Sie werden ſich nicht verwundern, daß der Unmuth, der mein Hertz erfuͤllet hat, auch meine Schreib-Art verſtellet; wenn ſie nur einen Gedancken auf meine ungluͤcklichen Um - ſtaͤnde richten, und uͤberlegen, wie vieles ich mir gefallen laſſen muß, das meinem Hochmuth uner - traͤglich iſt. Der bewegliche Brief meines Vetters macht mir alles dieſes noch empfindlicher. Jndeſ - ſen geſtehe ich, daß es von mir artiger gehandelt waͤ - re, wenn ich Jhnen das betruͤbteſte von meinen Umſtaͤnden zu verbergen ſuchte, weil Sie ein ſo zaͤrtliches und edles Mitleyden mit mir haben, und das Klagen mir doch die Laſt, die ich trage, nicht erleichtert.
Allein gegen wen kann ich mein Hertz ausſchuͤt - ten, als gegen Sie? Der Mann, der die Urſache alles meines Ungluͤcks iſt, vermehret meinen Kum - mer: ich habe keinen Bedienten, auf deſſen Treue ich mich verlaſſen kann, oder dem ich meine SorgeVierter Theil. Aem -2entdecken darf. Lovelace zieht jedermann durch ſeine Freygebigkeit und Munterkeit an ſich. Jch bin gleichſam nur eine Null, die ſeinen Werth erheben muß: mir ſelbſt gereiche ich blos zum Kum - mer. Jch mag mich zuruͤck halten ſo viel ich will, ſo kann ich doch nicht gantz verhindern, daß mir bis - weilen eine Thraͤne aus den Augen faͤllt, und das Papier befleckt. Jch bin verſichert, daß Sie mir dieſen kurtzen Troſt nicht verbieten werden.
Es ſcheint beynahe, daß der Anfang dieſes Briefes eine Fortſetzung des vorigen wird, in wel - chem ich meine Traurigkeit zu entſchuldigen ſuchte. Doch es ſey das genug, was ich davon geſchrieben habe. Mein Ungluͤck iſt ein Beruf fuͤr Sie, mir die alleredelſten Proben der Freundſchaft zu geben, die wir einander ſo heilig gelobet haben, nehmlich mir mit Troſt und Rath zu ſtatten zu kommen. Jch glaube ſo gar, ich wuͤrde ihnen Unrecht thun, wenn ich dieſen Ruf fuͤr noͤthig hielte.
Mir iſt jetzt das Leben unertraͤglich. Wie froͤ - lich wollte ich ſeyn, wenn ich auſſer ſeiner Gewalt waͤre! Er ſollte alsdenn den Unterſcheid bald mer - cken. Muß ich ja gedemuͤthiget und gedruͤcket werden, ſo wuͤnſchte ich, daß es lieber von denen geſchehen moͤchte, gegen die ich eine natuͤrliche Ver - pflichtung habe. Meine Frau Baſe meldet mir in ihrem Briefe, daß ſie ſich nicht unterſtehet fuͤr mich zu reden. Aus Jhrem Briefe ſehe ich, daß man von der vorigen Haͤrte gegen mich abgelaſſen haben wuͤrde, wenn ich mich nicht zur Flucht haͤt - te verleiten laſſen: daß meine Mutter ſich hat be - muͤhen wollen, den Haus-Frieden wieder herzuſtel - len, und daß ſie meinen Onckle Harlowe zu Huͤlffe zu nehmen Vorhabens geweſen iſt.
Auf dieſen Grund will ich bauen. Jch kann es doch verſuchen, und es iſt meine Schuldigkeit alles moͤgliche zu verſuchen, dadurch ich die verſchertzte Gunſt meiner Eltern wieder erlangen kann. Viel - leicht laͤſſet ſich dieſer ehemahls ſo guͤtig geſinnete Onckle bewegen, ein Wort fuͤr mich zu ſprechen. Um den Antrag nach den Geſchmack meines Bru - ders einzurichten, will ich von Hertzen gern alles Recht an mein großvaͤterliches Gut aufgeben, und es dem uͤberlaſſen, dem es die Meinigen zudencken: und um dieſe Uebertragung deſto rechts-kraͤftiger zu machen, will ich zugleich verſprechen, mich nie zu verheyrathen.
A 2Was4Was duͤnckt Jhnen hiezu? Die Meinigen wer - den ſich doch nicht gaͤntzlich und auf ewig von mir losſagen wollen! Wenn ſie das geſchehene mit un - partheyiſchen Augen anſehen, ſo werden ſie ſich doch einige Schuld beymeſſen, und nicht alles mir allein zur Laſt legen.
Jch glaube, daß Jhnen dieſes Mittel wuͤrdig ſcheinen wird, verſucht zu werden. Allein dieſes iſt die Schwierigkeit: wenn ich ſchreibe, ſo weiß ich, daß mein harter Bruter alle gegen mich ſo einge - nommen und verbunden hat, daß mein Brief aus einer Hand in die andere wird gehen muͤſſen, bis er Zeit gewinnet, alle zu bereden, daß ſie meine Bitte abſchlagen: koͤnnte aber mein Onckle bewo - gen werden meine Bitte als aus eigenem Triebe zu unterſtuͤtzen, ſo wuͤrde meine Mutter und ihre Schweſter ihm gewiß beytreten.
Jch komme daher auf folgenden Einfall. Herr Hickmann iſt bey jedermann wohl angeſchrieben: wie? wenn er eine Gelegenheit ſuchte, mit meinem Onckle Harlowe zu ſprechen, und ihm als eine Nachricht, die er von Jhnen erfahren haͤtte, verſi - cherte, in was vor Umſtaͤnden und Gemuͤthsfaſſung ich mich befinde, und daß ich Lovelacen auf keine Weiſe verbunden bin?
Jch uͤberlaſſe es voͤllig Jhrem Gutbefinden, ob? und in wie fern dieſer Einfall zu billigen ſey? Wenn Herr Hickmann in Jhrem Nahmen (denn in mei - nem Nahmen kann es nicht geſchehen, davon wer - den Sie die Urſachen, ohne daß ich ſie melde, mer - cken) dieſen Antrag thut, und mein Onckle ſchlaͤgtes5es ab, ſich mit mir ferner einzulaſſen: ſo habe ich keine Hoffnung, und muß mich in den Schutz der Baſen des Lovelaces begeben.
Es wuͤrde gottlos ſeyn, folgende Zeilen, die eine Anklage der hoͤchſten Vorſorge enthalten, und ihr unſere Suͤnden beymeſſen, in meinem Nahmen zu ſprechen; ſie fallen mir aber doch oft bey, weil ich mein ungluͤckliches und unvorſaͤtzliches Verſehen le - bendig geſchildert in ihnen antreffe.
Jhr Goͤtter, euch, euch red 'ich klagend an.
Entdeckt der Welt die Unſchuld und die Tugend.
Jſts moͤglich, daß man mich verdammen kann, So offenbart die Suͤnden meiner Jugend.
Setz’ ich den Fuß auf Wege die ich haſſe, So meßt die Schuld dem ewgen Schickſal bey: Mein Fuß iſt Suͤnder und mein Herz iſt frey.
Von einigen Briefen, welche hier der Zeit nach folgen, hat der engliſche Herausgeber nur einen Auszug geliefert.
Die Fraͤulein Harlowe berichtet am Montage, daß Herr Lovelace ihr Misvergnuͤgen bemerckt, und den Herrn Mennell, einen Verwandten der Frau Fretchville, und der ihre Sachen beſorge, zu ihr gebracht habe. Sie beſchreibt ihn als einen ver - ſtaͤndigen und artigen jungen Officier: der ihr glei - che Nachrichten von dem Hauſe und von den betruͤb - ten Gemuͤths-Umſtaͤnden der Frau Fretchville ge - geben habe, als vorhin Herr Lovelace.
Sie meldet der Fraͤulein Howe, wie ſehr Herr Lovelace dieſem fremden Herrn angelegen habe,A 3daß6daß er ſeiner Liebſten (wie er ſie jetzt in Geſellſchaft zu nennen pfleget) Gelegenheit verſchaffen moͤchte, das Haus zu beſehen. Herr Mennell habe auch verſprochen, ihr noch den Nachmittag alle Zimmer zu zeigen, dieſelbigen ausgenommen, in denen ſich die Frau Fretchville eben befinden wuͤrde. Allein ſie haͤtte ſich nicht unterſtehen wollen, noch einen Schritt zu wagen, bis ſie wuͤßte, wie der Fraͤulein Howe ihr Anſchlag gefiele, bey ihrem Onckle zuzu - hoͤren, ob er ſich ihrer wol annehmen wollte: und bis ſie ſaͤhe, was dieſer Verſuch fuͤr Folgen haͤtte.
Herr Lovelace berichtet ſeinem Freunde in ſei - ner gewoͤhnlichen lebhaften Schreib-Art, wie nie - dergeſchlagen die Fraͤulein bey Erhaltung ihrer Kleider und eines Briefes geweſen ſey. Er bedau - ret, daß er ihr Zutrauen gegen ſich verſchertzt habe; vermuthlich dadurch, daß ſie ſeine vier Freunde habe kennen lernen: wiewohl er nicht ſeine Freunde, ſondern die uͤbertriebene Tugend-Lehre ſeiner Schoͤ - nen tadeln muͤſſe. Denn niemahls haͤtten ſich junge Herren, (ſie, ſeine vier Freunde, zum allerwenigſten niemahls) beſſer aufgefuͤhrt, als denſelbigen Abend.
Da er erzaͤhlet, daß er den Mennell zu ihr ſelbſt gebracht habe, ſetzt er hinzu:
„ War das nicht recht artig von dem Herrn „ Mennell? (Jch nennete ihn gemeiniglich, Ca - „ pitain Mennell: denn du weiſt wol, daß nie - „ mand unter den Soldaten Lieutenant, oder Faͤhn - „ drich heiſſen will.) War es nicht recht artig, daß „ er ſo willig war mit mir zu gehen, und meiner„ Schoͤ -7„ Schoͤnen von der Schwermuͤthigkeit der jungen „ Wittwe eine zuverlaͤßige Nachricht zu geben?
„ Mich duͤnckt, du willſt gern wiſſen: wer der „ Capitain Mennell iſt? Du haſt den Nahmen, „ Capitain Mennell, noch nie nennen hoͤren.
„ Das glaube ich wol. Kenneſt du den jungen „ Newcomb nicht? Des ehrlichen Dolemans „ ſeinen Vetter?
„ Hoho! iſt der es?
„ Ja! der iſt es! Jch habe aus eigener Voll - „ macht ſeinen Nahmen geaͤndert. Du weiſt, daß „ ich ein Vater vieler Nahmen bin: ich vergebe al - „ lerhand Bedienungen an Leute vom Degen und „ von der Feder. Jch verſchencke Guͤter, und nach „ meinem eigenen uneingeſchaͤnckten Willen nehme „ ich ſie wieder. Jch adele: und welches noch mehr „ iſt, ſo nehme ich meinen Vaſallen Wapen und „ Adel nach meinem eigenen Wohlgefallen, ohne „ vorhergegangene Felonie. Ein Monarch, ein „ eingeſchraͤnckter gebundener Monarch, iſt gegen „ meine Allmacht ein Bettler.
„ Allein das iſt der Teuffel! Nachdem Mennell „ meinen Engel geſehen hat, ſo hat er tauſend An - „ faͤlle von hypochondriſchen Grillen. Es wird „ mir viel koſten, ſeine Geſundheit zu erhalten. Doch „ ich darf mich hieruͤber nicht wundern, da vier „ ſolche Kerls, als ihr ſeyd, nach einem Umgange „ von wenigen Stunden fuͤhleten, daß ſie Hertzen „ haben. Das troͤſtet mich, daß ich den Vorſatz „ habe, mein Kind endlich zu belohnen, wenn es „ mich durch ſeine Tugend uͤberwindet; oder daßA 4„ ich8„ ich die Verſuchung nicht immer werde fortſetzen „ koͤnnen. Denn ich ſelbſt habe bisweilen hypo - „ chondriſche Anfaͤlle. Sage aber der Bruͤder - „ ſchaft nichts davon, und lache du mich auch ſelbſt „ nicht aus. „
Jn einem andern Briefe, der des Montags Abends geſchrieben iſt, meldet er ſeinem Freunde: die Fraͤulein ſey ſo fremde gegen ihn, daß gantz gewiß noch ein Briefwechſel zwiſchen ihr und der Fraͤulein ſeyn muͤſſe, ohngeachtet ihn Frau Howe ihnen bey - den verboten habe. Er halte es fuͤr ein gutes Werk den Ungehorſam zu ſtraffen, und er glaube, daß dieſe Maͤdchens beyde eine Straffe verdienten, weil ſie ſich gegen ihre Eltern auflehnen. Er habe ſich naͤher nach ihrem Brieftraͤger erkundiget, und fin - de, daß es ein gemeiner Wild-Dieb ſey, der unter dem Vorwand Kleinigkeiten zu verkauffen, ſeine geſtohlene Eß-Waare anbringe. Weil er Wil - ſons Haus ſelbſt vorgeſchlagen habe, die Briefe dahin zu ſchicken, ſo unterſtehe er ſich nicht dort et - was zu verſuchen: allein er wolle den alten Kerl unterweges pluͤndern laſſen; es ſollten ihm nicht al - lein die Briefe, ſondern auch das Geld genommen werden, das er bey ſich haͤtte, denn ſonſt wuͤrde er deswegen in Verdacht kommen.
„ Wenn man ſeine eigene Abſichten erhaͤlt, und „ zugleich einen Spitzbuben ſtrafft, ſo dienet man „ der Welt und ſich ſelbſten. Die Geſetze ſind fuͤr „ einen ſolchen Mann als ich bin nicht gemacht. Jch „ muß hinter einen Briefwechſel kommen, der ohne „ Ungehorſam nicht gefuͤhret werden kann.
Jch9„ Jch uͤberlege die Sachen von neuen. Wenn ich „ erfahren koͤnnte, daß mein liebes Kind einige Briefe „ in den Taſchen hat, ſo wollte ich ſuchen, es in die „ Comoͤdie zu bringen. Vielleicht waͤre meine Schoͤ - „ ne ſo ungluͤcklich ihre Taſchen zu verlieren. Allein „ wie ſoll ich das erfahren? Denn ihre Dorcas „ weiß von ihrem Aus - und Anziehen nicht mehr als „ ihr Lovelace. Ehe der Tag anbricht, ehe das „ Kammer-Maͤdchen ſie ſiehet, iſt ſie ſchon angeklei - „ det. Das iſt ein verfluchter Argwohn! warlich „ Bruder, wer argwoͤhniſch iſt, der verdient geſtraf - „ fet zu werden. Wenn ein Maͤdchen einen ehrli - „ chen Kerl fuͤr einen Schelm haͤlt, ſo giebt es ihm „ ein Recht ein Schelm zu werden.
