PRIMS Full-text transcription (HTML)
Theologiſche Bedencken
Und andere Brieffliche Antworten auff geiſtliche / ſonderlich zur erbauung gerichtete materien zu unterſchiedenen zeiten auffgeſetzet / und auff langwihriges anhalten Chriſtlicher freunde in einige ordnung gebracht / und heraus gegeben.
Anderer Theil.
Worinnen ſonderlich die pflichten gegen GOtt / die Obern / den nechſten und ſich ſelbs / auch ehe-ſachen / ſo dann auffmunterung - und troſt-ſchreiben enthalten. Mit Koͤnigl. Polniſcher und Preuß. auch Churfl. Saͤchſ. und Brand. Freyheit
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HALLE/ in Verlegung desWaͤyſen-Hauſes/1701.

WJr Friederich der Dritte / von Got - tes Gnaden / Marg - graff zu Brandenburg / des Heil. Roͤmiſchen Reichs Ertz-Caͤmmerer und Chur-Fuͤrſt / in Preußen / zu Mag - deburg / Cleve / Juͤlich / Berge / Stettin / Pom - mern / der Caßuben und Wenden / auch in Schleſien zu Croſſen Hertzog / Burggraff zu Nuͤrnberg / Fuͤrſt zu Halberſtadt / Minden und Camin / Graff zu Ho - henzollern / der Marck und Ravensberg / Herr zu Ravenſtein / und der Lande Lauenburg und Buͤtow. ꝛc.

BEkennen hiermit fuͤr Uns / Unſere Erben und Nach - kommen / Margraffen und Chur-Fuͤrſten zu Bran - denburg / als Hertzogen zu Magdeburg / auch ſonſten gegen Jedermaͤnniglichen; Nachdem Uns der Ehrwuͤrdige und Hochgelahrte Unſer lieber Getreuer Ehr M. Auguſt Hermann Francke / Prof. Ordinar. Theol. & Philoſoph. bey Unſerer Friedrichs-Univerſitaͤt zu Halle / wie auch Director des Waͤyſen-Hauſes und Paſtor zu Glaucha / unterthaͤnigſt zuvernehmen gegeben / daß / ob Wir wohl dem Waͤyſen - Hauſe zu Glaucha an Halle eine abſonderliche Druckerey und Buch-Handlung zuhalten / unter andern Gnaͤdigſtcon -concediret / und verſtattet / dennoch einige Buchfuͤhrer ſo ſo wohl anderwerts / als abſonderlich in unſern Landen mit dem Nachdrucken derjenigen Buͤcher und Schrifften / die ſo wohl itzt als zukuͤnfftig von dem Waͤyſen-Hauſe moͤchten verleget werden / gar ſehr droheten; Mit gantz gehorſam - ſter Bitte / Wir wollten Gnaͤdigſt geruhen / das Waͤyſen - Hauß gegen ſolche Nachdrucker mit einem General-Privile - gio, welches bey jeder aufzulegenden Schrifft forne an zu drucken / dahin Gnaͤdigſt zuverſehen / daß diejenigen Schriff - ten / welche Er entweder ſelbſt zum Nutzen des Waͤyſen - Hauſes heraus geben / oder cum concesſione des Autoris drucken laßen moͤchte / oder auch ſonſten / da ein gewiſſes Buch (welches nicht mehr verhanden / auch von einem an - dern noch nicht unter die Preße genommen worden / und zu nuͤtzlicher Erbauung wieder auffzulegen noͤthig waͤre) durch Verlag des Waͤyſen-Hauſes gedruckt wuͤrde / in allen Unſern Landen weder heimlich noch oͤffentlich nachzudrucken veꝛbothen und verwehret werden moͤchte; Und Wir dann dieſes ſein unterthaͤnigſtes Bitten der Billigkeit gemaͤß und zum Auff - nehmen des Waͤyſen-Hauſes dienlich zu ſeyn befinden; Als haben Wir ſolchem an Uns gebrachten gehorſamſten Su - chen in Gnaden Raum und ſtatt gegeben. Thun demnach daſſelbe als der Chur-Fuͤrſt und Landes-Herr / privilegiren und begnadigen obgemeldetes Waͤyſen-Hauß zu Glaucha an Hall / dergeſtalt und alſo / daß / ſo wohl des gedachten Profeſſoris Ehrn M. Franckens heraus gegebene / und noch kuͤnfftig heraus kommende Buͤcher / Predigten und Schriff - ten / als auch alle andere Scripta und Buͤcher / die von desWaͤy -Waͤyſen-Hauſes Mitteln bereits verleget / oder demſel - ben noch ins kuͤnfftige zuverlegen gegeben werden moͤch - ten / alleine aus des Waͤyſen-Hauſes Buchladen / ſo wohl an Buchfuͤhrer / als andere zuverhandeln / zu diſtrahiren / oder gegen nuͤtzliche und zum beſten des Buchladens dien - liche Sortimenten zuverwechſeln / verſtattet und zuge - laßen / hingegen aber Maͤnniglichen nur erwehnte des Waͤyſen-Hauſes Verlags-Buͤcher und Schrifften in die - ſer Unſer Chur - und Marck Brandenburg / in Derſel - ben incorporirten / auch andern Unſern Landen und Pro - vincien weder nachzudrucken noch da ſolches von andern auſer Unſerm Gebiethe geſchehe / die gedruckte Exempla - ria in ſolche unſere Lande einzufuͤhren / daſelbſt zu diſtra - hiren / heimlich oder oͤffentlich zuverkauffen / und loß zu - ſchlagen / bey confiſcation der Exemplarien / und Ein tau - ſend Thlr. Geld Straffe / halb Unſerm Fiſco, und die andere Helffte dem Waͤyſen-Hauſe / nebſt denen Exem - plarien zuerlegen hiermit verbothen / und nicht zugelaſſen ſeyn ſolle; Aus habender Macht von Obrigkeit und Lan - des-Fuͤrſtl. Hoheit wegen / Krafft dieſes Unſers offenen Brieffs / allermaßen wie vorſtehet; Wir und Unſere Nachkommen / Marggraffen und Chur-Fuͤrſten zu Brandenburg / als Hertzogen zu Magdeburg ꝛc. wollen auch mehr erwehntes Waͤyſen-Hauß zu Glaucha an Halle / und deßen Directorem dabey jederzeit Gnaͤdiglich ſchuͤtzen / handhaben und erhalten / auch alle Buchfuͤh - rer und Buchdrucker ernſtlich gewarnet haben / ſich anſol -ſolchem Werck nicht zuverſuͤndigen / oder aus Neid und Mißgunſt mit uͤbelen Reden und unchriſtlichem bezeu - gen / bey Vermeidung hoher Straffe zuvergreiffen; Ge - ſtalt Wir dann allen Unſern Regierungen / und Gerichts - Obrigkeiten / in allen Unſern Chur-Fuͤrſten - und Hertzog - thuͤmern / Graff-Herrſchafften und Landen / uͤber dieſem Unſerm Privilegio generali gebuͤhrend zu halten / und die - jenige / ſo dawider handeln / mit vorerwehnter Straffe un - nachlaͤßig anzuſehen / hiemit Gnaͤdigſt anbefehlen; Getreu - lich ſonder Gefehrde; Jedoch Uns an Unſern / und ſonſt jedermaͤnniglichen an ſeinen Rechten ohne Schaden; Uhr - kundlich unter Unſer eigenhaͤndigen Unterſchrifft und an - hangendem Chur-Fuͤrſtlichem Lehen-Siegel / gegeben zu

Potſtam / den 23. Maji 1699. Friedrich. L. S. P. v. Fuchs.

Dem Chriſtlichen leſer Wuͤnſche das liecht von oben in allen ihm noͤ - thigen ſtuͤcken die wahrheit und goͤttlichen willen zuer - kennen / auch die krafft denſelben zuthun / von dem Himmliſchen Vater durch wirckung des H. Gei - ſtes um JEſu CHriſti willen!

JCh bin in der guten hoffnung geſtanden / als vorige meß den er - ſten theil der Theologiſchen beden - cken und briefflicher antworten her - ausgegeben / daß mit der huͤlffe Got - tes auff ietzige meß der reſt auch her - aus kom̃en koͤnte: Wann ich aber meinen ordenlichen beruffs-arbeiten etwas abzubrechen billich bedencken trage / die zunehmende jahr eine lang - ſamkeit in allem bey mir verurſachen / und hingegen die zuſammenſuchung der copien aus allerhand meinen papie - ren / auch durchſehung derſelben / um ſie von den fehlern der copiſten / da mir manchmal ſchwehr worden meinen eigenen von ihnen verkehrten ſinn wiederum zu errathen / mehrere zeit / als von anfang vermuthet hatte / erfordert haben / war mirs unmuͤglich damit fertig zuwerden: wes - wegen dieſesmahl nur 3 capitel / nemlich III. IV. und V. in GOttes nahmen heraus gebe. Jn dero erſtem die je - nige bedencken und antworten ſtehen / welche die Chri - ſtliche pflichten gegen GOtt / gegen die Ober und untere /gegengegen die nechſte insgemein / und endlich eines jeden gegen ſich ſelbs angehen; das andere (oder IV. ) faßet die eheſachen in ſich; endlich das dritre die parænetica und paracletica, das iſt vermahnung - oder auffmunterung - und troſt-ſchreiben. Alſo bleiben vor den dritten und letzten theil noch uͤbrig theils die jenige materien / welche den zu - ſtand unſrer zeiten und kirche betreffen / ſonderlich worin - nen ich etwas mit zuthun und zuleiden gehabt / theils welche in denen vorigen capiteln / weil ſie mir in dero ein - richtung noch nicht unter die haͤnde gekommen / ihren platz haben ſollen / und alſo als paralipomena angefuͤhret werden / oder auch von denen nicht wol ſagen konte / wo - hin ſie am formlichſten zuziehen waͤren. Zu welcher aus - fertigung die nechſte zeit nach GOttes fuͤgung anzuwen - den haben werde.

Was im uͤbrigen bey dem erſten theil wegen unter - ſchiedlicher dinge / die bey dem gebrauch dieſes wercks zu - bemercken noͤthig erinnert worden / ſoll hiermit ſo viel als auch hier wiederholet angeſehen werden / als welches al - les mit gleichem recht auch dieſen theil mit angehet / wie auch der dritte theil darnach zurichten iſt.

Der HErr HErr / als ein GOtt der wahrheit / in deßen nahmen auch dieſe arbeit heraus gehet / ſegne ſie mildig - lich bey denen / die ſie leſen / wo ich in ſo mancherley ſchwehren und verworrenen ſachen aus menſchlicher ſchwachheit etwa ange - ſtoßen und gefehlet haͤtte / ſehe er dieſe in gnaden an / laße aber auch keinen im vertrauen darauff etwas zu thun / was ihm nicht wahrhafftig gefaͤllet / verleitet werden / hingegen die von mir vor - getragene wahrheit kraͤfftig in die hertzen zur erkaͤntnuͤs / gehor - ſam / und vielen fruͤchten eintringen durch JEſum Chriſtum / das ewige liecht vom liecht. Amen. Berlin. den 4. Mart. 1701.

Philipp Jacob Spener / D.

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Jn JEſunahmen. Amen. Das dritte Capitel.

ARTIC. I. Von den pflichten / darinnen mans unmittelbahr mit GOtt nach der erſten taffel zuthun hat.

SECTIO

  • 1. WJe man ſich GOtt in dem gebet vorbilden moͤge.
  • 2. Von einem geluͤbde des faſtens einer perſon / die davon ſchaden lidte.
  • 3. Von verbindlichkeit der geluͤbde / ſonderlich des faſtens.
  • 4. Von einem nicht mit gnugſamen bedacht gethanen geluͤbde.
  • 5. Ob und wie einen eyd zu thun erlaubt ſeye.
  • 6. Ein caſus betreffend einen nicht voͤllig gehaltenen eyd.
  • 7. Von einem ſchwaͤngerungs-caſu. Was bey ſorge eines meineydes rich - ter und prediger zuthun haben.
  • 8. Enthaltung von poetiſchen gedichten von den Heidniſchen Goͤttern.
  • 9. Von dem ſabbath / deſſen urſprung und ſtaͤten fortſetzung.
  • 10. Von verbindlichkeit der ſabbaths-feyer.
  • 11. Noch von der ſabbaths-feyer.
  • 12. Von holtz-fuhren am ſontag.
  • 13. Vom Separatiſmo.
  • 14. Von der gefahr der vornehmenden trennung der frommen.
  • 15. Wie einigen trennungen / die zu beſorgen oder anſetzen / vorzukommen o - der zu begegnen ſeye.
  • 16. Von abſonderlichen eigenmaͤchtig-anſtellenden communionen.
  • 17. Nochmal von freyheit abſonderliche communionen anzuſtellen / und der dem miniſterio nothwendig zukommenden auffſicht.
  • 18. Ob um der hauß-andacht willen der oͤffentliche gottesdienſt zu verſaͤu -Amen2Das dritte Capitel. men; von der vierdten bitte / und auch ſchluß des Vater unſers. Ob Ana - nias und Sapphira Ap. Geſch. 5. verdammt worden?
  • 19. Von der obern gewalt uͤber beſondere zuſammenkunfften zur erbauung / in den umſtaͤnden.
  • 20. Von verbindlichkeit obrigkeitlicher verbote in ſolcher materie.
  • 21. Auffmunterung aus der hoffnung kuͤnfftiger beſſerer zeiten. Collegia bi - blica und Chriſtliche uͤbungen mit den zuhoͤrern. Gewoͤhnliche widerſe - tzung gegen das gute.
  • 22. Von leſung der ſchrifft.
  • 23. Etliche fragen von beſtraffung eines predigers. Vorbitte fuͤr die krancke. Bleiben bey der communion / ſontags-mahlzeiten / und dergleichen ma - terien zur ſontags-feyer gehoͤrig.
  • 24. Vom gebrauch des H. Abendmahls und deſſen nothwendigkeit / mit wi - derlegung der entſchuldigungen.
  • 25. Vom offtmaligen gebrauch des H. Abendmahls.
  • 26. Nochmals von offtmaliger nieſſung des H. Abendmahls.
  • 27. Von der freyheit ohne privat-beicht und abſolution zum H. Abendmahl zu gehen. Was deswegen in Berlin vorgegangen / mit anhaͤngung ei - ner in der ſache gehaltenen predigt.
  • 28. Vom auffſchlagen der ſpruͤche in der kirchen.
  • 29. An eine adeliche weibs-perſon / ſich mit Jeſuiten nicht in diſputat einzu - laſſen.
  • 30. Von dem kirchen-bauen.

SECTIO I. Wie man ſich Gott in dem gebet vorbilden moͤge.

DJe vorgelegte frage anlangend / faſſe meine mei - nung in etzliche ſaͤtze. 1. Es bleibet ausgemacht / nicht allein / daß GOtt ein Geiſt ſeye / und alſo keine geſtalt habe / ſondern daß auch der menſch / wo er ſich von GOtt in ſeiner ſchwachheit einen leiblichen concept machet / doch daran gedencken muß / daß GOtt ein geiſtliches weſen ſeye / von dem kein wahres bild gemachet werden koͤnte; hingegen wer ſich GOtt wahrhafftig ſo einbil - den wolte / als einen alten mann / daß er ſolche ge - ſtalt nicht ſo wol als eine repræſentation einer goͤttlichen offenbahrung / als ſeine eigene geſtalt / achtete / der wuͤrde anbeten / was nicht Gott iſt. 2. Dievoll -3ARTIC. I. SECTIO I. vollkommenſte art zu GOtt zu beten iſt diejenige / wo ſich die ſeele von Gott / den ſie anbetet / gantz keinen leiblichen concept machet / ſondern wie ſie weiß / daß er ein Geiſt iſt / daher kein bild haben kan / alſo auch gantz in ſich von allem bild abſtrahiret. Es wird dieſe art etwas ſchwehr / weil unſere ſeele ſich im - mer an bilder gewehnet / ſie iſt aber nicht unmuͤglich. 3. Nechſt dem / wo ei - ner ſein gemuͤth nicht ſo gantz abſtrahiren koͤnte / daß alle bilder wegblieben / weil gleichwol unter allen coͤrpern keiner iſt / der ſubtiler waͤre / und einem geiſtlichen weſen naͤheꝛ kaͤme / als das liecht / hingegen Gott ſich ſelbſt ein liecht nennen laͤſſet / 1. Joh. 1 / 5. und ſeine reinigkeit unter dem nahmen des uns bekandten liechtes uns vorſtellet / ſo hielte noch am beſten / wo man ſich GOtt vorſtellet unter der geſtalt eines unendlichen und an allen orten durchſtrah - lenden liechtes. 4. Was andere bilder anlanget / achte ich / daß auffs wenig - ſte mit groſſer behutſamkeit verfahren werden muͤſſe. Zwahr was CHRJ - STUM betrifft / weil derſelbe zugleich wahrhafftiger menſch iſt / ſo hat das bild / daß wir uns von ihm in der ſeele machen / da wir ihn uns vorſtellen als gecreutziget / oder in anderer menſchlicher figur / keine falſchheit in ſich / und iſt alſo ohne fehler; GOtt den Vater aber / oder den H. Geiſt / als einen alten mann und eine taube / wegen der in ſolchen geſtalten geſchehenen offenbah - rungen vorzubilden / moͤchte zwahr an gantz einfaͤltigen / jedoch / daß ſie[/]wuͤ - ſten / daß es dennoch keine eigentliche bilder waͤren / geduldet werden: an an - dern aber / die eine mehrere erkaͤntnuͤß haben / wolte ich ſolches nicht gerne ſe - hen / ſondern lieber wuͤnſchen / daß ſie davon gantz abſtrahirten. 5. Daher ich vor das bequemſte achte / wo man je eine eigentliche geſtalt haben will / man ſtelle ſich allezeit das bild Chriſti vor / nicht allein wo man ſeingebet zu ſolcher perſon beſonders richtet / ſondern auch wo man den Vater und den H. Geiſt anbeten will / denn der HErr ſagt ſelbſt Joh. 14 / 9. 10. Wer mich ſiehet / der ſiehet den Vater; und glaubeſtu nicht / daß ich im Vater / und der Vater in mir iſt? Alſo wiſſen wir / daß in der menſchlichen natur nicht allein die gantze fuͤlle der Gottheit leibhafftig und perſoͤnlich woh - net / Col. 2 / 9. ſondern / daß auch der Vater in ihm iſt / und auſſer ihm nicht geſucht werden kan. Nicht weniger iſt der Heil. Geiſt derjenige / mit dem der HErr ohne maaß geſalbet worden / und der ſein eigner Geiſt iſt; Alſo will ich am liebſten in allem gebet meinen Heyland mir vorſtellen / nicht allein als denjenigen / der mir das recht / und den zugang zu dem Vater zuwege ge - bracht / und ich deßwegen nie anders als durch ihn zu denſelben kommen darff: ſondern auch als denjenigen / indem ich den Vater und den Heil. Geiſt finde / die ſich alſo in gewiſſer maaß in Chriſto unſern augen ſichtbahr darſtel - len / wie die ſeele in ihrem leib / daher wo ichmir den menſchen einbilden will /A 2ich4Das dritte Capitel. ich mir nur die geſtalt des leibes bilde / und doch die ſeele mit begreiffe / die in ſolchem leibe wohnet / und unmittelbar nicht geſehen werden kan. Dieſe art der vorſtellung finde ich / daß ſie ohne ſcrupul gebraucht werden kan / ja in dem gebet / weil wir den Vater nie anders als in Chriſto uns vorſtellen / unſern glauben und vertrauen deſtomehr auffmuntern mag / daher ich ſie recom - mendire / ſelbs gebrauche / und weiß / daß ſie auch andern Chriſtlichen hertzen zu ihrer andacht dienlich befunden worden iſt. Der HErr aber gebe uns ſelbſt / ſo offt wir vor ſein angeſicht uns darſtellen / den Geiſt der gnaden und des gebets / ſo wird auch dieſer unſere phantaſie mehr und mehr von demjeni - gen reinigen / was der heiligkeit deſſen / zu dem wir beten / moͤchte entgegen ſeyn / auch wird der liebſte Vater diejenige / ſo ihn in ſeinem Sohn im Geiſt und in der wahrheit anruffen / ihm gefaͤllig ſeyn laſſen / und uns aller ſolcher unſerer bitte gewehren. 1693.

SECTIO II. Von einem geluͤbde des faſtens einer perſon / die da - von ſchaden lidte.

Species facti.

EJne ledige weibs-perſon / ſo mit ſchwehren anfechtungen gepla - get / thut ein geluͤbde / ſo ihr GOtt helffen wuͤrde / zur danckbar - keit woͤchentlich 2. abendmahlzeiten zu faſten: Jhrer mutter ſchweſter erinnert ſie / und widerſpricht wegen bekandter bloͤdigkeit ih - res leibes. Gott erbarmt ſich ihꝛ / ſie faͤngt an das geluͤbde zu halten / fin - det aber davon ſonderlich / nachdem ſie geheyrathet / wo ſie ſchwanger iſt / groſſe beſchwehrde und nachtheil ihrer geſundheit. Jhr wird gera - then / das genus voti zu mutiren / da gibt ſie eine anſehnliche ſumme an die arme; aber das gewiſſen wird noch nicht ruhig / und ſtehet auff einer ſeiten die gefahr der geſundheit / auff der andern religio voti. Fragt ſich was ihr zu rathen?

Antwort.

JN vorgelegtem fall wegen des geluͤbdes / ſetze ich dieſes zum voraus / daß die gelobende perſon daſſelbe in einfalt ihres hertzens gethan / und damit ihre hertzliche danckbarkeit gegen GOtt / der ihr gebet erhoͤret / bezeu - gen wollen. Da iſt nun 1. die gute intention des hertzens an ihr zu loben / und ohne allen zweiffel GOtt gefaͤllig / weil es ein geluͤbd / ſo aus glaͤubiger ſeelen gekommen / gute urſach und zweck hat / uͤber eine ſache gehet / welche an ſich ſelbs nicht boͤſe / und daß ihr ſolches zu halten ſo beſchwerlich fallen wuͤr -de /5ARTIC. I. SECTIO III. de / nicht bekant war. 2. Die ſache die gelobet / nemlich wochentliche doppele enthaltung einer abendmahlzeit / iſt eine mittel-ſache / das iſt / an ſich ſelbſt we - der boͤß noch gut. 1. Cor. 8 / 8. Die ſpeiſe foͤrdert uns vor GOTT nicht. Eſſen wir / ſo werden wir darum nicht beſſer ſeyn / Eſſen wir nicht / ſo werden wir darum nicht weniger ſeyn. 3. Aber gleichwol ſind die urſachen / warum das faſten angeſtellt wird / als nemlich die zuͤchti - gung ſeines fleiſches / demuͤthige bezeugung ſeiner uͤber die ſuͤnde habende reue / und befoͤrderung hertzlicher andacht / an ſich ſelbſt gut / und um deſſelben wird die ſache ſelbs / nemlich das faſten / vor gut gehalten / und in der ſchrifft gelobet. 4. Gleichwol ſind die jetzo angefuͤhrte ſtuͤcke ſo bewandt / daß ſie nicht bloß an das faſten gebunden / ſondern durch taͤgliches ordinari faſten / das iſt / ſtaͤtiges maͤßiges halten / das fleiſch eben ſo wohl gezaͤhmet Rom. 13 / 14. auff andere weiſe die reue angezeiget / und die andacht befoͤrdert werden mag. 5. Jſt das faſten ein ſolches mittel / das an ſich ſelbſten nicht bey allen noch zu allen zeiten nuͤtzlich iſt / theils zwahr weil bey gewiſſen perſonen oder in gewiſſen zuſtaͤnden ſolches der leibes-geſundheit mag ſchaͤdlich ſeyn / die wir aber nach vermoͤgen nach goͤtlicher ordnung zu erhalten verbun - den ſind; theils aber / weil bey einigen / welche von bloͤder conſtitution und bey deren gantz laͤhrer magen allerhand duͤnſte / mehr als ſonſten / in den kopff auffſteigen macht / die andacht etwa mehr gehindert als gefoͤrdert wird / und ſolche leute / wo ſie etwas weniges zu ſich genommen / viel freyer in dem gemuͤth / und alſo tuͤchtiger zu betrachtungen / gebet und allerhand gott - ſeligen uͤbungen ſich befinden / als wo ſie gantz nuͤchtern bleiben / und die da - her entſtehende ungelegenheiten des leibes auch das gemuͤth und die gedan - cken mehr beunruhigen. 6. Wann wir insgemein lehren / daß die geluͤbde nicht guͤltig ſind / welche von unmuͤglichen dingen gethan werden / iſt die mei - nung nicht nur von bloß unmuͤglichen / ſondern auch den jenigen / welche ohne daraus flieſſende andere ſuͤnde nicht koͤnte gehalten werden. Solche ſachen ſind zwahr phyſice, nicht aber moraliter, muͤglich / und alſo die daruͤber thu - ende geluͤbde unbuͤndig: wie unſere allgemeine lehre uͤber den paͤbſtiſchen geboten ausweiſet.

Voraus geſetzt dieſer dinge / ſo waͤre meine einfaͤltige meinung dieſe. 1. Es hat dieſe weibs-perſon zum allerfoͤrdriſten zu erkennen / daß eine ſuͤnd - liche ſchwachheit mit untergelauffen / indem ſie dergleichen ſache GOtt gelo - bet / uͤber welches ſie ſich nicht genugſam gepruͤffet / obs ihr auch zu halten muͤglich ſeye / oder auch ſich nicht mit andern verſtaͤndigern davon beredet / und dero raths gepflogen / was ſie vor muͤglich halten. Jſt ein exempel ei - nes menſchlichen fehlers / welches ſich offt zutraͤget / daß da wirs am beſten im ſinne haben / wir etwa in einem umſtand anſtoſſen / und alſo das jenige /A 3was6Das dritte Capitel. was ſonſten an ſich ſelbſts gut geweſen / mit ſuͤnde beflecken. Wie nun in allen ſolchen dingen es geſchehen ſolle / alſo hat dieſe Perſon / (welches viel - leicht ſchon mag geſchehen ſeyn) ſolches ihr uͤberſehen / und durch unvorſich - tigkeit begangenen fehler / zu erkennen / und ſich vor ihrem GOtt deßwegen bußfertig zu demuͤthigen. Welches ihr nachmal eine ziemliche erleichte - rung ihres gewiſſens geben wird. 2. Der widerſpruch ihrer mutter ſchwe - ſter iſt auch nicht von geringer conſideration. Waͤre dieſelbige / (ſo ich nicht weiß / als dem die umſtaͤnde der perſon nicht bekandt ſind) allerdings als Mutter bey ihr geweſen / das iſt / ſie in ihrer ſorge damal geſtanden / ſo ge - hets ſo viel kraͤfftiger an / nach 4. Moſ. 30. 4. und folg. Waͤre aber ſolches nicht / ſo iſt gleichwol eine perſon / welche nicht nur an jahren aͤlter / ſondern dergleichen muͤtterlichen reſpect gegen der gelobenden hat / wohl befugt / aus beſſerer ihrer erkaͤntnuͤß das geluͤbde nicht ſo wol auffzuheben als zu corri - giren. Daher halte ich 3. die perſon an deſſen geluͤbdes art und weiſe / worin - nen ſie gefehlet / und warum ihre waſe widerſprochen / nicht mehr gebunden: wohl aber dazu gehalten / daß ſie das geluͤbde erfuͤlle / ſo fern ſie darinnen nicht gefehlet / und demſelben nicht hat widerſprochen werden ſollen. 4. Wol - te ich nicht gerne bloß bey den geſchehenen almoſen beruhen. Dann ob ſchon daſſelbige freylich auch ein Gottgefaͤlliges werck der danckbarkeit iſt / ſo iſt doch einstheils daſſelbe nicht ſo eigentlich dem zweck des geluͤbdes gemaͤß / welcher ohne zweiffel wird geweſen ſeyn / ſich allezeit bey ſolchem faſten der von GOTT erwieſenen gutthat danckbarlich zu erinnern / dazu das einma - lige almoſen geben nicht bequem; andern theils gehet es allerdings von der ſache ab / die gelobet worden / und kommt in ein gantz ander genus voti. Da auffs wenigſte ein zartes gewiſſen / wie aus allem erhellet / das bey dieſer perſon ſeye / ſonderlich das den anfechtungen leicht unterworffen / ſich nicht ſo wohl tranquilliren kan. 5. Hielte ich rathſam zu ſeyn / daß ſie ſo nahe bey dem gethanen geluͤbde bliebe / als geſchehen kan: und alſo daſſelbe zwahr nicht hielte in dem rigore der enthaltung aller ſpeiſen / weil ſolches ihrer leibs - conſtitution und etwa ſo offt ſie geſegnetes leibes / der frucht ſchaͤdlich moͤch - te ſeyn / und daher ohne ſuͤnde nicht gehalten werden koͤnte; auffs wenigſte bey einmal ſich auch aus andern urſachen ereignenden znfaͤllen das zarte gewiſſen ſich dadurch verletzet achten / und die ſchuld dem faſten zuſchreibeu moͤchte; Aber daß ſie es auff dieſe weiſe hielte: weil GOtt dem HErrn das faſten nicht um ſein ſelbs / ſondern um der ihm gefaͤlligen geiſtlichen uͤbun - gen willen / deren mittel es allein iſt / gefaͤllet / ſo mag ſie wochentlich zweymal des abends ſich des ordentlichen und zu voͤlliger ſaͤttigung oder auch luſt ge - ſchehenden nacht-eſſens enthalten / und hingegen allein mit weniger / und da - fern es eine Perſon iſt / die ſonſten ſich koͤſtlich zu halten pflegt / und die diemittel7ARTIC. I. SECTIO III. mittel dazu hat / geringerer ſpeiſe und tranck der noth der natur gnug thun / daß ſie oder ihre frucht deſſen kein ſchaden haben mag; ſo dann einige ſtun - den / ſo viel ſie es haben kan / ſich allein halten / in ſolcher abſonderung (die et - wa bequemer darzu / als die gegenwart anderer leute) oder auch bey andern ſo wol ſich allezeit ihres ausgeſtandenen elends als goͤttlicher ihr erwieſe - ner gnad danckbarlich erinnern / beten / leſen und mit andern bußfertigen uͤbungen / dazu wir taͤglich materi gnug haben / ſolchezeit zubringen. Dazu wird ſie auff ſolche weiſe viel geſchickter ſich befinden / als wo ſie entweder einerſeits ſich wie gewoͤhnlich / geſaͤttiget / oder ander ſeits von dem faſten in - commodiret / oder doch in forcht einiger gefahr beſorgte zu ſeyn. Und wie dieſe wercke eigentlich die jenige ſind / um derer willen unſerem GOtt das fa - ſten ohne daſſelb aber das bloſſe faſten gar nicht gefaͤllet / Eſa. 58. alſo wird auch ſolches vor GOtt bey der perſon / welche zu andern faſten nicht geſchickt / ein wahrhafftiges faſten ſeyn. Jhr gewiſſen wird ſich hierdurch am kraͤfftig - ſten ſtillen / und hingegen GOtt ihr durch die fruͤchten dieſes faſtens ſehen laſſen / daß ihm nicht nur ſolches gefalle / ſondern / daß er auch ſolche ihre hei - lige uͤbungen / dazu ſie durch das geloben ſich vor andern mehr verbunden / al - ſo ſegnen / daß ſie wie ſonſten in ihrem Chriſtenthum mehr zunehmen / alſo auch die krafft des geiſtes und ſeine wuͤrckungen ſo viel herrlicher bey ſich ſpuͤ - ren wird. Welches ich auch ſolcher ob wohl nach dem fleiſch unbekanter / aber in Chriſto geliebter mitſchweſter von unſerem treuen GOTT und heyland hertzlich wuͤnſche und bitte / Amen.

SECTIO III. Von verbindlichkeit der geluͤbde / ſonderlich des faſtens.

JCh komme auff das anliegen wegen eines gethanen geluͤbdes / und faſſe um ſo viel gruͤndlicher und deutlicher die ſache zu heben meine meinung in einige ſaͤtze. 1. Wir Chriſten haben ein einiges haupt-geluͤbde / ſo wir in unſrer tauff vor GOtt dem HErrn thun / und mehrmals in erneue - rung unſers bundes mit GOtt / ja billig in taͤglichem vorſatz wiederhohlen: dieſes geluͤbde verbindet uns zu lauter ſolchen dingen / dazu wir von GOtt ohne das verbunden ſind / und alſo iſt es nur eine bezeugung unſerer obligen - den pflicht / davon wir niemals befreyet werden koͤnnen / oder auch ſolches nur zu verlangen haben. 2. Was aber die abſonderlich alſo genannte geluͤbde - ber dinge / welche an ſich ſelbſten ſonſten frey ſind / und zu thun oder laſſen aus gewiſſen urſachen / ſonderlich auff lebens lang angenommen werden / bin ich nicht in abrede / daß ſie nicht leicht rathe / indem der nutze / welchen man davonhoffen8Das dritte Capitel. hoffen kan / gemeiniglich gering / oder doch auch ohne geluͤbde / durch einen nicht gleich verbindlichen vorſatz was er durch jenes ſuchet erhalten werden kan / die beſchwehrde aber und zuweilen hindernuͤß ſo daher entſtehet / mei - ſtentheils groͤſſer als jener iſt / daß ich ſorge / es ſollen wol / auch unter Chriſt - lichen perſonen / ſo etwas gelobet haben / mehr gefunden werden / welche zu ſeiner zeit wolten / das geluͤbde nicht gethan zu haben / als welche ohne einige reue immer einerley wohlgefallen an der gelobten ſache behalten / und wo ſie es nicht gethan haͤtten / ihr geluͤbde allezeit noch zu thun bereit waͤren. Wor - aus alſo nur allerley ſtricke des gewiſſens / zweiffel und beaͤngſtigung / dahero ordentlich mehr hindernuͤß des rechtſchaffenen Gottesdienſtes und Chriſten - thums (da man doch eine beforderung ſuchet) zu erfolgen pfleget / welches ich gleichwohl lieber vermieden / und damit verſchonet zu werden ſehen wolte. 3. Jndeſſen kan ich doch auch nicht ſagen / daß dergleichen freywillige geluͤbde an ſich ſelbs unrecht / oder ſuͤndlich waͤren: ſo wol weil GOtt in dem A. T. uͤber die geluͤbde einige verordnungen gemacht / und ihrer hin und wieder als einer ſache ſo ihm gefaͤllig / gedencket / als auch weil an ſich ſelbs in einer ſolchen freywilligen verbindung nichts ſtraͤffliches gezeiget werden kan / indem was ich dieſes mal zu thun oder zu laſſen macht habe / und weiß / daß ſolches GOtt nicht entgegen iſt / das darff ich (wo ſonſten keine urſach einen unter - ſcheid machet) auch zu andern malen thun oder unterlaſſen / und mich dazu verbinden. So iſt auch nicht ohn / daß zuweilen ſolche verbindung durch ein geluͤbd / daß man ſeinen etwa unbeſtaͤndigen ſinn dadurch befeſtiget / eini - gen nutzen bey etlichen leuten haben mag. Jch achtete aber die jenige alle - zeit die ſicherſte / welche etwa von etwas gewiſſes nur einmahl zu thun / oder doch nur auff eine gewiſſe zeit / nach dero uns aus dem / wie wir uns dabey be - funden / wiederum frey bleibet / ſolches auffs neue fort zu ſetzen / oder es damit zu ſchlieſſen / geleiſtet werden: indem bey denſelben das gewiſſen weniger an - ſtoß findet / als bey den jenigen / ſo auff das gantze leben uͤbernommen werden / welche / nachdem dem Menſchen ſo vielerley aͤnderungen auffſtoſſen / gar leicht ſcrupul und gefahr erwecken: So doͤrffte man auch in allen ſolchen geluͤbden niemal auff nichts anders ſehen (wie ohne das die einbildung eines verdien - ſtes oder insgeſamt in euſſerlichen dingen eine heiligkeit zu ſuchen / unrecht ſeyn / und gar alles verderben wuͤrde) als daß ſie ein huͤlffs-mittel des jeni - gen waͤren / worzu wir ohne das alle insgeſamt verbunden ſind. 4. Wo aber einmal ein formlich geluͤbd / und alſo mit anruffung goͤttlichen nahmens ge - ſchehen iſt / wird die ſache ziemlich ſchwer / und hat man wol acht zu geben / daß man ſich nicht verſuͤndige. Zwahr / wo etwas gelobet worden waͤre / ſo an ſich unrecht / oder nunmehr von dem menſchen ohne uͤbertretung goͤttlichen gebots nicht gehalten werden koͤnte / ſo faͤllet von ſelbſten alle verbindlichkeitdes9ARTIC. I. SECTIO III. des geluͤbdes dahin / weil ſich niemand aus freyem willen zu etwas verbin - den koͤnte / was goͤttlichem willen entgegen iſt: auff welchem grunde es zum theil beruhet / daß die jenige / ſo in dem Pabſtthum das geluͤbd der ledi - gen keuſchheit gethan / und ohne ſuͤnde ſolches nicht halten koͤnnen / mit gutem gewiſſen ſich davon loß machen moͤgen. Wiewol ſolches dabey erfordert wird / daß ſolche leute ihre unbedachtſamkeit vor GOTT etwas gelobt und ſich nicht zur gnuͤge gepruͤffet zu haben / billich mit buß und demuth erſtlich zu erkennen haben / ehe ſie ſich der befreyung davon getroͤſten moͤgen. 5. Wo ſich aber dergleichen nicht befindet / ſondern ein geluͤbd iſt zwahr dem men - ſchen beſchwehrlich / er kans aber ohne ſuͤnde gleichwol halten / ſo traute ich einen Chriſten davon nicht loß zu ſprechen / ſondern halte davor / die ehrerbie - tung gegen ſeinen GOtt erfordere dieſes / daß er / was er einmal demſelben zugeſaget / alſo lang zu halten willig ſeye / als ihm muͤglich iſt / und derſelbige ihn nicht ſelbs davon loß ſpricht. Wir haben Gottes austruͤcklichen be - fehl in dem A. T. 4. Moſ. 30 / 3. Wenn jemand dem HErrn ein ge - luͤbde thut / oder einen eyd ſchwehret / daß er ſeine ſeele verbindet / der ſoll ſein Wort nicht ſchwaͤchen / ſondern alles thun / wie es zu ſeinem munde iſt ausgegangen. Und 5. Moſ. 23 / 21. u. f. Wenn du dem HErrn deinem GOTT ein geluͤbde thuſt / ſo ſolt du es nicht verzie - hen zu halten. Denn der HErr dein GOtt wirds von dir fordern / und wird dir ſuͤnde ſeyn. Wann du das geloben unterwegen laͤſſeſt / ſo iſt dirs keine ſuͤnde. Aber was zu deinen lippen ausgegangen iſt / ſolt du halten / und darnach thun / wie du dem HErrn deinem GOtt freywillig gelobet haſt / das du mit deinem munde geredet haſt. Dieſe verordnungen aber haben wir nicht anzuſehen / als waͤren ſie allein ſtuͤcke des levitiſchen geſetzes / ſo uns Chriſten nicht verbuͤnden: indem ſie viel - mehr eine pflicht ſind der natuͤrlichen gerechtigkeit. Dann diejenige ge - rechtigkeit und wahrheit / welche von mir fordert / daß ich meinem nechſten / dem ich etwas zugeſagt habe / das verſprochene halte / erfordert nicht weniger von mir / daß ich GOtt das angelobte halte: und wie ſich mein nechſter daruͤ - ber beſchwehret / und es als einen mangel der wahrheit / der liebe und ſo er ſonderlich vornehmer iſt / des reſpects, annimmet / wo ich mit der leiſtung zu - ruͤck bleibe / ja ſo viel hoͤher er gegen mir iſt / ſolche unterlaſſung zu ſo viel meh - rerem ſchimpff ſich anziehet; eben alſo ſtreitets auch wider die ehrerbietung gegen GOTT ſo wol / als wider die wahrheit / wo ich mir die freyheit neh - men wolte / das jenige zu ſchwaͤchen / was ich meinem GOTT gelobet habe / gegen welchen ich gleichwol alles unterlaſſen ſolle / was nur den geringſten ſchein einer verachtung gewinnen moͤchte. Weßwegen ich auchBnicht10Das dritte Capitel. nicht ſehe / wie unſre chriſtliche freyheit uns dieſer verbindung loß mache: Denn es hat uns zwahr freylich unſer liebſte heyland / wie von dem moſai - ſchen knechtiſchen geſetz / alſo von aller dienſtbaren beobachtung euſſerlicher dinge frey gemacht / daher ſich ein Chriſt / ſo in dem glauben ſtehet / kein ge - wiſſen uͤber etwas deſſen / ſo zum munde eingehet / oder ſonſten den leib beruͤh - ret / machet / ſondern getroſt durch hin / nemlich durch alle menſchliche dem ge - wiſſen auffgelegte ordnungen / reiſſet: aber der HErr hat uns von der pflicht der wahrheit und der ehrerbietung gegen ſich nicht frey gemacht / ſondern dieſe iſt eher genauer als vorher. Ja wie niemand ſagen wird / daß ich aus der freyheit / die ich in Chriſto habe / frey ſeye von den jenigen zuſagen / welche ich meinem naͤchſten gethan habe / und er alſo ein recht gegen mich daraus erhal - ten hat / ſo ſehe ich nicht / wie die zuſagen gegen GOtt weniger verbindlich ſeyn / und um ſolcherbefreyung willen ohne ſuͤnde hindan geſetzt werden koͤn - ten: und hingegen / wie ich den nahmen nicht zu haben / daß ich meinen wor - ten gegen den nechſten keine krafft gegeben haͤtte / das euſſerſte / und meine groͤſte ungelegenheit thue / ſo muß mir auch die beſchwehrde / ſo ich von dem geluͤbde habe (immer zu reden von dem jenigen / in dero haltung keine ſuͤnde ſtecket) zu vermeiden nicht ſo lieb ſeyn / deßwegen mich von demſelben mit ver - letzung der wahrheit loß zu wuͤrcken. 6. Wo ich nun auff die hypotheſin gehe / ſo finde zwahr ſo bald einigen fehler bey dieſem geluͤbde / daß daſſelbe nicht mit gnugſamen bedacht und pruͤffung der kraͤfften geſchehen ſeye / wie wir gleichwol in allen dingen / was wir mit GOtt vorhaben / zuſehen ſollen bedaͤchtlich zu ſeyn / und an die worte Salomons zu gedencken Pred. 5 / 1. Sey nicht ſchnell mit deinem munde / und laß dein Hertz nicht eilen et - was zu reden vor GOTT. Deßwegen nachdem bisher durch die erfah - rung ſolcher fehler ſich gnugſam offenbahret hat / und alle bisherige ſcrupel durch ſolche uͤbereilung veranlaſſt worden ſind / billich ſeyn wird / ſich hertzlich vor GOtt zu demuͤthigen / und dieſen fehler / dadurch man ſich ſelbs in nicht wenige verunruhigung geſetzet habe / abzubitten. 7. Jndeſſen finde doch nicht / daß damit das band auffgeloͤſet ſeye / ſondern es bleibet aus obenange - fuͤhrten urſachen alſo lang noch feſt / als es ohne andere ſuͤnde gehalten wer - den kan: Daher ich auch die aͤnderung deſſelben in eine andere art auff mich zu nehmen nicht getraute / noch eine ruhe des hertzens dabey verſprechen koͤn - te. 8. Weil uns aber gleichwol von GOTT die erhaltung ſo unſerer ge - ſundheit / als auch bequemlichkeit zur andacht alſo anbefohlen iſt / daß wir wi - der ſolche nichts zu thun befugt ſind / ſondern uns alles zur ſuͤnde wird / wo wir ſelbs unſre geſundheit ſchwaͤchen / und uns zu geiſtlichen uͤbungen / oder auch andern von ihm uns befohlenen dingen / ungeſchickt machen / ſo waͤre dieſes wohl die einige urſach / ſo denſelben etlicher maſſen von dem geluͤbde be -freyen11ARTIC. I. SECTIO III. freyen moͤchte. 9. Wann dann befunden worden / daß durch das faſten ſonderlich des freytags / wegen der mehrern amts-verrichtungen / die natur nicht ohne dero wahrhafftigen nachtheil und ſchwaͤchung / abgemattet wer - de / ſo faͤllet das geluͤbde / was den umſtand des tages (darauff ohne das nicht hauptſaͤchlich wird geſehen ſeyn worden) anlangt / dahin / und kan damit nicht fortgefahren werden: indem GOtt nicht gefallen kan / womit wir an uns ſeine creatur verderbten / und uns zu anderem ſeinem dienſt untuͤchtig machten. 10. Wo aber befunden wird / daß an einigem andern wochentage / da die wenigſte ermuͤdende verrichtungen waͤren / das faſten ohne nachtheil der geſundheit und verſtoͤhrung der andacht angeſtellet werden koͤnte / ſo wuͤrde durch ſolche verlegung dem geluͤbde in der ſache ſelbs ein gnuͤge geſche - hen / und ſich das gewiſſen damit beruhigen. 11. Wo aber letzlich ſich erge - ben ſolte / daß alles ſolche faſten nicht ohne ſchaden der noͤthigen leibeskraͤff - ten und mit ſtaͤter hinderung der andern geiſtlichen uͤbungen zu werck gerich - tet werde / ſo waͤre mein rath / gleichwol bey dem erſten geluͤbde ſo nahe zu bleiben / als ohne andere verletzung des gewiſſens geſchehen koͤnte / und wolte ich vorſchlagen / an ſtatt des einen tages / ſich zwey tag zu wehlen / da ich die or - dinarie mahlzeit auſſetzte / oder nicht nach ſonſt gewoͤhnlicher nothdurfft aͤſſe / ſondern etwa allein auff meinem cabinet mir von ſpeiß und tranck nur ſo viel reichen lieſſe / was die euſſerſte nothdurfft der ſtaͤrckung der natur erforderte / und hingegen die gewoͤhnliche zeit des ſpeiſens uͤber / allein mit geiſtlichen uͤbungen und andacht zubraͤchte. Dieſes achtete ich vor das ſicherſte / und von dem man kuͤnfftig die wenigſte unruhe des gewiſſens zu ſorgen haͤtte: dann alſo bliebe man bey dem geluͤbde / deſſen rigor die ſchwachheit der natur nicht zu gibt / und uns alſo gewiſſer maſſen davon befreyet / annoch am nech - ſten / und moͤchte den durch die erſte entſchlieſſung dazu vorgehabten zweck am kraͤfftigſten dardurch erlangen. Wie dieſes nun meine in der forcht des HErrn gefaſte einfaͤltige gedancken ſind / die ich zur pruͤffung meines gelieb - ten bruders eigenem gewiſſen uͤberlaſſe / ob und wie fern er ſich uͤberzeuget fin - den moͤchte / alſo ruffe ich ſchließlich den himmliſchen Vater demuͤthigſt an / daß er nach ſeiner vaͤterlichen guͤte und treue gegen ſeine kinder / welche wider ſeinen willen nicht gern thun wolten / ihm denſelben zu voͤlliger beruhigung des gewiſſens zu erkennen geben / und uns ſelbs allezeit mit ſeinem geiſt fuͤh - ren / alſo auch ſonderlich in dieſer ſache das hertz durchſeinegnadeveſtmachen wolle.

SECTIO IV. Von einem nicht mit genugſamen bedacht gethanen geluͤbde.

B 2Was12Das dritte Capitel.

WAs die uͤberſchickte frage von dem geluͤbde anlangt / ſo ſchicke erſtlich hierbey eine antwort / die ich von der materie vor dieſem an einen andern guten freund gethan / daraus meine meinung von dieſer ſa - che abzunehmen ſeyn wird. Auff den Special-Caſum aber zu kommen: 1. So halte dieſes votum quæſtionis, ſo viel ich noch ſehe oder begreiffen kan / nicht wohl und mit gebuͤhrender vorſichtigkeit gethan. Denn ich kaum verſtehe / wie ein menſch ohne verletzung ſeiner geſundheit des tages immerfort nur ein - mal ſpeiſen / in der woche aber zweymal gantz faſten koͤnte. Daher weiln wir nicht Herren unſers leibes ſind / ſondern derſelbe ſo wol als unſere ſeele Chriſti eigen iſt / deswegen von uns alſo muß gepfleget werden / daß er tuͤch - tig bleibe zu verrichtung desjenigen / worzu ihn GOtt verordnet hat / und die zu GOttes ehr begirige ſeele durch und in ihm wircken muß; ſo ſtehet uns nicht frey / aus einiger urſach / und alſo auch nicht per modum voti, demſel - ben alſo zuzuſetzen / daß er darnach zu ſeinen verrichtungen geſchwaͤchet / und alſo auch die fertigkeit der ſeele / die allezeit von der leibes beſchaffenheit et - was mit leidet / mehr gehindert als gefoͤrdert werde. Daher 2. wird noͤthig ſeyn / daß die perſon zum foͤrderſten einen verſtaͤndigen chriſtlichen Medicum conſulire / der ihrer conſtitution wohl wiſſend ſeye / oder ſie ihm ſolche nach aller nothdurfft deutlich vorſtelle / und alsdenn von demſelben vernehme / ob er ohne verletzung und ſchwaͤchung ſeiner geſundheit dieſe rationem victus gebrauche / ſonderlich aber / ob er nicht zu ſorgen haben moͤchte / daß auffs we - nigſte in das kuͤnfftige ſeiner geſundheit davon ſchade zu befahren waͤre. Wie ich mich entſinne / als ich in zeit meiner ſtudiorum einmal ein jahr absque voto continuiret / die woche alleine eine mahlzeit (den ſambſtag) gantz auszu - ſetzen / und alſo biß abends zu faſten / ein verſtaͤndiger und meiner conſtitution kuͤndiger Medicus darnach bezeuget / daß meiner geſundheit ſolchen ſchaden gethan haͤtte / welchen / wenn es moͤglich / lieber mit geld abkauffen ſolte. Da - her auch jetzt / da ich ex ratione valetudinis und einige zeit zur arbeit zu gewin - nen / woͤchentlich 2. abend ordinarie (wiewol ich mich auch nicht als an etwas noͤthiges daran binde) nicht zu tiſche gehe / mir gleichwol eine ſuppe / brodt und trunck auff mein loſament reichen laſſe / und nicht gantz faſte; alles aber ſine voto. 3. Wo nun der Medicus, welches ich ſchwehrlich gedencken kan / ausſprechen ſolte / daß damit der geſundheit nicht geſchadet wuͤrde / oder doch / daß noch biß auff eine gewiſſe zeit ohne ſorge kuͤnfftig davon fuͤhlenden unge - machs damit continuiret werden koͤnne / ſo bliebe das votum in ſeinem vigo - re, und wuͤrde eine muthwillige brechung deſſelbigen (ein anders iſt von un - bedachtſamer uͤberſchreitung) ſonderlich da ſie mehrmal wiederhohlet wuͤr - de / eine ſolche ſuͤnde ſeyn / die den menſchen in Gottes ungnade ſetzte / wie ande - re wiſſentliche ſonderlich beharrliche ſuͤnden. Jndem die geluͤbde wegen goͤtt -lichen13ARTIC. I. SECTIO IV. lichen befehls nicht ohne verletzung goͤttlicher ehre und entheiligung ſei - nes nahmens koͤnnen gebrochen werden. 4. Moſ. 30 / 3. 5. Moſ. 23 /. 21. 22. 23. Pred. 5 / 3. 4. Conf. Ap. Geſchicht 5 / 4. Wo dann auff dieſe weiſe dagegen gehandelt worden / iſt es mit demuͤthiger Buß zuerkennen.

4. Es wird auch in ſolchem fall dennoch das jenige ausgenommen / wo der menſch / ſo das votum gethan / und daſſelbe ſonſten zu andern zeiten hal - ten koͤnne und gehalten hat / entweder in eine ſchwachheit verfiele / oder in der - gleichen ſtand kaͤme / da er es nicht ohne ſchaden halten koͤnte / daß nemlich auch alsdenn das votum nicht guͤltig bliebe / ſondern was jetzo folget / auch darauff gezogen werde. Nemlich 5. wenn der Medicus ſolte gewiſſenhafft urtheilen / daß entweder bereits in dem gegenwaͤrtigen ohne ſchwaͤchung der geſundheit und bald daher entſtehenden ſchadens ſolches votum nicht gehalten werden koͤnte / oder doch von jetziger ſo vieler abſtinenz, auff das kuͤnfftige nachtheil zu ſorgen waͤre / ſo hat die perſon / ſo das geluͤbde gethan / zum allerfoͤrderſten ih - re unbedachtſamkeit hertzlich zu erkennen / daß ſie in einer ſolchen ſache / da mans mit GOtt ſelbſten zu thun hat / ohne vorhergehende reiffe deliberati - on, unterſuchung der muͤglichkeit / und etwa einziehung chriſtlichen raths / ein ſolches geſchloſſen / und ein geluͤbd gethan / ſo ihr nun zu halten unmuͤglich / daher durch ihre unachtſamkeit den nahmen des HErrn einiger maſſen ent - heiliget habe: da ſie wiſſen und bedencken ſollen / mit was ſonderbahrem vor - bedacht in dergleichen ſachen vor GOtt zu handeln waͤre. Sie hat ſich alſo deßwegen vor Gott zu demuͤthigen / ihn um gnaͤdige vergebung zu bitten / und wo das gewiſſen ſich je nicht ſo bald zu frieden geben will / ein gewiſſes denck - mal ſich zu machen / daß man ſich auch ſolcher ſuͤnde vor dem HErrn ſein le - betag erinnere / und ſtaͤts in wahrer buſſe derſelben bleibe. 6. Hingegen hat man alsdenn die haltung des voti von ſolcher zeit an auffzuheben / weil es nicht ohne ſuͤnde gehalten werden koͤnte / indem die wiſſentliche ſchwaͤchung der geſundheit in dieſem fall eine art des ſelbsmords waͤre / und wir alſo bey unſerm gewiſſen verbunden ſind / alles das jenige / was in unſerm willen ſte - het / zu vermeiden / wodurch das leben abgekuͤrtzet / die geſundheit geſchwaͤ - chet / und wir alſo GOtt und dem nechſten laͤnger oder ungehinderter zu die - nen gehindert wuͤrden. Alſo wuͤrde ſich der jenige / der dennoch wiſſentlich wider ſeine geſundheit darinnen handeln wolte / ſothaner ſchwehrer ſuͤnde ſchuldig machen / und die verantwortung alles deſſen auff ſich laden / was er ſonſten noch gutes ausrichten koͤnnen / und ſich darzu untuͤchtig gemacht hat. 7. Jedennoch iſt er damit noch nicht des gantzen voti frey / ſondern er hat von dem Medico (deſſen judicium hierinnen als in einer ſache / die ſeiner profeſſion iſt / dem gewiſſen ein gnuͤgen thun kan) zuerlernen / wie viel er ſeines voti ins -B 3kuͤnff -14Das dritte Capitel. kuͤnfftige ohne verletzung ſeiner geſundheit zu halten vermoͤge / und alsdenn daſſelbe ſich auffs neue entweder voto, oder welches ich allezeit præferire / und an ein eigenlich votum aus erkaͤntnuͤß unſerer ſchwachheit nicht gern komme / auffs wenigſte mit feſtem vorſatz vorzunehmen; jedoch mit dieſer austruͤckli - chen condition (damit allem neuen ſcrupel / der ſich erheben moͤchte / vorgebeu - get werde) ſo lange damit zu continuiren / als die geſundheit jedesmal nach eines verſtaͤndigen und gewiſſenhafften Medici erkaͤntnuͤß / ertragen wuͤrde koͤnnen; hingegen dero anfangende ſchwaͤchung vor ein zeichen / daß der HErr auch ſolches nicht weiter von ihm haben wolle / anzunehmen. 8. Wie ich nun dieſes nothwendig achte / indem des vorigen geluͤbdes guͤltigkeit nur wegen der gefahr der geſundheit dahin faͤllet / und alſo auch die freyheit davon nicht weiter zu ziehen iſt / alſo halte auch davor / daß dem gewiſſen am beſten gera - then werde / wo in allem auffs wenigſte am nechſten bey dem voto geblieben wuͤrde / und alſo die perſon die jenige mahlzeiten / die ihr von dem Medico fer - ner nothwendig geachtet wuͤrden / nicht nur deſto ſparſamer / und allein zu euſſerſter nothdurfft / ſondern gar abgeſondert von andern hielte: daß ſie alſo nicht zu der ordinari mahlzeit kaͤme / wo nicht nur leicht ein mehrer exceß vor - gehen mag / ſondern auffs wenigſte andere converſation und geſpraͤch das ge - muͤth diſtrahiret / vielmehr ſich ihre geringe portion allein geben lieſſe / die zeit ihres eſſens mit andaͤchtiger betrachtung / ſonderlich der urſachen / warum ſie das votum gethan / ſo dann ihrer ſchwachheit und anderer erbaulichen din - ge / zubraͤchte / und auch einige zeit ihrer uͤbrigen arbeit dadurch gewoͤnne. Wie nun dieſes dem vorigen voto am nechſten kommet / ja ſolche art etwa ver - muthlich ihrer ſeelen mehr erbauung geben kan / als die vorige haltung / wo die der mahlzeit uͤbergangene zeit an andere weniger erbauliche dinge gewen - det werden / alſo hoffe ich / werde ihr gewiſſen dadurch vor GOtt gnung tran - quilliret werden / daß nemlich derſelbe nicht in zorn zurechnen werde / was zwahr aus der intention ihm zu dienen / aber unbedachtſam / gelobet worden / und nun auch allein aus der intention wider den offenbahren ſeinen befehl / ſich ſelbs nicht ſchaden zu thun / nicht zu ſuͤndigen unterlaſſen / und doch ſeine gnaͤdige vergebung voriger leichtſinnigkeit demuͤthig gebeten werde. 9. Solte das gewiſſen (wie ich weiß / daß ſolches in dergleichen ma - terie ſich offte nicht leichte zur ruhe geben will / und daher / wie obgemeldt / nicht gern durch geluͤbde / da man noch frey iſt / demſelben einen ſtrick ange - worffen zu werden ſehe) ſich noch nicht gantz befriedigen / wolte ſchließlich ra - then / neben dem vorigen / was jetzt an hand gegeben / gleichſam zur erſetzung / was man nachlaſſen muͤſſen / etwas anders gutes ſich vorzunehmen / und ſich darzu auff thunliche art zu verbinden / davon unſre ſeele und der nechſte mehrer -15ARTIC. I. SECTIO IV. erbauung hat / etwa von gewiſſen uͤbungen der andacht oder gottſeligkeit / o - der was ſonſten dergleichen dienlich gefunden werden mag. Dieſes waͤre meine chriſtliche meinung / ſo ich den gruͤnden goͤttliches worts nicht un - gemaͤß zu ſeyn mich verſichert halte / dabey den guͤtigen himmliſchen Vater hertzlich anruffe / er wolle die perſon ſelbs durch dieſen unterricht / oder an - dern chriſtlichen rath / ſeines willens verſichern / und ihr zeigen / wie ſie ihm am beſten gefaͤllig ſeyn moͤge: auch alles ſolches durch ſeine gnade in ihr ſchaf - fen zu befoͤrderung ihrer ſeelen heil. Amen. 1686.

SECTIO V. Ob und wie einen eyd zu thun erlaubt ſeye. Matth. 5.

DAs hertzliche vertrauen eines recht Chriſtlichen gemuͤthes / ſo aus dem an mich gethanen klahr erhellet / machet mich ſo viel getroſter / denſel - ben ohne in der welt gebraͤuchlichen titul anzureden / ob wol nach dem mir deſſen perſon und weltliche condition nicht voͤllig bekant / ich auch darin - nen die ſonſt nach der welt lauff gewoͤhnliche gebuͤhr nicht gnug in acht neh - men koͤnnen. Jch bedancke und freue mich des gegen mich chriſtlichen be - zeugenden vertrauens / ſo vielmehr aus einer ſolchen ſtadt / da ſonſten mein armer nahme von vielen als eines boßhafftigen verworffen zu werden ver - lautet / und alſo nicht haͤtte gedencken ſollen / daß jemand nach meinem rath verlangen tragen wuͤrde. Aber gelobet ſeye der HErr / der gleich wie mich bißher gewuͤrdiget um der wahrheit ſeines Sohns willen einige ſchmach zu leiden / alſo derjenigen hertzen nichts deſto weniger mit rechtſchaffener liebe verbindet / die in einem geiſt / den ſie von ihme haben / ihren wandel fuͤhren. Er kennet die ſeinen / und gibt ſie auch ſich unter einander etwa zu erkennen. Die ſache ſelbs belangend / ſo will erſtlich meine einfaͤltige gedancken in theſi von dem Ort Matth. 5. zu ſeinem fernern nachſinnen und beurtheilung vor - legen / nachmal was mein wolmeinender rath in hypotheſi ſeyn wuͤrde / bey - fuͤgen. Das erſte belangend / bekenne gern / daß mir ſelbs ſolcher Ort nicht nur einmal viele gedancken gemacht / und ich ihn wol fuͤr den ſchwerſten in der gantzen ſonſten ſo einfaͤltigen berg-predigt unſers lieben heylandes halte: So erkenne auch / daß in dieſes und anderer befehl des HErrn erklaͤrung ſehr behutſam zu gehen ſeye / aus des HErrn eigener betrohung / wer eines ſei - ner geringſten gebote werde aufloͤſen und die leute alſo lehren / der werde der kleineſt ſeyn im himmelreich. Was unterſchiedlicher lehrer auslegungen ſeyen / iſt auch nicht der ort hie auszufuͤhren / noch dienet zur beruhigung des gewiſſens. Wo ich aber einfaͤltig bey dem text hleibe / moͤchteich16Das dritte Capitel. ich ſagen / es rede der HErr allein von den eidſchwuren / die geſchehen bey dem himmel / erde / Jeruſalem / eigenem haupt und dergleichen: Und alſo wo goͤtt - licher nahme nicht deutlich mit drinnen begriffen wird. Theils weil ſich nicht geziemen will / bey andern als bey GOtt ſelbs zu ſchwehren / theils weil eben dieſes die ſuͤnde der juͤden war / welche viele ſolcher ſchwuͤre / wie zu ſehen Matth. 23. nicht verbindlich hielten / und alſo damit andere betrogen / und weil der nahme des HErrn nicht deutlich ausgedrucket waͤre / gantz leichtſin - nig dieſelbe offters brauchten: Dargegen will Chriſtus auch dieſe eben ſo wol verboten haben; hingegen ſchreibet er vor mit ja und nein zu frieden zu ſeyn / und alſo den goͤttlichen nahmen nicht in dem gemeinen leben mit unnoͤthigem gebrauch zu entheiligen. Wo nun dieſe auslegung ſtehet / ſo moͤgen die wor - te den eidſchwuͤren bey GOtt ſelbs nicht entgegen geſetzet werden; ſolche auslegung aber ſcheinet in dem deutlichen buchſtaben gegruͤndet / und alſo das allerdings nicht bloß zu nehmen / ſondern mit den folgenden zuſammen zu ſetzen ſeyn. Jch ſage euch / daß ihr allerdings nicht ſchweren ſolt / we - der bey dem himmel noch erde u. ſ. f. Solte aber dieſe auslegung nicht wollen angenommen werden / ſondern wie Jacob. 5 / 12. dazu ſetzet / noch mit keinem andern eyd / ſolches auch dieſes orts mit gemeinet werden / ſo wer - wir doch nach reifflicher erwegung nimmer mehr ſagen koͤnnen / daß allerdings einiger eid nicht von Chriſten moͤchte gebraucht werden. 1. Weil Paulus offtmal ſich der eidlichen betheurung gebraucht / als Rom. 1 / 9. 2 Cor. 1 / 23. 11 / 31. Phil. 1. 8. 1. Theſſ. 2 / 5. 10. Wo er theils uͤber ſolche dinge ſchweret / die in ſeiner ſeele waren / und mit nichts anders erwieſen werden konten / theils die auch euſſerliche dinge betraffen; wo man ſagen moͤchte / daß nicht die allereuſſerſte noth des eids / nachdeme auch anderer erweiß ſtatt ge - habt / vorhanden geweſen ſeye: als was mit ihm zu Damaſco vorgegangen waͤre. 2. So hat ja Chriſtus ſelbs mit ſeinem Amen Amen / oder War - lich warlich / einen eid oder betheurung / die dem eid gleich guͤltig / auffs we - nigſte mehr als ja und nein waͤre / gebraucht. Nun wolte ich nicht zweiflen / daß alle auslegung der worte Chriſti dem gewiſſen ſicher genug ſeyen / die ſich auff das exempel Chriſti ſelbs / ſo dann ſeiner von dem H. Geiſt uͤber den ver - ſtand der wort ihres HErren erleuchteter Apoſtel begruͤnden. 3. Finden wir nicht nur die exempel der Heiligen / ſo in dem A. T. eide gethan / da einige excipiren moͤchten / es waͤre eben ſolches den alten erlaubt geweſenes hier von Chriſto auffgehoben: Sondern wir finden / daß von dem N.T. geweiſſa - get worden Eſ. 65 / 16. Jer. 12 / 16. daß GOtt auch alsdann mit ſchwehren werde gedienet werden. 4. Wird der ort Hebr. 6. nicht gantz aus der acht zu laſſen ſeyn. Daß aber unſer liebe Lutherus ſolche epiſtel nicht vor Pau -liniſch17ARTIC. I. SECTIO VI. liniſch erkennen wollen / præjudiciret dero wuͤrde und guͤltigkeit nichts; von dero auch jetzo unſere kirche einmuͤthig ſich verſichert haͤlt / und wahrhafftig die hoheit der goͤttlichen darinnen enthaltenen geheimnuͤſſen und uͤbrige kennzeichen der goͤttlichen buͤcher / wo wohl acht gegeben / darinnen gnugſam erkant werden wird. 5. Jſt wohl zu mercken / daß der eyd an und vor ſich ſelbs / und ohne die mißbraͤuch genommen / der liebe weder Gottes / noch des nechſten entgegen ſtehe: Nun aber hat der HErr alle gebotte in die liebe ver - faſſet. Vielmehr ſind die rechte eidſchwuͤhre eine herrliche uͤbung / bruͤder - licher gebotener liebe: wie dann es gleichwie eine ehre goͤttlichen nahmens iſt / wo wir einen rechtmaͤſſigen eid thuende / GOtt zu zeugen der wahrheit an - ruffen / und alſo ſeine gerechtigkeit und wahrheit preiſen; alſo mag auch damit offters dem nechſten eine ſehr nuͤtzliche liebe erwieſen werden. Daher aber - mal / welche erklaͤrung mit dem allgemeinen zweck aller gebote Chriſti uͤber - ein kommt / von deroſelben meinung nicht frembd zu achten iſt. 6. Mag auch einem chriſtlichen gemuͤthe zu ſeiner verſicherung in dergleichen ſonſten zweiffelhafftig ſcheinenden orten dienlich ſeyn / wo es weiß / wie die liebe erſte Chriſten / ſo dem alter der heil. Apoſtel am nechſten geweſen / des HErrn wort verſtanden und insgemein belebet haben. Nun finden wir / daß die liebe leute gleichwol in gantz wichtigen ſachen eyd abgeleget / obwol ſich der jeni - gen entſchlagen haben / welche einiges abgoͤttiſches oder leichtfertiges in ſich haͤtten. Gleichwol werden auch einige vaͤter auff die art reden / wie die wor - te Chriſti und Jacobi bloß dahin lauten: ſo uns aber dieſes zeigen moͤchte / daß ſo wol eine als andere nicht ſchlechterdings von jeglichen eydſchwuͤh - ren / wie dieſelbe auch ſeyn moͤchten / zu verſtehen ſeyen. Wann alſo ver - hoffentlich erwieſen / daß dieſe worte unſeres theuren heylandes nicht ohne einige reſtriction verſtanden werden moͤchten / weil ja derſelbe ſelbs / und Pau - lus ſein treuer nachfolger nicht allezeit ſchlecht dahin bey Ja und Nein geblie - ben ſind. So iſt ferner in der Furcht des HErren zu unterſuchen / wo wir die rechte limitation / und alſo meinung des HErren finden moͤgen. Meine ein - faͤltige gedancken hievon / die ich ſeiner und anderer gottſeeliger hertzen erwe - gung und beurtheilung willig uͤberlaſſe / gehen dahin; Es ſeyen die eyde nicht bloß dahin verboten / ſondern allein die jenige / ſo man eigenen willens thut: wie es ſich auch mit andern dingen / davon der HErr Matth. 5. handelt / ver - haͤlt. Maſſen wir auch nicht macht haben zu zoͤrnen / den nechſten einen nar - ren zu heiſſen und dergleichen / fuͤr uns ſelbs und aus eigenem trieb unſers verderbten rachgierigen hertzens / als welches allezeit boͤſe iſt / und doch nicht gewehret wird / daß GOtt in uns zoͤrne / und ein heiliger eiffer fuͤr Gottes ehre unſer gemuͤth gegen unſern nechſten / nicht denſelben zu haſſen / ſondern dem uͤbel in ihm zu widerſtehen / bewege; Auch harte empfindliche wort zurCſtraffe18Das dritte Capitel. ſtraffe und beſſerung gegen die hartnaͤckige gebraucht werden / nicht aus fleiſchlicher bitterkeit / ſondern goͤttlichem reinen eiffer / der / wie er in den exempeln etwas rar iſt / alſo an ſich ſelbs gleichwol ſo gar nicht zu verwerffen / daß er vielmehr lob verdienet / welches wir leicht erweiſen. Dann unſer theure erloͤſer / ſo ſeine lehre ſelbs allen belebet / erzuͤrnet ſich Marc. 3 / 5. er ergrimmet in dem geiſt / Joh. 11 / 33. 38. Seine worte waren offt ſo hart / als immermehr andere ſcheltwort ſeyn moͤchten / gegen die jenige / die er doch aus liebe beſſern wolte. Ferner: Paulus ergrimmet zu Athen in dem geiſt. Act. 17 / 16. Strafft ſeine Galater mit empfindlichen worten: er laͤſt ſeine Epheſer zoͤrnen / aber mit groſſer behutſamkeit / daß ſie nicht ſuͤndigten; Eph. 4 / 26. Ob er wol v. 31. ſolte ſcheinen allen zorn zu verbieten. Jaco - bus will haben der menſch ſolle zu dem zorn langſam ſeyn c. 1 / 19. nicht daß er niemal zu zuͤrnen haͤtte / aber daß er mit groſſem bedacht zuͤrne / und es nicht ein bloß menſchlicher zorn werde / welcher nicht thut / was vor GOtt recht iſt. Wie dann alſo / ob es ſchon ſcheinen moͤchte / daß von Chriſto und den Apo - ſteln etliche mal aller zorn verboten wuͤrde / gleichwol derſelbe nicht anders unrecht iſt / als wo der menſch aus ſich ſelbs / um ſein ſelbs willen / und wider die liebe zoͤrnet / nicht aber wo der zorn eine wahrhafftige frucht einer hertz - lichen liebe Gottes und des nechſten iſt. Jtem / wie in der erklaͤrung des ſech - ſten gebots unſer liebe heyland verbeut die geluͤſt eines weibes / nemlich auſ - ſer goͤttlicher ordnung / und gegen diejenige / die mir GOtt nicht gegeben hat / nicht aber gegen diejenige / welche Gottes ordnung mir auch zu leiblicher liebe (obwol dieſe weder das einige / noch vornehmſte in dem eheſtand iſt / und ſelbs in ihren ſchrancken gehalten werden ſolle / daß ſie nicht in eine unkeuſche viehiſche brunſt ausbreche /) gegeben: alſo halte ich das ſicherſte / daß wir ſagen / die eyde oder das ſchwehren ſeye verboten / wo es aus eigner wahl und bewegung / aus abſicht auff ſich / daß wir eben haben wollen / daß uns geglaubet werde / oder damit einiges zeitliches erhalten wollen / geſchie - het. Daher wolte ich wegen geld-ſachen nicht ſchwehren / ſondern lieber das meinige verliehren / als welcherley dinge ich nicht ſo viel werth achte / daß der heil. nahme Gottes daruͤber gefuͤhret werde. Hingegen achte die jenige eyde fuͤr erlaubt und recht / wo wir zu goͤttlicher ehre und liebe des nechſten ſchweh - ren / daſie nicht unſere / ſondern der liebe werck ſind / und mir alſo von GOtt in der liebe befohlen. Was alſo die eydſchwuͤhre anlangt / welche zu thun mir nicht frey ſtehet / ſondern mir autoritate der obrigkeit / als dienerin Gottes / zu dem zweck der verwaltung ihres goͤttlichen Amts der gerechtigkeit gehoͤ - rig / aufferleget werden / zum exempel in ſachen / wo der curſus juſtitiæ mein zeugnuͤß / und zwar daſſelbe beeydigt / erfordert / da mirs nicht frey ſtehet / ob ich der obrigkeit dasjenige / worinnen ſie meines zeugnuͤſſes zu verrichtungihres19ARTIC. I. SECTIO V. ihres Ampts noͤthig hat / abſtatten wolle; alſo auch wo ein homagium erfor - dert wird / ſo eines von den banden iſt / damit die policey aneinander hafftet / und die liebe auch deſſen erhaltung uns anbefihlet / und was dergleichen faͤlle mehr ſind / die achte ich mit freudigem gewiſſen geſchehen zu koͤnnen; als wel - che weder wider die heiligkeit goͤttlichen nahmens / noch wider die liebe des nechſten ſtreiten; in dem / was dieſe anlangt / dieſelbe ſo viel klaͤhrer vor augen liget / ſo vielmehreren offters dadurch liebe erzeiget / hingegen die menſchliche geſellſchafft ſehr zerruͤttet / und alſo wider die liebe geſuͤndiget werden wuͤrde / wo wir alle eyde auffheben: was aber jene betrifft / ſo iſts goͤttlicher heiligkeit nicht entgegen / dazu gebraucht zu werden / was dero ordnung in der obrig - keit iſt / und wobey goͤttlicher nahme nicht ohne innerliche und euſſerliche ve - neration gefuͤhret wird. Wie nun dergleichen eyde von der obrigkeit auffer - legt / in goͤttlicher ordnung geſchehen / und alſo wo ſie ſonſten keinen fehler ha - ben / daß man mit boͤſem gemuͤth / oder uͤber ungewiſſen ſachen dieſelbe ablegen wolte / recht und chriſtlich ſind / alſo achte nicht weniger / daß es faͤlle gebe / wo auch ohne erfordern der obrigkeit / die augenſcheinliche ehre Gottes und liebe des nechſten zuweilen dieſelbe erlaubt und noͤthig mache. Nachdem dieſe theſis nach der gnade ſo mir gegeben / mag expediret ſeyn / ſo wirds jetzo 2. noͤthig ſeyn / in hypotheſi, ob er wider die vorgeſchriebene ordnung nicht ge - ſuͤndigt zu haben / mit einem eyd behaupten doͤrffe / zu erwegen / was in dieſem fall zu thun. Da ſetze ich nun dieſe alternativam: Daß mein vielgeliebter Herr entweder durch obige remonſtration in ſeinem gewiſſen verſichert / daß er ohne uͤberſchreitung der gebote Chriſti ſolchen eyd thun koͤnne oder nicht. Jſt jenes / wie ich etwa hoffen will / ſo bedarffs nichts weiteres / ſondern ſo ſte - hen der gehorſam Gottes und der obrigkeit in ihrer ſubordination / und hin - dert keine den andern. Solte aber das hertz noch nicht beruhiget ſeyn / ſo koͤn - nen wir auch dubia conſcientia nichts thun / ſondern muͤſte das jenige unter - laſſen werden / was uns das gewiſſen nicht zugibet: Waͤre aber auff mittel zu gedencken / wie et wa die ſache declinirt werden moͤchte / wo fern die gedach - te ordnung viele und ſolche articul haben ſolte / die leicht und unvermerckt uͤberſchritten werden moͤchten / bey der vorforderung zu bekennen / ob man ſich wohl nichts bewuſt ſeye / daß man gegen die ordnungen geſuͤndigt / weil ſolches doch auch unwiſſend geſchehen ſeyn moͤchte / wolte man in cauſa dubia lieber eine dictirende ſtraff bezahlen / als das jenige mit einem eyd behaup - ten / was man zwahr gewiß bey ſich halte / aber doch eine formido oppoſiti da ſeye; oder wo etwa ein ander weg gefunden werden moͤchte / wie die neceſſi - tas jurandi, aber ohne andern ſchwuhr gebendes aͤrgernuͤß / gleich ob wuͤrden die eyde allerdings verworffen / decliniret werden moͤchte. Bey allem iſt auch GOtt hertzlich anzuruffen um ſeinen heil. geiſt / der unſere hertzen ſeinesC 2willens20Das dritte Capitel. willens verſichern wolle; wobey Paulus Rom. 12. ein ander herrliches mittel vorſchlaͤgt / nemlich ſich ſelbs GOtt zum opffer dar zu geben / ſich der welt nicht gleich zu ſtellen / ſondern durch verneuerung unſers ſinnes veraͤn - dern / ſo werden wir je mehr und mehr pruͤffen / und mit gewißheit erkennen / welches da ſeye der gute / der wolgefaͤllige und der vollkommene Gottes wil - le. Laſſet uns alſo unſerm heyland treu werden in den jenigen ſtuͤcken erſtlich / die ohne einige ungewißheit und zweiffel ſind / ſo wird er unſere hertzen auch mehr und mehr befeſtigen in dem uͤbrigen / ſo erſtlich uns noch nicht ſo gewiß vorgekommen. Wer da hat / und ſolches ſeinem HErren zu ehren braucht / dem wird gegeben. Er der HErr verleihe uns allen ſolche gnade / ſtaͤrcke und bekraͤfftige in uns das angefangene gute / und heilige uns in ſeiner wahrheit / ſein wort iſt die warheit.

SECTIO VI. Ein caſus betreffend einen nicht voͤllig gehaltenen eyd.

AUs der communicirten ſpecie facti, ſo ich in der furcht des HERRN durchleſen / ziehe ich folgende ſaͤtze:

1. Die genandte Lucilia, welche in einer ſache zwiſchen Cajo und Sem - pronia, die zu einer fiſcaliſchen inquiſition gediehen / zum eyd angeſtrenget worden / alles zu entdecken / was ihr davon bewuſt waͤre / oder ſie noch hin - fuͤhro davon erfahren wuͤrde; nachdem aber nach der zeit etwas unter Caji ſachen gefunden / ſo ſie rechtswegen nach entdecken ſollen / auch ſolches dem judici hinterbringen wollen / aber immer durch Caji, dem es ſonſten haͤtte ſcha - den werden / gute worte davon abgehalten worden / bis er geſtorben / und nun res nicht mehr integra, noch ſie die ſache im geringſten mehr beweiſen kan / kan von der ſuͤnde des meineydes vor GOtt nicht loß geſprochen werden. Jndem nicht allein 1. die heiligkeit goͤttlichen nahmens / der in dem eyd ange - ruffen wird / allerdings erfordert / daß dieſer unverbruͤchlich gehalten werde: da hingegen jede deſſen brechung denſelben ſchaͤndlich entheiliget / und daher GOttnicht vergebens denjenigen drohet / die ſich auff ſolche weiſe an ihm vergreiffen: ſondern 2. der bruch des eydes iſt ſo viel ſchwehrer / weil er in ei - ner gerichtlichen ſachen geſchehen / und aber nach 2. Chron. 19 / 6. das ge - richt GOTT gehalten wird / der allezeit dabey iſt; daher alle ſuͤnden in dem gericht begangen / ſonderlich welche den lauff der gerechtigkeit hem - men / und verurſachen koͤnnen / daß aus mangel gnugſamen berichts / der rich - ter ein unrechtes urtheil ſprechen mag / deſto ſchwehrer find: darzu kommt 3. daß21ARTIC. I. SECTIO VI. daß Caji gegenpart / zu deſſen vortheil der Petronellæ auſſage hat dienen ſol - len / dardurch kan um etwas / was derſelben rechts wegen gebuͤhret / gebracht worden ſeyn: da ſie alſo vor GOTT angeſehen wird / als eine perſon / die an - dere um das ihrige gebracht / und deſſen ſchuldig iſt.

II. Jndeſſen finden ſich auch einige urſachen / die ob wol Luciliam ihrer ſchuld nicht befreyen / gleichwol dieſelbige etwa geringer / als ſonſten freveler meineyd ſeyn wuͤrde / machen: indem nicht abzuſehen / wie ſie einer vorſetzli - chen boßheit / durch ihren meineyd das gericht und Caji gegentheil zu gefaͤh - ren / uͤberzeuget werden koͤnne / wie es ſeyn wuͤrde / wenn ſie damal / als ſie be - eydiget worden / etwas wiſſentlich falſches ausgeſagt / oder wiſſentlich die wahrheit verſchwiegen haͤtte; ſondern es wird præſupponiret / daß ſie zeit abgelegten zeugnuͤſſes nach ihrem gewiſſen geredet: als ſie auch nach der zeit etwas erfahren / da ihr gewiſſen ſie erinnert / daß ſie ſolches zu entdecken ſchul - dig ſeye / erhellet / daß ſie auch damal den entſchluß nicht gemacht / es gar zu verſchweigen / vielmehr meldet facti ſpecies, daß ſie es dem richter oder doch ihrem beicht-vater eroͤffnen wollen / daran ſie aber von Cajo (die art wie es ge - ſchehen / wird nicht ausfuͤhrlich ausgetruckt /) gehindert worden: daher nicht allein die meiſte ſchuld auff Cajum, der wiſſentlich ſeine ungerechte ſache muß durchgetrieben / und auch dieſe wahrheit zu unterdrucken geſucht haben / faͤl - let / ſondern bey Lucilia ſcheinet meiſtens die ſchuld nicht ſo wol darauff zu kommen / daß ſie ihrem eyd niemal ein gnuͤgen zu thun feſt beſchloſſen / als daß ſie aus urſachen / die ſie beſſer wiſſen muß / wie fern dieſelbe ihre ſchuld mehr beſchwehren oder erleichtern / ſolche allzulang verſchoben / biß ihr durch Caji todt es nunmehro zuthun / unmuͤglich wird worden ſeyn.

III. Was nun anlangt / wie der perſon gewiſſen am beſten zu rathen ſeye / faſſe ich meine gedancken alſo. 1. Es iſt derſelben ihre ſuͤnde nicht gering zu machen oder nur auszureden / ſondern da ſie GOtt in ihrer ſeele ſelbs gleich - ſam lebendig gemacht / deſſen fuͤhrung nachzugehen / und ihr zu zeigen / wie ſie allerdings goͤttliche heiligkeit groͤblich angetaſtet / und den zorn deſſen / deſſen nahmen ſie mißgebrauchet / auff ſich geladen habe / daher ſie weder die ſuͤnde entſchuldigen / noch ſich uͤber das leiden / das ſie deswegen ausſtehet / be - ſchwehren / ſondern ſich mit aller gedult unter die ſchwehre hand GOttes / die ſie ewiglich zu trucken wohl verſchuldet haͤtte / demuͤthigen / und allein die barmhertzigkeit / die auch dem groͤſſeſten ſuͤnder wiederfahren ſeye / anflehen ſolle. 2. Sie iſt auch ferner auff ihr voriges leben zu fuͤhren / wie daſſelbe vor GOtt gefuͤhret worden. Jndem dieſes unter die heilige wege der weiß - heit GOttes gehoͤret / daß derſelbe zuweilen einige / deren hertz nicht recht - ſchaffen / ſondern heuchleriſch vor ihm geweſen / und ohne daß ſie jemal wahr - hafftig zu ihm bekehꝛet / in einem rechtſchaffenen weſen / das in Chriſto Jeſu iſt /C 3ge -22Das dritte Capitel. geſtanden waͤren / ſich dannoch wegen ihres ehrbaren leben und fleiſſes in dem euſſerlichen gottesdienſt fuͤr gute Chriſten gehalten haͤtten / und alſo immer ſicher dahin gegangen waͤren / in grobe und greifliche ſuͤnde hat fallen laſſen / daß ſie dadurch der tuͤcke ihres hertzens gewahr wuͤrden / und zu wahrer buß kaͤmen. Wie mir vor mehrern jahren das exempel eines mannes bekant wor - den / der / da er vorhin ein leben zu anderer gutem exempel gefuͤhret / und ſich ſelbs fuͤr fromm geachtet / nachmal aber in einen oͤffentlichen ehebruch gera - then / hingegen ſelbs darnach bekennet / weil ihm ſein in heucheley betrieg - liches hertz durch ſolchen groben ausbruch erſt recht bekant worden / daß ſolche goͤttliche verhaͤngnuͤß uͤber ihn / ihm zur wolthat worden / und er ſonſten in ſei - ner ſicherheit ewig wuͤrde verlohren gegangen ſeyn; da hingegen nachmal ſei - ne buß und dero fruͤchten in dem gantzen leben ernſtlich und auffrichtig gewe - ſen ſind. Alſo wird der beicht-vater wohl thun / die perſon treulich auff ihren vorigen zuſtand zu fuͤhren / ob ſie nicht finden werde / daß ſie auch vor began - genem dieſem fall niemal rechtſchaffen vor GOTT geſtanden / noch jemal den hertzlichen vorſatz gefaßt / und in demſelben das leben gefuͤhret habe / daß ihrs in allem allein um GOtt und ſeinen willen / nicht aber um ſich und um die welt zu thun geweſen waͤre / dabey ſie aber wegen der euſſerlichen ehrbarkeit / ſich doch GOttes kind geglaubet zu ſeyn. Jch halte mich verſichert / weil dieſes der zuſtand der allermeiſten menſchen / nur daß ſie es nicht glauben / es werde mit ſolcher perſon nicht wol anders geſtanden ſeyn. Wann nun / wie ich hoffe / ihr gewiſſen ſie deſſen uͤberzeugen wird / ſo wird nicht allein ihre reue / die nun uͤber das gantze leben gehet / deſto gruͤndlicher und heilſamer werden / ſondern wenn ſie auch dieſe wolthat GOttes erkennet / daß dieſer der in ihr vorhin geſteckten eben ſo gefaͤhrlichẽ / aber ihr verborgen gebliebenen boßheit dieſen ausbruch gelaſſen / damit ſie zu bußfertiger erkaͤntnuͤß ihrer ſelbs kaͤ - me / und erſt auff den rechten weg der ſeligkeit / auff dem zu ſeyn ſie ſich vorhin faͤlſchlich eingebildet / eintraͤte / ihre geſamte ſuͤnde ihr nicht mehr allein leid werden wegen der verdienten ſtraff / ſondern daß ſie einen ſo guͤtigen Vater / der auch in ihrer ſuͤnde guͤtig gegen ſie geweſen / beleidiget habe. 3. Jn ſol - chem ſtand wird der troſt des Evangelii ſo viel eher an ihr hertz / wo es nun - mehr des gantzen lebens wegen zerknirſchet worden / anſchlagen / weil ſie nicht allein durch das goͤttliche wort / und die ſo viele exempel / die auch von den ſchwehreſten ſuͤndern darinnen angefuͤhret werden / verſichert werden kan / daß goͤttliche barmhertzigkeit unendlich groͤſſer als alle unſre ſuͤnden ſeyn / ſon - dern an ſich bereits das exempel erfaͤhret / wie dieſelbe ſie nicht in voriger ſi - cherheit habe hingeriſſen / wo ſie verlohren gegangen ſeyn moͤchte / ſondern das gifft ihres ſchwehren falles zu einer artzeney einer heilſamen buß mache. Von dem troſt / der in dieſem der ſeelen ſtand gefaſſet wird / halte mich gewiß /daß23ARTIC. I. SECTIO VI. daß er nachmal beſtaͤndig bleiben werde. 4. Weil aber zu wahrer buß auch gehoͤret / daß man ſeinen fehler beſſere / ſo hat ſie / wofern damit der gerechtig - keit und denjenigen / die ihres ſtillſchweigens halber haben ſchaden leiden muͤſſen / noch wieder geholffen werden koͤnte / ſolches gern zu thun. Ob aber ſolches muͤglich / oder nicht / weiß ich nicht / auch kans keiner urtheilen / der nicht ſo wol die jura verſtehet / als auch die gantze bewandnuͤß des proceſſes, auch deſſen ausſchlag / ſo dann was Lucilia noch anzeigen koͤnte / weißt / um daraus zu ſchlieſſen / 1. Ob dasjenige / was Lucilia angibet / alſo bewandt / daß es ohne fernern beweiß / von dem judice angenommen werden koͤnte. 2. So dann / ob es von ſolcher wichtigkeit / daß dadurch der gegen Cajum unter - gelegene theil koͤnte wieder zu ſeinem recht gelangen. Daher achte ich noͤ - thig / daß an einen chriſtlichen und verſtaͤndigen Juriſten alles / was zur eroͤr - terung dieſer frage erfordert wird / unter verborgenem nahmen / und durch die dritte / vierdte hand / geſandt / und deſſen meinung erfordert werde. Fin - det nun der mann / daß damit die verletzte gerechtigkeit wiederum zurechte ge - ſetzt / und denen / die ſchaden leiden haben muͤſſen / dadurch geholffen werden koͤnte / ſo iſt Lucilia annoch ſchuldig / und erfordert es die wahre buß von ihr / daß ſie die anzeige noch thue / ob ſie wol vor ihre perſon ſchaden und einigen ſchimpff daruͤber leiden muͤßte. Erkennet aber ein der materie verſtaͤndiger / daß zu der zurechtbringung der gantzen ſache ſolches angeben nicht gnugſam / entweder weil mehr erweiß noͤthig / als ſie auffbringen kan / oder res judicata dannoch durch ſolches angeben nicht auffgehoben werden darff / ſo iſt ſie nicht ſchuldig / ohne daß jemand davon mercklichen nutzen haͤtte / ſich ihres verbre - chens wegen zu melden / und damit in gefahr und ſchimpff zu ſetzen / ſondern hat ſich allein vor GOtt ſo vielmehr zu demuͤthigen / und fuͤr diejenige / die ih - renwegen nachtheil gelidten / deſto hertzlicher zu beten / daß GOtt ihnen den - ſelben / weil es in ihrem vermoͤgen nicht ſtehet / erſetzen wolte / hingegen von deſſen guͤte ſich auch in ſolcher ihrer buß der gewiſſen vergebung zu getroͤſten. 5. Wie nun in ſolcher bewandnuͤß ein chriſtlicher prediger ſie der goͤttlichen gnade getroſt verſichern / und darauff abſolviren kan / alſo hat ſie auch mit glauben ſolches anzunehmen / GOtt aber inbruͤnſtig anzuruffen / daß er dieſen troſt lebendig in ihrer ſeele verſiegeln wolle. Solte es aber geſchehen / daß die empfindlichkeit ſolches troſtes lange ausbliebe / hingegen die anfech - tung fortwaͤhrete / darzu vieles thun kan / daß die eine weil angehaltene ge - wiſſens-angſt auch die natur angegriffen / und einen morbum hypochondria - cum erreget haben mag / bey welchem eine froͤliche fuͤhlung ſehr ſch wehr wird: ſo kan man ſie doch mit wahrheit verſichern / daß ſie auch ſolchen zuſtand nicht fuͤr ein zeugnuͤß einer goͤttlichen ungnade zu halten / ſondern zu glauben habe / der himmliſche Vater finde ihr ſolchen zuſtand ſo viel ſeeliger / dadurch wegenih -24Das dritte Capitel. ihrer begangenen / obwol nun vergebenen ſuͤnden in ſo vielmehr demuth und niedrigkeit ſtets gehalten / auch fuͤr andern ſuͤnden und welt-luͤſten deſto kraͤfftiger verwahret zu werden: damit ſie auch zu frieden ſeyn / und ſolches leiden als ein huͤlffs-mittel ihrer fernerer heiligung mit kindlichem gehorſam auffnehmen ſolle. Jnsgeſamt aber iſt ſie zu vermahnen / daß ſie dieſer ſuͤnde wegen / die ihr der Vater um Chriſti willen vergeben / ſchuldig ſeye / ihr gan - tzes leben / noch vor andern / in deſto mehr ſorgfalt und behutſamkeit zuzu - bringen / ſich vor allen ſuͤnden zu huͤten / und den nahmen GOttes / den ſie mit gewiſſer art eines meineyds entheiliget / hingegen ſo vielmehr auff allerley art zu heiligen: worzu ihr die noͤthige goͤttliche gnade / denjenigen aber / die mit ihr umzugehen haben werden / die erforderte chriſtliche weißheit mit ihr recht zu verfahren / von grund der ſeelen anwuͤnſche um Chriſti willen. A - men.

SECTIO VII. Von einem ſchwaͤngerungs-caſu. Was bey ſor - ge eines meineydes der Richter und Prediger zu thun haben.

DEn vorgelegten ſchwaͤngerungs-caſum anlangend / ſo ſind auff vorge - legte fragen meine gedancken folgende: 1. daß freylich dahin zu trach - ten / und darauff zu tringen / daß der ſtreitigen ſache ein ende gemacht werde. Wie aber ſolches geſchehen muͤſſe / kan ich nicht gewiß definiren / ſon - dern gehoͤret vor die rechts-gelehrte / ſo die perſonen abgehoͤret / oder dero voͤl - lige bekantnuͤß umſtaͤndlich vor ſich haben. Die ſache aber wird dahinaus - kommen / nachdem die ſtuprata Sempronium der ſchwaͤngerung beſchuldiget / ob ſie einige zimliche indicia vorbringen koͤnne / oder ſich dergleichen aus ſei - nem eignen bekaͤntnuͤß hervor thun / daß er damit ſtarck graviret wuͤrde. Ge - ſchehe dergleichen nichts / ſo moͤchte Sempronio kein eyd aufferleget werden / als wozu in den rechten zimliche indicia erfordert werden / damit nicht ein ehr - licher mann um jeder bloſſen anſchuldigung willen zu einem eyd genoͤthiget werden doͤrffe: ſondern in ſolchen fall muͤſſe er bloß dahin von der klage ab - ſolviret werden / weil gegentheil gantz nichts zu erweiſen / oder ihn nur mit ſtarcken indiciis zu graviren vermoͤchte. Jſts aber / daß einige gnugſame in - dicia vorhanden / welche der ſtupratæ vorgeben beſtaͤrcken / ſo kan die ſache nicht alſo gelaſſen / ſonder n muß beklagten der reinigungs-eyd aufferleget werden / und gegentheil ſich damit vergnuͤgen. Was 2. die andre frage be - trifft / ob wol ſtuprata ſtets einwirfft / der beſchuldigte werde falſch ſchweh - ren / hindert doch ſolches nicht / daß die obrigkeit ihm / dafern er mit gnugſa -men25ARTIC. I. SECTIO VII. men indiciis graviret iſt / und alſo die aufftragung des eydes ſtatt hat / den eyd nicht ſolte aufflegen koͤnnen / ſie haͤtte dann ſelbs wichtige anzeigungen / daß er falſch ſchwehren wuͤrde / wider ihn; oder es wolte jene (actrix) ſelbs gar de - ſiſtiren / und ihn alſo gantz loßlaſſen. Denn was ihr vorgeben betrifft / mag ſolches / wenn keine andere indicia und ſorgen des meineydes vorhanden ſind / welche ihn nicht zulieſſen zueinem eyd zu kommen / den Richter davon nicht ab - halten / daß er nicht / was das recht erfodert / ihm zuerkenne: indem ſonſten allezeit jede parthey / gegen welcher der gegentheil zum Juramento verſtattet werden ſolle / denſelben mit ihrem beharrlichen vorgeben / er werde falſch ſchwehren / abhalten / und alſo den lauff des rechten eludiren koͤnte. Daher in ermangelung andrer und kraͤfftiger gruͤnde wider den beſchuldigten / der klaͤgerinn proteſtation gegen ihn / gar nicht geachtet wird. Ob dann ſchon freylich muͤglich / daß ein meineyd begangen werden koͤnte / wuͤrde doch als - denn deſſen ſchuld nicht den Richter / welcheꝛ / als der in die hertzẽ zu ſehen nicht vermag / an die regeln des rechten verbunden iſt / ſondern den meineydigen al - lein / der zwahr vorhin vor dem meineyd deſto ernſtlicher zu warnen / treffen. So iſts mit unſern menſchlichen leben ſo bewandt / daß unmoͤglich den boͤſen alle rencke ihrer boßheit außzuuͤben / koͤnne vorgebeuget werden / ſondern uns gnug ſeyn muß / auch vor GOtt ſolches gnug gehalten wird / da wir an demje - nigen / wenn einige ihre ſeelen muthwillig dahin geben wollen / nicht ſchuld ſind / ſondern alle uns muͤgliche mittel verſucht haben / dadurch wir nach be - ſtem unſern wiſſen eine ſuͤnde zu verhuͤten gehofft. 3. Wenn Sempronius ent - weder ſich loßgeſchworen haͤtte / oder in ermangelung der gegen ihn noͤthi - gen indiciorum ungeſchworen loßgeſprochen werden muͤſte / ſo koͤnte deſſen beicht-vater nichts weiter mit ihm anfangen / ob er wol zimlichen verdacht auff ihn zu haben meinte / als daß er ihn / ehe er ihn admittirte / nochmal ernſt - lich erinnerte / und ihm ſonderlich zeigte / daß ihm die ſuͤnde ſeines meineyds / oder vor GOtt in der obrigkeit zu præjudiz der geſchwaͤchten perſon / faͤlſchlich gelaͤugnete mißhandlung / nicht vergeben werden koͤnte / wo er nicht mit auff - richtiger bekaͤntnuͤß ſolcher ſeiner uͤbertretung / welche er GOtt in der ord - nung / worinnen er ihn gelaͤugnet / zu rettung deſſen ehr / und zur gnugthuung fuͤr die beleidigte / wiedrum ablegen muͤſte / die ſuͤnde gleichſam retractirte / ſondern weil er vorſetzlich in einer ſuͤnde gegen GOtt / die obrigkeit und die geſch waͤchte immer ſtehen blieben / und alſo in der that unbußfertig ſeye / ſeye alle abſolution an ihm vergebens / und binde ihn in gewiſſer maaß nur deſto mehr / weil er dasjenige fordre und annehme / was ihm ſein hertz ſagen ſolte / das ihm nicht zuſtehe. Wenn er denn nichts deſtoweniger auff ſeiner un - ſchuld beharret / ſo mag der Prediger ohne ferner bedencken ihn zulaſſen. Dann wo er dannoch ſchuldig waͤre / und alſo das wort der verſoͤhnung und die ana -Dden -26Das dritte Capitel. den-mittel nur zu ſeinem gericht nehme / ſo wuͤrde doch der Prediger / welcher als ein menſch die hertzen nicht unmittelbar pruͤfete / vor GOtt ohne ſchuld ſeyn; dieſer aber / der leichtfertige menſch allein tragen / und gewiß / wie der - gleichen exempel zu finden / daſſelbe zu ſeiner zeit ſchwehrer als er geſorgt / er - fahren. Jedoch / ſo viel mehr als der Prediger noch zimliche urſach an dem menſchen zu haben meinet / ſo viel mehr mag er auch ſeine abſolution (die oh - ne das alle / ſo fern ſie von menſchen kommet / dem verſtand nach conditionata iſt / wo nemlich der beichtende auch in dem hertzen ſo ſeye / wie er ſich mit dem munde als bußfertig darſtellet) dermaſſen clauſuliren / daß dem menſchen / da er redlich iſt / an ſeinem troſt nichts abgehe / aber auch / wo er GOtt und den Prediger zubetriegen geſucht / ſein hertz und gewiſſen aus derſelben wenig tro - ſtes zu ſtaͤrckung ſeiner ſicherheit laſſe. Womit der Prediger ſein gewiſſen al - lerdings retten kan. Der HErr gebe auch hierinn / und in allem die noͤ - thige klugheit der gerechten / und wende alles kuͤnfftige aͤrgernuͤß kraͤfftig ab. 1688.

SECTIO VIII. Enthaltung von poetiſchen gedichten von den heidniſchen goͤttern.

JCh finde die geſchickte emblemata alle ingeniös und ſinnreich / jedoch hat mich das erſte / deß durch die lantze von oben her regierten loͤwen / am meiſten contentiret. Was die uͤbrige anlanget / laͤugne ich nicht / daß ich bedencken habe uͤber den poetiſchen gedichten / dafern ſie zu goͤttlichen din - gen angewendet werden / wann etwas die heidniſche goͤtter / in denen der teuf - fel geehrt worden / betreffend / eingefuͤhret wird; und trauete ich ſie in nichts anzufuͤhren / das einigerley maſſen zu ihrer ehre dienen moͤchte. Wie ich vor dem in meiner jugend von einem frommen anweiſer (Herr Georg Sigismund Vorbergern / nachmal Caͤmmerern zu Budißin /) in poeticis gewehnt worden bin / nimmeꝛmehr in einigem carmine ſolcheꝛ goͤtter nahmen / es waͤꝛe dann / daß es zu dero ſchande gereichete / zu gedencken. Weil wir den nahmen der Baa - lim aus unſerm munde thun ſollen. Hoſe 2 / 17. Man achtet zwahr insge - mein / es koͤnte kein Carmen eine rechte poetiſche zierde ohne ſolche dinge ha - ben / aber gedachter Herr Vorberger zeigte mit ſeinem exempel / daß die aller ſchoͤnſte und eben ſo wol ſinnreichſte Carmina moͤchten gemacht werden / ohne einige vermiſchung dieſer aus der GOtt widrigen abgoͤtterey hergenomme - nen gedichten. Daher getraute ich mich nimmer der Minervæ oder einiger der genannten goͤtter gabe mich zu bezeichnung der goͤttlichen weißheit oder leitung zu bedienen / ſorgende ich moͤchte dieſelbe verunehren / da ich ſie demjeni -27ARTIC. I. SECTIO VIII. jenigen vergliche / was aus des ſatans (der die abgoͤtterey der Heyden ein - gegeben hat) eingebung ſeinen urſprung her genommen hat. Ein anders iſts mit den poetiſchen dingen / die entweder wahrhaffte / oder doch vermuthliche hiſtorien zum grunde haben / oder phyſica ænigmata ſind / und aus der natur und dero verborgenheiten hergenommen werden. Wie ich mich ſeither erin - nert / welches in dem Herm. Hugone geſehen haben werde / und ſich etwa auff dieſes DEO Duce reimte / das bild des Labyrinthi, darinnen einer gehet / der durch einen faden oder ſeyl von oben her geleitet wird / da andere vor ihm und nach ihm in die graͤben fallen. Welches einigerley maſſen auch aus der hi - ſtorie des Theſei und Ariadner herkommet. 1681.

SECTIO IX. Von dem ſabbath / deſſen urſprung und ſteter fortſetzung.

Die 1. Frage.

  • Ob zuerweiſen / daß der ſiebende tag der welt / an welchem GOtt nach vollbrachtem werck der ſchoͤpffung geruhet 1. Moſ. 2 / 3. von denen erſten menſchen gleich anfangs mit celebriret / und die feyer deſſelben continua & recta ſerie biß auffs geſetz 2. Moſ. 20 / 8. u. f. beybehalten?

ES hanget dieſe frage an einer andern vorhergehenden / nemlich ob 1. Moſ. 2. ſo bald nach der ſchoͤpffung GOtt den ſiebenden tag zum ruhe - tag verordnet / oder denſelben erſt in der wuͤſten 2. Moſ. 16 / 23. einge - ſetzt / und darauff 2. Moſ. 20 / 8. ſolche einſetzung auch den zehen geboten ein - verleibet habe? dann waͤre dieſes letztere / ſo wuͤrde von voriger zeit vergeb - lich gefragt / und koͤnte niemand eine noch nicht geſchehene einſetzung obſervi - ret haben: iſt aber das erſte / ſo iſt auch kein zweiffel / ob wol der wenigſte theil der menſchen auch ſolchem gebot moͤchte nachgekommen ſeyn / daß doch / was die gottsfuͤrchtige anlanget / dieſelbe zu keiner zeit ſolche goͤttliche ſatzung werden gar hindan geſetzet haben. Alſo kommts alles auff die frage an / wann der ſabbath erſtmal von GOtt eingeſetzet worden.

Es iſt aber dieſe frage ſo bewandt / daß die lehrer ſich nicht wohl druͤber vergleichen koͤnnen / und iſt ſonderlich in Niederland in der erſten helffte die - ſes jahrhunderts mit zimlicher hefftigkeit daruͤber geſtritten worden / da ei - ner ſeits Franc. Gomarus die meinung behauptete / daß der ſabbath erſt in der wuͤſten eingeſetzet worden / anderſeits Anton. Walæus und der beruͤhmte An -D 2dr. 28Das dritte Capitel. dr. Rivetus die einſetzung in das paradieß verwieſen / welche denn in unter - ſchiedlichen ſchrifften untereinander die ſache diſputiret haben.

Unter ſolchen beyden meinungen aber achte ich diejenige / welche gedach - ter maſſen von Riveto auch vertheidiget worden / fuͤr die wahrhafftigſte / der ſchrifft gemaͤſſeſte und ſicherſte; wie ſie auch von den meiſten beliebet wor - den. Wie dann unter den alten derſelben beygepflichtet Philo, Chryſoſto - mus, Theodoretus, Auguſtinus, auch wo er recht verſtanden wird (da man ſonſten ihn auff die gegenſeit ziehen will /) Tertullianus. Unter den Refor - mirten halten es damit ohne die angefuͤhrte Walæum und Rivetum mehrere von denſelben ſelbs benannte / als Ulr. Zwinglius, Joh. Calvinus, Theodo - rus Beza, Petrus Martyr, Henr. Bullingerus, Hieron. Zanchius, Zach. Urſinus, Rud. Gvalterus, Bened. Aretius, Bonav. Bertramus, Ant. Faius, Franc. Junius, Dav. Paræus, Wilh. Zepperus, Joh. Henr. Alſtedius, Martinius, Lamb. Danæ - us, Rud. Hoſpinianus, Joh. Simlerus, Aug. Marloratus, Fequernequinus, und andere: aus der Roͤmiſchen kirchen ſtehen davor Auguſt. Sterutius Eugu - binus, Gilb. Genebrardus, Jac. Salianus, Corn. a Lapide, Catharinus, Emanuel , Fr. Ribera. Was unſere kirche anlanget / ſtehet zum foͤrderſten unſer D. Lutherus ſelbs / der alſo hiervon ſchreibet T. 9. Alt. f. 38. a. Moſes ſagt / daß GOtt den ſabbath geſegnet / und ihn geheiliget habe. Solches hat er an keiner andern creatur gethan / den himmel und erden oder einige andere creatur hat er ihm nicht geheiliget / ohn allein den ſieben - den tag hat er ihm geheiliget. Dieſes gehoͤret ſonderlich dahin / daß wir daraus verſtehen lernen / daß der ſiebende tag fuͤrnemlich dem gottes - dienſt gebuͤhret und zugeeignet werden ſolle. Dañ heilig heißt / das von allen andern creaturen abgeſondert und Gott zugeeignet iſt; und heili - gen heiſt zum heil gebrauch odeꝛ gottesdienſt eꝛwehlen und abſondern / wiedieſe art zu reden Moſes offt brauchet / als wenn er von heiligen ge - faͤſſen redet. Folget derohalben aus dieſem text / daß wenn Adam gleich in ſeiner unſchuld geſtanden und blieben waͤre / ſo haͤtte er doch den ſie - benden tag heilig gehabt / das iſt / haͤtte darinnen ſeine nachkommen gelehret von GOttes willen und gottesdienſt / haͤtte GOtt gelobet / gedancket / geopffert etc. Die andern tage haͤtte er das land gebauet / des viehes gewartet etc. Ja er hat auch nach dem fall dieſen ſiebenden tag heilig gehalten / das iſt / hat an ſelben tage ſeine kinder gelehret / wie da zeiget das opffer ſeiner ſoͤhne Cain und Abel. Derhalben iſt der ſabbath vom anfang der welt zum gottesdienſt verordnet. Und alſo haͤtte menſchliche natur / wo ſie in ihrer unſchuld und erbgerechtigkeitge -29ARTIC. I. SECTIO IX. geblieben waͤre / Gottes ehre und wolthat geruͤhmet / und haͤtten die menſchen am ſabbath mit einander geredet von der unausſprechlichen guͤtigkeit Gottes ihres ſchoͤpffers / haͤtten geopffert / gebetet / ꝛc. dann diß alles bedeut und ſchleuſt in ſich das wort heiligen. Nach dieſem unſerm vornehmſten lehrer haben gleiches mit ihm gehalten / als viel mir wiſſend iſt / die beruͤhmteſte und meiſte unſrer Theologorum, aus denen al - lein anfuͤhre D. Martin. Chemnitium, D. Joh. Gerhardum, D. Wolfg. Franzi - um, D. Luc. Oſiandrum, die Weimariſche Bibel / Henr. Buntingium, D. Joh Conr. Dannhauerum, D. Joh. Ad. Oſiandrum, &c. Weil es aber in einer theologiſchen frage mit der autoritaͤt andrer lehrer nicht gnug iſt / haben wir auch die gruͤnde unſrer meynung aus der ſchrifft dar zu thun.

So iſt nun 1. der erſte grund in dem text 1. Moſ. 2 / 2. 3. der alſo lautet: Und alſo vollendete GOTT am ſiebenden tage ſeine wercke / die er machte / und ruhete am ſiebenden tag / und heiliget ihn / darum / daß er an demſelben geruhet hatte von allen ſeinen wercken / die er machte. damit zu vergleichen iſt / was im 2. Moſ. 20 / 11. als die urſach der ſabbaths - feyer angefuͤhret wird: Dann in ſechs tagen hat der HERR himmel und erden gemacht / und das meer / und alles / was darinnen iſt / und ruhete am ſiebenden tag. Darum ſegnet der HErr den Sabbath / und heiliget ihn. Und nochmal 2. Moſ. 31 / 17. Dann in ſechs tagen machte der HERR himmel und erden / aber am ſiebenden tage ruhete er / und erquickte ſich. Aus dieſen ſpruͤchen iſt zu mercken 1. daß ohne wi - derſpruch in denſelben gehandelt werde von dem ſiebenden tag der welt und dero ſchoͤpffung / als welcher den ſechs ſchoͤpffungs-tagen entgegen und nach ihnen geſetzet wird. 2. Wird darvon geſagt / der HERR habe geruhet / das iſt / auffgehoͤret zu thun / was er die vorige tage gethan / nemlich jeden tag etwas neues erſchaffen hatte: indem von der ſteten erhaltung aller creatu - ren / er auch damal nicht kan abgelaſſen und geruhet haben. 3. Es heiſſet aber auch / er habe ſolchen tag geſegnet und geheiliget. Das ſegnen kan nicht anders verſtanden werden / als daß GOTT der HERR ſolchem tag eine ſonderbahre wuͤꝛde beygeleget habe / welches in nichts anders wohl beſte - hen kan / als in deſſen abſonderung von den uͤbrigen tagen / von denen er einen unterſcheid und vorzug haben ſolte; welches durch das heiligen ſonderlich verſtanden wird; in dem heiligen eigenlich heiſſet / etwas abſondern / ſonder - lich aber von dem gemeinen und weltlichen gebrauch abziehen / und zu einem goͤttlichen widmen. Welches / daß es die meinung ſeye dieſer heiligung / auch daraus erhellet / weil in dem dritten gebot austruͤcklich die ſechs tageD 3von30Das dritte Capitel. von dem ſiebenden unterſchieden werden / mit dieſem unterſcheid / daß jene zu des menſchen eignen wercken / darinnen ers mit dieſem irrdiſchen und zeitli - chen leben zu thun hat / uͤberlaſſen werden; der ſiebende aber von denſelben frey bleiben ſolle. Welches recht die bedeutung des Worts heiligen aus - drucket. Daher 4. kan es nicht ein heiligen und ſegnen ſeyn / das gleichſam bey GOTT bleibe / und auff ihn terminirte: wie dann kein tuͤchtiger ver - ſtand moͤchte gezeiget werden / wie GOTT dem HERRN ſelbs ein tag heiliger oder geſegneter werde / ſondern es muß die abſicht ſeyn auff die men - ſchen / daß der tag ihnen heiliger und geſegneter ſeyn / das iſt / ſie denſelben von dem gemeinen gebrauch abſondern / und daran eines kraͤfftigen ſegens in dem geiſtlichen von GOTT genieſſen ſolten. 5. Dieſes heiligen und ſegnen iſt geſchehen an dem tag / da der HERR geruhet hat / daher auch der effect da - von billich ſo bald hat folgen ſollen / nemlich daß gleich damal Adam und Eva darzu verbunden wuͤrden / ſo bald den anfang zu machen / und ſamt ihren nachkommen ſolchen tag GOTT dem HERRN zu heiligen: daher folget / daß dann damal die einſetzung ſolcher feyer geſchehen ſeye.

Welche nun dieſer meynung widerſprechen / und vorgeben / daß allererſt 2. Moſ. 16. die einſetzung in der wuͤſten geſchehen ſeye / haben gegen dieſe ſtel - le nichts einzuwenden / als daß was hie ſtehet / per πρόληψιν hieher geſetzt ſeye / und daß Moſes bey der hiſtoria von der ruhe nach der ſchoͤpffung / nur die gelegenheit her genommen habe / des jenigen zugleich meldung zu thun / was GOTT ſo lang darnach zu deſſen gedaͤchtnuͤß verordnet habe. Aber 1. ob wol nicht zu leugnen ſtehet / daß hin und wieder in der ſchrifft ſich exempel finden / wo etwas nicht eben in der ordnung erzehlet wird / als es geſchehen iſt / ſo wuͤrde es doch allzuhart ſeyn / von dieſer ſtelle ohne die nachtruͤcklichſte urſach / welche doch hie nicht gezeiget werden kan / es vorzugeben: indem der heilige Geiſt dieſe dinge nacheinander erzehlet / Gott vollendete und ruhete / und ſegnete / und heiligte; welche folge dieſer goͤttlichen handlungen / ohne dem text gewalt zu thun / niemand wol anders anſehen kan / als daß ſie zu ei - ner zeit nacheinander geſchehen / nicht aber die 2 letzte mehr als 2000 jahr nach den erſten erfolget ſeyen / welches nach der andern meynung ſeyn muͤſte / aber keine gnugſame urſach angezeiget werden kan / von der einfalt der wort der - maſſen abzugehen. Denn 2. was anlangt / daß man ſagen will / es koͤnne das ſegnen und heiligen nicht von dem ſiebenden tage geſprochen werden / ſondern es ſeye allein wahr von dem ſiebenden tag / da das manna nicht gefallen / und alſo auch nicht geſammlet werden ſollen / worinnen deſſen tages heiligen und ſegnen beſtehe / iſt es ein vergebenes einwenden / dann jenem erſten tag iſts ja ſegens und heiligens gnug / daß GOTT denſelben zum ruhe-tag verord - net habe: hingegen kan der ſegen des ſiebenden tages / da das manna nichtfiel /31ARTIC. I. SECTIO IX. fiel / ſo groß nicht gehalten / ſondern der ſegen des ſechſten tages muͤſte ihm vielmehr vorgezogen werden / da das manna in doppelter maaß gefallen. 3. Wann es aber heiſt / daß der ſabbath nicht koͤnne vorhin geweſen ſeyn / weil ihn GOTT 2. Moſ. 31 / 13. u. f. zum zeichen ſeines bundes mit den Jſraeliten gemacht / und alſo dem geſetz denſelbigen gegeben / einverleibet hat; iſt es eine unguͤltige folge / indem etwas / das bereits vorhin geweſen / zu ei - nem neuen gebrauch kan angewendet werden: von dem regenbogen iſt kaum zu zweiffeln / wo man deſſen natuͤrliche urſachen anſiehet / daß er vor der ſuͤnd - fluth bereits geweſen / jedoch bekam er nach derſelben ein ſonderbahres amt zum zeichen zu dienen 1. Moſ. 9. die beſchneidung war dem Abraham ver - ordnet 1. Moſ. 17. jedoch wurde auch dieſelbe in das levitiſche geſetz mit ein - verleibet 3. Moſ. 12 / 3. Alſo waren die opffer bald von anfang der welt im gebrauch / und machten doch nachmal ein wichtiges ſtuͤck des moſai - ſchen gottesdienſtes. Alſo kans wohl ſeyn / ob GOTT ſchon denſabbath zu erſt allen menſchen eingeſetzt und befohlen hat / daß er doch nachmal / als unter allen voͤlckern deſſen wahrer gebrauch in abgang kommen / denſelben abſonderlich den Jſraeliten wieder anbefohlen / und ihn zum abſonderlichen zeugnuͤß ſeines bundes mit dein volck / machen wollen. 4. Einen mehrern ſchein moͤchte es haben / wo man ſagt / daß die erſten eltern / denen vor dem fall keine muͤhſame arbeit auffgelegt geweſen / keines ruhe-tags beduͤrfft haͤtten: dann es haͤtten gleichwol die menſchen vor dem fall / ob ſie wol mit GOTT immerfort viel genauer / als jetzo von uns geſchehen kan / umgegangen waͤ - ren / darneben ihre zu dieſem leben abziehlende verrichtungen gehabt / wie ihnen denn der garten Eden / ob wol ohne beſchwehrliche muͤhe / zu bauen an - vertrauet geweſen / da iſt dann der goͤttlichen weißheit allerdings gemaͤß / daß er ihnen einen tag verordnet / da ſie auch von ſolchen wercken abgewandt / es mit keinen irrdiſchen / ſondern nur mit ihrem GOTT und himmliſchen dingen lauterlich zu thun gehabt haͤtten / ſonderlich / daß wo das menſchliche geſchlecht vermehret worden / die allgemeine verſammlungen zu Gottes lob an demſelben angeſtellet haͤtten werden ſollen.

2. Jch achte / es koͤnne auch mit gutem fug angefuͤhret werden / daß nicht allein vor dem geſetz 2. Moſ. 20. bereits c. 16. des ſabbaths meldung v. 23. u. f. geſchihet / und er alſo auffs wenigſte nicht erſt auff dem berg Sinai eingefuͤhret worden / ſondern Moſes auch alſo dardon redet / als von einer be - kandten ſache: das iſts / das der HERR geſagt hat / morgen iſt der ſab - bath / der heilige ruhe-tag des HERRN; welche worte der mann Got - tes nicht wohl haͤtte gebrauchen koͤnnen / wo niemand unter dem volck vorhin etwas darvon gewuſt haͤtte. So viel mag zwahr wohl zugegeben werden /daß32Das dritte Capitel. daß ſonderlich aus der tyranniſchen dienſtbarkeit der Egyptier ſolche feyer bey den juͤden aus noth unterlaſſen werden muͤſſen / und alſo bey vielen / und den meiſten eine lange zeit moͤchte in vergeß gekommen ſeyn / daß es GOtt fuͤr dienſam gefunden / durch dieſes wunderwerck bey dem manna / die gedaͤchtnuͤß deſſelben / auch vor gebung des geſetzes / zu erneuern / indem das volck / da es ſeiner meinung nach am ſechſten tag nicht mehr geſamlet hatte als die andre tage / gleichwol jeglicher zwey Gomor in dem maaß fand. Daher auch unſer Lutherus T. 3. Alt. f. 635. a. uͤber dieſe ſtelle alſo ſchreibet: Aus dieſem ſi - heſt du / daß der ſabbath geweſen ſeye / ehe denn das geſetz Moſtis kom - men iſt / und iſt auch wohl von der welt anfang geweſen / ſonderlich / daß die frommen / die den wahrhafftigen gottesdienſt gehabt / an die - ſem tag zuſammen kommen ſind / und GOTT angeruffen haben. Und obwol die meiſte der juͤden die einſetzung des ſabbaths erſt in die wuͤſte ſetzen / behauptet doch der gelehrteſte unter ihnen / Menaſſe Ben Iſrael probl. 8. de creat. daß bereits Abraham und andre Patriarchen denſelben ge - feyret haͤtten / mit anfuͤhrung aus Schemoth Rabba, daß Moſe den Jſraeli - ten in ihrer ſchwehren dienſtbarkeit einen tag der wochen zur ruhe ausgebe - ten / und darauff den ſiebenden tag darzu genommen habe.

3. Hierzu kommt die ſtelle Hebr. 4 / 3. u. f. da zwahr nicht ohne iſt / daß mehrere aus derſelben etwas zu erweiſen / ſich nicht getrauen; aber Rivetus behauptet auch dieſes ſein argument gegen Gomarum, und D. Dannhauer meinet darinnen eine krafft zu ſeyn / wie es auch D. Calovius nicht verwirfft. Es beſtehet aber die macht des ſchluſſes darinnnen / weil der Apoſtel einer dreyfachen ruhe Gottes gedencke / nemlich der erſten / da er geruhet habe nach der ſchoͤpffung; der andern / da er das volck durch den Joſuam in Chanaan eingefuͤhret; ſo dann der dritten / die dem volck Gottes noch bevorſtehe: hin - gegen GOTT trohe / daß die unglaͤubige nicht wuͤrden in ſeine ruhe einge - hen. Dieſes koͤnne nun nicht verſtanden werden von der erſten und andern art der ruhe / ſo muͤſte es verſtanden werden von der dritten. Daß es von der erſten nicht verſtanden werden koͤnte / erhelle daher / weil dieſelbe ſchon vorher geweſen / und zwahr / da die werck von anbegin der welt waren gemacht. Wie auch die ruhe Gottes heiſſet in den andern beyden arten / worinnen GOTT nicht ſo wol fuͤr ſich ſelbs ruhet / als der der ruhe nicht bedarff / und in ihm ſelbs keine aͤnderung ſtatt findet; als in dem verſtand / daß er die menſchen in die ruhe ſetzet / nemlich durch Joſuam das volck in die ruhige beſitzung von Chanaan eingefuͤhret hat / und durch JEſum ſeine glaͤubige in die ewige ru - he einfuͤhren werde / ſo muͤſte auch die erſte ruhe Gottes nicht denſelben ſo wol / als die menſchen angehen.

4. Es33ARTIC. I. SECTIO IX.

4. Es bemercken auch einige dieſes / (wie dann D. Dannhauer es auch anfuͤhret) daß Noah 1. Moſ. 8 / 10. 11. 12. von ſieben tagen zu ſieben tagen die tauben aus dem kaſten / um zu forſchen / ob das gewaͤſſer auffgehoͤret haͤt - te / ausfliegen laſſen. Da gedachter Lehrer alſo ſchreibet: Cur ſeptimo die emiſſa columba? niſi quia is dies, quo cultui divino intra arcam vacabant, videbatur magis ominoſus. Auffs wenigſte laͤſſet ſich daraus abnehmen / daß bereits damal die theilung der zeit in wochen oder ſieben tage habe zuge - ſchehen gepflegt; wo anders her / als aus dem unter ſcheid des einen von den andern ſechs tagen?

5. Wie auch in andern ſtuͤcken die wahrheit heiliger ſchrifft und vieler darinn erzaͤhlter geſchichten aus demjenigen / was man bey den heiden findet / bekraͤfftiget werden kan / ja auch in dieſer fabeln vieles ſtecket / ſo aus der goͤtt - lichen wahrheit entſprungen / und nachmal nur in mißbrauch und mißdeu - tung gezogen worden / aber jener fußſtapffen eben darinnen gezeigt werden koͤnnen: alſo mag auch dieſes / daß bey ſehr vielen heidniſchen voͤlckern ein ſie - bender tag gefeyret / ſo dann meiſtens ohne jahr und monat die zeit auch in ſieben tag oder wochen abgetheilet zu werden gepfleget hat / (welche ge - wohnheit Salmaſius aus Georg. Syncelli Chronolog. erweiſet noch vor der abtheilung in jahr und monat geweſen zu ſeyn) ein zeugnuͤß der aͤlte des ſab - baths ſeyn. Alſo gedencket Clem. Alex. L. 5. Stromat. daß auch die Grie - chen den ſiebenden tag heilig gehalten. Euſeb. L. 13. Evang. præparat. erwei - ſet aus Platone, Homero, Callimacho und Solone die heiligkeit des ſiebenden tages. Sonderlich Philo L. 2. de vita Moſis ſchreibet: Noſtrum jus omnes admonet offcii: Barbaros, Græcos, continentis æque ac inſularum incolas. Occidentales & Orientales, Europæos atque Aſiaticos, totum orbem habita - bilem usque ad extremos terminos. Quis enim ſacrum illum diem per ſin - gulas ſeptimanas recurrentem, non honorat? Dergleichen bezeuget auch Joſe - phus L. 2. contra Apion. Alſo weiſet Tertull. Apol. c. 16. und L. 1. ad gentes c. 13. die heiden auff ihre gewohnheit / da ſie auff den ſonnabend / als den tag Saturni ſich gute tag zu machen / und muͤſſig zu gehen gepfleget: wie dann auch aus andern ſtellen zu ſehen iſt / daß ſie ſich der geſchaͤfften ſolches tages entſchlagen / ja auff dieſen aberglauben gerathen ſind / daß / was ſolchen tag vorgenommen werde / ungluͤcklich ſeye. Was anlangt die art nach wochen zu zaͤhlen / gedencket der gelehrte Frantzos Petr. Dan. Huetius demonſtr. Evang. p. 227. Per hebdomadas diſcreta fuerunt Ægyptiis temporum ſpatia, nec non & Indis, & Gallis, & Germanis, & Britannis, & ipſis etiam Americanis: & Græcis quoque. Inſignis eſt locus R. Gedaliæ in Cat. Cabalæ, quo in con - feſſo apud Ethnicos ait, univerſum orbem Sabbathum celebrare. Wiederum p. 235. Sabbatha peculiari aliquo cultu Romanis fuiſſe obſervata, ex Ovidio,ESene -34Das dritte Capitel. Seneca, Vulcatio Gallicano & veteribus calendariis manifeſtum eſt: ſed ma - gis etiam ex Dione, qui numerandorum per hebdomadas dierum modum ſua ætate apud omnes homines, præſertim verò apud Romanos, uſitatum fu - iſſe, tradit. So fuͤhret er dergleichen auch von den Mexicanern in America an p. 150. Was nun als eine faſt allgemeine gewohnheit bey allen voͤlckern ge - weſen / weiſet uns billich auff eine allgemeine urſach: Nun moͤchte man zwahr die ſieben zahl der planeten anfuͤhren; es wuͤrde aber dieſelbe auffs wenigſte dem ſiebenden tag oder dem ſonnabend / vor den uͤbrigen tagen keine ſonder - bahre wuͤrde machen / ſondern vielmehr dieſelbe bey dem ſonntag angetroffen worden ſeyn. Alſo muß es vielmehr daher gekommen ſeyn / nachdem GOtt den ſabbath eingeſetzet / daß die Patriarchen in ihren familien denſelben fort - gepflantzet und gefuͤhret haben: daher auch die ſoͤhne Noaͤ ſolche gewohnheit behalten / und dero nachkommen ſie auch von ihnen gehabt / und immer den ihrigen wiederum hinterlaſſen haben; bis ſie bey theils / wie ander gutes / gar erloſchen iſt / theils ſich allerley aberglauben mit untergemiſchet hat. Da gleichwol auch dieſe dunckle fußſtapffen einigerley maſſen auff den erſten urſprung uns leiten koͤnnen.

Man moͤchte zwahr einwenden / es haͤtten die heiden ſolche gewohnheit nicht ſo wol von ihren voreltern (da man alſo auff den Noam / den allgemei - nen Stam-vater aller noch uͤbrigen menſchen kommen muͤſte /) empfangen / als vielmehr von den Juͤden entlehnet; daher der ſabbath nicht nothwendig aͤlter / als das Sinaitiſche geſetz ſeyn muͤſte. Nun wolte ich nicht allerdings widerſprechen / daß nicht ſonderlich benachbarte voͤlcker vieles von den Juden entlehnet haben / wie dergleichen exempel von mehrern juͤdiſchen ſatzungen gezeigt werden kan. Dieſe gewohnheit aber der ſieben tage / und des ſie - benden tages feyer / kommt mir zu allgemein vor / nachdem ſie ſich auch bey voͤlckern ſindet / die von den Juden weit entfernet / und mit ihnen keine gemein - ſchafft gehabt haben / als daß ſie nur allein von dieſem volck / welches ohne das bey den meiſten veracht und fuͤr ein greuel gehalten worden / ſolte abge - ſehen ſeyn. Daß daher es viel glaubwuͤrdiger / daß von Noah alle ſeine nach - koͤmmlinge ſolche empfangen / und zum theil behalten haben.

Hieraus wird zur gnuͤge erhellen / daß die meinung von dem urſprung des ſabbaths aus dem Paradieß / ſo wol dem deutlichen buchſtaben der ſchrifft am gemaͤſſeſten ſeye / als auch durch andre gruͤnde beglaubet werden koͤnne.

Die 2. Frage.

  • Ob die Juden von dar an bis auff die heutige in ſothaner ord - nung ungehindert aller zerruͤttung fortgefahren / & ſic citra dubitationem verſichert ſeyn koͤnnen / daß ſie obigen desHErrn35ARTIC. I. SECTIO IX. HErrn ruhe-tag annoch begehen / nemlich jedweden ſiebenden tag von dem erſten ſiebenden welt-tage zu rechnen.

DJe frage muß mit einem unzweiffelichem ja beantwortet werden / ſo gar / daß ich auch keine ziemlich ſcheinbahre rationem dubitandi antreffe. Die vornehmſte moͤchte ſeyn / daß in der zeit der ſuͤndfluth ein fehler in der rechnung / da Noah in dem kaſten auff dem waſſer geſch webet / ſo dann in den jahren der Egyptiſchen dienſtbarkeit / haͤtte vorgehen koͤnnen. Es iſt aber einstheils ſolche ſorge vergebens / indem Noah in dem kaſten ſo gar alle mo - nats-tage / wie zu ſehen 1. Moſ. 7 / 11. 8 / 4. 5. 13. 14. auffgezeichnet hat / und in Egypten bey einem ſolchen zahlreichen volck ein verſtoß in der rechnung der tage nicht einmal gedacht werden kan. Andern theils ob man auch in der vo - rigen zeit die muͤglichkeit eines fehlers zu geſtehen wolte / waͤre gleichwol der - ſelbe 2. Moſ. 16 / 22. u. f. da GOtt durch ein ſonderbahres wunder ſolchen ſiebenden tag wiederum bezeichnet / und dem volck anbefohlen hat / zur gnuͤ - ge erſetzet worden / und alſo unwiderſprechlich gewiß / daß der jenige tag / an dem das manna erſtmals ausgeblieben / und die urſach von GOTT durch Moſen angedeutet worden / ein ſiebender von dem erſten ſiebenden tag ohne einigen fehl / den wir von GOTT nicht gedencken koͤnnen / geweſen.

Von ſolcher zeit an / da gedachter maſſen der tag ſelbs von GOTT durch das wunderwerck bezeichnet worden / welches auch 40 jahr aneinan - der gewaͤhret / konte bis auff jetzige zeit unmuͤglich ein irrthum in der rech - nung vorgehen. Dann es wurde der ſabbath von dem gantzen volck nicht nur ſo lang ſie in der wuͤſten waren / ſondern auch die gantze zeit uͤber / als ſie das land Chanaan inne gehabt / und ihr ſo reich als gottesdienſt darinnen erhalten haben / ohne einige unterbrech ung gefeyret / daß es zu einem ſolchen irrthum nicht zu kommen vermochte. Ob ſie nun wol nachmal in der Ba - byloniſchen gefaͤngnuͤß mehrere jahre zugebracht / konte doch auch daher kein ſolcher verſtoß der zeit geſchehen / daß der tag verruͤcket worden; wie eben - falls nachdem ſie wiederum in ihr land eingefuͤhret / und ſo ſtadt als tempel. wieder auffgebaut / auch der voͤllige gottesdienſt auffs neue angerichtet wor - den / alles in ſeiner ordnung geblieben iſt: nachdem ohne das die Prieſter ſol - cher zeit / je weniger ſie des rechtſchaffenen und innerlichen in dem gottes - dienſt achteten / oder denſelben verſtunden / ſo vielmehr alle ihre ſorgfalt und fleiß auff das euſſerliche wendeten. Daß ich nicht ſehe / wie die muͤglichkeit ei - ner verruͤckung auch nur eingebildet werdẽ koͤnte / bis auff die zukunfft Chriſti.

Nachdem aber auch die Chriſtliche religion auffgekommen / konte ſolches noch ſo viel weniger geſchehen: indem die Chriſten erſtlich beide tage / den er - ſten und ſiebenden / mit einander feyerten (daher beide tage von einigen der alten / bruͤder genennet wurden / ſolche gewohnheit auch noch heute zu tageE 2in der36Das dritte Capitel. in der Abiſſiniſchen Kirchen im ſchwang iſt) nachmal aber bey dem erſten oder ſo genannten ſonntag allein blieben / der noch heut zu tag im gebrauch iſt. Ob nun wol die Juden nun uͤber 1600 jahr land und tempel verlohren / daher auch das wenigſte ihres gottesdienſts mehr uͤbrig haben / ſind ſie doch allezeit auff nichts mehr als auff die beſchneidung und ſabbath bis auff dieſe ſtunde verpicht geblieben / daß ſie den rechten tag nimmer weder veꝛgeſſen / noch umge - ſetzet haben: welches wir auch daraus verſichert wiſſen / weil wir Chriſten von ihnen in keinem lande nirgend unterſchieden ſind / ſondern aller orten unſre wochen-tage mit den ihrigen ohne den geringſten verſtoß uͤbereinſtimmen / nur daß wir den erſten / ſie den letzten tag feyren.

Daher ob wol ſo groſſer ſtreit von der anzahl der jahre von anfang der welt bis hieher unter den gelahrten gefuͤhret wird / der bis daher noch nicht geendiget werden koͤnnen: ob ſchon D. Waßmuth durch ſeinen calculum ſol - ches unfehlbar gewiß zu machen / ſich unternommen hat; ſo bleibet doch unwiderſprechlich / daß die wochentage-ordnung ohne aͤnerung fort ge - waͤhret / und daran auch mit dem geringſten ſchein nicht gezweiffelt werden moͤge ꝛc. 1696.

SECTIO X. Von der verbindlichkeit der ſabbaths-feyer.

WAs den Sabbath anlangt / ſoliſts an dem / daß ſolche controvers, ſo wol von verbindlichkeit des ſabbaths in dem N. T. an ſich ſelbs / als auch der art deſſen feyer / in dieſem ſeculo nicht allein unter den Reformirten / ſondern auch den unſrigen viel diſputiret worden / alſo / daß ſich unſre beruͤhmte Theologi ziemlich zweyen / wie auch einige offentliche ſchriff - ten davon / vor dem tag ligen. Welche urſach mich beweget / daß ich lieber ſehe / daß von ſothaner controvers nicht viel offentlich diſputiret werde; als deſſen folge ich geſehen / gemeiniglich geweſen zu ſeyn / daß die menſchen ſich nur daraus eine ihren ſeelen und erbauung nachtheilige freyheit zu nehmen pflegen. Bin hingegen verſichert / wo man die leute nur dahin bereden koͤnte / eine zeitlang GOTT zu ehren den ſabbath recht heilig - lich zu zubringen / daß die eigne erfahrung ſolche heiligung ihnen auffs herr - lichſte recommendiren / und den guͤtigen rath des himmliſchen Vaters / ſo zu unſrer eigenen ſeelen beſten ſolche ruhe uns gegoͤnnet / dermaſſen zu erkennen geben wuͤrde / daß es vieles ſubtilen diſputirens nicht mehr bey denen / wel - chen es um das geiſtliche zu thun iſt / noͤthig ſeyn wuͤrde. Jndeſſen geb ich gern zu / daß die obligatio ſabbathi nicht ſeye legis naturalis, wohl aber moralis po - ſitivæ, wie unſer D. Dañhauerus zu reden pflegte. Alſo laſſe ich desvorgelegtenSyllo -37ARTIC. I. SECTIO X. Syllogiſmi concluſion paſſiren / und unterſchreibe ihr ſelbs. Wann aber das argument alſo formiret wuͤrde: was den ceremonial - geſetzen wei - chet / iſt auch nicht moral; die feyr des ſabbaths weichet den ceremoni - al - geſetzen / daher iſt ſie nicht moral; ſo leugne ich den minorem, wo das weichen in ſeinem eigenlichen verſtand gebraucht wird / nemlich daß deſſen obligation ſelbs auffgehoben werde; ob wol einiges weichen in dem verſtand moͤchte zugegeben werden / da des einen gebotes werck einem andern in gewiſ - ſer maaß vorgezogen wird / in welchem verſtand hingegen der erſte ſatz falſch ſeyn wuͤrde. Die ſache aber beſſer zu verſtehen / wird vornemlich noͤthig ſeyn / daß wir bedencken / worinnen die moralitaͤt des ſabbaths beſtehe; da ich ſie nicht eigenlich ſetze in der ruhe des leibs / oder der unterlaſſung der leiblichen arbeiten an und vor ſich ſelbs / ſondern in dem: Nachdem der menſch in dieſem jetzigen leben nicht allezeit unmittelbar mit GOtt und geiſtlichen dingen um - gehen kan / ſondern durch die irrdiſche geſchaͤffte daran nicht wenig gehindert wird (ſonderlich da dieſe nach dem fall gar zur ſtraff und mehrer beſchwehrde worden ſind) daß GOtt dem menſchen einen tag dazu verordnet hat / da er als viel muͤglich iſt / allein mit goͤttlichen und geiſtlichen dingen umgehe / und ſich alſo goͤttlichen wirckungen zu ſeiner heiligung freyer darſtelle. Dieſes hal - te ich in dem N. T. das hauptwerck der ſabbat-feyer / und iſt deſſelben art am gemaͤſſeſten. Was aber betrifft die euſſerliche unterlaſſung der arbeit / wel - che in dem A. T. nach ſolches Teſtaments art ſo viel eigenlicher mit in das ge - bot an und vor ſich ſelbs gehoͤret / ſehe ich jetzt nur an als ein mittel / an jenem vornehmſten / was geboten wird / weniger gehindert zu werden. Nun alle exempel / die angefuͤhrt werden / heben das hauptwerck des ſabbaths / und die beſchaͤfftigung des gemuͤths mit goͤttlichen dingen und betrachtungen / nicht auf; alſo weichet dieſes gebot andern nicht / ſondern ſie laſſen nur einigẽ euſſer - lichen wercken neben ſich platz / dero unterlaſſung etlicher maſſen das gebotene in dem A. T. nach deſſen Teſtaments art war / aber uns in dem N. T. nicht e - ben verbindet / und alſo nicht zu der moralitaͤt des tags oder gebots gehoͤret: wie dann nichts ungereimtes iſt / zu ſtatuiren / daß GOtt ſonderlich in ſolches gebot zu demjenigen / was eigenlich moral iſt / und allezeit aus der erſten einſetzung verbindlich geweſen / in dem eigenlichen ſo genannten alten Teſta - ment oder Levitiſchen dienſt einige weitere determinationes hinzu geſetzt / ſo deswegen nicht moral worden ſind / und alſo als etwas ceremoniales andern verrichtungenhat weichen koͤnnen. Alſo wo ich die ſache auff dieſen fuß ſetze / daß der wahre zweck und inhalt des gebotes ſeye / die abſonderung eines tags unter ſieben zu geiſtlichen verrichtungen / dem dienſt GOttes und unſrer ſee - len heiligung / die alſo nach ſich ziehet die unterlaſſung der ordenlichen wo - chen - und irrdiſchen geſchaͤfften / nicht als das hauptwerck / ſondern nur als einE 3mit -38Das dritte Capitel. mittel deſſelben / davon deswegen allezeit nicht mehr erfordert wird / als ſo viel jene heiligung bedarff / ſo faͤllet die gantze kꝛaft des arguments weg / indem die arbeit der Prieſter bey den opffern / und die beſchneidung / mit zu den geiſt - lichen verrichtungen gehoͤren / und dieſelbe nicht ſtoͤhren. Was aber die noth - wercke anlanget / als das ausrauffen der aͤhren bey den juͤngern / die ziehung. des ochſen aus einem brunnen / ſtoͤhren auch dieſelbe das haupt-werck nicht / ob ſie wol die ruhe etzlicher maſſen unterbrechen. Wie alſo das gebet und die predigt goͤttlichen worts ohne zweiffel zu den moral - wercken gehoͤren / und doch niemand ſagen wird / wo zum exempel eine gantze gemeinde in ſolcher hei - ligen handlung begriffen waͤre / oder jemand in dem gebet vor GOTT laͤge / und geſchaͤhe indeſſen ein groſſes ungluͤck / das ſchleunige rettung bedoͤrffte / daß man nicht auch ſolche heilige wercke unterbrechen und zu jenem liebes - werck ſchreiten doͤrffte. Alſo doͤrfften wir doch nicht ſagen / daß der dienſt GOttes an ſich dem liebes-dienſt des nechſten weiche: ſondern GOtt hat al - le ſeine gebot alſo weißlich in einander gegattet / daß dero wercke neben ein - ander ſtehen / und allezeit getrachtet werden ſolle / dem einen alſo abzuwarten / daß das andere nicht gar auffgehoben werde. Solches aber heißt nicht eigen - lich ein weichen / dadurch des einen verbindlichkeit auffhoͤrte / indem nur beider gehorſam kluͤglich zuſammen geſetzt wird. Hiemit hoffe ich einer ſee - le / dero es bloß um die erkaͤntnuͤß goͤttlichen willens / und wie goͤttlicher zweck am beſten zu erhalten ſeye / zu thun iſt / zu ihrer beruhigung gnug zu geſche - hen: ob aber leuten / welche gern in allem widerſprechen / jemal mit etwas gnug geſchehe / ſtehet dahin. Der HErr gebe uns ſelbs das liecht / zu pruͤfen / welches in allem uns noͤthigem ſeye der gute / der wolgefaͤllige und der voll - kommene wille GOttes und denſelben treulich zu vollbringen. 1690.

SECTIO XI. Von der ſabbaths-feyr.

BEtreffend die ſabbaths-feyr / expedire ich mich mit wenigen.

1. Die feyer gehet nicht nur auff etliche wenige ſtunden / vor - oder nachmittag / ſondern es wird der tag gemeldet / und alſo erfordern wir mit recht einen gantzen tag: ſo ſind alſo die abend-ſtunden nicht ausgeſchloſ - ſen / um ſo vielmehr / weil dafern in denſelben das gemuͤth in weltliche und fleiſchliche ergoͤtzungen gezogen / dadurch alles gutes / ſo etwa durch be - trachtung goͤttlichen worts des tages war gewircket / wiederum ausgeloͤſchet wird.

2. Jch erkenne uns in dem N. T. an die feyer des ſabbaths nicht weni - ger / ſondern wegen mehrer wolthaten und reicheren gnaden-maaſſes / eher mehr / als die in dem A. T. verbunden; aber mit inachtnehmung des unter -ſcheids39ARTIC. I. SECTIO XI. ſcheids der beiden Teſtamenter. Jn dem A. T. wo alles mehr euſſerlich war / gehoͤrte die unterlaſſung des euſſerlichen und der arbeit / mehr an ſich ſelbs zu dem gebot: nachdem aber die art des gottesdienſts in dem N. T. mehr in dem innerlichen beſtehet; ſo iſt unſre heiligung des ſabbaths vornemlich zu ſuchen in der innerlichen ruhe der ſeelen / und daß man dieſelbe zu goͤttlichen wirckungen uͤberlaſſe / dazu die euſſerliche ruhe nicht anders gehoͤret / als weil ſie ein mittel iſt jener innerlichen ruhe / die ſonſten durch euſſerliche arbeit auch verſtoͤhret wuͤrde.

3. Daher nach art des N. T. iſts der heiligung des ſabbaths vielmehr zuwider / wo man die abend-ſtunden mit eiteler welt-freude / balleten / taͤntzen / ſchlitten-fahren und dergleichen zubringet / als wo man an ſeine beruffs-ge - ſchaͤffte auch wohl in ſchwehrer arbeit gienge / daher die ſuͤnde auch ſchwehrer iſt. Dann bey der leiblichen arbeit waͤre noch eher muͤglich / diejenige gedan - cken feſt zu ſetzen / darinnen ich in GOtt ruhete / und er in mir wirckete / als bey dergleichen weltlicher luſt nicht geſchehen kan. Ja ich ſorge / die paar ſtun - den ſolcher fleiſchlichen ergoͤtzlichkeit ſetzen die ſeele mehr aus ihrer ruhe in GOTT / als ob man den gantzen tag mit arbeit zugebracht / und dabey noch an GOTTES wort unter derſelben gedacht haͤtte: und koͤnnen alſo das klei - ne fuͤncklein / welches etwa durch das wort des HERREN fruͤhe waͤre an - gezuͤndet worden / allerdings auff einmal ausloͤſchen. Daher bey mir Au - guſtini regel gilt / es ſeye ſontags beſſer ackern als tantzen / und alſo auch andern weltlichen ergoͤtzungen anhangen. Jch halte aber dafuͤr / eine ſeele / welche einmal erfahren / worinnen die frucht der ſontags-feyer beſtehe / und alſo die krafft des goͤttlichen worts / wo man recht damit umgehet / geſchmaͤ - cket hat / wird ſelbs leicht hievon urtheilen / und bedarff nicht weitlaͤufftig da - von uͤberzeuget zu werden.

SECTIO XII. Von holtz-fuhren an dem ſontag.

EHe auff die vorgelegte frage / wegen verſtattung der holtz-fuhren auff den ſontag / mit grund antworten kan / iſt noͤthig / zum allerforderſten die gantze materie von der heiligung des ſabbaths etwas einzuſehen.

1. Finde ich derjenigen meinung nicht gnug gegruͤndet zu ſeyn / welche aus Rom. 14 / 5. Gal. 4 / 10. Col. 2 / 16. behaupten wollen / daß in dem N. T. nun gar kein ſonderbahrer ſabbath mehr geboten ſeye / ſondern nach Jeſ. 66 / 23. ein ſabbath nach dem andern gehalten / oder vielmehr alle ta - ge bey den Chriſten zu ſabbathern oder heiligen ruhe-tagen gemacht werdenſol -40Das dritte Capitel. ſolten; nach dem der alte ſabbath nur um der groben Juden willen / die alle - zeit zu ſolcher heiligen innerlichen ruhe nicht tuͤchtig waren / eingeſetzt worden waͤre / aber mit anderm ſchatten-werck habe auffgehaben werden ſollen. Zwahr iſt in ſolcher meinung viele wahrheit / und es freylich an dem / daß bey einem Chriſten ein ſtaͤter ſabbath in ſeiner ſeelen ſolle gehalten werden / als fern ſolcher in derjenigen ruhe beſtehen muß / daß die ſeele ablaſſe von allem dienſt der ſuͤnden / der welt eitelkeit und allen fleiſches-wercken; ſo dann / daß ſie ſich den goͤttlichen wirckungen ſtets gelaſſen darſtelle / und dieſelbe nicht bey ſich verſtoͤhre. Dieſes iſt der geiſtliche ſabbath / der in dem Rig. Ca - tech. q. 86. alſo beſchrieben wird: Daß der menſch in wahrer glaubens - krafft auffhoͤret von ſeinen ſuͤndlichen wercken / vernunfft / willen / luſt / begierden; laͤſſet GOtt ſein werck in und mit ihm haben / ſo daß nichts in ſeinem hertzen geſchehe / es thue und wircke es dann GOtt ſelber: dazu Jeſ. 56 / 2. (er haͤlt ſeine hand / daß er kein arges thue) und Jeſ. 58 / 13. angefuͤhret wird. Aus dieſem ſabbath ſoll der menſch nie ſchreiten / das iſt / er hat nie macht / ſeinen eigenen (dem goͤttlichen entgegen ſtehenden) wil - len zu thun / oder dem fleiſch zu dienen / noch auch goͤttlichen wirckungen zu widerſtehen. Alſo iſt dieſes freylich ein ſtetswaͤhrender ſabbath / und nicht auff einen einigen ſiebenden tag einzuſchrencken. Aber es iſt dieſes nicht al - lein der in dem dritten gebot gebotene ſabbath / noch kan dieſes dritte gebot / als ein ſtuͤck des moral - geſetzes gantz abgeſchafft zu ſeyn vorgegeben werden; ſondern es muß ein gewiſſer ſabbath / welchen bereits GOtt in dem paradieß / da der menſch auch den ſteten geiſtlichen ſabbath gehalten haͤtte / eingeſetzt / 1. Moſ. 2 / 2. 3. deswegen auch noch in dem N. T. behalten werden.

2. Jndeſſen iſt ein zimlicher unterſchied unter dieſem dritten gebot / und allen uͤbrigen geboten: einmal zwahr / indem dasjenige / was darinnen ver - boten wird / nemlich die arbeit des ſiebenden tages / nichts an ſich ſelbs un - rechtes und ſuͤndliches iſt / wie alle uͤbrige ſuͤnden / die in den andern geboten verboten werden; ſondern etwas / das aus dem bloſſen verbot GOttes erſt zur ſuͤnde wird / daher da auch in keinem fall der noth jemal ohne ſuͤnde abgoͤt - terey getrieben / der nahme GOttes entheiliget / die Eltern eigenlich veruneh - ret / eigenwilliger todtſchlag vollbracht / die ehe gebrochen / geſtohlen / gelogen und nach dem boͤſen geluͤſtet werden kan; weil es lauter dinge ſind / die an ſich ſelbs boͤſe; So konte hingegen auch ſelbs in dem Alt. Teſtam. wie Chriſti lehr Matth. 12 / 3. u. f. 11. Luc. 14 / 5. zeiget / an dem ſabbath im fall der noth ei - nige arbeit ohne ſuͤnde verrichtet werden. Nechſt dem iſt auch darinnen der unterſcheid / daß dieſes einige gebot zum theil mit unter die ſchatten-werck und bilder auff das N. T. Col. 2 / 16. 17. geſetzet wird / und es GOtt vor an -dern41ARTIC. I. SECTIO XII. dern zum zeichen ſeines alten bundes mit den Jſraeliten 2. Moſ. 31 / 13. u. f. Ezech. 20 / 12. verordnet hat. Daher nicht allein das vorbild auff das kuͤnff - tige / nachdem der leib ſelbs gekommen / in dem N. T. auffhoͤret / ſondern alles dasjenige / was uͤber den in dem menſchlichen leben nothwendigen ſabbath / als worinnen die krafft des gebots ſtehet / und davon bald folgen ſolle / in dem A. T. von unterſchiedlichen ſatzungen hinzugethan / und die ſtrenge deſſelben ſehr geſchaͤrfft worden iſt / uns in dem N. T. eigenlich nicht mehr angehet, Sonderlich muͤſſen wir wohl anmerckẽ / daß das verbot der euſſerlichen arbeit der art des A. T. welches mit euſſerlichen dingen groſſen theils umging / al - lerdings gemaͤß / und alſo wahrhafftig ein ſtuͤck des geſetzes ſelbs geweſen. Da hingegen das N. T. mit dem euſſerlichen nicht anders / als wie es zu dem inner - lichen fuͤhret / oder deſſen uͤbung iſt / oder auch hingegen daran hindert / um - gehet / daſſelbe auszuſchlieſſen / oder zuerfordern.

3. Jndeſſen muß das haupt-werck in dem dritten gebot auch in dem N. T. allerdings bleiben. Wir koͤnnen aber daſſelbe ſonderlich finden / wo wir auff den unterſcheid der gebot der erſten taffel ſehen: da gehet nun das erſte gebot damit um / daß unſre ſeele mit allen ihren kraͤfften / in erkaͤntnuͤß / liebe / furcht und vertrauen GOtt allein gewidmet werde: das andere damit / daß ſolcher innerliche erſte dienſt in der erkaͤntnuͤß / liebe / furcht und vertranen GOttes ſich heraus laſſe in allem dem / worinnen goͤttlicher nahme / und wie ſich der HErr uns offenbahret hat / von uns geheiliget und recht gebraucht werden moͤge. Auſſer dieſen beiden ſtuͤcken erfordert auch goͤttliche ehre noth - wendig einstheils / daß die menſchen nicht nur eintzeln und jeglicher fuͤr ſich ſelbs GOtt dienen / ihn loben und preiſen / ſondern daß dergleichen auch in ei - ner gemeinde geſchehe / welcher dienſt GOtt ſo viel beſſer gefaͤlt / und einer durch den andern auffgemuntert wird; darzu aber muͤſſen verſammlungen geſchehen: andeꝛn theils eꝛfordeꝛt ſie auch jetzo nach dem fall / weil der menſch / was das erſte gebot von ihm fordert / die erkaͤntnuͤß / liebe / furcht und ver - trauen GOttes nicht hat / noch dieſelbe nach dem andern gebot aus ſich ſelbs uͤben kan / ſondern ſie erſt von GOTT in ihm gewircket werden muͤſſen / fer - ner ſie GOtt durch ſein wort wircken will / daher mit deſemlben umzugehen / ſolches zu hoͤren / zu leſen und zu betrachten iſt / hingegen der menſch wegen nach dem fall aufferlegter ſchwehrer euſſerlicher arbeit und ſchweiß ſeines an - geſichts 1. Moſ. 3 / 19. nun unmuͤglich alle zeit zu ſolchen geiſtlichen wercken / darinnen an ſeiner heiligung abſonderlich gearbeitet wird / anwenden kan / ja deren aller meiſten wegen dero armuth oder dienſtbarkeit wenig darzu - brig bleibet / daß dann eine gewiſſe zeit ſeye / welche den weltlichen und leibl. verrichtungen ſofern entzogen werde / damit der menſch dieſelbe ungehindertFzu42Das dritte Capitel. zu denjenigen wercken / durch die die heiligung in ihm gefoͤrdert werden / und er unmittelbar Gott dienen ſolle / an wenden koͤnne. Welche zeit dann diegoͤttl. weißheit auff den ſiebenden tag beſtimmet hat. Deſſen bedoͤrffen nun glau - bige hertzen / und welche auch in dem euſſerlichen ihrer zeit meiſter ſeyn / ſofern nicht; (wie zwahr auch anderer gebote / nach 1. Tim. 1 / 9.) indem ſie in ſich ſelbs eine ſolche begierde nach dem geiſtlichen haben / daß ſie vielmehr ſich mit einem ſiebenden tage nicht vergnuͤgen / ſondern lieber aus freyem trieb meh - rere zeit / und wie ſie ſolches vermoͤgen / zu ſolchem zweck und gebrauch an - wenden. Es beduͤrffen aber ſolches gebots / theils die noch keine rechtſchaf - fene Chriſten ſondern gantz rohe ſind / daß ſie auffs wenigſte durch geſetze an ſolche ort und verſammlungen getrieben werden / wo ſie dasjenige hoͤren muͤſ - ſen / wodurch der H. Geiſt in ihnen / da ſie ihn nicht hindern / geiſtlich gutes auch wircken will und kan / ja allezeit in einigen wircket; zu welcher gelegen - heit die meiſte ohne dieſes gebot und einigen zwang deſſelben nicht kommen wuͤrden: ja es beduͤrffen auch boͤſe an orten / die der chriſtlichen religion euſ - ſerlich zugethan ſind / eines dergleichen gebots / ſo ſie auch von demjenigen ſol - chen tag abhaͤlt / das andre ſonſten in ihrer ruhe irre machte: theils beduͤrf - fens auch ſchwache / daß es ihnen eine handleitung werde / zu der gelegenheit der erbauung zu kommen / darzu ſie ſonſt etwa / ob wol aus nachlaͤßigkeit / nicht kaͤmen: theils bedoͤrffens diejenige / die entweder in hauß-dienſten ſind / oder ſonſten andern zur arbeit verbunden leben / und wo nicht goͤttliches ge - bot ihnen eine ſolche zeit frey machte / ſchwehrlich etwas freyheit zu ihrer er - bauung erlangen wuͤrden / daß gleichwol eine dergleichen ihnen durch dieſes gebot werden muß. Alſo iſt dasjenige / was eigenlich geboten wird / an ſich ſelbs eine wolthat. Weil aber auch nicht allein ein jeglicher vor ſich eine zeit noͤthig hat zu ſeiner erbauung / ſondern zu dem zweck des gebots eine oͤffentli - che verſammlung erfordert wird / ſo iſt auch allerdings ein gewiſſer tag noͤ - thig / darnach ſich alle richten / und koͤnte der zweck durchaus nicht erhalten werden / wann jeglicher allemal nach ſeiner gelegenheit einen tag zur feyer wehlen wolte.

4. Wie nun alſo das wahre gebotene in dieſem gebot beſtehet in der handlung goͤttlichen worts und der gnaden-mittel zu mehrer heili - gung / auch GOttes gemeinſchafftlichen dienſt / welches lauter ſolche dinge / die an ſich gut und noͤthig ſind / und dero muthwillige unterlaſſung an ſich ſelbs ſuͤnde iſt: (welcher art alles andere in den zehen geboten gebotene uñ verbotene iſt) ſo iſt nun zuerwegen / was von der arbeit ſelbs und dero verbot zu halten ſeye. Da geſtehe nun / daß in dem A. T. nach art ſolches Teſtamentsdie43ARTIC. I. SECTIO XII. die arbeit ein eigenlich ſtuͤck ſolches gebotes oder vielmehr verbots geweſen / ſo ich nun in dem N.T. nach deſſen art / welche alle euſſerliche ſatzungen aus - ſchlieſſet / davor nicht erkennen kan / ſondern ſie allein verboten achte / weil und ſofern ſie an jener gebotenen heiligung / in der begehung des oͤffentlichen got - tesdienſts / und handlung goͤttl. worts hinderlich iſt: daher auch auſſer der lei - bes-arbeit alles uͤbrige fuͤr noch mehr verboten halte / was gedachter wahrer heiligung noch mehr entgegen ſtehet; als alle eitele welt-freude und ſpiele / die die geiſtliche gemuͤths-ruhe noch mehr ſtoͤhren / wie nicht weniger alles welt - liche ſtudiren / ſorgen / und womit der verſtand und die gedancken mehr umge - hen muͤſſen; als neben welchen die innerliche heiligung des ſabbaths mehr als durch grobe arbeit gehindert wird. Hingegen halte davor / daß es gelegen - heit geben koͤnte / wann man zur oͤffentlichen verſammlung nicht kommen koͤn - te / und ſich alſo mit der privat-andacht vergnuͤgen muͤßte / daß ſolche leute / welche in dem geiſtlichen bereits ſo geuͤbt waͤren / daß ſie einige euſſerliche wercke daran gantz nicht hinderten / ohne ſuͤnde auch dergleichen an ſolchem tag zum theil verrichten koͤnten / und doch durch die geiſtliche innerliche uͤbun - gen dem gebot gnug thaͤten. Wiewol ſo bald dergleichen in gegenwart ſol - cher leute geſchehe / die eine der art freyheit nicht faſſen koͤnten / ſondern ſich daran ſtoſſen / uͤbel davon urtheilen / oder wol gar mit verletzung ihres gewiſ - ſens dergleichen nachthun wuͤrden / es auch zur ſuͤnde um des aͤrgernuͤſſes willen werden wuͤrde / daher ſichs niemand gebrauchen moͤchte / ſondern man ſo wol das boͤſe / als deſſen ſchein zu meiden verbunden iſt.

5. So viel aber folget daraus / daß in jedem nothfall / den auch die liebe machen kan / die arbeit ſolchen tag / ſonderlich wo ſie an dem oͤffentlichen got - tesdienſt nicht hindert / erlaubt zu achten ſeye. Wie zwahr insgemein alle unſre Lehrer von dem nothfall bey dieſem gebot zu handeln / und denſelben auszunehmen pflegen. Zu ſolchem nothfall nun / zehle ich auchdas gebot deꝛ O - bern und Herrſchafften / daß es diejenige / ſo unter dero bothmaͤßigkeit ſtehen / von der ſuͤnde frey mache. Daher wir in der erſten kirchen nicht ſehen / daß ſich jemalen die heidniſche obrigkeiten oder auch herrſchafften uͤber ihre chriſtliche unterthanen oder geſinde / deren immer viele waren / beſchwehret haben / daß ſie ihnen jemal ihren dienſt / ausgenommen wo ſie ſie zum heid - niſchen gottesdienſt treiben wolten / verſagt haͤtten: welches ſonſten eine haupt-klage gegen das geſamte Chriſtenthum wuͤrde gegeben haben / als welches die regimente und haußhaltung zerruͤttete / und den gemeinen dien - ſten ſo viele zeit entzoͤge. Jch entſinne mich aber nicht einen buchſtaben je ge - ſehen zu haben / daß ſichdie Heiden daruͤber beſchwehret: daraus aber fol - gen muß / daß die chriſtliche knechte und maͤgde / ob ſie wol / wo ſie es haben koͤnnen / die verſammlungen zu beſuchen nicht werden ſaͤumig geweſenſeyn /F 2doch44Das dritte Capitel. doch die uͤbrige zeit auch des ſontags ihre gewoͤhnliche dienſte verrichtet / und nur an dem innerlichen dienſt ſich begnuͤget haben werden: welches ſie dannoch / wo die arbeit an ſich ſelbs ſolchen tag eine ſuͤnde waͤre / ſo wenig wuͤrden haben thun / oder darinnen den Herrſchafften gehorchen koͤnnen / als ſie auff dero befehl nicht den goͤtzen opffern / laͤſtern / ehebrechen / ſteh - len oder dergleichen thun dorfften. Daher wie ſolches gebot der obern alſo anſehen muͤſſen / daß es von ſeiten der untergebenen einen nothfall mache / und verurſache / daß was ſonſten ſuͤnde ſeyn wuͤrde / ihnen nicht ſuͤnde ſeye. Daher ich auch davor halte / wo Chriſtliche ſeelen auch noch zu unſrer zeit das ungluͤck haben / daß ſie bey ſolchen Herrſchafften ſtehen / die ſie nicht nur auch ſonſten an der uͤbrigen ſontags-feyer hindern / ſondern vornemlich ſie auch zu ſonſt unnoͤthigen arbeiten mit bereitung groſſer panquet und derglei - chen mißbrauchen / ob ſie wol / da ſie freyes zuſtandes ſind / weil ſie erkennen / daß ihnen auffs wenigſte viel nachtheil dadurch geſchehe / ſich dergleichen dienſte / ohneracht des leiblichen mehreren nutzens / auff zimliche art am lieb - ſten erlaſſen / und mit andern verwechſeln / auch als lang ſie darinnen ver - harren muͤſten / ihre wehmuth daruͤber bezeugen / und davor bitten ſollen; daß ſie dannoch auff den befehl der Herrſchafft dasjenige thun muͤſſen / wor - innen ſie ſonſten auſſer ſolches gehorſams ſuͤndigen wuͤrden / ſie aber alsdann darinnen nicht ſuͤndigen. Daraus der groſſe unterſcheid unter der ſontags - arbeit und andern ſuͤnden / als ſtehlen / huren / liegen u. ſ. f. erhellet; da dieſer andern keines (weil ſie nemlich in ihrer natur ſuͤnde ſind) auff der Herrſchafft befehl zu thun erlaubt iſt.

Vorausgeſetzt nun deſſen / formire die frage alſo:

  • Ob ein auffſeher der holtz-fuhren / wo die hoͤhere Herrſchafft ſolche auch ſontags zu der vermeinten nothdurfft nach hofe zuverrich - ten fordert / ſolche anordnen und verſtatten koͤnne / oder ſich alſo widerſetzen muͤſſe / daß er dieſen mißbrauch geaͤndert zu werden verlange / auch lieber ſeinen dienſt / da er dieſes nicht erhielte / re - ſigniren / oder denſelben in gefahr der urſach wegen ſetzen ſolte?

DArauf zu antworten mercke ich folgendes: 1. Die Herrſchafft oder bey wem die gantze anordnung ſtehet / und der ſie alſo aͤndern kan / verſuͤndiget ſich mit befehl ſolcher holtz-fuhren. Jndem 1. durch dieſelbe die leute / ſo damit um - gehen / wo nicht gar auch von dem oͤffentlichen gottesdienſt abgehalten / oder ihn zu verſaͤumen veranlaſſet / auffs wenigſte / weil es insgemein unwiſſende leute ſind / die ihnen nicht ſelbs helffen / noch ohne euſſerliche andacht die in - nerliche uͤbungen anſtellen koͤnnen / um die frucht des ſabbaths / die ihnenGOTT45ARTIC. I. SECTIO XII. GOTT durch ſeine ordnung gegoͤnnet / gebracht / hingegen zu ſuͤnden / wie bald folgen wird / angetrieben werden / dero ſchuld auff die Obern faͤllet. 2. Wird dadurch nicht wenig aͤrgernuͤß gegeben / nicht allein durch veranlaſ - ſung widriger urtheile / ſondern auch / daß durch ſolches exempel auch andere ſich zu weiterer und noch offenbahrer entheiligung des ſabbaths verleiten laſſen: damit vollends alle ſonſten ſo nuͤtzliche / und deßwegen aus liebe von GOTT anbefohlne ſabbaths-feyer zu groſſem ſchaden des Chriſtenthums leicht hinfaͤllet. Welches aͤrgernuͤß abermal die jenige / ſo es verhuͤten ſollen / nicht wenig vor GOTT beſch wehret.

2. Was die leute ſelbs anlanget / erinnere mich dabey / daß in einigen alten griegiſchen exemplaren des N. T. nach Luc. 6 / 5. etwas folget / das wir in den gemeinen exemplaren ntcht haben / und zu teutſch alſo lautet: Denſel - bigen tag ſahe JESUS einen am ſabbath arbeiten / und ſprach zu ihm: Menſch / ſo du zwahr weiſſeſt / was du thuſt / biſt du ſelig / wo du es aber nicht weiſſeſt / biſt du verflucht / und ein uͤbertreter des geſetzes. Alſo mag ich ſagen / wo ſie ſich recht faſſen / koͤnnen ſie die arbeit ohne ſuͤnde thun: wo ſie nemlich erkennen / daß es an ſich ſelbs nicht ſuͤnde ſeye / dieſer hindernuͤß eines mehrern guten gern frey waͤren / indeſſen ihren gehorſam in dem euſſerlichen leiſten / innerlich aber ſo viel ihnen muͤglich iſt / mit geiſtlichen guten gedancken umgehen / und auch die uͤbrige tages-zeit deſto fleiſſiger dem ſabbath gemaͤß zubringen. Jch ſorge aber / die meiſte werden ſich in ſolchem weꝛck wahrhafftig verſundigen; entweder da ſie wider ihr gewiſſen und deſſen widerſpruch ſolches thun / alſo ihrer eignen meinung nach den menſchen mehr gehorchen als GOTT / daher ſorglich auch in andern wahrhafftig ſuͤndli - chen ſachen denſelben nicht weniger gehorſam zu werden willig ſind: oder da ſie insgeſamt des ſabbaths nicht achten / und alſo auch ohne gebot denſelben immer ohne viel bedencken entheiligen.

3. Auff den jenigen aber zu kommen / der die auffſicht auff die ſache / aber noch unter hoͤherer verordn[un] g / hat / ſo glaube demſelben zuzukommen 1. Daß er den obern / und in welcher hand die aͤnderung ſtehet / dieſen mißbrauch / und was vor ſuͤnde / daher auch fluch / darauff ſtehe / beweglich vorſtelle / und deſſen abſchaffung / mit anweiſung / wie es am beſten geſchehen koͤnte / ſuche: dabey er leicht zeigen kan / daß er des ſeinigen darin nichts verlange / ſondern alles allein aus trieb des gewiſſens thue. 2. Wuͤrde aber damit nichts erlanget / (welches gleichwol von Chriſtlicher Herrſchafft billich zu hoffen iſt) ſo wuͤr - de noͤthig ſeyn / die jenige / welche die arbeit zu verrichten haben / davon zu un - terrichten / wie ſie bey ſolchen umſtaͤnden des befehls von ihrer Herrſchafft / ge - horſam leiſten duͤrfften / aber deſto emſiger und ſorgfaͤltiger die uͤbrige zeitF 3des46Das dritte Capitel. des ſonntags zum ſo offentlichen als abſonderlichen gottesdienſt anzuwen - den haͤtten / auſſer dergleichen nothfall aber des gehorſams / ſich der ſonntags - arbeit entſchlagen ſolten. Wo nun dieſes geſchehen 3. achte ich / daß ein ſol - cher auffſeher ſein gewiſſen zur gnuͤge durch gethane erinnerung und bezeu - gung ſeines mißfallens gerettet habe / und da es bey der obern befehl bleibet / die er davon abzuhalten nicht vermag / an denen aber alles / was ſuͤndlich iſt in der ſache / liget / mag er die anſtalten geſchehen laſſen / und ſo viel auff ihn kommet / ſolche mit ordnen / weil in ſolchem gedachter maſſen von denjenigen / uͤber die er die auffſicht hat / nichtgeſuͤndiget wird. Daher 4. der groſſe un - terſcheid zu mercken iſt unter andern ſuͤnden / welche in einer an ſich ſelbs boͤ - ſen handlung beſtehen / daran alle ſuͤndigen / welche einiger maſſen mit zu thun haben / und unter dergleichen ſonntags-arbeit / die in dem N. T. nicht anders verboten / als ſofern ſie eine hindernuͤß eines gebotenen guten iſt / deſſen ſchuld auff denjenigen allein faͤllet / von dem ſolche hindernuͤß eigenlich her - kommet / demjenigen aber der gehindert wird / nicht anklebet. Deßwegen 5. weder noͤthig noch nuͤtzlich iſt / um ſolcher urſach willen das amt zu reſigni - ren / oder durch beharrlichen widerſtand ſich in deſſen gefahr zu ſetzen / und da - mit der gelegenheit vieles andern guten ſich zu berauben.

Der HERR aber gebe uns ſein liecht ſelbs / in allen dingen ſeinen willen zu erkennen / und neige unſre hertzen dahin / denſelben zu vollbringen / hingegen ſteure er auch allen aͤrgernuſſen. Jnsgeſamt bringe er unſer aller ſeelen zu dem geiſtlichen beſtaͤndigen ſabbath / und innerlichen ruhe / ſo wird ſichs ſelbs leicht geben / wie man auch den euſſerlichen ſabbath recht GOtt gefaͤllig fey - ren moͤge / bis es komme zu jenem ewigen ſabbath / Amen:

SECTIO XIII. Vom Separatiſmo.

JCh freue mich / daß mein werther freund mehr und mehr erkennet / wie einmal der Separatiſmus gefaͤhrlicher ſeye / als die begierde ſich der ge - meinſchafft der allgemeinen aͤrgernuͤſſen zu entziehen / demſelben erſtlich einen ſtattlichen ſchein machet / und wohl gute gemuͤther leicht einnim̃et. Wie deñ ich fuͤr meine perſon ſtaͤts bey den gedancken bleibe / die ich in meinem tra - ctaͤtlein unter dem titul / der klagen uͤber das verdorbene Chriſtenthum gebrauch und mißbrauch / vorgeſtellt / und alle trennung hertzlich wider - rathen / hingegen wie wir zwahr des boͤſen uns nicht ſelbs mit ſchuldig zu machen / aber daſſelbe / was wir nicht zu aͤndern vermoͤgen / mit gedult lieber zu ertragen / als davon zu fliehen haben / hoffentlich mit gnugſamen grunde dargethan habe: alſo hoffe ich / es werde dieſe wahr heit immer ihrer mehrern in die augen leuchten / und ſonderlich unterſchiedliche gute ſeelen / welche auffſol -47ARTIC. I. SECTIO XIII. ſolchem wege ihr heyl geſucht / wo ſie ſehen / wie wenig befoͤrderung ſie zu dem - ſelben / wohl aber noch mehr hindernuͤß (des daher bey andern entſtehenden aͤrgernuͤſſes nicht zu gedencken) darauff finden / durch ihre erfahrung und etwa anderer chriſtlichen leute zuſpruch ſich wieder dahin bringen laſſen / mit ihrer muttergebrechen und elend mehr gedult zu haben / als diejenige / dero wir viel lieber / ob wir nochetwas helffen koͤnten / beyſtehen ſolten / aus unge - dult zu verlaſſen. Jch erkenne auch / wohl bemerckt zu ſeyn / daß bey den ſo hefftigen Richtern ſich offt mehr fehler / wo dieſelbe recht vor GOtt angeſe - hen werden / finden / als bey denen / ſo ſich von ihnen richten laſſen muͤſſen. Und wie koͤnnen die jenige den groͤſſern gemeinden mit fug ſo hoch auffmutzen / daß manches in vieler unordnung bey denſelben hergehe / die in weniger an - zahl ſich vielweniger mit einander betragen / oder ihre dinge in einer ordnung halten koͤnnen? Alſo trage ich lieber gedult mit einer gantzen kirchen / als mit einem und andern ſonderling / wo leicht ſo viel eigenſinn ſich finden kan / als er an jenen vielen unziemliches zu bemercken meinet: und warte drauff / bis der HERR ſelbs die ſcheidung vornehmen und ſeine kirche reinigen wird / da gewißlich ſeiner weißheit gluͤcklich von ſtatten gehen muß / was un - ſre thorheit ohne ihn und aus eigner wahl nicht anders als ungluͤcklich ver - ſuchet. So iſt mir auch lieb / daß derſelbe die wahrheit der lehr der Aug - ſpurgiſchen Confesſion nochmal erkennet / und dabey bleibet / die einmal dem wort GOttes unter allen andern am gemaͤſſeſten erfunden werden wird - wer dieſelbe und uͤbrige mit ſolchem unpartheyiſch conferiren will. Der HErr heilige uns alle mehr und mehr in ſeiner wahrheit / ſein wort iſt und bleibet die wahrheit. 1688.

SECTIO XIV. Von der gefahr der vornehmenden trennung / der Frommen.

MJr war lieb / was mein tractaͤtlein wegen der ſeparation anlangt / daß vernehme / daß wir gantz einer meinung ſeyen. Jch bleibe ein - mal dabey / daß zwahr das elend und verderben der kirchen groß und kaum genug zu beſchreiben / aber daß ſolches mittel der trennung / ob es wol bey einigen / welche es auch hertzlich gut meinen / einen ziemlichen ſchein hat / doch das rechte mittel nicht ſeye / ja vielmehr eine ſolche artzney / welche gefaͤhrlicher / als die kranckheit ſelbs / und recht das jenige / dar durch vollends unſre evangeliſche kirche zu grund gerichtet werden koͤnte. Ach der HErr bringe doch ſolche liebe leute die damit umgehen / (dero wir hier auch haben) durch ſeinen gnaden-zug wieder zuruͤcke auff die richtige bahn / daß ſie viel -mehr48Das dritte Capitel. mehr uns helffen in dem beſſern der jenigen / die ſie verlaſſen / als ſich nicht nur demjenigen guten entziehen / ſo ſie noch mit ihrer froͤmmigkeit bey an - dern ausrichten koͤnten / ſondern ſich auff einmal zu allem ſolchen untuͤchtig machen / ja auch anderer chriſtlicher hertzen arbeit mit ſchwehrem verdacht be - laden / und ſehr hindern. Er gebe aber auch uns uͤbrigen die noͤthige weißheit und vorſichtigkeit / wie wir hierinnen uns unverweißlich und zu gemeinem nutzen am beſten halten moͤgen / niemand auff ein oder andere ſeit zu aͤrgern / wozu gewiß eine mehr als gemeine und menſchliche klugheit gehoͤ - ret; weßwegen wir den HErren darum demuͤthig anzuflehen haben / daß er ſich unſer aller hertzlich erbarme. Jch bekenne / es iſt mir dieſes eines von meinen hertzlichſten anligen / und groͤſter betruͤbnuͤß / ja gewiſſens-angſt / daß ich in ſolcher ſache meiſtens mir nicht genug zu rathen weiß / wie ich mich dar - innen zu verhalten / damit ich weder das gute / ſo noch in ſolchen leuten uͤbrig iſt (wie dann gemeiniglich dieſelbe in dem uͤbrigen nicht nur / was die euſſer - liche moral-tugenden nach der andern taffel anlangt / ſich ohne tadel aufffuͤh - ren / ſondern in dem genauern umgang mit ihnen ſich wahrhafftig offenbah - ret eine innerliche demuth und niedrigkeit gegen GOTT / eine innigliche lie - be gegen ihn / ſtaͤte ehrerbietung vor ſeinem angeſicht / vor dem ſie wandeln / vertrauen auff Chriſtum und andere der gleichen tugenden / die aus dem geiſt entſpringen; wo ſie auch in ſolchem allem der heucheley zu beſchuldigen allzu - ſchwehr und unverantwortlich faͤllet / da man ſiehet / wie ſie in der welt davon nichts haben noch hoffen koͤnnen / ſondern nur allein ſich an allem leiblichen und euſſerlichen hindern) allerdings ſchlage / untertrucke / und ſie noch weiter wegtreibe / da ſie inihrem gewiſſen der aͤrgernuͤſſen / die ſie ſehen / nicht aber auch zugleich der unbilligkeit ihres mittels / welches ſie dagegen ergreiffen / uͤberzeuget ſind / (als an deren letzten ſie die præconcepta opinio allzuſtarck hindert) das verfahren gegen ſich fuͤr lauter verletzung der liebe / und alſo des haupt-gebots Chriſti / anſehen / und folglich ſich noch mehr daruͤber aͤrgern und zu ſeufftzen bewogen werden; noch auff der andern ſeite etwas deſſen ver - ſaͤumen moͤge / was zu ihrer zurechtbringung und anderer verwahrung dienl. ſeyn mag. Da ſtehe ich alſo immeꝛ zwiſchen thuͤr und angel / daß ich weder einer noch anderſeits GOtt erzuͤrnen moͤchte / und deſſen gericht auff mich laden / welches in ſolchen ſachen ſo leicht geſchehen kan: daher mir dieſes wohl faſt die zarteſte und delicateſte materie iſt / wo es am leichteſten verſehen werden kan. Da hingegen was ſolche anlangt / die offenbahrere feinde der wahrheit ſind / bey ihnen oder ihrentwegen bey weitem ſo viel ſorge nicht iſt. Jch finde offt / wo ich alles uͤberdacht / keine huͤlffe noch rath / mich aus ſolchem gewiſſens - zweiffel zu retten / als das gebet zu GOtt / daß er mich ſelbs hierinn ſo fuͤhren wolle / wie es ſeinem H. willen gemaͤß iſt / und nicht zugeben / daß ich aus man -gel49ARTIC. I. SECTIO XIV. gel der noͤthigen weißheit meiner ſeelen und andern ſchade; ſo dann die hoff - nung / daß der HErr mich nicht mehrſo lange in der gefahr ſtecken laſſen wer - de: da ich es alſo endlich ihm befehle / und in demuth meinen mangel vor ſei - nen heiligen augen erkenne. Es wird im uͤbrigen M. H. Hn. Schw. ſeiter wiſſend worden ſeyn / daß ſeiter annoch gegen end der meß / hier ein diſcurs ge - druckt worden / da eine ſolche trennung ſo ſtarck behauptet / als in meinem tractaͤtlein beſtꝛitten wiꝛd / moͤgen auch wohl darinnen ſolche particularia ſeyn / die eigenlich auff meine perſon gemeinet / jedoch das vernehme / es gehe die ſache ſelbs eigenlich gegen Hr. Eraſmi Franciſci gegen-ſtrahl. Es hat aber Herr Holtzhauſen unſer Collega ſolchen diſcurs in druck widerleget / und weiß ich nicht / was ferner folgen wird. Ach HERR heilige uns in deiner wahrheit / dein wort iſt die wahrheit! dieſes laſſet uns unauffhoͤrlich vor dem HERRN beten / bis er uns erhoͤre / welches er nach ſeiner wahrheit thun / und ſo viel hertzlicher wir beten / ſeine huͤlffe ſo viel mehr beſchleunigen wird. 1684.

SECTIO XV. Wie einigen trennungen / die zu beſorgen oder anſe - tzen / vorzukommen / oder zu begegnen ſeye.

JCh halte es fuͤr ein ſtuͤck goͤttlichen gerichts uͤber die kirche / daß er we - gen des undancks vor die offenbahrung des Evangelii (ſonderlich weil wir insgemein uns an der buchſtaͤblichen erkaͤntnuͤß / und bekaͤntnuͤß der wahren lehr / vergnuͤgen / hingegen die krafft nicht eindringen laſſen / noch die wahre fruͤchten der gottſeeligkeit bringen wollen) nicht allein unſern offentlichen feinden / dem Roͤmiſchen Babel / je laͤnger je mehr gewalt gibet / uns wieder unter ſein joch zu zwingen / und damit das maaß ſeiner ſuͤnden zu erfuͤllen / ſondern darzu verhaͤnget / daß auch von den beſten ſeelen / und de - nen es wahrhafftig ein ernſt um GOtt iſt / in einen exceß des eiffers gera - then / und auff trennungen verfallen; wodurch geſchihet / daß nicht allein der gebrauch ihrer gaben / der ſonſten der kirchen nutzen haͤtte koͤnnen / meiſtens verlohren gehet / ſondern noch ſchwehrer aͤrgernuͤß entſtehet: der gerechte GOTT aber uns / wo wir die ſache recht erwegen / damit ſeinen zorn zu er - kennen gibet / daß wir wahrnehmen / wie die mittel zur beſſerung angeſehen / offt nicht allein die gewuͤnſchte frucht nicht bringen muͤſſen / ſondern einen widrigen effect nach ſich ziehen. Daher dieſem uͤbel nicht anders gerathen werden kan / als daß wir erſt den erzoͤrnten GOtt durch wahre buß zu verſuͤh - nen ſuchen. Es iſt aber eine verſuchung / die nicht erſt dißmal anfaͤngt / ſondern faſt allezeit / wo mit mehrer krafft auff das rechtſchaffne weſen in Chriſto ge -Gtrie -50Das dritte Capitel. trieben wird / dieſelbe ſich einfindet / die froͤmſte am erſten derſelben unter - worffen ſind / wie ich ſolches bereits vor etlich und 20 jahren erfahren / und daruͤber den tractat von der klagen uͤber das verdorbene Chriſtenthum rech - ten gebrauch und mißbrauch noch in Franckfurt herausgegeben habe / deſſen leſung zu dieſer zeit vielleicht wieder deſto dienlicher ſeyn moͤchte. Die ge - legenheit iſt allemal dieſe: wenn leute die art des wahren Chriſtenthums er - kannt / und in deſſen uͤbung eingetreten ſind / daß ſie einen ſo viel mehrern greuel an allem uͤppigen welt-weſen faſſen / und fordern / daß jedermann / wie es auch an ſich recht iſt / nach den reglen Chriſti ſich recht anſchicken ſolle. Sehen ſie aber / daß es insgemein nirgend fort will / ſondern der rohe hauff in ſeinem ſuͤndlichen thun fort faͤhrt / und ſich doch aus dem euſſerlichen got - tesdienſt der ſeligkeit getroͤſtet / ſonderlich aber / wann ſie auch gewahr wer - den / daß Prediger entweder ſelds nicht mit gottſeligem wandel den gemein - den vorleuchten / oder doch nicht allen eiffer nach vermoͤgen gebrauchen / dem uͤbel zu ſteuren; ſo entbrennet alsdann bey ihnen ein eiffer / der an ſich erſt goͤttlich iſt / aber gemeiniglich / weil es ihnen noch an der gedult mangelt / auch frembdes feuer aus der natur ſich mit einmiſchet; daher da ſie daran recht thun / ſich deſto forgfaͤltiger von allem dem / was boͤſe iſt / abzuziehen / und der welt nicht gleich zu ſtellen / ſo ſchlaͤget es darnach dahin weiter aus / ſich auch von der gemeinſchafft des noch guten / wegen der boͤſen / die es mißbrauchen / abzureiſſen / entweder mit offentlicher trennung und anſtellung ſonderer ge - meinden / wie es mit der geſellſchafft des beruͤhmten Johan von Labadie er - gangen; oder daß ſie eintzel in der ſtille vor ſich bleiben. Wo nun mit hefftig - keit und ohne gebuͤhrende vorſichtigkeit in ſie getrungen wird / ſo wird das uͤbel immer aͤrger / das hingegen durch gedult / langmuth und chriſtliche klug - heit erſt gemindert / und letzlich in Gottes ſegen wieder auffgehoben werden kan. Die vornehmſte mittel ſind nechſt dem hertzlichen gebet / um abwen - dung des wolverdienten zorns uͤber unſer kirche / und um verleihung der zu der ſache noͤthigen klugheit / fleiſſige beobachtung von ſeiten der beiden Ober - ſtaͤnde / der ihnen hierin obligenden pflichten. Da liget nun das meiſte an dem predigamt / und zwahr 1. daß ſich alle deſſen glieder deſto ernſtlicher be - fleiſſigen / nicht allein vor offenbahren laſtern / der trunckenheit / prachts / gei - tzes / faulheit / leichtfertigkeit und dergleichen / ſondern auch allem ſchein des boͤſen ſich zu huͤten / und ſich alſo dar zuſtellen / daß man in ihrem gantzen wan - del ſehe / wie ſie der welt abgeſtorben / nicht ſich in ihrem amt / ſondern lauter - lich Gottes ehre / der kirchen erbauung und ihre ſeligkeit ſuchen / damit alſo jene gute leute / die ſich ſonſten zu erſt an uns ſtoſſen / wann ſie uns rechte vorbilder der heerden ſehen / uns auch fuͤr wahre diener Chriſti erkennen / und ein vertrauen zu uns gewinnen: Hingegen muͤſſen wir ſelbs / wo einigeunſers51ARTIC. I. SECTIO XV. unſers ſtandes ſtraͤfflich leben / ſie nicht vertheidigen / ſondern unſern eiffer auch gegen ſie geziehmend richten. Nechſt dieſem 2. muß man ſuchen / ſol - chen leuten offentlich und abſonderlich / wo man gelegenheit hat / die gefahr und ſchaden ihres weges / wo ſie darinnen fortfahren / zu zeigen / auffs gruͤnd - lichſte als es ſeyn kan / aber auch freundlich / damit ſie ſehen / daß man das gute an ihnen wahrhafftig liebe / und lobe / und nur verlange / daß die frucht nicht von ihnen ſelbs verdorben werde. Hingegen eine einige hefftige und mit bittren worten angefuͤllte predigt / kan alles noch aͤrger / und die wunde gleichſam unheilſam machen: dann damit / weil ſie wiſſen / daß der anfang ihres eiffers goͤttlich iſt / und in die gedancken gerathen / man verwerffe auch das gute an ihnen / werden ſie immer dadurch weiter fortgetrieben / da man ſie mit aller kunſt vielmehr zu ſich wieder zu locken hat. Daher iſt ein groſ - ſer unterſcheid unter andern laſtern / gegen die man auch mit der ſchaͤrffe ver - fahren muß / und dieſem abweichen; dann dorten iſt eine bosheit in dem willen / hier bleibt der wille allezeit / GOtt allein und auffs eiffrigſte zu die - nen / der fehler aber kommt her aus irrthum des verſtandes / da ſie ſichs fuͤr ſuͤnde halten / in der euſſerlichen gemeinſchafft deren / die ſie nicht fuͤr wahre Chriſten achten / auch der gnaden-guͤter ſich zugebrauchen. Dieſen irrthum nun zu benehmen / thut buͤndige vorſtellung der wahrheit / mit liebe und ge - dult vermiſchet / das vornehmſte / weil ſolche art zu handlen ein vertrauen in den ſeelen erhaͤlt / deſſen gaͤntzliche auffhebung aber die gemuͤther untuͤchtig machet / etwas an ihnen auszurichten. Alſo wo ſie ſich von uns entfernen wollen / ſollen wir ſie mit liebe und ſanfftmuth ſuchen / deßwegen ihnen freundlich nachgehen / damit ſie allezeit verſichert bleiben / man haſſe das gu - te an ihnen nicht / ſondern wolle es lieber ſelbs befordern. Mit dieſer lang - muth iſt immer anzuhalten und zu erwarten / bis ſie ſich endlich / das wol mehrere jahre waͤhren kan / erholen / und widerkehren. Die weltliche Obrig - keit hat auch ihr amt dabey / und ſolte billich in guter eintracht mit dem pre - digampt der gefahr ſuchen zu begegnen; am meiſten aber ſich huͤten / daß ſie keine gewaltſame mittel gegen ſolche leute / als lange ſie nicht dinge anfan - gen / die auch die weltliche und buͤrgerliche ruhe ſtoͤhren / zu gebrauchen / oder ſich wo ein predigamt in einen fleiſchlichen eiffer verfiele / und zu euſſerlicher gewalt ſie anreitzen wolte / dahin bewegen zu laſſen. Jndem die gewalt nur mehr ſchaden thut / dann die da gewalt leiden muͤſſen / und glauben / ſie leiden um des HErrn willen / werden in ihrer meinung nur mehr bekraͤfftiget; und ſolle ſich in Engelland dieſes an den Quackern gezeiget haben / nemlich / daß ſo lang man ſie euſſerlich verfolgt / mit gefaͤngnuͤß und andern ſtraffen / ſind eben dadurch und das exempel ihrer Gedult immer deſto mehrere zu ihnen getreten: als aber jenes verfahren gegen ſie auffgehoͤret / hat auch der wachs -G 2thum52Das dritte Capitel. thum ihrer ſecte auffgehoͤret. Sonderlich aber hat eine Obrigkeit ſamt dem predigamt ſich wohl zu huͤten / daß ſie / was noch andre anlangt / die einen ſonderbaren eiffer zur uͤbung der gottſeligkeit haben / dieſelbe verwehren / damit ſie nicht auff gleiche abwege gerathen / welches nicht allein dardurch leicht geſchihet / wo man diejenige / die ſich zu trennen angefangen / hart haͤlt / und alſo bey dieſen ein mitleiden gegen ſie erwecket / ſondern auch / wo ſie eini - ge chriſtliche uͤbungen unter ſich haben / ſolche ihnen verbieten wolte: dann dieſes kan rechtſchaffne ſeelen alſo aͤrgern / daß ſie deſto eher zu den andern fallen / wenn ſie gewahr werden / daß man ihnen / was ſie vor ſich heylſam ge - funden / nehmen wolte / und daraus ſchlieſſen / man ſeye dem guten ſelbs ent - gegen. Vielmehr ſolle man an ſolchen orten dergleichen uͤbungen deſto mehr befordern / und das predigamt ſelbs die auffſicht auff ſich nehmen / daß alles in richtiger ordnung bleibe. Dieſes iſt alsdann das mittel / das nicht allein / die noch auff richtigen weg geblieben / darauff erhalten / ſondern auch andre deſto eher wiederum zuruͤck gezogen und gewonnen werden. Es ha - ben auch beide obre ſtaͤnde dahin zu trachten / daß das gemeine volck auff keinerley maß ſich an den abſonderenden vergreiffe / noch in einen haß gegen ſie geſetzet werde / ſondern daß ſie lernen das gute an ihnen noch lieben / und mit ihren abwegen mitleiden zu tragen: da ſonſten / wo jene jedermanns ſpott oder raub ſeyn muͤſſen / ſolches ſie nur deſto mehr verhaͤrtet / da hingegen liebe herbey zeucht. Unſer liebſte Heyland ſehe ſelbs ſeine arme kirche in gna - den an / laſſe ihm ihr elend zu hertzen gehen / mildre ſeine gerichte / ſteure aller euſſerlichen gewalt der feinde und innerlichen aͤrgernuͤſſen von falſcher lehr / irrthum / gottloſigkeit oder unordnung / gebe den auch guter meinung abwei - chenden ihre abwege und dero gefahr zu erkennen um ſie zuruͤck zu fuͤhren / erfuͤlle die hertzen aller Prediger und Regenten / wie mit eiffer vor die erhal - tung der wahrheit und beforderung der gottſeligkeit / alſo auch goͤttlicher klugheit / in dieſen gefaͤhrlichen zeiten den vor augen habenden zweck beſter maſſen zu erreichen / erhalte indeſſen alle die ſeinige durch ſeines heiligen Geiſtes liecht auff richtiger bahn / und erſcheine endlich ſelbs / alle ſteine in ſeinem reich zu heben / welche menſchlicher krafft zu heben zu ſchwehr worden ſind / um ſeiner ſelbs ehre willen. 1700.

SECTIO XVI. Von abſonderlichen eigenmaͤchtig anſtellenden Communionen.

Frage.

  • Ob es recht und Chriſti ordnung gemaͤß ſeye / wo an einem ort / daeine53ARTIC. I. SECTIO XVI. eine Evangeliſche gemeinde und predigamit iſt / ſich einige Chri - ſten / ſo von dem predigamt nicht ausgeſchloſſen ſind / unterſte - hen wolten / einer allein / oder etzliche unter ſich / heimlich und ohne wiſſen oder billigung der uͤbrigen gemeinde und predig - amts das abendmahl des HErrn zu halten?

ES iſt in for mirung dieſer frage bereits ein und anders ausgeſchloſſen / wovon die frage nicht iſt: als 1. Ob in einem euſſerſten nothfall nicht moͤchte erlaubt ſeyn / daß ein ander als Prediger einem mitbruder das H. abendmahl reichte / oder einer ſich ſelbs daſſelbige nehme. Dann ob wol nicht gleicher nothfall bey dieſem Sacrament ſich or denlich findet / wie bey der H. tauff (da wir lieber die tauff auch durch einen andern als beruffenen Prediger adminiſtriren laſſen / ehe wir ein kind / welches das recht zu dem goͤttlichen bund hat / ohne das ordentliche mittel deſſelben / das bey ihm durch kein anderes wieder erſetzet werden kan / hinſterben laſſen wolten) indem die erwachſene ihres glaubens ſtaͤrckung / ſo ſie in dem H. abendmahl ſuchen / auch aus dem goͤttlichen wort und der geiſtlichen nieſſung herhaben koͤnnen: ſo wolte doch nicht ſo hart ſeyn / allen nothfall auszuſchlieſſen / wie auch ohne zweiffel aus ſolcher abſicht der tapffre Theologus, N. Hunnius Epit. Cred. c. 25. §. 625. nur alſo redet / daß andern zum predigamt nicht verordneten das A - bendmahl zuhandeln nicht leichtlichen zugeſtattet. Woraus abzunehmen / daß er gleichwol einige faͤlle muß fuͤr erlaubt geachtet haben. Jch entſinne mich dabey meines S. Præceptoris, Herr D. Dannhauers / wie derſelbe ei - nige mal auch davon redete / und einen ſolchen fall ſetzete / wo einige chriſtli - che freunde auff einer reiſe in Jtalien oder ſonſt an einigen ort / da keine Ev - angeliſche gemeinde vorhanden / ſich befaͤnden / und einer unter denſelbigen geriethe bey einer kranckheit oder ſonſten / in die anfechtung / daß er ohne das H. abendmahl ſich goͤttlicher gnade nicht gnug verſichern und ſelig werden koͤnte; da er bey ſolchem fall haben wolte / daß man einen ſolchen menſchen zwahr ſo viel muͤglich / an die geiſtliche nieſſung / und ſich damit zu vergnuͤgen / weiſen ſolte; wo er aber ſich damit in ſolcher anfechtung nicht befriedigen koͤnte / lieſſe er zu / daß ein ander gefaͤhrte ihm ſolches Sacrament wohl reichen moͤchte; dabey er die urſach anfuͤhrte / es waͤre die geiſtliche nieſſung als un - ſre taͤgliche ſpeiſe / die Sacramentliche aber / fuͤr eine artzeney anzuſehen / wie es dann in dem natuͤrlichen bey einem menſchen dahin kommen koͤnte / daß es ihm nicht gnug waͤre an der ſpeiſe / ſondern auch die artzeney zu weilen erfor - dert wuͤrde / ſo koͤnte eine ſeele auch in den ſtand gerathen / daß ſie nebs der taͤglichen ſpeiſe / auch dieſe himmliſche artzeney noͤthig haͤtte. Jch finde auch in den Conſiliis D. Bidenbachii dec. 3. conſ. 5. die antwort D. Tilem. HeshuſiiG 3da er54Das dritte Capitel. da er den fall ſetzet / wann etliche Chriſten an dem ort ſind / da uͤberall kein beſtellter Seelſorger iſt / wenn etliche Chriſten um der wahrheit willen gefangen ligen / oder in gefaͤhrlichkeit waͤren auff dem meer / o - der wenn etliche Chriſten unter den Tuͤrcken ſaͤſſen / oder im Papſt - thum / da keine rechte pfarrer ſind / wenn etliche Chriſten unter den Calviniſten / oder Schwenckfeldianern oder Adiaphoriſten oder Ma - joriſten / ſaͤſſen / von denen / als von falſchen Lehrern ſie ſich nach GOt - tes befehl muͤßten abſondern / oder wenn etliche Chriſten unter ſolchen pfarrern und kirchen-dienern ſaſſen / die oͤffentliche tyranney uͤbeten / und die rechte bekenner der wahrheit grauſamlich verfolgeten / damit ſie denn auch gnugſamlich an tag geben / daß ſie nicht gliedmaſſen der wahren kirchen waͤren / und derhalben gottſelige Chriſten ſchuldig / ſich ihrer gemeinſchafft zuenthalten / auff daß ſie ihre tyranney nicht ſtaͤrcken / und die unſchuldige Chriſten nicht helffen verdammen. Jn dieſen faͤllen nun zeigt er / daß alsdann eine eintzele privat-perſon und glaubige Chriſten wohl befugt waͤren / auch das H. nachtmahl JEſu Chriſti auszuſpenden. Da er nachmals auch die worte braucht: Was der gantzen kirchen zuſtehet / und eines jeden Chriſten iſt / das mag auch ein jeder Chriſt im fall der noth nach GOTTES wort in gemeinem geiſt aller glaubigen / austheilen und verrichten; Dann der gantzen Chriſtenheit wille iſt allezeit / daß durch die Sacramente von Chriſto eingeſetzt / al - len betruͤbten troſt erzeiget / und allen bußfertigen die ſuͤnden nach dem Evangelio auffgeloͤſet werden. Nachmal folget auch das judicium D. Joh. Galli, der p. 391. alſo ſpricht: Wann dann die tauff und abſolution eines layen kraͤfftig iſt in dem euſſerſten nothfall / als obgemeldt / war - um ſolte nicht gleichfals auch die ausſpendung des hochwuͤrdigen a - bendmahls kraͤfftig ſeyn / ſo die im nothfall durch einen layen geſchicht: ſintemal zwiſchen dieſen ſtuͤcken / nemlich dem tauffen oder abfolviren / und dem nachtmahl-reichen kein unterſcheid iſt. Alſo haben wir von dem nothfall die zeugnuͤß unſrer Lehrer: wiewol ich nicht in abrede bin / daß ich auch in denſelben ſehr behutſam zu ſein noͤthig achte / und denen in verfol - gung ſtehenden und ihrer Prediger beraubten gemeinden nicht leicht rathen wolte / ſich ſolcher freyheit zugebrauchen / als wodurch ſie ihre gefahr noch vielmehr vergroͤſſern moͤchten.

2. Es wird auch gleich in der frage ausgeſchloſſen ein anderer / aber mit dem vorigen etwas verwandter fall: ob diejenige / welche unbilliger weiſevon55ARTIC. I. SECTIO XVI. von einem ſich ſeiner gewalt mißbrauchendem predigamt / ausgeſchloſſen und nicht zur communion gelaſſen werden wollen / alsdann macht haben / das je - nige / was ihnen rechtswegen gebuͤhret / und Chriſtus nicht verſagen will / ih - nen ſelbs zu nehmen? auff welche wir bereits geſehen / daß D. Tilem. Heshu - ſius nicht weniger mit ja antworte. Da aber wiederum wohl zubeobachten / daß ſolche unbillich ausgeſchloſſene lang zu warten / und alle chriſtliche mittel wiederum auffgenommen zu werden vorher zu verſuchen / oder auch / wo kei - ne andre hindernuͤß / was ihnen eines orts verſagt wird / anderwertlich zu ſu - chen / hingegen ſich ſo lange mit den ordinari mitteln zu vergnuͤgen haben / ehe ſie auff dieſes extremum ſich begeben.

Alſo bleibet allein die frage von ſolchen orten / wo ein predigamt ſich findet / welches die Sacramenta adminiſtriret / und ſich nicht weigert / dieje - nige fromme Chriſten / ſo daſelbs wohnen / zu der communion zuzulaſſen: ob nemlich dannoch ohne ſolches predigamt und hinterruͤcks deſſelben / alſo auch ohne billigung der geſamten gemeinde / vielmehr mit beſorgtem deroſel - ben / wo ſie es wiſſen ſolte / mißfallen / einige unter ſich die communion halten moͤgen? Hierauff finde ich nicht anders als mit nein zu antworten: die urſa - chen ſolcher antwort ſind: 1. weil eine ſolche heimliche und ohne das predigamt haltende communion ermanglet goͤttlicher einſetzung und befehls. Als der HErr JEſus das H. Sacrament erſtmals einſetzte / ſo ſehen wir den billich an / als den oberſten Propheten / Lehrmeiſter und HErren ſeiner gemeinde / der was er einſetzen wolte / ſelbs adminiſtrirte / und ſolches in gegenwart al - ler ſeiner juͤnger.

2. Es hat auch ſolche heimliche communion kein exempel in der Heil. Schrifft. Es will zwahr dagegen angefuͤhret werden / was ſtehet Apoſt. Geſch. 2 / 42. Sie blieben aber beſtaͤndig in der Apoſtel lehre / und in der gemeinſchafft / und im brodtbrechen / und im gebet: wiederum v. 46. Und ſie waren taͤglich und ſtaͤts bey einander einmuͤ - thig im tempel / und brachen das brodt hin und her in haͤuſern. Es iſt aber hiedurch noch nicht erwieſen / was in einer ſo wichtigen ſache erwieſen werden ſolte. 1. Moͤchte noch gar in zweiffel gezogen werden / ob hie durch die redens-art des brodtbrechens von dem H. abend mahl gehandelt wuͤrde / o - der nicht vielmehr von gemeinen mahlzeiten: daß nemlich die erſte Chriſten / um ſtaͤts beyſammen zu ſeyn / und ſich untereinander immer zu ermuntern / taͤglich in ſtarcken verſam̃lungen mit einander geſpeiſet haben / welcherley lie - bes-mahl auch darnach in andern gemeinden lange zeit ſind beybehalten wor - den: in der gemeinde zu Jeruſalem aber war noch ſo viel nothwendiger / daß ſie insgemein mit einander ſpeiſeten / nachdem die glaubige auch in dem leib -lichen56Das dritte Capitel. lichen ihre guͤter gemein hatten / daraus alſo nicht anders als gemeine taffeln gehalten werden konten. Es moͤchte auch ſolchen verſtand beſtaͤꝛcken / daß v. 47. gleich dabey ſtehet: nahmen die ſpeiſe (alſo war nicht nur brodt und wein verhanden / ſo zu dem Sacramentlichen mahl gehoͤret / ſondern auch andere ſpeiſe / welche jenes nicht angehet) und lobeten GOTT mit freuden und einfaͤltigem hertzen. Daher noch nicht zur gnuͤge hieraus erwieſen waͤre / daß hie von dem Sacrament geredet wuͤrde. Aber 2. ich will die erklaͤhrung gern paßiren laſſen / weil ich weiß / daß die alte Chriſten ihre agapas und lie - des-mahl mit dem Sacrament der verkuͤndigung des todes ihres Heylands gern zuſammen zu halten pflegten. Jndeſſen iſt auch dadurch noch lange nicht erwieſen / was erwieſen werden ſolte. Dann davon die frage nicht iſt / ob man das H. abendmahl in haͤuſern halten doͤrffe / wie wirs ja ſelbs noch bey krancken und unvermoͤglichen / auch zuweilen aus andern chriſtlichen urſa - chen / andern darinn helffen: ja niemand nur in zweiffel ziehet / daß an ei - nem ort / da eine gemeinde keine oͤffentliche kirche hat / wie uͤbrige ſtuͤcke des oͤffentlichen Gottesdienſtes / alſo auch die communion / in haͤuſern nicht nur doͤrffen / ſondern muͤſſen verrichtet werden; in dem nicht der ort ſondern die verſammlung anzuſehen iſt. Alſo hatten die erſten Chriſten zu Jeruſalem zwahr den tempel / welchen ſie noch beſuchten / und diejenige ſtuͤcke des Got - tesdienſtes in demſelben verrichteten / welche ſie noch mit den Juden gemein haben konten / als lange dieſe ſie bey ſich lidten. Aber zu denjenigen ſtuͤcken / die ihnen nunmehr aus der lehr des HErrn JEſu oblagen / und des N. Teſt. dienſte waren / hatten ſie keinen platz in dem tempel / noch eine andere beſonde - re ſtelle: daher ſie von dem HErrn JEſu zu predigen / zu tauffen und das H. abendmahl zu halten / privat-haͤuſer brauchen mußten: daher es unmuͤglich andersſeyn kan / als daß in deꝛ erſten kirchen das H. abendmahl in den haͤuſern hat muͤſſen gehalten werden. Aber 3. muͤſſen wir ſolche haͤuſer anſehen / daß ob ſie wol auch zu weltlichem gebrauch / geſchaͤfften und wohnung der Chri - ſten angewendet wurden / ſie dannoch darneben den gebrauch hatten / an die ſtelle unſrer jetzigen kirchen ihnen damal zu dienen: alſo predigten ſie daſelbs / ſangen / beteten / und thaͤten alles was in die verſammlungen gehoͤret. Fer - ner obwol bey einer ſolchen ſtarcken gemeinde / als die zu Jeruſalem war / wel - che in ſo kurtzer zeit in mehrere tauſend angewachſen iſt / ein hauß dieſelbe zu faſſen / nicht genug ſeyn konte / ſo werden ſie wol bald da / bald dort / anf einmal an mehrern orten / wie ſich die gelegenheit ergeben / zu ſammengekommen ſeyn / und ihren Gottesdienſt gepfleget haben. Wie nun alſo auch die predigten uñ oͤffentlicher vortrag goͤttlichen worts in den privat-haͤuſern geſchehen / die - ſe aber von den Apoſteln / und welche dieſelbe ohne zweiffel auch nach und nach zu elteſten der gemeinde verordnet haben / gehalten wurden / ſo warendann57ARTIC. I. SECTIO XVI. dann die liebes-mahl / und auch das H. abendmahl etwas / ſo auff jenes zu folgen pflegte / und geſchahe demnach darinnen nichts / als unter anordnung und auffſicht der lieben Apoſtel / die deswegen ſich bey der vermehrung der verſammlungen auch ausgetheilet haben werden / aller orten zu thun / was die ordnung des HErrn vermochte: daher Lucas auch dieſe dinge zuſammen ſetzt: ſie waren beſtaͤndig in der Apoſtel lehr / und in der gemeinſchafft / und im brodtbrechen: alſo hoͤrten ſie der Apoſtel lehr mit andacht an / dar - auff auch das brodtbrechen folgte / ſolche verſammlungen aber in allem von den Apoſteln / als den ordenlichen Lehrern regieret und angerichtet wurden. Alſo erhellet / daß aus dieſem ort fuͤr die heimliche communion das wenigſte erwieſen werde / man thue dann aus dem text dar / daß ſie die communion ge - halten haben in den haͤuſſern ohne die Apoſtel / uñ ohne derſelben anordnung / welches zu erweiſen unmuͤglich faͤllet. Sehen wir hingegen was 1. Cor. 11 / von Paulo gelehret wird / ſo finden wiꝛ klahr den unteꝛſchied / unter den gemei - nen haͤuſſern und der gemeinde v. 22. habt ihr nicht haͤuſſer / da ihr eſſen und trincken moͤget? oder verachtet ihr die gemeinde GOTTES? wo die privat-haͤuſſer / und die gemeinde / und alſo der ort / da die verſamm - lung zugeſchehen pflegte / ob es wol auch an ſich ein privat-hauß mag geweſen ſeyn / unterſchieden werden / und nur von dieſem gedacht wird / daß ſie daſelbs das H. abendmahl zu halten pflegten / ohne die geringſte fuß-ſpuhr einer an - dern heimlichen / nach eines jeden belieben angeſtellten communion.

3. Wir finden auch das wenigſte nicht in der hiſtorie der alten und er - ſten kirchen / (die gleichwol / was ſonderlich dergleichen dinge anlangt / den ſinn ihres Heylands / welcher bey den anſtalten ſeines dienſtes geweſen / am beſten verſtanden und bewahret haben wird) daß dergleichen geheime com - munionen waͤren im gebrauch geweſen. Dann wo Serapionis exempel aus Euſeb. 6. H. E. 44. angefuͤhrt werden wolte / ſo ſchicket ſichs doch nicht auff dieſen fall / ſondern zeiget allein / daß wo einer nicht zu der verſammlung und den aͤlteſten kommen koͤnnen / ihm wohl die communion nach hauſſe geſandt worden ſeye. Ja es mag vielmehr / wo die ſache recht angeſehen wird / die - ſes exempel das gegentheil erweiſen. Dann wo ſich die glaubige nicht an ih - re aͤlteſten verbunden gehalten haͤtten / ſolte Serapion lieber mit dem nechſten beſten Chriſten / den er zu ſich bekommen koͤnnen / ſolches H. Sacrament ce - lebriret / als es von dem aͤlteſten der gemeinde / der doch nicht zu ihm zu kom - men vermochte / bitlich geſuchet haben. Nun iſt dieſes ein groſſes præjudiz wider dieſe art der communion / daß die erſte kirche / bevor auch noch der An - tichriſt in derſelben hervorzubrechen / angehoben hat / von derſelben nichts gewuſt / noch ſie eingefuͤhret / da man doch ſagen moͤchte / daß in den ſchweh -Hren58Das dritte Capitel. ren verfolgungs-zeiten ſolcher gebrauch am noͤthigſten haͤtte ſcheinen moͤ - gen.

4. Alſo ferner was unſre Evangeliſche kirche anlangt / iſt bekannt / daß dieſer art communionen darinnen niemals eingefuͤhret oder gebraucht wor - den ſind; denn was Lutheri worte anlangt / ſolle darnach davon gehandelt werden. Wem nun GOtt die gnade gethan / ſolcher kirchen glied zu heiſſen / hat von deroſelben ordnung ohne die euſſerſte noth und trang des gewiſſens / in einer ſache / daraus unfehlbar ſchwehre zerruͤttung entſtehen wuͤrde / nicht abzuweichen. Nemo pacificus contra Eccleſiam. Und ob wir der kirchen als der Mutter gegen unſren himmliſchen Vater keinen gehorſam ſchuldig ſind / ſo erfordert gleichwol die ihr ſchuldige ehrerbietung und gehorſam / daß wir uns deroſelben bequemen in allem / worinnen ſie nichts wider den willen des Vaters von uns fordert.

5. Wir ſehen auch billich das H. abendmahl an / wie eine der vorneh - mern abſichten deſſelben iſt / daß es ein ſo mittel / als zeugnuͤß der vereinigung der glaubigen / wie mit Chriſto / alſo unter ſich ſelbs / ſeye: davon es heiſſet 1. Cor. 10 / 17. ein brodt iſts / ſo ſind wir viele ein leib / dieweil wir alle ei - nes brods theilhafftig ſind. Und c. 12 / 13. Wir ſind alle zu einem geiſt getraͤncket. Daher iſts allerdings der art ſolches Sacraments gemaͤß / daß es allein gehalten werde in der verſammlung der gemeinde / oder doch / wo auch ein nothfall iſt / auffs wenigſte mit einer ſubordination derſelbigen / alſo daß ſie in dieſen und jenen actum mit ihrer verordnung willige. Hingegen ſind diejenige communionen derſelben art nicht / welche auſſer derſelben ver - ordnung / und vielmehr mit ihrem der uͤbrigen gemeinde mißfallen / gehalten werden ſollen.

6. Sonderlich ſehen wir / daß einmal des HErrn JEſu ernſter wille und goͤttlicher rath ſeye / ob er wol alle ſeine gnaden-guͤter der gantzen kirchen und gemeinde geſchencket hat / daß doch / unordnung zu verhuͤten / welche un - muͤglich anders verhuͤtet werden koͤnte / in derſelben allein gewiſſe perſonen verordnet werden / welche das gantze geiſtliche weſen einrichten und regieren; Eph. 4 / 11. 12. Er hat etliche zu Apoſteln geſetzt / etliche aber zu Pro - pheten / etliche zu Evangeliſten / etliche zu Hirten und Lehrern / daß die heilige zugerichtet werden zum wercke des amts / dadurch der leib Chriſti erbauet werde. Dergleichen auch 1. Cor. 12 / 28. gemeldet wird: Alſo hat Paulus und andere Apoſtel oder Apoſtoliſche maͤnner / ſo bald ſie gemeinden gepflantzet hatten / aͤlteſten / Biſchoͤffe und Hirten bey einer jeden verordnet / als zu ſehen Tit. 1 / 5. welche der H. Geiſt durch ſie ſetzte; Ap. Geſch. 20 / 28. Was aber derſelben amt war / davon ſagt Paulus: (dann das Apo -ſtel59ARTIC. I. SECTIO XVI. ſtel - und uͤbrige hirten-amt / ob ſie wol auch viel unterſchied haben / kommen doch in dem haupt-werck uͤberein) 1. Corint. 4 / 1. dafuͤr halte uns jeder - mann / nemlich fuͤr Chriſtus diener und haußhalter uͤber GOttes ge - heimnuͤß. Wie ihnen alſo die predigt des Evangelii anvertrauet iſt / dero ſich kein anderer zu ihrem præjudiz anmaſſen ſolle / alſo auch die austheilung der H. Sacramenten. Nicht zwahr / daß ſie in ſolchem werck eigenmaͤchtig verfahren moͤchten / dann wie ſie GOttes diener darinnen ſind / ſo ſind ſie auch zugleich darinnen der kirchen diener / die ihnen als die hauß-mutter die auffſicht und ſorge der geiſtlichen haußhaltung anvertrauet hat / daß ſie in derſelben nach der ordnung GOttes verfahren ſollen / aber in zweiffelhafften faͤllen die kirche ſelbs daruͤber zu hoͤren haben. Hingegen iſt der zuhoͤrer amt Hebr. 13 / 17. daß ſie gehorchen ihren Lehrern / und ihnen folgen: daher ſich von denſelben in der ſache ihres heils regieren laſſen / mit dieſer eini - gen ausnahm / daß ſie ihnen darinnen nicht gehorchen / wo ſie ſie von goͤttli - cher ordnung auff ſich ſelbs und eigne autoritaͤt fuͤhren wolten. Sonſten iſts billich / daß ſie ihnen nicht in das amt greiffen / noch dasjenige / was der HErr und ſeine braut die kirche / ihnen anvertrauet hat / zu ſich ziehen. Es iſt auch die weißheit ſolcher ordnung / die Chriſtus in der kirchen angeſtellet hat / ſo offenbar / daß ſie jeder / wer nur acht geben will / erkennen muß. Und gedencke man ſelbs / was in der kirche vor eine verwirrung und entheiligung aller hei - ligen ordnungen erfolgen wuͤrde / wo allerdings keine Vorſteher / die doch das gantze geiſtliche weſen zuregiren haͤtten / ſich faͤnden. Und wie verſtaͤndige leute das regiment eines tyrannen / wie ungerecht es auch iſt / noch leidlicher halten / als den zuſtand eines oꝛts / da gar keine obꝛigkeit waͤꝛe / uñ jeglicher nach ſeinem willen leben moͤchte; alſo erfahren wir zwahr mit betruͤbnuͤß / wie viel ſchaden uñ unordnung in der kirchen entſtehe / wo das predigamt nicht ſo bewandt iſt / wie es ſeyn ſolle / und alſo die / welche Regierer ſeyn ſolten / weder den willen des HErꝛn recht verſtehen / noch denſelben treulich zu werck zu richten befliſſen ſind / ſondern wol gar ſich ihrer gewalt mißbrauchen: aber ich ſorge / das elend wuͤrde noch groͤſſer ſeyn / wo gar keine vorſteher waͤren / und jeglicher allein nach ſeinem gutduͤncken mit goͤttlichen dingen umginge. Daß aber abſonderlich zu dieſer gewalt des predigamts die verwaltung des heiligen abendmahls gehoͤre / iſt nicht allein die allgemeine urſach / weil auch dieſes Sacrament ein ſiegel der gnaden / der predigt / und des amts der verſoͤh - nung / ſo ſie tragen / 2. Cor 5 / 19. iſt; ſondern auch abſonderlich / weil obge - dachter maſſen in demſelben die vereinigung der gemeinde ſtehet / daher der - jenige / welcher noch ein glied der gemeinde iſt / zu demſelben Sacrament das recht hat / hingegen kein anderer darzu verſtattet werden ſolte: deswegenH 2wel -60Das dritte Capitel. welcher von dergemeinde geſondert wird / ſich ſolcher gemeinſchafft enthal - ten muß / alſo daß die excommunication hauptſaͤchlich darinnen beſtehet / wer von dieſem mahl ausgeſchloſſen wird. Wann nun dieſes werck einer ſolchen wichtigkeit / und der gantzen gemeinde ſo hoch dran gelegen iſt / daß ſie zwahr wol einige / die ſie nicht fuͤr bruͤder haͤlt / annoch in der gemeinſchafft des gehoͤrs goͤttlichen worts / auch eben des gebets / leidet / nicht aber an die - ſem tiſche dultet / ſo gehoͤret deꝛ gantzen gemeinde vor allem die aufficht auf die verwaltung dieſes Sacraments; welche auffſicht ſie ordenlicher weiſe durch das predigamt uͤbet / aber ſich auch billich uͤber daſſelbe die ober-macht und auffſicht / damit es ſich der gewalt nicht mißbrauche / vorbehaͤlt. Hingegen will ſichs nicht thun laſſen / daß einiger menſch in ſolcher ſache fuͤr ſich felbs etwas vornehme. Dabey zu mercken iſt / daß alle dieſe goͤttliche ordnungen angeſehen werden muͤſſen / nicht wie ſie etwa wircklich in einem mißbrauch in dem verderbten ſtand der kirche ſtehen: wo ich gern bekenne / daß die frucht dieſer auffſicht heut zutage ſehr gering ſeye / und den zweck Chriſti nicht errei - che; ſondern in ihrem zuſtand / wie ſie eingeſetzt ſind / und wie ſichs damit verhalten ſolte: daher was auch in dieſem ſtand der goͤttlichen ordnung wuͤrde abbruch thun koͤnnen / ſolches muß der abſicht des HErrn auch entge - gen ſeyn. Nun wo die geheime communionen ſolten fuͤr recht gehalten werden / wuͤrde darmit das vornehmſte der krafft der excommunication der aͤrgerlichen (wo ſie auch recht gebraucht worden waͤre /) dahin fallen / und ſich ein ſolcher excommunicirter / wenig darumzu bekuͤmmern haben / ob er zu der communion der uͤbrigen gelaſſen wuͤrde / indem er des Sacraments ent - weder vor ſich allein / oder wo er jemand anders dazu bereden wuͤrde / ſo offt er nur wolte / theilhafftig werden koͤnte. Da aber jeder leicht begreifft / was vor unordnung dieſes nach ſich ziehen wuͤrde; daher auch das jenige / daraus ſolches von ſich ſelbs entſtehet / die goͤttliche ordnung nicht ſeyn muß.

Wie nun 7. auch noch dieſes hinzu ſetze / daß dergleichen heimliche communionen nicht recht / und ſonderlich zu dieſer gegen waͤrtigen zeit nicht einzufuͤhren ſeyn / wegen faſt unzaͤhlicher aͤrgernuͤſſen / dero die vornehmſte etwa erzehlen ſolle. 1. Wuͤrden ſolche leute / ſo bald dergleichen kund wuͤrde / eine trennung verurſachen / und weil ſie eine ſonderbare communion des Sacraments / ſo der gantzen kirchen zu kommet / anſtelleten / damit ihre ſonderung von den uͤbrigen bezeugen / und daher auch ſelbs ausgeſtoſſen zu werden veranlaſſen. Nun iſt die trennung in der kirchen eines der groͤſſe - ſten uͤbel als gefunden werden kan / nachdem ſie der einigkeit derſelben / die der leib Chriſti iſt / und ein ſtuͤck ſeiner ehre in jener beſtehet / ſchnurſtracks entgegen / hinwider unzaͤhlicher anderer ſuͤnden / die / wo jene einreißt / nichtgnug61ARTIC. I. SECTIO XVI. gnug weiter verhuͤtet werden koͤnnen / urſach iſt. Daher die glaͤubige alle - zeit ſich ſo lang gelitten haben / auch in der gemeinſchafft der verderbten kirchen verharret ſind / als lange man ſie noch hat dulden wollen / und ſie nicht gar wircklich zu ſuͤnden genoͤthiget. Wir ſehen ſo gar / als die Apo - ſtel und erſte Chriſten ſich nothwendig in gewiſſer maaß von den uͤbrigen Juden trennen muſten / weil ſie in einen neuen bund durch Chriſtum geſetzt worden / welcher den andern alten auffhube / und dergleichen von ihnen for - derte / was ſie in den juͤdiſchen verſamlungen nicht verrichten konten / daß ſie dannoch in denjenigen dingen / worin ſie noch mit der juͤdiſchen kirchen gemeinſchafft haben konten / ſich nicht trenneten / ſondern ſich noch zu ihr hielten / wie wir Apoſt. Geſch. 3 / 1. und hin und wieder in demſelbigen buch / ſehen. Wo man gewiß dencken ſolte / es haͤtte ſolche beſuchung und gemein - ſchafft des juͤdiſchen dienſts / der nun ſeine verfaſte krafft verlohren hatte / kaum ohne gemeinſchafft der ſuͤnden geſchehen koͤnnen / und doch muß es der Geiſt Gottes in den Apoſteln anders erkannt haben / der ſie dahin gefuͤhret / aber uns eben damit gezeiget hat / wie ſorgfaͤltig alle trennung / als lang es muͤglich iſt / zu verhuͤten ſeye. So wiſſen wir / in was vor dienſtbarkeit un - ſre voreltern in dem Pabſtthum ſich unter der Roͤmiſchen Cleriſey befunden / und dannoch waren ſie bey der angehenden Reformation willig / noch alle laſt zu tragen / und in ihrer kirchen offentlichen gemeinſchafft zu bleiben / wo nur dem gewiſſen nicht zwang angethan / uñ die noͤthigſte predigt des wahren Evangelii ihnen geſtattet wuͤrde. Alſo meideten ſie die trennung von jenen / als lange es muͤglich war / bis ſie ſelbs ausgeſtoſſen wurden. Daher unſre Theologi insgemein unſre voreltern von dem ſchiſmate und trennung vor - nehmlich damit entſchuldigen / weil ſie ſich nicht ſelbs getrennet / ſondern durch bann-ſtrahlen und euſſerliche gewalt ausgeſtoſſen worden ſeyen. Nachdem nun auch an ſolchen orten / wo unſer predigamt am verderbeſten ſeyn moͤchte / (wo ſich eine ſolche kirche befaͤnde) daſſelbe auffs wenigſte die - jenige / ſo wahre kinder Gottes ſind / ob wol ſonſten trucken und plagen moͤchte / und ſie von demſelben wenig erbauung fuͤr ſich genoͤſſen / doch nicht ſuͤnde zu thun noͤthigen wird / (wie mich auffs wenigſte dergleichen exempel zu erinnern nicht wuͤſte /) ſo muͤſten jene ſich in allem gedulden und leiden / und auffs ſorgfaͤltigſte das jenige zu verhuͤten trachten / wodurch ſie gewiß denſelben ihre ausſtoſſung abnoͤthigen / und alſo eine trennung verurſachen / damit aber offt gewiſſe etwas der ſchuld der daraus entſtehenden ſuͤnden auff ſich laden wuͤrden. Und ſolches hat man zu dieſer zeit ſo viel mehr zu verhuͤten / da ohne das bisher allem fleiß die gottſeligkeit ernſtlich zu befoͤr - dern mit groſſem ſchein offters vorgeworffen worden / es zielte alles endlich auff eine trennung hinaus / welches man zu ſeiner zeit ſchon ſehen wuͤrde:H 3da aber62Das dritte Capitel. da aber ſolchen laͤſterungen chriſtliche leute / als der ſachen beſſer kuͤndig / allezeit aus ihrem gewiſſen getroſt widerſprochen haben / daß dergleichen nicht geſuchet oder intendiret wuͤrde. Auff den erfolg aber einer ſolchen den andern gleichſam abgenoͤthigten trennung / wuͤrden ſo wol dieſe fuͤr luͤgner / welche alles nur zu verbergen geſucht / gehalten werden / als hingegen die laͤ - ſterungen zu niederſchlagung alles guten / mit groſſem ſchein triumphiren. So viel bekenne ich gern / daß die boßheit der fleiſchlichen in dem ſo genann - ten geiſtlichen ſtand durch Gottes verhaͤngnuͤß endlich wol dahin wachſen moͤchte / daß ſie wircklich an einigen orten die fromme ausſtoſſen / und eine trennung machen: wo wir aber ihnen dazu durch dergleichen gefaͤhrliche dinge nicht urſach geben / und nur von ihrer ungerechtigkeit leiden muͤſſen / ſo leiden wir alsdann vor GOTT mit gutem gewiſſen / und vor allen unpar - theyiſchen mit gutem zeugnuͤß der unſchuld / und trifft die gute ſache deß - wegen kein vorwurff / wo man gleichſam aus einem Egypten mit gewalt ausgetrieben wuͤrde. Deſſen man dann zu erwarten / nicht aber ſelbs das ungemach der kirche zu befoͤrdern hat.

2. Hierzu kommet / wo die ſache auskommen ſolte / daß alle religionen insgeſamt / (dann keine ſolche heimliche communionen billiget) auff diejenige loß ſtuͤrmen wuͤrden / die dergleichen thun / ja nicht allein auff dieſe / ſondern weil es heiſſet / es ſeyen Pietiſten / die es thaͤten / auff alle / die wegen treibung der thaͤtlichen gottſeligkeit unter ſolchem nahmen der welt verhaßt gemacht worden ſind. Ja es wird die welt ſich freuen / nunmehr / was ſie lange ver - gebens geſuchet / eine urſach gefunden zu haben / diejenige des betrugs zu be - ſchuldigen / die ſich bißher geſtellet / ob waͤren ſie mit mund und hertzen unſrer Evangeliſchen kirchen und ihrer lehr zugethan / und nun in ſo wichtigem ſtuͤck nicht allein von derſelben / ſondern auch allen andern religionen der Chriſten - heit / abwichen. Wie viel dieſes niederſchlagen / und wie manche gute her - tzen / ſo auff gutem wege bereits geſtanden / es zuruͤck treiben / andre aber die auch nahe bey dem reich GOttes geweſen / abhalten / und unzaͤhliche aͤrger - nuͤſſen erwecken wuͤrde / iſt kaum auszudencken. Zwahr iſt die ſache GOt - tes und deſſen wahrheit wol wehrt / ihrentwillen auch alle verfolgung mit freuden auszuſtehen / ſo dann wo ſich jemand an dem Evangelio aͤrgert / muß es um der urſach willen zu treiben nicht unterlaſſen werden: aber alles ſol - ches gehet allein die verfolgungen und aͤrgernuͤſſen an / uͤber die unzweiffenli - che goͤttliche wahrheit / und die jenige dinge / welche unmuͤglich mit gutem ge - wiſſen unterlaſſen werden koͤnnen; da aber / wie jenes noch im zweiffel ſtehet / auffs wenigſte ſolche communion auch von denen / die ſie verlangen moͤchten / ſchwehrlich fuͤr bloß nothwendig wird ausgegeben werden.

3. Jch ſetze hiezu billich / daß noch viel ander boͤſes daraus entſtehenwird /63ARTIC. I. SECTIO XVI. wird / indem nicht wol zu zweifflen / daß alle / ſo ſich etwa einmal darzu auch ziehen laſſen / (wie es dann eine ſache iſt / die ſehr ſcheinbar kan beygebracht / uñ ein ſeiner mehrern ſtaͤrckung begieriger menſch leicht darzu bewogen wer - den) in ihren ſeelen nicht eben ſo feſt ſtehen werden / daß nicht vielen kuͤnfftig ein ſchwehrer ſcrupel uͤber die ſache entſtehe / und ihnen das gewiſſen als uͤber einen ſchwehren mißbrauch des H. Sacraments auffwache; wo ihnen als - dann ſo bald nicht wird zu helffen / hingegen wo ſie rath bey ohne das widri - gen Predigern ſuchen / denſelben die angenehmſte gelegenheit ſeyn / den fleiß der gottſeligkeit insgeſamt verdaͤchtig zu machen / und ſolche leut von vori - gem gutem weg allerdings abzuziehen. Hinwieder da die ſache ausbraͤche / und alsdann / wie es nicht andersſeyn kan / daruͤber ſchwehres leyden ſich er - heben wuͤrde / ſorge ich / daß die wenigſte / ſo ſich in der erſten andachts-hitze dazu verſtanden / ſo feſt ſeyn werden / daß ſie alles dasjenige auszuſtehen vermoͤchten / was ihnen vor leiden deswegen auffſtoſſen mag. Wie auff vieler - ley weiſe alsdenn das gewiſſen mag verkehret werden / kan man leicht nach - dencken.

4. Es iſt auch nicht aus der acht zu laſſen / daß durch dergleichen begin - nen / ſelbs unter denen / welche ſonſten fuͤr das ſtudium der wahren pietaͤt ge - ſtanden / und ihre hertzen in dem HErrn mit einander vereinbaret haben / - ber dieſes wuͤrde ſtreit und mißverſtand entſtehen; wie mich dann verſichere / daß derjenigen allezeit mehr / als weniger ſeyn werden / welche dergleichen communionen fuͤr einen ſchwehren mißbrauch halten / als ihn billigen wer - den. Ob ſie dann wol / als lang alles in der ſtille bleibet / und in der kirchen noch kein lermen oder aͤrgernuͤß davon entſtehet / auch hoffnung iſt / daß ſolche mitbruͤder ſich von ihren gedancken wieder abbringen laſſen moͤchten / mit ih - nen gedult haben / und ihre ſchwach heit / daß ſie nach dergleichen ver - langen getragen / zu tragen wiſſen werden; ſo wird doch / da ſolche dinge ausbraͤchen / und die kirche verunruhigten / deroſelben noth auch erfordern wird / daß jeder ſich in ſolcher ſache declariren muͤſſe / unmuͤglich andeꝛs geſche - hen koͤnnen / als daß diejenige / ſo eine ſolche neuerung unrecht erkennen / wi - der die jenige offenbarlich ſtehen muͤſten / die das gefaͤhrliche werck belieben / welche zerruͤttung der ſonſten zu einem zweck treulich zuſammenſetzender ge - muͤther nicht wenig allen lauff des guten hemmen / und daher manchen from - men viele tauſend ſeufftzen / die den verurſachenden nicht gut ſind / austru - cken / dem teuffel aber ein lachen und freu de erwecken wuͤrde.

Wo zwahr die gedachte geheime communion GOttes austruͤcklicher befehl waͤre / bin ich nicht in abrede / daß alles dieſes / was ich aus derſelben zu folgen vorgeſtellet habe / nicht zuwegen braͤchte / daß man ſie unterlaſſen doͤrffte / ob wol auch alsdann eine vorſichtigkeit wuͤrde billich erfordert wer -den /64Das dritte Capitel. den / wie man dero uͤbung alſo einrichtete und maͤßigte / daß ſo viel muͤglich / die meiſte ungemache ausblieben. (nachdem es gleich wol heißt / præcepta af - firmativa obligant ſemper, ſed non ad ſemper, daher einige auch ins gemein befohlene dinge dann und wann / da und dort / mehrers unheyl zu verhuͤten / unterlaſſen / oder doch etwas davon ausgeſetzt werden doͤrffen.) Jch hoffe aber auffs wenigſte nicht / daß jemand dergleichen befohlen zu ſeyn / vorgeben werde / (wie dann dergleichen befehl unmuͤglich gezeiget werden koͤnte) ſon - dern man begnuͤgte ſich allein etwa damit / daß ſothaner gebrauch erlaubt ſeye / und alſo kinder Gottes ihres rechts nach ihrem gutbefinden unverhin - dert jemands / genieſſen doͤrfften. Wann es dann nun auch alſo waͤre / und daß die ſache goͤttlicher ordnung nicht zu wider / erwieſen werden koͤnte / achte ich doch / daß wegen oberzehlter aͤrgernuͤſſen und boͤſer folgen / auch der be - wandnuͤß der jetzigen zeiten / die jenige Chriſten / ſo ſich dergleichen frey zu ſeyn glauben / gleichwol lieber ſich des gebrauchs ihrer freyheit begeben / als zu ſo vieler zerruͤttung und unheyl / da es nicht um leibliches leiden / ſon - dern die anlaß vieler von allerley leuten begehender ſuͤnden / zu thun iſt / ge - legenheit geben ſolten / und wo ſie rechtſchaffene liebe haben / der uͤbrigen mit ſothaner unterlaſſung ſchonen wuͤrden. Wir wiſſen und geſtehen alle / daß nechſt dem glauben die liebe die vornehmſte Meiſterin des gantzen lebens ſeye / daher kein kind GOttes ſeinen nutzen mit eines andern ſchaden ſuchet / oder auch ſuchen doͤrffte. Phil. 2 / 4. Ein jeglicher ſehe nicht auff das ſeine / ſondern auffdas / das des andern iſt. 1. Cor. 10 / 24. Niemand ſuche was ſein iſt / ſondern ein jeglicher was des andern iſt. v. 33. ich ſuche nicht was mir / ſondern was vielen frommet / daß ſie ſelig werden. So gehet auch dieſe regel nicht allein das zeitliche oder leibliche / ſondern auch das geiſt - liche / und in gewiſſer maaß das ewige an. Unſer liebſte Heyland JEſus / das hoͤchſte muſter der liebe / enteuſſert ſich aus liebe zu uns / ſeiner Gott-foͤrmig - keit / ja eine zeitlang des innerlichen troſtes und fuͤhlung der ſonſten von ſei - ner Gottheit in ſeine geſegnete menſchheit abflieſſenden goͤttlichen freude: al - ſo gehoͤret auch uns zu / nach ſeinem exempel das leben fuͤr die bruͤder zu aſſen 1. Joh. 3 / 16. mit begriff auch der empfindlichkeit oder mehrern ge - nuſſes der geiſtlichen gnade / etwas in dieſem um des nechſten willen zuruͤck zu ſetzen. Alſo da Paulus verlangen hatte / und es ihm an ſeiner ſeelen nuͤtz - licher fande / bald abzuſcheiden und bey Chriſto zu ſeyn Phil. 1 / 23. ziehet er dennoch den nutzen / welchen die gemeinden noch von ihm noͤthig hatten / aus liebe / dem verlangen des ehendern genuſſes der voͤlligen heiligkeit und ſelig - keit vor ſeine perſon / vor: und iſt alſo zu frieden / noch laͤnger in dem fleiſch / uͤber deſſenlaſt / wegen der einwohnenden ſuͤnde / er doch klagetRom. 65ARTIC. I. SECTIO XVI. Rom. 7 / 24. zu wohnen / damit andre erbauung von ihm haͤtten. Ja es kommt bey ihm zu dem grad Rom. 9 / 3. daß er gewuͤndſchet verbannet zu ſeyn von Chriſto / fuͤr ſeine bruͤder. Dieſe nachfolge muthe ich zwahr niemand zu / ſondern allein fordert die liebe von denjenigen / die ſich zu der geheimen communion berechtiget zu ſeyn glauben / und davon eine uͤberzeugung zuhaben vorgeben moͤchten / daß ſie dasjenige / wovon ſie mehre - re geiſtliche ſtaͤrckung hoffen / aber ihnen remonſtriret wird / daß dadurch viele andre / auffs wenigſte von denen fuͤr ſchwach gehaltenen ſeelen ſchwehr verletzet / und in gefaͤhrliche verſuchung gefuͤhret werden wuͤrden / um dieſer zu ſchohnen / unterlaſſen. Da dann wohl dabey zu mercken iſt 1. daß nicht geredet werde von einer unterlaſſung aller mittel ihrer ſeligkeit / oder ſtaͤr - ckung ihres glaubens / ſondern allein eines einigen und zwahr nur in gewiſ - ſen umſtaͤnden: vornehmlich das / wo es bey der einigen offentlichen com - munion bliebe / ſie nicht ſehen / daß ſie ſo offt wie bey der andern dazu kom - men koͤnten. Auff dieſes wirds endlich / wo man die ſache gnug uͤberleget / alles ankommen. Alſo bleibet ſolchen ſeelen 2. die ſtaͤte handlung goͤttli - chen worts / ſo doch die ordenliche ſpeiſe des glaubens iſt / allerdings frey / und moͤgen ſie von demſelben gedencken und reden tag und nacht / Pſ. 1 / 2. 3. Es bleibet ihnen frey in ſtaͤtem gebet vor GOtt zu bleiben / und auch mit dieſem eymer immerfort aus dem abgrund goͤttlicher guͤte und den gnaden - ſchaͤtzen ihres JEſu / was den innern menſchen ſtaͤrcket / zu ſchoͤpffen. 4. Nie - mand darff ihnen wehren / oder ſolle es doch nicht thun / daß nicht jeglicher allein / oder mit einem oder andern freunde / taͤglich das leiden und todt ſei - nes heylands mit betrachtung / gebet / geſang und danckſagung verkuͤndige / und in dem glauben taͤglich des leibes und blutes deſſelben genieſſe. 5. Sie ſind auch nicht verbunden / allein an der virtheljaͤhrigen communion zu han - gen / ſondern es kan ihnen auch ein mehrmaliger offentlicher zugang dazu nicht verwehret werden: und ſind endlich die exempel derjenigen nicht ſo gar unerhoͤrt / die ordenlich alle monat / und noch wol oͤffter / zu dem Sacrament gegangen ſind / dero mir in Straßburg und Franckfurt bekannt worden. Daher ich nicht ſehe / wie ein Prediger ihnen daſſelbe / nemlich zum offterſten zu communiciren / leicht verſagen moͤchte. Ja es ſollen ſich einige finden / die auch jeden ſonntag willig jeden zulaſſen wuͤrden / ob ich wol nicht zweiffle / daß einige andere deſſen moͤchten bedenckens haben / ſo aber vielen davon durch liebreiche remonſtration auch benommen werden moͤchte. 6. Ob dann ſolche ſeelen bezeugen moͤchten / ſie verlangten dieſe ſeelen-ſpeiſe noch offters / auch in der woche / und ſo offt ſie einen hunger derſelben empfaͤnden / ſo gebe ich ihnen zu bedencken / ob dieſer einige umſtand der mehrmaligenJwie -66Das dritte Capitel. wiederholung ſo gewichtig ſeye / das ſtehen der liebe gegen andre zu uͤber - wiegen. Zwahr moͤchte man ſagen / man bedoͤrffte in dieſen ſo gefaͤhrlichen zeiten ſo viel mehrere ſtaͤrckung / als des teuffels gewalt und grimm zunim - met; weil dann nun die glaͤubige ihn uͤberwinden ſollen durch des lam - mes blut / Offenb. Joh. 12 / 11. ſo ſeye noͤthig / daß ſie deſſelben oͤffters theil - hafftig werden. Aber wie freylich ein mittel / ja das offenbahrſte deſſen iſt die ſacramentliche genieſſung / die ich alſo nicht ausſchlieſſe / ſo iſt ſie es doch nicht allein / ja in gewiſſer maß iſt noch noͤthiger die geiſtliche nieſſung in dem glauben / die ohne das auch zu der ſacramentlichen kommen muß / und in dero wir auch des leibes und blutes des HErrn nach Joh. 6. auff geiſtliche art theilhafftig werden. Wie dann Chriſtus vorgeſtellet iſt zu einem gnaden-ſtuhl durch den glauben in ſeinem blut / Rom. 3 / 25. Da wir ſehen / daß ſich der glaube an das blut JEſu haͤlt / und es alſo allezeit ergreifft / daher ſich auch auſſer dem Sacrament zu eigen macht. Weßwe - gen ſolche liebe leute ſich auch mit dieſer taͤglichen gemeinſchafft ſofern ver - gnuͤgen laſſen ſollen. Ja wird es heiſſen / es iſt das Sacrament nicht verge - bens eingeſetzt / ſo muß alſo die ſacramentliche nieſſung etwas noch weiteres haben / als die geiſtliche. Nun / dieſes geſtehe ich auch zu / und ſehe die eine als die ſpeiſe / die andre als eine artzeney an / davon auch bereits anregung geſchehen; daher verlange ich nicht / daß ſolche ſeelen ſich des Sacraments gar enthalten ſollen / daran ſie freylich ihrer ſtaͤrckung ſchaden thun wuͤrden / vielmehr ſollen ſie auch zu dem euſſerlichen abendmahl ſich nach ihrem ha - benden hunger ſo offt einfinden / als es ihnen bey ihrem verlangen werden mag. Aber dieſes ſage allein / da ſie dieſes Sacrament nicht eben ſo offt ha - ben koͤnnen / als ſie begehrten / daß die taͤgliche glaubens-nieſſung ſie die uͤbrige zeit wohl vergnuͤgen koͤnne / daß ſie zu einer ſolchen eigenmaͤchtigen communion zu ſchreiten nicht urſach haben. Vielmehr 7. haben ſie aus der guͤte ihres liebſten JESU ſich zu verſichern / wo ſie ſich aus einer liebe ande - rer zu ſchonen / und nicht dergleichen anſtoß / welcher viel ſuͤnde veranlaſſen wuͤrde / zu ſetzen / der ihnen nach ihren gedancken gegoͤnnten freyheit begeben / das iſt / ſie nicht gebrauchen / daß derſelbe ihre geiſtliche nieſſung deſto kraͤff - tiger ſegnen / und ſie endlich erfahren werden / daß ihnen in der that nichts von geiſtlicher krafft / die ſie aus jenem mittel ſonſten gehofft / abgehen ſol - te. Alſo haben ſie ſich allezeit die regel Pauli vorzuſtellen: 1. Cor. 10 / 23. Jch habe es zwahr alles macht / aber es frommet nicht alles. Jch habe es alles macht / aber es beſſert nicht alles. Dann ob wol der liebe Apoſtel ſolche anfuͤhret aus gelegenheit der mittel-dinge / doͤrffen wir dannoch nicht gedencken / daß dieſelbe ſich nicht weiter erſtrecke: ſondern wieſie67ARTIC. I. SECTIO XVI. ſie ihren grund hat in der liebe / ſo erſtrecket ſie ſich ſo weit als die liebe / und gibt demnach maaß in allem / was nicht bloß von GOtt geboten iſt / dann deſſen gebot und gehorſam gehet uͤber das uͤbrige geſetz der liebe des nech - ſten. Hingegen was in unſrer macht ſtehet / und alſo nicht ſchlechter dings geboten iſt / es ſeyen nuneigenlich ſo genannte mittel-dinge / die an ſich gut ſind / uͤber dieſelbe hat die abſicht des nutzen deß nechſten viele macht / und doͤrffen wir deren nimmermehr mit beyden augen nur auff uns ſelbs / auch was das geiſtliche angehet / ſondern muͤſſen immer mit dem einen aug zu - gleich auff den nechſten ſehen. Und da wird es heiſſen / daß GOTT wolgefallen habe an barmhertzigkeit und nicht am opffer / Matth. 9 / 13. Hingegen haͤtten ſolche leut / die ohne ſchohnen ihres nechſten / ihres davor gehaltenen rechtens um ihrer mehreren ſtaͤrckung willen ſich gebrauchen wuͤrden / weil ſie damit die verantwortung der daraus entſtehenden hinder - nuͤß des guten / in der fleiſſigen treibung der predigt der buſſe und des glau - bens / (die ja am allernoͤthigſten ſind) laͤſterung des ſtudii der gottſeligkeit / (dem man ſolche neuerung zuſchreiben wuͤrde) und wahrer pflegung deſſel - ben / verletzung der gewiſſen der ſchwachen / die uͤber eine ſolche ſache nachmal zu leiden die kraͤfften nicht haben wuͤrden / anſtoß anderer ſchwachen / welche da ſie dieſe freyheit nicht faſſen koͤnten / alles andre gute deſto mehr in ver - dacht ziehen moͤchten / trennung der jenigen / welche ſonſten treulich zu einem zweck der erbauung gearbeitet / und von dero zuſammenſetzung in dem werck des HErrn / aus deſſen ſegen gewiß mehr geiſtliche kraͤfften als aus einem ſolchen auſſerordenlichen mittel / zu erwarten waͤre / und uͤbriger aͤrgerniſſen / vor Gottes gericht auff ſich ziehen / ja unzehliche ſeufftzen auch wahrhafftig chriſtlicher hertzen / denen es um den ſchaden Joſephs ein ernſt iſt / ihnen ſelbs auffladen wuͤrden / ſehr zu ſorgen / daß der liebſte Vater / der ihnen ſo wol des nechſten als eigne ſeele anbefohlen hat / weil ſie die liebe hindan ſetzen / auch ſothanes mittels (da es ſonſten erlaubt geweſen waͤre) ſonderlich zu jetzigen zeiten / dero umſtaͤnde den gebrauch noch ſo vielmehr mißrathen / krafft ihnen vielmehr entziehen / und mit ſeinem ſegen von ihnen weichen / als ſie wahr - hafftig davon nutzen ſchoͤpffen laſſen wuͤrde.

Hiemit hoffe alſo mit gnugſamen grund dargethan zu haben / daß der - gleichen geheime communion / von dero die frage lautet / anzuſtellen / Chriſti ordnung nicht gemaͤß ſeye / daraus auch noch forne gezeiget habe als zum uͤbekfluß / ob auch dieſelbe an ſich nicht unrecht waͤre / daß ſie dannoch wegen deſſen / was daraus entſtehet / unterlaſſen werden muͤſte / und daher auch die - jenige / die ſonſten den gebrauch derſelben kindern Gottes frey zu ſtehen ge - dencken / ſich ſolcher freyheit / ſonderlich zu dieſer zeit / zubegeben aus liebe verbunden ſeyen. Dieſem mag nun unterſchiedliches entgegen gehaltenJ 2wer -68Das dritte Capitel. werden. 1. Daß es ein ſtuͤck des geiſtlichen prieſterthums ſeye / welches allen Chriſten aus 1. Petr. 2 / 8. zukomme: wie dann unſer theure Lutherus T. 2. Alt. f. 504. den gebrauch des H. abendmahls / und inſonderheit das ſegnen und reichen des heiligen brods und weins / als ein ſtuͤck ſolches prieſter - thums allen gemein macht / und damit gegen die paͤbſtiſche ſtreitet / denen er vorwirfft / ſie haben nichts / das ſie widerſetzen moͤgen / ohn allein die Vaͤter / concilia und den langen brauch ſamt der menge. Da er aber ſich durch dieſes nicht abſchrecken laſſen will / das recht allen zu zugeſtehen. Hierauff iſt nun unterſchiedliches zu mercken. 1. Bin nicht in abrede / daß nicht ſo klar ausgemacht ſeye / ob eben dieſes recht eigenlich zu dem geiſtli - chen prieſterthum nach der ſchrifft gehoͤre / und nicht vielmehr dieſes allein in opffren aller arten / gebet und verkuͤndigung der gnade Gottes beſtehe: auffs wenigſte moͤchte es gegen einen ſchaͤrffern widerſprecher etwas ſchwehr zu behaupten hergehen. Aber 2. ich will der ſache hier nicht widerſprechen / ſondern will gern dieſes recht / ſo allerdings den Chriſten zuſtehet / unter dem nahmen des prieſterthums mit begreiffen; indeſſen folget daraus nichts mehrers / als daß die macht an ſich ſelbs bereits einem jeglichen Chriſten aus ſeinem Chriſtenthum zukomme. Hierauff ſiehet Lutherus allein / und zeiget / daß zu ſolcher handlung keine beſondere weihe / wie die Papiſten vor - gaben / und davon er ſagt / daß ſothane Prieſter ſich entſetzen und ver - wundern uͤber ihre hohe wuͤrdigkeit und gewalt / die ſie haben / we - gen der verwandlung des brods / welche macht weder die jungfrau und Mutter Gottes / die ſie doch hoch erheben / noch die Engel haͤtten / gehoͤrig ſeye: womit den Papiſten gnug widerſprochen war. So laͤugne ich alſo eben ſo wol dieſes nicht / ſondern geſtehe / daß die gewalt an ſich ſelbs allen Chriſten zukomme. Will man aber ſagen / ſo doͤrffen ſie ſich auch alle derſelbigen gebrauchen / ſo geſtehe ich 3. dieſe folge nicht / ſondern diſtin - guire mit allem fug unter dem recht ſelbs / und unter deſſen gebrauch. Wo - rinnen ich auch nicht meinen eigenen willen rede / ſondern Luthero ſelbs nach - folge / da er nach erzaͤhlten allgemeinen prieſter-aͤmptern ſpricht: f. 509. a. b. Diß alles haben wir allein von gemeinen rechten und macht aller Chriſten geſagt / dann dieweil allen Chriſten alle ding gemein ſollen ſeyn / die wir bisher erzaͤhlet haben / das wir auch bewaͤhrt und bewei - ſet haben / ſo will nicht gebuͤhren einem der ſich von ihm ſelbs wolt herfuͤr thun / und ihm allein zueigenen / das unſer aller iſt. Unter - winde dich dieſes rechten / und lege es auch an brauch ſo fern / wo kein ander iſt / der auch ein ſolch recht empfangen hat. Das erfordert aberder69ARTIC. I. SECTIO XVI. der gemeinſchafft recht / daß einer oder als viel der gemeine gefallen / erwehlet und auffgenommen werden / welche an ſtatt und im nahmen aller derer / ſo eben daſſelbige recht haben / verbringen dieſe amter oͤſ - fentlich / auff daß nicht eine ſcheusliche unordnung geſchehe in dem volck GOTTES / und aus der kirchen werde ein Baby - lon / in welcher alle dinge ehrbarlich und ordenlich ſollen zugehen / wie der Apoſtel gelehret hat. Es iſt zweyerley / daß ei - ner ein gemein recht durch der gemeine befehl ausrichte / oder daß ei - ner ſich deſſelbigen rechten in der noth gebrauche. Jn einer gemein / da je dem das recht frey iſt / ſolle ſich deſſelbigen niemand annehmen / ohne der gantzen gemeine willen und erwehlung; aber in der noth brauche ſich deſſelbigen ein jeder / wer da will. Aus welchem allerdings erhellet / daß dieſe diſtinction in des lieben mannes ſinn geweſen. Damit man aber nicht ſagen moͤchte / daß es dann nur ein ſpiel waͤre / einem ein recht zu ſprechen / und deſſen uͤbung nicht verſtatten; ſo iſt 4. zu wiſſen / und aus Lu - theri worten zu ſehen / daß es freylich auch einige mal zur uͤbung kommen koͤnne / nemlich in dem nothfall / da auſſer demſelben die kirche ſelbs die uͤbung durch ihre wahl auff gewiſſe perſonen eingeſchrencket hat: droben aber haben wir auch den nothfall ſelbs zugeſtanden. Dabey aber zu wiſſen / daß unter dem nothfall in der tauff und bey dieſem Sacrament ein groſſer unterſcheid ſeye: indem ſich jener an einem ort / wo gleich wol ein Prediger iſt / offt begi - bet / weil es um die adminiſtration der tauff in dieſer ſtund oder augenblick / da man den Prediger nicht haben kan / zu thun iſt; die verſaͤumnuͤß aber / das kind / das ohne daſſelbe auch kein ander ordenliches mittel hat / allerdings des Sacraments entſetzen wuͤrde / welche noth leicht die ordnung bricht / auch auſſer derſelben die macht zu tauffen von keinem gebraucht werden ſolle. Die - ſer aber / nemlich bey dem Sacrament des leibes und blutes des HErrn / an ſolchen orten ſich nicht wohl begeben kan / nicht allein / weil nebs dem Sacra - ment noch andre gnaden-mittel zur geiſtlichen ſtaͤrckung an deſſen ſtelle vor - handen ſind / ſondern was man zu jeder zeit nicht haben kan / zu einer andern geſuchet werden muß. Jndeſſen wird nicht vergebens einem ein recht bey - geleget / ob es wol ſelten zu deſſen uͤbung kommen moͤchte. 5. Wann die ord - nung angefuͤhret wird / welche im wege ſtehe / daß ſich nicht jede Chriſten ih - rer macht gebrauchen doͤrfften / ob wol der liebe Lutherus den ort 1. Cor. 14 / 40. dazu anſuͤhret / muß doch ſolche ordnung nicht nur ſo angeſehen werden / wie einige nur decori ergo, oder um euſſerlichen wolſtands willen / eingefuͤh - ret werden / als etwa die ordnung der ceremonien ſeyn moͤchte / oder da es umſtaͤnde des Gottesdienſtes betraͤffe / aus welcher gelegenheit Paulus diewor -70Das dritte Capitel. worte gebraucht / welcherley ordnungen aber leicht diſpenſiret werden koͤn - nen; ſondern es heiſſet eine ordnung / die dem rath CHriſti allerdings ge - maͤß und nothwendig iſt: eine ordnung der art / wie das predigamt das recht der oͤffentlichen predigt allein im nahmen der geſamten gemeinde fuͤhret / ſo doch eine einſetzung Chriſti zugleich iſt / Eph. 4 / 11. Deſſen anhang wir bil - lich die adminiſtration der Sacramenten anſehen. Alſo ſehen wir / daß das allgemeine Prieſter-recht dieſe geheime communionen nicht bewaͤhre.

2. Mag eingewendet werden / daß GOtt dergleichen communion nicht austruͤcklich verbothen / da aber nach unſerer Theologorum lehr / wo kein verboth iſt / die gewiſſen nicht beſchwehret werden ſollen. Jch antworte a - ber mit gutem fug: daß in dieſen dingen / ſo goͤttlicher einſetzung ſeynd / etwas zuverwerffen nicht nothwendig ſeye / daß es verbothen / ſondern in den um - ſtaͤnden / ſo etwas wichtiges in ſich faſſen / ſchon dieſes / ſolche nicht anzuneh - men / gnug ſeye / daß die ſache nicht geboten. Wie dann niemand ſich leicht unterſtehen wird / auch nur vorzugeben / daß ein gebot des HErrn fuͤr dieſe ſa - che vorhanden ſeye: ſo iſt oben angezeiget / wie allerdings die goͤttliche ord - nung bey einem ſolchen Sacrament / ſo eine gemeinſchafft der kirchen andeu - tet / und ein theil derſelben iſt / der geheimen und ohne der andern wiſſen und willen geſchehenden communion vielmehr entgegen ſtehe / als favoriſire. Wie wir dann einmal dem weiſeſten und guͤtigſten Heyland / ſo alle ſeine ordnung mit goͤttlicher klugheit eingerichtet / nicht zuzutrauen haben / daß er derglei - chen freyheit / welche zu allen zeiten leicht eine gelegenheit des mißbrauchs aus ſich ſelbs mitbringen koͤnte / in ſeiner kirche eingefuͤhret haben ſolte; da - her auch aus dieſem de voluntate legislatoris zu præſumiren iſt / wo er ſonſt denſelben in dieſem punct nicht deutlich ausgetrucket haͤtte. So iſt ferner o - ben gezeigt / was die pflicht der liebe erfordere / wann ja ſonſten insgemein eine freyheit gegeben waͤre.

3. Es koͤnte ferner die verwehrung dieſes gebrauchs angeſehen werden / als ein papiſtiſcher gewiſſens-zwang / der nichts vor ſich habe / als wie in o - ben angefuͤhrtem Lutherus T. II. Alt. f. 504. b. ſpricht / die Vaͤter / die con - cilia und den langen brauch / darzu auch ihren allerſtaͤrckſten articul des glaubens / der alſo heißt / unſer ſind viel / und wir haltens alſo / darum muß es gewißlich wahr ſeyn. Daher mans vergleichen moͤchte mit der paͤpſtiſchen verbietung des leſens der ſchrifft / und entziehung des weins im Sacrament / welche dinge wir alle als einen tyranniſchen zwang verwerffen. Aber wer die ſorgfalt derer / ſo die kirche und das Sacrament in der rechten ordnung gern haben wolten / einer ſolchen paͤpſtiſchen gewiſ - ſens-herrſchafft beſchuldigte / wuͤrde ſich damit verſuͤndigen. Dann man ver -ſagt71ARTIC. I. SECTIO XVI. ſagt damit kindern GOttes nichts / das ihnen goͤttliche ordnung jemals ge - geben: dann daß der gebrauch der prieſterlichen allen Chriſten zukommen - den aͤmtern ordenlicher weiſe an das predigamt gewieſen / iſt nicht bloß der kirchen wolgefallen / ſondern ſelbs eine goͤttliche ordnung. Alſo iſt ein groſ - ſer unterſcheid unter einem alten gebrauch / welcher gleichwol ſeinen guten grund in goͤttlicher ordnung und zur abſicht der kirchen ordenlichere verfaſ - ſung hat; und einem andern / der allein auff die erhoͤhung des ſo genandten geiſtlichen ſtandes ziehlet / und der gemeinde etwas deſſen ent - zeucht / deſſen ermanglung ihr ſchaden thut. Dieſe letztere haben allein eine paͤpſtiſche art / nicht aber die erſte. Nun gehoͤret die abhaltung der heim - lichen communionen nicht zu den letzten / ſondern erſten: dann ob man wol die - ſes Sacrament an das predigamt verbindet / da es alſo das anſehen haben moͤchte / es ſeye um deſſen eigenes intereſſe zu thun / ſo iſt doch dieſes nicht / ſondern die erhaltung der noͤthigen ordnung der kirchen ſelbs erfordert ſol - ches / und wird alſo den zuhoͤrern verwehret / was ihnen nicht wahrhafftig nutzen / ſondern in dem gebrauch nur anlaß vieles mißbrauchs ſeyn wuͤrde: hingegen wird die innerliche macht und wuͤrde allen gleich zugeſprochen / und alſo der ſo groſſe unterſcheid unter ſo genandten layen und geiſtlichen / darin - nen der grund des Pabſt thums ſtehet auffgehaben / nachdem dieſe zu ihren verrichtungen vor jenen nichts anders als ihren beruff haben. Alſo iſt auch ein groſſer unterſcheid unter der verwehrung dergleichen geheimen commu - nionen / und hingegen der paͤpſtiſchen verbietung der ſchrifft / ſo dann raub des kelchs: indem dieſer die gantze gemeinde von der gemeinſchafft des bluts Chriſti / welches der HErr doch allen verordnet hat / ausſchleußt; jene aber wiederum dieſelbe von demjenigen abhaͤlt / was ihnen der HErr / und dazu fein im gegenſatz des predigamts / als deſſen vortrag ihrem examini und pruͤ - fung ſolle unterworffen ſeyn / austruͤcklich anbefohlen hat; dergleichen be - fehl wir nicht finden / jemal den Chriſten im gegenſatz der Prediger / oder mit dero ausſchlieſſung / von der communion gegeben zu ſeyn.

4. Einen groſſen ſchein hats / was unſer liebe Lutherus T. 3. Alt. f. 468. b. ſchreibet: Die dritte weiſe / die rechte art der Evangeliſchen ordnung / muͤßte nicht ſo oͤffentlich auff dem platz geſchehen unter allerley volck / ſondern diejenige / ſo mit ernſt Chriſten wollen ſeyn / und das Evan - gelium mit hand und mund bekennen / muͤßten mit nahmen ſich ein - zeichnen / und etwa in einem hauſe allein ſich verſammlen / zum gebet / zu leſen / zu tauffen / das Sacrament zu empfahen / und andre chriſt - liche wercke zu uͤben. So bekenne davon / daß der liebe mann / wie einige ihn entſchuldigen wollen / nicht bloß unbedachtſam dieſe wort in die feder flieſ -ſen72Das dritte Capitel. ſen laſſen / ſondern noch 3. jahr darnach T. 4. Alt. f. 465. b. wiederholet hat. Jn - deſſen ſehe noch nicht / wie dieſe ſtelle das jenige darthue / wozu ſie angefuͤhret wird. 1. Wird damit allerdings nicht jeden Chriſten macht gegeben / unter ſich frey die communion zu halten / ſondern Lutherus redet von einer ſondern ge - meinde / die er / und alſo ein Prediger / anordnen wolte / wie er darnach ſpricht: Aber ich kan und mag noch nicht eine ſolche gemeine oder verſam̃lung ordnen oder anrichten; Alſo ſolte auch ſolche gemeinde in einer gewiſſen ordnung / und demnach unter der regirung einiger Prediger / ſtehen / da nicht einem jeglichen frey ſtuͤnde zu thun / was er wolte; ſondern es gehoͤrte darzu die auffſicht der Vorſteher: und waͤre dieſe gemeinde von jeder andern ab - fonderlichen gemeinde / die ſich nemlich in dieſes oder jenes kirch-ſpiel und kir - che ſammlen / alleine darinnen unterſchieden / daß zu dieſen ein jeder ein - wohner ſolches orts / bloß aus dem / weil er ein einwohner iſt / recht hat / als ein glied ſich einzufinden / in jene aber / als die etwas neues waͤre / niemand ohne gewiſſe conditiones, nemlich in allen dem chriſtlichen ordnungen / ſo bey an - dern wieder ſo ſehr in abgang gekommen / ſich zu bequemen / auffgenommen wuͤrde: daher muͤßten ſie / nemlich erſtlich / allein in einem hauſe zuſammen kommen / nicht daß der liebe mann einen eckel vor den oͤffentlichen kirchen ge - habt / ſondern weil die andre gemeinden / da man nicht einen jeglichen unter ihnen mit einnehmen wuͤrde / ihre kirchen einer ſolchen neuen gemeinde nicht einraͤumen wuͤrden. Alſo iſts allerdings ein ander ſache / davon Lutherus redet / und von welcher unſre frage handelt; und zwahr iſt der unterſcheid in dem haupt-werck / nach dem Lutherus keine eigenmaͤchtige communion mit ausſchlieſſung der Vorſteher damit noch billiget. 2. Den Vorſchlag des lieben mannes aber ſelbs betreffende / habe ich bereits vor 16. jahren deſſel - ben in einem ſend-ſchreiben an einen auslaͤndiſchen Theologum p. 74. meldung gethan / auch bekannt / daß ich in ſolchem fall ein ſchiſma oder trennung be - ſorgte / ſo ich in der kirchen auff alle muͤgliche weiſe verhuͤtet zu werden noͤthig achtete: daher nur verlangt / daß da der theure Lehrer ſo weit gegangen waͤre / auffs wenigſte ſo viel von ſeinem vorſchlag moͤchte beliebet werden / als noch davon ohne ſorge der trennung behalten werden koͤnte. So iſts nun an dem / daß des lieben mannes abſicht wol herrlich gut geweſen / als der nach dem er gemercket / daß den faſt verwildeten gemeinden uͤberhaupt ſchwehr mehr zu helffen ſeye / weil der boͤſen und ruchloſen allzuviele waͤren / auff die - ſen weg gedacht / daß eine neue gemeinde geſammlet wuͤrde / zu dero ſich allge - mach auch aus der andern diejenige ſam̃leten / die der HErr nachund nach ruͤh - rete / ob dero gutes exempel ſo viel fruchtete / daß endlich die andre insgeſamt auch gewonnen / und auff dieſe art gebeſſert wuͤrden. So hoffe ich / es wer - den ſeine gedancken auch nicht geweſen ſeyn / ein eigenlich ſchiſma an einemort73ARTIC. I. SECTIO XVI. ort anzuheben / ſondern wie an einem ort / wo die zahl der zuhoͤrer zunimmet / auch etwa neue gemeinden angeleget werden / daß dieſe auch dergleichen / ob wol durch eine freywillige auswahl aus den andern / angeordnet wuͤrde / die aber deswegen die andre gemeinden nicht verwerffen haͤtten muͤſſen / als waͤ - ren jene keine Chriſten. Es moͤchte auch ſolches damals ſo viel weniger auff - ſehens gemacht haben / weil in dem Papſtthum / daraus ſie erſt gingen / der bruͤderſchafften / die auch gewiſſe Gottesdienſte / aber unter der auffſicht der geiſtlichen / hatten / ſehr viele waren / mit denen eine ſolche ausgewehlte freye gemeinde eine gleichheit etlicher maſſen gehabt haͤtte. Es haͤtte aber auch eine anordnung ſeyn / und nichts bloß aus etlicher gutachten und belieben ge - ſchehen ſollen: da denn der theure mann alles das jenige auch in acht genom - men haben wuͤrde / was vor einwilligung auch anderer zu dergleichen anſtal - ten gehoͤret. Jch vor meine perſon wolte mit Luthero gleiches wuͤnſchen / wo es mit belieben derer / welche dazu zu reden haben / geſchehen koͤnte / daß ſon - derlich an groͤſſern orten dergleichen beſondere gemeinden angeordnet wuͤr - den / aber gleichwol auch mit verhuͤtung der trennung / als welcher ſchaden ich groͤſſer zu ſeyn ſorgte / als von der anſtalt ſelbs nutzen hoffte; indeſſen / ſon - derlich bey jetziger der zeiten und gemuͤther bewandnuͤß / dieſe bedingung faſt unmuͤglich halte. So ſehen wir auch / daß der liebe mann / da er gleichwol noch 20 jahr nach dieſem ſeinem vorſchlag gelebet / und eine ſolche autoritaͤt gehabt / daß er mehr als nach ihm einiger etwas groſſes haͤtte ſollen haben durchtreiben koͤnnen / dennoch ſeinen eigenen vorſchlag zu wercke zu richten / ſich nicht unterſtanden hat: ohne zweiffel / weil er ſo viel ſchwehrigkeiten und gefahr dabey geſehen / daß ers zu thun billich angeſtanden.

5. Es wird auch noch eine andre ſtelle aus Luthero angefuͤhret / (Groß. Catech. f. 225.) da der liebe Vater die wort unſers Heylands / ſo offt als ihrs thut / alſo gloßiret: ich ſetze auch ein oſter-feſt oder abendmahl / das ihr nicht eben dieſen abend des jahrs einmal / ſondern offt ſollet genieſſen / wenn und wo ihr wollet / nach eines jeglichen gelegenheit und noth - durfft / an keinen ort oder beſtimmte zeit angebunden. Da ſcheinet es nun / weil die offtere nieſſung befohlen wird / auch keine beſtimmte zeit oder ort ſolle in acht genommen werden / es werde damit den geheimen communio - nen das wort geredet. Es folget aber auch dieſes nicht / ſondern allein wird erfordert / daß es offt geſchehen ſolle / welches Lutherus hie ſonderlich der paͤpſtiſchen einmaligen oſter-com̃union entgegen ſetzet / da er wiedrum ſagt: wiewol der Papſt hernach ſolches umkehret / und wieder ein Juden - feſt daraus gemacht hat. So gehet auch der gegenſatz gegen das juͤdiſche paſſah / ſo allein auff einen gewiſſen tag / und nachdem der HErr ſolchen ortKer -74Das dritte Capitel. erwehlet / zu Jeruſalem / gehalten werden dorffte. Alſo doͤrffen wir freylich nach eines jeglichen gelegenheit und nothdurfft ohne verbindung an zeit oder ort / die H. communion halten / nur daß es in der oͤffentlichen gemeinde (auſſer dem nothfall) und mit zuziehung dero Vorſteher geſchehe. So wird auch in den groͤſſern gemeinden dazu gelegenheit gnug gegeben / wo die oͤffentliche communion alle ſontag / ja einiger orten wol auch auff einen wochen-tag / ge - halten wird: da dann niemand der mehrmalige zugang zu ſolchem tiſch / wann er ihn ſeiner ſeelen dienſam findet / verweigert wird / oder werden ſolle.

6. Endlich moͤchte auch darauff getrieben werden / daß die gegenwaͤrti - ge ſchwach heit der Chriſten eine mehrmalige ſtaͤrckung aus dem fleiſch und blut des HErren bedoͤrffe / auff die ſchwehre bald einbrechende gerichte recht kraͤfftig getroͤſtet zu werden. Nun iſt die gefahr unſerer zeiten nicht zu leug - nen / ſondern offenbar gnug / daher auch die ſtaͤrckung uns freylich noth thut; wie aber die haupt-ſtaͤrckung in dem goͤttlichen wort / in dem wir durch den glauben auch das blut JEſu Chriſti finden / beſtehet / ſo bin nicht in abrede / daß auch die offtermalige wuͤrdige nieſſung des H. abendmahls ein groſſes beyzutragen vermag / daher ſie jeglicher auch ſo offt ers haben kan / und ſich etwa darzu getrieben findet / gebrauchen mag; nur daß es in der ordnung ge - ſchehe / welche die gemeinſchafft der kirche mit ſich bringet. Wo wir auch auff die ſchwachheit der meiſten Chriſten ſehen / will uns dieſelbe dergleichen ge - heime communionen mehr mißrathen / als daß ſie uns dazu treiben ſolte / wie oben gezeiget worden / was vor auſtoß ſchwache auff unterſchiedliche weiſe davon leiden wuͤrden.

Aus allem achte zur gnuͤge zu erhellen / daß nichts ſo erhebliches von der - gleichen privat-communionen der Chriſten unter ſich insgeheim vorgebracht / ſo nicht ſo bald kraͤfftig gnug widerlegt werden koͤnte / daher der obige behaup - tete ſatz annoch feſt ſtehet.

Der HErr JEſus / der GOtt der liebe und der wahrheit / gebe allen ſeinen juͤngern in dieſem und allen andern anligen ſeinen willen mit voͤlliger uͤberzeugung der gewiſſen zuerkennen / und lehre uns denſelben in gehorſam und liebe zu vollbringen: er ſteure hingegen al - len aͤrgernuͤſſen / und laſſe nicht immer neue entſtehen! Endlich ſehe er ſelbs mit gnaden drein / und beſſere die oͤffentliche anſtalten alſo / daß keiner ſeines heils begieriger einige weitere geheime verlangen doͤrffte / damit wir in deꝛ that ſehen / er habe der ſeinigen nicht vergeſſen / und ihn ewig daruͤber preiſen / Amen. 1693.

SECTIO75ARTIC. I. SECTIO XVII.

SECTIO XVII. Nochmals von freyheit abſonderliche communio - nen anzuſtellen / und der dem Miniſterio nothwendig zu - kommenden auffſicht.

WAs die beyden fragen betrifft / darauff in der furcht des HErrn zu antworten / ſo kan ich 1. nicht anders ſagen / als daß jure divino die auffſicht und direction der communion dem ordentlichen Miniſterio zukomme / und alſo ohne deſſen willen und wiſſen ſich niemand der admini - ſtration anzumaſſen habe. Jch procedire darinnen alſo: Es wird wol 1. un - ter uns ausgemacht ſeyn / daß die inſtitutio Miniſterin an ſich juris divi - ni ſeye; daher ob wol alle jura, ſo daſſelbige uͤbet / radicaliter der gantzen kir - chen zukommen / woraus auch entſtehet / daß wo die noth die gemeine ord - nung auffhebet / das recht auff jegliche glieder wiederum zuruͤck faͤllet / ſo iſt doch deroſelben ordentliches exercitium nicht humano arbitrio, ſondern divi - na ordinatione auff das Miniſterium devolviret / wie dann auch das Mini - ſterium nicht waͤre / was es iſt / wenn die membra der gemeinde die uͤbung ih - rer jurium ohne daſſelbige frey behielten / daher hingegen ſie nicht anders an - geſehen werden koͤnnen / als welche auff ſolche uͤbung in die haͤnde des Presby - terii gleichſam verzieg thun haben muͤſſen. 2. Dem Miniſterio kommt alſo alles dasjenige in geiſtlichen dingen zu / was nicht ſingula membra fuͤr ihre perſon allein angehet / ſondern entweder unmittelbar oder mittelbar die ge - ſanite gemeinde betrifft. Zu jenen ſtuͤcken gehoͤret die oͤffentliche predigt / die anſtalt des oͤffentlichen Gottesdienſtes / die auffſicht auff die gantze gemein - de: zu dieſen aber / gehoͤret die adminiſtration der H. Sacramenten / welche die vincula der gemeinde ſind / und daher dieſe allezeit durch ihre verordnete / die einrichtung und obſicht behalten muß. Nachdem die tauffe der eingang in die gemeinſchafft der kirchen iſt / im H. abendmahl aber nebens dem nutzen / welchen jeglicher fuͤr ſeine perſon daraus zu erwarten hat / allezeit eine er - neurung des bandes / mit welchem der HErr ſeine Chriſten verbunden ha - ben will / geſchihet (ſihe 1. Cor. 10 / 7.) 3. Daher ligt der gemeinde allezeit ein groſſes daran / wie mit den Sacramenten umgegangen werde / und hat alſo kein glied die macht / ohne direction des Miniſterii oder Presbyterii ſich oder andern deſſelben theilhafftig zu machen. 4. Dazu auch kommet / daß we - gen der allzuviel aus der freygebung der communion / nicht nur vermuthlich / ſondern faſt unvermeidlich / folgender groſſen un - ordnung und inconvenientien ſich unmuͤglich mit der weißheit unſers Hey - landes vergleichen lieſſe / daß er die inſpection und direction der Sacramen -K 2ten76Das dritte Capitel. ten nicht ſolte dem Presbyterio, dem insgeſamt die regirung der gemeinde und der geiſtlichen dinge zukommet / anbefohlen / ſondern allen frey gegeben haben. Daher 5. nachdem dieſe inſpectio von dem Presbyterio unabſonder - lich / ſo iſt ſie nicht weniger juris divini, als die inſtitutio des Presbyterii ſelbs. So bleibet ein groſſer unterſcheid unter Sanctioribus Eccleſiaſticis, die nach der kirchen gutbefinden uͤber diejenigen dinge / ſo in der kirchenmacht ſtehen / gemacht worden / und unter demjenig n / ohne welches eine der vornehmſten einſetzungen Chriſti / nemlich das predigamt und deſſen regirung / dasjenige verliehren wuͤrde / was ihm noͤthig / und durch deſſen entziehung ſeine regi - rung guten theils unfruchtbar wuͤrde / daher nicht anders als nach goͤttlichem willen an jener einſetzung hengen muß. Ja dem erſten / kan die kirche aͤndern nach ihrem wolgefallen / und wie ſie es zu jeden zeiten am erbaulichſten fin - det / wie ſie auch uͤber dasjenige / was jedesmal vor ehrlich und ordentlich ge - halten werden ſolle / decerniret; aber in dem andern ſtehet ihr nicht zu / et - was nachzugeben / wodurch die goͤttliche ordnung ſelbs geſchwaͤchet wuͤrde / wie ſie auch insgemein darzu verbunden iſt / daß ſie nach vermoͤgen alles ehr - lich und ordentlich hergehen zu laſſen / trachte. Es wird alſo dieſes argument geben: Was dem Presbyterio dermaſſen zukommt / daß ohne daſſel - bige die ſolchem anvertrauete regirung der gantzen gemeinde ihren zweck nicht erreichen kan / ſondern allzuſehr geſchwaͤchet wird / ſolches iſt juris divini: (denn da das Presbyterium ſelbs aus dieſem herkommt / ſo muß dasjenige gleicher natuꝛ ſeyn / was in deſſen iñerſtes gleichſam einfleußt) Nun kom̃t die auffſicht und anordnung der H. communion dem Pres - byterio dermaſſen zu / daß ohne dieſelbige die ſolchem anvertraute regi - rung der gantzen gemeinde ihꝛen zweck nicht erreichen kan / ſondern all - zuſehr geſchwaͤchet wird: Ergo ſo iſt dieſelbige juris divini. Der Minor iſt bereits in vorigem erwieſen; wie dann mir faſt nicht begreifflich iſt / wie im uͤbrigen auch des Presbyterii auffſicht ihren voͤlligen zweck erreichen koͤnte / wo in dieſem ſtuͤck / und was das Sacrament angehet / ſo das ſonderbareſte band der gemeinſchafft der kirchen-glieder iſt / ohne ſeine auffſicht jeder nach ſeinem duͤncken thun doͤrffte. Jſt aber ſolche auffſicht juris divini, ſo ſtreitet die ſelbs anmaſſende freyheit der glieder / was dieſe ſache betrifft / contra jus divinum: nur daß man zu unterſcheiden hat / daß einige dinge bloß und in ihrer natur nach oder wider goͤttliches recht gehen / die nemlich in ſich ſelbs boͤſe oder gut ſind / andere hingegen koͤnnen juris divini ſeyn / nach dem ſie allein von andern goͤttlichen einſetzungen gleichſam nach ſich gezogen / und von den - ſelben erfordert werden; da denn das gegentheil als mit dem jure divino ſtrei - tend / angeſehen werden muß. Die der erſten art wider jus divinum ſind / moͤ -gen77ARTIC. I. SECTIO XVII. gen in dem nothfall nicht recht werden / weil alles was in ſich boͤſe iſt / nicht gut werden kan: aber bey der andern art / macht der nothfall etwas erlaubt; alſo da in dieſer hypotheſi das predigamt nach goͤttlichem rath eingeſetzet iſt / die kirche in ordnung zu erhalten / wo die ordnung nicht mehr platz hat / ſondern die noth dieſelbe ausſchlieſſet / ſo wird das jenige recht / was nur um der ordn[un] g willen / ob wol nach goͤttlichem willen / unrecht geweſen / ſo es auſſer der noth vorgenommen waͤre.

Weilen dann die auffſicht auff die Sacramenten / wie andere kirchliche verrichtungen / dem Miniſterio nach angedeutetem und in ſolchem verſtand / jure divino zukommet / ſo war es nicht vonnoͤthen / daß die angemaſte privat - adminiſtration ulla Eccleſiaſtica ſanctione abſonderlich verboten wuͤrde; noch hat man die unterlaſſung des verbots fuͤr eine billigung anzuſehen / indem ſie demjenigen entgegen ſtehet / was alle kirchen-ordnungen præſup - poniren / ja eben darinnen begreiffen / wenn ſie den Predigern die predigt des worts und adminiſtration der Sacramenten / als gleichſam die haupt-theile ihres amts / zuſchreiben. Und iſt das jenige / daß eine ſolche privat-admi - niſtration nirgends expreſſe verboten wird / eine anzeige / daß ſolche von allen / ſo die kirchen-ordnungen verfaſſet / ſo abſurd und unziemlich gehalten worden ſeye / daß ſie nicht geglaubt noͤthig zu ſeyn / verboten zu werden / oder daß jemal einem dergleichen vorzunehmen / in die gedancken kommen moͤchte.

2. Die andere frage anlangend / ob ſie wol / nachdem die erſte mit gruͤn - dung der noͤthigen inſpection des Miniſterii auff das jus divinum, nicht aber poſitivum, beantwortet worden / vor ſich ſelbs dahin faͤllet / kan ich ſie auch nicht anders beantworten / als daß in einer ſolchen Communion / weil wider die ordnung / welche GOtt in ſeiner kirche bey dem Presbyterio haben will / gethan wird / auch eo ipſo geſuͤndiget werde. Welche ſuͤnde ſo viel ſchwehrer oder geringer iſt / als derjenige / ſo ſie verrichtete / von der goͤttlichen ordnung / die das werck an die auffſeher der kirchen verweiſet / verſichert / oder der ge - fahr des Schiſmatis und anderer dergleichen / erinnert iſt / oder hingegen von ſolcher freyheit in dem gewiſſen einige uͤberzeugung zu haben / geglaubet hat. Wie nun das erſte die ſuͤnde auch vor GOTT ſchwehrer machte / ſo haͤtte die kirche auch uͤber ihr recht gegen einen ſolchen ſo vielmehr zu eiffern: wo aber das letzte waͤre / wie der himmliſche Vater den ſeinigen vieles zu gut haͤlt / wo ſie aus guter meinung unwiſſend fehlen / alſo hat auch die kirche als eine guͤtige Mutter / mit ſolchen kindern gedult zu tragen / und das geſchehene leicht zu uͤberſehen / nur daß ſie nachmal auff dero erinnerung ſich wieder in die ordnung ſchicken.

Dieſes ſind meine chriſtliche gedancken von dieſer materie, ſo ich auchK 3andern78Das dritte Capitel. andern Gottliebenden und der kirchen ruhe ſuchenden bruͤdern einzuleuchten / das vertrauen trage. Den HErrn HErrn aber / deſſen gnade allein die her - tzen gewiß machen kan / demuͤthigſt anruffe / daß Er uns alle ſeines willens verſichern / denſelbigen zu thun / krafft und trieb geben / hingegen alles aͤrger - nuͤß gnaͤdiglich abwenden wolle.

SECTIO XVIII. Ob um der hautz-andacht willen der offentliche Gottesdienſt zu verſaͤumen. Von der vierdten bitte / und auch ſchluß des Vater unſers. Ob Ananias und Sapphira Apoſt. Geſch. 5. verdammet worden?

JCh komme auff die vorgetragene ſcrupul und fragen 1. Ob wegen der taͤglichen predigten / die mit denen haußgenoſſen nuͤtzliche leſung zu unterlaſſen / oder vielmehr jene hindan zu ſetzen ſeyen? Hierauff antworte ich / daß wir alle verbunden ſeyen / die offenliche ver - ſammlungen und predigten gern zu beſuchen / (wohin der angefuͤhrte ort Hebr. 10 / 25. weiſet) damit wir uns keinerley weiſe von der gemeinde tren - nen. Solche beſuchung aber / iſt ſonderlich nothwendig auff den lieben ſonn - tag / und ob wol deſſen nicht einiger / dennoch vornehmſter zweck / daß der Got - tesdienſt ſolchen tag von der gantzen verſammlung verrichtet werde. Da - mit iſt zwahr nicht auffgehoben / daß man auch die woche gleich wie zu hauſe / alſo auch in der kirchen mit goͤttlichem wort umgehe / und alſo diejenige / deren uͤbriger zuſtand und beruff ihnen ſolche muſſe laͤſſet / ſich mehrmal dabey einfinden / ſo wol um eigener erbauung / als auch anderer guten exem - pels willen. Jndeſſen iſts nicht dahin gemeinet / gleich ob jeder Chriſt / der GOTT hertzlich dienen will / taͤglich ſich dahin befleiſſen muͤſte / daß er keine predigt verſaͤume / als wozu GOTT unſer gewiſſen nirgend verbunden hat. Vielmehr werden deßwegen an groſſen orten taͤglich predigten gehalten / nicht als wolte man jedermann zu ſolchen taͤglichen predigten verbinden / ſondern daß ſich die leute jeder nach ſeiner gelegenheit eintheilen / dieſer den einen / der andere einen andern tag / die kirche zu beſuchen. Ob nun wol insgemein der offenliche Gottesdienſt dem abſonderlichen billich vorgezo - gen zu werden verdienet / ſo kan doch manchmal eine nuͤtzliche geiſtliche uͤbung zu hauſe mir und andern meinigen ſo erbaulich ſeyn / daß ich dieſelbe einer predigt um ſolche zeit gehalten / mit gutem gewiſſen vorziehen darff. Da alſo / wie ich nicht zweiffle / derſelbe die uͤbung des leſens mit ſeinem hauß von guter frucht findet / koͤnnen gantz wol einige tage in der woche ausgeſetzetwer -79ARTIC. I. SECTIO XVIII. werden / nicht in die predigt zu kommen / ſondern dieſelbe zu der mehrern er - bauung ſeines hauſes anzuwenden. Wann auch geſagt wird / daß der glaube aus der predigt komme / muͤſſen wir nicht bloß allein an die jenige predigt gedencken / welche von der cantzel geſchiehet / ſondern alles leſen und hoͤren des goͤttlichen worts gehoͤret zu ſolcher predigt / und wird mit darunter ver - ſtanden / ob wol jene offentliche predigt die allgemeinſte art und mittel iſt. 2. Wird gefraget / von dem verſtand der vierdten bitte des Vater unſers Da ich / wie ich mich unterſchiedlich in meinen ſchrifften erklaͤret habe / dabey bleibe / daß durch das taͤgliche brod die leibliche nahrung / wie unſer Cate - chiſmus es erklaͤret / gemeinet werde: halte es auch fuͤr billich / weil wir nicht laͤugnen koͤnnen / daß wir der zeitlichen nahrung von GOtt bedoͤrffen / daß wir GOtt auch die ehre thun / ihn darum anzuruffen / und ihm auch darum zu dancken; wie ich es dann fuͤr einen hochmuth und verachtung Gottes ach - tete / wiſſen / daß man etwas von GOtt noͤthig habe / und das er uns zu geben willig ſeye / und ihn darum nicht bittlich erſuchen wollen. Daher ich davor halte / die auch das leibliche aus der vierdten bitte ausgeſchloſſen wiſſen wollen / werden dennoch nicht verlangen / daß man GOTT nicht um das keibliche / auff kindliche art anzuruffen ſchuldig ſeye / ſondern ich glaube viel - mehr / daß ſie die ſache wol zugeben / aber in dem Vater unſer dieſe bitte nicht enthalten zu ſeyn / ſondern daſſelbe allein die geiſtliche / und alſo vornehmſte guͤter zu begreiffen / achten werden. Was dann ſolche bitte ſelbs betrifft / iſt nicht ohn / daß die meiſte alte Lehrer es alſo verſtehen / daß nicht das leibli - che / ſondern himmliſche brod gemeinet ſeye / wie auch unſer liebe Lutherus ſelbs Tom. I. Altenb. f. 89. ſolche erklaͤrung gebraucht hat. Der gantze ſtreit kommt her uͤber ein griechiſch wort / deſſen verſtand etwas zweiffelhafftig iſt / in dem es heiſſen kan / ein uͤberweſentlich brod / (ſo waͤre es alſo nichts leib - liches) oder auch ein taͤgliches oder morgendes brod (in welchem verſtand es auff das leibliche ſeine abſicht hat.) Wie nun die gelehrte uͤber ſolche deu - tung nicht einig ſind / alſo entſtehet daher ſolche unterſchiedliche erklaͤrung: daher einige gar am liebſten alle beide arten / das geiſtliche und leibliche brod zugleich in der bitte verſtehen wollen / da mirs hingegen faſt ſchwehr vorkom - met / ſolche unterſchiedliche dinge in einem wort zubegreiffen. Jch aber blei - be am liebſten bey der allergemeinſten erklaͤrung von dem zeitlichen; nicht / daß ich an dem zeitlichen mehr / als an dem geiſtlichen gelegen zu ſeyn achtete / ſondern weil ich am liebſten das Vater unſer fuͤr dasjenige gebet / welches alle unſre nothdurfft ins geſammt in ſich begreifft / halte / und aber in den andern bitten wohl gelegenheit finde / da das geiſtliche / oder ſeelen-brod mit drunter verſtanden werden kan; als in der andern und dritten bitte / nichtaber80Das dritte Capitel. aber finde ich eine andre bitte / wo ich das leibliche brod mit begreiffen koͤnte. Jndeſſen laſſe ich den andern ihre gedancken / nur daß gleichwol auch des irr - diſchen / deſſen wir von GOtt beduͤrffen / nicht allezeit vergeſſen / und GOtt / die ihm daraus gehoͤrige ehre nicht entzogen werde. Was auch den ſchluß des Vater unſers anlanget / ſo bey Luca nicht zu finden / ſo iſt zu mercken / daß Chriſtus das Vater unſer zu zweyen malen vorgeſprochen / in der berg - predigt Matth. 6. und nachmal allein ſeinen juͤngern Luc. 11. da er das letzte mal den vorigen ſchluß nicht wiederholet: indem er nicht ein eigenlich ſtuͤck des gebets / als gebets iſt / ſondern ein lob-ſpruch zu ſtaͤrckung des glau - bens / der deßwegen nach dem Luca zu weilen ohne ſuͤnde ausgelaſſen wer - den koͤnte / aber billich ordenlich nach dem Mattheo darzu geſetzt werden ſolte / mit ſolchem lob - und danck-ſpruch GOtt die urſache der erhoͤrung vor - zuſtellen / unſer vertrauen mit demſelben zu ſtaͤrcken / und ihm gleich voran fuͤr ſeine guͤte zu dancken. 3. Das exempel Anania und Sapphira Apoſt. Geſch. 5. belangend / finde ich nicht / daß uns die gewißheit dero ſeligkeit oder verdamnuͤß noͤthig ſeye. Dieſe letztere iſt zwahr vielmehr zu ſorgen / indem die wort / welche Petrus von dem / daß ſatanas ſein / des Ananiaͤ / hertz erfuͤllet habe / gebrauchet / die eigenliche bosheit in deſſen hertzen ziemlich ſcheinen an - zudeuten. Jndeſſen wo N. N. nicht eigenlich darauff beharren wollen / mag ihn vielleicht dazu bewogen haben / daß er Ananiam angeſehen / als einen ſonſten warhafftig glaubig geweſten; (wie dann zu ſolcher zeit / da das Chri - ſtenthum ſo bald lauter verfolgung und gefahr vor ſich hatte / nicht leicht leute aus bloſſer heucheley dazu getreten ſeyn moͤgen) da nun der wahre glaube ſonſten bey ihm geweſen / moͤchten einige dieſen betrug / da er ſich auff das kuͤnfftige einen noth-pfennig zuruͤck behalten wollen / uñ die ſchwehre der ſuͤnden nicht ſo erkannte / noch etlicher maſſen fuͤr eine ſchwachheit / und daß dieſer tod zu dem verderben des fleiſches (daß aber der geiſt am tag des HErrn JEſu noch ſelig wuͤrde / nach der redens-art Pauli 1. Cor. 5 / 5.) gemeint geweſen / halten. Aber wie gedacht / die verdammnuͤß der armen leute mag wol mehrerngrund in dem text haben. Der HERR laſſe auffs wenigſte das jenige gericht / das an denen perſonen offentlich veruͤbet wor - den / noch jetzund jederem zu einer heiligen furcht dienen. 1690.

SECTIO XIX. Von der obern gewalt uͤber beſondere zuſammen - kunfften zur erbauung / in dero umſtaͤnden.

  • Ob zur andacht und erbauung anſtellende zuſammenkuͤnfften / da ſich wegen zeit oder anderer umſtaͤnde / einiger verdacht dazuſchlaͤ -81ARTIC. I. SECTIO XIX. ſchlaͤget / von den Obern in ſolchen umſtaͤnden zu halten / mit gutem fug ernſtlich verboten werden koͤnnen / auch fromme Chriſten ſolchem verbot ſich zu bequemen ſchuldig / ſeyen?

HJerauff ſolte ſcheinen / daß man mit nein antworten koͤnte / weil wir die austruͤckliche regel haben / daß man GOtt mehr / als den menſchen zu gehorchen habe / und die Apoſtel Apoſt. Geſch. 4 / 19. und Cap. 5 / 29. ſich austruͤcklich auff dieſelbe beziehende / deßwegen dem verbot / nicht in dem nahmen JEſu zu lehren / nicht folge leiſten wolten / daher es fuͤr unrecht und unbuͤndig erklaͤret haben. So iſt auch eine ausgemachte ſache / daß chriſtliche Obrigkeiten die herrſchafft uͤber die gewiſſen ſich nicht zu nehmen / noch das gute zu ſtoͤhren / befugt ſeyen / ſondern ſich damit ſchwerlich verſuͤn - digen / und GOTT in ſein recht greiffen wuͤrden. Wie nun ſolche gruͤnde an und fuͤr ſich ſelbs richtig find / wird ſich doch im reifferen nachdencken fin - den / daß auff dieſelbe die verneinung unſerer frage ſich nicht gruͤnden laſſe / welches zu zeigen / die ſache in gewiſſe ſaͤtze abzufaſſen iſt.

