welcher, im Dunſte des luͤttichſchen Bur - gunders, nach Herzensluſt ſchnarchte.

Der alte Saͤugling ſchlief nicht, weil ihm der Querſtrich mit der Jungfer Anaſtaſia im Kopfe lag und weil er gar nicht abſehen konnte, wie er ſei - nen Sohn zufrieden ſtellen ſollte, den er ſehr liebte. Er konnte leicht erachten, daß derſelbe von ſeiner Liebe nicht ſo leicht abgehen werde, und er konnte ſich doch auch nicht entſchließen, in die Heurath ſeines einzigen Erben, mit einem armen Maͤdchen, zu willigen. Nach langem Hin - und Herſinnen wollte ihm nichts beſſers beyfallen, als daß er ſeine vaͤterliche Autoritaͤt zuſammennehmen, und ſeinem Sohne rund herausſagen muͤßte: Aus der Sache wuͤrde nichts. Nachdem er dieſen Ent - ſchluß genommen hatte, ward er etwas ruhiger, und ſchlief endlich ein.

Sebaldus konnte nicht einſchlafen, weil ihm Marianens mißlicher Zuſtand am Herzen lag. Doch war an ſeiner Unruhe auch nicht wenigK 3Schuld,148[147]Schuld, daß die Frau Gertrudtinn ſeine Erklaͤ - rung der dritten Poſaune ſo ſchnoͤde verworfen hatte. Er fieng an, ſich die Gruͤnde fuͤr ſeine Meinung ausfuͤhrlich zu wiederholen. Je mehr er daruͤber nachdachte, deſto richtiger fand er ſeine Meinung, und deſtomehr beruhigte er ſich uͤber den Widerſpruch der ungelehrten Frau, ſo daß er endlich einſchlief.

Der junge Saͤugling und Mariane, hatten jedes vor ſich eine ſchlafloſe Nacht, und zwar aus einerley Urſach, nehmlich, weil ſie verliebt waren, und weil ſie ihrer Liebe, ein beynahe un - uͤberſteigliches Hinderniß in den Weg gelegt ſahen. Sie beſchaͤftigten ſich, jeder beſonders, wer weiß wie viel ſpaniſche Schloͤſſer in die Luft zu bauen, und thaten daruͤber, bis an den hellen Morgen, kein Auge zu.

Dritter Abſchnitt.

Des folgenden Tages, erſchien Saͤugling der Sohn, ungerufen, ſehr fruͤh beym Theetiſche ſeines Vaters. Seine heftige Leidenſchaft hatte nun einiger Ueberlegung Raum gegeben. Er ſahe ein, daß ohne ſeines Vaters Einwilligung nichtsaus -149[148]auszurichten ſey, und daß er ihn, auf irgend eine Art, muͤſſe zu beugen ſuchen. Er hatte ausgerech - net, daß ſein Vater ihn liebe und ſonſt eben nicht allzu ſtandhaft ſey. Er hatte alſo, die Nacht uͤber, alle ſchwachen Seiten, die er ſeinem Vater abge - winnen koͤnnte, ausfuͤndig zu machen geſucht, und griff ihn dieſen Morgen, mit einer Jnbrunſt und mit einer Beredſamkeit an, die er fuͤr unwider - ſtehlich hielt.

Er betrog ſich aber. Der Vater runzelte, ſel - nem angenommenen Entſchluſſe gemaͤß, die Stirn, und gebot ihm in einem| verdrießlichen Tone: Von dieſer Sache kein Wort mehr zu reden, weil es ſich fuͤr ihn einmahl nicht ſchicke, ein Maͤd - chen ohne alles Vermoͤgen zu heurathen.

Der Sohn wolte Einwendungen machen, aber der Vater ſetzte trockner Weiſe hinzu:

Die Sache ſey ſo klar, daß er Marianens eignen Vater zum Schiedsrichter annehmen wolle.

Sebaldus fiel ihm voͤllig bey. Der junge Saͤugling, dem, ſeiner ſchoͤnen Rede ungeachtet, von der er ſich die kraͤftigſte Wirkung verſprochen hatte, von beiden zukuͤnftigen Schwiegervaͤtern, ſeine Braut abgeſprochen wurde, ſtand ſtarr da, wie eine Bildſaͤule.

K 4Der150[149]

Der alte Saͤugling, um von dem ganzen Dis - kurſe abzukommen, erſuchte den Sebaldus, die Zeitungen zu leſen.

Nachdem verſchiedene Zeitungen durchgeleſen waren, kam Sebaldus endlich auf folgende Stelle:

Bey der N. N. Ziehung der Koͤniglichen N. N. privilegirten Zahlenlotterie, welche den N. N. die - ſes Monats, mit gewoͤhnlichen Formalitaͤten oͤf - fentlich vollzogen worden, ſind die Nummern 33. 42. 12. 66. 6. aus dem Gluͤcksrade gekommen.

Laß ſehen, rief der alte Saͤugling, in - dem er ſeine Looſe aus dem Schranke holte und nachſah warhaftig wieder nicht eine einzige Zahl der verdammte arabiſche Lotteriewahr - ſager Und doch ſind mir die Nummern ſo be - kannt, ich daͤchte, ich haͤtte ſie rathen muͤſſen. Wie iſts denn? Von Jhren Zahlen wird auch wohl keine heraus ſeyn. Sehen Sie doch nach, Herr Paſtor.

Sebaldus nahm ſeinen Zettel aus der Schreib - tafel und der alte Saͤugling las die Zahlen ab, und verglich jede mit der Zeitung.

Sein Auge ward ſtarr, ſein Geſicht lang. End - lich rief er; Was zum Teufel 33 12 66 6. Jſts moͤglich! Eine Quaterne! Sie ſind ein Gluͤckskind Herr Paſtor.

Habe151[150]

Habe ich was damit gewonnen? fragte Se - baldus ruhig.

Gewonnen? rief der Alte, und ergrif Bley - ſtift und Papier um auszurechnen. Laß ſehen:

  • 1 Quaterne à ſtbr. 4500 Rthl.
  • 4 Ternen à 30 ſtbr. 10600
  • 6 Amben à ſtbr. 101 15 Stbr.
  • Macht wahrhaftig, 15201 Rthl. 15 Stuͤber.

Daß dich doch! Bin ich nicht ein Schoͤps, daß ich nicht die Nummern genommen habe!

Wie? Was? funfzehntauſend Thaler! rief der junge Saͤugling, indem er ſich ſeinem Vater zu Fuͤßen warf. Nun ſagen Sie nicht, daß meine Mariane arm iſt. Jch umfaſſe Jhre Knie, und ſtehe eher nicht auf, bis Sie mir Jhre Einwil - ligung geben. Nun iſt alle Hinderniß gehoben!

Mein Sohn! rief der Alte, du denkſt bloß an deine Heurath, davon iſt jetzt die Rede nicht, ich denke an den verwuͤnſchten Lotte - riewahrſager! (indem warf er das Buch, unwillig, ins Kohlfeuer, das im Kamine ſtand, und das Lotterievademecum flog hinterher. ) daß dich doch Aber wie wars doch Herr Pa - ſtor! Jſt Mamſell Mariane Jhr einziges Kind?

K 5Sebal -152[151]

Sebaldus antwortete ſeufzend: Jch habe noch einen Sohn, von dem ich aber, ſeit er in den Krieg gegangen iſt, koine Nachricht habe.

Sie ſehen, rief Saͤugling der Sohn, der ſeines Vaters Meinung errieth, meine Mariane iſt das einzige Kind. Wer weiß, bey welcher Action der Sohn geblieben iſt. Funfzehntau - ſend Thaler! Haͤtte ich doch nicht geglaubt, daß mir Geld Vergnuͤgen machen koͤnnte! Jch bitte Sie, liebſter Vater, bedenken Sie, daß Mariane uͤbrig reich fuͤr mich iſt!

Laß mich gehen, mein Sohn! Wer weiß ob auch das Geld richtig ausgezahlt wird.

Liebſter Papa! bedenken Sie doch eine Koͤ - nigliche Lotterie ſollte nicht bezahlen!

Damit ſprang er auf, um Marianen ihr bei - derſeitiges Gluͤck zu hinterbringen.

Als er weg war, ſaßen die beiden Alten ſtock - ſtille. Der alte Saͤugling fuhr fort, ſich zu aͤr - gern, daß er die Zahlen nicht fuͤr ſich gewaͤhlt hatte, und maß, an der Entzuͤckung, die er in Sebaldus Augen las, die Entzuͤckung ab, in der er ſelbſt geweſen ſeyn wuͤrde, wenn er die Qua - terne gewonnen haͤtte.