„ Je mehr ich der Sache nachdencke, deſto mehr „ kriege ich Luſt etwas gegen ihre Taſchen zu wagen, „ weil dabey die wenigſte Gefahr iſt. Allein es „ koͤnnen ohnmoͤglich alle ihre Briefe in den Taſchen „ ſtecken, obgleich die Taſchen halb ſo groß ſind, als „ das Frauenzimmer ſelbſt. Jch glaube, ſie tragen „ ſie an ſtatt des Ballaſtes, damit der Wind nicht „ ihre Cannevaſſenen Segel ergreiffen, und ſie in die „ Luft fuͤhren moͤge. „
Weil er befuͤrchtet, daß die beyden Fraͤuleins auf allerhand Anſchlaͤge dencken moͤgten, ihm die Fraͤulein Harlowe aus den Haͤnden zu bringen, ſo erzaͤhlt er, was er in ſolchem Falle zu thun geſinnet ſey, und ruͤhmet ſich, daß er der Dorcas und ſeinem Wilhelm Summers ſchon auf alle Faͤlle Ver - haltungs-Befehle gegeben habe. Er meint, er ha - be ſich gegen alle moͤgliche Ungluͤcks-Faͤlle vorgeſehen:A 5und10und wenn ſie auch aus dem Hauſe entkaͤme, ſo wolle er ſie dennoch wieder zuruͤck bringen; ja ſelbſt in dem Falle wuͤrde er ſie nicht verlieren, wenn ſie auſſer Lan - des ginge, und ſich weigerte wieder zu ihm zu kom - men. Er hoffet auch alles ſo einzurichten, daß es ihm niemahls an einem Vorwand fehlen ſoll, ſie bey ſich zu behalten, wenn gleich ſeine Auſchlaͤge entdecket. wuͤrden.
Er hat der Dorcas befohlen ſich auf alle moͤgli - che Weiſe bey ihrer Fraͤulein einzuſchmeicheln, und oͤfters daruͤber klaͤglich zu thun, daß ſie weder ſchrei - ben noch geſchriebenes leſen kann. Sie ſoll der Fraͤulein bisweilen einige Briefe von ihren angebli - chen Verwanten auf dem Lande zeigen, und ſie bit - ten, ihr zu rathen, was und wie ſie antworten laſſen ſolle. Sie ſoll viel mit der Feder ſpielen und ſchmie - ren, damit nicht die Dinte, die bisweilen an ihre Fin - ger koͤmmt, ſie verrathen moͤge, daß ſie ſchreiben koͤnne. Er habe ihr uͤber dieſes eine Schreib-Tafel und einen ſilbernen Stift gegeben, damit ſie ſich eini - ge merckwuͤrdige Umſtaͤnde aufzeichnen koͤnne.
Die Fraͤulein habe den Vorſchlag der Frau Sin - clair bewilliget, und ihre Kleider aus den Coffern in einen groſſen Schranck von Mahogany geleget, darin ſie voͤllig nach der Laͤnge liegen koͤnnten, und darin auch Schiebladen fuͤr die Waͤſche waͤren. „ Dieſer Schranck hat oft die ſchoͤnſten Kleider un - „ ſerer Nymphen verwahret, die ſie anzuziehen pfleg - „ ten, wenn ſie vornehmen Leuten aͤhnlich ſeyn, oder „ vornehme Herren fangen wollten. Manche dir be - „ kaunte Graͤfin hat unſere Mutter ausgeſtattet, jaſo11„ ſo gar ein Paar Hertzoginnen, die jetzt nach der „ neuen vornehmen Mode eine vergnuͤgte Lebens-Art „ in dem Hauſe ihrer Ober-Herren fuͤhren. Allein „ dieſe gehoͤren auch nur vor Perſonen vom Stan - „ de, und die es bezahlen koͤnnen: denn nicht ein je - „ der gemeiner Suͤnder muß vornehme Kinder un - „ ehrlich machen.
„ Dorcas hat einen Haupt-Schluͤſſel, der alle „ Schieb-Laden oͤffnet. Es iſt ihr befohlen alles auf „ das genaueſte wieder zurecht zu legen, wenn ſie „ Briefſchaften in dem Schrancke ſuchet. Sara „ und Marichen ſollen mir im Abſchreiben behuͤlf - „ lich ſeyn, denn mit einem ſolchen Kinde muß man „ ſehr langſam und behutſam umgehen.
„ Es iſt ohnmoͤglich, daß ein ſo junges Frauen - „ zimmer bey ſo weniger Erfahrung ſo vorſichtig ſeyn „ ſollte, wenn es ſich ſelbſt gelaſſen waͤre; da ſich „ unſere Nymphen ſo ſittſahm auffuͤhren, und in dem „ Hinter-Hauſe nie etwas von dem Lerm gehoͤret wird. „ Alles iſt ganz artig und ſtille; unſere Jungfern „ ſind wohlgezogen und beleſen: der erſte Wi - „ derwille wider die alte Mutter iſt uͤberwunden. „ Es kann demnach keine andere ſeyn, die mir „ die Sache ſchwer macht, als die Fraͤulein Howe, „ die ſich ehemahls in einen unſeres gleichen, in den „ ehrlichen Georg Colmar verliebt hatte, wie du „ ohne Zweiffel wiſſen wirſt. „
„ Aus den Mitteln, die ich mir ſchon auf alle „ Faͤlle ausgeſonnen habe, wirſt du ſehen, Bel - „ ford, daß ich nichts vergeſſe. Denn man glaubt „ kaum wie ſehr richtig der Ausdruck unſeres Liedes „ iſt. „
Der12„ Bis hieher bin ich fromm geweſen. Allein mei - „ ne Goͤttin ſoll ehe keine Ruhe haben, bis ich weiß, „ wo ſie ihre Briefe laͤßt. Hernach will ich ſie in „ die Comoͤdie bringen, oder mit ihr ausfahren, oder „ ſie an einen Ort bringen, da Muſick iſt. „
„ Jch habe dir eben meine Anſchlaͤge gemeldet. „ Dorcas, die auf alles Achtung giebt, hat mir „ eine Probe von der argwoͤhniſchen Vorſichtig - „ keit ihrer Fraͤulein erzaͤhlet. Sie ſiegelt jeden „ Bief erſt mit zwey Oblaten zu, ſticht in die „ Oblaten, und druͤckt alsdenn das Siegel auf die „ Oblaten. Vermuthlich ſind die Briefe, die ſie „ empfaͤngt, eben ſo ſorgfaͤltig verſiegelt, und ſie „ eroͤffnet keinen, ehe ſie nicht das Siegel beſehen „ hat. Jch muß nothwendig hinter die Briefe kom - „ men: ſelbſt die Schwierigkeit macht mich neugie - „ riger. Jſt es nicht zu bewundern, da ſie ſo viel „ ſchreibet, daß nicht ein ſchlaͤfriger oder ſorgloſer „ Augenblick unſer Verlangen erfuͤllet. „
„ Du ſieheſt, daß die Partheyen bey unſerem „ Streit nicht ungleich ſind. Wirf mir deswegen „ nicht vor, daß ich mir ihre Jugend zu Nutze mache. „ Sage nichts von Leichtglaͤubigkeit, denn die „ iſt gar nicht bey dieſem unglaͤubigen Wunder - „ Kinde anzutreffen. Bin ich nicht ſelbſt noch ein„ jun -13„ junges Blut? An ihr Vermoͤgen und Stand „ mußt du gar nicht dencken: das reitzt mich nur „ zur Schelmerey an, und zwar deswegen, weil mein „ Hertz edel iſt. Jch habe dir ſonſten ſchon geſchrie - „ ben, wie ich hierin geſinnet bin. Was die Ge - „ ſtalt anlanget, ſo bitte ich dich Belford, zwinge „ mich nicht unverſchaͤmt zu ſeyn, und ſtelle ſelbſt zwi - „ ſchen mir und meiner Clariſſa eine Vergleichung „ an. Was ſie unter ihrem Geſchlechte iſt, das bin ich „ vielleicht unter meinem. Der eintzige Vorzug „ uͤber den wir noch ſtreiten koͤnnen, beſtehet in dem „ Verſtande und in der behutſamen Klugheit: „ daruͤber wollen wir auch ſtreiten, und es ausma - „ chen, wem der Preis gebuͤhret.
„ Es iſt dieſes fuͤr ſie und fuͤr mich ein betruͤbtes „ Leben, ſie muͤßte denn von Natur argwoͤhniſch „ ſeyn. Denn wo dieſes iſt, ſo liegt ihr Misver - „ gnuͤgen in ihrem Blute, und iſt unvermeidlich: „ es wird ihr aber auch in dem Falle nichts ſchaden. „ Denn wer von Natur argwoͤhniſch iſt, der wird „ die Urſachen zum Argwohn ſelbſt erfinden, wo „ keine ſind: ja meine Schoͤne wird mir dafuͤr ver - „ bunden ſeyn muͤſſen, daß ich ihr dieſe Muͤhe be - „ nehme, und ihr Gelegenheit zum Argwohn gebe.
„ Es iſt wahr, der ebene und gerade Weg iſt „ der beſte. Allein es iſt mir nicht gegeben, auf „ ebenen Wegen zu gehen. Jch bin nicht der ein - „ tzige in der Welt, der die Kruͤmme liebet: es giebt „ noch auſſer mir viele tauſende, die lieber in truͤ - „ ben als in ſtillen Waſſern fiſchen. „
Bin ich nicht ein ungluͤcklicher Kerl! man ruͤhmt dieſes Frauenzimmer, daß es das guͤtigſte Hertz von der Welt haben ſoll, und ich glaubte es ehemahls ſelbſt: allein gegen mich hat ſie das aller - haͤrteſte Hertz. Niemand hat mich fuͤr verdrießlich im Umgange ausgegeben. Wie iſt es moͤglich: ich glaubte wir waͤren dazu gebohren einander gluͤcklich zu machen, allein ich habe mich geirret: es ſcheint, daß wir einander nur plagen ſollen. Jch habe vor, eine Comoͤdie zu ſchreiben: der Titul iſt ſchon fer - tig, und der iſt wie du weißt das halbe Buch: die zanckenden Verliebten. Die Erfindung iſt gut; es iſt etwas neues und unerwartetes in dem Titul: indeſſen iſt es doch wahr, daß die Liebe gern zancket. Der alte Terentius hat das ſchon bemerckt, daß wenn Liebhaber ſich einmahl zancken, und ſich wie - der vertragen, die verſoͤhnte Liebe am hitzigſten iſt. Dieß iſt gantz natuͤrlich. Allein wir zerfallen ſo oft mit einander, ohne uns ein eintziges mahl zu ver - ſoͤhnen, und ehe der erſte Zanck geendiget iſt, gehet ſo oft der zweite ſchon wieder an, daß ich das En - de unſerer Liebe ohnmoͤglich abſehen kann. Allein Schakeſpeare ſagt:
Kein Menſch auf Erden kann ſein Creutz beſſer tragen als ich; allein es muß ein Creutz ſeyn, das ich mir ſelbſt gemacht habe; und eben dieſes rechne ich unter meine Vorzuͤ - ge und Tugenden, du magſt davon dencken, was du willſt. Denn die meiſten ſind durch ihre uner - meßlichen Begierden, oder dadurch, daß ſie kein beſſeres Gluͤck verdienen, an ihrem Leyden ſchuld. Jch will nach und nach ein Menſch, wie andere Leute werden, dafuͤr mich noch niemand gehalten hat. Nun mercke auf die Geſchichte zu der ich dieſe Vorrede gemacht habe.
Jch war auſſer Hauſe geweſen, und traff bey mei - ner Zuruͤckkunft die Dorcas auf der Treppe an. ‒ ‒ Jſt eure Herrſchaft auf ihrer Stube? ‒ ‒ Nein! ſie iſt in dem Speiſe-Saal: und wenn ſie jemahls eine Gelegenheit haben ſollen einen Brief zu erhaſchen, ſo muͤſſen ſie ſie jetzt ergreiffen. Denn vor ihren Fuͤſſen ſahe ich einen Brief liegen, den ſie eben ge - leſen haben mußte, weil er er aus einander geſchlagen war, und ſie beſchaͤftiget ſich noch jetzt mit andern Briefen. Jch glaube ſie hat alles aus der Taſche gezogen; und alſo wiſſen ſie, wo ſie ſie kuͤnftig ſu - chen muͤſſen.
Jch wollte vor Freuden faſt in die Luft ſpringen, und entſchloß mich gleich, einen Einfall anzuwenden, den ich ſchonlaͤngſtens gehabt hatte. Jch ging mit einem ſehr froͤlichen Geſicht in das Speiſe-Zim - mer, und unterſtand mich, ſie, wie ſie ſaß, mit bey - den Armen zu umfaſſen, unterdeſſen, daß ſie ihre Briefe geſchwind in den Schnupftuch band ohneden16den Brief zu bemercken, der auf die Erde gefallen war. O meine allerliebſte Fraͤulein ſagte ich, eben iſt Herr Mennell und ich auf einen gluͤcklichen Ein - fall gerathen. Damit ich die Frau Fretchville bewegen moͤchte das Haus bald zu raͤumen, ſo habe ich verſprochen, wenn ſie es anders gut finden, den Koch, die Haus-Magd, und zwey Diener ihr ab - zunehmen und ſie ſelbſt zu miethen, bis ſie auf an - dere Weiſe verſorget ſind. Denn ſie war wegen dieſer Bedienten am meiſten beſorget. Damit kei - ne Bequemlichkeit fehlen moͤge, ſo will ich alles Lin - nen-Geraͤthe, das in die Haushaltung gehoͤrt, fuͤr einen billigen Preiß uͤbernehmen.
Jch ſoll ſo gleich fuͤnf hundert Pfund erlegen, und das uͤbrige bezahlen ſo bald die Rechnung gefertiget iſt. Sie bekommen auf die Weiſe ein ſchoͤnes Haus, darin ſie wohnen und meine Anverwandten empfan - gen koͤnnen. Dieſe werden bald bey ihnen ſeyn, und werden nicht zugeben, daß ſie meinen gluͤcklichen Tag allzu lange aufſchieben, und damit in keinem Stuͤcke gegen den Wohlſtand geſuͤndiget werde, ſo will ich nicht mit in das neue Haus ziehen, ſondern hier bey der Frau Sinclair bleiben und das uͤbrige alles ihrer Guͤtigkeit uͤberlaſſen. O mein liebſtes Kind, iſt ihnen dieſer Vorſchlag nicht gefaͤllig? Jch weiß gewiß, ſie nehmen den Vorſchlag an. Jch druͤck - te ſie hierauf naͤher an mich und gab ihr einen feuri - geren Kuß, als ich mich jemahls unterſtanden hatte: ich lies mich aber dennoch nicht durch die Hitze uͤber - nehmen, denn ich ſetzte den Fuß auf den Brief, und zog ihn vorwaͤrts, damit ich ihn beſſer erreichen koͤnnte.
Sie17Sie ward uͤber die Freyheit unwillig, die ich mir nahm. Jch buͤckte mich deswegen und bat um Vergebung; unter dem Buͤcken aber nahm ich den Brief auf, und wollte ihn in den Buſen ſtecken.
Bin ich nicht ein Narre, ein Einfalts-Pinſel, ein ungeſchickter Kerl, kurtz ein lebendiger Belford! Jch hielt mich fuͤr kluͤger als ich bin. Warum befahl ich der Dorcas nicht, mir in die Stube nach - zufolgen, und den Brief unterdeſſen daß ich mich an die Fraͤulein machte, aufzuheben?
Weil der Brief nicht zuſammen geleget war, ſo konnte ich ihn nicht ohne Geraͤuſch beyſtecken, und meine ploͤtzliche Bewegung hatte ihre Augen ſchon mit Verdacht erfuͤllet. Sie flog den Augenblick in die Hoͤhe: verraͤtheriſcher Judas (ſagte ſie mit fun - ckelnden Augen und mit verworrenem Geſicht) was haben ſie von der Erde aufgehoben? Sie machte ſich kein Bedencken, den geſtohlenen Brief mir mit Gewalt abzunehmen, ob er gleich in meinem Buſen ſteckte: eine Gewaltthaͤtigkeit, die meine Hand in gleichem Falle nicht haͤtte wagen duͤrfen, wenn ich meine Ohren behalten wollte.
