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Neue Grundſaͤtze der Artillerie
enthaltend die Beſtimmung der Gewalt des Pulvers nebſt einer Unterſuchung uͤber den Unterſcheid des Wiederſtands der Luft in ſchnellen und langſamen Bewegungen
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Berlinbey A. Haude Koͤnigl. und der Academie der Wiſſenſchaften privil. Buchhaͤndler.1745.

Vorrede.

Die Artillerie iſt ſchon von langer Zeit her als ein Theil der Mathematic angeſehen worden, indem dieſelbe ohne eine hinlaͤng - liche Erkenntniß der Arithmetic und Geometrie nicht abgehandelt werden kann. Was zwar die Zubereitung des Pulvers betrifft, daher die Ar - tillerie ihren Urſprung genommen, ſo laͤuft die - ſelbe vielmehr in die Chymie, als in die Mathema - tic: will man aber von der Urſache der erſtau - nenswuͤrdigen Kraft, womit das Pulver begabet iſt, Nachricht haben, ſo muß man die Natur-Wiſ - ſenſchaft zu Rathe ziehen. Ungeachtet aber die ei - gentliche Beſtimmung der Kraft, welche die Wuͤr - kungen des Pulvers hervorbringt, zur Mathe - matic gehoͤret; ſo erfordert dieſelbe doch eine ſo weitlaͤuftige Erkenntniß der hoͤhern Geometrie und Mechanic, daß man genoͤthigt iſt, dieſelbe in den Anfangs Gruͤnden dieſer Wiſſenſchaft voͤllig mit Stillſchweigen zu uͤbergehen. Die Beſchrei - bung der verſchiedenen Feuer-Maſchinen, welche in der Artillerie vorkommen, ſcheint auch nur in ſo fern mit den mathematiſchen Wiſſenſchaf - ten eine Verwandtſchaft zu haben, als darinne die Verhaͤltniß der verſchiedenen Vermiſchungen be - trachtet wird. Da ſich nun dieſe auf die bloße Er - fahrung gruͤnden, die Mathematic aber eine ſol - che Wiſſenſchaft iſt, welche nicht nur in einem jeglichen Fall die Verhaͤltniſſe anzeigt, ſondern) (2auchVorrede. auch den Grund, worauf dieſelben beruhen, aus der Natur der Sache ſelbſt beſtimmet; ſo iſt klar, daß man ſich aus der gewoͤhnlichen Verknuͤpfung der Artillerie mit der Mathematic in dieſem Stuͤcke nicht viel Vortheil verſprechen koͤnne. Eine gleiche Bewandniß hat es auch mit der Be - ſchreibung der verſchiedenen Arten von Stuͤcken, Canonen und andern Schieß-Maſchinen, von welchen gemeiniglich nur die Proportion ihrer Theile, wornach dieſelben verfertigt zu werden pfle - gen, angezeigt wird, ohne ſich um die Urſachen zu bekuͤmmern, warum dieſelben ſo, und nicht anders, angenommen worden. Die Erklaͤrung und Ein - richtung des Caliber Maaßſtabes ſcheinet alſo hierbey das einige zu ſeyn, wozu eine Erkenntniß der Arithmetic und Geometrie erfordert wird, als welche ſich auf die Cubiſche Verhaͤltniß, und die Ausziehung der Cubic-Wurzel gruͤndet. Jn - ſonderheit muß zwar die Mathematic zu Huͤlfe genommen werden, wenn man den Weg, wel - chen eine Bombe oder Stuͤck-Kugel in der Luft beſchreibet, beſtimmen will; man nimmt aber ge - meiniglich an, daß dieſe krumme Linie eine Para - bel ſey, und pflegt aus den Eigenſchaften derſel - ben auszurechnen, wie weit in einem ieglichen Bo - genſchuſſe die Kugel reichen muͤſſe. Dieſes wuͤr - de ſeine Richtigkeit haben, wenn die Kugel in ihrer Bewegung keinen Wiederſtand litte: da aber derWie -Vorrede. Wiederſtand der Luft bey ſo ſchnellen Bewegun - gen ſehr merklich iſt, ſo weicht auch dieſelbe Linie, welche von einer Stuͤck-Kugel beſchrieben wird, ſehr ſtark von einer Parabel ab. Und aus eben die - ſer Urſache haͤlt auch derjenige Winkel, unter wel - chem eine Kugel am weiteſten geſchoſſen wird, nicht 45 Grad, wie man gemeiniglich glaubt, ſon - dern etwas weniger. Wenn man aber die Natur derjenigen krummen Linie, nach welcher ſich eine Canonen-Kugel in der That beweget, unterſuchen will, ſo kann ſolches ohne die hoͤhere Mathema - tic keinesweges geſchehen.

Hieraus iſt alſo klar, daß der Vortheil, welchen man bißher in der Artillerie aus der Mathematic gezogen, ſehr geringe iſt, und daß eine gemeine Er - kenntniß der Mathematic, wie ſolche in den ge - woͤhnlichen Anfangs-Gruͤnden erklaͤret zu werden pflegt, keines weges hinlaͤnglich iſt, in der Artillerie denjenigen Nutzen zu ſchaffen, welchen man ſich ſonſten von dieſer Wiſſenſchafft verſpricht. Wenn man aber die hoͤhere Mathematic zu Huͤlfe nimmt, ſo iſt man im Stande, ſo wohl die wahre Kraft des Pulvers, als die wahre Bewegung der Kugeln, auf das genauſte zu beſtimmen: und da auf dieſen zweyen Punckten die fuͤrnehmſte Wiſ - ſenſchafft der Artillerie beruhet, ſo koͤnnen daraus auch die uͤbrigen dahin gehoͤrigen Stuͤcke auf eine gruͤndliche Art erklaͤret, und in ihr voͤlliges Licht) (3geſe -Vorrede. geſetzet werden. Ja wenn auch gleich ein bloſſer Mathematicus aus Mangel einer hinlaͤnglichen Erfahrung nicht im Stande iſt, aus dieſer Erkennt - niß allen Nutzen zu ziehen, ſo iſt doch kein Zweifel, ein erfahrner Artilleriſt werde dieſen Abgang leicht erſetzen, und eine ſolche ihm mitgetheilte Er - kenntniß in allen Umſtaͤnden mit Vortheil anzu - wenden wiſſen.

Man pflegt gemeiniglich in den Gedanken zu ſtehen, als wenn die hoͤhere Mathematic bloß al - lein in ſolchen ſubtilen Speculationen beſtuͤnde, aus welchen man nicht den geringſten Nutzen hof - fen koͤnnte: und daß man alle Vortheile, welche man dieſer Wiſſenſchaft nicht abſprechen kann, nur allein den niedrigen und ſchon genugſam bekannten Theilen der Mathematic zu dancken habe. Allein dasjenige, was in Anſehung der Artillerie angefuͤh - ret worden, iſt ſchon hinreichend, dieſes Vorur - theil voͤllig zu heben: ja man kann ſo gar mit dem groͤſten Recht behaupten, daß keine Wiſſenſchaft mit der Mathematic verknuͤpfet iſt, welche nicht, wenn ſie gruͤndlich ausgefuͤhret werden ſoll, die ſo genannte hoͤhere Mathematic erfordere. Es finden ſich ſo gar auch oͤfters die Graͤnzen dieſer Wiſſen - ſchafft noch nicht einmahl genugſam erweitert, um alle Umſtaͤnde gehoͤriger maßen erklaͤren zu koͤñen.

Um dieſes deutlicher darzuthun, und dadurch den faſt allgemeinen Vorwurf, welcher gegen diehoͤhereVorrede. hoͤhere Mathematic gemacht zu werden pflegt, aus dem Wege zu raͤumen, ſo wollen wir die fuͤr - nehmſten practiſchen Theile der Mathematic et - was genauer in Betrachtung ziehen.

Jn der Mechanic, welche in Erklaͤrung und Beſtimmung der Bewegung der Koͤrper beſtehet, kommen nicht nur die ſchwehrſten Fragen vor, welche ohne eine ſehr tiefe Einſicht in die hoͤhere Mathematic unmoͤglich eroͤrtert werden koͤnnen: ſondern es findet ſich darinne keine einzige Maſchi - ne, deren Wuͤrkung ohne eine ſolche Erkenntniß vollſtaͤndig erklaͤret werden koͤnnte. Was darinn insgemein von den Maſchinen vorgebracht wird, gehet nur auf die Einrichtung derſelben uͤberhaupt, und man pflegt gemeiniglich dabey nicht mehr als das Gleichgewicht zwiſchen der Kraft, und dem Wiederſtand der Laſt, anzuzeigen. Da aber die Laſt nicht nur im Gleichgewicht erhalten, ſondern auch in Bewegung geſetzt werden ſoll; ſo muß die Kraft der Laſt uͤberlegen, und alſo groͤſſer ſeyn, als zu Erhaltung des Gleichgewichts erfordert wird. Wie nun in dieſem Fall die Bewegung be - ſchaffen ſeyn, und mit was fuͤr einer Geſchwindig - keit die Laſt beweget werden muͤſſe, davon findet man nicht ein Wort in den gemeinen Abhandlun - gen der Maſchinen; ungeachtet hierauf die Haupt-Abſicht und der Nutzen aller Maſchinen beruhet. Dieſes iſt die fuͤrnehmſte Urſache, war -) (4umVorrede. um man ſich faſt auf keine auf dem Papier ent - worfene Maſchine verlaſſen kan, ehe man davon eine wuͤrkliche Probe geſehen. Die gemeine Er - kenntniß der Mathematic iſt nun keinesweges hinreichend, dieſem Mangel abzuhelfen: ſondern wenn man die wuͤrkliche Bewegung ſo gar nur in den einfachen Maſchinen beſtimmen will, ſo iſt man nicht im Stande, ſolches ohne die Infiniteſi - mal Rechnung zu verrichten, und es koͤnnen ſich oͤfters bey den gemeineſten Maſchinen ſolche Um - ſtaͤnde ereignen, zu deren Erklaͤrung eine noch weit groͤſſere Erweiterung der hoͤheren Mathematic erfordert wird. Hierinne beſtehet aber die vollſtaͤn - dige Erkenntniß aller Maſchinen, deren Nutzen folglich von Niemand in Zweifel gezogen werden kan, und gegen welche dasjenige, was davon insge - mein vorgebracht wird, fuͤr nichts zu rechnen iſt. Wenn man hergegen im Stande iſt, fuͤr eine jegli - che entworfene Maſchine aus der Einrichtung der - ſelben, und der Groͤſſe der Kraft, die wuͤrkliche Be - wegung der Laſt zu beſtimmen: ſo kann man dar - aus leicht durch Huͤlfe der hoͤhern Mathematic eine jede Maſchine zu dem hoͤchſten Grad der Vollkommenheit bringen. Denn da man fuͤr ei - nen jeden Fall, wenn die Kraft und Laſt gegeben wird, immer unendlich vielerley Maſchinen erden - ken kan, durch deren Huͤlfe die Laſt von der Kraft beweget wird; ſo beſtehet die wichtigſte Frage dar -inne,Vorrede. inne, wie man unter allen dieſen Maſchinen dieje - nige ausfuͤndig machen ſoll, vermittelſt welcher die Laſt am geſchwindeſten beweget werde. Dieſe Frage kann aber ohne die ſo genannte hoͤhere Ma - thematic unmoͤglich aufgeloͤſet werden.

Wie unvollſtaͤndig die Abhandlung der Hydro - ſtatic und Hydraulic ſey, welche nur auf die ge - meinen Theile der Mathematic gegruͤndet iſt, wird ein jeder leicht erfahren, welcher ſich nur den leich - teſten Fall deutlich zuerklaͤren bemuͤhet. Denn die Bewegung der fluͤßigen Koͤrper iſt eine von den ſchwereſten und verwirrteſten Materien, welche in der Mathematic und Phyſic immer vorkommen koͤnnen, und mit einer gemeinen Erkentniß der Ma - thematic iſt darinne nicht das geringſte auszurich - ten. Die beruͤhmten Herren Bernoulli ſind die erſten geweſen, welche dieſe ſo dunkle Materie auf eine gruͤndliche Art abgehandelt haben. Der Hr. Prof. Daniel Bernoulli in Baſel hat daruͤber zu erſt ſein unvergleichliches Werk unter dem Titul der Hydrodynamic herausgegeben, worinne er durch die ſubtilſten Rechnungen ſo wohl die Kraͤfte, als die Bewegungen der fluͤßigen Coͤrper, ſo gruͤndlich beſtimmet, daß allenthalben die ſchoͤn - ſte Uebereinſtimmung mit der Erfahrung hervor - leuchtet. Er hat ſich hierzu meiſtentheils des Grundſatzes der Erhaltung der lebendigen Kraͤf - te bedient: allein ſein Herr Vater hat hernach) (5MittelVorrede. Mittel gefunden, alle dieſe Beſtimmungen aus den erſten Gruͤnden der Bewegung herzuleiten, wie ſo wohl aus aus ſeinen Werken, welche kuͤrzlich zuſammen gedruckt heraus gekommen, als aus dem 9ten Tomo der Comment. der Petersbur - giſchen Academie erhellet. Wer dieſe Werke nur obenhin anſieht, wird bald uͤberfuͤhrt werden, daß in dieſer Wiſſenſchafft ohne die hoͤhere Ma - thematic nicht das allergeringſte beſtimmt wer - den kann.

Seit dem die Aſtronomie auf den gegenwaͤr - tigen Grad der Vollkommenheit gebracht wor - den, ſo iſt die hoͤhere Mathematic dazu ganz und gar unentbehrlich: denn ohne dieſelbe koͤnnen die Bewegungen der Planeten und Cometen un - moͤglich beſtimmet werden. Jnſonderheit aber reichet uns der Mond die allerdeutlichſte Probe von der Nothwendigkeit der hoͤheren Mathema - tic in der Aſtronomie dar. Die Geſetze, nach wel - chen ſich ſeine Bewegung richtet, ſind offenbar, und es kommt nur darauf an, daß man aus die - ſen Geſetzen die wuͤrkliche Bewegung des Mon - des beſtimme. Hierzu wird nun nicht nur die tiefſte Erkenntniß der Infiniteſimal-Rechnung erfordert, ſondern ſo hoch dieſelbe auch bey jetzi - ger Zeit gebracht zu ſeyn ſcheinet, ſo iſt dieſelbe doch noch bey weitem nicht hinlaͤnglich, alle Ver - aͤnderungen der Bewegung dieſes Planeten aufdasVorrede. das genaueſte zu beſtimmen. Alles, was bisher daruͤber zum Vorſchein gekommen, beſtehet nur allein in Naͤherungen, und wir koͤnnen uns keine vollkommenere Erkentniß davon verſprechen, ehe und bevor die hoͤhere Mathematic auf einen weit hoͤheren Grad wird getrieben worden ſeyn.

