Einige Urſachen haben mich veranlaßt, die - jenigen ſatyriſchen Schriften in zween Theile zuſammen zu bringen, welche ich ſeit einigen Jahren in verſchiednen periodiſchen Schrif - ten einzeln drucken laſſen.
Die Gefaͤlligkeit meiner Freunde gab mir Ge - legenheit, mich dieſes Mittels zu bedienen, um das Urtheil der Welt zu erfahren, und die vernuͤnftigen Critiken der Kenner mir zu Nutze zu machen.
Beides iſt mit gutem Erfolge geſchehen. Jch bin ſo gluͤcklich geweſen, daß die meiſten meiner Schriften oͤffentlichen Beyfall gefunden haben, unda 2die4Vorbericht. die verbindliche Nachſicht, welche man gegen meine Arbeiten gezeigt, hat mich aufgemuntert, gegen mich ſelbſt deſto weniger Nachſicht zu brauchen, und nicht allein diejenigen Fehler auszubeſſern, welche man auf eine ſehr beſcheidne Art und mit gutem Grun - de dabey ausgeſetzt; ſondern auch denen, ſo viel moͤglich, abzuhelfen, welche bey einer ſtrengen Be - urtheilung verdient haͤtten, angemerkt zu werden.
Eine gute Aufnahme gegenwaͤrtiger Samm - lung wird mir Muth machen, dieſe Arbeit fortzuſe - tzen, wofern mich nicht mein unruhiges Amt zu ſehr zerſtreut, oder andre Vorfaͤlle es hindern.
Vielleicht giebt es Leſer, welche eine Rechtferti - gung von mir erwarten, wie ich es habe wagen koͤn - nen, Satyren zu ſchreiben. Jch bin nicht willens, eine Schutzſchrift fuͤr mich aufzuſetzen. Vernuͤnf - tigen Leſern wuͤrde ich nichts neues ſagen; fuͤr un - vernuͤnftige aber ſchreibe ich nicht.
Jch weis wohl, wie zweydeutig die Begriffe ſind, welche ſich viele von der Satyre machen. Sie ſind gar zu ſehr gewohnt, das Pasquill mit der Satyre zu verwechſeln. Sie haben zwar ge - lernt, daß ein Pasquill eine Schmaͤhſchrift ſey, wo man, ohne ſich zu nennen, den ehrlichen Namen des andern zu verunglimpfen, und ihm Laſter oder Ver -brechen5Vorbericht. brechen anzudichten ſucht; Sie wiſſen auch ſo viel, daß die Satyre nur die Laſter der Menſchen, und das Laͤcherliche einer thoͤrichten Auffuͤhrung durch Spotten kennbar zu machen ſucht, um andern einen Ekel dawider beyzubringen, und wo moͤglich, die Laſterhaften ſelbſt tugendhaft zu machen. Beides wiſſen ſie, und dennoch ſeufzen ſie uͤber einen Saty - renſchreiber ſo ſehr, als uͤber einen Pasquillanten.
Jch glaube, die Urſachen, dieſer ungereimten Urtheile liegen an den Schriftſtellern ſo wohl, als an den Leſern.
Jch will mich bemuͤhen, einige Urſachen aus einander zu ſetzen, warum viele Leſer auf eine ſo unbillige Art von der Satyre urtheilen.
Die vorgefaßte Meynung iſt wohl eine der wich - tigſten. Man hat es uns in unſrer Jugend geſagt, daß die Satyre vom Pasquille wenig oder nichts un - terſchieden ſey. Wir wuͤrden ſelbſt nachdenken muͤſ - ſen, wenn wir dieſen Unterſchied finden wollten; vielmals aber koͤnnen wir nicht ſelbſt denken, und noch oͤfter ſind wir zu bequem dazu. Ohne uns alſo weiter zu bekuͤmmern, ſagen wir in kindlichem Gehorſame nach, was unſre Mutter und Großmutter vor uns geſagt haben; und dieſe waren doch auch chriſtliche Weiber! Dergleichen Leſer ſind in dera 3That6Vorbericht. That mehr zu bedauern, als zu beſtrafen. Sie koͤn - nen bey ihrer gemaͤchlichen Unempfindlichkeit immer ganz fromme Leute ſeyn, denn viele Leute ſind auch aus Dummheit fromm, und ihre guten Abſichten erſetzen das, was ihnen am Verſtande fehlt.
Diejenigen ſind weit weniger zu entſchuldigen, welche auf die Bemuͤhungen, die Laſter laͤcherlich und verhaßt zu machen, unerbittlich eifern, und doch unermuͤdet ſind, von ihrem unſchuldigen Nach - bar alles boͤſe zu reden, was ihnen der Neid oder an - dre Leidenſchaften eingeben. Vielleicht halten dieſe es fuͤr einen Eingriff in ihr Amt; denn dazu haben ſie zu viel Eigenliebe, daß ſie ihre Verleumdungen fuͤr Bosheit, und die Abſichten eines Satyrenſchrei - bers fuͤr Menſchenliebe halten ſollten. Gemeinig - lich ruͤhrt ihre Wut aus der Quelle ſo vieler Laſter, aus der Heucheley, her. Sie fuͤhlen es, daß ihre Auffuͤhrung ſchaͤndlich iſt; ſie haben ſich zu lieb, als daß ſie ſolche aͤndern ſollten; ſie glauben, ge - nug gethan zu haben, wenn ſie ihr einen guten An - ſtrich geben. Sie eifern auf die Satyren, um auf die Verleumdung eifern zu koͤnnen, und unter dieſer ehrbaren Maske verfahren ſie ſo lieblos mit ihren Naͤchſten, ohne den Vorwurf zu befuͤrchten, daß ſie gefaͤhrliche Verleumder ſind. Denn wie wollte derein7Vorbericht. ein Verleumder ſeyn, welcher eben um deswillen die Satyren verflucht? Es kann ſeyn, daß ich die - ſen niedrigen Geſchoͤpfen zu viel thue. Vielleicht iſt die Heucheley nur in ihren juͤngern Jahren die Urſache dieſer Ausſchweifungen; bey zunehmenden Alter erlangen ſie durch die unermuͤdete Uebung, boͤſes zu reden, eine ſolche Fertigkeit darinnen, daß ſie es wirklich mit Ueberzeugung reden, daß ſie glau - ben, Buße zu predigen, wenn ſie laͤſtern, und daß ihnen die Satyre im Ernſte verdaͤchtig wird, weil ſie allein den Beruf haben, Heyden zu bekehren.
Bey vielen iſt die Begierde, auf die Satyre zu ſchmaͤhen, nichts anders, als die Sprache eines boͤ - ſen Gewiſſens. Davon ſind ſie uͤberzeugt, daß die ruͤhmliche Abſicht der Satyre nur dieſe iſt, die Laſter zu verfolgen. Weil ſie aber ſo gar unempfindlich noch nicht ſind, daß ſie ihre eignen Laſter nicht wahrneh - men ſollten, ſo wird ihnen dieſe Abſicht ſchrecklich. Jeden Streich, der auf die Laſter geſchieht, fuͤhlen ſie auf ihrem Ruͤcken. Koͤnnen dieſe wohl etwas beſſers thun, als daß ſie die Satyre uͤberhaupt ver - daͤchtig machen? Wie viel haben ſie zu ihrer eig - nen Sicherheit gewonnen, wenn ſie dieſe große Ab - ſicht erreichen? Nun mag die Satyre wider die Laſter eifern; ſie iſt verdaͤchtig. Man faͤngt an,a 4Mitleid8Vorbericht. Mitleid mit den Laſtern zu haben, weil man gehoͤrt hat, daß die Abſichten der Satyre boshaft ſind, daß man nicht beſſern, ſondern nur verunglimpfen, daß man nicht die Laſter verfolgen, ſondern den ar - men unſchuldigen Nebenchriſten um ſeinen guten Namen bringen will. Hinter dieſes Vorurtheil ver - bergen ſie ſich, und genießen ihrer Laſter geruhig. Sucht man ſie in ihrem Hinterhalte auf, entbloͤßt man ihre Fehler; ſo ſchreyen ſie uͤber Gewalt, und man bedauert ſie, an ſtatt daß man uͤber ſie lachen ſollte. Mit einem Worte, ſie ſind wie die muth - willigen Knaben, welche die Ruthe verbrennen, um ungeſtraft muthwillig ſeyn zu koͤnnen.
Verſchiedne von ihnen ſind noch etwas feiner. Sie finden das Laͤcherliche von ihren Fehlern in ei - ner Satyre abgeſchildert; ſie ſchweigen haͤmiſch dazu ſtille, und beſeufzen nur das Unrecht, welches andre neben ihnen zugleich leiden muͤſſen. Sie vertheidi - gen ihre Mitbuͤrger, um unparteyiſch zu ſcheinen, und von dieſen wieder vertheidigt zu werden. Koͤn - nen ſie gar ihre ungerechte Sache zur Sache des Herrn machen: So haben ſie doppelt gewonnen, und fuͤr einen laſterhaften Heuchler iſt nichts zu ehr - wuͤrdig. Ein Mann, welcher die heiligen Lehren ſeines Amts durch ein unheiliges Leben entkraͤftet,findet9Vorbericht. findet ſein Bild. Er erſchrickt, und ſchweigt. Er ſucht mit boshafter Muͤhe eine Stelle, nur einen Ausdruck, welcher durch eine unbillige Auslegung den Verfaſſer zum Religionsſpoͤtter machen kann. Er findet ein Wort, welches in ſeinem tuͤckiſchen Munde zur Laͤ - ſterung wird. Nun ruft er mit freudiger Rache das Wehe! aus, und verdammt den Verfaſſer. Sein Poͤbel, welchen der Schein blendet, hebt Steine auf, und ver - folgt im Namen des Herrn denjenigen, welcher nur aus wahrer Hochachtung fuͤr die Religion ihren laſter - haften Diener entlarven wollen. Jn der That ſind dieſe die gefaͤhrlichſten Feinde der Satyre, aber eben um deswillen verdienen ſie kein Mitleid, und die Religion ſelbſt fodert es, daß wir ſie, wenn gar keine Beſſerung zu hoffen iſt, ohne Barmherzigkeit vertilgen.
Es giebt noch andre Feinde der Satyre. Die - ſe ſind die traurigen Leſer. Sie ſind wirklich nicht untugendhaft; Sie haſſen die Laſter von Herzen; Sie wuͤrden es zufrieden ſeyn, wenn man alle La - ſterhafte dem Teufel mit Leib und Seele uͤbergaͤbe; aber ſpotten ſoll man nur nicht uͤber die Laſter. Jch weis nicht, wie dieſen engbruͤſtigen Leuten zu helfen iſt; vielleicht weis es mein Barbier. Die Eigenliebe der Menſchen wird durch nichts ſo em -a 5pfindlich10Vorbericht. pfindlich geruͤhrt, als wenn man ſie laͤcherlich macht. Sie bleiben gleichguͤltig, wenn ich ihnen ſage, daß ihre Laſter abſcheulich ſind; wenn es hoch koͤmmt, ſo werden ſie verdruͤßlich. Aber alsdann ſchaͤmen ſie ſich, wenn ich ihnen ihre Schoßſuͤnden, wenn ich ih - nen ihre Fehler, mit denen ſie ſich bruͤſten, auf der laͤcherlichen Seite zeige. Wir koͤnnen unſern Kin - dern die aͤußerlichen Fehler des Uebelſtandes nicht leichter abgewoͤhnen, als wenn wir ſolche vor ihren Augen nachahmen; ſie ſehen alsdann, wie haͤßlich ſie laſſen, und ſchaͤmen ſich. Wollen wir erwach - ſenen Perſonen weniger Einſicht zutrauen? Wenn ich die Abſicht habe, zu beſſern, ſo thue ich am ver - nuͤnftigſten, ich waͤhle diejenigen Mittel, welche die Erfahrung bewaͤhrt gemacht hat. Jnzwiſchen glau - be ich, es wird gut ſeyn, wenn ich mit dieſen trau - rigen Feinden der Satyre gemeine Sache mache. Sie ſollen mit den Laſtern zanken; ich will uͤber die Laſter ſpotten. Vielleicht ſind wir gluͤcklicher, wenn wir mit zufammengeſetzten Kraͤften unſre Mitbuͤr - ger tugendhaft zu machen ſuchen; ſie mit Feuer und Schwerdt, ich aber mit Scherze.
Wenn ich ſage, daß viele um deswillen Feinde der Satyre ſind, weil ſie nicht wiſſen, was die Jronie ſey, und worinnen deren Staͤrke und Schoͤn -heit11Vorbericht. heit beſteht, ſo ſage ich wirklich etwas, welches dem guten Geſchmacke meiner Landsleute eben nicht zur Ehre gereicht. Jnzwiſchen iſt es doch wahr, und alles, was ich thun kann, iſt dieſes, daß ich mich in ihrem Namen ſchaͤme. Spreche ich: „ Die „ wolluͤſtigen Ausſchweifungen der Jugend ſind die „ Urſachen einer ungluͤcklichen Ehe, eines ſchimpfli - „ chen Alters, und eines troſtloſen Sterbens: „ So verſtehen ſie mich ganz wohl, und werden dieſen Ge - danken fuͤr gar erbaulich halten. Wollte ich aber ſagen: „ Gluͤckliche Juͤnglinge, die ihr die kurzen „ Augenblicke einer ſinnlichen Wolluſt dem unge - „ wiſſen Vergnuͤgen vorzieht, welches die muͤrriſche „ Tugend dem Alter verſpricht; die ihr zu vornehm „ erzogen ſeyd, als daß ihr den gemeinen Mann, um „ die altvaͤteriſche Gluͤckſeligkeit einer geſegneten Ehe „ beneiden ſolltet! Es koſtet euch in eurer Jugend „ tauſend Unruhe, und oft euer ganzes Vermoͤgen, „ um einem ſiechen und beſchwerlichen Alter mit ſtar - „ ken Schritten entgegen zu eilen. Fahrt unermuͤ - „ det fort! Nur der geſittete Poͤbel lebt tugendhaft, „ um ruhig zu ſterben; ſterbt ihr, ſterbt ihr auch mit „ Schrecken, ſo wißt, daß Leute von euerm Stan - „ de und Vermoͤgen weit uͤber dieſen aͤngſtlichen Ge - „ danken erhaben ſind! „ Wollte ich dieſes ſagen, ſowuͤrde12Vorbericht. wuͤrde ich in Gefahr ſeyn, von dieſen unwiſſenden Richtern fuͤr einen Verfuͤhrer der Jugend gehalten zu werden. Was ſoll man mit dieſen Leuten an - fangen? Man ſchicke ſie wieder in Secunde! Da moͤgen ſie den Voßius lernen, und ſich erklaͤren laſ - ſen, was die Figur der Jronie heiße!
Nichts iſt gemeiner, als die Frage: Wer hat dir aber den Beruf gegeben, Satyren zu ſchreiben? Das iſt leicht zu beantworten. Sagt mir erſt: Wer hat euch den Beruf gegeben, mich zu fragen? Uns? Die Begierde, dich von deinem ſuͤndlichen Vorhaben abzuziehen; das Verlangen, die Unſchuld deinen bittern Spoͤttereyen zu entreiſ - ſen; mit einem Worte, die allgemeine Men - ſchenliebe: Jſt dieſes nicht Beruf genug? Gut! Und eben dieſe allgemeine Menſchenliebe iſt auch mein Beruf, Satyren zu ſchreiben. Die Laſter zu ſchrecken, die laͤcherlichen Fehler den Menſchen ver - aͤchtlich vorzuſtellen, vernuͤnftige Buͤrger zu ſchaffen, alle Welt mit mir gluͤcklich zu machen; ſind euch dieſe Urſachen nicht wichtig genug? Brauche ich dazu eine ſchriftliche Vocation? Jch werde mich weiter verantworten, wenn man eben dieſe Frage an alle diejenigen thut, welche Buͤcher ſchreiben.