Sebal -153[152]

Sebaldus, ſaß wirklich ganz entzuͤckt da, aber nicht uͤber das gewonnene Geld, denn ob ihm gleich die vortheilhafte Wendung, die die Sachen nahmen, erfreulich war, ſo kam doch eigentlich ſeine Entzuͤ - ckung daher, daß ihn die Zahlen, durch verwandte Jdeen, an die Apokalypſe und an ſeinen Kommen - tar erinnerten. Er uͤberdachte ſeine Meinung, daß alle boͤſe Menſchen, durch Strafen gebeſſert, in dem neuen Jeruſalem gut und gluͤcklich ſeyn wuͤr - den, welche reizende Vorſtellung, ihn allemahl in die innigſte Freude verſetzte.

Saͤugling der Sohn, kam bald mit Maria - nen zuruͤck. Beide warfen ſich zu ſeines Vaters Fuͤßen, der, nach wenigen Schwierigkeiten, ſeine Ein - willigung gab, welche Sebaldus auch bekraͤftigte.

Vierter Abſchnitt.

Die beiden Liebenden giengen in den Garten, und die Alten blieben zuſammen. Saͤug - ling der Vater, um dem Sebaldus einen Brief wegen Bezahlung der Quaterne zu diktiren, und Sebaldus, um ihn zu ſchreiben.

Kaum war dieſe Arbeit fertig, als Rambold angefahren kam, um den Herrn von Haberwaldabzu -154[153]abzuholen. Dieß war ſeine gewoͤhnliche Verrich - tung, wenn ſein Goͤnner ſich ſo wohl that, daß er nicht nach Hauſe kommen konnte. Weil die - ſer aber noch ſchnarchte, ſo trat er zum alten Saͤugling ein.

Er entfaͤrbte ſich nicht wenig, als er den Sebaldus wieder erblickte, den er ſeit der letzten Zuſammenkunft*)S. oben S. 100., nicht geſehen hatte. Dennoch wollte er dieſe Gelegenheit, ſeine Rache gegen den jungen Saͤugling auszufuͤhren, nicht vorbeylaßen. Er nahm eine ſcheinheilige Mine an, und ſagte: Sein Gewiſſen, da er ehemals der Hofmeiſter des jungen Herrn geweſen, verbinde ihn, dem alten Herrn eine unangenehme Nachricht zu ge - ben, nehmlich, daß der junge Herr Saͤug - ling, ſich an eine Landlaͤuferinn gehaͤnget habe, die, demſelben zu gefallen, in einem nicht weit entlegenen Hauſe ſich anfhalte.

Der Alte ſagte laͤchelnd: Jch weiß es wohl. Aber eine Landlaͤuferinn iſt ſie nicht, ſondern ein Maͤdchen das gute funfzehntauſend Thaler hat.

Rambold ſchlug eine laute Lache auf: Laßen Sie ſich doch ſo etwas von Jhrem Sohne nichtein -155[154] einbilden. Sie hat gar nichts. Kein Menſch weiß, wem ſie angehoͤrt.

Der alte Saͤugling, der ſich bey dieſem Miß - verſtaͤndniſſe genoß, ſagte mit belehrender Geber - de: Wenns kein Menſch weiß, ſo weiß ichs doch. Sehen Sie, das Maͤdchen, das Sie fuͤr eine Landlaͤuferinn halten, iſt des Herrn Paſtors hier, einzige Tochter. Er hat in der letzten Ziehung der ** Lotterie eine Quaterne von ſunfzehntauſend Tha - lern gewonnen. Sie iſt meines Sohnes Braut, denn ich habe meine Einwilligung gegeben und ihr Vater auch. Alſo kommt ihr guter Rath zu ſpaͤt, mein lieber Herr Rambold.

Rambold war aͤußerſt betreten. Seine natuͤr - liche Unverſchaͤmtheit verließ ihn. Er ward bald blaß bald roth, ſahe den Sebaldus, voll Verwir - rung, bald an, bald wieder weg, biß ſich die Naͤgel, ſchien etwas ſagen zu wollen, ohne daß er etwas herausbringen konnte. Murmelte endlich: Aber wirklich, funfzehntauſend Thaler hat dieſer Herr gewonnen! Sah wieder nach Sebaldus, mit betroffner Mine, und ſchlug halb beſchaͤmt die Augen nieder, wollte wieder zu reden anfangen, und das Wort ſchien ihm auf dem Munde zu vergehen.

Jndeſſen traten eben Saͤugling der Sohn und Mariane ins Zimmer.

Kom -156[155]

Kommen Sie meine Tochter, rief der alte Saͤugling ſchmutzelnd: Vertheidigen Sie ſich Hier dieſer Herr, wollte mich eben fuͤr Sie, als fuͤr der Verfuͤhrerinn meines Sohnes warnen.

Nichtswuͤrdiger! rief Mariane, und ſah Ram - bolden mit einem Blicke voll tiefſter Verachtung an. Du denkſt ſchaͤndlich gnung, um zur Verfol - gung noch Verlaͤumdung hinzuzuthun. Deine niedertraͤchtige Liebe, die nur Bosheit war.

Und doch ſollen Sie mich gewiß noch lieben, fiel ihr der faſelhafte Rambold greiflachend ins Wort, gewohnt, bey einer Geckerey, die ihm in den Kopf kam, alle ernſthafte Gedanken zu vergeſſen.

Wie? rief Mariane hoͤchſterzuͤrnt, nimmer - mehr!

Aber doch gewiß liebſtes Marianchen! neckte Rambold weiter.

Mariane erblaßte vor Zorn, uͤber dieſe un - glaubliche Unverſchaͤmtheit, und wiederholte: Nim - mermehr! Niedertraͤchtiger!

Ja gewiß! erwiederte Rambold, der ſeine Geckenmine, in eine ernſthafte verwandeln wollte, und unbeſchreiblich einfaͤltig ausſah, zwar nicht als Liebhaber, aber doch als Bruder. Jch bin Jhr Sohn rief er und warf ſich zu Sebal -dus157[156] dus Fuͤßen Jch fuͤhle die groͤßte Reue, daß ich Jhnen nicht geſchrieben und mich Jhnen hier nicht eher zu erkennen gegeben habe Jch wollte aber mein Gluͤck erſt feſt ſetzen, ehe ich meinen im Kriege angenommenen Namen*)S. Erſter Theil S. 33. 34. ver - ließe Jch bin welt herumgeirrt Jch habe, nachdem Sie von Hauſe vertrieben worden, nie Nachricht von Jhnen gehabt Erſt ganz kuͤrz - lich habe ich erfahren, wer ſie waren Da war ich gleich auſſerordentlich unruhig Jch wollte Jch wuſte nicht recht, Hier ſtammelte er noch einige kahle Entſchuldigungen, an denen es ſchlechten Leuten nie fehlet.

Alle erſtaunten. Sebaldus faßte ſich nach eini - gen Augenblicken, und ſagte: Mein Sohn! Du wußteſt doch alſo, wer ich war? Edler waͤre es geweſen, wenn du mich nicht verſchmaͤhet haͤtteſt, als ich noch in elenden Umſtaͤnden war! Aber ich vergebe dir. Er hob ihn auf, und umarmte ihn.

Auch der junge Saͤugling umarmte ihn. Ma - riane that ein gleiches, aber nicht mit der Fuͤlle des Herzens, mit der ſie ſonſt einen Bruder wuͤrde umarmet haben.

Ram -158[157]

Rambold hingegen war guter Dinge, als ob alles ſo recht waͤre, und da der Herr von Ha - berwald auch endlich aus ſeinem Schlafzimmer hervorkam, erzaͤhlte er ihm lachend, daß er ſeinen Vater nnd ſeine Schweſter gefunden habe, und ſtellte ihm dieſelben vor.

Letzter Abſchnitt.

