PRIMS Full-text transcription (HTML)
[1]
Sammlung ſatyriſcher Schriften.
Zweyter Theil.
[figure]
Mit allergnaͤdigſten Privilegien.
Leipzig, Jm VerlageJohann Gottfried Dycks.1751.
[2][3]
[figure]

Beweis, daß die Reime in der deutſchen Dichtkunſt unentbehrlich ſind, bey einer gewiſſen Gelegenheit im Jahr 1737 verfertigt.

Nein! Laͤnger ſchweig ich nicht! Mein Zorn bricht endlich los.
Der Frevel wird zu kuͤhn, der Uebermuth zu groß,
Womit die blinde Welt der edeln Dichtkunſt ſpottet,
Jhr mit dem Falle droht, und ſich zuſammen rottet.
Drey ganzer Jahr hab ich geduldig zugeſehn,
Wie ihre Feinde ſich verſchwoͤren, ſie zu ſchmaͤhn,
Wie weit die Barbarey in ihrer Wut geſtiegen;
Und dennoch hab ich ſtets vor Furcht und Gram geſchwiegen.
A 2Vor4Die Unentbehrlichkeit der Reime
Vor dieſem, wenn Lucil von Verſen uͤbel ſprach,
So ſchlich ihm unvermerkt mein junger Satyr nach,
Und riß, durch Zorn beherzt, dem Spoͤtter der Gedichte,
Mit ungeſtrafter Hand die Larve vom Geſichte.
Das aber wagt ich nur, als ich ein Juͤngling war;
Mein reifender Verſtand bemerkte die Gefahr.
Mein ſcheuer Satyr ſah das klaͤgliche Geſchicke,
Das Vers und Wahrheit traf; beſtuͤrzt wich er zuruͤcke,
Warf ſeine Geißel hin, und fluchte ſeiner Kunſt.
Die Muſe winkte mir, und hielt mir ihre Gunſt,
Und mein Verſprechen vor; ſie drohte, mich zu haſſen,
Verhieß, und bat. Umſonſt! Jch ſchwur, ſie zu verlaſſen;
Jch ſchwur, und hielt es auch. Doch endlich ſiegt die Pflicht;
Jch breche meinen Schwur, und ſchweige laͤnger nicht.
Die groͤßten Flecken ſucht, durch freches Splitterrichten,
Der ſchoͤnſten Poeſie der Tadler anzudichten.
Will ein erhabner Geiſt, ein zweyter Lohenſtein,
Des Phoͤbus Hofpoet, und erſter Guͤnſtling ſeyn,
Und der geneunten Zahl, mit reingewaſchner Lippe,
Jm glaͤſerhellen Qvell des Pferdebrunns Enippe,
Der Andacht Weihrauch ſtreun; bricht ſein erhitzter Muth,
Beſchwaͤngert von der Kunſt, durch Flammen, Blitz und Glut;
Ruft er der Schwefelbrunſt der donnerharten Flammen,
Und ruft Megaͤrens Zunft, und ruft den Styr zuſammen;
Tanzt er auf Stelzen her, wenn er Gewitter waͤlzt,
Und eine Feuersbrunſt des Herzens Marmor ſchmelzt;
Laͤßt er rund um ſich her des Ungluͤcks Nordlicht glaͤnzen;
Lacht er in Gleichniſſen, ſeufzt Chrien, weint Sentenzen:
So koͤmmt ein Zoilus, und ruft: Der Dichter ſchwillt?
Sein ganzer Vers iſt Rauch, ſein Kopf mit Dunſt erfuͤllt.
Seht, wie er die Vernunft in Demantketten fuͤhret,
Jm Paroxysmus ſingt, und Oden phantaſieret.
Wenn5in der deutſchen Dichtkunſt.
Wenn unſer Seladon ſo ſuͤß, ſo lieblich, ſingt,
Und ſeiner Lalage Zimmt, Moſch und Bieſam bringt,
Chryſtall und Perlen weint, den Kiel in Nektar tauchet,
Zibeth und Calmus kaut, und Ambra von ſich hauchet,
Auf Nelken, Klee, Jeſimin und Anemonen geht,
Verzweifelt, wenn kein Weſt bey ſeiner Schoͤnen weht,
Beklagt, daß ſeine Pein kein Thau, kein Balſam lindert,
Die neue Welt erſchoͤpft, und die Levante pluͤndert,
Zu ſagen, daß ſein Kind vor andern ihn entzuͤckt,
Das ganze Firmament in ihrem Aug erblickt,
Und in ihr Angeſicht, das wie die Venus ſtralet,
Von Blumen aller Art ein ganzes Chaos malet:
Was meynt ihr? Was vergilt die Muͤh des Seladon,
Wenn er ſo koſtbar reimt? Was iſt ſein ganzer Lohn?
Man lachet uͤber ihn. Der Neid, ſtatt ihn zu preiſen,
Eilt gleich, ihm ſeinen Platz, im Tollhaus anzuweiſen.
Raͤcht, Muſen, euch und uns! Seht, wie die dreiſte Welt
Von Buͤrgern euers Reichs ein ſchnoͤdes Urtheil faͤllt!
Straft ſie Doch haltet noch mit euerm Zorn zuruͤcke!
Es giebt der Spoͤtter mehr! Kommt! Werfet eure Blicke
Auf jenen frechen Schwarm, der voller Tuͤcke ſchnaubt,
Euch nach dem Herzen greift, und Ruhm und Lorbeer raubt;
Ja gar, o Frevelthat! ja gar, ach, ſoll ichs ſagen!
Den Reim, den edlen Reim will aus den Verſen jagen.
Eilt, Muſen! Reißt den Blitz aus euers Vaters Hand!
Der Schwarm wird maͤchtig. Eilt, eh er uns uͤbermannt!
Und kommt, und kaͤmpft, und ſiegt, und ſchlagt die Feinde nieder,
Und ſchuͤtzt den werthen Reim, das Hauptwerk deutſcher Lieder!
Denkt, Freunde, die ihr noch die Muſen redlich liebt!
Jhr, denen bloß der Reim die ganze Groͤße giebt!
Die ihr durch ihn allein die Zierden Deutſchlands heißet,
Und euch vor Hunger ſchuͤtzt! Denkt, was man euch entreißet,A 3So6Die Unentbehrlichkeit der Reime
So bald man euch den Reim, den Witz der Verſe, nimmt!
Daß unſer großer Bav noch ſeine Saiten ſtimmt,
So manchen Namenstag in Demuth feſtlich feyert,
Und mit geſchickter Hand die Mahlzeit ſich erleyert;
Daß Maͤv, der unſre Stadt durch ſeinen Ruhm erhebt,
Er, ſeiner Bruͤder Schmuck, im Ueberfluſſe lebt:
Daß Clelia nicht ſtolz den Dorimen verachtet,
Und er nicht ganz umſonſt nach ihren Kuͤſſen ſchmachtet;
Daß Stentor ſich mit Luſt im Kupferſtich erblickt,
Und ſich die halbe Welt vor ſeinem Lorbeer buͤckt;
Daß itzt mein Pegaſus nicht darf ſo aͤngſtlich ſchaͤumen;
Dieß alles macht allein die Kunſt, geſchickt zu reimen.
Die Wahrheit ſchuͤtzt den Satz. Nehmt einen Todtenfluch,
Ein buntes Quodlibet, das ſchoͤnſte Liederbuch,
Das zierlichſte Sonnet, das laͤngſte Hochzeitcarmen;
Und ſtreicht die Reime weg. Was bleibt? Nicht ohn Erbarmen
Hoͤrt ihr, ſo lieblich es erſt in die Ohren fiel,
Nur Scherze ſonder Kraft, ein froſtigs Woͤrterſpiel,
Ein abgenutztes Nichts, das immer wiederkehret,
Und ein Geſchwaͤtz, das man beym Poͤbel beſſer hoͤret.
Bewundert ehrfurchtsvoll des Reimes Zauberkraft,
Der Buͤcher voller Schall aus einem Nichts erſchafft! Der Reim? Wie? Dieſer Zwang, der das Gedicht entſeelet?
So wirft ein Tadler ein. Der Henker, der uns quaͤlet,
Der Ordnung und Verſtand auf ſeine Folter ſtreckt,
Die Woͤrter radebrecht, dem Dichter Angſt erweckt,
Selbſt den geduldigſten der Leſer oft ermuͤdet,
Der Wahrheit und Natur in ſchwere Feſſeln ſchmiedet,
Das Feuer Frevler, ſchweig! Des Zwanges Muͤhſamkeit
Bringt gegen ihn dich auf, und was du ſprichſt, iſt Neid.
Wie ſollte wohl der Reim Verſtand und Ordnung hindern,
Der Wahrheit Abbruch thun, und Geiſt und Feuer mindern?
Geh! Zaͤhle ſelber nach! Sieh, viele reimen nicht,
Von denen alle Welt aus einem Munde ſpricht,Daß7in der deutſchen Dichtkunſt.
Daß ſie den groͤßten Schmuck aus alten Dichtern ſtehlen,
Daß ihnen Feuer, Geiſt, Verſtand und Ordnung fehlen;
Sie reimen gleichwohl nicht. Daß zwar ſo mancher ſitzt,
Und voll Verzweifelung bey ſeinem Huͤbner ſchwitzt,
Ein Dutzend Federn kaut, die Haͤnde klaͤglich ringet,
Und doch, nach langer Qvaal, kein gluͤcklichs Wort erzwinget,
Das hinten reimen muß; das alles glaub ich dir,
Das alles geb ich zu. Jch ſeh es wohl an mir.
Was iſt es aber mehr? Ein inniges Ergetzen,
Wenn man den Reim erhaſcht, weis alles zu erſetzen.
Wie oft, wie gluͤcklich zerrt des Reims geheime Macht
Den ſchoͤnſten Einfall her, an den man nie gedacht.
Geſetzt, es ſchloͤße ſich der erſte Vers mit Wonne!
So faͤllt ein kluger Kopf gleich auf die liebe Sonne.
Er denket weiter nach; er folgt der edeln Spur,
Beſchreibt den ganzen Bau der wirkenden Natur,
Erwiſcht den großen Baͤr, beſinnt ſich auf Calliſten,
Verflucht die Eiferſucht, beſeufzet, daß die Chriſten, (Gleich brachte mich der Reim auf unſer Chriſtenthum,)
Beſeufzet, daß die Welt ſo wenig nach dem Ruhm
Vergnuͤgter Ehe ſtrebt, und ſaget uns zur Lehre,
Daß ſich ein Maͤdchen leicht in einen Baͤr verkehre.
Jhr Feinde dieſer Kunſt, geſteht es, daß ihr irrt!
Hoͤrt ſelbſt, wie ſchlecht ein Vers dem Ohre ſchmeicheln wird,
Dem es an Reimen fehlt! Wagt es, bloß zu ſcandiren!
Verſuchts! Wen werdet ihr durch euer Lied wohl ruͤhren. Tartuͤff, der alte Schalk betruͤgt die ganze Welt;
Sevil iſt luͤderlich; Criſpin ein dummer Kerl;
Stax macht gelehrten Wind; Neran verdreht die Rechte.
Florinde lebt verhurt; und Harpax iſt ein Knicker;
Clitander Doch genug! Jhr gaͤhnt und ſchlummert ein?
Jch ſchlummre ſelber mit. Was koͤnnte trockner ſeyn?
Ein angehaͤngter Reim kann alle Schaͤden heilen.
Verſucht es nur einmal! Veraͤndert dieſe Zeilen,A 4Und8Die Unentbehrlichkeit der Reime.
Und ſprecht: Tartuͤffe bleibt ganz unverbeſſerlich;
Sevil lebt mit der Welt; Crispinus lebt vor ſich;
Stax iſt ein weiſer Mann; Neran ein Advocate;
Florindchen lebt galant, und Harpax baͤlt zu Rathe.
Sagt ſelbſt; nimmt dieß das Ohr nicht ſchmeichelhafter ein?
Man liest, man lobet euch. Geſteht es, daß allein
Der Reim den Dichter macht! Fangt an, euch zu bekehren!
Verſoͤhnt der Muſen Zorn, und lernt den Reim verehren!
Es lebe, was ſich reimt! Schon ſtimmt mir Deutſchland bey,
Daß ein geſchickter Reim der Dichtkunſt Kleinod ſey.
Jch kann zu meinem Ruhm die Schutzſchrift nun vollenden;
Denn, wem die Wahrheit hilft, der hat den Sieg in Haͤnden.
[figure]
Ein[9]

Ein Traum von den Veſchaͤfftigungen der abgeſchiednen Seelen.

Locus eſt et pluribus vmbris.

A 5[10]11

Die Seelen beſchaͤfftigen ſich nach der Trennung von ihren Koͤrpern am liebſten mit denen Sachen, an welchen ſie im Leben auf dieſer Welt ihr groͤßtes Vergnuͤgen gefunden haben. Dieſer philoſophiſche Lehrſatz, welcher noch etwas aͤlter iſt, als ich und Leibnitz, faͤngt wieder von neuem an, Mode zu werden; und weil ich eine ziemlich dauerhafte Natur habe, ſo hoffe ich, es noch zu erleben, daß er die beſte Welt, und den zureichen - den Grund verdraͤngen ſoll. Nur will ich wuͤn - ſchen, daß es nicht dem Grunde des Widerfpruchs eben ſo gehen moͤge. Denn wenn dieſe drey Stuͤ - cke alle auf einmal abkommen ſollten; So duͤrften unſre philoſophiſchen Stutzer in dreyßig Jahren eine ſehr altvaͤteriſche Miene machen, und ihre tief - ſinnigſten Schriften, welche ſie und ihre Verleger itzt bewundern, eben dem Schickſale unterworfen ſeyn, welches diejenigen Familiengemaͤlde betrifft, die man, wenn es hoch koͤmmt, bloß der alten Tracht wegen als eine Raritaͤt noch auf hebt, gemeiniglich aber in die dunkelſten Winkel des Hauſes ſtellt, um niemanden zu aͤrgern. Dem ſey, wie ihm wolle; eine jede Sache iſt der Mode unterworfen, und die Philoſophie am meiſten*Der geneigte Leſer wird dieſes mit mehrerm ausgefuͤhrt finden, in meiner Vorrede zur neuen Auflage des vermehr - ten und verbeſſerten Bruckers, welche kuͤnftige Meſſe zu Coͤlln ans Licht treten ſoll, und worinnen ich unter andern durch Zeugen und Documente bewieſen habe, daß der. Wenigſtens ich werdemich12Ein Traummich uͤber den Verluſt dieſer drey philoſophiſchen Univerſalrecepte troͤſten laſſen, wenn ich nur erfah - re, daß meine abgeſchiednen Seelen ihren Werth behalten. An der Betrachtung dieſes Grundſatzes finde ich mehr Vergnuͤgen, als an allen elektriſchen Experimenten. Jch habe demſelben oftmals viele Stunden lang nachgedacht, und allemal bin ich dar - uͤber in eine ſolche Entzuͤckung gerathen, in welcher kaum ein Poet ſeyn kann, der im Namen eines An - dern fuͤr Geld und gute Worte die Augen einer Phyllis beſingt.

Eben dieſes iſt Urſache, daß ich heute meinen Leſern einen Traum von den Beſchaͤfftigungen der abgeſchiednen Seelen nach der Trennung von ihren Koͤrpern vorlege. Jm voraus aber muß ich eines und das andre erinnern, welches die Einrichtung meines Traums, und verſchiedne Frey - heiten betrifft, ſo ich mir darinnen genommen habe.

Jch will es niemanden im Ernſte zumuthen, daß er glauben ſolle, ich habe wirklich alſo getraͤu - met, ungeachtet es eben nicht unwahrſcheinlich iſt. Jch kann es zwar nicht laͤugnen, der Traum iſt ziemlich lang gerathen; aber in der Stadt, wo ich mich aufhalte, ſchlafen die Leute viel laͤnger, als an andern Orten, und alſo traͤumen ſie auch laͤnger. Wer wollte mir es wehren, wenn ich ihn in Archan - gel getraͤumt haͤtte, wo man zu gewiſſen Zeiten lau -ter*Ruhm des leibhaften Newtons unſers Vaterlandes, des philoſophiſchen Herrn Wrydens, die großen Manſchetten nicht uͤberleben werde.13von den abgeſchiednen Seelen. ter Nacht, und faſt gar keinen Tag hat? Allein, ich habe nicht Urſache, ſo viel Umſtaͤnde zu machen. Jch will es nur frey bekennen, ich habe getraͤumt, damit ich ſchreiben wollte. Dieſes kann genug ſeyn, mein Verfahren zu rechtfertigen, und wer mehr Beweis fodert, der muß von dem gelehrten Herkommen gar nichts verſtehen. Ohne Ruhm zu melden, weis ich alles, was zu einem orthodoxen Traume gehoͤrt. Man denkt nach; man ſchlaͤft uͤber dieſem Nachdenken unvermerkt ein; man ſagt im Traume etwas, das man vielmals nicht ſagen wuͤrde, wenn man wachend, und ſeiner Sinne maͤch - tig waͤre; man erwacht unvermuthet. Kein einzi - ges von dieſen Stuͤcken habe ich in meinem Traume ſo beobachtet, wie es nach den Regeln eigentlich haͤtte ſeyn ſollen. Jch habe nicht nachgedacht, denn ich bin ein Autor nach der neueſten Mode; ich bin nicht unvermerkt daruͤber eingeſchlafen; und was meinen Leſern etwan wiederfahren ſollte, dafuͤr kann ich nichts. Jch habe von allem dem, was hier ſteht, nicht ein Wort im Traume gehoͤrt und gere - det; ja, da ich ein Advocat bin, ſo kann ich bey mei - nem zarten Gewiſſen bezeugen, daß mich dieſer Traum um manche Stunde Schlaf gebracht hat. Jch bin nicht unvermerkt aufgewacht; dieſes braucht keines Beweiſes, man darf nur bis zum Ende leſen. Mit einem Worte; alles dieſes wird man in gegen - waͤrtiger Schrift nicht finden, und dennoch muß ſie, trotz allen Kunſtrichtern, ein Traum ſeyn, eben ſo gut, als Herrn Zſchepens Traͤume, nach ſeiner Mey - nung, mathematiſche Beweiſe ſeyn ſollen.

Von14Ein Traum

Von den Freyheiten muß ich noch etwas ſagen, welche ich mir in meinem Traume genommen habe. Jch habe meine abgeſchiednen Seelen niemals ohne Kleider, und dergleichen Geraͤthe, erſcheinen laſſen. Jch kann eben nicht ſagen, daß dieſes aus einer be - ſondern Schamhaftigkeit geſchehen waͤre, und ich muß zur Beruhigung unſrer jungen Herren und ei - niger meiner Leſerinnen hier anmerken, daß meine Frauenzimmerſeelen keine Halstuͤcher, ſondern wenn es hochkoͤmmt, nur fluͤchtige Palatine tragen. Jch habe wichtige Urſachen, warum ich will, daß meine Seelen auch noch im Tode ihre Kleidung bey - behalten ſollen. Wie viele derſelben wuͤrde ich nicht ungluͤcklich machen, wenn ich ihnen ihre praͤch - tigen Kleider naͤhme! Und waͤre ich ſo unbarmher - zig, einigen ihre reichen Weſten zu rauben, wie viel hochwohlgebohrne Seelen wuͤrde ich nicht unter den Poͤbel verſtoßen, welche doch in ihrem Leben zum unſterblichen Ruhme ihres Vaterlandes und ihrer Ahnen beym pyrmontiſchen Brunnen geſchimmert haben. Das iſt noch lange nicht genug. Wenn ich meiner Nachbarinn, dem witzigſten Frauenzim - mer unſrer Gaſſe, ihre Baͤnder, Spitzen, Schmink - fleckchen, und andre weſentliche Stuͤcke ihres Ver - ſtandes contreband gemacht haͤtte; was wuͤrde ſie in dieſer philoſophiſchen Ewigkeit fuͤr lange Weile haben! Celinde wuͤrde einen noch einmal ſo ſchwe - ren Todeskampf ausſtehen, wenn ſie befuͤrchten muͤßte, daß ſie in jenem Leben ohne Reifrock und Faͤcher erſcheinen ſollte. Wie klaͤglich wuͤrde es um die Seelen unſrer galanten Stutzer ſtehen, wenn ichihnen15von den abgeſchiednen Seelen. ihnen nicht erlauben wollte, Fernglaͤſer zu brauchen, oder wenn ich ſo pedantiſch waͤre, und ihnen ver - wehrte, zu traͤllern, und zu pfeifen! Nein, das ſey fern! Sie ſollen traͤllern! Sie ſollen pfeifen! und Celinde kann freudig ſterben, ſo bald es ihr gefaͤllt, denn ſie ſoll auch ihren Mops mit nehmen!

Nunmehr waͤre der erſte Zweifel gruͤndlich und muthig aus dem Wege geraͤumt, und es fehlt dieſer Erlaͤuterung nichts weiter, als daß ich entweder ſchimpfe, oder vier beruͤhmte Buchſtaben dazu ſetze, durch deren magiſche Kraft man aus nichts et - was machen kann; ſo muͤßte ſie auch fuͤr einen ge - lehrten Beweis gelten. Es wird mich bey weitem ſo viel Muͤhe nicht koſten, die andern Freyheiten zu entſchuldigen, welche ich mir genommen habe. Jch habe es gewagt, die Seelen einiger Auslaͤnder in un - ſre Gegend zu bannen. Jch habe Grund dazu. Wenn es wahr iſt, daß die Seelen nach ihrem Ab - ſchiede aus dieſem Leben, dasjenige am liebſten thun, womit ſie ſich in der Welt am meiſten beſchaͤfftigt haben: So muß folgen, daß die deutſchen Seelen in fremde Laͤnder, und fremde Seelen in unſer Land kommen. Unſer gelehrter Herr Profeſſor Quin - tus Calpurnius, deſſen gruͤndliche Noten und edirte Schriftſteller ihn wenigſtens auf drey Jahre verewigt haben, wallt zwar dem Leibe nach unter uns deutſchem Poͤbel, aber man merkt es ihm an den Augen, an ſeinen Geſpraͤchen, und an ſeiner ganzen Auffuͤhrung an, daß ſeine Seele weit von hier iſt; und ich muͤßte mich ſehr irren, wenn ſie nicht ſo gleich nach ihrer Aufloͤſung vom Koͤrper unter diever -16Ein Traumverfallnen Gemaͤuer des alten Latiens ſich verkrie - chen, oder vielleicht gar in dem gelehrten Schutte Griechenlands wuͤhlen ſollte, um ihren edeln Hun - ger nach Antiquitaͤten zu ſtillen. Die Seele des kleinen Junkers mit rothen Abſaͤtzen, welcher dort am Markte wohnt, wird man gewiß nirgends an - ders antreffen, als in den Thuillerien zu Paris; es muͤßte denn ſeyn, daß ihn der Wohlſtand noͤthig - te, nach Verſailles zu eilen, um den Koͤnige fruͤh - morgens beym Aufſtehen das Hemde zu reichen; denn eben dieſes iſt dasjenige, was er ſich itzt am meiſten wuͤnſcht, und wozu er nach dem Urtheile der vernuͤnftigſten Leute ſich am beſten ſchickt. Soll - ten alſo die Seelen der Auslaͤnder bey uns nicht eben ſo wohl etwas finden, welches ſie neugierig machte, hierher zu kommen? Jch zweifle gar nicht dran. Burmanns Seele, die Seele des Bentley, die ver - ketzernde Seele des Jurieu werden in Deutſchland an mehr als einem Orte die angenehmſte Beſchaͤff - tigung und hundert theure Mitglieder der gelehrten Welt finden, welche ihnen den Rang ſtreitig zu ma - chen ſcheinen. Vielleicht iſt Addiſon mehr als ein - mal auf meiner Studierſtube geweſen, um zu ſehen, wie ſich ein Deutſcher geberdet, wenn er ein Chro - noſtichon macht. Sollte es wohl mit den abge - ſchiednen Seelen der Franzoſen anders beſchaffen ſeyn? Sie moͤgen uns gleich hundertmal Verſtand und Witz abſprechen; darinnen ſind ſie doch einig, daß unſer Brod nahrhaft iſt, und ie mehr ſie auf uns laͤſtern, deſto dienſtfertiger ſind wir, ſie zu er - naͤhren, ſo, wie ein Papagoy bloß dadurch dasFutter17von den abgeſchiednen Seelen. Futter verdient, daß er ſeinen Herrn einen Hahnrey, und die gnaͤdige Frau eine Hure heißt. Was iſt wohl natuͤrlicher, als daß ſie auch nach ihrem Ab - ſterben in dasjenige Land kommen, wo keiner ein Narr iſt, der franzoͤſiſch reden kann. Vielleicht flat - tert itzt, indem ich dieſes ſchreibe, mancher hungrige Marqvis uͤber unſrer Stadt, und ſchimpft uns, da - mit er eine Ritterzehrung erhalten moͤge. Denn ſo vernuͤnftig und beſcheiden ſind ſie nicht alle, wie der Marquis d Argens.

Dieſer Vorbericht war noͤthig. Jch komme nunmehr zum Hauptwerke.

Mir traͤumte, ich ſey geſtorben. Jch ſahe den Koͤrper, von dem ſich meine Seele getrennt hatte, auf dem Bette mit eben der Gleichguͤltigkeit liegen, mit welcher man eine abgelegte Redutenmaske, oder Koch ſeine theatraliſche Kleidung anſieht, in welcher er nach Gelegenheit entweder als Prinz be - fohlen, oder als Kammerdiener Befehle angenom - men hat. Jch werde nicht gern ſehen, wenn mir jemand hierinnen widerſprechen, oder mich gleich anfangs in meiner Abhandlung ſtoͤren, und laͤugnen wollte, daß eine Seele ihren Koͤrper ſo gleichguͤltig anſehen koͤnnte. Bey mir iſt dieſes gar nicht un - wahrſcheinlich. Jch bin in einer kleinen Stadt ge - boren und erzogen, in welcher kein junger Herr war, als des Amtmanns Sohn, und der Stadt - ſchreiber. Jch habe um deswillen niemals Exem - pel genug gehabt, welche meine Seele verleitet haͤt - ten, ſich mit ihrem Koͤrper am meiſten zu beſchaͤffti - gen: zu geſchweigen, daß mein Koͤrper eben nicht ſoZweyter Theil. Bgebaut18Ein Traumgebaut geweſen, daß er mich in dieſem Stuͤcke zu einer merklichen Eigenliebe, oder zu beſonders ſorgfaͤl - tigen Beſchaͤfftigungen bewogen haͤtte. Jch berufe mich hierinnen auf den guten Geſchmack meiner ver - ſtorbnen Frau, welche in ihrem Leben viel Koͤrper gekannt hat, in deren Umgange ſie weit mehr an - nehmliches und artiges zu finden vermeynte, als bey mir. Jch verlange alſo, daß man wenigſtens meiner Frau glaube, wenn auch mein Zeugniß ver - daͤchtig ſeyn ſollte. Jn Sachen, welche die Koͤr - per und Menſchengeſichter angehen, kann man dem Ausſpruche ſolcher Frauenzimmer, wie mein liebes Weib war, ſicher trauen; in andern Dingen hingegen, welche den Verſtand betreffen, bin ich gar wohl zufrieden, daß man gruͤndliche Beweiſe fo - dere. Dieſe kleine Ausſchweifung iſt um ſo viel noͤthiger geweſen, je mehr einem Geſchichtſchreiber daran liegt, daß man gegen ſeine Erzaͤhlungen nicht mistrauiſch ſey, oder ſeine Nachrichten fuͤr verdaͤch - tig halte. Jch erwarte alſo von meinen Leſern ohne weitere Complimente, daß ſie in dieſe Gleichguͤltig - keit meiner Seele gegen ihren Koͤrper weiter keinen Zweifel ſetzen. Der einzigen Chloris will ich nicht zumuthen, ſolches zu glauben; denn dieſe beſchaͤfftigt ſich mit nichts, als mit ihrem Geſichte, und einigen ſeufzenden Schaͤfern, denen nichts, als ihr Koͤrper, und ſehr wenig von der Seele bekannt iſt, es muͤß - ten denn eine zaͤrtliche Seele, eine holde Seele, ei - ne grauſame Seele, eine verzweifelnde Seele, oder andre dergleichen Seelen ſeyn, welche die arkadi - ſchen Dichter mit verliebten Haͤnden alle Stundenſchaffen19von den abgeſchiednen Seelen. ſchaffen und wieder zernichten koͤnnen. Chloris mag es alſo immer nicht glauben; ich bin es zufrie - den. Sie ſoll mir es aber auch nicht verwehren, zu behaupten, daß ihre Seele nach dem Tode beſtaͤn - dig um ihren Nachttiſch vor ihrem Spiegel, und um ihren Koͤrper herumflattern, und vielleicht ſelbſt be - ſchaͤfftigt ſeyn wird, dieſen noch im Sarge zu putzen. Jch komme wieder auf mich.

Sobald ich meinen erblaßten Koͤrper vor mir ſahe, ſo eilte ich zu meinem Schreibepulte. Das habe ich gedacht, wird die erbitterte Chloris aus Rachbegierde rufen, das habe ich gleich ge - dacht! Die muͤrriſchen Gelehrten werfen uns be - ſtaͤndig den Nachttiſch vor, und vielmals begehen ſie doch vor ihrem Schreibepulte eben diejenigen Schwachheiten, welche man an uns vor unſerm Nachttiſche kaum warnehmen wird. Mit ihrer Fe - der und Dinte treiben ſie mehr Eitelkeiten, als wir mit unſrer Schminke und mit dem Brenneiſen. Jn ihren Schriften bewundern ſie vielmals ihre praͤchti - ge Groͤße und gelehrte Schoͤnheit mehr, und doch mit wenigerer Gewißheit, als wir uns in Spiegeln. Jhre Eigenliebe, ihr Stolz, ihre Begierde, andern zu ge - fallen, ihre Eiferſucht Es iſt alles wahr, Chloris, aber itzt will ich weiter erzaͤhlen! Auf meinem Pulte lag der Entwurf zu einer Schrift, welche ich noch den Abend vorher zu Papiere ge - bracht hatte. Jch wollte mich mit aller der Hitze, welche mir und vielen Gelehrten ſo natuͤrlich iſt, der Feder bemaͤchtigen, um zum Troſte meiner kritiſchen Mitbruͤder dieſe wichtige Schrift zu Stan -B 2de20Ein Traumde zu bringen. Allein, wie groß war nicht mein Entſetzen, da meine abgeſchiedne Seele, als ein Geiſt, nicht vermoͤgend war, die Feder aufzuheben, noch weniger aber, zu ſchreiben! Jch bin nicht im Stan - de, das Schrecken auszudruͤcken, welches mich des - wegen uͤberfiel, und dergleichen Angſt empfindet wohl niemand, als ein Poet, welcher einen Reim ſucht, und ihn nicht erhaſchen kann. Siebenmal, und noch ſiebenmal bemuͤhte ich mich zu ſchreiben, aber allemal umſonſt. Jch wollte ein gewiſſes Regiſter aufſchlagen, welches mir ſo oft in meinen gelehrten Wehen geholfen hatte, aber auch dieſes zu thun war ich nicht im Stande. Jch ſchlug die Haͤnde uͤber dem Kopfe zuſammen, und bedauerte wegen dieſes unerſetzlichen Verluſts meiner entworf - nen Schrift den Verleger, mein Vaterland, die Nachwelt; ja ich wuͤrde ſagen, daß ich mich ſelbſt bedauert haͤtte, wenn es unter uns Gelehrten ein - gefuͤhrt waͤre, in dieſem Punkte ſo offenherzig zu ſeyn. Genug, ich ſahe, daß es mit meiner ganzen Gelehrſamkeit aus war, weil ich nicht mehr ſchrei - ben konnte. Das einzige, was ich zu meiner Beru - higung that, war dieſes, daß ich zum Buͤcherſchranke eilte, und mit einer recht vaͤterlichen Zaͤrtlichkeit alle diejenigen Buͤcher uͤberſahe, welche durch meine un - ermuͤdeten Haͤnde ihr Daſeyn erhalten hatten. Hier ſtund ich ſo vergnuͤgt, und entzuͤckt, wie Ael - tern, welche zwar ſelbſt keine Kinder mehr zeugen koͤnnen, aber doch an denen, welche ſie bereits ans Licht der Welt gebracht haben, aus ſchmeichle - riſcher Eigenliebe ſo viel Verſtand, und Geſchicklich -keit21von den abgeſchiednen Seelen. keit bewundern, als außer ihnen ſonſt niemand wahr - nehmen kann.

Vielleicht wuͤrde ich in dieſer Stellung noch lange geblieben ſeyn, wenn ich nicht im Traume das freudige Schrecken wahrgenommen haͤtte, wel - ches meine ungeduldigen Erben uͤberfiel. Sie eilten ſo hungrig zu meinem Bette, als wenn ein Raub auszutheilen waͤre. Jſt er todt? Jſt er auch gewiß todt? ſchrien ſie. Ja! Endlich einmal iſt er im Ernſte todt! Geſchwinde ſchickt nach dem Sarge, daß wir ihn unter die Erde bringen! ant - wortete ein Vetter von mir, und eine Muhme, wel - che durch mein Abſterben alle diejenigen Tugenden zu erben hoffte, welche gewiſſe gruͤndliche Liebhaber bey ihr zeither vergebens geſucht, und ihr um des - willen die Freyheit zu ihrem großen Verdruſſe nicht geraubt hatten; dieſe Muhme vergoß viel Thraͤnen, und wuͤrde mich, wegen ihrer unvermutheten Be - kuͤmmerniß in großer Ungewißheit gelaſſen haben, wenn ſie nicht alsbald, unter herzlicher Aufhebung ihrer Haͤnde, mit lauter Stimme geſeufzet haͤtte: Der ehrliche Vetter! Troͤſte ihn Gott! Es iſt ihm recht wohl! Wir wollen ihm ſeine Ruhe goͤnnen! Dieſes war die Loſung zum Pluͤndern. Den erſten Sturm hatte meine Geldeaſſe auszuſtehen. Mei - nen Kleidern und meinem Geraͤthe gieng es eben ſo. Sie thaten alles in eine Kammer, welche ſie, wie ich hoͤrte, wollten verſiegeln laſſen, und zwar von einem gewiſſen Manne, deſſen Name mir entfallen iſt, wel - cher aber ein ehrlicher und glaubwuͤrdiger Mann ſeyn ſollte, weil er ein großes Petſchaft und zween Zeu -B 3gen22Ein Traumgen hatte. Bis hieher hatte ich meinen Erben ganz gelaſſen zugeſehen; Als ich aber merkte, daß es uͤber meine Papiere hergehen ſollte, ſo fieng ich an, zu zittern. Alles ward aufs ſorgfaͤltigſte durchgeſucht. Gegen alle Briefe, in denen die Worte ſtunden: Leiſte gute Zah - lung, und nehme Gott zu Huͤlfe! hatten ſie eine ſo andaͤchtige Ehrfurcht, daß ſie dieſelben ſorgfaͤltig auf - hoben; aber uͤber ein paar Laus Deo ſchuͤttelten ſie die Koͤpfe gewaltig, denn dergleichen Latein konnten ſie gar nicht leiden. Endlich traf die Reihe meine gelehr - ten Concepte, welches mich recht wuͤtend machte. Jch eilte voll Verzweiflung hinzu, ſie zu vertheidigen; vielleicht aber wuͤrde ich dennoch zu unvermoͤgend geweſen ſeyn, wenn nicht meiner Schweſter Sohn, ein Meiſter von ſieben freyen Kuͤnſten, wider ſeinen Wil - len mir beygeſtanden, und das ganze Packet unter den Tiſch geworfen haͤtte, mit der Verſicherung: Es ſey nur Maculatur. Der Jgnorant! Als meine Erben noch mit dieſer Hausſuchung beſchaͤfftigt wa - ren, merkte ich einen Haufen Bediente, welche im Namen ihrer Herrſchaft ein gewiſſes Compliment herſagen mußten, daß ſie das herzliche Beyleid nannten. Die Bekuͤmmerniß uͤber meinen Tod mochte in der ganzen Stadt gleich ſtark, und all - gemein ſeyn, denn ihre Formulare endigten ſich alle mit den Worten: Daß der Himmel den betruͤb - ten Hinterlaßnen dieſen empfindlichen Verluſt durch anderweitige Gluͤcksfaͤlle reichlich erſetzen moͤchte! Allein der kraͤftigſte Troſt lag ſchon in der Kammer, und meine Muhme war ſo boshaft, einer gewiſſen Nachbarinn, welche ihr den Sohn eines reichenKauf -23von den abgeſchiednen Seelen. Kaufmanns abſpaͤnſtig gemacht hatte, anwuͤnſchen zu laſſen, daß der Himmel dieſelbe vor dergleichen Trauerfaͤllen jederzeit bewahren ſollte.

Nunmehr ward alles zu meiner Beerdigung ver - anſtaltet, man eilte damit ganz ungewoͤhnlich, und, ſo bald der Schneider alles gekauft und zurechte ge - macht hatte, was zu einer ſchmerzlich gebeugten Miene gehoͤrt; ſo gab man Geld uͤber Geld, mich aus dem Hauſe zu bringen. Dieſes geſchahe endlich unter einer anſehnlichen Begleitung. Man brachte meinen Koͤrper in die Kirche, mit Beobachtung al - ler derer klaͤglichen Gebraͤuche, ſo diejenigen ver - dienen, welche ein ruͤhmliches Ende nehmen, und Mit - tel hinterlaſſen. Zuletzt trat noch ein Redner auf, welchem meine Erben in einem verſiegelten Paͤcktchen vorher alle meine Tugenden begreiflich gemacht hatten. So zufrieden ich jederzeit in meinem Leben mit mir ſelber geweſen bin, ſo zweifelhaft war ich doch uͤber dieſer Lob - und Trauerrede, ob ich es auch wirklich ſey, welchen er meyne. Jch ſahe mich in der ganzen Kirche um, in der Meynung, vielleicht noch eine andre Leiche zu finden, auf welche alle dieſe Lobeserhebungen gehen ſollten; ich fand aber der - gleichen nirgends, und nunmehr merkte ich, daß ich es ſelbſt in ganzem Ernſte ſeyn muͤßte. Er nennte mich einen großen, beruͤhmten, gruͤndlichgelehrten Mann, eine Stuͤtze der Wiſſenſchaften, ſeinen Maͤ - cenaten. Und das mochte noch gehen; fuͤr zwoͤlf Ducaten war es eben nicht zu viel. Er verſchwen - dete mehr, als zwanzig Figuren, die Bekuͤmmerniß abzuſchildern, welche meine Erben uͤber das fruͤh -B 4zeitige24Ein Traumzeitige Abſterben ihres Herrn Vetters empfunden, und dieſe waren aus Dankbarkeit ſo beſcheiden, daß ſie ſich unter dem Flore verſteckten, um ihn nicht oͤffentlich zu widerlegen. Er ſchrieb ihnen verſchied - ne andaͤchtige Recepte vor, welche bey Stillung der Thraͤnen ſehr probat ſeyn ſollten, das haͤtte der ehrliche Mann wohl erſparen koͤnnen! Jch hoͤrte ihm aber dennoch mit vieler Geduld zu. Endlich mach - te er es gar zu arg. Er ſchwur, und er ſchwur mit einer ſolchen Heftigkeit, daß er ganz braun im Ge - ſichte ward; er ſchwur, ſage ich, daß ich zwar ein groſ - ſer Gelehrter, aber noch ein groͤßerer Menſchen - freund, ein ſtarker Befoͤrderer der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, aber noch ein weit ſtaͤrkerer Ver - theidiger der Wittwen und Waiſen geweſen waͤre. Meine vergnuͤgte und begluͤckte Ehe ſey eine ſicht - bare Vergeltung dieſer ſeltnen Tugenden gewe - ſen. Brechet hervor! rief er, brechet aus eurer Gruft hervor, ihr vermoderten Gebeine der wei - land Hochedelgebornen Frauen, Frauen Himmel; wie erſchrack ich, als ich hoͤrte, daß er meine verſtorbne Frau citirte! Jch floh, ohne mich umzuſehen. Jch floh voll Angſt zur Kirche hinaus.

Aus Furcht, die hochedelgebornen Gebeine moͤchten mir nachkommen, ſchwang ich mich in die Hoͤhe, und erblickte daſelbſt eine große Menge abge - ſchiedner Seelen, welche mir theils fremd, theils bekannt waren. Dieſer unvermuthete Anblick ſetz - te mich in Erſtaunen. Jch machte vor Verwun - derung ein paar ſo große Augen, wie ein Wuͤrzkraͤ -mer25von den abgeſchiedenen Seelen. mer in Ritzebuͤttel, wenn er in ſeinem Leben zum erſtenmale auf die Boͤrſe nach Hamburg koͤmmt. Eine ſo zahlreiche Verſammlung von Geiſtern haͤtte ich mir an dieſem Orte nimmermehr vermuthet. Alle ihre Beſchaͤfftigungen kamen mir fremd und ungewoͤhnlich vor. Jch war neugierig, und doch un - entſchloſſen. Jch wußte nicht, wo ich mich zuerſt hin - wenden ſollte, und gleichwohl war ich noch nicht be - herzt genug, mich zu einer von dieſen abgeſchiednen Seelen zu nahen, und ſie um dasjenige zu befragen, was mir zweifelhaft war.

Eine ſehr lebhafte Seele, wie etwan die Seelen der jungen Herren ſeyn moͤgen, merkte dieſe meine Befremdung am erſten. Wir kannten beide ein - ander nicht; aber ſie war ſo gefaͤllig, daß ſie auf mich zuflog, mich tauſendmal auf das vertrauteſte umarmte, und ſagte: Ganzunterthaͤniger Diener, mein allerliebſter Herr Bruder! Jch bin erfreut, daß ich die Ehre haben ſoll, Sie hier zu finden. Kann ich Jhnen in etwas dienen, ſo bitte ich ganz gehorſamſt, befehlen Sie nur. Nichts auf der Welt ſoll mir angenehmer ſeyn, als wenn ich im Stande bin, Jhnen eine Gefaͤlligkeit zu erzeigen. Sie koͤn - nen Sich ſicher auf meine Verſchwiegenheit und Bereitwilligkeit verlaſſen. Nehmen Sie es nicht fuͤr ein bloßes Compliment an! Es iſt, hohl mich der Teufel! mein Ernſt; ich ſtehe allemal zu De - ro Befehl. Er umhalſte mich von neuem, und ich war eben im Begriffe ein ſo liebreiches Anerbie - ten mit vielem Danke anzunehmen, als er ſich auf dem Abſatze herumdrehte, mit dem Munde pfiff,B 5mich26Ein Traummich allein ließ, und im Fortgehen mit einer hei - ſchern Stimme einige Verſe ſang, von denen ich wei - ter nichts, als dieſe Worte, verſtehen konnte:

Je quitterai le jour
Plûtôt, que mon amour,
Quand j aime, quand j aime.

Jch ſahe, daß er einige Schritte von mir eine glei - che Dienſtfertigkeit einer andern Seele, unter vielen Kuͤſſen und Umarmungen, zuſchwur, welche er viel - leicht eben ſo wenig kannte, als mich. Wenigſtens verließ er ſie eben ſo geſchwind wieder, und ich konn - te daraus ſchließen, daß ſeine ganze Beſchaͤfftigung nur in Freundſchaftsverſicherungen beſtuͤnde.

Dieſer Vorfall hatte mich noch zweifelhafter ge - macht, als ich anfangs geweſen war. Jch hatte das Herz nicht, mich nach demjenigen, was ich ſah, zu erkundigen; aus Furcht, ich moͤchte noch einmal in die dienſtfertigen Haͤnde eines jungen Herrn fallen. Jn dieſer Ungewißheit erblickte ich, nicht weit von mir, eine Seele, welche auf alles dasjenige aufmerk - ſam zu ſeyn ſchien, was in dieſer Gegend vorgieng. Jch merkte deutlich an ihr, daß ſie noch etwas wich - tigers, als eine bloße Neugierigkeit, aufmerkſam machte. Zuweilen ſchienen ihre Mienen ernſthaft zu ſeyn, zuweilen aber verriethen ihre Blicke etwas ſpottendes, und, wenn ſie auch lachte, ſo geſchah dieſes doch mit einer ſo edlen Art, daß man die deut - lichſten Spuren von Mitleid und Liebe dabey wahr - nahm. Jch wuͤrde ſie um deswillen fuͤr niemand anders, als fuͤr die abgeſchiedne Seele des engliſchen Zuſchauers gehalten haben, wenn ſie nur ein kurzesund27von den abgeſchiednen Seelen. und breites Geſicht gehabt haͤtte. Weil ich es alſo nicht ſelbſt errathen konnte, ſo faßte ich das Herz, mich ihr zu naͤhern. Jch eroͤffnete ihr mein Anlie - gen, und ich merkte, daß ſie uͤber meine Fragen ver - gnuͤgt war. Sie reichte mir die Hand, und ſagte: Jch will dein Verlangen erfuͤllen. Seitdem ich von meinem Koͤrper getrennt worden, ſeitdem iſt die - ſes mein einziges Vergnuͤgen, daß ich auf die Handlungen der abgeſchiednen Seelen Acht habe. Eben dieſes war vormals meine Beſchaͤfftigung, daß ich auf meine Mitbuͤrger Achtung gab. Jch zeigte ihnen in Schriften, worinnen ſie fehlten, und wo - durch ſie ihre Gluͤckſeligkeit befoͤrdern koͤnnten. Folge mir! Du wirſt alles erfahren, was dir nuͤtzlich ſeyn kann. Jch bat ſie, mir ihren Nahmen zu ſa - gen. Sie that es, nachdem ich ihr vorher in die - ſem Stuͤcke alle Verſchwiegenheit verſprechen muͤſ - ſen. Meine Leſer werden mir verzeihen, daß ich hierinnen mein Verſprechen halten muß. Die ab - geſchiednen Seelen ſind noch etwas gewiſſenhafter, als die Seelen der Liebhaber. Vielleicht war es die Seele eines Biedermanns? Eines Einſiedlers? Eines Patrioten? Eines Freymaͤurers? Ja, vielleicht; doch ich werde mich daruͤber nicht weiter erklaͤren. Vielleicht war es aber auch die Seele des Rubens.

Nicht weit von uns ſah ich einen großen Zulauf von Seelen, und das Getuͤmmel, welches ſie verur - ſachten, machte mir Luſt, naͤher hinzuzugehen. Mein Fuͤhrer warnte mich anfaͤnglich, mit der Verſiche - rung, daß man in dieſem Gedraͤnge gar leicht Schlaͤge bekaͤme. Jch wagte es aber dennoch, undbat28Ein Traumbat ihn, mich zu begleiten. Jch will es endlich thun, ſagte derſelbe, allein, entdecke mir vor allen Dingen, ob du ein Poet biſt? Dieſer Zweifel gieng mir durch die Seele, und in meinem Leben haͤtte ich es niemanden rathen wollen, eine ſo unbehutſame Frage an mich zu thun. Jch empfand den ſchmerz - lichen Verluſt meiner zuruͤckgelaßnen Schriften auf einmal wieder. Jch war ſo thoͤricht, daß ich um - kehren, und einige gedruckte Beweiſe holen wollte. Jch gab ſolches meinem Fuͤhrer zu verſtehen; allein, er machte mir eine ſo ernſthafte Miene, daß ich mich uͤber meine Autorſchaft zum erſtenmale ſchaͤmte. Jch verſicherte ihn alſo nur mit furchtſamen Geberden, daß ich in meinem Leben kein Feind der Dichtkunſt geweſen waͤre. Das iſt gut, ſagte er, ich habe die - ſe Frage deswegen an dich gethan, weil man ſich in dieſer Gegend, welche du betrachten willſt, ohne eine Kenntniß der Gemuͤthsarten, und Ausſchwei - fungen der Poeten in gar nichts finden kann. Du wirſt wunderliche Gegenſtaͤnde ſehen. Es ſcheint, als ob ſich die Natur an dieſem Orte ver - loren haͤtte, und du wirſt finden, daß daſelbſt alle Handlungen nicht ſo ſind, wie ſie natuͤrlicher Weiſe zu ſeyn pflegen, weil dergleichen Poeten nicht ſo den - ken, wie ſie natuͤrlich denken ſollten. Die ganze Gegend, fuhr er fort, wird beſonders von einer Seele in Bewegung geſetzt, welche ſich in ihrem Le - ben durch poßierliche Handlungen von andern unter - ſchieden hat. Jhr ganzer Aufzug ſieht einem Trau - me aͤhnlicher, als einer wirklichen Begebenheit, welches eben daher koͤmmt, daß dieſe Seele mitder -29von den abgeſchiedenen Seelen. dergleichen Traͤumereyen ſich in ihrem Leben an mei - ſten beſchaͤfftigte. Sie hat in jener Welt die edlen Bemuͤhungen vernuͤnftiger Maͤnner um den guten Geſchmack ſehr uͤbel verſtanden. Was jene durch Wiſſenſchaft und Beſcheidenheit erhielten, das ſuch - te ſie durch Geſchrey und Ungeſtuͤm vergebens zu erhalten.

Mein Fuͤhrer wollte weiter reden, allein, ich war aus Neubegierde ſo ungeduldig, daß ich ihn bey der Hand faßte, und mich durch den Poͤbel draͤngte. Jch ſahe auf einem hohen Geruͤſte eine Seele, in der gewoͤhnlichen Pracht eines Markt - ſchreyers, fuͤr welchen ich ihn gewiß gehalten haben wuͤrde, wenn nicht, wie gedacht, mein Fuͤhrer mir vorher geſagt haͤtte, daß es ein Charlatan des gu - ten Geſchmacks ſey. Er hatte ſich auf einem erhab - nen Orte, wo er alles uͤberſehen, und ein jeder auch ihn wahrnehmen konnte, das Geruͤſte erbaut. Je - doch war die Architektur daran ſehr gothiſch und ab - geſchmackt, und die Verzierungen waren ganz un - gleich. Einige Stuͤcke davon beſtunden in Schnitz - werke, welche ſehr praͤchtig und mit vieler Kunſt aus - gearbeitet zu ſeyn ſchienen. Mein Fuͤhrer verſicherte mich, daß dieſer Charlatan ſolche aus alten Tempeln entwendet, in welchen man ſie als merkwuͤrdige Ueber - reſte der griechiſchen und roͤmiſchen Architektur auf - gehoben, verſchiedne aber durch einige ſeiner Ban - de, ſo er zu Londen und Paris deswegen unterhal - ten, erbeutet haͤtte, und nunmehr ſo unverſchaͤmt ſey, ſolches fuͤr ſeiner eignen Haͤnde Arbeit aus - zugeben, ungeachtet man ihn mehr als einmalſeiner30Ein Traumſeiner Dieberey zu uͤberfuͤhren gewußt, und ihm ſo gar die Oerter genannt, wo er ſie herbekommen habe. Dieſe Nachricht ſchien mir ſehr glaublich, denn ich ſah, daß dieſe gekaperten Zierrathen kaum den vierten Theil ſeines Theaters ausmachten, die uͤbrigen drey Theile aber aus Kloͤtzern, und ungeho - beltẽ Bretern, zum Theile aber aus Puppenwerke und ſolchem Geraͤthe beſtunden, welches man den Kindern zum Spielen giebt. Alles dieſes war ſehr unordent - lich zuſammen genagelt, und es ſchien ſo baufaͤllig zu ſeyn, daß es alle Augenblicke einzufallen drohte. Es wuͤrde vermuthlich auch geſchehen ſeyn, wenn nicht verſchiedne Perſonen, welche ſeine Liverey trugen, ſol - ches mit vieler Sorgfalt unterſtuͤtzt haͤtten. Gleichwohl ſchien bey dieſen mißlichen Umſtaͤnden ihr Principal ganz unbeſorgt zu ſeyn. Er gieng mit ſtarken Schritten auf dieſem Geruͤſte hin und wie - der, und ſo oft er ſeine Medicamente anpries, ſo re - dete er mit einer ſolchen zuverſichtlichen Stimme, daß das ganze Gebaͤude davon erſchuͤtterte. Nie - mals habe ich etwas uͤbermuͤthigers geſehen, als dieſen Charlatan. Jn ſeinem Geſichte war er ſehr haͤßlich und ungeſtalt; gleichwohl konnte man es ihm von weitem anſehen, daß er ſich geſchminkt hatte, und dem ungeachtet war er ſo eitel, zu glauben, daß er der ſchoͤnſte Charlatan ſeiner Zeit ſey. Man hat es, wie mir mein Fuͤhrer erzaͤhlt, vielmals ver - ſucht, ihm aus ſeinem Jrrthume zu helfen, und ihm um deswillen Spiegel vorgehalten; Allein dadurch iſt er jedesmal ſo erbittert geworden, daß er nicht allein die Augen feſt zugedruͤckt, ſondern auch denSpiegel31von den abgeſchiednen Seelen. Spiegel ſelbſt mit einem Knittel, den er gemeinig - lich ſeinen Beweis zu nennen pflegte, zerſchlagen, und auf diejenigen losgepruͤgelt, welche es mit ihm ſo redlich gemeynt, und ihm ſeine Haͤßlichkeit zeigen wollen. Seine Kleidung ſah natuͤrlich ſo aus, wie das fuͤrſtliche Gewand eines von denen thea - traliſchen Prinzen, welche in kleinen Staͤdten die Jahrmaͤrkte beſuchen, und ihre ganze Monarchie auf dem Schubkarren herumfuͤhren. Sie war an verſchiednen Orten dergeſtalt zerriſſen, daß ſie nicht einmal ſeine Bloͤße voͤllig bedeckte, welchem Uebel er dadurch abzuhelfen ſuchte, daß er uͤber die Loͤcher verſchiedne Sinngedichte und Heldenoden klebte, welche ſeine Anhaͤnger ihm zu Ehren verfer - tigt hatten. Bey den gemeinen Marktſchreyern habe ich gefunden, daß ſie ihr Theater durch Ankle - bung verſchiedner Zeddel anſehnlich machen, wel - che dem Poͤbel von ihren verrichteten Wunderwer - ken Nachricht geben, und daß ſie ihre Geſchicklich - keit durch die erdichteten Privilegien von Allerun - uͤberwindlichſten, Allerdurchlauchtigſten, und Groß - maͤchtigſten Haͤuptern glaubwuͤrdig machen wollen. Jn dieſem Stuͤcke war es hier ganz anders be - ſchaffen. Sein Theater war uͤber und uͤber mit Dedicationen und Vorreden beklebt, und an denen Orten, welche am meiſten in die Augen fielen, war ſein Bildniß unter vielerley Geſtalten zu ſehen, welche jedoch wenigſtens darinnen einander aͤhnlich ſahen, daß ſie allerſeits entweder mit Lorbeerzwei - gen oder mit einem gewiſſen Glanze ausgeziert waren, der die Unſterblichkeit vorſtellen ſollte. An ſtattder32Ein Traumder Privilegien aber fuͤhrte er einen großen Blaſebalg in der Hand, welchen er allemal zuſammen druͤckte, ſo oft er von der Liebe zum Vaterlande redete.

Einen Umſtand kann ich nicht unberichtet laſ - ſen, weil er mir einige Nachricht von der Religion unſers Charlatans gab. Auf der erſten Seite des Theaters ſtund das Goͤtzenbild eines Frauen - zimmers, in eben der Geſtalt, wie es ein großer engliſcher Autor beſchrieben hat; den ich aber nicht nennen will, weil man ſonſt gar zu leicht errathen wuͤrde, wem ich dieſe Erzaͤhlung zu danken habe. Dieſes Goͤtzenbild trug eine Krone von Federſpuh - len, welche nach Art der Amerikaner in einer Run - dung aufgeſteift waren. An derſelben hiengen die Namen verſchiedner alter und neuer Schrift - ſteller, welche ſie als Ketzer zum Tode verdammt hatte, weil ſie ſich geweigert, ſie als eine Gottheit anzubeten. Jhr Kopf, welcher keine Augen hatte, war ungeheuer, noch groͤßer aber ihr Bauch, und hierinnen habe ich nichts aͤhnlichers geſehen, als den Abgott der alten Deutſchen, welchen ſie den dicken Puͤſter nennten, und deſſen ſich die Betruͤgerey der heydniſchen Prieſter zum Schrecken des Volks zu bedienen wußte, wenn ſie ihn durch ein geheimes Triebwerk Feuer ſpeyen ließen; ungeachtet er nur ein Klotz war. Jhre Haͤnde waren ſehr ſtark und plump. Jn der linken hielt ſie ein Fernglas, wel - ches ſie aber nicht brauchen konnte, weil ſie blind war; gleichwohl merkte ich, daß ſie es vor ihr Ge - ſicht hielt, um den Mangel der Augen zu verbergen. Jn der rechten Hand hatte ſie ein Gefaͤß voll Dinte,das33von den abgeſchiednen Seelen. das ſie denen in die Augen zu ſchuͤtten drohte, welche ſich nicht entſchließen konnten, ſie fuͤr eine Gottheit zu erkennen. Sie ſaß auf einem ſehr erhabnen Thro - ne, welcher aber nur aus einem aufgeblaſenen Schlauche beſtund, ſo wie etwan diejenigen geweſen ſind, in denen die Goͤtter der Heiden ihre Winde verwahrten. Unter ihren Fuͤßen lag ein nacktes Frauenzimmer, deſſen Name mir unbekannt blieb, welches aber vermuthlich ihre aͤrgſte Feindinn ſeyn mochte. Dieſem Goͤtzenbilde nahte ſich unſer Charla - tan, ſo oft er merkte, daß ſeine Hitze und ſein Eifer fuͤr das allgemeine Wohl einigermaaßen nachließ. Er betete ſie mit eben der Niedertraͤchtigkeit an, mit wel - cher er ſelbſt verehrt ſeyn wollte, und opferte ihr je - desmal auf einem kleinen Altare einige gelehrte Blaͤt - ter, welche bloß dadurch das Feuer verdient hatten, weil nicht er, ſondern ein andrer, ſie geſchrieben. Das ſicherſte Zeichen einer gnaͤdigen Erhoͤrung war dieſes, wann ihm unter ſeiner andaͤchtigen Beſchaͤff - tigung der Schaum vor den Mund trat, und er ein gelehrtes Zucken in ſeinen Haͤnden empfand, ſo wie es etwa bey den heftigſten Paroxyſmis neidiſcher und zaͤnkiſcher Schriftſteller ſeyn mag. Dieſes Augen - blicks bediente er ſich mit großem Nutzen, und als - dann war er am geſchaͤfftigſten, ſeine gelehrten Medi - camente unter die Zuſchauer austheilen, ihnen die probateſten Recepte des guten Geſchmacks vorzu - ſchreiben, und von denen Wundern zu erzaͤhlen, wel - che dieſe Univerſalarzneyen bey verſchiednen ſeiner kindlichgehorſamſten Patienten gewirkt, die ſie mit offnem Munde verſchlungen hatten.

Zweyter Theil. CSein34Ein Traum

Sein groͤßtes Geheimniß beſtund in einer gewiſ - ſen Art Pillen. Eine jede Doſe davon wickelte er in eine von den Lobſchriften, welche man ihm zu Eh - ren, und der Nachwelt zur Erbauung, verfertigt hatte, und dadurch erlangte er einen doppelten Nu - tzen, weil er auf ſolche Art den Leuten ſeine Pillen, und ſeinen Ruhm, zugleich beybrachte. Jn der That hat - ten dieſe Pillen eine erſtaunende Wirkung. Kaum hatte ſie der Patient eingenommen, als er ein hefti - ges Grimmen im Gehirne empfand, das ſo lange anhielt, bis ſich die Natur half, welches aber nicht nach dem ordentlichen Laufe der Natur geſchah; ſon - dern alle Unreinigkeiten giengen durch die Finger weg, und was mir dabey am ſeltſamſten vorkam, ſo fiengen die meiſten der Patienten dieſe Unreinigkeiten mit einem Papiere auf, welches ſie ſodann mit einer demuͤthigen Verbeugung ihrem Arzte ſelbſt widme - ten, und zu fernerer Befoͤrderung des guten Ge - ſchmacks uͤberreichten. Sodann erhielten ſie von ihm die Gewalt, unter ſeiner Aufſicht andre zu curiren. Jch habe gemerkt, daß ſie in ihrer Cur oftmals viel heftiger waren, als ihr Oberhaupt, und ich habe es mit meinen Augen geſehen, daß einer derſelben nur einige Schritte von mir einem der Zuſchauer eine ziemliche Anzahl Pillen in den Hals ſteckte, um ihn auch wider ſeinen Willen von dem uͤbeln Geſchmacke zu curiren. Jch habe vergeſſen, zu erinnern, daß der Anfuͤhrer dieſer kleinen Charlatane erſchreckliche Abentheuer von ſeinen Curen zu erzaͤhlen wußte. Das war ihm viel zu wenig, zu ſagen: Dieſen oder jenen gebrechlichen Mann habe ich durch meineherr -35von den abgeſchiednen Seelen. herrlichen Elixiere, durch meine vortrefflichen Pillen curirt! Nein! Zum wenigſten ſein ganzes Vater - land war es, dem er geholfen hatte, und ſo oft ſeine Pillen bey einem Patienten ſo, wie ich oben erzaͤhlt habe, durchſchlugen, ſo oft gratulirte er auch dem ganzen gemeinen Weſen. Beynahe haͤtte ich den wichtigſten Umſtand ganz mit Stillſchweigen uͤber - gangen. Ordentlicher Weiſe haben unſre Markt - ſchreyer etliche Schnuren angereihter Zaͤhne an dem Halſe hangen, welche ſie preßhaften Patienten ausgeriſſen haben, und nunmehr als Siegeszeichen herumtragen. Meine Leſer koͤnnen wohl glauben, daß unſer Arzt dergleichen redende Zeugen ſeiner Ge - ſchicklichkeit und Erfahrung eben ſo wohl an ſich han - gen hatte. Zwar waren es keine Zaͤhne, an deren Stelle aber eine große Schnur zuſammengereihter und auserleſener Donatſchnitzer, welche er aus den Schriften gelehrter Maͤnner herausgehoben hatte. Jch konnte mich bey dem Anblicke dieſer koſtbaren Pracht unmoͤglich des Lachens enthalten; zu meinem groͤßten Ungluͤcke aber ward ich von einem dieſer witzi - gen Adepten daruͤber entdeckt, weicher ſich durch die andern Geiſter draͤngte, und, indem er auf mich zu - eilte, einmal uͤber das andre rief: Halt auf! Halt auf! Jch ſuchte, mich unter dem Volke zu verber - gen, er fand mich aber dennoch, und als er mich an - gepackt hatte, ſagte er: Laſſe ſich der Herr curiren! Der Herr hat den Staar, einen gefaͤhrlichen Staar! Er koͤmmt nicht aus meinen Haͤnden, bis ich ihm denſelben geſtochen habe! Halte der Herr im Guten, oder ich brauche Gewalt! Hier half weder BittenC 2noch36Ein Traumnoch Drohen; er fiel uͤber mich her, warf mich zu Boden, und ich wuͤrde gewiß die erſchrecklichſten Experimente haben ausſtehen muͤſſen, wenn nicht mein Begleiter, ich weis nicht mehr, was fuͤr ein Mittel, ausfuͤndig gemacht haͤtte, mich den Klauen meines barbariſchen Wohlthaͤters zu entreißen.