  • I. Was ſolche dinge anlangt / die GOTT in ſeinem wort allen Chri - ſten / oder dieſen und jenen ſtaͤnden / als nothwendig befohlen hat / und daher von keinen / oder doch nicht denen jenigen / die der befehl angehet / ohne ſuͤnde unterlaſſen werden koͤnnen; oder auch hingegen / die er als ſuͤndlich verboten hat / uͤber die hat keine Obrigkeit macht / jene zu verbieten / dieſe zu befehlen: dann wie ſie allein ihre gewalt von GOTT hat / iſt ihr dieſelbe nicht anders vertrauet / als mit ſteter unterwerffung unter ihn / und alſo daß ihre befehle den ſeinigen niemal zu wider ſeyn doͤrffen. So bald alſo eine Obrigkeit Got - tes geboten ſich widerſetzet / und das gegentheil derſelben verordnet / ſchreitet ſie aus ihrer ordnung / und hat ſolches zu thun nicht macht / daher auch ihre befehle nicht verbuͤndlich / noch die unterthanen ihr zu gehorſamen / gehalten ſind; vielmehr / wo ſie gehorchten / und alſo des hoͤchſten Ober-HErrn deutli - chen befehl ſeines verordneten dieners widrigem gebot nachſetzen wuͤrden / ſuͤndigten ſie ſchwehrlich / ja es ſtecket in ſolcher ſuͤnde eine offenbare abgoͤtte - rey / und macht man ſich denjenigen ſelbs zum Gott / dem man mehr als GOtt gehorchet.
  • Hierher gehoͤret das exempel der Apoſtel / indem ihnen der hohe Rath zu Jeruſalem etwas blos noͤthiges verbieten wolte / nemlich von dem HErꝛn JESU zu lehren / welches ihnen von GOTT und dem HErrn JESU ſelbs / austruͤcklich geboten war / daher ſie auch eher ihr leben in gefahr ſetzen muſten / als denen gehorchen. Alſo auch dorfften Daniels geſellen dem ge - bot Nebucadnezars / ſein bild anzubeten / nicht gehorchen / ſondern muſten ſich lieber in den feurigen offen werffen laſſen. So beruhet darauff der ruhmLaller82Das dritte Capitel. aller Maͤrtyrer / wann glaͤubige / ſich zuder von den unglaͤubigen Regenten anbefohlnen abgoͤtterey nicht verſtehen wolten / ſondern druͤber ſich das le - ben nehmen lieſſen. Sonderlich ſehen wir ein exempel an Daniel c. 6. Dann als ſeine feinde hinterliſtig ein gebot von dem Koͤnige heraus practiſirt hat - ten / darinnen in 30 tagen etwas von jemand anders / als dem Koͤnige zu beten / verboten / und alſo dieſer dienſt Gottes / den man ihm unausſetzlich ſchuldig iſt / auff eine weile auffgehaben wurde / konte Daniel nicht gehorſamen / ſon - dern ſetzte ſein gebet fort / und weil er vorhin gewohnet war / ſein gebet alſo zu verrichten / daß er ſeinen gewiſſen ort (ſo gar bey offenen fenſtern) hatte / auch ſeine zeit hielte / welches er leicht erachten konte / auch andern bekannt zu ſeyn / daher aber billich ſorgen muſte / wo er ſolches aͤndern / und allein in geheim / und daß niemand ſolches gewahr wuͤrde / dieſe 30 tage ſein gebet verrichten wuͤrde / daß ſolches bey allen das anſehen / er habe dadurch das ungerechte und dem wahren GOTT ſchimpffliche verbot des Koͤniges / mit dem gehorſam gut geheiſſen / gewinnen / und ſo wol andre gefangene Juden / zu ſuͤndlicher nachfolge / als die heyden / zur bekraͤfftigung / daß der Juͤden GOtt / nicht der wahre GOtt waͤre / ſich daran aͤrgern wuͤrden / ſo aͤnderte er auch nichts an den umſtaͤnden / und wagte ſein leben fuͤr den gehorſam ſei - nes Gottes / der ihn zwahr auch maͤchtig ſchuͤtzte.
  • II. Es ſind aber andre dinge / welche an ſich gut / nicht aber als noth - wendig von GOtt allen / oder dieſem und jenen geboten ſind / ſondern allein unter der gemeinen regel ſtehen / da GOTT alles von uns haben will / wo wir etwas guts thun zu koͤnnen / ſehen; daher deſſen unterlaſſung ſuͤndlich werden kan. Jac. 4 / 17. Dieſe ſtehen bereits unter mehrer gewalt der Obrigkeit / denn weil derſelben die regierung der unterthanen und dero ver - richtungen / zur gemeinen ruhe / und was dazu fuͤhret / anbefohlen iſt / ſo ſtehet in dero erkaͤntnuͤß / von dieſem und jenen guten zu urtheilen / ob es zu dem zweck ihrer regierung dienſam / oder demſelben hinderlich / uñ alſo zu zulaſſen / oder zu verbieten ſeye. Dann weil die meiſte præcepta affirmativa zwahr allezeit verbuͤndlich ſind / aber ihre uͤbungen nicht allezeit noͤthig / ſo gar we - gen gewiſſer umſtaͤnde unziemlich und unrecht werden koͤnten; ſo ſind diejeni - ge gute dinge / die aber nicht austruͤcklich auff alle zeiten geboten ſind / der art / daß ſie gut bleiben / wo ſie nicht ein groͤſſeres gutes hindern / oder etwas boͤſes nach ſich ziehen: aber wo dieſes geſchehe / eben dadurch gut zu ſeyn auffhoͤren und boͤſe werden wuͤrden. Hieruͤber nun zu erkennen / kommt der Obrigkeit aus ihrer allgemeinen ſorge fuͤr die wohlfahrt der unterthanen zu / daher ſie auch in ſolchen dingen zu befehlen / zu verbieten und zu zulaſſen / an ſich ſelbs macht hat.
  • III. Es koͤnnen aber Obrigkeiten ſich ſolcher ihrer macht recht gebrau -chen83ARTIC. I. SECTIO XIX. chen / oder auch mißbrauchen; nicht allein damit / woſie alles nach eigenem wohlgefallen und ohne genungſame erwegung thun / und allein ihre macht damit zeigen wollen / daß alles bloß bey ihnen ſtehe; ſondeꝛn auch / wo ſie in ih - rem gebieten / verbieten / oder zu laſſen des guten / deſſen regel die wahre wohl - fahrt der geſamten unterthanen ſeyn ſolle / dieſelben verfehlen / und alſo fuͤr ſchaͤdlich verbieten / was gleichwol nuͤtzlich geweſen waͤre. Jndeſſen ob ſie wol ihrer ſeits ſich damit verſuͤndigen koͤnnen / ſind doch die unterthanen ih - nen zu gehorſamen / hingegen die verantwortung des unterbleibenden guten / ihnen zu uͤberlaſſen / gehalten: wie ſie auch / ob die Obrigkeiten ihnen all zu ſchwehre laſt auffbuͤrden / dieſelbe ſich damit an GOTT und ihnen ſchwehr - lich verſuͤndigen / ſie aber dennoch ſich derſelben auff jener verantwortung unterwerffen muͤſſen. Und zwahr gruͤndet ſich die nothwendigkeit ihres gehorſams darauff / weil alle Chriſten den austruͤcklichen befehl / der Obrig - keit auch um des gewiſſens willen gehorſam zu ſeyn / von GOtt haben / von dem ſie nichts loß ſpricht / als wann ihr gebot dem goͤttlichen gerad entgegen ſtehet. Hingegen das ſonſt an ſich gute nothwendig zu thun / haben ſie kei - nen austruͤcklichen befehl / ſondern ob es dißmal zu thun / oder nicht zu thun ſeye / gehoͤret erſt eine unterſuchung darzu. Ob dann wol ich und andere chriſtliche hertzen davor halten moͤchten / es waͤre beſſer zu thun / als zu laſſen / uͤber wieget doch der ausſpruch der Obrigkeit / die es dißmal nicht gut zu ſeyn / durch ihr verbot erklaͤret / wegen der von ihrer ſeiten ſtehenden goͤttli - chen macht.
  • IV. Wie dann nun chriſtliche unterthanen ſchuldig ſind / ihrer Obrig - keit verbot zu gehorchen / wo es etwas an ſich ſelbs gutes (wo zwahr immer nach theſ. I. die dinge ausgeſchloſſen werden / die an ſich nothwendig / und als ſolche / befohlen ſind) zu unterlaſſen betrifft / wann auch die Obrigkeit ſelbs drinnen fehlte; ſo ſind ſie ſo vielmehr darzu verbunden / wann dieſe derglei - chen gutes nicht bloß dahin verbietet / ſondern deſſen uͤbung allein gewiſſe ſchrancken ſetzet / auch in ſolcher ordnung gleichwie chriſtliche abſichten hat / alſo in der that allein dasjenige davon nimmt und verbietet / was den nu - tzen mehr ſchlagen und hindern kan / als befoͤrdern wuͤrde: als in welchem fall man nicht allein aus gehorſam ſich zu bequemen hat / ſondern auch der Obrigkeit chriſtliche vorſorge mit hertzlichen danck erkennen ſolle.
  • V. Wie die pflichten der Eltern und Herrſchafften / ihre kinder und ge - ſinde zu GOtt zu weiſen / item bey gelegenheit die GOtt beſcheret / an mei - nem nechſten etwas / das zu ſeiner beſſerung dienet / insgemein zu thun / und alſo in genere die handlungen des geiſtlichen mit dem nechſten / unter die erſte art / der von GOtt allerdings gebotenen und nothwendigen dinge gehoͤren / daher ſolche ſchlechter dings dahin zu verbieten / keine Obrigkeit gewalt hat /L 2noch84Das dritte Capitel. noch ein ſolches verbot / das ſie thaͤte / zum gehorſam verbinden wuͤrde / alſo gehoͤren hingegen gewiſſe verſammlungen chriſtlicher perſonen / die austruͤck - lich zur erbauung / leſen / beten / ſingen und dergleichen / ordenlich angeſtellet werden / unter die art des jenigen guten / das nicht bloß geboten / und alſo un - ter der Obrigkeit gewalt / es zu zulaſſen / oder zu verbieten / ſtehet. Zwahr wuͤn - ſchete ich von hertzen / daß dergleichen uͤbungen / obwol mit gebuͤhrender ob - ſicht der Obrigkeit und des Miniſterii, aller orten im ſchwangegingen / und wuͤrde nicht leicht einiger Obrigkeit rathen / ſie zu verbieten: vielmehr glau - be ich / ſie koͤnnen nicht ohne ſuͤnde irgends verboten werden / es waͤre dann ſache / daß einiges orts dieſelbe in ſolchen mißbrauch gerathen waͤren / daß demſelben nicht anders mehr / als durch gaͤntzliche abſtellung geſteuret werden koͤnte / der ſchade auch groͤſſer / als der verhoffende nutzen waͤre; da dann auff eine zeitlang die noth die abſtellung erfordern / und eben damit er - laubt machen wuͤrde. Jndeſſen ob auch eine Obrigkeit ſie ohne ſolche noth abſchaffte / und alſo darinne ſuͤndigte / ſo achte ich doch nach theſ. 3. die unter - thanen ſchuldig zu gehorchen / und ſich auch des ſonſten davon hoffenden nu - tzens zu begeben / hingegen zu trachten / daß ſie / was ihnen an ſolchen ordenli - chen uͤbungen abgehet / auff andere muͤgliche und chriſtliche art zu erſetzen.
  • VI. So vielmehr ſtehet dann in der Obrigkeit macht / wo einige derglei - chen uͤbungen vorgenommen werden / und aber wegen zeit / ort und anderer umſtaͤnde der perſonen / etwas dabey vorgehen moͤchte / daß unanſtaͤndig waͤ - re / und aͤrgernuͤß gebe / oder doch einen ziemlichen verdacht deſſen verurſach - te / denſelben gewiſſe ſchrancken und maaß vorzuſchreiben / wie man ſie alſo anzuſtellen habe / damit alles aͤrgernuͤß und boͤſer ſchein / der ſonſten die gantze ſache leicht verderben koͤnte / vermieden bleibe / auch wo einige ſich ſolcher verordnungen nicht bequemen ſolten / ſie bey ſtraffe dazu anzuhalten: ja es hat es dieſelbe nicht allein macht / ſondern welche chriſtlich geſinnet iſt / wird ſich dazu verbunden erkennen / dergleichen zu thun. Deſſen urſachen folgende ſind: (1.) Jnsgemein wird von den Chriſten in ihrem gantzen wandel vorſichtigkeit erfordert. So bleibets eine allge - meine regel / Eph. 5 / 15. 16. So ſehet nun zu / wie ihr fuͤrſichtig wandelt / nicht als die unweiſen / ſondern als die weiſen; und ſchicket euch in die zeit / dann es iſt boͤſe zeit. Es beſtehet aber ſolche vorſichtigkeit ſonderlich darinnen / wie einer ſeits / daß wir die gelegenheit des guten nicht unvorſich - tig verſaͤumen / alſo anderſeits / daß wir ſie auff ſolche art gebrauchen / wie der meiſte nutze daraus zu ſchoͤpffen iſt / daher auff alle umſtaͤnde wohl acht zu ge - ben / die denſelben befoͤrdern / und hindern moͤchten. (2) Weil wir aber nicht allein auff uns / ſondern auch unſern nechſten acht zu geben haben / da - mit derſelbe von uns erbauung ſchoͤpffe / hingegen ja kein aͤrgernuͤß nehme / ſogehoͤ -85ARTIC. I. SECTIO XIX. gehoͤret hauptſaͤchlich zu der chriſtlichen von allen erforderten vorſichtigkeit / was wir thun / alſo einzurichten / ſo viel muͤglich / daß der nechſte daran von uns erbauung haben moͤchte / hingegen mit aller ſorgfalt ſein beſorgendes aͤr - gernuͤß zu vermeiden. Und zwahr muͤſſen wir darinnen nicht auff unſere glaͤu - bige mitbruͤder allein ſehen / ſondern an die wort Pauli gedencken / 1. Cor. 10 / 32. Seyd nicht aͤrgerlich / weder den Juden / noch den Griechen / noch der gemeinde Gottes. Daher (3) muͤſſen wir uns nicht allein huͤten vor dem boͤ - ſen / ſondern uach 1. Theſſ. 5 / 22. meiden allẽ boͤſen ſchein / und uns alſo hal - ten / daß es redlich zugehe / nicht allein voꝛ dem Herꝛn / ſondeꝛn auch voꝛ dẽ menſchen. 2. Cor. 8 / 21. Daher uns der Apoſtel lehret Rom. 14. wie wir uns auch der von Chriſto uns erworbenen freyheit / was dero gebrauch an - langet / begeben muͤſſen / wo wir ſehen / daß ſchwache bruͤder ſich ſonſten an uns ſtoſſen moͤchten: wo er auch zeiget / daß wer ſolches nicht thue / wandele nicht in der liebe / daher auch ſein glaube nicht richtig ſeyn kan. Deswegen es eine vermeſſene rede iſt / wo einige zuweilen ſich vernehmen laſſen / wo ſie wuͤ - ſten recht zu etwas zu haben / ſehen ſie auff niemand / es moͤchte ſich daran ſtoſ - ſen / wer da wolte; dazu ſie ſich auch des im guten verſtand richtigen ſpruchs / mißbrauchen: Thue recht / ſcheue niemand. Der uns aber ja nicht freyheit / die liebe des nechſten / deſſen wir ſchonen ſollen / aus den augen zu ſetzen / geben muß. (4) Wie dann nun eine ſolche vorſichtigkeit in eines Chriſten gantzen wandel erfordert wird / ſo iſt dieſelbe ſo viel nothwendiger in geiſtlichen uͤbun - gen und verrichtungen / nicht allein / weil deroſelben wichtigkeit an ſich ſelbs ſo viel mehr ſorgfalt auff alles acht zugeben / erfordert / ſondern / weil ſonſt das daher entſtehende und veranlaſſende aͤrgernuͤß ſchwehrer iſt / als in andern dingen / auch der nahme GOttes mehr verlaͤſtert wird; ſonderlich wo leute / die von der gottſeligkeit ohne das die beſte meinung nicht haben / ſondern da - gegen eingenommen / etwas an ſolchen uͤbungen / die den nahmen der gottſe - ligkeit haben ſollen / ſehen / daran ſie etwas unanſtaͤndiges zu finden meinen: daraus dann insgemein die ſchwehrſte laͤſterungen entſtehen / und aus einem verdacht / der einen ſtarcken ſchein hat / noch immer mehrere gezogen werden. Wann nun ſolches geſchiehet / ſo faͤllet die verantwortung auff diejenige / wel - che durch ihr unbedachtſames beginnen anlaß dazu gegeben haben / und koͤn - nen ſie den damit zugefuͤgten ſchaden ſo leicht nicht wieder erſetzen. (5) Wie nun alle rechtſchaffene Chriſten ſich einer ſolchen vorſichtigkeit von ſelbs befleiſſen / auch / daß jemehr ſie als wahre kinder GOttes von andern angeſe - hen werden / deſto mehr auch von ihnen erfordert werde / glauben / und die dazu noͤthige gnade von dem himmliſchen Vater ſich erbitten muͤſſen / ſo gehoͤ - ret aber auch dazu der Obrigkeit amt / daß ſie um ſolches zugeſchehen / obſichtL 3habe /86Das dritte Capitel. habe / und ſo wol etwa voran / wo man einigen mißſtand ſorgen moͤchte / durch gute ordnungen und geſetze dergleichen vorkomme / als auch / wann ſich etwas verdaͤchtiges ereignen will / ſo bald / ehe das aͤrgernuͤß ſtarck werde / der ſache durch ernſtliches verbot helffe / und alles in dienliche ordnung bringe. Die - ſes thuende / erfuͤllet ſie ihre pflicht / und befordert die geiſtliche uͤbungen herr - lich / wann ſie ſie verwahret / fuͤr demjenigen / was ſonſt alle ihre frucht nie - derſchlagen koͤnte. (6) Daher rechtſchaffene kinder GOttes dergleichen ver - boten / nicht allein aus zwang / ſondern mit freudiger danckſagung fuͤr die chriſtliche vorſorge / gehorſamen / und da ſie die ſache ſelbs behalten / in den umſtaͤnden ſich leicht vorſchreiben laſſen / ſo vielmehr da ſie ſehen / daß auch in dieſem / alles auff mehreren wahren nutzen eingerichtet ſeye. Dieſen ge - horſam wircket bey ihnen ſo wol der allgemeine befehl / der Obrigkeit unter - than zu ſeyn / als auch in dieſer ſache die erkaͤntnuͤß deroſelben treue / ſo dann die eigenſchafften der wahren weißheit von oben / die nach Jac. 3 / 17. ihr ſa - gen laͤſſet / das iſt / einen gehorſam weiſet / und ſich gern zurecht weiſen laͤſſet. (7) Hingegen wuͤrde es kein gutes zeichen ſeyn / wo jemand dergleichen gebot zu uͤbertreten / ſich wuͤrde geluͤſten laſſen / indem es gewiß keine frucht des Gei - ſtes / ſondern eigenſinnes waͤre / der / wo er noch nicht voͤllige Herrſchafft ge - wonnen / doch damit ſtarck anſetzte / daher wem ſeine ſeele lieb iſt / ſolchen ver - ſuchungen ſelbs mit ernſt zu widerſtehen / ſich befleißiget. Und darff kein wahrer Chriſt ſorgen / daß er ſuͤndige / wo er ſich ſeiner freyheit alſo begebe / weil der Gottesdienſt im Geiſt und in der wahrheit Joh. 4 / 24. dennoch oh - ne beſtimmung zeit und ort / wolle geleiſtet ſeyn / und der trieb des Geiſtes ſich nicht binden laſſe. Dann der rechte wahre Gottesdienſt / der in dem inner - lichen geſchihet / iſt freylich an zeit und ort nicht gebunden / aber wie der euſ - ſerliche zeit und ort bedarff / ſo iſt ſelbs des H. Geiſtes weißheit gemaͤß / dieſel - be / wie ſie den zweck zu erhalten / am bequemſten ſind / einzurichten. Alſo laͤſſet ſich der glaube von keiner menſchlichen gewalt binden / ſondern eiffert uͤber ſei - ne freyheit / aber die liebe laͤſſet ſich alſo binden / daß ſie jedermann allerley / und niemand anſtoͤßig werde 1. Cor. 9. an welchem ſtuͤck ſonderlich die recht - ſchaffenheit derſelben erkant wird.
  • VII. Wo eine Obrigkeit eine ſolche chriſtliche verordnung gemacht / daß alles anſtoͤßige und verdaͤchtige abgeſchaffet werde / fordert ſie nicht allein mit recht den gehorſam / ſondern auff genugſame verwarnung / mag ſie auch die widerſpenſtigen nach ihrer habenden macht mit gewalt zum gehorſam an - halten. Wo ſie nun ſolches thut / nimmt ſie ſich keine Herrſchafft uͤber die gewiſſen / ſondern haͤlt uͤber die autoritaͤt / die ihr von GOtt / das euſſerliche in erbauliche ordnung zu bringen / verliehen iſt. Die aber druͤber leiden muͤß - ten / wuͤrden alsdann nicht um Chriſti / oder des guten / ſondern eigenſinnigerwider -87ARTIC. I. SECTIO XX. widerſetzligkeit willen / die wahren Chriſten unanſtaͤndig / und daher Moſi unter ſein regiment geworffen wird / leiden / und ſich es ſelbs zuzuſchreiben ha - ben. Dazu es aber billig keiner kommen laſſen ſolle / als dadurch nur das aͤr - gernuͤß vermehret wuͤrde.

Der HErr leite alle ſeine kinder durch den H. Geiſt / und laſſe ihn in ih - nen allen ſeyn einen Geiſt der weißheit / der in allem erkenne / was das beſte ſeye; und der liebe / in allem zu ſehen / nicht auff das / was nur uns / ſondern vielen frommet. Er regiere auch alle Obrigkeiten / daß ſie auff alle weiſe ſei - ne ehre und die mittel der erbauung zu befordern / ſo verſtehen / als ſich treu - lich laſſen angelegen ſeyn / und alſo ihm alle ihre gewalt ſelbs heiligen. A - men. 1699.

SECTIO XX. Von verbindlichkeit obrigkeitlicher verbote in ſolcher materie.

  • Ob einer chriſtlichen Obrigkeit verbot / da ſie gewiſſe zur erbauung und andacht gemeinte zuſammenkuͤnfften um ſolche zeit / und mit ſolchen umſtaͤnden / welche boͤſen verdacht geben koͤnten / anzuſtellen / ernſtlich und bey ſtraffe verboten / von dero unter - thanen und bedienten ohne ſuͤnde aus dieſem vorwand uͤber - treten werden koͤnte / daß ſie den trieb des H. Geiſtes folgen muͤ - ſten / und bey der auch wider das verbot geſchehenen bewerck - ſtelligung ihres vorhabens / wircklich goͤttliche gnade reicher - ber ſich verſpuͤhret haͤtten?

ES iſt im vorigen reſponſo durch GOttes gnade aus deſſen wort und in demſelben enthaltenen gruͤnden / hoffentlich zur gnuͤge dargethan worden / ſo wol insgemein / wie weit einer chriſtlichen Obrigkeit macht ſich in dieſen dingen erſtrecke; hingegen was goͤttliche ordnung von den un - terthanen erfordere; als auch abſonderlich / daß eine Obrigkeit nicht unrecht thue / wo ſie denen zuſammenkuͤnfften / die zur andacht angeſehen ſind / ſolche ſchrancken ſetzet / dadurch der / der goͤttlichen ehre ſo nachtheilige boͤſe ſchein da - von abgewendet werde / dahero ihre unterthanen allerdings gewiſſens hal - ben ſich ſolchen verordnungen zubequemen haben / und ohne ſuͤnde ſich dem ge - horſam nicht entziehen koͤnten. Von dieſem gehorſam nun ſpricht ſie der dop - pelte vorwand nicht loß / noch machet ihre widerſetzligkeit GOtt gefaͤllig; wie theils die vorige allgemeine gruͤnde / ſolches erweiſen / theils ietz ferner ausge - fuͤhret werden ſolle.

I. Was88Das dritte Capitel.

I. Was nun den einen vorwand anlanget / daß man insgemein verbun - den ſeye / nach den worten Pauli Rom. 8 / 14. dem trieb des H. Geiſtes alle - zeit zu folgen / und ſich daran nichts hindern zu laſſen / auch ſich abſonderlich / ob ſolcher trieb wahrhafftig von GOtt ſeye / wohl gepruͤfet / aber die kraͤfftige bewegung des Geiſtes zu dem guten vorhaben ſo viel maͤchtiger bey ſich ver - ſpuͤret habe: ſo iſt von ſolchem trieb des Heil. Geiſtes unterſchiedliches zu mercken.

(1) Jſts allerdings gewiß / daß der H. Geiſt / wie er ſeine wohn-ſtatt in den hertzen der glaubigen hat / alſo auch dieſelbe ihrer pflichten erinnere / und ſie zu derſelben leiſtung antreibe: daß demnach / wer dieſes leugnen wolte / ſo wol der H. Schrifft widerſprechen muͤßte / als ſich eben damit verrathen wuͤr - de / daß er noch nichts in den wegen GOttes erfahren haͤtte. Aber (2) muͤſ - ſen wir auch die art ſolches triebs recht erkennen lernen / der nicht anders er - kant werden kan / als daß man den geſamten zuſtand / wie es mit uns eine be - wandnuͤß habe / ſo lang wir noch in dem fleiſch leben / recht einſihet. Der ver - haͤlt ſich aber alſo / daß neben unſrer aus der wiedergeburth habenden neuen natur / auch die alte bey uns uͤbrig iſt; ſo dann die natur allezeit in die wercke der gnaden ſich einflicht / und dieſelbe hindert. Daher wie alle unſere wahre goͤttliche erkaͤntnuͤß wahrhafftig eine erleuchtung des H. Geiſtes iſt / ſo hin - dert dennoch unſere natuͤrliche finſternuͤß nicht allein / daß wir nicht ſo voͤllig erleuchtet werden / ſondern verurſachet gar / daß einige irrthum zuweilen ſich mit einmiſchen / und zum exempel / ein kind GOttes in dieſem und jenem arti - cul / was das haupt-werck anlanget / die goͤttliche wahrheit (welches nicht anders / als aus der erleuchtung des Heil. Geiſtes herkommen kan) erkennet / und doch in eben demſelben / was neben-umſtaͤnde betrifft / unterſchiedliches nicht allein nicht weiß / ſondern gar ſich unrechte concepten davon machet. Da gleichwol daraus geſchihet / daß daſſelbe / wie es ſich gewiß verſichern kan / daß es die wahrheit in goͤttlichem liecht erkenne / darneben auch dasjeni - ge in goͤttlichem liecht zu erkennen meinet / worinnen ſich die natur mit ihrem irrliecht eingemiſchet hat. Damit hoͤret jenes zwahr nicht auff / ein goͤttliches liecht zu ſeyn / darum weil ſich etwas ungleiches darunter gemiſchet / aber dar - innen irret der menſch / wann er deßwegen ſich auch dieſes fuͤr wahrheit ein - bildet / davon er aber endlich durch beſſern unterricht anders uͤberzeuget wer - den kan. Wie ſichs dann mit dem verſtand verhaͤlt / ſo verhaͤlt ſichs auch mit dem willen. Da hat der H. Geiſt nicht allein in der wiedergeburch den wil - len zu heiligen angefangen / und in demſelben die krafft und trieb des guten erſtmal gewuͤrcket / ſondern er iſt auch derjenige / der immer / zuweilen mit / zuweilen ohne euſſerliche gelegenheit / zu dem guten auffs neue die kinder GOttes antreibet. Wie aber die natur darneben auch vorhanden / ſo iſt ſiedieje -89ARTIC. I. SECTIO XX. diejenige / die nicht allein auff mancherley art offt ſolches gute hintertreibet / ſondern ſich auch offte alſo einmiſchet / daß einige unordnung mit unterlaͤuf - fet; da alsdann das gute an ſich ſelbs / des H. Geiſtes werck bleibet / und der natur nicht zugemeſſen werden darff / aber die anklebende unordnung / wor - innen ſie auch (zum exempel / in traͤgheit / unvorſichtigkeit / uͤbereylung / oder dergleichen /) beſtehet / koͤmmt nicht von dem H. Geiſt / ſondern iſt ein fehler / der ſeinen urſprung aus der verderbten natur hat / daher auch / wie die ſache an ſich ſelbs ihr lob verdienet / alſo derſelbe der beſſerung und cor - rection unterworffen iſt. Daher (3) jeglicher trieb etwas zu thun / ſo wol von demjenigen ſelbs / bey dem er ſich findet / als von andern / gepruͤfet werden muß / ob derſelbe / oder was an ihm / goͤttlich / oder nicht ſeye; und zwahr muß ſolche pruͤfung nach dem goͤttlichen geoffenbahrten wort / als wel - ches uns die regel unſers thuns und laſſens / und die anzeige goͤttlichen wil - lens bleibet / angeſtellet werden. Jſt alſo die ſache dem goͤttlichen wort und deſſen regel gemaͤß / lſo hat ſie das zeugnuͤß / des H. Geiſtes werck an ſich ſelbs zuſeyn: klebet aber etwas von umſtaͤnden daran / welches der regel goͤttlichen worts zuwider iſt / ſo hat derjenige ſelbs / der das werck verrichtet / und ge - wahr wird / worinnen wider das wort gefehlet worden / ſeinen fehler zu er - kennen / und denſelben ja nicht mit dem goͤttlichen trieb / der zu nichts boͤſes geſchehen kan / zu entſchuldigen; noch haben andere / die ihn ſehen / um der ur - ſach willen / weil die ſache an ſich ſelbs gut iſt / deswegen alles anklebende auch fuͤr goͤttlich zu erkennen / vielmehr einen gerechten unterſcheid unter dem / was GOttes und des menſchen iſt / zu machen.

4. Es gibet zwahr dergleichen triebe / die auſſerordenlich ſind / wo GOtt die menſchen zu werckzeugen gebraucht / dinge zu thun / die ſie ſonſt zu thun nicht macht haͤtten / welche handlungen alsdann dem menſchlichen urtheil nicht unterworffen ſind. Als da Pinehas 4. Moſ. 25 / 7. 11. in eiffer fuͤr GOtt entbrannte / und die hurer erſtach: da Ehud von GOTT erweckt / Richt. 3 / 15. den Koͤnig Eglon entleibt: wo von Simſon ſtehet / der Geiſt des HErrn gerieth uͤber ihn. Dieſer trieb hat auch insgemein das an ſich / daß der alſo getrieben wird / nicht zuruͤck bleiben darff / ſondern er muß demſel - ben ohne vieles uͤberlegen folgen / und leidet mehr / als daß er ſelbs wuͤrckete.

5. Eine andere bewandtnuͤß aber hat es mit dem ordentlichen trieb / wie der H. Geiſt die glaubige treibt / daß nemlich bey ſolchem trieb keine derglei - chen gewalt / und gleichſam dahinreiſſen iſt / daher das wort / welches Rom. 8 / 14. ſtehet / einige lieber durch fuͤhren als treiben geben / dermaſ - ſen / daß es in desjenigen / der alſo gefuͤhret wird / macht und erkaͤntnuͤß ſte - het / demſelben trieb zu folgen / oder nicht / dahero dann bey ſpuͤhrender zunei - gung zu einer ſach / die ſeele erſt zu uͤberlegen hat / ob vor dieſes mal und beyMdieſen90Das dritte Capitel. die ſen umſtaͤnden die ſache zu thun / oder zu laſſen beſſer / folglich GOttes wil - le / der ſtets auff das beſte gehet / auff dieſe oder jene ſeite zuerkennen ſeye: wie es dann die allgemeine regel bleibet Eph. 5 / 15. 17. So ſehet nun zu / wie ihr fuͤrſichtiglich (accurat nach der regel) wandelt / nicht als die unwei - ſen / ſondern als die weiſen. Darum werdet nicht unverſtaͤndig / ſondern verſtaͤndig / was da ſeye des HErren wille. Alſo bedarffs nicht nur etwa bloß auff ſein hertz / und den darinne fuͤhlenden trieb / acht zu geben / um gleich demſelben / als von dem H. Geiſt herkommende / zu folgen; ſondern man muß den trieb accurat nach den vorgeſchriebenen regeln examiniren und pruͤfen / ob es der wille GOttes ſeye / bey dieſen und jenen umſtaͤnden etwas zu thun: und zu ſolcher pruͤfung gehoͤret die weißheit / dero man nicht bedoͤrff - te / wo jeder trieb zu dem guten / ohne abſicht auff die umſtaͤnde / bereits gewiß fuͤr goͤttlich zu halten waͤre. Daher iſt ſolcher trieb auch anderer glaͤubiger Chriſten pruͤfung / und in gewiſſer maaß urtheil unterworffen / und hat ſich keiner dieſem bloß zu entziehen / und ſeinem ſinne ſchlecht dahin zu folgen. Vielmehr machte es den trieb ſehr verdaͤchtig / wo uns einkaͤme / wir muͤßten demſelben blindlings gehorſamen / auch andeꝛer mitbꝛuͤder gutachten / daꝛuͤber nicht achten / daß nemlich alsdann derſelbe / wo nicht bloß von dem fleiſch komme / auffs wenigſte ſich vieles des fleiſchlichen eigenwillens mit eingemi - ſchet habe. Dahin etlicher maſſen die worte Lutheri gehoͤren uͤber 1. Cor. 14 / 32. Die Geiſter der Propheten / ſind den Propheten unterthan; die al - ſo lauten: Etliche meinen / wenn ſie den verſtand und des Geiſtes ga - ben haben / ſollen ſie niemand weichen noch ſchweigen / daraus dann Secten und zwieſpalt folget. Aber S. Paulus ſpricht hie / ſie ſollen und moͤgen wol weichen / ſintemal die gaben des Geiſtes in ihrer macht ſtehen / ihr nicht zu brauchen wider die einigkeit / daß ſie nicht ſagen doͤrffen / der Geiſt treibe und zwinge. Was nun unſer theure Lehrer ſpricht von dem gebrauch der auch auſſerordentlichen goͤttlichen gaben / daß man denſelben wider die einigkeit und mit dero verletzung / unter dem vor - wand des triebs des Geiſtes / nicht bewerckſtelligen ſolle / das gilt auch dahin / daß / wodurch aͤrgernuͤß und zerruͤttung geſtifftet werden wuͤrde / nicht fuͤr ei - nen trieb des Geiſtes gehalten werden muͤſſe.

Wie nun dieſes in Theſi die art des goͤttlichen triebs vorſtellet / ſo die - net nun die application in hypotheſi zu machen / folgendes: (1) daß man gerne zugebe / daß der trieb zu uͤbungen der andacht / in betrachtung des goͤttlichen worts und gebets / an ſich ſelbs gut / und eine wirckung des Geiſtes ſeye / auch allezeit / als lang nicht unordnung in den umſtaͤnden mit einlauffet / und diegute91ARTIC. I. SECTIO XX. gute ſache verdirbet / davor erkant und gefolget werden ſolle. (2) Wo aber ſolcher trieb vorhanden iſt / hat die glaubige ſeel auf das / was ſie vor hat / acht zu geben / ob es auch an dieſem ort / und zu dieſer zeit / nach goͤttlichem willen ſich zu thun ſchicke / oder nicht. (3) Daher weil in voriger beantwortung ge - zeiget / daß obrigkeitlicher befehl / der die geiſtliche uͤbungen in chriſtliche ſchrancken bringet / hingegen diejenige arten derſelben / die ſtarckem verdacht unterworffen ſind / und boͤſen ſchein auff allerley weiſe geben / bey ſtraffe ver - bietet / GOtt nicht entgegen / ſondern ihrer ſorgfalt vor goͤttliche ehr und be - forderung des guten / gemaͤß ſeye; ſo folget / daß diejenige uͤbungen / die mit ungehorſam gegen dergleichen gebote angeſtellet wuͤrden / ſuͤndlich und goͤtt - licher ordnung entgegen ſeyen. Dieſes haben diejenige / welche dazu ſich ge - trieben achten / billig in der furcht des HErrn zu uͤberlegen gehabt / und ſollen es noch uͤberlegẽ / da ſie es nach der regel goͤttlichen worts nicht anders zuſeyn / in der wahrheit finden werden. (4) Daher ſolchem offenbaren goͤttlichen wil - len der verſpuͤhrte trieb nicht mit grund entgegen geſetzt / noch um deſſelben willen der gehorſam verſagt werden darff: ſondern eben hiedurch / daß er zu etwas gehet / welches unordenlich / ſich verraͤth / daß ſich eigenwille un - vermerckt mit eingeſchlichen habe. Welches auch verurſacht / daß der - gleichen gebet / ſo wider den deutlichen willen Gottes geſchehen / und man eine verſuchung Gottes dariñen zu ſorgen hat / uͤber etwas eine neue offenbahrung GOttes zu fordern / daruͤber wir ſeinen willen deutlich aus ſeinem wort vor augen ligen haben / nicht erhoͤrlich geweſen / noch was darauff bey ſich ge - fuͤhlet worden / vorgoͤttliche antwortzu halten ſeye.

2. Jſt noch uͤbrig der andere vorwand / daß als die uͤbungen wider herr - ſchafftliches gebot wieder fortgeſetzt worden / ſich goͤttliche gnade ſo reichlich bezeuget / daß ſie dergleichen vormalen nicht empfunden / damit GOtt ihm ſolches vorhaben zu gefallen angedeutet / und ſie dennoch darinnen geſtaͤrcket habe. Aber es iſt auch dieſer nicht genug die unterthanen von dem gehorſam eines an ſich rechtmaͤßigen verbots / loßzuzehlen. Dann erſtlich die richtig - keit und billigkeit des verbots / iſt aus gruͤnden goͤttlichen worts dermaſſen dargethan / und kan uns nicht triegen; daher was noch einigem zweiffel unter - worffen iſt / nicht gnug iſt / jenes gewiß und feſtgeſetzte / umzuſtoſſen.

3. Die reichlichere goͤttliche gnade auff die man ſich beziehet / kan in nichts anders beſtehen / als in einer gewiſſen innerlichen empfindung / dar - ein ſich leicht etwas natuͤrliches mit einmiſchen kan. Wie dann gezeiget wor - den / daß ſich in das goͤttliche liecht in dem verſtand / auch einige finſternuͤß des irrthums; in den trieb zu dem guten / auch einige unordnung / wegen unſerer verderbnuͤß einmiſchen kan: ſo kan ſich nicht weniger in unſere empfindung goͤttlicher gnade und troſtes / einige menſchliche und daher betriegliche be -M 2we -92Das dritte Capitel. wegung einmengen. Es erhellet / daß die chriſtliche freunde durch die erſte verſpuͤrte frucht ihrer andacht und uͤbungen hertzlich mit liebe dazu einge - nommen worden ſind / worinnen ich goͤttliche wirckung nicht leugne. Da nun ſolche liebe veranlaſſet / daß ſie darinnen nicht zu viel zu thun zu koͤnnen / ſich eingebildet / und daher nicht gnugſame vorſichtigkeit gebraucht / damit aber boͤſen ſchein gegeben / und ein ſolches verbot verurſachet haben; ſo hat deſſen erfolg die liebe nicht allein vermehret / wie ſolcher affect auch natuͤrlich waͤch - ſet gegen dasjenige / was man uns nehmen will / ſondern hat auch gehindert / daß ſie davor die gerechtigkeit des verbots / und ihres beginnens unordnung / nicht haben ſehen koͤnnen. Weil ſie dann das ihnen vorſtehende leiden / als ein leiden des HErrn / ob wol irrig / angeſehen / hat dieſes / deſſen ſie ſich uͤber - redet / ſolchen effect wol haben koͤnnen / daß ihre andacht ſo viel bruͤnſtiger worden / und einen mehrern troſt ihnen gelaſſen hat / den ſie fuͤr eine kraͤfftige - re gnade GOttes anſehen: da doch / da man ihnen in der andacht nicht alle wirckung GOttes / der noch mit ihrer ſchwachheit gedult traͤget / abſprechen will / ſich gleichwol auch unordenliches feuer mit eingemiſchet / welches ſie doch von dem goͤttlichen nicht gnug befliſſen geweſen / zu unterſcheiden.

4. Und wie? ſolte es nicht auch GOttes heiligem rath gemaͤß ſeyn / da ſie / als er ihnen ſeinen willen in der ſache von denjenigen / deren gewalt uͤber ſich / ſie ohne zweiffel zu erkennen haben / zu verſtehen gegeben / damit nicht zu frieden ſeyn wollen / ſondern eine andere verſicherung unmittelbar von ihm verlanget / alſo ihn damit in der that verſuchet haben / daß er ſie hinwieder - um in verſuchung gerathen laſſen / die wirckungen ihres unordenlichen eifers fuͤr die ſeinige anzunehmen?

5. Jnsgeſamt iſt die regel deſſen / was wir thun und laſſen ſollen / in den dingen / welche goͤttliches wort deutlich oder durch klare folge bereits aus - gemacht / deſſen einiger ausſpruch / deꝛ keinem ſolchen ſelbs-betꝛug unter worf - fen iſt / gleich wie unſre empfindungen / die wir bey uns in dieſen und jenen dingen wahrnehmen / dergleichen irrungen ſo lange unterworffen ſind / als wir noch in dem fleiſch leben / und ſich deſſen ſubtlie wirckungen / mit unter die goͤttliche verbergen koͤnnen.

Der HErr fuͤhre uns alle durch ſeinen Geiſt auff richtiger bahn / die der weg ſeiner gebote ſind / und bewahre uns ſonderlich vor dem eigenen Geiſt / der uns auch unter beſtem ſchein von jenem abfuͤhren kan / um uns nicht ſelbs in verſuchung zuſtuͤrtzen / ſondern unſern wandel unanſtoͤßig zu fuͤhren / um Chri - ſti willen / Amen. 1699.

SECTIO93ARTIC. I. SECTIO XXI.

SECTIO XXI. Auffmunterung aus der hoffnung kuͤnfftiger beſ - ſern zeiten. Collegia Biblica und chriſtliche uͤbungen mit den zuhoͤrern. Gewoͤhnliche widerſetzung gegen das gute.

D die hoffnung des kuͤnfftigen meinen werthen bruder kraͤfftig auff - richtet / hat derſelbe gemein mit allen uͤbrigen kindern GOttes / welche nicht nur die beſchwerden der gegenwaͤrtigen zeit des gerichtes / mit ſchmertzen fuͤhlen / ſondern auch tieffer einſehen / und ſich freylich mit nichts nachdruͤcklicher / als dem anſehen des kuͤnfftigen / zu troͤſten vermoͤgen. Zwahr iſts an dem / daß auch die hoffnung des kuͤnfftigen in der ewigkeit / ei - nem Chriſten gnug ſeyn mag: jedoch wo wir auch die verheiſſungen des jeni - gen anſehen / was der himmliſche Vater ſeiner gemeinde noch in dieſer zeit beſtimmet hat / ſo munterts eine Gottliebende ſeele deßwegen ſo viel kraͤſfti - ger auff / wenn ſie ſonſt daruͤber betruͤbt / daß von anbegin der welt / bisher das reich des ſatans ſtaͤts die meiſte macht in der welt gehabthat / doch hoͤret und faſſet / daß gleichwol noch eine zeit ſeyn ſolle / da auch auff dieſer erden / wel - che je zu Gottes ehren / und nicht des ſatans dienſt erſchaffen iſt / das reich Chriſti bluͤhen und herrlich ſeyn werde. Ob dann wol keiner gewiß iſt / daß er um ſolche zeit noch allhier in der welt ſeyn werde / ja unſer die meiſte ſchon moͤgen vor deren anbruch in die ewigkeit uͤbergegangen ſeyn / ſo iſts doch wahren Chriſten / welche ihre bruͤder nicht weniger / als ſich ſelbs lieben / und daher / wo ſich die ehre ihres Gottes an denſelben offenbaret / ihnen einerley freude an ſich ſelbs ſeyn laſſen / das hertzlichſte vergnuͤgen / wann ſie ihnen den ſeligen zuſtand der jenigen zeit vorſtellen / wo die erkaͤntnuͤß Gottes die erde erfuͤllen / und die goͤttliche weißheit in allen creaturen verborgen / deren tau - ſenden theil wir jetzo nicht erkennen / ſolcher kinder Gottes augen auffs herr - lichſte einleuchten / daher einen ſo viel innigern danck gegen ihren Vater erwe - cken wird: alſo / daß wann ſie daran gedencken / entweder ſolche ſeligkeit mit zu genieſſen / oder doch der jenigen / welche da zu kommen ſollen / bruͤder zu ſeyn / nicht anders als eine ſolche freude in ihnen entſtehen kan / welche ihnen alle jetzige beſchwehrlichkeiten leicht machet. Und zwahr ſolches deſto mehr / nachdem wir nicht allein der ſache ſelbs in Gottes wort verſichert ſind / ſon - dern ferner aus unterſchiedlichem abnehmen koͤnnen / daß wir nicht mehr ſo gar weit von der geſegneten zeit zuruͤcke ſeyn moͤgen / ſondern dieſelbe uns ziemlich nahe ſeyn darff / ob wir wol jahr und tag zu beſtimmen / uns nicht ver - meſſen ſollen. Nun der HERR gebe uns ſo viel von ſolchem kuͤnfftigenM 3einzu -94Das dritte Capitel. einzuſehen / als uns auffs wenigſte zu unſerer buß-bereitung und glaubens - auffmunterung noͤthig iſt. Jm uͤbrigen hat mich von grund der ſeelen er - freuet / daß berichtet worden / wie GOTT ihres orts gnade gegeben habe zu einem Collegio und chriſtlichen unterredung / zu befoͤrderung mehrer er - bauung. Der himmliſche Vater ſeye demuͤthigſt geprieſen / der meinem wertheſten bruder dieſes in das hertz gegeben / und auch der uͤbrigen / dero au - toritaͤt zu gluͤcklichem fortgang / und ihr beytrag zu vermehrung der frucht noͤthig iſt / dazu gelencket hat / eine ſolche gottſelige uͤbung anzuſtellen / welche in der furcht des HErrn und mit chriſtlicher klugheit gefuͤhret / nicht ohne nutzen bleiben kan. Er wolle nun ferner mit ſeiner gnade und ſegen alſo bey - ſtehen / daß dieſes eine ſaat ſeye einer reichern ernde / und weiſen / wie er / ob zwahr in dieſen zeiten des gerichts / dennoch nicht unterlaſſe / ſeiner diener treue zu vieler frucht zu ſegnen. Jch erfreue mich insgeſamt hertzlich / daß hier und dar GOTT unterſchiedliche ſeelen der Lehrer erwecket / welche / was ſie mit dem gewoͤhnlichen oͤffentlichen predigen nicht gnugſam ausrichten koͤnnen / ſuchen auff andere muͤgliche und chriſtliche art zu erſetzen. Der chriſtliche Herr Winckler in Hamburg / hat bisher / wie vorhin zu Wertheim / alſo auch ſeither an jetzigem ort / nicht wenig gutes durch ſein Collegium aus - gerichtet. Was Herr Scriverii in dergleichen vorgenommene arbeit gu - tes ſchaffe / hoͤre ich auch ruͤhmen. So hat Herr L. Majus, Prof. Theol. zu Gieſſen / auch neulich ein Collegium uͤber die Epiſtel an die Roͤmer in teut - ſcher ſprach / damit neben den Studioſis, auch buͤrger deſſen genieſſen moͤchten / intimiret / wiewol ſo bald einer ſeiner Collegen ſich daruͤber bey hoff be - ſchwehret. Wie dann zu bedauren iſt / daß ſo bald etwas gutes mit ernſt vorgenommen wird / gemeiniglich diejenige deſſen zunahme ſich widerſetzen / welche am ſorgfaͤltigſten ſelbs alles gute anſtellen / und bey andern befordern ſollen / wodurch gewiß nicht wenig unheyl geſchiehet. Wie denn auch in N. N. weil ein chriſtlicher Prediger mehr fleiß zu erbauung ſeiner gemeinde mit Catechiſiren und ſonſten angewendet / GOtt aber denſelben alſo geſegnet hat / daß die fruͤchten bey den zuhoͤrern / vielen andern in die augen geſchienen; hingegen beſorglich anderer unfleiß beſchaͤmet haben / derſelbe mit den be - nachbarten in ſchwehren ſtreit gezogen / und gar mit verdacht irriger lehr be - leget worden iſt / weil er die lehr von der moͤglichkeit goͤttliche gebot / ob wol nicht nach des geſetzes ſtrenge und vollkommenlich / (wie er ſelbs bekennet) jedoch mit redlichem kindlichen hertzen unvollkommen / aber daß nach der gnade des Evangelii der himmliſche Vater ſich denſelben gehorſam gefallen laͤſſet / zu halten / alſo treibet / wie es der ſchrifft / ſymboliſchen buͤchern und an - drer chriſtlicher Theologen ſchrifften / allerdings gemaͤß iſt. Jndeſſen ſtuͤrmet alles auff ihn zu / und da der gegentheil / einer Univerſitaͤt Cenſur wider ihn /der95ARTIC. I. SECTIO XXII. der hingegen die approbation ſeiner antworten von 4. Univerſitaͤten hat erhalten / ſolle er nicht beſſer als ein ketzer geachtet werden / damit man nur ei - nes ſolchen beſchwehrlichen menſchen moͤchte loß werden; doch wird GOtt auch ſein werck in der ſache haben und ſchuͤtzen. Mich betruͤbt aber wol hertz - lich / wo ich ſehe / wie man ſich ſtreubet / wo man die moͤglichkeit eines nicht vollkommenen heiligen / (als daran das anklebende fleiſch noch hinderlich iſt) jedoch von der welt abgeſonderten / und von herrſchenden ſuͤnden befreyten gottſeligen wandels / mit ernſt treibet: und muß ich immer ſorgen / daß ſolche leute ſich foͤrchten muͤſſen / ob ſie ihnen etwa bewuſt / daß ſie ſich zu einem recht - ſchaffenen Chriſtenthum nicht reſolviren koͤnten / und daher dergleichen moͤg - lich zu ſeyn / welches ihre ſchuld ſo viel ſchwehrer machte / nicht gern zugeben wollen. Ach der HERR erbarme ſich ſeiner kirchen in gnaden / und laſſe ſonderlich derſelben Hirten in der ſchuldigen treue mehr zunehmen / hingegen von aller miedlings-art und fleiſchlichen affecten / ſonderlich wider ihre bruͤ - der / gereiniget werden. Was ſonſten GOTT vor ſegen zu unſers Hn. M. Franckens / ſo bekannt iſt / Collegiis Biblicis in Leipzig gegeben / und wie hinge - gen eben ſolcher ſegen und beſorglich einiger commilitonum neid / ihn bey den Hn. Profeſſoribus in verdacht gebracht / auch groſſen lermen ohne ſeine ſchuld erwecket / wird bereits anderwerts her bekannt ſeyn. Jn der daruͤber ange - ſtellten inquiſition iſt er ohne ſchuld befunden worden / ſo mich hertzlich erfreu - et hat / doch traue ich nicht zu verſichern / daß er und ſein chriſtliches vorha - ben ohne nachdruͤckliches hindernuͤß bleiben werde. Wie ſolches die art unſrer zeiten iſt / die wir GOTT klagen / und ſeiner huͤlffe warten muͤſſen / wann er ſie ſchaffen wird / daß man getroſt lehren moͤge. 1689.

SECTIO XXII. Von leſung der heiligen ſchrifft.

WAs die gethane fragen anlanget von leſung der heil. Bibel / ſo wuͤn - ſche daß dieſelbe zu erſt von ſo gelehrten / als ungelehrten / geleſen wer - de ohne commentariis, ſondern wie ſie uns der heilige Geiſt vor au - gen geleget hat / und aus derſelben nach unſerer bekaͤnntnuͤß auch jeder ein - faͤltiger / was zu ſeinem glauben und leben bloſſer ding noͤthig iſt / faſſen und verſtehen kan. Es ſoll aber alsdann ſolches leſen mit dieſer ordnung und ab - ſicht geſchehen: 1. Daß das neue Teſtament allezeit vielmehr als das alte ge - leſen werde / ja daß mans wol 4 oder 5 mal gegen einem einigen mal des alten / durchzubringen habe. Jedoch iſt dieſes auch nicht hindan zu ſetzen / ſondern wir bedoͤrffen es auch; ſo wol daß wir die hiſtorie uns bekannt machen / Got - tes weißheit / guͤte und gerechtigkeit in allem / was von der welt her vorge - gangen iſt / ſonderlich wie er ſeine kirche allezeit regieret und erhalten habe / zuſei -96Das dritte Capitel. ſeinem preiß und unſers glaubens ſtaͤrckung erkennen / die wahrheiten / die wir in dem neuen Teſtament lernen / bereits dorten auch / ob wol etwa dunck - ler / angedeutet ſehen / und dadurch befeſtigt werden / und alſo die vereinigung beider Teſtamenter warnehmen. Der vorzug aber gebuͤhret dem neuen / dar - innen die glaubens-lehren und lebens-regeln am verſtaͤndlichſten und kraͤff - tigſten zu finden. 2. Solle alles leſen billich geſchehen mit hertzlicher an - dacht und gebet / mit achtgebung auff alle worte / und hertzlicher begierde goͤttlichen willen aus dem wort gruͤndlich zu lernen / und nachmal ſorgfaͤltig zu thun. 3. Das erſte leſen / ja wol etliche malige durchleſen / iſt rathſam alſo anzuſtellen / daß man weder gedencke noch ſich bemuͤhe / alles was man lieſet / dißmal zu verſtehen: ſondern nur erſtmal zu faſſen / was auff das aller - deutlichſte und einfaͤltigſte da ſtehet / daß an dem verſtand niemand wol eini - nigerley maſſen zweiffeln kan / mit ausſetzung aller derjenigen ort / welche ei - nige ſcrupul und ſchwerigkeit zu haben ſcheinen. Was aber dermaſſen klar und offenbahr da ſtehet / hat der leſer ſich ſo viel mehr nicht nur in die gedaͤcht - nuͤß / ſondern recht in das hertz zu drucken / und GOTT um ſolche gnade zu bitten: ſolche wahrheiten / was den glauben betrifft / bey ſich ſelbs fleiſſig zu uͤberlegen / und wie mans zu ſeiner ſtaͤrckung gebrauchen koͤnne / zu behertzigen / ſonderlich aber was man vor lebens-regeln erkannt / ungeſaͤumt zu trachten / in das werck zu ſetzen. 4. Wo man etliche mal alſo die ſchrifft durchge - bracht / und nur das leichteſte zu faſſen ſich bemuͤhet / auch ſolches ziemlich in das hertz gefaßt hat / (da ich auch verſichere / daß man in der zweiten / dritten / durchleſung von ſelbs ſchon mehrere ſtellen / die das erſte mal gar dunckel geſchienen / gruͤndlicher einſehen werde / weil man der art zu reden des Heil. Geiſtes ſtets kundiger und gewohnter wird) ſo haͤtte man denn ſein leſen nun weiter fort zu ſetzen / daß man je laͤnger je mehr / jeglicher nach dem maaß das ihm gegeben iſt / die heilige ſchrifft zu verſtehen verlange / und allgemach auch einige ſchwehrere ort mit verſtehen lerne: da moͤgen alsdann anderer chriſtlicher leute ſchrifften auch zum gebrauch kommen / und ſollen nicht ver - achtet werden: da wolte ich denen / die nicht ſtudiret haben / die Weimariſche / oder Oſiandri Bibel / oder auch Crameri, wegen der lehren / nicht mißrathen. Aber wiederum alſo / daß ſie allemal das capitel allein / wie es da ſtehet / leſen / und darauff entweder wo ſie nicht recht fort kommen koͤnnen / oder ſorgen den verſtand nicht recht zu treffen / in ſolchen nachſchlagen / was ſie darinnen vor nachricht finden; oder daß ſie nach jenem leſen / alsdann ſolche erklaͤhrung auch leſen / und alſo dasjenige drauß lernen / was ſie ohne ſolcher chriſtlicher leute anzeige vor ſich ſelbs nicht wuͤrden geſehen haben. Allezeit aber was ſie leſen / ſich bemuͤhen / nicht nur zu wiſſen / ſondeꝛn gleich in das hertz zu faſſen / und ſich dadurch in dem glauben und vertrauen zu GOtt / oder in deſſen liebeund97ARTIC. I. SECTIO XXII. und gehorſam / deſto mehr zu ſtaͤrcken: daher vor / in und nach dem leſen ſtaͤts den Heil. Geiſt um ſein liecht und beyſtand anzuruffen / ſo dann was ſolche dinge ſind / ſo bald in die uͤbung zu bringen. Dieſe art wird denen / die nicht ſtudiret haben / gnug ſeyn / und das goͤttliche wort bey ihnen diejenige zwecke wozu es gegeben / ohnfehlbarlich erhalten / nemlich die befeſtigung in der wahrheit und wuͤrckung der fruͤchten der gerechtigkeit. 5. Was denjeni - gen ſo nicht ſtudiret haben / geſagt iſt / gehet eben ſo wol auff die gelehrte / ſon - derlich was die allgemeine requiſita der leſung angehet mit dieſem unter - ſcheid. 1. Daß dieſe neben ihrem teutſchen ſich des grund-textes ſonderlich zu brauchen / und ihre gewißheit hauptſaͤchlich auff denſelben zu gruͤnden ha - ben. 2. Weil ihnen GOTT mehr gegeben hat / ſo haben ſie auch weiter in der erkaͤntnuͤß zu gehen / oder darnach zu trachten: ſonderlich / welche ſich da - zu bereiten / dermaleins andern das wort der wahrheit ſelbs fuͤr zu tragen; daher ihnen nicht gnug ſeyn will / daß ſie allein / was zu glauben ſeye / verſte - hen / ſondern auch von allem aus dem wort gruͤndliche rechenſchafft / als viel noͤthig ſeyn will / zugeben vermoͤgen. Da will es nun freylich auch noth ſeyn / zuweilẽ commentarios zu beſehen. Jch wuͤſte aber nechſt den obigen keinen ei - nigen allgemeinen commentarium einem zu recommendiren / ſondern es wird wol jeder ſich faſt mehr an die abſonderliche commentatores jeder buͤcher / welche ſich einer mit mehr fleiß zu leſen vorgenommen haben moͤchte / halten muͤſſen. Jedoch unter denen / welche allgemeiner gehen in dem N. Teſta - ment / recommendire ich gern gloſſam Flacii, darinnen gewiß viel ſtattliches und nuͤtzliches ſich findet; die harmoniam Chemnitio-Lyſero-Gerhardianam; Balduinum in Epiſtolas; ſo dann auch in die Epiſtolas minores Eilh. Lubi - num, von dem zwahr ſchad / daß man ihn ſchwehr bekommen kan. Die kleine und kurtze paraphraſis oder erklaͤrung D. Seb. Schmiedten uͤber 13 epiſteln und den Prediger Salomonis / mag auch nicht ohne nutzen gebraucht wer - den. Was aber die uͤbrige abſonderliche commentarios uͤber jede buͤcher an - langt / werden dieſelben ohne zweiffel ohne das gnug bekannt ſeyn. Der HErr gebe allezeit / ſo offt wir mit ſeinem wort umgehen / die gnade ſeines Heil. Geiſtes / der was wir leſen / auch mit lebendigen buchſtaben in die hertzen ſchreibe / oder es da hineinpflantze / wo es bleibe und viele lebendige fruͤchten trage. Den mir communicirten auffſatz von chriſtlicher kinder-zucht habe ich verlangter maſſen durchgeſehen / und mir derſelbe wohlgefallen. Dann ob ich wol meinen mangel geſtehen muß / daß ich von ſchul-arbeit und methodo nicht genau urtheilen kan / nachdem ich weder active noch paſſive in oͤffentlichen ſchulen als ein lehrender oder lernender mich befunden / und alſo keine erfah - rung davon habe / was jede arbeit leichter machen oder befoͤrdern kan / ſon - dern allein ſo viel davon weiß / was ich naturali judicio aſſequire, ſo hatmirNdoch98Das dritte Capitel. doch die ausfuͤhrung ſelbs nach dem zweck / welcher vor augen iſt / eingerich - tet / nicht uͤbel gefallen / ſonderlich da die jugend auch rechtſchaffen zu dem griechiſchen und hebraͤiſchen gefuͤhret wird / und hoffe / es werde die publica - tion theils an einigen orten gelegenheit geben / ſich der nuͤtzlichen vorſchlaͤge zu gebrauchen / theils andere auffmuntern / daß ſie auch mit den ihrigen lieber herfuͤrbrechen / und nach nothwendigkeit der ſachen in commune zu conſulti - ren einen naͤheren anfang machen. Der HERR ſegne die arbeit zu vieler gehofften frucht / und laſſe auch mehr und mehr neben der kirchen / in den ſchu - len ſeinen Geiſt kraͤfftig wuͤrcken / damit in denſelben / die in der tauff demſel - ben vorgetragene und ſeinem bund einverleibte ſeelen / nicht nur mit nuͤtzli - cher erkaͤntnuͤß der dinge / die in dem gantzen leben auch ſonſten ihren nutzen und nothdurfft haben / erfuͤllet / ſondern fuͤrnehmlich in ſtaͤrckung des glau - bens und pflantzung der gottſeligkeit / das heilige bilde Gottes in ihnen mehr und mehr erneuret werde / welches wohl der ſchulen vornehmſte abſicht iſt / und ſeyn ſolle. Ach daß ſie ſtaͤts erhalten / und auch dieſe ſchrifft dazu geſegnet wuͤrde! 1690.

SECTIO XXIII. Etliche fragen von beſtraffung eines Predigers; vorbitte fuͤr die krancken; bleiben bey der communion; ſonntags-mahlzeiten und dergleichen materien zur ſonntags - feyer gehoͤrig.

Die I. Frage.

  • Mann ich leſe 3. Moſ. 19 / 17. du ſolt deinen bruder nicht haſſen in deinem hertzen / ſondern du ſolt deinen nechſten ſtraffen / auff daß du nicht ſeinetwegen ſchuld tragen muͤſſeſt: ob wol ein lay / wenn er in der gemeinde einen Prediger vor ihm im ſtul ſitzen ſehe / welcher nach gehaltenem Gottesdienſt und zwahr unter dem geſang / mit denen andern zuhoͤrern / ſo neben ihm ſitzen oder geſeſſen ſind / von krieges-ſachen redet / ſo gar / daß die ne - ben und hinter ihm ſtehende zuhoͤrer alles horeten / und ſich daran aͤrgerten / und der gedachte lay wartete / bis daß alle leu - te aus der kirche waͤren / ihm dem Prediger derſelben ſtadt / zwiſchen den beyden thuͤren / da ihn niemand ſehen kan / ein mit bleyweiß geſchriebenes zettulein / worauff dieſe wort geſchrie - ben geweſen (mein Herr Paſtor, ich wuͤnſche / daß ſein ſohn / derjetzo99ARTIC. I. SECTIO XXIII. jetzo geprediget / in dem HErrn ferner zunehmen moͤge. Es ha - ben ſich aber die zuhoͤrer vor und hinden E. Wohl-Ehrw. geaͤr - gert / alldieweil dieſelbe gehoͤret / daß ſie mit diſcurſen unter dem gantzen geſang ſich auffgehalten / und das noch von krieges - ſachen) uͤberreichete; frage alſo / wann gedachter lay ſolches zettu - lein ihm dem Prediger / der nicht zu derſelben gemeinde gehoͤ - rig / ohne unterſchrifft zugeſtellt / auch einen ſcrupul zu machen habe / und weil er der Prediger erfahren im nachfragen / wer er iſt / ob er / der ſolches geſchrieben / und ſich wohl gepruͤfet / daß er es nicht gethan / um vor den leuten geſehen zu ſeyn / ſchuldig ſeye / ihn den gedachten Prediger um verzeihung zu bitten; (ver - ſtehe expreſſe darunter / daß er aus liebe zu GOtt und auff - richtigen hertzen ſolches gethan habe) was davon zu halten / auch ob man in der ſchrifft ſolches factum probiren / und mit dem angezogenen loco ſeinen chriſtlichen eiffer behaupten koͤnne?
  • JCh antworte 1. insgemein / daß ich finde / wie die materie von der bruͤ - derlichen beſtraffung eine derjenigen ſeye / daruͤber gottſelige hertzen nicht nur ſich manchen ſcrupul machen / ſondern man ihnen offt kaum eine leichte regel zeigen kan / wie ſie ſich zu verhalten; nicht ob waͤre die ſache an ſich ſo ſchwehr / ſondern weil der bruͤder / (welche eigenliche bruͤder / und an denſelben die beſtraffung gewiß wohl angewendet waͤre) leider ſo gar we - nige auch unter denen / welche ſolchen nahmen euſſerlich tragen / ſich finden / hingegen unter ſolchem titel manche hund und ſaͤue verborgen ligen / da doch gegen jene vornemlich dieſe pflicht geuͤbet zu werden noͤthig waͤre; dieſen aber das heiligthum und die perlen ſolcher beſtraffung Matth. 7 / 6. vorzuwerf - fen / nicht rathſam iſt. Daher ich nicht laͤugne / daß ich davor halte / es ſeye ein gottſeliger menſch / der den nechſten gerne in liebe ſtraffe / wo er vernuͤnfftig vorſiehet / daßer nichts ausrichten / und jener nur aͤrger werden / und zu trutz das boͤſe deſto mehr thun / ihn aber daruͤber angreiffen werde / wohl entſchul - diget / wo er ſolches unterlaͤſſet / indem er weder Gottes ehr / noch ſeines nech - ſten beſtes / zu welchem doppelten ende alle beſtraffung gemeinet iſt / damit zu befordern ſihet.
  • 2. Auff den beſondern fall zu kommen / ſo bemercke erſtlich / daß der Pre - diger mit ſolchem geſchwaͤtz ſich verſuͤndiget. Dann weil der geſang ein nicht geringes ſtuͤck des Gottesdienſts iſt / ſo haben alle / ſo es zu thun vermoͤgen / gerne ſich mit der gemeinde in demſelben zu vereinigen. Wer es alſo unter - laͤſſet / unterlaͤſſet etwas ſeiner pflicht / und ſuͤndiget alſo. Die ſuͤnd wirdN 2auch100Das dritte Capitel. auch ſo viel ſchwehrer durch das geſchwaͤtz von dingen / welche an ſolchem ort / und zu ſolcher zeit / die zu heiligen verrichtungen gewidmet / ſich nicht ziehmen; ſo dann / weil dadurch auch andre in ihrer andacht geſtoͤret wurden / die ſich auch daruͤber geaͤrgert haben. Zu allem dieſem kommt / daß dieſer fehler eben deßwegen / weil er an einem Prediger geweſt / deſto ſchwehrer zu achten iſt / wie insgemein alle derſelben ſuͤnden / vor denen ſie ſich huͤten koͤnnen / vor weniger entſchuldbar / als andrer leute gebrechen zu halten ſind. Alſo ha - ben wir an ihm eine perſon / welche geſtrafft zu werden verſchuldet hat / und dero demnach in dieſem ſtuͤck nicht unrecht geſchehen iſt.
  • 3. Hierbey iſt ferner in acht zu nehmen / daß der zuſtand der perſon / weil es ein Prediger ſeye / ſie von der bruͤderlichen beſtraffung nicht befreyet: dann da die beſtraffung zwey haupt-urſachen hat / die rettung der goͤttlichen verletzten ehre; ſo dann die beſſerung des nechſten / ſo haben beyde urſachen auch bey den Predigern platz: dann weil goͤttliche ehre durch ihre ſuͤnden nicht weniger / ſondern wol gar mehr als von andern entheiliget wird / ver - ſchulden ſie daruͤber auch einen ſo viel ernſtlichern zuſpruch. Weil ſie auch von ihren ſuͤnden gebeſſert zu werden noͤthig haben / iſt man ihnen auch das mittel dazu / ſo in dem beſtraffen ſtehet / ſchuldig / und wie ein Pfarherr ſeines amts wegen / wenn er kranck iſt / nicht ohne artzney gelaſſen werden darff; alſo auch da ſeine ſeele geiſtlicher artzney der ſuͤnden wegen noͤthig hat / muß ſie ihm / auch wol wider ſeinen willen / appliciret werden. Und zwahr darff man nicht gedencken / Prediger doͤrfften von niemand anders / als ihren collegis ge - ſtrafft werden / nicht aber von andern / die nicht in dem amt ſtehen; dann die ſchrifft / da ſie von dem beſtraffen des nechſten oder der bruͤder redet / macht unter den perſonen keinen unterſcheid: ſo ſuͤndiget er auch nicht eigenlich als ein Prediger und aus ſeinem amt / ſondern vielmehr wider ſein amt / da - her ihm dieſes keine freyheit giebet. Wie dann Prediger / ob ſie wol ſonſten unter der Obrigkeit ſind / als unter den gemeinen Landes-vaͤtern / daunoch der Regenten ſuͤnden zu ſtraffen befugt ſind / ſo haben auch dero zuhoͤrer gegen ſie gleiches recht / oder vielmehr ſind ihnen dieſe gleiche liebe ſchuldig: maſſen wir die ſache nicht eigenlich als eine ſtraffe / damit einem weh geſchehen ſolle / ſondern vielmehr als eine wohlthat anzuſehen haben; nur allein / daß bey Pre - digern uñ andern Vorgeſetzten / wo ſie von den untergebenen beſtrafft werden muͤſſen / des amts wegen ſo vielmehr beſcheidenheit zu gebrauchen iſt; wie aus der analogie deſſen / was Paulus ſeinen Timotheum lehret / 1. Tim. 5 / 1. 2. erhellet.
  • 4. Die art zu beſtraffen ſolle allemal alſo eingerichtet werden / daß der nechſte am wenigſten dadurch beſchimpffer / ſondern allein gebeſſert werden moͤge / indem von ſolcher art das meiſte von nutzen zu erwarten iſt; da hinge -gen101ARTIC. I. SECTIO XXIII. gen wo viele beſchimpffung iſt / das gemuͤth gemeiniglich zu zorn erreget / und alſo zur beſſerung unbequemer gemacht wird.
  • 5. Nun auff die ſache ſelbs zu kom̃en / ſehen wir alſo / daß der Prediger ge - fehlet / der andere hingegen macht gehabt hat / denſelben zuſtraffen / und zwahr wie in der frage ausdruͤcklich bedinget wird / ſolches aus gotiſeligem eiffer gethan; dabey das gute vertrauen gegen einen Pfarrherrn haben ſollen / daß er nicht unter die ſaͤu und hunde gehoͤre / welcher wuth man wider ſich nicht reitzen doͤrffe / ſondern einen chriſtlichen bruder / der ſolche liebe mit gleicher liebe auffnehmen wuͤrde. Wir ſehen auch / daß die art des ſtraffens oder erin - nerns unſtraͤflich geweſen / da die worte liebreich lauten / und nichts bitters in ſich haben; ſo dann eine gelegenheit geſucht worden / worinnen derſelbe am wenigſten beſchaͤmet werden koͤnte. Daher ich nicht wuͤſte / ob einer der alles genau examiniren wolte / etwas auch in der art zu tadeln finden moͤchte / es waͤre denn ſache / daß die perſon ſich nicht ſo bald kund gegeben: es kan aber auch ſolcher fehler gantz leicht entſchuldiget werden / indem es gantz guter mei - nung / und aus demuth / mag geſchehen ſeyn; auch dem Paſtori nicht dran ge - legen ſeyn ſolte / wer ihn uͤber eine ſache erinnerte / woruͤber ihn ſein gewiſſen ſo bald ſelbs erinnern ſollen.
  • 6. Hieraus folget / daß der ſogenannte lay nicht ſchuldig ſeye / uͤber die - ſe erinnerung den Paſtorem um verzeihung zu bitten / denn er hat ihm kein leid noch unrecht gethan / ſondern einen liebes-dienſt damit zu erzeigen getrachtet / davor ihm eher chriſtlicher danck / als einiger verweiß gebuͤhrete.
  • 7. Solte aber dergleichen der Prediger mit ernſt prætendiren / waͤre mir ſolches ſehr leid / indem er ſich damit / ſo doch nicht hoffen ſolle / verrathen wuͤrde / daß er die regeln Chriſti / zu deren beobachtung er gleichwol alle ſelbs mit fleiß anzuhalten / und ſie alſo allermaſſen zu loben hat / nicht verſtehe / vielweniger mit dem nachtruck auff dero uͤbung treiben koͤnte / weil er ſie an ſich auch nicht uͤben laſſen will. Da gleichwol wir Prediger uns hertzlich druͤ - ber zu erfreuen haben / wo GOtt ſolche liebe in unſrer zuhoͤrer hertzen gibet / daß wo ſie uns irgend ſtraucheln ſehen / ſie uns mit liebe erinnern / dahinge - gen die unoꝛdentliche ehrerbietung und ſcheue / welche viele gegen uns tragen / und daraus uns nicht / was ihnen an uns mißfaͤllig iſt / zu ſagen getrauen / auch uns ſelbs vielen ſchaden thut / und uns um den nutzen bringet / den wir zu unſrer eignen beſſerung von anderer erinnerung ſchoͤpffen ſolten. Wie ich etliche mal auff der Cantzel publice daruͤber geklaget / daß die Prediger uͤbel dran waͤren / daß zwahr jedermann in der gemeinde auff unſer thun und laſ - ſen genau acht zu geben pflege / ſelten aber jemand uns in liebe dasjenige ſa - ge / was uns zu anderem verhalten dienlich waͤre; indem wir ſo wenig als an - dre bey uns / was uns mangelt / dermaſſen gewahr werden / wie diejenige / dieN 3um102Das dritte Capitel. um uns ſind: daher zugleich die gemeinde mehrmal gebeten / mir und andern ſolchen liebes-dienſt zu erzeigen / und verſichert habe / daß wirs wohl auffneh - men wuͤrden. Wiewol ich dennoch bekennen muß / daß ichs ſelten dahin brin - gen koͤnnen / jedoch den wenigen / die zuweilen mit mir geredet / mich davor zum danck verbunden gehalten habe. Ja wir ſolten ſolches auch deßwegen mehr wuͤnſchen / weil uns / wann dieſes mehr in ſchwang kaͤme / die gelegen - heit gegeben wuͤrde / da jetzt manchmal vieles von uns gemurmelt wird / wor - innen uns unrecht geſchihet / wenn es offenhertzig an uns gebracht wuͤrde / ſo wol der ſachen andere bewandnuͤß den leuten zu unſrer rettung zuweiſen / und alſo ihnen ihre ſcrupel zu benehmen / als auch / wo wir uns ſelbs ſtraͤfflich fin - den / die erinnerung zu unſerm beſten anzunehmen. Ach was vor ein vortreff - liches mittel der beſſerung der kirchen ſolte es ſeyn / wo dieſe liebreiche ver - trauligkeit unter zuhoͤrern und Predigern geſtifftet wuͤrde! So der HERR gebe!

II.

  • Wenn die predigt am ſoñtag vollendet / und der Prediger nach dem allgemeinen gebet die krancken ablieſet / welches offtmals eine hal - be ſtunde und druͤber waͤhret / der lay in ſeinem ſtuhl / mit denen / ſo bey ihm ſitzen / und die predigt nachgeſchrieben haben / dieſelbe mit ihm repeiren / ja wenn ein oder ander locus ſcripturæ ver - ſehen im ſchreiben / die weiber aber / deren maͤnner mit auffge - ſchrieben / dieſelbige loca im nachſchlagen gezeichnet / und in der ſtille / (jedoch daß die zuhoͤrer / ſo vor ihnen ſitzen / nicht gehindert werden im gebet) dieſelbigen anweiſen / damit alles ſo gepredi - get / ordentlich auffgeſchrieben / und hernach zu hauſe mit den ſei - nigẽ wieder repetirt werden moͤge; frage ich alſo / ob ſelbiges wohl zulaͤßig? oder ob man ſchuldig ſeye fuͤr die krancken allein zu bit - ten / und ſolches zu unterlaſſen? ich meines orts / meine nicht un - recht zu thun / daß / ſo bald die gedachten krancken abgeleſen wer - den / jeglicher ein á parte gebet fuͤr ſie thue / und wenn das geſche - hen / dieſes exercitium vor die hand nehme.

HJerauff zu antworten / iſt unterſchiedliches zu mercken: 1. Daß das ge - bet fuͤr jemand insgemein / ſo dann auch fuͤr die beſondere anligen des nechſten / vornemlich aber der im leiden und kranckheit ſtehenden / eine ſolche chriſtliche pflicht ſeye / die aus der liebe des nechſten / und ſonderlich aus der gemeinſchafft der heiligen herflieſſet; ſo wird auch etwas darauff gedeutet Jac. 5 / 14. denn was damals geſchehen mochte von den zu den krancken be -ruf -103ARTIC. I. SECTIO XXIII. ruffenen aͤlteſten / geſchihet mit eben dem grunde auch in der gemeinde / da die aͤlteſte ſolches verlangen derſelben vortragen. So iſt jeglicher begierig / daß auch zu der zeit ſeiner bedoͤrffnuͤß fuͤr ihn abſonderlich / das iſt / mit abſonder - licher richtung des gebets auff ihn / gebetet werde / deswegen andern auch von ſeiner ſeit dergleichen ſchuldig.

2. Daher kan ſich keiner davon ausnehmen / daß er nicht auch in ſeinem gebet ſeine gedancken abſonderlich auff diejenige richte / dero anligen von ſei - nem Prediger auff das begehren der nothleidenden ihm vorgetragen / und er alſo darum gebeten wird. Ja ich zweiffle nicht daran / daß jeder fuͤr dieſelbe nicht nur in der kirchen / ſondern auch zu hauſe zu beten verbunden ſeye.

3. Nachdem aber bey ſolcher menge der krancken / dero in einer groſſen gemeinde gedacht wird / die meiſte kaum von ein und dem andern wiſſen / als daß ſie hoͤren / daß ſolche und ſolche perſonen ſeyen / die dergleichen anligen ha - ben / mag an und vor ſich ſelbs gnug ſeyn / daß man ſolche alle in ſeinem her - tzen in ein gebet einſchlieſſet / und derſelben / die dieſes mal ihre noth haben vor - ſtellen laſſen / zugleich vor GOtt gedencket.

4. Was das anhoͤren der verleſung ſelbs anlanget / ſo geſchihet dieſe al - lein / theils / ſolche perſonen etlicher maſſen kund zu machen / theils / durch ſolche anzeigung chriſtliches mitleiden zu erwecken / damit alsdann das gebet aus ſo viel eiffrigerem hertzen geſchehe / dahero auch das anhoͤren allein dieſen zweck vor ſich hat: hingegen die nothwendigkeit deſſen dahin faͤllet / wo ſol - cher zweck dadurch nicht erhalten werden kan. Nun bey einer ſolchen men - ge einer groſſen ſtadt / werden die wenigſten ſeyn / die daraus die gewiſſe per - ſonen abmercken koͤnnen / fuͤr welche gebeten wird; ſo dann ſind die formuln dermaſſen allgemein abgefaſſet / daß ich nicht eben ſehe / wie das mitleiden da - durch ſo ſonderbar erweckt wuͤrde / welches zuweilen geſchihet / wo ſonderlich in einer kleinen gemeinde die meiſte einander kennen / und von den zuſtaͤnden der mit-Chriſten ohnedas einige wiſſenſchafft haben / daher alsdenn / wo et - was von denſelben auch bey der intimation meldung geſchihet / die erinne - rung die gemuͤther ſtracks zu deſto mehrern mitleiden / und folglich andacht fuͤr ſie zu beten / beweget / daß aber gedachter maſſen bey ſolcher menge nicht platz hat.

5. Dieſer urſach wegen / halte ich einen chriſtlichen zuhoͤrer an ei - nem ſolchen groſſen ort / und wo gedachter maſſen der abſonderliche zweck der anhoͤrung nicht platz findet / nicht ver bunden / daß er eine ſolche mehrere zeit / da er ſie zur erbauung beſſer anzuwenden wuͤſte / gerade mit der zuhoͤrung zu - bringen muͤſte; ſondern glaube gnug zu ſeyn / da er aller derſelben / dero noth der gemeinde jetzo vorgetragen werde werden / anligen in geiſtlich und leibli - chem auff einmal vortraͤget / daß der Vater der barmhertzigkeit und GOttalles104Das dritte Capitel. alles troſtes / ſeinen troſt lebendig in ihren ſeelen verſiegeln / ihr leiden zu de - roſelben beſten richten / und auch in dem euſſerlichen diejenige huͤlffe ihnen er - zeigen wolle / die er ihnen erſprießlich erkenne. Dieſes gebet erreichet den allgemeinen zweck dieſer verleſung / daß ein ſolcher nicht nur insgemein fuͤr alle nothleidende / ſondern in ſpecie fuͤr diejenige / dero jetzt gedacht werde / und zwahr fuͤr eben daſſelbe anligen / davon geredet werde / betet / ob er wol ſolches anligen eben nicht voͤllig weiß / aber auch aus der verleſung und dero anhoͤ - rung wenig mehr davon wiſſen wuͤrde. So iſts doch ein beſonders / und nicht nur bloß allgemeines gebet / daher der abſicht der intimation gemaͤß.

6. Daraus folget / wo man ſolche zeit hingegen kan zu einer dergleichen geiſtlichen uͤbung / die zu der erbauung und nuͤtzlicher anwendung der pre - digt dienſam iſt / widmen / daß ſolches ohne verletzung des gewiſſens wohl ge - ſchehen koͤnne.

7. Solte es aber ſich begeben / daß einige andre ſich daran aͤrgerten / ſon - derlich was einfaͤltige und ſchwache Chriſten ſind / und ihnen moͤchte die ſache nicht alſo beygebracht werden koͤnnen / daß ſie ſich daruͤber zu ruhe zu geben vermoͤchten / ſo wiſſen wir die regel der liebe / die uns Paulus ſonderlich Rom. 14. und 1. Cor. 8. mit mehrerm vorſtellet / welche von uns fordert / daß wir uns auch derjenigen dinge / welche ſonſten an ſich ſelbs nicht verbo - ten / ſondern wohl erlaubt ſind / aber den bruder wegen ſeiner ſchwachheit aͤr - gern moͤchten / eben deswegen enthalten ſollen.

III.

  • Wenn man in andern kirchen die gelegenheit ſolches zu treiben nicht hat / ſonderlich da die nachbarn nicht mit ſchreiben / die boͤſe ge - dancken zu vertreiben / die Bibel leſen moͤge oder nicht?

DJeſe frage hat ihre beantwortung bereits in dem vorigen: nur daß die - ſes noch mit hinzu ſetze / und auch bey dem vorigen hinzugeſetzt haben will; daß ſich ein Chriſt erſtlich pruͤfen und unterſuchen ſolle / ob er durch die anhoͤrung der unterſchiedlichen noth und anligen / mehr als insgeniein geruͤh - ret / und zu bruͤnſtiger andacht getrieben finde; oder ob er / wie aus dieſer frage abzunehmen / daß einiger ihre klag ſeyn mag / ſeine gedancken bald zerſtrenet zu werden fuͤhle. Waͤre jenes erſte / ſo achte ich ihn verbunden / daß er zuhoͤrte / und lieber alles andre unterlieſſe / weil ihn dieſe ruͤhrung GOttes dazu leite - te / und er ſein gebet fuͤr die krancke / dazu er an ſich verbunden iſt / mit ſo viel - mehr nachtruck zu thun / dadurch tuͤchtig wuͤrde: waͤre aber dieſes / ſo ich gleich - wol von den meiſten ſorge / bey einer ſo langen erzehlung allerley anligens; bleibet nicht allein jene uͤbung aus der vorigen frag wiedrum zu rathen / ſon - dern auch in entſtehung deſſelben / das Bibel-leſen / damiter ſein hertz beſſer in der andacht halten wuͤrde. Gleichwol iſt alles wiedrum mit voriger aus -nahm105ARTIC. I. SECTIO XXIII. nahm des falles des aͤrgernuͤſſes zu verſtehen / und auch dieſelbe hie zu wie - derhohlen.

IV.

  • Unter der communion / wenn die wort der einſetzung von dem Diacono abgeſungen / ob der lay nicht mitſinge / ſondern in der ſtille ſolche wort nachſpraͤche / und nach verrichtetem gebet wol moͤge hinweggehen; oder ober ſchuldig ſeye / biß die communi - on gantz aus ſeye / zu bleiben?

1. BEy dieſer frage / da des mitſingens meldung gethan wird / iſt mir dero kirchen gewohnheit nicht bekant / ob ſonſten die gemeinde / oder einige derſelben / ſolche mitzuſingen pflegen; indem mir nicht wiſſend iſt / anders wo von einer dergleichen gewohnheit gehoͤret zu haben: auch nicht leugne / daß mir dieſelbe etwas unformlich vorkaͤme / ſonderlich / weil ſolche wort die Con - ſecration in ſich faſſen / die nicht eigentlich von der gemeinde / ſondern von dem Prediger geſchihet. Daher nicht davor halte / daß andre mitzuſingen / oder auch ſonſten die wort eigentlich / wie ſonſten etwas / was uns der Prediger vorſpricht / nachzuſprechen haben: ſondern man hat allein mit hertzlicher an - dacht denſelben nachzudencken / und ſich / was der HErr damals gethan und geredet / zu erinnern.

2. Das bleiben bey der communion aber betreffende / bekenne ich / daß zwahr keinen austruͤcklichen befehl des HEren habe / daß ich alle glieder der gemeinde zu dero gegenwart dabey / obligiren koͤnte; jedoch achte ich / daß die gemeinſchafft der heiligen / und die wir mit unſern mitgliedern / ſo gerade da - mals communiciren / haben / uns billig dazu antreiben ſolle / daß wir mit den - ſelben fuͤr ihre wuͤrdige communion beten / und nach derſelben mit ihnen dan - cken / auch um die verſiegelung der empfangenen gnade fuͤr ſie bitten / daher ihr geiſtliches gute damit befoͤrdern. Wie wir etwa in dem fall unſrer eignen communion ohne zweiffel wuͤnſchen werden / daß unſrer mitbruͤder mehrere ſeyn moͤgen / welche ihre andacht mit der unſrigen vereinigen / und uns die noͤ - thige gnade erbitten helffen; weßwegen wir uns nicht weniger zu gleicher lie - be gegen ſie verbunden achten ſollen.

3. Jch glaͤube auch / daß das dabeyverbleiben bey der communion / un - ſrer eignen andacht ſehr nuͤtzlich ſeye / indem man allezeit dabey nicht nur die gelegenheit hat / an die theure wohlthat des heil. abendmahls / dero wir auch offt genieſſen / mit andacht zu gedencken; ſondern vornemlich ſich allemal das leiden und ſterben unſers Heylands / zu deſſen gedaͤchtnuͤß dieſes Sacrament eingeſetzet iſt / deſto kraͤfftiger vorzuſtellen / und alſo ſamt den communican - ten den todt des HErrn dabey zu verkuͤndigen. Nun iſt kein articul unſrerOchriſt -106Das dritte Capitel. chriſtlichen lehr / welcher unſern glauben kraͤfftiger ſtaͤrcket / als eben der arti - cul von Chriſti todt / folglich iſt auch keine nuͤtzlichere uͤbung / als deſſen be - trachtung; ferner aber zu dieſer keine bequemere gelegenheit / als bey dem H. abendmahl. Daher ich weiß / daß einige / ſo vorhin eiffrig papiſtiſch gewe - ſen / aber nachmals zu unſrer wahrheit bekehret worden / bekant haben / daß ſie zeit ihrer unwiſſenheit bey der meß / ob ſie wol ſonſten ein aberglaͤubiſcher greuel bey ihnen iſt / offtmal wahrhafftig goͤttliche kraͤfftige wirckungen zum vertrauen auff GOttes gnade / glauben an den Heyland / und inbruͤnſtiger liebe deſſelben / in ſich gefuͤhlet haben: ſo ſie aber darnach erkanten / daß ſie nicht aus der krafft der meß ſelbſten / ſondern aus der betrachtung des leidens und todes JEſu Chriſti / welche bey der meſſe anzuſtellen / einige anleitungen in dem Pabſtthum gefunden werden / her entſtanden ſeyen. Es mag auch wol der anfang / der ſo vielen und taͤglichen meſſen / wie aller andrer mißbraͤu - che des Pabſtthums / erſtlich aus guter abſicht gekommen ſeyn / daß man nemlich den leuten ſo noͤthig geachtet hat / eine ſtaͤte erinnerung des leidens Chriſti und gelegenheit zu dero betrachtung zu machen / als ſie ſtaͤts in den predigten ſonſten zu unterrichten. Dahero dann zu ſolcher bequemligkeit die taͤgliche meß / das iſt / communion / angeſtellet worden / wo auch taͤglich einige der gemeinde wahrhafftig werden communiciret / die andre aber ihre andacht dabey geuͤbet haben / ſo gewißlich eine loͤbliche ſache geweſen / und ge - blieben zu ſeyn / zu wuͤnſchen waͤre; biß nach dem der eiffer der communion er - loſchen / doch die meſſen beybehalten worden / aber daß der ſie hielte / allein communicirte / ſo ſchon der anfang des mißbrauchs war / und die andre nach ſich gezogen hat. Jndeſſen iſts doch ein zeugnuͤß / wie die alte Chriſten die betrachtung des leidens Chriſti ſo hoch gehalten / und dazu demjenigen / wer taͤglich gelegenheit verlangte / dieſelbe haben machen wollen. Nun da wir alſo auffs wenigſte bey der ſontaͤglichen communion ſolche gelegenheit haben koͤnnen / hielte ich davor / daß wir ſie unſerer eignen erbauung wegen nicht ver - ſaͤumen ſolten: glaͤube auch ſchwehrlich / daß wir um ſolche zeit eine unſrer ſee - len erſprießlichere uͤbung anſtellen koͤnten. Solche aber zu befoͤrdern / wolte rathen / wenn nicht etwa unter ſolcher zeit erbauliche lieder geſungen werden / die man mit ſingen koͤnte; oder aber / wenn man ſich nicht ſtarck gnug findet / fuͤr ſich ſelbs allemal ſeine betrachtungen uͤber dieſe wohlthat des leidens Chriſti anzuſtellen / daß man anfangs zwahr einige ſolche betrachtung verſuche / daſie aber nicht von ſtatten gehen will / in der Bibel von der hiſtorie der Paßion / o - der etwas dahin gehoͤriges / oder auch aus gottſeligen buͤchern / betrachtun - gen / andachten und gebet von dieſer materie leſe / und trachte ſeine ſeele aller - dings in ſolches leiden des HErrn / und deſſen frucht gleichſam einzuſencken. Wer dieſes thut / wird gewiß eine geiſtliche krafft davon empfinden / und ſichsnicht107ARTIC. I. SECTIO XXIII. nicht reuen doͤrffen laſſen / wegen folgender ſtaͤrckung ſeines glaubens. Und dieſes iſt ein weg zur ſo offtern geiſtlichen nieſſung des leibes und blutes JE - ſu Chriſti / als wir mit ſolcher andacht der andern Sacramentlichen nieſſung beywohnen.

Alle dieſe angefuͤhrte nutzen hoffe ich von ſolcher wichtigkeit zu ſeyn / daß ſie uns das verbleiben bey der communion angenehm machen ſollen.

V.

  • Ob am werck-tage / wenn die predigt verrichtet / er ſeinen beruffs - geſchaͤfften nachgehend / die ihn forciren / ſchuldig ſeye / fuͤr die krancke mit zu beten / und alſo der ſegen von dem Prediger mit - zunehmen; oder ob er wegzugehen macht habe; oder aber waͤh - render zeit in der Bibel leſen mag?
  • HJerauff erklaͤhre mich dahin: 1. Die geiſtliche verrichtungen ſind nicht dermaſſen an den ſonntag gebunden / ob haͤtten wir die woche damit gar nicht umzugehen / vielmehr wo wir unſre ſeele lieben / werden wir auch in der woche unſern geſchaͤfften einige zeit abbrechen / gleich wie zur privat-andacht / dero unſre ſeele taͤglich ſo wol / als der leib ſeiner nahrung bedarff / alſo auch wo es muͤglich iſt / zu einigem oͤffentlichen Gottesdienſt und verſamm - lung.
  • 2. Jndeſſen verbinden uns die ſonſten zu der gemeinen arbeit gewidme - te wochen-tage nicht mit gleicher ſtrenge zu dem oͤffentlichen Gottesdienſt / wie an dem ſontag / den wir nach vermoͤgen dem HErrn gantz zu widmen ge - halten ſind.
  • 3. Ob alſo wol ſonntags vor geendigtem Gottesdienſt ohne ſonderba - re noth ſich aus der verſammlung vor dem ſchluß zu begeben / nicht ziehmlich ſeyn will / auch faſt gewiſſes anderer aͤrgernuͤß geben doͤrffte; halte ich doch / wo ehrliche geſchaͤfften des beruffs einen chriſtlichen mann trucken / daß er nicht ohne merckliche verſaͤumung das ende der verſammlung auswarten kan / daß er ohne ſuͤnde ſichmit dem gehoͤr goͤttlichen worts und dem gebet ver - gnuͤgen koͤnne / nach dieſem aber ſeinem euſſer lichen beruff nachgehen doͤrffe.
  • 4. Jndeſſen verſtehet ſich doch dabey / daß er insgeſamt fuͤr die krancke / ſo der gemeinde werden vorgetragen / ſein gebet vorher thue / und derſelben auch zu hauß gedencke. Was das Bibel-leſen anlangt / iſt bey der 3. frage meldung geſchehen.
  • 5. Jedoch rathete ich / daß ein ſolcher nicht allezeit hinaus gehe / und bey andern den boͤſen ſchein gebe / als ob er den ſegen gantz verachte: ſondern zuweilen / wo ihn die geſchaͤffte treiben / ſich ſeiner freyheit gebrauche; zu an - dernmalen aber / wo er weniger gehindert iſt / auch zu anderer erbauung drin - nen bleibe.
O 26. Ob108Das dritte Capitel.

VI.

  • Ob ein Chriſt / wenn er am ſonntag zu gaſt gebeten / wol die veſper - predigt verſaͤumen / und zu ſeinem freunde gehen; oder ob er zu hauſe bleiben moͤge / ſintemal er wohl weiß / daß er das gepredig - te wort / des vormittags gehoͤret / bey ihm nicht wieder repeti - ren / und gleichſam wiederkaͤuen kan / und zumalen ſich abſon - dere / alldieweil er die welt-kinder / ſo mit zu gaſt gebeten / nicht frequentiren will?

DJeſe frage haͤlt wieder etlicherley in ſich. 1. Jſt zwahr der liebe ſonntag nicht nur zu der privat-andacht / ſondern nach aller Theologorum faſt einmuͤthiger lehr / hauptſaͤchlich zu dem oͤffentlichen Gottesdienſt eingeſetzet / daher wir uns denſelben ſolchen tag / wo wir ihn zu beſuchen vermoͤgen / auch angelegen ſeyn laſſen ſollen: Jndeſſen koͤnte ich nicht gruͤndlich darthun / daß eben jeglicher an ſolchem tag ſich ſo vielmal / als jedes orts moͤglich / dabey einzufinden verbunden waͤre; ſondern wie er ſich der oͤffentlichen gemeinde nicht entziehen darff / alſo hat er gleichwol zahl und umſtaͤnde / nach denjeni - gen abzumeſſen / wie er es ſeiner erbauung am bequemſten findet.

2. Wer alſo vormittags in der predigt geweſen iſt / und die materie / die er gehoͤret / ſonderlich zu ſeiner aufferbauung dienlich befindet / auch gewahr wird / daßer an derſelben wiederkaͤuung den tag gnug zu thun haben werde; hingegen ſich nur mit weiterm anhoͤren confundiren / und das vorige zu ſei - nem rechten nutzen anzuwenden hindern wuͤrde / der thaͤte nichtwohl / wo er ei - ne nachmittags-predigt beſuchte / weil er damit die erbauung ſeiner ſeele / wel - che der wahrhafftige zweck der ſonntags-feyer iſt / nicht befoͤrdern / ſondern wohl gar verringern wuͤrde.

3. Waͤre aber ſache / daß er vormittag nicht eben dergleichen gehoͤret / davon er ſonderliche erbauung ſpuͤhrete / oder koͤnte doch daſſelbige in kurtzer zeit zu gnugſamer fruchtbringung wiederholen / wolte ich ihm rathen / daß er in der nachmittags-predigt verſuchte / ob ihm GOtt etwas ihm noͤthiges hoͤ - ren laſſen wolte / oder daß er doch die uͤbrige zeit / die er eben nicht nothwendig zu der vorigen wiederholung bedoͤrffte / dahin anwendete: Wie ich insge - ſamt auch dieſen rath gebe / auffs wenigſte zuweilen bey der nachmittags - predigt ſich einzufinden / auff daß die ungleiche meinung / die etwa einige ſchoͤpffen moͤchten / ob verachtete man den nachmittags-Prediger oder ſolchen Gottesdienſt / und alſo das daher beſorgende aͤrgernuͤß verhuͤtet / oder abge - wendet werden moͤge.

4. Die ſonntags-mahlzeiten anlangende / kan ein rechtſchaffener Chriſt durchaus zu dergleichen ſich nicht einfinden / bey welchen er ſolche welt-kinderzu109ARTIC. I. SECTIO XXIII. zu erwarten hat / welche / wo nicht mit offenbar-ruchloſen / jedennoch mit ſol - chen geſpraͤchen / die die erbauung nicht foͤrdern / ſeine ſonntags-feyer verſtoͤh - ren moͤchten: thut er anders / ſo iſt er alsdenn ſelbs in ſchuld / daß ihm nicht nur ſolche zeit verlohren gehet / ſondern auch das etwa morgends gefaſte gute / wiederum verſtoͤret wird / und alſo ſuͤndiget er damit; dabey ich doch diejeni - ge ausgenommen haben will / welche durch ihre autoritaͤt oder gnade / die ih - nen GOTT gegeben hat / auch andre in ordnung zu bringen / oder dabey zu erhalten hoffen koͤnten.

5. Ob aber wol unter gottſeeligen Chriſten auch ſonntags ſolche mittags - mahlzeiten gehalten werden koͤnten / bey denen durch gottſelige geſpraͤche die zeit wohl geheiliget werden moͤchte / und alſo dieſelbe an ſich ſelbs der heili - gung des ſabbaths nicht entgegen waͤren; ſo wolte ich dennoch ſolche auch nicht rathen: nicht nur / weil es etwas ſchwehr zu hoffen iſt / lauter ſolche gaͤſte zuſammen zu bringen / davon man foͤrdernuͤß und nicht hindernuͤß zu erwar - ten hat; ſondern auch um des exempels willen / indem / wenn gottſelige hertzen ſonntags miteinander ſo mahlzeit halten / daß ſie dabey ihrer ſeelen erbauung nicht vergeſſen / ſondern wohl mehr an dieſelbe / als an des leibes ergoͤtzung gedencken / andre welt-geſiñte / welche nur einigen vorwand ihrem welt-leben ſuchen / gar behende ſolche gelegenheit ergreiffen / und ſie zur behauptung ih - res wolluͤſtigen lebens mißbrauchen: wie es nemlich nicht unrecht ſeye / ſonn - tags-mahlzeiten zu halten / und auch daruͤber die veſper-predigten zu verſaͤu - men / dann dieſe und jene bekanntlich gottſelige leute thaͤten dergleichen auch / ob ſie wol nicht dabey gedencken / was groſſer unterſcheid unter ihren und jener mahlzeiten ſeye. Weil wir aber wiſſen / daß dergleichen mißdeutung gemeiniglich folge / ſo will die chriſtliche klugheit / daß man ſich desjenigen ent - halte / was an ſich ſelbs in chriſtlicher freyheit ſtuͤnde / wir aber deſſen miß - brauch ſo bald vor augen ſehen: wo uns immer im ſinne ligen ſolle / was der Apoſtel erinnert 1. Cor. 10 / 23. Jch habe es zwahr alles macht / aber es frommet nicht alles; ich habe es alles macht / aber es beſſert nicht alles.

Der HERR gebe uns allezeit den Geiſt der weißheit und der klugheit der gerechten / in allen ſtuͤcken zu thun / was ſeines willens iſt / und zu verſte - hen / was bey jeglicher gelegenheit zu ſeinen ehren / des nechſten erbauung / und unſers gewiſſens verſicherung / das vortraͤglichſte ſeye / damit wir ſolches alle - zeit thun / und wir ihm darinnen wohlgefallen / Amen.

O 3SECTIO110Das dritte Capitel.

SECTIO XXIV. Vom gebrauch des Heil. Abendmahls und deſſen nothwendigkeit / mit widerlegung der entſchul - digungen.

I.

  • Ob es in unſerer freyen willkuͤhr ſtehe / das heilige Abendmahl zu brauchen; oder wie groß deſſelben nothwendigkeit ſey?

Antwort.

WJr ſagen auff den erſten theil der frage mit einem worte nein; auff den andern aber / es ſeye eine ſolche nothwendigkeit / daß man mit un - terlaſſung des gebrauchs ſich der ſeeligkeit verluſtig machen koͤnne. Solches nun auszufuͤhren / wird davon nicht gefragt / ob niemand jemal ſelig worden ſey / der ſich des Heil. Abendmahls nicht gebraucht haͤtte: denn da iſt ausgemacht / daß ſo viel 1000. lieber altvaͤter vor der einſetzung dieſes Heil. Sacraments in dem alten Teſtament ſelig worden ſind; alſo auch die lieben kinder / welche GOTT vor der zeit / da ſie durch eigene pruͤffung zu die - ſem Sacramente tuͤchtig werden / dahin nimmet. Wiederum diejenigen / wel - che an den orten gefangen / oder ſonſten enthalten werden / da ſie dieſer ſeligen ſpeiſe / nach welcher ſie ſehnlich ſeufftzen / und ſich ſehnen / wider ihren willen nicht habhafft werden koͤnnen / werden freilich ohne dieſen gebrauch ſelig. Dann das ſey ferne / daß dasjenige ſie ausſchlieſſen ſolte / was nicht in ihrer macht ſtehet / und ſie es nicht aͤndern koͤnnen; ſondern GOTT nimmet mit denſelben vorlieb / die ſich derjenigen mittel gebrauchen / welche dem alter und zuſtand zukommen / ob ſie wol von dieſem nicht aus eigenem willen / ſondern aus unvermeidlicher noth ausgeſchloſſen ſind. Aber auſſer dem ſo ſagen wir / daß ſich des heiligen Abendmahls muthwillig zu enthalten / eine ver - dammliche ſuͤnde ſeye / und keiner ſelig werden koͤnne / der in ſolcher beharrlich fortfaͤhret / und ſich ſelbs vorſetzlich des theuren guts beraubet. Solches zu erweiſen / ſehen wir (1.) auff Chriſti befehlich. Hier ſtehet unumbge - ſtoſſen / daß alles dasjenige nicht in unſerer freien willkuͤhr ſtehe / was Chri - ſtus ſeiner kirchen insgemein befohlen. Nun haben wir den ausdruͤcklichen befehl: Eſſet / trincket / und thut ſolches zu meinem gedaͤchtnuͤß / Matth. XXVI, 26. 27. Luc. XXII, 19. 1. Corinth. XI, 24. 25. Die worte zeigen ſelbs den befehlich / und zwahr / daß wirs nicht fuͤr einen be - fehlich / der nur die Apoſtel betroffen habe / haltẽ moͤgen / ſo ſetzet Paulus v. 26. dazu / daß ſo offt wir ſolches thun / ſollen wir dabey den todt des HErrnver -111ARTIC. I. SECTIO XXIV. verkuͤndigen / bis daß er kommet; waͤhret demnach der befehlich alſo lang / als die verkuͤndigung des todes des HErrn / und bis auff ſeine zukunfft. Nun ſolle einem Chriſten genug ſeyn / daß er etwas fuͤr nothwendig halte / wo er den befehlich desjenigen ſiehet / nach deſſen ſeinen geboten er erkennen muß / daß er allezeit ſchuldig ſeye zu leben als der ſein HErꝛ iſt / nicht nur allein wegen der ſchoͤpffung / ſondern auch / weil er ihn noch darzu mit ſeinem theu - ren blute zum eigenthum erkaufft und erloͤſet hat. Wie ſtreng demnach ei - ner Obrigkeit befehlich den unterthanen / eines Herrn gebot ſeinen leibeige - nen ſelaven verbindet / demſelben bey verluſt der gnade nach zu leben; alſo ſtreng ſind wir auch / wie zu andern befehlen Chriſti / alſo auch zu dieſes ſei - ner beobachtung verbunden: ja noch ſo vielmehr / ſo viel genauer unſere pflicht gegen Chriſto iſt / als einiges unterthanen und leibeigenen gegen ſei - nen HErrn ſeyn koͤnte. Es will ja ein jeglicher Herr / je hoͤher derſelbe iſt / ſo viel genauer auch ſein gebot beobachtet und gehalten haben: wie vielmehr dann der / dem alles neben uns zu gebot ſtehen muß / und wuͤrcklich ſtehet. Wie nun die hoheit des befehlendẽ den befehlich ſo viel wichtiger machet / alſo auch die uͤbrige umſtaͤnde / indem wir ſehen / daß es ein befehlich ſey / wobey der HErr nicht ſo wol ſeinen nutzen / als unſer heyl ſuchet. Nun kan einem gutthaͤtigen Herrn kein groͤſſer ſchimpff und verdruß wiederfahren / als wo er jemand gutes thun / derſelbe aber ſolche gutthat nicht annehmen will / ſon - dern von ſich ſtoͤſſet. Hierdurch haͤlt ſich ein ſolcher mehr beſchimpfft / als mit unterlaſſung eines andern befehlichs / der allein ſeine eigene ſache betrifft. Ja wo gleichwol einige liebe bey einem Chriſten gegen ſeinen Erloͤſer iſt / ſo iſts unmoͤglich / daß er an nothwendigkeit desjenigen befehlichs Chriſti zweiffeln ſolte koͤnnen / welchen er gethan um die zeit / da er aus bloſſer liebe gegen uns jetzo dem todt entgegen ging / und uns noch vorhin dergleichen liebes-mahl zu ſeinem andencken ſtifften wolte. Dann wie ſolte dieſe liebe nicht mehr um uns verdienen / als daß wir auch den befehlich nicht einmal nothwendig achten wolten / die uns von ihm hier zu genieſſen gegeben wird. (2.) Erhellet ſolche nothwendigkeit auch aus demjenigen zwecke und nutzen / um welches willen das heilige Abendmahl eingeſetzet iſt. So vielfaͤltig alſo die jenigen ſind / ſo viel neue urſachen dieſer nothwendigkeit werden wir antreffen. Chriſtus der ſuchet auff ſeiner ſeiten nichts anders durch dieſes heilige Sa - crament / als das zeugnuͤß ſeiner liebe / die er hiermit erweiſen will / ſo groß zu ſeyn / daß er auffs innerſte ſich mit unſer ſeelen und leibe vereinigen wolle / und das gedaͤchtnuͤß ſeines aus trieb ſolcher liebe fuͤr uns ausgeſtandenen todes. Dahero dann wir dieſelbe liebe auch hierinnen zu preiſen / und ſeinen tod nach Pauli worten 1. Cor. XI. zu verkuͤndigen haben. Wer es alſo nicht thut / der verachtet die liebe Chriſti / und ſeinen tod ſelbs: indem er dasmittel112Das dritte Capitel. mittel verachtet / durch welches ſie von ihm ſolte geprieſen werden / ja verſagt hiermit dem HErrn den vornehmſten dienſt / darinnen er ſeine ehre ſuchet / womit er eben / ſo viel an ihm iſt / dieſelbe ſchmaͤlert / und den HErrn um ſolche frucht ſeiner arbeit bringen will / mit greulicher undanckbarkeit / davor billich ein jeglich chriſtliches hertz / auch an ſolche verachtung nur zu gedencken / ſich entſetzen ſolle. Auff unſer ſeiten aber ſind der abſichten in dem heiligen Abendmahl unterſchiedliche / ſo viel nemlich der fruͤchte deſſelben ſind. Wann alſo (1.) die vergebung der ſuͤnden im heiligen Abendmahl zu ſuchen iſt / indem uns die pfande gereichet werden / wodurch ſolche vergebung verdie - net iſt worden: ſo zeiget ſolches auch die nothwendigkeit dieſer heiligen hand - lung. Wir finden in unſern gewiſſen ſuͤnde genug / und fuͤhlen auch die wie - dergebohrne und gottſelige Chriſten taͤglich allerhand unvollkommenheiten an ſich / welche ſie nach dem geſetz fuͤr ſuͤnde erkennen muͤſſen / dahero taͤglich derſelben vergebung beduͤrffen. Wie alſo nun ein krancker / der von ſeiner kranckheit befreyet zu werden vonnoͤthen hat / eben deßwegen der artzney be - darff: alſo wer der vergebung der ſuͤnden bedarff / der bedarff auch des mit - tels derſelben. Denn daß es damit nicht ausgemacht ſey / daß man ſage / es ſeyen noch ohne das heilige Abendmahl mehrere mittel der vergebung / der man in ermanglung des einigen ſich bedienen und getroͤſten koͤnne / ſoll nach - malen beantwortet werden. Und in dieſem verſtande heiſt das heilige Abendmahl recht eine geiſtliche artzeney fuͤr die ſuͤnden / die nicht weniger nohtwendig iſt / als die leibliche fuͤr leibliche ſchaͤden. So vielmehr / weil es nicht nur eine artzeney iſt / damit die begangenen ſuͤnden geheilet / ſondern auch wir vor weitern verwahret werden: denn es iſt das heilige Abendmahl (2.) auch eine geiſtliche ſtaͤrckung. Wir wiſſen / daß wir von natur verder - bet und untuͤchtig ſind / etwas gutes von uns ſelbs zu thun / ſo werden auch die kraͤfften / die in der tauffe / und durch allerhand geiſtliche mittel uns von GOTT zu unſers Chriſtenthums und guten wandels fortfuͤhrung verlie - hen worden / offt gar ſchwach / und nehmen wir in denſelben ab. Die muͤſſen nicht nur taͤglich durch die ſpeiſe goͤttlichen worts / ſondern nach unſe - rer noth bewandnuͤß / zuweilen auch mit kraͤfftiger artzeney ſtaͤrckung wieder erſetzet werden. Wir beduͤrffen auff unſerer reiſe nach dem himmliſchen va - terland derſelben wohl / weil die reiſe ſo gefaͤhrlich / als lang iſt. So iſt aber dieſes das brod / in deſſen krafft wir mit Elia an den berg Gottes Horeb moͤ - gen gehen / 1. Reg. XIX, 8. wie die alten ſich mit ſolchem gleichnuͤß beluſti - get haben. Alſo auch muͤſſen wir leben in ſtetem kampff / da Geiſt und fleiſch wider einander ſtreiten / Gal. V. Hie gehoͤren einmal ſtaͤtig neue kraͤfften dazu / daß wir nicht / weil das fleiſch auch ſo offt neue kraͤfften bekoͤmmt / als wir ihm zu gefallen etwas boͤſes thun / gar uͤberwunden / und niedergelegetwer -113ARTIC. I. SECTIO XXIV. werden. Nun iſts an dem / daß keine edlere ſtaͤrckung ſeyn kan / als dieſer heilige genuß des leibs und bluts Chriſti. Denn ſoll ein Chriſt recht in ſeinem Chriſtenthum ſtehen / wie ſichs gebuͤhret / ſo muß er ruͤhmen koͤnnen mit Paulo Gal. 2 / 20. daß er nicht mehr bloß lebe / ſondern Chriſtus lobe in ihm. Soll nun Chriſtus in uns leben / ſo muß / weil wir ſein leben in uns offt mit ſuͤnden ſchwaͤchen / er immer auffs neue mit uns / und wir mit ihm ver - einiget werden / ſo in dem heiligen Abendmahl geſchiehet / da er alle mal wie anffs neue bey uns einziehet / alſo auch auff das neue bey uns zu leben an - faͤnget / oder doch ſein leben bey uns geſtaͤrcket wird. Es iſt der leib des leben - digen HErrn / den wir empfangen / viel kraͤfftiger uns das geiſtliche leben zu geben / und darinnen weiter zu beſtaͤrcken / als jene todtenbeine des Propheten / die gleichwol wunderthaͤtiger weiſe den todten leichnam leiblich lebendig machten / 2. Reg. 13 / 21. Und kan hierinnen kein zweiffel ſeyn / dann weil / wo GOtt iſt / ſeine gegenwart nie muͤßig oder unkraͤfftig / ſondern allezeit kraͤff - tig und wuͤrckend iſt / ſo iſt auch Chriſtus / der ja bekantlich in dem heiligen Abendmahl zu uns und in uns koͤmmt / gleichfals nicht muͤſſig oder tod bey uns / ſondern ſein leben iſt ſtaͤrckend unſer leben / welches die 3 frucht des heilt - gen Abendmahls wohl mag genennet werden / nemlich die vereinigung Chri - ſti: davon aber nachmal unzaͤhlich anderes geiſtliches gutes flieſſet. Es flieſſet daher die vermehrung der gnade des heiligen Geiſtes / der ein Geiſt Chriſti iſt / und bey dem wohnet / wo er iſt; bruͤnſtigere andacht zum gebet und goͤttlichem wort / eifferiger antrieb zu allem guten / freudiger troſt in allem anligen / und alſo der rechte vorſchmack des ewigen lebens. Welche wuͤrckungen / wie ſie billich dem heiligen Abendmahl zugeſchrieben / auch aus demſelben offt von glaͤubigen Chriſten gefuͤhlet werden / und daher uns ja al - len noͤthig ſind / alſo gleichwie von dem haupt in die glieder ſtaͤtig eine leben - dige krafft eingehet / alſo auch auff uns. Zum 4. ſo iſts abſonderlich eine bekraͤfftigung unſers glaubens / welcher / wie er offt ſtaͤrckung bedarff / alſo nicht nachtruͤcklicher kan dieſelbe empfangen / als wo er ſelbs ſeinen Heyland / davon er ſeine ſeeligkeit allein zu erwarten hat / empfaͤnget und zu ſich be - koͤmmet / ja ihn in dieſer abſicht empfaͤnget / wie erfuͤr uns ſich ſelbs gege - ben / ſeinen leib in den todt gelieffert / und ſein blut vergoſſen hat. Daß alſo durch daſſelbe nicht allein der todt und das verdienſt Chriſti / als unſers glaubens einiger ſchatz / uns gleichſam vor augen allemal gemahlet und gele - get / ſondern jeglicher leben damit verſichert wird / es gelte auch ihm / weil ihm der HErr es ſelbs darreichen laſſe. Daher / ob wol das heilige Abend - mahl nicht eigenlich ein opffer iſt / ſo iſts doch die innige heylſame wieder - gedaͤchtnuͤß des fuͤr uns geleiſteten opffers / welche uns in unſerm gewiſſen alles das verſigelt / und im glauben zu eignet / was wir ſeiner gebeſſert ſeyn. PDie -114Das dritte Capitel. Dieſes ſind nun neben andern mehrern die fruͤchte des heiligen Abend - mahls; welche / weil ſie ſo bewandt ſind / daß ein Chriſt derſelben guͤter be - darff / alſo genugſam erweiſen / wie noͤthig denn das heilige Abendmahl ſeye: daß alſo wiederum auch aus dieſer abſicht wir daſſelbe nicht / ob waͤre es in unſer freyen willkuͤhr geſtellet / ſondern als hoͤchſt noͤthig / anzuſehẽ haben. Zu angezogenem koͤmmt noch (3) ein neues argument, das zeugnuͤß unſer einig - keit mit der chriſtlichen kirchen / vor dero glieder wir uns bekennen. Es iſt an deme / daß das heilige Abendmahl auch als das band der liebe und einigkeit zwiſchen den gliedern der chriſtlichen kirchen eingeſetzt iſt: Paulus ſaget 1. Cor. 10 / 17. Wir ſind viele ein leib / dieweil wir alle eines brods theil - hafftig ſind. Alſo hinwiederum ſollen dann auch alle / die da ein leib / und alſo der chriſtlichen kirchen mitglieder ſind / von einem brod theilhafftig werden: und wer deſſelbigen ſich nicht theilhafftig machen will / der reiſſet ſich damit ſelbs von der gemeinſchafft der kirchen. Nun iſts ein herrliches werck um der kirchen gemeinſchafft / die die gemeinſchafft der heiligen in dem Apoſtoliſchem glauben genennet wird / indem ſie machet / daß ein jeg - liches der glieder der kirchen recht und anſpruch an das gebet und alles das gute hat / was ſein mitglied hat und thut. Nun beſtehet zwahr dieſelbe gemeinſchafft in allen goͤttlichen gutthaten insgeſamt / deren die kirche ge - nieſſet; ſie iſt aber nirgends ſcheinbahrer / als in dem heiligen Abendmahl / daß alſo billich daſſelbe fuͤr das vornehmſte mittel / wie der vereinigung un - ſerer mit unſerm haupt Chriſto / alſo auch der vereinigung zwiſchen den glie - dern ſelbs / zu halten iſt. Daher billich dieſes fuͤr eine der guͤltigſten pro - ben bey allen religionen gehalten wird / daß man die kirche fuͤr die wahre kir - che erkenne / bey dero man das heilige Sacrament empfaͤhet / und dennoch der empfang gleichſam die thaͤtliche bekaͤntnuͤß iſt. Woraus in dem ge - gentheil zu ſchlieſſen ſtehet / daß derjenige die kirche nicht allerdings fuͤr die rechte erkenne / oder doch von derſelben nicht fuͤr ein wahres glied zu erken - nen ſeye / welcher bey einer kirchen ſich des oͤffentlichen zeugnuͤſſes / damit wir unſere einigkeit in Chriſto bezeugen / enthaͤlt. Daraus ferner flieſſet / daß alſo ein ſolcher menſch der nutzbarkeit des gebets / und uͤbriger allgemeiner kirchen-guͤter ſich verluſtig mache durch ſothanen riß / da er ſich von dem uͤbrigen geiſtlichem leibe Chriſti abſondert und zwahr mit eigenem ſchaden / a - ber noch groͤſſerem aͤrgernuͤß anderer leute: Jndem der ſchwache hierdurch in ſchweren anſtoß geſetzet wird / dieweil wenn ſie dergleichen leute / ſonderlich da ſie euſſerlich einen vor der welt erbaren wandel fuͤhren / ſich des heiligen Adendmahls zu enthal en ſehen / gantz daruͤber irre werden / und nicht wiſſen / was ſie gedencken ſollen / wo ſie nicht gar endlich durch dergleichenexem -115ARTIC. I. SECTIO XXIV. exempel zu gleichem uͤbel verleitet werden. Ruffet denn nun Chriſtus Matth. 18. ſo ernſtlich das wehe aus uͤber diejenigen / durch welche einer ſeiner geringſten geaͤrgert wird / und iſt man offt ſchuldig um verhuͤtung des aͤrgernuͤſſes das zu thun / worzu man ſonſt an und fuͤr ſich ſelbs nicht ver - bunden waͤre / und was mittel-dinge ſind: wie vielmehr hat man dann dasje - nige nicht aus der acht zu laſſen / worzu man ohne das aus Gottes befehl mit hoͤchſtdringenden urſachen verbunden wird / und alſo / welches an ſich noͤthig iſt / da wir ſehen / daß wir auch noch durch unterlaſſung hefftiges aͤr - gernuͤß ſtifften wuͤrden. Da alſo nicht nur die liebe / die wir gegen GOtt / ſondern auch die wir gegen den nechſten haben ſollen / uns die nothwendig - keit dieſes wercks zu erkennen geben ſolte. Aus welchem allem ſchließlich erhellet / daß alſo freilich des heiligen Abendmahls ſich zu gebrauchen / nicht in unſerm willen ſtehe / ſondern Gottes befehl / deſſelben nutz und zweck / war - um es eingeſetzt; ſo dann die ſchuldige einigkeit der kirchen-glieder / oder aus dem gegentheil entſpringendes aͤrgernuͤß es allerdings noͤthig mache / und deßwegen niemand in dem ſtande / wo man deſſen kan theilhafftig wer - den / ſich deſſelben ohne gefahr der ſeligkeit zu enthalten vermag.

Die andere Frage.

  • Ob wir dadurch von dem gebrauch des heiligen Abendmahls ent - ſchuldiget werden / weil wir ſonſt der uͤbrigen goͤttlichen mittel uns gebrauchen; ſonderlich das goͤttliche wort fleiſſig hoͤren / und die heilige abſolution / wie dieſelbe oͤffentlich allen bußferti - gen insgemein geſprochen wird / annehmen?

OB ſchon ſattſam erwieſen / wie nothwendig das werck an und fuͤr ſich ſelbs iſt / ſo wuͤrde es doch nicht genug ſeyn / wo nicht auch einige hinder - nuͤſſen aus dem weg geraͤumet werden / um welcher willen ein und andere ſich dieſes noͤthigen mittels ihrer ſeligkeit enthalten / und derenthalben ge - nug meinen entſchuldiget zu ſeyn. Unter denſelben mag wohl dieſes die erſte ſeyn: wenn einige damit gedencken ſich zu vertheidigen / daß GOtt ohne das heilige Abendmahl auch die uͤbrige mittel eingeſetzt habe / ſonderlich ſein hei - liges wort / aus deſſen anhoͤrung / und daraus annehmenden troſt und abſo - lution ſie wohl alles haben koͤnten / was zu ihrer ſeligkeit vonnoͤthen ſeye; und moͤchte alſo die unterlaſſung des einigen mittels / welches durch andere er - ſetzt werde / ihnen nichtes ſchaden. Vorausgeſetzt deſſen / daß wirhier re - den / wie bey der erſten frage bemercket worden / von denen / die da das heili - ge Abendmahl haben koͤnnen / ſo beantworten wir die frage mit runden nein. Esſollen zwahr die uͤbrige mittel / goͤttliches wort und die abſolution desP 2heili -116Das dritte Capitel. heiligen Evangelii / die nach allgemeiner verkuͤndigung denjenigen billich zum troſt dienen / die da des heiligen Abendmahls aus unvermeidlichen hindernuͤſſen nicht koͤnnen theilhafftig werden / ob ſie ſchon darnach hertzlich ſich ſehnen; nicht aber diejenigen in ihrer haͤrtigkeit beſteiffen / welche meh - rere mittel haben koͤnten / und ſich ſelbs derſelben berauben. Dann nicht da - von zu ſagen / daß ſolche leute hiermit Gottes des HErrn ordnung ſtill - ſchweigend ſtraffen / indem ſie dieſelbe fuͤr unnoͤthig und alſo uͤberfluͤſſig zu ihrem heyl achten zu ſeyn / die doch GOTT angeordnet / und aber / was er ordnet / loͤblich und herrlich iſt / Pſalm 111, 3. So ſtehet 1. Chriſti befehl noch feſt / und wird durch dieſe entſchuldigung nicht auffgehoben. Der HErr ſprach zu ſeinen juͤngern / eſſet und trincket / auch um die zeit / da ſie die uͤbrige mittel ihres heyls eben ſo wol hatten. Alſo die Corinther hatten ſie auch / gleichwol laͤſſet Paulus 1. Cor. 11. den befehl der worte der einſetzung auch ihnen guͤltig ſeyn. Es ſtehet uns nicht zu / wie in andern goͤttlichen geſetzen / alſo auch in den befehlen / die zu unſer ſeligkeit gehoͤren / und die mittel dazu betreffen / mit GOtt dem HErrn daruͤber zu accordiren / daß wir ihm zwahr in dieſem und jenem folgen / hingegen nach belieben an - ders auslaſſen wolten. Es iſt vielmehr eine kette zwiſchen allen goͤttlichen geboten / die alſo an einander haͤngen / daß keines uͤbertreten wird / daß nicht die gantze kette auffgeloͤſet wuͤrde: ſonderlich wann es gar mit dieſem vor - wand verknuͤpffet / daß mans nicht fuͤr noͤthig halte zu ſeyn / welches recht das auffloͤſen iſt / Matth. 5 / 19. und Gottes des HErren ehre viel empfind - licher verletzet / als ſonſt andere uͤbertretungen. 2. So bleibet gleichfals auch die urſach der nothwendigkeit / ohnerach et dieſer entſchuldigung / ſte - hen / welche von dem zweck und fruͤchten des heiligen Abendmahls genom - men wird. Weil dann nun Chriſtus darinnen das zeugnuͤß ſeiner liebe und ſeines todes von dir ſuchet / biſt du ſchuldig ihm ſolche nicht zu verhalten. Dann ob du ſchon bezeugeſt / aus ſeinem wort und deſſen anhoͤrung ſeiner liebe zeugnuͤß zu nehmen / und ſolches mit bekaͤntnuͤß / gebet und geſang auch von dir vernehmen zu laſſen: So thuſt du zwahr etwas / das du auch ohne das ſchuldig biſt / aber du thuſt gleichwol dasjenige noch nicht / was eben ſo wol Chriſtus von dir fordert; wann er dann von dir auch ſolch wuͤrckliches zeugnuͤß haben will / welches durch das muͤndliche zeugnuͤß nicht auffgeha - ben wird / ſo kan auch ſolches muͤndliche zeugnuͤß ihm nicht gefaͤllig ſeyn / oder als guͤltig von ihm angeſehen werden / aus anſehung deſſen / daß du ihm das andere / das er von dir auch fodert / verſageſt. Es ſtehet ja dem HErren frey / ſeinen dienſt alſo von dir zu fordern / wie es ihm gefaͤllet / nicht wie dirs beliebet: alſo iſt es ja in des HERREN macht geſtanden / die art undweiſe117ARTIC. I. SECTIO XXIV. weiſe vorzuſchreiben / mit welcher er wolte ſeine liebe von dir geehrt / und ſei - nen todt verkuͤndiget haben. Du aber kanſt dich ſolches gethan zu haben nicht ruͤhmen / wo du es nicht auff die von ihme vorgeſchriebene weiſe thuſt. Die fruͤchte / ſo wir daraus ziehen / belangend / weiſen ſolches auch. Die vergebung der ſuͤnden wird zwahr freylich durch das wort des Evangelii und die H. abſolution ertheilet; aber ſolten darum andere mittel vergebens und uͤberfluͤßig ſeyn / welche GOtt zu dieſem zwecke eingeſetzet hat? das ſeye ferne. Wer bey ſeinem alter noch bekehret wuͤrde / dem wuͤrden gleich / ver - moͤge ſeines glaubens / und glaubiger annehmung des Heil. Evangelii / ſeine ſuͤnden vergeben: Solte man aber darum ihn nicht auch getaufft haben zur vergebung ſeiner ſuͤnden / weil ihm dieſelbe ſchon vergeben ſind. Das wuͤr - de niemand ſagen. Alſo auch hier bedarff der doch auch nach goͤttlicher ord - nung des H. Abendmahls zur vergebung der ſuͤnden / der dieſelbe auch in an - dern mitteln empfaͤnget. Es verhaͤlt ſich hie nicht mit den geiſtlichen mitteln / wie mit den leiblichẽ / da ein krancker / ſo numehro duꝛch eine aꝛtzeney von ſeiner kranckheit gantz befreyt iſt / nicht bedarf / von derſelben auch durch andere artze - neyen frey zu werden; aber bey uns menſchen in dem geiſtlichen / entſtehen nicht allein taͤglich neue urſachen und neue zufaͤlle / die immer neue artzeneyen erfordern / ſondern es wircken auch die neue mittel mit muthwilliger unter - laſſung der andern / dasjenige nicht / welches ſie wircken ſolten; indem dieſelbe unterlaſſung ſelbs wieder eine neue kranckheit und ſuͤnde iſt. Davon bald. Al - ſo iſts freylich auch an dem / daß wir durch das heilige wort GOttes geſpei - ſet / und demnach in dem neuen leben ordentlicher weiſe geſtaͤrcket werden; indeſſen aber wird darum das H. Abendmahl nicht unnoͤthig. Es geſchie - het im leiblichen wol / daß der menſch ſich nicht genug mit gewoͤhnlicher ſpeiſe und tranck ſtaͤrcket / uñ dadurch zu kraͤften kom̃en kan / ſondern dazu eineꝛ artze - ney / ſo auch nicht jeglicher artzeney / ſondern vor andern einer koͤſtlichẽ artzeney beduͤrfftig iſt: So verhaͤlt ſichs auch hier / daß wir nicht allemal mit der ſpei - ſe und taͤglichen artzeneyen des worts GOttes gnug haben koͤnnen / ſondern auch noch koͤſtlicheren mittels bedoͤrffen / das wir in dem H. Abendmahl em - pfangen. Gleicher maſſen verhaͤlt ſichs auch mit der einwohnung CHriſti / und bekraͤfftigung unſers glaubens / die freylich auch und vornemlich durch das wort und deſſen anhoͤrung gewircket werden / aber dazu die H. Sacra - menta nicht allein auch herrlich helffen / ſondern es wohl zuweilen dahin kom - men kan / daß ohne dieſelbe dieſe ſonſt durch das wort erlangende guͤter / nicht erlanget werden koͤnnen / ſonderlich wenn die eigentliche verachtung dazu koͤmmt / von dero in der letzten frage. Wenn ein groſſer Fuͤrſt uns ſeiner gna - de mit brieff und ſigel verſicherte / wir ſagten aber / ey wir wolten des ſigels nicht / ſondern wolten bloß ſeinem wort und brieff trauen / riſſen alſo das ſigelP 3ab;118Das dritte Capitel. ab; da wuͤrde / wie die verſigelung des brieffs vorhin von ſeiten des HErrn eine ſonderbare gnade geweſen war / derſelben verwerffung zum hoͤchſten ſchimpff angezogen / und mit ſtraffe angeſehen werden. Das thun aber die - jenige / die zwahr in hoͤrung goͤttlichen worts wollen GOtt dem HErrn glauben / aber das ſigel / das H. Abendmahl / ſo der HErr daran gehencket hat / ſo viel an ihnen iſt / abreiſſen. Alſo iſts auch (3) damit bewandt / wo wir die nothwendigkeit des H. Abendmahls gezeigt / wegen des zeugnuͤſſes unſerer einigkeit mit der chriſtlichen kirchen. Einmal die muͤndliche bekaͤntnuͤß zu unſerer kirchen iſt noch nicht gnug / wo man zu der wuͤrcklichen ſich nicht verſtehen will: ſonderlich wird dem aͤrgernuͤß nicht geſteuret. Ja es wer - den ſich viele an demjenigen mehr aͤrgern / der in dieſem einigen ſtuͤck von der kirchen ſich zuruͤcke zeucht / dabey aber in andern ihr glied ſeyn will / und den ſchein eines gottſeligen lebens hat / als uͤber einem oͤffentlichen veraͤchter GOttes. Denn auff dieſen gibt man weniger acht / und weil er bekaͤntlich ein boͤſer menſch iſt / wird ſein exempel nicht viel geachtet / ſondern ein jeder weiß / was man an ihm hat. Aber je mehr die ſonſt ſcheinende froͤmmigkeit von einem ſolchen menſchen andere einnimmt / daß ſie gutes von ihm halten / je mehr ſtoſſen ſich ſchwache daran: es muͤſſe einmal nicht ſo noͤthig ſeyn / was ja dergleichen gottſeeliger menſch unterlaſſe / der in andern dingen ſich ſo chriſtlich bezeuge. Da gibts ſcrupel / und viel gefaͤhrliche anfechtungen / da - her aber von jener ſeiten ein ſchweres gegebenes aͤrgernuͤß. Jſt alſo hieraus zu erkennen / daß alles dasjenige / was droben die nothwendigkeit des H. A - bendmahls zu bezeugen angefuͤhret worden iſt / von dieſer entſchuldigung durchaus nicht auffgehaben werde / und daher dieſelbe nothwendigkeit aller - dings feſt ſtehen bleibe. Dazu denn noch billich zu ſetzen / daß wir ſagen moͤ - gen / weil ein ſolcher menſch in einem erweißlichen ſuͤnden-ſtand ſtehet / ſo nutzen auch demſelben die uͤbrige mittel der ſeligkeit ſo lange nicht / als lang er in der unterlaſſung deſſelben mittels hartnaͤckig beharret. Das H. wort GOttes verſpricht vergebung der ſuͤnden allen bußfertigen ſuͤndern / und wer ſolche verheiſſung annimmt / der hat ſie gleich in derſelbigen ſelber. Aber wir koͤnnen die nicht fuͤr bußfertige ſuͤnder erkennen / die die verſaͤumung ſol - cher ihrer obliegenden pflicht ihnen nicht laſſen leid ſeyn / deſſen zeugnuͤß ge - nug daran zu ſehen / weil ſie ſie entſchuldigen / und durch erinnerung davon abzuſtehen nicht koͤnnen bewogen werden. Dieſes iſt alſo eine ſtets in ih - rem hertzen herrſchende ſuͤnde / welche ſie aus dem ſtande der buſſe ſetzet / und ſind ſie alſo der vergebung der ſuͤnden nicht faͤhig. Und ob ſie wol etwa die verheiſſung des Evangelii auff ſich ziehen / thun ſie es mit unrecht / und be - triegen ſich damit ſelbs / ſo lang / biß ſie ſolchen ſtein / der in dem weg lieget / dieſe ſuͤnde / von ſich ablegen. Bleibet alſo dabey / daß dieſelbe leute nichtnur119ARTIC. I. SECTIO XXIV. nur mit denen ordinari brauchenden mitteln der H. abſolution, und des wor - tes GOttes auch ſchuldig ſeyn / des H. Abendmahls ſich zu gebrauchen / ſon - dern daß in unterbleibung deſſelben / die uͤbrige mittel alle insgeſamt ihnen nichts nutzen / ſondern vielmehr ihren ſtand ſo viel gefaͤhrlicher machen / und ihr verdammnuͤß vermehren koͤnnen.

Die dritte Frage.

  • Ob unſere unwuͤrdigkeit uns von dem H. Abendmahl abhalten / und ſolche entſchuldigung angenommen werden ſolle?

ES verſtellet ſich der teuffel auch in einen engel des liechts / 2. Cor. 11 / 14. und ſuchet alſo offt bey uns / wo er uns zu etwas boͤſes verleiten will / daſſelbe durch dergleichen urſachen / die nicht allein bey andern / ſondern auch wol etwa bey uns ſelbs zuweilen das anſehen der gottſeligkeit haben / zu we - ge zu bringen: ob wol in der that man ſich ſelbs betrieget. Dazu gehoͤret auch gegenwaͤrtige entſchuldigung / wo unſer fleiſch uns uͤberreden will / daß / weil wir allerhand ſuͤndliche ſchwachheiten an uns haben / ja derſelben nie - mal uns voͤllig entbrechen koͤnnen / wir wegen ſolcher unwuͤrdigkeit uns nicht unternehmen ſollen / zu ſolchem H. tiſch uns zu nahen / und daſelbs den leib und blut des allerheiligſten zu genieſſen; weil ausdruͤcklich Paulus 1. Cor. 11. uns warne / nicht unwuͤrdig hinzuzugehen. Lautet das nicht eine gottſelige entſchuldigung zuſeyn / daß man ſich zu unwuͤrdig halte / einer dergleichen ho - hen ehre / Gottes ſelbs / theilhafftig zu werden. Dieſe demuth ſolte man mei - nen GOtt wolzu gefallen. So ſolte man auch meinen / man ehre ja Chriſtum ſo viel hoͤher / ſo viel ernſtlicher man ſeine eigene unwuͤrdigkeit erkenne: Und iſt ja dieſes ein werck der Gottesfurcht / weil man dieſe himmliſche gaben nicht will mit ſeiner unwuͤrdigkeit entheiligen. So lautets freylich / wo wirs nach dem euſſerlichen anſehen. Aber laſſe ſich hier keiner verfuͤhren / es ſtecket mehr boͤſes darunter als man meinet. GOtt will dasjenige was wir thun ſollen / nicht davon verurtheilet haben / wie es uns irgend anſtaͤndig und fein deuch - te zu ſeyn / ſondern nach ſeiner regel und ordnung. Sonderlich will GOtt der HErr nicht leiden / wenn er uns wuͤrdigen will ſeiner gnade / daß wir aus einigem vorwand der unwuͤrdigkeit / uns ihm und derſelben entziehen ſollen. Das leget er / obs ſchon den nahmeneiner wahren ehrerbietung ſolte haben / fuͤr einen ſchimpff und verachtung aus / gleich ob verſtuͤnden wir beſſer / wer wuͤrdig zu dieſem oder jenem ſeye / als er der HErr ſelbs. So gings Petro / da der HErr ihm wolte die fuͤſſe waſchen / Joh. 13 / 6. da deuchte es ihm all - zuviel zu ſeyn / daß er dieſes zugeben ſolte; ſprach alſo: HErr ſolteſtu mir die fuͤſſe waſchen! ja er wolte es nicht leiden / obſchon der HErr ſagte / er thue es aus guten urſachen: verdient aber von dem HErrn dadurch einengu -120Das dritte Capitel. guten verweiß; jedoch ließ er ſich weiſen. Es iſt freylich ſo / daß / wenn wir unfere vernunfft fragen / ſo iſt niemand wuͤrdig zu dieſem heiligen wercke / Gottes des HErrn ſeinen eigenen leib und blut in dem H. Abendmahl zu em - pfangen / als wer vollkom̃en heilig uñ ohne alle ſuͤnde iſt / weil einem heiligem gaſt auch eine heilige herberge gebuͤhꝛet. Aber das iſt der vortheil unſerer ver - nunfft / die wie in andern dingen / alſo auch hierinne eine thoͤrin iſt / und ſich nicht in goͤttliche gnaden-geheimnuͤſſe richten kan. Jſt aber denn jetzo dieſe ver - meinte demuth nicht vielmehr geiſtlicher hochmuth / daß wir alſo die ſache beſ - ſer verſtehen wollen / als Chriſtus ſie verſtanden habe / der gleichwol armen ſuͤndern / die da an ſich unwuͤrdig ſind zum beſten / dieſes Heil. Abendmahl ein - geſetzet hat? Dahin bringet uns endlich unſer fleiſch / daß wir unvermerckt e - ben dasjenige begehen / was wir zu fliehen gedencken. Wie aber / moͤchte je - mand ſagen / kan man denn mit gutem gewiſſen / unwuͤrdiger weiſe zum H. A - bendmahl gehen / das doch Paulus verbeut 1. Cor. 11. Hierauff iſt zu mer - cken / daß zweyerley unwuͤrdigkeit ſeye: eine unwuͤrdigkeit iſt nach dem geſetz / und heiſſet diejenige / wo wir nicht die gehoͤrige vollkommene heiligkeit und gerechtigkeit an uns haben / die wir haben ſolten / ſondern vielmehr fuͤhlen an uns allerhand ſuͤnden und maͤngel / um welcher willen wir vor GOtt dem HErrn / da er nach ſeinem geſetz und ſtrengen gerechtigkeit mit uns handeln wolte / nicht erſcheinen / oder etwas gutes von ihm erwarten ſolten. Dieſe unwuͤrdigkeit iſt bey uns allen / maſſen wir in ſuͤnden alle gebohren ſind / auch aus der verderbten natur allerhand ſuͤnde begangen haben / ja ſie bleibet al - lezeit bey allen / auch wahren kindern GOttes. Aber ſie hindert ſo gar nicht an dem gebrauch des H. Abendmahls / von dem ſonſten alle menſchen bleiben muͤſten / weil ſothane unwuͤrdigkeit bey allen ſich befindet / daß um derſelbi - gen willen wir ſo vielmehr urſache haben dazu zu eilen. Dieſe unwuͤrdigkeit iſt unſere allgemeine kranckheit / dazu aber wir in dem heiligen Abendmahl eine tuͤchtige artzeney finden. Wir melden ja uns bey dem H. Abendmahl nicht an / als fromme und gerechte leute / ſondern als arme ſuͤnder / die der ver - ſoͤhnung um des HErrn JEſu willen / welcher den ſuͤndern zu gut gekommen iſt / beduͤrfftig ſind. Derowegen auch bey darreichung der H. pfaͤnde nicht geſagtwird / nehmet hin / eſſet und trincket / das iſt um eurer gottſeligkeit wil - len dahin gegeben und vergoſſen / ſondern um eurer ſuͤnde willen. Ja weil das H. Abendmahl auch vergebung der ſuͤnden ertheilet / ſo findet es bey de - nen auch ſunde / die es fruchtbahrlich gebrauchen. Bey wem aber ſuͤnde iſt / da iſt auch die wuͤrdigkeit nach dem geſetze nicht. Streitet demnach dieſe ein - bildung / da wir meinen / ſolche unwuͤrdigkeit ſchlieſſe uns von dem H. Abend - mahl aus / ſelbs wider den zweck deſſelben / und macht es uns allerdings un - nuͤtz. Denn wer da ſelbs gerecht / und an ſich heilig waͤre / beduͤrffte Chriſtiund121ARTIC. I. SECTIO XXIV. und ſeines nachtmahls nicht. Wir werden aber keinen ſolchen finden. Hin - gegen iſt eine andere unwuͤrdigkeit nach dem Evangelio / welche darin beſte - het / wo man nicht goͤttliche gnade auff gebuͤhrende weiſe erkennen und anneh - men will. Von der geſtehen wir gerne / daß ſolche unwuͤrdigkeit an dem H. Abendmahl hindere; aber ſie machet den menſchen nicht nur allein zu die - ſem H. gut / ſondern auch zu allem genuß goͤttlicher gnade untuͤchtig. Damit man aber recht dieſe unwuͤrdigkeit verſtehen moͤge / muß in obacht genommen werden / wer da zu dem H. Abendmahl wuͤrdig ſeye / woraus die unwuͤrdig - keit auch leicht verſtanden wird. So erfordert nun dieſe wuͤrdigkeit nichts / als die hertzliche und ernſtliche buſſe; daß nemlich der menſch zum 1. zwahr ſeine angebohrne und aus andern begangenen ſuͤnden herflieſſende unwuͤr - digkeit / denn auch ſeine ſuͤnde hertzlich erkenne / GOtt dem HErrn beichte / und ſich von grund der ſeelen druͤber betruͤbe / auch erkenne / wie GOtt urſache haͤtte / nach ſeinen zorn / uns wegen unſer mißhandlung willen von ſeinem an - geſicht zu ſtoſſen / und ewiglich zu verdammen / ſo dann / daß uns kein menſch aus ſolcher unſer noth helffen koͤnne. 2. Muß der wahre glaube dazu kom - men / daß man gleichwol in anſehung ſolcher ſeiner ſuͤnde nicht verzage / ſon - dern erkenne und glaͤube / das verdienſt Chriſti ſey noch viel groͤſſer / als un - ſere ſuͤnden ſind / es ſey auch abſonderlichfuͤr unſere ſuͤnde geleiſtet / und dem - nach dieſelbige dadurch getilget; Ja weil Chriſtus ſich ſelbs / und was er hat / uns zu eigen geſchencket / ſo ſeyn wir ohnfehlbarlich um ſeinet willen bey un - ſerm himmliſchen Vater in gnaden. Aus ſolchen glauben muß nachmal die hertzliche gegen-liebe gegen GOtt herkommen; ja der glaube / wo er hertzlich iſt / bringt ſie ohnerfordert mit ſich / daß man wegen der abermaligen goͤttli - chen gnade ihm vornehme / den ſuͤnden mehr und mehr abzuſterben / und im neuen gehorſam Gott dem HErrn gefaͤllig zu leben / auch um ſeinet willen un - ſern nechſten hertzlich zu lieben. Das ſind die ſtuͤcke und fruͤchte der wahren buſſe / die allein wegen des einen ſtuͤcks / des glaubens aus dem Evangelio / uns zu dem heilſamen gebrauch des Heil. Abendmahls wuͤrdig machet / und alſo deren gegenſatz allein die unwuͤrdigkeit verurſachet / die uns von dem ge - brauch des H. Abendmahls abhaͤlt. Fraget ſich alſo / wer unwuͤrdig ſey zu dem H. Abendmahl? ſo heiſts gleich / derjenige / der entweder ſeine ſuͤnde nicht begehret zu erkennen / ſondern ſich einbildet / fuͤr ſich ſelbs gar fromm zu ſeyn; ſeine ſuͤnde vertheidiget / gefallen daran hat / und noch meinet / GOtt duͤrffe doch daruͤber nicht zuͤrnen; oder der da nicht ſich mit wahren glauben an Chri - ſtum haͤlt / will in etwas anders ſeine ſeligkeit ſuchen / der zweiffelt allerdings an goͤttlicher gnade. Oder endlich / der nicht begehret ſein leben zu beſſern und gottſeliger zu werden / ſondern in ſeinen ſuͤnden-dienſt fortzufahren. Wer der haar iſt / der heiſt unwuͤrdig / und der bleibe allerdings in ſolchem ſtande von dem H. Abendmahl: Ja wenn ein ſolcher auch ſchon deſſelben ſich wolteQge -122Das dritte Capitel. gebrauchen / ſolte es wiſſentlich ihm in dieſem ſtande nicht einmal gereichet werden. Aber ein ſolcher menſch iſt nicht allein untuͤchtig zu dem Heil. Abend - mahl / ſondern er iſt gar auch auſſer dem gnaden-ſtand / und in augenblickli - cher gefahr der verdammnuͤß / welche ſtunde ihn GOtt alſo hinweg ruffen ſolte. Ein ſolcher menſch kan nicht beten / kein vertrauen gegen GOtt haben / auch gehet ihm der troſt des Evangelii nicht an / und wuͤrde er 1000 mal ab - ſolviret / hilffts ihm aus eigner ſchuld nichts / ſondern er koͤmmt immer tieffer in des ſatans ſtricke. Sind alſo die ſtuͤcke / die zu dem H. Abendmahl und wuͤꝛdigen vorbereitung dazu / gehoͤren / eben diejenigen / welche jeglicher Chriſt taͤglich an ſich haben muß / wo er GOtt gefallen ſolle / ohne allein / daß eben um ſolche zeit man bey empfangung des H. Abendmahls mit fleißiger pruͤ - fung / betrachtung / gebet / und ſolchen heiligen uͤbungen / dasjenige noch in - bruͤnſtiger thue / was gleichwol an ſich ſelbs alle tage in unſern hertzen ſeyn und vorgehen muß. Daher ein ſolcher menſch / der da vorgibt wegen ſeiner unwuͤrdigkeit ſich des H. Abendmahls zu enthalten / auff vorhaltung nechſt angedeuteteꝛ ſtuͤcke eins nothwendig geſtehen muß / entweder er ſuche die wuͤr - digkeit des geſetzes; wo wir ihm gerne geſtehen / daß ihm das H. Abendmahl nichts nutze ſey / aber dazu ſetzen / daß er von Chriſto abgefallen / und ihm einen eigenen weg gen him̃el duꝛcheigene geꝛechtigkeit veꝛgebens bahnen wolle; odeꝛ es ſeye mit ſeiner eingebildeten unwuͤrdigkeit nichts / ſondern er koͤnne die wuͤrdigkeit wohl haben / die zu dieſem heil. wercke gehoͤret / wo er nur GOttes gnade bey ſich platz laſſen wolle / oder er ſey ein unbußfertiger menſch / der um der urſache willen gar unter die kinder GOttes nicht gezehlet werden kan / die - weil er damit / wann er ſich fuͤr unwuͤrdig ſelbs erkennet / geſtehet / er wolle entweder ſeine ſuͤnde nicht erkennen / oder er begehre nicht an Chriſtum zu glauben / oder er begehre nichts gutes zu thun. Aus dieſen 3. erwehle jeglicheꝛ / der dieſe entſchuldigung fuͤhret / ein ſtuͤck / welches ihn unwuͤrdig mache. Aber es wird ein jeglicher ſehen / daß alle 3. ſo bewandt ſind / daß ſie bereits den men - ſchen gar von goͤttl. gnaden ausſchlieſſen. Will er aber keines von ſich geſtehẽ / ſondern davor angeſehen ſeyn / daß er ſeine ſuͤnde erkeñe / an Chriſtum glaube / uñ begehre taͤgl. froͤm̃er zuweꝛden / ſo iſt eꝛ ja nicht unwuͤrdig. Jſt eine ſache / die ſo klahr iſt / daß ſich da keiner ausnehmen darff / ſondern wo er nicht will fuͤr ei - nen ſolchen menſchen gehalten werden / der gar nicht werth iſt / den chriſtl. nah - men zu fuͤhren / ſo muß er geſtehen / er ſey nicht ſo unwuͤrdig / daß er von dem H. Abendmahl ſich ſelbs ausſchlieſſen muͤſte / ſondern es ſey daſſelbe in bloſſer einbildung / oder nur geſuchte und erdichtete urſach. Wiewol wir alsdenn mit wahrheit ſagen koͤnnen / daß ein ſolcher eben dadurch wahrhafftig un - wuͤrdig werde / aber aus muthwillen / weil er leicht durch goͤttliche gnade ſich wuͤrdig dazu machen und dieſes erlangen kan / was GOttes gnaͤdiger willezum123ARTIC. I. SECTIO XXIV. zumfruchtbahrlichen gebrauch dieſes wercks von uns erfordert. Der ſchluß iſt dieſer: keiner iſt unwuͤrdig zu dem H. Abendmahl / als der da ihm ſeine ei - gene unwuͤrdigkeit laͤſt lieber ſeyn / als GOttes gnade / die ihn begehret wuͤr dig zu machen: Und wer da zu dem H. Abendmahl nicht wuͤrdig iſt / der iſt auch in ſolchem ſtande / dariñ er nicht ſelig werden kan / daher er billig ſich fuͤr - zuſehen hat / ſeine ſeele zu retten: hingegen wer da in dem ſtande iſt / da er ſe - lig werden / da er beten kan / da er des troſts des H. Evangelii und der abſo - lution faͤhig iſt / der iſt auch tuͤchtig zum H. Abendmahl.

Jſt alſo auch dieſe entſchuldigung nicht erheblich / und haben / die damit angefochten werden / ihnen billig davon helffen zu laſſen.

Die vierdte Frage.

  • Ob uns von des H. Abendmahls gebrauch entſchuldige / weil wir ſe - hen / daß wir doch immer wiederum nach dem gebrauch deſſelben / da wir doch GOtt beſſerung verſprochen haben / in ſuͤnde fallen?

DJeſes iſt eine neue entſchuldigung / ſo zwahr in gewiſſer maaß zu der vor - hin betrachteten unwuͤrdigkeit auch gezogen werden koͤnte. Sie iſt aber eben von dem urſprunge her / nemlich wie zum foͤrderſten aus der fleiſchlichen vernunfft / alſo auch wol von dem heiligen ſatan / der abermal unter dem ſchein der froͤmmigkeit / daß man goͤttliche ehre nicht entheiligen wolle / den menſchen ſuchet um das theure mittel ſeines heils zu bringen. Deswegen man auff ihn abermal gar wol acht zu geben hat / daß man ſeinen betrug fein lerne erkennen. Ehe wir aber auff die frage eigentlich antworten / iſt gleichwol voraus zu ſetzen / daß wir dero leichtfertigkeit durchaus nicht billigen / ſon - dern von hertzen verfluchen und verdammlich halten / welche da entweder nie - mal den guten vorſatz gehabt haben / ihr leben zu beſſern / wodurch ſie denn unwuͤrdig zu dem Sacrament gegangen zu ſeyn / ſelbs zeigen; oder aber / die / wann es ihnen ſchon mit dem verſpruch etwas ernſt geweſen waͤre / gleichwol wenn die erſte andacht kaum vorbey iſt / bald erkalten / und ſich nicht befleißi - gen / auch thaͤttlich ihren verſpruch der beſſerung ins werck zu ſetzen / ſondern fangens an / wo ſie es vorhin gelaſſen / und fahren gerad wieder in den vori - gen ſuͤnden fort. Jndem von dieſen auch zu ſchlieſſen iſt / daß die buß nicht recht hertzlich geweſen ſeye / weil ſo gar geſchwinde ſie wieder zu den ſuͤnden kehren / die ſie vorhin beꝛeuen ſollen / uñ das anſehen dazu haben haben wollen. Wie iſts aber muͤglich / daß man das alſobald wieder ungeſcheut thue / was gerad vorher uns inniglich leid geweſen / daß mans gethan hat. Jndem al - ſo ſolche leute mit der buſſe ſpielen / ſo betriegen ſie darum GOtt nicht damit / und haben vor ihm den nahmen der unbußfertigen / ob ſie wol vor der welt / als die in das hertz nicht ſehen kan / den nahmen der buſſe / ob haͤtten ſie ſie ge - than / erhalten: ja ſie werden je laͤnger / je verhaͤrteter. Vielmehr erfordernQ 2.wir124Das dritte Capitel. wir freylich / daß ein jeglicher wuͤrdiger communicant nicht nur allein den eif - ferigen vorſatz der beſſerung des lebens zu dem tiſch des HErrn bringen ſol - le / ſondern auch nachmals ſchuldig ſey auffs muͤglichſte ſich zu befleißigen / damit er ihn ins werck richten moͤchte; derohalben ſich fleißig vornemlich fuͤr den ſuͤnden zu huͤten / die vorhin irgend ihn in ſeinem gewiſſen getruckt haben / auch um die krafft dazu zu erlangen / des H. Geiſtes beyſtand taͤglich anzuruf - fen / daß er / was wir nicht vermoͤgen / in uns verrichten wolle. Vorausgeſetzt deſſen / ſo erinnern wir uns billich derjenigen unvollkommenheit / die allemal bey auch gottſeliger Chriſten neuem gehorſam ſich zu finden pfleget / daß nemlich wir niemal die beſſerung ſo weit bringen koͤnnen / als wir chriſtlich wuͤnſcheten; denn wir tragen noch das fleiſch bey uns / ſo da ſtets den guten vorſatz des Geiſtes hindert / wie Paulo ſelbs geſchehen nach ſeiner klage. Al - ſo / ob ſchon fromme Chriſten / wenn ſie etwa vorhin in ſchwehre ſuͤnden gefal - len ſind / aber durch die buß ſich wieder auffgerichtet haben / darnach in ihrem neuen gehorſam ſich huͤten / nicht wieder an den vorigen ſtein anzuſtoſſen: ſo bleiben ſie doch menſchen / und ſtoſſen indes anderwaͤrts an / in andern ſuͤnden. Oder es geſchiehet wol zuweilen / daß denn wiederum die ſchwachheit des fleiſches (damit wir doch nicht die boßhafftigen ſuͤnden und alſo grobe euſſer - liche laſter verſtehen) ſie auch in der vorigen uͤbereilet / oder doch ſie in gefahr derſelben ſtehen. Dieſes iſt diejenige unvollkommenheit / dero wir nicht in abrede ſind. Und wann davon die frage verſtanden wird / wie ſie denn ver - ſtanden werdenſolle / ſo ſagen wir wiederum nein zu derſelben. Es ſey nem - lich auch dieſe entſchuldigung / daß man ſolcher ſchwachheit-fehler nicht voͤl - lig frey werden kan / nicht guͤltig / indem ſie ſich gruͤndet auff dem falſchen prin - cipio, ob ſolten wir goͤttlicher gnaden-guͤter insgeſamt uns nicht gebrauchen / ſo lang wir wiederum in ſuͤnde fallen koͤnnen. Welches offenbahr falſch iſt. Denn auff dieſe weiſe / ſolten wir auch die H abſolution nicht ſuchen / weil doch nachmals wir wieder in ſuͤnde fallen / und kan keine genugſame urſache angezogen werden / warum wir die vergebung der ſuͤnden / bey noch waͤhren - der gefahr kuͤnfftiger ſuͤnden / in einem mittel / dem goͤttlichen wort und der abſolution ſuchen wolten / nicht aber auch in dem andern / nemlich dem Heil. Abendmahl. Solte dieſes gelten / ſo muͤſte man ja auch die kinder o - der andere / die ſich bekehren / nicht tauffen / weil ſie doch nachmals das reine kleid der unſchuld / damit ſie in der tauff begabet worden / mit ſuͤn - den wiederum beflecken. Wie denn bey den alten Chriſten etliche daraus in den aberglauben gefallen ſind / daß ſie die tauffe bis auff ihr letztes ende verſpahreten / damit ſie nach empfangung derſelben nicht mehr ſuͤndig - ten. War aber ein gefaͤhrlicher irrthum / wider welchen die kirche damal ſehr zu ſtreiten hatte. Gottes wort gibt uns keinen anlaß dazu. Chriſtus gab das heilige Abendmahl ſeinen juͤngern / die ja freylich nachmal alle nochwie -125ARTIC. I. SECTIO XXIV. wiederum geſuͤndiget haben / und es Chriſtus wol wuſte / ja ſie ſelbs ſich nicht wuͤrden dafuͤr ausgegeben haben / daß ſie ins kuͤnfftige niemal mehr ſuͤndi - gen wuͤrden. Der HERR lehret uns taͤglich um vergebung der ſuͤnde in unſerm Vater Unſer beten / ſo iſt er uns dann auch bereit dieſelbe krafft un - ſers glaubens taͤglich zu geben; ſolten wir ſolche aber deßwegen nicht begeh - ren oder annehmen / weil noch kuͤnfftig wir wieder ſuͤndigen / und der verge - bung auffs neue bedoͤrffen werden / ſondern es dahin ſpahren wollen / daß es dermaleins auff einmal geſchehen moͤchte? das wird ja jedermann ſelbs fuͤr ungereimt erkennen. So iſts dann nicht weniger ungeſchickt / das heilige Abendmahl um der urſach willen zu unterlaſſen. Ja hieraus wuͤrde folgen / daß dann es allein vor diejenigen eingeſetzet waͤre / die in dem zuſtand begrif - fen / nunmehro durch den tod von der welt abzuſcheiden / weil alsdann allein keine weitere ſuͤnde mehr zu befahren waͤre / ja weil man ſolches ſelten von den leuten gewiß ſagen kan / indem viele wieder auffkommen und darnach wieder in die gefahr der ſuͤnde fielen / die bereits in des todes rachen zu ſte - cken ſchienen / waͤre es auch denſelben zu reichen nicht ſicher. Wo bliebe aber des HErrn einſetzung / die davon nichts meldet; vielmehr ſolches heilige werck offt will wiederhohlet haben / und alſo freylich auch / nachdem man nach dem vorigen mal wieder in ſuͤnde gefallen war? Welches alles weiter aus - zufuͤhren nicht bedarff.

Die fuͤnffte Frage.

  • Ob uns entſchuldige / weil wir andere unwuͤrdig zum tiſch des HErrn ſehen gehen / und wenig fruͤchte der buſſe von ihnen ſpuͤhren koͤnnen?

WJe billich hier abermal gar nicht diejenigen Prediger / welche aus nach - laͤſſigkeit / oder ſonſten mangel des gebuͤhrenden eiffers / leute / die da in offentlichen und vorſetzlichen ſuͤnden leben / ohne rechtſchaffene pruͤffung / und demnach wiſſentlich unwuͤrdige / ohne alles / was ihr amt vermag an ihnen zu thun / zu dieſer heiligen mahlzeit laſſen / dadurch aber nicht nur die perlen / (nach der redens art Matth. 7 / 6. wo zwahr von dem heiligen Abendmahl nicht eigenlich gehandelt wird /) ſondern was edler iſt als die perlen / die himmliſche und goͤttliche ſpeiſe den ſchweinen vorwerffen: von welchen / wo ſie nicht alles muͤgliche dagegen verſucht / ſondern in ihrem amt ſorgloß ge - weſen / GOTT die ſeelen derer / die durch dieſen unwuͤrdigen gebrauch des heiligen Abendmahls ſich in die verdammnuͤß noch tieffer ſtuͤrtzen / und die ſchmach / die dadurch ihnen ſelbs widerfaͤhret / mit ſtrengem urtheil fordern / und an ihnen raͤchen wird. Alſo entſchuldigen wir auch eben ſo wenig dieſel - be / die den thener-gethanen verſpruch das leben zu beſſern / in den wind ſchla -Q 3gen /126Das dritte Capitel. gen / und kaum einmal daran gedencken / wenn ſie von dem beichtſtuhl und altar weg ſind: ſondern ſagen vielmehr / daß ſolche durch den gebrauch des heiligen Abendmahls nicht gebeſſert worden / ſondern ſie werden noch mehr und mehr verhaͤrtet / zu ihrer endlichen verdammnuͤß. So viel wird gern geſtanden. Es iſt aber hiervon die frage nicht / ſondern ob jetzt umder urſach willen / und wegen ſolches aͤrgernuͤſſes / andere ſich des heiligen Abend - mahls mit guten gewiſſen enthalten koͤnnen? Da wird abermal mit nein ge - antwortet; dann das andere der goͤttlichen gnaden-guͤter mißbrauchen / ſoll bey uns den rechten gebrauch nicht auffheben; oder wolten wir Gottes nah - men nicht heiligen deßwegen / weil er von andern entheiliget wird? vielmehr bringts die ſchuldigkeit mit / daß je mehr der HERR von denen beſchimpffet wird / die unwuͤrdiglich ihn zu eſſen ſich nicht entbloͤden / je mehr wir durch rechten gebrauch ihn zu eſſen / uns angelegen ſeyn laſſen. Es wuͤrde ſonſt auch auff gleiche weiſe folgen / weil nicht nur viele / ſondern die meiſten das wort Gottes ohne nutz hoͤren / und ſich ſo wenig daraus beſſern / daß ſie viel - mehr immer aͤrger und gottloſer dabey werden / man auch daſſelbe nicht hoͤ - ren ſondern ſich ſein enthalten doͤrffte: oder von leiblichen exempeln zu re - den / weil etliche die artzney unrecht und ohne gehoͤrige vorbereitung zu ih - rem ſchaden gebrauchen / auch wol daruͤber das leben einbuͤſſen / wo einer deß - wegen in ſeiner kranckheit auch nicht wolte die artzney rechtmaͤſſig gebrau - chen / ein ſolcher wuͤrde mit ſeiner einbildung billich von verſtaͤndigen leu - ten ausgelacht und fuͤr einen thoren gehalten werden. Auff gleiche weiſe haͤlt ſichs auch mit dieſer geiſtlichen artzeney / wo dero bey andern merckender mißbrauch zwahr eine vorſichtigkeit bey uns / dieſelbe mit beſſerer frucht zu gebrauchen / wircken / aber nicht derſelben gar uns zu enthalten / ausrichten ſolle. Solches nun weiter zu zeigen / ſo muͤſte dieſes abſehen anderer ihrer gottloſigkeit dieſe unterlaſſung bey uns verurſachen / entweder / weil wir mit der kirchen keine gemeinſchaft haben wolten / bey dero ſolche gottloſe leute ſich finden und communiciren; oder daß wir dafuͤr hielten / wir machten uns da - mit ihrer / der mit - communicanten ſuͤnden theilhafftig; oder weil wir das hei - lige Abendmahl fuͤr unkraͤfftig halten / indem in ſolchen exempeln es bey den lenten die beſſerung nicht habe gewuͤrcket / auch deßwegen bey uns eben ſo wol nichts mehrers wuͤrcken wuͤrde. Aber auff keine weiſe wird etwas folgen. Wehlete man das erſte / iſts derjenige irrthum / der laͤngſt von der chriſtlichen kirchen verworffen / und aus der ſchrifft zur genuͤge widerleget iſt worden / ob muͤſte die kirche hier auff erden alſo rein und heilig ſeyn / daß bey derſelben ſich keine gottloſe finden ſolten / oder man muͤſte in entſtehung deſſen von derſel - ben abtreten. Die Apoſtoliſche kirche ſelbs fand unter ihnen ſchwehre aͤr - gernuͤſſe und gottloſe leute / indeſſen trenneten ſich dero glieder nicht / daß umder127ARTIC. I. SECTIO XXIV. der urſach willen ſich die andere der communion enthalten haͤtten. Wie gottloß Ananias und Sapphira / nemlich heuchler in der haut geweſen / ſehen wir Ap. Geſch. 5. ſie werden aber eben ſo wol unter den andern offt mit zu dem tiſch des HErrn gegangen ſeyn; ſolten darum andere nachmahl ſich des heiligen Abendmahls enthalten haben? das ſehen wir nicht. Ja die Apo - ſtel hatten ſelbs ſehen muͤſſen / daß Judas / nachdem er das heilige Abend - mahl bey eben der erſten einſetzung empfangen / nur verteuffelter dadurch worden iſt: unter deſſen haben ſie es nachmal darum nicht ferner zu brauchen unterlaſſen. Da auch aus ſolchem exempel ferner zu ſehen iſt / daß auch Prediger zuweilen mit gutem gewiſſen / denen die da / ſo viel der Prediger weiß / unwuͤrdig ſind / hingegen ſolche unwuͤrdigkeit nicht euſſerlich erweißlich iſt / und ſie von auſſen das gegentheil heuchleriſcher weiſe von ſich ſehen laſ - ſen / daſſelbe reichen koͤnnen / ja muͤſſen: wie hie Chriſtus es dem verraͤther gab / deme er doch in das hertze ſahe / und alſo wuſte / wie voll teuffliſcher boß - heit es ſtecket. Alſo moͤchte auch das andere bedencken nicht platz haben. Dann ſo wenig meine hertzliche buſſe einem andern unbußfertigen nutzet / ſo wenig mag hingegen eines andern unbußfertigkeit / neben dem ich communi - cire / mir nachtheilig ſeyn / wofern ich gleichwol in wahrer buß hinzu gehe. Es lebet der gerechte ſeines glaubens Hab. 2 / 4. Und ſchadet keinem eines anderen / ſondern alleine ſeine eigene unwuͤrdigkeit. So mache ich mich ja auch des andern unwuͤrdigkeit und ſuͤnde nicht theilhafftig / indem ich vielmehr uͤber dasjenige / ſo ich davon ſehe / mich hertzlich betruͤbe / und von GOtt ihre hertzen zum beſſeren zu leiten anruffe. Daher dero abſehen viel - mehr gutes bey mir erwecket. Solte aber der mit-communicanten ſuͤnde einem frommen hertzen zugerechnet werden / wie wuͤrde es denen lieben Apo - ſteln ergangen ſeyn / wegen des gottloſen Judaͤ? und wie haͤtte Chriſtus ſeinen Apoſteln die ſchwehre ſuͤnde unwiſſend auffbuͤrden wollen / da er Ju - dam mit ihnen communiciren laſſen / daferne einer des andern entgelten muͤ - ſte. Die dritte abſicht iſt nichts beſſer / denn derſelbe will gar die boßheit des unwuͤrdigen unverantwortlicher weiſe der himmliſchen ſpeiſe ſelbs zuſchrei - ben / da doch / daß boͤſe leute keine beſſerung von dem gebrauch des heiligen Abendmahls ſpuͤren / nicht urſach iſt der leib und blut des HErrn ſelbs / wel - cher ja kraͤfftig genug iſt an und fuͤr ſich ſelbs / ſondern daß ſie dieſelbe nicht wollen bey ſich fruchtbarlich wuͤrcken laſſen. Es widerſtreben ja die leute auch offt ſelbs dem wort Gottes / ja dem heiligen Geiſt / und laſſen denſelben nicht in ſich wircken / ſolten wir darum ſagen / daß der heilige Geiſt und ſein wort unkraͤfftig waͤren? das ſey ferne Verſuche es viel lieber ſelbs / da andere das heilige Nachtmahl ohne nutzen empfangen haben / und gebrauche es mit hertzlicher buſſe / ſo wirſt du auß dem daraus ſchoͤpffendẽ nutzen bey dir finder /daß128Das dritte Capitel. daß bey andern leuten / nicht dieſer himmliſchen guͤter ſchuld geweſen / daß nichts gefruchtet worden iſt.

Die ſechſte Frage.

  • Ob die ſchwehre ſtraffe / welche GOTT den unwuͤrdigen commu - nicanten gedrohet / eine gnuſame entſchuldigung ſey / ſich deſſen zu enthalten?

ES iſt an dem / daß weil Paulus ſagt 1. Cor. 11 / 27. 29. daß wer unwuͤrdig zu dem tiſch des HErrn gehet / ihm ſelbs das gericht eſſe / und ſich an dem leib und blut des HErren ſchuldig mache / ſolche bedrohung nicht nur zuwei - len ſelbs ſromme Chriſten etwas verzagt machet / und ſich ihr fleiſch deſſel - ben gebrauchet / ſie durch forcht eine weile davon abzuhalten / ſondern viel - mehr bringet ſolches bey denen / die ihnen ihrer ſuͤnden / und beharlichen vor - ſatzes zu ſuͤndigen bewuſt ſind / zu wegen / daß ſie erſchrecken wann ſie an das heilige Abendmahl gedencken / indem ſie wiſſen / daß ſie in ſolchem zuſtande fuͤr die ſeligkeit gar ihre verdammnuͤß daſelbs holen wuͤrden. Aber wo ſie mei - nen / dadurch entſchuldiget zu ſeyn / irren ſie weit; denn ſo gehet ſolche gefahr nicht alle an / ſondern allein die unwuͤrdig zum tiſch des HErrn gehen. Nun fordern wir ja von keinem / daß er ſolches thun ſolle / ja wollen nicht wiſſen - lich einen dazu laſſen. Was gehet aber dieſes den wuͤrdigen gebrauch an / der ſo viel mehr nutzen bringt / als der unwuͤrdige ſtraffe nach ſich zeucht? wer ja auch das wort Gottes unbußfertig hoͤret / dem wird an jenem tag jegliches wort / ſo er gehoͤret hat / neue flammen der hoͤlliſchen quaal erwecken; wilt du dan darum Gottes wort nicht hoͤren? Es iſt mit beyden einerley bewandnuͤß. Ja vom zeitlichen ein exempel zu nehmen: wer ſich in einen gewiſſen beruff und amt begibt und dazu brauchen laͤſſet / der ſetzet vor ſich ſolchen ſtand / da er / wo er nicht redlich ſich halten / und dem amt ein genuͤgen nach ſeinem be - ſten gewiſſen leiſten will / die hoͤlle daran verdienen kan. Solte aber deswe - gen ein mann / dem GOtt die gaben gegeben hat / dieſelbe nicht anwenden wollen um ſolcher gefahr willen / ſo haͤtte er als ein ſchalcks - und fauler knecht ſein urtheil abgefaſſet Luc. 19 / 22. 23. Eine andere bewandtnuͤß haͤtte es / wo man nicht mehr die ſtuͤcke / die uns zum heilſamen gebrauch wuͤrdig ma - chen / haben koͤnte / oder ſie GOtt nicht bey uns wircken wolte / ſondern wir in ſtetem zweiffel ſtehen muͤſten / ob wir auch nunmehr wuͤrdig ſeyn oder nicht. Da moͤchte die furcht erheblich ſeyn / ſich in die gefahr nicht begeben zu wol - len / da wir nicht verſichert waͤren / daß wir beſtehen moͤchten. Nun verhaͤlt ſichs aber gar anders / und iſt in der dritten frage gezeigt / wie GOtt nichts anders von uns fordere / als allein hertzliche reue / glaubiges vertrauen / und eiffrigen vorſatz: ja wir wiſſen / daß der HErr alle dieſe ſtuͤcke gern in unswir -129ARTIC. I. SECTIO XXIV. wircken wolle / wo wirs nur wolten annehmen. Daher die gefahr / die die unwuͤrdige betrifft / denen nicht gilt / die ſich wuͤrdiglich bereiten wollen. Viel - mehr geben ſolche leute / die aus dieſer utſache beharrlich ſich des H. mahls enthalten / zu erkennen / ſie muͤſſen dergleichen etwas heimlich bey ſich ſtecken haben / um welches willen ſie in ihrem gewiſſen uͤberzeuget ſind / daß ſie nicht koͤnnen hinzugehen / ſondern aller gebrauch bey ihnen wuͤrde ein unwuͤrdiger gebrauch ſeyn / vor dem ſie ſich billich fuͤrchten: nemlich / daß ſie einiger ſuͤnde wider das gewiſſen nachhaͤngen / die ſie noch nicht zu laſſen entſchloſſen ſind / und dennoch wiſſen / daß ſie nicht zur buſſe / ſo lange ſie dieſelbe ſuͤnde hegen / tuͤchtig ſind. Aber ſie entfliehen darum nicht. Dann 2) doͤrffen ſie nicht mei - nen / daß deßwegen ſie goͤttlichem gerichte entgehen. Dann wo ſie in dem ſtan - de ſind / da ſie nicht wuͤrdiglich koͤnnen zu dem tiſch des HErrn gehen / ſo ſte - hen ſie / wie oben in der dritten frage auch erwieſen / allerdings auſſer goͤttli - cher gnade / und unter dem zorn GOttes. Sie haben an GOtt keinen gnaͤdi - gen Vater / ſondern einen zornigen Richter; das verdienſt Chriſti und des hei - ligen Geiſtes gnade gehet ſie nicht an / ſondern der fluch ſchwebet uͤber ihnen / ſo lange ſie alſo beharren. Dahero ſie vergebens meinen / mit enthaltung des heiligen Abendmahls die ſache gut zu machen: Sie ſtecken ſchon tieff ge - nug in der hoͤlle. Da machen ſie ſich keine andere rechnung. Dann wer da herrſchende ſuͤnde in ſeinem gewiſſen ligen hat / denſelben nachhaͤnget / und nicht durch buß ſie ableget / der liegt bereits in GOttes gerichte / ob er ſchon das heilige Abendmahl niemal empfange. Ja 3. ſo vermehret doch nach - mals die unterlaſſung dieſes heiligen mahls ihre ſuͤnde noch mehr. Denn Gott nimmt dieſes fuͤr eine greuliche verachtung auff / da man noch dazu meint / mit einer neuen ſuͤnde ſeinem gerichte um etwas zu entgehen: und werden nachmal die ſuͤnden einander nicht gar ungleich / die unwuͤrdige nieſſung des H. Abendmahls und deſſen boßhafftige unterlaſſung; denn mit beyden wird / obwol auff unterſchiedliche weiſe / der Sohn GOttes gleichſam mit fuͤſ - ſen getreten / und das blut des Teſtaments unꝛein geachtet / Hebr. 10 / 29. worauff es nachmal heiſſet / daß es ſchrecklich ſey / in die haͤnde des leben - digen GOttes zu fallen v. 31. Aus welchen allen folget / daß die angedeu - tete ſtraff der unwuͤrdigen / bloß und allein um der urſachen willen gedrohet ſeye / daß diejenige / ſo dazu gehen wollen / ſich huͤten / nicht ohne hertzliche vor - bereitung ſich herbey zu machen / nicht aber die leute gar davon abzuſchre - cken: und daß deßwegen man derſelben trohung nicht mit unterlaſſung des wercks / ſondern allein mit wuͤrdigem gebrauch durch goͤttliche gnade entge - hen moͤge.

RDie130Das dritte Capitel.

Die ſiebende Frage.

  • Ob uns dieſes entſchuldige / wann wir keinen hunger und durſt nach ſolcher ſeelen-ſpeiſe fuͤhlen?

WJr ſingen in der chriſtlichen kirchen: Solche groſſe gnad und barm - hertzigkeit / ſucht ein hertz in groſſer arbeit; iſt dir wohl / ſo bleib da - von / daß du nicht kriegeſt boͤſen lohn. Daraus will in mißdeutung der worte eine neue entſchuldigung genommen werden / wo man ſich wol befinde / keine ſuͤnde habe / die uns truͤcken / und alſo wir keinen hunger und durſt nach dieſem himmliſchen labſaal und artzeney fuͤhlen / ſo koͤnne man wol des heili - gen Abendmahls muͤßig gehen. Jſt aber eine nicht beſſere entſchuldigung als die uͤbrigen; welches wir alſo weiſen wollen. Es findet ſich bey dem leibli - chen hunger und durſt / daß man 1. krafft bedoͤrffe: wo nemlich magen und glieder den gehabten nahrungs-ſafft verzehrt / und alſo neuen bedoͤrffen. 2. Daß man auch ſolche duͤrfftigkeit fuͤhle / und wiſſe 3. daß man deßwegen be - gehre der noth der natur zu huͤlffe zu kommen. 4. Wiſſe / was dazu / den hun - ger und durſt zu ſtillen gehoͤre / und 5. es zu ſich nehme. Wo wir dann von der geiſtlichen ſpeiſe und tranck reden / muͤſſen wir ſehen / wo es eigentlich bey dieſer entſchuldigung fehle. An dem letzten ſiehet man ohnedas / daß es feh - le / indem ſolche leute die ſpeiß und tranck nicht zu ſich nehmen / aber die ur - ſach deſſen iſt noch zu ſuchen. An dem erſten kans nicht mangeln: die duͤrfftig - keit geiſtlicher artzney und ſpeiſe iſt allezeit bey uns / denn die ſuͤnde und ange - bohrne ſchwachheit iſt allezeit bey uns. Findeſtu alſo nicht irgend etwas von wiꝛcklichen ſuͤnden / das unmuͤglich iſt; ſo gehe nur auf die eꝛbliche / da wiꝛſtu ei - ne ſolche verderbung deiner natur finden / daß du es fuͤr kranckheit gnug haltẽ muſt / dagegen du geiſtliche artzeney beduͤrffeſt: ja ſolche erkaͤntnuͤß des erb - ſchadens wird dir nachmal auch zeigen / daß in deinem leben vieles wirckliche ſuͤnden ſeynd / ſo du vorher nicht dafuͤr gehalten. Weil es dann hie an der ſache ſelbs / und an der duͤrfftigkeit nicht manglet / ſo bleibet noch uͤbrig / daß es an den 3. andern ſtuͤcken manglen muͤſſe / worinnen er keinen hunger und durſt bey ſich ſpuͤret; nemlich / entweder erkennet er ſeine nothdurfft nicht / o - der er begehret derſelben nicht loßzukommen / und ſich helffen zu laſſen; oder er erkennet die vortrefligkeit dieſer heiligen ſpeiſe nicht / daß ſie diejenige ſeye / durch welche ihm geholffen werde: keine andere urſache wird ſich finden / aus deren es an ſolchem hunger manglen koͤnte. Nun ſind aber alle ſolche urſa - chen an ſich ſelbs boͤſe / und ſtreiten wider das geſamte Chriſtenthum. Dann die vortrefligkeit dieſer himmliſchen ſpeiſe nicht erkennen / das heiſt ſelbs den artickel von dem H. Abendmahl und ſeiner frucht in zweiffel ziehen; waͤre al - ſo daſſelbe ein ketzeriſcher irrthum / und ein ſolcher menſch / der aus ſolcher ur -ſach131ARTIC. I. SECTIO XXIV. ſach keinen hunger und durſt nach dem heiligen Abendmahl hat / weilen er mit - einander nicht viel auff diß Sacrament haͤlt / fuͤr kein eigenlich glied unſrer kirchen zu halten. Hinwieder iſts bloß muthwillige / ja teuffliſche und un - ſinnige boßheit / ihme nicht begehren helffen zu laſſen / wann man wuͤſte / daß man huͤlffe beduͤrffte / und wuͤſte auch / wie dieſelbe zu erlangen waͤre. Daher koͤnte man einen ſolchen menſchen abermal fuͤr einen Chriſten nicht halten / der ſeiner ſeligkeit / und alſo auch ſeines Gottes gar nicht achtete. Weiter / ſeine ſuͤnde / uͤnd alſo ſeine nothduͤrfftigkeit nicht erkennen / iſt wiederum eine verdam̃liche ſicherheit und geiſtliche hochmuth. Und wer alſo / weil er es nicht noͤthig zu haben befindet / des H. Abendmahls ſich enthaͤlt / der muß ſich einbil - den / er bedoͤrffe Chriſti ſelbs nicht. Dann wer keine ſuͤnde hat / bedarff Chriſti nicht / welcher allein die muͤhſaͤlige und beladene zu ſich ruffet Matth. 11. wer aber ſuͤnde hat / bedarff des heiligen Abendmahls. Aus dieſen 3 ſtuͤ - cken / muß nun derjenige / der ſich deßwegen entſchuldigen will / weil er keinen hunger und durſt hat / eine erwehlen / die bey ihm den mangel deſſelben verur - ſache: wird aber finden / daß alle 3 ſo bewandt ſind / daß ſie ihn aus der zahl der kinder Gottes ausſchlieſſen. Dahero er dann dieſen mangel des geiſtlichen hungers und durſts nicht anzuſehen hat / als ein gutes zeichen / und daß er des heiligen Abendmahls nicht beduͤrffe / auch deßwegen wol entſchuldiget ſeye / ſondern als eine gefaͤhrlichſte verſuchung oder gar kranckheit / die ihn um ſeine ſeele bald bringen moͤge. Es werden diejenigen unter den leibli - chen kranckheiten ſonſt fuͤr die verzweiffelſten gehalten / wo der patient ſeine nothdurfft und ſchwachheit nicht mehr fuͤhlet / und wo aller appetit hinweg iſt. Soiſts auch bey dem am gefaͤhrlichſten / der da nicht glauben und wiſſen will / daß er geiſtliche ſtaͤrckung bedarff / und deßwegen kein verlangen darnach hat. Auch wird kein ander mittel ſeyn / ſolchen menſchen zu helffen / als daß er zur erkaͤntnuͤß ſeines elendes gebracht wird / da nachmal unmuͤglich / daß nicht auffs wenigſte aus einiger liebe ſeiner ſelbs / er hunger und durſt nach der huͤlffe bekommen ſolte. Ehe dieſes geſchiehet / ſo lange hat ein ſolcher verhaͤrteter menſch keine hoffnung einiges heyls: und iſt darnach auch zu dem heiligen Abendmahl nicht zu laſſen / bis endlich wahrer hunger bey ihm erwe - cket werde. Vielweniger wird vor GOttes gericht wegen dergleichen ſelbs-boͤſen und ſuͤndlichen urſachen und unterlaſſenen heiligen wercks / er fuͤr entſchuldiget gehalten / ſondern gebuͤhrlich zur ſtraffe / ſonderlich mehr um ſeiner verhaͤrtung / gerechter maſſen gezogen werden. Eine andere be - wandnuͤß hats mit denjenigen angefochtenen / die daruͤber ſehnlich klagen / und ſich aͤngſten / daß ſie keinen hunger und durſt haͤtten / hingegen hiernach hertzlich verlangen: indem eben dieſes verlangen in der wahrheit ein hungerR 2iſt /132Das dritte Capitel. iſt / und es ihnen alſo nicht an demſelbigen ſelbs / ſondern nur gewiſſer dero fuͤhlung mangelt.

Die achte Frage.

  • Ob fuͤhrende rechts-proceſſe und feindſchafft mit dem nechſten uns entſchuldigen?

ES iſt das heilige Abendmahl ein mahl der liebe / nicht nur / daß in dem - ſelben Gottes liebe gegen uns ſich herrlich bezeuget / und die unſere gegen ihn geuͤbet und geſtaͤrcket wird: ſondern auch / weil darinne unſere liebe gegen den nechſten ſich weiſen / und mehr und mehr anflammen ſolle. Daher wir nicht anders / als in hertzlicher liebe hinzugehen doͤrffen / und dennoch vorher verbunden ſind / allen denen / die uns jemals auffs hefftigſte beleidiget haben / ſo wahr und vollkommen zu vergeben / als wir von GOTT die vergebung bitten und erwarten. Woraus leicht erhellet / daß tragender groll und feindſchafft gegen unſern neben-menſchen freylich den menſchen untuͤchtig zum gebrauch des heiligen Abendmahls mache / als ein ſtuͤck der in der 3ten frage beſchriebenen unwuͤrdigkeit. Ob aber ſchon hiedurch ein menſch von dem heiligen Abendmahl ausgeſchloſſen wird / wird er darum dadurch nicht entſchuldiget / daß er davor halten koͤnte / daß denn / weil er mit guten gewiſſen nicht hinzugehen koͤnne / er hingegen mit guten gewiſſen davon bleiben moͤge. Solches folget nicht. Sondern der menſch iſt ſchuldig mit ablegung der feindſchafft und hertzlichen verſoͤhnung mit dem neben-menſchen / ſich wuͤrdig zu machen / will er GOttes zorn nicht durch ſolche unterlaſſung auff ſich zie - hen. Es mag ja die ſuͤnde nicht dieſes privilegium haben / daß ſie uns frey machte vom goͤttlichen gebot: auch weil ſolcher hartnaͤckiger haß und feind - ſchafft gegen den nechſten an ſich ſelbs eine todt - und verdammende ſuͤnde iſt / ſo iſt abermal der menſch / ſo lange er in derſelben ſtecket / im verdammlichen ſtande / da ihn wiederum ſeine enthaltung des heiligen Abendmahls / dafern er dadurch ſeine ſache meinete wieder gut zu machen / nicht entſchuldigen / oder goͤttlichem gerichte entziehen kan. Was aber proceſſe anlanget / ſoiſt mit unterſcheid davon zu reden. Man ſiehet leider / daß gewoͤhnlich heuti - ges tages die ſachen und proceſſe nicht mit der chriſtlichen beſcheidenheit und maͤßigung der affecten gefuͤhret werden / wie es ſich geziemete / daß nem - lich man die ſachen gegeneinander bis auff richterlichen ausſpruch ſtreiten lieſſe / und indeſſen mit der perſon des gegentheils liebreiche freundſchafft pflegete; ſo gehets aber alles an den meiſten orten mit ſolcher verbitterung daher / daß einige gar meinen / es koͤnnen keine rechts-haͤndel ohne dergleichen vergaͤltes gemuͤth gefuͤhret werden: weil die exempel / da es anders hergin - ge / ſo garſelten ſich ſehen lieſſen. Da iſt nun gewiß / daß auff ſolche gehaͤſſigeweiſe133ARTIC. I. SECTIO XXIV. weiſe proceſſe zu fuͤhren / (wohin auch alle gegen den andern fuͤhrende eigen - liche injurien-proceſſe gehoͤren) freylich den menſchen ſo wol als andere feindſchafft / ja ſo vielmehr / weil dieſes eine offenliche und bekandliche feind - ſchafft waͤre / von dem heiligen Abendmahl ausſchlieſſe: und iſt alſo eben das darvon zu ſagen / was jetzo von feindſchafft insgemein geſagt worden. Un - terdeſſen ſo iſt ſolche ausſchlieſſung nicht zur entſchuldigung zu ziehen / ſon - dern lebet wiederum ein ſolcher menſch die gantze zeit dergleichen feindſeligen proceſſe, in einem verdammlichen ſtande / und gehet ſtets in den ſtricken des ſatans / deren er vielmehr ſich zu befreyen ſuchen muß / als um derſelben willen / und ihnen recht nach ſeines boͤſen hertzens luſt nachzuhaͤngen / des hei - ligen Abendmahls ſich enthalten. Gleichwol bringen ſolches die proceſſe nicht ſelbs mit ſich / ſondern es koͤnnen ſolche an ſich ſelbs mit chriſtlichen ge - muͤthern gefuͤhret werden / wañ die partheyen ihre ſtreitige ſache dem gerichte und der Obrigkeit uͤberlaſſen / von deroſelben den ausſpruch erwarten / und indeſſen ein theil den andern hertzlich lieben. Wo ſie nun alſo gefuͤhret wer - den / ſo hindern ſie an dem heiligen Abendmahl gantz nicht / viel weniger ſolten ſie davon entſchuldigen. Dahero die entſchuldigung wieder vergebens iſt: dann fuͤhreſt du die proceſſe, wie ſichs gebuͤhret / ſo ſtehen ſie dir nicht in dem wege; fuͤhreſt du ſie aber uͤbel / ſo biſt du / ſo lieb dir deine ſeligkeit iſt / ehe da - von abzulaſſen ſchuldig / als um derſelben willen / dich deiner ſeligkeit mittel zu entſchlagen. Wie ja ohne das / das geiſtliche dem weltlichen vorgezogen werden ſolle / und noch dazu bey uͤbelfuͤhrenden proceſſen du ſo wenig mit un - terlaſſung des heiligen Abendmahls als mit dem gebrauch deſſelben / ſelig werden kanſt.

Die neundte Frage.

  • Ob die angſt / welche man davon habe / ſo offt man ſich des heiligen Abendmahls gebrauchen wolle / uns davon entſchuldige?

ES iſt dieſes abermal etlicher entſchuldigung: daß man vorgiebt / man wolle hertzlich gern zu dem heiligen Abendmahl gehen / habe auch verlan - gen darnach / aber ſo offt man ſich darzu reſolvire / ſinde man ſolche angſt / daß daruͤber unmuͤglich werde / ſolches zu verrichten. Dieſe haͤlt aber eben ſo wenig den ſtich / als vorige entſchuldigungen. Es hat die angſt entweder ihre ver - nuͤnfftige urſachen / oder nicht. Hat dieſelbe keine urſache / wuͤrde dergleichen fuͤr eine miltz ſucht und leibliche kranckheit / da die leute zuweilen ohne bekan - te urſach bangigkeit fuͤhlen / zu halten ſeyn: die dann / weil ſie uns nicht hin - dern kan / alles das zu thun / was der wuͤrdige gebrauch erfordert / uns auch an dem gebrauch ſelbs ſo wenig als andere kranckheiten hindern mag. Aber wo man dergleichen angſt bey nichts anders ſpuͤret / als allein bey vorhaben -R 3den134Das dritte Capitel. den ſolchem heiligẽ werck / da ſie ſonſt bey andern / wo es ein leiblicher zuſtand iſt in allerhand ſachen ſich ereignet / und der menſch gleichwol keine urſache der angſt anzuziehen wuͤſte / hat mans billich fuͤr eine gefaͤhrliche verſuchung des boͤſen feindes zu achten / der damit den guten vorſatz / welchen der Geiſt Gottes etwa wuͤrcket / zu dieſem heiligen werck ſich zu ſchicken / wiederum hemmet / hindert und zu nichte machet. Dahero man nicht allein urſache hat / mit ſo viel eiffrigerem gebet den Allerhoͤchſten anzuruffen / daß er uns dawider zu ſtreiten beyſtehen wolle / ſondern auch ihm ſo vielmehr und tapffe - rer widerſtehen muß / dasjenige auch wider ſeinen danck / und ohngeachtet ſeiner hinderungen / ins werck zu ſetzen / daß er gerne verhinderte. Wo aber die angſt gewiſſe urſachen hat / ſo muß auff ſolche acht gegeben werden. Es koͤnnen aber faſt nicht wol einige andere urſachen ſeyn / als wo uns unſere unwuͤrdigkeit aͤngſtet / und das anſehen der greulichen gedroheten ſtraffe der unwuͤrdigkeit erſchrecket. Da iſt alsdan auff dieſe weiſe von der angſt zu halten / wie wir in der 3 und 6 frag geſehen haben / und hie nicht zu wieder - hohlen ſtehet. Jſt aber irgend die angſt allein daruͤber / wie man ſich wuͤr - diglich dazu bereiten wolle / ſo kommt ſie aus guten urſprung / aber es muß dabey nicht bleiben; ſie kan zwahr die vorſichtigkeit bey uns zu wege bringen / nicht aber von dem wercke ſelbs uns abziehen. Wir habens nicht urſach / uns alſo zu aͤngſten / dann GOtt erfordert in ſolcher vorbereitung das we - nigſte von uns / ſondern wenn wir ſeinen Geiſt bey uns wollen wircken laſſen / ſo wircket er ſelbs alles noͤthige. Ruffe du alſo GOTT den HErrn um ſei - nen heiligen Geiſt eiffrig an / und folge alsdann deſſen leitung / dich hertzlich zu pruͤffen / ſo haſt du alles gethan / was von dir erfordert worden / um wuͤr - diglich dich bey dem tiſch des HErrn einzufinden. Was darffs dann der allzugroſſen und ſtets fortwaͤhrenden angſt? Ja ſagt einer / es iſt mir aber unmuͤglich um der angſt willen / die reſolution zu faſſen. Hie fragt ſichs / von was fuͤr unmuͤglichkeit geredet werde; es heiſt entweder unmuͤglichkeit / das werck an und fuͤr ſich ſelbs zu thun / oder aber eine unmuͤglichkeit / das werck mit gebuͤhrender vorbereitung zu thun. Der erſte verſtand kan nicht platz haben / dann nach derſelben kan ja jeglicher menſch dieſes werck verrich - ten / ſo lang er bey gutem verſtand iſt / und weiß / was er thut: es ſeye alſo die angſt beſchaffen / wie ſie wolle / ſo hindert ſie das werck nicht / an und fuͤr ſich ſelbs. Wird aber geredet von der unmuͤglichkeit / das werck auff gehoͤrige weiſe / und mit gebuͤhrender heylſamer vorbereitung zu verrichten; ſo ſagen wir abermal / die unmuͤglichkeit beſtehe in bloſſer einbildung / und mag leicht ein ſchreck-bild des leidigen ſatans ſeyn / das er uns vorſtellet / damit er uns davon abhalte / was er uns unmuͤglich zu ſeyn vormahlet. Dann man betrachte alle die oben erzehlte ſtuͤcke / welche zu der wuͤrdigen vor -berei -135ARTIC. I. SECTIO XXIV. bereitung gehoͤren / ſo iſt kein einiges / welches ſolte durch die vorwen - dende angſt unmoͤglich gemacht werden. Nicht die reue und leyd uͤber die ſuͤnde / denn die wird vielmehr durch die angſt befoͤrdert; nicht der gute vorſatz / als dazu abermal die angſt mehr treiben ſolte. Was den glauben anlanget / ſo iſts an dem / daß die angſt deſſelben freudigkeit um et - was einhaͤlt / aber / wo wir in unſer ordnung bleiben / und GOttes beyſtand anruffen / kan ſie uns auch dieſelbe zuverſicht nicht benehmen. Ja es haben ſolche leute vielmehr zu gedencken / ob nicht dergleichen angſt herkomme von dem / daß dieſelbe irgend lang dasjenige heilſame mittel ihrer ſeligkeit unter - laſſen haben / und daher die angſt der ſchwachheit ihres glaubens / welcher wol gar an dem iſt / daß er allerdings ausleſche / zeugnuͤß ſeye. Denſelben alſo wiederum zu ſtaͤrcken / und der angſt loßzukommen / iſt eben dieſes das beſte mittel / dasjenige wieder zu gebrauchen / aus deſſen unterlaſſung dieſel - be entſprungen iſt. Es gehet gemeiniglich auff dieſe weiſe her / wo man eine zeitlang eines dinges entwohnet worden / ſonderlich wann man bey ſich befin - det / daß man dadurch gefehlet habe / daß uns angſt und bange wird / biß man wieder dazu komme. Das kind / welches ſeinen Vater erzuͤrnet / und eine zeit - lang vor ſein angeſicht nicht doͤrffen kom̃en / weñ es ſchon nachmals wiederum der verzeihung gewiß iſt / und die erlaubnuͤß zu ihm zu kommen erlanget / pfle - get doch gemeiniglich mit angſt und forcht das erſtemal hinzugehen. Alſo iſt offt eben die unterlaſſung / und das eine zeitlang gewaͤhrete ausbleiben von dem heiligen Abendmahl / der angſt urſach / die nachmals uns zuruͤck will hal - ten / wo wir auch ſchon wieder dazu zukommen / die gute gedancken faſſen. Wir haben aber ſolche angſt allein anzuſehen / als eine verdiente ſtraffe ſolches lan - gen verzugs / daß uns das werck ſchwehrer ankommt / als zu andern malen zugeſchehen pfleget. Hingegen ſuchet GOtt / der es uͤber uns verhaͤnget / dadurch bey uns dieſes / daß wir / ohneracht derſelben ihme gleichwol und ſei - nem befehl nachkommende deſto mehr und kraͤftiger unſern gehorſam / und die reue uͤber vorige ausbleibung bezeugen moͤgen / ja ſelbs fuͤhlen / was wir durch ſolches unterlaſſen an uns verderbet haben: daß da andere fromme Chriſten mit hertzlicher und getroſter freude dahin gehen / ſie mit angſthaffti - gen gemuͤth und niedergeſchlagenen geſicht ſich einſtellen muͤſſen / ja ſich ſelbs vor ihrem GOtt und ihren neben-menſchen ſchaͤmen. Gleichwol wer in der furcht GOttes ſich ſelbs in ſolcher angſt uͤberwinden / und ohnangeſehen der - ſelben dennoch demuͤthig und bußfertig ſich bey dem tiſch ſeines vorhin belei - digten / aber wieder die verſoͤhnung anbietenden Heylandes einſtellen wird / dem kan verſicherung gegeben werden / daß auch ſolche angſt bey deſto offtern gebrauch mehr und mehr abnehmen werde / biß er endlich mit eben dem freu - digen muth / als andere fromme kinder GOttes / hinzuzugehen vermoͤge / und darinnen auch die wirckung ſeines Heylandes ſpuͤre.

SE -136Das dritte Capitel.

SECTIO XXV. Vom offtmaligem gebrauch des H. Abendmahls.

DJe angedeutete art / ſich von denen an ſich befindenden fehlern und faͤl - len wieder auffzurichten / iſt gantz gut und chriſtlich: ſo iſt auch das H. Abendmahl eigentlich zu dieſem zweck eingeſetzet / daß wir damit un - ſern glauben ſtaͤrcken / und alſo die vergebung der ſuͤnden damit verſieglen. Was nun die abſonderliche frage betrifft / iſt meine einfaͤltige meinung dieſe. 1. Daß man ſich nicht ſo præciſe an eine gewiſſe zahl der empfangung des Heil. Abendmahls halten ſolte / ſondern lieber in ſolcher ſache auff ſeiner ſeelen er - bauung und troſt / als auff die beſorgende nachrede und verdaͤchte ſehen. Dann obwol die liebe billich des nechſten ſchonet / und daher alles dasjenige meidet / woruͤber der nechſte ſcheinbahrlich ſich aͤrgern moͤchte / ſo muß ſolches gleich wol ſo weit nicht gehen / daß wir uns einer von GOtt ſelbs gegoͤnnterſo heylſamen ſpeiſe und artzney allzuviel enthalten wolten. Damit aber gleich - wol ſo viel muͤglich (dann dazu ſind wir ſchuldig und verbunden) aller un - gleichen meinung vorgekommen wuͤrde / ſo wolte ich 2. alſo rathen. Erſtlich daß mit dem Herrn Beicht-vater zuerſt gruͤndlich die ſache in der furcht des HErrn uͤberleget / ihm das anligen zu verſtehen gegeben / und ſein rath an - gehoͤret wuͤrde. Solte er nun einen beſſern und ſolchen rath / der das gewiſ - ſen beſſer beruhigte / als der meinige / an die hand geben / moͤchte ſolches wohl geſchehen laſſen. Sonſten ging ich dahin / daß allgemach die H. communion oͤffentlich mehr frequentiret wuͤrde / nicht auff einmal gleich gar offt nachein - ander / ſondern doch etliche mal mehr als bey andern bißher uͤblich geweſen / biß es mit der zeit dahin kaͤme / daß man / nachdem die leute es gewohnet / ſo offt dazu gehen moͤchte / als unſerer ſeelen zuſtand ſolches erfordern mag. Jn - deſſen moͤchte / wo ſolcher chriſtlicher hunger wieder vorhanden iſt / zuweilen zwahr mit der geiſtlichen nieſſung denſelben zu ſtillen verſuchet werden / zu - weilen aber / ſonderlich wo man findet / daß das gemuͤth ſich mit jener nicht beruhigen will / die privat-communion eben ſo wol gebraucht werden. Die gruͤnde meines raths ſind dieſe. 1. Unſer liebſte Heyland hat uns keine ge - wiſſe zahl vorgeſchriebẽ / ſondern es dabey bleiben laſſen / daß es heiſſet / ſo offt ihr eſſet / daher mir niemand meine freyheit ſolle nehmen / die mir mein Hey - land gegeben / noch mir den genuß der ſeelen-guͤter enger einſpannen / die der - ſelbe mir ſo mild und reichlich darbietet. So vielmehr da wir ſolches von dem HErrn zu dieſem zweck eingeſetzte mittel in eigener erfahrung zu ſtaͤrckung unſers glaubens ſo kraͤfftig empfunden haben. Wie wir nun befugt / ja auff gewiſſe weiſe befehlicht ſind / unſers geiſtlichen oder innern menſchens wachs -thum137ARTIC. I. SECTIO XXIV. thum und ſtaͤrcke nach aller moͤglichkeit zu befoͤrderen / ſo iſt in ſolcher abſicht die H. communion ſo offt geboten / als es unſerer ſeelen nothdurfft erfodert. 2. So iſt die ſorge des aͤrgernuͤſſes ſo groß nicht / ſondern mag derſelben wohl auff unterſchiedliche art begegnet werden. Es haͤtte der Herr Beicht-vater ſelbs billich dazu zu helffen / daß er bey gelegenheit die materie in einigen pre - digten zuweilen beruͤhrte / wie uns keine gewiſſe zahl des hinzugehens vor - geſchrieben / aber viele urſachen uns zu offterm gebrauch billich ermahneten; ſonderlich aber daß deßwegen niemand den andern urtheile / weder daruͤber / ſo einen ſeine noth offters zu der artzney triebe / oder da ein ander aus andern / abeꝛ dem gewiſſen auch gemaͤſſen urſachen ſo offt ſich dazu nicht ſchicken koͤnte / mit vorſtellung / wie ſchwehr ſolche ſuͤnde ſeye / da man alſo ſeines nechſten hertz richten / und dasjenige / was etwa aus einem guten trieb des H. Geiſtes gekommen ſeyn moͤchte / einer heucheley und alſo teufliſcher bewegung zu - ſchreiben wolte. Wie ich dann mehrmalen in predigten ſolche materie vor - getragen / auch in der kinder-lehr / wo die ſache vorkommt / wir insgeſamt ſol - che erinnerung zu thun pflegen. Moͤchte etwa dabey das gleichnuͤß gebraucht werden / daß einige offterer artzeney noͤthig haͤtten / andere ſich mit weniger vergnuͤgen koͤnten. Damit koͤnte der Prediger ſelbs vieles des beſorgen - den aͤrgernuͤſſes hindern / und waͤre ſolches ſeines gewiſſens halben zu thun ſchuldig. Es koͤnte auch etwa bey gelegenheit unter guten freunden davon meldung geſchehen / und mit ſolcher demuth davon geredet werden / daß dieſe oͤfftere communion kein ruhm einer ſonderbaren heiligkeit fuͤr andern / viel - mehr eine bekantnuͤß einer mehrern ſchwachheit / die man bey ſich fuͤhlete / ſeye. Moͤchten einige andere dazu diſponiret werden / gleiches zu thun / ſo wuͤrde dieſe opinion auch ſo viel eher fallen / die nur von der ungewohnheit herkommet. 3. So iſts auch eine ſache / welche obwol etwa nicht an ihrem ort / doch anderwertlich nicht ſo frembd iſt. Jch weiß von dem Sel. D. Joh. Schmidten in Straßburg / der faſt gewoͤhnlich alle monat communicirte. Jch weiß / daß auch hie einiger mann geweſen / ſo gleiches gethan / auch ſind mir andere bekant / die es nicht viel weniger wiederhohlen. Jetzo nicht zu ſagen von dem eiffer der erſten Chriſten / wie offt ſie ſich in ſolcher himmliſchen ſpei - ſe zu ſtaͤrcken pflegten. 4. Wann jedermann ſich ſcheuet / dergleichen anzu - fangen / ſo wird vielmehr dieſer irrthum / gleich als ob das oͤfftere hinzugehen einem Chriſten nicht anſtaͤndig waͤre / geſtaͤrcket; dahingegen wo etwa einer den anfang machet / andere gute ſeelen bald folgen moͤgen / die vielleicht nur auff andere warten / und die erſte zu ſeyn ſich nicht unterſtehen doͤrfften. Wo alſo die auffmunterung und aufferbauung einiger weniger frommer ſeelen die waagſchal haͤlt / ja uͤberwieget das beſorgte aͤrgernuͤß anderer / die ſich moͤchten aus eigener ſchuld daran ſtoſſen. Und ob ich wol insgemein denSwe -138Das dritte Capitel. wenigſten die offtere communion rathe / da ſie mit ſo ſchlechter vorbereitung und frucht geſchicht / ſo wuͤrde hingegen hertzlich verlangen / daß fromme ſee - len ſich offters damit ſtaͤrcketen. 5. Ob wir wol in der geiſtlichen nieſſung e - ben ſo wol dasjenige alles haben / was uns zu unſerer ſeligkeit noͤthig iſt / ſo iſt doch nicht zu leugnen / daß dem H. Abendmahl noch eine ſonderbahrere krafft ſeye / als auſſer demſelben. Dann wir werden je nicht ſagen / daß es ohne noth oder nutzen eingeſetzt ſeye. Es iſt die geiſtliche nieſſung ſo zu re - den / die taͤgliche ſpeiſe der ſeelen; die ſacramentliche aber als eine artzney. Nun wie es in dem leiblichen dahin kommen kan / daß zuweilen wir mit der ſpeiſe nicht genug haben / ſondern auch einiger artzney bedoͤrfftig ſeynd; ſo kans auch in dieſem geiſtlichen hergehen. Wie ich mich erinnere / unterſchiedliche mal ſolches gleichnuͤß von meinem S. Præceptore, Herr D. Dañhauern / gehoͤrt zu haben. Daher ob ich wol mit der geiſtlichen nieſſung zu frieden ſeyn kan und ſolle / wo mir die ſacramentliche nicht werden kan / ſo muͤſſen es gleich wol wichtige urſachen ſeyn / die mich davon abzuhalten haͤtten / daß ich nicht mei - ner ſeelen troſt am allerkraͤfftigſten ſuchte. Dieſes ſind meine gedancken uͤber die vorgelegte frag / ſo ich zu deſſelben eigenen chriſtlichen nachſinnen uͤberge - be / nach dero pruͤfung zu wehlen / was ſein gewiſſen ihm fuͤr das dienlichſte achten wird. Der HErr HErr laſſe ihn und uns alle immer mehr wachſen am innern menſchen / und zeige uns durch ſeines Geiſtes gnade / welche mit - tel er dazu am kraͤfftigſten ſegnen wolle. 1680.

SECTIO XXVI. Von offtmaliger genieſſung des H. Abendmahls.

ES iſt 1. eine ausgemachte ſache / daß uns unſer liebſte Heyland keine gewiſſe zeit noch zahl geſetzet hat / wann und wie offt wir ſeines H. A - bendmahls uns theilhafftig machen ſolten; daher weder insgemein ein gewiſſes geſetz fuͤr alle gegeben werden darff / noch auch ich rathſam halte / daß eineꝛ ihm ſelbs eine ſolche ordnung machte / bey deꝛo eꝛ allzu præciſe bliebe / und ſich davon auszuſetzen ein gewiſſen machte / indem einiges gutes dadurch gehindert werden moͤchte. 2. Jndeſſen hat nicht allein unſer liebſte Heyland damit / wann es heißt / ſo offt ihrs trincket / gewieſen / daß es eine ſache ſeye / die mehrmal geſchehen ſolle; ſondern die vortreflichkeit der guͤter / die uns dar - innen gereichet werden / der trefliche nutze / welchen dieſelbe bey uns wircken ſollen / und die ſchuldige pflicht ſeinen todt offt zu verkuͤndigen / ſollen uns von ſich ſelbs zu offtmaliger begehung dieſes gedaͤchtnuͤß - liebes - und lebens - mahls treiben. 3. Daher haben die erſten Chriſten gemeiniglich taͤglich / o - der ſo offt ſie ihre verſammlungen hielten / ſich auch mit dieſen himmels-ſchaͤ -tzen139ARTIC. I. SECTIO XXVI. tzen zu ſtaͤrcken gepfleget; um ſo wol gegen die taͤglich obſchwebende verfol - gungen ſich zu wapnen / als auch ſo offt neue krafft zu dem goͤttlichen leben zu erlangen. Wie aber nach der zeit der eiffer zu dem geiſtlichen maͤchtig erkal - tet / ſo wurde auch dieſes goͤttliche mahl je laͤnger je weniger mehr gebraucht / daß es endlich eines geſetzes bedorffte / ſo noch in dem Pabſtthum behalten wird / daß jeder Chriſt auffs wenigſte einmal ſich gegen die oſterliche zeit da - bey einfinden muſte. Wie aber der erkaltende eiffer der menſchen in der nach - laſſung ſolches heiligen wercks die urſach geweſen / ſo erkenne ich es doch zu - gleich mit / als ein ſtuͤck der H. providenz GOttes / die es alſo gefuͤget / daß nachdem die meiſte faſt gantz irrdiſch worden / und alſo zu der wuͤrdigen nieſ - ſung kaum jemal geſchickt waren / auch der gebrauch des Sacraments ſelte - ner worden / damit auffs wenigſte es eben daher weniger mißbrauchet wuͤr - de. 4. Unſer liebe Lutherus hat nach mals nicht durch ein gebot / ſondern rath veranlaſſet / daß in unſerer kirchen gemeiniglich das H. Abendmahl von den meiſten des jahrs zu 3. oder 4. malen genoſſen wird / (wie waͤre aber zu wuͤn - ſchen / daß allemal mit bußfertiger wuͤrdigkeit!) und bekenne ich / daß ich nicht wuͤnſchte / daß die gewohnheit insgemein mehrere mal eingefuͤhret haͤtte / nachdem ich / wie wir die leute befinden / ſorgen muͤſte / daß die offtere wieder - holung nicht ſo viel bey einigen zu ihrer geiſtlichen ſtaͤrckung nutzen bringen / als wegen der allermeiſten ſtaͤter unwuͤrdigkeit mehrern ſchaden ſchaffen moͤchte. 5. Jndeſſen iſt weder verboten / noch gantz ungebraͤuchlich in unſe - rer kirche / daß einige fromme Chriſten auch mehrmal ſich dabey einfinden: wie mich noch erinnere von dem alten S. Herr D. Schmidten zu Straßburg / der alle monat ſich bey dem tiſch des HErren einfand; dergleichen ich auch in Franckfurt einem kauffmann / ſo mein beicht-kind / hatte: da gab es zwahr auch allerley reden daruͤber / ſonderlich wegen der perſon / jedoch ſuchte nie - mand die ſache ſelbs zu hindern. 6. Jch zweifle auch nicht / daß mehrere gute hertzen ſich oͤffters bey dieſer H. mahlzeit einfinden wuͤrden / wo die anſtalten der begehung derſelben an den meiſten orten beſſer zur andacht / vorſtellung und danckbarer verkuͤndigung des todes JEſu Chriſti eingerichtet wuͤrden / und alſo die ſeelen mehrere auffmunterung zu und von ſolchem H. werck fuͤh - leten: dahingegen jetzt alles offt ſehr kalt hergehet / und jeder faſt muͤhe hat / ſich nur ſelbs zur andacht auffzumuntern / welches aber gleich wie den nutzen vermindert / alſo auch das verlangen darnach ſehr zuruͤcke haͤlt; wie mir ein und anderer chriſtlicher ſeelen anligen und kummer in ſolcher ſach bekant und offt in meinen ſchooß ausgeſchuͤttet worden: da aber ſolchen gebrechen auch zu helffen in eines oder andern macht und anſtalt nicht ſtehet. 7. Es iſt kein zweiffel / daß der offtmalige wuͤrdige gebrauch des H. Abendmahls freylich von ſtattlicher krafft iſt / und eine aus Chriſto wiedergebohrne ſeele ausdemS 2leib140Das dritte Capitel. leib und blut ihres Heylandes / die voller himmliſchen und goͤttlichen kraͤff - te ſind / jedesmal zu ihrer erneuerung und ſtaͤrckung einen neuen einfluß und geiſtliche nahrung bekom̃et / zu eꝛfuͤllung deſſen / was deꝛ liebſte Heyland ſagt / Joh. 6 / 55. u. f. Mein fleiſch iſt die rechte ſpeiſe / und mein blut iſt der rechte tranck. Wer mein fleiſch iſſet und trincket mein blut / der blei - bet in mir / und ich in ihm. Wie mich geſand hat der lebendige Vater / und ich lebe um des Vaters willen / alſo wer mich iſſet / der wird auch leben um meinet willen. 8. Daher wo keine andere hindernuͤß iſt / eine ſeele / welche gern in dem innern weſen wachſen will / dieſe ihre anerbotene gnade er - kennet / und gelegenheit dazu hat / wol thut / wo ſie zum offtern und ſo vielmal als ihrs werden kan / und ſie durch einen hunger dazu getrieben wird / ſich dieſer gnade ihres Erloͤſers theilhafftig machet / weil uns je geboten iſt / nach dem wachsthum zu ſtreben / und uns alſo nach muͤglichkeit aller dazu dienli - chen mittel zu gebrauchen. 9. Wo dann eine ſolche ſeele / ſolte es auch zum offterſten geſchehen / dieſer ihrer freyheit und rechts ſich gebraucht / ſolle ſich billich niemand dran aͤrgern / ſolches einer ſcheinheiligkeit oder ſonderlichkeit beſchuldigen / ſondern denjenigen ihre gnade goͤnnen / die der HErr mehrmal derſelbigen wuͤrdiget. Ja es haben Prediger auch fuͤr ſie zu reden / und an - dere vor frevel-urtheil zu warnen: wie ich in Franckfurt auch mehrmal of - fenlich und abſonderlich gethan habe. Wer hingegen uͤbel urtheilet / verſuͤn - diget ſich in der that ſchwehrlich. 10. Jndeſſen kan es faͤlle geben / wo die lie - be ein anders erfordert / und haben will / daß wir uns auch in gewiſſen ſtuͤcken einiges geiſtlichen vortheils begeben / wo wir ſehen / daß andere / ob wol aus ihrer ſchuld / davon mehr ſchaden nehmen wuͤrden. Wir ſehen die krafft der liebe an dem theuren Paulo / bey dem ſie zu dieſem hohen grad kam / Rom. 9 / 3. daß er auch um ſeiner bruͤder der Juden willen / wo es nemlich muͤg - lich waͤre / und dadurch fuͤr ſie gnug gethan werden koͤnte / verbañet zu wer - den gewuͤnſchet. Ob nun dann ſolcher heroiſche grad nicht bey allen iſt / ſo wird doch auffs wenigſte der grad erfordert / daß wir um verhuͤtung unſers nechſten geiſtlichen ſchadens und aͤrgernuͤſſes willen / ſonderlich wo ſolches auch ſchwache betrifft / bereit ſeyn / nicht zwahr an unſerm heyl ſelbs ſchaden zu leiden / aber doch einer wietern ſtaͤrckung und erquickung um derſel - ben willen aus liebe zu entrathen. 11. Davon hoffe auch nicht / daß eine ſol - che ſeele ſonderlichen nachtheil leiden ſolle / nicht allein weil wir gleichwol auch aus der geiſtlichen nieſſung des leibes und bluts unſers Heylandes eben ſo wol eine herrliche krafft und ſtaͤrckung / ja das meiſte deſſen was die Sa - cramentliche geben kan / (die frucht betreffend) erlangen / und daher der an - dern offteren wiederholung nicht bloſſer dings beduͤrfftig ſind / (wie man jain141ARTIC. I. SECTIO XXIV. in entſtehung aller gelegenheit zu dem Sacrament ſich ohne verluſt der ſee - ligkeit mit jenem vergnuͤgen kan) ſondern auch / weil ich der goͤttlichen guͤte uñ weißheit allerdings gemaͤß befinde / daß ſie einer ſolchen ſeelen / ſo aus einer wahren liebe und ſchonen des nechſten ſich einiges ſtuͤcks ihres troſts willig - lich begiebet / was ſie darinnen verliehret / auff andere ihr bekannte art kraͤff - tig wiſſe zu erſetzen / daß ihr doch in der that nichts mangeln muß / nachdem je / ob wol wir an dem gebrauch aller mittel von unſrer ſeiten nach aller muͤglichkeit gebunden ſind / ſie hingeen ſich nicht daran bindet / ſondern wuͤr - cket / wann / durch was / und wie ſie will. 12. Voraus geſetzt nun dieſer din - ge / halte ich dafuͤr / ob ich wol derſelben zu dero geiſtlichem wachsthum die off - tere wiederholung der ſeligen communion hertzlich goͤnnete / daß ſie dannoch / bey gegenwaͤrtiger dieſer zeit umſtaͤnden / GOTT gefaͤlliger thun werde / ſich derſelben noch jetzt zu enthalten / als ſich ihres rechts zu gebrauchen / und alſo auch aus liebe der andern lieber etwas zu entrathen / als andern ſich zu ver - ſundigen anlaß zu geben. 13. Die urſachen ſind ziemlich offenbahr; dann nach dem es durch einiger widriger leute / theils practiquen / theils unbeſon - nenen eiffer / dahin gekommen iſt / daß das gantze land / ja Teutſchland mit dem geruͤcht einer neuen ſecte / des Pietiſmi, erfuͤllet worden iſt; welches geruͤcht ſo wol ſchwache ſehr niederſchlaͤget / und irre machet / als einigen boßhafftigen gelegenheit zu vielen laͤſterungen und andern ſuͤnden urſach giebet / will nun chriſtliche klugheit und liebe erfordern / daß ſeelen / die ihr heyl ernſtlich ſu - chen / ſonderlich die bereits in den verdacht dergleichen vermeinter ſecte gera - then ſind / ſich ſehr vorſichtig aufffuͤhren / und zwahr deßwegen um der welt zu gefallen nichts derjenigen pflichten unterlaſſen / die ſie ihrem GOTT ſchuldig / und die ihnen zu ihrer geiſtlichen ſtaͤrckung noͤthig ſind; aber was alles uͤbrige anlangt / ſo noch ohne an GOtt ſich zu verſuͤndigen / und ſich allzu ſehr zu verſaͤumen / unterlaſſen werden kan / in demſelben desjenigenſich ent - halten / ſo zu neuen nachreden oder vermehrung der vorigen / auch zu neuem ſtreit / anlaß geben koͤnte / davon gewiß andere / ſonderlich ſchwache / ſchaden nehmen moͤchten. 14. Weilen dann nun die gar offtere empfangung des H. Abendmahls eins theils nach vor ausgefuͤhrtem nicht bloß nothwendig / andern theils aber / ſonderlich weil ſie von deroſelben allein geſchehe / nicht nur einigen ſchwachen ſelbs einige ſcrupul machen / und ſie was ihnen zu thun waͤre / in zweiffel ſetzen / ſondern auch das geſchrey von den Pietiſten auffs neue vermehren / und gleichſam einen neuen deroſelben glaubens - articul bey denen / welche gern alle gelegenheit aufffaſſen / machen / und alſo nur zu mehr ſuͤnden anlaß geben wuͤrde / ſo ſehe ichs an als ein exempel des - jenigen falles / wo die liebe erfordert / auch ſein mehreres geiſtliches dem nech - ſten zum beſten nachzuſetzen. 15. Jch erinnere mich dabey eines falles inS 3Franck -142Das dritte Capitel. Franckfurt / da auch eine frembde jungfrau mehrmal und wo es muͤglich waͤre / alle monat zu communiciren verlangte / daß ich es deroſelben um der urſach willen / weil ſonſten auff ſie die nachrede einer ſonderlichkeit bereits gefallen war / mißrathen / ohne daß ſich nachmal das mittel fand / daß weil ich ihr beicht-vater / in zwo kirchen bey beicht und dem heiligen Abendmahl zu ſeyn pflegte / ſie in beyden kirchen communicirte / da ſolches offtmalige weni - ger von der gemeinde beobachtet worden / und zu urtheilen urſach geben kon - te. Hingegen ſehe ich kein mittel nicht / wie dergleichen bey deroſelben ſich auffs wenigſte zu dieſer zeit practiciren lieſſe / maſſen was man vornehmen wolte / noch mehr difficultaͤten geben wuͤrde. 16. Daher nochmal dabey bleibe / daß dieſelbe am rathſamſten vor ihre und anderer ſeelen thun wuͤrde / wo ſie / es waͤre denn ſache / daß dero wertheſter ehe-herr ſich gleichfals reſol - virte / etwa ein oder zweymal weiter des jahres ſich einzuſtellen / es bey bis - heriger von ſaͤmmtlichen gebrauchter ordnung lieſſen / und ſich dieſelbe com - munion allezeit ſo viel hertzlicher zu nutze machten: hingegen wo ſie auſſer dem ſich zu einem innigen verlangen ſolcher ſeelen-ſpeiſe getrieben fuͤnden / einige tage ſich dazu ausſehen / da ſie etwa mit einigen chriſtlichen ſeelen der ihrigen / ſich die betrachtung des bittern leidens und ſterbens ihres Heylan - des lieſſen mehr als ſonſt angelegen ſeyn / an dieſelbe und den hertzlichen danck davor mit andacht / leſen / beten und ſingen / und alſo zur verkuͤndigung ſeines todes (dazu ſonderlich das Sacrament eingeſetzet iſt) mehr zeit anzuwen - den: welches dann das ſonderbarſte mittel iſt / auch ohne brod und wein den leib und blut Chriſti geiſtlich zu genieſſen und ſich damit zu ſtaͤrcken. Wie dañ der chriſtliche Juriſt Herr D. Ahaſverus Fritſch / ein tractaͤtlein von der geiſtlichen nieſſung geſchrieben und mir communiciret hat / ſo ich aber nicht erfahren / ob es ſeit wenigem gedruckt moͤchte worden ſeyn. 17. Auff dieſe weiſe / wie dieſelbe anderer aus liebe ſchonen wird / verſichere ich mich / daß ihrer lieben ſeelen an nichts / weſſen ſie bedoͤrfftig iſt / einiges abgehen ſolle / hingegen der HErr die ſeltenere communion und oͤfftere geiſtliche nieſſung zu ihrem verlangten wachsthum gnugſam ſegnen werde. Unſer treueſte JEſus gebe auch hierinnen ſeinen willen mit feſtigkeit und verſi - cherung zu erkennen / heilige ſie immer ſammt den ihrigen und allen / die ihres orts ihn hertzlich lieben / mehr und mehr / und bringe doch dermaleins (ach daß es bald geſchehen moͤchte!) ſeine kirche in den ſtand / wo man weniger ſorge bey verrichtung des guten haben / und ihm freyer in allen ſtuͤcken dienen / auch ſeiner gnade reichlicher genieſſen moͤge. 1690.

SECTIO143ARTIC. I. SECTIO XXVII.

SECTIO XXVII. Von der freyheit ohne privat-beicht und abſoluti - on zum heiligen Abendmahl zu gehen. Was deßwegen in Berlin vorgegangen; mit anhaͤngung einer in der ſache gehaltenen Predigt.

WAnn derſelbe die wahre beſchaffenheit / was es vor eine bewandnuͤß habe mit dem Chur-Fuͤrſtlichen deciſo wegen freyheit des beicht - ſtuhls / weil in ihrer gegend ſo unterſchiedlich davon geredet werde / von mir verlanget zu wiſſen / iſt mir lieb / die gelegenheit zu haben / die wahre beſchaffenheit und ordnung des gantzen geſchaͤfftes mitzutheilen / der guten zuverſicht / derſelbe werde auch andern ſo viel nachricht / als jedwedem noͤthig / und die rettung der unſchuld einiger leute erfordert / zu ertheilen willig ſeyn. So verhaͤlt ſichs nun alſo: wie unſer nun ſeeliger Herr M. Johann Ca - ſpar Schade ein treuer diener Gottes bey uns geweſen / deſſen amt Gott auch an ſo vielen ſeelen / von alten und jungen / zu dero bekehrung ſo reichlich / als kaum einiges andern / geſegnet hat / alſo hat ihn auch bald vom anfang des antrits nichts mehr geaͤngſtet / als die verwaltung des beicht-ſtuhls / die in gegenwaͤrtigem zuſtand unſerer zeit die gemeinſte marter iſt aller treuen diener des HErren / daß ſie viele anfechtung davon ausſtehen. Er hatte aber ſeine ſcrupul nicht uͤber den beicht-ſtuhl ſelbs / ſondern / daß er allen / die zu der beicht kaͤmen / die hand aufflegen / und die abſolution ſprechen ſol - te / da er nicht gelegenheit haͤtte / ihre wuͤrdigkeit zu beruhigung ſeines gewiſſens recht zu pruͤffen / ja nach dem er allgemach viele ſeiner beicht-kinder kennen gelernet / an deroſelben wuͤrdigkeit ſtarck zu zweiffeln urſach zu haben meinte. Dieſe angſt nahm / ohngeachtet alles / womit er ſelbs und durch un - ſern zuſpruch ſich auffzurichten meinte / immer zu / ſo viel mehr als die zahl ſeiner beicht-kinder ſich algemach mehrte / und er auch dieſelbe mehr und mehr kennen lernete. Zwahr trachtete er ſich nach muͤglichkeit darhin zu be - ſtreben / daß er an denen / die er erkennete / nichts verſaͤumete / wohin nicht allein ſeine oͤffentliche amts-verrichtungen / ſondern auch in ſeinem hauſſe mit alten und jungen angeſtelte examina, hauß-beſuchungen ſeiner beicht-kin - der / ſonderlich daß er die ſich ſonnabend anmelden wolten / vorhin freytags zu ſich kommen laſſen / und ſie vorbereitete / und andre dergleichen uͤbungen / abzieleten: dabey andre meiſte nicht nur gnug / ſondern auch ein uͤbriges ge - than zu haben gedacht haͤtten. Doch wolte ſeine angſt ſich nicht legen / die ſchon allemal freytags anfieng / nicht allein den ſonnabend / ſondern auch wei - ter / waͤhrte / daß er manchmal die nacht auf den ſonntag an ſtatt ſchlaffens / mit lauter jam̃ern und ſeuffzen zubrachte / uñ mit gan[tz]geſchwaͤchten kraͤfftendie144Das dritte Capitel. die ſonntags-arbeit antreten muſte. Dieſe angſt hat ihn endlich zu den fra - gen / die er uͤber die materie edirt / und andern ſchrifften / auch harten expreſ - ſionen / gebracht / als da er geſprochen: beicht-ſtuhl / ſatans-ſtuhl / hoͤllen - pfuhl: daruͤber ſo vieler lermen entſtandẽ; wiewol aus eben derſelben ſchrifft / da die worte ſtehen / das vorhergehende und folgende klahr gnug zeigten / daß damit nicht von der ſache ſelbs / ſondern dem mißbrauch / geredet werde / weil er ſelbs erkennet / daß der beicht-ſtuhl wohl gebraucht werden koͤnte / welches man von nichts zu ſagen vermag / daß an ſich des teuffels iſt. Jch verſuchte auch oͤffentlich durch guten unterricht von dem beicht-weſen der ſache zu ra - then / da ich nicht allein 1695. den 7. aug. auff einen buß-tag / des beicht-we - ſens in den Evãngeliſchen kirchen rechten gebrauch und mißbrauch vorſtellete / ſondern auch 1697. 3. Mart. abermal auff einen buß-tag die ma - terie wiederhohlte / vornemlich den leuten die falſche zuverſicht / die ſie auff das bloſſe werck der beicht und empfangung der abſolution ohne wahre buß ſetzten / zubenehmen / und ſie dahin zu bringen / daß ſie mit chriſtlicher Lehrer angſt / die ſie uͤber den beicht-ſtuhl lidten / mitleiden truͤgen / hingegen ſie durch anderes bezeugen erleichterten. Weil aber nicht allein obige harte wort / die er ſchrifftlich und muͤndlich wiederhohlt / faſt insgemein bey allen / auch wol guten ſeelen / allzugroſſen anſtoß verurſacht / ſondern Herr Schad auch in dem anfang des 1697. jahrs ohnbefragt jemanden / um ſelbs ſeinem gewiſſen zura - then / ſich unterſtanden hatte / in der ſacriſtey / die ihm zueiniger erleichterung / weil er mit jeder perſon abſonderlich daſelbs freyer handlen koͤnte / von un - ſerm geſamten Miniſterio zu S. Nicolai zum beicht-ſtuhl angewieſen geweſt / er ſich auch derſelben eine gute zeit dazu gebrauchte / an ſtatt der ſonſt gewoͤhn - lichen privat-beicht und abſolution 2. ſonnabend nacheinander mit allen ſei - nen beicht-kindern zumalen zu handlen / und es bey einer gemeinen abſoluti - on zu laſſen: daraus ſo bald eine groͤſſere bewegung entſtunde / und nicht al - lein diejenige / die ihm ſeines chriſtlichen eiffers wegen ohnedas gehaͤßig wa - ren / in die euſſerſte bitterkeit gegen ihn geſetzet wurden / ſondern auch viele rechtſchaffene Chriſten / die ihn ſelbs liebten / nicht anders konten / als groſſes mißfallen davon zu bezeugen / (indem es das anſehen gewann / eigen maͤchtig in unſrer kirch den beicht-ſtuhl abzuſchaffen) ſo war nicht gnug / daß ihm die fortſetzung des angefangenen inhibirte / (darauff er zwahr ſo bald das ange - fangene unterließ / aber damit ſich insgeſamt des beicht-ſtuhls enthielte) ſon - dern ich fande auch noͤthig / daß in gedachter predigt des 3. Mart. ſo wol dieſes eigenmaͤchtige beginnen / als unrecht gethan / unbillichte / ſondern auch we - gen jener wort mich alſo vernehmen lieſſe: daher man ja den beicht-ſtuhl keinen ſatans-ſtuhl nennen ſoll / noch ohne ſuͤnde kan / weder nachdem -145ARTIC. I. SECTIO XXVII. demjenigen / was ſelbs von goͤttlicher einſetzung drinnen iſt / noch auch was aus der kirchen anſtalten in dem rechten gebrauch dazu gekom - men iſt. Verſtehet man aber nur den mißbrauch / darinnen freylich der ſatan / wie in allem mißbrauch / ſein werck hat / ſo muß man nicht den beicht-ſtuhl nennen / ſondern allen mißbrauch zu vermeiden / deut - lich reden. Jndeſſen war aus dieſer urſach die ſtadt voller unruhe / indem der groͤſte theil der buͤrgerſchafft / theils aus ohne das gegen den mann und deſſen ernſtliches weſen gefaßten haß / theils aus eiffer vor dieſe der Luthe - riſchen kirchen ceremonie und ſorgfalt vor die religion / entweder daß er wie - der zu dem beicht-ſtuhl ſich einfinden / und denſelben nach der gewohnheit ver - walten ſolte / oder daß er ſeine dimiſſion haben moͤchte / verlangte. Auch moͤchte / weil er zu jenem ſich nicht verſtehen wolte / der Chur-Fuͤrſtl. Hoff / der in Preuſſen damal war / zu dieſem letztern reſolviret haben / wo nicht ſo wol von hieſigem Stadt-rath favorabel fuͤr ihn relation abgeſtattet worden / und durch eine ſonderbare unterthaͤnigſte ſupplique an unſers gnaͤdigſten Chur-Fuͤrſten und Herrn Durchlaucht. eine ziemliche anzahl der buͤrger fuͤr ihn eingekommen waͤren. Deßwegen dann eine commiſſion zu unterſu - chung der gantzen ſache gnaͤdigſt verordnet wurde / beſtehende aus 9. Lutheri - ſchen aus den Chur-Fuͤrſtlichen Raͤthen / dem Miniſterio und Stadt-Rath; und dero Herr geheimde Rath / Freyherr von Schwerin / weil Hr. ge - heimbde Rath von Fuchs (in deſſen expedition ſonſten die kirchen-ſachen einlauffen) mit in Preuſſen war / præſidiren ſolte. Dieſe wurde nun in der geheimen raths-ſtub gehalten den 17. May 1697. dazu erſt 4 Stadt-Verord - nete und 8 wegen der viergewercke erſchienen / und durch ihren advocatum denunciando ihre klagen mit mehrerem anfuͤhrten: auff ſolche aber Herr M. Schade (der auff gethanes anbieten ſich doch keines advocati gebrauchen wolte /) ſelbs alſo antwortete / daß mich (der ich mit in der commiſſion war) nicht allein hertzlich deſſen freuete / und einen guten ausgang durch GOttes gnade bereits zu ſehen meinte / ſondern auch nicht zweiffle / daß den meiſten Herrn Commiſſariis werde dadurch gnug geſchehen ſeyn. So bald aber Herr M. Schade ſeine antwort geſchloſſen / trat eine gute anzahl buͤrger aus Berlin und Coͤlln vor / ſich auch durch einen advocatum interveniendo meldende. Jhr vortrag ging zum forderſten dahin / daß / weil die andre in dem nahmen der gantzen buͤrgerſchafft gegen Herr M. Schaden geklagt / ſie und ſo viel an - dre von ſolcher klage nichts gewuſt / noch darinn conſentiret; da ſie hingegen demſelben das zeugnuͤß eines treuen Predigers und Seelſorgers geben koͤn - ten / und das feſte vertrauen zu ihm truͤgen / daß er alles wider ſich angegebene gnugſam elidiren werde / wo er aber in einigen ratione modi, gefehlet / hoff -Tten146Das dritte Capitel. ten ſie / daß aus abſicht der guten intention ihm ſolches gnaͤdigſt pardoni - ret werde werden. Bis ſo weit hoͤrte ich mit groſſem vergnuͤgen zu. Hier - auff aber fuhr advocatus im nahmen ſolcher buͤrgerſchafft fort / daß ſie den beicht-ſtuhl auff ſolche art als vorhin / nicht mehr mit gutem gewiſſen betre - ten koͤnten noch wolten. Sie haͤtten / ehe ſie beſſer informiret worden / aus dem beicht-ſtuhl gleichſam einen abgott gemacht / und darvor gehalten / daß auſſer demſelben und der ohren-beicht keine vergebung der ſuͤnden zu erlan - gen waͤre; nunmehr aber wuͤſten ſie ſich wol zu beſcheiden / daß zwahr con - feſſio und abſolutio in der kirchen nothwendig bleiben muͤſten / aber deßwe - gen der beicht-ſtuhl und ohren-beicht nicht eben noͤthig ſeyen. Weil aber ihre gemuͤther und ſeelen nicht wenig durch dieſe verunruhiget worden / hin - gegen ſie von den Predigern ohne privat-beicht / die auch Herr D. Luther frey haben wollen / und Chriſtus ſein heiliges Abendmahl ohne dieſelbe eingeſetzt habe / zu dem tiſch des HErrn nicht zugelaſſen werden moͤchten / bitten ſie es dahin zu richten / daß ihnen frey ſtehen moͤge / jedem nach befindung ſeines ge - wiſſens ſich der beicht in ſpecie zu gebrauchen / oder auch ohne vorhergegan - gene beicht des heiligen Abendmahls zu genieſſen / welche freyheit ihres ge - wiſſens ſie von Sr. Chur-Fuͤrſtl. Durchl. unterthaͤnigſt hoffeten: dabey ſie conteſtireten / daß ihnen dieſes nicht etwa auff vorſtellung beklagten Herrn M. Schadens in den ſinn gekommen / ſondern ſie vorlaͤngſt nur aus gehorſam gegen die kirchen-ceremonie ſich der ohren-beicht mit nicht geringer kraͤnckung ihrer gewiſſen gebraucht haͤtten. So angenehm mir nun der vorige vortrag geweſen / ſo hertzlich hat mich dieſes petitum erſchreckt / und gleichſam nider - geſchlagen / indem ich leicht die weitlaͤufftige und zweiffelhafftige folgen dar - aus mir vorgeſtellt: und zwahr bewegte mich ſolches ſo viel mehr / weil vor - her von dieſem vorhaben weder von jemand ſolcher buͤrger / noch Herr M. Schaden / deſſen klagen allezeit nur einem Prediger / der abſolviren ſolte / nicht aber einem beichtenden das hertz ſchwehr machen konten / das geringſte wort gehoͤret oder vermuthung gehabt haͤtte. Nur daß mich entſinne / wie einige jahr vorher / ehe dieſer lermm angegangen / ein Chur-Fuͤrſtlicher Rath / der mit Herr Schaden nicht bekannt / als er mich beſuchte / im diſcours gemel - det / daß er und mehrere andere unſerer religion bey ſich faſt ſchluͤſſig worden waͤren / bey Seiner Chur-Fuͤrſtlichen Durchl. unſerm gnaͤdigſten Herren / un - terthaͤnigſt um diſpenſation anzuhalten / daß ſie ohngebeichtet zum heiligen Abendmahl gehen doͤrfften. Jch zeigte ihm aber / ob ich wol den beicht-ſtuhl nicht fuͤr bloß nohtwendig hielte / auch von jugend auff (wie es in dem Elſaß gebraͤuchlich) ohne privat-beicht communiciret haͤtte / daher ehe ich jemal ge - beichtet / 25jahr alt geweſen; ſo dann bekannte / daß bey unſern beicht-anſtall - ten der zweck der kirche nicht erlangt wuͤrde / daher die meiſte keinen nutzen /eini -147ARTIC. I. SECTIO XXVII. einige gar ſchaden / davon haͤtten / daß dannoch dergleichen geſuch / wegen der gemuͤther dieſes orts bewandnuͤß / und daher beſorglichen aͤrgernuͤſſes / durch - aus nicht zu rathen ſeye / ſondern man ſich in gedult dieſer kirchen-ceremonie zu bequemen haͤtte. Als aber derſelbe immer auff ſolchem fuͤrhaben beharr - te / bat ich endlich / weil er liebe gegen mich bezeugte / er und andre freunde moͤchten auffs wenigſte meiner darinnen ſchohnen / und ſo lang ich lebte / nichts dergleichen verſuchen / indem ſie leicht vorſehen koͤnten / wo dergleichen bey meinem leben vorginge / daß mir / ob ich wol unſchuldig / dennoch deſſen ſchuld in und auſſer dieſem lande wuͤrde beygemeſſen werden; welches er auch wol begriffe. Daher von ſolcher zeit an nichts mehr von ihm der ſache wegen gehoͤret habe.

Jch kehre aber wieder zu meiner angefangnen erzehlung. Weil dann nun in der commiſſion geſchloſſen wurde / daß nechſt unterthaͤnigſter relation jeglicher der Commiſſariorum auch ſeine gedancken daruͤber einſchicken ſolte / wurde es mir und unterſchiedlichen andern ſchwehr / einen ausgang aus die - ſer ſchwehrigkeit zu finden / indem von beiden ſeiten / die wichtigſten momen - ta vor augen ſtunden. Der interveniren den buͤrger verlangen zu willfah - ren / moͤchte rathſam machen 1. daß die privat-beicht und abſolution / wie ſie in unſern kirchen uͤblich / bekanntlich kein goͤttlicher befehl / ſondern eine menſchliche einſetzung und an ſich adiaphorum ſeye / welche dinge aber zur laſt der gewiſſen nicht werden ſollen. 2. Daß ſie nicht in allen Evangeliſch - Lutheriſchen kirchen hergebracht / ſondern in und auſſer reichs viele gemein - den ſind / die ſich vergnuͤgen mit einer vorber eitung und allgemeinen abſolu - tion / damit auch die intervenienten zu frieden ſeyn wuͤrden. 3. Daß die zahl deren / die ſolches begehrten / groß ſeye / wie dann einem ſupplicato an Seine Chur-Fuͤrſtl. Durchl. darinnen ſie um ſolche freyheit auch angehal - ten / auff 50 unterſchrieben / und ſich vernehmen laſſen / daß mehr als noch ſo viele dieſes ſinnes waͤren / daher es ſchwehr wurde / eine ſo ſtarcke anzahl der gemeinde / in einer ſache / darinnen ſie ſich auff die von Chriſto habende frey - heit berieffen / nicht zu erhoͤren. 4. Daß ſie auch nichts eigenmaͤchtig vor - genommen / ſondern die ſache bey dem ſummo Epiſcopo ſuchten. 5. Daß ſie auch Lutherum vor ſich haͤtten / der ſo ernſtlich er die privat-abſolution fuͤr die / ſo ihrer beduͤrfftig / in der kirchen beybehalten haben wollen / alſo daß er ſie um aller welt gut nicht fahren zu laſſen gemeinet / eben ſo ernſtlich allen zwang davon ausgeſchloſſen / und die beichtfrey gelaſſen haben wollen. Als kirchen-poſt. in der Sermon von der beicht: wiewol es nicht geboten ſoll werden / auff daß man nicht ein gewiſſen daruͤber mache / als muͤſte man zuvor beichten / ehe man zum Sacrament gehe. Tom. 1. Alt. fol. T 2795. a. 148Das dritte Capitel. 795. a. will er auch die beicht nicht zu einem noth-ſtall gemacht / und mit geboten verfaßt haben / ſondern daß ſie als die jungfrauſchafft frey bleibe. Tom. 2. Alt. f. 114. b. Darum hab ichs geſagt und ſags noch / daß ich mir dieſe heimliche beicht nicht will nehmen laſſen / ich will auch niemand dazu zwingen oder gezwungen haben / ſondern einem jegli - chen frey heim ſtellen. Tom. 7. Alt. fol. 10. b. und in dem unterricht der viſitatorum an die Pfarherrn in dem Chur-Fuͤrſtenthum Sachſen: (welche ſchrifft die art einer kirchen-Ordnung hat) Es ſoll niemand zum Sacra - ment gelaſſen werden / er ſeye dann vorhin bey dem Pfarherrn gewe - ſen: der ſoll hoͤren / ob er vom Sacrament recht unterrichtet ſeye / ob er auch ſonſt raths bedoͤrffe / oder ſeye eine ſolche perſon / die man ſihet und weiſt / daß ſie alles wol berichtet ſeye. Denn ob der Pfarherr ſelbs oder Prediger / ſo taͤglich damit umgehen / ohne beicht oder verhoͤr zum Sacrament gehen will / ſoll ihm hiemit nichts verboten ſeyn. Deßgleichen iſt auch von andern verſtaͤndigen perſonen / ſo ſich ſelbs wol zu berichten wiſſen / zuſagen / damit nicht wieder ein neuer papſt - zwang oder noͤthige gewohnheit aus ſolcher beicht werde / die wir ſollen und muͤſſen frey haben. Und ich D. Martin ſelbs etliche mal ungebeichtet hinzu gehe. Daß ich mir nicht ſelbs eine noͤthige ge - wohnheit mache im gewiſſen; doch wiederum der beicht brauche / und nicht entbehren will / allermeiſt um der abſolution / das iſt / Got - tes worts willen: dann das junge und grobe volck muß man anders ziehen und weiſen / weder die verſtaͤndige und geuͤbte leute. Und fol. 126. doch ſo fern daß es alles frey bleibe / denjenigen unverboten / die derſelben abſolution brauchen wollen / und von ihrem Pfarherr viel - leicht lieber haben / als von einer offentlichen kirchen-perſon / dann von einem andern / auch vielleicht nicht entbehren koͤnnen. Wie - derum diejenige ungezwungen / zuvor ſo ſie wol berichtet im glauben und in der lehre Chriſti ſind / ſo allein GOTT beichten wollen / und das Sacrament darauff nehmen / die ſoll man nichts weiter zwingen. Dann es nimmts ein jeder auff ſein gewiſſen / 1. Cor. 11 / 28. Weil nun Lutherus ſo ſtarck auff dieſe freyheit getrieben / (wie dann dergleichen ſtellen noch mehr in ſeinen ſchrifften ſich finden) daß ers auch in die erſte Saͤchſ. kirchen-ordnung ſetzen laſſen / wuͤrde es ein hartes ſeyn / wo man deroſelben gebrauch denen nicht verſtatten wolte / die ihn ſehnlichver -149ARTIC. I. SECTIO XXVII. verlangten: auch wuͤrde es ſie ſo viel mehr aͤrgern / ſonderlich weil unter de - nen / die am meiſten ſolche ſuchten / einige von langer zeit Lutheri ſchrifften fleißig geleſen / dieſes daraus geſchoͤpfft hatten / und deswegen an der verſa - gung ſich mehr ſtoſſen wuͤrden. 6. Daß die leute ſich immer auff den anſtoß ihres gewiſſens bezoͤgen / daß ihnen die beicht zur laſt wuͤrde / und ſie mehr in der andacht ſtoͤhrete / weil ſie nicht aus freyem trieb kaͤme / ſondern dazu genoͤ - thiget / auch von den meiſten Predigern ohne unterſchied alle alſo tractiret wuͤrden / ob muͤßtẽ ſie jedesmal erſt in dem beicht-ſtuhl aus kindern des zorns / kinder der gnaden / und die ſuͤnden / die ihnen noch zugerechnet waͤren / erſt vergeben werden; deſſen doch das gewiſſen diejenige / die in ſtaͤter buß und glauben einhergehen / gantz anders verſichere. 7. Daß hingegen andere / welche den beicht-ſtuhl ihnen troͤſtl. finden / und daher ihn gern allezeit brau - chen wolten / ihre freyheit auch behielten / dem trieb ihres gewiſſens nachzu - gehen: indem ſie die gaͤntzliche abſchaffung des beicht-ſtuhls nicht forderten. 8. Daß man bereits in dieſem land ein gleiches exempel einiger freyheit an dem exorciſmo habe / da den eltern denſelben bey ihren kindern zugebrauchen / oder auszulaſſen erlaubt ſeye. 9. Daß damit auch denen gerathen wuͤrde / die von ſolchen orten herkaͤmen / da die privat-beicht nicht uͤblich / und ſolchen leuten gemeiniglich ſchwehr falle / ſich erſt zu dergleichen zu gewehnen / indem ſie dabey blieben / wie ſie von jugend auff gewohnt geweſen. 10. Daß / im fall den leuten in dem petito, das ſie billich zu ſeyn glaubeten / nicht gefuͤget wuͤr - de / viele derſelben ſich opiniaſtriren und der communion gar enthalten moͤch - ten / daraus es bald zu einem voͤlligen ſchiſmate, wo nicht gar eigenmaͤchti - gen privat-communionen / ausſchlagen / denſelben alsdann aber nicht mehr ſo leicht und ohne die groͤſſeſte motus wieder abgeholffen werden koͤnte. 11. Daß alſo Herrn M. Schaden / auch ſolches ſtuͤck des predigamts / davon ihn ſonſten ſein gewiſſen noch abhaͤlt / anvertrauet werden koͤnte. Wie nun dieſe mo - menta kein geringes gewicht hatten / die verlangte freyheit zu belieben / wa - ren hingegen die gegen-gewichte nicht geringer / die in folgenden ſtuͤcken be - ſtunden. 1. Ob wol die privat-beicht nichts mehr als ein adiaphorum und kirchen-gebrauch zu erkennen / ſo verbinden doch auch dieſelbe im gewiſſen um guter ordnung willen / als lang die kirche / dabey alle ſtaͤnde ſeyn muͤßten / ſie nicht auffhebet. 2. Jn der Augſp. Conf. als unſerm allgemeinen Symboli - ſchen buch / da auch die Reformirte zu unterſchreiben ſich erboten / wird art. 11. die beicht in der kirchen zu behalten / befohlen; ſodann art. 25. der Kaͤyſer und das reich verſichert / daß niemand das Sacrament gereichet werde / er ſeye dann zuvor verhoͤrt und abſolvirt / dagegen dieſe freyheit ſtreiten moͤchte. 4. Wie es ſehr widrige urtheil an andern orten nach ſich ziehen / und hieſige kirche boͤſen nachreden freyſtellen wuͤrde / alſo wuͤrden ſich auchT 3hier150Das dritte Capitel. hier ſchwache und unberichtete ſehr daran aͤrgern / da wir doch um verhuͤtung aͤrgernuͤß willen uns auch nach Rom. 14. des gebrauchs unſrer freyheit be - geben ſolten. 5. Die verbitterung der gemuͤther / die ſich gleich bey der com - miſſion an dem gegentheil gezeiget / wuͤrde durch die dem ſchwaͤcheren theil zulaſſende freyheit / nicht nur unterhalten / ſondern vermehret / und die ſich ihr gebrauchten / von den uͤbrigen nicht mehr fuͤr wahre Lutheriſche gehalten werden / daß es zu einer voͤlligen trennung ausſchlagen / ſorglich bey gelegen - heit (vielleicht ſelbs unter ehe-leuten) viel ſtreit / zanck / ja wol gar in allerhand zuſammenkuͤnfften / ſchlaͤgereyen / wo nicht gar mord und todtſchlag / veran - laſſen koͤnte. 6. Jn dem Miniſterio ſelbs iſt zu ſorgen / daß dergleichen frey - gebung viele irrung und aͤrgerliche mißhelligkeit zu vielem andern nachtheil erwecken moͤchte. 7. Jn anſehung deſſen / ſolten diejenige / welche die frey - heit verlangen / aus der ſchuldigen liebe des nechſten / damit ſie dergleichen ungemach / das ſie vor augen ſehen / verhuͤteten / ſich auch ihres rechtes ſo lang begeben / als ſie ſehen / daß der ſchade ſo groß iſt / daß er ihren davon hoffen - den nutzen uͤberwiegen wuͤrde. 8. Und zwahr ſo vielmehr / weil der vorwen - dende ſcrupel ihres gewiſſens von der erheblichkeit nicht iſt / wie etwa der Prediger von ihrer ſeiten / wann dieſelbe ſorgen muͤſſen / in verrichtung ihres amts wegen ungewißheit der wuͤrdigkeit des abſolvendi, zu ſuͤndigen; da hingegen dieſe nicht ſagen koͤnnen noch werden / daß wo beicht-vaͤter und beicht-kinder ſich recht bezeugen / durch den gebrauchder beicht geſuͤndigt wer - de; indem ſie es ſelbs fuͤr ein frey mittel-ding und es einigen und in gewiſſen faͤllen noͤthig zu ſeyn glauben / alſo daß ſie nicht darin zu ſuͤndigen gewiß ſeyn koͤnnen: ſondern es kommt alle beſchwehrde darauff allein an / daß ſie zu ei - nem actu genoͤthigt wuͤrden / den ſie im gewiſſen ihnen nicht noͤthig finden / und der ihnen ohne nutzen bleibe / weil ſie ſich an der allgemeinen abſolution gantz vergnuͤgten: dergleichen aber iſt eine beſchwehrde / die ſie aus liebe zu andern viel lieber tragen / als anderer gewiſſen irre zu machen haͤtten; ſo viel - mehr / weil ſie auch nicht allein ihre beicht nach ihrem gewiſſen jeder frey ein - richten / ſondern auch wo ſie chriſtliche verſtaͤndige beicht-vaͤter haben / ſich mit denſelben alſo unterreden moͤchten / daß auch dieſer abſolutions-formul ih - nen nicht anſtoͤßig ſeye; wie denn auch dieſe ihnen zu fuͤgen verbunden ſind. 9. Es haben ſolche leute billich ſich des exempels der erſten Chriſten zu erin - nern. Es war damals durch den todt JEſu Chriſti allen ceremonien, ihrer beſchneidung und andern ſtuͤcken des levitiſchen geſetzes nicht nur ihre krafft benommen / ſondern gar ein ende daran gemacht / und die glaͤubige in eine voͤllige freyheit davon geſetzt: ſo gar / daß wo ſie mit dem hertzen daran noch hiengen / ihnen auch der gebrauch ſchaͤdlich und verdammlich werden kon - te. Gal. 5 / 2. 3. 4. Unterdeſſen ſo lang als die aus den Juden bekehrte / ſichnicht151ARTIC. I. SECTIO XXVII. nicht recht darein richten konten / und ſich an ihren mitbruͤdern aͤrgerten / weñ dieſe ſich der freyheit gebraucheten / ſo befiehlet Paulus 1. Cor. 8. Rom. 14. daß man ſich ſeiner freyheit ſo lang begeben / und das joch ſolcher be - ſchwehrde aus liebe auffnehmen ſolte / mit dem beyſatz / wo man doch auff ſei - ner freyheit beſtehen / man ſich dadurch an Chriſto ſelbs verſuͤndigen wuͤrde. Ja als ein widriges von ihm ausgebracht worden / ob lehrte er / man ſolle die von Chriſto gleichwol abgethane ſatzungen Moſis gantz verlaſſen / (wir moͤch - ten ſagen / die kirchen-ordnungen hindan ſetzen) ſo wurde ihm von Jacobo und den uͤbrigen Elteſten der chriſtlichen kirchen zu Jeruſalem aufferleget / daß er ein geluͤbde auff ſich nehmen / und denen durch Chriſtum abgeſchaffeten ſatzungen ſich ohne noth aus liebe bequemen muſte / wie er auch that: Apoſt. Geſchicht 21 / 21. u. f. Gleiches verbindet uns auch noch jetzt / daß wir aus liebe und anderer zu ſchohnen / denen / ob wol nicht noͤthigen / doch auch un - ſuͤndlichen kirchen-ceremonien, uns / ſo lang ſonſt noch aͤrgernuͤß zu ſorgen iſt / ob ſchon mit beſchwehrden / unterwerffen. 10. Es iſt billich zu ſorgen / daß ob einigen guten ſeelen / der gebrauch des H. Abendmahls durch ſolche freyheit ſo viel freudiger werden / hingegen viele andere ruchloſe / denen kein ſcrupel ihres gewiſſens dazu anlaß gibet / nach ihrer art derſelben zu mehrer hegung ihrer frechheit / mißbrauchen / und da der zuſpruch des Predigers vor der abſolution noch ein geringes ſtuͤck der kirchen-diſciplin bey denen / die es noͤthig haben / ſeyn mag / mit deſſen hinfallen die boßheit nur einen deſto ſcheinbahrern deckel bekommen wuͤrde. Deswegen dann abermal diejenige / welche ſich der freyheit wol zu brauchen wuͤſten / da ſie andern dadurch zum mißbrauch anlaß zu geben ſehen / lieber ſelbs davon zuruͤck treten ſolten: die Obere aber in ertheilung der freyheit billich auff beyde ſehen / und von wel - cher ſeite der nutze oder ſchade wichtiger / kluͤglich erwegende / den ausſchlag darnach richten muͤſſen. 11. Weil Lutherus ſelbs / da er von der freyheit han - delt / zwahr den wol berichteten ſolche geſtattet / dem groben und jungen volck aber nicht zugeben will / werde es tauſend ſchwehrigkeiten geben / und jeder wollen nicht den unberichteten und groben leuten zugezehlet / ſondern unter die erſte ſorte gerechnet werden. 12. Weil die meiſte und der kirchen nuͤtzlich - ſte ſorge / billich dahin gerichtet werden ſolle / damit die bekehrung der ruchlo - ſen und abhaltung der unwuͤrdigen / die ſich in der ſicherheit ſtaͤrcken / befor - dert werden moͤge / thut dazu dieſe freygebung nichts / ſondern mag wol gar eher eine hindernuͤß derſelben werden. 13. Es wuͤrde das exempel / da es in der haupt-ſtadt eingefuͤhret / auch in dem gantzen lande viel auffſehens ma - chen / und deren eine groſſe anzahl auffſtehen / nicht allein meiſte des Adels / ſondern auch andre / die nicht eben aus dergleichen chriſtlichen anliegen / ſon - dern daß ſie gar keinen zuſpruch leiden / vielmehr gern alle auch ihnen nuͤtzli -che152Das dritte Capitel. che bande von ſich werffen wolten / eine ſolche freyheit fordern / hingegen ſich manch mal weniger in ſchrancken halten laſſen wuͤrden / als wir von den hieſi - gen intervenirenden buͤrgern hoffen koͤnten; worauff gleichwol auch groſſe reflexion zu machen. 14. Sonderlich iſt ein wichtiges bedencken / weil es nicht allein die Berliniſche / ſondern auch Coͤllniſche kirche / (indem auch Coͤll - niſche buͤrger mit angegeben worden) ja wegen der folge die gantze Maͤrcki - ſche kirche angehe / daß mans von ſolcher wichtigkeit zu achten / daruͤber langwirige berathſchlagungen und zu rathziehung aller derer / die es mit be - treffe / anzuſtellen noͤthig ſeyn wuͤrde.

Jch bin verſichert / wer dieſe beyderley rationen mit fleiß uͤberlegen wird / daß es einem jeden ſchwehr fallen wird / auff eine oder andre ſeite den ausſpruch zu geben: daher ich nicht weiter zu gehen gewuſt / als daß rathſam gehalten / den eingekommenen buͤrgern ihr begehren zwahr nicht abzuſchla - gen / ſondern noch auszuſetzen; indeſſen dem geſamten Miniſterio beyder ſtaͤd - te zu befehlen / ſich zuſammen zu thun / und in der forcht des HErrn reifflich zu uͤberlegen / wie das beicht-weſen in hieſigen kirchen auff das erbaulichſte / mit ableinung aller gemeinen mißbraͤuche / und alſo abſchaffung der klagen / welche daſſelbige auch vielen guten ſeelen widrig machen / eingerichtet wer - den koͤnte: ſonderlich aber darauff bedacht zu ſeyn / weil das beicht-geld ſo offt boͤſen ſchein gebe / und den beicht-ſtuhl einigen gewiſſenhafften Predigern / ſo dann zuhoͤrern / verdaͤchtig mache / ob wege zu finden / daß daſſelbe abgeſtellt und zu erſetzung der nothdurfft der Prediger ein ander mittel ausgefunden werden koͤnte. Wo dieſes geſchehe / hatte ich hoffnung / es wuͤrde manchem deꝛ beicht-ſtuhl nicht mehr ſo anſtoͤßig vorkommen / als biß dahin ihnen derſel - be geſchienen / vielleicht auch die gemuͤther bey denſelben in dem ſtuͤck geaͤndert werden: man haͤtte auch gelegenheit indeſſen / mit denen die freyheit verlan - genden buͤrgern ausfuͤhrlich zu handeln / ihnen die wichtige bedencken gegen ihr verlangen / auch was ſie vor verantwortung vieles aͤrgernuͤſſes auff ſich laden wuͤrden / beweglich und nachtruͤcklich vorzuſtellen / damit ſie ſelbs von ihrem begehren abſtuͤnden. Wuͤrde aber mit allem ſolchem nichts ausgerich - tet / und weder durch die zeit noch geſchehene zuſpruͤche die gemuͤther zum weichen gewonnen / vielmehr wuͤrden endlich andre extrema und trennung zu erwarten ſeyn; da waͤre erſt zeit / auffs neue daruͤber zu deliberiren / und end - lich denjenigen / die ſich von ihrem begehren nicht abhalten lieſſen / zuverſtat - ten / daß ſie nach angehoͤrter einer vorbereitungs-predigt und empfangner gemeinen abſolution, ſich des beicht-ſtuhls / welcher den uͤbrigen allezeit ohne eintrag bliebe / enthalten / und doch bey dem Abendmahl ſich einfinden moͤchten.

Nachdem folgendes der Churfuͤrſtliche hoff aus Preuſſen wieder zuruͤ -cke153ARTIC. I. SECTIO XXVII. cke kam / zeigte ſich bald / daß derſelbe zu verſtattung der freyheit inclinirte / doch wurde das geſchaͤffte wegen anderer hindernuͤſſen immer auffgeſchoben. Jndeſſen unterlieſſe ich nicht / bey von freyem aufgeſtoſſener uñ auch ſelbs ge - ſuchter gelegenheit einem und andern von denen / welche die freyheit vom beicht-ſtuhl verlangten / hertzlich zuzuſprechen / daß ſie die liebe darinnen vor - tringen laſſen / und andrer mitglieder unſrer kirchen / die ſich an ihnen aͤrger - ten / ſchohnen; und weil man ihren gewiſſen keinen trang anzuthun ſuchte / von freyen ſtuͤcken ihres begehrens ſich begeben / und der gemeinen ord - nung wieder bequemen moͤchten. Jch bekam auch gelegenheit / als ſolchen ſommer eine aͤrgerliche ſchrifft eines mannes / den man bald an ſeiner ſchreib - art kennen konte / unter dem nahmen Apoſtoliſcher bericht und unter - richt von beicht und Abendmahl / heraus kam / und von einigen nicht ohne belieben geleſen / dadurch aber andre noch mehr erbittert / und viel chriſtliche ſeelen auch hertzlich betruͤbt worden; alſo daß noͤthig war / oͤffentlich davon zu handlen / daß ich den 19. nach Trinitat. ſolches 1697. jahrs bey dem Evange - lio / von der dem gichtbruͤchigen ertheilten vergebung der ſuͤnden / nicht nur dieſelbe in der predigt gruͤndlich widerlegte / ſondern auch des ſtreits in der gemeinde wehemuͤthig erwehnte / und beiden theilen beweglichſt zuſprach / wie ſie ſich gegen einander bezeugen / die widrige ihre bitterkeit ablegen / die andre aber auch wider die liebe ſich auff ihre freyheit mit dero aͤrgernuͤß nicht zu ſtarck beruffen / ſondern lieber weichen ſolten: wie nun mein gantzes hertz in derſelben ausgeſchuͤttet habe / ſo communicire dieſelbe auch copeylich hie - mit. Ob nun wol andre verſtaͤndige glieder unſerer gemeinde / die gleichſam nicht parthey genommen hatten / da ſie meinen ſinn und bekaͤntnuͤß oͤffentlich angehoͤret / damit wol vergnuͤget waren; ſo wurde doch dadurch zur beyle - gung des ſtreits noch nichts ausgerichtet: ſondern der eine theil verharrete in ſeinem grimm und hefftigkeit wie gegen Herr M. Schaden / den ſie als den urheber der ſache anſahen / und gegen diejenige / die vor die freyheit waren. Die andre lieſſen ſich hingegen auch durch keine oͤffentliche oder geheime re - monſtrationes von ihrem ſinn abbringen / ſondern wiederhohlten ihr ſuchen immer auffs neue. Jndeſſen gefiel es GOtt / Herr M. Schaden den 24. Jul. des vorigen jahrs (1698) ſelig abzufodern / und aus dieſen bewegungen in die wahre ruhe zu verſetzen; jene aber wurden dadurch / wie man hoffen moͤgen / nicht geleget / ſondern waͤhreten immerfort / ſonderlich blieben diejenige / ſo vor die freyheit ſtunden / ſo feſt bey ihrem vorſatz / daß ich klahr gnug ſahe / daß / wo ſie das geſuchte nicht erlangten / eher andre unſrer kirchen gefaͤhrlichere reſolutiones und unwieder bringliche aͤrgernuͤſſen (welche die von der frey ge - bung entſtehende weit uͤbertraͤffen) erfolgen / als ruhe erhalten werden wuͤr - de: daß des wegen die ſache endlich gehen lieſſe. Darauff geſchahe / daß S. UChurfl.154Das dritte Capitel. Churfl. Durchlaucht. unſer gnaͤdigſter Herr / der der loͤblichen intention iſt / jedem ſeiner unterthanen ihre gewiſſens-freyheit ungekraͤnckt zu laſſen / nach ſtaͤtem anlauff endlich den 16. Novembr. juͤngſthin ſein deciſum in der ſache zwiſchen den beyden / hieſiger ſtaͤdte ſtreitenden partheyen / die demſelben zu ſeinem ausſpruch gebracht worden / ertheilte / und ſolches ſo wol pronuncii - ren / als durch den truck bekant machen lieſſe; dahin gehende / daß die privat - beichte / wie ſie uͤblich geweſen / fuͤr diejenigen / die ſich derſelben gebrauchen wolten / nach wie vor bleiben / und darinnen nichts geaͤndert werden ſolte / nur daß allezeit alle ſonnabend nachmittag zur zeit der beicht / zudeſto beſſerer vorbereitung der communicanten / ein buß-ſermon vor dem altar zu halten / mit anbefohlen worden. Was aber diejenige anlangt / die ſich einen gewiſ - ſens-ſcrupel uͤber die privat-beicht machten / da ſie ſonſten keines offenbahren aͤrgerlichen wandels uͤberfuͤhret / iſt verordnet / daß ſie / weil ſie nicht zum beicht-ſtuhl gingen / der urſach wegen nicht von den H. nachtmahl abgehalten werden ſolten. Dabey aber dieſe austruͤckliche cautel, damit durch dieſe conceſſion nicht etwa rohen leuten / welche aus andern urſachen / und entwe - der ihrer unwiſſen heit oder boͤſen lebens willen / ſich der privat-beicht enthal - ten wolten / anlaß gegeben werde / das H. Sacrament zu profaniren / ſollen alle diejenige / welche ſich des beicht-ſtuhls enthalten / die woche vor dem ſonn - tag / da ſie das nachtmahl zu nehmen geſonnen / bey einem der Prediger ſich erſt anmelden / damit derſelbe ſein amt darunter an ihnen beobachte. Hie - mit wurde alſo / was einer der haupt-zwecke des beybehaltenen beicht-ſtuhls iſt / nemlich / daß man mit den leuten nach nothdurfft ihres gewiſſens beſon - ders handlen koͤnte / bey ſolchen leuten / die nicht beichten / nicht weniger als bey den andern / ja noch beſſer / weil man bey jetziger bewandnuͤß und umſtaͤn - den / in dem beicht[-]ſtuhl mit keinem recht nach nothdurfft allein handlen kan / erhalten. Jch bin nicht in abrede / daß ich mir mehr lermen uͤber dieſes de - ciſum eingebildet und beſorget habe / als ſich darauff erhoben; denn ob wol von ſeiten einiger Prediger wegen der admiſſion dieſer leute ſchwehrigkeit ſich ereignet / ſo denn vieles murren der leute gehoͤret worden / iſt es doch nicht allein bey der verordnung geblieben / ſondern es leget ſich alles allgemach. Wie ich denn des gaͤntzlichen vertrauens bin / daß ſich mit der zeit die gemuͤ - ther ſelbs mehr vereinigen / einige / welche dieſe freyheit biß dahin als die ge - faͤhrlichſte wunde unſer religion zugefuͤget / angeſehen / dieſelbe ſelbs anders anſehen lernen; hingegen andre / die vor dem beicht-ſtuhl einen greuel gefaßt / auch dieſen fahren laſſen / und nachdem ſie ſich einige mal ihrer freyheit ge - braucht / ihrem gewiſſen nicht weiter mehr zuwider achten werden / in ihrer freyheit ſich wieder bey dem beicht-ſtuhl einzufinden. Damit wird auch das aͤrgernuͤß nach und nach hinfallen / daß durch eine trennung / die aus der be -harli -155ARTIC. I. SECTIO XXVII. harrlichen verſagung entſtanden / unheilbar worden waͤre. Der HErr er - halte uns bey der wahrheit / und laſſe uns ihm ſtets dienen aus glauben in der liebe / in freyheit und gehorſam / in chriſtlicher weißheit und friede / zur heiligung ſeines nahmens / ſeines reichs befeſtigung und ſeines willens voll - bringung um Chriſti willen! Amen. 1699.

  • Hier auff folget aus der im vorhergehenden bericht ange - regten / und den 10. Oct. 1697. uͤber das Evangelium Matth. IX, 1 -- 8. ſonderlich aber v. 2. zu S. Nicolai gehaltenen predigt / die erklaͤhrung des textes und haupt-lehr.

Erklaͤhrung des textes.

ES iſt zu betrachten der abſolvirende / der abſolvirte / und die abſo - lution. Abſolvens, abſolutus, abſolutio.

  • I. Der abſolvirende. Der HErr JEſus / wie aus dem vorigen zu erkennen. Wir ſehen ihn aber an / nicht nur als GOtt / der nach ſeiner hoͤchſten gewalt ſolches thun kan / ſondern auch als wahren menſchen / v. 6. aber daß die menſchheit in der perſoͤhnlichen gemeinſchafft der gottheit / und alſo auch aller ihrer gewalt ſtunde. Er that dieſes werck / als der dazu geſandte Meßias / zu deſſen amt auch dieſer troſt gehoͤrete / Jeſa. 61 / 1. 2. welchen ort der HErr ſelbs auff ſich ziehet Luc. 4. / 18. Alſo iſt GOtt allein derjenige / der die eigentliche macht hat / ſuͤnde zu vergeben: Wie denn Marc. 2 / 7. die Phariſeer nicht in ſolchem ſatz / ſondern nur deſſen uͤbeler anwendung / fehleten. Die urſach iſt dieſe / weil niemand etwas vergeben kan / als an wem unrecht geſchehen iſt: nun geben alle ſuͤnden / ſo viel derſelben einiger maſſen begangen werden koͤnnen / unmittelbar / oder auch mittelbar wider GOtt / da - her ob wol ein jeglicher menſch auch von ſeiner ſeite / die ſuͤnde / ſo fern ſie auch wider ihn begangen worden / vergeben kan; ſo bleibet der ſuͤnder nach erhalte - ner vergebung des nechſten doch noch immer vor GOtt in der ſchuld / die nie - mand als er allein ſelbs nachlaſſen kan.
  • Wie gleichwol der HERR JEſus auch der kirchen und dero dienern Matth. 16 / 19. 18 / 10. Joh. 20 / 23. nicht ſo wol die macht / als die verwal - tung der vergebung der ſuͤnden / anvertrauet habe / ſoll nachmal folgen. Ob nun wol alsdenn eine vom Prediger ertheilte abſolution / bey einem wahr - hafftig-bußfertigen / ſo guͤltig / als Chriſti eigne abſolution / ja vielmehr Chri - ſti / als des Predigers werck iſt; ſo iſt doch nicht allein der groͤſſeſte unterſcheid darinnen / daß der HErr alles auch in ſolchem werck / thut als ein HErr und in. eignem nahmen / wir aber nur als diener / ausrichter ſeines amts und be -U 2fehls /156Das dritte Capitel. fehls / und alſo in ſeinem nahmen; ſondern auch darinnen / daß Chriſtus ſelbs hier in das hertz des gichtbruͤchigen / oder ſo offt er ſonſt ſuͤnde vergeben hat / ſolches menſchen hinnein ſehen / und alſo erkennen konte / ob der menſch wahr - hafftig bußfertig / und alſo der vergebung auch vor GOtt faͤhig ſeye / daher er in ſeiner abſolution nie betrogen wurde. Weil aber wir Prediger men - ſchen ſind / und alſo aus der beicht oder andern kennzeichen offt einen als buß - fertig annehmen / der es doch wahrhafftig nicht iſt / weil wir nicht in das hertz ſehen koͤnnen / ſo geſchiehets wol / daß wir betrogen werden / und jemand ab - ſolviren / der doch um ſeiner unbußfertigkeit willen / der vergebung vor Gott nicht faͤhig iſt / und ſie alſo in der that nicht erlanget. Wiewol alsdenn kei - ner durch die abſolution betrogen wird / der nicht mit eingebildeter oder an - gemaßter buß erſtlich ſich und uns betrogen haͤtte / der deßwegen niemand anders als ihm ſelbs den aus der ihm nicht zukommenden vergebung erwach - ſenden ſchaden / beyzumeſſen hat.
  • II. Der abſolvirte. Der gichtbruͤchige. Ein mann / an dem lei - be gantz elend / der durch einen ſchlag-fluß gelaͤhmet / ſeine glieder nicht brau - chen konte; der auch ſeine ſuͤnde an ſich hatte / die der HErr an ihm erkannt / und deswegen dieſe geiſt liche cur an ſeiner ſeelen ihm vorerſt noͤthig erachtet hat. Ob er nun gar mit unmaͤßigkeit und gewiſſen abſonderlichen ſuͤnden dieſe kranckheit ihm ſelbs zugezogen / wird nicht ausged ruckt / und kan alſo nicht ohne vermeſſenheit bejahet oder verneinet werden. Er muß aber in wahrer buß geſtanden ſeyn / als ohne welche ihm der HErr / als der ordnung ſeines himmliſchen Vaters wol kuͤndig / die ſuͤnde nicht vergeben haben wuͤrde. So ſcheinet auch / weil der HErr zu ihm ſpricht / ſey getroſt / deine ſuͤnde ſind dir vergeben / daß der gute mann / ſeine ſuͤnde ſchwehr gefuͤhlet haben / und in angſt derſelben geſtanden ſeyn muß. Daß er auch den wahren glauben in ſeiner ſeelen gehabt / bezeugt der text ſelbs / da der Herr ihren glauben ſahe. Es mag auch wol ſeine kranckheit gleichſam ein ſtrick geweſen ſeyn / ihn zur wahren buß zu bringen / Pſ. 32 / 9. 107 / 17. 18. 19. Wie GOtt bey ihrer viele ſolches / obwol harte / doch ihren ſeelen heylſame mittel zu ihrer bekeh - rung brauchet. Wir ſehen aber dabey die bewandnuͤß deren / welche der ſuͤn - den vergebung faͤhig ſeyen. Nemlich keine andre / als die bußfertig ſind; wie ſolche beyde buß und vergebung zuſammen geſetzt werden: Luc. 24 / 47. Ap. Geſch. 5 / 13. Es muß die bekehrung vorher gehen / ehe man der vergebung faͤhig iſt / Ap. Geſch. 26 / 18.
  • Alſo doͤrffen wir nicht gedencken von einiger ſolchen krafft der abſoluti - on / daß wo nur dieſelbe erlanget wuͤrde / nothwendig die ſuͤnden auch kraͤfftig vergeben ſeyn muͤſten / um ſolches wercks willen. Nein / ſondern es muß erſtder157ARTIC. I. SECTIO XXVII. der menſch in einer wahren bekehrung / in wahrer buß / in reu und haß ſeiner ſuͤnde / und alſo ernſtlichem vorſatz ſie nun und nimmermehr mit willen zu be - gehen / auch im glauben an JEſum Chriſtum ſtehen / ehe ihm die abſolution nutzen kan. Wo nun alſo der bußfertige menſch in ſolchem glauben an Got - tes gnade in JEſu Chriſto ſtehet / und damit dieſe ergreifft / ſo iſt er gerecht - fertiget durch den glauben / das iſt / es ſind ihm ſeine ſuͤnden um der gerechtig - keit JEſu Chriſti willen / der dafuͤr genug gethan hat / in dem augenblick vor Gottes gericht vergeben / und er gerecht / Rom. 3 / 24. 25. 4 / 5. ehe er auch mit euſſerlichen worten abſolviret wird / ja ob auch in der welt keine abſolu - tion nachfolgte. Wann aber nachmal einem ſolchen bußfertigen die abſolu - tion geſprochen wird / ſo wird die vor GOtt in ſeinem gericht bereits geſche - hene vergebung bekraͤfftiget / und ſein glaube damit verſichert. Daher gehet erſtlich vor GOtt ſolche vergebung vor / und folget die vergebung auff erden durch den Prediger hernach. Wie auch der HErr hier ſagt / deine ſuͤnde ſind dir vergeben / ſie ſind dir ſchon vergeben worden. Alſo auch Matth. 16 / 19. 18 / 18. Joh. 20 / 23. zeigen die redens-arten alle an / daß die verge - bung bey GOTT vorhergehe. Wo hingegen der menſch nicht in buß und glauben ſtehet / und ein ſolch hertz zu dem beicht-ſtuhl bringet / das vor GOtt in ſeinem gericht der vergebung nicht faͤhig iſt / dem kan die abſolution / die er von einem menſchen / mit was ernſt ihm auch dieſelbe geſprochen wuͤrde / em - pfaͤnget / nicht im geringſten nutzen. Und kan er ſich alsdenn nicht dermal - eins beſchwehren / weil das wort der Abſolution / als ein wort GOttes muͤſ - ſe kraͤfftig ſeyn / ſo habe er ſich darauff verlaſſen / und ſeye dadurch und alſo durch goͤttliche ordnung ſelbs betrogen worden. Dann goͤttliche ordnung be - krieget keinen / ſondern du armer menſch haſt dich in ſolchem fall / durch den mißbrauch goͤttlicher ordnung betrogen: indem du ein hertz ohne wahre buß und glauben gebracht / an welchem denn keine abſolution hafften kan.
  • Alſo laſſen ſich doch alle dieſes geſagt ſeyn / welche zum beicht-ſtuhl kom - men / daß ſie vor der beicht / und auch nach der beicht / ſich auffs hertzlichſte pruͤffen / ob ſie in auffrichtiger buß und glauben ſtehen oder nicht: daher ſich nicht eher des troſts der abſolution an nehmen / als bis ſie das zeugnuͤß ihres gewiſſens haben / daß es ihnen mit ihrer buß ein ernſt ſeye; iſt aber dieſes / und haben ſie nicht allein ein hertzlich verlangen nach der gnade / ſondern auch einen bußfertigen vorſatz der ſuͤnde nicht weiter zu dienen / ſo ſind ſie alsdann der abſolution und dero guͤltigkeit goͤttlich verſichert.
  • Ach daß doch jederman dieſes hertzlich erwegte! da hingegen gewiß / viele hundert und tauſend druͤber ewig verlohren gehen / daß ſie ſich immer auff die beicht und abſolution verlaſſen / und daß ihnen ihre ſuͤnde vergebenU 3wor -158Das dritte Capitel. worden / betrieglich geglaubet haben; da ſie doch niemal zur wahren buß ge - kommen / und alſo immer in ihren ſuͤnden ſtecken geblieben / auch wol darin - nen geſtorben ſind. Denen geholffen haͤtte werde koͤnnen / wann ſie den be - trug ihres falſchen vertrauens auff die abſolution bey unbußfertigem ſtand haͤtten erkannt und fahren laſſen / und dadurch zur wahren buß ange - trieben worden waͤren / aus ihrer vorigen ſicherheit zu entfliehen.
  • III. Die abſolution. 1. Der anſpruch. Mein ſohn. Einige der Vaͤter ſehen 1. das wort an / als ein wort der demuth. Und bemercket Hie - ronymus, es ſeye eine wunderbare demuth / daß der HErr ſolchen verachte - ten / ſchwachen und lahmen mann ſeinen ſohn nennet / den die prieſter nicht gewuͤrdiget haͤtten / anzuruͤhren. 2. Andre ſehen auff den glauben des mannes / Joh. 1 / 12. wodurch wir Gottes kinder werden. Andre 3. auff die vergebung der ſuͤnden / oder auch 4. die Schoͤpffung. Wir faſſen am be - ſten das meiſte zuſammen. Es habe nemlich der HErr auch mit dieſem zuſpruch dem armen mann ein hertz machen / und ſein vaͤterliches gemuͤth ge - gen ihn bezeugen wollen / daß er ihn wegen ſeines glaubens einen ſohn nennet / damit er ſo viel weniger an der treuen meynung des HErrn / und an der gewißheit der vergebung zweiffeln moͤchte.
  • Alſo iſt das vertrauen insgeſammt / das wir auff GOTT haben / ge - gruͤndet auff unſre kindſchafft / weil er uns um ſeines ſohnes Chriſti willen zu gnaden-kindern verordnet und angenommen hat.
  • 2. Der troſt. Sey getroſt. Er will ihm anzeigen / er habe nicht urſach aͤngſtlich oder wehmuͤthig zu ſeyn / er ſolte auch deßwegen ſolche angſt fahren laſſen. Daraus ſehen wir 1. ob wol der gichtbruͤchige den glauben gehabt / daß er doch dabey viel ſchwachheit deſſelben muß gefuͤhlet / ihm ſein gewiſſen ſtaͤts ſeine ſuͤnde vorgeruͤcket / und ihn alſo verunruhiget haben; wel - ches 2. der HERR bey ihm geſehen / und alſo derſelben begegnen wollen. 3. Daher heiſt er ihn getroſt ſeyn / allen zweiffel von Gottes gnade / den ihm ſein hertz machen wollen / ablegen / und hingegen einen zuverſichtlichen muth faſſen. 4. Sonſt forderte er von ihm zur vergebung der ſuͤnden nichts an - ders / daß er etwa ſeine ſuͤnde noch kuͤnfftig mit etwas gewiſſes abbuͤſſen muͤ - ſte. Wir ſehen 1. daß zu der rechtfertigung und vergebung der ſuͤnden nichts anders zu dero mittel erfordert werde / als der glaube / deſſen krafft durch die - ſes getroſt ſeyn angedeutet wird. Rom. 3 / 28. Ferner 2. daß der menſch auch der vergebung der ſuͤnden ſo gewiß werden koͤnne / daß er einen getroſten muth daruͤber habe. Auch 3. wie unſer Heyland ſo gern / wo er den glauben / ob wol in ſchwachem maaß / findet / denſelben mit zuſpruch / und auff alle weiſe / ſtaͤrcke.
3. Die159ARTIC. I. SECTIO XXVII.
  • 3. Die abſolution ſelbs. 1. Deine ſuͤnde. Nemlich alle / die er ge - wuſt und erkannt / oder auch nicht gewuſt / und ihm verborgen geweſen / mit einander; jedoch allein die begangene ſuͤnde / nicht aber die er ferner in falſchem vertrauen auff ſolche vergebung muthwillig begehen / und ſich alſo vorbehal - ten wolte.
  • Wir mercken / daß bey GOtt allezeit alle ſuͤnden zugleich / niemal aber nur ein und andre gewiſſe / mit behaltung anderer / vergeben werden. Das macht / weil alle vergebung ſich gruͤndet auff die verſoͤhnung JEſu Chriſti / und aber dieſe uͤber alle ſuͤnde / nicht nur etwan fuͤr dieſe und jene / geſchehen iſt: ſo iſt der menſch entweder des verdienſtes JEſu Chriſti theilhafftig worden / oder nicht: iſt er deſſen theilhafftig worden ſo allein / aber auch alle - zeit / durch den wahren glauben geſchiehet / ſo ſind ihm alle ſuͤnde vergeben; iſt er aber deſſen nicht theilhafftig / ſo iſt ihm auch nicht eine einige ſuͤnde vergeben.
  • 2. Sind vergeben. Jn præterito ἀφέωνται, ſie ſind ſchon vergeben: und alſo ich vergebe ſie dir nicht bloß allein jetzo / ſondern weil du glaubeſt - ſo ſind ſie dir auch bey meinem himmliſchen Vater vergeben / und hiemit ſollen ſie auch von mir dir vergeben ſeyn / nemlich daß derſelben vor Gottes gericht zu deinem nachtheil nicht mehr gedacht werden ſolle / du auch nicht weiter mehr dich derſelben wegen anzufechten haſt.
  • Wir ſehen alſo 1. daß dann bey GOtt wahrhafftig eine vergebung der ſuͤnden ſeye / die die vornehmſte frucht ſeiner barmhertzigkeit iſt. Wie er auch mehrmal von ſich ruͤhmen laͤſſet. 2. Moſ. 34 / 6. 7. Pſal. 103 / 8. u. f. Mich. 7 / 18. 19. 2. Er laͤſſet auch die bußfertige ſolcher vergebung verſi - chern / damit ſie wiſſen / daß ſie wuͤrcklich die vergebung erlangen / und nicht in ſtetem zweiffel bleiben moͤgen. 3. Solche vergebung gruͤndet ſich auff den glauben / mit dem der menſch das verſuͤhn-opffer und gnugthunng JEſu Chriſti muß ergriffen haben / worauff er / da ers als numehr ihm geſchencket / vor GOTT darbringt / und deſſen gerechtigkeit fuͤr ſeine ſuͤnde damit gnug thut. Alſo thut nichts unſrer ſeit zur erlangung der vergebung / als un - ſer glaube: wiewol auch derſelbe in ſolcher ſache nicht ſo wol eigenlich etwas thut / als nur annimmet und empfaͤnget. Was die reue in der buß / und den haß der ſuͤnden anlangt / werden ſolchezwahr an demjenigen / der glauben ſolle / erfordert / und kan hingegen der glaube mit dem wohlgefallen an der ſuͤnde und dero geſtattender herꝛſchafft nicht beſtehen / aber ſie ſind nicht das - jenige / dadurch der menſch die vergebung erlanget. 4. Es wird von dem menſchen nicht erfordert / daß er nach empfangener vergebung erſt GOTT mit thun und leiden noch abbuͤſſen und abverdienen muͤſſe / ſondern es iſt ei -ne gna -160Das dritte Capitel. ne gnadenreiche vergebung und nachlaſſung / lauter umſonſt. Zwahr wird freylich erfordert / daß der menſch nicht weiter muthwillig ſuͤndigen ſolle / nicht aber damit GOTT erſt gnug zu thun / dann die ſuͤnden ſind bereits voͤl - lig vergeben; ſondern allein GOTT danckbar zu werden / und ſeine liebe hin - wieder zu bezeugen. 5. Wo auch der menſch nach der zeit noch etwas lei - den muß / (dann ob wol hie / da der HERR dem gichtbruͤchigen ſeine ſuͤnde vergeben / er auch ſo bald drauff der ſuͤnden frucht / nemlich die kranckheit / von ihm wegnimmet / ſo geſchiehet ſolches doch nicht allezeit / ſondern wo je - mand / auch ſeiner ſchwehren ſuͤnden willen / unter ſchwehrem leiden ſtehet / ob ihm wol ſeine ſuͤnde vergeben werden / werden von ihm nicht allezeit auch zugleich derſelben ſtraffen weg genommen) ſo hats doch mit ſolchem leiden die bewandnuͤß / daß es einem ſolchen bußfertigen alsdann nicht mehr eine ſtraff ſeiner ſuͤnden ſeye / ſondern eine ſolche heylſame zuͤchtigung / dadurch die buß ſo viel feſter in das hertz gedruͤcket / er vor fernern ſuͤnden und ſicher - heit verwahret / der fleiß eines ſorgfaͤltigen und behutſamen wandels ver - mehret / und ſein glaube und ander gutes dadurch geuͤbet werde. Daher iſts ein werck goͤttlicher gnade / und nicht ſeines zornes. Welches zur nach - richt dienet / wo einer ein gottloſes leben gefuͤhret / dadurch aber in groſſes elend gerathen waͤre / wann er ſich von grund der ſeelen bekehret / und nun - mehr in wahrer buß ſtehet / daß er an der ihm wiederfahrenen vergebung der ſuͤnden nicht etwa deßwegen zu zweiffeln habe / weil er darum aus ſeinem zeit - lichen leiden nicht befreyet wuͤrde; als wenn ſolches ein zeugnuͤß ſeyn muͤſte / daß GOtt ihm noch nicht verſoͤhnet waͤre.

Lehr-Puncten.

WEil die natuͤrliche haupt-lehr aus dem text flieſſen wuͤrde / von der ab - ſolution und geſchehender vergebung der ſuͤnden; und aber erſt dieſes jahr die materie von dem beicht-ſtuhl ausfuͤhrlich gehandelt / auch ſolche pre - digt gedruckt worden / ſo fuͤhret mich eine gelegenheit der zeit auff eine dahin auch zielende materie / die an ſtatt der haupt-lehr gehandelt werden ſolle.

Es iſt E. C. L. zum theil bekannt / daß von einigen wochen her eine ge - druckte ſchrifft / unter dem Titul / Apoſtoliſcher bericht und unterricht vom beicht-ſtuhl und Abendmahl / bey einigen allhier herum gegangen / dadurch aber eine neue bewegung unter der gemeinde erwecket / und die vori - ge vermehret worden. Daher dieſe von GOTT ſelbs durch unſer Evange - lium an hand gegebene gelegenheit nicht aus haͤnden laſſen ſollen / hier an die - ſem ort von ſolcher ſchrifft zu handlen / und E. C. L. zu unterrichten / wie ſie dieſelbige anzuſehen habe.

Den Steller und Autorem anlangend / finde mir nicht zu zukommen /ein161ARTIC. I. SECTIO XXVII. ein urtheil der laͤſterung uͤber ihn zu faͤllen / ſondern ich uͤberlaſſe ihn als einen andern knecht ſeinem HErrn und Richter / dem er daruͤber wird rechenſchafft zu geben haben / und wuͤnſche ihm / deroſelben bey zeiten zu begegnen.

Die ſchrifft aber ſelbs kommet mit dem titul nicht uͤberein / und hoffe ich / welches chriſtliche hertz / ohn von paſſionen eingenommen / ſie leſen wird / wer - de in derſelben und der gantzen ſchreib-art / die gehoͤrige Apoſtoliſche ſanfft - muth / beſcheidenheit und gravitaͤt / mit welchen die heilige Apoſtel allezeit ih - ren heiligen eiffer gemaͤſſiget und geuͤbet haben / nicht antreffen / ſondern un - verantwortliche ſpott-worte / auch von an ſich heiligen dingen / (alſo worte / die aus einem gemuͤthe kommen / da fleiſchliche bitterkeit und galle vieles gu - tes verdorben hat) darinnen finden. Zur ſache aber ſelbs zu gehen / iſts nicht ohne / daß auch unterſchiedliche goͤttliche wahrheiten in den blaͤttern ſtehen / die anders verfaſſet / und mit ungleichem nicht vermiſchet / nicht ohne nutzen ſeyn wuͤrden / aber leider / wie die gantze abfaſſung / alſo auch das un - termiſchete irrige / hat das uͤbrige mit unbrauchbar gemacht.

Es theilet ſich aber alles in zwey ſtuͤcke / von der Beicht und Abend - mahl. (Denn was anlangt / daß die drey bey uns bekannteſte religionen zu der babyloniſchen drachen-hur faͤlſchlich gezogen werden / dem iſt bereits zu andern malen widerſprochen worden. Man moͤchte zwahr auch darneben fragen / wohin dann die andre religionen zu ziehen waͤren?)

I. Die beicht anlangend. 1. Wird gern zu gegeben / daß der liebe Hey - land in dem Vater unſer unſre ſuͤnden Matth. 6 / 12. ſchulden nenne. Weil wir damit ſeiner gerechtigkeit ſo wol / als ein ſchuldner ſeinem glaͤubiger ver - bunden ſind: daß er aber ſeine juͤnger damit in das Cap. 18. Matth. verwie - ſen / wird vergebens geſagt; indem der HERR die gleichnuͤß Matth. 18. laͤnger als ein jahr darnach erſt vorgetragen / vor dem ja die fuͤnffte bitte auch wird verſtanden worden ſeyn. So kan aus dem gleichnuͤß Matth. 18. unterſchiedliches angefuͤhret werden / was zur erklaͤrung der materie von der vergebung der ſuͤnden gehoͤret / nicht aber alles / noch ſchicket ſich daſſelbe ei - genlich auff die abſolution aus dem wort des Evangelii.

2. Es wird auch zugeſtanden / daß unſer heutige beicht-ſtuhl / wo er auch ſchon im rechten gebrauch ſtehet / dannoch keine goͤttliche einſetzung / ſon - dern allein ein kirchen-gebrauch ſeye / davon die erſte reinſte chriſtliche kirche uͤber etliche hundert jahr nichts gewuſt / noch nechſt der tauff / da alle ſuͤnden vergeben wurden / einige andre abſolution gebraucht hat / als wenn gefallene ſuͤnder offenlich nach vollendeter buß wieder zu gnaden auffgenommen wur - den; oder da man betruͤbte und geaͤngſtete mit dem troſt des Evangelii auff - zurichten / noͤthig befunden hat. Es iſt aber nachmal die beicht / gleichwol che das Pabſtthum auffgekommen / allgemach / wiewol nur als eine freywilli -Xge ſa -162Das dritte Capitel. ge ſache / eingefuͤhret / und des nutzens wegen / daß Prediger und zuhoͤrer ihr hertz gegen einander vertraulicher ausſchuͤtten / und dieſe vermahnung / rath und troſt / wie ſie deſſen beduͤrfftig ſind / von ihnen genieſſen moͤchten / insge - mein beliebet worden. Daher bekannter maſſen bey der Reformation Lu - theri unſre Evangeliſche kirchen meiſtentheils die privat-beicht / als eine er - bauliche ceremonie behalten / aber ſie eben deßwegen nicht fuͤr gantz noͤthig geachtet / weil ſie diejenige gemeinden / die insgemein auſſer Teutſchland / theils aber auch in Teutſchland / ſolche abſonderliche beicht nicht angenommen oder behalten / fuͤr gut Evangeliſch erkennen.

3. Es wird auch zu geſtanden / daß ſich leider in dem beicht-weſen ſo viele mißbraͤuche finden / daß es nicht gnug zu beklagen iſt. Es iſt offenbahr / daß diejenige urſachen / warum unſer liebe Lutherus die beicht behalten / damit ein Prediger mit einem jeden beicht-kind nach nothdurfft handeln / den zu - ſtand deſſen ſeelen / ſo viel ihm noͤthig / erkundigen / es unterrichten / ſtraffen / vermahnen / rathen / und dergleichen an ihm ausrichten / alſo beyde mit ein - ander vertraulich handeln ſolten / nicht allein an den meiſten orten nicht in acht genommen werden / ſondern in allen groſſen ſtaͤdten / da auff einen Predi - ger viele beicht-kinder ankom̃en / unmuͤglich platz haben koͤnnen: alſo daß man die ſache hat / aber den zweck warum ſie eingefuͤhret iſt / nicht erreicht. So iſt wol der ſchrecklichſte mißbrauch / und nur allzugemein / daß ſich die leute einbilden / wenn ſie nur gebeichtet / und die abſolution empfangen haͤtten / waͤre es alles gut / und die ſuͤnde ihnen gewiß von GOTT vergeben / ob ſchon das geringſte von wahrer buß nicht in ihrem hertzen iſt: womit ſolche arme leute das wort der abſolution an ſich erſchrecklich entheiligen / und durch ſol - chen mißbrauch der beicht / ſich deſto tieffer in die hoͤlle ſtuͤrtzen / daran man ohne grauſen und wehmuth nicht gedencken kan. Jch traue auch nicht zu leugnen / daß von Predigern derſelbe auch offt mißbraucht werde. Wenn etli - che gar nicht verſtehen / wie ſie mit den beicht-kindern umgehen / und je nach dero bewandnuͤß ſich richten ſollen. Wo es an der treue mangelt. Wo perſo - nen auff allerley weiſe angeſehen werden. Wo man vornehmen und reichen ſchmeichelt: wo man unziemliche und weltliche haͤndel in den beicht-ſtuhl bringet. Wo man ſeine privat-ſachen daſelbſt ausrichten / und ihn zum zwang-mittel / das ſeinige zu bekommen / brauchen will. Wo dem geitz geſtel - let / und auff den beicht-pfennig geſehen wird. Wie dann insgeſammt der beicht-pfennig da er jetzt von Predigern / die keine andre lebens-mittel ha - ben / gedultet werden muß / gleich wol mehr eine flecke als zierde unſrer kir - chen iſt: und alle ſtaͤnde der kirchen / ja die gantze gemeinden / darauff bedacht ſeyn ſolten / wie die Prediger mit weniger uͤbelen ſchein beſſer verſorget wer -den163ARTIC. I. SECTIO XXVII. den koͤnten. Wer dieſe mißbraͤuche leugnen wolte / ſtritte wider die wahrheit.

4. Es iſt ferner auch nicht zu widerſprechen / daß noch mehr arten der beichten als die kirchen-beichte / und zwahr daß die andre noͤthiger ſind. Gott iſt derjenige / dem meine ſuͤnde zu bekennen / und alſo zu beichten / mir nicht frey ſtehet / ſondern ich bin dazu verbunden; kan auch ohne dieſelbe bekaͤnnt - nuͤß nicht zur ruhe der ſeelen kommen. Pſal. 32 / 3. u. f. 1. Joh. 1 / 9. Wie - derum / wo ich mich an dem nechſten verſuͤndiget habe / weil ich mich nach Matth. 5 / 24. mit ihm verſoͤhnen ſolle / ſo muß ich ihm auch die ſuͤnde beken - nen / das iſt beichten und bezeugen / daß es mich reue / Luc. 17 / 4. Daher von ihm die vergebung ſuchen: dieſe beyde beichten ſind recht goͤttlicher ord - nung und einſetzung / daher wir alle dazu verbunden ſind / da wir gleichwol nicht alle an die kirchen-beicht verbunden / und deßwegen wol viele ſelig wer - den / die ihr lebenlang keinem Prediger gebeichtet / ja wol an ſolchen orten / da ſie nicht im brauch iſt / nichts davon gewuſt haben. Hingegen kan keiner ſelig werden / der nicht GOtt beichtet: wo man ſich auch der bekaͤnntnuͤß ge - gen den beleidigten nechſten entbrechen / und ſeine ſchuld halßſtarrig leugnen wolte / mag es auch an der ſeelen ſchaden.

5. So iſt auch wahr / daß ehe der beicht-ſtuhl nuͤtzlich gebraucht werden koͤnne / Prediger erſt trachten muͤſſen / die leute zu wahren und bußfertigen Chriſten zu machen: denn kommen ſie nicht vorhin bußfertig zum beicht - ſtuhl / ſo iſts zwahr nicht unmuͤglich / daß aus Gottes gnade eines / der noch unbußfertig ſich eingeſtellet / hertz / erſt durch beweglichen zuſpruch des beicht - vaters geruͤhret / und die buß gewuͤrcket wuͤrde / daß er alsdann die abſoluti - on wuͤrdig empfangen koͤnte; ich ſage aber / es ſey eine nicht eben gemeine ſache / ſondern meiſtens kommen unbußfertig zuruͤck / die alſo darzu gekommen waren: daher man ja nicht alle hoffnung der beſſerung auff den beicht-ſtuhl ſetzen muß. Jnsgeſammt iſt es auch eine ausgemachte ſache / daß wir nicht allein in dem beicht-ſtuhl / ſondern auch auſſer demſelben unmittelbar von GOtt ſo offt vergebung der ſuͤnden empfangen / als wir in wahrer buß und mit hertzlichem gebetſolche ſuchen; alſo daß der beicht-ſtuhl janicht der einige ort der vergebung iſt.

6. Man kan auch nicht leugnen / daß es keine goͤttliche einſetzung iſt / daß wer zum H. Abendmahl gehen will / vorhin muͤſſe gebeichtet haben / und abſolviret ſeyn; wie denn freylich weder ſolches bey dem erſten Abendmahl geſchehen / noch auch in der erſten zeit der chriſtlichen kirchen in uͤbung gewe - ſen / ſondern es iſt ſolches erſt ſpat auffgekommen / und unter diejenige anſtal - ten zu zehlen / die / als der eiffer des Chriſtenthums numehr ſehr abgenommen hatte / guter meinung eingefuͤhret worden / etwas zur beſſerung dadurch zuX 2helf -164Das dritte Capitel. helffen; alſo weil gleichwol der liebe Paulus ſo ernſtlich erfordert / daß wer zu dem H. Abendmahl kommen wolle / ſich ſelbs pruͤffen und bereiten ſolle / und man aber geſehen / daß etwa viele ohne einige bereitung hinzugegangen / hat man deßwegen / um ſolchem leichtſinnigen und unbedachtſamen hinlauf - fen zu wehren / die ordnung gemacht / daß alle vorher beichteten / und abſolvi - ret wuͤrden / damit die Prediger aus gelegenheit der beicht / ihnen koͤnten beſſer an die hand gehen / an ihrer vorbereitung und buß mitarbeiten zu helf - fen / und nachmal ihren glauben durch die abſolution zu ſtaͤrcken. Dieſe mei - nung iſt keines Antichriſtiſchen geiſtes / ſondern hat ihren allgemeinen grund in dem allgemeinen befehl / 1. Cor. 14 / 26. 40. daß alles ehrlich und ordenlich zugehe / und zur beſſerung und erbauung dienlich ſeye. So werden auch unterſchiedliche gottſelige hertzen vor GOtt das zeugnuͤß ge - ben / daß ſie ſelbs in ihrer erfahrung befunden / wie ihnen zuweilen bey der beicht / wo ſie es mit verſtaͤndigen / klugen und treuen beicht-vaͤtern zu thun gehabt / das hertz kraͤfftig geruͤhret / ihr heiliger vorſatz bekraͤfftiget / und ihr glaube geſtaͤrcket / alſo ſie zu wuͤrdiger nieſſung des heiligen Abendmahls dardurch beſſer bereitet worden. Daß es aber nicht allezeit geſchiehet / kan offt die ſchuld des beichtenden oder auch beicht-vaters ſeyn: indeſſen bleibt die ſache an ſich ſelbs gut: ob ſie wol freylich nicht bloß dahin noͤthig / und es geſchehen koͤnte / daß zuweilen dieſe verbindung des Abendmahls an den beicht-ſtuhl einigen guten ſeelen mehr hinderlich / als foͤrderlich ſeyn mag. Daher Lutherus ſelbs uͤber den beicht-ſtuhl / denſelben in der kirchen bey zu behalten / zwahr ſtarck geeiffert / aber doch nicht allein von ſich ſelbs bezeuget / daß er auch mehrmal ungebeichtet zum Abendmahl gangen ſey; hingegen zu andern malen / auch ſich der beicht gebraucht habe / ſondern es auch mit an - dern verſtaͤndigen Chriſten gleicher maſſen gehalten haben wolle. Wel - ches etwa nach ihm auch andere gewuͤnſchet / und zu wuͤnſchen gute urſach gehabt haben; ob wol nicht ohne / daß auch wichtige urſachen dagegen ge - fuͤhret werden moͤchten.

Was aber 7. das haupt-werck ſelbs anlangt / iſts unrecht und GOttes wort entgegen / wann der genannte bericht die macht der abſolution / darauff ſich aller beicht-ſtuhl gruͤndet / dem predigamt / was dero verwaltung anlan - get / abſpricht. Denn da ſind die texte zu klahr: Matth. 16 / 19. Da der HErr mit Petro redet / und mit allen Apoſteln. Joh. 20 / 23. da ſtehet austruͤcklich erſtlich von ſuͤnde vergeben und ſuͤnde behalten / und zwahr das auf erden geſchiehet; und ferner 2. daß daſſelbige auch ſolle im himmel guͤltig ſeyn / und alſo derjenige / dem die ſuͤnde vergeben wird / auch vor GOttes gericht derſel - ben loß wird. 3. Wie nun dieſes denen Apoſteln befohlen wird / welche allesihr165ARTIC. I. SECTIO XXVII. ihr amt in Chriſti nahmen thun muſten / und alſo derſelbe durch ſie kraͤfftig war / ſo thaten ſie auch dieſes ſtuͤck ihres amts / wo ſie jemand die ſuͤnde verga - ben / in deſſen nahmen / und er alſo durch ſie.

Es wird ſolche macht des predigamts ſuͤnde zu vergeben / ferner erwie - ſen / wann nicht allein die Prediger geſetzt ſind / zu predigen buß und ver - gebung der ſuͤnden in Chriſti nahmen Luc. 24 / 47. auch auffzuthun die augen der menſchen / daß ſie ſich bekehren von der ſinſternuͤß zum liecht / von der gewalt des ſatans zu GOtt / zu empfahen vergebung der ſuͤnden / Ap. Geſch. 26 / 18. Zwahr hauptſaͤchlich von GOtt / aber doch auch durch das mittel der Prediger: ſondern wann denen Apoſteln und in ih - nen allen Lehrern (weil es ein befehl iſt / der biß an das ende der welt / und alſo noch nach der Apoſteln leiblichen abſcheid / waͤhren ſolte. Matth. 28 / 20.) befohlen / daß ſie das Evangelium predigen ſolten / Marc. 16 / 15. ſo iſt a - ber das Evangelium die troͤſtliche predigt von der vergebung der ſuͤnden in Chriſto JEſu / das ſollen ſie denn predigen auff allerley weiſe / als es die ſe - ligkeit der leute erfoderte / und alſo nicht allein durch die allgemeine verſiche - rung / daß GOtt denen glaͤubigen die ſuͤnde vergeben wolle / ſondern auch wo jemand getaufft wurde / ihm damit alle ſeine ſuͤnde in GOttes nahmen zu vergeben. Item, wo einen ſein gewiſſen der ſunden wegen abermal aͤngſtete / ihm auch die vergebung nachmal zu verſichern / und alſo zuertheilen / das nichts anders iſt / als die abſolution.

Wiederum 2. Cor. 5 / 18. 19. bezeuget Paulus / daß ſich Gott nicht nur 1. in Chriſto die welt verſohnet habe / da nemlich er deſſen verſoͤhn-opffer zur gnugthuung fuͤꝛ unſre ſuͤnde angenommen / ſondern habe 2. auch eingeſetzt das amt / das die veꝛſohnung predigt / (oder dẽ dienſt der verſoͤhnung) und das wort der verſoͤhnung / alſo dasjenige mittel / wodurch die menſchen nicht nur verſichert wuͤrden / daß ſich GOtt mit ihnen verſoͤhnen wolle / ſon - dern dadurch ſie verſoͤhnet wuͤrden / und alſo die vergebung dadurch empfin - gen; iſt alſo das amt dazu eingeſetzt / die vergebung den menſchen zu uͤberrei - chen: Ob nun wol daſſelbige auch geſchiehet durch die allgemeine predigt / ſo bedarffs gleichwol auch / wenn dieſer und jener verſoͤhnet / oder der verſoͤh - nung verſichert werden ſolle / daß ſolches Chriſti diener auch thun; dann weil ſie ruffen ſollen / laſſet euch verſoͤhnen mit GOtt / ſo muͤſſen ſie auch denen / die ſie anmahnen wollen / die verſoͤhnung uͤberantworten. Und zwahr 3. ſind die Apoſtel / und nach ihnen andre Lehrer des Evangelii / dieſer urſach wegen bothſchaffter GOttes an Chriſti ſtatt / und haben deſſen befehl.

Daher ob ich wol freylich den beicht-ſtuhl / und ſolche art ſo offterer ab - ſolvirung in demſelben / fuͤr goͤttliche einſetzung nicht halte / ſo kan ich dochX 3nach166Das dritte Capitel. nach goͤttlicher wahrheit nicht anders als dem widerſprechen / wo man dem predigamt die macht ſuͤnde zu vergeben / die ihnon nicht aus eigner macht / ſon - dern als dienern zukommt / abſprechen / und ſolche ordnung der Babyloni - ſchen drachen-hur unverantwortlicher weiſe hin weiſen will.