Was konnte ich weiter thun, als um Vergebung bitten, da ſie mich auf der That ertappet hatte? Jch umfaſſete mit beyden Haͤnden ihre loſe Hand, die den geraubten Brief ſchon wieder hatte: mein liebſtes Kind, koͤnnen ſie dencken, daß ich gar keine Neugier habe? Sie ſchreiben beſtaͤndig; mir iſt keine Schreib - Art angenehmer, als Erzaͤhlungen in Briefen, und in - ſonderheit bewundere ich dieſe Schreib-Art an ihnen: iſt es denn Wunder, daß ich vor Verlangen brenne,Vierter Theil. Betwas18etwas von einem ſo angenehmen Briefwechſel zu ſe - hen, da ich jetzund Erlaubniß zu einer ſo nahen Hoffnung von ihnen habe?
Laſſen ſie meine Hand los! (ſagte ſie, und ſtampfte mit ihren artigen Fuͤſſen auf die Erde.) Was un - terſtehen ſie ſich, mein Herr? Nun ‒ ‒ ſehe ich ‒ ‒ ich ſehe allzu klar ‒ ‒ Mehr konnte ſie nicht ſagen: ſie ſchnappte erſt nach der Luft, und ich dachte, ſie wuͤrde vor Schrecken und Eifer ſogleich eine Ohn - macht bekommen. Nichts von der angenehmen Freundlichkeit, die ihre recht eigene Schoͤnheit iſt, war in ihrem liebenswuͤrdigen Geſichte oder in ihrer klingenden Stimme wahrzunehmen.
Nachdem ich ſo weit gegangen war, ſo wollte ich ungern meine Beute wieder fahren laſſen; ich er - haſchte den zuſammen gedruͤckten Brief noch einmahl, Unverſchaͤmter Menſch! (ſagte ſie, und ſtampfte abermahls.) Um Gottes Willen! Jch lies mir gern meine Beute abnehmen, damit ich nicht an ei - ner Ohnmacht ſchuld ſeyn moͤchte. Jch hatte hie - bey das Vergnuͤgen, daß ſich meine Hand zwiſchen ihren beyden Haͤnden befand, die ſich bemuͤheten, meine Finger mit Gewalt zu oͤffnen. Wie nahe war damahls mein Hertz meinen Fingern! es ſchlug mir bis an die aͤuſſerſte Spitze jedes Fingers, weil mein allerliebſtes Kind (obgleich im Unwillen) ſo vertraut mit mir umging.
So bald ſie den Brief hatte, eilete ſie der Thuͤr zu. Jch ſtellete mich in den Weg, ſchloß die Thuͤr ab, und bat auf die demuͤthigſte Weiſe um Verge - bung. Kannſt du glauben, daß der HarlowiſcheKopf19Kopf meines ſchoͤnen Kindes unbeweglich war, ob ich gleich eine ſo angenehme Nachricht gebracht hat - te? Sie ſtieß mich mit Ungeſtuͤm von der Thuͤr weg, nicht anders als wenn ich eine Feder geweſen waͤre, (es iſt mir lieb, daß ich bey einer ſo unſchul - digen Gelegenheit ihre Staͤrcke kennen lerne. Dieſes - mahl machte ſie der Zorn ſo ſtarck, und mich machte die Furcht ſchwach. ) lief nach ihrer Wohnſtube, (Gott Lob, daß ſie nicht weiter fliehen konnte) und ſchloß und riegelte ſich ſogleich ein. Jch troͤſtete mich damit, daß ſie meine kuͤnftige Tod-Suͤnde nicht heftiger wuͤrde ahnden koͤnnen.
Jch ſchlich mit bekuͤmmerten Hertzen auf meine Stube, und weil mein Diener eben nicht bey der Hand war, ſchlug ich mich verflucht mit beyden Haͤnden vor den Kopf.
Mein Kind bleibt jetzt eingeſchloſſen: es will nichts von mir wiſſen: es will nicht eſſen, ja es faſſet den Entſchluß, mich nie wieder vor Augen zu ſehen; niemahls, niemahls wieder in ihrem Leben, will mich die Fraͤulein ſehen, wenn ſie es vermeiden kann.
Jch hoffe, ſie wird dazu geſetzet haben: in ihrer jetzigen Gemuͤths-Faſſung. Das ſollten die lie - ben Kinder immer dazu ſetzen, wenn ſie ſich mit ih - ren Dienern zancken, um ſich vor dem Meineyd zu bewahren.
Glaubſt du nunmehr nicht, daß meine naͤchſtbe - vorſtehende Schelmerey darauf gehen wird, zu ent - decken, warum mein Kind ſich uͤber eine ſo geringe Suͤnde ſo heftig entruͤſtet hat. Denn es wuͤrdeB 2eine20eine geringe Suͤnde ſeyn, wenn die Briefe der bey - den Maͤdchens nicht von Hochverrath gegen mich handeln.
Mittewochens fruͤh.
Jch habe ihr eben ſo wenig bey dem Fruͤh-Stuͤck als geſtern bey dem Abendeſſen meine Aufwartung machen duͤrfen. Wenn das Maͤdchen nur dennoch nicht am Ende ein einfaͤltiges Kind iſt. Jch habe in des Capitain Mennells Nahmen an ſie geſchickt: gnaͤdige Frau, der Capitain Mennell laͤßt ſei - ne gehorſamſte Empfehlung machen ‒ ‒
Nichts will helfen. Sie iſt den Jahren nach noch ein Kind: man kann von ihr nicht erwarten, daß ſie in allen Stuͤcken ein ‒ ‒ ‒ bald haͤtte ich geſagt, ein Salomon ſeyn ſoll. Salomon, Bruder, war der weiſeſte Mann in der Welt: haſt du aber je gehoͤrt, welches das weiſeſte Frauenzimmer in der Welt geweſen iſt? Jch habe dieſe Nachricht noͤthig, damit ich eine Vergleichung mit meinem Kinde an - ſtellen koͤnne. Von argliſtigen Weibern und Hexen leſen wir genug; allein ich glaube Weisheit iſt nie eine Eigenſchaft dieſes Geſchlechts geweſen. Man fodert ſie gar nicht von ihnen. Es iſt wahr, gantze Laͤnder pflegen unter Koͤniginnen gluͤcklicher zu ſeyn, als unter Koͤnigen. Allein woher kommt das? Die Koͤnigin laͤßt ſich von Maͤnnern und der Koͤnig von Weibern regieren. Das iſt ein guter Einfall: ſo entdecken wir endlich, wer in jedem Reiche das Ruder fuͤhret. Und du elender Kerl willſt mich daruͤber auslachen, daß ich dieſem Geſchlecht ſo ergeben bin? und21und daß ich mich in das allervortreflichſte Frauen - zimmer ſterblich verliebt habe?
Doch wir wollen nicht von Weisheit, ſondern von Liſt und Klugheit reden; das iſt, wir wollen die Frauens-Leute als Frauens-Leute betrachten. Was iſt zu thun, wenn ſich in dem Gehirn meiner Schoͤnen etwas befindet, daß bey keiner andern Schoͤnen anzutreffen iſt? Sie hat einen eigenen Bo - ten nach Wilſons Hauſe geſchickt, und einmahl uͤber das andere befohlen, ihr die Briefe die einlauf - fen werden den Augenblick zuzuſchicken.
Jch muß nun auf etwas neues dencken. Sie fuͤrchtet ſich nicht mehr vor dem Anſchlage ihres Bruders. Jch werde mich gar nicht daruͤber wun - dern, wenn Singleton der Fraͤulein Howe, als der einzigen Perſon die weiß oder wiſſen kann, wo die Fraͤulein Harlowe ſich befindet, ſeine Aufwar - tung macht, und vorgiebt, daß er ihr groſſe und wich - tige Dienſte leiſten koͤnne, wenn er ſie nur ein eintzi - ges mahl ſprechen duͤrfte. Der Verdacht wird im - mer entſtehen, daß er es mit ihrem Bruder abgere - det habe.
Alsdenn wird die Fraͤulein Howe ſie warnen, ſich zu Hauſe zu halten, und mein Schutz wird wie - der noͤthig ſeyn. Jch hoffe, daß dieſes Mittel ſei - ne gute Wirckung haben wird. Alles was Fraͤu - lein Howe ſaget, das findet bey meiner Schoͤnen Eingang. Joſeph Lehman iſt in ihren Augen ein abſcheulicher Menſch, der alles thut und ſaget was ich ihm befehle. Joſeph, der ehrliche Jo - ſeph (wie ich ihn zu nennen pflege) mag ſich nun -B 3mehr22mehr aufhaͤngen, wenn er Luſt dazu hat. Jch ha - be ihn genug gebraucht, und habe ihn kuͤnftig faſt gar nicht mehr noͤthig. Was brauche ich immer bey einerley Art der Schelmerey zu bleiben, da mir mein Kopf alle Stunden eine neue eingiebt?
Schilt mich nicht daruͤber, daß ich mein Pfund auf eine ſolche Art anwende: wer ein ſolches Pfund hat, muß es nicht ohne Wucher liegen laſſen.
Auf! ich muß einen Singleton ausfinden, das iſt es alles!
Jch will gleich einen haben! ‒ ‒ Wilhelm!
Mein Herr!
Ruffe mir den Augenblick deinen Vetter, den Paul Wehatly, der eben von der See gekom - men iſt, den du mir einmahl vorſchlugeſt, wenn ich mich verheyrathete, und ein Luſt-Schiff halten wollte.
Gut! Wilhelm iſt ſchon hin. Paul wird bald hier ſeyn. Er ſoll gleich nach der Fraͤulein Howe gehen. Er dienet nunmehr auf Single - tons Schiff, (auch den Dienſt will ich vergeben) wenn er nun von ſeinem Capitain geſchickt wird, ſo iſt es eben ſo gut, als wenn Singleton ſelbſt kaͤme.
Der kleine Teuffel, die Sara, wirft mir oft vor, daß ich ſo langſahm zu Wercke gehe. Allein ſind nicht bey einer Comoͤdie die vier erſten Auftrit - te die luſtigſten? iſt nicht beynahe alles vorbey, wenn wir an den fuͤnften Auftritt kommen? Daß muͤßte ein Geier vom Kerl ſeyn, der noch um ſeine Beute herum flieget, und in demſelben Augenblick ſtieſſe und auffraͤſſe.
Doch23Doch die Wahrheit zu geſtehen, ich bin zu liſtig fuͤr mich ſelbſt geweſen. Jch wollte mich in Sicher - heit ſetzen, allein das Mittel war ſchaͤdlich; denn ich habe das liebe Kind durch meine vier Hottentot - ten ſcheu gemacht, und es wird Zeit dazu gehoͤren, ehe ich das verlohrne wieder gewinne. Das ver - dammte Geſindel zu Harloweburg hat ſie gegen mich, gegen ſich, gegen die gantze Welt, muͤrriſch gemacht, die eintzige Fraͤulein Howe ausgenom - men: und dieſe vermehret ohne Zweifel meine Schwierigkeiten taͤglich. Jch kann mich auch nicht entſchlieſſen, mich zu den Mitteln zu erniedrigen, zu denen mich die Furien unſers Hauſes beſtaͤndig reitzen; ſonderlich da ich gewiß weiß, daß mein Kind doch endlich auf eine rechtmaͤßige Art die Mei - nige wird. Wenn es eine vollſtaͤndige Verſuchung uͤberſtanden hat, ſo will ich ihm auf eine rechte edle Art Gerechtigkeit widerfahren laſſen.
Paul Wheatly iſt ſchon weg! ſchon abgeſchickt! hat alle Verhaltungs-Befehle! Ein kluger Kopf! Er war dem Lord W. in den geheimſten Umſtaͤnden bedient, ehe er zur See gieng. Er iſt aufgeweckter als Lehman, und giebt nicht ſo viel von Schwer - merey und Gewiſſen vor als jener. Wie theuer mußte ich den Joſeph kauffen! ich mußte erſt ſein Gewiſſen und denn den Kerl ſelbſt bezahlen. Jch muß den Schelm zuletzt ſtrafen: allein vorher mag er heyrathen. Das iſt zwar ſchon Strafe genug, allein weil ich ihn fuͤr zwey gekauffet habe, ſo will ich auch in ihm zwey Leute abſtraffen, denB 4Kerl24Kerl und die Frau. Wie ſehr verdient Eliſabeth eine Zuͤchtigung fuͤr ihr Betragen gegen meine Goͤttin!
Jetzt eben gehet die Thuͤr meiner Geliebten auf, und die roſtrigen Thuͤr-Angel ruffen mich durch ihr Knarren. Mein Hertz antwortet ihnen, und knar - ret und ſchlaͤget ebenfalls. Ein alberner Einfall! Denn was fuͤr Gleichheit hat das Herz eines Ver - liebten mit ein Paar alten Thuͤr-Angeln, die knarren, weil ſie lange nicht geſchmiert ſind? Doch dieſe Thuͤr-Angeln eroͤffnen und ſchlieſſen das Schlaaf-Ge - mach meines Kindes: iſt das nicht genug?
Die Thuͤr geht wieder zu. Jch hoffe, daß ſie mich einiger Befehle wuͤrdigen wird. Warum ge - het ſie ſo fremde mit mir um? Sie muß doch die Meinige werden, wenn ich mich noch ſo ſchwer an ihr verſuͤndige. Wenn ich einmahl Hertz bekom - me, oder zeige, daß ich Hertz habe, ſo wird alles in einer Stunde voruͤber ſeyn. Denn wenn ſie auch meint, daß ſie aus dieſem Hauſe entkommen koͤnn - te, ſo weiß ſie doch keinen Ort, dahin ſie ihre Zuflucht nehmen darf. Jhre Eltern, ihre Onckels wollen ſie nicht aufnehmen: ihre liebe Frau Norton muß ſich nach jenen richten, und darf ihr keine Zuflucht in ihrem Hauſe verſtatten: die Fraͤulein Howe wird es ſich auch nicht unterſtehen: in London hat ſie keinen Freund auſſer mir, ja ſie iſt gantz unbe - kannt in London. Warum ſoll ſich denn das liebe Kind unterſtehen, ſo ſtrenge, ſo gebieteriſch mit mir umzugehen? Wenn es die Ohnmoͤglichkeit mir zu entkommen einſaͤhe, ſo wuͤrde es gegen micheben25eben ſo demuͤthig ſeyn, als gegen ſeine grauſamen Verwandten.
Wenn ich auch den letzten Sturm wagen und ab - geſchlagen werden ſollte, ſo kann doch ihr Haß, den ſie daruͤber gegen mich faſſet, nicht von langer Dauer ſeyn. Sie hat ſich ſchon in den Augen der Welt tadelhaft gemacht, und ſie muß die Meinige werden, wenn ſie den Laͤſterungen dieſer unverſchaͤmten Welt entgehen will. Denn wer kennet mich, und wird glauben, daß ſie noch eben ſo rein ſey als vorhin, wenn ich ſie nur vier und zwanzig Stunden in mei - ner Gewalt gehabt haͤtte? Man wird zum wenig - ſten ihren Leib vor befleckt halten, wenn ihr Gemuͤth gleich rein geblieben waͤre. Das menſchliche Hertz iſt uͤber dieſes ſo ſchelmiſch, daß beyde Geſchlechter andere nach ſich beurtheilen. Jedermann wird glau - ben, daß die Neigung eines Frauenzimmers eben eine ſo groſſe Verfuͤhrerin ſey, als ich ein Verfuͤh - rer bin, ſonderlich wenn ein junges Frauenzimmer in der beſten Bluͤte ſo viel Liebe fuͤr die Manns - Perſon hat, daß ſie mit ihr durchgehen kann: denn ſo muß ein jeder ihre Flucht erklaͤren.