Jndem ich noch vor Schrecken außer mir war, ſo kam ein Schatten, welcher dieſe Gewaltthaͤtigkei - ten von ferne wahrgenommen haben mochte, in vollem Laufe auf mich zu. Proteſtiren Sie, mein Herr, rief er, als er wohl noch zehen Schritte von mir war, proteſtiren ſie! Ergreifen ſie das heilſa - me beneficium appellationis! Sie koͤnnen es be - zahlen, ich ſehe es Jhnen an, Sie haben die gerech - teſte Sache von der Welt. Jch diene Jhnen mit Vergnuͤgen, und ich will es billig machen, Sie ſollen es erfahren. Wir wollen unſern Gegner ermuͤ - den, bis er ſelbſt kommen, und einen Vergleich anbieten ſoll. Jch will Jhnen fuͤr ein weniges Geld Zeugen ſchaffen, ſo viel Sie verlangen. Be - fehlen Sie etwan alte Documente? Jch will gleich welche zurechte machen. Wir wollen die Sache durch alle Jnſtantien durchſetzen, und verlangen Sie es, ſo muͤßte ich meine Praxin ſchlecht verſte - hen, wenn ich es nicht in moͤglichſter Kuͤrze dahin bringen wollte, daß Jhr Rechtshandel in dreyßig Jahren noch eben ſo verwirrt ausſehen ſollte, als er itzt iſt. Jch bin recht dazu geboren, meinen bedraͤngten Clienten beyzuſtehen. Feige werde ich, dem Himmel ſey Dank, auch durch nichts, und im Schreiben bin ich unermuͤdet, ſo lange ich nocheinen37von den abgeſchiedenen Seelen. einen Finger ruͤhren kann. Aber Geld muͤſſen Sie freylich haben; denn ich und Jhr Richter koͤn - nen ohne Geld die Sache nicht recht einſehen. Was betreffen denn Jhre Streitigkeiten? Machen Sie mir nur einen kleinen ſtatum cauſſæ, einen ganz kleinen ſtatum cauſſæ! Aber ja kurz, ſo kurz als immer moͤglich, denn ich bin kein Liebhaber von Weitlaͤuftigkeiten. Jch erſtaunte uͤber die bos - hafte Dienſtfertigkeit dieſer kleinen geſchwaͤtzigen See - le, welche ihr kurzer Mantel kenntlich machte, und die ſo voll Begierde nach meiner gerechten Sache um mich herum ſprang, daß ſie nicht ein Auge von meinem Schubſacke verwandte. Jch fieng ſchon an, zu zweifeln, ob ich den praktiſchen Haͤnden mei - nes rechtlichen Beyſtandes entgehen, und ohne Pro - ceß von ihm loskommen wuͤrde, als ich mich be - ſann, ihn zu bitten, daß er mir ſein Wort halten, und in einer ſehr wichtigen, meine Ehre und ganze Gluͤckſeligkeit betreffenden, Sache, die ich ihm gleich entdecken wuͤrde, treulich beyſtehen, vor allen Din - gen aber bey meinem Richter es dahin bringen ſoll - te, daß ich das Armenrecht erlangen moͤchte. Das Armenrecht! rief er mit einer kleinmuͤthigen Stim - me. Jch wollte Jhnen gern dienen, aber ich ma - che mir ein Gewiſſen daraus, eine Sache anzuneh - men, welche ich gleich beym erſten Anblicke unbil - lig finde. Streiten Sie ja nicht, Sie haben das groͤßte Unrecht von der Welt! Vergleichen Sie Sich in der Guͤte, ich rathe es Jhnen wohlmeynend. Zum wenigſten werde ich mich wohl huͤten, an Jh - rem boshaften Vorhaben Theil zu nehmen. SieC 3ſollten38Ein Traum ſollten ſich ſchaͤmen, einem ehrliebenden und gewiſ - ſenhaften Advocaten, wie ich bin, dergleichen An - trag zu thun! Leben ſie wohl!

Jch freute mich, daß ich ein Mittel gefunden hatte, mich auf eine ſolche Art von dieſem verdruͤß - lichen Handel los zu wickeln. Doch dieſe Freude war nur von kurzer Dauer. Denn ehe ich mir es verſah, ſprang eine Seele mit einem großen Ko - ber hinter einem Buſche hervor, und auf mich los. Jch erſchrack, wie leicht zu glauben iſt, da ich mir an dieſem einſamen Orte von einem ſo unvermuthe - ten Ueberfalle nichts gutes verſprechen konnte. Jch floh, ohne mich umzuſehen, und war vor Angſt außer mir, als ich fuͤhlte, daß man mich bey den Haaren hielt. Jch wandte mich um, in der Abſicht, mei - nem Verfolger zu ſagen, daß ich kein Geld haͤtte. Aber wie groß war mein Erſtaunen, als dieſer ſich mit einer demuͤthigen Geberde, jedoch ohne meine Haare loszulaſſen, vor mir buͤckte, und zu mir ſagte: Der Ehrfurcht gieb es Schuld, geprieſner Maͤcenat, Das ich aus reger Glut mit demuthsvollen Haͤnden Den Wunſch Jch habe nicht einen Dreyer in meinem ganzen Ver - moͤgen; war meine Antwort. Darauf ließ er mich mit einer veraͤchtlichen Miene los, und ich ſah ihn zu einem großen Schwarme kleiner Geiſter eilen, welche einer dicken Seele nachliefen, aus deren praͤchtigem Anzuge man ihre großen Verdienſte und Gaben ei - nigermaaßen wahrnehmen konnte. Jhr Geſchrey war ſo verwirrt, daß ich anfangs nicht zu errathen vermochte, was es bedeuten ſollte.

Jch39von den abgeſchiednen Seelen.

Jch wagte es aber, naͤher hinzuzugehen, und hoͤrte einen Miſchmaſch von Altaͤren, von Zierde des Vaterlandes, von Wundern ſeiner Zeit, von Nach - welt, von Unſterblichkeit, und von hundert ſchoͤnen Sachen, deren eine jede, durch die Bank gerechnet, wenigſtens einen Gulden werth war. Beſonders kam mir eine etwas klare Stimme ſehr bekannt vor, welche um ihr Anliegen recht feurig zu verſtehen zu geben, immer uͤber das dritte Wort, O! rief. Es war luſtig anzuſehen, wie unermuͤdet dieſe kleinen Geiſter ihrem beſungnen Helden nachliefen, welcher, wie man deutlich merken konnte, von dem vielen Weihrauche mehr und mehr aufſchwoll, und durch ſeine hohen Blicke zu verſtehen gab, daß er ſich die - ſes Ruhms allerdings nicht unwuͤrdig erkennte. Endlich erbarmte er ſich ſeiner Clienten, kehrte ſich um, und blieb ſtehen. Dieſes vermehrte den Laͤrm. Die kleinen Seelen ſtolperten uͤber einander weg, und draͤngten ſich, weil eine jede die naͤchſte ſeyn wollte. Sie hielten die offnen Haͤnde empor, und ſahen alle mit ſehnlichen Blicken auf den patrioti - ſchen Geldbeutel ihres theuern Goͤnners, welcher auch in der That großmuͤthig genug war, und durch eine reiche Spende ihren ehrfurchtsvollen Magen befriedigte. Jch fragte eine davon, welche ſich vor andern hervorgethan, und ganz aus dem Athem ver - goͤttert hatte; wer denn dieſer beruͤhmte und tugend - hafte Mann ſey? wie er heiße? wodurch er ſich um ſein Vaterland ſo verdient, und eines ſo ausnehmenden Lobes wuͤrdig gemacht haͤtte? Das weis ich alles nicht, antwortete ſie mir kaltſinnig; aber heute iſt ſein Geburtstag!

C 4Zwo40Ein Traum

Zwo Seelen, die ich anfangs fuͤr Bierſchroͤter anſahe, welche aber, wie ich von meinem Begleiter erfuhr, in ihrem Leben Critici, und ganz abſcheulich gelehrte Maͤnner geweſe[n] ſeyn ſollten, verurſachten einen großen Auflauf in der Gegend vor dem Stadt - thore, wo ſich ſonſt zu gewiſſen Zeiten die Ringer und Klopffechter von dem Poͤbel bewundern laſſen. Sie hatten einander auf die grimmigſte Art bey den Haa - ren angefaßt, und ein jeder bemuͤhte ſich den andern zu uͤberwaͤltigen. Dieſer Kampf war merkwuͤrdig, aber auch ungewiß, weil ſie einander beide gewach - ſen waren. Jch war nicht im Stande, einige Nach - richt von den Urſachen ihrer Verbitterung zu erfah - ren, denn alles, was ich noch hoͤren konnte, waren ſolche Schimpfwoͤrter, welche vielmals der witzigſte Kutſcher nicht gelernt hat, wenn er auch in ſeiner Mutterſprache noch ſo ſtark iſt. Endlich fiel der eine mit großer Heftigkeit zu Boden. Sein Ueberwin - der mochte vermuthlich gerechte Sache haben, denn er ſchlug, aus Liebe zum Vaterlande und zu den ſchoͤnen Wiſſenſchaften, ganz unbarmherzig mit ge - ballter Fauſt auf ihn zu. Sie beſudelten ſich beide, und erregten einen ſolchen Staub, daß ich nicht ver - moͤgend war, weiter etwas von ihnen zu ſehen.

Jch richtete alſo meine Aufmerkſamkeit auf die Umſtehenden, welche auf verſchiedne Art an dieſem Abentheuer Antheil zu nehmen ſchienen. Einige waren ſo muthwillig, daß ſie durch ein unaufhoͤrli - ches Huß! Huß! dieſe erhitzten Vertheidiger der Wahrheit in ihren kritiſchen Unterſuchungen nochmehr41von den abgeſchiednen Seelen. mehr anfeuerten, und ſo oft ein Schlag geſchah, ſo oft bezeigten ſie durch ein leichtſinniges Haͤnde - klopfen ihren Beyfall; j〈…〉〈…〉 ich ſah ſo gar, daß ei - nige unter ihnen den〈…〉〈…〉 mpfern Geld zuwarfen, wodurch ſie dieſelben ganz wuͤtend zu machen wuß - tend. Einige der Zuſchauer lachten, und dieſe ſchienen mir am meiſten unparteyiſch zu ſeyn, weil ſie beide fuͤr unſinnig hielten. Andre waren be - muͤht, die Streitenden auseinander zu reißen, aber, ſie bemuͤhten ſich nur vergebens, und verſchiedne waren ſo ungluͤcklich, daß ſie von ihnen in dieſer Unordnung fuͤr ihre guten Abſichten empfindliche Stoͤße bekamen. Die meiſten nahmen Antheil an dieſer Zerruͤttung, und es ſchien beynahe ein allgemeiner Krieg zu werden. Ein jeder ſchlug ſeinen Nachbar in die Augen, ohne ihn zu kennen, oder zu wiſſen, warum? Verſchiedne, welche man vorher gar nicht geſehen noch gekannt hatte, und welche ganz ruhig haͤtten bleiben koͤnnen, verließen ihren Ort, eilten hinzu, und holten ſich Schlaͤge, nur in der Abſicht, damit man ſie kennen lernen moͤch - te, und ſie ſchienen recht vergnuͤgt zu ſeyn, wenn ſie ſahen, daß man auch uͤber ſie lachte.

Endlich wurden unſre beiden Fechter, welche alle dieſe Unruhe veranlaßt hatten, ihres Streits muͤde. Sie giengen von einander, und ich war ſo verwegen, den Ueberwinder, welcher den andern von ſeinem gu - ten Geſchmacke ſo handgreiflich uͤberfuͤhrt hatte, zu fragen, was die Urſache ihres hitzigen Kampfs ge - weſen ſey. Vermuthlich, ſagte ich zu ihm, haben Sie, mein Herr, Sich des wahren Wohls Jhres Vaterlan -C 5des42Ein Traumdes angenommen. Vermuthlich haben Sie eine Wahrheit zu vertheidigen gewußt, ohne welche viel tauſend Menſchen ungluͤcklich haͤtten werden muͤſ - ſen. Jſt es nicht das ewige, ſo wird es doch we - nigſtens das zeitliche Wohl ihrer Mitbuͤrger ſeyn, welches Sie mit Hindanſetzung Jhres Ruhms und Jhrer Ehre vertheidigt haben. Ach! Noch viel mehr! war ſeine Antwort; Noch etwas viel wichtigers! Solche Kleinigkeiten gehen mich nichts an! Be - denken Sie nur einmal, mein Herr, bedenken Sie nur einmal den Raſenden, den Unſinnigen, das Scheuſal der gelehrten Welt, den O! Weiter konnte er vor Zorn nichts ſprechen. Was iſt denn aber das Erſchreckliche, das dieſer Raſende, dieſer Unſinnige begangen hat? Die ganze Natur moͤchte ſich ent - ſetzen! antwortete er mir. Abſcheulicher iſt es nie - mals erhoͤrt worden! Turnus! Die Haare ſtehen mir zu Berge, wenn ich dran gedenke! Ueberlegen Sie es nur ſelbſt! Turnus, ſpricht der verſtockte Boͤſewicht, habe blaue Augen gehabt. Und ich, mein Herr, als ein ſo beruͤhmter Scholiaſt, der ſchon vor zweyhundert Jahren ein großer Mann geweſen iſt; ich habe es ihm aus einem Manuſcri - pte des Virgils bewieſen, daß Turnus ſchwarze Augen hatte, und gleichwohl hat er mir oͤffentlich widerſprochen, da er doch mein Schuͤler geweſen iſt! Jſt das wohl erhoͤrt?

Wer war froher, als ich! Nunmehr ſahe ich, daß die Welt wohl nicht untergegangen ſeyn wuͤrde, wenn mein Held auch nicht Recht behalten haͤtte, und ich freute mich, da ich hoͤrte, daß ſich ein paarKunſt -43von den abgeſchiednen Seelen. Kunſtrichter aus den vorigen Jahrhunderten laͤcher - lich gemacht hatten. Denn, dem Himmel ſey Dank! unſre Kunſtrichter machen es gar nicht ſo. Dieſe unterſuchen die gelehrten Wahrheiten ohne die ge - ringſte Heftigkeit, ohne Eigenliebe, ohne Vorurtheil. Mitten in ihren Streitigkeiten ſind ſie beſcheiden. Sie geben mit Vergnuͤgen nach, ſo bald ſie uͤber - fuͤhrt werden, daß ihre Meynung irrig iſt, und freuen ſich, wenn man ſie davon uͤberfuͤhrt. So machen es unſre heutigen Kunſtrichter in dieſen ge - ſitteten und aufgeklaͤrten Zeiten. Aber vor Alters war es freylich ganz anders!

Dieſes waren ohngefaͤhr meine Betrachtungen, welche ich damals bey mir anſtellte, und ich hieng ihnen mit ſolchem Vergnuͤgen nach, daß ich meinen Fuͤhrer nicht vermißte, welcher ſich indeſſen in die Hoͤhe begeben hatte, und mir, als ich ihm nachſah, winkte, daß ich ihm folgen ſollte. Er zeigte mir von fern in der Stadt die aͤngſtliche Beſchaͤfftigung einer abgeſchiednen Seele. Wir begaben uns naͤher hinzu, und ich ward gewahr, daß ſie ſehr verhungert ausſah. Sie ſchwaͤrmte um einen praͤchtigvergol - deten Wagen, welcher vor dem Hauſe eines Kauf - manns hielt, deſſen Name mir wohl bekannt war, ſehr vielen aber in der Stadt noch bekannter, als mir, iſt, weil ſie ſeinen Staat durch ihren Vorſchuß unterhalten muͤſſen. Anfaͤnglich war ich zweifelhaft, was die Abſicht dieſer unruhigen Seele ſeyn muͤßte, und beynahe haͤtte mich die zerrißne, und uͤbelge - flickte Kleidung auf die argwoͤhniſchen Gedanken ge - bracht, es ſey eine von denen Seelen, welche in derWelt44Ein TraumWelt eine doppelte Berufsarbeit haben, und die Rei - ſenden entweder um ein Allmoſen anſprechen, oder beſtehlen. Allein ich merkte meinen Jrrthum, als ich naͤher kam, und ſah, daß es die wirthſchaftliche Seele des Vaters von dieſem jungen Kaufmanne war. Jch erinnerte mich, ihn in ſeinem Leben ge - kannt zu haben. Er war der Reichſte dieſer Stadt, und darum merkwuͤrdig, weil er ſich, mit oͤkonomi - ſchen Haͤnden, die Schuhe und Struͤmpfe ſelbſt ge - flickt, und es vor allen ſeinen Mitbuͤrgern in der Kunſt, zu hungern, am weiteſten gebracht hatte. Wohl nimmermehr haͤtte er geglaubt, daß ſein landuͤbli - cher Wucher und ſeine exemplariſche Sparſamkeit ſeinem Sohne Gelegenheit geben ſollte, ſich mit la - chendem Muthe, und vollen Haͤnden, desjenigen zu entſchuͤtten, was er unter Sorgen und Kummer ein - zeln zuſammen geſcharrt hatte. Und eben dieſes war die beſtaͤndige Marter, welche ſeine abgeſchiedne Seele ſeit ihrer Trennung vom Leibe gequaͤlt hatte. Jeder Tag gab dem Sohne eine neue Gelegenheit zur Verſchwendung, und alſo auch jeder Tag dieſer Seele eine neue Art von Peinigung.

Eben itzt hatte ſich der Kaufmann eine Kutſche machen laſſen, welche gleich ſo viel koſtete, als ſein Vater durch eine vorſichtige Abſchwoͤrung eines ei - genhaͤndig ausgeſtellten Wechſels ſich und ſeinen Nachkommen zum Beſten verdient hatte. Haͤtte wohl unſrer Seele irgend etwas empfindlicher ſeyn koͤnnen, als dieſes? Wohl hundertmal verſuchte ſie den Kutſcher vom Sitze zu werfen, aber vergebens. Dieſer war zu koͤrperlich, und die Seele zu aͤtheriſch. Sie45von den abgeſchiednen Seelen. Sie fiel den Pferden in den Zuͤgel, ſie brauſten; wei - ter konnte ſie nichts thun.

Sie verließ alſo dieſen ungluͤckſeligen Wagen unter vielen Vermaledeyungen, und ſchwang ſich auf einmal in die Zimmer ihres Sohnes. Jch folgte ihr aus Neugierde nach, und ſahe Wunder. Was konnte ihr erſchrecklicher ſeyn, als der Anblick des koſtbaren Porcellans, der praͤchtige Aufſatz von Glaͤſern, und der Glanz etlicher Spiegel, in welchem allem leider ein todtes Capital von vielẽ hundert Tha - lern ſteckte? Dreymal ſtampfte ſie[auf] das ſuͤndliche Canapee. Fuͤnf und achzig Thaler! rief ſie, und ſeufzte. Eine vergoldete Tapete machte ihr eine neue Beaͤngſtigung. Sie fiel auf das Gold zu, ſie ſuchte es abzukratzen; aber freylich vergebens. Hun - dert Vorwuͤrfe zeigten ſich ihr, aber auch hundert Hoͤllenmartern. Endlich erblickte ſie ein Contobuch. Dieſes ſchien ihr einige Erquickung zu geben. Sie las, ſie ward ruhig, aber dieſe Ruhe war nur von kleiner Dauer. Dann in dem Augenblicke trat ihr Sohn in das Zimmer, hielt ein ſauberbeſchriebnes Pergament in der Hand, auf welchem ich das Wort, Von, deutlich ſehen konnte. Er gieng zur Caſſe, vermuthlich in der Abſicht, ſeine ritterlichen Verdien - ſte geltend zu machen. Welcher entſetzliche Anblick fuͤr unſre Seele! So gar das Contobuch ließ ſie lie - gen. Sie eilte zur Caſſe, ſie ſetzte ſich drauf, ſie ſtemmte ſich nach aͤußerſtem Vermoͤgen, deren Auf - ſchließung zu verhindern, ſie ſuchte ſich des ungluͤck - ſeligen Pergaments zu bemaͤchtigen; aber alles ver -gebens!46Ein Traumgebens! Der Kaufmann ſchloß mit der groͤßten Zu - friedenheit ſeine Caſſe auf. Er langte einen Beu - tel heraus, welcher wenigſtens ſo wichtig war, als ſechzehen Ahnen, und gieng im Triumphe davon. Nim - mermehr werde ich die Verzweiflung vergeſſen, wel - che unſre Seele von ſich blicken ließ. Sie blieb ganz troſtlos auf der Caſſe liegen. Sie umarmte dieſelbe, und rief mit wimmernder Stimme einmal uͤber das andre: O Levi! O Marx! Dieſe Angſt gieng mir nahe. Jch wollte ſie troͤſten. Jch woll - te mir von der Urſache ihres Kummers naͤhere Nach - richt geben laſſen. Jch nahm ſie freundlich bey der Hand, und ſagte: Geben ſie mir doch Was! Geben! rief ſie; ich bin ſelber ein armer un - gluͤcklicher Mann! Helf euch Gott! So ein großer Bengel kann arbeiten! Geht ins Allmoſen! Dieſe Antwort verdroß mich; ich eilte davon.

Jch bezeigte gegen meinen Fuͤhrer wegen verſchied - ner Urſachen ein Verlangen, aus der Stadt, und wieder an dem Orte zu ſeyn, wo wir uns vorher be - funden hatten. Er war ſo gefaͤllig, mich ohne Wei - gerung dahin zu begleiten. Wir ſtunden ſtill, und ſahen uns um, ob wir irgendwo eine Seele in einer Beſchaͤfftigung erblicken moͤchten, welche unſre Auf - merkſamkeit verdiente. Jndem rief jemand hinter mir mit einer gebieteriſchen Stimme: Vorſehn! Jch ſprang auf die Seite, in der Meynung, es waͤ - re vielleicht die abgeſchiedne Seele eines Saͤnften - traͤgers. Wie groß war nicht meine Verwunde - rung, als ich an deren Stelle einen Schatten ſahe,deſſen47von den abgeſchiedenen Seelen. deſſen Kleidung machte, daß ich, nach der Gewohn - heit unſrer Stadt den Huth vor ihm abzog. Er dankte mir mit einer ſtolzen Miene, welche mich be - wog, ihm naͤher in die Augen zu ſehen, und ich fand in ſeiner Geſichtsbildung eine laͤcherliche Vermi - ſchung von Scheinh chmuͤ juͤdiſchen und niedertraͤchtigen uſuraria und Waiſen dennoch eifern kurz aͤrger tuͤffens. *Jn dem eingeſandten Manuſcripte findet ſich hier eine große Stelle, welche, man weis nicht, durch was fuͤr einen ungluͤcklichen Zufall, vermuthlich aber auf der Poſt, der - geſtalt zerrieben, und unleſerlich gemacht worden, daß man, aller angewandten Muͤhe ungeachtet, nicht im Stande geweſen iſt, den eigentlichen Jnnhalt zu erra - then, und die Luͤcken auszufuͤllen. Dieſer Verluſt iſt hoͤch - lich zu bedauern, weil dadurch dieſe ganze Erzaͤhlung ſo dunkel und unverſtaͤndlich gemacht worden iſt, daß man gar nicht errathen kann, wer eigentlich dieſer Schatten geweſen ſeyn muͤſſe, welchen der Herr Verfaſſer im Trau - me geſehen hat. Die Kuͤrze der Zeit hat es nicht erlau - ben wollen, ihn um eine Erlaͤuterung daruͤber zu bitten, zumal da es demſelben gefallen hat, den eigentlichen Ort ſeines Aufenthalts zu verſchweigen. Jnzwiſchen erſucht man denſelben um eine vollſtaͤndige Abſchrift dieſes Cha - rakters. Man hat es ohne ſein Vorwiſſen nicht wagen wollen, ſolchen gaͤnzlich herauszulaſſen, und der Eingriff wuͤrde zwar vielleicht gelehrt, aber dennoch ſtrafbar ge - weſen ſeyn, wenn man ſolchen ſelbſt haͤtte ergaͤnzen, und unſre Arbeit fuͤr das Original deſſelben haͤtte ausgeben wollen. Der beſte Rath hat dieſer zu ſeyn geſchienen,wennUnter ſeinemArme48Ein TraumArme hielt er ein Buch, welches ſehr gebraucht zu ſeyn ſchien. Jch konnte aber auf dem Titel wei - ter nichts leſen, als die Worte: Der allzeit ferti - ge ꝛc. Er ſchien ſehr tiefſinnig zu ſeyn, und mur - melte etwas zwiſchen den Zaͤhnen, wovon ich noch dieſes ganz eigentlich verſtund: Der Ketzer haͤtte mir gar wohl acht pro Cent geben koͤnnen! Jch fragte meinen Begleiter, ob er dieſen verkappten Wuchrer kenne? Er legte mir aber die Hand auf den Mund, und warnte mich, nicht ein Wort mehr von ihm zu reden.

Die Nachricht, daß ſich die Seele des Cicero in Geſellſchaft verſchiedner Griechen und Roͤmer in dem Garten eines nicht weit von hier gelegnen Land - guts habe blicken laſſen, machte unter allen Geiſtern eine große Bewegung. Ein jeder eilte aus Neu - gier dahin, und ich ſelbſt war unter dieſer Zahl. Der Anblick vergnuͤgte mich, und ſeine Mienen, welche et - was großes zeigten, praͤgten mir alle diejenige Ehr - furcht ein, welche man dieſer patriotiſchen Seeleſchuldigwenn man die ganze Stelle aufs ſorgfaͤltigſte ſo drucken ließe, wie ſie in dem Manuſcripte noch zu erkennen gewe - ſen. Vielleicht erlangt man dadurch bey denjenigen Ge - lehrten einen großen Beyfall, welche in dergleichen Art von verſtuͤmmelten Schriften, in denen kein Verſtand iſt, die groͤßte Weisheit ſuchen, und ihren Namen durch deren muͤhſame und wichtige Ergaͤnzung zu verewigen geden - ken. Man erwartet von den deutſchen Grutern und Gronoven alle billige Erkenntlichkeit fuͤr dieſe kritiſche Auf - gabe, und will nur wuͤnſchen, daß durch deren Unterſu - chung nicht zu neuer Heftigkeit und Verbitterung in der gelehrten Republik Anlaß gegeben werden moͤge! 49von den abgeſchiednen Seelen. ſchuldig iſt. Jch bemerkte inzwiſchen dennoch et - was niedergeſchlagnes an ihr, welches von einer Scham herruͤhrte, die ich nicht errathen konnte. Um deswillen nahm ich Gelegenheit, mich bey ei - nem Schatten, welcher dem Cicero folgte, und ſein Freygelaßner geweſen ſeyn mochte, darnach zu er - kundigen. Er hat wohl Urſache, antwortete mir dieſer, niedergeſchlagen und beſchaͤmt zu ſeyn, weil er erfahren, daß man ihn in euerm Lande den un - erbittlichen Haͤnden eines Geſchlechts Preis gege - ben, welches, unter dem Vorwande, ihn zu ehren, ihn laͤcherlich, und, wann es hoch koͤmmt, aus ei - nem roͤmiſchen Conſul zu einem lateiniſchen Sprach - meiſter macht. Die groͤßte Betruͤbniß fuͤr ihn iſt noch dieſe, daß er wegen dieſer Mishandlung ſich bey den Goͤttern ſeines Landes beſchwert, aber zur Antwort erhalten hat; eben dieſes ſey die Strafe, wozu ihn Pluto verdammt, weil man ihm Schuld gegeben, daß er zum oͤftern viel Eitels, und einen unanſtaͤndigen Hochmuth an ſich habe blicken laſ - ſen, welcher nicht beſſer gezuͤchtigt werden koͤnne, als durch ewige Commentatores. Jch erſchrack uͤber dieſes ſtrenge Urtheil des Pluto, welches mir faſt unglaublich vorkommen wollte, wenn ich nicht durch folgende Begebenheit darinnen beſtaͤrkt wor - den waͤre.

Ohngefaͤhr hundert Schritte von uns erblick - ten wir eine Menge tiefſinniger Seelen in beſtaub - ter Kleidung. Jhre Schritte waren ernſthaft, und ihr Gang monarchiſch. Sie ſchienen ſehr uneinig unter einander zu ſeyn, und ie naͤher ſie uns kamen,Zweyter Theil. Ddeſto50Ein Traumdeſto deutlicher hoͤrte man ihren Streit, ſo gar, daß ihr Auffuͤhrer ſich umkehren, und mit drohender Fauſt, und einem fuͤrchterlichen: Me Dius fidius! Friede gebieten mußte. Dieſer Aufzug ſchien die Seele des Cicero ſehr zu befremden. Er vermu - thete ſich eines wichtigen Antrags, und glaubte, wie ich nachdem erfuhr, daß es vielleicht Geſandten eines auswaͤrtigen Volks, oder ſo genannter Bar - baren, waͤren, welche ſich aus Hungersnoth ge - zwungen ſaͤhen, bey dem Rathe und Volke um Brod aus Sicilien oder Aegypten anzuſuchen. Er empfieng ſie mit einer mitleidigen Miene; Aber wie ſehr erſtaunte er nicht, als der Anfuͤhrer dieſer Proceßion ihm eine ſehr wunderliche Verbeugung aus dem Alterthume machte, welche nach Graͤvs Be - richte zu den Zeiten des Ennius unter den jungen Herren in Rom Mode geweſen ſeyn ſoll. Cicero hielt dieſen erſten Anfall ſtandhaft aus, und es ſchien, daß er den Vortrag mit einiger Ungeduld er - wartete. Dieſer erfolgte endlich, nachdem der Orator dieſer Geſandſchaft ſich unter vielen Ver - zuckungen in die gewoͤhnliche rhetoriſche Poſitur ge - ſetzt, und mit wiederholter Verbeugung ihm ein erſchrecklichgroßes Buch uͤberreicht hatte, welches viere der ſtaͤrkſten ſeiner Collegen auf ihren Schul - tern trugen, und auf deſſen Ruͤcken die Worte glaͤnzten: OPERA OMNIA. Cicero entſetzte ſich ein wenig uͤber dieſe auslaͤndiſche Maſchine, noch aufmerkſamer aber ward er, als ihn der An - fuͤhrer folgendergeſtalt anredete: Omnino, ſi quid eſt in me ingenii, quod ſentio, quam ſit exi -guum51von den abgeſchiednen Seelen. guum exiguum quod ſentio, quam ſit exiguum. Vermuthlich mochte dieſe unum - ſtoͤßliche Wahrheit die Kraͤfte unſers Demoſthenes ſo ſehr mitgenommen, oder auch der Anblick des Cicero, welchen er ſich ganz anders vorgeſtellt hat - te, eine ſo große Verwirrung in ſeinem Gemuͤthe verurſacht haben. Er hielt eine lange Weile in - nen, und ließ dem Cicero Zeit, ſich von ſeiner Ver - wunderung zu erholen, welcher von der ganzen An - rede nicht ein Wort verſtanden hatte, und ſeinen Atticus fragte: Was dieſes fuͤr eine Sprache ſey? Denn darauf waͤre er wohl niemals gefallen, daß dieſes lateiniſch ſeyn ſollte, ſo fremd und unver - nehmlich kam ihm die Ausſprache vor. Endlich erholte ſich unſer Redner, nachdem er ſeine Zuflucht zum Huthe genommen, in welchem das Concept lag. Er verſicherte dem Cicero in dem feinſten und in ciceronianiſchem Lateine, daß er und ſeine Ge - ſellſchaft fuͤr Freuden außer ſich waͤren, und dieſen Tag mit einem weißen Steine bezeichnen wollten, an welchem ſie das Gluͤck gehabt, denjenigen ken - nen zu lernen, welcher zu ſeiner Zeit das ſchoͤnſte Latein geredet, und deſſen Gelehrſamkeit ihnen zu Erlangung der Leibesnahrung und Nothdurft dien - lich geweſen waͤre. Er ruͤhmte beſonders ſeine eig - ne Wenigkeit, da er an den Schriften des Cicero das Werk der Liebe und Barmherzigkeit erzeigt, und ſie in gegenwaͤrtigem bequemen Formate durch die koſtbarſten und tiefſinnigſten Noten, durch Sammlung aller nur erſinnlichen Lesarten, und durch ein erſtaunendes Regiſter brauchbar, undD 2zugleich52Ein Traumzugleich ihrer Beiden Namen unſterblich gemacht habe. Zum Schluſſe beſeufzte er die verſtockte Blindheit ſeiner deutſchen Landsleute, welche von einem Gelehrten noch etwas mehr, als lateiniſch, fodern wollten, und ſo gar anfiengen, die Heilig - thuͤmer Latiens durch eine Sprache, welche in Deutſchland auch der Poͤbel verſtehen koͤnnte, fre - ventlich zu entweihen. Hier beſchloß er ſeinen Vor - trag mit einem freudigen Dixi! und Cicero, wel - cher uͤberdruͤßig ſeyn mochte, einem ihm unverſtaͤnd - lichen Gewaͤſche zuzuhoͤren, antwortete nichts wei - ter, als: Cura, vt valeas! und ließ ihn ſtehen.

Seine Abweſenheit bewog uns, dieſen Ort auch wieder zu verlaſſen. Wir kehrten zuruͤck, und es begegnete uns eine Seele, welche ſich uns mit tau - melnden und ſchleichenden Schritten zu nahen ſchien. Sie dehnte ſich, ſie wiſchte die Augen, und gaͤhnte zu zweyenmalen ſo laut, daß ich ſtehen blieb, um zu ſehen, ob ſie aufwachen, oder einſchlafen wuͤrde. Nach einer langen Weile kam ſie uns ſo nahe, daß ich weichen mußte, aus Furcht, von ihr getreten zu werden. Mein Fuͤhrer winkte mir, und ich merkte bald, ſeine Meynung waͤre, daß ich mich in ein Ge - ſpraͤch mit ihr einlaſſen ſollte. Jch that es, und redete ſie mit lauter Stimme an, um ſie zu ermun - tern. Kaum aber hatte ich ein paar Worte ge - ſagt, als ſie die Augen erſchrecklich weit aufſperrte, die Arme von ſich ſtreckte, auf den Raſen nieder - ſank, und weiter nichts ſagte, als: Gute Nacht! und in dem Augenblicke ſchlief ſie auch ſanft und ruhig.

Jch53von den abgeſchiednen Seelen.

Jch war verdruͤßlich, daß ich mich von meinem Fuͤhrer hatte bewegen laſſen, dieſe traͤge Seele an - zureden. Er lachte aber nur, und ſagte: Jch habe wohl gewußt, daß es dir nicht anders gehen wuͤrde, als wie es mir, und noch vielen hundert Seelen, gegangen iſt, welche mit ihr haben reden wollen. Dieſes iſt eben die Seele des beruͤhmten Traͤumers, welcher in ſeinem Leben ſo oft auf dem hamburgi - ſchen Walle nur darum ſpatzieren gefahren iſt, daß er in ſeiner Kutſche deſto gemaͤchlicher ſchlafen koͤnn - te. Eben darinnen beſtund ſeine einzige Arbeit. Keine Leidenſchaft hat ihn jemals ſtoͤren koͤnnen. Dieſes brachte ihn zu einem feiſten Koͤrper, und ſehr hohen Alter. Man hat niemals zuverlaͤßig erfahren koͤnnen, wie lange er gelebt habe; So viel aber iſt gewiß, daß er etliche funfzig Jahr geſchla - fen hat. Seine Voraͤltern hatten in ihrer Hand - lung durch eine unermuͤdete Arbeit und Wachſam - keit ſo viel erworben, daß ihr Sohn mit der groͤßten Gelaſſenheit ſchlafen konnte. Er iſt eben derjeni - ge, welcher die Sonne in ſeinem ganzen Leben nicht hat aufgehen ſehen. Es iſt laͤcherlich genug, wenn es wahr iſt, was mir einige Schatten von ihm er - zaͤhlt haben. Sie ſagen, es ſey noch ſehr fruͤh und in der Morgendaͤmmerung geweſen, als er ge - ſtorben. Seine Seele habe ſich anfangs gar nicht entſchließen koͤnnen, ſich von dem Bette zu entfer - nen, worinnen es ihr ſo lange Jahre wohlgegan - gen, und worinnen ſie jederzeit ihre groͤßte Gluͤck - ſeligkeit gefunden. Endlich ſey ſie doch genoͤthigt worden, ſolches zu verlaſſen, weil ſie der Laͤrm, undD 3das54Ein Traumdas geſchaͤfftige Bezeigen ihrer Hinterlaßnen beun - ruhigt, und beynahe munter gemacht haͤtte. Sie habe ſich mit halbgeſchloßnen Augen aus dem Zim - mer gewagt, und ſey gleich zu der Zeit in dieſe Ge - gend gekommen, als die Sonne hervorgebrochen. Dieſer Anblick ſey ihr unertraͤglich geweſen, daß ſie die Hand vor das Geſicht gehalten, und getau - melt habe; nicht anders, als ein Gefangner, wel - cher viele Jahre unter der Erde geſeſſen hat, und auf einmal an das Tageslicht koͤmmt. So viel iſt indeſſen gewiß; ſo lange ich ihn kenne, ſo lange hat er ſich auch in dieſer Gegend aufgehalten, wo er noch itzt ſchlaͤft, ohne ſich zu bekuͤmmern, wo er ei - gentlich ſey, oder was um ihn herum vorgehe. Ei - nige ſeiner Landsleute haben mich verſichert, daß er beſtaͤndig traͤge, und unempfindlich geweſen, und wenn er auch gegeſſen, getrunken, oder ſonſt etwas gethan, was er zur Erhaltung ſeines Koͤrpers un - umgaͤnglich thun muͤſſen: So habe man doch ei - gentlich gemerkt, daß es mit der groͤßten Schlaͤfrig - keit geſchehen ſey. Zuweilen hat er ausgeſehen, wie ein andres vernuͤnftiges Geſchoͤpf, welches wacht, ſo bald er aber angefangen, den Mund zu bewegen, wie ein wachender Menſch, welcher re - den will, ſo hat man gleich gemerkt, daß er in der That ſehr feſt geſchlafen, denn ſeine Worte ſind eben ſo verwirrt, und ohne Verſtand geweſen, wie die Worte derer ſind, welche man noch vor Mitter - nacht in ihren Traͤumen ſtoͤrt. Unterdeſſen hat er doch ein ſehr exemplariſches Ende genommen. Anfaͤnglich iſt er ungemein unruhig geweſen, alsihm55von den abgeſchiednen Seelen. ihm ſein Seelſorger auf des Arztes Anrathen die Nachricht gebracht, daß er ſterben muͤſſe. Er hat durchaus davon nichts hoͤren wollen. Bey den er - baulichſten und troͤſtlichſten Beſchreibungen von der Gluͤckſeligkeit jenes Lebens, hat er mit dem Kopfe geſchuͤttelt. Als aber ſein Beichtvater von ohngefaͤhr die Worte ſagt: Wie gluͤckſelig ſind die, welche zur ewigen Ruhe gelangen, und ſelig ent - ſchlafen! ſo druͤckt er ihm die Haͤnde, gaͤhnt ihn an, und ſtirbt.

Dieſe Erzaͤhlung machte, daß ich noch einige Zeit vor dieſer traͤumenden Seele ſtehen blieb. Jch konnte ſie nicht ohne Mitleid anſehen. Wie un - gluͤckſelig, dachte ich bey mir ſelbſt, iſt ſo ein Menſch, welcher in der Welt lebt, ohne im geringſten die Pflichten zu erfuͤllen, die er ſich und ſeinen Mitbuͤr - gern ſchuldig iſt. Seine Traͤgheit verhindert ihn, des Vergnuͤgens zu genießen, welches ihm tauſend angenehme Gegenſtaͤnde zeigen. Waͤre er nur ei - nigermaaßen aufmerkſam, ſo wuͤrde er nicht einen Schritt thun koͤnnen, ohne die Pracht der Natur zu bewundern, in welcher ſich die Groͤße des allge - meinen Schoͤpfers entdeckt. Er genießt ſein Ver - moͤgen nicht, weil er es, wenn es hoch koͤmmt, nur anwendet, ſich durch unordentliches Eſſen und Trinken in ſeiner Traͤgheit zu erhalten. Des edeln Vergnuͤgens muß er entbehren, welches die - jenigen empfinden, die Gelegenheit ſuchen, auch andre gluͤcklich, und durch eine vorſichtige Aus - theilung ihres Vermoͤgens mehr, als eine Nach - welt, ſich verbindlich zu machen. Sein Leben iſtD 4ein56Ein Traumein beſtaͤndiger Tod, und eine Marter fuͤr diejeni - gen, welche mit Schmerzen auf ſein Abſterben war - ten, weil er erſt alsdann anfaͤngt, ihnen nuͤtzlich zu werden.

Jch glaube, ich waͤre in dieſen ernſthaften Be - trachtungen noch weiter fortgefahren, ehe ich mir es aber verſahe, bekam ich mit einem Pruͤgel einen ſo heftigen Schlag auf den Kopf, daß ich ganz ſchwindlicht daruͤber ward, und daß mir der Huth auf die Erde fiel. Jch kehrte mich voll Verdruß um, in der Abſicht, denjenigen zu ſehen, welcher vermoͤgend waͤre, dergleichen niedertraͤchtige Grob - heit zu begehen. Jhr ſeyd ſehr unbeſcheiden, mein Freund, fuhr ich ihn mit Heftigkeit an, daß ihr Leuten, die ihr nicht kennt, und die euch nichts gethan haben, auf eine ſo ungeſchliffne Art bege - gnet! Und ihr ſeyd ein ziemlicher Narr, wie ich merke, verſetzte er mit einem lauten Gelaͤchter, daß ihr einen witzigen Scherz uͤbel nehmt. Merkt ihr denn nicht, daß ich ein ſatyriſcher Kopf bin? Dieſe unverſchaͤmte Antwort bewog mich, ihn genauer anzuſehen, und ich entſann mich, ihn gar wohl ge - kannt zu haben, weil er erſt vor einem Jahre geſtor - ben war, und ſich uͤber einer Satyre zu Tode ge - ſchimpft hatte.

Jch war durch dieſe verdruͤßliche Begebenheit ſo unruhig geworden, daß ich befuͤrchtete, es moͤch - te mir vielleicht noch ein witziger Kopf aufſtoßen, und mich braun und blau ſatyriſiren. Um des - willen that ich meinem Begleiter den Vorſchlag, daß wir uns in eine ſchattichte Gegend zuruͤck zie -hen57von den abgeſchiednen Seelen. hen wollten, welche vor uns lag, und von der ich glaubte, daß es darinnen, wo nicht einſamer, doch ſicherer ſeyn wuͤrde.

Jn beiden betrog ich mich. Jch erblickte da - ſelbſt eine große Geſellſchaft, die meiſtens aus Frauenzimmern beſtund. Weil ſie in eben der Stadt gelebt hatten, wo ich mich aufhielt, ſo kann - te ich ſie alle, und ich fand ihre Beſchaͤfftigungen nicht im geringſten veraͤndert. Sie ſpielten, ſie tranken Caffee, manche redeten gar nichts, die mei - ſten aber ſchlugen ein ſo lautes Gelaͤchter auf, daß ich begierig ward, dieſe zuerſt zu beobachten. Jch nahte mich ihnen, ich haͤtte aber nicht gemeynt, daß eben ich die Urſache dieſer allgemeinen Lebhaftigkeit und Freude geweſen waͤre. Je naͤher ich kam, deſto heftiger fiengen ſie an, zu lachen. Jch ver - langte von ihnen die Urſache zu wiſſen, aber ſie waren ſo boshaft, und ſagten mir ſolche nicht. Doch eine von ihnen, um welche ich mich in ihrem Leben, durch ein ganz artiges und ſinnreiches Son - net auf ihren Mops, ſehr verdient gemacht hatte, war ſo dankbar, und half mir aus meiner Verwir - rung. Jch will es Jhnen nur ſagen, ſprach ſie zu mir, warum wir ſo luſtig ſind. Wir hatten ſchon viel Stunden lang in der verdruͤßlichſten Stille beyſammen geſeſſen, ohne ein Wort zu reden, weil wir muͤde waren, die Trachten, den Gang, und die Mienen aller der Seelen, die bey uns vorbey ge - hen mußten, zu beurtheilen. Auch mit den Ab - weſenden waren wir bereits fertig, ja, was das allerbetruͤbteſte war, ſo waren wir auch ſchon dar -D 5uͤber58Ein Traumuͤber einig, daß es heute ſchoͤnes Wetter waͤre. Wir ſahen einander ganz niedergeſchlagen und ver - druͤßlich an, die Zeit ward uns lang, und, wenn dieſer artige Herr hier, einer von meinen ehemali - gen Schaͤfern, den ſie noch wohl kennen muͤſſen, nicht zuweilen gepfiffen haͤtte, ſo glaube ich, wir wuͤrden vor langer Weile gar eingeſchlafen ſeyn. Von ohngefaͤhr erblickten wir ſie von weitem, und zwar in einer Poſitur, die wichtig genug war, daß wir alle aus vollem Halſe lachten. Hier hielt ſie inne, ſtemmte beide Arme in die Seite, und fieng von neuem mit ihrer ganzen Geſellſchaft ein ſo lau - tes Gelaͤchter an, daß ich ganz beſchaͤmt da ſtund. Merken Sie es denn noch nicht? fuhr ſie fort, als ſie einigermaaßen ſich erholt hatte. Um des Him - mels willen, ſehen Sie doch ihren Huth an, wie beſtaubt er ausſieht! Wenn dieſes allein an mir das Laͤcherliche iſt, antwortete ich, ſo kann ich ihm bald abhelfen. Jch erzaͤhlte ihnen, daß mir ihn ein witziger Geiſt vom Kopfe geſcherzt haͤtte, wo - durch er eben ſo ſtaubigt geworden waͤre. Jch machte ihn wieder rein, und dadurch benahm ich ih - nen auf einmal dieſe reiche Materie ihrer Lebhaf - tigkeit, ſo gar, daß ſie von neuem in ein tiefſinniges Stillſchweigen verfielen, ſo, daß ich ſelbſt nicht laͤn - ger Luſt hatte, mit ihnen zu gaͤhnen.

Jch ſchlich mich um deswillen unvermerkt fort, und traf nicht weit davon, in Geſellſchaft andrer Frauenzimmer, die Seele eines Stutzers an, wel - cher in ſeinem Leben eben dieſe Geſellſchaft durch ſeine Einfaͤlle ergetzt hatte, die ſie damals galant,unge -59von den abgeſchiednen Seelen. ungezwungen, ſinnreich, und, ich weis ſelbſt nicht mehr, wie vortrefflich nannten. Jch fand ihn aber, wider die Natur der andern abgeſchiednen Seelen, ganz veraͤndert. Er war ſtumm, trocken, nicht eine einzige Perſon in der Geſellſchaft ſchien das artige und witzige Weſen, ſo er vormals ge - habt, an ihm zu finden. Jch bezeigte ihm meine Verwunderung daruͤber. Er zuckte die Achſeln und verſicherte mich, er ſey die Ungluͤckſeligſte unter allen Seelen. Sein Abſterben ſey ihm ſo ploͤtzlich und unvermuthet gekommen, daß er in der Eil we - der Uhr, noch Stockband, noch Tabaksdoſe mit ſich genommen. Drey Sachen, rief er, in welchen meine ganze Lebhaftigkeit, mein ganzer Witz be - ſtund! Was iſt doch der Verſtand eines Stutzers ohne dieſe Stuͤcke? Wenn ich einen artigen Scherz machen will, ſo vermiſſe ich mein Stockband, und meine feinen Einfaͤlle auf einmal. Jch bin nicht im Stande, das geringſte Urtheil von Staats - und gelehrten Sachen, ja nicht einmal von einem Ge - dichte zu faͤllen, weil ich keine Prieſe Tabak neh - men kann! Jch bedauerte dieſen entkraͤfteten Stu - tzer um deſto aufrichtiger, da ich ſchon in meinem Leben dergleichen Geſchoͤpfe niemals ohne herzli - ches Mitleiden anſehen koͤnnen. Jch war nicht im Stande, ihm zu ſeinem Witze wieder zu ver - helfen, um deswillen erſann ich eine Urſache, welche mich, wie ich vorgab, noͤthigte, ihn zu ver - laſſen.

Mein Begleiter war eben im Begriffe, mir die bekannte Geſchichte von der abgeſchiednen Seeleeines60Ein Traumeines Harlekins zu erzaͤhlen, welche ihre bunte Klei - dung und zugleich allen Harlekinsverſtand verlo - ren hatte; als wir durch ein neues Abentheuer ge - ſtoͤrt wurden. Eine Frauenzimmerſeele, die ich nicht wahrgenommen hatte, weil ich ihr den Ruͤ - cken zukehrte, war mir nachgeſchlichen, und fiel mir von hinten zu um den Hals, um welchen ſie die eine Hand ſchlug, mit der andern aber die mei - nige auf eine ſo zaͤrtliche Art druͤckte, daß ich aus dieſer wolluͤſtigen Beredſamkeit mehr errathen konnte, als wenn ſie ſich muͤndlich erklaͤrt haͤtte. Jch konnte leicht merken, daß es eine von den ir - renden Schoͤnen waͤre, und die Dunkelheit des ein - ſamen Orts, wo wir uns befanden, vermehrte meinen Verdacht. Sie ſchien in mich ſo verliebt zu ſeyn, als es eine Perſon von dergleichen Charakter zu ſeyn faͤhig iſt. Jch ſpuͤrte deutlich, daß ſie alle Au - genblicke erhitzter, und in ihrer Vertraulichkeit im - mer unverſchaͤmter ward. Jch war begierig, die - ſer dreiſten Schoͤne ins Geſicht zu ſehen. Jch fand ein Mittel, mich von ihren Armen loszuma - chen. Jch wandte mich um. Welcher Anblick! Jch ſprang zuruͤck! Biſt du es? ſagte ſie, und gieng kaltſinnig fort. Meine Leſer werden es wohl ohne Note errathen koͤnnen, daß dieſes die Seele meiner Frau war. Sie hatte mich verkannt, darum that ſie freundlich. So bald ſie mich ſah, ward ſie verdruͤßlich, und floh. Jch freute mich, daß ſie gieng. Wird nunmehr jemand noch zweifeln, daß unſre Seelen nach dem Tode eben dasjenige thun, was ſie am meiſten in ihrem Leben gethan haben?

Ein61von den abgeſchiednen Seelen.

Ein aͤngſtliches Wimmern, welches ich nicht weit von mir hinter einem dicken Geſtraͤuche hoͤrte, machte mich aufmerkſam. Jch eilte aus Mitleid hinzu, weil ich gewiß glaubte, es muͤßte dieſe aͤch - zende Seele ein großes Ungluͤck betroffen haben. Jch fand ſie unter einer Buche liegen, in der Klei - dung, wie die Dichter, und unſre Comoͤdianten, ihre Schaͤfer vorſtellen. Er hielt einen Hirtenſtab in der Hand, an welchem ein gruͤnes Band hieng, welches er unter tauſend Seufzern mit ſolcher Ent - zuͤckung kuͤßte, daß er mich nicht eher gewahr ward, als bis ich bey ihm ſtund. Endlich ſah er mich mit zerſtoͤrten Blicken an. Er ſprang auf, fiel vor mir nieder, umfaßte meine Knie. Grauſame! rief er; haſt du dich doch endlich bewegen laſſen? Jch ſehe ſchon, anbetenswuͤrdige Sylvia, ich ſehe ſchon in deinen Augen das Mitleid, welches du ge - gen den ungluͤckſeligen Thyrſis hegſt!

Ach ſtrenge Sylvia! warum verachtſt du mich?
Die Sonne brennt, und wirft die Stralen unter ſich;
Luft, Feld, und Erde brennt, die kuͤhlen Steine brennen
Von Flammen, die auch ſchon die jungen Laͤmmer kennen;
Dein Thyrſis aber fuͤhlt mehr, weder alle Pein;
Und du alleine nur willſt Schnee und Kaͤlte ſeyn?
So bald ich neulich dich, (du wirſt es wohl noch wiſſen)

Du irrſt dich mein Freund, ſagte ich zu ihm, ich bin nicht deine Sylvia, und dennoch Ja, verſtelle dich nur, rief er mit einer rechten Schaͤ - ferwut, verſtelle dich nur, du moͤrderiſche Schoͤ - ne! Freylich biſt du nicht meine Sylvia! Me - nalks Sylvia biſt du! Gluͤckſeliger Menalk! Ver -62Ein Traum Verlaßner Thyrſis! Jch habe es mit meinen Au - gen geſehen, daß Menalk den Straus auf ſeinem Huthe getragen, den ich fuͤr dich, nur fuͤr dich allein, gebunden hatte. Jch ſetzte dich zur Re - de, die Hirten wiſſen es alle. Du antworte - teſt mir nicht einmal! Du eilteſt von mir! Du giengſt zu deiner Heerde! Unempfindliche Schaͤ - ferinn! Sind meine Flammen ſtrafbar, ſo ſtrafe mich, aber ſtrafe vorher dich ſelbſt, denn nur die Blitze deiner Augen ſind es, welche mich in Brand geſetzt haben.

Wer boͤſe Zauberey getrieben,
Dem wird das Feuer ſonſt in Rechten zuerkannt.
Jch weis von ſolcher nichts, und wollte nur was lieben,
Und werde doch darum verbrannt.
Der Richter, welcher mich ſo grauſam will verdammen,
Schlaͤgt ſelbſt das Feuer auf, und traͤgt das Holz zuſammen.

Nunmehr fieng mir an, beynahe Angſt zu werden, und ich wuͤnſchte mir, aus den Haͤnden dieſer ſchwaͤrmenden Seele brfreyt zu ſeyn. Er hielt meine Knie ſo feſt umſchloſſen, daß es nicht moͤglich ſchien, mich von ſeiner Zaͤrtlichkeit frey zu machen. Endlich aber gelang es mir. Jch wollte zuruͤck, aber dadurch ward mein Schaͤfer ganz außer ſich gebracht. Er faßte mich von neuem bey der Hand, und ſagte: O Sylvia! Jch bitte dich bey den Goͤttern dieſer Flur! Hoͤre einmal auf, grauſam zu ſeyn! Wenn dein Herz nicht noch haͤrter iſt, als jene Felſen, ſo laß dich mein Ungluͤck ruͤhren! Laß mich ſeufzen! Jch beſchwoͤre dich bey den Nymphen, welche dort hinter jenem Buſche lau - ſchen,63von den abgeſchiednen Seelen. ſchen, und bey den chryſtallnen Fluthen, welche hier uͤber dieſe Kieſel rollen, habe Mitleiden mit dem Ungluͤckſeligſten!

Laß mich ſeufzen, laß mich klagen,
Und den ſtummen Buchen ſagen,
Wie mich Sylvia gequaͤlt!
Goͤnnt mirs ihr verſchwiegnen Baͤume,
Daß ich von der Marter traͤume,
Die mein Mund ſo oft erzaͤhlt!
Laß mich ſeufzen, laß mich klagen,
Und den ſtummen Buchen ſagen,
Wie mich Sylvia gequaͤlt!

Hier konnte ich mich nicht laͤnger enthalten, uͤber dieſen Opernſchaͤfer zu lachen. Und du lachſt noch! ſchrie er, indem er von der Erde aufſprang. Und du ſpotteſt noch mit meiner Verzweiflung!

Nun weis ich Aermſter nicht, was weiter uͤbrig iſt,
Als daß ich meinen Rumpf an einen Eichbaum henke,
Vielleicht liebſt du mich todt, weil ich dich lebend kraͤnke.

Kaum hatte er dieſe Worte geſagt, als er von mir, und in die Straͤucher eilte!

Jch erſchrack, ich befuͤrchtete; ſeine Verzweif - lung duͤrfte nicht ohne Wirkung ſeyn. Jch wollte ihm nachgehen, um ſeiner Raſerey Einhalt zu thun, aber mein Fuͤhrer hielt mich zuruͤck. Du kannſt ganz ruhig ſeyn, ſagte er. Dieſes iſt der Schat - ten eines von den Schaͤfern, welche ihr Leben am hoͤchſten bringen, wenn ſie alle Tage verzweifeln, und welche ſich niemals beſſer aufbefinden, als wenn ſie von Gift und Dolche reden. Er war in ſeinem Leben ſehr zaͤrtlich, und glaubte, fuͤr keine Creatur ſchicke es ſich beſſer zaͤrtlich zu ſeyn, als fuͤr einenSchaͤfer.64Ein TraumSchaͤfer. Er ward alſo ein Schaͤfer, nur in der Abſicht, damit er recht regelmaͤßig ſeufzen koͤnnte. Tag und Nacht war er beſchaͤfftigt, durch Leſung ſolcher Schriften ſich vollkommen zu machen, wel - che von Feuer und Flammen rauchten, und von verliebtem Mord und Todſchlaͤgen voll waren. Und eben dadurch gerieth ſein Gehirn in ſolche Unordnung, daß er, als ein arkadiſcher Don Quichott, auf Abentheuer ausgieng. Dieſe grau - ſame Sylvia, fuͤr welche er dich anſah, iſt nir - gends anders, als in ſeiner Einbildung, moͤglich geweſen. Sein ganzes Leben hat er in dergleichen Entzuͤckung zugebracht, und noch auf dem Tod - bette hat er von nichts, als Klee und Milch, ge - redet; ja ſo gar den Arzt, als ihm dieſer an den Puls fuͤhlen wollen, hat er auf dem Ruͤcken geſtrei - chelt, weil er ihn fuͤr ſeinen Hylax hielt. Du darfſt dich alſo nicht wundern, daß er dich ſchlechterdings zu ſeiner Sylvia machen wollte. Jch glaube nicht, daß außer ihm in der ganzen Welt noch ein Schaͤ - fer geweſen iſt, welchen ſeine verderbte Einbildung ſo gar ſehr wahnwitzig gemacht; doch ſoll es, wie man mir geſagt hat, noch hin und wieder verſchied - ne Seladonchen geben, welche einen ziemlichen An - ſatz zu dieſer hitzigen Krankheit haben.

Zum groͤßten Ungluͤcke entdeckte mich der Schat - ten meines ehemaligen Schneiders. Es war nicht moͤglich, ihm aus dem Wege zu gehen, ſo ſehr ich es auch wuͤnſchte, weil ich mich noch wohl erinnerte, wie unertraͤglich er in ſeinem Leben, durch ſein un - ermuͤdetes und politiſches Geſchwaͤtz, geweſen war. Es65ven den abgeſchiednen Seelen. Es half aber nichts, ich mußte mich gefaßt machen, ſeine tiefſinnigen Beurtheilungen von Staatsſa - chen noch einmal auszuhalten. Die Freude war ganz außerordentlich, die er daruͤber bezeugte, daß er mich hier ſehen ſollte. Hundert Fragen that er an mich, und ließ mir nicht Zeit, eine einzige zu be - antworten. Sie ſind doch allemal fein geſund geweſen; ſagte er? Sie haben ſie doch alle wohl verlaſſen? Und Jhre Jungfer Muhme? Sie werden mich wohl verſtehen? Nun das will ich eben nicht ſagen. Jn der That wollte ich ihr es goͤnnen. Das Maͤdchen iſt gut. Lebt denn der alte Hauptmann noch? Jch habe tauſend Spaß mit ihm gehabt. Was ich Jhnen ſage. Der konnte recht erzaͤhlen, wenn er bey Humor war! Den pommeriſchen Krieg, den wußte er auf ein Haar! Ohne Flatterie! Er wuͤrde gewiß ganz anders abgelaufen ſeyn, wenn er nicht abgedankt haͤtte. Aber hoͤren Sie nur an. Jch weis nicht, das Ding ſieht ſehr bunt aus. Mit meinem Wil - len iſt es gar nicht geſchehen, daß Prinz Carl uͤbern Rhein gieng. Es war doch nun mit alle dem, wie es war? Der Franzoſe, es mag nun ſeyn, wie es will, er iſt doch einmal der Franzo - ſe, und ein Chriſt, ſo gut als wir. Was ich Jh - nen ſage. Er haͤtte es koͤnnen bleiben laſſen, Mit alle dem mag der Rhein ein ziemlich breites Waſſer ſeyn. Aber hoͤren Sie nur an. Jch den - ke, ich denke, es ſoll bald anders werden. Der eine von den Herren Cantons Jch will esZweyter Theil. EJhnen66Ein Traum Jhnen ſchon einmal erzaͤhlen, wenn wir allein ſeyn werden. Vor dem Tuͤrken? Ach! der Blut - hund, der darf ſich nicht breit machen! Was ich Jhnen ſage. Das merkte ich gleich im voraus, ohne Flatterie. Meine Großmutter ſeliger ich weis nicht, ob Sie ſie werden gekannt haben. Es war eine kleine bucklichte Frau. Sie wohn - te hinten am Walle. Hoͤren Sie, das war eine Frau! Sie hat mich noch aus der Taufe geho - ben. Es gieng bey ihrem Teſtamente auch mit Kraͤutern zu. Was geſchehen iſt, das iſt geſche - hen. Jch habe, gottlob, auch mein Brod ge - habt. Jch ſpreche immer: Ehrlich waͤhrt am laͤngſten; und mein kleiner Chriſtel war noch da - zu ihr Pathe. Ja, was wollte ich denn ſagen, ich habe es ganz druͤber vergeſſen! Ja, der Tuͤr - ke Ja, ja, der Tuͤrke, antwortete ich voll Verdruß, ich kenne ihn wohl, aber hier laͤßt es ſich davon nicht gut reden. Wir ſprechen ein - ander ſchon weiter, itzt habe ich nicht Zeit, mich laͤnger aufzuhalten. Jch ließ ihn ſtehen, und gieng fort.