Ja ſpricht man / die worte Matth. 16. und Joh. 20. redeten von der gantzen chriſtlichen gemeinde / von der gantzen kirche / welcher Chri - ſtus an GOttes ſtatt auff erden die ſuͤnden zu vergeben macht gegeben hat: dieſes leibes und weibes glied iſt ein jeder Chriſt / von Chriſto gemacht zum Koͤnig und Prieſter / der macht hat die ſuͤnde zu verge - ben / wie Lutherus ſolches ſchon laͤngſt in ſeinen ſchrifftẽ erklaͤhret habe. Antwort. 1. Es iſt wahr / daß dieſe gewalt / wie alle andre ſchaͤtze / von Chri - ſto nicht dem predigamt allein und unmittelbar anvertrauet ſind; ſondern freylich der gantzen kirchen / welche die hauß-mutter iſt / die uͤber alles ſorge hat / und nachmal durch die diener verrichten laͤſſet / welche eben um der ur - ſach / weil ihnen das amt und dieſe guͤter von GOtt durch die kirche anver - trauet / an dieſelbe und dero ordnung / ſo ferne nichts wider GOtt iſt / gewie - ſen ſind / daher auch ſich an dieſelbe mit zu halten haben. 2. Jch leugne auch nicht / ſondern habe es laͤngſten / auch mit eigenem tractat gelehret / daß alle Chriſten geiſtliche Prieſter ſeyen / und auch / daß ſie macht haben / ſuͤnde zu vergeben / ja es wird E. C. L. ſelbs zeuge ſeyn / daß ich auff dieſer cantzel wer - de gezeuget haben / daß in dem nothfall auch ein gemeiner Chriſt guͤltig abſol - viren koͤnne: daher ich ſolche lehre Lutheri ſonderlich liebe. Aber 3. muß man wol mercken / was Lutherus dabey meldet / nachdem er durch etliche blaͤtter die rechten der geiſtlichen Prieſter oder aller Chriſten / auch was die verge - bung der ſuͤnden anlangt / ausgefuͤhret hatte / Tom. 2. Alt. f. 509. a. b. doch diß alles haben wir allein von gemeinen rechten und macht aller Chriſten geſagt / denn dieweil allen Chriſten alle dinge gemein ſollen ſeyn / die wir bißher erzehlet haben / daß wir auch bewaͤhret und bewieſen ha - ben / ſo will nicht gebuͤhren / einem der ſich von ihm ſelbs herfuͤr wolt thun / und ihm allein zueignen / das unſer aller iſt. Unterwinde die - ſes rechten / und lege es auch an brauch / ſo fern wo kein ander iſt / der auch ein ſolch recht empfangen hat; das erſodert aber das gemein - ſchafft-recht / daß einer / oderals viel der gemeine gefallen / erwehlt und auffgenommen werden / welche an ſtatt und im nahmen aller derer / ſo eben daſſelbige recht haben / verbringe dieſe aͤmter oͤffentlich / auff daß nicht eine ſchenßliche unordnunggeſchehe in dem volck GOttes / und aus der kirchen werde ein Bahylon / in welcher alle ding ehrbarlich undor -167ARTIC. I. SECTIO XXVII. ordentlich ſollen zugehen / wie der Apoſtel gelehret hat. Es iſt zwey - erley / daß einer ein gemeines recht durch der gemeinde befehl ausrich - te / oder daß einer ſich deſſelben rechten in der noth gebraucht. Jn ei - ner gemeine / da jedem das recht frey iſt / ſoll ſich deſſelbenniemand an - nehmen / ohne der gantzen gemeinde willen und erwehlung / aber in der noth braucht ſich deſſelbigen ein jeder / wer da will. Dieſes iſt Lu - theri lehr und goͤttlicher ordnung gemaͤß. Alſo 4. hebet das allgemeine prie - ſterthum die verwaltung des predigamts nicht auff: und haben alle ihren theil an den geheimnuͤſſen GOttes / aber es ſind deswegen nicht alle Chriſti / in ſolchem verſtand / diener / und haußhalter uͤber ſeine geheimnuͤß. 1. Cor. 4 / 1. Sie ſind nicht alle bothſchaffter an Chriſti ſtatt. Wann es dann heiſſet: daß ein Prieſter in puncto der abſolution nicht ein haar mehr gilt / als ein gemeiner Chriſt: hat es ent weder den verſtand / daß ei - nes gemeinen Chriſten abſolution / die er in einigem nothfall / der unterſchied - licher art ſeyn kan / dem andern ertheilet / eben ſo kraͤfftig ſeye / als die abſolu - tion eines Predigers / ſo iſts wahr / und keine abſolution kraͤfftiger als die andre: oder es hat die meinung / ein Prediger habe nicht mehr macht zu der abſolution / dieſelbe zu ertheilen / und die leute ſeyn nicht mehr an ihn / als an einen andern in dem werck gewieſen; ſo ſtreitet ſolche meinung mit goͤttlicher ordnung. Hingegen daß ein Prediger in dergleichen ſache / nemlich in ange - deutetem verſtande / mehr gelte / als ein gemeiner Chriſt / iſt ſo gar keine Ba - byloniſche lehr / daß vielmehr nach unſers Lutheri angefuͤhrter bemerckung / die kirche erſt ein Babylon werden wuͤrde / wenn man ſolchen unterſcheid gantz auffheben wolte. 5. Jndeſſen bleibet dieſes freylich auch recht / weil es auch andre geuͤbte und von GOtt begabte Chriſten giebet / die von goͤttlichen din - gen ſo viele / auch zuweilen mehrere erkaͤntnuͤß und erfahrung haben / als Pre - diger / daß einem andern Chriſten / der rath und troſt bedarff / und einen ſol - chen kennet / nicht allein vergoͤnnet / ſondern auch ihm zu rathen ſeye / daß er ſich deſſen auch gebrauche / der auch alsdenn ſeine gabe mittheilen / und in lie - be dienen kan / aber wo er ordnung liebet / neben ſich gleichwol ſeinen bruder auch an ſeine beruffene diener weiſen wird. So bleibet das geiſtliche Prie - ſterthum in ſeinen ſchrancken / und hilfft der goͤttlichen und kirchlichen ord - nung / gegen die es nicht zu mißbrauchen iſt.

Es wird auch der erb-ſuͤnde in dem bericht gedacht / daß dieſelbe vor keinen beicht-ſtuhl oder menſchen gehoͤre / ſondern der ſuͤnder wende ſich mit taͤglichem und ſtuͤndlichem gebet und flehen zu ſeinem GOtt / und bete um krafft aus der hoͤhe / ſolcher erb-luſt zu widerſtehen. Aber168Das dritte Capitel. Aber 1. es iſt nicht genug zu bitten um krafft ihr zu widerſtehen / ſondern auch um dero vergebung / als dero greuel vor GOtt groß iſt / und wir alſo in aller wircklichen ſuͤnde auch der vergebung der erblichen noͤthig / deswegen dar - um zu beten haben: Wie David Pſ. 51 / 7. bey ſeinem ehebruch auch ſeine erb-ſuͤnde beklaget. 2. Daher wer GOtt in ſeinem diener ſeine ſuͤnden kla - gen und beichten will / thut nicht unrecht / ſondern es ſolle vielmehr ſeyn / daß er auch ſeine demuth bezeuge / wegen der ſo tieff bey ihm eingeſeſſenen ver - derbnuͤß / derſelben ſich ſchuldig zu geben. Ob er dann wol weiß / daß dereits auch in der tauff ſolche ſchuld ihm vergeben / ſo bedarff ſein glaube der verſi - cherung ſo wol dieſer / als anderer wircklichen ſuͤnden.

Aus allem erhellet / daß das haupt-werck des angegebenen Apoſtoli - ſchen berichts / das geſamte beichten und abſolviren zu einem Babyloniſchen monſtro und ungeheur / vom naͤrriſchen menſchen-hirn erſonnen / zu machen / davon Chriſtus und ſeine gemeinde nichts wuͤſten / eine unverant - wortliche laͤſterung gegen eine an ſich ſelbs unſtraͤfliche ordnung ſeye / daruͤ - ber wir uns zu betruͤben und zu entſetzen haben.

Der II. punct betrifft das H. Abendmahl. So kan abermal 1. nicht geleugnet werden / daß auch in unſerer kirchen (von denen / die auſſer der unſrigen ſind / will ich nicht ſagen / ſondern jeden ſeiner verantwortung uͤber - laſſen) viel damit geſuͤndiget werde / wann ich ſagen muß / ja faſt vor augen liget / daß daſſelbe mehr von unwuͤrdigen / als wuͤrdigen; mehr ohne / als mit frucht; zum gericht / als zuvermehrung deꝛgnade / gebrauchet weꝛde. Und glau - be ich wol / daß ſolche unwuͤrdige nieſſung vieler gerichte GOttes uͤber unſere kirche mit-urſach werden koͤnne.

2. Daß die wenigſte von dem H. Abendmahl nutzen haben koͤnnen / weder in erlangung der vergebung der ſuͤnden / noch in ſtaͤrckung des innern men - ſchen / iſt allerdings wahr. Und koͤnnen freylich die leute / die noch todt in ſuͤnden ſind / ſo wenig der krafft ſolcher himmliſchen ſpeiſe theilhafftig werden / als ein leiblicher todter der krafft natuͤrlicher ſpeiſe / ob ſie ihm auch in mund geſtecket wird. Daher wir Prediger auch nicht ſo viel die leute zum Abend - mahl treiben / als ſie zu wahrer buß anzuweiſen / und an ihrer bekehrung zu arbeiten / trachten ſollen. Zwahr / wer nun ein wahrer Chriſt / kan nicht zu vielmal dazu gehen / ſondern je oͤffter / je beſſer / man ſoll ihn auch nicht davon abhalten / ſondern ihn darinnen ſtaͤrcken: aber die meiſte ſind keine Chriſten / denen man ſo lang mehr das werck abrathen ſolte.

3. Daß das H. Abendmahl zur gedaͤchtnuͤß des HErrn geſtifftet / und noch zu halten ſeye / iſt eine goͤttliche wahrheit / aber daß wir auch darinnen vergebung der ſuͤnden / leben und ſeligkeit empfangen / iſt nicht allein un -ſer169ARTIC. I. SECTIO XXVII. ſer Evangeliſchen kirchen bekaͤntnuͤß / wie auch unſre theure Lutherus in dem Catechiſmo die kinder davon unterrichtet; ſondern es iſt nicht weniger ſelbs ein wort des HErrn / gegruͤndet in dem / wenn der liebſte Heyland ſpricht Matth. 26 / 28. welches vergoſſen wird fuͤr viele zur vergebung der ſuͤnden. Zwahr muͤſſen wir auch ſolche worte / daß man in dem heiligen Abendmahl vergebung der ſuͤnden empfange / recht verſtehen: denn wer es alſo nehmen wolte / daß wir mit dem Abendmahl-gehen vergebung der ſuͤn - den verdienten / oder auch 2. davor hielte / es ſeye mit dem hingehen ſchon gnug / daß wir vergebung der ſuͤnden empfangen / wir moͤchten darzu gehen / wie wir wolten / der irrete groͤblich / und verſtuͤnde unſere lehre nicht / ja der uns dergleichen lehr zuſchriebe / thaͤte uns das groͤſte unrecht. Sondern dieſes iſt die meinung: wie Chriſtus mit dargebung ſeines leibes und vergieſſung ſeines blutes / uns die vergebung der ſuͤnden verdienet hat / alſo wann er uns ſolches ſein opffer-fleiſch und opffer-blut zu genieſſen darreicht / ſo reichet er unſerm glauben zugleich mit dar die dadurch er worbene vergebung der ſuͤn - den. Dieſes ſehen wir aus dem gedachten ort Matthaͤi / ſonderlich wo wir den grund-text anſehen / da ein γὰρ oder denn / dabey ſtehet / ſo im teutſchen aus - geblieben; daher heißt es alſo: trincket alle daraus. Warum ſollen ſie daraus trincken? denn das iſt mein blut des N. Teſt. welches vergoſſen wird fuͤr viele / zur vergebung der ſuͤnden. Alſo ſtecket in ſolcher vergieſ - ſung zur vergebung der ſuͤnden die urſach / warum man es trincken ſolle. Die kan aber keine andre ſeyn / noch das trincken mit ſolcher vergebung eine ge - meinſchafft haben / als daß uns durch das trincken deſſen / womit uns die vergebung zuwege gebracht worden / dieſelbe auffs neue angeboten und uͤber - reichet werde. Und warum ſollen wir trincken / was fuͤr uns vergoſſen / wo ſolches nicht zur verſicherung und verſiegelung dienen ſolle / daß uns ſolches vergieſſen angegangen / und noch anjetzo angehe? Alſo iſt unſrer kirchen lehr hievon unſtraͤflich / und hat weder unſer liebe Lutherus noch andre / welche dieſe lehr treiben; noch auch diejenige / welche den glauben ihrer verſoͤhnung mit dem leib und blut Chriſti verſiegeln / und ſich alſo daraus der vergebung verſichern / verdienet / daß man gegen ſie mit Babyloniſchen ſau-hun - den / Antichriſt / Teuffels-ſtreich / heraus fahre. Welche laͤſterungen gewiß vor GOTT eine ſchwehre verantwortung bringen werden. Wie ich nun. hoffe / daß E. C. L. deutlich aus dieſem vortrag die wahrheit un - ſrer lehr / und die richtigkeit des rechten gebrauchs der beicht und des H. A - bendmahls an ſich ſelbs; hingegen wie ſo gar der ſogenannte bericht nicht A - poſtoliſch ſeye / zur gnuͤge erkant habe / alſo habe dieſelbe hertzlich in GOttes nahmen zu vermahnen / ſich in der wahrheit durch allerley ſchein nicht irreYma -170Das dritte Capitel. machen zu laſſen; ja auch GOTT hertzlich zu bitten / daß er alle irrige und verfuͤhrte wieder bringen / hingegen daß niemand auffs neue zu irrthum ver - fuͤhret werde / verwahren: ja auch fuͤr diejenige / von welchen dieſe ſchrifft her - gefloſſen / oder noch dergleichen nachfolgen moͤchten / in bruͤnſtig zu beten / daß ſie GOtt von ſolchem fleiſchlichen eyfer in wahrer buß reinigen / und ſie mit ſeinem feuer des H. Geiſtes / das ein feuer voll liebe und ſanfftmuth iſt / erfuͤl - len moͤge.

Jm uͤbrigen / weil aus gelegenheit deꝛ beicht-ſache leider in dieſeꝛ unſerſtadt und kirchen nun dieſes jahr uͤber ſo eine groſſe bewegung entſtanden / daßſich die meiſte gemuͤther von einander getrennet haben / kan E. C. L. leicht erachten / wie mir zu muth ſeyn muͤſſe / wo ich euch / der nicht allein einem theil / ſondern der gantzen gemeinde vorgeſtellet worden bin / in ſolchem zuſtand anſehe / nem - lich nicht anders als einem Vater / deſſen geſamte kinder in hader und unei - nigkeit verfallen ſind / und er ſie nicht / wie er will / zur einigkeit bringen kan.

Jch habe euch aber hertzlich alle anzureden / meine lieben / die ich wahr - hafftig als meine kinder / einen ſo wol als den andern / liebe / und mich zwahr nicht / euch erſt in Chriſto gebohren zu haben / ruͤhmen darff / aber gern bey al - len an eurem neuen menſchen arbeiten / und mich davon keine arbeit dauren laſſen will / damit ich neben euch vor jenem thron mit freuden eꝛſcheinen moͤge / habt liebe und friede unter einander. Gedencket doch / ihr ſeyd eines Va - ters kinder; ihr habt einen Heyland / der euch ſo theuer erloͤſet hat; es iſt ein H. Geiſt / und zwahr derſelbe ein Geiſt der liebe und des friedens / der euch zur ſeligkeit fuͤhꝛen muß. Jhr habt auf erden eine Mutter an deꝛ Evangeliſchen kirchen / ja ihr ſeyd einer ſtadt einwohner / und alſo auch einer abſonderlichen kirchen glieder; ſo zeiget es inder that / und leget alle irrungen und mißver - ſtaͤnde / daraus ſo viel ſuͤnde und aͤrgernuͤſſen entſtehen / und ferner entſtehen koͤnnen / bey zeiten ab.

Jhr / die ihr ſonderlich vor den beicht-ſtuhl eyfert / habt daran gantz recht / daß ihr vor die reinigkeit der lehre eyfert / dann dieſe muß verwahret / und keiner falſchen lehre eingang verſtattet werden / dazu wir alle / jeglicher nach ſeinem maaß / arbeiten muͤſſen. Jhr habt auch recht / daß ihr den abſon - derlichen beicht-ſtuhl bey der kirchen behalten haben wollet / der euch auch billich zu laſſen / und denjenigen / welche und ſo offt ſie deſſen benoͤthigt ſind / derſelbe nicht zu entreiſſen iſt. Pruͤfet euch aber auch redlich vor GOtt / der die hertzen forſchet / ob ihr bißher alles / mit der / den juͤngern unſers Heylan - des anſtaͤndigen liebe / ſanfftmuth und ehrerbietung gegen diener des HErrn / gethan / oder nicht vieler bitterkeit und haß bey euch platz gegeben habt? Ja was eines und andern abſonderliche abſichten in der ſach geweſen ſeyn moͤ -gen?171ARTIC. I. SECTIO XXVII. gen? Ob ihr nicht finden werdet / daß ihr euch durch manche falſche erzehlun - gen offt erhitzen / auch zu ſolchen klagen bewegen laſſen / die doch nach mals ohne grund / oder doch nicht gantz alſo bewandt geweſen ſind? Ob ihr nicht ſo wol mit einem Lehrer / deſſen treue / und GOttes durch ihn bißher ausgerich - tetes werck vor augen ligt / und niemand widerſprechen kan / gedult zu tragen habet? Ob ihn die angſt ſeines gewiſſens / die ihr dazu ſelbs groſſen theils ver - urſachet habt / zuetwas getrieben / das nicht nach der ordnung iſt / als um eines mißfaͤlligen willen den fruchtbaren gebrauch ſo viel anderer gaben / zu hem - men nicht begehren ſoltet? Ob ihr auch nicht mit anderen mit-buͤrgern / die anderer meinung ſind / billich in ſanfftmuth und gedult umzugehen habet? Jch verſichere / wo ihr in der furcht des HErrn dieſe dinge erwegen werdet / wird ſich die hefftigkeit bald legen / und neben erhaltung der wahrheit auch friede bluͤhen. Da hingegen / welche auch in einer in gewiſſer maaß guten ſache ohne liebe verfahren / alles damit verderben / aber eben dadurch auch die ſchuld des daher entſtehenden unheyls auff ſich laden; die ich von euch allen abgewendet zu werden / hertzlich verlange. Jhr ſeyd auch ſchuldig / wo ihr ſcrupel des gewiſſens bey euren mit-bruͤdern findet / in ſie nicht zu ſtarck zu tringen; oder auch / da in rechter ordnung ihnen eine freyheit gegeben wuͤrde / euch zu hart zu widerſetzen.

Jhr aber / die ihr hingegen wider den beicht-ſtuhl eyfert / pruͤfet euch nicht weniger / wie ihr vor GOtt ſtehet / und ſeyd verſichert / ihr koͤnnet euch auch nicht rechtfertigen. Hat jemand unter euch theil an ausbreitung der gedachten ſchrifft / ſo ſeye er verſichert / er habe ſich ſchwehrlich verſuͤndi - get / und viel gutes damit verdorben / und wo ers gar fuͤr recht haͤlt / habe er GOtt zu bitten / ihm ſolchen irrthum zu benehmen. Jhr ſuchet die freyheit vom beicht-ſtuhl: Sind aber nicht viele unter euch / da bey allen zwahr der vorwandt iſt / daß die einſchrenckung der chriſtlichen freyheit das gewiſſen verletze / bey denen aber wahrhafftig in dem grund ihrer ſeelen dieſe urſach nicht iſt; ſondern wie etwa ihr leben nichts von einem ernſtlichen Chriſten - thum von ſich zeiget / alſo iſt ſolchen in der beicht nichts zuwider / als weil zu - weilen aus gelegenheit der beicht / von gewiſſenhafften Predigern ihnen des lebens wegen mag zugeſprochen werden / daß ſie auch deſſen loß kommen wol - len / damit ja kein Prediger gelegenheit habe / ihnen die doch ſo noͤthige erin - nerung zu thun. Derſelben boͤſe abſicht aber zu befodern / hoffe ich / ſolten die gewiſſenhaffteſte unter euch ſelbs bedencken haben. Jch laſſe aber gelten / daß unter euch ſeyn werden / welche bloß ihr gewiſſen in ſeiner zaͤrtlichkeit treibet / und euch den beicht-ſtuhl / wegen des wenigen nutzens / den ihr davon ſehet / auch etwa an euch ſelbs eimpfunden habt; hingegen der vielen euch be - kannten mißbraͤuche / gantz zu wider gemacht hat / daß ihr fuͤr noͤthig achtet /Y 2ihn172Das dritte Capitel. ihn zu verlaſſen. Nehmet aber in der furcht des HErrn die gedult / der ſache beſſer nachzudencken / ſo hoffe ich / ſolle euch mehr und mehr klahr werden / daß ihr die rechte geſtalt davon nicht recht eingenommen habet; hingegen daß ihr ohne verletzung eures gewiſſens euch demſelben wohl bequemen koͤnnet. Brauchen ihn andre uͤbel / ſo brauchet ihn recht. Jhr werdet ja wollen von euch glauben machen / daß ihr taͤglich GOTT beichtet / ſeine vergebung bit - tet und beſſerung verſprechet; warum beſchwehrete ich mich dann ſolche be - kaͤntnuͤß zu GOTT auch vor ſeinem diener zu thun / und was ihr auch ſonſt aus GOttes wort zur verſicherung eures glaubens euch ſelbs erinnert / aus deſſen munde mit glauben anzunehmen. Man fodert ja von keinem ein gewiſ - ſes formular einer beichte / das eurem gewiſſen zuwider waͤre / ſondern iſt gnug / wo ihr euch bußfertig darſtellet / ohne welches ihr ja nie vor GOTT beſtehen koͤnnet. Alſo kan ich nicht begreiffen / was ihr in der beicht und ab - ſolution zeigen koͤntet / das in wahr heit wider ein erleuchtetes gewiſſen ſtrei - ten koͤnte.

Heiſſet es aber: Es iſt gleich wol die beicht vor dem H. Abendmahl keine von GOtt gebotene ſache / ſondern weil ſie nur eine kirchen-ceremonie, muß das gewiſſen nicht damit gebunden werden / ſonſt ſuͤndiget man / wo man ſich die von Chriſto geſchenckte freyheit nehmen laͤſſet. Antwort: Man noͤthi - get niemand / die beicht vor dem H. Abendmahl als eine goͤttliche einſetzung zu gebrauchen / ſondern allein als eine ſolche kirchen-ordnung / die ihren nutzen haben kan. Und alſo darffſtu nicht beichten / als wann ohne die dem Predi - ger geſchehende beicht niemand ſelig werden koͤnte / daß ſich dein glaube an dieſe ordnung ſelbs binden ſolte; ſondern / daß dein glaube / was er zwahr auch ohne die beicht von GOtt unmittelbar haben kan / in derjenigen ordnung ſu - che / die die kirche eingefuͤhret hat / dero die liebe / als des glaubens erſte toch - ter / ſich willig bequemet. 2. So iſt es eine in der Heil. Schrifft ſonderlich Rom. 14. 1. Cor. 8. ausgemachte ſache / was die liebe in den dingen die in einer freyheit ſtehen / von einem Chriſten erfodere: nemlich / daß man dem bruder / der ſchwach iſt / zu gefallen / ſich auch ſeiner frey - heit begeben muͤſſe / oder man ſuͤndige an CHriſto. Es war damal durch Chriſtum das Levitiſche geſetz auffgehaben / und alle Chriſten in die freyheit geſetzet / alle ſpeiſen zu eſſen / die den Juden verboten waren. Darein konten ſich die aus den Juden bekehrte ſchwehrlich ſchicken / ſondern ſtieſſen ſich dar - an / wann erleuchtete andre Chriſten von verbotenen ſpeiſen aſſen. Da will aber Paulus / ehe die glaͤubige / die doch ihre theuer von Chriſto erworbene freyheit verſtunden / und hoch hielten / wolten mit gebrauch ihrer freyheit den andern bruͤdern einen anſtoß geben / ſolten ſie ſich lieber ihrer freyheit in dem gebrauch begeben / und wo ſie es nicht thaͤten / ſagt er / ſie wandeltennicht173ARTIC. I. SECTIO XXVII. nicht nach der liebe / das doch den Chriſten gebuͤhret. Ja er ſelbs auff gut - befinden / des Apoſtels Jacobi und der bruͤder zu Jeruſalem Apoſt. Geſch. 21 / 26. um das aͤrgernuͤß / das von ihm war ausgebreitet worden / als lehrte er die Juden vom geſetz Moſis gantz abfallen / wieder abzuwenden / bequemete ſich gar / denen juͤdiſchen ceremonien wegen des geluͤbdes / reinigung und opffer / die doch auch durch Chriſti tod abgethan geweſen / und ihm beſchwehr - lich moͤgen gefallen ſeyn. Alſo ob ihr wol verſichert ſeyd / daß die privat - beicht vor dem heiligen Abendmahl nach dem exempel vieler andern kirchen nicht von Gottes wegen noͤthig / weil ſie gleichwol eine an ſich unſtraͤffliche ceremonie iſt; ihr hingegen ſehet / wie ſo viele eurer mit-bruͤder ſich an euch ſtoſſen / wo ihr euch gantz derſelben entziehet / ſo erweiſet den Geiſt Chriſti bey euch durch die liebe; und da ihr ja nothwendig GOtt beichten muͤſſet / ſo be - ſchwehret euch nicht / ſolches gegen GOtt auch in ſeinem diener zu thun / und was ihr zwahr auch von GOtt ſelbs hoͤren koͤnnet / hoͤrets auch von ihm mit glauben aus dem munde ſeines dieners. Alſo behaltet ihr eure freyheit in dem glauben / aber nach der liebe ſetzet ihr dero gebrauch aus / und koͤnnet euch deſto mehr gnade von GOTT getroͤſten / auch um ſolcher liebe willen.

Solte es aber GOtt gefallen / ordenlicher weiſe euch eine mehrere frey - heit zu geſtatten / ſo gebraucht alsdann euch doch derſelben allezeit maͤßiglich / und abermal ohne anſtoß der liebe.

Jhr uͤbrige aber / die ihrs mit keinem theil haltet / ſondern es von beyden ſeiten gern mit mir anders ſehet / und hertzlich verlanget / daß glaube und liebe bey allen erhalten / und aller hertz in einigkeit des Geiſtes verbun - den / ſo lang man aber ſich beyderſeits noch nicht genug verſtehen kan / der ge - wiſſen geſchonet werde: wo ihr gelegenheit habt / helfft beyderſeits mit chriſt - lichem zuſpruch die einigkeit / dazu uns der HErr beruffen hat / befordern / als woran ein groſſes theil der erbauung hanget / hingegen bey fortſetzender ver - bitterung dieſelbe mehr und mehr geſchlagen wird. Laſſet uns auch zu dem HErrn beten / der / was menſchlichen kraͤfften unmuͤglich iſt / ſelbs in den her - tzen ſeiner kinder zum zeugnuͤß ſeiner guͤte und allmacht wuͤrcke. Nun ich habe mein hertz bey euch vor GOTT ausgeſchuͤttet / wie es die mir obligen - de treue erfodert / und hoffe ſo fern wiederum / auch darinnen meine ſeel geret - tet zu haben. Ach laſſet es nicht vergebens ſeyn / ſondern allerſeits trachtet dahin / daß ich auch hierin mein amt ferner nicht mit ſeufftzen thun muͤſſe / ſondern mit danckſagung verrichte! Dabey wir den Troſt haben / GOTT koͤnne auch aus boͤſem gutes machen / und wo man von beyden ſeiten etwas von der ſtrenge in einer ſache / die euſſerliche ordnung betrifft / nachgiebet / ſo wol die gemuͤther deſto beſſer vereinigen / als zu ſo viel mehr erbauung / undY 3hoffen -174Das dritte Capitel. hoffenlich auch beſſerung des beicht-weſens ſelbs / gnade verleyhen. So wird er auch die liebe / und was aus derſelben ohne verletzung der wahrheit bey - derſeits geſchiehet / ihm laſſen angenehm ſeyn / und ſo viel reichern ſegen zu allen ſeinen gnaden-mitteln beſchehren / zu ſeinem preiß und unſrer aller ſeligkeit.

ALlmaͤchtiger ewiger GOTT / getreuer Vater / du foderſt von deinen kindern / daß / die deine wahrheit im glauben erkennen / auch nach der liebe untereinander leben. Wir muͤſſen auch daraus erkennen / daß wir dir fuͤr deine reiche / auch dieſem ort erzeig - te gnade / nicht / wie es ſich geziemet / muͤſſen danckbar ſeyn worden / wann du verhaͤnget haſt / daß in unſrer gemeinde nicht geringe miß - helligkeit und zerruͤttung der gemuͤther / mit erfolg manches aͤrger - nuͤſſes / eine weil her im ſchwang gegangen / und ſich noch nicht legen will. Vergib uns unſre zum theil bekannte / aber auch unbekannte ſuͤnden / damit wir auch dieſes dein gericht verſchuldet haben / und was beyderſeits darinnen gefehlet worden. Erhalte uns zum forder - ſten dein wort / und aus demſelbigen die reinelehr / und laſſe dem ſa - tan nicht zu / bey truͤben waſſer zu fiſchen / und aus gelegenheit jetzi - ger mißverſtaͤndnuͤſſen gar irrthuͤmer auszuſtreuen: vielmehr be - feſtige deine kinder in der erkaͤntnuͤß der wahrheit / ſich von niemand unter einigem ſchein verfuͤhren zu laſſen. Geuß den Geiſt der liebt beyderſeits in die hertzen der glieder unſrer gemeinden / und bewahre ſie fuͤr aller trennung: vielmehr lehre diejenige / welche in dem / was der kirche das erbaulichſte ſey / unterſchiedliche meinung haben / daß ſie einander tragen / weder eine der andern gewiſſen zu ſtarck angreif - fen / und es zu noͤthigen ſich unterſtehen; noch andre mit mißbrauch ihrer freyheit die liebe verletzen / ſondern nach dem rechten Apoſto - liſchen bericht und unterricht ſich gegen einander bezeugen. Regie - re auch die hertzen aller in Obern-ſtaͤnden / die darzu zu reden haben / daß ſie was auch in dieſer ſache deinem rath und ehre am gemaͤſſeſten ſey / weißlich erkennen / nach reiffer berathſchlagung beſchlieſſen / und damit durch deinen ſegen allem unweſen abhelffen; hingegen auch dadurch zu ſo viel reicherer kuͤnfftigen erbauung neuen grund legen. Jnsgeſammt ſteure in deiner gantzen kirchen allem miß - brauch deiner heiligen mittel / (ſonderlich der abſolution) daß ſichnie -175ARTIC. I. SECTIO XXVIII. niemand damit betriege / ſondern alle in deiner heiligen ordnung alſo angewandt werden / wie es zu aller ſeligkeit dienlich iſt. Dem - nach wuͤrcke in allen hertzen wahre buß / damit wir aus derſelben dir / und auff wen du uns weiter weiſeſt / alſo die ſuͤnde beichten / daß wir auch deine abſolution / durch wen du ſie uns ſprichſt / mit glau - ben ergreiffen / und diejenige vergebung erlangen / in dero wir ſelig leben / froͤlich ſterben / und freudig vor deinem gericht erſcheinen moͤgen / um JESU unſers Suͤnden-Tilgers willen! Amen.

SECTIO XXVIII. Vom auffſchlagen der ſpruͤche in der kirchen.

WAs das aufſchlagen der ſpruͤche in der kirch anlangt / ſo iſt entwe - der die rede von dem Prediger / oder von den zuhoͤrern. Was jenen anlangt / wo wir auff menſchen ſehen wollen / wie es nun - mehr leider dahin gekommen / daß man meiſtens auff dieſelbe ſihet / ſo ſolte des beruͤhmten Herrn D. Calovii exempel vorgehalten werden / der wie ich hoͤre / die gantze predigt durch / die Bibel vor ſich offen ligen gehabt / und faſt immer darinnen geblaͤttert. Was aber die zuhoͤrer betrifft / leugne ich nicht / daß es gut / und unnuͤtz ſein kan: dieſes / wo man daruͤber auff die predigt nicht acht gibet / ſondern ſich mit auffſchlagen und leſen daran hindert; jenes / wo man einstheils den text ſich ſonderlich vor augen leget / um acht zu geben / wie ſolcher nach und nach in der predigt erklaͤret wird; andern theils / wo man nur die haupt-ſpruͤche auffſchlaͤgt / und bloßzeichnet / dazu wenig zeit erfodert wird / um nachmal zu hauſe dieſelbe wiederum nachzuleſen und zubetrachten: es ſeye dann daß der Prediger auch einen von ſolchen ſpruͤchen mit mehr fleiß erklaͤrete / da man ſolchen auch vor augen behalten und auff die erklaͤ - rung mit gutem nutzen acht geben koͤnte. Wo alſo damit verfahren wird / kan niemand zeigen / daß eine hindernuͤß eines guten daraus erfolgte / wol aber wird ſolche uͤbung das gepredigte / was die ſpruͤche anlangt / deſto mehr in das hertz drucken. Sind nun leute / welchen nichts gefaͤlt / als was ſie von ihren Eltern geſehen oder ſelbs gethan haben / denen koͤnnen wir nichts beſſers auffdringen / es iſt aber auch billich / daß hinwiederum ſie andern das - jenige laſſen / was ſie zu ihrer erbauung dienlich finden: wir aber muͤſſen uns nicht wundern / wann alles gute ſeine ſplitter-richter haben muß. Und wie koͤnte es gut ſeyn / wo es allen gefiele? Der HERR gebe uns nur gnade / an dergleichen urtheil uns nicht alſo zu kehren / daß wir die hand von dem gutenabzie -176Das dritte Capitel. abziehen / oder etwas von dem eiffer nachlaſſen wolten. Es gewinnet ohne das das anſehen / daß es bald zu einem harten kampff ſich bereiten moͤchte / da diejenige / ſo fleiſchlich in dem geiſtlichen ſtand geſinnet ſind / mit aller ge - walt an allen orten die anders geſinnete / werden mit verleumdungen / ver - dachten und auff andere weiſe ſuchen zu unterdrucken; vielleicht auch an - fangs es damit weit bringen; bis endlich / wann der HErr ſeiner diener glau - ben und gedult wird zur gnuͤge gepruͤffet haben / ein ſeliger ſieg und durch - bruch erfolgen / und diejenige / ſo ſich dem guten widerſetzet haben / werden (ach der HErr gebe / zu ihrer wahren buſſe!) zu ſchanden werden. Auff ſol - chen kampff laſſet uns uns gefaßt machen / wo wir ihn an bruͤdern ſehen / uns daran nicht aͤrgern / noch wo wir dazu gefordert werden / befremden laſſen / ſondern getroſt und freudig vor dem HERRN kaͤmpffen und leiden. 1690.

SECTIO XXIX. An eine Adeliche Ampts-Perſon / ſich mit Jeſuiten nicht in diſputat einzulaſſen.

MO Eu. Hoch-Adel. Tugend meines einfaͤltigen raths gelieben wolte / ſo wuͤrde rathen / mit ſolchen widerſachern / Jeſuiten und andern ſich in keinen diſputat einzulaſſen / als wovon ſie nicht einigen nutzen hoffen moͤgen / wol aber nur unruhe und beſchwehrden davon einzunehmen haben. Jſt alſo am allerbeſten / da man unter ſolchen leuten leben und um - gehen muß / ſie / wo ſie ſich an uns anhangen wollen / ſo bald mit beſcheidenheit abzuweiſen / daß ſie ihres gleichen ſuchen moͤchten; man ſeye nicht in willens / ſich mit ihnen einzulaſſen: da ſie dann / wo ſie ſehen nichts auszurichten / von ſelbs muͤde werden und uns ruhe laſſen. Wann man ſich aber einlaͤſſet / hat man ſtaͤten anſpruch / und ob man in einem einigen ſtuͤck etwa nicht ſo fuͤglich zu antworten vermocht / iſt des ruͤhmens kein ende / auch wol muͤglich / daß man dadurch / da mans nicht gedacht / unbewehrt gegen einen geuͤb - ten ſich macht / einige ſcrupul mit etwas gefahr faſſen kan. Welches alles man entuͤbrigt iſt / ſo man ſie beſcheidenlich abweiſet / und daß das diſputiren unſere profeſſion nicht ſeye / ſich glimpfflich entſchuldigt; und koͤnnen alsdann diejenige ſtunden und zeiten / welche man ſonſten in ſtreit-ſchrifften ſich zu erſehen / und denſelben nach zudencken / anwendet / viel nuͤtzlicher zu anderer andacht / betrachtung und leſung in der H. Schrifft oder gottſeligen buͤcheꝛn zu unſerer mehreren gruͤndung in der wahrheit und leben - diger erkaͤntnuͤß GOttes angewendet werden / davon unſere ſeele mehr nu - tzen / als von jenem ſtreit haben kan. Wo aber ja die intention iſt / (ſo ich gleich wol nicht rathe /) ſich in einigen diſputat einzulaſſen / ſo wuͤrde noͤthigſeyn /177ARTIC. I. SECTIO XXIX. ſeyn / dergleichen ſchrifften unſerer Theologorum, ſo mit groſſer menge vor - handen ſind / ſelbs zu leſen / und an der hand zu haben; oder wo es noͤthig waͤ - re / zuweilen etwas zu beantworten / wie dieſes anſinnen des Jeſuiten an E. Hoch-Adliche Tugend geweſen / muͤſte ein ſeiner Studioſus oder land-Pfar - rer / welcher nicht zu viel zu thun haͤtte / deßwegen angelangt werden / derglei - chen arbeit zu uͤbernehmen: dann was groſſe ſtaͤdte anlangt / ſind der Predi - ger verrichtungen allzuviel / als daß ſie dergleichen materien abwarten koͤn - ten. Hingegen ſind die ſtreit-ſachen / ſo wir mit den Papiſten haben / ſo be - wandt / daß auch ein Studioſus, der ein wenig gegruͤndet iſt / leicht alle ſatis - faction thun kan / und nur hin und wieder die antworten aus unſeren Auto - ribus auffſchlagen darff / die ſich genugſam finden. Wie dann ſchwehrlich ein oder ander ſpruch unter den uͤberſchickten iſt / da nicht mehrmal zur genuͤge von den unſerigen darauff geantwortet worden waͤre: und habe ich mich faſt gewundert / daß dieſe leute E. Hoch-Adeliche Tugend in dieſer materie von dem feg-feuer ſonderlich haben wollen angreiffen / da ſonſten die kluͤgſte unter ihnen nicht eben ſo groſſen ſtaat von ſolchem articul machen / und mir ſelbs ein vornehmer paͤpſtiſcher Churfuͤrſtlicher Rath in meinerſtudier-ſtube bekant / daß er kein feg-feuer glaube / ob er wol die kirche nicht urtheile / oder ihr un - recht gebe / daß ſie dergleichen lehre. Nebenſt dem bekenne auch / daß ich von mehrern jahren weniger mehr luſt gehabt habe zu den ſtreit-ſchrifften / als die / ob ſie ſchon auch noͤthig / dannoch gegen andern ſtuͤcken der Theologiæ geringern nutzen zu der ſeelen erbauung haben: jedoch als es GOtt zugelaſ - ſen / daß Herr D. Breving mich in einem buͤchlein angegriffen / habe es als ei - nen goͤttlichen beruff angeſehen / auch in ſolcher ſache etwas zu ſchreiben / da ich die materie von der rechtfertigung und ordnung unſerer ſeligkeit / gegen die Papiſten mit mehrerem durch GOttes gnade ſuche auszufuͤhren; wie dann bereits uͤber 80 boͤgen davon getruckt / ich aber noch viel zu arbeiten ha - be / und E. Hoch-Adeliche Tugend leicht ermeſſen koͤnnen / da ich zu dieſer ar - beit nicht genug zeit finden oder gewinnen kan / daß ſo viel weniger etwas an - ders neues zu uͤbernehmen vermoͤgte: daher das gute vertrauen trage / E. Hoch-Adeliche Tugend werden nicht ungleich auffnehmen / daß ich einer ar - beit mich nicht unterſtehen kan / dazu mir es an noͤthiger weil mangelt; wo a - ber ſonſten in einigen gewiſſens-faͤllen und anligen / nach dem maaß der gna - de / ſo mir GOtt gegeben hat / zu deroſelben erbauung etwas beyzutragen vermoͤchte / da es dergleichen weitlaͤufftigkeit wie in ſtreit-ſchrifften / nicht be - darff / ſo erbiete gern / mit chriſtlicher bereitwilligkeit an die hand zu gehen. Der ich ſchließlich den Vater der barmhertzigkeit und GOtt alles troſtes de - muͤthig anflehe / welcher dieſelbige nicht nur in der erkaͤntnuͤß der wahrheit des Evangelii wider alle verfuͤhrungen befeſtigen / und alle gefaͤhrliche verſu -Zchun -178Das dritte Capitel. chungen von ihr abwenden / ſondern auch in dem uͤbrigen das werck ſeiner heiligung in dem liecht ſeines Heiligen Geiſtes / in deſſelben krafft und trieb / auch empfindlichen troſt / immer in ihr fortſetzen; ſie hingegen gegen alle an - fechtungen des teuffels / der welt und eigenen fleiſches zu ſtaͤtem ſieg wapnen / ja durch und durch heiligen wolle / daß ihr geiſt gantz ſamt ſeel und leib / moͤge erhalten werden unſtraͤflich auff dentag JEſu Chriſti. 1684.

SECTIO XXX. Von dem kirchen-bauen.

JCh habe wegen der nechſtmal von wegen ihrer chriſtlichen gemeinde an mich gethanen anſinnung dero collecten werck zu ihrem kirchen-bau zu recommendiren / mich zu abwendung etwa widriger gedancken zu er - klaͤren: daß nicht nur hieſiges orts / weder ich / noch jemand meiner H Hn. Collegen bey denen petitis um collecten etwas zu thun haben / als welcher - ley unmittelbar vor dem Rath geſucht werden muß / welcher auch nach einem befinden dariñ decerniret / und was zuvergoͤnnen ſeye oder nicht / mit dem Mi - niſterio nicht zu communiciren hat; ſondern daß ich auch in m[e]inem hertzen die gantze ſache nicht alſo habe anſehen koͤnnen / daß ob es auch bey mir geſtan - den waͤre / ich mein votum dazu geben ſollen. Daß nun ſolches nicht aus ei - ner widrigkeit gegen ihre gemeinde und religions-exercitium thue / ſondern dieſelbe von hertzen liebe / und ihnen alles guts goͤnne / hoffe ich / werden ſie aus andern meines gemuͤths gegen ſie proben / mir zu trauen: damit aber die wahre urſach vor augen ſtelle / ſo muß mich voͤllig erklaͤren. 1. Das kirchen-bauen bloß dahin und an ſich ſelbs / achte ich fuͤr keinen Gottes - dienſt / oder dem HErrn ſonderbar gefaͤlliges werck / wie es auch nirgend in dem N. T. uns Chriſten befohlen oder recommendiret wird: ſo laͤſſet ſich auch von dem von GOtt in dem A. Teſt. befohlenen tempel nicht auff unſere kirchen ſchlieſſen / wann nicht nur jener mit zu dem levitiſchen Gottesdienſt gehoͤrte / und was GOtt dabey und in ſolchem vorbild vor abſichten hatte / ſich auff unſere kirchen nicht reimet / ſondern dieſe vielmehr mit den ſchulen o - der Synagogen der Juden / als dem tempel zu vergleichen ſind. Hingegen halte ich dieſes aus dem Papſtthum noch her zu kommen / da man meinet / es ſeye dieſtifftung und erbauung der kirchen / und ſo genannter geiſtlicher ge - baͤude / auch wo und in welcher zahl man ſie nicht noͤthig hat oder braucht / an und vor ſich ſelbs ein heiliges werck / damit man GOtt einen dienſt thue. Jn welcher meinung / ſo aber nicht viel beſſer als ein aberglaube iſt / man leider! ſo lange zeit in dem Papſtthum geſtanden / und noch ſtehet / daß viele / da ſie et - was zu GOttes ehren anwenden wollen / daſſelbe mit hindanſetzung viel noͤ -thi -179ARTIC. I. SECTIO XXX. thigerer liebes-wercke am heiligſten an dergleichen gebaͤude gewendet zu wer - den achten. 2. Jndeſſen iſt uns im N. T. als ein befehl des HErrn geboten / daß wir zu dem Gottesdienſt / anhoͤrung goͤttlichen worts / adminiſtrirung der H. Sacramenten / geſang / gebet und dergleichen uns verſammlen ſollen. Nun koͤnte zwahr auch ſolche verſammlung auſſer einiger dazu beſtimmter gebaͤude geſchehen / wie die Chriſten in der erſten zeit und bey einigen hundert jahren wenig von ſolchen tempeln gewuſt / ſondern ſich wegen der verfolgun - gen da und dort in haͤuſern / unter der erden / in waͤldern / kluͤfften und ſon - ſten / verſammlen muͤſſen / da ſie mit nochwol mehrerer andacht als wir jetzt in unſern kirchen / dem HErrn gedienet / und hinwiederum ihm gefallen haben. Jedennoch / weil privat-haͤuſer bey groſſen gemeinden viel zu enge / derſelben verſammlung zu faſſen / ſo dann die bequemlichkeit der verſammlungen / wel - che zu ſuchen uns der HErr nirgend verboten / vielmehr die liebe ſolche / wo ſie platz findet / uns raͤthet / erfordert / daß gewiſſe ſtaͤtte dazu verordnet / von neuem gebauet / oder andere dazu bequem gemachet werden / in denen die ver - ſammlungen gehalten werden moͤgen / welche auch deswegen zu dieſem zweck und der groͤſſe der gemeinde eingerichtet werden ſollen: ſo ſind folglich die kirchen-gebaͤude in ſolcher abſicht und nach proportion der nothdurfft GOtt nicht nur nicht zuwider / ſondern gantz angenehm / als ſtuͤcke einer feinen ordnung / die uns 1. Cor. 14 / 40. empfohlen wird / und als huͤlffs-mittel / denjenigen zweck deſto beſſer zu erhalten / den er durch das gebot der verſam̃ - lungen bey uns ſuchet. Daher wer an ſolche gebaͤude / deren jeglichen orts die gemeinde noͤthig hat / etwas mit einfaͤltigem hertzen / und in der liebe / an - wendet / darff es nicht als verlohren anſehen / ſondern weiß / daß es ein dem HErrn gefaͤlliges opffer ſeye. 3. Wo man aber ſolche kirchen oder haͤu - ſer der verſammlung / oder ſolche ſtellen / ſo zu der verſammlung bequem ge - machet ſind / (maſſen an dem nahmen und euſſerlicher form nichts gelegen iſt) bereits hat / und die vorhandene vor die nothdurfft der kirchen und gemeinde gnug ſind / (dann ſonſten wo eine kirche bey einer volckreichen gemeinde nicht gnug iſt / muͤſſen freylich ſo viel ſeyn / als die groͤſſe derſelben mit ſich bringet) ſo achte ich es fuͤr einen uͤberfluß / wo auch die gemeinde ihre eigene mittel / da ſie ſolche haͤtte / an dergleichen wenden wolte / als lang bey ihr oder bey an - dern glaubens-bruͤdern wichtigere und goͤttliche ehr naͤher betreffende gele - genheiten / in liebes-wercken / an armen / beſtellung gnugſamer Prediger / ſchul-diener und dergleichen / etwas anzuwenden ſich finden / dergleichen ich mich verſichere / daß nicht wol jemaln manglen werde. Dann weil wir obge - dachter maſſen die kirchen allein nach dero gebrauch und zweck zu æſtimiren haben / und ſie erſt in abſicht auff dieſe etwas Gottgefaͤlliges werden / ſo blei - bet einmal ein uͤberfluß / was hierzu nicht erfordert wird: und ſind wir hinge -Z 2gen180Das dritte Capitel. gen allezeit / unſere uͤbrige mittel zu denjenigen wercken anzuwenden ſchul - dig / damit GOtt wahrhafftig und am meiſten gedienet / und dem nechſten im geiſtlich - und leiblichen / nutzen geſchaffet wird. Daher ich / was an einige arme mit liebreichem hertzen gewendet wird / ſolte es auch in geringeren ſum - men beſtehen / fuͤr viel ein heiliger opffer halte / als wo auch viel tauſende an unnothwendige kirchen-gebaͤude / oder auch dero zierathen / gewendet wuͤr - den / damit gewißlich GOtt und dem nechſten wenig gedienet wird; weßwe - gen auch / wo in ſolchem fall und abſicht jemal etwas andern nothduͤrfftigen entzogen / oder entzogen zu werden gelegenheit gegeben wuͤrde / ich dergleichen GOtt ſo gar nicht gefaͤllig / daß es vielmehr ſuͤndlich achtete / als die wir un - ſers GOttes guͤter allezeit billich auff die art anzuwenden haben / wie ſie den meiſten nutzen bringen. 4. Daraus folgete / daß ſo viel weniger dem gewiſ - ſen gemaͤß ſeye / wo eine gemeinde zu dergleichen einem nicht noͤthigem bau die mittel ſelos nicht hat / daß ſolche von anderer gutthaͤtigkeit geſucht wer - den ſollen: als zu dero wir unſere zuflucht ohne verletzung der liebe nicht neh - men doͤrffen / es ſeye denn eine wahrhafftige noth vorhanden; und wo es denn geſchiehet / daß damit andere / was ſie ſteuren / aus guter meinung wol etwa gar an anderer gutthaͤtigkeit in wahrhafftigen liebes-wercken deßwe - gen abbrechen / daher nicht ſo wol anwenden / als es geſchehen ſolle / faͤllet ſolche ſuͤnde auff diejenige / die zu dergleichen unnoͤthigen bau ihre huͤlff ge - ſucht. 5. Sehe ich ohne das unſere jetzige zeit als die zeit des goͤttlichen ge - richts alſo an / wie der HErr dem Roͤmiſchen Babel (davon wir betruͤbten anfang bereits vor augen ſehen) bald eine zimlich groſſe macht zulaſſen wer - de / das verderbte Jeruſalem zu zerſtoͤhren / das iſt: ſeinen letzten grimm ge - gen unſere Evangeliſche kirch auszuſchuͤtten / deroſelben euſſerliches beſorg - lich zu unterdrucken / und an den meiſten orten eine voͤllige gewalt uͤber uns zu bekommen / da wir uns leicht die rechnung machen koͤnnen / wie viel uns alsdenn / da ihrem zorn der zuͤgel gelaſſen / uͤbrig bleiben wird / und wir alſo (wie gern wolte ich / meine ſorge betroͤge mich / aber der ausgang wird es leh - ren) wenige oͤffentliche exercitia behalten doͤrfften. So haben wir ja viel - mehr zu dieſer zeit urſach / uns mit der habenden geringſten bequemlichkeit zu vergnuͤgen / und uns nur ſonſt in dem innerlichen alſo zuruͤſten / daß wir in den zeiten ſolcher verſuchung (biß ſie voruͤber gehe / und hingegen das Babel ſein letztes gericht ihn auch uͤber den halß ziehe) beſtehen / und in ermanglung der euſſerlichen tempel / wahrhafftig tempel des Heil. Geiſtes bleiben moͤgen / nicht aber ſorge / muͤhe oder koſten anzuwenden / zu einigen unnoͤthigen ge - baͤuden / die wir nicht uns / ſondern andern bauen wuͤrden. 6. Achte ich auch den zuſt and einer gemeinde / welche ſchwach / uñ unter anderer religion Herrſchafft iſt / viel nuͤtzlicher / daß die oꝛt ihrer verſam̃lungen geringund unanſehnlich / alsdaß181ARTIC. I. SECTIO XXX. daß ſie anſehnlich ſeyen. Dieſes letztere ſticht die widrige in die augen / erwe - cket verdruß / und vermehret nur ihren haß gegen uns: jenes aber macht al - lein / daß ſie uns verachten / und etwa ſpotten / ſo uns aber von ihnen viel weni - ger / als ihr haß ſchaͤdlich iſt. Wie ohne das ihrer religion / die vielen pomp und ſplendor liebet / principiis die anſehnliche kirchen vielmehr / als den unſri - gen gemaͤß ſind / als die wir gelernet haben / daß der dienſt des N. T. mehr in dem innerlichen beſtehe / und in dem euſſerlichen nichts / ohne allein was die ſauberkeit / reinigkeit und gute ordnung angehet / erfordert / den uͤberfluß aber mehr fuͤr ſeine hindernuͤß als foͤrderung halte. Dieſes ſind meine gedancken von dem kirchen-bauen unſerer zeit / daher die application auf deroſelben hy - potheſin ſich etwa unſchwehꝛ machen laͤſſet. Jch ſehe auch nicht / was wichtiges gegen dieſelbe moͤchte angefuͤhret werden / indem dem aͤrgernuͤß derjenigen un - berichteten / welche weil wir nicht eben ſolche kirchen ſolches orts als die Roͤ - miſche und Reformirte haben / unſere religion von uns ſelbs fuͤr gering ge - halten zu werden / ſorgen wolten / durch gruͤndlichen unterricht des Predigers wohl geholffen werden kan; ſo dann das erhaltene jus einer kirchen / mit fort - ſetzung des offentlichen Gottesdienſts in der vorigen ſtelle / und erwa andere mittel / nicht weniger als durch die auffrichtung eines gebaͤudes conſerviret werden mag: endlich die hoffnung der vergroͤſſerung der gemeinde (welche ich erfuͤllet zu werden gern wuͤnſche) auffs wenigſte einen ſolchen bau biß auf die zeit verſchieben ſolte / biß man deſſelben noͤthig hat. Es wird aber ſchließli - chen hieraus mein Hochg. Herr und andere zur gnuͤge erkennen / wie in dieſer ſache / und da ich in meinem gewiſſen alſo von dem kirchen bauhalte / ich dero verlangen in befoͤrderung der collecte nicht habe einigerley weiſe deferiren koͤnnen / der ich ſonſten ihrer lieben gemeinde liebe zu erzeigen bereit bin und bleiben werde. Der HErr lehre uns in allen ſtuͤcken erkennen / was ihm wahrhafftig gefaͤllig iſt / und uns nach ſolchem richten. 1685.

ARTIC. II. Pflichten derer / die andern vorgeſetzt oder unter worffen ſind / nach dem 4. gebot.

SECTIO

  • 1. HOher ſtand bleibt eben ſo wohl an die gemeine Chriſten-pflichten verbunden.
  • 2. Von der gefahr hohen ſtandes / an eine Gottſelige Fuͤrſtliche perſon.
  • 3. Als eine Graͤfliche Fraͤulein die welt verlaſſen / und in ein ſtifft gehen wol - te / anweiſung / wie ſie auch auſſer einem ſtifft ihr Chriſtlich vorhaben fuͤglicher einrichten koͤnne. Erſtes ſchreiben.
Z 34. An -182Das dritte Capitel.
  • 4. Andres ſchreiben.
  • 5. Von der vornehmen Standes-jugend zukommender arbeit.
  • 6. Ob ein Herr gegen anſehnliche offerten die cloͤſter ſeines landes wieder an die Papiſten uͤberlaſſen koͤnne.
  • 7. Ob ein Evangeliſcher Herr ſeine unterthanen durch verkauff / in die gefahr ihre religion zu verliehren / ſetzen koͤnne.
  • 8. Von ſonderbahren begegnuͤſſen. Ob GOttes laͤſterung am leben zu ſtraffen.
  • 9. Die ſorge vor die beſſerung der ſchulen ein haupt-ſtuͤck der ſorgen Chriſtli - cher Regenten: Einige vorſchlaͤge.
  • 10. An eine hoͤhere Standes-perſon; von der pruͤfung ſein ſelbs / kleidern / con - fect; gebet uͤber das allgemeine verderben.
  • 11. An eine hoͤhere Stands-perſon wegen der kleider.
  • 12. Ob vornehme weibs-perſonen ſchuldig / ihre kinder ſelbs zu ſtillen.
  • 13. Was unterthanen in ihrer ſchwehren betraͤngnuͤß von der Obrigkeit / zu thun haben.
  • 14. Von vervortheilung der hoͤchſten Obrigkeit in der bier-acciſe.
  • 15. Wegen einer vor der Obrigkeit gelaͤngneten mißhandlung.
  • 16. Von den tituln: Als eine hohe Stands-perſon in ſchrifften ohne die ge - woͤhnliche titul angeſprochen zu werden verlangt.
  • 17. Vom geſchenck-geben und nehmen in gerichtlichen haͤndeln.
  • 18. An eine Chriſtliche Mutter / deren ſoͤhne in boͤſes leben gerathen.
  • 19. Als eine Mutter einen ungerathenen ſohn ins zucht-hauß bringen laſſen wolte.
  • 20. Ob vaͤterlicher wille im teſtament / die ſoͤhne nach ſeinem todt ver - binde?

SECTIO I. Hoher ſtand bleibt eben ſo wohl an die gemeine Chriſten-pflichten verbunden.

ES iſt freylich noͤthig / den getreuen himmliſchen Vater demuͤthigſt und ſtaͤts anzuruffen / daß wie er vielmehr durch ſeine eigene regie - rung und direction, als menſchliche genugſame vorſichtigkeit / die religions-gefahr von der lieben Fuͤrſten-ſeele kraͤfftig abgewendet hat / er noch uͤber ſie ferner in gnaden walten wolle; nicht nur allein ſeine weiſe regierung zu erkennen / und ihm vielmehr dafuͤr danck zu ſagen / als ſich einen gedancken der reue in das heꝛtz kom̃en zu laſſen / (wie zwahꝛ au[c]ch hoͤre / daß ſie von ſich uͤber das jenige / was ihr der Allerhoͤchſte beſcheh - ret / eine voͤllige vergnuͤgung bezeuge) ſondern auch das hertz allerdings vonder183ARTIC. I. SECTIO XXVII. der liebe der welt und dero eitelkeit abzuziehen: darinnen man etwa deſto mehr eingeflochten wird / wo man allerhand mit fleiß hervorſuchet / womit man den gegen waͤrtigen ſtand ihr angenehm machen will / daß man der aus - geſchlagenen herrlichkeit vergeſſe. Ach wie zart iſt das gifft der liebe dieſer welt / der augen-luſt / fleiſches-luſt und hoffaͤrtigen lebens bey den taͤglichen gelegenheiten in die hertzen ſich einzuziehen! und doch / wie gefaͤhrlich iſt es da - bey / wenn es den menſchen zur liebe des Vaters ungeſchickt machet / daher eben ſo wohl / als falſchheit der religion aus deſſen gnade ausſchleuſſet. Es iſt eine betruͤbte ſach / die mich ſehr niederſchlaͤgt / ſo offt ich daran gedencke / daß die praxis unſers Chriſtenthums ſo gar frembd ſeye / ſonderlich bey den jeni - gen / welche der HErr in hoͤhern ſtand in der welt geſetzet / daher einiges ſein bild angehenget / ſie aber deſto mehr zu ſeinem gehorſam dadurch verbunden hat; indem man ſich doch meiſtentheils gar andere gedancken davon machet / als mit ſeinem wort und deit allgemeinen regeln / die kein anſehen der perſon leiden / uͤbereinkommet / weßwegen man die verlaͤugnung ſein ſelbs / demuth / genaue wahr nehmung aller zeit und ſtunden / wie ſie angewendet werden / auch alle koſten / wozu ſie gebraucht werden / und dergleichen / faſt fuͤr privatas vir - tutes allein haͤlt / und das jenige auch von GOtt davon ausgeſchloſſen achten will / was die welt davon auszuſchlieſſen ſich unterſtehet. Welches aber ein ſolch ſtarck eingeriſſenes uͤbel leider iſt / daß man faſt niemand / daß es ein uͤbel ſeye / bereden kan / und ob man davon meldung thut / es nicht wohl anders / als fuͤr einen gefaͤhrlichen irrthum / ob wolte man die ſtaͤnde und dero unterſcheid auffheben / angeſehen werden will. Da man doch freylich den unter ſcheid der ſtaͤnde / und daß jeglicher in demſelben nach deſſen abſonderlichen vorgeſchrie - benen regeln GOTT diene / gern ſtehen laͤſſet / aber ſie insgeſampt dem ge - horſam Chriſti und ſeiner regeln unterwirfft / auf daß alſo das Chriſtenthum die meiſterin / die haupt-regel und virtus architectonica ſeye / ſo allen ſtaͤnden und jeglichem abſonderlich / in ſeinen pflichten maaß gebe. Wo ich gern be - kenne / daß manches hinfallen mag / weß man nach dem alamode. Chriſten - thum undiſputirlich fuͤr erlaubt haͤlt; hingegen die Groſſe in der welt finden doͤrfften / daß ſie nicht weniger / ſondern noch vielmehr als alle andere zu dem gehorſam ihres HErren verpflichtet ſeyen / daher der welt ſo ſehr als andere abzuſterben noͤthig haben. Wann aber die gegentheilige meynung ſo tieff eingeſeſſen / und ſo ſchwehrlich aus dem hertzen zu bringen iſt / ſo bleiben meiſte der beſten und wohlgeſinnten / ſo ihrer meynung nach der froͤmmigkeit ſich be - fleißigen / und ihr leben fuͤr gantz chriſtlich geprieſen wird / ſehr weit zuruͤck - daß es ohne betruͤbnuͤß nicht angeſehen werden kan / und ich nicht weiß / was ich ſolchen leuten von GOtt verſprechen darff. Mein geliebter bruder wird mirnicht uͤbel deuten / wann ich mein offtmaliges hertzens-anligen in ſeinenſchooß184Das dritte Capitel. ſchooß ausſchuͤtte; wozu mich veranlaſſet / wo ich bedencke / wie etwa nach einer ſo theuren wolthat / die man ſein lebtag nicht gnug verdancken kan / nicht nur ſo groſſe unkoſten auff allerhand eitelkeit gewandt / ſondern wol die meiſte zeit mit allerhand divertiſſements, wie mans nennet / (ich aber nicht weiß / wie vor jenem Richter-ſtuhl vor ſolche eine guͤltige rechnung abge - ſtattet werden moͤge) zu gebracht ſolle worden ſeyn; gerade ob waͤre ſolches der einige zweck / wozu wir in die welt oder in ſolchen ſtand geſetzt worden ſeyen. Dergleichen ich ohne ſeufftzen niemal hoͤren / leſen oder gedencken kan / ſonderlich wo es diejenige angehet / welche ich vor andern liebe / und ſie alſo allzeit in einen ſeligern zuſtand wuͤnſchte. Ach der HErr HErr / ruͤhre durch die krafft ſeines Geiſtes die hertzen zur erkaͤntnuͤß ihres ſtandes / und brauche dazu die mittel / welche er am kraͤfftigſten erkennet! 1682.

SECTIO II. Von der gefahr hohen ſtandes / an eine gottſelige Fuͤrſiliche perſon.

JCh weiß vor dieſes erſte mal nichts anders zu thun / als daß allein mei - ne innigliche freude bezeuge uͤber dasjenige gute / ſo von dem hoͤchſten geber alles guten in dero theure ſeele geleget zu ſeyn / mir durch chriſtli - cher freunde zeugnuͤß kund worden iſt: wie nemlich E. Hoch-Fuͤrſtl. Durch - lauchtigkeit nicht nur ſonſten das goͤttliche wort und Gottesdienſt hertzlich lieben / ſondern da auch jenes krafft in dero hertz wahrhafftig gedrungen ſeye / ſie damit bezeuge / daß ſie auff eine ihrem ſtand ſonſten wenig gewoͤhn - liche art ſich befleiſſe / wahrhafftig der welt und ihro ſelbs abzuſterben / wel - ches denn die art derjenigen iſt / in denen nach ſolcher bereitung der HErr JEſus ſich alsdenn mehr und mehr lebendig offenbahret. Nachdem denn in dieſer jetzigen verderbten zeit / die zahl rechtſchaffner Chriſten ſo enge an - faͤngt zu ſammen zu gehen / daß die meiſte / welche auch ſolchen heiligen nah - men fuͤhren / dasjenige / was er mit ſich bringt / nicht nur mit der that und le - ben / ſondern offtmals ſo gar auch mit worten / ob waͤre dergleichen weder noͤ - thig noch moͤglich / verleugnen; ſo iſt hingegen denen / ſo die ehre ihres GOt - tes lieben / keine inniglichere freude / als wo ſie noch dergleichen ſeelen finden / in denen dasjenige in zimlicher maaß angetroffen wird / was rechtswegen bey allen ſeyn ſolte. Daher wir immerdar unſern ſonderbahrſten troſt draus ſchoͤpffen / und GOttes / der ſeine gemeinde noch in den zeiten dieſer gerichte nicht gantz verlaſſen habe / guͤte daruͤber preiſen / ſo offt wir ſolcher perſonen gewahr werden. Am allermeiſten aber hat man ſich zu freuen / wo man auch in dem ſtande der hoͤhern in der welt die krafft GOttes an den ſeelen derer er -ken -185ARTIC. II. SECTIO II. kennet / die ihr bey ſich platz / und ſich von ihr aus dem unſlath dieſer welt her - aus ziehen laſſen. Denn ob wol der ſtand derjenigen / welche der HErr aller Herren auch in der welt hochgeſetzet hat / daß ſie entweder ſelbs deſſen bild in der anvertrauten gewalt an ſich tragen / oder doch ihrer geburth wegen des glantzes derſelben mit theilhafftig ſind / an ſich ſelbs GOtt nicht mißfaͤllig / und daher dem Chriſtenthum nicht entgegen iſt; ſo iſt doch billich zu bejam - mern / daß / wie der Fuͤrſt dieſer welt in allen ſtaͤnden ſo maͤchtig herrſchet / er auch ſolche gewalt in dem ſtand der Hohen ihm zuwege gebrachthat / und die meiſte derſelben entweder auff grobe und greifliche / oder doch ſubtilere und unvermerckte art / an den ſtricken fuͤhret. Jch will alſo nicht ſo wol von je - nen erſten ſagen / als davor alle ſeelen / die noch einige begierde ihres heils ha - ben / einen eckel faſſen / und ſich noch zimlich davor huͤten / ſondern nur der an - dern gedencken. So iſt nun ſonderlich zu bejammern / dah in gekommen zu ſeyn / daß die meiſte derjenigen / welche durch ihre geburth in der welt eine hoͤ - here ſtelle beſitzen / unter beyderley geſchlecht / ſich dermaſſen von kindheit an von der welt einnehmen laſſen / daß in dero gantzen leben / wo wir die ſache in dem liecht des Heil. Geiſtes anſehen / wenig anders als eine bedecktere welt - liebe in augen-luſt / fleiſches-luſt und hoffaͤrtigem leben ſich darſtellet; alſo gar / daß man dasjenige nicht fuͤr ſuͤnde haͤlt / was doch einmal den allgemei - nen regeln Chriſti zu wider iſt: vielmehr was rechte eigentliche zeit-verderb / muͤßiggang und faulheit / hoffart / pracht / zaͤrtligkeit / hegung des fleiſches / wohlgefallen der welt und eitelkeit iſt / und ſo genennet werden ſolle / auch von unſerm Heyland davor gehalten wird / ſolle dennoch keine ſuͤnde ſeyn / ſondern eine wohlanſtaͤndigkeit des hohen ſtandes / von deme ſich jenes nicht trennen laſſe. Damit werden die armen ſeelen von kindheit an angefuͤllet / und wach - ſen in ſolchem eiteln weſen insgemein ſo auff / daß ſie auch dasjenige fuͤr tu - gend und ruhmwuͤrdig achten / ſich der welt gleich ſtellen zu koͤnnen / was der HErr / der ſie von der welt erloͤſet / als ſeiner feindin lieberey an ihnen auffs euſſerſte haſſet / und ſolche ſeelen fuͤr ſeine braͤute nicht erkennen kan. Daher bleiben ſie in der finſternuͤß / vergnuͤgen ſich mit buchſtaͤblichem wiſſen und dem werck des euſſerlichen Gottesdienſts / ſodann ſittlichem tugend-wandel / nach demjenigen / was auch in der welt fuͤr tugendhafft gehalten wird; aber des wahren himmliſchen liechts und goͤttlicher kraft kommet nichts in die her - tzen / und iſt alſo der zuſtand derjenigen / die in dem euſſerlichen die gluͤckſelig - ſte ſcheinen / in des glaubens augen wahrhafftig der ungluͤckſeligſte / weil die gemeine einbildung von dem vorzug ihres ſtandes / und wie derſelbe eben nicht ſo gar an Chriſti gebot gehalten ſeye / ſondern mehr freyheit habe / ihre augen verblendet / daß ſie zu dem wahren liecht ſchwehrlich kommen / auch um die zeit / da ſie in vollem liecht zu ſtehen meinen. Daß dieſes die gemeine be -A awand -186Das dritte Capitel. wandnuͤß der Hohen ſeye / meine ich ſo offenbahr zu ſeyn / daß E. Hoch-Fuͤrſtl. Durchlaucht. ſelbs deſſen nicht in abrede ſeyn werden. Sie wird aber auch die Jhro erzeigte goͤttliche gnade ſo viel hoͤher achten / welche deroſelben die augen geoͤffnet / daß ſie alles auff andre art anzuſehen gelernet / auch ihr hertz dahin gelencket / ihre hoheit nicht in etwas euſſerliches / ſondern in dem inner - lichen und in ihrem GOtt zu ſuchen. Wie ich nun nicht zweifle / daß ſie fuͤr dieſe theuerſte wolthat ihrem ſeelen-braͤutigam / welcher ſie aus inniglicher liebe auch von der welt erwehlet hat / taͤglich hertzlich danck ſage / ſo unterlaſſe auch nicht an meinem wenigen ort / meine danckſagung mit dazu zu ſetzen / und die ewige guͤte an ihr mit freudiger ſeele zu preiſen / ſo offt als von neuen zeugnuͤſſen goͤttlicher guͤte uͤber ſie hoͤren werde. Jch ſtehe auch in der troͤſt - lichen zuverſicht / daß dero belobtes exempel als ein liecht / auch andern ihres ſtandes in goͤttlicher krafft leuchten / und noch mehrere zu gleicher nachfolge und verleugnung der weltlichen luͤſten auffmuntern ſolle: wie dann die guͤte des HErrn ſo groß iſt / daß ſie nicht nur / ſo offt ſie jemanden geiſtliche gaben der heiligung verleihet / ſolche auch bey andern nuͤtzlich angewendet zu werden die abſicht hat / ſondern auch den von ihnen dazu brauchenden fleiß kraͤfftig - lich ſegnet. Jch habe auch ſo viel mehr hoffnung / nachdem auch von der N N. durch eigen dero gnaͤdigſtes ſchreiben verſichert worden bin / daß ſie auch die eitelkeit der welt nicht liebe / und die bey ihr leben in einer chriſtlichen ord - nung zu halten befliſſen ſeye / daß dann E. Hoch-Fuͤrſtl. Durchlaucht. nicht nur ſolcher ort ihres jetzigen auffenthalts zu dero gottſeliger ſtilligkeit ſehr bequem ſeye / ſondern auch hinwiederum ihr chriſtlicher vorgang andern eine ſo viel mehrere auffmunterung geben wuͤrde / immer mehr und mehr ſich und allen ihren wandel von allem deme zu reinigen / was noch einige gleichfoͤrmig - keit der welt waͤre / und aus der ſo gemeinen einbildung der allgemeinen ge - wohnheit bey allen Stands-perſonen jemand noch ankleben moͤchte. Wie ich in der that an mehrern guten ſeelen anderwerts wahrgenommen habe / daß alles / was man aus goͤttlichem wort jemal insgemein und beſonders an - gehoͤret / aber ſich ſtaͤts damit / weil man niemand alſo leben ſehe / ob wuͤrde es eben nicht ſo ſcharff muͤſſen gehalten werden / ſelbs auffgehalten / nicht ſo vieles zur gruͤndlichen beſſerung in langer zeit aus zurichten veꝛmocht hat / als das geſegnete anſehen eines rechten lebendigen exempels gutes geſchaffet / daraus ſo zu reden / alles vorige erſt in den hertzen recht lebendig gemacht worden. Nun alles dasjenige / was nechſt ſchuldigem danck gegen GOtt - ber deroſelben von oben empfangener gnade von deſſen vaͤterlicher guͤte de - muͤthigſt bitte / beſtehet darinnen / daß derjenige / welcher ſie erſtlich durch die fleiſchliche geburth aus einem alten Regenten-baume entſprieſſen laſſen / a - ber ſie ferner durch eine noch hoͤhere gnade in der wiedergeburth dem baumdes187ARTIC. II. SECTIO II. des lebens JEſu Chriſto einverleibet und eingepfropffet hat / zwahr auch nach dem euſſerlichen / was zu dem menſchlichen wolſtand und vergnuͤgung dieſes lebens gehoͤret / an leben / geſundheit und uͤbrigen / mildiglich Jhro ſtaͤts ertheilen / aber vornemlich ſeinen geiſtlichen ſeegen in Chriſto JEſu in reichlichſter maaß uͤber dero innern menſchen ausgieſſen wolle! Er laſſe ſein liecht aus der krafft ſeines worts in der wirckung ſeines Geiſtes immer heller bey ihr auffgehen: er mache ſie ſtaͤts der goͤttlichen natur mehr theilhaff - tig / daß er allerley ſeiner goͤttlichen krafft / was zum leben und goͤttlichem wandel dienet / durch die erkaͤntnuͤß des / der ſie beruffen hat durch ſeine herr - ligkeit und tugend / deroſelben ſchencke / damit alles in ihr reichlich ſeye / was ſie nicht faul und unfruchtbar ſeyn laſſe / in der erkaͤntnuͤß unſers HErrn JE - ſu Chriſti; vielmehr ſie fleiß thue / ihren beruff und erwehlung feſt zu machen / damit ihr dargereichet werde reichlich / der eingang zu dem ewigen reich un - ſers HErrn und Heylandes JEſu Chriſti! Er ſegne aber auch dero gottſe - ligen wandel zu einem geheiligten exempel jedes orts da ſie iſt / wie bey an - dern / alſo auch ſonderlich bey denen ihres ſtandes / mit ihrem pfund dem HErrn noch mehrere zu gewinnen und zuzufuͤhren. Er erfuͤlle ſie / dero er einen ſolchen lieben nahmen in der heil. tauffe geben laſſen / mit Engliſchen tugenden goͤttliches lobes / gehorſam / liebe / reinigkeit / demuth und heiligkeit / biß er ſie zu der ſchaar ſolcher himmliſchen Geiſter / dero ſeligen ſchutz auch vor dißmal wuͤnſche / in dem ort der herr ligkeit in ewiger wonne geſelle. Womit der ewigen liebe des himmliſchen Vaters / dem friede unſers Heylandes / und der kraͤfftigen wirckung des Heil. Geiſtes / ſonderlich zu fruchtbahrer bege - hung der bevorſtehenden feſte empfehle. 1687.

SECTIO III. Als eine graͤfliche Fraͤulein die welt verlaſſen / und in ein ſtifft gehen wolte / anweiſung / wie ſie auch auſ - ſer einem ſtifft ihr chriſtlich vorhaben fuͤglicher einrichten koͤnne.

Erſtes Schreiben.

ES hat mich ſonderbahr erfreuet / daß mein unterthaͤniges ſchreiben von E. Hochgraͤfl. Gn. und dero geliebten Fraͤulein ſchweſtern ſo gnaͤ - dig aufgenommen worden / und ich aus ſolcher gnaͤdigen antwort auffs neue in dem vorhin gehabten guten vertrauen von E. Hochgraͤfl. Gn. hertzli - cher begierde / einig und allein ihrem GOtt mit eiffriger gottſeligkeit zu die - nen / weiter hekraͤfftiget worden bin. So ſchlieſſen E. Hochgraͤfl. Gn. frey -A a 2lich188Das dritte Capitel. lich recht und wol / daß hoͤherer ſtand ſo gar die / die darinn ſtehen / von Gottes geſetze / und dem zu der uͤbung der wahren gottesfurcht noͤthigen ernſt nicht diſpenſire / daß vielmehr ſo wol wegen mehr von dem Allerhoͤchſten empfan - gener wolthaten / auch habender gelegenheit / als weil dero exempel auff bey - den ſeiten ſo viel gutes und boͤſes zu thun vermag / ſie vor andern zu einem ſo viel ernſtlicherm und bey andern leuchtenden eiffer verbunden ſeyen. Wo nun ſolcher gute grund dieſer erkaͤntnuͤß einmal recht geleget / ſo zweiffele nicht / daß goͤttliche gnade / das gute werck noch ferner zu dero preiß befoͤrdern und fortſetzen werde. Wie dann die erkaͤntnuͤß unſerer pflicht dazu wir ge - halten ſeyen / ſo dann der eiffrige vorſatz / demſelben nach dem maaß der em - pfangenen gnade nach zuleben / in unſerm Chriſtenthum wol die helffte deſſel - ben uͤbung machen: und wo es in ſolchen richtig ſtehet / mit fleißigem gebet ſolche goͤttliche gnade erlangt wird / welche alsdann alles uͤbrige noͤthige vol - lends wircket / und das gottſelige vornehmen durch ihre kraͤffte zur wircklich - keit bringet. Daß nun E. Hochgraͤfl. Gn. den chriſtlichen ſchluß und reſo - lution gefaßt / ihr leben allerdings GOtt dem HErren zu widmen / und ſich von aller welt anhaͤngigkeit loßzureiſſen / iſt diejenige ſchuldigkeit / dazu alle Chriſten ſaͤmtlich beruffen / als die der HErr ſo theuer mit ſeinem blut von der welt erkauffet hat / damit ſie ſich ihm gantz zum eigenthum geben / und hinfuͤrter in allem ſich von der welt unbefleckt halten. So iſt freylich der welt falſch heit und boßheit der maſſen kaͤntlich / daß ſo man ſie nur mit et was eꝛleuchteten augen anſihet / man nicht anders kan / alsſie haſſen / und einen eckel vor derſelben faſſen. Alſo auch oͤffentlich profeſſion davon zu thun / iſt ſo fern eine ſache / dazu wiederum alle insgeſamt verbunden ſind / als fern nem - lich damit gemeinet iſt / ſolchen ſeinen vorſatz in der that mit ſeinem gantzen le - ben / ob wol ohne oſtentation an ſich ſehen zu laſſen; und alſo nicht nur in ge - heim und wo uns die welt / vor der urtheil und verachtung man ſich etwa fuͤrchten moͤchte / nicht ſihet / GOtt zu dienen / ſondern das einmal reſolvirte / und allein nach Chriſti / nicht nach der welt regeln / eingerichtete leben immer fort und an allen orten zu fuͤhren / und uns ſeiner in der welt nicht zu ſchaͤ - men / noch aus furcht ſonſten ausgelacht und verachtet zu werden / wo man unter welt-leuten iſt / mit denſelben zum ſchein mitzumachen / damit ſie uns / ob hielten wir es mit ihnen / anſehen moͤchten. Welches etwa zu weilen bey den anfaͤnglichen auff dieſem weg aus ſchwachheit erſtlich geſchihet / aber in die harre nicht waͤhꝛen / ſondern der gute anfang dahin wachſen muß / daß man oͤffentlich aller orten in beobachtung ſeiner Chriſten-regeln bleibe / und dar - uͤber die ſchmach Chriſti zu tragen ſich nicht zu ſchwehr werden laſſe. Weil aber E. Hochgraͤfl. Gn. ſcheinet die abſicht anff eine andere oͤffentliche pro - feſſion, welche in euſſerlicher begebung auff ein ſtifft beſtuͤnde / mit ſolchenwor -189ARTIC. II. SECTIO III. worten zu ſehen; ſo bekenne ich / daß bey ſolcher ſache nicht wenig zu bedencken vorkomme. Zum foͤrderſten halte ich die ſtiffter und cloͤſter / wie dero erſte abſicht und einſetzung geweſen / fuͤr ein herrlich und ſehr nuͤtzlich werck / daß perſonen / die es ihrer gelegenheit nicht gefunden / beſondere haußhaltung zu fuͤhren / und doch dabey um der mehrern reitzungen und gelegenheit des boͤſen ſich zu enthalten / in dergleichen cloͤſter ſich verfuͤget / da ſie keine andere / als gleichgeſinnte gottſelige ſeelen um ſich haͤtten / mit denen ſie ſich taͤg - lich erbauen und GOTT dienen moͤchten / und auffs wenigſte den vor - theil haͤtten / nicht in ſtaͤter gefahr von allerhand geſellſchafft / und alſo auch unter allerhand reitzungen / zu leben: So dann / daß ſolche cloͤſter zur auffer zie - hung der jugend angewendet wuͤrden / daß die zarte gemuͤther um die zeit / wo die exempel am meiſten ausrichten / nicht mitten unter dem welt-hauffen er - wachſeten / ſondern leute um ſich haͤtten / die ſtaͤts mit eigenem heiligen leben und vernuͤnfftiger regierung des ihrigen / den wachsthum in dem guten befoͤr - dern / hingegen nicht alle augenblick / wie faſt in dem gemeinen leben geſchie - het / allerhand boͤſe exempel das einmahlige gute verderben koͤnten. Gleich wie aber nachmal ſolche gute erſte abſicht ſehr ſchaͤndlich in dem Pabſtthum mit einbildung ſonderbahrer heiligkeit und Gottesdienſts / unziemlicher ge - luͤbden / zwang / auch unzehligem aberglauben verkehret worden / daß bey der Reformation das damalige cloſter leben billich mit ernſt abgeſchafft / und den leuten / was ſie von ſolchem menſchen-tand halten ſolten gezeiget werden mu - ſte: Alſo waͤre gleichwol ſehr nuͤtzlich geweſt / wo die eloͤſter nicht eben gantz abgethan / und mit mancher ungerechtigkeit ſeculariſirt / ſondern mit abſchaf - fung des mißbrauchs / der rechte und erſte gebrauch beybehalten / oder ſorgfaͤl - tig wieder eingefuͤhret worden waͤre; welches viel gottſelige hertzen wuͤn - ſcheten / und in ſolcher art zu leben / ihnen eine ſtattliche befoͤrderung der uͤbung des Chriſtenthums hoffeten. Was aber die noch bey uns uͤbrige / ſonderlich weibliche cloͤſter und ſtiffter anlangt / ſo ſind mir zwahr dieſelbe beſonders nicht bekant / was ich aber gleichwol von auch guten und deroſelben kundigen gemuͤthern gehoͤret / hat mich faſt mehr betruͤbet als erfreuet / und verurſachet / daß ich ſehr in bedencken ziehe / jemand / der einen ernſtlichen vorſatz gefaſt / ſei - nem GOTT rechtſchaffen zu dienen / in ſolche zu rathen. Jndem weil / wie E. Hoch Graͤfl. Gn. ſelbs bekeñen / ſolche mehr zu hof-haltungen / als Gottes - dienſt verkehret worden / und die meiſte zeit mit denen weltlichſten converſa - tionen und eitelkeiten nebens dem euſſerlichen ſchein gewiſſer und beſtimmter uͤbungen zugebracht wird / zu ſorgen ſtunde / daß ein gutes gemuͤth / ſo darein kommen ſolte / entweder leicht ſelbs zur liebe ſolcher eitelkeiten allgemach mehr gebracht / und alſo / wo es gedacht aus der welt zu gehen / erſt recht tieffer hin - ein gefuͤhret werden moͤchte; oder wo ihm GOTT die krafft und gnade ver -A a 3leihet /190Das dritte Capitel. leihet / ſolche verſuchungen zu uͤberwinden / wuͤrde es doch ein gantz unruhig leben ſeyn / dergleichen weltliches weſen und aͤrgernuͤſſen taͤglich vor augen zu ſehen / und ſie doch nicht aͤndern zu koͤnnen: am allerwenigſten aber wuͤrde der vor augen gehabte zweck / in ſtiller einſamkeit GOTT zu dienen / erreichet werden koͤnnen. Wozu nachmal dieſes kommt / daß wo einmal ſolche re - ſolution gefaſt / und profeſſion gethan worden / man folglich ſcheu traͤget / wie - derum aus dergleichen orten zu treten / und daher aus ſorge anderer unglei - cher urtheil in ſolcher ſtaͤter gefahr oder betruͤbnuͤß ſein leben zubringen muͤ - ſte / deswegen nachmahl immer bereuen wuͤrde / ſich in ſolche dienſtbahrkeit (wie dann in dergleichen leben eine rechte dienſtbahrkeit einer frommen GOtt auffrichtig ſuchenden ſeelen ſeyn wuͤrde) begeben / und ſelbs menſchen-ſtri - cke ſich angethan zu haben. Womit ich zwahr nicht mißrathen wolte / wo ei - ne gottſelige perſon bereits nicht nur in dem guten vorſatz kraͤfftig geſtaͤrcket / ſondern auch dermaſſen geuͤbet waͤre / daß ſie an dere auf ſolchem weg zu regie - ren tuͤchtig / und ſelbe ſolte beruf in eine dergleichen verſammlung oder ſtifft haben / dieſelbe zu regieren / daß ſich eine ſolche dazu willig gebrauchen / und die daraus beſorgende ſchwehrigkeiten / welche ihr bey unternehmender Reforma - tion vieler eingewurtzelter mißbraͤuche bevorſtuͤnden / nicht ſcheuen / ſondern ihr vermoͤgen / ſo ihr GOTT gegeben / dahin anwenden moͤchte / ja ſolte. Wann aber ſolches mittel eines ſtiffts oder cloſters um angezogener gegen - waͤrtiger zeit beſchaffenheit willen nicht eben insgeſampt zu rathen / ſo man - glets doch durch goͤttliche gnade an dergleichen gelegenheiten nicht / daß nicht nur jegliche Chriſtliche perſon im jungfraͤulichen ſtande vor ſich allein der re - gel Pauli 1. Cor. 7 / 34. nachgeleben mag / und wo ſie keine ſolche ſchweſtern in dem HErrn / die ſich mit ihr auf einerley weiſe uͤben / findet / in der ſtille und einſamkeit ihrem ſeelen-braͤutigam andaͤchtiglich dienen kan / ſondern daß auch anſtalten zu machen muͤglich ſind / vornemlich den perſonen / die GOTT in hoͤheren ſtand geſetzet / daß einige gottſelige gemuͤther beyſammen woh - nen / GOTT in mehrer abgeſchiedenheit von der welt / als von andern geſche - hen mag / dienen / und ohne ſolchen nahmen die that und den vortheil eines clo - ſters haben koͤnnen. Wie dann / wo E. Hoch-Graͤfl. Gn. belieben tragen ſolten / dergleichen bequemlichkeit ihres orts zu machen / es eine ſehr leichte ſa - che ſeyn wird / und werden derſelben von ihrem Herrn Superintendenten nach der ihm von GOTT verliehenen weißheit in geiſtlichen dingen / die erbauung des Chriſtenthums betreffende / gnugſame anleitung finden; ſo will auch ich meines geringen orts nach dem pfuͤndlein / ſo der himmliſche Vater mir anver - trauet / wo ſolches erfordert werden ſolte / willig meinen einfaͤltigen rath mit - theilen. Wiewol dergleichen faſt fuͤglicher muͤndlich / als ſchrifftlich geſche - hen mag: jedoch iſt in entſtehung jener art auch dieſer weg nicht unmuͤglich. So191ARTIC. II. SECTIO IV. So bin auch verſichert / daß dergleichen vorſchlaͤge geſchehen moͤchten / welche E. Hoch-Graͤfl. Gn. Hochgeehrten Herrn Vaters Hoch-Graͤfl. Gn. nicht entgegen ſeyn ſolten / ſondern nach deſſen hohen verſtand von ihm nuͤtzlich zu ſeyn erkant / und verhoffentlich gebilliget werden moͤchten. Den grundguͤ - tigen GOTT und mildeſten geber alles guten ruffe ich hertzlich an / daß er ſo wol insgemein das in deroſelben und geliebteſten Fraͤulein ſchweſtern ge - wuͤrckte gute ferner bekraͤfftigen / und mit taͤglichem wachsthum zunehmen laſſen / als abſonderlich dero vorhaben ſtaͤrcken / auch ſo ihr ſelbs als anderer / ſo hiezu zu rathen haben / hertzen / dahin durch ſeines Geiſtes finger leiten und re - gieren wolle / damit ſie moͤgen das jenige kinden / auf welchem wege ſeine goͤtt - liche guͤte ſie zu ihrem beſten und ſeinen ehren am gemaͤſſeſten fuͤhren / und wel - che vorſchlaͤge er zu ſeyn beſchloſſen habe; auf daß / wo ſolche erkant / alsdann auch ſeiner leitung darin nen vornehmlich gefolget werden moͤge. Wie dann unſere gantze uͤbung des Chriſtenthums beſtehet / in vorſichtiger achtgebung auf goͤttlichen willen / der jederzeit uͤber uns ſeyn mag / und in gelaſſener folge nach demſelben. Der HErr wolle alle / die ihn hertzlich ſuchen / vollbereiten / kraͤfftigen / ſtaͤrcken / gruͤnden zu ſeiner verherrlichung! 1676.

SECTIO IV. Das andre Schreiben.

WAs E. Hoch-Graͤfl. Gn. wofern dieſelbige allhier eine zeitlang ſich auffhalten ſolte / zu dero eigener erbanung und ſeelen-vergnuͤgung zu thun gedencken / halte davor / daß E. Hoch-Graͤfl. Gn. nicht weniger auch an dero geliebten Herrn Vaters hof / wie in vorigem etwas meldung ge - than zu haben mich entſinne / anzurichten und vorzunehmen vermoͤgen / und ſolte vielleicht die mehrere ſtille und einſamkeit des orts gegen hieſiger ſtadt unruhigem thun / eine mehrere befoͤrderung eines GOTT allein ſuchenden und dem einig nothwendigen nachtrachtenden lebens an die hand geben. Wo - zu es auch au verlangenden anleitungen und huͤlffes-mitteln durch GOttes gnade nicht manglen wird. Es iſt zwahr an deme / daß die Chriſtliche con - verſation mit ihrer mehrern / die mit hertzlichem ernſt ihren GOTT meynen / eine nicht geringe befoͤrderung der unter einander ſuchenden erbauung iſt: aber wo auch nur 2. oder 3. in dem nahmen des HErrn / und alſo mit hertzli - chem vorſatz GOTT je laͤnger je eiffriger nach ſeinem willen zu dienen / ver - ſammlet ſind / da iſt Chriſtus ſchon mitten unter ihnen / laͤſſet ihm nicht nur deroſelben dienſt wolgefallen / ſondern ſchencket ihnen auch ſeinen Geiſt in der jenigen maaß / als er ihnen nothwendig erachtet / durch ſeine wuͤrckung immer zu wachſen / in fleißiger forſchung der ſchrifft / in hoͤchſter einfalt ſeinen willen aus der erleuchtung des himmliſchen Lehrers zu erkennen / in gottſeligeuuͤbun -192Das dritte Capitel. uͤbungen zuzunehmen / und die anmuth eines das wahre gut / hindangeſetzt der weltlichen luͤſte / allein ſuchenden lebens vergnuͤglichen zu koſten / dardurch aber immer weiter zum ernſt und eiffer / auf dem angefangenen wege fort zu wandlen / entzuͤndet zu werden. Ja es wird die erfahrung geben / daß offters eine kleine anzahl dahin hertzlich geneigter gemuͤther / da ſie unter ſich das werck ihnen laſſen ernſtlich angelegen ſeyn / in ſolchem wachsthum ehender zu - nehmen werden / als da derſelben mehrere ſind / dabey es etwa nicht ohne zer - ſtreuung abgehet. Sonderlich wird der anfang gluͤcklicher unter wenigen gleich geſinnten gemacht / biß ſolche durch goͤttliche gnade dermaffen bekraͤff - tiget / daß folgends auch mehrere allgemach dazu gezogen werden. Wes we - gen E. Hoch Graͤfl. Gn. bereits an dero geliebten Fraͤulein ſchweſter / und wo ſie noch einige guteſeelen ihres orts wiſſen / ſo einen zweck haben / gnugſame ge - ſellſchafft haben wird / zu taͤglicher erbauung unter ihnen ſelbs und zu nuͤtz - lichen dahin ziehlenden uͤbungen; worinnen der Herr Superintendens vor - treffliche anleitung und in allem vorfallenden getreuen rath zu geben ſo weißlich vermag / als immer willig ſeyn wird. Es will aber der meiſte an - fang in allem ſolchen mitfleißiger leſung heiliger ſchrifft gemacht ſeyn als aus welcher wir allein den willen unſers Heylandes erkennen / und durch dero krafft ihm zu folgen bewogen werden. Jn derſelben aber mag etwa am rathſamſten das Neue Teſtament erſt unterſchiedliche mal ausgeleſeu wer - den / ehe wir zu dem Alten kommen / damit wir dieſes duncklere nicht eher als mit ausjenem bereits erleuchtetẽ augen einſehen moͤgen: So moͤchtevielleicht ſelbs in dem Neuen Teſtament die erſte milch-ſpeiſe in etlichen ſchrifften und epiſteln der Apoſtel / ſonderlich in den ſo liebreichen epiſteln Johannis gema - chet / und darnachim̃er weiter auf andere nach fuͤhrung einesgottſeligen hand - leiters fortgegangen werden. Jn der leſung aber / gleichwie ein eiffriges ge - bet und betrachtung / daß jetzo der groͤſſeſte HERR himmels und der erden / vor deme auch die H. Engel mit ehrerbietung ſtehen / mit uns in ſeinem wort reden wolle / woraus auch eine ehrerbietung und achtſamkeit erwecket werden wird / nothwendig voꝛgehen ſoll / ſo muß nach mal auf alles genau acht gegeben werden / daß wir glauben / kein woͤrtlein ſtehe vergebens: und iſt nicht rath - ſam / daß man auf einmal vieles nach einan der leſe / ſondern weniges / aber mit fleißigem nachſinnen. Hat man auch etwa nur einen verſicul geleſen / ſo bald nachzudencken / was ſolcher in ſich faſſe; woh in dieſes / wohin jenes wort / ge - meinet ſeye / ſo viel nehmlich unſere einfalt davon faſſet. Wo dann nicht ohne nutzen iſt / daß wo ihrer etliche perſonen bey ſolchem leſen ſind / jegliche derſelben ſage / was ihr von ſolchem verſicul deuchte / ob ſie ihn verſtehe oder nicht. Faſſet man dann nun den verſtand wol und gut: man muß aber dabey gedencken / es ſtecke in ſolchem doch noch vielmehr / als wir darinnen erkanthaben /193ARTIC. II. SECTIO IV. haben / und wo wir dasjenige / was uns GOTT darinnen bereits hat erken - nen laſſen / fleißig gebrauchen werden / ſo werde er / wo wir ein andermal wie - derum daruͤber ko mmen werden / noch ein mehreres darinnen zeigen. Jſts aber / wie es offt geſchicht / ſonderlich anfangs / daß wir einem ſpruch keinen geſchmack abgewinnen / das iſt / keinen rechten erbaulichen verſtand darinnen finden / ſo ſollen wir zum foͤrderſten dabey uns unſerer angebohrnen blindheit des natuͤrlichen verſtandes demuͤthig erinnern / und erkennen / daß auch das - jenige / was wir gleichwol aus andern orten gefaſſet eine gnaden-erleu chtung GOttes geweſen; ſo dann entweder bey gelegenheit einen treuen gottſeli - gen Prediger daruͤber fragen / oder es biß wir ein andermal es wieder leſen / und etwa mehr verſtehen moͤchten / verſpahren. Jmmerdar aber trachten / alles was wir geleſen haben / auch in der that ins werck zu richten. Dann dieſes iſt das ſicherſte und gewiſſeſte mittel immer zu weiterer erleuchtung zu kommen / wo wir das uns erſtlich gleichſam zur prob von GOTT geſchenckte geringere liecht danckbarlich angenommen / und uns zu gebrauchen befliſſen haben. Hier heiſſets / wer da hat / (das iſt / der das / ſo ihm gegeben worden / wircklich und in dem gebrauch hat dem wird noch mehrers gegeben / Matth. 13 / 25. Wer aber nicht hat / wer dasjenige / ſo ihm einmal gegeben geweſen / nicht gebraucht / und alſo in dem gebrauch nicht hat / deme wird auch daſſel - be genommen / was er hat / und nur muͤßig beſitzet. Gewißlich es wuͤrde offt nicht ſo groſſe unwiſſenheit goͤttlicher dinge auch bey denjenigen / die et - wa die ſchrifft dem buchſtaben nach offt vor ſich haben / ſich befinden / wo der mangel nicht dran ſteckete / daß nemlich vieler intention nur dahin gehet / daß ſie etwas wiſſen / und aus ſolchem nachmal bey andern ſich hoͤren laſſen moͤch - ten / damit alſo die wiſſenſchafft ihnen allein eine uͤbung ihres fuͤrwitzes / hoch - muths und ruhm-ſucht / und alſo des alten Adams bequemes futter werden ſolle: daruͤber GOTT auch ſolchen leuten zu ihrem leſen ſeinen Geiſt und gnade nicht giebet / und wo ſie noch endlich etwas lernen / ſo iſts nichts anders / als eine bloſſe buchſtaͤbiſche wiſſenſchafft ohne Geiſt und krafft. Wo aber die heilige begierde iſt / das lernende zu goͤttlicher ehre anzuwenden / und ſolche ſo bald in das werck geſetzet wird / ſo kans nicht fehlen; GOTT ſegnet ſolches verlangen / und erfuͤllet den hunger einer ſolchen nach ſeiner himmliſchen weißheit begierigen ſeele / daß ſie in ihrer hoͤchſten einfalt / gleichwol die hohe weißheit ihres GOttes faſſet / und nachdem ſie das erſte pfuͤndlein wol ange - leget / mit weitern begnadet wird. Daher eine offtere unterſuchung unſer ſelbs nuͤtzlich / wie wir das bereits geleſene zu GOttes ehren angewendet ha - ben oder nicht. Es wird aber zu allem ſolchen dero getreuen Herrn Superin - tendentis rath viel beſſere anleitung in gegenwart geben / als meine einfaͤltigeB bfeder194Das dritte Capitel. feder ſolches vorſchreiben mag. Der groſſe GOtt / von deme alles gute allein kommet / der GOTT des friedens / heilige ſie durch und durch / und ihr Geiſt gantz / ſampt der ſeele und leib muͤſſe behalten werden unſtraͤfflich auf die zu - kunfft unſers HErrn JEſu Chriſti! Getreu iſt er / der ruffet / der wirds auch thun. 1. Theſſ. 5 / 23. 24. 1676.

SECTIO V. Von der vornehmen Standes-jugend zukommen - den arbeit.

WAnn gefraget wird: ob es dem Chriſtenthum nicht entgegen / vor - nehme Stands-jugend allerley kunſt-arbeit / als ſticken / wir - cken / teppich - und ſtuͤhl-machen und dergleichen lernen zu laſ - ſen; oder ob die ſelbs-verleugnung erfordere / ſich bloſſer dings alles desjenigen zu entſchlagen / was nicht allen zur euſſerſten nothdurfft gehoͤrt? So erklaͤhre mich hierauf alſo: 1. Daß an ſich ſelbs nicht verboten ſeye / mit den goͤttlichen creaturen / als gold / ſilber / ſeide / wollen / leinen und dergleichen alſo umzugehen / daß ſie nicht allein zur bloſſen nothdurfft ge - braucht werden / ſondern auch zu einiger zierde dienen / (wie auch goͤttlicher ge - ſchoͤpffe ſelbs einige allein vornehmlich mit ihrer ſchoͤne GOTT preiſen / und den menſchen ergoͤtzen) und des menſchen verſtand ſich in der kunſt daran uͤber Wie dann GOTT nicht zinvider iſt / daß alle kraͤfften der ſeelen (darzu aber auch die geſchicklichkeit kuͤnſtlicher arbeit gehoͤret /) bey gelegenheit mit ange - wendet werden / nur daß es in rechter ordnung geſchehe / nehmlich nicht zu ſuͤndlichem zweck / noch mit verſaͤumnuͤß des nothwendigen; (wie denn viel - leicht niemand die geſamte mahler-kunſt / bild-hauen und was dergleichen iſt / an ſich ſelbs verdammen wird / ob man wol derſelben allen zur enſſerſten noth - durfft eben nicht bedarff: auffs wenigſte ich nicht ſehe / mit was grund einer ſolches thun / das iſt / alle dergleichen kuͤnſte verdammen koͤnte / da vielmehr auch ein lob GOttes in deroſelben rechten gebrauch ſeyn kan) ſo ſehe auch nicht / wie dann weibliche arbeit im ſticken / wircken und dergleichen fuͤr verbo - ten zu achten ſeye / wo man ſie mit ſolchem hertzen verrichtet / was goͤttliche ge - ſchoͤpffe in der natur zum preiß des mancherley reichthums ſeiner ſchoͤne dar - ſtellen / mit nachſinnen und fleißiger hand nachzumachen / und alſo auch ſolche werck zu verfertigen / an dero kunſt und ſchoͤnheit GOTT geprieſen werde.

2. Vielmehr ſehen wir / daß der verſtand und weißheit kuͤnſtliche arbeit zu verfertigen / als eine gabe des Geiſtes GOttes 2. Moſ. 31 / 3. u. f. angege - ben / und Cap. 35 / 25. weiber geruͤhmet werden / die verſtaͤndig waren zu wuͤr - cken mit ihren haͤnden: ſonderlich ſtehet an ſolchem ort v. 35. von Bezaleelund195ARTIC. II. SECTIO V. und Ahaliab: GOTT hat ihr hertz mit weißheit erfuͤllet / zu machen allerley werck / zu ſchneiden / wircken und zu ſticken / mit geler ſeiden / ſcharlacken / roſinroth und weiſſer ſeiden / und mit weben / daß ſie ma - chen allerley werck / und kuͤnſtliche arbeit erfinden. Zwahr geſtehe ich gern / daß ſolche kunſt damal angewendet werden ſolte / zur zierde und ausruͤ - ſtung der huͤtte des ſtiffts: aber es folget gleichwol / daß dergleichen kuͤnſtli - che dinge zu machen / neu zu erfinden / und ſich darinnen zu uͤben / ja auch dinge zu verfertigen / die / da man meinen ſolte / ein ſchlechtes ſolte eben ſo viel nutzen / zu mehrerer zierlichkeit mehrere arbeit erforderen / GOTT an ſich ſelbs nicht zuwider ſeye / als der ſonſt / wenn dergleichen fuͤr bloſſe eitelkeit zu achten / ſei - ne wohnung alſo nicht wuͤrde anrichten haben laſſen. 3. Alſo wird ein tu - gendhafft weib von dem H. Geiſt gelobet Spruͤch. 31 / 21. 22. Jhr gantzes hauß hat zweyfache kleider / (da zwahr uͤber dem verſtand des grund-textes diſputiret wird) ſie macht ihr ſelbs decke / weiſſe ſeiden und purpur iſt ihr kleid. Wann dann dergleichen kunſt-wercke an ſich nicht unrecht und ſuͤnd - lich ſind / ſo wenig als blumen und andere gewaͤchſe GOttes / die derſelbe ſchaf - fet / und dem menſchen vorſtellet; ſo kan 4. auch nicht ſuͤndlich ſeyn / mit derglei - chen umzugehen / alſo auch dergleichen Standes-perſonen / an welche andere geringere arbeiten nicht kommen / als worzu andere beſtimmet ſind / die ihnen darmit an die hand gehen / und dardurch ihr leben gewinnen; daher vorneh - mere ihnen auch andere arbeiten zu ſuchen haben. 5. Treibet man etwa auf das / daß bey GOTT kein anſehen der perſon ſeye / und er einerley von allen erfordere / ſo iſt ſolche gleichheit nicht zu leugnen / gleich wie in gemeinſchafft einerley heils-guͤter / darinnen vornehme vor geringen keinen vorzug haben; alſo auch was die gemeine pflichten der liebe gegen GOTT und den nechſten / ſaufftmuth / demuth / gedult und dergleichen anlangt / wo abermal das hertz ei - nes Chriſten in dem hoͤchſten ſtand nicht anders geſinnet ſeyn darff / als das hertz des aͤrmſten bettlers. Wie aber der unterſcheid der ſtaͤnde / die euſſerliche dinge dieſer welt anlangend / von GOTT ſelbs eingeſetzet iſt / ſo kommen nach ſolchen ſtaͤnden auch nicht einerley geſchaͤffte und wercke jedem zu / ſondern dieſe richten ſich nach der bewandnuͤß der ſtaͤnde / und dero auch in der men - ſchen augen euſſerlich fallenden unterſchied: und wie denn niemand ſo unge - reimt ſeyn wird / vornehmen perſonen zuzumuthen / die zeit / die ſie auch auf ihre regierungs-geſchaͤfften nicht wenden / an baurẽ - oder grobe ſchmied-arbeit anzuwenden; ſondern man es genug haͤlt / daß ſie nicht muͤßig zu ſeyn / derglei - chen dinge vornehmen / die nicht boͤſe / aber auch nach gemeinem urtheil / das man nicht gantz hindanſetzen darff / ihrem zuſtande gemaͤßer ſind; alſo kan auch in dem weiblichen geſchlecht von ſolchen Standes-perſonen nicht gefordertB b 2werden /196Das dritte Capitel. werden / nichts anders zu thun / als was jede bauren-magd in der kuͤchen / im ſtall oder am rocken vorhat; ſondern iſt ihnen eine von andern unterſchiedene arbeit nicht zu verargen. 6. Jndeſſen muß alle ſolche arbeit als vor GOtt ge - ſchehen / daß man aus GOttes befehl den muͤßiggang fliehe / und ſo ſeinen ver - ſtand als glieder zur arbeit brauche / daß man weder an den wercken / die man nach der erſten tafel gegen GOtt ſchuldig iſt / noch die zu der liebe des nechſten gehoͤren / um jener uͤbrigen gleichſam luſt-arbeit willen etwas zuruͤcke ſetze / und ſein hertz / daß die zierliche dinge / die wir arbeiten / daſſelbige ſo wenig / als GOttes ſchoͤne creaturen / zur liebe der eitelkeit und gefallen an ſich ſelbs ver - fuͤhren / verwahre. Wo man auf ſolche art mit dergleichen arbeit umgehet / ſtreiten ſie nicht wider die verleugnung ſeiner ſelbs / die Chriſten oblieget / ſondern ſind dero beruf gemaͤß. 1699.

SECTIO VI. Ob ein Herr gegen anſehnliche offerten die cloͤſter ſeines landes wieder an die Papiſten uͤberlaſſen koͤnne?

JCh komme ein auf das in dero gnaͤdigen ſchreiben vornehmſt enthalte - ne / nemlich die gethane anſehnliche offerten vor uͤberlaſſung der eloͤ - ſter an die Papiſten / wie dieſelbe anzuſehen ſeyen / davon E. Hoch - Graͤfl. Exc. meine wenige gedancken zu vernehmen gnaͤdig verlangen. Jch faſſe die ſache aber kurtz / nehmlich daß es eine ſache ſeye / welche ſo bald von an - fangs und ſchlechter dings abzuweiſen. 1. Kan ohne ſuͤnde dasjenige / was einmal aus den paͤbſtiſchen greueln durch GOttes gnade heraus geriſſen worden / nicht wieder dazu uͤberlaſſen werden; ſonſten wuͤrden E. Hoch - Graͤfl. Exc. alle ſuͤnde alles aberglaubens / abgoͤtterey und andern greuel-we - ſens / welchen dadurch in ſolchen cloͤſtern wiederum platz gemacht wuͤrde / auf ihre ſeele laden / und in ewigkeit vor GOTT deſſen verantwortung tragen muͤſſen. Da mag uns aber unſer Heyland zuruffen Matth. 16 / 26. Was huͤlffe es dem menſchen / ſo er die gantze welt gewonne / und litte ſcha - den an ſeiner ſeele / oder was kan der menſch geben / daß er ſeine ſeele wieder loͤſe. Wir haben ohne das an unſern eigenen ſuͤnden vor GOttes gericht genug zu tragen / und bedoͤrffen nicht / noch ſchwehrere laſt auf uns zu nehmen / die uns an unſerm letzten ende unertraͤglich werden / und allen troſt benehmen doͤrffte. Jch mag auch wol ſagen / daß derjenige / ſo der wahrheit des Evangelii erkaͤntnuͤß von GOTT erlangt / und dannoch mit willen ſol - chen greueln platz gibet / und alſo ſo viel an ihm iſt / dieſelbe befordert / vor GOTT ein ſchwehrer gericht zu erwarten habe / weil er mehreres liecht em - pfangen hat / als diejenige / welche in ihrer unwiſſenheit ſolche greuel ſelbsbegehen.197ARTIC. II. SECTIO VII. begehen. 2. Hat man die billige ſorge / daß durch die einfuͤhrung der paͤpſti - ſchen ordens-leut in die graffſchafft / gelegenheit gegeben moͤchte werden / zu verfuͤhrung vieler einfaͤltigen hertzen zu ſothaner falſchen religion: dero ſee - len der HErr an jenem tag alle von der hand deſſen fodern wuͤrde / welcher mit willen und aus anſehen zeitlichen vortheils gelegenheit dazu gegeben haͤtte. 3. Wuͤrde die liebe poſteritaͤt / ſo wol von E. Hochgraͤfl. Excell. ei - genem gebluͤt / als auch dero unterthanen nach langer zeit noch uͤber ſol - ches ungluͤck ſeufftzen / wo ſie dermaleins mehr den ſchaden / den man darnach nicht wieder einbringen koͤnte / gewahr wuͤrden werden; wel - ches auch die gedaͤchtnuͤß derſelben / die man nach ſich gern im ſe - gen zu verlaſſen trachten ſolle / ſehr graviren wuͤrde. 4. Ob man von dem zeitlichen vortheil reden wolte / waͤre derſelbe nicht allein gegen den erzehlten ſchaden fuͤr nichts zu achten / ſondern auch zu ſorgen / daß der HErr durch ſeinen fluch / alles ſolches in dem zeitlichen bald zu nicht machen wuͤrde / was man auff ſolche art zu erlangen gemeinet. Wie wir dann die taͤgliche exempel haben / welche dieſe goͤttliche wahrheit bekraͤfftigen / daß es nicht un - ſer fleiß und klugheit / ſondern der ſeegen des HErrn ſeye / davon wir alles erwarten muͤſſen / und denſelben gewißlich nicht hoffen koͤnnen durch derglei - chen dinge / dadurch man die goͤttliche gnade / den brunnen alles ſegens von ſich hinweg ſtoſſet. Alſo haben E. Hochgraͤfl. Exc. ſolch gethane anmuthun - gen / als lauter verſuchungen anzuſehen / welche der HErr zulaͤſſet / ob ſie ihn und ſeine gnade / wie nicht weniger die wolfahrt und verwahrung ihrer un - terthanen von aller verfuͤhrung / auch ihrer eigenen ſeelen und ihres Hoch - graͤflichen hauſes wahres heil; oder hingegen anderſeits den ſchein eines zeit - lichen nutzens / bey ſich prævaliren laſſen werden. Jch trage aber das hertz - liche vertrauen zu derſelben / erſehe es auch bereits aus dem ſchreiben ſelbs / daß ſie / nachdem dieſer ſcheinende nutzen in der wahrheit vielmehr ſchade iſt / (ob wol der ſatan uns und unſre augen offtmals auff eine ſolche art zu ver - blenden ſuchet) jene guͤter aber / die wahrhafftige guͤter ſind / welche ohne lan - ge uͤberlegung ſo bald den andern vorzuziehen / ſie werden ihre liebe zu GOtt und dero unterthanen (um welcher / nicht aber um ſeinet willen jeglicher Re - gent in der welt iſt) offenbahrlich damit zeigen / da ſie in ſolcher anfechtung be - ſtaͤndig ſtehen / ſich zu nichts / ſo das gewiſſen verletzet / jemalen bereden laſſen / und alſo in der gnade GOttes ſeinen ſegen auff ſich und die ihrige ziehen wer - den: welche gnaden-regierung Gottes / und wahrhafftigen ſegen auch ſchließ - lich von grund der ſeelen anwuͤnſche. 1686.

B b 3SECTIO198Das dritte Capitel.

SECTIO VII. Ob ein Evangeliſcher Herr ſeine unterthanen durch verkauff in die gefahr ihre religion zu verlieh - ren ſtecken koͤnne?

DAs anligen / welches derſelbe mir vortraͤgt / und meines raths daruͤber verlangt / habe in der furcht des HErrn erwogen / und ſo wichtig be - funden / daß freylich alles in der ſache genau uͤberleget werden muß / das gewiſſen nicht gefaͤhrlich zu verletzen. So iſt auch diejenige reſolution, welche derſelbe gefaßt zu haben bezeuget / chriſtlich und nothwendig / die er - haltung der reinigkeit des gewiſſens gern allem andern vorzuziehen / und daruͤber allen ſchaden / den GOtt verhaͤngen moͤchte / zu erwarten; in welchem wir in ſeiner gnade mehr behalten / als wir gedencken moͤchten / in dem irrdi - ſchen zu verliehren. Wo wir nun die ſache ſelbs reifflich erwegen / ſo wolte ich ſie in 2. ſaͤtze abtheilen. 1. Alles dasjenige / wodurch die Evangeliſche unterthanen zu NN. in gefahr geſetzet werden ihrer religion / ſo lang man ih - nen ſonſten die freyheit derſelben noch erhalten kan / wuͤrde das gewiſſen ge - faͤhrlich verletzen. Dann wie wir unſern nechſten als uns ſelbs / und alſo deſ - ſen geiſtliches und ewiges mehr / als unſer leibliches und irrdiſches zu lieben ſchuldig ſind; alſo ſtritte austruͤcklich gegen dieſe liebe / (ja auch gegen die liebe GOttes / deſſen ehre durch die befoͤrderung der falſchheit verletzet wird /) wo man ſein zeitliches intereſſe mehr in acht naͤhme / als woran des nechſten ſee - len gelegen iſt / und wo dieſe beyde einander anfangen entgegen zu ſtehen / je - nes dieſem vorziehen wolte: So vielmehr weil alle Obrigkeiten gedencken muͤſſen / daß nicht die unterthanen um ihrent willen / ſondern ſie von GOtt der unterthanen beſtens wegen eingeſetzet ſeyn; daher ſie alle ihre intraden, und was ſie von den unterthanen genieſſen moͤgen / deroſelben wohlfarth / ſon - derlich ihrer geiſtlichen / nachzuſetzen haben. Welche lehre zwahr den mei - ſten Obrigkeiten ungereimt vorkommet / aber wahrhafftig und in GOttes wort gegruͤndet iſt / maſſen der gantze grund des Chriſtenthums dahin weiſet. Wo es alſo darauff ankommet / daß entweder die Obrigkeiten ihres nutzens / oder die unterthanen ihres heils / gefahr leiden ſollen / ſo tringet dieſe vor / und gibt der frage den ausſchlag. Wo man aber hingegen ſolche unterthanen / die unter der Evangeliſchen regierung noch bey dem Evangelio erhalten wer - den koͤnten / kaͤuflich und auff eine art die in unſerm willen ſtehet / denjenigen uͤberlaͤſſet / von welchen zu ſorgen iſt / daß ſie jene verfuͤhren / oder um ihre reli - gion bringen wuͤrden / ſo wuͤrden folgende ſuͤnden darinnen begangen: (1. goͤtt - liche ehr und wahrheit zu Gottes groͤſſeſter beſchimpffung dem eigenen nutzen nachgeſetzt. (2. Die obrigkeitliche pflicht uͤbertreten / die da iſt / vor die un -ter -199ARTIC. II. SECTIO VII. terthanen und dero wohlſeyn mehr als vor ſich ſelbs zu ſorgen. (3. Der un - terthanen gerechte ſeufftzen auff die ſeele geladen / welche erſchrecklich truͤcken / und zu ſeiner zeit das gewiſſen dermaſſen auffwecken moͤchten / daß in ſolcher hoͤllen-angſt von menſchen mit troſt wenig ausgerichtet werden koͤnte. (4. Die unterthanen wuͤrden damit alſo geaͤrgert / da ſie von ihrer Obrigkeit das Evangelium ſo gering geachtet zu werden / ſehen / daß ſie auch nachmal der verfuͤhrung ſo viel leichter platz geben. (5. Die widerſacher ſelbs werden damit geaͤrgert / da ſie uns die religion nicht mehr angelegen zu ſeyn ſehen. (6. welche ſeelen daruͤber verlohren gehen / die will der HErr von uns in gewiſſer maaß fodern / da wir ſie ihm aber nicht wieder geben koͤnnen. Woraus zu ſehen iſt / daß es nicht eine geringe ſuͤnde ſeye / in eine ſolche ſache zu conſenti - ren / welche uns und andern ſo viele gefahr uͤber den halßzoͤge / die gewiß groͤſ - ſer iſt als diejenige / ob wir endlich daruͤber alles verliehren muͤßten. 2. Wo die gefahr der unterthanen nicht kan abgewendet werden / und man zuſchwach iſt / ſie dagegen zu ſchuͤtzen / da nemlich eine hoͤhere gewalt aus GOttes ver - haͤngnuͤß uns uͤberlegen iſt / oder andere mit-conſorten, unſre fernere vorſor - ge unfruchtbar machen / ſo ſind wir ohne ſchuld / daß wir nicht hindern koͤnnen / was in unſerer macht nicht ſtehet / und alsdann frey haben / zu ſorgen / ob wir unſers zeitlichen noch etwas retten moͤgen. Alſo geſetzt den fall / es brauch - te ſich Franckreich ſeiner gewalt / wie anderswo ſchon mehrmal geſchehen iſt / und nehme die kirchen nicht nur zu einem gemeinſchafftlichen gebrauch der paͤpſtiſchen / (da wir dannoch die unſrige des wegen nicht vollends den feinden uͤber geben doͤrfften) ſondern mit gaͤntzlicher wehrung unſers GOttes dieſes hinweg / oder zoͤge es wieder zu einem cloſter / ſo muß man ſolches geſchehen laſſen / und GOtt befehlen; mag aber in ſolchem fall / ſo gut man kan / vor ſein zeitliches noch ſorgen / ob uns GOtt noch etwas davon wolte zu gut kommen laſſen. Wiederum wo die gemeinſchafftliche / die theil und prætenſion ha - ben / den verkauff endlich unerachtet unſers widerſpruchs ſchlieſſen / und der papiſtiſche kaͤuffer krigte damit ſo viele macht / daß wir / wann er etwas zum nachtheil der religion thun wolte / von ihm uͤberwogen wuͤrden / (dann ſo lang unſer widerſetzen ihn noch hindern moͤchte / iſt unſer gewiſſen noch nicht frey) und alſo doch nichts mehr zu erhaltung des geiſtlichen fuͤr die unterthanen ausrichten koͤnten / ſo iſt uns / wie in jenem fall / unverwehrt / annoch zu ſehen / ob wir mit endlichem conſens in dem kauff das unſrige zimlicher maſſen mit ſalviren koͤnten: jedoch haben wir unſer mißfallen / und wie ungern wir an die ſache kommen / dabey zur genuͤge zu bezeugen / und damit das ſonſten be - ſorgliche aͤrgernuͤß / ſo viel an uns iſt / abzuwenden: ſo dann auch daran zu ſeyn / daß man die condition in der religion nichts zu erneuern / mit einruͤcke; dann obwol auff dergleichen verſpruch von paͤpſtiſcher ſeiten nicht genug zu -trau -200Das dritte Capitel. trauen / ſo hilfft es doch endlich etwas zur verwahrung des gewiſſens / wo man nicht weiter kan. Dieſes waͤre meine einfaͤltige meinung uͤber ſolches geſchaͤfft / welches mein werther Herr ferner in der furcht des HErrn pruͤfen / und weſſen er in ſeiner ſeele ſich uͤberzeuget befinden wird / zu thun ſich ange - legen ſeyn laſſen wolle. Wie wir dann auch nicht ſicher auff eines andern rath trauen doͤrffen / wo wir nicht nach anruffung GOttes auch die mitein - ſtimmung unſers gewiſſens bey uns finden; dem wir ſonſten leicht anſtoß ſe - tzen / die tage unſers lebens uns dadurch verunruhigen / und hingegen an dem geiſtlichen wachsthum hindern wuͤrden. Zu deme iſt auch wol in acht zu neh - men / daß man ſich auch huͤte vor demjenigen / was auffs wenigſte bey andern einen boͤſen ſchein haben / und aͤrgernuͤß geben wuͤrde / wie jener Eleaſar 2. Maccab. 6 / 21. auch dasjenige fleiſch nicht eſſen wolte / welches erlaubt / aber dabey der ſchein / ob ſeye es ſchwein-fleiſch / geweſen waͤre. Alſo haben ſonderlich diejenige / welche insgemein ein rechtſchaffen Chriſtenthum an ſich leuchten zu laſſen befliſſen ſind / ſich vor andern zu huͤten / daß ſie bey welt-ge - ſinnten den nahmen der gottſeligkeit nicht durch boͤſen ſchein laͤſtern machen / und aus einigem ſtuͤck gefolgert werde / entweder es ſeye uns mit unſerer gott - ſeligkeit kein ernſt / da wir / ſo bald es an unſern nutzen oder ſchaden gehet / deſ - ſen vergeſſen / was andere in dem geiſtlichen vor nachtheil davon haben wuͤr - den; oder es muͤſte hieran wenig gelegen ſeyn / indem es ja diejenige thaͤten / welche fuͤr gottſelig paßirten. Dergleichen urtheil nun zu entgehen und zu begegnen / ſind wir ſchuldig / nicht zwahr etwas gutes zu unterlaſſen / oder boͤſes zu thun / aber einige unſrer zeitlichen vortheile gern hindan zu ſetzen. Jm uͤbrigen zweifle ich nicht / derſelbe werde auch die gegenwaͤrtige zeit ins - geſamt mit rechten augen anſehen / und erkennen / es ſeye diejenige / da GOtt nach ſeinem H. rath dem Roͤmiſchen Babel zugebe / allgemach den hoͤchſten gipffel ſeiner macht zu beſteigen / beſorglich unſer verderbtes Jeruſalem zu zerſtoͤhren / und aber damit ſein eigen gericht ihm ſelbs uͤber den hals zu zie - hen. Da will es nun vonnoͤthen ſeyn / nicht nur GOtt flehentlich anzuruf - fen / daß er ſich ſeiner armen kirchen annehmen / uns ſeine gerichte zu erkennen geben / und alles murren dagegen in unſern ſeelen verhindern / der verfolger und verfuͤhrer ſich erbarmen / ſie beſſern / oder ihnen die haͤnde binden; denen die. in der verſuchung begriffen ſind / mit krafft und Geiſt beyſtehen / die ver - fuͤhrte aus barmhertzigkeit wieder zuruͤck fuͤhren / uns zu gleichen kampff / wo uns die reihe betreffen wird / ausruͤſten / und endlich zu rettung ſeiner ehre / wo nun die gerichte vorbey ſind / ſeinen zerſtoͤhrten tempel wiederum aus den uͤbergebliebenen lebendigen ſteinen auffs neue herrlicher bauen wolle: ſon - dern auch aus dem / was wir an andern ſehen / abnehmen / was uns noch vor - ſichen mag / und uns darauff mit feſter gruͤndung unſers glaubens und hoff -nung /201ARTIC. II. SECTIO VIII. nung / ernſtem fleiß eines heiligen wandels / ablegung aller liebe der welt / die uns ſonſten in der verfolgung weich machen wuͤrde / gutthat an dem nechſten / ſo lang wir noch zeit haben / unſere liebe zu uͤben / und ſtaͤter vorſtellung der krohne / welche der beſtaͤndigkeit in dem leiden beſtimmet iſt / in ſeiner gnade zu ruͤſten / damit / wo das ſtuͤndlein unſerer verſuchung auch kommt / (davon ich fuͤrchte / daß wir nirgend ſicher ſeyn werden /) wir alles wohl ausrichten und das feld behalten moͤgen. Hieran laſſet uns taͤglich gedencken / uns un - tereinander auffmuntern / der alten exempel / die vor uns gelidten haben / uns erinnern / und die dazu noͤthige gnade von dem himmliſchen Vater uns ſelbs und untereinander erbitten: ſo ſollen uns unſre truͤbſeligſte zeiten dannoch ſelig ſeyn. 1685.

SECTIO VIII. Von ſonderbaren begegnuͤſſen. Ob GOtteslaͤ - ſterung an dem leben zu ſtraffen?

ES war mir auch hertzlich lieb / dasjenige exempel zu vernehmen / wie der HErr HErr geliebten bruder in ſeiner betruͤbnuͤß und aͤngſtlicher ſorge durch zuſendung eines leichen-texts getroͤſtet. Wie ich weiß / daß auch das geringſte nicht ohngefehr geſchehe / ſondern alles unter der regierung un[-]ſers weiſeſten Vaters ſtehe / ohne welchen auch nicht ein haar faͤllet; ſo achte ich dergleichen beobachtung nicht fuͤr aberglaͤubiſch / ſondern denjenigen zim - lich / die alles als aus der hand des HErrn kommende anſehen. Jch erinne - re mich dabey einer dergleichen begebenheit / daß ich einmal in ſorglichen ge - dancken wegen des gemeinen unweſens in die kirche ginge / die bet-ſtunde zu halten: da ich aber in dieſelbe eintrat / ſang man aus dem 12. Pſalm die wort: Darum ſpricht GOtt / ich muß auff ſeyn / die armen ſind verſtoͤhret / ihr ſeufftzen tringt zu mir herein / ich hab ihr klag erhoͤret. Jch kan wol ſagen / daß mir mein lebelang weder dieſe wort noch einige andere ſo in meinen ohren geklungen / als obs kaum menſchen-ſtimme waͤre / und ſie ſo bald als eine antwort auff meine innerliche klage mit groſſer zufriedenheit angenommen; ob ich wol ſeither niemal mehr weder ſolchen thon / noch krafft davon empfunden. Will dißmal nicht nochmal gedencken / (weil zu andern malen davon werde geſchrieben haben) was vor ſpruͤche bey hieſiger vorſte - henden vocation fuͤr mich von guten freunden auffgeſchlagen worden / wel - che mir gewißlich nicht wenig krafft und verſicherung gegeben. Laſſet uns alſo gewaͤhnen / in allen dingen einigen rath unſers GOttes zu erkennen / ſo ſolle ſolches eine ſtattliche ſtaͤrckung unſers glaubens werden / und wird Gott in vielem ſeinen zweck erreichen / den viele unachtſamer weiſe an ſich ſonſt ver -C cge -202Das dritte Capitel. gebens machen. Jch komme nun auff die letzte vorgelegte frag wegen lebens - ſtraff der Gottes-laͤſterer. Da will mir nun nicht zukommen / uͤber die NN. abſonderliche hypotheſin zu judiciren / ſondern uͤberlaſſe / was in ſol - cher ſtadt geſchehen / der verantwortung derjenigen / die GOtt dazu geſetzt / das gericht zu halten: ſonderlich weil zu einem examine eines geſprochenen urtheils eine voͤllige erkaͤntnuͤß aller umſtaͤnde erfordert wuͤrde. Jnsgemein aber und in theſi zu reden / 1. ſo halte die ſtraffe des todes nicht fuͤr unbillich / wie ſie auch in den rechten dictiret iſt / daß Gottes-laͤſterer an dem leben ge - ſtrafft werden / wenn es nemlich vorſetzliche und boßhafftige Gottes-laͤſterer ſind / welche GOtt ſonſten buchſtaͤblich erkennen / und ihn gleichwol laͤſtern / dergleichen laͤſterungen diejenige ſind / welche von perſonen geſchehen / ſo in der lehr keinen irrthum nicht haben. 2. Dergleichen moͤchte auch gelten von denen / welche zwahr GOtt nicht erkennen; zum exempel / Tuͤrcken / oder Hey - den / oder dergleichen unglaubige / da ſie unter uns wohnen / auch was ihnen hierinnen euſſerlich verboten ſeye / wiſſen / und aber nicht etwa in diſcurs, wo ſie von ihrem glauben rechenſchafft geben / oder denſelben zu behaupten ſich in dem gewiſſen ſchuldig zu ſeyn glauben / dergleichen dinge reden / die wir nach unſern articuln fuͤr gotteslaͤſterlich erkennen / ſondern ohne ſolche noth oder trieb des gewiſſens unſern GOtt und Heyland alſo laͤſtern / daß man dero boßheit wahrhafftig nun ſehen kan. Dann dieſen meine ich / moͤge eben ſo wol eine empfindliche ſtraffe dictiret werden. Was aber 3. diejenige an - langt / welche unſre wahrheit nicht erkant / oder wo ſie einmal bey dero be - kaͤntnuͤß geweſen / nachmal erſt in irrthum entweder von andern verfuͤhret werden / oder ſonſten verfallen / ob ſie nachmal ſolchen ihrem irrthum gemaͤß / dergleichen reden fuͤhren / welche ſonſten in ſich gotteslaͤſterlich ſind / aber von ihnen nicht dafuͤr / ſondern vielmehr fuͤr die rechte wahrheit gehalten werden / achte ich nicht / daß man ſie mit einer ſolchen weltlichen und leibes - ſtraffe zu belegen habe; vielmehr daß dergleichen zu thun der art des N. Te - ſtaments gantz nicht gemaͤß ſeye. Ja ich glaͤube / wir haben ſolche hypothe - ſin ſo viel fleißiger beyzubehalten / nachdem unſre lehre von eiffrigen Papi - ſten in unterſchiedlichen ſtuͤcken / als gegen die kirche und dero autoritaͤt / ge - gen die heilige / gegen die von ihnen fuͤr das groͤſte heiligthum geachtete meſ - ſe / u. ſ. f. gotteslaͤſterlich ausgegeben wird / und wir dahero ihnen das ſchwerdt in die haͤnde gegen uns geben wuͤrden / wenn wir davor halten wol - ten / daß eine auch von einem irrenden vorgebrachte Gottes-laͤſterung mit weltlicher ſtraffe zu belegen ſeye. Denn ob wir uns damit ſchuͤtzen wolten / daß unſre lehren die wahꝛheit / uñ nicht gotteslaͤſteꝛlich ſeyen / mag uns ſolches bey jenen nicht helffen / als die ſie gleichwol dafuͤr halten / und dafuͤr von ih - ren Geiſtlichen erklaͤhret zu werden hoͤren. Die urſach meiner meinung iſtdie -203ARTIC. II. SECTIO VIII. dieſe: weil das reich Chriſti in dem geiſtlichen von keiner euſſerlichen gewalt nicht weiß / ſondern nur in einer krafft des Geiſtes beſtehet; daher alle euſſer - liche gewalt und ſtraffen in das reich der welt gehoͤren / und alſo nicht diejeni - ge dinge unter ſich begreiffen koͤnnen / die in einem irrthum beſtehen oder dar - aus herkommen. So iſt jeglicher irrthum der ein bloſſer irrthum iſt / von Chriſten an ihrem nechſten nicht anders anzuſehen / als eine kranckheit / um welcherley willen man mit dem krancken mehr mitleiden und gedult hat / als daß man ihn wegen derſelben und derer ſymptomatum haſſen wolte: daher unſre pflicht vielmehr von uns eine erbarmende liebe gegen die irrige / und ei - ne gedult gegen dasjenige / was ſie aus dem irrthum thun / wircken ſolle; als daß wir uns zu einem gehaͤßigen eiffer gegen ſie / und alſo ihnen zu ſchaden / bewegen laſſen wolten. Gnug iſts alſo / daß wir gegen ſolche materiales blasphemias als eine geiſtliche ſuͤnde / mit geiſtlichen waffen kaͤmpffen / und mit groſſer gedult / wie GOtt ſelbs zu thun pfleget / die irrende / biß ſie etwa moͤchten bekehret werden / tragen: oder nach allem gethanen verſuch die ſache deme / deſſen ſie iſt / befehlen / der endlich hart gnug diejenige / ſo ſeiner wahr - heit widerſtanden haben / zu ſtraffen weiß; ſo dann dabey vorſichtigkeit brau - chen / nur das aͤrgernuͤß auff alle der chriſtlichen ſanfftmuth nicht zu wider - lauffende mittel von den unſrigen nach vermoͤgen abzuwenden / welches aller - dings ohne die euſſerliche leibes-ſtraffe gnugſam geſchehen kan. Der ort Hebr. 10 / 28. 29. beweget mich im geringſten nicht / denn dieſes bleibet wahr / daß freylich / wer den Sohn GOttes mit fuͤſſen trit / ſchwehrere ſtraffen verdiene / als derjenige / ſo nur das geſetz Moſis gebrochen hat. Aber dar - aus folget nicht / daß deßwegen die ſtraffen auch einer art ſeyn muͤſten / nem - lich beyde leiblich. Ja wo man wolte bey der leiblichen ſtraff bleiben / koͤnte keine aͤrgere ſtraff jetzo den untertretern des bluts Chriſti angethan werden / als in dem geſetze Moſis / in dem mehrern uͤbelthaten die ſteinigung zuerkant wurde / uͤber welche in dem leiblichen keine hoͤhere ſtraffe war. Solte alſo die ſtraffe jetzo des N. T. aͤrger und ſchwehrer ſeyn / ſo muß ſie gantz eine an - deꝛe / das iſt / deſſelben art gemaͤß / geiſtlich und ewigſeyn. Unſeꝛ Hr. D. Schmidt mag hievon wol geleſen werden in ſeinem Commentario; und iſt ſehr fein / wenn er austruͤcklich ſagt: Siquidem eadem etiam ratio fuit, quæ hæreticos morte capitali puniverit, quod N. T. non facit. Er verſtehet auch an die - ſem ort die ſuͤnde in dem Heil. Geiſt / die ich doch nicht wol hoffe / daß man ſie am leben ſtraffen wolte. Alſo gibt er die krafft des ſpruchs ſehr wohl: Si is, qui politiam legis Moſaicæ violavit & irritam fecit, quat. hoc fecit, ſine miſerationibus in ſuo genere mortis pœna civili afficiendus fuit: quanto putatis majorem pœnam in ſuo genere, h. e. in genere pœnarum ſpirituali - um & æternarum afficiendus erit peccans in Spiritum S.? Mich deucht aber / die ſache ſeye allzuklahr / als daß man vieles nicht uͤber den ſpruch bedoͤrffte. C c 2Wun -204Das dritte Capitel. Wundre mich auch ſehr / wo ſich einer daraus unterſtehen wolte / eine leibes - ſtraff der aus irrthum herkommenden Gottes-laͤſterung zu erweiſen. Die - ſe meine lehr hoffe ich die ſicherſte / der art des N. T. gemaͤſſeſte / und in der wahrheit gegruͤndeteſte zu ſeyn. Der HErr HErr lehre uns in allen ſtuͤcken in ſeines Geiſtes liecht ſeinen willen erkennen / ſonderlich aber den unterſcheid ſeines geiſtlichen / und des andern weltlichen reichs / ſamt beyderley unter - ſchiedlicher beherrſchung arten / recht einſehen / nachdem ich dafuͤr halte / daß ſo bald dieſe miteinander vermiſcht oder confundiret werden / daß daraus nicht wenig irrung entſtehen moͤge. Er wende auch kraͤfftig ab alles aͤrger - nuͤß von ſeiner kirchen / und vertreibe endlich mit ſeinem liecht alle finſter - nuͤß! 1688.

SECTIO IX. Die ſorge fuͤr die beſſerung der ſchulen / ein haupt - ſtuͤck der ſorge chriſtlicher Regenten. Einige vorſchlage.

WJe mir NN. geſamte Converſation und geſpraͤch eine ſonderbahre[tr]ende gemacht / ſo war gleichwol dasjenige eine der vornehmſten ur - ſachen ſolcher meiner freude / was der chriſtliche mann mir von E. Hoch-Fuͤrſtl. Durchlaucht. ſtaͤts fortwaͤhrender ernſtlichen ſorge fuͤr die be - foͤrderung der ehre des Allerhoͤchſten / wie in uͤbrigen ſtuͤcken dero begluͤckter regierung / als vornemlich in verbeſſerung des kirchen - und ſchul-weſens ge - ruͤhmet / und alſo mein auff dieſelbe als ein theures werckzeug der goͤttlichen verherrlichung geſetztes vertrauen / ſo vielmehr beſtaͤrcket hat. Es iſt einmal unlaͤugbar / daß einer der haupt-zwecke / ja wol der erſte der wuͤrde nach unter allen / iſt / warum der groſſe HErr uͤber himmel und erden gewiſſe ſeines reichs amt-leute und ſeiner macht befehl-habere auf erden verordnet / und ihnen ſein bild und theil ſeiner gewalt angehaͤnget und anvertrauet hat; nemlich daß dieſelbe / wie im uͤbrigen mit gehorſamer beobachtung ſeiner gebote in allen ſtuͤcken ihre dependenz von ihm bezeugen / und damit ſeine hoheit thaͤtlich preiſen: alſo auch / da er ſie ſelbs mit ſeiner theuren erkaͤntnuͤß begnadet hat / die ihnen anvertraute zu gleichem liecht zu bringen / befliſſen ſeyen / und alſo diejenige mittel / wodurch ſolches geſchehen mag / nach allem vermoͤgen befoͤr - dern ſollen; womit ſie dann erſt recht das an ſich tragende herrliche bild ſo viel vortreflicher ziehren / und ihren ſtand heiligen. Hingegen wird auch von leu - ten / welche die ſache genau einſehen / nicht wol geleugnet werden koͤnnen / daß gleichwol auch / ſo gar bey unſrer Evangeliſchen religion / das kirch - und ſchul - weſen / durchaus nicht in demjenigen ſtande ſtehe / wie wir wuͤnſchen moͤchten /ſon -205ARTIC. II. SECTIO IX. ſondeꝛn daß viele urſachen ſeyen / daruͤber zu ſeuffzen / uñ nach der verbeſſerung vieles / was in das verderben faſt verfallen / verlangen zu tragen. Jch bin auch verſichert von E. Hoch-Fuͤrſtl. Durchl. ſo wol gottſeligkeit / als Chriſt-Fuͤrſtl. klugheit / daß ſie nach jener ſo wol die ihnen obliegende pflicht gegen den groſ - ſen HErrn / von welchem ſie auch ihre regierung und hoheit tragen / gern er - kennen / und deroſelben nach allem vermoͤgen nachzuleben begierig ſeyn / als nach dieſer in das gemeine verderben mit erleuchteten augen viel tieffer einſe - hen / als von den meiſten geſchiehet. Daher ich mir durch GOttes / von dem aller rath und ſegen kommet / gnade von dero auffrichtigen intention, das be - ſte und die auffnahm der kirchen nachdruͤcklich zu befoͤrdern / auch dem alsdenn davon erwartenden geſegneten ſucceß, viele hoffnung mache. So bedarff E. Hoch-Fuͤrſtl. Durchl. von meiner wenigkeit in ſolcher wichtigſten ſache keines beyrathens / als die in ſo langer regierung nechſt ohne das beywohnenden er - leuchtetẽ verſtande eine vortreffliche erfahrung / ſo die mutter der gewiſſeſten klugheit iſt / erlanget haben / auch mit tapffern leuten / welche noch mit fernern dienſten an die hand zu gehen vermoͤgen / und willig ſeyn werden / ihres orts ſelbs umgeben iſt. Weil aber ſie ſo gnaͤdigſt ſich vor unterſchiedlichen jahren gegen mich bezeuget / auch einen frembden geringen diener einige mal zu hoͤ - ren / ſo gelebe auch der troͤſtlichen zuverſicht / daß E. Hoch-Fuͤrſtl. Durchl. nicht ungnaͤdig auffnehmen werden / wo einiges deſſen / was mit obge - dachtem geliebten freunde hier geredet / auch in deroſelben ſchooß mit dero hohen erlaubnuͤß auszuſchuͤtten mich erkuͤhne. Wie nemlich / ob zwahr ſolches mittel der gantzen kirchen voͤllig zu helffen / und ſie in erwuͤnſchten zu - ſtand zu ſetzen / noch nicht zulaͤnglich iſt / gleich wol ein groſſes zu deroſelben beſſerung wuͤrde ausgerichtet werden / wo nur zum foͤrderſten die niedrige und hohe ſchulen in den jenigen ſtand gebracht werden koͤnten / wie davon billich zu wuͤnſchen und zu fordern waͤre / wenn ſie in der wahrheit die werck - ſtaͤtte des Heil. Geiſtes ſeyn ſollen. Denn weil in den ſchulen die meiſte / ſon - derlich diejenige / welche nachmal in allen ſtaͤnden andern vorgeſetzt werden / und ſie regieren ſollen / erzogen werden muͤſſen; ſo lieget ein allzugroſſes an den ſchulen / daß deswegen / je nachdem es mit denſelben bewandt iſt / tuͤchtige oder untuͤchtige leute dem gemeinen weſen zugeſendet werden: ſonderlich aber weil ich mit betruͤbnuͤß immer ſehe / daß in unſerm / dem ſo genannten geiſtlichen ſtand ein groſſes des gemeinen verderbnuͤß ſtecket / oder aus dem - ſelben geheget wird / ſo hoffte auch beſſere Theologos und Prediger / wo ſie beſſer an den orten / die dazu geheiliget ſind / zu dem rechtſchaffenen weſen / das in Chriſto iſt / angefuͤhret und bereitet wuͤrden. Hierzu achtete zwey haupt - mittel am dienſamſten zu ſeyn: Das erſte iſt / die vorziehung des goͤttlichen worts vor alle uͤbrige ſtudia, wo ich zwahr eigentlich in abſicht auf das ſtu -C c 3dium206Das dritte Capitel. dium Theologicum rede. Es iſt gewiß / daß dieſes ein ſolches ſtudium ſey / welches auf keinem principio rationis, ſondern bloß dem principio revelato, der heiligen Schrifft beruhet; dahero wir in der heiligen Theologia nichts vor uns ſelbſten anzunehmen haben / deſſen wir nicht aus dem wort GOttes ſelbs zur gnuͤge uͤberzeuget waͤren / auch niemand anders etwas zu glauben auffdringen doͤrffen / was wir nicht abermal auf eine buͤndige art aus der Schrifft erwieſen haben. Daraus folget / daß im merdar ein jeder ein ſo viel vortrefflicher oder geringer Theologus ſeye / ſo viel beſſer er die Schrifft inne hat oder nicht; ſonderlich aber / ſo viel gruͤndlicher er ſie verſtehet oder nicht. Dahero das ſtudium der heiligen Schrifft bey andern / ſo viel gleichwol ein jeglicher auch ſeines eigenen heils begierig und ſorgfaͤltig ſeyn ſoll / ſonderlich aber bey denen / die in geiſtliche aͤmter treten / und andere auf den weg der ſe - ligkeit dermaleins anweiſen ſollen / den vorzug billich vor allen andern behal - ten muß: und ſtehet es deswegen um die ſchulen / folglich auch um die kirche / ſo viel beſſer oder ſchlechter / als der fleiß auf die heilige Schrifft hauptſaͤchlich gewendet / oder anderes deroſelben entweder gleich gemachet oder vorgezo - gen wird. Wo man nun die untere ſchulen und Gymnaſia anſiehet / ſo ſorge ich / das wenigſte habe ſeine abſicht auf das gedachte einige haupt-nothwen - dige / da dennoch / weil ja die Exegeſis der Schrifft nicht formlich und voͤllig an ſolchen orten / oder bey ſolchem alter / gehandelt werden kan / auffs wenigſte alles dahin meiſtens gerichtet werden ſolle / damit die jugend wol bereitet und bequem auf die hohen ſchulen geſandt wuͤrde / daſelbſt alsdann das ſtu - dium Scripturæ recht ex profeſſo zu tractiren / welches gewißlich / wo es mit fortgang geſchehen ſolle / ſolche leute præſupponiret / die ſchon bereits die noͤ - thige ſubſidia auf die Academien bringen / die zu der Exegeſi erfordert wer - den. Jch ſorge aber itzt gedachter maſſen ſehr / wo die ſchulen insgemein ange - ſehen weꝛden / und doͤꝛffte wol nicht das meiſte hierzu angetroffen werden / ſon - dern daß mehr fleiß auf die dinge ſtaͤts gewandt werde / die zu jenem ſtudio gantz nichts thun / ſondern nur die abſicht auf andere Erudition haben / und die Ingenia zu der Philoſophia geſchickt machen ſollen / die gleichwol / ob ſie ſchon nicht auszuſchlieſſen / dañoch als die magd zuachten iſt / auf die / als auf die Koͤ - nigin ſelbs nicht gleich viel præparatoria gemacht werden doͤrfften. Siehet man auch die Univerſitaͤten und ſonderlich auf denſelben die Theologiam an / ſorge abermal / daß dieſer uͤbrige theil immerdar mehr Cultores finde / welche mit lehren und lernen darinnen beſchaͤfftiget ſind / als die Exegetica die doch aller uͤbrigen grund iſt. Maſſen ich nicht nur einen von mehrern jahren geſprochen / welche 6. und 8. jahr auf unterſchiedlichen Univerſitaͤten zugebracht / aber bekanten / daß die Philoſophia, und uͤbrige partes Theolo - giæ, ihre eintzige arbeit geweſen / ja ſie niemal nur gelegenheit gehabt / ein Col -legium207ARTIC. II. SECTIO IX. legium uͤber die Exegeſin Scripturæ, oder einig ſonderbares buch derſelben / damit man an einen und andern exempeln lernte / was man im uͤbrigen nach - zumachen hat / zu halten: ſo ſie aber darnach / da ſie funden / daß ſie in ihren aͤmtern von jenen dingen / darauf ſie ſo viel zeit gewandt / den wenigſten nutzen haͤtten / und was ihnen jetzo noͤthiger ſeye / erſt auffs neue lernen muͤſten / nicht wenig bereuet haben. Dahero offt gewuͤnſchet habe / daß GOTT auf den hohen ſchulen die liebe der Patrum, der Scholaſticorum und des Ariſtotelis, in die liebe der Propheten / der Apoſtel und ſeines Geiſtes verwandeln wol - te / ſo ſolte in ſeiner krafft und ſeegen gar bald manches ſich aͤndern / und eine mehrere hoffnung einer weiteren beſſerung erſcheinen. Das andre mittel der verbeſſerung moͤchte wol dieſes ſeyn: daß ſo wol die lehrenden ſich dieſes allezeit vorſtelleten / als allen lernenden auf hohen und niedern ſchulen fleißig eindrucketen / wie ohne rechtſchaffne und thaͤtliche gottſeligkeit die heilige ſtudia nicht gluͤcklich und mit ſeegen getrieben werden moͤgen. Welches be - reits daraus folget / wenn wir krafft unſrer religion das unvermoͤgen der menſchlichen vernunfft in goͤttlichen dingen / und die nothwendigkeit der er - leuchtung des Heil. Geiſtes in denſelben / bekennen. Wo hinwiederum gewiß iſt / daß dieſer Geiſt der heiligung in keinen ſeelen als ſeinen werckſtaͤtten woh - ne und wuͤrcke / die ſich nicht auch der heiligung befleißigen / und dieſe zum aller - foͤrderſten bey ſich wuͤrcken laſſen. Welche Theologia aber nicht aus dieſem hoͤhern principio herkommet / und alſo da die menſchen nicht auch von GOtt / ſondern bloß von menſchen gelehret werden / ſind nicht die jenige Theologia oder Theologi, von denen die kirche den rechten nutzen erwarten oder erlan - gen koͤnne. Dahero ja ſo viel daran gelegen ſeyn muß / allezeit ſolche Theolo - gos zu ſuchen / die wahrhafftig der welt / ihrer eignen ehr / nutzen und luſt abge - ſtorben ſind / und bey denen ſich nicht nur ein moral-leben / ſondern das recht - ſchaffne weſen / das in Chriſto JEſu iſt / finde / als daß man an ihnen eine hohe Erudition ſuche / welche freylich eine theure gabe / aber alsdenn erſt gnug / wo ſie auf jene art auch geheiliget iſt. So dann flieſſet auch ans jenem / daß de - rer / ſo andern ſtudiis vorgeſetzet ſind / nicht weniger ſorge dahin gerichtet ſeyn muͤſſe / daß die hertzen der anvertrauten mit der gruͤndlichen gottſeligkeit / bey dero ſie des himmliſchen liechts faͤhig ſeyn moͤgen / als die koͤpffe mit der Eru - dition angefuͤllet werden. Wo dieſer fleiß / dieſer zweck und dieſe regel iſt / da kan es an dem kraͤfftigſten ſegen GOttes nicht mangeln; wo aber ſolches nicht iſt / hingegen auch von denſelben nicht viel gehoffet werden. Dieſes ſind die beyde mittel / welche ich auch vor einem halben jahr in meiner gaſt-predigt zu Leipzig getrieben habe / und wo dieſelbe recht in den gebrauch gebracht wuͤr - den / davon mehr als von einigen andern / hoffen wolte. Jch trage auch zu E. Hoch-Fuͤrſtl. Durchl. ſolches unterthaͤnige vertrauen / daß auch ſie nach deroerleuch -208Das dritte Capitel. erleuchtetem verſtande laͤngſten dieſelbe erkant / und in den anvertrauten lan - den / ſo viel dero hohen orts geſchehen kan / durch dieſelbe die beſſerung der kir - chen geſucht haben / und ferner gluͤcklich ſuchen werden. Jſt alſo nichts mehr uͤbrig / als daß ich den groſſen GOtt / von dem alle gute und vollkommene ga - ben / als dem Vater der liechter herkommen / demuͤthigſt anruffe / daß er ſich ſei - ner armen kirchen zu dero beſſerung annehmen / und neben andern / welche er gleichfals dazu erkohren haben mag / E. Hoch-Fuͤrſtl. Durchl. zu einem theu - ren werckzeug ſeiner ehren in befoͤrderung ſeines reichs machen wolle. Er ſegne alſo nicht nur dero uͤbrige regierung / ſondern vornehmlich / was dieſelbe in denen deliberationen / dero letzte frucht und abſicht ſich in die ewigkeit hin - aus ſtrecket / um nemlich dero unterthanen auch ihres orts zu der ſeligkeit zu befoͤrdern / vornehmen und vornehmen werden / damit ſie in goͤttlichem liecht / wie ſolcher zweck in einrichtung kirchen und ſchulen am beſten zu erreichen / oh - ne fehl erkennen / in goͤttlicher krafft / was ſie dazu dienlich finden / getroſt ins werck zu richten / befliſſen ſeyen / und in goͤttlichem ſegen den erwuͤnſchten fort - gang ſolcher Conſiliorum anſehen / auch deſſen ruhm bey jetzigen und nachkoͤm̃ - lingen allezeit behalten. Er erhalte ſie auch deswegen zu ausuͤbung vieler loͤblicher Fuͤrſtlicher gedancken bey langem leben und unverruckten gemuͤths - und leibes-kraͤfften / und kroͤne ſie mit allen herrlichſten zeugnuͤſſen ſeiner ewi - gen liebe! 1687.

SECTIO X. An eine hoͤhere Standes-perſon / von der pruͤfung ſein ſelbs / kleidern / confect / gebet uͤber das allgemeine verderben.

JCh kan nicht bergen / daß mich die vorſtellung deroſelben pruͤfung wol inniglich erfreuet und vergnuͤget habe / daß ich dem him̃liſchen Vater de - muͤthigen danck ſage / welcher in ihrer lieben ſeele ſeines wercks nicht nur einen ſolchen rechtſchaffenen grund geleget / ſondern ſeinen bau ferner ziemlich fortgeſetzet hat. Seine guͤte ſey daruͤber ewiglich geprieſen / welche ſich ſo kraͤfftig in derſelben erwieſen / und ſie nun mehr und mehr zu einem herrlichen werckzeug ſeiner ehre / verhoffendlich noch durch ihr liecht andere mehrere ih - res ſtandes auffzumuntern / bereitet hat / und ferner bereiten wird. Auf die ſpecialia zu kommen / leugne nicht / daß ich wenig mehr dabey zu erinnern ha - be / ſondern zu weiterem grad zu kommen / kan ich ſchwehrlich hand-leitung ge - ben: maſſen jeglicher auf einem weg nicht wol ferner den andern leitenkan / als ſo weit er ſelbs gekommen iſt; ſondern ich habe hierinnen dieſelbige allein ei - nem gewiſſern und weiſern hand-leiter / ihrem liebſten JEſu und deſſen wer -then209ARTIC. II. SECTIO X. then Geiſt zu uͤberlaſſen / und mit hertzlichem gebet zu empfehlen / ſelbs aber zu trachten / ob ich auch durch eben deſſen fuͤhrung weiter auf ſolchem wege fort - ſchreiten / und dadurch tuͤchtig werden moͤchte / andern bruͤdern und ſchweſtern nachmal auch diejenige ſchritt zu zeigen / die ich gefuͤhret worden. Weil aber dieſelbe aus hertzlichem vertrauen ihr hertz bey mir ausgeſchuͤttet / ſo will uͤber jeglichen punct dieſer letzten pruͤfung / was mir dabey gedaͤucht / vorle - gen / ob ſo es keine weitere anleitung mehr geben koͤnte / auffs wenigſte unſern gleichen ſinn in dem HErrn untereinander zu erkennen. Daß ſie GOTT fuͤr alles hertzlich danckbar zu werden ſich befleißet / iſt unſere haupt-pflicht ge - gen GOTT / und da ſich ſolches befindet / ihro ein vortreffliches zeugnuͤß des inwohnenden H. Geiſtes / welcher allein derjenige iſt / ſo alle danckbarkeit in uns wuͤrcken / und uns dazu antreiben muß. Jndeſſen muß freylich noch un - ſere natuͤrliche traͤgheit zu ſolchem danck / mit demuth erkannt / und mit ſtets neuem vorſatz das annoch ermanglende nach allem vermoͤgen zu erſetzen / ge - trachtet werden / auf daß / wie wir alles in dem nahmen JEſu thun ſollen / auch alles zu dem danck GOttes ſich richte / welche beyde pflichten der liebe Apoſtel Col. 3 / 17. genau an einander haͤnget. Jedoch entſinnen wir uns billich / daß die goͤttliche wolthaten unvergleichlich mehr und groͤſſer ſeyen / als daß ſie unſer auch ſorgfaͤltigſter und fleißigſteꝛ danck erreichen / uñ ihnen gleich werden moͤchte: vielmehr wuͤrde dieſes die hoheit und groͤſſe der unermaͤßli - chen guͤte GOttes verringern / wo wir gedencken wolten / daß einiges auch heiligſten menſchen danckbarkeit dahin reichte / daß nicht mehrere ſchuldigkeit uͤbrig bliebe; auf daß wir zwahr damit / was an unſerm danck aus unſerer ſchuld ermanglet / welches allezeit vieles iſt / nicht beſchaͤhmen / aber doch darin - nen die groͤſſe der wolthaten deſto mehr preiſen / daß ſie allen menſchlichen danck uͤberſteiget: deſto mehr aber beſchaͤhmet uns jegliche unſere ſaͤumigkeit in abſtattung des ſchuldigen dancks / daß da wir nach allem angewandten fleiß dannoch ſo viel ſchuldig bleiben / wir auch ſo viel manchmal desjenigen unterlaſſen / wohin noch das maaß der ertheil ten gnade wuͤrde gereichet ha - ben. Ferner iſt auch eine ſehrliebe probe eines mercklichen wachsthums / da ſie vor und uͤber ihre ſeele wachſamer als vorher iſt / welches auch das vor - trefflichſte mittel iſt / ſo wol zu huͤten / daß das gute / ſo der HErr bereits gege - ben / nicht wieder verlohren werde / als auch die vermehrung deſſelben zu be - fordern. Darinnen aber iſt ſich nicht zu verwundern / daß das zunehmen nicht ſo mercklich ſeye / wie in dem anfang. Zu der zeit / da wir zu erſt von dem HErrn gezogen werden / und zu einem heiligen eiffer kommen / wird nicht nur offters eine mehrere krafft des H. Geiſtes mitgetheilet / die ſich bey uns em - pfindlich ſpuͤhren laͤſſet / und welche auch zu legung eines rechtſchaffenen grun - des / da noch nichts von geiſtlichen kraͤfften in uns vorhanden / noͤthig iſt / da -D ddurch210Das dritte Capitel. durch der HErr auch unſerem erſten vorſatz eine rechtſchaffene krafft giebet / die aber nachmal / da der HErr fordert / daß wir nun der erſten empfangenen kraͤfften ſelbs treulich und ſorgfaͤltig uns gebrauchen / nicht immer in gleicher maaß fortgeſetzet wird / wie die treue einer Mutter das erſt gehen lernende kind mit eigener hand gaͤngelt / aber nachmal haben will / daß es allein zu gehen ſich befleiſſe; ſondern es finden ſich in der erſte bey den menſchen noch ſo viele euſſerliche und innerliche dinge / davon er ſich bald nach einander reiniget / daß der wachsthum von andern und von jeglichem ſelbs unſchwehr erkant werden kan: wo nun das erſte und meiſte erſtlich abgethan iſt / ſo hat man zwahr noch immer ſein lebtag an andern bey ſich zu reinigen / es ſind aber weder der dinge / noch ſo viel mehr / noch dieſelbe ſo ſcheinbar / wie die erſte / ſondern ſtecken tief - fer / und gehet ſchwehrer damit her / daher auch natuͤrlich zu begreiffen iſt / daß / nachdem das erſte geſchehen / der uͤbrige wachsthum nicht anders als langſa - mer geſchehen / und weniger wahrgenommen werden moͤge. Wie ein kind in den erſten jahren viel ſcheinbarer waͤchſet / da man ſo zu reden von monat oder viertheljahren des zunehmens gewahr wird; wo es aber mehrere jahre errei - chet / und ſeiner voͤlligen ſtatur naͤher kommet / ſo nimmet mans viel weniger als vorhin wahr / und gehoͤren gantze jahre dazu / ehe man etwas gleichſam mercket. Alſo auch / wo man etwas / ſo mit vielem unflath uͤberzogen iſt / rei - niget / ſo gehets gleichſam geſchwind her / und ſiher man es augenſcheinlicher / ſo lang man das groͤbere abwaͤſchet / aber biß die tieffer eingefreſſene flecken / die ſubtiler ſind / ausgerieben werden / gehets mit mehrer muͤh und langſamer daher. Weswegen / wo wir meinen ſtill zu ſtehen / oder wieder zuruͤck zu ge - hen / haben wir uns zwahr nach nechſtmaliger erinnerung auch zu pruͤfen / ob wir etwa ſolches ſelbs verurſachet / um die fchler zu beſſern / aber wo uns unſer gewiſſen zeugnuͤß gibet / daß unſer fleiß auf unſere ſeele acht zu geben / mehr zu - als abgenommen habe / ſo haben wir uns in gedult zu faſſen / indem etwa der HErr uns unſern wachsthum aus heiligen urſachen ſelbs verbirget. Fer - ner die reitzungen des fleiſches zu einiger uͤberhebung wegen der empfangenen gnaden-gaben zu fuͤhlen / iſt keine weitere anzeige / als daß wir noch in dem fleiſch / und mancherley verſuchungen unterworffen ſeyen / von denen wir fin - den auch ſo gar den theuren Apoſtel Paulum nicht frey geweſen zu ſeyn / in - dem GOtt gegen ſolches uͤbel ihme eine ziemlich beſchwehrliche artzney 2. Cor. 12. verordnet. Laſſet uns nur ſolchem des fleiſches eingeben deſto ernſtliche[r]widerſtreben / und uns vor GOTT und gegen andere ſo vielmehr demuͤthi - gen / damit wir dem fleiſch deſto weher dabey thun / ſo wird der HErr dasjeni - ge uns nicht zurechnen / deme wir uns ſelbs mit aller krafft widerſetzen. Der mangel der hertzlichen freude uͤber das gute an dem nechſten / aus was urſachẽ er entſtehet / uͤberzeuget uns doch der ſchwachheit unſerer liebe gegen GOTTund211ARTIC. II. SECTIO X. und den nechſten. Dann waͤre die liebe gegen GOTT in derjenigen voll - kommenheit / wie ſie billich ſeyn ſolte / ſo wuͤrde uns ſeine ehre / da ſie ſich an ei - nem andern offenbahret / mehr freuen / als uns dasjenige betruͤben / daß wir noch ſo viel zuruͤcke ſtehen; Nicht weniger ſolte die in einem hoͤhern grad ſte - hende liebe des nechſten bey uns ausrichten / daß wir nicht weniger freude uͤber ſein geiſtliches / als unſer heil fuͤhleten. Die reſolution des hoͤheren ſtan - des wegen ſich keiner der Chriſtlichen pflichten zu entziehen / iſt wie gerecht / alſo eines der verſicherſten zeugnuͤſſen desjenigen rechten ernſts / den goͤttliche guͤte nicht ungeſegnet / noch ſtecken laſſen kan / ſondern gewiß auch die kraͤfften und mittel zeigen wird / die noch in dem weg von dieſem und jenem werffende hindernuͤſſen endlich voͤllig zu uͤberwinden. Wann auch dieſelbe in der pruͤ - fung bey ſich befindet / nach dero wahren bekehrung ſich nicht unter welt-geſin - neten denſelben gleich geſtellet zu haben / achte ich ſolches fuͤr das faſt groͤſſeſte unter allen / was ſie bey ſich finden moͤchte / wann wir ſonderlich bedencken / daß auch dieſes ſchon einiges gleichſtellen ſeye / wo wir nicht nur allerdings mit - machen / ſondern auch / wo wir nicht bey ſolcher gelegenheit mit worten oder ge - baͤrden / wie es jedesmal muͤglich iſt / unſer mißfallen bezeugen / und mit einem ſo vielmehr von der andern eitelkeit unterſchiedenen exempel jene beſchaͤhmẽ: welches ich nicht leugne / eine von den ſchwehrſten proben zu ſeyn / und eine ſon - derbare weißheit dazu erfordert zu werden / welche wir von GOTT erbitten muͤſſen. Eben dieſelbe gehoͤret auch insgeſamt zu unſerm umgang mit dem nechſten zu deſſen erbauung / ſonderlich zu dieſen unſern verwirrten zeiten. Dann wo wir in einem andern zuſtand des Chriſtenthums / wie ſolches in dem erſten alter der Chriſtlichen kirchen geweſen / ſtuͤnden / ſo beduͤrffte es ſo viel nicht / ſondern wuͤrde jeglicher in ſeiner einfalt bey jeder gelegenheit anlaß fin - den / an ſeinem nechſten zu bauen / und ſolches allemal von dem andern mit hertzlicher danckbarkeit ohne verdruß auffgenommen werden. Weil wir aber jetzo meiſtens leute um uns haben / bey denen wenig Chriſtliches / ja offt kaum die faͤhigkeit iſt / daß man in ſolchem paß mit ihnen als Chriſten umgehe / da ſie alle vermahnungen und beſtraffungen mit verdruß auffnehmen / und man ſi - het / wie an ſtatt der erbauung gemeiniglich mehr geaͤrgert und zu mehrern ſuͤnden anlaß gegeben auch ſeye; ſo ſehe ich ſelbs offt kaum / was zu thun ſeye / und traue nicht wol / gewiſſe reglen hierinnen vorzuſchreiben / ſondern muß es dabey bleiben laſſen / daß wer ſeinem gewiſſen darinnen ein genuͤge gern thun wolte / GOTT um ſeine weißheit anruffen / und nachmal in ſeiner forcht bey jeder gelegenheit / was dieſesmal zu thun / acht geben muͤſſe / um weder einer ſeits mit unterlaſſung ſich anderer ſuͤnden / zu denen man ſchweiget / theilhaff - tig / und der verſaͤumnuͤß einiger ſeelen ſchuldig zu machen; noch andern theils die perlen vor die ſchwein wider unſers Heylands verbot Matth. 7. D d 2zu212Das dritte Capitel. zu werffen / und damit zu beroſelben verſpottung und vertretung / auch andern ſuͤnden urſach zu geben. Wie es dann ſcheinet / daß die unter wahren Chriſt - lichen bruͤdern und ſchweſtern von dem liebſten Heyland verordnete pflichten nicht gleichermaſſen uns jetzo allemal gegen alle / welche den Chriſten-nahmen tragen / verbinden / ſondern kluͤglich / was aus jeglicher ſache zu goͤttlicher ehre und des nechſten wahren beſten vor nutzen zu erwarten / oder gegen dieſelbe vor gefahr zu ſorgen / uͤberleget werden muß. Wiewol dieſelbe ihres hoͤhern ſtandes halben ſo fern in dieſem ſtuͤck vor andern insgemein einen vortheil haben / da ſie meiſtens mit ſolchen perſonen umgehen / die mit mehrerem re - ſpect dasjenige auffnehmen muͤſſen / was von deroſelben kommet / daher ſie auch zu ſo zuthanem fleiß deſto mehr pflichtig iſt. Die Chriſtliche uͤbungen mit dero untergebenen / darinnen ſie ihr prieſterliches amt treulich verrichtet / (nachdeme wie unſer theure Lutherus T. 1. Alt. f. 522. bedencklich ſchreibet: Es ſind alle Chriſten-mann pfaffen / alle weiber pfaͤffin / es ſey jung oder alt / herr oder knecht / frau oder magd / gelehrt oder laye) habe auch ſchon anderwertlich her ruͤhmen hoͤren / daher nicht zweiffle / daß der HErr ſolchen fleiß gnaͤdiglich ſegnen werde; ſo auch von grund der ſeelen anwuͤn - ſche / und in ſo heiliger arbeit nicht ermuͤdet zu werden / hertzlich bitte. Jch komme aber hiemit auf die beyde vorgelegte fragen wegen der kleidung und des confects. Das erſte betreffend / ſo wiſſen wir insgemein / daß uns ein - maldie kleidung nicht zur zierde noch gepraͤng / ſondern zur decke unſerer ſuͤnd - lichen ſchand und bloͤſſe / daher erinnerung unſeres ſuͤndlichen falles / gegeben iſt / und daher die einfalt Chriſti erfordert / daß diejenige / welche ihm angehoͤ - ren / alle ihre kleidung allein zu dem noͤthigen gebrauch der decke und beſchir - mung des leibes richten / und darinnen nichts von einiger eitelkeit oder ge - praͤng ſuchen: ohne daß der HERR nicht eben bloß verbeut / daß diejeni - ge / welche er andern in ſeinem nahmen vorgeſetzet / weil dero bey den unterthanen habender reſpect zu derſelben gehorſam nicht wenig thut / einiges mehreres anſehen des euſſerlichen aber bey dem unverſtaͤndigen volck den reſpect und voneration ziemlich mehret / auch ſamt den ihri - gen in der kleidung einiges an ſich anſehnliches haben moͤgen: welches mit gebuͤhrender beſcheidenheit / und zu ſolchen zweck wahrhafftig gerichtet / in ſich nicht ſuͤndlich iſt. Abſonderlich aber auff dero perſon und zuſtand zu kommen / ſo muß 1. das hertz immer mehr und mehr gereiniget werden von al - lem wohlgefallen an der eitelkeit und pracht / auch ſo bald etwa ein belieben auffſteigen will / hat ſich dieſelbe druͤber zu beſtraffen und zu betruͤben: ja zu verlangen / daß man doͤrffte in allen dingen bloſſer dings bey der nothdurfft bleiben / und ſeine innerliche demuth / auch durch die euſſerliche bezeugung heraus laſſen / und auch dem buchſtaben nach / und ſo weit man die wort zie -hen213ARTIC. II. SECTIO X. hen moͤchte / der Apoſtel befehl nachkommen. 1. Tim. 2 / 9. 10. 1. Pet. 3 / 3. 4. Nicht weniger daß die chriſtliche erkaͤntnuͤß dermaſſen bey allen menſchen waͤre / daß niemand des hoͤhern ſtands ſich mit dergleichen euſſerlichen be - doͤrffte einigerley maſſen eine autoritaͤt zu machen / ſondern die untergebene ſonſten das goͤttliche den Obrigkeiten angehengte bild zu erkennen und zu eh - ren wuͤßten 2. Nachdem wir aber zu derjenigen zeit leben / da um des durch - gehenden verderbnuͤß willen einige dinge wollen noͤthig ſeyn / die ſonſten we - der noͤthig noch nuͤtzlich waͤren / ſo bleibet wol einiger zimlicher unterſcheid der kleidung gegen anderen gantz gemeinen ſtand; aber wo eine demuth in dem hertzen redlich iſt / ſo wird ſie ſolchem unterſcheid wircklich allemal lieber etwas abziehen als beyſetzen / und ſich immer mit dem noch geringſten begnuͤ - gen laſſen / was ſich thun laͤſſet: nur zu dem ende / damit nicht durch eine gaͤntzliche vergleichung mit den gemeineſten andere eher geaͤrgert / ſolches fuͤr etwas affectirtes gehalten / und der verdacht geſchoͤpfft werde / ob ſetzte man das haupt-werck in dergleichen euſſerlichen dingen / und wolte insgeſamt alle ordnung der euſſerlichen ſtaͤnde abgeſchaffet wiſſen. Welcher verdacht leicht die wahre gottſeligkeit eher laͤſtern machet / als etwas gutes befoͤrdert. 3. Weil nach goͤttlichem befehl das weib dem mann unterworffen / und an deſſen willen in allem was nicht eigentlich und ſchlechter dings boͤſe iſt / gebunden iſt; ſo dann eine verſtaͤndige perſon / welche an ihrem Ehe-herrn noch vielmehr gu - tes mit chriſtlichen exempel / und auff andere weiſe mit der zeit auszurichten hoffen kan / denſelben ohne noth nicht beleidigen / oder ſein gemuͤth von ſich abwenden ſolle / und aber der ſelben geliebter Herr einiges mehreres von de - roſelben noch in der tracht fodert / als ſie lieber unterlaſſen wolte / ſo hat ſie in einer ſolchen ſache (wie kleidung an ſich etwas iſt / ſo zu den mittel-din - gen gehoͤret / und aus dem gemuͤth und abſicht des tragenden geurtheilet / gut und boͤß werden muß) ihres gemahls willen nicht mit einer haͤrtigkeit zu wi - derſtreben / damit nicht das anſehen ſeye / die vorgebende gottesfurcht wolte den befehl des HErrn in dem gehorſam der Ehe-frauen auffheben / dadurch aber das gemuͤth mehr gereitzet werde / auch in andern wichtigern dingen ſich gutem vor haben zu wider ſetzen / und alſo an ſtatt der verhuͤtung der ſuͤnden zu mehreren anlaß gegeben werde. Wie dann dasjenige was 1. Cor. 7 / 34. von einer verheuratheten ſtehet / daß ſie ſorge / wie ſie dem mann gefalle / nicht allein zu verſtehen von der gantz ſuͤndlichen complacenz, wo man einem mann mit eigentlichen ſuͤnden zu gefallen zu ſeyn / kein bedenckens hat; ſon - dern daß der Apoſtel darinnen eine unbequemlichkeit des eheſtands vor den ledigen anzeiget / daß nemlich wo jener ſchon nicht eben auſſer der furcht Got - tes gefuͤhret wird / dannoch die liebe / welche das weib gegen den mann traͤget /D d 3und214Das dritte Capitel. und der gehorſam / den ſie ihm auch ſchuldig iſt / manches mit ſich bringe / daß ſie deſſen mißfallen nicht zu mehrer ſtoͤhrung der goͤttlichen ordnung auff ſich zu ziehen / einige dinge thun und unterlaſſen muß / die ſie etlicher maſſen hin - dern an der ſorge deſſen / wie ſie ſonſten dem HErrn ohne dieſe hindernuͤß zu gefallen trachten wuͤrde. Mit welchen er gleichwol weiſet / daß der HErr um ſeiner ordnung willen / und weil er unſre ſchwachheit kennet / gedult tra - gen will / indem der Apoſtel des wegen die ehe nicht verbeut. 4. Jndeſſen iſt dieſelbige ſchuldig / mit freundlichen bitten und vernuͤnfftiger begegnuͤß im - mer dahin zu trachten / wie ſie ihren geliebten Herrn mehr und mehr dahin vermoͤge / ihro eine mehrere freyheit zu geſtatten / nach der begierde ihrer ſee - len auch in dieſem ſtuͤck leben zu doͤrffen und nichts tragen zu muͤſſen / da er ſelbs ſehe / daß es ihr mehr ſeufftzen als freude mache. Ein ſolches mit chriſt - licher klugheit (daß es nicht ein zwang oder eigenſinn ſcheine) brauchendes offteres anhalten / ſonderlich etwa wo man eine zeit be mercket / da entweder wegen einer von GOtt zugeſandten truͤbſal / oder bey anderer gelegenheit das gemuͤth mehr dazu geſchickt iſt / etwas aus anſehen auff GOtt einzugehen / kan nach und nach mehr erhalten werden / als man erſtlich gehofft / oder wo mans zur unzeit abnoͤthigen wollen / auszurichten vermocht haͤtte. Hiezu gehoͤret auch ein eiffriges gebet zu dem HErrn / welcher nicht nur unſer hertz / ihm ſtaͤts zu gefallen zu ſeyn / ſondern auch anderer uns darinnen nicht zu hin - dern / regieren wolle; ja vielmehr mit gleichem eiffer zu beobachtung aller chriſtlichen pflicht / nach den regeln unſers Heylandes auch zu erfuͤllen: wel - ches gebet / weil es ja nach dem willen GOttes geſchihet / nicht vergebens ſeyn kan / ſondern zu ſeiner zeit die krafft deſſelben ſich offenbahret. 5. Will auch noͤthig ſeyn / ſo offt ſie dasjenige / ſo ſie lieber ablegen / und ſich einer einfaͤlti - gen demuth befleiſſen wolle / anziehen und tragen muß / allezeit ſich vor dem HErrn des wegen zu demuͤthigen / uͤber das elend unſers heutigen zuſtandes (da nach Rom. 8 / 19. u. f. die creatur wider ihren willen der eitelkeit unter - worffen iſt / aber mit gedult der erloͤſung erwarten muß / unter denen auch die des Geiſtes erſtlinge haben uͤber eine gemeinſchafft dieſer knechtſchafft / die ſie auch noch mit betrifft / ſeufftzen / und nach der herrlichen freyheit der kinder GOttes ſich deſto mehr ſehnen) von grund der ſeelen zu ſeufftzen / den HErrn / daß er doch unſer hertz vor allen wohlgefallen an ſolcher eitelkeit / und andere / daß ſie nicht aͤrgernuͤß von uns nehmen / hertzlich anzuruffen / und alſo in al - len ſtuͤcken vor GOtt / auch ſo viel geſchehen kan vor menſchen / zu bezeugen / wie mans ſo hertzlich gern anders haben wolte. Wie dergleichen etlicher maſ - ſen auchan dem exempel deꝛ Eſther erhellet / da dieſelbe vor GOtt aufftreten und ſagen darff: du weiſeſts / daß ichs thun muß / und nicht achte denherr -215ARTIC. II. SECTIO X. herrlichen ſchmuck / den ich auff meinem haupt trage / wenn ich pran - gen muß / ſondern / halte es wie ein unrein tuch / und trage es nicht auſ - ſer dem gepraͤnge. Wo ein ſolches hertz iſt / ſo gefaͤllt es GOtt bey aller euſſerlichen tracht des leibes / welche der gehorſam aufferleget / und der HErr wird demſelben gnaͤdig ſeyn / auch mehr und mehr ruhe und huͤlffe ſchaffen / in allen ſtuͤcken nach dem zeugnuͤß des gewiſſens leben zu doͤrffen. Was ferner den andern punct des Confects anlangt / ſo iſts wahr / daß heut zu tag gleich - fals ein groſſer ſtaat / und auch weltliche eitelkeit darinnen ſtecket / welche in gegenwaͤrtiger bewandnuͤß nicht ſo ſtracks von jemand / der es zwahr er - kennet / um anderer willen abgeſtellet werden kan / ob es wol vor andern noch leichter erkant wer den ſolte / da ſo groſſe koſten dazu erfordert werden / welche an ſo viel anderes beſſeres angewendet werden koͤnten und ſolten; ſo dann da es eine ſache iſt / welcher gebrauch der menſchlichen geſundheit eher ſchaden als vortheil bringet. Nachdem ich aber noch nicht ſehe / wie ſolches ſich auff einmal ſonderlich / abſchaffen lieſſe / laſſe ich mir dasjenige mntel noch beſtens gefallen / welches dieſelbige ſelbs gefunden / es bey demjenigen zu laſſen / was ſie mit eigenem fleiß machet / wodurch nicht nur allein ein groſſes der koſten erſpahret / und ſolches etwa gelegenheit geben wird / deꝛ ſache je laͤnger je mehr um dero muͤhe zu ſchohnen / abzubrechen / und allgemach abgehen zu laſſen: ſo mag auch die fleißige verwahrung bey dem abtrag deſſelben von der taffel et - was an arbeit und koſten erſpahren. Aus allen aber werden ſie erkennen / in was betruͤbten zuſtand und verfall wir ſtehen / da eine ſeele / welche willig waͤ - re / ihrem Heyland treulich nachzufolgen / ſo viel umſtaͤnde bedarff / zu uͤberle - gen / wie ſie es machen muͤſſe / daß ſie ungehindert ſeinen geboten nachlebe / da ſonſten / wo man gerade durchgehen koͤnte / und auff nichts anders neben ſich reflectiren muͤſte / dieſelbe mit ſo viel hertzlicheꝛem veꝛgnuͤgen / in den wegen ih - res JEſu wandlen / und dabey viele ruhe finden wuͤrde; da man hingegen in dem gegenwaͤrtigen ſich ſo quaͤlen und aͤngſten muß / und doch dabey noch manchmal viele ſorge hat / ob des HErrn willen damit ein genuͤge geſchehe. Deßwegen ſchließlich / da dieſelbe ferner chriſtlichen rath verlanget / dieſen ei - nigen noch hinzu ſetze / als ein recht nuͤtzliches mittel zu mehrer gnaden-erlan - gung / daß wir doch alle unauffhoͤrlich zu dem HErrn ſeufftzen / uͤber nicht nur unſer / ſondern des geſamten welt-weſens / ja auch der kirchen / unausſprech - lich groſſes elend / und des HErrn barmhertzigkeit daruͤber anruffen / daß er dermaleins mit erbarmenden augen uns anſehen wolle. Alſo zeiget Paulus Rom. 8. daß dasjenige / weilen die creatur (auch die kinder GOttes ſelbs) allhier der eitelkeit wider ihren willen noch ſo ſehr unterworffen ſeyn muß / und ſich daruͤber nicht anders als eine gebaͤhrende aͤngſtet und windet / zu we -ge216Das dritte Capitel. ge bringe / daß ſie hertzlich ſeufftzen und verlangen um die erloͤſung und nach der herrlichen freyheit der kinder GOttes. Nun iſt es zwahr an dem / daß ſol - che freyheit erſt vollkommen ſeyn wird in jener ewigkeit / wie auch daſelbs von der erloͤſung unſers leibes gehandelt wird: indeſſen / weil gleichwol die ſchrifft annoch in dieſer welt den glaubigen einige zeit und friſt verheiſſen hat / da dieſelbe mit mehrer freyheit und ungehinderter ihrem GOtt dienen / auch die erkaͤntnuͤß und krafft des Geiſtes ſich viel weiter ausbreiten und ſtaͤrcker offenbahren ſolle / da alſo die vorige dienſtbarkeit auffs wenigſte zim - licher maſſen erleichtert / und ein treflicher grad der freyheit gegeben werden ſolle / wo nemlich das dem HErrn feindſelige Babel / von deme das verderben auch in alles andere ſich ergoſſen hat / wird in ſeinem gericht verſtoͤhret ſeyn / und der braut des HErrn / dem himmliſchen Jeruſalem hie auff erden / einige erquickung gegoͤnnet werden. So haben wir ja inniglich zu beten / daß der HErr Zion wieder[b]aue / und derſelben bruͤche heile / daß er was ungleich iſt / eben / und was hoͤckericht / gleich machen / und das jaͤmmerliche winſeln ſeiner auserwehlten an allen orten mit gnaden bald erhoͤren wolle. Werden ſie alſo wolthun / wo ſie taͤglich oder zu gewiſſer zeit ſich in ihrer einſamkeit vor GOtt ſtellen / und in ſeiner furcht ſich das ſchreckliche verderben in allen ſtaͤn - den / ſo ich hoffe / ihr zimlich bekant zu ſeyn / ausfuͤhrlich vorſtellen / wie es in dem ſo genannten geiſtlichen / weltlichen und hauß-ſtande hergehe / nicht ſo wol was das zeitliche betrifft / als wie ſo gar alles bey allen den regeln und befehl Chriſti / da dieſe recht in der wahrheit erkant werden / nicht weniger entgegen ſeye / als faſt die finſternuͤß dem liecht entgegen zu ſeyn erkant wer - den mag: wie uͤber dieſes der nahme des HErrn ſo maͤchtig entheiliget / die wuͤrde der chriſtlichen lehr bey den unglaubigen beſchimpffet und gelaͤſtert / ſo viele ſeelen / die gleichwol der HErr auch zu ſeinem eigenthum erkauffet / in die verdammnuͤß geſtuͤrtzet / auch andere / welche noch dem verderben zu ent - rinnen ſich bemuͤhen / in groſſe gefahr gefuͤhret / und offt faſt mit dem andern ſtrohm hingeriſſen werden / auffs wenigſte mit ſolcher vielen hindernuͤß in dem wege der gottſeligkeit ſich auffgehalten ſehen / und mit aͤngſten ihr heil ſchaffen muͤſſen. Wo ſie nun ſolches ſich recht vorgeſtellet / und ihr hertz dar - uͤber mit wehmuth / eiffer vor GOttes ehre / welche ſo ſchrecklich leiden muß / und erbarmender liebe des nechſten erfuͤllet / gleichſam warm worden / ſo ſtelle ſie ſich entweder allein oder mit den ihrigen / die ſolches begreiffen koͤnnen / vor das angeſicht des HErrn / ſchuͤtte ihre klage in kindlicher einfalt und weh - muth vor demſelben aus / ruffe ihn flehentlich an / daß er nicht nur allein ſeine gerichte mit groſſer barmhertzigkeit mildern / ſondern ſolchem verderben ſteu - ren / und diejenige huͤlffe zur allgemeinen beſſerung ſchaffen wolle / dazu al - ler menſchen krafft viel zu wenig iſt / und er auch die art / wie er ſie ins werckſtellen217ARTIC. II. SECTIO X. ſtellen muͤſſe / nicht erſt von uns / daß wir ſie ihm vorſchreiben muͤſten / lernen darff. Sie verſichere ſich / es ſeye dieſe uͤbung eine von den heiligſten / die wir zu dieſer zeit anſtellen moͤgen. Dorten Ezech. 9 / 4. werden diejenigen mit einem zeichen an ihren ſtirnen gezeichnet / folglich auch in den ſtraff-gerichten geſchonet / welche ſeufftzen und jammern uͤber alle greuel / die ſie zu geſchehen ſehen / und nicht helffen koͤnnen. So verſpricht auch der HErr Luc. 18 / 7. wann ſeine auserwehlte tag und nacht zu ihm ruffen / daß er ſie retten und gedult erzeigen wolle. Alſo laſſet uns unauffhoͤrlich zu dem HErrn ruffen / biß er die zeiten ſeines gerichts verkuͤrtze / und mit ſeiner huͤlffe ſeine e - lende / ſeine arme gefangene / ſeine troſtloſe / erfreue und erloͤſe. Gewißlich / ob wol alles gebet / welches wir fuͤr unſere eigene noth und der unſrigen anli - gen vor GOtt in dem glauben thun / ihm angenehm und gefaͤllig iſt / ſo iſt doch dasjenige / was fuͤꝛ ſolche gemeine noth aus eiffer fuͤr die ehre des Herꝛn uñ er - barmen uͤber das elend der menſchen geſchihet / ihm ſo viel gefaͤlliger / als rei - ner es iſt von aller eigenen und ſelbs liebe / ſo ſich ſonſten auff ſubtile art in unſer gebet fuͤr uns ſelbs mit einſchleicht / und etwa deſſen werth vor GOtt geringer macht. Auch bin ich verſichert / je hertzlicher wir fuͤr das geſamte gemeine weſen und das reich Chriſti beten / und ſo zu reden unſeres eigenen darinnen vergeſſen / ſo viel reichlicher wird uns GOtt auch das uns noͤthige geben / das wir auch andern mit ſolchem ernſt gebeten haben: Er wird auch anderer bruͤder gebet fuͤr uns / weil wir damit uns ſo viel feſter in ihre gemein - ſchafft ſetzen / deſto kraͤfftiger fuͤr uns erhoͤren / biß die zeit ſeye / daß er die ver - ſtreuete kinder GOttes naͤher zuſammen bringe / wo ſie mehr freud an einan - der haben moͤgen / als ſie jetzo mit betruͤbnuͤß fuͤr einander zu ſeufftzen noͤthig haben. Ach der HErr gebe uns zu allem ſolchen auch den Geiſt der gnaden / und des gebets / damit unſere ſeufftzen moͤgen vor ſeinem gnaden thron tuͤgen / und in der krafft der fuͤrbitte unſeres theuren JEſu das allen noͤthige erlan - gen. Nun dieſem treuen himmliſchen Vater / dem Vater der barmhertzigkeit und GOtt alles troſtes / dieſem allerliebſten Heyland und Ehren / Koͤnig / die - ſem allerheiligſten Geiſt und troͤſter empfehle ſchließlichen deroſelben liebe perſon / ſamt wehrteſten gemahl und gantzem hauſe / zu ewiger gnade / zu be - feſtigung und fortſetzung des angefangenen guten / zur krafft ſeinen willen zu thun / zu ſuͤſſem geſchmack ſeines friedens und freuden / zuvielem ſeegen in dem jenigen / worinnen ſie ſeinen willen zu thun verlanget / zu uͤberwindung der welt / zu ertragung alles demſelben beliebigen creutzes / zu aller uͤbrigen dieſes lebens / als viel ſeine guͤte nuͤtzlich befindet / wohlfarth. 1685.

E eSECTIO218Das dritte Capitel.

SECTIO XI. An eine hoͤhere Standes-perſon wegen der kleider.

DAs ſchreiben ſelbs angehende / wie mich vorhin der todes-fall des S. jungen Herrn zu chriſtlichem mitleiden bewogen / ſo habe ich doch hin - wieder aus gethanem bericht urſach / die himmliſche guͤte zu preiſen / die bey noch ſo zartem alter ihre gnaden-wirckungen in dero ſeele / die ſie bald in die ewigkeit verſetzen wolte / dermaſſen kraͤfftig erzeiget / daß es auch zu ande - rer troſt und auffmunterung gereichet. Er wolle / was durch ſolches anſe - hen damals die hertzen geruͤhret / ſo viel tieffer noch immer weiter laſſen ein - getruckt werden / zu kraͤfftiger verachtung alles irrdiſchen / und was uns zur ſtunde des abſchieds keinen troſt geben kan / zu einer ſeligen begierde der voll - kommenheit / in welche die an jahren juͤngere vor uns einzugehen gewuͤrdiget werden / und zu einer ſorgfaͤltigen bereitung auff denjenigen wechſel / welcher uns mit allen vorangeſchickten ſeligen wiederum vereinigen ſolle. Was dero - ſelben mir vorgeſtelltes anligen betrifft / iſt mir ſolches einstheils ein ange - nehmes zeugnuͤß der chriſtlichen ſorgfalt / in nichts wider die gebote des HErren zu thun / andern theils eine anzeige / daß ſolche in dieſer ſache noch zu keiner feſtigkeit gelangen habe koͤnnen. Da ich ſo wohl den himmliſchen Vater demuͤthigſt anruffe / die ſeele und gewiſſen auch in dieſer ſache zu einer gewißheit und ruhe zu bringen / auff daß ſie inskuͤnfftige ihrem GOtt ſtaͤts mit ſo viel mehr freudigkeit / welche durch allen zweiffel niedergeſchlagen wird / zu dienen geſchickt ſeye: als auch bitte / mehr und mehr dahin zu trach - ten / damit das gemuͤth zu einer feſtigkeit komme / durch hertzliches gebet und gottſelige uͤberlegung; allezeit aber ſich zuhuͤtẽ / widerdas gewiſſen niemal mit willen zu thun. Was ich vor dem in der materie von den kleidern geſchrieben habe / ligt mir nicht vor augen / noch kan mich alles erinnern. Daher itzo al - les von grund aushohlen muß / was die ſache erfordert. Da ich denn dieſe ſaͤtze vorſtelle. 1. Unſer Chriſtenthum ſtehet an ſich ſelbs in nichts euſſerli - ches / oder zu dem euſſerlichen menſchen gehoͤrendes / ſondern in dem innern menſchen und neuen creatur. Jn Chriſto JEſu gilt weder beſchneidung noch vorhaut etwas / ſondern eine neue creatur. Galat. 6 / 15. oder der glaube / der durch die liebe thaͤtig iſt / Gal. 5 / 6. Daher einen Chriſten nichts beflecken kan / was auſſer ihm iſt / ſo fern und wie es auſſer ihm iſt / daß ſeine ſeele und inneres nichts damit zu thun hat. Da heiſt es nicht nur von eſſen und trincken / Matth. 15 / 11. was zum munde eingehet / verunrei - niget den menſchen nicht / ſondern was zum munde ausgehet (das nem - lich aus dem hertzen kommt v. 19.) das verunreiniget den menſchen. 1. Cor. 219ARTIC. II. SECTIO XI. Cor. 8 / 8. die ſpeiſe fodert uns nicht vor GOtt. Eſſen wir / ſo wer - den wir darum nicht beſſer ſeyn / eſſen wir nicht / ſo werden wir dar - um nicht weniger ſeyn. Alſo daß wir uns ſolten laſſen gefangen nehmen / von denen die da ſagten Coloſſ. 2 / 21. du ſolt das nicht angreiffen / du ſolt das nicht koſten / du ſolt das nicht anruͤhren / und Rom. 14 / 17. das reich GOttes iſt nicht eſſen und trincken / ſondern gerechtigkeit. etc. Sondern die art des Chriſtenthums zeiget uns / daß dergleichen auch von allen andern euſſerlichen dingen / und alſo auch von den kleidern wahr / nem - lich daß keine an und vor ſich ſelbs ſuͤnde ſeyen: ſie ſind je alle GOttes gute geſchoͤpffe / und keines geſchoͤpffes gebrauch an und vorſich ſelbs dem menſchen verboten / ſondern wo eine ſuͤnde in ſolcher ſache begangen wird / muß ſie in et - was anders beſtehen / ſo in der ſeele des menſchen iſt / oder vorgehet / welcher ſolches euſſerliche gebrauchet. 2. Daher freylich auch in dem euſſerlichen geſuͤndiget / und daſſelbe uns zur ſuͤnde werden kan / wo nemlich etwas unor - dentlich und nicht mit demjenigen hertzen geſchihet / wie es geſchehen ſolle / mit wenigem / wo der ordentlichen liebe GOttes / unſer ſelbs / und des nechſten entgegen iſt / wie wir mit ſolchem euſſerlichen umgehen. Dahero bleibet die haupt-regel / was auch in dem euſſerlichen / folglich in den kleidern / der liebe GOttes / unſer ſelbs und des nechſten entgegen iſt / das iſt ſuͤnde / nicht daß die ſuͤnde in dem kleide ſteckte / ſondern weil das hertz nicht recht ſtehet / deſſen ſuͤnde die kleider und tracht befleckt / die an ſich ſonſt nicht ſuͤnde ſind. 3. Wo man denn betrachtet / wie die ſeele an den kleidern ſuͤndigen koͤnne / finde ich deroſelben unterſchiedliche arten: als wo man die kleider alſo machen laͤſſet / daß ſie bey andern einige unkeuſchheit reitzen / damit aber gemeiniglichen auch die innere geilheit zuerkennen geben; dergleichen geſchihet durch ſolche entbloͤſſung / die der gewoͤhnlichen landes-art nicht gemaͤß iſt / und alſo die luͤ - ſte bey andern erreget: es beſtehet aber die ſuͤnde nicht eigentlich in dem kleid / ſondern ſo wol in der eigenen unreinigkeit des hertzens / als auch aͤrgernuͤß der andern / welches wider die liebe ſtreitet: man kan ſich ferner verſuͤndigen mit koſtbarkeit derſelben / da man alſo dasjenige dadurch an wird / was rechts - wegen nuͤtzlicher ſolte angewendet werden / da ſtehet abermal die ſuͤnde in der uͤbelen verwaltung der von GOtt anvertrauten irrdiſchen mittel / und alſo in einem mangel der liebe. Man kan ſich auch verſuͤndigen mit allzuvielem fleiß und arbeit / ſo man daran wendet / und alſo die zeit / davor wir GOtt re - chenſchafft zu geben haben / unnuͤtzlich durchbringet: die gemeinſte ſuͤnde aber mit den kleidern beſtehet in dero pracht / und iſt eigentlich eine hoffarth / wol - gefallen an ſich ſelbs und begierde andern zu gefallen / welche eitelkeit der in - nern art des Chriſtenthums allerdings entgegen iſt / da daſſelbe eine ſolcheE e 2ſeele220Das dritte Capitel. ſeele fordert / die keine eitelkeit liebe / an nichts dergleichen ihre ſondere freude ſuche / oder es hoch achte / vielweniger in etwas andern ſich vorzuziehen trach - te: als welches die uns gebotene demuth / verleugnung unſer ſelbs und be - ſcheidenheit iſt. 4. Wenn demnach von kleidern gefragt wird / ob ſie ſuͤnd - lich oder nichtſeyen / ſo folget der ausſpruch nicht ſo wohl aus der betrach - tung der kleider an ſich ſelbs (es waͤren denn trachten / diean ſich ſelbs etwas garſtiges und leichtfertiges an ſich haͤtten) als aus der bewandnuͤß des ge - muͤths und der urſach / warum man ſie ſo und ſo traͤgt: iſt nun dieſe dem Chri - ſtenthum gemaͤß / ſo iſt das kleid unſtraͤflich / nicht aber wo die urſach mit dem - ſelben ſtreitet. 5. Weil ſich aber die menſchen ſehr offt in dergleichen dingen ſchmeicheln / ſo iſt wohl zu beobachten / daß um ein rechtes urtheil zu formi - ren / man ſich ſehr genau und ſorgfaͤltig pruͤfen muß / ſo bald bey einem kleid / ob es unſerm Chriſtenthum zuwider oder nicht ſeye / ein zweiffel entſtehe: was die rechte wahre urſache ſeye / nicht aber / womit wir etwan andere / oder wol gar uns ſelbs / uͤberreden wollen / daß dieſes die rechte urſache ſeye / oder nicht. Denn weil GOtt nichts / auch nicht der grund unſerer ſeelen / verbor - gen iſt / ſihet er ohnfehlbar / wodurch unſer gemuͤth bewogen werde / oder wo - durch wir ſelbs glauben wolten / daß es die urſache ſeye / um nemlich uns zu entſchuldigen: daher kan durch dieſes ihm das auge nicht verkleibet werden.

6. Wo man dann von praͤchtigen kleidern redet / ſo iſt nun die gemeinſte urſach / wo mans recht unterſuchet / diejenige unordentliche ſelbs-liebe / daß der menſch ſich ſelbs ſo hoch haͤlt / daß er auch ſeinen madenſack mit einer ſol - chen decke will bedecket haben / die ihm ein ſolches anſehen mache / daß andere zu einer ehrerbietung gegen ihn bewogen werden / erhaͤlt ſich alſo deſſen wuͤr - dig / hat gefallen an ſich ſelbs / ſuchet ſich andern vorzuziehen / und ſuchet alſo ſeine wuͤrde in einer an ſich ſelbs eitelen ſache. Wo alſo dieſe dinge in dem her - tzen ſind / da ſind ſie nicht nur an ſich ſuͤnde / ſondern machen auch zur ſuͤnde / was man aus dteſeꝛ bewegenden uꝛſache thut. Ob nun wol die meiſten pꝛaͤcht - linge nicht gern dieſe urſache an ſich kommen laſſen wollen / ſondern allerhand urſachen der bequemlichkeit / der gewohnheit oder dergleichen vorwenden / warum ſie ſich koͤſtlich tragen / ſo wird doch / wo man in ſie tringet / daß ſie auf alle einwuͤrffe antworten ſollen / gewißlich endlich heraus kommen / es ſeye die urſache gedachte eitelkeit / hoffarth und ſelbs-liebe geweſen: wodurch alſo ihre kleider durch die unordentliche luſt und hochmuth ihrer ſeelen / ihnen verunreiniget und zur ſuͤnde werden / welche ſonſt nichts unreines oder ſuͤnd - liches an ſich haͤtten. 7. Unter den urſachen / welche die kleider / die da ſchei - nen etwas uͤber die nothdurfft an ſich zu haben / unſuͤndlich machen / finde ich vornemlich zwo / welche wichtig ſind / nemlich der unterſcheid der ſtaͤnde / und der geborſam gegen Obere / die zu befehlen haben. Die erſte anlan -gend /221ARTIC. II. SECTIO XI. gend / weiß ich wol / daß ſie der gewoͤhnliche deckmantel des prachts zu ſeyn pfleget / und insgemein viel zu weit ausgedaͤhnet wird / daß ſich alles mit dem ſtande entſchuldigen will. Dieſen mißbrauch billige ich nun nicht: indeſſen wird die ſache hoffentlich jedem klahr in die augen leuchten / welcher ſie mit bedacht erweget / daß nehmlich einiger unterſcheid der kleider auch von dem ſtande herkommen moͤge. GOTT hat nach ſeiner weißheit die ſtaͤnde in ge - wiſſe ordnungen unterſchieden / daß einige regenten / andere unterthanen / eini - ge herren / andere knechte / und ſo fortan / ſind. Dieſer unterſcheid aber beſte - het nicht allein in bloſſen nahmen / ſondern die nahmen ziehen auch gewiſſe wuͤrden und pflichten unter einander nach ſich. Jnsgeſamt aber iſt denen unteren und geringern gegen die obere einige unterwerffung / demuͤthigung und ehrerbietung anbefohlen. Wie denn nun den obern dergleichen von den unteren anzunehmen (jedoch daß das hertz alle zeit in demuth bleibe / und nur auf goͤttliche ordnung ſehe) nicht verboten iſt / als welches vielmehr zu der goͤttlichen ordnung gehoͤret / alſo iſt auch goͤttlichem willen dasjenige nicht bloß dahin zu wider / was von den obern zu erhaltung ihres reſpects bey den untern (da ſo viele einfaͤltige meiſtens etwas dergleichen euſſerliches / ſo ih - nen in die augen leuchtet / beduͤrffen) gebraucht zu werden / dienſam iſt: Dazu denn auch ein unterſcheid der kleider / welcher allen zu erſt in die augen faͤllet / gehoͤret / und deswegen GOTT nicht zu wider ſeyn kan. Wie alſo zu des euſſerlichen ſtandes und lebens zierde und befoͤrde - rung gehoͤret / daß man zum exempel mann und weib / frauen und jungfrauen / herren und diener / knechte und maͤgde / die jedes orts in wuͤrden ſtehende oder nicht ſtehende / ſo bald an dem anſchen etlicher maſſen erkenne / indem ſonſt vieles unziemliche und confuſion entſtehen wuͤrde; ſo ſind die kleider das fuͤglichſte mittel / und eben nicht allein / was die form derſelben an - langt / ſondern auch die materie und alſo koſtbarkeit: Wer alſo prætendiren wolte / es doͤrffte niemand keine andere kleider tragen / als ſo viel bloſſer dings zu der decke und ſchutz nothwendig iſt / auch aus der geringſten und ſchlechteſten materie der zeuge / der wuͤrde damit fordern / daß denn alle / herr und knecht / bauer und fuͤrſt / in grobem ſack tuch und in nicht mehreren ſtuͤcken des kleides / als die euſſerſte nothdurfft erforderte / auffgezogen kaͤmen: Welches aber vielleicht jedeꝛman ſo ungeꝛeimt zu ſeyn erkeñen wiꝛd / daß es der wideꝛlegung nicht bedarff. Alſo bleibet ein unterſcheid der ſtaͤnde / auch in den kleidern / und wer demnach in einem ſolchen kleide gehet / das vor andern geringern ei - nen vorzug hat / ſein hertz aber haͤnget nicht anders daran / als daß ers traͤget / als ſo zu reden zu einem zeichen des ſtandes / worein ihn der HErr geſetzt / ver - ſuͤndiget ſich damit nicht / aber das hertz muß wahrhafftig alſo wie geſagt be - wandt ſeyn / und kein hochmuth oder uͤberhebung des ſtandes in demſelbenE e 3ſtecken.222Das dritte Capitel. ſtecken. Daher wo das hertz rechtſchaffen iſt / ſo wird ein ſolcher menſch nicht eben allen unterſcheid ſeines ſtandes in den kleidern hindanſetzen / ſondern ſich deſſen gebrauchen / als viel er ihn um anderer willen noͤthig findet / hingegen damit er ſich nicht ſelbſt betriege / ſein hertz offtmal pruͤfen / mit was wolgefal - len es etwan an etwas ſeiner kleider haͤngen moͤchte / um ſeine tuͤcke bey ſich ſelbs abzuſtraffen / und auch an den kleidern ſeines ſtandes ſo viel einziehen und abbrechen / als es noch moͤglich iſt / nimmermehr aber das geringſte uͤber denſelben ſich geluͤſten laſſen / oder auch ſich deſſelben um der darinnen ſuchen - den freyheit auffs euſſerſte gebrauchen / als welches ſo bald einen hochmuth und gefaͤlligkeit an ſich ſelbs andeutete / welche allerdings unrecht iſt: ja wo die wahre demuth iſt / wird der menſch ſich ſolches mehr vor eine laſt halten / wo ſolche euſſerliche or dnung ihn zu etwas mehrers noͤthiget / und lieber wuͤn - ſchen / ohne anderer anſtoß und unordnung viel geringer gehen zu duͤrffen. 8. Die andere urſache iſt / der gehorſam / hat aber insgemein jene erſte in ſich / und beſtehet darinnen / daß eine chriſtliche perſon / welche / da es in ihrem bloſ - ſen willkuͤhr ſtuͤnde / am liebſten in der geringſten tracht einher gehen moͤchte / auf den befehl derjenigen / welche uͤber ſie eine gewalt haben / ſich ſtattlicher kleider / ſo dem euſſerlichen ſtand gemaͤß / gebrauchen muß. Dieſe urſach / wo ſie in der wahrheit und nicht nur ein vorwand iſt / machet dergleichen kleider einigen Chriſtlichen perſonen / welche in dergleichen ſtande ſind / erlaubt / in - dem ſonſten von anderen / die ſie aus eigener wahl und willen truͤgen / die Chriſtliche beſcheidenheit und modeſtie uͤberſchritten wuͤrde / und ſie andern alſo vorkommen moͤchten. Wie ich aber auch in dem tractat von natur und gnade gezeiget / wird dabey erfordert / daß das hertz bey aller ſolcher tracht ſei - ne unwuͤrdigkeit und niedrigkeit vor GOTT erkenne / und ſich ja des ſtandes nicht uͤberhebe / noch ſich andern bey ſich ſelbs vorziehe / noch eigenen gefallen an ſeinem vorzug / ſo dann ſolchen kleidern / habe / vielmehr ſie vor eine laſt hal - te / deswegen ſtets ſo viel noch in eigener macht ſtehet / zuruͤcke halte und abbre - che / ſo dann alles aͤrgernuͤß anderer nach beſtem vermoͤgen verhuͤte. Wo aber ein ſolches hertz wahrhafftig iſt / wie das bekante exempel der Eſther bezeuget / da ſind die an ſich ein praͤchtiger anſehen habende kleider nicht ſuͤndlich / noch koͤnnen eine demuͤthige ſeele vor GOTT verunreinigen: Daher auch ſolche perſonen von andern nicht freventlich beurtheilet werden doͤrffen. Und gilt hinwieder nicht einzuwenden / daß man GOTT mehr als menſchen gehorchen muͤſte / indem ſolche regel freylich nicht zugibet / daß etwas an ſich boͤſes we - gen der menſchen autoritaͤt begangen / noch etwas nothwendiges gutes um des verbots willen unterlaſſen wuͤrde / was aber ſolche dinge anlanget / welche von GOTT nicht eben an ſich ſelbs geboten oder verboten / ſondern unter die mittel-ding gehoͤren / koͤnnen einige derſelben / ſo aus eigener wahl ſuͤndlichwuͤrden223ARTIC. II. SECTIO XI. wuͤr den geweſen ſeyn / durch der obern befehl von der ſchuld befreyet werden. 9. Was den ſcrupel anlanget / uͤber die worte der lieben Apoſtel Pauli 1. Tim. 2. und Petri 1. Pet. 3. von dem tragen goldes / ſilbers und perlen / meine ich nicht / wo die worte recht erwogen werden / daß dieſelbe das gewiſſen einer perſon aͤngſten ſollen / welche von dergleichen keinen ſtaat machet / ſon - dern aus anderen dem Chriſtenthum nicht widrigen urſachen dergleichen traͤ - get. Alle beyde Apoſtel reden eigentlich davon / wormit ſich Chriſtliche weiber ſchmuͤcken / und alſo worinnen ſie ihren ſchmuck ſuchen ſollen. Da heiſſet es freylich / keine Chriſtliche weibes-perſon mag in gold / ſilber / per - len oder koͤſtlichem gewand ihren ſchmuck ſuchen / ſondern welche dieſes thut / weiſet dadurch die eitelkeit ihres ſinnes und wohlgefallen an ihrem maden - ſack / und ſuͤndiget alſo / welches wir nicht gleicher maſſen von derjenigen ſagen koͤnnen / welche aus noth oder gehorſam / oder was dergleichen eine redliche urſache ſeyn moͤchte / in dergleichen erſcheinet / da ſie wol in ihrer ſeelen derglei - chen nicht achtet / ſondern vielmehr an ſolcher dienſtbarkeit einen verdruß hat / und ſie vor eine laſt haͤlt / als auch indem ſie ſolche dinge traͤget / als viel muͤg - lich iſt / alles auch ſo einrichtet / daß wer acht geben will / mercken kan / wie weit das hertz von der hochachtung ſolcher dinge ſeye. Daher ſtehet ſo bald bey Petro der rechte ſchmuck / welcher ſeyn ſolle der verborgene menſch des hertzens unverruckt mit ſanfftem und ſtillem geiſt: Damit Chriſtliche weiber auf das innere gewieſen werden / worinnen ſie ihren ſchmuck ſuchen ſol - len. Was alſo dieſem innern zu wider iſt als alles wohlgefallen an der eitel - ke it / alle begierde bey andern angeſehen zu werden und aller hochmuth / iſt Chriſtlichen weibern allerdings verboten: Was aber ſolchem innern men - ſchen nicht zu wider iſt / und alſo ein tragen ſolcher dinge / dero liebe in das hertz nicht kommen darff / ſo nur an dem leibe klebet / iſt ſo fern unſtraͤfflich / und kan von den lieben Apoſteln nicht verboten ſeyn / nachdeme die gantze natur des Chriſtenthums / nach oben angefuͤhrtem / alle euſſerliche dinge / ſo ferne ſie die ſeele nicht in unordnung ſetzen / und der liebe GOttes / des nechſten und un - ſer ſelbs nicht zu wider ſind / uns frey machet. Nach welcher regel alle befehl zu achten und zu verſtehen ſind. 10. Aus welchem allem ſchlieſſe ich billich / da ich weiß / und von deroſelben nochmal verſichert werde / daß ſie an allen din - gen / was nur einen ſchein des prachts hat / in ſich ein mißfallen trage / ſich auch nicht nur von vielem / ſo ſonſten bey dero ſtande herkom̃ens / ſelbs abgezogen / ſondern auch von dero geliebteſten gemahl deſſen erlaubnuͤß erlanget habe / auch alles uͤbrigen nach der welt ſchmeckenden befreyet zu ſeyn wuͤnſchete / ſo mir in dieſem ſtuͤck genug dazu iſt / zu erkennen / daß ihre ſeele vor GOTT richtig ſtehe / daß dieſelbe / nachdem ihr doch nicht zugegeben werden will / daßſie224Das dritte Capitel. ſie von anderen ihres gleichen allzu unterſchieden ſeye / und alles / was den ſchein einiges prachtes haben moͤchte / ſchlechterdings ableg en ſolte / anderem willen hierin wol fuͤgen / ſolche laſt / dero anſehen ſie hoffentlich mehrmal eher demuͤthigen als erheben wird / auf ſich nehmen und behalten / indeſſen uͤber ihre ſeele ſelbs und uͤber das innere ſo viel wachſamer ſeye / dieſer dienſibarkeit zur gelegenheit mehreres guten bey andern und ihrem HErrn ſich gebrauchen / und ferner die regierung GOttes uͤber ſich abſehen und beobachten moͤge und ſolle. Welchen meinen ſchluß aus obigem ſelbs zuflieſſen / und ferneres er - weiſes nicht noͤthig zu haben mich verſehe. 11. Jndeſſen wird auch allerdings noͤthig ſeyn / daß dieſelbe eben auch darinnen ihre ſeele wahrnehme / daß ſie alle dieſe gruͤnde alſo wol erwege / damit ſie durch GOttes gnade in ihrem gewiſ - ſen verſichert werden moͤge / was ihres GOttes willen uͤber ſie ſeye. Maſſen nicht genung iſt / daß eine ſache recht ſeye / ſondern dazu auch erfordert wird / daß das gewiſſen davon eine ihm genungſame uͤberzeugung habe: maſſen ſon - ſten in einer ſache / die an ſich nicht unrecht waͤre / gleichwol geſuͤndiget werden koͤnte / wo man etwas deſſen thaͤte / woruͤbeꝛ man zweiffel haͤtte / uñ es mehr voꝛ unrecht als vor recht hielte: welches aus der diſputation des Apoſtels Rom. 14. ausfuͤndig iſt. Dahero mag meine oder einiges andern lehrers meinung derſelben noch nicht genung ſeyn / ſondern um nicht zu ſuͤndigen iſt noth / daß dieſelbe / was ich oder auch andere moͤchten von dieſer materie an hand geben / in der furcht des HErrn und mit ſeiner hertzlichen anruffung alſo uͤberlege / daß ſie bey ſich eine feſtigkeit erlange uͤber dasjenige / was ſie thut / daß ſie es nicht wider den willen ihres himmliſchen Vaters / den ſie ihr zur regel ihres lebens billich geſetzet hat / thun / und alſo darin ihm gefallen moͤge. Der HErr aber / der allein unſere hertzen gewiß machen kan / thue derſelben auch dieſe gna - de / und verſichere ſie in ihrer geheiligten ſeelen / was auch in dieſem ſtuͤcke ſein wille an ſie ſeye / damit ſie denſelben getroſt verrichte / und weder der eiteln welt ſich gleich ſtelle / noch entweder mit unnoͤthiger angſt ſich quaͤle / oder mit allzuvieler ſcrupuloſitaͤt ſich ſelbs und die gelegenheit an andern gutes zu ſchaffen hindere / ſondern in Chriſtlicher einfalt und klugheit ſo in allem an - dern als auch in dieſem thue / was vor dem HErrn gefaͤllig / dem nechſten er - baulich und ihrer ſeelen mehrer reinigung vortraͤglich ſeyn mag. Er be - freye aber auch mehr und mehr alle ſeine kinder / von allem was noch einige art einer dienſtbarkeit an ſich hat / und ſetze ſie in ihre vollkommene freyheit / da es ſo vieler zweiffel nicht mehr beduͤrffen wird. Ach kaͤme die ſelige ſtunde bald! Nun ſie wird kommen / wo wir ihr in gedult erwarten / Amen. 1689.

SECTIO225ARTIC. II. SECTIO XII.

SECTIO XII. Ob vornehmere weibs-perſonen ſchuldig / ihre kin - der ſelbs zu ſtillen.

WEgen eigener ſtillung der kinder / erklaͤhre mich mit wenigem. 1. Die regel iſt / daß jede mutter ihr eigen kind ſelbs traͤncke / und was ihr Gott in der natur zur ernehrung deſſen / was er auch aus ihr gebohren werden laſſen / gegeben / darzu anwende. Hierzu weiſet die natur ſelbs / und iſt insgemein ſo wol muͤttern das ſaugen ihrer kinder geſuͤnder / als eigne mut - ter-milch den kindern zutraͤglicher / daher der eingepflantzten und gebotenen mutter-liebe gemaͤßer. 2. Jndeſſen koͤnnen urſachen ſeyn / die eine mutter davon befreyen / wo ein natuͤrlicher mangel an bruͤſten / oder an milch ſich fin - det / wo die natur aus gewiſſen urſachen allzuſchwach / wo kranckheiten anſtoſ - ſen / darvon ſonderlich die ſaͤuglinge auch ſchaden nehmen moͤchten; Es muͤſ - ſen aber lauter ſolche urſachen ſeyn / welche eine art einer nothwendigkeit ha - ben / und mit der liebe ſtehen. Hingegen 3. vornehmer ſtand an ſich ſelbs / be - freyet nicht von ſolcher ſchuldigkeit / und wo ſich eine mutter ſolcher pflicht entziehet / bloß aus flucht der beſchwehrden / gemaͤchlichkeit und zaͤrtlichkeit / iſts eine fleiſchliche urſach / die ich nicht zu vertheidigen getrauete. Wie aber 4. ein ehemann uͤber den leib ſeiner ehegenoßin eine ſonderbare gewalt hat / ſo erſtreckt ſie ſich auch dahin / daß ers derſelben wehren kan / wo er deroſelben liebes-dienſte / als bey ſchwachheiten / alſo benoͤthiget iſt / daß er derſelben nicht zur gnuͤge / wo dieſelbe ſelbs ſtillet / genieſſen kan / ſondern dardurch allzuviel und zu ſeinem ſchaden verunruhigt wuͤrde. Da bekenne zwahr / daß es ein ſeltener caſus ſeyn mag / daß dieſe urſach ſo wichtig / und die beſorgte hinder - nuͤß ſo groß ſeye / daß man den ehemann in ſolchem verbot nicht zu ſuͤndigen verſichern koͤnte / und muß ich ſorgen / der vormand ſeye vielmehr nur geſucht als in der wahrheit gegruͤndet. Jndeſſen 5. wo eine ehegenoßin / die ſelbs gern ſtillen wolte / und die beſchwehrde ſelbs nicht fliehet / auch um ſolche frey - heit bittet / aber dieſelbe nicht erlangen kan / hingegen in dem eheſtand / von der verweigerung des gehorſams in ſolchem ſtuͤck uneinigkeit ſorgen muͤſte / in ih - rer einfalt dem ehemann / auf deſſen verantwortung es ankommt / folget / wird GOTT es derſelben nicht zurechnen. 6. Dieſe ſchuldigkeit einer ehefrauen gehet nicht allein die erſte kinder an / ſondern ſie hafftet auch auf den uͤbrigen / und welche mutter bey einigen der erſten an ihrem vorhaben gehindert wor - den waͤre / wo ſolche hindernuͤß auffhoͤret / ſolle auch billich bey andern folgen - den trachten den mangel zu erſetzen. 7. Wo aber das ſtillen bey vielen be - reits unterlaſſen worden / trante alsdann / wo die kraͤfften durch mehrere kin -F fder226Das dritte Capitel. der bereits geſchwaͤchet / der natur / die dergleichen / da ſie noch ſtaͤrcker / nicht verſuchet / ſolche laſt nicht mehr zuzumuthen / weil ſie es allzuſehr ſchwaͤchen moͤchte: Darzu auch ſetze / was von einem geſchickten medico verſtanden / daß bey einer ſolchen perſon das eigne ſtillen ſich nicht rathen lieſſe / nicht ſo wol um der mutter als des kindes willen: dann diejenigen wege / dadurch die milch zuflieſſen muß / da ſie in erſten zeiten nicht gebraucht / ſondern die milch zuruͤck gehalten worden / ſtopfften ſich allgemach / daß ein kind / das man darnach erſt anlegen wolte / alsdann ſchwehrlich genugſam und ihm dienliche nahrung ziehen und erlangen koͤnte / daher darvon ſchaden leiden wuͤrde. 1699.

SECTIO XIII. Was unterthanen in ihrer ſchwehren betrangnuͤß von der Obrigkeit zu thun haben.

DJe betrangnuͤß der unterthanen anlangend / ſonderlich dadurch ihre ſabbaths-ruhe und erbauung geſtoͤhret werde / ſehe ich faſt nicht / was zu hoffen noch zu rathen. Die meiſte Obrigkeiten an allen orten gehen faſt nach einerley principiis, und halten darvor / es ſtehe bey ihnen / laſten auff - zulegen ſo viel ſie wollen / und ſeye eine gnade / wo man nur darunter noch re - ſpiriren kan. Wiewol die meiſte ſchuld nicht der hoͤchſten Obrigkeit ſeyn wird / ſondern der muthwille der ſubalternorum thut faſt allezeit den groͤſſe - ſten ſchaden. Wir muͤſſen indeſſen freylich an denjenigen / mit denen wir zu handeln haben / nichts unterlaſſen / mit warnen / bitten / flehen und ſtraffen / jedoch mehr privatim, als publice, und wo dieſes geſchiehet / mit derjenigen diſcretion, daß man erkenne / man ſuche vielmehr die beſſerung derer / welche ſich ihrer gewalt mißbrauchen / als das volck / ſo ohne das voller unmuth und bitterkeit gegen ſie ſtecket / noch mehr dazu zu bewegen: vielmehr muß dieſen die lection offt vorgeleget werden / wie ſie auch unrecht gedultig leiden / und uͤber das gerechte gericht GOttes / ſo diejenige / welche ihm gemeiniglich vor - her nicht haben treulich gehorchen / noch das ſanffte joch Chriſti mit gedult tragen wollen / unter deſto ſchwehreres menſchen-joch wirfft / ſich mit murren nicht beſchwehren / vielmehꝛ ſich bußfeꝛtig unter deſſen gewalt demuͤthigen ſol - len: bey welchem zuſtande der unterthanen gemeiniglich GOTT auch der Obrigkeit hertzen zu mehrer guͤtigkeit lencket; ſonſten aber offters ſie von der Obrigkeit ſo tractiret werden laͤſſet / nicht wie dero vorgeſchriebene regeln mit ſich braͤchten / da ſie vaͤterlich mit den unterthanen umgehen ſolten / ſondern wie jene es wuͤrdig ſind / und von ihm verdienet haben. Dabey verſichere dieſes / welche ſeelen noch eine wahre begierde zu dem goͤttlichen haben / denen wird GOtt allezeit auch unter den haͤrteſten trangſalen zuweilen noch einigetage227ARTIC. II. SECTIO XIV. tage und ſtunden am ſabbath oder ſonſten zum beſten ihrer ſeelen frey werden laſſen / daß ſie nach der gerechtigkeit hungernde und duͤrſtende geſaͤttiget wer - den. Die uͤbrige / denen es doch kein rechter ernſt iſt / leiden gemeiniglich in goͤttlichem gericht / weſſen ſie daſſelbe werth achtet / und laͤſſet dieſes denſelben offt ihre ſabbaths-ruhe / ob zwahr durch der menſchen / die ſich ſchwehrlich da - mit verſuͤndiget / boßheit / entziehen / die ſie ihm etwa ohne ſolche euſſerliche ab - haltung dennoch wenig heiligen / ſondern ihre feyer bloß zur leiblichen ruhe / ſchlaͤffriger und faſt nur durch die gewohnheit abgezwungener hoͤrung des worts ohne hertzliche begierde ſich wahrhafftig daraus zu beſſern / uñ wol gar zur uͤppigkeit und unmaͤßigkeit gemeiniglich anwenden / weßwegen der HErr ſchon lang an unſerm feyertage einen gerechten eckel gefaſſet zu haben ſcheinet. Nun das verderben iſt ſo groß / als es ſeyn kan / und auſſer dem ſtand / daß menſchliche huͤlffe zulangte: Wir muͤſſen zwahr endlich dabey thun / was noch muͤglich iſt / ob wir einige retten koͤnnen / aber dabey glauben / die ehre etwas rechts ausgerichtet zu haben / werde dem allein bleiben / der zu kommen pfle - get / und gewiß auch dißmal kommen wird / wo die boßheit den hoͤchſten gipffel erreichet habe / und hingegen die zeit ſeiner verheiſſung vorhanden ſeyn wird. Hiernach laſſet uns ſeuffzen und beten / und mit ſolcher hoffnung uns ſtaͤr - cken / er aber ſelbs erhalte dieſe in unſern ſeelen / und verleihe uns die gnade / daß wir treu vor ſeinem angeſicht erfunden werden. 1687.

SECTIO XIV. Von vervortheilung der hoͤchſten Obrigkeit in der bier-acciſe.

Die erſte Frage.

  • Obs niedrigen Obrigkeiten im gewiſſen verantwortlich / wann ſie der hohen Obrigkeit / den von vielen jahren her ausgeſchriebe - nen uͤblichen bier-accis nicht richtig abfuͤhren / alſo daß da ſie des jahrs uͤber 200. achtel und druͤber zum verkauff auffſetzen / kaum 15. oder 20. achtel veracciſen / gleichwol aber bey ihren ade - lichen ehren und gutem gewiſſen auf dem ſteuer-zedul betheu - ren / daß ſie nicht mehr als 15. oder 20. achtel verkaufft / dardurch ſie verurſachen / daß andere Contributiones und anlagen deſto haͤuffiger folgen / die den armen Adel / dem der Brau urbar mangelt / und gemeinen mann am meiſten trucken?

AUfdieſe frage mit grund zu antworten / ſind einige dinge vorhin auszu - ſetzen / auf welchen dero gantzer entſcheid beruhet.

F f 21. Die228Das dritte Capitel.
  • 1. Die niedrige Obrigkeiten / ob ſie wol gegen die unterthanen wahr - hafftig Obrigkeiten ſind / ſind doch gegen der hoͤhern Obrigkeit zu rechnen / eben ſo wol unterthanen / und das jenige denſelben zu leiſten ſchuldig / was ſie von dieſen ſich geleiſtet zu werden fordern: daher ſie in den pflichten / darzu ſie den obern verbunden ſind / keinen eigentlichen vorzug fuͤr ihren unterthanen haben / ſo wenig als einen haußvater / daß er auch uͤber ſein geſinde geſetzet iſt / von dem gehorſam gegen die Obrigkeit im geringſten befreyet: Ja wir moͤgen ſagen / die unter-obrigkeiten ſeyen in gewiſſer abſicht den obern noch mehr als die unterthanen ihnen verbunden / theils aus danckbarkeit / weil ſie von ihnen in ſeiner maaß ihre gewalt uͤber ihre unterthanen herhaben / und gleichſam in die gemeinſchafft ihrer regierung genommen worden ſind / die ſie alſo gegen ſie nicht mißbrauchen ſollen / theils weil ſie den gehorſam von ihren unterthanen fordern / und alſo deſſen ſchuldigkeit dardurch ſelbs bekraͤfftigen.
  • 2. Die Obrigkeit / ſonderlich die hoͤchſte Obrigkeit / hats macht / den un - terthanen / ſie ſeyen wiederum Obrigkeiten oder nicht / ſchoß / zoll / oder ande - re dergleichen laſten / dahin auch die acciſen gehoͤren / auffzulegen / nach dem klaren ausſpruch Pauli Rom. 13 / 6. 7. derohalben muͤſſet ihr auch ſchoß geben / denn ſie ſind GOttes diener / die ſolchen ſchutz handhaben. So gebet nun jedermann was ihr ſchuldig ſeyd / ſchoß dem der ſchoß ge - buͤhret / zoll dem der zoll gebuͤhret / furcht dem die furcht gebuͤhret / eh - re dem die ehre gebuͤhret. Wo wir ſehen / daß der liebe Apoſtel austruͤck - lich dieſe ſchuldigkeit behauptet / und zeiget / daß ſolcher zoll und ſchoß nicht allein der Obrigkeit ſelbs / ſondern in derſelben GOtt / deſſen diener ſie ſind / um des durch ſie leiſtenden ſchutzes willen / abgeſtattet werden ſolle / daher was hierinnen gegen die Obrigkeit geſuͤndiget wird / wird zugleich auch gegen GOtt geſuͤndiget / und iſt ſo viel ſchwehrere ſuͤnde. Zwahr iſts nicht ohn / daß auch die Obrigkeit in ihrem gewiſſen nicht frey hat / ſolche laſten auffzule - gen / oder zu erhoͤhen / wie ſie will / ſondern ſie hat von den untertha - nen nicht mehr zu fordern macht / als was die ordentliche und auſſer ordentli - che bedoͤrffnuͤſſen zu fuͤhrung der regierung im krieg und friedens zeiten erhei - ſchet / fordert und nimmt ſie mehr / als dieſer zweck erfordert / verſuͤndiget ſie ſich ſchwehrlich / und wird das ohne recht abgenoͤthigte vor GOTT ihnen wahrhafftig zum raub / damit ſie ihre ſeelen ſchwehrlich verletzen / ſo wohl als unter privatis einer ſich verſchuldet / welcher frembdes gut an ſich zeucht. Jn - deſſen ſtehet ordentlicher weiſe die ermeſſung deſſen / wie viel die regierung er - fordere oder nicht / nicht bey den unterthanen / ſondern eigentlich bey der O - brigkeit / ohne daß nach landes-geſetzen oder freyheit hier oder da auch der Staͤnde und unterthanen einwilligung erfordert wird / auch alsdenn billichdar -229ARTIC. II. SECTIO XIV. darauff geſehen werden ſolle. Wo alſo eine auflage geſchehen / und deroſel - ben ſchuldigkeit erkant worden iſt / welches zumalen von denenjenigen offen - bahr / die nunmehr lange gewaͤhret haben / ob auch die hoͤchſte Obrigkeit ſich mit derſelben forderung verſuͤndigte / ſo iſts doch von ſeiten der unterthanen / und alſo auch der untern Obrigkeit / nicht weniger ſuͤnde / wo ſie ſich ihrem ge - horſam entweder mit gewalt entziehen / oder mit heimlichem betrug / da ſie ſich ſtellen ihrer ſchuldigkeit nachzukommen / die Obere hintergehen.
  • 3. Die untere oder mitlere Obrigkeiten / ſind der hoͤheſten Obrigkeit al - lezeit mit eyde und pflichten zugethan / daher was ſie thun / ſo ihnen von der Obrigkeit befohlen iſt / muß allezeit angeſehen werden / als ein ſtuͤck ihrer eyd - lichen pflicht / und wo ſie hingegen wider der Obrigkeit befehl vorſetzlich thun / thun ſie wider ihren eyd / ob ſie wohl in ſpecie uͤber ſolche ſache keinen eyd ge - ſchworen haben.
  • 4. Es ſind auch alle ſtaͤnde einer jeglichen provinz, als glieder eines lei - bes / dazu verbunden / allezeit auff alle muͤgliche und an ſich ſelbs zimliche weiſe an das gemeine des gantzen leibes beſte zugedencken / und dahin ſich zu - bemuͤhen / auch um ihres privat nutzens willen das publicum nicht zu be - ſchwehren.

Voraus geſetzt nun dieſer erinnerungen oder grund-ſaͤtze kan ich nach GOttes wort und den regeln des gewiſſens nicht anders auff die frage ant - worten / als daß eine ſolche Obrigkeit / die dergleichen wiſſentlich thut / ſich damit auffs ſchwehrſte verſuͤndige / und ſolches auff vielerley weiſe.

  • 1. Jſts eine ſuͤnde unmittelbahr wider die hohe Obrigkeit / indem dero - ſelben dasjenige wiſſentlich entzogen oder vorenthalten wird / was man nach GOttes befehl wie oben aus Paulo gezeiget worden / ſchuldig iſt. Heiſſet es nun insgemein von andern ſchulden Pſ. 37 / 21. der gottloſe borget / und bezahlet nicht / da dieſes als eine eigenſchafft eines gottloſen gehalten wird / wo man / was man einem andern auch in dem gemeinen lebenſchuldig iſt / nicht abſtattet / ſo heiſts dergleichen ſo vielmehr von einem / der ſeiner Obrigkeit ſchuldig iſt / und ſolches nicht bezahlet: daß er nemlich mit recht den nahmen eines gottloſen trage: ſo vielmehr weil die ſchuldigkeit der unterthanen noch ſo viel ſtrenger billich gehalten wird / als anderer privat-leute / nachdem der HErr ſelbs dem Kaͤyſer was des Kaͤyſers ſeye / abzuſtatten befohlen hat. Matth. 22 / 21.
  • 2. Weil aber die Obrigkeit GOttes dienerin iſt / und ihr nach Pauli er - innerung Rom. 15 / 6. in ſolcher abſicht der ſchoß abgeſtattet werden ſolle / ſo gehet dieſer ungehorſam gegen die Obrigkeit auch zugleich mit auff GOtt / deſſen bild die Obrigkeit traͤgt / und alles was ſie fordert / auffs wenigſte un -F f 3ter230Das dritte Capitel. ter dem nahmen der bedoͤrffnuͤß der regierung und ihres goͤttlichen amts for - dert: daher nimmet GOtt ſolche ungerechtigkeit alſo an / als auch ihm ſelbs geſchehen: und wird die ſuͤnde ſo viel ſchwehrer / als ſie in einer ungerechtig - keit zwiſchen andern perſonen ſonſten ſeyn wuͤrde.
  • 3. Dazu kommt / daß ob wohl die angebung nicht / ſo viel ich ſehe / aus - truͤcklich mit einem eyd geſchihet / ſondern bey Adelichen treuen und gutem ge - wiſſen (welches letztere von einem eigentlichen eyd nicht viel unterſchied hat) dannoch ein meineyd in gewiſſer maaß darinnen begangen wird / alldieweil die unter-Obrigkeit den hoͤhern mit eydes-pflicht verwandt iſt; daher dieſe und alle dergleichen vorſetzliche uͤbervortheilungen derſelben eine verletzung des ihr insgemein geſchwohrnen eydes iſt.
  • 4. Weil alle hinterhaltung frembden guts oder deſſen an ſich ziehung eine ſchwehre ſuͤnde und diebſtahl nach GOttes wort geachtet wird (wie un - ter die ſuͤnde / die mit opffern verſoͤhnet werden muſten / und damit man ſich an dem HErrn vergriffe / 3. Moſ. 6 / 2. gezaͤhlet wird / wo einer ſeinem nechſten verleugnet / was er ihm befohlen hat / oder das ihm zu treuer hand gethan iſt / oder das er mit gewalt genommen / oder mit unrecht zu ſich gebracht. Und Habac. 2 / 6. da heiſt es: wehe dem / der ſein gut mehret mit frembdem gut / wie lange wirds waͤhren? und ladet nur viel ſchlamms auff ſich) ſo iſt die hinterhaltung und verleugnung desjeni - gen / was der Obrigkeit gehoͤret / eine noch viel ſchwehrere ſuͤnde / und ſtets fortwaͤhrende ungerechtigkeit / als lange man ſolches ſchuldige zuruͤck behaͤlt: daß daher das gewiſſen einer ſolchen perſon / biß ſie erſtattung thut / nach dem wie es heiſt Ezechiel. 33 / 15. Wenn der gottloſe das pfand wiedergiebet / und bezahlet was er geraubet (zu dem moͤgen wir aus gleicher urſach ſe - tzen / mit unrecht hinterhalten) hat / zu ruhe nicht kommen kan / ſondern es ligt deswegen ein fluch / wo nicht (welches doch wol manchmal ſich weiſen mag) auff eines ſolchen mit unrecht vermehrten guͤtern / daß etwa das un - rechte das uͤbrige mit endlich verzehret / auffs wenigſte (ſo aber noch gefaͤhrli - cher) auff ſeiner ſeele / und ſetzet dieſe auſſer goͤttlichem gnaden-genuß. Da - von die alte regel bekant iſt: non remittitur peccatum, niſi reſtituatur ab - latum.
  • 5. Es wird die ſuͤnde auch nicht vermeidet ſondern vermehret / daß es nicht eine bloſſe vorenthaltung des ſchuldigen iſt / ſondern die Obrigkeit / dero man ſonderlich die wahrheit und auffrichtigkeit ſchuldig iſt / auch getaͤuſchet wird. Hat nun dorten Petrus dem Ananiaͤ die ſuͤnde ſo hoch auffge - nommen Ap. Geſch. 5. als er ſeinen acker verkaufft / und etwas davon heim - lich hinterhalten hatte / da der Apoſtel doch bekennet / daß ers wohl gar behal -ten231ARTIC. II. SECTIO XIV. ten haͤtte koͤnnen / weil er mit ſolcher falſchheit dem Heil. Geiſt in dem Apoſtel gelogen hatte / und vor der gemeinde / ob waͤre alles geliefert worden / angeſe - hen ſeyn wollen: ſo iſts gewiß auch keine geringe ſuͤnde / ſondern kommet etli - cher maſſen mit derſelben uͤberein / wo man auch ſeiner Obrigkeit leugt / und doch dabey davor angeſehen ſeyn will / ob haͤtte man derſelben alles treulich angeben. Und wie in der welt moͤchte gefragt werden / wie ſchwehr die ma - ckel ſeye / die ein ſolcher ſeinen adelichen ehren anklecket / da er dieſe zum deck - mantel ſeiner ungerechtigkeit braucht / ſo iſts gewiß / daß das gute gewiſſen / ſo faͤlſchlich zum zeugen angeruffen wird / nicht weniger durch ſolchen betrug / als duꝛch die voꝛenthaltung deꝛ ſchuldigen gebuͤhꝛ an ſich ſelbs allerdings ver - ſchertzet werde. Heiſt es nun insgemein von den Chriſten 1. Petr. 2 / 1. So leget nun von euch ab alle boßheit und allen betrug / und Epheſ. 4 / 25. nach dem allgemeinen befehl deꝛ ablegung des alten menſchen / abſonderlich: darum leget die luͤgen ab / und redet die wahrheit / ein jeglicher mit ſei - nem nechſten / ſintemal wir untereinander glieder ſind / alſo daß von dieſer allgemeinen pflicht der Chriſten niemand ſich ausnehmen kan: ſo iſt die ſuͤnde der luͤgen und betrugs / wo er gar gegen die Obern / ſo nicht als gemeine glieder ſondern in gewiſſer maaß das haupt ſelbs anzuſehen ſind / ſo viel ſchwehrer / und dem GOtt der wahrheit ein groͤſſer greuel.
  • 6. Es kommet noch hinzu wider den 4. obigen ſatz eine neue ungerech - tigkeit gegen andere landes-einwohner und unterthanen / welche weil durch dieſe vorenthaltung des groͤſſeſten theils die einkuͤnfften der hohen Obrigkeit ſo viel geſchwaͤchet / und dero bedoͤrffnuͤß zuerfuͤllen unzulaͤnglich gemacht / von derſelben zu erſetzung des manglenden neue und andere laſten auffgeleget werden / dadurch dasjenige / was rechtswegen von ſolchen / die in der bier-ae - ciſe untreu ſind / getragen werden ſolte / auch auff die ſchultern derer / die in ihren abgaben treu ſind / oder die brau-urbar nicht haben / zimlichen theils gewaltzet / und das gantze land um einiger willen haͤrter getrucket / den getruck - ten aber mancher ſeufftzer zu ſchwehrer laſt / derer / die ob wol dieſen unwiſſend urſach dran ſind / ausgepreſſet wird.
  • 7. Jch ſehe auch nicht / wie eine ſolche Obrigkeit / wo ſie hinwieder von ihren unterthanen betrogen wuͤrde / ſie um der urſach willen / mit ſonſt gebuͤh - render ſtraffe anſehen koͤnte: wie ich gleichwol davor halte / daß ſie derglei - chen betrug und teuſcherey ungeandet nicht laſſen / allemal aber das urtheil auch in der that ihrem eigenen facto ſprechen wuͤrde: So vielmehr weil ich nicht wohl ſehe / wie die mitlere Obrigkeit in dieſer ſache gegen die hohe ſo heimlich verfahren koͤnte / daß nicht ihre unterthanen vieles davon gewahr werden ſolten. Daraus aber leicht zu erachten iſt / wie ein ſchwehres aͤrger -nuͤß232Das dritte Capitel. nuͤß dasjenige ſeye / ſo man den unterthanen gibet / und ſie damit ſelbs zur un - treu / die darnach immer weiter gehet / mit eigenem exempel verfuͤhret: wel - ches alles vor GOtt auff die rechnung desjenigen kommet / welcher ſolches aͤrgernuͤß gegeben hat.

Aus allem erhellet / wie vielfaͤltige ſuͤnde in dieſem falſchen angeben des verkaufften zu vervortheilung der acciſe ſtecke.

Die andere Frage.

  • Wie ſich ein beicht-vater / wenn unter-Obrigkeiten / und ſeine beicht-kinder ihren bißherigen unterſchleiff / gegen die hohe O - brigkeit / auffſein vielfaͤltiges zu - und einreden nicht erkennen / auch nicht davon abzuſtehen gedencken / auch nicht rathſam iſt / ſeine Patronos bey der hohen Obrigkeit oder dero beamten / die nicht der Evangeliſchen religion zugethan ſind / anzugeben ha - be / damit er ein reines gewiſſen behalten moͤge? Ob er ſie koͤnne zur heiligen communion admittiren oder nicht?

NAchdem bey voriger frage ausgemachet / daß eine ſolche Obrigkeit / durch dieſen unterſchleiff ſich vielfaͤltig verſuͤndige / und alſo ſtets in einer vor - ſaͤtzlichen herrſchenden ſuͤnde ſtehe / bey welcher keine wahre buß platz hat / ſo waͤre dieſe frage leicht decidirt / wenn die kirche in ihrer rechten ordnung und verfaſſung ſtuͤnde / wie ſie ſtehen / und nach Chriſti regel eingerichtet ſeyn ſolte: Denn nachdem das urtheil der zulaſſung oder ausſchlieſſung von den guͤtern des heils / nicht in eines mannes oder auch ſtandes macht ſtehen ſolle / ſondern der gantzen kirchen nach allen ihren ſtaͤnden gebuͤhret / ſo muͤſte. nach wieder - holter privat-erinnerung zum andern die erinnerung vor einigen zeugen ge - ſchehen / und da noch keine folge erhalten wird / der gantzen gemeinde die ſache vorgetꝛagen / und in dero verſammlung / ob ein ſolcher noch vor einen bruder zu halten / oder aus der gemeinſchafft auszuſchlieſſen ſeye / durch dero ſpruch ausgemachet werden; wie wir den proceß Matth. 18 / 15. u. f. von unſerem Heyland vorgeſchrieben haben. Nachdem aber leyder unſere kirchen / nicht ſo wol in guter ordnung als vielmehr in einer erbaͤrmlichen zerruͤttung ſte - hen / und ſonderlich die gemeinde nirgends faſt in den gebrauch / der ihr zukom - menden rechten geſetzet iſt / ſo aber mehr ſuͤnde / fluch und ungemach auf ſie ziehet / als wir insgemein glauben / ſo wird dieſe frage ſehr ſchwehr. So viel - mehr / wo es noch dazu an orten iſt / da die hoͤhere Obrigkeit ſelbſt anderer reli - gion / und vieles bedencken dabey iſt / die bloͤſſe unſerer / ſonderlich vornehmer / glieder deroſelben auffzudecken / und damit etwa der gantzen kirchen viele ge - fahr zuzuziehen: ſo dann da man folglich keine Conſiſtoria hat / an die mander -233ARTIC. II. SECTIO XIV. dergleichen gelangen laſſen / und ſich beſcheids erholen kan. Daher weil nicht allerdings nach der ordnung (weil das vornehmſte mittel deſſelben uns man - gelt) in dieſem caſu verfahren werden kan / ſo finde ich keinen andern weg zu gehen / als daß 1. der beichtvater nochmal der perſon die ſchwehre ihrer ſuͤnde mit vorſtellung der kraͤfftigen gruͤnde zu uͤberzeugung ihres gewiſſens vor - ſtelle / und ſie ſo beweglich vermahne als flehentlich bitte / ihrer ſeele darinnen zu ſchonen / und ſich um des irrdiſchen willen (dabey man noch darzu nicht ſi - cher iſt / und wo die ſache an die hohe Obrigkeit auch kuͤnfftig kommen moͤchte / ſehr ſchwehre ſtraf / die alles unrecht behaltene und noch mehr auffzehren wuͤrde / zu befahren waͤre) der goͤttlichen gnade nicht verluſtig zu machen. Da - bey zum 2. ihr ausdruͤcklich zeige / daß in ſolchem ſtand alle ſeine abſolution[.]an ihr unkraͤfftig / wie offt ſie wiederholet werden wuͤrde / bleibe / ja ſie nur an ſtatt des loͤſens mehr binde / weswegen auch das H. Abendmahl nicht nuͤtz - lich / und zur ſeelen heil ſondern zum gericht gebrauchet wuͤrde. Daher er ſie auff das hoͤchſte baͤte / ſich deſſen lieber zu enthalten / was ſie zu ihrem todt an ſtatt des lebens empfinge / als goͤttlichen zorn uͤber ſich zu haͤuffen. Wuͤrde nun 3. die perſon in ſich ſchlagen / und von GOtt geruͤhret buſſe thun / ſo waͤ - re durch GOttes gnade der ſache geholffen: wuͤrde ſie auch auffs wenigſte in dem hertzen ſo weit geruͤhret / daß ſie ſich des H. Abendmahls enthielte / ſo waͤre auch auff ſolche art auffs wenigſte dem gewiſſen des beicht-vaters etli - cher maſſen gerathen. Wo aber 4. dieſelbe præfracte dabey bliebe / von ſol - cher ſuͤnde nicht zulaſſen / noch dieſes zuzuſagen / und dennoch von der com - munion ſich nicht ausſchlieſſen laſſen wolte / ſo haͤtte der Prediger nach beweg - licher remonſtration und proteſtation ſie zu admittiren / wie unſer Heyland Judam admittiret hat / deſſen boßheit ihm bekant / aber bey den Juͤngern noch nicht vollkommen offenbahr war / alſo da dieſer perſon unbußfertigkeit noch anderen nicht allerdings oder gar nicht kund worden / oder zum aͤrgernuͤß ge - reichen kan. Jch bekenne / es ſeye ein hartes / einem dasjenige zugeben / wo - mit er ſich ſelbs ſchadet: ich ſehe aber hier nicht die ſchuld an dem Prediger / ſondern daß ſie alle auff denjenigen faͤllt / der muthwillig dasjenige dem an - dern abnoͤthiget / was derſelbe ſua ſolius autoritate ihm nicht verſagen darff: weil er die Sacramenta ausſpendet in dem nahmen der kirchen / und alſo da - von kein glied der gemeinde / ſo ſie durchaus haben will / ausſchlieſſen kan / das nicht diejenige / die druͤber zu cognoſciren haben / ihn auszuſchlieſſen erkant haͤtten. Alſo iſt er ohne ſchuld / da er ſich einer gewalt der ausſchlieſſung die ihm nicht zukommet / nicht gebrauchet / hingegen auch niemand hat / an den er ſich deswegen / daß die ſache recht formlich ausgemachet / und ein kir - chen-gericht angeſtellet wuͤrde / wenden koͤnte. Auſſer dieſem mittel finde ich keinen rath: dann die perſon bloß dahin auszuſchlieſſen / mangelts nicht al -G glein234Das dritte Capitel. lein an der eigentlichen gewalt / ſondern weil nothwendig die gantze ſache da - durch / im fall ſie nicht willig acquieſcirte / oͤffentlich werden muͤſte / wuͤr - den ſo viele aͤrgernuͤſſen erfolgen / daß die zulaſſung eines ſolchen unwuͤrdigen gering dagegen waͤre: ſonderlich weil die ausſchlieſſung die perſon nicht beſ - ſern / ſondern da ſie ſie allein von der unwuͤrdigen nieſſung / ſo doch dem vor - haben nach vorgegangen / und vor GOtt / ehe ſie geſchihet / als geſchehen ge - achtet wird / abhaͤlt / ihr hingegen nur zu mehrern und ſchwehrern ſuͤnden an - laß geben wuͤrde. Da iſt nun zwahr die regel / daß man nichts boͤſes thun doͤrffe / daß gutes drauß folge / aber man mag gleichwol zuweilen ein gutes unterlaſſen / daß nicht mehr boͤſes draus folge: Und iſt die annehmung zur communion bey dem Prediger vielmehr eine unterlaſſung eines gnten / nem - lich der abhaltung deſſen / der dasenige abnoͤthiget / was ihm nicht gebuͤhret / und ihm ſchaͤdlich iſt / als wirckliche begehung eines eigentlichen boͤſen: wie denn die zulaſſung eines unwuͤrdigen eben daraus erkant wird / nicht in ſich ſelbs / ſondern allein in gewiſſen umſtaͤnden / boͤſe zu ſeyn / weil unſer Heyland nimmer etwas gethan haben wuͤrde / was an ſich ſelbs und innerlich boͤſe waͤ - re. Hiemit hoffe ich / ſolle ein chriſtlicher Prediger ſein gewiſſen vor GOtt noch erretten / und hat mit gebet zu dem / der die hertzen allein in ſeinen haͤn - den hat / deſto ernſtlicher anzuhalten / daß er ſo wol die ſeelen derer / welche ihre ſuͤnden und dero gefahr ſo gering achten / dieſe recht ſehen und empfinden laſſen / als uns in unſerm amt die wahre klugheit der gerechten / um uns in die gegenwaͤrtige elende zeit ohne verletzung des gewiſſens zu ſchicken lehren / ſo dann ſich ſeiner kirchen auff eine ſolche art erbarmen wolle / damit ſie wie - der in eine ihm gefaͤlltge verfaſſung komme / in dero es dergleichen ſcrupel nicht bedoͤrffte / ſondern alles leichter und ungehinderter nach der ordnung Chriſti geſchehen koͤnne. So gebe er auch ſonderlich in dieſem fall ſein liecht / ſeinen willen recht zu erkennen / und ſeine krafft ihn treulich zu vollbringen / um ſeines liebſten Sohnes willen. Amen. 1692.

SECTIO XV. Wegen einer vor der Obrigkeit geleugneten mißhandlung.

WAs die vorgelegte frage anlangt: Ob eine in ehren und amt ſte - hende perſon / ſo vor 20. jahren einige ſchwehre ſuͤnde began - gen / aber in der Obrigkeit inquiſition dieſelbe / ſich bey ehren zu erhalten / geleugnet / nunmehr ihrem gewiſſen gnug zu thun ſchul - dig ſeye / dieſelbe wiederum vor der Obrigkeit zu bekennen / oder ob ſie die vergebung allein von GOtt erwarten / und demſelben allein oderdoch235ARTIC. II. SECTIO XV. doch nur einem beicht-vater beichten doͤrffte? finde ich dieſelbe nicht ohne ſch wehrigkeit. Jch will aber / wie mir / da ſie in der furcht des HErren uͤber - leget / die ſache vorkomme / auffs einfaͤltigſte faſſen. 1. Jch geſtehe gern / daß die regel eigentlich ſeye / daß man GOtt in derjenigen ordnung ſeine ſuͤnde wiederum zu bekennen habe / in dero er ſie einmal gefordert / und wir ihm da - mal ſolches mit unrecht vor enthalten haben / daher deſſen reparation billich thun ſollen: es wird durch ſolches leugnen GOtt die ehre / die man ihm geben ſoite Joh. 7 / 19. entzogen / und ſind wir alſo ſchuldig / ihm ſolche wieder zu erſtatten: es iſt der buß art / daß dieſelbe die ſuͤnde alſo haſſen muß / daß man deswegen willig ſeye / alles mit ſeiner ſuͤnde verſchuldete gern uͤber ſich ergehen zu laſſen / nur daß man derſelben vergebung verſichert ſeyn moͤchte / hingegen machet die furcht vor einigem ſchimpff und ſchaden aus der bekaͤutnuͤß / die wahrheit der buß zimlich verdaͤchtig: ſo ſcheinet auch / daß mit ſolcher regel / daß die ſuͤnde ohne wiederum der Obrigkeit ſolche zu bekennen nicht vergeben werden koͤnte / deroſelben autoritaͤt in handhabung der gerech - tigkeit / daran dem Chriſtenthum / ſo wol als der weltlichen ruhe / hochgelegen / ſtattlich vefeſtiget / hingegen wo man ſolche nothwendigkeit remittiret / da - mit zu manchem leugnen und ſchwehrer verletzung des gewiſſens anlaß gege - ben werden koͤnte. 2. Jndeſſen ſehe ich doch nicht / wie ſolche unumſch[r]enckte und keine ausnahm leidende nothwendigkeit der gedachten bekaͤntnuͤß gnug erhaͤrtet werden koͤnte / nachdem wir keinen ſo austruͤcklichen befehl in der ſchrifft davon auffweiſen koͤnnen. Dann das bleibet wohl wahr / daß mit dem leugnen ſchwehrlich an GOTT und der Obrigkeit geſuͤndiget w[e]rden / und hingegen der reus ſchuldig geweſen waͤre / damal die wahrheit zu ſagen / welche pflicht alles dasjenige / was uns die ſchrifft von dem gehorſam gegen die Obrigkeit an mehr orten vorſtellet / mit ſich bringet. Aber ob ſolch er un - gehorſam auff keinerley andere weiſe / als daß die bekaͤntnuͤß auffs neue ge - ſchehe / verſoͤhnet werden koͤnte / iſt nicht eben gleicher maſſen in der ſchriff ausgemachet / ſondern moͤchte ſeine ausnahm leiden. Wie wir auch das et xempel an dem lieben Petro haben / welcher auff befragen nicht zwahr unmit -- telbar der Obrigkeit / jedennoch dero bediente / und zwahr alſo / daß dieſe auff ſein bekaͤntnuͤß ihn ohne zweiffel wuͤrden bey der Obrigkeit angezeiget haben / und da alſo dieſer / daß den ihrigen die wahrheit geſagt wuͤrde / ange - legen war / dasjenige geleugnet / was er bekennen ſollen / und ſich zwahr da - mit auch verſchuldet hat / indeſſen wird uns ſeine buß in der ſchrifft geruͤh - met / nicht aber auch angezeiget / daß er ſich wiederum in des Hohenprieſters pallaſt angemeldet / oder ſein voriges leugnen formlich retractiret / ſondern es war zu ſeiner buß gnug / daß er ſeine ſuͤnde erkante / durch Chriſti winck ſich auffrichten lieſſe / die fernere gefahr meidete / und bereit waͤre / wo er kuͤnff -G g 2tig236Das dritte Capitel. kuͤnfftig wiederum gefragt werden ſolte / die wahrheit nicht ferner zu leug - nen: wie er auch darnach allezeit ein freudiger bekenner Chriſti geweſen. Al - ſo 3. achte ich nicht / daß die n. 1. angefuͤhrte rationes eine ſolche ſtarcke obliga - tion mit ſich bringen; dann die ſache iſt zwahr in der Obrigkeit GOTT dem HErrn geleugnet worden / ſo muß ſie auchfreylich GOtt dem HErrn wie - derum bußfertig bekant werden / es waͤre auch ſolches ſchlechter dings noͤthig / dafern die Obrigkeit nochmal ſolche ſachen vornehmen / und auff ihn inquiri - ren wuͤrde: ohne dieſes iſt es nicht ſo noͤthig / es komme dann ſolche nothwen - digkeit noch aus einer andern urſach: ſondern da GOtt nicht auffs neue in ſolcher ordnung fraget / ſo hat mans ihm auff andere art und in anderer ord - nung zu bekennen: wiederum iſt zwahr die ehre / die man GOtt zu erzeigen ſchuldig geweſen / in jener ſache ihm entzogen worden / ſie kan ihm aber nicht nur allein durch jene bekaͤntnuͤß / ſondern auch auff andere weiſe wiederum gegeben werden. Ferner muß die buß dieſes nothwendig bey ſich haben / daß ſie lieber alles leiden und uͤber ſich ergehen laſſen wolte / als auffs neue zu ſuͤndigen / oder in der vorigen ſuͤnde fortzufahren; wie aber ſolches leugnen eine einmalige ſuͤnde geweſen / die darnach nicht weiter mehr conti - nuiret woꝛden / ſo kan derjenige nicht eben in der ſuͤnde fortzufahren eigentlich geſagt werden / der nur von einer nunmehr freywilligen und ungeſuchten be - kaͤntnuͤß zuruͤcke bleibt / es waͤre dann ſache / daß ein ſtaͤter ſchade continuire - te / welchen ſolcher menſch durch ſein leugnen jemand verurſacht haͤtte. Zum exempel / daß jemand noch immer ſeinetwegen leiden muͤſte / deme ſonſten ſein leiden durch das bekennen gelindert oder weggenommen wuͤrde. Dann in ſolchem fall mag es freylich heiſſen / daß man in der ſuͤnde fortfahre / wo man mit ſeiner hinterhaltung noch immer fort einen andern gravirte / daher die buß alsdann nicht richtig ſeyn koͤnte / dabey man dermaſſen dem nechſten zu ſchaden fortfuͤhre. So bin auch nicht in abrede / daß die regel freylich ſtehen bleiben ſolle / daß noͤthig ſeyn moͤge / die bekaͤntnuͤß vor der Obrigkeit zu thun / und wird in den meiſten faͤllen ſolche nothwendigkeit indiſpenſabel, welches dann gnug dazu iſt / daß ſich niemand nochmal muthwillig auff ein ſolches leugnen legen / und dabey ſicher werden darff. Wo dann 4. auff die hypo - theſin ſelbs geſehen wird / traue ich gleichwol nicht bloß categorice zu ant - worten: ſondern die perſon / um dero ſeele es zu thun iſt / muß in ihrer eignen pruͤfung vieles finden / was ihr andere nicht ſagen koͤnnen: ſonderlich hat ſie genau auff den bißherigen zuſtand ihrer ſeelen acht zu geben. Jſt jene ſuͤnde um ſolche zeit von ihr geſchehen / da ſie insgeſamt wenig erkaͤntnuͤß GOttes gehabt / und alſo auch dieſe ſuͤnde mehr aus anderer ruchloſigkeit als formli - chem mißbrauch goͤttlicher gnade begangen haͤtte / und waͤre nachmal von GOtt erſt / da die ſache eine weil vorbey geweſen / zu der erkaͤntnuͤß und buß gebracht worden / haͤtte auch biß daher eine geraume zeit / ob ſchon dieſen ſcru -pul237ARTIC. II. SECTIO XV. pul des gewiſſens / dannoch dabey andere kraͤfftige gnaden-wuͤrckungen des H. Geiſtes und zeugnuͤſſen deſſen einwohnung bey ſich empfunden / nun aber wolte ſich dieſer ſcrupul von einiger zeit her ſtaͤrcker ereignen / und ſie beunru - higen: ſo wolte davor halten / daß da ihr der HErr ſolche ſuͤnde ſchon laͤngſt vergeben / welches ſie aus den gnaden-wuͤrckungen ſolcher zeit bey ſich abzu - nehmen / dieſe anfechtung zwahr ſie zu ſo viel mehrer demuth und beſtaͤndig - keit der buß leiten ſolle / aber die nothwendigkeit der oͤffentlichen bekaͤntnuͤß nicht eben mit ſich bringe. Gleichwol wuͤrde unterſchiedliches dabey noͤthig ſeyn / nemlich ſich zeit lebens ſolcher ſuͤnde zu bußfertiger demuͤthigung vor dem HErrn zu erinnern / und der vergebenen miſſethaten zu erhaltung der de - muth und vermehrung des dancks ſtets zu gedencken / auch etwa eine abſon - derliche zeit zu monat oder jahren ſich vorzunehmen / da ſie daruͤber ihre buß - uͤbungen anſtellte. Ferner der Obrigkeit in allen andern ſtuͤcken nunmehr deſto ſorgfaͤltigern gehorſam zu leiſten / da ſie / ob ihr wol unwiſſend / die ihr ſchuldige ehr verletzet gehabt: dahin mag auch gehoͤren / wo die miß - handlung mit einer gewiſſen geld-ſtraff auch gebuͤſſet zu werden pfle - get / daß ſie auch das quantum derſelben / oder ein mehrers / auf eine verborgene art der Obrigkeit zuwende / als die ſie mit unrecht darum gebracht; ja ſie ſolte rechtswegen eine ſonderbare ſtraffe / die zum exempel vermuthlich / wo voriges ihr leugnen offenbar worden / ihr deswegen dictirt wuͤrde worden ſeyn / ihr ſelbs anſetzen / und dieſelbe auf eine unbekannte weiſe zu dem ærario bringen. Noch weiter / wo jemand ihrent - wegen und um ſolches leugnens willen ſolte in ungluͤck oder ſchaden gekom - men ſeyn / ſolle ſie abermal denſelben oder die ſeinige ſchadloß halten / und ih - nen wiederum eine ergetzlichkeit davor / ob ſie ſchon nicht wiſſen / woher es kom - met / zukommen laſſen. Wo dieſes geſchiehet / achte ich / koͤnne das gewiſſen ſich damit zu ruhe geben / ob wol die oͤffentliche bekaͤntnuͤß nicht erfolget / ſon - derlich weil 1. zu ſorgen / daß das damit ausbrechende aͤrgernuͤß (vornehmlich wo es ein mann waͤre / der etwa bißher einen feinen Chriſtlichen nahmen ge - habt) moͤchte ſchwehrer ſeyn / und mehr gutes ſchlagen / daher die ehre GOt - tes mehr verletzen / als die bekaͤntnuͤß dieſelbe beforderte So dann 2. weil die perſon / welche ich præſupponiren will / daß ſie ſonſten ihrem ehren-amt / in welchem ſie ſtehen mag / mit nutzen vorſtehe / dardurch nach unſern jetzigen ver - faſſungen zu ſolchen nuͤtzlichen dienſten / ja vielleicht zu meiſtens allem / womit ſie andern nutzen koͤnte / untuͤchtig wuͤrde. Wo ich aber wiederum nicht ſehe / daß goͤttlicher ehr / dem gemeinen weſen / und alſo der Obrigkeit ſelbs / an der adminiſtrirung der juſtiz in einer verborgenen ſache mehr als an der erhal - tung des nuͤtzlichen gebrauchs eines mannes gelegen ſeyn mag: daher ſolche abſicht abermal / da ſich dieſelbe wahrhafftig in ſolches mannes hertzen findet /G g 3(dann238Das dritte Capitel. (dann hingegen wo es ihm bloß um ſeine conſervirung / als etwas ſeines eige - nen / nicht aber um dasjenige / womit er GOTT und dem nechſten dienen koͤnte / zu thun waͤre / wuͤſte ich wenig fuͤr ihn zu reden / dann es waͤre eine anzei - gung / daß er ohne das nicht in wahrer buß ſtuͤnde / als in welcher der menſch dazu kommt / daß es ihm forthin voꝛ ſein gantzes leben nicht mehr um ſeine ehꝛ / nutzen / luſt oder dergleichen / ſondern lauterlich um ſeines GOttes ehr / des nechſten nutzen und ſein heil / zu thun ſeye / wo aber daſſelbe nicht geſchiehet / die buß nicht auffrichtig iſt / in welchem ſtand er ohne das der goͤttlichen gnade unfaͤhig waͤre) ihn desjenigen diſpenſiret / was ſonſten der ordnung gemaͤß waͤre / in unterſchiedlichem aber den zweck / den auch die politiſche ordnung voꝛ ſich hat / in dieſem fall mehr verletzte als befoͤrderte. Wobey wol in acht zu nehmen ſtehet / daß unſere verordnungen / die zwahr den laſtern zu wehren ein - gefuͤhret / und ihren nutzen / dannoch dabey an den bußfertigen auch ihre in - commoda haben: indem wer etwa einmal ein gewiſſes fuͤr infam geachtetes laſter begehet / insgemein auf ſein lebenlang damit zu oͤffentlichen ehren-aͤm - tern untuͤchtig gemachet wird / er beſſere ſich auch wie er wolle; wordurch zwahr nicht ohn / daß in dem rohen hauffen manche mehr durch dieſe als ande - re ſtraffe von begehung grober laſter zuruͤck gezogen werden / daher ſo lang wir noch die meiſte boͤſe unter uns haben / es nicht wol anders gehalten werden kan / indeſſen die kirche und das gemeine weſen zuweilen dardurch eines man - nes / der nach einer recht gruͤndlichen buß vollends ſein lebtag etwa noch mehr als andere gutes ſchaffen koͤnnen / und alles von ihm ſonſten muͤglichen nu - tzens beraubet wird: da hingegen bey den erſten Chriſten / da ſonſten die kir - chen-diſciplin in der hoͤchſten ſtrenge geuͤbet wurde / dannoch kein ſolches geſetz geweſen / ſondern diejenige / welche der aͤrgernuͤß wegen mit der kirchen verſoͤh - net worden / (damit es zwahr nicht ſo leicht hergienge / ſondern der ernſtlichen buß genugſamer zeugnuͤſſen da ſeyn muſten / und etwa auf eine geraume zeit hinaus erfordert worden) wurden damit als bruͤder wiederum alſo auffge - nommen / daß / wie GOTT der vorigen ſuͤnden nicht gedencken wollen / die bruͤder gleiches hertz gegen den bußfertigen bezeugten / daß alſo deſſen gaben und treue wiederum frucht zu ſchaffen bequem wurden. Jn ſolcher bewand - nuͤß wuͤrde es auch in dieſem fall die difficultaͤten nicht geben / die wir jetzo ſe - hen / ſondern moͤchte bey der gemeinen regel geblieben werden. Wann es aber bey uns nicht ſo ſtehet / auch um anderer hindernuͤſſen willen nicht wol noch alſo eingefuͤhret werden mag / ſo muß uns dannoch deſto weniger ſchwehr vorkommen / daß um eines ſolchen noch nuͤtzlichen mannes willen / dem aber und in ihm ſeinem nechſten unſere ordnungen ſchaden thun / auch die andere ordnung etlicher maſſen beyſeit geſetzt werde. Dieſes waͤre meine meinung uͤber die vorgelegte ſache in der ſupponirten bewandnuͤß / und hoffe ich / dieperſon /239ARTIC. II. SECTIO XV. perſon / welche es antrifft / wo ſie das hier angefuͤhrte in der forcht des HErrn reifflich uͤberleget / ſich demjenigen / was dabey erinnert worden / gemaͤß bezeu - get / und dabey hertzlich den HErrn um ſeine gnade und die verſicherung in dem hertzen anruffet / werde ſich in ihrem gewiſſen endlich beruhigt finden. Solte es aber geſchehen / daß nach allem ſolchen ſie noch immerfort in ihren aͤngſten bliebe / und das hertz nicht befriedigen koͤnte / ſo wuͤrde endlich kein an - der mittel als die bekaͤntnuͤß ſeyn / dero ich ſie ſonſten gern befreyen moͤchte. Jch wolte auch glauben / es geſchehe ſolches nicht ohne GOttes heilige ver - haͤngnuͤß / deſſen gerichte und wege wir nicht erforſchen / aber ob wir die urſach nicht erkennen / dannoch aus dem effect offt abnehmen moͤgen / daß etwa der HERR aus heiligen / ihm bekannten / und ſo der perſon ſelbs / als an - dern heilſamen urſachen / die bekaͤntnuͤß heraus noͤthiget / und daher alle andere mittel der beruhigung vergebens ſeyn laͤſſet. Wann es heiſſet / da ichs wolte verſchweigen / verſchmachten mir meine gebeine durch mein taglich heulen / dann deine hand war tag und nacht ſchwehr auf mir / daß mein ſafft vertrocknet / wie es im ſommer duͤrre wird / aus Pſ. 32. ſo haben wir es als ein zeugnuͤß anzuſehen / daß der HErr die be - kaͤntnuͤß in derjenigen ordnung von uns haben wolle / in dero wir ſie ihm ver - ſagt / und damit ſolche aͤngſten uns zugezogen haben. Wo das geſchwehr ſich durch kein pflaſter willzertheilen / oder austrucknen laſſen / muß der Chirurgus die oͤffnung vornehmen. Und hat ſich die perſon / welche ich hier immer præ - ſupponire / daß es ihr mit der buß ein ernſt ſeye / hieruͤber nicht mehr weiter zu beſchwehrẽ / ſ[o]ndern dieſem ſich dardurch kantlicher bey ihr vorthuendem goͤtt - lichen befehl auch gehorſam zu unterwerffen / und zu glauben / es ſeye alles dasjenige / was ſie in der welt ſolcher bekaͤntnuͤß wegen zu ſorgen und zu lei - den hat / nichts gegen der ſtetswaͤhrenden ſeelen-angſt / ſo endlich gar den glau - ben ausl[]ſchen / und ſie um die goͤttliche gnade bringen moͤchte. Daher ſie ja lieber alles / als das ihr allein hoͤchſtnoͤthige / in die ſchantz ſchlagen muß. Wo aber 5. ſich die umſtaͤnde anders befinden / nemlich daß die perſon vorhin in ei - ner wahren erkaͤntnuͤß geſtanden / die wahrheit aber freventlich / und eben in der abſicht mit der heimlichen bekaͤntnuͤß ſich wieder zu helffen / geleugnet / und alſo auf die gnade trotziglich geſuͤndiget / auch nach ſolcher zeit in ihrem leben in fleiſchlicher ſicherheit fortgefahren / und die gnader-wuͤrckungen GOttes nicht geſpuͤhret / nun aber erſt wiederum durch deſſen finger geruͤhret wird / wuͤſte ich faſt ſchwehrlicher ſie der mehrgedachten bekaͤntnuͤß zu diſpenſiren / oder es muͤſten zimlich mehrere und ſtaͤrckere zeugnuͤſſen ſeyn / daß ihrer buß / ſie vor gruͤndlich und auffrichtig zu halten / wahrhafftig zu trauen waͤre / in welchem fall allein ſie davon frey zu ſprechen getraute / hingegen bey dem ge -gentheil /240Das dritte Capitel. gentheil / und da es nur eine uͤbertuͤnchte buß werden ſolte / beſſer waͤre / man lieſſe ihr den ſtaͤten ſtachel in dem gewiſſen / oder braͤchte ſie zu der in dem euſ - ſerlichen ihr ſchaͤdlichen / aber zur demuth beforderlichen bekaͤntnuͤß / als daß man mit einer loßſprechung von jener nothwendigkeit ihre ſicherheit mehr haͤ - gete / in dero ihr nachmal deſto weniger zu helffen ſtehen wuͤrde: welches alles auch platz hat / wo ſonſten neben dieſem gewiſſens-ſcrupel das leben nicht wahrhafftig nach GOTT zu fuͤhren / von ihr getrachtet wird: welchen leuten insgeſamt alles / womit man ſie troͤſten wolte / mehr ſchaͤdlich als nuͤtzlich zu werden pflegt. Zu allem dieſem 6. ſetze ich noch dieſes / daß meines werthen Bruders / da er Beichtvater waͤre / oder doch ſonſten des mannes gewiſſen zu regieren hat / oder desjenigen / dem ſolches obligt / chriſtliche prudenz vieles in dieſer ſache thun / und wie ſich ein oder anderes von dem vorbeſagten auf ihn appliciren laͤſt / oder ihm das heilſamſte waͤre / ſelbs erkennen / daraus aber ihm / was ſeiner ſeelen nuͤtzlich / mit treue und vorſichtigkeit an hand geben muß. Derſelbe haͤtte auch an die hand zu geben / wo noch einige des orts waͤ - ren / die ſich an der ſache vor dem geaͤrgert / und noch aͤrgerten / wie demſelben gerathen und geholffen werden moͤchte. Daher ich 7. ſchließlich den himmli - ſchen Vater demuͤthig anruffe / welcher auch ſich dieſer ſeelen in gnaden erbar - men / ſelbs ihr beſter rathgeber ſeyn / deswegen diejenige / die unter menſchen ihr zu rathen haben / mit ſeinem gnaden-liecht / allemal dasjenige / was ihr das vortraͤglichſte / zu erwehlen und vorzuſchlagen / erleuchten / ſie / da ſie noch von der buß entfernet / kraͤfftig auf ihm bekannte art dazu fuͤhren / und alle dero hindernuͤß hinweg raͤumen / wo ſie aber in der buß ſtehet / ſie darinnen erhalten / das verunruhigte gewiſſen ſelbs befriedigen / und nachdem ſie ſeiner gnade voͤllig verſichert / die zeit ihres lebens in heiligem wandel erhalten: alſo das vorhin verſchuldete mit deſto beſſerem exempel wieder einbringen laſſen wol - le / um deſſen / der ihre ſuͤnde auch gebuͤſſet hat / JESU Chriſti willen. Amen. 1686.

P. S. Mir faͤllt zuletzt noch ein / daß bey den Juriſten die begangene mißhandlungen ſollen nach 20. jahren præſcribirt heiſſen / und nicht mehr zur ſtraff vorgebracht werden doͤrffen: da noch zu gedencken / wie fern dieſes ſei - nem gewiſſen zu ſtatten kommen moͤchte.

SECTIO XVI. Von den tituln: Als eine hohe Stands-perſon in ſchrifften ohne die gewoͤhnliche titul angeſprochen zu werden verlangt.

Ob241ARTIC. II. SECTIO XVI.

OB wol ſcheinet / daß dieſer gewoͤhnliche anſpruch nicht angenehm ſeyn mag / da ſie mehr verlanget / ohne einige titul angeſprochen zu werden / verſichere mich doch / daß dieſelbe mir dannoch alſo zu continuiren er - lauben werde. Jch weiß / daß / welche kinder GOttes ſind / wie ihnen alles weſen der welt / ſo nach einiger pracht ſchmecket / anſtincket / die zu unſerer zeit eingefuͤhrte titul nicht achten / und als viel an ihnen iſt / lieber verlangten / mit einander in mehrer einfalt umzugehen. So wuͤrde mich auch an demjenigen / was mir von Eu. Gn. guts geruͤhmet / auch ich aus der wenigen correſpon - denz mit deroſelben darin bekraͤfftiget worden bin / verſuͤndigen / wo ich dar - vor halten wolte / daß ſie ſich mit einigen ſolchen tituln oder was dergleichen ſeyn mag / kuͤtzeln / oder ſich darinnen wol gefallen werde. Hinwieder verſi - chere meiner ſeits / wo es bey mir ſtuͤnde / daß vielleicht wenig von allem dem / was den ſchein einiges gepraͤnges hat / uͤberbleiben doͤrffte / ſondern alles viel - mehr allgemach auf die vertrauliche alte art (da wol der unterſcheid der ſtaͤn - de geblieben / aber von allem / was die eitelkeit ihrer ſelbs / oder der andern ſchmeicheley / den hoͤhern angeklecket / rein behalten worden war) wiederum gebracht werden. Bey ſolcher bewandnuͤß mag Eu. Gn. vielleicht geden - cken / warum man dann nicht thue / was vor beſſer erkant wird? ſie wird mir aber gern zu gute halten / wo ich mich daruͤber erklaͤhre. Es iſt derſelben gnugſam bekant / wie wir uns allezeit darnach zu richten haben / nicht allein dasjenige zu thun / was frey iſt / ſondern allemal auch dabey erwegen / daß wir andern nicht anſtoͤßig werden; nach der regel des lieben Apoſtels 1. Cor. 10 / 13. Jch habe es zwahr alles macht / aber es frommet nicht alles. Jch habe es alles macht / aber es beſſert nicht alles. Daher wir nicht allezeit zu thun haben / was an ſich ſelbs / und ohne erwogen gewiſſer umſtaͤnde / das beſte waͤre / ſondern woran man am wenigſten andern anſtoß ſetzet. Wenn es denn nun bey den bekanten Quaͤckern / ſo ſich ohne zweiffel an der damit ein - geflochtenen eitelkeit geſtoſſen / dahin gekommen / daß ſie alle titul bloß dahin verworffen / und einem Chriſten ſuͤndlich gehalten haben / worinnen gleichwol zu viel geſchiehet / und die leute deutlich gnug aus Luc. 1 / 3. Apoſt. Geſch. 26 / 27. widerleget / und daß die titul an und vor ſich ſelbs nicht ſuͤndlich ſeyen / behauptet werden kan: hingegen zu dieſer zeit / nicht ohne ſchande anderer reli - gionen / faſt insgemein alle diejenige / die nicht eben mit dem alamode-Chri - ſtenthum zu frieden ſeyn wollen / ſondern ſich nach dem willen des HErrn mit fleiß zu wandeln angelegen ſeyn laſſen / mit dem Quaͤcker-nahmen bele - get / und als ſolcher ſecte theilhafftig geachtet werden; welcher verdacht gleich - wol auch nicht wenig irrung und hindernuͤß bringen kan: ſo halte ichs vor rathſamer / daß auch diejenigen / welche an der eitelkeit der welt an ſich ſelbsH heineu242Das dritte Capitel. einen eckel haben / zwahr ſich auch in den tituln ſo fern vorſehen / daß ſie ſich durch dero uͤbermaaß ſolcher eitelkeit oder ſchmeicheley nicht theilhafftig ma - chen / und auch wol zeigen / daß ſie dieſes / auffs wenigſte unnoͤthigen weſens gern gar frey ſeyn moͤchten / indeſſen ſich noch derſelben / als einer unverbote - nen ſache / ſo lang mit gebrauchen / als jemand ſich an dero unterlaſſung ſtoſ - ſen wuͤrde / welches insgemein leicht geſchehen moͤchte / wo dergleichen unter von euſſerlichem ſtand ungleichen perſonen vorgienge. Daher wird es Eu. Gn. zwahr nicht verdacht werden / da ſie ſich gegen mich aller titul entbrechen / ſo mir auch von hertzen lieb ſeyn wird: Wo ich mich aber / ob zwahr nach dero erlaubnuͤß / gleicher freyheit gegen dieſelbe / als eine hoͤhere / bediente / muͤſte ich ſorgen / wie man niemal gewiß iſt / in weſſen haͤnde die brieffe gerathen / da der - gleichen ein ander / der ſolche freyheit zu vertragen nicht vermoͤchte / ſehen ſol - te / daß es mir alſo ausgeleget werden moͤchte / ob wolte ich den unterſcheid der ſtaͤnde auffheben / und mich hierinnen den Quaͤckern mit fleiß gleich ſtellen. Ob ich dann ſchon auch ſolche leute ihrem richter ſtehen und fallen laſſe / ihre lehre gleich wol nicht billigen kan / ſo wuͤrde mir dannoch ſolcher vorwurff an anderm guten nicht wenig hinderlich ſeyn koͤnnen: ich hingegen achte mich fuͤr ſchuldig / auch dieſen anſtoß anderer ſchwachen zu vermeiden: dabey aber von grund der ſeelen verlangte / daß es durch die gnade des HErrn in unſerm gan - tzen Chriſtenthum zu einer mehrern einfalt kaͤme / und auch alle dieſe ſonſten unnoͤthige dinge / welche man alleine um anderer willen beybehalten muß / ohngehindert ausgelaſſen werden koͤnten. Ehe aber dieſes geſchiehet / und alſo in gegenwaͤrtigem zuſtand / bequeme mich der zeit in demjenigen / was das gewiſſen noch zugibet; und werden alſo Eu. Gn. mir auch dieſes guͤtig zugeben / ꝛc. 1692.

SECTIO XVII. Vom geſchenck-geben und nehmen in gerichtlichen haͤndeln.

Die vorgelegte frage.

  • Ob man an einem ort / wo man zu negotiiren oder vielmehr recht - lichen ausſpruch zu gewarten hat / demjenigen Rath / der in der ſache vermuthlich referiret / und durch ſeine relation und vo - tum der parthey groſſen ſchaden und vortheil thun kan / mit gutem gewiſſen ein geſchenck geben oder verſprechen koͤnne / ehe die ſache ausgemachet iſt?
Wie243ARTIC. II. SECTIO XVII.

WJe dieſe frage an ſich ſelbs ſehr wichtig iſt / alſo wird ſich in fleißtgem nachdencken zeigen / daß ſich mehr difficultaͤten darinnen finden / als man erſtlich gedencken moͤchte / daß auch mit bloſſem unbedingten ja oder nein ſich nicht antworten / ja auch ohne gewiſſe præparatoria zu der ant - wort ſelbs nicht ſchreiten laͤſſet. Daher ich in der furcht des HErrn die gan - tze materie uͤberlegende / ſie in etliche ſaͤtze abzutheilen noͤthig finde.

  • 1. Denen Aſſeſſoribus, Raͤthen und Conſulenten eines jeden / ſonderlich hohen / gerichts / als welche von ſolchem ihrem amt leben muͤſſen / ſollen billich ſolche beſoldungen / oder auch maͤßige und durch die geſetze beſtimmte acciden - tia, von den partheyen (wiewol das erſte fuͤglicher / und dasjenige / was von den partheyen zu geben / ſicherer dahin zu lieffern waͤre / wovon ſie die beſol - dung zu empfangen) aſſigniret werden / daß ſie ihr leben nach ihrer condition (ſo aber nicht ſo wol nach ihrer ambition zu reguliren / als von andern recht - ſchaffenen verſtaͤndigen leuten zu æſtimiren waͤre) fuͤhren moͤgen / und bey ih - rer arbeit nicht mangel leiden doͤrffen. Dieſes iſt der billichkeit / ja der ge - rechtigkeit gegen diejenige / ſo zu dero handhabung geſetzet ſind / ſelbs gemaͤß. Damit ſich ſolche leute nicht aus mangel des noͤthigen unterhalts nach an - dern unrechtmaͤßigen accidentien umſehen / und damit der gantze lauff der ge - rechtigkeit gefaͤhrlich gehemmet werde. Geſchihet ſolches nicht / und es wird nachmal von ihnen in ſolcher ſache wider ihre pflicht gethan / ſo ſind ſie zwahr damit vor GOTT und in dem gewiſſen nicht entſchuldiget / indeſſen faͤllet gleichwol ein groſſer theil der ſchuld des daraus entſtehenden geſchenck - gebens und nehmens auf diejenige obere / welche jenen ihre nothdurfft billich aſſigniren / und alſo die andere inconvenientia dadurch verhuͤten ſolten.
  • 2. Welche zu adminiſtration der gerechtigkeit geſetzet ſind / es ſeyen nun ſelbs die richter und aſſeſſores, oder deroſelben conſulenten / oder welche die relationen zu ſtellen haben / koͤnnen nicht mit unverletztem gewiſſen / ohne was etwa gewiſſe gebuͤhren moͤchten lege verordnet ſeyn / von den partheyen eini - ge geſchenck oder gaben ſuchen / oder da ſie ihnen offeriret werden / annehmen. Die urſachen ſind. 1. Weil die gerechtigkeit / als ein ſtuͤck des ſchutzes / wel - chen man von der Obrigkeit genieſſet / nicht ſoll erſt doͤrffen erkaufft werden / ſondern zu der pflicht der Obrigkeit gehoͤret / da hingegen zu ihrer unterhalt und anſtalten der dinge / welche zu ihrem amt gehoͤren / von den unterthanen ſchoß und andere gebuͤhren abgeſtattet werden muͤſſen: weswegen ſie auch verbunden iſt / alles dermaſſen anzurichten / daß die unterthanen nicht noͤthig haben / jedes in ſpecie, weſſen ſie von der Obrigkeit beduͤrfftig ſind / auffs neue mit geld zu bezahlen. Deswegen diejenige / welche von der Obrigkeit zu der adminiſtration der juſtiz verordnet / und ihnen deswegen zu ihrer ſubſiſtenz die ſalaria gegeben werden oder gegeben werden ſollen / dasjenige in dem nah -H h 2men244Das dritte Capitel. men der Obrigkeit ohne entgeld wiederfahren laſſen muͤſſen / was die unter - thanen von der Obrigkeit / eben deswegen / weil es ihre Obrigkeit iſt / mit recht fordern doͤrffen. Wo mir alſo einer mein gehoͤriges recht in dem gericht nicht ohne geſchencke wiederfahren laſſen will / und mich alſo durch die ſorge / meine gerechte ſache zu verliehren / zu jenen noͤthiget / der thut mir nicht viel ander unrecht / als wo mich einer ſonſten noͤthigen wolte / ihm etwas des mei - nigen / ſo er von mir in haͤnden haͤtte / auffs neue wieder abzukauffen und zu redimiren: welcher that unbillichkeit jeglichem leicht in die augen leuchtet.
  • 3. Sind auch ſolche geſchencke in den geſetzen und rechten ausdruͤcklich verboten: und zwahr nicht nur in den weltlichen und menſchlichen / ſondern zumal auch in den goͤttlichen rechten: Da es heiſſet 2. Moſ. 23 / 8. Du ſolt nicht geſchenck nehmen / denn geſchenck machen die ſehende blind / und verkehren die ſachen der gerechten. So wiederholet wird 5. Moſ. 16 / 19. Zwahr gehoͤret ſolches bekantlich zu dem juͤdiſchen policey-recht / ſo uns an und vor ſich ſelbs nicht verbindet / als ſo fern und welche ſatzungen auf dem grund der allgemeinen billich - und gerechtigkeit und liebe des nechſten beru - hen / darunter wir aber dieſes mit recht zehlen: auch deſſen zeugnuͤß iſt / daß ſich gleiche geſetze auch bey andern voͤlckern finden / ſo ihnen von klugen und der ge - meinen wolfahrt kuͤndigern maͤnnern / ohne abſicht auf die juͤdiſche policey gegeben worden. Daher wir ſolches geſetz / als einen ſondern ausdruck des uns alle verbindenden moral-geſetzes / und was dawider geſchihet / vor ei - gentliche und ſchwehre ſuͤnden zu achten haben.
  • 4. Werden die meiſte Aſſeſſores und Raͤthe bey denen gerichten gemei - niglich mit ſonderbaren ordnungen verſehen / darinnen ſolcherley geſchencke gewoͤhnlich ihnen bloſſerdings verboten werden / auf ſolche werden ſie ange - nommen / und muͤſſen meiſtentheils dieſelbe mit leiblichem eyde beſch wehren. Wo ſie dann nun dawider thun / machen ſie ſich noch uͤber die uͤbrige ſuͤnden auch eines meineyds ſchuldig / deſſen greuel vor GOTT nicht gnug ausge - druckt werden kan.
  • 5. Stuͤrtzen ſich ſolche / welche geſchenck annehmen / in die gefahr eines ungerechten urtheils oder voti, ſo von ihnen gegeben / und dadurch veranlaſſet werden kan: zwahr entſchuldiget man ſich damit gemeiniglich / man nehme die geſchencke / aber ſpreche doch was recht iſt. Aber es betriegen ſich ſolche leute ſehr / und weil ſie ihnen etwa einen vorſatz / das recht nicht zu verletzen / gefaſſet haben / bilden ſie ſich vergebens ein / als ſtuͤnde ſolches nachmal allerdings in ihrer macht / nicht bedenckende / wie das urtheil des menſchlichen verſtandes ſo viel auch von dem willen / undwas demſelben angenehm oder zu wider iſt / de - pendire / und darnach geaͤndert werde. Wir erfahren je alle taͤglich an uns /wie245ARTIC. II. SECTIO XVII. wie wir ſo leicht dasjenige glauben / was wir gern wollen / und uns ſo offt ei - ne ſache dermaſſen vorkommet / nicht ſo wol wie ſie an ſich ſelbſten iſt / als wir ſie zu ſeyn gern ſehen: Hingegen finden wir abermal auch bey uns / daß die empfangene geſchencke / da ſie uns angenehm ſind / eine ſonderbare af - fection gegen denjenigen der ſie gibet / erwecken / aus welcher man bald ver - langet / daß derſelbe recht haben moͤge: daraus ferner geſchihet / daß man ei - nes ſolchen mannes ſachen leſend / ſie bald mit durch liebe verblendeten augen anſihet / daß dasjenige was fuͤr ihn iſt / uns ſo klahr in die augen leuch - tet / daß das andere was dagegen iſt / keinen platz mehr bey uns findet / und wir freylich wie in eigenen alſo auch derjenigen ſache / die wir durch affection der parthey uns gleichſam eigen gemacht haben / ſehr blind werden. Wel - ches in vorangezogenem ſpruch 2. Moſ. 23 / 8. GOtt ſelbs ſagt / daß auch die weiſen durch geſchencke blind werden. Welches Sirach auch ſehr fein aus - trucket c. 20 / 31. Geſchencke und gaben verblenden die weiſen / und le - gen ihnen einen zaum ins maul / daß ſie nicht ſtraffen koͤnnen. Wer alſo ſich dieſe einbildung machet / er koͤnne wol geſchenck nehmen / und dannoch unverruͤckt und ohne die geringſte partheylichkeit bey der gerechtigkeit blei - ben / der trauet ſich mehr zu als er ſoll. Einmal GOtt ſagt / daß auch die wei - ſen / welche ſonſten guten verſtand haben / und ohne dieſe hindernuͤß das recht ohne fehl ſehen wuͤrden / welche auch ſonſten einen vorſatz moͤgen gehabt ha - ben recht zu thun / durch geſchencke blind werden / und alſo nicht nur geſche - hen kan / daß ſie wider beſſer wiſſen und gewiſſen das unrecht recht ſprechen / ſondern daß ſie auch wahrhafftig ihre affecten dermaſſen blenden und ein - nehmen / daß ſie ſchwartz vor weiß / und alles was fuͤr die beliebte parthey ſtreitet / ſtaͤrcker als es in der wahrheit iſt / anſehen. Wann dann ein menſch gedencket / ich kan geſchencke nehmen / und ſoll mich ſolches doch nicht blenden: wolte ich nur fragen / wem wol am billichſten zu glauben ſeye / einem men - ſchen / der ſich vieles gutes zutrauet / oder GOtt ſelbs / der des menſchlichen hertzens betruͤgliche boßheit von grund aus kennet? Jch hoffe niemand werde leicht ſo unverſchaͤmt ſeyn / jenem vor dieſem lieber glauben zuzumeſſen.
  • 6. Kommt noch dieſe urſach hinzu / wo einer ſo ſtarck ſolte ſeyn / daß er ſich durch die geſchencke nicht von dem richtigen urtheil der gerechtigkeit ab - wenden lieſſe / ſo iſt doch noch eine urſach / welche ſolche zu nehmen verbeut / nemlich das boͤſe exempel / welches damit gegeben wird / dadurch auch ande - re ſolche zu nehmen bewogen werden / von denen diejenige / welche ſich etwa ſtarck gnug zu ſeyn einbilden moͤgen / ſelbs glauben werden / daß ſie kraͤfftig gnug ſeyn moͤgen / deren ſinn zu corrumpiren / und alſo zu offenbahrer unge - rechtigkeit mehr und mehr den weg zu bahnen. Jſt alſo ſolches nehmen auchH h 3des -246Das dritte Capitel. desjenigen / der ſich nicht verblenden lieſſe / nicht nur ein ſchein eines boͤſen denjenigen / welche ſein innerſtes nicht gnugſam erkennen / und von ihm dar - nach urtheilen / wie die menſchen insgeſamt geſinnet zu ſeyn pflegen / ſondern / es iſt auch eine verleitung anderer / ſonderlich wo es von denen wahrgenom - men wird / welche ſonſt ein gutes zeugnuͤß und ruff der gerechtigkeit haben / daß die uͤbrige / welche ohne das dem unrecht nicht ſo feind ſind / ihnen dasje - nige nicht weniger erlaubt achten / was ſie von denſelben ſehen: und faͤllet alſo die ſchuld ſolches ſtaͤtswaͤhrenden uñ im̃er erneurenden / ja zunehmenden aͤr - gernuͤſſes im̃er wieder auf jenen / der mit ſeinem exempel andere ſtaͤrcket. Die - ſe gruͤnde hoffe ich / ſollen ſtarck gnug ſeyn / zu erweiſen / daß einmal ſolche ge - ſchencke mit gutem wiſſen nicht genom̃en weꝛden moͤgen / ſondeꝛn daß ſie ſuͤnd - lich ſeyen. Es wird auch deroſelben ſuͤndlichkeit damit nicht auffgehoben / wo ſolche perſonen ſagen wolten / daß ſie aus noth wegen mangel des Salarii der - gleichen thun muͤſten. Dann ob zwahr in ſolchem fall / wie bereits erwehnet / auff die jenige vieles zuruͤck faͤllet / bey denen es ſtehet / daß die billichkeit ih - nen nicht gedeyet / ſo hebet dennoch ſolches ihre ſuͤnde nicht auff / ſondern ſie muͤſſen mit andern remonſtrationen und anſuchungen ihrer noth zu helffen ſuchen / und doͤrffen ſo wenig ſich mit unrecht an andern zu erholen trachten / als man den ſoldaten / welche in dem krieg ihren ſold nicht bekommen / auch darin miſerabel ſind / nicht billiget / da ſie ſich auff das rauben und ſtehlen le - gen / aber ohngeacht deſſen daruͤber von der juſtiz abgeſtrafft werden.

3. Wo ſolches geſchencknehmen anfangt einzureiſſen und bekant wird / iſt die hohe Obrigkeit uͤber jedes ſolches gericht verbunden / ein ſcharffes ein - ſehen zu haben / die ſache zu unterſuchen / und wen man darinn ſchuldig be - findet / auffs nachtruͤcklichſte und andern zum ſchrecken als einen corrupto - rem juſtitiæ, der ſich an dem publico hefftig verſchuldet / zu ſtraffen. Thut ſie ſolches nicht / ſo faͤllet abermal auff ihre verantwortung ein groſſes theil der ſchuld der daher entſtehenden ungemach / und auch daruͤber zu ſeiner zeit ausbrechender goͤttlicher gerichte / die auff alle ungerechtigkeit dermaleins folgen.

4. Jnsgemein und ordentlicher weiſe ſuͤndiget nicht nur derjenige / wel - cher dergleichen geſchencke nimmet oder ſuchet / ſondern auch derjenige wel - cher dieſelbe gibet. Wenn nemlich 1. bey einigem gericht (ſo ich nicht weiß / ob es aller orten uͤblich) herkommens / daß die partheyen voran oder hernach / daß ſie nichts ſpendiret haͤtten / bezeugen / oder ſolches mit geluͤbd oder eyd beſtaͤtigen muͤſſen. Jn welchem fall ſo wenig dergleichen zu thun mehr er - laubt iſt / als ich ſonſten wider die wahrheit oder eyd ohne ſuͤnden nichts thun kan. 2. Wo an einem gericht die gewohnheit noch nicht allzuſtarck eingeriſ - ſen iſt / daß daher ihr noch auff allerley weiſe mit nachtruck reſiſtiret werdenkan /247ARTIC. II. SECTIO XVII. kan / und von jeglichem aſſeſſore mit dem man es zu thun hat / ſich noch die hoffnung ſchoͤpffen laͤſſet / daß er ſolcher art nicht ſeyn werde. Da hingegen diejenige / welche entweder erſtmals eine ſolche boͤſe ſache anfangen und auff - bringen / oder da ſie noch nicht uͤberhand genommen / dazu mehr vorſchub thun / nicht nur auff oben ausgefuͤhrte art ſich verſuͤndigen / ſondern ihre ſuͤn - de damit ſchwehrer machen / daß ſie ein dergleichen ungluͤck einfuͤhren / deme weder ſie noch andere dermaleins zur gnuͤge zu ſteuren vermoͤgend ſind / und ſo zu reden einen brand anſtecken / welcher weiter um ſich friſſet / als ſie an - fangs ſelbs gedacht hatten; daß auff ihnen gleichſam eine ſolche ſchuld liget / wie dorten dem Jerobeam ſo offt das ſchaͤndliche prædicat zugeleget wird / der Jſrael ſuͤndigen machte. So lange alſo noch ein widerſtand gegen dieſe ungerechtigkeit vorhanden iſt / kan man mit gutem gewiſſen derſelben nicht weichen. 3. Alſo gehoͤret auch dieſe condition dazu / daß es nicht erlaubt ſeye / als lang einige hoffnung iſt / auff andere art / durch anlangung der hoͤ - heren Obrigkeit / oder was vor mittel ſonſten ſeyn moͤgen / zu ſeines rechts er - haltung zu gelangen. Alſo auch / ſo lange annoch eine vernuͤnfftige hoffnung von dem referenten in ſpecie uͤbrig bleibet / daß er ſein gewiſſen ſelbs in acht nehmen / und ohne ſolche unzimliche mittel vor denſelben zu der gerechtigkeit ſich bewegen laſſen werde. 4. So viel weniger iſt es erlaubt / da eine ſache auch einigen ſcheinbaren zweiffel hat / und die gerechtigkeit der einen parthey nicht ſo klahr vor augen liget / daß jeder unpartheyiſcher dieſelbe offenbarlich erkennen kan. Wie dann offt geſchihet / daß einer ſich in ſeinem gewiſſen - berzeuget zu ſeyn achtet / daß er eine gute ſache habe / da aber die eigene liebe zu ſothaner uͤberredung offtmal vieles beytraͤget / und es geſchehen kan / daß die andere parthey mehr recht habe / ſo man dieſer ſeits wegen ſeines affects nicht alſo wahrzunehmen vermag; doch leugne ich nicht / es ſeyen zu weilen einige ſachen ſo offenbaren rechts / da ſich auch unpartheyiſche des andern theils unverſchaͤmter ungerechtigkeit verwundern muͤſſen / und klahr zu ſe - hen / daß der gegentheil entweder durch gewalt die ſach durchzutreiben / oder auff andere der gerechtigkeit widrige weiſe und mittel ſeinen gegentheil zu untertrucken / oder zu ſeinem vortheil die ſache auff die lange banck zu ſchie - ben / und zeit zu gewinnen ſuche. Jndeſſen ſind gleichwol nicht alle ſachen von ſothaner offenbaren gerechtigkeit / ſondern ſehr viele etwa dermaſſen in - tricat, daß ein verſtaͤndiges und mit affecten auff keinerley art eingenomme - nes gemuͤth dannoch zu ſchaffen hat / welcher theil recht habe / zu erkennen. Wo dann eine ſache dermaſſen bewandt / wie vielleicht die meiſte ſeyn moͤgen / und wir unſerm eigenen urtheil nicht trauen doͤrffen / deswegen den richter - lichen uñ in demſelben ſo viel als Gottes ausſpruch mit gedult erwarten / und dermaleins uns gefallen laſſen ſollen / ſo ziemet ſich nicht / durch geſchencke andem248Das dritte Capitel. dem gemuͤth des referenten etwas zu tentiren / daß es nicht mit gleicher un - partheylichkeit beyderley argumenten und momenta cauſæ anſehen koͤnnen / und alſo ein gerechtes urtheil ſprechen.

Daß nun in dieſen terminis geſchenck zu nehmen unrecht ſeye / meine ich / werde unſchwehr erwieſen. 1. Weil ein ſolcher der es thut / mit willen zu des andern ſuͤnde (dann daß jener daran ſuͤndiget / wird zur gnuͤge erhaͤrtet ſeyn) mit cooperiret und hilft / daher ſich derſelbigen theilhaftig machet / folg - lich auch in die gemeinſchafft des goͤttlichen gerichts dagegen faͤllet. 2. Nicht allein ſuͤndiget ein ſolcher durch die participation an des andern ſuͤnde des nehmens / ſondern da er hiedurch entweder ſolchen Gott mißfaͤlligen gebrauch der geſchencke anfaͤngt / wo er noch nicht geweſen / oder weiter ſtaͤrckt / und im - mer durch jedesmal zu ſolchem verderben mehr hinzu thut / daß deſto ſchweh - rer zu helffen / und das aͤrgernuͤß wiederum abzuthun wird: daher jeglicher / welcher in den oben angedeuteten terminis geſchencke gibet / in gewiſſer maaß theil hat an andern corruptionen, die aus ſolcher boͤſen / und doch auch mit ſeinem exempel beſtaͤtigten / gewohnheit her entſtehen. 3. Kan wahrhafftig durch ein ſolch geſchenck der Richter oder referent (welche ſo fern hie in glei - chem recht ſtehen moͤgen / weil dieſes relation zu jenes ausſpruch das meiſte zu contribuiren pfleget / oder doch daß ſolches geſchehen werde / vernuͤnfftig zu dencken iſt) corrumpirt / das iſt / zu einem dem gebenden (geſetzt / er meine auch er habe recht / wie man ſich gern ſelbs flattiret) favorabl aber in der that unrechten urtheil verleitet werden: da zwahr in dem leibl. etwas gewonnen / aber gewißlich an goͤttlicher gnade ein viel groͤſſerer verluſt gelidten wird. 4. Hat auch ſolches unzulaͤßige mittel eine art eines unglaubens in ſich. Das gericht wird dem HErrn und nicht den menſchengehalten / daher auch nicht zu zweiflen iſt / daß / ſo lang noch ſeine ordnung nicht voͤllig uͤber einen hauffen geworffen / er ſeine hand immer dabey habe / und nachdem ja bekantlich alle hertzen in ſeiner gewalt und regierung ſtehen / ſie alſo zu leiten wiſſe / es auch gegen diejenige / ſo ihn fuͤrchten / alſo thun und ſolchen ausſpruch folgen laſ - ſen werde / welcher ihnen erſprießlich ſeye. Wer nun deſſen nichts hoffen / und weil er eine und andere ungerechtigkeit vorgehen ſihet / GOttes leitung gar aus den augen ſetzen will / gleich haͤtte ſie nichts mehr bey der ſache zu thun / der zeiget / daß ihms auch an dem noͤthigen glauben und vertrauen an GOtt fehle. Hiezu mag 5. auch geſetzet werden das ſchwehre aͤrgernuͤß / ſo daher entſtehet / ſonderlich wo es geſchaͤhe von ſolchem / von dem man ſonſten die opinion der gerechtigkeit oder froͤmmigkeit gehabt haͤtte. Jndem ſo offt rechtſchaffene chriſtliche hertzen dergleichen zu geſchehen ſehen / ſie daruͤber be - truͤbt werden / und uͤber den greuel ihrer zeiten ſeuffzen (ſo allemal denen die es verurſachen ſchwehr wird) die geſchenckliebende Richter oder referentenwer -249ARTIC. II. SECTIO XVII. werden je mehr und mehr in ihrer ungerechtigkeit geſtaͤrcket / und achten ſich durch die mehꝛ und mehr einꝛeiſſende gewohnheit ſicher: andere in recht ligen - de werden zur nachfolge verleitet oder gezwungen / arme und unvermoͤgliche ausgeſchloſſen / daß ſie zu ihrem recht jemal zu gelangen keine hoffnung uͤbrig behalten / und alſo vollends der zorn GOttes / eines ſtaats grund-feſten um - zureiſſen / mit gewalt herbey gezogen.

