PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Sammlung ſatyriſcher Schriften.
Zweyter Theil.
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Mit allergnaͤdigſten Privilegien.
Leipzig, Jm VerlageJohann Gottfried Dycks.1751.
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Beweis, daß die Reime in der deutſchen Dichtkunſt unentbehrlich ſind, bey einer gewiſſen Gelegenheit im Jahr 1737 verfertigt.

Nein! Laͤnger ſchweig ich nicht! Mein Zorn bricht endlich los.
Der Frevel wird zu kuͤhn, der Uebermuth zu groß,
Womit die blinde Welt der edeln Dichtkunſt ſpottet,
Jhr mit dem Falle droht, und ſich zuſammen rottet.
Drey ganzer Jahr hab ich geduldig zugeſehn,
Wie ihre Feinde ſich verſchwoͤren, ſie zu ſchmaͤhn,
Wie weit die Barbarey in ihrer Wut geſtiegen;
Und dennoch hab ich ſtets vor Furcht und Gram geſchwiegen.
A 2Vor4Die Unentbehrlichkeit der Reime
Vor dieſem, wenn Lucil von Verſen uͤbel ſprach,
So ſchlich ihm unvermerkt mein junger Satyr nach,
Und riß, durch Zorn beherzt, dem Spoͤtter der Gedichte,
Mit ungeſtrafter Hand die Larve vom Geſichte.
Das aber wagt ich nur, als ich ein Juͤngling war;
Mein reifender Verſtand bemerkte die Gefahr.
Mein ſcheuer Satyr ſah das klaͤgliche Geſchicke,
Das Vers und Wahrheit traf; beſtuͤrzt wich er zuruͤcke,
Warf ſeine Geißel hin, und fluchte ſeiner Kunſt.
Die Muſe winkte mir, und hielt mir ihre Gunſt,
Und mein Verſprechen vor; ſie drohte, mich zu haſſen,
Verhieß, und bat. Umſonſt! Jch ſchwur, ſie zu verlaſſen;
Jch ſchwur, und hielt es auch. Doch endlich ſiegt die Pflicht;
Jch breche meinen Schwur, und ſchweige laͤnger nicht.
Die groͤßten Flecken ſucht, durch freches Splitterrichten,
Der ſchoͤnſten Poeſie der Tadler anzudichten.
Will ein erhabner Geiſt, ein zweyter Lohenſtein,
Des Phoͤbus Hofpoet, und erſter Guͤnſtling ſeyn,
Und der geneunten Zahl, mit reingewaſchner Lippe,
Jm glaͤſerhellen Qvell des Pferdebrunns Enippe,
Der Andacht Weihrauch ſtreun; bricht ſein erhitzter Muth,
Beſchwaͤngert von der Kunſt, durch Flammen, Blitz und Glut;
Ruft er der Schwefelbrunſt der donnerharten Flammen,
Und ruft Megaͤrens Zunft, und ruft den Styr zuſammen;
Tanzt er auf Stelzen her, wenn er Gewitter waͤlzt,
Und eine Feuersbrunſt des Herzens Marmor ſchmelzt;
Laͤßt er rund um ſich her des Ungluͤcks Nordlicht glaͤnzen;
Lacht er in Gleichniſſen, ſeufzt Chrien, weint Sentenzen:
So koͤmmt ein Zoilus, und ruft: Der Dichter ſchwillt?
Sein ganzer Vers iſt Rauch, ſein Kopf mit Dunſt erfuͤllt.
Seht, wie er die Vernunft in Demantketten fuͤhret,
Jm Paroxysmus ſingt, und Oden phantaſieret.
Wenn5in der deutſchen Dichtkunſt.
Wenn unſer Seladon ſo ſuͤß, ſo lieblich, ſingt,
Und ſeiner Lalage Zimmt, Moſch und Bieſam bringt,
Chryſtall und Perlen weint, den Kiel in Nektar tauchet,
Zibeth und Calmus kaut, und Ambra von ſich hauchet,
Auf Nelken, Klee, Jeſimin und Anemonen geht,
Verzweifelt, wenn kein Weſt bey ſeiner Schoͤnen weht,
Beklagt, daß ſeine Pein kein Thau, kein Balſam lindert,
Die neue Welt erſchoͤpft, und die Levante pluͤndert,
Zu ſagen, daß ſein Kind vor andern ihn entzuͤckt,
Das ganze Firmament in ihrem Aug erblickt,
Und in ihr Angeſicht, das wie die Venus ſtralet,
Von Blumen aller Art ein ganzes Chaos malet:
Was meynt ihr? Was vergilt die Muͤh des Seladon,
Wenn er ſo koſtbar reimt? Was iſt ſein ganzer Lohn?
Man lachet uͤber ihn. Der Neid, ſtatt ihn zu preiſen,
Eilt gleich, ihm ſeinen Platz, im Tollhaus anzuweiſen.
Raͤcht, Muſen, euch und uns! Seht, wie die dreiſte Welt
Von Buͤrgern euers Reichs ein ſchnoͤdes Urtheil faͤllt!
Straft ſie Doch haltet noch mit euerm Zorn zuruͤcke!
Es giebt der Spoͤtter mehr! Kommt! Werfet eure Blicke
Auf jenen frechen Schwarm, der voller Tuͤcke ſchnaubt,
Euch nach dem Herzen greift, und Ruhm und Lorbeer raubt;
Ja gar, o Frevelthat! ja gar, ach, ſoll ichs ſagen!
Den Reim, den edlen Reim will aus den Verſen jagen.
Eilt, Muſen! Reißt den Blitz aus euers Vaters Hand!
Der Schwarm wird maͤchtig. Eilt, eh er uns uͤbermannt!
Und kommt, und kaͤmpft, und ſiegt, und ſchlagt die Feinde nieder,
Und ſchuͤtzt den werthen Reim, das Hauptwerk deutſcher Lieder!
Denkt, Freunde, die ihr noch die Muſen redlich liebt!
Jhr, denen bloß der Reim die ganze Groͤße giebt!
Die ihr durch ihn allein die Zierden Deutſchlands heißet,
Und euch vor Hunger ſchuͤtzt! Denkt, was man euch entreißet,A 3So6Die Unentbehrlichkeit der Reime
So bald man euch den Reim, den Witz der Verſe, nimmt!
Daß unſer großer Bav noch ſeine Saiten ſtimmt,
So manchen Namenstag in Demuth feſtlich feyert,
Und mit geſchickter Hand die Mahlzeit ſich erleyert;
Daß Maͤv, der unſre Stadt durch ſeinen Ruhm erhebt,
Er, ſeiner Bruͤder Schmuck, im Ueberfluſſe lebt:
Daß Clelia nicht ſtolz den Dorimen verachtet,
Und er nicht ganz umſonſt nach ihren Kuͤſſen ſchmachtet;
Daß Stentor ſich mit Luſt im Kupferſtich erblickt,
Und ſich die halbe Welt vor ſeinem Lorbeer buͤckt;
Daß itzt mein Pegaſus nicht darf ſo aͤngſtlich ſchaͤumen;
Dieß alles macht allein die Kunſt, geſchickt zu reimen.
Die Wahrheit ſchuͤtzt den Satz. Nehmt einen Todtenfluch,
Ein buntes Quodlibet, das ſchoͤnſte Liederbuch,
Das zierlichſte Sonnet, das laͤngſte Hochzeitcarmen;
Und ſtreicht die Reime weg. Was bleibt? Nicht ohn Erbarmen
Hoͤrt ihr, ſo lieblich es erſt in die Ohren fiel,
Nur Scherze ſonder Kraft, ein froſtigs Woͤrterſpiel,
Ein abgenutztes Nichts, das immer wiederkehret,
Und ein Geſchwaͤtz, das man beym Poͤbel beſſer hoͤret.
Bewundert ehrfurchtsvoll des Reimes Zauberkraft,
Der Buͤcher voller Schall aus einem Nichts erſchafft! Der Reim? Wie? Dieſer Zwang, der das Gedicht entſeelet?
So wirft ein Tadler ein. Der Henker, der uns quaͤlet,
Der Ordnung und Verſtand auf ſeine Folter ſtreckt,
Die Woͤrter radebrecht, dem Dichter Angſt erweckt,
Selbſt den geduldigſten der Leſer oft ermuͤdet,
Der Wahrheit und Natur in ſchwere Feſſeln ſchmiedet,
Das Feuer Frevler, ſchweig! Des Zwanges Muͤhſamkeit
Bringt gegen ihn dich auf, und was du ſprichſt, iſt Neid.
Wie ſollte wohl der Reim Verſtand und Ordnung hindern,
Der Wahrheit Abbruch thun, und Geiſt und Feuer mindern?
Geh! Zaͤhle ſelber nach! Sieh, viele reimen nicht,
Von denen alle Welt aus einem Munde ſpricht,Daß7in der deutſchen Dichtkunſt.
Daß ſie den groͤßten Schmuck aus alten Dichtern ſtehlen,
Daß ihnen Feuer, Geiſt, Verſtand und Ordnung fehlen;
Sie reimen gleichwohl nicht. Daß zwar ſo mancher ſitzt,
Und voll Verzweifelung bey ſeinem Huͤbner ſchwitzt,
Ein Dutzend Federn kaut, die Haͤnde klaͤglich ringet,
Und doch, nach langer Qvaal, kein gluͤcklichs Wort erzwinget,
Das hinten reimen muß; das alles glaub ich dir,
Das alles geb ich zu. Jch ſeh es wohl an mir.
Was iſt es aber mehr? Ein inniges Ergetzen,
Wenn man den Reim erhaſcht, weis alles zu erſetzen.
Wie oft, wie gluͤcklich zerrt des Reims geheime Macht
Den ſchoͤnſten Einfall her, an den man nie gedacht.
Geſetzt, es ſchloͤße ſich der erſte Vers mit Wonne!
So faͤllt ein kluger Kopf gleich auf die liebe Sonne.
Er denket weiter nach; er folgt der edeln Spur,
Beſchreibt den ganzen Bau der wirkenden Natur,
Erwiſcht den großen Baͤr, beſinnt ſich auf Calliſten,
Verflucht die Eiferſucht, beſeufzet, daß die Chriſten, (Gleich brachte mich der Reim auf unſer Chriſtenthum,)
Beſeufzet, daß die Welt ſo wenig nach dem Ruhm
Vergnuͤgter Ehe ſtrebt, und ſaget uns zur Lehre,
Daß ſich ein Maͤdchen leicht in einen Baͤr verkehre.
Jhr Feinde dieſer Kunſt, geſteht es, daß ihr irrt!
Hoͤrt ſelbſt, wie ſchlecht ein Vers dem Ohre ſchmeicheln wird,
Dem es an Reimen fehlt! Wagt es, bloß zu ſcandiren!
Verſuchts! Wen werdet ihr durch euer Lied wohl ruͤhren. Tartuͤff, der alte Schalk betruͤgt die ganze Welt;
Sevil iſt luͤderlich; Criſpin ein dummer Kerl;
Stax macht gelehrten Wind; Neran verdreht die Rechte.
Florinde lebt verhurt; und Harpax iſt ein Knicker;
Clitander Doch genug! Jhr gaͤhnt und ſchlummert ein?
Jch ſchlummre ſelber mit. Was koͤnnte trockner ſeyn?
Ein angehaͤngter Reim kann alle Schaͤden heilen.
Verſucht es nur einmal! Veraͤndert dieſe Zeilen,A 4Und8Die Unentbehrlichkeit der Reime.
Und ſprecht: Tartuͤffe bleibt ganz unverbeſſerlich;
Sevil lebt mit der Welt; Crispinus lebt vor ſich;
Stax iſt ein weiſer Mann; Neran ein Advocate;
Florindchen lebt galant, und Harpax baͤlt zu Rathe.
Sagt ſelbſt; nimmt dieß das Ohr nicht ſchmeichelhafter ein?
Man liest, man lobet euch. Geſteht es, daß allein
Der Reim den Dichter macht! Fangt an, euch zu bekehren!
Verſoͤhnt der Muſen Zorn, und lernt den Reim verehren!
Es lebe, was ſich reimt! Schon ſtimmt mir Deutſchland bey,
Daß ein geſchickter Reim der Dichtkunſt Kleinod ſey.
Jch kann zu meinem Ruhm die Schutzſchrift nun vollenden;
Denn, wem die Wahrheit hilft, der hat den Sieg in Haͤnden.
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Ein[9]

Ein Traum von den Veſchaͤfftigungen der abgeſchiednen Seelen.

Locus eſt et pluribus vmbris.

A 5[10]11

Die Seelen beſchaͤfftigen ſich nach der Trennung von ihren Koͤrpern am liebſten mit denen Sachen, an welchen ſie im Leben auf dieſer Welt ihr groͤßtes Vergnuͤgen gefunden haben. Dieſer philoſophiſche Lehrſatz, welcher noch etwas aͤlter iſt, als ich und Leibnitz, faͤngt wieder von neuem an, Mode zu werden; und weil ich eine ziemlich dauerhafte Natur habe, ſo hoffe ich, es noch zu erleben, daß er die beſte Welt, und den zureichen - den Grund verdraͤngen ſoll. Nur will ich wuͤn - ſchen, daß es nicht dem Grunde des Widerfpruchs eben ſo gehen moͤge. Denn wenn dieſe drey Stuͤ - cke alle auf einmal abkommen ſollten; So duͤrften unſre philoſophiſchen Stutzer in dreyßig Jahren eine ſehr altvaͤteriſche Miene machen, und ihre tief - ſinnigſten Schriften, welche ſie und ihre Verleger itzt bewundern, eben dem Schickſale unterworfen ſeyn, welches diejenigen Familiengemaͤlde betrifft, die man, wenn es hoch koͤmmt, bloß der alten Tracht wegen als eine Raritaͤt noch auf hebt, gemeiniglich aber in die dunkelſten Winkel des Hauſes ſtellt, um niemanden zu aͤrgern. Dem ſey, wie ihm wolle; eine jede Sache iſt der Mode unterworfen, und die Philoſophie am meiſten*Der geneigte Leſer wird dieſes mit mehrerm ausgefuͤhrt finden, in meiner Vorrede zur neuen Auflage des vermehr - ten und verbeſſerten Bruckers, welche kuͤnftige Meſſe zu Coͤlln ans Licht treten ſoll, und worinnen ich unter andern durch Zeugen und Documente bewieſen habe, daß der. Wenigſtens ich werdemich12Ein Traummich uͤber den Verluſt dieſer drey philoſophiſchen Univerſalrecepte troͤſten laſſen, wenn ich nur erfah - re, daß meine abgeſchiednen Seelen ihren Werth behalten. An der Betrachtung dieſes Grundſatzes finde ich mehr Vergnuͤgen, als an allen elektriſchen Experimenten. Jch habe demſelben oftmals viele Stunden lang nachgedacht, und allemal bin ich dar - uͤber in eine ſolche Entzuͤckung gerathen, in welcher kaum ein Poet ſeyn kann, der im Namen eines An - dern fuͤr Geld und gute Worte die Augen einer Phyllis beſingt.

Eben dieſes iſt Urſache, daß ich heute meinen Leſern einen Traum von den Beſchaͤfftigungen der abgeſchiednen Seelen nach der Trennung von ihren Koͤrpern vorlege. Jm voraus aber muß ich eines und das andre erinnern, welches die Einrichtung meines Traums, und verſchiedne Frey - heiten betrifft, ſo ich mir darinnen genommen habe.