Jndem hoͤrte ich hinter mir ein lautes Gelaͤch - ter. Jch wandte mich um, und erblickte eine Seele, welche ſo verhungert ausſah, wie ein Goldmacher, und ſo tuͤckiſch, wie ein Schatzgraͤber. Sie druͤck - te mir ſehr vertraulich die Hand, und ſagte: Sie haben recht wohl gethan, daß Sie Sich den unſinnigen Schwaͤtzer vom Halſe geſchafft haben.67von den abgeſchiednen Seelen. haben. Jch habe Jhrem ganzen Geſpraͤche zu - gehoͤrt, und mich uͤber Jhre Geduld gewundert. Es iſt ewig zu bejammern, daß es Leute giebt, die ſich um Sachen bekuͤmmern, welche ſie nicht verſtehen. Wenn es nur Schneider waͤren, wel - che ſich in politiſche Haͤndel miſchten, ſo moͤchte es allenfalls noch hingehen und es wuͤrde ſich vielleicht daruͤber lachen laſſen. Aber, es giebt Maͤnner mit großen Peruͤcken, die es nicht viel beſſer machen, als Jhr Schneider. An ſtatt, daß ſie fuͤr ihre Pflicht, und fuͤr das Beſte ih - res Vaterlandes ſorgen ſollten; ſo ſitzen ſie bey - ſammen, und plaudern uͤber die Zeitungen. Jch bin, wie Sie mich hier ſehen, in meinem Leben auch aus dem politiſchen Stande geweſen, und habe dabey Gelegenheit gehabt, einzuſehen, was das heiße, ein Land zu regieren. Mit einem Worte! Jch war eines Edeln Hochweiſen Raths Straßenbereuter, ein geſchworner Mann, und hatte meine theure Pflicht. Die Finanzſachen waren meine liebſte, und vornehmſte Arbeit, und wenn es nach meinem Vorſchlage gegangen waͤ - re, die Stadtcaſſe haͤtte alle Jahre um hundert - tauſend Thaler reicher ſeyn muͤſſen. Aber frey - lich, wie es nun geht! Wer etwas verſteht, der hat ſeine Feinde. Der Buͤrgermeiſter merkte, daß ich ihn uͤberſehen konnte, das war ſchon ge - nug, mich zu ſtuͤrzen. Nur mein Vaterland dauert mich, dem ich zu fruͤhzeitig entriſſen wor - den bin. Tag und Nacht habe ich mitten inE 2 mei -68Ein Traum meiner ſchweren Berufsarbeit auf Mittel und Wege geſonnen, das Wohl meiner Mitbuͤrger in beßre Aufnahme zu bringen. Jch merkte wohl, in was fuͤr einen klaͤglichen Verfall das Finanzweſen gerathen war, denn als ich um eine Zulage fuͤr meine patriotiſch geleiſteten Dienſte anſuchte, ſo gab man mir abſchlaͤgliche Antwort, und zur Urſache gab man dieſes an: Es ſey kein Geld in der Caſſe. Von dieſem Augenblicke an nahm ich mir vor, meinem Vaterlande unter die Arme zu greifen. Alle Tage gab ich ein neues Mittel an die Hand, die gemeinen Einkuͤnfte zu erhoͤhen, und eben dadurch verdiente ich den wuͤrdigen Beynamen des Projectmachers. Ja, mein Herr, haͤtte man mir nur gefolgt. Jch hatte auch meine theure Pflicht auf mir, ſo gut als der Buͤrgermeiſter; und gleichwohl wieſen ſie mich mit meinen Vorſchlaͤgen allemal ab. Was meynen Sie? Jch machte ein Project, daß man die Geiſtlichen abſchaffen, ihre Boſoldungen einziehen, und die Rathsherrn anhalten ſollte, daß ſie ſelbſt nach der Zeche, und zur Froͤhne, predigen muͤßten. Was haͤtte man nicht ein Jahr lang in der Stadt erſparen koͤnnen? Und den Geiſtlichen war ich ſo nicht gut, beſonders unſerm dicken Oberpfarrer, der haͤtte es auf die - ſe Art gewiß empfinden ſollen, was das heiße, einen geſchwornen Mann von der Kanzel zu wer - fen. Glauben Sie wohl, daß mein Vorſchlag angenommen ward? Jch verſuchte es auf eine andre69von den abgeſchiednen Seelen. andre Art. Jch uͤberreichte eine Schrift, in wel - cher ich aufs deutlichſte ausgerechnet hatte, daß die Stadtcaſſe alle Monate um dreytauſend Thaler vermehrt werden wuͤrde, wenn eine jede Frau, welche die Herrſchaft uͤber ihren Mann fuͤhrte, monatlich drey Mark zur Einnahme er - legen muͤßte. Haͤtte wohl ein Vorſchlag billiger, und vernuͤnftiger ſeyn koͤnnen, als dieſer? Aber es fehlte nicht viel, daß mich nicht alle Weiber, von der Buͤrgermeiſterinn an bis auf meine eigne Frau, geſteinigt haͤtten. Jn der That durfte ich mich vier Wochen lang nicht ſehen laſſen, und das war die Belohnung fuͤr meinen wohlgemeyn - ten Eifer. Dennoch ward ich nicht muͤde, in der Hoffnung, daß wenigſtens einmal meinen Mit - buͤrgern die Augen zu ihrem Beſten aufgehen wuͤr - den. Unſer Kuͤſter, welcher auch kein Narr ſeyn wollte, gab mir unter den Fuß, ich ſollte eine Vor - ſtellung thun, daß man auf die Moͤpſe eine Kopf - ſteuer legen, und daß die Gratulanten ordentliche Hauſierzeddel loͤſen, auch alle ihre Gluͤckwuͤnſche auf Stempelpapier drucken laſſen ſollten. Aber ich weis nicht, das Ding koͤmmt mir zu uͤberſtu - diert vor, und ich traue Jhnen die Einſicht zu, daß Sie geſtehen werden, daß meine Projecte nicht allein die beſten und eintraͤglichſten, ſondern auch die vernuͤnftigſten ſind, denn ich habe meine theure Pflicht. Was meynen Sie davon? Sa - gen Sie mir es offenherzig!

E 3Jch70Ein Traum

Jch weigerte mich anfaͤnglich, endlich aber ge - ſtund ich, nach meiner gewoͤhnlichen Aufrichtigkeit, daß mir des Kuͤſters ſeine Einfaͤlle nicht unrecht zn ſeyn ſchienen. Die Menge der Gratulanten ſey ſo anſehnlich, daß aus den Hauſierzeddeln, und aus dem Stempelimpoſt, der auf die guten Wuͤn - ſche gelegt werden ſollte, der gemeinen Stadtcaſſe eine große Summe zuwachſen koͤnnte. Es waͤre dieſes auch, als eine gewiſſe und beſtaͤndige Einnah - me, anzuſehen, da man nicht befuͤrchten duͤrfte, daß dieſe Art von poetiſchen Jnſecten jemals vergehen wuͤrde, wenigſtens ſo lange nicht, als es noch Leute gaͤbe, welche ſich von Geburts - und Namensta - gen naͤhren muͤßten. Es gereiche auch dieſes dem gemeinen Weſen nicht zur Laſt, weil man derglei - chen mechaniſchen Dichtern gar wohl zulaſſen koͤnn - te, daß ſie ihre unterthaͤnigſte Devotion um etliche Schillinge ſteigerten. Die Kopfſteuer auf die Moͤpſe habe meinen voͤlligen Beyfall, zumal, wenn ſie bey Strafe der Confiſcation ausgeſchrieben wuͤr - de. Denn ich wuͤßte gewiß, ein jedes Frauenzim - mer wuͤrde ihren Schooßhund gern mit zwoͤlf bis funfzehen Mark loͤſen, und die Summe lieber ge - ben, als wenn man auf die Maͤnner eine Kopf - ſteuer legte; wenigſtens wuͤrden ſich in dieſem letz - tern Falle viele vor der Strafe der Confiſcation nicht fuͤrchten. Hingegen koͤnnte ich ihm nicht ver - halten, daß durch ſeinen Vorſchlag eine große Un - ordnung in den Familien vorgehen duͤrfte, wenn die Weiber ihre Herrſchaft uͤber die Maͤnner mitdrey71von den abgeſchiednen Seelen. drey Mark erkaufen muͤßten. Dieſe wuͤrden es alsdann entgelten ſollen, und ſie wuͤrden es auch nicht einmal zulaſſen, daß die Weiber den Beytrag entrichteten, weil ein Mann es nicht leicht zugeſtuͤnde, daß ſeine Frau Herr ſey, ſo, wie ein jeder nur ſeinen Nachbar fuͤr einen guten geduldigen Mann, niemals aber ſich ſelbſt dafuͤr hielte. Der Vorſchlag wegen Abſchaffung der Geiſtlichen waͤre ſo abgeſchmackt, und parteyiſch, daß ich gewiß glaubte, es koͤnnte auf denſelben niemand fallen, als ein Straßenbe - reuter. Der geiſtliche Stand habe allemal das Un - gluͤck, denen am meiſten zu misfallen, welche den wenigſten Verſtand beſaͤßen, und man faͤnde, daß ordentlich der Poͤbel Was! Poͤbel! rief mein Projectmacher mit einer grimmigen Stimme; Weis der Herr wohl, was er redet? Weis der Herr wohl, wer ich bin? Weis der Herr wohl, daß ich ein geſchworner Mann bin? Daß ich meine theu - re Pflicht habe? Das ſoll er mir nicht umſonſt ge - than haben! Er iſt ein Verraͤther des Vaterlan - des! Ein Rebell! Ein Meyneidiger! Jch will ihm meine theure Pflicht und damit fiel er uͤber mich her, und wuͤrgte mich mit ſeinen patriotiſchen Klauen dergeſtalt, daß ich ſeine Liebe zum Vaterlan - de auf das erſchrecklichſte empfunden haben wuͤrde, wenn nicht mein Begleiter mit einer Hand voll Geld ſeine theure Pflicht beſaͤnftigt haͤtte. So gleich ließ er mich los, und gieng fort.

Nunmehr koͤnnte ich mit Ehren von meinem langen Traume ganz unvermuthet aufwachen. WasE 4waͤre72Ein Traum von den abgeſchiednen ꝛc. waͤre wohl natuͤrlicher, als daß ich mich mit dem Kopfe an das Bette ſtieße, und erwachte? Allein ich habe noch keine Luſt, munter zu werden. Jch hoffe, kuͤnftiges Jahr weiter fort zu traͤumen, denn ich kenne in der Stadt, wo ich wohne, wenigſtens noch zwoͤlf Originale, deren Tode ich mit ſchmerzli - chem Verlangen entgegen ſehe, weil ihre Bemuͤhun - gen in dieſer Welt ſo laͤcherlich und abgeſchmackt ſind, daß ich mir meine Leſer gewiß verbindlich ma - chen werde, wenn ich ihnen alsdann erzaͤhle, womit ſich ihre Seelen beſchaͤfftigen. Es verlohnt ſich alſo der Muͤhe noch wohl, daß ich ihren Tod ſchlafend erwarte.

[figure]
Abhand -[73]

Abhandlung von Buchdruckerſtoͤcken.

E 5[74]75

Zueignungsſchrift an die Marquiſinn von L***

Madame,

Jhr werdet mir verzeihen, daß ich, als ein Deut - ſcher, mich unterſtehe, Euern Namen vor mei - ne Schrift, und zwar vor eine ſolche Schrift zu ſetzen, in welcher eine der ſchwerſten Materien, nach der Metaphyſik, abgehandelt wird. Die witzigſten Eurer Landsleute waͤhlen ſich eine Marquiſinn zur Schutzgoͤttinn ihrer gelehrten Werke, welche ſie in die Welt ſenden, und ich lobe ſie darum. Derjenige Leſer muͤßte ſehr unbeſcheiden ſeyn, der ſich an einer Schrift vergreifen koͤnnte, welche ein Frauenzimmer beſchuͤtzt, oder die, mit der Livrey einer Marqviſinn, ſich unter das Volk wagt. Jch bin gar nicht ſo ſehr fuͤr mein Vaterland eingenommen, daß ich nicht dieſes fuͤr einen der weſentlichſten Vorzuͤge Euers Volks erkennen, und hier oͤffentlich ruͤhmen ſollte. So oft ich ein Buch ſehe, es mag in Coͤlln, oder auf Koſten der Compagnie herausgekommen ſeyn, ſo iſt eine Marqviſinn allemal das erſte, was mir in die Au - gen faͤllt. Niemals ſehe ich dieſes, ohne die Gluͤck - ſeligkeit Euers Volks zu beneiden, und mein Deutſch - land, dieſes rauhe und unwitzige Land, zu beklagen, in welchem kein Autor beruͤhmt werden kann, weil er keine Marqviſinn hat. Jhr wuͤrdet ſehr grauſam ſeyn, Madame, wenn Jhr mir verwehren wolltet, die -ſen76Zueignungsſchrift. ſen natuͤrlichen Mangel dadurch zu erſetzen, daß ich Euern Namen borge. Eure Landsleute ſind ſo ge - faͤllig, daß ſie uns mit allen denen Moden verſor - gen, die uns Deutſche zu leibhaften Franzoſen, oder, welches einerley iſt, zu vernuͤnftigen Creaturen ma - chen. Jch glaube alſo, ſie werden es nicht uͤbel nehmen, daß ich mit Euch, Marqviſinn, eben ſo groß thue, als mit meinem Aermel, von dem mein Schnei - der mich verſichert hat, daß dergleichen noch zur Zeit in Paris niemand trage, als ein gewiſſer Chevalier, ein gewiſſer Marqvis, und ein gewiſſer Prinz vom Gebluͤte, den er auch nicht nennen koͤnnte. Viel - leicht iſt es nicht wahr, was mein Schneider ſagt, und vielleicht iſt in ganz Frankreich kein ſolcher Aer - mel, als der meinige. Es mag ſeyn! Das will ich nicht unterſuchen. Das aber wuͤrde mich aͤrgern, wenn ſich jemand die Frage einfallen ließe: Ob auch wirklich eine Marqviſinn von L*** in der Welt ſey. Denn auf dieſe Art wuͤrde man an meinem groͤßten Verdienſte zweifeln wollen. Chloris hat ei - ne ſolche Hochachtung gegen meinen pariſiſchen Aer - mel, daß ſie mich geſtern fruͤh fuͤr den vernuͤnftigſten unter ihren Liebhabern erklaͤrte; und ich verlange nicht zu viel, wenn ich glaube, meine Landsleute ſind ſchuldig zu bekennen, ich ſey unter allen denen Schrift - ſtellern, welche ſich ſeit der letzten Michaelsmeſſe verewigt haben, der gelehrteſte, gruͤndlichſte, und tief - ſinnigſte, weil ich die Ehre habe, der Marqviſinn von L*** gegenwaͤrtige Blaͤtter zuzueignen. Wie gluͤcklich waͤre ich! Aber, ich wuͤnſche mir wohl zu viel. Doch ich will es wagen, Jhr werdet mir dieſeRuhm -77Zueignungsſchrift. Ruhmredigkeit verzeihen, wenn ich Euch, Madame, geſtehe, daß ich mir kein groͤßres Gluͤck vorſtellen koͤnnte, als wenn meine Leſer in gegenwaͤrtiger Ab - handlung einen ſo feinen Geiſt faͤnden, daß ſie an - fiengen, zu zweifeln, ob ſie auch wirklich ein deut - ſches Original, und nicht vielmehr aus dem Franzoͤ - ſiſchen uͤberſetzt waͤre. Allen meinen Gerechtſamen auf die Nachwelt wollte ich entſagen, wenn ich dieſes Gluͤck erlebte. Niemals kann ich ohne eine kleine Eiferſucht an den deutſchen Verfaſſer gewiſſer be - kannter Briefe gedenken, dem der glaubwuͤrdige Vor - redner dieſes ſchmeichelhafte Zeugniß giebt: Es ha - be dieſe Briefe zwar freylich nur ein Deutſcher ge - ſchrieben, aber gleichwohl waͤren ſie ſo vortrefflich ab - gefaßt, daß ſie verdienten, von einem Franzoſen ge - ſchrieben zu ſeyn. Auf Euch allein, Madame, wird, es ankommen, ob ich in meiner Hoffnung gluͤcklich, oder ungluͤcklich ſeyn ſoll. Gewinne ich nur Euern Beyfall, ſo weis ich gewiß, kein Abt in Paris wird es wagen, mir den Ruhm eines großen Gelehrten und die Ewigkeit abzuſprechen. Jch verdiene es, weil ich die Ehre habe zu ſeyn,

Madame, der Eurige, Woldamar von Tzſchaſchlau.

N. S.

Aus großer Begierde, ein witziger Kopf, ein Fran - zoſe, und unſterblich zu ſeyn, habe ich vergeſſen, mich bey Euch, Madame, zu entſchuldigen, daß ichEuch78Zueignungsſchrift. euch eine Schrift widme, welche ſo gelehrt iſt, daß Jhr nicht ein Wort davon verſtehen werdet. Aber dieſes thut zur Sache nichts. Jch verlan - ge gar nichts weiter von Euch, als daß Jhr die Zu - eignungsſchrift leſen ſollt, denn eben um deswillen ſeyd Jhr eine Marqviſinn, und ich bin ein Autor. Jch will mein Verfahren mit hundert Exempeln Eurer witzigſten Landsleute rechtfertigen wenn ich Euch kuͤnftig eine Abhandlung von Kegelſchnitten, einige algebraiſche Galanterien, und eine kritiſche Unterſuchung von den Schriften des Covarru - vias zueigne. Ja, Jhr ſeyd nicht eine Stunde ſicher, daß ich Euch nicht mit einer politiſchen De - duction von dem oͤſterreichiſchen Succeßions - kriege heimſuche. Jhr werdet wohl thun, wenn Jhr Euch auf alle Faͤlle gefaßt macht. Jch kuͤſſe Euch die Haͤnde.

[figure]
Abhand -79

Abhandlung von Buchdruckerſtoͤcken.

Jch nehme mir itzt vor, eine Sache auszufuͤhren, welche ſo ſchwer und tiefſinnig iſt, daß ich von meinen Leſern noch etwas mehr, als eine ge - woͤhnliche Aufmerkſamkeit verlange. Ein einziges Wort, welches ſie unachtſam uͤberſehen, kann machen, daß ihnen eine ganze Reihe von Wahrheiten dunkel, und unbegreiflich vorkoͤmmt. Um deswillen halte ich fuͤr billig, einige der ſchwerſten Saͤtze vorher zu erklaͤ - ren, und verſchiedne der wichtigſten Begriffe aus ein - ander zu wickeln, damit ich nicht das geringſte verab - ſaͤume, wodurch ich mich um meine Leſer verdient ma - chen kann. Die Gelehrten, welche im Denken geuͤbt ſind, wie ich, werden dieſer Einleitung freylich nicht noͤthig haben, ich erwarte alſo den Dank fuͤr dieſe Be - muͤhung nur von dem ſchoͤnen Theile meiner Leſer. Bloß dieſem zu gefallen, werde ich zwar buͤndig, aber doch deutlich, und mit einem Worte, ſo ſchreiben, wie verſchiedne unſrer Philoſophen zu thun pflegen, wenn ſie den Eingang zu einer Abhandlung machen, welche vielmals bey weiten ſo wichtig nicht iſt, als die meinige.

Jch nehme dieſes, als einen Heiſcheſatz, an, daß die Vorſtellungskraft der Seele ſich nach der Lage der Koͤrper richtet. Es gruͤndet ſich dieſes auf die vorherbeſtimmte Uebereinſtimmung von Leib und Seele. Zu mehrerm Beweiſe koͤnnte ich den Satz des nicht zu unterſcheidenden anfuͤhren, wann nicht bereits80Abhandlung bereits ausgemacht waͤre, daß unmoͤglich ein Ding zugleich ſeyn, und nicht ſeyn kann. So wenig ge - genwaͤrtig meine Abſicht iſt, das Lehrgebaͤude der ge - legentlichen Urſachen uͤber einen Haufen zu werfen; So wenig werde ich auch itzt unterſuchen, ob die Ge - ſichtspunkte der Vorſtellungskraft, welche ſich bis in die Zirbeldruͤſe fortpflanzen, nur einfach oder vie - lerley ſind. Genug, daß der Grund dasjenige in der Urſache iſt, woraus man das darinnen gegruͤn - dete erklaͤrt. Denn das Ganze zuſammen genom - men iſt ſeinen Theilen gleich; und wenn die Urſa - che geſetzt wird, ſo wird auch die Wirkung geſetzt. Es iſt zwar andem, daß es unendliche Wahrſchein - lichkeiten giebt; doch ſind dieſe Wahrſcheinlichkeiten der Vermuthungen eben ſo gewiß, als die Erwei - ſe von vorne. Es thut nichts, daß das Maaß der Kraͤfte in der Welt einerley iſt; ſo lange noch die Koͤrper untheilbar ſind, und ſo lange der Raum aus - gedehnt iſt, dennoch aber keine Eigenſchaft hat. So deutlich alle dieſe Wahrheiten an und fuͤr ſich ſind; ſo werde ich mich doch noch beſſer erklaͤren koͤnnen; wenn ich ſie in folgenden Schluß zuſammen faſſe: Die Seele iſt ein Spiegel, in welchem ſich die an - dern Monaden alle im Kleinen abbilden, und wenn man die dunkeln Jdeen einer Seele kennen ſollte, ſo wuͤrde man die Eigenſchaften aller Weſen erken - nen. Nun iſt aber außer Streite, daß die einfa - chen Dinge, jedes fuͤr ſich, beſtehen, durch die ver - wirrte Vorſtellung aber nur ein Haufen zu ſeyn ſcheinen. Alſo folgt von ſelbſt, daß etwas dasjeni - ge iſt, was ſeyn kann, in dem die Bewegung die Ver -81von Buchdruckerſtoͤcken. Veraͤnderung eines Orts, der Ort aber die vorge - ſtellte Verhaͤltniß unterſchiedner von einander ab - ſtehender Dinge iſt. W. Z. E. W.

Dieſes wird genug ſeyn, meinen Leſer zu demjeni - gen vorzubereiten, was ich ſagen will. Jch laͤugne gar nicht, daß es mich viel Muͤhe gekoſtet hat, alles in ein voͤlliges Licht zu ſetzen. Vorſtehender Be - weis hat meine Leibes - und Gemuͤthskraͤfte ſehr mit - genommen. Aber deſto gelehrter iſt er auch. Jch denke ſtark, wie ein Philoſoph, dennoch aber trage ich meine Gedanken ſehr deutlich vor, wie man ſehen kann, und eben dieſes iſt der Grund, warum ich einen merklichen Vorzug vor andern nicht unbillig verlan - gen kan. Jch ſchreite nunmehr zur Hauptſache.

Buchdruckerſtoͤcke nenne ich diejenigen Verzierun - gen und Bilder, welche theils uͤber die gedruckten Schriften, theils bey dem Anfangsbuchſtaben, theils aber zum Schluße derſelben geſetzt werden. Jch bin nicht geſonnen, ihre Genealogie zu unterſuchen. So viel aber iſt wohl gewiß, daß ſie nicht viel juͤnger ſeyn koͤnnen, als Fauſt und Guttenberg. Es iſt dieſes ein neuer Beweis, durch welchen wir unſre Vor - zuͤge vor andern Voͤlkern, und beſonders vor den eingebildeten Franzoſen, behaupten koͤnnen. Sind wir Deutſche die Erfinder der Buchdruckerkunſt, wie ſolches vor einigen Jahren in allen Zeitungen mit mehrerm ausgefuͤhrt worden iſt: So will ich denje - nigen ſehen, welcher ſo verwegen ſeyn, und uns die Erfindung der Buchdruckerſtoͤcke abſprechen wird. Die Meynung derer iſt bereits von vielen widerlegt worden, welche ſie den Gothen zuſchreiben wollen, de -Zweyter Theil. Fnen82Abhandlungnen wir die witzigen Verzierungen an unſern Kir - chen und Thuͤrmen zu danken haben. Jch bin alſo der Muͤhe uͤberhoben, dieſes Vorurtheil itzt zu be - ſtreiten.

Haͤtte ich die boshafte Abſicht, in der gelehrten Republik ein neues Feuer anzurichten: So wuͤrde ich hier die ſchoͤnſte Gelegenheit dazu finden. Waͤre wohl etwas leichters, als ein Dutzend widrige Mey - nungen zu erſinnen, welche einige Feinde der Buch - druckerſtoͤcke gehabt haben koͤnnten? Jch duͤrfte nur erdichten, daß ein gewiſſer beruͤhmter Mann, den ich nicht kenne, und den auch ſonſt niemand kennt, ſich habe verlauten laſſen; dergleichen Buchdrucker - ſtoͤcke waͤren nichts anders, als was die Tonnen bey den Wallfiſchen ſind, welche man ihnen vor - wirft, damit ſie das Schiff in Ruhe laſſen. Man gaͤbe naͤmlich dem geneigten Leſer ein Bildchen in die Hand, daß er damit ſpielen, und die Schrift ſelbſt verſchonen ſollte. Beſaͤße ich ſo viel Unver - ſchaͤmtheit, als mancher Autor beſitzt, der in der ge - lehrten Hiſtorie noch lange ſo beruͤhmt nicht iſt, als ich: So wuͤrde ich, ohne roth zu werden, meinem Leſer eine Unwahrheit ſagen, und ihn verſichern, daß der große Engellaͤnder Will Lightbury in ſei - nen Various and curious Anecdotes for the Ad - vantage of Learning Libro ſexto, ſectione quarta §. 9. ſqs. pag. mihi 419. ſich ſehr merkwuͤrdiger Worte bedienet habe, welche im Deutſchen unge - faͤhr alſo lauteten: Um deswillen muß ich Jhnen, Mylord, aufrichtig bekennen, daß meiſtentheils die ſchoͤnſten, und wichtigſten Buchdruckerſtoͤckevor83von Buchdruckerſtoͤcken. vor den magerſten, und abgeſchmackteſten Abhand - lungen ſtehen. Sie kommen mir daher nicht viel anders vor, als diejenigen Tafeln, auf welchen die koſtbarſten Speiſen und Getraͤnke gemalt ſind, und welche oͤfters vor ſolchen Gaſthoͤfen haͤngen, in denen man gleichwohl kaum ſo viel bekommen kann, als zur Stillung des Hungers und Durſtes noͤthia iſt. So weit unſer Will Lightbury, koͤnnte ich ſagen; und es waͤre allerdings verwegen genug von mir gehandelt, wenn ich ſprechen wollte, daß dieſe Stelle in einem engliſchen Scribenten ſtuͤnde, da in der ganzen Welt niemals ein Will Lightbury geweſen, und uͤberhaupt von allem dem nicht ein Wort wahr iſt, was dieſer ſoll geſagt haben. Dem ohngeachtet wuͤrde ich dieſe dreiſte Luͤgen mit dem wohlhergebrachten Rechte der Autoren, und mit den herrlichſten Exempeln bewaͤhrter Schrift - ſteller beweiſen koͤnnen, welche im Falle der Noth mit eignen Haͤnden alte Manuſcripte und Docu - mente verfertigen, und noch oͤfterer ſehr umſtaͤnd - lich ſich auf die Zeugniſſe großer Maͤnner beziehen, welche ſie gleichwohl ſo wenig kennen, und geleſen haben, als ich und meine Leſer den Will Lightbury. Ja, was noch mehr, ich erlebte wohl gar in kurzer Zeit das Vergnuͤgen, daß andre in mehr, als einer philoſophiſchen Diſputation, auf Treu und Glau - ben ſich auf den Ausſpruch meines Will Lightbu - rys beruften; und wer weis, ob ſich nicht jemand des gemeinen Beſtens ſo vaͤterlich annaͤhme, und eine Schrift unter dieſem Titel abfaßte. Ver - ſuch einer abgenoͤthigten Vertheidigung wider dieF 2 gefaͤhr -84Abhandlung gefaͤhrlichen Meynungen des Will Lightbury in ſei - nen bekannten Various and curious Anecdotes for the Advantage of Learning, libro ſexto, ſectione quarta §. 9. ſqs. pagina mihi 419. zur Aufnahme des guten Geſchmacks und aus Liebe zum wer - then Vaterlande in moͤglichſter Kuͤrze ſehr eilfer - tig, jedoch mathematiſch, entworfen von N. N. auf Koſten des Verfaſſers. So leicht wuͤrde mir es ſeyn, Verwirrungen und Befehdungen unter vie - len unſrer Gelehrten anzurichten, wenn ich nicht be - daͤchte, daß ein Gelehrter, welcher ſeinen Namen zur Nachwelt bringen will, noch etwas mehr Gewiſſen brauche, als mancher Advocat, welcher nur ſo lange fuͤr einen ehrlichen Mann angeſehen zu ſeyn wuͤnſcht, als der Proceß gangbar iſt, und um deswillen in einer Stunde ſo viel Urkunden und Zeugen machen kann, als er zu ſeinem rechtlichen Verfahren voritzt noͤthig hat.

Um deswillen verſichre ich meine Leſer, daß weder ein gewiſſer beruͤhmter Mann, noch ein Will Light - bury, noch auch, ſo viel mir bekannt iſt, ſonſt jemand etwas zum Nachtheile der Buchdruckerſtoͤcke geſchrie - ben hat. Jch kann alſo mit ruhigem Gemuͤthe in meiner Abhandlung fortfahren. Jch werde meine Abſicht lediglich dahin gerichtet ſeyn laſſen, daß ich in verſchiednen Exempeln zeige; was vornehmlich bey der Wahl, und geſchickten Einrichtung der Buchdruckerſtoͤcke, nach Beſchaffenheit einer jedwe - den Schrift, und deren weſentlichem Jnnhalte, zu beobachten ſey, damit die Natur der Sache allent - halben beybehalten, und dem Leſer ein aufrichtigerBe -85von Buchdruckerſtoͤcken. Begriff von demjenigen beygebracht werde, weſ - ſen er ſich zu dieſer Schrift und ihrem Verfaſſer zu verſehen habe.

Niemals habe ich ohne Wehmuth an den uͤbeln Geſchmack denken koͤnnen, welcher bisher bey den juriſtiſchen Schriften in Anſehung der Buchdrucker - ſtoͤcke geherrſcht hat. Da ich ſelbſt ein Prieſter der Gerechtigkeit bin, und ſo gut liquidiren kann, als ein Pachtamtmann: So liegt mir viel daran, daß ich auch in dieſem Stuͤcke der eingerißnen Unordnung nach Vermoͤgen Einhalt thue. Koͤnnte ich dieſem Uebel dadurch ſteuern, wenn ich aufrichtig geſtuͤnde, daß mich dieſer Misbrauch mehr, als einmal, die bitterſten Thraͤnen gekoſtet hat: So wuͤrde ich dieſes wehmuͤ - thige Bekenntniß mit Vergnuͤgen thun. Weil aber unſer großer Alciatus in ſeiner Gloſſa ad l. 4. D. de Iuſtitia et Iure §. fruſtra enim 14. aus der Er - fahrung ſehr gruͤndlich angemerkt hat, daß ein Ad - vocat nicht auf die Augen, ſondern auf die Haͤnde ſeiner Clienten ſehen muͤſſe, und es allerdings wi - der den Stylum curiae laufen wuͤrde, wenn ein Rechts - gelehrter ſich durch Thraͤnen bewegen ließe: So halte ich es fuͤr ſehr vergebens, dieſes Bekenntniß meiner Betruͤbniß oͤffentlich abzulegen. Es wird genug ſeyn, wenn ich einige Vorſchlaͤge thue, was kuͤnftig in An - ſehung der Buchdruckerſtoͤcke bey juriſtiſchen Schrif - ten zu beobachten ſey.

Unter ſechs praktiſchen Abhandlungen de eo, quod iuſtum eſt, circa, wird man wenigſtens fuͤnfe antreffen, uͤber welchen die Gerechtigkeit mit verbund - nen Augen, mit dem Schwerdte, und mit der WageF 3ſitzt.86Abhandlungſitzt. Jch weis es wohl, daß dieſes ihr gewoͤhnli - cher Aufzug iſt, und ich wuͤrde dabey gar nichts er - rinnern, wenn man ſie nur uͤber ſolche Schriften ſetz - te, welche von den Rechten unſrer Vorfahren, der alten Deutſchen, handeln. Von dieſen allenfalls will ich glauben, daß bey ihnen die Gerechtigkeit verbund - ne Augen, und in den Haͤnden Schwerdt und Wa - ge gehalten habe. Allein, die Zeiten aͤndern alles. Bey uns iſt dieſe Tracht gar nicht mehr Mode. Wie laͤcherlich wuͤrde es ausſehen, wenn ich jenen Land - junker, der nichts thut, als daß er trinkt, und ſpielt, mit Helme und Harniſche malen wollte, wie ſein Groß - vater gemalt iſt, der in denen rauhen Zeiten lebte, in welchen man es noch fuͤr ruͤhmlich hielt, fuͤrs Va - terland zu ſterben. Nein, itzt ſind unſre Zeiten weit geſitteter und aufgeklaͤrter, und ich halte es fuͤr billig, daß auch wir, jeder in ſeinem Stande, uns nach dem heutigen Geſchmacke richten lernen. Jch rathe es alſo meinen Collegen aufrichtig: Wenn ſie nuͤtzliche Anleitungen zur guͤldnen Praxis ſchreiben wollen; ſo muͤſſen ſie den Buchdruckerſtock ſo waͤhlen, daß die Goͤttinn der Gerechtigkeit nicht allein die Augen ver - bunden habe, ſondern ſie muͤſſen ihr die Binde auch uͤber die Ohren recht feſt machen, daß ſie weder hoͤrt, noch ſieht. Die Haͤnde hingegen muͤſſen ſie ihr ſchlechterdings frey laſſen, damit ſie zugreifen kann, wann die Parteyen ihren Beweis und Gegenbeweis uͤbergeben, es beſtehe nun dieſer in baarem Gelde oder in Victualien.

Aber ſo ſtrenge will ich doch nicht ſeyn, daß ich die Wage ganz und gar abſchaffen wollte. Nein! Sie hatnoch87von Buchdruckerſtoͤcken. noch ihren guten Nutzen. Jn den Werken, wel - che de iuſtitia diſtributiua handeln, iſt die Wa - ge ganz unentbehrlich. Schriebe ich nur fuͤr Ju - riſten, ſo wuͤrde es nicht noͤthig ſeyn, mich zu erklaͤren, was iuſtitia diſtributiua in verſchiednen Richterſtuben heiße. Aber dem ſchoͤnen Ge - ſchlechte zu gefallen, muß ich anmerken, dieſes ſey: Eine praktiſche Kunſt, zu unterſuchen, wie ſich die Sache eines Armen gegen die Sache eines Rei - chen, und ein Kober Krebſe, den uns ein armer ge - druͤckter Bauer, als Klaͤger, bringt, gegen ein wildes Schwein verhaͤlt, das uns ſein gnaͤdiger Herr, als Beklagter, zu Aufmunterung unſers Eifers fuͤr die gerechte Sache zuſchickt. Dieſes heißt iuſtitia diſtributiua. *Hiervon iſt mit mehrerm nachzuſehen, des beruͤhmten Herrn Profeſſors in Leiden, Gille Hooenhoeck nomen - clator forenſis, oder juriſtiſches Woͤrterbuch, in welchem unter dem Buchſtaben J, obige Beſchreibung de iuſtitia diſtributiua von Wort zu Wort ſich befindet, und noch dieſes hinzugeſetzt iſt, daß nach verſchiedner Rechtsgelehr - ter Meynung ein Kober Krebſe probatio ſemiplena, ein wildes Schwein aber documentum guarentigionatum heiße. Jch habe aber davon mit Fleiße in meinem Texte nichts erwaͤhnen wollen, weil dieſes nur den hollaͤndiſchen Schlendrian betrifft, und hier zu Lande ganz und gar nicht eingefuͤhrt iſt.Und in dieſem Falle iſt die Wage ganz unentbehrlich. Jch wollte aber doch auch wohlmeynend rathen, daß man die Gerech - tigkeit bey dergleichen Gelegenheit mit offnen, und unverbundnen Augen vorſtellte, denn es traͤgt dieſes viel dazu bey, den ſtatum cauſſae recht ein - zuſehen.

F 4Jch88Abhandlung

Jch beſitze ein Buch, aber der Titel iſt weggeriſſen, um deswillen iſt mir der Verfaſſer, und die Jahrzahl, wenn es herausgekommen, unbekannt. So viel kan ich aus dem Drucke ſchließen, daß es ziemlich alt ſeyn mag, und die ſogenannten Summarien der Capitel zeigen durchgaͤngig, daß es von der Handhabung des Rechts und der Gerechtigkeit, oder, wie mein unbe - kannter Autor ſich ausdruͤckt, de vltimo fine cauſſidi - corum, handelt. Von der Sache, welche darinnen ausgefuͤhrt worden, will ich nichts gedenken, weil ſie auf unſre Zeiten gar nicht paßt. Allein dieſes muß ich doch als einen Beweis des guten Geſchmacks anfuͤh - ren, den man in vorigen Zeiten gehabt, daß man da - ſelbſt beſonders drey Stuͤcke antrifft, welche außeror - dentlich wohl gewaͤhlt ſind. Der erſte ſteht gleich uͤber dem Anfange der Vorrede, und iſt ein feiner Holz - ſchnitt, der eine Wollſchur, und im Proſpecte den Tempel der Gerechtigkeit ganz zierlich vorſtellt, mit der Ueberſchrift: Paſtoris eſt, tondere pecus! Der Anfangsbuchſtabe iſt ein A, ſo auf einem Expensbu - che ſteht. Zum Schluße der Abhandlung iſt eine zu - ſammengekruͤmmte Schlange, ungefaͤhr ſo, wie man die Ewigkeit malt. Jn dem innern Raume derſelben erblickt man die Worte: In ſaecula ſaeculorum. Ob dieſes letztere nur ein andaͤchtiger Wunſch ſeyn ſoll, den der Verfaſſer, an ſtatt des ſonſt gewoͤnlichen, in un - ſern Zeiten aber auch altvaͤteriſch gewordenen; Soli Deo gloria, angehangen hat? das weis ich nicht. Jch glaube aber, daß dieſe Stoͤcke ſich alle dreye gar fuͤglich auf den abgehandelten Satz: De vltimo fine cauſſidicorum deuten laſſen.

Anfaͤng -89von Buchdruckerſtoͤcken.

Anfaͤnglich hatte ich mir vorgeſetzt, einen Buch - druckerſtock auszudenken, den man vor eine Schrift ſetzen koͤnnte, in welcher von der Billigkeit, ſich der Wittwen und Waiſen, ohne Eigennutz und redlich, anzunehmen, gehandelt wuͤrde. Es hat mir es aber ein gewiſſer vornehmer Mann ausgeredet, und zur Urſache angefuͤhrt, daß dergleichen Stoͤcke gar uͤberfluͤßig waͤren, da dieſe Materie nur un - ter die theoretiſchen Wahrheiten gehoͤrte, welche wenig Leſer, und um deswillen ſchwerlich einen Verleger finden wuͤrden. Aus Hochachtung gegen dieſen großen Mann, bin ich zwar ſeinem Rathe gefolgt, nur befuͤrchte ich, daß mir dadurch die Ge - legenheit genommen werde, von verſchiednen ju - riſtiſchen Saͤtzen zu handeln, welche man eben ſo wohl fuͤr ſolche theoretiſche Wahrheiten, als jene, halten, und glauben wird, daß ſie weder Leſer, noch Verleger, finden duͤrften. Nunmehr darf ich es in der That nicht wagen, etwas von der Natur und Eigenſchaft eines Advocatengewiſſens, von Wiedererſtattung des unrechterworbnen Gu - tes, welches man mit aller Legalitaͤt ſeinen Clienten entwendet hat, von der Wichtigkeit der Eidſchwuͤre, von der Strafe der Erbſchleicher, und von hundert andern Sachen zu reden. Ja nach eben dieſer Re - gel wird es vergebens ſeyn, von der Taxordnung etwas zu gedenken. Und dennoch glaube ich, alle dieſe Stuͤcke ſollten die ſchoͤnſten Erfindungen zu den zierlichſten Buchdruckerſtoͤcken geben. Jch kann die - ſen Verluſt kaum verſchmerzen. Geſetzt auch, daß alle dieſe Dinge nicht mehr Mode, und hoͤchſtens nurF 5theo -90Abhandlungtheoretiſche Wahrheiten ſind! Darf man denn des - wegen nicht weiter davon ſchreiben? Kann man ſie denn nicht wenigſtens unter die juriſtiſchen Alterthuͤ - mer rechnen? Sollten dergleichen Abhandlungen nicht wenigſtens eben ſo nuͤtzlich ſeyn, als die Abhand - lungen von den Salben der Griechen, und von den langen und kurzen Roͤcken der Roͤmer. Jch wette darauf, wer davon ſchreibt, kann ſich den Beyfall der beruͤhmteſten Maͤnner, und wenigſtens in vier Wo - chenblaͤttern den Titel eines doctiſſimi, clariſſimi, viri celeberrimi, Auctoris actatem venerandi ver - ſprechen. Nur von der Billigkeit, ſich der Wittwen, und Waiſen, ohne Eigennutz anzunehmen, von ſolchen Pflichten eines Rechtsgelehrten, die unſre alten Vor - fahren, die Barbaren, welche nichts von Gloſſis, und Brocardicis wußten, fuͤr ſo unentbehrlich hielten; nur davon ſoll es nicht erlaubt ſeyn, etwas zu ſchreiben, aus Furcht, man moͤchte vergebens geſchrieben ha - ben? Das halte ich fuͤr grauſam! Und dennoch ſe - he ich mich gezwungen, dem mir gegebnen Rathe dieſes großen Mannes zu folgen; weil er mein naͤch - ſter Vetter iſt; weil er viel Verſtand, und uͤber zwanzigtauſend Gulden beſitzt; weil er drey Aerzte hat, die ihn alle dreye auf einmal mit Medicamenten verſorgen, und er alſo, wofern dieſe ihr Handwerk recht verſtehen, nicht lange mehr leben kann. Vor der ganzen Welt muͤſſen mich dieſe Gruͤnde rechtfer - tigen, und wer mir nunmehr noch vorwerfen wollte, daß ich aus Eigennutze nachgegeben, und nicht die Liebe zur Wahrheit uͤber alles gehen laſſen, der muß ſein Lebtage keinen reichen Vetter gehabt haben. Und91von Buchdruckerſtoͤcken. Und auf ſolcher Leute ihr bloͤdes Urtheil gebe ich nichts, wie billig.

Fuͤr die Schriften unſrer ſtarken Geiſter, habe ich lange, doch vergebens, nachgedacht, einen Buch - druckerſtock ausfindig zu machen. Ueber Wahrhei - ten zu ſpotten, welche wir, kleine Seelen, unter ein - ander gemeiniglich die wichtigen Wahrheiten der Religion nennen; dazu gehoͤrt eine ſo beſondre Faͤ - higkeit, welche man ordentlicher Weiſe bey vernuͤnf - tigen Creaturen nicht antrifft. Jch rede gar nicht von allen. Dem Spinoza will ich, was den tief - ſinnigen Verſtand anbetrifft, ſein Recht gern wider - fahren laſſen; und unſern ſtarken Geiſtern goͤnne ich das Vergnuͤgen, ſich eben ſo wohl Spinoziſten zu nennen, als ich mich fuͤr einen eifrigen Wolfianer ausgab, da ich noch in Prima ſaß. Das waͤre bar - bariſch, wenn man unſern Freygeiſtern nicht einmal dieſen Titel einraͤumen wollte. Ein Geſchoͤpf, wel - ches ſich ſo viel Gewalt anthut, daß es ſeine Em - pfindung verlaͤugnet; welches Sachen behauptet, wor - innen ihm ſein eigner Verſtand widerſpricht; wel - ches ſeiner Vernunft entſagt, um uns die Vernunft, als das einzige Mittel zur Gluͤckſeligkeit, anzuprei - ſen; welches ſich der Verachtung aller Welt ausſetzt, um unſer Lehrmeiſter zu werden; welches in dieſer Welt ſein Gluͤck von ſich ſtoͤßt, uns zu verſichern, daß wir in jener Welt keines zu hoffen haben; welches ein Narr wird, um ein Autor zu heißen; ein ſol - ches Geſchoͤpf ſolte nicht einmal ſo viel Mitleid ver - dienen, daß wir ihm den Titel eines Spinoziſten zu - geſtuͤnden? Der Einwurf taugt gar nichts, er iſtabge -92Abhandlungabgeſchmackt, wenn man auf die Erfahrung trotzt, daß der ſchwaͤchſte Kopf oftmals der ſtaͤrkſte Geiſt ſey; daß dazu viel weniger Verſtand gehoͤre, die Gruͤnde der geoffenbarten Religion zu laͤugnen, als zu beweiſen; daß derjenige die Geſetze des Staats beleidige, welcher die Geſetze der Offenbahrung uͤber einen Haufen zu werfen ſucht, daß die Pflichten der Geſelligkeit dadurch gebrochen wuͤrden, wenn man ſeinen Mitbuͤrgern die Mittel, ihr Gemuͤthe zu beruhigen, aus den Haͤnden reißt, ohne ihnen beß - re Mittel anzugeben. Alle dieſe Einwuͤrfe ſind un - gegruͤndet, ſie ſind abgeſchmackt. Jch habe es ſchon oben geſagt, und hier ſage ich es noch einmal. Das iſt ein richtiger Beweis, und noch weit gruͤndlicher, als derjenige Beweis, welchen unſre ſtarken Geiſter einigen Engellaͤndern treuherzig nachbeten, wenn ſie die bibliſche Geſchichte von der Schoͤpfung der Welt laͤcherlich machen wollen.

Aus ruͤhmlichem Eifer fuͤr die gerechte Sache unſrer ſtarken Geiſter, bin ich von meiner Haupt - ſache ganz abgekommen. Jch wollte von den Buchdruckerſtoͤcken handeln, welche vor ihre Schrif - ten gehoͤren, und gleichwohl gerathe ich in einen ſo heftigen Eifer, mich ihrer anzunehmen, als waͤre man ſchon im Begriffe, ſie ins Tollhaus zu ſte - cken. Es ſchadet nichts, wenigſtens iſt es meine Schuld nunmehr nicht, wenn man ſie ja noch da - hin bringen ſollte, wo diejenigen eingeſchloſſen und verwahret werden, welche aus Mangel der Vernunft ſich und andern ſchaden koͤnnen. Das meinige habe ich gethan, und komme nun wieder zur Hauptſache.

Meine93von Buchdruckerſtoͤcken.

Meine Leſer werden ſich erinnern, daß ich gleich anfangs erwaͤhnt, wie ich lange, und ver - gebens nachgedacht haͤtte, einige Buchdruckerſtoͤcke ausfindig zu machen. Dieſes bewog mich, eine der neueſten Schriften unſrer ſtarken Geiſter aufzu - ſchlagen, und wenn die andern alle ſo ſind, ſo halte ich meine Sorge beynahe fuͤr uͤberfluͤßig, weil ich finde, daß die Stoͤcke mit Einſicht gewaͤhlt ſind. Dieſe ganz neue und, wo ich nicht irre, die allerneueſte Abhandlung faͤngt ſich mit einem J an. Dieſer Buchſtabe ſteht in einer viereckigten Verzierung, auf welcher ein Fuchs ſitzt. Jn ſei - nen Pfoten haͤlt er einen Kopf. Weil es nur ein Holzſchnitt iſt, ſo habe ich nicht recht deutlich un - terſcheiden koͤnnen, ob es der Kopf von einem Men - ſchen, oder von einem unvernuͤnftigen Thiere iſt, und eben dieſes hat mich noch bis auf dieſe Stunde zweifelhaft gelaſſen, ob es das Bruſtbild des ge - ſchickten Herrn Verfaſſers ſeyn, oder auf die bekannte Fabel gehen ſoll, welche Phaͤdrus von der Maske erzaͤhlt, welche zwar vortreflich ausgeſehen, aber kein Gehirn gehabt hat. Jch bin hierinnen freylich noch ungewiß, aber je mehr ich in der Abhandlung ſelbſt leſe, deſtomehr glaube ich auch, daß der Ver - faſſer, nach der Gewohnheit andrer großer Schrift - ſteller, der Nachwelt ſein Bildniß mittheilen wollen. Beylaͤufig muß ich hier gedenken, daß ich in veteri triclinio a Jul. Vrſino exhibito in appendice ad Ci - accon. p. 120. edit. Sanctandr. nachgeſchlagen, wo ich unter andern gemalten Larven eine gefunden habe, welche meinem obgedachten Herrn Autor vollkommenaͤhnlich94Abhandlungaͤhnlich ſieht, und dieſes uͤberzeugt mich von ſeinem guten Geſchmacke noch mehr.

Vermoͤge der natuͤrlichſten Ordnung komme ich nunmehr auf die Philoſophen. Denn ich kenne kei - nen einzigen Freygeiſt, welcher ſich nicht unter der anſehnlichen Geſtalt eines Philoſophen groß, und fruchtbar zu machen ſucht. Die Menge der philo - ſophiſchen Schriften verdiente wohl, daß ich die ge - lehrte Welt mit einer eben ſo großen Menge von Buchdruckerſtoͤcken verſorgte, welche vor dieſelben geſetzt werden koͤnnten. Man koͤnnte ſich hiervon einen doppelten Nutzen verſprechen. Jch wuͤrde dadurch dem Misbrauche ſteuern, welcher beſon - ders bey dieſer Art von Schriften eingeriſſen iſt; und uͤberdieſes wuͤrden die Leſer noch den Vortheil haben, daß ſie bey Erblickung eines deutlichen Buch - druckerſtocks wenigſtens etwas verſtuͤnden, da ge - meiniglich die Abhandlungen ſelbſt ſo eingerichter ſind, daß man, ohne beſondre Erleuchtung, nicht ein - ſehen kann, ob es eine Abhandlung von den Monaden, oder aus der Alchymie ſeyn ſoll. Mein Vorſatz er - laubt mir nicht, ſo weitlaͤuftig zu ſeyn, als es das allgemeine Beſte erfodert; und ich hoffe, ich werde das Recht haben, meine Bequemlichkeit allen andern Abſichten vorzuziehen, ſo lange man einem Autor das Recht nicht abſprechen kann, mehr auf ſich, als auf das! gemeine Beſte, zu ſehen. Um deswillen werde ich fuͤr dießmal nur einiger gedenken. Wir fangen nunmehr an, diejenigen gluͤckſeligen Zeiten zu er - leben, in welchen wir durch mehr, als ein gedrucktes Zeugniß, den Vorwurf unſrer eiferſuͤchtigen Nach -barn95von Buchdruckerſtoͤcken. barn zu Schanden machen koͤnnen, welche glauben, daß wir Deutſchen zu wenig Witz, und zu viel Ernſt - haftigkeit beſitzen. Unſre muntern Juͤnglinge bre - chen uns die Bahn. Voll edler Verwegenheit un - ternehmen ſie Beweiſe der ſchwerſten und ernſthaf - teſten Materien aus der Metaphyſik, und dennoch alles mit einer ſpaßhaften Miene, und mit einer ſehr merkwuͤrdigen Lebhaftigkeit. Wenn ſie von den ewigen Wahrheiten der beſten Welt zu reden verſpre - chen; ſo werden ſie uns mit lachendem Munde er - zaͤhlen, daß die Augen ihrer Chloris reizend, und ihr Mund ſo bezaubernd ſey, daß ſie von ihrer beſten Welt erſt alsdann recht uͤberfuͤhrt werden koͤnnten, wenn ſie dieſen Mund kuͤſſen duͤrften. Das erſte Weſen aller Dinge legte mit weiſer Vorſicht die Kraͤfte in den Menſchen, die Mittel zu waͤhlen, wel - che zu Befoͤrderung ſeiner Gluͤckſeligkeit dienlich ſind, und dasjenige zu meiden, was ihm an Erlan - gung derſelben hinderlich ſeyn konnte. So praͤch - tig klingt ihr Satz. Fragt man nach dem Beweiſe? Der Beweis folgt unmittelbar drauf. Jch waͤhle die Chloe, weil ich bey ihrer Liebe der gluͤckſeligſte bin; Aber mit der groͤßten Kaltſinnigkeit begegne ich Selinden, denn ihre Sproͤdigkeit will keine Schaͤfer, ſondern Sklaven, haben. Jſt dieſer Beweis nicht ganz unerwartet? Jſt er nicht eben um deswillen vortrefflich? Unſer großer Philoſoph liebt Chloen, und flieht Selinden! Warum? Denn das erſte Weſen aller Dinge (§. 1.) legte mit weiſer Vorſicht (§. 4.) die Kraͤfte in denſelben (§. §. 9. 10. ), durch eine freye Wahl (§. praeced. ) ſein Gluͤck und ſeinUngluͤck96AbhandlungUngluͤck zu befoͤrdern. Es wird einem ſolchen ſtark - denkenden Geiſte ein leichtes ſeyn, die Exiſtenz Got - tes auf eine ſo ſpielende und luſtige Art zu beweiſen, daß auch der Setzer ſeiner Schrift vor hertzlicher Ueberzeugung ſich des Lachens nicht enthalten kann, ſo bald er die Demonſtration in die Haͤnde bekoͤmmt. Koͤnnte wohl ein vortrefflicher Mittel, als dieſes, ausgeſonnen werden, auch den Poͤbel von den wichtigſten Wahrheiten der hoͤchſten Philoſophie und der natuͤrlichen Gottesgelahrheit zu uͤberzeu - gen? Gewiß keines! Und wer ſo unverſchaͤmt ſeyn, und mir darinnen widerſprechen wollte, der muͤßte ich weis beynahe nicht, was ich von ihm den - ken ſolte! Mit einem Worte; der muͤßte ſo eigen - ſinnig, als Wolf, ſeyn. Wenn ich meine philoſo - phiſchen Helden mit einem Blicke uͤberſehe; ſo finde ich bey allen eine groſſe Aehnlichkeit, die ſie unter einander haben. Der Koͤrper von ihren Abhand - lungen iſt ernſthaft, und anſehnlich; Die Ein - kleidung iſt luſtig und poßierlich. Jch werde alſo fuͤr alle nur einen Buchdruckerſtock vorſchlagen. Vielleicht ſchickte ſich dieſer am beſten, wenn ſie ſich wollten gefallen laſſen, uͤber ihre Schriften ein Bild zu ſetzen, welches einen griechiſchen Philoſo - phen in ſeiner ehrwuͤrdigſten Kleidung vorſtellte; jedoch mit dem Unterſchiede, daß er den Mantel, den Huth, und die komiſche Stellung eines Scapins an ſich haͤtte. Wem der Scapin nicht gefaͤllt, der mag ſich den Pantalon waͤhlen, und wem die Kleidung des Pantalons auch noch zu ernſthaft iſt, dem laſſe ich die freye Wahl, die dritte Art von dergleichenTrachten97von Buchdruckerſtoͤcken. Trachten zu nehmen, welche bey ſeiner Schrift viel - leicht noch natuͤrlicher laͤßt.

Es giebt unter unſern Philoſophen eine gewiſſe Secte, welche durch ihren geheimnißvollen Vortrag ihre Meynung ſo gut zu verſtecken wiſſen, daß man darauf ſchwoͤren ſollte, ſie verſtuͤnden ſelbſt nicht, was ſie ſchreiben. Jhre Sprache iſt ſo dunkel, wie die Raͤthſel der Morgenlaͤnder, und wenn ſie anfangen, recht tiefſinnig zu demonſtriren; ſo ſollte man glau - ben, ſie zauberten. Jch werde es verantworten koͤnnen, wenn ich ſie um deswillen philoſophiſche Qua - cker nenne. Bloß aus Hochachtung gegen ſie ge - ſchieht es, daß ich ihnen dieſen Titel beylege. Jch ſuche auch zwiſchen ihnen und den Quackern keine Aehnlichkeit weiter, als in der Art, mit welcher beide ihre Gedanken ausdruͤcken. Denen wuͤrde ich es in der That ſchlechten Dank wiſſen, welche in der Vergleichung weiter gehen, und von dem geiſtli - chen Hochmuthe der Qvacker, von ihrem verderbten Gebluͤte, von ihrer unachtſamen Kleidung, von ge - wiſſen unordentlichen Trieben, welche doch ihren Lehrſaͤtzen, wenigſtens dem Wortverſtande nach, wi - derſprechen, und von andern dergleichen Sachen eine Aehnlichkeit auf meiner Philoſophen herleiten wollten. Es iſt hier der Ort gar nicht, davon zu handeln; viel - leicht zeigt ſich im Nachfolgenden eine Gelegenheit dazu. Jtzt will ich beym Hauptſatze bleiben, da ich dergleichen Philoſophen, ihrer myſtiſchen Spra - che wegen, mit den Qvackern in eine Reihe ſtelle. Fuͤr dieſe ſchickt ſich wohl kein Buchdruckerſtock beſ -Zweyter Theil. Gſer,98Abhandlungſer, als derjenige, welcher die Prieſterinn zu Delphis auf ihrem Dreyfuße mit begeiſterter Geberde, und derjenigen heiligverzerrten Miene vorſtellt, mit wel - cher ſie die neugierigen und zweifelnden Menſchen durch ihre hohen Ausſpruͤche noch zweifelhafter macht. Dieſer Buchdruckerſtock hat ſeinen zu - reichenden Grund in dem Weſen des Dings; oder, niedriger zu reden, er ſchickt ſich auf meine qua - ckeriſchen Philoſophen vollkommen. Dieſe bekom - men, uͤber ihren Erweiſen, von der Einheit, von dem ſich ſelbſt Beſtimmenden, vom leeren Raume, und dergleichen eben ſolche kunſtmaͤßige Verzuckun - gen auf ihren Großvaterſtuͤhlen, als die delphiſche Prieſterinn unter ihrem Wahrſagen auf dem Drey - fuße bekam. Wenn dieſe ſchaͤumte, ſo redete ſie die Sprache der Goͤtter, denn ein Sterblicher ver - ſtund ſie nicht; und wenn dergleichen Philoſophen buͤndig ſchreiben, ſo ſchreiben ſie unverſtaͤndlich, denn dieſes nennen ſie die Sprache der Weisheit. Die delphiſchen Ausſpruͤche, ſo dunkel ſie auch waren, fanden dennoch ihre eifrigen Verehrer, und man betete ſie aberglaͤubiſch nach, ohne zu wiſſen, was darunter verſtanden wuͤrde. Jſt aber nicht eben dieſes auch bey uns die Urſache, daß wir in der Weltweisheit ſo aberglaͤubiſche Sectirer in aner finden, welche eben das denken, was ihr Lehr - meiſter gedacht hat? Und oftmals hat dieſer nichts gedacht. Wer ſich an dem Tempel zu Delphis ver - greifen wollte, dem drohten die Prieſter mit den raͤ - chenden Blitzen der Goͤtter, und ganz Griechenland ward in Harniſch gebracht. Frevelt man aber miteinem99von Buchdruckerſtoͤcken. einem Philoſophen, ſo erbittert man gewiß ein gan - zes Heer junger Schriftſteller, welche das Lehrgebaͤu - de ihres Abgotts, durch Heiſcheſaͤtze, Lehrſaͤtze, Grund - ſaͤtze, und Aufgaben, vertheidigen, und uns wohl gar mit a + b x. von dem gelehrten Boden wegde - monſtriren. Koͤmmt es aber gar ſo weit, daß ſich ihr Anfuͤhrer ſelbſt in den Kampf mengt, ſo wer - den wir uns gewiß keine gelindere Zuͤchtigung ver - ſprechen koͤnnen, als daß er uns methodo mathe - matica auf einmal aus einem Menſchen in ein un - vernuͤnftiges Thier verwandelt. Noch mehr! Die delphiſche Prieſterinn wahrſagte nicht eher, als bis ſie, durch genugſame Opfer, Geſchenke und Belohnun - gen in ihre heilige Wut gerieth: Und meine Phi - loſophen werden niemals eher Doch ich irre mich. Meine Philoſophen ſchreiben bloß aus Liebe zur Wahrheit.

Unſre heydniſchen Vorfahren gaben ihren Prie - ſtern den Barden, Schuld, daß ſie in ihren Liedern und Geſaͤngen mit vieler Heftigkeit wider den Geiz eifer - ten, und gleichwohl ſelbſt die geizigſten im ganzen Volke waͤren. Da wir nunmehr Chriſten ſind, ſo iſt freylich dieſe uͤble Gewohnheit mit noch viel an - dern Laſtern abgekommen, welche die alten Deutſchen an ſich hatten. Doch etwas aͤhnliches davon findet ſich noch bey einigen unſrer Philoſophen. Jch will ihrer nur mit wenig Worten gedenken, da ich mich im Vorhergehenden auf gewiſſe Maaße dazu anhei - ſchig gemacht habe. Es giebt deren zwiſchen Straß - burg und Breßlau nur dreye, hoͤchſtens viere, welcheG 2in100Abhandlung. in ganzen Qvartanten von den Pflichten der Men - ſchen gegen ihre Mitbuͤrger, von Erlangung des hoͤch - ſten Gutes, von der Erkenntniß des Schoͤpfers aus der Natur, von der Belohnung und Beſtrafung des Guten und Boͤſen, von der Unſterblichkeit der See - le, von der Baͤndigung aller heftigen Leidenſchaften, und von der wahren Zufriedenheit eines Menſchen, mit ſolcher Lebhaftigkeit und mit ſolchem Eifer ſchrei - ben, daß ſich ihre Abhandlungen auf das erbaulich - ſte leſen laſſen. Gleichwohl will man aus beſondern Umſtaͤnden dieſer Moraliſten ſchließen, und fuͤr ge - wiß verſichern, daß ſie, wenn man ſie als Menſchen, und nicht als Philoſophen, betrachtet, nichts weniger, als die Pflichten gegen ihre Mitbuͤrger, erfuͤllen; daß ſie in Beſtimmung des hoͤchſten Gutes ſehr ungewiß ſind, und ſich ſehr koͤrperliche Begriffe davon ma - chen; daß ſie an die Erkenntniß des Schoͤpfers, an die Vergeltung des Guten und Boͤſen, und an die Unſterblichkeit der Seele nicht laͤnger denken, als ſie auf der Catheder ſtehen, oder an dem Pulte ſitzen. Niemals ſind ſie, ſagt die Gelehrtenhiſtorie unſrer Zeit, wider den Hochmuth mehr ergrimmt, als wenn man ihnen ihren Rang ſtreitig machen will. Nur erſt alsdann koͤmmt ihnen der Geiz recht abſcheulich vor, wenn ihre Glaͤubiger ſo unphiloſophiſch ſind, und auf ihre Bezahlung dringen. Und iſt ihre Chloe; denn die Philoſophen haben auch ihre Chloen; iſt dieſe, ſage ich, ſo niedrig geſinnt, daß ihr die Ge - ſchenke und Kuͤſſe eines erhitzten Stutzers lieber ſind, als die abſtracten Seufzer ihres dogmatiſchen An - beters: So kann man gewiß glauben, daß er inder101von Buchdruckerſtoͤcken. der naͤchſten Meſſe, eine große Abhandlung wider die unbaͤndigen Leidenſchaften der Wolluſt, und der unordentlichen Liebe ſchreiben wird. Fuͤr dieſe Phi - loſophen weis ich keinen beſſern Buchdruckerſtock vor - zuſchlagen, als ihr eignes Bildniß. Sie ſollen die Wahl haben, ob ſie ſich nur im Bruſtbilde, oder in ihrer voͤlligen Groͤße wollen vorſtellen laſſen. Die Larven, unter welchen ſie ſich ordentlich zu verbergen ſuchen, will ich ihnen nicht ganz nehmen; Sie moͤ - gen ſolche behalten, doch ſo, daß man wenigſtens die Haͤlfte von ihrem wahren Geſichte ſehen kann. Ein einziges Lineament, daß man von ihnen erblickt, wird ſchon genug ſeyn, dem Leſer zu zeigen, wer hinter der Larve ſteckt. Es muß artig anzuſehen ſeyn, wenn die eine Seite des Geſichts einem Lehrer des menſch - lichen Geſchlechts gleicht, die andre Seite aber ſol - che Zuͤge blicken laͤßt, welche die heftigſten Leiden - ſchaften eines eingebildeten, eines geizigen, eines aus - ſchweifenden Gemuͤths verrathen. Jch will nicht hoffen, daß ſich meine Philoſophen, durch dieſen wohl - gemeynten Vorſchlag beleidigt finden werden. Ge - ſchaͤhe dieſes aber; ſo verdienten ſie wohl, daß ſie die Obrigkeit ſelbſt anhielte, entweder gar nicht mehr zu ſchreiben, oder ihr Bildniß ſo vorzuſetzen, daß ſie auch nicht einmal die Haͤlfte des Geſichts bedecken duͤrften. Jch weis beynahe nicht, welche von die - ſen beiden Strafen fuͤr ſie die grauſamſte ſeyn wuͤrde.