Daß13Vorbericht.Daß es Maͤnner giebt, welche nur um deswil - len Feinde der Satyre ſind, damit ſie Sporteln ma - chen, und diejenigen zuͤchtigen koͤnnen, welche Sa - tyren leſen: das iſt ein ſo rares Exempel, daß ich es fuͤr uͤberfluͤßig halte, etwas davon zu erwaͤhnen. Seit der Einfuͤhrung der hochnothpeinlichen Hals - gerichtsordnung, weis man in der juriſtiſchen Hiſto - rie nur einen einzigen Fall, daß dieſes in Deutſch - land geſchehen ſey, und die vernuͤnftige Nachwelt wird billig daran zweifeln.
Es kommen alſo dieſe feindſeligen Urtheile, denen die Satyre ausgeſtellt iſt, gemeiniglich von ſolchen Leſern her, welche ſich aus angeerbten Vor - urtheilen, aus einer uͤbelverſtandnen Froͤmmigkeit, aus eigner Schmaͤhſucht, aus haͤmiſcher Heucheley, aus muͤrriſchem Eigenſinne, aus Unwiſſenheit, und aus andern Leidenſchaften das bittre Vergnuͤgen ma - chen, ſich zu Feinden der Satyre aufzuwerfen. Jch habe aber oben geſagt, daß die Verfaſſer eben ſowohl, als die Leſer, an den uͤbeln Begriffen Urſache ſind, welche ſich viele von der Satyre machen, und ich getraue mir zu behaupten, daß ſie die allermeiſte Schuld daran haben.
Wer den Namen eines Satyrenſchreibers ver - dienen will, deſſen Herz muß redlich ſeyn. Er mußdie14Vorbericht. die Tugend, die er andre lehrt, fuͤr den einzigen Grund des wahren Gluͤcks halten. Das Ehrwuͤr - dige der Religion muß ſeine ganze Seele erfuͤllen. Nach der Religion muß ihm der Thron des Fuͤr - ſten, und das Anſehen der Obern das Heiligſte ſeyn. Die Religion und den Fuͤrſten zu beleidigen, iſt ihm der ſchrecklichſte Gedanke. Er liebet ſeinen Mit - buͤrger aufrichtig. Jſt dieſer laſterhaft, ſo liebt er den Mitbuͤrger doch, und verabſcheut den Laſterhaften. Die Laſter wird er tadeln, ohne der oͤffentlichen Be - ſchimpfung die Perſon desjenigen auszuſtellen, wel - cher laſterhaft iſt, und noch tugendhaft werden kann. Er muß eine edle Freude empfinden, wenn er ſieht, daß ſein Spott dem Vaterlande einen guten Buͤr - ger erhaͤlt, und einen andern zwingt, daß er auf - hoͤre, laͤcherlich und laſterhaft zu ſeyn. Er muß die Welt und das ganze Herz der Menſchen, aber vor allen Dingen muß er ſich ſelbſt kennen. Er muß liebreich ſeyn, wenn er bitter iſt. Er muß mit ei - ner ernſthaften Vorſicht dasjenige wohl uͤberlegen, was er in einen ſcherzhaften Vortrag einkleiden will. Mit einem Worte; er muß ein rechtſchaffner Mann ſeyn!
Waͤren alle Satyrenſchreiber dieſes, wie ſie es alle ſeyn ſollten, ſo glaube ich gewiß, die meiſten ih -rer15Vorbericht. rer Feinde wuͤrden ihre oͤffentlichen Freunde werden, und diejenigen, welche nicht dazu gemacht ſind, ver - nuͤnftig zu denken, wuͤrden ſich, wo nicht vor ſich ſelbſt, doch wenigſtens vor der Welt ſchaͤmen, laͤn - ger ihre Feinde zu heißen. Es iſt wahr, wir wuͤr - den, wenn dieſe ſtrengen Regeln beobachtet werden ſollten, ein paar hundert Satyrenſchreiber weniger haben. Aber, das iſt auch in der That alles, was man dem Vaterlande nur wuͤnſchen kann. So lan - ge dieſer Wunſch unerhoͤrt bleibt; ſo lange haben die Verfaſſer die meiſte Schuld, daß die Satyren ſo vielen Leſern verdaͤchtig ſind.
Kein Pasquillant iſt zu laſterhaft, er fluͤchtet ſich hinter die Satyre. Er ſchaͤmt ſich nicht, dem Unſchuldigen Laſter anzudichten; aber ein Pasquil - lant zu heißen, ſchaͤmt er ſich doch. Seine Bos - heit iſt gefaͤhrlicher, als die Tuͤcke des Straßenraͤu - bers. Er verdient, wie dieſer, die Rache der Ge - ſetze, und er iſt unwuͤrdig, daß wir weiter ſeiner gedenken.
Wir ſind ſehr geneigt, die Fehler an unſern Fein - den laͤcherlich zu machen, und ſchmeicheln uns, daß wir eine Satyre ſchreiben, wenn wir dieſes thun. Jch zweifle daran. Schreiben wir aus redlichen Her - zen? Schreiben wir, unſern Feind zu beſſern? Hater16Vorbericht. er die Fehler auch wirklich an ſich, die wir laͤcher lich machen? Drey ſchwere Fragen! Wie leicht be truͤgen wir uns ſelbſt, wenn wir dasjenige fuͤr einen Trieb der Menſchenliebe halten, welches wohl nichts, als eine aufwallende Hitze der Rachbegierde, iſt. Wir ſind beleidigt; unſer Feind ſoll es empfinden, wie gefaͤhrlich es ſey, denjenigen zu beleidigen, der ſeine Fehler einſieht, und Witz genug hat, ihn laͤcher - lich zu machen. Wollen wir ihn beſſern? Nein! denn er iſt unſer Feind, und wir verloͤren zu viel, wenn derjenige durch ſeine Beſſerung ſich die Hoch - achtung der vernuͤnftigen Welt verdiente, welchen wir bey der vernuͤnftigen und unvernuͤnftigen Welt laͤcherlich machen wollen. Vielmals hat er keinen Fehler weiter, als dieſen, daß er unſer Feind iſt. Schwachheiten machen wir zu Verbrechen[,]und was wir bey uns Verſehen heißen, das ſtellt uns der Haß an unſern Feinden als die abſcheulichſten Laſter vor. Wie koͤnnen wir verlangen, daß dasjenige eine Satyre ſeyn ſoll, was wir, wenn es wider uns ge - gerichtet waͤre, eine rachſuͤchtige Verleumdung nen - nen wuͤrden? Jch glaube auch, daß es ſehr unvor - ſichtig iſt, wider ſeinen Feind Satyren zu ſchreiben; geſetzt, daß wir in der That die Abſicht haͤtten, ihn zu beſſern und geſetzt, daß er wirklich laſterhaft waͤre. Unſer17Vorbericht. Unſer Feind gewinnt zu viel uͤber uns. Er darf nur ſagen; daß wir von ihm beleidigt ſind, und daß wir als Feinde ſchreiben: So hat er ſeine Fehler vertheidigt, und kann ganz ruhig laſterhaft bleiben. Er bringt die Leſer auf ſeine Seite, welche ohnedem geneigt genug ſind, an der guten Abſicht der Sa - tyre zu zweifeln. Wir werden der Welt verdaͤchtig, an ſtatt, daß wir die Fehler unſers Feindes laͤcher - lich machen wollten.
Wenn wir bey manchen die Urſachen unterſu - chen wollten, warum ſie mit ſo vieler Bitterkeit wi - der die Fehler der Menſchen eifern: So wuͤrden wir finden, daß es aus Misgunſt, und aus ihrem ſchwar - zen Gebluͤte herkomme. Ein rechtſchaffner Saty - renſchreiber wird ſich freuen, wenn es aller Welt wohlgeht; dieſe aber knirſchen uͤber das Gluͤck ihres Mitbuͤrgers. Es waͤre zu verwegen, ihm ſein Gluͤck vorzuwerfen. Was ſollen ſie thun? Sie vergiften ihm ſeine Zufriedenheit; ſie machen die Quelle verdaͤch - tig, aus der ſein Gluͤck entſprungen iſt, und werfen ihm vor, daß er ſich deſſen nicht vernuͤnftig bediene. Dadurch ſchaffen ſie ſich ein frommes und weiſes Anſehen, und wollen uns bereden, daß ſie dieſes Gluͤcks weit wuͤrdiger waͤren. Unter hundert Saty - ren, wider die Pracht und Verſchwendung der Rei -bchen18Vorbericht. chen, kommen gewiß funfzig aus der Feder ſolcher Verfaſſer, welche innerlich mit dem Himmel murren, daß ſie durch ihre Armuth gehindert werden, auf eine ſo praͤchtige und verſchwenderiſche Art, wie je - ne, laſterhaft zu ſeyn. Sie ſind Bettelmoͤnche, welche Maͤßigkeit predigen. Jn ihren Augen iſt ein Reicher ohne Unterſchied ein ungerechter Mann. Er und ſein Vater muͤſſen Wuchrer geweſen ſeyn; wo kaͤmen ſonſt die Schaͤtze her? Die Tugend adelt nur, reich macht ſie nicht; ſagt der Herr Verfaſſer mit einer bittern Miene, und ſchielt ganz kleinmuͤthig auf ſeinen abgetragnen Rock. Sind dergleichen Scribenten nicht ſelbſt Urſache, daß der Verſchwender und der Wuchrer die Satyren verdaͤchtig machen?
Es iſt ein Ungluͤck fuͤr die Satyre, wenn ſie de - nen in die Haͤnde geraͤth, welche witzig gnug ſind, Lachen zu erregen, aber nur aus Muthwillen ſpotten. Jn der That ſind ſie weder boshaft, noch neidiſch; aber ſie ſind muthwillig. Sie wollen nicht gern allein lachen; die Welt ſoll mit lachen. Sie ſpaͤ - hen die Fehler des andern aus, nicht, ihn zu beſſern, ſondern ihn laͤcherlich zu machen. Sie ſind froh, daß es Fehler giebt, ſonſt koͤnnten ſie nicht witzig ſeyn. Waͤren alle Menſchen tugendhaft; wie ſehr wuͤrden ſie ſich aͤrgern! Sie warten nicht, bis ihr reifen -der19Vorbericht. der Verſtand durch die Erfahrung die gruͤndliche Einſicht erhaͤlt, welche noͤthig iſt, das Herz eines Laſterhaften zu durchforſchen, um nur diejenigen Fehler zu zuͤchtigen, welche eine Zuͤchtigung verdie - nen. Nein; ſo bald ſie vernehmlich reden und le - ſerlich ſchreiben koͤnnen, ſo bald reden und ſchreiben ſie boͤſes. Sie ſpotten, ehe ſie denken lernen, und weil noch immer viel gutes unter dem Muthwillen eines ſo lebhaften Juͤnglings verborgen liegt, wel - ches ſich gemeiniglich mit den Jahren durcharbeitet: So wird man finden, daß ſie aufhoͤren, zu ſpotten; ſo bald ſie anfangen, zu denken. Jnzwiſchen muß derjeni - ge von ihnen leiden, welcher es nicht verdient hat. Die Satyre wird verhaßt, weil ſie ihre Spoͤttereyen fuͤr Satyren ausgeben; und es gehoͤren viele Jahre da - zu, ehe ſie das Andenken ihres jugendlichen Muth - willens ausloͤſchen; man gebe einmal acht, ob nicht dieſe eben diejenigen ſind, welche in den gelehrten Kriegen das groͤßte Laͤrmen machen.
Die Schreibart, deren man ſich bey der Satyre bedienet, will mit einer außerordentlichen Vorſicht gewaͤhlt ſeyn, wenn ſie nicht anſtoͤßig werden und den Leſer wider die Satyre aufbringen ſoll. Viele glauben, recht herzhaft zu lehren, wenn ſie recht an - zuͤglich ſchreiben. Sie murren die Fehler der Men -b 2ſchen20Vorbericht. ſchen an, an ſtatt daß ſie mit ihnen lachen ſollten; aus Liebe zur Wahrheit ſchimpfen ſie. Sie thun ſehr unrecht. Koͤmmt ihre Herzhaftigkeit nicht aus einem boͤſen, ſo koͤmmt ſie wenigſtens aus einem gro - ben Herzen her: das iſt alles, was man zu ihrer Entſchuldigung ſagen kann; aber wie viele von den Leſern ſind geneigt, dieſe Entſchuldigung gelten zu laſſen? Und dennoch ſind ſie allemal weit ertraͤgli - cher, als der ungezogne Witz derer, welche nicht ſatyriſch ſeyn koͤnnen, ohne unflaͤtig zu ſeyn. Jch kenne Maͤnner, welche ſich einbilden, ſehr fein zu denken; welche im Stande ſind, einen ganzen Abend lang eine Geſellſchaft beiderley Geſchlechts mit den groͤbſten Zweydeutigkeiten zu unterhalten, ohne ein einzigmal roth zu werden. Sie ſind gemeiniglich die erſten, die uͤber ihre ſatyriſchen Einfaͤlle lachen, und ſie zwingen dadurch wenigſtens den Wirth, aus Gefaͤlligkeit mit zu lachen; Vernuͤnftige aber, wer - den einen ſo niedertraͤchtigen Witz verabſcheuen. Verhaͤngt es nun der Himmel in ſeinem Zorne, daß ein dergleichen ungeſitteter Menſch gar ſchreibt, und ſeine Satyren, wie er es nennt, drucken laͤßt; was fuͤr einen Begriff muͤſſen die Leſer von einer Satyre bekommen? Hoffen ſie etwan zu beſſern? Jch glaube nicht, und ſie werden es auch nicht geſtehen, daß ſiefuͤr21Vorbericht. fuͤr den Poͤbel ſchreiben; ob ſie gleich die Sprache des Poͤbels reden.