Jch will es niemanden im Ernſte zumuthen, daß er glauben ſolle, ich habe wirklich alſo getraͤu - met, ungeachtet es eben nicht unwahrſcheinlich iſt. Jch kann es zwar nicht laͤugnen, der Traum iſt ziemlich lang gerathen; aber in der Stadt, wo ich mich aufhalte, ſchlafen die Leute viel laͤnger, als an andern Orten, und alſo traͤumen ſie auch laͤnger. Wer wollte mir es wehren, wenn ich ihn in Archan - gel getraͤumt haͤtte, wo man zu gewiſſen Zeiten lau -ter*Ruhm des leibhaften Newtons unſers Vaterlandes, des philoſophiſchen Herrn Wrydens, die großen Manſchetten nicht uͤberleben werde.13von den abgeſchiednen Seelen. ter Nacht, und faſt gar keinen Tag hat? Allein, ich habe nicht Urſache, ſo viel Umſtaͤnde zu machen. Jch will es nur frey bekennen, ich habe getraͤumt, damit ich ſchreiben wollte. Dieſes kann genug ſeyn, mein Verfahren zu rechtfertigen, und wer mehr Beweis fodert, der muß von dem gelehrten Herkommen gar nichts verſtehen. Ohne Ruhm zu melden, weis ich alles, was zu einem orthodoxen Traume gehoͤrt. Man denkt nach; man ſchlaͤft uͤber dieſem Nachdenken unvermerkt ein; man ſagt im Traume etwas, das man vielmals nicht ſagen wuͤrde, wenn man wachend, und ſeiner Sinne maͤch - tig waͤre; man erwacht unvermuthet. Kein einzi - ges von dieſen Stuͤcken habe ich in meinem Traume ſo beobachtet, wie es nach den Regeln eigentlich haͤtte ſeyn ſollen. Jch habe nicht nachgedacht, denn ich bin ein Autor nach der neueſten Mode; ich bin nicht unvermerkt daruͤber eingeſchlafen; und was meinen Leſern etwan wiederfahren ſollte, dafuͤr kann ich nichts. Jch habe von allem dem, was hier ſteht, nicht ein Wort im Traume gehoͤrt und gere - det; ja, da ich ein Advocat bin, ſo kann ich bey mei - nem zarten Gewiſſen bezeugen, daß mich dieſer Traum um manche Stunde Schlaf gebracht hat. Jch bin nicht unvermerkt aufgewacht; dieſes braucht keines Beweiſes, man darf nur bis zum Ende leſen. Mit einem Worte; alles dieſes wird man in gegen - waͤrtiger Schrift nicht finden, und dennoch muß ſie, trotz allen Kunſtrichtern, ein Traum ſeyn, eben ſo gut, als Herrn Zſchepens Traͤume, nach ſeiner Mey - nung, mathematiſche Beweiſe ſeyn ſollen.

Von14Ein Traum

Von den Freyheiten muß ich noch etwas ſagen, welche ich mir in meinem Traume genommen habe. Jch habe meine abgeſchiednen Seelen niemals ohne Kleider, und dergleichen Geraͤthe, erſcheinen laſſen. Jch kann eben nicht ſagen, daß dieſes aus einer be - ſondern Schamhaftigkeit geſchehen waͤre, und ich muß zur Beruhigung unſrer jungen Herren und ei - niger meiner Leſerinnen hier anmerken, daß meine Frauenzimmerſeelen keine Halstuͤcher, ſondern wenn es hochkoͤmmt, nur fluͤchtige Palatine tragen. Jch habe wichtige Urſachen, warum ich will, daß meine Seelen auch noch im Tode ihre Kleidung bey - behalten ſollen. Wie viele derſelben wuͤrde ich nicht ungluͤcklich machen, wenn ich ihnen ihre praͤch - tigen Kleider naͤhme! Und waͤre ich ſo unbarmher - zig, einigen ihre reichen Weſten zu rauben, wie viel hochwohlgebohrne Seelen wuͤrde ich nicht unter den Poͤbel verſtoßen, welche doch in ihrem Leben zum unſterblichen Ruhme ihres Vaterlandes und ihrer Ahnen beym pyrmontiſchen Brunnen geſchimmert haben. Das iſt noch lange nicht genug. Wenn ich meiner Nachbarinn, dem witzigſten Frauenzim - mer unſrer Gaſſe, ihre Baͤnder, Spitzen, Schmink - fleckchen, und andre weſentliche Stuͤcke ihres Ver - ſtandes contreband gemacht haͤtte; was wuͤrde ſie in dieſer philoſophiſchen Ewigkeit fuͤr lange Weile haben! Celinde wuͤrde einen noch einmal ſo ſchwe - ren Todeskampf ausſtehen, wenn ſie befuͤrchten muͤßte, daß ſie in jenem Leben ohne Reifrock und Faͤcher erſcheinen ſollte. Wie klaͤglich wuͤrde es um die Seelen unſrer galanten Stutzer ſtehen, wenn ichihnen15von den abgeſchiednen Seelen. ihnen nicht erlauben wollte, Fernglaͤſer zu brauchen, oder wenn ich ſo pedantiſch waͤre, und ihnen ver - wehrte, zu traͤllern, und zu pfeifen! Nein, das ſey fern! Sie ſollen traͤllern! Sie ſollen pfeifen! und Celinde kann freudig ſterben, ſo bald es ihr gefaͤllt, denn ſie ſoll auch ihren Mops mit nehmen!

Nunmehr waͤre der erſte Zweifel gruͤndlich und muthig aus dem Wege geraͤumt, und es fehlt dieſer Erlaͤuterung nichts weiter, als daß ich entweder ſchimpfe, oder vier beruͤhmte Buchſtaben dazu ſetze, durch deren magiſche Kraft man aus nichts et - was machen kann; ſo muͤßte ſie auch fuͤr einen ge - lehrten Beweis gelten. Es wird mich bey weitem ſo viel Muͤhe nicht koſten, die andern Freyheiten zu entſchuldigen, welche ich mir genommen habe. Jch habe es gewagt, die Seelen einiger Auslaͤnder in un - ſre Gegend zu bannen. Jch habe Grund dazu. Wenn es wahr iſt, daß die Seelen nach ihrem Ab - ſchiede aus dieſem Leben, dasjenige am liebſten thun, womit ſie ſich in der Welt am meiſten beſchaͤfftigt haben: So muß folgen, daß die deutſchen Seelen in fremde Laͤnder, und fremde Seelen in unſer Land kommen. Unſer gelehrter Herr Profeſſor Quin - tus Calpurnius, deſſen gruͤndliche Noten und edirte Schriftſteller ihn wenigſtens auf drey Jahre verewigt haben, wallt zwar dem Leibe nach unter uns deutſchem Poͤbel, aber man merkt es ihm an den Augen, an ſeinen Geſpraͤchen, und an ſeiner ganzen Auffuͤhrung an, daß ſeine Seele weit von hier iſt; und ich muͤßte mich ſehr irren, wenn ſie nicht ſo gleich nach ihrer Aufloͤſung vom Koͤrper unter diever -16Ein Traumverfallnen Gemaͤuer des alten Latiens ſich verkrie - chen, oder vielleicht gar in dem gelehrten Schutte Griechenlands wuͤhlen ſollte, um ihren edeln Hun - ger nach Antiquitaͤten zu ſtillen. Die Seele des kleinen Junkers mit rothen Abſaͤtzen, welcher dort am Markte wohnt, wird man gewiß nirgends an - ders antreffen, als in den Thuillerien zu Paris; es muͤßte denn ſeyn, daß ihn der Wohlſtand noͤthig - te, nach Verſailles zu eilen, um den Koͤnige fruͤh - morgens beym Aufſtehen das Hemde zu reichen; denn eben dieſes iſt dasjenige, was er ſich itzt am meiſten wuͤnſcht, und wozu er nach dem Urtheile der vernuͤnftigſten Leute ſich am beſten ſchickt. Soll - ten alſo die Seelen der Auslaͤnder bey uns nicht eben ſo wohl etwas finden, welches ſie neugierig machte, hierher zu kommen? Jch zweifle gar nicht dran. Burmanns Seele, die Seele des Bentley, die ver - ketzernde Seele des Jurieu werden in Deutſchland an mehr als einem Orte die angenehmſte Beſchaͤff - tigung und hundert theure Mitglieder der gelehrten Welt finden, welche ihnen den Rang ſtreitig zu ma - chen ſcheinen. Vielleicht iſt Addiſon mehr als ein - mal auf meiner Studierſtube geweſen, um zu ſehen, wie ſich ein Deutſcher geberdet, wenn er ein Chro - noſtichon macht. Sollte es wohl mit den abge - ſchiednen Seelen der Franzoſen anders beſchaffen ſeyn? Sie moͤgen uns gleich hundertmal Verſtand und Witz abſprechen; darinnen ſind ſie doch einig, daß unſer Brod nahrhaft iſt, und ie mehr ſie auf uns laͤſtern, deſto dienſtfertiger ſind wir, ſie zu er - naͤhren, ſo, wie ein Papagoy bloß dadurch dasFutter17von den abgeſchiednen Seelen. Futter verdient, daß er ſeinen Herrn einen Hahnrey, und die gnaͤdige Frau eine Hure heißt. Was iſt wohl natuͤrlicher, als daß ſie auch nach ihrem Ab - ſterben in dasjenige Land kommen, wo keiner ein Narr iſt, der franzoͤſiſch reden kann. Vielleicht flat - tert itzt, indem ich dieſes ſchreibe, mancher hungrige Marqvis uͤber unſrer Stadt, und ſchimpft uns, da - mit er eine Ritterzehrung erhalten moͤge. Denn ſo vernuͤnftig und beſcheiden ſind ſie nicht alle, wie der Marquis d Argens.

Dieſer Vorbericht war noͤthig. Jch komme nunmehr zum Hauptwerke.

Mir traͤumte, ich ſey geſtorben. Jch ſahe den Koͤrper, von dem ſich meine Seele getrennt hatte, auf dem Bette mit eben der Gleichguͤltigkeit liegen, mit welcher man eine abgelegte Redutenmaske, oder Koch ſeine theatraliſche Kleidung anſieht, in welcher er nach Gelegenheit entweder als Prinz be - fohlen, oder als Kammerdiener Befehle angenom - men hat. Jch werde nicht gern ſehen, wenn mir jemand hierinnen widerſprechen, oder mich gleich anfangs in meiner Abhandlung ſtoͤren, und laͤugnen wollte, daß eine Seele ihren Koͤrper ſo gleichguͤltig anſehen koͤnnte. Bey mir iſt dieſes gar nicht un - wahrſcheinlich. Jch bin in einer kleinen Stadt ge - boren und erzogen, in welcher kein junger Herr war, als des Amtmanns Sohn, und der Stadt - ſchreiber. Jch habe um deswillen niemals Exem - pel genug gehabt, welche meine Seele verleitet haͤt - ten, ſich mit ihrem Koͤrper am meiſten zu beſchaͤffti - gen: zu geſchweigen, daß mein Koͤrper eben nicht ſoZweyter Theil. Bgebaut18Ein Traumgebaut geweſen, daß er mich in dieſem Stuͤcke zu einer merklichen Eigenliebe, oder zu beſonders ſorgfaͤl - tigen Beſchaͤfftigungen bewogen haͤtte. Jch berufe mich hierinnen auf den guten Geſchmack meiner ver - ſtorbnen Frau, welche in ihrem Leben viel Koͤrper gekannt hat, in deren Umgange ſie weit mehr an - nehmliches und artiges zu finden vermeynte, als bey mir. Jch verlange alſo, daß man wenigſtens meiner Frau glaube, wenn auch mein Zeugniß ver - daͤchtig ſeyn ſollte. Jn Sachen, welche die Koͤr - per und Menſchengeſichter angehen, kann man dem Ausſpruche ſolcher Frauenzimmer, wie mein liebes Weib war, ſicher trauen; in andern Dingen hingegen, welche den Verſtand betreffen, bin ich gar wohl zufrieden, daß man gruͤndliche Beweiſe fo - dere. Dieſe kleine Ausſchweifung iſt um ſo viel noͤthiger geweſen, je mehr einem Geſchichtſchreiber daran liegt, daß man gegen ſeine Erzaͤhlungen nicht mistrauiſch ſey, oder ſeine Nachrichten fuͤr verdaͤch - tig halte. Jch erwarte alſo von meinen Leſern ohne weitere Complimente, daß ſie in dieſe Gleichguͤltig - keit meiner Seele gegen ihren Koͤrper weiter keinen Zweifel ſetzen. Der einzigen Chloris will ich nicht zumuthen, ſolches zu glauben; denn dieſe beſchaͤfftigt ſich mit nichts, als mit ihrem Geſichte, und einigen ſeufzenden Schaͤfern, denen nichts, als ihr Koͤrper, und ſehr wenig von der Seele bekannt iſt, es muͤß - ten denn eine zaͤrtliche Seele, eine holde Seele, ei - ne grauſame Seele, eine verzweifelnde Seele, oder andre dergleichen Seelen ſeyn, welche die arkadi - ſchen Dichter mit verliebten Haͤnden alle Stundenſchaffen19von den abgeſchiednen Seelen. ſchaffen und wieder zernichten koͤnnen. Chloris mag es alſo immer nicht glauben; ich bin es zufrie - den. Sie ſoll mir es aber auch nicht verwehren, zu behaupten, daß ihre Seele nach dem Tode beſtaͤn - dig um ihren Nachttiſch vor ihrem Spiegel, und um ihren Koͤrper herumflattern, und vielleicht ſelbſt be - ſchaͤfftigt ſeyn wird, dieſen noch im Sarge zu putzen. Jch komme wieder auf mich.

Sobald ich meinen erblaßten Koͤrper vor mir ſahe, ſo eilte ich zu meinem Schreibepulte. Das habe ich gedacht, wird die erbitterte Chloris aus Rachbegierde rufen, das habe ich gleich ge - dacht! Die muͤrriſchen Gelehrten werfen uns be - ſtaͤndig den Nachttiſch vor, und vielmals begehen ſie doch vor ihrem Schreibepulte eben diejenigen Schwachheiten, welche man an uns vor unſerm Nachttiſche kaum warnehmen wird. Mit ihrer Fe - der und Dinte treiben ſie mehr Eitelkeiten, als wir mit unſrer Schminke und mit dem Brenneiſen. Jn ihren Schriften bewundern ſie vielmals ihre praͤchti - ge Groͤße und gelehrte Schoͤnheit mehr, und doch mit wenigerer Gewißheit, als wir uns in Spiegeln. Jhre Eigenliebe, ihr Stolz, ihre Begierde, andern zu ge - fallen, ihre Eiferſucht Es iſt alles wahr, Chloris, aber itzt will ich weiter erzaͤhlen! Auf meinem Pulte lag der Entwurf zu einer Schrift, welche ich noch den Abend vorher zu Papiere ge - bracht hatte. Jch wollte mich mit aller der Hitze, welche mir und vielen Gelehrten ſo natuͤrlich iſt, der Feder bemaͤchtigen, um zum Troſte meiner kritiſchen Mitbruͤder dieſe wichtige Schrift zu Stan -B 2de20Ein Traumde zu bringen. Allein, wie groß war nicht mein Entſetzen, da meine abgeſchiedne Seele, als ein Geiſt, nicht vermoͤgend war, die Feder aufzuheben, noch weniger aber, zu ſchreiben! Jch bin nicht im Stan - de, das Schrecken auszudruͤcken, welches mich des - wegen uͤberfiel, und dergleichen Angſt empfindet wohl niemand, als ein Poet, welcher einen Reim ſucht, und ihn nicht erhaſchen kann. Siebenmal, und noch ſiebenmal bemuͤhte ich mich zu ſchreiben, aber allemal umſonſt. Jch wollte ein gewiſſes Regiſter aufſchlagen, welches mir ſo oft in meinen gelehrten Wehen geholfen hatte, aber auch dieſes zu thun war ich nicht im Stande. Jch ſchlug die Haͤnde uͤber dem Kopfe zuſammen, und bedauerte wegen dieſes unerſetzlichen Verluſts meiner entworf - nen Schrift den Verleger, mein Vaterland, die Nachwelt; ja ich wuͤrde ſagen, daß ich mich ſelbſt bedauert haͤtte, wenn es unter uns Gelehrten ein - gefuͤhrt waͤre, in dieſem Punkte ſo offenherzig zu ſeyn. Genug, ich ſahe, daß es mit meiner ganzen Gelehrſamkeit aus war, weil ich nicht mehr ſchrei - ben konnte. Das einzige, was ich zu meiner Beru - higung that, war dieſes, daß ich zum Buͤcherſchranke eilte, und mit einer recht vaͤterlichen Zaͤrtlichkeit alle diejenigen Buͤcher uͤberſahe, welche durch meine un - ermuͤdeten Haͤnde ihr Daſeyn erhalten hatten. Hier ſtund ich ſo vergnuͤgt, und entzuͤckt, wie Ael - tern, welche zwar ſelbſt keine Kinder mehr zeugen koͤnnen, aber doch an denen, welche ſie bereits ans Licht der Welt gebracht haben, aus ſchmeichle - riſcher Eigenliebe ſo viel Verſtand, und Geſchicklich -keit21von den abgeſchiednen Seelen. keit bewundern, als außer ihnen ſonſt niemand wahr - nehmen kann.