Eben da ich im Begriffe bin, in gegenwaͤrtiger Ab - handlung weiter fortzufahren, und gegen die uͤbri - gen Gelehrten und Schriftſteller eben die Bereit -G 3willig -102Abhandlungwilligkeit zu zeigen die ich bisher gegen die Rechts - gelehrten, die Freygeiſter und einige Philoſophen, gezeigt habe; So erhalte ich von meinem guten Freun - de, Peter Trommern in Augſpurg, einen Brief, worinnen er meldet, daß er von meinem Vorhaben, gegenwaͤrtige Schrift abzufaſſen, Nachricht erhalten, und um deswillen ſich die Muͤhe gegeben habe, eini - ge Buchdruckerſtoͤcke zu ſchneiden, wovon er mir den Abdruck ſchickt. Er uͤberlaͤßt mir die Muͤhe, aus - findig zu machen, vor welche Buͤcher ſie ſich eigent - lich ſchicken, und bittet mich, ſeine Arbeit ſo wohl, als ſein loͤbliches Vorhaben, noch mehr dergleichen zu liefern, der gelehrten Welt bekannt zu machen. Jch darf es ihm, als meinem Freunde, freylich nicht wohl abſchlagen, ungeachtet ich von einigen ſeiner Buchdruckerſtoͤcke gar nicht errathen kann, vor wel - che Buͤcher ſie ſich eigentlich ſchicken ſollten. Weil aber Herr Trommer vor allen andern wegen ſeiner Geſchicklichkeit in der Kunſt, Buchdruckerſtoͤcke zu ſchneiden, beruͤhmt iſt, ſo will ich ſie meinen Leſern mittheilen. Hoffentlich wird ſich dieſes Verzeichniß eben ſo anmuthig leſen laſſen, als ein Meßcatalogus, wo man auch nur Titel von Buͤchern lieſt, und oftmals ſolche Titel, aus denen man den eigentlichen Jnnhalt der Buͤcher, zu welchen ſie gehoͤren, wohl nimmer - mehr errathen ſollte. Finden ſich, wie ich gar nicht zweifle, Liebhaber zu dieſen Buchdruckerſtoͤcken; ſo kann ich ihnen melden, daß Herr Peter Trommer kuͤnftige Oſtermeſſe zu Leipzig in Braͤunigs Hofe rech - ter Hand anzutreffen, und bey ihm alles um einen leidlichen Preis zu bekommen ſeyn wird. Jch be -halte103von Buchdruckerſtoͤcken. halte mir die Erlaubniß vor, nach der Meſſe ei - nige Nachricht zu geben, welche von dieſen Stoͤcken am meiſten abgegangen ſind. Hier iſt das Ver - zeichniß ſelber.

Mitten unter alten Gemaͤuern von eingefallnen Tempeln und Saͤulen ſitzt derjenige Vogel, welcher nur im Finſtern ſieht, und bey Tage blind iſt, der ſich vom Ungeziefer und kleinen Gewuͤrme naͤhrt, deſſen graͤßliches Geſchrey niemals etwas gutes bedeutet, und welcher, ſo bald er zu ſchreyen anfaͤngt, alle Voͤ - gel der ganzen Gegend wider ſich rege macht. Was mir, bey dieſem Stocke, am beſten gefaͤllt, iſt dieſes, daß Herr Trommer mit vieler Geſchicklichkeit dieſem Vogel eine ſo ernſthafte Miene zu geben gewußt, daß er alle andre Voͤgel mit Verachtung anzuſehen ſcheint, welche nicht, wie er, unter altem Gemaͤuer und im Dunkeln ſich beſtaͤndig aufhalten. Ein paar große Augen, die er grimmig im Kopfe herumwaͤlzt, ein aufgeſperrter Schnabel, und ſtarke Klauen ſcheinen einen jeden zu warnen, dieſen Vogel nicht in ſeinem Neſte anzugreifen.

Jn einem praͤchtigen Zimmer iſt ein Mann zu ſe - hen, welcher, nach einer beygebrachten Anmerkung, der roͤmiſche Kayſer Domitian ſeyn ſoll. Er thut unge - mein geſchaͤfftig, und ſcheint ſich, durch die viele Arbeit und heftige Bewegung, ganz ermuͤdet zu haben; un - geachtet dieſes ſeine wichtigſte Beſchaͤfftigung iſt, daß er Fliegen faͤngt. Das Bild iſt vortrefflich gemalt, ich kann es nicht laͤugnen, nur weis ich ganz und gar nicht zu begreifen, warum er dieſen Mann, nicht in roͤmi - ſcher, ſondern in deutſcher, Kleidung vorgeſtellt hat.

G 4Der104Abhandlung

Der dritte Buchdruckerſtock iſt das Bild des griechiſchen Weiſen, welcher die Sterne ſorgfaͤltig be - trachtet, auf den Weg aber nicht ſieht, und um des - willen in eine Grube faͤllt. Herr Trommer hat hier - bey den Einfall, den vielleicht der meiſte Theil der Leſer auch haben wird, daß ſich naͤmlich dieſer Stock am beſten vor einige aſtronomiſche Abhandlungen ſchickte. Jch will dieſem nicht gaͤnzlich widerſpre - chen, wenn ich bedenke, daß viele der Mathemati - ker ſich um die Sterne mehr bekuͤmmern, als um dasjenige, was ſie auf der Erde, und gegen ſich ſelbſt ſo wohl, als gegen andre Menſchen, zu beobachten haben. Es iſt wahr, es giebt deren verſchiedne, welche ihre Haushaltung und Kinderzucht verſaͤu - men, um der Bahn eines Kometen nachzuſpuͤren; und welche nichts thun, als daß ſie mit elektriſchen Ex - perimenten ſpielen, zu der Zeit, da ihre Weiber vor langer Weile ganz andre Obſervationen anſtellen. Gleichwohl ſollte ich meynen, daß es noch vielmehr Arten der Gelehrten gaͤbe, welche aus eben dieſen Urſachen einen Anſpruch auf gegenwaͤrtigen Buch - druckerſtock machen koͤnnen. Und beſonders moͤch - te ich ihn einem gewiſſen Mann vorſchlagen, welcher uͤber die Unterſuchung der juͤdiſchen Alterthuͤmer Weib und Kind vergißt, und als ein halber Rabbi - ne in Geſellſchaften unertraͤglich wird.

Eine Geſellſchaft von Schuſtern ſitzt an einem Tiſche beyſammen. Auf demſelben liegt eine Land - karte von Deutſchland. Man ſieht es ihnen an ih - ren Geſichtern ganz deutlich an, daß ſie ſehr heftig mit einander ſtreiten. Der eine weiſt mit dem Fin -ger105von Buchdruckerſtoͤcken. ger auf Schleſien, und ſieht ſehr bedenklich dabey aus, zween haben einander bey den Haaren gefaßt, und der dritte liegt ſchon unter der Bank, und uͤber - haupt ſieht die ganze Geſellſchaft ſehr patriotiſch aus. Mich deucht, dieſer Stock ſollte ſich ſehr gut vor eine politiſche Monatſchrift ſchicken.

Ein Jndianer liegt, mit einem Rauchfaſſe in der Hand, vor einem Altare, und betet ein Goͤtzenbild an, welches den Bauch von einem Menſchen, die uͤbri - gen Gliedmaaßen aber, und beſonders die um den Kopf herum, von verſchiednen Thieren hat. Herr Trommer hat mich ſehr gebeten, ihm einen Kaͤufer zu dieſem Buchdruckerſtocke zu verſchaffen. Jch kenne nicht mehr, als einen einzigen guten Freund, welcher im Stande iſt, Buͤcher zu ſchreiben, vor wel - che ſich ein ſolcher Stock ſchickt; und wenn ſich dieſer nicht entſchließt, ſolchen zu kaufen, ſo zweifle ich faſt, ob er einen Liebhaber finden wird. Allen - falls muß ſich Herr Trommer entſchließen, ihn nach zu ſchicken, wo er ihn gewiß an Mann bringen kann.

Die Fabel iſt bekannt, welche uns erzaͤhlt, daß ein Mann ſich Muͤhe gegeben, eine Menge Affen zu un - terweiſen, und ſie dahin zu bringen, daß ſie wenig - ſtens vor den Leuten ihre natuͤrlichen Spruͤnge, und affenmaͤßigen Handlungen verbergen, und ſich in ih - ren Poſituren, wie Menſchen, anſtellen ſollen. Als er es durch gute und ſcharfe Mittel endlich ſo weit gebracht, daß ſie einigermaaßen menſchlich gethan: So verderbt ihm ein Spoͤtter ſeine ganzen Bemuͤ - hungen, da er Nuͤße und Aepfel unter ſie wirft, wo -G 5durch106Abhandlungdurch ſie auf einmal aus ihrer natuͤrlichen Stellung gebracht werden, und ſich ſo zeigen, wie ſie natuͤr - lich ſind. Dieſe Fabel hat mein augſpurgiſcher Freund ſehr lebhaft in einem Stocke ausgedruckt. Der Mann, welcher ſich Muͤhe giebt, die Affen zu unterweiſen, ſcheint ſich ſein Amt ſo angelegen ſeyn zu laſſen, als wenn er mit der wichtigſten Sache von der Welt zu thun haͤtte. Aber die unterſchiednen Stellungen ſeiner Schuͤler geben deutlich genug zu verſtehen, daß ſie nur aus Zwange vernuͤnftig thun, und laͤnger nicht, als er vor ihnen ſteht, und ihnen droht. Unter der menſchlichen Kleidung guckt das Affengeſicht allemal hervor. Verſchiedne bloͤken gar die Zaͤhne wider ihn, und der eine Affe beſonders, welcher vor andern anſehnlich iſt, droht, ihn zu kra - tzen. Von ferne zeigt ihnen ein Zuſchauer einen Korb voll Obſt, nach welchem ſie alle mit luͤſternen Blicken ſehen, und auf dem Sprunge zu ſtehen ſchei - nen, Lehre und Zwang zu verlaſſen, um ihren natuͤrli - chen Trieben wieder zu folgen. Dieſer Buchdrucker - ſtock findet wegen ſeiner außerordentlichen Sauber - keit, mit der er gezeichnet iſt, vor allen andern mei - nen Beyfall, und ungeachtet er ſich vor gegenwaͤrti - ge Abhandlung gar nicht ſchickt: So wuͤrde ich doch dem Verleger ſehr verbunden ſeyn, wenn er die weni - gen Koſten nicht ſcheuen, und dieſen Stock kaufen wollte, damit er meiner Schrift vorgeſetzt werden koͤnnte. Jch weis gewiß, er iſt zu gefaͤllig, als daß er mir dieſe kleine Bitte abſchlagen ſollte.

Hink -[107]

Hinkmars von Repkow Noten ohne Text.

[108]109

Nunmehr thue ich den erſten Schritt in die gelehrte Welt. Schon vor dreyßig Jahren hatte mich die Natur mit ſo ſtarken und dauerhaften Gliedmaaßen begabt, als zu einem Scribenten erfodert werden. Dennoch habe ich, wel - ches faſt unglaublich iſt, jedesmal uͤber mich ſelbſt ſo viel Gewalt gehabt, daß meine Gelehrſamkeit noch niemals zum wirklichen Ausbruche gekommen iſt, ich nehme einige kritiſche Verſuche aus, welche ich im Jahre 1719 bey der damaligen großen Theu - rung mir und dem guten Geſchmacke zum Beſten, doch jedesmal unter fremdem Namen, der Welt mittheilen mußte. Seit dreyßig Jahren alſo habe ich nur einen Zuſchauer unter den Gelehrten abge - geben. Meine ganze Aufmerkſamkeit war dahin gerichtet, zu ſehen, welches die ſicherſten und leichteſten Mittel waͤren, ſich auf einmal uͤber andre zu ſchwingen, und bis auf die ſpaͤteſte Nach - welt beruͤhmt zu werden. Jch habe angemerkt, daß die Bemuͤhungen der Geſchichtſchreiber, der Phi - loſophen, der Dichter, und aller uͤbrigen Gelehrten, ſo beſchwerlich, ſo ungewiß, und ſo gefaͤhrlich ſind, daß ich mich wohl huͤten werde, mich mit einer von die - ſen Arten Schriften zu vermengen. Hingegen ge - traue ich mir, durch hundert Exempel zu behaupten, daß man durch kein Mittel in der Welt leichter zur gehoͤrigen Autorgroͤße gelangen kann, als durch die Beſchaͤfftigung, die Schriften andrer Maͤnner durch Noten zu vermehren, und zu verbeſſern. Leu -te,110Hinkmars von Repkowte, von denen man ſchwoͤren ſollte, daß ſie die Na - tur zu nichts weniger, als zu Gelehrten, geſchaffen haͤtte; Leute, welche, ohne ſelbſt zu denken, die Gedan - ken der Alten und andrer beruͤhmten Maͤnner erklaͤ - ren; ſolche Leute ſind es, die ſich groß, und furchtbar machen; und wodurch? Durch Noten! Noten alſo ſind der rechte Weg, zu demjenigen Zwecke zu gelan - gen, welchen alle Gelehrte auf verſchiedne Arten, aber mit ungleichem Erfolge, ſuchen. Jch brauche nicht, zu beweiſen, daß bey einem dergleichen Buche des Herrn Verfaſſers Noten allemal das vornehmſte und wich - tigſte ſind, der Text ſelbſt aber nur etwas zufaͤlliges, wenigſtens von der Erheblichkeit lange nicht iſt, als die angehaͤngten Noten. Jch beziehe mich auf die Vorreden, ſo man vor dieſen Buͤchern findet, und worinnen mein Satz allemal, nur auf verſchiedne Art, behauptet iſt. Einem ſolchen Verfaſſer wuͤrde es daher gleich viel gelten, wenn der Text auch gar unter - gienge. Nur um ſeine Noten darf die Nachwelt nicht kommen; dieſer Verluſt waͤre unerſetzlich. Dieſe Betrachtung hat mich zu dem Entſchluſſe gebracht, Noten zu ſchreiben, ohne um einen Text beſorgt zu ſeyn, da dieſer, wie gedacht, ohnedem nur ein Neben - umſtand bey einem Buche iſt. Jch uͤberlaſſe die Be - ſchaͤfftigung, einen Text zu gegenwaͤrtigen Noten zu machen, andern, die weder diejenige Erfahrung, noch Geſchicklichkeit, beſitzen, die ich mit gutem Gewiſſen von mir ſelbſt ruͤhmen kann. Es ſollte mir lieb ſeyn, wenn ich dadurch unſrer itzigen Jugend Gelegenheit gaͤbe, ſich in Texten zu uͤben. Es kann gleich viel gel - ten, ob ſie eine Materie von den itzigen politiſchenUm -111Noten ohne Text. Umſtaͤnden, oder aus der Arzneykunſt, oder aus den buͤrgerlichen Rechten dazu waͤhlen wollen. Eine Abhandlung von dem leeren Raume ſollte ſich auch nicht unrecht dazu ſchicken, denn dergleichen Betrachtungen werden nicht ſehr geleſen, und ſolche Texte braucht ein Notenautor, wie ich bin, am liebſten. Jch wollte wuͤnſchen, daß ſich bald wie - der ein Komet ſehen ließe. Meine Noten ſollten ſich ganz vortrefflich ausnehmen, wenn ſie unter ei - ner Abhandlung davon ſtuͤnden. Man wird zwar darinnen nicht ein einziges Wort von Kometen fin - den. Aber deſto beſſer waͤre es; denn natuͤrlicher Weiſe haben dergleichen Noten, wie die meinigen ſind, ohnedem mit dem Texte weiter kein Verhaͤlt - niß, als das, welches ihnen der Setzer giebt. Mit einem Worte; mit dem Texte mag ich gar nichts zu thun haben, den uͤberlaſſe ich kleinen Geiſtern. Jch bin ein Gelehrter, und zwar ein Gelehrter bey Jah - ren, darum ſchreibe ich Noten; denn das iſt ein wichtiges Werk! Jch erſtaune, wenn ich zuruͤcke ſehe, und eine unzaͤhlbare Menge Maͤnner hinter mir erblicke, welche ſich ſo viele Jahre lang mit ſo vie - ler Sorge, auf ſo verſchiedne Art, um den Na - men eines Gelehrten bemuͤht haben, von mir aber in einer Zeit von zween Tagen, auf die beqvemlichſte Art von der Welt, und ohne meinem Verſtande und Nachdenken die geringſte Gewalt anzuthun, einge - holt, ja weit uͤbertroffen ſind. Allen meinen En - keln will ich es anrathen. Noten ſollen ſie machen! Und, wollen ſie es ſo hoch bringen, wie ihr Groß - vater, ſo machen ſie Noten ohne Text! Eine Sache,wel -112Hinkmars von Repkowwelche, außer mir, wohl noch kein Deutſcher ge - wagt hat. Nun werden es die uͤbermuͤthigen Fran - zoſen doch auch glauben, daß es in Deutſchland Schoͤpfer gebe, welche von ſich ſelbſt etwas hervor - bringen, und noch mehr thun koͤnnen, als nachah - men. Wie ſehr werde ich mich vergnuͤgen, wenn ein gelehrter Mann und Befoͤrderer der ſchoͤnen Kuͤn - ſte und Wiſſenſchaften ſich beruͤhmt, und Noten uͤber meine Noten machen wird! Der große Repkow, wird es einmal heißen, bedient ſich, in ſeinen gelehrten Noten ohne Text, unter andern folgender ſehr nachdenklichen Worte ꝛc. Kann ein Schriftſteller zu ſeiner Beruhigung wohl mehr verlangen, als wenn ſich ein andrer Schriftſteller auf ihn beruft? Wie praͤchtig wird es klingen, wenn ein gelehrter Abt des kuͤnftigen Jahrhunderts in der franzoͤſiſchen Akademie ſeine Meynung durch mein Anſehen behaupten, und ſagen wird: Voyez le Savant Allemand, Monſieur Enkemar de Repikof dans ſes remarques ſans Texte &c. Und wer iſt mir wohl dafuͤr gut, daß nicht vielleicht, ſo bald gegenwaͤrtige Abhandlung nur die Preſſe verlaſſen hat, ſchon irgendswo ein beruͤhmter Mann mit Schmerzen auf meinen Tod wartet; nur, daß er in ſein hiſtoriſches Univerſallexicon, unter dem Buch - ſtaben R dieſe Nachricht ſetzen koͤnne: Repkow (Hinkmar von) auf Budigaß, ein Nachkomme des großen Ecko von Repkow, ſchrieb Noten oh - ne Text, und ſtarb. Er war ein billiger Vereh - rer ſeiner eignen Schriften, und uͤberhaupt ein ſehr gelehrter Mann. Seine vortrefflichen No - ten113Noten ohne Text. ten ohne Text hat man in viele Sprachen, und ſo gar ins Norwegiſche, uͤberſetzt. Die verſchied - nen Auflagen davon ſind unzaͤhlich, doch iſt die - jenige wegen ihres breiten Randes und der arti - gen Leiſte die beſte, welche wir dem Fleiße des ge - ſchickten Herrn Cowley Lizards in Londen zu danken haben. Von ihm ſtammt die beruͤhmte Secte derer Avtonotiſten ab, und er iſt der Urhe - ber des berufnen methodi Repkovianae. Meh - rere Nachricht von ihm findet man in dem theatro Budigaſſiano de claris Repkoviis. Gewiß! von wem die Nachwelt ein ſolches Urtheil faͤllt, deſſen Muͤhe iſt reichlich vergolten, denn dieſes begreift alles dasjenige in ſich, was der Ehrgeiz eines Ge - lehrten wuͤnſchen kann.

Vor Entzuͤcken uͤber die dankbare Nachwelt ver - geſſe ich beynahe meine itztlebenden Leſer, welche es vielleicht zufrieden ſeyn wuͤrden, wenn ich von mir ſelbſt etwas weniger redete. Jch will zwar abbrechen, aber mich nicht entſchuldigen; denn al - les, was ich bisher geſagt habe, das vertritt die Stelle einer Vorrede, zu gegenwaͤrtigen Noten ohne Text. Die Vorreden aber ſchreibt der Ver - faſſer wohl nicht leicht um des geneigten Leſers wil - len, ſondern ſeinetwegen. Mein Troſt iſt, daß ich im Nachſtehenden noch oͤfters Gelegenheit haben werde, von mir ſelbſt ausfuͤhrlich, doch ohne die geringſte Parteylichkeit, zu reden.

Hinkmar von Repkow.

Zweyter Theil. HNoten114Hinkmars von Repkow

Noten Zur Zueignungsſchrift.

OMuſen, helfet mir!) Ueberhaupt muß ich errinnern, daß dergleichen Anrufung der Muſen bey gluͤckwuͤnſchenden Dichtern nichts weiter iſt, als ein bloßes Compliment. Die Muſen moͤgen nun helfen oder nicht, dadurch wird ſich der Dichter doch nicht irre machen laſſen. Die - ſe Formel ſagt eben ſo wenig, als diejenige, wenn man ſpricht: Erlaube, theurer Mann! Wenn es auch gleich der theure Mann nicht erlau - ben wollte: So wuͤrde er dennoch, auch wider ſei - nen Willen, hoͤren muͤſſen, daß er die vollkommen - ſte Creatur unter allen Creaturen ſey; denn das Carmen iſt einmal gedruckt, und mit gutem Gewiſ - ſen kann er es dem ehrlichen Dichter nicht zumu - then, daß er die Unkoſten umſonſt ſollte aufgewandt haben. Jch misbillige darum dieſe Anrufung der Muſen gar nicht. Es ſind die poetiſchen honneurs, die wir unſern Maͤcenaten machen. Eine Schild - wache thut nur ihre Schuldigkeit, wenn ſie bey der Ankunft eines vornehmen Mannes: Jns Gewehr! ruft, und auf dem Parnaſſe iſt die groͤßte Ehrenbe - zeugung dieſe, wenn wir alle neun Muſen paradi - ren laſſen. Jch halte es um deswillen denen ſehr fuͤr uͤbel, welche dieſe gute Caͤremonie abſchaffenwol -115Noten ohne Text. wollen. Sie bringen den armen Dichter um ein paar Verſe, die ihm nicht ſauer werden koͤnnen, und die zum wenigſten nichts ſchaden, wenn ſie auch nichts helfen ſollten.

Dieß ſchwere Werk, dich, Goͤnner aller Goͤnner) Es iſt allerdings vielmals ſehr ſchwer, denjenigen mit einiger Wahrſcheinlichkeit zu ruͤh - men, an den die Zuſchrift gerichtet iſt. So leicht es iſt, Reinbecken, als einen groſſen Gottesgelehr - ten, Wolfen, als einen Philoſophen, Hofmannen, als einen geſchickten Arzt, und Canitzen, als einen Dichter vorzuſtellen: So ein ſchweres Werk iſt es hingegen, wenn ich den Aberglauben, als einen Mann, auf deſſen Bruſt Licht und Recht glaͤnzen, oder Starrkatern in Eulenburg, deſſen der hambur - giſche Patriot gedenkt, als einen Prieſter der Ge -[r]echtigkeit abbilden ſoll. Wie viel Muͤhe koſtet es nicht, wenn wir denjenigen zum Apollo unſrer Zei - ten machen, welcher mit einem Gelehrten weiter keine Aehnlichkeit hat, als die groſſe Peruͤcke! Wir beſchwoͤren das Alterthum, und bannen alle Wei - ſen Griechenlands und Roms zuſammen, damit ſie zu ihrer Beſchaͤmung anhoͤren ſollen, daß in unſern Tagen ein Mann lebt, der Davus heißt.

Von Kleinigkeiten groß, von ſchlechten Dingen fein,
Von albern Sachen klug, von Stuͤmpern ungemein,
Und endlich unvermerkt ſtets von ſich ſelbſt zu ſingen,
Sind Kuͤnſte, die uns ſpaͤt, der Lobſucht ſtets gelingen.

Eben dieſe Lobſucht iſt noch das einzige Mittel, wel - ches unſern Dichtern bey ihren Zuſchriften die groͤß -H 2ten116Hinkmars von Repkowten Schwierigkeiten erleichtern hilft. Sie wollen loben! Das iſt genug! Ob aber die Zuͤge in ihrer Lob - ſchrift dem Originale aͤhnlich ſind; das iſt eine Sa - che, die man eben ſo genau nicht unterſuchen, noch viel weniger aber von ihnen verlangen darf. Sie glei - chen darinnen einer gewiſſen Art von Malern, welche die Bildniſſe großer Fuͤrſten und Herren feil haben. Alle dieſe ſehen einander aͤhnlich, und die Bilder von Ludwig dem vierzehnten an, bis auf den General Menzel haben nur ein Geſicht. Der einzige Unter - ſchied beſteht in der Tracht und Farbe des Kleides, und, wenn es hoch koͤmmt, in einem Schnurrbar - te. Dem ungeachtet weis man, wen es vorſtel - len ſoll, und derjenige muß blind ſeyn, der es nicht aus der Unterſchrift ſehen ſollte. Machen es die meiſten unſrer heutigen Scribenten in ihren Zu - ſchriften wohl anders? Sie haben nur eine Art zu loben, und ein jeder, den das Verhaͤngniß dazu er - ſehen hat, daß er unter ihre Haͤnde gerathen, und ihr Maͤcenat werden ſoll, den ſtellen ſie uns allemal, als den vollkommenſten, als den tugendhafteſten Sterblichen vor. Kurz, auch ihre Goͤnner und Helden haben nur ein Geſicht, den Unterſchied macht weiter nichts, als der Titel des Goͤnners.

Mit Zittern wagt mein Kiel] Jch bin ein Poet, das iſt ein poſtulatum, und ich will es keinem Menſchen rathen, mir zuzumuthen, daß ich dieſen Satz beweiſen ſoll. Wenn man alſo im obigen Texte die Worte; mit Zittern wagt mein Kiel, nicht von der demuͤthigen Poſitur verſtehenwoll -117Noten ohne Text. wollte, mit welcher einige Dichter von meiner Art ihre Goͤnner anzureden, und ihnen die Proben ih - rer unterthaͤnigſten Ehrfurcht zu uͤberreichen pfle - gen: So wuͤrde es allerdings ſehr unnatuͤrlich ſeyn, zu ſagen, daß der Dichter zittere. Wir, die wir mit Goͤttern eben ſo vertraut umgehen, wie mit ei - ner Schaͤferinn, wir werden vor keinem Sterbli - chen zittern. Ein Dichter, der von ſeiner Fertig - keit zu reimen, von ſeinem Geldmangel, und von den Capitalen ſeines Goͤnners gewiß uͤberzeugt iſt, iſt das unerſchrockenſte Geſchoͤpf unter allen Thieren. Laͤßt ſich alſo wohl mit Grunde von ihm ſagen, daß er zittere? Jch glaube es nicht, und wenn er ja zit - tert, ſo geſchieht es doch nur dem Reime und dem Sylbenmaaße zu Gefallen.

[Und wenn du, großer Held,] Dieſes Bey - wort iſt ſo gewoͤhnlich, daß ich kein Bedenken tra - ge, ſolches dem unbekannten Goͤnner beyzulegen, welchem gegenwaͤrtiges Werk kuͤnftig einmal dedi - ciret werden koͤnnte. Ein Autor ſchmiegt ſich ge - meiniglich in ſeinen Zueignungsſchriften dergeſtalt, vor den Fuͤßen ſeines Goͤnners, daß ihm derſelbe natuͤrlicher Weiſe nicht anders, als groß, vorkom - men muß, und einen Helden nenne ich ihn um des - willen, weil ich zum voraus ſetze, daß die Zueig - nungsſchrift an keinen von buͤrgerlichem Stande, ſondern an jemanden meines gleichen gerichtet wird. Wir ſind Ritter. Alle Ritter ſind, vermoͤge der Er - fahrung, Helden, und große Helden werden wir, ſo bald uns ein Autor braucht. Hierbey faͤllt mir eine Geſchichte ein, welche ich anfuͤhren muß. AlsH 3ich118Hinkmars von Repkowich dem Pfarrer in meinem Dorfe ſeinen Sohn zum Subſtituten gab: So ward, wie man leicht glau - ben kann, dieſer wichtige Umſtand der Kirchenhi - ſtorie von mehr, als einem Rohre, beſungen. Es wuͤrde zu weitlaͤuftig ſeyn, alle die ſchoͤnen Gedanken anzufuͤhren, welche bey dieſer vortrefflichen Gele - genheit verſchwendet wurden. Keiner aber hat mich ſo ſehr geruͤhrt, als derjenige, da ein Dichter den jungen Subſtituten des großen Vaters großen Sohn nennte. Jch bin verſichert, daß dieſer praͤch - tige Ausdruck bey dieſer Gelegenheit nicht zum er - ſtenmale angewandt iſt, und ſonder Zweifel auch in folgenden Zeiten ſeine Liebhaber finden wird. Aber eben dadurch ſuche ich auch obige Worte meines Textes zu rechtfertigen. Denn ſchickt er ſich fuͤr einen Dorfpfarrer, und ſeinen Subſtituten, ſo wird man ihn einem Kirchenpatron gewiß nicht ſtreitig machen koͤnnen.

Mich Deiner Gunſt empfohlen) Gunſt heißt hier, und bey andern dergleichen Zuſchriften, in poetiſchem Verſtande, ſo viel, als baares Geld.

Du ſelbſt ein Dichter biſt, der Ewigkeit entgegen) oder wie es im Zuſammenhange des Textes heißen wuͤrde: Du ſiehſt der Ewigkeit ent - gegen, weil du ſelbſt ein Dichter biſt. Man ſieht wohl, daß dieſe Zueignungsſchrift in Verſen abge - faßt iſt; und weil ſie in Verſen abgefaßt iſt; So folgt natuͤrlicher Weiſe, daß der Verfaſſer ein Poet ſeyn muß, denn eben dadurch unterſcheidet ſich ein Poet von andern Geſchoͤpfen, daß er Verſe macht. Es iſt alſo nichts neues, wenn ein Poet glaubt, erkoͤnne119Noten ohne Text. koͤnne ſeinem Goͤnner nicht angenehmer ſchmeicheln, als wenn er ihn auch einen Dichter heißt. Es erklaͤrt ſich dieſes aus den Regeln der Eigenliebe, welche eine jedwede Art der Schriftſteller fuͤr ihr Handwerk hat. Wird ein Arzt ein Schriftſteller, ſo wird er ſagen, daß ſein Maͤcenat, an den die Zueignungs - ſchrift gerichtet iſt, auch ein Arzt ſey, und ein ſchrei - bender Rechtsgelehrter macht alle ſeine Goͤnner zu Ulpianen. Jch kenne einen Kunſtrichter, welcher zu der Freygebigkeit eines ziemlich beguͤterten Land - kramers ein ſo großes Vertrauen hatte, daß er ihm ein Buch zueignete, welches von den kritiſchen Strei - tigkeiten unſrer Zeiten handelt. Jch widme dir dieſe Blaͤtter, ſagte der Verfaſſer in ſeiner Zueig - nungsſchrift, da du ſo gluͤcklich biſt, ſelbſt ein Cri - tikus zu ſeyn. Der Landkramer erſchrack. Er fragte ſeinen Jnformator, was ein Critikus fuͤr ein Ding ſey? Und weil ihm dieſer eine verhaßte Be - ſchreibung davon machte: So fehlte nicht viel, daß jener den Verfaſſer nicht rechtlich belangte.

H 4Noten120Hinkmars von Repkows

Noten zur Vorrede.

Und mit Anmerkungen] Anmerkungen heiſ - ſen diejenigen Zeilen, welche der Buchdrucker unter den Text ſetzt. Mit dieſem haben ſie keine Verbindung weiter, als daß ſie auf eben der Seite ſtehen, oder, wofern der Raum dieſes nicht zulaſſen will, wenigſtens ſich allemal auf diejenige Seite be - ziehen, wo die Worte des Textes zu finden ſind. Beſonders zweyerley wird dabey erfodert. Sie muͤſſen in die Augen fallen, und unerwartet ſeyn. Jenes geſchieht, wenn man ſagt, was andre ſchon geſagt haben, oder, kunſtmaͤßig zu reden, wenn man die Alten und Neuen fein haͤufig anfuͤhrt, und die Gelehrten, welche gegen alle vier Winde woh - nen, citirt. Das Unerwartete hingegen beſteht dar - innen, wenn ich Sachen ſage, welche kein Menſch in meinen Anmerkungen ſuchen wuͤrde. Zum Exempel: Jm Texte ſteht das Wort; Cicero, und in der Anmerkung unterſuche ich die Frage: Ob Nebucadnezar auch wirklich Gras gefreſſen habe, wie ein Vieh?

Zu dieſer Vorrede] Denn eine Vorrede heißt nur um deswillen eine Vorrede, weil ſie gleich auf das Titelblatt, oder die Zueignungsſchrift folgt. Der Herr Verfaſſer darf ſich gar kein Gewiſſen ma - chen, wenn er darinnen Sachen ſagt, die zum Bu - che gar nicht gehoͤren.

Erlaͤu -121Noten ohne Text.

Erlaͤutert) Das iſt ein erſchrecklicher Druck - fehler, und ſoll erweitert heißen, welches ein jeder ehrenguͤnſtiger Leſer in ſeinem Exemplare zu aͤn - dern beliebe. Jch waͤre nicht werth, daß ich ein Autor hieße, wenn ich bey dieſen Anmerkungen die Abſicht gehabt haͤtte, den eigentlichen Verſtand des Textes zu erklaͤren, oder zu erlaͤutern, zu geſchweigen, daß vielmals ein Text keinen eigentlichen Verſtand hat. Aber das iſt die wahre Pflicht vieler unſrer heutigen Scribenten, daß ſie eine Sache weitlaͤuftig dehnen, und dasjenige auf etlichen Bogen ſagen, was der ungelehrte Poͤbel in wenig Zeilen faſſen wuͤrde.

Jch weis aber nicht, ob ich dieſer meiner Schrift die Ewigkeit verſprechen darf:) Das iſt nur eine beſcheidne Verſtellung von mir, ich weis dieſes aber ganz gewiß, denn ich bin ein Autor. Dieſe Formel iſt der ſo gewoͤhnliche vaͤterli - che Seegen, welchen wir unſern Buͤchern mittheilen, wenn wir ſie in die Welt ſchicken. Von dem Nach - drucke dieſes Seegens kann niemand beſſer urthei - len, als wer Gelegenheit gehabt hat, entweder durch die Erfahrung, oder auf andre Wege ſich einen hin - laͤnglichen Begriff von derjenigen innbruͤnſtigen Zaͤrt - lichkeit zu machen, welche man die vaͤterliche Liebe nennt. Ein Schriftſteller empfindet dieſe in dem ſtaͤrkſten Grade. An unſern Kindern halten wir dasjenige fuͤr Schoͤnheiten und Artigkeiten, was wir an den Kindern andrer Leute fuͤr Leibesgebre - chen und Laſter anſehen. Ein Autor, welcher die Maͤngel andrer Schriften aufs ſchaͤrfſte beurtheilt,H 5iſt122Hinkmars von Repkowiſt dennoch oftmals von einer blendenden Liebe ge - gen ſeine eigne Arbeit dergeſtalt eingenommen, daß er denjenigen fuͤr einen neidiſchen Kluͤgling, fuͤr einen Verraͤther des Vaterlandes ausſchreyen wird, wel - cherſich unterſteht, ihm und andern zu ſagen, daß ſei - ne gelehrte Geburt nur ein Kruͤpel, oder gar eine Misgeburt ſey. Er wird ergrimmen, wie ein Baͤr, dem man ſeine zottige Brut raubt, und wer ihm in dieſer Wut begegnet, der iſt verloren. Jch getraue mir, noch mehr zu behaupten. Jch glaube, daß die Liebe eines Scribenten gegen ſeine witzige Zucht diejenige Neigung weit uͤbertrifft, welche Ael - tern ordentlicher Weiſe gegen ihre Kinder haben. Ein Vater wird dasjenige Kind niemals, ohne ekel - haften Widerwillen, anſehen koͤnnen, von dem er ge - wis weis, daß es nicht ſein iſt; ein Scribent aber keinesweges. Oefters iſt dieſer bemuͤht, der Welt diejenigen Sachen, als ſeine leiblichen Kinder, an - zupreiſen, welche ihr ganzes Weſen und Daſeyn dem Fleiße andrer Gelehrten, ihm aber weiter nichts, als den Namen, zu danken haben. Dennoch erkennt er ſie fuͤr die Seinigen. Derjenige greift ihm ans Herz, welcher ihm den Titel eines Vaters abſprechen will. Hundert Gelehrte von verſchied - nen Voͤlkern koͤnnte ich hier zum Beweiſe meines Satzes[a]nfuͤhren; ich habe aber fuͤr die Franzoſen eine ſolche Hochachtung, daß ich niemanden nennen will, als ihren Abt Desfontaines. Da nun unſre Gelehrten und Schriftſteller ſo ge - neigt ſind, ihren Gedichten und Buͤchern die Ewig - keit zu prophezeihen; wie empfindlich, wie ſchmerz -haft123Noten ohne Text. haft muß es nicht einem ſo liebreichen und zaͤrtlichen Vater fallen, wenn er ſieht, daß er das Werk ſeiner Haͤnde, welches er der Nachwelt zugedacht hatte, noch ſelbſt uͤberleben muß! Koͤmmt dieſes fruͤhzei - tige Abſterben von der ſchwaͤchlichen Natur, und der hinfaͤlligen Beſchaffenheit unſrer Schriften her: So iſt allerdings noch einiger Troſt dabey. Ge - ſchieht es aber, daß ſie durch einen gewaltſamen Tod dahin geriſſen, und durch die unerbittlichen Haͤnde eines grauſamen Kunſtrichters aufgerieben werden: So kann ich mir in der That keine verzweifeltern Umſtaͤnde vorſtellen, als diejenigen ſind, in welchen ſich ein ſo gebeugter, und in die tiefſte Trauer ver - ſetzter, Scribent befinden muß. Er iſt deſto ungluͤck - licher, da ihm nicht leicht jemand ſein Beyleid bezei - gen, und dieſen unverhofften Verluſt beklagen wird. Ein Troſt, den zum wenigſten andre Vaͤter, bey dem Tode ihrer Kinder, zu gewarten haben.

[figure]
Noten224[124]Hinkmars von Repkow

Noten zur Abhandlung.

Farrago libelli:) Bey dieſen Worten, welche ich aus dem Juvenal zur Ueberſchrift uͤber gegenwaͤrtige Abhandlung gewaͤhlt habe, muß ich vor allen Dingen verſchiednes errinnern. Die Verſe des Juvenals heißen eigentlich ſo:

Quidquid agunt homines, votum, timor, ira, voluptas,
Gaudia, diſcurſus, noſtri eſt farrago libelli.

Jch habe aber mit Fleiße nur die letzten Worte da - von behalten, weil ich befuͤrchten mußte, viele meiner Leſer moͤchten ein gar zu ſchlechtes Vertrauen zu dieſer Schrift bekommen, wenn ſie durch die angezo - gnen Verſe des Juvenals auf die Meynung gebracht wuͤrden, als wollte ich Sachen darinnen abhandeln, welche, gewiſſer Urſachen wegen, nicht allemal gern geleſen werden.

Jndeſſen ſchicken ſich dieſe Worte, farrago libelli, hieher. Jch weis ſie nicht nachdruͤcklicher zu uͤberſetzen, als durch das Wort, Miſchmaſch; und dieſes zeigt meinen Leſern auf einmal an, was ſie, in dieſen Noten ohne Text, zu ſuchen haben.

Jch bin ſo neidiſch gar nicht, daß ich mich dieſer Ueberſchrift ganz allein anmaaßen, und andern Schriftſtellern verwehren wollte, ſich derſelben, in gleichem Falle, zu bedienen. Nichts wuͤnſche ich eifriger, als daß ich in dieſem Stuͤcke Nachfolger finden moͤge, welche mit der gelehrten Welt eben ſooffen -125Noten ohne Text. offenherzig umgehen, als ich thue. An ſtatt der ausſchweifenden Titel: Kurze, doch gruͤndliche, Abhandlung von ꝛc. Neue, und hoͤchſtnoͤ - thige Wahrheiten ꝛc. Exegetiſch-theoretiſch - praktiſche Unterſuchung, ob ꝛc. Unumſtoͤßli - cher Beweis, daß ꝛc. Verſuch einer heilſa - men und erbaulichen ꝛc. Abgenoͤthigte, doch mit vieler Beſcheidenheit abgefaßte, und in der Wahrheit ſelbſt gegruͤndete, Vertheidi - gung wider ꝛc. Univerſal ꝛc. An ſtatt aller dieſer Titel wuͤrden die meiſten ihrer Verfaſſer mit weit beſſerm Rechte, und mit mehrerer Wahrheit ſich dieſer Worte bedienen, Farrago libelli; und die Nachwelt hat es bloß meiner Bemuͤhung zu danken, daß naͤchſtens ein guter Freund von mir ſich eben dieſer Worte, bey ſeinem Buche, bedienen wird, wel - ches er von dem eigentlichen Grunde des Natur - und Voͤlkerrechts, und zwar methodo mathema - tica abgefaßt hat.

Jch kann dieſe Gelegenheit nicht vorbey laſſen, ohne von dergleichen Ueberſchriften noch etwas uͤber - haupt zu gedenken. Jch finde einen großen Mis - brauch darinnen, daß ſich die meiſten ſolcher Senten - zen aus alten Poeten und Philoſophen anmaaßen, welche ſie, ohne die Wahrheit zu beleidigen, und ihr Autorgewiſſen zu beſchweren, vor ihre Schriften gar nicht ſetzen ſollten. Jch will an deren Stelle einige andre vorſchlagen, und ich traue meinen Le - ſern ſo wohl, als den zukuͤnftigen Autoren, ſo viel Geſchmack und Einſicht zu, daß ſie die Wahl, vorwelche126Hinkmars von Repkowwelche Buͤcher eiue jede dieſer Ueberſchriften gehoͤre, ſelbſt treffen werden, ohne, daß ich noͤthig habe, mich daruͤber zu erklaͤren. Dieſe Arbeit iſt wenigſtens ſo wichtig, und dem Vaterlande eben ſo vortheilhaft, als die Bemuͤhung des Herrn Woldamars von Zſchaſchlau, welcher*Siehe vorſtehende Abhandlung. a. d. 75 S. ſeinen muthwilligen Witz an einer Abhandlung von Buchdruckerſtoͤcken ver - ſchwendet hat, und dabey gewiſſe eigenſinnige Regeln vorſchreiben wollen, welche die Fruchtbarkeit un - ſrer Schriftſteller zu merklichen Schaden der ge - lehrten Nahrung auf einmal niederſchlagen wuͤrden, wenn dieſe nicht bereits viel zu großmuͤthig waͤren, als daß ſie den pedantiſchen Vorſchriften der Ver - nunft Gehoͤr geben ſollten. Hier ſind meine Ue - berſchriften, und finde ich, daß die Welt erkennt - lich genug iſt: So behalte ich mir vor, in einer be - ſondern, und hoffentlich ſehr weitlaͤuftigen, Ab - handlung deren mehr zu liefern.

Duceris, ut neruis alienis mobile lignum. ()

Horat.

Nihil mea carmina curas? Nil noſtri miſerere? Mori me denique cogis? ()

Virgil.

Scilicet oblitus patriae, patrisque, LATINE? ()

Horat.

Quid faciam, præſcribe. Quieſcas. Ne faciam, inquis, Omnino verſus? Aio. Peream male, ſi non Optimum erat. Verum nequeo dormire ()

Horat.

Quos127Noten ohne Text. Quos ego! ()

Virgil.

Procumbit humi ()

Virgil.

Κυνος ὀμματ᾽ ἐχ〈…〉〈…〉. ()

Homer.

Grammatici certant, rabies armavit, et usque Certantes, donec cantor, Vos plaudite! dicat. ()

Horat.

Quae virtus, et quanta Nec meus hic ſermo eſt ()

Horat.

Felices errore ſuo ()

Lucan.

Dic aliquid dignum promiſſis. Incipe: nil eſt. ()

Horat.

te, Damaſippe, Deaeque Verum ob conſilium donent tonſore ()

Horat.

Dieſes wuͤrde genug ſeyn koͤnnen, zu zeigen, wie redlich ich es mit meinem gelehrten Vaterlande meyne. Jch will aber noch mehr thun, und den Witz aller muntern Koͤpfe in Deutſchland in Bewegung bringen. Virgil ſagt an einem gewiſ - ſen Orte:

Caedicus Alcathoum Sacrator Hydaſpen,
Partheniumque Rapo, et praedurum viribus Orſen,
Meſſapus Cloniumque, Lycaoniumque Ericaten,
Atronium Salius, Saliumque Nealces.
Iouis in tectis iram miſerentur inanem
Amborum ', et tantos mortalibus eſſe labores!
Hiermit128Hinkmars von Repkow

Hiermit fodre ich alles auf, was nur einen Fin - ger regen, und ſchreiben kann! Derjenige, welcher die gruͤndlichſte Nachricht geben wird, vor welches Buch ſich dieſe Ueberſchrift ſchicke, der ſoll bey dem Verleger ſechs Dukaten zum Preiſe erhalten! Mit Freuden ſehe ich dem aͤmſigen Laͤrmen entgegen, welcher, wegen dieſer anſehnlichen Belohnung, unter unſern Gelehrten entſtehen wird. Dieſes verlange ich noch, daß ſie ihre Briefe poſtfrey ein - ſenden, und ihre Namen verſiegelt beylegen, zu - gleich auch eine Anweiſung geben, an wen der Preis gezahlt werden ſoll. Als einen kleinen Nebenum - ſtand muß ich nur dieſes noch erinnern, daß ich ſelbſt an der Aufloͤſung dieſer gelehrten Aufgabe mit arbeiten werde. So viel kann ich inzwiſchen bey aller der Aufrichtigkeit verſichern, welche mir und allen Scribenten meiner Art bey dergleichen Faͤllen ſo eigen iſt, daß ich zur Zeit nicht weis, welche Art von Buͤchern ich zu dieſer Ueberſchrift eigentlich vorſchlagen ſollte. Weil ich aber doch aus der Erfahrung weis, daß ich, im Vertrauen zu ſagen, gar oͤfters ganz feine und ſcharfſinnige Einfaͤlle habe; So will ich nicht gut dafuͤr ſeyn, daß ich dieſen aufgeſetzten Preis nicht ſelbſt verdie - nen ſollte.

Und die friedfertige Antwort jenes Land - edelmanns iſt zu bekannt, als daß ich ꝛc. Weil nicht alle meine Leſer Gelegenheit haben, die - ſe Worte in dem vortrefflichen Theatro Europaeo ſelbſt nachzuleſen: So will ich ſolche allhier mit ein - ruͤcken: Jch bin auf meiner vaͤterlichen Hufe ge -boren,129Noten ohne Text. boren, und erzogen. Niemals habe ich die ge - ringſte Neigung gehabt, mich in die Haͤndel der Welt zu m[i]ſchen, oder mit dem Degen in der Fauſt dasjenige zu thun, was die meiſten mei - ner unruhigen Nachbarn, fuͤrs Vaterland fechten, nennen. Jch habe allemal geglaubt, es ſey beſſer, bey geſundem Koͤrper unbekannt, als bey verſtuͤm - meltem Koͤrper beruͤhmt zu ſeyn. Der Lorbeer auf dem Haupte, und ein hoͤlzerner Arm oder Fuß iſt fuͤr mich niemals eine ſo reizende Vorſtellung geweſen, daß ich mich haͤtte bewegen laſſen, mei - ner Ruhe, und Bequemlichkeit zu entſagen. Das ganze Dorf weis, und mein Pfarrer wird es ſub fide paſtorali, und manu propria bezeugen koͤn - nen, daß ich nichts weniger, als blutduͤrſtig bin; ich nehme diejenige Zeit aus, da die Jagd offen iſt. So redet unſer Junker.

Kritiſch und gelehrt) Dieſes iſt ein Pleonas - mus. Man denke ja nicht, als waͤren es zwoganz unterſchiedne Sachen, kritiſch und gelehrt zu ſchrei - ben. Keineswegs! Ein Critikus von der Art, de - ren unſer Text erwaͤhnt, iſt ein Mann, welcher al - lemal Recht hat, und ein Gelehrter, nach meinem Begriffe, darf niemals andern Recht geben. Jener iſt mit keinem Menſchen, mit ſich ſelbſt aber gar wohl zufrieden; ein Gelehrter auch. Kurz die Critik iſt von der Gelehrſamkeit ſo unzertrennlich, als die gruͤndliche Wiſſenſchaft der Rechte von einem con - ſultiſſimo Juris utriusque Doctore, oder Verſtand und Tugend von einem Capitaliſten.

Zweyter Theil. JDie130Hinkmars von Repkow

Die Groͤße deiner Gaben) Wenn ein Dich - ter an ſeinem Helden die Groͤße ſeiner Gaben ruͤhmt, ſo verſteht der Leſer ordentlicher Weiſe deſſen Ge - muͤchsgaben darunter. Dasjenige nennt man zwar auch Gaben, was er, fuͤr ſein ſaubereinge - bundnes Carmen, von ſeinem großmuͤthigen Goͤn - ner erhaͤlt. Allein ſo unbeſcheiden iſt nicht leicht ein Dichter, daß er dieſer Gaben ausdruͤcklich geden - ken ſollte. Es verſteht ſich wohl von ſelbſt, daß er ſich und der Wahrheit ſo große Gewalt nicht umſonſt anthun, und Tugenden ruͤhmen wird, wel - che vielmals derjenige, der ſie beſitzen ſoll, ſelbſt nicht an ſich gemerkt hat. Mancher wuͤrde nicht beſungen werden, wenn ſich der Dichter nicht auf die Groͤße ſeiner Gaben Rechnung machte. Simo - in des ſollte einen Wettſtreit mit Mauleſeln beſingen. Derjenige, deſſen Mauleſel den Preis davon getragen hatten, mochte ſein Geld ſo lieb haben, als ſeine Eh - re, und bot um deswillen dem Dichter nur eine ge - ringe Belohnung an. Dieſes empfand Simoni - des uͤbel. Jch, ſagte er, beſinge keine Mauleſel! So bald man ihm aber die Belohnung erhoͤhte: So bald ſang er von Mauleſeln, und rufte:

Χαιρετ᾽ ἀελλοποδων ϑυγατρες ἱππων!

Mich duͤnkt, wir ſingen heut zu Tage noch ebenſo!

Hierbey muß ich einen kleinen Handgriff anra - then, welcher im gemeinen Leben ſeinen guten prak - tiſchen Nutzen hat. Jſt ein Dichter von der Frey - gebigkeit ſeines Goͤnners ſchon hinlaͤnglich verſi - chert: So wird er am beſten thun, wenn er mit einer philoſophiſchen Großmuth alle vergaͤnglichen Reich -thuͤmer131Noten ohne Text. thuͤmer unter ſeine Fuͤſſe tritt, die Geldbegierde, als das unanſtaͤndigſte Laſter eines Gelehrten, verflucht, und die poetiſche Maͤßigkeit mit den lebhafteſten Farben abſchildert.

Wofern es aber bekannt iſt, daß unſer Goͤnner die Muſen zwar liebt, aber nicht bezahlt, und nur poetiſche Froͤhner haben will; So wollte ich einem jeden, dem ſein eigner Magen lieb iſt, wohlmey - nend gerathen haben, daß er ſich wegen ſeiner Hauptabſicht etwas deutlicher erklaͤrte. Er lobe den Verſtand ſeines Goͤnners, ſeine Freygebigkeit aber noch mehr. Er erzaͤhle ihm die betruͤbte Ge - ſchichte jenes griechiſchen Fechters, an welchem die Goͤtter ſichtbarliche Zeichen und Wunder gethan, und ihn um deswillen zerſchmettert haben, weil er ſo unverſchaͤmt geweſen, und den ehrlichen Si - monides um zwey Drittheile ſeines ſauerverdien - ten Lohnes betruͤgen wollen. Pindar, der Schutz - gott aller Poeten, die ums Geld loben, hat dieſe Kunſt auch verſtanden. Die Stelle iſt bekannt, da er dem Xenocrates unter die Augen ſagt, daß die Mode, umſonſt zu ſingen, ſchon vorlaͤngſt ab - gekommen, und altvaͤteriſch geworden ſey. Zwar ehedem, ſpricht er, waren die Muſen nicht gewinn - ſuͤchtig, keine ließ ſich fuͤr Geld dingen, und Terpſi - chore verkaufte ihre Lieder noch nicht. Nunmehr aber iſt es gar wohl erlaubt, dem gegruͤndeten Ausſpruche jenes Argiers nachzuleben, welcher zwar ſelbſt weder Geld noch Freunde hatte, den - noch aber ſagte: Das Geld, nur das Geld machtJ 2einen132Hinkmars von Repkow einen Mann! Du biſt ein kluger Mann! Xeno - krates, du wirſt mich verſtehen!

Feruet, immenſusque ruit profundo
Pindarus ore
Laurea donandus Apollinari!

Das Anſehen dieſes großen Dichters ſchuͤtzt uns wi - der alle Vorwuͤrfe. Es iſt zwar allerdings, wie Horaz uns warnet, ſehr gefaͤhrlich, dem Pindar nachzuahmen, aber nur in dieſem Stuͤcke nicht. Denn, ſind wir nicht ſo feurig, wie Pindar, ſo ſind wir doch wenigſtens eben ſo geldgierig! Man ſage ja nicht, daß ich mich an ſo beruͤhmte Leute des Alterthums wohl aus andern Urſachen, als wegen ihrer Fehler, errinnern koͤnnte. Es geſchieht gar nicht, dieſelben zu verkleinern, ſondern die großen Beyſpiele unſrer Zeiten durch andre große Bey - ſpiele zu rechtfertigen, und dadurch zu zeigen, wie ſehr ſich bereits die meiſten meiner Landsleute den Alten genaͤhert haben. Es iſt uͤberdieſes noch zu erweiſen, ob das Verlangen nach einer verdienten Belohnung ein Fehler iſt. Jch glaube es nicht, und kenne, zu meiner Beruhigung, Leute genug, welche meiner Meynuug ſind.

Ohne eigennuͤtzige Abſichten, ohne Vor - urtheil, bloß zur Befoͤrderung des gemein - ſchaftlichen Wohls und zur Aufnahme der ſchoͤnen Wiſſenſchaften) Eine jede Znnft der Gelehrten, und derer, welche ſich zu den Gelehrten rechnen, hat ihre gewiſſen Formeln, unter welchen ſie ihre wahre Abſichten zu verbergen weis. So viel ich Quackſalber gehoͤrt habe: So viele haben auchverſi -133Noten ohne Text. verſichert, daß ſie nicht etwan deswegen oͤffentlich ausſtaͤnden, um ihren Vortheil dabey zu ſuchen. Nein, keinesweges! Nur preßhaften Perſonen bey - zuſpringen, und ihren Nebenchriſten aus Mitleid die Zaͤhne auszubrechen; dieſes iſt die wahre Urſa - che, warum ſie von Stadt zu Stadt ziehen, und die Jahrmaͤrkte beſuchen. Zu Befoͤrderung der heil - ſamen Juſtiz, zu Vertheidigung der Unrechtleiden - den, und vermoͤge der aufhabenden theuern Pflicht werden die Sporteln gemacht, und wenn eine ge - wiſſe Art der Rechtsgelehrten, ſo der unſtudierte Laͤye Rabuliſten nennt, die Wittwen und Waiſen um ih - re Haͤuſer bringen will, ſo geſchieht es zwar, aber wie? Allemal mandatario nomine, nobiliſſimnm iudicis officium deſuper implorando. Ja, ich kenne einen hochwohlehrwuͤrdigen Mann, welcher in ſeinem Berufe niemals unermuͤdeter iſt, als wenn er liqvidiren ſoll. Allezeit aber geſchieht dieſes, welches ja wohl zu merken iſt, Amts und Gewiſſens wegen. Dieſes koͤnnte ſchon genug ſeyn, obige Worte meines Textes zu erklaͤren, wenn ein Autor ſagt, er ſchreibe ohne eigennuͤtzige Abſichten, ohne Vorurtheil, bloß zur Befoͤrderung des gemeinſchaftlichen Wohls, und zur Aufnahme der ſchoͤnen Wiſſenſchaften. Dieſe Formel iſt allemal das Weſentliche einer Schrift, und da ich in einem freyen Lande wohne, wo weder die ſaͤchſiſchen Whigs, noch die ſchweizeriſchen Tor - rys, zu fuͤrchten ſind: So getraue ich mir, ohne Scheu zu behaupten, daß bey vielen unſrer heutigen Scri - benten die Bewegurſachen eigennuͤtzig, und vol - ler Leidenſchaften ſind. Freylich ſagen wir dieſesJ 3nicht134Hinkmars von Repkownicht ausdruͤcklich. Aber das waͤre auch wider al - les Herkommen. Wir verſichern vielmehr den Le - ſer, daß unſre Schriften das Tageslicht nimmer - mehr wuͤrden erblickt haben, wenn uns nicht die Er - bauung des Nebenchriſten, die Beſſerung der Ge - muͤther, die Befoͤrderung des Wohls unſrer Mit - buͤrger, die ſchwere Amtspflicht, die ernſthafte Auf - munterung unſrer Obern, das Anliegen des Buch - haͤndlers, und noch hundert andre ruͤhmliche Urſa - chen dazu bewogen haͤtten. An unſerm eignem Ruhme iſt uns ſo wenig gelegen, daß wir verſichern, wir wuͤrden ganz gleichguͤltig bey den Urtheilen des Leſers ſeyn. Ja, wir erniedrigen uns vielmals ſo weit, daß wir bitten, man moͤchte uns unſre Fehler zeigen, und uns auf den rechten Weg fuͤhren. Aber, dem mag der Himmel gnaͤdig ſeyn, der dieſes nur einmal verſucht! Man wage es nur, und ſage uns, daß unſer Vortrag unordentlich und trocken ſey, daß unſre Wahrheiten ſehr alte Wahrheiten waͤren, daß kein Menſch einen Nutzen aus unſern Schrif - ten erlangen koͤnnte, daß wir unſrer Amtspflicht ei - ne beſſere Gnuͤge geleiſtet haben wuͤrden, wenn wir gar geſchwiegen haͤtten; man ziehe in Zweifel, ob unſre Obern, und nicht vielmehr wir ſelbſt, uns auf - gemuntert haben: Jn was fuͤr eine Wut wird man uns Patrioten bringen! Wie grimmig werden wir mit ihnen verfahren! Nicht das Vaterland, nicht die Erbauung des Nebenchriſten, nicht das Wohl unſrer Mitbuͤrger, nein; uns ſelbſt, unſre beleidigte Ehre werden wir vertheidigen!

Und135Noten ohne Text.

Und ein jeder glaubt, es werde noch in tauſend Jahr[e]n Scholiaſten geben, welche ſeine gelehrte Schrift mit kritiſchen Anmer - kungen bereichern, und uͤber eine zweifel - hafte Lesart andern Scholiaſten Verſtand und guten Namen abſprechen.) Und ich glau - be, daß mir ſelbſt dieſes widerfahren wird. Eine ſo ſchmeichelhafte Eigenliebe, als diejenige iſt, wo - von unſer Text redet, iſt niemanden zu gute zu hal - ten, als mir, weil außer mir niemand ein ſo wichtiges Werk geſchrieben hat, als gegenwaͤrti - ge Noten ohne Text ſind. Jch ſtelle mir hierbey deren ſpaͤtes Schickſal auf das lebhafteſte vor. Jch uͤberſehe, mit einem ehrgeizigen Blicke, eine Reihe von vielen Jahrhunderten, und empfinde eine ſtaͤr - kende Beruhigung in mir ſelbſt, wenn ich an unſre ſpaͤteſten Nachkommen gedenke, wie ſie mit einer abgoͤttiſchen Ehrfurcht den Verſtand und Witz des Hinkmars von Repkow bewundern werden. Ja, ich gehe in dieſen prophetiſchen Betrachtungen noch weiter. Damals hießen unſre alten Deutſchen noch Barbaren, als man zu Rom, fuͤr die Aufnahme des guten Geſchmacks in der Dichtkunſt und Bered - ſamkeit, mit eben der Sorgfalt, doch vielleicht nicht mit eben der Hitze, kaͤmpfte, mit welcher wir, die ge - ſitteten Nachkommen dieſer barbariſchen Deutſchen ſo viel gelehrte Kriege, in unſerm eignem Vaterlande, auf das muthigſte unternommen, und fortgefuͤhrt haben. Jſt wohl alſo im geringſten zu zweifeln, daß nach Verlaufe vieler Jahrhunderte eben dieſes die wichtigſte Beſchaͤfftigung ſolcher Voͤlker ſeynJ 4kann,136Hinkmars von Repkowkann, die wir itzt fuͤr eben ſolche Barbaren halten, fuͤr welche die Roͤmer unſre Vaͤter anſahen? Haͤt - ten es dieſe Roͤmer wohl geglaubt, daß eine Zeit kommen koͤnnte, in welcher die Nachkommen der al - ten Myſen Zeit und Kraͤfte verſchwenden wuͤrden, die wahre Geſtalt ihre Schuhe ausfindig zu ma - chen. Und wer leiſtet denn uns die Gewaͤhr, daß nicht itzt ein Volk in Wildniſſen und Waͤldern her - um irrt, deſſen witzige Kinder nach tauſend Jahren mit aͤngſtlicher Bemuͤhung unterſuchen werden, ob die Huͤthe der alten Deutſchen unter der Regierung Kaiſer Carls des Siebenten hoch aufgeſteift, oder niedrig geweſen ſind? Jch verehre den Fleiß desje - nigen großen Mannes, welcher ſich, unſerm Vater - lande zum Beſten, ſo manche unruhige Stunde, ſo viele ſchlafloſe Naͤchte, um ein V, oder, we - gen eines zweifelhaften Manuſcripts, Chriſten zu Heyden macht. Jſt es aber wohl unmoͤglich, daß auf eben derjenigen Stelle, wo itzt, indem ich dieſes ſchreibe, ein raͤuberiſcher Tartar unter ſeinem Zelte auf Mord und Beute denkt, ſein witziger Enkel kuͤnftig eine Catheder erbauen, ſich auf derſelben, als Kunſtrichter, blaͤhen, und um ein deutſches Wort uͤber ſeine kritiſchen Widerſacher ein grauſames Blutgerichte halten wird? Jch getraue mir, es zu verantworten, wenn ich fuͤr mein Vaterland ſo viel Hochachtung habe, daß ich glaube, wir werden in tauſend Jahren den Tartarn eben dasjenige ſeyn, was die alten Roͤmer uns itzt ſind. Ja; ich bin fuͤr Freuden außer mir, wenn ich bedenke, daß alsdann melne Noten ohne Text vielleicht ein Auctor Claſſi -cus137Noten ohne Text. cus fuͤr die jungen Tartarn in Oczakow ſeyn wer - den. Und vielleicht ſteht gar einmal ein kalmuki - ſcher Graͤv auf, welchen mein Ruhm und die Be - gierde nach abendlaͤndiſchen Alterthuͤmern in mein Vaterland treibt; welcher unter dem Schutte ei - ner Stadt in Deutſchland ſo viele Weisheit hervor zieht, als kaum in eilf Folianten Raum hat, und welchen die glückliche Ergaͤnzung einer verloſchnen Grabſchrift, der Himmel weis, von welcher Schnei - dersfrau, in ſeinem Vaterlande unſterblich macht.