Die Quaterne ward bezahlt, und Saͤugling ward kurz darauf mit Marianen verbun - den. Die erſten Honigmonate verfloſſen in allen Entzuͤckungen einer zaͤrtlichen Liebe. Saͤugling machte ſich den ſchoͤnſten Plan zu einem arkadi - ſchen Schaͤferleben, voll Zaͤrtlichkeit, Unſchuld, Liebe, und beſonders voll lieblicher Gedichte. Jn - deſſen gieng es in der folgenden Zeit nicht ganz nach dieſem ſchoͤn ausgedachten Plan. Mariane hatte, waͤhrend ihrem einſamen Winteraufenthalte im Hauſe im Walde, und ſonſt, Gelegenheit ge - habt zu erfahren, wie eitel poetiſche Phantaſien ſind, wenn ſie ins gemeine Leben gebracht wer -den.159[158]den. Jhr kleiner Hang zu romantiſchen Geſin - nungen, und die, von Jugend an, ſo gern geheg - ten Aufwallungen der Einbildung, verſchwanden, da ſie in die wichtigen Verhaͤltniſſe des wirklichen Lebens trat. Jhre ſuͤßen empfindſamen Phanta - ſien, erſetzte ihr wirkliche Liebe, ihre unbeſtimmten Ausſichten auf uͤberſchwengliche himmliſche Selig - keiten, gemaͤßigtes, aber wahres Wohlbefinden. Geſpraͤch vom Wohlthun, machte thaͤtiger Geſchaͤff - tigkeit Raum. Sie weihte ſich ganz ihren Pflich - ten, ward eine Landwirthinn, verſorgte ihr Haus, und erzog ihre Kinder. Sie verſchmaͤhte auch nicht die kleinen Unannehmlichkeiten, die das haͤusliche Leben mit ſich fuͤhrt. Jhrem edlen Geiſte ward dadurch von ſeiner feinen Empfindung nichts ent - zogen, ſie ward vielmehr dadurch geſtaͤrkt. Ma - riane empfand nunmehr, wie weit ſentimentales Gefuͤhl, im wirklichen Leben thaͤtig angewendet, das leichte Geſchwaͤtz davon, uͤberwieget. Sie merkte, daß, Mutter und Hausfrau zu ſeyn, etwas mit ſich fuͤhrt, was keine jugendliche Phantaſey, ſo weit ſie zu fliegen ſcheint, erreichen kann.

Dritter Theil. LSaͤug -160[159]

Saͤugling, immer gewohnt, dem Frauenzim - mer zu folgen, modelte ſich unvermerkt nach Ma - rianen. Er erinnerte ſich, daß er, ein Mann, nicht mehr ein Juͤngling ſey. Er entſagte, freylich nach einigen kleinen Kaͤmpfen, erſt ſeiner allzu genauen Achtſamkeit auf den Kleiderputz, dann ſeinen zierlichen Geſinnungen, und endlich ſogar ſeinen Gedichten. Er hat ſelbſt an ſeinen em - pfindſamen Roman nicht nur nicht weiter ge - dacht, ſondern iſt auch allmaͤhlig ein voͤlliger Land - wirth geworden. Er ſteht mit Tagesanbruch auf, theilet ſeinen Leuten ihr Tagewerk aus, reitet, in aller Witterung, zu ihnen aufs Feld, und hat ſich, durch unablaͤßige Thaͤtigkeit, eine ſolche praktiſche Kenntniß des Ackerbaues erworben, daß er auf ſeines Vaters Guͤtern die wichtigſten Verbeſſerun - gen zu Stande gebracht hat. Jndeſſen, da ſich lange angewoͤhnte Unarten ſelten ganz ausrotten laſſen, ſo iſt er doch, unter der Hand, wieder ein Schriftſteller geworden, denn es wird naͤchſtens von ihm eine Abhandlung vom Bau der Kar - toffeln gedruckt werden, welche er, nach einerihm161[160]ihm eignen Methode zu vervielfaͤltigen weiß, und womit er, in den letzten theuern Jahren, die ar - men Heuerleute ſeiner Gegend, aus eignem Vor - rathe, beyuahe ganz erhalten hat.

Als der Frau von Hohenauf die vorhabende Verbindung zwiſchen ihrem Neffen und Maria - nen gemeldet ward, antwortete ſie in kaltem Tone: Sie wiſſe lange, daß ihr Bruder beſtaͤn - dig nur niedrige Neigungen gehabt, und ihre Bemuͤhungen, die Familie aus dem Staube zu heben, nie gehoͤrig geſchaͤtzt habe. Da kurz dar - auf ihr Gemahl ſtarb, ſo vermaͤhlte ſie ſich aber - mals mit einem wohlgewachsnen, unmittelbaren Reichsritter, deſſen alter ſtiftsfaͤhiger Adel allein ſchon aus den Akten eines weitlaͤufigen, uͤber hun - dert Jahre bey dem Reichskammergerichte ſchweben - den Konkursproceſſes, zu beweiſen war. Um die Guͤter ihres Gemahls, wo moͤglich, von Schulden zu befreyen, gieng ſie mit demſelben nach Wetzlar, mit Empfehlungsſchreiben an den hernach, durch die Reichskammergerichsviſitation, beruͤhmt gewor - denen Juden Nathan. Da ihr indeſſen, zu Wetz -L 2lar,162[161]lar, auf den Aſſembleen einige Kraͤnkungen be - gegneten, und ihr Mann, der, in Anſehung ſei - nes alten Adels, und ſeiner zaͤrtlichen Liebe gegen die ſchoͤne Wittwe, ſich in den Ehepakten ſo - gleich voͤllige Gewalt uͤber ihr Vermoͤgen hatte verſchreiben laſſen, mit einer durchreiſenden Taͤn - zerinn nach Paris gieng; ſo kehrte ſie unverrichte - ter Sachen, nach ihres Gemahls Herrſchaft zuruͤck. Sie bringt daſelbſt, weil ihre Nachdarn, aus Eti - kette, mir ihr nicht umgehen moͤgen, einſam und un - muthig ihre Tage damit zu; daß ſie alle Sonntage und Feſttage in die Kirche gehet, um fuͤr den Kaiſer, fuͤr alle Koͤnige, und fuͤr die gnaͤdige Guths - herrſchaft bitten zu hoͤren, und daß ſie in der einen Haͤlfte der Werkeltage ihre Kammermaͤdchen aus - ſchilt, und in der andern, mit einem armen Fraͤu - lein, von guter Familie, Pikett ſpielt.

Die Graͤfinn von ***, nachdem ſie die wahren Umſtaͤnde von Marianens Entfuͤhrung erfahren hatte, ließ derſelben Charakter die voll - kommenſte Gerechtigkeit wiederfahren, und ward wieder ihre wahre Freundinn. Beide haben ſicheinige -163[162]einigemal perſoͤnlich geſehen, und unterhalten einen freundſchaftlichen Briefwechſel.

Doktor Stauzius war um dieſe Zeit, nach dem Tode des Praͤſidenten, wegen einiger allzuſchar - fen Geſetzpredigten, in die Ungnade des Fuͤrſten gefallen. Man hatte ihm daher, ohne ſein Ver - langen, einen Adjunkt geſetzt, einen ſchoͤnen Geiſt, welcher, nach neueſter Art, in morgenlaͤndiſchen Bildern, und in abgebrochenen Kraftphraſen, bloß fuͤr das Gefuͤhl predigte. Dieſer neue Vicegene - ralſuperintendent bediente ſich auch in ſeinen Pre - digten vieler Proſopopoͤien, Fragen und Ausrufun - gen, aber alles in einer ſo melodiereichen Aus - ſprache, daß der Fuͤrft, welcher zuweilen ſchnell aufgefahren war, wenn Stauzius die Ewigkeit der hoͤlliſchen Strafen herausbruͤllte, nun bey hoͤch - ſtem Wohlſeyn, in ſeiner Loge auf ſeinem Pol - ſterſtuhle, unter der Predigt ſanft ruhen konnte. Der Neuling kam daher in ſo große Gnade, daß Stauzius, als er ſich uͤber einige von deſſen An - ordnungen beſchweren wollte, aus HoͤchſteigenerL 3Bewe -164[163]Bewegung, gaͤnzlich pro Emerito erklaͤrt ward. Dieſes gieng ihm ſehr nahe, zumahl, da er, außer dem oͤffentlichen Verluſte ſeines Anſehens, zu Hauſe, von ſeiner Frau, ſeiner Unvorſichtig - keit halber, taͤglich die bitterſten Vorwuͤrfe hoͤren mußte. Dieſe Ungluͤcksfaͤlle machten, daß er des Lebens ſatt, und dadurch vielleicht auch gegen ſeine Feinde verſoͤhnlicher wurde. Denn da er von Hieronymus die Gluͤcksveraͤnderung des Sebal - dus vernahm, ließ er deshalb an ihn ein hoͤfli - ches Gratulationsſchreiben gelangen, welches aber unbeantwortet blieb.