5. Wie nun indeſſen dieſes die regel iſt / alſo will ich nicht leugnen / daß gewiſſe faͤlle ſeyn moͤchten / wo dergleichen geſchencke ohne verletzung des ge - wiſſens koͤnten verſprochen werden. Es wuͤrden aber folgende conditiones dabey ſeyn muͤſſen. 1. Daß unſre ſache nicht nur gerecht / ſondern ſo offenbar gerecht ſeye / daß nicht nur wir ſelbs / ſondern auch andere unpartheyiſche / die wir auff ihr gewiſſen deswegen befragt / daſſelbe ohne einigen anſtand / auch nachdem des gegentheils fundamenta wol erwogen / erkennen / und damit vor GOttes gericht zu erſcheinen freudig getrauen. 2. Daß es auch etwas wichtiges antreffe / deſſen wir nicht ohne groſſen ſchaden und hindernuͤß in un - ſerem leben entrathen koͤnten / ſonderlich wo es auch dinge ſind / daran durch uns andern vieles gelegen. 3. Daß an einem ort die gewohnheit ſo eingeriſ - ſen / daß ſie allgemein / dagegen keine huͤlffe der Oberen annoch zu erlangen / und alſo ſie zwahr nicht zu einem eigentlichen lege, ſo nicht geſchehen kan / worden / aber vim tyrannidis gleichſam erlanget hat / daß wir zu ſchwach ſind / derſelben zu reſiſtiren. 4. Daß alſo nicht nur die ſorge einer gefahr / ſondern ſo viel menſchliche vorſichtigkeit ſehen kan / keine vernuͤnfftige hoff - nung mehr uͤbrig iſt / anderer art zu ſeinem recht zu kommen / weßwegen auch das gemuͤth des aſſeſſoris oder referenten uns ſo bekant ſeyn muß / daß wir ohne verletzung der liebe und aus unbetruͤglichen zeugnuͤſſen ein ſolch ſchlech - tes vertrauen gegen ihn tragen muͤſſen / und nicht anders koͤnnen / mit einer ſolchen gewißheit / als in einem analogo caſu, wo man das juramentum per - horreſcentiæ ſchwehren ſolte / erfordert wuͤrde. 5. Dazu gehoͤret endlich / daß man ja bey dem verſpruch nichts anders und keine ſondere favor erbitte / ſondern allein projuſtitia cauſæ und dero beforderung anſuche: auch nach der ſachen ausgang austruͤcklich bezeuge / daß man zwahr ex promiſſo dasje - nige liefere / aber ſeinem gewiſſen heim gebe / ob er es von GOtt anzunehmen getraue / auch wozu er es anwenden wolle; auff daß man alſo ſo viel an uns iſt / das aͤrgernuͤß abwende oder mindere. Wobey noch 6. aus dem vorigen zu wiederhohlen / daß kein verſpruch vielweniger eydliches geluͤbde ein ſol - ches nicht zu thun dem judicio muß geſchehen ſeyn / oder noch ferner geleiſtet werden: als in welchem fall es auff keine weiſe geſchehen koͤnte / ſondern alles lieber um der ehre GOttes willen in die ſchantz zu ſchlagen waͤre.

Wo aber dieſe conditiones ſich finden / (ich wuͤnſche aber hertzlich / daßJ iſie250Das dritte Capitel. ſie ſich nirgend finden moͤchten) achte ich / daß man ein ſolches ſonſten nach o - bigem ausgefuͤhrten unzulaͤßiges geſchenck zuſagen und geben moͤge. Die fundamenta ſind dieſe. 1. Weil wir bey einem ſolchen gericht deſſen zuſtand ſo anſehen muͤſſen / daß oͤffentlicher gewalt daſelbs regiere / und GOtt ſelbs faſt gar davon gewichen ſeye: weßwegen was wir in ſolchem fall geben / auch muß angeſehen werden / als mit gewalt uns abgezwungen. Wo eine rau - berey in einem land vorgehet / und ich / der ich das meinige bey mir fuͤhre / das ungluͤck habe / unter die raͤuber zu gerathen / ſie aber fordern eine reuter-zeh - rung von ſo und ſo viel von mir / mit betrohung / daß ſie mir ſonſten alles neh - men wolten / odeꝛ auch / woſie es nicht mit woꝛtenſagen / mir aber bekant iſt aus allen exempeln / daß ſie auff den verweigerungs-fall ſolches zu thun pflegen / da kan ich mit gutem gewiſſen dasjenige / was jene mit unrecht von mir for - dern / ſolte es auch ſchon nicht mit austruͤcklichen worten / ſondern andern an - zeigungen geſchehen / ihnen geben / damit ich das andere erhalte / und alſo mit einem geringern verluſt den groͤſſern abwenden. Es wird auch ſolches geben / welches die rechtmaͤßige fuꝛcht mir ausgepꝛeſſet / nicht als ein fꝛeywilliges ge - ben angeſehen / wie es auch in der that nicht iſt / ſondern wo daruͤber zu urthei - len iſt / haͤlt man es vor einen zwang. Nicht ein anders urtheil kan von einem ſolchen præſupponirten zuſtand eines gerichtes gefaͤllet werden / als daß man ſo zu reden unter publicos prædones gerathe / von denen wir die erhaltung unſers uͤbrigen mit einem verluſt eines theils deſſelben redimiren muͤſſen. Man moͤchte zwahr einen unterſcheid darinn ſuchen / daß gleichwol bey einem ſolchen gericht keiner mit betrohung etwas fordere / und formliche gewalt an uns uͤbe / weßwegen das geben mehr freywillig als gezwungen ſeye. Nun iſt nicht ohn / daß freylich unter beyderley in dem euſſerlichen und nach den umſtaͤnden ein unterſcheid ſeye / aber es bleibet dannoch in der ſache ſelbs ei - nerley; es iſt die gewiſſe gefahr des verluſts / dem ich ſonſten nicht entgehen kan / aber auff dieſe einige weiſe den groͤſſern ſchaden abzuwenden muͤglich ſe - he: welches eine zwahr ſubtilere in deſſen nicht weniger ſchaͤdliche gewalt iſt. So beſtehet zwahr das mittel dagegen dem anſehen und euſſerlichen nach in einem geben / es iſt aber vielmehr ein nehmen und leiden als ein geben / wo wo wir auff die innerliche bewandnuͤß gehen. Daher dasjenige argument, ſo ſonſten mit recht auſſer den angezeigten conditionen gegen das geſchenck - geben gefuͤhret wird / dahin faͤllet / daß man ſich damit der frembden ſchuld theilhafftig mache / und anlaß zur ſuͤnde gebe. Dann ich kan mich nicht ei - gentlich der ſuͤnden theilhafftig machen / mit einem leiden oder abgezwunge - nen geben / ſondern dazu gehoͤret ein freyer wille in dergleichen ſachen: ſo gebe ich auch nicht anlaß zur ſuͤnde / ſondern die ſteckt ihrer wurtzel nach bereits indem251ARTIC. II. SECTIO XVII. dem gemuͤth des Raths / und wo ſie ſich nicht an mir auslaſſen kan / mit bekom - mung eines geſchencks von mir / ſo wird ſie etwa die gelegenheit bekommen / ſich auszuuͤben in der erlangung von dem gegentheil und in ungerechtem ur - theil / daher mir nicht muͤglich iſt / die ſuͤnde zu verhuͤten / ſondern nur noch in der wahl ſtehet / in welchem objecto man ihm ſolches zu thun die gelegenheit laſſen oder geben wolle. Gleichwie ich nicht hoffe / daß jemand verſtaͤndiger denjenigen / welcher obiger maſſen von ſtraſſen-raͤubern / ſein uͤbriges mit ei - ner geringern ſumme redimiret / beſchuldigen werde / daß er damit die raͤuber in ihrer boßheit ſtaͤrcke / oder ihnen zur ſuͤnde anlaß gebe: daher ein gleiches von dem unter handen habenden caſu zu æſtimiren iſt. So iſt bereits bey den ethicis bekant und ausgemacht / daß ſolche handlungen nicht bloß pro voluntariis oder ſpontaneis erkant / ſondern mixtæ genennet werden / welche die natur des wercks ſo fern aͤndern koͤnnen / daß was aus ſolcher furcht und gewalt geſchihet / mag nicht unrecht ſeyn / ob es wol unrecht waͤre ohne ſolche gewalt. Zwahr moͤchte man ein wenden / wir ſollen keine gewalt dem goͤttlichen befehl vorziehen / ſondern lieber alles leiden / ehe wir wider denſel - bigen ſuͤndigen wolten: welches ich auch geſtehe / und deßwegen nicht erlaubt achte / um angethaner gewalt willen etwas desjenigen zu thun / was eine ſuͤn - de iſt. Zum exempel / wo mich moͤrder zur verleugnung GOttes oder an - dern in ſich unrechten dingen noͤthigen wolten / habe ich auch mein leben nicht zu theuer zu achten / daß ich es mit ſolcher ſuͤnde erkauffen wolte / ſondern da muß ich den nahmen des HErrn mit erwartung alles deſſen / was goͤttlicher rath ihnen ferner uͤber mir verhaͤngen will / heiligen. Dahin gehoͤret auch in gegenwaͤrtigem caſu, daß ich um keiner moral gewalt willen / die wir darin - nen zu ſtecken achten / einen meineyd oder eigentliche luͤgen begehen darff. A - ber es iſt ein unterſcheid unter den ſuͤndlichen handlungen / deren einige eine ſolche innerliche boßheit in ſich haben / welche keinerley maſſen und nie recht ſind. Zum exempel / gotteslaͤſterung / meineyd / luͤgen / verachtung GOttes / haß des nechſten / ehebruch und dergleichen / andere aber beſtehen in ſolchen handlungen / die in ſich keine innerliche boßheit oder turpitudinem haben / ſondern indifferente actiones ſind / aber aus andern urſachen boͤſe werden: bey jenen alſo iſt nie muͤglich daß ſie erlaubt werden / oder durch eine gewalt ſich aͤndern koͤnten / nicht aber mag von dieſen gleiches geſagt werden. Da - her zum 2. zu mercken / daß das geben eines geſchencks an einen Richter / oder mit dem gericht beſchaͤfftigten perſon / unter die erſte art nicht gehoͤre / indem das geben ſelbs eines geſchenckes in andern umſtaͤnden nichts boͤſes / ſondern ein freywilliger gebrauch des meinigen ſeyn kan / auch moͤchte ich einer ſolchen perſon auſſer den gerichtlichen geſchaͤfften / auch nach geendigtem proceſſ aus einer bloſſen affection auff eine ſolche art / da ſie und andere ſich nicht daranJ i 2aͤrgern252Das dritte Capitel. aͤrgern koͤnten / ohne ſuͤnde ſchencken: ſondern es beſtehet die malitia des actus in dem ſchaden / welcher aus demſelben entſtehet / weil nemlich damit er - und verkaufft wird / was ohne entgeld ſolte erlangt werden / weil damit leicht die gemuͤther verblendet / und zur ungerechtigkeit verleitet werden koͤnnen / auffs wenigſte andere dadurch geaͤrgert / und zu vieler ungerechtigkeit veranlaſſet werden / und alſo das gemeine beſte in vielen ſtuͤcken erfordert / daß was ſonſt in andern faͤllen nicht verboten / in dieſem fall von GOtt jure poſitivo verbo - ten worden. Welche handlungen aber dieſer art ſind / moͤgen durch eine ge - walt erlaubt / und mehr vor leiden als thun geachtet werden: und damit faͤl - let jener einwurff dahin. Auch weil das verbot nicht geſchenck zu geben zum grund dieſes hat / damit die gemeine wohlfarth befoͤrdert / und die admini - ſtrirung der gerechtigkeit nicht gehemmet werde / ſo macht 3. dieſes ein neu argument vor dieſen unſern ſatz / daß eben zu der gemeinen wohlfarth und handhabung der gerechtigkeit auch gehoͤre / daß in einem dergleichen verdor - benen zuſtand eines gerichtes denjenigen / welche gleichwohl gewiſſenhafft verfahren wollen / nicht alles verſperret werde / dadurch ſie zu ihrem recht noch einigerley maſſen gelangen koͤnten. Maſſen dann ſonſten der ungerechtigkeit / dero zu wehren das verbotdes ſchenckens und nehmens die abſicht hat / da - durch mehr thuͤr und thor geoͤffnet / alles dasjenige / was ein ungerechter menſch vor ein gericht zu ziehen die macht bekommen / lauter ungerechten in die rappuſe gegeben / und der gerechte und gewiſſenhaffte zum lohn ſeiner froͤmmigkeit deroſelben muthwillen ohne uͤbriges mittel uͤberlaſſen wuͤrde. Nun wo ohne wahrhafftige ſuͤnde ſolcher gewalt nicht zuentgehen waͤre / blei - bet wol dieſes die condition der frommen / daß ſie von den ungerechten lei - den / und mit deſſen gedultiger ertragung den nahmen ihres GOttes preiſen ſollen / welches ſie auch nicht ungern thun muͤſſen. Aber wie jenes verbot in dem leiblichen zum zweck und grund hat die gerechtigkeit und dero handha - bung / folglich daß den gerechten moͤge wol ſeyn / und ſie darinnen deſſen / wo - zu ihnen die Obrigkeit gegeben iſt (nemlich dir zu gut / item daß ſie nicht denguten ſondern den boͤſen wercken zu fuͤrchten ſeye Rom. 13 / 3. 4. ) auch in dengeꝛichtlichen dingẽ / ſo viel in dem menſchlichen leben geſchehen kan / genieſſen / nicht aber einer offenbahren oder verdeckten gewalt preiß gegeben werden / ſo kan ſolches verbot ſich nicht dahin und ſo weit erſtrecken / wodurch aller jener zweck umgeſtoſſen / und der zuſtand derer welche eine gerechte ſache haben / nur elender und unheilbarer gemachet werden / weil ſo GOttes / der das geſetzgegeben / als der menſchen / welche es auffs neue wiederhohlet ha - ben / intention nimmer dieſelbe geweſen ſeyn kan.

Der HErr der GOtt der gerechtigkeit ſehe auch in dieſes verderben des gegenwaͤrtigen zuſtands / welches forglich bey den gerichten ſich hin und wie -der253ARTIC. II. SECTIO XVIII. der finden mag / regiere die oberhaͤupter / alles ihrer ſeits zu thun / was zu voͤl - liger abſchaffung ſolches greuels noͤthig iſt / und damit die ſonſten beſorgliche zorn-gerichte abzuwenden; gebe denjenigen / welche ſich einigerley maſſen in ſolchen dingen mit geben und nehmen oder abdringen verſuͤndiget haben / ihre ſuͤnde bußfertig zu erkennen / und auffs kuͤnfftige ihre hertzen von allem geitz und ungerechtigkeit / ja auch ſchein des boͤſen / zu reinigen; diejenige aber / wel - che ihr recht an den ſtaͤtten des gerichts zu ſuchen haben / erfuͤlle er mit dem Geiſt der weißheit / auch zu erkennen / was ſein heiliger will an ſie in allen faͤl - len bey ſolchem werck ſeye / mit muth und ernſt demſelben in allem nachzule - ben / mit gedult die dabey befindliche beſchwehrnuͤſſen zu uͤberwinden / mit glauben aus ſeiner regierung / unter dero alle hertzen ſtehen / ihr recht zu er - warten / und endlich mit der freude / daß ſie in dem ausgang ſehen / daß GOtt noch richter auf erden / und unter aller ungerechtigkeit der menſchen ſelbs ge - recht / auch der ſeinen ſchutz und Vater bleibe. 1685.

SECTIO XVIII. An eine Chriſtliche mutter / deren ſoͤhne in boͤſes leben gerathen.

DErſelben gegen mich allezeit bezeugte chriſtliche liebe / und weil ich weiß / daß es ihro um GOTT und ſeine gnade ein ernſt iſt / erfordert von mir hinwiederum / daß ich nicht nur ihro ſtets gedencke / und auch ihren lieben nahmen in einem oͤfftern gebet vor den thron der gnaden bringe / ſondern daß auch zuweilen dieſelbe ſolches meines chriſtlichen angedenckens verſichere / und mich nachzufragen unterſtehe / wie es um ihre und der ihrigen ſeele ſtehe. Jch weiß / daß ihre andere truͤbſalen / ſo ſie auf unterſchiedliche art betroffen / ſo ſehr nicht in ihrer ſeele ſchmertzen / als daß ſie an mehrern der - jenigen / welche ihr der HErr gegeben / dasjenige bißher nicht hat ſehen moͤ - gen / wornach ſie verlanget / nehmlich / daß ſie ihnen auch das einige nothwen - dige vor allem lieſſen angelegen ſeyn / da hingegen offenbar iſt / wie ſie ſich ſtarck in die welt verliebt / und faſt mit ſolchen ſtricken derſelben verbunden / welche ſo leicht nicht wieder zu zerreiſſen ſind: daher ſie auch immer uͤber die - jenige anfechtung geklaget / daß ſie der guͤtige Vater auch in den ſtuͤcken nicht zu erhoͤren ſcheine / worinnen ſie doch nichts als der ihrigen ſeelen / und alſo et - was / welches ausdruͤcklich ſeiner ehr gemaͤß ſeye / von ihm ſo flehentlich ſuche. Nun meine werthe Frau / was ich mehrmal in gegenwart gemeldet / wieder - hole nochmal zu deſto hertzlicherm nachdencken / und ruffe den HEꝛrn an / daß er mit lebendiger erkaͤntnuͤß ſeines heiligen willens ihre liebe ſeele immer mehr und mehr beruhigen wolle. Daß ſie wegen derjenigen / welche ihr der HErr gegeben hat / beſorget iſt / thut ſie nicht nur allein als eine chriſtlicheJ i 3mutter /254Das dritte Capitel. mutter / welche die ihrige demjenigen / deſſen ſie ſind / auf alle weiſe zuzufuͤhren verbunden iſt / ſondern ſie weiſt / daß dieſes gar die allgemeine Chriſten-pflicht ſeye / daß uns nichts mehr angelegen ſolle ſeyn bey unſerm nechſten / als wie ihm ewig wol ſeyn moͤchte / daher auch keine wichtigere urſach zur betruͤbnuͤß iſt / als wo wir einige ſehen / welche die gefahr ihrer ſeelen wenig behertzigen / und alſo dieſelbige immer ſchwehrer machen. Jch traue auch ihrem chriſtli - chen gemuͤthe dieſes zu / daß ſie es nicht werde haben ermangeln laſſen / ihre ſoͤhne treulich von jugend auf zu vermahnen / daß ſie ſich dasjenige vor allen dingen lieſſen angelegen ſeyn / davon ihnen ewig wol waͤre. Solte aber in mehrerm nachforſchen das gewiſſen zeigen / daß ſie mit mehrer ſorgfalt und ernſt in den zarten jahren / wo die gemuͤther noch am beſten zu lencken ſind / haͤtten von der liebe der welt / von dem trunck und vom freyen leben abgezogen werden koͤnnen / als geſchehen waͤre / ſo waͤre dieſes nothwendig / ſich auch deß - wegen vor dem angeſicht GOttes zu demuͤthigen / und dardurch ſeiner gnade ſich zu verſichern: welches von gantzem hertzen gethan / nachmal einen treffli - chen grund leget einer mehrern ſeelen-beruhigung. Nechſtdem ligt derſel - ben freylich ob / nach allem dem vermoͤgen / ſo ihr der HErr gibt / noch jetzo fuͤr ihre ſeele zu wachen / und da ſie ſo fern in dem uͤbrigen auſſer ihrer gewalt und in der frembde ſind / auffs wenigſte tag und nacht zu demjenigen / der ihr rech - ter Vater im himmel iſt / zu ſeuffzen / daß er ſich derer / ſo in der irre eine gute weile gegangen ſind / in gnaden erbarmen / und ſie wiederum zuruͤckfuͤhrende / ein zeugnuͤß ſeiner allmacht und guͤte erweiſen wolte: wie es vor dem von des theuren Auguſtini mutter Monica, ſo ihren ſohn von GOTT endlich erbeten hat / heiſſen muſte / es ſeye nicht moͤglich geweſen / daß ein ſohn von ſo vielen thraͤnen ſolte haben koͤnnen verlohren gehen. Mit dieſem gebet muß unauf - hoͤrlich angehalten werden / als lang der HErꝛ die gnaden-thuͤr uͤber die unſri - ge noch offen / und ſie in dieſer zeitlichkeit laͤſſet / ob ſeine guͤte endlich zu der letz - ten ſtunde dasjenige erfolgen lieſſe / was wir laͤngſten zu geſchehen gewuͤnſchet hatten. Jndeſſen muß auch in dieſem ſtuͤck unſre natuͤrliche / ob wol an ſich ſelbs rechte und billige liebe / dem goͤttlichen willen und gerechtigkeit weichen / und ſich unterwerffen / alſo daß wir der unſrigen heil nach aller krafft des Geiſtes / die uns verliehen wird / mit ſorgfalt und gebet ſuchen / aber unſern GOTT und deſſen gerechtigkeit / uns noch viel lieber als die unſrige ſeyn laſ - ſen / und deßwegen wider dieſe nicht murren / wo GOTT an den unſrigen ſei - ne ordnung nicht bricht / nach dero er diejenige / welche ſich nicht mit ſeylen der liebe zu ihrem heil ziehen laſſen wollen / ſelten gleichſam mit gewalt dazu noͤthi - get. Alſo da ein dem HErrn treulich dienen der David an den ſeinigen nicht alles vergnuͤgen ſihet / und gar an einem Ammon und Abſalon wenig hoff - nung behaͤlt / ſie ewig wiederum mit freuden zu haben / muß er ſich auch darin -nen255ARTIC. II. SECTIO XVIII. nen unter GOttes hand mit gedult demuͤthigen / und diejenige nicht mehr fuͤr die ſeinige erkennen / welche ſich ſelbs nun alſo von dem HErrn getrennet ha - ben / daß ſie unter die zahl der ſeinigen nicht wiederum kommen. Jch beken - ne / es iſt eine harte lection, und muß hierinnen der natur gleichſam gewalt thun / aber wie an jenem tage / da wir das fleiſch gantz abgeleget haben / eltern nicht mehr ſchwehr wird werden / auch die ihrige von ſich und GOTT ewig geſchieden zu ſehen / weil ihr wille nunmehr von dem goͤttlichen gantz durch - drungen iſt / alſo will uns GOTT auch noch hier in der welt dieſe gnade thun / daß wir in der krafft ſeines Geiſtes die natur uͤberwinden / und ſeiner gerech - tigkeit diejenige / welche wir geliebet / wo es nicht mit freuden ſeyn kan / dan - noch mit gedult / demuth und verleugnung unſer ſelbs / uͤberlaſſen. Es iſt die - ſes ein ſolcher todt unſerer natur / dadurch und daran ſie nicht gern will; ſich aber auch wie in andern ſtuͤcken von der weiſen hand des Vaters / ſo uns durch manchen todt zum leben gefuͤhret / fuͤhren laſſen muß: in welcher ſchul ich mei - ne geliebte Frau von GOTT lang bereits geuͤbet zu ſeyn wol weiß / und den - ſelben hertzlich anruffe / daß er ſie in dieſem und allem uͤbrigen nach ſeinem rath treulich leite / und mit ehren annehme. Hiezu wird auch gehoͤren / da ſie die - jenige / die von ihr entfernet / und die meiſte bande ziemlich zerriſſen haben / nicht ſelbs regieren kan / ſondern ſie GOttes regierung mit hertzlichem gebet lediglich uͤberlaſſen muß: daß ſie an den uͤbrigen lieben ihrigen / welche ſie um ſich hat / deſto mehr treue erzeige / und ſie deſto angelegenlicher und weißlicher von aller welt-gemeinſchafft zu dem HErrn fuͤhre. Ach der HErꝛ ſegne auch ſolchen fleiß / und gebe ihren muͤtterlichen erinnerungen eine lebendige krafft in die hertzen / und ſchencke ihr / (welches ich wol inniglich wuͤnſche) auch derje - nigen ſeelen / welche ſich faſt muthwillig verderben haben wollen / oder troͤſte ſie uͤber dieſe ſo viel kraͤfftiger an den uͤbrigen. Von mir wolle ſie verſichert ſeyn / daß nachdem ich zum zeugnuͤß einer danckbarkeit an ihr und ihrem hauſe nichts zu thun vermag / auffs wenigſte nicht unterlaſſen werde / wie oben be - reits bezeuget / ihre liebe perſon und anligen / die ihrige insgeſamt von dem HErrn zu ihrer erhaltung zu erbitten / deſſen vaͤterlichen guͤte vorzutragen. Nun derſelbe ſtaͤrcke ſie mit ſeinem Geiſt / verſichere ſie in allem uͤbrigen zu - ſtande ſeiner gnade innerlich / und erfreue ihre ſeele alſo / daß nach dem aͤngſtli - chen ruffen auch freudiges dancken erfolge. Er weiſe ihr auch chriſtliche freun - de zu / deren gottſeliger zuſpruch auch ihre ſeele ermuntere / wozu meines orts gern gelegenheit geben wolte. 1687.

SECTIO256Das dritte Capitel.

SECTIO XIX. Als eine mutter einen ungerathenen ſohn ins zucht - hauß bringen laſſen wolte.

JCh habe in der furcht des HErrn der ſpeciei facti und angehaͤngten ra - tionibus pro & contra mit mehrerm nachgedacht / ſonderlich dieſe gegen einander erwogen / da ich denn bekenne / daß mir die ſache nicht mehr ſo ſchwehr als bey dem erſten leſen (ohne zweiffel wegen damal ſchwacherer di - ſpoſition des haupts) vorgekommen / ſondern ich getraue getroſt zu ſagen / daß man mit einſperrung in ein zucht-hauß eines ſolchen menſchen / bey dem die boßheit beꝛeits dermaſſen erſtaꝛcket / daß ſie andeꝛn gelindẽ mitteln nicht mehr weichet / und kein ſcheinbarer grund einer guten hoffnung uͤbrig / vielmehr eine gerechte ſorge iſt / daß eine mehrere freyheit auch eine mehrere uͤbung der boß - heit mit ſich bringen / ſich nicht verſuͤndigen werde / ſondern dieſes wol das ei - nige uͤbrige mittel ſeyn moͤchte / dardurch er noch erhalten wuͤrde. Man muß roſſen und maͤulern ein gebiß in das maul legen / da ſie nicht anders auf den rechten weg wollen. So ſind die fuͤr ſolche affirmativam angefuͤgte gruͤnde ſo ſtarck / daß ſie nicht viel weiter bedoͤrffen bekraͤfftiget zu werden. Was aber die gegen-gefuͤgte argumenta anlangt / moͤgen ſie die andern nicht auffhe - ben. 1. Daß der menſch nur 20. jahr alt. Dann dieſes alter ſchon genug / von der gleichen offenbaren laſtern abzuſtehen / welche nicht nur in einer jeweiligen jugendlichen uͤbereilung / da man mit dem alter gedult tragen / und von dem - ſelben nicht eben eine ſolche behutſamkeit in allem ſich zu verwahren fordern kan / beſtehen / ſondern eine tieff-eingeſeſſene und eingewurtzelte boßheit an - deuten: Dero zunehmung ordentlicher weiß mit den jahren eher zu ſorgen / als die abnehmung zu hoffen iſt. 2. Daß er ſich beſſern koͤnne / welches zwahr nicht zu leugnen / aber dabey auch vernuͤnfftig zu bedencken / ob man ſolches zu geſchehen gegruͤndete hoffnung habe: Welche ich gleichwol betrachtet / daß bißhero alle zuſpruͤche vergebens geweſen / noch nicht ſehe / es ſeye dann ſache / daß ein kraͤfftigeres mittel / als das vorige geweſen / gegen einen ſolchen har - ten kopff gebrauchet wuͤrde; desgleichen noch kein fuͤglichers / als eben dieſe coercition in dem zucht-hauß abſehe oder vorgeſchlagen finde. Dahero die muͤglichkeit ſeiner beſſerung dieſem mittel nicht entgegen gehalten werden ſoll / ſondern zu deſſen ergreiffung anleitung geben mag. Um ſo vielmehr / weil die Academien jetzt durch und durch / ob wol in unterſchiedlichem grad / dermaſſen bewandt / daß eher zu ſorgen / daß durch die uneingeſchren ckte frey - heit / taͤglich vor augen ſchwebende aͤrgernuͤſſen und boͤſe geſellſchafft / auch bey noch feinen gemuͤthern / und die ſich zu hauß wol gehalten / der boͤſe ſaame / ſozu257ARTIC. II. SECTIO XIX. zu der ſuͤnde und allerley weltlichen uͤppigkeit in aller hertzen ſtecket / auffge - wecket / und vorhin gut geweſte verfuͤhret werden moͤchten / als daß man mit grund hoffen ſolte / daß ein menſch / ſo bey weniger freyheit und unter fleißiger auffſicht der ſeinigen zu hauß in der boßheit ſo weit verfallen / der mehreren Academiſchen freyheit ſich zur beſſerung gebrauchen werde; da dieſe vielmehr ihm die erwuͤnſchteſte gelegenheit ſeyn kan / ſeinem muthwillen nun den ziegel voͤllig ſchieſſen zu laſſen / davon ihn die auffſicht der Profeſſorum, welche ohn das mehr zu thun / als auf einen menſchen ſtuͤndlichen zu ſehen ha - ben / noch eines hofmeiſters nicht abzuhalten vermoͤgen wird. Ein anderes waͤre es / wo unſere hohelſchulen insgemein in ſolchem ſtand waͤren / daß man an ihnen rechte werckſtaͤte des H. Geiſtes und die meiſte tugend-exempel ſaͤ - he / wo vielleicht zu hoffen waͤre / daß ein menſch / der endlich gleichſam nichts anders als lauter gutes vor ſich ſaͤhe / dadurch gewonnen und zu anderm ſinn gebracht wuͤrde. Jn bekantlicher ermangelung aber deſſen / und hingegen bewuſtem zuſtand der Academien / ſehe ich nicht / wie einer ihres ſohns wahres beſte ſuchender mutter verdacht werden koͤnne / daß ſie ein ſolches gefaͤhrli - ches mittel mit ihm nicht verſuchen will / davon ſie kaum hoffnung haben kan - aber wol vernuͤnfftig foͤrchten muß / daß dadurch der ſchade nur ſo viel unheil - ſamer werden / alle hoffnung vollends verſchwinden / die boßheit voͤllig erſtar - cken / und er in ſolch ungluͤck gerathen moͤchte / darinnen er zeitlich und ewig verlohren gienge; auch den ſeinigen endlich eine unausloͤſchliche ſchande an - haͤngte. Darauf mans ja bey ſo gegruͤndeter ſorge nicht kommen laſſen ſol - le. 3. Daß er dabey auf einmal ruinirt / weil er hoffaͤrtiges und zorniges ge - muͤths / daß ihn ſolche diſciplin nur deſto bitterer und deſperat machen moͤch - te. Dieſes ſolte ſcheinen von groſſem nachtruck zu ſeyn / und das zucht-hauß gantz abzurathen. Wo es aber recht eingeſehen wird / mags abermal ſolchem propoſito nicht hinderlich ſeyn. Man redet entweder von dem ruin ſeiner ſeelen / oder ſeiner zeitlichen fortun: jener kan bey vorſichtiger verfahrung in den anſtalten nicht wol zu ſorgen ſeyn: was dieſen anlangt / ſo iſt die zeitliche fortun bey ungeaͤndertem gemuͤth ihm mehr ſchaͤdlich als nuͤtzlich / weil ſie al - lein ein ſchwerdt ſeyn wuͤrde / damit er ſich und andere verletzte. Wird er aber geaͤndert / ſo ruinirt ihm ſolche zucht ſeine fortun nicht. Es ſind etwa mehrere exempel ſolcher leute / welche heimlich in zucht-haͤuſer gethan / und in ſonderbaren deren gemaͤchern gehalten worden / da ſie aus angeſchafften buͤ - chern proprio Marte ſtudiren muͤſſen / und dazu deſto mehr / an ihrem fleiß nichts ermangelen zu laſſen / angetrieben worden / weil ſie wiſſen / daß keine befreyung daraus zu hoffen ſeye / biß ſie etwas rechtſchaffenes præſtirt / und ein examen ausſtehen koͤnten / auch ſonſten genugſame proben ihres geaͤnder - ten gemuͤths von ſich eine geraume zeit gegeben. Welches einſame leben / daK kman258Das dritte Capitel. man nichts als gutes vor ſich hat / keine gelegenheit / ſeine vorige ſuͤnden wie - der zu uͤben / erlangen kan / und allgemach aus der noth und auch aus der hoff - nung der erloͤſung zur arbeit gewoͤhnet wird / von trefflicher krafft ſeyn kan / ein gemuͤth zimlich zu aͤndern / und die vorige boͤſe gewohnheit wieder zu bre - chen. Wird nun ſolches erhalten / ſo iſt ſeine fortun mehr befoͤrdert als ge - hindert / und wo er zu einem rechtſchaffenen mann worden / mag ihm dasjeni - ge nicht ſchaden / wo ers worden ſeye / weil ohne das keine infamia in ſolcher ſa - che ſtecket; wird es aber nicht erlangt / ſo iſt ihm obgedachter maſſen eine euſ - ſerliche fortun ſein mehreres ungluͤck / und iſt beſſer / er erzuͤrne und betruͤbe ſich an einem ort / wo er niemand ſchaden kan uͤber elend / das er ſich ſelbſten macht / alsdaß er bey anderen wichtigere urſache zur groͤſſeren betruͤbnuͤß mache / wo er ſeinem boͤſen willen nachzuleben gelaſſen wuͤrde. Daß er hoffaͤrtig und zornig / erfordert vielmehr eine ſolche zucht / die ihn mit nachtruck demuͤthige / und den zorn allgemach vertreibe / da er ſihet / mit demſelben nichts auszurich - ten. So hoffe / daß gleichwol auch an ſolchen orten der diſciplin die vorge - ſetzte werden leute ſeyn / ſo verſtand haben / und mit einem jeglichen alſo um - zugehen wiſſen werden / wie ſie finden / daß jetzt haͤrters / bald gelinderes tra - ctament ihm dienſam ſeye / ſo denn ſie dermaſſen zu verwahren und zu verſor - gen wiſſen / daß ſie ſich ſelbs oder andern aus deſperation ſchaden zu thun / nicht vermoͤgen; da mir ſonſten ein trauriges exempel einiger vornehmen ſoͤh - ne in demzucht-hauß zu Dantzig bekant / wo aber die ſchuld auf die auffſeher mag gefallen ſeyn. Uberlegt alles deſſen finde alſo nichts / was mit grund ge - dachtem vorſchlag moͤchte entgegen gehalten werden. Der HErr / deſſen auch dieſe ſeele iſt / und er deroſelben todt nicht wollen wird / erbarme ſich ihrer / und gebe diejenige reſolution, oder da ſie bereits gefaſt / denjenigen ſegen dazu / welche und welcher zu erhaltung dieſes armen menſchen / ſo ſonſten in das ewi - ge verderben ſchnurſtracks lauffen wolte / und der beruhigung der angehoͤri - gen noͤthig iſt. 1685.

SECTIO XX. Q[o]vaͤterlicher wille im teſtament / die ſoͤhne nach ſeinem tode verbinde?

FACTI SPECIES.

ES hat ein vater in ſeinem teſtament an ſeine ſoͤhne / ſie von dem unter - tehen des gold - und ſilber-machens abzuziehen / dieſen paß mit inſeriret: Geſtalt ſie dann ſich auch aller unnuͤtzer betruͤglicher kuͤnſten / inſonderheit des gold-machens und vermeintlicher erforſchung kuͤnff - tiger dinge / auch anderer in die Magiam einlauffender ſachen / dar -durch259ARTIC. II. SECTIO XX. durch viele / auch hohe Standes-perſonen ſich zum oͤfſtern vergebens eingebildet / groͤſſer und reicher zu werden / ſo lieb ihnen GOttes huld und gnade iſt / gaͤntzlich enthalten ſollen. Ein ſohn laͤſt ſich in die ſache ein / geraͤth aber auf ſophiſtiſche wege / daruͤber er ſeinem weib zu gefallen auch verſpricht / mit der ſache nichts mehr zu thun zu haben. Daraus entſtehet

Die Frage:

OB ein ſolcher ſohn / da er meint nunmehr durch GOttes gnade dem zweck zimlich nahe zu kommen / und chriſtliche intentiones hat / nicht groͤſſer oder reicher zu werden / oder groͤſſere unkoſten anzuwenden / ſondern nur eintzig und allein GOTT zum ruhm die natur zu unterſuchen / zu erkennen / was uns GOTT in die natur geleget / wie das liecht von der finſternuͤß zu erkennen / ja die ſchwehre dicta heiliger ſchrifft / nicht was die ſeligkeit betrifft / ſondern in den Hieroglyphiſchen worten / uns ſolche dinge ein mehrers liecht gebẽ / gegen das teſtament in ſolchem ſtudio etwas ferner thun doͤrffte / oder ob es beſſer ſeye / darvon abzulaſſen und nur gehorſam zu leiſten / wie jene im Alten Teſta - ment / die Rechabiten / gethan Jerem. 35. und es GOTT anheim zu ſtellen / ob er durch andre dieſes geheimnuͤß der natur wolle eroͤffnen? Alſo ob das verlangen GOttes wunder zu erkennen / oder das teſtament / und dem weib gethanes verſprechen / vorzuziehen ſeye / ſonderlich weil das weib nichts glau - bet / den dingen ſehr feind iſt / und ſich nicht ehe zu frieden geben wollen / biß der verſpruch geſchehen / damit keine zwiſtigkeit entſtehe / hingegen durch fortſe - tzung der arbeit / wann GOTT die gnade geben wolte / dieſes hohe arcanum naturæ an den tag zu bringen / etwa das weib ſelbs noch moͤchte zur erkaͤnt - nuͤß der wunder GOttes gebracht werden?

Wann aber alles abgeſprochen wuͤrde / ob dann dieſes endlich mit gutem gewiſſen koͤnte zugelaſſen werden / daß man zum lobe GOttes und zur ergoͤ - tzung der ſinne die Philoſophiſche buͤcher leſen doͤrffe / darmit der grund nicht gar uͤbern hauffen gienge / und das lob GOttes dardurch immer erhalten wuͤrde / ob gleich keine practica tractirt wuͤrden? Hierauf in der forcht des HErrn zu antworten / ſo ſolte fuͤr die freyheit des ſohns in der arbeit fortzu - fahren vieles vorgeſtellet werden koͤnnen / ſo nicht wenig bedencken ma - chen mag.

  • 1. Was das vaͤterliche teſtament anlangt / kan ſolches verſtanden wer - den allein von betruͤglichen kuͤnſten / nicht aber wo man der natur geheim - nuͤſſen ohne betrug und mit gnugſamer vorſichtigkeit nicht betrogen zu wer - den / nachforſchet / daher es auch den fleiß / der in rechter ordnung und kluͤglich angewendet wird / nicht verbeut.
  • 2. Jſt von eines chriſtlichen vaters liebe gegen ſeine ſoͤhne nicht zu ver -K k 2mu -260Das dritte Capitel. muthen / daß er ſeinen ſoͤhnen dasjenige / was ihnen wahrhafftig nuͤtzlich waͤre / und ſie zum lobe GOttes antriebe / werde haben verbieten wollen: Jſt alſo das verbot des vaters in dem verſtand zu erklaͤhren / daß es auch ſeiner allge - meinen ſchuldigen vaͤterlichen liebe / ſeiner ſoͤhne wahres beſtes in allem gern zubefoͤrdern / nicht entgegen ſeye.
  • 3. Solte auch der vater aus irriger meinung / daß dergleichen in der na - tur nicht zu finden / und alſo aller an die arbeit wendender fleiß umſonſt ſeye / die diſpoſition gemacht haben / ſo wuͤrde deſſen irrthum und was er daraus verordnet / faſt unbillich demjenigen zur hindernuͤß gemacht / worinnen die ſoͤhne ihren nutzen auch in dem geiſtlichen machen koͤnten.
  • 4. Lieſſe ſich auch diſputiren / ob eltern / derer herrſchafft uͤber die kinder mit ihrem tode auffhoͤrt / mit ihren diſpoſitionen nach ihrem tode die kinder zu einigen ihnen nachtheiligen conditionen obligiren koͤnten.
  • 5. Es moͤchte auch nicht ohne wichtigkeit angeſehen werden / wo man ſagte / die vaͤterliche diſpoſitio ſchlieſſe austruͤcklich die abſicht reicher und groͤſſer zu werden mit ein / wo alſo nicht dieſe / ſondern eine goͤttlichem willen gemaͤße abſicht ſeye / hoͤre jene verbindlichkeit auf.
  • 6. Wie einer durch keine vaͤterliche diſpoſition boͤſes zu thun koͤnne ver - bunden werden / alſo auch nicht ein mehrers gute zu unterlaſſen / ſondern wel - che diſpoſition ſolches ſuche / ſeye an ſich ſelbs nulla.
  • 7. Was dem weib verſprochen worden / ſcheinet auch nicht eben ſo buͤn - dig zu ſeyn / wegen in der ſpecie facti oder frage ſelbs einverleibter um - ſtaͤnde.

Dieſe urſachen ſolten ſcheinen ſo wichtig zu ſeyn / daß man wider das te - ſtament und dem weib gethanen verſpruch ſprechen / und des ſohns gewiſſen freyheit die arbeit wiederum anzutreten geben moͤchte. Jch bekenne aber / daß ich ſie noch nicht vor gnugſam erkennen kan / ſondern meine gedancken in gewiſſe ſaͤtze eintheilen will.

  • I. Die betrachtung und erforſchung der natur iſt eine ſache / ſo an ſich ſelbs GOTT nicht entgegen / ſondern vielmehr dem zweck / worzu er den men - ſchen in die welt geſetzet / allerdings gemaͤß iſt / dann ob wir wol GOTT heil - ſamlich allein aus ſeiner offenbahrung in der ſchrifft erkennen lernen / ſonder - lich was unſre ſeligkeit angehet / und nach den materien des andern und drit - ten articuls / ſo will er doch auch in gewiſſer maaß erkant ſeyn in ſeinen fuß - ſtapffen / welche er in die natur eingetrucket hat / und wird dardurch der menſch auch zu goͤttlichem lob auffgemuntert und angefriſchet. Von dieſer unter - ſuchung der natur kan auch nicht bloß dahin ausgeſchloſſen werden / daß man wegen verwandlung der metallen einen verſuch thue / ob ſolche muͤglich oder nicht: nur daß es auf ſolche weiſe geſchehe / daß man weder zu viel zeit nochkoſten261ARTIC. II. SECTIO XX. koſten anwende / noͤthiges nicht daruͤber verſaͤume / und was GOTT auch zu noͤthigerm gebrauch gegeben / damit durchbringe.
  • II. Ob eine vorgegebene verwandlung der metallen in der natur muͤg - lich / iſt eine noch nicht gantz ausgemachte ſache / ſondern ob wol nicht in abre - de bin / daß mehr auff die affirmativam gehe / und nicht alle exempel / die man davor anzufuͤhren pfleget / als betruͤglich / zuverwerffen getraue / ſo weiß doch / daß leute / die in dem uͤbrigen die natur fleißig erforſchet / ſtattliche ar - gumenta vorbringen / daß ſie einmal unmuͤglich ſeye: wie ſie an allen exem - peln dergleichen umſtaͤnde wahrzunehmen pflegen / die auffs wenigſte dieſel - be nicht ohne ſchein in groſſen zweiffel ziehen.
  • III. Auffs wenigſte ſehen wir / daßinsgemein faſt diejenige / ſo ſich ſol - cher kunſt ausgegeben / endlich betrieger erfunden worden / und die meiſte / die ſich von den leuten haben einnehmen laſſen / nach lang angewandter muͤhe und koſten haben bekennen muͤſſen / daß alles umſonſt geweſen / und ſie daher zeit und koſten billich endlich gereuet hat.
  • IV. Ein vater hat nicht nur die macht / ſondern in gewiſſer maaß die pflicht / dergleichen dinge / die ob ſie wol in ihrer natur nicht boͤſe / dennoch ge - faͤhrlich und dem mißbrauch dermaſſen unterworffen ſind / daß man dieſen mehr als den gebrauch / ja dieſen kaum jemal antrifft / ſeinen kindern / und ſo viel mehr als ihn die bewandnuͤß der zeiten / ſtandes oder auch der ihm bekan - ten gemuͤther der kinder / dazu leitet oder veranlaſſet / zu verbieten. Dann weil ihm die ſorge fuͤr derjenigen / welche ihm GOtt anvertrauet / geiſt - und leibliches heil obliget / ſo bringet dieſe mit ſich / daß er als viel an ihm iſt / ſie von allem ihnen ſo gewiß als auch nur vermuthlich ſchaͤdlichem ſuche abzu - halten / und ſie auff gewiſſe weiſe zuverbinden.
  • V. Was nun die befehl der eltern ſind / als lange ſie nicht austruͤcklich wider GOttes gebot gehen / verbinden ſie die kinder zum gehorſam / krafft des allgemeinen vierdten gebots: du ſolt deinen vater und deine mutter eh - ren / auff daß du lange lebeſt im lande / das dir der Herr dein Gott gibet. Maſſen dieſe ehre allerdings auch den gehorſam mit einſchlieſſet / und eben dieſes die groͤſte ehr der eltern iſt / daß die kinder nicht nach eignem willen le - ben doͤrffen / ſondern an der eltern willen verbunden ſind / und ſich daran ver - bunden erkennen muͤſſen: ſo lautet es auch klahr Eph. 6 / 1. Jhr kinder ſeyd gehorſam euren eltern in dem HErrn / denn das iſt billich: und Col. 8 / 20. Jhr kinder ſeyd gehorſam den eltern in allen dingen / denn das iſt dem HErrn gefaͤllig. Alſo auch Sir. 3 / 3. der HErr will den va - ter von den kindern geehret haben / und was eine mutter die kinder heiſt / will er gehalten haben. v. 7. 8. Wer ſeinen vater ehret / der wirdK k 3deſto262Das dritte Capitel. deſto laͤnger leben / und wer um des HErrn willen gehorſam iſt / an dem hat die mutter einen troſt. Wer den HErrn fuͤrchtet / der eh - ret auch den vater und dienet ſeinen eltern / und haͤlt ſie fuͤr ſeine Herrẽ. Wo aller orten zu ſehen / daß die ehre alſo beſchrieben werde / wie ſie gehorſam und unterthaͤnigkeit in ſich faſſe oder mit ſich bringe. So haͤnget auch an ſol - chem gehorſam / gleichwieder eltern wohlgefallen / alſo auch ihr ſegen / wel - chen der HErr / als der die ehre und gehorſam den eltern / um ſeinet und des ihnen gleichſam angehengten bildes willen / angethan / als ihm ſelbs ange - than annimmet / mit ſeinem ſegen erfuͤllet: wie es abermal bey Sirach lautet v. 10. des vaters ſegen bauet den kindern haͤuſer / aber der mutter fluch reiſſet ſie nieder.
  • VI. Dieſe gewalt der eltern / die kinder mit ihrem befehl zu verbinden / wird nicht voͤllig durch ihren todt auffgehaben / ſondern gehorſame kinder tragen ihren eltern denjenigen reſpect, daß ſie auch / was dieſelbe von din - gen / ſo nach ihrem todt geſchehen ſollen / ihnen vorſchreiben / willig annehmen / und derſelben ſo treue als klugheit zutrauen / daß ſie nichts anders / als was zu ihrem wahren beſten gehoͤret / ihnen vorſchreiben wuͤrden / daher ſie ihnen zu folgen / und von GOtt / der in den eltern geehret werden will / deſto mehr ſegen zu erwarten haͤtten. Wir haben davon das exempel der Rechabiten / welchen ihr vater Jonadab der ſohn Rechab geboten / und geſagt: Jhr und eure kinder ſolt nimmermehr keinen wein trincken / und kein hauß bauen / keinen ſaamen ſaͤen / keinen weinberg pflantzen noch haben / ſondern ſollet in huͤten wohnen euer lebenlang / auff daß ihr lang lebet im lande darinnen ihr wallet. Jer. 35 / 6. 7. Dieſes gebot war gewiß - lich eine faſt ſchwehre laſt / aber der mann hatte ſeine kluge abſichten und ur - ſachen / daß er ſeinen nachkoͤmmlingen / die als frembdlinge unter den Jſraeli - ten wohneten / ſolche lebens-art vor ihren zuſtand am vortraͤglichſten zu ſeyn hielte: daher gehorchten ſie ihm / und wolten / als ſie durch den Propheten wein zu trincken verſuchet worden / nicht trincken: welcher gehorſam GOtt alſo gefiel / daß er ihnen eine herrliche verheiſſung wiederfahren lieſſe: wie es heiſſet v. 19. darum ſpricht der HErrZebaoth / der GOtt Jſrael alſo: Es ſoll dem Jonadab / dem ſohn Rechab / nimmer fehlen / es ſolle je - mand von den ſeinen allezeit vor mir ſtehen. Welches exempel allen kindern den gehorſam der vaͤterlichen verordnung auch nach deren eltern todt um des nahmens des HErrn willen angenehm machen ſolle.
  • VII. Alſo ſind der kinder gewiſſen an dergleichen diſpoſitiones verbun - den / es ſeye dann / daß ſie dem willen und diſpoſition des himmliſchen Va - ters zuwider waͤren / und entweder den kindern boͤſes befehlen / oder ſie vonei -263ARTIC. II. SECTIO XX. einem wahren und noͤthigen gut abhalten wolten. Jn welchem fall / da der irrdiſche und himmliſche Vater einander entgegen ſtehen / jener dieſem ohne vieles bedencken weichen / und die regel bedacht werden muß Matth. 10 / 37. Wer vater und mutter mehr liebet denn mich / der iſt mein nicht werth. Und Luc. 14 / 26. So jemand zu mir kommt / und haſſet nicht ſeinen vater / mutter / weib / kind / bruͤder / ſchweſter / auch darzu ſein eigen leben / der kan nicht mein juͤnger ſeyn.
  • VIII. Wo nun dieſe dinge zum grunde erſtlich geſetzet ſind / wird meines erachtens ſo bald zu ſchlieſſen ſeyn / daß die ſoͤhne der gedachten vaͤterlichen diſpoſition billich zu folgen haben / indem dieſelbe zur urſach hat eine treue vorſorge deren unheil und gefahr abzuwenden / nichts in ſich faſſet / ſo goͤtt - lichem willen entgegen iſt / noch an einem hoͤhern noͤthigen gut hindert: alſo daß auch ein jeder ohne dergleichen obligation nach befinden aus andern ur - ſachen die reſolution vor ſich faſſen koͤnte. Wie auch dero viele tauſend ſind / die mit groſſem ernſt GOtt dienen / und ihme wol gewiß in hohem grad gefaͤl - lig leben / die doch ihr lebenlang ſich auff dieſes ſtudium nicht geleget haben / noch zu legen verlangen: daraus wie ſo gar daſſelbe zur erkaͤntnuͤß GOttes nicht noͤthig ſeye / zur gnuͤge erhellet.
  • IX. Wolte man einwenden / daß der menſch gleichwol in ſolcher unter - ſuchung der natur auch in der erkaͤntnuͤß GOttes zunehmen / und zu mehre - rem deſſen lob auffgemuntert werden koͤnne / an dem hingegen dieſes vaͤterli - che teſtament die ſoͤhne hindere / alſo ſie von einigem guten abhalte / welches je nicht anders als dem goͤttlichen willen zuwider ſeyn muͤſte / der die ehre des ſchoͤpffers auff alle weiſe / und demnach reichlich / ausgebreitet und befoͤrdert haben wolle: und wolte daraus folgern / es koͤnne dergleichen ein verbot nicht verbinden: ſo waͤre zur antwort zu mercken / daß freylich GOttes ehre mit ſich bringe / ihn auch in ſeinen fußſtapffen / welche er der natur eingetrucket / erkennen zu lernen / nach Rom. 1 / 20. und wuͤrde derjenige unrecht thun / der ſolches jemand insgemein verbieten wolte: ich will auch nicht in abrede ſeyn / wofern es mit der ſache der verwandlung der metallen richtig / weil in ſolchem geheimnuͤß der natur nothwendig auch etwas zum preiß des ſchoͤpf - fers ſich finden muß / daß derjenige / ſo bloſſer dings ſolches ſtudium allen / auch die etwa vor andern ſicherer damit umgehen / zu verwehren / und es gleichſam gantz austilgen wolte / die goͤttliche ehr ſo fern ſchmaͤlern wuͤrde / wie auch jeder anderer ſo eine nuͤtzliche wiſſenſchafft untertruckte. Jndeſſen ſo wenig ein jeder zu allen kuͤnſten / darinnen man GOttes wercke erkennen kan / verbunden iſt / ſondern damit gnug thut / wo er alles / was ihm vorkom - met / zum preiß GOttes nach ſeiner faͤhigkeit richtet / ſo wenig koͤnnen wir al -le /264Das dritte Capitel. le / oder auch dieſen oder jenen / zu dieſer abſonderlichen unterſuchung der na - tur verpflichtet achten / daß ihm dero unterlaſſung zur ſuͤnde gereichen wuͤr - de: ſondern jeglicher wandelt billich in dem / dazu er beruffen iſt / gebrauchet ſich alſo der gelegenheit / die ihm ſein beruff auch in beobachtung der natuͤrli - chen dinge an die hand gibet oder zulaͤſſet / und laͤſſet die uͤbrige / dazu er nicht gefuͤhret wird / an ſeinem ort ſtehen: dabey er ſich keiner ſuͤnde fuͤrchtet; iſts nun / daß einen dergleichen eine urſach / als hie das vaͤterliche teſtament iſt / von einer gewiſſen unterſuchung abhaͤlt / ſo ſihet ers als einen goͤttlichen be - ruff an / ſeinen GOtt lieber in andern fußſtapffen / dero in der natur noch un - zaͤhlig ſind / zu ſuchen / und zu loben. Zugeſchweigen / daß die vornehmſte erkaͤntnuͤß Gottes / und daraus das groͤſte lob deſſelbigen her entſtehen muß - nicht in einigem natuͤrlichen / vielweniger abſonderlich in der goldmacherey / beſtehet / ſondern aus der goͤttlichen offenbahrung in dem wort geſchoͤpffet werden muß: da ſehen wir GOttes angeſicht / obwol doch nur als durch ei - nen ſpiegel in einem dunckeln wort / da in der gantzen natur hingegen nichts mehr als nur deſſen fußſtapffen zu ſchauen ſind: Wo alſo derjenige / dem das goldmachen oder deſſen ſtudium aus gewiſſer urſach verwehret iſt / denſelbi - gen fleiß an die H. Schrifft wendet / um in der ſeligmachenden erkaͤntnuͤß dar - aus geſtaͤrcket zu werden / bin ich gewiß / daß das lob / ſo aus ſeiner ſeelen dar - uͤber entſtehet / herrlicher als bey allem goldmachen auffſteigen werde.
  • X. Wie nun das vaͤterliche teſtament alle ſoͤhne beſagter maſſen verbin - det / alſo kommt bey demjenigen / davon die ſpecies facti lautet / auch noch dieſes dazu / daß er ſolche arbeit zu unterlaſſen ſeinem weib zugeſaget hat. Wann dann Chriſten ſich ſonderlich deſſen befleiſſen / und davon proſeſſion machen ſollen / daß ſie nach Epheſ. 4 / 25. die wahrheit reden ein jeglicher mit ſeinem nechſten / ſo wollen auch dergleichen verſpruͤche / ob ſie auch ſchon nicht eydlich geſchehen / vor GOtt gehalten ſeyn / welche nemlich alſo beſchaffen ſind / daß ſie an ſich ſelbs wider GOtt nicht ſtreiten. Und zwahr wird dieſer verſpruch billich ſo viel verbindlicher geachtet / weil aus der ſpe - cie facti erhellen will / ob haͤtte das weib den verſpruch ſtarck geſucht und er - halten / um die zeit / da der mann auff ſophiſtiſchen wegen umgefuͤhret wor - den / und etwa der haußhaltung ſchaden gethan / vor deſſen erhaltung das weib nach goͤttlicher ordnung auch zu ſorgen gehalten iſt / und damal ihn von einem in der that ſo ſchaͤdlich befundenen beginnen abzuhalten guten fug ge - habt. Daher aber der mann den verſpruch auch zu erfuͤllen / deſtomehr ver - pflichtet iſt / und ihn zu retractiren weniger vermag.
  • XI. Solte alſo der mann / unerachtet deſſen / auff ſolchem ſtudio, darein er - ſich mag verliebet haben (wie allezeit gehoͤret habe / daß die ſo ſich einmal daꝛ - ein laſſen / etwas ſchwehr wieder davon zu bringen ſeyen) beharren und fort -fah -265ARTIC. II. SECTIO XX. fahren wollen / getraute ihm wenig ſegen dabey zu verſprechen: da doch die mit demſelben umgehen / es alles einem ſonderbaren gnaden-ſegen GOt - tes ſelbs zuſchreiben / und deswegen nicht weniger zur ernſtlichen gottſelig - keit als arbeitſamen fleiß die ihrige anweiſen. Alſo wuͤrde hingegen aus dieſer urſach wegen ermanglenden ſegens alle arbeit vergebens werden / und er das etwa darzu gehoͤrige liecht nicht bekommen. So mag auch leicht ge - ſchehen / daß kuͤnfftig / ob man jetzt das gewiſſen einigerley maſſen meinte zu ſtillen / daß man wol in der arbeit fortfahren doͤrffte / daſſelbige unruhig wuͤr - de / und viele aͤngſten verurſachte / vornemlich wo etwa einige unfaͤlle zuſtoſ - ſen / ſonderlich aber nochmalige arbeit auch wieder fehl ſchlagen ſolte. Wel - ches etwa nicht unbillich zu ſorgen iſt / daß der nun gewiſſer geglaubte weg ſich in dem fortgang (wiewol er ſich anfangs anders anlaͤſſet) nicht beſſer zei - gen moͤchte / als ſich vorher die vorige ſophiſtiſch geweſen zu ſeyn erſt durch die erfahrung verrathen haben.
  • XII. Wie nun dieſe ausfuͤhrung alſo bewandt zu ſeyn glaube / daß ein der erkaͤntnuͤß goͤttlichen willens begieriger menſch ſich damit wol zu frieden geben kan / ſo ſetze noch endlich / wo jemand vorgeben moͤchte / es waͤre die ſa - che noch nicht zu einer unwiderſprechlichen gewißheit dargethan / dieſes hin - zu / weil niemand leugnen kan / daß auffs wenigſte die angezeigte gruͤnde nicht von geringer wichtigkeit / und einmal ſtaͤrcker als die widrige ſind / daß die ge - meine regel der moraliſten ſeye / wo uͤber eine ſache die gegeneinander ſtehen - de meinungen beyde ſolche gruͤnde fuͤr ſich haben / daß es zu unterſcheiden ſchwehr wird / welche vortringen / daß in ſolchem fall das gewiſſen / welches GOtt nicht zu beleidigen gedencket / ſich an diejenige halte / welche die ſicher - ſte / und in welcher zu ſuͤndigen die wenigſte gefahr iſt. Nun ſich des gold - machens zu enthalten / ob auch kein vaͤterliches teſtament oder verſpruch im weg ſtuͤnde / ſtehet jedem frey / und verſuͤndiget ſich keiner damit / ob er auch aus bloſſer ſorge zeit und koſten zu verſpielen ſich deſſen enthielte: alſo ſuͤndi - get derjenige ſo viel weniger / der ſich davon durch dieſe ſonderbare urſachen abhalten laͤſt; ja er darff auch keine ſuͤnde dabey nur beſorgen. Hingegen ge - gen das teſtament und verſpruch zu thun / ob man auch ſcheinbare urſachen anfuͤhren moͤchte / iſt auffs wenigſte eine ſache / da man leichter ſich darinnen verſuͤndigen kan: daher ſolche ſeite weniger ſicherheit dem gewiſſen zu ver - ſprechen vermag / und daher in zweiffelhafftem fall (wo wir dieſen davor aus - geben wolten) nicht gewehlet werden ſolle.

Was aber die anfangs vorgeſtellte rationes dubitandi anlanget / laſſen ſich dieſelbe / wo ſie recht beleuchtet werden / noch wol beantworten.

  • 1. Der verſtand des teſtaments gibt ſich deutlich gnug / daß der vater das goldmachen / wie es nemlich bißher insgemein bekant worden / insge -L lſamt266Das dritte Capitel. ſamt den betruͤglichen kuͤnſten / dadurch nemlich ſo viel zu allen zeiten ſchaͤndlich / und zu ihrem groſſen ſchaden betrogen worden ſind / zu rechnen / und von ſeinen ſoͤhnen ſich des gefaͤhrlichen wercks / wo man ſich nicht betro - gen zu werden / ſo ſchwehr vorſehen kan / allerdings zu enteuſſern / fordere. Dann was oͤffentlichen und jedem kantlichen betrug anlangt / bedarff keiner davor abgewarnt zu werden / ſondern jeder huͤtet ſich ſelbs davor / weil ja kein kluger ſich mit willen und gern betriegen laͤſſet. Jſt alſo die meinung des va - ters / ſeine ſoͤhne davon zuruͤck zu ziehen / worinnen man ſich gemeiniglich groſ - ſe hoffnung macht / und mit nicht geringem ſchein darein gefuͤhret wird / aber ſich endlich ſo offt bey dem ausgang vetrogen findet / deſſen gefahr die vaͤter - liche treue von den ihrigen gern abgewendet hat wiſſen wollen.
  • 2. Es kan dem vaͤterlichen teſtament / da es die ſoͤhne vom goldmachen abziehen wollen / mit grund nicht beygemeſſen werden / daß es die ſoͤhne von einem wahren nutzen und dem lobe GOttes abziehen habe wollen: dann das lob GOTTes je nicht in dieſer kunſt oder uͤbung allein geſucht werden darff / ſondern die ſich deſſen befleißigen wollen / bey allen gelegenheiten dazu anlaß finden. So kan nicht geſagt werden / daß dasjenige einen von ſeinem nutzen abhalte / was einem dasjenige verwehrt / dabey wann einer etwas gewonnen haben moͤchte / gewiß mehr als hundert uͤber-groſſen verluſt ge - lidten haben / und alſo was die gefahr groſſen verluſts mehr / als den ſo un - gewiſſen nutzen / anſihet.
  • 3. Ob auch der vater darinnen geirret haͤtte / da er davor gehalten / daß das goldmachen gar unmuͤglich / ſo gruͤndet ſich doch ſein verbot bereits auff der kunſt ungewißheit / und die groſſe gefahr betrogen zu werden / welche ſo viele mit ihrem ſchaden erfahren haben: und ſind dieſe gruͤnde bereits ſtarck gnug / daß die vaͤterliche treue ihre vaͤterliche vorſorge darauff bauen koͤnnen.
  • 4. Es wird auch zugegeben / daß wie in gewiſſer maſſe die elterliche ge - walt durch den todt der eltern auffhoͤret / auch nicht alle derſelben diſpoſitio - nen nach dem todt verbinden / die nemlich alſo bewandt ſind / daß ſie zu der kinder wahrhafftigem ſchaden gereichten / und deswegen zuvermuthen waͤre / wo die eltern noch lebten / daß ſie nun ſelbs ihre meinung und verordnung aͤn - dern wuͤrden. Da aber in dieſem fall mit keinem ſchein angefuͤhret wird / die ſache ſo bewandt zu ſeyn / daß wo der vater noch lebte / er ſeine ſoͤhne davon wuͤrde freyſprechen wollen.
  • 5. Die beygeſetzte wort in der vaͤterlichen diſpoſition von der abſicht groͤſſer und reicher zu werden / ſind nicht als ſolche determinationes an - zuſehen / daß nur unter denſelben und nicht anders der vater ſeine verord - nung gehalten habe haben wollen: ſondern ſie ſind allein eine anzeige / wor -aus267ARTIC. II. SECTIO XX. aus gemeiniglich die begierde gold zumachen herzukommen pflege / nemlich aus dem verlangen groͤſſer und reicher zu werden / daher jenes ſelbs chriſtlichen hertzen ſo viel verdaͤchtiger wird. Zudem ſtecket die begier - de groͤſſer und reicher zu werden allen menſchen von natur ſo tieff in den her - tzen / daß ſie ſich ſchwehr bey der gelegenheit zuruͤck haͤlt: und haͤtte alſo einer / der ſich einbilden wolte / daß er nach dieſer kunſt gold zu machen allein aus liebe goͤttlicher erkaͤntnuͤß und lobes trachte / fleißig zu pruͤfen / ob ihn ſein eigen hertz nicht etwa ſelbs betriege / welches allzuleicht und allzuofft ge - ſchihet.
  • 6. Keine vaͤterliche diſpoſition oder einiges menſchen befehl kan mich darzu noͤthigen / etwas boͤſes zu thun / oder das noͤthige gute zu unterlaſſen: dergleichen geſchihet aber auch in dem teſtamento quæſtionis nicht. Dann ob man ſagen wolte / es koͤnte auch durch ſolches mittel der unterſuchung der geheimnuͤſſen der natur die erkaͤntnuͤß Gottes und deſſen lob vermehret wer - den: ſo wird was man einwenden moͤchte / hiedurch zu unterbleiben / durch die deſto fleißigere unterſuchung der ſchrifft auch deſto herrlicher erſetzet / in - dem das geringſte / ſo aus der goͤttlichen gnaden-offenbahrung von dem Ev - angelio erkant wird / ſeinem werth und nutzen nach alle auch die hoͤchſte er - kaͤntnuͤß aus natuͤrlichen dingen herkommende / ſehr weit uͤbertrifft / daher auch das daraus zu GOtt auffſteigende lob das vornehmſte iſt. Jndeſſen wer auch ſich des goldmachens oder deſſen ſtudii enthaͤlt oder enthalten muß / wo er ſich in natuͤrlichen dingen uͤben will / hat ohne das goldmachen noch unzehlich viel andere materien aus der natur / darinnen er ſich uͤben / und daraus ſtaͤts neue urſach zum preiß GOTTes finden kan. Wie dann die Phyſic und Matheſis darzu ſo viel an hand geben / daß wir / ob wir an das goldmachen nimmer gedencken / unſer lebtag gnug dran zu ſtudiren haben. Daß alſo nicht zu ſorgen ſtehet / daß durch unterlaſſung dieſes ſtudii goͤttli - cher ehr etwas abgehen moͤchte.
  • 7. Endlich kan der dem weib gethane verſpruch aus denen in der ſpecie facti angefuͤhrten urſachen nicht zuruͤck gezogen werden / als die bey weitem der wichtigkeit nicht ſind / als die pflicht ſich an ſeine zuſage nach der wahr - heit zu halten / und dieſelbe zuerfuͤllen. Alſo bleibet es noch bey obigem / daß einem alſo vinculirten ſohn nicht frey ſtehe / an ſolche arbeit zu gehen / ſondern oblige / goͤttlichen willen / der ihn ſelbs davon abhalte / zu erkennen.
  • Was die noch angehaͤngte frage anlangt / ob dann aufs wenigſte dem ge - wiſſen nicht entgegen waͤre / die Philoſophiſche buͤcher (dadurch obwol mit ei - nem groſſen mißbrauch des worts diejenige eigenlich werden verſtanden werden / die von ſolcher verwandlung der metallen handlen) zu leſen: ſo kan ich nicht ſagen / daß ſolches leſen vor ſich verboten ſeye: nachdem es als einL l 2mit -268Das dritte Capitel. mittelding an ſich ſelbs nichts boͤſes iſt / und auch weder das vaͤterliche teſta - ment noch verſpruch dahin gehet. Jndeſſen halte ich es doch einer perſon / welche eine ſo groſſe zuneigung zu der ſache hat / daß es ihr auch ſchwehr wird / davon zuruͤck zu halten / allerdings nicht rathſam / ein ſolches zu thun. Dann wie einem hungrigen oder durſtigen / wo ihm eſſen und trincken vorgeſtellet wird / das er aber nicht anruͤhren darff / dieſes anſehen ſeinen hunger und durſt nur deſto mehr entzuͤndet / daß ihm ſich zu enthalten deſto ſchwehrer wird: So wird auch bey einem in dieſe ſache verliebten das leſen die begierde der praxeos nur ſtaͤts vermehren / daß er ſich entweder endlich uͤberwinden laſſe / dasjenige vorzunehmen / wovon ihm doch ſein gewiſſen ſelbs darinnen unrecht zu thun dictirt / oder er macht ſich auffs wenigſte ſein enthalten ſelber deſto ſaurer / und wird bey ſich offtmal verdruß gegen die hindernuͤſſen / die ihm ſolches verwehren / dadurch nicht ohne ſuͤnde erwecken. Daher wie je - der / der ſein gewiſſen gern wol in acht nehmen will / ſich nach allem vermoͤgen auch der reitzung darzu entſchlagen oder ſie vermeiden ſolle / hingegen daran unrecht thut / wo er ſich wiſſentlich in die gefahr / dero er entuͤbriget ſeyn koͤn - te / begibet / ſo gilt ſolches auch in dieſem ſtuͤck / daß die verwahrung des ge - wiſſens erfordert / wo uns etwas verboten / der gelegenheit deſſelben / um nicht ſtarck gereitzet zu werden / ſich nach moͤgligkeit zu entziehen. Das vor - ſchuͤtzende lob GOttes will die ſache auch nicht ausmachen / denn wie etliche mal erinnert dieſes ſtudium weder das einige noch vornehmſte iſt / wodurch der menſch zu ſolchem lob auffgemuntert wuͤrde; ſondern wie gemeldet / das vornehmſte lob und preiß GOttes kommet wol her aus der lebendigen er - kaͤntnuͤß des andern und dritten articuls: ob dann nun auch die wolthaten des erſten articuls / die wir an den geſchoͤpffen ſehen / von uns nicht uͤbergan - gen / noch dem Schoͤpffer und Regierer die ihrentwegen gebuͤhrende lob-opf - fer verſagt werden ſollen / ſo ſind dennoch ohne dieſe goldmacher arbeit ſo viel andere wiſſenſchafften und kuͤnſten / die es mit natuͤrlichen ſachen zu thun ha - ben / die kraͤfften der geſchoͤpffe zu erforſchen / artzeney mittel zu ſuchen / expe - rimenta phyſica zu machen und zu probiren / die mathematic, welche nun hochgebracht / obzuligen / und was dergleichen mehr iſt / deren ein jedes und eine jede darinnen erfindende / vorhin unbekante / wahrheit der ſtattlichſte an - trieb und urſach zu einer verherrlichung goͤttlichen nahmens denjenigen ſee - len / die dieſen in allen dingen ſuchen / werden kan / daß man des einen ſtudii ohne abgang gar wol entrathen mag.

Der HErr HErr / der es allein durch ſeine gnade thun kan / mache die hertzen gewiß / und gebe uns allen ſeinen willen / ſo zu erkennen das gnugſame liecht / als ihm zu gehorſamen die noͤthige krafft und beſtaͤndigkeit / um Chriſti willen. Amen. 1694.

ARTIC. 269ARTIC. III. SECTIO

ARTIC. III. Pflichten gegen den nechſten / nach der andern taffel.

SECTIO

  • 1. FRagen von der liebe des nechſten / und beruffs-arbeit.
  • 2. Ob chriſtliche wehemuͤtter oder hebammen ſich bey gebaͤhrenden Ju - dinnen doͤrffen gebrauchen laſſen.
  • 3. Gefahr unſrer zeiten. Joach. Betkii menſura Chriſtianiſmi. Von be - ſtraffung des nechſten.
  • 4. Von begruͤſſung der aͤrgerlichen perſonen.
  • 5. Von ausziehung einer vermuthlich-todten frucht aus mutter-leib.
  • 6. An einen Juriſten / der ſich von ſeinem koſt-herrn injuriiret zu ſeyn einbil - dete / und daruͤber einen proceß mit demſelben anheben wolte.
  • 7. Von pflichten eines offendentis und offenſi wegen der verſoͤhnung.
  • 8. Von der gebuͤhr chriſtticher eheleute unter einander / in gebrauch der ehe: da unterſchiedliches aus 1. Cor. 7. erklaͤhrt wird.
  • 9. Auf einen fall genauen umgangs eines ehemanns mit anderer ehefrauen / da derſelbe der ehegattin und andern ver daͤchtig wird.
  • 10. Chriſtlicher rath vor eine ledige weibs-perſon / die ſich von einem zum bey - ſchlaf betriegen laſſen / ohne darvon ſchwanger zu werden.
  • 11. Ob zinſen von ausgeliehenem geld zu nehmen zulaͤßig.
  • 12. Von eben ſolcher materie / in hypotheſi von des eheweibs geldern.
  • 13. Von erſtattung des durch ſpielen gewonnenen. Ob / wo man ſich an dem nechſten ihm unwiſſend verſuͤndiget / ſolches ihm zu bekennen ſchuldig? ob man in koſten / die man in andrer nahmen zu verrechnen / vortheil brauchen doͤrffe? was eine chriſtliche weibs-perſon an orten zu thun / da der pracht uͤberhand genommen? ob man gut geld / gold und ſilber - ſchmieden zu verarbeiten geben doͤrffe?
  • 14. Wie viel man an arme anzuwenden habe / an eine vornehme Stands - perſon.
  • 15. Ob aſſecurations-contracte wider das Chriſtenthum? ob es erlaubt / menſchliche coͤrper zu anatomiren?
  • 16. Uber das pactum eines Advocati mit ſeinem clienten wegen ſeiner be - lohnung.
  • 17. An einen geweſten Socinianer / der zu der Evangeliſchen religion getre - ten / ob und wie fern er ſeinen patronis, die ihn ſtudiren / laſſen / verbun - den ſeye?
L l 318. Von270Das dritte Capitel.
  • 18. Von boͤſem gebrauch von dem ſchneider-handwerck / da die geſellen als ein recht prætendiren / von der zu verarbeiten gegebenen ſeyde vor ſich einen theil zum verkauff zu behalten / und die meiſter / die ſolches nicht zulaſſen wollen / deswegen verlaſſen.
  • 19. Von den converſis aus dem Pabſtthum.

SECTIO I. Fragen von der liebe des nechſten / und beruffs - arbeit.

1. Ob man ſeinen nechſten lieben ſolle mehr als ſich ſelbs?

HJerauf dienet zur antwort / daß die ſumme der andern taffel des unveraͤnderlichen goͤttlichen geſetzes von unſerm Heyland ſelbs wiederholet werde Matth. 22 / 39. Du ſelt deinen nechſten lieben als dich ſelbs / welches unſre ordentliche und des nechſten liebe gleich machet / nicht aber dieſe jener an ſich ſelbs vorgezogen haben will. Nun aber ſtehet uns ſo wenig frey / dem goͤttlichen geſetz etwas beyzuſetzen als davon zu thun. So iſt kein grad der liebe oder dero werck / welches ich dem nechſten ſchuldig bin / nemlich dahin zu ſtreben / daß ſeine ſeel und leib als gute geſchoͤpffe GOttes moͤgen zu ihrem wahren heil erhalten und befoͤrdert werden / (denn dahin gehet alle liebe) welches ich auch nicht mir ſelbſten ſchuldig waͤre. Weilen auch GOTT und Chriſtus in den allgemei - nen wolthaten alle menſchen unter einander gleich gemachet / als die nicht al - lein alle GOttes geſchoͤpffe ſind / von Chriſto alle erloͤſet worden / und ihnen allen das recht an die ſeligkeit gegeben wird / ſo bleibt auch die verbindung der liebe gleich.

Jedoch wird damit nicht geleugnet / daß zuweilen die liebe GOttes und des nechſten einige dinge vor dieſen erfordern / daraus ſcheinen moͤchte / daß ich den nechſten mehr als mich ſelbs lieben muͤſte / ſo aber eigenlich zu reden ſich nicht alſo verhaͤlt / ob ich wol in gewiſſen ſtuͤcken mich hindanſetzen und ſein beſtes befoͤrdern muß. Alſo gibts faͤlle / daß wir nach 1. Joh. 3 / 16. unſer leben fuͤr die bruͤder / auch dem buchſtaben nach / laſſen muͤſſen / und dannoch lieben wir ſie deswegen nicht mehr / ſondern da ich mich ſo hertzlich als meinen bruder liebe / kan ich finden / daß dißmal meines bruders leben als das meinige zu erhalten zu GOttes ehre noͤthiger ſeye / oder was vor urſachen kommen moͤgen / die in der wahl den ausſchlag aufjenes geben: da liebe ich mich nicht weniger als den nechſten / weil aber die ordentliche liebe meiner ſelbs nichtſchlech -271ARTIC. III. SECTIO I. ſchlechterdings oder allezeit meine leibliche erhaltung / ſondern auch vielmehr zum werckzeug goͤttlicher gnaden / wie dieſe mich anweiſet / gebrauchen zu laſ - ſen / mir befiehlet / ſo tringet die leibliche erhaltung des nechſten der meinigen zuweilen vor / abermal nicht aus mehrer liebe / ſondern aus der wahl goͤttlicher ordnung / welche zeiget / daß es dißmal auch mir beſſer ſeye / mein leben fuͤr des nechſten ſeines hinzugeben / als es zu erhalten. Denn daß nicht allezeit aus der hindanſetzung des einen gegen den andern eine mehrere liebe geſchloſſen werden koͤnne / zeiget ſich an vielen exempeln: als wo wir ſetzen / daß ich ihrer mehrere / die mir alle gleich lieb ſind / und ſie daher gern alle errettet haben wolte / in waſſers - oder feuers-gefahr ſehe / von welchen ich nicht mehr als einen einigen retten kan / da rette ich denjenigen / der mir entweder gleich der nechſte vorkommt / oder fuͤr den andern urſachen ſich gleich darſtellen / warum ihm ein vorzug gebuͤhret / ohne daß ich ſonſten denſelben mehr liebte. Alſo wo es auch ſo zu reden aufdie wahl kommt zwiſchen meiner und des nechſten liebe / koͤn - nen urſachen aus der goͤttlichen liebe / ſo die herrſchafft uͤber die liebe der an - dern taffel behaͤlt / vorkommen / die bey gleichbleibender liebe dannoch was des nechſten iſt / dem meinigen vorzuziehen / erfordern.

Vielleicht moͤchte die antwort am deutlichſten ſeyn / daß beyderley liebe / die meinige und des nechſten / an ſich gleich bleiben / aber wo dero wuͤrckungen gegen mich und den nechſten nicht gleich gehen koͤnnen / ſondern diß und jenes des meinigen oder was des nechſten iſt / dem andern weichen ſolle / die erwe - gung goͤttlicher liebe den ausſchlag gibet / und man alsdann den himmliſchen Vater anzuruffen hat / uns darinnen nach ſeinem rath zu regiren.

2. Wie fern man bey dem Ch[r]iſtenthum ſeine beruffs-arbeit koͤnne abwarten?

HJe iſt zu mercken 1. es werde von wahrhafftig goͤttlichem beruff / und alſo unſuͤndlichen arbeiten / geredet. Jndem man vielleicht einige profeſſio - nen finden mag / dero verrichtungen wo nicht gar in ihrer natur ſuͤndlich ſind / doch einem Chriſten keine gelegenheit geben / GOttes ehre und des nechſten beſtes zu befoͤrdern / oder dero verrichtungen ohne eigenliche mitwirckung zur ſuͤnde nicht oder kaum geſchehen koͤnnen / dann weil in jener einer mit autem gewiſſen nie ſtehen kan / dieſe aber wegen der gefahr auch auffs foͤrderlichſte zu verlaſſen ſchuldig iſt / bedarff man darvon nicht weiter zu reden / ſondern die frage iſt von ſolchen lebens-arten / welche an ſich gut / und darinnen man GOtt und dem nechſten nuͤtzliche dienſte leiſten kan.

2. Man muß die frage auch verſtehen von arbeiten / die nicht allein an ſich ſelbs gut ſind / ſondern auch nach goͤttlicher ordnung in dem glauben ge -than /272Das dritte Capitel. than / und zu einem wahren Gottesdienſt gemacht werden. Dann welche auch des beſten berufs arbeiten mit verdruß / und nur weil man muß / mit gei - tzigem hertzen / oder um ruhms / oder anderer fleiſchlichen urſachen willen / ge - ſchehen / die ſind vor GOTT ſuͤndlich / und koͤnnen alſo nicht gebilliget wer - den. Hingegen iſt es eine der vortrefflichſten lehren / die unſer theure Luthe - rus ſo offt getrieben hat / wie auch alle euſſerliche beruffs-geſchaͤfften im glau - ben geſchehen / und zu einem eigentlichen Gottesdienſt gemacht werden ſollen: wann nemlich ein jeder / er ſeye wer er wolle / kauffmann / handwercker / tagloͤh - ner / bauer / knecht / magd / u. ſ. w. alle diejenige arbeit / worzu er verordnet iſt / nicht allein mit gebet heiliget / ſondern auch mit ſolchen gedancken antrit und verrichtet / daß er / was er jetzt thut / thun wolle / nicht um ſein ſelbs / ſeines nu - tzens / luſt / oder ehre willen / ſondern aus liebe und gehorſam zu GOTT / der ihn zu ſolchem beruff und arbeit verordnet habe / und er alſo darmit ihn gern preiſen wolle / willig ſeyende / wo er ihn zu etwas noch geringers oder be - ſchwehrlichers verordnet haͤtte / daß er auch darinnen ſeinen gehorſam erzei - gen wolle. Wer mit ſolchem hertzen und aus dem glauben ſein werck thut / ob es das allerweltlichſte waͤre / verrichtet wahrhafftig darinnen einen Got - tesdienſt / nicht weniger alswo er betet / liſet oder einige wercke der erſten taffel verrichtet: weil GOTT alles / was geſchihet / nicht nach dem euſſerlichen werck / ſondern dem glauben und hertzen deſſen / der es thut / ſchaͤtzet / und ſich daſſelbe wol oder nicht wol gefallen laͤſſet.

3. Voraus geſetzt deſſen / ſo antworte ich alſo: (1. Es iſt ein jeglicher Chriſt ſchuldig / nicht allein ſeinen abſonderlichen beruff / ſondern zum aller - forderſten auch ſeinen allgemeinen Chriſten-beruff treulich abzuwarten; ja dieſer iſt der vornehmſte / und muß den verrichtungen des abſonderlichen be - ruffs ihre maaß geben und reglen vorſchreiben / nicht aber ſich nach demſelbi - gen erſt beugen laſſen.

(2 Dieſer allgemeine Chriſten-beruff erfordert nicht allein die treue auch in dem ſonderbaren amts-beruff / und fleiß / alles / wie erſt erinnert / zu ei - nem Gottesdienſt zu machen / ſondern auch ſo wol die wercke der erſten taffel gegen GOTT / als den fleiß an ſeiner ſeelen zu arbeiten / und auch fuͤr den nechſten und ſein heil nach gelegenheit zu ſorgen.

(3 Es muͤſſen die berufs-arbeiten alſo eingerichtet werden / daß ſie dieſe jetztgedachte ſtuͤcke / die wir GOTT / uns und dem nechſten ſchuldig ſind / nicht auffheben.

(4. Welche in anderer dienſte / und unter ihrem befehl ſtehen / muͤſſen darmit zu frieden ſeyn / wo ſie von ihren arbeiten nur ſo viel uͤbrig behalten / als die euſſerſte nothdurfft erfordert / ſonderlich an dem darzu von GOTT gewidmeten ſonntag: koͤnnen ſie aber auch mehr zeit mit bitten und ſonſtdeſto273ARTIC. III. SECTIO I. deſto groͤſſerem fleiß / da ſie es ein andermal wieder einbringen / von den herr - ſchafften erlangen / ſo haben ſie ſich nicht zu ſpahren: wirds ihnen aber ver - ſagt / ſo rechnets ihnen GOtt nicht zu / und ſegnet das wenige uͤbrige und ih - re andacht unter der euſſerlichen arbeit deſto reichlicher.

(5. Gleiche bewandnuͤß hat es mit denen / welche die armuth trucket / daß ſie der euſſerlichen arbeit ſo viel nachzugehen haben / als ihnen vor ſich und die ihrige zur unterhaltung noͤthig iſt / um andern nicht beſchwehrlich zu fallen: ob ihnen wol zu abſonderlichen geiſtlichen uͤbungen nicht mehr / als gleichſam die euſſerſte nothdurfft / uͤberbleibet.

(6. Wer aber freyer uͤber ſeine zeit zu ordnen hat / iſt ſchuldig / ſeinen euſ - ſerlichen beruffs-arbeiten / auch auſſer des ſonntags / ein mehrers abzubre - chen / und an den Gottesdienſt / ſo dann erbauung / insgeſamt an das geiſtli - che / anzuwenden / und darmit ſeine hochachtung des edelſten in der that zu bezeugen.

(7. Welche ſich unter dem vorwand der uͤbungen des Chriſtenthums allen uͤbrigen beruffs-arbeiten gantz oder doch zu viel entziehen / verſuͤndigen ſich darmit / und kommen in allerley gefahr und verſuchungen / der faulheit / des fuͤrwitzes / der entziehung von der liebe des nechſten / der beſchwehrde an - derer / und dergleichen.

Jnsgeſamt die ſache kurtz zu faſſen / ſo wird ein Chriſt ſo fleißig ſich in ſeiner arbeit bezeugen / als ein welt-menſch / nur daß er dem geiſtlichen auch ſo viel zeit / als zu ſeiner ſtaͤrckung in GOTT und deſſen dienſt noͤthig iſt / wid - met: ſo dann alles mit anderm hertzen und trieb als der andere thut.

3. Ob man ſchuldig ſeye / ſich um ſeines glaubigen bruders willen in armuth zu ſetzen?

1. DJe haupt-regul ſtehet 2. Cor. 8 / 9. es ſeye die gutthaͤtigkeit alſo zu uͤben / nicht daß einige / nemlich diejenige / denen man gutes thun will / ruhe haben / und die andern truͤbſal / die nemlich mildigkeit uͤben ſollen.

2. Es koͤnnen ſolche truͤbſelige zeiten kommen / in hungers-krieges-noth / verfolgung und dergleichen / wo ein Chriſt um anderer bruͤder willen / dieſelbe von dem euſſerſten verderben zu retten / ſich dermaſſen an ſeinen mitteln an - greiffen muß / daß er ſich ſelbs in gefahr des mangels ſetzet.

3. Auſſer ſolchen nothfaͤllen iſts einem Chriſten gnug / wo er ſeinem ar - men bruder / und zwahr der ohne ſeine ſchuld in armuth gerathen / (dann wer ſich auf anderer gutthaͤtigkeit allein verlaſſende / das ſeinige verſaͤumete / und darmit in mangel geriethe / waͤre alsdann ſehr weniger huͤlffe / und vielmehr ihn ſeinen mangel fuͤhlen zu laſſen / wuͤrdig) ſo viel an die hand gehet / daß erM mſelbs274Das dritte Capitel. ſelbs dabey ſich und die ſeinige zur gnuͤge noch auffenthalten moͤge / auch ſich andern ferner zu helffen nicht auf einmal unfaͤhig mache.

GOTT erfuͤlle aber ſelbs alle hertzen mit wahrer liebe / ſo wird dieſe jedesmal am beſten zeigen / was man dem nechſten ſchuldig ſeye / und die ſicherſte auslegerin des geſetzes werden. 1697.

SECTIO II. Ob chriſtliche hebammen oder wehemuͤtter ſich bey gebaͤhrenden Judinnen gebrauchen laſſen doͤrffen.

OB ich wol ſonſten auf die an mich ankom̃ende ſchꝛeiben ſelten andeꝛs / als poſt aliquam moram antworten kan / ſonderlich aber in der meß deꝛſel - benſo viel bekom̃e / daß faſt nicht weiß / wie ich mich expediꝛen ſolle / ſo ha - be gleich wohlen alſobald auf deſſelben geſtriges hiemit antworten ſollen / auf daß der Herr Pfarrherr bey beharrung auf vorigen ſeinen gedancken nicht / welches leicht geſchehen koͤnte / ſich in ungelegenheit und gefahr braͤchte. Was dann die vorgelegte frage anlangt / ſo haͤtte man zwahr ſonſten nicht in allen ſtuͤcken wegen der Juden ſich auf hieſiges exempel zu beruffen / indem denſel - ben unterſchiedliches allhier geſtattet wird / ſo ich nicht zu entſchuldigen ver - mag: Was aber dieſe ſache anlangt / ſo verhaͤlt ſichs alſo. 1. Ratione facti. Daß zwahr / als viel mir wiſſend iſt / die Juden in ihrer gaſſe ihre beſondere hebamme oder wehemutter haben / aber nicht / daß man der Chriſten hebam - men ihnen verſagte / ſondern weil der Juͤden eine ſolche anzahl iſt / daß es mit der Chriſten groͤſſeſter beſchwehrde geſchaͤhe / wo jene dieſer hebammen / deren ohne das wenig ſind / ordenlich immerfort gebrauchen / ſie ſich auch ſelbs beſor - gen muͤſten / daß ſie offt wuͤrden verſaͤumet werden / weil die Chriſten-hebam - men ihnen nicht allemal beyſpringen / und die ihrige verlaſſen wuͤrden. Alſo haben ſie aus noth eine ſondere hebamme / die dazu von den Chriſtlichen ange - fuͤhret und angewieſen worden. So bald aber es einigen harten ſtand gibet / daß ihre hebamme nicht genug iſt / werden nicht nur die Chriſtliche hebam - men / ſondern gar die Chriſtliche geſchwohrne weiber / ſo der ammen vorgeſetz - te und unter denſelben auch patritiæ ſind / zu den Judinnen geholt / welche im wenigſten kein bedencken machen / ihnen ſo wol als den Chriſten huͤlff zu lei - ſten. Wie auch die Chriſtliche Doctores, ob ſchon die Juden auch ihre Me - dicos haben / auf erfordern allemal bey den krancken unter den Juͤden erſchei - nen. Was 2. ratione juris zu mercken: ſo habe kein bedencken zu ſagen / daß freylich eine Chriſten-hebamme / nicht nur illæſa conſcientia den Judinnen beyſpringen / und ihr amt an ihnen verrichten koͤnne / ſondern daß ſie ihr gewiſ - ſen ſchwehrlich verletzen wuͤrde / wo ſie es nicht thaͤte: 1. Jſt uns Chriſtennicht275ARTIC. III. SECTIO II. nicht nur befohlen die bruͤderliche liebe / ſondern wir ſollen darreichen in der bruͤderlichen liebe gemeine liebe / 2. Petr. 1 / 7. welche keinen unterſcheid un - ter den menſchen / nationen / religionen machet. Es gehoͤret aber dieſer dienſt / ſo man den gebaͤhrenden erweiſet / unter die officia der gemeinen liebe. Wor - an aber nicht hindert / daß die hebammen ihren lohn davon haben. Dann auch ſolche gemeine liebes-wercke von denjenigen / die es zu thun vermoͤgen / billich vergolten und belohnet werden ſollen. Wo es nun erlaubet iſt / und von niemand vor unrecht gehalten wird / einem Juden einiges zu ſeiner noth - durfft zu verkauffen / ſo iſts nicht weniger erlaubt / in dieſem wichtigen werck der geburt der mutter und kind beyzuſpringen. 2. So iſts nicht wol muͤg - lich / daß die Juden an den orten / wo ihrer weniger wohnen / vermoͤchten alle - mal eine eigene hebamme zu halten: und kan ſolches alſo nicht von ihnen gefor - dert / noch weniger ihre weiber ohne huͤlff gelaſſen werden. 3. Wuͤrde ſolches den Juden ein ſehr ſchwehres aͤrgernuͤß ſeyn / wo ſie hoͤren ſolten / daß wir Chriſten / dero Meiſter und Heyland uns vor allen dingen das gebot der lie - be / und ſolches gegen unſern naͤchſten / das iſt / nach ſeiner eigenen auslegung alle menſchen / gegeben hat / von ſolcher liebe ſie / die Juden / ausſchlieſſen wol - ten. Denn es waͤre eine anzeigung / daß wir ſolches gebot unſers Heylands gering achten. 4. Sind wir den Juden zwahr nicht ſchuldig / zu ihrem un - recht / zu ihrem falſchen Gottesdienſt / (daher wir billich gegen die Schabbas goyen, wie ſie ſie nennen / eiffern / aber hier doch nichts dargegen ausrichten) zu ihrem betrug und dergleichen ſuͤnden / zu helffen / vielmehr in ſolchen ihnen uns entgegen zu ſetzen; in den officiis humanitatis aber ſind wir noch vor an - deꝛn allen den Juͤden verbunden. Sie ſind einmal das voꝛnehmſte geſchlecht in dergantzen welt aus dem geſegneten ſaamen deꝛ heiligen Vaͤteꝛ. Und ob ſie wol in gegenwaͤrtigem ſtand in GOttes gericht ligen / ſo iſt doch die gedaͤchtnuͤß ihrer extraction wuͤrdig / ihnen die liebe vor andern zu erweiſen / ja wie unſers lieben Lutheri reden ſollen geweſen ſeyn / haben wir alle Juden um eines eini - gen willen zu lieben / nemlich um unſers liebſten JEſu willen / deſſen angehoͤri - ge ſie nach dem fleiſch ſind. So ſind ſie die natuͤrliche zweige / die zwahr um ihres unglaubens willen ausgehauen / und wir arme Heiden eingepropf - fet ſind / aber Paulus Rom. 11 / 20. erinnert ernſtlich / daß wir nicht ſelber ſtoltz ſeyn gegen ſie / und ſie hart oder hochmuͤthig tractiren / ſondern geden - cken / daß ſie aus GOttes erſtem bunde mehr recht zu dem reich gehabt / als wir / die wir erſt aus barmhertzigkeit an ihre ſtelle angenommen worden ſeynd. Wie wolten alſo Chriſten ihnen dieſen dienſt verſagen / welchen ſo gar die na - tuͤrliche liebe erfordert / und ein menſch auch einem vieh / wo es deſſen bedoͤrff - tig waͤre / einige huͤlffe leiſten ſolte? da ſonderlich wir Chriſten gegen die Ju - den ſo wol zu erweiſen haben / daß wir dem befehl unſers Heylandes von derM m 2liebe276Das dritte Capitel. liebe nachkommen / als auch ihre hertzen dardurch ſo vielmehr bereiten ſollen / allgemach zu einer liebe gegen uns / ſo dann auch zu demjenigen / was noch goͤttliche gnade kuͤnfftig an ihnen thun wird. 5. Findet ſich keine wichtige urſach / ſo entgegen angefuͤhret werden koͤnte / wie es dann unbillich waͤre / daß Chriſten einen eckel haben wolten an den perſonen / die den Juden einen dienſt geleiſtet / welche an dem geld keinen eckel haben / ob ein Jud daſſelbe lange zeit bey ſich getragen haͤtte; ſo ſehe ich auch kein aͤrgernuͤß: Man wolte ſich dann aͤrgern an demjenigen / was goͤttlichem willen gantz gemaͤß iſt / und waͤren alſo vielmehr diejenige / die hievon ein aͤrgernuͤß nehmen wolten / beſſer zu unter - richten / als den Juden damit den dienſt zu entziehen / welchen alle menſchen unter einander ſchuldig ſind. 6. Daß in dem gegentheil viele Theologi be - dencken haben werden / daß ſich ein Chriſt der Juden / zum exempel der juͤdi - ſchen Doctorum (alſo moͤchten wir beyſetzen / der hebammen) gebrauchte / hat es mit ſolchen gar eine andere bewandnuͤß: Theils weil es mit verachtung der Chriſtlichen perſonen geſchihet / die man haben koͤnte / theils weil man ſich nicht unbillich von ſolchen leuten ein und andere aberglauben in den curen zu beſorgen hat / theils weil wir Chriſten das gebet vor goͤttlichen ſegen hoch ach - ten ſollen / welches aber auf goͤttliche und GOtt-gefaͤllige art ein juͤdiſcher Doctor nicht verrichten / und alſo den ſegen zu ſeiner cur erbitten kan: weswe - gen nicht wol gethan iſt / ſich derſelben zu bedienen / da man Chriſten haben mag / welche wie in dem leiblichen behuͤlfflich ſeyn / alſo auch von GOtt ſeine gnade zu ihrer bedienung erbitten koͤnnen. Nichts von dergleichen findet ſich von der andern ſeiten / da die Chriſten den Juͤden zur hand gehen / und moͤchte man eher ſagen / daß die Juͤden einiges bedencken haben moͤchten / der Chriſten huͤlffe ſich zu gebrauchen / als dieſe dergleichen liebes-dienſte ihnen zu erweiſen. Weswegen dann meinem Hochg. Herrn Pfarrherrn wolmei - nend rathe / ſich ſolcher ſache nicht weiter zu widerſetzen / ſondern die leute ſelbs von der pflicht der allgemeinen liebe / daß ſich kuͤnfftig niemand daran ſtoſſe / zu unterrichten. Jndeme widrigen falls nicht nur die Juͤden bey der Obrig - keit durchtringen / und meinem Hochg. Herrn Pfarrherrn / wo ers folgends wider willen muͤſte zulaſſen / an dem reſpect etwas abgehen wuͤrde / ſondern die ſache ſelbs wider das gebot der allgemeinen liebe ſtritte. 1678.

SECTIO III. Befahr unſrer zeiten. Joach. Betkii menſura Chriſtianiſmi. Von beſtraffung des nechſten.

DJe brieffe belangend / ſo bezeuge hiemit hertzlich / daß bey mir beyde eine ſonderliche liebe gegen ihn erwecket / und mir eine hoffnung gemachthaben /277ARTIC. III. SECTIO III. haben / daß an ihm abermal eine ſolche perſon kennen lerne / dero es redlich um GOTT und um ihr heil zu thun ſeye / die auch die verderbnuͤß unſers Chriſtenthums tieffer einzuſehen angefangen habe / als ſonſten ins - gemein daſſelbige zu geſchehen pfleget. Nun ſo offt von jemand dergleichen einige kundſchafft bekomme / ſo habe ich mich billig daruͤber zu erfreuen / dem HErren / der durch ſeinen geiſt kraͤfftig in den hertzen wircket / zu dancken / und fuͤr dieſelbige zu bitten / daß der HErr das gute werck in ihnen angefangen / ferner vollfuͤhren wolle auff den tag JEſu Chriſti. Wir ſind ohne das in den jenigen zeiten / da nicht nur die zahl derer / welchen es um Gott redlich zu thun iſt / ſehr nahe zuſam̃en gehet / ſondeꝛn auch dieſe in ſtaͤteꝛ gefahr wegen der vielẽ ſchreckl. aͤrgernuͤſſen ſtehen / von deroſelben ſtꝛohm in das wuͤſte weſen mit foꝛt geriſſen zuwerden. So wird in den uns vorſtehenden truͤbſaalen keiner ſtehen bleiben / als deſſen hauß auff einem guten und feſten grunde ſteht / die uͤbrige werden ſorglich einen groſſen fall thun. Wann uns dann an nichts mehr gele - gen / als daß wir nur unſre ſeelen dermaleins zur ausbeute davon tragen moͤgen: hingegen wir nichts haben / womit wir unſre ſeelen / da wir ſie ver - lohren haͤtten / wieder loͤſen moͤchten; wie nothwendig will es dann ſeyn / daß auch dieſer erhaltung unſer allermeiſte ſorge in dieſem leben ſeye: welches ja nicht einig uns Predigern / ſondern eben ſo wol allen / die eine ſeele zu verſor - gen haben / obliget. Wir haben aber / wo wir durch die gnade GOttes ei - nen hertzlichen trieb zu dem guten und allein nothwendigen bey uns fuͤhlen / nicht nur dem himmliſchen Vater davor demuͤthigen danck zu ſagen / ſondern weil auch eine chriſtliche klugheit zu der ſache gehoͤꝛet / daß man das gute nicht ſelbs unvorſichtig verderbe / ihn um dieſe / und alſo ſeines Heil. Geiſtes bey - ſtand / anzuruffen: weil ſonſten dieſes mit eine tuͤcke des ſatans iſt / wo er eine ſeele nicht mehr von dem eiffer zu dem guten abziehen / noch in der welt eitel - keit einflechten kan / daß er ſuchet / ob er eine unordnung in ſolchen eiffer brin - gen / und damit deſſelben fruͤchte zunicht machen moͤchte / davor wir uns ſo viel fleißiger zu huͤten haben / als gefaͤhrlicher dieſe liſt des feindes iſt. Zur ſache aber naͤher zu gehen / ſo thut der HErr ſonderlich zwo fragen / insgemein - ber das buͤchlein Menſio Chriſtianiſmi genennet / und abſonderlich wegen der beſtraffung des nechſten. Die erſte belangend / ſo iſt mir ſolches buͤch - lein bekant / und habe es vor 12. oder mehr jahren geleſen. Der Autor iſt geweſen Joachimus Betkius, vormaliger eifferiger Prediger zu Linum in der Marck Brandenburg / welcher auch mehrere ſcripta edirt hat. Deſſen gedaͤchtnuͤß billich in wuͤrden und ſegen behalten werden ſolle. Jch kan mich auch jetzo nicht ſo eigenlich des gantzen tractats mehr erinnern / hatte aber mein bedencken davon / ſo ich nach der verleſung gleich abgefaßt / ſelbs in mein exemplar geſchrieben: Dieſes aber habe weggelehnet / und weiß nicht wem /M m 3da -278Das dritte Capitel. daher es von niemand fordern noch mich darinnen erſehen kan. So viel ich mich noch entſinne / habe ich damals ſehr viel herrliches gutes in dem buͤch - lein wahrgenommen / und bey dem mann einen hertzlichen eiffer bemercket / und daß er ſonderlich die fehler des predigamts und der fleiſchlichen leute in demſelbigen kraͤfftig geruͤhret. Jedoch wie es offt in dergleichen dingen zu geſchehen pfleget / daß eiffrige leute ſich dadurch weiter treiben laſſen / als noͤthig geweſen waͤre / ehe ihnen etwas in ihrer meinung geholffen wird / duͤn - cket mich / ſeye dieſer liebe maun zuweilen zu weit gegangen / und habe den zu - ſtand der kirchen vielmehr ſich vorgeſtellt / wie er zu wuͤnſchen / und nach ſol - chem euſſerſten grad der vollkommenheit ſich zu beſtreben iſt / als wie wir in dieſer gegenwaͤrtigen zeit / da das weib noch in der wuͤſten iſt / und alles euſ - ſerliche in groſſem verfall ſteht / dieſelbige zu hoffen / oder wir es dahin zu bringen / von GOtt die verheiſſung haben. Daher wir zwahr uns dahin zu bemuͤhen haben / allen aͤrgernuͤſſen nach vermoͤgen zu wehren / aber wir muͤſ - ſen deswegen nicht gedencken / daß nichts ausgerichtet / ſondern daß alle ar - beit verlohren ſeye / ob wirs wol bey weitem ſo weit nicht bringen: vielmehr muͤſſen wir endlich damit zu frieden ſeyn / wo wir noch ſo wol die gute ſtaͤrckẽ / als einige boͤſe gewinnen / oder einige nur etlicher maſſen in ihrer boßheit hin - dern / daß ſie dieſelbige nicht ſo ungefcheut treiben doͤrffen: ja aber deswegen / daß nicht alles erlangt werde / was wir wuͤnſchen / amt und arbeit nicht fah - ren laſſen / ſo mich deucht des lieben mannes meinung zu ſeyn / auffs we - nigſte es eine verſuchung iſt / welche manche gute hertzen offters aͤngſtiget / der ſatan aber dieſes dabey ſuchet / daß er durch ſolche deſperation etwas auszurichten / und durch die einbildung / wo man es nicht alles dahin bringe / wie wir die goͤttliche ordnung vor augen ſehen (und freylich nach deroſelben uns richten / auch mehr und mehr darnach trachten ſollen) daß GOtt nichts unſers wercks in gnaden auffnehmen werde / diejenige von dem kirchen-dienſt vollend abzuziehen / welche auffs wenigſte etwas durch ihre treue noch aus - zurichten vermocht haͤtten / auch ausgerichtet haben wuͤrden. Daher ich ſol - ches mannes und einiger anderer dergleichen buͤcher ſonderlich chriſtlichen verſtaͤndigen predigern / dazu gleichwol dienlich halte / daraus die obſchwe - bende fehler deſto beſſer zu erkennen / auch was dagegen verſucht werden ſolle / zu erſehen / nicht aber ſich nachmalen ein ſchwehres gewiſſen zu machen / noch das amt fahren zu laſſen / wo wir vieles nicht zu werck richten koͤnnen / ſondern nach allem verſuchen ſtecken bleiben: wo vielmehr dieſes allein uns uͤbrig bleibt / daß wir der huͤlffe des HErren / da er ſeiner kirche huͤlffe ſchicken / und ſie ſelbs beſſern wird / mit ſeufftzen erwarten / und uns indeſſen troͤſten / der HErr ſehe nicht ſo wol unſers fleiſſes frucht / als unſers willens auffrichtig - keit an. Wie mich nun deucht / es ſey dieſes wegen ſeiner haupt-abſicht (womich279ARTIC. III. SECTIO III. mich von deroſelben nicht mein gedaͤchtnuͤß betreugt) zu bemercken / ſo kommt mir auch vor / ob erinnerte ich mich / daß er ebenfals in ſolchem tractate / ſo dann in einem andern / welcher austruͤcklich von dem Geiſtlichen Prieſter - thum geſchrieben / dieſes faſt weiter als ſichs geziehmen wolte extendirte / daher ich hingegen / als mir eben damal ſolches in die haͤnde auch fiele / Herren Vilitzen Geiſtliches Prieſterthum lieber habe hier aufflegen laſſen / und alſo bey uns bekant machen wollen / welches mir vorſichtiger zu gehen ge - ſchienen: nachdem ich auch ſelbs ſolche materie in einem kleinen ſcripto aus - gefuͤhret habe. Jch komme aber auch auff die andere beſondere frage von der beſtraffung: welche ich bekenne / daß ſie mir eine der ſchwehrſten mate - rien vorkomme / und ich mir darinnen ſelbs in etlichem nicht / vielweniger den andern / allerdings gnug thue. Die meiſte difficultaͤt in der gantzen ſache kom - met her aus unſerm verderben in der gantzen kirchen / daß in deroſelben ſo we - nig wahre Chriſten zu finden ſeynd / und daher diejenige pflichten weder koͤn - nen noch ſollen gegen alle dermaſſen in acht genommen oder geleiſtet werden / welche uns gegen etliche bruͤder obligen / und wo wir unter lauter ſolchen le - beten / unausſetzlich muͤſten geuͤbet werden / da ſie auch nicht ohne frucht blie - ben: Nun aber wo dieſelbe gegen diejenige / ſo zwahr wegen des Chriſten nah - mens auch bruͤder heiſſen ſollen / dermaſſen in acht genommen werden wol - ten / mehr confuſion und ſchaden als nutzen erfolgen doͤrffte. Deswegen ich nicht leugne / daß des Sel. Herr Doctor Muͤllers / deſſen freundſchafft ich ſonſten werth geachtet / angezogener abhandelung ſolcher materie nie habe unterſchreiben koͤnnen / ob ſie wol hertzlich gut wird gemeint geweſen ſeyn / und in anderm unſerm zuſtand ſich ſolche dinge practiciren lieſſen. An die ſtel - le deſſelben aber wolte ich lieber zu leſen rathen Herren Doct. Huͤlſemanns austruͤcklichen lateiniſchen tractat von ſolcher materie / de correptione fra - terna: ſolle etwa ein und anderes nicht undienliches darinn gefunden wer - den / wie mich entſinne / als ihn geleſen / daß mir einiges wohl gefallen. Wo ich aber je auch etwas meiner gedancken von der ſache geben ſolle: ſo meine / daß wir 1. wohl in acht nehmen muͤſſen die urſachen ſolcher bruͤderlichen be - ſtraffung / dero mich deucht ſonderlich zwo zu ſeyn; die eine der eiffer vor GOttes ehr und die andere die liebe ſo wol des bruders / ſo geſuͤndigt hat / um ihn zu ſeiner ſuͤnden erkaͤntnuͤß zu bringen als anderer beyweſenden / daß ſie ſich nicht dran aͤrgern moͤgen: dieſe urſachen / wo ſie wohl eingeſehen wer - den / doͤrfften etwa dieſe ſache zimlich erhellen und in vielen ſtuͤcken maaß ge - ben. 2. Der eiffer vor GOttes ehre erfordert eine beſtraffung / wo dieſelbi - ge in unſerer gegenwart von jemand ſonderlich angegriffen worden / und hoffnung iſt / dadurch etwas deroſelben zu repariren / entweder bey jenenſelbs /280Das dritte Capitel. ſelbs / oder bey den anweſenden. Jch trauete ſie nicht aber allezeit nothwen - dig zu achten / wo man ſorgen muß / nur ſo viel hefftigere fortſetzung ſolcher ſuͤnde bey einem obſtinaten kopff / bey einem trunckenẽ und dergleichen / zuver - urſachen / daß er daſſelbe / oder wol aͤrgers / eben deswegen zu trutz zu thun fortfahre. Jedoch wolte es nicht verdammen / da ein menſch einen eiffer druͤ - ber bey ſich verſpuͤhret / und aus deſſen trieb eine ſolche beſtraffung thaͤte / den ich als von GOtt (wo nemlich keine andere fleiſchliche abſichten dabey ſind) erwecket / gern anſehen wolte: aber in ermangelung der hoffnung etwas fruchtbarliches auszurichten nicht jeglichen / ſonderlich die ſchwache / dazu verbunden achten wolle. 3. Wie nun alſo das meiſte auff die liebe des nechſten ankommet / ſo gibet ſolche dieſe regul: wo man ſeinem nechſten mit der beſtraf - fung nutzen kan (und alſo deſſen nur einige hoffnung hat) ſo erfordert die lie - be / und alſo das gebot der beſtraffung / ſo eigentlich eine uͤbung der liebe ſeyn ſolle / dieſes von mir / daß ich ſolche gelegenheit ihm gutes zu erzeigen nicht verſaͤume. Hingegen wo gewiß iſt / als viel nemlich unter menſchen von der - gleichen dingen eine gewißheit ſeyn kan / daß ich nicht nur nichts gutes damit ausrichten / ſondern gar nicht ſo wol mir ungelegenheit damit zu ziehen / als den nechſten nur mehr aͤrgern / und ihm gelegenheit zu mehr ſuͤnden geben wuͤrde / ſo bleibet die beſtraffung billig zuruͤcke. 4. Alſo wolte ich nicht ra - then / daß jemand einigen gantz unbekanten vorbey gehenden oder ſonſten auffſtoſſenden / ſonderlich publicè, ſtraffen ſolle: indem menſchlicher weiſe auch nicht eine hoffnung ſeyn wuͤrde / bey ſolchem etwas gutes auszurichten / ſondern mehr ſorge waͤre / ihn zu weitern ſuͤnden zu reitzen / und andere wegen eines ſolchen ungewohnten unternehmens damit zu aͤrgern. Es waͤre denn ſache / daß es von ſolcher perſon geſchehe / ſo einer dergleichen autoritaͤt / da - vor derjenige / der da ſuͤndiget / ſich ſo bald ſcheuen muͤſte / und alſo einiger beſ - ſerung hoffnung waͤre. 5. Wo man mit offenbaren gottloſen leuten zu thun hat / finde ich abermal nicht / daß ein privat-menſch / der ſie ſolche zu ſeyn weiß / und in dero actionen ſolches auch ſihet / ſie beſtraffte / ſondern es gehoͤret zu dem ſpruch Matth. 7 / 6. daß wir unſer heiligthum nicht vor die hunde noch die perlen vor die ſchweine werffen ſollen: (wie ſolches gebot unſers Heylandes austruͤcklich / und ſonderbarlich von ſolcher materie handelt / wie das vorgehende zeiget) es waͤre dann ſache / und faͤnden ſich ſolche um - ſtaͤnde / daß der eiffer vor GOttes ehr und die ſorge / daß andere beyweſende ſich nicht aͤrgern / eine ſolche beſtraffung erforderten. Sonſten muß man ſol - che leute ſo wol der offenbarlichen ſtraff der Obrigkeit / als ſtraff-amt der Pre - diger in den predigten uͤberlaſſen / biß ſie auch Chriſten werden / und etwas der bruͤderlichen pflicht an ihnen mit nutzen geuͤbt werden koͤnte. Als lang ſie aber offenbar ruchloſe welt-leute ſind / ſo iſt an ihnen das meiſte particular -ſtraf -281ARTIC. III. SECTIO III. ſtraffen verlohren / biß gelegenheit ſey / vielmehr ihren gantzen zuſtand / als dieſe und jene abſonderliche ſuͤndliche handlung / ihnen vorzuſtellen / und einer rechten beſſerung anfang zu machen. Jedoch will es bey ſolchen leuten noͤ - thig ſeyn / daß man auffs wenigſte mit gebaͤrden / geſicht und ſonſten ſein miß - fallen an ihrem thun bezeuge / am ſorgfaͤltigſten ſich aber vor allem dem huͤte / woraus ſie oder andere gegenwaͤrtige abnehmen koͤnten / ob lieſſe man ſich die ſache wohlgefallen: dann koͤnnen wir ſie nicht beſſern / ſo muͤſſen wir ſie auffs wenigſte auch nicht aͤrgern / noch in ihrer boßheit ſtaͤrcken. 6. Wo mans aber mit recht chriſtlichen leuten zu thun hat / ſo hat dieſe pflicht recht ihren platz: dann die ſind eigenlich und von rechtswegen bruͤder / ſo iſt bey denſelbigen auch hoffnung / daß eine bruͤderliche beſtraffung ihren rechten zweck erhalte / und alſo einige frucht ſchaffe. Jedoch ſoll allezeit auch bey denſelbigen wol acht auff alle umſtaͤnde gegeben / und dieſe nach muͤglichkeit alſo eingerichtet werden / wie am beſten dasjenige / was man ſuchet / nemlich des nechſten heil / erhalten werde. Alſo iſt auch eben nicht noͤthig / jedes mal / wann etwas ge - ſchehen iſt / noch an ſolcher ſtelle / gleich zu[ahnden] / ſondern iſt offt viel frucht - barer / da man gelegene zeit und ort darzu erwartet / daſſelbige zu erinnern / was noͤthig ſcheinet / als daß zu unzeiten ein gemuͤth nur waͤre etwa unwilli - ger gemacht worden. Je genauer ich aber mit einem verbunden und bekant bin / ſo viel mehr liget mir ſolche liebes-pflicht ob / und hat mehr hoffnung vor ſich. Ja es iſt auch nuͤtzlich / daß ihrer mehrere / ſo einander als wahre Chri - ſten kennen / und ſich austruͤcklich mit einander verbinden / mit einer liebrei - chen freyheit / ſich untereinander zu beſtraffen / und was ſonſten allgemeinen rechts iſt um ihrer naͤhern verbindung willen deſto freyer zu thun / ſich aber nimmer etwas uͤbel untereinander auffzunehmen. Zwahr ſolte ſolche freund - ſchafft und vertraulichkeit ſchon ohne das unter allen Chriſten ſeyn (und als ſolches in der erſten kirchen bey den bruͤdern / daher aller ihr ein hertz und eine ſeele war / dieſe ſtraff-pflicht in ihrer ſtattlichſten vigore war / und ihren vor - treflichſten nutzen hatte) nachdemſie aber leider nicht alſo anzutreffen / ſon - dern auch die frommen ſich offt aus vielen urſachen einander etwas frembd ſind / iſts wol gethan / wo ihrer viele unter ſich dasjenige auffrichten / was unter allen ſeyn ſolte / und dero exempel auch andere zu deſſen nachfolg reitzen mag. 7. Obwol die beſtraffungen ſo amts halben geſchehen / gemeiniglich gegen die untergebene / andere gemeine aber gegen die gleiche meiſtens gehen: ſo iſt gleichwol nicht verboten / daß nicht auch untere ihre obere erinnern moͤ - gen / wobey gleichwol dieſe ſtuͤcke noͤthig. 1. Daß ſie ihre erinnerung uͤber ſolche dinge thun / welche ſie gewiß verſtehen / daß ſie unrecht ſind. Sonſten thun manchmal voꝛgeſetzte in den obern ſtaͤnden mehꝛere dinge aus ihꝛem amt und ſolchen urſachen / welche anderenicht begreiffen / nochihnen geſagt werdenN ndoͤrf -282Das dritte Capitel. ſen / daher dieſe aber bald leicht in die gedancken kommen moͤchten / ſie thaͤten damit unrecht / und waͤren zu beſtraffen / da ſie doch etwa gantz recht daran gethan haben: in ſolchem fall wuͤrde es den untergebenen nicht zukom - men / ſie deswegen zu beſtraffen / oder rechenſchafft von ihnen zu fordern. Sondern es muͤſſen dinge ſeyn / die undiſputirlich unrecht. 2. Sollen ſolche erinnerungen der untern mit aller demuth und beſcheidenheit geſchehen / daß ſie ja die ſonſten gegen die Obere geziemende ehrerbietung damit nicht verle - tzen / und das anſehen gewinnen / ſie wolten uͤber ihre Obere die herrſchafft ſuchen: damit die ſache ſtracks verdorben wird. 3. Geziehmet ſichs eben um der urſach willen / daß dieſelbige als viel muͤglich in geheim und ohne ih - re verkleinerung vor andern geſchehe: ja ſo viel moͤglich / daß es mehr ſcheine / es ſuchen dieſe ihre eigene information und benehmung der uͤber ſie gefaßten ſcrupel / als daß ſie ſich ſo klug duͤncken zu ſeyn / andere hoͤhere zu beſtraffen. Wo es nun alſo geſchihet / koͤnnen ſich die Obere nichts beſchwehren. Ja es haben alle dieſelbige / ſonderlich aber Prediger / ſich zu erfreuen / wann ih - re anvertraute auch dieſe liebe an ihnen erzeigen / und achte ich denjenigen des predig-amts nicht werth / der einen beſcheidenen und liebreichen zuſpruch ſeines zuhoͤrers nicht mit hertzlichem danck annimmt / ſondern ſich daruͤber beſchwehrt / indem wir ja dencken muͤſſen / wir ſeyen nicht nur der gemeinde vorſteher / ſondern auch glieder / daher auch unter der bruͤderſchafft / und noch darzu menſchen / die fehlen und nicht alles ſo wol an ſich in acht nehmen koͤn - nen / als etwa andere gewahr werden. Ja ich achte / daß es ein groſſes ſtuͤck der verderbnuͤß unſers ſtandes iſt / daß wenige das hertz nehmen / uns dieſe treue / ſo uns ſo nuͤtzlich und noͤthig waͤre / zu erzeigen / oder daß viele aus uns dergleichen uͤbel auffnehmen / und chriſtliche hertzen zu ihrem eigenen ſchaden hievon abſchrecken. 8. Wie nun dieſe angedeutete art / wie und wen man zu ſtraffen hat / wo ſie dermaſſen angeſtellet wird / ihre herrliche frucht brin - get; alſo wird hingegen der unbedachtſame gebrauch und die promiſcua correptio cujuscunque mehr ſchaden bringen / und kan von dem Heil. Geiſt nicht gemeinet ſeyn. 1. Es wuͤrde damit ſelten etwas ausgerichtet. 2. Mei - ſtens aber viele mehrere ſuͤnden bey den beſtrafften veranlaſſet. 3. Wuͤrde eine groſſe confuſion und zerruͤttung entſtehen / ſolche aber dem Evangelio einen boͤſen nahmen machen. 4. Zugeſchweigen der ungelegenheit / welche ſolche liebe leut ihnen damit ſelbs zuzoͤgen. 5. Weil ſich jeglicher gewiſſens halben darzu verbunden achtete / wuͤrden ſich eben diejenige / die die noͤthige klugheit nicht haben / deſto oͤffter durch unzeitiges ſtraffen verſuͤndigen / als groͤſſer ihr eiffer waͤre. Anderer ſchaͤdlicher folgen nicht mit mehrerem zu gedencken / daraus erhellet / daß GOttes wille nicht koͤnne geweſen ſeyn / das jenige zu verordnen / daraus mehr boͤſes als gutes entſtehen wuͤrde. Wasim283ARTIC. III. SECTIO III. im uͤbrigen die davon angefuͤhrte ſpruͤche anlangt / ſo handeln die ort Matth. 18 / 15. und Luc. 17 / 3. austruͤcklich allein von dem fall / da unſer bruder an uns ſuͤndiget / und um des uns zugefuͤgten unrechts willen unſerer vergebung bedarff / auch wo denſelben zu gewinnen einige hoffnung iſt / als welche der zweck der beſtraffung ſeyn ſolle. Gehet alſo der daſelbſtige befehl nicht auff andere ſuͤnden / wo der nechſte ſich ſonſten verſuͤndiget / ohne das mich die ſache abſonderlich anginge: wie wol doch nicht leugne / wo die hoff - nung der beſſerung ſich zeiget / daß ex analogia nachmal dieſer befehl eben ſo wol weiter gezogen werden moͤchte. Jndeſſen iſt offenbahr / daß auch nicht bloſſer dings in jeglichem unrecht / ſo uns von jemand geſchihet / ſolcher pro - ceß muͤſſe noͤthig ſeyn / ſondern dabey / mit wem wir es zu thun haben / auch was vor hoffnung vorhanden mit in conſideration gezogen werden. Chri - ſto und den Apoſtein geſchahe manches unrecht / da ſie ſich zuweilen verthaͤdi - get / und denjenigen / welche es ihnen angethan / ihr unrecht vorgeſtellet haben / ſo wol etwa um ihrer ſelbs willen / daß ſie moͤchten gebeſſert werden / als zur ehre GOttes und abwendung des aͤrgernuͤſſes von andern; zuweilen aber lieſſen ſie das unrecht voruͤber gehen / trugens mit gedult / und ſtrafften die - jenige nicht / welche es ihnen anthaten / wann ſie erkanten / daß nun die zeit des ſchweigens / und nichts auszurichten ſeye. Woraus wir abermal ein liecht in dieſer materie bekom̃en / und ſehen / daß die betrachtung der umſtaͤnde zumal in dem gantzen werck hoͤchſt noͤthig ſeye. 10. Der ort 3. Moſ. 19 / 17. wird ſich auch zimlich ſelbs erklaͤhren / daß er mit dem befehl CHRJSTJ Matth. 18. uͤberein komme / und alſo von denjenigen beleidigungen handele / da der nechſte uns unrecht gethan hat. Wie denn Moſes verbittet man ſolle den nechſten nicht in ſeinem hertzen haſſen: ſo muß alſo etwas vorgegan - gen ſeyn / was ſolchen haß erregen moͤchte. Jſt demnach die meinung eigen - lich dieſe: wo dir dein nechſter leid zugefuͤget hat / ſo trage es ihm nicht nach / in einem heimlichen haß / ſondern ſage es ihm und ſtraffe ihn deswegen. Sirach. 20 / 2. daß er wiſſe / wie er mit dir ſtehe / und fernere ſuͤnden unter euch verhuͤtet werden. Wie dann ſolches ſtraffen / da es offenhertzig geſchi - het / entweder dem nechſten gelegenheit gibet / ſich alſo zuerkennen / daß man ſehe / es ſeye etwa dasjenige / was du uͤbel auffgenommen / ſo boͤſe nicht ge - meint geweſen / oder es bringet ihn zur erkaͤntnuͤß und kuͤnfftiger beſſerung / o - der machet einen anlaß / daß ſich andeꝛe darzwiſchen legen / ferneꝛes ungluͤck zu verhuͤten: und wie etwa noch dergleichen arten ſeyn moͤgen / worinnen ſolche beſtraffung beyden theilen nutzen kan. Man ſehe auch hieruͤber Sirach. 19 / v. 13. ſeq. Wo aber ſolches unterlaſſen und dem nechſten ſolche beleidigung nur nachgetragen und gelegenheit der rache geſucht wird / ſo ladet man vieleN n 2ſchuld284Das dritte Capitel. ſchuld auff ſich. Jndeſſen laſſe ich gern auch dieſes allgemeine aus den wor - ten ziehen: wann der menſch die beſtraffung alſo unterlaͤſſet / daß er damit des andern ſchuld auff ſich ladet / und alſo urſach iſt / daß er in ſeiner ſchuld ſtecken bleibet / und weiter ſuͤnden begehet / welche durch guten zuſpruch haͤt - ten verhuͤtet werden koͤnnen / ſo ſuͤndiget er wahrhafftig. Man moͤchte 11. den ort Epheſer 5 / 11. habt nicht gemeinſchafft mit den unfruchtbaren wer - cken der finſternuͤß / ſtraffet ſie aber vielmehr / ebenfals anziehen / welcher meines erachtens die ſache faſt ſtaͤrcker treiben ſolte / als die andere. Aber er kan doch eben ſo wol nicht mehr ausrichten / als dieſes allgemeine / daß die Chriſten ſollen die wercke der finſternuͤß ſtraffen: wer aber / wen / wie / wo u. ſ. f. dieſes thun ſollen / wird hie nicht ausgetruckt / ſondern / wie es mit andern præceptis affirmativis ein bewandnuͤß gleicher maſſen hat / muß ſolches aus beobachtung aller umſtaͤnde / wie es am meiſten frucht ſchaffen kan / mit chriſt - licher klugheit zu jedem mal ermeſſen werden. Dann dieſes gebot ſo wol als andere ſind uns von GOtt zu des neben menſchen nutzen; nicht aber ihm zu mehrern ſuͤnden anlaß zu geben / vorgeſchrieben worden. Der gelehrte Matth. Flacius redet ſehr wol hier uͤber dieſen ſpruch: Obſerva pios non debere per - petuo diſſimulare prava facta aut dicta, vel etiam tantum opiniones erro - resve ac malam mentem aliorum, præſertim ſibi quoquomodo conjuncto - rum, etiam ſola vicinia: ſed potius arguenda eſſe, obſervato nihilominus quodam decoro loci, temporis ac perſonarum, ac communis eutaxiæ quietisque. Welches ſehr fein die meinung des Apoſtels erklaͤhret / wozu mir noch jener ſpruch Sirachs einfaͤlt. c. 20 / 1. Es ſtraffet offt einer ſei - nen nechſten zur unzeit / und thaͤt weißlicher er ſchwiege. Wo wir ſe - hen / daß der weiſe mann das ſtraffen des nechſten nicht verwirfft / vielmehr als etwas gutes billiget / aber er will nicht haben / daß es zur unzeit und alſo nicht mit gebuͤhrlicher beobachtung aller dienlichem umſtaͤnde geſchehe / ſonſten ſeye es wol beſſer / man ſchweige gar / als daß man mit gut gemeinten / nicht aber genug bedachten reden / ſchaden thue. Gleich wie eine artzeney koͤſtlich und heilſam ſeyn kan / welche doch / da ſie nicht recht gebraucht wird / leicht ſo viel ſchaden mag als nutzen kan. Jch ſetze 12. zu mehrer erleuterung der ſache noch dieſes hinzu / daß wir den nechſten auch ſtraffen moͤgen durch andere. Wie ich dann dieſes ſehr rathſam achte / daß zuweilen ein und an - dere ſuͤnden des nechſten / welche wir zu ſtraffen noͤthig achten / und aber we - nig hoffnung haben / daß wir dieſes werck ſo vernuͤnfftig und vorſichtig ver - richten wuͤrden koͤnnẽ / als es dienlich ſeye / oder auch ſorgen muͤſſen / daß es von uns nicht moͤchte wohl auff genommen werden / von uns / andern / ſonderlich den vorgeſetzten in geheim angezeigt und ſolchen auffgetragen werde / daß ſieihr285ARTIC. III. SECTIO III. ihr amt an denjenigen zur beſſerung thun / die ſolches bedoͤrffen. Alſo mag eltern / herrſchafften / und dergleichen vorgeſetzten dasjenige vertrauet wer - den / was an den ihrigen ſtraͤfflich beobachtet worden / und ſie es ſonſten etwa nicht wiſſen moͤchten. Vornemlich ſind die Prediger diejenige / welchen amts - halben das ſtraffen auch obligt und anbefohlen iſt / die etwa auch von GOtt die klugheit empfangen haben / daß ſie wiſſen / mit nachtruck zu ſtraffen / zu dem auch das amt ſelbs ihnen eine mehrere autoritaͤt / folglich offt eine weitere krafft dem zuſpruch / gibt. Daher denjenigen / welche ihnen ſelbs nicht trauen / oder nichts auszurichten ſorgen / gantz rathſam iſt / daß ſie ſolche dinge / ſo eine andung und beſſerung noth haben / den Predigern oder Beicht-vaͤtern anzei - gen / welche nachmal weiſe und wege wiſſen / wie ſie am nuͤtzlichſten ihre zuſpruͤ - che anſtellen. Damit achte ich ſolcher leute gewiſſen genugſam exonerirt / und iſt einerley / ob ich eine ſache durch mich ſelbs oder einen andern / der es beſ - ſer zu thun vermag / ausrichte: Ja dieſes letztere manchmal nuͤtzlicher. Alſo erinnere ich mich ſelbs / daß ich einer perſon / welche zwahr einen eiffer hatte / andere um ſich in ihrem hauſe zu ſtraffen / aber gemeiniglich ſolches mit unver - ſtand und auf eine ſolche weiſe that / daß ſie damit mehr ſchaden als nutzen und erbauung ſchaffte / gerathen habe / ſich alles ſolches ſtraffens zu enthal - ten / als wozu ſie die gabe nicht empfangen habe / hingegen mir / weil ich amts halben ſonderlich bey ſolchen leuten mehr zu ſprechen / dasjenige zu hinter - bringen / was ſie zu ſtraffen werth achtete / da alsdenn bey mir ſtuͤnde / zu er - kennen / ob es etwas wahrhafftig-ſtraͤffliches / oder der perſon einbildung al - lein / waͤre / (wie zuweilen einige etwas fuͤr unrecht anſehen koͤnnen / was eben nicht unrecht iſt) ſo denn gelegenheit zu ſuchen / daß der zuſpruch nicht ohne frucht geſchehe. Dieſes waͤren meine gedancken uͤber der vorgelegten mate - rie / welche ich in der furcht des HErrn zu uͤberlegen / und denſelben inbruͤnſtig anzuruffen bitte / daß er demhertzen eine gewißheit geben / und jedesmal zeigen wolle / was ſeines willens ſeye. Er gebe uns allen zuforderſt denjenigen fleiß in unſere ſeelen / daß wir zu allererſt uns ſelbſten taͤglich ſtraffen und rich - ten / mit ſorgfaͤltiger forſchung desjenigen / wie es mit uns ſi ehet / und alſo / daß wir unſer darinnen am wenigſten ſchonen / als welches das trefflichſte mittel iſt zu unſerm eigenen geiſtlichen wachsthum: Wo dieſes mit trene und fleiß geſchihet / ſo dann eine wahre liebe zu des nechſten heil bey uns ſich findet / ſo wird uns nachmal der HErr diejenige weißheit verleihen / welche uns noͤ - thig iſt / ſolche liebe des ſtraffens nicht ohne frucht zu uͤben / daß wir wiſſen zu reden und zu ſchweigen zu rechter zeit. 1683.

N n 3SECTIO286Das dritte Capitel.

SECTIO IV. Von begruͤſſung der aͤrgerlichen perſonen. Ob perſonen / die in hoffaͤrtigen kleidern einher treten / oder mehr als ſich geziemet / ihres leibes entbloͤſſen / die gebraͤuchliche reverenz oder begruͤſſung zu thun ſeye?

DJe frage iſt nicht davon / ob nicht ſolche leute mit ihrer kleider-pracht oder leichtfertigkeit ſchwehrlich ſuͤndigen / ſondern ſolches laſſe ich als etwas ausgemachtes an ſeinem ort ſtehen / und nehme die frage nur von denen an / welche dieſelbe gruͤſſen / und ſo fern ehren.

Da hielte nun 1. welcher dergleichen perſonen / die ſonſten in einer condi - tion und ſtand ſtehen / daß ihnen insgemein eine dergleichen ehr-bezeugung er - wieſen zu werden pfleget / ob ſie ſchon dergleichen ſuͤndliches an ſich zeigen / mit der gewoͤhnlichen euſſerlichen reverenz ehret um ihres ſtandes willen / verſuͤndiget ſich damit nicht. Denn 1. der euſſerliche und weltliche ſtand wird durch die ſuͤnde der perſon nicht auffgehoben / und wie einer auch gottloſeſten Obrigkeit ihr reſpect, den man mit unterthaͤnigkeit leiſten muß / ohnerachtet ihrer offenbaren boßheit bleibet / ſo bleibet auch einem andern gottloſen men - ſchen derjenige reſpect, welchen ihm menſchliche geſetze oder gewonheit gege - ben haben. 2. Jſt ſolche euſſerliche reverenz und ſo genanntes gruͤſſen / nach unſerer Teutſchen manier nichts anders als eine weltliche ehr-bezeugung / dazu auch billich in dem hertzen die liebe / die wir gegen alle zu tragen verbun - den ſind / ſich finden / und mit dadurch angezeiget werden ſoll. Wie aber durch des andern hoffart die ehr / die ihm ſonſt ſeines ſtandes wegen gebuͤhret / nicht auffgehaben wird / alſo denn auch von mir wol bezeuget werden kan / ſo iſt auch kein zweiffel / daß ich einem ſolchen als meinem nechſten noch liebe ſchuldig bin / ob wol dieſelbe in dem hertzen nicht ein wolgefallen uͤber dero eitelkeit / ſondern vielmehr ein ſeuffzen nach ſich ziehen ſolle.

2. Dieſem mag nun nicht entgegen geſetzet werden / was der Apoſtel 2. Joh. 10. 11. ſaget / wie man diejenige / welche die wahre lehr nicht mitbrin - gen / nicht gruͤſſen ſolle. Jndem daſelbſt nicht von einer ſolchen bey uns ge - gen alle vornehmere uͤblichen ceremonie der ehrerbietung / ſondern von einem ſolchen gruͤſſen geredet wird / dadurch man eine ſonderliche freundſchafft gegen den andern / und alſo einen wolgefallen an ihm / zeiget: Wie man denn ſonſten ſich ſeiner ſuͤnden / wo allerdings kein wolgefallen dabey waͤre / auch nicht theilhafftig machen koͤnte. Zu geſchweigen / daß daſelbs nicht von ſolcherley in der eitelkeit ſtoltzirenden / ſondern die wahre lehre Chriſti nicht mitbringen - den geredet wird.

3. Es287ARTIC. III. SECTIO V.

3. Es kan auch nicht geſaget werden / daß ſolche leute / durch die ihnen anthuende reverenz in ihrer hoffart oder leichtfertigkeit geſtaͤrcket werden / wo wir nemlich von denen reden / welcher condition ohne das dergleichen ehr mit ſich bringet. Daher ſie es ihrem ſtand / welchen ſie haben wuͤrden / ſie gin - gen ſtattlich oder ſchlecht gekleidet / nicht aber ſolchen ihren praͤchtigen kleidern zuſchreiben: Vernuͤnfftig aber nicht dencken koͤnnen / daß es um ihrer kleider willen geſchehe. Ein anders waͤre es / wo jemand deſſen condition nicht eben eine ſolche ehrerbietung mit ſich braͤchte / ſich praͤchtig eben deßwegen kleidete / damit man den goͤtzen ehrte / und ſich alſo damit kuͤtzelte / denn da hielte davor / wer ſolches wuͤſte / haͤtte ſich der ehrerbietung zu enthalten / und ſolchen praͤcht - lingen ihren willen nicht zu erfuͤllen / noch auch ein wolgefallen an ihrer bloͤſſe mit einiger reverenz zu bezeugen.

4. Wo ferner jemand gegen ſolche perſonen / gegen welche man die ehr - erbietung nicht bloſſerdings / wie gegen regenten / und die ihrige / ſchuldig iſt / aus einem eiffer / weil man aͤrgernuͤſſen an ihnen ſehe / alle ſolche ehrerbietung auslieſſe / oder auch eben darinnen einiges mißfallen daruͤber zu verſtehen ge - be / den wolte ich deßwegen nicht ſchelten. Jndem dieſe euſſerliche ehrerbie - tung durch dergleichen ſo genanntes gruͤſſen / gleichwol keine eigentliche oder gebotene ſchuldigkeit / daher auch unter vielen nationen nicht gebraͤuchlich iſt / folglich ſie ſo fern frey ſtehet / und dero leiſtung oder enthaltung / aus dem ge - muͤth des menſchen / der es thut oder laͤſſet / recht oder unrecht wird. 1688.

SECTIO V. Von ausziehung einer vermuthlich-todten frucht aus mutter-leib.

  • Ob ein Medicus, dem GOTT die wiſſenſchafft verliehen / extra - ctionem fœtus per inſtrumenta koͤnne illæſa conſcientia, und auch erforderung muͤſſe vornehmen / und zwahr wegen die - ſes einwurffs / weilen die anzeigungen / daß die frucht todt / nur probabilia und nicht infallibilia ſeyen / dahingegen wie - derum dieſes beygebracht wird / wenn man cunctiren will / offt periculum in mora ſeye / und die mutter mit der ſchon vor todt gehaltenen frucht auch verderben muß?

HJerauf in der forcht des HErrn zu antworten / muß zu erſt erinnert werden / und wird vielleicht ohne das bereits præſupponiret. 1. Daß zu ſolchem gefaͤhrlichen mittel nicht eher geſchritten werden muͤſſe oder doͤrffe / als biß ſo viel menſchlicher verſtand begreiffen kan / die frucht vor todt gehalten werden muß: dann ſo lange noch einige zimliche vermuthung desuͤbri -288Das dritte Capitel. uͤbrigen lebens ſeyn moͤchte / koͤnte man die hand zu beſorglicher ertoͤdtung ei - nes unſchuldigen nicht anlegen. 2. Daß auch ſo lang gewartet werden ſolle / als abermal nach allem menſchlichem begriff hoffnung uͤbrig iſt / daß ſich noch ſolche kraͤfften bey der gebaͤhrenden finden / daß die natur einen neuen cona - tum, die frucht von ſich zu treiben / ausuͤben moͤchte / wie bey den gebaͤhrenden zuweilen die wehen etwas wiederum einhalten und ruhen / aber nach ſolcher ruhe die natur wieder mit neuer krafft an das werck gehet. Alſo hat man zu ſolchem gefaͤhrlichen mittel ſich nicht eher zu reſolviren / biß dieſe hoffnung bey dieſen dingen verſtaͤndigen leuten allerdings verſchwindet / und eine gerechte ſorge verhanden iſt / daß ein laͤnger verzug auch derjenigen todt nach ſich zie - hen wuͤrde / die noch haͤtte errettet werden koͤnnen: ſo nicht weniger das ge - wiſſen beſchwehren wuͤrde. 3. Daß auch der HErr vorhin demuͤthigſt dar - um angeruffen werde / dafern das kind noch lebendig und zu retten waͤre / und man etwa unwiſſend ſich ſonſten an ihm verſuͤndigen moͤchte / daß er ſolches durch einige kennzeichen / wie in dergleichen faͤllen muͤglich / offenbahren / oder doch ſeinen willen in den hertzen zu erkennen geben wolle / darmit man / weil man ja ſich gern bequemen wolle / nicht unwiſſend wider denſelbigen thun moͤchte. Vorausgeſetzt dieſer bedingungen / und da alle menſchliche vermu - thungen den todt des kindes und die nunmehr unauffſchiebliche gefahr der mutter vor augen ſtellen / achte ich / daß ein ſolcher Medicus oder Chirurgus (der im uͤbrigen auch ſonſten ſeiner ſache in dieſer an ſich ſelbs mißlichen ope - ration gewiß ſeyn muß / daß er nicht die gefahr noch mehr vergroͤſſere) mit gu - tem gewiſſen koͤnne / und nach derjenigen ſorgfalt / darzu wir gehalten ſind / nach muͤglichkeit des nechſten leben zu retten / ſolle / in dem nahmen des HErꝛn und mit deſſen anruffung das werck vornehmen.

Der grund dieſes ſatzes iſt dieſer: Weil das vor todt gehaltene kind ent - weder in der wahrheit todt iſt / oder nicht. Jſt das erſte / (wie bereits erin - nert worden / daß man auch ſo lange warten muͤſte / als eine vernuͤnfftige hoff - nung uͤbrig waͤre / daß es noch lebte / und wo endlich die mutter verſtuͤrbe / ein partus cæſareus werden koͤnte) ſo iſt keine urſach zu zweifflen da / warum nicht dasjenige auch mit gewalt und etwa zerſtuͤckt herausgeriſſen werden doͤrffte zu rettung der mutter / was ohne das natuͤrlich nunmehr nichts anders als die verweſung vor ſich hat / und deme alſo darmit kein ſchade geſchihet: ſo wenig als denjenigen / welche nach ihrem todt um des menſchlichen coͤrpers beſchaf - fenheit und einiger kranckheiten urſachen zu erlernen / auffgeſchnitten und anatomiret werden.

Waͤre aber das andre (darinnen alle difficultaͤt ſtecket / indem man kei - nen unſchuldigen um des andern willen toͤdten / noch daß gutes erfolge / boͤſes thun darff. Rom. 3 / 8.) So halte doch einen ſolchen Medicum vor un -ſchul -289ARTIC. III. SECTIO V. ſchuldig: Jndem er die frucht vor todt achtet / und nach aller ſeiner kunſt und einſicht nicht anders als todt halten kan / alſo wuͤrde er vor GOTT in ſolchem fall nicht anders ſchuldig ſeyn / als einer waͤre / der ohne alle ſeine ſchuld einen anderen durch einen ungluͤcklichen fall getoͤdtet haͤtte / da ihn GOTT unge - fehr in ſeine haͤnde haͤtte fallen laſſen. 2. Moſ. 21 / 13. Wo wir leicht erken - nen / daß zwahr ein homicidium phyſicum, nicht aber morale, geſchaͤhe; das iſt / daß wircklich ein menſch ſein leben verliehret / aber ohne eigenliche ver - ſchuldung des thaͤters vor GOTT / indem weder dolus noch culpa vorhan - den iſt / weder vorſatz noch ſtraͤffliche ſchuld aus unvorſichtigkeit und der - gleichen.

Man moͤchte zwahr ſagen und einwenden / es geſchehe gleichwol mit zweifflendem gewiſſen / da aber / was alſo geſchihet / ſuͤndlich iſt / nach Rom. 14 / 23. Nun iſts freylich an dem / wo einer ſolches eigenlich mit zweifflendem gewiſſen thaͤte / daß er nicht von der ſuͤnde frey gezehlet werden koͤnne: Wir haben aber dieſes auch wiederum zu erfordern / daß ein ſolcher Medicus ſein gewiſſen erſtlich feſt ſetze / und verſichert ſeye / daß in dieſem fall ſein amt und die liebe von ihm dasjenige erfordere / was er thue / ſo thut ers alſo nicht im zweiffel. Ja / aber er iſt doch nicht unfehlbar des todes des kindes ver ſichert. Antwort: Dieſes wird zugegeben / indeſſen iſts doch nichteigenlich ein zweif - fel / indem bey einem ſcharff alſo genannten zweiffel ſich dieſes findet / daß das gemuͤth ſich auf keine ſeite mehr als auf die andre lencke / da wir hingegen hier ſetzen / daß der Medicus den todt nach allen menſchlichen vermuthungen vor gewiß glaube / und nur eine geringe formido oppoſiti, und ſorge / daß das ge - gentheil muͤglich ſeyn koͤnne / ſo er aber doch nicht vermuthet / vorhanden waͤre. Wo wir aber auch ſolches einen zweiffel nennen wollen / muͤſſen wir einen un - terſcheid machen unter einem zweifflenden gewiſſen ſelbs / und unter einem verſicherten gewiſſen in einer ſache / in dero ſonſten ein zweiffel ſeyn mag. Welche beyderley unterſchieden ſind: Dann es kan eine ſache ſeyn / worinnen ſich ein zweiffel findet / ob dieſes und jenes ſich alſo verhalte / und indeſſen blei - bet doch das gewiſſen aus guten gruͤnden verſichert / daß es in dieſer bewand - nuͤß nach goͤttlicher ordnung dieſes oder jenes thun ſolle. Alſo abſolviret ein auch gewiſſenhaffter Prediger denjenigen / den er nach muͤglichkeit gepruͤf - fet / und nichts / ſo ihn unwuͤrdig zu ſeyn zeiget / an ihm befunden haͤtte / ob er wol weiß / es ſeye muͤglich / daß er durch heucheley betrogen wuͤrde / ja ob er auch aus gewiſſen anzeigungen eine ſorge derſelben haͤtte / darauf aber der an - dere ihm ſo fern gnuͤge gethan / daß er nicht weiter / wie es in dieſem menſchli - chen leben / die wir in die hertzen nicht ſehen koͤnnen / ſtehet / hat kommen koͤn - nen: Jndeſſen iſt ſein gewiſſen ohne zweiffel / daß er dieſes thun moͤge / ob wol in der ſach ein zweiffel noch uͤbrig ſeyn kan. Alſo kan ich von dem nechſtenO odas -290Das dritte Capitel. dasjenige / was er mir ſchuldig iſt / mit verſichertem gewiſſen annehmen / ob ich wol nicht verſichert bin / daß ich nicht von ihm aus dergleichen mitteln bezah - let werde / die ein fremdes gut bey ihm waͤren: und alſo auch in andern ſtuͤcken. Alſo muß eines dieſe wuͤrckung vornehmenden Medici gewiſſen verſichert ſeyn / daß er dieſelbe aus ſorge vor der mutter leben zu verrichten habe / ob er wol nicht unfehlbar verſichert iſt / daß das kind wahrhafftig todt ſeye. Wann auch ſonſten die moraliſten in den etwas zweiffelhafften faͤllen einen unter - ſchied machen / unter dem was das ſicherſte oder das mit beſten rationibus be - gruͤndete ſeye / da ſie bald dieſes bald jenes vorziehen / ſo moͤgen wir ſagen / daß hie die operatio, welche die mutter erhaͤlt / beydes zugleich / nemlich das ſicher - ſte und doch auch dabey bewehrteſte ſeye / das gegentheil aber ſo vielmehr ge - fahr als auch wichtigere gruͤnde gegen ſich habe.

Wolte man aber weiter inſtanz machen / weil gleichwol noch einiger zweiffel uͤbrig waͤre / muͤſte man gantz ſtill ſtehen / und nichts thun / als darmit man am wenigſten ſuͤndigte / ſo iſt nicht allein immer zu wiederholen / daß be - reits angedeutet / wie man / als lang muͤglich iſt / warten muͤſſe. Aber wo der eigenlich bedingte caſus ſich ereignet / hat ſolches ſtillſtehen nicht mehr platz / dieweil daſſelbe ſelbs eine ſuͤnde waͤre / die mutter gewiß zu toͤdten (dann wen ich nicht rette / da ich kan / den toͤdte ich in dem gericht GOttes.) Alſo da es auf dieſe noth kommt / entweder in gefahr zu ſeyn der toͤdtung einer frucht / die man doch nicht anders als vor todt glaubet / und wo ſie lebte mit der mutter / der groͤſſeſten wahrſcheinlichkeit nach / dannoch ſterben muß / oder wiſſentlich und ohne einigen zweiffel / die noch zu retten nuͤtzliche dem todt uͤberlaſſen / ſo muß einmal dieſes letzte die andre forcht uͤberwiegen: und kan derjenige ver - ſichert ſeyn / der nach allen obgedachten bedingungen aus wahrer begierde die eine perſon dem gewiſſen todt zu entreiſſen / moͤchte der frucht unwiſſend ſcha - den gethan haben / daß ihm der HErr / deſſen willen er mit einfaͤltigem hertzen zu thun geſucht hat / ſolches nicht zurechnen / ſondern ihm vielmehr / was er ge - than / gefallen laſſen werde. Er mache uns aber in allen ſtuͤcken ſeines wil - lens gewiß / nichts wider denſelben zu thun / oder ſehe unſere unwiſſenheit / da wir nicht weiter zu kommen vermoͤgen / in gnaden an.

SECTIO VI. An einen Juriſten / der ſich von ſeinem koſt-herrn injuriiret zu ſeyn einbildete / und daruͤber einen proceß mit demſelben anheben wolte.

SO viel hertzlicher mir deſſelben geiſtlich - und leibliches wolweſen ange - legen / ſo viel weher hat es mir biß daher gethan / daß von guter zeit mer - cken muͤſſen / daß derſelbe ſeine maaß gantz anders zu nehmen ſcheinet /als291ARTIC. III. SECTIO VI. als zu ſolchem zweck dienlich ſeyn mag. Welches ich ſo wol aus demjenigen wahrgenommen / was wir in der bekanten ſache ſelbs mit einander geredet / als mir folglich durch unſern beyderſeits freund / Herrn N. unterſchiedliches mal von deſſen gefaſter reſolution hinterbracht / nunmehr aber dieſelbe mit communication des hiebey wieder zuruͤcke gehenden ſchrifftlich notificiret worden. Jch habe weder deſſen hertz in meinen haͤnden / noch gewalt uͤber denſelben von einer ſache / welche zwahr ſchaͤdlich erkenne / wider eigenen wil - len abzuhalten: ſo achte es auch unthunlich / nach mehrmaligen remonſtratio - nen eine perſon / ſo ſich die ſache feſt vorgenommen / ferner ſuchen zu diverti - ren. Bezeuge allein nochmal / daß nach aller dieſer ſchrifft uͤberleſen / in mei - nem gewiſſen dasjenige noch nicht finden kan / weſſen ſich mein Hochg. Herr L. verſichert achtet / und darauf alles gruͤndet. So habe auch billich zu erin - nern / wo meiner in der hiſtoria meldung geſchihet / daß ich vom proceß abge - rathen / daß es geſchehen / nicht aus der allgemeinen urſach / wie wir auch in wahrhafftigen injurien zu guͤte und frieden Chriſtlich rathen ſollen / ſondern wie derſelbe ſich freundl. erinnern wird / daß ihm in dem geſchehenen nur einen zimlichen ſchein eineꝛ injurien / geſchweige eine wahrhaftige injurie / wiederfah - ren zu ſeyn / nicht habe erkennen koͤnnen / noch jetzo erkennen kan: Vielmehr ei - ne mir ſchwehrlich zufuͤgende injurie achten wuͤrde / wo einer meiner tiſch und hauß-genoſſen mir ein und ander dergleichen wort oder action, als eine ſchimpffliche injurie anziehen / und mich druͤber angreiffen wolte. Wie ich nochmal bezeuge / daß lieber wuͤnſchte / mir alles damal erzehlte begegnet zu ſeyn / nicht daß ich etwa durch GOttes gnade gelernet / wahrhafftige injurien leicht zu ertragen / ſondern daß mirs in die gedancken nicht haͤtte ſteigen ſollen / daß mir eine injurie dadurch zugefuͤget wuͤrde. Wie weit bey den Herren Juriſten ſich die proceſſus injuriarum erſtrecken / und was ſie unter den inju - rien begriffen halten wollen / verſtehe ich nicht. Nach meinen Chriſtlichen regeln haͤtte ich aber nimmermehr geglaubet / daß mir erlaubt waͤre / meinem neben-menſchen gegen alle ſeine entſchuldigung eine ſache dermaſſen auffzu - mutzen: Und da mich Herr N. wegen des juramenti ſolle gefragt haben / wuͤrde ich auffs hoͤchſte ſolches zu thun mißrathen haben / als eine entheiligung des nahmens GOttes / alldieweil es eine ſache / welche weit der wichtigkeit nicht waͤre / denſelben daruͤber zu fuͤhren. Wird aber die Obrigkeit / da die ſache public wird / und eine mehrere wichtigkeit bekommen mag / ihm ein juramen - tum deferiren / ſo zweiffle nicht / daß er ſolches mit freudigkeit des gewiſſens thun wird: Maſſen einer / welcher ſich vor ſeinem Beicht-vater dermaſſen purgiret / als Herr N. bey mir gethan / nachmal nicht ſcheu traͤgt / gleiches religioſo juramento, wo es nunmehr von denen / welche es in GOttes nahmen erfordern moͤgen / aufferlegt wird / zu beſtaͤtigen. Mich betruͤbetO o 2dieſes /292Das dritte Capitel. dieſes / daß ſorge / es werde auf jetzige gemuͤths-unruhe noch einmal eine neue unruhe des gewiſſens folgen / ſo dann doͤrffte dergleichen proceß / wel - chen mein Hoch g. Herr Lic. intendiret / und ſich damit von einem ſchimpff befreyen will / ihn in einen ſolchen ſchimpff ſtuͤrtzen / der ſo bald nicht reparirt werden kan / mit welches vorhaltung / um ſich nicht zu proſtituiren / und ſelbs eine ungelegenheit uͤber den halß zu ziehen / ſo bald treulich anfangs abgerathen / und damit nicht Herr N. (als den in allem ſolchem auſſer gefahr zu ſeyn / jedesmal geglaubet) ſondern deſſen eigenen glimpff geſuchet. Man wird ſorglich allzuſpaͤt dermaleins bereuen / was geſchihet / und in der er - fahrung finden / was fuͤr eine heilſame weißheit in den geboten Chriſti ſeye / welche nicht nur eine liebe von uns fordern / die nichts arges gedencke / und deß wegen alles zum beſten immer auffnehme / ſondern auch wahrhafftige injurien mit gedult uͤberwinden / und darinnen eine ruhe des gemuͤths zu ſuchen lehren. Der HERR regire nochmal die ſache zu allerſeits gewiſ - ſen beruhigung. 1683.

SECTIO VII. Pflichten eines offendentis und offenſi wegen der verſoͤhnung.

DJe uͤberſendete ſpeciem facti, was zwiſchen einem offendente und offenſo, deren dieſer / da ſie ſich einmal gezweyet / jenem geſagt / das ſolte er an jenem tag verantworten / bey dieſes abſterben vorgegangen / und daraus gezogene fragen uͤber jenes aus der ſachen geſchoͤpffte ſcru - pul / habe in der furcht des HErrn etlichemal durchgeleſen / und mit deſſen auruffung / was goͤttlichem wort und dem gewiſſen gemaͤß ſeye / erwogen.

Ob nun wol dieſes bedencken dahin gemeinet iſt / auch wol in ſolcher abſicht wird geſuchet worden ſeyn / das verunruhigte gewiſſen des of - fendentis zu befriedigen / ſo wird doch zuerſt billich dieſes voraus - geſetzt / daß derſelbe allerdings ſeine ſuͤnde vor ſchwehr zu achten ha - be. Dann ob wol / wie ſchwehr die offenſion an ſich ſelbs geweſen / mir nicht wiſſend / und in der ſpecie facti nicht ausgetrucket iſt / ſo zeigt ſich doch / daß die perſon damal in keinem guten ſtand moͤge ge - ſtanden ſeyn / wann ſie ſich nicht allein ihre affecten zu dem vor - gegangenen ſtreit hat uͤbernehmen / ſondern ſich auf die worte / daß er ſolches an jenem tage werde verantworten muͤſſen / nichts bewegen laſſen / vielmehr ſo lange / als nemlich fuͤnff vierthel jahr in ei - nem hauſe mit dem offenſo lebende / ſich nicht gruͤndlich mit ihm zuverſoͤhnengetrach -293ARTIC. III. SECTIO VII. getrachtet / noch ehe dazu gethan / als biß er durch die lebens-gefahr des an - dern geruͤhret worden: ſo eine anzeige iſt eines menſchen / der eine gute weil in zimlicher ſicherheit einher gegangen. Daher er bißher allerdings urſach gehabt hat / ſolcher ſeiner ſuͤnde wegen mit erkaͤntnuͤß dero ſchwehre ſich hertz - lich vor GOtt zu demuͤthigen. Ja daß der HErr die bißherigen anfechtun - gen in ſeiner ſeele / dieſe ſehr zu aͤngſtigen / ſolche gewalt / auch ſie ſo lange an - halten / gelaſſen / ſehe ich billich an / daß er ſolches ihm noͤthig befunden haben werde / durch die ſchmertzliche empfindung dieſer ſuͤnde / und die dadurch be - forderte wahre buß / das gewiſſen auff das gantze leben deſto zarter zu ma - chen / und vor aller ſicherheit zu verwahren: daher er deſto wichtigere urſach hat / ſo viel weniger uͤber bißheriges leiden der ſeelen / ſo er verſchuldet / zu murren / hingegen vielmehr goͤttliche guͤte / ſo auch dieſes zu gutem ende ge - richtet hat / zu preiſen.

Zur ſache aber ſo bald zu ſchreiten / iſt / ehe man die fragen ſelbs vornim - met / noͤthig / zuerſt die gantze ſache nach dero grund zu erwegen / die wir dann in folgende ſaͤtze abtheilen wollen.

  • 1. Unſer liebſte Heyland JEſus Chriſtus / wie er ſich als das lamm GOttes die ſuͤnde der gantzen welt / ſie zu tragen / aufflegen laſſen Joh. 1 / 29. hat ohne ausnahm einer einigen fuͤr alle dieſelbige gnug gethan und ge - buͤſſet. Jeſa. 53 / 7. der HErr warff unſer aller ſuͤnde auff ihn. 1. Joh. 2 / 2. Er iſt die verſohnung fuͤr unſre ſuͤnde / nicht allein aber fuͤr die unſrige / ſondern auch fuͤr der gantzen welt. Daher hin und wieder al - lein der ſuͤnde insgemein meldung gethan wird / von dero begriff ſich keine ausſchlieſſen laͤſſet. 1. Pet. 2 / 24. welcher unſre ſuͤnde ſelbs geopffert hat an ſeinem leibe auff dem holtz. Hebr. 9 / 26. Am ende der welt iſt erein - mal erſchienen durch ſein eigen opffer / die ſuͤnde auffzuheben. So ſte - het austruͤcklich 1. Joh. 1 / 7. das blut JEſu CHriſti ſeines Sohns ma - chet uns rein von aller ſuͤnde: ſo muß es als die verſoͤhnung auch fuͤr alle geweſen ſeyn. Daher iſt die goͤttliche gerechtigkeit bereits fuͤr alle ſuͤnden / wie ſchwehr ſie auch waͤren / vergnuͤgt / daß dieſelbe vergeben werden koͤnnen.
  • 2. Krafft ſolcher verſoͤhnung Chriſti will nun GOtt alle ſuͤnde verge - ben / dann weil gedachter maſſen alle verſoͤhnet ſind / ſo kan auch keiner ſuͤnden vergebung / welche auff jenem grund beruhet / in zweiffel gezogen werden. Wir haben an Chriſto die erloͤſung durch ſein blut / nemlich die vergebung der ſuͤnden. Coloſſ. 1 / 14. Eph. 1 / 7. Er hat uns geſchencket alle ſuͤnde. Col. 2 / 13. So ſeye es nun euch kund / lieben bruͤder / daß euch verkuͤn -O o 3diget294Das dritte Capitel. diget wird / vergebung der ſuͤnden / durch dieſen und von dem allen / durch welches ihr nicht kontet im geſetz Moſis gerecht werden. Ap. Ge - ſchicht 13 / 38. Ezech. 18 / 21. 22. Wo ſich der gottloſe bekehret von allen ſeinen ſuͤnden / die er gethan hat / und haͤlt alle meine rechte / und thut recht und wol / ſo ſoll er leben und nicht ſterben. Es ſoll aller ſeiner uͤbertretung / ſo er begangen hat / nicht gedacht werden. Sonderlich ſte - het deutlich Matth. 12 / 31. darum ſage ich euch / alle ſuͤnde und laͤſterung wird den menſchen vergeben / aber die laͤſterung wider den Geiſt wird den menſchen nicht vergeben / Marc. 3 / 28. 29. Warlich ich ſage euch / alle ſuͤnden werden vergeben den menſchen-kindern / auch die gottes - laͤſterung / damit ſie GOtt laͤſtern. Wer aber den H. Geiſt laͤſtert / der hat keine vergebung ewiglich / ſondern iſt ſchuldig des ewigen gerichts. Da wir von dieſer ausnahm ſagen moͤgen: exceptio a regula firmat regulam in caſibus non exceptis. Daß aber die ſuͤnde in den H. Geiſt ausgenommen wird / hat allein die urſach / nicht gleich erſtreckte ſich ſonſten GOttes barm - hertzigkeit und Chriſti verſoͤhnung nicht auch daruͤber / ſondern weil die ver - achtung der gnaden-mittel und ordnung GOttes mit ſolcher ſuͤnde verknuͤpf - fet iſt.
  • 3. Jndeſſen hat GOtt gleichwol eine gewiſſe ordnung eingeſetzt / in wel - cher allein der menſch die vergebung erlangen kan / dieſe erfordert nun nichts anders als wahre buß: daher Chriſtus hat predigen laſſen in ſeinen nah - men buß und vergebung der ſuͤnden unter allen voͤlckern Luc. 24 / 47. GOtt hat Jſrael gegeben buß und vergebung der ſuͤnden. Ap. Geſch. 5 / 31. Alſo ſind dieſe beyde aus ſeinem rath alſo mit einander verknuͤpffet / daß wo ſich die wahre buſſe findet / die vergebung der ſuͤnden nicht ausbleiben kan. Weil aber die buſſe in zweyen ſtuͤcken beſtehet / nemlich in reue uͤber die ſuͤnde und dem wahren glauben / ſo iſt dieſes andre ſtuͤck der buſſe eigenlich dasjeni - ge / dadurch wir die vergebung der ſuͤnden erlangen und ergreiffen: die reue aber bereitet das hertz / daß es tuͤchtig werde / aus wirckung des Heiligen Geiſtes den glauben zu bekommen / und raͤumet die hindernuͤſſen der verge - bung hinweg.
  • 4. Die reue uͤber die ſuͤnde / ſo auch insgemein buß im gegenſatz gegen den glauben genennet wird / faſſet in ſich nicht allein erkaͤntnuͤß der ſuͤnden und traurigkeit daruͤber / ſondern vornemlich hertzliches mißfallen daran / haß dagegen / und ernſt dieſelbe nach aller muͤglichkeit von ſich abzulegen. Sind dieſe ſtuͤcke vorhanden / ſo iſt die buſſe redlich und GOtt gefaͤllig.
  • 5. Was anlangt die ſuͤnde der beleidigung des nechſten / ſo ſcheinet es / daß der liebſte Heyland etwas beſonders zu dero vergebung / nemlich diever -295ARTIC. III. SECTIO VII. verſoͤhnungmit dem beleidigten erfordere. Matth. 5 / 23. u. f. Wann du dei - ne gabe auf dem altar opfferſt / uñ wirſt allda eindencken / daß dein bru - der etwas wider dich habe / ſo laß allda vor dem altar deine gabe / und gehe zuvor hin / und verſoͤhne dich mit deinem bruder / und alsdenn komm und opffere deine gabe. Sey willfertig deinem widerſacher bald / dieweil du noch bey ihm auff dem wege biſt / auff daß dich der wi - derſacher nicht dermaleins uͤberantworte dem richter / und der richter uͤberantworte dich dem diener / und werdeſt in den kercker geworffen. Jch ſage dir warlich / du wirſt nicht von dannen heraus kommen / biß du auch den letzten heller bezahleſt. Wo wir aber die ſache recht erwe - gen / ſo iſt ſolches eigenlich nichts aoſonderliches / ſondern es ſtecket ſolche verſoͤhnung an ſich ſelbs theils in der reue / theils folget aus derſelben / wenn ſie ernſtlich iſt. Dann wo der bußfertige in ſeinem gewiſſen befindet / ſeinen nechſten beleidiget zu haben / und ihm alſo ſatisfaction ſchuldig zu ſeyn / ſo haſ - ſet er auch ſolche ſeine ſuͤnde dermaſſen / daß er willig iſt / alles zu thun / womit eꝛ dieſelbe in gewiſſeꝛ maaß wieder tilgen koͤnte / und alſo den nechſten um ver - zeihung zu bitten / und ihm nach aller billigkeit gnug zu thun. Dieſer haß der ſuͤnden / und wille ſich derſelben zu entſchuͤtten / gehoͤret mit in die reue / und aus derſelben / weil es einem bußfertigen ein ernſt iſt / folget darnach / daß ers auch wircklich thut / wo es ihm moͤglich iſt. Daher iſt die urſach / warum die verſoͤhnung noͤthig iſt / nicht dieſe / gleich ob koͤnte GOtt ohne den willen des beleidigten / und daß derſelbe ſein recht an ihn fahren laſſen muͤſte / dem belei - diger die ſuͤnde nicht vergeben / indem er an keinen menſchen verbunden iſt / ſon - dern dieweil in dem hertzen des beleidigers die wahre buß aus goͤttlicher ord - nung zur vergebung erfordert wird / dieſe aber das obgedachte mit ſich brin - get.
  • 6. Daraus folget / daß nicht ſo wol die wirckliche verſoͤhnung von bey - den ſeiten / ſondern bey dem beleidiger das wahrhafftig nach der verſoͤhnung ſich ſehnende hertz (welches daher auch an ſich nichts muͤgliches ermanglen laͤſſet) als ohne welches die buß nicht redlich waͤre / erfordert werde. Wel - ches ich hoffe / daß jeder leicht erkennen werde / wo er bedencket / daß es geſche - hen koͤnne / daß einer einen andern beleidigt haͤtte / und wircklich alles thaͤte / was goͤttliche buß-ordnung von ihm gegen den beleidigten erforderte: dieſer aber waͤre ſo hartnaͤckig und feindſelig / wie wir leider dergleichen exempel viele offtmal ſehen / und wolte jenem nach aller angebotenen ſatisfaction nicht vergeben. Wer wolte da ſagen / daß dieſes beleidigt geweſten boßheit den andern nunmehr bußfertigen in die verdammnuͤß ſtuͤrtzen koͤnte: welches goͤttlicher gerechtigkeit und bar mhertzigkeit allzunahe getreten waͤre. Ja wir werden finden / daß nicht ſo viel demjenigen / der die verſoͤhnung nicht ſucheteſo296Das dritte Capitel. ſo aus unwiſſenheit oder auch andern urſachen herkommen mag / als immer vielmehr demjenigen / welcher eine geſuchte verſoͤhnung abweiſet / mit goͤttli - chem gericht getrohet werde: alſo daß auch die worte Chriſti: Sey willfer - tig deinem widerſacher bald ꝛc. gemeiniglich nicht ſo wol auff den offen - dentem als offenſum gezogen werden. Es wuͤrde ferner / wo man auff der wircklichen geſchehenen und erlangten verſoͤhnung beruhen / und ſonſt die ver - gebung abſprechen wolte / folgen / daß einer / der den andern ums leben ge - bracht / auff alle ſeine buß nimmermehr vergebung in der welt erlangen koͤn - te / weil er ſich mit dem offenſo nicht verſoͤhnen kan: alſo auch / daß keine ſuͤn - de vergeben werden moͤchte / welche an einem begangen worden / der darauff bald / ehe eine verſoͤhnung geſuchet worden / verſtorben / ob er wol den andern vor GOttes gericht auff keinerley weiſe geladen haͤtte. Welches aber lau - ter ſolche dinge ſind / die ich nicht hoffe / daß einer dieſelbe zugeben werde / der nur etlicher maſſen die goͤttliche heils-ordnung verſtehet. Wie wir dann den lieben Apoſtel Paulum der vergebung unfaͤhig machen wuͤrden / weil derſelbe vor ſeiner bekehrung die Chriſten verfolgt / einige zum tode verdammt / ande - re gepeinigt / und zu laͤſtern gezwungen hatte / wo ohne wircklich erlangte ver - ſoͤhnung des beleidigten jene keinen platz nicht haͤtte: und doch wird ihm Ap. Geſch. 22 / 16. von Anania geſagt: ſtehe auff / und laſſe dich tauffen und abwaſchen deine ſuͤnde: daß alſo Paulus in ſeiner tauff ſo bald verge - bung der ſuͤnden erlangt / nicht aber dieſelbige auff ſo lange in ſuſpenſo geblie - ben iſt / biß er wuͤrde alle diejenige / denen er ſo viel unrecht gethan / verſoͤhnt haben / da es bey einigen / die todt waren / gar nicht mehr / bey andern ſo leicht und bald nicht / geſchehen konte. Aber Pauli hertz war doch wie glaͤubig / al - ſo wahrhafftig bußfertig / es war ihm leid / was er in unglauben gethan / waͤ - re es ihm moͤglich geweſen / diejenige / zu dero todt er geholffen / wieder dar - zuſtellen / wuͤrde ers gern gethan haben / er wird ſich auch vorgenommen haben / wo er einigen der geaͤrgerten und beleidig - ten wieder gnug thun koͤnte / ſolches willig / ja ihnen deſto mehr liebe zu thun. Alſo war ein wahrhafftig verſoͤhnliches hertz bey ihm verhanden / und alſo ſeine buſſe richtig. Aus welchem allen erhellet / daß die bloß-noͤthi - ge verſoͤhnung / weil ſie als ein ſtuͤck der wahren buß (welche in lauter innerli - chem beſtehet) erfordert wird / vielmehr in dem hertzen des dieſelbe begehren - den als ertheilung des beleidigten zu ſuchen ſeye. Daher unſer trefliche Chemnitius Harm. Evang. c. 51. p. 443. 444. wol ſchreibet: Quia tempus & locus ſæpe non permittunt adire fratrem offenſum, ſæpe etiam fratri hoc non expedit, ſenſus eſt (nemlich Matth. 5 / 23.) ut ex animo bonum conci - piamus & habeamus cordis propoſitum placandi fratrem offenſum, & quantum in nobis eſt omnia faciamus, ut offenſum fratrem nobis reconci -lie -297ARTIC. III. SECTIO VII. liemus. Jſt alſo dieſe regel von der verſoͤhnung in dem verſtand anzuneh - men / wie eine andre / daß die ſuͤnde nicht vergeben werde / wo das mit unrecht entzogene nicht erſtattetwerde: womit gleichwol denjenigen / die das unrech - te gut nicht wieder zu erſtatten vermoͤgen / oder da diejenige nicht mehr ver - handen ſind / denen die erſtattung ſonſten geſchehen ſolte / die vergebung im fall ſie ſonſten wahrhafftig in der buſſe ſtehen / und zur erſtattung willig waͤ - ren / nicht abgeſchlagen wird.
  • 7. Die vorladung vor GOttes gericht anlangend / haben wir dero kein eigenliches exempel in der ſchrifft: dann Zachariaͤ wort 2. Chron. 24 / 22. ſind nicht deꝛgleichen / ſondeꝛn prophetiſche ankuͤndigung deꝛ ſtraffe: ſo iſt auch was Paulus Ap. Geſch. 23 / 3. zu Anania geſprochen / nicht vor dergleichen anzunehmen / ſondern der Apoſtel ſtraffte den ungerechten richter / und zei - gete ihm an / was er vor GOtt verſchuldet / und wo nemlich nicht buſſe folge / zuerwarten habe. Jn den hiſtorien aber finden ſich mehrere exempel / gemei - niglich ſolcher / welche / da ſie ungerecht zum tode verurtheilet worden / ihre richter citirt / da auch der effect darauff erfolget. Von ſolchen vorladungen aber iſt faſt ſchwehr zu urtheilen / noch traute ich dieſelbe / als die dem uns zur nachfolge vorgeſchriebenen exempel Chriſti / und dann auch Stephani / ſo fuͤr ihre feinde gebeten haben / gantz entgegen ſind / nicht zu vertheidigen; es ſeye dann ſache / daß ſolche aus ſonderlichem und uns unbekantem goͤttlichem trieb hergekommen waͤren / daher auch nachmal die goͤttliche gerechtigkeit ſie vollſtrecket werden laſſen. So viel mir aber wiſſend / haben die beſchriebene citationes allezeit ſolche ungerechte leute betroffen / die nicht allein ohnerach - tet derſelben citation ihre ungerechte urtheil vollziehen laſſen / ſondern ins - gemein entweder derſelben gar geſpottet haben / oder doch die gantze zeit ſi - cher dahin gegangen ſind / biß bey erſchienenem termino das gewiſſen auff ge - wacht / und ſie etwa mit ſchrecken dahin gefahren ſind. Es iſt aber aus obi - gem gewiß / wo auch ein ſolcher citatus nachmal ſich bekehret haͤtte / und zu wahrer buß gekommen waͤre / daß ſolcher auch ſeiner ſchwehren ſuͤnde verge - bung erhalten wuͤrde / ob ſchon haͤtte geſchehen moͤgen / daß etwa GOttes ge - rechtigkeit auff die beſtimte zeit zu rettung ihrer ehre den leiblichen todt erfol - gen haͤtte laſſen: wie auch 2. Sam. 12 / 14. u. f. David nach verſicherter vergebung der ſuͤnde ſein kind verliehren mußte / und deſſen leben nicht erbit - ten konte.
  • Nachdem nun dieſe puncten / daraus die gantze ſache zu decidiren ſte - het / eroͤrtert ſind / laͤſſet ſich unſchwehr auff die vorgelegte fragen antworten.

Q. 1.

  • Ob dasjenige / was in caſu præſenti zwiſchen dem beleidigtenP pund298Das dritte Capitel. und beleidigten paßiret / fuͤr eine verſoͤhnung zu ach - ten?

HJerauff antworte: 1. daß beyde / nachdem ſie den ſtreit mit einander ge - habt / darauff ſich zu dem H. Abendmahl auffs wenigſte zweymal verfuͤ - get / und allezeit einer dem andern GOttes gnade zu ſeinem vorhaben ge - wuͤnſchet / koͤnte zwahr des beleidigers gewiſſen noch nicht voͤllig beruhigen / weil ſeine weitere ſchuldigkeit geweſen / ſein unrecht zu erkennen / und die aus - truͤckliche verſoͤhnung zu ſuchen: es thut aber in der ſache ſo viel / daß der be - leidigte / da er den andern zu dem tiſch des HErrn gehen laſſen / und ihm goͤtt - lichen ſegen angewuͤnſchet / ſein recht / ſo er gegen ihn wegen der beleidigung gehabt / in gewiſſer maaß erlaſſen; dann wo er ſichs vorbehalten wollen[d]er ihn haͤtte vielmehr zu erinnern gehabt / als zu ſeinem vorhaben den wunſch hinzuthun ſollen. 2. Was die wahre verſoͤhnung / die vor GOtt noͤthig iſt / und angeſehen wird / davon n. 5. und 6. gehandelt / anlangt / die findet ſich bey dem beleidiger allerdings / indem er mit hertzlicher reue dem todt-krancken beleidigten das unrecht abgebeten / und da ihm auch das abſonderliche we - gen der von ihm gehoͤrten worte wiederum eingefallen / verſuchte er auch des - wegen neue abbitte zu thun / ob man ihn wol / bey dem andern eine unruhe des gemuͤths zu verhuͤten / nicht zu ihm laſſen wollen: alſo iſt ſein hertz ſo wol damal in der diſpoſition geſtanden / wie es goͤttliche ordnung in ſolchem fall erfordert / als auch bin verſichert / daß es noch alſo ſtehe / und wo es moͤglich waͤre / auffs neue itzo abbitte zu thun / daß er ſich derſelben nicht weigern wuͤr - de. 3. Was aber die verſoͤhnung anlangt / daß auch der beleidigte von ſeiner ſeite das ihm angethane unrecht vergeben / obwol nach obigem n. 6. derglei - chen nicht bloſſerdings nothwendig iſt / findet ſich gleichwol auch dieſe in der ſpecie facti: in dem nicht allein 1. nach bereits erinnertem die gratulation zu der H. communion / ja auch da er ſelbs ebenfals darzu gegangen / und alſo kein rachgiriges hertz hat haben ſollen / andeutet / daß er ihm das vorige verge - ben: ſondern auch 2. hat offenſus nach dem zeugnuͤß der umſtehenden / ſo wol als offendens nicht zugegen geweſen / denſelben ſegnen wollen / als nachmal / da er bey dem bette geſtanden / ſeine liebe gegen ihn zu verſtehen gegeben / daß er ihn ſo lieb als einen andern ſeiner freunde haͤtte: welches der wahrhaffti - gen vergebung gnugſame anzeige geben kan / ob wol der offendens keine ſol - che worte gehoͤret. Daher er mit der andern zeugnuͤß ſich wol befridigen kan / ſonderlich in der ſache / daran nicht eigenlich ſeine vergebung haͤnget / als die vor GOtt feſt bliebe / ob ihm offenſus auch nicht haͤtte vergeben wollen / ſondern allein die verſicherung / daß offenſus ſelig abtrucken koͤnnen / um ſich nicht die ſorgliche gedancken zu machen / daß wegen unverſoͤhnligkeit der an - dere um ſeinet willen an der ſeele moͤchte ſchaden gelidten haben: welches ſon - ſten auffs neue ſein gewiſſen beunruhigen moͤchte.

Q. 2299ARTIC. III. SECTIO VII.

Q. 2.

  • Ob nicht offendens (der das welches zwiſchen ihm und dem belei - digten / theils wenn ſie zum tiſch des HErrn geweſen / und theils auff des offenſi todt-bett vorgegangen / fuͤr keine ausſoͤhnung / weil er die nachlaſſung der citation nicht austruͤcklich gebeten / auch die vergebung nicht ſelbs gehoͤret / achtet) wenn er gleich den offenſum nach geſchehener beleidigung und citation wieder ge - ſprochen / anjetzo aber nach des offenſi todt ſeine ſuͤnden mit ſo viel heiſſen thraͤnen beweinet / und wann offenius noch bey ſei - nem leben waͤre / auch hertzlich abbitte thun wolte / wirckliche vergebung der ſuͤnden vermoͤge Matth. 12 / 31. Marc. 3 / 18. un - geachtet Arnds und Dillherrn meinung zuerwarten habe?

1. WJe viel ſich aus der gnaden anwuͤnſchung bey vorhabender commu - nion ſchlieſſen laſſe / oder nicht / iſt bey q. I. angefuͤhret. 2. Die nach - laſſung der citation hat der beleidiger auch bitten wollen / und iſt ohn eigne ſchuld von andern / ob wol auch nicht boͤſer meinung / davon abgehalten wor - den. 3. Es iſt auch keine eigenliche citation vor jenes gericht / ſondern mag als eine trohung angeſehen werden / damit offenſus ihn zu erkaͤntnuͤß ſeiner ſuͤnde habe bringen wollen. Wie dann offtmal dergleichen geſchihet / daß man / ſonderlich ſolchen leuten / bey denen man eine ſicherheit wahrnimmet / mit ſolcher kuͤnfftigen rechenſchafft zu ihrer beſſerung drohet. Daher man auch nicht ſihet / daß er nachmal derſelben inſiſtiret / ja vielleicht ſich ſolcher wort kaum jemal mehr erinnert / vielweniger dieſelbe mit ſeinem todt bekraͤff - tiget / wie ſonſten in den exempeln der citationen zu ſehen. 4. Jn ſolchen worten mag wol der beleidigte ſelbs ſich uͤbereylet haben / und hat ſich wirck - lich uͤbereylet / wo es die meinung geweſen / ſolche ſache vor jenes gericht zu verweiſen / weil es keine dinge kan betroffen haben / die nicht wol in dieſer zeit haͤtten ausgemacht werden koͤnnen. Da hingegen die mehrmal er - wehnte andre citationes immer von ſolchen / und in ſolchen dingen / vor - gefallen / wo unrecht leidende nunmehr keinen richter mehr in der welt hat - ten / zu dem ſie zuflucht nehmen koͤnten: welches dieſelbe etlicher maſſen juſti - ficiret. 5. Daher haͤtte der beleidiger dem andern nicht ſo wol die citation, daran derſelbe vielmehr ſelbs mag gefehlet haben / als daß er mit ſeiner belei - digung ihn zu zorn und ausſtoſſung derſelben gereitzet und gebracht / abzu - beten gehabt. Jndeſſen 6. iſt eine ſolche aus uͤbereylung geſchehene citation, wo wir ſie alſo nennen wollen / eben deswegen von deſto weniger guͤltigleit vor GOtt / noch iſt zu ſorgen / daß ſie ſo viel krafft haben ſolte / dem die verge - bung zweifelhafft zu machen / bey dem ſich ſonſten / was nach goͤttlicher ord -P p 2nung300Das dritte Capitel. nung zur faͤhigkeit der vergebung gehoͤret / alles findet. 7. Daß der belei - diger die vergebung und liebes-bezeugung nicht mit eignen ohren von dem beleidigten angehoͤret / da er ſelbs bekennet / daß dieſer nicht laut reden koͤn - nen / und er nicht immer ſo nahe bey ihm geſtanden / wird gnug durch zeugnuͤß anderer ehrlicher leute / ſo es auch mit eyd bekraͤfftigen / erſetzet. 8. Darzu noch kommt / daß die frage auch an ſich ſelbs zu bejahen iſt; und wann obige dinge alle nicht vorgegangen waͤren / des beleidigten hertzliche buſſe / nach dem was ſonderlich n 2. 3. 4. vorgeſtellet worden / ihm die gewiſſe vergebung von GOtt zuwege gebracht haben wuͤrde. 9. Was Arndium und Dillherrn an - langt / ſolle noch folgen.

Q. 3.

  • Ob nicht der offendens, da er ſeines begangenen unrechts und ſuͤn - den wegen vor GOttes gericht gefordert / dieſelbe aber anietzo nicht nur erkant und bekant / ſondern auch mit vergieſſung ſo vieler thraͤnen hertzinniglich und von innerſtem grund der ſee - len bereuet / dem zorn-gericht GOttes durch wahre buß entge - hen / und ſich hingegen als ein recht bußfertiger ſuͤnder der un - fehlbaren vergebung ſeiner ſuͤnden / und der gnaden GOttes fe - ſtiglich zu verſichern habe? und was alſo von Arnds und Dill - herrn meinung zu halten?

1. WJe dieſe frage mit der vorigen nach dem erſten ſtuͤck faſt einſtimmig / al - ſo wird ſie auch mit derſelben billich bejahet: welche bejahung auff allen oben ausgefuͤhrten gruͤnden beruhet: auch des lieben Pauli exempel vor ſich hat / welcher unmoͤglich ſich mit allen vorhin von ihm beleidigten / verfolgten / und zur laͤſterung gebrachten / nach ſeiner bekehrung kan verſoͤh - net / und dero vergebung austruͤcklich erlanget haben / nachdem viele der - ſelben bereits werden geſtorben ſeyn / ja er zu unterſchiedlicher todt geholffen hatte; Jndeſſen zweiffelt niemand an deſſen erlangten vergebung und ſeligkeit. Alſo kan 2. ſich auch dieſer offendent, da ſeine buß hertzlich iſt / aus den angefuͤhrten ſtellen Matth. 12 / 31. Marc. 3 / 28. 29. der vergebung ſeiner ſuͤnden ohnfehlbarlich verſehen: als der gewiß iſt / daß ſeine ſuͤnde zu der ſuͤnde in den H. Geiſt nicht gehoͤret / als welche nothwendig eine laͤſterung in ſich faſſen muß: da hingegen des HErrn eigener mund allen uͤbrigen ſuͤnden / nemlich in goͤttlicher ordnung / die verge - bung zuſaget. 3. Was anlangt die angefuͤhrte ſtellen Arndii und Dillherrens / ſo iſt derjenige / ſo aus Wahr. Chriſtenth. 1 / 19. in fin. (welchen ich in mei -ner301ARTIC. III. SECTIO VII. ner edition nicht finde) angefuͤhret / ſo dann des andern aus dem weg der ſe - ligkeit / ſo bewandt / daß ſie beyde wol moͤgen verſtanden werden. Jener er - ſte ſolle lauten: Daß GOTT keine buſſe noch gebet annehmen wolle / wo man ſich nicht erſtlich mit ſeinem nechſten verſoͤhnet habe: Dieſes iſt alſo zu verſtehen / wo er nicht alles gethan / was von ſeiner ſeite zu der ver - ſoͤhnung erfordert worden / ob wol der wirckliche erfolg moͤchte gehindert ſeyn worden. Welcherley redens-art wir in der ſchrifft offt finden: als 1. Moſ. 37 / 21. da es in unſerm teutſchen ſtehet: Da das Ruben hoͤrte / wolt er ihn aus ihren haͤnden erretten: Jn ſeiner ſprach / er errettete ihn / weil er nemlich ſeiner ſeits that / was er zu thun vermochte. Ezech. 24 / 13. da es abermal in unſerm teutſchen gegeben wird: Daß ob ich dich gleich gern rei - nigen wolte / dannoch du nicht wilt dich reinigen laſſen: Da es abermal heiſſet / ich habe dich gereiniget / das iſt / alles gethan / was ich darzu zu thun gehabt. 1. Cor. 10 / 33. Gleichwie ich auch jederman in allerley mich gefaͤllig mache / das iſt / alles thue / mich gefaͤllig zu machen: Dergleichen ort noch mehr angefuͤhret werden koͤnten. Dilherrens worte ſollen dieſe ſeyn: Daß GOTT die vergnuͤgung Chriſti nicht annehmen wolle fuͤr die begangene ſuͤnden / im fall man nicht ſeinem beleidigten nechſten ab - bitte gethan. Aber auch dieſe werden von dem autore alſo gemeinet ſeyn / daß die vorige auslegung platz habe / und von dem beleidiger nichts anders / als daß er ſeiner ſeits alles noͤthige thue / erfordert werde. 4. Allein die ſtel - le in des lieben Arndii poſtill / Dn. VI. p. Trin. p. m. 1028. iſt die haͤrteſte / wann er ſagt: Was hie nicht ausgeſohnet wird in dieſem leben / das muß vor das geſtrenge gericht GOttes / ſtirbet dein bruder / und du biſt nicht mit ihm ausgeſoͤhnet / ſo gehoͤret die ſache nicht mehr in diß leben / oder unter die verſoͤhnung / ſondern vor das geſtrenge gericht GOt - tes / da muͤſſet ihr beyde erſcheinen / und des urtheils erwarten / denn nach dem todt iſt nichts anders denn das gericht zu erwarten. Hiebey mercken wir 1. daß aller / auch der beſten / lehrer / nachdem ſie gleichwol fehlba - re menſchen vor ſich ſelbs ſind / worte nach der ſchrifft muͤſſen gerichtet / und wo ſie derſelben entgegen waͤren / nicht angenommen werden: Wo nun die mei - nung dieſer worte dahin gehet / daß auch dem bußfertigen beleidiger keine gna - de allhier nach des andern / mit dem er nicht ausgeſoͤhnet worden waͤre / tode / von GOTT wiederfahren koͤnte oder wuͤrde / weil ſolches den obenangefuͤhr - ten gruͤnden der ſchrifft zu wider waͤre / ſo kan weder ich / der ich im uͤbrigen ſol - chen lehrer vor ein ſchoͤnes liecht unſrer kirchen halte / und was er bey derſelbi - gen gethan / hoch ſchaͤtze / noch jemand anderer / welchem die wahrheit angele -P p 3gen302Das dritte Capitel. gen iſt / demſelben beypflichten / ſondern muͤſſen ſolchen mißverſtand als einen flecken in einem ſonſt ſchoͤnen angeſicht mit chriſtlicher liebe uͤberſehen. 2. Je - doch laͤſſet ſich vielleicht der ſache alſo rathen / daß wir es verſtehen von dem tode des beleidigten / der dem beleidiger ſeine ſchuld nicht vergeben wollen / und alſo in der unverſoͤhnlichkeit dahin gefahren iſt / mit dem freylich der beleidi - ger vor jenem gericht erſcheinen muß / nicht daß er vor ſich in dieſem leben nicht vergebung erlangen koͤnte / ſondern / daß / nachdem jener in unverſoͤhnlichkeit dahin gegangen / und alſo dorten ein ſchwehres urtheil zu erwarten hat / ſeine ſache ihn mit uͤberzeugen muß. Daß dieſes die meinung des autoris ſeyn moͤchte / ſolte ſich abnehmen laſſen / wenn er eben dieſe worte / ſeye willfertig / u. ſ. w. in der andern predigt p. 1032. auch nicht vom beleidiger / ſondern belei - digten alſo erklaͤhret: Wer hie nicht vergibt / dem kan dort nimmermehr vergeben werden. Denn wie des menſchen hertz iſt / wenn der menſch ſtirbet / und die ſeele abſcheidet / ſo wird ſie ewig bleiben / und alſo vor GOttes gericht erſcheinen / und den peinigern uͤberantwortet werden. Es folgen zwahr nachmal einige wort / die das gegentheil ſolten ſcheinen mit ſich zu bringen / ich weiß aber nicht / ob nicht daſelbs ein druck-fehler zu vermu - then. Dann abermal in der 3. predigt p. 1037. nimmt er jene wort an von der pflicht des beleidigten / wann er alſo ſagt: Stirbſtu im zorn / ſo behaͤlteſtu ewig ein feindſelig hertz / und wirſtu des zorns in dieſem leben nicht loß / ſo bleibeſtu ewig in deiner ſeelen mit dem zorn vereinigt / ja mit dem teuffel ſelbs / denn wer mit dem nechſten zuͤrnet / und ſtirbet daruͤ - ber / mit dem zuͤrnet GOTT ewiglich. Dieſes ſchicket ſich eigenlich auf den beleidigten / der uͤber die beleidigung einen ſolchen zorn gefaſſet / daß er ihn nicht fahren laſſen will: Wollen wir aber die wort auch auf den beleidiger zie - hen / ſo gehen ſie ihn nicht anders an / als wo er auch nach einmaliger beleidi - gung ſolchen zorn biß an ſein ende behaͤlt / da freylich kein zweiffel iſt / daß nicht dergleichen ein menſch zu einem ſchwehren gericht abſcheidet. 3. Es ſeye ihm aber hiemit / wie es wolle / und habe der liebe mann in dieſer oder jener ſtelle mehr auf den beleidiger oder beleidigten geſehen / bleibt mir doch gewiß / daß derſelbe / wo er ſolte gefraget worden ſeyn von einem ſolchen / der ſich das ge - thane haͤtte leid ſeyn laſſen / und von der euſſerlichen verſoͤhnung durch andere hindernuͤſſen abgehalten worden waͤre / nimmermehꝛ demſelben die veꝛgebung deꝛ ſuͤnden in dieſem leben abgeſpꝛochen / ſondern ſein wort allezeit von demje - nigen / welcher in dem hertzen unverſoͤhnlich / das iſt / mit dem zorn gegen den nechſten (darvon hingegen die buß den menſchen reiniget) erfuͤllet geblieben waͤre / erklaͤhret haben wuͤrde: ob er wol / als dem etwa dergleichen caſus damalnicht303ARTIC. III. SECTIO VII. nicht eingefallen ſeyn mag / ſeine wort generalius geſetzet / daß ſie etwa / wie ſie bloß dahin lauten / auf denſelben moͤchten gezogen werden koͤnnen.

Alſo hoffe ich / daß auch dieſe frage gnug beantwortet / und ſamtlich ge - zeiget worden ſeye / wie einmal wider die gantze allgemeine glaubens-regel keinem wahrhafftig-bußfertigen um einer urſach willen / die zu aͤndern in ſei - ner gewalt nicht ſtehet / die vergebung der ſuͤnden zweiffelhafftig gemacht werden doͤrffte: Daher auch der offendens, von dem ſpecies facti redet / ſeine ſorge fahren zu laſſen habe. Jndeſſen liget ihm ob / gleichwol wegen auch dieſes fehlers / welchen ihn der heilige GOTT nicht ohne urſach mit ſolchen ſchmertzen hat fuͤhlen laſſen / immer vor deſſen angeſicht ſo viel demuͤthiger zu wandlen / ſeine barmhertzigkeit / welche ihm denſelben vergeben / danckbarlich zu preiſen / in dem gantzen leben deſto mehr ſich der liebe insgemein und der verſoͤhnlichkeit abſonderlich zu befleißigen / auf ſein gewiſſen in allen ſtuͤcken ſo viel ſorgfaͤltiger acht zu geben / darmit es nie in eine ſicherheit uͤber einige ſuͤnde einſchlaffe / und den H. Geiſt mit unablaͤßigen ſeuffzen zu erbitten / der ſo wol dieſesmal der gnaden verſicherung wieder in das hertz gebe (oder wie unſer liebe Lutherus uͤber Pſ. 51. T. I. Alt. f. 91. a. redet / ſein heimlich ein - ruͤnen / dir ſind vergeben deine ſuͤnde / welches ein troͤſtlich froͤlich ge - wiſſen macht / hoͤren laſſe. ) als auch kuͤnfftig denſelben in den wegen des HErrn leite.

Der HErr / der toͤdtet und lebendig machet / in die hoͤlle und wieder her - aus fuͤhret / ſetze ſolche perſon zum herrlichen zeugnuͤß ſeiner barmhertzigkeit / und laſſe ſeine abſicht dieſer verhaͤngten anfechtung in deſſen beſtaͤndiger hei - ligung / ſonderlich deſto feſterem glauben in dem gantzen leben / biß zu deſſen ſe - ligen ſchluß / voͤllig und offenbarlich erhalten werden / zu ſeinem ewigen preiß um Chriſti willen. Amen. 1693.

Weitere ſortſetzung voriger materie von der verſoͤhn - lichkeit.

NAchdem der in dem vorigen reſponſo der goͤttlichen gnade verſicherte of - fendens ſich einiger maſſen befriediget findet (davor dem himmliſchen Vater / aus deſſen Geiſtes wirckung alles in unſren ſeelen kommen muß / dan - cke /) aber noch einige ſcrupel deswegen bey ſich fuͤhlet: ſo habe auch in der forcht GOttes auf dieſelbe zu antworten.

Es beſtehet aber der I. darinnen / daß aus der Jurisprudenz citationis effectus ſit comparitio, & quod a citatione incipiat judicium, und daß ci - tans in citatum ein jus acquiſitum per citationem bekomme / dem in dieſem fall derſelbe als verſtorben nicht mehr renunciren koͤnte. Hierauf will nichtſo wol304Das dritte Capitel. ſo wol antworten / daß die regeln der weltlichen gerichte dem goͤttlichen eben nicht ſeine maaß geben: ſondern erinnere nur / daß diejenige citatio, welche die comparitionem erfordert / nicht von einer parte, ſondern dem judice geſche - hen muͤſſe. Wie ich noch in meiner jugend von meinem vettern und hoſpite Herrn D. Rebhan aus ſeinem Hodeg. juris gelernet / da er ch. 2. clin. 4. §. 33. p. 648. dieſe definition ſetzt: Citatio (ſc. judicialis) eſt ſolennis in jus vocatio, quæ fit ab eo, qui jurisdictioni præeſt, juris experiundi cauſa: eſt actus judi - cialis præparatorius, quo is, quem judicio ſiſti certa ex cauſa oportet, judi - cis mandato ad certum terminum præfixum juris experiundi cauſa voca - tur. Welches auch in taͤglicher erfahrung geſehen wird: da keine parthey die andere aus eigener macht cum effectu citiren kan / ſondern die citation erſt von dem judice zu geſchehen erlangen muß. Nun iſt gedachte citation, (wo wir ſie alſo nennen ſollen) welcher wegen ſich offendens aͤngſtet / allein à parte, nicht von dem richter / geſchehen / und alſo vielmehr allein ein imploratio judi - cis geweſen: Wann aber der richter verſoͤhnet / ſo hie durch wahre buſſe geſche - hen iſt / ſo verliehrt die citation ihre krafft / und kan ohne das die parthey dem richter nicht vorſchreiben.

2. Der andre ſcrupul kommt daher / ob auch exempel verhanden / daß / wann in den faͤllen der citation vor GOttes gericht / buſſe erfolget / die verge - bung der ſuͤnden und die ſeligkeit erlanget worden ſeye. Nun bin ich nicht in abrede / daß von dergleichen citationen in vallem Joſaphat vor dieſem in meiner jugend viele exempel geleſen habe / ſonderlich wo mir recht iſt in des Drexelii Trib. Chriſti, welches aber nicht habe noch auffſchlagen kan / hinge - gen auch mich dergleichen particularien nicht erinnere. Jch will auch nicht zweiffeln / es werden dergleichen exempel geſchehen ſeyn: ſolten ſie bey den an - dern nicht auffgezeichnet gefunden werden / moͤchte wol die urſach ſeyn / daß man diejenige exempel allein auffzuſchreiben wuͤrdig geachtet / da ſich goͤttli - che gerechtigkeit in vollſtreckung ihres gerichts thaͤtig erwieſen / (zu dero be - zeugung ſie gemeiniglich pflegen angezogen zu werden) nicht aber / wo deſſen erfolg durch die buß gehemmet worden. Ob alſo auch kein exempel ange - fuͤhret werden koͤnte / hebet ſolches gleichwol die goͤttliche regel nicht auf: nach welcher / als vormal erwieſen / unmuͤglich iſt / daß einiger ſuͤnden vergebung jemal einem wahrhafftigen bußfertigen entſtehen koͤnte / als welches wider goͤttliche gerechtigkeit / barmhertzigkeit und wahrheit zugleich ſtreitet. Da - her bedarff ſolche allgemeine regel / dero die ſchrifft keine reſtriction oder ex - ception beyfuͤget / zu ihrer bekraͤfftigung nicht eben von jeglichen faͤllen ihre ſondere exempel / ſondern ſie beſtehet auf goͤttlicher ordnung feſt gnug / und kan ein geaͤngſtetes gewiſſen viel ſicherer ſich auf dieſelbe verlaſſen / als auf exempel / indem wo es ſcrupel ſuchen will / auch in den exempeln immer darzweiffel305ARTIC. III. SECTIO VIII. zweiffel auffſteigen moͤchte / woher daß es eine wahre und nicht nur eingebil - dete vergebung geweſen / zu erhaͤrten waͤre. Alſo halten wir uns ſichrer an gedachte regel / die eine goͤttliche wahrheit iſt / und nicht triegen kan / als uns um exempel lang umzuſehen / die doch unſrem gewifſen niemal anders einen grund geben / als ſo fern ſie auf der regel ſelbs beſtehen: die alſo an ſich feſt gnug iſt.

Der HErr HErr aber beruhige ſelbs das verunruhigte gewiſſen mit verſicherung ſeines Geiſtes / und durch ſtaͤrckung des glaubens: ſegne aber die bißherige buß-betruͤbnuͤß zu ſo viel mehrer heiligung des gantzen lebens / biß dermaleins zu deſſen ſeligem ende. Amen.

SECTIO VIII. Von der gebuͤhr chriſtlicher eheleute unter einan - der / in gebrauch der ehe: da unterſchiedliches aus 1. Cor. 7. erklaͤhrt wird.

§. I.

WJe eines jeglichen dings gebuͤhr fuͤrnemlich aus deſſen einſetzung ab - zunehmen iſt / alſo haben wir auch / wo wir von dem heiligen eheſtand reden wollen / deſſelben pflicht und gebuͤhr am beſten zu erkennen / wo wir erſtlich deſſen einſetzung / oder vielmehr die goͤttliche abſicht in derſelben beſehen / als welche uns gleichſam den brunnen zeigen wird / woraus wir her - zunehmen haben / was wir von ſolchen pflichten goͤttlichem willen gemaͤß er - kennen ſollen.

§. II. Wo wir nun die hiſtorie der einſetzung 1. Moſ. 2. anſehen / ſo ſtehet 1. insgemein zum grund / daß um des menſchen beſten willen / die ehe einge - ſetzet ſeye / welches nicht nur daraus folget / weil es in dem ſtande der unſchuld geſchehen / wo der menſch keine ſtraff / oder daß ihm in etwas uͤbel waͤre / oder etwas zuꝛ laſt auferlegt waͤre / annoch verſchuldet hatte / ſondeꝛn weil es heißt / es iſt nicht gut / daß der menſch allein ſeye / alſo ſuchte GOTT des men - ſchen gutes darinnen / ihm eine geſellin zu ſchaffen / weil die einſamkeit ihm nicht gut waͤre. Daher alſobald folget / daß die innerſte natur des eheſtan - des alſo bewandt ſeyn muß / daß ſie perfect dem menſchen gut ſeye / und nichts widriges ſich drinnen finde. Was alſo jetzund an dem eheſtand gefunden wird / ſo dem menſchen boͤſe iſt / iſt entweder unrecht oder eine ſtraffe der ſuͤn - den / hingegen was eigenlich in dem eheſtand dem menſchen gut ſeyn kan / muß als goͤttlicher weißheit gemaͤß erkannt werden.

§. III. Abſonderlich aber muß ſolches gute 2. beſtehen in der huͤlffe / ich will ihm eine gehuͤlffin machen / die um ihn ſeye. Man ſolte zwahrQqſagen /306Das dritte Capitel. ſagen / es haͤtte der menſch keiner huͤlffe in dem ſtand der unſchuld bedorfft / da er noch in keiner noth geſteckt / ſondern in der vollkommenſten gluͤckſeligkeit geſchwebet hat. Wir haben aber einen unterſcheid zu machen unter einer huͤlffe / die den menſchen aus einem uͤbel und elend errettete / und anderſeits / welche allein ſeine gluͤckſeligkeit verbeſſerte. Der erſten art huͤlffe bedorffte der menſch in dem ſtand der unſchuld nicht / als von dem alles elend ſo fern als die ſuͤnde war / der andern art huͤlffe aber iſt nicht fremd auch von demſelbigen ſtand des erſten menſchen / deſſen gluͤckſeligkeit groß und vollkommen war / aber ohnwiderſprechlich noch in unterſchiedlichem anſehen wachſen / und ver - mehret werden konte. Da nun der text nicht eben austruͤcklich gedencket / worinnen ſolche huͤlffe beſtanden / ſo ſtehet uns frey / ſolche in chriſtlichem nach - ſinnen zu ſuchen. Wir wiſſen / daß der menſch erſchaffen war / daß ihm wohl waͤre / und er nicht nur allein in ſich ſelbs haͤtte / was ſeiner natur zu ihrer voll - kommenheit gnug waͤre / wie er dann deßwegen mit dem goͤttlichen ebenbild ausgeziehret geweſen / ſondern daß er auch dasjenige / was er thun ſolte / am bequemſten verrichten koͤnte. Es lag ihm aber nichts anders ob / als GOtt zu dienen / ihn zu erkennen / zu preiſen / der creatur ſich zu gebrauchen / daß ſie ihm lauter mittel waͤren / goͤttliche guͤte und liebe darinnen zu ſchmecken / und in denſelben alle vergnuͤgung ſeines leibes und ſeiner ſeelen in allen dero kraͤff - ten zu finden / und nachmal weiter auf GOTT ſolche zu richten. Daß alſo keine unter allen ſeinen kraͤfften ſeyn ſolte / die nicht ihre vergnuͤgliche uͤbung haͤtte. Nun aber war hiezu nicht gantz bequem / daß der menſch allein waͤre / dann ob er wol jene obgedachte werck alle in gewiſſer maaß auch allein vor ſich verrichten koͤnnen / ſo ſind ſie doch insgeſamt alle allezeit vergnuͤglicher in ge - ſellſchafft eines andern gleichen / und geziehmete ſich alſo goͤttlicher liebe und weißheit / daß ſie auch dieſe vermehrung ſeiner gluͤckſeligkeit dem menſchen gebe. Nullius boni ſine ſocio jucunda poſſeſſio eſt. Dahero wir auch ſe - hen / in dem allerſeligſten weſen / GOTT dem HErrn ſelbſten / weil auſſer demſelben nichtes ihm gleiches hat koͤnnen oder ſollen ſeyn / daß auffs wenig - ſte in demſelben ſelbs unterſchiedliche perſonen ſind / dero liebe und freude in und an einander die unmaͤßliche ſeligkeit ſolches in ſich vergnuͤgteſten weſens am vollkommenſten machet. Nicht weniger ſehen wir auch / daß die goͤttliche weißheit von andern creaturen keine gantz allein geſchaffen / ſondern jeglicher allemal andere gleiche zu dero beſten zugeordnet hat; da ſolte dann auch bey dem menſchen es an ſolcher ſeligkeit nicht manglen / ſondern er eine gehuͤlffin haben / die neben ihm gleicher herrlichkeit genoͤſſe / und dero gemeinſchafft fer - ner ſeinen genuß vollkommen machte. Wuͤrde alſo das weib ſeine gehuͤlffin haben ſeyn ſollen / GOTT zu loben / zu preiſen / zu dancken; welche wercke alle beſſer mit andern / als darinnen neue auffmunterung und freude ſtecket / alsallemal307ARTIC. III. SECTIO VIII. allemal allein verrichtet werden: Sie ſolte es ſeyn / daß er etwas haͤtte / wel - ches er vor andern creaturen liebte / und ſeine gleichheit darinnen erkennete; daher andere thier ihm nicht bequem gefunden worden; aus ſolcher liebe aber hat die freude und vergnuͤgung des menſchlichen gemuͤths ihren vornehmſten urſprung: alſo fanden alle die affecten der menſchlichen ſeelen / ſo viel derſelben ihr annehmlich und nicht widerlich ſind / in einer ſolchen ihr gleichen creatur ihr bequemſtes objectum, und bey jeglicher empfindung derſelben einen trieb ſich zu GOTT zu erſchwingen / und in dieſer ihr nechſten creatur ſeine liebe zu ſchmecken: Weil aber auch der leib / ob ſchon das geringere theil / gleichwol mit zu dem menſchen gehoͤrte / und ihm alſo auch vollkommen wol ſeyn ſolte / ſo ſehe ich nicht / wie wir zweifflen wolten / daß nicht auch demſelben alle die vergnuͤ - gung / darinnen ſeine euſſerliche ſinne eine annehmlichkeit finden moͤgen / von GOTT gegoͤnnet geweſen ſeye: Wie wir ſehen / daß er ſeinem appetit und ge - ſchmack alle fruͤchten / dero lieblichkeit zu gemeſſen / gegoͤnnet habe / ausgenom - men allein den baum des erkaͤntnuͤſſes gutes und boͤſen / zur probe ſeines ge - horſams: Dahero nichts hindert / daß wir nicht dafuͤr achten ſolten / weil bey andern thieren deroſelben vermiſchung / (ſo ja ohne ſuͤnde iſt) mit einer wolluſt ihres leibes und ſinnen geſchihet / daß dann auch dergleichen empfindlichkeit der vollkommenſten gluͤckſeligkeit auch des menſchlichen leibes gemaͤß gewe - ſen: Und wir daher die wolluſt der ehlichen beywohnung / auch nach dem fall / nicht an ſich ſelbs aus der ſuͤnden entſproſſen zu ſeyn ſorgen doͤrffen / ob wol freylich die anklebende viehiſche brunſt und unmaͤßigkeit / welche / wo ſie recht erwogen wird / dem leib mehr eine beſchwehrde als lautere und reine luſt iſt / von der ſuͤnde herkommet / und jene verderbet / billich aber die ſache ſelbs von dem anklebenden boͤſen unterſchieden werden ſolle. Alſo ſehe ich die huͤlffe / dazu das weib dem mann gegeben / alſo an / daß ihm am gemuͤth und leib in allem ſo wohl waͤre / als ſolches ſtandes vollkommenheit mit ſich braͤchte / und er dennoch zu deſto mehrerem preiß ſeines GOttes / deſſen liebe und ſuͤßigkeit er in allem ſchmeckete / an allen creaturen auf geziemliche art zu einer ſeinem ſtande gemaͤſſen freude ſeine gelegenheit faͤnde.

§. IV. Vornemlich aber ſolte ſie eine gehuͤlffin ſeyn in erfuͤllung des ſe - gens / welcher ihm darnach gegeben worden / da es geheiſſen / ſeyd fruchtbar / und mehret euch / und fuͤllet die erde. Jndem GOTT ſeiner weißheit und guͤte gemaͤß fand / daß nicht nur ein einiger menſch ſolle dieſer ſeligkeit ge - nieſſen / ſonderlich weil er denſelben nicht eben ewig in dieſer welt laſſen / ſon - dern zu ſeiner zeit / ob wol ohne tod / zu ſich nehmen wolte / da ja dieſe untere welt / ſo um des menſchen willen vornemlich geſchaffen / nicht ohne ſolchen be - herrſcher bleiben ſolte / hingegen auch aus ihm bekanten heiligen urſachen nicht rathſam gefunden / die menſchen zumal zu erſchaffen / gleich wie die ſchaarQ q 2der308Das dritte Capitel. der heiligen Engel / ſondern es alſo verlangt / daß die menſchen von einander fortgepflantzet werden ſolten: So war aber der menſch natuͤrlich / wie er ihn erſchaffen / dazu untuͤchtig / daß er ſich ſelbs fortpflantzete / ſondern muſte hier - zu eine gleiche gehuͤlffin haben: Die er daher erſchaffen / und ihm zugefuͤhret / auch den oberwehnten ſegen daruͤber ſprechende / kund gethan hat / wozu ſon - derlich dieſer ſtand gemeint / und von ihm eingeſetzet ſeye: Bleibet alſo die fortpflantzung des menſchlichen geſchlechts wol eine vornehmſte endurſach dieſes ſtandes / und finde ich keinen grund in der ſchrifft / (ob wol einige auſſer derſelbigen / da ſie ſich an goͤttlicher ſchoͤpffung / ſorglich aus uͤberwitziger ver - nunfft / aͤrgeren / etwas dergleichen vorgeben wollen /) warum wir davor hal - ten ſolten / daß ſolche fortpflantzung in dem ſtande der unſchuld auf andere art / als jetzo geſchihet / haͤtte geſchehen ſollen. Ob wol leider freylich dasje - nige werck / wodurch es geſchihet / nunmehr ſo wol als andere menſchliche werck / ja etwa mehr als andere / durch die ſuͤnde verdorben worden / daß / was damal heilig / rein und in einer unbefleckten freude / ſeel und leibes wuͤrde ge - ſchehen ſeyn / nunmehr dermaſſen verunreiniget worden / daß ſich der menſch darinnen ſchaͤmen muß / und leib und ſeel neben der etwa noch uͤbrigen luſt ihre beſchwehrde und ſchaden davon empfinden.

§. V. Gleich wie nun auff beſagte art die ehe in dem ſtand der unſchuld dem menſchen gut geweſen / ſo iſt zwahr bereits angedeutet / daß das eine ehe - liche werck / durch die ſuͤnde ſo ſchrecklich verderbet worden / daß es kaum mehr iſt / was es war. Jndeſſen muß dennoch die goͤttliche einſetzung dem men - ſchen auch noch in dem ſtande der ſuͤnden bleiben / was ſie an ſich ſelbs iſt / nem - lich gut: deswegen muß auch der ehſtand alſo eingerichtet und gefuͤhret wer - den / wie er dem menſchen gut / und alſo dieſer goͤttlichen abſicht wahrhafftig gemaͤß iſt. Koͤnnen alſo keiner der obigen zwecke / welche auch dem ſtand der unſchuld zugekommen waren / nunmehr allerdings ausgeſchloſſen werden. Hingegen iſt nunmehr nach dem fall eine neue nothwendigkeit und nutzen der ehe erfolgt / daß dieſelbe dem menſchen gut waͤre / nicht mehr allein in ver - mehrung ſeiner gluͤckſeligkeit / ſondern auch in abwendung und milderung vieles ſeines durch die ſuͤnde zugezogenen elends; da nunmehr ein theil des andern gehuͤlffe iſt / die beſchwehrde dieſes lebens leichter zu tragen / und da - von weniger ſchaden zu nehmen. Wohin billich dieſes als das vornehmſte gehoͤret / nachdem die ſuͤnde ſelbs des menſchlichen elends ſo aus dem fall kom - met / vornehmſtes ſtuͤck iſt / daß der ehſtand unter andern mit ein mittel iſt / ei - niger ſuͤnde deſto kraͤfftiger zu widerſtehen oder zu entgehen. Nun lehret die erfahrung / daß dem menſchen unter andern ſuͤnden auch die unkeuſchheit und eine boͤſe luſt und brunſt / ſich mit dem andern geſchlecht zu vermiſchen / angebohren iſt / welche ſich / obzwahr nach unterſchied der natuͤrlichen com -plexio -309ARTIC. III. SECTIO VIII. plexionen mehr oder ſchwehrer bey allen menſchen findet / ſo bald dieſelbe in das natuͤrliche alter kommen / da ſie dazu dem leibe nach geſchickt ſind / und was die natur aus der nahrung dazu bequem bereitet / ſeinen ausgang ſu - chet; deßwegen in der ſeelen untern kraͤfften die begierde darzu / entweder wo eine euſſerliche gelegenheit reitzet / oder auch ohne dieſelbe bloß aus dem innern trieb erwecket / hingegen leicht die gantze ſeele damit eingenommen wird. So bleibet auch in jetzigem ſuͤndlichen ſtand ſolche luſt nicht in ihren ſchrancken / ſondern wie alle andere verderbte geluͤſten uͤberſchreitet ſie dieſel - be auff viele weiſe. Weilen aber der H. GOtt dem maͤnnlichen geſchlecht den gebrauch des weiblichen / und dieſem des maͤnnlichen / nicht auſſer der von ihm eingeſetzten ehe verordnet / hingegen alle uͤbrige vermiſchung ernſtlich / als eine befleckung des eigenen und frembden leibes verboten hat: ſo dann ſolcher natuͤrlichen begierde zu dem andern geſchlecht nicht bey allen und zu allen zeiten mit arbeit und faſten (und alſo verminderung desjenigen / davon innerlich die reitzung der luſt herruͤhren koͤnte / dahingegen muͤßiggang und zaͤrtliche pflege des leibes denſelben geil machet) mit vermeidung der gelegen - heit (und alſo abwendung der euſſerlichen reitzungen) mit gebet und betrach - tung / ſo zwahr alle kraͤfftige mittel ſind zu creutzigung und toͤdtung auch die - ſer unordenlichen luͤſten / damit offt vieles in dieſer ſache auszurichten ſtehet / und deswegen diejenige derſelben ſich ſo viel ernſtlicher zu gebrauchen / wel - che GOtt noch auſſer dem ehſtand haͤlt / genugſam und dermaſſen widerſtan - den werden kan / daß nicht boͤſe luͤſte nicht nur auffſteigen / ſondern den men - ſchen allzuſehr verunruhigen / ja auch etwa den leib auff unterſchiedliche art auch wider willen beflecken ſolten. So haben wir alſo die ehe auch hierin - nen in dem ſtand der verderbnuͤß als gut / und dieſen nutzen derſelben / zu er - kennen / daß ſie eine artzney ſeye wider ſolche unkeuſchheit / und alle aus der ſuͤnden gifft bey uns ſonſt entſtehende fleiſchliche befleckung des fleiſches und des Geiſtes. Und dieſes iſts / was Paulus ſagt: 1. Cor. 7 / 3. um der hu - rerey willen hab ein jeglicher ſein eigen weib / und eine jegliche haͤbe ih - ren eigenen mann. Wo wir unter dem nahmen der hurerey (um dero willen / nemlich nicht ſolche zu begehen / gleich ob waͤre der gebrauch der ehe nur hurerey / ſondern ſie zu vermeiden / der eheſtand vielen zu rathen iſt) nicht nur die euſſerliche vermiſchung mit andern perſonen auſſer der ehe zu verſte - hen haben / ſondern alle verunreinigung unſers leibs und ſeele / welche ſon - ſten in mangel des eh-gebrauchs unſre unkeuſche art wircken und zu wege bringen wuͤrde. Woraus alſo folget / daß auch der jetzige ehſtand alſo ver - ſtanden und gefuͤhret werden muͤſſe / daß er eine genugſame verwahrung vor aller leichtfertigkeit und verunreinigung / als viel in dieſer ſchwachheit und natuͤrlichen unreinigkeit geſchehen kan / wahrhafftig ſeye.

Q q 3§ VI. 310Das dritte Capitel.

§. VI. Dieſem zu folge / ſo wuͤrde unter eheleuten in dem ſtand der un - ſchuld die bruͤnſtige und reineſte liebe gegen einander geweſen ſeyn / da ſie oh - ne einige unordnung jegliches an des andern ſeel und leib auff alle weiſe / die nach goͤttlicher ordnung muͤglich waͤre / eine freude und wolluſt gehabt und genoſſen haben wuͤrden / aber alſo / daß alle ſolche liebe / freude und genuß deſ - ſen / daran ihnen wohl waͤre / immer weiter auff GOtt den ſchencker ſolcher ihrer gluͤckſeligkeit gegangen waͤre / und ſie ſtets zu mehrer ſeiner liebe / freud an ihm und ſchmeckung ſeiner ſuͤßigkeit / die ſie in der creatur genoͤſſen / auff - gemuntert haͤtte. Hingegen wuͤrden ſie in nichts von ſolcher ihrer ehe be - ſchwehrde / unluſt / verunruhigung / vielweniger aber eine abwendung von Gott gefuͤhlet haben: weilen ſie in voͤlliger heiligkeit und reinigkeit von Gott erſchaffen waren / und alſo nichts an ſeel und leib zu finden war / was nicht der ordnung GOttes gemaͤß geweſen / und ſie allemal in allen ſtuͤcken auff ihn ge - wieſen haͤtte. Nach ſolcher vollkommenen reinigkeit haben zwahr eheleut in dieſem leben bereits mit allem eiffer und fleiß ſich zu beſtreben / wie nahe ſie derſelben kommen koͤnnen / aber ſie werden gleichwol befinden / daß ſolches der zweck ſeye / nach welchem ſie lauffen / aber damit zu frieden ſeyn muͤſſen / ob ſie ihn ſchon hie nicht erreichen koͤnnen / daß ſie dannoch demſelben auffs nechſte kommen moͤgen: dabey / da ſie Chriſten ſind / ſich deſſen zu getroͤſten / daß der HErr die anklebende ſchwachheiten um ſeines verdienſtes willen ih - nen nicht zurechnen wolle / da ſie im glauben und ſeiner furcht ſtaͤts beharren: ja daß eben dieſes ſchon eine groſſe guͤte GOttes ſeye / daß derſelbe ihren eh - ſtand ihnen nunmehr zu einer artzney der ſuͤnden gemacht / und alſo / da ſie ihn dazu gebrauchen / ſolches ihm gefaͤllig ſeyn laſſen werde.

§. VII. So beſtehet dann nun die pflicht eines jeglichen ehegatten gegen den andern / was das innerliche anlangt / darinnen / daß jegliches das andere inbruͤnſtig liebe / welches die ſchrifft aller orten treibet / als nicht nur insge - mein ſeinen nechſten / ſondern abſonderlich als ſeinen von GOtt gegebenen gehuͤlffen / und mittel eines zimlichen ſtuͤcks ſeiner gluͤckſeligkeit. Und zwahr alſo / daß es eine wahre liebe ſeye / daß alſo jegliches nicht ſo viel des andern zu genieſſen / und ſeine freude daran zu haben / als ſich demſelben zu genieſſen zu geben / und in ſich ihm freude zu machen / ſich beſtrebe: dann in jenem be - ſtehet mehr eigne liebe / dieſes aber iſt die wahre liebe des anderen. Daher bringet ſolche liebe mit ſich / daß man dem andern ſo viel guts in geiſtlichem und leiblichem als ſich ſelbſten goͤnne und wuͤnſche / alles gutes thue / und des - wegen worinnen man demſelben / ohne verletzung GOttes oder deſſen mehre - rem beſten / gefallen erzeigen / und freude erwecken kan / dazu willig / ja deſſen begierig ſeye: daher des Apoſtels wort / der mann ſorge / wie er dem weib / und das weib / wie es dem mann gefalle / nicht alſo anzuſehen ſind /ob311ARTIC. III. SECTIO VIII. ob werde damit bloß der mißbrauch angedeutet / ſondern daß dieſes in gewiſ - ſer art mit ein ſtuͤck und pflicht des ehſtandes ſeye / daß jedes dem andern zu gefallen trachte. Nechſt dieſer eigenlichen liebe des ehegattens iſt auch nicht dem goͤttlichen willen entgegen / daß der menſch ſich ſelbs in goͤttlicher ord - nung an ſeinem ehegatten liebe / das iſt / ſeiner ſeele und leibes vergnuͤgen auf gewiſſe weiſe an ſeinem ehegatten habe / und genieſſe / und ſich alſo in der furcht des HErrn deſſen gnaden-geſchencks nach ſeiner regel gebrauche. Es muß aber wohl zugeſehen werden / daß ſolche liebe in rechten ſchrancken blei - be. 1. Daß ſie nicht wider Gott gehe oder goͤttl. liebe eine eigenliche hindernuͤß ſetze / vielmehr daß allezeit der ehgatte dasjenige mittel gleichſam ſeye / indem und durch welches immer unſere liebe auff GOtt gehe / und er in dem ehegat - ten geliebet werde / welches die art iſt aller liebe der creaturen / wie dieſelbe GOtt nicht entgegen ſeyn mag. So muß alſo der ehgatte nicht nur nicht uͤber und wider GOtt geliebet werden / ihm in dingen / welche goͤttlichem willen zuwider waͤren / zu fuͤgen oder zu gefallen zu ſeyn / ſondern nicht auſſer GOtt oder von ihm geſetzter ordnung / die darinnen beſtehet / daß die liebe auff nichts hafften bleibe / ſondern immer durch alles wiederum hindurch auff GOtt tringe / da ſie allein beruhen ſolle. Alſo daß dannenhero jegliches ver - gnuͤgen / ſo wir an dem ehgatten haben / uns eine neue auffmunterung gebe / GOtt ſo viel hertzlicher zu lieben / ſeine guͤte zu preiſen / der uns auch dieſe freude und verſuͤſſung unſers menſchlichen lebens gegoͤnnet / und ihm davor zu dancken. Es ſolte zwahr ſcheinen / daß der ehſtand ſchon an ſich ſelbs eine hindernuͤß der liebe GOttes ſeye / weil die eheliche und ledige darinnen ein - ander entgegen geſetzet werden / daß dieſe ſorgen / was dem HErren / jene was dem ehgatten gefalle: es mag aber ſolches nicht ſo wol die liebe ſelbs angehen / als vielmehr deſſen euſſerlichen oder auch innerlichen dienſt / ſo fern dieſer von einiger weitern ſorge gehindert werden kan. Daß demnach der eheliche ſeinen GOtt nicht weniger lieben darff und kan / als der ledige auch thut / aber dieſer iſt weniger verhindert / ſolche ſeine liebe gegen GOtt durch mehrere innerliche und euſſerliche austruͤcke zu erzeigen / daran den andern nicht ſo viel der ehſtand ſelbs als die anhaͤngenden mehrere ſorgen und ge - ſchaͤfften hindern; wie dann ein auch ſehr gutes werck ein anderes gutes etli - cher maſſen hindert / ſo fern man nicht beyden mit gleichem fleiß / gleich wie einem allein / abwarten kan. Daher folget 2. daß die liebe auch darinnen nicht unordenlich ſeyn muͤſſe / daß ſie allzuhefftig waͤre / wodurch ſo wol die liebe GOttes als des nechſten gehindert wuͤrde / wo der ehgatt ſein gantzes hertz dermaſſen dem andern anhaͤngte / daß er davor weder GOtt recht die - nen / noch dem nechſten alle ihm ſchuldige ſonſt muͤgliche pflicht leiſten koͤnne. 3. Muß ſie auch alſo in der ordnung bleiben / daß man an dem ehgatten das jenige / und jegliches in der ordnung / liebe / als goͤttlichem willen gemaͤß iſt /daher312Das dritte Capiteldaher das geiſtliche des ehgatten vor ſeinem leiblichen bey uns den vorzug haben muß / ja auch wir unſer ſeits jenes mehr als dieſes von ihm zu genieſ - ſen trachten ſollen. Allerdings aber iſts ſolcher ordnung entgegen / da man die liebe ſuchen will in der erfuͤllung ſeiner leiblichen und fleiſchlichen be - gierden / und denſelben den zaum laſſen / ſo keine wahre liebe iſt.

§. VIII. Wo alſo der Apoſtel ſagt / die da weiber haben / daß ſie ſeyen / als haͤtten ſie keine: ſo hats diejenige meinung / daß ihr hertz an ſie nicht al - ſo angehefftet ſeye / daß ſie meinten / nicht ohne ſie bleiben zu koͤnnen / ſondern ſie zwahr hertzlich lieben / und deſſen was GOtt ihnen an denſelben gibet / al - ſo genieſſen / daß ſie GOtt daran preiſen / aber immer bereit ſeyn / wo ſie Gott ihnen entweder ſonſten entziehen / oder ſie durch verfolgung von ihnen geriſ - ſen wolte werden laſſen / demſelben ſie gern zulaſſen / oder um ſeiner wahrheit willen ſich dero genuſſes zu begeben: alſo daß ob es wol in den verfolgungen leichter iſt / wo man unverheyrathet bleibe / ſie die ehliche ſich doch auch alſo reſolviren / dafern der HErr dergleichen truͤbſaal uͤber ſie verhaͤngen wuͤrde / ſich nicht anders darinn zu halten / als ſie auch wuͤrden gethan haben / da ſie ledig geblieben waͤren. Welcher verſtand aus der gantzen rede des Apoſtels / und wie er auff dieſe wort gekommen iſt / erhellet: Jedoch leiden ſo wol die allgemeine wort / als ſonderlich was noch weiter nachfolget / daß man auch dieſen dem andern nachſetze / ſo in einander ſtecken; ſie ſollen ſeyn als haͤtten ſie keine / wie diejenige welche weinen ſeyn ſoltẽ / alsweineten ſie nicht / die ſich freuen als freueten ſie ſich nicht / daß zwahr ſolche affecten bey ihnen ſeyn moͤ - gen / aber doch alſo / daß das gantze hertz niemal davon eingenommen werde / ſondern noch immer tuͤchtig ſeye / dabey dasjenige zu thun / was GOTT und die liebe des nechſten ſonſten von uns erfordert: alſo auch daß ſie ih - re weiber dermaſſen lieben / und ſich ihrer gebrauchen / daß ſie deswegen ſich nichts hindern laſſen / an demjenigen was ſie ſonſten GOTT und dem nechſten ſchuldig ſind / welches geſchihet / wo man ſein hertz voͤllig an etwas haͤngt / und ſich demſelben bloſſerdings widmet. Alſo wie diejenige / die der welt brauchen / ihro nicht auch zugleich mißbrauchen ſollen / das iſt / ſie nicht zu viel und mit verſaͤumnuͤß des noͤthigen / oder wider GOttes ordnung und mit anhaͤngigkeit des hertzens / gebrauchen / ſo ſollen auch ehegatten ſich einander gebrauchen / aber nicht mißbrauchen / zu viel ihr hertz darauf zuſchlagen / oder auch etwas der goͤttlichen ordnung entgegen an einander begehen. Weil ja das weſen dieſer welt vergehet: Es ſeyen alle dieſe euſſerliche dinge / und alſo auch der genuß eines ehegehuͤlffen / nicht unſer hauptwerck oder auch haupt-gut / ſo dann vergehen ſie unter der hand / und muͤſſen wir uns alle augenblick deroſelben verluſts verſehen / daher ſienicht313ARTIC. III. SECTIO VIII. nicht wuͤrdig / mit unſerm hertzen zu ſtarck darauff zu beruhen / dadurch als - dann wo ſie hinfallen und wir ſie verliehren muͤſſen / das hertz nur deſto ſchwehrer verunruhiget wuͤrde / noch auch mit denſelben uns ſo viel zu be - muͤhen / daß dasjenige daruͤber verſaͤumet wuͤrde / woran GOTT und dem zweck / darum wir in der welt ſind / das meiſte gelegen iſt.

§. IX. Wo nun das hertz der ehgatten dermaſſen gegen einander recht ſtehet / ſo werden die euſſerliche begegnuͤſſen gegen einander auch in ihre rech - te ordnung kommen: und wie man einander liebet unter GOtt / und mit ab - ſicht auff deſſen ehre / ſo wird man auch in allen ſtuͤcken alſo mit einander le - ben / wie dieſelbige erfordern. Alſo haben ſich ehegatten unter einander zu gebrauchen / daß ſie in dem geiſtlichen ſuchen / ſich an und mit einander zu er - bauen / daher ein ander mit gutem exempel vorgehen / und zur nachfolge lo - cken / mit einander beten und ihre hauß-kirchen halten / auch die liebe / die ſie unter einander haben und uͤben / ihnen ſtaͤts eine erinnerung der liebe GOt - tes und ihres braͤutigams ſeyn laſſen: daß ſie nachmal im leiblichen eines fuͤr - des andern leben und geſundheit nach vermoͤgen ſorge / und dieſelbe befordern helffe / auch deßwegen / wo es dem anderen freude erwecken / oder einige be - truͤbnuͤß und unwillen abwenden kan / ſolches willig thue: daß ſie einander in dem uͤbrigen leben / in haußhaltungs und andern zu dieſer zeit gehoͤrigen geſchaͤfften treulich beyſtehen / huͤlffe leiſten / und alles ungemach nach muͤg - lichkeit abwenden / folglich durch freundliche und liebreiche begehung die bit - terkeit dieſes menſchlichen elends verſuͤſſen. Welches lauter fruͤchte der lie - be ſind / dazu ſie der erſte zweck des ehſtands ſelbs verbindet / und welche lie - be nirgend redlich ſeyn kan / wo ſie nicht dergleichen wircket. Jedoch daß man wohl dabey erwege / daß dieſe liebe nicht eine bloſſe ſchmeicheley ſeyn muͤſſe / des andern ehegatten (ſonderlich bey dem mann ſeines weibs) boßheit zu he - gen und zu ſteiffen / ſondern es ſolle dieſelbe ſeyn / ein ſo wol gutmeinen mit dem nechſten / als vernuͤnfftiges befordern deſſen beſten / wo es zuweilen in ſolchen dingen geſchehen mag / die wol der andere theil / biß man die ſache gruͤndlicher erkennet / nicht vor liebe achten moͤchte: daß es alſo eine liebe iſt / die ihre ernſthafftigkeit und eyffer / doch mit ſtaͤts untermiſchter ſanfftmuth / wol neben ſich leidet ja offters erfordert.

§. X. Weil aber wegen des alſo genannten ehelichen wercks oder bey - wohuung etwa eher als wegen anderer in der ehe vorgehenden faͤlle / anſtoͤſſe und zweiffel bey zarten gewiſſen erwecket werden mag / ſo haben wir auch von demſelben etwa folgendes in der furcht des HErrn zu erwegen (1. daß ſolches eine an ſich ſelbs heilige verordnung Gottes ſeye / und gehalten werden ſolle: daß ich deßwegen die wort Pauli dahin verſtehe / da er ſagt Hebr. 13 / 4. ὁι κόιτη ἀμίαντος, das ehebett und der gebrauch deſſelben ſey unbefleckt:R rnicht314Das dritte Capitel. nichtnur ſollen Chriſten daſſelbe unbefleckt behalten / mit vermeidung hure - rey und ehbruchs / ſondern es ſeye auch an ſich ſelbs die ehe etwas koͤſtliches / welches ſeinen werth vor GOtt habe / und dero gebrauch eine unbefleckte ſache. Ob alſo der vernunfft zuweilen dieſe art der vermiſchung der leiber garſtig und als etwas an ſich ſelbs ſchaͤndliches vorkommet / iſts doch nicht die ſchuld / daß die ſache alſo bewandt waͤre / ſondern daß Gott in vielen ſtuͤcken ſeine ordnung alſo einzurichten pfleget / daß jene kluge mei - ſterin etwas daran zu meiſtern finde / wie wir das exempel an der von GOtt weißlich eingeſetzten beſchneidung ſehen / die kein vernuͤnfftiger anders als et - was garſtiges und unzimliches achten koͤnte / wo wir nicht die klahre einſe - tzung GOttes vor uns haͤtten. Alſo zweifle nicht / daß / wie obgedacht auch in dem ſtand der unſchuld die ſache ſelbs wuͤrde geweſen ſeyn: So dazu ſon - derlich dienet / daß wir ja die ſache an ſich nicht ſo eckelhafftig oder ſchaͤndlich halten / wie ihrer viele offt ihnen die gedancken davon machen / daſie nicht an die goͤttliche ordnung ſo wol ſelbs als an den ſchein des wercks gedencken. (2. Jſt aber dabey zu wiſſen / daß dieſes werck ſo wol als alle andere des menſch - lichen lebens durch die ſuͤnde ſehr verdorben und verunreiniget worden / und ſich alſo natuͤrlich allemal einige viehiſche unoꝛdnung dabey befinden / und die rechte maaß darinnen nicht gehalten werden wuͤrde / wo nicht der Heil. Geiſt uns lehret unſer gefaß zu behalten in heiligung und in ehren / nicht in der luſt-ſeuch wie die Heyden die von GOtt nichts wiſſen. 1. Theſſ. 4 / 4. 5. Daher man ſolches wercks ſich nunmehr zu ſchaͤmen hat / nicht um ſein ſelbs willen / ſondern von wegen ſolcher anklebenden unreinigkeit; da wir finden / wie weder die glieder alle der vernunfft gehorſam ſeynd / noch die unreine ge - luͤſte von der gnade in uns gnugſam koͤnnen zuruͤck gehalten werden / daß nicht eine fleißige pruͤfung viele gebrechen uns entdecke. (3. Daher mit ſolchem werck / wie mit andern auch / dermaſſen umgegangen werden muß / daß wir nicht gedencken / der nahmen der ehe und ehebettes mache ſchon alles gut / ob auch allen viehiſchen luͤſten der zaum gelaſſen / und in nichts getrachtet wuͤr - de / dem natuͤrlichen trieb und auff reigenden geluͤſten abzubrechen. Wel - ches gleichwol zu unſerer Chriſten pflicht auch gehoͤret / und dieſes werck da - von nicht ausgeſchloſſen werden mag / wo es insgemein heiſſet / daß wir ſollen unſer fleiſch creutzigen ſamt den luͤſten und begierden / und uns der luͤ - ſten enthalten / welche wider die ſeele ſtreiten. Gal. 6 / 24. 1. Pet. 2 / 11. Hingegẽ daß auch von dieſem werck muͤſſe wahr ſeyn / was Paulus 1. Cor. 10 / 31. insgemein ſagt / ihr eſſet oder trincket / oder alles was ihr thut / ſo thut alles zu GOttes ehre. Ob alſo wol chriſtliche eheleut ihre eheliche bey - wohnung an ſich ſelbs nicht ſuͤndlich oder unrecht zu achten / ſo haben ſiedan -315ARTIC. III. SECTIO VIII. dannoch ſich der mittel / deren ſich auſſer des eheſtands ledige leut und witt - wen gegen den trieb des fleiſches nuͤtzlich gebrauchen / nemlich arbeit / faſten / gebet und dergleichen / nicht weniger dazu zu gebrauchen / wo ſie in dero na - tur eine unmaͤßige brunſt fuͤhlen / dieſelbe zu mindern und zu loͤſchen / damit nicht auch in ſolcher beywohnung die maaß uͤberſchritten werde: ja auch ſich zuweilen mit fleiß / da es ſonſten ohne verletzung des gewiſſens geſchehen koͤnte / des erlaubten enthalten / ſich ſelbs damit zu gewoͤhnen / daß nicht e - ben jegliche begierde muͤſſe erfuͤllet werden. (4. Es ſind auch unterſchiedli - che abſichten / welche den gebrauch ſolches wercks maͤßigen ſollen / theils na - tuͤrliche / damit man vor beyderſeits geſundheit / welche durch die unmaͤßigkeit in dieſem werck ſo wol als durch andere / leicht ſchwehrlich verletzet / ja wol gar das leben abgekuͤrtzet werden mag / vernuͤnfftiglich ſorge / theils geiſtliche / darauff ſonderlich Paulus ziehlet 1. Cor. 7 / 5. daß ihr zum faſten und beten muſſe habt. Woraus zu ſehen / wie um die zeit / da man vor andern des gebets und der andacht / noͤthig hat / die enthaltung dieſer beywohnung dienlich oder auch zuweilen noͤthig ſeyn koͤnne. Wie auch dorten 2. Moſ. 19 / 15. zur vorvereitung auff die hoͤrung des geſetzes / dieſes angezeiget worden daß ſich keiner zum weibe nahen ſolle. Wohin auch gehoͤret / wann von einer allgemeinen buß und trauer-zeit geſagt wird Joel. 2 / 16. der braͤuti - gam gehe aus ſeiner kammer / und die braut aus ihrem gemach. (5. Gleichwol laſſen ſich in ſolchen ſtuͤcken keine ſolche geſetze chriſtlichen ehe - leuten geben oder vorſchreiben / wann und zu welcher zeit ſie ſolche ihre bey - wohnung zu leiſten haͤtten / nach dem der Heil. Geiſt ſelbs keine beſondere re - geln daruͤber gegeben / daher uns nicht zukommen will / daß wir den gewiſſen ſtricke anwerffen ſollen: ſondern haben allein zu beſtehen bey den allgemei - nen regeln / welche uns unſer Chriſtenthum und noͤthige creutzigung der geluͤ - ſten / ſo dann verehrung GOttes in dem ehſtand / an die hand gibet: auſſer denen und von ſonderbaren umſtaͤnden / laͤſſet ſich etwa zuweilen rathen / nicht aber mit geſetzen eine ſache einſchrencken. Unſer liebe Lutherus redet hievon ſehr wohl uͤber die wort / der mann leiſte dem weibe die ſchuldige freundſchafft Tom. II. Alt. f. 386. a. b. die wort S. Pauli ſind klahr ge - nug / und doͤrffen nicht viel gloſſen, ſo mag ich nicht ſo tieff hinein greif - fen / und unſauber von der ehe-pflicht ſchreiben. Ein chriſtlicher menſch wird ſich ſelbs hierinnen wol wiſſen zu halten / daß er maͤßig fahre. So ligt nichts dran / wie ein unchriſtlicher menſch hierinnen tobet und wuͤtet. Und wiederum / ich achte / es moͤge von der ſach nicht baß geredet werden / dann hie S. Paulus redet / daß der eheſtand ſeye da /R r 2als316Das dritte Capitel. als eine huͤlffe und mittel wider die unkeuſchheit. Darum wer ſein braucht / der unkeuſchheit zu wehren / halte ich / haben ſie Paulum zum fuͤrſprecher und ſchutzherren. Und ferner: Alſo haben ſie auch etliche tage ausgenommen / als die heilige abend / item ſchwangere leibe etc. Wohlan / es iſt fein und wohl gethan / in allen ſachen maͤſ - ſig fahren / aber doch ſolt man kein geſetz hierinnen ſtellen: und dieſe wort Pauli laſſen recht behalten / der es dahin ſtellet / daß keines ſeines eigenen leibes maͤchtig iſt. GOtt gebe / es ſeye dieſer oder jener tag / wie es GOtt gibt / er ſihet nur drauff / daß der unkeuſchheit geweh - ret / und nicht raum noch urſach gegeben werde. O es hebt gar viel geſetz auff das kleine woͤrtlein Sanct Pauli: Keins iſt ſeines lei - bes maͤchtig; ja es kan kein geſetz leiden / dann wie ſolt mir je - mand den leib verbieten / der mir von GOTTES recht und macht zugegeben iſt? Er faͤhret ferner fort f. 387. a. Was das verkuͤrtzen ſey unter ehelichen leuten / und was fuͤr urſach ſich begeben / laß ich ſie ſelbs deuten. Jch kan wol glauben / daß ſie mancherley ſeyen / wie ſichs dann auch ziehmet dem ſtand / der zu boͤſen tagen und nicht zu gu - ten tagen geſchaffen und eingeſetzt iſt. Zorn und uneinigkeit wird auch mitlauffen zuweilen / es will auch uͤberfluͤßige geiſtlichkeit da re - giren. S. Paulus ſetzt nur eine / mehr darff ich noch jemand ſetzen / die iſt / daß beyde bewilligen / ſich etliche tage auf ſonderliche weiſe haͤr - ter zu caſteyen mit faſten / und deſto fleißiger zu beten / ſonderlich wo et - wa eine noth vorhanden. Dann zu ſtarckem gebet gehoͤret auch ein ſtarck faſten. Doch laͤßt es S. Paulus ſo frey bleiben / und gibt kein geſetz daruͤber / ſondern ſtellets in beyder bewilligung. Darum kan niemand zu ſolchem faſten und beten mit geboten getr ungen werden / wie man bißher gethan hat. (6. Dieſe ſache aber laͤſſet ſich nicht wol gruͤnd - licher und eigenlicher ausmachen / als wo wir betrachten die endurſachen ſol - cher ehlichen bey wohnung. Da iſt nun zweiffels frey die erſte und haupt-ur - ſach die erziehlung der kinder. Jndeſſen koͤnnen wir gleichwol dieſelbige nicht fuͤr die einige voꝛ Gott guͤltige urſach anſehen / ſondern wie wir geſehen haben / daß derſelbe ſtand ſelbs mehrere endurſachen habe / ſo haben wir gleiches von dieſer beywohnung zu ſagen. Daher es der Apoſtel mit bedacht eine ſchuldige freundſchafft / oder gutwilligkeit oder liebe nennet / damit zeigen - de / daß unter denen / welche der HErr ehlich verbunden / der liebe ein mehrers erlaubt ſeye / als jenes einige ſeltene werck der noth in der erziehlung der kin -der.317ARTIC. III. SECTIO VIII. der. Sonderlich aber muͤſſen wir bedencken / daß nach obig angedeutetem fall der eheſtand eine artzney ſeye gegen die ſuͤnde / welches ſonderlich auf die - ſes ehliche werck gehet / und alſo zeiget / daß daſſelbige / wo es zu abwendung und vermeidung anderer unzuͤchtiger / nicht nur wercke / ſondern auch entbren - nender begierden / und etwa folgender allerley verunreinigung / geſchihet / ſo iſt dieſes unſer elend / daß wir eines ſolchen mittels bedoͤrffen / ein ſtuͤck unſerer ſuͤndlichen verderbnuͤß / ſo dann die etwa dabey fuͤhlende geluͤſte / wiederum mit demuth vor GOTT zu erkennen / das mittel aber an ſich ſelbs iſt alsdann um goͤttlicher ordnung willen gut und GOTT nicht mißfaͤllig. Hievon ſagt abermal Lutherus Tom. I. Alt. f. 300. a. Derhalben iſt der ehliche ſtand nun nicht vielmehr rein und ohne ſuͤnde / (nemlich wie er vor dem fall geweſen waͤre) und die fleiſchliche anfechtung ſo groß und wuͤtend worden / daß der ehliche ſtand nun hinfort gleich ein ſpital der ſiechen iſt / auf daß ſie nicht in ſchwehrere ſuͤnde fallen. Jtem Kirchen poſt. W.T. f. 304. a. Wiewol auch im eheſtand diß maaß ſolte gehalten werden unter den Chriſten / daß es eine eheliche pflicht / die aus noth / zu mei - den unkeuſchheit und unreinigkeit / gefordert und geleiſtet werde. Sintemal hinfort das nicht viel geſchehen kan / daß man allein zur frucht ſich zuſammen finde / welches das beſte waͤr / und wol recht ſeyn ſolte. Jn ſolchem ſiechen hauß / wie Lutherus redet / goͤnnet uns GOTT dieſe von ihm verordnete artzney / und wer ſie maͤßig brauchet / ſuͤndiget darin - nen nicht. (7. Solches iſt ſonderlich zu mercken von dem ſtand der weibs - perſonen / da dieſelbe von GOTT geſegnet ſind / und alſo der haupt zweck der erzeugung nicht weiter um ſolche zeit platz hat. Als um welches zuſtandes willen die meiſte frage und ſorge der zarten gewiſſen entſtehet. Wo wir aber des heiligen Apoſtels unbedingte wort und was unſer Lutherus dabey be - mercket / fleißig erwegen / werden wir erkennen / daß wir auch darinnen den ge - wiſſen keinen ſtrick anzuwerffen haben: um ſo vielmehr / weil in dem gegen - theil / da in ſolcher zeit dieſe ehliche freundſchafft niemal platz haͤtte / nicht nur der eheſtand denjenigen zweck der vermeidung aller unkeuſchheit (um welcher willen er ihrer vielen noͤthig iſt) nicht erreichen / ſondern vielmehr das gegen - theil erfolgen wuͤrde / daß er eine gelegenheit werden koͤnte / in viel ſchwehrer brunſt (zu dero abwendung gleichwol GOTT dieſen ſtand uns gegoͤnnet) die meiſte zeit zubringen zu muͤſſen / indem der eheſtand auffs wenigſte einen viel ſtaͤtigern umgang der eheleute bey tag und nacht in ſich faſſen / und alſo eine offtmaligere reitzung und erweckung natuͤrlicher luͤſte gegen einander veranlaſſen mag / da auſſer demſelbigen / weil weniger anlaß zu regung der luͤ - ſten vorhauden / noch eher ſolche brunſt verhuͤter werden koͤnte. Nun hatR r 3aber318Das dritte Capitel. aber der heilige Apoſtel denjenigen / welche brunſt leiden wuͤrden / das freyen / als eine artzney vorgeſchrieben / dahero dann der gebrauch ſolcher artz - ney auch alſo gelaſſen werden muß / daß er ſolchen zweck erreiche / nicht aber vielmehr / daß er eine gelegenheit ſeye / in noch viel gefaͤhrlichere brunſt / und wegen dero zuruͤckhaltung / ſchwehrere pein des leibes und unruhe der ſeelen geſtuͤrtzet zu werden / alsdann aber gegen dieſelbe keine andere mittel zu ha - ben / als diejenige / mit denen er ſich in dem ledigen ſtand behelffen muͤſſen. Welches gewißlich des heiligen Apoſtels / ja vielmehr GOttes / willen und rath allerdings entgegen iſt / und aus der artzney eine gefaͤhrliche verſuchung und ſteten zweiffels-ſtrick machet. (8. So haben wir auch dieſes ſtuͤck des eheſtands anzuſehen / als daß bey und mit demſelben die buß ſtaͤts ſeyn und geuͤbet werden muß. Es muß das empfinden der dabey ſich erregenden boͤ - ſen geluͤſte / ja auch daß man dasjenige / welches goͤttliche ordnung und einſe - tzung iſt / nicht alſo in das werck richten koͤnne / daß uns unſer hertz nicht eini - gerley maſſen dabey beſchuldige / daß wir nicht das fleiſch dabey mehr fuͤhlen / als wir ſolten und wolten / uns ein ſtaͤtiges zeugnuͤß ſeyn / unſer aller tieffſten verderbnuͤß und unreinigkeit / welche als ein ausſatz die gantze natur alſo durchfreſſen habe / daß ſie ſich in alles / auch das gute ſelbs / mit einmiſche / und ſelbiges anſtecke / alſo eine taͤgliche erinnerung unſers elends und jammers / in dem wir jetzt ſtehen / die klage Pauli Rom. 7. immer zu wiederholen / und mit ſchahm deßwegen vor GOTT zu demuͤthigen / und um ſolcher urſache willen deſto weniger des etwa ſonſten von GOTT an uns habenden guten uns zu uͤberheben. Welches alles eine taͤgliche reue und demuth vor GOTT / hin - gegen hochhaltung der goͤttlichen barmhertzigkeit / auf die wir allein unſere hoffnung ſetzen muͤſſen / und damit in eigenem exempel den articul der recht - fertigung recht zu verſtehen wuͤrcket. Es muß aber auch ſeyn eine taͤgliche uͤbung des glaubens / daß wir lernen dabey erkennen die gnade unſers HErꝛn JEſu Chriſti / wie er um ſeines verdienſtes willen den glaubigen auch dieſe ihre unreinigkeit / da ſie die geluͤſte zwahr toͤdten / aber nie ertoͤdten koͤnnen / daß ſie nicht auch wider willen offt deſto hefftiger / als man ihnen widerſtehet / wuͤten / gleichwol gnaͤdig verzeihen / und ſeine gnade um ſolcher urſach willen nicht von ihnen nehmen / ſondern weil das werck an ſich ſelbs ſeine ordnung / und dazu als eine artzney unſerer ſchwachheit uns angewieſen iſt / ſo dann ſol - che glaubige ſelbs an der anklebenden unreinigkeit ein hertzliches mißfallen haben / gegen ſie kaͤmpffen / vieles davon zuruͤck halten / obwol nicht allemal voͤlligen ſieg davon tragen / in allem aber dieſes daraus erkennen / es ſeye die ſuͤnde / welche ſie plaget / nicht aber annoch die herrſchafft uͤber ſie gewonnen habe / die demſelben anklebende maͤngel und gebrechen nicht zurechnen / noch ihnen verdammlich ſeyn laſſen werde / weil ſie an ihm / Chriſto JEſu / ſind / undob319ARTIC. III. SECTIO VIII. obwol das fleiſch ſtarck und hefftig bey ſich fuͤhlen / dennoch nicht nach demſel - ben und dem ungehinderten trieb ſeiner geluͤſte wandlen. Welche glaubens - uͤbung dann ſo noͤthig als nuͤtzlich iſt / und fromme Chriſten ſolchen grund der gnaden / mit was ſchohnen und barmhertzigkeit der Vater ſeiner kinder wider willen leidende ſchwachheit anſehe / ja mit dem deckbett ſeiner ordnung / der ehe / dasjenige bedeckt bleiben laſſe / womit die natuͤrliche verderbnuͤß ſelbige beflecket / tieff in ihren ſeelen zum troſt zu legen; ja daß GOTT auch ſolche wahrheit in ihre hertzen ſchreiben wolle / ihn eiffrig anzuruffen haben. Da - mit wird dann auch die taͤgliche uͤbung folgen / daß ſie denen luͤſten deſto ernſt - licher widerſtehen / und den zaum mehr zuruͤck halten / als ſchieſſen laſſen / man - chen ſieg eines keuſchen kampffs davon tragen / zuweilen ſelbs bey ſich fuͤhlen / wie die gnade GOttes daſſelbige ihnen leichter mache / ſo dann deſto inbruͤn - ſtiger immerdar zu GOTT um den Geiſt der heiligung und ſeinen beyſtand ſeuffzen / endlichſo viel hertzlicher ſich ſehnen nach der vollkommenheit / und demjenigen leben / wo ſie aller unordentlichen luͤſten frey ſeyn werden / ja da weder freyen noch ſich freyen laſſen ſeyn ſolle. Wird nun ſolcher maſſen die buſſe ſtets geuͤbet / ſo gehets recht / und werden wir auch die guͤte des HErrn zu preiſen haben / welcher die ſuͤndliche gebrechlichkeit der ſeinigen ſelbs ihnen zur gelegenheit und uͤbung vieles guten werden laͤſſet. Er der HErr erhalte ſei - ne ordnung auch in dieſem ſtuͤck noch ferner unter uns unzerſtoͤhrt / er erfuͤlle unſer aller / die wir in dem ehſtand oder auſſer demſelben leben / hertzen / mit wahrer erkaͤntnuͤß ſeines willens an uns / auch in dieſem ſtuͤck / und heilige die - ſelbe mit ſeinem Geiſt immer mehr und mehr zu deſſen vollbringung: Ja er ſchaffe / daß wir unſere leiber und unſere glieder alſo gebrauchen / daß wir ge - dencken / ſie ſeyen nicht unſer ſondern Chriſti glieder / und theuer erkaufft / da - mit ſie des H. Geiſtes tempel unzerſtoͤhrt bleiben: Ja daß wir GOTT prei - ſen an unſerm leib und in unſerm geiſt / welche ſind GOttes. Amen. 1683.

SECTIO IX. Auf einen fall genauen umgangs eines ehemanns mit anderer ehefrauen / da derſelbe der ehegattin und andern verdaͤchtig wird.

1.

MJr iſt / da ich in der furcht des HErrn auf die vorgeſchriebene erzeh - lung meine gedancken geben ſolle / dieſes lieb / daß mir perſonen / und was erzehlet wird / weiter nicht belant ſind / als was hie beſchrieben ſtehet / indem ich deſto freyer ohne anſehung einiger perſon / meine meinung von mir ſchreiben kan: Aber auch ſo bald bedingen muß / daß die antwort aufdie320Das dritte Capitel. die bloſſe erzehlung gehe / daher / wo ſich das factum in einigem anders ver - hielte / dieſelbe auch nicht dahin zu ziehen ſeyn wuͤrde.

2. An demjenigen / was Sempronii frau gethan zu haben / vorgeſtellet wird / ſehe ich nichts ſtraͤffliches / ſondern alles flieſſet aus der ihrem ehegatten ſchuldigen treue und liebe / nemlich nach allem vermoͤgen zu wehren / daß der - ſelbige ſich ſelbs gefaͤhrlichen verſuchungen nicht immer freyer darſtelle / und anderer nachrede ſtets mehr gelegenheit gebe / welches ſonſt verſaͤumt zu ha - ben / ſelbs ihr gewiſſen beſchwehren wuͤrde: Jch finde auch nicht / daß etwas wider die ſchuldige ehrerbietung des ehemannes / da ſie ihn bey andern nicht beſchaͤhmet / begangen / noch was zur demuth und vorſichtigkeit gehoͤrte / un - terlaſſen worden ſeye.

3. Was aber Sempronium ſelbs anlanget: 1. So goͤnne ihm gern / daß er nach gegebenem zeugnuͤß / bey aller ſolcher ſache ein rein hertz behalten / und GOTT gefuͤrchtet habe. Jndeſſen 2. kan ich die ſo familiare converſation mit Titii haußfrau / und das halten derſelben hand / auf keinerley weiſe billi - gen / noch da es weiter geſchehen ſolte / entſchuldigen. (1. Das offtere anfaſ - ſen einer andern weibes-perſon / gegen die man ohne das eine liebe zu tragen nicht in abrede iſt / an der hand / auch langes halten und einſchlieſſen wol gar beyder haͤnde in einander / iſt an ſich ſelbs faͤhig / unzuͤchtige geluͤſte / wo nicht erſtlich / doch nach und nach / zu erwecken / und ſorge ich / es gehoͤre ein ſehr un - gemeiner grad der erſterbung fleiſchlicher luͤſte bey mann - und weibs-per - ſonen dazu / wo ſich in ſolchem fall nicht bey beyden / auffs wenigſte bey einem theil / ungebuͤhrliche neigungen erregen ſolten. Daherauch das argument derjenigen / welche aus dieſer urſach gegen das tantzenmit weibes-perſonen eiffern / nicht verwerffen kan. (2. Weil bereits in derſtadt einige ungleiche nachrede entſtanden / die ſeinem amt / davon meldung geſchihet (ſonderlich dafern es ein geiſtlich amt waͤre / ſo die verantwortung ſchwehrer machte) nachtheil bringen koͤnte. Da hingegen nicht allein jedermann nach vermoͤ - gen ſich vor dergleichen zu huͤten hat / was ſolche veranlaſſete / ſondern vor al - len / die andern in einem amt vorgeſetzet / eben deswegen ſchuldig ſind / nicht nur das boͤſe / ſondern auch deſſen ſchein / zu meiden / damit alles redlich zuge - he / nicht allein vor dem HErrn / ſondern auch vor den menſchen. 2. Cor. 8 / 20. Wer hingegen auch unvorſichtig durch eine that / die boͤſen ſchein gibet / uͤbels geruͤcht erwecket / ſuͤndiget damit / und macht andere ſuͤndigen: welche ſuͤnde ſo viel ſchwehrer wird / wo einer auff erinnerung dennoch dergleichen nicht un - terlaſſen wolte. (3. Weil die ehefrau daruͤber einige jalouſie gefaßt / und er ihr gemuͤth damit zum unwillen oder betruͤbnuͤß zu reitzen weiß und erfahren hat / ſo ſtreitet das bißherige verfahren wider die ſeiner ehefrauen ſchuldige liebe. Dann wenn die genaue liebe / die zwiſchen ehegatten von GOtt er -for -321ARTIC. III. SECTIO X. fordert / wird / haben will / daß ein jedes auf alle muͤgliche weiſe des andern verunruhigung verhuͤten / um der urſach willen auch wol unſtraͤffliche dinge unterlaſſen ſolle / ſo wird ſie ja ſo viel ſchwehrer verletzt / wo man ſich aus liebe des andern / auch der dinge nicht enthalten will / die dem andern einen ver - nuͤnfftigen ſchein des boͤſen geben. (4. Weil er die treue warnung ſeiner ehegattin (wann auch ſchon der offt wiederholte ſchmertzen ihr auch einige haͤrtere wort ausgedrucket haͤtte) nicht allein ſo fern hindangeſetzt / daß er die ſache nicht gantz unterlaſſen / ſondern gar ihr endlich mit hartem zorn begeg - net / und zwahr bey ihrem ſchwangern zuſtand / da ihr ſo vielmehr zu ſchoh - nen geweſt / indem in ſolcher bewandnuͤß die widrige gemuͤths-bewegungen wol ſo viel als euſſerliche boͤſe tractamenten ſchaden thun koͤnnen / deſſen ſchuld nicht gering iſt.

Aus allem ſolchen traue gnug zu erhellen / daß Sempronius, bißherigen umgang mit der andern perſon zu aͤndern allerdings GOtt / ſeinem eheweib / ſeinem amt / und denen ſich ſonſt aͤrgernden nechſten verbunden ſeye / auch ſeine ehegattin ſo viel hertzlicher zu lieben habe / als treuer ſie auch darinnen ihre eheliche pflicht durch warnen gegen ihn erwieſen hat.

Der himmliſche Vater / der beyde durch ſo genaues band mit einander verknuͤpffet hat / laſſe auch ihre ſeelen in reiner liebe immer mehr verbunden werden / hingegen raͤume er weg alle hindernuͤſſen derſelben / und verwehre alles aͤrgernuͤß / ſo ſonſt entſtehen moͤchte / um ſeines nahmens willen. Amen. 1697.

SECTIO X. Chriſtlicher rath vor eine ledige weibs-perſon / die ſich von einem ehemann zum beyſchlaff betriegen laſſen / ohne darvon ſchwanger zu werden.

JHre pflichten beſtehen in folgendem. 1. Daß ſie ihre ſuͤnde hertzlich und alſo erkenne / daß ſie dero ſchwehre ſich gebuͤhrend vorſtelle / nicht allein insgemein / wie hurerey vor andern ſuͤnden ein ſolcher greuel vor GOttes angeſicht ſeyn / indem der menſch GOttes tempel ſchaͤndet / und aus Chriſti gliedern huren-glieder machet (wie Paulus mit mehrerem die ſchaͤnd - lichkeit ſolches laſters 1. Cor. 6 / 15. u. f. beſchreibet) ſondern auch wie der fall ſo viel ſchwehrer ſeye / da die uͤbelthat mit einem ehemann begangen / und alſo deſſen eheliche pflicht / ſo auf einem bund GOttes beruhet / gebrochen wor - den: Denn ob nach einigen weltlichen rechten dergleichen unzucht eines ehe - manns mit einer ledigen perſon nicht ein ehebruch heiſſen ſolle / iſt es doch der - gleichen nach goͤttlichem geſetz / welches beyde perſonen in der ehe mit gleichemS sbande322Das dritte Capitel. bande verknuͤpffet. Jſt es auch ſache / daß die perſon eine ſeine erkaͤntnuͤß GOttes gehabt / ſo macht ſolches dero ſuͤnde auch ſo viel ſchwehrer: ja noch ſo vielmehr / wo ſie / als es an dem war / die ſchand-that zu begehen / von ihrem ge - wiſſen beſtraffet worden waͤre / und doch ſolche warnung GOttes nicht geach - tet haͤtte / wuͤrde ſolches die ſuͤnde auffs neue vergroͤſſern; am allermeiſten aber / da die ſuͤnde / nachdem man ſich einmal wieder bedencken koͤnnen / ferner wiederholet worden waͤre. Uber dieſe betrachtung der ſuͤnden muß man nicht oben hinfahren / ſondern lang mit umgehen / damit ja das hertz zu einem wahren abſcheu uͤber die ſuͤnde geruͤhret werde / und zwahr nicht uͤber einigen zeitlichen verluſt der ehre / wann GOTT die verborgene ſchande noch offen - bar ſolte werden laſſen / ſondern allerdings uͤber die ſuͤnde ſelbs / wormit man den heiligen augen GOttes verdruß gemacht / und ſich an ſtatt der ſo vielen empfangenen wolthaten an demliebſten Vater ſo ſchwehrlich verſuͤndigt hat. Waͤre auch die perſon von dem mann verfuͤhret worden / alſo daß in verglei - chung beyder / deſſelben ſchuld ſchwehrer waͤre / muß ſie doch ſich ſolches nicht darzu dienen laſſen / ſich deßwegen vor GOTT zu entſchuldigen / ſondern zwahr dem verfuͤhrer ſeine noch ſchwehrere verantwortung uͤberlaſſen / ſich aber vor GOTT daruͤber nicht rechtfertigen. Denn wer zu ſuͤnden gereitzt / derſelben nicht widerſteht / wird bereits derſelben knecht / als der ſich darvon uͤberwinden laſſen. 1. Petr. 2 / 19. Joh. 8 / 34. Jnsgeſamt muß ſie daraus die ſchwehre ihrer verderbnuͤß erkennen / nach dero ſie auch zu allen laſtern ge - neigt ſeye. Jndem der funcken des andern / liebkoſen der worte oder uͤberre - dung nichts angezuͤndet haben wuͤrde / wo nicht der zum anbrennen bequeme zunder ſich bey ihr bereits gefunden haͤtte. Ja ſie hat zu gedencken / daß ſie noch biß dahin euſſerlich unverunreinigt geblieben / habe ſie nicht ihre tugend und keuſchheit zu ruͤhmen / ſondern allein der goͤttlichen barmhertzigkeit zu dancken / die ſie nicht eher in die gelegenheit einer ſolchen verfuͤhrung gerathen laſſen / indem ſie in dieſer gelegenheit gewahr worden / wie ſolche ſuͤnde laͤngſt in ihr geſteckt / die alſo / wann ſie eher verſucht worden / bereits ausgebrochen ſeyn wuͤrde. Ja ſie hat bey ſolchem fall allein nicht ſtehen zu bleiben / ſondern zu gedencken / wie ſie vorher ihr leben vor GOTT gefuͤhret / ob ſie nicht finden werde / daß ſie entweder noch niemal mit rechtem ernſt GOTT ergeben ge - weſen / oder wo in ſolchem ſtand jemal geweſt / ſie doch ſchon vorher von ihm abzuweichen angefangen habe / ehe es GOTT zu dieſer groben ſuͤnde / an dero der anfang nicht geſchihet / bey ihr kommen laſſen. Jch bin verſichert / es wird eine jegliche ſolche perſon nach redlicher pruͤfung bey ſich finden / daß das hertz ſchon vorher nicht rechtſchaffen vor GOTT geweſen. Jnsgemein hat man die welt und dero luͤſten bereits liebgewonnen / und mit zwahr gefaſtem vorſatz / ehrlich zu bleiben / ſeine freude gemacht / der geſellſchafften zu genieſſen /jeder -323ARTIC. III. SECTIO X. jederman wolzugefallen / ein froͤliches leben zu fuͤhren / u. ſ. f. in welcher etli - cher maſſen ſubtileren welt-liebe die ſeele doch bereits von GOTT entfernet worden / daß ſie dieſen wahrhafftig nicht lieben koͤnnen / ob ſie ihn wol zu lieben gedacht: Da iſts denn kein wunder / wann GOTT in ſeinem gericht eine ſol - che perſon endlich in eine ſo ſchwehre uͤbelthat gerathen laͤſſet / daraus ſie mit haͤnden greifft / und nun nicht mehr leugnen kan / die liebe GOttes verlohre[n]zu haben: Jn welchem gericht doch noch dieſe barmhertzigkeit GOttes ſteckt daß er zuweilen dardurch denjenigen / die bey ihrer euſſerlichen ehrbarkeit ihre heucheley nicht erkennen konten / ſondern ſich viel vor GOTT einbildeten / erſt die augen recht oͤffnet / ihren zuſtand zu erkennen / und dadurch zur wahren buß geleitet zu werden / darzu ſie in ihrer heucheley vorhin verſtockt nimmer haͤtten kommen werden. Welches die barmhertzigkeit GOttes ſo viel hoͤher preiſet / ob wol des menſchen ſuͤnde an ſich / aus dero gifft der HErr eine artze - ney bereitet / nicht deſto geringer wird / oder von dem ſuͤnder gehalten werden ſolle. Auffs allerwenigſte / wo ſich der menſch uͤberreden wolte / biß auf ſol - chen fall ſein Chriſtenthum zimlich unſtraͤfflich gefuͤhret zu haben / wird ſich finden / daß er ſich mit dem ſtaͤten gebet / welches allezeit unſere ſchutzwehr ſeyn ſolle / gegen den ſatan und ſeine verſuchungen nicht ſorgfaͤltig gnug verwahret haben muͤſſe. Was nun dieſe perſon unter allem ſolchem findet / das die ſuͤnde bey ihro veranlaſſet / und GOTT zu der verhaͤngnuͤß gereitzet haben mag / es heiſſe nun fleiſchliche ſicherheit / liebe der welt-luſt / vermeſſenheit ſich in gefahr zu begeben / geiſtlicher hochmuth und eitle einbildung / muͤßiggang / unmaͤßig - keit / oder doch allzuzaͤrtliche haltung ſeines leibes / welche geilheit verurſacht / kaltſinnigkeit in den geiſtlichen uͤbungen / ſonderlich im gebet / und was derglei - chen iſt / und die pruͤfung des gewiſſens an die hand geben mag / hat ſie ſamt ih - rem fall ſelbs zugleich vor GOTT zu bringen / ſich allewege vor deſſen gericht mit hertzlicher reue zu demuͤthigen / und deſſen vergebung zu ſuchen.

2. Nechſt dem ſo komme auf die bekaͤntnuͤß: nicht zwahr die gegen GOtt geſchehen muß / und allerdings noͤthig iſt / dann dieſe ſteckt ſchon in der vorigen pflicht / ſondern die bekaͤntnuͤß vor menſchen / und zwahr ſonderlich vor dem Beicht-vater / da dann die frage entſtehet / ob ſolche in dergleichen fall noͤthig ſeye? Nun leugne nicht / daß unſer Catechiſmus Lutheri uns dahin weiſet / die ſuͤnde / die man im gewiſſen fuͤhle / auch vor dem diener GOttes zu bekennen: Auch treibe ich ſelbs auf gewiſſe weiſe darauf / aber nicht ſchlechterdings oder insgemein. So iſt nun in ſolcher ſache wol auf die urſache acht zu geben / warum ſolche bekaͤntnuͤß den gefallenen zugemuthet werde. Wo nun es die - ſe waͤre / daß (nach der Paͤpſtiſchen Kirchen-lehr) die abſonderliche bekaͤntnuͤß aller ſuͤnden / als ein weſentliches ſtuͤck der wahren buß und von GOTT be - fohlen / zu halten waͤre / alſo daß die nicht bekante ſuͤnde auch in die abſolutionS s 2nicht324Das dritte Capitel. nicht gehoͤrten / ſo iſt kein zweiffel / daß die perſon ihrem Beicht-vater dieſen fall bey verluſt ihrer ſeligkeit beichten muͤſte. Wie aber ſolcher paͤpſtiſche ſatz in GOttes wort keinen grund nicht hat / ſo ſind gantz andere urſachen / warum wir von wahrhafftig bußfertigen verlangen / daß ſie die bekaͤntnuͤß ih - rer ſchwehren faͤllen auch bey dem Beicht-vater ablegen ſollen: nemlich allein dieſe / darmit derſelbige nicht allein mit zuſpruch / troſt vorbitt und rath auffs kuͤnfftige ihre buß deſto beſſer befordern / ſondern auch in ſeiner uͤbrigen ſeelen - ſorge auf ſie ſtets deſto beſſer acht geben koͤnne / um ſie vor fernern faͤllen ver - wahren zu koͤnnen. Wo nun die perſon an einem ſolchen ort lebet / da ſie von ihrem Beicht-vater ſich verſehen mag / nicht allein des geheimhaltens / worzu zwahr alle amtswegen verbunden ſind / ſondern auch daß er die weißheit habe / auf ſolche ihre bekaͤntnuͤß mit ihr dermaſſen zu handeln / daß es ihrer ſeelen heilſam ſeye / ſo hat ſie ſolches mittel ihrer erbauung / das ihr GOTT goͤnnet / danckbarlich zu gebrauchen. Waͤre es aber ſache / daß ſie an einem ort lebte / wo ſie ein ſolch vertrauen zu ihrem Beicht-vater nicht haben kan / ſondern ſor - gen muß (etwa auch exempel haͤtte) daß er nicht reinen mund zu halten wuͤſte / ſo dann aus anderem / wie er ſein amt insgemein fuͤhret / keine hoffnung hat / von ihm erbaulichen rath zu erlangen / und alſo den zweck ſothaner bekaͤntnuͤß zu erreichen / ſtehet ihr nicht zu rathen / (es waͤre dann / ſo zwahr von dieſer ge - heimen ſache nicht zu vermuthen / daß er etwas darvon wind bekommen / und ſie austruͤcklich befragte) ſolche geheime ſuͤnde abſonderlich zu beichten / dabey gleichwol verſichert / daß / wo ſie in der that bußfertig / die allgemeine verge - bung der ſuͤnden / die ſie erlangt / auch dieſe mit begreiffe. Kaͤme ſie aber an - derwertlich hin / oder bekaͤme kuͤnfftig einen andern Beicht-vater / zu dem ſie ein beſſer hertz haͤtte / und ſich ſicher ſeiner ſeelen-ſorg voͤllig anvertrauen koͤn - te / haͤtte ſie auch nach guter zeit fug / ihr gewiſſen auch darinnen gegen denſel - ben auszulaͤhren / und ihm zu jener deſto deſſere anleitung zu geben. Wo ſie auch einen andern chriſtlichen freund haͤtte / zu dem ſie ſich eines heilſamen raths verſehen koͤnte / waͤre es ihr dienlich / ſonderlich / da es gedachter maſſen an dem Beicht-vater manglete / demſelben ihren ſchaden zu offenbahren / um mit vorbitt / troſt und rath ihr beyzuſtehen. Jedoch iſt ſie zu warnen / daß ſie nicht damit zu weit gehe (worin zuweilen geaͤngſtete gewiſſen fehlen / da ſie meinen / ſie muͤſten allen ihre ſuͤnde in ihrer angſt beichten) und verurſache / daß die ſache zu vieler hindernuͤß ihres kuͤnfftigen lebens / und nur deſto groͤſ - ſerm aͤrgernuͤß / kund wuͤrde: Welches nachmal eine reue daruͤber er - wecken / und viele boͤſe folgen nach ſich ziehen wuͤrde / dem darnach nicht mehr zu wehren. Zwahr wo wir unter lauter wahren und verſtaͤndi - gen Chriſten lebten / haͤtte keiner ſcheu zu tragen / ſeine auch geheime ſuͤnden gar unter der gemeinde oͤffentlich zu bekennen / als der dawuͤſte /325ARTIC. III. SECTIO X. wuͤſte / daß er von allen heilſamlich beſtrafft / hertzlich gegen GOtt verbeten / kraͤfftiglich getroͤſtet / und ohne abgang der bruͤderlichen liebe auff ſeine erkan - te buß mit freuden auffgenommen werden wuͤrde. Aber in jetzigem der leu - te zuſtand iſt ſolches von wenigen zu hoffen / ſondern von wem ein fall bekant wird / muß ſein lebenlang bey den meiſten ein geſchaͤndeter bruder oder ſchwe - ſter bleiben / ohne daß er oder andre von ſeiner hertzlichen bekaͤntnuͤß nutzen ſchoͤpffeten. Daher bußfertige ſeelen / wo ſie auch zu einer ſolchen unzeitigen bekaͤntnuͤß ſelbs ausbrechen wolten / mit allem fleiß von einem verſtaͤndigen freund abzuhalten ſeynd.

3. Hingegen erfordert die chriſtliche pflicht von der perſon / daß ſie auch vor die bekehrung ihres mitgenoſſen der ſuͤnden ſorge. Zwahr geſchihet offt / wo die ſeele zur ernſtlichen reue der ſuͤnde geruͤhret worden / daß ſich ein haß gegen den andern / mit dem man geſuͤndiget / ſonderlich wo derſelbe die meiſte ſchuld hat / bey ihr einſchleichen will / welches aber die wahrheit der buß mehr hindert als foͤrdert. Hingegen iſt die rechte art / daß der bußfertige allein ſeine ſuͤnde / und ſeines hertzens boßheit / ohne die ſie nicht wuͤrde begangen ſeyn worden / haſſe / den menſchen aber / mit dem er geſuͤndiget / und zwahr ſei - ne ſuͤnde ſo wol als die eigne haſſet / noch mit erbarmender liebe anſehe: ja je ſchwehrer deſſelben ſuͤnde / und alſo auch ſeiner ſeelen gefahr ſihet / das erbar - men vielmehr als den zorn wachſen laſſe: daher auch ſo bald er goͤttliche gna - de erlanget zu haben / fuͤhlet / zur danckbarkeit dieſelbe auch dem mit genoſſen der ſuͤnden zu erlangen / und dieſen zur buß mit zu bringen / trachte. Darzu wird nun vor allen dingen erfordert hertzliches gebet fuͤr denſelben um wah - re buß / nechſt dem auch alles uͤbrige zu thun / was der bußfertige den andern theil zu gewinnen muͤglich findet. Alſo hat auch dieſe perſon / davon die re - de iſt / wo ſie ſich nun zu GOtt bekehret / zum forderſten taͤglich auffs innig - lichſte vor die bekehrung des andern zu bitten / auch nicht auffzuhoͤren / biß ſie erhoͤret werde: nechſt dem zu trachten (im fall ſie ſich in ihrer buß ſo befeſtigt findet / daß ſie nicht eher von demſelben wieder verfuͤhrt werde / als an ihm etwas ausrichten moͤchte / auch ſonſten glauben kan / daß ihr GOtt / ihm be - weglich zuzuſprechen / die gnade verleyhen werde) daß ſie eine gelegenheit er - lange / ohne anderer verdacht / mit ihm allein zu ſprechen. Wo ſie dann ſol - che erlangt / alsdann ihm auffs beweglichſte zuzuſprechen / mit bezeugen / daß GOtt ihr buß und barmhertzigkeit erwieſen habe / daher ſie ihn auch zu hertz - licher buß vermahne. Sie hat aber wol zuzuſehn / daß ihr zuſpruch nicht mit einer ſolchen bewegung des gemuͤths geſchehe / daß er daraus nun einen zorn und haß wegen ihr angethane ſchande abnehme / ſondern daß ſie in we - hemuth uͤber ihre eigene ſuͤnde aus ſorge fuͤr ſeine ſeele ihm auch die ſeinige vorſtelle / daher ſie nicht darff die ſchuld alle von ſich abweltzen / ſondern dieS s 3ihri -326Das dritte Capitel. ihrige gern auch tragen / und nur auch ſeine hertzliche buß ſuchen. Wo der - gleichen mit ſolchem hertzen und vorgegangenem gebet geſchihet / kans nicht wol ohne frucht und ſegen bleiben. Auffs wenigſte rettet ſie damit ihre ſee - le. Jſt aber eine ſolche gelegenheit nicht muͤglich / oder ſich derſelben zu ge - brauchen aus andern urſachen nicht rathſam / ſo hat ſie was ſie muͤndlich nicht ausrichten kan / ſchrifftlich zu verſuchen / dabey aber groſſe behutſam - keit zu gebrauchen / damit ein ſolches ſchreiben dem mann ſicher und allein al - ſo zukomme / daß niemand / ſonderlich ſeine ehegattin / nichts davon erfahre / und die ſache auch ſonſten ſo lang ſie GOtt verborgen laſſen will / zu beyder ſchaden nicht ruchtbar werde. Waͤre es ſache / daß beyde perſonen einen beicht - vater haͤtten / und dieſer alſo bewandt waͤre / daß man ihm dieſe heimlichkeit offenbahren doͤrffte / ſo wuͤrde dieſes der leichteſte weg ſeyn / den beicht-vater darzu zu brauchen / der nach ſeinem amt alsdann ſo viel nachtruͤcklicher des mannes buß befordern koͤnte. Alles aber in der gantzen ſache muß mit der groͤſſeſten behutſamkeit vorgenommen / und die darzu noͤthige weißheit von GOtt erbeten werden / um nicht an ſtatt des verhofften guten etwas boͤſes zu veranlaſſen.

4. Jſt noch uͤbrig / wie die perſon ſich hin kuͤnfftig zu verhalten / und die fruͤchten ihrer buß zu bringen habe. Dahin gehoͤret 1. daß ſie ihr lebtag dran gedencke / und ſich / auch da die ſuͤnde vergeben / dennoch vor GOtt daruͤber demuͤthige / nicht an der vergebung zu zweifeln / ſondern deroſelben ruhm in offter betrachtung ſeiner ſchuld zu erhoͤhen. 2. Jch wolte auch nicht mißra - then / zu deſto beſtaͤndiger erinnerung der ſache ſich ein gewiſſes merckmahl / das andre gleichwol nicht wiſſen / zu machen; ſolte es etwa ein wochentlicher faſt-tag / oder etwas dergleichen ſeyn. Doch wo man ſich zu dergleichen ent - ſchlieſſet / finde es nicht ſo rathſam / es als ein formliches geluͤbde zu thun / daß man darnach nicht wieder aͤndern koͤnte / woraus manchmal nach einiger zeit ſchwehre gewiſſens-ſcrupel entſtehn koͤnnen: ſondern als einen ſolchen vor - ſatz / von dem man ohne wichtige urſach nicht abweichen wolle / jedennoch auff allerley faͤlle ſich eine freyheit vorbehalte. Sonderlich ſind weibs-perſonen wegen der geluͤbde gewiſſer faſten fleißig zu warnen / daß ſie keine andre thun / als mit vorbehalt der aͤnderung / wo es nicht ohne nachtheil der natur gehaltẽ werden koͤnte: dergleichen faͤlle ſich bey ihnen manchmal / wo ſie geheyrathet werden / zeit ihrer ſchwangerſchafft oder ſaͤugens / begeben. Wo alsdann / da die geluͤbde unbedachtſam geſchehen / entweder ſchade der geſundheit er - folget / oder anſtoß des gewiſſens. 3. Jſt ihr noͤthig / ihr lebtag ſich ſo viel fleißiger vor dieſer ſuͤnde / und aller dero ſchein und gelegenheit darzu / zu mei - den; ja auch vor allem dem / was ſie findet / den weg zu ſolchem fall bey ihr gebahnet zu haben. Weiter 4. bey aller gelegenheit andern ſolche ſuͤndezu327ARTIC. III. SECTIO X. zu verleiden / und wie ſie ſich huͤten ſollen / zu zeigen: Und 5. insgeſamt den vorſatz zu faſſen / daß ſie nicht allein ihren eheſtand / wenn ſie GOtt darzu be - ruffen wird / ihm deſto mehr heiligen / als mit ihrem gantzen leben in eiffriger beobachtung aller Chriſten pflichten den himmliſchen Vater bey allen ſo viel herrlicher preiſen wolle / als ihre ſuͤnde / wo ſie bekant haͤtte werden ſollen / dar - inne ſeine guͤte ihr geſchohnet hat / mit aͤrgernuͤß ihn geſchaͤndet haben wuͤr - de: alſo daß ihr gantzer wandel in der that zu einer ſtaͤten uͤbung der danck - barkeit vor die gnade der buß werde.

Der liebſte Heyland / der gekommen iſt / die ſuͤnder zur buſſe zu ruffen / und ſie willig anzunehmen / auch dieſe perſon von dem irrweg wieder zuruͤck gefuͤhret hat / ſetze ſein werck in ihr ferner kraͤfftig fort / bewahre ſie vor und in aller fernern verſuchung / reinige ſie von aller befleckung des fleiſches und des geiſtes / fortzufahren mit der heiligung in der furcht GOttes / erwecke ſo viel hertzlichere liebe in ihr als mehr ihr ſuͤnde vergeben / und heilige ſie durch und durch / daß ihr Geiſt / ſamt der ſeel und leib unſtraͤflich erhalten werde / auff ſeine zukunfft um ſeiner treue willen. Amen. 1699.

SECTIO XI. Ob zinſe von ausgeliehnem geld zu nehmen.

  • Ob man unverletztes gewiſſens von ausgeliehenem geld jaͤhrliche zinſe oder penſion nehmen doͤrffe?

WAnn ich dieſe frage von uns Chriſten in dem N. T. bejahen werde / ſo muß ich voran melden / daß / ob ich wol die jaͤhrliche zinſe an ſich ſelbs nicht zu verwerffen vermag / ich dannoch ſie als eine ſache anſehe / in dero man ſich auch leicht verſuͤndigen koͤnne / daher von demjenigen billich erſt zu handeln iſt / welcherley zinſe vor ſuͤndlich und verboten zu achten ſeyen / de - ro anklebende ſuͤnden aber der uͤbrigen ſache an ſich ſelbs nicht præjudiciren / oder ſie unrecht machen koͤnnen.

So ſind nun 1. verboten die zinſe / da in dem quanto jedes orts uͤber dasjenige gefordert und genommen wird / was die oͤffentliche geſetze verord - net haben: da doch in ſolchen dingen / die unter obrigkeitlicher macht und re - gierung ſtehen / der obern verordnung ſolche maaß gibet / daß weil wir denſel - ben auch um des gewiſſens willen ſollen unterthan ſeyn / der ungehorſam dagegen das gewiſſen verletzet; und wird alſo eine offenbahre ungerechtig - keit / da man in ſolchem contract zu weit greiffet / 1. Theſſ. 4 / 6. und von ſeinem bruder mehr nimmet / als ihme derjenige / der unſer richter iſt / zu - ſprichet.

2. Laſſen ſich auch nicht im gewiſſen verantworten diejenige zinſe / wel -che328Das dritte Capitelche man von blutarmen leuten auspreſſet. Da man vielmehr derſelben noth - duͤr fftigkeit mit allmoſen zu huͤlffe kommen ſolte / und alſo eine groſſe unge - rechtigkeit und wider die liebe iſt / die jenige zu zinſen zu noͤthigen / die / was ſie uns geben ſolten / erſt aus anderer liebe und gutthaͤtigkeit ſuchen muͤß - ten.

3. Koͤnnen auch die zinſe unrecht werden / wo ſie in dieſem ſtuͤck wider die liebe ſtreiten / daß man ſie von denjenigen fordert / welche mit dem gelehn - ten geld nicht mehr als ihre nothdurfft erhalten / nichts aber gewinnen koͤn - nen. Dann weil der gantze grund der billigkeit der zinſe darauff beſtehet / daß wer meines geldes alſo genoſſen / daß er auch etwas damit gewonnen hat / mich deſſen gewinns mit theilhafftig mache / ſo faͤllet dieſe dahin in dem fall / da der andre damit nichts zu eruͤbrigen vermocht hat / und folglich nichts un - ter uns zutheilen verhanden iſt. Welches ſo viel mehꝛ ſtatt hat / wo deꝛ glaubi - ger ohne das zu leben mittel hat / da er denn ſeinen bruder zu zinſen nicht trei - ben kan. Waͤre es aber ſache / daß derſelbe ſelbs in gleicher duͤrfftigkeit ſtuͤn - de / als zum exempel / eine wittwe / waͤyſen / krancke / ſo aus mangel ihrer nah - rung ihr weniges um davon leben zu koͤnnen / ausgethan haͤtten / oder erſt in dieſelbe durch ungluͤck gerathen waͤren / und alſo in entſtehung dieſer huͤlffe ſelbs in mangel ſtehen wuͤrden / ſo wuͤrde abermal die liebe von dem / ſo des andern wolthat genoſſen / erfordern / daß er nach muͤglichkeit dem andern auffs wenigſte alſo an die hand gehe / daß beyde an einer laſt leichter tragen.

4. Nicht weniger koͤnnen die zinſe auch unbillich werden / wo man ſich des nechſten / der dieſelbe reichen ſolle / zugeſtandenen unfalls nicht erbarmet / ſondern ob wol derſelbe ſonſt mit unſerm geld etwas zu gewinnen vermocht / es aber geſchehen iſt / daß er in groſſen ſchaden durch krieg / feuer / waſſer oder dergleichen gerathen / ja wol um unſer capital gekommen waͤre / dannoch in eintreibung der zinſe nach der ſtrenge verfahren will; da wir vielmehr gleich - ſam einen theil des ſchadens auff uns zu nehmen / und thaͤtliches mitleiden zu bezeugen ſchuldig ſind / einem ſolchen einen billigen nachlaß entweder auff im - mer / oder auff ſo lange zuthun / biß er wieder zu kraͤfften kommen / und wir ſein wiederum ohne verletzung der liebe genieſſen moͤgen. So allerdings der liebe gemaͤßiſt.

5. Ferner werden auch die zinſe auff andre weiſe zur ſuͤnde / wo ſonſten andre ungerechtigkeit mit eingeflochten wird: als wo reiche leute von capi - tal / die das ihrige nicht anders unterbringen koͤnnen / andre / ſo es ſonſten nicht noͤthig haben wuͤrden / daher es auch nicht ſo genieſſen moͤgen / dahin noͤthigen / mit trohen / oder verſagung anderer ſonſten von ihnen noͤthigen huͤlffe / daß ſie ſolche ſummen auffnehmen und verzinſen muͤſſen / dero ſie ſon - ſten nicht bedoͤrfftig; allein damit jene das ihrige alles nutzen moͤgen: item,wo329ARTIC. III. SECTIO XI. wo man die gelder / welche die andre nicht mehr noͤthig haben / und gerne wie - der ablegen wolten / nicht wieder annehmen / ſondern den andern als einen ſtaͤten tributarium behalten will: dahin ich auch ziehe / wo ſchuldner ein ſtaͤr - ckeres capital nimmer auff einmal abzutragen vermoͤgen / und alſo der urſach wegen zu ihrer groſſen beſchwehrde unter ſolcher laſt mit ihren nachkommen - den bleiben muͤſten / aber durch eine particular ſolution befreyet zu werden / vermoͤchten / und man dieſe (gleichwol auch auff eine ſolche art angeſtellet / daß man dieſer ſeit nicht hinwieder nachtheil davon leide) nicht annehmen will. Alles dieſes und was dergleichen ſeyn mag / kan das zinſe nehmen un - recht machen. Denn weil mein darleyhen ein liebes-werck und gutthat ſeyn / und von dem andern hinwiederum liebreiche danckbarkeit erfordern ſolle / ſo muß dabey nichts auffgezwungenes ſeyn / noch einer ſo wenig zu dieſem als anderem contract genoͤthigt werden.

Alſo alles kurtz zu faſſen / ſo bald etwas bey dem zinſe-nehmen mit ein - laufft / welches der liebe und billichkeit zuwider iſt / und ich in meinem hertzen verſichert bin / daß ich in gleichem fall von dem andern ein ſolches vor un - recht halten wuͤrde (Matth. 6 / 12.) machet ſolches daſſelbe zur ſuͤnde / wie auch andre dinge / ſo goͤttlicher ordnung an ſich ſelbs gemaͤß ſind / durch miß - brauch dergleichen werden koͤnnen. Daher auch ſo bald in der materie zwei - felhaffte faͤlle entſtehen / will das gewiſſen haben / daß wir allezeit lieber we - niger als zu viel nehmen: indem man ſich mit dieſem nicht aber jenen ver - ſuͤndigen kan.

Wann aber nun dieſe fehler auszuſchlieſſen die frage voͤlliger alſo for - miret wuͤrde / ob in dem N. Teſt. von willig-auffgenommenen und zu verzinſen behaltenen geldern von denjenigen / welche ſolche alſo ge - brauchen / daß ſie ihren vortheil davon zu machen vermoͤgen / und in dem ſtande ſtehen / daß ſie dergleichen abtragen koͤnnen / doͤrffen lan - desuͤbliche zinſe genommen werden? So traue ich dieſe frage von uns in dem N. T. allerdings zu bejahen. Das haupt-fundament meiner bejahung iſt dieſes / daß wir nun kein ander geſetz in dem N. T. was die pflichten gegen den nechſten anlangt / haben / als das geſetz der liebe: das unſer Koͤnigli - ches gebot iſt; und bleibet alſo allerdings wahr / alle gebot ſeyen in dieſem wort verfaſſet: Du ſolt deinen nechſten lieben als dich ſelbs: und / ſo bleibet die liebe des geſetzes erfuͤllung / und wer den andern liebet / der hat das geſetz erfuͤllet. Rom. 13 / 8. 9. 10. Welches wir in dem N. T. in ſo viel mehrerm rigor anſehen koͤnnen / weil was uͤber dieſes gebot der liebe in dem A. T. zur regel der Juͤdiſchen policey weiter vorgeſchrieben iſt (davonT tnach -330Das dritte Capitel. nachmal geredet werden ſolle) uns nicht mehr angehet / ſondern allein die lie - be uͤbrig bleibet. Daher iſt mir dieſes eine beſtaͤndige regel / alles was nicht wider die liebe ſtreitet / ſondern vielmehr eine uͤbung derſelben gibet / iſt uns Chriſten in dem N. T. erlaubt. Nun unter dieſem Majori laſſen ſich die an - gefuͤhrte und auff obige art eingeſchrenckte zinſe mit allem recht begreiffen / al - ſo ſind ſie uns nicht verboten / ſondern erlaubt. 1. Sind ſie nicht wider die liebe / indem kein ſchade jemand dadurch zugefuͤget wird / ſondern vielmehr was einigen ſchaden und unbilligkeit in ſich faſſen moͤchte / durch obige ein - ſchrenckungen bereits abgelehnet iſt.

2. Vielmehr iſt auch dieſer contract ſo wol als andere / ſo in dem menſch - lichen leben ohne einigen ſcrupul gebrauchet werden / eine uͤbung der liebe. Es iſt demjenigen eine liebe / welcher ſonſten vor ſich die mittel nicht hat / zu einem fernern ſtuͤck brodt zu kommen / als darzu gemeiniglich einiger verlag erfordert wird / daß ihm ſolcher von andern / die es vermoͤgen / ertheilet / und alſo zur nahrung geholffen wird. Es iſt eine uͤbung der liebe / daß derjeni - ge / der des andern mittel genoſſen / und damit ſeinen nutzen geſchaffet hat / hinwieder auch demſelben einen theil ſeiner errungenſchafft / (welches die O - brigkeit / um aller ungerechtigkeit und mißhelligkeit vorzukommen / auff ein gewiſſes quantum hat determiniren koͤnnen) zukommen laſſe / damit auch ſolches ſtuͤck ſeines vermoͤgens ihm nicht unfruchtbahr bleibe; nicht zwahr nur reichthum vor ſich zu ſammlen / ſondern immer in dem ſtande zu ſeyn / daß er auch moͤge an guten wercken deſto reicher werden. Es iſt eine uͤbung der liebe gegen das publicum, welchem an beforderung der commercien ein groſſes gelegen iſt / die aber menſchlicher weiſe ohne dergleichen zinſe nicht wol moͤchten zu ſtand gebracht oder erhalten werden. Was demnach dasje - nige / von deſſen nutzen ſo viele participiren / befordert / gehoͤret allerdings un - ter die pflichten der liebe. Man moͤchte zwahr einwenden / alles ſolches koͤn - te geſchehen / nemlich ſo wol des nechſten abſonderliche wohlfahrt und nah - rung befordert / als zum behuff des gemeinen beſten die commercien in gu - tem ſtand erhalten werden / wo diejenige / welche uͤbrige mittel haͤtten / ſolche ohne entgeld andern / welche damit nutzen ſchaffen koͤnten / darliehen: aber ich will nicht nur dieſes ſagen / daß wir ſchwehrlich zu hoffen haben / es insge - mein bey vielen zu ſolcher vollkommenheit zu bringen / daß ſie das ihrige (und zwahr mit gefahr durch unterſchiedliche ungluͤcke / welche ſonderlich die hand - lende vor andern betreffen / gar um das ihrige zu kommen) andern ertheilen wuͤrden; dadurch das publicum und viele liebes-wercke unterbleiben muͤſ - ſen; ſondern ich halte ſolche art ſelbs der gerechtigkeit / und alſo der liebe / weniger gemaͤß / als jene art. Dann man forderte entweder von denſelben / welche ihre mittel andern austhun / daß ſie allerdings davon keine ergoͤtzlig -keit331ARTIC. III. SECTIO XI. keit annehmen ſolten / oder man wird haben wollen / daß es nur als eine danck - barkeit von dem andern / nicht als ein verglichener zins gegeben wuͤrde. Das erſte waͤre allerdings wider die chriſtliche billichkeit / und wider die regel / ſo ſich auff die liebe gruͤndet / und billich aller contracten richt - ſchnur ſeyn ſolle. 2. Cor. 8 / 13. Nicht geſchicht das der meinung / daß die andre ruhe haben / undihr truͤbſaal / ſondern daß es gleich ſeye. Jn - dem es je nicht gleich iſt / wo der eine ſeiner mittel entrathen ſolle / da auffs wenigſte ploͤtzliche faͤlle ſeyn koͤnnen / da er derſelben benoͤthigt / nicht ohne un - gelegenheit erſt ihr wiederum habhafft zu werden trachten muß / und doch nichts davon genoͤſſe / derandre hingegen allen nutzen von des darleyhens gel - dern zoͤge: ſondern da iſt nach des Apoſtels worten / einer ſeits ruhe / ander - ſeits truͤbſaal. Wolte man aber das andere / ſo muß man geſtehen / daß auffs wenigſte von ſeinem ausgeliehenen geld etwas wiederum zu nehmen nicht an ſich ſelbs ſuͤndlich ſeye / ſondern alles kaͤme auff den modum an: hin - gegen der modus, da es in der willkuͤhr des ſchuldners ſtehet / was er geben ſolle / iſt ſo lang wir in der welt unter auffs wenigſte ſchwachen menſchen / die der verſuchung des geitzes noch unterworffen ſind / leben / (dann vollkomme - ne Chriſten wuͤrden auch in dieſer ſache unter ſich keines geſetzes bedoͤrffen / der liebe und chriſtlichen prudenz ſo gemaͤß nicht / als derjenige / da die O - brigkeit / die jedes orts beſchaffenheit / und was insgemein gegeben werden koͤnne / am beſten verſtehet / eine austruͤckliche regel ſetzet. Jndem jener mo - dus hingegen zu vieler ſuͤnde und zweiffel urſach geben koͤnte: indem da der ſchuldner nicht nach der liebe geſinnet / er aus eigennutz die danckbarkeit ent - weder gar unterlaſſen / oder weit unter der billichkeit bleiben wuͤrde / damit er ſich aber verſuͤndigte: waͤre er chriſtlich / wuͤrde es ihm ſchwehrer zubeſtim - men / wie viel jedesmal jetzt die danckbarkeit erforderte / daß er nicht ſein ge - wiſſen verletzte? ſtaͤnde alſo leicht in zweiffel / ob er gnug gethan haͤtte. Der darleyher ſelbs doͤrfte offt in die gedancken kommen / des andern danckbarkeit waͤre zu gering / und ob er mit dem andern nicht in ſtreit geriethe / wuͤrde doch in dem hertzen vieles auffſteigen / ſo das vertrauen benaͤhme / und die liebe verletzte. Allem dieſem kommt die gemachte ordnung gewiſſer zinſe zuvor / daß wer darnach ſich haͤlt / ſein gewiſſen ruhig behaͤlt / um ſo vielmehr weil ſolche ordnung dannoch der uͤbrigen liebe keine ſchrancken ſetzet / und zwahr wie viel man geben und nehmen moͤge / beſtimmet / aber nicht verbeut[/]wo einer ſeits der ſchuldner zeigt / daß er nichts oder allzuwenig vor ſich ge - bracht / daß der chriſtliche darleyher (ſo wir oben ohne das von ihm erfordert haben) ſolche zinſe deswegen gantz oder zum theil als ein geſchenck nachlaſſe / oder wo anderſeits der andre einen ſonderbahren ſegen von dem geliehenenT t 2ver -332Das dritte Capitel. verſpuͤhret / und ſein gewiſſen ihm vorſtellen wuͤrde / daß er den andern es auch reichlicher genieſſen laſſen ſolte / daß er ſeinem darleyher auch uͤber den zins ein freywilliges gratial verehre. Alſo ſehen wir in allem / daß wahrhafftig dieſer modus der liebe gemaͤß ſeye / und aller ſuͤnde am kraͤfftigſten wehre.

Weil wir aber die zinſe / deroſelben gebung und nehmung / unter die wercke der liebe mit rechnen / ſolle den obigen anmerckungen / was dabey von Chriſten in acht zu nehmen iſt / noch dieſe beygefuͤget werden / daß diejenige / welche geld andern auff zinſe ausleyhen / von welchen ſie es mit gutem gewiſ - ſen nehmen koͤnnen / auch willig ſeyen / wo es die gelegenheit gibet / daß ſolche leute / von denen man keine zinſe nehmen darff / ihrer huͤlffe noͤthig haben / den - ſelben gleichfals ohne zinſe an hand zu gehen / und alſo immer ein theil deſſen / was ſie ausleyhen koͤnnen / auch vor ſolche perſonen ausgeſetzt bleiben laſſen / von welchen ſie nichts als die haupt-ſumme wieder erwarten: um in gewiſ - ſer maaß dadurch auch dasjenige zu heiligen / was ſie des ihrigen bey andern vermoͤglichen rentbar machen. Alſo muß was zur rechtfertigung der zinſe hie mit gutem grund angefuͤhret wird / diejenige / welche auch zu ihrer bloſſen nothdurfft einiger huͤlffe bedoͤrfftig ſind / und nichts davor geben koͤnnen / von der ſonſten ſchuldigen liebe / die andre ihnen zu erzeigen haͤtten / nicht aus - ſchlieſſen / als welches ein mißbrauch waͤr / und zur ſuͤnde gereichte / nicht als wañ zinſe zu nehmen an ſich ſuͤnde waͤre / ſondern weil die liebe zu eigenem nu - tzen die ſchuldige uͤbung der liebe gegen des andern duͤrfftigkeit aufhuͤbe. Der - gleichen entziehung von den armen / die aus ſolcher art urſach geſchihet / wird 5. Moſ. 15 / 9. ein Belials-tuͤcke genennt / davon Chriſten frey ſeyn ſollen. Dann wo die armen deswegen / weil man von ihnen keine zinſe nehmen darff / gar ohne huͤlffe bleiben muͤſten / waͤre ſolches noch ſchwehrer vor ſie / und ver - letzte die liebe noch mehr / als wo ſie endlich noch etwas dargeliehen bekom - men / ob ſie wol mit groſſer beſchwehrde etwas davon geben muͤſten.