Hieraus folget alſo ganz deutlich, daß der Nu - tzen der Mathematic keines weges in den gemei - nen Theilen derſelben beſtehe, als deren Ge - brauch ſich nicht ſonderlich weit erſtrecket; ſon - dern daß man der hoͤheren Mathematic meiſten - theils allein alle diejenigen Vortheile zu danken ha - be, welche man von dieſer Wiſſenſchaft theils ſchon wuͤrklich erhalten, theils aber noch zu erwar - ten hat. Es iſt alſo ſo fern, daß man dieſe Un - terſuchungen zu weit treiben koͤnnte, daß man viel - mehr die wichtigſten Vortheile nicht eher zu errei - chen vermoͤgend iſt, als bis man noch ſehr groſſe Erweiterungen und Entdeckungen darinne wird gemacht haben. Aus dem gegenwaͤrtigen Werke von der Artillerie, welches wegen der darinne enthaltenen fuͤrtrefflichen und nuͤtzlichen Entde - ckungen einen allgemeinen Beyfall gefunden, wird genugſam erhellen, daß der Verfaſſer unmoͤglich ſo weit gekommen ſeyn wuͤrde, wenn ihm nicht die hoͤhere Mathematic dazu den Weg gebahnet haͤtte; indem darinne faſt kein Satz vorkommt, welcher ohne die Infiniteſimal-Rechnung voll -kommenVorrede. kommen eroͤrtert werden koͤnnte. Weil nun der Nutzen von dieſem Engliſchen Tractat nicht nur ſchon ſehr betraͤchlich iſt, ſondern auch ohne Zweifel noch weit hoͤher gebracht werden kann; ſo habe ich den Vorſatz gefaſſet, dieſes Werk ins Teutſche zu uͤberſetzen, um die darinne enthaltenen herrlichen Erfindungen deſto mehr bekannt zu ma - chen. Da aber der Verfaſſer alles ſehr kurz zu - ſammen gezogen, ſo habe ich fuͤr gut befunden, nicht nur allenthalben die noͤthigen Erlaͤuterun - gen beyzufuͤgen, ſondern auch einen jeglichen Satz noch weiter auszufuͤhren, damit man ſo wohl die Gruͤndlichkeit, als den Nutzen, deſto deut - licher einſehen moͤge. Jch habe mich bey dieſer Ueberſetzung einer ziemlichen Freyheit bedienet, und mehr auf die Sache ſelbſt, als auf die Worte geſehen, welches bey Werken von dieſer Art nie - mand uͤbel deuten wird.

Es iſt dieſem Werk von dem Verfaſſer ein ziem - lich weitlaͤuftiger Vorbericht vorgeſetzet worden, worinne eine hiſtoriſche Nachricht von dem Ur - ſprung und Aufnehmen ſo wohl der Fortifi - cation, als der Artillerie ertheilet wird. Dieſes dienet allem Anſehen nach fuͤrnehmlich zu zeigen, wie wenig bißher von der wahren Theorie der Artillerie bekannt geweſen, und wie viele und wichtige Entdeckungen noch zu Verbeſſerung die - ſer Wiſſenſchafft erfordert werden. Das WerkſelbſtVorrede. ſelbſt beſtehet aus zwey Capiteln. Jm erſten wird theils die Kraft des Pulvers, theils die Geſchwin - digkeit, welche dadurch einer Kugel eingedruckt wird, unterſuchet. Erſtlich weiſet der Verfaſſer durch unſtreitige Verſuche, daß die Gewalt des Pulvers in der Ausdehnungs-Kraft einer darinne eingeſchloſſenen ſubtilen Materie, welche durch die Entzuͤndung in Freyheit geſetzt wird, beſtehe. Hernach unterſuchet er, wie groß dieſe Kraft ſey, und nach was fuͤr Geſetzen dieſelbe abnehme, indem ſich die ſubtile Materie je laͤnger je mehr ausdehnet. Er zeiget auch, wie viel die bey der Entzuͤndung entſtehende Erhitzung zur Ver - mehrung der Kraft beytrage. Nachdem er dieſe Stuͤcke eroͤrtert, ſo beſtimmet er die wuͤrkliche Ge - ſchwindigkeit, welche einer Kugel von einer gege - benen Ladung Pulver in einem gegebenen Lauf eingedruckt wird. Damit man aber von der Wahrheit dieſer Beſtimmungen deſto mehr ver - ſichert werde, ſo beſchreibet er eine von ihm erfun - dene Maſchine, durch deren Huͤlfe die wuͤrkliche Geſchwindigkeit einer jeden Kugel beſtimmet wer - den kann. Dieſe durch die Erfahrung befundene Geſchwindigkeit haͤlt er mit derjenigen, welche er aus der Gewalt des Pulvers gefunden hatte, ge - gen einander, und weiſet allenthalben die ſchoͤnſte Uebereinſtimmung.

Jm andern Capitel ſtellt er ſeine Unterſuchun -genVorredegen uͤber den Wiederſtand der Luft an, und weiſet, daß derſelbe auf ſolche ſchnelle Bewegungen weit ſtaͤrker ſey, als man nach den bisher angenomme - nen Regeln immer vermuthen koͤnnte. Hieraus beſtimmt er, wie viel eine jegliche Kugel, welche mit einer gegebenen Geſchwindigkeit in die Luft geſchoſ - ſen wird, nach und nach von ihrer Geſchwindigkeit verliere, und bekraͤftiget alles dieſes beſtaͤndig durch vielerley Erfahrungen, welche er vermittelſt ſeiner obgedachten Maſchine angeſtellet. Unterdeſſen gehet er hier nicht ſo weit, daß er die Bahn, nach welcher ſich eine Kugel in der Luft beweget, be - ſtimmte, ſondern er verſpricht daruͤber eine be - ſondere Abhandlung, welche aber, ſo viel uns be - kannt, noch nicht zum Vorſchein gekommen.

Dieſes iſt kuͤrzlich der Jnnhalt des ganzen Werks. Ungeachtet aber daſſelbe nur dieſe zwey Haupt-Stuͤcke in ſich zu enthalten ſcheinet, ſo ſind dieſelben doch nicht nur der Grund und die Stuͤtze der ganzen Artillerie, ſondern es ſind auch damit alle uͤbrige Theile dieſer Kunſt der - geſtalt verknuͤpft, daß man dieſes Werk mit Recht als eine vollſtaͤndige Abhandlung der gan - zen Artillerie anſehen kan.

Der Autor hat beyde Capitel ferner in Saͤ - tze abgetheilet, und einem jeden ſeine Erklaͤrung und Beweis beygefuͤget; bißweilen hat er auch noch zu mehrerer Erlaͤuterung Zuſaͤtze angehaͤn -get,Vorredeget, welche mit den von dem Ueberſetzer beyge - fuͤgten Anmerkungen nicht muͤſſen verwechſelt werden.

Die Anmerkungen, welche auf einen jeden Satz folgen, ſind alſo nicht von dem Verfaſſer des Werks, und haͤtten folglich mit einer ſonderbaren Schrift gedruckt werden ſollen; da aber dieſes, theils wegen der Weitlaͤuftigkeit dieſer Anmerkungen, theils wegen anderer Umſtaͤnde, nicht fuͤglich hat geſchehen koͤnnen: ſo iſt noͤthig, hiermit den Leſer einmahl fuͤr allemahl zu erinnern, daß alles das - jenige, was ſich unter dem Titul der Anmer - kungen alhier befindet, bey der Ueberſetzung beygefuͤget worden. Jn denſelben iſt man be - muͤhet geweſen, erſtlich die von dem Autore ab - gehandelten Materien weitlaͤuftiger zu erklaͤren, und hernach auch weiter auszufuͤhren, damit man daraus um ſo viel groͤſſere Vortheile ziehen koͤnne. Bißweilen ſind auch einige von dem Autore begangene geringe Fehler bemerket und verbeſſert worden. Jm zweyten Capitel befinden ſich auch einige Anmerkungen, in welchen man die wahre Bewegung einer Kugel in der Luft zu beſtimmen geſuchet; nachdem vorher die Kraft des Wiederſtands auf eine allgemeine Formul gebracht worden. Die ganze Sache beruhet alſo nur auf der Ausfuͤhrung der Rech - nung; dieſe aber iſt ſo ſchwehr und verworren,daßVorrededaß alle bißher bekannte Vortheile der Infiniteſi - mal-Rechnung noch nicht hinlaͤnglich ſind, alle Schwierigkeiten zu uͤberwinden, welches folglich einen neuen Beweis gegen diejenigen, welche der hoͤhern Mathematic allen Nutzen abſprechen wollen, an die Hand giebt.

Vorbericht
[1]

Vorbericht des Verfaſſers, oder Eine hiſtoriſche Nachricht von dem Urſprung und Aufnehmen der Fortification und Artillerie.

Jch war vor ungefehr einem Jahre bey - nahe entſchloſſen, oͤffentliche Vor - leſungen uͤber die Fortification und Artillerie zu halten; es fanden ſich aber einige Hinderniſſe, welche nicht noͤthig ſind, hier anzufuͤhren, ſo mich von die - ſem Vorſatz zuruͤck hielten. Als aber inzwiſchen einige Abſchriften von dem Jnhalt, den ich mir vorgeſetzet hatte, in verſchiedene Haͤnde ge - riethen, ſo wurde ich einiger maſſen zu gegen - waͤrtiger Unternehmung genoͤthiget.

A Eulers erlaͤuterte Artillerie. Denn2

Denn da ich mir vorgenommen hatte, dieſe Abhandlung ſo vollſtaͤndig, als mir immer moͤglich waͤre, zu machen, ſowohl durch groſſe Modelle von den verſchiedenen Arten zu befe - ſtigen, und dieſelben zu attaquiren, als durch vielerley in der Erfahrung gegruͤndete Regeln der Artillerie: ſo fand ich fuͤr noͤthig, bey dieſer letztern Materie eine Unterſuchung von der Ge - walt des Schieß-Pulvers, nebſt einigen Be - trachtungen uͤber den Wiederſtand der Luft, welche ich entdecket und durch die Erfahrung beſtaͤtiget hatte, mit einzuruͤcken. Weil nun dieſe Grundſaͤtze in den Papieren, welche be - kannt worden, ganz kurz ohne einigen Beweis vorgelegt waren, dieſelben aber noch ſtreitig ſcheinen moͤchten; indem ſie mit den Meynungen der meiſten, welche hieruͤber geſchrieben, nicht uͤbereinſtimmen: ſo lag mir ob, etwas ausfuͤhr - licher einigen Schwierigkeiten, welche dabey entſtehen koͤnnten, zu begegnen, und die Gewiß - heit derſelben durch viele ungezweifelte Experi - mente darzuthun. Hieraus iſt alſo fuͤrnehm - lich der folgende Tractat erwachſen, worinnen die Gewalt und Wuͤrkung des Pulvers ſo ge - nau beſtimmet iſt, daß man daraus die Ge - ſchwindigkeit von aller Gattung Kugeln, welche geſchoſſen werden, ausrechnen, und dabey auch den ganz auſſerordentlichen Wiederſtand der Luft, welche in dergleichen ſchnellen Bewegun - gen weit groͤſſer iſt, als man bisher geglaubet,in3in einem ieglichen Fall anzeigen kann. Hieraus wird nun erhellen, daß ſowohl die erſte Ge - ſchwindigkeit, womit eine Kugel durch volle La - dung ausgeſchoſſen wird, als auch der Weg, welchen dieſelbe in der Luft beſchreibet, von dem - jenigen, was bißher von den Autoribus hier - uͤber geſagt worden, gaͤnzlich unterſchieden ſey.

Da die fuͤrnehmſten Unterſuchungen in den folgenden Blaͤttern auf die Gewalt des Pul - vers, und die Bewegung der Kugeln, gerichtet ſind, ſo wird es verhoffentlich dem Leſer nicht un - angenehm ſeyn, einige Nachrichten von der Erfindung des Pulvers, nebſt einer kurzen Be - ſchreibung von dem Aufnehmen der Artillerie, und der damit verknuͤpften Fortification, all - hier anzutreffen: und das um ſo vielmehr, da die Natur und Beſchaffenheit desjenigen, welches in dieſem Werk vorgebracht wird, nicht we - nig erlaͤutert werden wird, wenn man daſſelbe mit den hieruͤber vormahls gehegten Meynun - gen gegen einander halten kann. Und obgleich meine Haupt-Abſicht nur allein auf die Ver - beſſerung der Theorie und Praxis der Artil - lerie gehet; ſo ſind doch die jetzigen Arten zu befeſtigen ſo genau mit der Erfindung und An - wendung der Artillerie verbunden, und es er - haͤlt von dieſen beyden Kuͤnſten gleichſam eine von der andern ihre Geſetze, daß ich vermuthe, eine kurze Nachricht von dem Urſprung und den Veraͤnderungen der jetzigen Kriegs-Bau -A 2kunſt4kunſt werde nicht unfuͤglich der Beſchreibung derjenigen gewaltigen Maſchinen vorgeſetzet werden, welche dazu Anlaß gegeben haben.

Was die erſte Erfindung der Bollwerke an - langt, ſo finden ſich daruͤber bey den Autoribus verſchiedene Meynungen, und es iſt noch nicht ausgemacht, wenn und wo dieſelben zuerſt ſind gebraucht worden. Einige haben dieſe Erfin - dung dem Ziſca, in Boͤhmen, andere aber dem Achmet Baſcha, zugeſchrieben, als welcher nach Eroberung von Otranto A. 1480. dieſe Stadt auf eine ſonderbare Art fortificiret und da - bey die Bollwerke angebracht haben ſoll. (a)Man ſehe hieruͤber nach die Anmerkungen des Chevalier Folard uͤber den Polybium Tom. 3. pag. 2.Dieſe Muthmaſſung findet ſich aber nur bey den neuern Schrifftſtellern. Diejenigen, welche vor hundert und mehr Jahren von der Forti - fication geſchrieben, ſcheinen vielmehr der Meynung zu ſeyn, daß die Bollwerke in der al - ten Art zu bauen nach und nach zur Vollkom - menheit gebracht worden, und daß ſich niemand ins beſondere die Erfindung derſelben zueignen koͤnne. Jnſonderheit ſchreibt Paſino in dem erſten Theil ſeines Buchs die Veraͤnderungen in der alten Fortification, und die Einfuͤhrung der neuern Arten der vermehrten Gewalt der Artillerie zu, ohne zu behaupten, daß dieſelben auf einmahl, oder durch eine Perſon in Schwangge -5gebracht worden. (b)Diſcours ſur pluſieurs Points de l’Architecture de Guerre concernans les fortifications tant an - ciennes que modernes. Par Mr. Aurelio de Paſi - no Ferrarois, Architecte de tres Illuſtre Seigneur, Monſeigneur le Duc de Bouillon. Gedruckt bey Plantino 1579. Es erhellet aus einer Abſchrift von Verſen, welche dieſem Buch vorgeſetzet ſind, daß dieſer Autor die Stadt Sedan befeſtiget hat.Woraus ich ſchlieſſe, daß man in dieſem Stuͤck, betreffend die Er - findung der Bollwerke, nicht mehr mit Gewiß - heit behaupten koͤnne, als daß dieſelben bald nach dem Jahr 1500 bekannt worden. Denn A. 1546. hat Tartalea ſeine Queſiti & Inven - tioni diverſe heraus gegeben, allwo er in dem ſechſten Buche Meldung thut, daß, als er ſich in Verona aufgehalten, (welches einige Jahr vorher geweſen ſeyn muß) er daſelbſt einige Bollwerke von ungeheurer Groͤſſe geſehen ha - be, deren einige ſchon zu Ende gebracht, an - dere aber noch in der Arbeit waren. Und auſſer dieſem befindet ſich noch in eben dieſem Buch ein Plan von Turin, welcher mit 4 Ba - ſtionen fortificiret iſt, und derſelbe ſcheinet ſchon eine geraume Zeit vorher verfertigt zu ſeyn.

Ob wir nun gleich die Zeit, da man angefangen, die alten runden Thuͤrme in Bollwerke zu verwandeln, nicht ge - wiß beſtimmen koͤnnen, ſo iſt doch ſolches al -A 3lem6lem Anſehen nach nicht lange vor obgemeldeter Zeit geſchehen. Denn in eben dieſem Buche haͤlt der Prior von Barletta, welcher ſelbſt ein Kriegsmann geweſen, die Feſtung Turin fuͤr unuͤberwindlich, und berichtet dabey, daß die - ſes die allgemeine Meynung aller Kriegsver - ſtaͤndigen geweſen. Hierbey wirft er auch die Frage auf, ob die Kunſt der Menſchen hierinne nicht ſchon den hoͤchſten Grad der Vollkom - menheit erreicht haͤtte? welches ein unſtreitiges Merkmahl zu ſeyn ſcheinet, daß dieſe Erfindung damahls ganz neu geweſen, und daß dieſelbe bey allen Kunſtverſtaͤndigen Nachdenken und Bewunderung erwecket habe: dergleichen eine neue Erfindung von dieſer Art gewoͤhnlicher Weiſe zu verurſachen pflegt.