Vielleicht wuͤrde ich in dieſer Stellung noch lange geblieben ſeyn, wenn ich nicht im Traume das freudige Schrecken wahrgenommen haͤtte, wel - ches meine ungeduldigen Erben uͤberfiel. Sie eilten ſo hungrig zu meinem Bette, als wenn ein Raub auszutheilen waͤre. Jſt er todt? Jſt er auch gewiß todt? ſchrien ſie. Ja! Endlich einmal iſt er im Ernſte todt! Geſchwinde ſchickt nach dem Sarge, daß wir ihn unter die Erde bringen! ant - wortete ein Vetter von mir, und eine Muhme, wel - che durch mein Abſterben alle diejenigen Tugenden zu erben hoffte, welche gewiſſe gruͤndliche Liebhaber bey ihr zeither vergebens geſucht, und ihr um des - willen die Freyheit zu ihrem großen Verdruſſe nicht geraubt hatten; dieſe Muhme vergoß viel Thraͤnen, und wuͤrde mich, wegen ihrer unvermutheten Be - kuͤmmerniß in großer Ungewißheit gelaſſen haben, wenn ſie nicht alsbald, unter herzlicher Aufhebung ihrer Haͤnde, mit lauter Stimme geſeufzet haͤtte: Der ehrliche Vetter! Troͤſte ihn Gott! Es iſt ihm recht wohl! Wir wollen ihm ſeine Ruhe goͤnnen! Dieſes war die Loſung zum Pluͤndern. Den erſten Sturm hatte meine Geldeaſſe auszuſtehen. Mei - nen Kleidern und meinem Geraͤthe gieng es eben ſo. Sie thaten alles in eine Kammer, welche ſie, wie ich hoͤrte, wollten verſiegeln laſſen, und zwar von einem gewiſſen Manne, deſſen Name mir entfallen iſt, wel - cher aber ein ehrlicher und glaubwuͤrdiger Mann ſeyn ſollte, weil er ein großes Petſchaft und zween Zeu -B 3gen22Ein Traumgen hatte. Bis hieher hatte ich meinen Erben ganz gelaſſen zugeſehen; Als ich aber merkte, daß es uͤber meine Papiere hergehen ſollte, ſo fieng ich an, zu zittern. Alles ward aufs ſorgfaͤltigſte durchgeſucht. Gegen alle Briefe, in denen die Worte ſtunden: Leiſte gute Zah - lung, und nehme Gott zu Huͤlfe! hatten ſie eine ſo andaͤchtige Ehrfurcht, daß ſie dieſelben ſorgfaͤltig auf - hoben; aber uͤber ein paar Laus Deo ſchuͤttelten ſie die Koͤpfe gewaltig, denn dergleichen Latein konnten ſie gar nicht leiden. Endlich traf die Reihe meine gelehr - ten Concepte, welches mich recht wuͤtend machte. Jch eilte voll Verzweiflung hinzu, ſie zu vertheidigen; vielleicht aber wuͤrde ich dennoch zu unvermoͤgend geweſen ſeyn, wenn nicht meiner Schweſter Sohn, ein Meiſter von ſieben freyen Kuͤnſten, wider ſeinen Wil - len mir beygeſtanden, und das ganze Packet unter den Tiſch geworfen haͤtte, mit der Verſicherung: Es ſey nur Maculatur. Der Jgnorant! Als meine Erben noch mit dieſer Hausſuchung beſchaͤfftigt wa - ren, merkte ich einen Haufen Bediente, welche im Namen ihrer Herrſchaft ein gewiſſes Compliment herſagen mußten, daß ſie das herzliche Beyleid nannten. Die Bekuͤmmerniß uͤber meinen Tod mochte in der ganzen Stadt gleich ſtark, und all - gemein ſeyn, denn ihre Formulare endigten ſich alle mit den Worten: Daß der Himmel den betruͤb - ten Hinterlaßnen dieſen empfindlichen Verluſt durch anderweitige Gluͤcksfaͤlle reichlich erſetzen moͤchte! Allein der kraͤftigſte Troſt lag ſchon in der Kammer, und meine Muhme war ſo boshaft, einer gewiſſen Nachbarinn, welche ihr den Sohn eines reichenKauf -23von den abgeſchiednen Seelen. Kaufmanns abſpaͤnſtig gemacht hatte, anwuͤnſchen zu laſſen, daß der Himmel dieſelbe vor dergleichen Trauerfaͤllen jederzeit bewahren ſollte.

Nunmehr ward alles zu meiner Beerdigung ver - anſtaltet, man eilte damit ganz ungewoͤhnlich, und, ſo bald der Schneider alles gekauft und zurechte ge - macht hatte, was zu einer ſchmerzlich gebeugten Miene gehoͤrt; ſo gab man Geld uͤber Geld, mich aus dem Hauſe zu bringen. Dieſes geſchahe endlich unter einer anſehnlichen Begleitung. Man brachte meinen Koͤrper in die Kirche, mit Beobachtung al - ler derer klaͤglichen Gebraͤuche, ſo diejenigen ver - dienen, welche ein ruͤhmliches Ende nehmen, und Mit - tel hinterlaſſen. Zuletzt trat noch ein Redner auf, welchem meine Erben in einem verſiegelten Paͤcktchen vorher alle meine Tugenden begreiflich gemacht hatten. So zufrieden ich jederzeit in meinem Leben mit mir ſelber geweſen bin, ſo zweifelhaft war ich doch uͤber dieſer Lob - und Trauerrede, ob ich es auch wirklich ſey, welchen er meyne. Jch ſahe mich in der ganzen Kirche um, in der Meynung, vielleicht noch eine andre Leiche zu finden, auf welche alle dieſe Lobeserhebungen gehen ſollten; ich fand aber der - gleichen nirgends, und nunmehr merkte ich, daß ich es ſelbſt in ganzem Ernſte ſeyn muͤßte. Er nennte mich einen großen, beruͤhmten, gruͤndlichgelehrten Mann, eine Stuͤtze der Wiſſenſchaften, ſeinen Maͤ - cenaten. Und das mochte noch gehen; fuͤr zwoͤlf Ducaten war es eben nicht zu viel. Er verſchwen - dete mehr, als zwanzig Figuren, die Bekuͤmmerniß abzuſchildern, welche meine Erben uͤber das fruͤh -B 4zeitige24Ein Traumzeitige Abſterben ihres Herrn Vetters empfunden, und dieſe waren aus Dankbarkeit ſo beſcheiden, daß ſie ſich unter dem Flore verſteckten, um ihn nicht oͤffentlich zu widerlegen. Er ſchrieb ihnen verſchied - ne andaͤchtige Recepte vor, welche bey Stillung der Thraͤnen ſehr probat ſeyn ſollten, das haͤtte der ehrliche Mann wohl erſparen koͤnnen! Jch hoͤrte ihm aber dennoch mit vieler Geduld zu. Endlich mach - te er es gar zu arg. Er ſchwur, und er ſchwur mit einer ſolchen Heftigkeit, daß er ganz braun im Ge - ſichte ward; er ſchwur, ſage ich, daß ich zwar ein groſ - ſer Gelehrter, aber noch ein groͤßerer Menſchen - freund, ein ſtarker Befoͤrderer der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, aber noch ein weit ſtaͤrkerer Ver - theidiger der Wittwen und Waiſen geweſen waͤre. Meine vergnuͤgte und begluͤckte Ehe ſey eine ſicht - bare Vergeltung dieſer ſeltnen Tugenden gewe - ſen. Brechet hervor! rief er, brechet aus eurer Gruft hervor, ihr vermoderten Gebeine der wei - land Hochedelgebornen Frauen, Frauen Himmel; wie erſchrack ich, als ich hoͤrte, daß er meine verſtorbne Frau citirte! Jch floh, ohne mich umzuſehen. Jch floh voll Angſt zur Kirche hinaus.

Aus Furcht, die hochedelgebornen Gebeine moͤchten mir nachkommen, ſchwang ich mich in die Hoͤhe, und erblickte daſelbſt eine große Menge abge - ſchiedner Seelen, welche mir theils fremd, theils bekannt waren. Dieſer unvermuthete Anblick ſetz - te mich in Erſtaunen. Jch machte vor Verwun - derung ein paar ſo große Augen, wie ein Wuͤrzkraͤ -mer25von den abgeſchiedenen Seelen. mer in Ritzebuͤttel, wenn er in ſeinem Leben zum erſtenmale auf die Boͤrſe nach Hamburg koͤmmt. Eine ſo zahlreiche Verſammlung von Geiſtern haͤtte ich mir an dieſem Orte nimmermehr vermuthet. Alle ihre Beſchaͤfftigungen kamen mir fremd und ungewoͤhnlich vor. Jch war neugierig, und doch un - entſchloſſen. Jch wußte nicht, wo ich mich zuerſt hin - wenden ſollte, und gleichwohl war ich noch nicht be - herzt genug, mich zu einer von dieſen abgeſchiednen Seelen zu nahen, und ſie um dasjenige zu befragen, was mir zweifelhaft war.

Eine ſehr lebhafte Seele, wie etwan die Seelen der jungen Herren ſeyn moͤgen, merkte dieſe meine Befremdung am erſten. Wir kannten beide ein - ander nicht; aber ſie war ſo gefaͤllig, daß ſie auf mich zuflog, mich tauſendmal auf das vertrauteſte umarmte, und ſagte: Ganzunterthaͤniger Diener, mein allerliebſter Herr Bruder! Jch bin erfreut, daß ich die Ehre haben ſoll, Sie hier zu finden. Kann ich Jhnen in etwas dienen, ſo bitte ich ganz gehorſamſt, befehlen Sie nur. Nichts auf der Welt ſoll mir angenehmer ſeyn, als wenn ich im Stande bin, Jhnen eine Gefaͤlligkeit zu erzeigen. Sie koͤn - nen Sich ſicher auf meine Verſchwiegenheit und Bereitwilligkeit verlaſſen. Nehmen Sie es nicht fuͤr ein bloßes Compliment an! Es iſt, hohl mich der Teufel! mein Ernſt; ich ſtehe allemal zu De - ro Befehl. Er umhalſte mich von neuem, und ich war eben im Begriffe ein ſo liebreiches Anerbie - ten mit vielem Danke anzunehmen, als er ſich auf dem Abſatze herumdrehte, mit dem Munde pfiff,B 5mich26Ein Traummich allein ließ, und im Fortgehen mit einer hei - ſchern Stimme einige Verſe ſang, von denen ich wei - ter nichts, als dieſe Worte, verſtehen konnte:

Je quitterai le jour
Plûtôt, que mon amour,
Quand j aime, quand j aime.

Jch ſahe, daß er einige Schritte von mir eine glei - che Dienſtfertigkeit einer andern Seele, unter vielen Kuͤſſen und Umarmungen, zuſchwur, welche er viel - leicht eben ſo wenig kannte, als mich. Wenigſtens verließ er ſie eben ſo geſchwind wieder, und ich konn - te daraus ſchließen, daß ſeine ganze Beſchaͤfftigung nur in Freundſchaftsverſicherungen beſtuͤnde.

Dieſer Vorfall hatte mich noch zweifelhafter ge - macht, als ich anfangs geweſen war. Jch hatte das Herz nicht, mich nach demjenigen, was ich ſah, zu erkundigen; aus Furcht, ich moͤchte noch einmal in die dienſtfertigen Haͤnde eines jungen Herrn fallen. Jn dieſer Ungewißheit erblickte ich, nicht weit von mir, eine Seele, welche auf alles dasjenige aufmerk - ſam zu ſeyn ſchien, was in dieſer Gegend vorgieng. Jch merkte deutlich an ihr, daß ſie noch etwas wich - tigers, als eine bloße Neugierigkeit, aufmerkſam machte. Zuweilen ſchienen ihre Mienen ernſthaft zu ſeyn, zuweilen aber verriethen ihre Blicke etwas ſpottendes, und, wenn ſie auch lachte, ſo geſchah dieſes doch mit einer ſo edlen Art, daß man die deut - lichſten Spuren von Mitleid und Liebe dabey wahr - nahm. Jch wuͤrde ſie um deswillen fuͤr niemand anders, als fuͤr die abgeſchiedne Seele des engliſchen Zuſchauers gehalten haben, wenn ſie nur ein kurzesund27von den abgeſchiednen Seelen. und breites Geſicht gehabt haͤtte. Weil ich es alſo nicht ſelbſt errathen konnte, ſo faßte ich das Herz, mich ihr zu naͤhern. Jch eroͤffnete ihr mein Anlie - gen, und ich merkte, daß ſie uͤber meine Fragen ver - gnuͤgt war. Sie reichte mir die Hand, und ſagte: Jch will dein Verlangen erfuͤllen. Seitdem ich von meinem Koͤrper getrennt worden, ſeitdem iſt die - ſes mein einziges Vergnuͤgen, daß ich auf die Handlungen der abgeſchiednen Seelen Acht habe. Eben dieſes war vormals meine Beſchaͤfftigung, daß ich auf meine Mitbuͤrger Achtung gab. Jch zeigte ihnen in Schriften, worinnen ſie fehlten, und wo - durch ſie ihre Gluͤckſeligkeit befoͤrdern koͤnnten. Folge mir! Du wirſt alles erfahren, was dir nuͤtzlich ſeyn kann. Jch bat ſie, mir ihren Nahmen zu ſa - gen. Sie that es, nachdem ich ihr vorher in die - ſem Stuͤcke alle Verſchwiegenheit verſprechen muͤſ - ſen. Meine Leſer werden mir verzeihen, daß ich hierinnen mein Verſprechen halten muß. Die ab - geſchiednen Seelen ſind noch etwas gewiſſenhafter, als die Seelen der Liebhaber. Vielleicht war es die Seele eines Biedermanns? Eines Einſiedlers? Eines Patrioten? Eines Freymaͤurers? Ja, vielleicht; doch ich werde mich daruͤber nicht weiter erklaͤren. Vielleicht war es aber auch die Seele des Rubens.