Viele gehen in ihrem Eifer, das Laͤcherliche der Menſchen zu zeigen, gar zu weit, und verſchonen keinen Stand. Es iſt wahr, es giebt in allen Staͤn - den Thoren; aber die Klugheit erfodert, daß man nicht alle tadle, ich werde ſonſt durch meine Ueberei - lung mehr ſchaden, als ich durch meine billigſten Abſichten nutzen kann. Der Verwegenheit derer will ich gar nicht gedenken, welche mit ihrem Frevel bis an den Thron des Fuͤrſten dringen, und die Auffuͤhrung der Obern verhaßt, oder laͤcherlich ma - chen wollen. Jſt es nicht ein innerlicher Hoch - muth, daß ſie in ihrem finſtern Winkel ſchaͤrfer zu ſehen glauben, als diejenigen, welche den Zuſammen - hang des Ganzen vor Augen haben; ſo iſt es doch ein uͤbereilter Eifer, der ſich mit nichts entſchuldi - gen laͤßt. Sie haben ſelbſt noch nicht gelernt, gute Unterthanen zu ſeyn; wie koͤnnen wir von ihnen erwarten, daß ſie uns die Pflichten eines vernuͤnftigen Buͤrgers lehren ſollen? Es giebt andre Staͤnde, wel - che zwar ſo heilig nicht ſind, daß es ein Verbrechen waͤre, das Laͤcherliche an ihren Fehlern zu entdecken; bey denen aber doch die Billigkeit erfodert, daß man es mit vieler Maͤßigung thue. Jch rechneb 3darun -22Vorbericht. darunter die Lehrer auf Schulen. Die Jugend iſt ohnedem geneigt genug, das Fehlerhafte an denenje - nigen zu entdecken, deren Ernſthaftigkeit ihren Muth - willen im Zaume halten ſoll. Wollen wir ſie durch bittre Satyren auf ihre Lehrer noch muthwilliger machen? Geſetzt, ein ſolcher Lehrer hat ſeine Feh - ler, welche verdienten, beſtraft zu werden! Vielleicht iſt er eigennuͤtzig, vielleicht pedantiſch, vielleicht ein elender Scribent. Es kann ſeyn. Werfe ich ihm dieſe Fehler vor, ſtelle ich ihn dem Gelaͤchter ſeiner Schuͤler bloß, geſetzt auch, daß ich es aus redlichem Herzen thaͤte, um ihn zu beſſern; ſo werde ich alle - mal mehr ſchaden, als nutzen. Jhn werde ich viel - leicht nicht beſſern, und ſeine Schuͤler werden glau - ben, ein Recht bekommen zu haben, demjenigen nicht zu gehorchen, welchen die Welt fuͤr laͤcherlich haͤlt. So oft er ſie ihrer Pflichten erinnert, ſo oft wird ih - nen einfallen, daß ſie von einem eigennuͤtzigen Man - ne, von einem Pedanten, von einem elenden Scri - benten daran erinnert werden. Dieſes Andenken macht ihnen die wichtigſten Pflichten veraͤchtlich; und ein Schuͤler, bey dem dieſes Vorurtheil die Oberhand gewinnt, wird ſelten als ein redlicher Mann ſterben. Bin ich nicht Schuld? Einen Pedanten habe ich nicht gebeſſert, dem Vaterlande aber habe ich an ſei -nen23Vorbericht. nen Schuͤlern hundert ungeſittete Buͤrger gezogen. Jn der That erſchrecke ich allemal, wenn ich ſehe, daß ein Schulmann unter die Geißel der Satyre faͤllt. Jhn bedaure ich ſelten, aber die Folgen da - von ſind mir zu ernſthaft. Und thun dergleichen Lehrer wohl Unrecht, wenn ſie der Jugend fuͤrchter - liche Begriffe von der Satyre beyzubringen ſuchen?
Die Geiſtlichen haben gemeiniglich das Ungluͤck, daß der Witz ſatyriſcher Koͤpfe auf ſie am meiſten anprellt. Jch bin ſehr unzufrieden damit. Da verſchiedne unter ihnen ſo wenig ſorgfaͤltig ſind, ih - re Fehler zu verbergen: So koͤnnen ſie von uns nicht verlangen, daß wir ſie nicht wahrnehmen ſollten. Sie ſind nicht uͤber die Satyre erhaben, das raͤume ich ihnen nicht ein; viele ſind tief unter derſelben, wenn man ſie nach ihrer unanſtaͤndigen Auffuͤhrung beurtheilen ſoll, und viele wuͤrden gar zu ſorglos ſeyn, wann ihre ehrwuͤrdige Kleidung ſie vor allen Strei - chen der Satyre ſchuͤtzte. Dennoch glaube ich, daß man nicht vorſichtig genug dabey verfahren koͤnne. Es gilt hier beynahe eben das, was ich oben von den Lehrern in Schulen geſagt habe. Die Reli - gion laͤuft Gefahr, veraͤchtlich zu werden, wenn man die Fehler desjenigen veraͤchtlich macht, welcher ge - ſetzt iſt, die Religion zu predigen. Das Volk iſt nichtb 4allemal24Vorbericht. allemal einſehend genug, einen Unterſchied, zwiſchen der Perſon desjenigen, der ſie lehrt, und zwiſchen ſeinen Lehren ſelbſt zu machen. Wage ich nicht zu viel, wenn ich einen beſſern will, und dadurch in Gefahr komme, das Anſehen der ganzen Religion zu ſchwaͤchen, welche man dem Volke nicht ehrwuͤr - dig genug vorſtellen kann? Jſt ein Geiſtlicher wirk - lich laſterhaft; ſo uͤberlaſſe man ihn der Obrigkeit, welche aufmerkſam genug iſt, dem Aergerniſſe zu ſteuern, das ſeine laſterhafte Auffuͤhrung in der Kir - che veranlaſſen kann. Hat er laͤcherliche Fehler, und wir finden ſchlechterdings noͤthig, dieſe zu zuͤchtigen; ſo muß unſre Satyre ſo allgemein ſeyn, daß nur die Fehler laͤcherlich werden, ſeine Perſon aber, ſo viel es moͤglich iſt, verdeckt und unerkannt bleibt. Sind es Kleinigkeiten, ſind es gelehrte Schwach - heiten, die ihm anhaͤngen, ſo habe man Geduld, oder maͤßige wenigſtens die Bitterkeiten mit aller Vorſicht. Jſt er ein Jgnorant, und doch exempla - riſch, (denn es giebt viel exemplariſche Jgnoranten,) ſo verehre man ihn wegen ſeines guten Wandels, und verzeihe ihm ſeine Unwiſſenheit. Durch Do - natſchnitzer koͤmmt die Kirche nicht in Gefahr, und wir koͤnnen uns mit der angenehmen Vorſtellung beruhigen, daß wir gelehrter ſind, als er.
Jch25Vorbericht.Jch habe bey dem Charakter eines Satyren - ſchreibers gefodert, daß das Ehrwuͤrdige der Reli - gion ſeine ganze Seele erfuͤllen muß. Jſt dieſes, ſo wird er nicht allein in Anſehung der Geiſtlichen nach denen Regeln, die ich oben gegeben habe, viele Maͤßigung brauchen; ſondern er wird auch ſeine groͤßte Aufmerkſamkeit darauf gerichtet ſeyn laſſen, daß durch ſeine Satyren das Anſehen der Religion nicht im geringſten geſchwaͤcht werde. Wie kann ſich derjenige ruͤhmen, daß ſeine Abſicht ſey, die Tu - gend allgemeiner zu machen, welcher gegen die Reli - gion leichtſinnig iſt? Ein ſolcher Menſch wird laſter - haft, um nicht laͤcherlich zu ſeyn. Von denen will ich nicht reden, welche unter dem gemisbrauchten Namen der Satyre ſich Muͤhe geben, den ganzen Bau unſers Glaubens zu erſchuͤttern. Jhre unſinni - ge Wut, ſo ohnmaͤchtig ſie auch iſt, verdient das Tollhaus, und keine vernuͤnftigen Vorſtellungen. Jch will nur eines Misbrauchs gedenken, welcher, wenn ich freundſchaftlich urtheilen ſoll, mehr Leichtſinn, als Bosheit, verraͤth. Es giebt gewiſſe Gebraͤuche in der Kirche, welche gleichguͤltig ſind, und zur Reli - gion ſelbſt nicht gehoͤren; ſie machen den geiſtlichen Wohlſtand aus. Man huͤte ſich ja, dieſe laͤcherlich zu machen! Jſt das Volk aberglaͤubiſch, ſo wird esb 5unſre26Vorbericht. unſre Schriften verabſcheuen; iſt es ſo leichtſinnig wie wir, ſo wird es bey dieſen gleichguͤltigen Ge - braͤuchen nicht ſtille ſtehen, ſondern weſentliche Stuͤcke der Religion auch fuͤr gleichguͤltig halten, und end - lich uͤber die ganze Religion ſpotten lernen.
Es war in Deutſchland eine Zeit, wo die Sa - tyre nicht anders, als auf Unkoſten der Bibel, witzig ſeyn konnte. Wenn man recht fein ſcherzen wollte, ſo ſcherzte man aus den Pſalmen, und es gab mun - tre Koͤpfe, welche ſo zu ſagen, eine ganze ſatyriſche Concordanz in Bereitſchaft hatten, um in ihrem Witze unerſchoͤpflich zu ſeyn. Zur Abwechſelung brauchten ſie die Geſaͤnge der Kirche, und ſie brach - ten dadurch in einer Minute mehr Narren zum La - chen, als Zuhoͤrer der Geiſtliche durch Bibel und Geſaͤnge in einem ganzen Jahre zum Weinen be - wegen konnte. Jch freue mich, daß wir uns von dieſem verderbten Geſchmacke, das iſt der gelindeſte Name, den man dieſer Thorheit geben kann, wieder erholt haben. Worinnen beſtund der Witz? Nicht in dem Gedanken, den man vorbrachte, ſondern in der Art, wie er vorgebracht ward. Das kam den Zuhoͤrern luſtig vor, daß wir die geſchwinde Fertig - keit beſaßen, den ernſthafteſten Gedanken der Schrift durch eine poßierliche Verdrehung dermaaßen zu ver -unſtal -27Vorbericht. unſtalten, daß er ſo abgeſchmackt ausſah, wie unſer eigner Gedanke. Sie fanden dieſes Mittel ſehr be - quem, ſpaßhaft zu ſeyn, ohne daß es noͤthig geweſen waͤre, Verſtand zu haben; ſie ahmten es mit Freu - den nach; und in kurzer Zeit ward dieſer Misbrauch ſo allgemein, daß niemand witzig war, als ſo ein bibelfeſter Luſtigmacher. Haͤtte man vor derglei - chen Scherze auch um deswillen keinen Abſcheu haben wollen, weil ſie wirklich dem ehrwuͤrdigen Anſehen der Religion nachtheilig ſind: So haͤtte man ſich we - nigſtens darum ihrer ſchaͤmen ſollen, weil wir dadurch einen Eingriff in die Rechte des niedrigſten Poͤbels thaten. Man gebe nur einmal acht! So bald ein Stallknecht ſich fuͤhlt, daß er feiner denkt, als die Viehmagd, ſo wird er ſie mit ſeinem Spaße aus der Bibel, oder einem geiſtlichen Liede, uͤberra - ſchen. Das ganze Geſinde ſchreyt vor Lachen, alle bewundern ihn bis auf den Ochſenjungen, und die arme Viehmagd, welche ſo witzig nicht iſt, ſteht be - ſchaͤmt da. Der ſatyriſche Stallknecht! Man laſſe ihm ſeinen angeerbten Witz! Sind wir eiferſuͤchtig daruͤber?
Darauf bin ich ſtolz, daß in meinen ſatyriſchen Schriften alles mit moͤglichſter Sorgfalt vermieden iſt, was einigen Leichtſinn gegen die Religion ver -rathen,28Vorbericht. rathen, oder als ein Misbrauch der Schrift und geiſtlicher Geſaͤnge angeſehen werden koͤnnte. Jch habe dieſes jederzeit fuͤr meine erſte Pflicht gehalten; und man wird Stellen finden, wo ich eine wahre Hochachtung gegen die Religion und ihre Diener ernſthaft genug geaͤußert habe. Deſto empfindli - cher hat mir es ſeyn muͤſſen, da ich erfahren, daß man einer von meinen Schriften dieſen Vorzug ſo gar gerichtlich ſtreitig machen wollen. Meine Leſer werden mir erlauben, daß ich mich dieſer Gelegen - heit bediene, etwas zu meiner Vertheidigung anzu - fuͤhren. Vielleicht leſen ſie es mit Vergnuͤgen, denn dergleichen poßierliche Haͤndel kommen nicht alle Jah - re vor Gerichte vor.
Der Eidſchwur iſt unſtreitig eine der wichtigſten Handlungen im gemeinen Leben, wir moͤgen den Menſchen als einen Chriſten, oder nur als einen Menſchen uͤberhaupt, betrachten. Der Misbrauch der Eidſchwuͤre iſt mir vor vielen andern Laſtern ver - abſcheuungswuͤrdig vorgekommen. Den Grund die - ſes Misbrauchs habe ich nicht allein in dem Herzen des Menſchen geſucht, welches immer geneigt iſt, ſich ſeiner Pflichten, ſo viel moͤglich iſt, zu entlaͤſtigen; ich habe auch gefunden, daß die Richter ſelbſt, und wohl vielmals ohne ihren Willen Schuld daran ſind. Die29Vorbericht. Die Vorſicht, mit welcher man in alten Zeiten ſich des Eides bediente, war Urſache, daß er ſich in ſei - nem wahren Werthe erhielt. Je behutſamer man war, die Eide zuzulaſſen, deſtomehr Ehrfurcht be - hielt man fuͤr dieſelben im Gerichte. Jtzt ſind unſre Richter weit nachſehender, und ich weis nicht, iſt es die Bosheit der Menſchen, oder iſt es eine andre Urſache, welche das Uebel beynahe unvermeidlich macht, daß man vor den meiſten Gerichtsbaͤnken faſt mehr von Eiden, als von Sporteln, reden hoͤrt. Jch hatte wahrgenommen, daß ein unverſchaͤmter Leichtſinn bey Ablegung eines Eides gewiſſermaaßen zu einer Art des Wohlſtandes geworden war. Frau - enzimmer, welche ſich wuͤrden geſchaͤmt haben, ih - rem Braͤutigame vor dem Altar anders, als mit ei - ner ehrbaren und geſetzten Miene die Verſicherung ihrer Treue zu geben, huͤpften mit dem flatterhaften Leichtſinne einer Coqvette vor den Richterſtuhl, und ſchwuren mit lachenden Mienen den ſchrecklichſten Eid. Maͤnner, und Maͤnner deren Amt vielmals erfodert, daß ſie ſelbſt andre vor dem Meyneide warnen muͤſſen, verrichteten dieſe Handlung mit einer ſo frechen Sorg - loſigkeit, daß ſie um nichts bekuͤmmert zu ſeyn ſchienen, als wie ſie ihre Fuͤße wohl ſtellen, den Huth unterm Arme anſtaͤndig halten, und den Mantel auf einegalante30Vorbericht. galante Art zuruͤckſchlagen moͤchten. Wer ſie in dieſer Stellung ſaͤhe, der wuͤrde darauf nicht gefal - len ſeyn, daß ſie hier waͤren, vor dem Angeſichte des oberſten Richters ſich entweder zu rechtfertigen, oder ewig zu verfluchen; er wuͤrde haben glauben muͤſſen, daß ſie da ſtuͤnden, vor der anweſenden Geſellſchaft einen Scaramutz zu tanzen. Der niedertraͤchtige Eigennutz ungewiſſenhafter Advocaten iſt an den mei - ſten Meyneiden Urſache. Koͤnnen ſie es nur ſo weit bringen, daß ihr Client zum Schwure koͤmmt, ſo haben ſie gewonnen. Fuͤhlt ihr Client noch einige Regungen der Menſchlichkeit; iſt er noch nicht ganz ohne Gewiſſen: So werden ſie um einige Thaler beym Proceſſe zu erbeuten, alle ihre Beredſamkeit anwen - den, ihn entweder eben ſo verſtockt zu machen, als ſie ſind; oder, weil dieſes ſo leicht nicht moͤglich iſt, ihm wenigſtens durch falſche Begriffe vom Eide, und von deſſen geheimen Verſtande, das Gewiſſen, wie ſie es nennen, zu erleichtern, und ihn zu Ablegung ei - nes ungerechten Eides zu vermoͤgen.