3. Wie dann gezeiget iſt / daß die zinſe an ſich nicht wider die liebe ſtrei - ten / ſondern vielmehr dero uͤbung befordern koͤnnen / alſo iſt ferner zu mer - cken / daß ſie / wo man recht acht gibet / mit andern contracten in der that - berein kommen / die gleichwol niemand den Chriſten verboten zu ſeyn / oder wider die liebe zu ſtreiten achtet. Es wird niemand / auch unter denen / wel - che an der geld-zinſe erlaubnuͤß zweiflen / meines erachtens gefunden werden / welcher leugnen ſolte / wo ich ein hauß / acker / garten / viehe oder dergleichen etwan habe / ſo ich einem andern verleyhe / daß ich vor den genuß / welchen der - ſelbige von dem meinigen einnimmet ein jaͤhrliches geld / zins oder miethe be - zahlt annehmen / oder auch fordern doͤrffte: vielleicht wird man auch nicht leicht widerſprechen / daß es erlaubt ſeye / wo einer in eine gemeinſchafft mit einem andern in der handlung eintritt / aber entweder andern beruffs-we -gen /333ARTIC. III. SECTIO XI. gen / oder weil er der handlung nicht kuͤndig gnug iſt / mit den geſchaͤfften nichts zu thun hat / ſondern allein ſein capital mit einſchieſſet / indeſſen davon einen theil des gewinns mit geneuſt. Nun aber / was jenes erſte / nemlich das ver - leihen der haͤuſer / guͤter und dergleichen anlangt / iſts allerdings einerley contract / wie mit den zinſen von geld / ich gebe dem andern etwas des meinigen zu genieſſen / und ohne fernere meine arbeit nehme ich von dem - ſelben eine vergeltung davor / oder einen theil ſeines genuſſes / der - gleichen geſchihet bey der intereſſe von gelehntem geld nicht weniger. Und alſo / wo mir einer dieſes zugeſtehet / daß ich um mein geld ein hauß / gar - ten oder anderes kauffen / es meinem nechſten um gewiſſe miethe verleihen / und dieſe davon empfangen darff / kan er mit wenigem ſchein mir abſprechen / daß ich von eben dem geld etwas empfangen doͤrffe / darum jener dergleichen zu ſeiner nutzung / und mir das meinige davon zu reichen / zu kauffen oder zu be - ſtehen vermag. Jndem es in der that auf eines hinaus laufft. Jn dem an - dern fall iſt zwahr mehr unterſcheid von dem unſrigen / aber ſie kommen doch beyde in dem hauptwerck uͤberein / daß ich von meinem geld und deſſen ge - brauch ohne fernere arbeit genuß empfange. Da dann dieſe andere / und der - gleichen / contracte / dem Chriſtenthum und der liebe nicht zu wider / ſondern dem menſchlichen leben dienlich und noͤthig zu ſeyn / erkannt werden / ſo doͤrffen wir nicht anders auch von den zinſen von gelehntem geld urtheilen. Man moͤchte zwahr einen unterſcheid in deme ſuchen / daß andre dinge / die ich auslei - he / als gaͤrten / aͤcker / weinberg und dergleichen etwas tragen / das geld aber an ſich ſelbs ſeye etwas unfruchtbares / und trage nichts. Es iſt aber ein viel - mehr ſubtiler unterſcheid / als daß er zu der ſache etwas thaͤte / dann ob das geld an ſich nichts traͤget / iſt es doch ein mittel / dardurch menſchlicher fleiß et - was erwerben kan: Man moͤchte ſonſt dergleichen auch von dem hauſe ſagen / ſo an ſich nichts traͤget / und doch vor deſſen gebrauch billich etwas gegeben wird. Mit mehrerem ſcheinmag / ſonderlich dem andern angefuͤhrten / ent - gegen gehalten werden / daß / indem da einer ſein geld zur gemeinſchafft in die handlung gibet / er damit auch in die gemeinſchafft des verluſts eintrete / und alſo von dem gewinn hinwieder nicht unbillich participire / da hingegen bey geliehenem geld deſſen gefahr aufdenjenigen ankommt / der es abgeliehen hat. Und iſt nicht ohn / daß dieſe anmerckung zur ſache viel thut / aber es iſt auch oben n. 4. gezeiget worden / daß in ſolchem fall die zinſe unrecht werden koͤn - nen / wo der ſchuldner ohn ſeine ſchuld in ſchaden gekommen iſt / und ſo vielwe - niger etwas hat gewinnen koͤnnen: Wie freylich die liebe die meiſterin in al - len dingen bleiben muß.

4. Dieſem allem ſetze ich noch bey / daß dieſe gantze materie / ſo die diſpo - ſition uͤber irrdiſche guͤter angehet / in der Obrigkeit gewalt und regirung ge -T t 3hoͤret;334Das dritte Capitel. hoͤret; daher ſie auch jedes orts / wie ſie es dem gemeinen weſen am dienlichſten findet / mit geſetzen und ordnung dieſelbe hat determiniren koͤnnen: Wann dann durch die Obrigkeiten und unſre weltliche geſetze die zinſe oder intereſſe nicht verboten / ſondern vielmehr eingefuͤhret / und in gewiſſe ordnungen ver - faſſet ſind / und im uͤbrigen alle ſolche weltliche geſetze die unterthanen auch in dem gewiſſen verbinden / es ſeye dann / daß ſie klahr goͤttlichem wort entgegen waͤren / ſo hebet alſo das Evangelium auch dieſes ſtuͤck der policey / ſo wider GOttes wort zu ſtreiten nicht gezeiget werden kan / nicht auf / noch ſuͤndiget derjenige / der ſich nach ſolchen ordnungen haͤlt.

Allem dieſem wird nun mit groͤſſeſtem ſchein entgegen gehalten das viel - faͤltige goͤttliche verbot des wuchers und uͤberſetzens / ſo in heiliger ſchrifft offt wiederholet wird / als 2. Moſ. 22 / 25. 27. 3. Moſ. 25 / 35. 36. 37. 38. 5. Moſ. 23 / 19. Pſalm 15 / 5. Spruͤch. 28 / 8. Ezech. 18 / 8. 22 / 12. 13. Da man alſo ſagen moͤchte / was GOTT ſo deutlich verboten habe / doͤrfften wir durch keine ausgeſonnene urſachen erlaubt machen / ſondern muͤſten bey ſolchem goͤttlichen ausſpruch bleiben: Daher ich nicht in abrede bin / daß ſo wol viele altvaͤter als auch chriſtliche lehrer unſrerkirchen alle intereſſe, oder wo man von geld uͤber das capital etwas nimmet / verworffen haben. Wir wiſ - ſen aber / daß in dem A. T. nicht nur einerley geſetze ſich finden / ſondern nebens den ſitten geſetzen / deren ſumme in den zehen geboten ſtehet / und welche alle menſchen verbinden / ſind durch Moſen auch gegeben ſo wol die kirchen geſetze / welche den juͤdiſchen Gottesdienſt regulirten / als auch andre weltliche geſetze / nach welchen die juͤdiſche policey gefuͤhret werden ſolte; da kommet nun alles darauf an / weil allein die erſte art uns Chriſten in dem N. T. verbindet / die andre beyde aber mit der juͤdiſchen kirche und policey ſo fern auffgehoͤret ha - ben / daß ſonderlich die letzte betreffend keine Obrigkeit weiter verbunden iſt / davon einzufuͤhren / als ſo viel ſie ihrem land und unterthanen nach ihrer ver - faſſung dienlich zu ſeynerkennet / ob dieſes verbot des wuchers unter die erſte oder dritte art gehoͤre? Hie traue ich nun mit gutem grund zu antworten / daß es allerdings nicht zu der erſten ſondern dritten art / nemlich den policey-geſe - tzen / zu rechnen ſeye. Die urſachen ſind folgende. 1. Jſt die materie etwas weltliches / und alſo auffs wenigſte vermuthlich / daß die geſetze / welche dieſelbe angehen / zu der claſſe derjenigen gehoͤren / welche der policey gegeben worden; daher GOTT in ſolcher gebung nicht als GOTT insgemein / ſondern als derjenige / der ſich auch die weltliche gewalt uͤber ſein volck / ihr einiger HErr und Koͤnig zu ſeyn / genommen hat / gehandelt / und deswegen dieſelbe nicht weiter zu gelten gewolt hat / als bey ſeinem volck. 2. Wird ſolches gebot nirgend in dem N. T. wiederholet / noch damit gezeiget / daß es noch auch un -ter335ARTIC. III. SECTIO XI. ter den Chriſten gelten ſolle. 3. Jſt wucher zu nehmen von gewiſſen leuten austruͤcklich zugelaſſen 5. Moſ. 23 / 20. an den fremden magſtu wuchern. Nun was in dem moral-geſetz verboten iſt / iſt an ſich ſelbs ſuͤnde / und mag ge - gen niemand ohne verletzung des gewiſſens geſchehen: Was hingegen gegen einigen menſchen erlaubt iſt / ſolches muß zu einer andern art des geſetzes ge - hoͤren. So vielmehr weil ſonſten die fremde mit den einheimiſchen ein recht haben ſolten 3. Moſ. 24 / 22. So dann austruͤcklich befohlen worden 2. Moſ. 22 / 21. daß man die fremdlinge nicht ſchinden ſolte / noch ſie un - terdrucken / 2. Moſ. 23 / 9. Daher GOTT den wucher oder zinſe / welche er aus gewiſſen urſachen an den fremden zulieſſe / nicht vor ein unterdruͤcken / oder etwas an ſich ſelbs unbilliches erkant haben muß. 4. So finden ſich ſolche urſachen / welche wir zimlich wol begreiffen koͤnnen / daß ſie GOTT be - wegt haben / warum er in ſeinem volck dieſen contract nicht leiden wollen. Es war GOttes wille bey ſeinem volck / daß wie ers mit ſonderbarem Gottes - dienſt von allen andern abgeſondert hatte / es auch in der lebens-art von an - dern unterſchieden bliebe / und darmit es ſo vielweniger der Heiden abgoͤtte - rey und ſitten lernete / als viel muͤglich waͤre / mit denſelben nicht oder wenig umgienge / und ſich in ſeinen graͤntzen allein hielte: Darzu war nun am dien - ſamſten / daß ihre lebens-art insgemein in ackerbau und viehezucht beſtuͤnde / und ſich alle mit demſelben naͤhreten; daher auch das land zum erbtheil unter die ſtaͤmme ausgetheilet / ſo dann mit gewiſſen geſetzen verſehen worden / daß die erbtheil oder guͤter nicht auf immer verkaufft werden dorfften / ſondern nach 3. Moſ. 25. wiederum in dem halljahr andie vorigen eigenthums-herren kamen. Daher wird wenige handlung in dem land geweſen ſeyn / auffs we - nigſte mit auslaͤndiſchen. Und muß alſo der HErr ſolche lebens-art / welche die einfaͤltigſte iſt / am ſonderbarſten von ſeinem volck beliebet haben: Daher er auch die geſetze darnach eingerichtet. Nun bey ſolcher lebens-art / da das gantze land faſt einerley profeſſion hat / und alles von dem viehe und acker lebt / ſind ſeltene caſus, da man alſo zu leihen haͤtte / daß man ohne verletzung der liebe zinſe nehmen koͤnte / denn es bedorfften keine etwas zu leihen / als die verarmet waren / ſich wiederum zu erholen / daher auch an zweyen orten aus - truͤcklich der armen meldung gethan wird: Von denen aber iſt oben bekant worden / daß man ihnen zinſe nicht abfordern koͤnne: So ſolte keiner ſeiner bruͤder guͤter an ſich bringen / als darmit ſo bald die andre wider die liebe ge - truckt wurden. Hingegen wolte GOTT die groſſe commercia mit den aus - laͤndiſchen Heiden vielmehr hindern als foͤrdern / und alſo manglete es an den faͤllen / welche die zinſe erlaubt machen. Daß aber GOTT an den fremden die zinſe erlaubte / mag wiederum nicht ſo wol die urſach geweſen ſeyn / ſie ab -zuhal -336Das dritte Capitel. zuhalten / daß ſich derſelben nicht mehrere unter dem volck mit deſſen be - ſchwehrde niederlieſſen / als vielmehr weil dieſelbe nicht wol anders als etwa von einigen handlungen lebeten / und mit dem gelehnten geld etwas verdien - ten / daher ſie denn die darleiher auch ſolches mit genieſſen laſſen ſolten. Wie ich nun dieſe urſachen / warum GOTT dieſes geſetz gegen allen wucher oder zinſe ſeinem volck gegeben habe / wol begreifflich / und deſſen weißheit gemaͤß achte / alſo haben wir uns nicht zu wundern / daß ſie GOTT dem volck vorge - ſchrieben habe. So wenig aber andere ordnungen / welche GOTT abſon - derlich ſeinem volck gemacht / als zum exempel von ruͤckkehr der verkaufften guͤter nach gewiſſer zeit / von freylaſſung der knechte u. ſ. f. uns in dem N. T. oder andre policeyen verbinden / ſondern jeglichen regenten freyſtehet / wie ſie ihres orts die ordnungen machen wollen / nur daß ſie nie die liebe verletzen / ſo wenig verbindet uns auch dieſe ordnung / die wir geſehen haben / aus ſonder - baren urſachen von GOTT ſeinem volck vorgeſchrieben geweſen zu ſeyn: Die nun ſo vielweniger angehet / nachdem in dem N. T. der unterſcheid der voͤlcker ſo auffgehoben iſt / daß deſſen natur mehr gemaͤß iſt / derſelben vermi - ſchung und vereinigung auf allerley rechtmaͤßige weiſe zu befoͤrdern / darzu die commercia auch nicht wenig thun / dero lauff aber nicht wol ohne zins - geld beſtehen kan. Daher daß GOTT ſo hefftige ſtraffen denen trohet / wel - che dieſes verbot uͤbertreten / macht noch nicht / daß es ein moral-gebot ſeyn muͤſte / denn GOTT nicht weniger in dem A. T. uͤber die uͤbertretung der po - licey-geſetze als der ſitten-geſetze eifferte / wie wir Jerem. 34 / 9. u. f. ſehen / wo GOTT auch grauſame ſtraffen den Juden trohet uͤber das unrecht / was gegen ein geſetz ſolcher art begangen worden. Ob dann auch bey dem Pro - pheten Ezechiel der wucher zu andern moral-laſtern geſetzet wird / wie nicht weniger in dem Pſalmen / machet ſolches deswegen ſo wenig / daß die ſuͤnden einerley art an ſich ſelbs ſeyen / als es nicht folget aus Ap. Geſch. 15 / 20. daß das blut und erſticktes eſſen einerley art ſuͤnde mit abgoͤtterey und hure - rey ſeye. Jndeſſen wo einer in dem A. T. wider das Levitiſche und weltliche geſetz ſuͤndigte / that er ſo wol ſuͤnde und verdiente nicht weniger goͤttlichen zorn / als durch ſuͤnde wider das moral-geſetz / dann eben in dem uͤbertrat er auch dieſes durch ungehorſam gegen ſeinen GOTT. Der aber verſuͤndigt ſich nicht dargegen / dem das gebot nicht gegeben iſt.

2. Nechſt dem wird auch eingeworffen der ort Luc. 6 / 35. thut wol / und leihet / da ihr nichts vor hoffet / ſo wird euer lohn groß ſeyn / und werdet kinder des Allerhoͤchſten ſeyn. Jch will da nicht ſchwehrigkeit machen wegen des worts μηδὲν ἀπελπίζοντες, ſo einige anders lieber geben wolten / ſondern laſſe es gern in dem verſtand ſtehen / wie es insgemein genom -men337ARTIC. III. SECTIO XI. men zu werden pfleget: aber darmit werden die zinſe noch nicht unrecht ge - macht. Dann wir muͤſſen wiſſen / daß der HErr hier nicht handle von der uͤbung der gerechtigkeit in dem menſchlichen leben / ſondern von den liebes - thaten gegen die duͤrfftigen: da befiehlet er nun / man ſolle leihen / da wir auch nichts davor hoffen / nemlich nicht allein keine zinſe / ſondern auch nicht einmal das haupt-geld / noch einen andern dienſt / den der andre uns in gleichem fall ein andermal erzeigen moͤchte / von ihm erwarten. So wenig aber daraus folget / wo ich einem etwas geliehen habe / daß ich / wo ers wiederzugeben ver - mag / ſolches wiederum anzunehmen nicht macht haben ſolte / ja er ſelbs im ge - wiſſen wiedererſtattung zu thun verbunden iſt / nach Pſ. 37 / 21. eben ſo we - nig folget auch / daß ich von denjenigen (welche es wol zu thun vermoͤgen / und die von meinem dargeliehenen vortheil haben) nichts zu nehmen vermoͤchte. Ferner ſo wenig ich die worte / v. 30. wer dich bittet / dem gib / alſo anzuſehen habe / als waͤre ich ſchuldig / einem jeglichen / der ohne noth / ja zu treibung ſei - nes muthwillens / bitten moͤchte / das meinige hinzugeben / ſondern alles ſo zu verſtehen iſt / daß ich einem jeden / der wahrhafftig von mir der huͤlffe bedoͤrff - tig iſt / nach vermoͤgen geben ſolle / ſo wenig darff ich auch dieſe wort v. 35. ohne ſolche einſchrenckung verſtehen / welche die materie ſelbs mit ſich bringet. Jnsgeſamt iſt die gantze abſicht unſers Heylandes / gegen die Phariſaͤer / ſo das geſetz der liebe unrecht deuteten / zu erweiſen / daß wir nicht nur freunden (als welche ſie allein unter dem nahmen der nechſten verſtunden) ſondern auch feinden liebe ſchuldig ſeyen / und alſo mit demjenigen die pflicht der liebe noch nicht erfuͤlleten / was wir an freunden thaͤten / ſondern das gebot der liebe / und das exempel unſers lieben himmliſchen Vaters fuͤhre uns noch weiter / nem - lich ohne anſehen der perſon / was ihre uͤbrige bewandnuͤß / ſonderlich ihren ſinn gegen uns / anlangt / allen guts zu thun. Zu dieſem zweck iſt alles gerich - tet / und uͤber denſelben nicht auszudaͤhnen. Wie alſo wenn der HErr ſagt / ſo ihr liebet / die euch lieben / was dancks habt ihr davon? daraus nicht folgt / daß wir unſre liebhaber nicht lieben doͤrfften: Jtem wie aus dem folgen - den auch nicht folget / daß man ſeinem wolthaͤter nicht guts wiederum vergel - ten / ſo dann denjenigen auch / von denen wir gleiches hoffen koͤnnen / nicht lei - hen doͤrfften / ſondern allein / daß wir dergleichen thuende noch nicht unſre gan - tze chriſtliche pflicht erfuͤllen / als welche noch ein mehrers von uns fordere: Alſo folget eben ſo wenig aus den folgenden worten / daß wir von dem ausge - liehenen nicht einige zinſe nach bewandnuͤß der umſtaͤnde nehmen doͤrfften / ſondern allein dieſes / daß wir mit ſolchem noch keine ſonderliche that / daraus wir uns GOttes kinder zu ſeyn erwieſen / leiſteten / als wozu noch dergleichen liebes-thaten gehoͤrten / darzu uns die natuͤrliche guͤtigkeit nicht treiben wuͤr - de / ſondern der Geiſt des Vaters ſolches in uns wuͤrcken muß. Ja was amU ueigen -338Das dritte Capitel. eigenlichſten ſeye / was wir nicht hoffen ſollen bey dem leihen / iſt ein gleicher liebes-dienſt / wie aus dem unmittelbar vorhergehenden zu ſehen iſt. Da es heiſſet: Wann ihr leihet / davon ihr hoffet zu nehmen / nemlich daß euch die andre wiederum dergleichen dienſte zur vergeltung thun / was dancks habt ihr davon? dann die ſuͤnder leihen den ſuͤndern auch / auf daß ſie gleiches wieder nehmen / das iſt / daß ſie von ihrer freundſchafft eben der - gleichen wieder hoffen moͤgen. Da befiehlet aber der HErr / wir ſollen auch alsdann leihen / wo wir nichts dafuͤr hoffen / obs auch ſo boßhafftige leute (doch aber jetzt der huͤlffe benoͤthigt) waͤren / daß ſie uns wenig danck dafuͤr er - ſtatten wuͤrden / weil der himmliſche Vater auch den undanckbaren und boß - hafftigen guts thut. Ob ich wol darmit auch dasjenige ſo viel weniger will ausgeſchloſſen haben / daß wir auch in der noth leihen ſollen / wo wir wegen der leute unvermoͤgen das geliehene gar zu verliehren in gefahr ſtehen. Wie unſer Lutherus die wort fein paraphraſirt T. 6. Witteb. f. 303. Jhr ſolt frey dahin leihen / und wagen / obs euch wieder wird oder nicht / wirds wie - der / daß mans nehme / wirds nicht wieder / daß geſchenckt ſeye. Daß alſo geben und borgen kein unterſcheid haben nach dem Evangelio / denn dieſen / daß geben nichts wiedernimmt / borgen aber wieder - nimmt / wo es kommt / und doch wagt / daß es ein geben ſeye. Mehr als dieſes laͤſſet ſich aus den worten Chriſti mit nichten erweiſen / und heben die gebotene wercke der barmhertzigkeit dasjenige nicht auf / was in dem gemeinen leben nach der buͤrgerlichen gerechtigkeit ohnverletzt der liebe ge - ſchihet.

3. Mag auch entgegen gehalten werden / wo man macht habe zinſe zu nehmen / werde ſolches manche leute faul machen / daß ſie allein ohne arbeit davon zu leben begehren / es wird auch niemand denjenigen / welche keine zinſe zu geben vermoͤgen / vorſtrecken wollen / und auch ſonſten der geitz geheget wer - den. Aber alle dieſe einwuͤrffe gruͤnden ſich nur auf den mißbrauch / und koͤnnen nicht machen / daß der rechte gebrauch ſuͤndlich werde. Dann ob einige auch von ihrer zinſe leben koͤnten / muͤſten ſie doch erinnert werden / daß ſie zu arbeiten ſchuldig ſeyen / ob wol nicht eben etwas zu ihrem unterhalt (den ſie reichlich haben) zu verdienen / ſondern daß ſie GOttes befehl nachkommen 1. Moſ. 3 / 19. 2. Theſſ. 3 / 10. So haͤlt mans ja nicht vor ſuͤnde / ſonſten viel guͤter zu haben / aus denen man ohne arbeit leben koͤnte / dadurch ſich einer nicht weniger zur faulheit verfuͤhren laſſen moͤchte. Was das andre an - langt / ſo iſts oben bereits bemercket / daß man auch ſchuldig ſeye / bedoͤrfftigen aus bloſſem mitleiden ohne entgeld zu leihen / wer es nun nicht thut / ſuͤndiget / nicht darinnen / daß er von einigen vermoͤglichern zinſe nimmet / ſondern daßer339ARTIC. III. SECTIO XI. er die andre liebes-that / darzu er gleichwol auch verbunden iſt / unterlaͤſſet. Wer alſo ſich nicht durch die liebe zu dieſer art zu leihen bewegen laͤſt / wird ſich auch nicht darzu bewegen laſſen / wo er ſein geld ſchon nicht auf zinſe auslegen doͤrffte / ſondern wird durch andre contractus, deren der geitz ihm doch gnug zeigen wird / ſeinen nutzen lieber ſuchen. Alſo kan man zwahr ſagen / daß an dem ausleihen / der geitz auch platz ſich zu uͤben finde: aber wer geitzig iſt / und gern reich werden wolte / wo ihm der weg der zinſe verſperret wuͤrde / wird nichts deſto weniger in andern ſtuͤcken ſeiner begierde nachhangen / und ein hauß an das andre ziehen / und einen acker zum andern bringen / biß daß kein raum mehr da ſeye / daß ſie allein das land beſitzen / wie es bey den Juden hergienge / die keine zinſe nehmen dorfften Jeſ. 5 / 8. Alſo kan gedachter maſſen dergeitz ſich wol in dem auf zinſe leihen uͤben / aber das zinſe-nehmen an ſich ſelbs iſt des geitzes urſache nicht.

Alſo hoffe ich / ſeye zur gnuͤge und des gewiſſens uͤberzeugung erwieſen / daß den Chriſten in dem N. T. unter den oben gezeigten conditionen zinſe zu geben und zu nehmen wol erlaubt / und auch in ſolcher ſache eine uͤbung der lie - be zu erkennen ſeye / hingegen daß die gemachte einwuͤrffe jene gruͤnde nicht uͤberwiegen. Der HErr verſichre alle hertzen ſeines willens mit deſſen un - gezweiffelter erkaͤntnuͤß / und erfuͤlle ſie mit hertzlicher liebe des nechſten / ſo wird weder der ausleihende jemal des andern ſchaden ſuchen / ſondern ſeinen nutzen willig befordern / noch der ablehnende ſich undanckbar bezeigen / ſondern jeder dem andern in wahren liebes-wercken es vorzuthun trachten / und es al - ler orten wol ſtehen / hingegen goͤttlicher ſegen ſich uͤber alle reichlicher ergieſ - ſen. Amen.

SECTIO XII. Von eben gleicher materie in hypotheſi von des eheweibs geldern.

  • Ob ein Chriſt wol koͤnne mit gutem gewiſſen / das wenige / ſo er mit ſeinem weib erheyrathet und mitbekommen hat / alſo ſchlechterdings nicht ſein eigen iſt / den armen weggeben / und nicht vielmehr ſchuldig iſt / daſſelbe / ſonderlich da er von ſeinem amt nichts beylegen kan / noch beyzulegen begehrt / zu rath zu halten / zu conſerviren / und dardurch zu verhuͤten / daß weib und kinder nach ſeinem todt / mit welchem das amt und voriger lebens-unterhalt hinfaͤllet / bey dieſer lieb - loſen zeit nicht einmal noth leiden doͤrfften?
U u 2Jn340Das dritte Capitel.

JN dieſer frage achte ich / ſeye ein unterſcheid zu machen / unter der orden - lichen und taͤglichen noth / wo zwahr die arme allezeit nicht auf die art verpfleget werden / wie es geſchehen ſolte / aber gleichwol nicht manglet / ſo wol an oͤffentlichen einkuͤnfften / als auch vielen ſolchen leuten / die aus ihrem uͤberfluß gebende / wann jene wol angewendet / die arme zur gnuͤge erhalten koͤnten / und unter einer auſſerordenlichen und dermaſſen uͤberhand nehmen - den noth / da nichts mehr von dem ordenlichen erklecken wolte. Wo von die - ſem letzten fall geredet wird / ſo tringet die euſſerſte noth der armen ſo weit / daß man alle andre urſachen beyſeits ſetze / und was man angreiffen kan / an - greiffe; es ſind auch weib und kind drein zu willigen / und die ſorge ihrer kuͤnff - tigen noth der gegenwaͤrtigen des nechſten nachzuſetzen verbunden.

Wann aber auf das ordenliche geſehen wird / achte ich einen ſolchen hauß - vater / der in dem uͤbrigen von dem ſeinigen / und was er verdienet / an ar - me / nach ſeines gewiſſens pflicht / anwendet / nicht verbunden / das den ſeinigen zuſtehende an dieſelbige zu wenden / ſondern befugt / ſolches zum behuff der ſei - nigen / ſo wol was dero erziehung als auch unterhalt in erfolgendem witwen - ſtand anlangt / auffzuhalten.

Es bleibet 1. die allgemeine regel 2. Cor. 8 / 13. welche den allmoſen ge - geben iſt / daß ſie ſollen ertheilet werden / nicht alſo / daß die andre / die empfan - gende / ruhe haben / und der gebende truͤbſaal / ſondern daß es gleich ſeye: das iſt / daß man beyderſeits neben einander beſtehen koͤnne. Welches als - dann geſchehen wird / wo alle die uͤber ihre nothdurfft von GOTT empfan - gen haben / von demjenigen der armen nothdurfft ſo viel mittheilen / daß ſie darvon die noͤthige unterhalt haben / welches unſchwehr ſeyn wird / wo / ich will nicht ſagen alle / ſondern nur die meiſte / reiche von ihrem groſſen uͤberfluß / andre aber von demjenigen / was ſie ohne ſich ſelbs zuziehenden mangel entra - then koͤnnen / denſelben mittheilen: Wo es aber darauf ankaͤme / daß gutwilli - ge Chriſten nicht allein was von ihrem ſtets erwerbenden eruͤbriget werden kan / dahin geben / ſondern auch alles / was zu der ihrigen kuͤnfftigen unterhalt das einige menſchlicher weiſe noch vor augen iſt / loßſchlagen ſolten / wuͤrden nicht allein die benoͤthigte / ſondern auch andre / an welche dieſe mehr zu weiſen waͤren / damit aber verſchohnet wuͤrden / ruhe haben / hingegen die fromme Chriſten in ſchwehre truͤbſaal fallen / und es alſo nicht gleich hergehen.

2. Wie man den armen / die uns abſonderlich nicht angehen / allein weil ſie doch insgemein unter unſre nechſte gehoͤren / ſchuldig iſt / doch ohne andren ſchaden zu thun / zu geben / als worzu die liebe verbindet / ſo iſts eben auch die liebe / welche einen Chriſten / der weib und kind hat / dieihm noch mit einem vor andern ſonderbaren band verbunden ſind / und er auf eine ſolche art fuͤr ſie ſorgen muß / als fuͤr ſie kein anderer in der welt zu ſorgen hat / da hingegenandre341ARTIC. III. SECTIO XII. andre arme zu allen / die ihnen helffen koͤnnen / gleiches recht / und alle andre zu ihnen gleiche pflicht haben / dahin anweiſet / ſie deſſen nicht zu berauben / was ihnen noͤthig und ohne daſſelbe ſie von ihm ſelbs arm gemacht / damit aber an andre verwieſen wuͤrden / huͤlffe zu ſuchen / zu denen ſie kein anderes als allge - meines / an ihren ehegatten und vater abeꝛ ein beſonderes und ſtaͤrckeres recht haben. Ob dann nun wol der allgemeine nahme des nechſten bereits gnug iſt / die liebes-thaten zu uͤben / ſo muͤſſen gleichwol den uͤbrigen diejenige vor - gezogen werden / die auff abſonderliche art naͤher als die uͤbrige / und uns al - ſo zu einer noch genauern verſorgung vor den andern anbefohlen ſind.

3. Es iſt ein ehemann uͤber das vermoͤgen ſeiner ehegattin wol ſo fern Herr / daß er daſſelbige verwaltet zum beſten ihres eheſtandes und haußhal - tung / da ſie ſo wol als er nur nutzen davon genieſſet / es iſt ihm aber daſſelbige nicht darzu uͤbergeben / es auſſer der euſſerſten noth / ſo ſie beyderſeits betrifft / alſo anzuwenden / daß es damit verzehret wuͤrde / auffs wenigſte ohne dero einwilligung. Wofern ſie aber auch ſelbs in ſolche vereuſſerung gehellen wolte / weil er als ihr vormund und verwalter ihrer guͤter iſt / bringet die ſchuldige treue mit ſich / ſie weißlich und zum beſten der eigenthuͤmer zu ver - walten / dem allerdings entgegen ſtehet / wo er ſie mercklich verringern oder gar verthun wolte / ſo ich wider ſein amt zu ſeyn davor halte / als darzu ſie ihm nicht anvertrauet ſind / und ihm alſo kein recht ſolches zu thun daruͤber zukommet.

Jn ſolcher bewandnuͤß / da es nicht darauff ankommet / ob er den armen nach vermoͤgen gutes thun ſolle / welche pflicht der liebe und Chriſti gebot al - lezeit ſtehen bleibet / ſondern ob mit ſolcher wohlthat an armen die ihm anver - traute auff das kuͤnfftige gewiß arm gemacht / und in mangel geſetzt / daher je - ne dieſen in der gutthaͤtigkeit vorgezogen werden ſollen / achte ich allerdings den regeln der chriſtlichen billichkeit gemaͤß / daß ein ſolcher ehemann von dem genuß der unter haͤnden habenden guͤter und ſeinem verdienſt allemal an ar - me / wie ihm der HErr dieſelbe auffſtoſſen laͤßt / oder ſeine liebe ſolche ſelbs ausſuchet / ſo viel anwende / als es einerſeits von noͤthen iſt (dann wo es nicht ſolche noth iſt / mag er auch hievon mit gutem gewiſſen beylegen) anderſeits ſeine und der ſeinigen ehrliche und gnugſame unterhaltung / welche vorgehet / zugeben kan. Wo er dieſes thut / verbindet ihn die ordenliche liebe nicht zu der hingebung des uͤbrigen auſſer dem zuerſt angedenteten fall einer euſſerſt allgemeinen einbrechenden noth / welche uͤber die gemeine regeln noch ein meh - reres erforderte. Der HErr mache uns aber allezeit ſelbs in unſern ſeelen durch ſeinen Geiſt gewiß / was in jedem ſein heiliger wille an uns ſeye / und gebe uns gnade demſelben zu gehorſamen um Chriſti willen. Amen. 1695.

U u 3SECTIO342Das dritte Capitel.

SECTIO XIII. Von erſtattung des durch ſpielen gewonnenen. Ob wo man ſich an dem nechſten ihm unwiſſend verſuͤndiget / ſolches ihm zu bekennen ſchuldig. Ob man in koſten / die man in an - derer nahmen zu verrechnen / vortheil brauchen doͤrffe? Was eine chriſtliche weibs-perſon an orten zu thun / da der pracht uͤber - hand genommen. Ob man gut geld gold - und ſil - ber-ſchmieden zu verarbeiten geben doͤrffe?

Die erſte Frage.

  • Ob das durch ſpielen in der jugend gewonnene geld bey aufwachen - dem gewiſſen wiederum zu erſtatten ſeye?

JCh achte noth zu ſeyn / die antwort in unterſchiedliche numeros einzu - theilen / und die gantze ſache / ſo in der furcht des HErren erwogen / in ordnung zu bringen.

  • 1. Setze ich dieſes als etwas ausgemachtes bereits zum voraus / daß das eigenlich ſo genannte gewinnſuͤchtige ſpielen wahrhafftig ſuͤnde ſeye / ſo hie nicht zu erweiſen noͤthig iſt: ich traute aber dabey nicht auff mich zu neh - men / das uͤbrige ſpielen / ſo um geld oder ſonſten mit wuͤrffel / karten und der - gleichen geſchihet / zu vertheidigen / oder denenjenigen anſtaͤndig zu glauben / welche ihr Chriſtenthum ſich angelegen wollen ſeyn laſſen. Es iſt einmal un - ſre zeit viel zu edel / und der dinge / die wir darinnen zu unſrer ſeelen beſten / zu unſers leibes nothdurfft / und zu unſers nechſten dienſt / ſonderlich aber zu GOttes ehren / zu verrichten haben / viel zu viele / als daß wir einige ſtunden / welche zu anderem dienlich angewendet werden koͤnten / mit ſpielen verſpie - len doͤrfften: jetzo nicht zu ſagen von der vielen gelegenheit zu andern ſuͤnden / die dabey vorkommet / und ſelten vermeidet wird. Auffs wenigſte weil ins - gemein bey dem ſpielen allerley vorgehet / ſo dem Chriſtenthum eben nicht gemaͤß / hingegen nichts daraus zu erwarten / ſo nicht eben ſo wol oder beſſer auff andere weiſe zu erlangen waͤre / ob auch ſonſten eine ſolche idea von dem ſpielen gemacht werden kan / daß es eben nicht ſo verwerflich waͤre / achtete ich / ſolten ſich Chriſten ſchlechterdings alles ſpielens eben deswegen entſchla - gen; wie auch ſonſten offt eine ſache / die zwahr an ſich ſelbs eben nicht aller - dings boͤſe / aber auch nicht nothwendig iſt / wegen ſtarck eingeriſſenen miß - brauchs pfleget gantz abgeſchafft zu werden / auch ſolches billich geſchehen ſolle.
  • 2. Wir haben ſolches gewinn-ſpielen in gewiſſer maaß im gewiſſen an -zuſe -343ARTIC. III. SECTIO XIII. zuſehen als ein furtum oder diebſtahl / wie dieſer alle diejenige arten in ſich begreiffet / wie man den nechſten um das ſeinige und ſolches an ſich bringet / und alſo findet ſich ſolches in dem ſpielen / wegen des dem nechſten thuenden ſchadens und ſeiner unbilligen bereicherung. Ob wol ſonſten in andern um - ſtaͤnden ein groſſer unterſcheid unter ſolcher und andern arten des auch in der welt davor erkanten diebſtahls / nicht zu leugnen ſtehet; wie dann bey dem ſpielen unter denen / die da ſpielen / eine gewiſſe convention iſt / daß jeder ſein geld gegen den andern in gefahr auffzuſetzen ſich erklaͤhret / dergleichen hinge - genſich bey andern arten des diebſtahls nicht findet; anderer umſtaͤnde und unterſchiede jetzt zu geſchweigen.
  • 3. Jnsgemein bey dem diebſtahl iſt die ſchuldige buß-pflicht / daß man das mit unrecht entzogene dem nechſten wiederum zuwende / ſo aus doppelter urſach kommet: einmal weil der noͤthigen reue uͤber ſeine ſuͤnde dasjenige ent - gegen iſt / wo man behalten wolte / was man mit der ſuͤnde / die man haſſen muß / an ſich gebracht hat; ſo dann weil auch die liebe des nechſten und der ge - rechtigkeit die der buß unabſonderl. frucht iſt / nothwendig mit ſich bringet / daß man ſeinem nechſten erſtattung deſſen thue / worinnen man ihm mit un - recht ſchaden gethanhat. Daher weil dieſes alles ſo genau mit der buß verknuͤ - pfet iſt / der alte ſpꝛuch in uͤbung gekommen und ſtaͤts gebraucht wird: Non re - mittitur peccatum, niſi reſtituatur ablatum. Wie wir auch in der ſchrifft ſe - hen / daß / welche anderen ſchaden gethan / zu der erſtattung / und meiſtens mit zuſatz / angewieſen / auch die exempel ſolcher bußfertigen angefuͤhret werden.
  • 4. Jndeſſen hat auch dieſe regel gleich wie andere ihre ausnahm auff vielerley art / nicht nur wo das euſſerſte unvermoͤgen nunmehr iſt / und die er - ſtattung wahrhafftig unmuͤglich / dieſe unmuͤglichkeit aber deswegen die buß nicht unkraͤfftig macht; item, wo wir ſonſten auff andere weiſe durch dinge / die auſſer uns / als obrigkeitliches verbot und dergleichen / abgehalten wer - den / ſondern auch moͤgen andere urſachen ſeyn / welche uns ſolcher ſchuldigkeit entledigen.
  • 5. Dieſe aber gehet nicht ſo wol das eine ſtuͤck an / das behalten des mit unrecht an ſich gebrachten / als vielmehr das erſtatten an denjenigen / von dem mans bekommen. Jn jenem ſehe ich nicht leicht / wie einer ſich auswi - ckeln koͤnte / daß er das unrecht erworbene behielte / und aus ſeiner ſuͤnde vor - theil haͤtte / welches der reue gerad entgegen ſtuͤnde: aber in dem andern / weil die liebe gleichwol auch die gerechtigkeit neben ſich hat / ſo mags exempel ge - ben / daß man ſolche erſtattung an denjenigen / welchem ſchade geſchehen iſt / zu thun nicht verbunden waͤre.
  • 6. Jn dem ſpielen halte ich / daß dieſes exempel ein liecht gebe. Daſelbs gewinnet der eine mit unrecht / und hat alſo nicht fug / ſolches zu behalten:dem344Das dritte Capiteldem andern aber geſchihet nicht unrecht / da ihm dieſer abgewinnet / indem er ſich zu ſolchem ſchaden mit willen dargeſtellet / und ſich nicht uͤber unrecht be - ſchwehren darff / daß ihm dasjenige geſchihet / was er / ſo viel an ihm geweſen waͤre / dem andern auch thun wollen. Wie er nun ſich eben ſo wol in dem ſpielen als der gewinnende verſchuldet / hat er nicht nur vor der welt / ſo dieſe art etwas an ſich zu bringen durch die gewohnheit autoriſirt hat / nicht macht ſolches zu fordern / ſondern auch vor GOtt kommt ihm ſolches recht nicht zu; alldieweil er wahrhafftig durch ſein willkuͤhrliches ſpielen / obwol auff ſuͤnd - liche art / das verſpielte ſo verlohren hat / als er etwas verloͤhre / was er ver - ſchencket / oder ſonſten verwarloſet hat / und es nicht mehr / auch gewiſſens halben zu fordern befugt iſt. Ja man mag ſagẽ / er habe ſich durch ſolches ſuͤnd - liche verſpielen unwuͤrdig gemacht / daß ihm ſein verlohrnes wiederum erſtat - tet wuͤrde / und ſolte alſo auch die gerechte ſtraff ſeiner ſchuld ſeyn / daß er des jenigen mangle / was er auff ſolche weiſe mit ſuͤnden und des andern gefahr / der eben ſo leicht verliehren koͤnnen / ohn worden iſt. Wie dann nun dieſer mit recht nichts fordern kan / ſo verbindet jenen die gerechtigkeit und liebe des nechſten / ſo fern dieſe auff der gerechtigkeit beruhet / auch nicht zu der reſtitu - tion an ihn.
  • 7. Jedoch moͤchte dieſes noch auch ſeine exceptiones haben. Zum e - xempel / wo einer ſich bewuſt waͤre / den andern in dem ſpiel betrogen / und damit abgewonnen zu haben / wo die erſtattungs-ſchuldigkeit nicht zu leug - nen waͤre: oder da man den andern ſonderlich zu dem ſpielen verleitet / da al - ſo wie dieſes ſuͤnde geringer waͤre / ich demſelben erſtattung zu geſchehen nicht unbillich achtete: oder da derjenige / ſo verlohren / des geldes nicht Herr ge - weſen / da er alſo es dem rechten Herren nicht verliehren hat koͤnnen / ſondern ihm fuͤr denjenigen / dem es gehoͤret / die erſtattung gebuͤhret: aus welchem grund auffs wenigſte der chriſtlichen billigkeit erachte / wo einige ihren wei - bern und kindern dasjenige / ſo ſie zu dero unterhalt ſchuldig waͤren / verſpie - len / daß dieſen die reſtitution deſſen / wozu ſie nach dem gewiſſen recht haben / von dem gewinner geſchehe: nebens welchen faͤllen ich nicht zweifle / daß in dem nachſinnen ſich etwa noch mehr finden moͤgen / wo das gewiſſen zu der er - ſtattung verbindet.
  • 8. Hiezu ſetze ich noch dieſes / wo derjenige / welchem ich abgewonnen / nunmehr in zimlichem mangel ſteckte / dazu ſeine ſpiel-ſucht vieles geholffen / ich aber auch mit dazu contribuiret (ob wol mit ſeiner eigenen ſchuld) daß er darein gerathen / ſo will die liebe ſonderlich hierinnen fordern / weil ich ihn in dergleichen mangel fuͤhren helffen / daß ich mich auch aus einer ſonderbaren pflicht mit erſtattung deſſen / ſo ich von ihm gewonnen / obwol mit fleißiger er - innerung beyderſeits ſuͤnde / ſeiner noth annehme.
9. Auſ -345ARTIC. III. SECTIO XIII.
  • 9. Auſſer dieſen und dergleichen faͤllen / achte ich nicht / daß der / ſo ver - ſpielet hat / etwas zu fordern in dem gewiſſen recht habe / noch mans ihm zu - zu wenden verbunden ſeye. Weil aber gleichwol der andere gewinnende auch nicht macht hat / das gewonnene zu behalten / ſo gehoͤret dann ſolches billich dahin / daß es dem HErrn in ſeinen armen / ſo zu reden wie ein ſchuld-opffer / von beyden uͤberlaſſen und zugeſtellet werde.
  • 10. Was nun ferner dieſe reſtitution anlangt / hielte ich / daß ſolche nicht zu æſtimiren waͤre / nach demjenigen / was etwa ſingulis vicibus gewonnen oder verſpielt worden waͤre / ſondern nachdem alles zuſammen gerechnet wuͤrde / ſo viel man uͤber andermaligen verluſt noch gewonnen haͤtte. Dann weil die ratio der reſtitution eigenlich iſt / daß der gewinner von ſeinem ſuͤnd - lichen ſpielen keinen vortheil oder nutzen behalten ſolle / obligiret ſolche an - ders nicht / als wann derſelbe wahrhafftig einen nutzen davon haͤtte / derjeni - ge aber hat je keinen nutzen / welcher / ob er einige mal von dieſem und jenem gewonnen / zu andern malen deſtomehr verlohren / und alſo von dem geſamten ſpielen allein ſchaden hat. Da dann ein ſolcher ſich zwahr vor GOtt hertz - lich zu demuͤthigen hat / den er mit ſuͤndlicher und liederlicher verthuung des ſeinigen / welches er treulicher zu GOttes ehren anwenden ſollen / und mit verleitung zur ſuͤnde anderer / oder doch mitwirckung mit ihrer ſuͤnde / belei - digt hat / wozu auch alles uͤbrige / was die buß ſonſten erfordert / gehoͤret / aber einige reſtitution ſehe ich nicht noͤthig / dann wo er das ſeinige unterſucht / hat er von dem ſpielen keinen vortheil.
  • 11. Jedoch wo ſich dieſer fall begebe / bey einem der ſonſten von mehrern mitteln waͤre / wolte demſelben rathen / daß er eine ſolche ſumme / welche der jenigen gemaͤß waͤre / ſo viel er jemal gewonnen zu haben ſich erinnerte / ohn - abgezogen andermaligen verluſtes / dem HErrn heiligte / und wie er vorhin geſuͤndiget / mit in dem gewiſſen unrechtmaͤßiger an ſich bringung durch das ſpielen einiges geldes / ein andermal aber mit ſuͤndlichem verſpielen / alſo ihm ſelbs gleichſam dieſe ſtraff und buß aufflegte / daß er alles dem HErrn erſtat - tete / was er einigerley maſſen unrecht bekommen / und hingegen den anderma - ligen verluſt nicht zum abzug jenes gewinnes rechnete / ſondern eben ſo wol als ſuͤndlich anſehe / weswegen er nun lieber ſo viel an GOtt gefaͤllige aus - gabe anwenden wolle / als er vorher liederlich zu verthun kein bedenckens gehabt.
  • 12. Wo es aber eine perſon waͤre / welche nicht viel uͤbrig haͤtte / und das zarte gewiſſen ſich mit gedachter compenſation doch nicht zu frieden geben wolte / wie hierinnen GOttes / ſo unſer hertz und gewiſſen in ſeinen haͤnden hat / regierung wunderbar und unterſchiedlich iſt / alſo daß dasjenige / was zu einem mal einem das hertz voͤllig zu frieden geſtellt / ein andeꝛmal bey einemX xan -346Das dritte Capitel. andern keine ruhe zuwege bringen kan / ſo wolte ich es alſo anſehen / daß Gott einen ſolchen menſchen dahin wieſe / daß er ihm ſelbs mit erſtattung alles durch die erinnerung befundenen wehe thue / und auff ſolche art endlichen das hertz befriedige. Daher er dann auch ſich deſſen nicht zubeſchwehren / ſondern ſolches mittel nicht zu theuer zu achten haͤtte / ſeinem gewiſſeneinige ruhe zu ſchaffen.

Die andere Frage.

  • Ob die bekaͤntnuͤß der ſuͤnden / ſo wider den nechſten begangen / bey allen faͤllen ſchlechterdings noͤthig / auch ſonder dieſelbe der nech - ſte (der von ſolcher ſuͤnde nichts weiß / weil ſie heimlich wider ihn mit worten begangen) vor unverſohnt zu halten / und daher der beleidiger / ſo lange er ſolche dem læſo nicht geoffenbaret und ab - gebeten / deren keine vergebung bey GOtt ſich zu getroͤſten habe?

AUf dieſe frage iſt bereits ſolcher gruͤndliche entſcheid in dem uͤberſchickten befindlich / daß kaum ſehe / was dazu zu thun noͤthig waͤre / ſonderlich da ſie / wie zuletzt geſchihet / noch deutlicher eingeſchrencket wird; da es alſo lau - tet: Ob ein Chriſt / der ſich erinnert / daß er ehemals / bevorab in ſeiner ju - gend / ein und andern fehler ſeines nechſten / andern im vertrauen / oder aus unbeſonnenheit / entdecket / ſeine verbrechen und maͤngel durchgezogen / von ſeinem thun unzeitig und unbefohlen geurtheilt / oder auff andere weiſe und wege in worten ſeinen nechſten betreffend ſich verlauffen / da ſolches dem læſo unwiſſend / und dieſer alſo keinen groll oder feindſchafft deshalben heget / das factum (die verleumbdung / verſpottung / verkleinerung / oder wie es nah - men haben mag) auch ſelbs denen / ſo es zu ohren getragen / oder die es ange - hoͤret / wol laͤngſt vergeſſen / ob ſage ich ſolcher bey ſeiner buſſe noͤthig habe / ſolche ſeine ſuͤnden dem nechſten / wider den ſie begangen worden / zu entde - cken / und ſie ihme abzubitten? oder ob zu wahrer buß und vergebung ſolcher heimlichen ſuͤnde gnug / daß er ſie GOtt dem HErrn beichte / und in wahrem glauben abbitte / auch ſich bemuͤhe / partis læſæ famam ſonſten bey aller gele - genheit zu vertheidigen / und da er erfahren ſolte / daß ſeiner ehemals gefuͤhr - ter worte halben deſſen guter nahme angefochten werden wolte / ſo dann uͤber ſein voriges factum ernſtliches mißfallen bezeuge / und alſo das gegebene aͤr - gernuͤß bey denen es erreget / mit allem fleiß auffzuheben trachte / und ob er factis his animoque firmiter deſtinatis ſein gewiſſen befriedigen koͤnne / und da ihm ferner hieruͤber gedancken zuſetzen wolten / ſolche ausſchlagen / und ih - nen nicht gehoͤr geben ſolle? Jn welcher frage formirung bereits die noͤthige li - mitationes, oder was gleichwol der ſchuldige zu thun verbunden ſeye / dabey ſtehen / die ſonſten bemercken haͤtte wollen / wie nemlich gleichwol die buſſe ge -gen347ARTIC. III. SECTIO XIII. gen GOtt und die ſchadloßhaltung des nechſten wegen der wider ihn began - genen heimlichen ſuͤnde erfordert werde. Bey ſolchen umſtaͤnden nun / kan ohne ſorge einen ſolchen von der ſchuldigkeit der bekaͤntnuͤß auch loßzehlen / indem nirgend in der ſchrifft dergleichen erfordert / oder wir dazu angewie - ſen / noch eine ſolche ſchuldigkeit aus derſelben dargethan werden kan / auſſer dero aber uns nicht frey ſtehet den gewiſſen fernere (und alſo von GOtt ihnen nicht aufferlegte) laſten auffzubuͤrden.

Jch will aber die pro negativa angefuͤhrte rationes nur wiederhohlen / und etwa wie ſtarck ich jegliche halte / beyfuͤgen. So iſt nun der ort Matth. 5 / 23. 24. von unſer hypotheſi frembd / und redet deutlich von dem fall / da ei - ner innen wird / daß ſein bruder etwas wider ihn habe / das iſt: daß er nicht mit ihm zu frieden ſeye / ſondern klage uͤber ihn fuͤhre / daher er dasjeni - ge wiſſen muß / woruͤber die klage iſt. Wie wir ſehen Offenbahr. 2 / 4. 14. 20. daß der Geiſt zu etlichen Engeln ſagt: Jch habe ein kleines wider dich / wo er dasjenige wuſte / was die ſache ſeye: iſt alſo einerley / wie Coloſſ. 3 / 13. ſtehet / ſo jemand klage wider den andern hat. Welche erklaͤhrung auch daraus mehr erhellet / weil austruͤcklich einer verſoͤhnung meldung geſchihet / welche aber niemals noͤthig iſt / wo die gemuͤther freundlich gegen einander ſtehen. So wird unter beyden partheyen eine der andern ἀντίδικος und ge - richtlicher widerſacher genennet / welches abermal nicht platz hat / wo nicht beyderſeits die gemuͤther von und wider einander zerfallen ſind. Daher ſol - cher ort zum erweiß der gegenmeinung ſo gar nicht gebraucht werden kan / daß vielmehr darauß abzunehmen iſt / in welchem fall eine verſoͤhnung noͤthig ſeye / nemlich allein / wo eine wirckliche klage und mißhelligkeit unter einan - der iſt / und alſo nicht bey der einen parthey verborgen gebliebener ſuͤnde.

2. Von dem ort Jac. 5 / 16. iſt wol bemercket / daß derſelbe allzugemein gehe / und dieſer beſondere caſus noch nicht daraus koͤnne decidiret werden. Haben wir alſo zwahr darinnen den befehl der bekaͤntnuͤß gegen den nechſten / aber was ihm bekant werden muͤſſe / iſt nicht gleichermaſſen ausgetruckt / und muß alſo anderwertlich her gelernet werden / welche ſuͤnden dahin gehoͤren / nem - lich deren bekaͤntnuͤß entweder der troſt / welchen man fuͤr das beunruhigte gewiſſen von dem nechſten bedarff / oder ſeine verſoͤhnung / damit durch ſeinen unwillen gegen uns / wo er weiß / daß wir ihn beleidiget / ſein gebet fuͤr uns nicht gehindert werde (wie wir dann ohne zorn und zweiffel die haͤnde auffzuheben angewieſen werden 1. Tim. 2 / 8.) erfordert.

3. Von der angefuͤhrten gewohnheit der Juden iſt wol bemercket / daß ſie uns keine regel geben / oder zu unſers gewiſſens laſt werden moͤge.

4. Daß Chriſtus weder die ehebrecherin noch groſſe ſuͤnderin Luc. 7. X x 2zur348Das dritte Capitelzur beſondern bekaͤntnuͤß gegen alle diejenige / an welchen ſie geſuͤndiget / ver - bindet / und der liebe Apoſtel Paulus auch bey ſeiner bekehrung ſolche ihm nicht noͤthig zu ſeyn geachtet / zeiget gnugſam / daß keine unbedingte noth - wendigkeit eben vorhanden ſeye. Doch lieſſe ſich die folge nicht zu weit aus - dehnen / gegen diejenige / die ſonſten den bußfertigen aus der art der buß ſelbs obligen / und eben an ſolchen orten nicht ausgetrucket werden.

5. Aus 4. Moſ. 5 / 6. kan mehr nicht gefolgert werden / als daß die be - beleidigung an dem nechſten auch zugleich gegen GOtt gehe / und alſo frey - lich die verſoͤhnung / wo eine noͤthig iſt / beyſammen ſeyn muͤſſe: daher ſolcher ort am kraͤfftigſten gebraucht wuͤrde gegen diejenige / welche mit der verſoͤh - nung des nechſten gnug zu ſeyn meinen / und von GOtt dieſelbe nicht eben ſo wol ſuchen wolten / daß ſie nemlich / weil ſie durch den nechſten ſich an GOtt vergriffen / unnachlaͤßig auch bey dem HErren die vergebung zu ſuchen ha - ben / weswegen auch uͤber die reſtitution deſſen / womit man dem nechſten ge - ſchadet / der widder der verſoͤhnung gebracht werden muſte. Jch will zwahr auch nicht in abrede ſeyn / daß auch auff der andern ſeite die beyde arten der verſoͤhnungen beyſammen ſeyn muͤſſen / wo eigenlich eine wahrhafftige / und daher auff der andern ſeiten zugemuͤth gezogene / folglich bekante beleidigung vorgegangen iſt / daß deswegen derjenige / welcher dermaſſen weiß / ſeinen nechſten betruͤbt zu haben / von GOtt vergeblich die erlaſſung der ſchuld ver - langte / wo er den nechſten nicht auch verſoͤhnete / und ihm alſo ſatisfaction leiſtete: wie dann der ort austruͤcklich von dem exempel der erſtattung redet / folglich einen fall ſetzet / da dem nechſten ſchaden geſchehen / und eine erſtat - tung ſolches zugefuͤgten ſchadens platz hat / maſſen auch geſtanden worden / daß derjenige / ſo mit ſeinen worten die ehre des nechſten verletzet / daß er wircklich in ſchaden dadurch gerathen und darinnen ſtehet / ſolche erſetzung auff alle muͤgliche und ſuͤglichſte weiſe thun muͤſſe. Wo aber dem nechſten heimlich zuwider gethan worden / doch kein ſchade geſchehen / oder derſelbe ſelbs wiederum verſchwunden / und von dem beleidiger abgewendet und ein - gebracht worden / alſo daß nichts mehr uͤbrig iſt / womit dem nechſten eine ei - genliche erſtattung geſchehen koͤnte / ferner ſein gemuͤth als des vorgegange - nen unwiſſend / gegen ihn ohne widrigkeit geſinnet / alſo auch keiner eigenli - chen verſoͤhnung noͤthig iſt / da bleibet nur allein die nothwendigkeit der ver - ſoͤhnung mit GOtt / dem unſer unrecht bekant und deswegen ſeine gerechtig - keit gegen uns gereitzet iſt: wo dieſer verſoͤhnet / ſo iſt die ſuͤnde / nicht nur wie ſie gegen GOtt / ſondern auch wie ſie gegen den neben-menſchen geſchehen iſt / vergeben: ja dieſer / ſo offt er vor GOtt ſein vater unſer gebetet / und ſich er - boten ſeinen ſchuldigern zu vergeben / hat auch dieſe ſchuld / die ihm unbekant geweſen / vor GOttes angeſicht ihm vergeben: daß aber ſolche vergebungnicht349ARTIC. III. SECTIO XIII. nicht austruͤcklich geſchehen / mag das gewiſſen noch nicht verunruhigen / weil es eine vergebung iſt / die der art der ſuͤnde gemaͤß / da nun dieſe dem an - dern unbekant / und GOtt ſie nur geſehen / ſo iſt gnug / daß auch jene vor GOtt geſchehe / ob wol der ſie thut / die particular application nicht weiß / in - deſſen wo er ein rechtſchaffener Chriſt iſt / wahrhafftig von grund der ſeelen alle ſchulden ſeinem nechſten erlaſſen hat / oder da er jenes nicht iſt / erlaſſen hat ſollen / welches GOtt auch alſo annimmet / daß es ſich ſo weit erſtrecke / als er ſihet / die ſchulden zu gehen / davon jener auch nicht wiſſenſchafft gehabt hat / nothwendig aber immer in der gemuͤths-bewandnuͤß hat ſeyn muͤſſen / daß wo er auch jegliche particularien gewuſt / er ſie auch / wie er vor GOtt insgemein bezeuget / zu vergeben willig geweſen waͤre.

6. Jſt wolerinnert / daß die bekaͤntnuͤß gegen den nechſten in dem be - ſchriebenen caſu ſo gar nicht noͤthig / daß ſie vielmehr meiſtens unnuͤtz oder wol ſchaͤdlich ſeyn moͤchte. Traͤffe man an demſelben einen harten mann an / ſo iſt zu ſorgen / daß wahrhafftig erſt rechte offenſion, zorn und rach erreget / daher zu ſuͤnden mehr anlaß gegeben wuͤrde / ſo wir doch vielmehr zu verhuͤten / und darinnen klugheit zu gebrauchen haben. Waͤre aber der andere von chriſtlichem gemuͤth / ſo ſind doch unter ſolchen leuten die meiſte noch ſo ſchwach / daß ſie dergleichen nicht ohne regung eines unwillens anhoͤren koͤn - nen; kommen wol in ſorge / daß ihnen ſolche nachrede noch vieles ſchaden moͤge / obs wol nicht iſt / werden damit ſehr in ihrem hertzen verunruhiget / auffs we - nigſte betruͤbt. Weil wir nun in allen ſtuͤcken / worinnen wir es mit dem nechſten zu thun / auf die liebe zu ſehen / und ſolche vor die allgemeine regel zu achten haben / ſo iſt ja dieſer am gemaͤßeſten / daß man des nechſten auch in die - ſem ſtuͤck ſchohne / wo die bekaͤntnuͤß ihm keinen nutzen bringen / aber leichtlich ſchaden / auffs wenigſte unruhe und betruͤbnuͤß ohne noth machen wuͤrde. Wie ich auch davor halte / wo man uns fragen wuͤrde / ob wir wuͤnſcheten / daß wir alle ſolche dinge / die jemal von uns geredet worden / ohne daß uns zu unſerer rettung und fernern verhaltung ſolches noͤthig waͤre / wiſſen moͤchten / wir wuͤrden / wo wir die ſach chriſtlich und vernuͤnfftig uͤberlegen / lieber wuͤnſchen / daß es nicht geſchehe / und man uns in ruhe laſſe. Was wir nun wollen / oder chriſt-kluͤglich wollen ſolten / daß gegen uns geſchehe / haben wir nach der allge - meinen regel des HErrn auch zu thun. Zwahr bekenne ich / wo wir ſolche Chriſten haͤtten / von denen man ſich verſehen koͤnte / daß ſie ohne verunruhi - gung / unwillen und betruͤbnuͤß alles ſolches anhoͤren / und nur zum lobe GOt - tes / der die bußfertige erkaͤntnuͤß in dem andern gewuͤrcket / zu ſo viel hertzli - cher liebe des bruders / den der HErr angenommen / und inbruͤnſtiger fuͤrbitte fuͤr denſelbigen / auffgemuntert werden wuͤrden / und alſo davon nutzen bekaͤ - men / wolte ich ſolche bekaͤntnuͤß nicht mißrathen; ja da man deſſen gantz ver -X x 3ſichert350Das dritte Capitel. ſichert waͤre / ihm zu ſolchem guten anlaß zu geben / noͤthig achten. Jch ſorge aber / wir werden dergleichen Chriſten wenig finden / faſt aber durch und durch ſolche / bey denen die bekaͤntnuͤß ihnen mehr ungemach als vortheil ſchaffte; daher in gegenwaͤrtigem zuſtand unſerer zeit dazu nicht leicht rathete. Wie insgeſamt und offt bemercke / daß ſelbs unterſchiedliche der austruͤcklichen be - fehl unſers Heylands / worinnen wir es mit dem nechſten zu thun haben / wie es jetzt in der welt ſtehet / und die leute bewandt ſind / nicht zwahr fuͤr abge - ſchafft oder wir frey davon geachtet werden koͤnnen / indeſſen daß dannoch in uͤbung derſelben viele chriſtliche weißheit gebraucht zu werden noͤthig ſeye / wie in dieſen und jenen umſtaͤnden ſie ſo und ſo geuͤbet werden ſollen / daß man nicht allemal ſo gerade durchgehen / und ohne fernern bedacht in die uͤbung bringen doͤrffe / was man bey anders bewandten zeiten / und beſſerer beſchaf - fenheit des gemeinen Chriſtenthums / mit einer groͤſſern einfalt verrichten koͤnte. Dann weil die liebe das haupt - und koͤnigliche gebot / daher auch die regel aller befehl unſers Heylands von den pflichten gegen den nechſten anzu - ſehen iſt / ſolche aber ſtets den mehrern nutzen des nechſten zum zweck hat / ſo er - fordert zuweilen die erkaͤntnuͤß des ſchadens / den der nechſte aus einer ſache / ſo zu ſeinem beſten gemeinet / leiden wuͤrde / daß ſolches unterlaſſen / und viel - mehr der zweck des allgemeinen gebots / als wo demſelben dißmal die uͤbung des particular-gebots zu wider ſeyn wuͤrde / dieſes angeſehen und demſelben nachgelebet werde. Welche bemerckung vielleicht in vielem / zum exempel in der materie von der beſtraffung des nechſten / ihren nutzen haben kan.

7. Nehme auch gern dieſe erinnerung an / daß die bekaͤntnuͤß gegen die - jenige / bey denen man wider den nechſten geredet / meiſtentheils dem læſo mehr ſchaͤdlich als nuͤtzlich ſeye (allezeit ausgenommen den fall / wo bey jenen noch etwas von dem ausgeſagten zu dieſes præjudiz beklieben waͤre / wo ſchon ausgemacht / daß die beſſerung deſſen nothwendig) indem alle dinge wieder erneuert wuͤrden / zu niemands nutzen / beſorglich aber einigem ſchaden. Da - her abermal ſolche mehr mißrathen als erfordert wird. Jedoch nehme ich dieſes dabey aus / daß aus einer andern urſach ſolche bekaͤntnuͤß mag noͤthig werden / wo man wuͤßte / daß jene leute ſich der ſachen noch erinnerten / und da ſie derfalſchheit deſſen / was man gegen ſie geredet / erfahrung haben / ſich an dem aͤrgerten / der ihnen ſolche geſagt / und ſie ihn in unbußfertigkeit fortzu - fahren gedaͤchten: welches aͤrgernuͤß gleichwol jeglicher nach vermoͤgen zu ver - huͤten trachten ſolle.

8. Gegen die bloſſerdings erforderende bekaͤntnuͤß koͤnnen auch die ar - gumenta wol gebraucht werden / die bey n. 9. ſtehen / daß niemand die bekaͤnt - nuͤß der ſuͤndlichen gedancken oder eigene angebung bey der Obrigkeit uͤber die begangene mißhandlungen erfordere: Welcherley gleichwol auch noͤthig ſeynwuͤr -351ARTIC. III. SECTIO XIII. wuͤrde / dafern ohne einige ausnahm keine ſuͤnde ohne die bekaͤntnuͤß gegen diejenige / gegen welche ſie begangen / von GOTT vergebung erlangen koͤnte.

9. Das argument von gleichfoͤrmigkeit des verbrechens und der er - ſetzung iſt auch wol abgeleinet / daß es nemlich nicht zu weit gezogen werde / nemlich wo man ſich mit worten gegen den nechſten / und daß ihm ſolches wiſ - ſend / auch er daher eine klage gegen uns fuͤhret / verſuͤndigt hat / daß auch die erſtattung wiederum mit worten geſchehe: Da es aber gegen einen tertium geſchehen / und entweder derſelbe daraus aͤrgernuͤß gefaſſet / oder der nechſte bey ihm dadurch in uͤbelem vernehmen ſtehet / ſo wird auch eine woͤrtliche er - ſtattung aber allein gegen ihn erfordert.

Auf die autoritates einiger autorum zu antworten / wird nicht noͤthig ſeyn / da wir in gewiſſens-faͤllen wiſſen / daß keine menſchliche urtheil demſel - ben gnug thun / ſondern goͤttliches wort / und daraus gefuͤhrte buͤndige ratio - nes, das einige fundament ſind / darauf jenes ſicher ruhet / hingegen niemand weder unſer gewiſſen eigenmaͤchtig binden / noch ſolches von deme / was der HErr befohlen hat / guͤltig loͤſen oder diſpenſiren kan.

Dieſes einige ſetze ich noch endlich hinzu / wie bey der erſten frag gleich - fals geſchehen / wo das gewiſſen auf alle ſolche remonſtrationes ſich noch nicht zu frieden geben wolte / und immerfort der ſcrupul uͤbrig bliebe / daß alsdann was ſonſten an ſich nicht noͤthig iſt / noͤthig werden wuͤrde / nemlich die bekaͤnt - nuͤß lieber zu thun / als mit ſteter unruhe ſich zu martern; nur wuͤrde alsdeun auch fleißige ſorge zu tragen ſeyn / daß ſolche ins werck geſtellet wuͤrde / mit vermeidung als viel muͤglich iſt / der oben bey 11. 6. und 7. angeregter difficultaͤ - ten / und ſonſten bey dem læſo beſorgender offenſæ, wo treuer rath eines chriſtlichen ſeelſorgers viel anleitung geben koͤnte.

Die dritte Frage.

  • Ob derjenige / ſo ein convivium publicum anzuſtellen / von dem weinhaͤndler / von dem er den wein dazu erkaufft / anneh - men doͤrffe / daß derſelbe ihm zum profit denſelben wolfeiler laſſe / als er ihn ſonſten zu verkauffen pfleget / damit dieſer den gemeinen preiß in ſeine rechnung bringe?

HJerauf traue nicht wol anders als mit nein zu antworten. 1. Jſt wi - der die auffrichtigkeit / einen andern als den wahrhafftigen preiß / wie viel nemlich bezahlet worden / in die rechnung zu bringen.

2. Jſt der kaͤuffer / ſo ſein honorarium vor die ausrichtung und bemuͤ - hung hat / ſchuldig / derjenigen / fuͤr welche das convivium gehoͤret / vortheil nach allem vermoͤgen zu ſuchen / und alſo / wo der wein unter dem ſonſten ge -woͤhn352Das dritte Capitel. woͤhnlichen pretio gelaſſen werden kan / ſothanen profit denſelben zukommen zu laſſen.

3. Obwol der verkaͤuffer uͤber das ſeinige macht hat / und dem kaͤuffer aus freyem willen etwas nachlaſſen und ſchencken darff / muß doch in anneh - mung deſſelben auch aller boͤſe ſchein und exempel gemeidet werden. Nun iſt ein boͤſer ſchein / ja gar ein boͤſer anfang / wo man anfaͤngt / die kaͤuffer / ſo in anderer nahmen zu kauffen haben / mit verehrung an ſich zu locken / und ande - ren ſolches anzunehmen; indem wo ſolches boͤſe exempel einmal anfaͤngt / es geſchwind uͤberhand nehmen kan / und zu ſorgen iſt / daß in kurtzem ſolches eine gemeine / aber ſchaͤdliche / gewohnheit werde / die auch andere / ſo dergleichen nicht gern thun / oder etwa nicht ohne ſchaden thun koͤnten / mit gewalt nach ſich zoͤge / daß ſie dergleichen thun / oder allen zugang denen / die es thun koͤn - nen / und ſich wenig gewiſſen machen / mit ihrer nachſetzung uͤberlaſſen muͤſten / ſo alles beydes unbillich iſt. Es wuͤrde auch daraus zu ſorgen ſeyn / daß der - gleichen noch weiter greiffe / und ſich bald die meiſte / ſo in Herren-dienſten ſte - hen / und wegen derſelben rechnungen zu fuͤhren haben / auf allerhand weiſe dergleichen nachmachen / und viele ungerechtigkeit begehen wuͤrden. Wo nun aus einer ſache / die noch in gewiſſen umſtaͤnden paßiret werden koͤnte / dergleichen boͤſes zu ſorgen / iſt ſolche auch zu unterlaſſen; wer es aber thut / la - det in gewiſſer maaß die ſchuld auch derjenigen ſuͤnden auf ſich / die dadurch veranlaſſet werden. Wie um ſolcher urſach willen von richtern auch dieje - nige geſchencke vermeidet werden ſollen / die ſonſten noch in gewiſſen umſtaͤn - den moͤchten nicht gantz verworffen werden / weil alles auffs wenigſte einen boͤſen ſchein hat / und das exempel darnach immer weiter gehet / als inner der ſchrancken und umſtaͤnde / wie es angefangen hat.

4. Sorge ich auch / das gewiſſen des fragenden fuͤhle bereits einen ſcru - pul deswegen / deſſen billich ſo zu ſchohnen iſt / daß es nicht nur in dem gegen - waͤrtigen etlicher maſſen zu ruhe komme / ſondern auch auf kuͤnfftige zeit / da ſich wiederum anfechtungen einfinden moͤchten / ſicher geſetzet werde / daß wo auch der andere theil mit zimlich probablen rationibus koͤnte beſtaͤtiget wer - den / bey ſolchen gewiſſen allezeit tutior ſententia zu erwehlen iſt.

Die vierdte Frage.

  • Ob ein gewiſſes collegium, ſo bey einigen publicis promotionibus ſeine verrichtungen hat / dafuͤr auch ein gewiſſes zu fordern und zu genieſſen pfleget / ohne verletzung der liebe den vor - her gewoͤhnlichen ſumtibus etwas beyſetzen doͤrffe / oder da ſolches geſchehen / ob eine reſtitutio denjenigen zu thun / ſo damit graviret worden / auch wie ſolche anzuſtellen?
1. Laͤſſet353ARTIC. III. SECTIO XIII.

1. Laͤſſet ſich auf das erſte nicht wol gewiß antworten / ohn betrachtung / wie weit insgeſamt die macht des collegii ſich erſtrecke. Jſt ein col - legium, welches unter einem andern ſtehet / ſo ſehe ich nicht / daß daſſelbe von ſelbſten ihm ſeine intraden mit anderer laſt erhoͤhen doͤrffte / ſondern ſolches haͤtte bey demjenigen ſchlechterdings zu bleiben / was lege definirt / oder durch lange gewohnheit autoriſirt worden. Wo es aber ein collegium, daskeine ſondere dependenz von einem andern hat / ſondern auch in andern dingen freyer diſponiret / wolte ich nicht davor halten / daß demſelben verboten waͤre / je nachdem die zeiten anders werden / oder gewiſſe dinge in eine theurung ge - rathen / die ſumtus deſſen / was ſie zu conferiren haben / in gewiſſer maaß zu vergroͤſſern: es waͤre dann ſache / daß auch demſelben von der hohen Obrigkeit allerdings gewiſſe ordnungen vorgeſchrieben ſind / dadurch ihre macht auch reſtringiret wird.

2. Wo ein collegium einige freyere macht hat / ſo hat es auch die ratio - nes, warum man etwas desjenigen / was ſeine muͤhe betrifft / mit mehrern ſumtibus beſchwehren will / fleißig zu examiniren / ob ſie chriſtlicher billichkeit gemaͤß / welche allezeit dieſe regel hat 2. Cor. 8. daß nicht einige ruhe / die an - dere truͤbſaal haben / das iſt / daß keine parthey zur ungebuͤhr beſchwehret werde / und weder der einigen bemuͤhung allzugering recompenſiret / noch auch den andern ſolche zu hoch angerechnet werde. Worauf aber ſolche bil - lichkeit in ſpecie in jeder ſache zu gruͤnden / laͤſſet ſich nicht ſo eigentlich austru - cken / ſondern kan vielerley in conſideration kommen: unter andern halte nicht gantz unbillich / daß zuweilen zu denen vor mehrern jahren / ſonderlich von einem ſeculo her / determinirt geweſten ſummen heut zu tage etwas weiter geſetzt werde / nachdem faſt die pretia aller dinge geſtiegen / und daher die maaß der beſoldungen und anderer zugaͤuge / wo ſie bleibet wie ſie geweſen / in ver - gleichung des uͤbrigen zuſtands in dem gemeinen leben bey weitem nicht mehr dasjenige zur vergnuͤglichkeit derer / die es genieſſen ſollen / austraͤgt / was da - mal damit auszurichten war. Wo deswegen aus dieſer conſideration auch in ſolchen ſumtibus etwas zur ergoͤtzlichkeit derjenigen / die damit bemuͤhet ſind / beygeſetzt wird / kans nicht vor eine unbillichkeit geachtet werden.

3. Wo nun ſolche erhoͤhungen der ſumtuum mit recht geſchehen / ſo faͤl - let die frage von der reſtitution; wann aber dieſelben von einem collegio, ſo dazu die gnugſame macht nicht haͤtte / geſchehen waͤre / wolte ich einen unter - ſcheid unter denjenigen machen / welche ſolche ſteigerung introducirt / und wel - che dieſelbe eingefuͤhrt gefunden / dieſe da ſie bona fide, als etwas ihnen aus der gewohnheit gebuͤhrendes / angenommen / hielte zu der reſtitution nicht ge - halten; wol aber daß ſie / was das kuͤnfftige anlangt / ſich bey den Superioribus anmelden / und deroſelben verordnung verlangen / auch nachmal dabey bleiben:Y yWas354Das dritte Capitel. Was aber diejenige betrifft / ſo eigenmaͤchtig ihnen mehr accidentia gema - chet / trane von der reſtitution nicht loßzuſprechen.

4. Die art der reſtitution belangend / glaube ich keinen weiter verbun - den / als nach ſeinem quanto, was er empfangen / daß er aber das augmentum vorgeſchlagen / vergroͤſſert zwahr ſeine ſuͤnde / jedoch ſehe nicht / daß es ihm die laſt der voͤlligen reſtitution auffbuͤrde / ſondern nur / daß er / wie er andere ſo viel an ihm war / zur einfuͤhrung einer unbillichkeit verleitet / alſo auch nun - mehr nechſt ſeiner bußfertigen demuͤthigung vor GOTT ihnen ſein und ihr unrecht zeige / und ſo viel an ihm iſt / ſie zu gleicher reſtitution zu diſponiren ſuche: Wollen ſie dann nicht folgen / ſo bleibet ſolches auf ihre verantwortung. Ferner wenn die perſonen / von welchen ein mehrers gefordert worden / zer - ſtreuet / und deroſelben erkundigung gar ſchwehr werden wolte / und das quantum, ſo von denſelben genommen worden / ſo bewandt / daß nach allen vernuͤnfftigen vermuthungen ſie ein ſolches geringes wenig achten / noch ſich durch deſſen mangel incommodirt finden wuͤrden / wolte glauben / daß nach mediocri diligentia, ſo zu ihrer erkundigung angewendet wuͤrde / dasjenige / was man den uͤbrigen gewuͤnſchet haͤtte / und ſie nicht wol erfahren kan am rathſamſten an andere nothduͤrfftige treulich gewendet wuͤrde / je nach der ge - legenheit / die GOTT ſelbſten zeiget / jedoch ohne davon das anſehen / daß mans aus eigenem thue / zu haben. Wo aber dem eigenthums-herrn ſelbs die reſtitution geſchihet / meine eben nicht nothwendig zu ſeyn / daß er perſon und urſach wiſſe / ſondern allein das ſeinige quavis via wiederum bekomme / als welches einige hierinnen dem gewiſſen gnug thun mag.

Die fuͤnffte Frage.

  • Wie ſich eine chriſtliche weibs-perſon an orten / da der kleider - pracht groß / zu verhalten habe?

1. WEgen der kleider ſelbs haben wir insgemein in acht zu nehmen / daß eigenlich darinnen keine ſuͤnde oder tugend beſtehe / dann ſie ſind et - was auſſer uns / und koͤnnen uns nicht verunreinigen / und moͤchte man darin - nen die wort Chriſti brauchen Matth. 15 / 11. Was zum munde eingehet (ſo vielmehr was gar auſſer uns und unſerm leibe bleibet) das verunreini - get den menſchen nicht / ſondern was zum munde ausgehet (und alſo aus dem hertzen koͤmmt / oder wie die ſeele gegen jegliches ding geſinnet iſt) das verunreiniget den menſchen. Alſo iſt in allem ſolchem / was auch die kleider anlangt / am meiſten auf das hertz und die ſeele zu ſehen / an dero de - wandnuͤß ligets / wie an den kleidern ſuͤnde oder tugend geuͤbet werden kan. Jndeſſen wie die ſeele ſich auch des euſſerlichen recht - oder mißbrauchen kan / ſo mag freylich auch an den kleidern ſuͤnde begangen werden.

2. Wie355ARTIC. III. SECTIO XIII.

2. Wie bey jeglicher ſache die urſach und der zweck derſelben zum foͤr - derſten muß beobachtet werden / alſo auch kan ſich die ſeele bey den kleidern nicht recht bezeugen / ſie verſtehe dann recht den zweck derſelben / und gebrau - che ſich alſo derſelben dieſem gemaͤß. So wiſſen wir nun / daß der urſprung der kleider von der ſuͤnde kommet / indem die erſte eltern in dem paradiß kei - ner kleider bedorfft haben / nun aber da unſer und anderer leiber mit ſuͤndli - chen luͤſten angefuͤllet / auch ſchwach worden ſind / daß ihnen von der lufft und anderm euſſerlichen leicht ſchaden zugefuͤget werden kan / bedoͤrffen wir der kleider zum ſchutz unſrer leiber / zur decke unſrer ſchande / und zu ſchohnung der ſchwach heit unſers nechſten / ja ſie ſind mit der daran hafftenden vielen be - ſchwehrde eine gewiſſe art einer uns auffgelegten ſtraffe. Dieſes ſind die haupt - und gemeine abſichten der kleidung / dazu nachmal ferner kommet der unterſcheid der geſchlechte / des maͤnnlichen und weiblichen / ſo dann um euſſer - licher und der policey dienlicher ordnung willen / gewiſſer ſtaͤnde und darin - nen lebenden perſonen. Wo alſo eine ſeele auf dieſe zwecke recht acht gibet / ſie neben einander wol ordnet / und der kleider ſich alſo gebrauchet / wie es den - ſelben gemaͤß iſt / ſo dann die allgemeine / daher alle theil des menſchlichen lebens durchgehende / regel der chriſtlichen ſelbs-verleugnung / demuth / beſcheidenheit und einfalt wahrnimmet / ſo verfaͤhret ſie recht.

3. Wo hingegen der menſch in den kleidern dasjenige thut / oder ſie alſo gebrauchet / nicht wie es jener erkaͤntnuͤß des zwecks der kleider gemaͤß iſt / ſon - dern demſelben wol gar entgegen ſtreitet / ſo dann die gemeine reglen verletzet / ſo werden die kleider ihm zur ſuͤnde / wegen des mißbrauchs / und verunreini - get alſo die ſuͤnde in dem hertzen dasjenige / was ſonſten ein mittel-ding waͤre.

4. Die vornehmſte ſuͤnden bey den kleidern nun finde ich / ſo viel mich ſo bald erinnern kan / dieſe. 1. Die koſtbarkeit an ſich ſelbs / wo ich nemlich an kleider mehr unkoſten anwende / als es die noth erfordert. Wo zwahr die noth nicht ſo præciſe zu nehmen iſt fuͤr die euſſerſte nothwendigkeit / ſondern was nach gelegenheit / zeit und ort auch von chriſtlichen / verſtaͤndigen und der eitelkeit nicht ergebenen gemuͤthern fuͤr noͤthig geachtet wird / daß man ſei - nem nechſten eben auch nicht durch verdacht einer unziemlichen filtzigkeit oder ſonderlichkeit unnoͤthigen anſtoß mache. Was nun uͤber dieſes ange - wendet wuͤrde / haͤtte dieſe ſuͤnde bereits in ſich / daß ich mit demjenigen / was mir GOTT beſchehret / oder vielmehr zu meiner verwaltung anvertrauet hat / nicht gebuͤhrlich umgehe / indem ich daſſelbe allein zu ſeinen ehren / meines neben-menſchen nutzen und meiner redlichen nothdurfft / anzuwenden / oder das uͤbrige zu ſolchem gebrauch zu verwahren habe / und alſo wo ich es un - nuͤtzlich verſchwende / GOTT ſeine guͤter in gewiſſer maaß umbringe.

5. Nechſt dieſem 2. kan auch geſuͤndiget werden mit uͤberfluͤßiger muͤ -Y y 2he356Das dritte Capitel. he und arbeit / ſo daran gewendet wird / ſonderlich mit verſaͤumnuͤß anderer noͤthiger geſchaͤffte / wie etwa ſonn - und feyertags die fruͤheſtund / an ſtatt der vorbereitung zu dem Gottesdienſt mit muͤheſamen putzen und anthun uͤbel durch gebracht / und insgeſamt ſonſten manche zu etwas beſſers billich gewid - mete zeit mit kleider-ſorge verdorben werden kan. Nun ſind wir Chriſten unſerm GOTT vor den gebrauch der zeit rechenſchafft zu geben ſchuldig / und haben ſie nicht macht unnuͤtzlich zuzubringen / ſondern ſolle alle dieſelbe zu GOttes ehre / unſers nechſten geiſtlichen oder leiblichen nutzen / unſrer eige - ne n nothdurfft oder wahrem nutzen / in geiſtlichem oder leiblichem angewen - det werden / was aufſer dieſem zugebracht wird / paßiret in GOttes rechnung nicht / und weiſet eine ſeele / die ihrem GOTT darinnen nicht treu iſt / noch vor ſeinem angeſicht ſtets wandlet.

6. Es mag 3. auch geſuͤndiget werden mit aͤrgernuͤß / welches ſonder - lich platz hat bey den weibs-perſonen / da dieſelbe etwas ihres leibes mehr als jedes orts laͤngſt gewohnet geweſen / und daher niemand aͤrgert / entbloͤſſet tragen / woran nicht nur ohne das unzuͤchtige gemuͤther mehr gereitzet wer - den / die an ſolchem nachmal ihre verbotene luſt haben / und ſich damit kuͤtzeln / ja wol zu wuͤrcklichen actibus der unzucht offt verleitet werden / ſondern auch offtmals wird ſonſten chriſtlichen leuten / die dannoch das fleiſch noch an ſich tragen / und mit betruͤbnuͤß deſſen luͤſte in ſich fuͤhlen muͤſſen / zu einigen un - zuͤchtigen gedancken und geluͤſten wider ihren willen anlaß gegeben. Wel - cher ſuͤnde ſchuld auf diejenige faͤllet / die dergleichen mit einiger weiterer ent - bloͤßung veranlaſſet / und entweder damit die eigne leichtfertigkeit / ihren leib mit willen zu anderer unkeuſchheit objecto darzuſtellen / damit verraͤth / oder wo es nicht mit fleiß geſchihet / alles muͤgliche mit vorſichtigkeit und mehrer bedeckung haͤtte verhuͤten ſollen.

7. Sonderlich aber wird 4. geſuͤndiget mit innerlicher hoffart / die darinnen beſtehet / wo der menſch an ſeiner kleidung / die wir doch gehoͤret haben ein ſchanddeckel und ſchutz unſrer ſchwachheit / und in gewiſſer maaß ſtraffe der ſuͤnden / zu ſeyn / gefallen traͤget / in dero koſtbarkeit oder mode und zierlichkeit ihm ſelbs beliebet / ſeinen madenſack damit ziehret / und andern zu ihrem mehrern wolgefallen / verwunderung / und verehrung darinnen vorſtel - let / andern es vorzuthun trachtet / eine freude darinnen ſuchet / und ſein hertz daran einigerley maſſen haͤnget. Dann alles dieſes iſt gleichwie der abſicht der kleidung alſo der ſelbs-verleugnung und chriſtlicher demuth ſchnurſtracks entgegen: und nachdem den Chriſten verboten / an ihnen ſelbs gefallen zu ha - ben / oder mit einigen der guͤter / die ihnen GOTT verliehen hat / und gleich - wol wahrhafftige guͤter ſind / zu prangen / wie vielmehr iſts unrecht / wo ſie an ſich gefallen tragen / und ſich oſtentiren in dingen / die in einer eitelkeit beſte -hen /357ARTIC. III. SECTIO XIII. hen / und keine wahre ehre in ſich haben; wo neben dem hochmuth des hertzens auch groſſe thorheit ſich offenbahret / daß eine ſolche ſeele nicht verſtehet / was die wahre guͤter ſind / und eine herrlichkeit oder ehre ſuchet in einer eiteln ein - bildung: Welcherley gemuͤther ſich offenbahren / daß ſie die wahre guͤter / wor - innen eine rechte ehr iſt / nicht verſtehen / und alſo die an dieſem euſſerlichen ſchmuck ein vergnuͤgen finden / von dem wahren ſchmuck allerdings nichts wiſſen. Wie nicht weniger diejenige / ſo nach der mode ſich offt aͤndern / eben - fals damit die eitelkeit ihres hertzens / und daß ſie ein ſonderliches in der art und façon der kleider zu ſtehen achten / verrathen: Welcherley abermal den Chriſten unanſtaͤndig iſt.

8. Voraus geſetzt nun deſſen / ſo komme endlich auff die hypotheſin ſelbs / und halte davor / daß an einem ort / da insgemein die kleider der weibs - perſonen gegen andere ort geachtet / praͤchtiger im gebrauch ſind / eine chriſt - liche weibs-perſon / die wahrhafftig in ihrer ſeelen die allergeringſte tracht ſolches orts uͤblich zu ſeyn wuͤnſchet / nach redlicher pruͤfung des hertzens (ſo uns ſonſten gar leicht betriegen kan / deßwegen in der unterſuchung nicht oben hin gefahren werden muß) ſich vor GOtt rein befindet / daß ſie nichts deſſen mit belieben ihres hertzens thue / ſondern ſtaͤts vor deſſen augen ſich bey den kleidern ihrer ſuͤnden erinnere / und in ſich demuͤthige / daher allen ſchmuck als ein unreines tuch achte / und alſo in einer ungeheuchelten demuth ſtehet / mit verlangen aller dieſer noch uͤbriger dienſtbarkeit / dero ſie wider willen noch unterworffen leben muß / gantz befreyet zu werden / nicht ſuͤndige / da ſie nach der daſelbs uͤblichen tracht in ihrem ſtande gehet / und in demſelben noch alle - zeit bey dem geringſten zu bleiben ſich mit fleiß beſtrebet. Dann wie eine ſol - che ſeele in ihrem inwendigen vor GOtt rechtſchaffen ſtehet / alſo iſt der ge - brauch ihrer kleider ihr nicht ſuͤndlich; alldieweil unſer Heyland / wie eigen - lich jegliche kleider geſtaltet ſeyn ſollen / uns nicht vorgeſchrieben hat / dero - wegen alles frey bleibet / was nicht gegen die allgemeine regeln ſtreitet; wie dann auch hie dasjenige præſupponiret wird / daß die vorhin angedeutete ſuͤnden vermieden werden.

9. Jndeſſen damit ſich ja eine ſeele / die ſonſten dem HErrn hertzlich die - nen will / hierinnen nicht verſtoſſe / noch dem fleiſch bey ſich zu einem betrug der ſuͤnden platz gebe / muß fleißig auff die bereits angedeutete limitationes acht gegeben werden. Sonderlich daß man ſich nicht in pruͤfung ſeines her - tzens betriege welches nicht ungemein iſt) ſondern daß wahr hafftig daſſelbe in der rechten demuth ſtehe. Zu ſolcher verſicherung / und damit auch ande - re deſſen proben an uns ſehen / gehoͤret / daß wahrhafftig eine ſolche perſon in ihrer tracht immerdar das geringſte erwehle / was ohne mit zimlichem ſchein geſchehende uͤbele nachrede kan erwehlet werden / daß ſie ob zwahr nicht allzuweit ſich von allen andern entferne / und damit ſich zu einem ſon -Y y 3dern358Das dritte Capitel. dern Spectaculo andern darſtelle / doch immer noch unter andern ihres glei - chen / als viel geſchehen kan / bleibe / ſonderlich aller nebens-zierathen / die am wenigſten noͤthig / ſich enthaltend / nachdem man mit beybehaltung desjeni - gen / was das vornehmſte in der art der tracht iſt / gezeiget / daß man ſich nicht in allem abſondere / und mit gewalt anderer zungen gegen ſich reitzen wolle. Es gehoͤret ferner dazu / daß eine ſolche perſon gern bey gelegenheit klage uͤber die dienſtbarkeit / darinn die verderbnuͤß der zeiten uns geſetzt habe / und auf ſolche art / daß man ſehen koͤnne / wie es ein ernſt ſeye / bezeuge / wie gern man / wo es bloſſer dings bey uns ſtuͤnde / und man anderer ſchwachheit zu ſchohnen nicht aus liebe der allgemeinen art und gewohnheit ſich accommodiren muͤ - ſte / ſehr vieles noch von uͤberfluͤßiger tracht ablegen wolte / daher gern abbre - che ſo viel man koͤnne: Auf daß alſo andere welt-hertzen ſich an ihrem exempel nicht aͤrgern / und ſie bey etwas gleicher tracht auch gleiches ſinnes achten / da - her dadurch in ihrer hoffart geſtaͤrcket / ſo dann auch gottſelige von dem wie ſie geſinnet ſeyen verſichert / und nicht auf der andern ſeite uͤblen verdacht auf ſie zu ſchoͤpffen veranlaſſet werden. Solte es auch ſeyn / daß eine ſolche per - ſon hoffen moͤchte / daß durch ihr und anderer / die ſie dazu bewegte / exempel zu ablegung einiges uͤberfluſſes etwas gutes oder doch guter anfang gemacht werden koͤnne / waͤre ſie auch zu ſolchem vor ſich verbunden / und folget gewiß / wo ſie ſelbs an nichts dergleichen luſt / ſondern vielmehr mißfallen hat / daß man ſich jeglicher gelegenheit freuen wird / auffs wenigſte etwas ſeiner laſt abzulegen. Alſo auch gehoͤret dahin / wo dasjenige / was die art eines prachts hat / wie insgemein geſchihet / in den kleidern beſtehet / die man auſſer hauſe / oder auch nur bey gewiſſen gelegenheiten traͤget / daß man weder dieſe letztere ſonderlich ſuche / vielmehr zeige ſie deswegen eher zu meiden / noch auch insge - ſamt gern ohne noth ſolcher urſach halben ausgehe / in dem hauſe aber / wo man mehr ſein eigen und weniger anderer gleichſtellung unterworffen iſt / ſo viel ſchlechter ſich aufffuͤhre als andere; zum zeugnuͤß was man auch in ande - rem bey voͤlliger freyheit am liebſten thaͤte. Jn ſumma / es muß in allem ge - ſuchet werden / daß jederman ſehe / was man uͤber dasjenige traͤgt / was die bloſſe nothdurfft iſt / werde getragen bloß anderer ſchwachheit zu ſchohnen / damit man andern nicht urſach gebe / ſich mit ungleichem urtheil und nachre - den zu verſuͤndigen. Dann gleichwie wir zwahr um uͤbeln nachredens wil - len dasjenige nicht unterlaſſen ſollen / was ſchlechterdings GOTT erfordert / noch auch dasjenige thun doͤrffen / was austruͤcklich ſuͤnde und von GOTT verboten iſt / ſo ſind wir doch ſchuldig / in denjenigen dingen / die allein aus ge - wiſſen umſtaͤnden und nach der bewandnuͤß des hertzens zur ſuͤnde werden koͤnnen / ſonſten aber an ſich mittel-dinge ſind / worunter dieſe und jene art der kleider gehoͤret / uns alſo anzuſchicken / daß wir andern uns nicht zum anſtoßſetzen /359ARTIC. III. SECTIO XIII. ſetzen / die wir billich ſorgen muͤſſen / daß ſie ſich an uns / weil ſie die ſache wie ſie iſt zu faſſen nicht geſchickt ſind / mit boͤſem urtheil verſuͤndigen wuͤrden; ſo dann daß wir uns nicht durch eine unnoͤthige ſonderlichkeit in den ſtand ſetzen / da wir alsdenn mit erinnern oder exempel an andern wenig mehr nutzen ſchaffen koͤnten.

10. Alles dieſes iſt von demjenigen fall geredet / wo die art der kleidung an einem ort insgeſamt praͤchtiger als an andern orten iſt / da eine chriſtliche perſon mit gantzer entziehung von demjenigen / was allgemein iſt / ſich zur eule unter die voͤgel ſtellen wuͤrde: Wo aber ſolche art zwahr die gemeinſte iſt / aber doch auch andere exempel chriſtlicher perſonen ſich finden / welche in geringe - rem habit einhergehen / ſo achte ich die pflicht derjenigen / welchen angelegen iſt / ihr gewiſſen rein zu bewahren / daß ſie vielmehr dem exempel der wenigen / ſo ihre demuth auch euſſerlich hervorleuchten laſſen / folgen / als die andere parthey ſtaͤrcken / an denen der ſchein der hoffart ſich findet.

11. Was endlich die beſondere frage von gold / perlen und edelgeſtein anlangt / ob dieſelbe ſchlechterdings und abſolute chriſtlichen perſonen verbo - ten geachtet werden ſollen aus 1. Tim. 2 / 9. und 1. Petr. 3 / 3. wolte ich nicht davor halten / daß mit ja darauf zu antworten. Jndem wir wiſſen / daß gold / perlen und edelgeſtein gute creaturen GOttes ſind / deren gebrauch goͤttlicher ordnung nicht entgegen iſt / vielmehr der HErr alles zu der men - ſchen gebrauch erſchaffen hat / und ihnen denſelben in gewiſſer ordnung gern goͤnnet. So wird Hoſ. 2 / 8. 13. geſagt / daß der HErr ſeye / der Jſrael ſilber und gold / ſtirn-ſpangen und halsband gegeben habe / darinnen ſie alſo einhergehen dorfften / und wird nur geklagt / daß ſie ſolche dem Baal zu ehren angewandt. Ezech. 16 / 11. 12. 13. wird von GOTT auch gemeldet / daß er ſeine geliebte Jeruſalem geziehret mit kleinodien / und ihr geſchmei - de an die arm und kettlein an den halß gelegt / er habe ihr haarband an die ſtirne gegeben / und ohren-ringe an die ohren / und eine ſchoͤne krone auf das haupt / er habe ſie geziehret mit eitel gold und ſilber / u. ſ. f. Nicht weniger wird von des Koͤnigs tochter geſagt Pſ. 45 / 14. ſie iſt mit guͤldenen ſtuͤcken gekleidet. Nun bin ich zwahr nicht in abrede / daß an ſolchẽ orten figuͤrlich geredet werde von groſſen geiſtlichen wolthaten / damit der HErꝛ ſein volck und kirche herrlich gemacht habe: Jch achte aber nicht / daß der H. Geiſt die gleichnuͤſſen davon genommen ſolte haben / woran der HErr / da es nach dem buchſtaben ſich faͤnde / einen greuel haͤtte. So ſehen wir auch / wie der theure freund GOttes Abraham / ſo deſſen willen verſtanden / und ſo herrliche zeugnuͤſſen ſeines glaubens und ſeines gehorſams von ſich ſehen laſ - ſen / durch ſeinen knecht die braut ſeines ſohns Rebeccam 1. Moſ. 24 / 53. mitſilbern360Das dritte Capitel. ſilbern und guͤldenen kleinodien / item mit ſpangen an ſtirn und arm - ringe an die haͤnde beſchencken laſſen. Woraus ſich abnehmen laͤſt / daß ſolcherley tragen dem HErrn an ſich ſelbs nicht eben zu wider ſeyn koͤnne. Da - her ich die wort der Apoſtel vielmehr allein dahin annehme / nicht was Chri - ſten zu tragen erlaubt ſeyn ſolle / wo einige andere weltliche urſachen es erfor - dern (wie ich dann die geſamte kleider-trachten vor ein ſtuͤck des weltlichen weſens und reichs achte / deme das Chriſtenthum nicht entgegen iſt / ſondern nur deſſelben arten mit einigen regeln in gewiſſen ſchrancken behaͤlt / daß wider ſeine allgemeine pflichten nichts geſchehe) ſondern worinnen chriſtliche wei - ber ihren ſchmuck ſuchen ſollen. Alſo iſt einer ſolchen verboten / daß ſie in ſil - ber / gold / perlen / edelgeſteinen ihre zierde ſuche / darinnen ihre hertzens freude habe / ſich darinnen ſchoͤn duͤncke zu ſeyn / und darinnen prange / als welche von viel beſſerem wiſſen muß / worinnen der wahre ſchmuck beſtehe / darinnen ſie GOTT gefalle / dem aber zu gefallen ihre einige ſorge ſeyn ſolle. Daher ſetzet Petrus ſolchem euſſerlichen ſchmuck entgegen den verborgenen men - ſchen des hertzens / daß alſo die meinung iſt / ſie ſolten nichts vor ihren wah - ren ſchmuck halten / als dieſe innerliche zierde. Welcher innerliche menſche menſch gleichwol auch nicht nur den guͤldenen kleinodien und koͤſtlichem gewand / ſon - dern eben ſo wol allen kleidern entgegen geſetzt wird / ohne die wir dannoch weder ſeyn koͤnnen / noch der Apoſtel ſolches begehret: Daraus aber zu ſehen / daß nicht ſo wol die worte deſſelben dahin die abſicht haben / was man anha - ben doͤrffe / als nur worinnen man ſeine zierde ſuchen und erkennen ſolle. Wo alſo jemand gold / perlen und dergleichen traͤget aus innerlichem hochmuth / gefaͤllet ſich ſelbs darinnen / und trachtet andern zu gefallen / und was vor fleiſchliche abſichten dabey ſeyn moͤgen / da wird wider der Apoſtel verbote ge - ſuͤndigt / und ſolches iſt dem innern menſchen entgegen / und kan neben demſel - ben nicht ſtehen. Wo aber der verborgene menſch des hertzens unverruͤckt mit ſanfftem und ſtillem geiſt ſich findet / und die perſon darinnen allein ihr vergnuͤgen ſuchet / ob dann ſchon aus der weltlichen ordnung der ſtaͤnde und ſolchen urſachen / welche jenem nicht entgegen ſind / der euſſerliche menſch in einem dergleichen ſchmuck (ſo in ſeinen augen ihm ſelbs kein ſchmuck / ſondern wie alle kleider ſelbs und dero nothwendigkeit eine laſt iſt) einhergehet / ſo wird nichts wider der theuren Apoſtel meinung gethan / ſondern iſt der zweck / den ſie allein in allem ſuchen / erhalten. Waͤre aber jemand / welcher derglei - chen nicht ohne anhaͤngigkeit des hertzens tragen koͤnte / ſondern bey ſich fuͤh - lete / wie ſich ſein hochmuͤthiges fleiſch damit kuͤtzelte / und ſichs doch immer wolgefallen lieſſe / oder koͤnte ſein gewiſſen mit dieſer erklaͤhrung der Apoſtoli - ſchen meinung nicht beruhigen / als welchem der euſſerliche hall der wort / und wie ſie bey dem erſten anſehen ohne tieffere unterſuchung in den verſtand fal -len /361ARTIC. III. SECTIO XIII. len / zu ſtarck einleuchtete / dem wuͤrde dasjenige aus dieſen urſachen zur ſuͤn - de / und darff derſelbe bey ſeiner ſchwachheit ſich der freyheit nicht gebrau - chen / welche den ſtaͤrckern zukommet.

Die ſechſte Frage.

  • Ob man wider die receſſus imperii gute geld-ſorten den gold - und ſilber-arbeitern zu verſchmeltzen uͤberlaſſen koͤnne?

1. ES dependiret dieſe frage von einer andern / nemlich ob ein obrigkeitli - ches gebot / ſo nicht expreſſe auffgehaben / aber gantz oͤffentlich in ab - gang gekommen / die gewiſſen der unterthanen weiter mehr verbinde? wel - che ich aber mit nein zu beantworten achte. Die krafft des geſetzes beſtehet in dem willen des geſetzgebers / wie er es will von den unter - thanen gehalten haben / und ſie dazu verbindet. Wie nun derſelbe / nachdem etwa die zeiten ſich aͤndern / auch geaͤndert werden kan / daß er nemlich dasjenige auch oͤffentlich abrogire, was er vorhin verordnet / welche art des geſetzgebers und der unterthanen gewiſſen am beſten rathet / ſo kan er eben ſo wol als geaͤndert erkant werden / da der geſetzgeber oder die O - brigkeit nicht mehr daruͤber haͤlt / und ohne einige andung oder widerſetzung oͤffentlich vor dero augen dagegen thun laͤſſet / deswegen auch ſolches geſetz nicht weiter mehr wiederhohlet. Dann dieſes der Obrigkeit verhalten zei - get ihren willen an / daß ſie dergleichen geſchehen laſſen wolle / da ſie es wohl hindern koͤnte / aber doch nicht thut oder thun will; nemlich es ſeye derſelbe / daß dergleichen geſchehen moͤge. Ob nun wol ſicherer waͤre / daß ſie durch oͤffentliche abſchaffung des vorigen geſetzes den gewiſſen rath ſchaffte / ſo koͤn - nen doch zuweilen einige deroſelben bekante urſachen ſeyn / warum ſie daſſel - be allerdings auffzuheben bedenckens traͤget / ſondern deſſen verbindung nur auff eine zeitlang gleichſam ſuſpendiret / biß ſie wiederum rathſam finde / die - ſelbe zu erneuren; wo nemlich etwa die vorige rationes ceſſiren / welche ſie be - wegen / eine zeitlang nicht daruͤber zu halten. Jſt alſo der Obrigkeit conni - venz in ſolcher ſache / da ſie oͤffentlich und eine gute zeit gewaͤhret / als ein ta - citus conſenſus, und nicht von weniger krafft / als wo ſie austruͤcklich gegen ein geſetz diſpenſiret / und alſo deſſen verbindung in einer gewiſſen hypotheſi auffhebet / da man ſich alsdenn kein gewiſſen mehr uͤber den gebrauch derſel - ben machet.

2. Vorausgeſetzt deſſen / ſo bejahe die vorgelegte frage / und glaube nicht / daß derjenige / welcher dergleichen ſorten an die / ſo ſie verarbeiten wol - len / verkaufft / ſein gewiſſen verletze. Dann 1. obwol die reichs-abſchiede vor augen ligen / und ihre gute urſachen haben / ſo ſind ſie doch wo nicht abrogirt jedoch ſuſpendiret durch die ſchon lang gewaͤhrte obſervanz: welche 2. oͤf -Z zfent -362Das dritte Capitel. fentlich und vor den augen der Obrigkeit geſchihet / die nicht nur die in den receſſibus imperii dagegen geſetzte pœnen nicht exſequiret / ſondern mit nichts / als viel mir bekant iſt / ihr mißfallen dagegen bezeuget. Daher 3. die contraria praxis nicht etwa nur an einem oder andern ort ſich findet / ſo einem zarten gewiſſen eher einen ſcrupul machen wuͤrde / ſondern als viel mich erkundigt habe / durch und durch in dem Reich im ſchwang gehet. Alſo gar 4. daß den wenigſten gold - und ſilber-arbeitern das geſetz bekant iſt / ſondern die meiſte ihr lebtag davon nichts gehoͤret haben / es auch ihren ordnungen / wel - che ſonſten an vielen orten ihnen vorgeſchrieben ſind / und ſie darauf verpflich - tet werden / nicht einverleibet iſt. Deswegen 5. faſt nunmehr als ein ihnen nicht publicirtes geſetz geachtet werden kan / welches ſie demnach nicht verbin - det. So vielmehr weil 6. geſtanden wird / daß ſie auſſer dieſem fall faſt kein ſilber haben koͤnnen / worinnen alſo auch eine vernuͤnfftige urſach ſich finden lieſſe / warum etwa die Obrigkeit tacito conſenſu das geſetz ſo lange ſuſpen - diret haben mag. Alles ſolches aber mag dazu gnug ſeyn / daß die gold - und ſilber-ſchmiede ſich mit ſolchem ſchmeltzen nicht verſuͤndigen.

3. Daraus folget / daß auch andere mit gutem gewiſſen denſelben etwas zu verſchmeltzen uͤberlaſſen koͤnnen / indeme dieſe nicht anders ſuͤndigten / als daß ſie zu jener ſuͤnde vorſchub thaͤten. Ja es haben dieſe ſo vielweniger ſorge zu tragen / weil die reichs-abſchiede und muͤntz-ordnungen nicht ſo wol gegen andere als gegen diejenige ſelbs gerichtet werden ſeyn / welche die gute geld-ſorten zubrechen und zuſchmeltzen: Wo dann die krafft der geſetze gegen dieſe nicht mehr gehet / ſo betrifft ſie ſo vielweniger andere / ſo nur indirecte bey der ſache concurriren.

Der HErr HErr / deſſen gnade allein unſre hertzen feſt machen kan / gebe in ſeines Geiſtes liecht uns ſeinen willen in allen faͤllen zu erkennen / daß wir verſtehen / was ihme gefaͤllig ſeye / unſer gewiſſen bewahren / und es weder mit unnoͤthigen ſcrupuln aͤngſten / noch wider ſeinen ſpruch handlen / in allen ſtuͤcken aber treulich thun moͤgen was ihm gefaͤllig iſt. Amen.

Deſſen guͤte ruffe ich nochmal hertzlich an / daß ſie der perſon / welche ſie / wie aus dem uͤberſandten vergnuͤglich zu ſehen / kraͤfftig zu einem hertzlichen ernſt ihres Chriſtenthums zu ziehen angefangen / mit der gnade des Heil. Geiſtes beyſtehen / und was in dieſem meinem reſponſo goͤttlichem willen gemaͤß / wie ich es zwahr nach meinem be - griff alles demſelben gemaͤß hoffe / und zu dero gewiſſens bewahrung das vortraͤglichſte iſt / in ihrer ſeelen verſiglen / ſo dann insgeſamt zu dem frieden in Chriſto JEſu / indem wir allein ruhe haben / in erkaͤnt - nuͤß ſeiner vaͤterlichen gnade gegen die ſeines willens begierigen kin -der /363ARTIC. III. SECTIO XIV. der / und mit wegraͤumung aller noch daran hinderlich geweſenen ſcrupul / ſeliglichen bringen / in wachſamkeit uͤber ihre ſeele und in - bruͤnſtigem gebet immerdar erhalten / und ſein gutes werck in ihr biß an den tag JEſu Chriſti vollfuͤhren wolle. Ach er der treue Vater laſſe uns alle je mehr und mehr reich werden in allerley erkaͤntnuͤß und erfahrung / daß wir pruͤfen moͤgen / was das beſte ſeye / auf daß wir ſeyen lauter und unanſtoͤßig biß auf den tag Chriſti / erfuͤllet mit fruͤchten der gerechtigkeit / die durch JEſum Chriſtum geſchehen / in uns zu ehre und lobe GOttes. 1686.

SECTIO XIV. Wie viel man an arme anzuwenden habe / an eine vornehme ſtands-perſon.

ES laͤſſet ſich in der materie von der gutthaͤtigkeit gegen die arme nichts gewiſſes determiniren / ſondern es muß die liebe die antreiberin ſeyn / und die noth die meiſte maaß geben. Was jedem GOTT nach ſeiner guͤte beſcheret / darvon iſt er wol befugt / was zu ſein und der ſeinigen nothdurfft erfordert wird / zuerſt anzuwenden. Es kan auch ſolche noth - durfft nicht gantz genau beſtimmt werden / wie weit ſie ſich erſtrecken ſolle / ſon - dern man mag auch dieſelbe zu einer zeit etwas weiter extendiren / als zu einer andern / da was die liebe fuͤr anderer noch tringendere nothdurfft for - dert / der eigenen zu weilen abgebrochen / oder dieſelbe genauer eingeſchrencket haben will. Jndem die beyder ſeits noͤthige ausgaben aus der abſonderli - chen liebe der unſrigen und aus der allgemeinen unſres bedoͤrffenden neben - menſchen alſo neben einander ſtehen ſollen / daß dieſe jene nicht auffheben doͤrffen / ſie aber wo die noth dieſer ſeits zu ſtarck antritt / wol in mehrere enge zu bringen hat. Alſo kan eins orts die noth ſo groß werden / daß man / wo ſon - ſten der huͤlffbeduͤrfftigen elend nicht anders gerathen werden koͤnte / ſo wol dasjenige / was man ordenlicher weiſe ſonſten auffzuhalten wol befugt waͤre / anzugreiffen haͤtte / als auch was man ſonſten fuͤr ſich anzuwenden gewohnt geweſen / enger einziehen muͤſte / alſo daß man nicht nur von ſeinem uͤberfluß / und da mans gleichſam nicht empfindet / ſondern auch von demjenigen / was man zu andern malen ohne ſuͤnde fuͤr ſich ſelbs gebraucht haͤtte / nothwendig geben muß. Was eigne kinder anlangt / da deroſelben beduͤrffnuͤß der an - dern beduͤrffnuͤß zimlich gleich kommet / wird jene billich vorgezogen / die vor andern gemeinen nechſten uns noch naͤher angehoͤren / und zu abſonderlicher fuͤrſorge von dem himmliſchen Vater uns anbefohlen ſind / wo aber dieſerZ z 2letzteren364Das dritte Capitel. letzteren noth groß / ſo uͤberwieget die ſchuldige liebe und erbarmen der noth - leidenden die ſonſten obgelegene leibliche verſorgung der unſrigen / und muͤſ - ſen dieſe um der andern willen entrathen / nicht eben / was ſie ſelbs in ſchweh - ren mangel ſetzte / aber was ihnen doch auch zubehalten / ſonſten wol kommen / ja bey gewiſſen faͤllen kuͤnfftig auch noͤthig werden moͤchte / indem die liebe in vergleichung des gegenwaͤrtigen und kuͤnfftigen allezeit jenes vorzuziehen pfleget. Was herrlichen geſchmuck anlangt / wie ohne das deſſen gebrauch der eitelkeit am nechſten iſt / und ſelten ohne dieſelbige geſchihet / alſo werden auch leute / die gerne alles das ihre nach der liebe GOttes und des nechſten einrichten / am wenigſten luſt haben / an dergleichen etwas anzuwenden / dar - von niemand wahren nutzen hat / und ein groſſes capital ohne einige frucht daran haͤnget / deswegen auch wo die liebe zu GOttes ehr oder der armen nothdurfft ein mehreres von uns fordern / als unſer darzu ſonſten gewidme - tes austragen mag / iſt wol der geſchmuck das erſte / das man anzugreiffen / und da es ſonſten als todt gelegen / zu wahrem nutzen zu bringen hat. Dieſes waͤren die reglen / die mir in chriſtlicher uͤberlegung vorgekommen ſind / und aus welchen ſich nachmal die application auf die faͤlle unſchwehr machen laͤſ - ſet. Der HErr aber gebe ſelbs ſo chriſtliche klugheit / das anvertraute nach ſeinem willen am weißlichſten anzuwenden / als bruͤnſtige liebe gegen alle / die unſrer huͤlffe bedoͤrfftig ſind: Er nehme auch in gnaden auf / und laſſe ihm wol - gefallen / was in glaͤubiger liebe zum opffer auch dieſer art ihm von ſeinen kin - dern einfaͤltiglich gebracht wird. 1694.

SECTIO XV. Ob aſſecurations-contracte wider das Chri - ſtenthum? Ob es erlaubt / menſchliche coͤrper zu anatomiren?

WAs die aſſecurationes anlangt / vermeine ich / daß ein Theologus nicht bloß dahin davon / als einer weltlichen ſache / urtheilen koͤnne. Mei - nen gedancken nach wird alles darauf beruhen / ob ſolche aſſecuratio - nes entweder ein dem publico nuͤtzliches und dem flor der kauffmannſchafft noͤthiges mittel / oder nur ein erfindung ſo geitziger als vermeſſener leute / die groſſen vortheil ſuchten / oder als ein ſpiel alles wagen wolten / ſeyn / das pu - blicum aber ohne verluſt derſelben wol entrathen koͤnte. Waͤre dieſes letz - tere / ſo wuͤrden ſie allerdings zu verwerffen ſeyn / als die ohne das auffs we - nigſte nicht den beſten ſchein haben. Das erſte aber juſtificirte ſie aller - dings. So will mir auch faſt vorkommen / als wann das erſte eher platz ha - ben ſolte: nemlich daß an einem ort / da groſſe handlungen ſind / und nach deroerhal -365ARTIC. III. SECTIO XV. erhaltung getrachtet wird / dieſelbe ſehr befordern moͤge / wo leute / die von groſſem capital ſind / ſich finden / an welche andere handels-leute / dero gantzer ruin an einem oder anderem verluſt haͤngen / und wo dero nach einander meh - rere zu grunde giengen / ſolches der kauffmannſchafft einen ſtoß thun wuͤrde / ſich adreſſiren / und damit aus der gefahr des verderbens ſich retten moͤgen. Jndem daraus geſchehen wird / daß die meiſte groſſe verluſt alsdann nicht ſo wol ſolche treffen / welche ſo bald ruiniret wuͤrden / wo ſie anders ihnen proſpi - ciren haben wollen / als ſolche die bey groͤſſerem vermoͤgen einige ſtoͤſſe auszu - halten vermoͤgen. Aus dieſer urſach kommet mirs vor / daß die aſſecuratio - nes ein mittel des flors der handlung ſeyen / ob ich wol bekenne / daß als ich der handlung nicht kundig bin / nicht wiſſe / ob mich vielleicht in ſolchen gedancken betriegen moͤchte. Solte es aber alſo bewandt ſeyn / ſo will ich nicht zweiff - len / daß dieſelbe ſo wol als andere weltliche und politiſche ordnungen dem Chriſtenthum nicht zu wider ſeyen. Dann was die gemeine leibliche wol - fahrt und die mittel derſelben / unter denen die handlung ein nicht geringes iſt / erhaͤlt und befordert / iſt der liebe gemaͤß / die hingegen die ſeele iſt der uͤbung des Chriſtenthums nach der andern taffel: ferner was der liebe gemaͤß iſt / iſt auch dem Chriſtenthum ſelbs nicht zu wider. Was dagegen eingewendet werden koͤnte / meine ich nicht ſo wichtig zu ſeyn / daß das gegentheil geſchloſſen werden ſolte. Es gehet aber ſolches theils diejenige an / ſo das ihrige aſſecu - riren laſſen / theils die aſſecuranten. Was jene anlangt / hat es den ſchein ei - nes mißtrauens gegen GOTT. Aber es iſt allein der ſchein / und ſchlieſſet das chriſtliche vertrauen die menſchliche klugheit / ſo lang ſie ſich dergleichen mittel gebraucht / die ſonſt GOTT nicht zu wider ſind / nicht aus. Wann es alſo GOTT und dem ſchuldigen vertrauen auf ihn nicht zu wider iſt / daß man in einer gefahr ein theil ſeines vermoͤgens auf kuͤnfftige faͤlle zuruͤck be - halte / und nicht eben alles auf einmal in die ſchantz ſchlage / wie Jacob 1. Moſ. 32 / 7. 8. ſein heer in ſolcher abſicht abtheilte / ſo iſts auch nicht entge - gen / wann ich einen andern in die gemeinſchafft der gefahr nehme / damit mich nicht dieſelbe allerdings zu boden ſtoſſe. Was die aſſecuranten anlangt / moͤchte denſelben dreyerley entgegen gehalten werden / einmal daß es nicht chriſtlich waͤre / das ſeinige dermaſſen in gefahr und hazard zu ſetzen / da mans ſo leicht verliehren koͤnte / weil man ja mit dem / was goͤttliche guͤte einem jeg - lichen beſchert hat / alſo umzugehen habe / daß man ihr auch davor rechen - ſchafft geben koͤnne: aber es wird dieſer einwurff bald widerleget / durch ſo viele exempel / daran niemand zweifflen kan / daß die ſache erlaubt ſeye / der faͤlle / da man das ſeinige in groſſe gefahr hingibet. Ja wo es wider das Chriſten thum waͤre / ſein leibliches vermoͤgen in gefahr verluſts zu geben / ſo wuͤrde alle ſeefahrt unrecht ſeyn / neben ſo vielen andern lebens-arten / da dasZ z 3brodt366Das dritte Capitel. brodt mit vieler gefahr erworben werden muß / und deren doch das menſchli - che geſchlecht nicht wol entrathen kan. Das andere / das entgegen gehalten werden moͤchte / waͤre daß der aſſecurant ohne ſeine arbeit etwas gewinnen wolle. Es wird aber auch die ſchwachheit dieſes einwurffs daraus erhellen / wann wir bedencken / daß zwahr jeglicher Chriſt ſeine zeit nicht mit muͤßig - gang zu bringen / ſondern etwas redliches arbeiten ſolle / darinnen er GOTT und dem nechſten diene / welches gebot die aſſecuranten ſo wol angehet / als andere Chriſten / jedoch daß dieſes nicht nothwendig folge / daß jedem ſeine nahrung und was dazu gehoͤret / aus ſeiner eigenen arbeit kommen muͤſſe: ſondern es kan einer mit gutem gewiſſen von den mitteln leben / die er durch anderer arbeit erwirbet / dabey er aber ſeine zeit zu andern chriſtlichen und nuͤtzlichen verrichtungen / daß er nicht muͤßig ſeye / anzuwenden verbunden iſt. So wird niemand leicht daran zweifflen / daß wider dieſe chriſtliche regel nicht geſuͤndigt werde / wo zwey eine compagnie machen / da der eine die mittel da - zu ſchoͤſſe / ob er wol nicht mitarbeiten kan / der andere hingegen ſeine arbeit da - bey leiſtete: da gleichwol jenem durch dieſes arbeit von ſeinen mitteln gewinn kommet. Das ſchwehrſte 3. moͤchte ſeyn / daß der gewinn enorm und nicht nach den reichs-ſatzungen / wie viel man von ausgelehntem geld zu nehmen habe / eingerichtet ſeye. Nun iſts nicht ohne / daß es einen ſchein einer groſſen unbillichkeit habe. Wann aber hingegen dieſes vorausgeſetzt wird / daß die aſſecurationes dem gemeinen beſten in beforderung der kauffmannſchafft / welche nachmal ſo viele menſchen erhalten muß / noͤthig / und alſo den geſetzen nicht zu wider ſeyen / daher auch die regenten dieſelbe billigen / ſo wird damit alles dasjenige / was darzu noͤthig iſt / es waͤre dann offenbarlich GOttes wort zu wider (dieſes aber definiret nirgend die proportion des gewinns / ſondern uͤberlaͤßt ſolches den regenten / wie ſie dieſelbe nach bewandnuͤß zeit / ort und geſchaͤffte der gerechtigkeit und billichkeit gemaͤß befinden) zugleich mit gut geheiſſen und erlaubt gemacht. Nun wird leicht begreifflich ſeyn / daß ohne dergleichen groſſen und gegen andere arten der handlung uͤbermaͤßi - gen vortheil nicht allein ſchwehrlich jemand zu der aſſecuration ſich verſtehen / ſondern auch niemand lang dabey beſtehen koͤnte. Jndeme menſchlicher wei - ſe nicht wol muͤglich iſt / daß ein aſſecurant nicht dann und wann ungluͤck habe: Da wuͤrde aber ein auch offtmaliger ſonſt gewoͤhnlicher gewinn von vielen ſchiffen / die mit gluͤck uͤberkaͤmen / etwa kaum in mehrern jahren einen einigen verluſt wiederum erſetzen koͤnnen / ſondern ein mann faſt nothwendig / GOtt bewahre dann das ſeinige auf faſt auſſerordenliche und im gemeinen leben kaum gewoͤhnliche weiſe / in kurtzem ruiniret ſeyn muͤſſen. Deme aber auch dadurch vorgekommen werden muß / daß ob GOTT auch einige ungluͤckliche fahrten geſchehen lieſſe / wo nur etzliche andere durch deſſen gnade geriethen /derſelbe367ARTIC. III. SECTIO XV. derſelbe noch immer in dem ſtand bleiben koͤnte / daß er dem nechſten und dar - innen dem publico ferner zu dienen vermoͤchte / indem die groͤſſere oͤfftere ge - winne den einmaligen ſchaden wiederum erſetzen. Jndeſſen wird ein ſolcher aſſecurant, im fall er wahrhafftig chriſtlich iſt / gleichwol aus trieb ſeines ge - wiſſens ſeinen gewinn auch alſo zu moderiren wiſſen / daß die liebe nicht ver - letzet werde: Nemlich dafern ihm GOTT meiſtens gluͤck gibet / und alſo ſein reichthum ungemein zunehme / daß er durch den ſtarcken gewinn nicht leicht andern ſchaden wieder zu ergaͤntzen haͤtte / daß er ſo wol ſonſten deſto mehr ge - legenheit ſuche / an nothduͤrfftigen die werck der liebe ſo viel reichlicher zu er - weiſen / (als wohin aller uͤberfluß / den GOTT gibet / meiſtens von ihm ge - meint iſt / als auch da er unter denjenigen / welchen er mit ſeiner aſſecuration gedienet / und von ihnen ein ehrliches bekommen / einige finden ſolte / die das - jenige / was ſie ihm expacto haben geben muͤſſen / ſchwehr truckte / er auch als - denn etwas ſeines rechts ſich begebe / und wie man bey benoͤthigten ſchulden der penſion oder zinſen wegen zu thun ſchuldig iſt / ihnen wieder von demjeni - gen zuwende / was ihm ſonſten das recht an ſich ſelbs unzweiffenlich zuſpraͤche: Jn welcher bewandnuͤß die liebe allezeit billich meiſterin bleiben ſolle. Der HErr aber gebe ſelbs ſeinen willen in allen ſtuͤcken zu erkennen / und erfuͤlle die hertzen mit liebe / ſo muß alles nothwendig wol und ihm gefaͤllig gehen.

Was die frage des anatomirens wegen anlangt / waͤre meine meinung dieſe. 1. Dem menſchlichen leib / als welcher ein tempel des H. Geiſtes ge - weſen / oder doch hat ſeyn koͤnnen / gebuͤhret ſeine ehre noch in gewiſſer maaß nach dem todt / daß er alſo nicht als ein aaß des viehes anzuſehen und zu tra - etiren iſt. 2. Daher wo man mit todten coͤrpern ſchimpfflich und mit einer eigenlichen grauſamkeit umgehen wolte / ich auch ſolches nicht koͤnte billigen / ſondern ſehe es an / daß es zu beſchimpffung des ſchoͤpffers gereichen wuͤrde. 3. Wo aber ſolche zerſchneidungen und durchwuͤhlungen der menſchlichen coͤrper wahrhafftig zu dieſem ende geſchehen / die innerliche bewandnuͤß der - ſelben zu erlernen / und in der erkaͤntnuͤß derſelben zuzunehmen / damit man durch dieſelbe nachmal ſo viel tuͤchtiger werde / zu der lebendigen leiber geſund - heit ſo viel gewiſſer zu rathen: So halte ich alle diejenige mittel / die zu einem ſolchen an ſich ſelbs noͤthigen und nuͤtzlichen zweck nothwendig ſind / auch goͤtt - lichem willen / der dieſen will / nicht entgegen / und deßwegen mit gutem gewiſ - ſen zu practiciren. 4. Alſo bleibet mir dieſes argument, was dem todten coͤrper nicht ſchadet / nicht nur weil er nichts fuͤhlet / ſondern ohne das der ver - weſung zuerkant iſt / und alſo demſelben nichts dran gelegen iſt / ob er in ſeiner geſtalt mit an einander haͤngenden gliedern oder zerſtuͤcket in dieſelbe einge - het / hingegen vielen lebendigen leibern nuͤtzlich ſeyn kan / ſolches iſt nicht nur an ſich nicht unrecht / ſondern auch nicht zu mißrathen. 5. Daher wo ich ſelbszum368Das dritte Capitelzum exempel nach GOttes willen einigen ſchaden oder kranckheit bekommen ſolte / welche entweder ungemein oder doch vermuthung waͤre / daß nach dem todt die inſpection meines coͤrpers ſolte andern / ſonderlich medicis, zu ihrem unterricht / davon kuͤnfftig auch andere in curen nutzen haben koͤnten / dienſam erachtet werden / wuͤrde ich die oͤffnung eher ſelbs befehlen als verbieten / und ſolte mir lieb ſeyn / nachdem ich nach meinem todt ſonſt mit meinem leibe nie - mand nutzen kan / wo auffs wenigſte deſſen unterſuchung dem nechſten nutzete. Daß ich alſo davor halte / wie den todten coͤrpern an ſich ſelbs damit nichts unrechts oder ſchaden geſchihet / daß auch die lebende / wo ſie wiſſen ſolten / daß mit ihren leibern etwas dergleichen vor waͤre / ſich deſſen mit gutem fug nicht zu beſchwehren: Worinnen ich niemand nichts auffbuͤrde / welches ich nicht auch eben ſo wol ſelbs an mir zu geſchehen zu frieden waͤre: Welcherley zumu - thungen am allerwenigſten verdaͤchtig zu achten ſind. 6. Wie es alſo zwahr einen ſchein einer grauſamkeit hat / auch noch dazu nicht ohne groſſe ſchmer - tzen abgehet / daß man einem lebenden einen arm / ſchenckel oder dergleichen glied abloͤſet / wo es ſchneidens und brennens gibet / ſo aber alles gerechtferti - get wird durch die erhaltung des lebens bey demjenigen / dem ſolches abgeloͤ - ſet wird: Alſo wird auch aller ſchein der grauſamkeit / ſo ſich bey dem zerflei - ſchen der todten und unempfindlichen coͤrper findet / meines erachtens gnug - ſam damit purgiret / weil die erhaltung der geſundheit bey mehrern lebenden / die dardurch geſucht wird / deſſen wol wuͤrdig iſt. 7. Jndeſſen ſollen doch diejenige / ſo damit umgehen / auch ſich ſo darbey bezeugen / daß ſie gedencken / es ſeyen coͤrper ihrer art / kein geſpoͤtt darmit treiben / und insgeſamt nichts anders darinnen ſuchen / als was der wahre zweck iſt. Welchen vor augen habende ſie ſo gar auch bey ſolchem werck zu unterſchiedlichen guten betrach - tungen gelegenheit finden koͤnnen / und ſie nicht zu verſaͤumen haben. Die - ſes waͤren meine gedancken uͤber dieſe fragen. Der HErr aber mache un[s]ſelbs in allem ſeines willens gewiß. 1691.

SECTIO XVI. Uber das pactum eines Advocati mit ſeinem Clienten wegen ſeiner belohnung.

JN der ſache Sempronii, ſo Lucio in einer zweiffelhafftigen rechts-ſa - che gedienet / und noch mehr als Lucii hoffnung geweſen / erhalten hat / iſt unterſchiedliches zu mercken:

1. Das erſte pactum, ſo mit Lucio, welcher denſelben dazu bewogen / fuͤr ſeine bemuͤhung eine gewiſſe ſumma von jeglichem tauſend / ſo er erhal - ten wuͤrde / ſich verſprechen zu laſſen / gemacht worden / iſt unrecht und dem gewiſſen zuwider geweſen; weil es ein pactum de quota litis, welcherley inden369ARTIC. III. SECTIO XVI. den Kaͤyſerlichen rechten aus vernuͤnfftigen und billigen urſachen ernſtlich verboten / auch ſolches Sempronio bekant geweſen iſt / daher ihn billich abhal - ten ſollen / zu dergleichen pacto ſich nicht diſponiren zu laſſen: ſo vielmehr weil dergleichen obrigkeitliche geſetze in ſolcherley dingen / welche unter der weltlichen gewalt ſtehen / und dieſe alſo dieſelbe / wie ſie es zu dem gemeinen beſten am vortraͤglichſten erkennet / zu ordnen von GOtt macht hat / auch die gewiſſen ſelbs verbinden / daher es heiſſet Rom. 13. daß wir aus noth un - terthan ſeyn ſollen / nicht nur um der ſtraffe / ſondern auch um des ge - wiſſens willen. Wo alſo dergleichen geſetze wiſſentlich uͤbertreten werden / ſo wird damit auch das goͤttliche gebot / ſo uns derſelben gehorſam anbefieh - let / nicht weniger uͤberſchritten / und daher ſuͤnde begangen.

Dem mag nun mit beſtand nicht entgegen gehalten werden 1. daß es nicht ein pactum de quota litis, ſondern de quota certæ ejus partis geweſen. Denn auch dieſes iſt de quota litis, und gleich wie unter der ratione legis, al - ſo auch unter derſelben ſelbs mit begriffen / folglich verboten. 2. Daß der andere theil ſolches nicht nur anerboten / ſondern Sempronium ſo viel als da - zu genoͤthiget habe / da derſelbe ſonſten lieber ein ander Salarium determinirt zu werden verlangt haͤtte / zu dem / daß Lucius auch ihm ſelber damit beſſer proſpiciret / und ſeines vortheils wegen auff ſolches pactum gedrungen / da - hero davon nichts wieder fordern koͤnne. Dann (1. dergleichen pacta unter privatis gelten nicht / da lex publica dieſelbe austruͤcklich verbeut / ſondern dieſes hat den privatis aus anſehung des Boni publici dieſe macht benommẽ / daß ob wol ſonſten einer mit dem ſeinigen nach belieben umzugehen macht hat / ihm in dieſem fall die haͤnde gebunden ſind: wohin die gantze krafft des geſetzes gehet / hingegen keiner daſſelbe auffheben oder begeben kan: dann ih - rer zwey moͤchten ſich wol etwas begeben / das ſonſten lege publica verordnet waͤre / wo daſſelbe das commodum privatorum ſelbs angienge / da jeder theil auff das commodum renunciiren mag / ſo er ſonſten davon zu erwarten ge - habt haͤtte / aber wo lex publica zum grund das allgemeine intereſſe der rei - publicæ hat / kan niemand ſich deſſen verbindlichkeit entziehen. (2. Sem - pronius haͤtte vielmehr auff ſeiner erſten verweigerung beharren / und Luci - um zu einer andern Satisfaction diſponiren / als wider die geſetze zu einem ſolchen pacto ſich endlich verſtehen ſollen. (3. Ob wol wenn das pactum waͤre exequirt worden / Lucius nichts wieder zu fordern macht gehabt ha - ben moͤchte / als der ſich ſelbs dazu verſtanden / und Sempronium dazu ver - mocht hat / ſo bleibet dennoch das unrecht / da an dem publico geſuͤndiget worden / und haͤtte derſelbe Satisfaction zu ſuchen gehabt. Ferner mag auch nicht 3. die ſache damit entſchuldiget werden 1. weil die ratio legis eſt, ne oc -A a acaſio370Das dritte Capitel. caſio præbeatur calumnioſe litigandi variisq; artibus acſtrophis veritatem oppugnandi, hie keinen platz habe / da alles ohne verletzung der gerechtigkeit in dem gantzen geſchaͤfft und handel gefuͤhret worden: denn ob wol ratio legis verurſacht hat / daß daſſelbe gegeben worden / verbindet doch lex auch als - denn / wo auch die ratio ceſſirt / ja wir moͤgen ſagen / ratio legis habe auch noch hie platz / denn die ratio legis beſtehet nicht darinnen / daß allezeit bey ſolchem pacto auch gewiß andere unrechtmaͤßige proceduren ſich finden: ſondern darinnen / daß auffs wenigſte dergleichen offt geſchehen mag und zu geſche - hen vermuthlich iſt: ſolcherley incommodis aber kan das geſetz nicht anders kraͤfftig begenen / als wo es dasjenige / woraus ſie entſtehen koͤnten / abſolutè verbeut / wie hie geſchehen iſt / und alſo ſolche ſanction beyderſeits gewiſſen verbunden hat.

2. Nachdem aber als die ſache zu ende gebracht / ein neuer vergleich ge - macht / und mit einem nachlaß von der ſumma / die aus dem erſten pacto be - zahlet werden ſollen / alles auff eine donationem remuneratoriam geſetzt worden / gibet es von ſolcher zeit dem geſchaͤfft eine gantz andre geſtalt / indem ſolcherley donationes nichts unrechtes oder verbotenes in ſich haben / auch Lucius ſo wol damals als auch nach der zeit immer mit demjenigen / was er zugeſagt und gegeben hat / wohl zu frieden geweſt. Daher Sempronius auch das empfangene als etwas verdienliches (ſonderlich nachdem auch nach die - ſem vergleich ein neuer nachlaß / bey dem es endlich geblieben / gemacht wor - den) mit recht ordenlicher weiſe behalten kan: Ob dann auch ſolche remune - ration gegen das ſonſten gewoͤhnliche moͤchte allzuhoch ſcheinen zu kommen / ſo ſtunde doch Lucio frey / auch etwas von dem ſeinigen zu verſchencken / und kommet dabey in Conſideration, daß Sempronius eine gute zeit ohne einiges entgeld / ja wol mit eigenen koſten / Lucio hat dienen / auch ſtaͤts in zweiffel ſeyn muͤſſen / ob er etwas / oder doch der arbeit gemaͤſſes / bekommen wuͤrde / als welches ja allerdings / auff den fall nichts zu erhalten geweſen waͤre / wuͤrde zuruͤck geblieben / und Sempronii muͤhe / die er angewendet / unbelohnt / nicht vergolten worden ſeyn: daher ihm auch zu goͤnnen iſt / daß die ſumma hoͤher gekommen / als etwa insgemein fuͤr advocaten gebuͤhren gegeben zu werden pfleget / da dieſe allezeit ihrer belohnung gewiß ſind / es gehe die ſache ab wie ſie wolle. Wozu auch kommt / daß er durch die empfangene ſumma ſich hat dazu verbinden laſſen / was noch weiter an ſolchem geſchaͤfft erfordert wuͤrde / ohne ferner entgeld auszumachen / woraus muͤglich war / daß noch viel muͤhe haͤtte gemacht werden koͤnnen / ob wol dergleichen eben nicht erfol - get iſt. Wie dann diejenige / ſo gewiſſe jahrs-beſtallungen haben / ſolche ohn bedencken und mit gutem gewiſſen nehmen / wo ſie ſchon des jahrs uͤber an ſol - chen wenig verdienet haben / dazu ſie gleichwol allezeit bereit geweſen waren /alſo371ARTIC. III. SECTIO XVI. alſo mag auch Sempronio zu ſtatten kommen / daß wo jene ſumma vor das verdiente ſolte zu ſtarck geweſen ſeyn / ein theil deſſelben fuͤr eine beſoldung auff das kuͤnfftige zu nehmen geweſen / die er alſo wol genieſſen koͤnnen / ob die ſache wol nicht erfordert hat / viele muͤhe deßwegen anzuwenden / dazu er gleichwol gefaſt haͤtte ſeyn muͤſſen.

3. Ob nun wol nach jetzt angefuͤhrtem Sempronius das gereichte titulo non injuſto hat / ſo bleiben gleichwol noch einige wichtige bedencken dabey: 1. daß gleichwol das erſte pactum vitioſum und ſuͤndlich geweſen. 2. Jn dem vergleich zwahr nachmals der terminus donationis remuneratoriæ geſetzt worden / abeꝛ von Sempronio ſolches moͤchte ſcheinen allein deßwegen / ſich von dem in jure verbotenen pacto mit ſolchem andern nahmen loßzumachen / ge - aͤndert ſeyn zu werden. Da 3. indeſſen in der that das vorige pactum de quo - ta litis reipſa noch darinnen geſtecket / ob es wol vor der welt einen andern ti - tul bekommen / welches ſonderlich die ſumma 1333. fl. ſo die ſextam partem der erhaltenen ſumme ausmachet / anzeigen moͤchte / da vorher der fuͤnffte theil wird accordirt ſeyn worden / endlich iſts auff den ſiebenden kommen: alſo iſt allezeit noch eine reflexion gleichſam auff eine quotam gemacht / dero quantum zwahr immer verringert / die natur aber des erſten pacti vitioſi in gewiſſer maaß behalten worden: welches gleichwol dem gewiſſen einigen ſcrupul machen kan. Dazu 4. kommt / daß als Sempronius von GOtt ſon - ſten angegriffen / und ſeines gewiſſens / wie es um ſolche zeit zu geſchehen pfle - get / erinnert worden / dieſes ſo bald auff dieſe eine gute zeit vorher vorgegan - gene ſache gefallen iſt: daraus abzunehmen / daß entweder daſſelbe bereits als die ſache vorgegangen / einige erinnerung gethan haben werde / und wi - der deſſen warnung die ſache geſchehen waͤre: oder ſehe ich dergleichen ruͤh - rung uͤber dinge / die eine zimliche weile vorhergegangen ſind / insgemein nicht vergebens zu geſchehen an / ſondern erkenne darinne lieber einen finger GOttes / ſo uns das verborgene unſers hertzens zu unſerm beſten vorſtellet. 5. Wo auch das quantum ſelbs angeſehen wird / verſtehe ich mich nicht dar - auff / wie nach gerechtigkeit und billigkeit die advocaten-gebuͤhren zu æſtimi - ren ſeyen / und alſo wie fern die ſumma der 1000. fl. dasjenige / was ſonſten gebraͤuchlich / uͤbertreffe oder nicht. Jch erinnere mich aber allezeit billich der allgemeinen regel unſers Chriſtenthums / und der darinnen gebotenen liebe / daß niemand ſeine arbeit zu hoch anſchlagen oder ſich bezahlt machen ſolle / indem ſonſten / ob er wol euſſerlich ein ſolches juſto titulo und ohne vor - wurff hat / dannoch das gewiſſen vor GOtt damit nicht beruhiget iſt: nach - dem die uns allen angebotene regel / daß wir dem nechſten dasjenige ſchuldig ſeyen / was wir von demſelben auch uns verlangen / ſo bald weiſet / daß jeder von dem nechſten verlange / ihm ſeine arbeit nicht zu hoch anzuſchreiben / ſon -A a a 2dern372Das dritte Capitel. dern die billichkeit zu beobachten / daher er ſich ſo bald auch gleicher ſchuldig - keit billich erinnert.

4. Alle dieſe vorgeſtellte bedencken bewegen mich dahin / ob wol was bey N. 2. gemeldet worden / zeiget / daß vernuͤnfftige urſachen angefuͤhret wer - den moͤgen / ſo Sempronio das empfangene dermaſſenzu erkeñen / daß er zu kei - ner reſtitution ſchuldig waͤre / daß ich dannoch das gewiſſen nicht ſo gar ohne ſorge dabey finde / ſondern mehr zu rathen ſuchte / wie in andern zweiffelhaff - tigen gewiſſens-faͤllen offtmal zu thun iſt / nicht ſo wol partem probabilio - rem als tutiorem zu wehlen. Dieſe partem tutiorem und ſicherſten weg hielte nun zu ſeyn / daß Sempronius nochmal in der furcht des HErrn uͤber - legte / was er wol fuͤr ſeine auslagen und verdienſt / und alle muͤhe / die er ſo wircklich verrichtet / als ſich darzu bereit halten muͤſſen / zu rechnen befugt ſeye / ſo als ſein eigen gewiſſen bezeugen wird / gerecht und billich zu ſeyn. Da - bey ich gern zulaſſe / daß er ſolchen verdienſt ſo hoch ſetze / als ſich noch auch in der welt von dieſer dinge verſtaͤndigen und die billichkeit liebenden perſonen / bey den oben erwogenen umſtaͤnden / verantworten laſſe / mit ſtaͤter erwe - gung / wie er etwa / wo er an des andern ſtelle geweſen waͤre / urtheilen wuͤr - de. Findet er nun die billige æſtimation auff ſolche ſumme endlich zu ſteigen / ſo hielte davor / daß er ſein gewiſſen ferner allerdings beruhigen und zu frie - den geben koͤnte / nur aber noͤthig habe / ſich vor GOtt desjenigen wegen / ſo bey der erſten convention unordenlich vorgegangen / zu demuͤthigen. Solte es ſich aber nach angeſtellter uͤberlegung befinden / daß die 1000. fl. dasjeni - ge / ſo er fuͤr ſeine muͤhe prætendiren koͤnnen / nach dem urtheil des eignen ge - wiſſens etwa weit uͤberſteigen / ſo ſehe ich nicht / wie man ſich einiger reſtitu - tion, ohne dem gewiſſen eine ſtaͤte urſach einer anklage zu laſſen / entbrechen koͤnte. Es waͤre aber ſolche reſtitution nicht Lucio zu thun / der durch ſeine Convention ſich ſeines rechts begeben / und alſo nichts fordern kan / ſondern weil die urſach derſelben herkommet aus verletzung des gewiſſens in ſolchen ſtuͤcken / daraus in der welt keine forderung gemacht werden koͤnte / aber GOtt uns deßwegen ſchuldiget / geſchihet ſie am billichſten an GOtt / und alſo an deſſen ſtatt an die arme. Waͤre alſo dem gewiſſen auff alle kuͤnfftige faͤlle am gewiſſeſten gerathen / daß Sempronius eine ſolche ſumme / die der uͤbermaß / ſo in dem gewiſſen befunden worden / gleich kommet / an arme kommen lieſſe / und ſich damit aller ſorge entladete. Da es heiſſen moͤchte Luc. 11 / 41. doch gebet allmoſen / von dem das da iſt / ſihe ſo iſts euch alles rein. Es waͤ - re auch zu rathen / daß ſonderlich die wohlthat an ſolche arme geſchehe / die kinder GOttes ſind / welcherley wohlthaten allezeit wir vor andern doppel - te verheiſſungen haben / alſo gewißlich die krafft haben werden / von GOtt der ſeelen eine ſo viel beſtaͤndigere ruhe zu erlangen.

Der373ARTIC. III. SECTIO XVII.

Der HErr zeige aber auch hierinnen ſelbs ſeinen willen / mache das hertz durch ſeine gnade gewiß / undreinige das gewiſſen von allem / das demſelben jetzt anſtoͤßig iſt / oder doch kuͤnfftig werden moͤchte / um alsdenn einer ſo viel beſtaͤndigern und vergnuͤglichern ruhe zu genieſſen. Amen. 1688.

SECTIO XVII. An einen geweſten Socinianer / der zu der Evan - geliſchen religion getreten / ob und wie fern er ſeinen Patronis, die ihn ſtudiren laſſen / verbunden ſeye.

JCh dancke billich dem Vater der barmhertzigkeit / welcher gleichwie mein armes gebet an denſelben / ſo fuͤr ihn und bißherige ſeine mitbruͤder ſtets dahin gegangen / damit er durch das liecht ſeines Heil. Geiſtes ih - nen ſonderlich ſeines eingebohrnen Sohnes ewige Gottheit und theure gnugthuung in der wahrheit zu erkennen geben wolle / gnaͤdiglich erhoͤret / und ſein liecht in ſeiner ſeelen weiter auffgehen hat laſſen. Alſo zeiget er / daß ſei - ne wahrheit noch die krafft behalte / die hertzen derer / welche ſein wort in ſchuldiger gelaſſenheit und mit auffmerckſamkeit unterſuchen / zu ihrer erkaͤnt - nuͤß kraͤfftig zu ruͤhren: Dafuͤr wir ihn billich zu preiſen haben werden in zeit und ewigkeit. Er wolle auch nicht nur allein denjenigen ſaͤmtlich / welche auf gleichen irrwegen / davon er ſeine liebe perſon jetzo auf die rechte ſtraſſe fuͤhret / annoch einhergehen / ſein liecht kraͤfftig mehr und mehr zu vertreibung aller finſternuͤß laſſen auffgehen / ſondern vornemlich nunmehr in ihm das ange - fangene gute werck weiter laſſen zunehmen und vollfuͤhret werden auf den tag JEſu Chriſti / damit er in die lebendige goͤttliche erkaͤntnuͤß ſtets tieffer ein - tringe / mit fruͤchten der gerechtigkeit reichlich erfuͤllet / und ſo wol ein angeneh - mes glied als loͤbliche zierde unſerer Evangeliſchen Kirchen werden moͤge. Ja er erfuͤlle auch an ihm ſeine verheiſſung / wie er ein vergelter derer ſeyn wolle / die um ſeiner wahrheit willen etwas von zeitlichen bequemlichkeiten willig hindanſetzen: Wie ich auch nicht zweiffle / daß er ſolches an ihm thun / und der - jenigen / zu welchen er kommet / hertzen mit liebe zu ihm neigen werde. Was die beyde mir vorgelegte fragen anlanget / und zwahr die erſte / ob der Herr ſchuldig ſeye / auf der Patronorum und Curatorum, welche denſelben mit mitteln in der frembde verlegt / abforderung ſich nunmehr in Sie - benbuͤrgen zu ſtellen / oder auch das auf ihn gewandte zu reſtituiren? erklaͤhre meine meinung dahin: Daß nicht ohne ſey / daß derſelbe ſeinen Patro - nis in gewiſſer maaß verbunden bleibe / indem die aͤnderung der religion ande - re verbindlichkeiten in dem menſchlichen leben nicht auffhebet; jedoch kan ſol - ches verbinden nicht anders / als ſo fern das gewiſſen dabey ohnverletzt blei -A a a 3bet /374Das dritte Capitel. bet / verſtandenwerden. Achtete ich alſo davor / daß derſelbe ſeinen Patronis und Curatoribus auffs foͤrderlichſte wiſſen zu machen habe / was GOTT vor eine aͤnderung mit demſelben vorgenommen / und ihn zu einer beſſern erkaͤnt - nuͤß gelangen habe laſſen / mit anzeige / daß wie ſie GOTT in die herrſchafft der gewiſſen nicht eingr eiffen werden wollen / er nicht ſehe / daß nunmehr ſeine hineinkunfft jetzo oder kuͤnfftig nach ihrem wunſch ſeyn wuͤrde. Zwahr / wo ſie ohnerachtet deſſen ihm gleichwol die zugemuthete profeſſionem Logices und Ethices aufftragen / und ihm dabey verſicherung thun wolten / ihn nach ſeinem gewiſſen lehren und leben zu laſſen / wolte er ſeiner obligation nach - kommen / und ſich zu antretung der angetragenen ſtelle verſtehen (wie ich denn in ſolchem fall ſelbs denſelben dazu verbunden glaͤubte / und die ſache alſo an - ſaͤhe / daß GOTT etwas mehres gutes / als wir voran abmercken koͤnten / mit ihm vorhaben muͤſte / weßwegen auch die etwa dabey ſorgende gefahr nicht ge - ſcheuet werden doͤrffte.) Wenn er aber billich zu ſorgen habe / daß ſie ihm in dieſer ſeiner bewandnuͤß ſolchen dienſt nicht anvertrauen wuͤrdẽ / er hingegen auch wider ſein gewiſſen nicht thun / oder auf gleiche weiſe / als ihre bekaͤntnuͤß erforderte / kuͤnfftig lehren / oder ihm jemand dergleichen zumuthen koͤnte / ſo wuͤrde vermuthlich ihnen ſelbs etwa angenehmer odeꝛ rathſamer ſeyn / da er in dieſen landen hierauſſen verbliebe / und ſeiner gewiſſens-freyheit ruhig genoͤſ - ſe. Was die vorgeſchoſſene mittel anlangt / nachdem dieſelbe zu ſeinen Stu - diis gewidmet / er ſie auch treulich dazu angewendet / nicht weniger bereit ſeye / ihnen damit an der ſchule / wozu ſie ihn beſtimmet / ſo fern zu dienen / als er ſei - nem gewiſſen ein gnuͤge zu thun gelaſſen wuͤrde / hoffte er / ſie wuͤrden ihm ſelbs dieſelbe willig erlaſſen / nachdem es nicht ſein eigener wille / ſondern ſeines GOttes gnade geweſen / die ihn in den ſtand ſetze / daß er nach ihrem willen und abſicht / wie er ſonſten gethan haben wuͤrde / nun nicht mehr weiter ihnen zu dienen vermoͤchte. So waͤre auch denſelben deſten jetziges zeitliches un - vermoͤgen dermaſſen bekant / daß ſie wuͤſten / die refuſion dieſesmal bloſſer - dinges unmuͤglich zu ſeyn. Solte es aber geſchehen / daß ihn GOTT nach ſeiner guͤtigen fuͤgung kuͤnfftig ſo weit in dem leiblichen ſegnete / daß er ohne abbruch ſeiner nothdurfft nach und nach ihnen etwas abtragen koͤnte / wolte derſelbe / dafern ſie ihm nicht willig ſolches erlieſſen / ſich auch dazu verſtehen / damit er ihnen nicht einiges aͤrgernuͤß gebe. Auf dieſe weiſe hielte ich davor / daß hinein zu ſchreiben waͤre / und glaube / daß damit die gerechtigkeit und chriſtliche liebe nicht verletzet werde. Jndeſſen aber hielte wolgethan / daß derſelbe nicht eben in Breßlau der antwortlang erwartete / ſondern mit an - zeige an die Patronos, wo er anzutreffen ſeyn werde / ſich hieher verfuͤgte. Da ich verſichere / daß man ihm mit liebe begegnen / und auf fernere verſorgung nach moͤglichkeit bedacht ſeyn werde. Wohin ich denn auch die andre frage /was375ARTIC. III. SECTIO XVIII. was ins kuͤnfftige vorzunehmen / verſchieben will / als davon ich nicht ſo wol dißmal ſchreiben kan / ſondern zu dero gruͤndlicher beantwortung unterſchied - liches wird uͤberlegt werden muͤſſeu / welches nicht wol anders als in gegen - wart geſchehen kan. Daher es dißmal hierbey beruhen laſſe / und nechſt hertz - licher wiederhohlung obigen chriſtlichen wunſches ihn insgeſamt der himmli - ſchen gnaden-regierung und kraͤfftigen wuͤrckung des Heiligen Geiſtes uͤber - laſſe. 1687.

SECTIO XVIII. Vom boͤſen gebrauch bey dem Schneider-hand - werck / da die geſellen als ein recht prætendiren / von der zu verarbeiten gegebenen ſeide vor ſich einen theil zum verkauff zu be - halten / und die meiſter / die ſolches nicht zulaſſen wollen / deswegen verlaſſen.

AUf das vor mir ausgeſchuͤttete anliegen zu kommen / iſt auch dieſes ein zeugnuͤß unſers euſſerſten verderbens / daß neben den allgemeinen hin - dernuͤſſen jegliche abſonderliche profeſſion auch ihre beſondere ſteine des anſtoſſes hat / die denjenigen / welche gern ihr Chriſtenthum nach der regel GOttes fuͤhren wollen / daſſelbe ſchwehr machen / daß ſie dieſelbe zu uͤberwin - den kaum muͤglich finden / und manch tauſend ſeuffzen deswegen zu GOTT ſchicken. Darzu noch kommet / daß jeglicher ſeinen ſtand vor allen andern vor den verderbteſten und gefaͤhrlichſten achtet / weil er nemlich deſſen gefahr vor allen andern am meiſten einſihet / da ihm hingegen nicht gleicher maſſen bekant iſt / wo auch andere der ſchuh trucke / und ihnen nicht weniger angſt verurſache. Daß ich aber ſo bald zur ſache ſelbs ſchreite / ſo faſſe ich meine meinung in etliche ſaͤtze. 1. Aller eigenliche diebſtahl iſt einem Chriſten ver - boten / und kan mit unverletztem gewiſſen nicht begangen werden: Es heiſſet aber diebſtahl alles / wo ich dem andern etwas des ſeinigen entziehe / entweder mit gewalt / oder heimlich und unvermerckt / unter welche art denn eben dieſes gehoͤret / wo man bey dem ſchneider-handwerck zu den kleidern mehr ſeiden und anders fordert / anrechnet / und ſich bezahlen laͤſſet / als man wircklich be - darff und verbrauchet. Daher ein ſolches zu thun allerdings unrecht iſt. 2. Wie nun meiſter und geſelleu / die dergleichen thun / ſich allerdings hieran verſuͤndigen / ſo wird jenes ſchuld in ſo fern groͤſſer / daß er dieſen zu ihrer boß - heit wiſſentlich hilfft. 3. Alſo kan dergleichen zu thun nicht recht oder er - laubt werden / es waͤre dann / daß diejenige / mit denen man es zu thun hat / auf vorſtellung der ſachen bewandnuͤß ſich ſelbs darzu diſponiren lieſſen / drein zu willigen / daß etwas mehreres auffgenommen wuͤrde. 4. Auſſer dem waͤrekein376Das dritte Capitel. kein ander rath nicht / als einmal ſich dahin zu beſtreben / daß man gottsfuͤrch - tig geſind bekomme / und dieſelbe auff chriſtliche weiſe durch verſtattung meh - rer freyheit zu ihren geiſtlichen uͤbungen an ſich ziehe: da ich ja nicht hoffen will / daß unter einer groſſen zahl ſchneider-geſellen nicht auffs wenigſte eini - ge ſich ſinden ſolten / denen es mit ihrem Chriſtenthum ein ernſt / und alſo bey einem auch chriſtlichen meiſter / ob er ſchon dergleichen boͤſe gewohnheit ihnen nicht verſtattete / vor andern zu arbeiten ein angenehmer dienſt waͤre. Wie mich erinnere / daß als in N. lebte / etliche ſchneider-geſellen mich geſprochen / aus dero geſpraͤch gute hoffnung geſchoͤpffet / daß ſie gern ein unverletzt gewiſſen behalten wolten. Wo nun ſolch geſinde vorhanden / zweifle nicht / daß es ſich auch in dieſem ſtuͤck ſeines Chriſtenthums wohl beſcheiden wer - de: da es hingegen auch um laͤnger zu bleiben mit aller liebe und freundlicher begaͤngnuͤß vermacht werden ſolle. 5. Waͤre aber ſolches nicht zu erlangen / ſondern man muß geſinde nehmen / wie mans haben kan / ſo muß denſelben ihr lohn vergroͤſſert / oder bey jeder arbeit dasjenige / ſo viel ihre boͤſe gewohn - heit ihnen nunmehr von der ſeide zueignet / auff ihre verantwortung verguͤ - tet werden. So koͤnte nachmal hinwieder auff den macherlohn etwas geſchla - gen / und den leuten / wo ſie ſich beſchwehreten / freundlich gezeiget werden / daß wo andere dem anſehen nach wolfeiler arbeiteten / ſie hingegen in anderm / da ſie mehr ſeiden fordern / ſolches einbraͤchten / da man hingegen in ſolchen ſtuͤcken redlich mit den leuten verfuͤhre / indeſſen wegen ſolcher auffrichtigkeit / nicht in ſchaden zu laſſen ſeyn. Da ich das vertrauen habe / was verſtaͤndige und billige leute ſeyen / werden alsdenn einige groſchen nicht anſehen / da - durch ſie den verluſt von etwa noch ſo vielem / nur daß ſie ſonſt deſſelben nicht ſo ge wahr werden / vermeiden. 6. Solte man auch auff dieſe weiſe / das an die geſellen mehr gebende nicht wieder erſtattet bekommen / ſondern ſelbs tra - gen muͤſſen / hat man ſolches leiden / indem man weniger vor ſich bringt / als man ſonſt gepfleget / als ein leiden des HErrn auffzunehmen / und mit gedult zu tragen / ja aber ſich deſſen zu entſchuͤtten / nicht zu den verbotenen mitteln zu ſchreiten / mit ſtaͤter vorſtellung / wie kein verluſt ſo groß ſeyn koͤnne / daß wir unſre ſeele daruͤber zu verliehren in gefahr zu ſetzen urſach haͤtten / ſo dann / daß derjenige wahrhafftige GOtt / welcher den ſeinigen zugeſagt hat / daß er ſie nicht verlaſſen noch verſaͤumen wolle / Hebr. 13. noch ſo reich ſeye / auff ihm bekante art / dasjenige / was wir um ſeinet willen weil wir mit unrecht wider ſeinen willen unſers vortheils halber nicht thun wollen / hind - an ſetzen / wiederum zu erſtatten / und uns unſre nothdurfft zu beſchehren: da es ihm hingegen auch an macht nicht manglet / dasjenige was mit boͤſen ſtuͤcken / ſonderlich da uns unſer gewiſſen wircklich daruͤber beſtraffet hat / vor uns gebracht / auff allerley art wieder zu verſtaͤuben / daß wir deſſen dochnicht377ARTIC. III. SECTIO XIX. nicht froh werden ſolten. Wie dann dergleichen ſunde ſo bald bey einem men - ſchen ſchwehrer zu werden anfaͤngt / als er von GOtt zur mehrern erkaͤntnuͤß gebracht wird. 7. Will aber eine ehegattin ſotches nicht begreiffen / iſt ihr chriſtlich und beweglich die gantze ſache / und wie kein ſegen bey dieſem ver - meinten vortheil ſeyn koͤnne / vorzuſtellen / um ſie damit auch zur ruhe zu bringen: allenfals aber / wo ſie ſich dadurch nicht bedeuten lieſſe / ſolches dem HErrn / der die hertzen allein lencken kan / wie er will / zu befehlen / und auch in ſolchem ungemach gedult zu uͤben. Dieſes iſt / wie ich die ſache vor GOtt anſehe / welches alles in deſſen furcht zu uͤberlegen bitte / um alsdenn zu ſchlieſſen / was das gewiſſen haben will. Der HErr mache uns ſelbs ſeines willens gewiß / ſo allein durch gnade geſchehen kan / und gebe uns getroſten muth / dem erkanten willen auch wircklich zu gehorſamen um Chriſti willen. Amen. 1698.

SECTIO XIX. Von den Converſis aus dem Papſtum.

WJe ich mich ſchuldig erkenne / alſo thue ich denen converſis gern gutes und muͤgliche treue. Jch halte aber diejenige vor keine converſos, welche zwahr mit dem munde zu unſerer Lutheriſchen religion ſich bekennen / aber nicht wuͤrdiglich wandeln dem beruff dazu ſie beruffen ſind; und wuͤnſchete ich lieber / daß manche / welche zu uns aus dem Papſtum kommen / darinnen blieben / wo ſie mit aͤrgernuͤß unſere kirche nur beflecken und ſchaden thun / ihrer ſeelen wegen aber auch keinen nutzen davon haben. Dann das iſt weit gefehlt / wo ſie meinen / der Lutheriſche glaube / das iſt / wo ſie zu ſolcher religion ſich bekennen / und davon unterrichtet ſind / werde ſie bey allem boͤſen leben ſelig machen. Jch weiß nur einen glauben der ſelig ma - chet / welchen unſer ſelige Lutherus in der vorred der Epiſtel an die Roͤmer und anderswo herrlich beſchreibet / wie er nicht eine menſchliche meinung / ſondern goͤttliche krafft in dem hertzen ſeye / ſo einen gantz andern menſchen machet / und ihn nicht im boͤſen leben ligen laͤſſet. Wo ich dieſen glauben nicht finde / ſo halte ich keinen vor einen wahren converſum, ob er auch gleich mit tauſend eyden / die Lutheriſche religion beſchworen haͤtte / und dabey zu leben und zu ſterben ſich erklaͤhrte / ja ich bin verſichert / daß einen ſolchen men - ſchen / der dabey ein uͤbel leben fuͤhret / die erkaͤntnuͤß der goͤttlichen wahrheit aus unſerer wahren Lutheriſchen religion nur ſo viel ſchwehrer verdammt / als wo er in dem paͤpſtiſchen finſternuͤß geblieben waͤre. Es iſt aber alles ſolches nachmal bey dergleichen menſchen allein eine menſchliche meinung von der goͤttlichen wahrheit / und nicht der rechte glaube / welcher ohne den H. Geiſt nicht iſt / dieſer aber bey einem boßhafftigen menſchen nicht wohnenB b bkan.378Das dritte Capitel. kan. So hertzlich ich dann die wahre converſos liebe / da ich ſehe / daß den - ſelben die goͤttliche wahrheit angelegen iſt / und ſie alſo eines gantz exemplari - ſchen unſtraͤfflichen wandels ſich befleiſſen / Gott vor ſeine erleuchtung danck - bar zu ſeyn / (dergleichen ich aber bekenne etwas ſeltzames zu ſeyn) ſo gering achte ich hingegen diejenige / welche die converſion nur in information des verſtands / nicht aber auch in aͤnderung des willens und gantzen menſchen ſu - chen / von denſelben ſorge billig / daß ſie zu uns nur gekommen aus liebe eines freyen lebens: gerade als ob unſere Lutheriſche religion dem fleiſch mehrern zaum ſchieſſen lieſſe. Da doch gleich wie unſere lehr vor die geaͤngſtete und goͤttlichen zorn fuͤrchtende gewiſſen dergleichen troſt hat / davon das Papſtum wenig weiß / ſie gleichwol den in ſuͤnden fortfahrenden / viel ernſtlichere re - geln vorſchreibet / als immermehr die Papiſten von ſich ruͤhmen moͤgen / daß die ihrige thue. Jndem bey dieſen das opus operatum der haltenden meſ - ſen und einiger euſſerlicher wercke dem vorgeben nach vieles zur ſeligkeit thun mag: da wir hingegen zur ſeligkeit ſchlechterdings den wahren glau - ben requiriren / denſelben aber bey keinem zu ſeyn erkennen / als der mit allem eiffer und ernſt ein gottſeliges leben ihm laͤſſet angelegen ſeyn. Gleich wie ich nun dieſes mit recht erfordere von allen denen / die ſich Evangeliſch und glieder unſerer kirchen ausgeben / alſo habe ichs noch mit ſo viel mehrerm recht zu fordern / von denjenigen / welche von andern religionen zu uns kom - men / und ſo wol GOtt als unſerer kirchen ſchuldig ſind; gegen jenen ihre danckbarkeit vor die groſſe gnade der erleuchtung zu erweiſen / dieſe aber / welche dieſelbe auffgenommen / mit aͤrgernuͤß nicht zu beſch wehren / ſondern mit gutem exempel zu erbauen / die dieſes nicht thun wollen / die blieben beſſer von uns. Was N. N. trohet / er werde muͤſſen thun / was er nicht gern thue / und alſo etwa wieder zu dem Papſtum kehren / ſchrecket mich nicht / dann haͤlt er die liebe der erkanten wahrheit nicht ſo hoch / daß er auch das groͤßte elend um derſelben willen zu leiden / und wo es noͤthig waͤre / auch mit genaue - ſtem behelff und eigner arbeit ſein leben durchzubringen / ja alles unrecht eher daruͤber auszuſtehen / bereit waͤre / als in die vorige finſternuͤß zu den fleiſch - toͤpffen Egypti zu kehren / ſo iſt er ſolcher erkaͤntnuͤß nicht werth: ſie iſt auch mehr eine menſchliche perſuaſion, als goͤttliche erkaͤntnuͤß bey ihm. Dann wo dieſe iſt / ſo iſt ſo bald das propoſitum, Chriſto ſein creutz williglich aller orten nachzutragen / welches ich allezeit den proſelytis ernſtlich einbinde. Jch wuͤnſche von hertzen / daß der grundguͤtige GOtt ihn mit ſeinem Geiſt er - leuchten wolle / zu erkennen / wie bißhero ſein leben (wo nur das wenigſte / ſo von ihm berichtet / und durch die obrigkeitliche ſtraff bekraͤfftigt worden / wahr iſt) der Evangeliſchen profeſſion nicht gemaͤß geweſen / und alſo er erſt einer rechten converſion, ein wahrer Lutheriſcher Chriſt zu werden / bedoͤrff -te /379ARTIC. IV. SECTIOte / ſo dann daß er ſolches Geiſtes wirckungen bey ſich platz gebe / hinkuͤnfftig ſich anders anzuſchicken / daß GOttes nahme nicht ſeinetwegen gelaͤſtert / ſondern geprieſen / der nechſte erbauet / und er ſelbs erhalten werde. Groͤſ - ſere liebe weiß vor dißmal ihm nicht zu thun / als mit ſolchem eiffrigem gebet.

ARTICULUS IV. Pflichten eines Chriſten gegen ſich ſelbs und ſeinen beruff.

SECTIO

  • 1. D man die befindung ſeiner unvollkommenheit ſich nicht nieder - ſchlagen laſſen ſolle. Examina catechetica. Ob man etwas - brig haben koͤnne? Wie weit ſich das maaß der gutthaͤtigkeit er - ſtrecken ſolle?
  • 2. Von der art des glaubens / ſonderlich aus welchem alle wercke herkommen muͤſſen: Ob man ſimuliren oder diſſimuliren duͤrffe? Ob man einen beruff anzunehmen / dazu man ſich untuͤchtig achtet? Vom innern be - ruff / und insgeſamt / woran man den goͤttlichen beruff zu erkennen habe.
  • 3. Verleugnung ſein ſelbs und der welt: beſuchung andrer religion kirchen / und gebet darinnen. Transplantation der kranckheiten. Jacob Boͤhme. D. Carpzov.
  • 4. Bereitung des hertzens zu williger verleugnung alles zeitlichen / aus ge - legenheit der uͤbergab der ſtadt Straßburg.
  • 5. Verlangen nach dem himmliſchen vaterland.
  • 6. JEſus den Chriſten alles. Art des rechten verlangens nach der auffloͤ - ſung. Heiliger ſaame unter hohem ſtand. Geiſtliche ſtiffter.
  • 7. An eine hohe ſtandes-perſon uͤber gefuͤhlte ungemeine geiſtliche freude / wie man ſich darein zu ſchicken.
  • 8. Schuldige danckbarkeit einer aus leib - und geiſtlicher noth befreyter ſtan - des-perſon.
  • 9. Einſamkeit und ſtille ein gutes huͤlffsmittel zur heiligung. An eine vor - nehme Adeliche Fraͤulin.
  • 10. Hertzens-angſt. Verlangen nach ſtillem leben.
  • 11. Einige lebens-regeln von den beruffs-wercken; ſanfftmuth gegen boͤſe; enthaltung des richtens.
  • 12. Uber das verlangen eines politici die welt-geſchaͤffte mit ruhigerem le - ben zu verwechſeln.
B b b 213. Ge -380Das dritte Capitel.
  • 13. Gefahr unſer zeiten. Regeln eines chriſtlichen kauffmanns: abſonder - lich wegen zoll und acciſe.
  • 14. Antwort auff einige ſcrupul betreffend die kauffmannſchafft.
  • 15. Von dem vornehmen die kauffmannſchafft zu verlaſſen.
  • 16. Ob man die handlung / um ſich der welt loßzureiſſen / bey noch habenden ſchulden / verlaſſen koͤnne.
  • 17. Von dem vorhaben eine vornehme mit rechts-ſachen umgehende ſtelle mit einer andern lebens-art zu verwechſeln. Von der vereinigung der religionen.
  • 18. Uber den caſum, da jemand ſein weltliches amt verlaſſen / und um ſtille - res lebens willen ſich in ſein vaterland begeben hat.
  • 19. Was ein ſoldat ſich zu erinnern habe.
  • 20. Wie man zu weilen etwas gutes / ſo aber nicht nothwendig / um der meh - rern gefahr willen zu unterlaſſen habe. Von dem ſo genanten H. Chriſt / und den gaben / die man den kindern gibet.
  • 21. Ob man etwas gutes zu unterlaſſen / woraus man ſorget boͤſes zu ent - ſtehen.
  • 22. Ob man ſein Chriſtenthum ohne anſtoß der welt fuͤhren koͤnne / oder ihr weichen ſolle.
  • 23. Wie man ſich in getrucktem zuſtand zu verhalten.
  • 24. Von dem faſten.
  • 25. Von dem fleiß / eine ſeine geſtalt zu erhalten.
  • 26. Von den perruquen, ob dero tragen ein mittelding?
  • 27. Noch ein anders von tragen der perruquen, ſo ſich auff das vorige be - ziehet.
  • 28. Von der phraſi, Tres Creatores. Von geſundheit trincken.
  • 29. Was vom tantzen zu halten ſeye / und ob es mit dem Chriſtenthum uͤber - ein komme.
  • 30. Vom tantzen und der dazu brauchenden Muſic.
  • 31. Von tantzen-lernen hoher ſtandes-perſonen.

SECTIO I. Daß man die befindung ſeiner unvollkommenheit ſich nicht niederſchlagen laſſen ſolle. Examina Catechetica. Ob man etwas uͤbriges haben koͤnne. Wie weit ſich das maaß der gutthaͤtlgkeit erſtrecken ſolle?

D ich auf ſein liebes ſchreiben naͤher komme / iſts freylich an deme / daß derjenigen unter uns / denen doch ſolches vor andern obliget / wenigeſeyen /381ARTIC. IV. SECTIO I. ſeyen / die es mit der ehre Chriſti recht und lauter meinen / ja daß nicht auch dann und wann andere abſichten bey denen / die im uͤbrigen rechtſchaffen ſind / mit untergemiſchet werden. Wann nun mein geliebter Bruder ſich daruͤber aͤngſtliche ſorge machet / weil er auch manchmal in den beſten wercken gewahr werde / wie ſich das fleiſch mit einmiſche / und die abſichten verunreini - ge: So bitte denſelben / daß er zwahr freylich ſolche pruͤfung nicht unterlaſſen / ſondern ſich ſo offt er etwas dieſer unart an ſich findet / vor dem HErrn des - halben hertzlich demuͤthigen wolle / aber dabey ſich nicht niederſchlagen / noch ſeine freudigkeit in ſeinem amt ſich nehmen laſſe / womit er ſonſten ihm / und der in ihn gelegten gabe / mehr ſchaden thun wuͤrde. Wir haben hierinnen billich einen groſſen unterſcheid zu machen unter denen / welcher eigentliche abſicht nach demjenigen / was in ihrem hertzen den vornehmſten platz hat / nicht rein auf GOTT gehet / ſondern bey ihnen die ſuchung eigener ehr / nutzens und luſt / entweder auf eine gantz grobe art der abſicht auf GOTT vorgezo - gen wird / oder dannoch ſo viel in dem hertzen hat / daß ſie in der wahrheit und mit unſerem willen demjenigen an die ſeite geſetzt wird / worinnen wir GOtt ſuchen ſollen; dieſe ſind miedlinge und untreue diener vor GOTT: So dann unter denen / welche nach dem eigenlichen und wahrhafftigen vorſatz ihrer ſeelen nichts anders verlangen / als goͤttliche ehre auf alle muͤgliche weiſe zu befordern / und ſich auch darnach beſtreben / ob ſie wol nachmal noch bey ſich finden / daß auch das fleiſch ſie zu ſeinen abſichten reitze / und unvermerckt et - was deroſelben mit einmiſche / dem ſie aber / ſo bald ſie ſolches gewahr wor - den / ernſtlich widerſprechen / und es ihnen laſſen leid ſeyn / was nur einigerley maſſen ihre auffrichtige intention verunreiniget. Dieſe letztere bleiben da - bey wahre Chriſten und treue diener GOttes / und koͤnnen verſichert ſeyn / es gehoͤren dieſe von dem fleiſch ein werffende reitzungen / und was ſich davon in etwas hertzlich gut gemeintes einmiſchet / unter die dinge / welche ihr gutes zwahr ſo fern verunreinigen / daß es vor den heiligen augen GOttes nicht als vollkommen gut angeſehen werden kan / nicht aber daß der HErr ſolches gantz verwerffe / als der ihre ſchwachheit kennet / damit gedult hat / und um ih - res mittlers willen ihm gefallen laͤſſet / was an ſich noch unrein iſt / aber ſtets mit dem blut JEſu und wahrhafftigen glauben an daſſelbe vor ſeinem gericht gereiniget wird. Wie dann unſre geiſtliche opffer GOTT nicht anders angenehm ſind / als durch JEſum Chriſtum 1. Petr. 2 / 5. und alſo in der krafft ſeiner verſoͤhnung und reinigenden blutes. Es iſt dieſes der ſtand / davon es heiſſet Rom. 7 / 19. 20. das gute das ich will / das thue ich nicht / das iſt dasjenige / was ich thue / wo ich es recht examinire iſt nicht eigenlich dasjenige / was ich habe thun wollen / dann ich wolte gern etwas gantz voll - kommenes und ohn einigen flecken bleibendes thun / ſo finde ich hingegen anB b b 3mei -382Das dritte Capitel. meinem auch beſten viel unreines: Hingegen was ich nicht will / nemlich et - was auſſer meinem GOTT zu ſuchen / das thue ich / und ſchleichet ſich ſolches mir unwiſſend und wider meinen ernſtlichen willen in das werck: Aber dar - aus erhellet / daß ich es nicht bin / der ich es thue / weil ſtets ein wahrhafftiger wille anders zu ſeyn und zu thun / und ein gruͤndlicher widerſpruch in dem hertzen gegen ſolches unreines weſen / ſich bey mir findet: ſondern die ſuͤnde thut es / die in mir wohnet / und dero ich zwahr die herrſchafft nicht laſſe / daher immer / wo ich kan / derſelben wehre / aber nicht hindern kan / daß ſie mir bald da bald dort etwas meines guten verderbe. Es iſt auch was Paulus lehret Gal. 5 / 17. daß aus dem ſtreit des fleiſches und geiſtes folge / daß ſie nicht thun / nemlich in der reinigkeit und vollkommenheit / was ſie wollen: Jndeſſen ſtehet ſo bald der troſt dabey / wo ſie ſich gleich wol den Geiſt GOt - tes regieren laſſen / und deſſen trieb gern folgen / ob ſie es wol nicht ausrichten koͤnnen was ſie wollen / und noch taͤglich gleichſam in allen ihren wercken et - was von dem fleiſch finden / das ſie zu creutzigen haben / ſo ſeyen ſie doch nicht unter dem geſetz noch deſſen fluch / ſondern unter der gnade / und alſo handle der himmiſche Vater mit ihnen wahrhafftig nach dem Evangelio / und gedencke ihrer ſchulden nicht. Mein werther Bruder ſeye verſichert / es lige an dieſer ſache ein ſehr groſſes / daß wir uns dieſes ſehr tieff in die hertzen durch des H. Geiſtes krafft aus dem wort eintrucken laſſen / damit es uns ſtets darinnen ſeye / und wir lernen niemal auf unſere wercke ſehen / daß nicht immer zugleich auch dieſer gnaden-bund vor uns ſtehe. Dann wie gefaͤhr - lich es iſt / wo man ſein weſen unterſuchet / und alles / was nur einen ſchein des guten hat / vor koͤſtliches werck bey uns anſihet / wodurch die bußfertige de - muͤthigung vor GOTT und viel anders bey uns gehindert / hingegen eine gefaͤhrliche ſicherheit verurſachet wuͤrde / ſo gefaͤhrlich iſts hingegen / wo wir dabey ſtehen blieben / allein das unreine an unſern wercken wahrzunehmen / und anderſeits des gleich wol wahrhafftig dabey und aus des Geiſtes trieb gethanen guten / ſo dann der gnade unſers JEſu / die unſere flecken reiniget / zu vergeſſen. Jndeme durch ſolches nicht nur GOTT um das ſchuldige danckbare lob vor das gute / was er gleichwol in und durch uns gewuͤrcket / ge - bracht / ſondern auch das gemuͤth ſo niedergeſchlagen wird / daß es zu dem meiſten guten / ſo mit und in einer freudigkeit am beſten geſchihet / faſt untuͤch - tig oder doch ſehr traͤge wird. Daher wir den HErrn hertzlich anzuruffen / daß er uns auch ſolches uns anklebende unreine alſo erkennen und einſehen laſſen wolle / damit ſolche erkaͤntnuͤß uns vielmehr foͤrderlich als hinderlich werde / und uns die guͤte GOttes in beurtheilung unſerer wercke mehr zu dero fleißiger uͤbung antreibe / als die forcht der fehler dabey abſchrecke. Koͤn -nen383ARTIC. IV. SECTIO I. nen wir dann / wo wir in den wegen des HErrn lauffen / nicht anders als mit hincken ſolches zu werck richten / ſo laſſet uns doch lieber alſo fortfahren / als aus ſchahm der unform des hinckens uns gar niederſetzen / dann in jenem fall kommen wir gleichwol weiter / wo wir nur auf der rechten ſtraſſe bleiben / und nicht ausweichen. Ferner freuet mich meines werthen Bruders fleiß an die jugend gewendet hertzlich / und verſichere denſelben / daß dieſer ſaame in die zarte hertzen ausgeſtreuet die groͤſſeſte hoffnung einer geſegneten ernde gebe. Was aber anlanget das anligen / wie mit der jugend am beſten zu verfahren / daß ſie alles in rechter ordnung begriffen / und nachmal in die uͤbung braͤchten / ſeye er gewiß / daß es auch das meinige iſt / und wolte ich lieber von andern / die der HErr weiter gefuͤhret / hierinnen das noͤthige noch anhoͤren / als mir ein - bilden / daß ich andern die beſte weiſe zeigen koͤnte. Sonderlich was das letz - te anlangt / da mir mein lebenlang nicht aus den gedancken kommet / was ein - mal ein verſtaͤndiger mann / da ihm die hieſige manier der kinder-lehr wol ge - fiel / und er ſolches gegen mich bezeugte / ferner zu mir ſagte: Wie bringen wir aber den kopff (oder das darein gefaßte) in das hertz? und ſehe ich lei - der ſelbs bey den meiſten / welche zu einer zimlich reichen buchſtaͤblichen er - kaͤntnuͤß gekommen ſind / daß ihre hertzen noch wenig geruͤhret ſind. Jndeſ - ſen laſſe ich mich doch ſolches von der fortſetzung der examinum nach der gna - de / die der HErr beſchehret / nicht abſchrecken / thue gemeiniglich nach den fra - gen zuletzt einige vermahnung / wie man die materie zur erbauung ſich zu nutz zu machen habe / ohne welches ſonſten das wiſſen vergebens ſeyn wuͤrde / ne - bens dem vermahne ſie zu hertzlichem gebet / damit was ich ihnen ſage / auch in das hertz kommen moͤge: uͤber dieſes weiß nichts weiters zu thun / als daß ſelbs den HErrn um ſeinen ſeegen anruffe / und der zeit erwarte / wann er ſol - chen ſehen wolle laſſen. Wie ich dann verſichert bin / daß manche erkaͤntnuͤß oder wiſſenſchafft erſtlich eine lange zeit nichts / als eine bloſſe buchſtaͤbliche erkaͤntnuͤß bey einem menſchen iſt / und wie ein todtes koͤrnlein in dem ſtaub liget / ohne einige frucht: aber zu ſeiner zeit / da GOTT einen ſeegen und neue krafft in das hertz gibet / gleichſam erſt lebendig wird / und in ſeine frucht ge - het. Wie auch die liebe Juͤnger / da der HErr bey ihnen war / vieles von ihm hoͤrten / das ſie nicht einmal buchſtaͤblich recht verſtunden / und doch wars nicht vergebens / ſondern es kam zu ſeiner zeit der H. Geiſt dazu / und machte lebendig / was gleichſam todt war. Dieſes iſt einer meiner vornehmſten troſt-gruͤnden / was das amt anlangt / bey alten und jungen. Der HErr wird einmal ſein wort und unſer in ſeinem nahmen verrichtendes werck nicht ungeſegnet laſſen / ſolte auch der ſeegen ſpath kommen / und der HErr uns nuͤtzlicher finden / eine weil denſelben uns zu verbergen. Daß mein buͤchlein von dem gebrauch und mißbrauch der klagen denſelben geſtaͤrcket / ſage ichmei -384Das dritte Capitel. m[e]inem GOTT fuͤr ſeine gnade demuͤthigſten danck. Er gebe uns allen je l[]nger je mehr die bewandnuͤß unſrer zeiten / und was nun in denſelben ſein wille an uns ſeye / alſo zu erkennen / daß wir ihn getroſt thun / arbeiten was durch ſeine gnad uns vorkommet / und ihm endlich allen ausgang mit kindli - cher gelaͤſſenheit empfehlen / ſo dann unauffhoͤrlich bitten / daß er die zeiten ſeines gerichts bald wolle laſſen vorbey ſeyn / und mit reicherem maaß ſeine gnade der kirche erſcheinen laſſen. Jch komme endlich auf die frage / ob ein Cyriſt mit gutem gewiſſen etwas uͤbriges / und alſo auf einen noch nicht bewuſten nothfall ligen habon koͤnne? Mich deucht aber / die ent - ſcheidung ſolcher frage ſeye ſo uͤbrig ſchwehr nicht / wo der ſtatus controverſiæ wol macht genommen wird. Dann die frage iſt nicht davon / ob wegen eines noch nicht erſcheinenden nothfalls denjenigen wercken der liebe / welche mir GOTT vorkommen laͤſſet / und mich durch ſolche gelegenheit und regung meines gewiſſens dazu beruffet / abgebrochen / und ſie darum unterlaſſen wer - den ſollen / welches ich bekenne nicht recht zu ſeyn / ſondern es muß die liebe des nechſten deſſelben noth mir ſo mit eigen machen / als mir meine eigene iſt / wie ich nun meiner mittel / dero ich wahrhafftig in dem gegenwaͤrtigen bedarff / und ſonſten ſchaden leiden wuͤrde / nicht wegen des kuͤnfftigen falles ſchohne / ſondern ſie anwende / wie meine jetzige noth mit ſich bringet / alſo muß mich ebenfals die noth des nechſten / damit der HErr meine liebe verſucht / bewe - gen / daß ich das gegenwaͤrtige dem kuͤnfftigen vorziehe / und die ſorge deſſen dem HErrn uͤberlaſſe. Wann aber ſonſten weiter gefragt wird / ob auſſer dem fall einer ſolchen redlichen und zur huͤlffe mich verbindenden noth des nechſten / ich einige mittel / dero ich eben dieſes mal nicht bedarff / behalten und verwahren moͤge / traue ich ohne bedencken mit ja zu antworten. Dann wir finden deſſen nirgend einiges verbot / vielmehr gibt Paulus 1. Tim. 6. den reichen dieſer welt / das iſt / die an weltlichen guͤtern reich ſind / ihre reglen der gutthaͤtigkeit nicht aber die weglegung alles ihres reichthums / welches er doch thun muͤſſen / dafern alles uͤbrige bloſſerdings verboten waͤre. So ach - tet Chriſtus den reichthum zwahr gefaͤhrlich (wie wir auch allen vornehmen ſtand vor gefaͤhrlich achten moͤgen) nicht aber vor ſuͤndlich / und ſtehet die mei - nung des HErrn ſonderlich erklaͤhret Marc. 10 / 24. daß der HErr ſehe auf diejenige / welche ihr vertrauen auf den reichthum ſetzen / welches ſich zwahr etwa meiſtentheils bey den reichen findet / jedoch von dem reichthum nicht unabſonderlich iſt. Des orts 1. Tim. 5 / 8. wer die ſeinige nicht ver - ſorget / mißbrauchen ſich zwahr ihrer viel / daͤhnen ihn zu weit aus / und be - maͤnteln damit allen ihren geitz / indeſſen wird doch die betrachtung des textes zeigen / daß an ſolchem ort gleichwol auch nicht allein geredet werde von dergeiſt -385ARTIC. IV. SECTIO I. geiſtlichen verſorgung in einer chriſtlichen aufferziehung / ſondern daß das euſſerliche ſo fern mit begriffen werde / daß jeglicher die ſeinige / nemlich mit ſorgfaͤltiger arbeit und welches vor ſich ſelbs bekant ohne abbrechung der noͤ - thigen werck der liebe / alſo zu verſorgen habe / daß als viel an ihm iſt ſeine wittwen und kinder (wiewol des textes abſicht mehr auf die eltern gehet) nicht moͤgen andern und der gemeinde zur laſt werden / wie auch v. 16. einige anzeige davon zuſehen. Wird alſo eine maͤßige fuͤrſorge auch vor das kuͤnfftige / nicht in einem aͤngſtlichen ſuchen und ſorgen / dawider Matth. 6 / 31. geredet wird / ſondern in einer ſpaͤrlichen verwahrung ſeines uͤbrigen in dem wort προνοεῖν anbefohlen / nicht aus einem mißtrauen gegen GOtt / noch liebe des irrdi - ſchen / ſondern aus liebe gleichwie der ſeinigen / alſo auch der gemeinde welcher man durch der ſeinigen von ſich verurſachte duͤrfftigkeit keine laſt muthwillig zu machen / ſondern derſelben vielmehr nach vermoͤgen durch eigenen fleiß zu ſchohnen hat. Gegen dieſe meine meinung ſehe ich nicht / wie vieles moͤchte gebracht werden koͤnnen / ſo in dem gewiſſen einen anſtoß machen koͤnte. Was aber die maaß der gutthaͤtigkeit anlanget / ſolte es wol groͤſſere difficultaͤten ſetzen / wie man darinnen zu verfahren habe. Zwahr wo wir unter meiſtens rechten Chriſten lebeten / wuͤrde es ſo viel anſtand und bedenckens nicht ha - ben / ſondern wir dieſe liebes-pflicht / gleichwie andere des bruͤderlichen beſtraf - fens und dergleichen / in aller einfalt gegen alle ohne viele ſorge uͤben koͤnnen / ſo jetzt offt nicht gleichermaſſen geſchehen kan / und man an ſtatt des guten offt mehr ſuͤnde und uͤbels zu veranlaſſen ſorgen muß. Wie dann die betrach - tung der bey andern ſo erloſchener liebe / wo man bey bruͤdern diejenige huͤlffe nicht wiederum hoffen kan / die ſonſten der HErr ſo wol von andern als von uns erfordert / und durch dieſelbe uns helffen wolte / ſo dann der menſchen boß - heit / die ſich frommer hertzen gutthaͤtigkeit mißbrauchen / nicht aus der acht zu laſſen / und uns in uͤbung der mildigkeit behutſam machen doͤrffen. Alſo will ich nicht zweiffeln / daß wo es die noth eines rechtſchaffenen kindes GOttes erfordert / und bey ermanglung anderer beyhuͤlffe auf mich alles ankommen ſolte / daß ich mich nicht nur meines uͤbrigen begeben / ſondern auch an meiner eignen nothdurfft mich angreiffen muß. Sinds aber andere / gegen welche wir allein die gemeine liebe zu uͤben haben / und kan auch von andern und meh - rern die laſt getragen werden / ſo habe ich zwahr jenen die liebes-thaten auch nicht zu verſagen / bedarff mich aber auch nicht ihrentwegen allzuviel zu ent - bloͤſſen / noch dasjenige an ſolche allein zu wenden / deſſen nicht nur die meinige / ſondern auch andere wuͤrdigere bruͤder annoch von mir noͤthig haben werden / ſo bin auch in dem letzten fall nicht eben ſchuldig / die laſt auf mich allein wel - tzen zu laſſen; dann es bleibt insgeſamt auch dieſe liebes-regel 2. Cor. 8 / 13. daß nicht andere ruhe haben und ihr truͤbſaal. Aus beſagtem hoffe /C c cmein386Das dritte Capitel. mein werther Bruder werde zur gnuͤge / was meine gedancken von dieſer ſach ſeyen / vernehmen / und ſie ferner in der forcht des HErrn uͤberlegen. Der HErr gebe uns in allem gewißheit und ſeinen willen ſo zu erkennen / als auch willig zu thun / dazu uns die liebe zu ihm und ſeiner ehr die beſte handleiterin iſt / wie er wol erinnert. Laſſet uns nur unablaͤßig jeglicher fuͤr ſich und an - dere mitbruͤder deſto eiffriger zu dem HErrn ſeuffzen / daß er uns wuͤrdig ma - che / in unſerem dienſt und ſonſten ſeine ehr rechtſchaffen zu befoͤrdern / und gebe zu dem von ihm gewirckten wollen auch ein kraͤfftiges vollbringen. Es iſt ja alles / womit wir umgehen / ſein werck / er forderts von uns / er kennet unſer unvermoͤgen / und da wirs nicht wuͤrdig ſind / iſt doch ſein ehre werth / von allen ſeinen geſchoͤpffen befoͤrdert zu werden / bereits jetzt ſo viel es die gegenwaͤrtige zeiten des gerichts zugeben / biß ſie in der zeit der beſſerung noch ſiegreicher und herrlicher voͤllig durchbreche. 1686.

SECTIO II. Von der art des glaubens / ſonderlich aus welchem alle wercke herkommen muͤſſen: Ob man ſimuliren oder diſſimuliren doͤrffe? Ob man einen beruf anzunehmen / dazu man ſich untuͤchtig achtet? Vom innern beruf / und insgeſamt / wor - an man den goͤttlichen beruf zu erkennen habe.

Erſte Frage.

QUænam ſit formaliſſima ratio fidei. Oder / welcher ſeye der nothwendigſte gedancken oder concept des glaubens im her - tzen: Dabey ein menſch bey der von Paulo erforderten pruͤf - fung 2. Cor. 13 / 5. verſichert ſeyn kan / daß ſein thun und laſſen aus glauben gehe. Da ich dann gern zugebe / daß dieſes formale nicht beſtehe (a) in der empfindlichkeit / dann GOttes unſichtbares weſen fuͤhlender weiſe zu finden / halte ich mehr fuͤr eine eigenſchafft der aus dem Heydenthum erſt ausgehenden Ap. Geſch. 17 / 27. als in dem wachsthum des glaubens ſte - henden Chriſten. Auch nicht (b) in der plerophoria noch dergleichen con - comitantibus & ſubſequentibus fidei, welche citra fidei interitum eſſe vel abeſſe poſſunt: Aber da ſtehe ich an / ob nicht derjenige / der ſeiner meinung gewiß ſeyn will / daß ſein werck aus dem glauben geſchehe / nothwendig muͤſſe eine hypoſtaſin und zuverſicht des hertzens bey ſich verſpuͤhren nach Hebr. 11 / 1. Jn ermanglung deſſen aber / alles euſſerlichen reſpects / muth - maſſung und meinung anderer ungeachtet / lieber das werck / woran ſonderlich vieler menſchen heil und ſeligkeit hanget / unterlaſſen ſolte / weil ja ein jederſeines387ARTIC. IV. SECTIO II. ſeines eigenen glaubens leben muß. Oder ſo ich hierinnen das rechte for - male nicht treffe / moͤchte ich gern informiret ſeyn / welches es dann ſeye / ge - wißlich kan ich es nicht anders / als eine geiſtliche illuſion halten / wann man die uͤber ihren glauben angefochtene beredet / daß ſie den glauben haben / dar - um weil ſie ein verlangen nach demſelben tragen.

Antwort.

  • 1. ES ſcheinet / es werde in dieſer frage zweyerley glaube / oder zweyerley abſicht des glaubens / mit einander conſundiret / auffs wenigſte ſolle zum grunde des uͤbrigen / was wir hievon zu reden haben / eine diſtinction nothwendig gemacht werden / unter dem ſeligmachenden glauben / als fern derſelbe ſeligmachend iſt / und unter dem glauben / wie er das principium unſe - rer werck iſt. An ſich ſelbs iſts wol ein glaube / oder einerley liecht in der ſache ſelbs / jedoch finden ſich auch gewiſſe unterſcheid unter dieſen beyden conſide - rationen: Der ſeligmachende glaube kan wol bey einem menſchen wahrhafftig und alſo derſelbe in goͤttlicher gnade ſeyn / da hingegen es ihm in gewiſſen ſtuͤ - cken und handlungen / wegen beywohnender ſcrupel und zweiffel / an demjeni - gen glauben manglet / aus welchem er etwas thun ſolte.
  • 2. Scheinet es / es werde vornemlich von der letzten art oder conſidera - tion des glaubens gefraget / als worauf die meiſte wort gerichtet ſind / indeſ - ſen glaube ich doch / daß auch insgeſamt die frage die verſicherung des ſelig - machenden glaubens mit meine / und verlanget werde / worinnen man ſich deſ - ſen am gewiſſeſten verſichern koͤnne / daher wir auf denſelben eben ſo wol un - ſere reflexiones dieſesmal machen wollen.
  • 3. Wo ich nun von dem hinderſten oder letzten in der frage anfange / weil ſolches zu dem ſeligmachenden glauben gehoͤret / ſo kan ich nicht dafuͤr halten / daß es eine geiſtliche illuſion ſeye / wo man die angefochtene auf das veꝛlangen des glaubens weiſet / welches ich nicht nur allein mehrmal gethan zu haben / ſondern meine gewoͤhnliche art zu ſeyn / gern bekenne. Jedoch muß es nicht ſo crudè angenommen werden / daß man jedes verlangen des glaubens ſtracks vor einen glauben halte: Welches ſonder zweiffel falſch ſeyn wuͤrde / und alſo gewiß iſt / daß ein verlangen des glaubens ſeyn kan / ja bey vielen ſichern her - tzen / die nach dem glauben auch verlangen tragen / ob ſie wol weder deſſen fruͤchte wuͤrcklich haben / noch auchſich reſolviren koͤnnen / dasjenige abzulegen / was dem H. Geiſt / von deſſen wirckung der glaube herkommen muß / bekant - lich entgegen iſt / ſich wuͤrcklich befindet / die doch ſehr fern von dem glauben ſeynd und bleiben. Wo aber geredet wird von ſolchen hertzen / 1. die bekant - lich in wahrer buß ſtehen / ihre ſuͤnden erkennen und von grund der ſeelen haſ - ſen / auch wol offt ſchwehre aͤngſten und traurigkeit daruͤber ausſtehen. 2. BeyC c c 2denen388Das dritte Capitel. denen auch ſich nicht nur die fruͤchten der buß in einer hertzlichen begierde / ſon - dern wircklichem eiffer und anfang eines ſolchen lebens / darinnen man einig und allein GOTT in allen dingen zu gefallen trachtet / antreffen laſſen. 3. Die auch die gnade GOttes / ob ſie wol derſelben nicht theilhafftig zu ſeyn aͤngſtiglich ſorgen / hochſchaͤtzen / darinnen die ſeligkeit zu beſtehen erkennen / und ein ſehnliches verlangen darnach tragen / ja wann es moͤglich waͤre / mit vergieſſung ihres bluts derſelben genuß gern erkauffen wolten (welcherley ich manche angefochtene angetroffen / ja es vor die rechte characteres der kinder GOttes halte / die er in dieſem probier-offen uͤbet) ſo getraue ich kecklich zu ſa - gen / daß bey ſolchen lieben ſeelen der wahre glaube wahrhafftig ſeyn muß / und annoch in ſolchem verlangen / als welches unter allen uͤbrigen dingen / die ſich bey ihnen finden / dem glauben am nechſten kommet / beſtehe. Der liebe Arnd fuͤhret uns dahin W. Chriſtenth. 2 / 52. Es zeucht ſich alle krafft des glaubens in einen punct und in ein unausſprechlich ſeuffzen / darinnen noch der glaube ihnen unwiſſend verborgen iſt. Und dieſer verbor - gene glaube iſt alſo dann ſein unglaube / und iſt ſein hoͤlle und marter: Und nachmal: Aber gleich wol laͤſſet ſich GOTT noch in dem verborge - nen unausſprechlichen ſeuffzen gleich als von ferne ſehen / und dadurch wird der menſch erhalten. Es ſind aber ſolche unausſprechliche ſeuffzen nichts anders als ſolches bruͤnſtige verlangen.
  • 4. Daß aber ſolches verlangen von dem glauben ausgegeben / oder viel - mehr als ein zengnuͤß des verborgenen glaubens angezeiget wird / geſchihet nicht ohne grund. Es ſind einmal dergleichen leute / wie ſie n. 3. beſchrieben ſind / wahrhafftig wiedergebohrne leute: Als die nun gantz anders geartet und geſinnet ſind / als ſonſten menſchen von natur zu ſeyn pflegen / und ſie etwa auch von ſich ſelbs vor dem geweſen zu ſeyn / ſich erinnern / welche aͤnderung zu dem guten / und zwahr eine veraͤnderung der gantzen natur / des menſchen und ſeiner haupt-inclination, wie ſie nicht aus der alten geburt herkommt / viel - mehr deroſelben art entgegen iſt / ſo muß ſie aus einer andern und neuen ge - burt nothwendig herkommen / dieſe aber kan wiederum nicht anders als vom H. Geiſt ſeyn / deſſen ohnzweiffelicher trieb derjenige iſt / aus dem ſolche leute gutes thun. Wo aber der Heilige Geiſt iſt / und einen neuen menſchen ge - macht hat / da iſt unfehlbar bey demſelben auch der glaube / als gleichſam die ſeele des neuen menſchen. Daher wahrhafftig nichts anders einem ſolchen menſchen mangelt / als die bloſſe empfindlichkeit / da doch die frage ſelbs / daß dieſe nicht eben bey dem glauben ſeyn muͤſſe / geſtehet. So zeugen ja die fruͤch - ten des glaubens ohnfehlbarlich von gegenwart der wurtzel / aus welcher die - ſelbe wachſen muͤſſen.
5. Wo389ARTIC. IV. SECTIO II.
  • 5. Wo wir ſagen / daß bey dem glauben nicht eben nothwendig der ſen - ſus und empfindlichkeit ſeyn muͤſſe / ſo redet man nicht eben allein von der em - pfindlichkeit / davon Ap. Geſch. 17 / 27. ſtehet / da man aus den creaturen auff einigerley maſſen GOtt fuͤhle / und ſo durch die ſinne zu ſeiner erkaͤntnuͤß ſich erheben moͤge / als welches etwa den Heyden / und welche goͤttliche offen - bahrung nicht haben / mehr moͤchte eigen geachtet werden: ſondern es heiſſet dieſe empfindlichkeit / die reflexion, daß der menſch dasjenige bey ſich finde / was er ſuchet / und wie der leib ſeine ſchmertzen oder wohlſeyn empfindet / alſo auch die ſeel auff ihre art in ſich. Zum exempel / davon wir hie reden / den glauben bey ſich gewahr werden / daß ſie unmittelbar in ſich ſolchen zu ſeyn erkennen / und nicht erſt aus gewiſſen rationibus ſchlieſſen muß / daß ſolches in ihr ſeye. Wie in dem leib einige dinge empfindlich ſind / die ich fuͤhle / an - dere dinge / die ich durch gute gruͤnde ſchlieſſen kan / ſo und ſo muͤſſe es mit die - ſem oder jenem bey mir beſchaffen ſeyn / ob ichs wol nicht unmittelbar fuͤhle. Wo wir alſo ſagen / es moͤge der glaube wohl vorhanden ſeyn / ohne ſein ge - fuͤhl / ſo iſts ſo viel geſagt / es koͤnne der glaube da ſeyn / da derjenige / welcher glaubet / ſich nichteben erinnert / oder daran gedencket / daß er glaube / wie bey kleinen kindern / ſchlaffenden / verirrten und dergleichen geſchihet / ſondern auch da der menſch daran gedencket / und ſich pruͤfen will / daß er ſolches nicht bey ſich unmittelbar erkennen kan / ſondern bedarff durch andere gruͤnde erſt zu ſchlieſſen und zu colligiren / daß es bey ihm ſeye. Jch achte auch die ur - ſach deſſen ſeye etlicher maſſen zu begreiffen aus demjenigen / was unſer liebe Lutherus ſagt T. I. Alt. f. 758. b. wie in dem menſchen leib ſeel und geiſt ſeyen / nicht daß geiſt und ſeel zwey ſonderbare weſen ſeyen / ſondern daß die hoͤchſte krafft der ſeelen / oder die ſeel in ihrer hoͤchſten verrichtung / da ſie es mit goͤttlichen und ewigen dingen zu thun hat / der geiſt heiſſe / in andern din - gen aber den nahmen der ſeelen allein trage. Da ſagt er / jenes ſeye das hauß darinnen der glaube und GOttes wort innen wohnet: er nen - nets auch ſanctum ſanctorum, GOttes wohnung im finſtern glauben ohne liecht / dann er glaubet / das er nicht ſihet noch fuͤhlet / noch be - greiffet. Zwahr gehen eigenlich dieſe letzte wort auff die unbegreiflichkeit des objecti, mit dem es der glaube zu thun hat. Aber die bewandnuͤß ſol - cher oberſten krafft der ſeelen / meine ich / auch in dem ſtuͤck alſo bewandt zu ſeyn / daß unſere gedancken damit wir uns unterſuchen / die mehr zu den un - tern kraͤfften gehoͤren / nicht allemal in ſolchem ſancto ſanctorum alles erken - nen koͤnnen / was gutes GOtt darinnen gewircket habe / ſondern es bleibet ihnen verborgen / was dannoch wahrhafftig da iſt. Alſo uͤbertrifft der friede GOTTes / und alſo dieſe wirckung GOttes in der ſeele / alle vernunfftC c c 3Phil.390Das dritte Capitel. Phil. 4 / 7. daß die vernunfft nicht begreifft / was und wie es in der ſeele hergehe: dahin ich auch die unausſprechliche ſeufftzen Rom. 8 / 26. rechne. Welches uns / nachdem der glaube und dergleichen goͤttliche wir - ckungen aus einem hoͤhern principio und nicht einer art mit den habitibus oder wirckungen in der ſeele / welche ſie ſelbs in ſich zu wege bringt / zu achten ſind / ſo viel weniger wunder nehmen darff / daß etwas dergleichen bey uns ſeye / das wir doch nicht zu erkennen vermoͤgen / weil wir ja einige dinge zu - weilen wiſſen / und doch nach langem nachſinnen / uns derſelben nicht erinnern koͤnnen / da ſie hingegen ein andermal ohngeſucht von ſelbſten wiederum ein - fallen. Kan nun einige verfinſterung der gedaͤchtnuͤß / in ſolchen gantz na - tuͤrlichen dingen / und die wir auff eine natuͤrliche weiſe gefaſſet / dasjenige uns verbergen / was doch wahrhafftig in der ſeele noch iſt / warum ſolte nicht in ſolchen wirckungen / die gantz einer hoͤheren und unterſchiedenen art ſind / etwas in uns ſeyn koͤnnen / ſo wir nicht finden / und wie wirs zu nennen pfle - gen / empfinden koͤnten? daher damit zu frieden ſeyn ſollen / daß deſſen da - ſeyn durch andere gewiſſe kantbare zeugnuͤſſen erwieſen werden kan. Dieſer obſervation fleißige betrachtung / hoffe ich / ſolle in ein und andern ſtuͤcken zimliche difficultaͤt auffheben.
  • 6. Wo aber gleich von des ſeligmachenden glaubens art / und was noth wendig dabey ſeyn muͤſſe / gefraget wird / ſo kan ich nicht anders ſagen / als was insgemein von allen Evangeliſchen bekant wird / nemlich daß zu dem glauben drey ſtuͤck (man moͤchte ſie partes oder actus oder gradus nennen / wuͤrde mir nicht viel daran gelegen ſeyn) gehoͤren / erkaͤntnuͤß / beyfall und vertrauen. Alſo iſt unmuͤglich / daß der glaube ſeye ohne erkaͤntnuͤß / wohl aber daß ſolche erkaͤntnuͤß gering und ſchwach ſeye / item daß der menſch nicht wircklich daran gedencket / und alſo die idea gleichſam ihm allezeit vor augen ſtehe / jedoch muß ſolches liecht / obwol etwa in einem ſchwaͤchern grad / in der ſeele ſeyn. 2. Muß auch ein beyfall da ſeyn / ob wol ſolcher abermal ſchwach ſeyn / und von allerhand ſcrupeln und zweiffeln verunruhiget wer - den kan: Es iſt aber gleichwol ein beyfall / als lang ich mich von ſolchen zweif - feln nicht uͤberwinden laſſe / ſondern mich mit fleiß auff ſolche ſeite neige / und nicht mehr verlange / als daß ich ohne widrige gedancken moͤchte dabey acquieſciren koͤnnen. Es gehoͤret auch 3. dazu eine zuverſicht / welche in ſich faſſet / ſo wol / daß man die guͤter des heils / die wir aus goͤttlichem wort erkant / in ihrem gebuͤhrenden hohen wehrt achte / daß ſie das einige funda - ment, aller unſerer begierde / verlangen / hoffnung und vertrauens ſeyn ſol - len / in welchem allein wir uns gluͤckſelig ſchaͤtzen / und welche zuhaben und zu behalten wir leib und leben und alles was wir haben / nicht zu theuer ſchaͤtzen /ſon -391ARTIC. IV. SECTIO II. ſondern lieber alles verliehren als deroſelben miſſen wolten (welches alles die art der zuverſicht iſt) als auch die gewiſſe verſicherung / daß wir ſolche guͤ - ter haben und genieſſen ſollen. Ohne jenes erſte / iſt nimmer kein glaube / und kan alſo derſelbe mit dem gegentheil / da der menſch ſein datum, ſeine be - gierde und vertrauen auff das vergaͤngliche ſetzet / und in dieſem ſein wohl - ſeyn ſuchet / nicht beſtehen: Was aber das andere anlangt / ſo iſt die empfin - dung deſſelben nicht allemal bey dem glauben / ſondern findet ſich an ſtatt der - ſelben allein eine empfindung eines bruͤnſtigen verlangens / davon wir oben geredet / und ſtecket doch in derſeben der krafft nach ſolche zuverſicht / die nur durch die auff ſteigende zweiffel unempfindlich gemacht wird. Es ſind aber ſolche zweiffel nicht eigenlich unſere wirckungen. Dann ſolche angefochtene muͤſſen ſie wider willen leiden / und wolten offt mit verluſt alles was ſie ha - ben ſich davon loßkauffen / ſondern ſie ſind theils ſuggeſtiones und eingebun - gen des teuffels / als die zu deſſen feurigen pfeilen Epheſ. 6. gehoͤren / theils verſuchungen des ſuͤndlichen und von natur unglaubigen fleiſches / deme wir ſelbſten feind ſind: Daher dasjenige / was dieſelbe beſtreiten / nemlich die verſicherung auff unſere eigene perſon / vielmehr in dem hertzen obwol verbor - gen / vorhanden ſeyn muß. Wie auch alles / was in ſolcher unempfindlichkeit und angſt geſchihet / das aͤngſtliche ſeufftzen nach der gnade / die ſorgfaͤltige vermeidung alles deſſen / was dieſelbe wegſtoſſen koͤnte und dergleichen / ein zeugnuͤß ſolcher zuverſicht iſt; dann wo dieſe gantz weg waͤre / ſo wuͤrde ſol - ches von ſelbſten auch hinfallen: als bey denen geſchaͤhe / die wircklich an goͤttlicher gnade verzweiflen. Wie nun die verzweiflung eigenlich das op - poſitum des glaubens und deſſen zuverſicht iſt / ſo kan noch ſo lang als jene nicht uͤberhand nimmet / eine ſchwache zuverſicht vorhanden ſeyn / dero fuͤh - lung durch den kampff der zweiffel auffgehalten wird.
  • 7. Wo wir aber davon reden / wie der glaube das principium ſeyn muͤſ - ſe / daraus alle unſere wercke entſpringen ſollen / und auſſer demſelben ſuͤnde ſeyn / Rom. 14 / 23. ſo hat das obenbeſagte meiſtens auch in dieſer conſide - ration platz. Sonderlich weil auch wahrhafftig eben der ſeligmachende glau - be zu einer chriſtlichen handlung gehoͤret / ſolle ſie nicht zur ſuͤnde werden. Dann weil alle unſere auch beſte wercke vor GOttes ſtrengem gericht ihrer unvollkommenheit wegen nicht beſtehen koͤnten / ſo gehoͤret ſichs bey allen / daß was wir thun / wir es auch ſo fern in Chriſti nahmen thun / das iſt in hertzlichem vertrauen / daß GOtt alles ſolches ſo wir in einfalt unſerer her - tzen zu ſeinen ehren vornehmen / um Chriſti willen in gnaden annehmen / und ſich wohlgefallen laſſen werde (das ſind die geiſtliche opffer / die GOtt an - genehm ſind durch JEſum Chriſtum 1. Pet. 2 / 5.) ſonſten wo es nicht auff dieſe weiſe ſondern mit einbildung eigener vollkommenheit geſchihet /wuͤr -392Das dritte Capitelwuͤrde es GOtt nicht gefaͤllig ſeyn. Ferner muß auch alles aus dem glau - ben / nemlich aus dem ſeligmachenden glauben geſchehen / das iſt / aus einem ſolchen hertzen und von einem ſolchen menſchen / der wahrhafftig durch den glauben mit GOtt verſoͤhnet iſt / und alſo den Heiligen Geiſt in ſich wohnend hat / welcher ihn regieret und durch ihn wircket. Dann was wercke ſind der natur allein / und nicht aus der gnade / folglich aus dem glauben entſpringen (von dero kennzeichen neulich etwas ausfuͤhrlicher gehandlet worden / und nach belieben communicirt werden kan) ſind GOtt nicht angenehm / als der allein ſeine werck in uns liebet / und dermaleins kroͤhnen wird.
  • 8. Uber dieſe betrachtungen / wie insgemein der glaube bey allen Gott - gefaͤlligen ſeyn ſolle / ſo wird noch ferner der glaube in denſelben in dieſem ver - ſtand erfordert / daß er iſt eine verſicherung des hertzens / daß dieſes und jenes werck / was wir thun ſollen oder wollen / GOtt gefaͤllig / von ihm geboten o - der ſein wille ſeye. Da weiß ich nun dieſer art des glaubens oder dem glau - ben in ſolcher conſideration kein ander formale zu geben / als eben ſolche ver - ſicherung: Jedoch iſt dabey ein und anderes ferner zu erwegen. 1. Muß das gewiſſen des menſchen verſichert ſeyn / von der ſache insgemein / daß die - ſelbe goͤttlichem wort und gebote gemaͤß ſeye. Dieſe verſicherung kommet her aus fleißiger betrachtung goͤttlichen worts / und hat alſo alle diejenige mittel / welche ſonſten zum verſtand der ſchrifft noͤthig ſind: wie man dann aus derſelben mit ſolchen gruͤnden / welche dem gewiſſen ein genuͤge thun / ei - ne ſache / die verboten oder geboten ſeyn ſolle / erweiſen kan: wie man auch et - wa in glaubens-artieuln zu thun pfleget / und zu thun hat. Solte aber ein gewiſſen die ſache nicht genug faſſen koͤnnen / und haͤtte noch ſeine ſcrupel da - bey / ſo muͤſte die ſache unterlaſſen werden / indem derſelbige ſcrupel und ſorge unrecht zu thun / dem glauben entgegen ſtehet. Alſo wer nicht faſſen kan / daß die eydſchwuͤre nicht an ſich ſelbs verboten ſeyen / koͤnte ohne ſuͤnde keinen thun / dann es ginge nicht aus glauben.
  • 9. Wie nun dieſes / wo es quæſtiones in theſi ſind / nicht ſo gar ſchwehr iſt / zu einer gewißheit zu kommen / ſo gehets hingegen 2. ſchwehr her / wo in hypotheſi nunmehr die frage iſt / ob eine ſache von mir / mit dieſen und jenen umſtaͤnden / zu thun oder zu unterlaſſen ſeye / in denjenigen dingen die nicht abſolute boͤß oder ſchlechterdings nothwendig ſind. Da bekenne ich ſelbs / daß es offt nicht ohne vielen kampff hergehe zu einer gewißheit zu kommen. Ja dieſes iſt dasjenige / was mir offt das allermeiſte anligen und unruhe machet / goͤttlichen willens in dieſer und jener ſache / da die umſtaͤnde / ſo viele bedencken machen / ob dieſer oder jener fall unter dieſe regel gehoͤre / verſichert zu werden. Jch finde auch nicht wie die ſache anders anzugreiffen / als auff folgende art. 1. Daß man GOtt inbruͤnſtig und eine gute zeit hertzlich an -ruf -393ARTIC. IV. SECTIO II. ruffe / daß er uns ſeinen H. Geiſt und die gnade geben wolle / die allein das hertz feſt machet Hebr. 13. und wie wir von grund der ſeelen begierig ſeyen / ſeinen willen zu thun / wir auch in erkaͤntnuͤß deſſelben nicht fehlen moͤchten: ſonderlich daß er auch andere wolle dermaſſen regieren / daß was ſie in ſolcher ſache thun / und mit uns vorhaben / dahin endlich gereichen moͤge / daß ſein wille in uns und von uns vollenbracht wuͤrde. 2. Daß man nechſt dem die gantze ſache auffs reiflichſte aus GOttes wort und den gruͤnden unſers Chri - ſtenthums / die wir aus demſelben gefaſſet / uͤberlege / ſehe ob man dergleichen regeln finde / welche ſich recht appliciren lieſſen / und unterlaſſe alſo nichts / was von unſerm fleiß erfordert werden moͤchte. 3. Daß man auch andere chriſtliche hertzen zu rath ziehe / und nechſt ihrer fuͤrbitte ihre meinung ſuche / wie dann manchmal GOTT unſere bruͤder zum werckzeuge nicht nur guten troſts ſondern auch raths gebraucht: nicht zwahr auff ihre autoritaͤt den glauben zu gruͤnden / ſondern zu verſuchen / ob GOtt ihnen ein liecht gegeben haͤtte / davon ſie uns mit rath und zuſpruch etwas mittheilen koͤnten. Kommt man auff ſolchem wege zu einer verſicherung des hertzens / daß daſſelbe nun - mehr bey ſich eine uͤberzeugung befindet / dieſes und jenes ſeye recht oder nicht recht / ſo iſt die ſache richtig / und wiſſen wir was wir thun ſollen / dann da ge - hets alsdann aus dem glauben. Bleibet aber die ſache noch in ſtarckem zweif - fel / ſo iſt 4. zu erwegen / ob noͤthig ſeye / eine reſolution zu faſſen oder nicht. Jſts ein geſchaͤfft / das gar auffgehoben werden kan / und nicht nothwendig auff eine oder andere ſeite reſolviret werden muß / ſo iſt ſolcher auffſchub als - bald zu er wehlen / dazu dienlich / daß wir nach der zeit moͤchten gewiſſer wer - den / was zu thun. Wo aber 5. nothwendig etwas reſolvirt werden muß / ſo muͤſſen wir endlich dasjenige erwehlen / was dem gewiſſen am ſicherſten iſt. Solches aber zu unterſuchen bedarff wiederum ſeine vorſichtigkeit. 1. Zu - weilen ſinds einige dinge / da eigenlich nur auff einer ſeiten eine ſuͤnde zu ſor - gen waͤre / auff der andern ſeiten aber nicht / oder doch keine andere als die in unterlaſſung eines guten / von deſſen nothwendigkeit und goͤttlichem willen daruͤber / wir keine verſicherung haben finden koͤnnen / beſtuͤnde. Da iſt ge - troſt ſolche ſeite und die unterlaſſung einer ſolchen ſache zu erwehlen / und iſt keine ſuͤnde / dann wer gutes zu thun weiß / (nemlich mit gehoͤriger verſiche - rung) und thuts nicht / dem allein iſts ſuͤnde. Jac. 4 / 17. 2. Zuweilen ſcheinets wohl beyderſeits ſuͤnden-gefahr zu ſeyn / wo da nothwendig etwas gethan werden muß (als wo nemlich die unterlaſſung ſelbs ſcheinbarlich eine ſuͤnde in ſich faſſete) da iſt alsdann diejenige ſeite zu erwehlen / worinnen we - niger gefahr der ſuͤnden iſt / worinnen weniger nachtheil goͤttlicher ehre und des nechſten wahren beſtens zu ſorgen iſt. 3. Zu weilen ſind die beyderleyD d dra -394Das dritte Capitel. rationes ſehr ungleich / die eine offenbar und zimlich ſtarck / auff der andern ſeiten aber iſt allein ein ſcrupel / der jenem nicht gleich kommet / ob wol das ge - muͤth doch verunruhiget wird / wo dann nothwendig etwas zu thun / ſo folget man billich den ſtaͤrckſten urſachen. 4. Wolte ich auch nicht unrathſam achten / wer ſich ſelbs hierinnen nicht trauet / und fuͤrchtet / er moͤchte aus eigener lie - be / vermeſſenheit / unrechter abſicht / zaghafftigkeit / oder ander ſeiner ſchwach - heit in der erwegung der ſache und endlichen wahl / leichter fehlen / und ſein fleiſch ihm unvermercklich einige unzimliche fleiſchliche conſideration bey - bringen / die ihn an erkaͤntnuͤß der wahrheit in ſolcher ſache hinderten / wie das hertz ſehr betruͤglich iſt; daß man nach hertzlicher anruffung GOTTes / und bekaͤntnuͤß ſeiner eigenen ſchwachheit / die ſache einigen chriſtlichen freun - den uͤbergebe / alle momenta und unſers hertzens bewandnuͤß dabey offen - hertzig ihnen vorlegte / und alſo den mund des HErren in ihnen fragte / was man alsdann von ihnen hoͤret / als deſſelben willen und befehl anzunehmen. Hat man einige Superiores, ſo iſt ſolches ſo viel lieber zu practiſirn / indem uns GOtt ohnedas an dieſelbe und ihren rath und willen (wo er ſeinem wil - len nicht entgegen iſt) weiſet. Allen dieſen vorſchlaͤgen ſolte ſcheinen entge - gen zu ſtehn / daß ja in ſolchen dingen keine verſicherung des hertzens / und al - ſo kein glaube ſeye / ſondern es geſchehe ja mit ſtetem zweiffel / und koͤnne das gewiſſen nicht auff einer probabilitaͤt beruhen. Hierauff dienet zur antwort: daß man zu dieſen vorſchlaͤgen nicht kommen ſolle / man habe dann alle moͤgli - che mittel gebraucht zu eigener verſicherung / ſo dann wo wir in die enge kom - men / daß beyderſeits ſuͤnden-gefahr iſt / und thun und unterlaſſen / deren gleichwol eines ſeyn muß / ſein ſtarckes bedencken hat. 2. Wann alſo uns GOtt in ſolche nothwendigkeit nach ſeinem heiligen willen gerathen laͤſſet / daß es keine vermeſſenheit iſt / was wir reſolvirn / ſo haben wir zwahr ſo fern unſer ſuͤndliches elend auch darinnen zu erkennen / daß wir aus unſerer ver - derbnuͤß den goͤttlichen willen nicht klahr mehr erkennen / ja uns vor GOtt zu demuͤthigen / daß wir etwa auch biß dahin mit nachlaͤßiger verrichtung ſeines willens / den wir etwa klahr genug erkant / oder andern ſuͤnden / verſchuldet haben / daß er uns ſeinen willen hierinnen nicht ſo deutlich offenbare / wie nach mehrer abziehung von der gleichſtellung der welt und fleißiger ver - neuerung unſers ſinnes wuͤrde geſchehen ſeyn (ſihe Rom. 12 / 2.) ja ihn um vergebung ſolcher unſerer ſchuld zu beten / aber nachmal dieſes kindliche vertrauen zu dem HErrn zu ſchoͤpffen / weil er ja ſehe / daß wir ſeinen vaͤterli - chen willen hertzlich gern erkennen und erfuͤllen wollen / daß dann dasjenige / was wir endlich reſolvirn werden / wahrhafftig ſein wille ſeyn / und von uns gethan / hingegen zur ſuͤnde nicht zugerechnet werden ſolle. Welches fun - dament auff goͤttlicher guͤte und treue beſtehet / und alſo dem gewiſſen eineſicher -395ARTIC. IV. SECTIO II. ſicherheit geben kan. 3. Alſo iſt gleichwol eine verſicherung des hertzens alsdann vorhanden / welches zwahr ſonſten in genere nicht ſagen koͤnte / ob dieſes oder jenes der goͤttliche wille mehr waͤre / aber weiß ſich in ſpecie ver - ſichert / der goͤttliche wille ſeye gleichwol / dasjenige dißmal zu thun / was end - lich in kindlicher einfalt nach eigner uͤberlegung oder uͤbergebung an andere / am ſicherſten reſolviret worden.
  • 10. So verbleibet alſo allezeit das formale ſolches glaubens / die verſi - cherung des hertzens / daß eine ſache recht oder GOttes wille ſeye / aber wor - aus ſolche verſicherung herkomme / iſt nicht allezeit einerley. Jndem zuwei - len der menſch aus principiis goͤttlichen worts / da er eigenlich ohne zweiffel die ſubſumtion auf ſich und ſeinen fall machen kan / gerade zu ſeine verſiche - rung bekommet: Zuweilen kans auf die weiſe nicht erlanget werden / ſondern muß man etwa dieſelbe in obigen vorſchlaͤgen / oder anderes dergleichen ſu - chen: Welche in dem grad der vorigen verſicherung nicht gleich kommet / aber doch dem gewiſſen gnug ſeyn kan / weil denen auffſteigenden ſcrupulen allezeit die vaͤterliche treue unſers GOttes gegen ſeine kinder (unſere rede iſt aber auch allein von denjenigen / ſo aus andern zeugnuͤſſen ihrer kindſchafft verſi - chert ſind /) der ſie nach allem angewandten fleiß nicht in der ſuͤnden-gefahr verlaſſen wuͤrde / kraͤfftig entgegen geſetzet werden darff. Alſo ob wir ſchon ſolten auf andere und dero urtheil gegangen ſeyn / ſo ruhete doch der glaube nicht auf ihnen / weil freylich jeglicher ſeines glaubens leben muß / ſondern auf GOttes in ſeinem wort uns geruͤhmter treue.

Die andere Frage.

OB und wie fern ein Chriſt um ſeinen guten zweck und abſicht zu erhalten / wol ſimuliren oder gar eine nothluͤgen begehen moͤge / das iſt / mit worten / gebaͤrden und wercken ſich anders ſtellen als es ihm ums hertz iſt.

Antwort.

JCh mache hie einen unterſcheid unter dem diſſimuliren und eigenlich ſo genanten ſimuliren oder auch eigenlichen luͤgen. Was anlangt die luͤgen und das eigenliche ſimuliren / kan ich nicht glauben / daß ſolches jema - len erlaubet ſeye / ſondern ſtehet mir immer entgegen das urtheil Pault Rom. 3 / 8. daß nichts boͤſes zu thun / daß gutes draus entſtehe. Die diſſimulation aber / wie ſie von der ſimulatione poſitiva unterſchieden iſt / und die verſchweigung der wahrheit / iſt nicht allemal unrecht. Alſo etwas das allerdings nicht wahr iſt / und wo alſo meine wort meinem conceptu von der ſache / und wol gar auch der ſache ſelbs / entgegen ſind / zu reden iſt un -D d d 2recht /396Das dritte Capitel. recht / und offenbarlich dem zweck der rede / wozu ſie GOTT dem menſchen ge - geben hat / entgegen / daher nicht ohne ſuͤnde. Wo aber etwas an ſich ſelbs wahr / obſchon dabey ſo bewandt iſt / daß muͤglich iſt / daß der andere / der es hoͤ - ret / es in anderm verſtand nehmen kan / ja vermuthlich in anderm verſtande nehmen wird / ſo iſt eine ſolche rede nicht anders ſuͤnde / als ſo fern ich dem nech - ſten / die voͤllige wahrheit und dero verſtand zu eroͤffnen ſchuldig geweſen bin / und hingegen er von verhaltung derſelben ſchaden haͤtte leiden muͤſſen / nicht aber alsdann / wo ihm ſolches zu wiſſen moͤchte eher ſchaͤdlich geweſen / oder doch nichts daran gelegen / ja daher andern ein nachtheil zu beſorgen ſeyn. Alſo mit einer æquivocation antworten / iſt nicht allezeit unrecht / ſondern al - lein alsdann / wo man dem nechſten ſchuldig geweſen / die ſache alſo zu entde - cken / daß er deroſelben gruͤndliche beſchaffenheit faſſen koͤnte / und ihm ſolches noͤthig geweſen. Nicht weniger mag man nur einen theil der wahrheit ſa - gen / das andere aber obwol wichtigſte daneben verſchweigen / in gleichem fall und aus gleicher urſach. Wir haben das exempel dorten am Samuel 1. Sam. 16. der die wichtigſte urſach / warum er gen Bethlehem gekommen / verſchwiege / und allein eine nebens-urſach anzeigte: Da jene zu wiſſen dem werck des HErrn hinderlich wuͤrde geweſen ſeyn. Dergleichen iſt mehr zu ſehen 1. Sam. 10 / 16. Eſth. 5 / 8. 2. Koͤnig. 2 / 2. Jerem. 38 / 2. welche exempel alle ſolten ſcheinen ſimulationem in ſich zu haben oder mendacia of - ficioſa, ſie ſind aber nichts anders als eine verhaͤhlung eines theils der wahr - heit / dadurch zwahr der ander in andere gedancken gebracht wird / daß er wol folgends meinen mag / man habe ihn betrogen / iſt aber auch in der wahrheit kein betrug / als welcher nicht anders ſeyn kan / als wo einem dasjenige vor - enthalten oder entzogen wird / was man ihm ſchuldig geweſen. Alſo auch eine zugeſtoſſene betruͤbnuͤß verhaͤhlen / daß mans nicht am geſicht oder gebaͤr - den ſehe / oder ſich in dem euſſerlichen ein und anderes nicht mercken laſſen / was in dem hertzen / aber dem andern zu offenbahren weder noͤthig noch nuͤtz - lich iſt / iſt eine diſſimulation, welche nicht eben verboten. Dann der mir ver - boten nichts falſches zu reden / noch mit euſſerlichem verſtellen dem nechſten unrecht zu thun / hat mich nicht zu gleich verbunden / alles mein hertz zu jeder zeit und gegen jederman / zu eroͤffnen / als welches in dem menſchlichen leben mehr ſchaden als nutzen bringen ſolte / den die liebe vielmehr zu verhindern ſchuldig iſt. Wolte man ſagen / in ſolcher diſſimulation ſtecke allemal auch eine ſimulatio contrarii, ſo kan ichs nicht gar in abrede ſeyn / aber eo ſenſu wolte auch nicht alle ſimulationem verboten achten / ſondern allein diejenige / da etwas mehreres mit wuͤrcklicher verſtellung geſchihet zu des nechſten nach - theil. Wiewol das wort ſimulatio auch allgemeiner gebraucht wird / da ich mich auch eben nicht wolte widerſetzen / daß es alſo geſchehen moͤchte / wie derS. D. 397ARTIC. IV. SECTIO II. S. D. Dannh. das wort auch gebraucht: Der insgeſamt die ſache ſehr gruͤnd - lich ausfuͤhret / Colleg. Decalog. Diſp. 6. §. 4. p. 438. ſeq. daß mich lieber auf ihn beziehen / als ſelbs mit mehrerem davon handlen will.

Die dritte Frage.

QB dann ein Chriſt bey ſolcher unſimulirten pruͤffung des glau - bens ſchuldig ſeye / da es ihm in beruffung zum predig-amt zuge - muthet wird / mehr zu unternehmen / als ſein vermoͤgen / und die von GOtt verliehene gaben (ſo von langen jahren genugſam exploriret) ſich erſtrecken: ja ob derſelbige nicht vielmehr bey nicht erfolgetem un - moͤglichen ſucceß zur verzweifflung an GOttes guͤte und allmacht / ja zu allem andern darauf erfolgten unrath / und boßhafftiger zunoͤ - thigung der welt urſach gibet / der aller demonſtration ungeachtet / um fleiſchlicher abſicht willen die ſache dannoch in ſolche wege richtet / daß es einem goͤttlichen und ordenlichen beruff aͤhnlich ſehen muß. Wozu dann heutiges tages man deſto leichter kommen kan / weilen unter den gelehrten vom goͤttlichen beruff der Prediger / wie von dem verlohrnen Urim und Thummim des prieſterlichen amts-ſchuͤldleins / nach eines jeden fuͤhlen ehe zweiffelhafft diſputiret / von etlichen aber interna vocatio nicht einmal beruͤhret wird / der praxeos jetzo nicht zu gedencken. Der gemeine mann aber / ſo nur auffs euſſerliche des beruffs gaffet / ſchleuſt flugs / das muͤſſe gewiß was goͤttliches ſeyn / wann einer um einen dienſt / dem gemeinen brauch nach / nicht lauffet / kauffet / freyet / ſondern faſt genoͤthiget wird / weiß aber nicht alle mal warum?

Antwort.

ES werden wiederum in dieſer frage unterſchiedliche ſtuͤcke zuſammen ge - zogen / die aber fuͤglicher in ſonderbare fragen abzutheilen. Deren die 1. ſeye. Ob ein Chriſt / ſo nach angeſtellter pruͤffung ſeines vermoͤgens in beruffs-ſachen ſein unvermoͤglichkeit findet / nichts deſto weniger gehalten waͤre / ſolchen beruff anzunehmen? Hiebey achte ich. 1. Daß die pruͤffung erſtlich recht anzuſtellen ſeye / daß man verſichert ſeye / ſich nicht eben ſelbſten zu betriegen. Wie dann gleichwie durch vermeſſenheit / da man ſeinen kraͤfften ein mehreres trauet / leicht kan ſuͤnde begangen werden / alſo iſt eben ſo wol muͤglich / daß durch zagheit und forchtſamkeit / dazu einige tempe - ramenta mehr geneigt ſeynd / geſuͤndiget und goͤttlichem rath widerſtrebet werde. 2. Damit nun ſolche pruͤffung recht angeſtellet werde / gehoͤret nicht nur dazu ein eiffriges gebet zu GOTT / der uns ſeinen willen zu erkennen ge - ben wolle / ſondern auch eine ſolche unterſuchung unſerer kraͤfften / da wir im -D d d 3mer398Das dritte Capitel. mer mit einem auge auf GOttes gnade / mit dem andern aber auf dasjenige - was er uns vertrauet hat / ſehen. Findet ſich nun eine bloſſe natuͤrliche un - moͤglichkeit und ein offenbarer mangel / daß auch andere die unmoͤglichkeit ſehen / ſo haben wir uns einer ſachen nicht zu unternehmen / die uns von GOtt nicht kan anbefohlen ſeyn / als der keine tuͤchtigkeit dazu gegeben hat; indem wir auf eine miraculoſe erſetzung ſolches mangels ohne verſuchung GOttes nicht warten doͤrffen / er haͤtte uns dann durch eine gleiche wunderſame art ſeines beruffs verſichert: Alſo moͤchte kein blinder / kein ſtummer / keiner der nichts von goͤttlichen dingen verſtuͤnde / ſich von andern uͤberreden laſſen / daß er ſachen uͤbernehme / dazu geſichte / ſprach / ſtudia erfordert werden. Finden wir aber ein ſolches unvermoͤgen / daß uns nur gewiſſe umſtaͤnde einer ſachen unmuͤglich / und uns unſere kraͤfften dazu zu ſchwach vorkommen / als zum exempel / nicht das predig-amt ſelbs / oder einige deſſen functionen / ſondern deren menge und vielfaͤltigkeit / und anders dergleichen: So haben wir die ſache deſto ernſtlicher zu uͤberlegen / ob nicht eine natuͤrliche forchtſamkeit / ob nicht ein mißtrauen gegen GOTT / mit darunter verborgen ſtecke; ob wir / als wir vermeinet zu verſuchen / was unſere kraͤfften vermoͤchten / den rechten fleiß angewendet / nicht eine traͤgheit bey uns einniſten laſſen / oder durch die furcht der unmuͤglichkeit uns die ſache wahrhafftig unmuͤglich gemachet; ob wir mit der probe eine weile angehalten / oder gleich nachgelaſſen / und was mehr dergleichen ſeyn mag: Jndem allerley alſo geſchehen kan und mehrmal geſchihet / ja ich etwa ſelbs von den meiſten exempeln / daß geſchehen iſt / wiſſen moͤchte. Es findet ſich in der that bey einigen eine forchtſamkeit / daß ſie ihnen niemal nichts zutrauen / ſondern meinen / es ſeye ihnen alles unmoͤglich / wo ſie aber dazu gleichſam genoͤthiget werden / ſo gehets ſo von ſtatten / daß ſie ſich uͤber ſich ſelbs verwundern / woher ihnen ſolches vermoͤgen gekommen ſeye: Hingegen weiß ich / daß einige tuͤchtigkeit gnug zu einer ſache gehabt / ſo ſich durch proben gezeigt / wo ſie aber durch einigen zufall auf die impreſſion der unmoͤglichkeit gekommen / ſo haben ſie es nachmal wahrhafftig nicht mehr ge - kont / und iſt die dadurch verurſachte forcht eine ſtaͤte hindernuͤß geweſen / daß ſie nicht mehr vermocht dasjenige zu thun / was ſie zu andern malen gekont. So gibts exempel / daß einige im mißtrauen gegen GOTT ſich auch dinge unmuͤglich gehalten / zum exempel dieſes und jenes gute zu thun / oder gewiſſe ſuͤndliche gewohnheiten zu laſſen / verſuchungen zu uͤberwinden / u. ſ. f. die nach - mal / wobey ihnen ein vertrauen gegen GOttes verheiſſung erwecket worden / und ſie in dem glauben die ſache angegangen / die muͤglichkeit / ja daß es ihnen leicht worden / erfahren haben. Es iſt muͤglich und geſchihet / daß bey ein und andermaligem verſuch einer ſache unmuͤglich uns vorkommet und damal iſt / aber wo wir anhalten / ſo thut die gewohnheit ein groſſes / und erſetzet den unsange -399ARTIC. IV. SECTIO II. angeſchienenen mangel. So iſts nichts ſeltzames / daß durch eine natuͤrliche traͤgheit uns eine ſache unmoͤglich wird. Weilen dann offenbar / daß ſo vie - lerley urſachen ſeyn koͤnnen / daß ſich der menſch betriege / und ſich zu gewiſſen dingen unvermoͤglich halte / dazu ers nicht iſt / ſo iſt wol werth / ſich genau zu unterſuchen. 3. Hielte vor nuͤtzlich / allemal ihm nicht allein zu trauen / ſon - dern chriſtlicher und verſtaͤndiger freunde rath mit zuzuziehen / die uns ken - nen / und etwa unpartheyiſcher von uns als wir ſelbs urtheilen moͤgen. 4. Finden wir nun / daß unſere pruͤffung ſo iſt / daß wir zwahr eine ſorge des un - vermoͤgens bey uns ſpuͤhren / aber wahrhafftig nicht verſichert deſſelben ſind / ſondern wir ſehen auffs wenigſte etwas eine muͤglichkeit / ſo wolte ich jene ſorge vor eine verſuchung des fleiſches und frucht entweder einer natuͤrlichen forchtſamkeit oder mißtrauens lieber achten / und trachten mit vorſtellung goͤttlichen verheiſſenen beyſtandes / in einer ſolchen ſach / die ſonſten ohne das gut / und ich / daß ſie goͤttlicher wille dißmal nicht ſeye / keinen wichtigern er - weiß als ſothane meine ſorge haͤtte / mich beſtreben / mein hertz zu einem ver - trauen auf GOTT zu diſponiren / und in deſſen nahmen die ſache uͤberneh - men: Bevorab wo andere chriſtliche freunde / von dero fleiſchlichen abſichten ich keine billige urſach zu argwohnen habe / ſolches ſelbs davor hielten. 5. So viel eher waͤre ſolches in einem beruff zum predig-amt zu thun / das iſt / der - ſelbe anzunehmen / weil die gefahr deſſelben zwahr freylich groß / aber ſolches nicht ſo wol aus unſerem unvermoͤgen / als andern urſachen kommet / die mehr in dem willen ſtecken / und was die treue betrifft: So ſehe ich auch nicht / wann es / zum exempel / ſolte betreffen ſtuͤcke einer euſſeꝛlichen tuͤchtigkeit / ob man die - ſe und jene arbeit zu verrichten kraͤfften leibes und gemuͤths habe / und was dergleichen mehr ſeyn mag / warum man ſo groß bedencken haben moͤchte / weil es zwahr etwa nicht ſo gar gemein / jedoch nicht eben aͤrgerlich ſeyn wuͤrde / wo einer eine ſolche ſtelle / mit ſorge / aber auch ausdruͤcklicher dero bezeugung vor der gemeinde / antrete / zu verſuchen / wie viel ihm GOTT gnade dazu geben wolte / und wo ja endlich nach ſolchem eine zeitlang continuirtem verſuch ſich wahrhafftig hervor thaͤte / daß man das vermoͤgen dazu nicht haͤtte / ſolches amt wieder in der gemeinde hand reſignirete / und eines anderwaͤrtigen be - ruffs zu einem ſolchen / da wir uns tuͤchtiger finden / zu erwarten. Man wuͤr - de etwa einige urtheil und verachtung deswegen uͤber ſich ergehen muͤſſen laſſen / aber ich hoffte / es ſolte ein ſeinem GOTT gelaſſenes gemuͤth ſolches leicht uͤberwinden / und als eine demuͤthigung von deſſen ſeiner hand gehor - ſam annehmen: Zu geſchweigen daß was wahrhafftig chriſtliche hertzen ſind / dieſe nicht uͤbel davon halten / ſondern an einer ſolchen perſon mehr zu loben als zu ſchelten finden wuͤrden. So kan man demnach nicht ſagen / daß die ſache zu wichtig und zu groſſer ſchad zu ſorgen / daher ein dergleichen beruffnicht400Das dritte Capitel. nicht eher zu uͤbernehmen waͤre / als wo man ſeiner tuͤchtigkeit gantz gewiß. Solte aber 6. nach aller ſolcher pruͤffung und verſuch unſer hertz darzu zu di - ſponiren ein ſtaͤter und unuͤberwindlicher widerſpruch des hertzens ſich fin - den / und daſſelbe auf ſeiner ſorgenden unvermoͤglichkeit verbleiben / ſo iſts freylich wahr / daß ein ſolcher menſch in ſolcher gemuͤths-beſchaffenheit einen beruff nicht annehmen koͤnte. Dann was uns ſchlechterdings unmoͤglich waͤre / und GOTT uns zu geben nicht zuſaget / koͤnnen wir uns nicht auffla - den laſſen / ſolches aber haͤlt ein ſolcher menſch vor gewiß / darff alſo wider ſein / obwol aus einer irrigen hypotheſi widerſprechendes / gewiſſen nicht thun / als welches werck nicht aus dem glauben gehen wuͤrde / welcher etwaanderer freunde gutem urtheil (aus bewuſt ſeiner eigenen forchtſamkeit) uͤber ſich de - feriret / und ſich nachmal auf goͤttliche treue verlaͤſſet. Jch wolte auch als - dann davor halten / daß goͤttlicher rath ſich eben hierinnen offenbahre / der ei - nen ſolchen menſchen nicht muͤſſe darzu beſtimmet / ſondern einiges zu deſſen verſuchung vorgehen laſſen / weil er bey ihm allerdings / nachdem alles muͤgli - che in ſeiner ordnung treulich probiret worden / keine anzeigung ſeiner wuͤr - ckung wiederfahren laſſen. Wie wir dann freylich glauben muͤſſen / daß goͤtt - liche gedancken manchmal auch von unſern beſten gedancken differiren koͤn - nen: Und alſo nicht allemal dasjenige wahrhafftig ſein wille uͤber uns gewe - ſen / was wir oder andere ſcheinbarlich davor gehalten haben.

2. Was von denjenigen zu halten / die einen ſolchen bey ſich zweif - felhafftigen menſchen dazu faſt noͤthigen / daraus er nachmal unter - ſchiedliche incommoda leiden muß / und welche aus fleiſchlichen urſa - chen und abſichten es dahin richten / daß es einem goͤttlichen beruff aͤhn - lich ſehe / was ihre anſtalt effectuiret haͤtte? Dieſes waͤre die andere fra - ge / ſo in der dritten general-frage ſtecket. Meine gedancken gehen dahin. 1. Wer aus fleiſchlichen abſichten von ſich oder andern einen beruf practiciret / verſuͤndiget ſich ſehr ſchwehrlich / ſonderlich an einem ſolchen / den er damit in gewiſſens-zweiffel oder andere ungemach ſtuͤrtzet / ob er auch wol ſolches eben nicht intendiret haͤtte; dann da wir in einer an ſich ſelbs unrechten ſache ſte - hen / kommet auf unſere verantwortung alles dasjenige / was einigerley maſ - ſen daraus uͤbels entſtehet. Ob aber dieſer oder jener einen beruff aus fleiſch - lichen urſachen erpracticiret habe / ſolte nachmal in diſcuſſione einer ſache meines erachtens ſehr ſchwehr werden / und hielte auffs wenigſte davor / daß mit ſolchem verdacht aus zweiffelhafften / obwol ſcheinbaren / vermuthungen niemand beſchwehret werden muͤſte / ſondern ſolche beſchuldigung gantz deut - liche und das gewiſſen zur gnuͤge uͤberzeugende gruͤnde haben muͤſte. 3. Hin - gegen kan es wol geſchehen / daß chriſtliche / gewiſſenhaffte und verſtaͤndige leute in hoc puncto vocationis von einander differirende meinungen habenkoͤnnen /401ARTIC. IV. SECTIO II. koͤnnen / und alſo / daß ein ſolcher mann / dem etwa einer gemeinde zuſtand be - kant iſt / welcher auch eine perſon ſeiner meinung nach wol kennet / und da - durch in die vermuthung kommet / er ſchicke ſich an einen ſolchen ort / und wuͤr - de der gemeinde mit ihm gedienet ſeyn / alsdann mit vorſchlag oder recom - mendation und rath eine gelegenheit mache / aus dero darnach eine wahl und vocation erfolget. Wo nun dergleichen geſchehe / ſo koͤnte zwahr ſeyn / daß ein ſolcher ſich in ſeinem urtheil von der perſon betrogen haͤtte / auch daß nicht eben alles divina vocatio waͤre / was auch die beſte menſchliche conſilia davor gehalten / und in der abſicht befoͤrdert / ſo dann daß ein ſolcher mann aus der habenden meinung / daß goͤttlicher finger mit in dem werck zu erken - nen ſeye / an eine ſolche perſon ſtarck ſetze / und ſie einigerley maſſen noͤthige. Jch wuͤrde aber aus dergleichen bewegnuͤß noch nicht davor halten / daß es aus fleiſchlichen abſichten geſchehe / dann die liebe allezeit viel beſſeres hoffet; noch koͤnte ſagen / daß ein ſolcher mann darinnen ſuͤndigte / indem wir nicht allemal voran (wie wir an David und Nathans exempel 2. Sam. 7. ſehen) was der eigenliche wille GOttes uͤber den ſucceß jeder ſache ſeye / zu wiſſen gehalten ſind / und alſo mit gutem gewiſſen / was wir zu befoͤrderung eines an ſich ſelbs guten wercks unſerm beſten verſtand nach dienlich zu ſeyn erkennen / fleißig treiben / und ſo viel an uns iſt / zu werck zu richten trachten moͤgen / ſo lang und viel / biß uns GOTT / daß er ein anders beſchloſſen / deutlicher zeiget / alsdann freylich von der ſache abzuſtehen iſt. Wie dann darinnen faſt allein in der - gleichen ſache geſuͤndiget werden koͤnte / wo ſich ein ſolcher mann eine herr - ſchafft uͤber des andern gewiſſen nehmen / und weiter gehen wolte / als daß er ſeine meinung nach beſtem gewiſſen dem andern vorlegt / und mit vorſtellung der motiven ihn des goͤttlichen beruffs wegen / ſo gut er es erkennet / zu perſua - diren ſuchet / damit er nicht unrecht thaͤte; wol aber da er ſeine meinung ohn - gepruͤffet als ein oraculum angenommen haben / oder auch / nachdem in dem ſucceß der ſache der goͤttliche wille ſich deutlicher hervor gethan / noch immer auf ſeinem kopff beſtehen wolte. 4. Weil nun in obbeſchriebenen terminis ein ſolcher mann nicht ſuͤndigte / obwol zufaͤlliger weiſe aus ſeinen conſiliis dem andern einiges ungemach entſtuͤnde / hielte ich nicht davor / daß ſolche ſchuld jenem zuzumeſſen waͤre / ſondern als eine andere verhaͤngnuͤß GOttes / der dazu ſeine heilige urſachen habe / angeſehen werden ſolte. Wie wir dann in dingen / die an ſich ſelbs gut / und darinnen wir nach beſtem unſerem gewiſ - ſen gehandlet / vor keine andere eventus rechenſchafft zu geben ſchuldig ſind / als welche von ſelbſten daraus folgen / und vernuͤnfftig haben vorgeſehen werden koͤnnen. Es ſtecket endlich 3. dieſe allgemeine frage mit darinnen / worinnen eine gewißheit des goͤttlichen beruffs insgemein zu finden / und woran ſie zu erkennen ſeye. Da leugne ich nicht / daß es eine ſolcheE e efrage /402Das dritte Capitel. frage / ſonderlich wo es zu der application und hypotheſi jedesmal kommet / die ihre zimliche difficultaͤten hat / uñ nicht eben alles ſo leicht ausgemacht iſt / wie diejenige zuweilen vermuthen moͤchten / welche die ſachen nicht tieffer ein - ſehen / indeſſen iſts keine unmuͤgliche ſache / auch hierinnen zu ſeines gewiſſens beruhigung eine verſicherung zu erlangen. Die materie voͤllig auszufuͤhren iſt allzuweitlaͤufftig / und bekenne auch / daß ſie lieber von andern leſen / als ſie ſelbs uͤbernehmen wolte. Auffs kuͤrtzeſte meine gedancken zu faſſen / ſo meine ich / die vocation ſeye ein werck / dero goͤttliche guͤltigkeit aus zuſammen geſetz - ten mehrern umſtaͤnden geſchloſſen werden muß / nemlich wo dieſelbe insge - ſamt richtig ſind: Als nemlich wo 1. bey dem vocante kein mangel / ſondern der - ſelbe das recht dazu hat. 2. Da in der art kein fehler / nichts erkaufft oder ſonſt auf unziemliche weiſe erpracticiret iſt. 3. Da an dem vocando ſich das noͤthige findet. 1. Daß er eine freye und andern nicht mehr verbundene per - ſon / oder doch von ſolchem bande auf rechtmaͤßige weiſe loß gemacht worden. 2. Daß ſo wol insgemein die tuͤchtigkeit zu dem heiligen amt ſich bey ihm fin - de / als abſonderlich nichts an ihm zu ſehen / daß etwa derjenigen ſtelle / davon geredet wird / beſonders unanſtaͤndig ſeye. Dieſe requiſita achte gantz noͤthig ſeyn / und wuͤſte nicht / ob uͤber dieſelbe wol andere noͤthig waͤren. Was die internam vocationem anlangt / ſo fern dieſelbe heiſſen ſolle einen empfindli - chen trieb in ſeinem hertzen / und eine freudigkeit ſolches amt anzunehmen / traute ich mir nicht dieſelbe als ein nothwendiges requiſitum zu erfordern: Bey Moſe / Jeremia und Jona / war an ſtatt deſſelben triebes und freudig - keit / vielmehr eine widrigkeit dagegen / und doch war der beruff unzweiffenlich goͤttlich. Wiewol wo ſolcher trieb vorhanden iſt / ich aus demſelben / da die andere requiſita auch da ſind / auf die goͤttlichkeit des beruffs ein ſtarckes ar - gument gezogen zu werden nicht leugne: Aber alſo daß deßwegen der mangel deſſelben das contrarium noch nicht mit ſich braͤchte. Wo wir aber ja wol - len eine internam vocationem erfordern / ſo ich nicht widerſtreiten will / ge - daͤchte ich / wir haͤtten ſie in nichts anders zu ſuchen / als in der endlichen uͤber - zeugung des gewiſſens aus denjenigen andern gruͤnden / daraus die richtig - keit des beruffs geſchloſſen wird / und daſſelbe nichts wichtiges und erhebli - ches dagegen auffzubringen weiß / daß GOttes willen und werck ſeye / was mit uns vorgegangen / neben der allgemeinen inclination und neigung un - ſers hertzens / daß wir / wie uns GOTT aus ſo eigener wahl als etwa der unſrigen ordenlichen anleitung zu ſeinem dienſt einmal gewidmet / wir auch noch unſer pfund zu ſeiner kirchen beſten gern anwenden wolten; dann dieſe zuneigung achtete ich gleichwol noͤthig / und wolte nicht gern einen noͤthigen / der immerfort wahrhafftig einen widerwillen und averſion gegen den dienſt des worts bey ſich haͤtte und bezeugete / biß er durch GOttes gnade ſein hertzaͤnderte.403ARTIC. IV. SECTIO II. aͤnderte. Aber wo gleichwol die allgemeine zuneigung zu dem dienſt GOt - tes ſich findet / und in hypotheſi einer gewiſſen vocation das gewiſſen ſo fern uͤberzeuget iſt / daß es nichts entgegen halten kan / als daß man keinen ſolchen innerlichen trieb bey ſich fuͤhle / hielte ich ſolches genugſam zu ſeyn zu einer in - nerlichen vocation. Weil aber unter den vorigen requiſitis vielleicht der groͤſſeſte ſcrupel iſt wegen der tuͤchtigkeit des vocandi und art zu dero gewiß - heit zu kommen / ſo ſcheinet ſolches faſt fuͤglicher zu der nechſten frag zu refe - riren ſeyn.

Die vierdte Frage.

WEil aber ut plurimum vorgeworffen wird / man muͤſſe ſeiner ver - nunfft nicht trauen / ſondern dem gehorſam des glaubens unter - werffen / ſo moͤchte ich gern von dieſer materia etwas gewiſſes / daß man der ſache weder zu viel noch zu wenig thue / leſen. Dann wie der ei - genduͤnckel iſt der weg zu allerhand irrthum / alſo die leichtglaubig - keit zu der verfuͤhrung.

Antwort.

MAn kan freylich auf beyden ſeiten fehlen. Eines theils wo man ſeiner vernunfft (wodurch ich achte / daß hie gemeinet werde / ſein eigen urtheil von ſich ſelbs) trauen will. Jndem ſo bald vermeſſenheit und eigene einbil - dung / als ander ſeits forchtſamkeit und zagheit / verurſachen koͤnnen / daß wir uns zu viel oder zu wenig zutrauen / und alſo nachmalen aus einem falſchen præſuppoſito nicht anders als irrig ſchlieſſen koͤnnen: Andern theils wo man unter der unterwerffung der vernunfft unter den gehorſam des glaubens verſtehen wolte / eine blinde annehmung jeglichen dings / was uns ein anderer unter dem vorwand goͤttlichen willens ohne deſſen vergnuͤgliche erweißthuͤme vorſagen wolte / indem die pruͤffung unſer ſelbs goͤttlicher ordnung gemaͤß iſt. Daher achte ich / daß man das mittel und temperament treffe. 1. Sich fleißig mit hertzlicher anruffung GOttes und mit anwendung aller in einer ſolchen wichtigen ſache noͤthiger ſorgfalt ſelbs pruͤffe / nach demjenigen talent, was in uns geleget. 2. Finden wir die capacitaͤt ſelbs etlicher maſſen / auffs wenig - ſte daß wir nicht die untuͤchtigkeit ſtarck gewahr werden / ſo koͤnnen wir in GOttes nahmen und mit fernerem vertrauen auf ſeinen beyſtand eine gute reſolution faſſen. 3. Deucht uns aber / wir finden die untuͤchtigkeit ſehr ſcheinbar / ſo achte ich / ſonderlich bey den gemuͤthern / die ohne das auch etwa aus einem natuͤrlichen temperamento etwas angſthaffter oder ſchuͤchtern ſind / durchaus noch nicht dabey zu beruhen / und eine ſache auszuſchlagen zu ſeyn: ſondern daß anderer chriſtliches gutachten daruͤber gehoͤret werde. 4. Koͤnnen dieſe uns die ſache ſo deutlich vorſtellen / daß uns unſer ſcrupel be -E e e 2nom -404Das dritte Capitel. nommen wird / ſo iſt es abermal gut und dem gewiſſen ſchon gerathen. 5. Koͤn - nen aber dieſelbe uns noch nicht genuͤge thun noch befriedigen / ſo iſt die unter - laſſung der ſache / als hie der uͤbernehmung eines ſolchen beruffs entweder alſo bewandt / daß von deroſelben niemand ſchaden zu ſorgen hat (zum exempel daß eine ſtelle ſo wol oder beſſer durch andere zu erſetzen / daß die vocantes ſich uͤber die ableinung nicht aͤrgern / ſondern unſchwehr acquieſciren werden und dergleichen) oder wir ſehen / daß ſolche unterlaſſung ſuͤnde oder ſchaden leicht nach ſich ziehen moͤchte. Jn dem erſten fall / wolte ich die ſache in GOt - tes nahmen unterlaſſen / indem ſolcher theil das ſicherſte iſt / aber in dem an - dern fall / finde ich endlichen keinen andern rath / als das gantze werck / nicht nur wie vormal guter freunde rath / ſondern allerdings deroſelben / welche wir et - wa in der forcht GOttes dazu am tuͤchtigſten finden moͤchten / (dahin ſonder - lich die Superiores aus eigenem recht gehoͤren) ausſpruch zu uͤberlaſſen / und alſo in denſelben den mund des HErrn zu fragen / und ſeine antwort zu erwar - ten. Welches ein weg iſt / der aus oben angefuͤhrten gruͤnden mir der ſicher - ſte in entſtehung anderer gewißheit / vorkommet / und von unterſchiedlichen chriſtlichen hertzen zu ihrer vergnuͤglichen beruhigung gebraucht worden iſt. Mir iſt ein neues exempel bekant eines gottſeligen und beruͤhmten Theologi, welcher an einen andern ort beruffen / da auf beyden ſeiten die allerwichtigſte momenta zu bleiben oder zu aͤndern ſich befunden haben / ſich nicht aus denſel - ben finden / oder etwas gewiſſes ohne verletzung ſeines gewiſſens / welches von beyderley rationibus ſehr beſtrickt war / wehlen koͤnnen; daher er 3. unter - ſchiedliche Theologos an unterſchiedlichen orten / zu dero gewiſſenhaffter und gottſeliger uͤberlegung er ein ſonderbar vertrauen hatte / mit vorſtellung aller beyderſeits gewichte anlangte / und deroſelben antwort begehrte / mit der reſolution, denſelben oder den majoribus unter ihnen zu folgen: Da nun zwey auf eine ſeite / der dritte aber / obwol mit einigen reſervatis, auf die andere ging / ſo kam er jener ausſpruch nach / und fande ſich in ſeinem gewiſſen beruhi - get. Wo ich auch mein eigen exempel bey einem guten freunde darff anfuͤh - ren / habe ich bey meiner hieſigen vocation einen nicht gar ungleichen weg er - wehlet. Jch ſahe ſtarcke rationes, warum ich die vocation vor goͤttlich ſolte erkennen / die mir ohne meine gedancken angetragen worden / und ſich viele um - ſtaͤnde dabey zeigten / die ich wahrhafftig vor ſonderbar achtete: Auf der an - dern ſeiten waren nicht geringere rationes, die mich an derſelben zweiffelen und ſie als eine tentationem divinam anſehen machten / ſonderlich daß mich zu dergleichen einem amt / dazu viele erfahrung und praxis gehoͤrte / da doch biß dahin wenig an dieſe gedacht / untuͤchtig ſorgte. Jch wußte mir nicht zu helffen: Bey mir ſelbs war kein rath / wie ich insgemein in meinen eigenen ſa - chen ſehr ſchwehr zu einerreſolution zu kommen weiß / und immer zu viel oderzu405ARTIC. IV. SECTIO II. zu wenig zu thun ſorge. Guter freunde rath ſorgte auch nicht genug zu ſeyn / weil ich ſo viel erfahren / daß derſelben rath aus fleiſchlichen abſichten eines theils geſchaͤhe: Da ergriff ich dieſes mittel / und gabe die ſach gantz aus haͤn - den / daß beyderſeits Obrigkeit / die Straßburgiſche (ſonderlich weil mich dieſe beſſer / wozu ich geſchickt oder nicht geſchickt / als ich mich ſelbs / kennete /) und Franckfurtiſche ſich meinetwegen vergliche / wozu ſie mich am bequem - ſten achteten / und alſo welche mich bey ihrer gemeinde haben ſolte; da ich mei - ner damaligen dieſes zutrauete / ſie wuͤrde ſich auch der Theologiſchen Facul - taͤt raths daruͤber gebrauchen: So auch geſchehen / und alſo da ich mich bloß paſſive hielte / der ſchluß erfolget iſt / daß ich nach Franckfurt ſolte: Welche antwort durch diejenige / die meine vorgeſetzte waren / mir angezeiget ich als goͤttliches decret gehorſam angenommen / mich bißher darauf geſteifft / und michs niemal reuen habe laſſen / ſonderlich da auch vieles erfolgete mich ſol - cher goͤttlichen leitung verſicherte. Welches mittel ich nun aus eigener er - fahrung nuͤtzlich befunden / recommendire ich andern auch ſo viel lieber: und bin verſichert / daß goͤttliche treue nicht laſſen kan / denen jenigen / welche gern den goͤttlichen ihnen zu wiſſen noͤthigen willen erkennen moͤchten / als welchen ſie auch gern erfuͤllen wolten / ſolchen zu offenbaren; daher ſie / wo ſie bey ſich ſelbs die verſicherung noch zu finden nicht vermoͤgen / ſicher glauben duͤrffen / daß der HErr andere ordenliche mittel / deren ich nicht wol andere ſehe / als die vorgeſchlagene / ſo gewiß ſegnen werde / daß ihr glaube ſich darauf laſſen koͤn - ne. Wo es nun ſonſten von dem looß heiſſet / daß daſſelbe in den ſchooß ge - worffen werde / aber falle wie der HErr wolle / ſo will ich zwahr zu keinem looß rathen / damit wir nicht den HErrn verſuchen / aber ſolche rathfragung der bruͤder und uͤberlaſſung unſers anligens an dieſelbige / iſt mir an ſtatt eines looſſes / ſo mir das gewiſſen genug beruhiget.

Der HErr gebe uns in allem in dem liecht ſeines Geiſtes die wahrheit zu erkennen / und ſeinen willen freudig zu thun um unſers JEſu willen. Amen.

SECTIO III. Verleugnung ſein ſelbs und der welt. Beſuchung andrer religion kirchen / und gebet darinnen. Transplantation der kranckheiten. Jacob Boͤh - me. D. Carpzov.

VOn voriger poſt iſt mir deſſen freundliches wohl zu handen gekommen / und hat mich nicht wenig erfreuet / theils wegen bezeugung chriſtlichen vertrauens gegen mich / theils aber und vornemlich / weil aus demſel - ben verſtanden habe / daß der guͤtigſte Vater ſeine ſeele kraͤfftig geruͤhret / ſoE e e 3wol406Das dritte Capitel. wol zu erkennen die nichtigkeit des vertrauens derjenigen / die auff dem brei - ten welt-wege gleich wol zu dem himmel zu kommen ſich einbilden / als hinge - gen in wahrer buß auff den rechten weg einzutreten / auff welchem man ſein heil allein durch den glauben an Chriſtum JEſum ergreiffet / und aus dem - ſelben in thaͤtiger liebe und gehorſam der goͤttlichen gebote eiffrig fortzufah - ren. Fuͤr welche demſelben erzeigte gnade billich mit ihm dem Vater des liechts / von dem alle gute und alle vollkommene gaben herkommen / demuͤ - thigſte dancke / mit Paulo uͤber ſeine Philipper in guter zuverſicht / daß der in ihm angefangen hat das gute werck / es auch vollfuͤhren werde biß an den tag JESU CHRJSTJ: aber auch des Apoſtels bitte wiederhole will / daß er je mehr und mehr reich werde in allerley erkaͤntnuͤß und erfah - rung / daß er pruͤfen moͤge / was das beſte ſeye / auff daß er ſeye lauter und unanſtoͤßig biß auff den tag Chriſti / erfuͤllet mit fruͤchten der ge - rechtigkeit / die durch JEſum CHriſtum geſchehen in ihm zur ehre und lobe GOttes. Amen. Daß die verleugnung der welt und ſeiner ſelbs ihn am ſchwehrſten ankomme / wundre mich nicht / ſondern bin verſichert / daß es die klage ſeye aller derer / die noch in dem fleiſch leben muͤſſen. Ja alles was uns in den uͤbrigen pflichten ſchwehr wird / hat ſeine ſchwehrigkeit dar - aus / ſo viel der ſelbs-verleugnung drein flieſſen muß. Dann weil die unor - denliche ſelbs-liebe recht das innerſte hertz des alten Adams iſt / und wo es uns an der liebe GOttes und des nechſten manglet / ſolcher mangel aus der ſelbs-liebe herkommet / ſo bleidet unſer kampff gegen die ſelbs-liebe unauff - hoͤrlich / und ſo viel vermoͤgen wir GOtt und den nechſten zu lieben / als wir dieſe ſelbs-liebe ablegen. Wie dann die ſelbs-verleugnung nichts anders iſt / als ſolcher ſelbs-liebe ablegung oder vielmehr toͤdtung. Welches toͤd - ten allerdings mit ſchmertzen geſchihet / nicht nur wo man das ſelbs in ſeinen groͤbern ſtuͤcken / ſondern auch in den ſubtilern / die uns nicht weniger feſt an - kleben / angreiffen muß. Alſo muß der anfang der ſelbs-verleugnung bereits einiger maſſen in dem anfang der buß geſchehen / aber ſo lange in der erneue - rung fortgeſetzt werden / biß das ſelbs mit uns ſterbe / daß wir es der chriſtli - chen uͤbung / was das thun anlangt / A. und D. nennen moͤgen. Doch iſt die - ſes der troſt / den redlichen vor - und anſatz an ſolchem werck laſſe der himmli - ſche Vater nicht ſtecken / ſondern gebe denjenigen / die ſeine darzu ertheilte gnade treulich brauchen / immer ein ſo viel reichlicher maaß / daß ſie durch je - den ſieg wider ſolches ſelbs zu noch weitern / mehr kraͤfften bekommen / und in dem kampff nicht erligen ſollen. Was die vorgelegte fragen anlangt / ant - worte darauff / als viel dieſes mal die zeit zugibet.

I. So iſt nun die erſte: ob ich meinemnechſten zu liebe / ſo er daſ -ſelbe407ARTIC. IV. SECTIO III. ſelbe von mir verlangt / in ſeine kirche anderer religion gehen kan? und ob ich in derſelben eben ſo wol als in meiner von GOtt kan erhoͤret wer - den. Hierauff antworte nun 1. daß nicht an ſich ſelbs ſuͤndlich ſeye / in eine verſammlung auch der irrenden zu kommen. Aber 2. daſſelbe wird unrecht und zur ſuͤnde: wo es geſchihet (1. mit verſaͤumnuͤß und verachtung der recht - glaubigen gemeinden / da man ſie haben kan. (2. Bey begehung eines ſol - chen ausgebenden Gottesdienſts / wobey etwas abgoͤttiſches vorgehet: wie zum exempel / eine paͤpſtiſche predigt hoͤren iſt an ſich ſelbs nicht ſuͤndlich (ob es wol dergleichen auch werden kan) wol aber iſt es ſuͤndlich der abgoͤttiſchen meß beyzu wohnen / und ſich durch ſeine gegenwart / da man ſein mißfallen nicht bezeugen darff / derogreuel theilhafftig zu machen. (3. Wo es geſchi - het mit gefahr entweder der ſeelen / als wann nicht gnug gegruͤndete / der irr - glaubigen predigten hoͤren / dadurch ſie leicht verfuͤhret werden moͤgen / oder des leibes / bey den widrigen / welche gewalt haben / diejenige / ſo ſich nicht al - lem accommodiren / zu verletzen oder niederzuſchlagen / welcherley leiden bey dergleichen perſonen kein Gottgefaͤlliges martyrium waͤre / indem ſie GOTT verſucht mit muth williger begebung in gefahr. (4. Wo es geſchi - het mit aͤrgernuͤß entweder der widrigen / die ſich dadurch ſtaͤrcken / daß wir ihren Gottesdienſt nicht verwerffen koͤnten / oder der glaubens-genoſſen / die unſre freyheit nicht begreiffen koͤnnen / und ſich wol dadurch zu einer ihnen ſuͤndlichen nachfolge verleiten laſſen moͤgen / dero ſuͤnde auff einen ſolchen menſchen ankommet. (5. Mit einer muͤndlichen oder thaͤtigen billigung deſ - ſen / was unrechtes in einer ſolchen verſammlung vorgehet / oder auch daß man ſolche verſammlung eben zu dem ende beſuchet / ſie damit davor zu erken - nen / als eine ſolche / wo der HErr mit ſeiner wahrheit wohne. Da doch irr - glaubige verſammlungen / ob wol GOtt unter den gliedern derſelbigen / ſo lang ſein wort noch da bleibet / ſeinen heiligen ſaamen erhaͤlt / und bey den - ſelben iſt / ſich gleiches recht mit den rechtglaubigen gemeinden nicht anmaſ - ſen koͤnnen / oder von uns ihnen beygeleget werden darff. Dieſe ſtuͤcke fallen mir jetzt bey (moͤgen aber etwa auch mehr ſeyn) um welcher willen ſolche be - ſuchung andrer kirchen kan unrecht werden / ja meiſtens unrecht wird: und daher darinnen nichts anders als mit groſſem bedacht und pruͤfung ſeines hertzens vor GOtt vorgenommen / ſonderlich verhuͤtet werden muß / daß e - ben derjenige / auff deſſen bitte wir in ſeine kirche gehen / es nicht als eine bil - ligung ſeiner religion annehmen koͤnne oder annehme. Daher es etwa ein ſeltener fall werden / und nur zuweilen gewiſſe umſtaͤnde ſolchen mit ſich brin - gen moͤchten / da man es ohne verletzung des gewiſſens thun koͤnte. 3. Was das gebet anlangt / weil wir aller orten heilige haͤnde zu GOtt auffheben 1. Tim. 2 / 8. uñ ihn im geiſt uñ wahꝛheit anbeten Joh. 4 / 24. doͤꝛffen / ſo gefaͤlletihm408Das dritte Capitel. ihm alles unſer glaubiges andaͤchtiges gebet wol / es geſchehe wo es wolle: und ſolte einer gebunden in einen heidniſchen goͤtzen-tempel gefuͤhret werden / mag / ja ſolle er / zu ſeinem wahren GOtt um huͤlffe ſchreyen / und ſich der er - hoͤrung verſichern. Es kan aber ſolches gebet GOtt mißfaͤllig werden / wo 1.) aus einiger obiger urſache / die beſuchung ſolcher verſammlung unrecht geweſen / dann ſo kan das gebet auch nicht rein ſeyn. 2.) Wo zu dem gebet austruͤcklich ſolche kirchen geſucht werden / aus dem aberglauben / gleich ob GOtt an ſolchem ort das gebet kraͤfftiger als zu hauſe erhoͤrte: da doch alle ort ſeinem thron gleich angenehm und gleich nahe ſind: das gebet hingegen in der kirchen keinen andern vorzug vor dem andern hat / als wo es durch die mit einſtimmung einer glaubigen gemeinde beſtaͤrcket wird: ſonderlich wuͤrde es unrecht ſeyn / wo man widrige und irrende damit ſtaͤrckete / ihre kirchen um daſelbs zu beten zu beſuchen. Jnsgeſamt haben wir den HErrn anzuruf - fen / ſo in dieſem als andern ſtuͤcken aus ſeiner gnade zu erkennen / was ſein wille an uns ſeye / und alsdenn demſelbigen zu folgen.

II. Was die andre frage anlangt; ob ich meinem nechſten / der mir was abborgen will / daſſelbe mit gutem gewiſſen abſchlagen kan; oder ſo ich ihm geld oder ſonſt was darreiche / ich dafuͤr einiges intereſſe oder un - terpfand nehmen kan? So iſt ſolche materie zu weitlaͤufftig in dieſem brieff / und bey meiner wenigen zeit auszufuͤhren. Jch habe aber das meiſte davon erwogen in meinen Evangel. lebens-pflichten auff den Sonntag Septuag. p. 289. 290. Kurtz ſind zwo regeln / die faſt die graͤntz-ſteine ſind: daß wir 1. lie - be bey aller gelegenheit zu uͤben bereit und von grund der ſeelen willig ſeyen. 2. daß die uͤbung derſelben alſo eingerichtet werde / damit nicht nach den wor - ten 2. Cor. 8 / 13. ein theil truͤbſaal / das andre ruhe habe / ſondern daß es gleich ſeye. Daher alles / was von der gantzen ſache geſaget werden kan / aus dieſen reglen flieſſen muß. Was aber die dritte frage betrifft: ob man eine kranckheit von einem menſchen per curationem ſympatheticam in eine andere creatur als einen hund transplantiren doͤrffe? ſo haͤnget dieſelbe an einer vorhergehenden frag / nemlich ob dergleichen trans - plantation allerdings wahrhafftig natuͤrlich hergehe / und nichts aberglaͤu - biſches damit vorgenommen werden doͤrffe: iſt jenes richtig / und ob gleich das διότι nicht ſo offenbahr an dem ὅτι dannoch kein zweiffel waͤre / welches ich den phyſicis und medicis uͤberlaſſen muß / ſo iſt die frage auch ſo bald mit ja beantwortet. Es iſt uns das viehe und andre thiere alſo zu dienſt uͤbergeben / daß ſie uns auch mit ihrem tod dienen muͤſſen / wie niemand es ſuͤndlich achtet / daß ſo viel tauſend thier wol gar taͤglich zu der menſchen ſpeiſegeſchlachtet werden: Es zweiffelt niemand dran / daß man doͤrffe zumexem -409ARTIC. IV. SECTIO III. exempel ſaugegel dem menſchen appliciren / das boͤſe gebluͤt aus ſeinem leibe auszuſaugen / daran ſie ſterben / daß man tauben in hitzigen ſchwach heiten aufflege / die hitze zu des menſchen erleichterung und ihrem tode an ſich zu zie - hen und ſ. f. So hats dann gleiche bewandnuͤß / wo auff natuͤrliche weiſe / es ſeye nun auff grobe greifliche art / oder auff einen verborgenen weg der ſympathie, das uͤbel davon die kranckheit entſtehet / auff ein ander thier deri - viret / und der menſch dadurch befreyet / oder doch ſeine noth erleichtert wird. Was endlich Jacob Boͤhmen anlangt / kan ich deſſen fehler nicht zeigen / als der ſo offt auch oͤffentlich mich erklaͤhret / daß ihn niemal als incidenter da und dort ein ſtuͤcklein / und einmal in einem tractat etwa die helffte / geleſen habe. So finde auch weder zeit denſelben zu leſen (als worzu eine weil eine freymachung des gemuͤths von allen andern arbeiten / nur mit rechtem nach - ſinnen uͤber ihm zu ſeyn / erfordert wuͤrde) noch gnugſam frucht / weil ich be - kenne / das was geleſen nicht verſtanden / und alſo auch wo ſchon mehr fleiß anwendete / ihn zu verſtehen kein vertrauen habe. So viel bleibet / wo das jenige in Boͤhmen und von ihm alſo gemeinet iſt / was aus ihm ausgezogen mir unterſchiedlich mal bereits vorgehalten worden iſt / und wie die dermaſ - ſen bloßſtehende wort den verſtand mit ſich bringen / muͤſte er viel und ſchweh - re irrthum haben. Wann aber ein unbekanter liebhaber der wahrheit bey 2. jahren her zu zwey malen die erſte 20. von Herr D. Hinckelmann aus Boͤh - men vorgelegte fragen alſo beantwortet / daß die ihm zugemeſſene irrthume von ihm abgeleinet / und ſeine wort mit unſrer orthodoxie in der ſache ſelbs conciliiret worden / welches ich zu thun mir nicht zugetrauet haͤtte / ſo ſtehe ich noch ſo vielmehr an / und mag hoffen / daß etwa auch die uͤbrige ſtellen / ſo irrig ſcheinen / nicht weniger von irrthum liberirt werden moͤchten. Alſo muß ich immer dabey bleiben / daß den mann ungerichtet laſſe / und ihn we - der vor einen irrgeiſt noch rechten lehrer erklaͤhre: dabey GOtt bitte / daß er auff ſeiner weißheit gemaͤſſe art noch zeigen wolle / was richtig oder unrich - tig in ihm ſeyn muͤſſe. Von Herr D. Carpzovii diſputation habe gehoͤret / ſie auch geſehen. Muß mit dem mann gedult tragen / dem ſeine affecten nicht zulaſſen / in ſolcher ſache die wahrheit zu erkennen: dero macht aber wider al - len ſeinen und anderer danck doch zu ſeiner zeit in GOTTes krafft durchb re - chen muß. Der HErr ſehe ihn und andre widerſprecher in gnaden an / ſie zu andern leuten zu machen / oder ihnen die haͤnde um nicht ferner zu ſchaden zu binden / damit nicht ſein gericht endlich uͤber ſie ſchwehrer fallen und ſie unter - trucken moͤge. Davon jenes in taͤglichem gebet vor Gott fuͤr ſie ſuche. Schließ - lich aber zu vorhabender reiſe nicht allein zu dero ſicherheit und abwendung aller gefahr das geleit und ſchutz der H. Engel / ſondern insgeſamt GOttes gnade und ſeines Geiſtes beyſtand in reichlicher maaß anwuͤnſche / damitF f fder -410Das dritte Capitel. derſelbe von ſolchem beſten regirer ſich auch zu hauſe / und wo ihn goͤttliche providenz ferner hinfuͤhren mag / aller orten alſo leiten laſſe / mit jederman unſtraͤfflich / chriſtlich und vorſichtig umzugehen / und ſo wol im fall er bereits ſein pfund auch zu der krancken cur anwenden ſolle / ſolches im ſegen zu thun / als auch was er in dem geiſtlichen von der himmliſchen guͤte empfangen / gele - genlich zu ſeinen ehren / anderer auffmunterung und eigenem wachsthum an - zuwenden / damit er nicht ohne frucht bleibe. 1696.

SECTIO IV. Bereitung des hertzens zu williger verleugnung alles zeitlichen / aus gelegenheit der uͤbergab der ſtadt Straßburg.

ES iſt mir das neuliche recht angenehm und erfreulich geweſen / gleich - wie in andern ſtuͤcken / alſo vornemlich / weil ich daraus erſehen / wie der - ſelbe ſich ſo chriſtlich in goͤttliche ordnung und willen ſchicke. Ach daß wir ſolches alle und zu allen zeiten thun moͤgen! dann dieſes iſt gewißlich die allerbeſte weiſe eine laſt zu tragen / daß wir ſolche mit willen auffnehmen / und an den guͤtigen weiſen rath desjenigen gedencken / der uns nichts als mit hertz - licher liebe auffleget / wie er es uns nuͤtzlich befindet zu ſeyn. Da hingegen / wo wir ungern an die ſache kommen / ſie uns nur deſto ſchwehrer / ja gar un - traͤglich wird; wo wir nicht ſtets die gedancken und augen auf diejenige hand wenden / ohne die uns nichts begegnen oder auffgelegt werden mag / und die es in allem ſo gut meinet. Was ſie unter der neuen regirung ins kuͤnfftige zu erwarten haben / ob man ſuchen werde / die ſtadt in flor zu bringen und zu er - halten / oder ſie mit fleiß zu truͤcken; ob ihre freyheit / ſo viel davon noch uͤbrig iſt / gelaſſen / oder mehr eingeſchrencket werde werden; ob in dem geiſtlichen es in dem gegen waͤrtigen ſtande bleiben / oder die widrige genannte geiſtlichen ein mehrers gegen uns auswuͤrcken werden; ſo dann was die liebe poſteritaͤt auf die kuͤnfftige zeit ſich zu verſehen habe / will mir nicht ziehmen / muthmaß - lich zu unterſuchen / und dieſes oder jenes vorzuſagen / da offt auf beyderley ſeit ſtarcke rationes ſtehen moͤchten: Sondern mir ſtehet vielmehr zu / zu wuͤn - ſchen und zu ermahnen / daß wir trachten / in den ſtand des gemuͤths zu kom - men / daß uns alles ſolches endlich eineꝛley ſeye / und daß wir jedes von ſolchem zu unſerem nutzen lernen anwenden: Daß wir zwahr in kindlicher demuth den HErrn um abwendung desjenigen / was uns auch in dem leiblichen be - ſchwehrlich faͤllet / anruffen / aber allemal diß dabey ausnehmen / wo es ſein heiliger will alſo ſeyn werde / als dann bereit / den unſrigen gern zu verleugnen / da derſelbige dem ſeinigen entgegen ſtehen ſolle. Auf die weiſe wird unsnun -411ARTIC. IV. SECTIO IV. nunmehr alles zimlich indifferent werden / wie es uns gehe / da wir nun der goͤttlichen gnade / die uns vergnuͤget / verſichert ſeyn / werden auch nicht viel - mehr um das kuͤnfftige uns ſorglich aͤngſten / weil es in keines menſchen ſon - dern allein in des guͤtigſten Vaters hand ſtehet. Ach daß wir recht ſolche kindliche gelaſſenheit begreiffen lernen / ſo werden wir uns in derſelben / da wir ihre krafft einmal recht geſchmeckt / viel ſeliger preiſen / als alle euſſerlich gluͤck - ſeligſt gepreiſene ſeyn moͤgen. Es iſt auch dieſes ein ſtuͤck der wolthat und erloͤſung / die uns von unſerem liebſten Erloͤſer wiederfahren iſt / daß er dieje - nige erloͤſete / ſo durch furcht des todes im gantzen leben und alſo in allerhand leiden / gefahr kuͤnfftiger truͤbſaalen / knechte / und alſo elend und miſerabel ſeyn muͤſſen. Nun hat uns unſer liebe Heyland alle auf ſolche art erloͤſet / oder uns das recht darzu verdienet / aber in dem glauben werden wir allein deſſelben guten theilhafftig / und kommen zu ſolcher ruhe thaͤtlich. Dann weil alle unruhe / forcht / und dahero entſtehende ungluͤckſeligkeit daraus ihren urſprung her gewinnet / weil wir uns ſelbs lieben / und zwahr in ſolchen din - gen / darinnen nicht wahrhafftig unſer wolſtand beſtehet / ſondern worinnen unſers fleiſches ſinn ſein vergnuͤgen findet / ſo kan unſerem ungluͤck nicht beſſer gerathen werden / als wo wir von unſerer eigenen liebe abgewendet / oder viel - mehr dieſelbige gemaͤßiget / oder auf diejenige wahre guͤter gerichtet werde / worinnen wahrhafftig uns wol ſeyn mag. Wie es dann unmoͤglich iſt / die ſeele von der liebe der euſſerlichen dingen / dero hochhaltung unſerer verderb - ten natur nunmehr angebohren iſt / abzuziehen / es ſeye dann / daß man uns et - was beſſeres und vortrefflichers zeige und gebe. Wie ich einen armen aber geitzigen bauren nicht anders darzu bringen wuͤrde / daß er mit freuden all ſein guͤtlein / welches er hat / ſeine etzliche heller / hauß / ſtroh-huͤttlein dahin geben moͤchte / alswo ich ihm ein vortrefflichers gut / hauß / in ſumma dergleichen ſchaͤtze zeigen wuͤrde / worinnen er alles verlaſſene hundertfaͤltig wieder haben wuͤrde / wo er erſt ſeine armuth verlaſſen wolle: Wo ich ihm aber dieſes zeigte und ihn deſſen verſicherte / alſo daß ers auch glaubte / ſolches ſeye nunmehr al - les ſein / ſo iſt kein zweiffel / er wird mit groſſer freude das vorige zuruͤck laſſen. Dieſe kunſt brauchet GOTT gegen uns / daß er uns / damit er uns von der thoͤrichten ſelbs-liebe / worinnen wir mehr unſer verderben als uns ſelbs wahrhafftig lieben / abbringe / in dem geiſtlichen alles tauſendfaͤltig zeiget / was wir in den wahren guͤtern / in der wahren ehr ſeiner kindſchafft / und vor ſeinen augen geachtet zu ſeyn / in denjenigen ſeelen-ſchaͤtzen / darinn wir nebens allen andern guͤtern / ſo die ſeele recht reich machen koͤnnen / ihn ſelbs beſitzen moͤgen / in der innerlichen freude des H. Geiſtes und empfindung des himm - liſchen troſts / zeiget und anbietet; damit wir um dieſer willen / welche unſere ſeele recht beruhigen koͤnnen / und darinnen wir zu unſerem erſten urſprungF f f 2und412Das dritte Capitelund art / wozu wir erſchaffen geweſen / wiederum kommen / die andere / dardurch wir nur mehr verderbt werden / willig fahren laſſen. Wo wir alſo darzu kom - men / daß wir in dem wahren und lebendigen glauben / nicht nur in einer einbil - dung / die ſich der menſch aus eigener krafft und ſeiner vernunfft macht / ſolche rechte wahre guͤter / die gerechtigkeit unſers Heylandes / den innerlichen frie - den und freude des H. Geiſtes / und deſſen kraͤfftige wuͤrckung in wiederan - richtung des goͤttlichen bildes in uns / wahrhafftig beſitzẽ / als welches die rech - te fruͤchten ſind der erloͤſung unſers liebſten Heylandes / ſo zeigt uns die leben - dige und wahre erkaͤntnuͤß deroſelben den groſſen unterſcheid ſolches unſers wahren heils / worinnen uns wol iſt / und der andern ſchein-guͤter dero begier - de / liebe und anhaͤngigkeit uns ſo offt verunruhiget hat / daß wir nun dieſe je laͤnger je weniger mehr achten / und ſie wahrhafftig alſo anſehen / als dinge / darinnen unſer wolſeyn nicht ſtehet / wol aber die mit unordenlicher liebe be - ſeſſen / daſſelbe maͤchtig hindern moͤgen. Haben wir dann einmal dieſelbe recht erkennen gelernet / ſo haben wir auch ihre liebe zimlich uͤberwunden / und doͤrffen nun nicht mehr aus furcht des todes oder deroſelben verluſt mehr knechte ſeyn: Sondern hat uns GOTT etwas gegeben vom ehren-ſtand / guͤ - tern / und gemaͤchlichkeit dieſes lebens / ſo brauchen wir es mit danck / aber auch groſſer behutſamkeit / ſo lang ers uns laͤſſet; wir gehen damit um / als mit koh - len / daran man leicht die finger verbrennen kan. Gewinnets das anſehen / daß uns GOTT ſolche dinge wolle laſſen entzogen werden / da ſonſten wir von natur nichts anders als mit forcht und bangigkeit deſſen erwarten koͤn - nen / und uns die forcht vorher wol ſo viel leides thut / als darnach der verluſt an ſich ſelbs / ſo ſtehet eine ſeele / die ihren ſchatz in ſich weiß und beſitzet / in ei - ner hertzlichen ruhe / oder wo ſie ja die erſte verunruhigung des fleiſches auch foͤrchten muß / beruhiget ſie ſich gleichwol bald ſelbs wiederum / und uͤberlaͤſſet dasjenige / was ſie verliehren ſoll / mit kindlicher gelaſſenheit ihrem Vater / von deſſen weißheit ſie ſich verſihet / daß ſie erkennen muͤſſe / daß der beſitz ſol - cher guͤter ihr nicht mehr werde nuͤtzlich ſeyn / und mit danckſagung / daß er ſie ihr ſo lang gelaſſen / und doch das hertz darvor bewahret habe / nicht davon ein - genommen zu werden / ſo dann gebet um vergebung aller ſuͤnden / damit ſie ſich an denſelben moͤchte verſuͤndigt haben. Jn ſolcher bewandnuͤß iſt der ſeelen wol / foͤrchtet ſich alſo vor der gefahr nicht / als welche ihr nichts anders wuͤrck - lich nehmen kan / als was ſie ſchon mit kindlicher reſolution ihr laͤngſt uͤberlaſ - ſen hatte. Da ſehen wir recht den unterſcheid derjenigen / die noch in forcht des todes und ungluͤcks ihr lebtag knechte / daher immer wegen ſolcher ſorge bey ihrer vermeinten gluͤckſeligkeit ungluͤckſelig ſind / und den andern / welche von jener forcht ſich durch goͤttliche krafft loßgemacht / und in ruhe und friede ihre ſeelen beſitzen / welche recht in der that dieſes ſtuͤcks der erloͤſung Chriſtigenieſſen.413ARTIC. IV. SECTIO V. genieſſen. Nun der HErr / der uns alle dazu erloͤſet / verleihe uns die gnade / daß wir auch ſothaner erloͤſung in ſolcher krafft moͤgen theilhafftig werden. Dazu ich aber kein beſſer mittel weiß nechſt dem lieben gebet / als die ohnab - laͤßige betrachtung der geiſtlichen wolthaten GOttes / die wir in Chriſto ha - ben; damit ſolche / da ſie ſtets in dem ſinn und gedancken ſchweben / durch des H. Geiſtes krafft deſto tieffer in das hertz getruckt moͤgen werden: Ohne wel - ches ſonſten alle reſolution ſich in die beſchwehrliche zeiten und allerhand verluſt willig zu geben entweder eine luͤgenhaffte großſprecherey / da es dem hertzen inwendig viel anders zumuth; oder eine tumme verzweifflung iſt / oder doch / wo es zum treffen kommt / bald dahin faͤllet / und die kleinmuth ſich nur deſto ſtaͤrcker weiſet. Aber weiß ich wahrhafftig / was / wie reich und wie ſelig ich in Chriſto bin / und glaube ſolches in meiner ſeelen / nicht nur / daß ich wort davon mache / ſo iſts leicht begreifflich / daß mich das andere wenig afficire / ja ſo wenig als etwa einen reichen mann / der viele millionen haͤtte / der verluſt etlicher pfennige / den er nicht achtet. Ach daß wir in dieſer ſchul ſolche lection wol lernen / ſo wirds uns in ewigkeit nicht gereuen / auch fein taͤglich uns druͤ - ber examiniren / wie wir ein und anderes gefaßt / wie weit wir gekommen / und was uns noch mangle / damit wir recht zuzunehmen trachten. Es iſt auch die kunſt / welche in gewiſſer maaß durch die erfahrung ſelbs endlichen von einigen gelernet werden muß / und auch bey denſelben ein nutzen der folgenden truͤb - ſaalen ſeyn wird / wie es aber alsdann ſo viel ſchwehrer eingehet / und das ler - nen ſaurer wird / ſo haben wirs lieber vorher zu faſſen / da uns GOTT dazu friſt gibet. 1681.

SECTIO V. Verlangen nach dem himmliſchen Vaterland.

D das verlangen nach dem himmliſchen vaterland bey demſelben groß und groͤſſer ſeye / als das verlangen nach dem irꝛdiſchen / hoͤre hertz - lich gern. Der HErr laſſe ſolches verlangen durch die gnade ſeines heiligen Geiſtes darzu kraͤfftig ſeyn / ſo vielmehr allem demjenigen / was dieſes irrdiſchen iſt / abzuſterben / und hingegen ſich alſo in dem gantzen leben anzuſchicken / wie es ſo wol die pflicht als die art derjenigen iſt / denen ſolches himmliſche vaterland ſtets vor augen und in dem hertzen ſchwebet. Wie es nicht wol anders ſeyn kan / als daß ſolche uns in dem gantzen lebẽ redlich vor - ſtellende regel ein nachtruͤcklicher antrieb ſeye / willig hie in dieſer walfahrt alles dasjenige zu verleugnen und abzulegen / was uns nur einigerley maſ - ſen an der eiffrigen nachſtrebung ſolches kleinods / welches uns vorhaͤlt die himmliſche beruffung / hindern moͤchte / hingegen aber in einem heiligen wan - del unſers GOttes nahmen zu preiſen. Dann ob wirs wol in dieſem lebenF f f 3da -414Das dritte Capitel. dahin nicht bringen / daß wir nicht das boͤſe an uns haben und deſſen reitzung fuͤhlen muͤſſen / welches jenes verlangen ſo viel bruͤnſtiger macht / ſo iſt doch die gnade bey denjenigen / die ſich ihrer gehorſamlich und danckbarlich ge - brauchen / dahin kraͤfftig / daß wir uns ſo wol ernſtlich reſolviren / als ſotha - ner reſolution in der that eiffrig nachſetzen / uns aller gleichfoͤrmigkeit dieſer welt thaͤtlich zu entſchlagen / und in nichts wiſſentlich zu vollbringung der ſuͤnden einzuwilligen / noch auch anderer ſuͤnden uns theilhafftig zu machen. Vielmehr / ob wir auch mitten unter dem verkehrten und unſchlachtigen ge - ſchlecht leben muͤſſen / zu ſeyn ohne tadel und lauter / und als GOttes kinder / unſtraͤflich / auff daß wir unter ihnen ſeyn moͤgen als die liechter in der welt. Als welches alsdann uns und andern eine gewiſſe probe iſt / daß das verlan - gen nach dem ewigen bey uns aufrichtig und recht tieff in dem heꝛtzen gegruͤn - det ſeye: wo wir dann auch allen euſſerlichen Gottesdienſt nicht als einen grund unſers vertrauens / auff deſſen leiſtung / ſondern als ein kraͤfftiges mittel / dadurch GOtt in uns das innerliche / glaube / hoffnung / liebe / und uͤbrige fruͤchte des glaubens / worinnen der groͤſſeſte gottesdienſt beſtehet / wuͤrcken / und unſer hertz dermaſſen reinigen will / daß auch der uͤbrige geſam - te wandel von der welt unbefleckt bleibe. Welches dann in unſerm gantzen Chriſtenthum / und taͤglicher deſſen pruͤfung unſre einige abſicht ſeyn / und dieſem zweck immer naͤher zu kommen / mit eiffrigem gebet / immer mehr und mehr goͤttliche gnade erbeten werden muß. Welche auch zu geſegne - ter verrichtung der vorhabenden liebes-wercke als uͤbriger noͤthiger ſtaͤr - ckung anwuͤnſche.

SECTIO VI. Jeſus den Chriſten alles. Art des rechten verlan - gens nach der auffloͤſung. Heiliger ſaamen unter ho - hem ſtand. Geiſtliche ſtiffter.

ES iſt freylich alſo: JEſus ſoll uns alles ſeyn / JEſus was durchs ohre bricht / JEſus was das auge ſicht / JEſus was die zunge ſchmeckt / und wornach die hand ſich ſtreckt. So ſolle hertz / ge - muͤth / gedancken / wort und that voller JEſu ſeyn: Nicht mit eiteler wieder - holung der bloſſen buchſtaben ſolches himmliſchen nahmens / ſondern daß er ſelbs bey ſeinem nahmen ſeye: Daß wir nichts gedencken dann JEſum / nem - lich was er iſt und was er uns iſt / unſere weißheit / gerechtigkeit / heiligung und erloͤſung; wie alles was wir gutes haben / nicht nur ſein geſchoͤpff und geſchenck / ſondern zeugnuͤß ſeiner krafft / herrligkeit und guͤtigkeit ſeye / hin - gegen uns immer von ſich ab auff ihn ſelbs weiſe; alſo beruhet unſer verſtandund415ARTIC. IV. SECTIO VI. und willen auff nichts / ſondern ob er dieſes und jenes erkennet und liebet / ſo gehet er hiedurch auff denjenigen / davon alles iſt / durch den wir alles genieſ - ſen / und der ſich alſo in allem uns vorſtellet / mittelbar oder unmittelbar uns alles zu ſeyn. Alſo reden wir nichts als JEſum / nicht wo wir ſolches wort allein ſprechen / ſondern wo wir alles begehren zu ſeinen ehren zu richten / was wir reden / und alſo daß unſere wort uns und anderen ein finger ſeyen / die uns zeigen auff JEſum / oder auff dasjenige was unſers JEſu iſt. Und da - hin weiſet uns der liebe Apoſtel. Alles was ihr thut mit worten oder mit wercken / das thut alles in dem nahmen des HErren JEſu / und dancket GOtt und dem Vater durch ihn. Col. 3 / 17. So iſts auch recht / eine bruͤnſtige begierde zu haben / zu ihm zu kommen / und mit ihm vollkoͤm̃lich vereinigt zu werden / ſo wohl wann es ihm gefaͤllig ſeyn wird / uns von die - ſem irrdiſchen und aus der leimern huͤtten in den ort ſeiner herrlichkeit einzu - fuͤhren / wo wir erſt denjenigen recht ſehen werden / wie er iſt / den unſere ſeele vorher geliebet / ehe ſie ihn geſehen hat / als auch als lang er uns hier laſſen will / und doch taͤglich ſich in dem glauben mit uns vereinbaret / oder uns de - ro vereinigung fruͤchten zu genieſſen gibet. Wie wir dann hierauff mit ſorg - ſamen fleiß acht zu geben haben / daß unſere begierde auffgeloͤſet zu werden ſich nicht mit einiger eigenliebe und eigengeſuch verunreinige / ſondern aus einer bloſſen lauteren liebe unſers Heylands / dem wir gern mit gaͤntzl icher ausziehung des befleckten rocks des fleiſches und alles deſſen / was ihm noch an uns eckeln moͤchte / vollkommen gefallen / und in ihn uns gantz verſencken moͤchten / entſpringen. Wie wir dann in ſolcher ſache ſo wohl als in allen an - dern genau auff uns ſelbs und auff unſer von natur betruͤgliches hertz acht zu geben haben / daß ſich nicht an ſtatt ſolcher reinen liebe / eine zaͤrtlichkeit und flucht derer beſchwehrden dieſes lebens bey uns einſchleiche / und ſich heim - lich verberge / und damit unſer verlangen nach dem vaterland beflecke. Laſ - ſet uns die liebe JEſu vor allem gehen / und ihn alſo ſelbs mehr als uns und unſern genuß an ihm lieben: Geſchihet dieſes / ſo wird uns nicht weniger hertzlich freuen / ob uns auch der HErr noch eine lange zeit unter der truͤbſaa - len laſt und in dem leibe dieſes todes laſſen / als ob er uns zeitlich in ſeine ru - he zu der freyheit ſeiner kinder beforderen wolte. Dann ob dieſes uns ſelbs vor unſer eigen vergnuͤgen das allerliebſte waͤre / da die wahl bey uns ſtuͤnde / ſo werden wir doch aus dem / da der HErr uns noch laͤnger hie laͤſſet / abneh - men koͤnnen / daß er noch laͤnger an unſerm leben und leiden wolle geprieſen werden / da alsdann eine ihn liebende ſeele die ehre ſolches ihres Heylands / weil derſelbige mehr proben ihres glaubens / gedult und hoffnung / und da - durch ſeine ehre zu befordern / von ihro fordert / willig ihrer eigenen ſeligkeitvor -416Das dritte Capitel. vorziehet / als die ihn mehr als ſich ſelbs und ihre freude liebet. Und ſo mag es ſeyn / daß ein der welt leiden und jener erwartender freuden aus dem vor - ſchmack wohl erfahrner Paulus / dannoch ſich auch freuet und deßwegen an - derer Chriſten fuͤr ſich thuendes gebet liebet / da ihn GOtt noch laͤnger in dem kampff laſſen will / damit er an ſeinem fleiſch erſtatte / was noch man - gelt an dem leiden und truͤbſaalen in Chriſto / Col. 1 / 24. ſo dann auch mit verſchiebung ſeiner ſeligkeit an andern frucht ſchaffe: Philip. 1 / 22. Ob wol / da ihm der HErr zeiget / daß die ſtunde ſeines abſchieds vorhanden / und er geopffert werden ſolle / er ſolche poſt vor ſich ſelbs die allererfreulichſte achtet und dem HErren dancket. Jn ſolcher gemuͤths-bewandnuͤß laſſet uns trachten allezeit zu ſeyn / und unſers leibes erloͤſung mit getroſter hoff - nung erwarten / das verlangen aber nach derſelben mit anſehung deſſen / wor - innen der HErr noch allhie von uns will bedienet ſeyn / maͤßigen. So gehets alles in goͤttlicher ordnung: und ſo wollen wir mit nicht weniger angelegen - heit den troſt unſers Heylands / welchen er uns bereits hie geben will / trach - ten zu ſchmecken / und eben ſo willig an der heiligung und reinigung unſerer ſeelen allhier arbeiten / als nach demjenigen eilen / was uns dorten verſpro - chen iſt. Der chriſtlichen Fuͤrſtinne Durchl. und den gottſeligen Princeßinnen ſage ich unterthaͤnigſten danck fuͤr dero gnaͤdigſtes angedencken. Wie hertzlich erfreuet mich / wo ich hoͤre / daß in der allgemeinen verderbnuͤß aller ſtaͤnde / der HErr HErr ihm dennoch auch in demjenigen einen heiligen ſaamen erhaͤlt / der in der welt eitelkeit ſo vielmehr geflochten zu werden / vor andern anlaß hat. Jhm ſeye preiß vor ſeine heilige gerichte und wunderbare regierung / der durch des weiblichen geſchlechts auffrichtige und eiffrige gottſeligkeit der maͤnner traͤgheit zu dem guten / ja durch derer in dem ſo genannten weltlichen ſtande und in hohen wuͤrden ſtehender / heiligen eiffer und liebes-exempel un - ſers ſo genannten geiſtlichen aber meiſtens in dem tieffſten verderben ſtecken - den ſtandes lauligkeit oder gar ungeiſtlichkeit beſchaͤmet. Nun der HErr erbarme ſich auch uͤber uns / und reinige die kinder Levi von ihrer unreinig - keit / ja laͤutere ſie wie gold und ſilber zu ihrem alten glantz / wie in der erſten kirchen: Er laſſe aber auch auſſer ſolchem unſerem ſtande die liebe exempel der - jenigen / ſo wir billich auffmuntern ſolten / immer mehr geſegnet werden / uns zu einem heiligen eiffer zu reitzen. Sonderlich gieſſe er noch ferner uͤber ſolche geſamte Fuͤrſtlich - und nicht nur in der welt hoch-ſondern auch aus ihme ge - bohrne ſeelen mildiglich aus den Geiſt der gnaden und des gebets ſamt allem ſegen / der ihnen nothwendig iſt / damit ſie liechter werden zu erleuchten mit ih - rem glantz der gotrſeligkeit viele andere / und der himmliſche Vater an ihnen je mehr und mehr herrlich geprieſen werde. Wie hertzlich ſolte mich freuen / wo jemal jemanden deroſelben anſichtig werden ſolte / und dem HErrn fuͤrdie417ARTIC. IV. SECTIO VI. die ſelbs an denſelben wahrgenommene gnade danck zu ſagen urſach finden. Doch ſetze alles auch in dieſem ſtuͤck in den willen des Allerhoͤchſten. Der chriſtlichen Princeßin N. N. bin ſonderlichſt verbunden fuͤr die ſo angenehme zeilen von dero gnaͤdigſten hand. Bitte vor dieſesmal zuvoran meinen de - muͤthigen danck abzuſtatten / biß die gelegenheit ausſehe / wo die erlaubnuͤß deſſen haben ſolle / ſelbs wieder mit einigem blaͤttlein unterthaͤnigſt auffzu - warten. Was Fuͤrſtliche ſtiffte anlangt / weiß in Ober-Teutſchland nicht ein eintziges von unſerer religion: Wo aber auch einige waͤren / ſo wuͤßte nicht / ob ich einigen GOTT in auffrichtiger wahrheit ſuchenden ſeelen rathen wol - te / ſich in dergleichen zu begeben / wann auch ſchon ſich einige ſolche finden wuͤrden / die den ledigen ſtand dem ehlichen leben vorziehen wolten. Mir iſt zimlich viel bekant worden / was es vor eine bewandnuͤß bey allen ſolchen ſtifftern insgemein hat / und wie die weltliche eitelkeit ſo ſtarck gemeiniglich ſolcher orten regiret / als an einigen andern hoͤfen. Daher ich zu rath gezo - gen / vor deme einigen Graͤflichen Fraͤulein / welche aus begierde ungehinder - ter andacht auch in dergleichen ſtiffte ſich zu reteriren verlangen trugen / viel - mehr gerathen / ein ſolches leben / als ſie ſich einbildeten an ſolchem ort gefuͤh - ret werden zu koͤnnen / und dergleichen zu verlangen bezeugten / an ihres Herꝛn Vatern hofe (der im wittwen-ſtand lebte) oder mit deſſen erlaubnuͤß in ſei - nem lande / wo er ihnen einigen platz aſſigniren moͤchte / zu fuͤhren / und ohne ſonderbar gebaͤu / ohne ſondere ceremonien / ohne ſondere kleidung / reglen und dergleichen ſich ein Cloſter zu machen: Da ſie die freyheit haͤtte / gleichgeſinne - te Gottliebende ſeelen fuͤr auffwarterinne und gehuͤlffen ſich zu wehlen / und mit denſelben alle diejenige uͤbungen in der ſtille und ohne vielen apparat oder weitlaͤufftiges weſen anzuſtellen / die ſie in einem wolbeſtellten ſtifft ſonſten hoffen und wuͤnſchen moͤchte: Wo ſie auffs wenigſte niemal die wahl haben derjenigen / mit welchen ſie ſich zuſammen thun / ſondern allemal diejenige um ſich haben muͤſſen / die ſie finden / oder nach und nach zu ſich bekommen / da ſo leicht ſolche angetroffen werden / die die einmalige gefaßte chriſtliche inten - tion trefflich hindern als dieſelbe foͤrdern moͤgen. Welches alles ſich nicht ſorgen laͤſſet / wo einige ohne vieler menſchen auffſehen ſich zuſammen thun / wo es auch waͤre / und ſo vielweniger hindernuͤß des wahrhafftigen guten (da das reich GOttes nicht mit euſſerlichen gebaͤrden kommet) finden werden / als weniger weitlaͤufftigkeit man machet / und ſich ſeine freyheit am wenigſten binden laͤſſet / welches ſtracks geſchihet / wo man ſich in ſolche anſtalten / wie die ſtiffter ſind / hinein begibet. Dieſes war damal mein rath / dem auch ſolche chriſtliche Fraͤulein wuͤrde gefolget haben / da ſie nicht der HErr gantz kurtz nach ſolchem fruͤhzeitig von hie abgefordert haͤtte. Jn ſolcher meinung ſte - he ich noch / und meine deſſen gute urſach zu haben. Die guͤtigſte weißheitG g gdes418Das dritte Capitel. des himmliſchen Vaters / zeige hierinnen auch ſeine treue fuͤrſorge fuͤr dieſe auserwehlte Princeßinnen ſo wol als lange ſie beyſammen ſind / ihren chriſt - lichen wandel mit taͤglichem wachsthum weißlich fortzuſetzen / als auch einer jeglichen / wozu er ſie beruffen habe / daß etwa viele haͤuſer von ihrer gottſelig - keit auffgemuntert / und ſie geheiligte kohlen andere zu entzuͤnden werden moͤ - gen. Solte er aber einige deroſelben in ledigem ſtande behalten wollen / ſo zeige er gleichfals ort und gelegenheit / wo ſie am fuͤglichſten ſorgen moͤgen / was dem HErrn angehoͤre / ihm ohne hindernuͤß zu dienen. 1682.