Nicht weit von uns ſah ich einen großen Zulauf von Seelen, und das Getuͤmmel, welches ſie verur - ſachten, machte mir Luſt, naͤher hinzuzugehen. Mein Fuͤhrer warnte mich anfaͤnglich, mit der Verſiche - rung, daß man in dieſem Gedraͤnge gar leicht Schlaͤge bekaͤme. Jch wagte es aber dennoch, undbat28Ein Traumbat ihn, mich zu begleiten. Jch will es endlich thun, ſagte derſelbe, allein, entdecke mir vor allen Dingen, ob du ein Poet biſt? Dieſer Zweifel gieng mir durch die Seele, und in meinem Leben haͤtte ich es niemanden rathen wollen, eine ſo unbehutſame Frage an mich zu thun. Jch empfand den ſchmerz - lichen Verluſt meiner zuruͤckgelaßnen Schriften auf einmal wieder. Jch war ſo thoͤricht, daß ich um - kehren, und einige gedruckte Beweiſe holen wollte. Jch gab ſolches meinem Fuͤhrer zu verſtehen; allein, er machte mir eine ſo ernſthafte Miene, daß ich mich uͤber meine Autorſchaft zum erſtenmale ſchaͤmte. Jch verſicherte ihn alſo nur mit furchtſamen Geberden, daß ich in meinem Leben kein Feind der Dichtkunſt geweſen waͤre. Das iſt gut, ſagte er, ich habe die - ſe Frage deswegen an dich gethan, weil man ſich in dieſer Gegend, welche du betrachten willſt, ohne eine Kenntniß der Gemuͤthsarten, und Ausſchwei - fungen der Poeten in gar nichts finden kann. Du wirſt wunderliche Gegenſtaͤnde ſehen. Es ſcheint, als ob ſich die Natur an dieſem Orte ver - loren haͤtte, und du wirſt finden, daß daſelbſt alle Handlungen nicht ſo ſind, wie ſie natuͤrlicher Weiſe zu ſeyn pflegen, weil dergleichen Poeten nicht ſo den - ken, wie ſie natuͤrlich denken ſollten. Die ganze Gegend, fuhr er fort, wird beſonders von einer Seele in Bewegung geſetzt, welche ſich in ihrem Le - ben durch poßierliche Handlungen von andern unter - ſchieden hat. Jhr ganzer Aufzug ſieht einem Trau - me aͤhnlicher, als einer wirklichen Begebenheit, welches eben daher koͤmmt, daß dieſe Seele mitder -29von den abgeſchiedenen Seelen. dergleichen Traͤumereyen ſich in ihrem Leben an mei - ſten beſchaͤfftigte. Sie hat in jener Welt die edlen Bemuͤhungen vernuͤnftiger Maͤnner um den guten Geſchmack ſehr uͤbel verſtanden. Was jene durch Wiſſenſchaft und Beſcheidenheit erhielten, das ſuch - te ſie durch Geſchrey und Ungeſtuͤm vergebens zu erhalten.

Mein Fuͤhrer wollte weiter reden, allein, ich war aus Neubegierde ſo ungeduldig, daß ich ihn bey der Hand faßte, und mich durch den Poͤbel draͤngte. Jch ſahe auf einem hohen Geruͤſte eine Seele, in der gewoͤhnlichen Pracht eines Markt - ſchreyers, fuͤr welchen ich ihn gewiß gehalten haben wuͤrde, wenn nicht, wie gedacht, mein Fuͤhrer mir vorher geſagt haͤtte, daß es ein Charlatan des gu - ten Geſchmacks ſey. Er hatte ſich auf einem erhab - nen Orte, wo er alles uͤberſehen, und ein jeder auch ihn wahrnehmen konnte, das Geruͤſte erbaut. Je - doch war die Architektur daran ſehr gothiſch und ab - geſchmackt, und die Verzierungen waren ganz un - gleich. Einige Stuͤcke davon beſtunden in Schnitz - werke, welche ſehr praͤchtig und mit vieler Kunſt aus - gearbeitet zu ſeyn ſchienen. Mein Fuͤhrer verſicherte mich, daß dieſer Charlatan ſolche aus alten Tempeln entwendet, in welchen man ſie als merkwuͤrdige Ueber - reſte der griechiſchen und roͤmiſchen Architektur auf - gehoben, verſchiedne aber durch einige ſeiner Ban - de, ſo er zu Londen und Paris deswegen unterhal - ten, erbeutet haͤtte, und nunmehr ſo unverſchaͤmt ſey, ſolches fuͤr ſeiner eignen Haͤnde Arbeit aus - zugeben, ungeachtet man ihn mehr als einmalſeiner30Ein Traumſeiner Dieberey zu uͤberfuͤhren gewußt, und ihm ſo gar die Oerter genannt, wo er ſie herbekommen habe. Dieſe Nachricht ſchien mir ſehr glaublich, denn ich ſah, daß dieſe gekaperten Zierrathen kaum den vierten Theil ſeines Theaters ausmachten, die uͤbrigen drey Theile aber aus Kloͤtzern, und ungeho - beltẽ Bretern, zum Theile aber aus Puppenwerke und ſolchem Geraͤthe beſtunden, welches man den Kindern zum Spielen giebt. Alles dieſes war ſehr unordent - lich zuſammen genagelt, und es ſchien ſo baufaͤllig zu ſeyn, daß es alle Augenblicke einzufallen drohte. Es wuͤrde vermuthlich auch geſchehen ſeyn, wenn nicht verſchiedne Perſonen, welche ſeine Liverey trugen, ſol - ches mit vieler Sorgfalt unterſtuͤtzt haͤtten. Gleichwohl ſchien bey dieſen mißlichen Umſtaͤnden ihr Principal ganz unbeſorgt zu ſeyn. Er gieng mit ſtarken Schritten auf dieſem Geruͤſte hin und wie - der, und ſo oft er ſeine Medicamente anpries, ſo re - dete er mit einer ſolchen zuverſichtlichen Stimme, daß das ganze Gebaͤude davon erſchuͤtterte. Nie - mals habe ich etwas uͤbermuͤthigers geſehen, als dieſen Charlatan. Jn ſeinem Geſichte war er ſehr haͤßlich und ungeſtalt; gleichwohl konnte man es ihm von weitem anſehen, daß er ſich geſchminkt hatte, und dem ungeachtet war er ſo eitel, zu glauben, daß er der ſchoͤnſte Charlatan ſeiner Zeit ſey. Man hat es, wie mir mein Fuͤhrer erzaͤhlt, vielmals ver - ſucht, ihm aus ſeinem Jrrthume zu helfen, und ihm um deswillen Spiegel vorgehalten; Allein dadurch iſt er jedesmal ſo erbittert geworden, daß er nicht allein die Augen feſt zugedruͤckt, ſondern auch denSpiegel31von den abgeſchiednen Seelen. Spiegel ſelbſt mit einem Knittel, den er gemeinig - lich ſeinen Beweis zu nennen pflegte, zerſchlagen, und auf diejenigen losgepruͤgelt, welche es mit ihm ſo redlich gemeynt, und ihm ſeine Haͤßlichkeit zeigen wollen. Seine Kleidung ſah natuͤrlich ſo aus, wie das fuͤrſtliche Gewand eines von denen thea - traliſchen Prinzen, welche in kleinen Staͤdten die Jahrmaͤrkte beſuchen, und ihre ganze Monarchie auf dem Schubkarren herumfuͤhren. Sie war an verſchiednen Orten dergeſtalt zerriſſen, daß ſie nicht einmal ſeine Bloͤße voͤllig bedeckte, welchem Uebel er dadurch abzuhelfen ſuchte, daß er uͤber die Loͤcher verſchiedne Sinngedichte und Heldenoden klebte, welche ſeine Anhaͤnger ihm zu Ehren verfer - tigt hatten. Bey den gemeinen Marktſchreyern habe ich gefunden, daß ſie ihr Theater durch Ankle - bung verſchiedner Zeddel anſehnlich machen, wel - che dem Poͤbel von ihren verrichteten Wunderwer - ken Nachricht geben, und daß ſie ihre Geſchicklich - keit durch die erdichteten Privilegien von Allerun - uͤberwindlichſten, Allerdurchlauchtigſten, und Groß - maͤchtigſten Haͤuptern glaubwuͤrdig machen wollen. Jn dieſem Stuͤcke war es hier ganz anders be - ſchaffen. Sein Theater war uͤber und uͤber mit Dedicationen und Vorreden beklebt, und an denen Orten, welche am meiſten in die Augen fielen, war ſein Bildniß unter vielerley Geſtalten zu ſehen, welche jedoch wenigſtens darinnen einander aͤhnlich ſahen, daß ſie allerſeits entweder mit Lorbeerzwei - gen oder mit einem gewiſſen Glanze ausgeziert waren, der die Unſterblichkeit vorſtellen ſollte. An ſtattder32Ein Traumder Privilegien aber fuͤhrte er einen großen Blaſebalg in der Hand, welchen er allemal zuſammen druͤckte, ſo oft er von der Liebe zum Vaterlande redete.

Einen Umſtand kann ich nicht unberichtet laſ - ſen, weil er mir einige Nachricht von der Religion unſers Charlatans gab. Auf der erſten Seite des Theaters ſtund das Goͤtzenbild eines Frauen - zimmers, in eben der Geſtalt, wie es ein großer engliſcher Autor beſchrieben hat; den ich aber nicht nennen will, weil man ſonſt gar zu leicht errathen wuͤrde, wem ich dieſe Erzaͤhlung zu danken habe. Dieſes Goͤtzenbild trug eine Krone von Federſpuh - len, welche nach Art der Amerikaner in einer Run - dung aufgeſteift waren. An derſelben hiengen die Namen verſchiedner alter und neuer Schrift - ſteller, welche ſie als Ketzer zum Tode verdammt hatte, weil ſie ſich geweigert, ſie als eine Gottheit anzubeten. Jhr Kopf, welcher keine Augen hatte, war ungeheuer, noch groͤßer aber ihr Bauch, und hierinnen habe ich nichts aͤhnlichers geſehen, als den Abgott der alten Deutſchen, welchen ſie den dicken Puͤſter nennten, und deſſen ſich die Betruͤgerey der heydniſchen Prieſter zum Schrecken des Volks zu bedienen wußte, wenn ſie ihn durch ein geheimes Triebwerk Feuer ſpeyen ließen; ungeachtet er nur ein Klotz war. Jhre Haͤnde waren ſehr ſtark und plump. Jn der linken hielt ſie ein Fernglas, wel - ches ſie aber nicht brauchen konnte, weil ſie blind war; gleichwohl merkte ich, daß ſie es vor ihr Ge - ſicht hielt, um den Mangel der Augen zu verbergen. Jn der rechten Hand hatte ſie ein Gefaͤß voll Dinte,das33von den abgeſchiednen Seelen. das ſie denen in die Augen zu ſchuͤtten drohte, welche ſich nicht entſchließen konnten, ſie fuͤr eine Gottheit zu erkennen. Sie ſaß auf einem ſehr erhabnen Thro - ne, welcher aber nur aus einem aufgeblaſenen Schlauche beſtund, ſo wie etwan diejenigen geweſen ſind, in denen die Goͤtter der Heiden ihre Winde verwahrten. Unter ihren Fuͤßen lag ein nacktes Frauenzimmer, deſſen Name mir unbekannt blieb, welches aber vermuthlich ihre aͤrgſte Feindinn ſeyn mochte. Dieſem Goͤtzenbilde nahte ſich unſer Charla - tan, ſo oft er merkte, daß ſeine Hitze und ſein Eifer fuͤr das allgemeine Wohl einigermaaßen nachließ. Er betete ſie mit eben der Niedertraͤchtigkeit an, mit wel - cher er ſelbſt verehrt ſeyn wollte, und opferte ihr je - desmal auf einem kleinen Altare einige gelehrte Blaͤt - ter, welche bloß dadurch das Feuer verdient hatten, weil nicht er, ſondern ein andrer, ſie geſchrieben. Das ſicherſte Zeichen einer gnaͤdigen Erhoͤrung war dieſes, wann ihm unter ſeiner andaͤchtigen Beſchaͤff - tigung der Schaum vor den Mund trat, und er ein gelehrtes Zucken in ſeinen Haͤnden empfand, ſo wie es etwa bey den heftigſten Paroxyſmis neidiſcher und zaͤnkiſcher Schriftſteller ſeyn mag. Dieſes Augen - blicks bediente er ſich mit großem Nutzen, und als - dann war er am geſchaͤfftigſten, ſeine gelehrten Medi - camente unter die Zuſchauer austheilen, ihnen die probateſten Recepte des guten Geſchmacks vorzu - ſchreiben, und von denen Wundern zu erzaͤhlen, wel - che dieſe Univerſalarzneyen bey verſchiednen ſeiner kindlichgehorſamſten Patienten gewirkt, die ſie mit offnem Munde verſchlungen hatten.

Zweyter Theil. CSein34Ein Traum

Sein groͤßtes Geheimniß beſtund in einer gewiſ - ſen Art Pillen. Eine jede Doſe davon wickelte er in eine von den Lobſchriften, welche man ihm zu Eh - ren, und der Nachwelt zur Erbauung, verfertigt hatte, und dadurch erlangte er einen doppelten Nu - tzen, weil er auf ſolche Art den Leuten ſeine Pillen, und ſeinen Ruhm, zugleich beybrachte. Jn der That hat - ten dieſe Pillen eine erſtaunende Wirkung. Kaum hatte ſie der Patient eingenommen, als er ein hefti - ges Grimmen im Gehirne empfand, das ſo lange anhielt, bis ſich die Natur half, welches aber nicht nach dem ordentlichen Laufe der Natur geſchah; ſon - dern alle Unreinigkeiten giengen durch die Finger weg, und was mir dabey am ſeltſamſten vorkam, ſo fiengen die meiſten der Patienten dieſe Unreinigkeiten mit einem Papiere auf, welches ſie ſodann mit einer demuͤthigen Verbeugung ihrem Arzte ſelbſt widme - ten, und zu fernerer Befoͤrderung des guten Ge - ſchmacks uͤberreichten. Sodann erhielten ſie von ihm die Gewalt, unter ſeiner Aufſicht andre zu curiren. Jch habe gemerkt, daß ſie in ihrer Cur oftmals viel heftiger waren, als ihr Oberhaupt, und ich habe es mit meinen Augen geſehen, daß einer derſelben nur einige Schritte von mir einem der Zuſchauer eine ziemliche Anzahl Pillen in den Hals ſteckte, um ihn auch wider ſeinen Willen von dem uͤbeln Geſchmacke zu curiren. Jch habe vergeſſen, zu erinnern, daß der Anfuͤhrer dieſer kleinen Charlatane erſchreckliche Abentheuer von ſeinen Curen zu erzaͤhlen wußte. Das war ihm viel zu wenig, zu ſagen: Dieſen oder jenen gebrechlichen Mann habe ich durch meineherr -35von den abgeſchiednen Seelen. herrlichen Elixiere, durch meine vortrefflichen Pillen curirt! Nein! Zum wenigſten ſein ganzes Vater - land war es, dem er geholfen hatte, und ſo oft ſeine Pillen bey einem Patienten ſo, wie ich oben erzaͤhlt habe, durchſchlugen, ſo oft gratulirte er auch dem ganzen gemeinen Weſen. Beynahe haͤtte ich den wichtigſten Umſtand ganz mit Stillſchweigen uͤber - gangen. Ordentlicher Weiſe haben unſre Markt - ſchreyer etliche Schnuren angereihter Zaͤhne an dem Halſe hangen, welche ſie preßhaften Patienten ausgeriſſen haben, und nunmehr als Siegeszeichen herumtragen. Meine Leſer koͤnnen wohl glauben, daß unſer Arzt dergleichen redende Zeugen ſeiner Ge - ſchicklichkeit und Erfahrung eben ſo wohl an ſich han - gen hatte. Zwar waren es keine Zaͤhne, an deren Stelle aber eine große Schnur zuſammengereihter und auserleſener Donatſchnitzer, welche er aus den Schriften gelehrter Maͤnner herausgehoben hatte. Jch konnte mich bey dem Anblicke dieſer koſtbaren Pracht unmoͤglich des Lachens enthalten; zu meinem groͤßten Ungluͤcke aber ward ich von einem dieſer witzi - gen Adepten daruͤber entdeckt, weicher ſich durch die andern Geiſter draͤngte, und, indem er auf mich zu - eilte, einmal uͤber das andre rief: Halt auf! Halt auf! Jch ſuchte, mich unter dem Volke zu verber - gen, er fand mich aber dennoch, und als er mich an - gepackt hatte, ſagte er: Laſſe ſich der Herr curiren! Der Herr hat den Staar, einen gefaͤhrlichen Staar! Er koͤmmt nicht aus meinen Haͤnden, bis ich ihm denſelben geſtochen habe! Halte der Herr im Guten, oder ich brauche Gewalt! Hier half weder BittenC 2noch36Ein Traumnoch Drohen; er fiel uͤber mich her, warf mich zu Boden, und ich wuͤrde gewiß die erſchrecklichſten Experimente haben ausſtehen muͤſſen, wenn nicht mein Begleiter, ich weis nicht mehr, was fuͤr ein Mittel, ausfuͤndig gemacht haͤtte, mich den Klauen meines barbariſchen Wohlthaͤters zu entreißen.