Sie ruft die Dorcas. Jch ſoll vermuthlich ihre angenehme Stimme hoͤren, und Gelegenheit bekommen, mein Herz vor ihren Fuͤſſen auszuſchuͤt - ten, alle meine Geluͤbde und Eyd-Schwuͤre zu er - neuern, und von ihr die Vergebung meiner bisheri - gen Suͤnden zu empfangen. Mit wie vielem Ver - gnuͤgen will ich ein neues Kerb-Holtz anfangen, und mir von neuen meine Suͤnden vergeben laſſen. Die - ſes ſoll etliche mahl geſchehen, bis ich endlich dieB 5letzte26letzte Tod-Suͤnde begehe. Wenn ſie mir alsdenn noch einmahl vergiebet, ſo ſind zugleich alle kuͤnfti - gen und moͤglichen Suͤnden vergeben.
Die Thuͤr iſt ſchon wieder abgeſchloſſen. Jch hatte der Dorcas befohlen, ſie das naͤchſte mahl, da ſie ſie wieder ſaͤhe zu bitten, daß ſie mir erlauben moͤchte dieſen Mittag bey ihr zu ſpeiſen. Jn Gna - den abgeſchlagen! jedoch hat ſie es dieſes mahl hoͤflich abgeſchlagen. Es ſcheint, ſie will nach und nach wieder naͤher kommen. Das ehrliche Kammer-Maͤd - chen ſaget mir in der Sprache ihrer Haus-Mutter: ich wuͤrde nichts ausrichten, wenn ich nicht den Haupt - Sturm wagte. Jch ſinne ſchon auf den Haupt - Sturm, ich mache ſchon Anſtalten dazu. Allein mein verfluchtes Hertz widerſpricht mir und haͤlt mich fuͤr einen Narren. Jch ſchlieſſe meinen Brief, obgleich meine Felſen-harte Beherrſcherin mich wei - ter nichts thun laͤßt, als ſchreiben, leſen und mich aͤrgern.
Wir pflegen uns nicht nach der gewoͤhnlichen Art zu unterſchreiben. Wenn wir es aber auch thaͤten, ſo bin ich meinem Kinde ſo ergeben, daß ich dir und andern ohnmoͤglich melden kann, wie wenig ich bin Dein ergebener Diener.
Wenn Sie es billigen, daß ich mich an meinen Onckle, Anton Harlowe wende, ſo wuͤnſchte ich, daß es je eher je lieber geſchehen moͤch - te. Wir ſind von neuem auf das aͤuſſerſte zerfal - len, und ich habe mich eingeſchloſſen, daß er nicht zu mir kommen kann. Dieſe Beleidigung iſt nicht ſo auſſerordentlich groß: und dennoch iſt ſie in an - derer Abſicht ſehr groß. Er haͤtte beynahe einen von Jhren Briefen bekommen. Es ſoll mir dieſes zur Warnung dienen: ich will kuͤnftig in keinem Zimmer Briefe uͤberleſen oder ſchreiben, in welches er zu kommen berechtiget iſt. Jndeſſen hat er kei - ne Zeile, gewiß nicht eine einzige Zeile von Jhrem Briefe geleſen. Seyn ſie alſo nicht unruhig, und verlaſſen Sie ſich darauf, daß ich kuͤnftig vorſichti - ger ſeyn werde.
Die Sache verhielt ſich alſo. Die Sonne ſtand auf meinem Cloſet, und Herr Lovelace war aus - gegangen ‒ ‒ Hier folget eine ausfuͤhrlichere Nachricht davon, daß Herr Lovelace ſie unvermuthet uͤberfallen habe. Allein ihre Reden und ſein dreiſtes Betragen werden eben ſo erzaͤhlet, als er es ſelbſt erzaͤhlet hatte.
Jch werde hierdurch mehr und mehr uͤberzeuget, daß ich mehr in ſeiner Gewalt bin, als ich wuͤn - ſche, und daß es fuͤr mich nicht rathſam iſt, laͤn - ger bey ihm zu bleiben. Wenn mir meine Freun - de nur einige Hoffnung geben wollen ‒ ‒ Unterdeſſen aber muß ich mich bemuͤhen zu verhuͤten, daß un - ſer Streit nicht geſchlichtet werde: eine Bemuͤhung, die ich in meinem Leben noch nie uͤbernommen habe,und28und bey der ich mir ſelbſt veraͤchtlich bin, weil ich einen Endzweck dabey habe, den ich nicht geſtehen darf. Dieſes iſt eine von den Folgen, die ſich ſelbſt zugezogen hat, und die nunmehr zu ſpaͤte bereuet
Jhre Cl. Harlowe.
Jch billige Jhren Entſchluß ungemein. Sie ſollen den Menſchen verlaſſen, wenn ihr On - ckle Jhnen einige Hoffnung zur Ausſoͤhnung mit den Jhrigen macht. Seit zwey Stunden habe ich ſo viel glaubwuͤrdige Nachrichten von ſeiner Auffuͤh - rung gehoͤret, daß ich ihn fuͤr den abſcheulichſten und gefaͤhrlichſten Feind unſeres Geſchlechts halten muß. Jch verſichere Jhnen, wenn er ein zehnfaches Leben haͤtte, ſo koͤnnten noch wol zwantzig Uebelthaten un - begangen ſeyn, und er wuͤrde dennoch ſchon verdient haben, ſein zehnfaches Leben zu verlieren; wenn das anders wahr iſt, was ich gehoͤrt habe.
Wenn Sie ſich noch einmahl ſo weit erniedrigen, vertraut mit ihm zu reden, ſo fragen Sie ihn doch um die Jungfer Betterton, und was es mit der fuͤr ein Ende genommen hat. Und wenn er mit derSprache29Sprache nicht heraus will, ſo erkundigen Sie ſich nach der Jungfer Lockyer. Mein Schatz, der Menſch iſt ein Ertz-Boͤſewicht.
Jch will mich unter der Hand erkundigen laſſen, wie ihr Onckle geſinnet iſt, und zwar alſobald. Al - lein ich bin wegen eines gluͤcklichen Erfolgs in Sor - gen. Jch habe manche Gruͤnde hierzu. Man kann zwar zum voraus ſchwerlich ſagen, wie viel es bey einigen Leuten ausrichten wuͤrde, wenn Sie dem großvaͤterlichen Teſtament entſagten: allein ich kann ohnmoͤglich zugeben, daß Sie dieſes thun, wenn Ernſt aus der Sache wird.
Da Jhre Hannichen noch kranck iſt, ſo wuͤnſchte ich, daß Sie die Dorcas zu gewinnen ſuchten. Sind Sie etwan allzuſcheu und argwoͤniſch gegen ſie, und haben Sie ihr hievon, ohne es zu dencken, Zei - chen gegeben?
Jch wuͤnſchte, daß Sie einen von ſeinen Brie - fen in die Haͤnde bekommen koͤnnten. Ein ſo fluͤch - tiger Menſch kann nicht immer auf ſeiner Huth ſeyn. Jſt es aber ohnmoͤglich ihn zu uͤberfallen, und koͤn - ne Sie Jhr Maͤdchen nicht dazu gebrauchen, ſo ſind beyde mir ſchon verdaͤchtig. Laſſen Sie ihn ohnverſehens abruffen, wenn er eben im Schreiben begriffen iſt, oder wenn er Briefe um ſich liegen hat, und machen Sie ſich alsdenn ſeine Nachlaͤßigkeit zu Nutze.
Jch geſtehe gern, daß dieſes eben ſo gehandelt iſt, als wenn wir in einem Wirths-Hauſe alle Win - ckel durchſuchen, und nachſehen, ob ein Spitz-Bu - be verborgen ſtecke, da wir doch vor Furcht auſſeruns30uns kommen wuͤrden, wenn wir einen anſichtig wer - den ſollten. Jndeſſen iſt es doch beſſer den Spitz - Buben gewahr zu werden, da wir noch wachen, als daß er uns in den Schlaf uͤberfallen ſollte.
Jch freue mich daß Sie Jhre Kleider haben ‒ ‒ Allein kein Geld! ‒ ‒ Keine Buͤcher! ‒ ‒ als den Spira, den Drexelius und das thaͤtige Chriſten - thum! Die Leute, die dieſe Buͤcher ausſuchten, haͤtten wohl gethan, wenn ſie das letzte fuͤr ſich be - halten haͤtten. ‒ ‒ Allein ich muß hieran nicht viel gedencken.
Sie haben mich durch die Nachricht in groſſe Un - ruhe geſetzt, daß er ſich bemuͤhet hat, einen von mei - nen Briefen zu bekommen. Jch habe Nachricht, daß er der Anfuͤhrer von einer Bande abſcheulicher Boͤſewichter iſt, zu welcher Bande vermuthlich die vier Leute auch gehoͤrten, in deren Geſellſchaft er Sie brachte. Dieſe ſuchten unſchuldige Frauenzimmer zu verfuͤhren, und wenn dieſes geſchehen iſt, gebrau - chen ſie Gewalt, einander zu beſchuͤtzen und in Sicher - heit zu ſetzen. Wenn er wuͤßte, daß ich ſo frey von ihm ſchreibe, ſo wuͤrde ich mich nicht unterſtehen, allein einen Fuß uͤber die Schwelle zu ſetzen.
Es thut mir leyd, daß ich Jhnen die Nachricht geben muß, daß Jhr Bruder ſeine alberne Anſchlaͤ - ge vermuthlich noch nicht fahren laͤßt. Jetzt eben war ein Kerl bey mir, der wie ein Matroſe ausſahe, und gantz von der Sonne verbrannt war, der vorgab, daß der Capitain Singleton Jhnen groſſe Dien - ſte zu leiſten im Stande ſey, wenn er ſie nur ein ein - tziges mahl zu ſprechen bekommen koͤnnte. Jch ſtelletemich31mich als wuͤßte ich nicht, wo Sie waͤren. Der Kerl war mir zum Auslocken zu klug.
Jch habe mich zwey Stunden lang der Thraͤ - nen nicht enthalten koͤnnen, nachdem ich Jhren letz - ten Brief und die Beylage von dem Obriſten Mor - den geleſen hatte. Mein allerliebſter Schatz, ge - ben Sie ſich ſelbſt nicht verlohren, und erlauben ſie Jhrer Anna Howe, daß Sie dem Ruffe fol - gen darf, den ihr eine Freundſchaft giebt, Sie auf - zurichten, die unſerer beyder Hertzen ſo verbunden hat, als wenn wir nur Ein Hertz haͤtten.
Jch wundere mich nicht uͤber die niedergeſchla - genen und tiefſinnigen Gedancken, die Jhnen bis - weilen bey der Flucht zu der Sie gezwungen und verleitet ſind beyfallen, und die Sie mit in Jhre Briefe einflieſſen laſſen. Es iſt dieſes ein ſolches Schickſaal, daraus wir lernen muͤſſen, wie bloͤde alle Klugheit der Menſchen iſt. Jch wuͤnſche mit Jhnen, daß wir beyde uns auf unſere Vorzuͤge vor andern weniger eingebildet, und ſie an uns nicht er - kannt haben moͤchten. Doch ich will die Feder zu - ruͤck halten. Wie geneigt ſind wir, bey jedem auſ - ſerordentlichen Zufall ein goͤttliches Gericht zu ſu - chen? Jn ſo fern thun wir zwar recht daran, als es billiger iſt, uns und unſere beſten Freunde anzu - klagen als die goͤttliche Vorſicht, die gantz gewiß weiſe Endzwecke in allen ihren Schickungen haben muß.
Allein ſchreiben Sie nicht mehr, daß Sie andern Jhres Geſchlechts nur zur Warnung gereichen wuͤr - den. Sie werden ihnen nicht allein zur Warnung ſondern auch zum Vorbilde vorgeſtellet werden koͤn -nen;32nen; und eben deswegen wird ihre Geſchichte bey allen die ſie hoͤren einen deſto groͤſſern Eindruck ha - ben. Denn wenn ſo auſſerordentliche Vorzuͤge, als Sie beſitzen, eine verwilderte Manns-Perſon nicht bewegen koͤnnen, Jhnen aufrichtig und edel zu be - gegnen, ſo wird kein Frauenzimmer eine auch nur mittelmaͤßige Ehrlichkeit von Leuten dieſer Art er - warten koͤnnen.
Wenn Sie glauben, daß Sie ohne Entſchuldi - gung ſind, weil Sie einen Schritt gethan haben, der es moͤglich machte, daß Herr Lovelace Sie hintergehen konnte, ob Sie gleich nicht die Abſicht hatten mit ihm davon zu gehen: was werden denn ſolche liederliche Maͤdchens von ſich halten muͤſſen, die ohne gleiche dringende Urſachen, und ohne auf den Wohlſtand zu ſehen, uͤber die Mauren klettern, ſich aus den Fenſtern herunterlaſſen, oder ſich ſonſt aus ihrer Eltern Hauſe wegſtehlen, und den erſten Tag ihrer Flucht mit dem Verfuͤhrer zu Bette gehen?
Wenn Sie ſich deswegen anklagen, daß Sie dem Verbot der haͤrteſten Eltern ungehorſahm ge - weſen ſind, ob es gleich zu Anfang nur ein halbes Verbot war: was ſollen denn diejenigen ſagen, die ihre Ohren vor den vernuͤnftigſten Warnungen ih - rer Eltern verſtopfen, da ſie doch wahrſcheinlich oder mit Gewißheit zum voraus ſehen koͤnnen, daß ihre Uebereilung ungluͤckliche oder unanſtaͤndige Fol - gen haben werde?
Endlich werden ſie allen, die von Jhren Um - ſtaͤnden etwas erfahren, ein unvergleichliches Bey - ſpiel der Wachſamkeit und der Vorſichtigkeit ſeyn,dadurch33dadurch ein kluges Frauenzimmer, welches gefehlt zu haben glaubt, ſeinen Fehler wieder gut zu machen ſuchet, und ohne jemahls ſeine Pflicht aus den Augen zu ſetzen, ſich bemuͤhet, den richtigen Weg wieder zu finden, den es ohne ſein Wiſſen verlohren hat.
Ueberlegen Sie dieſes, meine allerliebſte Freun - din, und behalten Sie ohne zu verzagen den Vorſatz, daß Sie Jhre vermeinten Fehler wieder gut machen wollen. Vielleicht iſt es dennoch am Ende kein Ungluͤck, daß Sie gefehlet haben, nachdem Jhr Wille nicht den geringſten Antheil an dem Fehler genommen hat.
Jch brauche die Ausbruͤcke, verfuͤhren und fehlen, nicht als meine eigenen Ausdruͤcke, ſondern nur deswegen, weil Sie ſich ſelbſt anklagen, und weil ich mich ſonſt gern nach Jhren Meinungen und Einſichten richte. Denn in meinem Hertzen glaube ich, daß ihre gantze Auffuͤhrung ſich ent - ſchuldigen laͤßt, und daß blos die Leute anzuklagen ſind, die ſich dadurch zu entſchuldigen ſuchen, daß ſie Jhnen alle Schuld beymeſſen.