Alles dieſes hatte ich wahrgenommen, und ich ſetzte mir vor, meinen Mitbuͤrgern dieſen thoͤrichten Leichtſinn laͤcherlich zu machen; in der Hoffnung, diejenigen, welche keiner ernſthaften Betrachtung faͤ - hig ſind, wuͤrden ſich wenigſtens um deswillen ſchaͤ -men,31Vorbericht. men, weil dieſe Auffuͤhrung unanſtaͤndig iſt. Jch redete hievon in der ſatyriſchen Sprache der Jronie, und ſagte von dem Eidſchwure: „ Jn den alten „ Zeiten kam dieſes Wort nicht oft vor, und daher „ geſchah es auch, daß unſre ungeſitteten Vorfahren, „ die einfaͤltigen Deutſchen, glaubten, ein Eidſchwur „ ſey etwas ſehr wichtiges. Heut zu Tage, hat man „ dieſes ſchon beſſer eingeſehen, und je haͤufiger die - „ ſes Wort, ſo wohl vor Gerichte, als im gemeinen „ Leben vorkoͤmmt, deſto weniger will es ſagen. Ei - „ nen Eid ablegen, iſt bey Leuten, die etwas wei - „ ter denken, als der gemeine Poͤbel, gemeiniglich nichts „ anders, als eine gewiſſe Ceremonie, da man auf - „ rechts ſteht, die Finger in die Hoͤhe reckt, den Hut „ unter dem Arme haͤlt, und etwas verſpricht, oder „ betheuert, das man nicht laͤnger haͤlt, bis man den „ Hut wieder aufſetzt; mit einem Worte, es iſt ein „ Compliment, daß man Gott macht. Ein Com - „ pliment aber gehoͤrt unter die nichts bedeutenden „ Worte. Etwas eidlich verſichern, heißt an vie - „ len Orten ſo viel, als eine Luͤgen recht wahrſchein - „ lich machen. Van Hoͤken in ſeinem allezeit fer - „ tigen Juriſten nennt den Eid herbam betonicam, „ und verſichert, einem den Eid deferiren, ſey „ nichts anders, als ſeinem klagenden Clienten die„ Sache32Vorbericht. „ Sache muthwillig verſpielen, und die Formel, ſich „ mit einem Eide reinigen, heiße ſo viel, als den „ Proceß gewinnen, denn zu einem Reinigungs ei - „ de gehoͤre weiter nichts, als drey geſunde Finger, „ und ein Mann ohne Gewiſſen. Jene haͤtten faſt „ alle Menſchen, und dieſes die wenigſten. Und „ wenn auch ja jemand die Vorurtheile der Jugend „ an ſich, und ein ſo genanntes Gewiſſen haͤtte: So „ wuͤrde es doch nirgends an ſolchen Advocaten feh - „ len, welche ihn eines beſſern belehrten, und fuͤr ein „ dilliges Geld aus ſeinem Jrrthume helfen koͤnnten. „ Gott ſtraf mich! oder: Der Teufel zerreiſ - „ ſe mich! Jſt bey Matroſen und Muſketirern eine „ Art eines galanten Scherzes, und in Pommern „ lernte ich einen jungen Officier kennen, der ſchwur „ auch ſo, doch ſchwur er niemals geringer, als bey „ tauſend Teufeln, weil er von altem Adel war. „ Jch will nicht zu Gott kommen; Jch bin des „ Teufels mit Leib und Seele; iſt das gewoͤhn - „ liche Spruͤchwort eines gewiſſen Narrens, welcher „ gar zu gern ausſehen moͤchte, wie ein Freygeiſt. „ Er wuͤrde es in der That ſehr uͤbel nehmen, wenn „ man ihn mit andern kleinen Geiſtern vermengen, „ und von ihm ſagen wollte, daß er einen Himmel „ oder eine Hoͤlle glaubte, und dennoch ſchwoͤrt er„ alle33Vorbericht. „ alle Augenblicke, mit der witzigſten Mine von der „ Welt, bey Gott und allen Teufeln. Mir koͤmmt „ dieſes eben ſo kraͤftig vor, als wenn unſer Muͤnz - „ jude Jeſus, Maria! rufen wollte. Seinen Eid „ brechen, will nicht viel ſagen, und wird dieſe Re - „ densart nicht ſehr gebraucht. Auf der Kanzel „ hoͤrt man ſie noch manchmal, aber daher koͤmmt „ es, daß ſie ſo geſchwind vergeſſen wird, als die „ Predigt ſelbſt. Jn der That bedeutet es auch „ nicht mehr, als die Ehe brechen, und um des - „ willen iſt ein Ehebrecher und ein Meyneidiger an „ verſchiednen Orten, beſonders in großen Staͤdten, „ ſo viel als ein Mann, der zu leben weis. Dieſe „ Bedeutung faͤngt auch ſchon an, in kleinen Orten „ bekannt zu werden, denn unſre Deutſchen werden „ alle Tage witziger, und in kurzem werden wir es „ den Franzoſen beynahe gleich thun.
Jch wuͤrde meine Leſer beleidigen, wenn ich ih - nen nicht zutrauen wollte, ſie koͤnnten, ohne mein Errinnern, einſehen, daß dieſes in der lachenden Spra - che der Jronie eben dasjenige geſagt ſey, was ich oben von den Misbrauche des Eides, von dem ſtraf - baren Leichtſinne der Schwoͤrenden, und von der Bosheit dererjenigen ernſthaft geſchrieben habe, wel - che ihre Clienten zu einem falſchen Eide bereden. Jchcließ34Vorbericht. ließ dieſe Stelle, nebſt andern, in eben dieſem ironi - ſchen Charakter, unter dem Titel: Verſuch eines deutſchen Woͤrterbuchs*Siehe dieſe Sammlung ſatyriſcher Schriften, den 2 Theil. in die Monatſchrift der neuen Beytraͤge, zum Vergnuͤgen des Verſtandes und Witzes, einruͤcken, und ich war ſo gluͤcklich, daß dieſer Aufſatz bey vernuͤnftigen Leſern Beyfall fand.
Jch weis aber nicht, durch welchen ungluͤckli - chen Zufall dieſe Monatſchrift den Bauern eines Dorfs im Voigtlande in die Haͤnde geſpielt wird. Sie finden in dem Artikel von Complimenten, in dem von Eidſchwuͤren und ſonſt einige Stellen, die ihnen auch als Bauern gefallen. Der Geiſtli - che des Orts hoͤrt etwas davon, und weil er nichts als einzelne Stellen hoͤrt, ſo iſt es ihm zu gute zu halten, daß er ſolche, außer ihrem Zuſammenhange, fuͤr verdaͤchtig haͤlt. Auch dieſes will ich bey ihm noch entſchuldigen, daß er auf der Kanzel ſowohl, als bey dem Kindtaufeſſen, aͤngſtlich wider dieſe Schrift eifert; wider dieſe gefaͤhrliche boͤſe Schrift, die er noch nicht geſehen hat. Kurz; er macht Laͤrmen, und der Gerichtsverwalter tritt ins Gewehr. Nun hebt ſich das Schreiben an! Richter und Schoͤp - pen, Muͤller, Bauern und Einnehmer werden vor - gefodert; man will das boͤſe Buch heraus haben,es35Vorbericht. es koͤmmt endlich, und man behaͤlts im Arreſte! Haͤtte man es hiebey bewenden laſſen, ſo wuͤrde man an dieſem Verfahren nichts weiter auszuſetzen fin - den, als allenfalls eine zu hitzig geaͤußerte Vorſicht. Jch bin wenig damit zufrieden, daß dieſes Buch den Bauern in die Haͤnde gebracht worden. Es kann leicht geſchehen, daß Leute von ſchwacher Einſicht eine Schreibart nicht verſtehen, die ihr eigner Gerichts - verwalter nicht verſteht, der doch lateiniſche Buͤcher hat. Das gemeine Volk misbraucht gar leicht et - was, wovon es die ernſthafte Abſicht nicht uͤberſieht, und eine Obrigkeit kann in der That nicht vorſichtig ge - nug ſeyn, dergleichen Leuten alles wegzuraͤumen, was ihre Unwiſſenheit misbrauchen kann. Anfaͤng - lich glaubte ich auch, die Bauern haͤtten einen oder den andern Ausdruck unvorſichtig gemisbraucht, und uͤber die Eide leichtſinnig geſcherzt. Waͤre die - ſes geweſen; ſo wuͤrden ſie diejenige Strafe ver - dient haben, welche ein ſolcher leichtſinniger Mis - brauch nach ſich zieht; aber nein! Davon findet ſich in den Acten nicht die mindeſte Spur. Sie haben darinnen geleſen, ſie haben mit Vergnuͤgen darinnen geleſen, und das iſt ein Verbrechen! Man treibt die Unterſuchung weiter; man will alle wiſſen, die in dieſem Buche geleſen haben. Es werden Zeu -c 2gen36Vorbericht. gen vernommen, und das Anſehen der Eide zu ver - theidigen, werden vergebne Eide geſchworen, weil man alle diejenigen entdecken will, welche ſich den Satan haben blenden laſſen, das Buch zu leſen. Haͤtte man wohl eine grimmigere Unterſuchung wi - der Fauſtens Hoͤllenzwang anſtellen koͤnnen? Alſo gieng die Verfolgung bloß uͤber die arme Schrift, welche mit oͤffentlicher Cenſur gedruckt, und im gan - zen Lande orthodox war, nur in dieſem Winkel von Sachſen nicht. Die Acten ſind voll von beleidi - genden Ausdruͤcken, von ſolchen Ausdruͤcken, welche einem Richter nnanſtaͤndig ſind, und welche die Ge - ſetze, als Beſchimpfungen, geſtraft wiſſen wollen. Man nennt meine Schrift: Verwegenſte Saͤtze von Geringſchaͤtzung der Eidſchwuͤre; gottloſe, gewiſſenloſe Lehren; ein aͤrgerliches Weſen; verdaͤchtige und ſpoͤttiſche Ausdruͤckungen von Eidſchwuͤren; ausgeſtreute Lehren vom Mis - brauche des Meyneids; oͤffentliches Aerger - niß; Verfuͤhrung unſchuldiger Herzen; ſkop - tiſche Saͤtze; Saͤtze, welche zu nichts geſchick - ter ſind, als ein zuͤgelloſes Leben zu aller heim - lichen Bosheit zu befoͤrdern, und ſo weiter. Und wo koͤmmt denn Jhnen alle dieſe Weisheit her, mein Herr, daß Sie in einem Buche ſo viel giftigesfinden,37Vorbericht. finden, welches vor Jhnen niemand gefunden hat, und nach Jhnen niemand finden wird. Kann denn ich was dafuͤr, daß Jhre Bauern ein Buch geleſen haben, das weder fuͤr Jhre Bauern, noch fuͤr Sie ge - ſchrieben iſt. Muß man denn ſo ungezogen ſeyn, wenn man fuͤr die Ehre der Religion zu eifern glaubt? Und kann man ſein Amt nicht verwalten, ohne grob zu werden? Wie ſollte der Herr Gerichtsverwalter geſprudelt haben, wenn er in den Zeiten geboren waͤre, wo die Hexenproceſſe noch Mode waren! Es iſt ein Gluͤck fuͤr mich, daß wir in Sachſen kein Au - to da Fe haben! Jch ſehe im Geiſte, wie er auf ſeinem frommen Buckel aus heiliger Einfalt ein Buͤn - del Holz zu meinem Scheiterhaufen traͤgt! Jn der That bin ich uͤberzeugt, daß dieſes ganze Verfahren mehr Eifer, als Ueberlegung, zum Grunde hat. Außerdem wuͤrde ich mich empfindlicher raͤchen. Da ich Gelegenheit gehabt habe, mich zu verantworten: So bin ich geneigt, ihm ein Vergehen zu verzeihen, deſſen er ſich, wie ich aus chriſtlicher Liebe hoffe, mit der Zeit ſchaͤmen wird. Jch wuͤnſche ihm mehr Gutes, als er von mir Boͤſes geſagt hat. Jch will ihm, ſo viel ich kann, alle Wohlthaten vom Himmel erbitten, et magnum Dei beneficium eſt, ſenſu communi valere, ſagt Cominaͤus!
c 3Ehe38Vorbericht.Ehe ich ſchließe, muß ich noch eines Fehlers ge - denken, welcher ſich bey der Satyre ſehr oft aͤußert, und an dem die Verfaſſer ſo wohl, als die Leſer, Schuld ſind. Manche ſind nicht im Stande, Satyren, und lebhaft, zu ſchreiben, wenn ſie nicht einen aus dem Volke herausheben, und ſeine Laſter oder laͤcherliche Gewohnheiten der Welt zur Schau ſtellen. Sie verfolgen und zerarbeiten ihn ſo lange, bis er der ganzen Welt verhaßt oder laͤcherlich iſt. Jch ſetze voraus, daß ſie dieſes in der That aus Liebe zur Tugend, und andre vor ſeinen Fehlern zu warnen, nicht aber aus Feindſchaft und Verbitterung, nur um ſich zu raͤchen, thun; denn alsdann verdienen ſie den Namen eines Satyrenſchreibers nicht einmal. Geſetzt aber auch, ihre Abſicht waͤre billig; ſo glau - be ich doch, daß dieſe verzweifelte Cur nicht eher zu brauchen iſt, bis daß Laſter gar zu gefaͤhrlich iſt, und zur Beſſerung ſonſt keine Mittel mehr uͤbrig ſind. Derjenige, welchen wir auf dieſe Art dem Haſſe, oder dem Gelaͤchter Preis geben, iſt nunmehr ganz außer dem Stande, ſich zu beſſern; ſowohl, als ein Miſſethaͤter, den man an der Stirne gebrandmarkt hat. Die oͤffentliche Schande muß ihn zur Ver - zweiflung bringen, und er wird oͤffentlich laſterhaft, da er es vorher vielleicht nur heimlich war. Jchglaube39Vorbericht. glaube aber auch, daß wir ſelbſt bey dieſer perſoͤn - lichen Satyre, dieſes iſt ihr eigentlicher Name, Gefahr laufen, parteyiſch zu werden. Aus allgemeiner Menſchenliebe fangen wir an, ſeine Fehler zu tadeln, und aus Eigenliebe fahren wir fort, ihn ohne Barmherzigkeit niederzureißen, ſo bald er Muth genug hat, ſich zur Wehre zu ſtellen. Jch will dieſen Satz mit nichts beweiſen, als mit unſern gelehrten Streitigkeiten. Jch glaube, dieſer Beweis geht uͤber alle. Außer der Gefahr, in wel, che ſich auf dieſe Art ein Satyrenſchreiber begiebt - ſich aus ſeinen Schranken zu verirren, wird er ſelbſt ſehr viel dabey verlieren. Jch habe das Herz nicht, einen Verfaſſer zu fragen, ob er nicht fuͤr die Nachwelt ſchreibe; wenigſtens wuͤrde ich ſehr betre - ten ſeyn, wenn man mich auf mein Gewiſſen dar - uͤber fragen wollte. Wir wollen es alſo nur auf - richtig geſtehen; wir ſchreiben auch fuͤr die Nach - welt. Koͤnnen wir wohl hoffen, daß wir durch die perſoͤnliche Satyre dieſen großen Zweck erlangen? Jch glaube es nicht. Unſre Satyre wird nur denen gefallen, welche den laͤcherlichen Menſchen kennen, den wir zuͤchtigen. Wollen wir dieſen Thoren mit verewigen? Wird die Nachwelt, die von ihm nichts mehr weis, als was wir von ihm geſagt haben, mitc 4eben40Vorbericht. eben dem Vergnuͤgen unſre Schrift leſen, wie es al - lenfalls die ietzt lebenden thun? Hundert kleine Um - ſtaͤnde, die uns laͤcherlich ſind, fallen ſodann weg, und werden den Nachkommen gleichguͤltig. Wie viel vermiſſen wir, eben um deswillen, an den Sa - tyren des Juvenals? Boileau, deſſen Witz vielleicht bitterer, als aufrichtig, war, hat einen großen Theil der Unſterblichkeit ſeinen Scholiaſten zu danken. Viele Schriften vom Swift kommen uns abge - ſchmackt vor, weil wir in Deutſchland die Originale nicht kennen, und die Gelegenheit nicht mehr wiſſen, welche ſeine perſoͤnlichen Satyren veranlaßt haben. Thun wir uns alſo durch dergleichen perſoͤnliche Sa - tyren nicht ſelbſt Schaden?