Hieronymus nahm, mit der waͤrmſten Freund - ſchaft, Antheil an der gluͤcklichen Lage ſeines Freun - des Sebaldus, und an Marianens Verbindung. Er beſuchte ſie perſoͤnlich, um ſeinen alten Freund nochmals zu umarmen, und brachte demſelben zu -gleich165[164]gleich, nebſt dem ebengedachten Gratulationsſchrel - ben des D. Stauzius, auch den bisher treulich verwahrten Kommentar uͤber die Apokalypſe, mit.

Nothanker der Sohn, alias Rambold, ver - uneinigte ſich bald mit dem Hrn. von Haberwald wegen einer Spielſchuld, und verlor alſo alle Hoffnung, dem alten Pfarrer deſſelben adjungirt zu werden. Daher iſt er auf andere Rathſchlaͤge zu ſeiner Verſorgung gefallen. Er hat ſich in den Kopf geſetzt, Profeſſor der praktiſchen Philo - ſophie oder der ſchoͤnen Wiſſenſchaften, auf irgend einer Univerſitaͤt, oder allenfalls an einem akade - miſchen Gymnaſium, zu werden, weil er ſich ein - bildet, in dieſen Wiſſenſchaften wichtige Entde - ckungen gemacht zu haben. Wenn er eine ſolche Stelle eher erhaͤlt, als der Kornet den geſuch - ten Abſchied bekoͤmmt, ſo koͤnnte er auch wohlL 4etwan166[165]etwan noch die Jungfer Anaſtaſia heurathen, bey welcher er ſeit einiger Zeit, wie es ſcheint, nicht ohne Abſicht, fleißig aus - und eingehet. Jndeſſen lebt er bey ſeinem Vater, und laͤßt ſich ſeit einigen Jahren gefallen, deſſen Kommentar uͤber die Apo - kalypſe, ſo wie er fertig wird, ins reine zu ſchrei - ben. Dabey iſt er in Nebenſtunden befliſſen, Ab - handlungen und Recenſionen, in verſchiedene Journale und Zeitungen einzuſenden. Wenn man irgendwo ſchielende und ungereimte Urtheile lie - ſet, uͤber Dinge, wovon, wie offenbar zu ſehen iſt, der Recenſent nichts verſtanden hat; wenn dabey verdiente Maͤnner mit naſeweiſem Geſchnat - ter, fein ſuperklug, uͤber die erſten Gruͤnde der Kunſt oder Wiſſenſchaft, in der ſie vorzuͤglich groß ſind, belehrt werden; wenn unbeſcheidner Eigenduͤn - kel fuͤr deutſche Freymuͤthigkeit, und ungehobelter Gernwitz fuͤr Laune verkauft wird; wenn eine be -ſtimmte167[166]ſtimmte Nothwendigkeit fuͤr den Grund der Mo - ral, oder ein hobbeſiſcher Krieg aller gegen alle, fuͤr den Grund des Rechts des Natur gelten ſoll; wenn verſtandloſes Gefuͤhl uͤber philoſophi - ſche Wahrheit entſcheiden, und verwirrtes Traͤu - men einer angebrannten Einbildungskraft, der hoͤchſte Schwung der Dichterey ſeyn ſoll; wenn beſonders dabey die Worte: ch muß dir ſa - gen, liebes Publikum! lieber Autor hoͤr an! Lieber Leſer merk dirs! und andere ſolche Floskelchen gebraucht werden, worauf ſich diejenigen etwas einbilden, die ſich auf ſonſt nichts etwas einbilden koͤnnen: ſo wird man, wenn man nicht etwan ſicher weiß, welcher andere Geck die Feder gefuͤhrt habe, nicht unwahrſcheinlich ſchließen koͤnnen, daß der Rambold dahinter - ſtecke.

L 5Sebal -168[167]

Sebaldus hat ſich, in der Nachbarſchaft ſei - nes Schwiegerſohns, ein kleines Gut gekauft, wo er noch, vergnuͤgt und geehrt, in ruhigem und gluͤckli - chem Alter lebt. Er theilt ſeine Zeit unter die Be - ſorgung ſeiner Angelegenheiten, unter die Geſellſchaft ſeiner Kinder und weniger Freunde, unter wohl - thaͤtige Unterſtuͤtzung ſeiner beduͤrftigen Untertha - nen und Nachbarn, und unter fleißiges Studie - ren, das er nun voͤllig, ſeiner Neigung gemaͤß, treiben kann.

Verſchiedene denkende Maͤnner unter ſeinen Freunden, welche, ohne ſelbſt ſehr conſequent zu ſeyn, nicht leiden moͤgen, daß andere Leute incon - ſequent ſeyn ſollen, haben ſich viele Muͤhe gege - ben, ihn ſowohl von der Cruſiusſchen Philoſophie, (welcher, nach ihrer Meinung, außer etwan in Leipzig oder in Buͤtzow, niemand mehr beygethan ſeyn kann,) als auch von ſeinem Jrrglauben andie169[168]die Apokalypſe zu bekehren. Da aber niemand, wenn er uͤber funfzig Jahre alt iſt, ſein Syſtem zu aͤndern pflegt, ſo ſind dieſe Diſpute ſo ungluͤck - lich ausgeſchlagen, daß Sebaldus, anſtatt bekehrt zu werden, in ſeinen Meinungen vielmehr be - ſtaͤrkt worden iſt.

Verſchiedene dieſer ſeiner Freunde haben ihm beweiſen wollen, daß von einigen Wahrheiten, die er fuͤr ungezweifelt haͤlt, nach den Saͤtzen der Cruſiusſchen Philoſophie gerade das Gegentheil folgen wuͤrde. Sie ſind aber ganz an ihm irre geworden, da er auf eine eigne, ihm gelaͤufige Wei - ſe, wider ihr Vermuthen, alles aus der Cruſius - ſchen Philoſophie bewieſen hat, was ſie mein - ten, nur aus der Wolfiſchen oder Dariesſchen, oder Federſchen, oder wer weiß welcher Philoſo - phie, folgern zu koͤnnen.

Einige170[169]

Einige haben daher den alten Mann, obgleich mit einigem Kopfſchuͤtteln, ſeyn laſſen, wie er iſt. Andere hingegen, weiſe ſyſtematiſche Maͤnner, ha - ben ihn dadurch voͤllig in die Enge zu treiben ver - meint, daß ſie ihm demonſtrirt haben, ſein eigner Charakter, (in welchem ohnedieß, wenn man die in dem Gedichte Wilhelmine befindlichen Nachrichten, fuͤr hiſtoriſch richtig annaͤhme, vieles bedenklich ſeyn muͤſſe,) koͤnne gar nicht zuſammenhaͤngen, wenn er bey ſeinen herrlichen theologiſchen Ein - ſichten, zugleich an ein ſo ungereimtes Ding, wie die Apokalypſe ſey, ferner glauben wollte. Aber hierbey iſt der gute Sebaldus, wider Vermuthen, ungeduldig geworden, welches dieſe, uͤbrigens tie fen Kenner der menſchlichen Natur, mit ſeinem ſonſt ſo ſanften Charakter wieder nicht zuſammen - zureimen wußten.

Sie haben vielleicht dabey nur nicht gleich an eine ſehr gemeine Bemerkung gedacht, welchedurch171[170]durch das Beyſpiel des ſeligen Don Quixotte, und durch das Beyſpiel verſchiedener noch leben - der Genies, beſtaͤrkt wird, nehmlich: daß ein Menſch ſehr wohl in allen Dingen ſo denken und handeln koͤnne, daß ihn die ganze uͤbrige Welt fuͤr verſtaͤndig gelten laͤßt, und nur in einem einzigen ſo, daß ihn jedermann fuͤr einen Tho - ren haͤlt.

Sie haͤtten ſich auch wohl erinnern koͤnnen, daß der beſte, nachgebendſte Menſch, ein Ding, uͤber welches er ſeine Geiſteskraͤfte einmal bis zu einer gewiſſen Anſpannung angeſtrengt hat, ſich nicht ſo leicht werde nehmen laſſen. Daß da - her ein Gelehrter ein Buch, beſonders ein bibli - ſches Buch, woruͤber er eine ihm wichtig ſchei - nende Hypotheſe erfunden hat, niemals ganz werde fahren laſſen koͤnnen.