Jch glaube aber dem ohngeachtet, daß alles Jhr kuͤnftiges Vergnuͤgen durch dergleichen niedergeſchla - gene Gedancken allzuſehr gemaͤßiget werden wird, wenn Sie den Herrn Lovelacen nehmen, und an ihm dem beſten Mann haben ſollten. Ehe Sie ihn kannten, waren Sie ungemein gluͤcklich, und bey - nahe gluͤcklicher, als es Menſchen in dieſem Leben erwarten ſollen. Jedermann betete Sie an. Der Neid ſelbſt, der ſich jetzt unterſtehet, ſein giftiges Haupt zu erheben, ward durch Jhre allzu groſſenVierter Theil. Cund34und in die Augen fallenden Vorzuͤge zum Stillſchwei - gen und zur Bewunderung gezwungen. Sie waren gleichſam die Seele in allen Geſellſchaften. Wie oft habe ich geſehen, daß ſolche, die aͤlter waren als Sie, ihr Urtheil zuruͤck hielten, bis Sie geredet hatten, um nicht den Verdruß zu haben, daß ſie ſich ſelbſt Unrecht und Jhnen Recht geben muͤßten. Bey allem dieſem machte Jhr angenehmes Weſen, Jhre Freundlichkeit, und Jhre Demuth, daß Jhnen je - dermann willig und ungeheuchelt Recht gab, und Jhre unleugbaren Vorzuͤge ohne Verdruß erkannte. Denn andere ſahen, daß ſie ſelbſt ſich nicht dadurch herunter ſetzten, wenn ſie ſich Jhnen nachſetzten, und daß Sie nicht daruͤber ſtoltz wurden, noch ſich mer - cken lieſſen, daß Sie ſich kenneten. Denn jedes - mahl ſagten Sie etwas, das ſelbſt denen gefiel, die nachgeben mußten, und das jene nicht beſchaͤmete, ob ſie gleich den Preis nicht erhielten.
So oft von ſchoͤner Arbeit geredet ward, gedach - te man Jhrer, oder man zeigte Jhre Arbeit als ein Muſter. So oft ein anderes Frauenzimmer wegen ſeiner Arbeitſamkeit, Einſicht in Haushaltungs-Sa - chen, Beleſenheit, Schreib-Art, Gedaͤchtniſſes und Geſchicklichkeit alles zu lernen, gelobet ward, ſo ward es Jhnen doch nur nachgeſetzet, wenn man Sie kannte. Eben dieſes geſchahe auch, wenn von Ge - ſtalt und artiger Kleidung die Rede war, welches Lob ſonſten das Frauenzimmer einander am meiſten zu misgoͤnnen pflegt.
Alle Jhre Schritte wurden von den Armen mit Seegens-Wuͤnſchen begleitet: die Reichen machtenſich35ſich eine Ehre daraus, daß Sie reich waren, und waren hochmuͤthig daruͤber, daß ſie mit zu der Gat - tung von Leuten gehoͤren durften, deren Rang durch Sie geehret ward.
Obgleich jedermanns Wuͤnſche auf Sie in Jhrer fruͤheſten Jugend gerichtet waren, ſo wuͤrde ſich doch niemand unterſtanden haben auf Sie zu hoffen, oder Jhnen unter Augen zu kommen, wenn nicht die Jhrigen aus niedertraͤchtigen Abſichten Jhren Freyern Hoffnung gemacht haͤtten.
So gluͤcklich waren Sie, und ſo gluͤcklich mach - ten Sie alle, die um Sie waren. Konnten Sie hoffen, daß dieſes Gluͤck unverfinſtert bleiben wuͤrde, und daß Sie durch keinen unangenehnen Zufall uͤberzeuget werden wuͤrden, daß Sie noch in dieſer Welt ſind? Mußte nicht ein ſolcher Zufall kom - men, wenn Sie glauben ſollten, daß Sie noch nicht gaͤntzlich vollkommen waͤren, und nicht ohne Ver - ſuchung und Leyden, die Bahn dieſes Lebens zuruͤck legen koͤnnten?
Jch muß geſtehen, daß kein Leyden oder keine Verſuchung, die Jhres Widerſtandes wuͤrdig ge - weſen waͤre, Sie fruͤher oder nachdruͤcklicher haͤtte uͤberfallen koͤnnen, als dieſe. Allen gemeinen Zu - faͤllen waren Sie uͤberlegen. Es mußte ein blos zu dieſem Zweck geſchaffener Menſch, oder ein noch aͤrgerer Geiſt in menſchlicher Geſtalt zu Jhrer Ver - ſuchung in die Welt geſchicket werden. Unterdeſſen mußten eben ſo viel boͤſe Geiſter, als Koͤpfe in Jh - rer Familie ſind, Erlaubniß bekommen, von den Hertzen der Jhrigen Beſitz zu nehmen, und mit dem,C 2der36der Sie von auſſen verſuchte, ein Verſtaͤndniß zu machen, damit Sie durch dieſe Verſchwoͤrung end - lich moͤchten genoͤthiget werden, die gefaͤhrliche Un - terredung mit ihm anzuſtellen.
Es ſcheint daher, wie ich oft geſagt habe, Jhr Fehler (wenn ich es anders einen Fehler nennen ſoll) ein Schluß des Schickſahls zu ſeyn, welches Sie andern zum Vorbilde in Jhrem Leyden vorſtel - len wollte, und Sie nicht ſo geſchickt hiezu fand, wenn Sie niemahls gefehlet haͤtten. Denn, mein Schatz, im Ungluͤck ſind Sie am ſchoͤnſten und am groͤſſeſten. Alle Jhre widrigen Umſtaͤnde dienen zur Entdeckung ſolcher Schoͤnheiten, die verborgen geblieben ſeyn wuͤrden, wenn Sie das Gluͤck beſtaͤndig genoſſen haͤtten, das Sie von der Wiegen an begleitete; ob Sie gleich dieſes Gluͤck vollkommer verdieneten, und es ſo wohl zu tragen wußten, daß es Jhnen auch neue Schoͤnheiten mittheilen mußte.
Jch bedauere hiebey nichts, als daß die Verſu - chung Jhnen beſchwerlich iſt. Jch fuͤhle eben ſo viel davon als Sie; und alle diejenigen leyden da - bey, die Sie geliebet haben, und die glaubeten, daß Sie ihnen zum Vorbilde, welches ſie nachahmen und bewundern ſollten, vorgeſtellet waͤren, und nun ſehen muͤſſen, daß Sie das Ziel ſind, auf welches der Neid ſeine Pfeile verſchieſſet.
Schlagen Sie das nicht in den Wind, was ich Jhnen geſchrieben habe. Wenn die Einbildungs - Kraft aufgebracht wird, ſo fangen wir alle an be - geiſtert zu werden und Geſichter zu ſehen. Da nun Jhre Anna Howe bey Ueberleſung Jhres Briefesfindet,37findet, daß ſie eine hoͤhere und ungewoͤhnliche Schreib - Art angenommen hat, ſo glaubt ſie beynahe, daß dieſes goͤttliche Eingebungen ſind, dadurch ihre nie - dergeſchlagene Freundin getroͤſtet und aufgerichtet werden ſoll; die vielleicht durch die Verſuchungen, welche ſie ſo fruͤhzeitig uͤberfallen, allzuſehr gedemuͤ - thiget und muthlos gemacht wird, in der Daͤmme - rung fortzugehen, auf welche ein heiterer Tag folget: Jch will nichts weiter hinzu thun, als dieſes, daß ich bin
Jhre ewige ergebene und getreue Anna Howe.
Jch muß zu dem Lobe ſtille ſchweigen, dadurch ich nur gedemuͤthiget werde, weil ich es mir bewußt bin, daß ich es nicht verdiene, ob mich gleich Jhre guͤtige Abſicht, die Sie dabey haben, troͤſtet und muthig macht: denn es iſt ſehr angenehm, von denen, die wir lieben, hochgeſchaͤtzet zu werden, und zu er - fahren, daß einige Freundſchaften ſtaͤrcker ſind als alle Ungluͤcks-Faͤlle, und ſich nicht blos nach Leib, Blut, und Verwandſchaft richten. Mein Ungluͤck mag mich groͤſſer oder kleiner machen; ſo bin ich doch davon verſichert, daß Sie nie groͤſſer undC 3ſchoͤner38ſchoͤner ſind als bey dem Ungluͤck Jhrer Freundin. Jch wuͤrde beynahe unrecht thun, wenn ich mich uͤ - ber das Leyden beſchwerte, dadurch Sie Gelegenheit bekommen ſich zu zeigen, und nicht allein Jhrem Geſchlecht, ſondern ſo gar der menſchlichen Natur Ehre zu bringen.
Allein ich muß auf unangenehmere Dinge kom - men. Es thut mir leyd, daß Sie glauben, die Sache mit dem Singleton ſey noch nicht zu Ende. Wer weiß zwar, was der Schiffer zu ſagen hatte? Jedoch, wenn es etwas gutes geweſen waͤre, ſo wuͤrde man es anders angefangen haben.
Verlaſſen Sie ſich darauf, daß Jhre Briefe ſi - cher ſeyn ſollen.
Jch habe mir die neuliche Dreiſtigkeit des Herrn Lovelaces ſo zu Nutze gemacht, als ich Jhnen zum voraus meldete: nemlich dazu, daß ich ihn von mir entfernen moͤchte, damit ich die Wuͤrckung meiner Bitte bey meinem Onckle erwarten, und eine jede guͤnſtige Gelegenheit, die ſich zur Ausſoͤhnung zei - get, ergreiffen koͤnne. Er iſt ſehr ungeſtuͤm und unruhig geweſen, und hat zweymahl den Herrn Mennell mitgebracht, der im Nahmen der Frau Fretchville wegen des Hauſes reden wollte. Wenn ich mich noch einmahl mit ihm vertragen muß, ſo glaube ich, daß ich mich auf immer dadurch her - unter ſetzen werde.
Sie gedencken einiger Verbrechen, die auf das neue entdeckt ſeyn ſollen; Sie rathen mir, daß ich mir die Dorcas zur Freundin machen, und ſuchen ſoll hinter ſeine Briefe zu kommen. Auf dieſe Sa -chen39chen werde ich mehr oder weniger dencken muͤſſen, nachdem wie die Antwort von meinem Onckle aus - faͤllt.
Es thut mir leyd, daß ſich Hannichen noch uͤbel befindet. Jch bitte Sie, erkundigen Sie ſich an meiner ſtatt, ob ſie an etwas Mangel leydet.
Jch will dieſen Brief nicht ſchlieſſen, bis der morgende Tag vorbey iſt, denn ich bin entſchloſſen in die Kirche zu gehen, ſo wohl um meine Andacht zu haben, als zu ſehen, ob ich ausgehen darf ohne be - gleitet und bewachet zu werden.
Sonntogs den 14ten May.
Jch habe einen kurtzen Wortwechſel mit Herrn Lovelacen nicht vermeiden koͤnnen. Jch hatte eine Kutſche beſtellet, und ſo bald ich hoͤrete, daß ſie vor der Thuͤr waͤre, ging ich aus meiner Stube, um wegzufahren. Allein ich traf ihn ſchon gantz angezogen obgleich ohne Hut und Degen oben auf der Treppe an, da er ein Buch in der Hand hatte.
Er fragte mich ungemein ernſthaft und dennoch ehrerbietig ob ich ausfahren wollte. Als ich hiezu Ja ſagte, bat er ſich aus, daß er mich begleiten duͤrfte, wenn ich in die Kirche fuͤhre. Jch ſchlug ihm dieſes ab. Hierauf beſchwerte er ſich heftig uͤber meine Auffuͤhrung gegen ihn, und ſagte er moͤchte nicht noch eine ſolche Woche uͤberleben, als die vori - ge geweſen waͤre, wenn er auch die gantze Welt da - mit verdienen koͤnnte.
Jch geſtand ihm offenhertzig, daß ich mich an die Meinigen gewandt haͤtte, und ſo lange vor mich blei - ben wollte, bis ich den Erfolg meiner Bitte ſaͤhe.
C 4Er40Er verwandelte ſich, und ſahe beſtuͤrtzt aus. Er wollte etwas ſagen, begrif ſich aber mitten in der Rede, und ſtellte mir hierauf die Gefahr wegen Singletons vor, und bat mich abermahls, daß ich ihm erlauben moͤchte, mit mir zu fahren.
Er ſagte hierauf: die Frau Fretchville wollte nun noch vierzehen Tage laͤnger in dem Hauſe bleiben, weil ſie gemerckt haͤtte, daß ich mich zu nichts gewiſſes entſchlieſſen wollte. Nun moͤchte GOtt wiſſen, wenn es die tiefſinnigen Einfaͤlle dieſer Frau zulieſſen, daß ſie ſich zu etwas entſchloͤſſe. Dieſes iſt eine ungluͤck - liche Woche fuͤr mich geweſen: wenn ich anders mit ihnen geſtanden haͤtte, ſo koͤnnten ſie ſchon von dem Hauſe Beſitz genommen haben, und die Fraͤu - lein Montague oder wol gar die Frau Lawrance wuͤrde bereits bey ihnen ſeyn, und ihnen Geſellſchaft leiſten.
Jch will das (antwortete ich) fuͤr lauter Wahr - heiten annehmen, was ſie ſie ſagen; und warum kann denn ihre Fraͤulein Baſe mir nicht in der Frau Sinclair Hauſe Geſellſchaft leiſten? Jſt dieſes Haus fuͤr mich gut genug, ein oder zwey Monathe darin zu bleiben, und ihre Anverwanden koͤnnen nicht einige Tage darin zubringen? ‒ ‒ Frau Fretchville verlangt nun noch laͤnger in dem Hauſe zu bleiben? ‒ ‒ Hierauf draͤngte ich mich vor ihm vorbey, und ging ſo geſchwinde ich konnte die Treppe hinunter.
Er rief Dorcas, daß ſie ihm Hut und Degen bringen ſollte, folgete mir unterdeſſen nach, ſtellte ſich mir in den Weg, und bat mich abermahls um Er - laubniß, mich zu begleiten. Frau Sinclairkam41kam denſelbigen Augenblick heraus, und fragte mich, ob ich nicht eine Taſſe Chocolate befoͤhle?
Jch ſagte: ich wollte wohl bitten, Frau Sin - clair, daß ſie den Herrn mit ſich in die Stube naͤh - men, und ihm Chocolate vorſetzten. Jch weiß nicht, ob ich Erlaubniß habe oder nicht ohne ihn aus dem Hauſe zu gehen. ‒ ‒ Jch fragte ihm hierauf: ob er mich fuͤr ſeine Gefangene hielte?
Dorcas brachte ihm unterdeſſen Hut und De - gen, und er eroͤffnete die Thuͤr nach der Straſſe, und fuͤhrete mich wider meinen Willen auf eine ſehr hoͤfliche und ergebene Art in den Wagen. Die Leute die vorbey giengen, ſahen ihn an, und redeten ſachte. Doch er hat ſo viel auſſerordentliches in der Geſtalt, und iſt ſo wohl gekleidet, daß er gemei - niglich aller Augen auf ſich ziehet. Mir war es ungelegen, daß ich mich von allen Vorbeygehenden beſehen laſſen mußte. Er ſetzte ſich nach mir in die Kutſche, und der Kutſcher fuhr nach S. Pauls - Kirche.
Er war unterweges ſehr beredt und geſchaͤftig: ich hingegen war ſo ſtille, als es mir moͤglich war, und ſpeiſete auch des Mittags allein, wie ich bey - nahe die gantze Woche hindurch gethan hatte.
Als ich ihm meldete, daß ich ohne ihn die Mit - tags-Mahlzeit halten wollte, ſo antwortete er: er muͤſ - ſe noch gehorſahm ſeyn, bis ich erfuͤhre, was ich bey den Meinigen ausrichten koͤnnte; allein nachher wollte er mir nicht verſprechen, mir einen Augen - blick Ruhe zu laſſen, bis ich ſeinen Freuden-Tag beſtimmet haben wuͤrde. Denn meine Verachtung,C 5mein42mein Zorn, mein Aufſchub verdroͤſſen ihn bis in die Seele.