Wie ich zum Exempel,) Dieſe Worte wer - den ſehr oft in meinem Texte vorkommen, weil es der gelehrte Gebrauch erfodert, daß ein Schriftſtel - ler von ſich ſelbſt bey allen Gelegenheiten am mei - ſten redet. Bey den uͤbrigen Stellen werde ich die Noten weglaſſen; Hier aber kann ich es unmoͤglich uͤber mein Herz bringen, davon zu ſchweigen, was die Worte, wie ich zum Exempel, eigentlich ſa - gen wollen. Jch zeige dadurch die Groͤße meiner Arbeit, und die Wichtigkeit derjenigen Bemuͤhun - gen an, mit welchen ich mich in meinen Schuljahren beſchaͤfftigt habe. Denn ein junger Dichter war, nach dem Begriffe eines meiner ehmaligen Lehrmei - ſter, nichts anders, als ein Ding, welches lateiniſche Verſe ſcandiren, und eine gewiſſe Anzahl Woͤrter von verſchiedner Laͤnge, nach dem Sylbenmaaße, in Ordnung ſtellen konnte. Dieſes war auch die ein - zige Urſache, warum ich die alten Poeten las, und vielmals mit exemplariſchem Nachdrucke dazu an - gehalten wurde. Jch ſollte lateiniſche und griechi - ſche Verſe machen lernen, und ich lernte es auch; we -J 5nig -138Hinkmars von Repkownigſtens traf ich die Melodey der Alten. Jch ha - be den Nutzen davon nach der Zeit deutlich erkannt. Jch weis wohl, daß man viele Geſchicklichkeit ha - ben muß, wenn man gute lateiniſche Verſe machen will; Jch weis aber auch, daß ſolche Arbeiten von den meiſten nicht deswegen gelobt werden, weil ſie gut ſind, ſondern weil ſie mit roͤmiſchen Buchſtaben gedruckt ſind. Die Erfahrung hat mich auch ge - lehrt, daß es allemal ſicherer ſey, lateiniſch, als deutſch, zu dichten. Der beſte deutſche Poet iſt in den Augen der lateiniſchen Welt weiter nichts, als ein deutſcher Michel, oder hoͤchſtens ein leidlicher Versmacher. Ein jeder glaubt, er habe Geſchicklich - keit genug, ein Werk ſeiner Mutterſprache aufs un - barmherzigſte zu richten. Schreibt aber jemand ein lateiniſches Carmen: So ſieht man es, als eine ehrwuͤrdige Nachahmung des gelehrten Alterthums, an, und ſagt, der Dichter habe uns ein geiſtreiches Werk geliefert. Um deswillen verabſcheue ich das freche Urtheil des le Clerc, welcher ſpricht; viele der Neuern, welche lateiniſche und griechiſche Verſe machen, waͤren den Alten ſo aͤhnlich, als die Affen den Menſchen. Sie ahmten mehr ihre Fehler, als ihre guten Eigenſchaften, nach.

Multa tulit, fecitque puer, ſudauit et alſit.

Dieſes ſind die eigentlichen Worte des mir ertheil - ten Schulzeugniſſes, welche auf nichts anders ziel - ten, als auf den ruͤhmlichen Eifer, den ich bezeigte, ſo oft ich mit Jamben und Trochaͤen zu kaͤmpfen hatte. So ſauer mir oftmals meine Siege gewor - den ſind, ſo groß war auch meine Zufriedenheit,wenn139Noten ohne Text. wenn ich eine kurze oder lange Sylbe uͤberwunden, und meinen Zeilen diejenige Form gegeben hatte, welche man an den Gedichten des Horaz und Vir - gils erblickt. Was dieſe beiden Dichter nur ſchoͤ - nes und goͤttliches geſagt hatten, das fand man auch von Wort zu Wort in meinen Verſen, und vielmals wuͤrde ein unparteyiſcher Leſer zweifelhaft gewor - den ſeyn, ob er einen lateiniſchen Neujahrwunſch von Hinkmarn von Repkow, oder ein Stuͤck aus des Virgils Aeneis laͤſe. Mein redlicher Lehrmeiſter war daruͤber ſo erfreut, daß er mich beſtaͤndig ſeinen kleinen Hannibal nennte, der die Schaͤtze Latiens pluͤnderte, und ſein Vaterland damit bereicherte.

Erb-Lehn - und Gerichts-Herr,) Dieſes iſt eine bekannte Geſchichte, welche Muͤller in ſei - nen Annalibus umſtaͤndlich erzaͤhlt. Er nennt ihn Martin Qvaaſt, und berichtet, daß er ein Qvack - ſalber in Koͤnigſee geweſen ſey, welcher durch ſeine koͤſtlichen, bewaͤhrten, und von roͤmiſchkaͤyſerlicher Majeſtaͤt privilegirten Pulver, beſonders aber durch die Einfalt der eingebildeten Kranken ſich ſo viel verdient, daß er unweit Langenſalza ein Vorwerk an ſich gekauft, und ſich um deswillen unter allen ſeinen Recepten Erb-Lehn - und Gerichts-Herr auf Braunsdorf, Juxaroda, Scharfenpoͤlß, Thura, Koͤltſchau, Knechtendorf, und Lehneroda geſchrie - ben, ungeachtet er an allen dieſen Doͤrfern weiter keinen Anſpruch zu machen gehabt, als daß ihm zween oder drey Bauern daraus einige Huͤhner und Kaͤſe zu einem jaͤhrlichen Erbzinſe entrichten muͤſſen. Noch dieſes muß ich, als einen ſehr wichtigen Um -ſtand,140Hinkmars von Repkow. ſtand, errinnern, daß Martin Qvaaſt bereits unter Johann Georg dem andern geſtorben iſt. Jch be - merke dieſes um deswillen, damit ſich mein Leſer nicht uͤbereilen, und dieſen ritterlichen Pedanten un - ter den Jtztlebenden ſuchen.

Des Dichters Leyer klingt) Zum ewigen Ruhme meiner Landsleute muß ich hier errinnern, daß wir dem Geſchmacke und den Vorſchriften der Alten weit mehr folgen, als vielleicht die Auslaͤnder von uns glauben. Zwar dieſes will ich eben nicht behaupten, daß wir uns angelegen ſeyn ließen, die natuͤrlichen Ausdruͤcke, die erhabnen Gedanken, die lebhaften Erfindungen, die lehrreichen Spruͤche, und andre Schoͤnheiten nachzuahmen, welche man in alten Zeiten fuͤr weſentliche Stuͤcke eines goͤttlichen Dichters anſahe; Allein, dieſes wird uns niemand ſtreitig machen, daß wir noch eben ſo wohl auf dem Rohre blaſen, noch eben ſo wohl leyern, und unſre Saiten noch eben ſo wohl ſtimmen, als Homer, Ana - kreon, und die Dichter Roms gethan haben. Alle unſre Hochzeit - und Leichenverſe zeugen davon. Kein Poet iſt zu klein, er wird ſeinen Maͤcen verſichern, daß er, nur ihm zu Ehren, die deutſche Laute ſtimme. Und was iſt gemeiner, als die Sprache der Dichter, welche uͤber ihr heiſchres Rohr ſeufzen. Ja viele haben es ſo weit gebracht, daß ſie zugleich auf der Floͤte blaſen, zugleich die Saiten ruͤhren, zugleich auf der Leyer ſpielen, und welches faſt unbegreiflich iſt, zugleich ſich auf den Pegaſus ſchwingen, und den geſchaͤrften Kiel in die Hippokrene eintauchen koͤn - nen; und zwar dieſes alles in einer Zeit von vierVerſen.141Noten ohne Text. Verſen. Heißt das nicht die Alten nachahmen, ja ſo gar uͤbertreffen?

Sein Argwohn) Dieſer gieng ſo weit, daß man niemals eines ſchlechten Poeten erwaͤhnen konn - te, ohne ihn auf die empfindlichſten Gedanken zu brin - gen, er ſelbſt ſey dadurch gemeynt.

Und eine ſolche Critik, ſo ſcharf ſie auch iſt, wird dennoch mehr Nutzen, als Schaden brin - gen.) Der Einwurf iſt ungegruͤndet, wenn man glaubt, es werde dieſes eine große Verwirrung und Unordnung in dem demokratiſchen Reiche des Wi - tzes erregen, und ein ſolcher unerbittlicher Kunſtrich - ter beſchwere nur ſein Gewiſſen, indem er ſonder Zweifel manche junge und ſtreitbare Muſe ſchuͤch - tern mache, wenn er ihren Werken, und beſonders den Streitſchriften, eine ewige Dauer und das Gluͤck, der Nachwelt bekannt zu werden, gaͤnzlich abſpricht. Geſetzt auch, wie ich es denn gewiß glaube, daß alle die Streitſchriften, welche in unſern Tagen die Haͤnde der Setzer beſchaͤfftigt, und die Geduld der Leſer ermuͤdet haben, in wenig Jahren ihren Untergang erfahren! Benimmt man ihnen denn dadurch ihren Werth gaͤnzlich? Ein Kalender iſt eines der nuͤtzlichſten Buͤcher von der Welt. Wenn das neue Jahr koͤmmt: So kaufen wir ihn mit der groͤßten Begierde; das ganze Jahr uͤber le - ſen wir darinnen, und wenn das Jahr vorbey iſt, ſo iſt auch der Werth unſers Kalenders vorbey. Wuͤrde wohl etwas laͤcherlicher ſeyn koͤnnen, als wenn man dieſen Beweis dazu brauchen wollte,den142Hinkmars von Repkowden Nutzen und den Werth der Kalender zu beſtrei - ten? Jch kenne viele Buͤcher, beſonders viele prakti - ſche und pol[i]tiſche Schriften, der philoſophiſchen, der Kuͤrze wegen, nicht zu gedenken, welche mit Fug nicht mehr verlangen koͤnnen, als ein Kalenderalter. Sie werden gedruckt, gekauft, und in kurzer Zeit findet man ſie da, wo man die alten Kalender fin - det. Geſchieht nicht dieſes alles nach dem ordentli - chen Laufe der Natur, und darf man wohl der Cri - tik dasjenige zur Suͤnde rechnen, was natuͤrlicher Weiſe nicht anders geſchehen kann? Jch habe noch auf keiner Bibliotheck eine Sammlung von Kalen - dern gefunden, und wer um des willen der gelehrten Welt ihren verderbten Geſchmack vorwerfen wollte, der wuͤrde in meinen Augen noch laͤcherlicher ſeyn, als der beruͤhmte Scribent, welcher in der Vorſtadt wohnt, und mir, ſo oft er mich ſieht, mit Seufzen erzaͤhlt, daß es mit der Poeſie ganz und gar aus ſey, weil ſich niemand ſo viel Gewalt anthun kann, ſeine Werke mehr zu leſen.

Gemeiniglich aber glauben wir, dieſes gehe nicht uns, ſondern unſern Nachbar, an.) Hier wird im Texte dasjenige weiter aus - gefuͤhrt, was vorher nur kuͤrzlich beruͤhrt worden iſt. Allerdings iſt die Beſorgniß, daß dadurch manche junge und ſtreitbare Muſe ſchuͤchtern gemacht wer - de, ſo ungegruͤndet, und abgeſchmackt, als Stre - phons Beweis von der beſten Welt. Jch weis gewiß, viele werden die Stellen von der Vergaͤng - lichkeit ſolcher Schriften mit der freudigſten Zuver - ſicht leſen, daß ihre Werke von einer weit dauer -haftern143Noten ohne Text. haftern Natur, als andre, und der gelehrten Ver - weſung gar nicht, oder wenigſtens doch ſo geſchwind nicht, unterworfen ſind. Und vielleicht ſind ſie es dennoch. Herr Grobbens, jener beruͤhmte Kauf - mann, geht niemals lieber in die Comoͤdie, als wenn des Moliere Geiziger geſpielt wird. Er lacht aus vollem Halſe uͤber den betrognen Harpagon, dem man ſeinen Geldkaſten entwendet, und zu glei - cher Zeit greift er in den Schubſack, zu fuͤhlen, ob er auch den Schluͤſſel zu ſeiner Caſſe noch wohl ver - wahret habe. Herr Grobbens iſt geizig, das wiſſen wir alle; aber daß er und ſeines gleichen auf dem Theater gemeynt ſey, das glaubt Herr Grobbens nicht. Es faͤllt mir noch etwas ein. Sollte eine junge und ſtreitbare Muſe, wie man ſie nennen will, ſchuͤchtern gemacht werden; wie viel Selbſterkennt - niß und Ueberlegung wuͤrde dazu gehoͤren? Zwo Sachen, welche man, ohne ſeine Uebereilung und Un - wiſſenheit in der Gelehrtenhiſtorie zu verrathen, bey denen gewiß nicht ſuchen darf, welche uns alle Meſſen mit ihren Witze, und beſonders mit Streitſchriften, heimſuchen. Aber der fruchtbare Herr Magiſter Stucker, deſſen Schriften in der Oſtermeſſe verkauft, und noch vor der Michaels - meſſe vergeſſen werden, dieſer unermuͤdete Mann iſt ganz kleinmuͤthig geworden, als unlaͤngſt ſeinen Wer - ken eine dergleichen traurige Nativitaͤt geſtellt wor - den iſt. Jch raͤume dieſes ein. Kann das meinen Satz uͤber den Haufen werfen? Ein einziges Exempel macht noch lange keine Moͤglichkeit wahrſcheinlich. Wohl hundert kleine Stuckers ſehe ich alle Tagedurch144Hinkmars von Repkow. durch meine Gaſſe laufen, durch deren ſtandhafte Un - verſchaͤmtheit ich meinen Satz wider alle Einwuͤrfe be - weiſen, und vertheidigen kann.

Ja, eden dadurch gewinnen ſie vielmals mehr, als ſie verlieren.) Dieſe Materie iſt ſo unerſchoͤpflich, daß ich nicht Umgang nehmen kann, noch eine Note davon zu verfertigen. Was iſt es denn nun auch fuͤr ein großes Ungluͤck fuͤr diejenigen Schriften, welche die Zeit noch in ihrer Jugend, und, wenn ich ſo ſagen darf, in der Wiege dahin rafft? Bekoͤmmt die Nachwelt von ihnen nichts zu ſehen: So haben ſie auch den wichtigen Vortheil da - von, daß die Nachwelt von ihnen dasjenige nicht er - faͤhrt, was wir von ihnen wiſſen, und wir wiſſen von ihnen dasjenige, was ich hier, um ihren guten Na - men zu ſchonen, nicht ſchreiben mag. Bleiben aber von ihren Werken noch einige Fragmente uͤbrig, (denn das iſt ſo gar unmoͤglich eben nicht, daß in drey Alpha - beten wenigſtens ein vernuͤnftiger Gedanke ſeyn kann,) gut! So wird vielleicht einmal in jenen Ta - gen ein Scholiaſt aufſtehen, welcher uͤber den uner - ſetzlichen Verluſt eines ſo wichtigen und gelehrten Buchs aͤngſtlicher thut, als wir nimmermehr thun wuͤrden, wenn man die Gewaltthaͤtigkeit ausuͤbte, und uns zwaͤnge, eben dieſes Buch zu leſen, da es noch nicht verloren gegangen iſt.

Denn nur ſeit vorgeſtern haben die Deut - ſchen angefangen, maͤnnlich und ſtark zu denken, und, durch die Proben ihres reifen Witzes, den Witz der Franzoſen und Engel - laͤnder zu uͤbertreffen.) Wem dergleichenAben -145Noten ohne Text. Abentheuer von den Deutſchen unwahrſcheinlich vorkommen moͤchte, dem muß ich durch eine Note aus ſeinem Zweifel helfen. Es iſt eben itzt acht und vierzig Stunden, daß ich mit Abfaſſung gegen - waͤrtiger Noten ohne Text beſchaͤfftigt bin. Alles, was vorher in Deutſchland geſchrieben worden iſt, das koͤmmt mir, wenn ich es gegen dieſe meine Ab - handlung betrachte, ſo rauh, und barbariſch vor, daß ich uͤber die Blindheit erſchrecken muß, in wel - cher mein Vaterland getappt hat. Seit vorgeſtern fange ich an, zu ſchreiben, und ich wuͤnſche meinen Deutſchen Gluͤck dazu, daß ich mich entfchloſſen ha - be, zu ſchreiben. Jch bin nicht der erſte, welcher zu ſeinen Arbeiten ein dergleichen Vertrauen hat und glaubt, daß ohne ihn der deutſche Witz und Verſtand in einer ewigen Nacht wuͤrden verborgen geblieben ſeyn, und welcher den Zeitpunkt des guten Gechſmacks von demjenigen Augenblicke feſtſtellt, da er ſich aus mitleidigem Erbarmen, bewegen laſ - ſen, die Feder einzutaugen, und ſein unwiſſendes Vaterland zu lehren. Kuͤnftig alſo wird ſich die Epoche der deutſchen Gelehrſamkeit von vorgeſtern anfangen, und wollte jemand ſo verblendet, und ge - gen meine Verdienſte ſo undankbar, ſeyn, daß er dieſe meine Zeitrechnung nicht gehorſam, und ohne Murren, annaͤhme, dem ſey Trotz geboten! Denn ſchimpfen kann ich auch!

Der von ihm gemachte Eharakter aber ſoll ſehr ungleich, und hin und wieder ſich ſelbſtZweyter Theil. Kwider -146Hinkmars von Repkowwiderſprechend ſeyn.) Das kann wohl ſeyn, und dennoch halte ich es fuͤr keinen Fehler. Jch ſehe mich genoͤthigt, etwas weitlaͤuftiger davon zu handeln, weil ich dadurch Gelegenheit bekomme, noch ein Blatt zu beſchreiben. Man kann meines Erachtens einen Kunſtrichter gar fuͤglich, als einen Mann, vorſtellen, der auf die Heftigkeit der Kunſt - richter, und verſchiedne Schooßſuͤnden der Gelehr - ten, mit der groͤßten Heftigkeit, voller Eigenliebe und kritiſchen Hochmuths eifert, gleichwohl aber bey verſchiednen Gelegenheiten, wo man es am we - nigſten vermuthen ſollte, ſehr vernuͤnftig und gelaſ - ſen urtheilt. Don Qvichott blieb dennoch der Held von Mancha, wenn er gleich ſeinem Sancho Panſa die erbaulichſten und vernuͤnftigſten Lehren gab. Er hatte das Barbierbecken auf dem Kopfe, die verro - ſtete Lanze in der Hand, und ſaß auf ſeiner Roſſi - nante; gleichwohl waren ſeine Unterredungen ſo tiefſinnig und philoſophiſch, als vielmals die Unter - redungen eines außerordentlichen Lehrers der Welt - weisheit nicht ſind. Nur erſt alsdann ward er ein Narr, wenn er von Rieſen traͤumte, und Wind - muͤhlen beſtuͤrmte. Wenn ich mich recht entſinne, ſo habe ich geleſen, daß Cervantes, eben durch die - ſen ungleichen und abwechſelnden Charakter, ſich und ſeinen Don Qvichott beruͤhmt gemacht hat. Das iſt ja nicht eben ſo gar unwahrſcheinlich, daß ein Menſch bey gewiſſen Faͤllen vernuͤnftig ſeyn kann, welcher uns doch auf einer andern Seite laͤcherlich ſcheint. Jch kenne einen gewiſſen Rechtsgelehrten,welcher147Noten ohne Textwelcher das Orakel aller unruhigen Bauern, die Zuflucht aller zaͤnkiſchen Nachbarn, und ein Vor - mund aller Schelme und Diebe iſt. Wer ihn auf der Richterſtube hoͤrt, oder ſeine eingebrachten Saͤ - tze lieſt, der ſollte gewiß glauben, es wuͤrde Witt - wen und Waiſen und dem ganzen Vaterlande ſehr erſprießlich ſeyn, wenn er in den naͤchſten vier Wo - chen gehangen wuͤrde. Und dennoch weis dieſer Prieſter der Gerechtigkeit, in gewiſſen Geſellſchaften, von der Liebe des Naͤchſten, von den Pflichten der Menſchen, von den wichtigſten Wahrheiten jenes Lebens, ſo geſetzt und ſo lehrreich zu reden, daß ein gewiſſer Edelmann nur ohnlaͤngſt zweifelhaft war, ob er, wo nicht ein Qvacker, doch wenigſtens ein Mißionarius ſey, welcher Heiden bekehren wollte. Wenn Doctor Purgan vor dem Krankenbette ſteht, und mit einer raͤthſelhaften Miene an den Puls fuͤhlt: So ſind ſeine Geſpraͤche ſo kunſtmaͤßig und grie - chiſch, daß man darauf ſchwoͤren ſollte, er habe das Fieber ſelbſt. Und eben dieſer Herr Doctor Pur - gan kann bey jener Kaufmannsfrau, deren Leibarzt er iſt, ſo deutlich und vernehmlich reden, als kein Schaͤfer bey ſeiner Phyllis. Wuͤrde es nicht verwe - gen ſeyn, wenn ich diejenigen nicht fuͤr Philoſo - phen halten wollte, welche eigennuͤtzig, rachſuͤchtig, wolluͤſtig, hochmuͤthig, mit einem Worte, welche auf der Catheder große Weltweiſen, und, in ihrem Hauſe, die kleinſten Geiſter ſind? Jener Heuchler, mit gefaltnen Haͤnden, welcher uns woͤchentlich . So weit geht die Note; das uͤbrige erklaͤrt unſer Text.

K 2Und148Hinkmars von Repkow

Und deſſen ungegruͤndete Meynung.) Jch wuͤrde hierbey Gelegenheit haben, uͤber ſeine einfaͤl - tigen Vorurtheile ziemlich zu ſpotten, und er verdien - te es wohl! Weil er aber meiner in ſeiner letzten Vorrede ſehr ruͤhmlich gedacht, ja ſo gar nur un - laͤngſt in ſeine Werke ein poetiſches Sendſchreiben an mich eingeruͤckt hat: So verſichre ich meine Le - ſer, daß ich noch niemanden gefunden habe, welcher in Befoͤrderung des guten Geſchmacks, und der ſchoͤ - nen Wiſſenſchaften in Deutſchland ſo unermuͤdet und gluͤcklich geweſen, als eben dieſer beruͤhmte Mann.

Bey denen man um Feſſeln fleht.) Dieſe ſchoͤne Stelle recht zu verſtehen, muß man wiſſen, daß unſre Dichter niemals verliebter ſind, als wenn ſie in Ketten und Banden liegen. Es gehoͤrt die - ſes zu denen Moden in der Poeſie, von welchen ich, in einer abſonderlichen Schrift, umſtaͤndlich han - deln werde. Man ſollte glauben, ein Liebha - ber, der auf allen vieren kriecht, wuͤrde wenig Ein - druck machen; aber bey den poetiſchen Schoͤnen iſt es ganz anders. Ein reimender Liebhaber ohne Feſſel iſt etwas unerhoͤrtes, denn alle ihre Gebiete - rinnen ſind Koͤniginnen, und zwar recht grauſame Koͤniginnen, aber welches wohl zu merken iſt, auch nur in poetiſchem Verſtande. Denn wir leſen in der arkadiſchen Chronike, daß dergleichen gefeſſelte Lieb - haber beherzt genug geweſen ſind, in einer Woche wohl drey ſolche Koͤniginnen vom Throne zu ſtoßen, und bey der vierten um Feſſeln zu flehen.

Nach -149Noten ohne Text.

Nach Gruͤnden) Denn eben itzt iſt die merk - wuͤrdige Zeit, da man nichts ohne zureichenden Grund thut.

Das Gedicht aber auf ſeine Ehefrau) Man findet darinnen alles dasjenige zaͤrtliche und verbindliche, was die Sprache einer vernuͤnftigen Liebe erfodert. Und denen, welche die groſſe Welt kennen, hat es um deßwillen ſehr wahrſcheinlich vor - kommen wollen, daß dieſes Gedicht unter die lehr - reichen Fabeln, oder poetiſchen Erzaͤhlungen, gehoͤ - re. Es ſey nirgends erhoͤrt, ſprechen ſie, daß ein paar Eheleute einander, bey lebendigem Leibe, ſo viele Schmeicheleyen in Verſen vorſagen koͤnnten. Es ſey gar nicht mehr gebraͤuchlich, daß ein vereh - lichter Dichter, bey dem Leben ſeiner Frau, ihr zu Ehren, nur die Haͤlfte von dem Weihrauche ver - ſchwende, welchen er ſonſt mit vollen Haͤnden auf fremden Altaͤren geopfert. Gemeiniglich kaͤmen ſie nicht eher ins poetiſche Feuer, bis die Wohlſe - ligverſtorbne auf der Bahre liege, und die haͤufi - gen Proben der Wittwerthraͤnen ließen uns noch vielmals ungewiß, ob der Schmerzlichgebeugte un - ter ſeinem Flore vor Freuden, oder vor Schmerzen, geweint habe. Allein mir ſcheinen dieſe Urtheile und angefuͤhrten Gruͤnde ſehr ſeichte. Jch koͤnnte unterſchiedne geſammelte Proben von dergleichen Gedichten hier einruͤcken, aus denen man gleich in den erſten Zeilen ſieht, daß der betruͤbte Witt - wer ſeiner nicht maͤchtig geweſen iſt. Jch will michK 3aber150Hinkmars von Repkowaber lieber auf das guͤltige Zeugniß des ſo glaub - wuͤrdigen Berkenmeyers beziehen, welcher uns von einem gewiſſen unbekannten und ſehr weit entlegnen Volk erzaͤhlt, daß ihre Ehen die gluͤckſeligſten und vergnuͤgteſten Ehen waͤren, und daß ein je - der glaube, die beſte Frau zu haben. Die Wei - ber unter dieſem fremden Volke waͤren gefaͤllig, treu, und verehrten die Maͤnner, als ihre Herren. Man faͤnde unter ihnen Weiber, welche in der zwar etwas rauhen Sprache ihres Landes die Redlichkeit ihrer Maͤnner beſaͤngen, und Maͤn - ner, welche die Zaͤrtlichkeit ihrer Weiber mit glei - chen Liedern vergaͤlten. Dieſes ſind des vor - trefflichen Berkenmeyers eigne Worte, und wer ſolches fuͤr ein Maͤhrchen aus Amerika halten woll - te; der wuͤrde ſich an Berkenmeyern und an unſerm Frauenzimmer ſehr verſuͤndigen. Jch weis es, daß es eine haͤmiſche Lobſchrift auf die boͤſen Maͤn - nera)im I. Th. dieſer Sammlung, a. d. 61 S., und eine boshafte Trauerrede eines Witt - werb)im I. Th. dieſer Sammlung, a. d. 69 S. giebt. Das wirft aber meinen Satz noch gar nicht um. Wir wiſſen es gar wohl, daß die erſte ein erbittertes Frauenzimmer gemacht hat, an welcher es gar nicht liegt, daß ſie, als Jungfer, alt und Lebens ſatt ihren Geiſt aufgeben muß; und von dem Verfaſſer der Trauerrede iſt es in ganz Leipzig bekannt, daß er auf dieſen verzweifelten Entſchluß, ſeine Rede zu machen, nicht eher gefallen, als da man ihm, wegen ſeinerbeſon -151Noten ohne Text. beſondern Verdienſte, den ſiebenten Korb zugeſchickt hatte. Wahrhaftig, ein edles paar von Lobred - nern, welche mit ihren Zungenſuͤnden wohl ver - dient haͤtten, durch Urtheil und Recht an einander verheyrathet zu werden!

Welche Zigeuner und elende Poeten) die - ſen verwegnen Ausdruck ſucht er alſo zu rechtfer - tigen:

Jch ſoll mich verantworten, wie ich es habe wa - gen koͤnnen, die elenden Poeten mit den Zigeunern zu vergleichen. Jch will es thun, mein Herr, un - geachtet ich geglaubt haͤtte, daß ein fluͤchtiger Ein - fall, den man zuweilen in Geſellſchaft vertrauter Freunde vorbringt, dergleichen Schutzſchrift nicht noͤthig haͤtte.

Meine Meynung iſt gar nicht dieſe geweſen, als waͤre zwiſchen Zigeunern und elenden Dichtern, eine durchgaͤngige Aehnlichkeit. Wenn es aber auch meine Meynung waͤre, ſo wollte, ich mir doch ge - trauen, ſie zu vertheidigen. Ein Zigeuner wuͤrde vielleicht eine ganz andre Lebensart erwaͤhlen, wenn er zu etwas beſſern geſchickt waͤre; und ein reimen - der Scribent muͤßte ſo gar den Ueberreſt desjenigen Verſtandes verloren haben, den ihm die erbarmende Natur, wiewohl mit kargen Haͤnden, zugeworfen hat, wenn er ſo klaͤgliche Schriften verfertigte, wofern er anders im Stande waͤre, etwas kluͤgers vorzu -K 4nehmen152Hinkmars von Repkownehmen. Die Verwunderung, die ſich ein Zigeu - ner bey dem Poͤbel durch ſein Wahrſagen zuwege bringt, iſt der Verwunderung ſehr gleich, die ein Rei - mer durch ſeinen betaͤubenden Witz bey dem leſenden Poͤbel erhaͤlt. Unter den leſenden Poͤbel aber rech - ne ich Leute von allerley Stande; und wollte man mich gerichtlich anhalten, dieſe Art von Poͤbel ge - nauer zu beſtimmen; ſo koͤnnte es freylich geſchehen, daß man Maͤnner in Magiſter - und Doctorhuͤthen, Maͤnner mit Sternen auf der Bruſt, Maͤnner in ehr - wuͤrdiger Kleidung darunter antraͤfe. Was die Raͤu - bereyen der Zigeuner anbelangt, ſo haben ſich meine Poeten gar nicht zu ſchaͤmen, wenn man auch dar - innen viel aͤhnliches zwiſchen ihnen und den Zigeu - nern zu finden glaubt. Sie pluͤndern eben ſowohl als jene. Aber ſie pluͤndern ebenfalls nur aus Hun - gersnoth; und aus Hungersnoth zu rauben, iſt, wie bekannt, den buͤrgerlichen Rechten nach, kein Diebſtahl. Sie rauben alſo nur Berufs wegen!

Jch weis nicht, warum ich mich ſo gern elender Schriftſteller annehme. Vielleicht geſchieht es bloß aus einer allgemeinen Menſchenliebe: Vielleicht aber koͤmmt es auch von einigen Vorurtheilen her, die ich noch von meiner erſten Jugend behalten habe, und welche machen, daß ich dergleichen Scribenten nicht anſehen kann, ohne mitleidig geruͤhrt zu wer - den. Schreib, mein Sohn! Schreib, und ſchaͤ - me dich nicht! Schreib unermuͤdet; denn die Natur hat dir geſunde Finger gegeben! Die -ſes153Noten ohne Text. ſes war der letzte Segen, den mir mein Vater, troͤ - ſte ihn Gott, er war auch ein Scribent! noch auf ſeinem Todbette ertheilte. Er verließ mir ein ſchlech - tes Vermoͤgen, es iſt wahr; aber dieſe Vermah - nung hat mich ſo aufgemuntert, daß ich niemals hung - rig zu Bette gegangen bin, ſo lange ich derſelben ge - folgt habe. Jch ſchrieb aus allen Leibeskraͤften, und es gedeihte mir ganz wohl. Seit der Zeit hat ſich freylich viel geaͤndert. Jch habe dieſes Autor - handwerk niedergelegt. Jch fand Urſachen, wel - che mir riethen, mich von dergleichen Scribenten abzuziehen; zugleich aber fand ich auch ganz unuͤber - ſteigliche Hinderniſſe, ein guter Scribent zu werden; um deswillen ſchreibe ich, wie Sie, mein Herr, wiſſen, gar nichts mehr.

Jm Ernſte zu reden, ſo iſt es eine ſehr betruͤbte Sache um gute Scribenten. Sie laſſen ſichs blut ſauer werden, und doch geht es ihnen nicht von der Hand. Haben ſie auch ja ein Werk in ihrer Art zu Stande gebracht; welcher Buchhaͤndler wird ſo viel wagen, es zu verlegen? Sie muͤſſen noch Geld zugeben, wenn ſie ihren Namen gedruckt ſehen wol - len; und ſind ſie auch gedruckt, wohl gut! Wieviel finden ſie denn Leſer? Sehr wenig; oder ich muͤßte unſre Zeiten gar nicht kennen. Heute Nachmittags ging ich vors Thor. Jch ſah einen großen Zu - lauf von Leuten, welcher mich bewog, naͤher hinzuge - hen. Jch fand einen Mann in der groͤßten Beſchaͤff - tigung, ſeine Paͤcktchen unter den gewoͤhnlichen Be -K 5theu -154Hinkmars von Repkowtheurungen, und mit Berufung auf die erſtaunenden Curen, ſo er gethan, und auf ſeine vortrefflichen Pri - vilegien, auszutheilen. Kurz, es war ein Markt - ſchreyer. Was fuͤr ein Unterſchied, dachte ich bey mir ſelbſt, iſt nicht zwiſchen dieſem Marktſchreyer, und meinem Arzte in der Stadt, den jeder fuͤr einen geſchickten, behutſamen und erfahrnen Mann haͤlt, in deſſen Vorzimmer aber nicht der zwanzigſte Theil der Leute iſt, wie bey dieſem Quackſalber. Aber woher koͤmmt das? Er verſichert nichts, wovon er nicht uͤberzeugt iſt. Er kann ſich nicht uͤberwinden, ſeine Medicamente mit einer etwas zuverſichtlichern Miene anzupreiſen; er iſt zu ehrlich, als daß er an - dre Aerzte neben ſich verkleinern ſollte; mit einem Worte, er macht nicht Wind genug, und hat kei - nen Hanswurſt bey ſich, welcher den Poͤbel unter - halten, und ihm ein Vertrauen zu ſeinen Arzneyen bey - bringen kann: Mein Arzt iſt ein vernuͤnftiger Mann, und jener Marktſchreyer ein Windmacher! Welche Ausſchweifung; werden Sie ſagen! Von elenden Scribenten auf die Quackſalber zu kommen! Sie haben Recht, mein Herr, es iſt allerdings eine Aus - ſchweifung, welche vielleicht nur alsdann zu entſchul - digen ſeyn wuͤrde, wenn zwiſchen den niedertraͤchti - gen und unverſchaͤmten Aufſchneidereyen, der Un - wiſſenheit und dem gewinnſuͤchtigen Handwerke die - ſes Marktſchreyers, und zwiſchen dem Betragen und den Abſichten elender Scribenten die geringſte Gleich - heit waͤre. Aber dieſes iſt freylich nicht, und um deswillen iſt meine Ausſchweifung gar nicht zu ent -ſchuldi -155Noten ohne Text. ſchuldigen. Es ſey darum! Jch mag es nicht aus - ſtreichen. Jn meinen jungen Jahren, als ich noch ein Autor war, wußte ich mich, in dergleichen Faͤl - len, recht leicht zu troͤſten. Wollte ich gar nichts ſchreiben, waren damals meine Gedanken, als was ſich reimt, und was auf eine vernuͤnftige Weiſe zu - ſammen haͤngt; ſo ſchreibe ich mich an den Bettel - ſtab, und meinen Verleger ins Hoſpital. Unge - faͤhr ſo dachte ich damals; und Sie wiſſen wohl daß einem alternden Autor dergleichen Jugendfehler noch immer anhaͤngen. Jch kann Jhnen nicht hel - fen, mein Herr, Sie muͤſſen alles leſen, was ich ge - ſchrieben habe; es mag zuſammen klingen, wie es will. Sehen Sie es ebenfalls als eine kleine Ra - che an, daß Sie mich genoͤthigt haben, meinen Ge - danken ſchriftlich zu vertheidigen. Vielleicht ma - chen Sie kuͤnftig nicht ſo viel Schwierigkeiten, mir auf mein Wort zu glauben.

Und Kohlharts Beyſpiel) Wer Kohlhar - ten auf der neuberiſchen Buͤhne ſpielen ſehen, der wird ihm, und wenn er auch ein Franzoſe waͤre, den billigen Ruhm zugeſtehen muͤſſen, daß ihm nur ſehr wenig in der Kunſt, die Leidenſchaften der Men - ſchen lebhaft und natuͤrlich vorzuſtellen, beygekom - men ſind. Hatte er die Rolle des Brutus zu ſpielen; ſo vergaß man Kohlharten ganz, und beweinte den Bru - tus. Und eben dieſer, welcher uns heute Thraͤnen abzwang, machte, daß wir den Tag darauf vor La - chen außer uns waren, wenn er den eingebildetenKranken156Hinkmars von RepkowKranken vorſtellte. So bald ſich Kohlhart ſehen ließ; ſo bald ward das ganze Theater aufgeweckt. Er war im Stande, durch ſeine Geſchicklichkeit die groͤßten Fehler des Schauſpiels zu verdecken. Ja ich glaube beynahe, daß er vermoͤgend geweſen waͤre, durch ſeine verfuͤhreriſche Kunſt die elendeſten Schau - ſpiele ertraͤglich zu machen. Dieſer vortreffliche Kohlhart ward bey zunehmendem Alter durch ſeine kraͤnklichen Umſtaͤnde ſehr gehindert. Zu manchen Zeiten konnte er gar nicht reden; er erſchien nur ſel - ten auf der Schaubuͤhne. Nach und nach fieng man an, ihn zu vergeſſen, und es fehlte nicht viel, daß er nicht noch bey ſeinem Leben unbekannt ge - worden waͤre. Nur wenig Tage vor ſeinem Tode habe ich ihn noch auf der Schaubuͤhne geſehen. Sei - ne Bruſtbeſchwerung verhinderte ihn, zu reden; er hat - te alſo nur die Rolle einer ſtummen Perſon, und mußte in der Kleidung eines Bedienten den Stuhl einem tragiſchen Helden zurechte ſetzen, welcher we - gen ſeiner Ungeſchicklichkeit kaum verdiente, auf der reibhandiſchen Buͤhne eine ſtumme Perſon vorzu - ſtellen. Jch ſchaͤme mich nicht, zu geſtehen, daß ich mich kaum der Thraͤnen enthalten konnte, als ich unſern Kohlhart in dieſer geringen und unedlen Be - ſchaͤfftigung erblickte: So bald er den Stuhl hinge - ſetzt hatte, trat er ab. Jch ſah ihm mitleidig nach, und in dem ganzen Trauerſpiele ſchien mir dieſer Auftritt der traurigſte zu ſeyn. Wenig Tage dar - auf ſtarb er. Kaum erfuhr ich ſeinen Tod, als mir alle dieſe Umſtaͤnde aufs lebhafteſte wieder beyfielen. Dieſer157Noten ohne Text. Dieſer Mann, dachte ich bey mir ſelbſt, welcher in ſeinen juͤngern Jahren das Haͤndeklatſchen des Par - terre, und die Bewunderung der Logen erregte; dieſer koͤmmt bey zunehmendem Alter ſo weit herun - ter, daß er, als er das letztemal in ſeinem Leben ſich auf der Schaubuͤhne zeigt, eine ſtumme Perſon, und eine ſo gleichguͤltige Handlung vorſtellen muß, in der er von dem wenigſten Theile der Zuſchauer bemerkt worden iſt. Dieſer Gedanke bekraͤftigte bey mir die Wahrheit des bekannten Satzes; daß die ganze Welt eine Schaubuͤhne ſey. Wie mancher Staats - miniſter, welcher die Bewunderung und die Schmei - cheleyen des ganzen Volks erzwingt, wird vor ſeinem Ende ſo weit gebracht, daß man ihn, da er noch lebt, ſchon vergißt, und oft ſieht er ſich gezwungen, als Greis mit einer ehrerbietigen Miene unter dem ge - ſchwaͤtzigen Poͤbel der Bedienten in der Antiachambre desjenigen aufzuwarten, welcher im vorigen Jahre bloß durch ſeine gnaͤdige Vermittelung aus dem Staube erhoben worden iſt.

Jch habe nicht noͤthig, bloß am Hofe dieſe Aehn - lichkeit zu ſuchen; ich finde ſie auch in andern Staͤn - den. Es wird kaum vierzig Jahr ſeyn, daß Climene die Koͤniginn aller zaͤrtlichen Herzen war. Nie - mand hieß damals galant, der nicht um Climenen ſeufzte, und alle junge Herrchen unſrer Stadt, flat - terten um dieſe Schoͤne herum. Verſchiedne, wel - che ſich fuͤr viel zu witzig hielten, als daß ſie den Gottesdienſt beſuchen ſollten, beſuchten ihn doch;aber158Hinkmars von Repkowaber nur um Climenens willen. Wie fluͤchtig iſt doch der Ruhm der Menſchen! Am Sonntage ſah ich dieſe vergoͤtterte Climene ganz gebuͤckt aus der Kirche ſchleichen. Jhre Runzeln verriethen ihr Schickſal. Es begegneten ihr verſchiedne junge Stutzer, deren Vaͤter vor vierzig Jahren uͤber ihre Unempfindlichkeit beynahe verzweifelt waren. Und itzt konnten ſich die muthwilligen Soͤhne dieſer zaͤrt - lichen Vaͤter kaum entſchließen, der veralteten Cli - mene aus dem Wege zu treten. Sie wuͤrden ſie, glaube ich, gar nicht wahrgenommen haben, wenn nicht ein großes Gebetbuch, das ſie unter ihrem zit - ternden Arme trug, ſie aufmerkſam, und ihren leicht - ſinnigen Witz munter gemacht haͤtte.

Haben viele unſrer Gelehrten wohl ein beßres Schickſal zu erwarten? Jch glaube es nicht. Der Ruhm der Gelehrten iſt beynahe noch vergaͤnglicher, als die Vergoͤtterung der Schoͤnen; denn die Ge - lehrſamkeit aͤndert die Moden faſt noch oͤfter, als das Frauenzimmer. Syſtemata der verſchiednen Diſciplinen, die vor wenig Jahren auf hohen Schu - len bewundert wurden, ſind itzt laͤcherlich. Qven - ſtaͤdt muß aufs Land zu den Dorfpfarren fluͤchten, und vielleicht weis in zehen Jahren kein Gerichts - verwalter etwas mehr von Ludewigs Anzeigen, es muͤßte ihn denn ſeine Vorrede verewigen. Dich - ter, welche nicht ſicher auf der Straße gehen konn - ten, ohne von Buchhaͤndlern und Kaufmannsdien - nern bewundert zu werden; dieſe gedemuͤthigtenDich -159Noten ohne Text. Dichter koͤnnen nunmehr auf oͤffentlichem Markte ganz ungeſtoͤrt hin und wieder gehen, man ſieht ſie nicht mehr, man hat ſie vergeſſen, und wollen ſie nicht gar verhungern, ſo muͤſſen ſie ſich der ſparſa - men Großmuth eines Buchdruckers uͤberlaſſen, wel - cher ſie als Corrector in ihrer Druckerey ernaͤhrt. So klaͤglich war doch Kohlharts Schickſal noch nicht!

Wie wird es mir einmal gehen! Da mich der Himmel verdammt hat, ein Autor zu ſeyn: So wuͤnſche ich mir von ihm nur dieſes, daß er mich nicht laͤnger leben laͤßt, als meine Schriften. Habe ich auf der Schaubuͤhne der gelehrten Welt die Thorheiten der Menſchen vorſtellen muͤſſen; habe ich dieſes mit einigem Beyfalle gethan: O! ſo wuͤnſche ich mir, daß der Vorhang bald niederge - laſſen werde, indem ich noch ſpiele. Wie vergnuͤgt will ich abtreten, wenn ich noch bey der letzten Rol - le das Plaudite von dem gruͤndlichen Geſchmacke witziger Kenner fodern darf! Aber, o Himmel, iſt mir auch Kohlharts trauriges Schickſal beſtimmt, ſo gieb mir nur auch einen vernuͤnftigen Freund, der mich ſo bedauert, wie ich Kohlharten bedauert habe!

Conata laceſſere Teucros) Die Verdienſte welche ſich dieſes Frauenzimer in der gelehrten Welt erworben, ſind ſo weſentlich und wichtig, daß ich nicht begreifen kann, warum es ſich durch eineſolche160Hinkmars von Repkowſolche Befehdung, und durch die Vorrechte ih - res Geſchlechts zu vertheidigen geſucht hat. Mir ſcheint es wenigſtens, daß ſie nicht die beſte Art ge - waͤhlt habe, mit welcher ſie ihr Misvergnuͤgen uͤber das unfreundliche Bezeigen eines ihrer Gegner aus - druͤcken, und die Leſer uͤberfuͤhren will, daß man ſich an ihr verſuͤndigt habe. Die Hochachtung, ſchreibt ſie, welche man unſerm Geſchlechte ſchul - dig iſt, iſt zu allen Zeiten unter geſitteten Voͤlkern fuͤr etwas ſo unverbruͤchliches gehalten worden, daß ich hoffe, man werde dieſe Verletzung derſel - ben gegen eine Perſon, die ſolches auf keinerley Weiſe verdient hat, nicht mit gleichguͤltigen Augen anſehen. Wer die kleinen Balgereyen ſchon weis, welche ſeit einiger Zeit zwiſchen den witzigen Koͤpfen vorgefallen ſind, der wird es zufrieden ſeyn, daß ich die eigentlichen Umſtaͤnde dieſer gelehrten Mordgeſchichte hier nicht anfuͤhre; und wer ſie nicht weis, der kann ſich allenfalls troͤſten, wenn ihm eine ſolche Kleinigkeit noch ferner unbekannt bleibt. Jch bin hierinnen ganz unparteyiſch, und ſo wenig Vergnuͤgen ich uͤber die Auffuͤhrung ihres Gegners empfunden, welches ſie ein ungezognes Ver - fahren nennen will: So uͤberfluͤßig wuͤrde es auch ſeyn, die Vertheidigung ihrer Sache zu uͤberneh - men, da man aus ihrer Vorrede wohl ſieht, daß ſie ſelbſt Muth genug hat, ſich mit dem Natur - und Voͤlkerrechte zu wehren, und eine Sprache zu fuͤhren, von welcher eine gewiſſe Art unſrer heutigen Kunſt - richter ſelbſt geſtehen wird, daß ſie maͤnnlich genugſey.161Noten ohne Text. ſey. Meine Gedanken, welche ich bey Leſung die - ſer Vorrede gehabt, ſind ungefaͤhr dieſe.

Jch ſelbſt habe fuͤr das Frauenzimmer alle billi - ge Hochachtung; es klingt mir aber ein wenig zu hart, wenn ein Frauenzimmer dieſe Hochachtung ſelbſt verlangt, und ſich auf die ruhige Poſſeß bezieht, in welcher ſie und ihre Vorfahren ſeit hundert und mehr Jahren geweſen ſind.

Da unſre Verfaſſerinn bey dieſer ganzen Strei - tigkeit, nicht bloß als ein Frauenzimmer, ſondern als eine Scribentinn anzuſehen iſt, ſo hat ſie um ſo viel weniger Urſache, ſich auf dieſe wohl hergebrach - te Hochachtung zu ſteifen, welche ſie von uns aus ruͤhmlichern Gruͤnden verlangen kann. Ein gelehr - tes Frauenzimmer kann dieſe weiter nicht fodern, als eine gelehrte Mannsperſon. Beide koͤnnen unſre Hochachtung erlangen, wenn ihre Gelehrſamkeit und ihr Witz ſolche verdienen. Jſt dieſes nicht; ſo habe ich ſchon genug gethan, wenn ich ihnen nicht unhoͤflich begegne, und ich muß das Recht haben, auf die gelehrten Eitelkeiten und Fehler eines ſchreibenden Frauenzimmers mit eben der Bitterkeit loszugehen, welche man in gleichem Falle wider die Scribenten maͤnnlichen Geſchlechts ohne Beleidi - gung des Wohlſtands brauchen darf.

Jn meinen Augen verdient kein Stand mehr Ehrfurcht und Hochachtung, als der Stand derZweyter Theil. LGeiſt -162Hinkmars von RepkowGeiſtlichen. So bald ſich aber ein Geiſtlicher auf eine ungluͤckliche Art unter die Schriftſteller mengt, und durch ſein Exempel den alten und wahren Satz bekraͤftigt, daß ein ehrwuͤrdiger Mann gar wohl ein elender Autor ſeyn koͤnne: So bald vergeſſe ich den Prieſter, und lache uͤber den Schmierer. Wie unzeitig wuͤrde der Eifer ſeyn, wenn mich dieſer Mann um deswillen verketzern, und ſagen wollte; ich haͤtte die Hochachtung beleidigt, welche man ſei - nem Amte nach den goͤttlichen und weltlichen Rech - ten ſchuldig ſey, und welche unter allen Voͤlkern fuͤr etwas ſo unverbruͤchliches gehalten worden?

Jch befuͤrchte, der Witz duͤrfte dadurch ſehr viel leiden, wenn wir die Galanterie ſo hoch treiben, und die Fehler einer Scribentinn dulden, oder gar be - wundern wollten, bloß darum, weil ſie von den Haͤnden eines Frauenzimmers kaͤmen. Wir haben bereits unter unſern Mannsperſonen eine ſo große Menge erbaͤrmlicher Schriftſteller, daß es ſehr un - verantwortlich ſeyn wuͤrde, auch die andre Haͤlfte des menſchlichen Geſchlechts mit dieſer Autorſeuche zu verwahrloſen. Jch wuͤnſchte wohl, daß alle Frauenzimmer einen Geſchmack an den ſchoͤnen Wiſ - ſenſchaften faͤnden; aber das wolle der Himmel nicht, daß alle Frauenzimmer dasjenige praͤchtig drucken laſſen, was ſie mittelmaͤßig gedacht haben! Jhren Freunden moͤgen ſie es vorleſen, und ich werde es ſelbſt mit Vergnuͤgen anhoͤren, wenn es gleich hin und wieder fehlerhaft iſt; nur gedruckt mag ich esnicht163Noten ohne Text. nicht ſehen. Diejenige unumſchraͤnkte Gewalt, welche wir dem Frauenzimmer aus Hoͤflichkeit und Hochachtung an ihrem Nachttiſche zugeſtehen; dieſe hoͤrt gleich auf, ſo bald wir einander in dem Buch - laden antreffen. Sie ſey witzig, ſie ſuche ihren Ge - ſchmack auszubeſſern, ſie ſchreibe, um ihren Verſtand zu ſchaͤrfen; aber ſie ſchreibe nur fuͤr ſich, nicht fuͤr die Welt, ohne ihre Kraͤfte vorher wohl zu pruͤfen. Thut ſie es aber doch, ſo behalte ich mir vor, mit naͤchſtem ein Kochbuch zu ſchreiben, und wollte das Frauenzimmer anfangen uͤber mein Kochbuch zu ſpotten, da ich wirklich ein ſehr ſchlechter Koch bin, ſo hoffe ich, die geſitteten Voͤlker werden dieſe Ver - letzung der Herrſchaft, welche dem Mannsvolke zu allen Zeiten eigen geweſen iſt, und die Beleidigung einer Perſon, die ſolches auf keinerley Weiſe ver - dient hat, nicht mit gleichguͤltigen Augen anſehen.

Ein Frauenzimmer, welches vor ihre Schriften ihr Kupferbild ſetzt, oder in der Vorrede deswegen um Pardon ruft, weil ſie ein Frauenzimmer iſt, verraͤth entweder ihr boͤſes Gewiſſen und die Unge - rechtigkeit ihrer Sache, oder glaubt, daß die Kunſt - richter voll Leidenſchaften, und eben ſo wohl zu blen - den ſind, als die Richter der Phryne, welche ihren Rechtshandel verſpielt haben wuͤrde, wenn ſie nicht den Schleyer zuruͤckgeſchlagen haͤtte.

Aus dem, was ich bisher angefuͤhrt habe, wird man urtheilen koͤnnen, wie billig es ſey, einem Frau -L 2enzim -164Hinkmars von Repkowenzimmer kein Qvartier zu geben, welches ſich in ge - lehrte Streitigkeiten mengt, und fuͤr eine ungerechte, oder doch zweifelhafte, Sache mit zu vieler Hitze und einer maͤnnlichen Wut kaͤmpft. Jch habe noch keinen Scholiaſten gefunden, welcher den Aruns fuͤr ungeſittet oder fuͤr ungezogen gehalten, daß er Camillen im Treffen verfolgt, und ihrem Wuͤrgen Einhalt gethan. Sie wagte ſich unter das Heer ſtreitender Maͤnner, und die Goͤtter erhoͤrten den Aruns, welcher unbekannt zu ſterben wuͤnſchte, wenn er nur durch den Sieg uͤber die kriegriſche Camilla den Tod ſeiner Landsleute raͤchen koͤnnte. Jch zweifle nicht, Aruns wuͤrde bey einer andern Gele - genheit der Camilla mit aller der Galanterie begeg - net haben, welche den Trojanern eigen war; aber hier erblickte er ſeine Feindinn, und begegnete ihr, als einem Feinde. Ein Frauenzimmer, welches ſich in den Krieg der Kunſtrichter miſcht, wagt viel, und be - giebt ſich ſelbſt der Rechte, die außerdem ein Frauen - zimmer hat.

Graditur bellum ad crudele,
et noſtris nequicquam cingitur armis
Cara mihi ante alias
Vellem haud correpta fuiſſet
Militia tali, conata laceſſere Teucros.

Niſi quod ſit dictum prius) Jch will die Ge - wohnheit eben nicht tadeln, welche einige unſrer Ge - lehrten an ſich haben, wenn ſie ihre Schriften durchdie165Noten ohne Text. die Sentenzen alter und neuer Autoren ausputzen; aber dieſes wuͤrde ich doch gern ſehen, wenn ſie da - mit etwas ſparſamer umgiengen, als die meiſten zu thun pflegen. Jch finde zwiſchen dergleichen Schrif - ten und unſern Luſtgaͤrten in dieſem Stuͤcke eine ziem - liche Aehnlichkeit. Es iſt dem Geſichte angenehm, wenn man in denſelben einige wohlgearbeitete Sta - tuen erblickt; nur muͤſſen deren nicht gar zu viel ſeyn, wenn der Garten nicht das Anſehen eines Bil - derſaals gewinnen ſoll. Es kann auch daraus fuͤr den Gaͤrtner noch dieſer empfindliche Schaden er - wachſen, daß man ſich bloß mit Betrachtung der Statuen beſchaͤfftigen, und auf den Garten entweder ſeine Aufmerkſamkeit gar nicht richten, oder doch ziem - lich gleichguͤltig dabey ſeyn wuͤrde. Wo ich mich nicht ſehr irre, ſo laͤuft ein Schriftſteller bey ſeinem Wer - ke eine gleiche Gefahr. Wenn ich auf einer jedwe - den Seite ein, auch mehrere, Sentenzen der Alten und Neuern finde, ſo wird mich dieſes ſo zerſtreuen, daß ich den Spruch des Horaz bewundere, und meinen Autor daruͤber vergeſſen werde; oder ver - geſſe ich ihn auch nicht gaͤnzlich; ſo wird er doch mei - ne Aufmerkſamkeit mit den Horaz theilen muͤſſen, die er ſonſt ganz zu fodern haͤtte. Zu geſchweigen, daß es bey vielen eine große Unbedachtſamkeit ver - raͤth, wenn ſie den Leſer zu oft an den Witz der Al - ten und Neuern Gelehrten erinnern. Sie verwoͤh - nen ihn dadurch, und machen, daß er lauter gleich witzige Sachen von ihnen verlangt. Jſt der Ver - faſſer nicht im Stande, ſeinen Leſer mit dergleichenL 3beſtaͤn -166Hinkmars von Repkowbeſtaͤndig zu unterhalten; ſo wird er es demſelben auch nicht verargen koͤnnen, wenn ihm ſeine Schrift ekelhaft wird. Jch habe heute Nachmittags ein Frauenzimmer beſucht, welche zwar nicht ſchoͤn, aber doch noch ganz leidlich haͤßlich iſt. Sie hatte den Fehler begangen, verſchiedne andre Frauenzim - mer zu ſich zu bitten, welche ſo ſchoͤn waren, daß ſie meine Aufmerkſamkeit, und die Bewunderung aller andern Mannsperſonen, erweckten. Wir vergaßen uns ſo weit, daß wir uns nur mit dieſen Schoͤnen beſchaͤfftigten, und an unſre nicht ſo ſchoͤne Wirthinn beynahe gar nicht dachten. Gegen dieſe bezeugten wir nichts als nur die allgemeinen und noͤthigſten Hoͤflichkeiten, deren wir ohne Beleidig[u] ng des Wohl - ſtandes nicht uͤberhoben ſeyn konnten. Es war ein Fehler von uns, ich will es nicht laͤugnen; aber, es war auch ein großer Fehler von unſerer Wirthinn, daß ſie uns in eine Geſellſchaft brachte, welche an - genehmer, und reizender war, als ihre Perſon.

Die Anmerkung, die ich hier gemacht habe, ge - hoͤrt nur fuͤr diejenigen Scribenten, welche gut, oder doch noch ziemlich gut ſind. Es wuͤrde mir ſehr leid ſeyn, wenn ſich die elenden Scribenten darnach rich - ten wollten. Aus Liebe zu mir und zu allen Le - ſern, will ich ihnen von ganzem Herzen anrathen, daß ſie allemal uͤber die dritte Zeile den Homer, den Ho - raz, den Boileau, den Hagedorn, und alle Schrift - ſteller, die anders ſind, als ſie, anfuͤhren. Sie wer - den ihre Werke dadurch noch ertraͤglich machen, unddie167Noten ohne Text. die Kaͤufer haben Gelegenheit, wegen ihres aufge - wandten Geldes ſich deſtomehr zu beruhigen. Ja was noch mehr iſt, ſie locken vielleicht dadurch, ihre Schriften zu leſen, viele an, welche außerdem ſo viel Selbſtverlaͤugnung wohl nicht haben werden, dieſes zu thun. Alsdann geht es dergleichen Leſern, wie den Liebhabern der Alterthuͤmern, welche in den be - truͤbteſten Wuͤſteneyen, und mitten unter altem Schutte ſich mit dem groͤßten Vergnuͤgen aufhalten koͤnnen, weil ſie noch hin und wieder, den praͤchtigen Reſt der alten Baukunſt zu bewundern, Gelegen - heit finden.

Und ſeine Vorreden ſchloß er niemals, ohne zu ſeufzen, zu ſchimpfen, und zu drohen.) Bey dieſer Gelegenheit muß ich zum Schluſſe noch dieſes erinnern, daß kuͤnftig bey meinem Verleger eine Schrift in Octav, zwey Alphabete, ſechs Bo - gen ſtark, zu bekommen ſeyn wird, welche den Titel fuͤhrt: Abgenoͤthigte Vertheidigung wider ver - ſchiedne parteyiſche und abgeſchmackte Einwuͤrfe und Critiken, in moͤglichſter Kuͤrze, auf Anſuchen vieler Freunde entworfen, und ans Licht geſtellt, durch Hinkmarn von Repkow. Es giebt Leute, welche Schriften tadeln, die ſie nicht verſtehen, und auch niemals geleſen haben. Das Beyſpiel dieſer großen Maͤnner hat mich aufgemuntert, merkwuͤr - dige Streitſchriften im Voraus zu verfertigen, und Gegner laͤcherlich zu machen, die ich nicht kenne, und von denen ich noch weniger weis, was ſie wider ge -L 4gen -168H. v. Repkow Noten ohne Text. genwaͤrtige Abhandlung zu erinnern haben duͤrften. Es thut dieſes zur Sache nichts. Wer mich tadeln will, der iſt nicht meiner Meynung; und wer nicht meiner Meynung iſt, den bin ich, als ein Gelehrter wohl befugt, nach aͤußerſtem Vermoͤgen zu verun - glimpfen. Jch werde die Namen meiner zukuͤnfti - gen Feinde nach alphabetiſcher Ordnung im Anhan - ge mit beydrucken laſſen, und wer unter den Herren Gelehrten mich ſchimpfen will, der wird die Guͤtig - keit haben, ſeine Werke noch vor kuͤnftiger Frank - furter Meſſe gegen Erhaltung eines Exemplars der abgenoͤthigten Vertheidigung poſtfrey einzuſenden.

Jch weis es wohl; es wird dadurch in der ge - lehrten Welt ein heftiges Feuer entſtehen; aber ich kann mir nicht helfen. Mein Verleger hat mich gebeten, zu ſchreiben; ich kriege meine Muͤhe redlich bezahlt. Schriebe ich nicht; ſo wuͤrde ich der un - geſundeſte Menſch von der Welt ſeyn. Auf dieſe Art aber werde ich noch mehr bekannt, ich werde unſterblich; kurz ich muß ſchreiben, denn ich ſchreibe, wie alle meine Collegen, aus Liebe zur Wahrheit.

[figure]
Verſuch[169]

Verſuch eines deutſchen Woͤrterbuchs.

L 5[170]171

Da einige Gelehrte unter uns ſo muthig ſind, und es wagen, ihrer deutſchen Mutterſprache ſich nicht weiter zu ſchaͤmen: So werde ich es ver - antworten koͤnnen, daß ich mir vorgenommen habe, durch gegenwaͤrtigen Verſuch den Plan zu einem vollſtaͤndigen deutſchen Woͤrterbuche zu entwerfen.

Jch habe gefunden, daß viele deutſche Woͤrter ſo unbeſtimmt ſind, daß oftmals derjenige, der ſie braucht, etwas ganz anders dabey denkt, als er eigentlich denken ſollte; und derjenige, der ſie hoͤrt, wird, wo nicht gar betrogen, doch leicht irre gemacht.

Es will daher unumgaͤnglich noͤthig ſeyn, daß die Gelehrten ſich mit vereinten Kraͤften bemuͤhen, die wahrhaften Bedeutungen der Woͤrter feſt zu ſtel - len. Der Vortheil, den wir im gemeinen Leben davon haben werden, iſt unausſprechlich. Wir werden einander beſſer, und mit voͤlliger Zuverlaͤßig - keit, verſtehen; alle Zweydeutigkeiten werden ſich ver - lieren; und mancher, den man itzt aus Misbrauch einen gepriesnen Mecaͤnat genannt hat, wird kuͤnftig hoͤren, daß er ein Dummkopf ſey.