Wie unendlich ſind die Vorzuͤge, welche die allgemeine Satyre vor der perſoͤnlichen hat! Da - durch, daß ich Laſter oder Fehler, welche vielen zu - gleich gemein ſind, zum Gegenſtande meiner Saty - re waͤhle, vermeide ich bey billigen Leſern den Vor - wurf, daß ich aus Privatleidenſchaften, aus perſoͤn - lichem Haſſe, aus Begierde, mich zu raͤchen, ſchreibe. Gewinnt ein Autor ſo viel; erlangt er das Zu - trauen der Leſer, daß ſeine Abſichten tugendhaft, bil - lig und uneigennnuͤtzig ſind: So hat er ſchon halb gewonnen. Er kann gewiß hoffen, daß ſeine Sa -tyren41Vorbericht. tyren beſſern werden, und da er den Beyfall der ver - nuͤnftigen Welt auf ſeiner Seite hat, ſo muß der Laſterhafte ſich ſchaͤmen, ihn anzufeinden. Jch laſſe ihm Platz, ſich zu beſſern, da ich ſeine Perſon geſchont habe. Noch iſt er unerkannt; noch weis niemand, daß er dieſer Laſterhafte iſt; nur ich weis es, und ſein Gewiſſen. Er hat noch Zeit, tugend - haft zu werden; und die Welt ſoll es nicht erfah - ren, daß er laſterhaft geweſen iſt. Es kann nicht fehlen; eine allgemeine Satyre muß eine allgemei - ne Beſſerung wirken. Die Thorheit, die in Leipzig laͤcherlich iſt, eben dieſe Thorheit iſt in Liſſabon und in Moskau laͤcherlich. Die Narren ſehen, wie die Menſchen, alle einander aͤhnlich, nur einige Zuͤge veraͤndert das Clima. Kann meine Eigenliebe etwas mehr verlangen, als die ſchmeichelhafte Vorſtellung, daß, wenn ich die ſatyriſche Geißel wider die Unge - reimtheiten meines Nachbars aufhebe, ſich alle Tho - ren eines ganzen Landes buͤcken, aus Furcht, daß der Streich ihnen gilt? Wird aber dieſes geſchehen, wenn ich ihnen ſage, daß ich meinen Nachbar mey - ne? Eine allgemeine Satyre bleibt der Nachwelt immer neu. Eben die Thoren, die uns laͤcherlich ſind, ſind auch die Thoren ihrer Zeit. Schildre ich das Laſter allgemein, ſo lieſt der Enkel den Cha -c 5rakter42Vorbericht. rakter eines Laſterhaften, er vergißt, daß dieſer ſchon vor hundert Jahren geſtorben iſt, und ſucht ihn in ſeiner Stadt.
Jch habe mich vor perſoͤnlichen Satyren in mei - nen Schriften, mit allem Fleiße gehuͤtet. Die Cha - raktere meiner Thoren ſind allgemein; nicht ein einziger iſt darunter, auf welchen nicht zehen Narren zugleich billig Anſpruch machen koͤnnen. Zeichne ich das Bild eines Hochmuͤthigen, ſo nehme ich die unverſchaͤmte Stirne von Baven, die ſtolzen Au - genbraunen von Maͤven, die vornehmdummen Bli - cke vom Gargil, die aufgeblasnen Backen vom Criſ - pin, die trotzige Unterkehle vom Kleanth, den auf - geblaͤhten Bauch von Adraſten, den gebieteriſchen Gang vom Neran; und aus dieſen ſieben ſchaffe ich einen hochmuͤthigen Narren, der heißt Suffen. Koͤnnen Bav und Maͤv, koͤnnen die uͤbrigen ſa - gen, daß ich ſie gezeichnet habe? Suffen wird noch leben, wenn ſie alle todt ſind, und ein jeder von ih - nen wird wohl thun, wenn er ſich denjenigen Feh - ler abgewoͤhnt, welchen er in dieſer Copie laͤcherlich findet. Habe ich mir auch eine einzelne Perſon zum Originale vorgenommen, ſo bin ich doch ſorgfaͤltig bemuͤht geweſen, ſo lange an ihm zu arbeiten, bisdas43Vorbericht. das Original durch viele fremde Zuͤge unkenntlich, und zu einem neuen Originale geworden iſt.
Jch bin dieſe Vorſicht meiner Pflicht und der allgemeinen Menſchenliebe ſchuldig geweſen. Deſto weniger aber koͤnnen es diejenigen neugierigen Leſer verantworten, welche ſo vorwitzig ſind, und zu die - ſen allgemeinen Charakteren dennoch gewiſſe Per - ſonen ausſuchen, welche darunter gemeynt ſeyn ſollen. Es iſt dieſes ein ſehr gewoͤhnlicher Fehler der Men - ſchen. Darf ich es wohl ſagen, woher es ruͤhrt? Wir haben die ungerechten Begriffe von der Sa - tyre, daß ſie nicht ſo wohl auf die Fehler der Men - ſchen, als auf die Perſonen, gehen ſoll. Wir ſuchen daher Perſonen, ſo bald wir eine Satyre in die Haͤnde bekommen. Es iſt eine gewiſſe Bosheit in uns, die uns in einer beſtaͤndigen Beſchaͤfftigung erhaͤlt, die Fehler andrer auszuſpaͤhen. Wir freuen nus, wenn andre laͤcherlich gemacht werden, denn wir ſind ſehr geneigt, mehr uͤber die Fehler andrer zu lachen, als uͤber ihre Tugend uns zu freuen. Mit - ten unter dieſen Entdeckungen ſind wir ruhig, daß nicht wir, wir tugendhaften Leute, ſondern unſer naͤrriſcher Nachbar gemeynt iſt. Koͤnnten wir wohl ſo ruhig ſeyn, wenn wir nicht zu viel thoͤrichte Eigenliebe beſaͤßen? Vielleicht glaubt unſer Nach -bar,44Vorbericht. bar, die Satyre gehe auf uns, und wir lachen wohl zu gleicher Zeit beide uͤbereinander. Verdient nicht unſer boshafter Vorwitz die ſchaͤrfſte Satyre? Durch unſre Auslegungen wird dasjenige eine perſoͤnliche Beleidigung, was der Verfaſſer in der billigen Ab - ſicht geſchrieben hat, keinen zu beleidigen, ſondern alle zu beſſern. Es iſt wahr; fuͤr den Verfaſſer iſt es ſehr vortheilhaft, wenn man an zehen Orten zu - gleich den Thoren findet, den er auf ſeiner Stube geſchildert hat! Man geſteht dadurch, daß ſeine Charaktere ſehr allgemein, und die Thorheiten nach dem Leben gezeichnet ſind. Aber dieſe Schmeiche - ley muß ihm ſo ſchaͤtzbar nicht ſeyn, als der Ruhm, daß er nur die Fehler der Menſchen verfolgt, die Men - ſchen aber, als ein vernuͤnftiger Mitbuͤrger liebt. Je - ner Beyfall kuͤtzelt nur ſeinen Witz, dieſer aber macht, daß er ein Recht erhaͤlt, auf ſein redliches Herz ſtolz zu ſeyn.
Da meine ſatyriſchen Schriften das Schickſal gehabt, daß andre den Schluͤſſel dazu geſucht, und ſie auf ſo vielerley Art ausgelegt haben: So nahm ich ſchon vor einigen Jahren Gelegenheit, die Unbillig - keit dieſes Verfahrens laͤcherlich zu machen, und mich durch einen meiner Freunde rechtfertigen zu laſſen. Der Verfaſſer eines Wochenblatts, ſo der Juͤng -ling45Vorbericht. ling*Siehe den Juͤngling 1. Band. das 17 und 21. Stuͤck. heißt, hat dieſe Muͤhe auf ſich genommen. Jch brauche zu meiner Vertheidigung weiter nichts zu thun, als daß ich es hier wiederhole.
Jch bin ſo gluͤcklich mit meinen Blaͤttern, daß ſie Leſern in die Haͤnde kommen, welche eine ſo durch - dringende Einſicht und Scharfſinnigkeit beſitzen, daß ſie ſogleich die Originale zu den abgebildeten Charakteren wiſſen. Dieſe Scharfſinnigkeit macht ſowohl denen, welche ſie anwenden, als mir, viel Vergnuͤgen. Jch ſehe daraus, daß die Welt der - gleichen Charaktere als Aufgaben anſieht, deren Aufloͤſung in ihrer Gewalt iſt. Jch habe vor an - dern Schriftſtellern meiner Art den Vorzug, daß die Welt keinen Schluͤſſel zu meinen Arbeiten ha - ben will. Was die laͤcherlichen Charaktere anbe - langt, die ich abgebildet habe; ſo iſt es mir gleich - guͤltig, ob die Leſer die Originale dazu kennen, oder nicht, wenn ich ſie nur nicht kenne. Jch den - ke, daß ſich allezeit ein Original zu dem Abgeſchmack - ten finden wird, den man beſchreibt; es fehlt ja in der Welt an ſolchen Leuten nicht. Man mag ſich alſo immerhin in die Ohren ſagen: Ja, ja, das iſt das Frauenzimmer; es iſt nach dem Leben getroffen;es46Vorbericht. es iſt, als wenn ich dieſen Edelmann oder Buͤrger mit Augen vor mir ſaͤhe; wenn man Recht hat, ſo erfreut es mich, daß ich die Natur ſo gluͤcklich treffe, und ich bedaure den, der das Original zu meiner Copie wird. Was die loͤblichen Charaktere betrifft; ſo verſichre ich aufrichtig, daß ich alle diejenigen meyne, welche die abgebildeten guten Eigenſchaften beſitzen. Jch bedaure weiter nichts, als daß ſich meine Leſer zuweilen nicht eher, als andre, nennen. Unterdeſſen will ich der Welt dieſes Vergnuͤgen goͤn - nen, und ihnen daher heute einige Charaktere vorle - gen, von denen ich gewiß bekraͤftigen kann, daß ich ſie nicht erdichtet habe. Die abgebildeten Perſo - nen ſind nach dem Leben gezeichnet. Jch will mich auch mit denen in einen vertrauten Briefwechſel ein - laſſen, welche dieſe Perſonen kennen, damit ſie zu einer ganz unſtreitigen Gewißheit in ihren Aufloͤſun - gen gelangen koͤnnen.
Fa** iſt ſchoͤn; das wiſſen wir alle. Sie iſt noch ein unſchuldiges Frauenzimmer. Ja, ja! Sie iſt reich; das laͤugnet niemand. Allein die gute Fa** lobt aus großer Begierde, gelobt zu werden, ſich ſelbſt allzuſehr. Der Schade, den ſie davon hat, iſt ſehr groß. Nunmehr will es niemand mehr glauben, daß ſie ſchoͤn, daß ſie reich, daß ſie ein un - ſchuldiges Frauenzimmer iſt.
Jch47Vorbericht.Jch bedaure den armen Dichter: Alle Welt vermeidet ſeine Gegenwart; wo er hinkoͤmmt, laͤuft man vor ihn. Er kann das nicht begreifen? Jch will es ihm ſagen: Er iſt gar zu poetiſch. Ein groſ - ſer Fehler! Man flieht ihn, wie die Peſt. Es iſt auch in der That keinem ehrlichen Manne zuzumu - then, daß er ſo viel ausſtehen ſoll, als man bey dem Herrn C *** auszuſtehen hat. Wenn ich ſtehe, ſo lieſt er mir ſeine Gedichte vor; ſetze ich mich nieder, ſo lieſt er ſie mir auch vor. Jch fange an zu lau - fen; er laͤuft nach, und lieſt mir immer hinten drein; bis auf den Abtritt verfolgt er mich mit ſeinen geiſt - reichen Werken. Vielleicht bin ich in der Allee vor ihm ſicher? Es hilft nichts; er lieſt immer vor. Jch eile auf die Reitbahn. Umſonſt, er laͤßt mich nicht einmal auf das Pferd. Mich hungert; ich muß zu Tiſche; er haͤlt mich immer noch auf. Jch reiße mich los, und ſetze mich nieder; auch vom Tiſche jagt er mich weg. Jch werfe mich aufs Bette, und ſchlafe ein. Er weckt mich auf, und lieſt mir ſeine Verſe vor. Jſt wohl etwas unertraͤglichers zu denken? Er iſt ein billiger, rechtſchaffner und bra - ver Mann; ich gebe es zu; allein es hilft ihm alles nichts. Es ſcheut ſich alle Welt vor ſeinen Verſen.
Cliton48Vorbericht.Cliton hat in ſeinem ganzen Leben nicht mehr als zwo Verrichtungen gehabt, zu Mittage und zu Abend zu eſſen. Es ſcheint, daß er nur zur Ver - dauung geboren worden ſey. Er ſpricht auch nur von Dingen, die dahin gehoͤren. Er erzaͤhlt, wie viele Gerichte bey dem letzten Schmauſe aufgetragen, was fuͤr Eſſen, wie viel Eſſen, was fuͤr Braten und Beygerichte aufgeſetzt worden ſind. Er beſinnt ſich ganz genau darauf, was man fuͤr Gerichte bey dem erſten Aufſatze gebracht hat, und eben ſo gewiß be - ſinnt er ſich auf die Fruͤchte, und Aſſietten. Er nennt alle Weine und gebrannte Waſſer her, von denen er getrunken hat. Er verſteht die Sprache der Kuͤche vollkommen, und er macht mir Appetit, an einem guten Tiſche zu ſpeiſen, wo er nicht iſt. Er iſt ein außerordentlicher Mann in ſeiner Art, der die Kunſt, ſich gut zu maͤſten, zur groͤßten Voll - kommenheit gebracht hat. Er iſt auch der Kenner guter Biſſen; es wird kein Menſch wieder geboren werden, der ſo viel, und ſo gut ißt. Man darf auch ſelten dasjenige loben, was ihm misfaͤllt. Er hat ſich bis auf ſeinen letzten Hauch zu Tiſche tragen laſ - ſen; er gab eben an dem Tage, da er ſtarb, einen Schmaus. Er mag ſeyn, wo er will, ſo wird er eſ - ſen, und wenn er in die Welt zuruͤckkehrt, ſo koͤmmt er zum Eſſen wieder.
Ka **49Vorbericht.Ka** befindet ſich wohl auf, und ſieht doch blaß. Er trinkt nicht viel, und ſieht doch blaß. Er verdaut gut, und ſieht doch blaß. Er hat eine junge artige Haushaͤlterinn, und ſieht doch blaß. Wo muß das herkommen?
Gorg ** an iſt ungemein freygebig gegen ab - gelebte Greiſe und verſchwendet ſeine Geſchenke an alte reiche Witwen. Verlangt Gorg ** an viel - leicht, daß ich glauben ſoll, er thue ſolches aus Groß - muth? Der Niedertraͤchtige! Seine Geſchenke ſind Netze und Fallſtricke, die er ihren Erbſchaften legt. Will er ſeine Großmuth bezeigen; will er ohne Ei - gennutz ſchenken, ſo beſchenke er mich; denn ich bin jung und munter, und ſterbe ohne Teſtament.