Jndem ich noch vor Schrecken außer mir war, ſo kam ein Schatten, welcher dieſe Gewaltthaͤtigkei - ten von ferne wahrgenommen haben mochte, in vollem Laufe auf mich zu. Proteſtiren Sie, mein Herr, rief er, als er wohl noch zehen Schritte von mir war, proteſtiren ſie! Ergreifen ſie das heilſa - me beneficium appellationis! Sie koͤnnen es be - zahlen, ich ſehe es Jhnen an, Sie haben die gerech - teſte Sache von der Welt. Jch diene Jhnen mit Vergnuͤgen, und ich will es billig machen, Sie ſollen es erfahren. Wir wollen unſern Gegner ermuͤ - den, bis er ſelbſt kommen, und einen Vergleich anbieten ſoll. Jch will Jhnen fuͤr ein weniges Geld Zeugen ſchaffen, ſo viel Sie verlangen. Be - fehlen Sie etwan alte Documente? Jch will gleich welche zurechte machen. Wir wollen die Sache durch alle Jnſtantien durchſetzen, und verlangen Sie es, ſo muͤßte ich meine Praxin ſchlecht verſte - hen, wenn ich es nicht in moͤglichſter Kuͤrze dahin bringen wollte, daß Jhr Rechtshandel in dreyßig Jahren noch eben ſo verwirrt ausſehen ſollte, als er itzt iſt. Jch bin recht dazu geboren, meinen bedraͤngten Clienten beyzuſtehen. Feige werde ich, dem Himmel ſey Dank, auch durch nichts, und im Schreiben bin ich unermuͤdet, ſo lange ich nocheinen37von den abgeſchiedenen Seelen. einen Finger ruͤhren kann. Aber Geld muͤſſen Sie freylich haben; denn ich und Jhr Richter koͤn - nen ohne Geld die Sache nicht recht einſehen. Was betreffen denn Jhre Streitigkeiten? Machen Sie mir nur einen kleinen ſtatum cauſſæ, einen ganz kleinen ſtatum cauſſæ! Aber ja kurz, ſo kurz als immer moͤglich, denn ich bin kein Liebhaber von Weitlaͤuftigkeiten. Jch erſtaunte uͤber die bos - hafte Dienſtfertigkeit dieſer kleinen geſchwaͤtzigen See - le, welche ihr kurzer Mantel kenntlich machte, und die ſo voll Begierde nach meiner gerechten Sache um mich herum ſprang, daß ſie nicht ein Auge von meinem Schubſacke verwandte. Jch fieng ſchon an, zu zweifeln, ob ich den praktiſchen Haͤnden mei - nes rechtlichen Beyſtandes entgehen, und ohne Pro - ceß von ihm loskommen wuͤrde, als ich mich be - ſann, ihn zu bitten, daß er mir ſein Wort halten, und in einer ſehr wichtigen, meine Ehre und ganze Gluͤckſeligkeit betreffenden, Sache, die ich ihm gleich entdecken wuͤrde, treulich beyſtehen, vor allen Din - gen aber bey meinem Richter es dahin bringen ſoll - te, daß ich das Armenrecht erlangen moͤchte. Das Armenrecht! rief er mit einer kleinmuͤthigen Stim - me. Jch wollte Jhnen gern dienen, aber ich ma - che mir ein Gewiſſen daraus, eine Sache anzuneh - men, welche ich gleich beym erſten Anblicke unbil - lig finde. Streiten Sie ja nicht, Sie haben das groͤßte Unrecht von der Welt! Vergleichen Sie Sich in der Guͤte, ich rathe es Jhnen wohlmeynend. Zum wenigſten werde ich mich wohl huͤten, an Jh - rem boshaften Vorhaben Theil zu nehmen. SieC 3ſollten38Ein Traum ſollten ſich ſchaͤmen, einem ehrliebenden und gewiſ - ſenhaften Advocaten, wie ich bin, dergleichen An - trag zu thun! Leben ſie wohl!

Jch freute mich, daß ich ein Mittel gefunden hatte, mich auf eine ſolche Art von dieſem verdruͤß - lichen Handel los zu wickeln. Doch dieſe Freude war nur von kurzer Dauer. Denn ehe ich mir es verſah, ſprang eine Seele mit einem großen Ko - ber hinter einem Buſche hervor, und auf mich los. Jch erſchrack, wie leicht zu glauben iſt, da ich mir an dieſem einſamen Orte von einem ſo unvermuthe - ten Ueberfalle nichts gutes verſprechen konnte. Jch floh, ohne mich umzuſehen, und war vor Angſt außer mir, als ich fuͤhlte, daß man mich bey den Haaren hielt. Jch wandte mich um, in der Abſicht, mei - nem Verfolger zu ſagen, daß ich kein Geld haͤtte. Aber wie groß war mein Erſtaunen, als dieſer ſich mit einer demuͤthigen Geberde, jedoch ohne meine Haare loszulaſſen, vor mir buͤckte, und zu mir ſagte: Der Ehrfurcht gieb es Schuld, geprieſner Maͤcenat, Das ich aus reger Glut mit demuthsvollen Haͤnden Den Wunſch Jch habe nicht einen Dreyer in meinem ganzen Ver - moͤgen; war meine Antwort. Darauf ließ er mich mit einer veraͤchtlichen Miene los, und ich ſah ihn zu einem großen Schwarme kleiner Geiſter eilen, welche einer dicken Seele nachliefen, aus deren praͤchtigem Anzuge man ihre großen Verdienſte und Gaben ei - nigermaaßen wahrnehmen konnte. Jhr Geſchrey war ſo verwirrt, daß ich anfangs nicht zu errathen vermochte, was es bedeuten ſollte.

Jch39von den abgeſchiednen Seelen.

Jch wagte es aber, naͤher hinzuzugehen, und hoͤrte einen Miſchmaſch von Altaͤren, von Zierde des Vaterlandes, von Wundern ſeiner Zeit, von Nach - welt, von Unſterblichkeit, und von hundert ſchoͤnen Sachen, deren eine jede, durch die Bank gerechnet, wenigſtens einen Gulden werth war. Beſonders kam mir eine etwas klare Stimme ſehr bekannt vor, welche um ihr Anliegen recht feurig zu verſtehen zu geben, immer uͤber das dritte Wort, O! rief. Es war luſtig anzuſehen, wie unermuͤdet dieſe kleinen Geiſter ihrem beſungnen Helden nachliefen, welcher, wie man deutlich merken konnte, von dem vielen Weihrauche mehr und mehr aufſchwoll, und durch ſeine hohen Blicke zu verſtehen gab, daß er ſich die - ſes Ruhms allerdings nicht unwuͤrdig erkennte. Endlich erbarmte er ſich ſeiner Clienten, kehrte ſich um, und blieb ſtehen. Dieſes vermehrte den Laͤrm. Die kleinen Seelen ſtolperten uͤber einander weg, und draͤngten ſich, weil eine jede die naͤchſte ſeyn wollte. Sie hielten die offnen Haͤnde empor, und ſahen alle mit ſehnlichen Blicken auf den patrioti - ſchen Geldbeutel ihres theuern Goͤnners, welcher auch in der That großmuͤthig genug war, und durch eine reiche Spende ihren ehrfurchtsvollen Magen befriedigte. Jch fragte eine davon, welche ſich vor andern hervorgethan, und ganz aus dem Athem ver - goͤttert hatte; wer denn dieſer beruͤhmte und tugend - hafte Mann ſey? wie er heiße? wodurch er ſich um ſein Vaterland ſo verdient, und eines ſo ausnehmenden Lobes wuͤrdig gemacht haͤtte? Das weis ich alles nicht, antwortete ſie mir kaltſinnig; aber heute iſt ſein Geburtstag!

C 4Zwo40Ein Traum

Zwo Seelen, die ich anfangs fuͤr Bierſchroͤter anſahe, welche aber, wie ich von meinem Begleiter erfuhr, in ihrem Leben Critici, und ganz abſcheulich gelehrte Maͤnner geweſe[n] ſeyn ſollten, verurſachten einen großen Auflauf in der Gegend vor dem Stadt - thore, wo ſich ſonſt zu gewiſſen Zeiten die Ringer und Klopffechter von dem Poͤbel bewundern laſſen. Sie hatten einander auf die grimmigſte Art bey den Haa - ren angefaßt, und ein jeder bemuͤhte ſich den andern zu uͤberwaͤltigen. Dieſer Kampf war merkwuͤrdig, aber auch ungewiß, weil ſie einander beide gewach - ſen waren. Jch war nicht im Stande, einige Nach - richt von den Urſachen ihrer Verbitterung zu erfah - ren, denn alles, was ich noch hoͤren konnte, waren ſolche Schimpfwoͤrter, welche vielmals der witzigſte Kutſcher nicht gelernt hat, wenn er auch in ſeiner Mutterſprache noch ſo ſtark iſt. Endlich fiel der eine mit großer Heftigkeit zu Boden. Sein Ueberwin - der mochte vermuthlich gerechte Sache haben, denn er ſchlug, aus Liebe zum Vaterlande und zu den ſchoͤnen Wiſſenſchaften, ganz unbarmherzig mit ge - ballter Fauſt auf ihn zu. Sie beſudelten ſich beide, und erregten einen ſolchen Staub, daß ich nicht ver - moͤgend war, weiter etwas von ihnen zu ſehen.

Jch richtete alſo meine Aufmerkſamkeit auf die Umſtehenden, welche auf verſchiedne Art an dieſem Abentheuer Antheil zu nehmen ſchienen. Einige waren ſo muthwillig, daß ſie durch ein unaufhoͤrli - ches Huß! Huß! dieſe erhitzten Vertheidiger der Wahrheit in ihren kritiſchen Unterſuchungen nochmehr41von den abgeſchiednen Seelen. mehr anfeuerten, und ſo oft ein Schlag geſchah, ſo oft bezeigten ſie durch ein leichtſinniges Haͤnde - klopfen ihren Beyfall; j〈…〉〈…〉 ich ſah ſo gar, daß ei - nige unter ihnen den〈…〉〈…〉 mpfern Geld zuwarfen, wodurch ſie dieſelben ganz wuͤtend zu machen wuß - tend. Einige der Zuſchauer lachten, und dieſe ſchienen mir am meiſten unparteyiſch zu ſeyn, weil ſie beide fuͤr unſinnig hielten. Andre waren be - muͤht, die Streitenden auseinander zu reißen, aber, ſie bemuͤhten ſich nur vergebens, und verſchiedne waren ſo ungluͤcklich, daß ſie von ihnen in dieſer Unordnung fuͤr ihre guten Abſichten empfindliche Stoͤße bekamen. Die meiſten nahmen Antheil an dieſer Zerruͤttung, und es ſchien beynahe ein allgemeiner Krieg zu werden. Ein jeder ſchlug ſeinen Nachbar in die Augen, ohne ihn zu kennen, oder zu wiſſen, warum? Verſchiedne, welche man vorher gar nicht geſehen noch gekannt hatte, und welche ganz ruhig haͤtten bleiben koͤnnen, verließen ihren Ort, eilten hinzu, und holten ſich Schlaͤge, nur in der Abſicht, damit man ſie kennen lernen moͤch - te, und ſie ſchienen recht vergnuͤgt zu ſeyn, wenn ſie ſahen, daß man auch uͤber ſie lachte.

Endlich wurden unſre beiden Fechter, welche alle dieſe Unruhe veranlaßt hatten, ihres Streits muͤde. Sie giengen von einander, und ich war ſo verwegen, den Ueberwinder, welcher den andern von ſeinem gu - ten Geſchmacke ſo handgreiflich uͤberfuͤhrt hatte, zu fragen, was die Urſache ihres hitzigen Kampfs ge - weſen ſey. Vermuthlich, ſagte ich zu ihm, haben Sie, mein Herr, Sich des wahren Wohls Jhres Vaterlan -C 5des42Ein Traumdes angenommen. Vermuthlich haben Sie eine Wahrheit zu vertheidigen gewußt, ohne welche viel tauſend Menſchen ungluͤcklich haͤtten werden muͤſ - ſen. Jſt es nicht das ewige, ſo wird es doch we - nigſtens das zeitliche Wohl ihrer Mitbuͤrger ſeyn, welches Sie mit Hindanſetzung Jhres Ruhms und Jhrer Ehre vertheidigt haben. Ach! Noch viel mehr! war ſeine Antwort; Noch etwas viel wichtigers! Solche Kleinigkeiten gehen mich nichts an! Be - denken Sie nur einmal, mein Herr, bedenken Sie nur einmal den Raſenden, den Unſinnigen, das Scheuſal der gelehrten Welt, den O! Weiter konnte er vor Zorn nichts ſprechen. Was iſt denn aber das Erſchreckliche, das dieſer Raſende, dieſer Unſinnige begangen hat? Die ganze Natur moͤchte ſich ent - ſetzen! antwortete er mir. Abſcheulicher iſt es nie - mals erhoͤrt worden! Turnus! Die Haare ſtehen mir zu Berge, wenn ich dran gedenke! Ueberlegen Sie es nur ſelbſt! Turnus, ſpricht der verſtockte Boͤſewicht, habe blaue Augen gehabt. Und ich, mein Herr, als ein ſo beruͤhmter Scholiaſt, der ſchon vor zweyhundert Jahren ein großer Mann geweſen iſt; ich habe es ihm aus einem Manuſcri - pte des Virgils bewieſen, daß Turnus ſchwarze Augen hatte, und gleichwohl hat er mir oͤffentlich widerſprochen, da er doch mein Schuͤler geweſen iſt! Jſt das wohl erhoͤrt?

Wer war froher, als ich! Nunmehr ſahe ich, daß die Welt wohl nicht untergegangen ſeyn wuͤrde, wenn mein Held auch nicht Recht behalten haͤtte, und ich freute mich, da ich hoͤrte, daß ſich ein paarKunſt -43von den abgeſchiednen Seelen. Kunſtrichter aus den vorigen Jahrhunderten laͤcher - lich gemacht hatten. Denn, dem Himmel ſey Dank! unſre Kunſtrichter machen es gar nicht ſo. Dieſe unterſuchen die gelehrten Wahrheiten ohne die ge - ringſte Heftigkeit, ohne Eigenliebe, ohne Vorurtheil. Mitten in ihren Streitigkeiten ſind ſie beſcheiden. Sie geben mit Vergnuͤgen nach, ſo bald ſie uͤber - fuͤhrt werden, daß ihre Meynung irrig iſt, und freuen ſich, wenn man ſie davon uͤberfuͤhrt. So machen es unſre heutigen Kunſtrichter in dieſen ge - ſitteten und aufgeklaͤrten Zeiten. Aber vor Alters war es freylich ganz anders!