Die erſten Bollwerke, als die von Turin, Antwerpen,(c)Antwerpen wurde fortificiret um das Jahr 1540. wie man aus dem Speckle erſieht im 1 Buch 10ten Capitel. und andere von gleichem Al - ter, waren ſehr klein, und weit von einander ent - fernet: denn damahls war die allgemeine Art zu attaquiren, daß man die Courtine und nicht die Bollwerke angriff. Aber nicht lange her - nach wurden weit groͤſſere Bollwerke einge - fuͤhret, und naͤher zuſammen geſetzt, als vor - her uͤblich geweſen, wie aus der Citadell von Antwerpen erhellet, welche um das Jahr 1566. unter der Aufſicht des Duc d’Alva er -bauet7bauet worden, und wegen der groſſen Lobes-Er - hebungen der damahligen Autoren das erſte Exempel von dieſer Verbeſſerung zu ſeyn ſcheinet.

Man kann alſo ſetzen, daß die neue Geſtalt der Kriegs-Baukunſt zu dieſer Zeit ihren An - fang genommen. Denn die meiſten heut zu Tag bekannten Verbeſſerungen ſind nicht viel mehr, als eine Ausfuͤhrung ſolcher Methoden, welche innerhalb wenig Jahren von dieſer Zeit an zu rechnen gemacht worden. Denn bald nach dieſer Zeit traten ſchon verſchiede - ne beruͤhmte Maͤnner auf, als La Treille(d)La Maniere de fortifier Villes, Chaſteaux, & faire autres lieux forts, mis en françois par le Seigneur Bereil François de la Treille, Commiſ - ſaire en l’Artillerie, Lyon 1556. Dieſer Autor war, wie ich geſehen, der erſte, der die retirirten Courtinen vorgeſchlagen, welche hernach durch andere unter dem Nahmen der verſtaͤrkten Ord - nung bekannt gemacht worden. Alghiſi, Marchi, Paſino, und vor allen der Speckle,(e)Daniel Speckle war Architect in der Stadt Straßburg, und ſtarb im Jahr 1589. Er hat ein Buch von der Fortification in deutſcher Spra - che heraus gegeben, welches zu Leipzig im Jahr 1736. gedruckt iſt. welcher einer von den groͤ - ſten Geiſtern war, die ſich jemahls auf dieſe Kunſt gelegt haben.

Um deſto beſſer von den Vorzuͤgen der neuen Befeſtigungs-Arten urtheilen zu koͤn -A 4nen,8nen, ſo wird noͤthig ſeyn, ſich in eine kurze Un - terſuchung der verſchiedenen Manieren einzu - laſſen, welche zu Bedeckung der Flanquen, und folglich zur Sicherheit des Walls gegen die feindlichen Anfaͤlle, vorgeſchlagen werden: indem man glaubt, daß die fuͤrnehmſte Ver - theidigung einer Feſtung in den Flanquen beſtehe. Dahero gibt die Art und Weiſe, wo - durch fuͤr die Sicherheit der Flanquen geſor - get wird, das ſicherſte Mittel an die Hand, die Vortheile einer jeglichen Befeſtigungs - Art richtig zu beurtheilen.

Die gewoͤhnlichſten Mittel, dieſe Abſicht zu erhalten, ſind nun die Orillons, die Rave - lins, welche vor die Courtines geſetzt wer - den, die halben Monds vor den Spitzen der Bollwerke, und die Contreguardes: dahero ein jegliches von dieſen Stuͤcken ins beſondere, ſowohl in Anſehung des Alterthums, als des daher entſtehenden Nutzens, in Betrachtung gezogen zu werden verdienet.

Die Orillons ſind eben ſo alt, als die Bollwerke ſelbſt; denn man findet zu Turin und Antwerpen (wie oben gemeldet worden) niedrigere Flanquen, welche in den Bollwerken eingeſchnitten, und dabey mit ziemlich dicken Schultern verſehen worden, um dieſelben vor den Feld-Batterien zu verwahren. Ueber dieſes kommen eben dergleichen Orillons, als jetzo im Gebrauch ſind, in den Riſſen desPaſino,9Paſino, Speckle, und anderer, haͤufig vor, nur mit dieſem Unterſcheid, daß die heutigen nicht ſo ſtark und maſſiv ſind, als jene. Die - ſe Erfindung hat das Gluͤck gehabt, faſt bey allen Befeſtigungs-Arten, welchen vor an - dern ein Vorzug gebuͤhret, beybehalten zu werden; ungeachtet ſich derſelben Nutzen viel - mehr auf den Ruff der vor Alters geleiſteten Dienſte, als auf die Vortheile, welche man noch wuͤrklich dadurch erhaͤlt, zu gruͤnden ſcheinet. Denn bey den alten Belagerungen hatten die Belagerten die Gewohnheit, ein Retrenchement hinter der Breche zu ma - chen, wodurch die Belagerer genoͤthiget wur - den, ſich auf den Ruinen der Breche feſt zu ſe - tzen, um daſſelbe Retrenchement anzugreif - fen. Jn dieſem Fall konnten die Canonen, welche von dem Orillon bedeckt waren, nicht unbrauchbar gemacht werden, und leiſteten folglich den Belagerten bey dieſer Gelegenheit herrliche Dienſte. Man koͤnnte auch viele Exempel anfuͤhren, da der Feind, nachdem er ſich auf den Ruinen der Breche ſchon feſt geſetzt hatte, dergeſtalt geaͤngſtiget worden, daß er ſich genoͤthiget gefunden, von ſeiner Unternehmung abzuſtehen. Weil aber jetzo dieſe Gewohn - heit laͤnger auszuhalten, nachdem die Breche formiret, und der Graben ausgefuͤllet worden, abgekommen, ſo hoͤrt man auch bey den jetzi - gen Zeiten ſelten von dergleichen Vorthei -A 5len,10len, welche man den Orillons zu danken haͤtte.

Die Ravelins, welche vor die Courtines ge - ſetzt werden, (oder die halben Monds, wie die - ſelben in den neuern Arten genannt zu werden pflegen,) ſollten dienen, um die Flanquen vor den Creutz-Schuͤſſen zu verwahren, und die Batterien, welche auf dem entgegen geſetzten Theil der Contreſcarpe aufgerichtet wuͤrden, auf eine Stelle einzuſchraͤnken, wo dieſelben den Belagerten mehr ausgeſetzt, und ſchwehrer ſind, ſich davor zu verwahren. Dieſe Erfindung iſt gleichfals beynahe eben ſo alt, als die Befe - ſtigungskunſt ſelbſt, indem ſich dieſelbe in den meiſten alten Plaͤtzen, und faſt bey allen alten Scribenten, findet, und ſeithero in den meiſten Befeſtigungs-Arten iſt beybehalten worden.

Allein die alten Autores, deren fuͤrnehmſte Sorge auf die Sicherheit der Flanquen ge - richtet war, verlieſſen ſich nicht allein auf die Vortheile, welche ſie von der letzt gedachten Er - findung erhielten. Denn obgleich durch die - ſes Mittel die Batterien, ſo zur Zerſtoͤrung der Flanquen dienen ſollen, auf einem engen Platz eingeſchraͤnkt werden, ſo funden ſie doch, daß der Feind auf dieſem Platz mehr Raum hatte, als zu Aufrichtung ſeiner Contrebatterien er - fordert wuͤrde: und um dieſer Urſache willen haben ſie noch die halben Monde vor die Spi - tzen der Baſtionen geſetzet. Durch dieſelbenſuchte11ſuchte man den Grund in Beſitz zu nehmen, worauf die feindlichen Batterien gegen die Flanquen ſchon allbereit eingeſchraͤnket wor - den, und dadurch dem Feind die Errichtung die - ſer Batterien deſto ſchwerer zu machen. Dem ungeachtet konnte dieſe Abſicht hierdurch nicht voͤllig erreicht werden, und dahero hat man dieſe Manier einige Zeit aus der Acht gelaſſen.

Der Endzweck der Contreguardes,(f)Paſino, deſſen wir oben Meldung gethan, maßt ſich die Erfindung der Contreguardes an, unge - achtet dieſelben nachgehends durch Speckle ſehr ſind verbeſſert worden. Denn die Contreguardes die - ſes Autoris waren nicht nur vor die Baſtionen allein geſetzt, ſondern ſie umringten den gantzen Platz. welche ebenfalls ſehr alt ſind, iſt mit den itzt gemeldeten halben Monden einerley, und beſteht in Bedeckung der Flanquen, wozu dieſelben, wann ſie tuͤchtig angelegt werden, gantz unge - mein geſchickt ſind. Denn, wenn der Feind die Flanquen miniren will, ſo muß er ſeine Contre-Batterien entweder auf der Contre - guarde ſelbſt errichten, welches ihm doch, wann dieſelbe ein bequemes Profil hat, unmoͤglich faͤllt: oder er iſt genoͤthiget, einen Theil der Con - treguarde zu demoliren, um dadurch ſeine Batterien auf der Contreſcarpe in Stand zu ſetzen, daß man die Flanque zu Geſicht be - komme; welches doch wegen der groſſen Gefahr und Schwuͤrigkeit ein muͤhſeliges Werck iſt,und12und eben ſo viel Hinderniſſe trifft er auch an, wenn er Breche ſchieſſen will.

Allein, ungeachtet der Fuͤrtrefflichkeit dieſer Erfindung, ſo iſt dieſelbe doch in den neuern Methoden einer benachbarten Nation gaͤntz - lich negligirt worden. Es ſind in der That zwey oder drey Plaͤtze durch die Fran - tzoſen befeſtiget worden, in welchen zwar ſolche Werke, die von ihnen Contreguar - den genennet werden, anzutreffen ſind; die - ſelben aber haben mit denjenigen, von wel - chen hier die Rede iſt, nichts als den bloſſen Nahmen gemein: obgleich ihre eigene Er - fahrung von der Wuͤrkung dieſer Werke bey Turin ihnen eine vortheilhafftere Meynung davon haͤtte beybringen ſollen. Denn ich habe letztens geſehen, daß dieſelben die Werke von alten Feſtungen mit Contreguarden von einer ſehr betraͤchtlichen Fronte vermehret ha - ben, ungeachtet dieſelben vorher vor vollkom - men feſte Plaͤtze gehalten wurden.

Aus allem dieſem, was bißher geſagt wor - den, iſt klar, daß ſich die alten Ingenieurs die Bedeckung der Flanquen weit nachdruͤck - licher haben angelegen ſeyn laſſen, als ihre Nachfolger, und daß folglich die Befeſti - gungs-Kunſt ihre Vollkommenheit nicht den neuern Ingenieurs zu danken habe, wie uns einige unwiſſende Schrifftſteller bereden wol - len. Denn es iſt gewiß, daß die groͤſteStaͤrke13Staͤrke einer Feſtung in der Sicherheit der Flanquen beſtehe, weil, wenn auch ſchon alle uͤbrige Beſchuͤtzungs-Werke, welche den Batterien des Feindes ausgeſetzt ſind, ruini - ret worden, dennoch der Feind ſich dem Haupt - Wall nicht naͤhern darf, ſo lange die Flanquen noch unverſehrt ſind. Und derohalben, da dieſer Umſtand von einigen der neuern Inge - nieurs ſo wenig in Betrachtung gezogen wor - den; ſo muß man geſtehen, daß die wahren und eigentlichen Gruͤnde dieſer Kunſt von ih - nen ſehr unvollkommen begriffen worden ſind. Denn es hat ſich oͤffters zugetragen, daß die - ſelben uͤber einige Faden an der Laͤnge der Flanque, Face oder Courtine, oder uͤber einige Grade eines Winkels diſputirt, da ſie doch inzwiſchen die wichtigſte Betrachtung, welche in der Bedeckung der Flanque gegen die Batterien des Feindes beſteht, aus der Acht gelaſſen.

Dieſe Nachlaͤßigkeit wurde bißweilen durch den Schein einiger Maximen unterſtuͤtzet, deren eine inſonderheit hierinne beſtehet, daß derjenige, welcher den Feind ſieht, auch von demſelben hinwiederum geſehen werden koͤnne. (g)Dieſe Maxime wird in eben dieſer Abſicht behau - ptet in des Pagans Fortification, Cap. IV. Woraus man geſchloſſen, daß wenn man von der Flanque den Feind ſehen koͤnne, der - ſelbe auch von ſeinen Batterien die Flanqueruini -14ruiniren koͤnne. Der Fehler dieſes Schluſ - ſes ſtecket aber hierinne, daß die Flanque, wenn ſie wohl bedeckt iſt, den Feind nicht ſehen kan, ſo lang er ſich an ſolchen Orten, wo es ihm moͤglich iſt, Batterien anzulegen, aufhaͤlt: ſondern alsdenn erſt, wann er auf ei - ne ſolche Stelle angeruͤcket iſt, da er dem heff - tigſten Feuer der Flanque ausgeſetzt iſt, ohne ſich im Stande zu befinden, dieſelbe hinwiede - rum zu attaquiren. Als zum Exempel eine Canon, ſo nach der gemeinen Manier durch das Orillon bedecket iſt, kan von dem Feind nicht eher geſehen werden, biß er den Graben ſchon meiſtentheils paſſirt iſt, oder ſich auf der Breche feſt ſetzt, an beyden Orten aber faͤllt es ihm unmoͤglich, dagegen Contre-Bat - terien aufzuwerfen. Und je vollkommener das Werk iſt, welches die Flanque bedecket, je groͤſſer wird auch der Platz ſeyn, worinne ſich der Feind in ſolcher Gefahr befindet.

Andere Ingenieurs haben ſich unterſtanden, dieſer Kunſt faſt alle Wuͤrkung abzuſprechen, und in dieſer Abſicht haben ſie die Gewalt der neuen Art zu attaquiren dergeſtalt erhoben, daß ſie behaupten wollen, es koͤnne kein Platz ſo kuͤnſtlich befeſtiget werden, daß er dagegen auszuhalten vermoͤgend waͤre. Dieſe Leute ſtehen in den Gedanken, daß, wann die Con - treſcarpe einmahl verlohren iſt, die gantze Feſtung ſich zugleich uͤbergeben muͤſſe: undin15in dieſer Meynung ſuchen ſie ſich durch verſchie - dene Exempel von ſehr wichtigen Feſtungen zu beſtaͤrken, welche in einer weit kuͤrzeren Zeit, als man haͤtte vermuthen koͤnnen, zur Ueber - gabe genoͤthiget worden ſind. Wenn dieſe Meynung richtig waͤre, ſo wuͤrde der groͤßte Theil der Unkoſten, ſo auf den Feſtungs - Bau gehen, ſehr uͤbel angewandt ſeyn: in - dem ein einzeler Wall, nebſt einer Contre - ſcarpe, nicht weniger Vortheil ſchaffen wuͤrde, als die ſtaͤrkeſte Feſtung. Wann man aber dieſe Sache recht gruͤndlich unterſuchet, ſo wird man befinden, daß wenn eine Feſtung wohl gebauet, und rechtſchaffen vertheidiget wird, der Verluſt der Contreſcarpe noch ſehr wenig zur Uebergabe des Platzes beytra - ge. (h)Jn der letzten merkwuͤrdigen Belagerung von Barcelona zog der Verluſt der Contreſcarpe (wel - che in einer Zeit von 14 Tagen war eingenommen worden) die Uebergabe der Stadt noch keineswe - ges nach ſich: ſondern der groͤßte Wiederſtand fand ſich noch, nachdem der Platz ſchon durch vie - le Brechen eroͤffnet worden.Es hat zwar oͤffters die Kuͤhnheit und Eilfertigkeit des Directeurs uͤber die Ap - prochen einen verzagten und unerfahrnen Commendanten in Furcht geſetzt: Wenn aber dergleichen uͤbereilte Attaquen gegen ei - nen Platz, darinnen ſich ein tapferer und er - fahrner Officier befunden, unternommen worden, ſo hat derſelbe zuweilen daraus ſoviel16viel Vortheil zu ziehen gewuſt, daß ſolche unzeitige Angriffe zum groͤſten Schaden der Belagerer ausgeſchlagen. Auf dieſe Weiſe ſind oͤffters die leichteſten Unternehmungen unmoͤglich gemacht worden; und die Abſicht etliche Tage zu gewinnen, hat manchmahl die gantze Entrepriſe zu nichte gemacht(i)Verſchiedene Exempel von dergleichen Schwie - rigkeiten und Gefaͤhrlichkeiten, denen die Alliirten im letzten Kriege in Flandern oͤffters ausgeſetzt ge - weſen, ſind beſchrieben von Landsberg, welcher da - mals als Ingenieur in Hollaͤndiſchen Dienſten ge - ſtanden. Dieſe Zufaͤlle kamen ſeiner Meynung nach insgeſammt von den Vorurtheilen der An - fuͤhrer her, welche, unter dem Vorwand die Sache zu beſchleunigen, die Fronts von ihren Attaquen zuſammen gezogen, und dadurch oͤffters des Fein - des Werke in ihrem Ruͤcken gelaſſen, welches ihren weitern Fortgang faſt unmoͤglich gemacht..