Unſrer Wuchrer F ** iſt ein ſchlauer Kopf! Er hat eine Frau, die ſo reizend ausſieht, daß ihn niemand zum Hahnreye gemacht haben wuͤrde, wenn er auch Geld dazu gegeben haͤtte. Der Zutritt war allen unverwehrt, und dennoch fand ſich kein Menſch, welcher ſich ſelbſt ſo ſehr verlaͤugnen koͤnnen, daß er auf dieſen Einfall gekommen waͤre. Was hat F ** zu thun? Er wird eiferſuͤchtig; er bewacht ſie, und laͤßt ſie von andern bewachen. Welcher Laͤrm! Es wimmelt unter ſeinen Fenſtern von jungen Stu - tzern, die ſich faſt zu Kruͤpeln ſeufzen, und den hal -dben50Vorbericht. ben Wechſel daran wenden, wenn ſie nur eine ein - zige Nacht Herr F ** ſeyn koͤnnen. Herr F ** hat ſeine Sachen vortrefflich gemacht.
Die Madame *** iſt vorzeiten verbuhlt und faſt ein wenig allzu galant geweſen. Man hat von ihr geſprochen, und dieſes hat ſie bewogen, ſich den allzulaͤrmenden Ergetzlichkeiten der Welt zu ent - ziehen. Sie iſt eben noch ſo empfindlich, aber vor - ſichtiger. Sie hat eingeſehen, daß Frauenzimmer ihre Ehre nicht ſo wohl durch ihre Schwachheiten, als durch ihre geringe Maͤßigung in denſelben belei - digen, und daß die Entzuͤckungen der Liebhaber im - mer ſehr wirklich und angenehm ſind, wenn ſie gleich verſchwiegen werden. Sie iſt ſchoͤn, aber ihre Schoͤnheit iſt majeſtaͤtiſch, die ſich leicht Ehrerbie - tung zuwege bringen wuͤrde, wenn ſie gleich kein ernſthaftes Weſen annaͤhme. Sie kleidet ſich nicht verbuhlt, aber doch nicht ohne Schmuck. Wenn ſie ſagt, daß ſie nicht zu gefallen ſuche, ſo ſetzt ſie ſich allezeit in den Stand, zu ruͤhren, und erſetzt dadurch die Reizungen ſorgfaͤltig, die ihr ihre vierzig Jahre genommen haben. Sie hat wenig Reizungen ver - loren, und wenn man die friſche Farbe ausnimmt, die mit der erſten Jugend verſchwindet, und welche die Frauenzimmer oft noch vor der Zeit verderben,indem51Vorbericht. indem ſie dieſelben blendend zu machen ſuchen, ſo darf die Madame *** nichts bedauern, weil ſie nichts verloren hat. Sie iſt groß und wohlgebildet; ſie hat eine angenommene Nachlaͤßigkeit; ihre Geſichts - bildung und ihre Augen ſind gezwungen ernſthaft. Wenn ſie aber nicht darauf denkt, Achtung auf ſich zu geben; ſo verrathen die Augen ein luſtiges We - ſen und Zaͤrtlichkeit. Jhr Verſtand iſt lebhaft, oh - ne unbeſonnen zu ſeyn, vorſichtig, und ein wenig zur Verſtellung geneigt. Ob ſie gleich ein ſproͤdes An - ſehen hat, ſo iſt ſie doch angenehm in Geſellſchaften. Jhre Grundſaͤtze verlangen nicht, daß ein Frauen - zimmer keine Schwachheiten begehen muͤſſe; ſie ver - langen nur, daß allein der Geſchmack die Schwachhei - ten der Vergebung werth machen ſoll.
Herr G ** hat ſich einen ganz neuen Weg zu ſeinem Gluͤcke gebahnt. Es giebt eine gewiſſe Art von Leuten, welche gern die Vornehmſten vor an - dern ſeyn wollen und es nicht ſind; dieſen haͤngt er an. Er laͤßt ſich zwar von ihnen nicht zum Narren ge - brauchen; aber er lacht ſie ſelbſt freywillig an, und bewundert ihre großen Geiſter. Was ſie ſagen, lobt er; wenn ſie es wieder laͤugnen, ſo lobt er die - ſes auch. Verneinen ſie etwas, ſo verneint ers mit. Bejahen ſie etwas, ſo ſagt er auch Ja. Kurz, erd 2hat52Vorbericht. hat ſich das Gebot auferlegt, allen zu ſchmeicheln; denn das iſt itzt das eintraͤglichſte Gewerbe. Er macht aus Narren Unſinnige. Wo er hinkoͤmmt, laͤuft ihm alles entgegen, Koͤche, Weinſchenken, Gaſtwirthe und Zuckerbecker. Sie gruͤſſen ihn; ſie ſtellen ihm zu Ehren eine Gaſterey an, und wuͤn - ſchen ihm zu ſeiner Ankunft Gluͤck. Man ſehe, was der Muͤßiggang und fremdes Brod thun kann. Hat Herr G ** nicht einen ganz neuen Weg zu ſei - nem Gluͤcke gefunden?
Die Mademoiſelle *** zieht einen Handſchuh ab, uns eine ſchoͤne Hand zu zeigen, und ſie vergißt es nicht, einen ganz kleinen Schuh zu entdecken, der einen kleinen Fuß voraus ſetzt. Sie lacht uͤber lu - ſtige oder ernſthafte Dinge, um ſchoͤne Zaͤhne zu ver - rathen; wenn ſie ihr Ohr ſehen laͤßt, ſo bedeutet ſol - ches das, daß es ſchoͤn iſt, und wenn ſie niemals tanzt, ſo kommt es daher, daß ſie, mit ihrer Geſtalt wegen ihrer Dicke unzufrieden zu ſeyn, Urſache hat. Sie kennt alle ihre Vortheile, einen einzigen ausge - nommen; die Mademoiſelle *** redet beſtaͤndig und hat keinen Verſtand.
Was? Der Madaine *** ſollte ein einziger Mann genug ſeyn? Gewiß; nur ein Mann iſt fuͤr die Madame *** zu wenig. Man wird ſie eherdazu53Vorbericht. dazu noͤthigen, daß ſie ſich an einem Auge begnuͤgen laſſe.
Der Herr Profeſſor mag ſprechen, oder Reden halten, oder ſchreiben, ſo will er citiren. Er laͤßt von dem Fuͤrſten der Philoſophen ſagen, daß der Wein trunken macht, und von dem groͤßten Redner der Roͤmer, daß das Waſſer denſelben mildere. Wenn er ſich in die Moral einlaͤßt, ſo iſts nicht er, ſondern der goͤttliche Plato, welcher verſichert, daß die Tugend liebenswuͤrdig iſt, und das Laſter gehaßt zu werden verdient, oder daß aus dem einen ſo wohl, als aus dem andern, Fertigkeiten entſtehen. Die gemeinſten und alltaͤglichſten Gedanken, und ſo gar diejenigen, die er ſelbſt noch denken kann, will er den Alten, den Lateinern und Griechen ſchuldig ſeyn, nicht etwan, um dem, was er geſagt hat, mehr Gewichte zu geben, oder vielleicht mit ſeiner Wiſſenſchaft ſich ein Anſehen zu machen. Nein, er will citiren.
Sie bewundern allein die Alten, mein Herr *** und loben nur die verſtorbnen Poeten; allein ich bitte Sie, vergeben Sie mirs, mein Herr; Es iſt der Muͤhe nicht werth, daß man ſtirbt, um Jhren Beyfall zu erhalten.
Der Herr Doctor liebt die Jnſecten; er ſammlet ihrer alle Tage mehr. Jn Europa hat niemand ſo ſchoͤned 3Schmet -54Vorbericht. Schmetterlinge von allerley Geſtalten und Farben. Ach! zu was fuͤr einer Zeit beſuchen ſie ihn itzt? Er iſt in einen toͤdtlichen Kummer verſenkt; er iſt muͤr - riſch und finſter; ſeine ganze Familie leidet darunter. Er hat auch einen entſetzlichen Verluſt erlitten. Kom - men ſie nur naͤher, und ſehen ſie das an, was er ihnen auf ſeinem Finger zeigt. Es hat kein Leben mehr, es iſt ihm den Augenblick geſtorben! Was iſt es denn? Es iſt eine Raupe. Was das fuͤr ei - ne Raupe war!
Alter Narre! Merkſt du nicht, warum dich P *** mit Geſchenken uͤberhaͤuft? Du biſt reich, du gehſt auf der Grube! Stirb! Verſtehſt du kein Deutſch?
Man wird ſich vielleicht der Charaktere erinnern, die ich in einem meiner Blaͤtter der Welt, als Aufgaben vorgelegt habe, welche ſie aufloͤſen ſollte. Jch und mein Verleger haben verſchiedne Briefe erhal - ten, in welchen die Perſonen angegeben werden, die ich gemeynt haben ſoll. Jch muß eilen, und dieſe Briefe beantworten; ſonſt bin ich in Gefahr, noch mehrere zu erhalten. Jch haͤtte nicht geglaubt, daß es eine ſo gefaͤhrliche Sache waͤre, ein Autor zu ſeyn. Alle Leute, uͤber die gelacht werden kann, halten ei -nen55Vorbericht. nen Autor fuͤr ihren Feind, und ich kann bey mei - nem Vergnuͤgen ſchwoͤren, daß mir nichts lieber, als Ruhe und Friede, iſt. Wenn ich glaubte, daß mein eigner Name bekannt ſeyn koͤnnte, ſo traute ich mich nicht auf die Gaſſe und vor die Stadt. So wer - den die guten Abſichten belohnt! Jch wollte zum Vergnuͤgen der Welt ſchreiben, und man giebt mir Schuld, daß ich einige aus der Welt laͤcherlich ma - chen wollte. Jch unſchuldiger Juͤngling! Doch ich will aufhoͤren, mich zu beklagen. Hier ſind die Brie - fe, aus welchen ich nur die Namen der Perſonen, die ich abgebildet haben ſoll, weggelaſſen habe.
Mit ihrer Erlaubniß, daß ich Jhnen die reine Wahrheit ſage. Sie ſind fuͤr einen jungen Menſchen zu boshaft. Jch habe Jhr ſiebzehentes Blatt mit Erſtaunen geleſen. Jm Anfange fand ich die Abbildung eines Poeten aus dem Martiale, der ſei - nen Freunden mit ſeinen Gedichten zur Laſt wirda)Occurrit tibi nemo quod libenter, Quod, quocunque venis, fuga eſt, et ingens Circa te, Ligurine, ſolitudo: Quod ſi ſcire cupis, nimis poeta es. Hoc valde vitium periculoſum eſt. Non tigris catulis citata raptisNon. d 4Dieſes56Vorbericht. Dieſes brachte mich auf die Gedanken, daß Sie etwa derer, welche immer die Orginale zu Jhren Charakteren finden wollen, ſpotten wuͤrden, indem Sie aus dem Schriften der Alten laͤcherliche Cha - raktere uͤberſetzten, ohne ſolches anzuzeigen. Jch ward in dieſer guten Meynung beſtaͤrkt, als ich ge - gen das Ende Jhres Blattes den Gnatho aus dem Terenze fandb)Hoc novum eſt aucupium: Ego hanc primus inveni viam. Eſt genus hominum, qui eſſe primos ſe omnium rerum volunt; Nec ſunt. Hos conſector; hiſce ego non paro me, ut rideant; Sed eis ultro arrideo, et eorum ingenia admiror ſimul. Quicquid dicunt, laudo; id rurſum ſi negant, laudo id quoque; Negat quis, nego: ait, ajo: poſtremo imperavi egomet mihi, Omnia aſſentari. Is queſtus nunc eſt multo uberrimus etc. Terentius in Eunuch. Act. II. Sc. I. ; denn ich wußte ſo wohl die Stelleausb)Non et ipſas medio peruſto ſole, Nec ſic ſcorpius improbus timetur. Nam tantos rogo quis ferat labores? Et ſtanti legis, et legis ſedenti: Currenti legis, et legis cacanti: In thermas fugio, ſonas ad aurem: Piſcinam peta, non licet natare: Ad coenam propero, tenes euntem: Ad coenam venio, fugas ſedentem: Laſſus dormio, ſuſcitas jacentem. Vis quantum facias mali videre? Vir juſtus, probus, innocens timedis. Mart. Libr. V. epigr. 89. 57Vorbericht. aus dem Martiale, als die Abbildung des Gnatho aus dem Terenze, noch von der Schule her auswen - dig. Aber ich fand mich betrogen, nachdem ich alle Regiſter von meinen Autoren nachgeſchlagen, und in keinem die uͤbrigen Charaktere gefunden hatte. Sie haben es alſo unter dieſem Kunſtgriffe nur ver - bergen wollen, daß Sie viele große und vornehme Maͤnner laͤcherlich zu machen ſuchen. Das iſt ſehr bos - haft! Wenn ich es nur wuͤßte, daß Sie mich unter dem Profeſſor, der immer citirt, verſtanden haͤtten, und mich laͤcherlich machen wollen, daß ich eine Profeſ - ſur ſuche! Jch wollte Jhrer ſpoͤttiſche Zunge bald Einhalt thun. Die Univerſitaͤt ſollte mir gewiß Recht ſchaffen. Doch ich will meinen Unwillen noch aufſchieben. So viel ſage ich Jhnen, reizen Sie mich nicht. Jch weis wohl mehr, als Sie denken.
Leipzig den 29. April. Z. A. M.
Das iſt der liſtigſte unter meinen Correſponden - ten! Er hat es gleich gemerkt, daß ich aus dem Mar - tiale und Terenze einige Charaktere genommen habe. Er hat Recht, daß die uͤbrigen in keinem Regiſter ſtehen. Der Himmel weis, was ich mir in ſeiner Perſon fuͤr einen gelehrten nnd wichtigen Mann beyd 5der58Vorbericht. der Univerſitaͤt zum Feinde gemacht habe. Der Profeſſor, den ich meyne, iſt ein Franzosc)Herille ſoit qu’il parle, qu’il harangue, ou qu’il ecrive, veut citer. Il fait dire au Prince des Philoſophes, que le vin enyvre, et a l’Orateur Romain, que l’eau le tempere; s’il ſe jette dans la morale, ce n’eſt pas lui, c’eſt le divin Platon, qui aſſure, que la vertu eſt aimable, le vice odieux, ou que l’un & l’autre ſe tournent en habitude: les choſes les plus commu - nes, les plus triviales, et qu’il eſt même capable de penſer, il veut les devoir aux Anciens, aux Latins, aux Grecs. Ce n’eſt ni pour donner plus d’autorité, à ce qu’il dit, ni peut-être pour ſe faire honneur de ce qu’il ſçait. Il veut citer. Bruy. p. 440. . Bruy - ere hat ihn in ſeinen Charakteren abgebildet; daß ich keinen jetzt lebenden Gelehrten meyne, beſtaͤtigt nachfolgendes Schreiben.
Da ich faſt alle Haͤuſer dieſer Stadt kenne, ſo iſt es mir nicht ſchwer geworden, diejenigen ausfuͤndig zu machen, welche Sie in ihrem ſiebzehen - ten Blatte ſo wohl gezeichnet haben. Jch wollte Jhnen wohl alle Namen ſchreiben; aber ich befuͤrch - te, Sie moͤchten meinen Brief drucken laſſen. Un - terdeſſen kann ich doch nicht errathen, wer der Pro - feſſor ſeyn ſoll, der immer citirt. Jch weis nie - manden. Die hieſigen Gelehrten haben nicht dar -um59Vorbericht. um ſtudiert, daß ſie citiren wollen. Sie lieben, ſo viel ich weis, alle die Alten wegen ihrer Wahrhei - ten, die ſie vortragen, wegen der Schoͤnheiten ihres Ausdruckes, wegen ihrer Kunſt, mit der ſie geſchrie - ben haben, wegen der Geſchichte, die man daraus lernen kann, und wegen andrer ſolchen Urſache mehr. Jch wuͤßte hier keinen Pedanten. Underdeſſen kann es ſeyn, daß Sie mehr Gelehrte kennen, als ich. Melden Sie mir doch den Namen deſſen, den Sie abgebildet haben, durch einen kleinen Brief, den ich bey Jhrem Verleger abfodern laſſen will. Jch wuͤßte niemanden. Jch bin,
Mein Herr Juͤngling, den 2 May, 1747. Jhr fleißiger Leſer. A.