Dieſes waren ohngefaͤhr meine Betrachtungen, welche ich damals bey mir anſtellte, und ich hieng ihnen mit ſolchem Vergnuͤgen nach, daß ich meinen Fuͤhrer nicht vermißte, welcher ſich indeſſen in die Hoͤhe begeben hatte, und mir, als ich ihm nachſah, winkte, daß ich ihm folgen ſollte. Er zeigte mir von fern in der Stadt die aͤngſtliche Beſchaͤfftigung einer abgeſchiednen Seele. Wir begaben uns naͤher hinzu, und ich ward gewahr, daß ſie ſehr verhungert ausſah. Sie ſchwaͤrmte um einen praͤchtigvergol - deten Wagen, welcher vor dem Hauſe eines Kauf - manns hielt, deſſen Name mir wohl bekannt war, ſehr vielen aber in der Stadt noch bekannter, als mir, iſt, weil ſie ſeinen Staat durch ihren Vorſchuß unterhalten muͤſſen. Anfaͤnglich war ich zweifelhaft, was die Abſicht dieſer unruhigen Seele ſeyn muͤßte, und beynahe haͤtte mich die zerrißne, und uͤbelge - flickte Kleidung auf die argwoͤhniſchen Gedanken ge - bracht, es ſey eine von denen Seelen, welche in derWelt44Ein TraumWelt eine doppelte Berufsarbeit haben, und die Rei - ſenden entweder um ein Allmoſen anſprechen, oder beſtehlen. Allein ich merkte meinen Jrrthum, als ich naͤher kam, und ſah, daß es die wirthſchaftliche Seele des Vaters von dieſem jungen Kaufmanne war. Jch erinnerte mich, ihn in ſeinem Leben ge - kannt zu haben. Er war der Reichſte dieſer Stadt, und darum merkwuͤrdig, weil er ſich, mit oͤkonomi - ſchen Haͤnden, die Schuhe und Struͤmpfe ſelbſt ge - flickt, und es vor allen ſeinen Mitbuͤrgern in der Kunſt, zu hungern, am weiteſten gebracht hatte. Wohl nimmermehr haͤtte er geglaubt, daß ſein landuͤbli - cher Wucher und ſeine exemplariſche Sparſamkeit ſeinem Sohne Gelegenheit geben ſollte, ſich mit la - chendem Muthe, und vollen Haͤnden, desjenigen zu entſchuͤtten, was er unter Sorgen und Kummer ein - zeln zuſammen geſcharrt hatte. Und eben dieſes war die beſtaͤndige Marter, welche ſeine abgeſchiedne Seele ſeit ihrer Trennung vom Leibe gequaͤlt hatte. Jeder Tag gab dem Sohne eine neue Gelegenheit zur Verſchwendung, und alſo auch jeder Tag dieſer Seele eine neue Art von Peinigung.

Eben itzt hatte ſich der Kaufmann eine Kutſche machen laſſen, welche gleich ſo viel koſtete, als ſein Vater durch eine vorſichtige Abſchwoͤrung eines ei - genhaͤndig ausgeſtellten Wechſels ſich und ſeinen Nachkommen zum Beſten verdient hatte. Haͤtte wohl unſrer Seele irgend etwas empfindlicher ſeyn koͤnnen, als dieſes? Wohl hundertmal verſuchte ſie den Kutſcher vom Sitze zu werfen, aber vergebens. Dieſer war zu koͤrperlich, und die Seele zu aͤtheriſch. Sie45von den abgeſchiednen Seelen. Sie fiel den Pferden in den Zuͤgel, ſie brauſten; wei - ter konnte ſie nichts thun.

Sie verließ alſo dieſen ungluͤckſeligen Wagen unter vielen Vermaledeyungen, und ſchwang ſich auf einmal in die Zimmer ihres Sohnes. Jch folgte ihr aus Neugierde nach, und ſahe Wunder. Was konnte ihr erſchrecklicher ſeyn, als der Anblick des koſtbaren Porcellans, der praͤchtige Aufſatz von Glaͤſern, und der Glanz etlicher Spiegel, in welchem allem leider ein todtes Capital von vielẽ hundert Tha - lern ſteckte? Dreymal ſtampfte ſie[auf] das ſuͤndliche Canapee. Fuͤnf und achzig Thaler! rief ſie, und ſeufzte. Eine vergoldete Tapete machte ihr eine neue Beaͤngſtigung. Sie fiel auf das Gold zu, ſie ſuchte es abzukratzen; aber freylich vergebens. Hun - dert Vorwuͤrfe zeigten ſich ihr, aber auch hundert Hoͤllenmartern. Endlich erblickte ſie ein Contobuch. Dieſes ſchien ihr einige Erquickung zu geben. Sie las, ſie ward ruhig, aber dieſe Ruhe war nur von kleiner Dauer. Dann in dem Augenblicke trat ihr Sohn in das Zimmer, hielt ein ſauberbeſchriebnes Pergament in der Hand, auf welchem ich das Wort, Von, deutlich ſehen konnte. Er gieng zur Caſſe, vermuthlich in der Abſicht, ſeine ritterlichen Verdien - ſte geltend zu machen. Welcher entſetzliche Anblick fuͤr unſre Seele! So gar das Contobuch ließ ſie lie - gen. Sie eilte zur Caſſe, ſie ſetzte ſich drauf, ſie ſtemmte ſich nach aͤußerſtem Vermoͤgen, deren Auf - ſchließung zu verhindern, ſie ſuchte ſich des ungluͤck - ſeligen Pergaments zu bemaͤchtigen; aber alles ver -gebens!46Ein Traumgebens! Der Kaufmann ſchloß mit der groͤßten Zu - friedenheit ſeine Caſſe auf. Er langte einen Beu - tel heraus, welcher wenigſtens ſo wichtig war, als ſechzehen Ahnen, und gieng im Triumphe davon. Nim - mermehr werde ich die Verzweiflung vergeſſen, wel - che unſre Seele von ſich blicken ließ. Sie blieb ganz troſtlos auf der Caſſe liegen. Sie umarmte dieſelbe, und rief mit wimmernder Stimme einmal uͤber das andre: O Levi! O Marx! Dieſe Angſt gieng mir nahe. Jch wollte ſie troͤſten. Jch woll - te mir von der Urſache ihres Kummers naͤhere Nach - richt geben laſſen. Jch nahm ſie freundlich bey der Hand, und ſagte: Geben ſie mir doch Was! Geben! rief ſie; ich bin ſelber ein armer un - gluͤcklicher Mann! Helf euch Gott! So ein großer Bengel kann arbeiten! Geht ins Allmoſen! Dieſe Antwort verdroß mich; ich eilte davon.

Jch bezeigte gegen meinen Fuͤhrer wegen verſchied - ner Urſachen ein Verlangen, aus der Stadt, und wieder an dem Orte zu ſeyn, wo wir uns vorher be - funden hatten. Er war ſo gefaͤllig, mich ohne Wei - gerung dahin zu begleiten. Wir ſtunden ſtill, und ſahen uns um, ob wir irgendwo eine Seele in einer Beſchaͤfftigung erblicken moͤchten, welche unſre Auf - merkſamkeit verdiente. Jndem rief jemand hinter mir mit einer gebieteriſchen Stimme: Vorſehn! Jch ſprang auf die Seite, in der Meynung, es waͤ - re vielleicht die abgeſchiedne Seele eines Saͤnften - traͤgers. Wie groß war nicht meine Verwunde - rung, als ich an deren Stelle einen Schatten ſahe,deſſen47von den abgeſchiedenen Seelen. deſſen Kleidung machte, daß ich, nach der Gewohn - heit unſrer Stadt den Huth vor ihm abzog. Er dankte mir mit einer ſtolzen Miene, welche mich be - wog, ihm naͤher in die Augen zu ſehen, und ich fand in ſeiner Geſichtsbildung eine laͤcherliche Vermi - ſchung von Scheinh chmuͤ juͤdiſchen und niedertraͤchtigen uſuraria und Waiſen dennoch eifern kurz aͤrger tuͤffens. *Jn dem eingeſandten Manuſcripte findet ſich hier eine große Stelle, welche, man weis nicht, durch was fuͤr einen ungluͤcklichen Zufall, vermuthlich aber auf der Poſt, der - geſtalt zerrieben, und unleſerlich gemacht worden, daß man, aller angewandten Muͤhe ungeachtet, nicht im Stande geweſen iſt, den eigentlichen Jnnhalt zu erra - then, und die Luͤcken auszufuͤllen. Dieſer Verluſt iſt hoͤch - lich zu bedauern, weil dadurch dieſe ganze Erzaͤhlung ſo dunkel und unverſtaͤndlich gemacht worden iſt, daß man gar nicht errathen kann, wer eigentlich dieſer Schatten geweſen ſeyn muͤſſe, welchen der Herr Verfaſſer im Trau - me geſehen hat. Die Kuͤrze der Zeit hat es nicht erlau - ben wollen, ihn um eine Erlaͤuterung daruͤber zu bitten, zumal da es demſelben gefallen hat, den eigentlichen Ort ſeines Aufenthalts zu verſchweigen. Jnzwiſchen erſucht man denſelben um eine vollſtaͤndige Abſchrift dieſes Cha - rakters. Man hat es ohne ſein Vorwiſſen nicht wagen wollen, ſolchen gaͤnzlich herauszulaſſen, und der Eingriff wuͤrde zwar vielleicht gelehrt, aber dennoch ſtrafbar ge - weſen ſeyn, wenn man ſolchen ſelbſt haͤtte ergaͤnzen, und unſre Arbeit fuͤr das Original deſſelben haͤtte ausgeben wollen. Der beſte Rath hat dieſer zu ſeyn geſchienen,wennUnter ſeinemArme48Ein TraumArme hielt er ein Buch, welches ſehr gebraucht zu ſeyn ſchien. Jch konnte aber auf dem Titel wei - ter nichts leſen, als die Worte: Der allzeit ferti - ge ꝛc. Er ſchien ſehr tiefſinnig zu ſeyn, und mur - melte etwas zwiſchen den Zaͤhnen, wovon ich noch dieſes ganz eigentlich verſtund: Der Ketzer haͤtte mir gar wohl acht pro Cent geben koͤnnen! Jch fragte meinen Begleiter, ob er dieſen verkappten Wuchrer kenne? Er legte mir aber die Hand auf den Mund, und warnte mich, nicht ein Wort mehr von ihm zu reden.

Die Nachricht, daß ſich die Seele des Cicero in Geſellſchaft verſchiedner Griechen und Roͤmer in dem Garten eines nicht weit von hier gelegnen Land - guts habe blicken laſſen, machte unter allen Geiſtern eine große Bewegung. Ein jeder eilte aus Neu - gier dahin, und ich ſelbſt war unter dieſer Zahl. Der Anblick vergnuͤgte mich, und ſeine Mienen, welche et - was großes zeigten, praͤgten mir alle diejenige Ehr - furcht ein, welche man dieſer patriotiſchen Seeleſchuldigwenn man die ganze Stelle aufs ſorgfaͤltigſte ſo drucken ließe, wie ſie in dem Manuſcripte noch zu erkennen gewe - ſen. Vielleicht erlangt man dadurch bey denjenigen Ge - lehrten einen großen Beyfall, welche in dergleichen Art von verſtuͤmmelten Schriften, in denen kein Verſtand iſt, die groͤßte Weisheit ſuchen, und ihren Namen durch deren muͤhſame und wichtige Ergaͤnzung zu verewigen geden - ken. Man erwartet von den deutſchen Grutern und Gronoven alle billige Erkenntlichkeit fuͤr dieſe kritiſche Auf - gabe, und will nur wuͤnſchen, daß durch deren Unterſu - chung nicht zu neuer Heftigkeit und Verbitterung in der gelehrten Republik Anlaß gegeben werden moͤge! 49von den abgeſchiednen Seelen. ſchuldig iſt. Jch bemerkte inzwiſchen dennoch et - was niedergeſchlagnes an ihr, welches von einer Scham herruͤhrte, die ich nicht errathen konnte. Um deswillen nahm ich Gelegenheit, mich bey ei - nem Schatten, welcher dem Cicero folgte, und ſein Freygelaßner geweſen ſeyn mochte, darnach zu er - kundigen. Er hat wohl Urſache, antwortete mir dieſer, niedergeſchlagen und beſchaͤmt zu ſeyn, weil er erfahren, daß man ihn in euerm Lande den un - erbittlichen Haͤnden eines Geſchlechts Preis gege - ben, welches, unter dem Vorwande, ihn zu ehren, ihn laͤcherlich, und, wann es hoch koͤmmt, aus ei - nem roͤmiſchen Conſul zu einem lateiniſchen Sprach - meiſter macht. Die groͤßte Betruͤbniß fuͤr ihn iſt noch dieſe, daß er wegen dieſer Mishandlung ſich bey den Goͤttern ſeines Landes beſchwert, aber zur Antwort erhalten hat; eben dieſes ſey die Strafe, wozu ihn Pluto verdammt, weil man ihm Schuld gegeben, daß er zum oͤftern viel Eitels, und einen unanſtaͤndigen Hochmuth an ſich habe blicken laſ - ſen, welcher nicht beſſer gezuͤchtigt werden koͤnne, als durch ewige Commentatores. Jch erſchrack uͤber dieſes ſtrenge Urtheil des Pluto, welches mir faſt unglaublich vorkommen wollte, wenn ich nicht durch folgende Begebenheit darinnen beſtaͤrkt wor - den waͤre.

Ohngefaͤhr hundert Schritte von uns erblick - ten wir eine Menge tiefſinniger Seelen in beſtaub - ter Kleidung. Jhre Schritte waren ernſthaft, und ihr Gang monarchiſch. Sie ſchienen ſehr uneinig unter einander zu ſeyn, und ie naͤher ſie uns kamen,Zweyter Theil. Ddeſto50Ein Traumdeſto deutlicher hoͤrte man ihren Streit, ſo gar, daß ihr Auffuͤhrer ſich umkehren, und mit drohender Fauſt, und einem fuͤrchterlichen: Me Dius fidius! Friede gebieten mußte. Dieſer Aufzug ſchien die Seele des Cicero ſehr zu befremden. Er vermu - thete ſich eines wichtigen Antrags, und glaubte, wie ich nachdem erfuhr, daß es vielleicht Geſandten eines auswaͤrtigen Volks, oder ſo genannter Bar - baren, waͤren, welche ſich aus Hungersnoth ge - zwungen ſaͤhen, bey dem Rathe und Volke um Brod aus Sicilien oder Aegypten anzuſuchen. Er empfieng ſie mit einer mitleidigen Miene; Aber wie ſehr erſtaunte er nicht, als der Anfuͤhrer dieſer Proceßion ihm eine ſehr wunderliche Verbeugung aus dem Alterthume machte, welche nach Graͤvs Be - richte zu den Zeiten des Ennius unter den jungen Herren in Rom Mode geweſen ſeyn ſoll. Cicero hielt dieſen erſten Anfall ſtandhaft aus, und es ſchien, daß er den Vortrag mit einiger Ungeduld er - wartete. Dieſer erfolgte endlich, nachdem der Orator dieſer Geſandſchaft ſich unter vielen Ver - zuckungen in die gewoͤhnliche rhetoriſche Poſitur ge - ſetzt, und mit wiederholter Verbeugung ihm ein erſchrecklichgroßes Buch uͤberreicht hatte, welches viere der ſtaͤrkſten ſeiner Collegen auf ihren Schul - tern trugen, und auf deſſen Ruͤcken die Worte glaͤnzten: OPERA OMNIA. Cicero entſetzte ſich ein wenig uͤber dieſe auslaͤndiſche Maſchine, noch aufmerkſamer aber ward er, als ihn der An - fuͤhrer folgendergeſtalt anredete: Omnino, ſi quid eſt in me ingenii, quod ſentio, quam ſit exi -guum51von den abgeſchiednen Seelen. guum exiguum quod ſentio, quam ſit exiguum. Vermuthlich mochte dieſe unum - ſtoͤßliche Wahrheit die Kraͤfte unſers Demoſthenes ſo ſehr mitgenommen, oder auch der Anblick des Cicero, welchen er ſich ganz anders vorgeſtellt hat - te, eine ſo große Verwirrung in ſeinem Gemuͤthe verurſacht haben. Er hielt eine lange Weile in - nen, und ließ dem Cicero Zeit, ſich von ſeiner Ver - wunderung zu erholen, welcher von der ganzen An - rede nicht ein Wort verſtanden hatte, und ſeinen Atticus fragte: Was dieſes fuͤr eine Sprache ſey? Denn darauf waͤre er wohl niemals gefallen, daß dieſes lateiniſch ſeyn ſollte, ſo fremd und unver - nehmlich kam ihm die Ausſprache vor. Endlich erholte ſich unſer Redner, nachdem er ſeine Zuflucht zum Huthe genommen, in welchem das Concept lag. Er verſicherte dem Cicero in dem feinſten und in ciceronianiſchem Lateine, daß er und ſeine Ge - ſellſchaft fuͤr Freuden außer ſich waͤren, und dieſen Tag mit einem weißen Steine bezeichnen wollten, an welchem ſie das Gluͤck gehabt, denjenigen ken - nen zu lernen, welcher zu ſeiner Zeit das ſchoͤnſte Latein geredet, und deſſen Gelehrſamkeit ihnen zu Erlangung der Leibesnahrung und Nothdurft dien - lich geweſen waͤre. Er ruͤhmte beſonders ſeine eig - ne Wenigkeit, da er an den Schriften des Cicero das Werk der Liebe und Barmherzigkeit erzeigt, und ſie in gegenwaͤrtigem bequemen Formate durch die koſtbarſten und tiefſinnigſten Noten, durch Sammlung aller nur erſinnlichen Lesarten, und durch ein erſtaunendes Regiſter brauchbar, undD 2zugleich52Ein Traumzugleich ihrer Beiden Namen unſterblich gemacht habe. Zum Schluſſe beſeufzte er die verſtockte Blindheit ſeiner deutſchen Landsleute, welche von einem Gelehrten noch etwas mehr, als lateiniſch, fodern wollten, und ſo gar anfiengen, die Heilig - thuͤmer Latiens durch eine Sprache, welche in Deutſchland auch der Poͤbel verſtehen koͤnnte, fre - ventlich zu entweihen. Hier beſchloß er ſeinen Vor - trag mit einem freudigen Dixi! und Cicero, wel - cher uͤberdruͤßig ſeyn mochte, einem ihm unverſtaͤnd - lichen Gewaͤſche zuzuhoͤren, antwortete nichts wei - ter, als: Cura, vt valeas! und ließ ihn ſtehen.