Sie moͤgen uͤbrigens deshalb unbeſorgt ſeyn, daß des Sebaldus vermeintliche aberglaͤubiſcheAchtung172[171]Achtung gegen das, was ſie fuͤr Fratzen halten, ſeinen andern guten Eigenſchaften und guten Mei - nungen ſchaden werde. Der Mann, der nun einmal ſeine Menſchenliebe und ſeine Toleranz durch die bildliche Vorſtellung des neuen Jeruſa - lems beſtaͤtigt, zumal, wenn er ein ſcharfſinni - ger Kopf iſt, wird ſeine Theorie von Eingebung und Prophezeyung auch ſchon ſo zu modeln wiſ - ſen, daß ſeinen menſchenfreundlichen Geſinnungen dadurch kein Eintrag geſchehe. Und warum ſollte dieß, an ſich, ſchwerer ſeyn, als ſolche Theorien ſo zu formen, daß ſie zu herrſchſuͤchtigen und ver - dammenden Abſichten gemißbraucht werden koͤnnen?

Wirklich beſchaͤftigt ſich Sebaldus, ſeit einiger Zeit, mehr als jemals mit der Apokalypſe, und hat ſeinen Kommentar daruͤber beynahe voͤllig ge - endigt. Er hat auch ſchon ſeinem Freunde Hie - ronymus den Verlag deſſelben angetragen, wel -chen173[172]chen dieſer aber, mit aller Schonung gegen einen Autor, der zugleich ein Freund iſt, verbeten hat. Hieronymus weiß freylich, was Sebaldus noch nicht glauben will, daß, ſeitdem Oeder, und nach ihm Semler, die Aechtheit dieſes Buchs ver - daͤchtig gemacht haben, niemand mehr etwas uͤber die Apokalypſe leſen mag, ſo gar nicht einmal in Schwaben, wo jetzt, ſtatt der vorherigen all - gemeinen Beſchaͤfftigung mit dieſem ſonſt, dort fuͤr das Buch der Buͤcher geachteten Buche, durch eine, fuͤr die theologiſchen Wiſſenſchaften gluͤckliche Veraͤnderung, das Variantenſammlen und Ara - biſch exponiren eingetreten iſt.

Dieſe abſchlaͤgige Antwort ſeines Freundes hat Herrn Sebaldus Nothanker auf die Gedanken gebracht, ſeine Erklaͤrung und Auslegung uͤber die Offenbarung Johannes, die Frucht einer Arbeit von mehr als dreyßig Jahren, nach demBey -174[173]Beyſpiele anderer großen Gelehrten, auf Sub - ſcription drucken zu laſſen.

Es wird daher hierdurch bekannt gemacht, daß ſie drey ſtarke Baͤnde in groß Quart betra - gen wird, und auf feines weißes Druckpapier ab - gedruckt werden ſoll. Sobald ſich eine hinlaͤngliche Anzahl Subſcribenten, allenfalls auch nur zu einer kleinen Auflage von etwan zweytauſend Exem - plarien, gemeldet hat, wird der Druck ſogleich an - gefangen werden, und vier Monate nachher, die Ablieferung des erſten Theils geſchehen.

Ende.