SECTIO VII. An eine hohe ſtandes-perſon uͤber gefuͤhlte unge - meine geiſtliche freude / wie man ſich darein zu ſchicken.

JCh habe mich aus ihrem ſchreiben der chriſtlichen reſolution zu erfreuen gehabt / daß dieſelbe ſich entſchloſſen bey ihren unterthanen alles nach muͤglichkeit mit guͤte zu verſuchen / ob ſie damit endlich gewonnen / und zu williger beobachtung ihrer ſchuldigkeit gebracht werden moͤchten: Auch wol gar in zweiffelhafften faͤllen lieber anderwerts her entſcheid zu holen / als nach eigenem gutduͤncken gegen dieſelbe zu verfahren; nicht allein dadurch allen verdacht der partheylichkeit von ſich abzuwenden / ſondern auch ſich ſelbs zu verwahren / damit eigne liebe in eigner ſache nicht unwiſſend das gemuͤth uͤbervortheile. Zu dieſem gottſeligen entſchluß gebe der himmliſche Vater ſeine gnad / und erfuͤlle dero hertz allezeit wie mit liebe / alſo auch mit erkaͤntnuͤß ſeines willens / was in allen faͤllen demſelben am gemaͤßeſten ſeye / um an der - ſelben eine richtſchnur alles thuns zu finden. Er laſſe aber auch ſolche lieb - reiche begegnuͤß in den hertzen der unterthanen von ſolcher krafft ſeyn / daß ſie vielmehr auch zur billigkeit und gehorſam gelencket / und alſo beyderſeits ſee - len mit deſto feſterer liebe und vertrauen gegen einander verbunden / eben da - mit aber auch das leben leichter gemacht / und ſo viel mehrerem ſegen / welcher bey liebe und frieden ſich findet / platz gegeben werde. Dieſes iſt dasjenige / was noch immer fort mit meinem armen gebet von dem himmliſchen Vater zu erbitten mir angelegen ſeyn laſſen werde. Unſern lieben N. N. anlangend / ſo freue ich mich ſo wol / daß der HErr ſeinen umgang nicht ungeſegnet laͤſſet / als iſt mir ſehr lieb / daß allerſeits gebuͤhrende vorſichtigkeit gebraucht werde / die GOTT noch ferner geben / hingegen alles dasjenige kraͤfftig abwenden wolle / wodurch / welche der gottſeligkeit nicht eben hold ſind / etwas von der - ſelben zu laͤſtern anlaß nehmen koͤnten. Wie nun dieſes zur antwort des an mich gethanen dienet / ſo habe nun ferner zu bezeugen / die innigliche freude / welche ich uͤber dasjenige ſchreiben / ſo mir N. N. in freundlichem vertrauencom -491[419]ARTIC. IV. SECTIO VII. communiciret / gefaſſet habe / da ich geſehen / mit was ungemeiner bewegung der HErr HErr deroſelben ſeele nechſtmal bey dem heiligen Abendmahl ge - ruͤhret / und eines dergleichen empfindlichen geſchmacks ſeiner ſuͤßigkeit ge - wuͤrdiget hat. Gelobet ſeye der guͤtigſte Vater / der ob er uns uͤbrige nicht alle mit gleichem geſchmack erfuͤllet / (wie ich mich leider dergleichen nicht ruͤh - men kan / aber vielleicht mich vielmehr ſelbs daruͤber anzuklagen / als uͤber ſei - ne guͤte zu beſchwehren habe) dannoch einige unſerer bruͤder und ſchweſtern mit derſelbigen beſeliget: Daruͤber wir uns inniglich zu erfreuen haben / nicht allein aus liebe zu denſelben / und weil wir wegen der gemeinſchafft des Gei - ſtes alles gute andern mitgliedern geſchehen als uns ſelbs wiederfahren an - zuſehen haben / ſondern auch weil es uns ſtaͤrcket in dem glauben / da wir ſehen / wie ſich der HErr gegen unterſchiedliche auch in dieſem ſtuͤck nicht unbezeugt laſſe / ſondern ſich denſelben empfindlich offenbare; ja auch da wir daraus die hoffnung ſchoͤpffen / daß uns derſelbe auch etwa zu ſeiner zeit / wo es zu ſeiner ehre und unſrer ſeelen heil dienlich ſeyn werde / etwas von ſolchem geſchmack zu koſten geben werde. Wie ich mich daruͤber / ſonderlich aber auch uͤber dero wertheſten Fraͤulein ſchweſter kraͤfftigen zug / inniglich erfreue / und den ge - ber alles guten inbruͤnſtig anruffe / daß er ſeine gnade auch in dieſem ſtuͤck des friedens und der freude in dem H. Geiſt / durch fortſetzung ſolcher empfind - lichkeit / da es ſeinem rath gefaͤllig / noch lange ſeliglich fortſetzen / auch weiß - heit verleihen wolle / derſelben als lang ſie waͤhret / zu eigner und anderer kraͤfftiger erbauung und auffmunterung ſich beyderſeits treulich zu gebrau - chen / und alſo ihrem GOTT die frucht ſeiner gabe zu bringen: Alſo habe da - bey auch freundlich erinnern wollen / ſich an ihres himmliſchen Vaters weiſe nicht zu ſtoſſen / wenn derſelbe bald ſolche freude und ſuͤſſen geſchmack wieder - um zuruͤcke ziehen / ja wol gar an ſtatt jener genoſſenen guͤter und liechts / fin - ſternuͤß / duͤrre des geiſtes und mehrere unempfindlichkeit / eine gute zeitlang fuͤhlen und erfahren laſſen wolte. Denn ob ich wol nicht widerſprechen will / daß er nach ſeinem willen und weißheit einige ſeelen die meiſte zeit in freudi - ger empfindlichkeit fuͤhren mag / ſo iſt doch das mehr gewoͤhnliche / daß dieſelbe nicht immer waͤhret / ſondern offt allein die bereitung einer ſeelen werden muß / die der HErr nachmals in ſchwehrere ſichtung / anfechtung und verlaſ - ſung will gefuͤhret / und ſie darinn mehr gelaͤutert werden laſſen: Ja es iſt zu - weilen ein zucker / damit er die ſeinen zu ſeiner liebe locket / aber ſolchẽ / nachdem er ſie zu ſich gezogen / wieder wegnimmt / und ſie folgend mit hartem und faſt ſchwartzem brodt zu ſpeiſen anfaͤngt: Welches aber eine ſeele / da ſie an jenem geſchenck ſo hertzlich vergnuͤgen empfunden / zu begreiffen ſehr ſchwehr ankom - met / und offtmal viele klagen verurſachet / in der that aber gewißlich der vaͤ - terlichen weißheit allerdings gemaͤß iſt. Alſo iſts ſehr nuͤtzlich / daß man ſichG g g 2die420Das dritte Capitel. die ſache voran bereits nicht frembde ſeyn laͤſſet / noch die beſtaͤndigkeit der freude / ſo man einmal geſchmecket / einbildet / ſondern glaubet / daß man ſolche leicht wiederum verliehren koͤnne / und vermuthlich an deſto ſchwehreren kampff gefuͤhret werde werden. Wo man alſo gedencket / ſo bereitet man ſich auch ſo viel hertzlicher auf das kuͤnfftige / aͤrgert ſich nicht / wenn man deſſen wiederum entbehren muß was man als ein nur auf eine gewiſſe zeit gelehntes gut anzuſehen gelernet / und gibet ſich zu aller zeit deſto williger in die hand ſeines Vaters / ihm frey ſtellende / ob er uns im liecht oder finſternuͤß fuͤhren wolle / nur daß ers bleibe / der uns wahrhafftig fuͤhre. So fuͤhre er uns denn alle ſtets nach ſeinem rath und wolgefallen / daß er uns mit ehren annehme. 1690.

SECTIO VIII. Schuldige danckbarkeit einer aus leib - und geiſtli - chen noth befreyten ſtands-perſon.

JCh habe mit freuden vernommen / von der ſo mercklich an der chriſtlichen Frau Graͤfin nach dero vorigem in dem euſſerlichen betruͤbten zuſtand von GOtt geſandten beſſerung. Dem HErren HErren ſeye deßwegen danck / der an ihro ein zeugnuͤß ſeiner wunder / ſeiner macht und guͤte / kraͤff - tig erzeiget / erſtlich in dieſer pruͤfung / daß er das in ſie gelegte gute zu vieler danckſagung herrlich offenbahret / und ohne zweiffel in einer ſolchen langwih - rigen uͤbung ſtattlich vermehret / andere aber dadurch vielfaͤltig erbauet / in allen dieſen anfechtungen ihr mit genugſamen troſt und krafft ſeines Geiſtes beygeſtanden und ſtaͤten ſieg gegeben / nun aber auch in dem leiblichen ſeine huͤlffe zu leiſten angefangen hat. Er vollfuͤhre auch noch ferner ſein gutes werck in ihr / ſo wol dieſe beſſerung bald laſſen vollkommen zu werden / als auch ſie mit der krafft ſeines Geiſtes alſo zu ſtaͤrcken / daß das in ſo ſcharffem feuer gepruͤffte gold nun vor aller augen deſto herrlicher glaͤntze / und ſie ihre wieder erlangte geſundheit dem HErren des lebens ſo viel gefliſſener heilige mit vermeidung aller / auch dieſem ſtand nunmehr aus vieler falſcher einbildung gleichſam nothwendig geachteter / welt-eitelkeit / und hingegen eifferiger be - ſtrebung den regeln unſers Heylandes ohne ausnahm mit auffrichtigem her - tzen nachzuleben. Es wird hierdurch der groſſe GOtt ſo viel herrlicher ge - prieſen werden durch das exempel einer perſon von einem erhobenen ſtand / auf welchen andere deſto fleißiger ſehen / und indem die exempel der wahrhaff - tig chriſtlichen / und alſo nach den regeln unſers Heylands eingerichteten / tu - genden faſt rar wollen angeſehen werden / da dieſelbe / wie es kindern GOttes zuſtehet / ſich ohne tadel / lauter und unanſtoͤßig bezeugen wird / mitten unter dem un ſchlachtigen und verkehrten geſchlecht / unter welchen ſie ſcheinen ſol -le als421ARTIC. IV. SECTIO VIII. le alsein liecht in der welt. Es fordert ſolches die ſchuldige danckſagung ge - gen GOtt den treuen helffer / die nicht ſo viel in worten beſtehet / als in der treuen anwendung zu ſeinem preiß der neu empfangenen leibes und gemuͤths kraͤfften / deꝛo continuation wir uns auch nicht gewiſſer verſichern koͤnnen / als durch ſolche heiligung des theuren geſchenckes. Wie wir auch gewiß ſeyn muͤſſen / der HErr fordere von denen perſonen / an welchen er ſondere zeugnuͤſ - ſen ſeiner barmhertzigkeit erwieſen hat / auch noch vor andern allen einen deſto eiffrigeren fleiß / nach ſeinem willen ſich in allen ſtuͤcken einzurichten. Jn dem Papſtum iſt man gewohnet / nach erhaltener errettung aus ungemeiner noth / in ein kloſter zu gehen / oder einige ihren principiis gemaͤſſe geluͤbde GOtt o - der den heiligen zu thun. Wir uͤberlaſſen aber denſelben ihre aberglaͤubiſche dinge / damit ſie GOtt dienen wollen mit ſolcher lehr und dienſten / die nichts als menſchen gebot / ja dem HErren vielmehr ein greuel ſind / aber das allge - meine bleibt auch bey uns / wir ſeyen dem HErren nicht eine nur in worten be - ſtehende / ſondern wurckliche danckbarkeit ſchuldig / daß wir ihm unſere allge - meine geluͤbde / daran wir genug haben koͤnnen / (weil die abſonderliche / obwol nicht allemal / nach betrachtung der umſtaͤnde / ohne nutzen ſind / doch zuwei - len ihre difficultaͤten haben) zu bezahlen / uns noch vor andern muͤſſen laſſen angelegen ſeyn. Ja wir muͤſſen glauben / wo uns der HErr andern zum e - xempel / wie mit ſonderem leiden alſo nachmal kraͤfftiger huͤlffe geſetzet hat / daß er uns damit allerdings von der welt wolle abziehen: wozu es eben keines einſperrens in ein kloſter bedarff / ſondern allein eine abſonderung und enthal - tung alles deſſen / was nach derjenigen welt ſchmecket / welche in fleiſches - luſt / augen-luſt / und hoffaͤrtigem leben beſtehet / ob auch ſolches ſchon durch die verderbliche gewohnheit faſt aller orten als mit dem Chriſtenthum wohlſtehende ſolte auctoriſiret ſeyn worden. Ach wohl uns in ſolcher heili - gen reſolution, annoch ſo viel beſſer aber in der aus ſeiner krafft / daran es nicht mangeln wird / folgender deroſelben erfuͤllung. Jch werde auch nicht unterlaſſen / fuͤr dieſe gnade dem geber alles guten demuͤthig zu dancken / und um die folge deſſen was er damit ſuchet / zu bitten.

SECTIO IX. Einſamkeit und ſtille ein gutes huͤlffs-mittel zur heiligung. An eine vornehme Adeliche Fraͤulein.

JCh zweifle auch nicht / aus dero erkanter gottſeliger begierde ihr leben wahrhafftig dem himmliſchen Vater nach ſeinem wohlgefallen zu heili - gen / es werde deroſelben ſeele die jetzige entfernung von dem hoff und freyheit von mancher eitelkeit / welcher derſelbe ſonderlich winterszeit unter -G g g 3worffen422Das dritte Capitel. worffen iſt / und uns wiederum jetzo vorſtehen mag / hertzlich angenehm ſeyn / hingegen ſolche von dem HErrn HErrn gegoͤnnete mehrere einſamkeit und ſtille zu dem geiſtlichen wachsthum fleißig angewendet werden. Dann wie das heilige wort GOttes das einige wahre mittel der heiligung unſrer ſeelen iſt / ſo will zu deſſen recht fruchtbarer und durchtringender wirckung faſt erfor - dert werden / daß man in eine mehrere ſtille des gemuͤths komme / als gemei - niglich das leben derjenigen / welche auch wider ihren willen unterſchiedli - chem dienſt der eitelkeit unterworffen ſind / die das hertz nicht anders als ver - unruhigen kan / zugibet. Stehet man dann in einer ſolchen ſtille / ſo ſihet man je mehr und mehr in dem liecht des goͤttlichen worts / das in uns daraus ſtrah - lende liecht / und kan aus dem wort des lebens an dem innern menſchen und in dem leben des Geiſtes treflich geſtaͤrcket werden und wachſen. Wie hingegen eine ſeele / die durch die euſſerliche zerſtreuungen ſonderlich allerley welt-eitel - keit zu einer ſtille zu kommen nicht vermag / zu dergleichen ſich wenig geſchickt befindet / denn obwol das goͤttliche wort allezeit ſeine krafft hat / und ein feuer iſt / ſo die hertzen entzuͤndet / ſo kan es doch ein ſolches unruhiges hertz ſo wenig entzuͤnden / als ein feuer das holtz / ſo man nuꝛ dann und wann an daſſelbe haͤlt / aber gleich wieder wegthut / oder um das feuer damit herum faͤhret / dahin - gegen einige zeit erfordert wuͤrde / da das holtz ſtille gehalten / von deſſen krafft ergriffen werden koͤnte. Jch trage auch das gute vertrauen / daß meine wer - theſte in dem HErrn ſo wol dieſe gelegenheit eines ſolchen guten ſorgfaͤltig wahrgenommen haben / und noch ferner wahrnehmen / als auch in der that den nutzen davon etwas empfunden haben / und noch ferner durch GOttes wirckung empfinden werde: darum ich auch des himmliſchen Vaters guͤte hertzlich anzuflehen nicht vergeſſen ſolle / welche ſie allezeit durch deſſen Geiſt weißlich fuͤhren wolle / daß ſie von den aͤrgernuͤſſen in der welt befreyet in kind - lichem gehorſam ſeiner gebote ſtaͤts erfunden / auch anderen ſelbs zu einem lob - und folg-wuͤrdigen exempel werde. Nun er / der GOtt des friedens / heilige ſie durch und durch / und ihr geiſt gantz / ſamt der ſeele und leib muͤſſe behalten werden unſtraͤflich auff die zukunfft unſers HErrn JEſu Chriſti. Getreu iſt der / der ſie ruffet / welcher wirds auch thun. 1690.

SECTIO X. Hertzens-angſt. Verlangen nach ſtillem leben.

ES erfreuet mich nicht wenig aus ihrem ſchreiben zu erſehen / den zuſtand ihrer ſeelen / daß ob zwahr ſie uͤber hertzens-angſt und dero fort - waͤhrung zu klagen noch urſach findet / dieſelbe doch ihrem Gott gelaſſen ſtill halten will / und ſo viel angelegenlicher zu dem GOtt ihrer huͤlffe ſeuff - tzet. Hiemit laſſet uns fortfahren / ſo werden wir gewißlich in der krafft desHEr -423ARTIC. IV. SECTIO X. HErren / weit uͤberwinden / und keine gewalt weder des ſatans noch der welt / noch die liſt unſers fleiſches mehr uns niederzuwerffen als die gnade des lieb - reichſten Vaters auff unſer inſtaͤndiges flehen uns kraͤfftig zu erhalten ver - moͤgen. Dann er hat uns heiſſen ruffen / und uns weiter mit ſo vortreflichen verheiſſungen noch dazu gereitzet / ſo kan er das verlangen und gebet ſeiner auserwehlten ja nicht verachten / ſondern wird ſie erretten in einer kuͤrtze. Daß eine ſtillere lebens-art zu beruhigung der ſeelen / und in einigen ſtuͤcken zum geiſtlichen wachsthum / als viel wir vorſehen moͤgen ihr nuͤtzlich ſeyn doͤrffte / halte ich ſelbs davor / wolte auch / wo GOtt ſelbs auff einige art mit ſeinem finger eine gelegenheit dazu zeigte / nicht zweiffeln / daß wohlgethan ſeyn wuͤr - de / dergleichen zu ergreiffen / aber goͤttlicher leitung auch nicht vorzugreiffen / noch allzuernſtlich dasjenige zu ſuchen / darinnen wir noch nicht ſehen / ob der HERR uns befreyen / oder noch laͤnger unſere gedult uͤben wolte. Mir faͤllet immer bey ſolcherley gelegenheit ein / der ſpruch Pauli 1. Cor. 7 / 21. biſtu ein knecht beruffen / ſorge dir nicht / doch kanſtu frey werden / ſo brauche das viel lieber. Laſſet uns indeſſen GOtt ſo viel angelegenli - cher anruffen / daß er uns ſeinen rath und willen zu erkennen gebe / um uns in denſelben allemal gehorſamlich zu ſchicken. So wird er uns / da wir ihm al - ſo die haͤnde reichen / fuͤhren und leiten als ein vater ſeine kinder. 1681.

SECTIO XI. Einige lebens-regeln von den beruffs-wercken; ſanfftmuth gegen boͤſe; enthaltung des richtens.

LAſſet uns / meine Geliebte / in allem unſerm dienſt nicht ſehen / ſo wol auf die art der wercke ſelbs / welche wir thun muͤſſen / die manchmal gering und ſehr weltlich ſeynd / noch auf dasjenige / wozu ſie wol von den welt - leuten moͤchten mißbrauchet werden / ſo doch ohne unſre ſchuld geſchihet / als vielmehr auf den willen unſers HErrn / der uns nach ſeiner freyen macht / wel - che er uͤber uns und alle creaturen hat / zu gewiſſen verrichtungen und dienſten verordnet / und ihm der gehorſam in den allerverachteſten / und uns wol ſelbs widrigſten verrichtungen ſo hertzlich gefaͤllet / als er ihm in andern wichtigern / wo er uns dazu verordnet gehabt / haͤtte gefallen werden. Denn er ſiher das hertz an / und urtheilet alles / was wir thun / allein nach demſelben. Nechſt dem wird uns auch eine noͤthige erinnerung ſeyn / daß wir lernen die boͤſe tra - gen mit aller ſanfftmuth / nach dem exempel der goͤttlichen langmuth gegen dieſelbe. Daher wo ich jemand ſehe / oder um mich haben muͤßte / den ich al - lerdings mit boßheit und bittrer galle verknuͤpffet erkennte / ſo habe ich dan - noch nicht ſo wol auf ſolche boßheit / mich dadurch zu einem widerwillen undheff -424Das dritte Capitel. hefftigkeit bewegen zu laſſen / zu ſehen / als auf des HErrn heilige langmuth / der ſolche leute traͤget / und ihnen noch immerdar auch zu eigner beſſerung eine anlaß nach der andern zu verfuͤgen pfleget: Woraus alsdann ſo wol eine de - muͤthige unterwerffung unter goͤttliche regierung / der uns zu ſolchen leuten fuͤhre / als erbarmende liebe gegen diejenige / die man ſonſten des haſſes werth achten ſolte / entſtehen wird / daß man mitleiden mit ihnen trage / und wo man noch etwas an ihnen zu beſſern hoffen mag / nicht muͤde werde / oder wo man ſorgen muß / damit nur mehr boͤſes zu machen / auffs wenigſte mit gutem exem - pel und fuͤrbitte ſeine liebe fortſetze. Wie wir nun gegen die offenbarlich boͤſe uns alſo zu verhalten haben / ſo ligt uns ſo wol auch ob / da wir an einem unſerm nechſten dergleichen boßheit meinen anzutreffen / in dem urtheil ſich nicht zu uͤbereilen / da uns ohne das das richten verboten iſt / und uns auf eine verſchlagene art unſer fleiſch darinn leicht betriegen kan / daß wir unſers un - rechts / das wir dem nechſten anthun / nicht gewahr werden. Daher ich offt lieber meinen augen kaum glauben / als was ich an dem nechſten ſehe / zu einem haͤrtern urtheil / ſonderlich in ſachen / die das innere betreffen / mich bewegen laſſen wolte. Der HErr gebe uns in allen ſolchen dingen die noͤthige weiß - heit und verſtand / daß wir in allen ſolchen begebenheiten erkennen / was ſein wille an uns iſt / weder andern ein anſtoß zu werden / noch auch von andern einen anſtoß zu nehmen. 1681.

SECTIO XII. Uber das verlangen eines Politici die welt - ge - ſchaͤffte mit ruhigerem leben zu verwechſeln.

DAs anligen der ſtarcken verwicklung in weitlaͤufftige dieſer welt ge - ſchaͤffte / und verlangen nach ruhigerem ſtande / welches E. Excellenz bezeuget / koͤnte leicht ohne das mir einbilden / aus demjenigen / wie ich alle diejenige geſinnet zu ſeyn weiß / welche / worinnen unſer wahres wohl be - ſtehe / mit andern als gemeinen augen einzuſehen angefangen haben / und ſich von bloſſem ſchein nicht bethoͤren laſſen: So entſinne mich auch wol / daß be - reits mehrmal ſolche klagen gefuͤhret worden. Ob ich nun ſchon allen / denen ich billich gutes goͤnne / hertzlich wuͤnſchen moͤchte / wo nichts anders im weg ſtuͤnde / immer in dem ſtande zu ſeyn / wie ihrer ſeelen eigen beſtes und ruhe er - fordert / ſo erkenne ich doch auch dabey die nicht nur weiſe / ſondern auch guͤtige regierung des groſſen GOttes / welcher diejenige / denen er vor andern ein mehrer pfund anvertrauet hat / gemeiniglich nicht laͤſſet ihnen ſelbs viel leben / ſondern in diejenige geſchaͤffte meiſtens ziehet / welche ein ſolches maaß erfor - dern / und ſie daher auch zu erkennen haben / daß eben um derſelben willen ſiejenes425ARTIC. IV. SECTIO XII. jenes empfangen / und deswegen billich auch ſolches zu dem rechten zweck an - zuwenden / ſo zu reden mit demjenigen / worinnen ihnen vor ſich beſſer ſeyn moͤ - gen / zuruͤck zu ſtehen willig ſeyn ſollen: Weil je immerdar dasjenige / ſo vielen fruchtet / dem eignen und privato, ſolte es auch in das geiſtliche einlauffen / vorgezogen zu werden wuͤrdig iſt. Daher ich die gute zuverſicht habe / E. Excellenz werde noch ferner mit der gnaͤdigſten diſpoſition GOttes uͤber ſich zu frieden ſeyn / ſich von derſelben leiten laſſen / wie ſie ſtets gelegenheit dem publico zu dienen an die hand gibet / dieſes wozu ſie von dem / welchem ja aller unſer dienſt gewidmet iſt / ſelbs jedesmal ohne einige wahl gefuͤhret wer - den / den ihm gefaͤlligſten und dahero auch dem einigen heil nicht nachtheiligen dienſt zu ſeyn ſich verſichert halten / (denn wie kan ich beſſer dienen / als nach dem willen deſſen / dem ich dienen ſolle?) ſich uͤber ermangelung der ſonſt ange - nehmen ruhe nicht mit einiger weitern ſorge mehr zu verunruhigen; Jndeſſen unter allem euſſerlichen ſtrepitu, ſo viel die geſchaͤffte zugeben (wie ſie dann allezeit etwas zur nothdurfft zugeben werden) der ſeele zu ihrer ſtaͤrckung ihre nothdurfft wiederfahren laſſen / und in gelaſſenheit unter GOttes willen von demſelben ſelbs erwarten / ob und wenn er ſie aus der unruhe ausfuͤhren und mehrere freyheit / demjenigen / wornach ſich das gemuͤth itzo ſehnet / einig ab - zuwarten / beſcheren werde. Welches gewiß zu rechter ſtunde geſchehen wird / die hoffnung deſſelben aber bereits zuweilen die verdruͤßligkeit der arbeit verſuͤſſen mag. Nun der HErr fuͤhre ſie auch hierinnen nach ſeinem rath / ſo wird ſichs niemand gereuen laſſen ſollen. 1687.

SECTIO XIII. Befahr unſrer zeiten. Regeln eines chriſtlichen kauffmanns: abſonderlich wegen zoll und acciſe.

GOTT erbarme ſich ſeiner kirchen und verwahre ſie ſo wol euſſerlich vor der feinde gewalt / die mit fleiß ihren untergang ſuchen / als reinige ſie vornemlich innerlich von aller in deroſelben befindlichen mehr und mehr zunehmenden verderbnuͤß. Ach mein Geliebter / weil wir ja die ſache nicht aͤndern koͤnnen / ſo laſſet uns die betruͤbnuͤß / welche wir uͤber ſolches an - ſehen der aͤrgernuͤſſen ſchoͤpffen / zu ſo viel eiffrigerm gebet bewegen / daß wir dem HErrn ſeine ſache empfehlen / und uns der verheiſſung unſers Heylands getroͤſten. Luc. 18 / 7. Solte GOTT nicht retten ſeine auserwehlten / die zu ihm tag und nacht ruffen / und ſolte gedult daruͤber haben? Jch ſage euch / er wird ſie erretten in einer kuͤrtze. Diß iſt ein wort des HErrn / und muß alſo wahr bleiben / ob uns wol ſolches nach GOttes uhr kur - tze / nach der unſerigen rechnung ein ſehr langes deuchtet. Nechſt dem laſſetH h huns426Das dritte Capitel. uns ſo viel fleißiger auf uns acht geben / und uͤber unſere ſeelen wachen / daß wir uns nicht von dem welt-ſtrom mit hinreiſſen laſſen / der ſuͤnden und ſtraf - fen derſelben mit theilhafftig zu werden. Das anligen wegen der kauff - mannſchafft belangend / iſts ja freylich einer ſorgfalt hochnoͤthig. Es iſt der kauffmann-ſtand (obwol alle ſtaͤnde insgeſamt ihre beſchwehrden und ge - fahr haben) einer von denjenigen / welche groſſe gefahr der ſeelen in ſich haben / weil ſo gar leichte iſt / ſich darinnen zu verſuͤndigen. Und haben alſo chriſtliche kauffleute zwahr deßwegen ihren beruff nicht zu verlaſſen / ſondern an die wort Pauli zu gedencken / biſtu ein knecht (dieſe liebe leute waren damal vor die uͤbung ihres Chriſtenthums in einem ſehr gefaͤhrlichen zuſtande / und mit vieler gefahr und hindernuͤß umgeben) beruffen / ſorge dir nicht / doch kan - ſtu frey werden / ſo brauche des viel lieber: Aber gleichwol auf ihr gewiſ - ſen genau acht zu geben. Die regeln moͤchten vornemlich dieſe zwey ſeyn aus Syrach 27 / 1. 4. Erſtlich / daß er nicht begehre reich zu werden / welche 1. Tim. 6 / 9. von S. Paulo wiederholet wird: Nachmal / daß er ſich die forcht GOttes regieren laſſe. Die erſte gehet auf den zweck ſeines lebens / die an - dere auf die mittel. Solle alſo nicht bey einem chriſtlichen kauffmann ſein eigenlicher zweck ſeyn / daß er reich werden wolle: Dann ſtehet dieſes erſtlich feſt / daß der menſch will nothwendig reich ſeyn / ſo iſts verlohren / und kan dieſe begierde nimmermehr in den ſchrancken behalten werden / daß er ſolchen ſeinen zweck nur allein auf GOtt-gefaͤllige art ſuchte zu erhalten. Sondern es ſol - le eines kauffmanns haupt-abſicht allemal ſeyn in ſeinem allgemeinen Chri - ſten-ſtand zum fordriſten ſeinem GOTT zu dienen / deſſen reich und gerech - tigkeit zu ſuchen / nachmal aber was ſeinen abſonderlichen ſtand und beruff anlangt / denſelben alſo zu fuͤhren / daß er in demſelben GOTT / der ihn dazu beruffen habe / mit gehorſam diene / ſeinem nechſten in dem leiblichen nutzen ſchaffe / indem man der kauffmannſchafft in dem gemeinen leben bedarff / und dieſes ohne jene ſehr ſchwehrlich ohne vieles ungemach ſtehen kan; ſo dann ſei - ne nothdurfft vor ſich und die ſeinige davon genieſſe / alſo des mittels / dadurch ihm GOTT nach ſeiner ordnung ſein noͤthiges ſtuͤck brodt beſcheren wolle. Wo dieſes die rechte abſicht iſt / ſo iſts bey einem kauffmann halb gewonnen / und wird er alsdann nicht leicht ſein gewiſſen verletzen / ſondern ſeine ver - gnuͤglichkeit wird ein ſtarcker zaum ſeyn / welcher ihn zuruͤck haͤlt. Damit iſts ſo viel leichter auch die andere regel in acht zu nehmen / die darinnen beſtehet / daß er in der forcht des HErrn bleibe / und alſo alle ſeine handlungen in an - ſchlaͤgen / reden / ſchreiben / kauffen / verkauffen u. ſ. f. mit dieſen gedancken fuͤh - re / daß er gedencke / er thue es vor GOTT / und derſelbe gebe auf alles acht / ſo muͤſſe er auch ihm vor alles ſolches rechenſchafft geben: Seye es demnachmit427ARTIC. IV. SECTIO XIII. mit dem zeitlichen nicht ſo bewandt / wie ihrer viel offt gedencken / und ſich ver - lauten laſſen / an dem zeitlichen lige nicht ſo viel / obs dieſer oder jener habe / ſeye daher keine ſache / da man ſich vor GOTT groſſer ſuͤnden zu ſorgen habe / wie man mit den guͤtern umgehe / ſondern da moͤge / was der welt-brauch autoriſirt hat / obs ſchon wider GOttes gebet und die liebe ſtreiten ſolte / wol paßirt werden. Dieſen gedancken / welche ſonſt ſo gemein ſind / widerſtehet nichts kraͤfftiger / als die furcht GOttes / und alſo iſt ſie diejenige / welche uns / wie in andern ſachen alſo auch in handlung / regiren und vor allem unrecht verwahren muß. Zu dieſen beyden regeln wolte ich die dritte ſetzen / ſo zwahr mit in der zweyten ſtecken mag / und freylich mit zu der forcht GOttes gehoͤ - ret / nemlich die liebe / und deroſelben von unſerem Heyland gefaßten aus - ſpruch / was wir wollen / daß uns die leute thun / das ſollen wir ihnen auch thun. Wo dieſe tieff in das hertz getruckt / und in allen handlungs - geſchaͤfften alles wol uͤberlegt wird / was wir / wo wir in des andern ſtelle waͤ - ren / verlangen wuͤrden / das uns geſchehen ſolte / ſo wird man ſich nicht leicht verſuͤndigen / ſondern unſer gewiſſen in den meiſten ſtuͤcken unſer eigener leh - rer und richter ſeyn / was uns zu thun oblige. Ohne dieſe allgemeine regeln weiß ich wenig andere denen handels-leuten zu geben. Jch weiß daß liebe freunde geſucht abſonderlich zu determiniren / was man vor eine regel des ge - winns wegen zu machen haͤtte / daß man darinnen nicht ſein gewiſſen verletze. Aber ich habe nachmal von chriſtlichen handels-leuten gehoͤret / und deuchtet mich / ſie haben mich uͤberzeugt / daß ſolche regeln zu machen unmoͤglich ſeye / oder man muͤſte die gantze handelſchafft ruiniren: Es laſſe ſich nicht eine allge - meine proportion, wie viel man auf eine wahr zu ſchlagen habe / ſetzen / indem der nachſtand der einen offt durch mehrern gewinn an der andern / ſoll anders die handlung beſtehen koͤnnen / erſetzet werden muͤſte. Ja es wuͤrde offt ge - ſchehen / daß ein und anderes / ſo man meinen ſolte / das der liebe gemaͤß waͤre / wo es recht erwogen wuͤrde / auf eine andere art der liebe viel gefaͤhrlicher ein - trag thaͤte. Daß daher davor gehalten habe / und noch in ſolcher meinung beſtehe / ob zwahr vielleicht einige der kauffmannſchafft beſſer verſtaͤndige Theologi, da ich hingegen nichts davon verſtehe / ſolten moͤgen etzliche nuͤtzli - che regeln und erinnerungen geben koͤnnen / wie dieſe und jene ſteine des an - ſtoſſens des gewiſſens in gewiſſen ſtuͤcken zu bemercken und zu vermeiden ſeyen / daß doch das wenigſte ſich ſo eigenlich beſchreiben laſſe / daß einer aus denſelben ſolte allemal ſo bald ſeines gewiſſens genugſame information ha - ben koͤnnen / ſondern ich wuͤßte keinen andern rath / als daß bey einem handels - mann endlich ein gutes Chriſtenthum insgemein gepflantzet / und alſo in ſein gemuͤth eine wahre ungefaͤrbte furcht GOttes und auffrichtige liebe des nechſten / ſo dann geringachtung des zeitlichen (welches lauter dinge ſind / ſoH h h 2jegli -428Das dritte Capitel. jeglichen Chriſten obligen / und von ihnen erfordert werden) eingetruckt wer - den muͤſſe: Sind dieſelbe wahrhafftig in dem hertzen / ſo traue ich gewiß / daß ein mann / der nachmal ſeiner handelſchafft kuͤndig iſt / in jeglichen faͤllen / die ſich begeben / leicht erkennen wird / was dißmal die forcht ſeines GOttes und liebe des nechſten von ihm erfordere: Und ſolches viel beſſer / als mit vorge - ſchriebenen regeln geſchehen koͤnte. Alſo bedarff es zu einem chriſtlichen kauffmann nicht vielmehr / als daß er erſtlich ein wahrhaffter Chriſt ſeye / ſo wird ſich nachmal die applicirung ſeiner chriſtlichen regeln auf die handels - faͤlle leicht von ſelbſten ergeben / wo man ſonderlich welches hochnoͤthig iſt / GOTT um ſeinen H. Geiſt und deſſen regierung in erkaͤntnuͤß ſeines heili - gen willens hertzlich anruffet. Weil mich aber deucht / daß mein geliebter Herr ſonderlich ein bedencken und ſcrupel bekommen uͤber zoll und accis / wo die einnehmer ſolche nicht genau obſerviren / ob man nemlich / weil dieſe durch die finger ſehen / doͤrffte auch einigen vortheil gebrauchen / indem es ſcheinet / ob wolte die Obrigkeit ſelbs darinnen die ſache nicht ſo ſcharff gehalten ha - ben / wie etwa die worte der edicten mit ſich bringen: So habe gleichwol auch hierinnen meine meinung dahin zu erklaͤhren / daß aller ſolcher vortheil / ver - ſchweigung und dergleichen nicht ohne ſuͤnde geſchehen koͤnte / ſondern iſt eine untreu gegen die Obrigkeit / welche uͤber dieſes euſſerliche zu diſponiren hat / dero diſpoſition aber uns wahrhafftig verbindet: So gar wo auch die auffla - gen ſolten zu hart und unbillich ſeyn / verſuͤndigt ſich zwahr die Obrigkeit / und muß ihrer ſuͤnde wegen / da ſie die unterthanen ausſauget / vor GOTT ſchwehre rechnung geben / aber die unterthanen ſind gebunden / und wo ſie die Obrigkeit betriegen / werden ſie ihre ſchuld tragen / als die ihre pflicht nicht ab - ftatten / mit ihrem exempel andere aͤrgern / damit / wo es gemeiner wird / zu mehrer ſchaͤrffe die Obrigkeit reitzen / auch die einnehmer mit ſich in ſuͤnde fuͤh - ren: Daher alle dieſe ſuͤnde / ohne die uͤbrige ungnade GOttes / auch in dem zeitlichen manchen fluch uͤber eine handlung ziehen / und den vortheil zehenfach wieder wegnehmen kan. Der HErr erfuͤlle uns alle mit ſeiner forcht und liebe / ſo wirds wol ſeyn. 1682.

SECTIO XIV. Antwort auff einige ſcrupul betreffend die kauffmannſchafft.

BEdancke mich foͤrdeꝛſt des freundlichen vertrauens / uñ wuͤnſche heꝛtzlich / daß GOtt meine gedancken und feder alſo regieren wolle / daß ſolches / was jetzo ſchreibe / des unbekanten guten freundes gewiſſen beruhigen moͤge. Jch bin mir ſonſten meiner wenigkeit und ſchwachheit wol bewuſt / je -doch429ARTIC. IV. SECTIO XIV. doch ſegnet der HErr auch der einfaͤltigenworte / ſo ſie zu ihres nechſten er - bauung aus hertzlicher liebe in ſeiner furcht thun. Die angelegenheit aber ſelbs belangend / iſt mir erſtlich dieſes ein liebes und gewiſſes zeugnuͤß einer auffrichtigen ſeele und rechtſchaffener meinung bey dieſem lieben freund / daß er in ſich ſelbs gehet / auff ſein thun und laſſen / auch die beſchaffenheit ſeines hertzens / dabey fleißig acht gibet / da leider die wenigſte nur dahin gebracht werden koͤnnen / auff ſich ſelbs zu achten / und wie ihrer ſeele bey jeglicher ver - richtung zu muth ſeye / vorzunehmen / am wenigſten aber zu zweiflen / ob et - was auch vor GOtt guͤltig ſeye / was in der welt gaͤng und gebe iſt. So gar daß die welt und in derſelben auch ſo viele / welche doch den nahmen guter Chriſten tragen wollen / wo ſie von dergleichen ſcrupuln hoͤreten / einen ſolchen freund vor einen ſimpel oder thoren halten wuͤrden. Und gleichwol iſt ſolche allgemeine unachtſamkeit recht der grund alles verderbens und ein unfehlbar zeugnuͤß unſeres ſo ſchrecklichen verfalles. Mir iſt lieb / daß ich ſehe / daß der liebe freund / was die kauffmannſchafft ſelbs anlanget / keinen ſcrupul hat / ſondern ſie vor eine lebens-art erkennet / wie ſie auch iſt / damit dem menſchli - chen geſchlecht vieles genutzet / und alſo nach GOttes willen die liebe geuͤbet werde. Jch ſehe aber ſeine ſcrupul vornemlich uͤber zweyerley dinge. 1. wegen der allzuvielen geſchaͤfften und ſorgen / ſo dem gemuͤth niemal die rechte ruhe / ſo es in GOtt haben ſolte / vergoͤnnten. 2. wegen der waaren / mit denen er umzugehen habe / ſo aber mehr zur ſuͤnde als GOttes ehre ge - brauchet wuͤrden. Was den erſten ſcrupul anlangt / iſt ſolcher erheblich. Jn - dem ja freylich / ſo wenig als unſer leib ſeiner leiblichen ſpeiſe und ruhe entra - then kan / ſondern uns zeit muß gegoͤnnet werden / deſſelben nach nothdurfft zu pflegen / ſo wenig koͤnnen wir unſre ſeele verſorgen / daß nicht auch ſie ihre nah - rung in GOtt und ſeinem wort ſuche / wozu aber einige freyheit des gemuͤths noͤthig iſt. Wer alſo findet / daß er mit ſo viel geſchaͤfften beladen / welche ſtaͤ - tig das gemuͤth mit ſorgen erfuͤllen / dem will ich rathen / daß er nicht nur zum fordriſten den lieben ſonntag einig und allein dahin anwende / daß er von ſei - nem thun laſſe ab / damit GOtt ſein werck in ihm hab; wie wir dann den ſab - bath als eine goͤttliche wolthat anzuſehen haben / daß da wir ſonſten zur ſtraff unſeres falles zu der arbeit / die auch eine beaͤngſtigung und verunruhigung des gemuͤths / ſo wol als bemuͤhung des leibes iſt / verdammet ſind / der guͤtig - ſte Vater einen tag aus der woche ausgenommen / da wir von ſolchem urtheil frey ſeyn / das iſt / das recht haben ſolten / daß wir nicht eben arbeiten / ſondern unſerer ſeele die ruhe in ihm goͤnnen ſolten: worbey wir ſtattlichen geiſtlichen ſegen zu hoffen haben. Sondern daß er auch ſuche ſich mit gewalt des tages einige zeit von ſeinen uͤbrigen ſorgen abzureiſſen / und an ſeine ſeele zu geden - cken. Worzu ſonderlich dienlich / wo man etwan morgens eine halbe ſ[t]undeH h h 3ſeiner430Das dritte Capitel. ſeiner ſonſt gewoͤhnlichen ruhe abbricht / und ſolche zeit / die man damit gewin - net / und da das gemuͤth noch nicht in die ſorgen vertieffet iſt / ſeinem GOtt hei - liget: Jm uͤbrigen die andere hindernuͤſſen / ſo uns abhalten / daß wir nicht mehr unſere ſeelen zur ruhe bringen koͤnnen / alſo anſihet / als an denen wir nicht wegen des nutzens / ſo wir davon haben / groß gefallen tragen / ſondern jhrer / wo es GOttes wille waͤre / lieber frey ſeyn wolten / aber nachdem wir mit der uͤbrigen creatur auch in dieſem ſtuͤck in gewiſſer maaß der eitelkeit un - terworffen ſind / wider unſern willen / GOtt in ſolchem ſtande gedultig ſtill halten / und ſeinem rath uns gehorſam untergeben / allein trachtende / wie wir ihm treulich dienen moͤchten in dem ſtand und auff die art / wie es dißmal ge - ſchehen kan. Gewißlich wer in ſolchem recht auff ſich acht geben / und den goͤtt - lichen rath uͤber ſich wahrnehmen wird / der wird erfahren / daß das jenige / ſo gantz unſerm geiſtlichen wachsthum ſolte ſcheinen entgegen zu ſeyn / zu demſel - ben in ertoͤdtung des eigenen willens dienſam ſeyn mag. Solte aber der lie - be freund finden / daß die geſchaͤfften das gemuͤth wegen dero menge allzu - ſehr einnehmen / daß einige ruhe nicht zu erlangen / ſo wolte rathen / daß er ei - nen guten freund zu ſich ziehe / oder einen diener weiter annehme / mit deme er ein ſtuͤck ſeiner laſt theilen / und einige ruhe ſeiner ſeelen gewinnen moͤchte: da der unkoſten / ſo auff ſolche anſtalten gehet / ſich mit dem geiſtlichen vortheil gnugſam erſetzen wird. So weiß ich auch einige gute leut / ſo ſich bey ſolchem mittel ſehr wol befunden. Was aber anlangt den andern ſcrupul / iſt derſel - be nicht weniger erheblich / und faſt ſchwehr zu beantworten. Jch verſtehe die art der handlung nicht / ſonſten wo es practicabel waͤre / weil der gute freund einen anſtoß in ſeinem gewiſſen hat / wolte ich rathen / ob er etwa ſeine commiſſiones reſtringiren koͤnte / daß ſie allein in waaren beſtuͤnden / die er oh - ne deſſen verletzung und unruhe behandelte. Moͤchte zwahr et was eine ſchwaͤ - chung der handlung nach ſich ziehen / aber vielleicht alſo / daß man noch dabey beſtehen koͤnte. Als wie gemeldt / ob ſolches muͤglich oder nicht muͤglich / ver - ſtehe ich nicht. Jm uͤbrigen iſts freylich ſchwehr / mit dergleichen waaren um - zugehen / deren aller gebrauch im mißbrauch beſtehet. Daher ich gern geſte - he / daß wuͤrffel und karten / deren ich nicht wol einigen rechten gebrauch ſehe / nicht gern verhandlen wolte. Was aber lampen / rauchfaͤſſer / und weihe - keſſel anlangt / ſo iſts zwahr an dem / daß dieſelbe zu einem ſolchen dienſt in dem Papſtum gebraucht werden / bey deme viel abgoͤttiſches vorgehet / aber ſolche ſtuͤcke meine ich doch nicht / daß ſie ſelbs ein ſtuͤck der abgoͤtterey ſind / als die theils auch in der noch zimlich reinen alten kirchen gebraucht worden / obwol ohne die jetzige dabey befindliche aberglauben. Daher ich hoffe / daß ein frommes hertz / ſo im jetzigen verwirreten ſtand ſeinen dienſt muß darley - hen / zu der herbeyſchaffung desjenigen / was die andere nachmal mit aber -glau -431ARTIC. IV. SECTIO XIV. glauben beflecken werden / jedoch an ſich ſelbs nichts unrechtes iſt / ſondern zu einigen indifferenten zierathen des gottesdienſts gehoͤret / deſſen vor GOtt nicht ſchuld tragen werde / ſo wenig als dem Naaman ſolte ſchaͤdlich ſeyn / daß er ſeinem Herren ſeinen dienſt leiſten muͤſſe / wo er in das abgoͤttiſche hauß Rimmon ginge. Ein anders wuͤrde es ſeyn / mit eigenlichen goͤtzen-bildern / ſo ſelbs verehret und angebetet werden / wo ich nicht ſehe / daß ein ſeinen Gott hertzlich foͤrchtender Chriſt damit einige gemeinſchafft haben moͤchte. Was die groſſe trinck-glaͤſer anlangt / iſts freylich leyder auch alſo / daß ich wenig nu - tzen davon ſehe / indem ſie / wo ſie noch am beſten gebraucht werden / ein ſtuͤck des weltlichen pomps und prachtes ſind / meiſtens aber der voͤllerey. Wann aber jenes erſte noch ein ſtuͤck von dem reich dieſer welt iſt / welches GOtt an - noch ſtehen laͤſſet / ſo wol als etwa andere zierathen / geſchmuck und derglei - chen / ſo thun wir zwahr unſern dienſt dabey ſo fern mit betruͤbnuͤß / da wir lieber mit dingen / ſo zu der ehre GOttes und des nechſten nutzen mehreres fruchteten / umgingen / indeſſen uns damit nicht beflecken / was andere erſt mit ihrem mißbrauch beflecken. Wir ſehen ja / wie auch in andern ſtuͤcken derglei - chen geſchehe: Es bauet der bauer ſein korn / weitzen / wein und dergleichen / er ziehet ſein viehe / gefluͤgel u. ſ. f. verſuͤndigt ſich nicht / ob ers wol verkaufft den jenigen / die er weiß / daß ſie es mehr zu voͤllerey / zu uͤberfluß und anderen ſuͤn - den mißbrauchen / davon dannoch ſeine haͤnde frey bleiben. Daher wo man in der furcht GOttes der ſache nachdencket / hoffe ich / ein chriſtliches gemuͤth ſolle dabey ſich beruhigen koͤnnen / daß ob einer wol lieber mit nuͤtzlichern ſa - chen begehrte umzugehen / er ſich benoͤthiget ſihet / ſeinen dienſt zum theil an ſolche dinge anzuwenden / die ihm ſelbs wegen des mißbrauchs ein e - ckel ſind / biß ihm GOtt ſelbs etwa mittel und wege zeige / wie er etwas nuͤtz - lichers zu thun bekommen moͤchte. Maſſen ich beynebens davor achte / wo GOtt gelegenheit wieſe / ſeine handlung auff etwas nuͤtzlichers zu wenden / man ſolches zu thun verbunden waͤre. Jndeſſen hat der gute freund wol acht auf ſich zu geben / ob und wie er mit angedeutetem ſein gewiſſen beruhige / auff daß er nichts wider das vor wahr haltende zeugnuͤß ſeines gewiſſens thue. Jndeme wo etwas auch ſonſten nicht unrecht waͤre / geſchihet aber wider das gewiſſen / ſo iſts ſuͤnde / als das nicht aus dem glauben gehet nach Pauli lehr. Rom. 14 / 23. Was die erwehlung einer andern lebens-art anlangt / ſehe ich dazu keinen rath oder vorſchlag: muͤſte auch ſorgen / daß wir damit GOtt dem HErren / ohne deſſen regierung wir nicht in einen gewiſſen ſtand kommen / aus ſeiner ordnung ſchritten / und indem wir vor ſuͤnde uns huͤten wolten / eine ſchwehrere begingen / oder in derogefahr uns ſtuͤrtzeten. Daher achtete ich diß vor das beſte / dieſer liebe freund uͤbe ſich foͤrderſt in ſeinem all - gemeinen Chriſten-ſtand und beruff alſo / daß er nach Chriſti befehl ſich lerneſelbs432Das dritte Capitel. ſelbs verleugnen / in nichts auff ſeine ehre / nutzen oder erfuͤllung des fleiſches - luſt zu ſehen / ſondern ſein hertz von der liebe der welt und des irrdiſchen aus - zulaͤhren / hingegen mit liebe des goͤttlichen / mit ſanfftmuth / demuth / gedult / nuͤchterkeit anzufuͤllen / und ſolche tugenden bey aller gelegenheit zu uͤben / ſon - derlich ſich aller muͤglicher liebes-thaten gegen den nechſten zu befleiſſen. Da - bey bete er hertzlich / und in dem geiſt / daß ihn GOtt leite und fuͤhre nach ſei - nem wohlgefallen. Jn ſeinem beruff handele er auffrichtig und fleißig / und ſehe ihn doch nicht an / als dasjenige / in deſſen gewinn oder anders / womit er in der welt ein anſehen hat / er ſich verliebte / ſondern als einen gehorſam ge - gen GOTT / ſo ihn darein geſetzet / eine uͤbung der liebe gegen den nechſten / und eine dienſtbarkeit / in dero er ſein ſtuͤck brodt gewinnen muß. Wird er auff dieſe weiſe ſein hertz reinigen / und recht vor GOtt ſtellen / ſo wird ihm deſſen guͤte gewißlich entweder zeigen / wie er ſein hertz auch hierinnen beſſer beruhige / oder einen weg weiſen / auff dem er hinkuͤnfftig mit mehrer freude ihm diene. Wie ich auch denſelben darum hertzlich anruffe / er wolle ihm und uns allen mehr und mehr in allen ſtuͤcken zu erkennen geben / was er von uns gethan haben wolle / und ihm gefaͤllig ſeye. Bitte dieſe meine einfaͤltige mei - nung ſolchem chriſtl. freunde ſamt dieſem hertzlichen wunſch zu hinterbringen und anzudeuten / daß mirs eine hertzliche freude ſeyn wuͤrde / wo ich in gegen - wart dermaleins demſelben annehmlichkeit erzeigen ſolte koͤnnen.

SECTIO XV. Von dem vorhaben die kauffmannſchafft zu verlaſſen.

JCh komme ſo bald auff die ſache ſelbs / da ich dem himmliſchen Vater zum allerfoͤrderſten demuͤthigſten danck ſage / welcher den guten trieb / ſo er in deſſelben ſeele zu verleugnung des welt-weſens und hingegen fuͤh - rung eines recht gottſeligen lebens einmal erwecket / biß daher beſtaͤndig er - halten und vermehret hat / den auch hertzlich anruffe / daß er das angefange - ne werck vollfuͤhren wolle auff den tag JESU CHRJSTJ. Den vorſchlag die handlung gantz zu verlaſſen anlangend / ſo 1. verſichere mich gern aus erkaͤntnuͤß ſeines chriſtlichen gemuͤths / daß ſolches vorhaben aus keinen an - dern fleiſchlichen urſachen / ſondern aus zartigkeit des gewiſſens herkomme / und es ihm mit ernſt angelegen ſeye / ſeinem GOtt alſo zu dienen / wie es ihm am gefaͤlligſten waͤre: da es nicht ohne iſt / daß die handlung vor vielen andern Profeſſionen gefaͤhrlich / und es ſchwehr iſt in derſelbigen ſich vor ſuͤnden zu be - wahren: alſo daß der liebe Sirach aus der wahrheit geſchrieben hat. c. 27. v. 28. u. f. Ein kauffmann kan ſich ſchwehrlich huͤten vor unrecht / undein433ARTIC. IV. SECTIO XV. ein kraͤmer vor ſuͤnden: uñ wie ein nagel in der maueꝛ zwiſchen zweyen ſteinen ſtecket / alſo ſtecket auch ſuͤnde zwiſchen kaͤuffer und verkaͤuffer. Daher wer zuerſt einen ſtand zu wehlen haͤtte / wohl mehrer bedencken bey der wahl ſich machen koͤnte. So iſt mir alſo der ſcrupel / welcher demſelben bey dieſer ſache vorkommet ein gutes zeichen und zeugnuͤß / daß der Herr auch willig ſeye / etwas ſeiner ſonſt in der welt hoffenden fortun gern hindan zu ſe - tzen / ehe er ſeine ſeele in gefahr geben wolte. Daher ich auch nicht zweiffle / daß dieſer vorſatz / ob er wol aus wichtigen bedencken nicht zu werck gerichtet werden mag / weil er dannoch aus gutem hertzen und ſorgfalt / in weniger ge - fahr der ſuͤnden GOtt ſo viel williger und unanſtoͤßiger zu dienen / hergekom - men / dem himmliſchen Vater nicht werde mißfaͤllig ſeyn; Gleichwie 2. Sam. 7. GOtt ſich des Davids vorſatz / den er aus guter meinung / GOtt ein hauß zu bauen / gefaſſet hatte / nicht hat laſſen mißfallen / ob er ihm wol dabey ſa - gen lieſſe / daß er derjenige nicht ſeye / durch welchen er ſolches hauß bauen laſſen wolte / hingegen ihm andere herrlichere verheiſſungen gab. Alſo ver - ſehe mich zu ſeiner guͤte / ob wol der Herr nunmehr urſachen / dergleichen vor - ſatz nicht werckſtellig zu machen / finden / und vielmehr den goͤttlichen finger / bey ſeiner einmaligen profeſſion ſtehen zu bleiben / wahrnehmen moͤchte / daß ſie dannoch auch jene gute meinung vergelten / und da er bey der kauffmann - ſchafft aus gehorſam gegen ſeine ordnung bleiben mag / in deroſelben ohne anſtoß zu leben / deſto kraͤfftigere gnade ertheilen werde.

2. Bin ich auch nicht eben in der meinung / als wann in keinem fall er - laubt waͤre / ſeine profeſſion zu aͤndern / oder zu einer andern zu ſchreiten: ſon - dern es kan ſolches geſchehen / nicht allein wo man in einer lebens-art geſtan - den / die gantz keinen goͤttlichen grund hat / als da ſind gauckler / ſeiltaͤntzer / comoͤdianten und dergleichen / wo man von ſolchem fuͤrwitz tꝛeiben. 2. Theſſ. 2 / 11. nothwendig ſich zu einer redlichen arbeit wenden muß / ſondern auch wo man aus noth eine lebens-art zu verlaſſen getrungen / oder durch einen kantlichen winck zu einem andern beruff ſich zu begeben eingeladen wird: und insgeſamt da man von ſolcher aͤnderung kein aͤrgernuͤß zu ſorgen hat oder vorſihet.

3. Hingegen bekenne / daß ich dieſe aͤnderung zu bewerckſtelligen weder nothwendig halte / noch rathen koͤnte. Deſſen ich die folgende gruͤnde habe / welche ich in der furcht des HErrn zu erwegen bitte. 1. Es iſt die handlung zwahr ein gefaͤhrlicher / aber dennoch nicht an ſich ſelbs GOtt mißfaͤlliger / noch von der ſuͤnde unabſonderlicher ſtand: So bedarff das menſchliche le - ben allerdings der handlung / daß ſie daher eine goͤttliche ordnung / ſo wohl als alle uͤbrige zu des menſchlichen geſchlechts beſtem abziehlende lebens-ar -J i iten /434Das dritte Capitel. ten / zu erkennen iſt. Daher liget auch daran / daß dann ebenfals dieſe pro - feſſion nicht gleichſam an lauter ſolche leute uͤberlaſſen werde / welche des ge - wiſſens nicht achten / ſondern es muͤſſen auch ſolche leute in derſelben leben / die in wahrem gehorſam gegen GOtt und in auffrichtiger liebe des nechſten dieſelbe fuͤhren. Wuͤrde es alſo nicht ohne ſchaden geſchehen / wo dieſer ſtand von allen / bey denen noch die gottſeligkeit iſt / verlaſſen / und hingegen ande - rer boßheit und geitz deſto mehr platz gegeben wuͤrde.

Ob es denn wohl ſchwehr iſt in ſolchem ſtand ſich der ſuͤnden zu enthal - ten / iſt es doch nicht unmuͤglich / und zeiget Sirach an gedachtem ort das dop - pelte mittel: wenn er ſpricht v. 1. um geldes willen thun viele unrecht / und die reich werden wollen / wenden die augen ab. So dann v. 4. Haͤlt er ſich nicht mit fleiß in der furcht des HErren / ſo wird ſein hauß bald zerſtoͤhret werden. Da ſehen wir 1. das allgemeine mittel iſt die furcht des HErren: Es muß nemlich ein kauffmann / wo er ſeine handlung GOtt gefaͤllig fuͤhren ſolle / zum allererſten ein guter Chriſt ſeyn / GOtt hertzlich fuͤrchten / und alſo / was er ſo wol in ſeiner handlung als uͤbrigem leben vor - nimmt / trachten nach der regel deſſen gebote einzurichten / und ſich ſtets vor - ſtellen / wie er von ſeiner handlung und allem dem geringſten / was er in der - ſelben vornimmt / GOtt dem HErrn eine genaue rechnung werde thun muͤſ - ſen. Dieſe furcht des HErrn wird ihn verwahren / daß er nicht nur keine offenbahre grobe laſter in ſeiner handlung begehe / ſondern ſich auch von an - derer welt-hertzen boͤſem exempel nicht verfuͤhren laſſe zu dergleichen griffen und practiquen, welche wider die gerechtigkeit und liebe ſtreiten / ob ſie wohl in der welt als ſtuͤcke der noͤthigen handlungs-klugheit insgemein paßiret werden / alſo daß nichts als die furcht GOttes einen davon abhalten kan. Weil aber die begierde reich zu werden nicht allein auch ſonſten der gefaͤhr - lichſte fallſtrick iſt / welcher ſo viele menſchen in das verderben hinreiſſet. 1. Timoth. 6 / 9. ſondern vornemlich die groͤſſeſte gefahr derſelben ſich bey der handelſchafft findet / alſo daß einige vor das groͤſſeſte abſurdum halten wer - den / wo man nur ſagen will / daß eines kauffmanns eigenliche abſicht nicht ſolle ſeyn reich zu werden / ſo wird von Sirach 2. auch das abſonderliche mit - tel gezeiget / daß nemlich ein kauffmann / die begierde reich zu werden ablegen muͤſſe. Alſo muß es freylich ſeyn / wer ein chriſtlicher handelsmann ſeyn und heiſſen will / der muß ſich zum zweck allein ſetzen / ſeinem himmliſchen Vater / der ihn durch ſeine fuͤrſorge zu ſolcher lebens-art beruffen habe / gehorſamlich darinnen zu dienen / das gemeine beſte und des nechſten wohlfahrt nach ver - moͤgen zu befordern / und ſeine nothdurfft davon aus dem ſegen GOttes zu erwarten: nicht aber groſſe ſchaͤtze fuͤr ſich und die ſeinige zu ſammlen / dennes435ARTIC. IV. SECTIO XV. es iſt ihm ſo wol / als andern Chriſten geſagt / 1. Tim. 6 / 8. wenn wir nah - rung und kleider haben / ſo laſſet uns begnuͤgen. Daher wird er allezeit diejenige billigkeit in acht nehmen / daß er diejenige / mit welchen er umzuge - hen hat / nicht uͤberſetze noch vervortheile 1. Theſſ. 4 / 6. hingegen allein mit den ſeinigen nothduͤrfftig leben moͤge. Wirfft ihm denn GOtt durch ſonder - bahres gluͤck mehreren ſegen zu / wird er auch denſelben zu GOttes ehren und wercken der liebe gern reichlicher anwenden / um auch an guten wercken reich zu werden. Wann alſo bey einem kauffmann dieſe beyde ſtuͤcke die furcht GOttes und verleugnung der liebe des reichthums / ſich finden / ſo wird ihm ſeine handlung nicht zur ſuͤnde werden. Und gilt nicht ſagen / auff dieſe wei - ſe koͤnte kein kauffmann fortkommen / noch ſein ſtuͤck brodt haben: dann ich wolte das gegentheil nicht allein mit exempeln ſolcher handels-leute erwei - ſen koͤnnen / die ſich darneben ihr Chriſtenthum zu anderer gutem exempel ha - ben laſſen angelegen ſeyn / ſondern ich traue es alſo zu zeigen / daß niemand widerſprechen koͤnne. Die meiſte ſuͤnden der handels-leute beſtehen wohl in ungerechtigkeit / falſchheit / uͤberſetzung des preiſes und unrechten vortheilen / da ich nun nicht leugne / wer ſich dero befleiſſet / wo ers heimlich thut / da mans nicht gewahr wird / und da andere an ihn gebunden ſind / kan wol (es ſeye denn daß Gottes fluch auch da entgegen ſtehet) zu ſo groſſen mitteln baͤlder kom̃en / als diejenige ordenlicher weiſe nicht hoffen koͤnnen / die ſich aller ſolcher pra - ctiquen entſchlagen. Es iſt aber bereits von einem chriſtlichen kauffmann dieſes erfordert worden / daß er nicht ſolle begehren reich zu werden / ſondern allein ſeine nothdurfft zu erwerben. Da gedencke ein jeder / wenn in der handlung unchriſtliche leute durch ungerechtigkeit ſo viel gewinnen / da ſie doch manchmal unfleißig gnug ſind / daß ſie groſſen reichthum zuſammen bringen / und koͤſtlich ſich dabey halten / ob es begreiflich ſeye / daß ein ander / der die ſache auch recht verſtehet / und in dem beruff fleißig iſt / ſo dann ſich ge - wehnet hat / nicht ſtattlich ſich auffzufuͤhren / ſondern ſparſam haußzuhal - ten / mit ſeiner handlung nicht ſolte ſo viel erwerben / als er zur nothdurfft ha - ben muß / ſo vielmehr / da es ja nach dieſem weniger als jenem an goͤttlichem ſegen mangeln kan. Alſo ſehe man die handels-leute an / ſo von religion Meni - ſten oder auch Quacker ſind / bey dero handlung ſich alles in zimlichem grad findet / was das Chriſtenthum von einem gewiſſenhafften kauffmann erfor - dert / ob ihnen dasjenige / daß ſie ſich der ungerechtigkeit in der handlung nicht wollen nach anderer exempel theilhafftig machen / hinderlich daran ſeye / daß ſie nicht davon leben koͤnten / da gleichwol manchen unter ihnen ein groſſer ſe - gen zufleußt. Man bedencke auch / ob nicht / wo von einem handelsmann allgemach bekant wird / daß er gewiſſenhafft in allem verfahre / daß er keineJ i i 2waa -436Das dritte Capitel. waaren verfaͤlſche / uͤberſetze oder andere unzimliche vortheil gebrauche / ſol - ches ihm viel eher vor andern einen zugang zuwege bringen ſolte / als daß ihm ſein Chriſtenthum darinnen hinderlich waͤre. Denn die auch ſelbs nicht gern wollen Chriſten zu ſeyn reſolviren / haben es doch gemeiniglich mit rechten Chriſten am liebſten zu thun / als von denen ſie ſich keines ſchadens beſorgen doͤrffen. Wo aber moͤchte eingewendet werden / daß ein handelsmann / ſo ſeine eigene handlung fuͤhret / wohl moͤchte mit gutem gewiſſen ſolches thun / nachdem er alles ſelbs nach ſeinem gewiſſen einrichten kan. Aber ein handels - diener ſeye uͤbel dran / und werde ſein dienſt zur ſuͤnde mißbraucht / daher man mit gutem gewiſſen darinnen nicht ſtehen koͤnne. So achte ich aber auch die - ſes noch nicht gnugſam / daß man deswegen die lebens-art aͤndern muͤſte: nicht allein weil es nicht wol muͤglich ſolte ſcheinen zu ſeyn / daß ein gottſeli - ger kauff-diener unter den vielen handels-herren nicht ſolte endlich auch ei - nen gottſeligen / oder auffs wenigſte einen ſo fern moral frommen Herrn an - treffen / der das gewiſſen des dieners nicht beſchwehrte. Faͤnde ſich derglei - chen nicht unter den reichſten / ſo waͤre es etwa bey mittelmaͤßigen / waͤre es nicht in den groͤſſeſten handels-ſtaͤdten / ſo moͤchte es in den kleinern ſeyn. Da aber einem chriſtlichen diener gnug iſt / wo er nur ſo viel lernen und erfahren moͤge als ihm noͤthig iſt / biß ihm GOtt zu eigenem heerd die gelegenheit ge - be. Waͤre abeꝛ eineꝛ bey einem ungerechten Herꝛen / und koͤnte nicht anders un - terkommen / ſo iſts wohl ein betruͤbtes thun / aber doch auch muͤglich dem ge - wiſſen zu rathen / wo man wahrnimmet / daß nicht allezeit derjenige ſuͤndiget / deſſen dienſt ein anderer zur ſuͤnde mißbraucht. Daher darff kein bedienter auch auff ungerechter herrſchafft befehl etwas / das an ſich ſelbs und offen - bahr boͤſes iſt / thun. Zum exempel / er darff die waaren nicht verfaͤlſchen / mit maaß und gewicht keinen betrug brauchen / nicht luͤgen / falſch ſchwehren und dergleichen / denn da iſt allezeit das boͤſe ſein eigen werck / und macht er ſich deſſen theilhafftig. Hingegen kan er ſich wohl in dingen ſeines dienſtes gebrauchen laſſen / in denen er ſelbs nicht ſuͤndiget / wohl aber der / welcher es durch ihn thut. Er gibt etwa die waaren theurer als gerechtigkeit und billig - keit erforderte / wie ihm aber ſein Herr ſolchen tax vorſchreibet. Da geſchi - hets / daß dieſer ſich mit ſolcher uͤberſetzung verſuͤndiget / als der weiß / wie ers geben koͤnne / und dieſesmal nach der regel der gerechtigkeit und liebe ſolle / und doch dagegen thut: der diener aber verſuͤndiget ſich nicht / ob er auch ſchon den preiß des einkauffs und anders / davon ſonſten das maaß des preiſſes des verkauffs dependiret / weiß / wann er alsdenn nach ſeines Herren befehl alles verkauffet: Nachdem gleichwol muͤglich iſt / daß zuweilen urſachen ſeyn koͤnnen / die einem handels-mann etwas uͤber das ſonſten billige hoͤher an - zuſchlagen auch im gewiſſen erlaubt machen / die der diener nicht weiß / daherſich437ARTIC. IV. SECTIO XV. ſich insgeſamt des urtheils uͤber ſeinen herrn in ſolchen ſachen nothwendig enthalten muß. Alſo meine ich / ſind unzehlige dinge / da ſich ein diener ohne der ſchuld theilhafftig zu werden / zu einem werckzeug einer ſuͤnde ſeines herrn muß machen laſſen: Nur daß er ſich alles deſſen enthalte / wo in der ſache ſelbs die ſuͤnde ſtecket / und die nie als boͤſe ſeyn kan; denn in ſolchen kan er ſich mit des herrn befehl nicht entſchuldigen; wol aber in denen / die erſt aus gewiſſen umſtaͤnden und urſachen zur ſuͤnde werden. Man gedencke daran / wie es denen Chriſten gegangen / ſo in der erſten zeit bey heydniſchen herren knechte waren / welche die Apoſtel gleichwol ſtets zum gehorſam gegen ſie vermahne - ten / und ſie alſo verſicherten / daß ſie in ſolchem dienſt GOTT gefielen / ja ihm ſelbs darinne dienen koͤnten: Nun aber waren nicht allein die herren alle abgoͤttiſch / ſondern meiſtens geitzige / ehrgeitzige / wolluͤſtige leute / die ſich alſo ihrer knechte dienſtes werden zur ungerechtigkeit / hegung ihres geitzes und hochmuths / pracht / ſchwelgen / und andern dergleichen mißbrauchet haben. Wenn aber die knechte ſelbs ſich der abgoͤtterey / und anderer ſuͤnden vor ihre perſon enthielten / wurde ihnen der mißbrauch ihres dienſtes und arbeit von GOTT nicht zugerechnet. Jndem ſonſten unmuͤglich ein chriſtlicher knecht in eines heydniſchen herrn dienſt lang haͤtte ſtehen koͤnnen. Zwahr iſts wol an dem / daß ſolche bediente / welche ſich uͤber dergleichen / worinnen ſie denen herrſchafften zu ihrem geitz / pracht und wolluſt muͤſſen behuͤlfflich ſeyn / ein ge - wiſſen machen / eben dardurch / wo ſie es dannoch thun / ſuͤndigen. Sie haben a - ber ihnen billich dieſen ſcrupel benehmen zu laſſen / und ſich zu verſichern / daß Gott bey ihnen nicht anſehe / worzu die ungewißhaffte herrſchafften ſie mißbrauchen / ſondern was ſie ſelbs thun (ſo ich nochmal præſupponire / daß es nichtsan ſich ſelbs boͤſes ſeyn muͤſſe) und mit was vor einem hertzen ſie es thun. Jch kan zwahr hiebey auch leicht erachten / daß es einem frommen ge - muͤth ſehr wehe thue / wo es ſehen muß / daß ſeine muͤhe und arbeit anderer ſuͤnden dienen ſolle / und alſo ſo fern vergebens iſt / daher ich einem ſolchen auch nicht verdencke / wo er ſich auf gezihmliche art loßmachen / und in einen andern dienſt treten kan / daß er ſolches thut: Jſt aber dieſes nicht muͤglich / und er kan keine herrſchafft finden / da er auch mehrere wahre frucht ſeiner muͤhe ſehen oder hoffen koͤnte / (ſo mir faſt unmuͤglich ſcheinet) ſo traͤget er ſein leiden mit gedult / wie die creatur Rom. 8 / 20. die wider ihren willen der eitelkeit unterworffen iſt / und mit ſeuffzen ihren dienſt mißbrauchen laſſen muß / ſich aber nach der erloͤſung ſehnet / und iſt dabey verſichert / ſeine auch von andern zur ſuͤnde mißbrauchte arbeit mit einfaͤltigem hertzen und aus gehorſam ge - gen GOTT gethan / verliehre bey dieſem nicht allen lohn: Ja dieſe verleug - nung des eigenen / obwol auch ſonſten an ſich guten / willens / dero uͤbung in dergleichen dienſten ſtets waͤhret / koͤnne zu dem innern wachsthum vielesJ i i 3thun /438Das dritte Capitel. thun / ſonderlich aber werde GOTT ſelbs eine ſolche offt beaͤngſtigte ſeele zu rechter ſtund nach ihrer gedult-zeit in freyheit ſetzen. Alſo meine ich gruͤnd - lich gnug gezeiget zu haben / daß ſo wol handels-leute ſelbs / als ihre diener / ih - ren ſtand ohne verletzung ihres gewiſſens behalten und fuͤhren koͤnnen / obwol bey beyden viele vorſichtigkeit und wachſamkeit / ſich auf dem gefaͤhrlichen weg nicht zuſtoſſen / noͤthig iſt / ſo dann auch viele gedult erfordert wird: Alſo faͤl - let das haupt-fundament dahin / ſo zu der nothwendigen verlaſſung der hand - lung wollen geleget werden.

2. Hierzu ſetze billich / daß es zu dieſen zeiten nicht allein ſchwehr werde aus einer profeſſion zu einer andern uͤberzugehen / und gute gelegenheit zu finden: Wie ich bekenne / da auch der ſchluß zu aͤndern feſt bliebe / daß ich zu einer dergleichen verſorgung / wie etwa gehoffet und verlanget wuͤrde / keinen rath zu geben wuͤſte / nachdem alle biß auf die geringſte dienſte ſo bewandt ſind / daß immer deren / die darauf warten / ſich eine ſolche anzahl findet / daß die wenigſte darvon ihren zweck erreichen / und zwahr nicht allezeit die froͤmmeſte denen andern vorgezogen werden. Sondern wir ſehen die lebens-arten alle an / wie wir wollen / ſo iſt keine einige / die nicht eben ſo wol ihre beſchwehrden ha - be / und das gewiſſen dabey ſeine ſtricke ſehe / vor denen es ſich nicht eben alle - mal gnug vorzuſehen weiß. Alſo daß keine einige noch weniger anſtoͤſſe und gelegenheit zu ſuͤnden haben / als die bloß dahin in euſſerlichen hand-arbei - ten beſtehen / wiewol ſie doch auch nicht gar ohne gefahr ſind. Was ſonder - lich anlanget die dienſte / ſo kan nimmermehr die handlung mehr klippen ha - ben / daran man ſich ſtoſſen kan / als die meiſte dienſte; theils wann meiſtens die beſoldungen ſo bewandt / daß der auch vergnuͤglichſte davon nicht nach nothdurfft leben kan / die accidentia aber gemeiniglich die gefaͤhrlichſte ſtricke ſind; theils daß ſo offt geſchihet / daß ſolche leute anderer ungerechtigkeit werckzeuge werden muͤſſen / mit mehrerer beaͤngſtigung der gewiſſen als kein handels-diener bey einem auch geitzigen und ungerechten herrn. Da ſtecken eben ſo wol ſolche gute leute in der klemme / wenn ihnen befehl kommen / wor - nach ſie ſich achten muͤſſen / und hingegen das gewiſſen einige in der ſache vor - gehende ungerechtigkeit oder unbarmhertzigkeit zeiget / die man doch exequi - ren ſolle. Jn ſumma jeder ſihet wol die beſchwehrde und gefahr ſeines ſtan - des / als die er aus der erfahrung einſihet / es bleiben ihm aber die beſchwehr - den und laſten anderer ſtaͤnde groſſen theils verborgen: Und wuͤrden manche / wo ſie die andere auch eben alſo einſaͤhen / ſich gern bey den ihrigen gedulden / oder wieder lieber auffs neue nach denſelben greiffen. Das macht / das ver - derben iſt ſo allgemein worden / und hat alle lebens-arten durchgetrungen / daß eigen-liebe / ungerechtigkeit und insgeſamt was Johannes 1. Joh. 2 / 16. welt nennet / uͤberall / nur in einem ſtand groͤber und offenbarer / in dem an -dern439ARTIC. IV. SECTIO XV. dern ſubtiler und geheimer / aber nicht weniger gefaͤhrlich / herrſchen / und alſo keine art gantz frey von dem feind gelaſſen worden iſt / darinn er nicht etwas des verderbens mit eingeſaͤet haͤtte: So ſehe ich es menſchlicher weiſe unmuͤg - lich / ſolche ſtaͤnde voͤllig zu reinigen / biß der HErr ſelbs kommen / und mit ſei - ner allmaͤchtigen krafft / was uns unmuͤglich iſt / ausrichten wird; daher muß jeder allein trachten / ſeine perſon und wercke in jedem ſtand recht zu reinigen / und das uͤbrige GOTT befehlen. Es ſind aber diejenige noch am gluͤckſe - ligſten / die auſſer eigenlichen dienſten oder mit zu vielen ordnungen um - ſchraͤnckten profeſſionen leben / daß ſie auffs wenigſte vor ſich / was ſie thun / nach ihrem gewiſſen einrichten doͤrffen / vor denenjenigen / welcher aͤmter und dienſte ihnen offt ſolche regeln vorſchreiben / die ihnen in der ſeelen manche un - ruhe machen.

3. Jch erkenne auch dieſes vor ein wichtiges moment, ſo in dem vorha - ben einer aͤnderung wol in acht zu nehmen / daß dergleichen lebens-arten / dar - zu ein menſch in ſeiner jugend von eltern / oder die an eltern ſtatt ſind / ange - wieſen worden / oder auch zu dero man ſelbs einen trieb gehabt / auch dasjeni - ge / was darzu gehoͤret / durch goͤttliche gnade alſo erlernet hat / daß man dar - mit dem nechſten dienen kan / weil wir wiſſen / daß alle unſere dinge unter der goͤttlichen guͤtigen providenz und verordnung ſtehen / auch in gewiſſer maaß (wo nemlich ſonſt nichts wichtiges entgegen ſtehet) als goͤttliche beruffungen billich angeſehen werden; daher man aus denſelben ohne wichtigſte urſach oder noth nicht auszuſchreiten hat / und ſonſten aus dem goͤttlichen gehorſam zu gehen / das anſehen gewinnen wuͤrde. Wie ich nun weiß / daß derſelbe von den geliebten eltern / die auch auf ſeine faͤhigkeit und zuneigung geſehen haben werden / zu der handlung gethan worden / und er ſich in deroſelben / wie ich nicht zweiffele / eine ruͤhmliche und nuͤtzliche erfahrung wird bereits zu we - ge gebracht haben / nechſtdem auch ſehr anſtehe / ob den lieben eltern derglei - chen aͤnderung wuͤrde angenehm ſeyn / ſo traute ich / an deſſen ſtelle ſtehende / nicht dieſelbige vorzunehmen / als lange ſie GOTT nicht auf eine offenbarere art ſeinem rath gemaͤß zu ſeyn zeigen wuͤrde.

4. Hiezu kommet / daß leider die uͤbung der wahren gottſeligkeit unter dem nahmen des Pietiſmi zu einer ſonderbaren ſecte gemachet werden will / und denenjenigen / ſo ſich jener befleißigen / allerley unerfindliche irrthume / unter andern / daß ſie allerley ſtaͤnde und goͤttliche ordnungen verwuͤrffen / auffgedichtet werden. Weil nun der Herr / nachdem er durch die fuͤhrung Gottes ſich auch ſein Chriſtenthum vor einigen jahren ernſtlicher als vor de - me hat angelegen ſeyn laſſen / nicht weniger mag unter die Pietiſten gezehlet worden ſeyn / trage ich billich ſorge / da derſelbe ſeine erlernte handlung gantz angeben / und eine andere lebens-art ohne noth / mit beruffung auf das gewiſ -ſen /440Das dritte Capitel. ſen / erwehlen wolte / daß auch dieſes exempel mit einem zimlichen ſchein moͤch - te angefuͤhret werden / daß auch dieſes ein irrthum der Pietiſten waͤre / daß ſie die kauffmannſchafft verwuͤrffen / und meineten / man koͤnte nicht mit gutem gewiſſen in ſolchem ſtande leben: So auffs neue wiederum einen lermen ma - chen / mehreren haß gegen unſchuldige erwecken / dem laͤſterer aber gelegenheit zu neuen fabeln geben wuͤrde. Nun weiß ich zwahr wol / daß wir mit auch dem vorſichtigſten wandel es nicht gnug werden hindern koͤnnen / daß nicht der luͤgen-geiſt immer etwas neues auf die bahn bringe / aber ich meine doch / wir ſeyen verbunden / ſo viel muͤglich iſt / daß wir ihm keine ſcheinbare gelegen - heit ſelbs geben / als auf die ſonſten nachmal ein ſtuͤck der ſchuld und verant - wortung vor GOTT fallen / und andere ſchwache gewiſſen deſto mehr anſtoß leiden moͤchten / welches zu vermeiden gleichwol eine pflicht der chriſtlichen klugheit und liebe iſt.

Aus dieſen urſachen ſihet mein werther Herr / daß ich zu dieſer aͤnde - rung / nachdem wie ich die ſache vor GOTT anſehe / nicht rathen koͤnte. Da - her hielte ich dem gewiſſen am ſicherſten / derſelbe ſetzte entweder ſeine dienſte in gegenwaͤrtiger condition, wo es ſeyn kan / ferner fort / oder bewuͤrbe ſich bey andern chriſtlichen handels-leuten um gelegenheit / biß ihm der guͤtigſte Vater etwa ſelbs eine ſtelle anwieſe / da er ſein eigen thun anrichten / und in der ſtille ſein Chriſtenthum ungehinderter treiben moͤchte: Jndeſſen waͤren diejenige anſtoͤſſe / welche dem gewiſſen in dieſem ſtande wollen unruhe ma - chen / mit beſſerer deſſen unterrichtung / was unrecht oder nicht ſeye / mit ge - dult / mit vorſichtigkeit und mit unablaͤßigem gebet um die regierung des H. Geiſtes / auch glaubiger hoffnung kuͤnfftiger beſſerung / zu uͤberwinden / wie ich denn auch an goͤttlichem beyſtand dazu nicht zweiffeln will. Dieſes ſind al - ſo meine chriſtliche gedancken / uͤber das mir vorgetragene anligen / ſo ich in der forcht des HErrn habe uͤberſchreiben wollen / dabey freundlich bitte / dieſelbe auch mit anruffung GOttes zu uͤberlegen / ob er ſich auch zu gleichem uͤber - zeuget beſinden werde / und alsdann das vorgeſchlagene annehmen koͤnte. Wie ich denn mit meiner meinung keines gewiſſen binden / noch jemand wei - ter dran weiſen will / als ſo fern er ſelbs ſich durch die angefuͤhrte gruͤnde vor GOTT bewogen fuͤhlet: ſondern uͤberlaſſe nachmal / wo meine gedancken vorgeſtellet / einen jeglichen der regierung deſſen / der allein der gewiſſen HErr iſt. 1692.

SECTIO XVI. Ob man die handlung / um ſich der welt loßzu - reiſſen / bey noch habenden ſchulden / verlaſſen koͤnne.

Antonius441ARTIC. IV. SECTIO XVI.

ANtonius ein kauff - und welt-mann erlanget die gnade von GOtt / daß er die eitelkeit der welt als auch der ſeelen gefaͤhrlichkeit erken - nende / ihm aus grund ſeines hertzens ſich vornimmt / alles weltliche hinten an zu ſetzen / und einen ort zu ſuchen / wo er etliche recht fromme und wahre Chriſten meinet zu finden oder zum wenigſten gelegen - heit / unverhindert von weltlichen geſchaͤfften in ruhe und GOTT alleine gelaſſen / ihm die uͤbrige zeit ſeines lebens zu dienen. Daß aber Antonius zu dieſem verlangten Gottesdienſt nicht kommen kan / ſchei - net ihm im wege zu ſtehen / weil er in fortbringung ſeines lebens und wandels von witwen / waͤyſen und anderen leuten anſehnliche gelder auffgenommen / und dieſelbe hertzlich gerne bezahlen wolte / auch nicht zweiffelt / wo er bey den weltlichen geſchaͤfften bliebe / uͤber kurtz oder lang dazu zu kommen / allein wie ihn dieſes auffhalten wird zu ſeiner intention zu gelangen / alſo fuͤrchtet er auch / daß er vom tode uͤbereilet / GOTT in der welt ſo nicht gedienet haͤtte / wie er geſollt / welches ihm gar gefaͤhrlich ausſchlagen moͤchte!

Fraget ſich alſo / ob Antonius mit gutem gewiſſen aus ſeinem handel treten koͤnne / alles das ſeinige angeben / und dazu ſeine ſchulden unbezahlt laſſen / und wenn er GOTT an einem andern orte redlich und chriſt-moͤglich dienet / ſich keine beſchwehrnuͤß zu machen habe / daß er um in gottesfurcht zu leben / und dazu zu gelangen / ſeinem nech - ſten das ſeinige nicht wiedergegeben.

Woruͤber als einer ſachen / an dem jemand das allerhoͤchſte gelegen / bit - tet man ein Chriſt-Theologiſches conſilium & deciſum.

Antwort.

WO man die vorgelegte frage oben hin anſihet / ſolte dem erſten anſehen naches ſcheinen / daß man ohne viel bedencken / die affirmativam ſchlieſ - ſen und Antonio zu ſeiner intention rathen ſolte / angeſehen 1. dem goͤttlichen nichts vorzuzie[he]n iſt / und der dienſt der erſten taffel der pflicht der andern alſo gar vorgehet / daß wo dieſe jenen hindern wolte / man das einig-nothwen - dige allem andern vorz[ieh]en ſolte. 2. Scheinet es eine ungleiche compara - tion zu ſeyn / zwiſchen einerſeits einem zeitlichen verluſt / welchen ſeine credi - tores an ihm leiden wuͤrden / und der ewigen gefahr / in welcher Antonius ſich befindet / da aber allezeit die groͤſſere gefahr / und was dieſelbe erfordert / der geringern vorzuziehen iſt. 3. Solte man gedencken / wo die creditores chriſtlich ſind / daß ſie ſelbs den verluſt des ihrigen der heſorgenden ſchwehrenK k kgefahr442Das dritte Capitel. gefahr der verdammnuͤß ihres debitoris nachſetzen / und wo er die reſolution faßte / ihm ſolche ſchuld ſelbs nachlaſſen / und alſo ſein gewiſſen ferner entladen ſolten. Sonderlich 4. weil ſein Antonii leben gleichwol ungewiß / und ſie nicht ſicher ſind / daß er / ob er wol in ſeinem handel bleibet / und ihnen ſatisfaction zu thun ſich bemuͤhet / ſo lang leben bleiben / oder aber von GOt - tes gericht eher hingeraffet werden moͤchte / und alſo ihnen die erſtattung doch nicht geſchehen / hingegen von GOTT einiger fluch auf ſie fallen moͤchte / wel - che oder doch ihre conſideration den mann von ſeinen heiligen vorſaͤtzen abge - halten haͤtten. Daher 5. ſolche intention als ein goͤttlicher finger und beruff anzuſehen waͤre / dem er deswegen ohngeſaͤumet / als der ſtimme des HErrn zu folgen haͤtte.

Dieſe und andere dergleichen dubia moͤgen vorkommen / welche die be - werckſtelligung der intention rathen und noͤthig machen moͤchten. Wo aber gleichwol die ſache in der forcht des HErrn reifflich erwogen wird / ſo zweiffle ich nicht / daß der ausſchlag endlich auf die negativam ausfallen muͤſte / und alſo Antonio ſein vornehmen nicht gerathen werden kan. Deſſen wir fol - gende gruͤnde anfuͤhren.

  • 1. Weil die verbindung / damit ein debitor ſeinem creditori verhafft iſt / nicht nur aus weltlichen rechten herkommet / welche gleichwol auch das gewiſ - ſen verbinden / ſondern ſie iſt ſelbs goͤttlichen rechts. Dann weil GOTT die zeitliche guͤter nach ſeinem willen unter die menſchen ausgetheilet / und je - den uͤber das ihme zugeworffene theil zum haußhalter beſtellet hat / ſo kan ih - nen wider ſeinen willen niemand mit recht das ſeinige entziehen / oder dieſer verſuͤndiget ſich damit an goͤttlicher ordnung / welche einem jeden das ſeine vor des andern gewalt oder betrug mit dem ſiebenden gebot als gleichſam einem zaun verwahret / und ernſtlich verboten hat / daß keiner dem andern ent - ziehe / was GOTT demſelben anvertrauet. Daher es mit ſchwehrer ver - letzung des gewiſſens geſchihet / wo einer dem andern hierinnen eintrag thut / ihm das ſeinige zu nehmen / oder welches eben ſo viel iſt / vorzuenthalten. Es heiſſen vor GOTT gottloſe / welche borgen und nicht bezahlen Pſalm 37. ſo vielmehr / weil in ſolchem fall auch der mit mund und etwa[ha]nd gethane verſpruch / ſo bey auffnehmung des gelds geſchehen / gebroche[n]und neben dem ſiebenden das achte gebot zugleich uͤbertreten wird: W[aͤr]aber ob gleich nicht ein foͤrmlicher eid / doch welches gleichwol oͤffters zu geſchehen pfleget / andere betheurung bey GOttes nahmen dazu gekommen / wuͤrde ſolches die ſuͤnde noch ſo viel ſchwehrer machen. Wird etwa noch hinzu gethan die betruͤbnuͤß der wittwen und waͤyſen / welche GOTT ſonſten vor andern jederman zur verſorgung und ſchutz anbefohlen / deroſelben damit auspreſſende ſeuffzen / ſo demjenigen / der ſie mit unrecht verurſachet / ſehr ſchwehr werden; allerhandelend /443ARTIC. IV. SECTIO XVI. elend / in welches dieſelbe / wo ſie darinnen all ihr vermoͤgen oder ein groſſes theil deſſen gehabt haben moͤgen / dadurch geſtuͤrtzet / ja auch zu allerhand ſuͤn - den gebracht werden moͤgen / und was ſonſten noch anders aus ſolcher defrau - dation entſtehen koͤnte: So aggraviren alle ſolche ſtuͤcke die ſuͤnde ſo vielmehr. Und mag von demjenigen / deme die umſtaͤnde der perſon bekant / etwa noch vielerley gefunden werden / welches die ſchwehre der ſuͤnden zeigte.
  • 2. Wo dann nun ſolches ausgemacht / daß aus unterſchiedlichen conſi - derationen dieſe gefaͤhrung der creditorum in ſich ſelbs unrecht iſt / ſo ſtehet die regel Pauli Rom. 3 / 8. feſt / daß wir nicht boͤſes thun doͤrffen / daß gu - tes daraus kommen ſolle. Welcherley leute verdammnuͤß er gantz recht achtet. Kan alſo nimmermehr ein GOtt-gefaͤlliges werck ſeyn / zu welchem man ſich mit vorſetzlicher ſuͤnde den weg gemachet. Und haſſet GOtt raͤuberiſche brand-opffer Eſa. 61 / 8. ſo mag ihm auch der dienſt nicht an - genehm ſeyn / welcher mit ſolcher beraubung unſchuldiger / und vielleicht be - doͤrfftiger perſonen / geſchihet. Man kan auch ſich keines goͤttlichen ſegens und kraͤfftiger wirckung / ohne welche ſothane intention ohne das vergebens / nicht dabey getroͤſten / noch bey ankommender anfechtung das unruhige ge - wiſſen alsdann zu frieden geben / deme die wiſſentlich und vorſetzlich begange - ne ſuͤnde ſtaͤtig vor augen ſtehen wird.
  • 3. Scheinet dieſe intention dasjenige principium zu præſupponiren / daß dem menſchen ſchlechter dings frey ſtehe / in allen dingen diejenige art des lebens zu erwehlen / welche ihm am fuͤglichſten zu ſeines GOttes dienſt vor - kommet. Nun iſts zwahr an dem / daß dergleichen angehet / bey denenjeni - gen / welche frey ſind / und nicht ohne das ſchon von GOTT zu einem gewiſ - ſen ſtand geſetzet und beruffen / nicht aber gilt es denjenigen / wo es nicht mehr um die wahl zu thun iſt / was man ſelbs wehlen ſolle / ſondern von der auffloͤ - ſung eines bereits gemachten bundes gehandelt wird. Jn jenem fall iſt die - ſes freylich die fuͤrnehmſte conſideration, woraus ich dieſe oder jene lebens - art zu wehlen habe / wie ich nach hertzlicher anruffung GOttes und in ſeiner forcht geſchehener erwegung aller umſtaͤnde finde / daß ich GOTT am beſten dienen kan. Ob wol das exempel Pauli 1. Cor. 7 / 38. zu lehren ſcheint / daß auch in ſolchem fall wir einen noch nicht alſo anſtrengen koͤnnen / daß wir ihn ſchlechter dings verbinden wolten / nothwendig diejenige lebens-art zu er - greiffen / die er insgemein vor dienlicher zu goͤttlichem dienſt achtet / ſondern ihm annoch die freyheit dabey gelaſſen iſt / zu erwegen / ob eben dieſem zu dieſer zeit dergleichen auch dienlicher ſeye. Wo aber bereits ein goͤttlicher beruff vorgegangen / und wir alſo mit gewiſſen ſtricken verbunden ſind / ſo gewinnet die ſache eine gantz andere bewandnuͤß / und ſtehets damit nicht mehr in freyer wahl / oder iſt aus ſolcher conſideration allein zu decidiren / ſo lange das vo -K k k 2rige444Das dritte Capitel. rige band waͤhret / und nicht auffgeloͤſet iſt. Zum exempel / es iſt nicht zu zweifflen / daß einer chriſtlichen perſon / wo ſie in ihrem gewiſſen ſich ſonſten zwahr zu einem heyrath reſolvirt hat / oblige / allein in einen ſolchen heyrath zu gehelln / in dem ſie mit weniger verhindernuͤß GOTT dienen moͤge / und alſo mit einem glaubens-genoſſen: Hingegen wuͤrde es nicht ohne unver - antwortliche ſuͤnde und verſuchung GOttes geſchehen / wo ſich eine an eine unglaubige oder auch ſonſten gottloſe perſon / verheyrathen wolte / da ſie ſo of - fenbare hinderungen aller uͤbung der gottſeligkeit erkennete. Jndeſſen / wo der menſch in ſolchem ehelichen bande ſtehet / ſo laͤſſet ihm Paulus nicht zu / daß er mehr das ſonſten an ſich beſſere und zu dem gottesdienſt dienlichere mittel der freyheit ergreiffe / ſondern wofern der unglaubige nicht ſelbſten weichet und die trennung machet / will der Apoſtel 1. Cor. 7 / 12. 13. daß der glaubige bleibe / ob wol in einem ſolchen ſtand / da man leicht erachten kan / wie ſonder - lich zu ſolcher zeit / denſelben lieben leuten ihre uͤbungen der gottſeligkeit von den unglaubigen ehegatten ſo ſchwehr gemachet worden. Aber das zwiſchen ihnen befindliche band / ſo ohne ſuͤnde nicht getrennet werden kan / iſt hievor - zuziehen demjenigen / was man ſonſt vor ſich ſelbs wehlen wuͤrde / und weh - len ſolte. Nun erkenne ich zwahr gern / daß es einen nicht geringen unter - ſcheid habe / unter dem eheſtand / deſſen band von Gottes wegen unauffloͤß - lich geſetzet wird / und einer dergleichen lebens-art / die ohne ſolche ſuͤnde wie - derum geaͤndert werden kan. Jndeſſen aber iſt nicht nur gewiſen / daß alſo das zum grunde ligende principium, wo es ohne fernere conſideration oder reſtriction angenommen wird / ſo gewiß nicht ſeye / vielmehr ſeine excepti - ones leide / ſondern es ſtehet hie ein anderes band der ſchulden / damit Anto - nius ſeinem nechſten alſo verbunden iſt / daß er ſich nicht / weil es mit ſuͤnden geſchaͤhe / davon loßreiſſen darff / oder ſolche loßreiſſung mit dem ſchaden der andern verletzete ſein gewiſſen / und haͤlt ihn deswegen ſo lang in der that verbunden / als er jene nicht nach vermoͤgen befriediget.
  • 4. Daraus abzunehmen / daß alſo nicht unſer eigen belieben / ſondern einig und allein goͤttlicher beruff in ſolchem fall die regel ſeye / nach welcher wir uns zu richten haben / und ſolches nicht allein in ehe-ſachen / ſondern wie Paulus deutlich in folgenden worten zeiget / auch in andern weltlichen obli - gationen / da nicht ſo viel heiliges und goͤttliches erkant wird / als in dem ehe - ſtand. Jndem er auch von den knechten ſaget / daß ſie bleiben ſollen / wie ſie beruffen ſeyen. Nun die arten / wie ſie knechte wurden / waren vielerley / und nicht eben alle GOtt gefaͤllig / indem nicht nur einige in ſolchem ſtande gebohren wurden / ſondern andere durch krieg und ander ungluͤck in ſelbigen gerathen ſind / wo man denſelben nicht anders vor einen goͤttlichen beruff bey ihnen halten koͤnte / als wie GOtt ſolches uͤber ſie verhaͤnget hatte. Sowaren445ARTIC. IV. SECTIO XVI. waren ſolche knechte als leibeigne ſclaven / nicht nur allein ſonſten in ſehr mi - ſerablem zuſtand / ſondern vornemlich was das geiſtliche anlanget / koͤnte man ſich kaum eine groͤſſere hindernuͤß aller uͤbungen der gottſeeligkeit und got - tesdienſtes vorſtellen / als der zuſtand ſolcher leibeignen war. Jndeſſen ſagt Paulus nicht zu ſolchen armen leuten / ſie ſolten / damit ſie in der freyheit ih - rem GOtt ſo viel ungehinderter dienen koͤnten / davon lauffen / und ihre Her - ren verlaſſen / ſondern ſie ſolten in ihrem beruff bleiben / es waͤre dann ſache / daß ſie / nemlich mit ihrer Herren willen / frey werden koͤnten / ſo ſolten ſie ſich deſſen lieber gebrauchen. Wo wir klahr ſehen / daß die groſſe hinderungen die ſie bey ihrer condition hatten / GOtt rechtſchaffen zu dienen / Paulo noch keine gnugſame urſachen geweſen / daß er ihnen erlauben wollen / ihrer Her - ren dienſten ſich zu entziehen / ſondern er will / ſie ſollen bleiben / und GOTT alſo dienen / wie ſothaner ihr zuſtand ſolches zulieſſe. Ob nun wol Antoni - us nicht ein knecht iſt / ſo iſt er doch denjenigen deren gelder er auffgenommen / mit eben dergleichen verbindlichkeit zugethan / daß er gleichſam als ihr diener in verwaltung ihrer gelder und zu conſervirung derſelben ihnen alſolang verpflichtet iſt / biß ſie abgeleget ſind. Daher mag er ſo wenig ſich ihnen ent - ziehen / und ſie in dem ſchaden ſtecken laſſen / als ſolches den alten knechten nicht zugeſtanden ward.
  • 5. Scheinet faſt dieſe intention diejenige meinung zu involviren / gleich ob koͤnte GOtt nicht anders rechtſchaffen und gefaͤllig gedienet werden / als mit gaͤntzlicher ablegung aller weltlichen geſchaͤfften und verrichtungen. Wel - che meinung gleichwol gantz irrig waͤre; dann obwol es erwuͤnſchlich / mit weltlichen geſchaͤfften weniger beladen zu ſeyn / und mit ſo viel weniger unru - he dem HErren auch nach der erſten taffel zu dienen. So wiſſen wir doch / daß GOtt eben ſo wol auch die zweyte taffel vorgeſchrieben / und den dienſt / der ihm in den weltlichen geſchaͤfften mit abſicht auff ſeine ehre geleiſtet wird / als einen ihme geſchehenen anſihet: wie unſer theure Lutherus zum oͤfftern herrlich erinnert / daß wir / was heilig und goͤttlich nicht bloß aus der ſache ſelbs / ſondern dem beruff und goͤttlicher ordnung zu achten haben. Daher welchen GOtt zu einem Fuͤrſten und Regenten / zu einem hauß-vater / zu ei - nem knecht geſetzet und beruffen / wo derſelbe ſolches ſeines beruffes geſchaͤff - te verrichtet / mit der abſicht auff GOttes ehre / und aus trieb der liebe gegen ſeinen GOtt und ſeinen neben-menſchen / ſo werden ſolche an ſich weltlichſt ſcheinende geſchaͤfften wahrhafftig ein heiliger und geiſtlicher gottesdie nſt / nicht anders als wo ein Prediger ſolte ſtudiren / predigen und ſein amt ver - richten. Daher wer GOtt dienen will / nicht weit da oder dorthin ſich ver - fuͤgen darff / ſondern er findet einen dienſt ſeines GOttes in allem / was er in ſeinen geſchaͤfften zu thun hat / wo er ein gottliebendes hertz dazu bringet
K k k 36. Wozu446Das dritte Capitel.
  • 6. Wozu auch kommet / daß abſonderlich der kauff-handel / obwol wie zu ſehen Sirach c. 27. und 28. viele gelegenheit zu ſuͤndigen dabey iſt / die nicht wenig gefahr nach ſich ziehen / an ſich ſelbs gleichwol recht / erlaubt / und gut iſt: als eine ſache / die dem menſchlichen geſchlecht gantz nuͤtzlich und in ge - wiſſer maaß nothwendig iſt. Daher was vor fehler demſelben anhangen / ſol - che nicht deſſelben / ſondern der menſchen ſchuld iſt. Daher Antonius, da er ſich GOtt zu dienen hertzlich entſchloſſen / es eben ſo wol in gegenwaͤrtigem ſeinem ſtande zu thun vermag / und ihm noͤthig iſt. Und die gnade / welche ihn zu dem guten antreibet / wird ihn ſo wol in fuͤhrung ſeines kauff-handels alſo regieren / daß er ſein gewiſſen mit willen nicht beſchwehre / als er von ihr erwartete / daß ſie in ſolchem intendirenden ſeceſſu ihn zu dem rechten zweck fuͤhrete.
  • 7. Aus allem ſolchen ſehe ich noch nicht / was Antonius zu ſehen ver - meint / daß ihn GOtt von bißheriger lebens-art ab / zu einer ruhigern und ſtillern fuͤhren wolle: ſondern ich erkenne vielmehr ſeinen weiſeſten finger / daß derſelbe ihn bey ſeinem kauff-handel noch haben und wiſſen wolle / da er ihm alle wege / durch die er derſelben ſich entbrechen moͤchte / verleget. Woraus er aber verſichert iſt / weil es GOtt alſo haben wolle / in ſolchem ſtand zu blei - ben / daß er dann auch in demſelben alle verrichtungen dermaſſen werde ſe - gnen / daß wo er ſich GOttes hand leiten laͤſſet / er in ſolchem ſtande ſein heil wol wircken moͤge. Und laͤſſet ſich hiemit gar unſchwehr antworten auff die erſt movirte ſcrupulos. Jndeme 1. wir gern geſtehen / daß dem goͤttlichen alles nachgeſetzet werden / und dem gottesdienſt das zeitliche weichen muͤſſe. Dann was huͤlffe es wo der menſch die gantze welt gewinne / und lidte ſchaden an ſeiner ſeele / oder was koͤnt er geben / wann er ſeine einmal verlohrne ſeele loͤſe. Matth. 16 / 26. Aber es laͤſſet ſich auff gegenwaͤrti - gen caſum nicht appliciren / dann ſeine weltliche profeſſion gantz angeben / und nur allein nach der erſten taffel vornemlich GOtt dienen wollen / iſt nicht das einige nothwendige / vielweniger ein goͤttlicher dienſt zu achten; wo man be - tꝛachtet / daß er die von Gott ſo hoch gebotene liebe des nechſten / wo eꝛ denſelbẽ um einiger ſeiner beſſern ruhe und bequemlichkeit willen in groſſen ſchaden uñ verluſt auch etwa dadurch fernere gefahr ſtuͤrtzen wolte / verletzte. Alſo bleibet es freylich wahr / daß man lieber alles hindan ſetzen / als muthwillig ſuͤndigen wolte / ja daß / wo wir finden ſolten / daß unſere geſchaͤffte uns unvermeidlich in ſuͤnde fuͤhren wuͤrden / wir ſie lieber abſchaffeten / als daß wir durch dieſel - be nach groſſem gut und reichthum in der welt trachten wolten / welches ohne das dem Chriſtenthum unanſtaͤndig: da heißt es recht / das goͤttliche / worin - nen wir allein unſer heil erhalten moͤgen / und hingegen mit der ſuͤnde gewiß verſchertzeten / dem weltlichen vorziehen / welches nothwendig iſt: in jenemexem -447ARTIC. IV. SECTIO XVI. exempel wuͤrde es heiſſen / das wahrhafftig goͤttliche / nemlich nach erforde - rung der liebe des nechſten leben / und mit mehrerer ſorgfalt auff der hut ſei - nes heiles ſtehen muͤſſen / einem eingebildeten goͤttlichen / nemlich einer ſol - chen lebens-art / zu dero uns GOtt nicht beruffen / unbeſonnener weiſe nach - ſetzen wollen.

2. Was das andere anlanget / ſo iſt freylich eine ungleiche comparation zwiſchen dem verluſt des zeitlichen und einer ſeelen verluſt / aber es ſtringi - ret ſolches in gegenwaͤrtigem fall nicht anders / als wo wir præſupponirten / daß Antonio an ſolcher aͤnderung bloſſer ding ſein heil gelegen waͤre: da aber das gegentheil gewieſen zu haben getraue / und mehr den verluſt deſſelbigen als befoͤrderung aus ſolchem entſchluß ſorgen muͤſte. Womit auch das drit - te faͤllet / daß die creditores lieber ihr recht fahren laſſen ſolten / als Antoni - um in ſolcher gefahr ſtecken laſſen. Dann ſolches alsdann platz haben moͤch - te / wo Antonii ſeele nicht anders gerettet werden koͤnte / welches ſich aber an - ders haͤlt. Daher auch was ſie wollen / vielmehr aus deme / was ſie ſich ſelbs erklaͤhren / abzunehmen / als bloß dahin aus deme / ſo uns deuchtet von ihnen ruͤhmlicher zu ſeyn / zu vermuthen iſt.

4. Ob wol Antonii leben / und alſo ob er die erſtattung wuͤrcklich leiſten werde / ungewiß iſt / ſo mag ſolches ſein gewiſſen nicht beſchwehren (es waͤre dann ſache / daß er mit ſolchen geldern unverſtaͤndig / unbedachtſam oder lie - derlicher weiſe umgegangen / und ſich alſo verſtecket / daß es aus ſeiner ſchuld geſchehe / daß wo er bald von GOtt weggenommen wuͤrde / ſeine creditores nicht bezahlet wuͤrden / in welchem fall er ſeine ſuͤnde inniglich zu erkennen / und GOtt und denjenigen / welche er beleidiget / hertzlich abzubeten hat / als in einer ſach / die er anders zu beſſern nicht vermag) aber das wuͤrde ſein ge - wiſſen beſchwehren / wo er aus eigner willkuͤhr ſich auſſer dem ſtande ſetzen wolte / in dem er menſchlicher hoffnung nach ſeinen creditorn ſatisfaction zu thun vermoͤchte. Dann ihm ligt bloſſer dings ob / nicht ſo wohl ohnfehl - bar ſeine glaubiger zu bezahlen / welches durch allerhand ungluͤck ohne ſeine ſchuld ihm unmuͤglich werden mag / als euſſerſten fleiß anzuwenden / daß er ſolches zu thun vermoͤge / und alſo / als viel an ihm iſt / es wircklich thue. Und haben deswegen die creditores ſich keines fluchs zu beſorgen / welche Antoni - um nicht von ſeinem heil / ſondern einer gewiſſen lebens-art / welche dazu nicht bloß noͤthig / abgehalten. Daraus dann 5. zu ſehen / daß ſolche gedancken Antonii zwahr wohlgemeint ſeyn moͤgen / auch eine anzeige ſeines guten ge - muͤthes geben / aber nicht vor einen goͤttlichen beruff / dazu einige bewegung des hertzens nicht eben gnug iſt / geachtet werden moͤgen. Wie wir an dem: beruͤhmten exempel Davids ſehen / der zwahr auch ſich guter meinung vorge - nommen / dem HErren ſeinem GOtt aus danckbarkeit ein hauß zu bauen /wel -448Das dritte Capitel. welches einen ſolchen guten ſchein hatte / daß der gute Nathan / ehe er abſon - derliche goͤttliche offenbahrung hieruͤber bekam / ſolchen vorſatz ſelbs billigte / auch kein zweiffel iſt / daß GOtt die gute meinung nicht mißfallen habe / in - deſſen war es doch von GOtt verordnet / daß ein anderer / nemlich ſein ſohn ſolches thun ſolte / er aber muſte von ſeinem vornehmen abſtehen. Wie nun dorten dem David durch Nathan goͤttlicher entgegen ſtehender wille ange - deutet wurde / alſo haben wir hie denſelben aus denen ſeinem wort gemaͤſſen oben angedeuteten gruͤnden abzunehmen.

Auf ſolches alles wuͤrde mein chriſtlicher rath ſeyn / 1. Antonius ſtelle eine genaue unterſuchung ſeines lebens / wie es bißher gefuͤhret worden / an / pruͤffe ſich / wie weit er in ſeinem Chriſtenthum gekommen / oder wo er noch ſtehe; was er bißher in ſolchem unterlaſſen und zuruͤcke geblieben; mit was ge - muͤth er in die handlung getreten; wie er ſolche biß daher gefuͤhret; und in ſumma / was es vor eine bewandnuͤß mit ſeinem gantzen thun und laſſen ge - habt; nicht anders ob ſolte er ſolche ſtunde dem ſtrengen richter ſeines lebens rechenſchafft geben / und ſolches ohne ſchmeicheley / die ihm nichts nutzet / und er wol weiß / GOTT ſehe noch tieffer in ſein hertz als er daſſelbe erforſchet / daß alſo ſo viel weniger ihm das wenigſte verhaͤlet / oder anders als es in der that iſt / vorgeſtellet werden mag. Er ſtelle ſich ferner vor / was er vor goͤtt - liche gnade zeit lebens empfangen / ſonderlich wo ihm etwa die ſtim - me des HERRN geruffen habe / und er ſolcher nicht gehoͤr gege - ben / die gefahr worinnen er etwa geſtanden / die gnade der goͤtt - lichen langmuth / ſo ihm die friſt bißher erlaͤngert; um durch alle ſolche betrachtung vermittels goͤttlicher wuͤrckung und mit dero anruf - fung eine rechte goͤttliche traurigkeit bey ſich zu erwecken / und das hertz in wahrer buß zu fernerm neuen gehorſam zu diſponiren. 2. Worinnen er findet / daß er biß dahin an ſeiner chriſtlichen pflicht es ermangeln gelaſſen / oder des teuffels / der welt und eignen fleiſches verfuͤhrung / gefolget / ſo mache er den feſten bund / gegen ſolche ſuͤnde ſich ſo vielmehr in goͤttlicher krafft zu wapnen / und ſich zu erſetzung voriger ſaͤumigkeit zu ermuntern. Und da ſe - he er die bey ihm erweckte bewegung ſeines hertzen[s]dahin an / daß obwol daſ - ſelbige auf ein mittel gefallen / ſo ſich dißmal noch nicht thun laſſe / gleichwol goͤttlicher finger ſo fern dabey ſeye / daß GOTT ein ander leben von ihm er - fordere / deswegen er demſelben darinnen nicht ungehorſam ſeyn muͤßte / wolte er anders nicht eine ſchwehre verantwortung auf ſich laden. 3. Findet er / wie ers vielleicht finden wird / daß die heutige handlungs-art dermaſſen be - wandt ſeye / daß es ſehr ſchwehr / ja wie Chriſtus dorthin von den reichenre - det / unmuͤglich ſeye bey den menſchen Matth. 19 / 26. in ſolcher ſein gewiſſen unverletzt zu erhalten / ſo unterſuche er vornemlich / aus was intention er inſolche449ARTIC. IV. SECTIO XVI. ſolche lebens-art getreten / ob nicht ſolches allein aus fleiſchlichen ſuͤndlichen abſichten zeitlichen reichthums / und in der welt anſehnlichen lebens / geſche - hen ſeye / auch er vielleicht mit ſolchem gemuͤth ſich in der handlung bißher al - ſo vertieffet / daß er jetzo ſo ſchwehr ſich heraus wickeln kan. Uberzeuget ihn hierinnen ſein gewiſſen / daß er ſolche ſchuld bey ſich habe / ſo ſehe er ſolchen ſei - nen ſtand / als eine dienſtbarkeit und gefaͤngnuͤß an / in welches er ſich ſelbs geſchloſſen / nicht anders ob haͤtte er ſich in eine muthwillige tuͤrckiſche und an - dere ſclaverey begeben / und ihm damit die ſorge ſeines heils ſchwehrer ge - macht. Solches verbindet ihn aber / daß er dann die beſchwehrligkeit / wel - che er daruͤber ausſtehen muß / ſo viel gedultiger trage / und daß er nicht mit weniger unruhe ſeinem heil abwarten koͤnne / nicht wider GOtt / ſondern ſich ſelbs murre. 4. Auff ſolches hat er die handlung ſelbs genau zu unterſu - chen / worinn er findet / in derſelben einiges zu ſeyn / das an ſich ſelbs in dem gewiſſen nicht verantwortlich und chriſtlicher liebe entgegen waͤre. Dann der ſonſten die reſolution gefaßt / die handlung gar anzugeben / iſt ſo vielmehr verbunden / weil er dazu nicht gelangen kan / in derſelben alles abzuſchaffen / was in dem gewiſſen nicht verantwortlich iſt / ſolte auch in demſelben dem an - ſehen nach der meiſte profit beſtehen. Dann wie ihm ſein zuſtand die hand - lung zu verlaſſen um anderer willen nicht zulaͤſſet / alſo vergoͤnnet ihm hinge - gen keine urſach dieſelbe anders als nach goͤttlicher und der liebe regel zu fuͤhren. Zwahr iſt kein zweiffel / es werde ihm ſolches viel ſchwehrer werden / als das werck allerdings zu quittiren / wo er eine viel mehrere ruhe finden moͤchte; er muß aber dabey gedencken / es ſtehe jetzo nicht mehr in freyer wahl / was er wuͤnſchete / ſondern muͤſſe es dabey bleiben laſſen / wie es ſtehet / und etwa wie oben gemeldet / daß er ſelbs deſſen einige ſchuld bey ſich antreffen mag: oder wo er ſolche nicht findet / ſich der goͤttlichen gnade und beyſtandes ſo viel ohnzweiffenlich verſehen darff. 5. Weil er ohne zweiffel bey ſich be - findet / daß nicht nur andere dinge ihm die handlung ſchwehr machen / ſondern die viele dabey habende ſorgen und muͤhe das gemuͤth alſo embaraſſiren / und die zeit wegnehmen / daß er wenig zeit dazu uͤbrig findet / die er zu ſeines Got - tes dienſt / und ſeiner ſeelen erbauung anwenden mag / welches wol etwa die haupt-urſach ſeyn mag / ſo ihm die handlung verleidet / ſo gedencke er freylich / daß nachdem er um anderer urſach willen / gleichwol ſich ſolcher ſtricke nicht befreyen / oder ſie mit macht loßreiſſen kan / er doch ſchuldig ſeye / nach allem vermoͤgen / ſie allgemach auffzuloͤſen: daß er nemlich genau achtung gebe / worinnen er ohne verletzung der pflicht / damit er andern verbunden / ſeine handlung einziehen moͤge; worinnen er etwa andere treue leute annehmen / und denſelben ein theil der laſt aufflegen / und ihm mehrere zeit mit abbre - chung an ſeiner leiblichen ruhe / gewoͤhnlicher ergoͤtzlichkeit und anderm zeit -L l lver -450Das dritte Capitel. verluſt / ſo ſonſten bey gewiſſen kauffleuten ſehr gemein / gewinnen koͤnne / da - mit an ſolchen erſetzet werde / was er an andern nicht voͤllig abziehen darff. Es laſſen ſich auch vielleicht die koſten / ſo auff diejenige gewandt werden muͤſſen / die er zu gehuͤlffen gebraucht / an haußhaltung / tractamenten / kleidung und anderm dergleichen erſparn. Was er dann nun vor zeit erobern kan / die er noch zu dem gottesdienſt und ſeiner ſeelen erbauung anwenden mag / wozu er ſonderlich ſeinen ſonntag ohn abbruch heiligen wolle / ſolches iſt er mit ſo viel mehrerm fleiß dahin zu verwenden gehalten; wie wir allezeit ſpar - ſamer mit demjenigen umgehen / deſſen wir nicht viel uͤbrig wiſſen. 6. Solte ihn GOtt auff dieſe weiſe bald ſegnen / daß er ſeinen creditoribus ſa - tisfaction thaͤte / und annoch finden wuͤrde / daß die handlung ihm zu ſchwehr fiele / und ſein gemuͤth nicht capabel waͤre / ſolchen ſorgen alſo abzuwarten / daß er auch ſeiner ſeelen recht abwartete / ſo iſts alsdenn zeit / daß er das werck nochmal mit GOtt in eiffrigem gebet und etwa mit chriſtlichen gemuͤthern / welche ſonderlich ſeiner perſon und thuns particular kundſchafft haben / (in - dem manchmal in ein und anderm umſtand ein groſſes ligt / welches derjenige dem die perſon und uͤbriges nicht bekant / nicht alſo vorſehen oder errathen / und alſo in ſeinem rath attendiren kan) uͤberlege / ob alsdann die reſolution zu faſſen / die ſorgen / denen man ſich nicht gewachſen befindet / gaͤntzlich abzu - legen / und folglich nicht zwahr in muͤßiggang / ſondern dergleichen arbeit / die das gemuͤth ruhiger lieſſen / ſeine uͤbrige tage mit weniger gefahr zuzubrin - gen. Wo ich nach befindung der umſtaͤnde ein ſolches thunlich ſeyn zu koͤn - nen / nicht in abrede ſeyn will. Da heißt es aldenn / kanſtu aber frey werden / nemlich ohne ſuͤnde / ſo gebrauche dich deſſen viel lieber. 7. Endlich iſt das vornehmſte / daß er eiffrig und ſtuͤndlich ſeinen Gott um ſeines H. Geiſtes leitung anruffen muß: Daß derſelbe ihn in ſo gefaͤhrlichem leben / als er es et - wa erkennet / und tauſend verſuchungen / denen er noch nicht entfliehen koͤnne / erhalten und geben wolle / daß er / wie er mit furcht und zittern ſein heil wir - cket / es davon tragen moͤge: der gewiſſen zuverſicht / der ſeye getreu / der ihm ruffet / der werde es auch thun / 1. Theſſ. 5 / 24.

Er der anfaͤnger und vollender unſers heils / gebe ſolchem ſeines heils begierigen den weg zu erkennen / den er wandlen ſolle / fuͤhre ihn bey ſeiner rechten hand / und letzlich laſſe er ihn in der that erkennen / wie wunderbar - lich zwahr / aber auch weißlich / ſeine leitung ſeye / daß er ihm ewig dafuͤr dancke. Amen! 167 --

SECTIO451ARTIC. IV. SECTIO XVII.

SECTIO XVII. Von dem vorhaben eine mit rechts-ſachen umge - hende ſtelle mit einer andern lebens-art zu verwechſeln. Von der vereinigung der religionen.

DJe mir entdeckte gedancken und vorhaben E. Excellenz ſich nach einer ſolchen lebens-art umzuſehen / da neben den juridicis, darinnen ſie GOTT und dem nechſten noch zu ehren und nutzen das anvertraute pfund anzuwenden ſich nicht wegern / die Theologica und ſonderlich practi - ca das vornehmſte und eigenliche ἔργον waͤren / kan ich an ſich ſelbs mir nicht anders als gefallen laſſen. Denn wie das geiſtliche und ewige wahrhafftig der einige hauptzweck iſt / warum wir alle in dieſer welt ſind / daher auch was dahin ausgerichtet wird / das vornehmſte operæ pretium unſers gantzen le - bens bleibet / ſo kan die begierde nicht unrecht ſeyn / welche nach einer ſolchen lebens-art ſich ſtrecket / worinnen man mehr unmittelbar mit ſolchen dingen umzugehen hat. Wie aber auch eben dieſes eine der erſten haupt-regeln un - ſers Chriſtenthums iſt / mit auffrichtigem hertzen allezeit den willen unſers himmliſchen Vaters zu lieben / und wo wir denſelben erkennen / ihn unſern auch beſtgemeinten gedancken vorzuziehen / vornemlich aber unſre gantze le - bens-art insgemein / an dero beſtimmung nachmal alle uͤbrige verrichtungen hangen / nicht ſo wol ſelbs wehlen / als wohin uns goͤttlicher finger weiſe / ſorgfaͤltig acht geben / als verſichert / unſerm GOtt gefallen keine werck mehr und hertzlicher / als diejenigen / welche wir uns nicht ſo wol ſelbs vorgenom - men / als von ſeiner regierung auffgetragen bekommen haben / und er nach ſei - ner weißheit verſtehe beſſer / wo / wann und in was vor dingen das uns anver - traute zu ſeiner ehr / des nechſten nutzen und unſerm eignenen heil / am beſten angewendet werde (worinnen manchmal ſeine gedancken von den unſrigen zimlich entfernet ſeyn koͤnnen / und alſo viel hoͤher ſind) alſo trage ich das gute vertrauen / daß ſolches E. Excellenz meinung ſeye / nemlich bey ſich ſelbs ei - ne dergleichen lebens-art eben deßwegen / weil die ſeele damit immer naͤher mit goͤttlichen dingen umzugehen gelegenheit haͤtte / zu lieben / verlangen dar - nach zu tragen / ſolches verlangen auch nicht heimlich zu halten / und nechſt hertzlichem gebet / darinnen die gantze ſache der vaͤterlichen diſpoſition Got - tes lediglich zu uͤberlaſſen iſt / auf goͤttlichen winck genaue acht zu geben / nicht aber ſich eigenmaͤchtig auff einigerley weiſe von gegenwaͤrtigen banden ſelbs loßzumachen. Denn wie eine perſon / welche noch zu einer gewiſſen lebens - art von GOTT nicht beruffen iſt / in deroſelben wahl eine zimliche freyheit hat / zu dieſer oder jener / welche in vorſchein kommen / zu greiffen / in dero erL l l 2ſei -452Das dritte Capitel. ſeine gaben am beſten getrauet anzuwenden / alſo iſt hingegen bey einem mann / welchem der HErr bereits ſeinen willen uͤber ihn durch erkanten und angenommenen beruff gezeiget hat / ſolche freyheit zimlicher maſſen einge - ſchrencket / und er nicht befugt / die angewieſene poſte auch aus gutſcheinen - den urſachen zu verlaſſen / es ſeyen dann dieſe ſo bewandt / daß aus denſelben zu einer uͤberzeugung des gewiſſens der geaͤnderte goͤttliche wille erkant wer - den koͤnne / in welchem werck ich weiß und ſelbs erfahren habe / wie ſchwehr es mit gedachter erkaͤntnuͤß zugehe / hingegen auch nicht wol ein ſicherer mittel verſtehe / oder durch die erfahrung befunden habe / als ſich allerdings mehr paſſive zu halten / und ſich von GOtt mehr anders wohin ziehen zu laſſen / als einigerley maſſen vorzulauffen. Wo alſo E. Exc. meine einfaͤltige meinung in gantzem ſolchem geſchaͤfft zu vernehmen ſich nicht zuwider ſeyn laſſen / be - ſtuͤnde ſie darinnen: daß dieſelbe / wofern GOtt ſelbs dergleichen eine gele - genheit zeigen und anweiſen ſolte / die der gefaßten ideæ in einer mehrern ab - ziehung von dem zeitlichen die uͤbrige jahr (die der HErr des lebens noch ver - mehren wolle) zuzubringen gemaͤß waͤre / alsdann dieſelbe / wann nicht um ſolche zeit andere umſtaͤnde ſolchen willen GOttes zweiffelhafftig machen / mit freudigem gemuͤth anzunehmen / und die befreyung von dem ſtrepitu fo - renſi, als eine goͤttliche wolthat anzuſehen: indeſſen aber ſich um ſolche nicht angelegenlich zu bemuͤhen / ſondern in gegenwaͤrtiger function mit derjeni - gen treue und ſorgfalt / biß auff obgedachte art der HErr HErr ſelbs davon abruffet / fortzufahren / als ob gewiß die gantze lebens-zeit dabey zugebracht werden muͤſte. Dieſes halte das ſicherſte zu ſeyn / daß alſo das gemuͤth in ei - ner ſtaͤten gelaſſenheit unter GOttes willen bleibet / und ſich allein angele - gen ſeyn laͤſſet in dem gegenwaͤrtigen mit gehorſam demjenigen abzuwarten / von dem man an goͤttlichem willen nicht zweiffeln darff / und dennoch auch be - reit iſt / auff jeden winck von oben das mit angelegenheit ſo lang getriebene mit demjenigen zu verwechſeln / was man in eigner willkuͤhr ſtehende laͤng - ſten gerne ergriffen / und ſeine freude davon gemacht haͤtte. GOtt aber / in deſſen hand unſer thun und laſſen ſtehet / fuͤhre ſie ſelbs nach ſeinem weiſen und guͤtigſten rath / ſo wirds in allem wohl ſeyn / wie auch ferner darum den - ſelben anzuruffen nicht ermangeln werde. Was in dem uͤbrigen in den gedan - cken lang fovirte geiſtliche verein - oder friedens-werck anlanget / kan ich davon nicht ſagen / nachdem mir / auff was vor zulaͤngliche mittel die abſicht gerichtet ſeye / nicht bekant iſt. Jnsgemein bin ich biß daher allezeit in der meinung geſtanden / die ich auch / wie hertzlich ich ſelbs den frieden liebe / ſo gar / daß auch meine natuͤrliche gemuͤths-beſchaffen - heit mehr dahin geneigt iſt / als zu etwas anders / noch zu aͤndern nicht vermag. 1. Mit dem Papſtum ſeye abſolute keine vereinigung zu hoffen / janicht453ARTIC. IV. SECTIO XVII. nicht einmal ein verſuch deſſen zu thun / als der niemal ohne præjudiz unſrer kirchen geſchihet. So iſt bey mir dieſes gewiß vorausgeſetzt / Babel muß nach GOttes wort in deſſen gericht fallen / nicht aber mit uns vereiniget wer - den / als die wir immer lieber weiter aus demſelben ausgehen / als uns ihm naͤhern ſolten. 2. Mit den Reformirten und Arminianern waͤre die ſache nicht abſolutè und in ſich unmuͤglich: Aber betrachtet die bewandnuͤß der ge - muͤther aller ſeiten / ſonderlich des ſo genannten geiſtlichen ſtandes bey den partheyen / und wie dieſelbe gegen einander ſtehen / ſo halte ich ſie gleichfals moraliter unmoͤglich. Ja ich ſtehe in billiger ſorge / wo mit einigem ernſt das werck angegriffen werden ſolte / entweder GOTT gleichſam ein wunder - werck thun muͤſſe / oder wir ſolten / zum exempel von uns und den Reformir - ten zu reden / viel eher an ſtatt der 2. partheyen / in die wir jetzt getheilet ſind / drey oder viere bekommen / und alſo der riß nur aͤrger werden / als daß eine wahre vereinigung werckſtellig gemacht werden doͤrffte. Daher mir das gantze werck uͤber menſchliches vermoͤgen zu ſeyn vorkommet / weil ſolche hin - dernuͤſſen im weg ſtehen / welche wegzuraͤumen jenes zu ſchwach iſt / und moͤch - te deßwegen bloß demjenigen uͤberlaſſen werden muͤſſen / der unmoͤgliche din - ge zum zeugnuͤß ſeiner allmacht moͤglich machen kan. Jch foͤrchte aber / er habe in ſeinem rath gar andre dinge uͤber unſre kirche beſchloſſen / die wir nach nicht ſo langer zeit erfahren doͤrfften: Und werde wol endlich eine einigkeit ſtifften / aber daß alle theile erſtlich in ein ſcharffes feuer werden muͤſſen / da die - jenige gleichſam werden zuſammen geſchmoltzen werden / die ſich nicht zuſam - men haben loͤten laſſen. Es wird aber auch dafuͤr allein derjenige ſorgen / deſſen ehre und ſache es hauptſaͤchlich betrifft. 1689.

SECTIO XVIII. Uber einen caſum, da jemand ſein weltliches amt verlaſſen / und um ſtilleres lebens willen ſich in ſein vaterland begeben hat.

VOn deſſen mutation, daß er ſeinen dienſt in N. verlaſſen / und in ſein va - terland wieder gezogen ſeye / zu urtheilen / wolte mir nicht geziehmen; wann aber mein werther Herr ſelbs meine gedancken davon erfordert / und ſeine ſcrupulos mir vorleget / erkuͤhne gleichwol meine einfaͤltige mei - nung offenhertzig hinwieder vorzuſtellen / als der ich mich verſichere / daß auch ſolche in liebe werde auffgenommen werden. 1. Finde ich wegen der veraͤn - derung nicht wenig bedencken / (1. ſtunde derſelbe in N. in einer ordenlichen und ſolchen vocation, da er gleichwol zu GOttes ehren bey dem gemeinen weſen etwas auszurichten vermochte / wie dann (2. die oppoſitiones der uͤbel -L l l 3ge -454Das dritte Capitel. geſinneten zwahr einen chriſtlichen mann ſehr betruͤben / und viele gute vorha - ben ſehr verhindern / nimmermehr aber ausrichten koͤnnen / daß was in der furcht des HErrn und mit redlicher abſicht auf ſeine ehre vorgenommen / und mit einer beſtaͤndigkeit und gedult fortgeſetzet wird / gantz ohne frucht abge - hen ſolte / da vielmehr goͤttliche treue mit ſich bringet / daß ſie treugemeinte arbeit nie gantz ohne ſegen laͤſſet. Weßwegen (3. ob wir auch meineten / daß keine fruͤchten erlanget wuͤrden / wol ſeyn kan / daß ſie GOTT uns verbirget (dazu er ſeine heilige urſachen haben kan) oder daß noch die zeit nicht vorhan - den iſt / daß ſie ausbrechen / wie nicht allemal ein jedes geſaͤetes korn ſtracks auffgehet / daher von unſerem nicht-ſehen / ſich nicht gewiß auf das nicht-ſeyn ſchlieſſen laͤſſet. Folglich (4. goͤttliche ordnung etwa mehr ſolte erfordert ha - ben / in gedult der zeit zu erwarten / die der HErr beſtimmet haben moͤchte / nach gnugſamer pruͤffung unſrer gedult uns mehrern ſegen und ſieg wiederfahren zu laſſen / als muͤde zu werden / und den widerwaͤrtigen / ſo das gute gerne hin - dern wollen / eben durch weichen ihren willen zu erfuͤllen: Da hingegen der lie - be Paulus 1. Cor. 16 / 9. es fuͤr eine urſach ſeines bleibens anfuͤhret / weil viel widerwaͤrtige da ſeyen. Sonderlich (5. weil als viel ich ſehe / kein ab - ſonderlicher beruff denſelben aus ſolchem amt zu einem andern weggezogen / worinnen man ſich des goͤttlichen ruffs eher verſichern koͤnte / ſondern allein ein hauß-leben nach eigener wahl vorgenommen worden: Darinnen (6. nicht wol menſchlicher weiſe zu hoffen / daß ſo viel / als in jenem amt / gutes auszu - richten moͤglich. Denn ob wol zu der eignen ſeelen-erbauung in ſolcher ſtil - ligkeit mehr gelegenheit gehoffet werden mag / ſo ſehe ich doch nicht ſo viel hoff - nung zu anderes guten ausrichtung. Nun wiſſen wir / daß zwahr die ſorge fuͤr unſre ſeele unſre haupt-ſorge iſt / aber daß gleichwol wir dem nechſten ſo wol als uns verbunden / und von GOTT je nicht darzu geſetzet ſind / allein mit verſaͤumung anderer / unſer heil zu ſchaffen / ſondern dasjenige in liebe zu thun und unſerm nechſten zu helffen / was und wie uns der HErr durch ſeine verordnung geſetzet hat: Alſo daß wir auch aus liebe des nechſten und gehor - ſam gegen GOTT eher etwas der ſonſten muͤglichen mehrern vollkommen - heit unſrer ſeelen nachzulaſſen / oder vielmehr zu glauben haben / es werde da - mit auch an uns nichts verſaͤumet / da unſere arbeit im gehorſam gegen GOtt und liebe des nechſten geſchihet / da wir ſonſten meinten / nuͤtzlicher zu ſeyn / al - lein an uns ſelbs zu arbeiten. (7. So vielmehr weil auch unſer hertz ſich leichtlich ſelbs betriegen kan / wo es uns die begierde unſrer eignen mehrern erbauung vorſtellet / und es doch moͤglich iſt / daß ohne unſer wahrnehmen / die eigenliche urſach vielmehr ein verdruß der widerwaͤrtigkeit und mißvergnuͤ - gen gegen goͤttlichen willen geweſen waͤre / welche die reſolution am meiſten durchgetrieben / ſo uns doch aus der andern urſach gefaſſet zu ſeyn vorkom -met.455ARTIC. IV. SECTIO XVIII. met. Hierzu moͤchte auch (8. aus betrachtung gegenwaͤrtiger zeit ſetzen / daß ich diejenige vor ſo viel gluͤcklicher ſchaͤtze / welche GOTT weiter gegen Nor - den geſetzet hat / als groͤſſer unſre gefahr iſt / die den Paͤbſtlichen laͤndern naͤher ſind / und beſorglich die erſten ſeyn werden / die der HErr in die gewalt Babels fallen moͤchte laſſen / da ich hingegen hoffe / daß dieſe nicht ſo weit gegen Mit - ternacht reichen / oder je langſamer die wuth dahin erſtrecken werde. Weß - wegen es vielmehr vor eine goͤttliche wolthat geachtet werden moͤgen / eine ſtelle GOTT zu dienen an ſolchen orten gefunden zu haben. Daher (9. die verunruhigung des gemuͤths das anſehen gewinnen mag / ein zeugnuͤß zu ſeyn / daß ſolche aͤnderung nicht eben ſo eigenlich aus goͤttlichem willen ge - ſchehen.

Jndeſſen 2. kan ich noch nicht mit einer verſicherung den entſchluß ſol - cher aͤnderung und dieſelbe ſelbſten ſtraffen / oder die obige urſachen vor gnug darzu achten / indem GOttes wege wunderbarlich und unerforſchlich ſind: Daher er offt die ſeinige ſo fuͤhret / daß es andere ſchier nicht wol ohne anſtoß anſehen koͤnnen / und gleichwol iſt ers wahrhafftig / der ſie alſo gefuͤhret hat. Ja er fuͤhret uns offt widerſinniſch / zu uͤbung unſrer gedult und glaubens: Er fuͤhret uns an ort / da er uns in dem kuͤnfftigen gewiſſe arbeit beſtimmet hat / die weder wir noch andre lang vorſehen koͤnnen / und die dennoch unſern gehorſam wol belohnen wird / ja manchmal diejenige weit uͤbertreffen ſolle / die wir vorher verlaſſen: Er fuͤhret uns unwiſſend aus einer gefahr / die einem ort nach ſeiner allwiſſenheit bevorſtehet / und er aber unſer ſchonen will / oder in eine gefahr / in dero er durch unſre gedult und beſtaͤndigkeit will geprieſen werden: Und was dergleichen unzehliche arten der goͤttlichen weiſen und guͤti - gen regierung bemercket werden moͤgen. Weil ich nun meinen werthen Herꝛn als ein rechtſchaffen kind GOttes anſehe / ſo dieſe aͤnderung nicht ohne hertzli - che anruffung GOttes um ſeine regierung wird angetreten / und alſo zum forderſten den mund GOttes rathgefraget haben / ſo dann / daß er auch werde alles reifflich uͤberleget / und zum grund der reſolution ſolche urſachen geleget haben / welche in dem gewiſſen unanſtoͤßig / ſo ſtehe ich in dem guten vertrauen / es werde dieſe aͤnderung nicht ſo wol ein fleiſchlicher rath / als eine regierung GOttes ſeyn. Auffs wenigſte bin ich deſſen gewiß / der HErr habe wahr - hafftig / daß dieſes endlich geſchehen und erfolgen ſolle / beſchloſſen.

Jndeſſen 3. wird es zu meines werthen freundes eigner pruffung vor - nemlich ſtehen / wie er die ſache anzuſehen / und wie er ſich darinne zu beſchuldi - gen oder zu entſchuldigen habe. Solche pruͤffung aber gehet vornemlich da - hin / ſein hertz vor GOTT nach dem eigenlichen grunde zu unterſuchen / was die eigenliche motiva des abzugs und veraͤnderung geweſen / ob es eine folche / welche vor dem angeſicht GOttes wahrhafftig beſtehen mag / und die nichtnach456Das dritte Capitel. nach dem fleiſch ſchmecke / oder wie viel fleiſchliches in derſelben die redliche unterſuchung entdecken und antreffen werde. Waͤre nun das erſte / wie ichs von hertzen wuͤnſchen mag / ſo ſihet man goͤttliche regierung mit ſo viel ver - gnuͤglicher freude / danckſagung und verehrung an / faſſet auch dieſe getroſte zuverſicht / der HErr koͤnne nicht anders / als dasjenige kraͤfftig ſegnen / was wir aus ſeinem gehorſam lauterlich gethan zu haben in redlicher forſchung finden / und erwartet alles kuͤnfftige ohne die geringſte furcht. Solte es aber ſache ſeyn / daß nach fleißiger unterſuchung des gewiſſens / dieſes vor GOTT fleiſchliche abſichten / es ſeye nun / was das haupt-werck betrifft / oder in den nebens-motiven / antraͤffe / ſo wird erfordert 1.) ſolches hertzlich vor GOTT zu erkennen / und ſich / daß man ihm entfliehen wollen / vor ihm zu demuͤthigen / mit redlicher und bußfertiger erkaͤntnuͤß und abbitte unſers fehlers / und al - lem demjenigen / was uͤber unſere ſuͤnden in der buß erfordert wird. 2.) Nach - dem ſolcher fehler nicht wieder zurecht gebracht werden kan / oder ſich nicht wieder alſo zuruͤckgehen laͤſſet / daß man das vorige wiedeꝛ einbꝛinge / ſo gehoͤrt ferner dazu / daß man die gegenwaͤrtige lebens-art / darein uns GOTT durch unſern willen / ob zwahr unter ſeiner regierung / kommen laſſen / ihme deſto ſorgfaͤltiger heilige / und in derſelbigen / oder was uns der HErr ſonſten vor gelegenheit vorkommen lieſſe / ſo viel treulicher dienende / die andere verſaͤum - nuͤß nach vermoͤgen erſetze: Und zwahr 3.) wo die urſach / ſo uns unſer hertz als die wahre urſach vorgeſtellet / und uns damit uͤberredet / geweſen iſt / die hoff - nung unſrer mehrern erbauung / ſoll denn zwahr dieſe deßwegen nicht unter - laſſen oder verabſaͤumet werden: Wir haben aber dabey / ſo viel uns moͤglich / auch nach gelegenheit zu trachten / wie wir ſo vielmehr gelegenheit finden moͤ - gen / dem nechſten auch nachtruͤcklich zu dienen / wo wir uns durch die aͤnde - rung vieler ſolcher gelegenheiten verluſtig gemacht haͤtten: Auf daß unſerm fleiſch ſein wille nicht gelaſſen werde / wo daſſelbe in ſeiner beſtgeſchienenen intention uns betrogen / und wir uns alſo nicht begehren dem nechſten zu ent - ziehen / wo etwa dergleichen in der aͤnderung das anſehen gewinnet / dahero eber mit mehrerm fleiß gelegenheiten / zu des nechſten nutzen etwas zu thun / zu ſuchen / als die wenigſte zu verſaͤumen ſeyn wuͤrden. 3.) Solte GOTT eini - ges leiden oder widerwaͤrtigkeit begegnen laſſen / waͤre daſſelbe mit ſo viel hertzlicherer gedult und gelaſſenheit zu ertragen / als wodurch uns der HErr unſers fehlers wegen erinnern und zu unſerm beſten zuͤchtigen wolte; lieſſe ers aber uͤber wunſch oder vermuthen gluͤcklicher gerathen / gaͤbe es abermal eine urſach / die unausſprechliche guͤte des himmliſchen Vaters mit verwun - dern zu preiſen / welcher aus ſchohnender liebe ſeiner kinder fehler zuweilen an ſtatt der verſchuldeten zuͤchtigung mit wolthaten anſihet / und ſie auf dieſe guͤtigſte art ſuchet zurecht zu bringen. 4.) Endlich wo GOTT einige ge -legen -457ARTIC. IV. SECTIO XIX. legenheit zeigte / oder wir mit fleiß einige ſolche finden koͤnten / denjenigen / welchen wir unſern dienſt entzogen / auch in abweſen nicht nur mit gebet / ſon - dern auch mit rath und auf andere weiſe / liebe und wolthaten zu erweiſen / waͤre abermal eine ſonderbare ſchuldigkeit / auch dieſelbe nicht zu verſaͤumen. Wo dieſes geſchihet / wie ich verſichert bin / daß der himmliſche Vater einen mißtritt ſeinen kindern auf dero erkaͤntnuͤß um Chriſti willen gnaͤdig ver - gibet / alſo verſehe mich auch gewiß / daß ſich das gewiſſen zu ruhe geben / und wo einige zweiffelhafftige gedancken zuweilen auffſteigen wolten / denſelben zu begegnen gnade finden werde. Den HErrn ruffe ich dabey hertzlich an / daß er meinen werthen freund ſeines willens in allem voͤllig verſichern / und die augen alſo oͤffnen wolle / die ſache / wie ſie vor ſeinen heiligſten augen iſt / gruͤndlich einzuſehen / und entweder bey befundener voͤlliger reinigkeit des hertzens ihm fuͤr ſeine theure gnade / ſo ihn vor allem anſtoß bewahret / deſto gefliſſener zu dancken / oder bey erkanter ſchwachheit ſich vor ſeinen augen zu demuͤthigen / und ſeiner gnade auffs neue zu verſichern / in beyderley aber / was endlichen erfolget iſt / als ſeinen rath zu erkennen / und ſich demſelben kuͤnfftig ohn alles murren gehorſam zu unterwerffen. Er ſegne auch den jetzigen zuſtand und ſtilleres leben zu vieler frucht ſeiner eignen ſeelen / mit be - ſcherung vieler gelegenheit auch an dem nechſten die liebe zu uͤben / und je laͤn - ger je mehr die verborgene weißheit GOttes in ſolcher leitung einzuſehen. Er wolle auch insgeſamt ſein gutes werck in ihm kuͤnfftig ſtaͤrcken / beſtaͤndig erhalten und ſeliglich vollfuͤhren biß auf den tag JEſu Chriſti / daß er an dem - ſelben erfuͤllet mit vielen fruͤchten der gerechtigkeit erſcheinen moͤge. 1686.

SECTIO XIX. Was ein ſoldat ſich zu erinnern habe.

ERſtl. hat er zu bedencken / ob er auch in rechtmaͤßigem beruff ſtehe? Nun iſt zwahr der ſoldaten-ſtand nicht vor ſich ſelbs boͤſe / ſondern es kan ein Chriſt mit gutem gewiſſen in demſelben leben. Aber weil es ein auſ - ſerordenlicher und nothſtand iſt / der zu dem gebrauch des ſchwerdts / welches GOTT der Obrigkeit anbefohlen hat / gehoͤret / ſo hat jeglicher ſo viel fleißi - ger ſich zu pruͤffen / ob er rechtmaͤßigen beruff darzu habe. Das iſt gewiß / weil Rom. 13. der Obrigkeit das ſchwerdt befohlen iſt / welches ſie brauchen ſolle / nicht nur die eintzele uͤbelthaͤter abzuſtraffen / ſondern auch damit die ihr von GOTT anbefohlne unterthanen wider unrechtmaͤßigen gewalt zu ſchuͤtzen / und alſo diejenige abzuhalten / welche denſelben gewalt thun wollen / ſo kan ſie alſo mit gutem gewiſſen krieg fuͤhren zu ihrem ſchutz und handhabung der ge - rechtigkeit / ſo muͤſſen dann auch diejenige / die ihr dazu bedient ſind / nemlichM m mdie458Das dritte Capitel. die kriegs-leut / mit gutem gewiſſen ſolchen dienſt leiſten koͤnnen / welches ge - wiß folget. Wann dann eine Obrigkeit ihre unterthanen auffbietet / und zum kriegs-weſen berufft / ſo haben ſie darinnen ſo wol einen rechtmaͤßigen beruff / als ſie in einigem andern ſtand haben moͤgen. Weil aber in dem krieg ſo vieles vorgehet / mit toͤdten / rauben / verdeꝛben des landes / und anderem der - gleichen / welches ſonſt verboten / und wider die chriſtliche liebe iſt / ſo kan kein anderer / als welcher den beruff von GOTT dazu hat / der ihm als dann die erlaubnuͤß dazu gibet / ſich in kriegs-dienſten gebrauchen laſſen: Vornemlich weil / ob ein krieg auf einer oder der andern ſeiten rechtmaͤßig oder nicht iſt / nicht wol von einem privat-menſchen judicirt werden kan. Ob dann nun ſchon ein unterthan / der nach goͤttlicher ordnung ſeiner Obrigkeit gehorchen muß / wo dieſelbe ihn zu dem krieg auffbietet / ihr folgen muß / und alsdann nicht vor die urſach des krieges rechenſchafft geben darff / weil er in dem von GOTT gebotenen gehorſam einhergehet / und die urſach auf der verantwor - tung ſeiner Obrigkeit ligen laͤſſet / es ſeye dann ſache / daß die urſach gantz of - fentlich unrecht / und wider GOTT waͤre / wo auch kein unterthan wiſſentlich alsdann ſeiner Obrigkeit doͤrffte mit kriegs-dienſt in unrechter ſache an die hand gehen. Hingegen wer aus freyem willen ſich werben laͤſſet von demje - nigen / dem er nicht von GOttes wegen zu gehorchen ſchuldig iſt / der muß vor GOTT rechenſchafft geben / fuͤr die urſache des krieges; iſt ſolche unrecht / wie ſie meiſtens iſt / ſo iſt alles / was er aus kriegs-erlaubnuͤß meinet doͤrffen zu thun / vor GOTT lauter ſuͤnde / unrechtmaͤßiger mord und diebſtahl / und ſte - het ein ſolcher menſch vor GOTT in verdammlichem ſtand. Daher insge - mein zu mercken / daß alle diejenige / welche ſich von frembden herrſchafften / ohne daß ſie die gerechtigkeit der ſache ohnfehlbar verſtehen koͤnnen / werben laſſen / nur damit ſie ihre fortun machen / reichthum oder ehre erwerben moͤ - gen / vor GOTT in verdammlichem ſtand und auſſer ſeiner gnade ſtehen / ſie halten ſich auch wie ſie wollen; dann gleichwie die Obrigkeit allein zu verthaͤ - digung der gerechtigkeit / nicht aber um ehre willen / oder ihr land zu erweitern / mit gutem gewiſſen krieg fuͤhren kan / alſo hat auch keiner rechtmaͤßigen beruff dazu / als welchen der gehorſam / dazu er ſeiner Obrigkeit verbunden iſt / und die liebe der gerechtigkeit / dieſelbe helffen zu vertheidigen / dazu treibet. Die aber aus ſolchen urſachen in dem krieg ſind / dieſelbe ſtehen in einem GOTT nicht mißfaͤlligen ſtande.

Zum andern ſollen ſie aber gedencken / ob ſie auch ſolchen ſtand alſo fuͤh - ren / daß ſie GOTT gefallen koͤnnen: Jndem es nicht gnug iſt / einen rechtmaͤſ - ſigen beruff zu haben / ſondern man muß auch in demſelbigen nach der regel GOttes leben. Da muͤſſen ſoldaten ſich erſtlich derjenigen regel Luc. 3 / 14. die Johannes den kriegs-leuten gab / erinnern / daß ſie niemand unrechtthun /459ARTIC. IV. SECTIO XIX. thun / ſondern ſich an ihrem ſold genuͤgen laſſen. Sie muͤſſen wiſſen / ſie ſeyen ſchuldig / ſo wol als andere menſchen / daß ſie alle ihre neben-menſchen lieben ſollen: Dann der krieg hebet die zehen gebot nicht auf. Und alſo / weil ſie auch diejenige / wider welche als feinde ſie angefuͤhret werden / zu lieben / uñ zwahr hertzlich zu lieben ſchuldig ſind / ſo muͤſſen ſie zwahr / wo ſie von ihren Obern gegen dieſelbe zum angriff ausgeſchickt werden / denſelben ſchaden thun / aber daß es ihnen ſelbs leid ſeye / und ſie es lieber anders wolten. Eben wie ein barbirer einem einen ſchenckel / arm oder dergleichen abloͤſen / und ihm damit ſchmertzen machen muß / nicht daß er ihm feind waͤre / ſondern weil es ſein ſchaden ſo erfordert / um den uͤbrigen leib zu erhalten; ja er kommt ungern dran / und unterlieſſe es lieber / wo es muͤglich waͤre. Alſo auch wuͤnſchte ich lieber / daß diejenige feinde / wider welche mein vorgeſetzter ſich ſchuͤtzen / und ich ihm darinnen meine kriegs-dienſt leiſten muß / dergleichen boͤſes nicht an - gefangen haͤtten / oder noch nachlieſſen und ſich ergeben. Da aber ſolches nicht geſchicht / und alſo meine Obrigkeit ſie deswegen ſtraffen und abhalten zu laſ - ſen getrungen iſt / ſo thue ich ſolches mit betruͤbnuͤß / was ich gegen ſie thun muß / nicht daß mirs wolgefiel / ſie zu toͤdten / zu berauben / ſondern weil es die ſicherheit meines vaterlands erfordert / daß ſo zu reden dieſe ſchaͤdliche glie - der von dem gantzen leib des menſchlichen geſchlechts abgeſondert werden. Weil ich aber allein wegen ſchutzes der gerechtigkeit ihnen ſchaden thun darf / und hingegen im uͤbrigen ſie lieben muß: So muß ich in allen ſtuͤcken ihrer noch ſo viel ſchohnen / als es moͤglich iſt: Und laͤſſet hie das Chriſtenthum einem ſoldaten nicht ſo viel freyheit gegen ſeinen feind / als die gemeine kriegs-gewohnheit; dann was ich dem feind mehr ſchade / als die noth erfor - dert / ſolches iſt ſchon ſuͤnde. Wie nun gegen den feind ſolche liebe und daraus flieſſendes ſchohnen muß gebraucht werden / alſo vielmehr gegen andere / bey welchen man im quartier liget / erfordert die allen ſchuldige liebe / daß ihnen im geringſten kein ſchade geſchehe: Dann da will das ſiebende gebot von mir ſo wol als von andern / daß ich jeglichem ſuche ſein gut zu beſſern und behalten / als von andern auſſer dem krieg. Thue ich aber jemand ſchaden / ſo bin ich bey verluſt meiner ſeligkeit ſolchen nach muͤglichkeit wieder zu erſetzen ſchul - dig / dann es iſt vor GOTT nicht weniger ein diebſtal als auſſer dem krieg.

Zum 3. wie ſoldaten ſich deſſen wol zu beſinnen haben / daß ſie nichts wi - der die liebe des nechſten / ſo fern dieſelbe gegen feinde und freunde gehet / thun: Alſo ſollen ſie auch immerfort gedencken / wie in gefaͤhrlichem ſtand ſie ſtehen / nicht nur leiblicher weiſe / ſondern auch in dem geiſtlichen / wie ſie vor andern ſo viel gelegenheit haben zu ſuͤndigen / und alſo um ihre ſeligkeit zu kommen; daher hoch vonnoͤthen iſt / GOTT taͤglich ernſtlich darum anzuruf - fen / daß er ſie nicht nur wolle in leiblicher gefahr leiblich erhalten / ſondernM m m 2vor -460Das dritte Capitel. vornemlich daß er ſie wolle mit ſeinem H. Geiſt regieren / damit ſie in ſo vieler anreitzung zu ſuͤndigen / ſich aus ſeiner gnade alſo verhalten moͤchten / daß ſie nicht mit der welt mitmachen / und ihr heil verſchertzen moͤchten. Wo dieſes gebet taͤglich eiffrig gethan / und der hertzliche vorſatz immer wiederholet wird / wiſſentlich nichts wider GOTT zu ſuͤndigen / ſo wird gewiß GOTT eine ſolche fromme ſeel / die auch in dem krieg ihm begehret zu dienen / alſo erhalten / daß ſie in den gewoͤhnlichen aͤrgernuͤſſen / nicht auch mit hingeriſſen werde / ſon - dern dabey ſelig leben und ſterben koͤnne. Kan mans haben / ſo gehoͤret auch dazu fleißige beſuchung des gottesdienſts. So dann wie Paulus 1. Cor. 7 / 21. zu den knechten ſagt / kanſtu frey werden / ſo brauche des viel lieber / ſoll billich jeglicher ſoldat / ſo vielmehr er gefahr der ſeelen bey dem insgemein heut zu tag aͤrgerlichen ſoldaten-leben ſihet / wuͤnſchen und verlangen tragen / aus ſolchem leben zu kommen / und alſo / wo er ohne verletzung eydes und ſei - nem obren ſchuldigen gehorſams / wider die er ohne ſuͤnde nicht austreten kan / mag von kriegs-dienſten loß werden / ſoll er ſolche gelegenheit gern annehmen / und ſeinem GOTT dancken / daß er auf andere ſichere weiſe in anderem ſtan - de ihm dienen koͤnne.

SECTIO XX. Wie man zuweilen etwas gutes / ſo aber nicht noth - wendig / um der mehrern gefahr willen zu unterlaſſen habe. Von dem ſo genanten H. Chriſt / und den gaben / die man den kindern gibet.

JCh verſichere / daß mir alle ſeine brieffe eine ſonderbare freude erwecket / daß ſagen kan / von keinem ort eine zeitlang dergleichen bekommen zu haben / die mich ſo hertzlich erquicket / als von ihrer geſegneten ſtadt. Dem HErrn HErrn ſeye danck / der uns auch auf dieſe art hertzlich ſtaͤrcket / und un - ter mancherley dingen / ſo da menſchlicher weiſe niederſchlagen ſolten / auffrich - tet / indem er zeiget / ob aus ſeinem gericht durch der menſchen boßheit oder ſaͤumigkeit an den meiſten orten ſeinem wort / wo es mit krafft durchbrechen will / rigel vorgeſchoben werden / und ſein lauff wuͤrcklich gehemmet wird / daß es doch der fuͤrſt dieſer welt nicht an allen orten dahin bringen ſolle / ſondern er noch da und dort / ſo viel die zeiten ſeines gerichts ſolches noch zugeben / mehrmal zeiget / daß er noch HErr bleibe / und dem menſchlichen muthwillen mit ſeiner krafft zu widerſtehen vermoͤge. Jch bleibe deswegen auch zu freund - lichem danck verbunden vor die offtmalige communication dergleichen er - freulichen nachrichts / ſo miꝛ und andern vertrauten freunden / die den fortgang des reiches GOttes lieben / allezeit freude erwecket haben. Jch verſichereauch /461ARTIC. IV. SECTIO XX. auch / daß ich derjenigen / welcher nahmen mir bekant gemacht worden / oder auffs wenigſte der allermeiſten / gedencke / mich alſo in dem geiſt / als viel an mir iſt / mit ihren ſeelen vereinige / und ſie mehrmal vor Gott bringe. Ach daß die zahl ſo groß werden moͤchte / daß ſie keine gedaͤchtnuͤß mehr faſſen koͤnte! wann ich aber nun vernehme von der gefahr / ſo ſich nach deſſen brieff und auch anderer nachricht bey ihnen gegen das biß daher nach wunſch von ſtat - ten gegangene gute erhebet / wundere mich uͤber die ſache nicht / dann ich wohl weiß / wo mit krafft durchgetrungen wird / daß der fuͤrſt dieſer welt ſei - ne gantze natur umkehren muͤſte / oder man hat ſich widerſtands gewiß von ihm zu verſehen / nur daß der HERR einiger orten laͤngere ruhe davor goͤnnet / an andern aber die proben der gedult eher fordert. Jch ſehe auch die gefahr vor menſchlichen augen groß / ſonderlich wo man von Roͤmiſcher ſeiten im geringſten gewahr werden ſolte / daß einigem ihrer ge - meinde waͤre auch etwas beygebracht worden: und iſt je bey ihnen die widrig - keit ſo groß gegen die praxin des rechtſchaffenen Chriſtenthums / als ſie im - mermehr bey uns ſeyn kan / (wiewol ſie ihnen auch beſſer als uns anſtehet / und ihren als den unſrigen principiis gemaͤſſer iſt) wie nicht allein das exem - pel des Molinos gezeigt hat / ſondern zwey bruͤder und Canonici in N. N. ſo noch beyde leben werden / deſſen zeugnuͤß ſeyn koͤnnen / als welche von ihren leuten / um des chriſtlichen eiffers willen vieles / ja gefaͤngnuͤß leiden muͤſſen / alſo daß ich nechſt hoͤrte / daß ſie als nichts ausrichtende ſich faſt bloß zu ei - nenr meiſten ſtillen leben nunmehr begeben. Daher ich mir von N. nicht viel gutes verſehen kan: aber G. B. thut wohl / daß er ſein vertrauen allein auff den HErrn HErrn ſetzet / deſſen die ſache iſt: und hat mich ſonderlich erfreu - et / als ſahe / daß er ſeinen troſt aus dem 46. Pſ. nimmet / welchen auch ich auff nechſten Neuenjahrs tag offenlich den gottſeligen ſeelen zum grunde ih - rer hoffnung auff die mehr und mehr einbrechende gerichte gegeben oder an - gewieſen habe. Alſo haben wir uns gewiß zu verſichern / daß wir an ihm ei - nen ſolchen HErrn haben / deſſen macht nichts unmuͤglich / deſſen guͤte uͤber - ſchwenglich / und deſſen wahrheit uns unbetruͤglich iſt. Jndeſſen wird der - ſelbe nicht anders als in liebe auffnehmen / daß ich aus liebreicher fuͤrſorge fuͤr denſelben und die beforderung des durch ihn von GOTT angefangenen guten freundlich erinnere / in allen dingen nach muͤglicher vorſichtigkeit alſo zu gehen / daß nicht der maleins das gewiſſen einen vorwurff machen / und dadurch angſt erwecken moͤchte / wo man ſehen muͤſte / daß eine ſelbs gemach - te hoffnung mehrers auszurichten / dasjenige gute / deſſen man mit mehr freyheit laͤnger genieſſen koͤnnen / wo man jener zu ſtarck inhærirte / allerdings niederſchluͤge / oder uns mit gewalt aller freyheit entſetzte. Wie nicht in ab - rede bin / daß in allen dingen die chriſtliche erbauung angehende / einen unter -M m m 3ſchied462Das dritte Capitel. ſchied mache unter denjenigen / welche bloß nothwendig und die nicht noth - wendig ſind / aber dieſe in gewiſſer maaß nuͤtzlich geachtet wuͤrden. Wie uns nun zu keiner zeit erlaubt iſt / etwas an ſich ſelbſten boͤſes zu thun / alſo auch nicht / das bloſſer dings nothwendige zu unterlaſſen / ſondern ehe man ſich hiezu reſolvirte / muͤſte man eher alles dran ſetzen. Was aber die dinge an - langet / die an ſich ſelbs betracht / ſehr nuͤtzlich / aber nicht bloß nothwendig ſind / wie ich davor halte / daß man in denſelben / wo uns nichts im weg ſtehet / welches mehr ſchaden ſonſten dem guten thun wuͤrde / eben ſo wol verbunden ſeye / alle gelegenheit / und zwahr wie ſie nach allen umſtaͤnden am nuͤtzlichſten angeſtellt werden kan / zu ergreiffen / um mit willen nichts gutes zu verſaͤu - men: alſo kan doch hinwieder nicht anders als glauben / daß in dem fall / wo wir zu ſolchen zeiten und an ſolchen orten leben / da dem guten mit groſſer heff - tigkeit widerſtanden werden wird / ſo wir aus betrachtung der perſonen und anderer umſtaͤnde etwa leicht vorſehen koͤnnen / die regel der chriſtlichen klug - heit / wie ſie auff die liebe GOttes und des nechſten gegruͤndet iſt / mit ſich bringe / daß wir alle anſtalten einrichten / nicht ſo wol wie ſie ſonſten / wo man gantz frey waͤre / am nuͤtzlichſten und erbaulichſten ſcheinen moͤchten / als wie man hoffnung haben kan / dieſelbe laͤnger und mit wenigerem widerſtand zu continuiren / und alſo allgemach und ſucceſſu temporis ungehindert dasje - nige auszurichten / was man lieber bald ausrichten moͤchte / aber ſich deſſen unterſtehende leicht gar um die gelegenheit fernerer erbauung bringen wuͤr - de. Jndem wo wir durch unſren an ſich guten eiffer / der ohne fernere erwe - gung alle gelegenheit des guten / auch auff die nachtruͤcklichſte art / ergreiffen wolte / uns und andere in den ſtand ſetzten / wo wir alsdann weder dieſen mehr mit unſrem pfund dienen / noch ſie unſer genieſſen koͤnten / goͤttliche ehr und des nechſten heil / dero beforderung wir uns gleichwol zum zweck vorgeſetzt hatten / mehr dadurch gehindert / am kraͤfftigſten aber alſo befordert wuͤrden / wo wir in allen dingen / wie fern mit auszulangen / in der furcht GOttes reiff - lich uͤberlegen / und alsdann alles alſo anſtellen / daß dem anſehen nach zwahr etwas zuweilen verſaͤumet ſchiene / ſo wir aber auff andere art und gleichſam durch einen umſchweiff wieder einzubringen ſuchen: und alſo den widerſa - chern / da ſie von der macht ſind / uns die haͤnde gar zu binden / ſo lange wei - chen / biß ſie uns auch das bloß nothwendige zu unterlaſſen oder boͤſes zu thun noͤthigen wolten: Dann wann es dahin kommet / ſo iſts zeit / daß wir den HErrn auch mit unſrem leiden preiſen. G. B. wird dieſes alles nicht ſo an - ſehen / oder auffnehmen / als beſchuldigte ſeine bißherige actiones, ſo ich auch nicht thun kan / als deme die umſtaͤnde alles deſſen / was bißher von demſel - ben vorgenommen worden / wenig weiter / als derſelbe ſelbs mir nachricht ge - geben / bekant ſind / daher ohne vermeſſenheit ſolche nicht beurtheilen koͤnte /ſon -463ARTIC. IV. SECTIO XX. ſondern ich melde dieſes allein aus liebreicher fuͤrſorge und erfahrung / wie es denen zu muth zu ſeyn pflege / bey denen der HErr einen hertzlichen eiffer er - wecket hat / daß nemlich derſelbige ſich ſehr ſchwehr halten laſſe / um die ſache in der furcht des HErrn deſto fleißiger zu uͤberlegen / was zu thun ſeyn moͤch - te / je nachdem von NN. etwas kommen ſolte / auch nach demſelben das bißhe - rige zu uͤberdencken. Er aber der die weißheit ſelbſten iſt / gebe die weißheit / die vor ihm iſt / in allem ſolchen ſtaͤts ſeinen willen an uns / und die uns anver - traute alſo einzuſehen / daß wir weder zur rechten noch zur lincken davon ab - gehen. Nechſt dem treibet mich auch eben ſolches bruͤderliche vertrauen da - hin / daß wegen des ſogenanten H. Chriſts meine meinung zu ferner gottſe - liger pruͤfung vorſtelle. So bin nun mit demſelben allerdings einig / daß es unzimlich und dem Chriſtenthum ſo ſchimpfflich als ſchaͤdlich ſeye / was mit den vermumten Chriſtkindlein vor ſpiel getrieben / und dadurch den kin - dern (zugeſchweigen der abgoͤtterey / da die arme kinder einen ſolchen goͤtzen und offt liederlichen geſellen den ſie aber vor Chriſtum halten ſollen / anbeten / und mißbrauchs goͤttlichen worts) gantz ungleiche und auff viele zeit ſchaͤdli - che gedancken von Chriſto gemacht werden: daher ich ſo hier als in Franck - furt faſt jaͤhrlich dawider geprediget habe / daß auch unterſchiedliche ſolches unterlaſſen: wo aber G. B. alle die den kindern um ſolche zeit gebende leibli - che gaben bloß dahin verwerffen wolte / koͤnte ich nicht beypflichten: indem nicht allein in ſolcher ſache an ſich nichts boͤſes iſt / ſondern junge kinder ver - mittels der leiblichen freude auch zu der geiſtlichen freude zu leiten / deſſen el - tern auch nicht vergeſſen ſollen / vielmehr der art GOttes / wie er mit uns handelt / gemaͤß / als zuwider zu ſeyn erkant werden wird / wann wir ſonder - lich bedencken / wie derſelbe mit den Juden in dem A. T. die er als noch weni - ger verſtaͤndige kinder hielte / umgegangen iſt / und ſie immer durch leibliche gaben zu was hoͤhers gefuͤhret hat. Auffs wenigſte wuͤrde / wo man ja eini - ges ungemach dabey finde / die ſache lieber mit ſolcher vorſtellung zu mißra - then / als bloß dahin vor eine ſchwehre ſuͤnde zu verdammen ſeyn. Hingegen wo einige ſache / dero ſuͤndlichkeit man nachmal nicht gnugſam zu uͤberfuͤh - rung der gewiſſen erweiſen kan / allzuhoch getrieben wird / iſt nicht zu ſagen / wie viel ſolches auch bey noch guten gemuͤthern verderbe und niederſchlage. Laſſet uns aber in allem ſolchem unauffhoͤrlich zu dem liebſten Vater ſeuff - tzen / daß er uns durch ſeinen Geiſt in allen ſtuͤcken der lehre und des le - bens regiere. Ach er thue es doch um ſeiner eh - re willen. 1691.

SECTIO464Das dritte Capitel.

SECTIO XXI. Ob man alles gute zu unterlaſſen / woraus man ſorget boͤſes zu entſtehen?

JCh erklaͤhre meine gedancken dahin. 1. Wo wir von einer an ſich ſelbs guten ſache gewiß vorſehen / daß entweder nichts anders als gelegen - heit des boͤſen / oder doch das boͤſe alſo / daß es den vortheil des guten / ſo wir intendiren / uͤbertrifft / daraus entſtehen werde / ſo haben wir ſolche zu unterlaſſen / als die wir darinnen keinerley maſſen unſern wahren zweck erlangen wuͤrden. 2. Wo wir aber ſehen / daß dasgute / ſo an und vor ſich ſelbs aus der ſache entſtehen kan / und als viel chriſtliche fuͤrſichtigkeit zu erkennen vermag / erfolgen wird / dabey aber gewahr werden / daß zufaͤlliger weiſe auch einiges ungleiches und mißfaͤlliges daraus entſtehen mag / und ſich vermuthlich anhaͤngen wird / aber doch jenes das andere an wichtigkeit und nutzen uͤbertrifft / ſo hat man um deſſen willen dasjenige / was uns ſon - ſten in befoͤrderung des guten obliget / nicht zu unterlaſſen. So viel mehr 3. wo das gute offenbar und gewiß / das boͤſe aber ungewiß / und ſonderlich deſſelben erfolge auff ein und andere art verhoffentlich vorgebeuget werden kan. Dieſes deuchten mich die ſaͤtze zu ſeyn / dero application nachmal auff jedes geſchaͤfft gemacht werden muͤſte. So halte ich dieſelbe / ſonderlich die beyde letztere / darauff etwa die frage meiſtens gehet / vor gantz gewiß. Dann 1. wo wir nichts zu thun macht haͤtten / wovon wir ſorgen muͤſten / daß ſich auch einiges boͤſe mit anhaͤngen / und daraus entſtehen moͤchte / ſo doͤrfften wir gleichſam gar nichts thun / indem auch aus den beſten dingen / ungleiche folgen entſtehen / und davon auch des weiſeſten GOttes ſo wohl als ſeiner kinder fuͤrſichtig thuende wercke zum oͤffteren / ja faſt allezeit / auch zu einigem boͤſen gelegenheiten und anlaß geben: alſo daß auch des frieden-fuͤrſten zu - kunfft in die welt ſchwerdt und zwietracht mitbringet / Matth. 10 / 34. 35. das wort des lebens vielen ein geruch des todes zum tode wird / 2. Cor. 2 / 16. durch das Evangelium viel unruhe / laͤſterung / verfolgungen und alſo grau - ſame ſuͤnden veranlaſſet werden: und zwahr alſo / daß wir allezeit vorher wiſſen koͤnnen / daß ſolches gewiß erfolgen werde / und in gegenwaͤrtiger be - ſchaffenheit der welt und der menſchen nichts anders zu hoffen ſtehet. Da uns aber alles ſolches ſo wenig von demjenigen guten / was wir vorhaben / ab - ſchrecken muß / als wenig GOtt um des ſchaͤndlichen mißbrauchs willen des weins / golds / ſilbers / edelgeſtein und uͤbriger ſeiner creaturen (die alle in der menſchen ſuͤnde einem dienſt der eitelkeit wider ihren willen unterworffen ſind Rom. 8.) von dero erhaltung und hervorbringung ſich abhalten laͤßt; o -der465ARTIC. IV. SECTIO XXI. oder ſeinem willen gemaͤß waͤre / daß alle arbeit der menſchen an ſolchen ge - ſchoͤpffen unterlaſſen wuͤrde. Daher 2. wo wir in redlicher intention das gute / ſo wir vernuͤnfftig vor augen ſehen / bewerckſtelligen koͤnnen / wir gewiß ſeyn / daß der HErr / ſo ohnedas auff das hertz ſihet / unſere auffrichtigkeit in gnaden anſihet / und ſich gefallen laͤſſet / auch entweder / da das uͤbel / wel - ches wir beſorget / ſchwehrer moͤchte ſeyn / als wir vorſehen koͤnnen / ſelbs auff ihm bekante weiſe das werck wieder zuruͤcke treibet / und uns doch nicht an - ders / als ob es zu werck voͤllig gerichtet worden waͤre / zuſchreibet; oder ſol - ches beſorgte boͤſe (darum wir ihn ſonderlich zu bitten haben) durch ſeine kraͤfftige hand / daß es nicht oder doch vielweniger folgen muß (da er ſonder - lich unſere chriſtliche vorſichtigkeit / worinnen wir getrachtet zu verwehren / was unzimliches beſorgt werden moͤge) zuruͤck haͤlt / das gute aber mit gu - tem ſucceß ſegnet / insgeſamt nichts der ſchuld uns / vielmehr allein denenje - nigen / welche unſeres guten mißbrauchet haben / und da ſie ſo geſinnet ſind / leicht in allen dingen etwas zu mißbrauchen / ob nicht allemal in einem doch in anderem ſtuͤck / finden werden / zurechnet. Daher auch / wo wider unſer ver - hoffen der mißbrauch groͤſſer folgte / wir alsdann zwahr uͤber die ſuͤnde derer / die als ſpinnen aus guten blumen gifft ſaugen / (wie uͤber andere ſuͤnden) uns allezeit zu betruͤben haben / aber deswegen die ſache ſelbs / die in einfalt des hertzens / doch auch mit vorſichtigkeit / gethan / uns nicht gereuen laſſen doͤrf - fen: als die wir nicht nur allein wiſſen / daß auch in ſolchem fall unſer obwol bey anderen uͤbel gerathenes gutes vor dem HErren ſeinen gnaden-lohn ha - be / ſondern GOtt dem HErrn frey ſtehe / nach ſeiner unerforſchlichen regie - rung ſo wohl unſere wercke als ſonſten etwa anders in der welt denjenigen zum anſtoß werden zu laſſen / die ſich ſeiner regierung entziehen: welche be - trachtung / wo dieſelbe reiflich angeſtellet wird / unſer gewiſſen alsdann treff - lich beruhigen / und uns hingegen vorher freudig machen kan / dasjenige zu thun / was unſer chriſtliches gewiſſen in beforderung des guten von uns for - dert / nachmal aber mit ruhigem hertzen allen ausgang / auch in dieſem ſtuͤck / wie es von andern wohl oder nicht gebraucht werde werden / dem HErren HErren zu uͤberlaſſen. Deſſen guͤte ruffe auch hertzlich an / daß ſie derſelben gemuͤth auch in dieſer ſache recht beruhige / dem geſchaͤfft den fortgang gebe / welchen ſie allen / ſo damit zu thun / vortraͤglich erkennet / und endlich dasje - nige daraus folgen laſſe / wofuͤr man ſie noch kuͤnfftig ja gar ewig zu preiſen urſach habe. 1686.

SECTIO XXII. Ob man ſein Chriſtenthum ohne anſtoß der welt fuͤhren koͤnne / oder ihr weichen ſolle.

N n nJch466Das dritte Capitel.

JCh haͤtte auff den erſten brieff bald antworten ſollen / nachdem einiges mein bedencken und rath in demſelben von mir verlanget worden. Jch habe aber davor gehalten / es ſeye eine ſolche materie / darinnen dieſelbe mit andern guten freunden ſich leicht ſelbs werde helffen koͤnnen. Damit a - ber ja mit einigem wenigen meine gedancken / dieſelbe etwa in ihrem vorſatz zu ſtaͤrcken / mittheilen moͤge / beſtehen ſie darinnen / daß 1. unmuͤglich ſeye / ſein Chriſtenthum alſo zu fuͤhren / daß nicht die welt eckel dran finden ſolte: denn ihr iſt die ſache ſelbs zuwider / ob ſie ſich wol ſolches zu bekennen ſcheuet / und deswegen ſich ſtellet / als faͤnde ſie nur an denen umſtaͤnden mangel: hin - gegen wo man ſchon ſolche aͤnderte / wuͤrde ſie doch immer wieder etwas her - vor ſuchen. 2. Daher doͤrffen wir ihr nicht zu willen werden / dasjenige um ihres verlangens willen zu unterlaſſen / was ſie gern unterlaſſen ſehe / dafern es etwa dinge ſind / die bloſſer dings zu GOttes ehre / und unſerer erbauung noͤthig / oder von ſolchem nutzen / daß anderer beſorgender anſtoß demſelben nicht gleich zu achten waͤre. Wie alſo Daniel c. 6. ſein gebet um des verboths willen nicht unterlaſſen wolte / ſondern lieber alle gefahr druͤber ausſtehet. 3. Wo es aber ſolche dinge ſind / da ſich einige an uns zu ſtoſſen vorgeben / wel - che nicht bloſſer dings nothwendig ſind / noch dero unterlaſſung uns ei - nen nachtheil an der ſeelen bringt / vielmehr die beharrung dabey entweder einen ſchein einer bloſſen hartnaͤckigkeit gewinnen / oder denenjenigen / ſo dem guten zuwider ſind / einige anlaß zur laͤſterung geben moͤchten / halte ich da - vor / allerdings billig zu ſeyn / daß wir aus liebe uns auch unſerer freyheit in etwas begeben / als welches die liebe erfordert / und zwahr die liebe gegen GOtt / nach muͤglichkeit alle gelegenheit der laͤſterung ſeines nahmens abzu - ſchneiden / die liebe gegen den nechſten / ihn zur ſuͤnde nicht zu veranlaſſen / und hingegen mit liebreichem weichen zu erbauen / und die liebe gegen uns ſelbs / uns nicht ohne noth / unruhe / nachrede und widerwillen zu verurſachen / wie dann / da wir die eigenliche leyden um des HErrn willen nicht zu fliehen / oder uns derſelben zu beſchwehren haben / hingegen diejenige leyden / dero wir ohne verletzung der goͤttlichen ehre und wahrheit uͤberhoben bleiben koͤnnen / ſolchen nahmen mit recht nicht tragen. 4. Wie nun dieſe reguln zu allen zei - ten uns verbinden / und unter unſere gemeine Chriſten-pflichten gehoͤren / al - ſo ſind wir zu dieſer gegenwaͤrtigen zeit deſtomehr daran verbunden / weil nun die welt ſich mehr als zu andern malen an allem / was diejenige thun / welche ſich nicht oͤffenlich zu ihr bekennen / aͤrgern will / und was ſie an denen ihrigen nicht nur duldet / ſondern zuweilen gar lobet / an andern auff das heff - tigſte richtet / ja auch bey einer perſon nicht bleibet / ſondern es zugleich allen uͤbrigen / welche ſie in gleicher gemeinſchafft zu ſtehen davor haͤlt / auffs ge - haͤßigſte zumiſſet / und alle daruͤber verurtheilet. Welches verhaͤngnuͤß / ſo derHErr467ARTIC. IV. SECTIO XXII. HErr nach ſeinem heiligen rath der welt nun gibet / ob es wohl nicht wenig leyden uns mehr und mehr verurſachen wird / dennoch darinnen uns heilſam ſeyn kan / daß es uns zu ſo vielmehr vorſichtigkeit und behutſamkeit bringen ſolle / daß uns ſtets die worte des Apoſtels vor den ohren ſchallen / 1. Cor. 10 / 23. 24. Jch habe es zwahr alles macht / aber es beſſert nicht alles; ich habe es alles macht / aber es frommet nicht alles: Niemand ſuche was ſein iſt / ſondern ein jeglicher was des andern iſt. Dieſes ſind meine ge - dancken von der gantzen ſache. Ob ich nun wohl die application auf das abſon - derlich angefragte nicht wohl machen kan / nachdem an einem einigen umſtand viel gelegen ſeyn / und derſelbe das urtheil aͤndern mag / bin ich doch verſi - chert / daß meine werthe Fr. ſelbs aus dieſen regeln die application machen / uñ was meine meinung ſey / daraus werde erkennen koͤnnen: der HErr aber / ohne deſſen hertzliche anruffung ſie nichts zu thun ſich gewehnet haben wird / gebe ſelbs liecht und weißheit in allen ſtuͤcken ſeinen willen recht einzuſehen und ihn zu vollbringen. Jm uͤbrigen ſtehe auch in dem guten vertrauen / wie ſie zwahr ohne zweifel von allen orten hoͤren wird / wie diejenige / ſo ſich der ernſtlichen gottſeligkeit befleiſſen / von andern theils bereits hart tractiret werden / und manches haben leyden muͤſſen / oder noch leyden / theils daſſelbe vor augen und ihnen immer naͤher kommend ſehen / daß ſie ſich ſolches nicht werde be - frembden / oder in dem angefangenen lauff muͤde machen laſſen. Wir wiſſen / wir leyden nicht als ketzer / die wir uns allein an das unbetruͤgliche wort der wahrheit halten / und auch von der erkaͤntnuͤß / welche unſere kirche aus dem - ſelben bißher geſchoͤpffet / im geringſten nicht abgewichen ſind / noch abzuwei - chen gedencken. So leyden wir auch nicht um miſſethaten willen / ſondern ob wir wol unſerer ſchwachheit uns bewuſt ſind / auch mit ſeufftzen bekennen / wie weit wir noch von der vollkommenheit zuruͤcke bleiben / gibet uns doch unſer gewiſſen zeugnuͤß / daß wir mit redlichem hertzen trachten / uns taͤglich zu rei - nigen von aller befleckung des fleiſches und des geiſtes / und in der heiligung fortzufahren; daher uns von der welt (obwol nicht dero euſſerlichen ge - meinſchafft / doch enthaltung aller ihrer eitelkeit) mehr und mehr loßzu - machen ſuchen. Ob ſie dann ihres haſſes und widrigkeit andere urſache vor - wendet / ſo iſt doch gewiß dieſes die wahre urſach / daß wir nicht in das unor - dige leben mit fortlauffen wollen. 1. Petr. 4 / 4. dafuͤr uns ja der liebſte Hey - land behuͤte. Alſo haben wir uns des leydens nicht zu ſchaͤmen / ſondern unſere ſeelen dem treuen Schoͤpffer in guten wercken zu empfehlen; er wird den ſeinen helffen / uñ ſie retten / wo mans am wenigſten gedencken wird. Es heiſt einmal: Darum ſpricht GOTT / ich muß auf ſeyn / die arme ſind zerſtoͤhret /N n n 2ihr468Das dritte Capitel. ihr ſeuffzen tringt zu mir herein / ich hab ihr klag erhoͤret: Mein heil - ſam wort ſoll auf dem plan / getroſt und friſch ſie greiffen an / und ſeyn das heil der armen. Amen: Es wird geſchehen! ꝛc. 1692.

SECTIO XXIII. Wie man ſich in getrucktem zuſt and zu ver - halten?

DEſſen geliebtes iſt mir zurecht worden / und hat mich deſſen iñhalt theils erfreuet / theils betruͤbet; jenes / wenn ich daraus die demſelben und an - dern chriſtlichen mitbruͤdern erzeigte gnade erkant / dieſes / wo ich erwe - ge / wie es auch ihres orts nicht an leuten mangele / welche / als viel an ihnen iſt / das gute lieber hindern oder untertrucken als foͤrdern. Jch preiſe alſo billich den himmliſchen Vater mit demuͤthigſtem danck / der ſein wort durch meinen als ſeines armen knechtes mund an demſelbigen (wie die bekaͤntnuͤß lautet / da ich von denen uͤbrigen guten freunden gleiches vermuthe) darzu ge - ſegnet / daß ob wol nicht erſt das gute in demſelben angefangen / jedoch der fun - cken / welchen ich nicht zweiffele lange bey ihm / aber etwa mit vieler aſche der ſicherheit und vertrauen auf das euſſerliche zimlich uͤberzogen / geweſen zu ſeyn / recht angeblaſen / und bey ihm eine hertzliche begierde erwecket / ſeiner ſee - len zuſtand fleißiger zu unterſuchen / und ſich ſo wol nach goͤttlichem wort in allem zu pruͤffen / als ſelbiges zu der einigen regel ſeines glaubens und lebens zu ſetzen. Welches allein der rechte grund iſt / welcher durch keine anfechtung kan umgeſtoſſen werden. Jch erkenne hiebey meine ſo unwuͤrdigkeit / als auch daß alle krafft / wo etwas ausgerichtet worden / nicht meine / ſondern bloß des himmliſchen Vaters und ſeines Geiſtes ſeye: Jedoch dancke ich auch deſſen vaͤterlicher guͤte / welche mich / da mir offt die anfechtung kommet / ob ich nicht gar unfruchtbar in meinem amte bleibe / ſo dann andere mich zum ketzer und verwirrer der kirchen machen wollen / zuweilen durch dergleichen zeug - nuͤſſen einiger ſeelen / daß der HErr meinen geringen dienſt an ihnen geſegnet habe / getroͤſtet und auffgerichtet werden laͤſſet; auch weiſet / daß ſein wort / ob es wol ohne praͤchtige anfuͤhrung vieler gelehrtheit getrieben wird / ſeine krafft in den jetzigen zeiten des gerichts noch nicht verlohren habe. Ach! er laſſe es auch aller orten mit ſolchem nachtruck getrieben werden / daß immer viele ſeelen zu der lebendigen erkaͤntnuͤß und genuß ihres heils kommen / und aus dem gemeinen verderben geriſſen werden moͤgen. Sonderlich in ihrer lieben ſtadt / ruͤſte er / ob je einige Prediger ſich mit fleiſchlichen affecten einneh - men lieſſen / und dadurch der krafft ihres amts nicht wenig hindernuͤß ſelbs machten / immer andere mit deſto mehr liecht und geiſt aus / ſein wort nicht indie469ARTIC. IV. SECTIO XXIII. die ohren / ſondern in die hertzen zu predigen. Er erfuͤlle aber auch alle ſeelen / denen ihr heil noch angelegen iſt / mit heiliger ſorgfalt in dem guten zuzuneh - men / mit vorſichtigkeit ohne anſtoß zu bleiben / und mit eiffer das wort GOt - tes unter ſich und in ſich reichlich wohnen zu laſſen / mit aller weißheit / damit ſie wuͤrdig ſeyn moͤgen / lehrer zu haben nach GOttes hertzen / oder wo es je - mal an dieſen mangeln moͤchte / daß er ſelbſt der unbetruͤglichſte lehrer ihrer hertzen werde und ſeye. Was nun deſſen und anderer chriſtlicher hertzen vor forderung anlanget / ſehe und verehre ich darinnen ſonderlich GOttes ſeine heilige fuͤgung / der alles / auch derjenigen / die ſich dem guten widerſetzen wol - len / dahingerichtete anſchlaͤge zu ſeiner wahrheit mehrern offenbahrung wider ihre eigene gedancken richtet. Von der harten gehaltenen predigt habe ich auch gehoͤret / und bedaure hertzlich den eiffer / der mit mehr nutzen auf anders gerichtet werden koͤnte / ſonderlich wenn ich einiger voriger jahr gedencke / da wol die worte Davids wie derholen moͤchte aus Pſ. 55 / 14. 15. Der HERR wolle das hertz zu rechter zeit ruͤhren / wie ich zu geſchehen hoffen will / daß man erkenne / was man gethan / und ſelbs kuͤnfftig noch baue / was man jetzt am liebſten verſtoͤrete. Wie es aber darmit nicht wol gemeinet geweſen / ſo er - kennen wir doch gedachter maſſen die wunderbare regierung des weiſeſten Vaters / die durch dieſe predigt eine dergleichen inquiſition veranlaſſet / welche nur zu deſto mehrerer offenbahrung der wahrheit / und ob man geliebten freunden damit einen ſchimpff zuzufuͤgen gedacht / zu dero mehrern ehren ge - richtet hat. Zwahr zweiffle ich nicht / ihre vorforderung wird ſie bey vielen unverſtaͤndigen in einigen ſchimpff geſetzet / und ihnen alſo einiges leides zu - gefuͤget haben / ſo ſie aber um des HErrn willen willig zu leyden ſeyn werden. Aber es wird alles daſſelbe gnugſam erſetzt durch das zeugnuͤß ihrer unſchuld / welches um ſo viel herrlicher hervor leuchtet / nachdem auch durch obrigkeit - liche unterſuchung nichts ungeſchicktes von ihnen begangen zu ſeyn gefunden worden / da ſonſten noch lange allerhand verdacht auf ihnen ligen koͤnnen / und die laͤſterungen mehr wuͤrden fortgeſetzet ſeyn worden. Dem regierer der hertzen hat man auch zu dancken / der wie dorten GOTT dem Laban 1. Moſ. 31 / 24. 29. auch dieſen HErrn / vor welchen ſie zu erſcheinen gehabt / geſagt ha - ben wird / daß ſie mit Jacob nicht anders als freundlich reden ſolten; ja nun - mehr auch Prediger ruͤhret / offentlich dasjenige zu treiben / und dazu zu ver - mahnen / was dannoch die erſte haupt-urſache alles erregten lermens gewe - ſen / daß chriſtliche ſeelen ſich unter einander doͤrffen erbauen. Alſo ſehen wir zu ſtattlicher ſtaͤrckung unſers glaubens / wie GOtt ſein werck noch alle - zeit nach ſeiner alten weißheit / macht und guͤte fuͤhre / und der ſeinigen un - ſchuld an den tag zu bringen / die widrige aber / wo ſie nicht finden / was ſie geſucht / zu ſchanden zu machen vermoͤge. Laſſet uns ſo viel hertzlicher ihm ver -N n n 3trauen /470Das dritte Capitel. trauen / und in allen ſtuͤcken nicht ſo wol auf uns oder menſchen / als auf ihn ſehen / nachdem er uns immer mit neuen exempeln / wie er alles wol mache / zeiget. Daher mein hertzliches verlangen an denſelben / wie auch alle mitbe - nahmte vier chriſtliche freunde / ja auch alle uͤbrige / mit welchen ſie etwa in einer ſondern liebe und freundſchafft ſtehen / und auch meine bitte iſt / 1. daß ſie feſte bleiben allein an dem wort des HErrn / ſo ſie in der ſchrifft finden / und da - her dieſelbe nach dem ihnen gegebenen maaß immer fleißig zu forſchen fort - fahren: Sich von keinem menſchen etwas laſſen auffbuͤrden / zu glauben / was ſie nicht in ſolchem wort finden / hingegen weſſen ſie aus demſelben uͤberzeuget ſind / um keines menſchen willen verleugnen. Gruͤnden ſie nun ihren glau - ben und leben auf dieſen grund / ſo kan ihnen weder der teuffel noch einiger irr - geiſt oder anderer verfuͤhrer denſelben umſtoſſen. 2. Was ſie von mir moͤ - gen gehoͤret haben / oder etwa leſen / nehmon ſie nicht um meinetwillen an / ſon - dern pruͤffen alles nach GOttes wort / wie ich ſie auch dahin allezeit verwie - ſen / und pflichten alsdenn bey / oder laſſen es an ſeinem ort beruhen / je nach - dem ſie finden / daß ſie ſolches auch in der ſchrifft zu eigener uͤberzeugung an - treffen. Alſo beruffen ſie ſich nicht auf mich anders / als daß ich dasjenige auch bezenge / was ſie in der ſchrifft (bey dero ich nach beſtem gewiſſen zu blei - ben verſichert bin) finden: Denn ich begehre mir keine juͤnger zu machen / ſon - dern meinem Heyland Chriſto. Mit unnoͤthiger vertheidigung meiner per - ſon machen ſie ihnen keinen haß / ſondern wo gegen mich geſprochen wird / moͤ - gen ſie wol / was ſie beſſers von mir wiſſen / beſcheidenlich bezeugen / aber mir ferner die verant wortung deſſen / was ich thaͤte / uͤberlaſſen. 3. Was die Prediger anlangt / wann auch / das doch GOTT immer in gnaden verhuͤte / einige ſich der wahrheit und lehre der gottſeligkeit oder dero uͤbung entweder in predigten oder ſonſten widerſetzten / oder auch ſo ihnen als andern gleichge - ſinnten allerley leiden anthaͤten / laſſen ſie ſich ja gegen ſie zu keiner bitterkeit / vielweniger ihr amt zu verachten / bewegen; ſondern brauchen ſich deren / die ihnen der HErr angewieſen hat / hoͤren ſie / nehmen von ihnen an / was ſie Got - tes wort zu ſeyn befinden / was ſie aber aus menſchlichen affecten herzukom - men ſorgen muͤſſen / uͤberlaſſen ſie zur verantwortung ihnen ſelbs / machen kei - ne deutungen uͤber die predigten / worauf mit dieſem oder jenem geſtochen werde / die ſache lige denn klahr vor augen; wo ſie alſo ſelbs geſchmaͤhet wer - den ſolten / tragen ſie es mit gedult / huͤten ſich vornemlich vor allem richten uͤber ſie / und insgeſamt beten ſie ja tag und nacht / daß ſie der HErr auf rich - tigen wegen erhalten / und mit ſeinem liecht und geiſt regieren / hingegen dem ſatan / der welt und ihrem fleiſch keine herrſchafft uͤber ſie / ſie zu ihren werck - zeugen zu gebrauchen / laſſen wolle. Alſo ehren ſie das amt mit gehorſam / und tragen die perſonẽ / wo es noͤthig iſt / mit gedult. 4. An ihren regenten / von demhoͤchſten471ARTIC. IV. SECTIO XXIII. hoͤchſten biß auf die uͤbrige / verehren ſie das ihnen angehengte goͤttliche bild / von grund der ſeelen / und hoͤren auch nicht auf fuͤr ſie zu flehen und zu ſeuff - tzen / ſehen auch nicht ſo wol ihr leben / als ihre von GOtt verliehene wuͤrde an / und huͤten ſich vor allen ſo ungehorſam als verachtung. Wo ſelbige auch ſolten durch andere einblaͤſer ſich bewegen laſſen / (davor ſie zwahr der aller - hoͤchſte bewahre) ihnen oder andern chriſtl. hertzen unrecht zuthun / ſo tragen ſie auch ſolches mit großer gedult / und meſſen es nicht ihnen / ſondern denen / welche ſich ihrer gewalt gern gegen die ihnen verhaßte mißbrauchen / und die - ſe gleichſam ihrem gericht uͤberantworten / zu / oder vielmehr ſehen ſie in al - lem allein auf den Vater / ohne deſſen verhaͤngnuͤß ihnen nichts wiederfahren koͤnne / und der es gut mit ihnen meinet: Laſſen ſich aber ja nie reitzen / wi - der dieſelbe / ſondern vielmehr fuͤr ſie / zu beten. 5. Jhre haͤuſer trachten ſie gottſeelig zu regieren / und alſo die ihrige mit ſich zu GOtt zu fuͤhren / damit ſie andern gutes exempel geben / uñ ja nicht dem laͤſterer in ſein gericht fallen / wie ſie ſich dann auch um ſolcher urſache willen / da ſo viele augen auf ſie lau - ren / in allen ſtuͤcken ihres lebens vor andern vorſichtiglich zu halten / und al - len ſchein des boͤſen zu verhuͤten haben. 6. Sie haben auch die erbauung un - ter einander / (wie vernehme / daß ſie ſolche biß dahin angeſtellet haben /) ſo dann wo auch noch andere gleichgeſinnete ſich mit ihnen in chriſtliche freund - ſchafft einließen / mit denſelbigen ferner fort zuſetzen / aber ſo viel muͤglich iſt / mit dem wenigſten auffſehen / um die widrige nicht gleichſam mit fleiß zu rei - tzen / da es den ſchein eines trotzes gewinnen moͤchte. 7. Jn dem umgang mit andern / an denen ſie klahr ſehen / daß ſie noch der welt gantz anhangẽ / hal - ten ſie ſich vorſichtig / daß ſie ſich weder ihrer ſuͤnden mit theilhafftig machen / noch etwas von chriſtlicher pflicht verſaͤumen; ſie muͤßen aber ſie trachten vielmehr mit gutem exempel und freundlichem zuſpruch zu beßern / als mit beſtraffung / welche je ſeltzamer ſie heut zu tage worden iſt / ſo viel ſchwehrer wird ſie angenommen / und hat man einen boͤſen menſchen ohne euſerſte noth zu beſtraffen ſo vielmehr bedencken zu haben / daß man nicht wider die regel CHriſti Matth. 7 / 6. dieſes heiligthum und perle der beſtraffung den thieren gebe / die ſie zutreten / und ſich wenden und uns zu reißen. Dabey man zwahr den himmliſchen Vater hertzlich um ſeine weißheit anzuruffen hat / auch in dieſem ſtuͤck allemal zu erkennen / was ſeines willens ſeye / daß man auf keiner ſeite zu viel oder zu wenig thue; nach dieſen regeln hoffe ich zu leben / werde ihnen insgeſamt ſonderlich zu dieſer zeit das vortraͤglichſte ſeyn. Alſo laſſet uns leben in allen ſtuͤcken als ſolche / die nu der welt mehr und mehr begehren abzuſterben / und unſerm Herrn der uns erkauffet / uns gantz zu eigen zu geben entſchloſſen ſind; wir wiſſen ja / er iſt es werth / und wir ſinds ſchuldig / auch haben wir eine große herrlich keit annoch von ihm zuge -472Das dritte Capitel. gewarten: Ob dann nun uns noch ſchwehre truͤbſaalen zu erſt vorſtehen / die wir uns nicht ſchrecken laſſen ſollen / ſo wiſſen wir doch / der HErr wird uns beyſtehen / und ſeine huͤlffe iſt uns villeicht naͤher / als wir ietzt noch geden - cken / daß ſein reich mit macht durchbreche / ſo uns troſts gnug iſt. ꝛc.

SECTIO XXIV. Von dem faſten.

DAs faſten betreffend / halte ich es bey den meiſten naturen vor eine ſehr nuͤtzliche uͤbung / bey einigen mag es zu weilen gar noͤthig ſeyn: Je - doch nicht als ein Gottesdienſt an ſich ſelbſt / dann GOtt dem HErrn weder an eſſen noch faſten liget / daher in dieſem keine beſondere heiligkeit ſtecket / ſondern als ein befoͤrderungs-mittel der betrachtung / gebets / zaͤh - mung ſeines eigenen fleiſches und deſſen begierden. Deßwegen auch jegli - cher ſeine natur hierinnen am fleißigſten zu pruͤfen hat / wie fern ihm dieſe - bung zu vorgeſetztem zweck / mehr oder weniger dienlich und noͤthig ſeye / dar - aus zu ſchließen / wie fern er ſich derſelben zu gebrauchen habe oder nicht. Es werden ſich einige naturen finden / welchen das faſten nicht nur in dem leib - lichen ſchaͤdlich / (wie mich ein gelehrter Medicus, ſo meine natur fleißig er - forſchet / uͤberreden wollen / daß ich faſt mein gantzes temperament damit in unordnung gebracht / und mich beſchaͤdigt haͤtte / als einmal in meinen ſtu - dir jahren ein jahr durch wochentlich einen tag mit uͤbergehung der mittags - mahlzeit gefaſtet / dadurch aber der magen aus mangel deſſen / was er con - ſumirte / alle natuͤrliche feuchtigkeit der innern viſcerum an ſich gezogen / und dieſe ausgetrocknet haͤtte) ſondern auch in dem geiſtlichen nicht vortraͤglich iſt: Maßen ſie durch das faſten zu gebet und andacht nicht geſchickter / ſon - dern wegen der aus nuͤchterem magen aufſteigender duͤnſte und uͤbelkeit un - tuͤchtiger und in den gedancken mehr zerſtreuet werden. Jedoch insgemein / iſts freylich eine nuͤtzliche ſache / uñ kan bey den meiſten naturen daduꝛch groſ - ſe beforderung geſchehen / ja auch die gewohnheit eine natur offt mehr dazu geſchickt machen. Hat man alſo das faſten meines erachtens anzuſehen: Alß 1. eine nicht bloßer dings oder allezeit noͤthige ſache. Sihe Matth. 9 / 15. wie es auch nirgends austruͤcklich befohlen iſt. 2. gehoͤrets hingegen un - ter die mittel-dinge / welche einige eußerliche befoͤrderungs-mittel ſeyn koͤn - nen. 3. Bey dieſen aber hat man zeit / ort / und die natuͤrliche eines jegli - chen bewandnuͤß / wohl zuerwegen / wann / wo / wem dieſelbige dienlich ſeynd. 4. Wo man dero nothwendigkeit oder nutzen erkennet / ſo ſollen wir uns de - roſelben gern gebraucheu / als die wir dazu verbunden ſind / in allen ſtuͤckendas473ARTIC. IV. SECTIO XXIV. das werck des HErrn in uns nicht nur allein nicht zu hindern / ſondern nach vermoͤgen zu befoͤrdern. 5. Jn der unterſuchung muͤſſen wir uns ſelbs nicht ſchmeicheln / und etwa aus jeglicher natuͤrlichen beſchwehrde ſo bald eine der - gleichen urſach machen / daß wir uns des nutzens / den wir aus dieſer uͤbung haben koͤnten / beraubten. 6. Welcher zu einer zeit ſich zu dieſer uͤbung nicht geſchickt befindet / mags zu andernmalen beſſer thun koͤnnen. Wie auch an meinem eigenen exempel erfahren / daß zu andernmalen auf unſere faſt - und bet-tage mir das faſten nichts gethan / aber mich einmal ohn mein vermuthen ſo angegriffen / daß ich nachmittag in verrichtung der kinder lehr (obs wol zu ende des Auguſti war) mit einem ſolchen froſt befallen worden / daß mich deuchte / ich fuͤhlte das marck in meinen beinen frieren / und gleich / als von ei - nem fieber angegriffen / mich zu bette legen mußte, damit es aber auch vorbey gieng: Hingegen zu andernmalen habe nichts dergleichen gefuͤhlet. 7. Jns - geſamt muß kein aberglauben damit getrieben / ſondern es zu dem zweck ge - richtet werden / warum es eigenlich zu thun iſt. So mag und wird es ein herrlich und nuͤtzliches mittel / welches ſo gar nicht vor papiſtiſch zu achten / daß vielmehr zu bejammern / daß es nicht oͤffter und fleißiger von uns practi - ciret wird: Wiewol ich deſſen gegen meine zuhoͤrer unterſchiedlich publice ge - dencke. So gedencket ja auch unſer gemeine Catechiſmus Lutheri des faſtens als einer ſeinen euſſerlichen zucht. Auch hat unſer liebe Lutherus viel ſchoͤ - ne ort von ſolcher materie. Jndeſſen iſt es zu bejammern / daß es damit er - gangen wie mit andern dingen in dem Papſtum / daß mit dem mißbrauch auch der rechte gebrauch bey uns insgemein auffgehoben / damit aber nicht wenig aͤrgernuͤß gegeben worden. GOTT lehre uns auch darinnen jeglichen ſei - nes orts an ſich ſelbs erkennen / was ihm zu ſeiner aufferbauung vor huͤlffs - mittel und uͤbungen am dienlichſten ſeyen / und dieſelbe kluͤglich und mit ſei - nem ſegen zu gebrauchen. 1681.

SECTIO XXV. Von dem fleiß / eine ſeine geſtalt zu erhalten.

JCh komme ſo bald auf die vorgelegte fragen: Da ich insgemein voraus ſetze / daß ein Chriſt mit allen euſſerlichen und leiblichen dingen alſo um - gehen / und dagegen geſinnet ſeyn muͤſſe / daß er weder einerſeits dieſel - bige verſaͤume / verachte / verderbe / noch anderſeits auf einige weiſe einen ab - gott draus mache / oder ſie mißbrauche. Wann nun die euſſerliche leibes - geſtalt eine euſſerliche und leibliche / gleichwol gute / gabe GOttes iſt / zwahr nicht von ſolchem werth oder nothwendigkeit als die geſundheit / dannoch auch zur ehre des Schoͤpffers gegeben / (daher der H. Geiſt auch einiger perſo -O o onen474Das dritte Capitel. nen ſchoͤne geſtalt zu ruͤhmen wuͤrdiget / als Saraͤ 1. Moſ. 12 / 11. Rebeccaͤ 1. Moſ. 26 / 7. Rahel / 1. Moſ. 29 / 27. Joſephs. 1. Moſ. 39 / 6. Sauls. 1. Sam. 9 / 2. Eſther. c. 2 / 7. Jobs toͤchter. c. 42 / 15.) ſo bleiben die all - gemeine regeln / daß man alſo auch dieſelbe an ſich ſelbs durch natuͤrliche mit - tel erhalten / bewahren / was zu ſolcher behaltung dienet / gebrauchen / und die - ſes geſchoͤpff des HErrn zu ſeinen ehren richten moͤge: Hingegen ſich huͤten muͤſſe / weder ſich ſelbs darinn zum kuͤtzel des hochmuths wol zu gefallen (wie ſolches wolgefallen auch in andern irrdiſchen guͤtern unrecht iſt) noch andere deswegen zu verachten / noch allzuviel ſorge an daſſelbige zu wenden / noch et - was anders (maſſen die ſchoͤnheit unter den leiblichen gaben die allergeringſte achte / weswegen ſie auch den letzten rang behalten muß) um derſelben willen zu verſaͤumen oder hindanzuſetzen / noch vielweniger anderer augen zu unzim - lichem zweck auf ſich zu ziehen. Als welche ſtuͤcke alle unter die mißbraͤuche dieſer gabe GOttes gehoͤren: Wo nun das hertz alſo geſinnet iſt gegen ſeine ſchoͤnheit / und auf ſolche art damit umgehet / ſo wird alle daran wendende ſor - ge zur ſuͤnde. Hingegen tragen chriſtliche ſeelen / was ihnen der HErr ihr Schoͤpffer auch in leiblicher ſchoͤnheit gegeben / in wahrer demuth an ſich / zu ſeinem preiß / wie er in aller ſchoͤnheit der creaturen die ſeinige erkant und ge - ehret zu werden begehret / dancken ihm dafuͤr / und ſind willig / welche ſtunde / und auf was art / er dieſelbige durch kranckheit / alter / zufaͤlle / und dergleichen / wiederum von ihnen nehmen wolte / ſie ihm ohne murren und ſo willig als ſie ſie vorhin getragen / wiederum zu uͤberlaſſen: Welcherley ſinn allerdings in einer ſeelen ſeyn muß / da ſie ohne ſuͤnde ſo dieſes als andere leibliche guͤter be - ſitzen und gebrauchen ſollen / nachdem GOTT allerdings erfordert / daß das hertz an keinem derſelben hange oder beruhe. Vorausgeſetzt deſſen / wird die antwort auf die 3. abſonderliche fragen gar leicht von ſelbſten folgen.

1. Ob ein Chriſt / wenn er in ſeinem geſicht etwas bekommet / als fle - cken / es ſey nun von der ſonnen oder andern zufaͤllen oder aus - fahren / mit gutem gewiſſen etwas gebrauchen kan / ſelbiges wieder zu vertreiben?

Hierauf dienet nun / daß wo ein Chriſt alſo in ſeinem gemuͤth geſinnet iſt / wie bereits zum grunde voraus geſetzet worden / er dergleichen / was ſein ge - ſicht auſſer der natuͤrlichen geſtalt / die es haben ſolle / die an andern ſich zeiget / und bey ihm vorher geweſen iſt / ſetzet / mit gutem gewiſſen durch natuͤrliche mittel vertreiben koͤnne. Jndem er darinn nichts anders thut / als daß er das geſchoͤpff GOttes von demjenigen befreyet / was ihm auſſer der ordnung zu geſtoſſen war. So wenig alſo unrecht iſt / eine zuſtoſſende unpaͤßlichkeit /oder475ARTIC. IV. SECTIO XXV. oder da einem glied etwas wiederfuͤhre / dadurch deſſen gebrauch etlicher maſ - ſen gehindert wuͤrde / ſolchem durch artzney zu begegnen / und wieder nach der natuͤrlichen ordnung zu trachten / ſo wenig iſts auch unrecht / dasjenige zu ver - treiben / was ob es der glieder gebrauch nicht hindert / gleichwol einen mißſtand in der geſtalt gibet / gegen dem als dieſe ſonſt von GOTT gebildet war.

2. Ob man etwas / das man zwahr mit auf die welt bracht / doch aber nicht zu der natuͤrlichen geſtalt des menſchen gehoͤret / ſondern mehr verſtellet / als mutter-mahl und dergleichen / mit gutem gewiſſen vertreiben koͤnne?

Auch dieſe frage beantwortet ſich gleich der vorigen mit ja aus gleichen gruͤnden. Denn was den einwurff anlangt / den man machen koͤnte / und auf den wol vielleicht geſehen werden mag: Weil GOTT in der natur einem menſchen ſolche zeichen habe laſſen eingetrucket werden / ſo muͤſte ſein wille ſeyn / daß er dieſelbe auch ſtets an ſich behielte: Jſt ſolches falſch / oder folget nicht. Wie ja hoffentlich niemand leugnen wird / wo ein kind eine kranckheit mit auf die welt braͤchte / oder auch ein ſolches gewaͤchs / ſo ihm an dem leben koͤnte ſchaͤdlich ſeyn / oder ſeiner glieder natuͤrlichen gebrauch hemmete / daß man durch menſchliche haͤnde / rath und huͤlffe ſolchem gebrechen wol helffen duͤrffe / und damit nicht wider GOttes willen thue. So iſt denn gleiches von andern gebrechen zu ſagen / welche ob wol nicht der glieder wercke hindern / dannoch eine mißſtellung / der natuͤrlichen ordnung entgegen / verurſachen. So ſind alle ſchwehrere oder geringere gebrechen und abweichungen von der natuͤrlichen ordnung nicht als eigene wercke goͤttlicher ſchoͤpffung / ſondern als folgen der in dem menſchlichen geſchlecht eingefuͤhrten ſuͤnden / dadurch alles in unordnung gerathen iſt / und einigen fluch leiden muß / anzuſehen: Darvon wir uns aber durch GOTT nicht widrige mittel nach muͤglichkeit zu befreyen wol befugt ſind.

3. Ob ein Chriſt / dem GOTT eine gute geſtalt gegeben / zu ſelbiger mit gutem gewiſſen etwas brauchen koͤnne / das ohne anſtrei - chen und ſchmincke iſt / ſondern nur die haut glatt und ſauber erhaͤlt?

Was das ſchmincken anlangt / hat es in der ſchrifft einen boͤſen nah - men / und wird huͤriſchen gemuͤthern allein zugeſchrieben / als Ezech. 23 / 40. Jerem. 4 / 30. 2. Koͤn. 9 / 30. wiewol es in dem leiblichen und in der natur ſo bald ſeine ſtraffe hat / daß es die haut mehr verderbet / und endlich an ſtatt der ſchoͤnheit nur ſo viel garſtiger anſehen verurſachet. Es beſtchet aberO o o 2das476Das dritte Capitel. das ſchmincken darinn / der haut ein ander anſehen zu machen als ſie ſelbs hat / daß man nicht ſo wol dieſelbe ſelbs als eine auffgeſtrichene frembde farb ſehe. Wo aber die frage von dergleichen redet / was gebrauchet wuͤr - de / der menſchlichen haut natuͤrliche glaͤtte und reinigkeit allein zu erhalten / und derſelben nicht eine frembde geſtalt und glantz zu geben / ſondern den eigenen zu ſtaͤrcken / welches auch durch das taͤg - liche waſchen und reinigen geſchihet / ſehe ich nicht / wie ſolches einer ſeele / die in dem uͤbrigen in dem oben erforderten ſinne ſtehet / und keine unrechte ab - ſicht hat / ſuͤnde werden koͤnne. Gleichwol iſt zum beſchluß zu mercken / daß in allen dieſen und gleicher art dingen eine ſeele / dero es ein redlicher ernſt vor GOTT iſt / nicht allein auff dasjenige ſehe / was an ſich ſelbs und nach der ſchaͤrffe examiniret / nicht eben verboten zu ſeyn gezeiget werden kan / ſondern bey allen mitteldingen ſtets erwege / was ihro ſelbs und andern das vortraͤglichſte / folglich der ehre GOttes am gemaͤſſeſten ſeye. Daher ſie insgemein lieber einige ſchritte gleichſam zuruͤcke von dem / was noch er - laubt werden koͤnte / bleibet / als daß ſie ſich auch nur in die gefahr zu viel zu thun begaͤbe: ſie meidet gerne boͤſen ſchein / in dem zweifelhafften wehlet ſie lieber das ſicherſte; wo ſie ſorgen muß / daß einige ſonſten ſich dran ſtoſſen / und aus vertrauen auff ſolches exempel (ſonderlich da ſie weiß / daß um eini - ges guten willen andere ihre augen viel auff ſie gerichtet haben) ihre freyheit noch weiter ziehen / und daruͤber ſicher werden moͤchten / braucht ſie ſich lieber ihrer freyheit am wenigſten; und wo ſie auch ihres hertzens tuͤcke wahrnim - met / daß daſſelbe an ſeiner ſchoͤnheit ein ſuͤndliches und eiteles wohlgefallen zu haben / und ſich dero zu uͤberheben beginnet / unterlaͤſſet ſie am liebſten / was an ſich nicht unrecht ſeyende / ihr doch aus einer dieſer urſachen ſuͤndlich werden wuͤrde. Daher rufft ſie auch GOtt ſtets hertzlich an / der ihr ſeinen willen nicht allein insgemein / ſondern was er auch uͤber ſie und dieſes ihr ver - halten ſeye / zu erkennen geben wolle / und laͤſſet ſich alsdenn davon leiten. Wie auch mit dieſem wunſch ſchlieſſe / daß der HErr alle ſeine kinder durch ſeine gnade gewiß mache / zu erkennen / wie ſie ihm allezeit am beſten gefallen / und ſie in allem anligen durch ſeinen Geiſt regiere um unſers JEſu willen. A - men. 1696.

SECTIO XXVI. Von den Perruquen, ob derotragen ein mit - telding.

DJe frage: Ob die perruquen ein freyes mittelding / und worin - nen ſolches zu erkennen? beantworte ich zwahr mit einem bloſſen ja /jedoch477ARTIC. IV. SECTIO XXVI. jedoch achte zu der ſache beſſerem verſtand unterſchiedliches zu bemercken noͤthig. 1. Es kan mit perruquen auch ſuͤndlicher pracht getrieben werden / wie mit allen andern ſtuͤcken / die zu des menſchen kleidung und habit gehoͤren / ſo wol durch dero koſtbarkeit als unzimlichen fleiß und ſorgfalt / ſo man daran wendet / ſo dann eigenem wohlgefallen / das man daran hat / und ſeinem al - ten Adam / der gern pranget / damit krauet. Es iſt aber alsdenn nicht die perruque an ſich ſelbs ſchuldig / ſondern die ſuͤnde ſtecket in dem hertzen / kan auch nicht weniger mit eigenen haaren begangen werden; ja wo das eigne wohlgefallen in dem hertzen ſtecket / und man bey andern geſehen ſeyn will / kan im gegentheil gleichwie ein abgeſchaben muͤnchs-kleid in der opinion der mehrern heiligkeit / alſo auch die aus gleicher urſach herkommende nachlaͤßig - keit in den haaren zum ſuͤndlichen pracht werden. 2. An ſich ſelbs a - ber ſind perruquen, ſofern ſie nichts anders ſind / als gebrauch frembder an ſtatt eigner haar / zu dem ende / dazu uns die haare natuͤrlich gegeben ſind / ei - genliche freye mitteldinge / indem ſie von GOtt nirgends verboten ſind. Aus dem A. T. kan nicht das geringſte dagegen angefuͤhret werden / da doch ſonſten Gott den Jſraeliten in euſſerlichen dingen allerhand ordnungen vorgeſchrie - ben / alſo gewiß nichts auszutrucken vergeſſen hat / was ihm im euſſer lichen ſchlechterdings zuwider waͤre. So vielweniger kan es dann in dem N. T. verboten ſeyn / da wir ohne das von allen euſſerlichen ſatzungen befreyet / nun - mehr kein ander geſetz haben / als das geſetz der liebe: alſo gar daß uns nichts verboten iſt / was nicht der liebe (nemlich GOttes / des nechſten und unſer ſelbs) entgegen ſtehet: dahingegen mit keinem zimlichen ſchein gezeiget wer - den kan / wie die perruquen einiger art der liebe entgegen waͤren: ja zu erhal - tung der geſundheit / kommen ſie vielmehr bey denen / welche ihr bedoͤrffen / mit der liebe ſeiner ſelbs uͤberein / und werden von derſelben erfordert. 3. Dem moͤchte allein entgegen gehalten werden / was 1. Cor. 11 / 14. 15. ſtehet / daß auch die natur lehre / daß es einem mann eine unehr ſeye / ſo er lange haar zeuge / dem weib aber eine ehre / wo ſie dergleichen zeuge. Es folget aber nichts mehr daraus / als daß die natur und natuͤrliche beſchaffen - heit beyderley geſchlechter / da das weibliche ordenlich nach ſeiner natur mehr und laͤngere haar hat / anzeige / daß jegliches geſchlecht in ſeiner ordnung / da - zu es GOtt geſchaffen hat / bleiben / und demſelben ſich gern bequemen ſolle: Dahingegen wo manns-perſonen auff weibiſche art ihre haar lang wachſen laſſen / und darinnen prangen wollen / ſolches den ſchein gibet / daß ſie ſich des vorzugs aus der natur wider goͤttliche ordnung begeben wolten: hingegen welches weib die haar verſchneidet / und die zierde ihrer natur ableget / einent mann gleich zu werden / ſchaͤmet ſich goͤttlicher ordnung / als die mit ihrem ge - ſchlecht nicht zu frieden iſt. Dieſes aber gehet die perruquen, welche der na -O o o 3tuͤrli -478Das dritte Capitel. tuͤrlichen geſtalt der maͤnnlichen haare gleich kommen / und keine weibiſche zierde vorſtellen / nicht an. 4. Weil dann gedachter maſſen perruquen an ſich ſelbs mitteldinge ſind / ſo werden ſie gut oder ſuͤndlich aus dem hertzen derje - nigen / die ſie anlegen / und den urſachen / warum ſie angenommen werden. Unter allen ſolchen urſachen aber ſehe ich keine unſtraͤflicher als diejenige / wo man ſie aus offenbahrer nothdurfft der geſundheit traͤget / da nemlich entwe - der das haupt allerdings der haare entbloͤſſet iſt / oder doch deſſen beſchaffen - heit eine mehrere decke / als das natuͤrliche haar gibet / erfordert. Jn ſolchem fall halte ich dieſelbe nicht nur vor erlaubt / ſondern daß ſie ohne andere gleichwichtige hindernuͤſſen nicht unterlaſſen werden koͤnten. 5. Wie nun / was uns geſund oder nicht ſeye / vornemlich von den Medicis ſolle verſtanden werden / achte ich davor / daß derjenige ſeinem gewiſſen auch am ſicherſten ra - the / der deroſelben ausſpruch / ob ihm eine perruque noͤthig / wo er nicht ande - re wichtige urſachen hat / daß er derſelben rath nicht beypflichten kan / folget. Jch meines orts bekenne / daß ob mir wol von mehrern jahren einige Medici einer perruque meldung gethan haben / daß mich doch darzu nicht entſchlieſſen koͤnnen / aus der urſach / weil ich das gegentheil ſorge / nemlich daß dieſelbe meinem kopff mehr ſchaͤdlich als dienlich ſeyn moͤchte: indem meine geſund - heit meines ermeſſens ſonderlich in der ſtaͤten transſpiration des gantzen lei - bes / ſo an dem haupt ſonderlich durch die haar geſchihet / beſtehet / die ich ge - hemmet zu werden fuͤrchte / wo eine perruque auffſetzte; deſſen grund daher nehme / weil die haar unter der perruque bald grau werden / und gleichſam abſterben / da ich alsdann glaube / die transſpiration dadurch nicht mehr ſo be - quem zu geſchehen. Alſo ſuche ich die erhaltung meines haupts darinne / oh - ne perruque zu bleiben / dabey mich bißher durch GOttes gnade wohl befun - den habe / und mich vor aͤnderung foͤrchte. Wie mich auch entſinne / daß es einige gereuet / perruquen zugelegt zu haben / und davor gehalten / ſie ſeyen darnach den fluͤſſen mehr unterworffen worden. Alſo wolle mein werther Herr GOtt hertzlich anruffen / ſeinem Medico und ihm wohl zu erkennen zu geben / ob ihm dergleichen geſund ſeye oder nicht / ſo ich auch ſelbs denſelben wuͤnſche / deſſen gewißheit zu haben: Jſt aber ſolche frage richtig / bedarffs nicht / ſich weiter gewiſſen zu machen eine ſolche auffzuſetzen. Der HErr a - ber ſeye ſelbs deſſen artzt und leben / und erhalte ſowol als ſtaͤrcke ſeine leibs - kraͤfften / die ich weiß / daß er willig ſeye / mit aller treue zum dienſt ſeines Got - tes anzuwenden. 1696.

SECTIO XXVII. Noch ein anders von tragen der Perruquen, ſo ſich auff das vorige beziehet.

Weil479ARTIC. IV. SECTIO XXVII.

WEil beliebet / einer vornehmen Adl. perſon und hohen Miniſtri anli - gen wegen gebrauch einer perruquen an mich mit gelangen zu laſſen / als habe meiner ſchuldigkeit erachtet / ſo bald die zeit gewinnen koͤn - nen / meine gedancken uͤber daſſelbe hiemit in der furcht des HErrn zu uͤber - ſchreiben / und zwahr 1. ſende hiebey mein vor einem jahr bereits an andern ort geſtelltes bedencken / wo von den perruquen, ob man ſie in abſicht der ge - ſundheit zu tragen befugt ſeye / gehandlet worden: weil die Momenta der ſa - chen ſelbs / ſo viel ich davon begreiffe / allerdings mit darinnen enthalten ſind; und bleiben insgemein die beyden ſaͤtze feſt / einstheils / daß die perruquen ei - ne an ſich ſelbs unſtraͤffliche decke / ſo wol als muͤtzen / calotten, huͤte und der - gleichen / zuachten / daher allein aus andern umſtaͤnden / und ſonderlich aus der antreibenden urſach des gebrauchs / ſuͤndlich oder unſuͤndlich werden (wie faſt zwahr insgemein die moralitaͤt einer handlung meiſtens an dem gemuͤth des menſchen / der ſie thut / haͤnget / und das eußerliche darnach geurtheilet wird) andern theils aber / daß auch im tragen derſelben koͤnne / ja pflege / offt geſuͤndigt zu werden: maßen die meiſten urſachen / welche andere auch an ſich ſelbs unſtraͤfflichekleidung ſuͤndlich machen / auch dergleichen ſchuld auf die perruquen bringen moͤgen. Jch ſehe aber / daß die perſon ohne das hiermit einig iſt. 2. Alſo kommet es hier vornemlich darauf an / ob das - jenige wegen der umſtaͤnde des hoff-lebens vor recht gehalten werden koͤn - te / was aus urſachen der geſundheit ohne widerſpruch unſtraͤfflich iſt. Da ich es denn zu bejahen keinen zweiffel nicht habe / nicht allein weil die ur - ſach der geſundheit mit darinnen ſtecket / und nachdem ſolche leute bey hoff al - lezeit ohne andere decke ſeyn muͤßen / der mangel der perruque, wegen des ſtets bloſſen hauptes / natuͤrlich der geſundheit ſchaden bringen wuͤrde / ſon - dern auch weil gleichwie bey den kleidern / ob dieſe oder jene mode, was das eußerliche anlangt / (es ſeye denn ſache / daß eine leichtfertigkeit / als bey ent - bloͤßung der weibs-perſonen geſchehen kan / allzugroße koſtbarkeit oder dergleichen etwan / ſie ſelbs verwerfflich machte) erlaubt oder nicht erlaubt / loͤblich oder ſtraͤfflich ſeye / daran hanget / was zeit und landes-ſitte mit ſich bringet / alſo gleiches auch bey den perruquen gilt / die dem kopff dasjenige ſind / was anderes gewand bey dem uͤbrigen leib zu thun hat. Daher / wie ich demjenigen das wort nicht reden wolte / welcher zu erſt / ſo ſchwehrlich ohne ſuͤndliche vanitaͤt mag geſchehen ſeyn / die perruquen in ſolchen allgemeinen ſchwang gebracht / daß auch andern damit faſt eine dienſtbarkeit aufge - buͤrdet worden iſt / ſo iſt hingegen derjenige ohne ſchuld / der ſich nun durch die / ſo fern was die hoͤfe und vornehmer perſonen con - dition anlangt / eingefuͤhrte allgemeine gewohnheit mit nachziehen laͤſſet / und was nunmehr νόμος und χώρα mitbringet / nachahmet. Wie dann insge -480Das dritte Capitel. gemein die einfuͤhrung neuer moden ſuͤndlich iſt / und derjenigen / die ſie an - fangen und leicht nachfolgen / gewißen auf unterſchiedliche art beſchwehret / hingegen aber wo dieſelbe nunmehr gantz allgemein und lange verjaͤhret / denjenigen etzlichen / welche nunmehr alſo allein bey der aͤltiſten der großvaͤ - ter tracht bleiben wolten / und alſo mit ſo großem unterſchied von allen an - dern ihrer zeit / ohne deſſen ſonderbahre und wichtigſte urſachen / aufgezogen andern zum ſchauſpiel einhergiengen / daſſelbig? mehr zum eigenſinn als tu - gend / auch von verſtaͤndigen Chriſten angerechnet werden wuͤrde. Weil denn hier außſetze / daß dergleichen perruqven an den hoͤfen / ſonderlich bey der - gleichen Standes perſonen / allgemein / und ob ein ſolcher vornehmer mini - ſter an ſeinem hoff durch ſeine autoritaͤt ſich alſo zuſchuͤtzen wuͤßte / daß ihm / daß er ſich dem gemeinen lauff nicht beqvemete / ohnſchaͤdlich waͤre / aufswe - nigſte bey verſchickung an andere hohe ort / ihm und ſeinen verrichtungen die gedachte entziehung nachtheilig ſeyn wuͤrde / ſo finde nicht allein den ge - brauch der perruqven, demjenigen / deſſen hertz dabey in rechter ordnung vor GOtt ſtehet / erlaubt / ſondern daß er ihm allerdings zu rathen ſeye. Jn dem aller der vortheil / den man von der enthaltung hoffen moͤchte / dem dar - aus entſtehenden ungemach nicht gleich zuſetzen waͤre. Da hingegen in ſol - chen dingen / welche an ſich ſelbs frey ſind / der dabey befindliche nutze oder ſchade / auff dieſe oder jene ſeite das ſtaͤrckſte gewicht geben muͤßen. 3. Was den ſcrupel der zoͤpffe aulangt / als welche allein eine zierde gehalten wuͤrde / und deßwegen einem Chriſten verboten geachtet werden ſolten / bekenne gern meine unwiſſenheit / daß ich nicht wiſſe / ob denn ſolche lange zoͤpffe bey allen hoff-perruquen gewoͤhnlich / oder nur allein von denjenigen gebraucht wuͤr - den / welche vor andern ſich mehr galant auf zufuͤhren profeſſion machen. Waͤre dieſes letztere / ſo koͤnnte ich einem / dem es ein ernſt / ſein Chriſtenthum unſtraͤfflich zu fuͤhren / und niemand zu einem ziemlichen ſcrupel uͤber ihn ur - ſach zu geben / nimmer rathen / daß er denjenigen / welche vor andern der welt zu gefallen ſich laſſen angelegen ſeyn / nachaͤffe / ſondern vielmehr / da er von dem allgemeinen gebrauch eigenſinnig ſich nicht entziehet / daß er hinge - gen anderer ſtoͤltzlinge ſonderligkeit / in dem er ihnen nicht nachgefolget / mit ſolchem ſeinem zuruͤckbleiben lieber beſtraffe. Wie ich mich entſinne / daß große und angeſehene hoffleute / ſonderlich / da ſie von jahren geweſen / ſich in ihrer autoritaͤt mehr befeſtiget / als dieſe dadurch verletzet / wenn ſie zwahr der hoffmode ſich nicht gantz entzogen / aber in allen ſtuͤcken / auch perruquen, von anderer juͤngerer leute eitelkeit und uͤbermaß zuruͤck gehalten haben. Solten aber ſolche zoͤpffe nun ein gleichſam weſentliches ſtuͤck der hoff-perru - quen ſeyn / ſo gilt von jenen auch / nach dem ſie die gewohnheit autoriſiret / dasjenige / was fuͤr die perruquen insgemein geſprochen worden: Und hin -dert481ARTIC. IV. SECTIO XXVII. dert nicht / daß ſie eine bloße zierde ſeyn ſollen; denn obwol insgemein die kleider nicht zur zierde / ſondern erinnerung unſer ſchande / gegeben / bringet ſolches nicht mit ſich / daß nicht einige zierlichkeit dabey in acht genommen werden duͤrfte: Vielmehr enthaͤlt ſich S. Paulus 1. Tim. 2 / 9. deſſen nicht eines zierlichen kleides zu gedencken: Ja ich zweifele / ob leicht einige klei - dung ſo gar biß auf die bauren / ſich finden werde / da alles an dem gantzen kleid zur bloßen nothdurfft gerichtet / und nicht auch etwas daran ſich finde / wie gering es auch ſeyn moͤchte / das nur auf zierde / oder wohlſtand / wie mans nennet / angeſehen waͤre: Da gleichwol auch ſolche Chriſten / die gern auf alles genau acht geben / ſich kein gewißen daruͤber machen werden. Daher auch dieſe urſache der zierlichkeit die zoͤpffe der perruquen, dafern ſonſt nicht uͤbermaaß getrieben wird / nicht an ſich ſelbs verwerfflich machen kan. 4. Den locum des lieben Pauli anlangend 1. Cor. 11. habe davon meine ge - dancken in dem mitgeſandten vorgeſtellet: So meldet der Apoſtel austruͤck - lich / daß er von demjenigen mithandele / nicht allein was eigenlich zu dem goͤttlichen geboth gehoͤret / wohin zu ziehen derjenige unterſcheid der beyden geſchlechte / daß ſich in allem des mannes vorzug und des weibes unterthaͤ - nigkeit an den tag lege / ſondern auch was die natur lehre / (worvon wir die unter menſchen und gewißen voͤlckern eingefuͤhrte gebraͤuche / ſo doch alle in der natuͤrlichen vernunfft einigen grund haben / und zu der natur im gegen - ſatz goͤttlicher offenbahrung gezogen werden / nicht ausſchlieſſen duͤrffen.) Daher die Apoſtoliſche abſicht ſo fern in dieſem ſtuͤck uns nicht weiter weiſet / als daß auch in dem gottesdienſt nichts wider die natuͤrliche und nach jeden orts davoꝛ geachtete ehꝛbarkeit oder πρέπον, daran ſich deßwegen andere ſonſt ſtoßen wuͤrden / vorgehen moͤge. Sind denn nun in ſolchen ſtuͤcken die ſit - ten der menſchen und voͤlcker unterſchieden / ja wohl einander gar entgegen / (wie dann allerdings einige die langen haare auch vor maͤnnliche zierden ge - halten haben / denen zwahr die meiſte ſich nicht beqvemet) ſo bleibet die re - gel des Apoſtels an ſich einerley / aber dero anwendung richtet ſich nach zeit und ort / daß nicht einerley ſchluß folget. Wo man aber ſonderlich darauf ſehen wolte / daß Paulus verbiete / mit bedecktem haupt zu beten / wuͤrde ſol - ches doch nicht kraͤfftig gegen die perruquen getrieben werden: Denn wie ſolches nicht gehet gegen eines mannes natuͤrliche haardecke / ſo halte auch nicht / daß es gegen die angenommene haardecke gezogen werden koͤnne; wie denn auch nach unſern ſitten derjenige mit bloßem haupt bey geiſt - und welt - lichen actibus zuerſcheinen gehalten wird / der ohne hut oder andere decke in bloßer perruque erſcheinet. 5. Jch komme endlich auch auf die anfrage we - gen des ſoͤhnleins: Wo es eine bald ausgemachte ſache waͤre / wenn die er -P p phal -482Das dritteCapitel. haltung der geſundheit dieſes mittel erforderte / daß man zu derſelben ohne bedencken gleich zu ſchreiten haͤtte: Wie aber darvon zu urtheilen vielmehr Medicis zukommt / bekenne doch meines orts / daß ich der jugend die perru - quen zur geſundheit nicht zutraͤglich glaube / ſondeꝛn daß ihren haͤupteꝛn viel beßer ſeye der freyen lufft / der man in dem gantzen leben viel exponirt iſt / bald zu gewohnen; dahero auch wol hohe perſonen die ihrige nicht nur ohne perruque, ſondern gar bloßes haupts in freyer lufft offt ſtehen laſſen / und dadurch dero geſundheit nicht zu verderben / ſondern ſie zu ſtaͤrcken / achten. Auffs wenigſte kan ich mir nimmer einbilden / daß es ſonderlich in jungen jahren erſprießlich ſeye / die haare / durch welche vieles aus dem kopff evapo - riren ſolle / mit einer perruque gleichſam zu erſticken / und ſolche transſpirati - on, wo nicht gar zu verſtopffen / doch ſehr zu hindern. Waͤre es aber / daß dem ſoͤhnlein der geſundheit wegen die perruque nicht noͤthig / wuͤrde auch ſonſten keine gnugſame urſach ſeyn / die darzu noͤthigte / vielmehr ſolle die ſor - ge / daß nicht das gemuͤthe allzufruͤhe zur beluſtigung an der eitelkeit / und ſich gern ſehen zu laſſen / dadurch gereitzet / oder vielmehr die dazu bey allen natuͤr - lich befindliche luſt geſtaͤrcket werde / die eltern von dergleichen vorhaben ab - halten: darzu auch nicht wenig dienet / wo dieſe offt in der kinder gegenwart uͤber die beſchwehrliche dienſtbarkeit dergleichen frembdes haar aus noth zu tragen ſich beklagen / damit denſelben zeitlich ein eckel dran gemacht werde / um ſie auch dermaleins nicht anders als aus noth zu tragen / dadurch vielem ſuͤndlichen weſen auff das kuͤnfftige vorgebeuget werden kan. Dieſes iſts / wie ich die gantze ſache angeſehen / und ſolche meine gedancken hiemit auff ver - langen zu eigner der vornehmen perſon chriſtlicher pruͤfung vorſtellen wol - len / aus denſelben alsdenn dasjenige zu wehlen / oder zu folgen / wovon ſich das gewiſſen nach gottſeliger uͤberlegung und andaͤchtigem gebet uͤberzeuget finden wird. Der himmliſche Vater mache uns ſelbs in allen ſtuͤcken ſeines willens gewiß / und laſſe diejenige / welche denſelben zu erkennen begierig ſind / daran nicht fehlen / er wolle auch ſeingutes werck (davon die ſorgfalt der anfrag uͤber dieſe materie zeugnuͤß gibet) in der mir unbekanten perſon fort ſetzen / vermehren und vollenden auff den tag JEſu Chriſti. 1697.

SECTIO XXVIII. Von der phraſi, tres creatores. Von ge - ſundheit trincken.

WAs anlanget die Controverſiam mit D. Sempronio, iſt mir leyd / daß geliebter bruder mit darein gewickelt worden / ſo vielleicht unterblie - ben zu ſeyn beſſer geweſen waͤre. Was das erſte anlanget: an dicipoſ -483ARTIC. IV. SECTIO XXVIII. poſſit, eſſe tres creatores? wuͤſte ich nicht / ob gantz ſimpliciter mit ja oder nein ſich antworten laſſe. Jch wolte die phraſin nicht gebrauchen; indeſſen kan ſie doch auch von jemanden in ſolchem verſtand gebraucht werdẽ / der nichtirrig / daß es alſo an dem verſtand gelegen iſt: werden tres creatores gemeinet / tres eſſentiæ creatrices, ſo iſts gewiß falſch: heiſſen ſie aber tres perſonæ creantes wie tres teſtes, ſo wird der Orthodoxiæ nicht zu nahe getreten. Jndeſſen wie gedacht / wolte ich nicht ſo reden / ſondern mich einer phraſeos ſaltem ambiguæ lieber enthalten / wie auch ſolches den worten des Symboli Athanaſiani ge - maͤſſer kommet. Wo aber D. Sempronius ſich nicht ſonſten verdaͤchtig ge - macht hat / oder in der Explicatione phraſeos weiter gegangen iſt / wolte lie - ber geſehen haben / daß mit ihme nicht waͤre angebunden worden; wie wir verlangen / daß jeder auch unſere redens arten am guͤtigſten und nach dem be - ſten verſtand annehme / ſo thun wir billig auch gegen andere / und was ſich commode expliciren laͤſſet / nehmen wir auch alſo auff. Was die frage: Ob ein Chriſt ohne verletzt des gewiſſens koͤnne auff eines geſundheit trincken? betrifft / leugne nicht / daß ich auch mir daruͤber kein gewiſſen ma - che / ob wol hoffe / nicht eben in verdacht zu ſeyn / daß ich den trunck liebe. Jch habe vor etwa 2. jahren oder druͤber einmal eines ſonſten chriſtlichen Juri - ſten ausfuͤhrung dieſer frage auch in partem negativam geſehen: bekenne a - ber / daß ich mich dadurch nicht convinciret finde. 1. Allen uͤberfluͤßigen / und entweder den leib oder das gemuͤth beſchwehrenden trunck halte ich vor ſuͤndlich und zwahr nicht mit der welt vor ein geringes peccatillum / ſondern vor eine haupt-ſuͤnde / welche ſowol als einige andere aus der gnade Gottes ſetzet. Dahero 2. mit geſundheit zu trincken einen zu ſolchem uͤberfluß noͤ - thigen / oder bereden / ſo denn ſelbſt mit dem beſcheid thun uͤberladen / iſt frey - lich ſuͤnde / und hat keiner macht / um der gewohnheit willen / daß man eine ge - ſundheit ohne unhoͤfflichkeit nicht abſchlagen doͤrffe / mehr als ſich geziehmet / zu ſich zunehmen. Jch hoffe auch / daß exempel zeigen koͤnne / wo ich mei - ne portion, die ich mir geſetzt / getruncken / und meinen durſt geſtillet hatte / daß nicht nur fuͤrſtlicher / ſondern gekroͤhnter haͤupter geſundheiten mit modeſter eutſchuldigung decliniret habe; bereit wo man in mich ſetzen haͤtte wollen / eher alles daruͤber zu leyden. Jch leugne 3. nicht / daß das geſundheit trin - cken manchmal eine gelegenheit werde zu uͤbrigem trincken; daher es auch an einem bekanten chriſtlichen hof abgeſtellet worden; moͤchte deßwegen wol leyden / daß es ſuperiori autoritate verboten wuͤrde / wie denn die obere nicht nur dinge / ſo an ſich boͤſe ſind / ſondern auch andere indifferente ſachen / ſo aber leicht gelegenheit zu boͤſem geben / zu verbieten macht / ja offt wichtige urſachen haben in welchem fall es mit gutem gewiſſen nicht mehr geſchehenP p p 2koͤn -484Das dritte Capitel. koͤnnte. Jndeſſen 4. wie es in der ſchrifft nirgend verboten iſt / ſo habe auch noch keine einige urſache angefuͤhrt geſehen / welche das gewiſſen convincir - te / daß man ſolche ceremonie ſelbſt vor unrecht halten muͤſte; ſondern wie einen guten wunſch zuthun / zu allen zeiten und bey jeder gelegenheit / nicht unrecht iſt / ſo achte auch dieſe von langem gewaͤhrte gewohnheit / daß ſolches bey einem trunck geſchehe / vor unſuͤndlich / und traute mir keinen daruͤber zu beſtraffen / noch machte mir ein gewiſſen / einen mir noch dißmal noͤthi - gen trunck auf eine geſundheit / ohne andere darbey vorgehende eitel - keit / zu mir zunehmen? Jch ſorgte auch / wo ich das gegentheil behaupten wolte / ich nehme mir eine nicht zuſtehende macht / etwas zur ſuͤnde zu ma - chen / welches Gottes wort nicht darzu macht / und wuͤrffe dem gewißen ei - nen ſtrick ohne noth an. Nun wie es unverantwortlich iſt / in einem dinge / wo GOtt etwas verbeut / ſich die macht der diſpenſation zu nehmen / nicht nur in groben ſachen / ſondern auch in denjenigen / die die welt vor wohl er - laubet haͤlt / ſo halte hingegen auch nicht nuͤtzlich / die goͤttliche befehl und ge - bote weiter / als ſie GOtt ſelbſt gegeben / zu extendiren. Verſichere auch / daß eher anſtoß als erbauung daraus entſtehet. Jn dem wo einige von uns ſolche dinge bloß verboten zu werden ſehen / deren ſuͤndligkeit wir nicht zur gnuͤge / und mit uͤberzeugung des gewiſſens erweiſen koͤnnen / ſie daraus gele - genheit nehmẽ / gleiches von allen andern zu uꝛtheilen / die auch mit mehrerem grund wahrhafftig ſuͤndlich zu ſeyn erwieſen werden koͤñen. Dieſes waͤre mei - ne meinung in dieſer ſache / die ich hoffe / dem gewißen nicht anſtoͤßig zu ſeyn / will aber gerne vernehmen / was dagegen gebracht werden koͤnte. Der HErr HErr mache durch ſeine gnade unſere hertzen in allen dingen gewiß. Hatte ſonſt bey dieſer gelegenheit freundlich zu bitten / weil ohne das mein werther bruder vielen ein dorn in den augen iſt / und deroſelben hand wider ſich ſehen muß / daß er zwahr in der ſache GOttes nicht weiche / welches wir auch nie macht haben / in deſſen gleichwol ſich mit aller ſorgfalt vorſehe / in keinen un - noͤthigen zwiſt zu gerathen.

SECTIO XXIX. Was von dem tantzen zu halten ſeye und obes mit dem Chriſtenthum uͤberein komme?

WO man von dem tantzen in abſtracto, und gleichſam als in einer idea redet / ſo kan man von demſelben nicht ſagen / daß es an ſich ſelbs und bloß dahin verboten ſey / indem an ſich eine bewegung des leibes / nach einer gewiſſen melodie oder numeris nicht vor ſundlich geachtet werden kan / ſondern bleibet vor ſich eine indifferente ſache. So war es nicht ſuͤnd -lich /485ARTIC. IV. SECTIO XXIX. lich / wenn 2. Sam. 6 / 14. David mit aller macht vor der lade des HErrn hertantzete: Und Salomo Pred. 3 / 4. gibt dem tantzen ſeine zeit. Alſo be - kennet unter den Reformirten / welche ſonſten vor andern einen greuel an dem tantzen allezeit bezeuget. Aretius L. 169. p. 961. per ſe non eſſe damnabi - les ſaltationes jam dixim us, nam Davidem, Mariam, mulieres apud Samue - lem non reprehendimus: Wiederum Perkins. L. 3. caſ. conſc. Diximus qui - dem ſaltare per ſe non eſſe peccatum. Und Danæus Eth. Chriſt. L. 2. f. 222. Non omnis ſaltatio damnata eſt.

Weil wir aber nicht bloß von jeglicher ſache / wie dieſelbe etwa in abſtra - cto conſideriret werden koͤnte / ſondern wie wir ſie in praxi finden / das ur - theil abfaſſen muͤſſen / ſo achte ich / daß nun in dieſer materia es nicht ſo wol zu thun ſeye um die theoriam und die ideam einer ſache / die wir in dem gebrauch nicht finden ſondern um dasjenige / was wir antreffen / und insgemein zu ge - ſchehen ſehen / auch nicht wol hoffen koͤnnen / daß ſich die leute werden ſo leicht in den ſchrancken halten laſſen: Wenn denn nun geredet wird von den taͤntzen / wie ſie insgemein zu unſerer zeit gebraͤuchlich ſind / ſo finde ich nicht / wie ſie wol entſchuldiget werden koͤnnen / ſondern ſehe ſie vielmehr an / als eine ſache / da viel ſuͤndliches meiſtens mit unterlauffe.

I. Sind ſie gemeiniglich gelegenheiten zu allerhand leichtfertigkeit / und anderer uͤppigkeit: Und laͤſſet ſich etwa in den gedancken dieſelbe einigerley maſſen von den taͤntzen wol abſondern / in der praxi aber wirds ſchwehr wer - den / dieſe dermaſſen einzuſchrencken / daß alle ſolche unfugen vermieden blei - ben; ja es kan nicht geleugner werden / daß dergleichen ſehr offters darbey vorgehe / woruͤber geklaget wird / und es alſo nicht eine zweiffelhafftige ſorge iſt / desjenigen / was etwa geſchehen moͤchte / ſondern ein kraͤfftiges argument von dem / was insgemein geſchihet. Einer von den alten Franckfurtiſchen Evangeliſchen Predigern M. Melch. Ambach hat 1543. von dem tantzen ſein urtheil trucken laſſen / aus dem wir allein einige ſtuͤcke hieher ſetzen: Lieber warum tantzet die welt / jung und alt? des fleiſches luſt und kuͤ - tzel zu buͤſſen / und zu erfuͤllen / einer dem andern nach dem fleiſch zu dienen / die augen (wo es ja nicht mehr ſeyn mag) an andern leuten auffs boͤſe zu erſaͤttigen. Wo beweiſet man groͤſſern pracht mit klei - dern / unmaͤßigem leichtfertigem geſchmuck / denn eben am tantz? Lieber was iſt doch tantzen anders / denn eine bewegung zur geilheit / gefallens der laſter / bewegung zur unkeuſchheit / und ein ſpiel / das al - len frommen uͤbel anſtehet. Wie offt hat ein frommes weib / (ſpricht Franc. Petrarcha) ihr lang behaltene ehr am tantz verlohren? die jung - frau erlernet / daß ihr beſſer / ſie haͤtte es nie erfahren. Wie viel gu -P p p 3ter486Das dritte Capitel. ter leumden und ſcham iſt am tantz umkommen? Wie viel gehen vom tantz unzuͤchtiger und wanckelmuͤthiger? keine aber keuſcher. Durch tantzen iſt ſcham und keuſchheit offtmals beſtritten / geſtuͤrmet und ge - ſtuͤrtzet worden. Und wer kan alles uͤbel / das augen und ohren bey dem tantz ſchoͤpffen / unzuͤchtig geſpraͤch und greiffen mit ſich bringen / erzehlen? Leichtfertige huriſche gebaͤrden uͤbet man nach ſuͤſſem ſaͤiten - ſpiel und unkeuſchen liedern. Da begreifft man frauen und jung - fern mit unkeuſchen haͤnden; man kuͤſſet einander mit huriſchem um - fahen: Und die glieder / welche die natur verborgen / und ſcham bede - cket hat / entbloͤſſet offtmals geilheit / und unter dem maͤntlein einer kurtzweile und ſpieles wird ſchand und laſter bedecket. Wo beſchieht mehr uͤbermuth / trutzes / mordens / verachtung anderer / erhebung und fuͤrtragung ſeiner ſelbs / denn eben am tantz? Wie kan nun dieſes ein guter baum ſeyn / der ſolche ſchaͤndliche / aͤrgerliche / ehrloſe und hoͤl - liſche fruͤchte / traͤget. Zeig mir aber einen welt-tantz je beſchehen / der nicht dieſe fruͤchte zum theil / oder alle mit ſich bringet. So nun nie keine gute frucht aus der welt tantzen entſproſſen iſt / ſondern allewege boͤſes erwaͤchſet / kan ja der baum nicht gut ſeyn / und deßhalben auch nicht aus GOTT. Er gehet nachmal noch weiter / cap. 2. Alle werck / darinnen man GOttes ordnung / wort und befehl nicht hat / ſind ſuͤn - de und boͤß. Tantzen hat nicht GOttes ordnung / wort noch befehl / darum iſt tantzen boͤß und ſuͤnde. Es ſoll ja aller Chriſten thun und leben aus GOttes ordnung und wort herflieſſen / und alſo aus glau - ben gehen / ſonſten iſts alles ſuͤnde / was wir leben und thun. Nun zeige mir einen buchſtaben aus GOttes wort / daß tantzen GOttes ordnung / wort und befehl habe. Denn die gruͤnde aus der H. ſchrifft mit den haaren gezogen / damit tantzen / daß es nicht ſuͤnde ſeye / ver - meinet wird zu erhalten / helffen nicht / werden auch nicht nach dem ſinn und meinung des Geiſtes GOttes / ſondern fleiſchlich und gar nicht mit wahrer auslegung angezogen und vorgetragen. Biß hie - her M. Ambach / deſſen worte / ſo ferne ſie auf die praxin des bey uns uͤblichen tantzens gezogen werden / nicht aber das tantzen abſtrahirt von aller dieſer begleitenden und folgenden unordnung gemeinet wird / wol paßiren moͤgen.

II. Stehet das herumlauffen und ſpringen / (welches / wo es einer von weitem ſihet / der etwa das ſpielen nicht hoͤret / ſondern allein das untereinan - der-lauffen und uͤbrige geſtus gewahr wird / nicht wol anders anſehen kan / alsob487ARTIC. IV. SECTIO XXIX. ob die leute nicht bey gutem verſtand waͤren) derjenigen ehrbarkeit / und gra - vitaͤt / die den Chriſten insgeſamt anſtaͤndig iſt / nicht wolan. Daher auch einige unſer chriſtlichen Theologen die taͤntze auf die jugend reſtringiren / hin - gegen alten und erwachſenen leuten vor unanſtaͤndig achten. Alſo ſchreibet Herr D. Dannhauer Hodom. Calv. ph. 6. p. 1296. Si viri adulti ac matronæ ſaltando tripudient, perinde abſurdum videtur, ac ſi equis ligneis inter pue - ros inequitent: Habet quævis ætas ſua ἤθη καὶ πάθη. Juvenes decet verecun - dia, juvat ſaltatio honeſta: quæ viros ſenesque dedecent. Wie er derglei - chen auch geprediget und geſchrieben Catech. Milch. P. 2. p. 450. Geiſtlichen perſonen / alten leuten / und die ſonſten in autoritaͤt und ehren-ſtand ſchweben / ſtehen ſolche jugend-freuden eben ſo wenig wol an / als wenn ſie unter den kindern auf dem ſtecken herum reiten wolten. Nun wird nicht nur dieſes bey unſern taͤntzen nicht obſerviret / als darinnen alte und junge mit einander herum ſpringen / ſondern man ſolte lieber ſagen / unſer Chriſtenthum insgeſamt / ſolle alle Chriſten nicht weniger von dem gewoͤhn - lichen tantzen abhalten / als die ihrem alter vor anſtaͤndig geachtete gravitaͤt die etwas aͤltere davon ab ſolle halten: Und wuͤſte ich nicht / ob diejenige / wel - che in allen ſtuͤcken den regeln ihres heiligen beruffs nachleben wollen / finden werden / daß ihnen dieſelbige mehrere freyheit laſſen / als die abſonderliche conditionen gewiſſer ſtaͤnde oder alter / die man vor gnugſam haͤlt / das tantzen ihnen zu ver wehren. Weil einmal alle Chriſten / als derer ſtand der wuͤrdig - ſte iſt / eine gravitaͤt an ſich haben ſollen / mit deren ſolche eitelkeit nicht uͤber - ein kommt. Worbey auch der worte D. Meisneri mich erinnere bey Dedek. Conſil. volum. 2. p. 372. Da er bekennet. Diffiteri non poſſumus, iſtas cir - cumagitationes pedumque motiones levitatis cujusdam & non virilis gra - vitatis eſſe indicium, ſi ſuſcipiantur à perſonis provectioris ætatis.

III. Wir wiſſen / daß uns Chriſten durchaus oblige / auf unſer thun und laſſen / reden / gebaͤrden und wercke / alſo acht zu geben / daß wir gedencken / wir muͤſſen vor alles rechenſchafft dem ſtrengen richter geben; dahero wir nichts thun ſollen / wir ſehen dann / daß es zu GOttes ehren dienlich / oder dem nech - ſten im geiſt oder leiblichen nuͤtzlich / oder uns ſelbs noͤthig / oder zu unſrem ſcheinbaren nutzen vortraͤglich ſeye. Was nicht einige dergleichen bewegen - de urſachen hat / mag vor GOttes gericht nicht beſtehen. Nun weiß ich nicht / wie das tantzen unter einige derer rubricquen referiret werden moͤge / ſondern iſt eine bloß vergebliche / und weder in leiblichem noch geiſtlichem nuͤtzliche ſa - che / damit alleine einer eitelkeit des ſinnes und fleiſches wolluſt nachgehenget wird. Welcherley dinge / mit der den Chriſten ſo ernſtlich anbefohlenen ſelbs-verlengnung nicht uͤbereinkommen. Ja wo nur von der unnuͤtzen zeit - verderbnuͤß ſolte gedacht werden / moͤchte auch dieſelbe ein nicht geringes mo -men -488Das dritte Capitel. mentum zu der verwerffung der ſache geben; indem ja der HErr von jeglicher zeit und ſtunde rechenſchafft fordern wird / wie wir ſie entweder in dem geiſtli - chen / zu ſeinem dienſt / des nechſten oder unſerer eigenen erbauung / oder in dem leiblichen / abermal zu des nechſten huͤlff und dienſt / oder unſerer nothdurfft / leibes geſundheit und dero noͤthiger pflege angewendet haben. Jch weiß zwahr / daß in dieſem examine nicht nur allein das tantzen zimlich noth leidet / ſondern auch manche andere in der welt vor erlaubet geachtete ergetzlichkeiten nicht wol beſtehen koͤnnen: Jndeſſen bin ich verſichert / die regel ſey gewiß. So reden wir auch nicht von dem alamode-Chriſtenthum / indem ſich die regeln Chriſti / nunmehro nach unſerm wolgefallen / und der welt gebraͤuchen / beugen laſſen ſollen / ſondern was ein Chriſt / der wahrhafftig ſeinem GOTT ſein leben heiligen will / in ſeinem gewiſſen werde verantworten koͤnnen oder nicht: Worzu ferner kommt / weil auffs wenigſte die meiſten taͤntze / wie ſie insge - mein getrieben werden / viel uͤppiges und ſtraͤffliches an ſich haben / und ein groſſer theil ſind der uͤppigen freude der welt / daß rechtſchaffenen Chriſten anſtehen wolle / ſich auch der welt nicht gleich zu ſtellen / in demjenigen / worinn ſie ſo ſehr excediret / und obs wol auf einige art reſtringiret werden koͤnte (ſo doch ſchwehr gnug fallen moͤchte / daß nicht eben andere ſuͤnden das tantzen ſelbs / ſo freylich ſonſten an ſich ein mittel-ding iſt / begleiteten / oder aus dem - ſelben entſpruͤngen) ſie / die welt / von dieſem exempel ſich in ihrem uͤbrigen welt-weſen ſehr beſteiffet. Wir ſehen ſonſt / wie etwa dinge / welche mittel-din - ge geweſen / und auch noch ihren zimlichen nutzen gehabt haben / wo ſie haben angefangen ſehr mißbrauchet zu werden / ſind gar abgeſtellet worden / da man entweder geſorget / man werde es nicht zu dem rechten gebrauch bringen / oder doch dem mißbrauch nicht ſo kraͤfftig widerſtehen / wenn derſelbe noch immer einige exempel vor ſich anziehen koͤnne. Wie viel mehr haben wir ſolche dinge / die gar nichts von ſonderbahrem nutzen haben / hingegen gar leicht zu aller - hand uͤbel gelegenheit geben / in ſolchem ſtande auch um der urſach willen zu unterlaſſen / damit wir uns denenjenigen nicht gleich ſtellen / die eine ſolche ſache durch den mißbrauch gleichſam ihnen zu eigen gemacht haben / und ſich darnach in ihrer uͤppigkeit beſtaͤrcken / wenn ſie die ſache ſelbs bey denjenigen noch ſehen / die den nahmen guter Chriſten tragen / damit ſich nachmalen auch das ihrige als mit einem deckmantel zu zimlichem ſchein muß behaupten laſſen / dadurch aber andere ſchwache gar leicht zur nachahmung jener uͤppig - keit verfuͤhret werden / ſo doch allerdings zu verhuͤten iſt.

IV. Daher wir ſehen / daß von anfang der chriſtlichen kirchen zu allen zei - ten diejenige / welche uͤber ein gottſeliges leben geeiffert / auch von dem tantzen ſchlecht gehalten haben. Jn dem ſo alten und in dem dritten Seculo gehalte - nen Concilio zu Laodicea lautet der 53. canon. ὅτι οὐ δεῖ χριστιανοὺς εἰς γάμουςἐπερχο -489ARTIC. IV. SECTIO XXIX. ἐπερχομένους βαλλίζειν ὀρχεῖσθαι, ἀλλὰ σεμνῶς δειπνεῖν ἀριστᾶν, ὡς πρέπει χριστιανοῖς Welches von Iſidoro Mercatore alſo gegeben wird: non opor - tet Chriſtianos ad nuptias euntes vel ballare vel ſaltare ſed caſte cœnare. vel prandere, ſicuti competit Chriſtianis. Welche faſt gantz gleiche worte aus dem Concilio Ilerdenſi angezogen werden; finden ſich aber in den heuti - gen Canonibus nicht mehr alſo. Wie hart die Patres gegen das tantzen ſchrei - ben / liget vor dem tag / und ſind die worte Arnolii, Ambroſii, Auguſtini, Chry - ſoſtomi hin und wieder zu leſen. Wolte man aber ſagen / ſie redeten von dem mißbrauch / oder dem damal uͤblichen heydniſchen tantzen / ſo ſind gleichwol ih - re reden dermaſſen abgefaſſet / daß ſie keines beſſern gebrauchs darbey geden - cken; und moͤgen wir alſo wol ſagen / wie wir jetzo von den taͤntzen reden / nicht wie ſie etwa ſeyn koͤnten / ſondern wie ſie in praxi ſeyn / alſo haben ſolche liebe leute gegen ſolche greuel geeiffert / und daher die gantze ſache den leuten ver - leiden wollen / von dero ſo ſchwehrlich ein rechter gebrauch zu finden iſt. Denn daß ſie allein von demjenigen tantzen / da etwas der heydniſchen abgoͤtterey dabey geweſen (wie auch ſolche unter den Heyden ſich gefunden haben) gere - det ſolten haben / wird ſich mit nichts erweiſen laſſen / ſondern wider die un - eingeſchrenckte generalitaͤt ihrer worte ſtreiten. So war zu den zeiten Am - broſii, Auguſtini, und Chryſoſtomi der zuſtand ſchon alſo / daß die euſſerliche macht des Chriſtenthums die euſſerliche abgoͤttereyen abgeſchaffet / und nicht ſo wol von denſelbigen als andern aͤrgernuͤſſen / die ſonſten freylich auch aus dem Heydenthum hergekommen ſind / in ihren klagen und ſtraffen muß ge - redet ſeyn. Nach ſolcher zeit auch unter den Chriſten haben ſich allezeit leu - te gefunden / die gegen dieſe eitelkeit geeiffert. Was das verbot an die Geiſt - liche anlanget / ſo finden ſich davon unterſchiedliche conſtitutiones. Aber auch haben mehrmal andere chriſtliche maͤnner insgeſamt diejenige / welche GOTT recht dienen wolten / von dem tantzen abgemahnet. Ludov. Vives, ein mann / der zu ſeiner zeit ein zimlich liecht vor andern gehabt / haͤlt ſehr nuͤtz - lich libr. de inſtit. fœmin. Chriſt. Ut virgo ad ſaltationes non aſſuefiat. Unter den unſrigen ſchreibet Joh. Brent, in cap. 3. Luc. hom. 30. f. 215. Ubi citius dediſcitur atque amittitur verecundia, quam in publicis ſaltationibus & inverecundis choreis? quare honeſtæ puellæ intereſt, ut inverecundas ac promiſcuas illas chorearum ſaltationes non aliter quam ſcholam invere - cundiæ & impudicitiæ fugiat; und wiederum: Cui enim arrident indeco - , fractæ ac molles chorearum ſaltationes, mirum ſinon ei arrideat ipſa mollities & turpitudo: Wiederum: Quantum igitur peccant ſaltatrices ſuis mollibus geſtibus, tantum peccant ſpectatores approbando & concupi - ſcendo. Und obwol unſere mehrere Theologi, wo ſie von der frage handeln gegen Reformirte / diejenige theſin behaupten / daß das tantzen nicht an undQ q qvor490Das dritte Capitel. vor ſich ſelbs ſuͤnde ſeye / ſo ſetzen ſie doch dergleichen limitationes darzu / die es genau einſchrencken / und wo es ſich nicht alſo einſchrencken laſſen wolle (wie wir dergleichen von der heut zu tage gantz ausgelaſſenen boßheit der jungen leute nicht wol hoffen koͤnnen) verlangen ſie lieber deſſen abſtellung. Der S. D. Dannhauer Catech. Milch. P. 2. f. 449. ſaget alſo: Wir wollen deß - wegen gewiſſe conditiones, maaß und weiſe voꝛgeſchrieben haben / und im fall dieſelbe nicht erſcheinen / oder nicht zu erhalten waͤren / wolten wir auch lieber / das tantzen bliebe gantz unterwegen: Darinnen er auch dem alten rechtſchaffenen Theologo Sarcerio zu folgen geſtehet P. 3. vom hei - ligen eheſtand p. 113. So zeigen ſie auch faſt insgemein / daß es ihnen nicht ſo wol darum hoch zu thun ſey / daß die praxis viel geuͤbet werde / die ſo leicht boͤ - ſes nach ſich zihet / als daß die chriſtliche freyheit nicht mit dem allgemeinen ſatz / ob waͤre alles tantzen an ſich ſelbs ſuͤnde und verboten / geſchwaͤchet werde. Stellet man aber das tantzen wie andere mittel-dinge / die man nicht nuͤtzlich / ſondern ſo bewandt findet / daß man leicht darinnen anſtoͤſſet / aus ſolchen ur - ſachen ab / ſo moͤgen ſie es wol geſchehen laſſen / und werden es etwa lieber ra - then. Alſo ſchreibet der Daͤniſche beruͤhmte Biſchoff D. Brochmann. Syſtem. T. 2. art. 18. p. 62. nachdem er zwo aſſertiones erſtlich geſetzet hatte. 1. Quæ - vis choreæ improbari non poſſunt. 2. Choreas hodiernas nihil habere commune cum priſcis ſanctorum choreis notius eſt, quam ut probatione ſit opus: So ſchlieſſet er mit dieſer tertia theſi: quanquam res indifferens ſit ſaltatio, ut quæ natura ſua nec bona nec mala ſit: quanquam etiam cujus - que loci conditioni pluſculum dandum ſit: quanquam denique omnes choreæ non ſint æque periculoſæ, ſed quædam ſua ſimplicitate ſe commen - dent, ut noſtratium: tamen quia choreæ, in quibus viri fœminis mixti ſalti - tant, non faciunt quicquam ad ſalutarem ædificationem, tutius omittuntur quam fervidius exercentur: tum quia hujusmodi choreæ à gentibus ortum duxere: tum quia rarius niſi à potis & bene paſtis aguntur, tum denique ab ejuſmodi choreis non parum abſterrere nos debet monitio prophetæ Eſaiæ, ita nos alloquentis cap. 5, 11. 12. addatur Amos 6, 5. 6. So iſt ohne das die - ſes eine allgemeine / und wie in der ſchrifft uns vorgeſtabte / alſo von allen Theologis erkante regel / daß in allen dingen nicht nur abſolute, ob etwas in ſich eꝛlaubet ſey / geſehen werden ſolle / ſondern was voꝛ nutzen oder ſchaden da - von zu erwarten ſeye. 1. Cor. 10 / 23. Jch habe es zwahr alles macht / aber es frommet nicht alles / ich habe es alles macht / aber es beſſert nicht alles.

V. Es koͤmmt auch heut zu tage billich in conſideration die bewandnuͤß unſerer zeit / und zeiget / wo auch ſonſten das tantzen zu anderer zeit wol paßi -ret491ARTIC. IV. SECTIO XXIX. ret moͤchte werden / ſo gewinne es nun ein ander anſehen. Der bereits etliche mal angezogene Straßburgiſche Theologus D. Dannhauer Catech. Milch. l. c. ſchreibet deutlich alſo: Sonderlich ſind verboten insgemein alle taͤn - tze / wann offentliche land-ſtraffen / krieg / peſtilentz / und hungers-noth graßiren: wenn dem braͤutigam aus ſeiner kammer / der braut aus ih - rem gemach zugehengeboten iſt / wenn die chriſtliche kirche ihren Char - freytag haͤlt / und das haupt Johannis des Taͤuffers im blut ſchwim̃et. Wenn Ninive den buß-ſack anzihen / und faſten begehen / wenn man um den ſchaden Joſephs ſich bekuͤmmern ſolle / und demnach iſts ein - mal unrecht / wenn zu gegenwaͤrtigen zeiten / da Teutſchland und die Chriſtenheit im blut badet / taͤntz angeſtellet / und erlaubet werden. Was ſonſt ein mittel-ding iſt / das wird von dem umſtand der zeit in ſuͤnd und unrecht verwandelt. Tantzen hat ſeine zeit / ſagt Salomon. Daraus folget / daß das tantzen nicht allezeit erlaubet ſeye. Darauf er ſich auf die ſchreckliche trau-wort bey dem Amos 6 / 3. bezeucht. Derglei - chen lehrt auch der gleichfals beruͤhmte Ulmiſche Doctor Dietrich uͤber Eccl. 3. p. 428. Da er ſonſten das tantzen vertheidiget und erlaubet: Aber wenn es nicht zu klag-zeiten geſchihet / zu ſolcher zeit / wenn etwa gemeine ſtadt - und land-betruͤbnuͤß vorgehe / oder der eine oder der andere ſein hauß-leid oder klage hat in ſeinem hauß oder in ſeinem geſchlecht / unter ſeinen nechſten bluts - freunden oder verwandten. Denn da ſoll der braͤutigam aus ſeiner kammer gehen / und die braut aus ihrem gemach Joel 2 / 16. Denn weil ohne das der tantz eine anzeigung iſt / nicht allein der froͤlichkeit / ſondern auch dieſelbige erwecket / ſo iſt es ja eine groſſe ſchande / und ein unchriſtlich weſen / daß einer alsdann / wenn er klagen / leide tragen und trauren ſoll / tantzen und froͤlich ſeyn wolle. Denn das klagen und weinen hat ſeine zeit / und mit den weinenden ſoll man weinen / mit den traurigen ſoll man traurig ſeyn Rom. 12 / 15. Andere fuͤhren wir nicht weiter an. Wo wir aber die ge - genwaͤrtige zeit anſehen / ſo bedarff es kaum halbes auffthun der augen / zu er - kennen / daß wir wahrhafftig in einer ſchwehren trauer-zeit ſtehen. Sehen wir das geiſtliche an / ſo hat nicht nur allein (die innere bewandnuͤß unſers kirchen-weſens betreffend) der feind in dem heiligthum ſo gar alles verderbet / daß der mißbrauch und aͤrgernuͤß dermaſſen uͤberhand genommen / daß uns kaum etwas anders zum ruhm uͤberbleibet / als die einige reinigkeit der lehre / und wir / ob wir ſchon die goͤttliche gerichte noch nicht vor augen ſehen / uns verſichern koͤnnen / es muͤſſen dieſelbe bald ausbrechen / und ſein heiligthum (ach daß es nicht mit einer ſchwehren verſtoͤhrung geſchehe!) reinigen. Da -Q q q 2her492Das dritte Capitel. her welche mit erleuchteten augen die ſache anſehen / zur traurigkeit / jammer und klag urſach gnug antreffen. Sondern auch das in die augen euſſerlich fallende belangend / ſo ſtehen die gerichte GOttes vor der thuͤr / und ſchweben uns uͤber den haͤuptern. Wie unſere glaubens-bruͤder in Ungarn biß daher tractiret worden / und wie lange nunmehro viele derſelben ihrer Prediger und exercitii religionis entrathen muͤſſen / wiſſen wir alle. Jn Schleſien ſehen ſie ein nicht viel geringer wetter allgemach herbey nahen. Was den Refor - mirten in Franckreich begegnet / iſt ein ſpiegel deſſen / was uns vorſtehet / die wir obwol in andern ſtuͤcken von denſelben unterſchieden / zu Rom dennoch in gleicher verdammnuͤß ſind: Zu dem die lieben leute die meiſte nicht wegen der articul / darinnen ſie irren / ſondern wegen der noch mit uns bekennender wahrheit / leiden muͤſſen. Und insgeſamt ſehen wir / daß der trotz und die gewalt des Roͤmiſchen Babels alſo zunimmt / daß wir nicht wol anders dencken koͤnnen / als GOtt habe demſelben die macht gegeben / ſeinen letzten grimm gegen uns auszuuͤben / und das verdorbene Jeruſalem zu verſtoͤhren / ehe ſein gericht folge / und ihm ſelbs auff den halß falle. Jn dem weltlichen ſehen wir ja auch das groͤſſeſte elend theils auff uns ligen / theils noch bevorſtehen; zu geſchwei - gen der leidigen ſeuche die anderwertlich unſere glaubens-bruͤder jetzo ſo heff - tig trucket / und wir nicht wiſſen / wie weit die von GOtt beſtimmete reige ſich noch erſtrecken werde / ſondern uns alle auff ſolche auch gefaßt machen muͤſſen. Nun in ſolchem ſtand will ſich gar nicht ziemen / dergleichen offentli - chen freuden-bezeugungen nachzuhengen / ſondern viel mehr im ſack und in der aſchen buſſe zu thun / und uns zu bereiten zu dem bevorſtehenden.

Aus allem obbeſagten achte ich von ſelbs zu flieſſen / weil das tantzen auffs wenigſte (wie niemand ſich auch nur zu ſagen unterſtehen wird) von GOtt nicht geboten iſt / nechſt dem keinen nutzen in dem geiſtlichen hat / der vorgebende nutze in dem weltlichen auch ja gering oder gaꝛ wol nichts iſt: der ſchade / der daraus entſtehen kan / und gemeiniglich entſtehet / wichtig iſt / und viel aͤrgernuͤß nach ſich ziehet: wo einigerley maſſen ſolches ſolte erlaubet ſeyn / ſo viele reſtrictionen dabey ſeyn ſolten / die kaum erhalten werden koͤn - nen / und bey denen die taͤntzer ſelbs der ſo eingeſchrenckten luſt kaum mehr begehren werden: die zeiten auch uns zur traur nicht aber zur freude an - weiſen:

I. Daß denn / was chriſtliche hertzen ſind / die verſtehen / warum ſie in der welt leben / daher nichts begehren zu thun / als wodurch die ehre GOttes und des nechſten beſtes / ſo dann ihr eigen heil / befordert werden mag / und da - von ſie dermaleinſt rechenſchafft geben muͤſſen / hingegen gedencken / daß ihnen alles ſuͤnde ſeye / was nicht aus dem glauben und alſo aus der verſicherungihres493ARTIC. IV. SECTIO XXIX. ihres gewiſſens / daß es GOtt gefalle / herkommet / ſich auch mehr und mehr gewehnen / die liebe dieſer welt / darunter 1. Joh. 2 / 16. augen-luſt / fleiſches - luſt und hoffaͤrtiges leben (welcherley ſich in dem tantzen insgemein zeiget) gehoͤret / ſamt allem deme / worinnen ſolche vornemlich geuͤbet / und der boͤſe natuͤrliche zunder leicht angeſteckt und geheget wird / abzulegen und ſich zu verwahren / ſo denn in allen ſtuͤcken nicht nur anzuſehen / ob etwas bloß dahin erlaubet / ſondern auch ob es ihnen ſelbs und andern nuͤtze und beſſer: daß ſa - ge ich / alle ſolche / wo ſie die ſache recht erwegen / ſo ſie allezeit thun ſollen / von ſelſten an dieſer in der welt gebraͤuchlichen eitelkeit einen eckel faſſen / und aus eigenem trieb davon abſtehen werden. Welches bey uns Predigern ſo viel noͤthiger iſt / als uns geziemet / andern mit guten exempeln vorzugehen / auch unſer exempel in gutem und boͤſem viel nachtruck hat; daher ich dafuͤr halte / ein Prediger thue ſeinem amt und unſerem gantzen Ordini einen ſchimpff an / welcher ſich jemal dieſer welt-eitelkeit theilhafftig macht / wie ſchon oben ge - hoͤret / daß ſo gar bey allen denenjenigen / von welchen einige gravitaͤt erfor - dert wird / das tantzen durch und durch vor unanſtaͤndig anzuſehen ſeye. Da - her auch bey wolbeſtellten Miniſteriis man meiſter orten nichts dergleichen hoͤren wird / nur gleichſam tentiret zu werden: So vielmehr / weil uns noch vor andern geziemen will / von allem boͤſen ſchein zuruͤcke zu bleiben.

II. Daß auch chriſtliche Obrigkeiten / welche wiſſen / daß ihnen oblige / nach vermoͤgen den ſuͤnden und dero gelegenheit zu ſteuren / wollen ſie nicht ein ſtuͤck der verantwortung derſelben ihnen ſelbs auffladen / urſach gnug ha - ben / ihren unterthanen / ſonderlich in dieſer betruͤbten zeit / dieſes zu verbie - ten. Damit alſo diejenige / welche aus eigenem trieb des gewiſſens ſich deſ - ſen gern enthalten / aber nicht ſtarck gnug ſind / die deswegen ihnen zuſtoſſen - de anfechtungen / widerrede und ſchimpff zu uͤberwinden / in ſicherheit geſe - tzet werden / daß ſie nicht etwa aus ſchwachheit ſich nachmal wider ihr gewiſ - ſen laſſen verfuͤhren: Ferner daß andere gute gemuͤther / die es noch nicht al - ſo begreiffen / wie viel unzimliches in dem tantz vorgehe / und in unwiſſenheit ſich offt mit verſuͤndigen / durch das obrigkeitliche gebot abgehalten werden: endlich daß auch das freche und boͤſe volck / die doch nichts beſſer werden wer - den / auffs wenigſte nicht nur von dem tantzen ſelbs / ſondern fuͤrnemlich de - nen uͤbrigen uͤppigkeiten / die an ſich ſelbs ſuͤnde ſind / und die bey ihnen un - ausbleiblich daraus folgen / und von dem aͤrgernuͤß / welches ſie andern ge - ben / mit gewalt und ſtraffe abgehalten werden / wie dergleichen auch insge - mein practiciret zu werden pflegt: Sihe Bened. Carpzov. Jurispr. Conſiſt. L. 2. Defin. 159. und 262. Jch ſchlieſſe billig mit demjenigen / womit der liebe Gerhardus ſeine Tractation beſchleuſt / nemlich mit den worten des alten va - ters Ambroſii, welcher / damit wir uns nicht beſchwehren moͤgen / daß unsQ q q 3mit494Das dritte Capitel. mit dem tantze alle froͤligkeit benommen werde / uns auff ein geiſtlich tantzen verweiſet L. 6. in Luc. c. 7. Docuit nos ſcriptura ſaltare ſapienter, dicente Domino ad Ezech. cap. 21. Plaude manu & percute pede. Neque enim hiſtrio - nicos fluxu corporis motus Deus morum cenſor exigeret, aut indecoros ſtrepitus viris plauſusque fœmineos imperaret, ut tantum prophetam de - duceret ad ludibria ſcenicorum, & mollia fœminarum. Non congruunt, reſurrectionis revelata myſteria & opprobria ſaltationis exacta. Eſt ho - neſta quædam ſaltatio, qua tripudiat animus & bonis corpus operibus re - velatur, quando in ſalicibus organa noſtra ſuſpendimus. Jubetur ergo propheta plaudere manu & percutere pede, jubetur pſallere, quia ſponſi nuptias jam videbat, in quibus deſponſatur eccleſia, Chriſtus adamatur. Et bonæ nuptiæ, quando verbo anima ſpiritui caro nubit. &c. Quemadmo - dum ab ebrietate corporali ad ſpiritualem nos revocat Eph. 5, 18. ita a ſal - tatione illa corporali ad ſpiritualem exultationem â virgine Deipara. Luc. 1, 17. nos revocari ſtatuamus. So dann mit den worten unſers alten M. Melch. Ambachii geweſenen Predigers hie in Franckfurt am Mayn vom tantzen c. 3. welche / weil das tractaͤtlein rar iſt / gerne hieher abſchreibe: Nun wolan / wolte GOtt die feinde Chriſti und ſeines volcks bekehr - ten ſich zu CHriſto / oder erſoͤffen mit denen Egyptiern im rothen meer / wir wolten alle mit Miriam paucken / pfeiffen / ſpringen und tantzen: aber nicht bloß und ſchlecht mit einander / ſondern Miriam mit den Frauen und Jungfrauen etc. O daß GOtt den kaſten ſei - nes heiligen worts / welche die Philiſter und Antichriſtiſche hauffe lange zeit gefangen halten / und neben ihren Dagon ſtellen / ſeinem armen volck wieder zugeſtellet / und gen Jeruſalem unter ſeine gan - tze chriſtliche gemeine kommen lieſſe. O wie wolten wir mit David huͤpffen / ſpringen und tantzen / paucken / pfeiffen und allerley ſei - ten-ſpiel herfuͤr ſuchen / GOttes guͤte und barmhertzigkeit mit geiſt / leib und ſeele groß zu machen? Wie ſollen wir aber in ſolchem zwang und elend jetzt vorhanden / unſer fleiſch am tantz umher fuͤhren und ſeinen kuͤtzel buͤſſen / das uns ohne das in alle wege von GOTT und ſeinem worte auff ſich ſelbs und zu allem boͤſen abfuͤhret? Wie kan ein Chriſt tantzen / ſo ihn taͤglich die welt von Chriſto abſchrecket / der teuffel wie ein bruͤllender loͤwe mit aller macht und boßheit ohne unterlaß anlaufft / ſtuͤrmet und ſtuͤrtzt? Wie moͤcht ein Chriſt / die - weil er noch in der feinde haͤnde iſt / tantzen? Miriam tantzet nicht /alldie -495ARTIC. IV. SECTIO XXIX. alldieweil Jſrael noch in Egypten war / ſondern da ihre feinde im rothen Meer erſoffen waren. David auch nicht / alldieweil die la - de GOttes unter den feinden und nicht an ihrem gebraͤuchlichen or - te war. Auch hat David nicht eine ſchoͤne Venus (wie die welt-taͤn - tzer) an der hand gefuͤhret; ſo hat auch kein Adonis oder Cupido Mi - riam vorgetantzet; Wie ſolte ein Chriſt tantzen / dieweil Pharao und Egyptus / die feinde des Evangelii Chriſti / das volck GOttes je laͤnger und haͤrter betraͤngen und aͤngſtigen? Ja daß die Ebreer / das iſt / die Chriſten / den Propheten GOttes nicht glauben noch folgen / und daß die / ſo jetzt aus Egypten gefuͤhret / wieder zuruͤck nach den Egyptiſchen fleiſch-haͤfen ſehen. Darzu die jetzt des verheiſſenen landes guͤter geſchmeckt / und an den graͤntzenhinein zu kommen wohneten / mit den abgoͤttiſchen Moabitern und mit der huͤpſchen huren Casbi eingehen / heyrath machen und huren. Ja jetzt iſt die zeit zu klagen und weinen / nicht zu tantzen. Wenn aber GOTT wird wiederbringen / daß er ſein volck aus gefaͤngnuͤß (des antichri - ſtiſchen reichs) fuͤhret. Denn ſich Jſrael erfreuen wird / und Jacob ſich erſpringen. Denn wird das volck GOttes froͤlich paucken / und heraus gehen / an der reigen / denn wird ſich der braͤutigam Chriſtus freuen mit ſeiner geſponß der chriſtlichen gemeine: Die aber dieſen ſpruch Eſaiaͤ Cap. 62. auff das welt-tantzen ziehen / ſolten vor geler - net haben / daß der Prophet Jeſaias vom 40. cap. biß ans ende / dar - zu auch Jeremias von CHriſto / ſeiner gemein und reich (welches nicht von dieſer welt / ſondern frommkeit / fried / freud in dem Heil. Geiſt / nicht im fleiſch iſt) weiſſagende. Man wolte denn der Juͤden und Chiliaſten fleiſchlich und falſche Opinion annehmen. Denn die - ſe ſpruͤche der Propheten / alſo auff das fleiſchlich / unzuͤchtig / leicht - fertig und epicuriſch tantzen anziehen / reimet ſich gar nichts / ob ſie ſchon auch von dieſer zeit freude (welche GOtt ſeinen kindern auch etwa gibet) geredet haͤtten / wuͤrden ſie dennoch der jetzigen welt-uͤp - pigs / ſardanapaliſch tantzen in keinen weg billigen? Wie moͤcht der Geiſt aller Heiligkeit des fleiſches geilheit und kuͤtzel / das er toͤd - tet und ihm gehorſam macht / billigen? Nun der HErr gebe uns in al - lem ſeinen willen und die heiligkeit unſers beruffs alſo einzuſehen / daß wir darinn nach ſeines Geiſtes trieb wandeln / und in die freude unſers HErrn zu ſeiner zeit eingehen. Amen. 1680.

SECTIO496Das dritte Capitel.

SECTIO XXX. Von tantzen und der darzu brauchenden muſic.

GLeich wie derſelbige ſich noch wohl zueriñern weiß / als wegen des NN. Vice-Capellmeiſters mit mir geredet wurde / daß ich demſelben ſeine uͤber das tantzen und den gebrauch der muſic dabeyauffgeſtiegene ſcru - pel, welche ich vor gute regungen des Heil. Geiſtes erkenne / ihm nicht be - nehmen koͤnte / ſondern ihn vielmehr darinnen beſtaͤrcken muͤſte / alſo iſt mir lieb geweſen / daß mein hochgeehrter Herr kuͤrtzlich mir mit vorzeigung des chriſtlichen mannes eigener brieffe / ſeine gedancken und meynung deutli - cher zu erkennen geben wollen / wie ich denn nicht in abrede bin / aus denſelben eine hertzliche freude uͤber die gottſeelige reſolution, und eine liebe gegen deſſen wehrte perſon / gefaſſet zu haben. So kan auch numehr ſo viel gruͤnd - licher auff alles antworten / welches ich dann in der furchtdes HErrn in das folgende zuſammen faſſe 1. Wo ein ſcrupul des tantzens wegen in ein ge - muͤth kommet / ſo iſt ein ſolcher menſch bald gewiſſens halber verbunden / ſich deſſen zu enthalten / ob auch ſchon das tantzen an ſich nicht ſuͤnde waͤre. Dann dieſes iſt die krafft des gewißens / wann es auch ſchon irret / daß ein jeder / wer dagegen thut / ſich damit verſuͤndiget / dann er thuts mit zweiffel / Rom. 14 / 23. und weil er thut / was er GOTT zu wider zu ſeyn glaubet / ſo iſt ſchon bereits dieſes ſuͤnde / wider Gottes willen thun wollen. 2. Jn deſſen ſehe ich dieſen ſcrupul nicht an / als eine ſchwachheit eines irrenden ge - wiſſens / ſondern der eckel / welchen der ehrliche mann an dem tantzen hat / iſt gegruͤndet auff den allgemeinen regeln des rechtſchaffenen Chriſtenthums / deren nothwendige folgen / unter welche dieſe auch gehoͤret / leyder viel weni - ger menſchen / die ſich doch mit dem munde zu jenen bekennen / recht einſehen oder denſelben folgen / daher ich GOtt hertzlich dancke / wo er einige tieffer in ſolche materie eintringen laͤßet / und ihre hertzen zu allem haß der welt-liebe ruͤhret. Doch bin ich nicht in abrede / daß ich zu der zeit dieſer verderbnuͤß nicht eben allen dieſen ſcrupel mache / bey denen er ſich nicht ſelbs findet / ſon - dern vielmehr auf diejenige principia und grund-lehren der verleugnung ſein ſelbs / der ablegung der weltliebe / der abſagung aller eitelkeit / der nach - folge CHriſti / und dergleichen / treibe / welche in der krafft ſchon dasjenige in ſich faſſen / das uns das tantzen verbietet / und wo jene recht ins hertze trin - gen / dieſes von ſelbs fallen muß. Die urſach iſt dieſe / einestheils weil die unterlaſſung des tantzens / wo ſonſten das hertz mit liebe der welt und dero eitelen weſens annoch erfuͤllet bleibet / wenig zum wahren Chriſtenthum / o - der GOtt zugefallen / thun moͤchte. Wie alſo ein medicus bey einem gantzver -497ARTIC. IV. SECTIO XXX. verdorbnen leib nicht gern die eußerliche ſchaͤden / graͤtze oder dergleichen / an - greifft / ſondern nur gnug hat / daß dieſelbe nicht eben allzugefaͤhrlich uͤber - hand nehmen / und allzu arg werden / indeſſen ſeine hauptſorge darauff ge - het / innerlich den leib zu reinigen von allen verdorbnen und ungeſunden feuchtigkeiten / als verſichert / wann dieſes geſchehen / daß jene eußerliche un - reinigkeit an der haut / geſchwaͤhre und dergleichen ſelbs wegfallen und von innen geheilet werden werden; ſo achte ich auch das rathſamſte und beſte zu ſeyn / daß wir die liebe der welt und dero gepraͤngs aus dem hertzen innerlich ausfegen / hingegen eine heilige liebe GOttes und der geiſtlichen guͤter in dieſelbe pflantzen / als den anfang davon machen / den leuten allein etliche eu - ſerliche ausbruͤche der weltliebe mit zwang zuverbiethen / welche von ſich ſelbſt fallen werden / wann es innen erſtlich recht ſtehet: andern theils weil ich die wenigſte noch in dieſem ſtande finde / auff einer ſeyt des tantzens unrecht / weil es eben in der ſchrifft nicht austruͤcklich verboten ſtehet / zu erkennen / an - dern theils / wo ſie es erkenneten / mit der rechtſchaffenen reſolution durchzu - brechen / und der welt ſchmach daruͤber nicht zu achten: Bey welchen alſo mit mehrerer verbietung des tantzens dannoch nichts anders ausgerichtet wuͤr - de / als daß ſie kuͤnfftig nur deſto ſchwehrer ſich verſuͤndigten / da ſie / was ſie jetzt in mehrer unwiſſenheit und alſo mit weniger ſuͤnde thun / nachmal we - gen ſtaͤrckeren widerſpruchs des gewiſſens mit mehrer ſchuld thun wuͤrden. Daher mache ich ſolchen leuten von freyem keine unruhe ins gewiſſen / ſon - dern fahre ſtaͤts fort / offentlich und abſonderlich bey begebender gelegenheit dasjenige zu treiben / was die allgemeine pflichten unſers Chriſtenthums ſeyen / und wie eine ſeele / ſo wiedergebohren iſt / und GOtt gefallen ſolle / ge - ſinnet ſeyn muͤße: welche pflichten alle / wie ſie dem buchſtaben nach in der ſchrifft ſtehen / von niemand widerſprochen werden koͤnnen: hingegen wo ſie nicht ins hertz kommen / obgedachter maſſen eine eußerliche enthaltung ge - wiſſer dinge wenig nutzte / daher mit dieſen / biß jenes folge / gedult getragen werden muß / wo ſie aber die ſeele lebendig ruͤhren / ſo bald einen ſolchen eckel dergleichen einer uͤbung der eitelkeit wuͤrcken werden / daß es nicht weniger gewalt gebrauchte / ſie zum taͤntzen zubringen / als man vorhin noͤthig ge - habt haͤtte / ſie davon abzuhalten. Doch unterlaſſe ich nicht / mehrmal un - ſer heutiges tantzen auch in offentlichen predigten unter die dinge / die zu der weltliebe gehoͤren / zu referiren / denen die acht geben / zu mehrerem nachden - cken anleitung zu geben. Wo mich aber jemand fragt / erfordert Chriſten - thum und amt / meine meynung offenhertzig zu ſagen / und es eines ſolchen gewißen ferner zu uͤberlaſſen. Alſo nicht weniger / wo mich jemand der ſei - nigen wegen rath fraget / rathe ich nach meinem gewißen / und ſchmeichele kei -R r rnem.498Das dritte Capitel. nem. So viel mehr aber kommet mir dann zu / daß ich diejenige ſeelen / die der HErr ſelbs geruͤhret / nicht ſicher machen ſolle / ſondern vielmehr zeigen / wie recht ſie daran ſind / ſolcher weltfoͤrmigkeit ſich abzuthun / und ſie alſo in den vermeinten ſcrupuln ſtaͤrcken: wie ich mich hingegen eines ſchwehren ge - richts Gottes ſchuldig achtete / wo ich ein kind GOttes / ſo des Vaters Geiſt einiger bande der eitelkeit zu befreyen angefangen hat / auffs neue wiederum mit denſelben zu beſtricken helffen wolte. 3. Die frage ſelbs anlangend / ſo formiret ſie NN. alſo / was zu halten ſeye von dem heutigen ordinari tan - tzen / da ein mannsbild mit einer weibs-perſon auff hochzeiten oder ſonſt nach dem ſchall und klang der inſtrumenten oder geſchrey / ſo toll und daͤmiſch herum ſpringt / oder da man mit poßirlichen verkleidun - gen und ſeltzamen geberden in balletten ſich ſo zieret / und den leib ver - ſtellet / und dabey die edle muſic / ſo zu GOttes ehre gewidmet / miß - brauchet. Woraus alſo zu ſehen / daß nicht von dem tantzen in abſtracto, und wie man ſich eine gewiſſe ideam davon formiren koͤnte / ſondern von dem - ſelben / wie es in der gemeinen praxi uͤblich / und wo es faſt am beſten herge - het / nicht leicht ohne dergleichen dinge bleibet / welche auch diejenige vor miß - braͤuche achten / die es ſonſten in ſeinem allgemeinen concept vor erlaubet halten / gehandelt werde. Nun auff dieſe frage getraue ich mit getroſtem her - tzen zu ſprechen / daß ſolches tantzen eine weltliche eitelkeit / ſuͤndlich und da - her rechtſchaffenen kindern GOtt es unanſtaͤndig ſeye. Weil ich aber vor meh - rern jahren ungefehr anno 1680 oder 1681. dieſe materie in einem reſponſo ge - handlet / ſo habe ich lieber daſſelbe von wort zu wort mitſchicken / als ein neu - es machen wollen / zum zeugnuͤß daß ich ſolche ſache ſobedaͤchtig uͤbeꝛleget / daß im geringſten nicht urſach finde davon zu weichen: meyne auch es ſeye dieſer mein ausſpruch mit ſolchen gruͤnden des Chriſtenthums befeſtiget / daß einer ſeele / dero es ein ernſt iſt / ihres GOttes willen recht zu erkennen / genug dar - innen geſchehe / deſſelben uͤberzeuget zu werden / ob wol welt-hertzen niemal und mit nichts genug geſchehen kan / denen es allein darum zu thun iſt / nicht mit gehorſam den willen des Vaters zu lernen / ſondern ſeine luͤſte / von denen man niemal zu laſſen ſich feſt vorgeſetzt / mit allerhand vorwand zu bemaͤnteln und zu vertheidigen. 4. Jch bin zwahr nicht in abrede / daß auch chriſtliche lehrer unſrer kirchen von ſolcher frage zuweilen anders geredet haben / ſo we - nig aber meine meinung jemand auffzutringen verlange / oder begehre / daß ſie weiter angenommen werde / als ſich das gewiſſen durch die krafft der gruͤn - de goͤttlichen worts uͤberzeuget finde / ſo wenig werden auch andere chriſtliche lehrer (indem es wider die art unſerer religion / die nicht auf menſchen autori -taͤt499ARTIC. IV. SECTIO XXX. taͤt beſtehet / ſtreiten wuͤrde) verlanget haben / daß ihre meinung anderer ge - wiſſen eine regel bleibe; zumalen auch dero antworten gemeiniglich alſo lau - ten / daß man ſie vielmehr auff das tantzen in ſeinem general concept ge - richtet annehmen muß / und keiner ein dergleichen tantzen / wie es mit etlichen epithetis oben characteriſirt worden / zu billigen ſich unterſtehen wird. Was die ſpruͤche aus der ſchrifft anlanget / handeln ſie durchaus von einem derglei - chen tantzen / davon die frage lautet / nicht / und erweiſen alſo mehr nicht / als daß einiges gewiſſes tantzen koͤnne erlaubt gehalten werden / davon keine fra - ge nicht iſt. Wann auch theils einige aus voreingenommenem gemuͤth / theils andere vielleicht aus boßheit / allerley zu behauptung oder entſchuldigung des in frag gezogenen tantzens vorbringen / ſo achte ich / man doͤrffe nur dieſe reglen in acht nehmen / ſo werde ſich bald antwort auff alles geben. 1. Ein Chriſt darff nichts thun / das nicht aus glauben gehet Rom. 14 / 23. und al - ſo davon er in ſeiner ſeele eine gewiſſe uͤberzeugung hat / daß es GOtt gefalle. 2. Ein Chriſt darff nichts thun / davon er nicht ſagen kan / daß ers thue zu GOttes ehre 1. Cor. 10 / 31. So dann 3. in dem nahmen JEſu Chri - ſti Col. 3 / 17. Daher 4. wird ein Chriſt nichts zu thun macht haben / da nicht der zweck ſeye / entweder die ehre GOttes unmittelbar und nach der erſten taffel / oder das wahre beſte des nechſten im geiſtlichen oder leiblichen / oder unſere geiſtliche oder leibliche nothdurfft: wie ich dann auſſer dieſen ſtuͤcken nichts weiter dem zweck / warum uns GOtt in die welt geſetzet hat / gemaͤß finde. 5. Er iſt auch verbunden / alle ſeine zeit alſo anzuwenden / daß er GOtt davor rechenſchafft zu geben wiſſe / und alſo keine ſtunden liederlich mit willen zuzubringen. 6. So dann ſich vor allem / auch ſchein des boͤſen zu huͤten / und 7. ſein leben zu einer ſtaͤtigen uͤbung zu machen der beſtreitung der liebe der welt / die in augen-luſt / fleiſches-luſt / und hoffaͤrtigem le - ben beſtehet. 1. Joh. 2 / 15. 16. Wie mir nun dieſe reglen feſt ſtehen / ſo wirds ſchwehr werden / daß einer / bey dem noch einige ſcham vor GOtt iſt / ſich zu ſagen unterſtehe / daß er aus verſichertem glauben / zu GOttes ehre und in dem nahmen JESU CHRJSTJ tantze. Es wird ſchwehr wer - den zu zeigen / wie goͤttlicher dienſt / des nechſten wahrer nutze / und auch un - ſer geiſtlich oder leibliches wahre beſte durch das tantzen befordert werde. Es wird ſchwehr werden / den zeit-verluſt abzuleinen / oder GOtt vor ſolche ver - derbnuͤß rechenſchafft zu geben. Will man davor halten / der leib bedoͤrffe zu ſeiner geſundheit eine bewegung / das gemuͤth eine erfriſchung / welches ich nicht leugnen will / ſo erfordert abermal die regel / daß ſolche geſucht wer - den in dergleichen dingen / da der wenigſte ſchein des boͤſen iſt / da hingegenR r r 2der -500Das dritte Capitel. derſelbe bey dem tantzen am allerſtaͤrckſten iſt / auffs wenigſte / weil auch die ſtaͤrckſte verfechter des tantzens nicht leugnen koͤnnen / daß die allermeiſte taͤntze voller ſuͤndlichen uͤppigkeit ſtecken / welches dem geſamten tantzen bey rechtſchaffenen ſeelen einen uͤblen nachruhm gibet / daher man ja lieber die bewegung des leibes und erquickung des gemuͤthes in andern dingen ſuchen ſolle / welche mit ſolchem boͤſem ſchein nicht dermaſſen erfuͤllet ſind. Und letzlich / wer traut ſich wol zu widerſprechen / daß nicht / was der Apoſtel der lie - be der welt zu ſchreibet / bey unſerm tantzen ſich allezeit finde / ja gleichſam gantz unabſonderlich davon ſeye? dann bey den gemeinſten taͤntzen und groͤb - ſten volck iſt die fleiſches-luſt grob genug zu ſehen: wo es ehrbarer hergehet / regieret auffs wenigſte augen-luſt und hoffart: Ja was iſt faſt das kuͤnſt - lichſte tantzen anders / als die aufffuͤhrung eines goͤtzen / der ſich ſelbs in ſeinen zierlichen praͤchtigen bewegungen wohlgefaͤllet / und anderer augen zur ver - wunderung und belieben darſtellet / auch ſolches recht zum zweck ſetzet? da wiſſen wir aber / daß es laͤngſt geheiſſen / wo die liebe der welt ſeye / da habe die liebe des Vaters nicht ſtatt. Wobey es wol bleiben wird. Wo alſo die obgedachte reglen wohl in acht genommen werden / bin ich verſichert / daß eine gottsfuͤrchtige ſeele ſo wol einen eckel an dem tantzen faſſen / als auch materie genug finden werde / aus denſelben auff alles zu antworten / was zum behuff der tantz-luſt angefuͤhret werden moͤchte. 5. Wann es nun mit dem tantzen eine ſolche bewandnuͤß / wie ich mich dann deſſen gewiß verſichert halte / ſo folget von ſelbſten gantz leicht die antwort auff die andre frage: Ob ein rechtſchaffener chriſtlicher Muſicus, dem ſeiner ſeelen ſeligkeit ein recht - ſchaffener ernſt iſt / ſich mit gutem gewiſſen bey dergleichen koͤnne gebrauchen laſſen / oder auch mit verluſt ſeiner zeitlichen wohlfahrt / um GOTT nicht zu beleidigen und ſein gewiſſen nicht zu beſchwehren / daſſelbe zu meiden habe? Nemlich daß das erſte verneinet / das andere bejahet werde. Jndem es eine in dem Chriſtenthum ausgemachte ſache iſt / daß man nicht nur das boͤſe nicht ſelbs thun / ſondern auch ſich anderer ſuͤnde nicht theilhafftig machen / und da - zu behuͤlflich ſeyn doͤrffe. Weil dann die taͤntzer bekantlich ſuͤndigen / und unſre taͤntze uͤbungen einer weltlichen uͤppigkeit ſind / ſo kan keiner ohne verletzung ſeines gewiſſens dazu helffen: ſondern muß es auch auff alle gefahr von un - gunſt / haß und hindernuͤß ſeines euſſerlichen gluͤcks ankommen laſſen. Da - her ich mich uͤber die chriſtliche reſolution NN. von grund der ſeelenerfreue / und ihn nicht anders als zur beſtaͤndigkeit darinnen ſtaͤrcken kan. Zwahr ſo viel man menſchlicher weiſe vorſehen kan / ſolte man ſagen / daß er eben nicht ſondere gefahr davon zu erwarten habe: in dem nicht allein der Hochloͤbli - che Koͤnig und die gottſelige Koͤnigin / (ſo ich nunmehr von dem wuͤrdigenCron -501ARTIC. IV. SECTIO XXX. Cron-Printzen auch verſtanden zu haben mich freue /) von ſich ſelbs zu dieſer und anderer weltlichen eitelkeit keinen luſt nicht haben / ſondern auch viel zu chriſtlich ſind / als daß zu ſorgen waͤre / daß ſie eine perſon / ſo ihrem gewiſſen nach eine ſache zu thun nicht vermag / deßwegen ungnaͤdig anſehen ſolten. Daher ich mich verſichere / da er in dem nahmen des HERRN nicht nur ſich aller ſolcher gemeinſchafft des tan - tzes entſchlagen wird / ſondern auch gar ſo viel er koͤnte ſein mißfallen daran gegen andere bezeugte / oder wol gar ſeine bitte / der muſic mit dem auffwartẽ bey den taͤntzen zuſchonen / damit nicht diejenige / welche etwa morgens mit ihren ſtimmen und inſtrumenten den Gottesdienſt ziehren ſollen / mit eben denſelben abends ſolcher dem Herrn mißfaͤiligen eitelkeit aufwarten doͤrff - ten / an die Koͤnigliche Majeſt. richtete / daß ſolches nicht ohne frucht abge - hen wuͤrde. Dann entweder wird GOtt / ſo die hertzen in ſeinen haͤnden hat / ſo viel ſeegen geben / daß das theure koͤnigliche hertz ſo vielmehr von dem unrecht des tantzens uͤberzeuget / und vielleicht bewogen werde / an dem hoff und ſonſten ſolches uͤppige weſen gar abzuſtellen / oder doch ja in die enge zu ſpannen. (was ſolte nun dieſes dem chriſtlichen mann vor eine freude ſeyn / wann der Allerhoͤchſte ſeine gute intention zu abwendung ſo vieles boͤſen kraͤfftig ſegnete / und wie viel ſeegen wuͤrde ſolches auf ihn ziehen!) oder auffs wenigſte wird derſelbe unfehlbar vor ſeine perſon und hoffentlich auch ande - re / deꝛen gemuͤther der Herr auch ruͤhren moͤchte / eine mehrere und autoriſirte freyheit / wider ſein gewiſſen zu nichts angeſtrenget zu werden / erhalten. Zwahr muß er ſich gewiß dieſes dabey vorbilden / daß es der boͤſe feind / dem er in ſolcher ſache keinen guten dienſt leiſtet / ihm nicht ſchencken / ſondern er deſſelben zorn wider ſich fuͤhlen muͤſſen werde. Dann ob ich ihn wol in al - lem fall der koͤniglichen ungnade frey zuſprechen getraue / ſo wirds doch nicht an ſolchen leuten manglen / welche entweder ſelbs an dieſer eitelkeit wolge - fallen haben / oder dero intereſſe darunter ſtecket / die deßwegen ihn neiden / anfeinden / und wo ſie ihm ſchaden koͤnnen an ihrem boͤſen willen es nicht manglen werden laſſen. Jndeſſen weiß derſelbe / daß dieſe ohne den willen des himmliſchen vaters und deſſelben verhaͤngnuͤß nichts vermoͤgen / er ſich hingegen deſſen gnaͤdigen beyſtandes / ſo dann daß es ſeelig ſeye / um des gu - ten willen zu leyden / zu getroͤſten hat. Der HERR bekraͤfftige ihn immer mehr und mehr / gebe ihm ſeinen willen mit vollkommener uͤberzeugung zuer - kennen / verleyhe weißheit alles kluͤglich zu beforderung des guten anzu - greiffen / und regiere die hertzen aller hohen zu treuer anwendung ihrer ge - walt in beſtreitung der welt-eitelkeit / und insgeſamt richte er die gantze ſache dahin / daß ſeine ehre dardurch befordert / manchem boͤſen gewehret / und inR r r 3vie -502Das dritte Capitel. vielen ſeelen deſtomehr eckel gegen die uͤppigkeit erwecket werde. Dieſes waͤ - re dasjenige / ſo ich in der forcht des HERRN auff das vorgeſtellte anli - gen zu antworten noͤthiggefunden / ſo ich NN. zu communiciren / und ihn / daß ſeines lieben nahmens und intention vor GOTT zu geden - cken nicht ſaͤumig ſeyn werde / in meinem nahmen freundiich zuverſichern bitte. 1690.