Auſſer dieſen Erfindungen, um die Flanquen zu bedecken, davon hier ſchon Meldung ge - ſchehen, ſind noch andere von einer gantz an - dern Natur in Vorſchlag gebracht worden; welche aber wegen ihrer ſonderbaren Beſchaf - fenheit nicht ſonderlich in Betrachtung gekom - men. Dergleichen iſt die Errichtung einer Linie, welche durch den Graben von der Spitze des Bollwerks biß zum gegenuͤber ſtehenden Winkel der Contreſcarpe gezogen werden ſoll. Dieſer Vorſchlag findet ſich in denMemoires17Memoires des Generals Montecuccoli, als ein ſolches Mittel, welches weit wenigern Schwierigkeiten unterworfen ſeyn ſoll, als dem erſten Anblick nach ſcheinen moͤchte. (k)Man ſehe nach Memorie del General Princi - pe di Montecuccoli pag. 116.Allein, ungeachtet eine ſolcher geſtalt aufgefuͤhrte Linie die Flanque vor dem Geſicht der gegen - uͤber auf der Contreſcarpe errichteten Batte - rien ohne Zweifel bedecket, und dieſelbe auch an ſich ſelbſt ſehr wohl vertheidiget werden kann; ſo habe ich doch nimmer gehoͤrt, daß man ſich derſelben wuͤrklich bedienet haͤtte.

Ein anderes Mittel, die Flanque zu verſi - chern, beſteht darinne, daß man den einwaͤrts lauffenden Winkel der Contreſcarpe, oder des Ravelins, zwiſchen die Flanque und die Contre-Batterien ſetzt. Dieſe Manier iſt bey Errard von Barleduc beſchrieben,(l)La Fortification demontrée Livr. III. Chap. 2. Auſſer dieſer hier gemeldeten Invention findet ſich bey dieſem Autore der Vorſchlag, eine Gallerie un - ter dem bedeckten Wege mit Oeffnungen in den Gra - ben anzubringen, welcher bey Tournay ins Werk gerichtet worden; vollſtaͤndiger aber zu Bergen - op-Zoom. Livr. IV. Ch. 7. und ſoll eine Erfindung des Grafen von Ly - nar ſeyn. Und obgleich einige Autores, wel - che die hieraus erwachſenden Vortheile nicht einſehen, keinesweges gutheiſſen wollen, daßeinB Eulers erlaͤuterte Artillerie. 18ein Theil des Grabens von der Flanque verbor - gen ſeyn ſoll, welcher Umſtand ſich bey dieſem Vorſchlag nothwendig ereignet; ſo haben doch die groͤſten Maͤnner, welche ſich jemahls auf dieſe Kunſt gelegt, dieſe Manier ange - nommen, und ihrer Nachfolge gewuͤrdiget. Die beruͤhmte Feſtung Bergen-op-Zoom hat auch wuͤrklich ihre Flanquen zum Theil auf dieſe Art bedecket.

Jn einem guten Grunde aber kann man zu einer ſo kraͤftigen Defenſion gelangen, wel - che die bißher gemeldeten weit uͤbertrifft: und dieſes geſchieht durch Huͤlfe der Contremines. Denn geſetzt, daß die Fortification eines Platzes nicht mehr Staͤrke hat, als erfordert wird, den Feind zu noͤthigen, ſeine Batte - rien biß an das Glacis zu bringen, wann er entweder Breche ſchieſſen, oder die Flanque ruiniren will, (wozu ein gutes Profil, ſammt einem Ravelin vor der Courtine, hinreichend ſeyn kan) wann nur der Grund biß auf eine ziemliche Tiefe vom Waſſer frey iſt: ſo ſind die Belagerten immer im Stande, durch ihre Minen die Batterien des Feindes zu rui - niren, welches nach der Tiefe des Grundes zu mehrmahlen wiederholt werden kan. Denn da dieſe Batterien, wie man ſupponirt, auf einer Stelle angelegt werden, ſo koͤnnen ſich die Belagerten darauf allzeit zum voraus ge - faßt machen, und erhalten dadurch einenunend -19unendlich groſſen Vortheil uͤber den Feind, wann ſich derſelbe unterſtehen ſollte, dieſelben auszugraben: welches doch bey ſolchen Um - ſtaͤnden ſeine einige Zuflucht ſeyn wuͤrde.

Die erſte vortheilhafte Anwendung der Mi - nen in Belagerungen geſchahe in dem Koͤnig - reich Neapolis, allwo Petrus de Navarra ſich durch dieſes Mittel einer Feſtung bemei - ſterte, welche Frantzoͤſiſche Beſatzung hatte. Von den Minen aber, wodurch die Belager - ten dem Feinde Schaden zugefuͤgt, finden ſich die erſten beruͤhmten Exempel bey der Belage - rung von Candia A. 1666. 67. und 68. Nicht, als wann dieſelben nicht ſchon offt bey Ver - theidigung der Plaͤtze vorher waͤren gebraucht worden, obgleich auf keine ſo merkwuͤrdige Art; ſondern weil ſich die Stadt Candia hauptſaͤchlich durch Huͤlfe dieſer Erfindung ge - gen die tuͤrckiſche Macht drey Jahr lang ge - halten. Nach dieſer Zeit hat man angefan - gen, die Vortheile der Contreminen beſſer einzuſehen. Das letzte merkwuͤrdige Exem - pel von ihrem groſſen Nutzen findet ſich in der Vertheidigung der Stadt Turin A. 1706. Denn dadurch wurden die Unternehmungen der Feinde dergeſtalt gehemmet, daß ſie bey nahe 4 Monathe nach Eroͤffnung der Tren - chéen nicht mehr als die Contreſcarpe in Beſitz bekommen: und eben damahls wurden ihnen 11. Canonen von den Belagerten in dieB 2Luft20Luft geſprengt, nur 3 oder 4 Tag vorher, ehe der Platz entſetzt worden.

Ehe ich dieſe Materie ſchlieſſe, kan ich nicht umhin, von den groſſen Verbeſſerungen der Minen Erwehnung zu thun, welche ſich in der unvergleichlichen Abhandlung, ſo in dem dritten Buch des Frantzoͤſiſchen Polybii bey - gefuͤget worden, befinden. (m)Jn der Vorrede wird geſagt, daß dieſe Abhand - lung von Mſ. de Valiere Marechal des Camps und Capitaine General des Mines komme.Denn es kan nichts vollſtaͤndiger ſeyn, als die Manier, wor - nach die verſchiedenen Arten der Minen ein - getheilet worden. Jn der That kan zwar die Form der Aushoͤhlung, welche daſelbſt ange - zeigt wird, nicht ſo genau beobachtet werden, wie der Autor ſcheinet zu erfordern; inzwi - ſchen hat dieſer Einwurf mit der allgemeinen Anordnung der Kammern nichts zu thun, als welche ungemein wohl ausgeſonnen iſt, theils zu Erſpahrung des Grundes, theils auch zu Beſchaͤdigung des Feindes.

Jch habe ſchon einige Nachricht ertheilet von den Maͤngeln, ſo ſich meiſtentheils in den Schriften derjenigen neuen Ingenieurs, wel - che neue Befeſtigungs-Arten herfuͤr bringen wollen, befinden. Jndem ich aber von die - ſen Autoribus und ihren Nachfolgern ſpre - che, ſo muß ich zugleich die ausnehmenden Ver - dienſte des groſſen Coehoorns erheben, wel -cher21cher auſſer Zweifel der tuͤchtigſte Ingenieur geweſen, den die Welt jemahls geſehen. Die - ſer Autor hat zwey Buͤcher uͤber dieſe Mate - rie heraus gegeben. Das erſte enthaͤlt eine Methode, ein Fuͤnfeck zu befeſtigen, welchem ein Vorſchlag beygefuͤget iſt, die Fortifica - tion von Coevoerden zu verbeſſern. Jn dem andern Buche hat er drey verſchiedene Manie - ren zu fortificiren angegeben, deren eine auf ein 6. Eck, die andere auf ein 7. Eck, und die dritte auf ein Achteck eingerichtet iſt. Auſſer dieſem hat er noch beſchrieben, wie man dieje - nige Seite einer Feſtung, welche an einem Fluß gelegen, fortificiren ſoll. Jn dieſem Werke hat er alle moͤgliche Arten von Atta - quen unterſucht, welche gegen die von ihm vorgeſchlagenen Feſtungen unternommen wer - den koͤnnen, um dadurch den groſſen Vorzug ſeiner Defenſion darzuthun. Dahero die - ſes Werk theils als eine Abhandlung von Attaquen und Defenſionen, theils auch als ein Syſtema von der Fortification, angeſehen werden kan: Durchgehends aber iſt dieſes das fuͤrtrefflichſte Werk, ſo jemahls uͤber dieſe Materie zum Vorſchein gekommen. Daſſel - be war erſtlich in niederteutſcher, als des Au - toris Mutter-Sprache, beſchrieben; es iſt aber hernach ins Frantzoͤſiſche und Engliſche uͤber - ſetzet worden, aber ſehr unvollkommen; ob - gleich in einer neuen Ausgabe der Frantzoͤſi -B 3ſchen22ſchen Ueberſetzung, ſo neulich in Holland her - ausgekommen, viel Fehler verbeſſert, und einige ſonderbare Stellen durch den Heraus - geber, welcher den Sinn des Verfaſſers ſehr wohl begriffen zu haben ſcheinet, erlaͤutert worden.

Jnzwiſchen bin ich von ſolchen Leuten, wel - che dieſen groſſen Mann ſehr wohl gekannt haben, verſichert worden, daß ihm dieſe ſeine Buͤcher damahls bey weitem nicht den Vortheil und die Ehre erworben, welche er ſich daraus mit allem Recht haͤtte verſprechen koͤnnen: ſon - dern daß er von den damahligen Ingenieurs, welche von der alten Gewohnheit keinen Fuß breit weichen wollten, vielmehr als ein uner - fahrner und einbildiſcher Mann ausgeſchrien worden. Endlich aber habe er doch alle dieſe Anfaͤlle des Neides und der Vorurtheile durch ſeine Vertheidigung des Forts William bey Namur uͤberwunden, als dieſer Ort von den Frantzoſen belagert worden. Nach dieſer That, wodurch ſein Ruhm befeſtiget worden, ſtieg er nach und nach zu den hoͤchſten Kriegs-Bedie - nungen, und verewigte ſeinen Nahmen durch die Anfuͤhrung der Belagerung Namurs un - ter dem Koͤnig Wilhelm, und nachgehends bey Bon, Limburg, der Citadelle von Luͤttich, und andern Orten. Sein Tod, welcher bey dem Anfange des letzten Krieges in Flandern erfolgte, war den Allirten ſehr fatal, wovonfaſt23faſt eine jegliche von ihnen nach A. 1707 un - ternommene Belagerung traurige Proben an den Tag legte.

Auſſer den Belagerungen, welche er fuͤhrte, wurde er auch zu Verbeſſerung und Anlegung verſchiedener Hollaͤndiſchen Graͤnzfeſtungen gebraucht. Sein letztes Werk, welches er aber nicht zu Ende gebracht, war Bergen op Zoom, welches ſeinem Nahmen zur immer - waͤhrenden Ehre gereichet, ob ihn gleich noch jetzo die Tadelſucht nicht unangefochten laͤſſt. Denn ich habe Krieges-Leute gehoͤrt, welche an eben dieſer Feſtung ſolche Werke, welche doch zur ſtaͤrkſten Vertheidigung dienen, als Haupt - Fehler anſehen wollen.

Jn Betrachtung des groſſen Ruhms, wel - chen der General Coehorn durch ſeine wichti - ge Dienſte erworben, iſt faſt nicht zu begreiffen, daß ſeine Schriften ſo wenig hervor gezogen worden. Die natuͤrlichſte Urſache dieſer Nach - laͤßigkeit ſcheinet wohl die Verachtung zu ſeyn, welche man insgemein gegen die Erfin - dungen einer benachbarten Nation heget, wel - che, ſo herrlich dieſelben auch ſeyn moͤgen, den - noch von einer andern Nation, deren Inte - reſſe entgegen iſt, nimmer nach Wuͤrden hoch geſchaͤtzt werden. Dem ſey aber wie ihm wol - le, ſo glaube ich doch, daß der Ruhm dieſes Autoris noch inskuͤnftige weit hoͤher ſteigen werde. Denn ich ſahe vor einiger Zeit, daß inB 4einer24einer der betraͤchtlichſten Graͤnzfeſtungen von Frankreich ein Werk aufgerichtet wurde, welches augenſcheinlich aus den gedachten Riſſen des Coehorns genommen worden.

Uebrigens kan ich unter den neuen Autori - bus von der Fortification, ohne ihrem Ruhm den geringſten Abbruch zu thun, keinen einzigen finden, welcher mit dem ietzt gemeldeten Coe - hoorn in gleichen Rang geſetzt zu werden ver - diente. Es finden ſich zwar noch zwey be - ruͤhmte Autores, welche von der Art, die Plaͤtze zu attaquiren und zu defendiren, geſchrieben haben, welche Materie mit der Fortification auf das genauſte veꝛknuͤpfet iſt, und die billig den groͤſten Beyfall verdienen: ich meyne den Ge - neral Goulon, und den Marechall de Vauban. Von dem erſtern haben wir einen Tractat un - ter dem Titul: Memoires ſur l’Attaque & la Defenſe des Places, worinne er die fuͤr - nehmſten Maximen bey dieſen Operationen ſehr deutlich ausgefuͤhret. Von dem andern hat man ein Werk, welches er dem vorigen Koͤnig in Frankreich geſchrieben præſentiret, wovon nachgehends verſchiedene Copien her - um gekommen, biß daſſelbe endlich erſt vor einigen Jahren in Holland gedruckt worden. Jn dieſem Buche hat Mr. Vauban diejenigen Theile der Attaque, welche inſonderheit von ſeiner eigenen Erfindung ſind, ſehr umſtaͤnd - lich beſchrieben: als da ſind die Batterie à ri -cochet25cochet, die Parallels, und eine beſondere Anlegung der Sape. Ueber dieſes hat er auch zugleich ſehr weitlaͤuftige Anleitung zu allen uͤbrigen noͤthigen Stuͤcken gegeben, dergeſtalt, daß man das gantze Werk, als ein wuͤrdiges Meiſterſtuͤck der groſſen Erfahrung und Ge - ſchicklichkeit dieſes groſſen Mannes, mit Recht anſehen kan.