Herr A. weis niemanden; ich auch nicht. Jn Leipzig haben wir keine Pedanten. Das iſt gewiß!
Sie ſind ein loſer Vogel. Jch habe Jhr ſiebzehen - tes Blatt mit Vergnuͤgen geleſen. Sie ſind ein Schriftſteller fuͤr mich. Da ich mit den hieſi -gen60Vorbericht. gen Frauenzimmern ſehr vertraut bin, ſo hatte ich koum von dem Charakter der Fa ** die erſte halbe Zei - le geſehen, daß ſie ſchoͤn waͤre, ſo wußte ich den Au - genblick, daß Sie die Mademoiſelle ** meynten. Es iſt andem, daß ſie ſich ſehr gern lobt. Jch darf nur anfangen, ihr etwas von der neuen Art zu ſa - gen, auf die ich meine Haare friſiren laſſe, ſo redet ſie gleich von einer neuen Mode, die ſie erfunden ha - ben will. Man kann vor ihrem Eigenlobe nicht zum Worte kommen. Wenns ich ihr einige galante Schmeicheleyen ſagen wollen, ſo iſt ſie oft ſo unver - ſchaͤmt geweſen, und hat zu mir geſagt: Jch haͤtte vollkommen recht, und ſagte nur noch zu wenig. Und ma foi ich ſagte ihr ſo viel, daß ſie haͤtte ſollen roth werden. Habe ich da nicht ſtumm werden muͤſſen? Kurz; ſie haben ſie nach dem Leben gezeichnet. Die Madame ***, die vorzeiten verbuhlt, und allzu galant geweſen, iſt doch die Madame ** in der ** Straße? Habe ich nicht recht? Wahrhaftig Sie ſind in Charakteren ſehr gluͤcklich. Jch bin,
Mein Herr Juͤngling, den 4. May 1747. der Jhrige Jacob Flink.
Herr Flink irrt ſich; es kann ſeyn, daß ſich die Mademoiſelle ** ſelbſt lobt, weil er zu ihrem Lobe zu ungeſchickt iſt, und ſie ſeinem unbeſcheidnen Lobe auf einmal Einhalt thun will. Jch habe aber weder die Mademoiſelle ** noch die Madame ** abbilden wollen. Jch kenne ſie nicht. Fa ** iſt eine Roͤmerinnd)Bella es, novimus, et puella, verum eſt, Et dives, quis enim poteſt negare? Sed dum te nimium, Fabulla, laudas, Nec dives, neque bella, nec puella es. Martial. libr. I. ep. 29. ; die Madame *** aber, die Madame Luͤrſay, eine Franzoͤſinn, deren Geſchich - te Herr Crebillon der juͤngere beſchrieben hate)Coquette jadis, même un peu galante, une avanture d’é - clat, et qui avoit terni ſa reputation l’avoit degoutée de plaiſirs bruyans du monde. Auſſi ſenſible, mais plus prudente, elle avoit compris enfin, que les femmes ſe perdent moins par leurs foibleſſes, que par le peu de menagement, qu’elles ont pour elles-mêmes; & que pour être ignorés, les transports d’ un amant n’en ſont ni moins réels, ni moins doux. ‒ ‒ Elle étoit belle, mais d’une beauté majeſtueuſe, qui même, ſans le ſerieux, qu’elle affectoit, pouvoit aiſement ſe faire reſpecter. Miſe ſans coquetterie, elle ne negligoit pas l’ornement. En diſant, qu’elle ne cherchoit pas a plaire, elle ſe mettoit tou - jours en état de toucher; et reparoit avec ſoin ce que près de quaranteans, qu’elle avoit, lui avoient enlevé d’agremens: elleen. Allein62Vorbericht. Allein in meinem ſiebzehenten Blatte iſt aus Verſe - ſehen ein Charakter weggelaſſen worden, in wel - chem ich Herrn Flinken meynte. Weil ich nach ſeinem Urtheile ſo gluͤcklich in Charakteren bin, ſo will ich denſelben itzt noch nachholen.
Man ſagt, daß Herr Flink ſchoͤn ſey; es ſa - gen es viele, und niemand ſagt es ſo oft, als er ſelbſt. Aber warum ſollte er wohl ſchoͤn ſeyn? Warum er ſchoͤn ſeyn ſoll? Sein Lackey friſirt ihm die Haare am beſten; er iſt immer wohlriechend; er iſt ſo lan - ge auf den Tanzboden gegangen, daß er end - lich glaubt, er tanze am beſten; er iſt beſtaͤndig un - ter Frauenzimmern, weil ſich niemand die Muͤhe neh -mene)en avoit pas même peu perdu; et ſi l’on en excepte cette frai - cheur, qui diſparoit avec la premiere jeuneſſe, et que ſouvent les femmes flêtriſſent avant le tems, en voulant la rendre plus brillante; Madame Lurſay n’avoit rien à regretter. Elle étoit grande & bien faite; et dans ſa nonchalance affectée, peu des femmes avoient autant des graces qu’elle. Sa Phyſionomie et ſes yeux étoient ſéveres forcément, et lors qu’elle ne ſongeoit pas à s’ obſerver, on y voyoit briller l’enjouement et la ten - dreſſe. Elle avoit l’eſprit vif, mais ſans etourderie, prudent, même diſſimulé. Au reſte quoique prûde elle étoit douce dans la ſocieté. Son Syſteme n’etoit point, qu’on ne dût pas avoir des foibleſſes, mais que le ſentiment ſeul pouvoit les rendre pardonnables. Crebillon dans ſes egaremens de l’eſprit et du coeur. p. 17. 63Vorbericht. men und ihm die Thuͤre weiſen laſſen will; er iſt immer ſehr vertraulich mit ihnen, und ziſchelt ihnen beſtaͤndig etwas ins Ohr; er ſchreibt Briefe an ſie, die er fuͤr ſehr ſinnreich und galant haͤlt, weil ihm niemand darauf antwortet; er weis genau, was ein jedes Frauenzimmer fuͤr einen Liebhaber hat; er laͤuft auf alle Gaſtereyen. Warum ſollte Herr Flink nicht ſchoͤn ſeyn? Jch will mich nicht laͤnger bey ihm aufhalten, weil ich noch mehr Briefe mit - zutheilen habe.
Leipzig, den 4. May 1747.
Wenn ich viel eſſe, ſo eſſe ich fuͤr mich viel. Er iſt ein junger Menſch, was hat er ſich um mich zu bekuͤmmern? Wir koͤnnen freylich nicht alle ſo gelehrt ſprechen, als er. Spreche er von ſeinen Buͤ - chern; ich will von meinen Braten ſprechen. Er hat nichts daruͤber zu lachen. Jch muß den ganzen Tag uͤber genug rechnen, eh ich mich zu Tiſche ſetzen kann. Er wird in ſeinem ganzen Leben doch nicht ſo viel Geld verdienen, als ich in einem Monate ausleihe. Jch bin der Stadt nuͤtzlicher, als er. Jch bekuͤm - mere mich wenig um ihn. Jch bin noch nicht todt, wie er in ſeinem Blaͤttchen von mir ſpricht, und ichwill64Vorbericht. will noch lange leben. Kuͤnftig habe er vor Leuten von meinem Alter mehr Reſpect. Deswegen habe ich an ihn geſchrieben. Jch denke, wenn er mit ſeiner ſchmaͤhſuͤchtigen Zunge fortfaͤhrt, daß er noch auf das Carcer geſetzt werden ſoll. Jch will mich einmal ſo nennen, wie er mich genannt hat.
Cliton.
Mich duͤnkt, daß zwiſchen denen, die viel eſſen, und zwiſchen den Clitons, welche Bruͤyeref)Cliton n’a jamais en toute ſa vie, que deux affaires, qui eſt, de diner le matin et de ſouper le ſoir, il ne ſemble né que pour la digeſtion; il n’a même, qu’un entretien, il dit les entrèes qui ont été ſervies au dernier repas, ou il s’eſt trouvé; il dit, combien il y a eu de potages; il ſe ſouvient exactement, de quels plats on a releve le premier ſervice; il n’oublie par le’fruit et les aſſiettes; il nomme tous les vins, et toutes les liqueurs, dont il a bû; il poſſede le langage de cuiſines autant, qu’il peut s’etendre, et il me fait envie, de manger a une bonne table, où il ne ſoit point. C’eſt un perſonnage illuſtre dans ſon genre, et qui a porté le talent, de ſe bien nourir, jusques où il pouvoit aller. On ne reverra plus un homme, qui mange tant, et qui mange ſi bien; auſſi eſt ‒ il l’arbitre de bons mor - ceaux, et il n’eſt gueres permis d’avoir du gout, pour ce qu’il desapprouve. Mais s’il n’eſt plus, il s’eſt fait du moins porter à table jusque au dernier ſoupir: il donnoit à manger le jour, qu’il eſt mort; quelque part où il ſoit, il mange; et s’il re - vient au moude, c’eſt pour manger. Bruyere, p. 397. be - ſchreibt, noch ein ziemlicher Unterſchied ſey.
Es iſt wahr, Sie haben der Welt in Jhrem ſiebzehen - ten Blatte ſchwere Raͤthſel vorgelegt. Man kennt ja den guten Herrn, der gut verdaut, und doch blaß ausſieht, eine junge Haushaͤlterinn hat, und noch immer blaß ausſieht, uͤberall. Sie haͤtten ihn eben dadurch nicht unkenntlich zu machen ſuchen duͤrfen, daß Sie ſeine Haushaͤlterinn jung und artig nennen. Es iſt nunmehr ſchon eine geraume Zeit, daß er gut derdaut, und doch blaß ausgeſehen hat. Konnten Sie nicht zu gleicher Zeit ſeine Gebieterinn beſchreiben? Sie war nicht reizend, und ward Haus - haͤlterinn; ſie war ſchmutzig, und ward Haushaͤl - terinn; er hat nichts, und ſie iſt doch reich. Wo mag das herkommen?
Halle, am 3. May. X.
N. S. Jch irre doch nicht, daß Sie vor etlichen Jahren hier in Halle ſtudiert haben?
Das weis ich nicht. Die Haushaͤlterinn von der ich geredet habe, ſoll durchaus jung und artigeſeyn;66Vorbericht. ſeyn; ich will es ſo haben. Martial hat mich zu dieſem Charakter veranlaßtg)Pulere valet Carinus, et tamen pallet. Parce bibit Carinus, et tamen pallet. Bene concoquit Carinus, et tamen pallet. Tingit cutem Carinus, et tamen pallet. Puellam amat Carinus, et tamen pallet. Mart. lib. I. ep. 78.
Jch merke, wer Sie ſind; Sie moͤgen Sich ver - bergen, wie Sie wollen. Sie ſind mein Lands - mann, und dieſes laſſe ich mir nicht abſtreiten, ſeit - dem Sie Jhr ſiebzehentes Blatt geſchrieben haben. Wie gluͤcklich haben Sie doch einen gewiſſen Heuch - ler getroffen, der in unſrer Stadt ſchon ſo viele Erb - ſchaften erſchlichen hat! Jch lobe Sie, daß Sie einen Mann dem Spotte Preis geben, den die Thraͤnen ſo vieler Wittwen und Waiſen noch nicht zur Reue und Erkenntniß ſeiner Ungerechtigkeiten gebracht haben. Der Niedertraͤchtige! Er denkt, daß er fuͤr alle ſeine Ungerechtigkeiten genugthue, wenn er ei - nige Stiftungen und Gebetbuͤcher macht, und, mit einem großen Laͤrmen, alle Jahre einmal Allmoſenaus -67Vorbericht. austheilt. Habe ich den Gorg ** an nicht erra - then? Jch bin
Mein Herr Juͤngling, Aſchersleben, am 5 May, 1747. Jhr aufmerkſamer Leſer, Michael Gewiß.
Fuͤrchten Sie Sich denn vor keinem Proceſſe? Wenn der Herr Licentiat** keine Erbſchaft von Jhnen erſchleichen kann, ſo kann er doch eine Ruͤge wider Sie machen. Er wohnt auf der ** Straſ - ſe. Jch habe mich wohl nicht geirrt. Er iſt eben der, welcher einen alten reichen Narren, der kein deutſch verſteht, mit Geſchenken uͤberſchuͤttet, damit er ſterben ſoll. Jch moͤchte ſehr gern mit Jhnen bekannt ſeyn, mein Herr Juͤngling. Jch wollte Jhnen auch die kleine koſtbare Perſon mit der gold - nen Uhr nennen, welche nur gern wiſſen will, ob ſie von Jhnen gemeynt worden iſt. Jch bin, Mein Herr Juͤngling,
Leipzig, am 6 May, 1747. Jhr fleißiger Leſer T.
Nunmehr koͤnnte ich die Welt wieder rathen laſ - ſen, welchen unter dieſen beiden ich gemeynt haben ſoll. Bald wird keine Stadt in Deutſchland ſeyn, wo meine Blaͤtter geleſen werden, aus der ich nicht gebuͤrtig bin. Es hat ſchon zu Martials Zeiten Leute genug gegeben, welche Erbſchaften zu erſchlei - chen geſucht habenh)Munera quod ſenibus viduisque ingentia mittis: Vis te munificum, Gargiliane, vocem? Sordidius nihil eſt, nihil eſt te ſpurcius uno: Qui potes inſidias dona vocare tuas: Sic avidis fallax indulget piſcibus hamus, Callida ſic ſtultas decipit eſca feras. Quid ſit largiri, quid ſit donare, docebo, Si neſcis: dona, Gargiliane, mihi. Martial. libr. IV. ep. 56. Munera qui tibi dat locupleti, Gaure, ſenique: Si ſapis et ſentis, hic tibi ait, morere. Martial. lib. VIII. ep. 27. .
Jch will Jhnen funfzig Thaler geben, wenn Sie mir den Namen des Verfaſſers vom Juͤnglinge nennen. Sie koͤnnen nichts dafuͤr, daß in dieſem gottloſen Blatte rechtſchaffne Leute verleumdet wer -den;69Vorbericht. den; das weis ich wohl. Daß ich Urſache habe, auf meine Frau eiferſuͤchtig zu werden, und daß es von Stutzern unter meinen Fenſtern wimmelt, iſt leider der ganzen Stadt bekannt. Aber daß mich ein junger Menſch einen Wuchrer nennt, das iſt ei - ne Jnjurie! Die muß die Obrigkeit beſtrafen! Funf - zig Thaler wende ich daran, damit ſie ſehen ſollen, daß ich kein Wuchrer bin. Jch bin
G **
Herr G ** muß mehr bieten, wenn der Verle - ger ſeinen Schriftſteller verrathen ſoll. Der Juͤng - ling laͤßt ſich um einen ſo geringen Preis nicht nen - nen. Jch koͤnnte zwar ſagen, daß ich den Charak - ter des G ** aus dem Martialei)Nullus in urbe fuit tota, qui tangere vellet Uxorem gratis, Caeciliane, tuam, Dum licuit; ſed nunc, poſitis cuſtodibus, ingens Turba fututorum eſt. Ingenioſus homo es. Martial. libr. I. epigr. 74. genommen. Al - lein ich will noch einige Zeit mit der Erklaͤrung ver - ziehen, ob er es iſt. Denn er verſteht ohne Zwei - fel kein Latein, und kann alſo nicht wiſſen, ob ich nicht einige neue Zuͤge hinzugeſetzt habe.