SECTIO XXXI. Vom tantzen-lernen hoher Standes-perſonen.

DJe frage betreffend wegen des lernen des tantzens bey vornehmen ſtandes-perſonen / iſt meine meinung. 1. Das tantzen an ſich ſelbs / ſo fern es eine bewegung des leibes nach einer gewiſſen regel und tact iſt / kan nicht ſuͤndlich ſeyn / ſondern bleibet unter den mittel dingen. 2. Hin - gegen was das tantzen / wie es insgemein jetzo practiciret wird / anlangt / halte ich ſolches / theils wegen der demſelben nunmehr faſt unabſonderlich anhen - gender uͤppigkeit und eitelkeit / theils des daher entſtehenden aͤrgernuͤſſes / al - lerdings vor ſuͤndlich / und einem Chriſten zu vermeiden. Wie ſolches zu Go - tha in einer doppelten ſchrifft / darzu Herr Prof. Franck eine vorrede gemacht / gnug erwieſen worden. 3. Wie die manierlichkeit in gebaͤrden / gang und ſtellung des leibes an ſich nicht ſuͤndlich / ſondern einem menſchen vielmehr an - ſtaͤndlich iſt / als hingegen eine baͤuriſche anſtellung eine hindernuͤß machen kan / alſo kan auch das tantzen-lernen / welches allein zu jenem zweck gerichtet iſt / den leib gelenck und geſchickt zu machen / an ſich nicht unrecht ſeyn. 4. Doch iſt dabey wol zubemercken / daß man hingegẽ die jugend auch von der eitelkeit / die insgemein in dem tantzen geuͤbet wird / treulich abwarne / und es ihnen auſ - ſer obgedachtem nutzen / mehr verleide / als / wozu ſie ſonſten ohne das geneigt / die luſt darzu bey ihnen dadurch vermehre: Jndem ſonderlich bey dem frauen - zimmer die luſt zum tantzen ſonſten / wo nicht gewehret wird / gar leicht der - maſſen uͤberhand nimmet / daß ſie die thuͤr aller andern eitelkeit am weitſten oͤffnet / und die gemuͤther in ein wildes weſen verſetzt / hingegen zu aller ſtillig - keit und wahren andacht unbequem machet: wie mir dergleichen exem - pel bekant ſind. Alſo muß ihnen viel eingebunden werden / daß ſie ja die ab - ſicht des lernens nicht weiter ausdaͤhnen / ſonderlich daß ſie durch die geſchick - lichkeit in demſelben nicht ſich gut zu duͤncken / und an ſich ſelbs gefallen zu ha - ben / verleiten laſſen. 5. Wolte man aber daraus ſchlieſſen / daß mans denn zu vermeidung ſolches mißbrauchs gar nicht lernen ſolte / bekenne / daß ich die folge nicht ſehe: Jndem die luſt zum tantzen / und allerley unordnung dabey / ſich nicht weniger auch bey denjenigen findet / die nie tantzen gelernet / welchesſich503ARTIC. IV. SECTIO XXXI. ſich an bauren-knechten und maͤgden / und dero wie unordenlichem alſo nur de - ſto uͤppigerm herumſpringen / gnugſam an tag leget: Daher wo der jugend durch die rechtſchaffene gruͤnde des Chriſtenthums ein eckelan aller uͤppigen welt-freude gemacht und ſtets unterhalten wird / ſo wird ihnen das lernen des tantzens / ſo weit es ihnen zur zierlichkeit der gebaͤrden dienlich / nichts ſchaden / ſondern gleich ſeyn dem lernen anderer dinge / die ſie aus noth lernen. Wird aber dieſer allen von natur anklebenden luſt nicht durch die wahre furcht GOttes geſteuret / und ſie aus dem hertzen gebracht / ſo wird ſie ſich bey jeder gelegenheit des tantzens und ſonſten heraus laſſen / man habe es nun aus der kunſt gelernet / oder ſpringe ohne kunſt herum. Der HErr aber reinige ſelbs alle hertzen derer / die ſich noch reinigen laſſen wollen / von aller welt - liebe / die mit der ſeinigen nicht ſtehen kan. 1698.

Das504

Das IV. Capitel Von Ehe-Sachen.

SECTIO

  • 1. VOn einem caſu, da einer eine perſon lang beſtaͤndig liebet / ſie aber ihr hertz nicht zu ihm neiget.
  • 2. Als eine Adeliche Fraͤulein ſich mit dem ehe-verſpruch an eine per - ſon uͤbereilet / gegen welche ſie darnach keine liebe bey ſich zu wege brin - gen zu koͤnnen meinete.
  • 3. Als einer die ſponſalia mit einer perſon reſcindiren wolte.
  • 4. Als ein bedencken von dem Franckfurtiſchen Miniſterio erfordert wurde / wegen einer braut / bey dero gegen den braͤutigam eine euſſerſte averſio animi entſtanden / und ſie mit der epilepſia befallen worden.
  • 5. Von der ehe eines / der eine andere mit einem verſpruch der ehe vor dem ge - ſchwaͤngert hatte.
  • 6. Ob ein ſtieff-vater ſeines ſtieff-ſohns wittwe heyrathen koͤnne.
  • 7. Ob einer ſeines verſtorbenen weibes brudern wittwe ſalvo jure divino heyrathen koͤnne.
  • 8. Als eine hohe ſtandes-perſon ihrer vorigen gemahlin leibliche ſchweſter zu heyrathen vorhatte / unterſchiedliche brieffe und bedencken.
  • 9. Von der ehe mit des vorigen weibes tochter.
  • 10. Ob einer ſeines brudern frauen ſchweſter heyrathen moͤge / oder doch eine ſolche heyrath zu mißrathen ſey.
  • 11. Ob einer verlaſſenen / die zeit ihres mannes verlaſſung in ehebruch ver - fallen / nach deſſen todt den ehebrecher zu heyrathen erlaubet.
  • 12. Retractatio eines falſi vor der Obrigkeit. Von einem caſu, da wey per - ſonen zwantzig jahr unter dem ſchein eheleut zu ſeyn / mit einander gele - bet / da ſie aber nie copuliret worden. Was darinne zu thun. Von der euſſerlichen kirchen-diſciplin.
  • 13. Von heimlicher verlobung einer Herrn-ſtandes Fraͤulein mit einer buͤr - gerlichen perſon / und daher entſtehenden fragen.
  • 14. Gewiſſer ehe caſus.
  • 15. Uber einen caſum einer / die von ihrem braͤutigam ablaſſen wolte / weil ſie ſich mit einem andern / den ſie den teuffel zu ſeyn vermuthet / verſpro - chen haͤtte.
16. Uber505SECTIO I.
  • 16. Uber einen caſum, da von einer weibes-perſon drey ehemaͤnner noch im leben waren.
  • 17. Von diſſolutione ſponſalium.
  • 18. Caſus inhabilitatis uxoris ad conſuetudinem conjugalem.
  • 19. Von ſtraff eines ehebruchs mit einer ledigen perſon begangen.

SECTIO I. Von einem caſu, da einer eine perſonlang beſtaͤn - dig liebet / ſie aber ihr hertz nicht zu ihm neiget.

Facti ſpecies.

ES gehet nunmehr ins ſiebende jahr / daß Mevius Cajam mit unbeweglicher treue lie - bet / auch wie Caja aus vielen umſtaͤndlichen proben und ſeinen hoͤchſt kleinmuͤthigen be - zeugungen ſelbs ſchlieſſen muß / ſein gemuͤ - the ſchwehrlich aͤndern / wol aber / da ſeine treue nicht belohnet wird / einmal in den al - lergefaͤhrlichſten und ungluͤckſeligſten zu - ſtand geſetzet werden duͤrffte / welches dahero zu befuͤrchten / weil er mit GOTT bezeuget / daß wenn er zum oͤfftern mit der allerhefftigſten traurigkeit uͤberfal - len wird / ungeachtet ſeines fleißigen gebetes auch allem anwenden nur erſinnlichen mittel ſich derſelben zu entſchlagen / der verzweiffelung ſehr nahe koͤmmt; wann nun aber Mevius in ſolchem ſtande und con - dition ſtehet / daß Caja dargegen mit recht nichts einzuwenden hat / er auch mit ihr einen glauben bekennet / und nicht anders bekant iſt / als daß er jederzeit eines chriſtlichen lebens und wandels ſich befliſſen / Caja aber dieſem ungeachtet vorſchuͤtzet / daß ſie zu ihm keine neigung finde / ſich mit ihm in die ehe einzulaſſen / ſo iſt hier die gewiſſens-frage / ob die - ſe entſchuldigung vor GOTT gelten / und ſie bey allen beſorglich ent - ſtehenden faͤllen ein gut gewiſſen haben koͤnne.

Denuͤberſandten caſum, betreffend Mevium und Cajam, habe in der furcht des HErrn erwogen / und achte dieſes als etwas vorausgeſetztes / daß beyde in eigner gewalt ſeyen; dann wo ſonderlich Caja noch eltern oder vormuͤnder haͤtte / wuͤrde jener autoritaͤt und zuſpruch ein nicht geringes ge -S s swicht506Das vierdte Capitel. wicht zu dem gantzen werck auff eine oder andre ſeyte geben. Da ich ſie aber beyde als freye perſonen anſehen will / lege ich erſt in theſi einige gruͤnde / auff welche nachmal zu bauen iſt. 1. Es iſt die begebung in die ehe an ſich ſelbs ein freywilliges werck / ſo wol was den entſchluß ſich zu verehlichen oder le - dig zu bleiben (1. Cor. 7 / 37. 39. ) als die wahl der perſon anlangt; und wie es der mannsperſon frey ſtehet / ſich eine ehegattin auszuſuchen / um die er ſich bewerben wolle / ſo iſt eine weibsperſon nicht weniger frey / die anwer - bung / die gegen ſie geſchihet / entweder anzunehmen / oder abzuweiſen / je nach dem ſie es ihrer wolfahrt vortraͤglich erachtet. Der grund deſſen iſt un - ter andern die wichtigkeit des wercks / an deme einer perſon gantze wolfahrt / in gewiſſer maaß in geiſtlichem und leiblichem haͤnget / daher die hoͤchſte bil - ligkeit iſt / daß ſie zu nichts angeſtrenget werde / worzu ſich ihr gemuͤth nicht ſelbs nach hertzlicher anruffung GOttes neiget / und es ihr vortraͤglich zu ſeyn erkennet. 2. Die zuneigung des hertzens aber / darvon hier die rede iſt / beſtehet nicht in einer gleichſam blinden und insgemein fleiſchlichen nei - gung / die bey einem entſtehet / entweder von bloſſem anſehen einer ſeinen geſtalt / oder aus einer ſolchen art begebenen gelegenheit / da die perſon / wo ſie befragt wird / oder ſich ſelbs auffrichtig forſchet / keine wahre und gruͤnd - liche urſach anzeigen kan / entweder der zuneigung zu der andern / oder aber auch der abwendung von derſelben (ob wol dieſes leider das principium iſt / daraus bey jungen und ihrer affecten noch nicht maͤchtigen leuten mei - ſtens die neigung entſpringet / oder auſſen bleibet / da alsdenn ſolche neigung durchaus kein zeugnuͤß goͤttlichen willens iſt) ſondern wie auch ein bloß ver - nuͤnfftiger menſch / wo er nach der leitung der vernunfft die wahl einer hey - rath vornehmen ſolle / auff diejenige eigenſchafften einer perſon vornehmlich ſihet / an denen es / als viel menſchen vorſehen koͤnnen / hanget / daß eine vergnuͤgliche und ſonderlich zur ruhe des gemuͤths dienliche ehe gehoffet werden moͤge / alſo wird diejenige zuneigung des hertzens billich allein vor chriſtlich und goͤttlich erkant / die ſich auff ſolche urſachen gruͤndet / aus denen man ſich eine ſolche ehe verſprechen kan / in dero man Gottgefaͤllig leben / und ihm deſto treulicher zu dienen hoffnung haben moͤge. 3. Wie das goͤttliche geſetz die liebe des nechſten der liebe unſer ſelbs gleichſetzet / ſo wird von ei - nem wahren Chriſten erfordert / was auch die ehe betrifft / daß er in dero und einer perſon wahl nicht auf ſein wohlſeyn allein ſehe / ſondern eben ſoviel auch abſicht auff der andern beſtes habe / obwol auch kein theil ohne das an - dre recht gluͤckſelig ſeyn kan. Dahero diejenige zuneigung das zeugnuͤß von GOTT zu ſeyn nicht haben kan / die gegen eine perſon gienge / welche ſich dar - durch in ungluͤcklichen ſtand ohne noth ſetzen muͤſte / als welche die liebe des nechſten verletzete / nach dero keiner dem andern zumuthen ſolle / woraus die -ſer507SECTIO I. ſer ſchade / er aber allein nutzen haͤtte 2. Cor. 8 / 13. 4. Jedoch weil die wah - re liebe um des nechſten und ſeines mercklichen nutzens willen / ſonderlich deſ - ſen geiſtlichen heils / auch einiges ſeines vortheils zuruͤck zu ſetzen uns anwei - ſet / ſo muß auch dieſe pflicht in der berathſchlagung uͤber die ehe nicht aus den augen geſetzet werden.

Vorausgeſetzt nun dieſer allgemeinen gruͤnde / ſo erklaͤhre mich dahin.

  • 1. Die zuneigung Mevii gegen Cajam iſt noch an ſich ſelbs kein gnugſames zeugnuͤß gewiſſen goͤttlichen willens / noch kan er mit vorhaltung derſelben / und zwahr auch der beſtaͤndigkeit in derſelben / ſie verbinden / dieſelbe auch darvor zu erkennen / und ſich ſchuldig zu halten / ihn zu heyrathen: Hingegen ob ihm wol erlaubt iſt / auf alle chriſtliche weiſe ihr gemuͤth zu gewinnen / und wo ihm bekant / was etwa ſeine perſon ihr mißfaͤllig machte / ſolches ſo viel muͤglich waͤre / zu aͤndern / oder ihr die ſcrupel zu benehmen / ſo muß er doch ge - gen ſie von keiner nothwendigkeit gedencken. Neben dem hat er den grund ſeiner zuneigung fleißig zu forſchen / worauf dieſelbe beruhe / ob er nicht finden wird / daß ſie auf etwas fleiſchliches gerichtet ſeye / wo dann er ſeiner zunei - gung ſo vielmehr zu widerſtehen hat: Waͤre es aber ſache / daß er ſich deſſen frey wuͤßte / und bey ſich befuͤnde / in der wahrheit auf anders nichts zu ſehen (wie zwahr das eigen hertz uns leicht betriegen kan als weil er mit ſolcher per - ſon in leiblichem und geiſtlichem eine beyden gleich nuͤtzliche ehe zu fuͤhren glaubte / ſolle ihn doch die von allen Chriſten erforderte gelaſſenheit und ver - leugnung eigenen willens dahin anweiſen / daß er auch ſolches an ſich ſelbs un - ſuͤndliche und gute verlangen nach dieſer perſon dem goͤttlichen willen dermaſ - ſen unterwerffe / daß er / wo dieſer ſich nicht auch in der ruͤhrung jener hertzens zeige / auch darvon abzuſtehen zu frieden ſeye: Jndem alles begehren einer auch im uͤbrigen nicht boͤſen ſache ohne ausnahm goͤttlichen willens ſuͤndlich wuͤr - de; alſo daß ich ſehr ſorge / das allzueiffrige verlangen nach erfuͤllung des ein - mal in ſinn gefaßten ſeye bißher nicht ohne ſuͤnde abgegangen. Es pfleget aber GOTT vielmal eben deswegen / wo wir ihm etwas gleichſam abzwin - gen wollen / daſſelbe uns ſo vielweniger zu gewaͤhren / hingegen wo man das hertzlich verlangte ihm gleichſam ſelbs auffopffert / und auf den fall / daß es ihm nicht gefaͤllig / willig ſelbs von demſelben abſtehen will / iſt ſolches zuwei - len die anlaß / daß uns GOTT daſſelbige erſt gibet.
  • 2. Was aber Cajam anlanget / wird an ſich ſelbs ihre freyheit nicht in zweiffel gezogen / indeſſen wiſſen Chriſten auch wol / daß ſie in allen ſtuͤcken ihre freyheit alſo allein gebrauchen ſollen / wie es goͤttlichem willen / und ſonderlich der liebe des nechſten / gemaͤß iſt. Da hat denn nun dieſelbe die urſach / welche die wieder-zuneigung gegen Mevium, der darum ſo beſtaͤndig anſuchet / bey ihr zuruͤck haͤlt / bey ſich zu unterſuchen / ob ſie auf fleiſchlichem grund beruhe. S s s 2Waͤre508Das vierdte Capitel. Waͤre es nun / daß ſie dergleichen in redlicher pruͤffung ſich uͤberzeugt befuͤn - de / ſo haͤtte ſie ſich eben deswegen / daß ihr hertz noch alſo geſinnet ſeye / vor GOTT zu demuͤthigen / dieſen um deſſen aͤnderung anzuflehen / und deſto eher / wo nichts anders wichtiges entgegen ſtehet / ihren eignen willen mit ent - ſchluß des widrigen zu brechen / der verſicherung / daß GOTT / was aus die - ſer urſach reſolviret werde / ſich ſelbs zu verleugnen / nicht ungeſegnet laſ - ſen werde.
  • 3. Meinet ſie aber in dem gewiſſen guͤltige urſachen zu haben / warum ſie zu Mevio keine eheliche gegen-liebe bey ſich gewinnen koͤnne / welche keine an - dre ſeyn koͤnnen / als daß die von jenem verlangte ehe zu beyder ihrem leibli - chen und geiſtlichen nutzen / als viel vorzuſehen iſt / nicht gereichen / ſondern ei - nes von ihnen / oder gar beyde / in gefahr der ſeelen / oder ander elendes leben / damit uns GOTT ſonſten verſchonte / ſtuͤrtzen wuͤrde / ſo hat ſie gleichwol ſol - che urſachen auch wol vor GOTT zu pruͤffen / einmal ob es die wahre urſa - chen ſeyen / und nicht etwa in der wahrheit die abneigung aus einem fleiſchli - chen eckel / den man nicht ſagen mag / entſtehe / hingegen das betruͤgliche hertz jene nur zum vorwand ſich vorſtelle; nechſt dem ob ſie auch wahrhafftig / und nicht nur eingebildet ſeyen. Zu welcher unterſuchung hertzliches gebet um wahre pruͤffung und erkaͤntnuͤß unſers grundes / auch zu rathfragung anderer chriſtlicher verſtaͤndiger leute / und freunde / gehoͤret. Ja ich halte dieſes / wo in dem entſchluß man nicht bald zu einer gewißheit kommen kan / am ſicher - ſten / daß man dergleichen leute darzu ziehe / von denen man verſichert iſt / daß ſie ſo wol die weißheit haben / in ſo wichtigen materien das beſte zu erkennen / als die liebe vor die intereßirte perſonen / auf nichts anders als auf dero wah - re wolfahrt / die abſichten zu nehmen / darauf denſelben das gantze hertz / auff - ſteigende bedencken und ſcrupel vortrage / und den ſchluß in ihre haͤnde ſtelle. Finden nun ſolche die urſachen / die die zuneigung zuruͤcke halten / ſo wichtig / daß ſie Cajæ die ehe zu ihrem geiſtlichen und leiblichen wol nicht dienlich ſon - dern ſchaͤdlich finden / kan dieſe mit ſo viel ruhigerem gewiſſen / darauf behar - ren / daß ſie weder Mevio in ſein begehren zu gehellen ſchuldig ſeye / noch auch deſſen rathſame urſachen habe. Solten jene aber nach erwegung des gantzen geſchaͤffts / Mevii anſuchen nicht allein nicht unbillich / ſondern allerdings Cajæ vortraͤglich / achten / haͤtte Caja nicht urſach / ihrer freyheit ſich gegen ih - ren eigenen vortheil zu mißbrauchen / ſondern es vielmehr anzuſehen / daß GOTT Mevii hertz zu ihr ſo beſtaͤndig neige / ihr durch ihn gutes zu erzeigen. Dabey ſie ſich verſichern kan / daß alsdann in ſolchem fall / da ſie ſich in den ſo fern erkanten willen GOttes gibet / und die ehe ihr vortraͤglich erkennet / weil ja ihr hertz allezeit geneiget ſeyn wird und ſolle / den willen GOttes und ſein eigen gutes zu wollen / ſolches ſchon eine zur ehe gnugſame neigung des her -tzens509SECTIO I. tzens ſeye / ſo dann dieſe auch weiter zunehmen und zu einiger fuͤhlung kom - men werde.
  • 4. Solte aber aus der uͤberlegung aller umſtaͤnde kein gewiſſer ſchluß ſich machen laſſen / fuͤr oder wider den vorgeſchlagenen heyrath / ſo achte ich / daß Caja die beſtaͤndigkeit der liebe des Mevii nicht aus den augen zu ſetzen / ſondern wol zu gemuͤth zu ziehen habe / nicht allein daß insgemein / wo nicht wichtige hindernuͤß iſt / eine liebe der gegen-liebe wol wuͤrdig ſeye / ſondern auch was die pflicht der liebe des nechſten mit ſich bringe / nemlich wo man die - ſen in ſchwehrer gefahr / ſonderlich da es auf die ſeele ankommen moͤchte / ſehe / die man aber abwenden koͤnte / daß man alsdann verbunden waͤre / ſolches auch ſo gar mit ſeinem ungemach zu thun. Wann dann Caja mercken oder verſi - chert werden ſolte / daß bey Mevio ſeine auf ſie gerichtete liebe das gemuͤth ſo eingenommen haͤtte / daß endlich nach der facti ſpecie ein trauriger fall vor ihn zu ſorgen ſeyn moͤchte / ſo ſolte billich die erwegung derſelben / wo ſie beden - cket / was die pflicht der liebe des nechſten (vornemlich da es auf das geiſtliche die abſicht hat) mit ſich bringe / ſie dahin zu bewegen (vorausgeſetzt nach vori - gem / daß die ehe ihrer ſeits ſie nicht auch in gefahr ſtuͤrtze) zu einer ſolchen ehe ſich zu entſchlieſſen / zu dero ſie eben auch keine ſo tringende urſachen auſſer der - ſelben faͤnde / und den mangel einer natuͤrlichen zuneigung bey ſich durch dieſe betrachtung erſetzet zu achten. Wie mir gar exempel ſolcher chriſtlichen leute bekant worden ſind / die ſich zu ehegatten gewehlet ſolche perſonen / an denen ſie andre keine motiv hatten / als deroſelben verlaſſenen und elenden ſtand: Wie ſelbs einen guten freund gehabt / welcher noch als ein Studioſus eine chriſtliche jungfrau kennen lernende / die auffs hefftigſte mit der ſchwehren noth behaff - tet / und daher von ihrer eigenen freundſchafft ſo wol verachtet / als verlaſſen / auch ohne mittel war / aus erbarmen dieſelbe geheyrathet / damit er ſtets ein mittel haͤtte / barmhertzigkeit an ihr zu uͤben / wie er auch biß an ſeinen todt ge - than / und ohnerachtet ihres elendes vergnuͤgt mit ihr gelebet hat. Ob ich nun wol dieſen faſt heroiſchen grad der liebe nicht jedem zumuthe / ſo meine ich doch / deſſen anſehen ſolle ein chriſtliches gemuͤth bewegen / in die ehe eines ſol - chen menſchen deſto eher zu willigen / der aus liebe zu ihr in ſchwehre gefahr gerathen / und gegen den und die naͤhere vereinigung mit ihm / ſie nichts an - ders / als daß ſie ihr hertz nicht ſelbs zu ihm neige / einzuwenden / daher ver - nuͤnfftig ſo groſſe beſchwehrde darvon nicht zu befahren hat. Hingegen moͤch - te ſie wol uͤberlegen / ob nicht auf den muͤglichen fall / daß GOTT uͤber Me - vium aus dieſem ſeinem affect ein ungluͤck verhengen moͤchte / ihr ſolches eine ſchwehre laſt auf dem gewiſſen / und dieſes wiederum zu beruhigen ſo leicht nicht werden doͤrffte. Welches alles ich Cajæ, von denjenigen / die einen zu - gang zu ihr haben / beweglich vorgehalten zu werden noͤthig achte: Wo aberS s s 3ſolches510Das vierdte Capitel. ſolches geſchehen / iſt nichts weiter uͤbrig / als daß mans ihr zu ihrer verant - wortung / indem kein zwang platz hat / uͤberlaſſe / und die gantze ſache GOTT dem Allerhoͤchſten befehle: Den auch hiemit hertzlich anruffe / daß er nach ſei - ner weißheit / guͤte und krafft die hertzen ſo der Cajæ und Mevii, als aller / die et - was dabey zu thun haben / dahin regire / ſeinen willen an ſich und andre zu er - kennen / und demſelben mit hindanſetzung aller fleiſchlichen affecten getreu - lich nachzukommen / auch den ſegen / den er allem gehorſam verſprochen / uͤber ſich zu erfahren. 1700.

SECTIO II. Als eine Adeliche Fraͤulein ſich mit dem ehe-ver - ſpruch an eine perſon uͤbereilet / gegen welche ſie darnach keine liebe bey ſich zuwege bringen zu koͤnnen meinete.

DEr vornehmſte innhalt iſt dieſer / daß von der werthen Fraͤulein von N. deroſelbenhertzens anligen / und verlangen mein chriſtliches gutach - ten daruͤber zu vernehmen / verſtanden habe / weßwegen denn nach der gnade GOttes meine einfaͤltige gedancken entdecken ſolle / auch mit derjeni - gen freyheit / als einem geweſten Beichtvater zukommen will / und ich nicht zweiffele / daß auch nicht anders von mir begehrt werde / nachdem es um die ruhe des gewiſſens zu thun iſt / zu welcher kein anderer weg iſt / als ohne ſchmeicheley die dinge / davon unruhe entſtanden iſt / recht nach der wahrheit einzuſehen / und ſie alſo vorzuſtellen. So iſt nun das erſte / ſo zum grunde gelegt werden muß / weil es aller bißheriger unruhe urſach gegeben hat / daß in der geſchehenen verſprechung eine uͤbereilung vorgegangen zu ſeyn / finde. Es iſt der wille und gutachten chriſtlicher eltern uͤber die verheyrathung ih - rer kinder einer der vornehmſten gruͤnde einer folgenden ehe / und wie der kin - der auch ſonſten feſtgeknuͤpffter verſpruch / ſo er jenem entgegen waͤre / unguͤl - tig iſt / ſo machet jener ohne der kinder einwilligung zwahr noch keine verbin - dung / es iſt aber auch ein ſtuͤck des kindlichen reſpects, daß kinder aus ver - trauen gegen ihrer eltern treue / weißheit und erfahrung diejenigen perſonen / welche dieſelbe ihnen zu ehegatten auserleſen / ihnen ſelbs auch vor die an - ſtaͤndigſten achten / und deswegen lieben / wofern nicht andere wichtige urſa - chen ſind / welche ſie davon abhalten. Jndeſſen macht doch die eigene ein - willigung der perſon ſelbs / nicht aber dero eltern / das eigenliche eheband; Und weil die ehe eine ſache iſt / an dero ſo ein groſſes zu dem wohlſeyn des gantzen lebens gelegen / ſo hat jede perſon / welche in dieſelbe treten ſolle / ne - ben der gehorſamen abſicht auff der eltern gutachten gleichwohl auch ſorg -faͤl -511SECTIO II. faͤltig und in der furcht des HERRN ſich zu pruͤfen / mit welcher andern perſon ſie eine dem HERRN wohlgefaͤllige ehe fuͤhren koͤnte / und nach dieſer befindung entweder der eltern / auffs wenigſte gutgemeintem vorſchlag ſich zu bequemen / oder mit ſchuldiger ehrerbietung / was ſie davon abhalte / und warum ſie damit verſchonet zu werden verlangen / denſelben vorzuſtel - len. Weilen ſich nun begibet / daß zuweilen ein natuͤrlicher widerwillen o - der averſion gegen eine perſon empfunden wird / daß ob man wol dieſelbe ei - genlich nicht haſſet / ſo allerdings ohne ſuͤnde gegen niemand geſchehen kan / man doch mit derſelben in genauer gemeinſchafft ohne ſteten zwang zu leben ſich nicht getraute (welches affects natuͤrliche urſachen etwa zur genuͤge nicht erforſchet werden koͤnnen) ſo geziemet ſich / daß eine perſon / ſo ſich verehlichen ſolle / auffs wenigſte ihrer ſeits ſich ſo fern pruͤfe / da ſie die andere zu ſehen und zu kennen die gelegenheit hat (denn in ermanglung deſſen / und wo der verſpruch allerdings unter frembden und abweſenden geſchihet / weil dieſes mittel nicht muͤglich iſt / ſo laͤſſet mans billich allein auff GOttes eigne dire - ction ankommen) ob ſie keinen dergleichen natuͤrlichen eckel gegen eine ſolche perſon bey ſich fuͤhle / um da ſie ihn finden moͤchte / daraus zu ſchlieſſen / daß es goͤttlicher wille nicht ſeyn muͤſte / mit derſelben ihr leben zu zubringen / weil jener die liebe allzuſehr ſchwaͤchen / oder ſo viel ſchwehrer machen wuͤrde / da hingegen dieſe die vornehmſte beforderung einer gluͤckſeligen ehe iſt / und da - hero bey dero ſtifftung alles dahin gerichtet werden ſolle / wie dieſe erleichtert werde. Wenn deswegen meine werthe Fraͤulein ſo bald bey erſtem anſehen und anſpruch des Herrn von N. wie ich berichtet werde / einen horrorem und natuͤrliche widrigkeit bey ſich gefuͤhlet hat / ſo haͤtte ſie billich daraus vermuthen koͤnnen / daß es ſchwehrlich goͤttlicher wille ſeyn moͤchte / denjeni - gen ihr zum gehuͤlffen ihres lebens zu verordnen / deſſen gegenwart ihr immer eher zu einer uͤbung der gedult und eines kampffs mit ihr ſelber dienen / als eine liebe bey ihr erwecken moͤchte / und daher dero wertheſten Fr. Mutter ſolche bewandnuͤß offenhertzig und beweglich vorſtellende / ſie von dieſem vor - ſchlag ohne verletzung kindlichen reſpects abzuwenden trachten ſollen. Wenn aber ſolches nicht geſchehen iſt / ſondern dieſelbe ſich darzu hat perſuadiren laſſen / ihren willen mit zugeben / und einen wuͤrcklichen verſpruch zu thun / aus welcher uͤbereilung die bißherige anfechtung und unruhe ihrer ſeelen / al - ler die es angehet / nicht geringe betruͤbnuͤß / auch von ſeiten des Herrn von N. neben dem verdruß die gefahr einiges ihm daher entſpringenden ſchimpffs erfolget iſt / ſo muß ſolche billich auch vor dem angeſicht GOttes als eine ſuͤn - de erkant / demuͤthigſt abgebeten / und damit der weg zur ruhe wiederum zu kommen gemachet werden. Jndeſſen weil gleichwol ein ſolcher oͤffentlicher mit einſtimmung der werthen angehoͤrigen geſchehener verſpruch nicht leicht zutren -512Das vierdte Capitel. trennen / ſondern ordenlicher weiſe bereits als eine ehe vor GOtt anzuſehen iſt / ſo traue nicht / meine werthe Fraͤulein ohne verſuch alles vorher muͤgli - chen davon loßzuſprechen / ſondern gehet mein chriſtlicher rath dahin / daß die - ſelbe zum allerfordriſten ihren himmliſchen Vater taͤglich ja ſtuͤndlich / darum anruffe / daß er ihr doch ſeinen willen zu erkennen geben / und ihr hertz mit lie - be zu demjenigen / welchen ſie noch nicht anders / als von ſeiner guͤte ihr be - ſtimmet / anſehen duͤrffte / erfuͤllen / hingegen dieſe verſuchung und widrig - keit ihres gemuͤths von ihr abwenden wolte: welches gebet denn mit groſſem ernſt / und wahrhafftiger begierde darinnen erhoͤret zu werden / und alſo ih - ren eignen willen brechen zu koͤnnen geſchehen / auch damit lang angehalten werden ſolle. Nechſt dem will ihr auch obligen / ſo viel muͤglich iſt / ihr hertz ſelbs zu ihrem vertrauten zu lencken / mit vorſtellung / da ſie von des mannes chriſtlichem und tugendhafftem gemuͤth (als er mir geruͤhmet wird) verſichert iſt / daß ein ſolches gemuͤth der vornehmſte grund einer rechten chriſtlichen liebe ſeye / und billich allem eckel / ſo aus einigen euſſerlichen dingen entſtehen moͤchte / prævaliren ſolle / und daß es rechtſchaffenen Chriſten anſtehe / einen jeglichen nicht ſo wol nach dem euſſerlichen / was denſelben anmuthig oder mißfaͤllig oder veraͤchtlich in den augen derer / die nicht weiter zu ſehen ver - moͤgen / machen moͤchte / als nach dem innerlichen und deſſen gottſeligkeit oder tugend / zu urtheilen und daruͤber zu lieben / ja zu glauben / wie denen die Chriſtum angehoͤren / zukomme / ihr fleiſch ſamt den luͤſten und begierden zu creutzigen und zu toͤdten / Gal. 5 / 24. daß zu dieſem creutzigen auch ge - hoͤre ſeine affecten alſo zu regieren / daßliebe und anders ſich nicht richte nach dem / was den augen lieblich vorkommet / ſondern was uns die tugend und goͤttliche ordnung als liebwuͤrdig vorſtellet. Wie ich nun bey ihr mit freu - den ein ſolches hertz wahrgenommen / welches gern ſeines Chriſtenthums pflichten abſtatten will / ſo erfordert aberdieſes auch / ſeine inclination auff den rechten zweck zu richten / und wo die natuͤrliche begierde anders wohin ſich neigte / dieſelbe mit kraͤfftiger vorhaltung goͤttlichen willens in die ord - nung zu bringen. Dieſe offtmalige betrachtung mit darbeyfuͤgendem ernſt - lichem gebet / vermag ſehr viel ein gemuͤth zu aͤndern. Sonderlich hat meine in dem HErrn werthe ſich vor GOtt hertzlich zu pruͤfen / ob der bezeugende horror und entſetzen vor ihm ſo wol wahrhafftig aus einer eigenlichen natuͤr - lichen antipathie und widrigkeit herkomme / oder ob er etwa entſtehe aus ei - ner angewohnten beliebung und wohlgefallen an euſſerlicher hoͤflichkeit und manierlichkeit. Denn waͤre dieſes letztere / ſo bekenne ich / daß ſolche belie - bung noch zu derjenigen weltlichen eitelkeit gehoͤret / dero wahre Chriſten al - le wahrhafftig abſterben muͤſſen / und ich deroſelben lieber zugetrauet haͤtte /daß513SECTIO II. daß ſie in ſolchem abſterben bereits weiter gekommen waͤre: auffs wenigſte haͤtte ſie ſo viel ernſtlicher deßwegen wider ſich ſelbs / und was noch von zu - neigung zu der eitelkeit ſich bey ihr eben durch dieſes offenbahrte / zu ſtreiten / und ſich mit ernſt davon mehr und mehr zu reinigen / ja eben darauß zu ſchlieſ - ſen / daß der guͤtigſte GOtt / welcher alles zu unſerer ſeelen leuterung und be - ſten richtet / dieſes mittel brauchen wolle / daß ſie die auch ſubtilere eitelkeit lerne verachten / uñ ihr gemuͤth zwingen / dadurch aber zu ſo vielmehꝛern goͤttl. wirckungen bequeme machen. Wie denn dieſes mit zu der verleugnung ſeiner ſelbs und ſeines eignen willens gehoͤret / daß wir uns gewehnen zu lieben und wohlgefallen zu haben / nicht nach dem die augen ſehen / ſondern nachdem uns GOttes ordnung anweiſet: die gedachte verleugnung aber unſer ſelbs weiß meine geliebte Fraͤulein / daß ſie ſo wohl die erſte regul unſe - rer chriſtlichen uͤbungen iſt / als die ſeelen ſo viel mehr bereitet / goͤttlicher gna - den eintrucks ferner faͤhig zu werden. Wo nun nach angezeigtem meine wer - the ſich mit ernſt wird angelegen ſeyn laſſen / in goͤttlichen willen ſich zu geben / und alſo ſo wol ſelbs an ihrem gemuͤth zu deſſen aͤnderung arbeiten / als ihren liebſten Vater / daß er es thue / unauffhoͤrlich anruffen / ſich hingegen ſeinen wirckungen darſtellen / ſo will ich das vertrauen zu ihm tragen / daß er auch ſeine krafft an ihr zeigen / ihr ſeinen willen mehr und mehr zu erkennen geben / das gemuͤthe lencken / und einen erwuͤnſchten anfang einer wahren liebe bey ihr wircken werde. So bald ſie nun deſſen / auffs wenigſte / daß die vorige averſion etwas gebrochen worden / bey ſich gewahr werden wuͤrde / ſo riethe / daß ſie / als viel es muͤglich waͤre / ihren verſpruch zu vollziehen eilen / und ſich alſo demjenigen / dem ſie ſich zugeſagt / uͤbergeben ſolte / der gewiſſen verſiche - rung / daß der HErr alsdenn / nachdem ſie ihm in dieſer verſuchung treu ge - blieben / ſolchen anfang der liebe in der ehe immer zunehmen laſſen / und ſo viel weniger ſie auff wohlgefallen der augen / ſondern auff ſeinen gehorſam / gerichtet geweſen / ſie deſto mehr heiligen / befeſtigen und ſegnen werde / daß ſie ſeine guͤte dermaleins preiſe / die zwahr es ihr erſtlich ſauer werden laſſen / aber alles zu ihrem wahren beſten gerichtet habe. Wenn aber nach allem verſuch deſſen / was hier erinnert habe / ſich zeigen ſolte / daß ſolcher eckel und widrigkeit nicht aus ihrer ſchuld und belieben an euſſerlichen dingen herkom - me / ſondern in der natur bloß dahin ſtecke / ſo wuͤrde es auff ſolchen unverhoff - ten fall endlich anzuſehen ſeyn / daß GOtt ſelbs damit weiſe / daß er ſie beyde nicht beyſammen haben wolte: und wie denn ſonſten wegen toͤdtlicher feind - ſchafft (propter inimicitias capitales, wie man zu reden pflegt) die verſpruͤ - che auffgehaben werden / achte ich dergleichen natuͤrliche antipathie von nicht geringerer wichtigkeit / und alſo kraͤfftig / daß auch dieſer verſpruch daruͤber zunichtet werde. Wie es zwahr alsdenn anzugreiffen ſeye / und ob in ihrenT t tlan -514Das vierdte Capitel. landen auch ihrer condition perſonen dahin (wie es in dieſen landen geſchi - het) gewieſen / bey dem Conſiſtorio die auffloͤſung des verſpruchs zu ſuchen / oder wie es ſonſten gehalten werde / iſt mir nicht wiſſend. Jhrer chriſtlichen ſchuldigkeit aber finde alsdann zu ſeyn / obgedachter maſſen ſo viel hertzlicher die erſte uͤbereilung vor GOTT zu erkennen / denjenigen gegen welchen ihre natuͤrliche ſchwachheit die eheliche liebe nicht zugibet / dannoch ihr leben - lang mit ſo viel hertzlicher chriſtlicher liebe zu lieben / und fuͤr ihn zu beten / auch wie ſie ſonſten vermag ihm gutes zu erzeigen / und alles was in der ſache geſchehen / die gantze zeit ihres lebens zu ihrer ſo viel mehrern vorſichtigkeit / demuͤthigung / heiligung und antrieb nach GOttes willen in allem zu thun / auch von ſeiner hand alles ſo viel williger anzunehmen / ſich dienen zu laſſen. Den HErrn HErrn / deſſen ſtifftung die ehe iſt / und der ja aller hertzen in ſei - nen haͤnden hat / ſie zu leiten als die waſſerbaͤche / ruffe ich hiemit im nahmen JEſu Chriſti demuͤthigſt an / daß er durch ſeines Heil. Geiſtes krafft dieſes gantze werck regieren / ihr ſeinen willen mit einer gewißheit zu erkennen ge - ben / ihr hertz zu deſſen gehorſam neigen / und es insgeſamt alſo lencken wolle / wie er es zur verwahrung der gewiſſen / und beyderſeits zeitlichem / geiſtli - chem / und ewigem heyl am dienlichſten zu ſeyn weißlichſt erkennet. Er ver - gebe auch alles gnaͤdiglich / was bißher hierinn gefehlet worden / fuͤhre aber meine geliebte immer mehr und mehr auff den weg ſeiner gebote / und laſſe die vereinigung mit ihrem ſeelen-braͤutigam ſtets deſto inniger und feſter wer - den / dero ſuͤßigkeit empfindlich zu ſchmecken / und ihre fruͤchte reichlich zu brin - gen. Meiner ſeits verſichere ich / gleichwie insgemein ihres lieben nahmens / alſo auch beſonders dieſes anligens vor dem HErrn zu gedencken. 1691.

SECTIO III. Als einer die ſponſalia mit einer perſon wieder reſcindiren wolte.

DEr vornehmſte innhalt des brieffs hat nicht anders gekont / als mich in betruͤbnuͤß und ſorge zu ſetzen. Nach dem aber daruͤber freundlich zu rath gezogen werde / ſo will meines hertzens grund als vor GOtt / mit deſſen anruffung auch ſchreibe / hie gantz ausſchuͤtten. 1. Jſts gantz recht gethan geweſen / daß dieſer vorſatz ernſtlich gefaſſet worden / ſich keine andere perſon zu einer ehegehuͤlffin zu erkieſen / als eine ſolche / an dero man gute proben eines wahren und ſolchen Chriſtenthums ſehe / daß man ge - trauete / mit und an ihr ſelbs ſich auch erbauen zu koͤnnen. Maſſen dann ob ſolches nicht der zweck des eheſtands insgemein von allen erkant und ſo angeſehen wird / auch diejenige ehen / da er eben nicht erhalten wird / nichtsdeſto515SECTIO III. deſtoweniger wahre ehen ſind / (maſſen dann ſolche tugenden nicht ad eſſe, ſon - dern ad melius eſſe matrimonii gehoͤren /) ſo ziehmet ſich dannoch den jeni - gen / die ihr Chriſtenthum vor ihr einig nothwendiges in der welt halten / (wie es bey uns allen ſeyn ſollte) daß ſie wie in andern ſtuͤcken / alſo auch hier - innen auff deſſen befoͤrderung ſehen / und wie die ehe dazu eingeſetzt / daß dem menſchen wohl ſeye / ſo gehoͤret das wohlſeyn in dem geiſtlichen nicht weni - ger mit zu demſelben zweck / daß ein Chriſt aus der guͤte ſeines GOTTES auch hierinnen ſuchen ſolte. 2. Bey ſolcher reſolution muß man auch verblei - ben / als lang wir noſtri juris ſind / alſo daß uns keine in andern ſtuͤcken ſon - ſten proſitable conditiones einer heyrath die augen verblenden ſollen / wo wir an dieſem haupt-zweck mangel haͤtten. 3. Ein anders aber iſts / da wir bereits mit einer perſon ordentlicher weiſe verknuͤpffet / und folglich nicht mehr in einer voͤlligen freyheit ſind. Da fraget ſich alsdann nicht mehr / was man wehlen wolle / ſondern was man behalten muͤſſe. 4. Dergleichen ſponſalia, als derſelbe in ſeinem ſchreiben bedeutet mit bewuſter perſon ein - gegangen zuhaben / da nichts eben mit einem mal uͤbereylet / ſondern mit be - dachter deliberation und anruffung GOttes geſchehen ſeyn wird / und wohl einige zeit / ehe der unwille ſich erhoben / dabey geblieben worden / achte und ſorge ich / ſtaͤrcker zuſeyn / als daß ſie ſo leicht ſolvirt werden koͤnten. 5. Jch erkenne zwahr / daß die ſponſalia und die vollzogene ehe nicht ſo durch und durch uͤbereinkommen / daß nicht etwas unterſcheid unter beyden gefunden werde; aber in der hauptſache traute ich ſie nicht zu weit von einander zu unterſcheiden. Jn dem der conſenſus und nicht die benedictio ſacerdotalis (die nur eine ſolennitas confirmatoria iſt) die ehe machet / und alſo wo der - ſelbe iſt / auch eine wahre ehe zu ſeyn erkannt werden muß (wie unſere Theo - logi einmuͤthig zu lehren pflegen) ſo koͤnnen andere als die wichtigſte urſa - chen / ſo wenig geringer / als die eine voͤllige eheſcheidung verdienen / dieſelbe nicht wieder aufheben. 6. Wie eine nullitas ſponſaliorum aus dem ange - fuͤhrten zu erweiſen waͤre / ſehe ich gar nicht / ſondern es wuͤrde eher eine re - ſciſſio muͤſſen geſchehen. Dann ſolte eine nullitas demonſtrirt werden / ſo muͤßte gezeigt werden / daß ſie nie valida geweſen waͤren / und es alſo an den ſubſtantialibus gemangelt haͤtte / als zum exempel an elterlichem conſenſu, eigenem conſenſu (wo nemlich ein zwang und boͤßlicher betrug vorgegangen waͤre) an der capacitate ſubjecti ad matrimonium und was dergleichen mehr iſt. Da ich aber an nichts dergleichen aus dem communicirten (wie ich dann auſſer demſelben von der gantzen ſachen nichts weiß) gedencken kan / ſondern alle die angefuͤhrte gravamina gehen allein gewiſſer tugenden man - gel an / ſo zu der ſachen der ehe ſelbſt nicht gehoͤren. Aufs wenigſte verſtuͤn - de ich es nicht / wie eine nullitas zu erweiſen waͤre / obwohl gern bekenne / daßT t t 2was516Das vierdte Capitel. was etwa bey den Juriſten hievon gelehret werde / mir nicht ſo allerdings be - kant iſt. 7. Zu einer reſciſſione ſehe ich auch keine genugſame / und / die vor dem richter gelten ſolte / nachtruͤckliche urſach / und traute ich / da ich rich - ter waͤre / darauff nicht zuſprechen. Das meiſte wuͤrde wohl ſeyn / daß ab - nehme / wie nun die gemuͤther ſehr von einander gewendet / und daher eine unvergnuͤgliche ehe zuſorgen waͤre. Dieſe urſach / bekenne ich / liget mir vielmahl in dem ſinn / aber ich glaube ſchwehrlich / daß leicht in einem gericht auf ſolches allein zur trennung wird geſprochen werden. Daher wo ich in der - gleichen judicio ſaͤſſe (dann hie haben die prediger damit nichts zuthun) wuͤr - de mir alle mahl bang ſeyn / ein ſuffragium zu geben / weil ich einerſeits mit betruͤbnuͤß und ſorge anſehe die vermuthete ungluͤckſeligkeit der ehe und de - ro boͤſe conſequenzen, ſo ich lieber / als viel an mir iſt / vermeiden helffen wol - te; anderſeits traute ich nicht die trennung zu autoriſiren / weil ich ſorge / ich muͤſte ſolche leute alſo anſehen / als die GOtt bereits zuſammen gefuͤget ha - be / und weder ich noch ein ander ſie trennen doͤrffte. Worinnen ich beken - ne / daß ich nicht eben ſolche verſicherung / aber des gegentheils noch ſo viel weniger habe. 8. Daher wo ich rathen ſolte / ſo wuͤrde vielmehr rathen / nechſt hertzlichem gebet zu goͤttlicher guͤte / daß ſie alle hertzen in ſolcher ſache nach dero weiſen rath regieren wolte / das gemuͤth wiederum zu einer liebe zu diſponiren / uñ damit alle kuͤnfftige ſcrupel des gewiſſens zu præcaviren. Ein mal iſts gewiß / daß ohne goͤttliche fuͤgung denjenigen / ſonderlich die GOtt in einer ſache mehrmal hertzlich angeruffen / und ſeine ehre zum zweck in dem geſchaͤfft ſich vorgeſetzt haben / nichts begegnen kan: Daher ich alsdann / was mir alſo begegnet / als des goͤttlichen willens verſichert anſehe / und ob ich ſelbs bey mir eine ſtraͤffliche uͤbereylung faͤnde / nichts deſtoweniger / daß der HErr ſich auch derſelben darzu gebraucht / ſeinen zweck bey mir zuerhalten / glauben wolte. Und ob dann in ſolcher ſache viele gefahr des kuͤnfftigen ſich præſentirte / welche ich / da res integra, unteꝛ den rationibus deliberandi fleiſ - ſig erwegen und wohl zu einer widrigen reſolution mich bewegen laſſen wuͤrde / ja ohne vermeſſenheit mich ſelbs in ſolche gefahr nicht geben doͤrffte / ſo achte ich mich doch aus des himmliſchen Vaters weißheit und liebe ver - ſichert / daß er ſolches nicht anders als zu meinem beſten alſo habe geſchehen laſſen / der etwa mich in der gedult uͤben / uñ doch auff eine mir jetzt unbegreiff - liche art / worinnen ich jetzo meine veꝛnunfft uñ willen unteꝛ den gehorſamſei - ner ordnung gefangen nehme / alles zum beſten richten werde. So vielmehr weil in dergleichen faͤllen nichts ungewoͤhnliches daß perſonen auff ein ver - nuͤnfftiges und ſanfftmuͤthiges begegnen ſich aͤndern. Welche hoffnung zwahr nicht macht / daß ich ohne habende verbindung mich in eine gefahr ſtuͤr -tzen517SECTIO III. tzen ſolle / aber wohl dieſes ausrichtet / daß ich wo ich goͤttlicher ordnung ge - horſame / ſolchen gehorſam aus derſelben mir deſto leichter machte / und an des, Apoſtels wort 1. Cor. 7 / 16. gedaͤchte / was weißeſt du mann / ob du das weib werdeſtſeelig machen? Dieſes waͤre mein chriſtlicher rath / ſo wohl den ſicherſten weg zeigen mag. 9. Waͤre aber das gemuͤth zu ſolcher reſolution von ſelbſten nicht zu uͤberwinden / ſondern bleibet man bey der reſciſſione, ſo ſehe gleichwohl nicht / daß dieſe eigenmaͤchtig aus beyder belie - ben / ſonderlich da der eine theil etwa ſo gern nicht daran kommt / privatim vorgenommen werden koͤnte / ſondern es wird / alß viel ich verſtehe / nothwen - dig cognitio und autoritas judicis erfordert / weil je niemand in eigener ſa - che richter ſeyn kan / auch das intereſſe der policey und kirchen nicht zugeben / daß ein ſolches werck / welches / da es eſclattiret / zimlich aͤrgernuͤß nach ſich ziehen moͤchte / anders als durch diejenige decidiret werde / welche GOttes ſtatthalter hier auf erden / in denjenigen dingen ſind / die in das weltliche und moral-leben ſo ſtarck einlauffen. Aufs wenigſte wo wir prediger bey uns alhier ein dergleichen exempel vorzugehen erfuͤhren / und die perſonen die ſa - che von ſelbſten anhaͤngig zumachen nicht bewogen werden koͤnten / wuͤrden wir ſolches bey der obrigkeit als ein aͤrgernuͤß angeben / und ſie ihre partes ex officio zu interponirn beweglich anlangen. Dieſes ſind meine gedancken in dem vorgelegten caſu, welche ich in der furcht des HErrn reifflich zu uͤber - legen freundlich bitte / hingegen auch dieſelbe nicht alſo auftringe / daß mir uͤber die gewiſſen eine unziehmliche herrſchafft annehme / ſondern meine mey - nung in einfalt meines hertzens vorgetragen zu haben mir gnug ſeyn laſſe: Dabey aber GOtt / der alles in haͤnden hat / demuͤthig anflehe / der denſelben beyderſeits ſeinen rath und willen mit verleugnung alles eigenen willens zu erkennen / und zufolgen / offenbahrn und alles dahin richten wolle / wie er beyderſeits / zuſammen zukommen oder getrennet zuwerden / am ſeeligſten erkennet. 1684.

SECTIO IV. Als ein bedencken von dem Franckfurtiſchen Mi - niſterio erfordert wurde / wegen einer braut / bey dero ge - gen den braͤutigam eine euſſerſte averſio animi entſtanden / und ſie mit der epilepſia befallen worden.

DEſſelben an mich gethanes habe von der poſt wol erhalten / und den vor - gelegten caſum wegen einer perſonæ miſeræ daraus verſtanden / ſo dann das ſchreiben in nechſtem conventu, als nemlich vorgeſtern / mei - nen Herren Collegis verleſen. Wir haben aber alſobalden befunden / daßT t t 3wir518Das vierdte Capitel. wir eigenlich auf dieſen vortrag ein reſponſum zu geben nicht vermoͤgen; nicht zwahr / weil wir pro labore nichts zu erwarten haͤtten / ſondern als ein allmoſen thun ſolten / indem wir ohne das fuͤr unſere reſponſa auch von den vermoͤglichſten / ſo gar hohen ſtandes perſonen / nichts zu nehmen / weniger zu erfordern pflegen; noch daß wir nicht geneigt waͤren / das elend einer miſe - rablen perſon zu hertzen zu ziehen / welches wir gleichwol nicht nur thun / ſon - dern was zu wuͤrcklicher huͤlffe die liebe forderte zu leiſten / willig ſind / als viel ohne eingriff in anderes amt geſchehen kan: Sondern weil wir nicht wiſſen / wie oder von wem wir requirirt werden / indem es nicht gemeldet wird / daß die miſera ſelbs von uns fordere / mein hochgeehrter Herr auch nicht als etwa advocatus cauſæ oder den ſonſten ſpeciali nomine die ſach angienge / ſolches reſponſum erfordert / vielweniger anderwertlich her eine belehrung einzuho - len / von den Obern eine abſonderliche erlaubnuͤß erlanget worden: Wo es faſt ein anſehen gewinnen ſolte / ob arrogirten wir uns eine gewalt uͤber ande - re / die unſer inſpection nicht unterworffen / uns gleichwol ultro in ihre dinge einmiſchende. So dann weil wir aus der facti ſpecie vernehmen / daß die ſach vor dero loͤblichem Conſiſtorio ſchwebet / welchem wir billich nicht allein alles zutrauen / daß ſie von ſelbſten in einer wichtigen ſache behutſam und ge - wiſſenhafft weiter verfahren / und bißher verfahren haben werden: Sondern auch aus dem uͤberſchriebenen nicht das wenigſte ſehe / was an deroſelben biß - heriger conduite in ſolcher ſache von uns mit recht geſtrafft werden koͤnte / ſondern wir ſelbs nicht anders zu verfahren wuͤrden vermocht haben / als daß in dieſer hypotheſi gantz richtiger ſponſaliorum, dero vollſtreckung ſponſa ſelbs coram conſiſtorio vorhin gebeten / und das decretum daruͤber ſo erhal - ten als angenommen / nachdem ſponſus ob wol nach langer verſchiebung (die zwahr wol ſtraͤfflich / aber den ſtatum cauſæ nicht aͤndert) ſolchem pariren will / ohnerachtet der darzwiſchen gekommenen ſtrittigkeiten / welche durch chriſt - liche verſoͤhnung billich auffzuheben / und ſponſæ ihr ehre in ſalvo zu erhalten geweſen / die ſache zur richtigkeit zu bringen / und endlich den widerſetzenden theil mit obrigkeitlichem zwang dazu zu noͤthigen ſeye: Wie auch ſolche die gewoͤhnliche procedur in ſolchen faͤllen zu ſeyn pfleget. Es kommt auch noch ferner dazu / daß in ipſa hypotheſi nicht wol jemand mit gnugſamem grund urtheilen kan / dem nicht alle umſtaͤnde derer vorſchuͤtzenden capitalium ini - micitiarum, ſo dann des der verlobten zugeſtoſſenen ungluͤcks der epilepſiæ, bekant ſind / daß alſo ſolche ſache eigenlich denjenigen allein zuſtehet / welche in gegenwart alles vor augen haben / in einem fall / wo offt die geringſte beſchaf - fenheit eines umſtandes / den etwa nicht jeder bemercket / noch zu notiren noͤ - thig achtet / vieles variiren kan / auf daß weder der boßheit raum gegeben / noch hingegen einer natuͤrlichen ſchwachheit oder ſonſten juſto, und nach dem ge -wiſſen519SECTIO IV. wiſſen guͤltige fundamente ſeiner waͤhrung habenden / dolori etwas allzu - ſchwehres auffgebuͤrdet werde. Dahero wir nichts anders zu rathen wiſſen / als daß die miſera dahin angewieſen werde / ihre nothdurfft vor ihrem Con - ſiſtorio ferner mit gebuͤhrender demuth und beſcheidenheit vorzutragen. Wo ihr eines und anders mag zu behuff kommen / daß zum exempel die averſio animi, dazu gleichwol ſponſus mit ſeiner boßheit urſach gegeben / ob ſie ſich wol zur reconciliation ſelbs noͤthigen wolte / in der natur ſo tieff zu einer an - tipathie eingeſeſſen / daß ſie nicht mehr bloß in ihrer gewalt waͤre / ſondern wie das erſte exempel ſchon zeigte / traurige und mit hoͤchſter gefahr ihres lebens verknuͤpffte ſymptomata bey ihr wircken wuͤrde / daher es nicht viel anders waͤre / als ſie zu dem tode zu verurtheilen / welches je eine allzuharte ſtraffe ihres elendes und ungluͤckſeliger verſprechung waͤre. Dabey derjenigen autorum, als D. Gerh. in LL. de conjug. Carpzovii, Cypræi, ſuffragia de ini - micitiis capitalibus juſta repudii cauſa, ihro zu ſtatten kommen moͤchten; welches ſo vielmehr platz bey ihr haͤtte / da es nicht um ihre ſtaͤrckung in vor - ſetzlicher boßheit (warum andere ſolcher urſach des repudii zu widerſprechen pflegen) ſondern ihrer rettung aus einem elend / das nicht mehr in ihrer macht ſtehe / zu thun ſeye. Welche urſachen (wofern nicht andere vorhanden ſind / ſo derſelben krafft infringiren / und wir ſie allhier nicht / wol aber die dorten ge - genwaͤrtige / ſolche wiſſen und urtheilen koͤnnen) hoffentlich das loͤbliche Con - ſiſtorium zu einer commiſeration, und nachdem die ſache jetzo in alio ſtatu, auch zu einer andern ſentenz bringen moͤchten. So vielmehr weil dahin ſte - het / ob nicht ſponſus nunmehr ſelbs von einer ſolchen ſponſæ, die ein derglei - chen malum an ſich bekommen / ſo ebenfals mehrmal zu einem repudio gnug - ſam geachtet zu werden pfleget / abzuſtehen verlangen[/]und von ihr befreyet zu werden / begehren wird. Wo alsdann ſo viel leichter die ſache zur conſola - tion der miſeræ ausgemacht werden moͤchte. Dieſes iſt das einige / was wir deroſelben an hand zu geben wiſſen / ſie da benebens treulich erinnerende / daß ſie den HErrn demuͤthig anruffe / welcher durch ſeine goͤttliche krafft ihr und derjenigen / welche mit der ſache zu thun haben / hertzen dahin kraͤfftig lencken wolle / zu thun und anzunehmen / was ſein heiliger wille iſt. So dann daß ſie daraus erkenne / wie wenig ſie noch in der ſchul ihres Heylandes gelernet ha - be / welcher von uns die verleugnung unſer ſelbs / und alſo des eigenen wil - lens / ſo dann eine hertzliche vergebung auch der ſchwehrſten beleidigung / nicht weniger einen demuͤthigen gehorſam unter alles / was er in ſeiner ordnung uns anbefihlet / erfordert. Da ſie hingegen den eigenen willen / affect des zorns / und unverſoͤhnlichkeit / und andere dergleichen ſtuͤcke der natuͤrlichen verderbnuͤß ſo ſtarck in ſich ſpuͤhre / daß ſie nicht nur denſelben zu widerſtreben ſich nicht befliſſen / ſondern faſt ihres lebens daruͤber verluſtiget worden: Da -hero520Das vierdte Capitel. hero ſie gleichwie ſich vor ihrem GOTT deswegen / daß ſie ihr ſelbs ſolches ungluͤck gemacht / zu demuͤthigen / alſo ins kuͤnfftige ſo viel fleißiger ſich ſelbs zu dem gehorſam ihres GOttes zu gewehnen / auch ihn vornemlich um ſolche gnade / ja vielmehr als um alles zeitliche / anzuruffen hat. Der HErr verleihe ihr auch ſolche gnade. 1680.

SECTIO V. Von der ehe eines / der eine andere mit einem ver - ſpruch der ehe vor dem geſchwaͤngert hatte.

Species facti.

TItius beſchlaͤfft Semproniam (eine ungleichen ſtandesperſon / aber nach ihrem vorgeben mit verſpruch der ehe) und zeuget ein kind mit ihr: Er heyrathet darauff Sciam, da Sempronia daruͤber ſtillſchweiget: nach Sciæ todt heyrathet er Titiam: dieſe bekommt daruͤber einen ſcrupel / ob ſie mit ihm in Gottgefaͤlliger ehe lebe / oder ob es wegen der Semproniæ nicht ein ehebruch zu achten?

Es iſt mir 1. dieſer ſcrupel der Titiæ ein zeugnuͤß / daß ſolche perſon ih - ren GOtt hertzlich lieben muͤſſe / da ſie ihr in derjenigen ſache ſorge machet / woruͤber andere ihnen die wenigſte gedancken machen / vielmehr aber ſicher fortleben wuͤrden. Aber eine ſeele / dero es um GOtt redlich zu thun iſt / iſt in allem ihꝛem thun ſorgfaͤltig / damit ſie nicht auch unvorſichtig ihm zuwider thun moͤge / als dem ſie zu gefallen ihr eintziges verlangen ſeyn laͤſſet. Die ſache aber ſelbs betreffend 2. iſt billich auch zu erinnern / wie der ehemann Titius anzuſehen ſeye. So hat nun derſelbe ſeine begangene ſuͤnde ſo viel hertzlicher eben deßwegen zu erkennen / weil er auch ſeiner ehegattin durch vo - rigen fall jetzo dieſe gewiſſens-angſt verurſachet hat / und insgeſamt ſeinen Chriſten - und eheſtand deſto heiliger zu fuͤhren. Jſt es nun an dem / wie er ſich verſchwohren / daß er die ehe der Semproniæ niemaln zugeſaget / wie ihm auch billich zutrauen ſolle / ſo ſtehet ſein gewiſſen auch ſo viel ſicherer / und hat er ſo viel weniger hindernuͤß der goͤttlichen gnade bey ſich. Solle es aber ja ſeyn / daß jenes geſchehen waͤre / ſo waͤre abermal dieſe neue ſuͤnde des falſchen ſchwehrens / die nicht geringer als die vorige / vor GOtt mit geziemender de - muth zu erkennen; und lieſſe ſich damit nicht entſchuldigen / daß man der ehe - gattin gemuͤth allein dadurch beruhigen / und ihrem zweiffel zu huͤlffe kom - men wollen / indem wir wiſſen / daß wir boͤſes zu thun nicht befugt ſind / aus der hoffnung des guten / ſo daraus kommen ſolte. Jndeſſen geſetzt auch ſol - chen fall / ſo wird gleichwol ſolcher eheſtand / welchen er jetzo beſitzet / deßwe - gen nicht unrecht / noch hater / wofern er im uͤbrigen in wahrer buß beſtehet /deſſen521SECTIO V. deſſen gebrauch ſich ſuͤndlich zu achten / wie aus dem folgenden erhellen wird. Wenn wir 3. den zuſtand der Titiæ ſelbs / daruͤber die frage eigenlich iſt / er - wegen / dero wol die verſicherung zu ihrem troſt geben darff / daß derſelbe vor GOtt ohne einige gefahr ſeye. Denn (1. wird billich der hohen betheurung ihres ehemanns getrauet / und deſſen wort mehr als der Semproniæ anſchul - digung glauben zugeſtellet. (2. Jſt Titiæ von allem ſolchem nichts wiſſend geweſen / und wie von ihr bezeuget wird / daß ſie bey der antretung ihres ehe - ſtands GOtt um ſeine regierung und offenbahrung ſeines willens angeruf - fen habe / ſo kan ſie ſich verſichern / ſie ſeye in deſſen nahmen und alſo nach deſ - ſen vaͤterlichen fuͤhrung / in denſelben getreten / daher ſie auch in demſelben ohnverletzt ihres gewiſſens ferner leben kan. (3. Ob denn auch gedachter maſſen ein heimlicher ehe-verſpruch mit der Sempronia vorgegangen waͤre / welcher zwahr Titiumin ſeinem gewiſſen beſchwehrete / und er ſolches nicht leicht auffzunehmen haͤtte / macht doch ſolches den itzigen eheſtand noch nicht unguͤltig oder zu einem ehebruch. Denn erſtlich noch nicht ausge - macht / ob jener ehe-verſpruch jemalen guͤltig geweſen ſeye: Dazu kommt / daß jeder verſpruch zwahr ein ſtarcker anfang des eheſtands iſt / und denjeni - gen / welcher denſelben gethan hat / in ſeinem gewiſſen verbindet / da nicht auff der gegenſeiten andre eben ſo wol gewiſſens-bande ſich finden / welche ihn da - von zuruͤcke ziehen / ſo viel an ihm iſt / den verſpruch zu vollſtrecken: aber dan - noch ruhet ſolche verbindlichkeit nicht ſo wol auf dem grunde / daß ſo bald da - durch eine unaufloͤßliche ehe gemacht worden waͤre / und daher dieſelbe nicht ohne ehebruch zuruͤck gezogen werden koͤnte / ſondern vielmehr allein auff der verpflichtung zur wahrheit / daß wir Chriſten / was wir verſprechen / auch ſo viel als an uns iſt / unverbruͤchlich halten / mit einer ſo wichtigen und heili - gen ſache / als die ehe iſt / nicht ſpielen / und eine perſon / welche auff derglei - chen zuſage ſich zu falle bringen laſſen / nicht in ſchimpff und ſchaden ſitzen laſ - ſen ſollen / welches die pflicht der liebe und der gerechtigkeit iſt. Daher die hindanſetzung ſolches verſpruchs auf unterſchiedliche art ſchwehre ſuͤnde / a - ber gleichwol kein eigenlicher ehebruch iſt / welcher verurſachte / daß einer ſol - chen perſon darauff gefolgter ordentlicher eheſtand vor unguͤltig / und ſelbs einen ehebruch zu halten waͤre. Wann dann nun ein ſolcher ehe-verſpruch / an dem weniger zu deſideriren / und der ohne ſchwehre ſuͤnde nicht gebrochen werden kan / dennoch keine voͤllige ehe macht / dahero auch offtmals aus wich - tigen urſachen dieſelbe ehe-verſpruͤche / durch richterlichen ausſpruch pflegen wieder auffgehoben zu werden / ob ſchon ſolche urſachen zur eigenlichen ehe - ſcheidung zwiſchen wahrhafftigen eheleuten nicht gnugſam waͤren / ſo hat man ſich ſo viel weniger zu fuͤrchten / daß ein vorhergegangener eheverſpruch / an deſſen richtigkeit noch ſtarck zu zweiffeln / eine gefolgte richtige ehe zum ehe - bruch machen koͤnte / da doch auff richterliche erkaͤntnuͤß derſelbe nicht erſtU u uauff -522Das vierdte Capitel. auffgeloͤſet / ſondern nur als null und nicht guͤltig erklaͤhret zu werdeu bedoͤrff - te. Auffs wenigſte mangelts ſo bald ſolchem verſpruch an dem haupt - requiſito, da ehe-verſpruͤche / als uͤber eine ſo wichtige ſache und zu ehren der goͤttlichen ordnung / nicht heimlich / ſondern oͤffentlich / und mit wiſſen andrer perſonen / die es angehet / geſchehen ſollen. Ob Titius damal noch ſeine eltern oder vormuͤnder gehabt / dero conſens gleichfals noͤthig / iſt mir nicht ange - deutet / ſo aber ſonſten auch ein momentum zur ſache geben wuͤrde. Zum andern / wo man dierichtigkeit des verſpruchs nicht anfechten wolte / und da - vor halten / das die auff denſelben gefolgte fleiſchliche beywohnung die uͤbri - ge fehler erſetze / und die verbindlichkeit ſtaͤrcke / da auch nicht ohne iſt / daß die - ſe der dadurch zu fall gebrachten perſon ein ſtarckes gegen den / welcher ſich mit ihr verbunden hat / gebe / daß ſie auch gebuͤhrlich zu ſuchen gehabt / ſo faͤl - let dennoch auch ſolches dahin / nachdem dieſelbe ſich deſſen durch ihr ſtill - ſchweigen um die zeit / da die erſte heyrath mit Scia vorſtunde / und ſie doch ſolches falles wegen von ihren principalen zimlich hart angeſehen worden / verluſtig gemacht hat. Wann dann nun ihr recht an ihm nicht ſo wol darin - nen beſtanden / daß ſie ſchon wahrhafftig eheleut geweſt waren / ſondern ſie die vollziehung ohne das von ihm nur ſuchen moͤgen / und ſie aber dieſes nicht gethan / ſo hat ſie ſo viel an ihr war / von ihrem recht abgeſtanden / und was zwiſchen ihnen vorgegangen / hat nicht hindern moͤgen / daß die erſte ehe Titii nicht ſolte guͤltig geweſen ſeyn. Drittens nachdem die erſte heyrath aus beſagten urſachen ihre richtigkeit hat / ſo iſt an der andern gefolgten noch ſo viel weniger zweiffel / nachdem Titius durch ſeinen eheſtand vollends von allem / was nur ein band geachtet werden koͤnte / geloͤſet worden / und bleibet Semproniæ der allergeringſte anſpruch der ehe halben nicht uͤbrig. Vierd - tens wird alles ſo viel klaͤhrer / wo wir kuͤrtzlich den gegenſatz machen / daß auf einer ſeiten ein ungewiſſer und ſonderlich / wenn ja etwas vorgegangen / ſei - ner guͤltigkeit wegen nicht erweißlicher / von der perſon auch ſelbs zu der zeit / da etwas zu urgiren geweſen waͤre / verlaſſener verſpruch / auff der andern ſeiten ein oͤffentlicher / in chriſtlicher ordnung vollzogener / und mit goͤttlichem ſeegen von der kirchen bekraͤfftigter ehebund ſtehet / da ich hoffe / daß nach gottſeliger uͤberlegung ein chriſtliches gewiſſen gantz wol auff der richtigkeit dieſes letzten beſtehen moͤge / und ſich durch jenen nicht irre machen laſſen doͤrf - fe. Der HErr aber / der die hertzen allein feſt und gewiß machen kan / wolle der in einen zweiffel gebrachten Titiæ auch wiedrum die ihr troͤſtliche ruhe ih - res gewiſſens verleyhen / daß ſie auch dieſe anfechtung uͤberwinde / und ſie als eine goͤttliche verhaͤngnuͤß anſehe / mit welcher ihr himmliſcher Vater dieſes ſuche / damit beyderſeits ehegatten ihren ſtand in ſo viel hertzlicher ſeiner furcht immer vor ihm fuͤhren / und ihm heiligen. 1687.

SECTIO523SECTIO VI.

SECTIO VI. Ob ein ſtieff-vater des ſtieff-ſohns wittwe hey - rathen koͤnne. Bedencken.

Auf die vorgelegte frage:

  • Ob in caſu, da ein ſtieff-vater ſeines ſtieff-ſohns wittib heyrathen wolle / die diſpenſation ſtatt finde.

zu antworten / habe die ſache in der forcht des HErrn erwogen / und finde am bequemſten und deutlichſten / meine meinung in gewiſſe ſaͤtze einzutheilen.

1. Jſt dieſe heyrath in goͤttlichen rechten nicht verboten: weder mit klahren worten / noch durch eine nothwendige folge. Daß mit klahren wor - ten der caſus nicht ausgetrucket ſeye / davon kan kein zweiffel ſeyn. Denn wenn 3. Moſ. 18 / 8. ſtehet / du ſolt deines vaters weibs ſchaam nicht bloͤſſẽ / wird ohne allen zweiffel der rechte vater / und alſo die eigenliche ſtieff-mutter verſtanden. Auffs wenigſte laͤßt ſich ein mehrers aus dem wort nicht zwin - gen. Was die folge anlangt / kan auch keine gezeiget werden / indem unter den verbotenen graden kein einiger iſt / der mit dieſem uͤbereinkaͤme / oder in das ſecundum genus affinitatis einlieffe / da man nach der angenommenen regel / non perſonas ſed gradus prohiberi, auch auf dieſen gradum ſchlieſſen moͤchte. Vielmehr wo wir auf die allgemeine regel v. 6. gehen / da es heiſſet / niemand ſolle ſich zu ſeiner nechſten bluts-freundin thun / eigenlich ad carnem (ſ. reliquias) carnis ſuæ: So iſt das ſecundum genus affinitatis al - lerdings zugelaſſen: Dann es werden nicht mehr als diejenige perſonen ein - ander verboten / da eine das fleiſch der andern fleiſches iſt; oder deutlicher / mir wird niemand weiter verboten als mein fleiſch / und alſo meine eltern / und vor-eltern / kinder und nachkoͤmlinge / und geſchwiſtern / ſo dann deroſelben fleiſch / entweder nach der bluts-freundſchafft oder ſchwaͤgerſchafft / nemlich derſelbigen geſchwiſtern und ehegatten. Was aber weiter gehet / und muͤſte heiſſen / caro carnis carnis meæ, und eine doppelte ehe dazwiſchen kommet / wie das ſecundum genus affinitatis mit ſich bringt / (indem des ſtieff-vaters fleiſch iſt ſeine verſtorbene hauß frau / dero fleiſch ihr auch verſtorbener ſohn / da hingegen deſſen wittwe nunmehr des fleiſches fleiſches fleiſch ſeyn wuͤrde) ſtecket nicht mehr in dieſem allgemeinen verbot GOttes durch Moſen / und kan alſo auch nicht von GOttes ſeiten vor verboten geachtet werden. Da - bey wol zu mercken iſt / weil GOTT ſein ſonderbares mißfallen an den ehen bezeuget[/]welche zu nahe in das gebluͤt gehen / alſo gar / daß er auch trohet / daßU u u 2das524Das vierdte Capitel. das land ſolche leute ausſpeyen ſolte / welche ſich mit denſelben verunreinig - ten / daß er dann / welche ehen er billiche oder nicht billiche / klahr und deutlich genug in dem geſetz muͤſſe ausgetrucket haben: Folglich daß keine perſon ver - boten geachtet werden koͤnne / davon das verbot nicht einem jeglichen / der nur mit einem fleiß das geſetz anſihet / klahr genug in die augen leuchtete. Hin - gegen ſind mir billich alle diejenige folgen verdaͤchtig / welche allzuweit herge - zogen werden / und derer nothwendigkeit nicht kraͤfftig gnug auch den einfaͤl - tigen / erwieſen werden kan. Wohin denn das gantze ſecundum genus affi - nitatis gehoͤret. Daher vor noch nicht langer zeit kein Theologus der unſri - gen ſich jemal unterſtanden hat / einiges gradus deſſelben verbot aus Moſe zu zeigen / ob ſie wol aus andern urſachen ſolche nicht zugelaſſen zu werden ver - langet haben[/]ſo je zum zeugnuͤß dienet / wie ſo gar die ſache in Moſe mit derje - nigen klahrheit nicht ſtecken muͤſſe / welcherley die goͤttliche weißheit / guͤte und gerechtigkeit erforderte in dem verbot einer ſache / die ſchwehre ſtraffe nach ſich ziehen ſolte / und alſo das verbot deutlich ſeyn muͤſte.

2. Ob nun wol die ehe in dieſem grad und caſu von GOTT nicht ver - boten / ſo hat doch die ſorgfalt die goͤttliche verbote ſo vielmehr zu befeſtigen / und gleichſam einigen zaun um dieſelbe zu machen / (von welcher ob zwahr wolgemeinten ſorgfalt ſich vielleicht noch fragen lieſſe / ob ſie mehr ſchaden als nutzen gebracht haͤtte) einige in der chriſtlichen kirche dahin bewogen / gleich - wie andere in goͤttlichem geſetz nicht verbotene grade / alſo auch das ſecun - dum genus affinitatis, und folglich dieſen deſſelben caſum, zu verbieten. Al - ſo wie dieſe heyrath ohne das in jure civili verboten geweſen nach l. uxorem. ff. de ritu nuptiarum, ſo haben auch die alte canones in ſecundo affinitatis genere das verbot biß auf den vierdten gradum extendi ret. So iſt auch nechſt andern mehrern kirchen-ordnungen in der Chur-Saͤchſ. lands-ord - nung 1555. p. 122. austruͤcklich des ſtieff-ſohns weib dem ſtieff-vater verbo - ten. Alſo haben ferner unterſchiedliche Theologi, nach Th. Beza im vorigen ſeculo ihr mißfallen gegen ſolche heyrath in dem jetzigen ſeculo bezeuget / als D. Menzerus de conjug. p. 1182. wo er ſich vornemlich auf das argument be - zeucht / weil des ſtieff-vaters kinder aus des ſtieff-ſohns mutter nicht heyra - then koͤnten die kinder ſolches ſtieff-ſohns / die er gezeuget / daher auch dero mutter / die wittwe / den vater nicht heyrathen koͤnne / er berufft ſich aufden re - ſpectum paternitatis, und publicam honeſtatem, nach der regel: in contra - hendis nuptiis non ſolum quod liceat, ſed quod deceat & honeſtum ſit, ſpe - ctandum eſſe. Dieſem folget Herr D. Gerhardus und Herr D. Brochmand / ſo dann wie es pfleget zu geſchehen / mehrere andere nach ihnen.

3. Jndeſſen mag auch dieſer gradus, wo einige chriſtliche treibende ur - ſachen vorhanden ſind / wol auch durch eine diſpenſation zugegeben werden. Dann525SECTIO VI. Dann weil kein goͤttliches verbot in dem weg ſtehet (dann dieſes lieſſe ſich von menſchen nicht auffheben) auch die alte canones auffgehoben ſind / daß nun - mehr jure canonum das ſecundum genus affinitatis allerdings frey iſt / ſo kan das obſtaculum juris civilis (ſo ohne das in matrimonialibus wenig zu at - tendiren) und provincialis von demjenigen / der den legem gegeben / auch wol auffgehoben / und alſo diſpenſiret werden: So vielmehr weil die prohibitio faſt auf dem bloſſen argumento ſo genannter publicæ honeſtatis (dann das argument, daß deren kinder ſich nicht unter einander heyrathen koͤnten / ein - ander auch ſelbs verboten ſeyn muͤſten / hat gar keine krafft / und iſt gnugſam von dem ſtattlichen Juriſten Herrn Stryken refutirt worden / ſo iſt auch der prætendirte reſpectus paternitatis zu ſchwach) beruhet / welche publica hone - ſtas gleichwol nichts anders iſt / als die ſorgfalt anderer aͤrgernuͤß zu verhuͤ - ten. Nun bin nicht in abrede / daß die verſaͤumung derſelben wol ſo wichtig iſt / daß man ſich ſeiner freyheit um anderer zu ſchohnen bißweilen zu begeben habe. Jch ſehe aber nicht / wie dieſes aͤrgernuͤß / ſo zum grunde hat des gemei - nen volcks unverſtand / ſo ſich durch die nahmen vater und ſohns frau beſtaͤr - cket / allerdings alle die rationen / welche eine perſon zu einer ſolchen heyrath bewegen moͤchten / uͤberwiegen ſolte: Nachdem ſo wol ſonſten auch mittel ſeynd / und geſucht werden moͤgen / dem gemeinen volck ſolche unrechte mei - nung / als die urſach des aͤrgernuͤſſes / zu benehmen / als auch eben durch die di - ſpenſation der hohen Obrigkeit dieſelbe wircklich benommen wird. Jndem das vertrauen der unterthanen / daß dero hohe Obrigkeit nichts ungebuͤhrli - ches ſua autoritate confirmiren wuͤrde / billich ihren eigenen gedancken præva - liren ſolle. Weswegen dann bey Dedek. vol. 3. p. 396. 397. die berathſchla - gung des Chur-S. Conſiſtorii zu Wittenberg befindlich / da verlangt wor - den / weil die canones à civili diſcrepiren / daß der ſache durch eine conſtitution und gewiſſe ordnung zu helffen / ſo dann wiro vor gewiß geſetzt / daß ſolche pro - hibitio, welche ratione honeſtatis publicæ geſchehen / per diſpenſationem koͤnne erlaſſen werden. Alſo fuͤhret eben ſolcher Dedekennus an p. 399. ein reſponſum der Theolog. Fac. zu Roſtock 1570. ſo zwahr eine ſolche ehe / weil ſie wider die Kaͤyſerliche rechte und die kirchen-ordnung ſtreite / nicht billichet / aber nicht nur bekant / daß ſie nicht in goͤttlichem geſetz eigenlich verboten ſeye / ſondern auch rathet / daß man bey dem Landes-Fuͤrſten oder General-Super - intendenten um diſpenſation anſuchen moͤchte. So dann von Jena 1599. in caſu analogo, wo auch der hohen Obrigkeit die diſpenſation zugeſtanden wird. Er fuͤhret ferner an / die reſponſa der Conſiſtoriorum zu Dreßden und Wittenberg / welche einem ſeiner frauen ſtieff-tochter (ſo auch ein analo - gon) zugeben. Weswegen auch Herr D. Carpzov. Jur. Conſ. L. 2. def. 119. die diſpenſation zugibet / und ein præjudicium des Ober-Conſiſtorii anfuͤh -U u u 3ret /526Das vierdte Capitel. ret / welches zwahr 1616. eine ſolche ehe unterlaſſen haben wolte / aber beyſe - tzet / daß eine diſpenſation, wo die ſache fortgehen ſolte / erhalten werden muͤ - ſte. Daher es auch an chriſtlichen Theologis nicht manglet / welche / ob ſie ſolche ehe nicht gern ſehen / ſie dannoch auch nicht verboten wiſſen wollen. Herr D. Joh. Adam Oſiand. Theol. Caſ. P. V. p. 138. ſchlieſſet die frage alſo: Nos cenſemus abſolute & intrinſecè tale conjugium in foro poli & con - ſcientiæ illicitum non eſſe: interim ubi lege prohibetur, & diſpenſatio obti - neri nequit, abſtinendum eſt: aut ſi rationes alicujus omnio ferant, ut tale conjugium ineat, & ſi forte res non eſt in integro, eo ſe conferat, ubi per le - ges licitum eſt. Wie aber das diſpenſiret werden koͤnne / wir bereits die zeugnuͤſſen geſehen / ſo ſind der exempel der wuͤrcklich erfolgeten diſpenſatio - nen nicht wenige; wie mich ſelbs zweyer beſinne / da in zwo vornehmen Reichs-Staͤdten / unter welchen ſonderlich die eine eine beruͤhmte Theologi - ſche Facultaͤt und anſehnliches Miniſterium hat / bey zweyen perſonen di - ſpenſiret worden / daß jede ihres ſtieff-vaters wittwe heyrathen moͤgen / ſo in der that einer mit unſerm caſu iſt / ja noch ſchwehrer ſeyn moͤchte / dieſelbe zum ehegatten zu nehmen / ſich zu unterwerffen / welche man vorhin vor mutter geehret / als diejenige zum gehuͤlffen annehmen / die ohne das in gewiſſer maaß als tochter unterthan geweſen war.

Daher ſchließlich den caſum nicht anders anſehen kan / als ſo wol daß die diſpenſatio muͤglich / als daß man ſich auch / wo chriſtliche urſachen angefuͤh - ret werden / bey hoher Obrigkeit derſelben billich hoffnung machen moͤge.

Der HErr regiere alles / wie es zu ſeinen ehren / der gewiſſen beruhigung und aller perſonen zeitlich und ewigem heil dienlich iſt. 1691.

Mitgeſandtes ſchreiben an den Requirenten.

WAs derſelbe von dem 25. paſſ. an mich gelangen laſſen / habe empfangen / den caſum in der furcht des HErrn erwogen / und darauff meine hoffent - lich wohlgegruͤndete meinung abgefaſſet: welche ich hiebey uͤberſende. Koͤn - te es ohne beyder perſonen mercklichen nachtheil und verletzung ihrer gewiſ - ſen geſchehen / daß die ſache unterbliebe / und derſelbige ſich eine andere ge - huͤlffin erwehlte / ſo wuͤrde es ſo fern zu rathen ſeyn / damit unberichteten nicht ein anſtoß und aͤrgernuͤß geſetzet wuͤrde. Wo aber beyde ihrer reſolution einander zu heyrathen gnugſame chriſtliche urſachen / wie in dem ſchreiben angefuͤhret worden / zu haben glauben / ſo haben ſie in GOttes nahmen ſich gehoͤrigen orts anzumelden / und zu verſuchen / ob ſie die diſpenſation zu er - halten vermoͤchten. Der ſtiffter der ehe und der alles in ſeinen haͤnden hat / regiere auch dieſe gantze ſache auff eine oder andre weiſe / wie er zu ſeinen eh - ren / und der intereſſenten zeitlich und ewiger wohlfarth ſolches erſprießlich zu ſeyn erkennet. Hiemit GOtt treulich empfohlen.

SECTIO527SECTIO VII.

SECTIO VII. Ob einer ſeines verſtorbenen weibes brudern witt - we ſalvo jure divino heyrathen koͤnne / oder ob ſolcher caſus jure divino verboten und indiſpenſabel ſeye?

JCh halte dieſen caſum ex numero diſpenſabilium 1. Kan ich in goͤtt - lichem wort keinen ort finden / da dieſer grad entweder in terminis, oder durch eine offenbare und unwiderſprechliche folge / verboten waͤre: Da aber bekant iſt / daß wo goͤttliches wort nicht entgegen ſtehet / uͤbrige gra - dus alle ſo bewandt ſeyen / daß nach bewandnuͤß der ſache ſich diſpenſiren laſ - ſe. Daß ſich nun jemahl vor dieſem einer nur unterwunden haben ſolte / das verbot ſolcher ehe aus der ſchrifft darzuthun / treffe ich nirgend an / (wie dann diejenige Theologi, welche ſolchen grad lieber verboten geſehen / ſich anderer urſachen beholffen / nicht aber auf einigen ſpruch austruͤcklich ſich / als viel mir wiſſend iſt / beruffen haben) ohne das von einigen zeiten her / etz - liche Theologi dergleichen ehe ipſo jure divino verboten zu ſeyn behaup - ten / und ſich ſonderlich des loci 3. Moſ. 18 / 6. brauchen / da es heißt: Niemand ſolle ſich zu ſeiner nechſten blutsfreundin thun / oder ne - mo ad carnem carnis ſuæ accedat. Die krafft des ſchluſſes moͤchte darauff ankommen / wo wir das exempel nehmen: Daß Paulus nach ſeines weibes Mariæ tod / dero brudern Petri wittbe Annam heyrathen wolte / ſo ſeye Ma - ria Pauli fleiſch / hingegen weil Anna mit Petro auch ein fleiſch worden / ſeye dieſelbe auch Mariæ fleiſch / und deßwegen Pauli fleiſches fleiſch / und ihm al - ſo verboten. Dieſer ſchluß aber iſt ſehr ſchwach / am wenigſten aber gnug - ſam ſo viel auszurichten / daß man ſothane ehe / vor von GOtt ſelbſt verbo - ten achten ſolte. Vielmehr ſorge / es GOttes weißheit und guͤte faſt unge - maͤß zu ſeyn / da er ſeinen willen in einer ſache / wo gleichwol die gefahr einer ſchwehꝛen ſuͤnde uñ blutſchande verſirte / nur ſo dunckel offenbahꝛet haben ſol - te; da gleichwol zu jeglichen geſetzes tugend dieſes gehoͤret / daß es deutlich was es haben wolle / zu verſtehen gebe / und demnach jeglicher weiſer geſetzge - ber der deutlichkeit ſich vor allen andern dingen befleiſſet / und wir alſo uns zu GOtt ſolcher nicht weniger zu verſehen haben. Zu dem ſchluß aber ſelbſt zu ſchreiten / wird 1. geſtanden / daß Maria Pauli fleiſch ſeye / und worden ſeye: Es wird auch 2. nicht geleugnet / daß Maria Petri fleiſch ſeye / als von einem fleiſch mit ihm gebohren / daher wo wir an ſtatt Petri eine ſchweſter E - liſabetham ſetzen wolten / dieſe von Paulo nicht geheyrathet werden koͤnte / weil ſie waͤre caro carnis ipſius / das fleiſch ſeines fleiſches. 3. Wird auch eingeraͤumet / daß Anna mit Petro ein fleiſch worden / und alſo ſein fleiſch ſeye. Aber 4. wird nicht zugegeben / daß ſie der Mariæ fleiſch ſeye / wie Petrus, mitdem528Das vierdte Capitel. dem ſie ein fleiſch worden iſt / nicht aber mit ſeiner ſchweſter Maria. Daher wann wir jetzund Annam und Paulum mit einander vergleichen wollen / ſo waͤre Anna caro carnis (Petri) carnis (Mariæ) Pauli: nun iſt mir verbo - then nicht caro carnis carnis meæ, ſondern nur caro carnis meæ. Wird 5. eingewendet / Anna ſey mit Petro ein fleiſch worden / und nicht anderſt als gleichſam eine perſon zu rechnen / und der Eliſabethæ gleich zu achten / die ohn zweiffel dem Paulo verboten iſt / als caro carnis ejus; ſo antworte / daß ſie mit ihm Petro ein fleiſch worden / aber nicht eine perſon / ſondern ſie heiſ - ſet ſein fleiſch / wie Maria Pauli fleiſch iſt / nicht aber Paulus ſelbs; wie ich dann Mariam Pauli carnem heiſſe / ſo muß auch Anna Petri caro ſeyn / der wiederum Mariæ caro iſt / da kommet / wie mans auch machen will / zwiſchen Paulo und Anna herauß / nicht caro carnis ſondern caro carnis carnis, davon nicht dieſes ſondern jenes von GOtt verboten iſt. Alſo 6. iſt Maria keiner - ley weiſe weder copula carnali noch ortu ex eadem carne der Annæ caro ge - weſen / und deßwegen dem Paulo unverboten / welcher ſich allein von dem fleiſch der Mariæ, die mit ihm ein fleiſch worden / zu enthalten hat. Alſo wer - den eheleute ein fleiſch / unter ſich nicht aber mit beiderſeits freunden / wes - wegen ſie auch / ſo bald von dieſen gehandelt wird / nicht vor eine perſon ge - halten werden / ſondern eines iſt des andern fleiſch. So iſt mir auch ein ſtarckes præjudicium wider ſolche erklaͤhrung / daß vormalige Theologi al - le in fleißigſter erwegung des orts aus Levitico nichts dergleichen darinnen geſucht oder gefunden haben. Welches aufs wenigſte ein zeugnuͤß ſeyn mag / daß es gar nicht klahr in dem text ſtehe / wie doch von ſolchen wichtigen verboten nothwendig waͤre. So wird auch von ſolcher neuen und von den alten abgehenden explication auffs wenigſte dieſes erfordert / daß ſie mit klaͤhrern gruͤnden dargethan / und nicht nur daß etlicher maſſen es alſo heiſſen koͤnte / ſondern nothwendig alſo heiſſen muͤßte / erwieſen werden. Ohne wel - ches die billigkeit erfordert / bey der gemeinen erklaͤhrung zubleiben. So vielmehr weil ohne daß die prohibitio als odioſior nicht zu præſumiren / ſon - dern favor permiſſionis, wo jene nicht deutlich dargethan / billich prævaliret. 2. Hiezu ſetze / daß biß dahin dieſes die einmuͤthige meinung der Theologo - rum und JCtorum unſerer confeſſion (alſo auch der Reformirten) gewe - ſen / daß dergleichen heyrathen mit des weibes bruders wittwe / entweder ſchlechterdings erlaubt / oder doch nicht dem goͤttlichen geſetz zu wider / und alſo ohnzweiffenlich diſpenſabel ſeyen. Unſer Lutherus T. 2. Alt. da er die verbotene grad ſetzet / erlaubt noch vielmehr / ſo wir an ſeinem ort geſtellt ſeyn laſſen. Melanchthon, ſetzet nicht nur dieſen grad nicht unter die ver - botene / ſondern erlaubt ihn austruͤcklich / weil er in dem ſecundo genere af -fini -529SECTIO VII. finitatis kein verbot erkennet. Deßgleichen D. G. Major bey Sarcerio p. 22. b. Alſo auch findet ſich dieſer caſus nicht unter den verbotenen bey Joh. Bren - tio. Henr. Bullingero, D. Melch. Clingio, dero orte Sarcerius in Corp. Jur. Matrim. anfuͤhrẽt. Nechſt denſelben approbiret unſer in ſolcher materie ſon - ſten ſo fleißige und ſorgfaͤltige D. Chemnitius. LL. CC. P. 3. p. 215. dieſe e - he / eben damit / da er das gantze genus ſecundum affinitatis vor erlaubt er - kennet. Jn dieſem Seculo leugne ich nicht / daß einige Theologi nachdem zuvor Beza (den ich zwahr nachzuſchlagen nicht gehabt) angeſtanden / ange - fangen an ſolcher ehe zu zweifeln / aber gleichwol nimmer zu aſſeriren / daß ſie contra legem divinam waͤre. Die erſte finde ich D. Menzerum und D. Gerhardum. Jener handelt hievon in Tr. de conjug. T. 2. Opp. p. 1111. 1112. Da er erſtlich anfuͤhret den Juriſten Joach. Beuſtium, der ſolche ehe zulaſſe / (wie auch zuſehen bey Dedekenn. in Conſil. Volum. 3. p. 407.) jedoch wo noch res integra verlange / daß man davon abſtehe / um aͤrgernuͤſſes willen. Er aber ſagt: Mihi (ſalvo aliorum judicio) ejusmodi nuptiæ, propter. quandam turbationem cognationis probari nonpoſſunt So ſaget er noch ferner / nach dem er jene urſach ausgefuͤhret. Etſi proprie loquendo uxor fratris uxoris meæ mihi non ſit affinis in primo genere: tamen exiſtimo, eam affinitatem quam proxime accedere ad naturam illius propter unita - tem illam carnis. Et neſcio quid ſingularis propinquitatis eſſe videatur. in hac affinitate. Bald. Quod ſi præfracte urgere quis velit, eſſe eam affi - nitatem proprie non primi ſed ſecundi generis: proinde ob eam nuptias non impediri: reſpondebo, honeſtatis ſaItem publicæ rationem in hoc ca - ſu tantam eſſe debere, ut a tali conjugio homines abſterreantur. Quæ qui - dem ita diſputo, ut tamen aliorum ſicut dixi cordatorum judicium nolim aſpernari, & loquor de matrimonio non jam contracto ſed contrahendo. Aus welchen worten wir ſehen / ob wohl ſolche heyrath ihm nicht gefalle / wie modeſte dennoch der beruͤhmte Theologus redet / ſeine meinung nur ſagt / niemand ſie auftringet / und ſich auff ſolche urſachen berufft / welche ſo - thane ehe mehr mißrathen als verbieten: Durchauß aber unterſtehet er ſich nicht zu ſagen / daß ſie austruͤcklich von GOtt verboten waͤre. D. Gerhard folget auch hierinnen Menzero; nechſt dem er auch D. Majorem, und aus den Juriſten Albericum Gentilem fuͤr ſich anzeucht: Davor haltende / daß das verbot ſolcher ehe / ſo in decretis zu finden / billig noch ſtatt haben ſolle. Jndeſſen ttauet er ſich nicht zu ſagen / daß ſie jure divino verboten ſeye. Viel - mehr da er arg. 2. alſo ſchlieſſet / daß diejenige ſich untereinander nicht vereh - ligen koͤnnen / deren kindern ſolches verboten iſt: Geſtehet er in dieſem fall / daß das verbot der ehe unter den kindern / daher auch dieſes / nur ex jure ca - nonis ſeye. So ſagt er auch arg. 4. eadem non impediri matrimonium, eſtX x xad -530Das vierdte Capitel. admodum improbabile; trauet alſo das gegentheil nicht præciſe zubehaup - ten. Wie auch insgeſammt auf ſeine argumenta ſich gruͤndlich antworten laͤſſet / da gewiß allein das letzte de honeſtate das ſtaͤrckſte iſt. Nach dieſem hat D. Brochmand dieſen gefolgt L. de conjugio c. 4. q. 47. aber auch ſo / daß er ſolche ſententiam tutiſſimam halte / ut tales nuptiæ non probentur, welches noch nicht ſo viel geſagt iſt / daß man ſie vor bloß und zwahr aus goͤttlichem geſetz verboten halten muͤſte. Was vor Theologi nach ſolchem von dieſer ſache geſchrieben / weil dieſelbe nicht in meiner bibliothec habe / kan nicht nachſchlagen; verſichre mich aber / welche ſich dieſen gradum nicht eben ſo groß gefallen laſſen / werden dannoch nimmermehr goͤttliches verbot und alſo die indiſpenſabilitaͤt allegiren. Mein Præceptor Herr D. Dannhau. Theol. Conſc. p. 784. ſagt austruͤcklich: Fas ac divina lege improhibitum, ducere uxoris meæ fratris viduam. Da er auch Gerhardi meinung alſo an - ſihet / daß ſie nur darauff gehe / daß ſolche ehe humana lege zu verbieten. Un - ter den aͤltern fuͤhret Dedekenn. Conſil. T. 3. p. 409. des Conſiſtorii zu Wit - tenberg / in welchem auch die Theologi mit begriffen / ausſpruch an: Auff eure an uns gethane frage / ob eine wittwe ihres verſtorbenen mannes ſchweſter-mann zu ehligen befugt ſeye / und euch des rechten daruͤber zu berichten gebeten habet / demnach unterrichten wir die ver - ordnete &c. Darauff vor recht / daß dieſe ehe in ſecundo genere affi - nitatis unverboten / jedoch ſind dieſe perſonen der gemeinen ehrbar - keit zu erinnern. Ja Beuſtius bezeuget von ihnen / daß ſie / wo bereits ein verſpruch geſchehen / auch nicht einmal eine abmahnung von dem vorhaben noͤthig geachtet. Von dieſer ſeiner vorgaͤngere erkaͤntnuͤß iſt zwahr nach - mal abgegangen Herr D. Calovius in ſeinem Syſtemate L. de conjug. p. 543. gleichwol alſo / daß er bloß ſagt / die frage werde à Menzero und andern re - ctius negirt / er fuͤhret aber allein das argument, weil der perſonen kinder nicht mit einander ſich verheyrathen koͤnten; ſo dann vornemlich / daß in ehe - ſachen zu ſehen ſeye / non ſolum quod liceat, ſed etiam quod deceat & hone - ſtum ſit. Daß er alſo auch noch nicht dahin zu gehen getruet / ob waͤre der caſus ipſo jure divino verboten / wie wir auch gehoͤret haben / daß D. Menze - rus dergleichen vorzunehmen ſich nicht unternommen habe. Aus allem ſol - chem meine zur gnuͤge zu erhellen / daß biß dahin unſere Theologi und lehrer ſolche ehe gebilliget / oder auffs wenigſte nicht in goͤttlichem recht verboten o - der indiſpenſabel gehalten haben.

3. Hiezu kommt / daß insgemein biß dahin das ſecundum genus affi - nitatis vor unverboten gehalten worden: Wie wir aus dem obigen von Me - lanchthone, G. Majore, D. Clingio, Chemnitio gehoͤret haben / deren letzte -rer531SECTIO VII. rer austruͤcklich ſagt: Antiquiores quidem Pontifices ad omnia illa genera affinitatum prohibitiones ſuas extend erunt, unde multæ ſecutæ ſunt tur - bationes conſcientiarum. Sed quia nec divinum nec humanum jus pro - hibitiones illas tam latè extendit, abrogata fuerunt tandem ſecundum & tertium genus affinitatis, ut non conſtituant talem affinitatem, quæ impe - diat matrimonium. vide cauſ. 35. q. 3. de conſang. & affinitat. Zu dieſem kan noch ferner ſetzen den beruͤhmten Juriſten Joach. a Beuſt, der ſich eben in deci - ſiõ dieſer frage auff ſolche concesſion des gantzen generis ſecundi affinitatis gruͤndet / uñ zugleich als einſtim̃ig einfuͤhret die Juriſten Joh. Schneidewinum und Matth. Weſenbecium, ſo dann aus den Theologis Hem̃ingium, und von den Papiſten Didacum. Da alſo insgemein / ſo gar auch von den Papiſten / ſo doch ſonſten die prohibitiones lieber weiter erſtrecket haben / das gantze ſecundum genus affinitatis angeſehen wird / als an der ehe unhinderlich / ſo muͤſſen allzuwichtige urſachen / die ich hie nicht finde / ſeyn / welche dieſen ca - ſum von dem gantzen genere excipirten. Welches ſo vielmehr beſtaͤrcket wird / wann wir bedencken / daß ſolches ſecundum genus weder unter der definitione conſangvinitatis noch affinitatis (welche beyde gleichwohl allein ein verbot machen koͤnnen) eigentlich begriffen ſeye: von dem erſten iſt die ſache undiſputirlich: Was das andre anlangt / ſo wird affinitas definirt bey Carpzov. Jur. Conſiſt. L. 2. T. 6. n. 2. daß ſie ſeye vinculum ex conjunctio - ne maris & fœminæ in uno conjuge & alterius cognatis. Daher es vor gantz richtig gehalten wird / daß beider eheleute verwandte unter ſich nicht affines ſind: Die urſach zeigt Chemnitius an / quod ſolus maritus ad cognatorum uxoris fines acceſſionem fecerit, ac ſimiliter uxor ad cognatos mariti & u - xoris inter ſe. Nun iſt offenbahr / daß die wittwe meines weibes bruders / iſt keine cognata meines weibes / ſondern ihre affinis, ſo iſt ſie alſo auch mir nicht eigentlich affinis: Weil die affinitas allein iſt unter dem ehegatten / und des andern blutsfreunden. Daher die andere beyde genera gantz abuſive affinitates genant werden. Von unſern Saͤchſiſchen Theologen ſetze ich billig auch Hr. D. Kromeyerum hieher / der in Theologia poſit. polem. p. 903. austruͤcklich und ohne außnahm ſpricht: In ſecundo & tertio genere, affinitatis matrimonia non ſunt prohibita, præterquam quod jure territo - riali caſus quidam in hiſce prouinciis ſint excepti. 4. Nechſt bißher ange - fuͤhrtem iſt eines der ſtaͤrckſten momentorum wo die frage in abſicht auff die Saͤchſiſche lande gehandelt wird / daß gleichwol deꝛſelben kirchen-ordnungen / wo darinnen die regul vorgeſchrieben iſt / wie weit die ehe ſoll erlaubt oder verboten ſeyn / dieſer gradus mit keinem wort als verboten angefuͤhret wird. Wie wir ſehen ſo wol in der kirchen-ordnung Churf. Auguſti Corp. jur. Sax. X x x 2p. 275. 532Das vierdte Capitel. p. 275. als Churf. Joh. Georgen eheordnung p. 464. daß daſelbs das ver - bot der grad der blutsfreundſchafft zwahr auch auff die ſchwaͤgerſchafft ex - tendiret wird / aber austruͤcklich auff diejenige / welche des ehegatten bluts - freunde / nicht aber wiederum deſſen ſchwaͤger ſind / daß alſo nur das pri - mum, nicht aber das ſecundum, genus affinitatis in dem verbot attendiret wird. Dieſe ehe-ordnung wird jaͤhrlich verleſen / und daher billig von je - dermann alſo verſtanden / daß was nicht in deroſelben verboten iſt / vorer - laubt zu achten ſeye / folglich welche ſich in den graden, ſo daſelbs nicht ge - meldet ſind / mit einander verloben / thun ſolches bona fide, daher ich nicht ſe - he / wie zu ihrem ſchaden ſolche verloͤbnuͤß reſcindiret / oder die vollſtreckung gehindert werden koͤnne. So vielmehr weil da ein caſus, der in das ſecun - dum genus affinitatis gehoͤret / nehmlich mit des ſtiefvaters wittwe / wo ohne zweiffel allein auff den reſpectum paternitatis geſehen wird / austruͤck - lich unter die verbotene geſetzet wird / in der der landes-ordnung einverleib - ten deſignation der perſonen ſo nicht ehelich werden ſollen. p. 123. Da denn gewißlich / wo Legislator auch in linea transverſali etwas zu verbie - ten gewillt geweſen / dieſer caſus mit des weibes brudern wittwe / auch nicht haͤtte vergeſſen werden ſollen. Zwahr nachdeme ſehen wir bey Carpz. Ju - riſpr. Conſiſt. L. 2. T. 6. def. 102. daß ſolcher fall etlicher maſſen verboten zu - achten / wo wir aber die reſcripta aus dem Ober-conſiſtorio, die er angefuͤh - ret / beſehen / ſo finden wir nur / daß erfordert wird / daß ſolcher fall daſelbs hinzuberichten geweſen waͤre / auff daß in dergleichen deſſen erkaͤntnuͤß alle - zeit dazu kaͤme / daher auch ſonderlich und meiſtens auff vermeidung der aͤr - gernuͤſſe in denſelben getrieben / gar aber weder ein goͤttliches noch obrigkeit - liches gebot allegiret wird: Um welcher urſach willen auch defin. 120. die diſpenſation zugelaſſen wird.

5. Bey dieſer iſt nun ferner wohl zu bedencken / daß auch das Churfuͤrſt - liche Ober-Conſiſtorium in Dreßden dieſe nicht abgeſchlagen / ſondern er - theilt haben: wie bey Carpzov. d. defin. 120. de annis 1614. 1618. 1620. zu ſe - hen / dazu auch das exempel de anno 1627. bey defin. 102. zu ziehen / wo zwahr daß ohne vorwiſſen des Ober-Conſiſtorii ſolche nachlaſſung geſchehen / gean - det / aber gleichwol das gethane verloͤbnuͤß zu vollziehen verſtattet worden. Dazu noch kommt / das ohne jahr aus Dedekenno bey Carpz. defin. 120. an - gezogene reſcript des Ober-Conſiſtorii: wo zwahr wann noch kein verbuͤnd - licher verſpruch geſchehen / die perſonen abzumahnen verordnet / aber aus - truͤcklich dazu geſetzet wird: Wofern ſie aber ſich mit einander allbereit verbunden / ſo wuͤrde ihnen die vollziehung auff vorhergehendes der kirchen auffgebot durch chriſtlichen kirchgang und eheliche beywoh - nung billich erlaubet / geſtattet und nachgelaſſen. So ſind auch der e -xem -533SECTIO VII. xempel gnugſam bekant / derjenigen / ſo auff dergleichen weiſe in Sachſen ge - heyrathet / welche deßwegen entweder diſpenſation gehabt haben muͤſſen / o - der man wohl gar dieſelbe nicht noͤthig geachtet.

6. Es kom̃t ferner zubedencken / daß wo man dieſen caſum als jure di - vino verboten achten wolte / ſolches nicht allein ſo viele Theologos und gan - tze. Collegia einer ziemlichen ignorantiæ juris divini unverdient beſchuldi - gen / als die contra jus divinum diſpenſiret haͤtten / ſondern auch denjenigen / die aus dergleichen ehen erzeuget / einen nicht geringen vorwurff machen wuͤrde / ob waͤren ſie ex conjugio inceſtuoſo erzeuget / welches noch mehrere weltliche folgen nachſich zoͤge.

7. Ferner wuͤrde das vorgeben / ob waͤren dieſe ehen in goͤttlichem recht verboten / die uͤbrige evangeliſche kirchen / ſonderlich Ober-Teutſchlan - des (wie mir dergleichen exempel bekant) nicht wenig graviren / in dem bey denſelben ſolche ehen ohne oder auch mit cognition der obrigkeit verſtattet werden: Ja es moͤchten daher die Papiſten eine ſtattliche / uns aber ſehr ſchaͤdliche gelegenheit nehmen / unſer zu ſpotten / und ſowol die uneinigkeit untereinander / als auch unſre unbeſtaͤndigkeit / weil man an einem ort vor goͤttliches verbot erkenne / was man anderswo vor erlaubt achte / auch ſelbs in ſo wichtiger ſache de jure divino von einer meinung auff die andre ſpringe / folglich die ungewißheit unferer religion / wo man kein gewiſſes fundament feſt ſetzen koͤnne / da man nicht zu andern malen wiederum davon abweiche / uns mit nachtruck und aͤrgernuͤß der ſchwachen vorzuwerffen / hingegen den vorzug ihrer kirchen / wo alle ſolche dinge von einem tribunali geurtheilet / und ſolchen diſſenſionen kein raum gegeben werde / wider uns zu ruͤhmen.

SECTIO VIII. Als eine hohe Standes-perſon ihrer vorigen ge - mahlin leibliche ſchweſter zu heyrathen vorhatte.

1. Antwort auf das requiſitions-ſchreiben / mit dem das folgende re - ſponſum uͤberſchickt.

JCh leugne nicht / daß bey unterſchiedlichen monathen / wiewol allein aus dem geruͤcht / von einem / zweyer hoher perſonen vorhaben gehoͤret / mich aber auffs wenigſte ſo fern uͤber dieſes ſchreiben erfreuet / daß dar - aus erſehen habe / daß ſolches noch nicht vollenzogen / wovon ich / offenhertzig heraus zu gehen / nicht wenig aͤrgernuͤß in unſerer Chriſtlichen Evangeliſchen Kirchen beſorge: Der getroſten hoffnung lebende / daß dieſelbe die ſache je laͤnger je reifflicher uͤberlegende / diejenige reſolution endlich nehmen werden / welche der goͤttlichen ordnung unzweiffenlich gewiß / dem gewiſſen zur beru - higung dienlich / und unſerer Kirchen ohne vorwurff ſeyn moͤge. Jch habeX x x 3auff534Das vierdte Capitel. auf begehren meine meinung uͤber die ſache / jedoch mit fleiß / als in theſi, nicht aber hypotheſi (die doch von ſelbſten aus jener flieſſet) in der furcht des HErrn / und mit deſſen anruffung / auffs einfaͤltigſte abgefaſſet / dabey ich den HErrn / ſo aller menſchen hertzen in ſeinen haͤnden hat / und ſie als die waſſer - baͤche leitet / demuͤthig anruffe / daß er durch ſeines Heiligen Geiſtes krafft / die gemuͤther allerſeits dahin lencken wolle / das gantze werck mit andern / als von einigen affecten eingenommenen / augen / vielmehr in ſeinem liecht anzu - ſehen / ſeinen heiligen und guten willen darinn zu erkennen / und demſelben ſich willig zu bequemen / folglich allerhand aͤrgernuͤſſen damit vorzukommen. Jch hoffe / wie die hohe perſonen ſolches nicht in ungnaden vernehmen / alſo auch derſelbe großguͤnſtig ſich belieben laſſen werde. 1681.

2. Auf angeregten caſum ertheiltes erſtes reſponſum, das mit dem vorigen brieff uͤberſandt.

OB alle prohibitiones matrimoniales 3. Moſ. 18. adjus naturale ſ. legem divinam moralem, und alſo auch die / daß ein mann ſeines verſtorbenen weibs ſchweſter nicht heyrathen ſolle / gehoͤre.

Reſp.

Zu dem jure naturali kan ich dieſen legem gar nicht ziehen / indem die na - tur von ſothaner propinquitate ſanguinis nicht weiß / oder ſich doch das ver - bot uͤber die gradus aſcendentes und deſcendentes nicht erſtrecket. Weil aber ohne die legem moralem naturalem auch noch lex moralis poſitiva iſt / wie der S. D. Dannhauer Hodoſ. Ph. VI. zeigt / ſo habe bißher mit ihm dieſe prohibitiones inter fratres & ſorores u. ſ. f. ſolchem legi morali poſitivæ zugeſchrieben.

2.

Ob die prohibitiones matrim. 3. Moſ. 18. nur von denen daſelbs aus - truͤcklich genannten perſonen / oder von allen gleichen faͤllen / qui in eodem pa - ri, ſeu æquali gradu propinquitatis ſ. conſanguinitatis ſ. affinitatis ſunt, es ſeye weib oder mann zu verſtehen? und die haupt-urſach des verbots à nimia propinquitate ſanguinis hergenommen bey allen gleichen graden gelte?

Reſp.

Jch habe bißher allezeit verſum 6. pro fundamento prohibitionis ge - halten / finde auch noch nicht gnugſame convincirende urſachen / davon abzu - gehen / daß daher nicht traute / eine ſolche ehe auf mein gewiſſen zu nehmen / ob ich wol nicht leugne / daß in den folgenden mir ſchwehre difficultaͤten vor - kommen / da ich mich nicht nach gnuͤgen extricire.

3.

Ob wann lege divina morali 3. Moſ. 18 / 8. austruͤcklich verboten /du535SECTIO VIII. du ſolt deines bruders weibs ſchaam nicht bloͤſſen / denn ſie iſt ꝛc. des weibes ſchweſter ſchaam aber in gleichem grad ſtehet / es auch heiſſe: Du ſolt deiner ſchweſter manns ſchaam nicht bloͤſſen / denn es iſt dei - ner ſchweſter ſchaam / der bruder oder die ſchweſter lebe oder ſeye todt.

Reſp.

So lang das obige fundament ſtehet aus v. 6. ſo ich der uͤbrigen gantzen abhandlung ſolcher materie in ſelbigem capitel gemaͤß finde / und daher noch keine gnugſame urſach habe / davon abzutreten / kan ichs nicht anders als vor einerley recht und urſach halten. Dann es wird austruͤcklich v. 16. die ur - ſach angezogen / daß ſie ſeines bruders ſchaam ſeye. Da wird weder von uneinigen ehen noch anderer ſorge eines inconvenientis, ſo der ehe wegen entſtehen moͤchte / meldung gethan / ſondern daß ſie des bruders ſchaam / und ihm alſo zu nahe zugehoͤrig ſeye. Wann wir noch weiter ſehen in dieſem ca - pitel / wo dieſe art zu reden ſtehet v. 8. 10. ſo folget dieſes draus / diejenige / welche mein oder derjenigen / welche mein fleiſch und blut ſind / ſchaam ſind / ſind mir zu ehelichen verboten. Denn v. 8. du ſolt deines vaters weibes ſchaam nicht bloͤſſen / dann ſie iſt deines vaters ſchaam / alſo alle die deines vaters ſchaam iſt / darffſtu nicht nehmen. v. 10. Du ſolt deines ſohns oder deiner tochter ſchaam nicht bloͤſſen / denn es iſt deine ſchaam. Alſo darff ich meine ſchaam nicht bloͤſſen. Hie v. 16. darff ich auch meines bruders weibs ſchaam nicht bloͤſſen / dann ſie iſt meines bruders ſchaam. Von den er - ſten exempeln iſt kein zweiffel / daß ſie verboten ſeyen wegen der nahen anver - wandſchafft / das eine in der affinitaͤt / das andere in der conſanguinitaͤt / ſo lei - det ſich nicht / daß das dritte exempel einen andern verſtand habe: Sondern kommt vielmehr dieſe regel heraus / alle diejenige perſonen / welche entweder meine nechſte bluts-freundin / mein wuͤrcklich fleiſch und blut iſt / oder mit mei - nem fleiſch und blut ein fleiſch worden iſt / die iſt mir verboten: Denn ſie iſt meine oder meines nechſten bluts-freundes ſchaam. Und iſt nicht erdencklich / wie in dieſer redens-art / daß die perſon verboten ſeye / weil ſie deſſen und deſ - ſen ſchaam ſeye / etwas anders als eine propinquitaͤt koͤnte gemeinet ſeyn. Nun wo dieſe regel ſtehet / ſo iſt meines weibes ſchweſter zwahr nicht meine / aber derjenigen / die mit mir ein fleiſch geweſen iſt / ſchaame: oder auffs wenig - ſte / iſt der mann die ſchaam ſeines weibes / und alſo deroſelben ſchweſter ihm verboten.

4.

Ob die wort (ihr zu wider / weil ſie noch lebet) zu der ſubſtanz des verbots oder nur zu der dem verbot angehengten urſach (nempe, ihr zu wider / oder ſie zu aͤngſtigen in ihrem leben) gehoͤren? und alſo zwo urſachen dieſesver -536Das vierdte Capitel. verbots v. 18. ſeyen. Eine / welche ſchlechthin ohne zuſatz des weibes ſchwe - ſter bey allen / ſie ſeyen hoch oder niedern ſtandes / zu ehelichen verbiete / wegen des nahen gebluͤts v. 6. und 16. Die andere / daß du ſie nicht aͤngſtigeſt / da - mit daß du ihre ſchaame neben ihr bloͤſſeſt; in dieſem verſtand / du ſolt deines weibes ſchweſter nicht nehmen weder vor noch nach ihrem todt: nicht nur we - gen der nahen freundſchafft / ſondern auch darum / daß du ſie nicht / weil ſie noch[l]ebet / betruͤbeſt: Ob daher die conſequenz guͤltig ſeye / du ſolt deines weibs ſchweſter nicht nehmen / ſo lang ſie lebet. Ergo darffſtu ſie nehmen / wann dein weib todt iſt.

5.

Ob der zuſatz (neben ihr / ſo lang ſie lebet) eine reſtriction und exce - ption à regula (prohibito gradu prohibentur omnes caſus, qui ad iſtum gra - dum congruunt) mache / und als ein caſus ejusdem quidem primi gradus affinitatis ſed exceptus, wie der 5. Moſ. 25 / 5. zu halten? Alſo die ehe mit 2. ſchweſtern zugleich / nicht aber nach der erſten todt / verbinde. Weil ja die worte / ſo lange ſie lebet / nicht vergebens hinzugeſetzet.

Reſp.

Auf dieſe beyde fragen weiß ich nichts vergnuͤgliches zu antworten: Sondern ſo klahr mir die vorige ſtuͤcke alle vorkommen / daß ich darinnen die wenigſte wichtige difficultaͤt nicht finde / ſo wenig finde ich noch uͤber dieſen knoten in allen antworten / welche ich bißher bey einigem autore gefunden / dergleichen vergnuͤgen / daß ich darauf beruhen koͤnte. Sondern ich ſehe die - ſen verſicul alſo an / daß zwahr er mir noch das vorige umzuſtoſſen nicht gnug iſt / da ſein verſtand ſelbs dunckel und zweiffelhafft ſeyn mag / aber dennoch daß er mir die ſache mehr und mehr ſchwehr mache.

6.

Ob Johannes Herodem geſtrafft nur wegen des ehebruchs / und weil ſein bruder noch im leben war / oder aber ob nimiam propinquitatem ſangui - nis, daß er ſeines bruders weib und ſchwaͤgerin im erſten verbotenen grad habe.

Reſp.

Das letzte zeigen vielmehr die wort des Evangeliſten an / daß Johannes ihn geſtrafft nicht nur wegen des nehmens / ſondern wegen des behaltens / nun nach Joſephi zeugnuͤß hat zwahr Herodes die Herodiadem geheyrathet als Philippus noch lebte / aber dieſer ſtarb bald drauf / und wird als dieſes geſche - hen / ſchon todt geweſen ſeyn.

7.

Ob der S. Herr Lutherus in dieſer frag: Ob ein mann ſeines todtenweibs537SECTIO VIII. weibs ſchweſter ehelichen moͤge / auf ſeiner erſten meinung geblieben / oder ſol - che nachgehends in letzteren ſchrifften geaͤndert.

Reſp.

Dieſes letzteren finde keinen gnugſamen grund / und ſehe ich nicht / wie die dazu anfuͤhrende erweißthuͤme einem widerſacher gnug thun moͤchten. 1681.

3. Das andre reſponſum.

ES wird dieſe frag vorgeleget / ob ein wittiber mit gutem gewiſſen ſei - nes abgeſtorbenen ehegemahls leibliche ſchweſter zu heyrathen vermoͤge? Hierauff in der furcht des HErren und mit deſſen hertzlicher an - ruffung zu antworten / ſo bekenne / daß ich ſonſten in der materie dieſer eheſa - chen nicht pflege ſo ſtreng zu ſeyn / wie zuweilen einige aus guter meinung zu ſeyn pflegen / und alſo was diejenige grade anlangt / welche nicht von GOtt verboten ſind / nicht nur allein zu den diſpenſationen mich unſchwehr bewe - gen lieſſe / ſondern wo es in meiner macht geſtanden waͤre / lieber geſehen haͤt - te / daß wir Evangeliſche alle diejenige weitere verbote / als das goͤttliche ge - ſetz gehet / auffgehaben / und es dabey gelaſſen haͤtten / was der einige hoͤchſte geſetzgeber in ſolcher materie fuͤr alle menſchen am weißlichſten verordnet; Maſſen ich davor halte / daß obwol einige ſcheinbare urſachen angefuͤhret werden / warum die chriſtliche kirche noch weiter gegangen ſeye / und dem ge - ſetz gleichſam von auſſen noch einen zaun umgeben habe / ſolche gleichwohl ſo kraͤfftig nicht ſeyen / daß nicht die daraus entſtehende incommoda, wie es ge - meiniglich mit allen menſchlichen zuſaͤtzen / welche zu dem goͤttlichen geſetz hin - zugethan werden / ergehet / jenem vorgebenden nutzen gleich ſtreichen / und es alſo rathſamer bey der von GOtt gegebenen freyheit gelaſſen worden waͤre. Daher ich / wo ich an einem ſolchen ort wohnete / da ſothane kirchliche und o - brigkeitliche verbote nicht ſind / (dann wo ſie ſind / ſo beruhet ihre obligation auff einem andern fundament) ſelbs in meinem gewiſſen kein bedencken finde / warum ich nicht dergleichen perſonen / als zum exempel geſchwiſter kind hey - rathen moͤchte. So wenig ich nun von denen menſchlichen verordnungen in ſolcher ſache halte / ſo ſchwehr wuͤrde mirs ſeyn von dem goͤttlichen verbot in etwas abzuweichen / ja unmuͤglich ſelbſten in etwas zu gehellen / deſſen verbot durch eine rechtſchaffene folge aus ſolchem goͤttlichen geſetz gezogen wird. Vorausgeſetzt alſo deſſen / ſo kan auff dieſe gegenwaͤrtige frage nicht anders als mit nein antworten. Welche meine antwort ich nicht gruͤnde auff das weltliche und Canoniſche recht / deren dieſes uns an ſich ſelbs nicht verbin - det / als ſo viel jede Obrigkeit aus demſelben ſelbs angenommen haͤtte / jenes verbote aber durch die autoritaͤt der hoͤchſten weltlichen Obrigkeit / von deroY y yſolche538Das vierdte Capitel. ſolche geſetze urſpruͤnglich herkommen / durch dero diſpenſation auffgehoben werden koͤnten / ſondern ich gruͤnde ſolche auff die folgende urſachen / welche eigenlich das gewiſſen betreffen / davon auch allein die frage geſtellet iſt.

So iſt nun das erſte fundament meiner negativæ, der goͤttliche allge - meine befehl aus dem 3. Moſ. 18 / 6. Niemand ſolle ſich zu ſeiner nech - ſten bluts-freundin thun / ihꝛe ſchaam zu bloͤſſen / dann ich bin der Herr. Welcher zuſatz insgemein zu denjenigen geſetzen pfleget gethan zu werden / in dero uͤbertretungen die goͤttliche Majeſtaͤt ſich ſonderlich beleidiget achtet. Was aber hie nechſte bluts-freundin gegeben wird / heiſſet eigenlich in der grund-ſprach des geſetzes niemand ſolle ſich thun zu dem fleiſch ſeines fleiſches / oder zu dem uͤbrigen fleiſch oder reliquiis ſeines fleiſches; und alſo verbietet mir der Herr darinen diejenige / welche meinem fleiſch die nech - ſte / folglich die ſo aus meinem fleiſch gebohꝛen ſind / oder von dero fleiſch ich ge - bohren bin / oder die mit mir aus einem fleiſch gebohren ſind; welches wir ſe - hen werden / daß es gantz mit denen abſonderlich in dem goͤttlichen geſetz be - namßten graden uͤberein kommen wird; daß alſo verboten ſind die obere und untere / ſo dann geſchwiſtere und der eltern geſchwiſtere / welche unſers fleiſches fleiſch ſind: Nicht aber gehet ſolcher verbot weiter auff diejenige / welche unſers fleiſches fleiſches fleiſch ſind. Wie nun ſolches rich - tig / und ſo fern etwa nicht diſputiret wird in der blut-freundſchafft ſelbs / ſo hat es nicht weniger platz in der ſchwaͤgerſchafft / alldieweil eheleute ein fleiſch ſind Matth. 19 / 5. aus 1. Moſ. 2 / 24. Daher in allen rechten dieſe all - gemeine regel / daß mir meines weibes bluts-freunde eben in dem grad durch ſchwaͤgerſchafft angehoͤren / gleich wie meine eigene / angenommen wird / und auff ſolchem grund feſt beruhet. Wie dann abermal die exempla der abſon - derlichen goͤttlichen verbote erweiſen. Maſſen verboten werden in dem er - ſten grad in auff und abſteigender linie des vaters weib / die ſchnur / des wei - bes tochter und enckelin / und in der nebens-linie des bruders weib und des weibes ſchweſter / ſo dann in dem zweyten grad nemlich ungleicher linie des vettern weib: daß alſo eben dadurch erhellet / daß die goͤttliche verbote in der ſo blut-freundſchafft als ſchwaͤgerſchafft gantz gleichſtimmig ſind / und in kei - ner weder mehrere noch weniger grade verboten ſeyen: auff daß wir alſo ſe - hen / daß der heilige GOtt beyde arten gleich gehalten haben will. Voraus - geſetzt dieſes gewiſſen ſatzes / ſo iſt nicht unklahr / was von dem gegenwaͤrti - gen fall zu halten iſt. Jn dem bekantlich meines weibes ſchweſter meines fleiſches fleiſch und derjenigen / mit dero ich ein fleiſch geweſen bin / nechſte bluts-freundin iſt. Daß wir alſo ein unzweiffenlich goͤttliches geſetz wider dieſe art der heyrath auffzuzeigen haben / indem ob dieſe nahmen nicht aus -getru -539SECTIO VIII. getrucket ſind / es eben gleicher krafft iſt / weil der fall aus der allgemeinen re - gel folget / oder darinn begriffen iſt. Hinzu kommet noch ferner / daß biß da - her unſere Evangeliſche Theologi mit gutem beſtand gegen die Papiſten die - ſe regel verfochten haben / daß in dem goͤttlichen ehe-verbot 3. Moſ. 18. nicht die perſonen ſondern die graden verboten ſeyen: wie nach andern (maſſen er ſelbs die beruͤhmte Lehrer Chemnitium, Brentium, Selneccerum, Oſian - drum, und Bidenbachium anzeucht) ſolchen ſatz mit mehreren bißher unum - geſtoſſenen gruͤnden behauptet hat der beruͤhmte D. Gerhard. loc. de conjug. n. 275. p. 40. und f. Mit welchem es biß daher nicht weniger die nachgefolg - te beruͤhmte lehrer biß auff dieſe zeit gehalten haben / und noch halten: deren allein etliche hie anziehe / D. Brochmand. Syſtem. T. 2. art. 43. p. 566. D. - nig Caſ. Conſc. p. 779. D. B. Menzerus T. 2. de Conj. p. 1092. D. Calov. Sy - ſtem. art. de Conj. p. 358. Alſo auch die gantze Theologiſche Facultaͤt zu Wittenberg Conſil. T. 4. p. 66. Wo nun dieſes richtig iſt / wie es richtig iſt / ſo mag ſo wenig dergleichen ehe mit der leiblichen ſchwaͤgerin beſtehen / ſo we - nig als ſie mit des bruders weib beſtehen mag / ſo deutlich zweymal 3. Moſ. 18 / 16. 20. 21. verboten wird / womit dieſer fall in dem grad gleich iſt. Son - derlich haben wir dieſes wohl zu erwegen / daß austruͤcklich verboten werde des vatern brudern weib / welche auch nur verſchwaͤgert und einen halben grad, ſo zu reden / weiter iſt. Da dann nun dieſelbige / welche noch mehr ent - fernet iſt / gleichwol von GOtt mit ausgetruckten worten verboten / und da - mit als zu dem heyrathen allzunahe erklaͤhret wird / wie ſolte dann eine un - widerſprechlich naͤhere perſon erlaubt zu achten ſeyn? Es mag auch die ge - ringſte nur ſcheinbare urſach nicht erfunden werden / warum GOtt ſolte we - niger mißfallen haben in der heyrath derjenigen perſon / die ſelbs mit mei - ner ſchweſter ein fleiſch worden iſt / als die ſolches mit meinem vater geweſen iſt. Da aber der allerweiſeſte Geſetzgeber / nachdem er zuerſt das allgemeine fundament ſeines verbots v. 6. gegeben / auch nicht nur vermuthlich denje - nigen fall mag ausgeſchloſſen haben / welcher der haupt-regel noch naͤher kommt / da er auch denjenigen nicht zugibet / wo noch eher haͤtte dubitiret werden moͤgen / ob ſolcher unter der regel begriffen ſeye / das iſt / ob des vaters bruders weib vor ein fleiſch meines fleiſches gehalten ſolle werden. Wor - aus einer ſeelen / welche nicht nur etwa eine ausflucht und decke ihrer unor - denlichen begierde ſuchet / ſondern welche auffrichtig allein dieſes verlanget / zu verſtehen / was der gewiſſeſte wille des himmliſchen Vaters ſeye / um dem - ſelben willig zu gehorchen / verhoffentlich zur genuͤge und uͤberzeugung ihres gewiſſens klahr werden wird / daß der HErr ſolche ehe verboten habe. Nun moͤchte zwahr ſolcher erklaͤhrung und ausſpruch entgegen ſtehen / daß 3. Moſ. Y y y 218 / 18.540Das vierdte Capitel. 18 / 18. zwahr die ſchwaͤgerin mit deutlichen worten / aber mit dem zuſatz ver - boten werde / neben ihr / ihr zuwider weil ſie noch lebet: woraus nicht zu leugnen / daß unterſchiedliche gelehrte leute ſolcherley ehen / da zwo ſchwe - ſtern nach einander geehliget worden ſeynd / nicht verboten haben / ſondern ſich vielmehr dieſer ausflucht gebraucht: daß wo die urſach des verbots auff - hoͤre / ſo werde damit auch das gebot ſelbs auffgehoben. Jch leugne auch nicht / daß ſolcher einwurff nicht von geringem ſchein iſt / ſo dann daß die urſachen / welche angezogen werden / warum GOTT zu dem allgemeinen verbot eine ſolche ſpecial-urſach / die jenes enger einzuziehen ſcheinet / angehenget habe / nicht alle von gleicher wuͤrde / und ſo bewandt / daß ſie einem harten wider - ſprecher ein voͤllig genuͤge allemal geben. Daher wo nicht die vorige ange - fuͤhrte gruͤnde der allgemeinen regel und der in noch weitere grade erſtreckter verbietung mich in dem gewiſſen zur genuͤge uͤberzeugten / ich ſolche reſtricti - on glaublich achten wuͤrde. Jch finde aber jene ſo ſtarck / daß ob ich wol keine genugſame urſach ſolches beſondern zuſatzes finden ſolte koͤnnen / wie dennoch unterſchiedliche der unſrigen anziehende auch ſo bewandt / daß ſie nicht zu ver - achten ſind / mir ſchon genugſam ſeyn ſolte / aus jenen kraͤfftigen rationen, die wahrheit alſo zu erkennen / daß der andere zweiffel die ſach nicht auffhebe. So iſts nicht eben ungemein / daß einige dinge zuweilen in goͤttlichem wort ſich finden / die ihre difficultaͤten haben / da wir aber / wo wir aus andern unzweiffelichen orten der wahrheit einer ſache uͤberzeugt ſeynd / uns an andere duncklere oder in zweiffel gezogene wort nicht alſo halten / daß wir jene wahrheit druͤber fahren laſſen wolten / ſondern dieſe gilt dermaſſen bey uns / daß wir alsdann lieber jene mit einer commoda in - terpretatione damit zu vereinbaren ſuchen. Daß deßwegen jene regel Baſi - lii M. wol ſtatt hat: Ex eo quod ſcriptum eſt, non temere colligendum, quod ſcriptum non eſt. So dann der Juriſten axioma: Argumentum à con - trario ſenſu non procedere, cum inde ſequitur abſurdum (ſihe D. Menzer. l. c. p. 1096.) Jetzo zu geſchweigen / daß unterſchiedliche vornehme und gelehrte Theologi dieſes in dem 18. vers ſtehende verbot gar in einem andern verſtand annehmen / daß nichts anders damit gemeinet ſeye / als daß man neben ſeinem weib kein anders eheweib / ſo hie nach der gemeinen hebraͤiſchen redens-art ih - re ſchweſter (das iſt / ihres gleichen) genennet werde / heyrathen ſolte. Jn welchem verſtand der ort allein der viel-weiberey oder polygamiæ entgegen geſetzt waͤre / nicht aber von den verbotenen graden der freundſchafft handelte. So wir an ſeinen ort geſtellt ſeyn laſſen.

Wie nun dieſes das erſte fundament iſt / ſo folget nechſt demſelben das andere / daß wo auch die ſache einigerley maſſen zweiffelhafftig waͤre / das ge - wiſſen erfordert / daß man allezeit den ſicherſten weg erwehlen muͤſſe / worin -nen541SECTIO VIII. nen gewiß iſt / daß man nicht ſuͤndige. Es lautet die allgemeine regel des Apoſtels Pauli Rom. 14 / 23. Was nicht aus glauben gehet / iſt ſuͤnde: Jn welchem haupt-ſpruch (ſo zwahr noch weiter gehet) ohnzweiffentlich dieſe meinung mit darinn ſtecket / welche durch die gantze diſputation des Apoſtels erwieſen wird / daß alles dasjenige ſuͤnde ſey / wo der menſch nicht eine ſolche verſicherung ſeines gewiſſens habe / die glauben genennet werden mag / daß dasjenige / was er thut / nicht unrecht ſeye. Weßwegen nicht genug iſt / eine action zu juſtiſiciren / wo der menſch nicht eben verſichert iſt / daß es unrecht ſeye / was er vorhat / indeſſen doch zweiffeln muß / es moͤchte unrecht ſeyn. Maſ - ſen es ſchon an ſich ſuͤnde iſt / ſich in die gefahr zu ſuͤndigen ſelbs ſtecken. Hin - gegen iſt einmal vonnoͤthen / wo ich etwas nach geſchehener berathſchlagung reſolviren will zu thun / daß ich in meiner ſeelen eine gewißheit habe / daß ich recht daran thue. Wie der angezogene Apoſtel an dem bedeuteten ort von dem genieſſen der an ſich nicht verbotenen ſpeiſen lehret / daß wer auch nur mit einem zweiffel aͤſſe / der ſey verdammt. Daher in ſolchem fall entweder ge - trachtet werden muß / daß man zu einer voͤlligen beruhigung des gewiſſens komme / und des goͤttlichen willens verſichert werde / oder man muß den ſicher - ſten theil erwehlen / wo man an goͤttlichem willen nicht zweiffeln darff: Als zum exempel in dieſer ſach / dieſe diſputirliche ehe unterlaſſen / wo wir alsdann gewiß wiſſen / daß wir mit ſolcher unterlaſſung nicht ſ[]ndigen. Nun in der vorhabenden materie / ſihe ich nicht / wie derjenige / ſo eine ſolche heyrath vor - haͤtte / ſo weit kommen koͤnte / daß er mit einer verſicherung ſeines gewiſſens ſich darauf verlaſſen moͤchte / ſondern alles was er zu ſeinem behuff brauchen koͤnte / moͤchte auffs hoͤchſte die ſach ſo weit bringen / daß er darvor hielte / das verbot ſeye ihm noch nicht deutlich genug dargethan; indeſſen werden ihn die oben angefuͤhrte fundamenta nimmermehr zu einer ruhe laſſen / ohngezweif - felt und ohne ſcrupel zu glauben / daß er recht thue. Die 3. Moſ. 18. zu dem gebot angehengte wort / aufdie man ſich insgemein bezeucht / machen denẽ die das verbot behaupten etwas zu ſchaffen / aber ſie geben doch dem andern theil noch nicht eine ſolche verſicherung / worauf das gewiſſen beruhete: Daß eini - ge ſo Juriſten als Theologi, ſonderlich als aus einer gelegenheit zu ende des vorigen jahrhunderts uͤber eines Juden heyrath der ſtreit entſtanden / fuͤr die erlaubnuͤß geſtanden / und noch etzliche dafuͤr ſtehen moͤgen / mag als eine menſchliche autoritaͤt abermal dem gewiſſen nicht genug thun / ſo vielmehr / weil hingegen die faſt allgemeinſte uͤbriger vornehmſter unſerer Theologo - rum lehr fuͤr das verbot ſtehet / und wo das gewiſſen in jenen ſuffragiis ruhe ſuchen wolte / ſolche ruhe ihm nicht laſſen wuͤrde. Alſo daß ich nach allem er - meſſen nicht ſehen kan / wie eine perſon von gutem verſtand / welche die mo - menta controverſiæ zu erwegen vermag / und auch mit gehoͤrigem fleiß ſolcheY y y 3un -542Das vierdte Capitel. unterſuchung thut / aus allen fundamenten / welche vom gegentheil moͤgen ge - braucht werden / weiter kommen moͤchte / als in einigen zweiffel / obs dann ge - wiß verboten ſeye / wo er nemlich aus einer præoccupation die krafft der ar - gumenten nicht voͤllig bey ſich eintringen laͤſſet: Nimmermehr aber ſo weit / daß er in der ſeelen der gerechtigkeit der ſache uͤberzeuget waͤre: Ohne welche verſicherung aber das gewiſſen nicht zugibet / daß man die ſache unternehme / wo der menſch auffs gelindeſte von der ſache zu reden / foͤrchten muß / daß er wider GOttes willen thun moͤchte. Daher in ſolchem zuſtand freylich kein ander mittel iſt / als den ſicherſten theil zu wehlen / und alſo dieſe zweiffelhaffte ſache zu unterlaſſen / dann darinnen iſt er gewiß / daß er nicht ſuͤndige / obs auch ſchon ſonſten keine verbotene ſache waͤre.

Zu dieſen beyden gruͤnden moͤgen wir auch noch den dritten ſetzen. Wir wiſſen / daß allen Chriſten durch und durch nicht nur das boͤſe / ſondern auch der ſchein des boͤſen verboten iſt / daher ſie ſolchen zu meiden ſchuldig ſeynd. 1. Theſſal. 5 / 12. daher auch der Apoſtel ſagt 1. Cor. 10 / 28. Jch habe zwahr alles macht / aber es frommet nicht alles: Jch habe es alles macht / aber es beſſert nicht alles. Wie er auch daſelbſt und Rom. 14. ſo dann 1. Cor. 8. mit mehrerem zeigt / daß wo eine ſache auch ſonſten an und vor ſich ſelbſt erlaubt ſeye / dieſes anſehen / daß ein ander ſich daran ſtoſ - ſen und aͤrgern werde / ſchon zu wege bringen ſolle / daß ein Chriſt daſſelbe unterlaſſe / ſo gar / daß er derjenigen ſuͤnde hart ſtraffet / welche hingegen / und alſo der liebe zuwider / handelten. Wie er dann von ailen fordert: Seyd nicht aͤrgerlich / weder den Juden noch den Griechen noch der gemeinde GOTTES. Welches er von ſeinem Heyland ſelbſt gelernet / der ſeinen Juͤngern die ſuͤnde des aͤrgernuͤſſes kaum weiß ſchrecklich genug vorzumahlen / um ſie darvon abzuwenden Matth. 18. Alſo daß er bezeu - get / daß wer nur einen der geringſten ſeiner glaͤubigen aͤrgere / ſich ſo ſchwehr - lich veꝛgreiffe / daß ihm beſſer waͤre mit an den halß gehengtem ſtein in dem meer / da es am tieffſten iſt / erſaͤuffet zu werden. Vorausgeſetzt dieſer gewiß gegruͤndeter lehr / weil auch gewiß iſt / daß eine ſolche heyrath nicht nur ein und andre perſon / ſondern alle / die davon hoͤren / auffs hefftig - ſte aͤrgern wuͤrde / ſo ſolte auch dieſes einige argument ſchon genug ſeyn / ob man ſonſt mit einigen ſubtilen rationen / die die gemeinde nicht zu faſſen ver - mag / die ſach zu behaupten vermoͤchte / daß etzliche gelehrte damit zu frieden ſeyn ſollten (dergleichen buͤndige rationes gleichwohl noch nie geſehen ha - be) daß dannoch / daß uͤber einer ſolchen ungewohnten und insgemein bißher verdam̃ten ſache ohnfehlbarlich entſtehende aͤrgernuͤß jeglichen von einer ſol - chen heyrath abziehen ſolte / welcher betrachtet / daß wir in allen dingen nichtnur543SECTIO VIII. nur auff GOTT / ſondern eben ſo wol auf den neben-menſchen / welchem wir keinen anſtoß ſetzen doͤrffen / ja offters in ſachen / die gewiß erlaubt waͤren / der ſchwachheit der andern ſchonen ſollen / zu ſehen verbunden ſeyn / ja daß wir nicht recht auf GOtt mit dem einen aug ſehen koͤnnen / das andre ſeye dann eben ſo wol auff die liebe des nechſten gerichtet. Wozu auch dieſe be - trachtung kommet / daß wo dergleichen aͤrgernuͤß von einer hohen ſtandes - perſonen gegeben wird / ſolches ſo viel ſchwehrer ſeye. GOtt fordert ein - mal von ſolchen ſeines reichs auff erden ſtatthaltern / daß ſie in allen arten der tugenden andern vorleuchten ſollen / daher ſo gar nicht davor halten / daß ihnen mehr als andern erlaubet ſeye / daß vielmehr ſie ihrem ſtand und von GOtt habender wuͤrde nicht genug thun / wo ſie es nicht andern gemeinen vorthun. Geſchihet nun ſolches nicht / ſondern ſie nehmen ſich noch gar die freyheit dergleichen zu thun / was alle uͤbrige nicht wohl anders koͤnnen als von GOtt verboten zuſeyn achten / und wiſſen / daß ſie es nicht thun doͤrff - ten / ſo iſt ſolches aͤrgernuͤß ſo viel groͤſſer und ſchaͤdlicher / als weiter es ſich erſtrecket / und von denjenigen gegeben wird / von denen GOtt vielmehr lau - ter gute exempel erfordert haͤtte. Jch weiß zwahr wohl / daß dieſes jetzt ge - ſagte nicht nur frembde ſondern gantz ungereimt denjenigen vorkommen wird / die allein auf dasjenige zuſehen pflegen / was geſchihet / und alſo nicht nach den geſetzen ſondern exempeln urtheilen / daher faſt die gemeine einbil - dung / ſo bey den groſſen in der welt ſelbs tieff eingewurtzelt / daß ihnen von GOTT gar viel erlaubt ſeye / was derſelbe andern verboten haͤtte / als auch andere mehrere eingenommen hat / gleich ob waͤre der hohe ſtand in gewiſſer maaß auch von den goͤttlichen geſetzen ausgenommen / wie zuweilen theils einige aus unwiſſenheit / und weil ſie es nie anders geſehen / in den gedan - cken ſtehen / daher auch jene damit entſchuldigen / theils andre ſchmeichler / mit ſolchem gefaͤhrlichen wahn der großen gedancken zuerfuͤllen gewohnt ſeynd. Wo aber deroſelben ſtand / das H. bild GOttes / das derſelbe ihnen anhaͤngt / und ſie eines theils ſeiner gewalt theilhafftig gemachet hat / die ſo vieler men - ſchen auf ſie gerichtete augen / und daher mehrere gefahr des aͤrgernuͤſſes / folglich auch der von ihrem exempel groͤſſer entſtehende ſo nutzen als ſchaden / reifflich erwogen wird / ſo wird leicht erkant werden / daß ich die wahrheit re - de / daß ſolchen perſonen / ſo viel naͤher ſie GOtt dem HErrn ſind / ihnen ſo viel weniger vor andern zukomme / daß ſie deſſelben ſeine gebot aus den au - gen ſetzen / ob ſie wohl in denjenigen geſetzen eine freyere hand haben / welche ſie ihren unterthanen nach ihrem gutbefinden ſelbſt geben; zugeſchweigen / daß auch in dieſem manche loͤbliche Regenten den eigenen geſetzen durch eige - ne folge und inachtnehmung lieber haben einen mehrern nachtruck geben wollen / als daß ſie ſelbſt andern / durch ihr exempel zur ungeſcheuten uͤber - tretung vorgegangen waͤren.

Es544Das vierdte Capitel.

Es moͤchte endlich noch zum vierdten in conſideration kommen / daß unſere evangeliſche kirche biß daher allezeit einen abſcheu gehabt habe an de - nen von dem paͤpſtlichen ſtuhl geſchehenen diſpenſationen in dieſen verbote - nen faͤllen / wie ſich dann derſelbe ſolche macht nimmt; daher auch unter an - dern eben dieſes argument offtmal gefuͤhret worden / daß ſich der Papſt eine goͤttliche gewalt zumeſſe / weil er ſeine erlaubnuͤß dem goͤttlichen verbot vor - gezogen wiſſen will. Solte nun bey uns Evangeliſchen etwas dergleichen vorgehen / wuͤrde man paͤpſtiſcher ſeiten darvor halten / gute urſachen gegen uns zu gloriiren zu haben / als die wir entweder auch uns eine ſolche macht uͤber goͤttliche gebot und in denſelben zu diſpenſiren arrogirten / oder muͤſten erkennen / daß wir ihrem Papſt mit der aufflage zu viel unrecht gethan haͤtten. Gewißlich nicht mit geringem aͤrgernuͤß ſo wol ihrer parthey ſelbs / die deſto mehr verhaͤrtet / und gegen das erkaͤntnuͤß des Evangelii ver - ſtockt wuͤrden / als auch der ſchwachen unter uns / die ſich in die ſache nicht fin - den koͤnten / und auffs wenigſte davor halten wuͤrden / daß bey jenen ver - nuͤnfftiger damit verfahren wuͤrde / wo gleichwol das gantze werck desjeni - gen / den ſie vor das haupt der kirchen halten / uͤberlegung auffgetragen / und die diſpenſation geſucht werden muͤſte: dahingegen bey uns der perſonen ei - genem belieben und affect, ſelbe uͤberlaſſen wuͤrde. Welches uns einen zimli - chen anſtoß machen / und hingegen die ehre unſerer Evangeliſchen kirchen nicht wenig ſchmaͤlern ſolte / an dero mehrere auffrichtige Papiſten bißher dieſes zu loben ſich offt nicht haben entbrechen koͤnnen / daß es in dieſem werck der ehe bey uns ehrlicher und beſſer als bey ihnen hergehe. Wie dann derer nicht wenige ſich zum oͤfftern uͤber die in dergleichen faͤllen geſchehene diſpen - ſationen geaͤrgert / und ob ſie wol den principiis ihrer religion gemaͤß ſind / ſich faſt ihrer ſelbs gegen uns geſchaͤmet haben. Dergleichen ich etwas ſelbs aus dem munde eines in vornehmen wuͤrden ſtehenden und gelehrten Papi - ſten gehoͤret zu haben mich erinnere: Und auch in offentlichen ſchrifften vor augen ligt / wie ſehr ſich die Polen / und zwahr ſelbs der paͤpſtiſchen lehr anhaͤn - gige / was die rechtſchaffenſte gemuͤther unter ihnen waren / daran geſtoſſen / als dergleichen diſpenſationen zwo ſchweſtern nach einander zu heyrathen ihrem Koͤnige wiederfahren: Wie ſonderlich der ſo gelehrte als in thaten tapffere Reichs-Cantzler Zamoisky bey dem Paͤpſtiſchen hof ſolch aͤrgernuͤß zu hintertreiben geſucht / ob zwahr nicht durchgetrungen hat. Wir haben aber heut zu tag ja keine urſach / uns des GOtt-verhaßten Babels auch in dieſer nachfolge theilhafftig zu machen / noch mit unſerem exempel auch dieſe ſchande ihrer bloͤſſe zu bedecken / ſondern wie in andern / alſo auch in dieſem ſtuͤck unſerer kirchen reinigkeit vielmehr mit ausſauberung deſſen / was ſich von altem ſauerteig auffs neue wiederum mit der zeit eingeſchlichen hat / zubefoͤr -545SECTIO VIII. befoͤrdern / als dieſelbe mit dergleichen aͤrgernuͤß zu beſudlen: Auf daß wir nicht uͤber uns den zorn des HErrn reitzen / und urſach geben / daß er jenem Babel / zu erfuͤllung des maaßes ſeiner ſuͤnden / ſo viel eher eine mehrere macht gebe / ſein gericht an uns / ſeinem hauß / anzufangen und auszuuͤben: Wozu es ohne das leider ein zimliches anſehen hat. Daher ein ſolches aͤr - gernuͤß / welches nachmal in gewiſſer maaß einer gantzen kirchen beygemeſſen wird / und daher den nahmen des HErrn bey den widerſachern laͤſtern macht / vor ſo viel ſchwehrer zu achten iſt / und denjenigen / von welchen es herkommt / ein ſchwehres gericht uͤber den halß ziehen mag. Der HErr ſteure vielmehr allen aͤrgernuͤſſen / reinige ſeine kirch von denſelben / und gebe allen denjeni - gen / hohen und niedern / ſo in die ehe zu treten gedencken / zu erkennen die hei - ligkeit ſolches ſtandes / auf daß ſie in ſolchem eingang und wahl der perſonen nicht nach eigenen affecten gehen / ſondern in allem vornemlich darauf ſehen / was goͤttlicher ordnung gemaͤß / ihrem gewiſſen ſicher / dem nechſten ohnaͤrger - lich / und dem Evangelio ehrlich ſeye / damit ſie ſich auch bey ihrer ehe alles ſo leiblich als geiſtlichen ſegens von dem treuen himmliſchen Vater zuverſicht - lich getroͤſten moͤgen. Amen. 1681.

4. Das dritte reſponſum, als die vorige meinung zu aͤndern zu - gemuthet worden.

JCh habe deſſen beyde beliebte ſamt beygeſchloſſenen ſchrifften wol erhal - ten; es lieſſe ſich auf das erſte nicht ſo bald antworten / weil eine vertroͤ - ſtung weiterer communication ſo gleich mit dabey geweſen. Nachdem nun zwahr auch dieſe erfolgt / fande ich doch nicht muͤglich / ſtracks zu antworten / weilen die mitgeſandte ſchrifft zu durchgehen vorerſt nothwendig war / und aber die von der amts-arbeit uͤbrige und zu einer bedaͤchtlichen durchleſung noͤthige zeit bey mir zimlich nahe zuſammen gehet. Jedoch hoffe / es werde auch dieſer geringe verzug nicht ungleich auffgenommen werden. Die ſache ſelbs belangend / ſo iſt mir allezeit lieber / wo es ſeyn kan / denen requirentibus hohen und niedern / nach deroſelben verlangen zu antworten / und ihnen mit meiner antwort eher etwa freude als betruͤbnuͤß zu erwecken. Wie gern ich aber meine meinung zu aͤndern verlangen moͤchte / ſo vermag es gleichwol jetzo ohne verletzung meines gewiſſens nicht zu thun / als welches durch die com - municirte fuͤr die erlaubnuͤß ſtreitende ſchrifften nicht / welches zu der aͤnde - rung noͤthig waͤre / gnugſam convinciret / wol aber durch die mit beygelegte gegen dieſelbe eingerichtete eine ſchrifft etwa mehr confirmiret worden. Wo - zu noch dieſes kommt / daß ich eine der parti negativæ zimlich verurſachte dif - ficultaͤt / ob dergleichen der legi naturali zugegen ſeye / nicht noͤthig achte / als der ich allezeit mit meinem S. Præceptore D. Dannhauero legem moralemZ z zund546Das vierdte Capitel. und naturalem nicht pro iisdem, ſondern jenes ſich weiter erſtreckend / geach - tet habe / und noch achte. Alſo iſt Iex moralis die Iex catholica omnes homi - nes obſtringens und perpetua regula honeſti & turpis, deſſen ſumma in den zehen geboten ſtehet / und alles durch und durch zu demſelben referiret werden muß. Dieſe Iex moralis aber iſt entweder moralis naturalis oder moralis poſitiva (wie unter andern Hodoſoph. Ph. VI. p. 464. 468. zu ſehen iſt) je - nes begreifft diejenige gebot / (ſo zwahr die meiſte ſind) die es zu thun haben mit den dingen / welche naturâ honeſta und turpia, und auch groſſen theils (jedoch nicht gar alle) noch jetzo in der obſchon verderbten natur bekant ſeynd / daß ſie recht oder unrecht ſeyen: Aber moralis poſitiva iſt / welche diejenige dinge in ſich faſſet / in welchen GOTT ſeinen willen ſonſten geoffenbaret hat / wie ers in dieſem und jenem wolle von allen menſchen gehalten haben / wohin erwehnter Doctor austruͤcklich zehlet nechſt dem præcepto de ſabbatho die interdicta conjugii inter fratres & ſorores, inter f[r]atrem & fratriam. Wo nun ſolche diſtinction beobachtet wird / faͤllet unterſchiedliches dahin / worin - nen ſonſten die autores affirmativæ die andere ſcheinen etwas hart zu halten. Jm uͤbrigen finde ich nicht noͤthig / auf alle die angefuͤhrte exceptiones weit - laͤufftig zu antworten / da in der einen groſſen ſchrifft ohne das faſt alles ange - zogen / jedoch mit beobachtung des jetzt angefuͤhrten vieles ſo viel leichter wer - den wird: So dann weil nicht ſehe / was vor frucht dergleichen weitlaͤufftige diſceptationes endlich bringen wuͤrden: Zu dem auch mein zuſtand derglei - chen operoſam tractationem nicht zugibet. Dahero allein zu bedeuten ha - be / daß von einmal in der furcht des HErrn abgefaſſetem bedencken zu weichen nicht ſehe oder vermoͤge / im uͤbrigen jeglicher anderer lehrer gewiſſen uͤberlaſ - ſende / wie ſie eine oder andere ſache zu ihrer verantwortung faſſen oder be - greiffen / oder jemand es auf deroſelben gutachten wagen moͤge. Was die angefuͤhrte der hohen gemuͤther bereits allzueng geſchehene liebes-ver - bindung / daher erfolgende gefahr der geſundheit oder des lebens / und ſchweh - ren zuſtand des hohen hauſes anbetrifft / moͤgen auch ſolche als gantz euſſerli - che und accidental-umſtaͤnde / in der ſache nichts aͤndern / oder thun / zumal ſie daraus allerdings nicht nothwendig flieſſen. In perpetuo cœlibatu zu bleiben / iſt weder noͤthig noch zu rathen / und fallen damit die ſchwehreſte in - convenientia von ſelbſten. Wolte eingewendet werden / daß ſie ſich etwa zu hart mit verſpruch und betheurung mit einander verknuͤpffet haͤtten / ſo obli - giret ein ſolcher verſpruch nicht in re illicita, und obwol ſolche perſonen billich ihre ſuͤnde vor GOTT zu erkennen haben / daß ſie ſo zu reden ohne vorher-be - fragung ſeines mundes / das iſt / ehe ſie des goͤttlichen willens und rechts ver - ſichert geweſen /[e]ine ſo wichtige ſache unternommen / und ihnen ſelbs in das gewiſſen einen ſcrupel gemacht haben / daruͤber ſie etwa GOTT auch vieledeſſel -547SECTIO VIII. deſſelben ſchmertzen moͤchte leiden laſſen / ſo bleibt doch die verbindlichkeit des verſpruchs nicht / ſondern wo fernere urſachen ſind / die die ehe rathen / als pe - riculum incontinentiæ oder valetudinis, publica utilitas und dergleichen / moͤgen ſolche auf unbuͤndige weiſe unter ſich verlobte perſonen / ſie ſeyen hohes oder niedern ſtandes / davon zuruͤck und dahin gehen / wohin ſie goͤttlicher fin - ger weiſet. Was anlangt die hefftigkeit des affects / ſo hebet ſie abermal die goͤttliche ordnung und angefuͤhrte urſachen nicht auf. Dann iſt ſolche liebe (wie ich meine genugſam erwieſen zu haben) wider goͤttlichen willen / wider die verſicherung des gewiſſens und liebe des nechſten / ſo iſt ſie keine ordenliche / ſondern wahrhafftig eine unordenliche liebe und geluͤſt des fleiſches / als deme alles / was bey uns dem willen GOttes zu wider iſt / zugemeſſen werden muß. So iſt ſie alſo unter der zahl derjenigen begierden / wo gleichwol ſo hohe als andere perſonen / welche Chriſtum angehoͤren / darvon profeſſion machen muͤſ - ſen / daß ſie ihr fleiſch creutzigen ſamt den luͤſten und begierden. Heyden reden viel von der gewalt der liebe / und ſind deroſelben ſonderlich der Poëten ſchrifften / auch die neuere Romans (derer leſung manchmal nicht viel gutes in den gemuͤthern laͤſſet) voll von den exempeln der liebe / wie ſich dieſe und jene mit ſolchem affect uͤbernehmen laſſen / und manches thoͤrichtes und boͤſes daraus begangen haben / welcher in denſelben zuweilen wol gelobet / oder doch entſchuldiget / auffs wenigſte ſolcher affect vor faſt unuͤberwindlich gehalten wird / daß auch offters Chriſten aus dergleichen in die irrige gedancken kommen / es ſeye ſo / reden und glauben auch etwa dermaſſen. Nun leugne ich nicht / einem heiden und bloß na - tuͤrlichen menſchen iſt ſolcher affect der liebe ſo wenig zu baͤndigen und zu - berwinden muͤglich als andre ſeine affecten des zorns / neids / haſſes / hoffart und dergleichen. Aber wir Chriſten ſollen nicht nur anders geſinnet ſeyn / ſondern muͤſſen wiſſen / daß uns unſer liebe Heyland gleich wie die ſelbſt ver - leugnung geboten / alſo auch die krafft erworben hat / daß wir ſolche ſuͤndliche affecten zu zaͤhmen vermoͤgen und vermoͤgen ſollen. Wie wir ihm dieſe ſchande nicht anthun muͤſſen / ob waͤre er ein ſolcher unkraͤfftiger Heyland / der in denjenigen / mit denen er im glauben vereinigt iſt / nicht vermoͤchte die - ſen ihren und ſeinen feind zu uͤberwinden. Es iſt einmal eine allgemeine re - gel und pflicht aller Chriſten / ſie ſeyn / wes ſtandes ſie wollen / daß ſie ſich ſelbſt verleugnen / und nicht nach dem fleiſch und deſſen wohlgefallen wan - deln ſollen. Zu dieſer ſelbs-verleugnung gehoͤret aber ohne allen zweiffel auch eben dieſes / daß wir muͤſſen willig ſeyn / in nichts nach unſerem eigenen be - lieben / worinnen wir finden / daß es dem rath GOttes entgegen ſtehe / zule - ben / und alles wie lieb uns etwas ſonſten waͤre / wo wir ſehen / daß goͤttli - cher will dagegen ſeye / dem HErrn zugefallen und nach ſeinem befehl unver -Z z z 2zuͤg -548Das vierdte Capitel. zuͤglich fahren zu laſſen. Wozu gewißlich ein hertz / ſo ſeines GOttes gnade und dero wichtigkeit erkennet / dahero in dem rechten wahren glauben ſtehet / allezeit bereit ſeyn wird / ja ſeyn muß / ſoll anders der wahre glaube erkannt werden. Alſo muͤſſen wir ja nicht unſer eigen leben begehren zu erhalten / ſondern freudig dahin geben / wo es der wille des HErrn erfordert: Viel mehr dann etwas auſſer uns / ſo wir hertzlich und zu einem gewiſſen zweck ge - liebet hatten / wo ſich der wille des HErrn dagegen weiſet / willig fahren laſſen: Und das unleugbar iſt / wie hertzlich jemand eine perſon geliebet / muß er ſie aufs wenigſte fahren laſſen / wo ſie ihm GOtt durch den tod ent - zeucht / diejenige gnade GOttes nun / durch welche in ſolchem fall das uͤber - lebende ſeine liebe beſaͤnfftigen muß / daß es deßwegen nicht wider GOTT murre / oder ſeiner geſundheit ſchaden geſchehe / iſt eben die gnade / mit wel - cher eine chriſtliche perſon / wo ſie ſihet / daß ihre aus unrechter meinung / als waͤre ſolche wohl erlaubt / hergekommene liebe gegen eine andere der goͤttli - chen ordnung entgegen ſtehe / das gewiſſen aufs wenigſte in dem gantzen le - ben verunruhigen / und ihm alſo dasjenige / was ihm in dem gantzen leben das liebſte ſeyn ſollte / und weit alle vergnuͤgung an jener geliebten perſon uͤber - trifft / verſtoͤhren und durch aͤrgernuͤß (welches zuverhuͤten der liebe Paulus eher ſein lebtag kein fleiſch eſſen / und ihm alſo wehe thun wolte) wider die lie - be ſtreiten wuͤrde / ſolchen ſonſten natuͤrlicher weyſe ſo ſtarcken affect der liebe uͤberwinden kan und ſoll. Wir finden etwa exempel bey den Papiſten / da einige verlobte / ſo einander hertzlich geliebet / aus der bloſſen ſuperſtition, GOtt in einem muͤnchenſtand gefaͤlliger zudienen / ihre unterſich habende lie - be uͤberwunden / und ſich in Cloͤſter begeben: Was nun bey dieſen leuten die einbildung einer GOtt gefaͤlligern ſach gewuͤrcket / ſolte nicht gleiches und noch mehr bey uns Evangeliſchen / da uns der HErr die wahrheit klaͤhrer er - kennen hat laſſen / ausrichten die erkaͤntnuͤß des goͤttlichen willens an uns / das iſt / daß wir dem HErrn gern dasjenige uͤberlaſſen / deſſen genuß er uns nicht beſtimmet / dabey aber unſere ſeel in eine zufriedenheit unter ſeinen willen ſtellen? Daher ich / nechſt deme ich ſelbſt bey den vorigen gedancken blei - ben muß / auch nicht ſehe / wie alle ſolche auffs ſchaͤrffſte gefuͤhrte rationes leicht weiter bey jemand durchtringen werden / als aufs hoͤchſte die ſache in dem nachdencken etwas zweiffelhafft zu machen / nicht aber das gewiſſen voͤl - lig zu beruhigen / und goͤttlichen willens zu verſichern. Weßwegen nicht beſſern rath wuͤſte / als daß beyderſeits hohe perſonen ſich ehiſtens von ein - ander begeben / in dem die gegenwart und taͤglicher umgang ſothanes feuers taͤglicher blaßbalg iſt / den HErren um ſeine gnade demuͤthig und eyffrig an - ruffen / welcher ihre hertzen regieren / und zum gehorſam ſeines willens len - cken wolle / ſo dann froͤlich / ihnen andere ehgatten zuwehlen und wehlen zu -laſ -549SECTIO VIII. laſſen geruhen. Damit ſo wohl durch vorſtellung eines andern liebwuͤrdi - gen objecti auch natuͤrlicher weiſe die gewalt jener affection gebrochen / und auff anders geleitet / als auch ſonſten die beſorgende leibliche ſchwachheiten vermittels goͤttlicher gnade / ſo darum hertzlich anzuruffen / vorgebeuget werde. Wie auch nicht zuzweiffeln iſt; wo ſolche hohe perſonen aus hertz - lichem gehorſam gegen denjenigen / der dem Abraham auch ſeinen einigen und alſo liebſten ſohn ſelbs zu ſchlachten befohlen / und von ſeinem glauben und liebe gehorſam gefunden / es ihm aber mit hertzlicher gnade belohnet hat / jetzo aber von ihnen fordert / daß ſie ſich desjenigen begeben ſolten / was ſie ſeiner ordnung nicht gemaͤß zuſeyn mehr und mehr ſehen / aufs wenigſte die gefahr einer ſtaͤten verunruhigung ihres gewiſſens / ſo ſich gewißlich / wo man einmal einen wichtigen ſcrupul gefaſſet / nicht alſo befriedigen laͤſt / daß es nicht bey gelegenheit wiederum zunagen anfangen ſolte / beynebens die unnothwendigkeit der ſache / und das entſtehende aͤrgernuͤß vor augen ha - ben / dieſes zuthun / und ſich alſo hierinnen ſelbs zuverleugnen / die chriſt liche und loͤbliche reſolution faſſen werden / daß der HErr / welcher aller menſchen hertzen in ſeinen haͤnden hat / und in deſſen krafft wir alles vermoͤgen / durch ſeines H. Geiſtes gnade ihnen ſo kraͤfftig werde beyſtehen / daß ſie auch die - ſen ihren affect uͤberwinden / ſich kuͤnfftig der ruhe ihres gewiſſens und zeug - nuͤß ihres hertzlichen gehorſams (ſo einen groͤſſern troſt und ver ſicherung gi - bet / als manche gedencken moͤchten) zeit lebens getroͤſten / mit andern ehegat - ten / die ihnen der liebſte himmliſche Vater nach ſeiner weißheit ordenlich zu - fuͤgen wird / ein ſo viel vergnuͤglicher leben fuͤhren / und ihme zeitlich und ewig fuͤr ſeine gnade zu dancken urſach finden werden. Welches alles beyden ho - hen perſonen von dem geber alles guten hertzlich zu wuͤnſchen habe und wuͤnſche ꝛc.

P. S.

Jch habe nach nochmaliger erwegung der ſache freundlich zu bitten / daß nicht nur mein erſtes / ſondern auch die uͤbrige beyde fundamenten in reifli - che conſideration gezogen moͤgen werden. Dann wo alle die ſache von der explication des Loci 3. Moſ. 18. auffs aller ſcrupuloſeſte unterſuchet wird / finde ich nicht / daß die argumẽta derer / welche die erlaubnuͤß behaupten / mehr ausrichten / als daß ſie das verbot einigerley maſſen zweiffelhafftig machen / nimmermehr aber das gewiſſen voͤllig zum gegentheile beruhigen: hingegen die vor die negativam ſtehen / ob ſie nicht alle zur genuͤge convinciren / werf - fen gleichwol ſolche ſcrupulos ein / die ich nicht ſehe / wie einer / der ihm nicht gern ſelbs ſch meicheln will / ſie ihm ſelbs aus dem gemuͤth bringen koͤnne. Jn ſolchem fall aber gehet darnach der ſchluß des gewiſſens gewißlich nicht ſicher auff das jenige / was auch noch eine zimliche probabilitaͤt haͤtte / ſondern auffZ z z 3das550Das vierdte Capitel. dasjenige / worinnen man gewiß nicht fehlen kan / nemlich die ſache zu unter - laſſen darinnen man auffs wenigſte nicht zu einer genugſamen beruhigung kommen kan. Und wo Paulus ſpricht 1. Cor. 6 / 12. 10 / 23. Jch habe es alles macht / aber es frommet nicht alles; gibt er uns dieſe regel / daß es bey Chriſten zu juſtification einer ſache nicht genug ſey / wo ſie einigerley maſſen an ſich ſelbs erlaubt zu ſeyn gezeiget werden koͤnte / dafern ſie ſonſten wider die liebe ſtreitet. Ja ich achte davor / daß ein gottliebender Chriſt ſich lieber einer ſach / die nicht noͤthig iſt (nun iſt dergleichen heyrath nicht noͤthig / und wie erwieſen zu ſeyn hoffe / kan ſeel und leib ohne dieſes mittel gerettet werden) enthalten / als unternehmen werde / wo es nur viele muͤhe und be - denckens verurſachen ſolte / ob ſie erlaubt ſey oder nicht: indem ja in allen un - ſeren actionen, wo es recht nach chriſtlicher ordnung hergehet / dieſe urſach / daß diß oder jenes die ehre GOttes befoͤrdere / uns zu uͤbernehmung derſel - ben bewegen / nicht aber wo eine ſache ſchon vorgenommen / erſt / ob ſie GOt - tes willen gemaͤß ſeye / unterſucht werden ſolle. Dann gehets auff dieſe wei - ſe her / ſo iſt ſchon die ſache auſſer der rechten ordnung / und mehr nach eigenem willen / als aus den motiven, die unſere einige motiven ſeyn ſolten / angefan - gen / daran aber alſobald GOtt keinen gefallen hat. Wie ich nun alſo in der hauptſache davor achte / feſt genug auff dem v. 6. 3. Moſ. 18. zu ſtehen / dar - innen aber mir die macht nicht nehme / uͤber aller anderer gewiſſen zu herr - ſchen / ſondern andern ihre verantwortung uͤberlaſſe / ſo achte ich doch / wo die fuͤr die erlaubnuͤß ſonſten ſtehende die ſache reiflicher erwegen / und ſonder - lich auff die in einer auffs wenigſte ſo gar frembden und (wo man nicht wei - ter gehen will) zweiffelhafften / auch mit ſo vielen bedencklichen urſachen be - ſtrittenen frage nothwendig erfolgende (auffs wenigſte befahrende) gewiſ - ſens-unruhe reflectiren werden / werden ſie ſelbs finden / daß diejenige / wel - che eine ſolche heyrath zu verhuͤten ſuchen / ſich um ſolche perſonen beſſer ver - dient machen / und gewiſſer ihr zeitlich und geiſtliches heil befoͤrdern / als die dero willen dieſe freyheit nachgeben / und damit ihnen gutes zu erzeigen ge - dencken.

Der HErr HErr regiere alle hertzen zur erkaͤntnuͤß ſeines willens / und was in jeglichem das beſte / ſeiner ehr und der liebe das gemaͤſſeſte ſeye / um ſolches allein die regel alles unſers thuns ſeyn zu laſſen. 1681.

5. Von eben ſolcher materie an einen Theologum.

WAs anlangt die jetzige angelegenheit uͤber den vor getragenen ehfall und frag / ſo berge nicht / daß vor ungefehr 3. monaten ich uͤber ſolche materie conſuliret worden / darauff mein bedencken eingeſchickt / es ſind mir aber nach der zeit / nochmalen unterſchiedliche von beyden ſeiten / in ſothaner ſacheauff -551SECTIO VIII. auffgeſetzte ſchrifften communiciret / und nachgeſendet worden / ob ich draus in der ſache beſſer informiret / meine vorige mit unſerer gemeinen lehr uͤber - ein kommende gedancken aͤndern moͤchte. Nun leugne nicht / daß mir die pro parte affirmativa angefuͤhrte gruͤnde / und auff unſere argumenta beybrin - gende exceptiones dermaſſen vorgekommen ſind / nicht zwahr / daß ſie einen auff die andere ſeite leicht bringen / weniger in dem gewiſſen zur verſicherung und beruhigung ein ſolches zu thun bewegen moͤgen / aber doch daß die feſtig - keit des behauptenden goͤttlichen verbots etwas wancken moͤchte. Jch habe auch wiederum geantwortet / und bin bey voriger meinung geblieben / als von dero ich nicht durch genugſam convincirende rationes getrieben waͤre; ſonderlich aber wie auch das vorige darauff ſtarck getrieben / daß wir geden - cken ſolten / weil doch die ſache auffs wenigſte ſehr ſtreitig und ungewiß / daß das gewiſſen in einem ſolchen werck / wo ohne das keine tringende noth iſt / das ſicherſte und alſo dasjenige theil / wo gewiß iſt / daß keine ſuͤnde ſeye / folglich in dieſem fall die unterlaſſung einer ſolchen ſache / erwehlen muͤſſe / wolle es zu einer ruhe kommen / die ihm die anfuͤhrende rationes partis affirmativæ nicht zu allem vergnuͤgen geben koͤnne / dabey auch auff das ſchwehreſte aͤrgernuͤß / ſo bey uns als bey den Papiſten / zu reflectiren ſeye / nachdem die negativa bißher nicht viel anders als die allgemeine lehr unſerer Lehrer erkant worden iſt; nun wiſſen wir / was wir in ſolchen faͤllen aus der liebe ſchuldig ſind 1. Corinth. 8. v. ult. und hebet in ſolcher ſach der hohe ſtand das aͤrgernuͤß nicht auff / ſondern machet es nur ſo viel ſchwehrer und gefaͤhrlicher. Dieſes iſt die ſumma desjenigen / was ich ungefehr geantwortet. Jch waͤre auch co - piam davon zu ertheilen nicht ungeneigt / wo ich es nicht davor hielte / daß es gegen die hergebrachte uͤbung ſeye / abſchrifft des der einem parti ertheileten conſilii der andern / oder die davor gehalten wird / ohne jener vorwiſſen zu kommen zu laſſen. Jedennoch moͤchte E. Hoch Ehr. ohnmaßgeblich ſelbs ihr verlangen bezeugen und begehren / daß mein reſponſum deroſelben von ih - nen moͤchte communicirt werden. Jndeſſen antworte auff das kuͤrtzeſte auff die mir vorgelegte fragen / wie dieſe beylage mitbringet. Wobey ich im ver - trauen nicht verhalte / daß nach fortgeſandter meiner zweyten antwort von einem guten freund mir ſeine gedancken communiciret worden / welche in af - firmativam incliniren / und ſich meiſtens in hoͤchſter einfalt auff die literam des terts / des geſetzgebers weißheit / guͤte und gerechtigkeit gruͤnden / dero leſung mich faſt perplexer gemacht / daß ich ſchier nicht weiß / was ich drauff antworten moͤge: alſo daß / wo ich vorhin ſolche momenta dermaſſen zu pon - deriren anleitung gehabt / ich faſt ſchwehrer mich uͤberwinden haͤtte koͤnnen / die prohibitionem rigidiſſime zu urgiren / auffs wenigſte trauete ſchwehr - lich die diſſolutionem talis matrimonii jam contracti, wo die frage darzukom -552Das vierdte Capitel. kommen wuͤrde / hinfuͤrder zu behaupten / ſondern wuͤrde es / ob wol nicht pro recto (auffs wenigſte weil die kirchliche verordnungen / bißheriger gemeine conſens der Theolog orum und anſehung des aͤrgernuͤſſes dagegen ſtreiten) jedoch pro rato halten. Daher auch in dieſer antwort nicht anders als reti - rader habe zugehen vermocht. Dabey den HErren / ſo die hertzen alle in ſeinen haͤnden hat / demuͤthig anflehe / auch dieſes mal die darinnen inter - eſſirte dahin zu lencken / was ihren gewiſſen am rathſamſten zu dero beruhi - gung und der kirchen in abwendung alles aͤrgernuͤſſes am vortraͤglichſten ſeyn moͤge: welches auch ferner / ſonderlich aber E. Hoch Ehrw. die kraͤfftige gnade des H. Geiſtes und weißheit von oben herab / in einer ſolchen ſchweh - ren ſach fuͤr die ehre des HErren und der ſeelen wohlfarth kluͤglich und nach - truͤcklich zu ſorgen / von dem geber alles guten erbitten zu helffen nicht vergeſ - ſen werde.

6. Nachdem der heyrath gleichwol fortgegangen.

ES iſt deſſelben letztes mir von der poſtwol worden / und habe ich aus demſelben die jetzige bewandnuͤß und nunmehr gefaßte der Hoch-Fuͤrſt - lichen perſonen reſolution abweſend verſtanden. Wie ich nun uͤber die ge - wiſſen keinen Dominat zu uͤben habe / noch einiger Prediger etwas dergleichen prætendiren ſolle / denen auch ihre gewalt zu beſſern und nicht zu verderben von dem HErrn gegeben iſt / alſo laſſe es nunmehr auch dabey verbleiben / nur daß ich den guͤtigſten himmliſchen Vater / der alles in ſeiner hand hat / und auf uns unbegreiffliche art auch unſere fehler zurecht und gutem ende zu bringen vermag / demuͤthig anruffe / auch fuͤrterhin anzuruffen nicht unterlaſſen wer - de / daß er alles beſorgliche ſo wol von ſolchen Hoch-Fuͤrſtlichen perſonen gnaͤ - digſt abwenden / als gnade verleihen wolle / daß deroſelben eheſtand / nachdem er / ſo viel ich habe verſtehen koͤnnen / nicht nach deſſen ordnung angefangen worden / hingegen in ſeiner furcht chriſtlich und ſo viel heiliger gefuͤhret / damit aber das entſtehende aͤrgernuͤß wiederum verbeſſert werde. Wie ich dann ſolches impedimentum, ſo ex lege poſitiva morali herkommet / pro impedi - mento matrimonii ineundi, nicht aber causa reſcindendi initum achte / der - gleichen einige andere ſich noch finden moͤgen. Er erfuͤlle ſie alſo ſo viel reich - licher mit ſeinem H. Geiſt / in deſſelben gnade recht zu erkennen / wie ſie nun auch ſolchen ihren ſtand / und in demſelben ſeel und leib / dem HErrn zum opf - fer darbringen / daß er ihn an ihnen ſelbs heilige / damit er ihm wolgefaͤllig ſeye / und da etwa ihr hoͤherer ſtand ein ſtarckes motiv mag geweſen ſeyn / die ſache zu werck zu richten / ſie hingegen ins kuͤnfftige in allen andern ſtuͤcken des menſchlichen lebens thaͤtig zeigen / daß ſie die allgemeine pflichten des Chri - ſtenthums denen von der welt autoriſirten freyheiten des hoͤhern ſtandesgeziem -553SECTIO VIII. geziemlich vorziehen / und den gehorſam gegen jene ſo ſcheinbarlich zeigen / daß dero chriſtliches exempel alsdann zu erbauung unſerer Evangeliſchen kirche ſo viel mehr contribuire / als hoͤher dero condition und ſtand iſt. So erfuͤlle er auch nachmal ſolchen ihren eheſtand mit uͤbriger aller art geſegne - ten wohlweſens / ſonderlich da etwa das gewiſſen einmal einige unruhe moͤch - te fuͤhlen / verwahre er ihren glauben / davon keinen gefaͤhrlichen anſtoß zu leyden. Was im uͤbrigen die communicirte contenta anderer reſponſo - rum anlanget / ſo mir zu vernehmen gleichwol lieb geweſen / ſo iſt nicht noͤthig weiter dagegen zu excipiren / ohne allein was das aͤrgernuͤß anlanget / das mich ſonderlich beweget hat / und ich bekenne / daß ich nicht ſehe / wie ſolches vor ein bloß genommenes zu achten waͤre: indem nicht allein dasjenige ſcandalum datum iſt / ſo mit einer ſache / welche ſua natura boͤſe iſt / gegeben wird / ſondern eben ſo wol mit dem gebrauch der chriſtlichen freyheit in ſonſten erlaubten dingen / welche wider die liebe geſchi - het / und man den anſtoß des ſchwachen bruders vorſihet. Davon Paulus Rom. 14. und 1. Cor. 8. ſchreibet. Jn dem uͤbrigen wird nicht noͤthig ſeyn / noch habe nunmehr zu verlangen / daß meine wenige bedencken / ſo ich uͤber - ſchicket / Jhro Hochfuͤrſtlichen Durchl. zum vorſchein kommen moͤchten; dann nachdem die ſache richtig / und dieſelbe alſo den zweck / welchen ſie ſuchten / nicht erlanget / ſo wird es ohne frucht / ja wol eher ſchaͤdlich ſeyn / daß das ge - wiſſen nur damit mehr verunruhigt wuͤrde / vielweniger ſolle einige erkaͤnt - nuͤß der arbeit von mir erwartet werden / als da ſolche arbeit nicht nur wenig iſt / ſondern ich mich biß daher ohne entgeld allen zu antworten verbunden erkant und alſo zuantworten gepfleget habe Wird alſo das beſte ſeyn / daß Jhro Hochfuͤrſtliche Durchlaucht. nichtsvon meinen dingen wiſſen moͤgen. Jch aber werde auch nicht unterlaſſen / wo nur gelegenheit gegeben werden ſolte / mit ſchuldigen dienſten an hand zu gehẽ / ſolche meine ſchuldigkeit wahr - zunehmen. 1681.

7. Was dem Beicht-vater in ſolcher ſache zu thun.

AUff das neuliche freundliche antwort-ſchreiben habe zum forderſten bezeugen ſollen / wie mich hertzlich erfreuet / daß mein neuliches einfaͤlti - ges bedencken liebreich auffgenommen worden. Jch wuͤſte aber in der ſache zu dem vorigen nichts weiters zu thun / oder beyzuſetzen / ohne allein / welches vielleicht auch in dem neulichen mag mit enthalten geweſen ſeyn / daß ich das ſcandalum nicht pro accepto ſondern dato halten koͤnne / indem ein ſcanda - lum datum nicht nur ſich in denjenigen actionibus findet / die an ſich ſelbs boͤ - ſe ſeynd / ſondern auch in dem unzimlichen gebrauch der chriſtlichen freyheit / nun aber iſt nach 1. Cor. 8. Rom. 14. ein unzimlicher gebrauch derſelben / wo wir uns desjenigen gebrauchen / was zwahr an ſich ſelbs erlaubt iſt / aberA a a awir554Das vierdte Capitel. wir vorſehen / daß ſich die ſchwache / ob ſchon darinnen irrende / daran ſtoſſen werden / dero man aus liebe zu ſchonen / und alſo ſeine freyheit (ein anders iſts / wo es um GOttes ehre und ſolche dinge / die der HErr befohlen hat / zu thun iſt / in denen wir nach Matth. 15 / 12. 13. 14. das aͤrgernuͤß der andern / die ſich an dem guten ſtoſſen wollen / nicht zu achten haben) des andern beſten nicht vorzuziehen hat: oder man wandelt nicht in der liebe. Was aber die bey - gelegte frage anlangt / ſo achte ich in meiner einfalt / daß ein Beicht-vater / nachdem er alles gethan / was er nach ſeinem beſten wißẽ zu abwendung des - jenigen / was er in ſeinem gewiſſen unrecht zu ſeyn ſorget / dienlich erkant / ſol - ches aber in die hertzen nicht tringet / ſondern dasjenige / was dieſelbe vor ih - re meinung gefaſſet / bey ihnen die obhand behaͤlt / wohl moͤge die abſoluti - on ertheilen. Dann wir ſind nicht Herren uͤber unſerer anvertrauten ſeelen glauben / ſondern dero gehuͤlffen: wie ich nun in andern ſtuͤcken die in facto beſtehen / woruͤber ich mit dem beicht-kind handle / ob ich ſchon ſtarcke præ - ſumtiones auff das gegentheil habe / da ſich dieſes auff ſein gewiſſen beruffet / dabey auch beruhen und es dem HErren uͤberlaſſen muß / ſo gilt dieſes nicht weniger / da es eine quæſtio juris iſt / daß nemlich wo wir nicht das unhinder - treibliche und klahrſte wort GOttes / ſo die gewiſſen allein mit genugſamer krafft uͤberzeuget / denſelben vor augen legen koͤnnen / ſondern es dahin kom̃et / daß man der conſequentien und zwahr ſolcher conſequentien, welche ſtar - cken exceptionibus unterworffen / bedarff / wir ſie nicht weiter zu noͤthigen vermoͤgen / als wie viel ſie ſich von dem goͤttlichen willen uͤberzeugt zu ſeyn finden. Da ſie alſo / daß dieſes GOttes gebot ſeye / nicht bey ſich erkennen koͤnnen / und ſolches nicht aus einer bloſſen hartnaͤckigkeit / und ohne vorle - gung ſtarcker motiven, ſondern mit dergleichen motiven, welche wir ſelbſten nicht ſo gar unerheblich / ob wol die gegenſeitige ſtaͤrcker achten / geſchihet / ſo gehet unſere gewalt nicht weiter / und muͤſſen wirs dem HErren befehlen / der allein die hertzen in haͤnden hat / und dieſelben feſt machen kan. Jch erinnere mich dabey gern der wort Pauli 1. Cor. 7 / 6. 8. 10. 25. 40. wo er eine ſolche meinung fuͤhret / welche mit der gleichen gruͤnden befeſtiget wird / die dem wil - len des HErren allerdings gemaͤß ſind / indeſſen weil er keinen austruͤcklichen befehl des HErren auffzuweiſen hatte / ſo will er den gewiſſen keinen weitern ſtrick anwerffen. So vielweniger haͤtten wir / da wir alle ein geringeres maaß des Geiſtes empfangen haben / als der theure Apoſtel / unſere gewalt weiter zu extendiren / als daß wir / wo das gebot des HErren nicht gantz un - leugbar vor augen ſtehet / unſe re meinung geben / und dieſelbe ſo gut wir ver - moͤgen / beſtaͤtigen / nechſt dem aber den gewiſſen ſelbs die ſache uͤberlaſſen / welche ſonſten / wo wir weiter gehen wolten / angeſtrenget wuͤrden / ſich nicht nach goͤttlichem gebot / dann ſolches erkennen ſie in der ſache nicht / ſondern nach unſerem beſin den zu richten. So iſts kein peccatum proæreticum oderobſtina -555SECTIO IX. obſtinatum, da wir ſelbs nicht anders als einen irrthum bey ihnen erkennen / und diejenigen urſachen vor augen ſehen / die gleichwol nicht gering / ſondern capabel ſind / einem vieles bedencken in der ſache zu machen. Dieſes iſt meine wenige meinung in dieſer ſache / welche ich hiemit freundlich berichten ſollen / dabey den grundguͤtigẽ Gott demuͤthig anflehe / der ſo wol die gantze ſach alſo dirigiren wolle / daß ſie mit wenigſtem anſtoß der gewiſſen oder aͤrgernuͤß der gemeinde zu ende gehe / auch unſere unwiſſenheit vergebe / und die hertzen feſt mache / welches koͤſtlich iſt und durch die gnade geſchihet. Er wolle auch mei - nen wertheſten amts-bruder in ſolchem beſondern anligen mit dem liecht ſei - nes Heiligen Geiſtes und krafft deſſelben erfuͤllen / zu thun und auszurich - ten / was den gewiſſen zu ihrer reinigung und beruhigung das dienſamſte iſt.

SECTIO IX. Von der ehe mit des vorigen weibes tochter.

DEn vorgelegten caſum von Andrea, der Annam Sophiam ſeines vori - gen weibes leibliche tochter geheyrathet hat / anlangend / bin ich recht daruͤber erſchrocken / daß eine ſolche that dieſer lande vorgegangen ſeyn ſolle. Weilen nun gedachter grad nicht nur austruͤcklich in GOttes wort verboten / und gar die auff und abſteigende linie in der ſchwaͤgerſchafft be - trifft / hat nicht nur die Obrigkeit ſolches zu geſchehen nicht zulaſſen oder di - ſpenſiren koͤnnen / ſondern ſie koͤnnen auch nicht beyſammen leben; denn ob wol unſere Lehrer zimlichen theils davor halten / wo eine ehe in denen im goͤttlichen recht verbotenen graden gleichwol vollzogen / und mit der ein - ſegnung bekraͤfftiget worden / daß man ſie darnach beyſammen laſſen muͤſſe / und quod rectum non fuit, ratum tamen fiat (wo ich nicht leugne / daß gleich - wol andere wieder anderer meinung ſind / und alſo ſolche wiederum diſſolvi - ret haben wollen) werden doch ſtets diejenige / welche in die abſteigende linie geheyrathet; darvon ausgeſchloſſen / und dero ſeparation vor nothwendig gehalten / wie zu ſehen bey Carpzov. Jurispr. Conſiſt. 2. 6. 99. 12. Daher die - ſe beyde elende leute wahrhafftig auſſer der ehe / indem ihre ehe niemal guͤl - tig geweſen / oder werden koͤnnen / leben / folglich in lauter ſuͤnde / dero ſie oh - ne von einander wiederum abzulaſſen / nicht loß werden moͤgen. Weswegen ihnen die ſacra nicht adminiſtriret oder zugelaſſen werden koͤnnen / ſondern es muß ihnen vielmehr ihr gefaͤhrlicher ſtand gewieſen / und ihren gewiſſen auff andere art geholffen werden. So hat eine chriſtliche Obrigkeit billig hierauff auch einſehen zu haben / und ihr amt / zu abthuung ſolches aͤrgernuͤſſes / nach - truͤcklich / damit ſie wieder abgeſondert werden / anzuwenden. 1688.

A a a a 2SECTIO556Das vierdte Capitel.

SECTIO X. Ob einer ſeines brudern frauen ſchweſter heyra - then doͤrffe / oder doch eine ſolche ehe zu mißra - then ſeye?

Aus der uͤberſandten ſpecie facti alſo lautend:

NAchdem Titius ſich mit ſeines leiblichen bruders Sempronii hauß-frauen ſchweſter ehlichen verlobet / iſt ſolches von einigen / daferne ſolche verloͤbnuͤß ſolte werckſtellig gemacht werden / fuͤr eine blut-ſchande ausgeſchriehen worden. Weil nun Titius hierinn gerne ſicher gehen / und ſein gewiſſen nicht gerne beſchwehren will / als hat er ſich deßwegen raths erhohlen / und fragen wollen / ob derglei - chen / wie oben gedacht / fuͤr eine blut-ſchande zu halten / oder nicht? und ſich chriſtlich reſolviret / daß / wo es eine blut-ſchande / er viel lie - ber ſolches verloͤbnuͤß fahren laſſen / als ſein gewiſſen damit beſchweh - ren / wo aber ſolche verloͤbnuͤß goͤttlicher und menſchlicher ordnung nicht zuwider / er in ſolcher verloͤbnuͤß in GOttes nahmen fortfahren wolle ꝛc. Moͤgen zu beſſerer beruhigung des gewiſſens Titii zwo fragen formiret werden.

I. Ob die vorhabende heyrath vor eine blut-ſchande zu achten?

AUf dieſe frage moͤgen wir nicht anders als abſolute mit nein / daß auf keinerley weiſe und wege eine blut-ſchande oder nur einiger ſchein derſel - ben in ſolcher heyrath anzutreffen ſey / antworten.

1. Wo diß wort blut-ſchande in ſeiner eigenlichen bedeutung genom - men wird / ſo heiſſet es diejenige unziemliche vermiſchung / worinn wider die von GOTT verbotene grade geſuͤndiget wird: Da hingegen diejenige / wel - che allein wider menſchliche verordnung gehet / ſonderbar verboten und un - ordenliche vermiſchung genannt zu werden pfleget / wie davon der gelehrte Juriſt Ben. Carpzov. L. 2. Jur. Conſ. T. 5. def. 87. n. 2. 3. wol anmercket / und bezeugt / daß ſolcher dieſer wort unterſcheid in dem ſchoͤpffen-ſtul gewoͤhnlich pflege obſerviret zu werden / welchem auch Herr D. Dannhauer beypflichtet Theol. Conſcient. T. 1. Part. 2. dial. 3. p. 784. Nec proprie inceſtus com - mittitur, ubi interdictum provinciale eſt, non immediate divinum. Glei - chermaſſen macht der beruͤhmte Juriſt Joachim von Beuſt zu Planitz p. 2. de matrim. n. 57. zweyerley nuptias illicitas, quædam enim dicuntur. inceſtæ & nefariæ, quædam vero inutiles. Ja auch in den nefariis & ince -ſtis557SECTIO X. ſtis findet er in dem eigenlichen gebrauch unterſcheid / daß inceſtæ eigenlich ſeyen nur inter collaterales in primo & ſecundo gradu inæquali conſangui nitatis & affinitatis. Hingegen werden inutiles genennet / quæ tantum jure civili vel canonico prohibentur, & non natura vel jure divino repugnante contrahuntur. Wie er auch weiſet / wie unterſchiedliche ſtraffe auf beyder - ley arten geſetzet ſeye. Welches auf gleiche art auch alſo lehret der geuͤbte Theol. Eraſm. Sarcerius Corp. Jur. matrim. P. 3. p. 145. b. 147. a. Und nennet die eine art blut-ſchaͤndliche und laͤſterliche / die andere art unnuͤtze und nicht zulaͤßige hochzeiten: Nun wird hoffentlich niemand ſeyn / der nur die gedancken faſſen werde / daß in dieſem caſu einiges goͤttliches verbot zu finden ſeye; indem goͤttliches geſetz unter eigenlichen blut-verwandten und ſchwaͤ - gern ſeine verbot gar nicht weit extendiret / und die in demſelben verbotene gradus bald gezehlet ſind.

2. Wenn aber auch zuweilen generaliori ſenſu eine blut-ſchande genennet werden mag alle verbotene vermiſchung / die nicht nur aus goͤttli - chen ſondern auch menſchlichen geſetzen und ordnungen unerlaubet ſind / ſo mag aber dieſe heyrath / daß zwey bruͤder zwey ſchweſtern heyrathen / auch in ſolchem weitern verſtande vor keine blut-ſchande geachtet werden / indem kein verbot vorhanden iſt; von goͤttlichem geſetz wird nicht eine einige vermu - thung deſſen ſeyn. Was denn die Kaͤyſerliche / weltliche und canoniſche geiſtliche rechte anlanget / ſo kommen ſolche / ob ſie wol ſonſten in ſo vielen ſtuͤ - cken different ſind / in dieſer regel alle uͤberein / daß zweyer eheleute bluts - freunde keine ſchwaͤgerſchafft unter ſich haben / und alſo Sempronii bruder und ſeiner frauen ſchweſter keine ſchwaͤgerſchafft unter ſich haben. Wenn denn nun alles verbot ordenlicher weiſe entweder wegen des gebluͤts ſelbs / oder wegen der ſchwaͤgerſchafft geſchihet / und aber dieſe beyde verlobte weder mit einander verwandt ſind nach dem gebluͤte / noch in einer eigenlichen ſchwaͤ - gerſchafft ſtehen / ſo folgt ſo bald / daß zwiſchen ſelbigen kein verbot ſeyn koͤnne.

3. Werden alle Theologi hierinn gantz einſtimmig ſeyn / und inſpecie dieſe heyrath aus vorgedachten regeln nicht verboten achten / daher ſie alle annehmen und behaupten; als (1) Philipp. Melanchthon, deſſen dieſe wor - te ſind: Non late vagatur affinitas. Nam conſanguinei mei non ſunt af - fines conſangvineis uxoris meæ. E. â conſangvinea uxoris meæ abſtinere debeo, mei conſangvinei abſtinere debent à mea uxore, non à conſangvi - neis meæ uxoris. Quare duo fratres cum duabus ſororibus contrahere poſ - ſunt. Non enim impediuntur affinitate. Wiederum (2) D. G. Major. conſan - gvinei uxoris non fiunt affines conſangvineis mariti, nec conſangvinei mariti fiunt affines conſangvineis uxoris, ita ut inter ipſos conſangvineos mariti & uxoris matrimonium contrahi non poſſit; welche beyde loca alle -A a a a 3girt558Das vierdte Capitel. gi / rt und approbiret auch (3) Eraſm. Sarcerius. Corp. jur. matrim. P. 2. p. 12. a. 21. b. 141. b. Ferner (4) D. Nic. Henning. de conjug. p. 116. Duo viri qui ſunt fratres cum duabus fœminis quæ ſunt ſorores, licite contrahunt (5) Dav. Chytræus in Levit. c. 18. p. 342. duo fratres cum duabus ſororibus contrahere poſſunt. (6) D. Joh. Wigandus de conjug. duo fratres non pro - hibentur duas ſorores ducere (7) Mich. Havemann. Gamolog. L. 2. T. 5. Quamvis in more poſitum ſit, quod conſangvinei mariti & conſangvinei uxoris inter ſe dicantur & ſalutentur affines, tamen vero affines non ſunt, quia cognati mariti & uxoris non fiunt una caro, hinc dictitia illa affinitas matrimonium inter illos non ſufflaminat. Hinc etiam tres fratres ducere poſſunt tres ſorores absque ullo impedimento, quod notandum eſt contra Duarenum. (8) D. Balthaſ. Menzer. l. c. p. 1110. b. duo fratres ducere poſ - ſunt duas ſorores (8) D. Dannhauer Theol. Conſc. T. 1. P. 2. dial. 3. p. 784. Fas ducere fratris mei uxoris ſororem (10) D. Mart. Chemnit. LL. Theol. T. 3. de conjug. c. 4. traditur vera & certa regula, quod inter cognatos mariti&in - ter cognatos uxoris nõ ſit talis affinitas, quæ impediat matrimoniũ. Poſſunt lgitur legitime absq; impedimento & prohibitione interſe matrimoniũ con - trahere. Deſſen urſache ſolcher beruͤhmter Theologus anzeigt / cur necju - re divino nec humano talis affinitas matrimonium impediat, ſo wol aus den Juriſten / quod ſolus maritus ad cognatorum uxoris fines accesſionem fe - cerit, als aus der ſchrifft / quia maritus & uxor fiunt per copulam carnalem una caro, non autem cognati fiunt inter ſe una caro. Darauß er austruͤcklich inferiret / duo fratres poſſunt ducere duas ſorores (11) D. Felix Biedenbach. Promt. connub. append. c. 3. p. 539. Hinc absque diſpenſatione licet ma - trimonium contrahere ſequentibus perſonis: duo fratres poſſunt ducere duas ſorores vel alter matrem, filiam alter. (12) D. Caſp. Eraſ. Brochmand. Theol. ſyſtem. L. de conjugio 449. laͤſſet zu / daß vater und ſohn 2. ſchwe - ſtern heyrathen moͤgen / welches ſo vielmehr von zwey bruͤdern geſchehen kan / aber daraus abzunehmen / daß er ſolchen fall als allzuklahr in einige frage zu - ſetzen nicht noͤthig geachtet: alſo auch (13) D. Joh. Gerh. LL. de conjug. n. 358. ob er wol dergleichen mißrathet / bekennet doch darbey; quod nulla hic exſtet juris vel divini vel humani prohibitio, ſed plena ac plana ubique. conceſſio.

4. Jſt ſolches nicht weniger die einmuͤthige meinung chriſtlicher Juri - ſten D. Bened. Carpzov. L. 2. Jurispr. Conſiſt. T. 6. def. 106. da bereit die rubric alſo lautet: Nec pater & filius matrem & filiam vel duas ſorores: nec duo fratres perſonas illas ducere uxores prohibentur. Wo auch ein præ - judicium des Saͤchſiſchen Ober-Conſiſtorii angezogen wird / auf einen ſol - chen fall mit dieſen terminis. So mag dahero zwiſchen vorbeniemtenOſt -559SECTIO X. Oſtwalden und der Annæ Mariæ L. das eheverloͤbnuͤß nicht verbo - ten werden / ſondern es wirdihnen ſolches nicht unbillig nachgelaſſen / undnachmals die ehe durch die prieſterliche Copulation vollzogen / von rechts wegen. Dergleichen er auch lehret tr. de uſu arb. Conſangvin. C. 4. n. 129. ſeq. quod ſit plana ac plena ubique conceſſio Dn. Conr. Mauſer. Prof. Witteberg. Explic. tit. inſt. de Nupt. §. ſacrum quoque p. 368. Quare ſequitur, quod frater meus uxoris meæ ſororem poteſt ducere uxorem, mit anzihung aus dem jure Canonico c. quod ſuper hiſ. X. de conſang vin. & af - fin. Wo deutlich enthalten: Quod licet omnes conſangvinei viri ſint af - fines uxoris, & omnes conſangvinei uxoris ſint viri affines, inter conſan - gvineos tamen uxoris & viri ex eorundem, ſc. viri & uxoris, conjugio nulla prorſus affinitas eſt contracta, propter quam inter eos matrimonium de - beat impediri. Ferner Baſil. Monner. de matrimon. P. 4. c. 2. n. 9. p. 85. Unde duo fratres licite contrahere poterunt cum duabus ſororibus. Wie - derum mit anzihung des angehoͤrten Capituli Melch. Kling. a Steinau de cauſ. matrimonial. p. 278. duo fratres ducere poſſunt duas ſorores, welchen locum Dedekennus auch ſeinen Conſiliis Theologicis inſeriret. Hier. Treutler. ſelect. diſp. vol. 2. diſp. 6. de nupt. n. 3. Unde duo fratres duas ſorores in matrimonio habere poſſunt. D. Joh. Rebhan. Hodeg. Juris. Chart. 2. clim. 1. paral. 3. n. 25. Duo fratres matrem & filiam, aut duas ſoro - res, in uxores ducere poſſunt. D. Joh. Harprecht. ad inſtit. Tit. de nupt. T. I. p. 378. Unde eſt, ut pater & filius matrem & filiam & tantomagis pater & filius duas ſorores, item duo fratres matrem & filiam, vel duas etiam ſoro - res ducere uxores poſſunt. Wo er auch das mehr gedachte capitulum, (woruͤber Panormitanus den er auch dabey allegiret / austruͤcklich ſaget: absque omni peccato licite inter ſe contrahunt matrimonium) anzeucht / mit vielen anderen Juriſten Joh. Kizel. Synopſ. matrim. c. 3. theor. 12. p. 52. duo fratres matrem & filiam vel duas etiam ſorores ducere poſſunt.

5. So gedencken alle Theologi und Juriſten bey dieſer frage nicht / daß einige diſpenſation noͤthig ſeye / wie ſonſten zuweilen bey einigen gradibus noͤthig iſt / welche etlicher maſſen verboten / daß nicht ohne ſonderbare verguͤn - ſtigung der Obrigkeit die zulaßung geſchehen kan. Daraus abzunehmen / daß auch nicht die wenigſte verhindernuͤß und verbot bey ſolchem fall ſich fin - den muͤſſe ꝛc.

6. Sind die exempel unter nicht nur hohen / ſondern auch gemeinen ſtan - des perſonen / geiſt - und weltlichen unzehlich / daß zwey oder drey bruͤder wol ſo viel ſchweſtern / oder bruder und ſchweſter wiederum ſchweſter und bruder / genommen / ohne einige contradiction oder aͤrgernuͤß / wie dann ſolches auch ſo vielweniger platz hat / als gemeiner die ſache iſt.

II. Ob560Das vierdte Capitel.
  • II. Ob gleichwol Titio zu rathen waͤre / daß er die verloͤbnuͤß fahren laſſen ſolte?

ES melden die Theologi gewoͤhnlich / wo von dieſer materia der verbote - nen oder erlaubten grade / gehandelt wird / daß zu ſehen ſeye / non tantum quid liceat, ſed etiam quid honeſtum ſit, welcher urſachen wegen offters / wo die ſache noch integra, und von heyrathen / die etwas nahe in das gebluͤte ge - hen / geredet wird / auch in den graden / die ſonſten eben nicht verboten / eine ehe zu mißrathen / und als viel muͤglich / auf guͤtliche mittel zu hindern ſeye. Da moͤchte alſo dieſes ortes gleiche frage entſtehen / ob nicht eben wol dieſe ehe lieber zu mißrathen / und Titio an die hand zu geben ſeye / daß er ſich ſolches ehelichen verloͤbnuͤßes lieber entſchlage als damit fortfahre? Aber auch bey dieſer frage vermoͤgẽ wir Titio nicht abzurathen / von vollſtreckung ſeiner ehe - verloͤbnuͤß / ſondern achten ihn vielmehr verbunden / alldieweil die verloͤbnuͤß bereits geſchehen / dieſelbe fortzuſetzen. Gleichwie auch D. Joh. Gerhard LL. de Conjug. n. 358. ob er ſchon ſonſten von dergleichen hochzeiten die leu - te abzumahnen lehret / austruͤcklich die condition darzuſetzt / quando res ad - huc integra eſt, hoc eſt, ſi nondum efficax promiſſio vel deſponſatio interceſ - ſit, nec dum arctiſſimo amoris vinculo ejuſmodi perſonarum animi conglu - tinati ſunt. Wie hoch hingegen ein rechtmaͤßiges verloͤbnuͤß das gewiſſen binde / daß kein theil / ja auch nicht beyde zugleich / ſich unter einander deſſen wiederum loßmachen / ja auch die Obrigkeit ſolche ohne die wichtigſte und rechtmaͤßigſte urſache nicht wieder trennen koͤnne / wird bey allen der ehe[-]rech - te kuͤndigen eine ausgemachte ſache ſeyn: Wie ſolten wir denn Titio rathen koͤnnen / einen ſolchen verſpruch / der nach allen goͤttlich - und menſchlichen rech - ten guͤltig / zu brechen / und aus menſchlichen conſiderationen / ſo noch darzu auf ſchwachem grunde und ſorgen ſtehen / ein goͤttliches band zu trennen / folg - lich ſein lebelang ihm und ſeiner verlobten / ja auch denenjenigen / welche bey - derſeits kuͤnfftig heyrathen moͤchten / ein ſchwehres gewiſſen / auffs wenigſte einen ſtachel in demſelben zu verurſochen. Alſo daß man Titio dergleichen nicht nur nicht rathen darff / ſondern ihm die nothwendigkeit der vollſtre - ckung nachtruͤcklich zeigen muß. Darzu kommet / daß in ſolchem fall die vor - nehmſten rationes, welche Gerhardus und einige andere fuͤhren / dergleichen unverbotene heyrath doch zu widerrathen / in dieſem fall nicht platz haben. Denn ſolche ſind wol die beyde / cognationis confuſio und liberorum ex tali - bus matrimoniis cognatio. Wie nicht ohne iſt / daß ſich dergleichen bege - be / wo vater und ſohn zwey ſchweſtern / oder mutter und tochter zwey bruͤder / heyrathen / wo vater und ſohn ſchwaͤger / und da natuͤrlicher weiſe eine un - gleichheit unter ihnen iſt / ſie hierinn einander gleich werden; ſo wider den re - ſpect, welchen dieſer jenem zu tragen verbunden / zu ſtreiten ſcheinet: Alſoauch561SECTIO X. auch unter den kindern gibts zimliche confuſion der nahmen; die kinder des ſohns haben ihrer mutter ſchweſter zur großmutter; die geſchwiſtrig-kind mit ihnen ſind / ſind auch vaters geſchwiſtern. Um welcher umſtaͤnde willen etwa dergleichen heyrathen moͤchten mißrathen werden; welches alles aber bey dieſem exempel ſich nicht findet. Denn was die uͤbrige allgemeine urſa - chen anlanget / ſo angefuͤhret werden moͤchten / doͤrffen wol insgeſamt wenig concludiren / als die ſorge des aͤrgernuͤſſes / welche zwahr von groſſer wich - tigkeit waͤre / dero gefahr aber leicht und beſſer / daß niemand ſeine freyheit damit gekraͤncket werde / geholffen werden kan / daß diejenige / ſo ſich dran ſtoſſen moͤchten / auch wol die gemeinde / publice, wie allerdings in ſol - chem verloͤbnuͤß keine ſuͤnde noch unrecht ſeye / unterrichtet werden. So mag auch die honeſtaͤt nicht vorgeſchuͤtzet werden / es werde denn erſtlich erwie - ſen / daß dieſer fall wider dieſelbe ſtreite. Wo wir aber nicht gedencken wol - len / daß goͤttliche und menſchliche rechte eine ſache / ſo der honeſtaͤt entge - gen / ſo beſtaͤndig autoriſiret haben ſolten. Wo nun ein und ander derglei - chen ehen ungluͤckliche ausgaͤnge zum grunde anfuͤhren wolte / wuͤrde es ein mißliches urtheil ſeyn / GOtt in ſeiner geheimen gerichts-cancelley eingriff zu thun / warum er dieſem oder jenem einen unfall begegnen laſſen; zumalen andere unzaͤhliche ehen unter gantz land-frembden perſonen / offt nicht weni - ger ungluͤck unterworffen / hingegen der exempel nicht wenige ſich finden wer - den / dieſer art begluͤckter ehen. Jedoch moͤchte geſchehen / daß wo ſchwache gewiſſen derjenigen ſo alſo heyrathen / von unzeitigen eifferern irre ge - macht werden / an ihrer ehe ſelbs zu zweiffeln anfangen / und gleichwol derſel - ben ſich nicht wieder loßzumachen wiſſen / daher in zweiffel und alſo ſuͤnde le - ben / und damit GOttes ſtraff auff ſich ziehen moͤgen / deſſen aber diejenige groſſe urſach ſind / ſo ihnen ſolche unnoͤthige ſcrupel gemacht haͤtten. Nicht von mehr erheblichkeit ſind auch andere einwuͤrffe / welche dagegen geſchehen moͤchten. Daher wir nicht anders koͤnnen / als dahin endlich zu ſchlieſſen / daß Titius in dem nahmen Gottes und deſſen fernerer anruffung / ſeinen ehe - verſpruch fortzuſetzen nicht nur vermoͤge / ſondern gantz verbunden ſeye / auch ſich und ſeiner verlobten gewiſſen aus angefuͤhrten gruͤnden wol tranquilli - ren moͤge / daß ſie in eine Gott wohlgefaͤllige ehe treten: hingegen ſich von niemand darinn turbiren laſſen ſolle / auch jedem / der rechenſchafft ſeiner ehe fordert / beſcheidentlich ſolche zugeben habe; damit auch ſolches ſo viel nach - truͤcklicher geſchehe / wolthun werde / das Miniſterium ſeines orts freund - lich zu erſuchen / daß ſie gleichfals krafft ihres amts / wie ſie es vermoͤgen und dar zu gelegenheit haben / andern davon unterricht geben / und das etwa ſonſten bey unberichteten beſorgte aͤrgernuͤß nach muͤglichkeit abwenden wollen.

B b b bDer562Das vierdte Capitel.

Der HERR gebe darzu gnade und laſſe kein gewiſſen zu unnoͤthigem ſcrupel und in demſelben in mehrer ſuͤnden gefahr verleitet werden. Amen! 1678.

SECTIO XI. Ob einer verlaſſenen / die zeit ihres mannes verlaſ - ſung in ehebruch verfallen / nach deſſen todt den ehebre - cher zu heyrathen erlaubet.

  • Ob einer eine perſon / mit welcher er vormals ehebruch getrieben / nach abſterben des ehegatten / oder auch wenn ſolche perſon von dem ehegatten wegen boͤßlicher verlaſſung richterlich geſchieden / heyrathen moͤge?

ERſtlich finde einige wichtige rationes dubitandi, ſo faſt das anſehen ha - ben ſolten / daß mit nein auff dieſe frage zu antworten waͤre.

1. Stehet vor augen das exempel des Koͤnigs Davids / der die Bathſebam / ſo er vorhin durch ehbruch erkant / nach Uriaͤ todt zur ehe genom - men: daruͤber aber der Heil. Geiſt das urtheil gibt 2. Samuel. 11 / 27. die that gefiel dem HErrn uͤbel die David thaͤt: daher c. 12 / 9. der Pro - phet dem Koͤnig nicht nur vorruͤckt / Uriam den Hethiter haſt du erſchlagẽ mit dem ſchwerdt / ſondern auch noch als unrecht zuſetzet: ſein weib haſt du dir zum weibe genommen. Da Procopius davon ſagt: Significatur Deum plus conjugio offenſum fuiſſe quàm adulterio: Adulterium enim cu - piditate victus commiſit, conjugium autem deliberationis aſſenſum habet. Wie auch Theodoretus es nennet matrimonium nefarium & contra leges initum. Wie auch der gelehrte D. Dannhauer / mein werther Præceptor in Theol. Conſc. Part. 2. ſpec. Dial. 3. q. 32. p. 825. von ſolcher des Davids action ſagt / non licitè feciſſe.

2. Wiſſen wir daß in goͤttlichem geſetz der ehebruch mit dem leben ge - ſtrafft wird 3. Moſ. 22 / 10. 5. Moſ. 22 / 22. Wie nun / wann darinnen die Obrigkeit ihr amt thut / die frage von ſich ſelbs faͤllt / ſo ſolte man ferner ſa - gen / daß es unbillich ſeye / daß ſolche laſterhaffte perſonen / die in leichtferti - ger liebe zuſammen gekommen / eben durch ihre uͤbelthat / damit ſie den todt verwircket / ſolten die erlaubnuͤß gewinnen ſich zu heyrathen / und deſſen fer - ner zu genieſſen / warum ſie geſuͤndiget haben.

3. So moͤchte auch in conſideration kommen / daß derogleichen nicht zu - geſtatten / weil ſonſten damit nicht nur insgemein der leichtfertigkeit und boßheit eine thuͤr geoͤffnet wird / ſondern zu ſorgen ſtehet / es moͤchte ſolchesge -563SECTIO XI. gelegenheit geben / daß leichtfertige leute / die eine unzuͤchtige liebe zuſammen tragen / ihren ehegatten nach dem leben deſto lieber ſtehen doͤrfften / weil ſie wiſſen / daß ſie damit zuſammen kommen koͤnten.

4. Jn den weltlichen rechten wird ſolche ehe deutlich verworffen. L. Claudius 13. ff. de his quæ ut indigna. L. 27. C. ad leg. Jul. de adult. Ja auch finden ſich Canones die derſelben entgegen ſeynd. Als C. nullus 31. q. 1. aus Leone: Nullus ducat in matrimonium, quam prius polluit per adulteri - um. Wiederum C. illud. eod. ex concilio ap. Alpheſum habito: Non con - venit Chriſtianæ religioni, ut ullus ducat in conjugium quam prius polluit adulterio.

5. Darzu kommt / daß mehrere Theologi die frage verneinen. Als der beruͤhmte D. Gerhard LL. CC. T. 7. de conjugio p. 1048. ſetzet austruͤcklich unter die conditiones, wie fern dem adultero moͤchte die erlaubnuͤß zu hey - rathen gegeben werden: ne cum illa contrahere permittatur matrimonium cum qua commiſit adulterium. So findet ſich auch von ſolchem Theolo - go ein gantzes Conſilium bey Dedekenn. volum. 3. ſ. 9. n. 9. p. 228. da der ſchluß dahin gehet: Sanè ſi quis nuptias jam dum contraxit cum , quam prius per adulterium polluit, eas non eſſe ſolvendas exiſtimamus; interim idem eſſe impedimentum contrahendum matrimonium impediens aſſeri - mus. Nach dieſem ſo bleibet auch bey der negativa und beharret auff dem Koͤniglichen Daͤniſchen verbot / welches bey ſolcher kirche im gebrauch und dieſe ehe nicht zugibt / D. Brochmandus Syſt. T. 2. de conj. quæſt. 26. p. 573. Der werthe Heßiſche Theologus, der alte D. Menzerus T. 2. p. 1125. 1126. tra - ctirt dieſe frag auch / ſchlieſſet aber: ægrè adducor ut concedam hujusmodi nuptias: So er zwahr in dem folgenden einigerley maſſen mildert und ein - ſchraͤncket.

Jndeſſen finde ich nicht / warum ich nicht lieber mit den uͤbrigen es halten ſolte / welche ſothane ehe nicht vor bloß verboten halten.

(1) Haben wir in GOttes wort keinen grund eines ſolchen verbots. Was aber von GOTT nicht verboten iſt / mag an ſich ſelbs nicht ſuͤnde ſeyn / und ſolle auch nicht von andern ohne wichtigſte urſachen verboten werden / ſonderlich in dieſer ſach / da das verbot beſorglich zu mehreren aͤrgernuͤſſen und heimlicher ſchande urſach oder gelegenheit geben moͤchte / welche lieber ab - zuſchneiden / als auf derer andern rigore zu beſtehen iſt.

(2) Wird auch damit dem gewiſſen der perſonen mehr gerathen / da ſon - ſten / wo ſie zu dem ledig-bleiben angeſtrenget werden / ſie vielmehr gefahr und ſuͤndlicher brunſt unterworffen werden: Hingegen wo ſie je wieder doͤrffen heyrathen / billicher iſt / daß ſie beyſammen bleiben / als daß jegliches mit ſeiner beywohnung eine andere perſon in einige gemeinſchafft ſeiner ſchande mitB b b b 2ein -564Das vierdte Capitel. einflechte / wo ſie ſich an andere verehlichten. Dazu auch kommt / daß die kinder / ſo etwa aus ſolchem ehbruch gebohren / wieder zu einigen ehren kommen.

(3) Jſt ſolches auch in den alten Canonibus zugegeben worden. Alſo lauten die wort Auguſtini C. denique 31. q. 1. mortuo eo, cum quo verum fuit connubium, fieri poteſt conjugium cum qua præceſſit adulterium. Wie auch der gantze titulus in decretalibus ſich findet de eo qui duxit in matrimo - nium quam polluit per adulterium. Nun aber pflegen wir in ehe-ſachen mehr nach dem canonico als civili jure zu gehen.

(4) So haben wir auch einige von den vornehmſten Theologis, welche ſolche ehe zugeben. Unſer theure Lutherus, da er ſolches bey den Paͤpſtiſchen vorgebende hindernuͤß der ehe angefuͤhret (Tom. 6. Altenb. f. 1408. b) ſagt alſo davon: Jch bitte dich / wo kommt doch her dieſes ſtrenge recht der menſchen gegen die menſchen / welches doch GOTT niemals erfor - dert hat? wiſſen ſie nicht oder wollen ſie nicht wiſſen / daß Bathſeba eine hauß-frau Uriaͤ beyde laſter begangen hat / das iſt / ſie war be - fleckt mit dem ehbruch / und nach ermordung ihres mannes ward ſie dannoch geehlichet von David dem heiligſten mann. Hat nun das goͤttliche geſetz dieſes zugelaſſen / was thun dann die tyranniſche men - ſchen wider ihre mitknechte. So ſagt er auch T. 2. Alt. f. 211. b. von ſol - chem fall: Lafter und ſuͤnde ſoll man ſtraffen / aber mit anderer ſtraff / nicht mit ehe-verbieten. Nicht weniger ſtimmet damit uͤberein Phil. Me - lanchthon in Loc. Com. de Conj. wo er alſo nach anziehung des exempels Da - vids ſagt: In hoc caſu conjugium poteſt concedi, & hac ἐπιεικείᾳ judex nunc quoque uti poteſt, præſertim cùm Politici Magiſtratus adulteria non pu - niunt, & Deo valdè diſplicent vagabundæ commixtiones. Nach welchem biß daher auch andere Theologi eben ſolcherley ehen gebillichet. Wie denn D. Gerhardus anziehet Chytræum in Levit. Bidenbach. de cauſ. matrim. Tarnov. l. de conjug. c. 50. Die Reformirten / ſo gleiches behaupten / jetzo nicht anzuziehen.

(5) So geben auch chriſtliche Juriſten eben dieſer meinung beyfall / wie ſonderlich zu ſehen bey dem bekanten und beruͤhmten D. Carpzov. L. 2. Ju - riſp. Conſiſt. Tit. I. def. 14. da er noch ferner anzeucht Lud. Schraderum, Molradum, D. Greg. Tholoſ. Beſoldum, Clingium, Finckelth. Speckhan, Nebelkräe. So dann die præjudicia, daß dergleichen ſpruch in dem Schoͤp - pen ſtuhl zu Leipzig / ſo dann von den Juriſten zu Gieſſen und Tuͤbingen ge - ſchehen / wie nicht weniger die Conſiſtoria zu Meiſſen und Wittenberg (wie bey Dedekenno derſelben wort zu ſehen) ſo dann zu Leipzig und Dreßden (wie Carpzovius auch bezeuget) auf gleiche weiſe ausgeſprochen.

6.) So565SECTIO XI.

(6) So ſind auch die obangefuͤhrte rationes dubitandi nicht ſo bewandt / daß nicht wol darauf zu antworten waͤre.

1) Was anbelanget Davids exempel / laͤſſet ſich aus ſolchen angezoge - nen orten nichts anders auffs euſſerſte ſchlieſſen / als daß deſſelben that die Bathſebam zu heyrathen GOTT dem HErrn mißfallen habe / welches aber daher gekommen / nicht als ob ſchlechterdinges dergleichen heyrathen unrecht waͤren / ſondern weil David eben darum den Uriam erſchlagen laſſen / daß er ſein weib nehmen moͤchte / daß alſo Nathan der Prophet mit ſolchen worten dem David ſeine vor menſchen verborgene boͤſe intention habe wollen vor - ruͤcken / oder worinnen er ſonſten abſonderlich in ſolcher ſich verſuͤndiget hat. Dann daß der heyrath ſelbs nicht bloß dahin kan unrecht geweſen ſeyn / ſehen wir daraus / weil ja der Koͤnig auch noch nach ſeiner buß ſie bey ſich behalten / auch niemand dem Salomoni / daß er nicht aus rechter ehe gebohren waͤre / vorgeworffen / noch ſelbſten ſein widerſacher und bruder Adonia deswegen / ſondern weil er juͤnger als er waͤre / das reich diſputiret hat. Solte aber die ehe an ſich ſelbs unrecht geweſen ſeyn / ſo wuͤrde David die uͤbrige gantze zeit ſeines lebens in einer ſtaͤten ſchwehren ſuͤnde geſtanden ſeyn / ſo wir von dem theuren mann nicht ſagen ſollen.

2) Waͤre zwahr zu wuͤnſchen / daß die Obrigkeit mit rechtſchaffenem ernſt dieſe ſchwehre ſuͤnde ſtraffte / die frag aber gehet eigenlich denjenigen fall an / wo ſie ihr amt nicht nach der ſchaͤrffe thut. Wo aber dieſe gegenwaͤrtige hypotheſis erwogen wird / ſo iſt auch zu beobachten / daß der ehbruch des wei - bes ſo ſchwehr nicht wie ſonſten zu achten ſey / als die fuͤr ſich dieſes anziehen kan / daß die ſchuld ihres mannes / ſo ſie verlaſſen / dazu anlaß gegeben habe. Womit auffs wenigſte etlicher maſſen die ſtraffe gemildert wird.

3) Die urſachen / die dagegen gefuͤhret werden / ſind von nicht geringem gewicht: So gar daß auch deswegen Carpz. l. c. def. 15. ſelbs die ehe nicht zu - geben will / wo dem verſtorbenen ehegatten nach dem leben geſtanden worden. Aber in dieſem fall iſt ſolches nicht geſchehen / ſondern es iſt der mann ſelbs von dem weib weggezogen / und da er indeſſen geſtorben / weder ihre noch ihres adulteri ſchuld darbey geweſen.

4) und 5) Den weltlichen rechten / wie auch einigen alten Canonibus, ſo dann angezogener Theologorum autoritaͤt / moͤgen wir die auch angefuͤhrte und in affirmativam gehende autoritates und ſuffragia nicht unkraͤfftig ent - gegen ſetzen.

Alſo bleibt die affirmativa dieſer frage genugſam gegruͤndet und feſt ſte - hen / und mag der richter / wo er ſonſten in puncto deſertionis die ſache richtig findet / das weib zu ſcheiden / deroſelben heyrath mit ihrem adultero auch zugeben.

B b b b 3SECTIO566Das vierdte Capitel.

SECTIO XII. Retractatio eines falſi vor der Obrigkeit. Von einem caſu, da zwey perſonen zwantzig jahr unter dem ſchein cheleut zu ſeyn / mit einander gelebet / da ſie aber nie copuliret worden. Was darinne zu thun. Von der euſſerlichen kirchen-diſciplin.

W die neulich uͤberſchriebene ſache betrifft / ſo bekenne ich / daß ich noch am liebſten bey meinen gedancken bleibe / daß die retractatio des vor der Obrigkeit ausgeſagten / niemand ſchaͤdlichen falſi nicht bloſ - ſer dings nothwendig waͤre / auſſer dem fall / da ſie nochmal vorgefordert wuͤrde / und alsdann freylich nicht wiederum liegen doͤrffte; ein anders waͤre es / wo ſie ihre eigene ſuͤnde geleugnet / und ſich damit loßgemachet / wo ich ihr gewiſſen nicht anders zu beruhigen wuͤſte / als durch ultroneam confeſſio - nem. Jetzt aber iſt es zuthun um eine ſuͤnde / ſo gleichſam der Obrigkeit un - bekant / da ſie nicht wohl mehr dazu verbunden iſt / ſolche von freyen ſtuͤcken anzugeben / als in andern faͤllen / welche der Obrigkeit nicht bekant / ein reus nicht eben ſchuldig ohnerfordert ſich ſelbs anzugeben / und die ſtraffe uͤber ſich zufordern. Alſo wird keine ſchuld auf die Obrigkeit geladen / welche zuſtraf - fen bereit / was ihr bekant waͤre; ſo entſtehet auch kein weiter aͤrgernuͤß / als viel ich ſehen kan. Sonderlich deucht mich / daß um der ſelbs angefuͤhrten urſach willen wir eben diejenige nicht ſeyn ſollen / welche die ſuͤnden zur welt - lichen ſtraff angeben muͤſten / als derer amt iſt / die ſuͤnder zu der buß ſuchen zu fuͤhren / und die obrigkeit zu verrichtung ihres amts anzumahnen: Daß ſie aber zu noͤthiger wiſſenſchafft vorgegangener laſter kommen moͤge / ſolle ſie andere perſonen dazu billich brauchen / und hingegen unſer amt mit ſol - cher nothwendigkeit verſchonet bleiben. Jedoch laſſe es ferner / wie vormals meines geliebten bruders eigener beurtheilung / als der ich nicht anders als meine unvorgreiffliche meinung ſage. Was den andern caſum betrifft / iſt derſelbe ſehr ſchwehr und intricat, ich will aber gleichwohl meine meinung aufs einfaͤltigſte faſſen 1. Zum grunde lege ich dieſes voraus / daß die be - nedictio ſacerdotalis weder de eſſentia conjugii noch auch ſimpliciter ne - ceſſaria ſeye. Wie ich dann weder aus heiliger ſchrifft ein gnugſam buͤndi - ges argument vor ſolche nothwendigkeit / noch vielweniger deutlichen ſpruch davon finde / noch ſehe / daß einiges dergleichen von ſo Theologis als Juri - ſten / die dieſe materie tractiret / aufgebracht werden koͤnne. Wie etwa die reiffliche und unpartheyiſche betrachtung der anfuͤhrenden rationum ſelb - ſten endlich zeigen wird / wie viel krafft und nachtruck darinnen ſeye. Dahernicht567SECTIO XII. nicht nur der unglaͤubigen ehe vor wahrhafftig / und ſo fern an ihren perſo - nen etwas ſeyn kan / GOttgefaͤllig achte / ſondern auch darvor halte / da in Holland einige / wie es geſchihet / allein auf dem rathhauß ihrer ehe erlaub - nuͤß bekommen / ſo an ſtatt der copulation guͤltig iſt / daß einer ſolchen ehe nichts mangle. Wie ich auch ſehe / daß die Theolog. Facult. zu Witten - berg 1612 gedencket / ſo jemand an ſolchem ort lebete / da er die benedictionem ſacerdotalem nicht haben / noch in benachbarten kirchen erlangen koͤnte / moͤch - te ihn derſelbe mangel in ſeinem gewiſſen nicht irren. 2. Erkenne ich doch gern / daß ich deßwegen dieſelbe nicht verachte / ſondern als einen ſo wohl al - ten als ſehr weißlich eingefuͤhrten chriſtlichen gebrauch ſchaͤtze / der noch dazu an allen orten durch die kirchen-ordnungen und chriſtlichen geſetze bekraͤffti - get iſt / daß jedermans gewiſſen daran verbunden / und alſo ohne ſuͤnde ſolche nicht auslaſſen kan. Deſſen haupt-urſachen wohl ſonderlich ſtehen werden in verhuͤtung aller mißbraͤuche und unordnungen / welche in antretung der ehe vorgehen moͤchten / wo nicht eine gewiſſe ſo zu reden ſolenniſirung dazu kaͤme / die zwahr auch auf eine andere weiſe per cognitionem und curam ma - giſtratus geſchehen koͤnte / wie wir das exempel der Hollaͤnder haben / aber ſo wohl von altem her durch ſolche benedictionem eccleſiaſticam zu geſche - hen gepfleget / als auch ſolcher modus deſto billicher iſt / damit / weil die ehe gleichwol auch ihre gewiſſe in goͤttlichem wort vorgeſchriebene regel hat / der ſtand der lehrer durch ſolche benedictionem und was etwa vor derſelben hergehet / mit zu demjenigen werck gezogen werde / ſo neben dem politico con - tractu auch einiges geiſtliches in ſich hat / dabey zu vigilirn / ſo viel ihres orts geſchehen kan / daß nichts wider ſolche goͤttliche ordnung in der ſache vor - gehe. Daher Obrigkeit und kirche uͤber dieſe ſache fleißig zu halten / und ſo viel an ihnen iſt nicht zuzugeben haben / daß jemand ohne dieſen ritum in die ehe trette. Jn welcher ſache ich mich allen denen deciſis, ſo bey Dedekenno anzutreffen ſind / conformire / wo es allemal die frage wird geweſen ſeyn de matrimonio ineundo, und ob uͤber ſolche benedictionem zu diſpenſirn / o - der uͤber dieſelbe zuhalten ſeye?

3. Halte ich deßwegen / daß diejenige beywohnung / da animo matri - monii Seja mit einem Mann 20 jahr gelebet / aber die benedictio ſacerdotalis aus bedeuteter urſache ausgelaſſen worden / eine wahre und buͤndige ehe ſo wohl ſeye / als da jene dazu gekommen waͤre: Jedoch wie ſie in andern ſtuͤ - cken nach der communicirten ſpecie facti unziemlich und wider goͤttliche ordnung angefangen worden / ſo iſt eben auchdieſes ein ſchaͤndlicher fehler da - ran / daß dieſer ſo loͤblich von der kirchen (und zwahr eben zu verhuͤtung der - gleichen exorbitantien welche hie vorgegangen) eingefuͤhrte ritus mit willen unterlaſſen und geflohen worden iſt. Daher ſich beyde groͤblich verſuͤndiget /und568Das vierdte Capitel. und auf ſo viele art und weiſen dieſe H. ordnung GOttes unverantwort - lich an ſich ſelbs profaniret haben. Bleibet alſo matrimonium ratum, non rectum, wie mein S. Præceptor D. Dannhauerus in dergleichen materien zu diſtinguiren pflegete.

4. Darff deßwegen nicht davon diſputiret werden / ob ſie beyſammen zubleiben haben / oder das matrimonium als nullum zu dirimirn waͤre / ſon - dern ob ſie ſchon wolten / koͤnten ſie ſo wenig als andere rechtmaͤßig copulirte von einander ſich widerum trennen / noch auch von einer Obrigkeit wider die goͤttliche ordnung getrennet werden.

5. Jndeſſen iſt noͤthig / daß ſie ſowol ſelbs ihre ſuͤnden bußfertig erken - nen / als auch / ſo viel an ihnen iſt / trachten / daß dieſes vitium ihrer ehe moͤch - te auffgehaben und erſetzet werden. Zwahr ſolte ſcheinen / es waͤre nun nach ſo langer zeit / da die ſache nicht bekant / und ſie von jederman vor rechte eigen - liche ehleute geachtet worden / die benedictio nicht erſt noͤthig. Es ſtehet auch dahin / ob nicht von einem Beicht-vater die unterlaſſung ſolcher benedi - ction nunmehr nachgeſehen werden koͤnte / wo es ſolche perſonen waͤren / die die ſache gnugſam verſtehen / oder ſie ihnen dermaſſen beygebracht werden moͤchte / wie fern und warum ſolcher ritus noͤthig oder nicht noͤthig / daß ſie die ſchwehre ihrer ſuͤnden wahrhafftig erkennten / und doch auch begreiffen moͤchten / wie nunmehr die nachholung ſolcher ceremonie nicht bloß noͤthig waͤre. Wie ich aber aus allem andern vermuthe / daß es zimlich rohe leute ſeyn werden / die die ſache nicht ſo gruͤndlich zu faſſen vermoͤgen / und alſo ent - weder ihre ſuͤnde nicht recht erkennen / oder da ſie ſie erkennen / ihre gewiſſen niemal genug beruhigen wuͤrden / ohne dieſer benediction erfolg: So laͤſſet ſich ſolches mittel / ſo bey einigen ſtaͤrckern vielleicht practicirlich / bey ihnen nicht verſuchen / und wird vielmehr ihnen einmal die nachholung der verab - ſaͤumten einſegnung noͤthig ſeyn.

1. Wegen ihres eigenen gewiſſens-ſcrupels / ſonderlich bey Seja / ob ſchon der mann den ſeinigen nicht bekennet / da aber er entweder kein gewiſſen haben muß / oder wol davor zu halten / daß ſie beyde / als welche die diſtin - ction, quo jure jegliches noͤthig / nicht verſtanden / ob ſchon in ihrem eheſtand doch ſtets als in unzucht und mit widerſpruch ihres gewiſſens mit einander gelebet / wo ich nicht wol abſehe / wie ſie das gewiſſen zu ruhe bringen werden / als mit erſetzung deſſen / deſſen ermangelung ſie biß dahin geaͤngſtiget.

2. Wegen ihrer kinder. Dann obwol nach dem bericht ſolche vor ehr - lich von jederman / da ſie ſind / gehalten worden / moͤchte doch einmal die zeit kommen / da ſie ihren geburts-ſchein bedoͤrfften / wo aber eines der ehegatten vorher verſterben ſolte / allerdings deſſelben ihr lebtag entrathen muͤſten / wo nicht vorher auffs wenigſte durch die erfolgte ſolenniſirung der benedictionder569SECTIO XII. der ehe guͤltigkeit beſtaͤtiget wuͤrde / unter andern zu eben dem effectu, daß die kinder als legitimi paßiret werden koͤnten.

3. Wegen der kirchen-verordnung ſelbſten. Dann ob wol ich erkenne / daß nicht eben ſimpliciter noͤthig waͤre / daß dasjenige / was ante matrimo - nium conſummatum von der kirchen verordnet worden / und eigenlich deſſen vornehmſte zweck ſolche dinge angehen / welche vor den antritt der ehe gehoͤ - ren / wo es damal unterlaſſen worden / muͤſte nachmal erſt vor die hand genom - men werden / wo ſolche meiſte fines ceſſiret (maſſen auch ſonſten viele fehler / die begangen worden / nicht eben allemal mit einbringung oder nachholung deſſen / was vor geſchehen ſollen / als das oͤffters gar unmuͤglich iſt / ſondern auf eine andere bequeme art zuweilen corrigiret werden muͤſſen.) So finde ich doch in dieſem fall billicher / weil es eine gantz muͤgliche ſache / daß die ein - ſegnung noch geſucht werde / und damit der gewoͤhnlichen ordnung ein genuͤge geſchehe. Welches ſo vielmehr in dieſem fall geſchehen ſolle / wann die ehe ſo gar in allen ſtuͤcken auſſer goͤttlicher und kirchlicher ordnung angehoben wor - den / daß dann nun kein moͤgliches mittel zu verſaͤumen / womit man ſich wie - der in ſolche ordnung ſchicken kan: Wie dann ja dasjenige / was ſonſten noch mehr fluch auf ſich gehabt / eines neuen ſegens und in gewoͤhnlicher ordnung mit gebet geheiliget zu werden bedarff / daß GOTT ſeinen gerechten zorn uͤber diejenigen fallen laſſen moͤchte / die denſelben mit verachtung aller guten ordnungen ſehr gereitzet.

6. Nur bleibet die frage / wie ſolches am beſten in das werck zu richten? Nun ſolte wol das beſte ſcheinen / wo man bey der ordnung bliebe / und bey dem Conſiſtorio die copulation geſuchet wuͤrde. Es moͤchte ſolches zu ra - then angefuͤhret werden. 1. Daß billich ſeye / daß dieſer leute begangene ſuͤnden und laſter zu gebuͤhrender wiſſenſchafft des Conſiſtorii kaͤmen / und mit ſtraff angeſehen wuͤrden. 2. Daß ſie ſonderlich zur kirchen-buß / als in einem ſolchen verbrechen / da ſie ſo lange auffs wenigſte wider ihr gewiſſen und mit deſſen widerſpruch mit einander gelebet / angehalten wuͤrden: Welche ver - ſoͤhnung mit der kirchen ihnen nachmal vor ihr gantzes leben einẽ ſo viel gewiſ - ſern troſt geben moͤchte. Jch finde aber unerachtet deſſen ſolches mittel nicht wol vorzuſchlagen. 1. Weil der mann ein dergleichen harter mann / der / wo ihm nur dieſes zugemuthet wuͤrde / aufdeſperata conſilia fallen doͤrffte / wie ſie ohne das ſich ihres lebens beſorget / wo er der ſache zu fruͤhe gewahr wuͤrde. 2. Die ſuͤnde oder dero anfang iſt nicht dieſes orts vorgegangen / daß alſo nothwendig das Conſiſtorium zu dero beſtraffung wiſſenſchafft haben muͤſte. 3. Die kirche bey ihnen iſt nicht geaͤrgert worden / indem bey ihnen niemand anders weiß / als daß ſie allezeit ehrlich zuſammen gekommene ehelente gewe - ſen: Daher keine verſoͤhnung uͤber das aͤrgernuͤß noͤthig / ja faſt die offenba -C c c crung570Das vierdte Capitel. rung ſolches aͤrgernuͤſſes bedencklicher zu achten iſt. 4. Die kinder / ſo gleich - wol unſchuldig ſind / wuͤrden ihr lebtag zu groͤſſerem ihrem hindernuͤß der el - tern offenbarte ſchande tragen muͤſſen / daraus auch noch viel boͤſes zu ſor - gen waͤre.

7. Der andere vorſchlag war / wegen eines paͤpſtiſchen pfaſſen / ob es bey ſolchen zu ſuchen waͤre; ich finde aber auch denſelben nicht dermaſſen / daß ich ihn rathen wolte. 1. Wir haben nicht noth zu anderer kirchen zu gehen / was wir bey der unſrigen finden / und wo es recht angegriffen wird / eben ſo wol ha - ben koͤnnen. 2. Stehet dahin / ob nicht ein ſolcher pfaff ſich der ſachen wegen difficultiren / und weil er mit nichts zum ſtillſchweigen verbunden iſt / zu der in - tereſſenten groͤſſerem nachtheil / das bey ihm geſuchte propaliren moͤchte. 3. Weil es ſonderlich auch darum zu thun iſt / daß dem gewiſſen gerathen werde / und es alſo bey der copulation eines ernſtlichen zuſpruchs bedoͤrffen wird / ſo gehoͤret ſolches dem paͤpſtiſchen prieſter nicht / ſondern es muß ſolche einige diſciplin von einem diener unſerer kirchen verrichtet werden.

8. Was den dritten anlangt wegen der heimlichen copulation bey den unſrigen (nach dem ertheilten und angefuͤhrten rath D. Gerhardi, in einer ſolchen hypotheſi, aus dero die analogia auch etlicher maſſen auf den unſri - gen gezogen werden koͤnte) ſo lieſſe mir denſelben nicht mißfallen / wann es nicht eine ſache waͤre / welche kein pfarrer ohne vorbewuſt ſeiner obern uͤber - nehmen und verrichten doͤrffte / daher es ſelbſten endlich auf den 4. vorſchlag kommet / daß der caſus ſuppreſſis nominibus durch den Beicht-vater dem Conſiſtorio proponiret / und deſſen verguͤnſtigung erlanget wuͤrde / die copu - lation privatiſſime in zweyer dazu requirirten verſchwiegener zeugen gegen - wart zu verrichten. Dabey wolte ich auch acquieſciren. 1. Weil wie wir geſehen / alle andere vorſchlaͤge nicht wol thunlich. 2. Zu hoffen / es werde das Conſiſtorium, auf gethane remonſtration der motiven / ſonderlich davon n. 6. meldung gethan / und welche etwa ferner mit beygefuͤget werden koͤnten / ſich zu einer ſolchen diſpenſation verſtehen / womit niemand nichts abgehet / hingegen dieſer leute gewiſſen und der kinder kuͤnfftiger fortun gerathen wird. 3. Moͤchte auch dazu gethan werden / daß die perſonen einiges ihrem vermoͤgen gemaͤſſes in das Conſiſtorium an ſtatt entweder einer mulctæ oder pro diſpenſatione ad pias cauſas zu geben / angewieſen wuͤrden. 4. Wo auch zu ſorgen waͤre / daß da der Beicht-vater ſolches ſelbs vortragen laͤſſet / einige ſpur gegeben wuͤrde / daß man auf die perſonen kommen koͤnte / indem an einem auch volckreichen ort derjenigen fremden eheleut nicht ſo viel ſeyn werden / daß nicht allaemach dieſelben zu erkundigen einer / der zu forſchen curioͤs ſeyn wol - te / wege finden moͤchte: So waͤre mir dieſes expediens vorgekommen / ob der Beicht-vater mit deroſelben erlaubnuͤß einem andern Prediger ſolcher herr -ſchafft571SECTIO XII. ſchafft im vertrauen die ſache communicirte / welcher den actum alsdann ſei - nes orts halten ſolte / und alſo es vor dem Conſiſtorio anbraͤchte / daß es eini - ge fremde / ſo an ſeinen ort ſich zu ſolchem ende begeben wuͤrden / betraͤffe / und er alſo dieſe erlaubnuͤß fuͤr ſich ſuchte / damit alſo ſelbs bey dem Conſiſtorio der ort verborgen bliebe / wo ſolche perſonen ſich haͤußlich auffhalten / und da - mit das verlangte und in dieſer ſache ſo noͤthige ſecretum erhalten werden koͤnte: Dieſes ſind meine einfaͤltige gedancken / wie ich ſie unter mehrern di - ſtractionen dißmal abfaſſen koͤnnen / welche ich aber meines hochgeehrten Herrn eigener chriſtlicher weiterer ermeſſung wiederum uͤberlaſſe / jedoch mit eigener meinung / ſo viel ſolche aus den fragen abſehen koͤnnen / einſtimmig zu ſeyn achte. Der HErr gebe auch darinnen weißheit / dasjenige zu wehlen und zu thun / was zu der verirrten zurechtbringung / ihres gewiſſens heilung / und aller fernerer aͤrgernuͤſſen verhuͤtung / das vortraͤglichſte und zulaͤnglich - ſte ſeyn mag. Letzlich hat mich recht afficiret deſſen angehengte klage / daß wir Prediger mit ſo vielen haͤndeln und dero unterſuchung oͤffters beſchaͤffti - get ſeyn muͤſſen / welche nur zu etwelcher diſciplina externa und derer erhal - tung dienlich ſeyn moͤgen: Jndeme eben dergleichen bekuͤmmernuͤß offt mich und andere gute hertzen beunruhiget / wann man ſihet / wie ſchlecht noch die frucht vieler ſolcher muͤhe ſeye / ob man ſchon den zweck endlichen erreichet / und wie ſolches alles noch bey weitem dem haupt-werck / wozu wir geſetzet ſind / nemlich der ſeelen geiſtlichem und ewigem heil / nicht zukomme / und uns doch ſo manche zeit wegnimmet. Jedoch troͤſte mich damit / daß es gleichwol nicht eben gar umſonſt ſeye / ſondern ſo wol einige ſchwehrere aͤrgernuͤſſen manchmal alſo abgewendet / und die gemuͤther durch ſolche euſſerliche diſciplin etlicher maſſen vorbereiter koͤnnen werden / zu den rechten wahren guͤtern und geiſtlicher erbauung / welche freylich in viel tieffern dingen und einer gaͤntzli - chen aͤnderung der gemuͤther beſtehet / und zu ſuchen iſt. Ach daß der HErr ſolche unſere wenige arbeit alſo allgemach ſegnete / daß nachmal wir ſolche leu - te vor uns haben koͤnten / vor denen mit rechtem nachtruck die rechtſchaffene und den grund des hertzens beruͤhrende materien gehandelt wuͤrden / und die erwuͤnſchte frucht braͤchten / da wir jetzo ſchier mehr arbeit anwenden muͤſſen / die leute dazu zu bringen / daß ſie erſtlich recht vernuͤnfftige menſchen und er - bare Heyden werden und ſeyn moͤchten / um aus denſelben folglich wahre Chriſten zu machen. Nun der HErr wird ſolche gnade auch noch geben / und nachdem die zeiten der gerichte der finſternuͤß / in welche uns der undanck gegen die offenbarung der goͤttlichen Evangeliſchen wahrheit gerechter weiſe geſtuͤr - tzet / vollendet ſeyn werden / ſein liecht wieder herrlicher hervor brechen / und in die hertzen leuchten laſſen. Ach daß ſich dann der HErr bald ſeiner armen erbarme. 1682.

C c c c 2SECTIO572Das vierdte Capitel.

SECTIO XIII. Von heimlicher verlobung einer Herrn-ſtands Fraͤulein mit einer buͤrgerlichen perſon / und daher ent - ſtehenden fragen.

Die erſte Frage.

  • Ob ein Herren-ſtands Fraͤulein / ſo ſich mit Titio einer qualificir - ten aber buͤrgerlichen ſtandesperſon heimlich verlobet / dem - ſelben mit gutem gewiſſen die heimliche nachfolge und vollzie - hung dero beſchwornen ehegeloͤbnuͤſſes verſagen koͤnne / und ſie gnug thue / wann ſie unverehliget in gebet und wahrer buß ihr uͤbriges leben hinzubringen gefliſſen iſt?

AUff dieſe frage gruͤndlich zu antworten / iſt eine andere frage vorher in der furcht des HErrn auszumachen / an dero dieſe haͤnget / und daher ohne daß richtig ſeye / was von derſelben zu halten / unmuͤglich mit ſat - tem grund dieſer ein gnuͤge geſchehen kan. Es iſt aber dieſelbige / ob die eh - liche verbindung / ſo zwiſchen Titio und der Fraͤulein vorgegangen iſt / vor GOTT und in dem gewiſſen richtig und buͤndig ſeye oder nicht?

Hier iſt anfangs die frage nicht von dem erſten heimlichen verſpruch / welcher zwiſchen beyden bey lebzeiten der hohen eltern geſchehen / als die Fraͤulein nach der ſpecie facti etwa 17. jahr alt geweſen war; als welchen ich vor unguͤltig erkenne / nicht ſo wol wegen der jugend der Fraͤulein / indem gleichwol das alter zu dem eheſtand und einwilligung gnug geweſen / ſondern wegen ermangelung des nothwendigen elterlichen conſenſus, denn weil der kindliche gehorſam goͤttlichen und natuͤrlichen rechtens iſt / zu demſelben aber auch als ein zimliches hauptſtuͤck gehoͤret / daß kinder in dem wichtigſten werck ihres lebens / daran ihnen und den eltern das meiſte gelegen iſt / als de - ro freud oder kummer uͤber die kinder faſt auf ihr lebtag an dem gerathen deſ - ſelben haͤnget / nichts ohne oder wider deroſelben willen vornehmen: ſo kan kein verſpruch / welcher die verbindlichkeit jenes gehorſams auffhuͤbe oder verletzte / nach goͤttlichen rechten beſtehen / ſondern es hat ſich Titius ſchwehr - lich verſuͤndiget / die Fraͤulein zur liebe gegen ſich zu verleiten / und einen ver - ſpruch von ihr heraus zubringen / dadurch aber ſo viel an ihm war / den eltern / von denen er ohne zweiffel wohl vermuthen kunte / daß ſie ihren conſens nicht geben wuͤrden / ihr kind abzuſtehlen: ſie aber hat ſich auch an dem ſchuldigengehor -573SECTIO XIII. gehorſam gegen ihre eltern damit ſchwehrlich verſuͤndiget / da ſie / was nicht ihr war / ihre eigene perſon / ohne vorwiſſen deren / welcher von GOtt uͤber ſich habende gewalt ſie billich in ehren halten ſollen / an einen andern uͤberge - ben wollen. Wie ſie alſo beyderſeits darinnen unrecht gethan / hatten ſie vielmehr urſach / ſolche ihre ſchuld bußfertig zu erkennen / und GOtt abzubit - ten / als daß ſie der verſpruch zur vollſtreckung haͤtte verbinden koͤnnen. Wes - wegen denn auch die Fraͤulein nach ihrer eltern todt die freye hand hatte / wo ſieſonſten die heyrath zu der ruhe ihres lebens nicht dienlich erachtete / an ſol - chen verſpruch ſich nicht zu binden / wie ſie auch gethan / und befordert hat / daß Titius ſich anderwertlich hin verfuͤgte. Waͤre die ſache auch in dieſem ſtande geblieben / wuͤrde es keiner frage beduͤrffen / ſondern die Fraͤulein in voͤlliger freyheit uͤber ſich in dergleichen zu diſponiren ſtehen.

Nach dem es ſich aber nach der ſpecie facti begeben / daß ſolches Fraͤu - lein ſich an einem papiſtiſchen ort auffgehalten / man ſie auch von der Evan - geliſchen religion ab / und zu der papiſtiſchen in ein cloſter ſchaffen wollen / be - meldter Titius aber ſie von der obſchwebenden gefahr errettet / und dadurch die vorige liebe bey derſelben dermaſſen wiederum erwecket und vermehret / daß ſie ſich mit ihm auffs neue und hefftigſte mit theuren eydſchwuͤren ver - lobet / und zu unauffhoͤrlicher ehelicher liebe verbunden hat / ſo gewinnet es wegen dieſes letzten verſpruchs eine gantz andere bewandnuͤß / und getraue ich nicht anders zu ſprechen / als daß ſothane verloͤbnuͤß vor GOtt und dem gewiſſen zufoͤrderſt / zu nechſt aber auch vor der ehrbaren welt und nach den rechten / voͤllig beſtaͤndig ſeye.

Solches zu erkennen / werden folgende momenta zu erwegen ſeyn. Wir ha - ben 1. ſolche perſonen / welche bey dem alter waren / da ſie nicht nur ſich ehelich zu verbinden macht hatten / ſondern ſie auch diejenige jahr erreichet / wo ſie mit reiffer vernunfft / was ſie thaͤten / und ihnen nuͤtzlich oder ſchaͤdlich waͤre / uͤberlegen koͤnnen.

2. Wo nicht von ſeiten Titii, ſo ich nicht weiß / eine hindernuͤß iſt / daß derſelbe noch eltern haͤtte / und dieſelbe mit ihrem diſſenſu ihres ſohns ver - bindnuͤß auff in rechten beſtaͤndige art zernichteten / ſo ſinds abermal perſo - nen / welche ſich guͤltig und beſtaͤndig mit einander zu verknuͤpffen vermocht haben: indem dieſe Fraͤulein nach dem tode ihrer eltern in ihrer eignen ge - walt ſtunde / und alſo ohne anderer einrede ihre treue jemand zuſagen konte. 3. Hat auch dieſe verloͤbnuͤß von beyden ſeiten eine ehrliche urſach / nemlich Titii treue und der Fraͤulein danckbarkeit gegen denjenigen / welcher ſie aus augenſcheinlicher leibes und ſeelen gefahr errettet / daher ſie nicht ohne grund dieſe begebnuͤß als einen finger GOttes anſehen koͤnnen / welcher ſie auff dieſen Titium wieſe / daß ſolcher die perſon waͤre / mit dero ſie ihr leben inC c c c 3ſei -574Das vierdte Capitel. ſeiner furcht zuzubringen haͤtte / nachdem er als die erſte liebe auſſer ſeiner ordnung geweſen / und wiederum zergangen / es alſo gefuͤget / daß ſie billige urſach bekaͤme / ihn nun mit mehrerm recht zu lieben / und ihm ihre perſon zu - zueignen / zu welcher errettung ihn GOtt zu einem werckzeug gemachet hatte. So viel wichtiger alſo die urſach war / welche die Fraͤulein zu erneuerung ih - rer liebe bewogen / und welche bey GOtt und menſchen favor hat / ſo viel we - niger iſt auch an der verbindlichkeit zu zweiffeln / ja iſt gar zu erkennen / daß ſolches promiſſum nicht nur ratum und guͤltig / ſondern auch rectum, und goͤttlichem willen allerdings gemaͤß ſeye. 4. Was die form der verlobung anlangt / mangelts auch an derſelben nicht / ſondern es war eine zuſage un - auffloͤßlicher ehelicher liebe von beyden ſeiten. Und zwahr 5. mit hefftigen und verbindlichen eydſchwuͤren beſtaͤrcket. Daher ſo viel weniger eines un - ter denſelben weiter ſich die ſache reuen zu laſſen / oder davon abzuſpringen befugt iſt. Vielmehr / welches davon zuruͤck gehen wolte / wuͤrde damit ei - nen ſchwehren meineyd begehen / den nahmen GOttes unnuͤtzlich fuͤhren / und ſich damit der ſchwehren goͤttlichen ſtraffe ſchuldig machen 2. Moſ. 20 / 7. So lautetes nachtruͤcklich 4. Moſ. 30 / 2. 3. das iſts / das der HErr ge - boten hat / wenn jemand dem HErrn eine geluͤbde thut / oder einen end ſchwehret / daß er ſeine ſeele verbindet / der ſoll ſein wort nicht ſchwaͤchen / ſondern alles (NB.) thun / wie es zu ſeinem munde iſt aus - gangen. Darauff zwahr die fernere verordnungen folgen / wie es mit ei - nem geluͤbd zu halten / ſo von einer perſon gethan wird / welche unter andrer gewalt ſtehet / da dann einem vater / mann und hauß-herrn / die macht gege - ben / der ſeinigen geluͤbde auffzuheben / und dabey zugeſagt wird / daß der HErr einer ſolchen perſon wolle gnaͤdig ſeyn / die an der erfuͤllung des geluͤb - des durch die vorgeſetzte gehindert wird / aber eben damit wird angedeutet / daß der HErr nicht gnaͤdig ſeyn wuͤrde denjenigen / welche die erfuͤllung ih - res geluͤbdes und eydes aus eigner willkuͤhr unterlaſſen / und damit den nah - men des HErrn / den ſie daruͤber gefuͤhret / entheiligen. Alſo ſtehet auch ſon - derlich von den geluͤbden (ſo alſo auff die eydſchwuͤre nicht weniger gehet) 5. Moſ. 23 / 21. u. f. Wann du dem HErrn deinem GOTT ein ge - luͤbde thuſt / ſo ſolt du es nicht verziehen zu halten / dann der HERR dein GOtt wirds von dir fordern / und wird dir ſuͤnde ſeyn. Wann du das geloben unterwegen laͤſſeſt / ſo iſt dirs keine ſuͤnde. Aber was zu deinen lippen ausgegangen iſt / das ſolſt du halten / und darnach thun / wie du dem HERRN deinem GOTT freywillig gelobet haſt / das du mit deinem munde geredet haſt. Wo wir alſo bedencken die ehre der goͤetlichen Majeſtaͤt / welche durch jeden meineyd vor ſo vielen andern ſuͤn - den am unmittelbarſten geſchmaͤhet und gelaͤſtert wird (woruͤber dannGOtt575SECTIO XIII. GOtt auch nicht anders als zu hefftigerem zorn vor andern ſuͤnden gereitzet wird /) ſo werden wir leicht finden / daß wie ſauer uns dasjenige ankommet / was wir mit einem eyd verſprochen haben / wir dennoch verbunden ſeyn / lieber durch des eydes haltung uns in groſſes elend in dieſer welt zu ſtuͤr - tzen oder ſtuͤrtzen zu laſſen / als daß wir den nahmen des groſſen GOTTES mit deſſen brechung zu entheiligen / uns unternehmen wolten. Welches bey uns Chriſten ſo viel eine ausgemachtere ſache ſolle ſeyn / da wir aus goͤttlicher offenbahrung der ſchrifft die hohe Majeſtaͤt GOttes und deſ - ſen willen / deutlicher haben erkennen lernen / nachdem auch die Heyden aus dem liecht der natur / was ſie darinnen von GOtt erkant / die verbindlichkeit der eydſchwuͤre ſcharff gehalten haben. Wie der gelehrte Grotius die ort anfuͤhret de I. B. & P. 2. 13. 1. Es wird daher Pſal. 15 / 4. derjenige allein als ein genoß des reichs GOttes angefuͤhret / Wer ſeinem nechſten ſchweret und haͤlts / ſo nach etlicher erklaͤhrung des grund-texts noch nachtruͤckli - cher lautet / wer da ſchweret zu ſchaden (das iſt / alſo / daß er ſchaden da - von zu erwarten hat) und aͤnderts dennoch nicht. Wie denn derjenige GOtt den HErrn noch nicht recht erkennet / welcher an mehrer beqvemlig - keit dieſes lebens / ſo er durch hindanſetzung des eydes ſuchet / mehr als an der goͤttlichen ehre / die er ſchaͤndet / gelegen zu ſeyn achtet / ja der davor haͤlt / daß einiges ungemach / ſo ihn von wegen haltung des eydes in dieſem leben treffen moͤchte / ſchwerer ſeyn koͤnte / als der feuerbrennende zorn GOTTes / welchen er damit auff ſich ladet. Wer hierauff fleißig acht gibt / wird gern erkennen / daß keine urſach guͤltig gnug ſeyn koͤnne / einen ernſtlich gethanen eyd zu brechen / es waͤre denn ſache / daß derſelbe uͤber etwas geleiſtet wor - den waͤre / welches ſelbs nicht ohne ſuͤnde gehalten werden koͤnte / womit die verbindlichkeit von ſelbſten hinfaͤllet.

Wohl erwogen dieſes angefuͤhrten hoffe ich / werde in dem gewiſſen al - ler / welche allein auf das / was GOttes wort erfordert / ſehen / oder doch ſol - ches allen andern abſichten / wie es auch ſeyn ſolle / vorziehen / gnugſam erhel - len / daß das eheverloͤbnuͤß zwiſchen Titio und dem fraͤulein ſo buͤndig / daß weder ſie beyderſeits ſelbs ſich deſſen wiedrum einigerley maſſen befreyen / und einander freywillig loßgeben koͤnnen / noch jemand anders dazu helffen doͤrffte / er wolte dann auch auff ſich den ſchwehren zorn GOttes / welcher den meineyd trohet / durch gemeinſchafft ſolcher ſuͤnde ziehen.

Dieſer verbindlichkeit will zwahr zweyerley in der facti ſpecie entgegen geſetzet werden / ſo aber die krafft nicht hat / dieſelbe zu vernichten. Das er - ſte iſt / daß diejenige verheiſſungen / welche eine verbindlichkeit wuͤrcken ſollen / goͤttlichem wort / loͤblichen geſetzen und guten ſitten nicht muͤſſen ent - gegen ſeyn.

Das576Das vierdte Capitel.

Das 2. iſt / daß ein ſolcher eyd / welcher ohne ſuͤnde und offentliche aͤr - gernuͤß nicht kan gehalten werden / nicht zu halten: maſſen zwahr eine ſuͤn - de iſt / eine ſuͤndliche that eydlich zu verheiſſen / jedoch eine groͤſſere ſuͤnde iſt / in ſolchem verſprechen zu verharren / und die angefangene mißhandlung zu voilziehen. Dieſe beyde regeln nehme ich gern an / und bekenne / wo unſer fall unter dieſelbe gezogen werden koͤnte / daß ich auch die verbindlichkeit leugnen wolte / aber es iſt mit keinem wort gewieſen. Kan auch vermuth - lich nicht dargethan werden / daß dieſe verloͤbnuͤß goͤttlichem wort / loͤblichen geſetzen und guten ſitten entgegen ſeye / oder ohne ſuͤnde und oͤffentliche aͤr - gernuͤß nicht koͤnte gehalten werden. Denn es wird die urſach hergenom - men / entweder von der ungleichheit der perſonen / oder widerſpruch der vor - nehmen anverwandten / oder ſorge / daß dieſe ſich an Titio vergreiffen moͤch - ten / oder von der clandeſtinitaͤt der verloͤbnuͤß: Wie ich denn meines orts keine andere hindernuͤß ausdencken koͤnte. Keine aber der angefuͤhrten iſt alhier zulaͤnglich. 1. Die ungleichheit der perſonen / was dero ſtand betrifft / iſt keine hindernuͤß der ehe weder nach goͤttlichem / noch geiſtlichen / noch oͤf - fentlichen gemeinen weltlichen rechten: ſondern ob man wol / wo die ſache noch zu thun / billich lieber dazu raͤth / daß man ſo viel muͤglich auch in dem ſtand gleich heyrathen ſolle / damit nicht die ungleichheit des ſtandes in der ehe zuweilen einige beſchwehrde und mißhelligkeiten verurſachen moͤchte: So iſt doch ſolche ungleichheit nicht von der wichtigkeit / daß deßwegen ein ſon - ſten zu recht beſtaͤndiges verloͤbnuͤß koͤnte auffgeloͤſet werden. Alſo iſt bey den Conſiſtorien ſolches ausgemachten rechtens / daß obwol adeliche billich ſich der buͤrgerlichen heyrathen um allerley ungelegenheit willen enthalten ſolten / ihnen gleichwol ſolche macht nicht abgeſprochen / oder ein verſpruch deßwegen unbuͤndig geachtet wird. Wie zu ſehen Carpz. Jurispr. Conſiſt. II, 1. 9. & 10. So gar / daß auch das Conſiſtorium zu Wittenberg bey Dedek. Conſil. Vol. 3. S. 4. n. 37. p. 167. einer mutter einer adelichen wittbe / ſo zu de - roſelben verloͤbnuͤß mit einem handwercksmann ihren conſens bloß uͤm ſol - cher ungleichheit willen nicht geben wolte / widerſpruch von keinen kraͤfften zu ſeyn erkante. Es moͤgen aber unter den Adelichen auch hoͤhere Standes - perſonen billich mit begriffen werden / und iſt von deroſelben heyrath mit an - dern geringeren nicht anders nach den geſetzen zu urtheilen. Findet ſich al - ſo hierinne nichts wider GOttes wort / wider loͤbliche geſetze oder gute ſitten. Sondern alles was man ſagen moͤchte / wuͤrde ſeyn / daß ſolcherley verloͤbnuͤſ - ſen etwas ſeltzamer ſeyn / und deßwegen allerley auffſehen und reden verur - ſachen: Welches aber zu der ſache nicht vieles thut. So mangelts auch zu unſeren zeiten an dergleichen exempeln nicht / nicht nur aus dem Ritterſtand /ſo577SECTIO XIII. ſo ſich an buͤrgerliche / ja gar von der geringſten condition, verheyrathet ha - ben / ohne daß jemand ſolches zu hindern fug gehabt / ſondern auch nicht we - niger von graͤfflichen perſonen. Mir ſind ſelbs dem nahmen nach noch heut zu tag bekant zwey exempel aus alten graͤfflichen haͤuſern / da eine graͤffliche Fraͤulein von Wied / ob wol wie mir erzehlet worden / durch eine art einer entfuͤhrung einen buͤrgerlichen geheyrathet / ſonderlich aber die geweſte Fraͤu - lein Charlotte von Falckenſtein Broich / des letzten Graffen tochter / de - ro beyde ſchweſtern an Graffen von Leiningen geheyrathet geweſen / und ſie von jugend auff die reputation einer gottſeeligen und ohnſtraͤfflichen perſon gehabt / ſich an einen reformirten prediger vermaͤhlet. Jetzo nach andern nicht zu forſchen / daran ſonſten es etwa nicht mangeln wuͤrde. Ja wir fin - den / da ſonſten bey den heyrathen der Fuͤrſten und Graffen / wann ſie buͤr - gerſtands toͤchter heyrathen wolten / mehr bedenckens ſeyn moͤchte / weil ob ihren alſo erzeugten kindern zwahr die ſucceſſion gebuͤhret / gleichwol daruͤ - ber offt mißliche und gefaͤhrliche ſtreitigkeiten / die man lieber zu verhuͤten hat / entſtehen koͤnnen / daß dennoch auch ſolche heyrathen nach den rechten nicht verworffen werden: Wie der Wirtenbergiſche ICtus Nicol. Mylerus ab Ehrenbach Gamol. perſ. Illuſtr. c. 5. §. 51. p. 137. ſolches darthut / und er - weiſet es nicht nur aus jure civili, ſondern vornehmlich Canonico, deme man in den eheſachen gemeiniglich zu folgen pfleget / durch den text cap. recurrat. 2. cauſ. 32. q. 4. quod licitum ſit nobili aliive illuſtri viro, quamlibet igno - bilem, imo etiam vilem uxorem ducere: Welches er auch noch ferner mit guten rationibus beſtaͤrcket. So nun nicht einmal die heyrathen eines Graf - fen oder hohen ſtandes perſon mit einer buͤrgerlichen ehrlichen tochter / nicht zu ſagen von goͤttlichem wort / den loͤblichen geſetzen und guten ſitten nicht zu wider zu lauffen gehalten werden / von welchen man wegen gedachter ſtrei - tigkeiten in der ſucceſſion noch eher ſolches vermuthen moͤgen / ſo kan ſo viel weniger die heyrath einer herrn-ſtands Fraͤulein mit einem buͤrgerlichen ſtandesmann vor unzulaͤßg oder verboten geachtet werden.

Was 2. anlangt den widerſpruch der nahen anverwandten / welcher zwahr wohl vermuthlich iſt / verurſachet gleich wol derſelbe auch nicht / daß eine ſolche heyrath deßwegen den goͤttlichen oder auch gemeinen rechten und guten ſitten widrig ſolte gehalten werden. Denn wo nicht einmal der diſ - ſenſus der vormuͤnde mag ein richtiges eheverloͤbnuͤß zu nicht machen / wie a - bermal Carpzov. Jurisprud. Conſiſt. 2. 3. 46. erweiſet: Vielweniger mag das mißfallen andrer anverwandten / ſo nicht vormuͤnder ſind / noch alſo - ber der Fraͤulein freyheit macht haben / den an ſich guͤltigen verſpruch zernich - ten / noch wuͤrde bey ordentlichem gericht daſſelbe attendiret werden. WieD d d ddenn578Das vierdte Capitel. denn noch erſt 1679. bey hieſigem Churfuͤrſtl. S. Ober-Conſiſtorio nachdem ſich Fraͤulein Eva Suſanna / Herrn Wolffgang Heinrich Herrn von Schoͤnburg / und Fr. Judith Even / Graͤffin Reußin tochter / ſich an Gottfried Chriſtian Lieben / buͤrgerlichen ſtandes verſprochen / und deroſelben bruder Herr Samuel Heinrich ſolcher verehlichung ſich widerſetzte / ohnerachtet deſſen widerſpruchs den 27. Aug. der verſpruch be - kraͤfftiget / und durch prieſterl. Copulation beſtaͤtiget zuwerden verordnet worden. Eben ſo wenig mag 3. dargegen angefuͤhret werden die ſorge und gefahr von den hohen anverwandten / welche Titius daruͤber auszuſtehen haͤtte. Denn wie dieſe keine rechtmaͤßige urſach haben / ſich deßwegen an denſelben zu machen / oder ſich an ihm zu vergreiffen / ſondern ſolches wider rechtliche anmaſſungen ſeyn wuͤrden / ſo ſind ſolche ſo viel nicht zu achten / daß man deßwegen einen vor GOtt guͤltigen verſpruch zuruͤckziehen doͤrffte / vielweniger machen ſie / daß dieſer als goͤttlichem wort / guten geſetzen und ſitten widrig angeſehen werden muͤßte. Alſo hat Titius in dem vertrauen ſeiner guten ſache ſolche gefahr nicht alſo zu ſcheuen / daß er deßwegen ſein recht fahren lieſſe / ſondern ſich deſſen zugebrauchen / und dabey ſich und ſeine ſache GOttes ſchutz zu empfehlen: Dabey ihm auch unverwehrt ſeyn wuͤr - de / da ers nothwendig finden ſolte / ſich hoͤhern orts um noͤthige protection umzuthun / welche ihm die hoͤchſte Juſtiz wider unrecht und gewalt nicht ab - zu ſchlagen vermag. Jch hoffe aber / es werde auch alle ſolche ſorge verge - bens ſeyn / und vielmehr die hohe anverwandte / wann ſie das werck in der forcht des HErrn reifflicher uͤberlegen / ſich eines gantz andern beſcheiden / und ob ſie es zu befoͤrdern bedenckens tragen / auffs wenigſte ſich keinerley maſſen an ihm vergreiffen: wie ſie ſolches auch vor GOTT und der welt ſchuldig ſind.

Die ſchwehrſte hindernuͤß moͤchte ſcheinen die 4. nemlich die clandeſti - nitaͤt / weil nemlich es allein ein heimlich verloͤbnuͤß ſeye / da hingegen die wuͤrde der ehe zu erfordern ſcheinet / und auch nach der regel erfordert / daß ſolches wichtige werck eine ſtifftung der ehe nicht heimlich ſondern zur ehren deſſen heiligkeit tractiret und angefangen werde. Daher auch in unſern Saͤchſiſchen Kirchen-ordnungen ſolche heimliche verloͤbnuͤſſen vor unbuͤndig erkant werden. Wovonabermal Carpzov. Jurispr. Conſiſt. 2, 3, 32. und folg. handelt / auch taͤglich bey begebenden faͤllen / alſo darauff geſprochen zu wer - den pfleget. Jch finde aber auch dieſe hindernuͤß nicht der wichtigkeit / was ich oben von der guͤltigkeit des verſpruchs angefuͤhret habe / umzuſtoßen. Zwahr iſt freylich eine art der heimlichen verloͤbnuͤſſen / welche wider Gottes wort / ge - meine geſetze und gute ſitten ſtreiten / nehmlich wo der elterliche conſenſus er - mangelt: Davon unſer liebe Luther[o]von eheſachen T. 5. Alt. f. 372. b. alſo redet:Jch579SECTIO XIII. Jch heiſſe das heimliche verloͤbnuͤß / das da geſchihet hinter wiſſen und willen derjenigen / ſo die oberhand haben / und die ehe zu ſtiſſten recht und macht haben / als vater / mutter / und was an ihrer ſtatt ſeyn mag. Denn ob gleich tauſend zeugen bey einem heimlichen verloͤbnuͤß waͤ - ren / ſo es doch hinter wiſſen und willen der eltern geſchehe / ſollen ſie alle tauſend nur fuͤr einen mund gerechnet ſeyn / als die ohne zuthun ordentlicher und offentlicher macht ſolches meuchlings und im finſtern helffen anfahen / und nicht im liecht handeln. Dieſer fehler war nun freylich an Titii erſter verloͤbnuͤß / welcher ich auch deswegen oben die buͤn - digkeit ſelbs abgeſprochen habe. Dergleichen aber moͤgen wir von der an - dern verloͤbnuͤß / ſo erſt nach der eltern todt erfolget iſt / nicht ſagen / weil da - mal die Fraͤulein nunmehr ihrer eigenen gewalt geweſen. Was aber die bloſſe eigentliche clandeſtinitaͤt anlangt / ſo darinnen beſtehet / wann zwo per - ſonen / ſo beyde ihrer ſelbs maͤchtig ſind / ſich ohne beyſeyn anderer zeugen mit einander heimlich verloben / welche bewandnuͤß es mit gegenwaͤrtigem fall hat / ſo iſt dieſelbe keine ſolche hindernuͤß / die aus goͤttlichen oder allgemeinen rechten herkaͤme / ſondern wo ein eheverloͤbnuͤß deswegen vernichtet werden ſolle / muß es krafft der abſonderlichen kirchen-conſtitution und geſetze geſche - hen: und alſo die perſonen ſolcher ſondern kirchen-ordnung unterworffen ſeyn. Da ich aber nicht weiß / auch ſchwehrlich vermuthe / daß Titius und die Fraͤulein an unſrer Saͤchſiſchen oder dergleichen kirchen-ordnung / worin - nen dergleichen verloͤbnuͤſſen vor unbuͤndig erkant werden / verbunden ſeyen. Jch wolte anbey ſehr zweiffeln / ob leicht einiges Conſiſtorium dergleichen heimliche verloͤbnuͤß / ſo mit eyd beſtaͤrcket worden / um der clandeſtinitaͤt willen wieder auffheben wuͤrde / indem die heiligkeit des eydes billich vor - tringet / der ſonſten ob wol aus billigen und wichtigen urſachen gemachten verordnung / daß nothwendig zeugen erfordert werden. Denn was anlangt diejenige verſpruͤche / ſo wider der noch lebenden eltern willen geſchehen / daß dieſelbe / ob ſie auch mit eyd bekraͤfftiget ſind / caſſirt und unbuͤndig erklaͤhrt werden / wie bey Carpz. Jurisprud. Conſiſt. 2, 3, 58. zu ſehen / kommt aus der beſondern urſach her / weil ſie wider die von GOtt ſelbs bekraͤfftigte autori - taͤt der eltern ſtreiten / daher ohne krafft ſind / welches wir eben nicht ſo wol ſagen moͤgen von denen eyden / welche bey einem ſolchen actu geſchehen / denn es nur an einiger formalitaͤt und ſolennitaͤt / nemlich der zeugen / manglet / und der ſonſten in ſeiner natur richtig iſt.

Hieraus hoffe klahr zu erhellen / daß einmal das verloͤbnuͤß Titii mit der Fraͤulein vor GOtt und der rechtliebenden welt guͤltig und buͤndig zu er - kennen ſeye / nachdem was ſolcher guͤltigkeit einigerley maſſen haͤtte moͤgenD d d d 2ſchei -580Das vierdte Capitel. ſcheinen entgegen zu ſtehen / hoffentlich zur gnuͤge wird abgeleinet ſeyn. Vor - ausgeſetzt nun deſſen wende ich mich zu der frage ſelbs / welche aber nun gantz leicht ihre abhelffliche maaß finden wird. Es ſtecket aber wiederum in derſel - ben zweyerley: 1. Ob die Fraͤulein die vollziehung der ehe Titio verſagen koͤnne / oder ihr gewiſſen damit rette / wenn ſie ſich anderer heyrath enthaͤlt. Hierauff getraue getroſt mit nein zu antworten. Es folget aber ſolches aus dem verſpruch an und vor ſich ſelbs. Denn weil es geheiſſen / daß ſie ſich Titio zu unauffloͤßlicher ehelicher liebe verbunden / und ſolches verbuͤndnuͤß mit hefftigen eydſchwuͤren bekraͤfftiget hat / ſo muß ſolches cum effectu ver - ſtanden werden / nemlich wahrhafftig in einen ſolchen bund mit ihm einzutre - ten / da er in ſeinem gantzen leben nicht nur ſich ihrer abweſenden gunſt als ei - ner andern freundin getroͤſten / ſondern wahrhafftig ihrer treue und ehelicher liebe genieſſen koͤnte. Denn ſonſten / wo ſolche meinung nicht geweſen / ſie den - ſelben ludificiret haben muͤfte / ſo in einer ſolchen wichtigen ſache und bey ei - nem eydſchwur ſich auch nicht vermuthen laͤſſet. Wie dann nun / wenn ſon - ſten ſich eine mit einem mann verlobet / ſie das verloͤbnuͤß zur wircklichen voll - ziehung der ehe gelangen laſſen muß / auch zu dero erfolg nichts weiter erfor - dert wird / als daß es nur mit dem verloͤbnuͤß ſelbs richtig ſeye / daher ſie / wo ſie ſich wegert / und immer auffſchub nehmen wolte / auch deswegen durch o - brigkeitlichen zwang zu erfuͤllung deſſen / was der verloͤbnuͤß eigenlicher zweck iſt / genoͤthigt werden mag / alſo muß dieſe Fraͤulein auch dieſes mal / wo nie - mand anders ſie noͤthiget / ihr eigen gewiſſen dahin treiben / daß ſie ihren worten / als viel an ihr iſt / voͤllige krafft gebe. Thaͤte ſie aber ſolches nicht / ſo muß ſie gewiß ſeyn / daß ſie vor GOtt ihren eyd breche / und deſſen ſchweh - re ungnad auff ſich lade / davon ſie ſich auch nicht anders als mit wahrer buß loßmachen kan / welche aber nothwendig die abſtellung ihrer ſuͤnde / und alſo die erfuͤllung ihrer ſchuldigen pflicht nach ſich ziehen muß.

2. Was aber den ſpecial-umſtand anlangt / ob ſie ihm die heimliche nachfolge ſchuldig ſeye / ſo moͤchte darauff alſo geantwortet werden / ſie ſeye ihm alles dasjenige ſchuldig / ohne welches die vollſtreckung der ehe nicht ge - ſchehen kan / denn ſo weit gehet die verbuͤndnuͤß / die mit nachtruck zu verſte - hen iſt. Wann dann nun die ehe vollzogen werden kan an dem ort / wo ſie ſich itzt auffhaͤlt / oder an einem benachbarten ort / ſo bedarff es keiner heimlichen nachfolge: und iſt nicht eben ſo gegruͤndet / was ſie ſich eingebildet / ob wuͤr - den ſie nirgend in Teutſchland mit gewoͤhnlichen ceremonien koͤnnen getrau - et / oder als eheleuten beyſammen zu leben verſtattet werden: indem durch GOTTES gnade es in Teutſchland noch nicht ſo weit gekommen / daß an - verwandte einem / dem ſie eine ihres geſchlechts nicht eben goͤnnen wolten /ſol -581SECTIO XIII. ſolten die vollziehung ſeines rechten und wohnung aller orten in dem Reich verwehren koͤnnen / ob ſie wol dergleichen in ihren eignen gebieten nicht zulaſ - ſen wolten. Wann es aber je auch dazu kaͤme / daß ſie nicht auff andre weiſe - zuſam̃en kommen koͤnten / als durch eine der Fraͤulein heimliche nachfolge und flucht / wuͤrde ſie eben ſo wol dazu gehalten ſeyn / eines theils / weil dieſes die allgemeine krafft des verſpruchs iſt / daß ſie denſelben zu erfuͤllen alles thun muß / was in ihren kraͤfften ſtehet / und ſonſten nicht wider GOtt und die ehr - barkeit ſtreitet: darunter wir denn ſolche nachfolge / da ſie wegen anderer un - billiger widerſetzung um ihr gewiſſen zu retten dazu genoͤthiget wuͤrde / ſo we - nig zu zehlen haͤtten / als wenig wir eine heimliche flucht aus einer gefahr / de - ro man ſonſten nicht entgehen koͤnte / vor unehrbar achten wuͤrden: andern theils iſt aus der facti ſpecie auch noch zu mercken / daß die Fraͤulein ſelbs / die difficultaͤten der vollſtreckung ſehende / in eine ſolche heimliche nachfolge bereits gewilliget / und ſich alſo deutlich zu demjenigen verſtanden / was der krafft nach ſchon ohne das in dem allgemeinen verſpruch ſtack: nur daß die austruͤckliche einwilligung ihr deſtoweniger ausflucht laͤſſet / ſich deſſen zu entbrechen / was ſie auch abſonderlich zugeſaget hatte.

Die andere Frage.

  • Ob nicht Titius, im fall er die eheliche beywohnung annoch verlan - get / gehalten ſeye / bey des Fraͤuleins nahen anverwandten zu ſuchen / daß ihr moͤchte vergoͤnnet werden / demſelben in frem - de lande nachzufolgen / und daſelbs das ehe-verloͤbnuͤß zu voll - ziehen?

ZU dieſer frage reſolution iſt zu wiederholen / was bey der vorigen vorge - kommen / daß nemlich die anverwandte anzuſehen / als ſolche an dero ein - willigung oder verweigerung die guͤltigkeit des heyraths nicht haͤnget / nach - dem die Fraͤulein eine perſon iſt / welche ihrer ſelbs maͤchtig iſt. Jndeſſen will der wolſtand und vermeidung fernern boͤſen ſcheins erfordern / daß ſie gleich - wol auch auf ziemliche art erſuchet werden / dasjenige / was deroſelben ange - hoͤrige verbindlich zugeſagt / auch mit dero williger einſtimmung zu bekraͤffti - gen. Wo aber zu foͤrchten ſeyn moͤchte / da gleichwol ihnen beſſers zutrauen will / daß ſie mit zuruͤckhaltung der Fraͤulein die ſache zu hintertreiben ſich un - terſtehen moͤchten / laſſe mir den ſelbs in den bey dieſer frag angefuͤgten ra - tionibus dubitandi gethanen vorſchlag nicht mißfallen (wenn es heiſt: Jn dieſem und dergleichen caſu iſt nicht ungewoͤhnlich / daß eine per - ſon weiblichen geſchlechts ſich an einen andern ort / allwo ſie honeft und ohne gefahr leben kan / begebe m. f. w.) nemlich / daß die Fraͤnlein /D d d d 3wenn582Das vierdte Capitel. wenn Titius die ſache ihren hohen anverwandten anbringen will / dabey ſie dergleichen auch zu thun / und die urſachen / warum ſie die verloͤbnuͤß gethan / und was ſie ſolche zu vollziehen antreibe / auch weßwegen ſie ſo lange ſolches geheim zu halten bey ſich noͤthig befunden / beſcheidenlich vorzuſtellen / und deſſen / wozu ſie die noth jetzo gebracht / vergebung zu bitten hat / ſich an einen andern ſichern ort begebe / und daſelbs ſo wol ſie als Titius einige zeit einer antwort erwarte. Jedoch hielte ich nicht noͤthig / was ferner in dem vor - ſchlag folget / daß er ſich erſt bey der hohen Obrigkeit ſolcher verwandten zum recht anbiete / als der nichts erſt mit recht von ihnen zu ſuchen hat / ſondern ſich vornimmet dasjenige / dazu er allerdings befugt zu ſeyn ſich ver ſichert haͤlt / ins werck zu richten / da denn gnug iſt bereit zu ſeyn / wo man anderſeits daruͤ - ber angefochten werden ſolte / zu recht zu ſtehen. Auf ſolche gethane anſu - chung folgt nun entweder eine antwort oder nicht. Folget keine inner einer ſolchen zeit / welche nach vernuͤnfftigem ermeſſen zur erwartung gnug gewe - ſen / ſo wird ſolches ſtillſchweigen billich alſo angenommen / daß zum wenigſten die anverwandte ſich dawider zu regen nicht geſonnen / welches ſo wol / als da ſie ihren conſens einſchicken / Titio und der Fraͤulein dazu gnug ſeyn kan / ihre intention zu bewerckſtelligen. Solte aber eine widrige antwort folgen / und ſie die ſache bloß dahin zerriſſen haben wollen / und deßwegen an die hoͤhere Obrigkeit provociren / ſo hat alsdann Titius ſeine rechtmaͤßige ſache zu trei - ben / und den ausgang zu erwarten. Wiewol dieſer letztere fall nicht wol zu vermuthen / ſondern eher zu gedencken iſt / daß die anverwandten keine ant - wort geben werden / nicht nur / weil ſie hoffentlich ſelbs in ihrem gewiſſen der guͤltigkeit der verloͤbnuͤß ſich nach eingenommenen allen umſtaͤnden uͤberzeugt befinden / und alſo daſſelbe nicht werden mit verhindernuͤß und trennung deſ - ſen / was nunmehr goͤttliche ordnung beyſammen haben will / verletzen wollen / ſondern weil ſie vernuͤnfftig ſelbs ſehen koͤnnen / daß ihre widerſetzung bey ei - nem gerechten gericht nichts ausrichten / oder etwas erhalten werde. Jn welchem fall man lieber eine ſache in der ſtille geſchehen laͤſſet / als ſie durch vergebens beſtreiten nur deſto kundbarer macht / und zu allerley reden urſach gibet. Jch bekenne aber / daß hierinnen ein chriſtlicher Juriſt / welcher / was die art der proceſſe erfordert / verſtehet / kluͤglicher als von mir geſchehen / zu ra - then vermoͤgen wird. Dieſes bemercke allein noch / daß ich geſtehe / was auch in der ratione dubitandi ſtehet / daß jeder und alſo auch Titius, da er ihm eine zuſage will gehalten wiſſen / an ſeiner ſeite dahin trachten muß / daß ſolche voll - ziehung derſelben ohne ſuͤnde und aͤrgernuͤß geſchehen moͤge. Es iſt aber in dem von mir einfaͤltig gethanen vorſchlag nichts ſuͤndliches noch aͤrgerliches / man wolte denn dasjenige vor aͤrgerlich halten / woruͤber leute unterſchiedli - che urtheil faͤllen: So aber von dem / welcher ſich ſeines rechtens braucht / nuraber583SECTIO XIII. aber / wegen rechtmaͤßiger forcht nicht bloß den gemeinen weg gehen darff / kein gegebenes / ſondern auffs hoͤchſte / nur ein genommenes aͤrgernuͤß ſeyn wuͤrde. Was zuletzt angehenget wird / wo einer dasjenige / ohne welches die verheiſſung nicht erfuͤllet werden kan / ſich zu thun wegert / daß alsdenn der verſprecher von ſeinem geloͤbnuͤß frey werde / laͤſſet man auch in ſeiner maaß gelten. Wo aber in der application es dahin wolte gezogen werden / wenn Titius es nicht gerade auf vorgeſchriebene weiſe ſuchte / oder erhielte / daß deß - wegen die Fraͤulein gantz ihres geloͤbnuͤſſes frey werden koͤnte / waͤre ſolches mißbrauchet: Dann der verſpruch iſt nicht geſchehen mit gewiſſer condition, wo Titius die nahe anverwandte zu williger uͤberlaſſung diſponiren wuͤrde / ſondern es iſt ein bloſſer verſpruch einer perſon / die ſich ſelbs zu verbinden macht hatte: Ja ſolte ſie auch mit gewalt hinterhalten werden / und ſie Titius nicht loßmachen koͤnnen / bliebe ſie doch immerfort in ihrer obligation, davon ſie nicht anders loß werden kan / es wuͤrde dann Titius ſelbs an ihr bruͤchig.

Die dritte Frage.

  • Jm fall Titius ſolches zu thun ſich wegern / oder der Fraͤulein an - verwandte (ohngeachtet dieſelbe dero vormuͤnder nicht wor - den) ſolche heyrath nicht einwilligen wolten / und ſo dann der Titius ſich in ungluͤck ſtuͤrtzen wuͤrde / ob ſolches dem Fraͤulein beygelegt werden koͤnne / und ſie darob urſach habe / ſich im ge - wiſſen zu beaͤngſtigen?

HJezu wird / um dieſelbe zu verneinen / angefuͤhret: Es iſt wol an dem / daß bemeldtes Fraͤulein nicht auſſer aller ſchuld ſeye / daß ſie in des Titii un - beſonnene liebe gehaͤhlet / und die heimliche liebe viele jahr continuirt gehabt / ſo verdienet doch die gewoͤhnliche weibliche ſchwachheit ein mitleiden / und kan keiner zu etwas genoͤthiget werden / das er ohne leib - und ſeelen-gefahr nicht leiſten kan: Zumalen wenn eine verlobte perſon ſich gegen die andre erbietet / die verſprochene ehe zu vollziehen / wann die andre perſon / welche die vollzie - hung verlanget / es dahin bringen kan / daß die ehe-vollziehung nach goͤttlichen und weltlichen rechten verrichtet werde.

Weil nun auf dieſe frage auch antworten ſolle / kan ich mich durch das angefuͤhrte noch nicht bewegen laſſen / daß ich die Fraͤulein von der ſchuld loß - zehlen koͤnte. Titius hat zwahr auf bey q. 2. gedachte art die anverwandte an - zugehen / und zu trachten / ob er ſie zu gutwilliger uͤberlaſſung deſſen / was von GOttes wegen nunmehr ſein iſt / diſponiren koͤnne: Es hat aber auch die Fraͤulein alles mit beyzutragen / daß ſie ihren verſpruch halten moͤge / und alſo willig ſich an einen andern ſichern ort vorher zu verfuͤgen / da ſie von den ihri -gen584Das vierdte Capitel. gen nicht gewaltſam abgehalten werden moͤge. Es erfolge aber nachmalen der anverwandten einwilligung oder nicht / weil ſolche dem ehe-verſpruch nicht ſeine verbindlichkeit erſt gibet / ſondern allein zu deſſen mehrern wolſtand zu verlangen iſt / wird ſie damit ihrer zuſage und eydes nicht frey: Sondern wie dorten 1. Moſ. 2. der mann vater und mutter verlaſſen wird / und an dem weib hangen / ſo muß ſie / ob ſie wol noch nicht durch Predigers hand Titio eingelieffert worden / dannoch bereits ſich in GOttes nahmen demſelbi - gen verſprochen hat / auch ihre anverwandte laſſen / und an dem verlobten hangen / daher auch einigen unwillen und ungemach uͤber ſich ergehen laſſen. Wo dann von denſelben ihre ehe auch ohne erhaltenen conſens der angehoͤri - gen vollzogen wuͤrde / kan man nicht anders ſagen / als wo man vergebens ge - than / was die gemuͤther zur billichkeit zu lencken erfordert geweſen / daß die ehe nach goͤttlich und weltlichen rechten / welche eine freye perſon an die anver - wandte ſo ſtrenge nicht verbinden / vollzogen worden ſeye.

Wann dann nun die Fraͤulein auf alle muͤgliche unſuͤndliche weiſe zu der vollziehung der ehe mitzuwircken / und was ſie vor ungleiche urtheil derer / ſo der ſachen wahren grund nicht recht einſehen / daruͤber leiden muͤſte / dieſe ih - rem gewiſſen / ſo ſie von GOttes wegen aufden verſpruch weiſet / nachzuſetzen verbunden iſt / ſo folget ſelbs / wo daruͤber Titius ſich in einiges ungluͤck ſtuͤr - tzen / und ſich wider ſein gewiſſen zu thun verleiten laſſen wuͤrde / daß ſolches auf der Fraͤulein verantwortung vor GOTT fallen / und ſie dadurch ihr ge - wiſſen dermaſſen verletzen wuͤrde / daß ich nicht verſprechen koͤnte / wie leicht daſſelbe ſich wiederum ſtillen laſſen moͤchte. Der grund dieſes aus ſpruchs iſt feſt / weil ſie durch unterlaſſung deſſen / wozu ſie ihre ſchuldigkeit und ihr ge - loͤbnuͤß verbunden haͤtte / ſolches ungluͤck veranlaſſet / und zwahr alſo veran - laſſet / daß ſie vorher verwarnet worden / wie dergleichen leicht geſchehen moͤch - te: Welche verwarnung dann freylich auch ihr gewiſſen ſo viel hefftiger tru - cken / und weniger entſchuldigung zugeben wuͤrde. Daher ſolche gefahr / ſo lieb die ſeelen-ruhe iſt / zu vermeiden ſtehet.

Die vierdte Frage.

  • Ob das Fraͤulein bey lebzeiten des Titii, und ſo lange er unvereh - licht bleibet / ihre meinung aͤndern / und ſich ſtandmaͤßig verhey - rathen koͤnne?

HJezu wird beygefuͤgt um ſolche frage zu bejahen / es ſeye zu erwegen / ob die geſchehene heimliche verlobung nach allen ihren umſtaͤnden zurecht beſtaͤndig / indem ſolche heimlichen geſchehen / und gleichſam auf eine entfuͤh - rung angeſehen / und ob die verheiſſung ſtets erhaltender iungfrauſchafft zurecht585SECTIO XIII. recht beſtaͤndig ſeye / zumalen wenn eine perſon weiblichen geſchlechts noch jung / und nicht aus wanckelmuth / ſondern aus wichtigen urſachen / denjeni - gen / welchen ihre ſeele liebet / verlaſſen muß.

Ob nun wol dieſes jetzt angefuͤhrte moͤchte einen ſchein haben / verſehe ich mich doch / daß aus dem ſonderlich quæſt. 1. mit mehrerm erwogenen gnug - ſam erhelle / wie gewiſſenhafft nicht anders als mit nein auf die frage zu ant - worten ſeye.

  • 1. Jſt oben die richtigkeit der verlobung hoffenlich zur gnuͤge darge - than.
  • 2. Hingegen iſt auch gewieſen / daß die prætendirte clandeſtinitaͤt keine hindernuͤß nicht ſeye bey einer eigenmaͤchtigen perſon / ſonderlich wo das ver - loͤbnuͤß mit einem eyd bekraͤfftiget iſt / ſo die Fraͤulein verbindet / wo etwas an ſolchem mangel gelegen ſeyn ſolte / bey zeugen ihr verſprechen zu wiederholen / und damit ſolch vermeintes hindernuͤß auffzuheben.
  • 3. Ob die weiſe einer entfuͤhrung aͤhnlich ſcheinet / iſt es dennoch nicht wahrhafftig eine ſolche / indem ſie nicht nur nicht geſchihet wider willen der perſon ſelbs / ſondern auch nicht wider den willen jemand anders / welcher ein wahrhafftiges recht uͤber die Fraͤulein haͤtte / deroſelben freyheit ſich nach be - lieben zu heyrathen einzuſchrencken.
  • 4. Nachdem die verlobung in ihren umſtaͤnden nach goͤttlichen und weltlichen gemeinen rechten ihre richtigkeit hat / ſtehet der Fraͤulein durchaus nicht frey / ihr gemuͤth zu aͤndern / oder ſich anders zu verheyrathen: ſondern wo ſie ſich ſolches unternehmen wolte / beginge ſie einen ehebruch und mein - eyd / zoͤge auff ſich GOttes ſchrecklichen zorn / ja ſo lange ſie auch in ſolchem unzulaͤßigem heyrath lebte / und Titius ſie alsdann nicht ſelbs wegen ihrer untreu loßgebe / bliebe ſie immerfort eine ehebrecherin und meineydige / daher unbußfertig / und ſtuͤrtzte ſich alſo in das ewige verderben: Diejenige auch / welche ſie dahin verleiteten / oder welche dazu huͤlffen / ſonderlich aber die per - ſon / welche dieſelbe wiſſentlich dieſer vorigen verbindung heyrathete / mach - ten ſich aller ſolcher ſuͤnden zu ihrer ſeelen verderben theilhafftig / als die / was in GOttes nahmen / und alſo ſo fern von ihm / zuſammen gefuͤget worden / unbillich trenneten.
  • 5. Was die gewiſſens-gefahr bey der Fraͤulein anlangt / da ſie ſich zur ſtaͤten jungfrauſchafft verbinden wolte / bringet ſolche nicht zuwegen / daß ſie denn anders und in gleichem ſtande heyrathen muͤſte / ſondern vielmehr / daß ſie die goͤttliche ordnung wider ſolche gefahr brauche / und ſich an denjenigen halte / dem ſie eheliche treue zugeſagt / welche nach oben q. 1. ausgefuͤhrt / nicht die ſtaͤte jungfrauſchafft / ſondern die vollziehung des verſpruchs er - fordert.
E e e eAus586Das vierdte Capitel.