Was fuͤr ein haͤßlicher Menſch! Zu meinem Kummer muß ich ſagen, daß er auf doppelte Wei - ſe an allen dem ſchuld iſt, was ihn verdrieſſet.
Wenn ich doch gute Nachricht von meinem On - ckle bekaͤme!
Leben Sie wohl, liebſte und beſte Freundin. Dieſer Brief lieget und wartet auf Jhren morgen - den Brief, gegen den er ausgewechſelt werden ſoll, und aus dem ihr Schickſahl ſehen wird
Jhre Clariſſa Harlowe.
Koͤnnen Sie nicht, als aus eigenem Triebe, und ohne zu ſagen, daß ich es Jhnen ange - geben habe, weil ich dem Harlowiſchen Hauſe ver - haßt bin, der Frau Harlowe erzaͤhlen, Sie haͤtten von ohngefehr von mir zuverlaͤßige Nachricht be - kommen, daß die Fraͤulein Harlowe ſich nach ei - ner Ausſoͤhnung mit ihren Eltern ſehnet, und eben in dieſer Abſicht ſich bisher in keine Verbindungen hat einlaſſen wollen, die hieran hinderlich ſeyn koͤnn - ten: daß ſie inſonderheit dem Herrn Lovelace nicht gern ein Recht geben wollte, ihrer Familie wegenihres43ihres grosvaͤterlichen Gutes Ungelegenheit zu machen: daß ſie weiter nichts verlanget, als die Freyheit, un - verheyrathet zu bleiben, und daß ſie in dieſer Abſicht es blos dem Willen ihres Vaters uͤberlaſſen wolle, was fuͤr Verfuͤgungen wegen ihres Gutes getroffen werden ſollten; daß Herr Lovelace und die Seini - gen ihr beſtaͤndig anliegen, die Hochzeit zu beſchleu - nigen: daß ſie aber, (wie ich gewiß wuͤßte) zu den Menſchen wegen ſeiner Untugenden und wegen des Haſſes der Jhrigen gegen ihn ſo wenige Nei - gung haͤtte, daß ſie ihm gaͤntzlich entſagen, und ſich in ihres Vaters Schutz begeben wuͤrde wenn nur einige Hoffnung zur Verfoͤhnung vorhanden waͤre. Allein man muͤſſe ſich bald zu etwas entſchlieſſen, weil ſie ſich ſonſt gezwungen ſehen wuͤrde, ſeinen Bitten Gehoͤr zu geben, und es nachher nicht mehr in ihrer Gewalt haben wuͤrde, einen verdrießlichen Proceß zu hintertreiben.
Jch verſichere Jhnen heilig, daß die unvergleich - liche Fraͤulein nichts davon weiß, daß ich jetzt an Sie ſchreibe: deswegen muß ich Jhnen, allein im Vertrauen, die Urſachen melden, die mich bewegen, es zu thun. Es ſind folgende:
Sie hat gewuͤnſcht, daß Herr Hickman derglei - chen etwas gegen ihren Onckle Harlowe als von ohngefehr ſagen moͤchte, und zwar ſo, als wenn er es aus eigenem Triebe thaͤte. Denn ſie befuͤrchtet, daß Herr Lovelace etwas davon wieder erfahren koͤnnte, und, wenn ſie ihrer Bitte nicht gewaͤhret wuͤrde, ſie ſich endlich alles Schutzes beraubet ſehen, und noch mehr verdriesliches von ihm zu gewartenha -44haben moͤchte, da er ein hochmuͤthiges Hertz hat, und ſchon bisher ſehr ungehalten daruͤber geweſen iſt, daß er ſo wenige Gunſt von ihr erlangen kann.
Da ich ſo viel Erlaubniß von ihn habe, und ſehr in Sorgen bin, daß der Verſuch bey ihrem Onckle fruchtlos ſeyn moͤchte, ſo habe ich gedacht, daß an einem gluͤcklichen Ausgange beynahe nicht zu zwei - feln ſey, wenn eine ſo guͤtige und verſtaͤndige Mut - ter und Mutter-Schweſter mit ihrem Onckle (wo anders dieſer zu gewinnen waͤre) gemeinſchaftliche Sache machten.
Herr Hickman wird morgen dem Herrn Har - lowe zuſprechen, und um eben die Zeit koͤnnen Sie auch vielleicht die Frau Harlowe ſprechen. Wenn Herr Hickman findet, daß der alte Herr nicht abge - neigt iſt, ſo wird er ihm ſagen, daß Sie vermuthlich von eben der Sache mit der Frau Harlowe geredet haben wuͤrden, und wird ihn bitten ſich mit ihr daruͤ - ber zu berathſchlagen, durch was fuͤr Mittel die haͤrte - ſten Hertzen in der Welt erweichet werden ſollen.
So ſtehet es um die Sache, und ich habe Jhnen die Urſachen recht offenhertzig gemeldet, die mich be - wegen an Sie zu ſchreiben. Jch uͤberlaſſe das uͤbri - ge Jhrer Vorſichtigkeit und Klugheit, und wuͤnſche deſto hertzlicher einen gluͤcklichen Erfolg, weil ich glaube, daß Herr Lovelace unſerer unvergleichlichen Freundin ohnmoͤglich werth ſeyn koͤnne: wiewohl ich in der That gar keine Manns-Perſon kenne, die ihrer werth iſt.
Jch bitte Sie um ein Paar Zeilen Nachricht, wie Jhre Bitte aufgenommen werden wird. Wennſie45ſie nicht den Erfolg hat, den wir billig hoffen ſollten, ſo ſoll unſere allerliebſte Freundin von mir nicht erfahren, daß wir dieſen Schritt gewaget haben; und ich bitte Sie, melden Sie ihr auch nichts da - von, damit wir nicht ihr ſo bekuͤmmertes Hertz noch mehr betruͤben. Jch verbleibe
Jhre ergebenſte Freundin Anna Howe.
Mein Hertz moͤchte mir bluten, da ich Jhnen melden muß, daß die jetzigen Umſtaͤnde in der Familie meiner ewig werthen Fraͤulein Harlo - we nicht erlauben einige gute Hofnung von der Wuͤr - ckung einer ſolchen Bitte zu ſchoͤpfen. Jhre arme Mutter iſt zu bedauren. Jch habe einen ſehr be - weglichen Brief von ihr bekommen; allein es iſt mir nicht erlaubt ihn zu uͤberſenden: ſie verbietet mir ſo gar, mich mercken zu laſſen, daß ſie von ihrer Tochter geſchrieben hat, ob ſie gleich nicht unterlaſſen kann ihren Kummer zur Beruhigung ihres eigenen Hertzens mit mir zu theilen. Jch melde alſo alles dieſes im groͤſſeſten Vertrauen.
Jch hoffe zu GOtt, daß die Ehre meiner lieben Fraͤulein noch unverletzt iſt. Jch hoffe, daß keinſolcher46ſolcher Boͤſewicht in der Welt iſt, der es wagen ſoll - te, ſie zu entweihen. Jhre Tugend und ihres Hertzens wegen bin ich auſſer Sorgen: wenn nur GOtt geben wollte, daß ſie auſſer Gefahr waͤre, durch Liſt oder durch Gewalt uͤberwunden zu werden! Jch bin allzu aͤngſtlich: machen Sie mir, gnaͤdige Fraͤulein, das Hertze durch eine Zeile (wenn es auch weiter nichts als eine eintzige Zeile ſeyn ſollte (leich - ter, und verſichern Sie mir, daß ihre Ehre noch unbefleckt iſt. Jch weiß gewiß, daß Sie dieſes thun koͤnnen: irre ich mich aber, ſo gebe ich allem Vergnuͤgen dieſes Lebens gute Nacht. Es wird alsdenn untroͤſtbar ſeyn
Jhre gehorſamſte Dienerin die ungluͤckliche Judith Norton.
Die Ehre Jhrer allerliebſten Fraͤulein iſt noch unverletzt: ſie ſoll und wird auch unverletzt bleiben, Menſchen und Teuffeln zum Trotz. Meine gantze Abſicht war, daß ſie den Lovelace nicht heyrathen ſollte, wenn einige Hoffnung zur Ver - ſohnung uͤbrig waͤre. Nun aber kann man weiter nichts ſagen, als dieſes: ſie muß es wagen eine un - gluͤckliche Ehe zu treffen, obgleich kein Menſch auf dem Erdboden ſie zu beſitzen wuͤrdig iſt.
Sie47Sie bedauren ihre Mutter: das thue ich nicht! ich bedaure keine Perſon, die es ſich ſelbſt ohnmoͤg - lich macht ihre Tochter muͤtterl[i]cher Liebe oder Men - ſchen-Liebe zu erzeigen, um ſich in dem Beſitz einer ſo genannten Ruhe zu erhalten, die doch nicht lange waͤhren kann, ſondern durch jedes Luͤftgen geſtoͤret werden muß, ja die nicht einmahl den Nahmen der Ruhe verdienet.
Jch haſſe alle Tyrannen, von welcher Art ſie auch ſeyn moͤgen: allein gegen tyranniſche Eltern habe ich den allergroͤſſeſten Widerwillen, denn dieſe muͤſſen gar nicht wiſſen, was Mitleyden iſt.
Jch wiederhole es nochmahls, ich bedaure keinen in der gantzen Familie. Jhre und meine Fraͤulein verdienet allein Mitleiden. Sie wuͤrde ſich nicht in den Haͤnden dieſes Menſchen beſinden, wenn ſie nie in den Haͤnden der Jhrigen geweſen waͤre: ſie iſt gantz unſchuldig. Sie wiſſen noch nicht, wie die gantze Sache zuſammen haͤngt. Wie? wenn ich Jhnen ſagen koͤnnte, daß ſie gar nicht die Abſicht ge - habt hat mit dem Menſchen davon zu gehen. Doch dieſes wuͤrde der Fraͤulein nichts helfen; es wuͤrde blos eine Anklage gegen die ſeyn, die ſie ſo weit ge - trieben haben, und gegen den, der jetzt ihre eintzige Zuflucht iſt. Jch verbleibe
Jhre aufrichtige Freundin und Dienerin Anna Howe.
(Dieſer Brief iſt nicht eher bekannt 'gewor - den, als da die Briefe geſammlet wurden, die zu dieſer Geſchichte gehoͤren.)
Sonnabends den 13 May.
Jch will das ſchriftlich beantworten, was Sie an mich gebracht hat, wie ich es Jhr geſtern verſprochen habe. Allein laſſe Sie ſich gegen nie - mand mercken, daß ich geſchrieben habe, auch nicht gegen die Eliſabeth, die, wie ich hoͤre, bisweilen zu Jhr koͤmmt. Mein ungluͤckliches Maͤdchen muß auch nichts davon wiſſen: ich bedinge mir dieſes ſo gleich aus. Mein Hertz iſt voll von Kummer: vielleicht wird es durch das Schreiben leichter. Jch werde auch manches ſchreiben, das mir auf dem Hertzen liegt, wenn es gleich mit der Beantwortung Jhres Antrages nichts zu thun hat.
Sie weiß, wie lieb wir alle dieſes undanckbah - re Maͤdchen gehabt haben. Sie weiß, daß wir mit allen denen, die ſie geſehen hatten, oder mit ihr umgin - gen, ſie gemeinſchaftlich lobeten und bewunderten. Wir uͤberſchritten ſo gar in unſerm Lob die Grentzen, welche uns die Beſcheidenheit zu ſetzen ſchien, weil es unſer eigenes Kind war: denn wir glaubten, daß man uns fuͤr blinde Leute oder fuͤr Heuchler halten wuͤrde, wenn wir den Vorzuͤgen unſerer Tochter, die einem jeden in die Augen fielen, unſer Lob ver - ſaget haͤtten; wir glaubten zum wenigſten nicht, daß man uns des Hochmuths und der Partheylichkeit wuͤrde beſchuldigen koͤnnen, wenn wir das ſaͤhen, wovor wir die Augen nicht verbergen koͤnnten.
Wenn49Wenn uns jemand wegen unſerer Tochter gluͤck - dich prieß, ſo nahmen wir es an, und geſtunden, laß keine Eltern durch ihre Kinder gluͤcklicher werden koͤnnten als wir. Wenn inſonderheit ihr Gehorſam geruͤhmet ward, ſo ſagten wir, ſie wuͤßte gar nicht, wie ſie uns beleydigen ſollte. Wenn andere ruͤhmten, die Fraͤulein Clariſſa Harlowe haͤtte mehr Witz und Scharfſinnigkeit, als man von ihren Jahren erwarten koͤnnte, ſo leugneten wir es nicht allein nicht, ſondern wir ſetzten noch wohl gar dazu: ih - re Beurtheilungs-Kraft ſey eben ſo groß als ihr Witz. Wenn ihre Klugheit und Vorſichtigkeit ge - ruͤhmet ward, dadurch ſie nach jedermanns Urtheil den Mangel der Erfahrung und der Jahre reichlich erſetzte, ſo waren wir wol ſo hochmuͤthig, daß wir antworteten: niemand duͤrfte ſich ſchaͤmen von un - ſerer Tochter zu lernen.
Vergebe Sie mir mein Geſchwaͤtz, meine liebe Frau Norton. Doch ich weiß, Sie wird es thun: denn ſo lange meine Clariſſa ein gutes Kind geweſen iſt, war ſie Jhr Kind, und ſie gereichte Jhr ſo wohl als mir zur Ehre.
Hat Sie nicht bisweilen gehoͤrt, daß Fremde ſtille ſtunden, und dieſen Engel (wie ſie meine Clariſſa nannten) bewunderten, wenn ſie nach der Kirche ging? und daß die, die ſie kannten, weiter nichts ſagten, als: es iſt ja die Fraͤulein Clariſſa Harlo - we! nicht anders, als wenn die Fraͤulein Clariſſa Harlowe einem jeden bekannt ſeyn muͤßte. Sie war des Lobes ſchon ſo gewohnt, und es war mit ihr ſo bekannt geworden, daß weder in ihrem GeſichtVierter Theil. Dnoch50noch Gange daruͤber eine Aenderung zu ſpuͤren war.
Jch vor mein Theil konnte mich eines Vergnuͤ - gens nicht enthalten, das vielleicht allzu nahe mit dem Hochmuth verwant war, ſo oft ich als Mutter eines ſo liebenswuͤrdigen Kindes angeredet ward. Mein Mann und ich bekamen einander deſto lieber, weil wir ein gemeinſchaftliches Antheil an dieſer Toch - ter hatten.
Sie muß dem Ueberfluß eines muͤtterlichen Her - zens noch mehr dergleichen Lobes-Erhebungen, die vielleicht Thorheiten ſind, zu gute halten. Jch woll - te gern beſtaͤndig daran gedencken, was ſie ehemahls war, wenn ich nur uͤber dieſer Erinnerung vergeſſen koͤnnte, was ſie jetzund iſt.
So jung als ſie war, ſo konnte ich ihr doch allen meinen Kummer anvertrauen. Jch war zum vor - aus verſichert, daß ich von ihrer Klugheit Rath und Troſt bekommen wuͤrde, und zwar dieſes auf eine ſo beſcheidene und demuͤthige Art, daß der Unter - ſcheid der Jahre, und das Verhaͤltniß, darinnen ei - ne Tochter gegen eine Mutter ſtehet, im geringſten nicht dadurch verletzet ward. Auſſer Hauſe gereichte ſie uns zur Ehre, und in dem Hauſe zum Vergnuͤ - gen. Jedermann war recht geitzig auf ihre Geſell - ſchaſt, und wir zanckten uns beynahe uͤber ſie mit mei - nes Mannes Bruͤdern, und mit meiner Schweſter. Wir hatten keinen andern Streit, als wer das naͤchſte mahl ihre Geſellſchaft genieſſen ſolte. Sie hat uns nie ſchelten hoͤren, als wenn wir auf eine verliebte Wei - ſe deswegen ſcholten, weil ſie ſich ſo lange von unsentfer -51entfernete, um ſich bey ihrem lobenswuͤrdigen Zeit - Vertreib zu beſchaͤftigen, oder in der Haushaltung allerhand nuͤtzliche Anſtalten zu machen.