Seine Abweſenheit bewog uns, dieſen Ort auch wieder zu verlaſſen. Wir kehrten zuruͤck, und es begegnete uns eine Seele, welche ſich uns mit tau - melnden und ſchleichenden Schritten zu nahen ſchien. Sie dehnte ſich, ſie wiſchte die Augen, und gaͤhnte zu zweyenmalen ſo laut, daß ich ſtehen blieb, um zu ſehen, ob ſie aufwachen, oder einſchlafen wuͤrde. Nach einer langen Weile kam ſie uns ſo nahe, daß ich weichen mußte, aus Furcht, von ihr getreten zu werden. Mein Fuͤhrer winkte mir, und ich merkte bald, ſeine Meynung waͤre, daß ich mich in ein Ge - ſpraͤch mit ihr einlaſſen ſollte. Jch that es, und redete ſie mit lauter Stimme an, um ſie zu ermun - tern. Kaum aber hatte ich ein paar Worte ge - ſagt, als ſie die Augen erſchrecklich weit aufſperrte, die Arme von ſich ſtreckte, auf den Raſen nieder - ſank, und weiter nichts ſagte, als: Gute Nacht! und in dem Augenblicke ſchlief ſie auch ſanft und ruhig.

Jch53von den abgeſchiednen Seelen.

Jch war verdruͤßlich, daß ich mich von meinem Fuͤhrer hatte bewegen laſſen, dieſe traͤge Seele an - zureden. Er lachte aber nur, und ſagte: Jch habe wohl gewußt, daß es dir nicht anders gehen wuͤrde, als wie es mir, und noch vielen hundert Seelen, gegangen iſt, welche mit ihr haben reden wollen. Dieſes iſt eben die Seele des beruͤhmten Traͤumers, welcher in ſeinem Leben ſo oft auf dem hamburgi - ſchen Walle nur darum ſpatzieren gefahren iſt, daß er in ſeiner Kutſche deſto gemaͤchlicher ſchlafen koͤnn - te. Eben darinnen beſtund ſeine einzige Arbeit. Keine Leidenſchaft hat ihn jemals ſtoͤren koͤnnen. Dieſes brachte ihn zu einem feiſten Koͤrper, und ſehr hohen Alter. Man hat niemals zuverlaͤßig erfahren koͤnnen, wie lange er gelebt habe; So viel aber iſt gewiß, daß er etliche funfzig Jahr geſchla - fen hat. Seine Voraͤltern hatten in ihrer Hand - lung durch eine unermuͤdete Arbeit und Wachſam - keit ſo viel erworben, daß ihr Sohn mit der groͤßten Gelaſſenheit ſchlafen konnte. Er iſt eben derjeni - ge, welcher die Sonne in ſeinem ganzen Leben nicht hat aufgehen ſehen. Es iſt laͤcherlich genug, wenn es wahr iſt, was mir einige Schatten von ihm er - zaͤhlt haben. Sie ſagen, es ſey noch ſehr fruͤh und in der Morgendaͤmmerung geweſen, als er ge - ſtorben. Seine Seele habe ſich anfangs gar nicht entſchließen koͤnnen, ſich von dem Bette zu entfer - nen, worinnen es ihr ſo lange Jahre wohlgegan - gen, und worinnen ſie jederzeit ihre groͤßte Gluͤck - ſeligkeit gefunden. Endlich ſey ſie doch genoͤthigt worden, ſolches zu verlaſſen, weil ſie der Laͤrm, undD 3das54Ein Traumdas geſchaͤfftige Bezeigen ihrer Hinterlaßnen beun - ruhigt, und beynahe munter gemacht haͤtte. Sie habe ſich mit halbgeſchloßnen Augen aus dem Zim - mer gewagt, und ſey gleich zu der Zeit in dieſe Ge - gend gekommen, als die Sonne hervorgebrochen. Dieſer Anblick ſey ihr unertraͤglich geweſen, daß ſie die Hand vor das Geſicht gehalten, und getau - melt habe; nicht anders, als ein Gefangner, wel - cher viele Jahre unter der Erde geſeſſen hat, und auf einmal an das Tageslicht koͤmmt. So viel iſt indeſſen gewiß; ſo lange ich ihn kenne, ſo lange hat er ſich auch in dieſer Gegend aufgehalten, wo er noch itzt ſchlaͤft, ohne ſich zu bekuͤmmern, wo er ei - gentlich ſey, oder was um ihn herum vorgehe. Ei - nige ſeiner Landsleute haben mich verſichert, daß er beſtaͤndig traͤge, und unempfindlich geweſen, und wenn er auch gegeſſen, getrunken, oder ſonſt etwas gethan, was er zur Erhaltung ſeines Koͤrpers un - umgaͤnglich thun muͤſſen: So habe man doch ei - gentlich gemerkt, daß es mit der groͤßten Schlaͤfrig - keit geſchehen ſey. Zuweilen hat er ausgeſehen, wie ein andres vernuͤnftiges Geſchoͤpf, welches wacht, ſo bald er aber angefangen, den Mund zu bewegen, wie ein wachender Menſch, welcher re - den will, ſo hat man gleich gemerkt, daß er in der That ſehr feſt geſchlafen, denn ſeine Worte ſind eben ſo verwirrt, und ohne Verſtand geweſen, wie die Worte derer ſind, welche man noch vor Mitter - nacht in ihren Traͤumen ſtoͤrt. Unterdeſſen hat er doch ein ſehr exemplariſches Ende genommen. Anfaͤnglich iſt er ungemein unruhig geweſen, alsihm55von den abgeſchiednen Seelen. ihm ſein Seelſorger auf des Arztes Anrathen die Nachricht gebracht, daß er ſterben muͤſſe. Er hat durchaus davon nichts hoͤren wollen. Bey den er - baulichſten und troͤſtlichſten Beſchreibungen von der Gluͤckſeligkeit jenes Lebens, hat er mit dem Kopfe geſchuͤttelt. Als aber ſein Beichtvater von ohngefaͤhr die Worte ſagt: Wie gluͤckſelig ſind die, welche zur ewigen Ruhe gelangen, und ſelig ent - ſchlafen! ſo druͤckt er ihm die Haͤnde, gaͤhnt ihn an, und ſtirbt.

Dieſe Erzaͤhlung machte, daß ich noch einige Zeit vor dieſer traͤumenden Seele ſtehen blieb. Jch konnte ſie nicht ohne Mitleid anſehen. Wie un - gluͤckſelig, dachte ich bey mir ſelbſt, iſt ſo ein Menſch, welcher in der Welt lebt, ohne im geringſten die Pflichten zu erfuͤllen, die er ſich und ſeinen Mitbuͤr - gern ſchuldig iſt. Seine Traͤgheit verhindert ihn, des Vergnuͤgens zu genießen, welches ihm tauſend angenehme Gegenſtaͤnde zeigen. Waͤre er nur ei - nigermaaßen aufmerkſam, ſo wuͤrde er nicht einen Schritt thun koͤnnen, ohne die Pracht der Natur zu bewundern, in welcher ſich die Groͤße des allge - meinen Schoͤpfers entdeckt. Er genießt ſein Ver - moͤgen nicht, weil er es, wenn es hoch koͤmmt, nur anwendet, ſich durch unordentliches Eſſen und Trinken in ſeiner Traͤgheit zu erhalten. Des edeln Vergnuͤgens muß er entbehren, welches die - jenigen empfinden, die Gelegenheit ſuchen, auch andre gluͤcklich, und durch eine vorſichtige Aus - theilung ihres Vermoͤgens mehr, als eine Nach - welt, ſich verbindlich zu machen. Sein Leben iſtD 4ein56Ein Traumein beſtaͤndiger Tod, und eine Marter fuͤr diejeni - gen, welche mit Schmerzen auf ſein Abſterben war - ten, weil er erſt alsdann anfaͤngt, ihnen nuͤtzlich zu werden.

Jch glaube, ich waͤre in dieſen ernſthaften Be - trachtungen noch weiter fortgefahren, ehe ich mir es aber verſahe, bekam ich mit einem Pruͤgel einen ſo heftigen Schlag auf den Kopf, daß ich ganz ſchwindlicht daruͤber ward, und daß mir der Huth auf die Erde fiel. Jch kehrte mich voll Verdruß um, in der Abſicht, denjenigen zu ſehen, welcher vermoͤgend waͤre, dergleichen niedertraͤchtige Grob - heit zu begehen. Jhr ſeyd ſehr unbeſcheiden, mein Freund, fuhr ich ihn mit Heftigkeit an, daß ihr Leuten, die ihr nicht kennt, und die euch nichts gethan haben, auf eine ſo ungeſchliffne Art bege - gnet! Und ihr ſeyd ein ziemlicher Narr, wie ich merke, verſetzte er mit einem lauten Gelaͤchter, daß ihr einen witzigen Scherz uͤbel nehmt. Merkt ihr denn nicht, daß ich ein ſatyriſcher Kopf bin? Dieſe unverſchaͤmte Antwort bewog mich, ihn genauer anzuſehen, und ich entſann mich, ihn gar wohl ge - kannt zu haben, weil er erſt vor einem Jahre geſtor - ben war, und ſich uͤber einer Satyre zu Tode ge - ſchimpft hatte.

Jch war durch dieſe verdruͤßliche Begebenheit ſo unruhig geworden, daß ich befuͤrchtete, es moͤch - te mir vielleicht noch ein witziger Kopf aufſtoßen, und mich braun und blau ſatyriſiren. Um des - willen that ich meinem Begleiter den Vorſchlag, daß wir uns in eine ſchattichte Gegend zuruͤck zie -hen57von den abgeſchiednen Seelen. hen wollten, welche vor uns lag, und von der ich glaubte, daß es darinnen, wo nicht einſamer, doch ſicherer ſeyn wuͤrde.

Jn beiden betrog ich mich. Jch erblickte da - ſelbſt eine große Geſellſchaft, die meiſtens aus Frauenzimmern beſtund. Weil ſie in eben der Stadt gelebt hatten, wo ich mich aufhielt, ſo kann - te ich ſie alle, und ich fand ihre Beſchaͤfftigungen nicht im geringſten veraͤndert. Sie ſpielten, ſie tranken Caffee, manche redeten gar nichts, die mei - ſten aber ſchlugen ein ſo lautes Gelaͤchter auf, daß ich begierig ward, dieſe zuerſt zu beobachten. Jch nahte mich ihnen, ich haͤtte aber nicht gemeynt, daß eben ich die Urſache dieſer allgemeinen Lebhaftigkeit und Freude geweſen waͤre. Je naͤher ich kam, deſto heftiger fiengen ſie an, zu lachen. Jch ver - langte von ihnen die Urſache zu wiſſen, aber ſie waren ſo boshaft, und ſagten mir ſolche nicht. Doch eine von ihnen, um welche ich mich in ihrem Leben, durch ein ganz artiges und ſinnreiches Son - net auf ihren Mops, ſehr verdient gemacht hatte, war ſo dankbar, und half mir aus meiner Verwir - rung. Jch will es Jhnen nur ſagen, ſprach ſie zu mir, warum wir ſo luſtig ſind. Wir hatten ſchon viel Stunden lang in der verdruͤßlichſten Stille beyſammen geſeſſen, ohne ein Wort zu reden, weil wir muͤde waren, die Trachten, den Gang, und die Mienen aller der Seelen, die bey uns vorbey ge - hen mußten, zu beurtheilen. Auch mit den Ab - weſenden waren wir bereits fertig, ja, was das allerbetruͤbteſte war, ſo waren wir auch ſchon dar -D 5uͤber58Ein Traumuͤber einig, daß es heute ſchoͤnes Wetter waͤre. Wir ſahen einander ganz niedergeſchlagen und ver - druͤßlich an, die Zeit ward uns lang, und, wenn dieſer artige Herr hier, einer von meinen ehemali - gen Schaͤfern, den ſie noch wohl kennen muͤſſen, nicht zuweilen gepfiffen haͤtte, ſo glaube ich, wir wuͤrden vor langer Weile gar eingeſchlafen ſeyn. Von ohngefaͤhr erblickten wir ſie von weitem, und zwar in einer Poſitur, die wichtig genug war, daß wir alle aus vollem Halſe lachten. Hier hielt ſie inne, ſtemmte beide Arme in die Seite, und fieng von neuem mit ihrer ganzen Geſellſchaft ein ſo lau - tes Gelaͤchter an, daß ich ganz beſchaͤmt da ſtund. Merken Sie es denn noch nicht? fuhr ſie fort, als ſie einigermaaßen ſich erholt hatte. Um des Him - mels willen, ſehen Sie doch ihren Huth an, wie beſtaubt er ausſieht! Wenn dieſes allein an mir das Laͤcherliche iſt, antwortete ich, ſo kann ich ihm bald abhelfen. Jch erzaͤhlte ihnen, daß mir ihn ein witziger Geiſt vom Kopfe geſcherzt haͤtte, wo - durch er eben ſo ſtaubigt geworden waͤre. Jch machte ihn wieder rein, und dadurch benahm ich ih - nen auf einmal dieſe reiche Materie ihrer Lebhaf - tigkeit, ſo gar, daß ſie von neuem in ein tiefſinniges Stillſchweigen verfielen, ſo, daß ich ſelbſt nicht laͤn - ger Luſt hatte, mit ihnen zu gaͤhnen.

Jch ſchlich mich um deswillen unvermerkt fort, und traf nicht weit davon, in Geſellſchaft andrer Frauenzimmer, die Seele eines Stutzers an, wel - cher in ſeinem Leben eben dieſe Geſellſchaft durch ſeine Einfaͤlle ergetzt hatte, die ſie damals galant,unge -59von den abgeſchiednen Seelen. ungezwungen, ſinnreich, und, ich weis ſelbſt nicht mehr, wie vortrefflich nannten. Jch fand ihn aber, wider die Natur der andern abgeſchiednen Seelen, ganz veraͤndert. Er war ſtumm, trocken, nicht eine einzige Perſon in der Geſellſchaft ſchien das artige und witzige Weſen, ſo er vormals ge - habt, an ihm zu finden. Jch bezeigte ihm meine Verwunderung daruͤber. Er zuckte die Achſeln und verſicherte mich, er ſey die Ungluͤckſeligſte unter allen Seelen. Sein Abſterben ſey ihm ſo ploͤtzlich und unvermuthet gekommen, daß er in der Eil we - der Uhr, noch Stockband, noch Tabaksdoſe mit ſich genommen. Drey Sachen, rief er, in welchen meine ganze Lebhaftigkeit, mein ganzer Witz be - ſtund! Was iſt doch der Verſtand eines Stutzers ohne dieſe Stuͤcke? Wenn ich einen artigen Scherz machen will, ſo vermiſſe ich mein Stockband, und meine feinen Einfaͤlle auf einmal. Jch bin nicht im Stande, das geringſte Urtheil von Staats - und gelehrten Sachen, ja nicht einmal von einem Ge - dichte zu faͤllen, weil ich keine Prieſe Tabak neh - men kann! Jch bedauerte dieſen entkraͤfteten Stu - tzer um deſto aufrichtiger, da ich ſchon in meinem Leben dergleichen Geſchoͤpfe niemals ohne herzli - ches Mitleiden anſehen koͤnnen. Jch war nicht im Stande, ihm zu ſeinem Witze wieder zu ver - helfen, um deswillen erſann ich eine Urſache, welche mich, wie ich vorgab, noͤthigte, ihn zu ver - laſſen.