Jnhalt175[174]
  • Jnhalt des erſten Bandes.
    • Erſtes Buch.
      • Erſter Abſchnitt.
        • Erſte Monate, nach Sebaldus und Wil - helminens Verheurathung. Sebaldus Charakter. Beider gelehrte Beſchaͤftigun - gen. Geburt eines Sohnes gegen das Ende der erſten neun Monate. Marianens Ge - burt und Erziehung, Charlottens Geburt. S. 1.
          • Zweyter Abſchnitt.
            • Haͤusliche Zufriedenheit dieſer Familie. Cha - rakter des Buchhaͤndlers Hieronymus. Sein Buchhandel, Korn - und Viehhandel. Seine Befoͤrderung des Kunſtfleißes in ſeinem Vaterlande. Stauzius EinweihungspredigtDritter Theil. Mder176[175]Jnhaltder abgebrannten und wieder neugebauten, St. Bartelskapelle. Wilhelmine bewegt den Sebaldus, vom Tode fuͤr das Vaterland zu predigen. Nach dieſer Pre - digt nehmen zehn Bauerkerle Dienſte. Beide Eltern empfangen Nachricht, daß ihr Sohn von der Univerſitaͤt entwichen und Kriegs - dienſte genommen habe. S. 18
          • Dritter Abſchnitt.
            • Charakter des Conſiſtorialpraͤſidenten und des Generalſuperintendenten, D. Stauzius. Sebaldus wird wegen ſeiner Predigt vor das Konſiſtorium gefordert, fiskaliſch ange - klagt und vertheidigt, wird ſeines Amts ent - ſetzt. Wilhelmine wird vor Schrecken krank. 35
          • Vierter Abſchnitt.
            • Mag. Tuffelius erſcheint vor Sebaldus Thuͤr, verlangt die Raͤumung des Pfarrhauſes. Wilhelmine bewegt ihren Mann, in der Reſidenz Protektion zu ſuchen. 44
          • Fuͤnfter Abſchnitt.
            • Sebaldus geht nach der Stadt. Jndeſſen treibt Tuffelius die Familie aus dem Pfarr -hauſe177[176]des erſten Bandes.hauſe. Ein Bauer nimmt ſie auf. Sebal - dus macht dem Hofmarſchall ſeine Aufwar - tung, ſo wie auch dem Grafen von Nim - mer. Kommt ohne Huͤlfe zuruͤck. S. 49
          • Sechſter Abſchnitt.
            • Wilhelmine wird kraͤnker, Charlottchen be - kommt die Pocken. Die leztere ſtirbt. Wil - helmine ſtirbt auch. Hieronymus beſucht die ungluͤckliche Familie. 61
          • Siebenter Abſchnitt.
            • Hieronymus beſorgt die Beerdigung der Lei - chen, und nimmt Sebaldus nebſt Maria - nen zu ſich; Sie werden vom D. Stauzius abgekanzelt, ohne es zu wiſſen. Hierony - mus verſchaft Marianen eine Stelle, als franzoͤſiſche Hofmeiſterinn. Sie nimmt deshalb einen franzoͤſiſchen Namen an, und reiſet nach dem Gute der Frau von Hohen - auf. 71
        M 2Zwey -178[177]Jnhalt
        • Zweytes Buch.
          • Erſter Abſchnitt.
            • Hieronymus nimmt den Sebaldus mit ſich nach Leipzig, und verſchafft ihm die Stelle eines Korrektors bey einigen Druckereyen. Sebaldus Geſpraͤch mit einem Magiſter uͤber die Ueberſetzungsmanufakturen. S. 76
          • Zweyter Abſchnitt.
            • Geſpraͤch mit Hieronymus eben daruͤber110
          • Dritter Abſchnitt.
            • Sebaldus entdeckt, unvorſichtiger Weiſe, ſeine Meinung von Ueberſetzungsmanufakturen und von der Apokalypſe, wodurch er ſeine Korrekturen verlieret, und ſich aus Armuth in einen Keller bey einem Markthelfer bege - ben muß. Daſelbſt findet er einſt den Sohn des D. Stauzius, der den Soldaten ent - ſprungen iſt, und nimmt ihn auf. D. Stau - zius kommt, ſeinen Sohn zu befreyen. Se - baldus wird auf die Hauptwache geſetzt und von einem Unterofficier zu ſeinem Major ge - bracht. Charakter des Majors. Sebaldus befreyet den Sohn des D. Stauzius undſchlaͤgt179[178]des erſten Bandes.ſchlaͤgt das ihm vom Major geſchenkte Loͤſe - geld ausS. 135
          • Vierter Abſchnitt.
            • D. Stauzius verſpricht dem Sebaldus eine andere Verſorgung in ſeinem Vaterlande. Vergebliche Hoffnung, ſchlechter Erfolg. Der Praͤſident will ihn fiskaliſch anklagen laſſen. Sebaldus reiſet nach Berlin, wird von Straſſenraͤubern verwundet und beraubt154
        • Drittes Buch.
          • Erſter Abſchnitt.
            • Charakter der Fran von Hohenauf. Vorſchrift fuͤr Marianen zur Erziehung der beiden jun - gen Fraͤulein, und zu ihrem eignen Verhal - ten165
          • Zweyter Abſchnitt.
            • Herkunft der Frau von Hohenauf. Charakter der beiden Fraͤulein. Erfolg ihrer Erziehung172
          • Dritter Abſchnitt.
            • Der junge Saͤugling, der Neffe der Frau von Hohenauf, kommt auf ihrem Gute an. Charakter deſſelbenS. 185
          M 3Vier -180[179]Jnhalt des erſten Bandes.
          • Vierter Abſchnitt.
            • Naͤhere Bekanntſchaft Saͤuglings mit Maria - nen. Auf ihre Veranlaßung, macht er ein Schaͤferſpiel zur Feyer des Geburtsfeſtes der Frau von Hohenauf. Zweck dieſer Feyer, die Erloͤſung eines armen Pachters aus dem Gefaͤngniſſe. Folgen derſelben, die naͤher ge - knuͤpfte Freundſchaft zwiſchen Marianen und Saͤugling191
          • Fuͤnfter Abſchnitt.
            • Saͤugling verliebt ſich in Marianen; Erklaͤrt ihr nach langer Zuruͤckhaltung ſeine Liebe; Wird von der Frau von Hohenauf behorcht; Muß mit ſeinem Hofmeiſter Rambold nach der Univerſitaͤt reiſen; Er ſendet ihr eine He - roide, unter dem Namen des Leanders an die Hero, welche Mariane ſich nicht zu be - antworten getrauet. 207
          • Sechster Abſchnitt.
            • Saͤugling, auf Rambolds Anrathen, beſucht Marianen heimlich. Er wird von der Frau von Hohenauf entdeckt, Mariane wird eingeſperrt, und endlich zur Graͤfinn von *** als Geſellſchafterinn geſendet224
      Jnhalt181[180]
      • Jnhalt des zweyten Bandes.
        • Viertes Buch.
          • Erſter Abſchnitt. Sebaldus findet auf der Landſtraße nach Ber - lin, einen Pietiſten. Geſpraͤch mit dem - ſelben von dem Verderben der menſchlichen Natur, und von der alleinwirkenden Gnade. Sie uͤbernachten in Wuſtermark. S. 3
        • Zweyter Abſchnitt.
          • Sie gehen weiter. Der Pietiſt verſichert, daß in Berlin keine Religion und keine chriſtliche Liebe ſey. 17
        • Dritter Abſchnitt.
          • Beſchreibung des Thiergartens vor Berlin, wo der Pietiſt eine Bußpredigt zu halten verſucht. Sie gehen in Berlin ein. Der Pietiſt nimmtM 4an182[181]Jnhaltan einer Ecke vom Sebaldus Abſchied, und dieſer gehet in eine Kirche, wo ein Kandidat, von der wahren chriſtlichen Liebe, pre - diget. S. 22
        • Vierter Abſchnitt.
          • Sebaldus ſucht vergeblich Huͤlfe, bey dem Kan - didaten der gepredigt hat, bey einem Sepa - ratiſten, bey einer liederlichen Geſellſchaft, bey dem Pietiſten, ſeinem Reiſegefaͤhrten. Endlich ſinkt er, ermattet, unter dem Bogen - gange der Stechbahn nieder, wo ihn ein Ar - menſchulmeiſter findet, und in ſein Haus aufnimmt. 32
        • Fuͤnfter Abſchnitt.
          • Sebaldus beſchaͤftigt ſich auf Aurathen ſeines Wirthes, mit Notenſchreiben. Er lernt da - durch Herrn, F. kennen, von welchem er zu dem Major, den er in Leipzig gekannt hatte, gefuͤhrt wird. 43
        • Sechster Abſchnitt.
          • Hr. F. erzaͤhlt dem Sebaldus auf einem Spazier - gange, ſeine Geſchichte. Geſpraͤch von den Re - ligionsgeſinnungen der Einwohner von Berlin. 50
        Sieben -183[182]des zweyten Bandes.
        • Siebenter Abſchnitt.
          • Geſpraͤch eines Predigers mit einem Kandida - ten, vom Weſen des Predigtamts und von der Heterodoxie. S. 79
        • Achter Abſchnitt.
          • Geſpraͤch zwiſchen Herrn F. und Sebaldus, von ſymboliſchen Buͤchern, und von Veraͤn - derung der Glaubenslehren. Fragment ei - ner Handſchrift, hiſtoriſche Verſuche uͤber Berlin, betitelt: von der Geſchichte der Huͤte und Maͤntel der berliniſchen Geiſt - lichkeit. 87
        • Neunter Abſchnitt.
          • Sie wollen den Major beſuchen. Sie treffen im Hauſe den Armenſchulmeiſter an, dem von den Bedienten eines Edelmanns uͤbel begegnet wird. Er erzaͤhlt die Geſchichte der Verfuͤh - rung ſeiner Tochter. Der Major ſetzt den Edelmann deshalb zur Rede, fodert ihn auf der Stelle heraus, und wird von deſſen Kam - merdiener, von hinten zu, toͤdlich verwun - det100
        M 5Zehn -184[183]Jnhalt
        • Zehnter Abſchnitt.
          • Unterredung des Sebaldus, mit dem Major, auf dem Todtenbette. Der Major ſtirbt. S. 112 Eilfter Abſchnitt. Der Prediger verdammt den Major, weil er Gottes Wort nicht fuͤr Gottes Wort gehal - ten, die Sakramente nicht, als von Gott gegebene Gnadenmittel, gebraucht habe, und ſo in ſeinen Suͤnden geſtorben ſey. Sebal - dus will ihn nicht verdammen. 122
        • Zwoͤlfter Abſchnitt.
          • Der Umgang des Herrn F. mit Sebaldus, wird laulich. Hr. F. empfiehlt ihn zu einer Landſchulmeiſterſtelle, bey einem menſchen - freundlichen Edelmanne, welche Stelle Se - baldus ſeinem Freunde, dem Armenſchul - meiſter abtritt. Sebaldus reiſet zum Hie - ronymus, um Nachricht von ſeiner Tochter einzuziehen. 128
        • Dreyzehnter Abſchnitt.
          • Sebaldus wird vom Hieronymus, nach Hol - ſtein, zu einem geweſenen Kammerjunker,als185[184]des zweyten Bandes.als Bibliothekar empfohlen. Es geſellet ſich zu ihnen, ein Verwalter zu Pferde. Ge - ſpraͤch unterweges, mit einem gelehrten Rei - ſenden von der Erklaͤrung des Alten Teſta - ments, durch die arabiſche Sprache. Dieſes Geſpraͤch wird durch ein heftiges Geſchrey auf der Landſtraße, unterbrochen. S. 133
      • Fuͤnftes Buch.
        • Erſter Abſchnitt.
          • Marianens Ankunft auf dem Gute der Graͤfinn von ***. Saͤugling auf ſeiner Reiſe zu ſeinem Vater nach Weſel, beſucht die Frau von Hohenauf, welche, wegen ihrer Abſicht, ihn mit dem Fraͤulein von Ehrenkolb zu vermaͤhlen, vorgiebt, Ma - riane habe einen Pfarrer in Franken geheu - rathet. Saͤugling entſagt der Liebe in einem Gedichte143
        • Zweyter Abſchnitt.
          • Charakter des Fraͤulein von Ehrenkolb, und ihrer Mutter. Beide beſuchen die Frau von Hohenauf. Das Fraͤulein lobt SaͤuglingsGedich -186[185]JnhaltGedichte, er ſucht ihr wieder zu gefallen und wird dadurch munterer, und weniger ſchuͤch - tern. Als die Frau und das Fraͤulein von Ehrenkolb nach ihrem Gute zuruͤckreiſen, be - gleitet ſie Saͤugling und ſein Hofmeiſter Rambold. Ankunft eines jungen Oberſten, den das Fraͤulein von Ehrenkolb, ſchon vorher gekannt hatteS. 150
        • Dritter Abſchnitt.
          • Die Ehrenkolbſche Familie, in Begleitung des Oberſten, Saͤuglings und ſeines Hof - meiſters, beſucht die Graͤfin von ***. Saͤug - ling findet daſelbſt Marianen, und ſucht ſeine Liebe zu erneuern. Mariane aber iſt ſehr zuruͤckhaltend. Der Oberſte, thut Ma - rianen auch einen Antrag, wird aber ver - aͤchtlich abgewieſen. Rambolds Charakter. Er ſucht ſeine Abſicht auf Marianen, durch einen Umweg auszufuͤhren, indem er der Frau von Hohenauf von ihrer Zuſammenkunft mit Saͤuglingen Nachricht giebt, und ſich er - bietet, ſie derſelben wieder in die Haͤnde zu liefern. 160
        Vier -187[186]des zweyten Bandes.
        • Vierter Abſchnitt.
          • Das Fraͤulein von Ehrenkolb, Mariane, der Oberſte, und Saͤugling ſind, jeder vor ſich, mißvergnuͤgt. Die Graͤfinn raͤth Saͤuglin - gen ab, Verſe zu machen. Das Fraͤulein von Ehrenkolb beleidigt Mariane. Sie gehet in den Garten, findet Rambolden, der ſie in das hinter demſelben gelegene Waͤldchen fuͤhrt, wo ſie von unbekannten Perſonen, in einen ſechsſpaͤnnigen Wagen geſchleppt wird. S. 167
        • Fuͤnfter Abſchnitt.
          • Das Fraͤulein von Ehrenkolb verſoͤhnt ſich mit dem Oberſten. Saͤugling reiſet zu ſeinem Vater, nach Weſel183
        • Sechster Abſchnitt.