Unſere uͤbrigen Kinder, die auch gute Kinder wa - ren, mußten nothwendig mercken, daß ſie ihr nach - geſetzt wuͤrden. Allein ſie waren ſo lebhaft davon uͤberzeuget, daß ihre Schweſter wahre Vorzuͤge vor ihnen beſaͤſſe, und ihrer Familie zur Ehre gereichte, daß ſie dieſes ohne Neid geſtanden. Es kam ihr in der That niemand ſo nahe, daß er ſich unterſtan - den haͤtte ſie zu beneiden: hoͤchſtens ſtellete man ſie ſich zur Nachahmung vor. Sie weiß, daß uns dieſes Kind einen Vorzug vor andern Familien zu - wege brachte: allein nachdem ſie uns verlaſſen, und ſo ſchimpflich verlaſſen hat, ſo ſind wir unſeres Schmu - ckes beraubet, und andern Familien gleich gewor - den.
Was fuͤr Geſchicklichkeit hatte ſie durch Fleiß erworben! wie geſchickt war ſie in der Muſick! was machte ſie fuͤr ſchoͤne Arbeit! wie unvergleichlich ver - ſtand ſie ſich auf die Kleidung! Ward ſie nicht hieruͤber ſo bewundert, daß das benachbarte Frau - enzimmer ſagte: man brauche ſich die Moden nicht von London zu verſchreiben, ſondern das ſey die beſte Mode, die die Fraͤulein Harlowe truͤge, weil ſie etwas natuͤrlich-ſchoͤnes an ſich haͤtte, das alle Kunſt uͤbertraͤfe. Jhr ungezwungenes freyes We - ſen! Jhre Geſtalt! Jhre Beleſenheit! Jhr offen - hertziges Weſen: Jhre Freundlichkeit und Beſchei - denheit! O meine liebe Frau Norton, was fuͤr ein Kind hatte ich ehemahls an meiner Claͤrchen!
D 2Sie52Sie weiß, daß ich nicht mehr alſ die Wahrheit ſchreibe. Vieles gute hatte ſie Jhr allein zu dan - cken, und Sie floͤßte ihr das mit der Milch ein, was ihr keine andere haͤtte einfloͤſſen koͤnnen.
Kann Sie glauben, daß die muthwillige Ver - gehung eines ſolchen Kindes Vergebung verdienet? Kann Claͤrchen ſelbſt leugnen, daß ſie die haͤrteſte Strafe verdienet, nachdem ſie ſo auſſerordentliche Gaben ſo ſchlecht gebraucht hat?
Jhre Suͤnde iſt recht mit Vorbedacht und mit Liſt von ihr begangen worden. Sie hat jedermann in ſeiner Erwartung betrogen. Sie hat ihr gan - tzes Geſchlecht ſo wohl, als ihre Familie beſchim - pfet.
Wer haͤtte glauben ſollen, daß ein Kind, wel - ches durch ſeinen Rath eine allzu muntere Freundin abgehalten hatte einen naͤrriſchen und liederlichen Kerl zu heyrathen, daß, ſage ich, eben dieſes Kind mit dem allerliederlichſten Kerl und beruͤchtigſten Boͤſewicht davon gehen wuͤrde? mit einem Men - ſchen, den es kannte, und wußte daß er aͤrger war als jener, vor deſſen Laſtern es ſeine Freundin warne - te? mit einem Schlaͤger, der das Leben ſeines Bru - ders einmahl in ſeiner Gewalt gehabt hatte, und der unſerer gantzen Familie trotzete?
Setze Sie ſich an meine Stelle, und uͤberdencke Sie, wie groß mein Kummer ſeyn muß, den ich als Mutter empfinde, und wie vielen Verdruß ich von meinem Manne auszuſtehen habe. Stelle Sie ſich meine unruhigen Tage und ſchlafloſen Naͤchte vor; und dennoch muß ich oft meine quaͤlende Unruhever -53verbergen, um andere hitzigere Koͤpfe zu beruhigen und ferneres Ungluͤck zu verhuͤten. O das unarti - ge Maͤdchen! das nicht aus Unwiſſenheit ſuͤndigte, ſondern die Folgen ſeines Vergehens uͤberſahe. Wir dachten, unſere Tochter wuͤrde eher geſtorben ſeyn, als daß ſie ſich zu dergleichen Vergehungen entſchloſſen haͤtte.
Jhr Verſtand, den jedermann kennet, macht ſie ohne Entſchuldigung. Wie kann ich ihr denn bey andern das Wort reden, wenn ich gleich ſelbſt fuͤhle, daß ich ein Mutter-Hertz habe, und ihr vor mein Theil gern vergeben wollte? Sind nicht wir, iſt ſie ſelbſt nicht durch ihre Flucht ſchon ſo beſchimpft wor - den, als wir und ſie jemahls durch ſie beſchimpft wer - den koͤnnen?
Wenn ſie jetzt ſo ſchlecht mit ſeiner Auffuͤhrung zu - frieden iſt, ſo haͤtte ſie vorhin eben ſo ſchlecht damit zu - frieden ſeyn ſollen! Oder hat ſie etwan ſelbſt Proben von ſeinem laſterhaften Betragen an ſich erfahren? Jch fuͤrchte, ich fuͤrchte, meine liebe Frau Norton ‒ ‒ Wenn ſie auch ein Engel waͤre, ſo muͤßte man doch wegen des Menſchen in Sorgen ſtehen, in deſſen Klauen ſie ſich befindet. Die Welt wird das ſchlimmſte dencken, und ich hoͤre ſchon, daß die Leute ſehr uͤbel reden ſollen. Jhr Vater iſt gleichfalls be - ſorget: ihr Bruder hoͤrt nicht viel Gutes von ihr. Was kann ich bey ſolchen Umſtaͤnden ausrichten?
Sie wußte vorhin, wie wir gegen den Menſchen geſinnet waren, und wie laſterhaft er iſt: dieſes koͤn - nen alſo ihre Bewegungs-Gruͤnde nicht ſeyn. Es muͤſſen neue Urſachen vorhanden ſeyn. O meine liebeD 3Frau54Frau Norton, wie kann ich, wie kann Sie die Furcht ertragen, die dieſer Gedancke nothwendig er - wecket? Das iſt meine, das iſt Jhre Claͤrchen!
Sie ſchreibet: er und ſeine Freunde liegen ihr beſtaͤndig an, daß ſie ihn heyrathen moͤge. Sie muß gewiß Urſachen haben, daß ſie ſich an uns wendet. Ueber ihr Vergehen werden jetzt aller - hand Anmerckungen gemacht, um es in unſern Au - gen noch ſchwaͤrtzer vorzuſtellen. Wie weit verliert ſich endlich ein verfuͤhrtes Hertz von der rechten Bahn, wenn es einen ſuͤndlichen Schritt gewaget hat? ‒ ‒ ‒ Ueber dieſes alles wird jetzt nur durch Fremde bey uns angefraget, damit der Eigenſinn und Stoltz unſerer Tochter ja nicht gekraͤncket werden moͤge, und ſie immer ſagen koͤnne, ſie habe ſich nicht an uns gewandt!
Ein vor allemahl, ſo iſt jetzt gantz die unrechte Zeit, wenn ich auch geneigt waͤre, mich ihrer anzu - nehmen. Jetzt, ſage ich, nachdem mein Bruder Harlowe das Geſuch des Herrn Hickmans abge - wieſen hat, (wie er uns geſtern Abend erzaͤhlete) und dieſes von jedermann gebilliget iſt: jetzt, da mein Bruder Anton eben aus Verdruß uͤber ſie ſich ent - ſchloſſen hat, ſein groſſes Vermoͤgen an eine andere Familie zu bringen. Und bey dem allen wird ſie noch ohne Zweifel erwarten, in den Beſitz ihres Gu - tes geſetzt, und fuͤr ihre Suͤnde des Ungehorſams belohnt zu werden. Sie erbietet ſich noch immer zu Bedingungen, die ſchon ehemahls verworffen ſind: (nicht aus meiner Schuld! deſſen giebt mir mein Gewiſſen Zeugniß.)
Sie55Sie mag ſelbſt aus allem was ich ſchreibe eine Antwort geben, wie ſie ſich zu den Umſtaͤnden am beſten ſchicket. Es ſtehet alle Ruhe und alle ver - gnuͤgte Stunden meines Lebens darauf, wenn ich es jetzt wage, ein Wort fuͤr ſie zu reden. GOtt ver - gebe ihr ihre Suͤnde. Wenn ich gleich fuͤr ſie ſpre - chen wollte, ſo werde ich niemand auf meiner Seite haben. Um mein ſelbſt und um Jhres eigenen Vortheils willen laſſe Sie ja niemand erfahren, daß wir von dieſer Sache geredet oder Briefe gewechſelt haben. Schreibe Sie auch kuͤnftig nichts mehr davon, als wenn ich es vorher erlaube: denn mein gantzes Hertz blutet mir, wenn ich ſolche Briefe leſen muß.
Glaube Sie indeſſen nicht, daß ich unerbittlich bin, wo ich wahre Reue ſehe. Allein wie betruͤbt iſt es, gern zu wollen und nicht zu koͤnnen.
GOtt gebe Jhr und mir Troſt und Beruhigung, und meiner ehmahls lieben, und ewig lieben (denn welche Mutter kann ihr Kind vergeſſen) meiner ewig lieben Claͤrchen gebe er Reue, recht hertzliche Reue! und ſo weniges Leyden, als nach ſeiner Weisheit moͤglich iſt. Dieſes wuͤnſcht
Jhre wahre Freundin Charlotte Harlowe.
Jch weiß nicht, wie die Sachen jetzt zwiſchen Jh - nen und Herrn Lovelacen ſtehen: allein ſo gottlos der Menſch iſt, ſo iſt er dennoch beſtim - met, ihr Herr und Oberhaupt zu werden.
Jch habe in meinem vorigen Briefe manches an - zuͤgliche gegen ihn geſchrieben, weil ich eben von ſei - nen Bosheiten gehoͤrt hatte, und deswegen voller Unwillen auf ihn war. Allein nachdem ich mich be - dacht, und auch erkundiget habe, ſo finde ich, daß alle dieſe Streiche ſchon alt ſind, und er ſeit der Zeit, daß er eine ſtaͤrkere Hoffnung auf Jhre Guͤtigkeit hat ſetzen duͤrfen, nichts von ſolchen Bosheiten veruͤbet hat. Dieſes dient einigermaſſen zu ſeiner Entſchul - digung. Seine rechtſchaffene und artige Auffuͤh - rung gegen das Maͤdchen in dem Wirths-Hauſe iſt neuer, und bringt ihm Ehre: deſſen nicht zu geden - cken, daß er von allen Bedienten als freygebig und großmuͤthig geruͤhmt wird. Es gefaͤllt mir auch ungemein wohl, daß er Jhnen das Haus der Frau Fretchville zu verſchaffen ſuchet, und ſo lange ſelbſt in der bisherigen Miethe bleiben will, bis es Jhnen beliebig iſt, ein Haus mit ihm zu beziehen.
Wenn Sie einmahl ſeine Gemahlin geworden ſind, ſo glaube ich nicht, daß Sie bey ihm ſehr uͤble Zeit haben werden, ob ich gleich nicht glaube, daß Sie ſo gluͤcklich ſeyn werden, als Sie es verdienen. Die Guͤter, die er in ſeinem Vater-Lande hat; ſeine Anwartſchaften; die Sorgfalt die er anwendet, das Seinige beyſammen zu behalten; der Umſtand, daß er frey von Schulden iſt; ja ſein Hochmuth und Jhre auſſerordentlichen Vorzuͤge; ſcheinenJhnen57Jhnen zum voraus manches gute oder ertraͤgliche zu verſprechen. Jch werde zwar gegen ihn aufge - bracht, wenn ich einige beſondere Umſtaͤnde von ſeinen Gottloſigkeiten hoͤre. Allein wenn ich es recht uͤberlege, ſo finde ich keine neue Anklage gegen ihn, ſondern eben das, was der abgedanckte Verwalter und die Frau Greme ſchon laͤngſtens uͤberhaupt von ihm geſagt haben.
Jch glaube daher, daß Sie weiter keinen Kum - mer haben duͤrfen, als den Jhnen ſeine ewige Wohlfarth, und das boͤſe Exempel das er ſeiner Familie geben moͤchte, erwecken kann. Es ſind dieſes wichtige Urſachen zum Kummer: allein es wuͤrde in jedermanns Augen ein ſonderbares An - ſehen haben, wenn Sie ihn jetzt mit oder ohne ſei - ne Bewilligung verlieſſen, da ſeine Familie ſo vor - nehm iſt, und er ſelbſt ſo vieles angenehme an ſich hat, und jetzt jedermann Sie wegen dieſer Umſtaͤnde und wegen der wunderlichen Auffuͤhrung Jhrer An - verwanten fuͤr entſchuldiget haͤlt. Jch habe alles nach beſtem Vermoͤgen uͤberleget, und ich kann nicht anders, als Jhnen rathen, an eine naͤhere Verbin - dung mit ihm zu gedencken, wenn Sie anders kei - ne Urſache haben an ſeiner Aufrichtigkeit zu zweifeln. Die Rache muͤſſe den Boͤſewicht in Zeit und Ewig - keit verfolgen, wenn er Jhnen Anlaß zu einem ſol - chen Zweifel giebt.
Sein Zaudern und Taͤndeln iſt unertraͤglich. Jch kann mich auch gar nicht darein finden, daß er ſich mit Jhren kaltſinnigen Verzoͤgerungen abweiſen laͤßt, und ſich darein ſchicket, daß Sie um einer geringenD 5Suͤnde58Suͤnde willen ſo ſproͤde gegen ihn thun, die nach ſeiner Einſicht eine ſo harte Strafe nicht verdienen kann. Er ſcheint an Jhrer Liebe zu zweifeln; al - lein Sie haben eben ſo groſſe Urſache, es ſich be - fremden zu laſſen, daß er nicht hitziger lieber, da er einen ſo ungemeinen Schatz in einer ſolchen Naͤhe hat, daß er gleichſam nur zugreiffen duͤrfte.
Sie werden nun begierig ſeyn, den Ausgang der veranſtalteten Unterredung der beyden bewußten Herrn zu erfahren. Jch bin voll Unmuth und Betruͤbniß, aber auch voll Widerwillen gegen alle die Jhrigen: gegen alle, ſage ich; denn ich habe auch einen Verſuch gethan, was durch die Frau Nor - ton bey Jhrer Mutter auszurichten ſtuͤnde, und habe durch ſie Vorſchlaͤge von eben der Art thun laſſen, als der bewußte Herr Jhrem Onckle gethan hat. Unmenſchen, die eben ſo vorſatzlich Unmenſchen ſind, und ſich nicht erbitten laſſen, etwas von Menſch - lichkeit zu fuͤhlen, ſind in der Welt zu finden. Wa - rum ſoll ich das Unrecht bemaͤnteln? Jch haͤtte ſonſt groſſe Luſt, bey Jhrer Mutter eine Ausnahme zu machen.