Mein Begleiter war eben im Begriffe, mir die bekannte Geſchichte von der abgeſchiednen Seeleeines60Ein Traumeines Harlekins zu erzaͤhlen, welche ihre bunte Klei - dung und zugleich allen Harlekinsverſtand verlo - ren hatte; als wir durch ein neues Abentheuer ge - ſtoͤrt wurden. Eine Frauenzimmerſeele, die ich nicht wahrgenommen hatte, weil ich ihr den Ruͤ - cken zukehrte, war mir nachgeſchlichen, und fiel mir von hinten zu um den Hals, um welchen ſie die eine Hand ſchlug, mit der andern aber die mei - nige auf eine ſo zaͤrtliche Art druͤckte, daß ich aus dieſer wolluͤſtigen Beredſamkeit mehr errathen konnte, als wenn ſie ſich muͤndlich erklaͤrt haͤtte. Jch konnte leicht merken, daß es eine von den ir - renden Schoͤnen waͤre, und die Dunkelheit des ein - ſamen Orts, wo wir uns befanden, vermehrte meinen Verdacht. Sie ſchien in mich ſo verliebt zu ſeyn, als es eine Perſon von dergleichen Charakter zu ſeyn faͤhig iſt. Jch ſpuͤrte deutlich, daß ſie alle Au - genblicke erhitzter, und in ihrer Vertraulichkeit im - mer unverſchaͤmter ward. Jch war begierig, die - ſer dreiſten Schoͤne ins Geſicht zu ſehen. Jch fand ein Mittel, mich von ihren Armen loszuma - chen. Jch wandte mich um. Welcher Anblick! Jch ſprang zuruͤck! Biſt du es? ſagte ſie, und gieng kaltſinnig fort. Meine Leſer werden es wohl ohne Note errathen koͤnnen, daß dieſes die Seele meiner Frau war. Sie hatte mich verkannt, darum that ſie freundlich. So bald ſie mich ſah, ward ſie verdruͤßlich, und floh. Jch freute mich, daß ſie gieng. Wird nunmehr jemand noch zweifeln, daß unſre Seelen nach dem Tode eben dasjenige thun, was ſie am meiſten in ihrem Leben gethan haben?

Ein61von den abgeſchiednen Seelen.

Ein aͤngſtliches Wimmern, welches ich nicht weit von mir hinter einem dicken Geſtraͤuche hoͤrte, machte mich aufmerkſam. Jch eilte aus Mitleid hinzu, weil ich gewiß glaubte, es muͤßte dieſe aͤch - zende Seele ein großes Ungluͤck betroffen haben. Jch fand ſie unter einer Buche liegen, in der Klei - dung, wie die Dichter, und unſre Comoͤdianten, ihre Schaͤfer vorſtellen. Er hielt einen Hirtenſtab in der Hand, an welchem ein gruͤnes Band hieng, welches er unter tauſend Seufzern mit ſolcher Ent - zuͤckung kuͤßte, daß er mich nicht eher gewahr ward, als bis ich bey ihm ſtund. Endlich ſah er mich mit zerſtoͤrten Blicken an. Er ſprang auf, fiel vor mir nieder, umfaßte meine Knie. Grauſame! rief er; haſt du dich doch endlich bewegen laſſen? Jch ſehe ſchon, anbetenswuͤrdige Sylvia, ich ſehe ſchon in deinen Augen das Mitleid, welches du ge - gen den ungluͤckſeligen Thyrſis hegſt!

Ach ſtrenge Sylvia! warum verachtſt du mich?
Die Sonne brennt, und wirft die Stralen unter ſich;
Luft, Feld, und Erde brennt, die kuͤhlen Steine brennen
Von Flammen, die auch ſchon die jungen Laͤmmer kennen;
Dein Thyrſis aber fuͤhlt mehr, weder alle Pein;
Und du alleine nur willſt Schnee und Kaͤlte ſeyn?
So bald ich neulich dich, (du wirſt es wohl noch wiſſen)

Du irrſt dich mein Freund, ſagte ich zu ihm, ich bin nicht deine Sylvia, und dennoch Ja, verſtelle dich nur, rief er mit einer rechten Schaͤ - ferwut, verſtelle dich nur, du moͤrderiſche Schoͤ - ne! Freylich biſt du nicht meine Sylvia! Me - nalks Sylvia biſt du! Gluͤckſeliger Menalk! Ver -62Ein Traum Verlaßner Thyrſis! Jch habe es mit meinen Au - gen geſehen, daß Menalk den Straus auf ſeinem Huthe getragen, den ich fuͤr dich, nur fuͤr dich allein, gebunden hatte. Jch ſetzte dich zur Re - de, die Hirten wiſſen es alle. Du antworte - teſt mir nicht einmal! Du eilteſt von mir! Du giengſt zu deiner Heerde! Unempfindliche Schaͤ - ferinn! Sind meine Flammen ſtrafbar, ſo ſtrafe mich, aber ſtrafe vorher dich ſelbſt, denn nur die Blitze deiner Augen ſind es, welche mich in Brand geſetzt haben.

Wer boͤſe Zauberey getrieben,
Dem wird das Feuer ſonſt in Rechten zuerkannt.
Jch weis von ſolcher nichts, und wollte nur was lieben,
Und werde doch darum verbrannt.
Der Richter, welcher mich ſo grauſam will verdammen,
Schlaͤgt ſelbſt das Feuer auf, und traͤgt das Holz zuſammen.

Nunmehr fieng mir an, beynahe Angſt zu werden, und ich wuͤnſchte mir, aus den Haͤnden dieſer ſchwaͤrmenden Seele brfreyt zu ſeyn. Er hielt meine Knie ſo feſt umſchloſſen, daß es nicht moͤglich ſchien, mich von ſeiner Zaͤrtlichkeit frey zu machen. Endlich aber gelang es mir. Jch wollte zuruͤck, aber dadurch ward mein Schaͤfer ganz außer ſich gebracht. Er faßte mich von neuem bey der Hand, und ſagte: O Sylvia! Jch bitte dich bey den Goͤttern dieſer Flur! Hoͤre einmal auf, grauſam zu ſeyn! Wenn dein Herz nicht noch haͤrter iſt, als jene Felſen, ſo laß dich mein Ungluͤck ruͤhren! Laß mich ſeufzen! Jch beſchwoͤre dich bey den Nymphen, welche dort hinter jenem Buſche lau - ſchen,63von den abgeſchiednen Seelen. ſchen, und bey den chryſtallnen Fluthen, welche hier uͤber dieſe Kieſel rollen, habe Mitleiden mit dem Ungluͤckſeligſten!

Laß mich ſeufzen, laß mich klagen,
Und den ſtummen Buchen ſagen,
Wie mich Sylvia gequaͤlt!
Goͤnnt mirs ihr verſchwiegnen Baͤume,
Daß ich von der Marter traͤume,
Die mein Mund ſo oft erzaͤhlt!
Laß mich ſeufzen, laß mich klagen,
Und den ſtummen Buchen ſagen,
Wie mich Sylvia gequaͤlt!

Hier konnte ich mich nicht laͤnger enthalten, uͤber dieſen Opernſchaͤfer zu lachen. Und du lachſt noch! ſchrie er, indem er von der Erde aufſprang. Und du ſpotteſt noch mit meiner Verzweiflung!

Nun weis ich Aermſter nicht, was weiter uͤbrig iſt,
Als daß ich meinen Rumpf an einen Eichbaum henke,
Vielleicht liebſt du mich todt, weil ich dich lebend kraͤnke.

Kaum hatte er dieſe Worte geſagt, als er von mir, und in die Straͤucher eilte!

Jch erſchrack, ich befuͤrchtete; ſeine Verzweif - lung duͤrfte nicht ohne Wirkung ſeyn. Jch wollte ihm nachgehen, um ſeiner Raſerey Einhalt zu thun, aber mein Fuͤhrer hielt mich zuruͤck. Du kannſt ganz ruhig ſeyn, ſagte er. Dieſes iſt der Schat - ten eines von den Schaͤfern, welche ihr Leben am hoͤchſten bringen, wenn ſie alle Tage verzweifeln, und welche ſich niemals beſſer aufbefinden, als wenn ſie von Gift und Dolche reden. Er war in ſeinem Leben ſehr zaͤrtlich, und glaubte, fuͤr keine Creatur ſchicke es ſich beſſer zaͤrtlich zu ſeyn, als fuͤr einenSchaͤfer.64Ein TraumSchaͤfer. Er ward alſo ein Schaͤfer, nur in der Abſicht, damit er recht regelmaͤßig ſeufzen koͤnnte. Tag und Nacht war er beſchaͤfftigt, durch Leſung ſolcher Schriften ſich vollkommen zu machen, wel - che von Feuer und Flammen rauchten, und von verliebtem Mord und Todſchlaͤgen voll waren. Und eben dadurch gerieth ſein Gehirn in ſolche Unordnung, daß er, als ein arkadiſcher Don Quichott, auf Abentheuer ausgieng. Dieſe grau - ſame Sylvia, fuͤr welche er dich anſah, iſt nir - gends anders, als in ſeiner Einbildung, moͤglich geweſen. Sein ganzes Leben hat er in dergleichen Entzuͤckung zugebracht, und noch auf dem Tod - bette hat er von nichts, als Klee und Milch, ge - redet; ja ſo gar den Arzt, als ihm dieſer an den Puls fuͤhlen wollen, hat er auf dem Ruͤcken geſtrei - chelt, weil er ihn fuͤr ſeinen Hylax hielt. Du darfſt dich alſo nicht wundern, daß er dich ſchlechterdings zu ſeiner Sylvia machen wollte. Jch glaube nicht, daß außer ihm in der ganzen Welt noch ein Schaͤ - fer geweſen iſt, welchen ſeine verderbte Einbildung ſo gar ſehr wahnwitzig gemacht; doch ſoll es, wie man mir geſagt hat, noch hin und wieder verſchied - ne Seladonchen geben, welche einen ziemlichen An - ſatz zu dieſer hitzigen Krankheit haben.

Zum groͤßten Ungluͤcke entdeckte mich der Schat - ten meines ehemaligen Schneiders. Es war nicht moͤglich, ihm aus dem Wege zu gehen, ſo ſehr ich es auch wuͤnſchte, weil ich mich noch wohl erinnerte, wie unertraͤglich er in ſeinem Leben, durch ſein un - ermuͤdetes und politiſches Geſchwaͤtz, geweſen war. Es65ven den abgeſchiednen Seelen. Es half aber nichts, ich mußte mich gefaßt machen, ſeine tiefſinnigen Beurtheilungen von Staatsſa - chen noch einmal auszuhalten. Die Freude war ganz außerordentlich, die er daruͤber bezeugte, daß er mich hier ſehen ſollte. Hundert Fragen that er an mich, und ließ mir nicht Zeit, eine einzige zu be - antworten. Sie ſind doch allemal fein geſund geweſen; ſagte er? Sie haben ſie doch alle wohl verlaſſen? Und Jhre Jungfer Muhme? Sie werden mich wohl verſtehen? Nun das will ich eben nicht ſagen. Jn der That wollte ich ihr es goͤnnen. Das Maͤdchen iſt gut. Lebt denn der alte Hauptmann noch? Jch habe tauſend Spaß mit ihm gehabt. Was ich Jhnen ſage. Der konnte recht erzaͤhlen, wenn er bey Humor war! Den pommeriſchen Krieg, den wußte er auf ein Haar! Ohne Flatterie! Er wuͤrde gewiß ganz anders abgelaufen ſeyn, wenn er nicht abgedankt haͤtte. Aber hoͤren Sie nur an. Jch weis nicht, das Ding ſieht ſehr bunt aus. Mit meinem Wil - len iſt es gar nicht geſchehen, daß Prinz Carl uͤbern Rhein gieng. Es war doch nun mit alle dem, wie es war? Der Franzoſe, es mag nun ſeyn, wie es will, er iſt doch einmal der Franzo - ſe, und ein Chriſt, ſo gut als wir. Was ich Jh - nen ſage. Er haͤtte es koͤnnen bleiben laſſen, Mit alle dem mag der Rhein ein ziemlich breites Waſſer ſeyn. Aber hoͤren Sie nur an. Jch den - ke, ich denke, es ſoll bald anders werden. Der eine von den Herren Cantons Jch will esZweyter Theil. EJhnen66Ein Traum Jhnen ſchon einmal erzaͤhlen, wenn wir allein ſeyn werden. Vor dem Tuͤrken? Ach! der Blut - hund, der darf ſich nicht breit machen! Was ich Jhnen ſage. Das merkte ich gleich im voraus, ohne Flatterie. Meine Großmutter ſeliger ich weis nicht, ob Sie ſie werden gekannt haben. Es war eine kleine bucklichte Frau. Sie wohn - te hinten am Walle. Hoͤren Sie, das war eine Frau! Sie hat mich noch aus der Taufe geho - ben. Es gieng bey ihrem Teſtamente auch mit Kraͤutern zu. Was geſchehen iſt, das iſt geſche - hen. Jch habe, gottlob, auch mein Brod ge - habt. Jch ſpreche immer: Ehrlich waͤhrt am laͤngſten; und mein kleiner Chriſtel war noch da - zu ihr Pathe. Ja, was wollte ich denn ſagen, ich habe es ganz druͤber vergeſſen! Ja, der Tuͤr - ke Ja, ja, der Tuͤrke, antwortete ich voll Verdruß, ich kenne ihn wohl, aber hier laͤßt es ſich davon nicht gut reden. Wir ſprechen ein - ander ſchon weiter, itzt habe ich nicht Zeit, mich laͤnger aufzuhalten. Jch ließ ihn ſtehen, und gieng fort.

Jndem hoͤrte ich hinter mir ein lautes Gelaͤch - ter. Jch wandte mich um, und erblickte eine Seele, welche ſo verhungert ausſah, wie ein Goldmacher, und ſo tuͤckiſch, wie ein Schatzgraͤber. Sie druͤck - te mir ſehr vertraulich die Hand, und ſagte: Sie haben recht wohl gethan, daß Sie Sich den unſinnigen Schwaͤtzer vom Halſe geſchafft haben.67von den abgeſchiednen Seelen. haben. Jch habe Jhrem ganzen Geſpraͤche zu - gehoͤrt, und mich uͤber Jhre Geduld gewundert. Es iſt ewig zu bejammern, daß es Leute giebt, die ſich um Sachen bekuͤmmern, welche ſie nicht verſtehen. Wenn es nur Schneider waͤren, wel - che ſich in politiſche Haͤndel miſchten, ſo moͤchte es allenfalls noch hingehen und es wuͤrde ſich vielleicht daruͤber lachen laſſen. Aber, es giebt Maͤnner mit großen Peruͤcken, die es nicht viel beſſer machen, als Jhr Schneider. An ſtatt, daß ſie fuͤr ihre Pflicht, und fuͤr das Beſte ih - res Vaterlandes ſorgen ſollten; ſo ſitzen ſie