Jch erſuche meine Landsleute um ihren Beytrag zu dieſem Woͤrterbuche. Fuͤr mich allein iſt dieſes Werk viel zu groß und wichtig. Vielleicht bin ich zu offenherzig, daß ich dieſes Bekenntniß von mirſelbſt172Verſuchſelbſt thue. Bey denen, welche glauben, derjenige ſey noch kein rechter Gelehrter, der nicht wenigſtens ſechs Folianten ediren koͤnne; bey dieſen werde ich mich, durch meine Beſcheidenheit, in ſchlechte Hoch - achtung ſetzen. Aber es ſey drum! Koͤmmt nur mein Woͤrterbuch zu Stande: So wird es ſich als - dann ſchon zeigen, ob dieſe arbeitſamen Creaturen, noch ferner Gelehrte genannt werden koͤnnen, ohne der Sprache Gewalt zu thun.

Von der Einrichtung dieſes Woͤrterbuchs habe ich nicht noͤthig, etwas weiter zu erinnern. Aus denen Proben, welche ich davon liefere, wird man meine Abſicht deutlicher ſehen koͤnnen. Jch verlange darinnen etwas mehr, als eine grammatiſche Ab - handlung. Meinethalben mag man es ein Reallexikon nennen. Jch bin es zufrieden. Glaubt man, daß ich bey einigen Artikeln zu weitlaͤuftig geweſen ſey, und Sachen ausgefuͤhrt habe, welche die Abſicht und die Graͤnzen eines Woͤrterbuchs uͤberſchreiten: So will ich dieſen Vorwurf doch lieber leiden, als etwas ausſtreichen. Jch will hundert Artikel im Bayle aufweiſen, wo man deutlich ſieht, daß der Ti - tel der Anmerkungen wegen daſteht, und dennoch bleibt es Baylens Woͤrterbuch.

Jch habe weiter nichts zu erinnern, als daß ich mein Vorhaben den Gelehrten nochmals aufs beſte empfehle, damit ich dieſes wichtige Werk durch ihre Beyhuͤlfe, ſo bald nur moͤglich, zu Stande bringen koͤnne.

Compli -173eines deutſchen Woͤrterbuchs.

Compliment,

Gehoͤrt unter die nichtsbedeutenten Woͤrter. Einem ein Compliment machen, iſt eine gleich - guͤltige Bewegung eines Theils des Koͤrpers, oder auch eine Kruͤmmung des Ruͤckens und Bewegung des einen Fußes; und ordentlicher Weiſe hat weder Verſtand noch Wille einigen Antheil daran.

Ein Gegencompliment iſt alſo eine hoͤfliche Verſicherung des andern, daß er den Ruͤcken auch beugen koͤnne, ohne etwas dabey zu denken. Aus der Kruͤmme des Ruͤckens kann man urtheilen, wie vornehm diejenigen ſind, welche einander begegnen, und dieſes iſt auch beynahe der einzige Nutzen, wel - chen die Complimente haben. Ein Menſch ohne Geld, er mag ſo klug, und geſchickt ſeyn, als er will, kann ſich nicht tief genug buͤcken, denn er iſt der ge - ringſte unter allen ſeinen Mitbuͤrgern. Ein beguͤ - terter Mann aber, den der Himmel bloß dazu er - ſchaffen hat, daß er ſo lange ißt und trinkt, bis er ſtirbt, der hat das Recht, nur mit den Lippen ein wenig zu wackeln, wenn ihm jener begegnet. Ge - ſtern ſah ich einen alten ehrwuͤrdigen Buͤrger, wel - cher in ſeiner Jugend das Vaterland vertheidigt, bey zunehmendem Alter ſich von ſeinem Handwerke ehrlich genaͤhrt, dem Landesherrn ſeit vierzig Jahren Steuern und Gaben richtig abgetragen, dem ge - meinen Weſen ſechs Kinder wohl erzogen, und beyallen174Verſuchallen ſeinen Nachbarn den Ruhm eines redlichen Mannes hatte. Dieſer machte einem jungen und beguͤterten Rathsherrn ein zwar altvaͤteriſches, doch ſehr tiefes Compliment. Der junge Raths - herr beugte ſeinen ehrenfeſten Nacken nur ein klein wenig, und uͤberließ ſeinem Bedienten die Muͤhe, den Huth abzunehmen. Hieraus ſieht man die Verhaͤltniſſe der Complimente eines Armen gegen einen Reichen ſehr deutlich. Jch aber ſah bey die - ſer Gelegenheit noch etwas daraus, wovon ſich in einem deutſchen Woͤrterbuche nicht ausfuͤhrlich han - deln laͤßt. Dieſes mag genug ſeyn von den Com - plimenten, ſo weit ſie die mechaniſche Stellung des Koͤrpers betreffen.

Die Formulare ſind gewoͤhnlich, wenn wir ſpre - chen: Jch bitte dem Herrn mein Compliment zu machen; und: Machen ſie dem Herrn wie - der mein Compliment! Was aber dieſes eigent - lich heiße, das laͤßt ſich im Deutſchen gar nicht er - klaͤren, weil es, ſelbſt im franzoͤſiſchen Grundtexte nicht das geringſte bedeutet.

Ohne Complimente, mein Herr, ich bitte gehorſamſt, ohne alle Complimente; wir ſind ja gute Freunde! Wenn ich dieſes nach dem rech - ten Sprachgebrauche uͤberſetzen ſollte, ſo koͤnnte es ungefaͤhr alſo lauten: Jch wuͤrde ſie fuͤr den groͤb - ſten Menſchen von der Welt halten, wenn ſie glaubten, daß wir wirklich ſo gute Freunde waͤren, daß175eines deutſchen Woͤrterbuchs. daß ſie nicht noͤthig haͤtten, mir ſo viel Compli - mente zu machen.

Unterthaͤniger Diener; ganzunterthaͤni - ger Diener; unterthaͤnigſter Diener; ich ver - harre Eure Hochedl. gehorſamſt ergebenſter ꝛc. ich verbleibe mit aller geziemenden Devotion ꝛc. ich werde zeitlebens nicht ermangeln, zu ſeyn Deroſelben ꝛc. Dieſes ſind lauter Complimente, und bedeuten unter Leuten, welche nach der wahren Mode der heutigen Welt artig und galant ſind, nichts.

Wenn dergleichen Leute ſolche Formeln unter ihre Briefe ſetzen, ſo denken ſie dabey eben ſo wenig, als mein Schneider, bey den Worten: Laus Deo! oder ein Kaufmann, welcher in der Zahlwoche ban - kerott machen will, und zum Anfange der Meſſe unter ſeine Wechſel ſchreibt: Leiſte gute Zahlung, und nehme Gott zu Huͤlfe!

Eidſchwur.

Jn den alten Zeiten kam dieſes Wort nicht oft vor, und daher geſchah es auch, daß unſre ungeſitte - ten Vorfahren, die einfaͤltigen Deutſchen, glaubten, ein Eidſchwur ſey etwas ſehr wichtiges. Heut zu Tage hat man dieſes ſchon beſſer eengeſehen, und ie haͤufiger dieſes Wort ſo wohl vor Gerichte, als im gemeinen Leben, vorkoͤmmt, deſtoweniger will es ſagen.

Einen176Verſuch

Einen Eid ablegen, iſt bey Leuten, die etwas weiter denken, als der gemeine Poͤbel, gemeiniglich nichts anders, als eine gewiſſe Caͤremonie, da man aufrechts ſteht, die Finger in die Hoͤhe reckt, den Huth unter dem Arme haͤlt, und etwas verſpricht, oder be - theuert, das man nicht laͤnger haͤlt, als bis man den Huth wieder aufſetzt. Mit einem Worte; es iſt ein Compliment, das man Gott macht. Was aber ein Compliment ſey, davon ſiehe Compliment!

Etwas eidlich verſichern, heißt an vielen Orten ſo viel, als eine Luͤgen recht wahrſcheinlich machen.

Van Hoͤken, in ſeinem allezeit fertigen Juriſten, nennt den Eid, herbam betonicam, und verſichert, einem den Eid deferiren, ſey nichts anders, als ſeinem klagenden Clienten die Sache muthwillig verſpielen; und die Formel, ſich mit einem Eide reinigen, heiße ſo viel, als den Proceß ge - winnen, denn zu einem Reinigungseide gehoͤre weiter nichts, als drey geſunde Finger, und ein Mann ohne Gewiſſen. Jene haͤtten faſt alle Men - ſchen, und dieſes die wenigſten. Und wenn auch ja jemand von den Vorurtheilen der Jugend eingenom - men waͤre, und ein ſo genanntes Gewiſſen haͤtte: So wuͤrde es doch nirgends an ſolchen Advocaten fehlen, welche ihn eines beſſern belehrten, und fuͤr ein billi - ges Geld aus ſeinem Jrrthume helfen koͤnnten.

Gott177eines deutſchen Woͤrterbuchs.

Gott ſtraf mich! oder: Der Teufel zer - reiße mich! iſt bey Matroſen, und Musketieren eine Art eines galanten Scherzes, und in Pommern lernte ich einen jungen Officier kennen, der ſchwur auch ſo; doch ſchwur er niemals geringer, als we - nigſtens bey tauſend Teufeln, weil er von altem Adel war.

Jch will nicht zu Gott kommen! Jch bin des Teufels mit Leib und Seele! iſt das gewoͤhn - liche Spruͤchwort eines gewiſſen Narrens, welcher gar zu gern ausſehen moͤchte, wie ein Freygeiſt. Er wuͤrde es in der That ſehr uͤbel nehmen, wenn man ihn mit andern kleinen Geiſtern vermengen, und von ihm ſagen wollte, daß er einen Himmel oder eine Hoͤlle glaubte; und dennoch ſchwoͤrt er alle Augen - blicke mit der witzigſten Miene von der Welt bey Gott und allen Teufeln. Mir koͤmmt dieſes eben ſo kraͤftig vor, als wenn unſer Muͤnzjude Jeſus Maria! rufen wollte.

Seinen Eid brechen, will nicht viel ſagen, und wird dieſe Redensart nicht ſehr gebraucht. Auf der Kanzel hoͤrt man ſie noch manchmal; aber eben daher koͤmmt es, daß ſie ſo geſchwind vergeſſen wird, als die Predigt ſelbſt. Jn der That bedeu - tet es auch mehr nicht, als die Ehe brechen. Und um deswillen iſt ein Ehebrecher, und ein Meyneidi - ger an verſchiednen Orten, beſonders in großen Staͤdten, ſo viel als ein Mann, der zu leben weis. Zweyter Theil. MDieſe178VerſuchDieſe Bedeutung faͤngt auch ſchon an, in kleinen Orten bekannt zu werden, denn unſre Deutſche wer - den alle Tage witziger, und in kurzem werden wir es den Franzoſen beynahe gleich thun.

Ewig;

Jſt ein Wort, welches ein jeder nach ſeinem Gutbefinden, und ſo braucht, wie er es fuͤr ſeine Um - ſtaͤnde am zutraͤglichſten haͤlt. Eine ewige Treue zuſchwoͤren, wird gemeiniglich bey Neuverlobten vier Wochen vor der Hochzeit gehoͤrt; allein dieſe Ewigkeit dauert gemeiniglich nicht laͤnger, als hoͤch - ſtens vier Wochen darnach, und in letztverwichnem Herbſte habe ich einen jungen Ehemann gekannt, deſſen ewige Treue nicht voͤllig vier und zwanzig Stunden gewaͤhrt hat.

Ewig lieben, iſt noch vergaͤnglicher, und eigent - lich nur eine poetiſche Figur. Zuweilen findet man dergleichen noch unter unverheiratheten Perſo - nen, und es koͤmmt hierbey auf das Frauenzimmer ſehr viel an, wie lange eine dergleichen ewige Liebe dauren ſoll. Denn man will Exempel wiſſen, daß eine ſolche verliebte Ewigkeit auf einmal aus ge - weſen ſey, ſo bald ein Frauenzimmer aufgehoͤrt habe, unempfindlich zu ſeyn, und angefangen, eine ewige Gegenliebe zu fuͤhlen.

Wie179eines deutſchen Woͤrterbuchs.

Wie es mit der Liebe iſt, ſo iſt es oftmals mit der Freundſchaft auch. Jch errinnere mich, daß ich in einer Geſellſchaft, wo ſehr ſtark getrunken ward, an einem Abende drey ewige Freundſchaften, uͤber - lebt habe. Wenn es hochkoͤmmt, ſo haͤlt eine der - gleichen ewige Freundſchaft nicht laͤnger wieder, als der Rauſch, welcher Schuld daran iſt, denn ceſſante cauſſa, ceſſat effectus.

Einen ewigen Frieden ſchließen, iſt ein Gal - licismus, bedeutet in der franzoͤſiſchen Sprache ſo viel, als bey uns ein Waffenſtilleſtand, und, mit einem Worte, ein Friede, welcher nicht laͤnger dau - ert, als man ſeinen Vortheil dabey ſieht.

Sich verewigen, iſt unter einigen Gelehrten eine gewiſſe Bewegung der rechten Hand, von der linken zur rechten Seite, welche ohne Zuthun der Seele und des Verſtandes, etwas auf weißes Pa - bier ſchreibt, und es dem Drucker uͤbergiebt. Die Schluͤſſel zur Ewigkeit alſo hat der Setzer, und ſie beſtehen aus gewiſſen bleyernen Buchſtaben, wel - che mit ſchwarzer Farbe beſtrichen, und auf weißes Papier gedruckt werden.

Nach der Ewigkeit ſtreben, (ſiehe Unſterb - lichkeit) beſteht in einer gewiſſen Krankheit, welche nicht ſo wohl dem Patienten ſelbſt, als vielmehr an - dern beſchwerlich iſt. Gemeiniglich uͤberfaͤllt ſie junge Leute, und verliert ſich bey zunehmendemM 2Alter;180VerſuchAlter; doch geſchieht es zuweilen, daß auch alte Maͤnner damit behaftet ſind, und alsdann iſt ſie nicht allein deſto gefaͤhrlicher, ſondern auch allen denen ganz unertraͤglich, welche einem ſolchen Patienten nicht ausweichen koͤnnen. Starke und ſcharfe Mittel darwider ſind nicht zu rathen, weil alsdenn der Paroxyſmus nur ſtaͤrker und hef - tiger wird, und hierinnen haben dergleichen Kranke ſehr viel aͤhnliches mit wahnwitzigen Perſonen, wel - chen man auch nicht widerſprechen darf, ohne ihr verderbtes Gehirn noch mehr zu erhitzen. Das be - ſte Mittel darwider ſoll dieſes ſeyn, wenn man, ſo oft ſich eine dergleichen preßhafte Perſon in der menſchlichen Geſellſchaft blicken laͤßt, dennoch, ohn - geachtet des großen Geraͤuſches, das mit dergleichen Krankheit verknuͤpft iſt, nicht thut, als ob man ſie hoͤrte, oder ſaͤhe, oder das geringſte von ihnen wuͤßte, auch ihren Namen bey keiner Gelegenheit nennt, mit einem Worte weder Gutes noch Boͤſes von ih - nen ſpricht. Das Recept mag nicht unrecht ſeyn. Ueber die eigentlichen Urſachen dieſer Krankheit ſind die Arzneyverſtaͤndigen unter einander noch ſehr ſtreitig. Einige halten ſie wegen der wunderlichen Geberden, die der Kranke macht, und weil ſie, wie andre epidemiſche Krankheiten zu gewiſſer Zeit und oft wiederkoͤmmt, fuͤr eine Art der fallenden Sucht, zumal, da ſie angemerkt haben, daß ſie da - durch gehemmt werde, wenn man dem Patienten den rechten Daum ausbricht, wie es bey der fallen - den Sucht gebraͤuchlich iſt. Andre glauben, ſiekomme181eines deutſchen Woͤrterbuchs. komme von einer verderbten Galle her. Galen haͤlt ſie fuͤr nichts anders, als fuͤr einen heftigen Magenkrampf, und der ſelige Herr Geheimderath Hofmann in Halle nennt ſie das Autorfieber; im dritten Capitel ſeiner Abhandlung von gelehrten Seuchen.

Ehrwuͤrdig.

Hier will ich nur von dem figuͤrlichen Verſtande dieſes Worts reden; denn, was es in eigentlichem Verſtande heißt, ſolches iſt bekannt genug, und ich trage gegen alles, was in eigentlichem Verſtan - de ehrwuͤrdig iſt, zu viel Ehrfurcht, als daß ich es wagen ſollte, deſſen Bedeutung in meinem Woͤrter - buche feſt zu ſtellen. Jm figuͤrlichen Verſtande al - ſo heißt ehrwuͤrdig ſo viel, als ſchwarz, und ein ehrwuͤrdiger Mann ſo viel, als ein Mann in ei - nem ſchwarzen Rocke. Jch gruͤnde dieſe Erklaͤrung auf die Erfahrung. Denn unter dieſen Maͤnnern in ſchwarzen Roͤcken ſind viele, an denen man nicht das geringſte Ehrwuͤrdige findet, als das ſchwarze Kleid. Jch koͤnnte ſie mit Namen nennen; aber es iſt uͤberfluͤßig, denn ich weis gewiß, ſie werden ſich bey Leſung dieſes Artikels ſelber nennen, und ihren Namen durch einen Eifer verrathen, der in ihrer Sprache Amtseifer, und in unſrer Sprache das boͤſe Gewiſſen heißt. Meine Leſer duͤrfen alſo nur auf diejenigen ſchwarzen Maͤnner Achtung ge -M 3ben,182Verſuchben, welche den Verfaſſer dieſes Woͤrterbuchs in die Ketzerrolle ſetzen, und ſie koͤnnen ſich alsdann darauf verlaſſen, daß eben dieſe und keine andern die - jenigen ehrwuͤrdigen Maͤnner im figuͤrlichen Ver - ſtande ſind, welche ich meyne, und welche man gewiß fuͤr Layen anſehen wuͤrde, wenn ſie nicht ſchwarz gekleidet giengen.

Wenn ich alſo dieſe Erklaͤrung des Worts ehr - wuͤrdig vorausſetze; So werde ich dadurch Gele - genheit haben, meine deutſche Mutterſprache merk - lich zu bereichern. Ein Mann in einem ſchwarzen Rocke, welcher den Armen aus chriſtlichem Erbar - men Geld gegen acht und hoͤchſtens zwolf pro Cent vorſtreckt, welcher einer nothleidenden Wittwe zu Erhaltung ihrer unerzognen Kinder mitleidig bey - ſpringt, und auf ein Pfand, das zweymal ſo viel werth iſt, einige Thaler leiht, unter der billigen Be - dingung, daß binnen Jahresfriſt das Pfand ein - geloͤſt werden, oder verfallen ſeyn ſoll; Dieſer Mann wird kuͤnftig ein ehrwuͤrdiger Wuche - rer heißen, denn gienge er nicht ſchwarz gekleidet, ſo waͤr er kein ehrwuͤrdiger, ſondern ein gemeiner Wucherer, und nach den Geſetzen unſers Landes zu beſtrafen. Ehrwuͤrdige junge Herren wuͤrde man wohl in Deutſchland nicht geſucht haben; aber ich kenne einen, welchen man gewiß fuͤr einen verklei - deten Marqvis halten ſollte, ſo natuͤrlich weis er die Rolle eines jungen Herrn unter ſeinem ſchwarzen Rocke zu ſpielen. Ein ganz neuer Beweis, daßman183eines deutſchen Woͤrterbuchs. man taͤndeln, eitel thun, und laͤcherlich ſeyn kann, ohne einen Stock, eine Schnupftabacksdoſe, und Manſchetten zu haben!

Ein ehrwuͤrdiger Rauſch, iſt ein ganz neues Wort, aber eine ſehr alte Sache, und ich will wohl wetten, daß man vielmals nicht unterſcheiden ſollte, welcher von beiden Berauſchten, der Schultheiß im Dorfe, oder der Paſtor loci waͤre, wenn Jhro Wohlehrwuͤrden nicht ſchwarz giengen.

Sich ein ehrwuͤrdiges Anſehen geben, heißt bey dieſer Art Leuten ſo viel, als eine große Unterkehle und einen ſteifen Nacken machen, und; ein ehrwuͤr - diges Amt bekleiden, ſo viel, als den Beruf ha - ben, Fehler oͤffentlich zu verdammen, welche man zu Hauſe ſelbſt thut, und welche von andern nicht getadelt werden duͤrfen, wenn ſie nicht Gefahr laufen wollen, daß ihnen der Weg zum Gluͤcke und zum Himmel verrannt wird.

Dieſes mag von den ehrwuͤrdigen Maͤnnern im figuͤrlichen Verſtande, oder von ſolchen Maͤnnern, genug ſeyn, welche man ihrer ungezognen Auffuͤh - rung wegen im gemeinen Weſen nicht dulden wuͤr - de, wenn ſie nicht ſchwarze Roͤcke truͤgen. Wie wenig alſo dieſe Anmerkungen diejenigen treffen, welche wegen ihrer tugendhaften und erbaulichen Auffuͤhrung die groͤßte Ehrfurcht und den Namen eines ehrwuͤrdigen Mannes im eigentlichen Ver -M 4ſtan -184Verſuchſtande verdienen: Solches werden alle vernuͤnftige, aber nur die nicht einſehen, welche auf einmal laͤ - cherlich und veraͤchtlich werden wuͤrden, wenn man ihnen ihre ſchwarze Kleidung, und das Amt naͤhme, in welches ſie ſich geſchlichen haben. Noch eine Re - densart faͤllt mir ein. Ein ehrwuͤrdiges Amt ſuchen, heißt in einigen Parochien ſo viel, als des gnaͤdigen Herrn Kammermaͤdchen heirathen.

Gelehrt.

Das Wort gelehrt hat mit dem Worte tu - gendhaft beynahe ein gleiches Schickſal. Alle Leute wollen tugendhaft, alle, die ſtudirt haben, wollen gelehrt ſeyn; aber, im Vertrauen zu ſagen, ſind es die wenigſten. Freylich liegt dieſer Fehler nicht an denen, welche ſich des Titels eines Gelehrten anmaaßen, ſondern nur an etlichen eigenſinnigen Koͤpfen, welche uns bereden wollen; es ſey noch ein ſehr großer Unterſcheid zwiſchen einem Gelehrten, und zwiſchen einem Manne, der keine Profeßion oder kein Handwerk treibt, der in ſeiner Jugend die niedern Schulen frequentirt, auf hoͤhern Schulen abſolvirt, und endlich promovirt hat. Dieſe naͤrriſchen Rich - ter vergehen ſich ſo weit, daß ſie nicht einmal alle diejenigen fuͤr Gelehrte wollen gelten laſſen, welche Buͤcher geſchrieben haben. Was bleibt aber als - dann uͤbrig? Sollten etwan nur diejenigen den Na - men eines Gelehrten verdienen, welche ſich den Wiſ -ſenſchaf -185eines deutſchen Woͤrterbuchs. ſenſchaften mit ganzem Ernſte widmen; die guten Schriften der Alten und Neuern mit Aufmerkſamkeit leſen; die hoͤhern Wahrheiten durch eignes Nachden - ken unterſuchen; ſich bemuͤhen, ihnen noch weiter nachzuforſchen; auf das bloße Wort ihres Lehrers nichts treuherzig glauben; von der Gruͤndlichkeit ei - nes jeden Satzes ſich ſelbſt uͤberfuͤhren wollen; Sa - chen, die in der Welt zu nichts nuͤtze ſind, als hoͤch - ſtens eine kritiſche Neugierigkeit zu befriedigen, fuͤr Kleinigkeiten halten, und ſich auf ſolche Wiſſenſchaf - ten legen, welche der menſchlichen Geſellſchaft wahren Nutzen bringen; und welche dieſe Wiſſenſchaften auch wirklich zum Nutzen andrer anzuwenden ſuchen. Nur dieſe ſollen den Namen eines Gelehrten verdie - nen? Das iſt beynahe zu viel! Wenn das gelten ſoll: So ſtehe ich nicht dafuͤr, daß ein Gelehrtenlexikon, welches itzt in zween Foliobaͤnden kaum Platz hat, ſich nicht binnen kurzer Zeit in einen maͤßigen Octav - band verwandeln wird. Es fehlt wahrlich weiter nichts, als daß man noch von einem Gelehrten fo - dert, daß er beſcheiden, ohne Eigenliebe, und eben ſo tugendhaft, als philoſophiſch, ſey. Verlangt man noch dieſes: Was fuͤr ein kleines Haͤuflein wird aus unſrer großen gelehrten Welt werden? Jch wuͤnſche mir nicht, dieſes Ungluͤck zu erleben! Viel tauſend Menſchen wuͤrde man, auf ſolche Art, um ihre gelehrten Titel und Aemter bringen. Und da ſie, außer ihrer gelehrten Miene, ſonſt nichts verſtehen, wodurch ſie ſich naͤhren koͤnnten, wie viel Bettler, wie viel muͤßiges Volk wuͤrden wir ins Land kriegen! M 5Selbſt186VerſuchSelbſt in meiner Familie wuͤrden wenigſtens ſechs bis acht Maͤnner mit Weib und Kind verhungern muͤſſen! Jch wuͤnſche es nicht, ich ſage es noch ein - mal. Weil man eben doch nicht alle Faͤlle wiſſen kann: So will ich gegen dieſe meine werthen An - gehoͤrigen immer im voraus liebreich ſeyn, damit ich ſie nicht hernach ernaͤhren darf. Jch will mei - nen Leſern ſagen, worinnen die Gelehrſamkeit von ei - nigen unter ihnen beſteht, wenn ſich etwan jemand finden wollte, der ſie zu gebrauchen wuͤßte.

Den erſten Platz verdient mein Oheim, der ge - lehrte Herr Profeſſor Titus Manlius Vermicu - laris. Es geht nunmehr in das drey und funfzigſte Jahr, daß er mit unermuͤdetem Eifer, Tag und Nacht, mit Zuſetzung ſeiner eignen Geſundheit, bloß aus Liebe zum gemeinen Beſten, und der Nachwelt zur Warnung, Donatſchnitzer geſammelt hat; und zwar, welches wohl zu merken iſt, aus den beſten lateiniſchen Schriften der gelehrten Maͤnner unſrer Zeit. Der ehrliche Mann ſollte mich ſehr dauern, wenn man ſei - ne erbaulichen Bemuͤhungen fuͤr eine ungelehrte Ar - beit anſehen wollte. Jch kann es theuer verſichern, er thut dem gemeinen Weſen mit ſeiner Gelehrſamkeit nicht den geringſten Schaden, und ich habe unter allen ſeinen Schriften nicht eine einzige geſehen, worinnen etwas wider Gott und den Staat geſtanden haͤtte. Wie wuͤrde ſich mein beleſner Herr Oheim wun - dern, wenn uͤber die Gruͤndlichkeit ſeiner Wiſſen - ſchaften ein ſo grauſames Urtheil ergehen ſollte! Erlaͤßt187eines deutſchen Woͤrterbuchslaͤßt ſich darauf todt ſchlagen, daß er ein Gelehrter iſt! So oft er jemanden auf ſeine grrammatiſchen Wahrheiten tracirt; So oft heißt es immer uͤber das andre Wort: Prout nos docti loquimur! Denn das iſt wohl zu merken, was er redet, das klingt, wie lateiniſch, und mit niemanden ſpricht er deutſch, als mit ſeiner Magd, und mit dem Haus - knechte, denn dieſe gehoͤren zum Poͤbel. Der gute Vetter! Wenn er noch lange lebt: So bin ich nicht fuͤr ſeinen gelehrten Ruhm Buͤrge. Jch denke aber, er ſoll bald ſterben. Denn das Ungluͤck hat ihm ein lateiniſches Programma zugefuͤhrt, in welchem er ſo viel himmelſchreyende Schnitzer wider die Rei - nigkeit der alten roͤmiſchen Sprache entdeckte, daß ihm gleich bey Leſung der erſten Seite alle Sinne vergiengen. Er ermannte ſich doch, und las weiter; aber den Augenblick kriegte er den Krampf in Haͤn - den und Fuͤßen, er keichte, und im Geſichte ward er ganz ſchwarz. Es iſt noch wenig Hoffnung zu ſeiner Beſſerung da; und wenn das Ding ſo fort geht: So wird er noch an dieſem ketzeriſchen Programma elendiglich erſticken muͤſſen. Der gelehrte Mann!

Der Hochedle, Veſte, Rechtshochgelahrte Herr D. Valentin Vanno, iſt mein Vetter, und auch ein Gelehrter, denn er iſt Doctor! Das will ich ihm zwar gar nicht nachgeſagt haben, daß er das geringſte von der Rechtsgelehrſamkeit verſtehe, aber er iſt doch Doctor. Sein ſeliger Herr Großvater, ein Mann, der am Verſtande nicht geſtorben iſt, warder188Verſuchder gelehrte Doctor Pankratius Vanno. Seinen Herr Vater habe ich noch wohl gekannt! Das war ein ganzer Mann! Er hatte eine ſo gelehrte Unter - kehle, als zehen andre ſeines gleichen nicht hatten, und darum mußte er ein Doctor werden. Jhro Hochedlen, unſer Herr Vanno hieß ſchon der kleine Doctor, als er noch in der Kappe herumlief; und es iſt gut, daß er es nach der Zeit in rechtem Ernſte ge - worden iſt; er wuͤrde ſonſt gewiß noch bis auf die heu - tige Stunde nichts ſeyn. Er hat einen einzigen Sohn, einen allerliebſten Knaben! Das iſt der leibhafte Pa - pa! Er iſt kaum funfzehen Jahr alt, und kann ſchon lateiniſch leſen. Dieſer muß auch Doctor werden, und im kurzen wird er es ſeyn! Die wackern Maͤn - ner! Es ſteckt dieſer gelehrten Familie recht im Ge - bluͤte, daß ſie alle Doctor ſeyn muͤſſen. Und dennoch iſt es mir ſehr leid um ſie, ob ſie es in zehen Jahren noch werden wagen duͤrfen, ſich Gelehrte zu nennen. Spricht man ihnen alsdann mit der Gelehrſamkeit auch den Doctortitel ab: So werden ſie die betruͤb - teſte Figur von der Welt vorſtellen! Wie ſehr wuͤrde ich meinen Leſern verbunden ſeyn, wenn ſie ſich als - dann dieſer verungluͤckten Familie annehmen wollten!

Meiner Schweſter Sohn, George Knut, iſt ein ſo grundgelehrter Mann, daß er die alten roͤ - miſchen Muͤnzen weit beſſer kennt, als die Batzen. Wenn ihm ein alter verſchimmelter Nummus in die Haͤnde faͤllt: So ſieht er ſo luſtig und freundlich aus, als Harpax kaum ausſehen kann, wenn er feinſilbri -ge -189eines deutſchen Woͤrterbuchs. ge Zweydrittheile einwechſelt. Nur ohnlaͤngſt iſt er in eine ſehr heftige Verbitterung mit einem andern auch ſo gelehrten Manne gerathen. Sie ſchimpf - ten einander in Schriften dergeſtalt, daß die Leſer ganz zweifelhaft wurden, welcher unter beiden ei - gentlich der groͤßte Narr waͤre. Die ganze Mord - geſchichte veranlaßte eine Gemma. Mein Vetter ſagte, ſie ſtellte die Venerem victricem vor; ſein Widerſacher aber behauptete, ſie bedeute die Vene - rem armatam der Lacedaͤmonier. Auf beiden Sei - ten ward die Heftigkeit zum hoͤchſten getrieben. Und wie ungluͤcklich haͤtte nicht auch die gelehrte Welt werden koͤnnen, wenn dieſe wichtige Wahrheit un - ausgemacht geblieben waͤre! Venus war es gewiß; darinnen waren dieſe großen Maͤnner einig. Ob ſie aber victrix oder armata ſeyn ſollte, das war noch ungewiß. Sie giengen in ihrem Eifer ſo weit, daß eine ordentliche Zerruͤttung unter ihrer Familie entſtund. Selbſt die Weiber dieſer beyden Gelehr - ten gruͤßten einander nicht mehr. Sie wußten zwar gar nicht, worauf der Streit ankam, aber dennoch ſchimpften ſie einander ſo muthig, als ihre Maͤnner kaum thun konnten. Endlich ward das Ding gar zu arg. Die andern Gelehrten ſchlugen ſich ins Mittel. Man unterſuchte die Sache. Es blieb Venus vi - ctrix! Wie froh war mein Vetter! Er ließ die gan - zen Streitſchriften zuſammen drucken, und war ſo li - ſtig, daß er auf das Titelblatt die Worte ſetzen ließ:

Quid me galeata laceſſis?
Vincere ſi poſſum nuda, quid arma tenens;
Ueber -190Verſuch

Ueber dieſen Sieg ward er und ſeine ganze Familie ſo muthig, daß ſo gar ſeine Koͤchinn allen Leuten erzaͤhlt, was ihr Herr Knut fuͤr ein gelehrter Mann iſt! Aber mir iſt doch nicht wohl dabey zu Muthe. Jch fuͤrchte immer, er werde einer von den erſten ſeyn, welchen man die Gelehrſamkeit abſpricht, und ich kann es meinen Leſern beynahe nicht zumuthen, daß ſie ihn kuͤnftig ernaͤhren ſollen; denn er iſt uͤber ſeine Antiquitaͤten ganz verwirrt geworden, und ſieht ſo zerſtreut im Geſichte aus, daß es recht gefaͤhrlich iſt, in der Naͤhe mit ihm zu reden.

Johann Ulrich Matz, iſt mein ſehr naher Vetter, aber er ſchaͤmt ſich meiner, und einer ganzen Freundſchaft, denn er behauptet, Trotz allen Genea - logiſten, daß ſein Vater ein Hurkind von dem Cardi - nal Mazarin geweſen ſey. Wer ſo liebreich ſeyn, und ihn uͤberfuͤhren will, daß er ehrlicher Geburt, und ſein Großvater ein guter ehrbarer Schneider geweſen, der wird ſein Todfeind. Der Kuͤſter kam ſehr ſchlimm an, als er ihn dieſes aus dem Kirchen - buche beweiſen wollte. Das hat ein Schelm ge - ſchrieben! rufte er, und hohlte den Mabillon her, damit er ſehen ſollte, daß ſein Kirchenbuch nicht die geringſte Beſchaffenheit haͤtte, welche zu einem oͤf - fentlichen Documente oder Diploma erfodert wuͤr - de. Gegenwaͤrtig iſt er mit den politiſchen Affai - ren außerordentlich beſchaͤfftiget. Er iſt ſehr fran - zoͤſiſch geſinnt; aber in Jtalien wird ihm doch das Haus Bourbon beynahe zu maͤchtig, denn jenſeitsder191eines deutſchen Woͤrterbuchs. der Alpen haͤlt er das Gleichgewicht. Er lacht recht in die Fauſt, wenn er in Geſellſchaften von dem Praͤtendenten ſprechen hoͤrt; denn das laͤßt er ſich nicht ausreden, daß der Praͤtendent durch ſeine ſchlauen Anſchlaͤge bis nach Edenburg gekommen iſt. Weiter aber darf er durchaus nicht, oder er macht Friede in Schleſien, denn er hat die Abſicht gar nicht, den Koͤnig von Engelland ganz zu ruiniren. Mit Rußland iſt er gar nicht zufrieden, und ich ha - be ihn ſeit etlichen Tagen ſo tiefſinnig herum gehen ſehen, daß ich ſehr befuͤrchte, es duͤrfte mit naͤchſtem eine große Meuterey wider die Czaarinn auf ſeiner Studierſtube ausbrechen. Denn das kann ich der Welt zum Troſte ſagen, daß ſich ſeine politiſche Ge - lehrſamkeit nicht weiter erſtreckt, als die vier Waͤnde ſeiner Studierſtube gehen. Bey alle dem aber ſchreibt er doch ſehr viel Staatsſachen, und ſo gar politiſche Monatſchriften, doch werden ſie, dem Him - mel ſey Dank! nicht gedruckt. Er behaͤlt ſie alle im Concepte, und ſagt: Dieſes ſey ein heimlicher Schatz, welchen er ſeinen Kindern ſammle. Jtzt arbeitet er an einer Deduction, worinnen er die ge - rechten Anſpruͤche des Koͤnigs in Frankreich an das orientaliſche Kayſerthum ausfuͤhrt. Er hat es dem Cardinal Tencin dedicirt, aber auch nur im Manu - ſcripte, und nennt es in der Ueberſchrift, wie leicht zu glauben iſt, eine gruͤndlichgelehrte Deduction. Sollte dieſer gruͤndlichgelehrte Mann nicht noch in dieſem Jahre, wie ich doch faſt hoffe, ins Tollhaus geſperrt werden: So werde ich ihn doch, wenn erkuͤnf -192Verſuchkuͤnftig in Verfall ſeiner Gelehrſamkeit gerathen ſollte, nach Frankreich zu bringen ſuchen, daß er alsdann in ſeinem vermeynten Vaterlande durch ein neues Project zur Univerſalmonarchie ſeinen Biſſen Brod ehrlich verdienen kann.

Jch weis nicht, ob ich, unter die Anzahl meiner gelehrten Freunde den Herrn M. Hieronymus Stephan rechnen darf. Er hat wirklich ſtudiert, und ich habe ihn mit meinen Augen zu Leipzig in dem Degen gehen geſehen; ſein Vater hat mir auch die Rechnung gewieſen, nach der er ihm in drey Jahren mehr, als zwey tauſend Thaler, auf der Univerſiraͤt zu unterhalten gekoſtet hat. Ja, was noch mehr iſt, er ſteht mit ſeinem ganzen Tauf - und Zunamen in dem itztlebenden gelehrten . Man wird doch nicht etwan mehr verlangen wollen, den Titel eines Ge - lehrten zu behaupten? Gelernt hat er nichts, nicht das geringſte! Das kann ich die ganze Welt, als ein ehrlicher Mann, verſichern. Jn Leipzig heira - thete er eine Jungemagd, denn ſie wollte gern ei - nen Herrn Magiſter haben, und er eine Frau. Noch zur Zeit naͤhren ſie ſich ganz gut mit einander, und ſo lange ſie noch jung iſt, und gut ausſieht, ſo lange hat es keine Noth; es mag mit dem Gelehrten im uͤbrigen gehen, wie es will. Sollte ſie aber alt, oder haͤßlich werden: So laͤge freylich die ganze Nahrung auf einmal, und ich wollte ſehr bit - ten, daß ſich meine Leſer des guten Mannes annaͤh - men. Er iſt in der That noch zu gebrauchen. Zueinem193eines deutſchen Woͤrterbuchs. einem Jnformator ſollte er ſich meines Erachtens vortrefflich ſchicken. Er verſteht nichts; es iſt wahr! Aber er wird auch die Kinder um ein Spott - geld informiren. Und da heut zu Tage die Liebe der Aeltern gegen ihre Kinder ſo hoch geſtiegen iſt, daß man nicht eben darauf ſieht, wie geſchickt der Jnformator, ſondern nur wie wohlfeil er iſt: So zweifle ich nicht einen Augenblick mehr an ſeinem guten Fortkommen. Geduld hat er auch, wie ein Hahnrey; und das hat er ſeinem lieben Weibe zu danken; eine nothwendige Tugend, die ein Menſch haben muß, welcher in vornehmen Familien Kinder unterweiſen will. Er iſt ſo geduldig, man kann mir ſicher glauben; ſo geduldig iſt er, daß er ſo gar mit der Frau im Hauſe gut wird auskommen koͤnnen, und wer weis denn, wie hoch der ehrliche Mann vielleicht noch ſein Gluͤck treibt, wenn er ſich gewoͤh - nen kann, der Amme und der Koͤchinn mit gebuͤhren - der Ehrfurcht zu begegnen. Kurz, ich mag das Ding betrachten, wie ich will, an dieſem Vetter erle - be ich gewiß noch die meiſte Freude, und ich habe mir ſchon ein gewiſſes Haus in unſrer Stadt ausge - ſehen, wohin ſich zu einen Jnformator kein Menſch beſſer ſchickt, als mein guter Vetter Stephan.

Dieſes ſind die Abbildungen einiger meiner Ver - wandten, und ich wollte wohl wuͤnſchen, daß ſich Liebhaber zu ihren Kuͤnſten faͤnden. Nun kann man einen ungefaͤhren Ueberſchlag machen, wie vielZweyter Theil. Nunnuͤ -194Verſuchunnuͤtze Gelehrte in Deutſchland ſeyn muͤſſen, da al - lein in meiner Familie, welche doch die ſtaͤrkſte nicht iſt, ſo viele ſind, denen der Titel eines wahrhaften Gelehrten ſtreitig gemacht werden kann.

Da ich bisher unterſucht habe, was eigentlich ein Gelehrter ſey: So muß ich noch ein paar Bedeutun - gen des Worts gelehrt anfuͤhren. Nichts iſt ge - woͤhnlicher, als daß man von Buͤchern das Urtheil faͤllen hoͤrt: Es iſt ein gelehrtes Werk! Aber die Begriffe, die ein jeder dabey hat, ſind ſehr unter - ſchieden. Was der Philoſoph gelehrt nennt, das koͤmmt dem Rechtsgelehrten pedantiſch vor, und ich habe einen finſtern Mathematiker geſehen, welcher in ſeinem Leben zum erſtenmale lachte, als er hoͤrte, daß man eine witzige Monatſchrift unter die ge - lehrten Buͤcher rechnen wollte. Mit einem Worte; es geht mit der Gelehrſamkeit, wie mit der Reli - gion. Ein jeder haͤlt nur die ſeinige fuͤr die wahre, alle andre Religionsverwandte aber fuͤr Ketzer.

Gelehrter Hochmuth; dieſes Wort iſt von einer ſo weitlaͤuftigen Bedeutung, daß es eine ab - ſonderliche Abhandlung erfodert, welche wenigſtens ſo viel Baͤnde einnehmen duͤrfte, als die europaͤiſche Fama.

Gelehrter Wind, hievon ſiehe mit mehrern die meiſten Vorreden.

Gelehr -195eines deutſchen Woͤrterbuchs.

Gelehrtes Frauenzimmer, iſt ein Pro - blema.

Menſchenfeind.

Unter dieſem Namen verſtehen einige Sittenleh - rer gemeiniglich diejenigen verdrießlichen und muͤr - riſchen Leute, welche mit ihrem Schoͤpfer hadern, daß er ſie zu Menſchen gemacht hat, und welche niemals misvergnuͤgter ſind, als wenn ſie ſich in Geſellſchaft andrer Menſchen befinden. Jch will nicht unterſuchen, wie weit dieſe Sittenlehrer recht haben. Jch glaube aber, daß noch eine andre Bedeutung des Worts Menſchenfeind ſtatt ha - ben kann.

Jch ſetze, und zwar, vermoͤge der Erfahrung, zum voraus, daß gemeiniglich der Menſch nichts anders iſt, als ein Thier, welches nur ſich fuͤr vollkommen, alle andre menſchliche Thiere aber, die um daſſelbe herum ſind, fuͤr fehlerhaft und laͤcherlich haͤlt; wel - ches diejenigen Pflichten gegen andre niemals aus - uͤbt, die es doch von andern verlangt; welches glaubt, daß alles, was erſchaffen iſt, nur ſeinetwe - gen erſchaffen iſt; welches ſich Muͤhe giebt, dasjeni - ge zu ſcheinen, was es doch nicht iſt; welches ſehr muͤhſelig lebt, um elend zu ſterben; welches thoͤricht iſt, weil es das Vermoͤgen hat, vernuͤnftig zu ſeyn;N 2und196Verſuchund welches nicht leiden kann, daß man ihm alle dieſe Wahrheiten vorſagt. Wer ſo verwegen iſt, dieſes zu thun, der iſt ſein Feind.

Menſchenfeinde alſo ſind Leute, welche die Wahrheit ſagen. Ein haͤßliches Laſter, wodurch man die gluͤckſelige Einbildung andrer Leute ſtoͤrt, und zugleich ſein eignes Gluͤck hindert!

Ein Menſchenfeind wuͤrde ich ſeyn, wenn ich ſagen wollte, daß Neran, unter dem Vorwande ſei - ner obrigkeitlichen Pflicht, Ungerechtigkeiten ausuͤb - te, die Buͤrger um ihre Nahrung braͤchte, mit dem Schweiße gedruckter Unterthanen wucherte, die Seufzer der Wittwen wider ſich reizte, und das Vermoͤgen verlaßner Muͤndel an ſich riſſe; daß dieſe noch in funfzig Jahren mit Thraͤnen ihren Kindern die Raͤubereyen des Nerans wieder erzaͤhlen, und noch im Alter ſein Andenken verfluchen wuͤrden. Alles dieſes thut Neran; es iſt wahr. Jch aber huͤte mich wohl, dem Neran dieſes vorzuhalten, denn ich mag kein Menſchenfeind ſeyn. Einen Vater des Vaterlandes, einen Prieſter der Gerechtigkeit, den großen Neran nenne ich ihn, ſo oft ich zu ihm komme; dieſes aber geſchieht alle Mittage um zwoͤlf Uhr, und ich befinde mich wohl dabey. Wie Neran iſt: So ſind noch unzaͤhlig viele andre, und ich wuͤrde von den groͤßten Pallaͤſten anfangen, und bis in die Huͤtten des geringſten Landmanns gehen koͤnnen, wenn ichnoͤthig197eines deutſchen Woͤrterbuchs. noͤthig haͤtte, durch mehrere Exempel zu beweiſen, daß man ein Menſchenfeind werde, ſo bald man die Wahrheit ſagt.

Und wie froh waͤre ich, wenn meine Lehren eini - gen Eindruck bey den boshaften, gefaͤhrlichen, un - bedachtſamen, verſtockten (ich weis bey nahe nicht, wie ich ſie arg genug ſchimpfen ſoll!) mit einem Worte, bey den verhaßten Satyrenſchreibern faͤnde, welche einen rechten Beruf daraus machen, Erb - feinde der Menſchen zu ſeyn, und welche ſo un - beſonnen ſind, zu glauben, daß man Tartuͤffen einen Heuchler, und einen Narren einen Narren nennen duͤrfe! So lange die weltliche Obrigkeit nicht An - ſtalt macht, die Menſchenfeinde auszurotten: So lange wird ein Betruͤger nicht eine Stunde ſicher ſeyn koͤnnen, den angemaaßten Titel eines ehrlichen Mannes zu behaupten, und, was das erſchrecklichſte iſt, ſo gar Leute, welche ſich durch den Bannſtral, den ſie in ihren drohenden Haͤnden fuͤhren, beym Poͤbel anſehnlich und furchtbar machen, werden den - noch dieſen verwegnen Menſchenfeinden nicht fuͤrch - terlich genug ausſehen. Jch kann nicht ohne Zit - tern daran gedenken, wenn ich mir vorſtelle, daß viel - leicht morgen derjenige laͤcherlich ſeyn wird, den man heute fuͤr ehrwuͤrdig gehalten hat.

Unter dieſen ſatyriſchen Menſchenfeinden halte ich diejenigen fuͤr die unertraͤglichſten, welche mit lachen -N 3dem198Verſuchdem Munde das Thoͤrichte an den Menſchen ent - decken. Nichts erbittert mehr, als eine ſolche Wahr - heit, die man uns mit einer ſpoͤttiſchen Miene ſagt; denn oftmals ſind wir hierinnen den Affen gleich, welche nie grimmiger werden, als wenn man ihnen ſpottend nachahmet, und die Zaͤhne bloͤkt.

Zum ewigen Ruhme unſers ſchoͤnen Geſchlechts, muß ich erinnern, daß alles, was ich bisher geſagt habe, von ihm nicht zu verſtehen iſt. Nichts auf der Welt iſt ihm angenehmer, als eine ungeheuchel - te Wahrheit, und bey ihm iſt nur der ein Men - ſchenfeind, welcher ſchmeichelt. Brigitte iſt aber - glaͤubiſch, neidiſch, und verlaͤumdet ihren Naͤchſten; Flavia iſt verbult, und uͤberlaͤßt ihre Gunſt an den Meiſtbietenden; Caͤlie iſt ſo hochmuͤthig, daß ſie ih - rer reichen Nachbarinn im Stande nicht im gering - ſten nachgeben wuͤrde, und ſollte ſie mit ihrem Man - ne auch Bettelbrod eſſen muͤſſen. Dennoch habe ich das Herz, alles dieſes Brigitten, Flavien und Caͤlien trocken unter die Augen zu ſagen, ohne von ihnen ein Menſchenfeind genannt zu werden. Sie wer - den ſich ſchaͤmen, ſie werden ſich beſſern, ſie werden mir fuͤr meine Wahrheiten unendlichen Dank ſagen. So merklich ſind die Vorzuͤge, welche ſolches Frau - enzimmer vor uns, eingebildeten Maͤnnern, hat, welches wir doch aus einem laͤcherlichen Stolze nur ſchwaches Werkzeug nennen.

Pflicht. 199eines deutſchen Woͤrterbuchs

Pflicht.

Pflicht, Amtspflicht, theure Pflicht, Pflicht und Gewiſſen, ſind bey unterſchiednen Leuten, die in oͤffentlichen Geſchaͤfften ſtehen, eine ge - wiſſe Art Formeln, welche zu den Curialien gehoͤ - ren. Jn der That haben ſie weiter nichts zu bedeu - ten, als was die uͤbrigen Curialien bedeuten; inzwi - ſchen aber ſind ſie doch ſo unentbehrlich, als dieſe; und gehoͤren mit zur Legalitaͤt.

Einen in Pflicht nehmen, wird alſo bey dergleichen Leuten ſo viel heiſſen, als einem ein Amt geben, worinnen er, unter dem Vorwande ſeiner aufhabenden Pflicht, dasjenige ausuͤben kann, was ein unverpflichteter zu thun nicht wagen darf, ohne ſeine Leidenſchaften zu verrathen. Weil in ge - wiſſen Gegenden ſowohl geiſtliche, als weltliche Aemter, nicht anders, als durch viele Geſchenke und aufzuwendende Unkoſten, erlangt werden: So iſt es gar wohl zu verſtehen, was die geleiſtete theure Pflicht heißt; und alsdann wird der Ausdruck, ſeine Pflicht ſorgfaͤltig zu erfuͤllen ſuchen, nichts anders ſagen, als wenn ich ſpreche; ſich ſorg - faͤltig bemuͤhen, auf alle moͤgliche Art von andern ſo viel wieder zu erpreſſen, als das Amt geko - ſtet hat.

N 4Es200Verſuch

Es laͤuft wider meine Pflicht, wird ein ge - wiſſenhafter Richter ſprechen, wenn ihm der Be - klagte Geſchenke anbietet. Ein vernuͤnftiger Be - klagter aber wird es gar leicht begreifen, daß des gewiſſenhaften Richters ſeine Frau Liebſte nicht in Pflichten ſteht; und ſich daher mit ſeinen Ge - ſchenken zu dieſer wenden, wenn er anders, von ih - rem Manne, ein pflichtengemaͤßes Urthel ver - langt. Jch habe einen Schoͤſſer gekannt, wel - cher das Expensbuch beſtaͤndig vor ſich liegen hatte, und daher von ſich ſelbſt ruͤhmte, daß er ſeine Pflicht niemals aus den Augen ließe, denn er glaubte, nur um deswillen ſey er ein verpflichte - ter Schoͤſſer, daß er ſeinen Bauern liquidiren koͤnne. Ex officio arbeiten, wuͤrde ein Schulmann vielleicht durch: pflichtgemaͤß arbeiten, uͤberſe - tzen. Aber das waͤre ein erſchrecklicher Schnitzer wider den juriſtiſchen Donat. Wer es gruͤndlicher lernen will, was das bedeutet, den will ich an einen gewiſſen Amtmann weiſen. Wenn dieſer uͤber die nahrloſen Zeiten und den Verfall der Sporteln klagt: So ſpricht er allemal: Ein ehrlicher Mann kann es faſt nicht mehr ausſtehen. Lauter Arbeit ex officio! Bald Armenſachen! Bald Bericht wegen brandbeſchaͤdigter Unterthanen! Bald we - gen herrſchaftlicher Sachen! Alles ex officio! Sachen alſo, davon in der Taxordnung nichts ſteht, ſind Sachen ex officio, und freylich ſind dergleichen Arbeiten bis in den Tod verhaßt.

Ver -201eines deutſchen Woͤrterbuchs.

Verſtand.

Weil ich hier nicht Willens bin, eine philoſo - phiſche Abhandlung zu ſchreiben: So wird man mir nicht zumuthen, von demjenigen Begriffe etwas zu gedenken, welchen man ſich auf der Catheder von dem Worte, Verſtand, macht.

Jch ſchreibe nicht fuͤr Pedanten, ſondern fuͤr die große Welt, und in der großen Welt heißt Verſtand ſo viel, als Reichthum.

Ein Menſch ohne Verſtand, iſt nichts an - ders, als ein armer. Er kann ehrlich, er kann gelehrt, er kann witzig, mit einem Wort, er kann der artigſte, und nuͤtzlichſte Mann in der Stadt ſeyn, das hilft ihm alles nichts; der Verſtand fehlt ihm, denn er hat kein Geld.

Es iſt nicht fuͤr einen Dreyer Verſtand darinnen! ſpricht mein Wirth, wenn er ein ver - nuͤnftiges Gedicht lieſt. Warum? Mein Wirth iſt ein Wechsler, welcher in der Welt nichts gelernt hat, als addiren, und er glaubt, wenn er die Ode von dem Gotteslaͤugner*)Jm zweyten Bande der bremiſchen Beytraͤge auf der 47. S. auf die Boͤrſe truͤge: So wuͤrde er nicht einen Dreyer dafuͤr bekommen.

N 5Das202Verſuch

Das Maͤdchen hat Verſtand, ſagt ein Lieb - haber, der nur aufs Geld ſieht, wenn gleich ſein Maͤdchen weiter nichts thut, als daß es Caffee trinkt, Lomber ſpielt, Knoͤtchen macht, zum Fenſter her - aus ſieht, und wenn es hoch koͤmmt, uͤber das Nachtzeug ihrer Nachbarinn ſpottet. Jn Geſell - ſchaften, wo ſie keines von dieſem allem thun kann, iſt ſie nicht im Stande, etwas weiter zu ſagen, als ein trocknes Ja und Nein; und ſpielte ſie nicht mit ihrem Faͤcher: So wuͤrde man ſie fuͤr eine ſchoͤne Statue anſehen. Aber, das thut alles nichts; fuͤr ihren Liebhaber hat ſie doch viel Verſtand, denn ihre Mutter hat ihr ein ſehr ſchoͤnes Vermoͤgen hin - terlaſſen.

Der Menſch hat einen ſehr guten natuͤr - lichen Verſtand, heißt ſo viel: Er hat von ſeinen Aeltern eine reiche Erbſchaft uͤberkommen, und nicht noͤthig gehabt, ſelbſt Geld zu verdienen.

Was alſo dieſes heiße: Er wuchert mit ſei - nem Verſtande, das darf ich niemanden erklaͤren; es verſteht ſich von ſich ſelbſt.

Jch bin der duͤmmſte eben nicht, denn ich habe auch etwas weniges von Vermoͤgen, und dieſes hat mir Gelegenheit gegeben, durch eine dreyßigjaͤh - rige Erfahrung die verſchiednen Grade des Ver - ſtandes kennen zu lernen. Nach gegenwaͤrtigemCours203eines deutſchen Woͤrterbuchs. Cours kann ich von dem Verſtande meiner Lands - leute ohngefaͤhr folgenden Tariff machen:

  • 1000. Thaler, nicht ganz ohne Verſtand;
  • 6000. Thaler, ein ziemlicher Verſtand;
  • 12000. Thaler, ein feiner Verſtand;
  • 30000. Thaler, ein großer Verſtand;
  • 50000. Thaler, ein durchdringender Verſtand;
  • 100000. Thaler, ein engliſcher Verſtand;

und auf ſolche Weiſe ſteigt es mit jeden tauſend Thalern.

Jch habe den Sohn eines reichen Kaufmanns gekannt, welcher kaum ſo klug war, als ſein Reit - pferd. Er beſaß aber viermal hundert tauſend Tha - ler, und um deswillen verſicherte mich mein Corre - ſpondent, daß er in ganz Meklenburg beynahe der verſtaͤndigſte waͤre.

Der Kerl hat ſeinen Verſtand verloren! wird man alſo von einem bankerotten Kaufmanne ſagen, und ich kenne einige davon, welche dieſer Vorwurf weit mehr ſchmerzt, als wenn man ſa -gen204Verſuch eines deutſchen Woͤrterb. gen wollte, ſie haͤtten ihren ehrlichen Namen ver - loren. Dieſes iſt noch der einzige Troſt fuͤr der - gleichen Maͤnner, daß ihre Weiber, welche durch ihre uͤble Wirthſchaft, und durch ihren unſinnigen Staat an dieſem Verluſte gemeiniglich die meiſte Urſache ha - ben, dennoch ihren eingebrachten Verſtand, daß ich mich kunſtmaͤßig ausdruͤcke, oder, deutlich zu reden, ihr eignes Vermoͤgen, und daher noch allemal ſo viel uͤbrig behalten, als noͤthig iſt, ſich und ihren unverſtaͤndigen Mann auf das bequemlichſte zu ernaͤhren.

[figure]
Beytrag[205]

Beytrag zum deutſchen Woͤrterbuche.

[206]207

Als ich es wagte, der gelehrten Welt meinen Verſuch eines teutſchen Woͤrterbuchs mitzu - theilen: So bat ich mir zugleich den Bey - trag meiner Landsleute zu dieſem wichtigen und weitlaͤuftigen Werke aus. Jch bin ſo gluͤcklich geweſen, daß an mich verſchiedne Artikel eingeſandt worden ſind, und mein Vergnuͤgen daruͤber iſt ſo groß, daß ich nicht einen Augenblick laͤnger an - ſtehen kann, ein paar davon bekannt zu machen, welche voͤllig nach derjenigen Anlage ausgearbeitet ſind, die ich mir zu meinem Woͤrterbuche gemacht hatte. Jch hoffe, es werden dieſe neuen Proben noch andre aufmuntern, ihrem Beyſpiele zu fol - gen, und mich durch ihre geſchickte Beyhuͤlfe in den Stand zu ſetzen, daß ich noch vor dem Schluſſe des itzigen Jahres ſolches unter die Preſſe bringen kann. Den Herren E und Gl ſtatte ich zugleich fuͤr dieſe ihre Bemuͤhungen den verbun - denſten Dank ab. Jch wollte wohl wuͤnſchen, daß ich ihre voͤlligen Namen, und den Ort ihres Aufent - halts erfahren moͤchte, damit ich Gelegenheit ha - ben koͤnnte, ihnen einige kleine Zweifel zu eroͤffnen, welche mir wegen der uͤbrigen von ihnen eingeſand - ten Woͤrter beygefallen ſind. Dem Herrn Kr* muß ich ſagen, daß er die Abſicht, welche ich bey unſerm Woͤrterbuche habe, nicht recht eingeſehen haben mag. Dergleichen Artikel, wie er einge - ſendet hat, ſcheinen in ein Woͤrterbuch zu gehoͤren,das208Beytragdas nur fuͤr eine einzige Familie geſchrieben iſt. Jn dem Hauſe, worinnen er wohnt, mag er ein ſehr aufgeweckter und ſchalkhafter Kopf ſeyn, welcher ſeine ganze Familie, und vielleicht auf Unkoſten an - drer, zu lachen macht. Nur befuͤrchte ich, ſein Witz geht nicht weiter, als bis an die Hausthuͤre. Jn andern Haͤuſern wird ihn ohne Beyhuͤlfe eines Scholiaſten niemand verſtehen. Dergleichen Fa - milienſcherze ſind gute Quodlibete, welche nur eine geſchloßne Geſellſchaft einſieht, und belacht. An - dern ehrlichen Leuten darf man es nicht wohl zu - muthen, daß ſie ſolche leſen ſollten.

Verſchiedne meiner Correſpondenten haben ver - langt, ich moͤchte ihnen einige Woͤrter vorſchlagen, deren Bedeutung ſie unterſuchen koͤnnten. Jch will etliche davon herſetzen, deren Bedeutung mir am zweydeutigſten, und am unbeſtimmteſten zu ſeyn ſcheint. Die verſchiednen Redensarten, bey wel - chen ſie gebraucht werden, verurſachen wegen dieſer Ungewißheit eine ſolche Verwirrung im gemeinen Leben, daß ein jeder Patriotiſchgeſinnter nicht ei - nen Augenblick zaudern ſollte, eine gewiſſe Bedeu - tung davon feſtzuſtellen. Jch erwarte dieſen Bey - trag mit dem groͤßten Verlangen. Den Nutzen davon haben ſie und ihre Kinder zu genießen. Hier ſind die Woͤrter ſelbſt:

  • Andacht.
  • Artig.
  • Bezaubert.
  • Demuth.
Ehr -209zum deutſchen Woͤrterbuche.
  • Ehrgeiz.
  • Eiferſucht.
  • Freyheit.
  • Geſchmack.
  • Geſundheittrinken.
  • Gleichguͤltig.
  • Großmuth.
  • Jch.
  • Koͤrnigt.
  • Kunſtrichter.
  • Rangſtreit.
  • Scherzhaft.
  • Sparſamkeit.
  • Unparteyiſch.
  • Unſchuld.
  • Witz.

Dieſes mag genug ſeyn. Es giebt noch unzaͤh - lige andre Woͤrter, welche wenigſtens ſo wichtig, als dieſe, ſind, und deren Wahl und Ausfuͤhrung ich meinen geſchickten Landsleuten uͤberlaſſe. Die Briefe ſind an den Verleger zu ſenden, und ihre Namen ſollen verſchwiegen werden, wenn ſie es verlangen.

[figure]
Zweyter Theil. ODeutſch210Beytrag

Deutſch

iſt ein Schimpfwort. Die Franzoſen ſprechen: Er hat den Fehler, daß er ein Deutſcher iſt. Denn, wie bey vielen Franzoſen der Verſtand uͤberhaupt ſehr ſonderbar, und merkwuͤrdig iſt: So haben ſie gefunden, daß alle die, welche diſſeits des Rheins gebohren ſind, weder witzig, noch tapfer, und alſo gute ehrliche Menſchengeſichter, mit einem Worte, Deutſche, ſind.

Es klingt alles ſo gar deutſch in ſeinen Verſen, iſt der tiefſinnige Machtſpruch, den uͤber deutſche Gedichte gemeiniglich diejenigen faͤllen, welche bey ihren Franzoͤſinnen zur Noth ſo viel ge - lernt haben, daß ſie die Uetrechter Zeitungen expo - niren koͤnnen.