          • Mariane als ſie einen Poſtwagen auf der Land - ſtraße erblickt, ſchreyet aus der Kutſche. Ein Mann zu Pferde, will den Kutſcher anhal - ten, und wird mit einer Piſtole ins Bein verwundet. Unterdeſſen ſpringt ſie aus dem Wagen, findet den Hieronymus und ihren Vater; Sie fahren mit dem Verwundeten weiter, Sebaldus auf dem Pferde. Er ver -irrt188[187]Jnhaltirrt ſich. Die andern fahren zur Graͤfinn, wo ſie ſehr kalt empfangen werden. Hiero - nymus, der weiter zu reiſen genoͤthigt iſt, vertrauet Marianen dem verwundeten Ver - walter an, um ſie zu dem Hrn. von D *** zu bringen. S. 187
        • Siebenter Abſchnitt.
          • Der Verwalter verraͤth Marianen dem Ober - ſten, und liefert ſie in deſſen Haͤnde. Der Oberſte beunruhigt ſie aufs neue mit ſeiner Lie - be. Sie entſpringt aus deſſen Hauſe, zu Fuße196
      • Sechstes Buch.
        • Erſter Abſchnitt. Sebaldus der ſich von ſeiner Geſellſchaft verir - ret hat, verliert aus Unachtſamkeit auch ſein Pferd. Er reiſet mit des Poſt zum Kammer - junker nach Holſtein ab. Charakter des Kam - merjunkers. Er zeigt dem Sebaldus ſein Kabinett von Alterthuͤmern, und ſchaft ihm die Stelle eines Jnformators, bey dem Ar - chidiakonus Mackligius207
      Zweyter189[188]des zweyten Bandes.
      • Zweyter Abſchnitt.
        • Charakter des Archidiakonus Mackligius. Er traͤgt dem Sebaldus zugleich die Predigten in ſeinem Filiale aufS. 218
      • Dritter Abſchnitt.
        • Woͤchentliche Zuſammenkunft der Landprediger in Holſtein. Jn derſelben wird eine Predigt des Sebaldus, wegen Behauptung der Liebe gegen Chriſten von andern Religionspar - theyen, angeklagt. Der Generalſuperinten - dent D. Puddewuſtius warnt deswegen den Archidiakon Mackligius. 224 Vierter Abſchnitt. Mackligius ſetzt den Sebaldus zur Rede, der ſich vertheidigt. Mackligius tauft im Filiale das Kind eines Schiffers, mit einem reformir - ten Taufzeugen. Geſpraͤch des Sebaldus mit Mackligius uͤber Neuerungen in der Lehre, und Toleranz. Ein Jude kommt da - zu, den beide bekehren wollen250
      • Fuͤnfter Abſchnitt.
        • Mackligius und Sebaldus werden vor dem Konſiſtorium verklagt. Ehrn. Wulkenkra -genius190[189]Jnhalt des zweyten Bandes.genius haͤlt eine Leichenpredigt von Bewah - rung der reinen Lehre, welche vieles Gezaͤnk und einen Auflauf verurſacht. Mackligius verliert ſein Filial, und dankt den Sebaldus ab. Dieſer, in der groͤßten Noth, ſetzt ſich, nach dem Erbieten des Schiffers, auf deſſen Schiff, um nach Oſtindien zu gehen. S. 244
        • Zuverlaͤßige Nachrichten von einigen na - hen Verwandten des Hrn. Magiſter Se - baldus Nothanker. Aus ungedruckten Fa - miliennachrichten gezogen. 253
Dritter191[190]
  • Jnhalt des dritten Bandes.
    • Siebentes Buch.
      • Erſter Abſchnitt.
        • Sebaldus leidet an der hollaͤndiſchen Kuͤ - ſte, ohnweit Egmont, Schiffbruch. Wird von einem nordhollaͤndiſchen Fiſcher gepflegt, und zu einem Lutheriſchen Predi - ger nach Alkmaar gebracht. Dieſer nimmt ihn freundſchaftlich in ſein Haus auf. Ein Kaufmann aus Rotterdam verlangt ihn zum Hofmeiſter ſeines zweyten Sohnes. S. 3.
      • Zweyter Abſchnitt.
        • Was fuͤr ein Mann Meeſter Puiſtma war, der reformirte Hofmeiſter des aͤlteſten Soh - nes. Wie er die Kinder bisher unterwie - ſen hatte. Sebaldus laͤßt die beiden Kna -Dritter Theil. Nben192[191]Jnhaltben Xenophons Denkwuͤrdigkeiten des Sokrates und Antonins Betrachtungen uͤberſetzen, und ſtellt ihnen dieſe großen Maͤnner als Muſter vor. Daruͤber wird er vom Puiſtma beym reformirten Domine Dwanghuyſen verklagt, der deshalb den Sebaldus aus dem Hauſe geſchafft wiſſen will. S 16
      • Dritter Abſchnitt.
        • Der lutheriſche Domine Ter Breidelen, wird nebſt Domine Dwanghuyſen des - halb auch zu Rathe gezogen. Beide verdammen den Sebaldus, und rathen dem Kaufmanne, ihn ſogleich aus dem Hauſe zu ſchaffen. Da Sebaldus unent - ſchloſſen iſt, wohin er ſich wenden ſoll, um vor Verfolgung ſicher zu ſeyn, macht ihn der Kaufmann mit der duldſamen Geſell - ſchaft der Kollegianten bekannt. Sebal - dus reiſet mit Empfehlungsſchreiben nach Amſterdam. 24
      Vier -193[192]des dritten Bandes.
      • Vierter Abſchnitt.
        • Beym Ausſteigen aus der Schult, vor dem Utrechter Thore zu Amſterdam, kommt dem Sebaldus ein Deutſcher entgegen, ver - ſpricht denſelben in eine Herberge zu brin - gen, fuͤhrt ihn aber in das Haus eines Seelenverkaͤufers. Er wird daſelbſt ſo lan - ge gequaͤlt, bis er einwilligt, nach Oſtindien zu gehen. Er erfaͤhrt von einem kranken Mitgenoſſen ſeines Elendes, die Beſchaf - fenheit der Seelenverkaͤuferey. Dieſer ſtirbt, einige andere werden krank. Man fuͤhrt ſie alſo auf den Dyk nach Seeburg, um friſche Luft zu ſchoͤpfen. S. 37
      • Fuͤnfter Abſchnitt.
        • Der Geiſtliche aus Alkmaar, der ſich von ohn - gefaͤhr in Amſterdam befand, hatte den Sebaldus auf dem Dyk erblickt. Er ver - folgt den Trupp bis an das Haus des See - lenverkaͤufers, erloͤſet, mit obrigkeitlicher Huͤlfe, den Sebaldus. Der Seelenverkaͤufer wird beſtraft. Sebaldus, geht mit dem Geiſtlichen in die Verſammlung der Kol -N 2legianten194[193]Jnhaltlegianten. Er wird von dem Kollegian - ten, an den er Empfehlungsbriefe hat, ins Haus genommen. Er hilft demſelben an einem gelehrten Tagebuche. Der Kolle - giant ſtirbt, und vermacht ihm ſeine ſaͤmmt - lichen Werke. Sebaldus ſezt ſich auch in der Hollaͤndiſchen Sprache feſt, uͤberſetzt ein Buch aus dem Englaͤndiſchen, und bie - tet es dem Buchhaͤndler van der Kuit zum Verlage an. S. 49
      • Sechster Abſchnitt.
        • Probe, von Sebaldus Ueberſetzung aus dem Englaͤndiſchen Buche. 57
      • Siebenter Abſchnitt.
        • Charakter des Buchhaͤndlers van der Kuit. Projekt deſſelben, vermittelſt des Predigers de Hyſel, welcher die Ueberſetzung mit hatte vorleſen hoͤren, dem Sebaldus eine Furcht einzujagen, die zu ſeinen Abſichten dienlich iſt. Domine de Hyſel will nichts damit zu ſchaffen haben. Weswegen. Vander195[194]des dritten Bandes.der Kuit ſtuͤrzt demohnerachtet den Sebal - dus, durch ein falſches Vorgeben, in eine ſolche Furcht, daß er ihm das gelehrte Ta - gebuch, und die ſaͤmmtlichen Werke der Kol - leglanten verkauft, und in groͤßter Eil Hol - land verlaͤßt. Das Schrecken verurſacht ihm eine Krankheit, er bleibt in Sevenaer liegen. Verzehrt alles, muß ſich zu Fuße weiter ſchleppen, bleibt zuletzt in einem Dorfe liegen, wo er von den Almoſen, die ihm die Reiſenden geben, denen er das Heck aufmacht, ſein Leben kuͤmmerlich erhaͤltS. 70
    • Achtes Buch.
      • Erſter Abſchnitt.
        • Sebaldus erholt ſich in etwas. Er macht einſt zweyen Perſonen, die ſpazieren ritten, das Heck auf, welches Rambold und Saͤug - ling waren. Saͤugling, den ſein Anſe - hen geruͤhrt hatte, hohlt ihn von da ab, und bringt ihn zu einem Pachter, in dem Dorfe ſeines Vaters, wo er mit Waͤſche, Klei - dern und Nahrungsmitteln verſorgt wird. 85
      Zwey -196[195]Jnhalt
      • Zweyter Abſchnitt.
        • Charakter Saͤuglings des Vaters. Dieſer nimmt den Sebaldus zu ſich, um ihm Ge - ſellſchafft zu leiſten, und die Zeitungen vor - zuleſen. Jn denſelben fanden ſie die Ge - winnliſte einer Zahlenlotterie. Der alte Saͤugling erklaͤrt ſie dem Sebaldus, und noͤthigt ihn, auch einzuſetzenS. 90
      • Dritter Abſchnitt.
        • Rambold kommt, als niemand zu Hauſe iſt, an, ſteckt aus Neckerey, einen vorgefunde - nen Brief an den jungen Saͤugling zu ſich. Als ihm Sebaldus vorgeſtellt wird, und er deſſen Nahmen hoͤrt, wird er be - troffen und unruhig, erbricht in der Zer - ſtreuung den Brief, und reitet fort, ſo - bald er ihn geleſen hat. 99
      • Vierter Abſchnitt.
        • Nachdem Mariane dem Oberſten entſprun - gen war, ließ ſie ſich von Dorfe zu Dorfe fahren, und kam ins Weſtphaͤliſche. Siemußte197[196]des dritten Bandes.mußte, wegen eines Ungewitters, in einem Hanſe im Walde, abtreten. Sie entſchließt ſich daſelbſt zu bleiben, und endlich auch Saͤuglingen ihren Auſenthalt zu melden. Dieß war eben der Brief, den Rambold erbrochen und geleſen hatte. Rambold beſucht helmlich Marianen, giebt vor, Saͤugling ſey goſtorben, ſucht ſich in ihre Gunſt zu ſotzen, und denkt ſie zu heurathen. S. 101
      • Fuͤnfter Abſchnitt.
        • Charakter der Frau Gertrudtinn und der Jungfer Anaſtaſia Gertrudtinn. Der junge Saͤugling unterhaͤlt ſich oͤfters mit der leztern, welches ſeinen Vater und ihre Mutter aufmerkſam macht. 114
      • Sechster Abſchnitt.
        • Die Saͤuglingiſche Famille, wird in die Stadt zu der Fran Gertrudtinn zu Mit - tage eingeladen. Die Jungfer Anaſtaſia hietet alle ihre ſittſamen Reizungen auf. N 4um198[197]Jnhaltum den jungen Saͤugling zu feſſeln. Ein Freywerber giebt dem alten Saͤugling, wegen dieſer Heurath, einen Wink. Sie werden eins, die Gertrudtiſche Familie den zweyten Tag auf des alten Saͤuglings Gut zu bitten, wo die Sache in Ueberle - gang genommen werden ſoll. Beym-Zu - ruͤckfahren an einem ſchoͤnen Abend ſteigt der junge Saͤugling aus dem Wagen, um im Walde zu Fuße zu gehen. Er hoͤret, un - vermuthet, eins von ſeinen Liedern ſingen, und findet Marianen. S. 114
      • Siebenter Abſchnitt.
        • Saͤugling beſucht Marianen den folgenden Tag. Sie beſtaͤtigen ihre Verbindung. Sie wechſeln Ringe. Rambold kommt dazu, will voll Zorn Saͤuglingen uͤber - fallen, und wird von idem Weſtphaͤliſchen Bauer mit einem Hebebaume abgewieſen. 126
    Neun -199[198]des dritten Bandes.
    • Neuntes Buch.
      • Erſter Abſchnitt,
        • Saͤugling der Vater, ſchlaͤgt die Jungfer Anaſtaſia ſeinem Sohne zur Brant vor. der Sohn berichtet hingegen, daß er in einer Schaͤferhuͤtte im Walde, das Maͤd - chen gefunden habe, das er liebe. Der Va - ter wird daruͤber ſehr betreten. Erblickt zu - gleich den Ring an ſeines Sohnes Finger. Sebaldus erkennet daran, daß ſeine Toch - ter deſſen Geliebte ſey. Sebaldus und der junge Saͤugling fahren zu ihr, und weil dieſer nicht von ihr ſcheiden will, nimmt ſie Sebaldus mit zuruͤck. S. 129
      • Zweyter Abſchnitt.
        • Die Frau Gertrudtinn, kommt ohne ihre Tochter zum Mittagsmahle, weil dieſelbe krank worden. Der Herr von Haberwald erzaͤhlt halb betrunken, den Unfall der Jungfer Anaſtaſia. Saͤngling ſtellt Ma -rianen200[199]Jnhaltrianen ſeinem Vater vor. Sie verſichert, daß ſie ohne ſeine Einwilligung ſeinem Sohne nie die Hand geben werde. Sebaldus be - kraͤftiget dieſes. S. 140
      • Dritter Abſchnitt.
        • Der junge Saͤugling ſucht die Einwilligung ſeines Vaters zu erhalten, die ihm abge - ſchlagen wird. Sebaldus findet beym Vorleſen einer Zeitung, daß er eine Quater - ne von funfzehutauſend Thalern gewonnen hat. Der alte Saͤugling giebt nunmehr ſeine Einwilligung. 148
      • Vierter Abſchnitt.
        • Rambold ſucht, um ſich zu raͤchen, den jun - gen Saͤugling, wegen ſeiner Liebe zu Ma - rianen, bey ſeinem Vater zu verlaͤumden. Wer Rambold eigentlich geweſen ſey. 153
      Lezter201[200]des dritten Bandes.
      • Lezter Abſchnitt.
        • Saͤuglings Verbindung mit Marianen wird vollzogen. Nachricht was ſich mit Saͤug - ling, Marianen, der Frau von Hohen - auf, der Graͤſinn von ***, D. Stauzius, Hieronymus, Rambold, und Herrn Sebaldus Nothanker, ſeitdem zugetra - gen habe. Sebaldus Kommentar uͤber die Apokalypſe, ſoll auf Subſcription gedruckt werden. 158
Ende.
[201]