Wenn Sie nur nicht ſo viel von einem Frauen - zimmer mit blauen Augen, und von einem mit ſchwarzen Augen redeten; ſo wuͤrden Sie ein huͤb - ſcher frommer Menſch ſeyn, der es nicht ſo ſehr mit der itzigen argen und verderbten Welt hielte. Dieſes habe ich daraus geſehen, daß Sie der eiteln Made - moiſelle **, die ſich auf ihre ſchoͤnen Haͤnde und Fuͤße ſo ſchrecklich viel einbildet, und der Madame **, die mehr als einen Mann braucht, den Text ſo wohl geleſen haben. Jch habe recht meine Freude dar - uͤber. Jch ſehe alle Tage mit inniger Betruͤbniß meines Herzens zu, wie viel junge Menſchen bey ih - nen aus und eingehen. Jch weis nicht, wie der Himmel ſo lange zuſehen kann. Er iſt ſehr lang - muͤthig. Ach wie ſchlimm wird es noch werden! Jch bin,
Mein Herr Juͤngling, Am 5 May. Jhre andaͤchtige Leſerinn, Flavia.
N. S. Jtzt gehen ſchon wieder zween Edelleute hin. Was wird noch aus der Welt werden?
Flavia koͤnnte freylich am beſten wiſſen, wen ich meynte, weil ſie alt iſt, und Neuigkeiten liebt, wenn ich nicht den Charakter der Mademoiſelle ** aus dem Bruyerek)Argyre tire ſont gant, pour montrer une belle main, et elle ne neglige pas, de decouvrir un petit ſoulier, qui ſuppoſe, qu’elle a le pied petit; elle rit de choſes plaiſantes ou ſerieuſes, pour faire voir de belles dents; fi elle montre ſon oreille, c’eſt qu’elle l’a bien faite, et ſi elle ne danſe jamais, c’eſt qu’elle eſt peu contente de ſa taille, qu’elle a épaiſſe; elle entend tous ſes interets à l’exception d’un ſeul, elle parle toujours, et n’a point d’eſprit. Bruyere, p. 138. und eine Abbildung der Ma - dame** aus dem Juvenalel)Unus Iberinae vix ſufficit: ocyus illud Extorquebis, ut haec oculo contenta ſit uno. Juvenal. Satyr. VI. v. 53. genommen haͤtte.
Sie haben einen Mann beſchrieben, der allein die verſtorbnen Poeten lobt. Wollen Sie Sich in einen bekannten Streit wagen?
Am 5. May. Elias Eilig.
Jch bin zu friedfertig, als daß ich Luſt haͤtte, mich irgend in einen Streit einzulaſſen. Derjenige, den ich meyne, heißt Vacerra, und Martial hat ihn vor mir gemeyntm)Miraris veteres, Vacerra, ſolos, Nec laudas niſi mortuos Poëtas. Ignoſcas petimus, Vacerra; tanti Non eſt, vt placeam tibi, perire. Martial. libr. VIII. epigr. 69. .
Weil Sie keine Raupen ſammlen, ſollen ſolches darum andre Leute nicht thun? Der Herr Doctor, der die Jnſecten ſo ſehr liebt, iſt mein Freund; ich ſuche die Raupen mit ihm, und wenn er ſeine Familie itzt ein wenig leiden laͤßt, ſo wird es ihr kuͤnf - tig deſto beſſer gehen, wenn er ſein Raupencapinet verkauft haben wird.
Am 8. May. 1747. Thomas Raupe.
Ob ich gleich den Charakter dieſes Doctors aus dem Bruyeren)Il aime les inſectes, il en fait tous les jours de nouvelles emplettes; c’eſt ſurtout le premier homme de l’Europe pour les papillons; il en a de toutes les tailles et de toutes les cou - leurs. Quel tems prenes-vous pour lui rendre viſite? Il eſtplongé genommen habe, ſo will ich doch den Freund des Herrn Thomas Raupe ſo langemey -73Vorbericht. meynen, bis er ſein Raupencabinet verkauft hat, und bis es ſeiner Familie beſſer, als itzt, geht.
Man wird aus den Stellen der angefuͤhrten Scribenten ſehen, wie ſehr ſich diejenigen geirrt haben, welche die Originale zu meinen Charakteren errathen wollen. Jch habe einige gewoͤhnliche Cha - raktere in mein ſiebzehentes Blatt eingeruͤckt, und doch haben ſich einige gefunden, welche beſondre Perſonen angegeben, die ich in Gedanken gehabt ha - ben ſoll. Ein Schriftſteller verſpottet die Laͤcherli - chen, ohne darauf zu denken, ob dieſe oder jene un - ter die Laͤcherlichen gehoͤren. Jch will mich uͤber eine ſo bekannte Wahrheit nicht mit Anmerkungen ausbreiten, und nur ſo viel ſagen, daß ich kuͤnftig allezeit denjenigen gemeynt haben will, der ſo dreiſt iſt, daß er Originale zu meinen Charakteren angiebt. Was meine Leſer denken wollen, das laſſe ich ihnen frey; ich verlange nur, daß ſie ihre Auslegungen nicht auf meine Rechnung bringen ſollen.
Wien)plongé dans une amere douleur, il a l’humeur noire, chagrine, et dont toute ſa famille ſouffre; auſſi a-t-il fait une perte irreparable; approchez, regardez ce qu’il vous montre ſur ſon doigt, qui n’a plus de vie, et qui vient d’ expirer, c’eſt une chenille, et quelle chenille! Bruyere, p. 283.
74Vorbericht.Wie ſehr werde ich nunmehr meinen kuͤnftigen Le - ſern ihre Muͤhe erleichtern! Sie koͤnnen es ſicher glauben, ich meyne niemanden, als diejenigen, welche wiſſen, wen ich gemeynt habe.
Leipzig, an der Oſtermeſſe 1751. Gottlieb Wilhelm Rabener.
Du haſt mir vielmals deutliche Pro - ben von deiner aufrichtigen Freundſchaft gegeben, und haſt mich dadurch dir ſehr verbunden gemacht. Jch geſtehe es anitzt oͤffentlich. Jch bekenne aber auch zugleich vor der ganzen Welt, daß meine Verbindlichkeit gegen Dich niemals ſo groß geweſen iſt, als itzt, da Du dieſen Ort verlaͤſ - ſeſt. Dein Abſchied wuͤrde mir zwar ſchmerzlich fal - len: Allein, das Vergnuͤgen, Dich mit einem ge - druckten Bogen zu begleiten; die Zufriedenheit, mei - nen Namen auf dem Titelblatte zu ſehen; das Ver - langen, der gelehrten Welt, wo nicht zu dienen, doch bekannt zu werden; kurz, ein mir und meinen Landsleuten ſo natuͤrlicher, als ruͤhmlicher, Eifer zu ſchreiben; dieſes ſind die Urſachen, warum ich dei - nen Abſchied ſo gelaſſen anſehen kann.
A 2Nur6Von der VortrefflichkeitNur etwas bedaure ich. Dein Abſchied koͤmmt mir zu unvermuthet1Dieſes iſt die erſte Spur in gegenwaͤrtiger Abhandlung, welche von der Staͤrke zeuget, die ich in Verferti - gung eines Gluͤckwuͤnſchungsſchreiben, nach der neuſten Mode, beſitze. Dein Abſchied iſt mir gar nicht unvermu - thet gekommen. Jch habe ihn vor vielen Wochen gewußt. Schon ſeit dem Tode des Kaiſers bin ich mit dieſer Schrift fertig geweſen. Jch habe mit innigſtem Schmerzen auf eine Gelegenheit gewartet, ſie unter die Preſſe zu bringen. Es wuͤrde aber ein weſentliches Stuͤck weggefallen ſeyn, wenn ich nicht ſo beſtuͤrzt und eilfertig gethan haͤtte. Meine wertheſten Mitbruͤder, die wuͤnſchende Geſellſchaft, ſieht die Schoͤnheit davon vortrefflich ein. Und es wuͤr - de ſehr altvaͤteriſch geklungen haben, wenn ich geſagt haͤtte, daß dieſes Werkchen mit gruͤndlichem Vorbedachte, und reifer Ueberlegung geſchrieben ſey.. Nur vor wenig Tagen habe ich dieſen Deinen Entſchluß erfahren. Jch bin alſo nicht im Stande geweſen, auf gegenwaͤr - tige Arbeit den gehoͤrigen Fleiß zu wenden. Sie iſt eine unreife Frucht2Dieſes Urtheil faͤlle ich von mir, aus einer gelehrten und allen Autoren gewoͤhnlichen Schamhaftigkeit; will es aber bey dem geneigten Leſer moͤglichſt verbitten. Es widerleget ſich auch aus obigem von ſelbſt, und iſt nur eine Figur. weniger Stunden, und die haͤufig darinnen vorkommenden Fehler wird nichts, als Dein Wohlwollen, und meine beynahe ganz unglaubliche Eilfertigkeit entſchuldigen muͤſſen. Von der wenigen Muße3Jch beziehe mich hier auf obige Anmerkungen. Wenn ich ſpraͤche, daß ich nichts zu thun haͤtte, auch allem Anſe - hen nach ſo bald nicht mit einem Amte oder uͤberhaͤufter Arbeit beſchweret werden duͤrfte, ſo redete ich zwar die Wahrheit; aber ich ſagte etwas, quod indignum eſſet no - ſtris temporibus, indignum autore, indignum gratulante, & fauſta quaeuis appreeante. die ich habe, und deruͤber -7der Gluͤckwuͤnſchungsſchreiben. uͤberhaͤuften Arbeit, wodurch ich auf eine verdrieß - liche Art gebunden bin, mag ich nicht einmal et - was erwaͤhnen.
Alle dieſe Hinderniſſe uͤberſteige ich auf eine mu - thige Art. Jch liefre dir dieſe Arbeit, und widme dir eine, wo nicht ganz neue4Wir leben anitzt, dem Himmel ſey Dank, in denen Zeiten, wo alles, was Athem hat, neue Wahrheiten erfin - det. Neue Wahrheiten bey dem Richterſtuhle, neue Wahr - heiten bey dem Krankenbette, ja ſo gar neue Wahrheiten auf der Kanzel, und ich waͤre nicht werth, in dieſem Jahr - hunderte gebohren zu ſeyn, wenn ich nicht im Stande waͤre, binnen weniger Friſt eine ganze Kette neuer Wahr - heiten zu entdecken. und von mir zuerſt erfundne, doch noch nicht ſattſam erkannte Wahr - heit. Der Nutzen unſrer gelehrten Gluͤck - wuͤnſchungsſchreiben iſt zu wichtig, als daß ich denſelben mit Stillſchweigen uͤbergehen ſollte. Jch will denſelben angenehm, deutlich, gruͤndlich und ſo beſchreiben, daß mir hoffentlich niemand ſeinen Beyfall verſagen, ſondern vielmehr zugeſtehen wird; gegenwaͤrtige Schrift ſey nach dem neuſten Ge - ſchmacke, und als ein Urbild aller gelehrten und zu unſrer Zeit im Schwange gehenden Gluͤckwuͤn - ſchungsſchreiben anzuſehen. Beſonders werde ich mich der Kuͤrze befleißigen5Dieſes iſt eine edle Tugend, welche mir und meinen Col - legen, ohne Ruhm zu melden, nebſt der Ordnung im Vor - trage, und der Buͤndigkeit im Denken, ganz eigen iſt. Sed bono vino hedera non opus eſt. .
A 4§. 1.8Von der Vortrefflichkeit§. 1. Jm Paradieſe6Jch bin, wie es uͤberhaupt gebraͤuchlich iſt, allemal ge - wohnt, die Schoͤnheiten meiner Schriften zuerſt anzumer - ken, damit es dem Leſer deſto leichter falle, weiter nach - zudenken. Gegenwaͤrtigen Abſchnitt halte ich fuͤr ein Meiſterſtuͤck eines Gluͤckwuͤnſchungsſchreiben. Jch hatte verſprochen, kurz zu ſchreiben, und fange, aller Kuͤrze un - beſchadet, vom Paradieſe an. Wie ſchwer ſollte es einem andern fallen, die Woͤrter Paradies, Arche Noah, babylo - niſchen Thurm, Sem, Aſien, braune Mohren, Lybien, Ja - phet, Norden, bemalte Leute und Columbus, auf eine ſo natuͤrliche, lebhafte und buͤndige Art mit einander zu ver - knuͤpfen? Dieſes kann ich, und meine Mitbruͤder. Was die Natur in einer Weite von vielen tauſend Meilen faßt, das ſtellen wir auf einer einzigen Seite vor, und was in ſechs tauſend Jahren geſchehen iſt, das wiſſen wir in wenig Punkte zu ſchließen. Noch mehr. Wer haͤtte meynen ſol - len, daß ich den Urſprung unſrer heutigen Gluͤckwuͤn - ſchungsſchreiben in dem Paradieſe zu ſuchen wuͤßte? Der folgende Abſchnitt wird es weiſen, daß ich ihn ruͤhmlichſt gefunden habe. Lauter neue Wahrheiten! Es ſey voritzt genug. Nunmehr weis der Leſer, was er ſich von mir zu verſprechen hat. Und die Folge wird weiſen, daß die - ſes und alle auf ſolche Art eingerichtete Schreiben nichts anders ſind, als ἐξωτικοϑαυματουργηματοταμ〈…〉〈…〉 α. lebten unſre erſten Aeltern bey der groͤßten Zufriedenheit. Dieſes Gluͤck dauerte nur wenige Zeit. Je haͤufiger ſich ihre Nachkommen mehrten, deſto heftiger nahm die Unruhe und das Elend der Sterblichen zu. Der kleine Ueberreſt der alten, und die einzige Hoffnung der neuen Welt, ſchwammen in einem Kaſten. Die Ruhe und Einigkeit ſchienen wieder hergeſtellt zu ſeyn: Es waͤhrte aber nicht lange. Die Herrſchſucht wollte ſich einen Thurm bis in die Wolken bauen: Doch eine hoͤhere Vorſicht zerſtoͤr - te dieſes verwegne Gebaͤude, und verwirrte dieSpra -9der Gluͤckwuͤnſchungsſchreiben. Sprachen. Die Kinder Noah verſtunden einan - der nicht mehr. Sie mußten ſich trennen. Die ſtolzen Nachkommen Sems ließen ſich in dem fetten Grunde Aſiens nieder. Der braune Mohr er - waͤhlte ſich die ſandigten Gegenden Lybiens. Ob es die Soͤhne Japhets geweſen, welche ſich unſre noͤrdliche Gegend zum Sitze ausgeleſen, mag ich nicht unterſuchen. Und es bemuͤhen ſich die Ge - ſchichtsforſcher noch bis itzt vergebens, wie die be - malten Einwohner in jenes Land gekommen ſind, welches Columbus nach ſo ſpaͤten Jahren wieder bekannt gemacht hat. So ſehr wurden diejeni - gen zerſtreut, welche allerſeits Kinder eines Vaters waren; und ſo wenig verſtehen die Nachkommen einander, deren Aeltern nur eine Sprache geredet haben.
§. 2. Das Gute hat ſeinen Urſprung vielmals einem Uebel zu danken. Aus der Zerruͤttung der Sprachen entſtunden Geſellſchaften. Diejenigen, welche eine Sprache redeten, verſtunden einan - der, und ſchlugen ſich daher zuſammen.