Jch kenne Leute, welche gern ihren halben Ver - ſtand darum geben wuͤrden, wenn ſie keine Deutſche, ſondern unter dem Conſulate des Cicero in Rom geboren waͤren. Jhnen koͤmmt nichts ſo laͤcher - lich vor, als die Bemuͤhung, in der deutſchen Sprache Donatſchnitzer zu vermeiden. Den, der ſich Muͤhe giebt, zierlich und regelmaͤßig deutſch zu ſchreiben, koͤnnen ſie, ihrer Meynung nach, nicht aͤrger beſchimpfen, als wenn ſie ihn einen deut - ſchen Michel heißen. Dieſes Wort begreift nach ihrer Grammatik wenigſtens eben ſo vielSchan -211zum deutſchen Woͤrterbuche. Schande und Laſter in ſich, als bey den alten Ju - den ein Samariter, oder bey den Savoyarden ein Barbet! Jch habe angemerkt, daß die deut - ſche Sprache unter ihren Kindern beſonders zwo Arten von Feinden hat. Einige verfolgen ſie aus Hochmuth und Eigennutz, andre aber verachten ſie aus Leichtſinn. Jene geben ſich eine ernſthafte, ge - bieteriſche und monarchiſche Miene. Sie ſind gewohnt, ihre Wahrheiten mit aufgehabnem Arme zu behaupten, und den Pflichten der vaͤter - lichen Liebe mit der Ruthe Gnuͤge zu leiſten. Man nennt ſie auch roͤmiſchgeſinnte Maͤnner, oder latei - niſche Goͤrgen, zur ſchuldigen Vergeltung der deutſchen Michel. Es liegt ihnen viel daran, die deutſche Sprache zu unterdruͤcken, welche ſie ſelbſt ſo wenig verſtehen. Jhr Anſehen duͤrfte freylich ſehr fallen, wenn die Welt anfienge, zu glauben, ein Mann verdiene den Namen eines wahren Gelehr - ten noch nicht, wenn er ſchon ein lateiniſcher Sprach - meiſter ſey. Jn Lehmanns ſpeyeriſcher Chronike finden wir die Geſchichte eines treufleißig verordne - ten Lehrers, welcher ein ſo abgoͤttiſcher Verehrer des Cicero geweſen, daß er ſeinen Sohn bloß des - wegen der lateiniſchen Sprache von Mutterlei - be an geweihet, weil er eine Warze auf der Naſe gehabt. Und ungeachtet ſich bey zunehmenden Jahren geaͤußert, daß ihn die Natur nicht zu ei - nem Cicero, ſondern hoͤchſtens zu einem deutſchen Holzhacker geſchaffen: So hielt ſich doch dieſer ge - lehrte Vater in ſeinem Gewiſſen fuͤr verbunden,O 2einem212Beytrageinem ſo deutlichen Berufe, als ſein Sohn an der roͤmiſchen Naſe trug, nicht zu widerſtreben. Ja, er ſoll in ſeinem Eifer ſo weit gegangen ſeyn, daß er ſein Kind, bey vermerkter Widerſpenſtigkeit, amtsmaͤßig und mit der Ruthe in der Fauſt ge - zwungen, die Finger auf die lateiniſche Gramma - tik zu legen, und ſeine deutſche Mutterſprache ſo - lemni ritu formulaque abzuſchwoͤren. Nichts kam ihm toller vor, als deutſch zu lernen; denn ſein Schuſter redete deutſch, und er redete es ſo gut, als ſein Schuſter; beide aber hatten es nie - mals gelernt, und verſtunden einander doch. Der - gleichen lateiniſche Zeloten kann man dadurch kei - nesweges beſaͤnftigen, wenn man ihnen gleich ein - raͤumt, daß einem Gelehrten die griechiſche und lateiniſche Sprache unentbehrlich ſey; daß ein Mann, welcher kein Latein verſtehe, wenig Hoff - nung habe, ein Gelehrter zu werden; daß man nichts tadle, als die ſklaviſche Hochachtung, welche ſie gegen alles dasjenige hegen, was lateiniſch klingt; und daß man an ihnen nur die allzuaber - glaͤubiſche Verbitterung gegen ihre Mutterſprache, als einen laͤcherlichen Fehler, anmerke. So be - ſcheiden auch dergleichen Einſchraͤnkungen ſind, ſo wenig ſind ſie doch zu ihrer Beruhigung hinreichend. Jhre ganze Maſchine geraͤth in Unordnung, wenn ſie dergleichen Friedensvorſchlaͤge hoͤren. Ad ro - gum! ad rogum! ſchreyen ſie, ſo bald ſie eine Ab - handlung ſehen, welche zur Aufnahme und Verbeſ - ſerung der deutſchen Sprache abzielt; ja einervon213zum deutſchen Woͤrterbuche. von meinen Freunden beſitzt ein Exemplar von den Beluſtigungen des Verſtandes und Witzes, in welchem ein ſolcher Pflegevater unter den Namen Jrenaͤus Maſtigophorus*Jm 2. Theile der Beluſtigungen des Verſtandes und Witzes, a. d. 465. S. mit zitternden Haͤn - den geſchrieben hatte:

HVNC TV ROMANE CAVETO! ()

Die zweyte Art der Antideutſchen machen die - jenigen aus, welche die deutſche Sprache nur aus Leichtſinn verachten. Dieſe ſind von den erſten weit unterſchieden. Wenn jene etwas leſen, das nicht lateiniſch iſt, ſo ſchuͤttelt ſich ihre ganze Na - tur; dieſe leichtſinnigen Feinde aber koͤnnen es noch ſo ziemlich gelaſſen anhoͤren, wenn von der Staͤrke und Schoͤnheit der deutſchen Sprache geredet wird. Ja ich habe es ſo gar mit meinen Augen geſehen, daß man einem ſolchen Undeutſchen, wel - cher ein junges Herrchen von Profeßion war, zwey Blaͤtter aus dem Haller vorlas, ohne daß es ihm etwas weiter ſchadete, als daß er lachte, traͤllerte, pfiff, ſich auf einem Beine herumdrehte. Und, ſo bald er mit einer Priſe Tabak dem Gehirne ein wenig Luft gemacht hatte, ſo ſagte er weiter nichts, als: Pardieu! le miſerable jargon! Sogleich war auch ſein Paroxyſmus vorbey, und man ſah zwi - ſchen ihm und einer vernuͤnftigen Creatur beynahe nicht den geringſten Unterſchied. Jn der ThatO 3ver -214Beytragverdienen dieſe Feinde der deutſchen Sprache, daß man ſie mit Langmuth ertraͤgt. Denn, wenn ſie die deutſche Sprache verſpotten, ſo geſchieht es eben ſo wenig aus Bosheit, als wenn ſie uͤber den Schnitt eines Kleides lachen, welchen die Einfalt eines deutſchen Meiſters, und nicht der witzige Schneiderverſtand eines erfindſamen Franzoſen hervorgebracht hat. Sie ſpotten, weil es deutſch heißt, und lachen, weil es nicht franzoͤſiſch iſt. Wer ein gegruͤndetes Urtheil oder Beweiſe von der Nichtswuͤrdigkeit der deutſchen Sprache von ihnen fodern wollte, der foderte zu viel. Genug, es iſt Mode, ſie zu verachten, und ihr Verſtand aͤndert ſich ſo oft, als die Mode; dieſes aber ge - ſchieht alle vier Wochen. Diejenigen, welche, daß ich mich der Mundart des itzigen Jahrhunderts be - diene, in allem einen zureichenden Grund ſuchen, wollen aus den Lehrſaͤtzen der Phyſik, und aus der Erfahrung beweiſen, daß es deswegen ſo viele lu - ſtige Feinde ihrer Mutterſprache unter uns gebe, weil die Franzoſen in ihrem Umgange ſo artig und einnehmend waͤren, daß viele von unſerm deutſchen Frauenzimmer ihnen nichts abſchlagen koͤnnten. Jch laſſe dieſe Vermuthung an ihren Ort geſtellt ſeyn. Unwahrſcheinlich iſt ſie freylich nicht, und ich ſollte faſt ſelbſt glauben, daß die Natur der - gleichen poßierliche Koͤrper nicht zur Welt brin - gen koͤnne, ohne ſich der Verbindung eines fran - zoͤſiſchen Papas, und einer deutſchen Mutter zu bedienen. Dieſes mag von den unterſchiednenArten215zum deutſchen Woͤrterbuche. Arten der Feinde, welche die deutſche Sprache hat, genug ſeyn.

Er iſt ein ehrlicher alter Deutſcher; dieß wuͤrde ein Anfaͤnger in der deutſchen Spra - che ſo erklaͤren: Er iſt ſo ehrlich, wie ein alter Deutſcher. Aber das waͤre ein großer Sprach - ſchnitzer; ſondern es wird gemeiniglich von Leuten gebraucht, welche in ihrem Umgange alle diejeni - gen Eitelkeiten mit Sorgfalt vermeiden, die man ſonſt Hoͤflichkeiten, und, in gewiſſem Verſtande, auch Complimente nennt. Denn hierdurch, und durch die Gabe, zu trinken, koͤnnen wir es unſern Vorfahren, den alten Deutſchen, noch ſo ziemlich gleich thun.

Altdeutſch heißt daher in einigen Geſellſchaf - ten ſo viel, als grob.

Deutſche Redlichkeit; iſt ein verbum obſo - letum, oder hoͤchſtens nur ein Provincialwort. Siehe hiervon mit mehrern des Panzirollus Ab - handlung von denen Sachen, welche bey uns verlo - ren gegangen ſind.

E

[figure]
O 4Fabel. 216Beytrag

Fabel.

Eine Fabel iſt, ordentlicher Weiſe, und beſon - ders nach dem Begriffe einiger Neuern, ein ſolches Gedicht, uͤber welchem der Name eines Thiers, oder ſonſt eines Dinges ſteht, das noch etwas duͤmmer iſt, als der Verfaſſer. Wir wuͤrden zu viel von ihm fodern, wenn wir ei - ne poetiſche Wahrſcheinlichkeit, oder gar eine Sit - tenlehre darinnen ſuchen wollten. Die Ausfuͤh - rung der Fabel mag noch ſo trocken, noch ſo abge - ſchmackt, noch ſo undeutlich ſeyn; ſo iſt doch das, was ein ſolcher Fabeldichter im Namen ſeines Thiers ſagt, fuͤr eine unvernuͤnftige Beſtie noch allemal klug genug geſprochen. Er ſchreibt: Der eine Fabel. Und ſiehe, ſo iſt es eine Fabel! Mehr ge - hoͤrt dazu nicht.

Das Wort, Fabel, wird noch in einem andern Verſtande, und zwar von ſolchen Erzaͤhlungen gebraucht, welche zwar woͤglich, aber nicht wahrſcheinlich ſind. Daß ein Frauenzimmer ſich uͤber den vermeynten Tod ihres Liebhabers der - geſtalt betruͤbt, daß ſie ſich ſelbſt ums Leben bringt; und daß es Liebhaber giebt, welche uͤber den Ver - luſt ihrer Schoͤnen ſo untroͤſtbar ſind, daß ſie in ganzem Ernſte Anſtalt machen, ſich zu erſtechen:Das217zum deutſchen Woͤrterbuche. Das iſt wohl moͤglich, aber nimmermehr wahrſchein - lich, und eben um deswillen gehoͤrt die Geſchichte des Ovids vom Piramus und von der Thisbe mit allem Rechte unter die Fabeln.

Dieſe Beſchreibung, welche ich von dem Ver - ſtande des Worts, Fabel, gegeben habe, oͤffnet den Dichtern ein weites Feld zu tauſend Erfindun - gen. Mir ſind deren ſchon ſo viele beygefallen, daß ich der Welt mit einem ziemlich ſtarken Octavbaͤnd - chen davon aufwarten koͤnnte. Wer weis, was noch geſchieht? Ein Dichter bin ich zwar nicht; aber hundert Leute machen Verſe, die doch keine Dichter ſind; und geſetzt, ich ſchriebe nicht feurig, ſo wuͤrde ich gewiß ziemlich fließend ſchreiben. Das iſt ſchon genug! Und wenn mir auch hierinnen alle vernuͤnftige Welt widerſpraͤche; ſo weis ich doch, Strephon giebt mir ſeinen Beyfall, denn ihm gehts auch ſo! Damit aber die gelehrte Welt vor großem Verlangen nach meinem Baͤndchen nicht gar zu un - geduldig werde, wie ich faſt befuͤrchten muß: So will ich inzwiſchen von vieren meiner Fabeln nur den Jnnhalt herſetzen. Man wird finden, daß ſie durchgaͤngig moͤglich ſind; keine einzige aber wahrſcheinlich iſt.

[figure]
O 5Die218Beytrag

Die erſte Fabel.

Der betruͤbte Wittwer.

Agenor, ein reicher Buͤrger, lernte ein Frauen - zimmer kennen, welches weder Schoͤnheit, noch Vermoͤgen hatte, aber deſto tugendhafter war. Bloß ihrer Tugend wegen liebte er ſie. Er heirathete ſie, und die ganze Stadt lobte ſeine Wahl; denn die meiſten Buͤrger dieſer Stadt wa - ren tugendhaft, und keiner heirathete aus eigennuͤ - tzigen und niedertraͤchtigen Abſichten. Zwanzig Jahre ihrer Ehe waren verfloſſen, und nicht ein ein - zigesmal hatten ſie einander Gelegenheit zu einem Misvergnuͤgen gegeben. Noch im zwanzigſten Jahre liebten ſie einander eben ſo vernuͤnftig, eben ſo zaͤrtlich, als an dem Tage ihrer Verlobung. Auf dieſen Umſtand werden meine Leſer ja wohl merken, denn das iſt eine Hauptfabel. Agenor verlor ſeine Frau, welche bloß um deswillen ſchwer zu ſterben ſchien, weil ſie ſich von ihrem Man - ne trennen ſollte. Zehen Monate hat Agenor zu - gebracht, ehe er ſich einigermaaßen troͤſten, und zu einer neuen Heirath entſchließen konnte. An fuͤnf Monaten waͤre es ſchon genug geweſen: aber zu einer Fabel mußten es ſchlechterdings zehen Monate ſeyn.

[figure]
Die219zum deutſchen Woͤrterbuche.

Die zweyte Fabel, noch etwas unwahrſcheinlicher, als die vorige.

Die reiche Wittwe, eine gute Frau.

Philinde, eine junge Wittwe, welche den Neran durch ihr zugebrachtes Vermoͤgen zum reich - ſten Manne in der Stadt gemacht hatte, liebte ihn ſo zaͤrtlich, daß ſie ihm auch nicht ein einzigmal ſeine Armuth vorwarf. Sie trug ſo viel Ehrfurcht ge - gen ihn, daß es ſchiene, als haͤtte ſie beynahe gar vergeſſen, wie groß ihr Einbringen waͤre. Konnte ſie ja etwas betruͤben: So war es die große Behut - ſamkeit, mit welcher Neran ſich ihres Vermoͤgens bediente. Sie munterte ihn auf, fuͤr ſich etwas weniger ſparſam zu ſeyn; und brauchte ſie ſelbſt ei - niges Geld, ſo bat ſie ihren Mann mit ſo vielen Liebkoſungen darum, als waͤre es ſein eignes Ver - moͤgen. Neran ſtarb, und die Chronike ſagt, daß ſie alle Jahre an demjenigen Tage ganz untroͤſtbar geweſen, an welchem er geſtorben. Ja man will ſo gar verſichern, daß ſie uͤber dieſen Verluſt ſich niemals zufriedner zu troͤſten gewußt, als wenn ſie den armen Freunden ihres verſtorbnen Mannes mit ih - rem Vermoͤgen beyſpringen koͤnnen. Niemals ha - be ſie dieſes anders genennt, als die Verlaſſenſchaft ihres Nerans, an welche alle ſeine Verwandten An - ſpruch zu machen haͤtten, welche deſſelben beduͤrftig waͤren. So weit geht dieſe Fabel.

Die220Beytrag

Die dritte Fabel.

Jch habe einen Mann gekannt, deſſen Beruf war, eine große Geſellſchaft Leute woͤchentlich vor allen Laſtern zu warnen. Es kam ihm beynahe kein La - ſter verderblicher vor, als der Geiz. Den Geiz malte er alſo aufs abſcheulichſte ab, ſo oft er hierzu Gele - genheit fand. Das iſt nichts unmoͤgliches! Das hoͤren wir oft! werden meine Leſer rufen. Geduld! Jch will weiter erzaͤhlen. Dieſer Mann wußte ſein Vermoͤgen den Armen auf eine ſo vorſichtige Art zufließen zu laſſen, daß die wenigſten erfuhren, von wem es herkam. Keine nothduͤrftige Witt - we ließ er mit Thraͤnen von ſich gehen, ſie muͤßte denn aus Dankbarkeit geweint haben. Einem Kaufmanne, welcher ehrlich, aber in ſeiner Hand - lung ungluͤcklich, war, lieh er ein anſehnliches Ca - pital, ohne Verzinſung, damit er ehrlich bleiben, und ſechs unerzogne Kinder ernaͤhren koͤnnte. Auf Pfaͤnder lieh er gar nicht, und niemals ſoll er uͤber fuͤnf Procent genommen haben. Eine ſchoͤne Fa - bel, zu der ich aber den Titel nicht weis!

Die vierte Fabel.

Der billige Dichter.

Phokles war ein beruͤhmter Dichter derjenigen Stadt, in welcher bey ſchwerer Strafe nie - mand gelobet werden durfte, der nicht wirklich tu -gend -221zum deutſchen Woͤrterbuche. gendhaft war. Jn dieſer Stadt ſchaͤtzte jedermann die Dichtkunſt nach ihren Wuͤrden. Kein Reimer ward daſelbſt geduldet, und man hat zween aus dem Weichbilde verwieſen, welche aus Faulheit nicht arbeiten wollten, ſondern zur Stillung ihres Hungers reichen Kaufleuten zu ihren Namenstagen gratulirten. Jch wollte dem Herrn Stelpo wohl - meynend rathen, daß er ſich in dieſe Stadt nicht wagte! Alle Leute ſuchten die Freundſchaft des Phokles zu gewinnen, damit er ihnen die Fehler entdecken ſollte, welche ſie an ſich haͤtten. Der Biſchof daſelbſt bat ihn gleichfalls darum, und dieſem ſagte er: Du biſt ein hochmuͤthiger, ein eitler, ein niedertraͤchtiger und harter Mann; du lehreſt deine Gemeine ſehr erbaulich, aber ſie kann deinen Lehren nicht glauben, weil dein Leben beweiſt, daß du ſie ſelbſt nicht fuͤr wahr haͤltſt! Dieſes bewegte den Biſchof dergeſtalt, daß er ihn aufs zaͤrtlichſte umarmte, und ſeine redliche Offenherzigkeit vor oͤf - fentlicher Gemeine pries. Als er dem regierenden Buͤrgermeiſter entdeckte, daß er ein ſehr unwiſſen - der Mann, und nicht werth waͤre, ein Vater der Stadt zu heißen, ſo lange er nicht unterließe, mehr auf ſeinen Nutzen, als auf den Nutzen ſeiner Buͤr - ger, zu ſehen: So fehlte nicht viel, daß ihn die - ſer nicht mit Gewalt genoͤthigt haͤtte, an ſeiner Stelle das Ehrenamt eines Buͤrgermeiſters anzu - nehmen. Rathsherr aber mußte er doch werden; er mochte wollen, oder nicht. Es war erſtaunlichanzu -222Beytraganzuſehen, mit wie viel Ehrfurcht und Freund - ſchaft ihm die reichſten Capitaliſten begegneten. Jn ſeiner Geſellſchaft vergaßen ſie, daß ſie Wechs - ler waren, und redeten witzig. Alle Frauenzimmer - geſellſchaften waren todt und ſchlaͤfrig, in welchen Phokles nicht war. Denn damals, als Phokles lebte, wußte man von Faͤchern nichts; Lomber ward gar nicht geſpielt; und die Kunſt, den Naͤch - ſten zu richten, war nur in ein paar Familien be - kannt. So bald man den Phokles nur von wei - tem erblickte, ſo bald ward alles vergnuͤgt, und lebhaft. Lebte Phokles in meiner Stadt: So wuͤr - de man hier auf die Vermuthung fallen, er ſey um deswillen ſo beliebt geweſen, weil er dieſen ſchoͤnen Kindern artige Schmeicheleyen vorgeſagt, ihre ſchoͤnen Haͤnde verewigt, ihre Augen beſungen, mit unter ein paar Takte geſeufzt, zum Spaße ein wenig verzweifelt, und ſeine Nachbarinn Tieger und Fels geſcholten haͤtte, weil ſie ſo unmenſchlich grau - ſam geweſen, und ihm einen Kuß verſagt. Die - ſes iſt gemeiniglich die Sprache unſrer heutigen Dichter. Aber Phokles ſang ganz anders! Er ruͤhmte die Phyllis wegen ihrer anſtaͤndigen Sitt - ſamkeit, Cleonen, wegen ihrer vernuͤnftigen Wirth - ſchaft. Er lobte Aeſinen, wegen ihrer ſorgfaͤltigen Kinderzucht, wodurch ſie noch die Nachwelt ihrer Stadt gluͤcklich zu machen ſuchte. Er beſang die Unempfindlichkeit der Calliſte gegen die leichtſin - nigen Bemuͤhungen eines jungen Herrn. An Eu - phroſynen ruͤhmte er, daß ſie noch mehr tugend -haft,223zum deutſchen Woͤrterbuche. haft, als ſchoͤn, waͤre; und vergoͤtterte Leonoren wegen ihrer ehelichen Treue. Wegen ihrer ehelichen Treue? Das klingt ſehr altvaͤteriſch! Es kann wohl ſeyn; aber es iſt auch ſchon lange, daß Phokles geſtorben iſt. Er ſtarb in eben dem Jahre, als kein Laſterhafter gluͤcklich, kein Philoſoph ein Pe - dant, keine junge Wittwe verbult, kein junger Herr in ſich ſelbſt verliebt, kein vornehmer Mann ein Veraͤchter der ſchoͤnen Wiſſenſchaften, kein Richter geldgierig, kein Advocat ein Luͤgner, kein Wuchrer niedertraͤchtig, und noch kein Narr ge - ehrt war. Jn dieſem Jahre ſtarb Phokles. Jſt es alſo wohl ein Wunder, wenn uns ſeine Lobgedich - te altvaͤteriſch vorkommen? Dieſes muß ich noch er - innern, daß Phokles alle andern Dichter fuͤr groͤßre Dichter hielt, als ſich ſelbſt; daß er vor Vergnuͤ - gen außer ſich war, ſo oft er ein ſchoͤnes Gedicht von einem andern zu leſen bekam; daß er in frem - den Werken die Fehler andrer uͤberſah, und ent - ſchuldigte, und nur gegen ſeine eignen Schriften ein unparteyiſcher und unerbittlicher Richter war; daß er niemals mehr erroͤthete, als wenn man der Schoͤnheit ſeiner Gedichte Gerechtigkeit widerfah - ren ließ: und daß er aus einem kleinen Eigenſinne, oder vielmehr aus einer unzeitigen Furchtſamkeit, alle Gelegenheit vermied, ſeine Gedichte unter die Leu - te, oder, wie wir es heut zu Tage nennen, auf die Nachwelt zu bringen; denn das muß man wiſſen, daß dieſer Ausdruck damals ſehr ſelten vorkam. Eben dieſes beſcheidne Mistrauen iſt Urſache, daßwir224Beytragwir von ſeinen Gedichten nur noch wenige Bogen uͤbrig haben. Und dennoch nennt ihn jedermann, den großen Phokles!

Welcher Miſchmaſch! ruft Maͤv. Ein Dich - ter, der durch wenige Bogen beruͤhmt worden iſt! Der gegen ſeine eignen Lieder unempfindlich iſt! Der andre Dichter fuͤr groͤßer gehalten hat, als ſich! Ein Dichter, der ein großer Mann, und doch ſo geweſen iſt, wie Phokles! Jſt wohl was unge - reimters? Jſt wohl jemals etwas unwahrſcheinli - chers gefunden worden, als dieſes? Du haſt Recht, Maͤv! Aber eben darum iſt die Geſchichte des Pho - kles eine Fabel; und eine Fabel wird es ſeyn, ſo bald ich der Welt erzaͤhle, daß du ein geſchickter Dichter ſeyſt! Dieſes mag von denen Fabeln zur Probe genug ſeyn, die ich liefern wuͤrde, wenn ich ein Poet waͤre. Es iſt ewig Schade, daß ich kei - ner bin.

Dieſen Augenblick hoͤre ich, daß mein Haus - wirth in den letzten Zuͤgen liegt. Wenn er doch nur dasmal ſtuͤrbe! Jch bin einmal in vollem Schreiben, und die Standrede wuͤrde ich doch ver - muthlich thun muͤſſen. Meine Leſer ſollten es auch zu genießen haben. Jch wollte die Rede drucken laſſen. Wie praͤchtig wuͤrde ſich das ausnehmen, wenn mein Verleger dieſen Titel an ſeinen Laden kleben ließe!

ΦΟΒΕΡΟ -[225]

ΦΟΒΕΡΟΤΑΤΟΝ ΠΑΝΤΩΝ ΤΩΝ ΦΟΒΕΡΟΤΑΤΩΝ, das iſt: Das fuͤrchterlichſte unter allen fuͤrchterlichſten. Oder: Das unerbittliche Geſchick des ungerechten Himmels durch einen fruͤhzeitigen Tod; Bey der Baare des weiland Hochedelgebornen, Veſten, und Rechtshochgelahrten Herrn, Herrn N. N. Erblehn - und Gerichts-Herrn auf N. N. beruͤhmten Doctors beider Rechte, Welcher im vier und ſiebenzigſten Jahre ſeines ruhmvol - len Alters, zur groͤßten Betruͤbniß ſeiner noch jungen, und um deſto mehr untroͤſtbaren, hinterlaßnen Frauen Wittwe, und ſaͤmtlicher in die tiefſte Trauer verſetzten Erben, zum Schrecken aller nothleidenden Wittwen und Waiſen, zum Ungluͤcke aller Duͤrftigen und Verlaßnen, der ganzen Stadt zum Jammer, und zu einem unerſetzlichen Verluſte der edeln Gerechtigkeit, viel zu fruͤh, doch ſelig, verſchied, in Gegenwart der leidtragenden Buͤrgerſchaft und unter Begleitung vieler tauſend Thraͤnen, in Form einer Standrede betrachtet. Eine Fabel von N. Auf Verlangen zum Drucke befoͤrdert.

226Beytrag

Eh ich dieſen Artikel von Fabeln ſchließe, muß ich noch eine Anmerkung machen. Jch habe eben geſagt, daß dasjenige eine Fabel ſey, was zwar moͤglich, aber nicht wahrſcheinlich iſt. Aus die - ſem Satze folgt, daß diejenige Erzaͤhlung den Na - men einer Fabel nicht verdiene, welche nicht al - lein moͤglich, ſondern auch hoͤchſt wahrſchein - lich iſt. Jch finde dieſen Fehler beſonders in den Fabeln des Phaͤdrus. Die Geſchichte von dem verdorbnen Schuſter, welcher, um nicht zu verhun - gern, ein Arzt geworden war, und welcher bekannte, daß er ſeinen Ruhm nicht durch ſeine Geſchicklich - keit, ſondern durch die Dummheit des Poͤbels er - langt habe; dieſe Geſchichte iſt ſo wahrſcheinlich, daß ich ſelbſt in meiner Stadt mehr, als zehen der - gleichen mediciniſche Schuſter, kenne; wenigſtens ſind es ſolche Leute, welche zu allem in der Welt ungeſchickt ſind, und doch die Verwegenheit haben, ſich fuͤr Aerzte auszugeben. Wie wohl wuͤrden ſie thun, wenn ſie jedesmal uͤber ihre Recepte die Verſe ſchrieben:

Quantae putatis eſſe vos dementiae,
Qui capita veſtra non dubitatis credere,
Cui calceandos nemo commiſit pedes!

Sie koͤnnten dafuͤr die beiden griechiſchen Buch - ſtaben, α und ω weglaſſen. Der Verluſt, den ſie durch Weglaſſung dieſer beiden Buchſtaben litten,waͤre227zum deutſchen Woͤrterbuche. waͤre zwar freylich groß, weil ſie gemeiniglich wei - ter kein griechiſch verſtehen, als dieſes; aber es waͤ - re doch fein aufrichtig gehandelt.

Jch will noch eine Probe herſetzen, damit man deſto deutlicher ſehen koͤnne, wie ſehr Phaͤdrus wider dieſe Regel verſtoßen habe. Jſt wohl eine Ge - ſchichte wahrſcheinlicher, als dieſe, daß eine haͤß - lichgebildete Schweſter ſich uͤber ihren Bruder erzuͤrnt, welcher ſeine ſchoͤne Bildung gegen ſie geruͤhmt; daß es einen jungen Menſchen gegeben habe, welcher ſeine Geſtalt im Spiegel bewundert; und daß ein Frauenzimmer um Rache geſchrien, als ſie wegen ihrer Haͤßlichkeit verſpottet worden? Nimmermehr gebe ich zu, daß dieſes eine Fabel ſey; und wenn man mir widerſprechen wollte, ſo behaupte ich, daß meine andaͤchtige Nachbarinn, welche ihren Mann alle Wochen wenigſtens ein - mal mit dem Pantoffel ſchlaͤgt, auch unter die Fabeln gehoͤre. Dieſes aber wird man ihren ge - plagten Mann, der die wirkliche Exiſtenz ſeiner Frau gar zu wohl fuͤhlt, nimmermehr bereden. Es ſcheint auch faſt, als ob Phaͤdrus ſeinen Fehler ſelber gemerkt haͤtte. Er ſpricht.

Illa iraſcitur. Accipiens, (quid enim?) cuncta in contumeliam.

Zweyter Theil. P 2Dieſes228Beytrag

Dieſes quid enim? wuͤrde ſich im Deutſchen nicht beſſer ausdruͤcken laſſen, als durch: Jſt das wohl Wunder? Machen es unſre Frauen - zimmer nicht alle ſo? Was aber unſre Frauen - zimmer alle thun, das iſt wohl keine Fabel.

Jch war anfaͤnglich Willens, unter dieſe fehler - haften Fabeln des Phaͤdrus ſeine ſechſte Erzaͤhlung im zweyten Buche von dem geſchaͤfftigen Muͤßig - gange zu rechnen. Es hat mich aber ein guter Freund davon abzubringen geſucht, weil er glaubt, es ſey dieſes keine wirkliche Erzaͤhlung, ſondern eine Allegorie, und gehe eigentlich auf die jungen Advocaten, welchen zwar wegen ihrer Unerfahren - heit noch niemand ſeinen Rechtshandel anvertraut, die aber dennoch gar zu gern ſehr beſchaͤfftigt aus - ſehen wollen, und um deswillen fluͤchtig durch die Gaſſen laufen; niemals ausgehen, ohne ein Stuͤck - chen Acten im Buſen zu haben; die Richterſtube belagert halten, ohne hinein zu gehen; alle Bau - ern, die ihnen begegnen, anreden; alle Geſell - ſchaften mit ihrem caſu in Terminis quaͤlen; von ihren gewonnenen Proceſſen ſo viel Aufhebens ma - chen, als mancher junger Officier von dem ſchleſi - ſchen Feldzuge nicht thut; welche ganz erhitzt, und tiefſinnig ausſehen, wenn ſie Mittags um zwoͤlf Uhr vom Rathhauſe kommen, damit man glauben ſoll ſie haͤtten ſich mit ihrem Gegner gezankt; mit einem Worte, welche vor langer Weile ſterben muͤß -ten,229zum deutſchen Woͤrterbuche. ten, wenn ſie nicht die Geſchicklichkeit beſaͤßen, zum Verdruſſe der halben Stadt auf die geſchaͤfftigſte Art nichts zu thun. Dieſes iſt die Auslegung, welche mein Freund von der Fabel macht. Wie weit ſie gegruͤndet ſey, will ich nicht unterſuchen. Recht wahrſcheinlich koͤmmt ſie mir freylich nicht vor. Sie klingt mir gar zu deutſch, und an ſtatt, daß ich bey deren Erzaͤhlung mit meinen Gedanken in Rom ſeyn ſollte: So verliere ich mich unvermerkt in meiner Vaterſtadt, und ſehe auf dem Rathhauſe und auf dem Markte, eine Menge junger Muͤßig - gaͤnger herum laufen, welche vor großer Beſchaͤffti - gung, nichts zu thun, keichen. Geſetzt auch, es ſey eine allegoriſche Erzaͤhlung, ſo kann ich doch nicht errathen, warum Phaͤdrus eben nur eine ge - wiſſe Art junger Advocaten gemeynt habe? Koͤnnte es denn nicht eben ſo wohl auf die jungen Aerzte ge - hen? Wenigſtens kenne ich einen, welcher ſo aͤngſt - lich durch die Gaſſen laͤuft, als wenn ihn die Seelen der Verſtorbnen verfolgten, welche an ſeinen Pil - len haben erſticken muͤſſen. Er thut ſo unruhig, als wenn er die halbe Stadt zu einem methodiſchen Ende zubereiten muͤßte. Oft beſteht ſeine große Arbeit in weiter nichts, als daß er einen Hund auf - ſucht, ihn zu wuͤrgen, oder Rhabarbar holt, um eine Frau zu curiren, welche der Mann durch ſeine Vermittelung los zu werden ſucht. Dieſes ſind meine Zweifel, welche ich uͤber die eigentliche Be - deutung der Erzaͤhlung aus dem Phaͤdrus habe. P 3Meine230Beytrag zum deutſchen Woͤrterb. Meine Leſer ſollen den Ausſpruch thun, ob ich oder mein Freund Recht habe, ob die allegoriſche Er - zaͤhlung auf die jungen Advocaten, oder auf die jungen Aerzte, oder vielleicht auf noch andere Arten muͤßiger, und doch geſchaͤfftiger, Gelehrten gehe? Hier ſind die Worte des Phaͤdrus ſelbſt:

Eſt ardelionum quaedam Romae natio,
Trepide concurſans, occupata in otio,
Gratis anhelans, multa agendo nihil agens,
Sibi moleſta, et aliis odioſiſſima.

Gl **

[figure]
Geheime[231]

Geheime Nachricht von D. Jonathan Swifts letztem Willen.

P 4[232]233
Mylord,

Jch bin zeither nicht im Stande geweſen, Jhnen die verlangte Nachricht von einigen beſondern Umſtaͤnden des ſwiftiſchen Teſtaments zu geben. Nunmehr habe ich Gelegenheit gefunden, von al - lem naͤhere Nachricht einzuziehen, und ich hoffe, ihre Neugierigkeit dadurch befriedigen zu koͤnnen.

Es iſt allerdings wahr, daß unſer Swift zwoͤlf - tauſend Pfund Sterlings zu Errichtung eines neuen Tollhauſes ausgeſetzt hat. Die Nachricht von die - ſem loͤblichen Vorhaben war ſchon vor ſeinem Tode bekannt; aber die Meiſten machten ſich, wie auch Sie, Mylord, ſelbſt gethan haben, unrichtige Be - griffe von dieſer mildreichen Stiftung. Sie glaub - ten, dieſes Geld ſey zur Verwahrung, und zum Unterhalte phyſikaliſcher Narren beſtimmt, welche klug ſeyn wuͤrden, wenn ihr Koͤrper nicht ungeſund, und ihr Gebluͤte nicht verderbt waͤre: Allein, hier - innen betrog ſich unſre ganze Stadt.

Swift, deſſen Charakter ſie wohl gekannt ha - ben muͤſſen, beſchaͤfftigte ſich in ſeinem Leben nie - mals mit dieſer Art leiblicher Narren, welche er vielmehr der Vorſorge des Magiſtrats, und den Haͤnden der Aerzte und Barbierer uͤberließ. Sei - ne Bemuͤhung war von einem viel weitern Um - fange, und weit edler.

P 5Die234Geheime Nachricht

Die moraliſchen Narren lagen ihm am Herzen; Narren, welche oftmals bey geſundem Koͤrper den - noch die gefaͤhrlichſten und anſteckendſten Krankheiten haben.

Seine Dienſtfertigkeit erſtreckte ſich uͤber ganz Großbritannien; und er hatte Lords und Schreiber in ſeiner Cur. Durch eine vieljaͤhrige Erfahrung, war ihm bekannt, daß es mit der moraliſchen Narrheit eben die Beſchaffenheit habe, wie mit dem Podagra, mit welchem vornehme Leute am meiſten geplagt ſind, Leute von geringerm Stande aber nur ſelten, oder doch wenigſtens nicht ſo heftig befallen werden.

Vor etlichen Jahren that man ihm ſo vortheil - hafte Vorſchlaͤge, daß er ſich zu Weſtmuͤnſter nieder - laſſen, und ſeine Curen daſelbſt treiben ſollte. Er hat es aber allemal auszuſchlagen geſucht, weil er glaub - te, er ſey dieſer weitlaͤuftigen Arbeit nicht gewach - ſen, und die Menge der Narren ſey daſelbſt viel zu zahlreich, als daß er ſie in die Cur nehmen koͤnn - te. Jn Dublin gefiel es ihm am beſten, weil da - ſelbſt gleich ſo viel Narren waren, als er beſtreiten konnte. Jndeſſen war er doch ſo billig, daß er Weſtmuͤnſter und London von Hauſe aus mit Re - cepten verſorgte.

Er ſtarb in ſeinem neun und achtzigſten Jahre, und doch wuͤnſchte er ſich ſelbſt, noch etliche Jahre zu leben, weil er eben im Begriffe war, mit etlichen angeſehnen Patienten eine wichtige Operation vor -zuneh -235von Swifts letztem Willen. zunehmen. Dieſe liebreiche Vorſorge gegen ſeine Mitbuͤrger verließ ihn auch auf dem Todbette nicht. Simon Tuck, ſein Beichtvater, den das Maͤd - chen der Mylady Wedle und ſein dicker Kopf zum Predigtamte berufen hatten, fragte ihn nur wenig Stunden vor ſeinem Tode; ob er freudig ſtuͤrbe? Nicht recht freudig, antwortete ihm der ſterbende Swift, ich wuͤnſchte mir wohl noch einige Zeit zu leben, da ich euch kenne, und weis, daß ihr mei - ner Cur vor andern beduͤrft.

Alle dieſe Umſtaͤnde fuͤhre ich an, Jhnen, Mylord, zu zeigen, wie unrecht Sie gethan, daß Sie geglaubt haben, Swift habe ſein Tollhaus fuͤr hypochon - driſche Narren geſtiftet. Seiner Vorſorge werden ſich ſowohl in Jrrland, als Großbritannien, ganz an - dre Narren zu erfreuen haben. Narren, welche ſich dieſes am wenigſten einbilden, und welchen eben Swift zu fruͤhzeitig geſtorben iſt.

Sie koͤnnen ſich hiervon noch beſſer uͤberzeugen, wenn ich Jhnen ſage, daß ſich Swift in ſeinem Teſtamente auf ein Codicill berufen hat, welches man verſiegelt in ſeinem Pulte gefunden. Es ent - haͤlt die Namen derjenigen Perſonen, welche Swift vor andern wuͤrdig haͤlt, in ſeinem neuen Tollhauſe zu wohnen. Er hat das Parlament erſucht, ſein Teſtament zur Vollziehung zu bringen. Man iſt itzt damit beſchaͤfftigt, und ich hoffe Jhnen, Mylord, einen Gefallen zu erzeigen, wenn ich hier das Co - dicill von Wort zu Wort einruͤcke.

Codi -236Geheime Nachricht

Codicill.

Jch Endesbezeichneter ordne mit reifem Vorbe - dachte, als meinen letzten Willen, daß mein Toll - haus mit nachbenannten Perſonen eingeweiht wer - den ſoll, weil ſie dieſer Wohlthat vor allen andern beduͤrftig ſind:

Nicolaus Earring, mein Kuͤſter, wuͤrde es ſehr uͤbel nehmen, wenn ich ihn nicht zuerſt nennte. Er beſitzt ſo viel geiſtlichen Hochmuth, daß er ver - diente, Lord Erzbiſchoff zu werden, und da er ſeine Verdienſte um die Kirche am beſten kennt, ſo ver - zweifelt er ſelbſt noch nicht gaͤnzlich an ſeinem hoͤ - hern Gluͤcke, es muͤßte ihm denn die Graͤfinn Yar - mouth zuwider ſeyn, welcher er Schuld giebt, daß ſie ihm ſchon zweymal hinderlich geweſen, und den Koͤnig George wider ſeine Perſon einge - nommen habe. Wenn der Hof noch weiter fort - faͤhrt, unerkenntlich zu ſeyn: So iſt er faſt willens, ſich zum Praͤtendenten zu ſchlagen. Er ſagt ſeinen Freunden ins Ohr, daß er oͤfters an der Wahr - heit ſeiner Religion zu zweifeln anfange, weil nach derſelben unſre Geiſtlichen eine ſo unumſchraͤnkte Gewalt nicht haͤtten, als ihnen wohl von Rechts - wegen zukaͤme, und weil man beſonders aus den Kuͤſtern ſo gar wenig machte, die doch bey den Jacobiten in einem groͤßern Anſehen ſtuͤnden. Dem ungeachtet habe ich ihn bey ſeiner Reli - gion in andern Punkten ſehr eifrig gefunden. Ermacht237von Swifts letztem Willen. macht binnen einem Jahre weit mehr Ketzer, als Burnet in ſeinem ganzen Leben nicht gemacht hat. Den Gloͤckner an dem Kirchſpiele zu St. James haͤlt er fuͤr einen Qvaͤcker, weil dieſer ihm einmal begegnet iſt, ohne den Huth vor ihm abzunehmen; und von unſerm Biſchoffe ſchwoͤrt er bey ſeiner See - le, daß er ein Jacobite ſey, weil dieſer ihm un - laͤngſt Nicolaus und nicht, Herr Nicolaus, ge - rufen. Mit einem Worte, alle diejenigen haͤlt er fuͤr unglaͤubig, die ihm auf einige Art zuwider ſind, oder ihm nicht mit ſo vieler Ehrfurcht begegnen, als er bey ſeinem ehrwuͤrdigen Kuͤſteramte fodern zu koͤnnen glaubt. Um deswillen verlange ich, daß er in mein Tollhaus kommen ſoll, und, um ſeinen ruͤhmlichen Ehrgeiz recht zu befriedigen, ſoll Herr Nicolaus den Rang uͤber alle andre Narren haben.

Der Lord Lavat verdient, ſein Nachbar zu werden. Wenn die Ehrenſtellen in der Welt nach Verdienſten ausgetheilet wuͤrden, ſo waͤre Lord La - vat ein Kutſcher. Er iſt aber Lord, kraft ſeines Uraͤltervaters, welcher auch Lord war. Er iſt ſehr beredt, wenn er auf die Tapferkeit und die Ver - dienſte ſeiner Voraͤltern zu reden koͤmmt; und wen er fuͤr vernuͤnftig halten ſoll, deſſen Vorfahren muͤſſen wenigſtens zu Wilhelm Conqueſtors Zei - ten ſchon hochgebohrne Fuchsjaͤger geweſen ſeyn. Aus dem Parlamente koͤmmt er allemal unzufrie - den zuruͤck, weil er, wie er vorgiebt, jederzeit uͤber - ſtimmt, und verhindert wird, ſeine heilſamenRath -238Geheime NachrichtRathſchlaͤge zum Beſten des Vaterlandes geltend zu machen. Gleichwohl haben mich diejenigen, welche mit ihm im Parlamente ſitzen, verſichern wollen, daß er ſeit dem Tode der Koͤniginn Anna nicht ein Wort geſprochen, ſondern zu allen Billen ſtillſchwei - gend ſeine Einwilligung gegeben habe. So viel iſt gewiß; man findet in den Parlamentsprotocollen nicht eine einzige Proteſtation, die er mit unterzeich - net haͤtte. Es erſtreckt ſich ſeine Staatskunſt weiter nicht, als auf einen Strick Hunde. Jn der Verfaſſung andrer Laͤnder iſt er ganz unwiſ - ſend. Jch bin ſelbſt dabey geweſen, als in einer Geſellſchaft von den Vorzuͤgen der deutſchen Reichs - ritterſchaft geſprochen, und auf gut brittiſch davon geurtheilt wurde. Lord Lavat, der uns lange zuge - hoͤrt hatte, machte dem ganzen Streite ein Ende. Jch, rief er, ich aber lobe mir die Herren Cantons! Denn die Cantons hielt er, nach ſeiner Erklaͤrung, die er dabey machte, fuͤr eine alte adliche Familie in Deutſchland. Dieſe große Unwiſſenheit und Dummheit unſers Lords macht, daß ich befuͤrchte, er ſey im Stande, ſich, bey der naͤchſten Gelegen - heit, zu einer Bande misvergnuͤgter Unterthanen zu ſchlagen, und in der Kirche und dem Regimente große Neuerungen zu unternehmen. Das Parla - ment wird alſo Sorge tragen, ihn in meinem Toll - hauſe ſorgfaͤltig zu verwahren.

Da in Großbritannien die Vornehmſten des Reichs ſich eine Ehre daraus machen, die Gelehr -ſam -239von Swifts letztem Willen. ſamkeit empor zu bringen, und die Werke des Wi - tzes zu befoͤrdern: So ſehe ich nicht, wie der Lord Pellbrow verlangen kann, laͤnger unter ihnen ſo frey, wie bisher, herumzugehen. Das iſt ihm nicht genug, daß er ſelbſt unwiſſend, und weit duͤmmer iſt, als ſein Pachter. Er macht ſich ſo gar eine Ehre daraus, in ſeiner Unwiſſenheit zu bleiben. Bey aller Gelegenheit verfolgt er die ſchoͤnen Wiſ - ſenſchaften, und, wenn er recht gnaͤdig iſt, ſo ſpricht er nur veraͤchtlich von ihnen. Jn oͤffentli - chen Geſellſchaften laͤrmt er wider die Gelehrten, und dennoch wird er, weil er jaͤhrlich zwanzig tau - ſend Pfund Einkuͤnfte hat, und die Mylady Pall - brow ſehr ſchoͤn iſt, auf dem Hydepark bewundert und bey Hofe geduldet. Er haͤlt ſich mit vielen Un - koſten zween Sekretaͤre auf ſeinen eignen Leib, welche weiter nichts zu thun haben, als aus vollem Halſe zu lachen, ſo bald er den Mund aufthut, wi - der die Gelehrten zu ſchimpfen; ja, er ſteht im Be - griffe, ſich noch den dritten aus Deutſchland zu ver - ſchreiben, weil er glaubt, ein Deutſcher ſey zum Bewundern am geſchickteſten, und zu einem Jacob Pudding, welche Leute er ſehr hochhaͤlt, recht von Natur gemacht. Wann er recht groß thun will: So verſichert er mit den theuerſten Schwuͤren, daß er in ſeinem ganzen Leben kein gedrucktes Buch geleſen habe, als den Kalender, und den Crafts - man. Gleichwohl haͤlt er den Milton fuͤr einen ra - ſenden Kopf, den Grafen Schaftsbury fuͤr einen muͤrriſchen Schulfuchs, und die ganze großbritan -niſche240Geheime Nachrichtniſche Nation fuͤr pedantiſch, weil ſie zugelaſſen hat, daß der Versmacher Dryden in der Abtey Weſtmuͤnſter begraben worden ſey. Wenn Lord Pallbrow noch zwey Jahre in ſeiner Dummheit hingeht: So iſt nichts gewiſſer, wenigſtens nichts wahrſcheinlicher, als daß noch gar ein Freygeiſt aus ihm wird. Er ſoll alſo ins Tollhaus, und zwar ſo bald, als nur moͤglich.

Jhre Hochwuͤrden, der Biſchoff O-Carry verdient auch ein Plaͤtzchen darinnen. Jch glaube auch, ſeine Gemeine werde ihn nicht ſehr vermiſſen, weil ſie ihn ſehr ſelten, als Biſchoff, zu ſehen be - koͤmmt. Sein Capellan hat alle biſchoͤffliche Bemuͤ - hungen; Jhro Hochmoͤgenden aber laſſen ſich aus Be - ſcheidenheit nur an der Beſoldung und den Acciden - tien begnuͤgen. Er ſchachert wie ein portugieſiſcher Jude. Er aſſecurirt Schiffe, und wenn man glaubt, er ſitze in ſeiner Studierſtube, ſo ſteht er auf dem Boden, und ſieht ſich nach dem Winde um. Er leiht ſeine Capitalien mit großer Vorſicht, und mit weit beſſerm Nutzen aus, als irgend ein Kaufmann auf der Boͤrſe thun kann. Jch bin ſei - netwegen oft in Sorgen geweſen, weil ich weis, daß auch der vorſichtigſte Wuchrer ungluͤcklich ſeyn kann. Es wuͤrde ein ſehr wichtiger Punkt in unſrer Kirchenhiſtorie werden, wenn ihn einmal ein Wechſelglaͤubiger bis auf die Kanzel verfolgen ſoll - te, oder wenn dieſer hochwuͤrdige Mann Banke - rott machte, und in den Schuldthurm geſperrtwuͤrde.241von Swifts letztem Willen. wuͤrde. Die armen Mitgefangnen ſollten mich dauern, denn ich traue ihm zu, daß er die Allmo - ſenbuͤchſe ſehr ungleich theilen, und allemal wenig - ſtens den zehenten Theil fuͤr ſich, als Biſchoff, behal - ten wuͤrde. Man ſchaffe alſo dieſen Wuchrer ins Tollhaus, und wenn es moͤglich iſt, auch denjenigen, welcher ihn zum Biſchoffe geweiht hat.

Am dritten September waren es gleich drey Jah - re, daß ſich der junge Herr Something erhenken wollte, weil er befuͤrchtete, daß man ihn bey der Rathswahl uͤbergehen wuͤrde. Jch bin ſehr uͤbel damit zufrieden, daß man ihn geſtoͤrt hat. Er haͤtte ſich bey dem damaligen ſtarken Oſtwinde im - mer, als ein braver Britte, haͤngen koͤnnen; ſo wuͤrde das Land einen Phantaſten weniger, und ich keine Sorge haben, wie ich ihn in meinem Tollhauſe un - terbringen moͤchte. Dieſer unmuͤndige Knabe iſt, trotz der geſunden Vernunft und ſeines keimenden Barts, ein Vater der Stadt geworden; und nicht die Stadt allein, ſondern auch ſein eigner Koͤrper muß gewaltig darunter leiden; denn er hatte dieſe ehrwuͤrdige Stelle kaum vier und zwanzig Stunden lang bekleidet, da ſich auf einmal alle ſeine Glieder mit der groͤßten Ernſthaftigkeit aus einander renk - ten. Der Kopf preßte ſich zuruͤck, und blieb un - beweglich auf dem Halſe ſtehen. Eine Unterkehle, noch majeſtaͤtiſcher von Anſehen, als die Unterkehle des laͤcherlichen Lords Plackney, unterſtuͤtzte die - ſes Haupt, und die weiſe Natur erzeigte ſich da -Zweyter Theil. Qdurch242Geheime Nachrichtdurch ſehr ſorgfaͤltig, da ſie wohl wußte, daß dieſes Haupt von den ſchweren Sorgen des ganzen Stadtre - giments angefuͤllt waͤre. Seine Augen, welche ſeit etli - chen Monaten mit nichts beſchaͤfftigt geweſen waren, als auf der Schaubuͤhne mit unſrer artigen Taͤnze - rinn, der Jungfer Poper, zu bulen; dieſe fluͤch - tigen Augen wurden auf einmal finſter, und er ſoll, wenn es wahr iſt, was man von ihm ſagt, ſich lange Zeit hindurch vor dem Spiegel mit eben der Aufmerkſamkeit in ſeiner ehrwuͤrdigen Magi - ſtratsmiene geuͤbt haben, mit welcher ſich einige Frauenzimmer uͤben, wenn ſie zaͤrtlich und reizend ausſehen wollen. Aber an ſeinem ganzen Koͤrper hat nichts ſo viel ausſtehen muͤſſen, als ſein armer unſchuldiger Bauch. Es war erbaͤrmlich anzuſehen, mit was fuͤr Gewalt dieſer auf einmal hervorbrach. Zuſehends ſchwoll er auf. Mehr als ein Dutzend Schneider hat er abgedankt, welche ihm alle die Kleider zu enge machten. Meiſter King hat ſich bey ihm am laͤngſten erhalten, und ich kann ihm bey ſeinem Handwerke das Zeugniß geben, daß er vor allen andern Schneidern den anſehnlichſten Magiſtratsbauch zuzuſchneiden weis. Ein ſolcher praͤchtiger Bauch will gute und ſichre Beine ha - ben, das verſteht ſich von ſich ſelbſt, und wer es nicht glaubt, der darf nur unſerm Herrn Something zu - ſehen, wenn er durch die Gaſſen ſteigt. Es ge - ſchieht dieſes alles mit der behutſamſten Langſam - keit, und das Pflaſter ſcheint unter dieſer vereh - rungswuͤrdigen Laſt zu krechzen. Dieſes iſt unſersSomet -243von Swifts letztem Willen. Somethings Abſchilderung nach dem Leben, und wer dabey noch zweifelhaft bleibt, ob er ein Narr ſey, dem will ich rathen, eine Geſellſchaft zu ſu - chen. Was er ſpricht, das ſpricht er nur zweydeu - tig mit halben Worten. Bey den Reden andrer hoͤrt er aufmerkſam und argwoͤhniſch zu, ob nicht vielleicht etwas wider die Polizey und den Staat geredet werden moͤchte. Kuͤnftiges Jahr koͤmmt er an das Regiment, und alsdann will er allen Un - ordnungen abhelfen. Er kennt die Staͤrke und die Schwaͤche des Vaterlands. Von Privilegien, alten Gerechtigkeiten, von Exempeln, wie in glei - chen Faͤllen geſprochen worden, weis er beynahe noch mehr zu erzaͤhlen, als unſre jungen Ritter, wenn ſie zum erſtenmale in dem Hauſe der Gemei - nen geweſen, und Subſidien bewilligt haben. Wer ihm zu ſchmeicheln weis, den verſichert er ſeines Schutzes, und ſeiner vaͤterlichen Vorſorge, und wer ſich vor ſeinem Bauche recht tief und kindlich buͤckt, den wuͤrdigt er, ihm die Hand zu druͤcken, wel - ches aber mit eben der zuverſichtlichen Miene ge - ſchieht, mit welcher die alten Koͤnige die Kroͤpfe an - ruͤhrten. Dieſes wird genug ſeyn, zu zeigen, war - um ich ordne, daß Herr Something in das Toll - haus ſoll, und, aus Liebe zum Vaterlande, will ich, daß es noch in dieſem Jahre geſchehe, ehe er zum Stadtregimente koͤmmt.

Anfaͤnglich war ich Willens, Herrn Somet - hings Collegen, den guten alten Nowtell auch in meinQ 2Toll -244Geheime NachrichtTollhaus zu ſchaffen. Man hatte mich bereden wol - len, er ſey an vielen Unordnungen und Ungerechtig - keiten Schuld, welche verſchiednen unſrer Buͤrger widerfahren waren. Aber mir kamen, aufrichtig zu geſtehen, alle dieſe Erzaͤhlungen gleich anfangs ver - daͤchtig vor, da ich den ehrlichen Nowtell genau kannte, und wohl wußte, daß er zu Schelmereyen zu dumm waͤre. Nun bin ich hinter die rechte Wahrheit gekommen. Seine Frau iſt an allem Schuld. Dieſe iſt es, welche die Parteyen verdammt und loszaͤhlt, ihr Mann aber iſt weiter nichts, als ihr unwuͤrdiger Schreiber. Dieſer einſehen - den Frau haben wir die neue Rangordnung zu danken, nach welcher in Dublin die Weiber der Rathmaͤnner uͤber alle andern Frauensper - ſonen den Vortritt behaupten. Nur ſie iſt Ur - ſache, daß der brave Kaufmann Car er in den ſchweren Proceß verwickelt wurde, welcher ihn um ſein ganzes Vermoͤgen brachte, nicht etwan, weil ſeine Sache ungerecht war, ſondern weil ſeine Frau ſich an der Frau Nowtell groͤblich verſuͤn - digt, und in der Kirche am Altare den Rang uͤber ſie frevelhafter Weiſe genommen hatte. Jch habe gar niemals begreifen koͤnnen, woher es gekommen, daß die geiſtlichen Aemter in unſrer Stadt ſeit eini - gen Jahren mit ſo elenden Leuten beſetzt worden. Aber nunmehr begreife ich es wohl, da ich weis, daß die Frau Nowtell der goͤttliche Beruf iſt, und dieſe Stellen beſetzt hat. Eine alte Frau, welche ihre vertraute Herzensfreundinn iſt, hat dasius245von Swifts letztem Willen. ius praeſentandi; die Frau Nowtell vocirt ſie; der Rath muß ſie beſolden, und die Buͤr - ger behalten weiter keine Freyheit uͤbrig, als daß ſie in der Predigt gaͤhnen, und ſchlafen duͤrfen. Dieſes iſt noch der Reſt ihrer natuͤrlichen Freyheit, deſſen ſie ſich auch ſehr wohl zu bedienen wiſſen. Alles dieſes hat mich bewogen, meinen gefaßten Entſchluß zu aͤndern. Die Frau Nowtell ſoll die ihrem unſchuldigen Manne zugedachte Stelle im Tollhauſe bekommen; ihr Mann aber, der durch dieſen Verluſt ſeiner Frau außer Stand ge - ſetzt wird, ein Rathsherr zu bleiben, wird wohl thun, wenn er ſein Amt von ſich ſelbſt niederlegt, ſich zur Ruhe begiebt, ſeine Kuͤche und Wirthſchaft beſorgt, und bey muͤßigen Stunden ſeine Schraͤnke bohnt.

Da ich weiter nachdenke, an wem ich unter den auf dem Stadthauſe in Pflichten ſtehenden Perſonen mei - ne Werke der chriſtlichen Liebe ausuͤben koͤnnte; ſo fal - len mir unter den Sekretaͤren, Schreibern, und Ein - nehmern eine ſo große Menge kleiner Narren mitt - lern Standes ein, daß ich nicht weis, bey wem ich anfangen ſoll. Meine zwoͤlftauſend Pfund Ster - lings reichen warlich nicht zu, ſie alle zu unterhalten. Die Commun ſollte ſich billig ihrer durch eine mil - de Stiftung annehmen. Wie freudig wollte ich ſterben, wenn ich die Hoffnung, daß dieſes geſche - hen wuͤrde, mit ins Grab nehmen koͤnnte! Kurz, ich empfehle dieſe Narren ihrem Vaterlande!

Q 3Mein246Geheime Nachricht

Mein Freund, Partridge, ſtarb mir zu fruͤh; ich haͤtte ihn ſonſt in meinem Teſtamente gewiß nicht vergeſſen: Aber deſto treulicher will ich fuͤr ſeine werthen Angehoͤrigen ſorgen. Er hat eine zahlrei - che Familie hinterlaſſen. Lauter Partridgen, und politiſche Narren, wie ihr Herr Vater! Jch zweifle nicht, daß ich dieſen guten Leuten eine unvermuthe - te Freude durch dieſen meinen letzten Willen ma - chen werde. So tief ihre Einſicht in die Zukunft iſt, und mit ſo vieler Gewißheit ſie alle Dinge zu beſtimmen wiſſen, die im Staate, und in den Fa - milien geſchehen ſollen: So wenig werden ſie ſich traͤumen laſſen, daß ich itzt Anſtalt mache, ſie ins Tollhaus zu bringen. Sie ſollen alle hinein, ich ge - be ihnen mein Wort. Wer durch hinlaͤngliche Ur - kunden darthun kann, daß er in abſteigender Linie von dem weiſen Partridge herkoͤmmt, der ſoll ohne Weitlaͤuftigkeit aufgenommen werden; und, wenn er gar ein politiſcher Autor iſt, ſo ſoll er den Rang noch uͤber meinen Kuͤſter haben. Jch will dieſes ausdruͤcklich, und ordne mit gutem Vorbedachte, daß man keinen von dieſen Partridgen uͤbergehe. Wer dieſen meinen letzten Willen freventlich uͤbertritt, der ſoll, zur Strafe, ſchuldig ſeyn, ihre Schriften zu leſen, und ſich von ihnen die Nativitaͤt ſtellen zu laſſen.

N. S. Sollten die Narren aus dieſer Familie gar zu haͤufig anwachſen; So mag allenfalls ein andrer Narr wegbleiben, nur kein Lord und kein Philoſoph.

Herr247von Swifts letztem Willen.

Herr Dewlapp Eſq. hat einen ſo wunderbaren Charakter, daß ich lange Zeit nicht errathen koͤn - nen, was er eigentlich ſey; endlich habe ich es her - ausgebracht, daß er ein Narr iſt. Jn ſeiner Ju - gend war er der luͤderlichſte Junker in der ganzen Grafſchaft. Dieſes hinderte ihn, die geringſte Kenntniß von der Religion oder von andern Wiſſen - ſchaften zu erlangen. Jtzt wird er in ſeinem drey und vierzigſten Jahre ſeyn, und er hat in ſeinem ganzen Leben noch nichts geleſen, als die geſchrieb - nen Zeddel, welche ihm ſein Koch alle Mittage bringt. Wer ihn vor der Mahlzeit ſpricht, ſo lan - ge noch ſeine Natur ſich ſelbſt gelaſſen iſt, der er - ſtaunt uͤber ſeine Dummheit, denn er iſt nicht im Stande, drey vernuͤnftige Worte ohne Anſtoß zu reden. So bald ihm aber der Wein in den Kopf ſteigt, und dieſes geſchieht ſchon beym andern Ge - richte: So ſieht man den Herrn Dewlapp in ſei - ner voͤlligen Groͤße. Auf einmal wird er beredt; ſein ganzer Koͤrper denkt, und niemand hat es als - dann ſchlimmer, als ſein Capellan. Dieſer iſt ihm laͤcherlich, weil er ein Geiſtlicher iſt, denn ihm koͤmmt nichts abgeſchmackter vor, als die Reli - gion. Er laͤuft von Witze uͤber, wenn er auf die goͤttlichen Wahrheiten zu reden koͤmmt, und bringt man ihn auf den Zuſtand der Seele nach die - ſem Leben, ſo weis er uͤber dieſe Materie auf eine ſo feine Art zu ſpotten, wie ein Lohnkutſcher. Herr Dewlapp weis gar nichts, und daher koͤmmt es auch, daß er nicht weis, was er aus der Selig -Q 4keit248Geheime Nachrichtkeit machen ſoll, und weil er das nicht weis, ſo ſchließt er nach ſeiner natuͤrlichſten Art zu denken, daß die Lehre von jenem Leben, mit unter die Maͤhrchen von der weißen Frau, und dem Moͤnchen ohne Kopf gehoͤren, mit welchen man zwar Kinder, aber kei - ne Eſquires zu fuͤrchten macht. Nach dieſer Beſchrei - bung koͤnnte man glauben, daß ich gar nicht Urſa - che haͤtte, ihn ins Tollhaus zu bringen, ſondern ihn ganz ſicher in ſeiner Freyheit duͤrfte herumgehen laſ - ſen, ohne zu befuͤrchten, daß er den geringſten Schaden in der menſchlichen Geſellſchaft anrichten wuͤrde. Allein, er hat den Fehler, daß er reich iſt, und dieſen Fehler misbraucht eine Menge hungri - ger kleiner Geiſter, welche ihrem Verſtande entſa - gen, um ihren Magen zu befriedigen. Sie beſitzen etwas mehr Geſchicklichkeit, als ihr Wirth, den ſie dadurch ſich verbindlich zu machen wiſſen, wenn ſie ſeinen Gedanken eine Form geben, und ſie drucken laſſen, daß ſie ausſehen, wie ein Buch. Dieſes iſt der wahre Urſprung von allen denen Schrif - ten, die ſeit dreyzehen Jahren wider die Reli - gion herausgekommen ſind. Man hat immer nicht ge - wußt, wie es doch zugehe, daß in allen dieſen Schrif - ten ſo wenig Zuſammenhang, und Verſtand ſey; Aber nun wird man es wohl begreifen koͤnnen, wenn man bedenkt, daß es des unwiſſenden und trunk - nen Ritters Dewlapps Tiſchreden ſind, welche von ſeinen hungrigen Koſtgaͤngern zum Drucke befoͤrdert worden. Damit dieſer Schwaͤrmerey geſteuert wer - de, ſo verlange ich, daß Herr Dewlapp Eſq. unver -249von Swifts letztem Willen. unverzuͤglich ins Tollhaus komme. Da ihm hier der Wein fehlen wird: So hoffe ich, daß er die Re - ligion unangetaſtet laſſen ſoll. Er wird bey einem maͤßigen Unterhalte gar nichts denken, und in ſei - ner natuͤrlichen Dummheit bleiben. Dieſes iſt duͤnkt mich, fuͤr ihn, und fuͤr die Welt der kleinſte Verluſt. Das Parlament wird Sorge tragen, daß der dritte Theil ſeiner Einkuͤnfte zur Bekoͤſti - gung der kleinen Freygeiſter angewendet werde. Dieſes wird ſie, wie ich hoffe, beruhigen, und ſie werden aufhoͤren, wider die goͤttlichen Wahrheiten zu ſchreiben, da ſie nunmehr weiter nicht noͤthig ha - ben, ihr Brod damit zu verdienen.