Druckfehler.

  • S. 15. Z. 7. alsdenn l. alsdann.
    • ebendaſelbſt, da l. wann.
  • S. 20. Z. 18. Domene l. Domine.
  • S. 27. Z. 19. muß ſich wegbleiben.
  • S. 28. Z. 6. vollbrachten l. vollbrachter.
  • S. 31. Z. 10. Baͤlgetrater l. Baͤlgentreter.
  • S. 86. Z. 8. determinirenten l. determinirenden.
  • S. 95. Z. 4. nothmendigen l. nothwendigen.
  • S. 120. Z. 6. ſelbſt behagliche l. ſelbſtbehagliche.
  • S. 148. Z. 10. vor l. fuͤr.
  • S. 156. Z. 11. greiflachend l. grieflachend.
  • S. 158. Z. 4. von unten, ihrem l. ihres.
    • Ebendaſ. Aufenthalte l. Aufenthaltes.

About this transcription

TextDas Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Author Friedrich Nicolai
Extent221 images; 32161 tokens; 7461 types; 231714 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDas Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker Dritter und letzter Band Friedrich Nicolai. . [1] Bl., 201 S. : Frontisp. (Kupferst.), 3 Ill. (Kupferst.) NicolaiBerlinStettin1776.

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SUB Göttingen SUB Göttingen, 8 FAB VI, 3838:3

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

Editorial statement

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:33:31Z
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ShelfmarkSUB Göttingen, 8 FAB VI, 3838:3
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