Man duͤrfte vielleicht erwarten, daß ich mit eben ſolchen Lobes Erhebungen von der Tuͤch - tigkeit dieſes jetzt gemeldeten Ingenieurs in der Kunſt zu fortificiren ſelbſt Meldung thun ſollte: allein da derſelbe ſelbſt uͤber dieſen Articul nichts geſchrieben, ſo kann mich dieſes entſchuldigen, daß ich ihn unter der Liſte der Autoren von dieſer Art nicht auffuͤhre. Wenn ich aber hieruͤber die Wahrheit ſagen ſoll, ſo kan ich aus allem demjenigen, was ich bißher von ſeinen Werken geſehen, nicht glauben, daß er vielmehr wegen ſeiner uͤbrigen Gaben, als wegen der Befeſtigungs-Werke, welche er aufgefuͤhret, æſtimiret zu werden verdiene. Denn ungeachtet ich ſeinen groſſen Verſtand und Einſicht ſehr hoch ſchaͤtze, ſo kann ich doch nicht begreiffen, wie man ſeine Erfindungen in dieſer Kunſt mit Coehoorn nur in einige Vergleichung bringen koͤnne.

Dieſes mag alſo genug ſeyn von dem An - fange, und den Veraͤnderungen der neuen Kriegs-Baukunſt. Wir wollen dahero zu Er -laͤute -26laͤuterung desjenigen, welches mit dem folgen - den Tractat naͤher verbunden iſt, fortſchreiten; nehmlich zur Erfindung des Pulvers und der Artillerie, und derſelben Fortgang, nebſt den verſchiedenen Theorien, woraus dieſelben entſprungen.

Die Erfindung des Schießpulvers wird gemeiniglich einem teutſchen Moͤnch, Nahmens Barthold Schwartz, zugeſchrieben, welcher daſſelbe, wie man ſagt, um das Jahr 1320 er - funden haben ſoll. Der erſte Gebrauch aber in dem Kriege wird insgemein den Venetianern 1380 gegen die Genueſer zugeeignet. Dieſe beyden Meynungen aber ſind unſtreitig falſch. Denn eine dem Pulver aͤhnliche Vermiſchung ſindet ſich ſchon bey dem Rogerio Bacon, als eine ſchon damahls wohl bekannte Sache, be - ſchrieben, welcher beynahe 50 Jahr vor ge - meldetem Schwartz gelebet; und man hat auch unwiederſprechliche Proben, daß der Ge - brauch der Artillerie viel eher, als A. 1380, bekannt geweſen.

Und in der That, da die Entdeckung des Salpeters gaͤnzlich ungewiß iſt, ſo hat man ſich auch nicht zu verwundern, daß die Erfin - dung des Schießpulvers eine ſo verborgene und ungewiſſe Sache ſeyn ſoll. Denn dieſe zwey Entdeckungen ſind mit einander ſo genau verbunden, daß man nicht wohl begreiffen kan,wie27wie die erſtere lange Zeit vor der andern haͤtte bekannt ſeyn koͤnnen.

Die Haupt-Eigenſchaft des Salpeters beſte - het in der entſetzlichen Vermehrung der Anzuͤn - dungs-Kraft, welche ſich in allen verbrennlichen Materien, ſo damit vermiſchet werden, aͤuſſert: obgleich derſelbe allein und ohne Vermiſchung weder Feuer faͤngt noch brennt. Denn, wann zum Exempel der bloſſe Salpeter in einen Tiegel gethan, und in das heftigſte Feuer ge - ſetzt wird, ſo ſchmeltzet er nur, und wird gluͤend, entzuͤndet ſich aber keineswegs. So bald er aber mit einer verbrennlichen Materie, als Schwefel oder Kohlen, verſetzet wird, ſo ent - ſteht im Augenblick eine heftige Entzuͤndung, wodurch ein Theil des Salpeters, je nach - dem mehr oder weniger verbrennliche Materie damit vermiſchet worden, verzehret wird. Ei - ne gleiche Entzuͤndung geſchieht, wenn man den Salpeter nur bloß ins Feuer wirfft. Nun iſt es nicht wahrſcheinlich, daß dieſe Eigenſchafft des Salpeters lange hat verborgen bleiben koͤnnen, nachdem dieſe Materie ſelbſt ent - decket worden. Denn, wann nur zufaͤlliger Weiſe etwas davon ins Feuer gefallen, ſo hat ſich ſogleich ſeine erſtaunliche Kraft in Vermiſchung mit verbrennlichen Materien verrathen muͤſſen. Und nachdem dieſes ein - mahl wahrgenommen worden, ſo war es gantz natuͤrlich und leicht, auf eine Vermiſchungdes28des Salpeters mit einer verbrennlichen Ma - terie zufallen, welche alsdenn viel heftiger, als immer eine ſchon bekannte Materie loß - brennen wuͤrde. Unſer jetziges Schießpulver iſt aber nichts anders, als eine ſolche verbeſſer - te und zu groͤſſerer Vollkommenheit gebrachte Vermiſchung.

Wenn wir alſo, dieſes vorausgeſetzt, die Zeit beſtimmen koͤnnten, wenn der Salpeter zuerſt bekannt worden, ſo koͤnnte man auch ziemlich ſicher muthmaſſen, wann dergleichen Mixturen, welche unſerm Pulver gleichen, zu - erſt erfunden worden. Hieruͤber iſt aber die allgemeine Meynung, daß der Salpeter entwe - der von den Arabern, oder von den neuen Griechen um das 9te Seculum entdecket wor - den, als welche Voͤlker ſich mit dem groͤſten Fleiß auf die Chymie und Alchymie gelegt hatten. Der Arabiſche Nahme des Salpe - ters ſoll auch ſo viel, als eine loßbrennende Kraft, anzeigen: und das griechiſche Feuer, welches von den letzten Griechiſchen Kayſern im Kriege gebraucht worden, wenn die demſelben von den Autoribus beygelegten Wuͤrkungen ihre Richtigkeit haben, muß nothwendig auch aus Salpeter bereitet worden ſeyn.

Einige heutige Autores wollen ſo gar be - haupten, daß der Salpeter ſchon zu weit aͤltern Zeiten bekannt geweſen, wozu dieſelben die heut zu Tage gleiche Bedeutung der NahmenNitrum29Nitrum, und Salpeter, verleitet zu haben ſcheint. Es iſt aber anjetzo bey den Chymicis eine ausgemachte Sache, daß die bey einigen Alten unter dem Nahmen Nitro erwehnte und bey dem Plinio beſchriebene Materie, ein Saltz geweſen, welches von demjenigen, ſo wir Salpeter nennen, gaͤnzlich verſchieden iſt.

Daß aber die erſte Entdeckung des Schieß - Pulvers, oder eine demſelben aͤhnliche Mix - tur, weit vor die Zeiten, da Schwartz und Ba - con gelebet, hinaus geſetzt werden, und da - hero, allem Anſehen nach, eben ſo alt, als die Kenntniß des Salpeters ſelbſt ſeyn muͤſſe, erhellet aus dem Bacone ſelbſt. Denn das - jenige, was er beſchreibet, war zu ſeiner Zeit keine neu erfundene Compoſition, ſondern nur eine Anwendung einer alten zum Behuf des Kriegesweſens. Und aus ſeinen eignen Worten iſt deutlich zu erſehen,(n)Bacon erzehlet, daß ein Knall gleich dem Don - ner, und ein Blitz, welcher den natuͤrlichen uͤber - treffe, durch die Kunſt hervor gebracht werden, und daß es verſchiedene Mittel gaͤbe, wo - durch eine Stadt oder eine Armée zu Grunde ge - richtet werden koͤnne. Er ſteht auch in den Ge - dancken, daß Gideon auf eine ſolche Art die Mi - dianiter uͤberwunden habe. Nachdem er an ei - nem andern Orte eben dieſe Dinge mit andern Worten angefuͤhret, ſo fuͤgt er folgendes hinzu:Et ex - daß damahls ſchon eine Vermiſchung aus Salpeter undandern30andern Materien bey den zur Luſt angeſtellten Feuerwerken uͤblich geweſen. Dieſes erhellet aber noch deutlicher aus einem Buche des Mar - ci Græci, Liber Ignium genannt. (o)Dieſes iſt ein Manuſcript, welches der Doctor Mead beſitzt. Was aber hierinne gemeldet iſt, wird beſtaͤtiget durch den Herausgeber des Baconis Opus majus in der Vorrede.Denn dieſer Autor beſchreibet zwey Gattungen von Feuerwerken, eine fliegende, und eine andere, welche einen Knall von ſich giebt. Die Huͤlſe oder Cartuſche zu dem erſtern ſoll nach ſei - ner Anweiſung lang und ſchmal ſeyn, und die Compoſition ſehr feſt zuſammen geſtoſ - ſen werden. Die Huͤlſe zur andern Gattung muß kurz und dicke, an beyden Enden wohl verbunden und nur halb voll gefuͤllet werden. Die Compoſition, welche er zu beyden vor - ſchreibt, beſtehet aus zwey Pfund Kohlen, ei - nem Pfund Schwefel, und aus 6. Pfund Sal -peter,(n)Et experimentum hujus rei capimus ex hoc ludicro puerili, quod fit in multis mundi partibus, ſci - licet ut inſtrumento facto ad quantitatem pol - licis humani ex violentia illius ſalis, qui Sal petræ vocatur, tam horribilis ſonus naſcitur in ruptura tam modicæ rei ſcilicet modici per - gameni, quod fortis tonitrui rugitum & cor - ruſcationem maximam ſui luminis jubar ex - cedit. Man beſehe des Doctor Jebbs Vorrede zu ſeiner Edition von Baconis opus majus. 31peter, welche Materien pulveriſirt und in einem ſteinern Moͤrſel zuſammen wohl vermi - ſchet werden ſollen. Dieſes muß nun eine weit ſtaͤrkere Compoſition ſeyn, als heut zu Tage vermittelſt einer groſſen Menge Pulver gemacht zu werden pfleget. Ungeachtet aber die eigentliche Zeit dieſes Autoris nicht gewiß iſt, ſo muß er doch lange vor dem Gebrauch der Artillerie gelebt haben; denn er thut nirgends, wie ich ſehe, die geringſte Meldung, daß dieſe Kunſtſtuͤcke in dem Kriege waͤren gebraucht worden; und da ſich derſelbe die Erfindung die - ſer Drachen und Schwaͤrmer, wie man die - ſelben heut zu Tage nennen wuͤrde, nicht zu - ſchreibet, davon auch nicht als von etwas neues ſpricht, ſo kan man ſicher glauben, daß dieſelben ſchon lange vor ihm uͤblich geweſen.

Der erſte Gebrauch dieſer Vermiſchungen im Kriegsweſen ſcheinet bald nach dem Jahr 1300 gemacht worden zu ſeyn. Der Vorſchlag des Bacons, welchen er um das Jahr 1280 ge - than, ſich dieſer heftigen Loßbrennung zu Zerſtoͤ - rung der Staͤdte und Arméen zu bedienen, mag dazu die erſten Gedanken gegeben haben, welche nachgehends beſſer ſind verfolget worden. Schwartz, an ſtatt der erſte Erfinder des Schießpulvers zu ſeyn, mag vermuthlich daſ - ſelbe zuerſt bey dem Kriegsweſen angewandt haben; und die gemeine Erzehlung, auf was Art derſelbe zu dieſer Erfindung gelanget ſeynſoll,32ſoll, ſcheinet dieſe Meynung nicht wenig zu be - ſtaͤtigen. (p)Nach der gewoͤhnlichen Erzehlung wird gemeldet, daß als Schwartz einmahl die Materien zum Pulver in einem Moͤrſer geſtampfet, und ſolchen hierauf mit einem Stein zugedecket, ein Funke ungefehr in den Moͤrſer geſprungen, wodurch die Materie angezuͤn - det, und der Stein auf eine zimliche Hoͤhe geſchmiſſen worden. Weil wir nun dargethan haben, daß Schwartz, der ein Chymicus war, auf dieſe Weiſe die Compoſition des Pulvers ſelbſt, als welche ſchon lange vorher bekannt geweſen, nicht allererſt kan er - funden haben, ſo mag ihm dieſer Zufall Anlaß gege - ben haben, auf die bequemſte Art, wie man ſich deſ - ſelben in dem Kriege bedienen koͤnnte, zu denken. Denn Bacon ſcheinet vielmehr ſchon die Wuͤrkung deſſelben eingeſehen zu haben, welche die Kraft der Flamme in die umliegenden Coͤrper auszuuͤben ver - moͤgend iſt. Der Nahme, und die Figur vom Moͤr - ſer, welcher in der alten Artillerie einer Gattung von Geſchuͤtz beygeleget worden, und der Gebrauch derſelben, wodurch man Steine in die Hoͤhe zu wer - fen pflegte, geben dieſer Muthmaſſung einen ſtarken Nachdruck.Und vielleicht ſind die verſchie - denen Verbeſſerungen, welche nach der Zeit durch andere gemacht worden, ingleichen auch die Ausfuͤhrung der Gedancken des Bacons an verſchiedenen Orten, die wahre Urſache, warum die Geſchichtſchreiber uͤber dem Ur - ſprung der Artillerie ſo ſehr uneinig ſind.

Das Schießpulver wurde einige Zeit nach Erfindung der Artillerie aus einer weit ſchwaͤ -chern33chern Compoſition bereitet, als anjetzo ge - woͤhnlich iſt(q)Man ſehe in des Tartalea Queſiti e Inventioni Libr. 3. Queſito 5. nach, allwo 23. verſchiedene Compoſitionen, welche zu verſchiedenen Zeiten im Schwange geweſen, angefuͤhrt werden. Die erſte, welche zugleich die aͤlteſte iſt, wurde aus gleichen Theilen Salpeter, Schwefel und Kohlen, gemacht., und auch als dasjenige war, deſſen bey dem Marco Græco Mel - dung gethan wird. Allein, die Urſache hie - von war vermuthlich vielmehr die Schwaͤ - che ihrer Stuͤcke, als die Unwiſſenheit einer beſſern und ſtaͤrckern Mixtur. Denn die erſten Stuͤcke der Artillerie waren von einer ſehr kurtzen und ungeſchickten Façon, indem dieſelben gemeiniglich aus vielen der Laͤnge nach zuſammen geſchmiedeten eiſernen Stan - gen gemacht, und durch eiſerne Ringe befeſti - get wurden. Da dieſelben auch uͤber das ge - braucht wurden, ſteinerne Kugeln von unge - heurer Groͤſſe zu ſchieſſen, um dadurch den al - ten Maſchinen, an deren Stelle dieſelben ge - ſetzt worden, nachzuahmen, ſo hatten ſie auch eine ſehr groſſe Muͤndung. Allein, die Schwierigkeit, dieſe ungeſchickten Maſchinen fortzubringen und zu tractiren, ingleichen auch die Entdeckung, daß weit kleinere eiſer - ne Kugeln eine groͤſſere Wuͤrkung thun, wann dieſelben durch eine groͤſſere Menge ſtaͤr -keresEulers erlaͤuterte Artillerie. C34keres Pulver geſchoſſen werden, haben bald eine Veraͤnderung ſo wohl in der Materie, als Form der erſten Stuͤcke, verurſachet. Hierdurch wurde man zu den Metallenen Ca - nonen geleitet, welche, ob ſie gleich leichter und bequemer zu tractiren waren, als die vo - rigen, ſo waren ſie doch wegen ihrer kleinern Muͤndung viel ſtaͤrker, und konnten eine groͤſ - ſere Ladung von beſſerem Pulver aushalten, als vorher im Gebrauch geweſen. Auf dieſe Art wurden die eiſernen Kugeln, welche am Gewicht 40. biß 60. Pfund hielten, in eine weit ſchnellere Bewegung geſetzt, und er - hielten alſo eine ſtaͤrkere Kraft, als man vorher durch die groͤſten Steine hervor zu bringen vermoͤgend geweſen. (r)Die Zeit, zu welcher dieſe Veraͤnderung vorgenom - men worden, und die dadurch erhaltenen Vortheile, werden von Guicciardino beſchrieben, welcher, in - dem er von der Frantzoͤſiſchen Armée, ſo A. 1494. in Jtalien einen Einfall thun ſollte, Meldung thut, ſich folgender Geſtalt vernehmen laͤſſt: Et per unirſi con queſto esercito erano ſtate condotte per mare a Genoua quantità grande d’artiglierie da battere le muraglie, & da uſare in campagna, ma di tale ſorte, che giamai non ha - veva veduta Italia le ſimiglianti. Queſta peſte trovata molt anni innanzi in Germania: fu con - dotta la prima volta in Italia da Vinitiani nella guerra, che circa l’anno della ſalute 1380 hebbo -no