James Diaper weis aus den goͤttlichen und buͤrgerlichen Geſetzen in beſter Form Rechtens zu behaupten, daß dem Manne und nicht der Frau die Herrſchaft gebuͤhre. Er ſpottet alſo uͤber diejeni - gen, welche ſich aus der Poſſeß werfen laſſen, und ihren Weibern folgen, wenn ihnen dieſe etwas ra - then. Seine Frau iſt die vernuͤnftigſte Frau von der Welt. Da ſie die unordentliche Lebensart ih - res Mannes kennt: So ſucht ſie ihn mit den freund - lichſten Zureden davon abzuziehen. Seine Ver - ſchwendung ſetzt ſie in die Umſtaͤnde, daß ſie viel - mals darben muß. Sie ertraͤgt dieſen Mangel mit der groͤßten Gelaſſenheit. Sie bittet ihn mit Thraͤ - nen, ſeinen Aufwand zu maͤßigen, und ſich ſeiner armen Kinder zu erbarmen. Sie hat ihn, mit Verſtoßung ihres Geſchmeides, zweymal aus demQ 5Schuld -250Geheime NachrichtSchuldthurme gerettet. Sie faͤllt ihm wimmernd um den Hals, da er im Begriffe ſteht, ſich zum drittenmale ohne Rettung in denſelben zu bringen. Sollte Diaper zweifeln, daß ſeine Frau vernuͤnf - tig ſey? Nein, daran zweifelt er nicht; aber es iſt ſeine Frau, und ſeiner Frau darf ein rechtſchaffner Mann nicht folgen; denn er verloͤre ſonſt die Herrſchaft, die ihm nach goͤttlichen und weltlichen Rechten zukoͤmmt. Er iſt dieſen Abend geſonnen, zu Hauſe zu bleiben; ſeine Frau ſchmeichelt ihm we - gen dieſes vernuͤnftigen Entſchluſſes. Gleich aͤndert er ſeinen Vorſatz; er geht aus, und zwar in die luͤder - lichſte Geſellſchaft, zu zeigen, daß nur er Herr im Hauſe ſey, und nicht ſeine Frau. Der Kopf thut ihm nach dem geſtrigen Rauſche weh; dieſen Abend will er nicht trinken. Er ſagt es, und giebt[auf] die Mienen ſeiner Frau Achtung. Dieſe Ungluͤck - ſelige ſcheint ganz freudig daruͤber zu ſeyn. Kaum merkt er es, als er ſich ankleidet, und die ganze Nacht durch ſaͤuft. Er wird krank nach Hauſe ge - bracht. Das ſchadet nichts; er hat doch ſeine Herrſchaft behauptet. Jſt Diaper nicht ein Narr? Jch ſollte es wohl meynen. Er ſoll ins Tollhaus!

Der junge Thomas Swallow wird ſich wun - dern, wenn er erfahren wird, daß er in meinem Tollhauſe alt werden ſoll. Er iſt in der That nicht aͤlter, als ſiebenzehen Jahr, aber bey ihm kann das Alter nicht entſchuldigen. Er verdient meine Vor -ſorge,251von Swifts letztem Willen. ſorge, und ich glaube, man kann nicht genug ei - len, ihn dahin zu bringen. Sein Großvater war ein ziemlich elender Poet, aber doch noch ertraͤg - lich, weil er nur wenig ſchrieb. Deſſen Sohn, der Vater meines jungen Zuͤchtlings, war ſchon weit ſchlimmer. Er ſchrieb Gedichte uͤber Gedichte, ſo ſchlecht, daß ſelbſt die Niederlaͤnder daruͤber ſpotte - ten, ja, was das erſchrecklichſte war, ſo ließ er ſeine Gedichte in einen Band zuſammendrucken. Der junge Swallow, ein wuͤrdiger Erbe ſeines Vaters, hat ſchon ein ziemliches Baͤndchen von ſei - nen eignen Gedichten im Manuſcripte liegen, wel - ches er zu ediren droht, ſo bald er muͤndig wird. Es iſt hohe Zeit, daß man ihm Einhalt thut. Machte ich nicht bald Anſtalt, ihn in Sicherheit zu bringen: So wuͤrde ich es bey unſern Kindern nicht verantworten koͤnnen. Unſre Enkel wuͤrden noch am gluͤcklichſten ſeyn; denn bis zu ihnen duͤrfte von ſeinen poetiſchen Werken wohl vermuthlich nichts kommen. Was fuͤr Ungluͤck braͤchte ich nicht uͤber das arme Land, wenn ich zuließe, daß durch unſern jungen Dichter ſein Geſchlecht fortgepflanzt wuͤrde! Es ſcheint, daß das Uebel in dieſer poetiſchen Fa - milie mit jedem Grade ſteigt; und ſollte dieſer wie - der einen Sohn zeugen: Was iſt gewiſſer zu befuͤrch - ten, als daß man denſelben gar an Ketten ſchließen, und ihm die Haͤnde auf dem Ruͤcken zuſammen feſ - ſeln muͤßte, damit er nicht ſchreiben koͤnnte? Da der Großvater abgeſchmackt, der Sohn ein Narr war, und der Enkel ſeinen Vater ſchon itzt uͤbertrifft:Was252Geheime NachrichtWas ſoll aus dem Urenkel werden? Man ſperre ihn ein! Er hat es verdient, und verdient es ſchon dadurch, daß er die elenden Gedichte ſeines Vaters bewundert, und im Begriffe ſteht, ſie mit einer Vorrede zum zweytenmale auflegen zu laſſen. Er faͤngt ſchon an, ſeine eignen Gedichte andern vorzu - leſen. Auf der Gaſſe ſo gar faͤllt er die Leute an, und lieſt ſie ihnen mit Gewalt vor. Er iſt mis - vergnuͤgt, wenn man ſie nicht lobt, und unverſoͤhn - lich, wenn man ſie tadelt. Ungeachtet ſeiner Ju - gend kann er doch ſchon ſchimpfen, wie ein Kunſt - richter von funfzig Jahren. Was ſoll endlich noch daraus werden? Jns Tollhaus mit ihm! Dieſes iſt mein letzter Wille.

Wenn ich unſern Math. Pidgeon, dieſen verſchwenderiſchen Juͤngling, fragen wollte, was mit ſeinem alten geizigen Oheime, Hugh-Poun - ces, anzufangen waͤre: So zweifle ich nicht, er wuͤrde mir mit der groͤßten Ungeduld in die Rede fallen, und mich von ganzem Herzen verſichern, daß ſein Oheim ein Narr ſey, und in mein Tollhaus gehoͤre. Nun getraue ich mir zwar eben nicht, zu laͤugnen, daß Pounces ein Narr ſey, wenn ich ſehe, daß er alle erſinnliche Anſtalt macht, auf dem Geldkaſten Hungers zu ſterben, und ſein Ver - moͤgen dem jungen Pidgeon zu hinterlaſſen, wel - cher in einem Tage mehr verthun wird, als er in einem ganzen Jahre erkargen koͤnnen. Aber doch kann ich mich nicht entſchließen, ihn in mein Toll -haus253von Swifts letztem Willen. haus zu nehmen. Jch werde billiger ſeyn, wenn ich dieſe Stelle unſerm leichtſinnigen Juͤnglinge einraͤume. Es iſt in der Philoſophie noch eine große Streitfrage, welcher von beiden der groͤßte Narr ſey? Derjenige, welcher bey ſeinem mistraui - ſchen Alter, als ein reicher Geizhals, verhungert? Oder ein unbeſonnener Juͤngling, welcher ein Ver - moͤgen, das er nicht erworben hat, muthwillig durchbringt, damit er im Alter aus Armuth Hun - gers ſterbe? Wenigſtens iſt jener dem gemeinen We - ſen nicht ſo ſehr zur Laſt, da im Gegentheile die Obrig - keit ſich genoͤthigt ſieht, dieſen entweder, als einen Raͤuber, zu haͤngen, oder, als einen ehrlichen Bett - ler, im Hoſpitale zu ernaͤhren. Ein Geizhals, wel - cher ſich von ſeinem Geldkaſten niemals zu weit entfernt, iſt gewiſſermaaßen ſchon eingeſperrt. War - um ſoll ich ihn in meinem Tollhauſe verſchließen? Jch will alſo, man bringe den jungen Math. Pidgeon dahin. Hier ſoll er bleiben, bis er dreyßig Jahr alt iſt. Muͤßig darf er nicht gehen; denn eben dieſes iſt ſein Ungluͤck. Er ſoll weder Mittags noch Abends etwas zu eſſen bekommen, wenn er nicht vorher mit ſeiner Hand ſo viel ver - dient hat, als ſein Eſſen koſtet. Auf ſolche Weiſe wird er erfahren, wie ſchwer es ſey, ſeinen Unter - halt zu verdienen. Man gebe ihm ſeines Oheims Jntereßrechnungen, dieſe ſoll er calculiren, damit er rechnen lerne. Jch hoffe, wenn man ihn ſo weit bringt, daß er arbeitet und rechnet, ſo wird man ihn im dreyßigſten Jahre ſeines Alters ohneBeden -254Geheime NachrichtBedenken wieder frey laſſen, und ihm das Vermoͤ - gen ſeines Oheims anvertrauen koͤnnen. Jch mey - ne es recht gut mit ihm, und bin gewiß, das Va - terland wird es dereinſt erkennen, daß ich ihm einen guten Buͤrger gezogen habe.

Ueber wen das Ungluͤck es verhangen hat, in der Nachbarſchaft der erbaulichen Sara Knidly zu wohnen; der wird ſich nicht wundern, wenn er ſie in meinem Codicille findet. Jhr Haus iſt einem verwuͤnſchten Schloſſe, und ſie einem Poltergeiſte aͤhnlich, der alle Menſchen quaͤlt, die ihm nicht ausweichen koͤnnen. Wer es vermeiden kann, der huͤtet ſich wohl, mit ihr unter einem Dache zu wohnen. Den ganzen Tag ſpukt ſie im Hauſe herum. Nirgends poltert ſie aͤrger, als in der Kuͤche, und niemals iſt ihre Gegenwart gefaͤhrli - cher, als wenn ſie herumgeht, und Pſalme brummt. Jhre ungluͤckliche Magd hat es empfunden, und es iſt nicht lange, daß dieſelbe beynahe ihr rechtes Au - ge uͤber dem ſechſten Pſalme verloren haͤtte, denn das andaͤchtige Geſpenſt murmelte eben den Schluß deſſelben her, als die Magd aus Unvorſichtigkeit das Salzfaß verſchuͤttete, und um deswillen von den bußfertigen Haͤnden ihrer frommen Frau in voller Andacht etliche Ohrfeigen bekam. Die gan - ze Gaſſe, in der ſie wohnt, wird oͤde, und ich habe gefunden, daß ſeit ſechs Jahren, (denn ſo lange iſt Sara Knidly eine Wittwe) die Miethen um die Haͤlfte des Preiſes gefallen ſind. Wer es vermeidenkann,255von Swifts letztem Willen. kann, unter ihrem Fenſter wegzugehen, der thut es gern, und nimmt lieber einen Umweg; denn, wen ſie mit ihren Augen erreicht, der iſt ohne Barmherzigkeit verdammt. Sie glaubt, und glaubt es ganz gewiß, daß der langmuͤthige Himmel, bloß aus Hochach - tung fuͤr ſie und ihre andaͤchtige Seele, das Viertheil der Stadt, in welchem ſie wohnhaft iſt, noch zur Zeit verſchont, und verhindert habe, daß die Erde ihren Rachen nicht aufgethan, die boͤſe hoffaͤrtige Rotte zu verſchlingen. Unterdeſſen wuͤnſcht ſie es doch vielmals, und zankt mit dem langmuͤthigen Himmel alle Morgen in ihren Gebeten, wenn ſie aufſteht, und ſieht, daß noch Leute um ſie herum woh - nen, welchen es wohl geht, und daß er nicht zum wenigſten die Frauenzimmer ihrer Gaſſe in ihrer ſuͤndlichen Eitelkeit, andern zum Schrecken, und ihr zum freudigen Troſte, dieſe Nacht uͤber mit Schwefel und Peche vertilgt hat. Denn wir Mannsperſonen, wir haben noch in ihren erbar - menden Augen einigen Vorzug; und ich hoffe gewiß, wenn die erſchrecklichen Gerichte, mit denen ſie alle Stunden droht, hereinbrechen werden: So wird ſie ſich vom Himmel wenigſtens etliche ausbitten, die er ihr zum ſonderbaren Troſte erhalten ſoll. Jch erſu - che das Parlement, ſich dieſer Heiligen mit aller moͤglichen Vorſicht zu bemaͤchtigen, damit ſie nicht entwiſche, oder aus Andacht etlichen die Haͤlſe bre - che, welche ſich ihrer Perſon verſichern wollen. Sie ſoll in dem abgelegenſten Winkel des Tollhau - ſes eingeſperrt bleiben, damit ſie die andern Narrennicht256Geheime Nachrichtnicht naͤrriſcher mache. Waͤre einer von dieſen Narren gar nicht zu baͤndigen: So ſoll er zur Stra - fe vier und zwanzig Stunden zu ihr in die Zelle ge - ſperrt werden. Es iſt eine grauſame Strafe, ich geſtehe es; aber ſie ſoll auch nur in ſchweren Ver - brechen ſtatt haben. Man wird Achtung geben, daß ein ſolcher Verbrecher niemals mit ihr allein gelaſ - ſen werde. Ein Zuchtmeiſter ſoll in der Thuͤre ſte - hen bleiben. Denn ich weis, daß ſie bey aller ihrer Andacht ſehr viel irrdiſche Wuͤnſche hat, und niemals leichter zu uͤberwinden iſt, als wenn ſie uͤber die Schwachheit der andern ſeufzt. Man bedenke nur, was fuͤr ein Ungluͤck daraus entſtehen koͤnnte, wenn der Freygeiſt, Herr Dewlapp Eſq. und die andaͤch - tige Sara Knidly zuſammen geſperrt wuͤrden, und durch die Einſamkeit in Verſuchung geriethen, ihr Geſchlecht zu vermehren. Erſaͤufen muͤßte man die junge Brut! Den Augenblick muͤßte man ſie erſaͤufen! Denn ich kann mir nicht vorſtellen, daß etwas ab - ſcheulicher und gefaͤhrlicher waͤre, als ein Kind, deſ - ſen Vater ein dummkoͤpfiger Freygeiſt, und die Mut - ter eine verlaͤumderiſche Betſchweſter iſt. Man huͤte ſich alſo ja wohl, und verwahrloſe das arme Land nicht mit einer ſo widernatuͤrlichen Mis - geburt.

Jch weis nicht, woher der muthwillige Knabe, Jacob Halley, von meinem Vorhaben, ein Toll - haus fuͤr laͤcherliche Narren zu ſtiften, etwas erfah - ren haben mag. Vor einiger Zeit, als ich eben imBegrif -257Von Swifts letztem Willen. Begriffe war, dieſen meinen letzten Willen zu ent - werfen, trat er mit einer ungezognen Miene in mein Zimmer, und verſicherte mich auf eine recht vertrau - te Art, daß er mir hierinnen ſehr nuͤtzlich ſeyn koͤnn - te, wenn ich ſeinen Rath annehmen wollte. Vor ſeinen Augen, ſagte er, koͤnnten ſich die Thorheiten der Menſchen nicht verſtecken. Er kenne ſie alle, er verfolge ſie aufs ſchaͤrfſte, und die Liebe zur Wahr - heit ſey bey ihm ſo ſtark, daß er ſich ſelbſt nicht ſcho - nen wuͤrde, wenn er etwas laͤcherliches oder thoͤ - richtes an ſich wahrnehmen ſollte. Zugleich uͤber - gab er mir eine Rolle, in welcher, wie er ſagte, der Kern aller Narren in Dublin verzeichnet waͤre, und bat mich, ich moͤchte bey meiner Stiftung dieſe Leute ja vor allen andern mir beſtens empfohlen ſeyn laſſen. Jch fand auf dieſer Rolle zehen Perſonen, und erſtaunte, als ich ſahe, daß gleich die erſten fuͤnfe davon Geiſtliche waren, deren Lehren ſo ver - nuͤnftig ſind, und deren Lebensart ſo erbaulich iſt, daß ſie wohl verdienten, ſelbſt in den Augen der Narren und unſrer kleinen Religionsſpoͤtter ehrwuͤrdig zu ſeyn. Jch bezeugte ihm meine Verwunderung, daß er dieſe Maͤnner des Tollhauſes wuͤrdig hielte; ich fragte ihn um die Urſache. Die Antwort aber, die ich erhielt, war ein lautes unverſchaͤmtes La - chen, und er hatte das Herz, mich zu fragen, ob ich nicht wuͤßte, daß die fuͤnf Maͤnner Geiſtliche waͤren, und daß die Geiſtlichen Jch fiel ihm ſo gleich in die Rede, weil ich merkte, daß er ſich anſchickte, dieſem verehrungswuͤrdigen Stande alleZweyter Theil. Rdie258Geheime Nachrichtdiejenigen Fehler zur Laſt zu legen, welche von eini - gen wenigen begangen, und an unzaͤhlig andern Perſonen weltlichen Standes nicht einmal wahrge - nommen werden. Der ſechſte Narr war ſein Stiefvater, ein vernuͤnftiger und redlicher Mann, den er aber um deswillen fuͤr einen Narren hielt, weil er ſich haͤtte entſchließen koͤnnen, in ſeinem Al - ter die Thorheit zu begehen, und ſeine Mutter, eine muͤrriſche geizige Frau, und aberglaͤubiſche Bet - ſchweſter zu heirathen, welche durch ihre verdrießli - chen Lehren uud altvaͤteriſchen Klagen uͤber den groß - muͤthigen Aufwand der muntern und ehrliebenden Jugend, wie er es nennte, ſchon laͤngſt verdient haͤtte, die ſiebente Stelle in dieſer Narrenrolle ein - zunehmen. Da dieſer raſende Juͤngling ſeines Va - ters und ſeiner Mutter nicht geſchont hatte: So duͤrfen dreye ſeiner Lehrer ſich nicht wundern, wenn ſie erfahren werden, daß er an ihre Verſorgung auch gedacht, und ſie unter ſeine Narrencandidaten ge - ſetzt hatte. Er gab ſie fuͤr unertraͤgliche Pedanten, lateiniſche Wurmkraͤmer, und ich weis nicht, fuͤr was mehr aus. So viel ich merken konnte, mochte es wohl eine ganz andre Urſache, und vielleicht dieſe ſeyn, daß ſich dieſe redlichen Maͤnner aus wahrer Liebe und mit etwas mehr Ernſthaftigkeit, als dieſer Spoͤtter vertragen konnte, hatten angelegen ſeyn laſ - ſen, ihn vernuͤnftig zu machen. Jch ſchließe dieſes unter andern daraus, daß er ſich gegen mich be - ſchwerte, einer von dieſen Lehrern habe das Herz gehabt, ihm zu ſagen, daß die Jugend die Bos -heit259Von Swifts letztem Willen. heit nicht entſchuldige, daß ein Juͤngling, wel - cher frech genug ſey, ſeiner Lehrer zu ſpotten, in ſeinen aͤltern Jahren gemeiniglich das Ungluͤck habe, als ein Rebell zu ſterben, und daß die Spoͤtterey eines Juͤnglings nicht witzig ſeyn koͤnne, ſo lange deſſen Herz boshaft ſey. Dieſer Vorwurf ſchmerzte ihn darum, weil er ihn nicht verdiente, denn nur ſeine redliche Freymuͤthigkeit, ſagte er, erweckte die Milz ſeiner Lehrer, und er tadelte nicht die Perſon ſeiner Lehrer, ſondern nur ihre Thorheiten waͤren ihm laͤ - cherlich, und er wuͤrde nicht aufhoͤren, zu ſagen, daß ſie Narren waͤren, ſo lange es noch jemanden gaͤbe, der die Wahrheiten hoͤren wollte. Man kann glau - ben, daß ich uͤber die Verwegenheit dieſes jungen Menſchen ganz erſtaunt war, und weil er verſprach mir noch mit mehrern Narren zu dienen, wenn ich es verlangen ſollte, ſo hielt ich es fuͤr dienlich, ihn mit einer verſtellten Gelaſſenheit zu verſichern, daß ich mir ſeinen Eifer zu Nutze machen, und ſolche Veranſtaltungen treffen wollte, daß des Vaterlands Beſtes beobachtet werden, und er die billigſte Beloh - nung dafuͤr erlangen ſollte. Jch habe ihm einen ver - ſiegelten Brief gegeben, welchen er, nach meinem Tode, den Vorſtehern des Teſtaments ſelbſt einhaͤndigen ſoll. Jch erſuche alſo dieſe Herren, demjenigen aufs genauſte und ſonder Verzug nachzukommen, was ſie in dieſem verſiegelten Schrei - ben veranſtaltet finden werden.

R 2Weil260Geheime Nachricht

Weil ich nicht weis, wie lang ich leben moͤchte, und ob es nicht gar geſchehen koͤnnte, daß ich einige von meinen Narren wohl noch uͤberlebte: So will ich zu Vermeidung aller Schwierigkeiten hier eini - ge Recruten zu meinem Tollhauſe vorſchlagen. Jch habe weiter nichts noͤthig, als nur ihre Namen zu nennen; man wird ſie ſo gleich kennen, wenigſtens werden ſie leicht zu erfragen ſeyn. Hier ſind ſie: Johann Gale, Lady Flower, O-Saͤfety, Carl Brackfeſt, Catharina Buckey, John Sun, Martin Flaͤce, Caſpar Wickſtaff, William Knall, und der Moraliſt Richard Kinsman.

Vor allen andern, die in mein Tollhaus gehoͤren, ſollen die Jrrlaͤnder den Vorzug haben. Nach ih - nen folgen unmittelbar die Britten. Fuͤr die Deut - ſchen ſoll man einen beſondern Fluͤgel bauen, und die Sachſen ſollen, als unſre alten Landsleute, zuerſt unter - gebracht werden. Jch kenne deren eine ziemliche An - zahl, welche auf meine milde Stiftung einen billigen Anſpruch machen koͤnnen. Etliche davon habe ich in beyliegendem Promemoria aufgezeichnet. Das Parlament wird fuͤr dieſe guten Leute ſorgen, doch unbeſchadet den Narren unſers lieben Vaterlands.

Dieſes iſt mein letzter Wille, und das Parlament wird dahin ſehen, daß derſelbe aufs genauſte erfuͤllt werde. Jch bin nicht im Stande, ihnen dieſe Muͤhe zu vergelten, ohne meinen Narren an ihremGehal -261von Swifts letztem Willen. Gehalte Abbruch zu thun. Das einzige, was ich thun kann, iſt dieſes, daß ich, als ein Patriot, wuͤn - ſche, daß niemals ein Narr auf ihren Wollſaͤcken ſitzen moͤge. Ein guter Wunſch, der vielleicht ſo gar unmoͤglich nicht iſt, als er wohl ſcheint! Dublin am $$\frac{17}{28}$$ Brachmonath 1745.

(L. S.) D. Jonathan Swift, meine Hand.

Hier haben Sie, Mylord, eine getreue Abſchrift von dem Swiftiſchen Codicille. Sie koͤnnen ſich darauf verlaſſen; ich habe ſie ſelbſt gegen das Original ge - halten. Sie koͤnnen kaum glauben, mit wie viel Sorgfalt das Parlament bemuͤht war, ſich des letz - ten Seegens unſers Swifts theilhaftig zu machen, und dieſes Codicill in allen ſeinen Clauſeln und Punkten zur Erfuͤllung zu bringen. Das erſte, was man that, war dieſes, daß man ſich der an - gezeigten Narren zu bemaͤchtigen ſuchte. Die Lords Lavat und Pallbrow ſtellten ſich abſcheu - lich ungeberdig, und der erſte wuͤrde ſich gar nicht gegeben haben, wenn man ihn nicht zu bereden ge - ſucht haͤtte, daß in dieſes Tollhaus kein Narr kaͤ - me, der nicht wenigſtens ſechzehen Ahnen haͤtte. Dieſes einzige beruhigte ihn gewiſſermaaßen, denn er hoffte auf ſolche Art eine zahlreiche und anſehnli - che Geſellſchaft zu finden.

R 3Der262Geheime Nachricht

Der Biſchoff O-Carry wollte Feuer vom Himmel laſſen, weil das Parlament ſo ruchlos waͤ - re, und einen Mann des Herrn antaſtete. Aber eben hieraus ſahe man, daß Swift recht gehabt hatte, und Jhro Hochwuͤrden mit Leib und Seele ins Tollhaus gehoͤrten. Der Kuͤſter, Herr Nico - laus, machte nicht viel Umſtaͤnde, ſo bald er nur vernahm, daß er den Rang uͤber den Biſchoff ha - ben ſollte.

Herr Something, ſo ſehr er auch anfangs er - ſchrack, faßte ſich doch, da man ihm verſprach, daß er der Polizey im Hauſe vorſtehen, und mit der Frau Nowtell wechſelsweiſe das Regiment fuͤhren ſollte. Dieſe Frau ſpie Feuer, als man ſie ab - holen wollte. Zu ihrer Beruhigung iſt ihr verſpro - chen worden, daß ſie die Erlaubniß haben ſollte, nach Ableben des Kuͤſters und Biſchoffs zween andre Candidaten zu vociren.

Des Dewlapp Eſq. konnte man ſich leicht be - maͤchtigen, denn man gieng nach Tiſche zu ihm, da er beſoffen war, und ſchlief. Man will fuͤr gewiß ſagen, daß er ſeitdem beſtaͤndig geſchlafen, wenig - ſtens thut er ſo traͤumend, wie ein Menſch, der im erſten Schlafe geſtoͤrt wird, und daran mag wohl ſeine gute natuͤrliche Dummheit Schuld ſeyn. Seine Koſtgaͤnger ſcheinen ſich zu beruhigen, da ſie hoͤren, daß ſie von dem dritten Theile ſeines Ver - moͤgens unterhalten werden ſollen. Es iſt großeHoff -263von Swifts letztem Willen. Hoffnung da, daß ſie wieder klug werden duͤrften. Der eine hat ſich ſchon eine Bibel gekauft, worin - nen er allemal nach Tiſche ein paar Blaͤtter lieſt, und ſich wundert, wie er ſpricht, daß in dieſem Bu - che ſo viel vernuͤnftige Sachen ſtehen, welches er vorher niemals geglaubt haͤtte.

James Diaper hat appellirt, und behaͤlt ſich vor, ſeine rechtliche Nothdurft weiter auszufuͤhren. Jnzwiſchen hat man ihn doch eingeſperrt; aber ſei - ne arme Frau iſt ganz troſtlos. Der junge Thom. Swallow ſaß eben an ſeinem Pulte, machte ein Sinngedichte unter ſein Conterfay, welches er vor den erſten Band ſeiner kuͤnftigen Werke ſetzen woll - te. Man gab ihm Feder und Dinte mit in ſein Gefaͤngniß, und dieſes ſchien, ihn ſehr kraͤftig zu troͤſten. Math. Pidgeons ſchrie uͤber ſeinen al - ten geizigen Oheim, dem er ſein Ungluͤck zuſchrieb.

Er hat recht flehentlich gebeten, ihm alle Mahl - zeiten wenigſtens nur eine Flaſche Pontack zu ge - ben. Es iſt ihm aber abgeſchlagen worden, er muͤßte ſie denn mit ſeiner Handarbeit verdienen lernen.

Nichts war luſtiger, als die Gefangennehmung der frommen Sara Knidly. Die Wache traf ſie eben uͤber ihrer Andacht an. So bald ſie hoͤr - te, was man wollte, ſchmiß ſie dem Notarius mit dem Gebetbuche ein Loch in den Kopf, und zer - zauſte ihm die Peruͤcke. Dem Stockmeiſter kratzteR 4ſie264Geheime Nachrichtſie in Gottes Namen ein Auge aus, und einen Par - lamentsſchreiber, welcher von ihr ein wenig zu weit, und in der Thuͤre ſtund, uͤbergab ſie dem Teufel. Aber alles half nichts, ſie mußte fort, und was ihr ganz unbegreiflich vorkam, war dieſes, daß der Himmel nicht, ihr zu Ehren, mit Donner drein ſchlug. Jtzt ſitzt ſie, und betet, und ſingt, und hofft, durch ihre unermuͤdete Andacht es gewiß noch ſo weit zu bringen, daß den Herren des Parlaments die Zungen im Halſe verdorren ſollen; denn der Herr, ſpricht ſie, verlaͤßt die Seinen nicht. Drey Tage hinter einander haben die Nachbarn ihrer Gaſſe Freudenfeuer angezuͤndet, uud es iſt ſo lebhaft darin - nen, als ſonſt niemals. Der Preis der Miethen ſteigt; nur in ihrem Hauſe getraut ſich noch niemand zu wohnen.

So bald der muthige Knabe, Jacob Halley, Swifts Tod erfuhr, und hoͤrte, daß man ſein Teſta - ment oͤffnete: So meldete er ſich, und uͤbergab den verſiegelten Brief; in der gewiſſen Hoffnung, eine rei - che Belohnung ſeines Witzes zu erlangen. Man oͤffnete ihn in ſeiner Gegenwart, und fand folgendes darinnen:

Das Parlament wird von mir Endesunter - zeichneten erſucht, ſich der Perſon des Jacob Hal - ley, der ihnen dieſes Schreiben verſiegelt einhaͤndi - gen wird, zu verſichern. Man wird aus meinem Codicille geſehen haben, wie groß die Bosheit dieſes Juͤnglings ſchon itzt iſt, und ich uͤberlaſſe der265von Swifts letztem Willen. der weiſen Einſicht des Parlaments, zu urtheilen, wie ſchaͤdlich derſelbe kuͤnftig dem Vaterlande ſeyn koͤnnte, wenn er fortfahren ſollte, diejenigen fuͤr Narren zu halten, welche die Hochachtung des ganzen Landes verdienen. Es iſt zu befuͤrchten, daß er nimmermehr zu beſſern ſeyn werde, da er ſei - ne haͤmiſche Bosheit fuͤr Liebe zur Wahrheit, und ſeine ſchmaͤhſuͤchtige Wut fuͤr ſatyriſchen Witz haͤlt. Seine Raſerey, welche er bey ſeinen Aeltern und Vorgeſetzten anfaͤngt, wird bis an den Thron des Koͤnigs dringen, und eher nicht aufhoͤren, bis ſie das Heiligſte der Religion befleckt hat. Er iſt nicht wuͤrdig, in mein Tollhaus zu kommen. Jch ordne, daß man ihn in das allgemeine Zuchthaus zu denen Uebelthaͤtern bringe, welche mit ihm die Geißel verdient haben. Jch beſtimme hierzu zweyhundert Pfund, welche nach dem Tode dieſes Unſinnigen dem Zuchthauſe heimfallen ſollen. Jch verordne ſolches, kraft dieſes, als meinen letzten Willen.

Jonathan Swift.

Man las ihm dieſen Brief vor. Er erſtaunte, als wenn er aus den Wolken fiele. Er wollte ſeine guten Abſichten herausſtreichen; aber man ließ ihn nicht weiter reden, ſondern eilte mit ihm ins Zucht - haus. Jtzt ſchimpft er Tag und Nacht, und das Parlament iſt Willens, ihm einen Beißkorb machen zu laſſen.

R 5Bey -266Geheime Nachricht

Beynahe haͤtte ich vergeſſen, zu ſagen, daß man bereits drey Abkoͤmmlinge des Partridge ausfindig gemacht hat. Der eine iſt ein Barbier in der St. James Straße, bey welchen man ei - nen Stammbaum des Praͤtendenten mit politi - ſchen Anmerkungen, und einer Schutzſchrift fuͤr den Ritter St. George gefunden hat. Dieſe Schrift mag ziemlich gefaͤhrlich ſeyn, aber ſie iſt ſo verwirrt abgefaßt, daß man ſie nicht verſtehen kann. Der zweyte iſt ein caßirter Faͤhndrich, welcher in der Schlacht bey Fontenoy fuͤr gut befunden hat, ſei - ne Perſon in Begleitung zweener hollaͤndiſcher Of - ficiere gleich im Anfange des Treffens in Sicherheit zu bringen, und um deswillen vom Regiment gejagt worden iſt. Er hatte einen Plan von der Schlacht bey Dettingen bey ſich, worinnen er die Fehler ge - zeigt, die damals die alliirte Armee begangen, und dadurch verhindert haben ſollte, daß ſie nicht gera - des Wegs ſelbſt vor Verſailles ruͤcken, und ſolches uͤberrumpeln koͤnnen. Der dritte iſt ein Schuſter, welcher eine Prophezeihung verkauft, daß im Jahr 1746. das paͤbſtliche Reich untergehen, Ludwig der funfzehente von Huſaren gefangen, der Schach Nadyr in Paris einfallen, und das Leder ſo theu - er werden ſollte, als es ſeit der Koͤniginn Eliſabeth Zeiten nicht geweſen.

Mit Aufſuchung der Narrenrecruten wird es ſchon etwas mehr Muͤhe und Vorſicht koſten. Man haͤlt inzwiſchen dieſen Artikel des Codicills ſo geheim,als267von Swifts letztem Willen. als nur moͤglich iſt, und man hat auf die Narren ein wachſames Auge, damit keiner entwiſche. Wo man wegen Aehnlichkeit der Namen zweifelhaft iſt, da wer - den gewiſſe Aufſeher gehalten, welche auf ihre Hand - lungen Acht haben muͤſſen. Man kann noch bis die - ſe Stunde nicht erfahren, wer der Johann Gale iſt, und es ſteht ein Preis von zehen Pfund darauf, wer ihn entdeckt. Mit der Lady Flower hat es ſeine gute Richtigkeit. O-Saͤfety wird genau beobachtet. John Sun, der wider ſein Ver - muthen etwas vom Codicille erfahren, hat ſich ſelbſt angegeben, und bittet, ihn anzunehmen, da - mit er von ſeiner boͤſen und verſchwenderiſchen Frau wegkomme. Man unterſucht die Sache. Die Frau ſieht noch ganz reinlich aus; ſie hat ein paar große ſchwarze Augen, und die Meynungen der Richter ſind ſchon getheilt. Dem Gerichtsſchreiber hat bey dem letzten Verhoͤre ihr Buſen gefallen; man glaubt, der Mann werde Unrecht behalten. Sie war ſonſt ſeine Koͤchinn, und er heirathete ſie bloß we - gen ihres guten ehrlichen Gemuͤths. Es giebt in Dublin zween Caſpar Wickſtaffs. Man iſt lange zweifelhaft geweſen, welcher gemeynt ſey. Der eine wohnt bey Williams Caffeehauſe, der an - dre auf der Fleet-Straſſe. Man hat den erſten im Verdachte, weil er ſich gewiſſe Gratulanten haͤlt, die ihm viel gutes vorſagen, und alle Jahr ein paarmal wuͤnſchen muͤſſen, daß der Himmel dieſes theure Haupt noch lange Jahre hindurch bey ho - hem Wohlſeyn erhalten wolle. Die uͤbrigen Narrenſind268Geheime Nachrichtſind von keiner Wichtigkeit, ausgenommen ein paar Autores.

Das Parlament hat zu Erbauung eines Toll - hauſes einen ſchoͤnen Platz ausgeleſen, welcher un - weit des Hafens gelegen, und zeither der Tummel - platz unſrer jungen Herrchen und witzigen Stutzer ge - weſen iſt. Die Wahl iſt gut; denn auf ſolche Art bleibt dieſer Platz gewiſſermaaßen noch ferner, was er geweſen iſt. Fuͤr eine gewiſſe Art Reimer, die ſich unter einander geiſtvolle Poeten nennen, wird noch ein ſchmaler Gang am Hafen ledig und unbe - baut gelaſſen. Er ſoll aber mit einer Planke ver - wahrt werden, damit kein Ungluͤck geſchehe. Jch ſollte nicht meynen, daß es noͤthig ſey; denn, aus ih - ren Verſen zu urtheilen, ſcheint es eben nicht, daß ſie ſehr tiefſinnig ſeyn muͤſſen. Doch kann die Vor - ſicht nicht ſchaden.

Der Riß iſt ſchon zu dem Seitengebaͤude ge - macht, welches fuͤr die Deutſchen beſtimmt iſt. Um ſich bey dieſem Volke ein groͤßeres Vertrauen zu erwerben, hat man ihn von einem Franzoſen verfertigen laſſen, und die Auffuͤhrung des Baues ſoll auch an einen Franzoſen verdungen, kurz, alles franzoͤſiſch werden. Jch habe hier etliche Deutſche geſprochen, welche daruͤber ſehr vergnuͤgt ſind. Die Vorſorge des Parlaments geht noch weiter. Es iſt ein Project gemacht worden, wodurch man im Stande zu ſeyn hofft, eine große Anzahl dieſesVolks269von Swifts letztem Willen. Volks unterzubringen, und unterhalten zu koͤnnen. Man hat bereits bey einigen deutſchen Hoͤfen unter der Hand auszuwirken geſucht, daß ein jeder ihrer Unterthanen, beſonders derjenigen Gelehrten, wel - che das Anſehen haben wollen, weit kluͤger zu ſeyn, als andre, zehen und mehr Reichsthaler zu dieſer Stiftung beytragen, und dagegen eine Qvittung in Form eines Atteſtats bekommen ſoll, daß er ein großer, beruͤhmter, vernuͤnftiger, und gruͤndlich - gelehrter Mann ſey, und ſeinen Verſtand mit ſo und ſo viel Thalern geloͤſt habe. Die Na - men dieſer Subſcribenten ſollen gedruckt werden, und niemand ſoll alsdann, bey ſchwerer Strafe, befugt ſeyn, an ihrer Klugheit im geringſten zu zweifeln. Hierdurch hofft man erſtaunende Sum - men aufzubringen. Das Parlament ſieht es zwar zum voraus, daß die groͤßten Narren am meiſten dazu ſteuern werden, um recht klug zu ſcheinen. Aber es thut nichts. Es iſt doch we - nigſtens dazu gut, daß ſie auf ſolche Art ihre Collegen ernaͤhren helfen.

Man giebt ſich von Seiten Frankreichs viel Muͤhe, daß die daſigen Narren auch aufgenommen werden moͤchten, und der Herr von Hoey ſoll ein ſehr nachdruͤckliches Empfehlungsſchreiben heruͤber geſendet haben. Es iſt ihm aber rund abgeſchlagen worden. Und dieſes mit Rechte. Denn unſre Na - tion iſt durch gegenwaͤrtigen Krieg ziemlichermaaſ - ſen erſchoͤpft, und daher nicht im Stande, eineſo270Geheime Nachricht ꝛc. ſo ungeheure Menge franzoͤſiſcher Narren zu un - terhalten.

Jch habe die Ehre zu ſeyn, Mylord,Dublin am $$\frac{10}{21}$$ Maͤrz 1746. Dero gehorſamſter Diener, Richard D’Urfey. Eſq.

N. S.

Sie werden entſchuldigen, Mylord, daß ich Jhnen das Promemoria nicht mit beygelegt habe, wor - innen Swift diejenigen Deutſchen genennt, die er fuͤr wuͤrdig haͤlt, in ſein Tollhaus zu kommen. Es iſt etwas weitlaͤuftig, und das Packet moͤch - te gar zu ſtark werden.

[figure]
Nach -[271]

Nachricht von einem Schluͤſſel zu Swifts Codicille.

[272]273

Nachricht von einem Schluͤſſel zu Swifts Codicille. *Dieſe Nachricht iſt in den oͤffentlichen Zeitungen im Jahre 1746. eingeruͤckt geweſen.

Leipzig.

Bey Boetius Erben unterm Rathhauſe iſt zu haben: Schluͤſſel zu D. Jonathan Swifts Codicille; in Octav Bogen. Wir haben in einer Monatsſchrift vor einiger Zeit ein Schreiben eines Richard d Urfey Eſqv. an ei - nen Mylord erhalten, worinnen von D. Jonathan Swifts letztem Willen wegen Erbauung eines Toll - hauſes fuͤr moraliſche Narren umſtaͤndliche Nachricht gegeben, und zugleich Swifts Codicill eingeruͤckt worden iſt.

Der Verfaſſer des Schluͤſſels, welcher vermuth - lich nicht eher ruhig ſchlafen koͤnnen, bis er Bo - gen von ſich gegeben, macht ſich dieſe Muͤhe dadurch leicht, daß er uns einen Auszug vom Codicille lie - fert, welcher faſt einen Bogen einnimmt. Er re - det von der Satyre uͤberhaupt, und insbeſondere, und macht ein trocknes Gewaͤſche von dem, wozu man wirklich keinen Schluͤſſel braucht. Dieſes bahnt ihm ganz natuͤrlicher Weiſe einen naͤhern WegZweyter Theil. Szu274Nachricht von einem Schluͤſſelzu ſeinem Vorhaben. Er erzaͤhlt, daß man zeither in verſchiednen Geſellſchaften zweifelhaft geweſen, ob dieſes Codicill, und das ganze Schreiben des Eſqv. eine Ueberſetzung aus dem engliſchen, oder nicht vielmehr nur ein deutſches Original ſey?

Hierzu braucht er zwey Blaͤtter, ehe er die wich - tige Entdeckung macht, es ſey in der That nur ein deutſches Original.

Nunmehr hat er gewonnenes Spiel. Er fol - gert hieraus recht freudig, daß alle die Namen, wel - che im Codicille ſtehen, nur erdichtete Namen ſind. Dieſes hat ihn aufmerkſam, und argwoͤhniſch ge - macht. Er hat herumgeſonnen, wer unter dieſen erdichteten Namen verſteckt ſeyn muͤſſe? Und endlich hat er es gluͤcklich errathen.

Jhm haben wir es nunmehr zu danken, daß wir wiſſen, was fuͤr deutſche Ehrenaͤmter unter dem Namen der Lords verborgen liegen. Den Lord Pallbrow kennt er, und nennt uns ſo gar den Ritterſitz, auf dem Jhro Excellenz wohnen. Den jungen Rathsherrn Something, hat er gleich vom weiten am dicken aufgeblaͤhten Bauche erkannt. Er glaubt, er ſey nach dem Leben ge - troffen, und er laſſe mit ihm bey einem Schneider arbeiten. Der Biſchoff O-Carry ſey kein rech - ter Biſchoff, aber ſonſt bekannt genug. Was uns am bedenklichſten geſchienen hat, iſt die Ent - deckung von dem unſinnigen Dichter ThomasSwallow. 275zu Swifts Codicille. Swallow. Es ſteht im Codicille ausdruͤcklich, daß er noch nicht muͤndig ſey, und der Verfaſſer des Schluͤſſels nennt ihn doch Jhro Magnificenz. Wie wenig raͤumt ſich das zuſammen? Mit einem Worte; er hat alles auspunktirt, ſo gar, wer Johann Gale iſt, den er fuͤr einen Thorſchreiber haͤlt.

Wir laſſen alle dieſe Vermuthungen an ihren Ort geſtellt ſeyn, ſowohl als den Namen des Ver - faſſers dieſes Swiftiſchen Codicills, welcher uns ſehr umſtaͤndlich angezeigt, und ſo gar deſſen Amt, ſo er gegenwaͤrtig bekleidet, gemeldet wird.

Wir nehmen uns die Freyheit, nur etwas zu errinnern.

Es iſt eine Beleidigung fuͤr einen vernuͤnftigen Satyrenſchreiber, wenn man glaubt, daß die Namen, deren er ſich in ſeinen Charaktern bedient, nur auf gewiſſe einzelne Perſonen gehen muͤſſen. So enge Graͤnzen hat nur ein Pasqvill; eine Satyre iſt viel allgemeiner. Wenn ich den Herrn Something nenne, ſo meyne ich wohl zwanzig hochmuͤthige Narren auf einmal, und wir getrauen uns, zwi - ſchen Leipzig und Hamburg mehr, als ein Dutzend laͤcherliche Swallows, zu finden.

Noch eine groͤßere Beleidigung iſt dieſes, daß er den Namen des Verfaſſers vom Swiftiſchen Codicille nennt. Wir haben Urſachen, an der Richtigkeit dieſes Angebens ſehr zu zweifeln, undS 2waͤre276Nachricht von einem Schluͤſſel ꝛc. waͤre es auch richtig, ſo koͤnnen wir es mit keinem gelindern Namen, als mit dem Namen einer Un - hoͤflichkeit, belegen, daß er es wagt, einen Mann zu nennen, den vielleicht ſein Amt oder andre Urſachen bewegen, ſich noch zur Zeit verborgen zu halten.

Weil in dem Swiftiſchen Codicille, und beym Schluſſe des Briefs eines Promemoria gedacht wird, in welchem Swift diejenigen Deutſchen ge - nannt, welche in ſeinem Tollhauſe aufgenommen werden ſollen: So hat der Verfaſſer des Schluͤſſels ſolches auch zum Drucke befoͤrdert. Es iſt fuͤnf Bogen ſtark, ſehr enge gedruckt, und beſteht aus lauter Namen; im uͤbrigen iſt es auch bey Boetius Erben zu bekommen.

Nicolaus Stefgen in Augſpurg iſt itzt beſchaͤff - tigt, die in dieſem Promemoria benannten Candi - daten des Swiftiſchen Tollhauſes, wovon beynahe zwey Drittheile Gelehrte ſind, in Kupfer zu ſte - chen, wobey er bittet, daß diejenigen, ſo ſich in Alongenperucken zu ſehen wuͤnſchen, ſich binnen hier und Oſtern melden moͤchten.

Noch zur Zeit ſind wir nicht im Stande zu ur - theilen, ob dieſes Promemoria avthentiſch ſey? Ganz unwahrſcheinlich iſt es nicht, und wir finden eine ziemliche Menge Narren darunter, welche uns und der Welt dafuͤr bekannt ſind. Es ſtehen aber auch viele darinnen, die wir zum erſtenmale kennen lernen, und der Verfaſſer des Schluͤſſels hat ſich bey uns ſehr verdaͤchtig gemacht.

Recht -[277]

Rechtliches Jnformat uͤber die Frage: Ob ein Poet, als Poet, zur Kopfſteuer zu ziehen ſey? Bey der Magiſterpromotion eines Freundes im Jahr 1743. gefertigt.

S 3[278]279

Rechtliches Jnformat uͤber die Frage: Ob ein Poet zur Kopfſteuer zu ziehen?

Meinen freundlichen Dienſt zuvorn Ehrſamer, und Namhafter, Guͤnſtiger Herr und guter Freund.

Als derſelbe mir eine umſtaͤndliche Speciem facti, nebſt copeylich angefuͤgten Nachrichtungen, Diplomatibus, und andern dahin einſchlagenden Urkunden ſub . . = ||_. et Δ. zugeſchickt, und dabey ſeine billige Beſorgniß geaͤußert:

  • Ob ein Poet gleich andern vernuͤnftigen Creaturen mit Steuern beleget, zu deren Verrechtung im Weigerungsfalle durch nachgelaſſene Zwangs - mittel, angehalten, und alſo nach der Verfaſ - ſung hieſiger Lande, unter andern zun Kopfſteu - ern gezogen werden moͤge?

auch dießfalls meine Rechtsbelehrung daruͤber ge - beten.

Demnach erachte ich nach fleißiger Verleſung und Erwaͤgung in Rechten gegruͤndet, und zu erkennen ſeyn.

Daß ein Poet qua talis keinesweges mit Steuern zu belegen, noch der zeitherigen Verfaſſung entge -S 4gen,280Rechtliches Jnformatgen, zu Regiſter zu bringen, oder zu cataſtriren, am mindeſten aber mit Nachdrucke zu terminlicher Verrechtung der faͤlligen Kopfſteuer anzuhalten, oder ſonſt auf dergleichen Weiſe etwas zum Nachtheile der wohlhergebrachten Gerechtſamen zu verhaͤngen ſey. Von Rechtswegen. Urkundlich mit meinem Jnſiegel beſiegelt.

(L. S.) Cajus Javolenus J. V. D. Rationes decidendi in Sachen

Die Verſteuerung der Poeten, und, was dieſem allenthalben mehr anhaͤngig, be - treffend.

Ob es wohl das Anſehen gewinnen koͤnnte, daß ein Poet keinesweges berechtiget ſey, ſich der allgemei - nen Mitleidenheit zu entbrechen, da derſelbe mit den uͤbrigen Buͤrgern gleiche Vorzuͤge zu genießen, ſich anmaßet, und ſeine angebliche Befugniſſe zu be - haupten, bey keiner Gelegenheit entſtehet, einfolg - lich die Beſchwerungen von ſich auf andere zu waͤl - zen, unbillig ſcheint;

omnes enim perſonae, quibus lucrum per hunc or - dinem defertur, etiam gravamen, quod ab initio erat complexum, omni, modo ſentiant, ſive indando281ob ein Poet zur Kopfſt. zu ziehen? dando ſit conſtitutum, ſive in quibusdam fa - ciundis, vel in modo, vel conditionis implendae gratia vel alia quacunque via excogitatum. Neque enim ferendus eſt is, qui lucrum quidem ample - ctitur, onus autem ei annexum contemnit. l. vn. C. de Caducis tollendis §. pro ſecundo 4.

Dieſes auch, nach dem einhelligen Ausſpruche der alten und neuen Rechtsgelehrten, um ſo viel weni - ger bey den Poeten eine Ausnahme leidet, da wi - drigenfalls durch die eingeſtandene Befreyung die - ſelben nur deſto mehr in ihrer mythologiſchen Einbil - dung verſtaͤrkt, und mit der Obrigkeit eben ſo will - kuͤhrlich, als ſie mit ihren Goͤttern thun, zu ſchal - ten, veranlaſſet werden moͤchten;

ideoque illis, qui ſidera vertice tangunt, frena non relaxanda videntur, vid. Pacificus a Lapide, de nociferis reipublicae animalibus c. 4. §. 8. Godofr. ad h. l. Bellonius, de laudibus Alexandri Sauly VIII. 3. et aequum eſt, ut ille, qui immortalitatem anhe - lat, mortalitatis ſentiat incommoda, Petr. ab Vbaldis, de illo quod iuſtum eſt circa inſomnia IX. 3, Blaſius Michalorius de Utopia, per totum.

zu dem nicht unbillig zu befuͤrchten ſteht, daß durch dergeſtaltige Freyheiten noch mehrere angelocket werden, und zum merklichen Nachtheile Handels und Wandels ſich beyfallen laſſen moͤchten, ihre beſchwerliche Berufsarbeit zu verlaſſen, und darge -S 5gen282Rechtliches Jnformatgen in der muͤßigen Geſellſchaft der Muſen, oder in dem Schooße einer metaphyſikaliſchen Schoͤne auf Erſcheinungen und Reime zu warten, um deswil - len denn bey den Roͤmern die weiſe Verordnung geſchehen,

quod tolerandi quidem ſint Poëtae, neutiquam ta - men gaudeant nec vllo priuilegio, nec munerum vacatione, nec ab angariis ſeu parangariis ſint im - munes. Contius, in ſcholiis ad corpus iuris civilis, Charondas in πειϑανων. ſeu veriſimilum V. 3. §. 9. Kaevardus in protribunalibus I. 4.

Hiernaͤchſt die Ausflucht, daß ein Poet gemeinig - lich mehr Witz, als Geld, beſitze, folglich, Abgaben zu entrichten, nicht im Stande ſey, dadurch aus dem Wege geraͤumt werden koͤnnte, daß dickerwaͤhnte Poeten ordentlicher Weiſe die Gabe der Dreuſtig - keit beſitzen, und dasjenige, was ihnen fehlet, und ein anderer in Proſa zu verlangen, nicht Herz genug haben wuͤrde, dennoch in Verſen ganz artig, und deutlich zu fodern wiſſen,

id autem apud ſe quis habere videtur, de quo habet actionem. Habetur enim, quod peti poteſt. l. 143. ff de V. S.

ſolchergeſtalt auch einiger Abfall ihrer Nahrung nicht zu befuͤrchten iſt, ſo lange ihnen, wie ohnehin billig, nachgelaſſen bleibt, ſich an den Geburtstaͤgen und Hochzeitfeſten ihrer Maͤcenaten, uͤber deren hohes Wohlſeyn gegen die Gebuͤhr zu erfreuen,

genus283ob ein Poet zur Kopfſt. zu ziehen?

genus enim eſt donum Labeo a donando dictum, munus ſpecies: nam munus eſt donum cum cauſa, utpote natalitium, nuptalitium. l. 194. ff. de V. S. et quae ſunt reliqua Poetarum Βραβεια. Gloſſa ad hanc legem.

wie man denn die guten und austraͤglichen Umſtaͤnde der Poeten deutlich genug aus ihrer Verſchwendung abnehmen koͤnne, da ſie nicht, wie andere Geſchoͤpfe, mit ordentlicher Nahrung und Beduͤrfniſſen zufrie - den ſind, ſondern bis auf den Geringſten unter ihren Bruͤdern, Ambra und Zibeth eſſen, Nektar trinken, ihren Gebieterinnen, und waͤren es auch nur Kaͤm - mermaͤdchen, korallene Lippen, Zaͤhne von Elfen - bein, purpurne Wangen, Haare mit Perlen und Diamanten durchflochten, und tauſenderley Pracht zu verſchaffen wiſſen; uͤberhaupt aber jedermann ohne Ausnahme, ſo Werbung und Handthierung in ſaͤchſiſchen Landen treibt, und ſich darinnen ent - haͤlt, ſein Handelsgeld, Zins, und alles ſein wer - bend Gut und Vermoͤgen verſteuern ſoll.

C. A. P. I. p. 39. P. II. p. 1373. 1377. ſeqq.

und alſo unter dieſe allgemeine Verfaſſung die poeti - ſche Nahrung und Gewerbe nicht unbillig gezogen werden duͤrfte;

Sintemalen aber und nachdem die hoͤchſte Billigkeit erfodert, daß man zwiſchen ſterblichen Buͤrgern, und unſterblichen Dichtern, einen großen Unterſchied mache, und die, welche in gerader Linie vom Jupiter abſtammen, mit einigerley Abgaben nicht beſchwere,viel -284Rechtliches Jnformatvielmehr den proſaiſchen Layen eignen und gebuͤhren will, daß ſie die Prieſter des Apollo in Steuern und Gaben uͤbertragen, und diejenigen in dieſer ver - gaͤnglichen Zeitlichkeit frey halten, welche die Schluͤſſel zur Ewigkeit in ihren Haͤnden tragen, und bey denen es lediglich ſteht, ob uns die Nachwelt loben oder tadeln ſolle; anbey die eingeſtreute Beſorgniß wegen der ungezaͤumten Einbildung der Poeten ſo unnoͤthig, als unzulaͤnglich, und bloß ein gravamen de futuro iſt;

in dubio enim quilibet praeſumendus eſt bonus. Goveanus, in variis lectionibus.

eben ſo wenig auch zu befuͤrchten ſteht, daß durch Nachlaſſung dergeſtaltiger Freyheiten und Privile - gien andere zum Nachtheile des gemeinen Weſens angelocket werden moͤchten, ſich um den Lorbeer, und den Namen eines Poeten zu bemuͤhen, da es bey gegenwaͤrtigen betruͤbten Zeiten faſt das Anſe - hen gewinnt, daß man aus Eigenſinn von einem Dichter noch etwas mehr, als Reime und Sylben, fodern, und ihm ſo gar anſinnen will, vernuͤnftig zu denken, welches doch nicht jedermanns Werk iſt; am allerwenigſten aber die angezogenen roͤmiſchen Gebraͤuche hierinnen etwas beweiſen moͤgen, da auf eben ſolche Art behauptet werden koͤnnte, daß der ſo unentbehrliche methodus mathematica dem ge - meinen Weſen nachtheilig ſey;

Ars mathematica damnabilis et interdicta omnino. l. 2. C. de maleficis, mathematicis et caeteris ſimilibus. Godofr, et omnes Comment, ad hunc titulum.

anbey285ob ein Poet zur Kopfſt. zu ziehen?

anbey die geruͤhmte Moͤglichkeit eines reichen Poe - ten gemeiniglich nur unter die theoretiſchen Wahr - heiten gerechnet wird, welche wohl ſchwerlich prak - tiſch werden duͤrfte, ſo lange ihre Maͤcenaten dasje - nige bleiben, was ſie groͤßtentheils ſind;

et ea, quae raro accidunt, non temere in agendis negotiis computantur. l. 64. ff. de R. J.

die Verſchwendung hingegen, welche man quaͤſtio - nirten Poeten zur Laſt legen will, vielmehr zu Be - hauptung ihrer Steuerfreyheit gereichen muß, da, ohne einen ſo koſtbaren Aufwand, die wenigſten vermoͤgend ſeyn wuͤrden, denjenigen vorzuͤglichen Charakter zu behaupten, welcher ihnen allein an - ſtaͤndig iſt, und da es in der That einerley waͤre, ob man einem gemeinen Manne Feuer und Waſſer, oder einem Poeten Nektar und Ambra, unterſagen wollte; uͤberhaupt aber ein Poet, ſtatt der ange - ſonnenen Beſchwerung, vielmehr eine Steuerbegna - digung, gleich andern preßhaften Perſonen zu ver - dienen ſcheint, indem er bloß aus Liebe zu den ſchoͤ - nen Wiſſenſchaften, und aus Begierde, der Nach - welt zu gefallen, ſich oͤfters in ſo verwirrte Umſtaͤn - de ſetzt, daß er ſeiner ſelbſt nicht maͤchtig iſt, daß er Sterne beſchwoͤrt, Todte bannt, ganze Fluͤſſe mit ſeinen Thraͤnen aufſchwellt, Felſen betaͤubt, und den einſamen Waͤldern die Grauſamkeit einer Doris kla - get, eben ſo, wie jener tapfere Ritter von der trau - rigen Geſtalt, welcher ſich in dem ſchwarzen Ge - buͤrge die empfindlichſte Buße auflegte, um die Haͤr - tigkeit einer unempfindlichen Prinzeßin von Toboſozu286Rechtliches Jnformat ꝛc. zu erweichen; endlich aber und zuletzt, die Jmmuni - taͤt der Poeten um deſto billiger zu behaupten ſeyn will, ie weniger man Exempel beybringen wird, daß ſolche jemals zur Verſteuerung gezogen worden, und ie geneigter die Rechte ſind, uns bey der vorigen Freyheit zu erhalten;

Arrianus ait, multum intereſſe, quaeras, utrum ali - quis obligetur, an aliquis liberetur? Vbi de obli - gando quaeritur, propenſiores eſſe debere nos, ſi habeamus occaſionem, ad negandum. Ubi de liberando, ex diuerſo, ut facilior ſis ad liberatio - nem. l. 47. ff. de O. et A.

Als iſt, wie im Reſponſo enthalten, von mir billig erkannt.

Menſ. Febr. 1743.

Zwey Thlr. 18. Gr. ϑ.

  • Der Gluͤckwunſch folget kuͤnftig bey Abloͤſung die - ſes Jnformats.

Ende des zweyten Theils.

[figure]
Ver -287

Verzeichniß der Schriften, ſo in dieſem Theile enthalten ſind.

  • I.
  • Beweis, daß die Reime in der deutſchen Dichtkunſt unentbehrlich ſind; a. d. 3. S.
  • II.
  • Ein Traum von den Beſchaͤfftigungen der abgeſchiednen Seelen;a. d. 11. S.
  • III.
  • Woldemars von Tzſchaſchlau Abhandlung von Buchdruckerſtoͤcken;a. d. 75. S.
  • IV.
  • Hinkmars von Repkow Noten ohne Text;a. d. 109. S.
  • V.
  • Verſuch eines deutſchen Woͤrterbuchs; a. d. 171. S.
VI. Bey -288Verzeichniß der Schriften ꝛc.
  • VI.
  • Beytrag zum deutſchen Woͤrterbuche; a. d. 207. S.
  • VII.
  • Geheime Nachricht von D. Jonathan Swifts letztem Willen;a. d. 233. S.
  • VIII.
  • Nachricht von einem Schluͤſſel zu Swifts Codicille;a. d. 273. S.
  • IX.
  • Rechtliches Jnformat uͤber die Frage: Ob ein Poet, als Poet, zur Kopfſteuer zu ziehen ſey? a. d. 279. S.
[figure]
[289][290][291][292]

About this transcription

TextSammlung satyrischer Schriften
Author Gottlieb Wilhelm Rabener
Extent292 images; 56718 tokens; 9671 types; 396262 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationSammlung satyrischer Schriften Zweyter Theil Gottlieb Wilhelm Rabener. . 288 S. : Ill. (Kupferst.). DyckLeipzig1751.

Identification

HAB Wolfenbüttel HAB Wolfenbüttel, M: Lo 6227:1 (1.2)Dig: http://diglib.hab.de/drucke/lo-6227-1b-1s-2/start.htm

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Prosa; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:33:53Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryHAB Wolfenbüttel
ShelfmarkHAB Wolfenbüttel, M: Lo 6227:1 (1.2)
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.