Jhr Onckle behauptet: daß Sie jetzund nicht mehr waͤren, was Sie geweſen ſind. Er ſagt: er muͤſſe das aͤrgſte bey einem ſolchen Maͤdchen be - ſorgen, das ſich haͤtte entſchlieſſen koͤnnen, mit einer Manns-Perſon davon zu gehen, und zwar mit ei - ner ſolchen Manns-Perſon als Herr Lovelace iſt. Alle die Jhrigen haͤtten laͤngſtens erwartet, daß Sie ſich an Sie wenden wuͤrden, ſo bald Sie indem59dem Ungluͤck waͤren: allein der Entſchluß ſey ſchon zum voraus gefaſſet, nicht einen Schritt zu Jhrem Beſten zu thun, wenn man auch Jhr Leben dadurch retten koͤnnte.
Mein allerliebſter Schatz, entſchlieſſen Sie ſich, auf Jhr Recht zu dringen. Fodern Sie Jhr Gut wieder, und wohnen Sie darauf. Wenn Sie als - denn Lovelacen nicht heyrathen, ſo ſehe ich ſchon im Geiſte zum voraus, wie kriechend die Jhrigen werden werden, um die Bedingungen von Jhnen zu erbetteln, die Sie jetzt ſelbſt angetragen haben.
Jhr Onckle beſchuldigte Sie, eben ſo wie Jhre Baſe in ihrem Briefe gethan hat, daß Sie vorſaͤtz - lich davon gegangen waͤren, und allerhand liſtige Anſtalten zur Flucht gemacht haͤtten. Als die ver - mittelnde Perſon Sie bedauren wollte, ſo ward ihr geantwortet: die waͤren zu bedauren, die ehemahls ſo verliebt in Sie geweſen waͤren, die ſich uͤber nichts mehr als uͤber Jhre Gegenwart gefreuet haͤtten, die alle Jhre Worte gleichſam hintergeſchlucket haͤtten; die ſich gefreuet haͤtten, ihren Fuß auf die Stelle zu ſetzen, auf die Sie ihn geſetzt haͤtten: und was der - gleichen Ausdruͤcke noch mehr waren.
Jch ſehe nun unwiderſprechlich ein, und Sie ſelbſt werden es nicht leugnen koͤnnen, daß ſie wei - ter nichts als Eins waͤhlen koͤnnen. Je eher Sie dieſe Wahl treffen, deſto beſſer iſt es. Oder ſoll ich glauben, daß es nicht mehr in Jhrem Vermoͤ - gen ſtehe, ſie zu treffen? Der Gedancke iſt mir un - ertraͤglich.
Jch60Jch bin begierig, und ich fuͤrchte mich zu erfahren, wie Sie es anfangen werden, weniger ſproͤde gegen ihn zu thun, nachdem Sie bisher ſo hart gegen ihn geweſen ſind, und wie ſich ſein Hochmuth bey dieſer Gelegenheit an Jhnen raͤchen wird. Allein das muß ich Jhnen ſagen: wenn ich durch eine Reiſe nach London Jhnen den Verdruß erſparen kann, ſich ſo tief her - unter zu laſſen, oder wenn ich gar dadurch groͤſſerem Ungluͤck vorbeugen kann, ſo wuͤrde ich mich nicht ei - nen Augenblick bedencken. Was frage ich nach der gantzen Welt, wenn ich ſie gegen unſere Freund - ſchaft auf die Wage-Schaale lege? Koͤnnen Sie glauben, daß mir einiges Vergnuͤgen dieſes Lebens angenehm ſeyn wuͤrde, wenn ich wuͤßte, daß ich durch deſſen Aufopferung das Ungluͤck einer ſolchen Freundinn, als Sie ſind, haͤtte abwenden oder erleich - tern koͤnnen? Jch biete Jhnen weiter nichts an, als die billigſten Fruͤchte der Freundſchaft, zu wel - cher ich durch Jhren Werth bewogen bin. Ent - ſchuldigen Sie dasjenige, was in meinen Ausdruͤcken alſo hitzig ſeyn koͤnnte: mein Hertz aber braucht kei - ner Entſchuldigung, wenn es in ſeiner Freundſchaft hitzig iſt. Jch moͤchte vor Verdruß uͤber Jhre An - verwanten von Sinnen kommen. So viel ſchlim - mes ich Jhnen ſchon gemeldet habe, ſo behalte ich doch das ſchlimmſte noch fuͤr mich, und werde es ver - muthlich ewig fuͤr mich behalten. Jch aͤrgere mich uͤber den kleinen Geiſt meiner Mutter, und daß ſie bey ihren alten Gedancken ohne weitere Ueberlegung immer bleibet. Gegen Jhren albernen und nieder -traͤch -61traͤchtig, hochmuͤthigen Lovelace bin ich recht erbit - tert. Allein wir muͤſſen uns doch herunter laſſen, und den Menſchen nehmen, ſo gut er iſt, weil es einmahl ihr Schickſahl iſt, ſich herunter zu laſſen, damit Sie unſere Erd-Buͤrger nicht gantz aus dem Geſichte verlieren. Er hat ſich gegen Sie noch nicht unanſtaͤndig aufgefuͤhret. Er darf ſich es auch nicht unterſtehen! ein ſolcher Teuffel iſt er noch nicht. Wenn er uͤble Abſichten gehabt haͤtte, ſo wuͤrde Jhr ſcharfes und wachſames Auge, und Jhr reines Hertz ſie laͤngſtens entdecket haben, da Sie ſo ſehr in ſei - ner Gewalt ſind. Wir wollen ſuchen den Menſchen zu retten, ob uns gleich die Finger ſchmutzig werden, wenn wir ihn aus dem Koth heben wollen.
Eine Perſon von Jhren Mitteln, und die ſo freye Haͤnde hat, kann noch manches thun, wenn ſie ſich auf die Bedingungen einlaſſen will, auf welche Sie ſich einlaſſen muͤſſen. Jch habe noch nicht gehoͤret, daß er von Eheſtiftung und Trauſchein geredet hat. Es iſt zwar etwas hartes: allein da ihr Ungluͤck ſie aller andern Vorſprache und Vormundſchaft beraubet hat, ſo muͤſſen Sie bey ſich ſelbſt Vater-Mutter - und Onckles-Stelle vertreten, und ſelbſt das noͤthi - ge beſorgen. Warlich Sie muͤſſen das thun! Jhre Umſtaͤnde erfodern es. Warum wollen Sie jetzt noch der Bloͤdigkeit Raum laſſen? Oder ſoll ich an Jhrer Stelle an ihn ſchreiben? allein das wuͤrde eben ſo viel ſeyn, als wenn Sie ſelbſt ſchrieben. Jch wollte Jhnen ſo gar rathen zu ſchreiben, wenn Sie Jhr Wort nicht uͤber die Zunge bringen koͤnnten. Am beſten iſt es, wenn Sie es muͤndlich ſagenkoͤn -62koͤnnen: denn Worte laſſen keine Zuͤge nach ſich, ſondern verfliegen in die Lufft, und man kann ih - nen nachher eine weitlaͤuftige Deutung geben. Was aber geſchrieben iſt, das bleibt geſchrieben.
Jch kenne Jhr ſittſames Hertz, Jhren liebens - wuͤrdigen Hochmuth, und Jhre Begriffe von der Wuͤrde unſers Geſchlechts. Allein dieſes alles kommt jetzt nicht in Betrachtung. Um Jhrer eigenen Ehre willen iſt es noͤthig, daß Sie jetzt weniger an die - ſe Wuͤrde und an das, was ſich fuͤr ein Frauenzim - mer ſchickt, gedencken.
Wenn ich an Jhrer Stelle waͤre, ſo wollte ich zwar den albernen Menſchen in meinem Hertzen haſ - ſen, weil er ſo niedertraͤchtig hochmuͤthig iſt, und ſei - ne kuͤnftige Frau zwingen will um ihn anzuhalten. Allein ich wollte ihn dennoch anreden, und ſagen: „ Herr Lovelace, ihnen habe ich es zu dancken, „ daß ich von allen Freunden in der Welt verlaſ - „ ſen bin. Wie ſoll ich ſie anſehen? Jch habe „ alles wohl uͤberleget: ſie haben mich gegen eini - „ ge Leute wider meinen Willen fuͤr verheyrathet „ ausgegeben: hingegen wiſſen andere, daß ich noch „ unverheyrathet bin, und ich verlange nicht, daß „ jemand anders von mir dencken ſolle. Koͤnnen „ ſie ſelbſt glauben, daß es mir zur Ehre gereichet, „ wenn wir in einem Hauſe beyſammen ſind? Sie „ haben mit mir von dem Hauſe der Frau Fretchvil - „ le geredet: „ (dieſes wird Gelegenheit geben, die vorigen Unterredungen hievon zu erneuren, wenn er nicht von freyen Stuͤcken davon anfaͤnget.) „ Al - „ lein was iſt mir mit dem Hauſe gedient, wenn„ Frau63„ Frau Fretchville ſelbſt nicht weiß, was ſie thun „ oder laſſen will? Sie haben viel davon geredet, „ daß ſie mir die Geſellſchaft der Fraͤulein Mon - „ tague verſchaffen wollten: und ſie koͤnnen ja an „ dieſe Fraͤulein ſchreiben, wenn ſie um meines „ Bruders und um Singletons willen es nicht „ wagen wollen, ſelbſt zu ihr zu reiſen um ſie ab - „ zuholen. Jch verlange ein vor allemahl, daß „ ſie dieſe zwey Stuͤcke in das klare bringen, da - „ mit ich weiß, woran ich bin. Ja! oder Nein! „ ſoll mir beides lieber als die Ungewißheit, und „ eines ſo lieb als das andere ſeyn.
Eine ſolche Erklaͤrung wuͤrde Sie weiter bringen. Wenn Sie einem andern in gleichen Umſtaͤnden ei - nen Rath geben ſollten, ſo wuͤrden Jhnen Mittel und Wege genug beyfallen. Sein Hochmuth wird es nicht zulaſſen, daß er vorgebe, er muͤſſe jemanden zu Rathe ziehen. Er wird ſich alſo deutlicher erklaͤ - ren muͤſſen: und ſo bald er das thut, ſo ſeyn Sie an keinem Auffchub ſchuld. Setzen Sie ihm einen, und zwar einen nahe bevorſtehenden Tag. Es wuͤrde Jhren Vorzuͤgen und Jhrer Ehre nachthei - lig ſeyn, wenn Sie ſich auch nur ſtelleten, als ver - ſtuͤnden Sie ihn nicht, und zweifelten, was ſeine Mei - nung ſey, fals er ſich nicht deutlich genug erklaͤrete: es wuͤrde ſich alſo nicht ſchicken, daß Sie warteten, bis er eine deutlichere Erklaͤrung von ſich gaͤbe, dar - uͤber ich ihn mein Lebenlang haſſen und verachten wuͤrde, wenn ſie noͤthig waͤre, und er nicht in der erſten Bitte deutlich genug redete. Zweymahl haben Sie zum wenigſten aus Bloͤdigkeit eine ſolche Ge -legen.64legenheit fahren laſſen, die ſie billig haͤtten ergreiffen ſollen: vielleicht iſt es noch oͤfter geſchehen. Wenn ſich keine recht gute und ungeſuchte Gelegenheit fin - det, von der Eheſtiftung zu reden, ſo uͤberlaſſen Sie das ſeiner eigenen Großmuth und Billigkeit, und der Billigkeit der Seinigen.
Dieſes iſt mein Rath! Setzen Sie dazu oder thun Sie davon, wie es Jhnen am beſten duͤncket, und folgen Sie Jhren eigenen Einſichten. Jch vor mein Theil wuͤrde ſo oder auf eine aͤhnliche Art ver - fahren. Dieſes bezeuget
Jhre Anna Howe.
Jch muß Jhnen damit beſchwerlich fallen, daß ich ihnen meinen Kummer entdecke, da Jhr eige - nes Ungluͤck Jhnen ſchon ſo viele Unluſt verurſachet. Jch muß Jhnen etwas neues melden. Jhr Onckle Anton iſt geſonnen, ſich zu verheyrathen. Und was meynen Sie, auf wen ſeine Abſichten gehen? Auf meyne Mutter! Es iſt gewiß! Die Jhrigen wiſſen es auch ſchon, und geben Jhnen alle Schuld: der alte Ehe-Kroͤppel ſagt auch, daß er den Ent - ſchluß aus Verdruß uͤber ſie gefaſſet habe.
Gedencken Sie dieſes Umſtandes gantz und gar nicht, auch nicht einmahl in Jhren Briefen an mich, weil man doch wegen allerhand Zufaͤllen in Sorgen ſtehen muß.
G〈…〉〈…〉 -65Jch glaube nicht, daß es moͤglich iſt, das mei - ne Mutter ſich hierzu entſchlieſſet: allein wenn ich ſie beleydigte, ſo koͤnnte die Beleydigung zum Vor - wand dienen. Sonſt (glaube ich) waͤre ich ſchon laͤngſtens bey Jhnen in London.
So bald ich mercke, daß meine Mutter dem alten Blute die geringſte Hoffnung macht, ſo bald gebe ich Hickmannen ſeinen Abſchied. Wenn meine Mut - ter mir in einer ſo wichtigen Sache etwas zuwider thut, ſo werde ich mir nicht in den Sinn kommen laſſen, ihr in einer eben ſo wichtigen Sache eine Gefaͤlligkeit zu erzeigen. Es iſt doch nicht moͤglich, daß meine Mut - ter mich nicht deswegen an den guten Mann zu brin - gen ſucht, damit ſie ſelbſt thun koͤnne, was ſie will.
Es kann aus der gantzen Sache gewiß nichts werden. Allein die alten Witwen! Wie begie - rig ſind wir insgeſammt, junge und alte, uns ſchmei - cheln zu laſſen, und bewundert zu werden! Selbſt bey dem Alter hat die Schmeicheley noch ihren Ein - druck: und die ehrwuͤrdigen Haͤupter wollen es gern ihren Toͤchtern gleich thun, wenn ſie beynahe an - fangen grau zu werden. Es verdroß mich im Her - tzen, als ſie mir von dem Antrage Jhres Onckles mit einem ſolchen Schmuntzel-Laͤcheln Nachricht gab, welches ihre Eigenliebe und Einbildung ſo gleich ver - rieth; wiewohl ſie ſich Muͤhe gab, ſo davon zu reden, als wenn ich nichts zu beſorgen haͤtte.
Die alten Hageſtoltzen, die alt werden ehe ſie es glauben, bilden ſich veſtiglich ein, daß ſie nur ſich zu uͤberreden brauchen, und daß das Frauen - zimmer ſo gleich mit Freuden Ja ſagen werde, wennVierter Theil. Eſie66ſie ihr Gewerbe anbringen. Sein ungemein groſſes Vermoͤgen iſt zwar in der That eine Lock-Speiſe, dadurch manche alte Witwe gefangen werden kann. Es kommt noch dazu, daß meine Mutter gern ei - ner unartigen Tochter los werden moͤchte. Das Andencken meines Vaters iſt ihr ſo werth nicht, daß es einiges Gewicht haben koͤnnte. Allein er mag ei - nige gluͤckliche Schritte thun, wenn er es wagen will! und ſie mag anfangen, ihm etwas weiß zu machen! Doch ich hoffe, ſie wird ſich dafuͤr huͤten.
Entſchuldigen Sie meine Feder. Das Ding ver - drießt mich allzu ſehr: man kommt mir zu nahe. Sie werden glauben, daß ich mich verſuͤndige: darum will ich dieſes Blat nicht