Durch35

Durch dieſes Mittel kam alſo das Pulver, wel - ches noch heut zu Tage in gantz Europa uͤblich iſt,in(r)no i Genouesi con loro. Jl nome delle maggiori era bombarde, le quali, ſparsa dopo queſta inventione per tutta Italia s’adoperava - no nell oppugnatione delle terre, alcune di ferro, alcune di bronzo, ma grosſiſſime, in mo - do che per la machina grande & per l’imperitia de gl huomini & mala attitudine de gl inſtru - menti tardisſimamente & con grandisſima diffi - cultà ſi conducevano, pianta, vansi alle terre con medesimi impedimenti, & piantate era dall un colpo all altro tanto intervallo, che con piccolisſimo frutto a comparatione di quello, che ſeguito dopo, molto tempo conſumavano, donde i defenſori de luoghi oppugnati haveva - no ſpatio di potere otioſamente fore di dentro ripari & fortificationi. Ma i francesi fabri - cando pezzi molti piu espediti, ne di altro che di bronzo, i quali chiamavono Cannoni, & uſando palle di fetro, dove prima di pietra, & ſenſa comparatione piu groſſe & di peso gravisſi - mo, s’uſavano, gli conducevano ſu le carrette, ti - rate (non da buoi, come in Italia ſi coſtumava) mada cavalli con agilità tale d’huomini, & d’in - ſtrumenti deputati a queſto ſervigio, che quasi ſempre alpari de gl eserciti caminavano, & condotte alle muraglie erano piantate con pres - tezza incredibile, interponendoſi dall un colpo all altro piccolisſimo intervallo di tempo, ſi ſpeſſo & con impeto ſi gaggliardo percotevano, che quello che prima in Italia fare in molte gior - ni ſi ſo leva, da loro in pochisſime hore ſi face -C 2va,36in Gebrauch. Dieſe Verbeſſerung des Pulvers beſtund aber nicht nur in der Proportion der Materien, aus deren Vermiſchung daſſelbe gemacht wird,(s)Wir ſehen aus dem Tartalea, daß das Canonen Pulver (polver groſſa moderna) zu ſeiner Zeit aus 4 Thei - len Salpeter, einem Theil Schwefel und einem Theil Kohlen; das Muſqueten-Pulver aber aus 48 Thei - len Salpeter, 7 Theilen Schwefel, und 3 Theilen Kohlen; oder auch aus 18 Theilen Salpeter, 2 Thei - len Schwefel, und 3 Theil Kohlen zubereitet worden. Dieſe Compoſitionen des Muſqueten-Pulvers kom - men mit den jetzt gebraͤuchlichen ziemlich genau uͤberein; dann die erſtere haͤlt in hundert Pfund Pul - ver nur etwa 1 Pfund, die andern aber 3 Pfund Salpeter mehr, als jetzt gewoͤhnlich iſt. ſondern die Erfindung, daſ - ſelbe zu koͤrnen, brachte auch einen gantz be - ſondern Vortheil. Denn anfaͤnglich wurde das Pulver immer fein wie Meel bereitet, in welche Geſtalt daſſelbe durch die Zerſtoſſung der Materialien gebracht worden. Und es iſt noch zweiffelhafft, ob man zuerſt bey Koͤr -nung(r)va, Guicciardini Hiſtor. Libr. 1. p. 45. Was die - ſer Autor von der erſtaunlichen Groͤſſe der Steine, welche bey den Stuͤcken von der alten Art gebraucht worden, meldet, wird ſich beſſer verſtehen laſſen, wann man bedencket, daß als Mahomet der zweyte A. 1453 die Stadt Conſtantinopel belagert, er die Waͤlle mit ſteinern Kugeln, welche biß auf 1200 Pfund ſchwer waren, beſchoſſen. Dieſe Stuͤcke konnten aber des Tages nicht mehr, als 4 mahl loß - geſchoſſen werden.37nung des Pulvers die Abſicht gehabt, ſeine Staͤrke dadurch zu vermehren, oder daſſelbe bloß allein zu den kleinen Schieß-Geweh - ren bequemer zu machen, als wozu das ge - koͤrnte Pulver viele Jahr lang allein gebraucht worden, da man ſich immittelſt zu den Ca - nonen beſtaͤndig des Meel-Pulvers bedienet hat. Als man aber bemerket, daß die Staͤr - ke des Pulvers durch die Koͤrnung nicht we - nig vermehret wurde, indem dadurch das Feuer einen freyern Durchgang zwiſchen den Koͤrnern erlangte: ſo wurde das Meel-Pulver voͤllig bey ſeite geſetzt. (t)Daß das Pulver erſtlich in Meels Geſtalt gebraucht worden, und daß erſt lange hernach die Koͤrnung zum Gebrauch der kleinen Schieß-Gewehre aufgekom - men, zu denen Canonen aber das Meel-Pulver bey - behalten worden, iſt unſtreitig gewiß. Tartalea verſichert ausdruͤcklich in ſeinen Queſiti Libr. 3. Ques. 9. und 10. daß damahls das Canonen-Pulver in Meels Geſtalt, das Muſqueten-Pulver aber ge - koͤrnet geweſen. Und unſer Lands-Mann William in ſeiner Art of Shooting in great Ordnaunce, welches Buch 40 Jahr nach Tartalea herausgekom - men, erzehlet im erſten Capitel, daß das Schlan - gen-Pulver, (welches er dem gekoͤrnten Pulver ent - gegen ſetzt,) ſo fein als Sand und Staub ſeyn muſte: und im dritten Capitel ſagt er, daß 2 Pfund gekoͤrnt Pulver ſo weit treiben als 3 Pfund Schlan - gen-Pulver. Ferner berichtet der Herr Henrich Manzwairing in ſeinem Seamans Dictionnary,C 3welches

Die38

Die Form der Artillerie hat ſeit zweyhun - dert Jahren ſehr geringe Verbeſſerungen erhal - ten: indem die beſten Stuͤcke, welche anjetzo gemacht werden, in Anſehung der Propor - tionen nicht viel von denjenigen unterſchie - den ſind, welche zur Zeit des Kayſers Carls V. verfertiget worden. Es ſind zwar in der That oͤffters leichtere und kuͤrzere Stuͤcke in Vor - ſchlag gebracht, und probiret worden; allein, ungeachtet dieſelben ihre Vortheile hatten, und in beſondern Umſtaͤnden ſehr gute Dien - ſte thaten, ſo ſcheint es doch, daß dieſelben zum allgemeinen Gebrauch als unzulaͤnglich verworfen worden. Ob aber gleich die Pro - portionen bey der Artillerie in dieſer Zeit nicht merklich veraͤndert worden, ſo hat man doch in dem Gebrauch derſelben ziemliche Veraͤnderungen vorgenommen; indem mannun(t)welches er dem Herzog von Buckingham zur Zeit Carls des Erſten præſentirt, unter dem Wort Pul - ver: daß zwey Arten von Pulver im Gebrauch wa - ren, das eine genannt Schlangen-Pulver, welches nicht gekoͤrnet war, ſondern wie Staub ausſahe; das andere aber gekoͤrntes Pulver: ob er gleich hin - zu fuͤgt, daß das Schlangen-Pulver auf der See nicht gebraucht worden. Jch glaube aber, daß zu der Zeit, als dieſes Buch geſchrieben worden, das Pulver ſchon durchgaͤngig gekoͤrnet worden; dann die aus - laͤndiſchen Scribenten von der Artillerie hatten ſchon lange vorher den Gebrauch des gekoͤrnten Pul - vers recommendirt.39nun insgemein eben dieſelben Abſichten durch kleinere Stuͤcke zu erhalten trachtet, als man dazu vor dieſem erfordert zu werden geglaubt hatte. Alſo ſind die Batterie-Stuͤcke, wel - che anjetzo durchgehends approbirt werden, halbe Carthaunen, ſo eine Kugel von 24 Pfund ſchieſſen; weil man durch die Erfahrung befunden, daß der Schuß davon, ob er gleich ſchwaͤcher iſt, als von groͤſſeren Stuͤcken, den - noch in Anſehung der nunmehro gebraͤuchli - chen Profilen in den Befeſtigungs-Werken, ſtark genug iſt, und daß man durch die Be - quemlichkeit dieſelben fortzubringen und zu tractiren, ingleichen durch die Erſpahrung an Ammunition, ſehr wichtige Vortheile uͤber die gantzen Carthaunen erhaͤlt, deren man ſich vormahls Breche zu ſchieſſen bedienet hat. Die jetzige Manier, Breche zu ſchieſſen, wel - che allenthalben angenommen worden, da man erſtlich den gantzen Wall ſo niedrig als moͤglich, durchſchneidet, ehe man den obern Theil abzuwerfen ſucht, ſcheinet auch eine ſehr wichtige Verbeſſerung in der Ausuͤbung der Artillerie zu ſeyn. Denn ich kann mich nicht erinnern, dieſe Manier bey irgend einem alten Autore angetroffen zu haben, und Ga - briel Busca,(u)Man ſehe ſeine Inſtruzzione de Bombardieri ge - druckt zu Carmagnola A. 1584 im 37 ſten CapitelC 4nach welcher ſich auf ſeine groſſeErfah -40Erfahrung ſehr viel einbildet, will das Ge - gentheil ausdruͤcklich haben. Collado thut zwar davon, als von einer bey den Tuͤrcken(x)Man ſehe nach: Pratica manuale di Artegliera dal Mag. Signor Luigi Collado Hiſpano, Bettico, Hobriſenſe gedruckt zu Venedig A. 1586 im 20ten Capitel, wie er ſagt: Nelle fattioni del gran Turco ſempre ſi ado - perano i pezzi da tagliare le muraglie per di ſotto di eſſe transverſalmente & di poi di alto in baſſo a perpendicolo, & applicandovi, poi tutti a un tratto i baſiliſchi, con che fanno cascar giu - quella parte di muraglia che era gia tagliata. Das hier angefuͤhrte Buch iſt in Jtalieniſcher Spra - che geſchrieben und gedruckt, obgleich der Verfaſſer ein Spanier geweſen: denn er diente als Ingenieur bey der Spaniſchen Armée in Jtalien, und er ſagt in der Vorrede, daß er hernach geſinnt geweſen, daſ - ſelbe wiederum ſpaniſch heraus zu geben. Welches, wie ich vermuthe, die letzte Edition iſt, ſo vom Blon - del in ſeiner Art de jetter les Bombes angefuͤhrt wird. uͤblichen Practique Meldung, ohne dieſelbe jedoch gut zu heiſſen, oder noch als ein Exem - pel zur Nachahmung vorzuſchlagen.

Die wichtigſte Verbeſſerung aber in der practiſchen Ausuͤbung der Artillerie (denn von der theoretiſchen ſoll an ſeinem Ort ge - handelt werden), beſtehet in der Manier, miteinen(u)nach, allwo er anrathet, die Breche an dem obern Theil des Walles anzufangen, und ſolche hernach abwerts fortzuſetzen.41einer geringern Quantitaͤt Pulver zu ſchieſſen, und das Stuͤck dergeſtalt zu richten, daß die Kugel juſt auf das Parape der Feinde und in ihre Werke hinein faͤhrt. Denn da ſolcher - geſtalt die Kugel unter einem kleinen Winkel zu Boden faͤllt, und mit einem geringen Grad der Geſchwindigkeit nach der derſelben eingedruckten Direction fort rollet, und dahe - ro, wenn das Stuͤck in einer Linie mit der Batterie, welche unbrauchbar gemacht werden, oder mit der Fronte, welche be - ſtrichen werden ſoll, gerichtet iſt, ſo durch - ſtreichet ein jeglicher Schuß der Laͤnge nach die gantze Batterie, oder die gantze Fronte, und verurſachet dadurch unendlich viel mehr Ungemach bey den Vertheidigern, und thut auch ihren Canonen viel mehr Schaden, als wenn dieſelbe auf die gemeine Art gegen die - ſe Werke geſchoſſen wuͤrde. Dieſe Anord - nung der Artillerie, welche in der That uͤber die maſſen vortheilhaft iſt, iſt eine Er - findung des Marſchalls von Vauban, und wird von ihm die Batterie a ricochet genennet. (y)Man beſehe ſeinen Tractat: De l’Attaque & la Defenſe des places. Solche iſt zuerſt bey der Belagerung von Aeth im Jahr 1692 angebracht worden. (z)Man beſehe das Journal von ſeinen Belagerungen, welches zu Ende bey der letzten Ausgabe der Me - moires des General Goulons beygedruckt worden.

C 5Nach42

Nach dieſer kurtzen Erzehlung desjenigen, was in dem practiſchen Theil der Artillerie gethan worden, muͤſſen wir anjetzo von den verſchiedenen Theorien, welche von Zeit zu Zeit uͤber die Bewegung der Kugeln zum Vorſchein gekommen, einige Nachricht er - theilen, in welcher Unterſuchung wir in der That ſehr wenig Dinge, ſo einige Aufmerk - ſamkeit verdienen, antreffen werden. Dem ungeachtet aber, da dieſe Materie mit der fol - genden Abhandlung einiger maſſen verknuͤpf - fet iſt, ſo iſt doch noͤthig, hieruͤber dem Leſer ein Genuͤgen zu leiſten.

Der erſte Autor, welcher mit Fleiß von dem Flug der Canonen Kugeln geſchrieben, iſt, ſo viel ich weiß, Tartalea, ein beruͤhmter Jtaliaͤniſcher Mathematicus, welcher ſich durch Aufloͤſung der Cubiſchen Æquationen, ſo gemeiniglich dem Cardano zugeſchrieben wird, einen unſterblichen Ruhm erworben. Die - ſer Autor hat erſtlich in ſeiner Scientia nova gedruckt in Venedig A. 1537. und hernach auch in ſeinen Queſiti und Inventioni diverſi eben daſelbſt A. 1546. gedruckt, mit vielem Fleiß einige Betrachtungen uͤber die Beſchaf - fenheit dieſer Bewegungen ausgefuͤhret. Und ob ihm gleich der damahlige unvollkommene Zuſtand der Mechanic ſehr betruͤgliche Gruͤn - de um darauf zu bauen an die Hand gab, ſo war er doch nicht gaͤntzlich in ſeinen Unter -ſuchun -43ſuchungen ungluͤcklich; denn er kann mit Recht fuͤr den erſten gehalten werden, wel - cher gefunden, daß der weiteſte Schuß unter einem Winkel von 45 Graden mit dem Ho - rizont hervor gebracht wird. Er hat auch dargethan (gegen die gemeine Meynung der Schuͤtzen), daß nicht der geringſte Theil des Weges, welchen eine geſchoſſene Kugel in der Luft beſchreibt, eine grade Linie ſey, unge - achtet die Kruͤmmung in einigen Faͤllen nicht merklich iſt; denn er hat dieſelbe mit der Oberflaͤche des Meers in Vergleichung gezo - gen, welche, ob ſie gleich in einem geringen Theil betrachtet, vollkommen flach ſcheint, dennoch auſſer allem Zweifel gegen das Mit - tel-Punct der Erde gekruͤmmt iſt. Er eignet ſich auch ſelbſt die Erfindung des Artillerie - Quadranten zu, und hat oͤffters auf Schrau - ben geſetzte Muthmaſſungen uͤber den Aus - gang einiger noch nicht probirten Metho - den, ſo ihm vorgelegt worden, gegeben. Weil er aber in der Ausuͤbung der Artil - lerie nicht wohl bewandert war, ſondern ſei - ne Meynungen auf die bloſſe Theorie gruͤn - dete, ſo iſt er faſt von allen folgenden Scri - benten im̃er angegriffen worden, iedoch oͤfters ohne von ihnen genennt zu werden, wovon vie - le Exempel in den Werken des Busca, Colla - do(a)Collado leugnet im 63 Capitel, daß Tartalea dererſte Ufano, Simienowiez und andernange -44angefuͤhret werden koͤnnten. Und als die Philoſophie dieſer Zeiten ſich oͤffters in die hieruͤber entſtandenen Fragen gemiſchet, ſo entſtunden uͤber dieſe Bewegung viele Strei - tigkeiten, abſonderlich in Jtalien, welche biß auf die Zeiten des Galilæi fortdaureten, und allem Anſehen nach Anlaß zu ſeinen be - kannten Geſpraͤchen uͤber die Bewegung ge - geben haben, welche das erſte mahl im Jahr 1638 an das Licht traten. Jnnerhalb dieſer Zeit, und ehe die Lehre des Galilæi feſtgeſetzet wor - den, kamen verſchiedenen Theorien uͤber die Bewegung der Stuͤck-Kugeln, und manche Tabellen uͤber die Weite der Schuͤſſe, in Anſehung der verſchiedenen Elevationen, zum Vorſchein, welche aber uͤber die maſſen un - richtig waren, und mit der wahren Bewegung dieſer Coͤrper keineswegs beſtehen konnten; ungeachtet einige von dieſen Arbeiten von ſol -chen(u)erſte Erfinder des Artillerie Quadranten ſey, und will, daß Daniel Santbech oder Regiomontanus, (dann er confundiret dieſelben) ſolchen ſchon viele Jahre vorher gehabt haben. Allein die Wahrheit zu bekennen, ſo iſt des Santbechs Buch, woraus dieſe Muthmaſſung genommen (Problematum Aſtro - nomicorum & Geometricorum ſectiones ſeptem) erſt A. 1561 herausgekommen, welches folglich lange nach Tartalea geſchehen iſt. Zu dieſem war auch dem Santbech die Methode, den Quadranten zu ſei - nem vorgeſetzten Zwecke einzurichten, ungeachtet er von den verſchiedenen Elevationen der Stuͤcke ſpricht, unbekannt.45chen Leuten herkamen, welche den groͤſten Theil ihres Lebens in Ausuͤbung der Artille - rie zugebracht hatten. Dergleichen ſind die Tabellen des Ufano, Galeus, Ulrich, und anderer, welche vom Blondel(b)Es iſt zu mercken, daß die Meynung, welche Blondel in ſeiner Art de jetter les Bombes Cap. V. unter - ſucht, urſpruͤnglich nicht von Rivaltio, welchem er ſolche beymißt, herruͤhre, ſondern von dem obge - meldten Santbech, von welchem dieſelbe der Rival - tius geſtohlen. Man beſehe Santbech Sect. 6. angefuͤhret werden; welchen noch verſchiedene andere, deren bey dieſem Autore keine Meldung ge - ſchieht, beygefuͤgt werden koͤnnten. Es fin - den ſich in der That unter den alten Scri - benten, welche uͤber dieſe Materie geſchrie - ben, und deren Anzahl ſehr groß iſt, gar we - nige, welche ſich nicht mit ihren Speculatio - nen uͤber den Unterſcheid zwiſchen der natuͤr - lichen, gewaltſamen und vermiſchten Bewe - gung, eingelaſſen, obgleich von denſelben kaum zwey in Beſtimmung dieſer irrigen Begriffe uͤberein kommen.

Was uns aber am meiſten befremdet, iſt, daß bey dieſen Streitigkeiten ſich ſo wenig Leute, welche doch dazu Gelegenheit gehabt, haben angelegen ſeyn laſſen, dieſe verſchiede - nen Theorien durch die Erfahrung zu unter - ſuchen. Wie nun dieſes auch mag zugegan - gen ſeyn, ſo kann ich mich nicht mehr als 4. Autorum46Autorum erinnern, welche die Weite der Schuͤſſe nach verſchiedenen Elevationen wuͤrklich durch die Erfahrung beſtimmet ha - ben. Der erſte von dieſen iſt Collado, wel - cher uns ein Verzeichniß der Weite der Schuͤſſe eines dreypfuͤndigen Falconets auf einen jeglichen Punct des Artillerie-Qua - dranten hinterlaſſen. Allein aus ſeinen Zah - len iſt klar, daß bey dieſem Stuͤck nicht die gewoͤhnliche Ladung gebraucht wor - den. (c)Aus dieſen Verſuchen wurde feſtgeſtellt, daß ſich die Weite des Kern-Schuſſes auf 268 Schritte er - ſtreckte. Bey der Elevation auf den erſten Punct, (welches den 12ten Theil des Quadranten, oder Grad betraͤgt,) reichte der Schuß auf 594 Schritt; bey dem zweiten Punct auf 794 Schritt, bey dem dritten auf 954, bey dem vierten auf 1010, bey dem fuͤnften auf 1040, und bey dem ſechſten auf 1053 Schritt. Die Weite des Schuſſes bey dem 7ten Punct wird zwiſchen diejenigen vom drit - ten und vierten; bey dem 8ten Punct zwiſchen dem andern und dritten; bey dem 9ten zwiſchen dem er - ſten und andern; bey dem 10ten zwiſchen dem Kern - Schuß, und den Schuß des erſten Puncts; bey dem eilften fiel die Kugel nahe bey dem Stuͤck wieder herab. Man beſehe das 61te Capitel. Es iſt auch zu merken, daß die hier gemeldeten Schritte keine geometriſche, ſondern gemeine geweſen, wie er im 42ten Capitel anzeigt.Der naͤchſtfolgende iſt unſer Lands - Mann, Bourne, deſſen Tractat im Jahr nach des Collado ſeinem gedruckt worden. SeineEle -47Elevationen waren nicht nach den Puncten des Artillerie Quadranten, ſondern nach den Graden genommen, und er beſtimmt die Verhaͤltniß der Schuͤſſe nach verſchiedenen Elevationen, ingleichen auch die Weite des Kern-Schuſſes. (d)Wenn die Weite des Kern-Schuſſes durch 1 an - gedruckt wird, ſo wird die Weite, ſo eine Elevation von 5 Graden hervor bringt, durch 2 $$\frac {2}{9}$$ ausgedruckt werden; bey einer Elevation von 10 Graden, durch 3⅓: bey 15 Graden durch 4⅓, bey 20 Graden durch 4⅚; und der weiteſte Schuß, welcher bey der Elevation von 42° eintrift, wird ſeyn . Nachdem aber der Wind den Schuß entweder be - foͤrdert oder verhindert, ſo kann der weiteſte Schuß vom 45ſten Grad bis zum 36 variren. Man be - ſehe ſeine Art of Shooting in great Ordnaunce im 7ten Capitel.Allein dieſer Autor be - ſchreibt nicht, mit was fuͤr einem Stuͤcke er ſeine Verſuche angeſtellet: es iſt aber aus ſei - nen Proportionen zu ſchlieſſen, daß daſſelbe eines von den kleineſten muͤſſe geweſen ſeyn. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß er dieſen Umſtand zugleich mit angefuͤhret haͤtte: Denn es wird im folgenden gezeiget werden, daß die Verhaͤltniſſe zwiſchen den verſchiedenen Di - ſtanzen, auf welche ein Stuͤck unter verſchiede - nen Elevationen traͤgt, nach der Geſchwin - digkeit, und der Groͤſſe und Schwere der Ku - gel, ſehr veraͤnderlich iſt. Die andern beyden,welche48welche ich uͤber dieſe Materie angetroffen, ſind Eldred und Anderſon, beyde Engellaͤnder: von welchen der letztere ſeine Experimenta aus allzugroſſer Liebe zu ſeiner irrigen Theo - rie ſehr merklich verfaͤlſchet hat, wovon ich nachgehends Gelegenheit haben werde aus - fuͤhrlicher zu ſprechen. Eldred aber verdienet ein weit beſſeres Lob. (e)Sein Buch fuͤhrt den Titul: The Gunners Glaſſe, und die Experimente, worauf er ſich gruͤndet, ſind meiſtentheils zu Dover Caſtie, allwo er viele Jahre Buͤchſenmeiſter geweſen, gemacht worden. Das fruͤheſte Datum von ſeinen Experimenten findet ſich vom Jahr 1611, ungeachtet ſein Buch erſt A. 1646 herausgekommen.Seine Grundſaͤtze ſind einfaͤltig genug, und ob dieſelben gleich nicht nach aller Schaͤrfe der Wahrheit gemaͤß ſind, ſo kommen ſie doch derſelben unter gewiſſen Bedingungen ziemlich nahe. Er hat nur die Weite der Schuͤſſe von unterſchiedenen Arten Stuͤcke bey kleinen Elevationen, welche alle unter 10. Grad ſind, aufgezeichnet hinterlaſ - ſen. Es befindet ſich in ſeinem Buche eine ſehr groſſe Anzahl Experimente, welche mit be - ſonderm Fleiße und groſſer Behutſamkeit ge - macht worden zu ſeyn ſcheinen: und er hat die Aufrichtigkeit gehabt, uns auch diejenigen nicht zu verſchweigen, welche mit ſeiner Theorie nicht beſtehen koͤnnen. Ueberhaupt ſcheinet er ſich weit mehr Muͤhe gegeben, und eine vielgroͤſſere49groͤſſere Kenntniß von dieſem Werke, als ſeine Mit-Bruͤder in dem practiſchen Theil der Artillerie gehabt zu haben. Denn dieſe hiengen insgeſamt einer uͤbelgegruͤndeten Theorie allzu hartnaͤckig an, und hielten ſo feſt uͤber die angenommenen Gebraͤuche, daß ſie auf die Erleuterung der Kunſt durch eigene Experimente nicht dachten, und folglich nicht einmahl einſahen, daß dieſelbe noch groſſer Verbeſſerungen benoͤthiget waͤre. Son - ſten waͤre es unmoͤglich geweſen, daß Saͤtze, welche ſo wenig mit der Erfahrung uͤberein - ſtimmen, ſo lange Zeit haͤtten beſtehen koͤnnen, wovon die Lehre, welche nach des Galilei Zeiten angenommen worden, ein merkwuͤrdi - ges Exempel darlegt.

Die Geſpraͤche des Galilei uͤber die Be - wegung, wurden, wie ſchon gemeldet A. 1638. gedrucket, und hierinn hat er die allgemeinen Geſetze, welche die Natur in Hervorbringung und Veraͤnderung der Bewegung beobachtet, ausfuͤndig gemacht. Denn er war der erſte, welcher die Wuͤrkungen der Schwehre auf die fallenden Coͤrper beſchrieben: und aus die - ſen Grundſaͤtzen hat er hergeleitet, daß die Li - nie, welche eine Canonen-Kugel in ihrem Flug beſchreibet, eine Parabel ſeyn muͤſſe, in ſo ferne dieſelbe nicht durch den Wiederſtand der Luft von dieſer Bahn abgeleitet wuͤrde. Er hatD Eulers erlaͤuterte Artillerie. auch50auch Mittel vorgeſchlagen, um die Veraͤnde - rungen, ſo von dieſem Wiederſtand entſtehen, zu beſtimmen; indem er eine Methode be - ſchreibt, wodurch man die Wuͤrkungen, wel - che die Luft in der Bewegung einer Canon - Kugel in einer jeglichen Diſtanz von dem Stuͤcke hervor bringt, beſtimmen koͤnnte.

Da nun ſolchergeſtalt Galilæus gewieſen, daß alle geworfene Koͤrper, in ſo ferne dieſel - ben von der Luft nicht gehindert werden, eine Parabel beſchreiben, ſo haͤtte man vermuthen ſollen, daß diejenigen, welche nach ihm gekom - men, ſich alle Muͤhe gegeben haben wuͤrden, die Veraͤnderungen, ſo aus dem Wiederſtand der Luft entſtehen, zu unterſuchen, oder zum wenigſten feſt zu ſetzen, ob man in dieſer Wiſ - ſenſchaft noͤthig habe, auf dieſen Umſtand zu ſehen oder nicht. Allein, an ſtatt hierinne alle Behutſamkeit zu gebrauchen, ſo haben die nachfolgenden Scribenten gantz verwegen, und ohne die Erfahrung daruͤber zu Rathe zu zie - hen, behauptet, daß der Wiederſtand der Luft keine merkliche Veraͤnderung in dem Flug ei - ner Stuͤckkugel verurſachen koͤnne; und in die - ſem irrigen Wahn haben ſie ſich ſelbſt zu beſtaͤrken geſucht, durch die groſſe Duͤnne, welche in Anſehung der uͤbrigen dichten Koͤr - per an der Luft wahrgenommen wird. Da nun dieſe ungegruͤndete Meynung immer bey - behalten und beſtaͤndig wiederholet worden,ſo51ſo hat man dieſelbe ſo gar als einen Grund - Satz, welcher keinen ferneren Beweisthum beduͤrfte, angenommen, und durchgehends behauptet, daß die Bewegung dieſer Koͤrper ziemlich genau nach einer Parabel geſchaͤhe.

Denn in dem Jahr 1674 publicirte unſer Landsmann Anderſon einen Tractat, genañt: The genuine uſe and effects af the Gun, worinne er nach den Grundſaͤtzen des Galilei zu Werke geht, und beſtaͤndig behauptet, daß der Flug aller Canonen-Kugeln in einer Parabel geſchehe: und bemuͤhet ſich zugleich allen Ein - wuͤrfen, ſo dagegen gemacht werden koͤnnten, zu begegnen.

Jm Jahr 1683 gab Mr. Blondel l’Art de jetter les Bombes zu Paris heraus, all - wo gleichfalls die Lehre des Galilei auf die Bewegung der Stuͤckkugeln von allen Arten gezogen, und die Veraͤnderungen, welche der Wiederſtand der Luft verurſachet, ins beſon - dere betrachtet worden: nach einer weitlaͤufti - gen Unterſuchung aber macht dieſer Autor auch den Schluß, daß die Wuͤrkungen der Luft ſo geringe ſeyn, daß dadurch die Richtigkeit ſeiner Schluͤße keinen merklichen Abbruch lit - te. (f)Man beſehe pag. 345 von der erſten Edition in Quarto, ingleichen auch pag. 355 und die folgenden.Gleichergeſtalt findet ſich auch eben dieſe Materie in unſern Philoſophical -D 2Trans -52Transactions abgehandelt(g)Man ſehe in No. 216. pag. 68. durch Dr. Halley, welcher in Erwegung des groſſen Un - terſcheids, ſo ſich zwiſchen der Schwehre der Stuͤckkugeln und der Luft befindet, fuͤr ſehr wahrſcheinlich haͤlt, daß der Gegenſtand der Luft bey ſchweren Canonen-Kugeln kaum merk - lich ſeyn koͤnne: ungeachtet er zugibt, daß die Wuͤrkung derſelben bey kleinen und leichten Koͤrpern nicht aus der Acht gelaſſen werden koͤnne.

Da alſo dieſe Meynung uͤber den geringen und nicht merklichen Wiederſtand der Luft in Schwang gekommen; vom Galileo aber erwieſen worden, daß alle geworfene Koͤrper, wann der Wiederſtand der Luft gehoben wuͤr - de, ſich in einer Parabel bewegen muͤſten, ſo iſt insgemein bey allen Schrifftſtellern der Artille - rie als ein Grundſatz angenommen worden, daß der Weg, welchen eine Canonen-Kugel in der Luft beſchreibt, nicht merklich von der Parabel abweiche. Man darf, um hiervon uͤberfuͤhret zu werden, nur alle diejenigen Autores, welche ſeit 40 Jahren uͤber dieſe Materie geſchrieben, nachſehen.

Ob nun gleich dieſe Meynung denjenigen, welche ſich nur mit Speculationen aufhal - ten, herrlich zu ſtatten kommt: ſo hat doch ſchon Anderſon durch eine groſſe Menge angeſtell - ter Verſuche gefunden, daß dieſelbe ohne eini - ge neue Einſchraͤnkungen mit der Wahrheitnicht53nicht beſtehen koͤnne. Denn ob gleich aus ſeinen Schriften nicht erhellet, daß er jemahls die Verhaͤltniß der Schußweiten von Cano - nen oder Mußketen, wenn dieſelben mit der gewoͤhnlichen Ladung loß geſchoſſen werden, unterſuchet, ſo iſt er doch durch die Experi - menten, welche er nur mit kleinen Ladungen angeſtellt, wodurch die Kugeln mit einer weit kleinern Geſchwindigkeit fortgetrieben werden, uͤberfuͤhret worden, daß die gantze Bahn der - ſelben nicht als eine Parabel angeſehen wer - den koͤnne, wie aus ſeinem Tractat, To hit a Mark ſo A. 1690. gedruckt iſt, erſehen wer - den kann. An ſtatt aber hieraus die wah - ren Schluͤſſe zu ziehen, und die Groͤſſe die - ſes ſo merklichen Wiederſtandes der Luft zu beſtimmen, ſo hat er vielmehr aus einer allzugroſſen Neigung zu ſeinen ſchon gefaß - ten Meynungen lieber eine neue Hypotheſin geſchmiedet, welche darinne beſtand, daß eine jegliche Kugel, im erſten Anfang ihrer Be - wegung biß auf eine gewiſſe Diſtantz nach einer geraden Linie fortgehe, und bey dem Ende derſelben erſt anfange in einer Parabel fortzulauffen. Er meynet auch, daß dieſe gerade Linie, welche er die Linie der Gewalt des Feuers nennt, bey allen verſchiedenen Richtungen der Canonen gleich groß ſey. Durch dieſe Hypotheſin, ob dieſelbe gleich auf keinerley Art beſtaͤtiget werden kann, warD 3er54er doch im Stande, alle Abweichungen der Schuͤſſe von der gemeinen Meynung zu er - klaͤren, ſo ſtark dieſelben auch immer dage - gen ſtritten, indem er ſeine gerade Linie nach Belieben annehmen konnte. Dem ungeachtet ſcheinet es, daß dieſe neu ausgefundene Mey - nung mit den von ihm nachgehends angeſtell - ten Verſuchen nicht weiter beſtehen konnte. Denn er konnte es nimmer ſo weit bringen, daß er die Schußweiten von drey verſchiede - nen Elevationen mit dieſer ſeiner Hypotheſi haͤtte vergleichen koͤnnen, ob ihm gleich ſol - ches bey zweyen gluͤcklich gelungen. Da nun dergleichen merkliche Abweichungen von dem Wiederſtand der Luft bey Bomben oder Kugeln, welche nur durch eine geringe La - dung geſchoſſen worden, herruͤhrten, wie groß muß die Wuͤrkung der Luft nicht als - denn ſeyn, wenn man ſich einer voͤlligen La - dung bedienet? Denn da in dieſem Fall die Kugel einen drey biß viermal groͤſſeren Grad der Geſchwindigkeit bekommt, als in dem vo - rigen, ſo muß die Reſiſtentz der Luft, wie im folgenden gewieſen werden ſoll, bey nahe funfzig mahl groͤſſer, und allſo ſehr merklich werden.

Daß die Reſiſtentz der Luft, welche doch eine groſſe Gewalt auf alle ſchnell bewegte Coͤrper ausuͤbet, von den practiſchen Artil - leriſten gantz und gar aus der Acht gelaſſenwird,55wird, ſolches iſt nicht der einzige Anmer - kungs-wuͤrdige Umſtand in dieſer Unterſu - chung. Denn, nachdem des groſſen Newtons Principia Mathematica Philoſophiæ Na - turalis heraus gekommen, ſo haͤtten allem Vermuthen nach alle Mathematici von die - ſer betraͤchtlichen Wuͤrkung der Luft voͤllig uͤberzeugt werden ſollen, indem in dieſem ver - ewigten Werke die Geſetze und die wahre Groͤſſe dieſer Reſiſtenz fuͤr langſame Bewe - gungen beſtimmet und durch viele Experi - mente beſtaͤtiget worden. Eben dieſe Ge - ſetze, wenn dieſelben auf ſehr ſchnelle Be - wegungen gezogen werden, geben zwar die Reſiſtenz viel zu geringe an, als aus der wuͤrklichen Erfahrung abgenommen werden kann, und Newton ſelbſt hat ſchon dieſe Ab - weichung bemerkt;(h)Phil. Nat. Princ. Math. p. 351. allein eben hieraus erhellet, daß die Wuͤrkung der Luft auf die Stuͤckkugeln um ſo viel weniger aus der Acht gelaſſen werden koͤnne. Dieſer augenſchein - lichen Probe von der Nothwendigkeit, die Lufft bey der Bewegung der Stuͤckkugeln mit in Betrachtung zu ziehen, ungeachtet aber habe ich bißher nur ein einiges Exempel an - getroffen, worinne dergleichen Bewegungen nach den Grundſaͤtzen des Newtons berechnet worden ſind. (i)In Comment. Acad. Petrop. Tom. 2. p. 338, 339.

D 4Wenn56

Wenn wir nun alles zuſammen nehmen, was uͤber dieſe Materie beygebracht worden, ſo erhellet ganz deutlich, daß ſich die heutigen Scribenten uͤber die Artillerie ſehr groͤblich betrogen haben, wenn ſie geglaubt, daß die Re - ſiſtenz der Luft nicht verdiene, in Betrach - tung gezogen zu werden, und dahero behau - ptet haben, daß der Weg, welchen die Bom - ben und Stuͤckkugeln in der Luft beſchrei - ben, von einer wahren Parabel nicht merklich unterſchieden ſey. Hieraus folget alſo un - ſtreitig, daß alle bißher gemachten Beſtim - mungen uͤber den Flug der Stuͤckkugeln, wel - chen ein ſehr hoher Grad der Geſchwindig - keit eingedrucket worden, von der Wahrheit ſehr ſtark abweichen, und daß folglich die ge - genwaͤrtige Theorie der Artillerie in dieſem ſehr wichtigen Punct gaͤnzlich unbrauchbar und falſch ſey.

Um nun einiger maſſen dieſen Unvollkom - menheiten abzuhelfen, ſo haben wir uns im zweyten Capitel der folgenden Abhandlung bemuͤhet, nicht allein dasjenige, was hier in Anſehung der Unrichtigkeit der paraboliſchen Bewegung iſt angefuͤhret worden, auf das gruͤndlichſte zu beweiſen, ſondern auch zugleich die wuͤrkliche Groͤſſe der Reſiſtenz, welche eine Stuͤckkugel in einem jeglichen Grad der Geſchwindigkeit leidet, richtig zu beſtimmen. Denn da aus den im erſten Capitel feſtge -ſetzten57ſetzten Gruͤnden, die Geſchwindigkeit einer Kugel, mit welcher dieſelbe aus dem Stuͤck wuͤrklich heraus faͤhrt, leicht beſtimmet werden kann; ſo wird die Beſchreibung des Weges, den die Kugel in der Luft nimmt, in ein geometriſches Problema verwan - delt, welches zwar in ſeiner gaͤnzlichen Aus - dehnung eine ſehr verwirrte und muͤhſame Rechnung erfordert; allein in den Faͤl - len, welche in der Praxi oͤffters vorkommen, koͤnnen einige gewiſſe leichte Approxioma - tionen angebracht werden, welche genug - ſam hinreichend ſind, die verſchiedenen Schuß - weiten aus der Theorie ziemlich genau zu beſtimmen.

Ob aber gleich diejenigen, welche die fol - gende Abhandlung mit Aufmerkſamkeit durchleſen, keinen Zweifel uͤber die Gewiß - heit von den daraus gezogenen Beſtimmun - gen uͤbrig behalten werden, ſo moͤchte man doch erwartet haben, daß man die Accu - rateſſe dieſer Gruͤnde noch weit ſicherer durch Experimente uͤber die wuͤrklichen Schuß - weiten von verſchiedenen Stuͤcken, und durch derſelben Vergleichung mit den Rech - nungen der Theorie haͤtte feſt ſetzen koͤn - nen. Und in der That hatte ich einmahl den Vorſatz gefaſſet, ein Capitel uͤber dieſe Materie beyzufuͤgen, es haben mich aber zwey Urſachen hievon abgehalten. Die er -D 5ſte58ſte beſtund in der groſſen Schwierigkeit, ſich von den wahren Diſtantzen, ſo weit ein Stuͤck in verſchiedenen Richtungen treibt, zu verſichern, welche Schwierigkeit niemand ſo leicht, als wer wuͤrklich Proben von die - ſer Art angeſtellt, einſehen wird. Die an - dere Urſache war eine gewiſſe Irregularitaͤt, welche ſich bey dieſen Diſtantzen einfand, und alle meine Bemuͤhungen fruchtloß mach - te. Denn eben daſſelbe Stuͤck ſchieſſet oͤf - ters unter einerley Ladung die Kugel auf ſehr verſchiedene Diſtantzen, dergeſtalt, daß ſelten zwey unter einerley Umſtaͤnden gemachte Verſuche mit einander uͤberein ſtimmen, wie ich ausfuͤhrlicher in der 7ten Propoſition des zweyten Capitels anmerken werde.

Ungeachtet aber dieſer Schwierigkeiten, wel - che mich verhindert haben, dem folgenden Tractat ſolche Experimenta uͤber die Weite der Schuͤſſe beyzufuͤgen, wodurch die Theo - rie der Reſiſtenz mehr befeſtiget werden koͤnnte: ſo habe ich mich doch entſchloſſen, dieſe Materie abzuhandeln, und ich ſchmeichle mir einen Weg gefunden zu haben, um den ob - gedachten Ungleichheiten vorzubeugen. Denn ſo lange dieſe Hinderniſſe nicht aus dem Wege gehoben werden, ſo iſt klar, daß man ſich aus allen Experimenten von dieſer Art nicht viel Nutzen verſprechen koͤnne. Jch behalte mir aber den Ausgang meiner kuͤnftigen Verſucheuͤber59uͤber dieſen Articul zu einem zweyten Theil dieſer Abhandlung vor, worinne ich auſſer die - ſen uͤber den Flug der Stuͤckkugeln angeſtell - ten Experimenten, und derſelben Verglei - chung mit den auf geometriſche Art bewieſe - nen Beſtimmungen, mir vorgeſetzt habe, noch viele andere Experimente anzufuͤhren; welche ob ſie gleich von einer vermiſchten Na - tur ſind, dennoch ſowohl mit der Theorie, als mit der Praxi der Artillerie, in einer ge - nauen Verbindung ſtehen. Dieſem zweyten Theil werde ich auch verſchiedene Nachrichten und practiſche Regeln beyfuͤgen, welche aus den vorher feſtgeſetzten Grundſaͤtzen flieſſen, und verhoffentlich bey kuͤnftiger Ausuͤbung der Artillerie von nicht geringem Nutzen ſeyn werden. Es liegt von dieſem zweyten Theil ſchon eine ziemliche Partie bey mir wuͤrk - lich fertig, nebſt einem guten Vorrath, um daſſelbe gaͤnzlich zu vollenden. Diejenigen Experimenten aber, welche mir noch fehlen, erfordern lange Zeit, und eine bequeme Gele - genheit ins Werk zu richten.

Da die folgenden Blaͤtter auſſer der Be - ſtimmung des Wiederſtands der Luft, auch zugleich eine Theorie von der Kraft und Wuͤrkung des Pulvers in ſich enthalten, ſo wird man von mir auch eine Erzehlung von demjenigen, was andere Autores bißher davon geſchrieben haben, erwarten. Allein, allesdas -60dasjenige, was mir bisher daruͤber vorgekom - men, iſt ſo unbeſtimmt und undeutlich, daß es oͤfters ſehr ſchwehr iſt, die Meynung der Auto - ren nur zu verſtehen. Die verſtaͤndlichſte Hypotheſis hieruͤber, und welche auch ſcheint der Grund zu ſeyn von allem, was andere da - von geſagt haben, iſt diejenige, welche de la Hire gegeben.

Jn der Hiſtorie der Franzoͤſiſchen Acade - mie A. 1702. hat Mr. de la Hire ſupponirt, daß die Kraft des Pulvers von der vermehr - ten Elaſticitaͤt der Luft herruͤhre, welche in demſelben und zwiſchen den Koͤrnern befind - lich iſt, und durch die Hitze und des Feuers im Loßbrennen erreget werde. Wenn nun die Luft in den Koͤrnern ſelbſt ſowohl als zwiſchen denſelben vor der Abfeurung in ihrem natuͤrli - chen Ausdehnungs-Stande befindlich waͤre, ſo koͤnnte keine groͤſſere Kraft hervor kommen, als welche von der Flamme verurſachet wuͤrde. Dieſe Ausdehnungs-Krafft iſt aber aufs hoͤchſte fuͤnfmahl groͤſſer, als diejenige, wo - mit die Luft in ihrem natuͤrlichen Zuſtande be - gabet iſt, wie im folgenden mit mehrerm dar - gethan werden wird,(k)Man beſehe die Vte Prop. des erſten Capitels in der folgenden Abhandlung. und folglich wuͤrde dieſelbe nicht einmahl hinlaͤnglich ſeyn, den zweyhundertſten Theil der Gewalt, welche das Pulver wuͤrklich ausuͤbet, hervor zu bringen.

Jnzwi -61

Jnzwiſchen hat doch dieſe Erklaͤrung zu ver - ſchiedenen Diſſertationen und Abhandlungen bey einer benachbarten Nation Anlaß gege - ben: und insbeſondere ſieht ein gewiſſer Autor ſeine Forderung ſehr billig an, wann er ſup - ponirt, daß die Ausdehnungskraft der Luft, wenn dieſelbe durch die Loßbrennung des Pulvers erhitzet wird, hundert mahl groͤſſer ſey, als in der Hitze des ſiedenden Waſſers. Weil ich aber glaube, die Unmoͤglichkeit dieſer Lehre, um die Gewalt des Pulvers zu erklaͤ - ren, genugſam erwieſen zu haben, ſo will ich die Leſer mit einer weitlaͤuftigern Erzehlung der Meynungen uͤber dieſen Punct nicht laͤn - ger aufhalten: inſonderheit weil ich mir mit der Hofnung ſchmeichle, daß die Theorie der Gewalt des Pulvers, welche in den folgen - den Blaͤttern feſtgeſetzt wird, durch ſolche Experimente unwiederſprechlich bekraͤfti - get worden, daß eine foͤrmliche Wie - derlegung anderer Meynungen un - noͤthig ſeyn wuͤrde.

Anmer -62

Anmerkungen des Ueberſetzers.

Was unſer Autor hier von dem Ur - ſprung und der Erweiterung ſo - wohl der Artillerie, als der Forti - fication, erzehlet, zeiget eine unge - meine Beleſenheit und Kenntniß aller alten Autoren, welche von dieſen Wiſſenſchaften geſchrieben haben, an. Dieſe Nachrichten, welche