Aus allem dieſen erhellet nunmehr / was aller intereßirten perſonen ſchuldigkeit vor GOTT (deſſen ordnung / nicht aber einige welt - und ſtaats - maximen / aus denen man eingebildeter weiſe einer familie eine heyrath mit einem andern zum ſchimpff faͤlſchlich ziehen will / dem gantzen werck die regel geben muß) ſeye.

  • Nemlich 1. Titius iſt auf alle weiſe und wege verbunden zu thun / was goͤttlichen und gemeinen weltlichen rechten nicht zu wider iſt / damit die unter beyden gethane zuſage moͤge erfuͤllet werden: Alſo gar / daß ihm nicht freyſte - het / die Fraͤulein ihres verſpruchs loßzugeben / denn da man ſagen moͤchte / daß er auf ſein eigen intereſſe an ihr verzeihen koͤnte / ſo kan er doch das intereſſe, ſo GOttes ehr / nahme und ordnung daran haben / nicht auffheben / ſondern wo ers thaͤte / machte er ſich der ſuͤnden mit ſchuldig: Es ſtehet ihm auch nicht frey / ſo viel an ihm iſt / den verſpruch alſo gleichſam in ſuſpenſo zu laſſen / da - mit er ſich abermal ſamt der Fraͤulein in gefahr der ſuͤnden laͤſſet / ſondern ge - dachter maſſen auffs eheſte die vollziehung zu ſuchen / und die etwa daher ſor - gende euſſerliche gefahr der rettung des gewiſſens nachzuſetzen.
  • 2. Der Fraͤulein ligt gleichfals ob / daß ſie ihr verloͤbnuͤß auf alle thuli - che weiſe / die goͤttlicher ordnung nicht entgegen / eheſtes zu vollziehen ſich re - ſolvire / und ſich davon durch niemand abhalten laſſe / auch gedencke / daß die rettung ihres gewiſſens und ihrer ſeele / ja die ehre des nahmens GOttes bey dem eyd / wol ſo viel werth ſeye / daß ſie einige verachtung und ungelegenheit / ſo ſie daruͤber leiden muͤſte / uͤber ſich als ein creutz / ſo ſie dazu wol vorherſehen koͤnnen / auf ſich nehme; ſich aber ja vor allem huͤte / was ihr gewiſſen alſo ver - letzte / daß ſie ſich in der letzten noth und in der ewigkeit deſſen reuen laſſen muͤ - ſte. Jch trage auch die hoffnung zu ihr / da ſie in der facti ſpecie eines chriſt - lichen tugendliebenden gemuͤths zeugnuͤß hat / auch bereits ihrer gewiſſens - unruhe meldung gethan wird / daß ſie ihr Chriſtenthum und verleugnung ih - rer ſelbs und der welt hierinnen zeigen / auch GOttes finger in ihrem hertzen lieber als menſchen folgen werde.
  • 3. Den vornehmen anverwandten liget ob / zu keiner ſuͤnde anlaß und urſach zu geben / noch ſich derſelben theilhafftig zu machen / ſondern ob ſie die heyrath zu befoͤrdern bedenckens tragen moͤgen / dannoch dieſelbe nicht zu hin - dern / noch an Titio, ſo ſchwaͤcher / aber fuͤr deſſen ſache das recht und alſo GOttes ordnung ſtehet / ſich vergreiffen / vielmehr in der that zeigen / daß ſie ihrer und derihrigen gewiſſen ſchohnen.
  • 4. Allen andern liget gleichfals ob / ſo ſie in der ſache etwas mit rathen oder ſonſten zu thun haben / nichts zu hindern / ſondern vielmehr zu foͤrdern / was goͤttliche ordnung hierinnen erfordert / folglich ſich keiner fremden ſchulo theilhafftig zu machen.
Jch587SECTIO XIV.

Jch ruffe zuletzt den himmliſchen Vater / in deſſen hand alle hertzen ſte - hen / und er ſie leiten kan / wie die waſſer-baͤche / demuͤthigſt an / daß er auch in dieſem werck allen perſonen / die unmittelbar oder mittelbar dabey intereßi - ret ſind / ſeinen willen kraͤfftig zu erkennen / auch die reſolution, demſelben in allen ſtuͤcken nachzugehen / geben / was ſonſten ſich widerſetzen moͤchte / ſamt al - ler aͤrgernuͤß abwenden / und alles insgeſamt dahin richten wolle / daß ſich nie - mand darinnen verſuͤndige / ſondern in allen ſtuͤcken ſeiner ordnung platz gege - ben werde / zu befoͤrderung ſeiner ehre / der gewiſſen verwahrung / und aller / die es angehet / zeitlich und ewigem heil / um JEſu Chriſtiwillen. Amen. 1688.

SECTIO XIV. Gewiſſer ehe-caſus.

JCh bekenne / daß niemand ſchuldig / ja nicht einmal zuzulaſſen waͤre / ſich in ein ſolches monſtroſes conjugium einzulaſſen / darinnen das weib dem mann keine ehliche liebe und affection erzeigen / ihn vor ihren ſcla - ven halten und tractiren / und wider ihn und das ſeinige alle untugenden und muthwillen ausuͤben doͤrffte / welches ſo wol dem goͤttlichen wort als weltli - cher ehrbarkeit entgegen; ſondern esſtehet eheleuten nicht wol frey / die condi - tiones ihrer ehe anders zu machen / als ſie GOTT ſelbs gemacht / und die in ihrer natur bereits mit dem heil des menſchlichen geſchlechts uͤbereinſtimmen. Aber davon waͤre die frage / wo ein ehe-verſpruch geſchehen / und zwahr mit ſolchen umſtaͤnden / daß ſonſten an deſſen validitaͤt kein mangel waͤre / und die ſponſa nachmal / durch einige bezeugung ſchiene / etwas ſo wider die goͤttliche verordnung waͤre / zu intendiren / ob alsdann ſponſus damit zuruͤck gehen doͤrffe / und nicht vielmehr der ſponſæ boßheit einen rigel vorſchieben / und ſie in die rechte ehe-ordnung durch alle muͤgliche chriſtliche mittel bringen muͤſſe. Wo ich nicht leugne / ehe dieſer letzten ſeiten beyzutreten. Jch leugne aber auch nicht / daß ich an dieſe materie ſo ungern komme / als an eine in der welt / und mir ſelbs darinnen nicht allezeit alle ſatisfaction thue / daher nicht gern in die gefahr mich gebe / einigerley maſſen jemand unrecht zu thun; alſo ſehe ich nichts anders / was ich weiter ſagen moͤge / als daß nochmal wiederhole / daß die ſache moͤge einigem richter / wer der auch waͤꝛe / damit beyde partheyen zu frieden / und welcher alle beyde theil voͤllig anhoͤre / vorgetragen und deſſen ſpruch vernommen werden: Und geſtehe / daß abermal mir kein genuͤgen ge - ſchehe / wo ich allein auf mein einſeitiges anbringen von einigem Mini - ſterio, welches es auch waͤre / fuͤr mich ein reſponſum erlanget haͤtte. Wann aber ich ſo ſtets auff das anhoͤren beyder parten treibe / wolle mein großguͤnſt. hochgeehrt. Herr nicht gedencken / daß in deſſelben auffrichtigkeitE e e e 2einen588Das vierdte Capitel. einen zweiffel ſetze / oder glaube daß er mit vorſatz falſchen bericht geben / von der wahrheit ab - oder zuſetzen werde / dazu ich ihn viel zu redlich achte. Aber ich bin auch hinwieder gewohnt / in cauſa propria mir niemal ſelbs zutrauen / und weiß voran / daß ich gegen mich ſelbs partheyiſch bin. Alſo iſts muͤglich / daß ich in facto einiges auslaſſe / als meiner meinung nach nichts dazu thu - ende / ſo hingegen die gegenparthey als etwas wichtiges anſehen kan / und in ſententia ferenda ein ſtarckes momentum haben mag: ſo mag ich auch eine that anders anſehen / als ſie von andern angeſehen werden kan / ob ich ſie wol vor mich als præoccupiret nicht anders anſehen koͤnte / und alſo / da ich ſie als ſo und ſo bewandt einem andern proponire / nichts mit willen wider die wahrheit thue / und doch wo der richter die ſache nicht auch von einem andern hoͤret / der ſie ſo zu reden durch ein ander farbglaß angeſehen hat / denſelben einnehmen koͤnte / daß ſeine ſentenz darnach der wahrheit fehlen moͤchte: ich kan des andern ſeine wort und actiones interpretiren / wie ſie mir vorgekom - men und von mir auffgenommen / und kan doch eben darinnen mich betrogen haben / welches derjenige erſt erkennen wird / welcher auch die gegenparthey anhoͤret / wie ſich ſelbs / ihre wort und thaten interpretire und gemeinet ge - weſen zu ſeyn bezeuge. u. ſ. f. Daß daher nicht nur den ſicherſten / ſondern faſt einig noͤthigen weg / in dergleichen ſtreitſachen zu ende zu kommen / fin - de / daß durch ſolche leut der entſcheid geſchehe / welche eine genugſame cogni - tionem cauſæ eingenommen haben / womit alsdann die gewiſſen beſſer tran - quillirt / und alles ſonſten befahrende aͤrgernuͤß abgewendet werden mag. ꝛc. 1684.

SECTIO XV. Uber einen caſum einer / die von ihrem braͤutigam ablaſſen wolte / weil ſie ſich mit einem andern / den ſie den teuffel zu ſeyn vermuthet / verſprochen haͤtte.

SEmpronia eine Jungfer / ſcheinenden euſſerlichen ſeinen wandels / verſprach ſich auff ihrer eltern und freunde belieben mit Titio, ce - lebrirte auch vor pfingſten ſponſalia domeſtica, ließ ſich nicht weni - ger dreymal ordentlich proclamiren / an ſtatt daß der geſetzte hochzeit - tag ſeinen fortgang gewinnen ſolte / kommet ein ſchreiben von dem ab - weſenden braͤutigam / welches berichtet / daß das gewaͤſſer ſo ſtarck an - gelauffen auff ſeinen guͤtern / daß ohne verluſt groſſen unkoſtens er von den arbeitern die es abwenden ſollen / nicht abweichen / ſondern die hochzeit auff eine andere zeit verlegen muͤſſe. Nach dieſem kam derbraͤuti -589SECTIO XV. braͤutigam / der ſach ein end zu machen / fand aber ſeine braut bettlaͤ - gerig / und mit ſolchen melancholiſchen und verwirreten gedancken be - leget / daß er nach einem kirchen-diener geſchicket / ſie zu troͤſten. Nach langem anhalten / brachte dieſer endlich aus ihr / die urſach ſolcher me - lancholie / nemlich ſie ſpuͤre nur etlich wochen einen ſolchen eckel ob ih - rem braͤutigam / daß ſie ihn nicht mehr ſehen / hoͤren / oder nehmen moͤchte / und wie es die euſſerliche zeichen gaben / ſo fande ſich ein hor - ror des gantzen leibes bey ihr / wo nur ſein nahme genennet wurde. Als er nun wiſſen wolte / was ſie zu ſolchem widerwillen bewogen / und doch nicht erfahren kunte / procedirte er zimlich ſtarck und ſcharff mit der patientin / als waͤre es bloſſe halsſtarrigkeit / daruͤber ſie in noch groͤſſere melancholie gerathen / daß auch die domeſtici ſich groſſen leides beſorget. Abends um ſieben uhr / als morgen die hocyzeit ih - ren fortgang gewinnen ſolte / hat die angſt dieſe elende perſon aus dem bett zu einem andern pfarrer getrieben / dem ſie auff verſprochenes ſi - lentium, und daß keine zeitliche ſchand daraus ihr erwachſen ſolte / er - oͤffnet / wie ſie vor drey wochen aus allerhand melancholie einem frembden kerl / den ſie ihr lebtag nie geſehen / nie zeither erfahren wer er iſt / der auch keinen nahmen von ſich geben / oder geſagt wo er her ſey / ſondern ihr nur vorgetragen / daß ihr liebſter ein ehebrecher / trunckenbolt ꝛc. ſey / bey dem ſie uͤbel / beſſer und gluͤcklicher aber bey ihm verſorget ſeyn werde / auff der heid die ehe verſprochen habe / mit der condition, wann er die erſte verſprechung casſiren oder ſie heim - lich wegholen koͤnte / welches er innerhalb 4. wochen zu thun verſpro - chen / ſich darauff von ihme hertzen und betaſten laſſen. Darauff ſey gleich ihr hertz verhartet worden / und die liebe gegen den erſten braͤu - tigam allerdings ausgeloſchen. Nun aber fuͤrchte ſie / es ſey der teuf - fel geweſen / und moͤchte ſie in geſetzter zeit heimlich abholen.

EHe zu beantwortung der vorgelegten fragen geſchritten wird / iſt noth - wendig zu erinnern / daß erſtlich de veritate depoſitionis, welche Sem - pronia vor ihrem Beicht-vater von einem gethanen zweyten verſpruch abge - legt / ſorgfaͤltig zu unterſuchen und zu erforſchen ſey: indem muͤglich iſt / daß es entweder lauter melancholie bey Sempronia ſeye / was ſie von ſolchem anderwertlichen gethanem verſpruch klaget / oder auch daß aus einem anderswo herruͤhrendem tædio Titii dergleichen / nur etwa ſeiner loßzukom - men / vorgegeben werde. Die melancholie belangend / iſt nichts neues / daßE e e e 3per -590Das vierdte Capitel. perſonen / welche von natur darzu geneiget / wodurch eine euſſerliche urſache / und betruͤbnuͤß (welche hier ſeyn kan / die ſchwehrmuth uͤber das ausbleiben ihres braͤutigams und verdruß der zuruͤck geſtellten hochzeit) der affect wei - ter erreget wird / ihnen ſachen einbilden / auch ſo umſtaͤndlich zu erzehlen wiſ - ſen / ja ſolches ſo offt wiederholen / daß man nicht anders als es gewiß zu ſeyn vermeinen moͤchte / wo nicht die ſache anderwert her gnug bekant waͤre; zu - weilen aber die abſurditaͤt oder auch variation der patienten / die ſich doch auch nicht allemal befindet / der erzehlung eitelkeit entdeckte. Wie der exem - pel unzaͤhlig vorhanden / auch noch auff dieſe ſtunde allhier bey einer Melan - cholica uns vor augen liget / welche die ſeltzſamſte begebenheiten / was ſie ge - than / und mit ihr vorgegangen / deren theils an ſich nicht eben ſo unglaublich waͤren / andere aber primo intuitu gleich ſich vor traͤume verrathen / erzeh - let / und feſt darauff bleibet. Gelegenheit unter andern gibet zu ſolcher ver - muthung / daß in der ſpecie facti ſtehet / daß ſie / als die verſprechung ge - ſchehen ſeyn ſolle / aus allerhand melancholie hinaus auff die heydege - gangen ſeye. Bey ſolchen ſchwermuͤthigen aber iſt die phantaſie ſchon ſo maͤchtig / daß ſie ſpectra in ihnen ſelbs aufffuͤhret / die ſie viel feſter als ein traumender ſeine traͤume vor wahr glaubet. Andern theils / wiewol nicht wiſſend / ob dergleichen verdacht auff Semproniam fallen koͤnne / (daher ſie damit nicht oneriren will /) ſo ſind gleichwol auch der exempel unterſchiedlich / derjenigen / welche eins / den ſie nicht liebten / loßzukommen / die ſeltzamſten dinge angefangen / ſich dieſes und jenes angenommen / auch neben andere af - fectation et wa lieber andere dinge von ſich ſelbs bekennet / die doch falſch / wo - mit ſie ſich nur frey zu machen hofften / eher ſie ſich zu der ehe noͤthigen lieſſen. Und ſind da die artes muliebres, ſonderlichwo ſie einige inſtigatores oder in - ſtigatrices finden / die ihnen mit rath an die hand gehen / faſt nicht alle zu er - ſinnen. Ob nun zwahr beſagter maſſen / weil mir die perſon und viele um - ſtaͤnde nicht bekant / ich ſie damit zu graviren oder ſolcher boßheit zu beſchul - digen nicht gedencke / ſo wird doch von denen / die præſentes ſind / ſonderlich da die ſache vor einen Judicem kommen ſolte / ſorgfaͤltig auff alles was nur muͤg - lich ſeyn koͤnte / achtung zu geben ſeyn / daß man zuerſt verſichert ſeye / ob das jenige wahr / was zum fundament aller uͤbrigen deliberation geſetzet wird. Hierinn iſt nun der prudentiæ Judicis oder / wer hiemit zu thun hat / nichts vorzuſchreiben / jedoch ſcheinet nicht unnuͤtzlich zu ſeyn auff folgende puncten acht zu geben. 1. Ob Sempronia ſonſten natura melancholica ſey / und ei - nige mal bereits effectus ſolches zuſtandes ſich bey ihr gezeiget? 2. Ob ſie Titium mit willen / oder aber vielmehr ex autoritate parentum oder derglei - chen zuſpruch als eigener affection genommen? 3. Wie ſie den aus noth geſchehenen auffſchub angenommen? Ob ihr ſolcher lieb geweſen / oder ſieſich591SECTIO XV. ſich daruͤber gegraͤmet und geaͤngſtet? 4. Ob etwa ſeither hoffnung zu ei - nem andern vertraͤglichern heyrath angeſchienen / ſo ihr ein tædium prioris ſponſi machen koͤnnen. 5. Ob ſie nicht anders her bereits als von demſelben ignoto gehoͤret / oder hoͤren koͤnnen / daß Titius ein ehebrecher / trunckenbold ꝛc. ſey? 6. Ob ſie vielleicht vorher bey jemand ſich etwas klagend haͤtte ver - lauten laſſen? 7. Wie die eltern in jetzigem zuſtand der ſache geſinnet ſind? 8. Ob die averſatio bey ihr continuirlich / oder anders / nachdem leute bey ihr ſeyn? 9. Ob ſie / wo die ſache zu weiterer inquiſition kommen moͤchte / ſonder - lich daeinige bedrohung gebrauchet wuͤrden / in der erzehlung und dero um - ſtaͤnden variabel befunden wuͤrde? und was dergleichen dinge mehr ſind / daraus judex ſagax oder wer damit zu thun hat / eine ſtarcke verwirte melan - choliam oder hingegen boßheit abnehmen oder hingegen von glaubwuͤrdig - keit ihrer depoſition bekraͤfftigt werden moͤchte?

Præſuppoſito aber / daß ſich die ſache / wie ſie vorgibt / verhalte / ſo folgen die vorgelegte fragen:

  • 1. Ob aus denen argumentis eines fremden kerls / den man niemal geſehen / gekennet / der keinen nahmen von ſich gegeben / keines herkommens gedacht / und ausgeſaget / daß er Titium kenne / und wiſſe / daß er ein ehebrecher / und Semproniam heimlicher weiſe abholen wolle / zu ſchlieſſen / daß der teuffel in angenomme - ner menſchlichen geſtalt / der geweſen / deme Sempronia das an - dre mal die ehe zugeſaget?

HJerauf antworte mit nein. Ob zwahr kein zweiffel nicht iſt / daß der ſatan zu weilen in menſchlicher geſtalt erſcheine / und wir nicht alle davon hin und wieder anfindliche exempel vor falſch und fabelhafft achten wollen / ſo bleibet doch dieſes gewiß / daß ſolche erſcheinungen ſeltzamer / als der ge - meine hauffe gedencket; auch deßwegen ob dieſes oder jenes eine teuffliſche erſcheinung geweſen / ad affirmativam nicht wird zu gehen ſeyn / ſo lange nicht durch argumenta ſtringentia ſolches erwieſen wird / und alſo ſo lange noch muͤglich geweſen / daß dieſes und jenes daraus mans ſchließen will auch ohne ſolche erſcheinung moͤglicher weiſe hat geſchehen koͤnnen. Gleichwie wir billig ſo lange auch kein miraculum glauben / als die noth ſolches nicht erfordert / wo nemlich die ſache nicht natuͤrlich geſchehen hatkoͤnnen. Nun iſt nichts leichters / als daß ein arger geſell / der entweder Semproniam (ob ſie wohl ihn nicht) gekant / vielleicht Titio feind geweſen / und ihm eines an - zu machen begehret / oder auch der nichtes von ihnen gewuſt / ſondern aus lauter muthwillen / da Sempronia allein auf der heide war / gelegenheit zuihr592Das vierdte Capitel. ihr genommen / mit ihr angefangen zu ſprechen (wo das erſte waͤre) bald be - dauren an ſie geleget / daß ſie einen ſolchen menſchen / als Titius waͤre / haben ſolte / ihn dabey verlaͤumdet / und damit ſie der ſachen glauben bey meſſen moͤchte / ſie ſelbſt zu nehmen ſich erklaͤhret / oder (wo das andere ſolte ſeyn) in ein indifferent geſpraͤch ſich mit ihr eingelaſſen / angefangen eine liebe gegen ſie zu bezeugen / und wo ſie denn des verſpruchs mit Titio meldung gethan / ſimuliret ihn zu kennen / und dergleichen von ihm ausgeſagt etwa wie ſolche boͤſe leute ſind / deren freude iſt / jemanden einen poſſen (wie ſie es nennen / ſolte er auch noch von ſo gefaͤhrlicher conſequenz ſeyn) anzumachen / ſie damit zu qvaͤlen / oder aber ſie zu pflegung ſeines willens zu bringen. Weil nun ſolches nicht nur muͤglich / ſondern gantz leicht hat geſchehen koͤnnen: Al - ſo iſt ja nicht noth / erſt zu vermuthen / daß der teuffel es geweſen ſey / wohl aber einiger ſeiner werckzeuge. Weilen aber / obſchon aus denen uͤberſchrie - benen vermuthungen es gar nicht folget / vielleicht doch muͤglich ſeyn koͤnte / oder auch andere gewiſſere anzeigungen gefunden wuͤrden / die ſolches glaub - lich machten / daß der teuffel ſolcher geweſen (daher etliche fragen auch ex hac hypotheſi beantwortet werden werden) waͤre doch ferner zu mercken; daß daraus nicht davor zu halten / daß Sempronia ſich damit dem teuffel ergeben / und alſo unter der zauberinnen zahl gerathen ſeye. Jn dem ihr verſpruch an - zuſehen / wie er von ihr geſchehen waͤre / nicht als dem teuffel ſondern als ei - nem menſchen mit deme eine ehe zu ſchlieſſen waͤre: Und ſie aber damal we - der ehe ſie ihm verſprochen / an den teuffel wird gedacht haben / noch nach - dem der verpruch geſchehen iſt / etwa von ihm mit ſchrecken / daß er ſich kund gegeben haͤtte / darzu gebracht worden waͤre. Welches mich ſo bald einer neu - en ration erinnert / nicht vermuthlich zu ſeyn / daß es der teuffel geweſen: Jn dem man in der hexen depoſitionen zwahr offtmahls liſet / daß der teuffel zuerſt einige unter menſchlicher geſtalt / und da ſie nicht anders meineten / als mit menſchen zu thun zu haben / uͤberredet ihme einigen verſpruch zu thun; a - ber allezeit wird darbey ſeyn / daß er ſie auch ad concubitum gleich begehret / ſolchen erhalten / und ſo bald darauff / da er die arme zu ſolcher ſtunde verfuͤhr - te gefangen gehabt / ſich ihnen / wer er ſeye / geoffenbahret / daß alſo der ver - ſpruch gleich auch gegen ihn als teuffel erneuert wurde / darzu er die erſchro - ckene bald bringet. Hingegen erhellet aus der ſpecie facti nicht / daß er / wel - ches doch ſonſt das allergemeineſte bey ſeiner procedur, concubitum bey ihr geſuchet und erhalten / noch nachmal ſich ihr / wer er ſey / zu erkennnen ge - geben: Welche gelegenhett gleichwol der arge feind nicht zu verſaͤumen pfle - get / und nicht zu frieden iſt oder ablaͤſſet / wo er den menſchen daferne er an - ders kan / noch nicht voͤllig in ſeine ſtricke gebracht hat: Da denn / daß er ſolches hie nicht gethan / keine urſache / welche ihn davon abgehalten / gezeiget wer -den593SECTIO XV. den koͤnte. Zu geſchweigen daß er / wo er eine perſon gefangen zu haben ver - meinet / auch nicht ſo viel wochen ausgeblieben / ſondern lieber aufs baͤldeſte wiedergekommen ſeyn wuͤrde / die ſache feſter zu verknuͤpffen; hingegen wird von keiner fernern erſcheinung in der ſpecie facti gedacht.

  • 2. Ob ein Pfarr ſolche ſchwehre ſache ſubſigillo confeſſionis anhoͤ - ren und behalten habe koͤnnen?

HJerauf antworte mit ja. 1. Hat der Pfarr aus ihren reden / als etwa von mir geſchihet / vermuthen oder doch beſorgen koͤnnen / daß eine me - lancholie mit unter lauffen moͤchte. 2. Befinde ich keine erhebliche urſache / die ihm das ſigillum confeſſionis zuerbrechen / die erlaubnuͤß gegeben haͤtte. Es war nicht frage von einer ſuͤnde / welche ſie begehen wolte / und vorhaͤtte: welcherley beichten nicht zu hinterhalten ſind / ſondern der Pfarrer ſchuldig iſt / ſolches zu offenbahren und die ſuͤnde zu hindern: Sondern von einer ſuͤn - de / welche ſie begangen habe / auch noch niemand kund war; ſo dann beſſer daß ſie niemand kund wuͤrde. Daher der pfarrer / woer ſeinem amt ein gnuͤ - gen thun wollen / erſtlich zwahr gnug von ihr zu ſondiren gehabt / ſo oben er - innert / ob einbildung oder boßheit mit unterlauffe: Da er aber gefunden / daß ſichs ſo verhielte / wie ſie ſagte / 2. ihr remonſtriren ſollen / wie die priora ſponſalia allerdings wichtig und vor GOtt guͤltig / daher ſie durch keine an - dere davon ſich haͤtte ſelbs loß wircken koͤnnen. 3. Jhr ihre leichtfertigkeit beweglich zu gemuͤthe fuͤhren / daß ſie ihrer auſſage nach einem ſolchen unbe - kanten menſchen ſo bald glauben habe beymeſſen koͤnnen (wider die regel Sirachs. 19 / 16. Glaube nicht alles was du hoͤreſt / denn man leugt gerne auff die leute und v. 4. Wer bald glaubet der iſt leichtfertig / und thut ihm / wenn er ſich ſo verfuͤhren laͤſſet / ſelbs ſchaden) ſonderlich wi - der denjenigen / den ſie vor andern nunmehr als ihren braͤutigam lieben / und deswegen ſo vielweniger etwas wider ihn glauben ſollen. So vielmehr noch / daß ſie nicht nur glauben beygelegt / ſondern um einer ſolchen liederlichen urſach / nemlich einer unerwieſenen calumnie willen / gleich treuloß an ihrem braͤutigam werden wollen / daß ſie dem andern verſprochen / mit hindanſetzung der eltern willens und aller goͤttlicher ordnung; ja daß ſie auch mit ſich hertzen und betaſten laſſen / alle vorige leichtfertigkeit vermeh - ret / und GOttes gnade allein ſeye / daß er nicht zu gelaſſen / daß ſie nicht et - wa noch weiter und tieffer gefallen. 4. Wo ihr nun ſolche ihre ſuͤnde recht - ſchaffen vorgehalten / und derer erkaͤntnuͤß bey ihr zu wege gebracht worden / hat er ſollen ihr ihre ſchuldigkeit zeigen / die da erfordere / daß ſie ihrem braͤu - tigam die verſprechung treu halte / und ſich der copulation nicht entziehe / um ſo vielmehr / ſo viel ſchwehrlicher ſie ſich an ihrem braͤutigam verſuͤndiget ha -F f f fbe.594Das vierdte Capitel. be. So koͤnnen ihr ihre ſuͤnden nicht rechtſchaffen leyd ſeyn / folglich ſie kei - ner gnade ſich von GOtt getroͤſten / es ſeye denn ſache / daß ſie in denſelben nicht begehre mit ſolcher hartnaͤckigkeit fort zu fahren / ſondern vielmehr kuͤnfftig mit liebe dasjenige wieder einzubringen / was ſie mit mangel derſel - ben biß dahin geſuͤndiget. Haͤtte ſie die unmuͤglichkeit und den horrorem vor ihm vorgeſchuͤtzet / ſo haͤtte er ihr moͤgen vorhalten / daß ſolches eine frucht ihrer boßheit und leichtfertigkeit ſeye / und GOtt gerechter weiſe dem teuffel als dem ſtoͤhrer ehelicher liebe zu gelaſſen / weil ſie ihm in ihrem hertzen mit ſol - cher leichtfertigkeit platz gegeben / ihre affecten ferner zu ſolchem widerwil - len erregen / und vollends alle liebe auszuloͤſchen: Gleich wie ſie aber ſolchem eingeben des boͤſen feindes / wolle ſie nicht allerdings in ſeine gewalt gera - then / mit ernſt ſich widerſetzen muͤſte / alſo ſolle ſie gedencken / daß wie derſel - be widerwillen bey ihr entſtanden / da ſie aus GOttes ordnung getreten / ſo koͤnne er nicht beſſer wiederum geſteuret werden / als wo ſie hingegen nechſt hertzlichem gebet zu GOTT wieder anfange in die ordnung zu treten und ſich anfangs auch dazu zu zwingen: So wuͤrde der guͤtige GOTT / der ihr hertz auch in ſeiner hand habe / gnade geben / daß dieſer horror auch nachlaſſen / und das gemuͤth / wo ſie ſich einmal uͤberwinde / ihm und ſeiner ordnung die ehre zu geben / wiederum allgemach mit liebe gegen den rechtmaͤßigen braͤuti - gam erfuͤllet / hingegen fernerem eingeben des gehaͤßigen teuffels gewehret werden. Dann ſolle ihr die ſuͤnde / ſo ſie begangen / verziehen werden / ſo muͤſſe wahre buſſe da ſeyn / zu dero aber wuͤrde nothwendig erfordert / daß man nicht begehre in dem boͤſen fortzufahren / ſondern gleich davon zuruͤck zu gehen; ſo lange ſie aber ſich wegere / ihren verſpruch zu erfuͤllen / ſo continui - re ſie immer die vorige ſuͤnde / und mache ſie je laͤnger je ſchwehrer / werde auch ein ſchrecklich gericht GOttes auf ſich ziehen. Alſo ſolte ſie / ob ſie es wol noch nicht aus eigenlicher liebe zu dem braͤutigam thun koͤnte / gleich - wol aus bußfertiger willfertigkeit Gottes ordnung zu folgen / ſich beqvemen / was von ihr erfordert werde: Da werde alsdenn jene auch wiederum entzuͤn - det werden. Erlangte er ſolches / daß ſie erſt recht anfienge betruͤbt uͤber ih - re ſuͤnde zu werden / ſo wuͤrde das gemuͤth auch damit ſo vielmehr von dem haß des braͤutigams abgezogen; wie die geiſtliche traurigkeit / wo ſie recht erweckt wird / andere boͤſe affecten, eher als einig anders mittel verzehret. Er haͤtte auch dabey anzufuͤhren gehabt / wie ſie nicht allein / ſo zwahr das groͤſſeſte / GOttes fluch mit ſolcher widerſetzlichkeit auff ſich laden / ſondern daß ſie auch damit in der welt nicht durchtringen wuͤrde: Denn es laſſe ſich die ehe nicht leichtlich trennen / auf dem fall der beharrlichen widerſtrebung werde die ſache an die Obrigkeit gelangen / die werde was ſie ihm bekant / von ihr auch heraus zwingen / dadurch ſie ſich denn viel ſchimpff machen / und dochnicht595SECTIO XV. nicht frey werden wuͤrde. Daher ſie lieber GOtt zu ehren willig thun wol - te / als daß ſie ſich mit gewalt endlich muͤſte darzu zwingen laſſen. Haͤtte denn Sempronia ſich durch ſolchen zuſpruch bewegen laſſen / in die copulation zu willigen / ſo waͤre der ſache gerathen geweſen / und haͤtte nicht bedorfft / daß ein menſch davon wuͤſte / was ſie ihm geoffenbahret. Waͤre ſie aber halsſtar - rig von ihm gegangen / ſo haͤtte er ohne den ernſtlichen zuſpruch / wie ſchwehr ſie ſich verſuͤndigte / und GOttes zorn weiter reitzete / nichts zu thun ver - mocht / ſondern zu erwarten gehabt / was erfolgete: Sonſten verſirte hierinn kein præjudicium tertii, daß ihn etwa zur offenbahrung obligiret. Denn folgte ſie ſeinem rath / ſo bedorfft es ohne das nicht / daß es geoffenbahret wuͤr - de. Folgte ſie nicht / ſo nuͤtzte es nicht / daß er ohn erfordert die ſache offenbahrete. Dem Titio hatte ers zumahlen nicht zu offenbahren / daß er das uͤbel nicht aͤrger machte. Bey der Obrigkeit oder Conſiſtorio war / ohne daß es erfordert wuͤrde / nicht noth anzuzeigen / weil Titius von ſelbſten bey fortwaͤhrender widerſetzlichkeit der braut die - ſelbe wuͤrde anlangen / oder es ſich ex officio die ſache annehmen muͤſſen / da dieſelbe ſchon wuͤrde dasjenige heraus bringen / was von noͤthen ſeye? da - her es dabey bleibet / wo der Pfarrer ſolche ſache bey ſich behalten / daß er nicht unrecht gethan habe. Jn dem uͤbrigen wird verhofft / er werde auch auf vor gemeldete oder dergleichen weiſe mit ihr verfahren ſeyn / und nicht etwa mit unzimlichem rath ihre halsſtarrigkeit geſtaͤrcket haben.

  • 3. Wenn der Pfarrer ſolches zu thun vermocht / wie zu verhuͤtung des ſchimpffes / und daß die ſache nicht offenbahr wuͤrde / mit der hochzeit / ſo auff folgenden tag geſetzet / und Titio dem erſten braͤutigam zu verfahren?

DJe frage iſt etwas dunckel geſetzt / indem nicht exprimiret / von wem ge - redet werde / was derſelbe zu thun gehabt. Jch nehme es aber / es ſey zu verſtehen / von der braut freunden oder dem vorigen Pfarrer / der ihr zuge - ſprochen. Da waͤre denn meine meinung dieſe / die ihrige und Titius haben gewuſt oder nicht gewuſt / daß ſie bey dem andern Pfarrer geweſen / haben ſie es gewuſt / ſo haben ſie ſich bey demſelben zu erkundigen gehabt / was gehan - delt worden. Da zwahr / nach oben ausgemachtem er ihnen ſolches nicht zu offenbahren gehabt / aber mit gutem rath beyſtehen koͤnnen. Nemlich in dem fall / da ſie mit verſpruch zu gehorchen von ihm gegangen / ſie alles guten ihrentwegen verſichern: Jn dem fall aber / daß ſie ſich nicht bequemen wollen / ihnen anzudeuten / daß eine hinderung vorhanden ſeye / die zwahr die ehe nicht auffheben wuͤrde / aber die braut etwas wendig gemacht / er ſie auch noch nicht allerdings zu leiſtung ihrer ſchuldigkeit gebracht habe: daher er ihremF f f f 2eige -596Das vierdte Capitel. eigenen ermeſſen heimſtellete / ob ſie noch ſolche nacht obrigkeitlicher huͤlffe ge - brauchen / und die braut durch einige furcht zum gehorſam noͤthigen / oder welches ſicherer / die hochzeit / unter anderem vorwand / weil die braut ohne das etliche tage bettlaͤgerig geweſen / auffſchieben wolten / damit unterdeſſen verſuchet wuͤrde / was in kurtzen ſtunden nicht geſchehen koͤnte. Haben ſie a - ber nicht davon gewuſt / daß ſie bey dem Pfarrer geweſen / ſo wuͤrden ſie von ſelbſten einen der beyden wege / welche er ihnen vorſchlagen werde / vor die hand nehmen ſollen / darunter der ander nemlich der auffſchub der ſicherſte; indem der ſchimpff mit anderm vorwand leicht moͤchte abgewandt / oder doch gelindert werden / auffs wenigſte war kein ander mittel da. Titio aber waͤ - re zuzuſprechen geweſen / gedult mit der hochzeiterin ſchwachheit zu tragen / weil er ihre melancholiam ſelbſten ſehe / und ſo vielmehr / weil er / obſchon oh - ne ſeine ſchuld mit vorigem auffſchub der hochzeit etlicher maſſen gelegenheit zu ſolchem zuſtand gegeben / ſich jetzo auch nicht verdrieſſen zu laſſen / daß um der braut gegenwaͤrtiger beſchaffenheit ſie wiederum auff andere tage aus - geſtellet ſolte bleiben. Anders ſehe ich nicht / wie in ſolcher zeit zu verfahren geweſen. Nach erhaltenem oder aus noth erfolgtem ſolchen auffſchub waͤre alles zu perſuaſion der braut taugliches wieder zu verſuchen geweſt: ſo dann wo nichts fruchten wollen / haͤtte Titio muͤſſen / zwahr mit verſchweigung deſſen / ſo ſie in confeſſione geſagt / die ſache vorgeſtellet werden / daß ſeine braut gantz von ihm wendig geworden / daß er ſich obrigkeitlicher huͤlffe ge - brauchem muͤſte. Jndem bey fortfahrender ſolcher hartnaͤckigkeit des ſchimpf - fes nicht mehr zu ſchonen.

  • 4. Ob Titio zu rathen / dieſe braut zu heyrathen / da ſchon ſie die e - he gebrochen / auch unausbleibendes ungluͤck darauff erfolgen wird?

JN dieſer frage ſcheinet ein falſum præſuppoſitum zu ſeyn / daß Sempro - nia die ehe gebrochen habe. Nun finde ich davon in ſpecie facti nichts / vermuthe alſo / es werde damit verſtanden der ander verſpruch: Aber ob wol ſolcher verſpruch gleichwie andere dinge mehr in foro poli & quoad con - ſcientiæ læſionem ein ehebruch iſt / ſo iſt es doch dergleichen nicht in foro ſoli & quoad effectum ſolutionis matrimonii. Denn ſolte jeglicher ehebruch / der ſolches in goͤttlichem gericht iſt / zur eheſcheidung guͤltig ſeyn / ſo wuͤrde jeg - liches unzuͤchtiges anſehen und begierde die ehe ſcheiden / weil ſolches vor GOtt ein ehebruch iſt nach CHriſti ausſpruch Matth. 5. Wie aber dieſes niemand ſagen wird / ſo mag alſo nicht jeder vor GOttes gericht ſtraͤffli - cher ehebruch eine ehe ſcheidung verurſachen. Was aber einen andern ver - ſpruch einer verlobten anlanget / wird ſolcher niemalen unter die urſachen derauf -597SECTIO XV. aufhebung der ehe gezehlet / ſondern die bina ſponſalia ſonſten auf andere weiſe geſtrafft. Alſo daß ich mich nicht eines einigen / der de cauſis matri - monii geſchrieben / zu entſinnen wuͤſte / welcher durch die poſteriora ſponſa - lia als eine dem adulterio gleichmaͤßige urſache die priora aufgehoben zu - ſeyn lehrete. Dazu auch noch dieſes kommt / daß dieſe miſera durch andere ver - fuͤhrung uñ verblendung zu ſolchem verſpruch gekom̃en / ſo dann derſelbe auf gewiſſe condition, wo nemlich die priora ſponſalia caſſirt werden moͤchten / gegruͤndet. Da alſo non extante conditione das daꝛauf geſchloſſene hinfaͤllet. Wolte man aber die diſſolutionem ſuchen ex capite veneficii, daß ſich Sem - pronia durch ſolches verſprechen dẽ teuffel ergeben / ſo iſt droben gezeiget / ein - mal daßnicht veꝛmuthlich / daß der teuffel geweſẽ / ferner wo eꝛs geweſen ſeyn ſolte / daß ſie ſich doch nicht andeꝛs mit ihm als mit einẽ menſchen verſpꝛochen / uñ alſo damit zu keiner zauberinworden ſeye. Wenn nun dieſes richtig / daß keine hebruch vorgegangẽ / ſo wird die frage nicht mehr wol formiret / ob Titio zu rathen ſeye / dieſe braut zu heyrathen / indem die ſache nicht mehr in termi - nis conſilii ſtehet / ſondern er / ſo wenig als ſie ſich durch anderwertliches ver - ſprechen von ihm loßwircken koͤnnen / eben ſo wenig ſich der ſchuldigkeit ent - ſchuͤtten mag / ſeinen verſpruch zu vollenziehen / ja alle gehoͤrige mittel / daß ſolches werckſtellig gemacht werde / darunter die imploratio poteſtatis civi - lis oder des Conſiſtorii zu gebrauchen: um von ſeiten ſeiner alles zu thun / was an ihm waͤre. Denn hie zu verbindet ihn ſeine pflicht. Was aber die andere urſach anlanget / nemlich die ſorge vieles erfolgenden ungluͤcks / ſo iſt dieſelbe vielmehr eine ratio diſſuaſoria, wo die ſache noch integra iſt / nicht a - ber / daß bloſſer dings um der ſelben willen / die ehe zernichtet werden koͤnte. Gleichwol moͤchte die frage bey andeꝛn umſtaͤnden platz auf dieſe weiſe finden: Wo bey beharrlicher widerſetzlichkeit (denn ſonſten wird kein zweiffel ſeyn / das matrimonium zu conſummiren / wo Sempronia ſich ſelbs gibet) Titius den Magiſtrat oder das Conſiſtorium angeruffen / dieſelbe auch ihre autorita - tem interponiret / guͤtlich nichts ausgerichtet wuͤrde / und nunmehro zu den zwangs-mitteln zu ſchreiten waͤre / alſo daß ſich endlich zeigte / daß die wider - ſetzlichkeit entweder ſo boßhafft oder nunmehr gleichſam in die natur verwan - delt / daß Sempronia ihn Titium hinkuͤnfftig nicht wuͤrde noch wolte lieben; da denn ſolches nunmehr inimicitia capitalis waͤre / welche zu dem repudio gnugſam erkant wird (D. Carpzov. Jur. Conſiſt. L. 2. t. 10. d. 176.) doch gleich - wol / wo Titius auf ſeinen rechten beharren wuͤrde / ſo viel ſchwehrer darzu ge - ſchritten werden wuͤrde; ſo haͤtte denn die frage platz: Ob Titius illo caſu ſelbs den judicem um diſſolutionem bitten / und alſo ſententiam facilitiren / oder auf die conſummationem, ſie mit zwang zu erhalten / tringen ſolle / und welches alsdenn das rathſamſte waͤre? wo ich alsdenn wegen der beſorglichenF f f f 3trau -598Das vierdte Capitel. traurigen zufaͤlle das erſte erwehlte / und Titio rathen wolte. Es wird aber in ſolcher beſchaffenheit der judex von ſelbſten dieſe prudenz adhibiren / eine ſolche ſententiam diſſolutoriam nicht zugeben / es ſeye denn mit zimlicher mora verſucht / ob ſucceſſu alicujus temporis das gemuͤth ſich aͤnderte. Wel - ches auch bey dieſer perſon wegen der beybefindenden melancholia ſo viel noͤ - thiger / um zu erkennen / ob vielleicht der affectus ſich beſſern / und damit der widerwillen auch vergehen moͤchte.

  • 5. Wie ein pfarrer mit der braut in ſo kuͤrtzer zeit umgehen ſolle?

Jſt ad quæſtionem ſecundam zugleich beantwortet:

  • 6. Ob die auffloͤſung des letzteren verſprechens noͤthig / und pri - vatim zwiſchen ſeelſorger und beicht-kind allein geſchehen koͤnne?

1. Dieſes letzte habe ich kein bedencken zu bejahen. Und ſolches weil das zweyte verſprechen an ſich nichtig / unbuͤndig und niemalen guͤltig gewe - ſen. Welches alſo erweiſe. 1. Jſt derſelbe verſpruch conditionatè geſche - hen / wo die erſte ſponſalia caſſirt moͤchten werden. Non ex tante conditione aber faͤllet auch conditionatum, und bedarff keine diſſolution. 2. War Sempronia keine perſon / die ſich zu verſprechen macht gehabt / als die unter der eltern gewalt und mit dero willen publica ſponſalia bereits mit Titio ce - lebriret / dahero ſie uͤber ſich zu diſponiren keine gewalt hatte / und deßwegen ſolcher verſpruch ſo wenig buͤndig waͤre / als wenig ein kauff wuͤrde anders als null von jedem geachtet werden / ſo einer eine ſache / die offenbarlich nicht ſein / ſondern einem andern verkaufft waͤre / jemanden wiederum verkauffen wolte. 3. Haben die letzte ſponſalia vitium clandeſtinitatis, ſo wol proprie, weil ſie allerdinges ohne einiges zeugen beyweſen geſchehen: Als auch / welches auch ſponſalia clandeſtina machet / wegen ermangelnden conſenſus parentum,. Nun aber ſind auch clandeſtina ipſo jure nulla. Es iſt zwahr an dem / daß zuweilen / was an ſich ſelbs null iſt / dannoch einer declarationis nullitatis noͤ - thig hat / nemlich wo die ſache noch dubia iſt / wo die verhuͤtung des aͤrgernuͤß es erfordert / und anderer intereſſe darinn verſirt. Hier aber iſt die ſache in - dubia, nemlich / daß die erſte ſponſalia, nemine contradicente, gewiß valida geweſen / daß deßwegen in denſelben GOTT / und demnach unauffloͤßlich / ſie zuſammen gefuͤhret / und alſo was dergleichen clandeſtinum ſubſequens pro - miſſum geweſt ſeyn mag / jene nicht habe koͤnnen auffheben. So erfordert auch evitatio ſcandali ſolches nicht / indem wir in caſu præſenti darvon han - deln / da niemand als Sempronia und der pfarrer davon wiſſen; denn waͤre die ſache offenbar / ſo moͤchte die declaratio judicis erfordert werden / wenn Titiusum599SECTIO XV. um ſeiner verſicherung willen ihm dieſelbe noͤthig hielte: So dann daß Sem - pronia zu gebuͤhrender ſtraffe ihrer leichtſinnigkeit gezogen wuͤrde. So verſiret auch darinnen niemandens intereſſe: Nicht der Obrigkeit / als welche keine andere verbrechen zu ſtraffen hat / als die ihr kund werden / es iſt aber Sempronia noch der pfarrer ſolches anzugeben nicht ſchuldig. So bleibt ihr ihr recht / wo die ſache folgends herauskaͤme / Semproniam noch deßwegen zu ſtraffen; oder hat ſie vielmehr ſich deſſen in honorem matrimonii und zu ver - huͤtung mißhelligkeiten zu begeben: Alſo auch nicht Titii, der durch anbrin - gung bey dem richter unterſuchung der diſſolution kein jus petendi repudii erlanget / wie oben erwieſen / und alſo keinen vortheil deſſen haͤtte / hingegen dieſen nachtheil / daß derjenigen / die er doch haben muͤſte / fehler oͤffentlich be - kant und gelegenheit zu uneiniger ehe gegeben wuͤrde. Moͤchte man aber vorwenden / daß noch zu ſorgen ſtuͤnde / daß der zweyte ſponſus kommen / und einen einſpruch thun moͤchte / iſt erſtlich ſolches ſchwehrlich zu befahren / indem wo er nur etwas verſtand hat / wol gedencken kan / daß er nichts ausrichte / ſondern noch ſchimpff und ſtraffe davon haben werde. Geſetzt aber / er thaͤte es / ſo iſt keine weitere gefahr oder ſchaden davon zu ſorgen / als damit Titius moͤchte damit alienior von ſeinem eheweib werden; dieſes war aber vorher eben ſo wol zu beſehen / bey begehrung der diſſolutoriæ oder declaratoriæ; und zwahr ſolches ſo viel gefaͤhrlicher / weil etwa poſt cœptum matrimonium die liebe mehr beſtaͤtiget / daß ſie ſich nicht ſo bald wieder ausleſchen lieſſe; da hingegen wo die feindſchafft noch vor der conſummation geſtaͤrckt wird / und doch die perſonen zuſammen muͤſſen / es ſo viel ſchwehrer iſt / wieder zu ei - niger liebe zu kommen. Daher weil die ſponſalia poſteriora ipſo jure nulla ſind / auch die declaratio judicis in dieſen umſtaͤnden nicht noͤthig; ſo hat der pfarre macht / ſolche zu diſſolviren / oder daß ich eigenlicher davon rede / das gewiſſen Semproniæ allein zu informiren / daß ſie an den zweyten nicht / aller - dings aber an den erſten gebunden ſeye: Auch wo ſie bußfertig der begange - nen ſuͤnde abſolution begehret / zu ihrer tranquillirung ſolche zu ertheilen. Damit greifft er dem judici, vor den die ſache noch nicht gehoͤret / nicht ein / und thut doch dasjenige / was zu beforderung der Semproniæ angſt / ſo dann zu beforderung der vollziehung der buͤndigen ſponſaliorum noͤthig iſt.

  • 7. Ob die von dem letzten werber abholungs-zeit zu fuͤrchten?

DJeſe frage faͤllet aus beantwortung der erſten dahin. Wolte aber Sem - pronia noch nicht damit zu frieden ſeyn / und waͤre alſo ihr ex ſua hypo - theſi zu antworten / ſo wird meiſtentheils die zeit der vier wochen auch hinge - ſtrichen ſeyn: Andern theils iſt ihr fleißig zu inculciren / daß wo ſie ſich inbuß -600Das vierdte Capitel. bußfertige ordnung ſtelle / der leidige teuffel die macht nicht haben werde / ſie wegzuholen; aus denen allgemeinen gruͤnden / wie der teuffel allerdings keine gewalt habe uͤber die / ſo ſich mit glauben an ihren Heyland halten / und ſich der anbefohlenen wehre gegen ihn / des glaubens / gebet und wortes GOttes / gebrauchen. Welches ihr aus der ſchrifft und dero bekanten ſpruͤ - chen mit mehrerem vorzuhalten waͤre. Abſonderlich iſt auch dieſes zu trei - ben: Daß weil der ihm vermeintlich geſchehene verſpruch allerdings un - guͤltig / ob es wol ſcheinen moͤchte / dardurch ein recht uͤber ſie erlanget zu ha - ben / (ſo aber auch durch wahre buß und glauben an den / welcher gekommen / die wercke des teuffels zu zerſtoͤhren / wiederum auffgehoben) damit gleich - wol kein recht erlanget habe / gleichwie GOTT dem HERRN die ſeinige / nachdem ſie ſolche wiederum worden / alſo Titio ſeine verlobte / und den el - tern ihre tochter / zu entfuͤhren; welche alle potius jus haͤtten / als er der ſatan vorwenden moͤchte. Hierzu dienen auch ein und andere hiſtorien / wie die - jenige / welche ſich dem teuffel ergeben gehabt / wiederum von ihm befreyet worden / daß ob er ſie zu beſtimmter zeit wegzuholen ſich unterſtanden / er doch ſolches wiederum unterlaſſen muͤſſen.

  • 8. Wie die angefochtene zu verwahren. Da ſonderlich des er - ſten braͤutigams condition es nicht leidet / anderswo als im wald zu wohnen?

KAn ihr ihre meinung benommen werden / daß ſie endlich erkennet / es ſeye nicht der teuffel / ſondern ſonſten ein betrieger geweſen / der ſie genarret / ſo iſt damit auch der kuͤnfftigen forcht begegnet. Jſt aber ſolche impreſſion zu ſtarck bey ihr / ſo moͤchte darzu dienlich ſeyn / zu urgiren / einmal / daß die von ihm ſelbs geſetzte zeit nicht gehalten / welche er zu halten nicht wuͤrde er - mangelt haben / wo ihm GOTT ſolches verhenget haͤtte; daß dieſes dann nicht geſchehen / ſey ein zeugnuͤß / wie ſich GOTT in gnaden ihrer erbarmet habe / und alſo kuͤnfftig / als der ſich nicht aͤndere / eben ſo barmhertzig und gnaͤ - dig gegen ſie bleiben / und deßwegen dem teuffel nicht mehr gewalt uͤber ſie zulaſſen werde / als es ihr nuͤtzlich ſeye; nachmal ſie zu unterrichten / daß ſie fleißig ihr vorſtelle die ohnmaͤchtigkeit des teuffels / der ohne goͤttliche er - laubnuͤß auch nicht Matth. 8 / 31. in die ſchwein fahren doͤrffte; die uͤber - ſchwenckliche barmhertzigkeit des himmliſchen Vaters / welcher die ſeinige viel zu zart liebe / als ſie dem feind in ſeine klauen zu uͤberlaſſen / welcher auch mit der ſuͤnde die ſtraffe zugleich erlaſſe; die krafft des gebets und glaubigen widerſtandes / davor der teuffel fliehen muͤſſe 1. Pet. 5 / 9. Jac. 4 / 7. Die allguͤtige gegenwart Gottes / die in der einoͤde ſo wol uͤber uns walte / alsunter601SECTIO XV. unter vieleu leutẽ; auch die wache der heiligen Engel verdoppele / wo die gefahr groͤſſer iſt; des wald-lebens bequemlichkeit / da ob ſie ihrer melancholiſchen einbildung nach der leiblichen erſcheinung des teuffels ſich ohnnoͤthig beſor - ge / und dagegen mit glaubigem gebet zu verwahren habe / ſie bekantlich / ſo vielweniger teuffel / die bey vielen leuten geſchaͤfftiger zu ſeyn pflegen (wie an den laſtern) die ſolcher orten im ſchwange gehen / von vielen geitz-pracht - zanck-neid-luͤgen-ꝛc. teuffeln zu ſehen / ſo unſichtbahr unter dem groͤſſeſten hauffen der menſchen ſich finden) um ſich haben / und allerhand aͤrgernuͤſſes und verfuͤhrung ſicher ſeyn werde; ſo dann den troſt ihres beruffs / daß / da ſie ordentlich Titio gegeben und goͤttlichen finger darinn erkennen muͤſſe / je - ner aber auch von Gott zu dergleichen leben geſetzet / ſie ſich gewiß verſichern koͤnne / GOtt habe ſie nicht zu ihrem ſchaden und gefahr beruffen / ſondern wo ſie in ſolchem beruff in gefahr gerathen oder zu gerathen vermeine / vermoͤge er ſie eins ſo wol als anders orts kraͤfftig zu erhalten / und zu beſchirmen; und weil ſie zu ſchuldigem gehorſam ſeiner ordnung ſich darzu bequeme / werde ers auch gewißlich thun. Dieſes moͤchten ohngefehr die vornehmſten troſt - gruͤnde ſeyn / damit ſie zu verwahren / und dieſelbe ihr aus goͤttlicher ſchrifft mit mehrerem auszufuͤhren; nebſt fleißiger vermahnung zum gebet / gottſeli - gem wandel und verhuͤtung aller vorſetzlichen verletzung des gewiſſens / da - durch dem teuffel neue macht gegeben werde. Titio waͤre auch zuzuſprechen / fleißig acht auf ſie zu geben / ſie freundlich und ſanfftmuͤthig zu beleben / daß die melancholie nicht vermehret werde / oder wiederkomme / ihr fleißig zuzu - ſprechen / und insgeſamt vernuͤnfftig allerhand gefahr abzuwenden.

Der gnaͤdige GOTT fuͤhre auch dieſe ſache alſo aus / daß ſeine ehre dadurch geprieſen / und der beyden perſonen heil befordert / allerhand aͤrger - nuͤß und gefahr aber verhuͤtet werde. 1673.

SECTIO XVI. Uber einen caſum, da von einer weibs-perſon drey ehemaͤnner noch im leben waren.

DEn uͤberſandten caſum habe ich ableſend mit mehrerm verſtanden / auch was Silani gewiſſes anligen ſey / daraus erſehen / aber fuͤglicher gefunden / die vorgelegte fragen / theils anders zu diſponiren / theils in mehrere abzutheilen. Und iſt nach reifflicher erwegung / forderſt aber hertzlicher anruffung GOttes / um ſein liecht und gnade / meine einfaͤltige er - klaͤhrung ſolcher fragen / wie folget.

G g g g1. Was602Das vierdte Capitel.

1. Was der rechte verſtand ſeye der beyden ſpruͤche / Matth. 5 / 32. Rom. 7 / 3.

WEil aus dieſen beyden ſpruͤchen der vornehmſte ſcrupel Silano entſtan - den / alſo muͤſſen dieſelbe zum allerforderſten nothwendig erklaͤret wer - den: Nicht zwahr / daß eine vollkommene ausfuͤhrung alles desjenigen / was bey ſolchen ſpruͤchen vorkommen moͤchte / noͤthig erachte / ſondern allein davon zu handeln / ob aus ſolchen folge / daß ſchlechterdings / und aus keiner urſach einiger ehegatt / abſonderlich ein weib / deren mann noch im leben iſt / wiederum heyrathen moͤge / ſondern bloß dahin alle ſolche zweyte ehe / die bey leben des vorigen ehegemahls geſchihet / als ein verdammlicher ehebruch von ſeiten ſolcher perſon / und derjenigen / welche ſich mit ihr einlaͤſſet / zu halten ſeye. Denn dieſen verſtand ſchei - net Silanus in ſolchen ſpruͤchen zu beſorgen / und hat daher ſeine ſcrupu - los bekommen. Nun iſt nicht ohne / daß die von Roͤmiſch-Paͤpſtiſcher ſeiten in ſolcher meinung ſind / daß auch nicht einmal durch den ehebruch das eheliche band auffgeloͤſet / und alſo zu anderwaͤrtiger verheyrathung erlaubnuͤß gegeben werde. Es iſt aber biß daher ſolcher Roͤmiſcher par - they ihre meinung von unſern Theologis mit mehrerm widerleget / und gezeiget worden / daß ſolche ſpruͤche Chriſti und Pauli dieſen nicht mit ſich bringen / wozu ſie von ihnen angefuͤhret werden. Wir haben uns allein hie der kuͤrtze zu befleißigen.

Was nun den erſten ſpruch Matth. 5 / 32. mit dem der gleichlau - tende Matth. 19 / 9. zu vergleichen / anlanget: So iſt 1. zu mercken / aus was gelegenheit unſer Heyland ſolche worte geredet / nemlich uͤber die theils von Moſe um der haͤrtigkeit der hertzen willen erlaubte / und durch viele ihrer lehrer zuſaͤtze weiter ausgedaͤhnte ſcheidung der ehe durch gebenden ſcheid-brieff. Welches Chriſtus weiſet entgegen zu ſtehen der erſten einſetzung der ehe / daß es nemlich von anbegin nicht alſo geweſen. War alſo der caſus, ob auf einige weiſe ein mann von ſeinem weibe / welches er einmal genommen / frey werden koͤnne; da antwortet Chri - ſtus / es koͤnne ſolches nicht geſchehen auf die art / wie von juͤdiſcher ſei - ten geglaubet wurde / daß auch um geringer urſache willen / ein ſcheide - brieff gegeben werden koͤnte. Stehet demnach dieſe rede Chriſti entgegen der / die erlaubnuͤß der ſcheidung allzuweit ausdaͤhnender juͤdiſchen mei - nung: Und weiſet hingegen / wie feſt das band der ehe ſey. 2. So iſt wol zu mercken / die austruͤckliche limitiaton unſers Heylandes / es ſeydenn603SECTIO XVI. denn um ehebruch willen. Daß alſo Chriſtus austruͤcklich hiemit weiſet / er wolle ſein wort / daß ein ſolcher die ehe breche / oder zu ehe - bruch urſach gebe / nicht verſtanden haben / von demjenigen / welcher um ehebruch willen ſein ehegemahl verſtoſſen. Sondern daß hingegen folge / welcher denn ſein gemahl um hurerey willen von ſich ſcheidet und laͤſſet / der breche die ehe nicht / noch ſey ſchuldig an dem ehebruch. Wie derjeni - ge / der da ſagt: Es mag ein ehegemahl nicht wieder heyrathen / ſein voriges ehegemahl ſey dann todt / eben damit ſagt: Wann dann das vo - rige ehegemahl todt iſt / ſo mag er wieder heyrathen. Alſo auch hie fol - get richtig / weil der ehebruch ausgenommen iſt / ſo gelte dann bey dem - ſelben das gegentheil desjenigen / was Chriſtus / auſſer der hurerey von andern urſachen geſagt / daß um derſelben willen die ſcheidung die ſchuld des ehebruchs nach ſich ziehe. Um ſo vielmehr / weil Chriſtus von kei - ner art der ſcheidung / etwa nur zu tiſche und bette reden koͤnte / von de - ro damal niemand nichts wuſte / ſondern ſeine worte nothwendig muͤſſen verſtanden werden / von einer ſolchen ſcheidung / die damal bey den Ju - den uͤblich / daß dieſelbe ſo bald das recht eine andere hingegen zu heyra - then mit ſich braͤchte. Was von einigen Paͤpſtiſchen Scribenten eingewen - der wird / daß gleichwol Marcus und Lucas dieſen beyſatz / es ſey denn um ehebruch willen / nicht haben / iſt von keiner erheblichkeit / dann bekant / daß der H. Geiſt aus ſonderbarem weiſen rath die feder der hei - ligen Scribenten alſo gefuͤhret / daß ſie einerley nicht mit gantz einerley worten vorgetragen / und je einer aus dem andern zu erklaͤren ſeye. Wel - ches mit vielen exempeln ſich erweiſen laͤſſet. So ſind auch die wort Marci und Lucaͤ / wie ſie bey denſelben ſtehen / ob zwahr ſo deutlich nicht / daß unſre intention daraus erwieſen werden koͤnte / aber ſie ſind auch derſelben nicht entgegen. Denn ſie ſind nach unſerer erſten anmerckung zu verſtehen / daß ſie als eine antwort ſich ſchicken auf der verſucher Chriſti frage. Da war aber derſelben frage nicht ſo wol daruͤber / ob einige urſach / nemlich der ehebruch / genug ſeye zur ehe-ſcheidung / als welches bey allen zeiten damal bekandt war / ſondern ob auch um ſonſt einiger andern urſach willen / ſolche ſcheidung geſchehen koͤnte / welches die meinung der beruͤhmten ſchul Hillelis damal war / und folgends von Rabbi Akiba weiter behauptet und auf die nachkoͤmlinge gebracht iſt. Jn ſolcher abſicht antwortet Chriſtus / daß weil die ſcheidung um des ehe - bruchs willen bey allen ohndiſputirlich erkant wuͤrde / was die uͤbrige ſa - chen anlangte / darvon zwiſchen den Juden und den beyden ſecten Sam - mæana und Hilleliana ſtreit war / ſeye es goͤttlicher wahrheit gemaͤß /G g g g 2wer604Das vierdte Capitel. wer von ſeinem weib ſich ſcheide / daß der davor erkant werde / er breche die ehe. Daher da Matthaͤus die wort geſetzt / wie ſie Chriſtus mit ſeinem munde geredet / ſo haben Marcus und Lucas, der kuͤrtze wegen / die wor[t]: es ſeye denn um ehebruch / ausgelaſſen / weil ſolche ausnahm / ohne das bey den Juden bekant und ohnſtreitig war. Vorausgeſetzt nun dieſer an - merckungen / ſo ſehen wir 3) daß die rede CHriſti nicht in ſich faſſe / daß den - jenigen welche ehebruchs wegen von ihrem vorigen ehegemahl loßwerden / und ſich wiederum anderwertlich verheyrathen / moͤchte rechtmaͤßigen ſcru - pel machen / ſondern er ſaget allein: Wer ohne urſach des ehebruchs / und al - ſo ſo lang der andere theil durch ſeine mißhandlung das auf die gantze le - benszeit geknuͤpffte band nicht zerriſſen / ſondern daſſelbe beyderſeits feſt noch ſtehet / von ſeinem weib ſich ſcheidet / und eine andre nimmet / brichet die ehe / und gibt urſach die ehe zu brechen / jenes / in dem er das noch biß dahin rechtswegen unverbrochene eheliche band allererſt durch ſolche neue unrecht - maͤßige ehe zerreiſſet / dieſes / in dem er ſolcher abgeſchiedenen urſach und gelegenheit gibet / ſo wol auſſer dem eheſtand / da ſie ſonderlich deſſen hoff - nung verlohren / mit leicht fertigkeit ſich zu verſuͤndigen / als auch / da ſie / ſo lang nemlich er ledig bleibet / (denn wo er bereits geheyrathet / ſo iſt nun - mehr von ſeiner ſeyten hurerey begangen / und alſo der caſus des ehebruchs / der excipiret worden) wiederum anderwertlich heyrathet / bricht auch die e - he / in dem ſie bey nochſtehendem band der vorigen ehe / welche vor GOTT durch den ſcheidbrieff noch nicht getrennet / einem andern ſich und den leib / - ber den ſie noch nicht maͤchtig worden / noch der vorige ehemann ihr ſolche macht durch den ſcheidebrieff guͤltig hat geben koͤnnen / uͤbergibet / und ein neues band / damit alſo das vorige aufgeloͤſet wird / knuͤpffet. Womit ich meine / die worte CHriſti ſeyen einfaͤltig und deutlich erklaͤhret. Was den ort Pauli Rom. 7. anlanget / iſt davon zu mercken / daß ſolches hergenom - men aus einer ſolchen ſtelle / wo nicht ex profeſſo die materie tractiret wird / ſondern allein die verbindung des weibes an den mann angezogen wird / zum gleichnuͤß der herrſchafft des geſetzes uͤber den menſchen; in welchem gleich - nuͤß gnug iſt / daß Paulus davon handlet / was GOttes wille und rath uͤber den eheſtand ſeye / nemlich daß die herr ſchafft des mannes uͤber das weib ſolle bleiben / ſo lange er lebet / und ſie ſich ihm und ſeiner herrſchafft deßwegen nicht entziehen mag / und es gehen ſoll nach goͤttlicher ordnung. Worinnen es heiſſet / daß was GOtt zu ſammen gefuͤget / der menſch nicht ſcheiden ſol - le. Damit aber nicht ausgeſchloſſen wird / wenn ſolche goͤttliche ordnung durch den ehebruch geſchwaͤchet / daß alsdann dasjenige ſtatt habe / was GOtt ordentlich von dem eheſtand hat laſſen verordnen / daß nemlich der un -ſchul -605SECTIO XVI. ſchuldige theil von dem ſchuldigen durch ehebruch loß werde. Daher Pau - lus (wie unſer Sel. D. Chemnitius Ex. Conc. Trid. p. m. 434. fein bemer - cket) vorherſetzet / er rede mit ihnen / als die das geſetz wiſſen. Daß aber nach rechtmaͤßiger eheſcheidung wieder ander wertliche heyrath vergoͤnnet wor - den / iſt aus der ſchrifft bekaͤntlich. Anders koͤnnen wir Paulum nicht ver - ſtehen / als der ihm ſonſten ſelbſt widerſpraͤche. Denn ſolte Paulus dieſes orts lehren / daß bloß dahin kein fall waͤre / wenn das weib von des noch le - benden mannes herrſchafft befreyet wuͤrde. Wie ſagte er denn 1. Cor. 7 / 15. Es ſey der bruder oder ſchweſter nicht gefangen in ſolchen faͤl - len. Damit er klahr zeiget / daß er an jenem ort / rede von dem / was ordentli - cher weiſe nach GOttes ordnung in der ehe ſeyn ſolle / nemlich daß ſie unauf - geloͤßt bleibe / ſo lange der ehegatte lebt: Ob er wol nicht leugnet / daß menſchliche boßheit ſolch band zerreiſſen / und ſo zerreiſſen koͤnne / daß der glaͤubige und unſchuldige theil nicht mehr gefangen und gebunden ſeye. Wie Paulus dieſes orts ſaget / ob er ſchon in eben ſolchem Cap. v. 39. eben dasje - nige ſaget / was er auch Rom. 7. geſagt hatte. Woraus aber eben zu ſchlieſſen / daß mit einiger ausnahm die ohnbedingt da ligende worte zuver - ſtehen ſeyen.

2. Ob Livia von dem ehlichen band mit Verre loß wor - den?

AUf dieſe frage zweifle ich nicht mit ja zu antworten; Nicht zwahr wegen 1. des uͤbeln tractaments / ſo ſie von Verre empfangen / noch 2. weil der - ſelbe ſie zu der ehe durch betrug und vorgeben desjenigen ſo ſich inder that nicht gefunden / gebracht. Deren beyde urſachen ungnugſam ſind. Noch 3. we - gen des Verre auf ſich geladenen verdachts des ehebruchs / in dẽ nichts erwie - ſen werden koͤnnen. Noch 4. wegendes gegebenen ſcheidebrieffs / welcher al - lerdings wichtig / alldieweil conſenſus zwahr das matrimonium, machen / nicht aber wiederum diſſolviren kan; Noch 5. die darauf gefolgte wuͤrckli - che von einanderziehung / die zwahr eine deſertionem anfienge zu machen / a - ber ſolche iſt noch nicht zum bruch des bandes in ſolchen terminis gnug gewe - ſen. Sondern das eheliche band / zwiſchen Verre und Livia iſt gebrochen worden / durch Verris ander wertlichen heyrath / welcher einen freventlichen ehebruch in ſich gefaſſet / und damit Livia ihrer pflicht loß worden. Weil wir im vorigen geſehen / daß der ehebruch nach CHriſti worten ſcheide / und auch ſolches gantz klahr iſt / weil dieſes verbrechen der ehelichen gemeinſchafft ſchnur ſtracks entgegen. Wie dieſer lehr-ſatz bißher von vielen Theologis zur gnuͤge gegen die von Roͤmiſcher ſeyten behauptet worden.

G g g g 33. Ob606Das vierdte Capitel.

3. Ob Livia dadurch wiederum macht bekommen zu hey - rathen?

HJerauf antworte ich mit nein. Denn obwol das eheliche band durch Verris heyrath gebrochen worden / ſo gehoͤrete doch / daß Livia freyheit wieder zu heyrathen bekaͤme / mehr dazu. 1. Reden wir von dem geſetz und foro exteriori, ſo wird die ehe nicht vor geſchieden geachtet / biß der richter - liche ausſpruch druͤber geſchehen / welches nicht nur recht / ſondern gantz bil - lig / ja in menſchlicher geſellſchafft deswegen noͤthig iſt / damit niemand ihm ſelbs recht ſpreche / welches wo es erlaubt waͤre / daß jemand in ſei - ner eignen ſache richter zu ſeyn vermoͤchte / viel ungelegenheit nach ſich zie - hen wuͤrde. Um ſo viel mehr / weil auch die rechten nicht allezeit wegen des ehebruchs (wo der andre theil auch gleiche ſchuld auff ſich ligen hat) die eheſcheidung ergehen laſſen / ſondern in gewiſſen faͤllen das zerriſſene band wieder auffs neue zu ergaͤntzen noͤthigen. Daher auch hie noͤthig ge - weſen einer richterlichen unterſuchung der ſachen und ausſpruchs. Re - den wir aber 2. auch von dem gewiſſen und foro interiori iſt eben wol ſolche declaration von noͤthen / weil uns das gewiſſen aus - truͤcklich dahin verbindet / allen verordnungen der rechten / die ſon - derlich alſo billich ſind / zu gehorſamen / und was alſo wider dieſelbe ge - ſchihet / geſchihet nicht ohne ſuͤnde. Weil alſo der richterliche ausſpruch Liviam nicht von Verre loßgeſprochen / halte davor daß Livia weder vor der welt habe rechtmaͤßige freyheit zu heyrathen gehabt / noch auch daß ſie vor GOTT ohne ſchwehre verletzung des gewiſſens habe wieder heyrathen koͤnnen.

4. Ob Liviæ ehe mit Sulpitio rechtmaͤßig und guͤltig gewe - ſen?

HJevon haͤtte man urſach zu zweifeln: 1. weil in voriger frage erwieſen / daß ſie / obwol Verres einen ehebruch begangen / noch nicht macht mit gutem gewiſſen zu heyrathen bekommen. 2. Weil ſie damals paͤpſtiſcher religion zugethan geweſen / nach dero principiis, daran ſie gehalten / auch durch den ehebruch das eheliche band nicht zerriſſen / oder einigem theil zu ander waͤrtiger heyrath erlaubnuͤß gegeben wird. Aber ohneracht ſolcher urſachen zweifle nicht zu behaupten / daß ſolche ehe zwahr nicht rechtmaͤßig / aber doch guͤltig geweſen. Non rectum, ſed tamen ratum. Es iſt aber ſol - che diſtinction wol zu mercken. Rechtmaͤßig rectum) heißt / was ich oh - ne ſuͤnde mit gutem gewiſſen thun habe koͤnnen. Guͤltig aber (ratum) daßwo607SECTIO XVI. wo es geſchehen / ſich nicht wieder retractiren laſſe. Nun koͤnnen exempel gefunden werden / daß eine ehe nicht rechtmaͤßig ſeye / ſondern mit ſuͤnden an - gefangen worden / die aber nachmal guͤltig iſt. Zum exempel: Eine unglau - bige perſon zu heyrathen iſt nicht recht / aber wo ſie geheyrathet / ſo iſt die ehe guͤltig / und hat die perſon / welche mit verletzung des gewiſſens die andre ge - heyrathet / gleichwol nicht macht noch fug von ſolcher ehe wieder zuruͤck zu gehen. Ferner aus anderer abſicht / als GOttes ordnung mit ſich bringt / und bey gottſeligen hertzen die urſach ihrer ehe iſt / in den eheſtand treten / iſt nicht recht / aber der dadurch auf unrechtmaͤßige weiſe angefangene eheſtand / iſt nichts deſtoweniger guͤltig. Wir haben ein denckwuͤrdiges exempel in der ſchrifft: Daß David die vorhin mit ehebruch befleckte Bathſebam nach dem todtſchlag ihres mannes Uriaͤ nahm / war nicht recht / ſondern GOTT laͤßt durch den Propheten Nathan dem David nicht weniger vorhalten / daß er Bathſebam zum weibe genommen hab: / als ſeine uͤbrige ſuͤnde. 2. Sam. 12 / 9. 10. Hat alſo derſelbe ſich mit dieſer nehmung ſchwehrlich verſuͤndiget. Wie auch ſonſt dem ehebrecher nicht erlaubt iſt / die perſon / mit dero er geſuͤn - diget / zum weibe zu bekommen / und damit gleichſam ſeiner uͤbelthat vortheil zu haben. Wie nun ſolcher heyrath unrechtmaͤßig war / ſo war er gleichwol guͤltig: Wie dann David dem die Bathſebam zu verlaſſen nirgend befohlen worden / auch er bey ſeiner hertzlichen buſſe nichts deſtoweniger dieſelbe be - halten hat: welches nicht wuͤrde geſchehen ſeyn / wo er deswegen ſolche per - ſon zu behalten nicht fug gehabt / weil er ſie zu nehmen nicht macht hatte. Vorausgeſetzt dieſer diſtinction, halte ich davor / daß zwahr freylich Liviæ heyrath an Sulpitium unrecht geweſen / dazu ſie mit gutem gewiſſen nicht hat ſchreiten koͤnnen / wie die erſte ratio dubitandi zeiget aus der vorigen fra - ge. Aber daraus folget noch nicht / daß deswegen die ehe nicht guͤltig gewe - ſen waͤre. Dann die urſach weswegen Livia nicht zu heyrathen macht hat - te / iſt nicht daher gekommen / daß das eheliche band mit Verre noch gewaͤh - ret / dann ſolches war durch den ehebruch zerriſſen: Wie denn keine ſententia Judicis das band zerreiſſen kan / ſondern nur zeigen muß / daß durch menſch - liche boßheit daſſelbe zerriſſen worden. Sondern die urſach haben wir ge - zeiget darinnen zu ſtehen / weil der richterliche ausſpruch um der ordnung willen (weil tauſend incommoda ſonſten folgen wuͤrden / wo jeglicher ohne ſolchen ausſpruch macht haͤtte in eigner ſache recht zu ſprechen. ) von noͤthen iſt / nicht aber bloß dahin und abſolutè; daher an ſolchen orten / wo man kei - ne Obrigkeit haͤtte der unſchuldige theil ſich ſeines rechtes / von der ehebruͤ - chigen frey zu bleiben / ohne ſolchen ausſpruch gebrauchen doͤrffte: Und Pau - lus auch ſolchen ausſpruch nicht wuͤrde erfordert haben / zu befreyung derglau -608Das vierdte Capitel. glaubigen perſon (ſihe 1. Cor. 7.) die von der unglaubigen verlaſſen / und damit die ehe gebrochen worden / da bey der Heydniſchen Obrigkeit der aus - ſpruch vergebens wuͤrde geſucht worden ſeyn. Was nun zuweilen kan un - terbleiben / iſt nicht bloß dahin vonnoͤthen. Womit die oben behauptete nothwendigkeit nicht auffgehoben / ſondern dahin / wo man den ſpruch haben kan / reſtringiret wird. Nun haͤtte man hie den richterlichen ausſpruch for - dern koͤnnen / daß deswegen die unterlaſſung ſolchen zu ſuchen unrecht iſt; Weil aber das factum ſo bewandt / daß ſolcher ohne zweiffel wuͤrde dahin gefallen ſeyn / daß Livia von Verre frey / ſo war ſie nunmehr eine an ſich freye perſon / und machte die unterlaſſung zwahr bey ihr eine ſuͤndliche ſchuld / nicht aber eine ſolche unmoͤglichkeit / die die auch folgende ehe zunicht machte. Was die andere rationem dubitandi anlangt / gehet ſie auch nicht weiter / als daß ſie zeiget / daß Livia ſich ſchwehrlich verſuͤndiget / wider ihrer eigenen Con - feſſion principia, mit einem ſich einzulaſſen / da ſie nunmehr zu ſtaͤtigem - libat, als lang Verres lebte / gehalten war: nicht aber daß die vor GOtt an ſich ſelbs guͤltige ehe / nichtig wuͤrde: indem eines menſchen habender irr - thum von einer ſache deroſelben beſchaffenheit und weſen nicht auffhebet. A - ber ſo viel brachte ſolcher der Liviæ damaliger irrthum mit ſich / (wie es mehr - mal bey der conſcientia erronea zu geſchehen pfleget) daß ſie auff keiner ſeit von ſuͤnden frey war / bliebe ſie bey dem mann / ſo koͤnte ſie die ehe nach ihrer religion hypotheſibus nicht vor eine wahre ehe halten / und wurde ihr alſo al - ler derſelben gebrauch wegen widerſprechenden gewiſſens / nach Pauli regul Rom. 14 / 23. zur ſuͤnde. Verließ ſie ihn aber / wie ſie auch gethan / ſo ver - ſuͤndigte ſie ſich wiederum / daß ſie das band zerreiſſen wolte / ſo doch obwol mit ſuͤnden gebunden / gleichwol buͤndig war. Stehet alſo nichts im weg / die ehe vor wahrhafftig guͤltig anzuſehen.

Q. 5. Ob Livia wiederum dieſes bandes mit Sulpitio frey worden?

JCh antworte wiederum mit ja: nicht zwahr daß ich ſolche befreyung ſuch - te 1. in ihrer uͤbereilung / daß ſo viel aus der Relation ſehe / zwahr auff ſie getrungen worden / aber doch nichts erſcheinet / das zeigte / daß es nicht ein wahrer Conſenſus geweſen / der die ehe machet. Noch 2. in der de - ſertion auff ſeiten Liviæ, denn ob ſchon ſolche ein anfang zu einem ehe - bruch geweſen / und ſich Livia damit ſchwehrer als an dem erſten verſuͤn - diget / war doch die deſertio noch nicht ſo pertinax, als erfordert wird / daß ſie vor einen ehebruch erkant werde. Sondern meine bejahung moͤch -te609SECTIO XVI. te gegruͤndet werden / einstheils zwahr auff die gefolgte discuſſion der ſache / da / wie ich aus der relation erſehe / Livia von Sulpitio gerichtlich loßgeſprochen / alſo daß auch dieſem die macht wieder zu heyrathen ver - boten wurde. Womit die ſache in foro exteriori ausgemacht / doch ge - ſtehe gern / daß ich auff dieſem fundament nicht allein genug zu beruhen weiß: indem mir nicht vollkommen wiſſend / auff was weiſe ſolche loßzeh - lung geſchehen / und aus was urſache alſo geſprochen worden: daher an - dern theils dieſe urſach nur vornemlich die ſache ausmachet / daß Sulpiti - us wieder geheyrathet / damit alſo das eheliche band abermal zerriſſen worden.

Q. 6. Ob Livia nach Sulpitii anderwaͤrtigem heyrathen auch macht gehabt / ſich zu verheyrathen?

HJerauff finde ich / daß eben / als oben q. 3. mit nein zu antworten ſeye / ob zwahr ein richterlicher ausſpruch geſchehen / wird doch ſolches nicht alſo beſchrieben / daß ihr die macht des heyrathens dadurch zugeſtanden worden; vielmehr ſcheinet es allein dahin gegangen zu ſeyn / daß Livia von Sulpitio zur ungebuͤhr perſvadiret woꝛden / die doch wegen des lebens des vo - rigen Verris nach den principiis der Roͤmiſchen kirchen nicht heyrathen kon - te / daruͤber ſolcher verſpruch reſcindiret worden / aber ohne gebende erlaub - nuͤß zu heyrathen / vielmehr implicite, daß ihr dieſes verboten worden. Und ſolches ex hypotheſi ihrer religion / und ſo lang ſie dabey war. Von derſel - ben aber abzugehen / und die ſache wie ſie in der wahrheit iſt anzuſehen / ha - ben wir erkant / daß deren ehe mit Sulpitio guͤltig geweſen: Ob ſie nun ſchon von dieſem durch die folgende ehe gebrochen worden; war gleichwol Livia an ſolchem bruch durch ihre deſertion ſelbs urſach / und bleibt ihr alſo zu rechtmaͤßiger ſtraffe ihrer leichtſinnigkeit das beneficium wieder zu heyra - then billich verſaget.

Q. 7. Ob Liviæ gefolgter heyrath mit Silano rechtmaͤßig und guͤltig?

WJe dieſe frage / gleichwie die vierdte / doppelt iſt / alſo antworten wir auff derſelben erſten theil mit nein / aus eben dem fundament, weil Li - via die macht nicht gehabt zu heyrathen / wie wir q. 6. geſehen / ſo viel mehr weil ihre damalige Roͤmiſche religion dergleichen ſchlechterdings verboten: zugeſchweigen / daß ſolche ehe noch dazu mit leichtfertigkeit angefangen / und ferner an denjenigen geſucht worden / welcher ſelbs nicht ſeiner maͤchtig / ſon - dern einer andern mit eydlichem verſpruch zugethan geweſen: dazu noch kommt / daß ſie mit betruͤglicher verſchweigung (abermal wider ihre religi -H h h hons610Das vierdte Capitel. ons principia) der hinderungen die Copulation von ihrem geiſtlichen erhal - ten. Daß alſo ſolche ehe / wir ſehen ſie an / wie wir immer wollen / gantz un - rechtmaͤßig / und mit vielfaͤltiger verletzung des gewiſſens angefangen wor - den. Was aber das andere ſtuͤck der frage anlangt / halte ich gleich wol dieſe ſo ſuͤndlich angefangene ehe vor guͤltig und buͤndig. Dann die hinderung von ſeiten Silani iſt auffgehoben / durch den heyrath der vorhin von ihm be - trogenen perſon. Ferner / Liviæ gebuͤhrte zwahr die ſtraff ohne ferners hey - rathen zu bleiben / nach dem aber die Obrigkeit ſolche zu exſequiren / oder ſie von der heyrath abzuhalten unterlaſſen / oder vielmehr des orts / da die ehe vorgegangen / nichts davon gewuſt / ſo iſt zwahr ſolche verheyrathung wie wir gehoͤret haben / ſuͤndlich / aber doch das damit gebundene band buͤndig. Die urſachen ſind in obiger frage beantwortung mit enthalten.

Q. 8. Was dann Silanus und Livia nunmehr zu thun ha - ben?

DAs erſte / was von denſelben erfordert wird / iſt hertzliche erkaͤntnuͤß ihrer ungemeinen / ſchwehren und uͤberhaͤufften ſuͤnden-faͤllen / welche ihnen ihr gewiſſen / wo ſie ſolches redlich pruͤfen wollen / ſelbs vor augen ſtellen wird. Damit aber auch in dieſem ſtuͤck ihnen an die hand gehe / als will al - lein hier auffzeichnen diejenige / welche ich aus der relation finde. Silanus hat zu erkennen. I. Seine mit Fulvia (obſchon / ſo viel ich abnehme / ohne wiſ - ſen einiges andern menſchen) begangene unzucht / und ſolches ja nicht als eine geringe ſuͤnde und peccatillum juventutis anzuſehen / ſondern als eine ſolche ſuͤnde / mit welcher er den H. Geiſt (wofern derſelbe nicht ohne das ſchon mit liebe zu der welt ausgetrieben geweſen) aus ſeinem hertzen verjaget / und aus einem tempel GOttes (welcher es ſeyn ſolte / und von ſeiner tauff an gewe - ſen) eine wohnung des boͤſen feindes gemacht / und alſo damal ſchon ſolchem ſchandgeiſt die herrſchafft uͤber ſich gegeben / der ihn nach mal in ſo viel andere ſuͤnden geſtuͤrtzet / welche alle aus der macht hergekommen / die er einmal dem ſatan uͤber ſich gegeben. Wie ich dann von ſolcher zeit an nicht davor halte / daß Silanus biß auff endlich erfolgte buſſe den Geiſt GOttes bey ſich gehabt / ſondern immerfort in der ſuͤnden und des ſatans gewalt geweſen ſeye / ob er wol mag dem gottesdienſt beygewohnet / und des heiligen abendmahls ſich gebraucht / auch dabey ihm betruͤglich / daß er ein guter Chriſt ſeye / eingebil - det haben. Die urſach / warum ich alſo davor halte / iſt dieſe / weil er dieſen fall nicht mit ernſt und auffrichtigkeit bereuet / ſondern ſo bald / um ohne zweiffel Fulviam nur zu ſchweigen / damit die ſchande nicht offenbar wuͤrde / denſel - ben mit der andern ſchwehren todtſuͤnde vermehret / da er Fulviæ mit einem eyd die ehe auff das kuͤnfftige zugeſaget / und gleichwol / wie er ſelbs geſtehet /zu611SECTIO XVI. zu halten nie in willens gehabt. Welcher greuliche mißbrauch goͤttlichen nahmens / und entheiligung des heiligſten bluts unſerer erloͤſung / in derglei - chen meineyd / ſo an ſich ſelbs eine ſchwehre todtſuͤnde iſt / welche den menſchen aus goͤttlichem gnaden-ſtand ſetzte: zugeſchweigen / daß er noch zu boͤſem en - de / die eigene ſchande ungeziemlich zudecken / und Fulviam zu betriegen / an - gewendet worden. Und iſt gleichwol Silanus immerfort in ſolcher ohnbereue - ten ſuͤnde fortgegangen.

Denn die entſchuldigung vor GOtt nicht gilt / er habe ſich verſchworen / keine andere als ſie zu heyrathen / aber deswegen habe er wollen ledig blei - ben; dann Silanus wiſſen wird / oder ja wiſſen ſolte / daß ſich mit den eyd - ſch wuͤren nicht ſchertzen / oder æquivociren laſſe / und daß dieſelbe in dem ver - ſtand wie derjenige / welchem geſchworen wird / die deutliche worte auff - nimmt / zu verſtehen ſeyen. Da er aber leicht erachtet / daß Fulvia nicht mit ſeinem ledig bleiben wuͤrde zu frieden geweſen ſeyn / ſondern aus ſolchem ſchwur den verſpruch ſie zu nehmen verſtanden haben. Und dazu war er vor GOtt gehalten. Daher dieſes ein offenbarer meineyd / daß er deswegen das blut Chriſti und deſſen heilſamen genuß verſchwohren in einer ſache / die er niemal begehret zu halten / ſondern leichtfertig allein die andre etwa von ihm verfuͤhrte perſon zu betriegen / des eyds gemißbrauchet. Es gilt auch nicht einwenden / daß wenn er unterdeſſen zum tiſch des HErren gegangen / oder ſeinem GOtt gebeichtet / daß er auch ſolche ſuͤnde hertzlich erkant und be - reuet. Denn diejenige reue halte ich billich vor eine heuchel-reue / da man dasjenige / womit man ſich verſuͤndiget / noch immer will fortſetzen; nun wol - te Silanus noch immerfort ſeinen meineyd continuiren / und Fulviam nicht heyrathen / noch ihr ſolche ſchuldige ſatisfaction leiſten. Alſo daß dieſes recht eine nicht nur herrſchende / ſondern lang continuirte ſuͤnde iſt. Hiebey ſind mir die weitere umſtaͤnde nicht bekant / die aber Silanus bey ſich zu erwe - gen / ob / wie nicht zweifle / von ihr / der Fulvia, auch ein verſpruch gegen ihn vorgegangen / und ſie alſo beyde ein ander verbunden wahrhafftig vor Gott als eheleut geſtanden / er aber durch ſein unterlaſſendes zuſchreiben / (neben dem im hertzen gehabten propoſito, ſie nur zu eludiren) ſie zu anderwertiger heyrath bewogen / damit bey ihr eine art des ehebruchs verurſachet: J - tem / ob vielleicht deroſelben ehe / nachdem ſie in das ehebett keinen unbe - fleckten leib gebracht / uͤbel gerathen / und uneinigkeit entſtanden waͤre / o - der was ihr Fulviæ moͤchte begegnet ſeyn / daran er / Silanus, wo die urſach recht unterſuchet wird / ſchuldig waͤre. Hierauff folget 3. ſeine unzuͤchtige liebe / mit der er aus trieb des ſchon / wie bereits an - gemercket / bey ihm herſchenden ſchandgeiſtes / gegen Liviam entbrant / die eine frucht voriger ſuͤnden und gleichfals ſchwehre ſuͤnde iſt / ſonderlich daerH h h h 2der -612Das vierdte Capitel. derſelbigen nachgehenget / und nicht eher nachgelaſſen / biß er ſeine boͤſe luͤſte ins werck geſetzet. Welche (und zwahr / ſo viel ich ſehe / oͤffters wiederholte) ſchand-that / nicht nur bloß dahin als eine gemeine hurerey / die doch ſchon den menſchen aus dem reich GOttes ausſchlieſſet / ſondern fuͤr einen ehe - bruch zu halten / von beyden theilen. Jn dem Silanus von ſich ſelbs / wie er Fulviæ verknuͤpfft ſeye / und hingegen auch der Liviæ Condition, (die wir droben geſehen / daß ſie nicht habe heyrathen ſollen) aus ihrer relation wohl gewuſt. Und dieſes iſt abermal eine ſuͤnde / die nicht etwa aus einer menſch - lichen uͤbereilung und einmaliger uͤbernehmung des ſtarcken affects herge - kommen / ſondern ſo vielmehr boßheit in ſich faſſet / als laͤnger ſie continui - ret worden / und alſo zeit genug war / ſich daruͤber zu beſinnen: Ja auch weil alles ſolches vor den leuten unter dem falſchen ſchein / ob waͤren ſie eheleute / verdecket worden. Welche ſimulation auch nicht geringe ſuͤnde iſt.

Zu allem vorigen kom̃t noch 5. daß / nach dem Silanus, innhalts der re - lation, von GOtt zur buſſe gebracht worden / und alſo dieſe frucht auch drauf folgen ſolte / in allen dingen ſo viel ſorgfaͤltiger zu verfahren / und immer das gewiſſeſte und ſicherſte zu erwehlen / um alle gelegenheit der ſuͤnden zu ver - meiden / ich gleichwol ſehe / daß Silanus auch hierinnen ſolche frucht der buſſe noch nicht alſo habe bey ſich ſpuͤhren und ſehen laſſen / als die vorige ausge - ſtandene gewiſſens-angſt / und deſtomehr ſchuldige danckbarkeit / erfordert haͤtte. Jn dem / da von einem Theologo ihm eine vorhergehende gerichtli - che ſcheidung Liviæ von Verre; und deßwegen die Citation dieſes gerathen worden / ob wol derſelbe mit gewiſſer condition ſolche vor nicht nothwendig erachtet (ſo ich an ſeinen ort geſtellt ſeyn laſſe / weil ich die formalia nicht ge - ſehen / und alſo nicht weiß / ob er das matrimonium ſo ohne jene ſcheidung geſchehen war / pro recto oder nur rato gehalten) jener rath / als aufs we - nigſte der ſicherſte / zu ergreiffen geweſen waͤre. Jn dem die tranquillitaͤt des gewiſſens ſonderlich von einem / der mit ſolcher angſt ſo empfindlich ein - mal bereits behafftet geweſen / und ſich all ſein lebtag billig vor ſolcher be - betruͤbnuͤß ſeiner ſeelen mit Hißkia Eſa. 38 / 15. haͤtte ſcheuen ſollen / allen andern / auff der andern ſeiten ſonſten beſorgenden beſchwehrden waͤre vor - zu ziehen geweſen. Wie ſich auch itzo zeiget / daß wuͤrcklich das gewiſſen nicht gnugſam hat befriediget werden koͤnnen / ſo aber wuͤrde geſchehen ſeyn / dafern jenem rath folge geleiſtet worden. Daher auch dieſes / wie in glei - chen / daß er zugegeben / mit einigem betrug des beichtvaters Liviæ die Co - pulation zu erlangen / nicht ohne ſuͤnde geſchehen koͤnte / noch geſchehen iſt. Dieſes ſind diejenige ſtuͤcke / in denen Silanus vornehmlich ſeine ſuͤnde bußfer - tig zu erkennen hat.

Li -613SECTIO XVI.

Livia wird ihres orts nicht weniger / ſondern noch vielmehr finden / als die ich biß auff ihre letzte bekehrung finde / auf lauter irwegen gegangen zu ſeyn / daß ich ſie nicht anders an zuſehen / als eine perſon / welche bald dem welt-geiſt / und alſo dem boͤſen feind / macht uͤber ihr hertz gegeben / und daher auch von demſelben an einem ſtrick immer aus einer ſuͤnde in die andere ge - fuͤhret worden. Wie aber die ſuͤnde gemeiniglich von einem vor menſchen gering ſcheinenden anfang herkommet / alſo finde ich / daß ſie der teuffel zuerſt gewonnen / durch die leider bey der erſten jugend befindliche / aber um ſol - cher urſach willen nicht weniger ſuͤndliche liebe der welt / eigener ehr und weltlichen wohlergehens. Jn dem ſie an ſtatt / daß eine chriſtliche jungfrau nach allgemeiner chriſtlicher regul nach nichtes hohes trachten / ſondern ſo viel ihr muͤglich iſt im niedrigen ſtande zu bleiben trachten / und ihre einige ſorge / wie ſie dem HErrn gefallen moͤge / und was ihm angehoͤret 1. Cor. 7 / 32. ſeyn laſſen ſolte / von ſolchem ſinn geweſen / daß ſie nach vornehmerem ſtande und anſehen ihre begierde gehabt / und deßwegen einen Capitain und Werber geheyrathet / da ſie billig haͤtte wiſſen ſollen / wie bey jetziger krieges - art / der von fremden geworbenen ſoldaten / vielmehr aber ſolcher werber / (welche die leute manch mal zu gleich dem boͤſen feind zu fuͤhren als ſie ſie wer - ben) zuſtand / ob zwahr in der welt zimlich angeſehen / doch vor GOTT ein greuel / und dem Chriſtenthum zu wider ſeye. Dazu noch kommen / daß ſolches ihr ehrſuͤchtiges gemuͤth / ſie eben darinnen zu weiterer ſuͤnde verfuͤh - ret / da ſie dieſem menſchen wider ihrer mutter willen (welche aus chriſtlichem gemuͤthe ſcheinet ein abſcheu vor ſolcher lebensart gehabt zu haben / dero ſie deßwegen auch zu folgen ſchuldig geweſen waͤre) angehangen / und dero conſens faſt endlich erzwungen / welches abermal eine ſchwehre ſuͤnde iſt / und machet / daß ſie der urſach halber alles dasjenige / was ihr darnach von Ver - re unrecht angethan worden / nicht als ein von GOtt geſchicktes creutz / ſon - dern rechtmaͤßige ſtraff ihres weltgeſinneten hertzens und ungehorſams an - zuſehen hat; hierauff kommet / daß ſie / als Verres mit ihr nach hauſe gekom - men / und ſie die ſache anders befunden / als ihr Verres betruͤglich vorgeſagt / ſich in ſolches elend nicht alſo gedultig geſchickt / wie es einer Chriſtinn / wel - che erkennet dergleichen verſchuldet zu haben / gebuͤhret haͤtte.

Dahero ſie nicht urſach gehabt / Verrem von ſeinem handwerck / wie gering auch daſſelbe mag geweſen ſeyn / abzuhalten / und hinge - gen zu weitern krieges-dienſten anzutreiben. Dann ein handwerck iſt je noch chriſtlich; andere aber zu ſuͤnden zu werden / und auſſer erforderung ſeiner obrigkeit / und alſo rechtmaͤßigem beruff / nur wie man pflegt zu ſagen / ſeine fortun zu machen / dem krieg nach zuziehen / iſt ſuͤndlich / und wider das Chriſtenthum; Haͤtte alſo / weilen der betrug des Verris, als ein error accidentalis die guͤltigkeit der ehe nicht aufhub / Livia was ſtandesH h h h 3ſie614Das vierdte Capitel. ſie auch von ankunfft mag ſeyn / eher in ſolchem geringen handwercksſtand verbleiben / und mit gedult denſelben alſo anſehen ſollen / daß GOTT ihr weltgeſinntes / und nach dignitaͤten mit ungehorſam ſtrebendes hertz billig geſtraffet habe / und zur demuth zu ziehen ſuche / anſehen ſollen / als daß ſie ihn / zu verlaſſung ſeines rechtmaͤßigen berufs / zu einem unrechtmaͤßigen an - triebe. Ferner flieſſet aus eben dieſem brunnen / daß ſie nachmal Verrem ihren ehemann verlaſſen / wo ſie recht ihr gewiſſen pruͤfen will / nicht ſo wol wegen andern uͤbelen tractaments / als vielmehr aus verdruß dieſes gerin - gen ſtandes / in den ſie aus gerechter ſtraff GOttes gerathen / und weilen Verres, der zwahr mit ſeinem betrug und uͤbriger boßheit nicht entſchuldiget wird / ihr in ihrem begehren nicht folgen wollen; deßwegen ſie in ihrem gewiſ - ſen / als die urſaͤcherinn der gefolgten eheſcheidung um ihrer deſertion willen ſich anzuſehen hat. Hierauff folget / die unter Chriſten ſtraffbare eigene e - heſcheidung / dadurch ſie und Verres ſich von einander durch aufgerichteten ſcheidbrieff wider goͤttliche ordnung / die keinem menſchen ſolches zu laͤſſet / Matth. 19 / 6. getrennet.

Jn ſolcher ſcheidung mag ſie zwahr vor der welt einige entſchuldigung finden / daß ſie ſo gar unrecht nicht gehabt / weil ſie laut des inſtrumenti die ſcheidung nicht begehret; aber wo ſie ihr hertz vor GOTT ſtellet / wird ſie er - kennen die ſchwehre ihres verbrechens / indem ſie 1. durch ihre deſertion. 2. verwegerte ruͤckkehrung in Verris vaterland / urſach gegeben. 3. Nicht nur gefallen gehabt an dieſer ſcheidung (ſihe Rom. 1 / 37.) ſondern 4. dieſelbe ac - ceptiret / nicht aber 5. der Obrigkeit huͤlff dawider angeruffen hat. Deßwe - gen ob ſchon Verres nachmal an ihr ſich mit ehebruch vergriffen / ſie doch ſich ſelbſten alſo anſehen muß / daß ſie ihn zu ſolchem ehebruch gereitzet / und deß - wegen mit ſchuld daran traͤget / dazu noch kommet / daß ſie mit dem hinweg - ziehen / und hinwegbleiben von Verre, ſolche ihre ſuͤnde immer weiter conti - nuiret; daher ihr gemuͤth / wo es recht unterſucht wird / damals alſo beſchaf - fen geweſen / daß ſie eher alle ehliche ordnung GOttes brechen / und brechen laſſen hat wollen / als in einem niedrigen ſtande leben / worein ſie aus GOt - tes gerechter verhaͤngnuͤß / durch eigene ſchuld gerathen war. Wie nun / wann ein gemuͤth ſich an die welt gehaͤnget / und angefangen hat / in der that ſeines GOttes ordnung / ſeinem weltlichen verlangen nachzuſetzen / ja mit unrecht ſich ſeiner ſtraff zu entſchuldigen / GOttes gnade vollends von einem menſchen weicht; alſo iſt daraus geſchehen / daß da ſie erſtlich GOTT verlaſ - ſen / er ſie wiederum verlaſſen / daraus ſie in die betruͤbliche apoſtaſie gefallen iſt / und damit auch die bekaͤntnuͤß verlohren hat desjenigen glaubens / den ſie durch boͤſes leben / da ſie noch bey unſerer gemeine war / bereits aus dem her - tzen verlohren hatte.

Auf615SECTIO XVI.

Auf dieſes folgt der ſchwehre fall / daß ſie wider recht (wie droben q. 3. erwieſen) zu Sulpitii heyrath ſich uͤberreden laſſen / ſolche ſuͤnde aber fer - ner vermehret / mit boßhaff[t]iger des Sulpitii deſertion; nach dieſem folgen die ſuͤnden / die mit Silano begangen / ſo wol daß ſie demſelben eine zeitlang auſſer der ehe / doch unter dem vorwand derſelbigen / unziemlich beygewohnet / und endlich / wozu ſie wiederum keine macht gehabt (wie q. 6. dargethan) ihn geheyrathet / auch noch dazu ihren Beicht vater mit betrieglicher general - antwort zu der copulation uͤberredet / welches alles je nicht vor geringe menſchliche fehler / ſondern meiſtens grobe und ſchmehre ſuͤnden-faͤlle zu achten ſind / und ein trauriges exempel geben / wohin endlich / wo man das hertz an die welt gehaͤngt / der ſatan es bey einem menſchen bringen koͤnne.

Nun bey allem dieſem liget Silano und Liviæ ob / daß ſie beyderſeits ihre / ſo wol von jeglichem ſelbs / als beyden mit einander / begangenen ſuͤnden / und dero ſchwehre hertzlichen erkennen / ſchmertzlichen bereuen / und mit de - muth GOTT abbitten. Dabey ſich danckbarlich erinnerende / wie groß ſolche goͤttliche ihnen erwieſene gnade ſeye / daß er ſie nicht in ihren ſuͤnden im zorn hingeraffet / ſondern noch zeit und friſt zur buß gegeben / ja von noch ſchwehrern ferneren ſuͤnden / darem ſie der teuffel leicht wuͤrde gefuͤhret ha - ben / wo ihm volle gewalt gegeben geweſen / noch abgehalten / auch in ihrem hertzen ein und andermal durch das gewiſſen / und krafft ſeines worts / ange - klopffet habe. Alle dieſe ſo unverdiente gnade / da GOTT ſich mitten in ihren ſuͤnden ihrer erbarmet / ſoll ihnen derſelben ſchwehre ſo viel beweglicher vor augen ſtellen / und ins hertze trucken.

Und zwahr iſt nicht genug / daß ſie nur einmal ihre ſuͤnden erkennen / ſon - dern da ſie ſchon derſelben vergebung erlanget / iſt auch ein ſtuͤck der nothwen - digen danckbarkeit / daß ſie ſich zeitlebens / derſelben mit betruͤbnuͤß erinnern / und allemal die gnade ihres GOttes uͤber ſich ſo viel hoͤher preiſen / als ſie be - finden / daß dieſelbe groß an ihnen geweſen ſeye: Haben ſie alſo urſach noch vor andern ihr gantzes leben eine ſtaͤtige und taͤgliche buſſe ſeyn zu laſſen.

Zum 2. ſolte einigen ſcheinen / daß ihnen vorzuſchlagen waͤre / ins kuͤnff - tige ſich der ehelichen beywohnung gegen einander zu enthalten / gleichwie zu gewiſſer zeit eine ſonderbare buß betruͤbnuͤß / und andere vorbereitung zum bußfertigen dienſt GOttes / wir leſen / daß die eheleute ſich einander enthal - ten haben. (Sihe das 2. Buch Moſis 19 / 15. Joel. 2 / 16.) Daß alſo auch ſie / als welche ihre buſſe ihre gantze lebens-zeit durch / mit ſo viel mehrerer de - muͤthigung zu continuiren haben / deßwegen auch ſolche abſtinenz von einan - der / als ein euſſerliches mittel und erinnerung unter ihnen ſelbſten / ihrer buß - traurigkeit / und mißfallens an vorigen / in hoc genere begangenen ſuͤnden(wie616Das vierdte Capitel. (wie einer / der ſich mit trunckenheit verſuͤndiget / und darinnen einmal ſonder - lich GOTT beleidiget / zu ſtaͤ[rcke]r erinnerung etwa den wein allerdings oder auf gewiſſe zeit verſchweret) zu gebrauchen haͤtten.

Wenn ich aber droben q. 7. erwieſen / daß ihre ehe gleichwol guͤltig / ſo getraue ich ihnen dieſe buͤrde nicht auffzulegen / weil ſorgen muß / daß etwa bey einmaliger uͤberſchreitung ſolches vorſatzes mehrere gewiſſens-ſcrupel entſtehen / und dem teuffel gelegenheit gegeben werden moͤchte / ſie zu ſchweh - rern ſuͤnden zu verſuchen.

Davon zu ſehen Pauli lehr 1. Cor. 7 / 5. bleibe alſo vielmehr dabey / daß wo ſie ſonſt mit hertzlicher buſſe ihres GOttes gnade erlangt / und ihr ge - wiſſen gereiniget / folgends wie ihre ehe guͤltig iſt / alſo auch der gebrauch der - ſelben nicht unrein ſeyn werde / weil ſie rein worden ſind / Tit. 1 / 15.

Zum 3. muͤſſen ſie erkennen / daß ſie ſchuldig ſeyen / nicht nur allein ins kuͤnfftige vor allen ſuͤnden ſorgfaͤltig ſich zu huͤten / ſondern mit ſo viel meh - rerm ernſt ins kuͤnfftige GOTT zu dienen / als ſie denſelben mit ſo vielerley ſuͤnden groͤblich beleidiget. Dann dieſes iſt aller recht bußfertigen art; da - hin gehoͤret auch / daß ſie den vorſatz nehmen / wofern bey der Obrigkeit end - lich dasjenige / was mit ihnen vorgegangen / bekant werden / und dieſe ſie deß - wegen zu rede ſetzen / auch zur ſtraffe ziehen wolte / daß ſie GOTT die ehre geben / nichts leugnen / noch vertuſchen / ſondern gedultig ihre ſtraffe ausſtehen wolten. So dann weil jeglicher / der mit andern geſuͤndiget / wo ihn GOTT wieder bekehrt / verbunden iſt / darnach zu trachten / daß auch ſolcher ſein nech - ſter wiederum bekehret werde / ſo halte ich vonnoͤthen / daß zum foͤrderſten Livia, wo ſie weiß / daß Verres noch im leben / und ihm ſicher ein brieff zuge - bracht werden kan / an ihn ſchreibe / ihm ſein unrecht und ehebruch / doch auch mit erkaͤntnuͤß ihres eigenen dabey begangenen unrechts / vorhalte / und erin - nere / buſſe zu thun / wie ihr dergleichen gnade von GOTT wiederfahren ſeye. Hiedurch wird Livia finden / wie mercklich ihr gewiſſen erleichtert wird wer - den / das nicht anders als unruhig ſeyn kan / wo ſie ſich erinnert / wie ſie gleich - wol Verri zu ſeinen ſuͤnden viel urſache gegeben habe / und aber nichts hinge - gen wieder gethan / von ihrer ſeiten ihn zu beſſern. Gleichesfals halte ich Silanum vor verbunden / wo es ihme muͤglich iſt / durch brieffe Fulviam / auch der mit ihr begangenen ſuͤnden zu erinnern / und zur buſſe zu vermahnen. Hie - bey aber muß groſſe vorſichtigkeit gebraucht werden / daß wo Fulviæ mann noch lebet / ſolcher deſſen nicht gewahr / und ſonſten zu gefaͤhrlicher uneinigkeit dadurch anlaß gegeben werde. Dieſes waͤren diejenige reguln / welche ich / ihnen beyden zu tranquillirung ihres gewiſſens nuͤtzlich zu ſeyn achte / die auch ich ihnen von hertzen von goͤttlicher gnade durch deſſen Geiſtes krafft / zuſamt vielen fruͤchten ihrer buß / hertzlichen anwuͤnſche.

Q. 9. 617SECTIO XVI.

Q. 9. Ob eine ſchwehre todt-ſuͤnde / heimlich begangen / nothwen - dig ſeye / dem Beicht-vater abſonderlich gebeichtet zu werden? Oder / obs genug / GOTT dem HErrn alleine ſolche zu beken - nen und abzubitten?

GOTT dem HErrn ſind wir ſchuldig / unſere ſuͤnden nicht nur allein ins - gemein / ſondern auch diejenige abſonderliche ſchwehre faͤlle / die unſer ge - wiſſen aͤngſtigen / zu bekennen / und bußfertig abzubitten. Sihe Pſalm. 32 / 3. 4. 5. Was aber den Prediger anlangt / wo derſelbige uns abſolviren ſoll / muß er wiſſen / daß wir auch bußfertig ſeyen / das iſt / unſere ſuͤnden erkennen und bereuen / welches er nicht anders her / als aus der beicht und bekaͤntnuͤß / haben kan. Jſt deßwegen freylich auch vor dem Prediger einige bekaͤntnuͤß vonnoͤthen. Daß auch ein beicht-kind / da es von ſeinem Beicht-vater / uͤber eine gewiſſe ſache und that / die es begangen haben ſolle / in GOttes nahmen befragt wuͤrde / ſchuldig ſeye / GOTT die ehre zu geben / und mit der beicht frey herauszugehen / iſt gantz richtig; alſo / daß im gegenfall / dasjenige / was alſo dem Beicht-vater / was demſelbigen zu wiſſen noͤthig geweſen / und er nicht aus fuͤrwitz oder andern fleiſchlichen urſachen gefragt / geleugnet wuͤrde / nicht anders angeſehen werden koͤnte / als waͤre es GOTT ſelbſten geleug - net / und wuͤrde alſo nicht verziehen. Spruͤch. Salomonis 28 / 13. So wuͤr - de auch billich denenjenigen / welche einig ſchwehres anligen auf ihrem hertzen haben / das ſie trucket / gerathen / daß ſie ſolches ihrem Beicht-vater entdecken moͤgen / welcher eins theils ihnen mit ſo viel beſſerem troſt und rath an handen gehen; als auch andern theils folgends ſo viel ſorgfaͤltiger auf ſie acht geben / und fuͤr ihre ſeele wachen kan. Wie deßwegen auch unſer ſeliger Lutherus in den Catechiſmum dieſes geſetzt / ſolche ſuͤnden abſonderlich zu beichten.

Wo wir aber von nothwendiger verbindung reden / ſehe ich nicht / wie wir jemanden bloſſerdings dahin verbinden koͤnten / eine ſuͤnde / davon dem Beicht-vater allerdings nichts wiſſend / und von dero man nicht gefragt wird / zu beichten. Judem wir hievon in der ſchrifft keinen austruͤcklichen befehl nicht haben / auſſer welchem aber ich niemanden einige laſt auffzulegen / mich unternehmen darff.

SECTIO XVII. Von diſſolutione ſponſalium.

D ich auf das erſte deſſelben an mich abgegebene und mir wol gelie - ferte nicht baͤlder geantwortet / will ich nicht nur meinen geſchaͤfften zu - ſchreiben / ſondern leugne nicht / daß auch mit fleiß eine weile geſchwie -J i i igen.618Das vierdte Capitel. gen. Welches ich in dergleichen faͤllen zu thun pflege / wo eine ſache vor iſt / daruͤber ich meine ſcrupel habe / und ſie nicht bloß approbiren kan / hingegen eines theils die umſtaͤnde und gemuͤther dermaſſen bewandt ſehe / daß ich nach dem was meine meinung iſt / nichts ausrichte / andern theils mich in meinem gewiſſen nachmal der ſache nicht theilhafftig machen wolte. Wie ich dann dieſe regel vor die ſicherſte in denen faͤllen achte / wo ich nicht durch abſonderli - chen meinen beruff mich in ein geſchaͤfft noch mehr einzuflechten / und nicht auſſer demſelben zu halten / mich verbunden befinde. Nun iſt die damal vor - getragene heyraths-ſache alſo bewandt / daß 1. ich nicht durch meinen eigenli - chen beſondern beruff zu deroſelben entſcheidung gehalten bin / da hingegen in den faͤllen / wo wir nur aus freundlichem vertrauen conſulirt werden / gnug iſt ſeine hertzens-meinung einmal auffrichtig vorgeſtellet zu haben. 2. ſorge ich einige verletzung des gewiſſens dabey / weil mir die ſache ſchwehrer vor - kommet / und beyden theilen ein nicht geringes daran mag gelegen ſeyn / da ich alſo mit weiterer einmiſchung / ſonderlich condeſcendirung in die mir bedeu - tete reſolution (die nicht ohne condemnation der andern parthey approbiret werden kan / da aber dieſe von mir nicht gehoͤret worden) mich leicht mit verſuͤndigen koͤnte. 3. Sahe aus der an mich gethanen antwort / daß man ſich von der gefaßten reſolution nicht wuͤrde abbringen laſſen / daher weitere remonſtration wol einige ſcrupul machen / ihren zweck aber doch nicht errei - chen / und alſo ohne nutzen ſeyn wuͤrde. Deßwegen 4. nachdem ich einmal meine gedancken eroͤffnet / und dadurch eines erbetenen freundes pflicht abge - ſtattet hatte / fande das ſicherſte / mich aus der ſache ferner zu halten / und GOTT und allerſeits gewiſſen alles zu uͤberlaſſen / jenen dabey hertzlich an - ruffende / daß er alles zu ſeinen ehren und abwendung ſo aͤrgernuͤſſes als kuͤnfftigen verunruhigung der gewiſſen ſelbſten einrichten und regiren wolle / welches ich dann abzuwarten haͤtte. Jm uͤbrigen bekenne ich / daß mir mit demjenigen / was antwortlich regeriret worden / nicht eben alle meine ſcrupel benommen. Jch erklaͤhre mich allein kuͤrtzlich. 1. Einen unterſcheid unter ſponſalibus und nuptiis bekenne / aber keine ſo geringe verbindung der ſpon - ſaliorum, daß ſie ohne wichtigſte urſache ſich diſſolviren lieſſen. 2. Die con - junctionem corporum halte ich nicht pro forma matrimonii, ſondern uſu und effectu: Die forma beſtehet in dem goͤttlichen fœdere zwiſchen eheleuten. 3. Was nun ſolchen bund feſt mache / daß er vollkommen ſeye / will ich lieber anderen zu dijudiciren laſſen / als ſolches ſelbs auf mich nehmen: Bin auch deßwegen frohe / daß officii ratione nicht viel mit matrimonialibus zu thun habe / maſſen alle ſolche ſtreit-ſachen hie eigenlich vor den magiſtratum politi - cum gehoͤren / und wuͤnſche ich in unterſchiedenen ſachen vielmehr / daß einige von einander bleiben doͤrften / alsdaß bey anſtehendem gewiſſen ſie von einan -der619SECTIO XVIII. der zu ſprechen getrauete. Jndeſſen haͤtte 4. einen ordenlichen richterlichen entſcheid vor nothwendig oder je ſicherſt gehalten: Glaube auch nicht / daß hie dieſes orts ohne denſelben die ſache fortgegangen waͤre. Jndeſſen wie die - ſes meine meinung waͤre / arrogire ich mir doch deßwegen keine herrſchafft uͤber die gewiſſen / ſondern laſſe andern frey / wie ſie in ihrem heitzen die ſache befinden / nach ſolchem liecht zu thun. Wie auch meinen werthen Herrn die - ſer ſache wegen nicht weiter zu beurtheilen / aber hinwieder zu fordern habe / daß mir auch nicht uͤbel genommen werde / worinnen mich nicht gleicher mei - nung bequemen kan / ſondern hinwieder mein gewiſſen frey behalten muß. Zu neuer wahl wuͤnſche gleichfals goͤttliche weiſe und liebreiche fuͤhrung. 1684.

SECTIO XVIII. Caſus inhabilitatis uxoris ad conſuetudinem conjugalem.

AUf den uͤberſandten caſum und darauf gerichtete frage richtig zu ant - worten / finde ich vonnoͤthen ein und anderes vorher auszuſetzen / oder auszumachen / ſo nachmal zu ſo viel kuͤrtzerer und gruͤndlicher antwort dienlich ſeyn mag.

I. Verſtehe ich die facti ſpeciem dahin / daß bey uxore einena - tuͤrliche inhabilitaͤt und unvermoͤgen / ihrem ehemann die eheliche bey - wohnung zu leiſten / ſich befinde. Daß der ehemann ſie deſſen beſchuldi - ge / ſtehet klahr in dem uͤberſchriebenen. Von ihrer ſeiten aber ſcheinet es zwahr noch nicht von ihr bekant zu ſeyn / indem ſie ſaget: Jhr voriger mann haͤtte dergleichen und ſolche dinge / wie dieſer anjetzo exigire / und ſie nicht præſtiren koͤnne / nicht an ſie geſuchet / ſondern allezeit mit ihrer zucht und ſchamhafftigkeit ſich contentiret: Und abermal: Daß ſie ſol - che eheliche ſatisfaction ihrem manne / wie er begehre / nicht geben koͤn - ne / noch zu geben wiſſe: Aber in ſolchem iſt noch keine deutliche bekaͤnt - nuͤß ihrer gaͤntzlichen untuͤchtigkeit: Sondern ſolte vielmehr ſcheinen / ob beſchuldigte ſie den mann / daß er ihr mehr / als eheliche zucht und ſcham - hafftigkeit zulieſſe / zumuthete / und alſo ſie zwahr einem ſolchen / wel - cher ſich mit demjenigen / ſo ein ehegatte dem andern ſchuldig / conten - tirte / wol / dieſem aber / der mehr an ſie ſuche / dergleichen ſatisfaction nicht zu geben wiſſe. Woraus nur zu flieſſen ſcheinete / daß ſie ſich nicht zu aller / aber wol unmaͤßiger / ſatisfaction untuͤchtig erkenne. DabeyJ i i i 2ich620Das vierdte Capitel. ich mich erinnere / was bey Thuan. Lib. 41. p. 544. von einem beruͤhmten Fuͤrſten geleſen: Ipſum tam in exhauſti ad venereos vſus ſucci fuiſſe, ut, cum vxore ſola uteretur, & illa toties eum admittere non poſſet, vir aliqui caſtus, quique vagis libidinibus minimè oblectabatur, ex ejus permiſſu ne - gotio cum paſtoribus communicato concubinam unam ſuperinduxerir, cu - jus conſvetudine ardore aliquantum perdomito parcius ac moderatius cum uxore verſaretur. Wo nun dergleichen ſolte ſeyn / daß ſie zu dem ehe - lichen werck nicht untuͤchtig waͤre / der mann aber ihr uͤber ihr vermoͤgen zu - muthete: wuͤrde gantz anders zu urtheilen ſeyn / als vorausgeſetzt des ge - gentheils anitzo die ſache eroͤrtert wird. Jn deme hingegen dieſe vermu - thung aufgehoben zu werden / und daß bey der frauen eine gaͤntzliche unge - ſchicklichkeit zu dem ehelichen werck ſich finde / dadurch mich verſichert halte / weil dem vorgeben mariti nach die conſummatio matrimonii durch eheliche beywohnung noch gar nie erfolget / woraus zu erkennen / daß ihr unvermoͤ - gen nicht nur dem immoderato, ſondern auch moderato & caſto conjugii u - ſui entgegen ſtehe.

II. Wo alſo dieſe des weibes inhabilitaͤt zu der ehelichen pflicht lei - ſtung bekant / ſo folget ſo bald / daß deßwegen dieſe ehe nicht guͤltig oder jemal eine wahre ehe geweſen / deßwegen nicht an ein divortium oder eigenliche ehe - ſcheidung (die da ſtatt hat / wo die ehe voꝛhin wahꝛhafftig und guͤltig geweſen) gedacht werden darff / ſondern es beſtehet ſolche ſcheidung allein in der decla - ration des ehe richters / daß die ehe allezeit null und nichtig geweſen. Wie der ſeelge Straßburgiſche Theologus D. Dannhauer. wol ſaget Hodoſ. Phæn. 2. p. 136. (94) declaratio ου᾽δενότητος in caſu inhabilitatis proprie non eſt di - vortium, cum privatio ſupponat habitum, nec dicitur ſeparari, quod nun - quam fuit conjugium. Die ſache ſelbſt belangend / daß nemlich / wo ſich bey ei - nem ehegatten vor der verheyrathung ein ſolches unvermoͤgen befunden / deß - wegen es eheliche beywohnung zu leiſten nicht tuͤchtig / auch ſolchem mangel natuͤrlicher weiſe nicht geholffen werden kan / ſolche ehe vor nichtig geachtet werde / (in deme der zweck des H. eheſtandes mit ſich bringet / daß beyde ein fleiſch werden 1. Moſ. 2 / 24. Matth. 19 / 6. Und aber ſolches von ſey - ten der untuͤchtigen perſon mangelt: Weswegen auch dem geſunden theil / auf ſein begehren / weil er betruͤglich von dem andern hintergangen worden / und ſo er ſolcher inhabilitaͤt des andern wiſſend geweſt / nicht wuͤrde den hey - rath einzugehen begehret haben / die macht von ſolchem vermeinten ehe - gatten geſondert zuwerden / uñ wiederum anderwertlich um nicht gefaͤhrliche brunſt zu leyden ſich zu verehelichen / gegeben werden ſolle) iſt dieſes eineleh - re / die bey unſerer kirchen durch gehends erkant / auch darauff allemal geſpro - chen wird. Und iſt hierinn kein unterſcheid unter der impotenz des man -nes621SECTIO XVIII. nes und inhabilitaͤt des weibes / ſondern die urſachen / die bey einem ſich fin - den / ſind bey dem andern gleichfalß guͤltig. Hiervon moͤgen nach geleſen werden / die dieſes einmuͤthiglich lehren / und mit ſchrifftmaͤßigen gruͤnden be - haupten / von beruͤhmten Theologis Philip. Melanchthon L. de conjug. E - raſmus Sarcerius vom Heil. eheſtand P. 3. p. 161. P. 4. p. 262. D. Johan. Ger - hard LL. de conjug. n. 660. Mich. Havemann. Gamolog. L. 3. T. 8. p. 687. D. Caſp. Brochmand. ſyſtem. L. de conjug. c. 4. q. 61. Wo die ehe-conſti - tution Koͤnig Friedrichs des II. darzu angezogen wird. D. Balth. Menzer. de conjug. T. Il. oper. 1084. b. D. Hulſemann. Breviar. c. 21. n. 9. ferner von vortrefflichen Juriſten Melch. Kling. de cauſ. matrimon. p. 32. ſeq. P. Cy - præus de jur. connub. cap. 9. §. 13. n. 39. ſeq. und D. Bened. Carpzov. Ju - rispr. conſiſt. L. 2. T, II. def. 200. 201. welcher auch exempel angefuͤhret / da auf dieſe urſache geſprochen worden. Wobey ich mich eines erinnere / ſo we - gen hoheit der perſonen ſo viel bekanter / ob zwahr in der papiſtiſchen religion vorgegangen; davon Thuan. L. 104. p. 1118. Margaretha (Alexandri Far - neſiii Ducis Parmenſis) filia cum Vincentio Mantuæ Principi nupſiſſet, quod arctior eſſet, & ob id matrimonio inhabilis, ſolutis nuptiis, in cœno - bium Placentiæ ultro migravit.

III. Ob zwahr wegen angezogener inhabilitaͤt eine ſolche vermeinte ehe an ſich ſelbs null und nichtig / ſo mag gleichwol um deꝛſelben willen / weder ein theil von dem andern / wider den willen deſſelben / noch auch mit beyderſeits bewilligung / ſie beyde wiederum von einander gehen: denn weil die ehe oͤf - fentlich beſtaͤtiget / und von jedermann vor eine wahrhafftige ehe gehalten wird / hingegen die nullitaͤt derſelben anderen nicht kuntbar iſt / ſo erfordert nicht allein die vermeidung des aͤrgernuͤſſes / daß dergleichen ſeparation, wo ſie begehret wird / durch oberer erkaͤntnuͤß / die auch in anderer wiſſenſchafft kommet / geſchehe: ſondern es koͤnnen beyde in eigener ſache nicht richter ſeyn; um ſo vielmehr / weil die urſache nemlich die inhabilitaͤt / gantz gewiß (auff art und weiſe / die prudentiæ Judicis uͤberlaſſen wird / ob einig juramentum platz habe / oder ad inſpectionem obſtetricum zu ſchreiten ſeye) erwieſen muß ſeyn; damit nicht gelegenheit gegeben wuͤrde / wo ehegatten ein ander aus anderen urſachen muͤde worden waͤren / unter dieſem vorwandt ſich ſelber zu trennen / und das alſo an ſich guͤltige band einer rechtmaͤßigen ehe wider GOttes ordnung zu zerreiſſen. Jſt alſo gantz nothwendig / daß die richter - liche erkaͤntnuͤß und auff dieſelbe ſich gruͤndender ausſpruch vorhergehe / und dasjenige / ſo vorhin von andern billich nicht anders als buͤndig gewe - ſen zu ſeyn erkant werden koͤnte / unguͤltig declariret werde. Damit alsdenn ſolche leute / dieweil ſie nicht als eheleute koͤnnen / aber auff andere weiſe nicht wollen / bey ein ander leben / ohne boͤſen ſchein ebebruͤchliger treuloſig -J i i i 3keit622Das vierdte Capitel. keit von ein ander bleiben / und das geſunde theil / wo es ledig zu bleiben nicht gedencket / die freyheit anderwertlichen verehlichung genieſſen moͤge. So lange aber ſolche declaratio judicis nicht geſchihet / wird die ehe aͤuſſerlich als guͤltig erkant / ſie muͤſſen auch gegen ein ander ſich nicht anders halten / als waͤren ſie wahrhafftige eheleute. Alſo wo ſie gerichtlich die ſache nicht be - gehren auszumachen / ſie von ein ander ſich nicht trennen doͤrffen / ſondern auſſer dem ehebette / weil es da nicht muͤglich / doch im uͤbrigen als eheleute / oder bruͤder und ſchweſtern und vertrauteſte freunde / beyſammen zu leben verbunden ſind.

IV. Was nun mehr den erſten vorſchlag betrifft / ob die beyden eheleu - te ad vitandum majus malum mit der freunde præſcitu auff eine zeitlang zur prob ſich ſelbs von ein ander thaͤten / der mann im abſonderlichen zimmer / als auch die fraue im hauß ihre mahlzeit hielten / und ſchlaffſtelle ſuchten / al - ſo ein ander nur die ſtaͤtige præſentiam entzoͤgen / ſo finde in demſelben nichts unrechts oder unzulaͤßiges; nicht zwahr aus dieſem fundament, weil ohne das keine buͤndige ehe zwiſchen ihnen ſeye / und alſo die verpflichtung zu aller art cohabitation ſich nicht bey ihnen finde; denn ich anitzo geſtanden / daß biß auff die declarationem judicis ſie nicht anders als vor eheleute von an - dern angeſehen werden / und ſich auch dem gemaͤß halten muͤſſen. Sondern auff dieſem in der ſchrifft befindlichen principio, weil 1. Cor. 7 / 5. der Apo - ſtel die ſchuldige beywohnung / darzu eins dem andern verbunden / dahin re - ſtringiret / daß er ſaget: Entziehe ſich nicht eins dem andern / es ſey denn aus beyder bewilligung eine zeitlang / daß ihr zum faſten und beten muſſe habet / und kommt wiederum zuſammen / auff daß euch der ſa - tan nicht verſuche um euer unkeuſchheit willen. Woraus wir ſehen / daß auff einige art / auch bey denen / die natuͤrlicher weiſe einander beyzu - wohnen vermoͤgen / erlaubet ſeye / ſich einander zu entziehen. Doch 1. daß es geſchehe nicht auff immer / ſondern nur eine gewiſſe zeit / um wiederum fol - gendes zuſammen zu kommen. 2. Mit beyder bewilligung. 3. Zu ehrlicher urſach / wie daſelbs gedacht wird / um zum faſten und beten muſſe zu haben. Daher weil in gethanem vorſchlag die beyde erſte conditiones befindlich / zweiffele ich nicht / obſchon in dem dritten nicht eben jene urſach ſich befindet / daß doch derſelben dieſe æquivalent ſeye / die man hier ſuchet / daß durch ei - niger zeit verflieſſung / wo die taͤgliche widrige præſenz, und daher taͤgliche occaſion zu zancken und mehrerer verbitterung eine weile verhindert wuͤrde / die ſache dahin gebracht werden moͤchte / daß nach dem die affecten ſich etwas geleget / die gemuͤther beſaͤnfftiget wuͤrden / daraus / wo man folgends wie - derum zu ſammen kaͤme / ein friedlicher leben gehofft werden moͤchte. So iſtes623SECTIO XVIII. es auch eben dasjenige / was ohne viel bedencken / oder daß ſich jemand dar - an aͤrgere / taͤglich geſchihet / daß ein ehegatte ſeiner geſchaͤffte wegen / eine zeitlang verreiſet / und ſolche zeit kein theil dem andern weder zu tiſche noch bette beywohnet. Wie nun ſolches wider die eheliche pflicht nicht ſtreitet / ſo ſehe ich nicht / warum nicht eben dergleichen in einem hauſe ſolte geſchehen koͤnnen / ſonderlich bey denen / bey welchen der gebrauch des ehebettes oh - ne das unmuͤglich. Dieſes einige mag entgegen gehalten werden / daß ſol - ches nicht ohne aͤrgernuͤß geſchehen koͤnte / wo andern kund wuͤrde / daß dieje - nigen / die vor eheleute gehalten werden / von ein ander abgeſondert lebeten. Aber ſolchen einwurff achte nicht mehrers auszurichten / als daß einstheils ſolche abſonderung nicht auff immer oder etwa gar lange zeit angeſehen ſeyn muͤſte / andern theils ſolche ſeparation alſo anzuſtellen / wie etwa darzu wol gelegenheit gemacht werden kan / daß auſſer hauſes / und die davon nicht gnugſam wiſſenſchafft haben / andere deſſen nicht gewahr werden: So denn daß in dem uͤbrigen / ohne was beyder perſon anlanget / einer dem andern / durch die ſeinige alle treue und pflege inzwiſchen leiſten laſſe. Wie nun in dieſem vorſchlag nichts finde / das wider das gewiſſen oder goͤttliche ordnung ſtreitet / alſo ſtehet hingegen zu bedencken / ob aus dieſem vorſchlag viel nu - tzen zu erwarten / und es alſo ein zulaͤngliches medium ſeye / dem malo abzu - helffen. Denn wir haben gehoͤret / daß die abſonderung nicht anders als auff einige zeit angeſtellet werden koͤnte / ſo iſt die durch entziehung der præ - ſentz verhoffende beſaͤnfftigung der gemuͤther ſehr zweiffelhafftig / ſonderlich bey der verbitterung / die aus einer urſach koͤmmt / welche durch ſolche abſen - tirung nicht auff gehoben wird / ſondern nach als vor bleibet. Hingegen wo man je vor die Obrigkeit kommen muß / (denn zu der gaͤntzlichen ſeparation iſt dero autoritaͤt bloß dahin von noͤthen) ſehe ich abermal nicht / was man vor nutzen von ſolchem interims-mittel haͤtte oder wie bey jener die ſache hie - durch facilitirt werden moͤchte.

V. Den andern vorſchlag belangende / daß beyderſeits freunde mit den uneinigen eheleuten zuſammen traͤten / die vorige heyraths-pacta caſſirten und quoad temporalia zwiſchen beyden partheyen auff leben und ſterben ei - nen andern vergleich traͤffen / darauff quoad thorum & menſam von ein ander blieben / und alsdenn erſt ſothaner diſſolutionem einem Evangeliſchen ehegericht mit allen circumſtantien vortruͤgen und um ratification beteten: finden ſich in demſelben unterſchiedliche ſachen zu mercken. Von den hey - raths-pacten kan nichts gewiſſes ſagen / indem ſolche nicht geſehen: ſind aber in denſelben diejenige formuln (welche offt mit eingeruͤckt werden / und aber nicht eigenlich darzu gehoͤren) anzutreffen / daß ſie einander zur ehe nehmen / alle eheliche liebe und treue einander erweiſen ſollen ꝛc. ſo koͤnnen ſie ſolchepacta624Das vierdte Capitel. pacta nicht caſſiren / weil ihnen die diſſolutio matrimonii publice confirma - ti nicht zuſtehet. Begreiffen ſie aber bloß dahin gewiſſe diſpoſitiones uͤber die beyderſeits guͤter / iſt mir zwahr ſo eigentlich nicht wiſſend / ob etwa die weltliche rechten einige ſonderbare hinderungen ſetzen moͤchten. Doch finde ich meines orts dergleichen keine / wie ja offt aus andern urſachen / zwiſchen gantz einigen eheleuten / mit beyder bewilligung die pacta auffgehoben / und andere diſpoſitiones gemacht werden. Auffs wenigſte ſehe ich darinnen keine verletzung des gewiſſens oder einige hinderung auff ſeiten deſſelbigen: ſondern moͤchte vielleicht gantz gerecht ſeyn / daß das weib / ſo den mann er - faͤhrt und angeſetzt / diejenige beneficia verliehre / die ſie ſonſt ex pactis dota - libus haͤtte prætendiren koͤnnen / hingegen daß ſich denn maritus wiederum derjenigen begebe / welche ihm von dem weib ſonſten gebuͤhret / da er ihre per - ſon ſelbs nicht zu behalten gedencket. Wobey noch dieſes zu erinnern / wo dergleichen neue pacta gemacht wuͤrden / daß damit gar vorſichtig verfahren werden muͤſte: indem man leicht dadurch der folgends ſuchenden richterli - chen ſeparation eine hinderung ſetzen moͤchte / daß eine ſolche transaction, ex cauſa impotentiæ dahin gedeutet wuͤrde / ob waͤre das ſonſten dar - aus habende recht nachgelaſſen / und agnoſcire nach caſſirung der er - ſten durch die andere pacta der mann ſolch ſein weib / deren mangel er weiß / aufs neue wiederum vor ſein eheweib / wie er ja ſie in ſolchen pactis vor eige - ner ſeparation nicht anders als mit ſolchem nahmen nennen koͤnte. Was a - ber anlanget / die darauff von ſtlbſten vornehmende / und alſo ohne vorhaben wiederum zuſammen zu kommen anfangende / ſeparationem quoad tho - rum & menſam; halte ich dieſelbe gantz vor unzulaͤßig und unnuͤtzlich. Unzulaͤßig / weil damit die eheleute ſelbs und die freunde in das richter - liche amt greiffen / und dasjenige decidiren / was die Obrigkeit alleine zu decidiren / hat / auch ſolches wircklich exequiren ante latam ſententiam: Unnuͤtzlich / weil ohneracht deſſen alles dasjenige / was zur gruͤndlichen un - terſuchung der ſache gehoͤret / eben ſo wol von der Obrigkeit muß erkant / exa - miniret und erwogen werden / was dieſelbe zuſuchen hat / wo die ſache ihr noch integra uͤbergeben wird. Deßwegen wo man je etwas / weitlaͤufftigkeit zu vermeiden / die ſache znſammen ziehen wolte / nicht ſo wol ſolches mittel rath - ſam ſcheinet / als dieſes / daß / wo einige neue pacta, welches in der eheleute macht allezeit ſtehen wird / aufgerichtet / man ſo bald die ſache einem Evangeli - ſchen ehe-gerichte mit alſobald geſchehender daꝛlegung aller momentorum ex utraque parte und andeutung der erweißthuͤmer / uͤbergebe / daß daſſelbe nichts anders dabey thue / als das vorgebrachte / deſſen gewißheit und wich - tigkeit erwege / und ſo bald daruͤber ſpreche.

VI. Da -625SECTIO XVIII.

VI. Daher aus bißher ausgefuͤhrtem die antwort (dero urſach aus obigen erhellet) auff vorgelegte frage dahin faͤllt / daß ein privatus ſalva conſcientia in dieſem caſu zwahr zu einiger obbeſch riebenen ſeparatione ad tempus und diſſolutione pactorum dotalium, nicht aber eventual-tren - nung ehelicher converſation und cohabitation, ohne formlichen proceß co - ram judice und genaue ventilirung der motiven, ad evitandum majus ma - lum und weilen mann und weib in petitione divortii einſtimmig / cooperi - ren und ſich gebrauchen laſſen koͤnnen.

Wie aber hierbey dem petito nach meinem vermoͤgen ein genuͤgen ge - than zu haben / verhoffe: alſo kan doch nicht umhin / dabey wegen der perſo - nen ſelbs eine erinnerung zu thun / wie ſie gegenwaͤrtig ihren ſtand vor GOtt anzuſehen haben / um ſeiner gnade und ſegens ſich getroͤſten zu koͤnnen. Von ſeiten des mannes finden ſich maͤngel gnug: Er wird beſchrieben als ein mann von bekanter moroſitaͤt und unertraͤglichkeit / und alſo dem es an der gelindigkeit / ſanfftmuth und freundlichkeit / welche ſich bey allen Chriſten als eigenſchafften der liebe / des glaubens erſter frucht / finden ſolte / aller - dings gemangelt. Daher / was ich mich jetzo zu ſeinem Chriſtenthum ſon - ſten gutes zu verſichern habe / nicht ſehen kan: wol aber mag ich chriſtlich ver - muthen / daß GOTT in eine dergleichen ſeinem willen gar nicht gemaͤſſe ehe zu gerathen uͤber ihn verhenget habe / damit er zur erkaͤntnuͤß ſeiner unart / und zur brechung ſeines eigenen willens / daher zur beſſerung / gelangen moͤchte. Solchen goͤttlichen rath ſolte er billich in acht genommen / und was derſelbe geſucht / auch platz bey ſich gelaſſen haben / daß er / mit ſo viel mehrer gedult ſeines weibes ſo gemuͤths-als leibes-ſchwachheit tragende / ſeinen willen zu brechen (darinnen ein ſo vornehmes ſtuͤck unſers Chriſten - thums beſtehet) gelernet / auch erkant haͤtte / ſeine unart bedoͤrffe einer ſol - chen artzeney / und ſolte er alſo GOTT gedultig darinnen ſtille halten. Daß aber an ſtatt ſolcher gedultiger zu hertzensziehung desjenigen / was GOTT wolmeinend hiemit bey ihmſuche / nur taͤgliches zancken / ſtaͤtiges laͤſtern und ſchmaͤhen / auch endlich gefaͤhrliche thaͤtlichkeit leyder erfolget / iſt eine an - zeige / daß ſolche wolmeinende zuͤchtigung des HErrn an ihme noch biß itzt vergebens abgegangen / und GOTT den zweck an ihm nicht erhalten habe / den er geſucht. Bey der frauen findet ſich eben dergleichen: indem nicht allein von ihrer auch in voriger ehe gezeigter / aber von ſolchem mann gedul - deter und anitzo reaſſumirter verdrießlicher unart / meldung gethan wird: ſondern es kommt noch ſchwehrer ſchuld darzu auff ſie / daß ſie den mann ge - faͤhrlich hintergangen; als die gewuſt / oder je wiſſen koͤnnen und ſollen / daß ſie zu ehlicher beywohnung untuͤchtig / und deswegen mit verſchweigungK k k kſol -626Das vierdte Capitel. ſolches mangels keinen mann nehmen ſollen. Weswegen / nachdem ſie ſich alſo an demſelben ſchwehrlich verſuͤndiget / ſie ſolche ihres mannes moroſitaͤt / auch excedirende haͤrtigkeit / (als zu leyden wohl verdie - net) ſo viel gedultiger haͤtte tragen / und mit ſo viel freundlicher an handgehung in allen uͤbrigen muͤglichen dingen ihres mannes ge - muͤth zu gewinnen haͤtte ſuchen ſollen / als ſchwehrer ihr verbrechen war / damit ſie den mann desjenigen beneficii, ſo er nach goͤttlicher ver - goͤnſtigung in der ehe geſucht / aus ihrer ſchuld fruſtriret hatte: Ob durch ihr gebet und bußfertige demuͤthigung aus GOTTES ſeegen erfolget waͤre / daß der mann beſaͤnfftiget / und endlich / wo ſie alle in andern din - gen muͤgliche ſatisfaction leiſtete / mit ihrem natuͤrlichen gebrechen gedult zu haben bewogen worden waͤre: An ſtatt deſſen aber vermuthe ich vielmehr / daß die unluſt zur haußhaltung und ſonſt faſt nie erhoͤrte unform nur im - mer bey ihr zu genommen / und da ſie mit erkaͤntnuͤß ihres unrechts ihm entge - gen zu gehen / und demuͤthig ihn zu beguͤtigen ſchuldig geweſen / ſie mit wi - der wertigkeit ſeinen zorn mehr gereitzt / mit traducirung und gehaͤßiger her - ausſtreichung ſeiner impetuoſitaͤt ſeiner nicht geſchohnet / und alſo viele ſchuld auff ſich gehauffet: Hingegen ſchnur ſtracks gegen dasjenige / was ihre chriſtliche pflicht von ihr erforderte / gethan / und alſo auch ihrer ſeits den goͤttlichen rath in dieſer ſache bey ſich zu nichte gemacht habe. Jn ſolcher be - wandnuͤß / die einmal bey wahren Chriſten ſich nicht finden ſolle noch findet / ſtehen beyde gemuͤther / ſo viel aus der ſpecie facti zu ſehen. Deßwegen auch vor aͤnderung derſelben und bußfertiger erkaͤntnuͤß / ſolcher beyderſeits be - gangener ſuͤnden ich ihnen / ſie greiffen die ſache an / wie ſie wollen / (ob zwahr oben gewieſen / wie ſich ſonderlich der mann ſeines rechts gegen dem weibe gebrauchen koͤnte /) doch wenig goͤttlichen ſeegen zu verſprechen getraue - Solten aber die gemuͤther erſtlich von den freunden / (die hierauf aus chriſt - licher liebe vor allen zu ſehen / und das geiſtliche beſte derſelben nicht weniger als dero leiblichen wohlſtand zu befordern haben) oder wer ſolches zu thun vermoͤchte / dahin gebracht werden / daß ſie rechtſchaffen bußfertig beyder - ſeits ihre fehle und unrecht erkenneten / und gedaͤchten / daß bißheriges ihr verdrießliches leben ſie ihnen ſelbs / und eins dem andern / gemacht / hinge - gen daß GOtt dabey gleichwol / um ſie beyderſeits zu beſſern / ſeine hand ge - habt habe / und noch habe; auch deßwegen daß ſich keines alleine uͤber den andern / ſondern vornehmlich uͤber ſich / zu beklagen habe: ſo waͤre der aller - beſte grund geleget. Denn dadurch wuͤrde jedes theil bey erkuͤntnuͤß ſeines mangels / die bey dem andern befindliche gebrechen ſo viel geringer ſchaͤtzen / und ſo viel leichter vergeben. Da hoffe ich ſolte ferner bey dem weibe dieſeer -627SECTIO XVIII. erkaͤntnuͤß zu wege bringen / (ohne welches zu thun / ich auch nicht ſehe / wie ſie goͤttlicher gnade faͤhig oder eine wahre Chriſtin ſeye. ) daß ſie ſolche ihre ſchwehre beleydigung dem mann de muͤthig abbittete / und ſich darzu erboͤte / ſo viel gehorſamer ins kuͤnfftige / in demjenigen / wo es ihr muͤglich iſt / allen ſeinen willen zu erfuͤllen / damit er bewogen wuͤrde / mit ihrer natuͤrlichen ſchwachheit gedult zu tragen. Dieſes will durchaus die chriſtliche pflicht von dem weibe erfordern; ſo denn daß ſie / wo der mann auf die ſeparation zu tringen fortfuͤhre / ſie dem obrigkeitlichen ſpruch ſich gedultig ſubmittire. Was aber den mann anlanget / ſtehe ich im guten vertrauen / wenn auch nur ſolche erkaͤntnuͤß recht bey ihme zu wegen gebracht / und das hertz darzu be - wogen werden ſolte (welches abermal ſein Chriſtenthum von ihm haben will) daß gleichfals die reſolutionen ſich ziemlich aͤndern ſolten. Er iſt ein mann von den jahren / bey welchen nicht ſo leicht periculum uſtionis zu ſor - gen / ſondern der mit gebrauch der ordentlichen mittel / gebets / faſtens / und dergleichen / wol in ſtaͤtiger continentia ſein uͤbriges leben zubringen koͤnte. Wo ſie nun ſich erſtlich gegen ihm anders als bißher anſtellete / waͤre ihm chriſtlich zu rathen / er verzeihete ihr ihren mangel / nicht nur wie er als ein Chriſt nothwendig thun muß / anund vor ſich ſelbſt / ſondern auch (zu wel - chem er nicht bloß dahin verbunden iſt / und ich in dem fall ſie ſich nicht anders einſtellete / auch nicht riethe) mit dem effect, daß er ohnerachtet ihres natuͤr - lichen gebrauchs mit ihr ſeine uͤbrige lebens zeit zu zubringen ſich reſolvirte / und ſie alſo behielte non ut conjugem ſed ut ſororem, wie dorten die geiſt - lichen rechte davon reden. Hiermit wuͤrde er viel guts auf ſein und ihrer ſeyten ſtifften / zu ſtaͤtiger uͤbung vieler chriſtlicher tugenden taͤgliche gelegen - heit haben / hingegen unterſchiedlichem aͤrgernuͤß vorkommen. So wuͤrde auch die liebe / die er aufs neue gegen diejenige / die ihn beleidiget hatte / ge - ſchoͤpffet / ſolch leben / welches ihm anitzo vor gar zu unertraͤglich vorkommen moͤchte / viel erleichtern / dabey er auch an goͤttlicher gnade und ſeegen / ver - mittels derer ihme dieſe continuation nicht ſchaͤdlich ſeyn wird / nicht zu zweiffeln haͤtte. Solte aber das weib auf ihrem hartnaͤckigem kopffe blei - ben / ſelbſt aus verdruß des mannes (darzu ſie gar nicht urſach hat) die ſepa - ration urgiren / und alſo ſorge ſeyn / daß kuͤnfftiges leben nicht ruhiger wuͤrde werden / als das vorige geweſen / oder der mann bey ſich befinden / daß er dieſes von GOtt gegoͤnneten mittels ſein leben keuſch zu fuͤhren allerdings bedoͤrffte / ſo iſt er in ſeinem gewiſſen nicht gebunden / ſondern nach dem er ſeiner ſeits dasjenige / worinn er gefehlet / hertzlich erkant und ſo viel an ihm iſt / gethan hat / mag er in GOttes nahmen die obrigkeitliche huͤlffe ſuchen / die ſeparationem ex declaratione nullitatis begehren und erhalten / und erK k k k 2blei -628Das vierdte Capitel. bleibe ferner ledig / oder wo er anders wiederum heyrathen ſolte / im uͤbrigen gantzen leben an ſich ſehen laſſen / daß er in dieſer ſchul / darein ihn GOTT kommen laſſen / ob ſchon nicht bald / doch zu letzt gelernet habe / die affecten und ſich ſelbſt zu zaͤhmen / und ein gantz ander menſch zu werden. Der ge - treue GOtt regiere alle hertzen / und ſchicke es in aller dieſer ſache / alſo wie er es zu ſeinen heiligen ehren / abwendung alles aͤrgernuͤſſes von der kirchen / und befoͤrderung dieſer leute / auch der ihrigen / zeitlich und ewigen heils befoͤrderlich zu ſeyn erkennet.

SECTIO XIX. Von ſtraff eines ehebruchs mit einer ledigen per - ſon begangen.

ES laͤſſet ſich vorgelegte frage nicht wol decidiren / es ſeyen dann zum foͤrdriſten dieſe zwo fragen vorher ausgemacht.

  • 1. Ob die ſtraffe der ehebrecher / ſo 3. Moſ. 20 / 10. 5. Moſ. 22 / 22. in der juͤdiſchen policey von GOTT angeordnet worden / uns noch heut zu tage verbinde / daß nothwendig nach der - ſelben geurtheilt werden muͤſſe?

BEy dieſer frag meine einfaͤltige meinung / dabey verſtaͤndigern nicht vorzugreiffen gedencke / vorzulegen / ſo geſtehe ich gern / 1. daß ich ſolche lebens-ſtraff / die in dem geſetz Moſis ehebrechern und ehebreche - rinnen geſetzt / an ſich nicht allzuſcharff / oder der in dem Neuen Teſta - ment von uns erforderenden lindigkeit / entgegen zu ſeyn achte / worin - nen gern Herrn D. Brochmann Syſt. Theol. T. 2. de Lege cap. 13. q. 4. da er dieſes erweiſet und die einwuͤrffe beantwortet / beypflichte. Da - her 2. eine chriſtliche Obrigkeit wol befugt iſt / ſolches geſetz auch ihres orts einzufuͤhren / wie aus chriſtlicher freyheit auch etwan andere Mo - ſaiſche geſetze anzunehmen erlaubt iſt. Aber 3. halte ich nicht davor / daß eine chriſtliche Obrigkeit gehalten ſeye / nothwendig den ehebruch nach ſolchem rigore abzuſtraffen / und darinnen von denjenigen ſtraffen / die ſonſten in weltlichen rechten auf dieſes laſter geſetzt / abzugehen. Die urſach meiner meinung beſtehet darinnen / weil dieſes geſetz zu dem lege forenſi oder weltlichen juͤdiſchen geſetz gehoͤret / welches gleichwie es von GOTT allein dem juͤdiſchen volck gegeben iſt / alſo auch andere ohnefrey -629SECTIO XIX. freywillige annehmung nicht verbindet / und nunmehr durch Chriſti zu - kunfft / endlich auch des juͤdiſchen gemeinen weſens untergang / auch auff - gehoben worden. Und ob zwahr moͤchte angefuͤhret werden / daß ein unterſcheid zu machen / unter denjenigen Moſaiſchen geſetzen / welche bloß dahin auf die juͤdiſche republic ihre abſicht gehabt / und dann den - jenigen / welche ſich auf das zucht-geſetz der zehen gebot beziehen / zum exempel dieſes von ſtraff der ehebrecher / welches laſter das ſechſte gebot verdammet: So finde ich doch ſolchen unterſcheid / der in dem uͤbrigen an ſeinem ort beruhet / und ſonſten ſeinen nutzen haben mag / nicht ſo bewandt / daß derentwegen die ſtraffe eines ſolchen laſters muͤſte noth - tringlich nach der ſatzung Moſis gerichtet ſeyn. Weilen insgeſamt die zehen gebot einige weltliche ſtraffen der ſuͤnden / ſo ſie verbieten / nicht beſtimmen / vielmehr denen menſchen allein den goͤttlichen zorn und dar - aus flieſſende ſtraffen nur insgemein antrohen. Daher die beſtimmung der ſtraffen aus anderwertlichen ſatzungen herzunehmen iſt. Warum ich auch nicht ſehe / daß wir einiges laſters ſtraff alſo von GOTT beſtimmt haben / daß davon nicht abgetreten / oder dieſelbe geaͤndert werden moͤch - te / als die ſtraffe des todtſchlags / welche daß ſie capital ſeyn ſolle / ich nicht ſo wol aus dem Moſaiſchen policey-geſetz herziehe / noch auch weil das laſter in dem fuͤnfften gebot verboten ſeye / als daraus / weil GOtt ſolche ſtraffe ſelbs dictirt / 1. Moſ. 9. und ſolches geſetz allen nachkoͤmlin - gen Noaͤ / unter die wir alle gehoͤren / gegeben. Weswegen auch in kei - nes menſchen macht und hand ſtehet / einen ſchuldigen todtſchlaͤger an - ders zu ſtraffen. Alle uͤbrige laſter haben ihre abſonderliche ſtraffen nir - gend auf ſolche weiſe ausgetruckt / daß wir ſchlieſſen koͤnten / daß nach denſelben nothwendig muͤſte gerichtet werden. Unterdeſſen dienen ſolche Moſaiſche ſtraffen dazu / daß wo zum exempel GOTT lebens-ſtraff hat dictiren laſſen / wir daraus erkennen / daß ſolches laſter ſo ſchwehr ſeye / daß demjenigen / der es begangen / nicht unrecht geſchehe / wo er an dem leben abgeſtrafft wuͤrde: So dann daß chriſtliche Obrigkeiten / in dero macht ſtehet / ſelds geſetze zu machen / und ſie nicht allein von einem hoͤ - hern annehmen muͤſſen / nicht unrecht thun / daß ſie gegen dergleichen laſter / ſonderlich wo ſie etwa mehr uͤberhand nehmen / ſolche Moſaiſche ſtraffen einfuͤhren / und vornemlich wo ſonderbare umſtaͤnde dazu kom - men / dieſelbe alſo exequiren laſſen. Weiter ſehe ich nicht / wie man mit beſtand die Moſaiſche ſtraffen extendiren oder andern auffbuͤrden wolte.

K k k k 32. Ob630Das vierdte Capitel.
  • 2. Ob die ſtraffe / welche in beſagten orten den ehebrechern ge - ſetzt / allein den fall betreffe / da das laſter mit einer verhey - ratheten weibs-perſon veruͤbet wird / oder auch mit einer ledigen / von einem verheyratheten?

HJe iſt wiederum die frage nicht / ob die fleiſchliche unehliche vermi - ſchung / eines verheyratheten mit einer ledigen weibs-perſon / wahr - hafftig ein ehebruch zu nennen und zu halten ſeye. Welches wir gern mit geſamten unſern Theologis bejahen / und alſo den ehemann ſeinem weib aus 1. Cor. 7. ſo wol zu haltung ſchuldiger treue / als ſie ihme / verpflichtet / daher die verletzung derſelben vor einen eigenlichen und ſchwehren ehebruch erkennen. Aber die frage iſt / ob ſolcher ehebruch mit einer ledigen perſon in dem Moſaiſchen geſetz auch mit dem todt geſtrafft worden ſeye. Darauf halte mit nein zu antworten. Denn 1. die worte 3. Moſ. 20 / 10. 5. Moſ. 22 / 22. ſtehen klahr. Und 2. in der repetition werden ſie nichts geaͤndert. 3. 2. Moſ. 22 / 16. 5. Moſ. 22 / 28. wird die todes-ſtraff nicht auffgeſetzt demjenigen / der eine jungfrau deſchlaffen / ohne reſtriction, ob er ſeiner ſeits verehelicht oder ledig geweſen. (Man ſehe auch 3. Moſ. 19 / 20.) 4. Laͤßt ſich nicht bloß à paritate argumen - tiren / weil viele urſachen ſind / warum dem weiſeſten geſetz-geber beliebt hat / den ehebruch mit einer verehlichten haͤrter als einen andern zu ſtraf - fen. Wie wir ſehen / daß GOTT in dem Alten Teſtament wol zugeſe - hen / daß ein mann mehrere weiber haͤtte / niemal aber / daß einem weib mehrere maͤnner zugelaſſen worden waͤren / ob wol ſein geſetz von beyden ſeiten / daß ein weib ſo wol ihren eigenen mann / als ein mann ſein eigen weib habe / erfordert.

Vorausgeſetzt deſſen ſehe ich nicht / wie des ehebruchs wegen noth - wendig um des Moſaiſchen geſetzes willen dieſem reo die lebens-ſtraff angethan werden muͤſte / ſondern laſſe es gern dabey bewenden / was aus den weltlichen geſetzen / welche das Evangelium mit der gantzen policey nicht auffhebet / die Herren Juriſten werden decerniren / oder bereits de - cernirt haben. 1. Weil auch nicht lege Moſaica dieſem caſui die lebens - ſtraff auffgeſetzt geweſt. 2. Wo ſchon ſolches waͤre / es uns nicht bloß dahin obligirte. 3. So kommt dazu die verſoͤhnlichkeit und fuͤrbitte ſei -nes631SECTIO XIX. nes eheweibs / welche auch bey denen / da ſpeciali lege der ehebruch ca - pital iſt / die ordentliche ſtraff mildert. Welches Carpz. Juriſpr. Con - ſiſt. L. 2. T. 12. d. 221. n. 7. jus notiſſimum nennet / und mehrere auto - res anzeucht.

Weil aber uͤber den ehebruch noch dazu kommt digamia, mit wel - cher ſich reus, ſo viel an ihm iſt / vergriffen / ſo waͤre auch von derſelbi - gen zu gedencken / daß etwa deswegen reus capitali pœna zu belegen. Gleichwie wir aber in dieſem paß kein gewiſſe ausgetruckte legem divi - nam finden / ohne daß ſolches laſter zu dem ehebruch zu ziehen / und demſelben gleich zu ſchaͤtzen iſt / alſo laſſe ich es auch wieder hierinn da - bey beruhen / was gewiſſenhaffte Juriſten aus den weltlichen geſetzen / welche hierinn die norma bleiben und ſeyn ſollen / vor eine ſtraffe dicti - ren werden. Vernehme zwahr / daß gemeiniglich ex conſtit. Carolina die todes-ſtraff zuerkant werde / die ich auch / wo ſie ex lege ſupremæ poteſtatis kommt / wie bey dem ehebruch / nicht unbillich achte: gleichwol halte bey dieſem caſu wohl zu erwegen / daß die digamia zwahr von reo geſucht / auch ſo viel an ihm war / ſonderlich mit erfolgter ſleiſchlicher vermiſchung / ad - impliret, aber weil jedoch wider ſeinen willen aus andern hindernuͤſſen die ehe nicht allerdings vollzogen / ſondern die ſolennia zuruͤck gehalten worden; ſo halte davor / daß er damit in foro conſcientiæ und vor GOtt nicht entſchuldigt / ſondern ſeine ſuͤnde nicht wol geringer ſeye / als wo alles nach ſonſt gewoͤhnlicher ordnung waͤre vollſtrecket worden; was a - ber forum externum, dahin die ſtraffen gehoͤren / betrifft / ſo ſtehe ſehre an / ob in demſelben der conatus auch ad extremum usque ſo hoch pœna ordinaria geſtrafft werden moͤge / als ſcelus perpetratum, bey dem uͤber an - dre ſchuld durch die prieſterliche copulation auch der nahme Gottes ſo ſtraff - bar mißbraucht uñ profanirt worden waͤre / gleich wie auch in andern laſtern / bey todtſchlag / diebſtahl und dergleichen das vornehmen / und unterſtehen derſelben zwahr hoͤchlich / aber doch nicht mit der ordenlichen des vollbrach - ten laſters ſtraff / pfleget abgeſtraffet zu werden. Jnsgeſamt zweiffle nicht / daß in allen dieſen dingen das urtheil / welche ſtraffe dieſem undjenem632Das vierdte Capitel. jenem laſter gebuͤhre / denen Juriſten / als aus derer principio domeſtico ſie hergefuͤhret werden / nicht aber den Theologis (ohne was die ſtraffe des todtſchlags betrifft / und daß ſie bey zunehmenden ſuͤnden deroſelben ernſtere abſtraffung / auch daß ſolche ſtraffen ſeyn moͤgen / die gnugſam ſeyen / die laſter zu cohibiren / wol treiben moͤgen) gehoͤre: daher auch ge - ſtehe / daß mit der deciſion einiger ſtraffe als einer frembden ſache mich nicht gern beladen lieſſe. Hingegen mag ein chriſtlicher Herr und Obrig - keit mit gutem gewiſſen dabey bleiben / was von Juriſten aus den weltlichen rechten in dieſer ſache geſchloſſen und geſpro - chen wird. 167 ...

Das(633.)[633]

Das Fuͤnffte Capitel. PARÆNETICA und PA - RACLETICA: Auffmunterung - und troſt-ſchreiben.

ARTICUL. I. Auffmunterung - und vermahnungs-ſchreiben.

SECTIO.

  • 1. Auffmunterung an eine ſtandes-perſon.
  • 2. An einen Fuͤrſten bey antritt ſeiner regierung.
  • 3. Auffmunterung an eine Fuͤrſtliche perſon / zu abreiſſung von der welt-luſt und darzu erforderte gewalt.
  • 4. Auffmunterung an eine hohe ſtandes-perſon.
  • 5. Auffmunterung an eine Fuͤrſtliche perſon / ſonderlich zu betrachtung der guͤter der ſeeligkeit im reich der gnaden.
  • 6. An eine Fuͤrſtinn: Das vornehmſte mittel einen menſchen von der welt eitelkeit und dero liebe abzuziehen aus dem Evangelio die betrachtung goͤttlicher wohlthaten.
  • 7. An die vorige Fuͤrſtinn. Von dem zuſtand derer / welchen es an erbaulichem um - gang mangelt; ihre pflicht und troſt.
  • 8. Als obige Fuͤrſtinn oder Princeßin auch Fuͤrſtlich verheyrathet wurde zur auff - munterung.
  • 9. Auffmunterung an eine Chriſtliche Princeßin.
  • 10. Auffmunterung an einige Graͤfliche Fraͤulein.
  • 11. An eine Fuͤrſtliche perſon bey antritt eines recommendirten Hof-Predigers.
  • 12. Auffmunterung an eine ſchwehr gefallene ſtandes-perſon.
  • 13. Auffmunterungs-ſchreiben.
  • 14. Chriſtliche auffmunterung.
  • 15. Chriſtliche auffmunterung an eine Adeliche Jungfrau.
  • 16. Auffmunterungs-ſchreiben zu ernſtlicher fortſetzung des Chriſtenthums.
  • 17. Auffmunterung an eine Adeliche Frau / die GOtt ſamt ihrem Herrn aus der welt zu ſich gezogen hatte. Gefahr und pflicht unſerer zeit.
  • 18. Aufmunterung an eine Chriſtliche Frau. Der H. Geiſt der rechte lehrer. Hand - lung Goͤttl. Worts. Wachen. Beten; auch fuͤr andere.
L l l l19. Auff -634Das fuͤnffte Capitel.
  • 19. Aufmunterung an eine Jungfrau / die GOtt kraͤfftig zur buſſe ruffete.
  • 20. Summa des Chriſtenthums / bußfertige erkaͤntnuͤß der ſuͤnden / glaͤubige er - greiffung der ſeeligkeit / und daraus entſtehende kindliche gehorſam.
  • 21. Vermahnung vornemlich auf dem weg des Evangelii einherzugehen. Wie man ſich gegen die reformirte zubezeugen.
  • 22. Auffmunterung an einen im ledigen ſtand und auſſer amts lebenden: was der - ſelbe zu thun habe.
  • 23. Auffmunterung an eine unter ſchwehrer haußhaltung ſtehende wittwe.
  • 24. Auffmunterung an zwey in Franckfurth hinterlaſſene adeliche eheleute / zur be - ſtaͤndigkeit im guten und verwahrung vor anſtoß.
  • 25. Vermahnung-ſchreiben an eine frau / die zum papſtum getreten / aber mit der ruͤckkehr wieder umgieng.
  • 26. An eben dieſelbe von gleicher materie.
  • 27. Treuhertzige vermahnung an einen aus dem papſtum bekehrten / der lang un - ordig gewandelt.

SECTIO I. Aufmunterung an eine ſtands-perſon.

E. Gn. gottſeliges ſchreiben habe mit hertzlicher freude empfangen und geleſen. Jch dancke dem Vater des liechts und geber aller guten gaben / der ſeine gnade in ſo reicher maaß uͤber ſie hat ausgeſchuͤttet / daß ſie erkennet ihre unvollkommenheit / des creutzes vortrefflichen nutzen / und den vorzug des einig nothwendigen vor allem zeitlichen: deſſen allen neues zeugniß aus E. Gn. ſchreiben erkannt habe. Es iſt freylich an deme / daß ob wir wol das wollen aus goͤttlicher gnade aufeichtig und hertzlich haben / ſich gleichwol unſere gebrechen und unvollkommenheit niemand mehr als uns ſelbſten offenbahret / alſo / daß da wir unſer liecht vor den menſchen in einfalt des hertzens leuchten laſſen / wir dabey immer noch dieſe und jene ſchwach - heit / welche andere an uns nicht wahrnehmen / erkennen lernen. Dann wo es dunckel iſt / ſihet man nichts / was nicht gar groß und grob iſt / alſo auch ehe wit durch das wahre und helle liecht des Geiſtes erleuchtet werden / werden wir keiner andern ſuͤnden an uns gewahr / als derjenigen / welche gantz handgreifflich ſind; je mehr aber das goͤttliche liecht bey uns aufgehet / und deſſen ſchein zunimmet / je mehr lernen wir auch diejenigen unvollkommenheiten an uns beobachten / die wir vorhin nicht gemercket / vielweniger andere an uns haben ſehen koͤnnen; ja oͤffters dieſelbe vor lob-wuͤrdig geachtet. Jſt alſo ein ſtattliches zeugniß der redlichen aufrichtigkeit und zunahm in der gnade GOttes / wann wir / ob wir wol nach der vollkommenheit ſtreben / auch einigen grad derſelbigen erreichet haben / gleichwolmit635ARTIC. I. SECTIO I. mit Paulo erkennen / nicht daß wir ſchon vollkommen ſeyn / ſondern dem - ſelben nachjagen / und beſtreben / daß wirs ergreiffen moͤgen: ſehen alſo nicht ſowohl auf dasjenige was wir bereits erlanget und zuruͤck gelegt haben; (ohne allein daß wir unſerm lieben Vater auch vor ſolche ſeine gnade dancken;) als auf dasjenige / was uns noch mangelt / umb uns je mehr und mehr mit hertzlichem eiffer zu bemuͤhen / immer weiter fortzufahren und dem vorgeſteckten ziel naͤher zu wer - den. Nicht weniger gutes zeugniß einer bereits reichlich erlangten gnade iſt die wahrhafftige erkaͤntnuͤß des groſſen nutzens des lieben creutzes / wo wir anfangen daſſelbe nicht nur allein als eine nothwendige plage anzuſehen / ſondern vor eine groſſe wohlthat zuerkennen / und dem lieben Vater dafuͤr zu dancken: da ſpuͤren wir die friedſame frucht der gerechtigkeit / (Hebr. 12, II. ) wo wir dadurch geuͤbet ſeyn / ob wol erſtlich die zuͤchtigung nicht freude ſondern trau - rigkeit zu ſeyn geſchienen hatte. Und doch wol deme / welcher das cr[eu]tz nunmehr mit ſolchen augen anzuſehen vermag / die nicht mehr fleiſchlich ſondern geiſtlich ſind! Es iſt in unſerm gantzen Chriſtenthum ein ſtaͤter[kam]pff zwiſchen geiſt und fleiſch / die meiſte krafft aber des fleiſches / damit[ſolch]es den geiſt beſtrei - tet / beſtehet in dem eigenen willen / welchen zu daͤmpffen und unter den gehorſam des goͤttlichen willens zu bringen / unſere meiſte arbeit iſt. Nun hat unſer eigne wille keine trefflichere nahrung / als wo es ihm nach ſeinem belieben ergehet / da - mit erſtarcket er immmer mehr / und mochte leicht dem ſchwachen geiſt bey uns zu ſtarck werden. Auf daß nun ſolches nicht geſchehe / nimmet GOtt ſolchem eignen willen gleichſam ſein futter hinweg / und mortificiret ihn mit allerhand wider - waͤrtigkeiten / damit aber hilffet er uns / damit uns darnach leichter werde / einen ſolchen geſchwaͤchten feind ſo viel gewiſſer zu uͤberwinden. Weiln dann nun E. Gn. ſelbs in eigener erfahrung ſolches bey ſich finden / daß ſie urſach haben fuͤr das creutz ihrem allerguͤtigſten GOtt demuͤthigſt zu dancken / und ſeinen troſt mit - ten in dem truͤbſaal empfunden zu ruͤhmen / ſo hat ſie daran ein unfehlbar kennzei - chen der kraͤfftigen gnade ihres GOttes / welcher ſie ſchon ſo viel geuͤbet / und in ſolcher uͤbung ſo vieles lernen laſſen. Eben ſolches kennzeichen leuchtet ferner heraus aus der hochhaltung des einigen nothwendigen / da E. Gn. bezeuget / daß ihre einige ſorge / daß ſie ſamt ihrem hochgeliebten HErrn dem groſſen GOTT wohlgefaͤllig moͤgen einhergehen / und der ſeelen heil erhalten / in dem uͤbrigen alles andere / als das gering geachtete / deſſen heiligen rath und freyer diſpoſition, uͤberlaſſende. Und ſo ſoll es auch ſeyn. Jndem die welt mit allem / was darin - nen iſt / und alſo was wir in zeitlichem haben oder verlangen moͤgen / vergehet / oder auch wir dieſelbe verlaſſen muͤſſen / mit allem dem / was wir darinnen genoſſen / al - lein aber derjenige bleibet in ewigkeit / der den willen GOttes thut. Welche be - trachtung uns gantz andere gedancken von allem demjenigen macht / wornach dochL l l l 2die636Das fuͤnffte Capitel. die gantze welt mit ſorgen / lauffen / und rennen ſich bemuͤhet / und damit ſie nur ſolchen ſchein erhalte / die wahre guͤter thoͤrlicht fahren laͤſſet. Daher freylich auch die - ſes ein liebes zeugniß iſt / der andern geburt aus GOtt / da wir nunmehr / was die wahre oder falſch-genannte guͤter ſeyn / was die ſeele vergnuͤge / oder nur dero unruhe vermehren moͤge / was unſerer ſorge werth oder nicht werth ſey / wahrhaff - tig / und zwahr mit ſolchem nachtruck erkennen / daß wir ſobald auch die einig wahre guͤter anfangen zu lieben / und nicht mehr durch jene eingebildete uns bethoͤ - ren laſſen wollen. Jn allem ſolchem ſiehet E. Gn. daß ſie ihr liebreichſter Va - ter mit ſeinem Geiſt bißhero auf den rechten weg geleitet / und darauf weit ſortge - ſuͤhret hat / deſſen treueſter handleitung ſie ſich auch willig ferner uͤberlaſſen wird / umb taͤglich fortzufahren und dem vorgeſteckten ziel naͤher zutreten / in mehr und mehr fortſetzendem kampff gegen die noch uͤbrige und verborgene luͤſten des alten A[te]ms / und eiffrigem wachsthum in erkaͤntnuͤß und liebe des ſo guͤtigſten GOt - tes / wo[lzu]uns nichts kraͤfftiger und inniglicher antreiben kan / als die betrachtung der ſo unzehl[bar]en wohlthaten unſers himmliſchen Vaters / die er uns in ſeinem liebſten Sohn erw[ieſe]n / und noch taͤglich erweiſet / aus welcher freudigen liebe vielmehr als aus des geſetz[e]s zwang aller gehorſam bey uns / ſoll er anders als kindlich dem Vater gefallen / h[er]ommen muß. Dabey E. Gn. ungezweiffelt ſich verſichern kan / daß derjenige getreu ſey / der ſie beruffen hat zu der ge - meinſchafft ſeines Sohns JEſu Chriſti. Er werde ſie daher in nichts verlaſſen oder verſaͤumen / ſondern allezeit das maaß des Geiſtes verleihen / ſo ihnen noͤthig iſt: ja auch die freude geben / daß ſie ſehen neben ſich die hoch-geliebte ihrige in der erkaͤntnuͤß ihres GOttes und wahren gottſeligkeit zunehmen: welches ie die allergroͤſſeſte freude iſt / ſo einem frommen Chriſten begegnen kan / andere neben ſich in der ſeligen gemeinſchafft der himmliſchen guͤter zu ſehen / ſonderlich diejenigen / die uns auch dem fleiſch nach naͤher zugethan ſind / und da alſo eine natuͤrliche zartere liebe gegen ſie uns angebohren iſt. Dann da ſeynd wir ver - ſichert / daß ſolches band der gemeinſchafft und liebe gegen ſolche ſeelen ewig waͤh - ret / da hingegen alles andere / wie genau es geweſen / dermaleins zerbrechen muß. wie vergnuͤglich iſt es dann / an ſolchen lieben leuten dasjenige ſehen / daran wir verſichert ſeynd / daß wir in ihrer gemeinſchafft immer bleiben / und mit ihnen eine herrliche erbſchafft und glorie ewig genieſſen ſollen.

SECTIO II. An einen Fuͤrſten bey antritt ſeiner regierung.

NAchdem nunmehr dureh dieſen todes-fall die ſchwehre regierungs-laſt auf E. Hochfuͤrſtl. Durchl. in Goͤttl. ordnung gefallen / und Sie dazu beruffen iſt / ſo gehet noch ferner mein inbruͤnſtiges gebet zu dem groſſen Herrſcher uͤber alles dahin: daß / wie durch ſeine weißheit die Fuͤrſtenund637ARTIC. I. SECTIO II. und alle regenten auff erden herrſchen / er auch dieſelbe in reicher maaß von ſeinem hohen himmels-thron uͤber ſie ausgieſſen wolle. Er gebe in ſie den Geiſt der gnaden und des gebets / darinn ſie taͤglich Jhro ſelbſten von dem thron der gnaden erbitten und erlangen moͤge / was dorten Salomo Weißheit c. 9. ihme erbeten hat. Er trucke deroſelben tieff in die ſeele ein / daß er alle die groſſe in der welt dazu verordnet habe / daß ſie glauben / es ſey die bef oͤrderung goͤttlicher ehre und der unterthanen geiſtl. und leibl. wohlfarth / der wahre zweck ihres regi - ments / ja ihres gantzen lebens / und dahero alle eigene ehre / nutzen / luſt und be - quemlichkeit ihres lebens demſelben haupt-zweck weit nachzuſetzen: daß ſie weißlich verſtehen / wie durch dero treue ſorgfalt der groſſe Nahme GOttes in ihrem lande und ſonſten durch reine lehr und dero fruͤchten zum foͤrderſten moͤge geheiliget / ruhe und friede geheget / die gerechtigkeit ohne fehl adminiſtriret / und in allen ſtuͤcken dasjenige ausgerichtet werden / was Chriſtl. unterthanen von einem loͤbl. regen - ten verlangen moͤgen: Er beſchehre E. Hochfuͤrſtl. Durchl. allezeit treue / kluge / gottsfuͤrchtige und gewiſſenhaffte raͤthe und bediente / und die er gegeben / erhalte er lange / und regier ſie mit ſeinem geiſt der weißheit; Er gebe aber E. Hochfuͤrſtl. Durchl. auch ſelbſt diejenige ſorgfalt in das hertz / in der regierung auf alles ſelbſt mit zuſehen / und zu glauben / daß der groſſe GOtt von denjenigen dermaleins die rechnung fordere / welche er zu ſeines reichs amtleuten gemacht hat: Er regiere auch E. Hochfuͤrſtl. Durchl. in ihrem gantzen leben mit ſeinem H. Geiſt / daß daſſelbe in allen Chriſtl. und Fuͤrſtl. tugenden ihren wehrten unterthanen zum muſter und exempel dienen moͤge / ſie auch ihren Fuͤrſtl. hoff dermaſſen einrichten / daß an ſtatt der den meiſten hoͤffen leider angewoͤhnten eitelkeiten an demſelben die praxis des wahren Chriſtenthums zum grunde geleget / und die hoheit nicht in einigem welt-gepraͤnge / ſondern darinn geſuchet werde / dem Allerhoͤchſten zu gefallen zu leben / welches je billich die hoͤchſte ehre zu achten iſt: Er gebe ihr allezeit gehor - ſame unterthanen / daß ſie ſich immerdar aller derſelbigen treue zuverſichtlich getroͤ - ſten moͤge: Er beſchehre ihrer regierung friedl. und gluͤckſelige zeiten / und wo es von ſeinem rath zuerbitten iſt / wende er von dero anvertrauten landen zu ihrer zeit / dasje - nige ungewitter ab / welches ſonſt allem anſehen nach unſerm reich und geſamter kirchen auf eine weile vorſtehen mag / oder mildere doch alle ſeine gerichte mit groſ - ſer barmhertzigkeit und vielem ſchonen: Er erſtrecke auch ihre jahre auf lange zeit / und laſſe taͤglich ſeine guͤte reichlich uͤber ſie neu aufgehen: Jn ſumma / er ſetze ſie zur ſeule ſeiner kirche / zum troſt des reichs / zur zierde des hohen hauſes / zum ruhm der beruͤhmten eltern und vor-eltern / zur freude der hohen anverwandten / zur zu - flucht / ſchutz und wohlfart der unterthanen / endlich zum gefaͤß ſeines ſeegens / zum werckzeug ſeiner ehren / und dermaleins nach lang hie genoſſener goͤttlichen gnade / zum erben jener glorie. Dieſes iſt die ſumma deſſen / ſo aus einfaͤltigem hertzenL l l l 3dißmal638Das fuͤnffte Capitel. dißmal E. Hochfuͤrſtl. Durchl. anwuͤnſche / und auch nicht unterlaſſen werde / zeit meines lebens deroſelben theurer perſon und regierung vor dem thron der gnaden zugedencken / und in ſolchem auch ein ſtuͤck meiner unterthaͤnigſten pflicht / auch danck - barkeit fuͤr die aus dero hohen hauſe genoſſene wohlthaten / trachten nach vermoͤ - gen abzuſtatten. 1686.

SECTIO III. Aufmunterung an eine Fuͤrſtliche perſon zu abreiſ - ſung von der welt-luſt und darzu erforderter gewalt.

D E. Hochfuͤrſtl. Durchl. ſich ihrer ſchwachheit erinnern / und davor halten / dasjenige nicht bey ſich zu finden / was andere von dero ruͤhme - ten / iſt ein gutes zeugniß. Jn dem uns dasjenige / was an uns noch mangelt / allezeit mehr zu unſerer demuͤthigung vor augen ſtehen / als uns in demjenigen zubeſpiegeln / was wir von GOtt bereits empfangen ha - ben / und ihm ſchon damit undanckbar wuͤrden erfunden werden / wofern wir etwas desjenigen anders anſehen / als ſo fern wir ſeine guͤte preiſen fuͤr die wohlthat / welche er uns darinnen erzeigt / da er uns zu gefaͤſſen ſeiner gnade und werckzeu - gen ſeiner ehre zumachen gewuͤrdiget hat. Um ſo viel mehr / weil wir nicht nur allein zuerkennen haben / daß wir ſolcher gnade / wenn GOtt gutes in uns gewuͤr - cket hat / nicht wuͤrdig ſind / vielmehr ſeine barmhertzigkeit iſt / dero wir es zuſchrei - ben muͤſſen / ſondern in fleißiger unterſuchung unſer ſelbſt immer finden werden / daß / wie viel gutes ſich auch bey uns finden moͤchte / hingegen allezeit noch ſo viel mehr mangele / was ſowol der HErr von uns fordert / als auch thaͤtlich in uns wuͤrde gewuͤrcket haben / dafern wir ihm fuͤr die vorige gnade recht danckbar wor - den waͤren: welches guten mangeluns freylich ein kraͤfftiger antrieb zur gruͤndli - chen demuth iſt / und alsdann nicht zulaͤſſet / daß wir uns des guten einigerley maſſen uͤberheben. Wo nun das hertz alſo geſtellet / und die goͤttliche uns erzeigte wohl - thaten mit dergleichen augen anzuſehen gewohnet iſt / da wird freylich / wenn GOtt uns einiges gutes an uns ſelbſt gewahr werden / oder durch andere an uns loben laͤſſet / ſolches nicht anders angeſehen und angenommen werden / als daß der HErr uns auch auf dieſe weiſe aufmuntern wolle / ihm fuͤr das gute hertzlich zu dancken / und uns ſo viel mehr vor ihm / unſerer eigenen unwuͤrdigkeit wegen / zu demuͤthi - gen / ſodann wo wir dasjenige / welches andere an uns zuerkennen meynen / in ſol - cher maaß durch uͤberzeugung unſers gewiſſens nicht dermaſſen befinden / unſerer ſchuldigkeit / wie wir ſeyn ſollten / und durch goͤttliche gnade / dafern wir dieſelbe ſorgfaͤltig gebraucht / bereits haͤtten werden koͤnnen / uns zu erinnern / hingegen ſo viel ernſtlicher uns dahin zubeſtreben / damit ſolches gute in uns auch dahin wach - ſen moͤge / wie uns anderer liebe angeſehen hat. Nebens dem iſts freylich alſo / wieE. Hoch -639ARTIC. I. SECTIO III. E. Hochfuͤrſtl. Durchl. Chriſtlich erkennen / daß man groſſe urſach zu bitten habe / daß uns GOtt mehr und mehr von der welt-luſt abreiſſen moͤge / indem nach der weltlichen freude ſich nichts als angſt und ſchrecken findet in dem gewiſſen. Es iſt aber eben dieſes eine groſſe gnade GOttes / daß Er uns nicht unempfindlich dahin gehen laͤſſet / welches ſonſten eine anzeigung derjenigen iſt / die Er in ſeinem gericht bereits dahin gegeben hat / ſondern da wir uns entweder aus eigenem wohl - gefallen in die welt-luſt verliebet / oder doch andern zugefallen und aus fleiſchlichen reſpecten uns darein haben flechten laſſen / ſo bald darauff ſeine ſtraffende gnade fuͤhlen laͤſſet / die uns dasjenige / was uns vorher in dem genuß deſſelben ſo wohl geſchmecket / aufs wenigſte ſo arg nicht vorgekommen iſt / in dem gewiſſen auff eine gantz andere weiſe / nemlich wie die ſache wahrhafftig vor GOtt lautet / vorſtellet / damit uns die luſt darzu in das kuͤnfftige ſo viel mehr verbittert werde. Wir haben aber auch alsdann ſolcher gnade hinwieder deſto ſorgfaͤltiger zuge - brauchen / daß wir ihr ihre krafft und frucht bey uns laſſen / und uns nachmaln unſer lebenlang ſcheuen vor der angſt unſerer ſeelen / welche wir in ſothaner be - ſtraffung unſers gewiſſens gefuͤhlet haben. Wo wir uns aber ſcheuen / ſo wer - den wir hinkuͤnfftig deſto fleißiger auf unſerer hut ſeyn / nicht wiederum dasjenige mit willen zuthun / oder uns ſo leicht dazu bereden zulaſſen / woruͤber wir goͤttliche ungnade bey uns gefuͤhlet haben. Dann geſchihet ſolches nicht / ſondern wann uns GOtt zu unſerer pruͤffung nachmals eine gleiche gelegenheit aufftoſſen laͤſ - ſet / und uns alſo verſuchet / ob wir ſeine zuͤchtigung haben bey uns laſſen frucht bringen / wir uns doch immer wiederum in vorige ſuͤnde und liebe der eitelkeit ein - flechten laſſen / ſo iſt nicht nur dieſe ſo viel ſchwehrer / ſondern geſchihet wol offt / daß uns GOtt derſelben ſeiner ſtraffenden gnade in unſerm gewiſſen nicht mehr alſo wuͤrdiget / ſondern zugibt / daß aus ſeinem gericht unſere hertzen mehr verhaͤr - tet werden / und anfangen allgemach dasjenige / ſo uns vorhin ein rechter abſcheu geweſen / mit wenigerem eckel anzuſehen / ja wol gar mit rechtem belieben zu thun: damit endlich auch diejenige / welche vorhin entflohen waren dem unflath dieſer welt durch die erkaͤntnuͤß des HErrn und Heylandes JEſu CHriſti / wiederumb moͤgen in dieſelbe eingeflochten / uͤberwunden / und das letzte mit ihnen aͤrger werden / als das erſte geweſen war. Da alsdann der traurige ausſpruch des Apoſtels platz findet: Es waͤre ihnen beſſer / daß ſie den weg der gerechtigkeit nicht erkennet haͤtten / denn daß ſie ihn erkennen / und ſich kehren von dem heiligen gebot / das ihnen gegeben iſt. Solchen groſſen ſchaden kan es endlich nach ſich ziehen / wofern wir nicht ſorgfaͤltig ſind / nachdem wir einigemal aus GOttes wuͤrckung die angſt und ſchrecken der welt-freude und eitelkeit in dem ge - wiſſen gefuͤhlet haben / uns vor ſothaner verſuchung kuͤnfftig zuhuͤten / oder in der - ſelben ritterlich dagegen zu kaͤmpffen / und GOtt umb ſeinen gnaͤdigſten beyſtandanzu -640Das fuͤnffte Capitel. anzuruffen. Hingegen wo wir uns gewehnen / ſolche gnade danckbarlich zube - trachten / wird uns daſſelbe dahin treiben / fleißig auff unſerer hut zu ſeyn / und auff unſer hertz rechtſchaffen acht zu geben / wohin daſſelbe geneigt iſt. Wie dann offtmahls geſchihet / daß wir nicht gewahr werden / wie noch ſo viel von eigener liebe der welt und dero eitelkeit ſich bey uns finde / ſondern wol in die gedancken kommen moͤchten / ſie ſeyn faſt gantz getoͤdtet / wir koͤnnen aber das gegentheil dar - aus erkennen / wenn wir uns in einigen gelegenheiten von den euſſerlichen reitzun - gen leicht haben uͤberwinden laſſen / und nachmal den ſtachel der ſuͤnden in dem gewiſſen gefuͤhlet / der uns aber dabey offenbahret / daß die ſchuld nicht nur an der euſſerlichen gelegenheit geweſen / ſondern der boͤſe funcke einen leicht-brennenden zunder bey uns angetroffen habe. Da nun ſolches rechtſchaffen erkannt worden / iſt es alsdann das rechte mittel uns zur Chriſtlichen vorſichtigkeit und wachſam - keit zubringen / nachdem wir die betruͤgliche art des hertzens beſſer haben lernen er - kennen. So iſts freylich gebets und ringens von noͤthen / und gehet nicht mit la - chendem munde zu in unſers Chriſtenthums rechtſchaffener uͤbung / ſondern es er - fordert eine gewalt / welche wir uns anthun muͤſſen / ſollen wir das reich Got - tes zu uns reiſſen. Hingegen iſts ja wol werth / was wir auch druͤber thun und leiden muͤſſen / wo wir die herrliche gnade des friedens / der freude / des troſts / des ſuͤſſen geſchmacks der himmliſchen guͤter / und die verſprochene kuͤnfftige erone uns vor augen ſtellen: auch dabey in dem glauben deſſen uns der goͤttlichen ver - heiſſung verſicheren / daß es der HErr an der uns noͤthigen gnade nicht mangeln laſſen / ſondern unſer glaube / wo wir glauben / daß unſer JEſus / welcher fuͤr un - ſer ſuͤnde geſtorben / und in ſeine herrlichkeit eingegangen iſt / uns aber ſeine juͤnger vorhin zur verſchmaͤhung der welt / verleugnung unſer ſelbs / aufnehmung des creu - tzes und ſeiner nachfolge / nachmal aber zur gemeinſchafft ſeiner glorie / beruffen hat / der wahrhafftige Sohn GOttes unſer heil / unſere krafft / unſer leben / ſeye / die welt gewißlich in uns und durch uns uͤberwinden werde / alldieweil er uns zu ſeinen kindern wiedergebohren und ſeines ſiegs theilhafftig gemacht hat / welcher glaube gantz noͤthig / und ohne denſelben einen wahrhafftigen ſieg uͤber die welt davon zu - tragen gantz unmoͤglich iſt. Aber wo komme ich hin? E. Hochfl. Durchl. werden in anaden annehmen / wohin mich deroſelben Chriſtliche bezeugung gefuͤhret hat. 1680.

SECTIO IV. Aufmunterung an eine hohe ſtandes-perſon.

JCh habe juͤngſt-hin von N. N. verſtanden / daß E. G. ein gnaͤdiges be - lieben uͤber meine neulichſt herausgegebene predigten von der verleide - ten liebe der welt bezeuget; ſo mich nicht nur in deroſelben auffrich -tigem641ARTIC. I. SECTIO IV. tigem Chriſtenthum gefaßten zuverſicht geſtaͤrcket / ſondern auch meine freude darob vermehret hat: Jndem niemand ein wahrhafftiges vergnuͤgen uͤber die handlung ſolcher materie ſchoͤpffen kan / in deſſen ſeele nicht der Geiſt aus GOTT ſelbs bereits das jenige / woran faſt die gantze welt ihre ergoͤtzung ſucht / verleidet hat. So dancken wir billich ſo viel hertzlicher dem groſſen GOTT / wann er durch ſeine krafft auch viele ſeelen derer / welche er in dieſer zeit vor andern hoͤher geſetzet hat / von derjenigen liebe der welt reiniget / die ſonſten faſt alle / auch in den geringern ſtaͤnden / welche doch zu deroſelben ge - nuß weniger gelegenheit haben / erbaͤrmlich bezaubert hat / aber eben damit zu allem rechten wahrhafftigen und GOTT gefaͤlligen dienſt untuͤchtig machet. Alſo bleibe ſie geſegnet vor ihrem himmliſchen Vater / aus deſſen gnade es kommt / daß er ihre ſeele von guter zeit naͤher zu ſich gezogen / und dieſelbe mit einem eckel vieles deſſen / woran andere gleiches ſtandes allzuſtarck haͤngen / erfuͤllet / dadurch aber zu fernern ſeinen wirckungen bereitet hat / an denen ers auch nicht manglen laſſen wird. Er ſetze alſo ſein gutes werck in dero inne - rem menſchen kraͤfftig fort / und heilige ſie durch und durch / daß dero geiſt gantz / ſamt der ſeel und leib / muͤſſe unſtraͤfflich erfunden werden auf den tag JEſu Chriſti. Er ſegne aber auch dero wuͤrdiges exempel zu vieler frucht bey andern / ſo gleichem als geringern ſtandes / und zu einer neuen wuͤrde der wahren gottſeligkeit / die ſonſten leider je mehr und mehr ſo gar in die euſſerſte verachtung kommt / daß auch deroſelben fleiß an meiſten orten ſich von laͤſte - rung und verdacht einiges irrthums nicht retten kan. Wie ich dann gewiß - lich unter den ſchwehren trangſalen / welche leider faſt alle ort / ſonderlich unſer armes Teutſchland / empfindlich trucken / dieſes wol vor das ſchwehrſte gericht GOttes achte / daß derſelbe ſeinem feind / dem ſatan / geſtattet hat / es dahin zu bringen / daß die wahre gottſeligkeit nunmehr vor heucheley / ſcheinheiligkeit / aberglauben und wol gar Quackerey / dero nuͤtzliche uͤbungen aber vor die ge - faͤhrlichſte neuerungen / denen ſich alles mit macht entgegen ſetzen muͤſſe / ange - ſehen und ausgegeben werden: Wolte GOTT / es geſchehe aber ſolches nicht offt von denjenigen / welche dieſelbe vor allem andern / auch amtswegen / zu be - fordern verbunden ſind! Jch verſichere mich / daß E. Gnaden ſo viel liechts von GOTT empfangen haben / ſolches verderben unſerer zeit tieff einzuſe - hen / hingegen aber auch ſo viel liebe zu dem guten / daſſelbe inniglich zu bejam - mern / und deſto ſorgfaͤltiger auch an ſich dasjenige leuchten zu laſſen / was die welt nicht gern ſihet / aber noch am meiſten daruͤber ſchweigen muß / wo ſie es wahrnimmet an denen / dero ſtand ſie noch ehren muß. Wiewol ich weiß / daß dieſer auch dieſelbe / da ſie die liberey ihres Heylands in ſeiner nachfolge annehmen / nicht befreyet / daß ſie nicht auch des creutzes deſſelben und einige verachtung von denjenigen / denen jene ſo gar zu wider iſt / etwas theilhafftigM m m mwuͤrden.642Das fuͤnffte Capitel. wuͤrden. Es wird aber E. Gnaden ſich dardurch nicht laſſen muͤde machen / ſondern auf demjenigen wege / auf welchen ſie aus liebe ihres JEſu einmal mit redlichem hertzen eingetreten iſt / ſtets getroſt fortfahren / und ſich gewiß verſichern / daß wir darinn einem HErrn / der alles ſolches gehorſams wol wuͤrdig iſt / dienen. Er aber ſelbs der HERR der krafft wirds auch an ſich nicht manglen laſſen / dieſelbe vollzubereiten / zu ſtaͤrcken / zu kraͤfftigen / und zu gruͤnden / zu einem vollkommenen ſieg: Er wird ihrem guten exempel auch an - derer nachfolge ſchencken / zu deſto groͤſſerer freude / und in der that zeigen / daß dero liecht nicht vergebens geleuchtet habe. Nun er thue es / und erfuͤlle ſie taͤglich mit neuer himmliſchen krafft und allerley GOttes fuͤlle: Er ſetze auch dero Herrn gemahl zum zeugnuͤß ſeiner guͤte / und beſelige deſſen hohe perſon ſo wol mit allem geiſtlichen ſegen in himmliſchen guͤtern / als auch mit allem / was zu dieſes lebens wahrer gluͤckſeligkeit gehoͤret: Sonderlich aber erfuͤlle er denſelben mit der weißheit von oben / in welcher allein die regenten recht regi - ren / die gantze regirung in derſelben zu fuͤhren / und dadurch das gantze anver - traute land durch ſeinen goͤttlichen ſegen dahin zu bringen / daß ſeine himmli - ſche wahrheit und die ungefaͤrbte gottſeligkeit in der kirchen bluͤhe / auch dero uͤbung gegen alle / die ſie unter einigem vorwand hindern wollen / maͤchtiglich geſchuͤtzet werde / ſo dann gerechtigkeit und friede in ſchwang komme / und alle der vorigen zeiten maͤngel und ungemach ſtattlich erſetze / auch beſtaͤndig blei - be. 1690.

SECTIO V. Auffmunterung an eine Fuͤrſtliche perſon / ſon - derlich zu betrachtung der guͤter der ſeligkeit in dem reich der gnaden.

ES iſt wahrhafftig nicht unſer menſchen-werck / ſondern goͤttliche wir - ckung / wo wir unſere ſeele dahin diſponiren koͤnnen / daß ſie mit ſolchem vaͤterlichen willen allemal zu frieden ſeye / und ihr denſelben recht wol - gefallen laſſe / ſonderlich wo wir nun ein ernſtliches verlangen bey uns empfin - den / ſo E. Hoch-Fuͤrſtl. Durchl. von ſich chriſtlich bezeuget / die eitele nichtig - keit mehr zu erkennen und verachten zu lernen; ſo iſt auch dazu das rechte mit - tel / die fleißige betrachtung der guͤter der kuͤnfftigen herrlichkeit / die der HErr den ſeinigen / ſo ihm biß an das ende beſtaͤndig anhangen / treulich zugeſaget hat; weßwegen der dahin anwendende fleiß / offt davon zu hoͤren / zu leſen / zu betrachten / wann es in rechter ordnung geſchihet / wol angeleget zu achten iſt. Jch hielte aber dabey auch ſehr dienlich / nicht weniger an die ſchon bereits in dieſer gnaden-zeit geſchenckte guͤter offt und andaͤchtig zu gedencken / derogruͤnd -643ARTIC. I. SECTIO V. gruͤndliche erkaͤntnuͤß und erwegung nicht geringern nachtruck haben wird / eine ſeele zu verachtung der eitelkeit dieſer welt zu bewegen / als das nachſin - nen der kuͤnfftigen glori. Wir finden in der erfahrung / daß uns die hoffnung eines auf das kuͤnfftige verſprochenen gutes wol auch das gemuͤth kraͤfftig be - wegt / aber wo uns gegenwaͤrtige guͤter gezeiget werden / ſo meine ich / die bewe - gung ſeye viel kraͤfftiger; daher ich davor halte / daß der liebſte Apoſtel Roͤmer am 8 / 18. nicht vergebens allem leiden dieſer welt / ſo uns ſonſten zur ungedult bewegen moͤchte / entgegen ſetzet / die herrlichkeit / nicht ſo wol die dermaleins uns erſt geſchencket / ſondern die an uns ſolle offenbahret werden / das iſt / die wir bereits haben / aber nur deroſelben offenbahrung und vollkommenen gebrauch erwarten. Damit lernen wir / daß es ja wol werth ſeye / um der ehre unſers GOttes willen etwas / und zwahr vieles / wil - lig zu leiden / weil er uns bereits eine ſo groſſe herrlichkeit wircklich geſchencket habe; welche wie unſer leben in GOTT / zwahr annoch verborgen iſt / aber offenbahret werden ſolle / wann Chriſtus ſelbs wird offenbahret werden in der herrlichkeit Col. 3 / 3. 4. Es beſtehet aber ſolche herrlich - keit in der goͤttlichen vaͤterlichen liebe / in der ſeligen kindſchafft GOttes / in deſſen treuer vorſorge fuͤr uns / in der gerechtigkeit JEſu Chriſti und deſſen vollkommenſten verdienſtes gnadenreicher zurechnung / daraus eines glaubi - gen ſeele krafft ſolches theuerſten geſchenckes und ihres glaubens vor GOt - tes augen auffs hellſte und klaͤhreſte leuchtet / in der beywohnung und kraͤffti - gen wirckung des H. Geiſtes / ſo an unſerer heiligung und erneurung taͤglich arbeitet / in deſſen innerlichen zeugnuͤß / in ſeinem friede und freude / und was mehrere ſchaͤtze der ſeligkeit ſind / welche wir bereits allhier aus der himmli - ſchen gnade wircklich beſitzen / und deßwegen wol wuͤrdig ſind / taͤglich davon zu dencken / und mit dero betrachtung unſern glauben zu ſtaͤrcken: Wie ſie ja eine ſolche herrlichkeit und adel in ſich faſſen / daß gegen demſelben aller hoher ſtand dieſer welt / ſo aus natuͤrlicher geburt herkommt / gering zu achten iſt. Weßwe - gen die betrachtung / daß er uns ſo hoch gewuͤrdiget / (wann durch die gottſeli - ge erwegung ſolche unſere hoheit uns recht in das hertz getrucket wird) nicht anders kan als den glauben und alle deſſen fruͤchten bey uns vortrefflich ſtaͤr - cken: Und ich zu ſolchem zweck / ſothane beſchauung der bereits beſitzenden ſchaͤ - tze und guͤter / ſo nuͤtzlich achte / als immermehr die betrachtung der kuͤnfftigen herrlichkeit ſeyn mag. Wie auch / deswegen ſo wol Statii ſchatz-kammer der glaubigen / als Andr. Crameri tractaͤtlein / welcher von ſolcher materie noch behutſamer und mit weniger gelegenheit eines anſtoſſes als jener han - delt / ſo auch beyde vermuthlich E. Hoch-Fuͤrſtl. Durchl. werden bekant ſeyn / mich allzeit ſehr vergnuͤgt / und zu reicher gottſeliger auffmunterung mir an - laß gegeben haben.

M m m m 2SECTIO644Das fuͤnffte Capitel.

SECTIO VI. Das vornehmſte mittel / einen menſchen von der welt eitelkeit und derer liebe abzuziehen / aus dem Evangelio / die betrachtung goͤttlicher wol - thaten.

Durchlauchtigſte Fuͤrſtin / Gnaͤdigſte Fuͤrſtin und Fraͤulein.

E. Hoch-Fuͤrſtl. Durchl. gnaͤdigſtes hand-ſchreiben habe vor etlichen tagen wol empfangen / und gleichwie mich ſolcher unverdienten ehre unterthaͤnigſt bedancke / alſo erkenne auch hieraus deroſelben gottſeliges gemuͤth / daß ſolche dergleichen gnaͤdigſte zuneigung gegen mich bezeugen / bey deme ſie mehrers nicht / das beliebig ſeyn koͤnte / ange - troffen haben / als daß ich mich erfreue / wo ich von GOTT recht von in - nerſtem grund ſuchenden ſeelen hoͤre oder ſolche kennen lerne / ſo dann nach gleichem zweck in der maaß der gegebenen goͤttlichen gnade mich zu be - ſtreben ſuche. Solches ſind aber dinge / welche wie der welt zu wider / alſo denen ſeelen allein angenehm ſind / die allein hoch achten / worinnen ſie goͤttliche gnade / in groſſer oder weniger maaß / antreffen. Dann gleichwie ſie in demſelben / ſo viel ſie dero an ſich haben / ihr hoͤchſtes vergnuͤgen ſuchen / alſo ſchaͤtzen ſie ſolche allein hoch auch bey andern. Jn dem uͤbrigen haben E. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht. ein groͤſſeres vertrauen zu meiner wenigkeit / daß ſie ſonderbahre erbauung von meiner gegenwart hoffeten / als ich mei - nes orts erkennen koͤnte / daß von mir zu hoffen waͤre. Dann ob ich zwahr freylich die von dem grundguͤtigen Vater in dem himmel mir unwuͤrdigſten verliehene gnade nicht zu leugnen / ſondern mit demuͤthigſtem danck ihn des - wegen zu verehren habe; auch nach vermoͤgen ſo wol aus pflicht meines bey hieſiger gemeinde aus goͤttlichem beruff tragenden amts / als anweiſung des uns allgemeinen prieſterthums / dieſelbe dazu ſorgfaͤltigſt anwenden ſolle / damit einige meiner mitchriſten / mit denen umzugehen mir GOTT die gelegenheit gibt / durch mich mit erbauet und ent - weder erſt zu dem erkaͤntnuͤß ihres heyls gefuͤhret / oder / wo ſie auch von dem getreuen himmliſchen Vater ſchon weiter gebracht ſind / und mir vieles vorgehen / dannoch durch eines ob wol mit ſchwachen ſchritten ihnen nachfolgenden etlicher maſſen in dem guten geſtaͤrcket / werden moͤgen. So wird ſich gleichwol an mir nichtes finden / wodurch eine Gotternſtliche dienende ſeele erbauet werden moͤchte / welches ſich nicht auch bey andern CHriſti dienern allen / (gegen denen ich billich meine geringe faͤ -hig -645ARTIC. I. SECTIO VI. higkeit erkenne) mit gleichem nachtruck und etwa weniger beygemiſchter ſchwachheit antreffen wuͤrde. Maſſen auch E. Hochfuͤrſtl. Durchl. an ſolchem ort leben / da ich mich verſichert halte / daß ſie gleichwie begabtere al - ſo ſolche diener goͤttlichen worts um ſich haben / und dero nach belieben zu ih - rer ferneren erbauung genieſſen moͤgen / von welchen ſie alles dasjenige aufs reichlichſte erlangen koͤnnen / was ſie etwa / da ſie nach GOttes willen jemal alhier haͤtte leben ſollen / bey meiner wenigkeit geſucht haben wuͤrden. Dahe - ro ich nicht zweiffele / daß E. Hochfuͤrſtl. Durchl. ſich der gegenwaͤrtigen ge - legenheit zu bedienen / und unter denen predigern / dero offentlichen dienſtes ſie ſich gebrauchen / mit demjenigen vornemlich / von welchem und ſeiner leh - re ſie etwa vor andern ſich erbauet zu werden / und alſo hierinnen goͤttlichen finger der ſie anweiſe empfinden / mehrere kundſchafft zu machen / und ſich in dem gu ten immer weiter geſtaͤrcket zu werden / ſeiner beyhuͤlffe und anwei - ſung zu bedienen gnaͤdigſt geruhen werden. Weil aber E. Hochfuͤrſtl. Durchl. auch meiner ſo guͤtigſt zu gedencken gelieben / und einiges guten vertrauen gegen mich bezeugen / als habe ich nicht nur allein ſo viel mehrere urſach / E. Hochfuͤrſtl. Durchl. wolfarth dem groſſen GOTT in meinem andaͤchtigen gebet demuͤthigſt vorzutragen / und darum flehentlich ihn anzu - ruffen / ſondern auch alle gelegenheit zu ergreiffen / wo ich nach meinem ar - men vermoͤgen / etwas zu deroſelben geiſtlichen wachsthum oder bekraͤffti - gung bey zu tragen wuͤſte. Welches aus einfalt meines hertzens geſchehen - de / von E. Hochfl. Durchl. wol auffgenommen zu werden nicht zweifflen will / daher mich bereits dieſes erſtemal erkuͤhne / weil E. Hochfl. Durchl. ſorgfaͤltig angelegen iſt / wie ſie moͤge von der welt eitelkeit unter denen vie - len verſuchungen / mit denen ſie ſich ſonder zweiffel taͤglich umgeben ſihet / unbefleckt erhalten werden / ein kraͤfftiges mittel vorzuſchlagen / damit ſie durch GOttes gnade gegen alles / was ſie zu luſt der eitelkeit jemal reitzen moͤchte / ſich ſtattlich beſteiffen und bewahren kan / ſolches iſt nun taͤgliche betrachtung der goͤttlichen wolthaten. Die goͤttliche gebot und in der ſchrifft enthaltene lebens-regeln weiſen uns wol / wie wir uns halten / wovor wir uns huͤten / und weſſen wir uns befleiſſen ſollen / aber ſie geben uns keine geiſt - liche kraͤfften / dasjenige zu thun / was ſie von uns erfordern: ſondern jemehr ſie fordern / und wir aber unſer unvermoͤgen dagegen ſehen / ſo vielmehr un - willen entſtehet gemeiniglich in unſerm hertzen. Es iſt aber der glaub allein dasjenige gut / welches uns nicht nur allein einen trieb / unſerm GOtt gefaͤl - lig zu dienen / gibet / ſondern welches auch neue kraͤfften wuͤrcket / dasjenige in unſerer ſchwachheit anfangen zu leiſten / was von uns erfordert wird. Da - her uns die ſtaͤrckung des glaubens am allermeiſten angelegen ſeyn muß / als welches die oͤffnung einer reichen qvell iſt / dero es nachmal an waſſer nichtM m m m 3manglen646Das fuͤnffte Capitel. manglen wird. Nun mag der glaube nicht herrlicher geſtaͤrcket werden / als mit taͤglicher andaͤchtiger betrachtung der von GOTT empfangender wol - thaten. Es ſind aber die goͤttliche wolthaten nicht einer art / ſondern moͤ - gen nach einfaͤltiger abtheilung unſers Catechiſmi in 3. articul / oder die wol - thaten der ſchoͤpffung / erloͤſung und heiligung beqvem eingetheilet werden. Und zwahr ſind alle ſolche wolthaten / welche wir in den 3. articuln beken - nen / billich zum offtern / von uns zu erwegen; in dem wir ja auch in der ſchoͤpffung und dero anhaͤngiger erhaltung erkennen / was vor einen liebrei - chen guͤtigen vater wir an GOtt dem HErrn haben / welcher ſo vieles in ſol - chem leiblichen an uns gethan / nicht nur ohn unſer verdienſt / ſondern auch oh - ne unſer gebet / weil ihn je niemand um ſein leben / ehe ers empfangen / bitten konte; ja daß der mildreiche Vater / in dieſen dingen ſo ſorgfaͤltig ſich unſer annehme / an welchen es doch ſcheinen ſolte / daß ſeiner ehre weniger gelegen waͤre; je doch iſts nicht ſowol ſolche gutthat des erſten articuls als vielmehr des andern und dritten diejenige / dadurch unſer glaube kraͤfftig geſtaͤrcket wird / als in denen ſo wol die erwerbung unſers heils durch JEſum CHri - ſtum geſchehen / als auch die ſchenckung derer uns erworbenen guͤter / die wir aus des H. Geiſtes gnade haben / antrifft / und darinnen alles hat / worauff er ſich gruͤndet und an was er ſich haͤlt. Da werden dieſe wolthaten / oder auch nur eine derſelben niemal mit hertzlicher andacht erwogen / daß nicht al - ſo balden dem glauben eine neue krafft zu gehe. Und wo dann der glaube ge - ſtaͤrcket iſt / ſo ſind ſo bald auch neue kraͤffte vorhanden / zu ſeinen fruͤchten / in eiffriger verfolgung des guten / und ſorgfaͤltiger vermeidung alles GOtt - mißfaͤlligen. Zu dieſer betrachtung aber der goͤttlichen wolthaten / bedarff es nicht groſſer kunſt oder geſchicklichkeit / ſondern die hoͤchſte einfalt iſt hie das allerkraͤfftigſte. Daher dieſe vorgeſchlagene uͤbung einer frommen ſee - len nicht ſchwehr iſt. Dann was iſt leichter / als daß ſie taͤglichen / ſonderlich den zweyten und dritten articul / vornehmlich / wie in des ſeligen Lutheri auslegung dieſelbe erklaͤhret ſind / vornehme und gedencke / was vor eine un - ausſprechliche wolthat es ſey / daß mein lieber JEſus / der gleichwol wah - rer weſentlicher GOtt vom Vater von ewigkeit gebohren / habe ohne eignen daher habenden nutzen / allein um meiner und uͤbrigen menſchen willen / wol - len auf erden kommen / fleiſch und blut annehmen / mein bruder werden / und ſich eine zeitlang des gebrauchs ſeiner ſo groſſen ewigen herrlichkeit enteu - ſern / hingegen in ein ſchmertzen und jammer volles leben begeben wollen? Wo ich ferner bedencke / wie mein JEſus in ſeiner kindheit / in ſeiner jugend / in ſeinem maͤnnlichen alter / einerſeits ein gantz tugendhafftes leben gefuͤh - ret / daß nichts als demuth / ſanffmuth / verachtung der welt / liebe / freund - lichkeit / andacht / gleichfoͤrmigkeit mit goͤttlichem willen / an ihm erkant wer -den647ARTIC. I. SECTIO VI. den mag / und hervor leuchtet / anderſeits wie eben ſolch ſein tugendli - ches leben in lauter leiden / innerlich und euſſerlich / ſo er aber mit hoͤch - ſter gedult getragen / gefuͤhret worden / und damit mir das heyl ſo wol erworben / als auch ein vorbild gelaſſen worden. Wo ich beden - cke / was edle fruͤchten ſolcher gehorſam und leiden meines JESU mir zuwegen gebracht habe / nemlich die vollkommene erloͤſung / von ſuͤn - de / todt und teuffel: Wie hoch dieſe wolthat zu achten ſeye / wo wir erwe - gen das unausſprechliche elend derjenigen / welche unter der ſuͤnden und des teuffels gewalt ligen / wie wir alle gelegen ſind: da ja dieſe wolthat nicht gering iſt / die uns von ſolchem groſſen jammer befreyet: wo wir erwegen die vortreflichkeit des bezahlten loͤſegelds / indem unſer Heyland nichts anders ſondern ſich ſelbs fuͤr uns gegeben: wo wir erwegen die himmliſche freyheit / in die wir durch ſolche erloͤſung geſetzt ſeyn / daß wir nicht nur die vergebung der ſuͤnden erhalten haben / ſondern auch der ſuͤnde die herrſchafft genommen worden / daß ſie jetzo wider unſern willen nicht uͤber uns zu herrſchen ver - mag / ſondern wir / ob zwahr ſie noch an uns leiden muͤſſen / gleichwol durch den von Chriſto uns verdienten geiſt die fleiſchliche luͤſte toͤdten koͤnnen: daß der teuffel mit ſeinen werckzeugen uns zwahr wol anfechten und beſtreiten koͤnne / aber daß er als ein uͤberwundener feind / wo wir an den ſieg unſers Heylands uns halten / uns nicht weiter zu ſchaden vermoͤge; ſondern in un - ſerer groͤſſeſten ſchwachheit von uns / krafft der erloͤſung / beſieget werde: Ja daß wir als die erloͤſete des HErrn / nunmehr ſein eigen ſeyen / und in ſeinem reich unter ihm leben und ihm dienen ſollẽ und koͤnnen / in ewiger gerech - tigkeit / unſchuld und ſeligkeit: und daß er zur befoͤrderung ſolches genuſ - ſes ſeines verdienſts in der herrlichkeit regiere / und auff alles / was mit uns vor gehet / ſorgfaͤltig acht gebe. Die betrachtung ſolcher theuren woltha - ten ſtaͤrcket den glauben herrlich / weil wir darinnen ſehen / wie theuer wir vor den augen unſers GOttes ſeyn muͤſſen / an welche er ein ſo groſſes gewendet hat: daraus entſtehet neuer antrieb / uns ja nicht ſo tieff zu erniedrigen / daß wir der ſuͤnde / der welt / und dero eitelkeit / dienen wolten / von dero dienſt - barkeit wir ſo koſtbar erloͤſet worden ſind. Reitzet mich alſo die welt mit vor - haltung ihrer eingebildeten ehre / reſpects / nutzens und luſt: und ich ſehe hin - gegen / wie hoch die ehre ſeye / zu dero ich durch die erloͤſung gebracht bin; ſo kan ich großmuͤthig verachten alles / was die welt hoch ſchaͤtzet / und in ſolcher verachtung mich ſo viel leichter deſſen enthalten / wozu mich jene mit vorhal - tung ihrer vermeinten guͤter locket. Jch bin ja nicht zu dergleichen eiteln / ſondern recht wahren / ewigen und himmliſchen guͤtern / ehre / herrlichkeit und freude / von meinem Heyland erloͤſet. Warum ſolte ich mich dann alſo ver - ringern / und um einen ſchatten das wahre gut fahren laſſen? Hie moͤgen wirrecht648Das fuͤnffte Capitel. recht großmuͤthig werden / und ſolcher hochmuth / der uns ſelbs nichts zu - ſchreibet / ſondern GOTTES gnaden-geſchenck hochſchaͤtzet / gefaͤllet dem HErrn wol / und haͤlt uns am allermeiſten ab von demjenigen / damit wir ſe - hen / daß wir unſere hohe wuͤrde ſonſt ſchmaͤlern wuͤrden. Wie wir ja in der welt an denjenigen / welche GOtt in einigen vornehmern ſtand geſetzet / wahr - nehmen / daß die betrachtung ihres ſtands ſie von vielem abhaͤlt / ſo ſie demſel - ben verkleinerlich zu ſeyn manchmal nur die einbildung gefaſſet haben / un - terdeſſen aber aus ſolcher abſicht ihnen nichts ſchwehr laſſen vorkommen / zu thun und zu leiden / nur ihrem ſtand gemaͤß zu thun. Jſt nun ſolche krafft in ſolcher einbildung / dergleichen bey menſchen zu wege zu bringen / daß ſie ſich vieles enthalten / ſo ſie ſonſt thaͤten / und vieles mit muͤhe verrichten / dazu ſie ohne ſolche abſicht ſich ſchwehrlich bringen laſſen: Wie ſolte dann nicht auch die anſehung der groſſen ehr und hohen ſtands / dazu wir durch die er - loͤſung Chriſti geſetzet ſind / nachtruͤckliche krafft haben / uns von allem dero - ſelben unanſtaͤndigem abzuhalten? Alſo auch das anſehen des heiligen le - bens JEſu / ſtaͤrcket denjenigen herrlich / der da gedencket / wie er dadurch nicht nur erloͤſet / ſondern ihm auch ein vorbild der nachfolge darinnen gegeben / und demſelben obwol ſchwaͤchlich nachzufolgen das vermoͤgen erlangt wor - den ſeye: wie ſolte ich in dieſem oder jenem ſtuͤck / dazu ich gereitzet werde / be - gehren / der welt mich gleichfoͤrmig zu ſtellen / da ich an meinem Heyland das gegentheil deſſen ſehe / und mich zu ſeiner nicht der welt nachfolge verpflich - tet habe? Ja weil ich den zu lieben und vor mein allerhoͤchſtes gut zu achten mich ruͤhme / welcher es ſich ſo ſauer hat werden laſſen / mich in die freyheit zu ſetzen? Wie ſolte ich dann muthwillig ſein eigen werck an mir wollen verder - ben / und deme dienen / davon er aus liebe mich erloͤſet? dergleichen und tau - ſend andere gute gedancken / aus denen lauter antrieb und neue kraͤffte ent - ſtehen / von der welt eitelkeit uns abzuhalten / es gibet. Die einige betrach - tungen der in dem andern articul bekennenden erloͤſung / daß wir jetzo nicht auff den dritten und das theuerſte werck unſer heiligung / durch welches wir in den genuß der verdienten guͤter geſetzet ſind / kommen / oder davon wort machen. Wo aber auch / aus erwegung unſers gnaden-beruffs / des heili - gen worts Gottes und deſſen lebendig machender krafft / der heiligen und nie - mal gnug geprieſenen tauff / des wuͤrdigſten und liebreichſten abendmahls / der genauen vereinigung mit GOtt in ſeiner gnaden-einwohnung / und mit allen glaubigen in der gemeinſchafft der heiligen / der gnaͤdigen vergebung der ſuͤnden / und zurechnung der gerechtigkeit JESU / der aus des Geiſtes krafft taͤglich fortſetzenden erneuerung / und goͤttlichen beyſtandes zu der endsbeharrlichkeit / ſo dann der kraͤfftigen noch bevorſtehenden herrlichkeit jenes lebens / dergleichen herrliche antrieb erfolgen / daß wir damit viel kraͤff -tiger649ARTIC. I. SECTIO VI. tiger von / als von der welt zu ihrer eitelkeit gezogen werden. Daher keine heili - gere uͤbung / als ſolche offtere und taͤgliche betrachtung ſeyn mag; ohne daß auch ſelbs in derſelben das vornehmſte ſtuͤck des lobes GOttes / umb deſſenwillen wir in der welt ſind / beſtehet. Jch bin aber durch dieſe materie zu mehrer weitlaͤuff - tigkeit gefuͤhret worden / als ſonſten geziemet haͤtte / E. Hochfl. Durchl. aufzuhal - ten; indem dieſelbe alles dieſes ſo viel beſſer und ausfuͤhrlicher in andern gott - ſeligen buͤchern / daran ſie keinen mangel hat / antreffen koͤnnen: doch bin ich der guten zuverſicht / daß dieſelbe ſolche liebe materi dermaſſen werth halten / daß ſie uͤber ohne das habenden gnugſamen bericht von derſelben / und anweiſung zu fer - nerer betrachtung derſelben / auch dieſe einfaͤltige zeilen geleſen zu haben ſich nicht verdrieſſen laſſe: Jndem / was uns angenehm / auch oͤffters und auff allerhand weiſe zu hoͤren oder zu leſen / uns nicht beſchwehrlich zu fallen pfleget. Schließ - lich ruffe ich den getreuen GOtt und Vater unſers HErrn JEſu CHriſti demuͤthigſt an / daß ſeine goͤttliche Majeſtaͤt E. Hochfuͤrſtl. Durchl. nicht nur allein mit allem uͤbrigen ſo zu hieſigem leben und ſtands ziemlichem wolſeyn gehoͤ - ret / mildigſt beſchencken / ſondern vornemlich ſein herrliches in ihr angefangenes werck kraͤfftig fortfuͤhren / das liecht ſeiner gnade und erkaͤntnuͤß in ihr taͤglich zu - nehmen laſſen / das gemuͤth in dem guten ſtaͤrcken / kraͤfftigen / gruͤnden und voll - bereiten / zu uͤberwindung aller verſuchung muth und weißheit verleihen / und ins - geſamt ſie durch ſeinen Heiligen Geiſt alſo regieren wolle / daß ſie zu ſeinem preiß als ein liecht mit gutem exempel andern vorleuchte / in ihrer ſeelen immer mehr und mehr / wie freundlich der HErr denjenigen ſeye / die ihn hertzlich lieben / und ſeine ſuͤſſe troͤſtungen / vergnuͤglichſt empfinde / und endlich zu der groſſen herrlichkeit / dazu wir von unſerm Heylande beruffen ſeynd / zu ſeiner zeit ſeelig eingehe. Wel - chen wunſch dem ſinn nach / in einfalt meines hertzens immer wiederholende / und alſo ſie ſolches unſers groſſen Gottes theuren gnade und ſegen empfehlende / verbleibe. ꝛc. 1672.

SECTIO VII. An die vorige Fuͤrſtin. Von dem zuſtand derer / welchen es an erbaulichem umgang mangelt / ihrer pflicht und troſt.

Durchlauchtigſte Fuͤrſtin. Gnaͤdigſte Fuͤrſtin und Fraͤulein.

E. Hochfl. Durchl. gnaͤdigſtes ſchreiben iſt mir wol worden / und habe aus ſolchem mit hertzlicher freude erſehen / daß mein voriges gantz gnaͤdigſt aufgenommen worden ſeye / und das vor dem gnaͤdigſt be -N n n nzeugte650Das fuͤnffte Capitel. zeugte vertrauen gegen mich annoch unverſchmaͤlert verbleibe. Die groͤſte freude iſt mir billig dieſe / daß ſowol aus E. Hochfl. Durchl. an mich geſchriebenen zeilen abnehmen kan / als mit mehrerem von N. N. berichtet bin worden / wie daß von des grundguͤtigen GOttes him̃liſche gnade in E. Hochfl. Durchl. angefangene gute werck nicht nur kraͤfftig bißher geſtaͤrcket / ſondern mit vielem wachsthum herr - lich vermehret worden ſeye / und ſie in taͤglicher uͤbung aus goͤttlichem ſeegen ſtetig zunehmen. Jch dancke billig deswegen unſerm him̃liſchen Vater / als dem geber aller guten und vollkommenen gaben / welcher ſie immerdar weiter ſegnet mit aller - ley geiſtlichem ſegen in himmliſchen guͤtern durch Chriſtum / nicht nur in allen ſtuͤ - cken reicher zu werden / in aller lehr und in aller erkaͤntnuͤß / ſondern ihn auch mit den fruͤchten ſolcher erkaͤntnuͤß danckbarlich zu preiſen / fuͤr ſolche auch ihro erwie - ſene gnade: und ſolches umb ſo vielmehr / weil dero exempel bey mehrern andern an hohen orten viele frucht und nutzen zuſchaffen hoffe: ſeine goͤttliche guͤte dabey flehentlich anruffende / ſie noch immer weiter zu ſtaͤrcken / und die ſuͤßigkeit ſeiner gnade ſie mehr und mehr kraͤfftig ſpuͤren zulaſſen / zu mehrerem ſeines heiligen nahmens preiß und eigener ſeeligkeit empfindlicherem genuß. Ob E. Hochfl. Durchl. ſtetig ihrer mehrere umb ſich haben / mit denen und an dero Chriſtlichen gemeinſchafft und geſpraͤch ſie ſich erſreuen und ergoͤtzen koͤnten / iſt mir nicht wiſ - ſend: doch zweifle ich nicht / daß ihr nirgend manglen werde an ſolcher gelegen - heit / auffs wenigſte wird dero geliebte N. N. durch offteres zu ſchreiben dasjenige erſetzen / woferne etwa in gegenwart derjenigen weniger ſeyn werden / mit denen ſie taͤglich vertraulich umbgehen / und bey ihnen gelegenheit des taͤglichen wachsthums ſuchen moͤchte. Es iſt zwahr vergnuͤglich / und ein vorgeſchmack des ewigen lebens / wo man ſchon hier auff der welt ſolche fromme ſeelen / die der welt abgeſtorben / das ewige allein laſſen ihre freude ſeyn / umb ſich hat / und von den - ſelben taͤglich erbauet werden kan: indem auch diejenige / welche mit denen umb - gehen / die GOtt ſchon weiter gefuͤhret / und ihnen mehreres zu ſchmecken gegeben hat / nicht nur von dero exempel und der an ihnen erkennender gnade vieles zuneh - men / ſondern nicht anders koͤnnen / als ſich hertzlich erfreuen uͤber die gnade und dero wuͤrckungen / die ſie zwahr in mehrerem grad an ſolchen ihren mit-Chriſten und freunden ſehen / aber verſichert ſind / es ſeye eben die gnade / die ſie auch em - pfangen haben / und werde ſie GOtt / wo es zu ihrem beſten / vornemlich aber ſeiner ehre / erſprießlich ſeye / auch noch zu gleichem grad und empfindlichkeit zu ſeiner zeit gelangen laſſen. Die liebe die ſie an den andern gegen ihren GOtt ſo inbruͤnſtig entbrennen ſehen / blaͤſet allezeit auch den funcken in ihren hertzen auf; und was jene von ſich bezeugen / wie ſie ihres GOttes vergnuͤgliche freude bey ſich fuͤhlen / machet / daß auch ſie etwas mehrers von ſolcher ſuͤßigkeit bey ſich ſchme - cken. Daher wo man meiſtens oder ja viele ſolcher art leute umb ſich haͤtte /ſo651ARTIC. I. SECTIO VII. ſo moͤchten wir einen himmel auff erden gefunden zu haben uns ruͤhmen / und wuͤrden damit die allermeiſten beſchwehrden dieſes lebens ſo viel leichter uͤberwin - den und verſuͤſſen koͤnnen. Unterdeſſen iſt doch ſolches nicht bloß dahin zu un - ſerer ſeeligkeit noͤthig / und muͤſſen wir auch darinnen goͤttlichem willen den unſri - gen gehorſam unterwerffen / wo er uns wenig gewahr werden laͤſſet ſolcher leu - te / bey denen wir die unzweiffliche zeugnuͤſſen ſeiner gnaden-wuͤrckungen und ei - nen auffrichtigen eiffer des Chriſtenthums antreffen / meiſtentheils aber etwa leu - te umb uns haben / die entweder gar der goͤttlichen wahrheit unwiſſend und mit ſchwehren irrthumern beladen / oder wo ſie der bekaͤntnuͤß nach ſich zu der wahr - heit halten / hingegen die krafft der wahrheit mit dem leben verleugnen / und da - mit bezeugen / daß bey ihnen allein buchſtaͤbliches wiſſen / nicht aber der wahre lebendige glaube / und das kraͤfftige reich GOttes befindlich ſeye. Jndem ob zwahr ein ſolcher glaubiger menſch / wo er auff ſich ſelbſt ſihet / in groſſer gefahr ſtehet / von der welt aͤrgernuͤß angeſteckt zu werden / auch deswegen ſo viel eiffri - ger zu ſeinem GOtt zu beten hat / ſo iſt doch goͤttliche gnade in ihm ſtaͤrcker / ſie zuerhalten / als ihre euſſerliche feinde ſie zu faͤllen; ſie haben ſo viel kraͤfftigern beyſtand des Heiligen Geiſtes / als ihr GOtt / welcher getreu iſt / erkennet / daß ſie deſſelben beduͤrffen; ſie muͤſſen in der that erfahren / daß nach GOttes wort / weil ſie ihn lieben / auch ſolches ihnen zum beſten dienen muͤſſe. Sie haben daraus einen ſteten antrieb zur wachſamkeit / auff ihrer hut ſich zu halten / und die augen von der eitelkeit abzuwenden / ſo viel weniger aber etwa in ſicherheit zufallen: ſie haben vor ſich einen taͤglichen ſpiegel ihrer eignen ſuͤndlichen ver - derbnuͤß; dann an denenjenigen / welche allein nach dem fleiſch leben / ſehen wir / was wir ohne GOttes gnade ſeyen; weil wir dann keine andere natur als an - dere auch haben / ſo zeiget ſich an der andern ſpiegel / was / weil es nicht eben bey uns ausbricht / nichts deſtoweniger in unſern hertzen tieff verborgen ſtecket / und auch ausbrechen wuͤrde / wo goͤttliche gnade es nicht zuruͤck hielte: umb uns taͤglich ſo viel beſſer durch ſolche an andern findende erinnerung kennen zu lernen / und vor GOtt zu demuͤthigen: ſie haben auch vor ſich eine taͤgliche gelegenheit / fuͤr andere zu bitten / daß ſie doch GOtt aus ſolchem ihrem ſuͤnden-elend heraus - reiſſen / und zur wahren erkaͤntnuͤß bringen wolte / in welchem gebet ſie ihre hertz - liche lieb und gedult taͤglich uͤben: ſie haben auch vor ſich eine gelegenheit / die ihnen erzeigte goͤttliche gnade ſo viel hoͤher zu ſchaͤtzen / als ſie dero vortreflichkeit aus betrachtung und gegenhaltung ihrer ſeeligkeit gegen jener elende / eigentlicher erkennen: zugeſchweigen daß ihr glaube und deſſen fruͤchten ſo vielmehr hervor - leuchten / weil ſie als die liechter ſcheinen mitten unter dem unſchlachtigen und ver - kehrten geſchlecht / und was dann die vergnuͤgung und freude anlangt / deren ſie wegen ermangelung ſolcher gewuͤnſchten und gleich-geſinnten geſellſchafft entra -N n n n 2then652Das fuͤnffte Capitel. then muͤſſen / erſetzet GOtt auff andere weiſe dieſelbe bey ihnen: Er redet ſo viel offter und nachtruͤcklicher ſelbs mit ihnen in ſeinem wort / daß ſie in ihrer einſam - keit (indem ſie mitten unter den leuten dienicht gleiche begierde GOtt eiffrig zu dienen haben / ihnen einſam zuſeyn deuchten) ſo viel kraͤfftiger deſſelben wuͤrckung fuͤhlen / weil ſie an ſtatt deſſen / daß ſie ſonſten verlangten mit andern gottſeeligen hertzen ſich offters von ihren geiſtlichen guͤtern und pflichten zubeſprachen / der zeit / die ſie ihren leiblichen verrichtungen abbrechen koͤnnen / ſo viel angelegenlicher zu leſung und betrachtung anwenden / und alſo an ſtatt anderer ſichtbahrer freun - de ihren Heyland / und alle heilige Propheten / Apoſtel und Evangeliſten / in dem Geiſt umb ſich haben / mit denen ſie ſich in ihren ſchrifften beſprachen. Jch ruffe deswegen den grundguͤtigen GOtt demuͤthigſt an / daß deſſen vaͤterliche guͤte uͤber E. Hochfuͤrſtl. Durchl. allezeit mit ſolcher gnade walten wolle / daß / er fuͤhre ſie auch da oder dort hin / ſie komme an ort wo ſie erbauliche geſellſchafft umb ſich hat / und deroſelben genieſſen kan / oder ſie muͤſſe mit David unter Meſech und den huͤtten Kedar leben / das iſt / meiſtentheils lauter leute umb ſich ſehen / dero aͤrgernuͤß und unchriſtlicher wandel ihre Gott-liebende ſeele betruͤbete / ſie doch ohn - geaͤndert und mit gleicher krafft ſeine goͤttliche wuͤrckung bey ſich ſpuͤre / und an gut und boͤſem exempel / welches ſie vor ſich ſehen muß / zu ihrem geiſtlichen wachs - thum anlaß finde: welches auch derjenige wunſch iſt / mit deme immerfort die - ſelbe des himmliſchen Vaters getreueſter obhut empfehle / und ſo Jhro als allen hohen angehoͤrigen alles / was zu ſeel und leib hier und dort ſelig iſt / mit hertzli - chem eiffer einſaͤltig anwuͤnſche ꝛc. 1673.

SECTIO VIII. Als obige Fuͤrſtin oder Princeßin auch Fuͤrſtlich ver - heyrathet wurde / zur aufmunterung.

WAs der allerweiſeſte GOtt mit E. Hochfuͤrſtl. Durchl. vor eine aͤnde - rung vorgenommen / iſt mir eine ſonderbahre freude geweſen zuerfah - ren; wie auch ſolche freude mir zuerſt vor andern vermittels Jungfl. Muͤllerin / daß dergleichen vor ſeyn ſollte / wiſſend worden / biß end - lich durch deroſelben eigen gnaͤdiges in Jungfl. Merlauin uns ſam - mentlich ſolcher ſache gewißheit zugekommen. Wie nun ich biß daher nebens E. Hochfuͤrſtl. Durchl. hohem ſtande vor allem billich die noch viel hoͤhere von goͤttlicher guͤte deroſelben ertheilte geiſtliche gnade hochgehalten / und dem geber alles guten demuͤthigen danck dafuͤr geſagt / alſo ſage auch nochmal ſeiner weiſeſtengoͤtt -653ARTIC. I. SECTIO VIII. goͤttlichen regierung / welche in dieſer ſache hervorleuchtet / inbruͤnſtigen danck / ungezweiffelt / daß in ſolcher ſache GOtt noch ein mehrers und weiters angeſe - hen / als wir jetzo ſehen koͤnnen / wiewol auch unterſchiedlicher nutzen offenbahrlich vor augen liget: Wann ich erwege / daß nicht allein E. Hochfuͤrſtl. Durchl. hiedurch unterſchiedlicher nicht nur beſchwehrlicher / ſondern auch / obwol nicht zu hemmung / iedoch unterbrechung dero uͤbungen der gottſeligkeit / gefaͤhrlicher converſation allerdings befreyet / ſondern in den ſtand geſetzet wird / in wel - chem ſie hinkuͤnfftig dasjenige / wornach ihre ſeele biß dahin verlanget / viel unge - hinderter thun und uͤben moͤge. Alſo daß da ſonſten gewoͤhnlich der ledige ſtand dieſen vortheil vor dem verheyratheten hat / daß in jenem Gott freyer gedienet wer - den moͤge / gleichwol die betrachtung bißheriger unterſchiedlicher dem gefuͤhrten ledigen ſtand angehengter beſchwehrde / mich hoffen macht / daß vorſtehender hey - rath mit einem ſolchen Fuͤrſten / deſſen lob der gottſeeligkeit ſowol ſonſten mir an - dertwertlich bekant geweſen / als dißmal von E. Hochfl. Durchl. ſelbs zur gnuͤge erkant worden / unvergleichlich mehr gelegenheit geben wird / GOtt ungehinder - ter zu dienen / und ſowol ſich ſelbs als andere offters / ja taͤglich / zuerbauen. Es hat der liebſte Heyland austruͤcklich ſo viel gewiſſere erhoͤrung zugeſagt / wo zwey oder drey in ſeinem nahmen verſamlet ſind / wie nun ſolches von allen ſich bey - ſammen findenden gottſeligen hertzen zuverſtehen / alſo iſt nicht zweiffel / daß die zuſammenſetzende andacht zweyer von GOtt und in ſeiner ordnung zuſammen - gegatteter Chriſtlicher perſonen dem guͤtigſten Vater im himmel ſo viel unzweif - fentlicher gefalle und erhoͤret werde; auch der eheſtand ſelbs / wegen genaueſt mit einander fuͤhrenden lebens / zu uͤbung ſolcher andacht ſo viel offtere gelegenheit gebe. Und weilen E. Hochfl. Durchl. dero Frauenzimmer nach dem eigen gutbefin - den anzuordnen haben werden / ſo wird vermittels goͤttlichen ſegens deroſelben nicht ſchwehr werden / es ſowol alſo zubeſetzen / als auch unter denſelben dergleichen - bungen anzuſtellen / daß ſie ſelbs in ihrem ſtand gleich als eine vorſteherin eines auserwehlten jungfraͤulichen kloſters an ihrem hoff werden und ſeyn moͤge. Wie vor dem die ſo geprieſene Pulcheria, des jungen Kaͤyſers Theodoſii ſchweſter / es dahin gebracht / daß der kaͤyſerliche hoff einem kloſter aͤhnlich geach - tet wurde. Welches ſo viel leichter ſeyn mag / weil auch die wohlſeelige vorige Fuͤrſtin den ſtattlichen ruhm der gottſeligkeit getragen / und daher / was auch die - ſelbe ausgeſaͤet noch reiche erndte hoffen machet / welche E. Hochfl. Durchl. ſamt demjenigen was ſie ſelbs ausſtreuet / zugleich einerndten und ſamlen mag. Wie aber das exempel derjenigen / welche uͤber andere zubeſehlen haben / ſehr vieles / andere zuerbauen oder andere auch zuverderben / vermag / alſo ſtehe in der guten zuverſicht / daß E. Hochfl. Durchl. Chriſtlicher eyffer / den ſie an ſich ſelbs und die regierung der abſonderlich ihro anbefohlenen zeigen mag / ſolglich durch goͤtt -N n n n 3liche654Das fuͤnffte Capitel. liche gnade / vielen andern zu gottſeliger nachſolge anlaß und urſach geben werde. Damit alſo / was E. Hochfl. Durchl. geliebteſter Hr. auff ihm von GOtt / der ihn in die regierung geſetzet / anbefohlene weiſe mit handhabung reiner lehr / guter kirchen-verſaſſungen / allgemeiner zucht und befoͤrderung aller geiſtlichen erbauung / ſowol ſelbs mit anordnung / auffſicht und redlichem exempel / als durch die ſeini - ge dazu verordnete vermittels goͤttlichen ſegens in der regierung zu GOttes heili - gen ehren bißher ausgerichtet / und ferners ausrichten wird / auff E. Hochfuͤrſtl. Durchl. anſtaͤndige und geziemliche weiſe von deroſelben mit gottſeligem vorgang und an ſich ſelbs zeigendem exempel ſo viel kraͤfftiger und nachtruͤcklicher befoͤr - dert werde. Wie dann der grundguͤtige GOtt die hertzliche intention, mit dero E. Hochfuͤrſtl. Durchl. zu ſolcher aͤnderung ſich verſtanden / nicht ohnge - ſegnet / noch die mehrere gelegenheit gutes zu ſtifften / als ſie bißher nicht gehabt / auch nicht vergebens ſeyn laſſen wird. So ſtehe ich auch in dem vertrauen / daß dieſelbe ſolcher goͤttlichen weiſen abſicht nicht aus handen gehen / ſondern ſich der an hand gebenden gelegenheit zu verherrlichung des goͤttlichen nahmens ange - legenlich gebrauchen werde. Wie ich auch letzlichen ſolche himmliſche guͤte de - muͤthig anflehe / auch ſtetig zu beten nicht unterlaſſen werde / daß dieſelbe nicht nur ſolche angehende ehe mit aller art zeitlichen und zu dem wolweſen des gegenwaͤrti - gen lebens in erreichung beyderſeits hohen alters / geſundheit / friede / eintracht / leibes-frucht und anderen gehoͤrigen ſegens mildiglichſt erfuͤllen / ſondern E. Hochfl. Durchl. auch den vor allem uͤbrigen mehr liebenden zweck dem groſſen GOtt ſo viel beſſer dienen zu koͤnnen / nach wunſch erlangen laſſen wolle. Er der GOtt al - ler goͤtter erhalte ſo wohl E. Hochfl. Durchl. jetzo Jhro zufuͤgenden theuren Fuͤrſten und ſie ſelbs in bißheriger Chriſtlicher intention, ihn vor allem angelegenlichſt zudienen / und laſſe in vermehrung ſeines goͤttlichen liechtes / auch ſtaͤrckung des gu - ten willens dieſelbe immer weiter wachſen und bekraͤfftiget werden / auch einander unter ſich ſelbs / ſo eines Chriſtlichen eheſtandes erſte frucht iſt / hertzlich und taͤg - lich zuerbauen / ſo dann bey andern gleiches zubefoͤrdern. Er regiere aller ſo in geiſt-als weltlichem ſtand an ſolchem hoff vornehmer bedienter / zu denen / ob wol niemand davon kenne / billich ein gutes vertrauen tragen will / hertzen und gemuͤther zu gleicher abſicht ſtaͤtig zu zwecken und alles dahin helffen anzuordnen; und ſteure hingegen allen hinderungen / die der teufel in den weg aller orten zuwerffen pfleget / wo man zeiget mit ernſt ſich ihm zuwider ſetzen; Auch wo ſein heiliger rath iſt / daß ne - bens anderm creutz E. Hochfl. Durchl. um dero guter intention und eines von der welt manier abgehenden lebens willen / einige widerwertigkeit / laͤſterung und ver - drießlichkeit ausſtehen ſolten / (deren bey einem rechſchaffenen Chriſtenthum auch der hohe ſtand die nachfolger und nachfolgerinnen C Hriſtl nicht befreyet / ſondern vielmehr zu mehrern leyden / vor andern geringen anlaß gibet) ſo wolle der grund -guͤtige655ARTIC. I. SECTIO VIII. guͤtige Vater in dem himmel ſie mit ſo viel kraͤfftiger gnade ſeines heiligen Geiſtes ausruͤſten / ſich dadurch nicht weich oder abwendig machen zu laſſen / ſondern die ſchmach CHriſti vor einen herrlichen ſchmuck zu achten / deſto eiffriger und vor - ſichtiger auff dem weg des HErrn einherzugehen / allen die ſich widerſetzen moͤch - ten / mit liebreicher ſanfftmuth zubegegnen / und ſie alſo zugewinnen / auch ſolche pruͤffung / von der hand des liebſten GOttes / ohne deſſen verhaͤngnuͤs uns niemand widrig ſeyn mag / mit demuͤthigem danck anzunehmen / und die ehre der auffrichti - gen gottesforcht nicht von der welt / ſondern allererſt an jenem tag von ihrem aller - liebſten ſeelen-braͤutigam JEſu CHriſto / mit gedult zuerwarten: Jn allem aber aus anſehen der bey uns allen ſich befindlichen unvermoͤgenheit den Vater der gnaden ſtuͤndlich ja augenblicklich um ſeine gnade anzuruffen / die ſie auch geſchi - cket mache / zuwandeln wuͤrdiglich ihrem Chriſten-Fuͤrſten - und numehr ehe - beruff / hingegen ihre augen abzuwenden / daß ſie nicht bey mehrerer gelegenheit und verſuchung / (daran es vielweniger als an gelegenheit zu dem guten manglen wird) zu einiger der welt eitelkeit zuruͤck kehre / oder dieſe lieb gewinne / und da - mit goͤttlichen guten rath uͤber ſich zu nicht mache / ſondern das gute in ihr angeſan - gene werck in ſich vollfuͤhren / auff den tag JEſu Chriſti: So wollen wir alle mit deroſelben beten mit Paulo Phil. 1. daß eure liebe je mehrund mehr reich werde in aller erkaͤntnuͤs und erfahrung / daß ihr pruͤfen moͤget / was das beſte ſey / auff daß ihr ſeyd lauter und unanſtoͤßig biß auff den tag Chriſti erfuͤllet mit fruͤchten der gerechtigkeit die durch JEſum Chriſtum geſchehen in euch zur ehre und lobe GOttes. Amen. 1676.

SE -656Das fuͤnffte Capitel.

SECTIO IX. Aufmunterung an eine Chriſtliche Princeßin.

WJe mich freuet / das ſowol vormal als noch in letzterem gnaͤdigſten be - zeugte E. Hochfl. Durchl. gnaͤdigſte vertrauen und zuneigung gegen meine wenigkeit: ſo erfreuet mich noch ſo vielmehr die an deroſelben hervorleuchtende goͤttliche gnade / welche das in Jhro angefangene werck ferner fortzuſetzen nicht muͤßig iſt. Es iſt je freylich eine theure wolthat / welche E. Hochfl. Durchl. von der himmliſchen guͤtigkeit ruͤhmen / ſo ſie in der jugend kraͤfftig zu ſich gezogen / und zu ihrer erkaͤntnuͤß gebracht / auch biß daher die begierde Chriſto nachzufolgen und danckbar zu werden erhalten hat. Wertheſte Fuͤrſtin / ob Jhr hoher ſtand und geburt auch eine nicht geringe wol - that iſt / ſonderlich wo ſolche zu ſo viel mehrer gelegenheit das gute nachtruͤcklicher zubefoͤrdern / ja zu deſſen inſtrument / wie es dann ſeyn ſolle / gebrauchet wird / ſo iſt doch die hoheit jener wolthat zur erkaͤntnuͤß GOttes gefuͤhret und in ſeiner huld zu ſeyn / unvergleichlich hoͤher und groͤſſer: dann es wird die zeit kommen / da mit dem abſchied aus dieſer zeit jener hoheit auffhoͤret / und die ſeele nichts da - von / ſondern allein was ſie aus dieſer geiſtlichen wuͤrde und liecht in ſich gefaſſet hat / behalten oder vor GOtt bringen wird. Alſo laſſet uns das theure gut ſol - cher erkaͤntnuͤß und das geſchmeckte liecht recht danckbarlich annehmen und ge - brauchen / ſo wiſſen wir gewiß / daß wer da hat / demſelben mehr gegeben werde werden / Matth. 25 / 29. Der groſſe GOtt hat dieſelbe in einen ſtand geſetzet / daß das liecht / welches ſie von ſich aus ſeiner gnaden-krafft leuchten laſſen ſolle / ſich ſo viel weiter zu GOttes preiß und vieler frucht ausbreiten kan / als auf einem hoͤhern leuchter ſie ſtehet / und mehrere augen auff ſie gerichtet werden werden. So hoffe ich E. Hochfl. Durchl. werde zu deſſelben preiß allzeit nicht weniger eine Chriſtin zu ſeyn / als des Fuͤrſtlichen angeerbten tituls ſich erinnern / aber dabey glauben / es ſeye ein nahme / welcher wahrhafftig nicht weniges in ſich faſſet / und die ehre haben will / daß er des Fuͤrſtlichen / nicht aber dieſer titul des Chriſtlichen / regel ſeye. Theure Fuͤrſtin / ich rede mit deroſelben hertzlich / wozu mich ihr gnaͤ - diges vertrauen locket / und der HErr mich in meinem gemuͤth durch die liebe / ſo zu ihrer liebſten ſeele trage / treibet. Sie weiß die reguln ihres Heylandes und ſeiner diener von verleugnung ſeiner ſelbſt / aufnehmung ſeines ereutzes und ſeiner nach - ſolge / alſo auch von[verſchmaͤhung] und entſchlagung der liebe der welt und ihrer eitelkeit: Sie hat auch die verſicherung / daß dieſelbe ohne unterſcheid / perſon undſtan -657ARTIC. I. SECT. IX. ſtandes alle ſeelen / die der HErr zu ſeinem eigenthum erkauffet hat / angehen / daß deßwegen mich auch deſſen gewiß halte / ſie werde ſich willig erklaͤhren / nach denſelben ihrem theur verdienten Heylande zu gehorſamen. Es wird ſich aber zeigen / daß ob wohl der unterſchied hohen ſtandes und dieſer wahr - hafftig eine goͤttliche ordnung bleibet / dannoch leyder durch die jetzige welt - maximen demſelben insgemein ſo viele eitelkeit angeklecket worden ſeye / ſo gleichwol allen regelen CHriſti entgegen iſt / daß man kaum mehr denſel - ben von dem ihme zur ungebuͤhr angeklebten recht unterſcheiden kan. E. Hochfl. Durchl. nehmen aber Jhrem Herrn zum preiß die tapffere reſolution in allem ſolchem durch zu brechen / und zwahr ihren ſtand / darein nicht ſie ſich ſelbſt / ſondern der HErr geſetzet hat / gezimlich zu bewahren / als ein ihr auch anvertrautes gut / aber alles dabey chriſtlich und ſorgfaͤltig zu un - terſuchen / was in demjenigen / ſo ſie bey ihres ſtandes gleichen insgemein ſihet / der vorſchrifft ihres Heylandes gemaͤß oder ungemaͤß zu ſeyn ſich finden laͤſſet / feſtiglich glaubende / daß alles dasjenige was den re - gelen des groſſen HErren entgegen iſt / koͤnne unmuͤglich ein ſtuͤck ſeiner ord - nung ſeyn / und alſo dem ſtande ſelbſt zu gehoͤren / ſondern / es muͤſſe als ein mißbrauch der welt / damit wir uns nicht beflecken ſollen / angeſehen und bey verluſt unſers Chriſtenſtandes unterlaſſen / ja in demſelben alles verleugnet werden / was die welt eigenmaͤchtig ihr vor exceptiones und vorzuͤge gewiſ - ſer perſonen machet / darinnen die groͤſſeſte herrlichkeit ſuchende. Wo wir a - ber kurtz gleichſam den probirſtein anſehen wollen / an und nach welchem alles zu pruͤffen / ſolte es wol etwa dieſer ſeyn / daß wir zu glauben haben / wir ſey - en von dem groſſen GOtt durchaus zu keinem andern ende / als ſeiner ehre / des nechſten nutzen und erhaltung unſerer ſeelen / in die welt geſetzet: Daher dieſes richtig folget / daß keinem menſchen / wer der auch ſeyn mag / etwas desjenigen erlaubet ſeye / welches nicht mittelbar oder unmittelbar zu die - ſem haupt-zweck gerichtet iſt / ſondern allein zu eigener ehre / nutzen und luſt / und alſo aus unordentlicher ſelbſt-liebe gethan wird. Wie dieſe regul eine unverneinliche goͤttliche wahrheit iſt / alſo werden E. Hochfl. Durchl. nach dero erleuchtetem verſtand unſchwehr ermeſſen / wie ein ſtarcker ſtrich hiem[it]durch das meiſte / was man in der welt añoch vor unſtraͤffliche zeitvertreiben und luſtigkeit haͤlt / welche aber vor jenem gericht und in der rechnung / welche von uns gefordert werden ſolle / nicht paſſiren werden: und wie nothwendig alſo einer ſeele / die als ein brand aus dem feuer des allgemeinen verderbens auch letzter verdamnuͤß ſich retten laſſen will / dieſes ſeye / daß ſie ihrem eige - nen fleiſchlichen willen / und dem angebohrnen wolgefallen der welt gewalt thue / biß zu deſſen kraͤfftigem loßreiſſen. Jch kan zwahr ſo bald vorſehen und vorſagen / daß bey ſolcher werckſtelligung dieſer chriſtlichen reſolution,O o o oes658Das fuͤnffte Capitel. es nicht ermanglen werde / an dem erfolg deſſen / was unſer Heyland zuſam - men ſetzet / ſich ſelbſt verleugnen und ſein creutz auff ſich nehmen / das iſt / es werde an creutz und widrigkeit eben um ſolcher urſach willen (wel - che art allein des tituls des creutzes wuͤrdig iſt) nicht ermanglen / und ſonder - lich die unbeliebige und veraͤchtliche urtheile der weltgeſinnten / aber auch in der welt geachteſten / nicht auſſen bleiben / ſo vielmehr weil die praxis der chriſtlichen reglen unter uns leider ſo rar worden / daß man vornemlich unter denen / die der HErr hoͤher geſetzet / auch die wahrheit derſelben in zweiffel ziehet / ja wo nicht als eine ketzerey / doch vor aberglauben und abgeſchmack - te einfalt / ausruffet: auff daß man ja ſagen koͤnne / CHriſtus und ſein rechtſchaffenes weſen ſeye uns ſehr fremde worden. Er aber und die wuͤrde dazu er uns beruffen / iſt ſo viel wehrt / daß wir um derſelben willen ſolche kleinigkeiten / die wir daruͤber leiden muͤßten / ja ſolten es noch viel ſchwehre - re proben ſeyn / nicht uns abſchrecken laſſen / vielmehr dem HErrn durch gu - te und boͤſe geruͤchte in ſeine herrlichkeit und zu gemeinſchafft ſeines reichs zu folgen / ſo uns gethan zu haben auch niemalen reuen wird. Jch bin gewiß / daß E. Hochfl. Durchl. alle dieſe wahrheiten erkenne / und ſich insgemein zu derſelben uͤbung mit redlichem hertzen verſtehen werde / welches bereits eine groſſe goͤttliche gnade iſt / und demuͤthigen danck verdienet: ſo hoffe ich / Sie werde auch je mehr und mehr eyfferanwenden / in ſolcher uͤbung zu zu - nehmen / und alles / was ſie vorhat nach ſolcher heiligen regel ihres CHriſti pruͤffen / wie fern es deroſelben gemaͤß iſt / oder davon abgehen moͤchte. Dann wie zum allerforderſten die allgemeine reſolution, ſein gantzes lebem dem HErrn auffrichtig auffzuopffern / nothwendig iſt / und zum grunde des uͤbri - gen alſo liget / daß ohne ſolche in den theilen des lebens nichts rechtſchaffenes gebeſſert werden kan / ſo muͤſſen wir doch nach derſelben fortfahren / und jede ſtuͤcke nach einander examiniren / was ſich in unſerm thun befinde / wie es mit jener allgemeinen reſolution uͤbereinkommet / oder davon abweichet. Jch weiß und bekenne hiebey die allgemeine menſchliche ſchwachheit / und wie un - terſchiedliches in unſrem Chriſtenthum / was nemlich deſſen vollkommenheit angehet / mehr in einem wuͤnſchen als thaͤtlichen erreichen beſtehe / je dannoch ſo der HErr uns das Wollen gegeben hat / und in ſeiner hand das thun nicht weniger ſtehet uns zu geben / ſo laſſet uns ohne zweiffel und verſichert ſeyn / der jenes gewuͤrcket hat / werde wo wir uns ſeiner guͤtigen regierung uͤber - laſſen / eben ſo wol mit dem vollbringen es weit bey uns kommen laſſen / und geben / daß wir immer einen ſieg nach dem andern uͤber uns ſelbs und unſre luͤſte / uͤber die welt und von derſelben uns in den weg geworffene hindernuͤſſe davon tragen / dorten aber ſo vielmehr palmen und krohnen zu erwarten ha -ben.659ARTIC. I. SECTIO IX. ben. Was vor eine hertzlichere freude ſolte auch mir armen / welchen gleich - wol E. Hochfl. Durchl. dero Fuͤrſtlichen guade gewuͤrdiget / dasjenige ſeyn / da ich von ſtaͤtem deroſelben wachsthum in dem rechtſchaffenen guten / ſo nicht nur in gedancken und worten / ſondern ernſtlicher that beſtehet / ver - mittels goͤttlichen ſeegens hoͤren / und die himmliſche guͤte daruͤber zu preiſen offters materie finden werde: ſo vielmehr da ich in dieſer troͤſtlichen hoffnung ſtehe / daß alsdenn Jhr geheiligtes exempel / jemehr ſie von der welt ſich loß - reiſſet / ob es wol denen / die ſich darein ſo tieff verliebet / ein anſtoß bleiben / gleichwol allen denen ſeelen / die der HErr HErr auch noch in ihrem ſtand ih - me uͤbrig behalten hat / dermaſſen einleuchten werde / daß ſie als eine freu - dige vorgaͤngerin in ſeiner krafft mehrere nachfolger gewinne / und alſo ſo viel fruchtbarer in ſolchem guten werde / wie dann die unmuͤglichkeit / in hoͤ - herem ſtande dannoch alles nach der ordnung CHriſti einzurichten / welche viele vorſchuͤtzen / nicht kraͤfftiger als durch thaͤtiges exempel widerleget / und damit ſolche entſchuldigung benommen werden kan / mit dero ſonſten ihrer ſo viele zu ihrem verderben ſich in der ſicherheit beſtaͤrcken. Jch meines orts vermag zu ſolchem guten nichts weiter zu contribuiren / maſſen E. Hochfl. Durchl. deſſen auch nicht bedoͤrffen / die an dem wort GOttes und der hand - leitung ihrer gegenwaͤrtigen treuen prediger ohne das genug haben / als daß ich mit meinem armen aber treugemeinten gebet den vater der barmhertzig - keit anzuruffen nicht unterlaſſen werde / welcher ſie noch ferner zu einem aus - erwehlten gefaͤß ſeiner ehre um CHriſti willen bereiten / auch ſie durch und durch heiligen wolle / daß ihr geiſt gantz ſamt der ſeel und leib behalten wer - de unſtraͤfflich auff die zukunfft unſers HErrn JEſu CHriſti. Nun er iſt ge - treu / der uns ruffet / in allem ihm getreu zu bleiben / das wir ſonſt nicht ver - moͤchten / welcher wirds auch thun. Amen. 1684.

SECTIO X. Auffmunterung an einige Braͤfliche Fraͤu - linnen.

ALs ich vor acht tagen zu N. N. geweſen / ſo war mir nicht wenig vergnuͤg - lich / zufoͤrderſt die von dem geehrten Herrn vaters Hoch-Graͤfl. Gn. zur zierde des gottesdienſtes erbauete kirche / nechſtdem auch gemaͤhlde / gaͤrten und grotten-werck / anzuſehen / was ich aber am wenigſten gehofft / iſt dasjenige geweſt / welches zuletzt meine reiſe begluͤckt gemacht / daß da indeme wieder auf die ruͤckkehr gedachte / E. E. E. Hoch Graͤfl. Gn. Gn. Gn. ſelbs anſichtig / uñ zu dero unterthaͤnigſtem hand kuß gelaſſen zu werden / die gnade gehabt habe. Wo ich dann billich allen auffs herrlichſte und zierlichſte ge -O o o o 2bau -660Das fuͤnffte Capitel. bauten kirchen die lebendige tempel des H. Geiſtes / um dero und ihrer er - bauung wegen jene euſſerliche Gotteshaͤuſer auffgerichtet werden / ſehr weit vorziehe: Ferner auch erkenne / daß gegen dem bilde GOttes / welches der H. Geiſt in gottſeligen ſeelen wiederum erneuert und taͤglich daran arbeitet / alle die kuͤnſtliche von mahler-pinſeln gemachte ſtuͤcke vor gantz nichts zu achten; ſo dann was ſolcher finger GOttes in dem gnaden werck in denjenigen / ſo ihn bey ſich laſſen kraͤfftig ſeyn / wircket / unvergleichlich vortrefflicher iſt / als was ſonſten er zwahr ſelbs / der groſſe GOTT / in dem werck der natur an gewaͤch - ſen und andern dergleichen hervorwachſen laͤſt / oder eines kuͤnſtlers hand der natur etwas nachzuahmen ſich unterſtehet. So hat mich ſo viel hertzlicher ver - gnuͤget / daß da mir E. E. E. Hoch-Graͤfl. Gn. Gn. Gn. hohe geburt und an - dere ſtands ziemliche qualitaͤten bereits bekant waren / von dero Herrn Hof - Predigern ſo bald berichtet ſey worden / wie dieſelbe bißher durch dero gelieb - ten Herrn vaters hochpreißliche ſorgfalt nicht weniger in der wahren und rechtſchaffenen gottſeligkeit / als andern alter und ſtande anſtaͤndigen tugen - den aufferzogen worden / und in jener als aller uͤbrigen vortrefflichſten ſich mit eigenem triebe loͤblichſt uͤbeten. Nun bekenne ich gern / daß mir groͤſſere freude in der welt ſchwehrlichen wiederfahren kan / als wo ich erfahre / oder ſehe / dergleichen perſonen / die ihren GOTT an ſich zu verherrlichen (als wo - zu alles allein erſchaffen) mit allem eiffer und fleiß trachten: Welche billich al - lem andern / was aus anderer urſach in der welthochgeachtet wird / weit vor - zuziehen iſt. So viel mehre freude aber ſoll es billich ſeyn / wo wir unter der zahl derſelbigen auch ſolche perſonen antreffen / welche ohne das der groſſe GOTT und HErr aller HErren in hohen ſtand geſetzet / und ihnen in dem - ſelben als einem vortrefflichen kleinod etwas von dem bild ſeiner macht ange - haͤnget / aber ſie auch dadurch mit nener pflicht zu danckbarem dienſt verbun - den hat: Deswegen er hinwieder deroſelben dienſt ihm auch ſo viel angeneh - mer ſeyn laͤſſet. Wann dann nun E. E. E. Hoch-Graͤfl. Gn. Gn. Gn. unter denſelben ſich auch befinden / ſo habe mich erkuͤhnet / mit dieſen geringfuͤgigen zeilen ſo wol meine daher geſchoͤpffte chriſtliche freude / in dero auch dem grundguͤtigen GOTT / ſo ſolches gute zu ſeinem preiß in ſie geleget / muͤglich gedancket habe / zu bezeugen / als von deſſelben unermeßlichen guͤte noch ferner ſeine heiligſte gnade inbruͤnſtig anzuwuͤnſchen. Es iſt zwahr dieſes aller menſchen allgemeine pflicht / die ſorge ihrem GOTT ernſtlich zu dienen ihre einige und beſtaͤndigſte ſorge ſeyn zu laſſen / es gedencket aber darvon derApo - ſtel / 1. Cor. 7 / 33. 34. daß unter andern dieſes des jungfraͤulichen ſtandes vorzug ſeye / daß ſolche / die noch an niemand verbunden / durchaus nicht ſor - gen / wie ſie der welt / ſondern allein wie ſie dem HErrn / gefallen moͤgen; iſt alſo ſo viel ruͤhmlicher / daß E. E. E. Hoch-Graͤfl. Gn. Gn. Gn. ſolcher goͤtt -lichen661ARTIC. I. SECTIO X. lichen intention gemaͤß dieſe ihre freyheits jahre zu gruͤndung der wahrẽn gottſeligkeit / ſo doch des gantzen lebens (in welchen ſtand man auch treten mag) regentin ſeyn muß / ohnverſaͤumlich anwenden / und ſo viel angelegenli - cher jetzo bey mehrerer muſſe den ſaamen ausſtreuen / welcher hin kuͤnfftig un - auffhoͤrliche fruͤchten bringen ſoll / die auch ſo viel reichlicher gemeiniglich ſind / als etwa fruͤher damit angefangen worden. So iſt auch unter andern tugenden die ernſtliche gottſeligkeit diejenige / welche / wie zwahr auch dem ge - ringen noͤthig / als welche ſie auch bey GOTT hoch ſetzet / alſo doch denen ohne das von GOTT hoͤher geſetzten eine neue und die allervornehmſte zierde iſt. Alldieweil die aus GOTT geſchehende wiedergeburt / die in der welt von hohen eltern empfangene geburt um ſo viel erhoͤhet / als GOTT hoͤher iſt / vor allem / was in der welt alle cronen und ſcepter traͤget; und deswegen wel - che von dergleichen urſprung hier entſproſſen ſind / mit unablaͤßigem fleiß zu trachten haben / in einer noch hoͤheren GOttes-geburt immerfort ſtehen zu bleiben / und an dero guͤtern zu wachſen. Wie dann nun dieſes biß daher ihre angelegenliche ſorge geweſen / alſo wolle die hoͤchſte goͤttliche Majeſtaͤt in denſelben das gute werck / ſo ſie angefangen / ſtaͤrcken / gruͤnden und vollfuͤhren biß auf den tag JESU Chriſti. Der Vater des liechts vermehre in ihnen ſein liecht des Geiſtes je mehr und mehr / daß ſie aus fleißiger leſung und for - ſchung der heiligen ſchrifft / ſo dann anhoͤrung goͤttlichen worts / und allen gottſeligen uͤbungen / dazu dero geliebter Herr Hof-Prediger gnugſam anlaß geben wird / zunehmen moͤgen in der heilſamen erkaͤntnuͤß GOttes / und in der - ſelben ihres heils / und daß alſo in ihren hertzen mehr und mehr der tag anbre - che / und der morgenſtern auffgehe: Gegen welcher goͤttlichen erkaͤntnuͤß vor - trefflichkeit ſie nachmal finden werden / daß alles andere wiſſen und weißheit lauter finſternuͤß und thorheit ſeye. Er gebe ihnen krafft nach dem reich - thum ſeiner herrlichkeit / ſtarck zu werden durch ſeinen Geiſt an dem inwendi - gen menſchen / und Chriſtum zu wohnen durch den glanben in ihrem hertzen / und durch die liebe eingewurtzelt und gegruͤndet werden / zu begreiffen mit al - len heiligen / welches da ſeye die breite und die laͤnge / und die tieffe und die hoͤ - he / auch erkennen / daß Chriſtum lieb haben viel beſſer ſeye als alles wiſſen / auf daß ſie erfuͤllet werden mit allerley GOttes fuͤlle. Er laſſe ſie ſchmecken / wie freundlich er ſeye / und was vor eine ſuͤßigkeit an ihm die ſeelen empfin - den / welche deswegen alle welt-luͤſten verleugnen / jener lieblichkeit vergnuͤg - licher zu genieſſen. Er ſtaͤrcke ſie gegen alle anfechtungen des ſataͤns / der welt und eigen fleiſches / um in dem angefangenen eiffrig fortzufahren / der welt mehr und mehr abzuſterben / und auch von denen / welche anders geſin - net ſind / die ſchmach Chriſti willig anzunehmen. Jn ſumma / er ſchencke ſich ihnen gantz mit allen ſeinen goͤttlichen guͤtern / daß ſie ſich auch ihm zum opfferO o o o 3und662Das fuͤnffte Capitel. und eigenthum gantz uͤbergeben / hie allein die ſeinigen zu ſeyn / biß er ihnen dorten in jener glori alles in allem werde / und ſich alsdann thaͤtig herfuͤrthue / wie gut es diejenige haben / die ihren GOTT bereits hie alles haben wollen ſeyn laſſen. 1675.

SECTIO XI. An eine Fuͤrſtliche perſon bey antritt eines recom - mendirten Hoffpredigers.

JCh habe gerne vernommen / daß das beruffs-geſchaͤfft wegen NN. zur richtigkeit gelanget / dabey ich den himmliſchen Vater nicht weniger de - muͤthigſt anruffe / daß er auch auff ſolches das ſiegel ſeines ruffs in rei - chem ſegen trucken / den mann den er ſendet / mit dem geiſt der weißheit und des verſtandes / mit dem geiſt des raths und der ſtaͤrcke / mit dem geiſt der er - kaͤntnuͤß und der furcht des HErrn herrlich ausruͤſten / die worte des lebens / ſo zu E. Hochfuͤrſtl. Durchl. und aller ſo hoher als uͤbriger anvertrauten per - ſonen leben kraͤfftig ſeyn moͤgen / in ſeinen mund legen / alſo durch ihn mit ih - rem hertzen reden / und dieſelbe allezeit zu ſeinem gehorſam lencken / insgeſamt aber und in allen ſtuͤcken ſeinem amt denjenigen nachtruck ſelbs geben wolle / daß keine der ſeelen / fuͤr die er zu ſorgen hat / verlohren gehe. Wann aber zur frucht ſolches geiſtlichen amts nicht allein die treue des Predigers / ſon - dern auch deren die ihn hoͤren folgſame auffnehmung des goͤttlichen worts er - fordert wird / indem daswort der Prediger nichts hilfft / wo nicht glau - ben die ſo es hoͤren / (Hebr. 4 / 2.) oder wie es nachtruͤcklich in ſeiner ſprach lautet / wo es nicht durch den glauben mit denjenigen vermenget wird / und alſo tieff in die ſeele derſelben eintringet / die es hoͤren: ſo ſehe ich bereits aus demjenigen / daß E. Hochfuͤrſtl. Durchl. ſo angelegenlich einen rechtſchaffe - nen und von GOtt zu ſeinem wahren dienſt ausgeruͤſteten Hoffprediger ver - langet / und daher ſo viel lieber eine weile / biß der HErr einen ſolchen zeigte / warten wollen / indem unterthaͤnigſten hertzlichen vertrauen / daß E. Hoch - fuͤrſtl. Durchl. ſolchem angehenden Hoffprediger nicht allein im uͤbrigen mit gnaden zugethan bleiben / ſondern auch allezeit dem amt des Heil. Geiſtes / der unſre ſeelen durch das wort der himmliſchen wahrheit / ſo dieſelbe von der welt / und aller derſelben befleckung bekehret / ſelig machen will / bey ſich ſelbs den ziemenden raum geben werde. Es muß nach goͤttlicher ordnung das wort / ſo die ſeelen ſelig machen ſolle / in dieſelbe allerdings gepflantzet wer - den / daher will erfordert werden / es nicht nur allemal mit andacht anzuhoͤ - ren / ſondern auch / wenn es zuweilen unſer fleiſch und blut zu unſrer heilſa - men geſundheit mit einigen ſchmertzen und goͤttlicher traurigkeit angreiffenſolte663ARTIC. I. SECTIO XI. ſolte / mit ſanfftmuth anzunehmen / und ſtaͤts dem Heil. Geiſt / der dadurch wircken will / durch gottſelige betrachtung deſſelben / platz bey ſich zu laſſen / damit er es immer tieffer eintrucke / nicht nur in den verſtand und gedaͤcht - nuͤß / ſondern ſelbs in das hertz hinein. Denn wo ſeinen wirckungen dermaſ - ſen raum gegeben wird / ſo macht er unſre ſeelen mehr und mehr goͤttlich geſin - net / daß die wahrheit des Evangelii in dieſelbe mit himmliſchem glauben ein - getrucket / und das geſetz des HErrn ſelbs mit lebendigen buchſtaben in einer liebe gegen deſſen heiligkeit und ſorgſamen fleiß nach demſelben das gantze leben aus danckbarkeit vor die empfangene gnade der ſeligkeit anzuſtellen / eingeſchrieben wird: da bleibet der ſaame GOttes in der ſeele / bewahret uns vor aller herrſchafft der ſuͤnden / und machet / daß wir nicht nurhoͤrer / ſondern auch thaͤter des worts / und alſo nicht zwahr durch / jedoch in der that ſelig werden. Daß nun ſolches die loͤbliche abſicht E. Hochfuͤrſtl. Durchl. fuͤr ſich und alle hohe ihrige geweſen / lebe ich der troͤſtlichen zuverſicht / und verſehe mich / daß auch die chriſtliche reſolution laͤngſt gefaſſet ſeyn werde / das werck des HErrn in ſich durch dieſen ſeinen diener kraͤfftig fortſetzen zu laſſen / und allezeit deſſen / der in dem wort von oben her mit uns redet / willen freudig an - zunehmen. Welches ich auch aus dem unterthaͤnigſten vertrauen / das E. Hochfuͤrſtl. Durchl. durch dero gnaͤdigſtes bezeugen gegen mich verurſacht / demuͤthigſt erinnert und gebeten haben will. Jch ruffe endlich den himmli - ſchen Vater / der zu allem pflantzen und begieſſen ſelbs das gedeyen geben muß / flehentlichſt an / daß ſeine allmaͤchtige und ſtaͤrckeſte gnade E. Hoch - fuͤrſtl. Durchl. theure ſeele durch die krafft ſeines heilſamen worts mehr und mehr demſelben in der that gleichgeſinnet machen / ſie mehr und mehr von al - lem / was ihm mißfaͤllig iſt / und den ſuͤſſen geſchmack des goͤttlichen troſtes hindert / reinigen / hingegen in der krafft des blutes JEſu Chriſti der verge - bung aller ſuͤnde verſichert mit liebe der taͤglichen ernſtlichen heiligung / ohne welche wir den HErrn nicht ſehen koͤnnen / erfuͤllen / ſolchen vorſatz niemal wiederum unterbrochen werden laſſen / zu deſſen erfuͤllung aber und beſtaͤn - digkeit taͤglich von oben herab neue gnade mittheilen / und alſo insgeſamt den pauliniſchen wunſch an deroſelben und gantzem Hochfuͤrſtl. hauß erfuͤllen wolle / welchen ich dem theuren Apoſtel nachſpreche und uͤbrige wuͤnſche (da - bey es auch an meinem taͤglichen gebet nicht mangeln ſolle) dieſes mal damit beſchlieſſe. 1. Theſſ. 5 / 23. 24. Er / der GOtt des friedens heilige euch durch und durch / und euer geiſt gantz ſamt der ſeele und leib muͤſſe be - halten werden unſtraͤfllich auff die zukunfft unſers HErrn JESU Chriſti. Getreu iſt er / der euch ruffet / welcher wirds auch thun. Erthue es dann! Amen. 1690.

SECTIO664Das fuͤnffte Capitel.

SECTIO XII. Erinnerung an eine ſchwehr gefallene Stands - perſon.

JCh zweiffele nicht / daß dieſelbe nachdem ſie von GOtt zur buß gerich - tet / alles in der rechten ordnung thun und anfangen werde / nemlich die vornehmſte ſorge dahin zu richten / wie ſie ſtaͤts vor dem HErrenin ſol - cher wahrer buß ſtehen / ſich unter ſeine gewaltige hand demuͤthigen / und alſo von derſelben alles mit williger gedult auffnehmen moͤge. Die ſchwehre ih - res begangenen falls iſt nicht eben noth hie vor augen zu ſtellen; ich hoffe a - ber und nehme es auch aus dem gethanen ſchreiben ab / daß ſie ſolchen fall nicht vor den erſten anfang dero geiſtlichen ungluͤcks achten / ſondern erkennen werde / daß das vorhin / obwol nicht in dergleichen dingen / die in der welt vor unzimlich gehalten werden / aber doch beſorglich in gleichfoͤrmigkeit der welt und liebe deroſelben eitelkeit / gefuͤhrte leben bereits die gnade GOttes von deroſelben abgewendet / und ſolchen eußerlichen fall ausGOTTes ver - haͤngnuͤß verurſachet haben doͤrffe. Wie es leider in dem gemeinen hoffle - ben unter denjenigen / welche GOtt in einen hoͤhern ſtand geſetzet hat / auch faſt bey denen welche vor die beſte gehalten werden / und wahrhafftig ihre eh - re vor der welt mit nichtes grobes verletzen / alſo hergehet / daß man ſorgen uñ bejammern muß / daß die edele ſeelen faſt von kindes beinen an in die liebe der welt (welche beſtehet in augen-luſt / fleiſches-luſt / und hoffaͤrtigem leben / alſo eingeflochten werden / daß ſie kuͤmmerlich mehr gerettet werden koͤnnen / und etwa der meiſte theil bey dem zwahr ehrlichſten leben / dabey aber des rechten Chriſtenthums nichts iſt / verlohren gehet. Mit ſolchen augen ſihet einer der regelen Chriſti kundiger menſch den zuſtand der meiſten / welche in der welt in anſehen ſind / an / und kan nicht genug daruͤber ſeufftzen. So zweiffele nicht / daß E. Gn. dieſes etwa ſelbs bekennen werden / daß ſie / bevor die augen durch dieſe zwahr betruͤbte gelegenheit deroſelben auff - gegangen / vielleicht wenig von der verleugnung ſeiner ſelbs / creu - tzigung des fleiſches / abſterben der welt / gruͤndlicher inner - und euſſerlicher demuth / und dergleichen Chriſten-pflichten mag erkant oder geglaubet / ſondern wol gar / daß ſolche auch in hoͤherem ſtand er - fordert werden ſolten / vor ungereimet gehalten haben: Welches ich mit gu - tem fug beſorge / als deme wiſſend iſt / wie man von ſolchen dingen an dieſen orten zu reden und zu halten pfleget / ja esvor eine ungeſchmackt pfafferey achtet / wo man einanders nur gedencken wolte; wo nun dieſelbe ihren vo - rigen zuſtand alſo vor GOtt geweſen zu ſeyn in ihrem gewiſſen befinden ſol -te /665ARTIC. I. SECTIO XII. te / ſo ich ihrer redlichen pruͤffung uͤberlaſſe / ſo wird ſie ſo vielweniger ſich ver - wundern / daß GOtt endlich in ſeinem gericht ein ſolches von ihr geſchehen laſſen / damit ſie ſich ſelbſt auch gar in dergleichen weltlichen ſchimpff geſtuͤr - tzet. Ja wo ſie / wie ich nicht anders hoffen will / in gegenwaͤrtigen buß-ſtand ſich chriſtlich ſchicket / wird ſich die goͤttliche guͤte auch alſo offenbahren / daß der begangene groͤßere fall / oder / daß ich recht rede / die goͤttliche verhaͤngnuͤß dazu / ein anlaß einer viel groͤſſern wolthat werden koͤnne und ſolle / nemlich daß deroſelben liebe perſon / welche beſorglich ſonſten in unerkanter eitelkeit derwelt haͤtte moͤgen ewig verlohren gehen / durch einen ſolchen fall / deſſen unrecht auch die vernunfft begreiffet / zu einer bußfertigen erkaͤntnuͤß ihrer ſelbſt gebracht / aus der welt verfuͤhriſchen geſellſchafft mehr herausgeriſſen / davon kuͤnfftig abgehalten / und damit durch eine offenbarere wunde eine ge - legenheit zu der heilung einer heimlichern aber nicht weniger gefaͤhrlichern / gemacht wuͤrde. Welches zwahr nicht verurſachen muß / daß dieſelbe ihre begangene grobe ſuͤnde / deſto geringer achten wolte / weil GOtt etwas gutes daraus mache / aber dennoch ein zeugnuͤß der weiſeſten wunder-guͤte deſſel - ben / und ſo viel gruͤndlicherer buß einen ſteten antrieb geben ſolle. Wie ich dann verſichern kan / daß kein beſſerer rath in gegenwaͤrtigem zuſtand zu voͤl - liger zurechtbringung gefunden werden moͤge / als eine ſtaͤte erinnerung zu einer gruͤndlichen und hertzlichen buß / um recht voͤllig wieder - um in die goͤttliche gnade zu kommen / und alsdann deſto verſicherter und getroſter von deroſelben alle dero fernere fuͤgung zu erwarten. Wobey a - ber genau acht gegeben werden muß / daß die buſſe nicht oben hin und nur auf das aͤußerliche ſehe / ſondern tieff in dem hertzen wurtzel faſſe / das iſt / daſſelbe recht angreiffe / und mit den fruͤchten / welche endlich hervor gebrochen / den innerlichen boͤſen baum ſelbſt ſuche in goͤttlicher krafft umzuhauen / und alſo alle liebe der weltlichen uͤppigkeit / auch in den ſtuͤcken / welche man ſonſten faſt ungern davor erkennen oder laſſen will / gruͤndlich aus ſich aus zu tilgen: ja auch hat ſie wol zu zuſehen / daß die bußtraurigkeit bey ihr nicht ſeye eine traurigkeit der welt wegen verluſtes ihrer zeitlichen gluͤckſeeligkeit / gefahr vieler verachtung und anderer ſie ihr lebtag truckenden erniedrigung in der welt / auch ſorge kuͤnfftiger allerhand ungemach / die ſie noch treffen moͤgen / ſondern eine wahre goͤttliche traurigkeit wegen der beleidigung des groſſen GOttes / und des gantzen vorigen in weltlicher eitelkeit gefuͤhrten lebens. Wo dieſe recht tieff das hertz wird eingenommen haben / ſo ſtehet es gantz wol und wird alles leiden leicht werden / welches man verſchuldet zu haben in der ſeelen gruͤndlich erkennet / auch wird eine mehrere ſorge darvor ſeyn / in ſeiner buß-beſtaͤndigkeit zu beharren / und mit dero zeugnuͤſſen auch andere neben ſich zu erbauen / als in deme zeitlichen ſich zu retten. Es wird aber auch derP p p pHerr666Das fuͤnffte Capitel.HErr / der alle hertzen in ſeinen haͤnden hat / hinwieder bey ſolcher gruͤndli - chen buß deſto eher ſegen verleihen zu deroſelben eigenen und anderer fuͤr ſie fuͤhrenden anſchlaͤgen / wie auch in dem euſſerlichen der elende zuſtand wie - der erleichtert wuͤrde: da hingegen alle dieſe ohne ſonderliche gnade GOttes (dero verſicherung aber allein bey gruͤndlicher und beharrlicher buß gefun - den wird) wenig von ſtatten gehen / oder was man meinte zuwege gebracht zu haben / von keinem beſtand ſeyn moͤchte. Jch will zwahr hoffen / es werde dieſe erinnerung nicht eben bloß nothwendig geweſen ſeyn / indem von dero wahrer buß ſo wol angenehmen bericht erhalten / als auch hinwieder zu dero beſten andern gegeben habe: jedoch hoffe ich auch / es werde einer recht buß - fertigen ſeelen nicht zuwider ſeyn / von demjenigen ſelbs zu hoͤren / und dazu ferner angefriſchet zu werden / womit ſie ohne das umgehet. So wird ſie auch daraus erkennen / weil ich mich verſichere / daß ſie eben dergleichen mehr - mal von ihrem getreuen ſeelſorger biß dahero gehoͤret haben wird / wie die buſſe nicht in einer aus noth herkommenden euſſerlichen demuͤthigung / ſon - dern wahrer zerknirſchung des hertzens / beſtehe / daß wir beyde in einem geiſt ſtehen / und aus einem geiſt lehren. Jch ruffe zuletzt den HErrn HErrn / der alles in ſeinen haͤnden hat / demuͤthig an / daß derſelbe nicht nur in dem leibli - chen nach dem truͤben wetter und geendigten jetzigen proben ihrer gedult die ſonne wieder ſcheinen laſſen / und eine kuͤnfftig vergnuͤglichere lebens-art zei - gen / auch alle dahin in ſeiner furcht abzweckende anſchlaͤge mildigliche ſegnen / ſondern vornemlich das in ihr angefangene gute werck der chriſtlichen buß vollfuͤhren wolle auff den tag JEſu Chriſti: Ach er der GOtt des friedens heilige euch durch und durch / und euer geiſt gantz ſamt der ſeele und leib muͤſſe behalten werden unſtraͤflich auff die zukunfft JEſu Chriſti unſers HErren. 1684.

SECTIO XIII. Auffmunterungs-ſchreiben.

JCh zweifle nicht die an weſenheit ſolches lieben freundes werde eine gu - te anlaß ſeyn zu einer chriſtlichen converſation und auffmunterung / die der HErr nicht ungeſegnet laſſen wird / ſo ich auch von ihm zuver - ſichtlich bitte. Ach daß dergleichen heilige intention aller orten wuͤrckte / und die dazu weißlich erkennende mittel ſelbſten zeigte und fuͤgte / daß wir doch einander aus dem ſchlaff kraͤfftig erwecket / woran es uns mangle in ſei - nem liecht und in bruͤderlicher erinnerung der mitglieder gruͤndlich einſehen / und es alsdann zu beſſern / mit ſo viel bruͤnſtigerem eyfer angezuͤndet wuͤrden. So wuͤrden wir vermittels des bey ſolchen fleiß unausbleiblichen goͤttlichenſegens667ARTIC. I. SECTIO XIV. ſegens immer mehr und mehr an dem inneꝛn wachſen / und immer ein liechtlein von dem andern neu angezuͤndet oder zu einem ſtaͤrckern und reinerem glaſt gebracht werden. Wie auch dergleichen zu geſchehen nicht ermanglen wird / wo die von dem HErren beſtimmte zeit der erfuͤllung ſeiner theuerſten ver - heiſſungen vorhanden wird ſeyn / welche auch nach der langen zeit der gedult und verhengter macht der finſternuͤß der boßheit ſo weit nicht weg ſeyn kan / daß wir nicht ſolten der naͤheſten hoffnung derſelben uns doͤrffen erfreuen / und gleich wie deſto ſorgfaͤltiger uns zu dero genuß zu bereiten / alſo auch de - ſto angelegenlicher und flehentlicher darum zu dem HErren zu ruffen haben. Da mich die lieben wort unſers Heylandes offt auffrichten: Solte aber Gott auch nicht retten ſeine auserwehlte / die zu ihm tag und nacht ruf - fen / und ſolte gedult daruͤber haben. Jch ſage euch / er wird ſie retten in einer kuͤrtze. Ach ja / er thue es / und laſſe das reich ſeines ſohns immer mit mehrerer krafft kommen / daß allein ſein nahme hoch ſeye in aller welt / und ſein liecht alle die finſternuͤß vertreibe / welche die erde und dunckelheit die voͤlcker bedecket hat zum preiß ſeiner herrlichen macht. 1680.

SECTIO XIV. Chriſtliche auffmunterung.

WJr haben billich dem grundguͤtigen GOtt zu dancken / wo er unſer ins - geſamt / die wir an dem werck und dienſt des HErren arbeiten / ver - richtungen und fleiß dermaſſen ſegnet / daß ſich einige frucht weiſet / und da die unſrige / ſo wir taͤglich um uns haben / uns etwa weniger freude machen / ſondern wir uͤber dero ungehorſam offt mehr mit ſeufftzen klagen muͤſ - ſen / uns fremde ſchicket / welche nicht ohne frucht bey uns geweſen zu ſeyn zeugnuͤß geben / und uns damit verſichern / der HErr habe eben noch nicht al - len ſegen oder alle krafft von uns oder unſerem amt entzogen / ſondern es fin - den noch zuweilen einige koͤrnlein einen guten acker. Jndeſſen bleibe aller deſſen ruhm allein der guͤte ſolches himmliſchen Vaters / ſo bey uns als bey allen denen / welche meinen / daß derſelbe ſich an ihnen unſers armen dienſtes zu ihrer befoͤrderung gebraucht habe / aber deswegen nicht uns ſondern ſeiner himmliſchen krafft ſich verbunden achten ſollen. Wie wir aber hie unſers orts / bey welchen der HErr etwas gutes angefangen hat / deſto mehr ſchul - dig ſind / zuſehen / daß wir in dem guten wachſen / und nicht nur nicht zuruͤck fallen / ſondern auch nicht ſtille ſtehen / ſo haben wir auch eben gleiches neben uns von guten freunden / welche davor halten / daß GOtt auch an ihnen hie gutes gewircket habe / zu verlangen / daß ſie nicht weniger befliſſen ſeyen / ſol - chen anfang eiffrig fortzuſetzen und nach einer ſchoͤnen gruͤnenden ſaat auch eine reiffe erndte zu bringen. Wie wir dann wiſſen / daß der HErr uns ſeineP p p p 2gna -668Das fuͤnffte Capitel. gnadenguͤter der erkaͤntnuͤß und guten triebes zu keinem andern zweck gibet / als daß wir immer mehr reich werden in aller erkaͤntnuͤß und erfahrung / auff daß wir immer genauer pruͤfen / was das beſte ſeye / und werden lauter und unanſtoͤßig biß auff den tag Chriſti / erfuͤllet mit fruͤchten der gerechtig - keit / welche durch JEſum Chriſtum geſchehen in uns zur ehre und lobe Got - tes. Von allen ſolchen haben wir uns nicht abhalten zu laſſen / durch die men - ge der vielen boͤſen exempel / die wir um uns haben / ja faſt den allgemeinen lauff ſehen / wie der groſſe hauff / auch unter den der bekaͤntnuͤß nach Evange - liſchen / die keinen irrthum in den lehrſaͤtzen ſelbs haben / in den grauſamſten irrthumen in der praxi ſtehen / daß ſie nicht nur in alleꝛhand ſuͤnden und gleich - foͤrmigkeit der welt leben / ſondern / welches der gefaͤhrlichſte irrthum / eine menſchliche (oder vielmehr teuffliſche) einbildung bey allen fortſetzenden ſuͤn - den dannoch Chriſti verdienſtes ſich zu getroͤſten vor den wahren ſeligmachen - den glauben faͤlſchlich halten: in welchem irrthum die meiſten um ihre ſelig - keit kommen. Aber wo wir ſolche greuel ſehen / ſoll bey uns ſolches eine ſo viel hertzlichere danckbarkeit gegen GOtt erwecken / welcher uns zu einer gruͤndli - chen und lebendigen erkaͤntnuͤß und erfahrung des glaubens in uns ſelbs ge - bracht / daher auff den weg des heyls / nicht nur den worten nach davon etwas reden zu koͤnnen / ſondern recht mit erleuchteten augen ihn anzuſehen / und darauff zu wandlen / geſtellet habe: daß wir uns alsdann nicht irren laſſen / wie unbekant ſolcher weg der meiſten welt (dahin auch manche gehoͤren / wel - che amts halben von der welt ſolten erwehlet ſeyn / und die leut von derſelben abfuͤhren) ſeye / noch gedencken / wir muͤſten gleichwol alſo leben / wie wir an - dere / die auch vor Chriſten paßirten / vor uns ſehen / ſondern daß wir unſere augen nicht verwenden von unſerm anfaͤnger und vollender unſers heyls / ſei - nen heiligſten worten und liebreichſtem exempel / zu deſſen nachfolge wir ſo wol als genuß ſeines verdienſtes beruffen ſind / ja eben dieſes eine frucht ſei - nes verdienſtes iſt / daß wir den Heil. Geiſt empfangen / in deſſen krafft wir vermoͤgen / obwol in ſchwachheit doch auffrichtigkeit des hertzens / zu wandeln / gleich wie er gewandelt hat. Jſts dann / daß uns GOTT einige chriſtliche freunde unſers orts beſcheret / die wir mit uns in dem HErren gleich geſin - net finden / ſo moͤgen wir uns und ſollen uns deroſelben converſation zu allerſeits auffmunterung gern gebrauchen / und immer eines an des andern exempel ſich erbauen: ſollen wir aber einiges orts gar keine fin - den (ſo ich zwahr nicht leicht ſorge / wo man dergleichen ſuchen will / und ſich dieſes angelegen ſeyn laͤſſet) ſo waͤre uns bereits das liebe exempel un - ſers HErrn und vorgaͤngers gnug / und haͤtten wir daſſelbe ſo viel ſorgfaͤl - tiger vor augen zu ſtellen. Jch will aber nicht zweiffeln / wie mein hochgeehr - ter Herr vor ſeine perſon werde allezeit unverdroſſen auf den wegen desHErrn669ARTIC. I. SECTIO XV. HErrn in ſeiner krafft fortfahren: So werde ihm GOtt auch andere gott - ſelige freunde beſcheret haben / mit denen er ſich erbauen / und ſie ſich unter - einander ſo viel hertzlicher aufmuntern werden: So gewiß eines von unſe - ren vornehmſten vergnuͤgen in der welt / und wo mans alſo haben kan / hoch - zu achten iſt / da gleichſam dasjenige / ſo wir in abſonderlichem leſen und be - trachten gefaſſet / ſo viel als lebendig wird. Nun der HErr gebe ſo in die - ſem als allem andern jeglichem von uns alles dasjenige / was zu unſerem wachsthum noͤthig und nuͤtzlich iſt / laſſe uns in dem glauben zunehmen / und in der liebe geſtaͤrcket werden / zu vieler frucht und ſeiner ehre. 1681.

SECTIO XV. Chriſtliche auffmunterung an eine Adeliche jungfrau.

DEroſelben geliebtes briefflein iſt mir wol worden / und hat mich billich nicht wenig erfreuet / weil ich aus der gegen mich unbekanten bezeugten liebe / die auf nichts anders als die liebe goͤttlichen worts / deſſen diener ich bin / ſich gruͤnden kan / erkenne / daß der himmliſche Vater ſie kraͤfftig zu ſich zu ziehen angefangen habe / und alſo auch nach ſeiner verheiſſung ſein werck nicht ſtecken bleiben laſſen wird. Hat es nun deſſen guͤte gefallen / wie aus deroſelben zeilen abzunehmen meine / meine wenige ſchrifften an ihr zu einiger erbauung zu ſegnen / ſo preiſe ich billich auffs demuͤthigſte den geber alles gu - ten / und lege die ehre deſſen einig und allein ſeinem heiligſten nahmen bey / der zu werckzeugen ſeiner gnade brauchet / welche er will: Jch will auch nicht zweif - feln / meine werthe werde den grund ihres glaubens recht aus dem allein un - betruͤglichen goͤttlichen wort geleget haben / und noch ferner darauf bauen / wie wir denn zu dieſen zeiten / da der irrthuͤme ſo viele / und ſolche manchmal ſo ſcheinbar ſind / keinen andern meiſter ſicher annehmen / dem wir unſere ſeele und heil lediglich anvertrauen moͤchten / als Chriſtum / den uns der Vater zu hoͤren ſelbs anbefohlen hat. Folgen wir dieſem allein / und pruͤffen hinge - gen nach ſeinem wort alles / was wir von andern hoͤren / ſo ſtehen wir recht ſicher / und werden von keinem winde gefaͤhrlich umgetrieben werden. Jch ſtehe auch in gutem vertrauen / daß gleichwie ſie ihren liebſten Heyland allein zum lehrmeiſter erkohren / daß ſie ihn auch allein zum grund ihres heils gele - get habe / wie ſie nemlich in der heiligen tauff in ſeinen todt getaufft / alles ſei - nes todes und aufferſtehung / alles ſeines verdienſtes / gnugthuung und ge - rechtigkeit / theilhafftig worden / und in den bund getreten ſeye / indem ſie um ſolches ihres JEſu willen von dem himmliſchen Vater eine taͤgliche und ewi - ge gnade / vergebung der ſuͤnden und freyheit empfangen habe: Und alſo alsP p p p 3deſſen670Das fuͤnffte Capitel. deſſen wiedergebohrne tochter in das geiſtliche leben geſetzet der vollkomme - nen gerechtigkeit ihres Erloͤſers in dem glauben genieſſe / und wo ſie es nur er - kennen / und ſich deſſen annehmen will / wahrhafftig ſelig ſeyn. Welche ſelig - keit auch noch hier in dieſem leben mit der verſicherung des k[]nfftigen voͤlli - gen genuſſes mit keiner welt-herrlichkeit und gluͤckſeligkeit zu vergleichen iſt / die ich auch wuͤnſche / daß ſie ſie taͤglichen erwege / darinnen ihre freude und ih - res glaubens ſpeiſe ſuche / auch dadurch immer an dem innern menſchen zu - nehme / deßwegen aber auch das heilige wort GOttes und die ſacramenten / ſo uns dieſe theure ſchaͤtze vortragen / in deſto hoͤherem werth halten werde. Dieſer glaube iſt nachmal allein / gleichwie dasjenige / darmit ſie ſtets vor dem thron und gericht GOttes / wo unſere heiligkeit niemal zulaͤnglich waͤre / er - ſcheinenkan / alſo auch dasjenige / daraus ſie krafft empfangen wird / mehr und mehr der welt / und ihr ſelbs / der ehre / reichthum / luſt / und was irrdiſch iſt / ab - zuſterben / und dem HErrn allein zu leben / nicht nach dem fleiſch / ſondern nach dem Geiſt. Wie denn der treueſte Heyland / der uns ſo theuer zu ſeinem ei - genthum erkauffet hat / nichts anders zur danckbarkeit von uns erfordert / als daß wir ihm unſer leib und ſeel hinwiederum zu einem heiligen und lebendigen opffer dargeben / taͤglich ablegen den alten menſchen / der durch luͤſte in irrthum ſich verfuͤhret / uns erneuren im geiſt unſers gemuͤths / auch den neuen men - ſchen anzuziehen / der nach GOTT geſchaffen iſt / in rechtſchaffener gerechtig - keit und heiligkeit / um alſo zu wachſen zu einer goͤttlichen groͤſſe. Nun was ich hoffe / das wuͤnſche ich auch / daß der GOTT des friedens ſie heilige durch und durch / und ihr geiſt gantz ſamt ſeel und leib muͤſſe behalten werden un - ſtraͤfflich auf die zukunfft unſers HErrn JEſu Chriſti. Getreu iſt der ſie ruffet / welcher wirds auch thun. Dieſes werde auch ferner zu erbitten nicht ermangeln. 1692.

SECTIO XVI. Auffmunterungs-ſchreiben zu ernſtlicher fortſe - tzung des Chriſtenthums.

Goͤttliche gnade / friede und ſegen in unſerem geliebteſten HErrn und Heylande JESU!

Jn demſelben vielgeliebte jungfrau und freundin.

D dieſelbe / ob ich wol auf das vorigenach gantzer jahre verfluß nicht geantwortet hatte / dennoch ſich nicht hat abſchrecken laſſen / mich ihres noch gegen mich behaltenden gedaͤchtnuͤſſes zu verſichern / erkenne ich als ein ſonderbares zeugnuͤß ihrer chriſtlichen liebe / und bedancke mich deſſen freundlichen: So vielmehr aber erfreuet mich ſolches / daß ſie bezeuget / nochfleißig671ARTIC. I. SECTIO XVI. fleißig an das gute zu dencken / ſo ſie zu ihrer erbauung gehoͤret habe: Ob ich nun wol nicht ſagen kan / ob GOTT eben vornemlich meinen dienſt an ihrer ſeelen zu wuͤrckung vieles guten gebraucht habe / oder wie viel etwa davon demjenigen zuzuſchreiben ſeye / was ſie aus anderer unterricht / eigenem leſen und betrachten / ſo dann chriſtlicher freunde und ihrer herrſchafft treuer an - weiſung und exempel gelernet habe / ſo nehme ich doch ſolches mit freuden an / daß der HErr gleichwol mein weniges auch an ihr nicht gar ohne frucht nach ihrer bekaͤntnuͤß gelaſſen habe. Deſſen preiß und danck aber nicht mir / ſon - dern demjenigen / deſſen wort es iſt / das ich fuͤhre / und er die krafft darein legt / die wir ihm nicht geben koͤnten / billich allein heimzuweiſen ſeyn wird. So ſie aber mir einige danckbarkeit zu erzeigen beliebet / ſo beſtehe dieſelbe in dieſen beyden ſtuͤcken. Erſtlich daß ſie ſo viel hertzlicher und andaͤchtiger fortfahre / vor ihrem GOTT auch f[]r mich zu beten / daß mir der HErr in allen dingen ſeinen willen zu erkennen / und denſelben getroſt allezeit zu vollbringen / muth / weißheit und vermoͤgen geben wolle / damit ich mein ſo ſchwehr / und vor ſo vie - len andern gefaͤhrlichers amt recht mit frucht fuͤhren moͤge zu ſeinem preiß und vieler ſeelen heil / aber auch daß ich dabey meine arme ſeele erhalte. Wer dieſes in glaͤubiger andacht fuͤr mich bittet / erzeigt mir die groͤſte wolthat / welche mir in der welt von einigem menſchen moͤchte erwieſen werden: Und da ich allezeit urſach habe / alle diejenige / welche einige liebe gegen mich tragen / zu bitten / daß ſie dieſelbe vornemlich darinnen gegen mich erzeigen wolten / und damit erſetzeten / was der inbruͤnſtigkeit meines gebets manglet. Zum andern / daß ſie ihrem GOTT die fruͤchten der ihr erzeigten wolthaten treulich bringe / und alſo nicht nur in dem angefangenen lauff fortfahre / ſich huͤtende / nicht wieder in einiges welt weſen eingeflochten zu werden / ſondern auch trachte in ſolchem guten ſtaͤtig zuzunehmen. Wie dann derjenige zuruͤckgehet auf dem wege der gottſeligkeit / welcher darauf nicht immer weiter trachtet fortzufahren / und von einem ſchritt zu dem andern zu ſchreiten. Wo zu ein fleißiges achtgeben auf ſich ſelbſt / welches unſer liebe Heyland das wachen heißt / und es neben dem gebet mehrmal er - fordert / noͤthig iſt / nemlich ſich offters / und ſo viel es geſchehen kan / taͤglich zu unterſuchen / wie man ſtehe / ob man hinder ſich oder vor ſich gehe / zu - oder abnehme / um alsdann jedes wohl zu wiſſen / was man in ſolchem ſtande zu thun habe: ferner auff ſeine ſeele ſtets acht zu geben / ſo wol was die regun - gen des fleiſches anlanget / denſelben ehe ſie ſtaͤrcker werden / kraͤfftig zu begeg - nen / als auch die gute bewegungen des H. Geiſtes / da man ſie bey ſich fuͤh - let / nicht zu verſaͤumen / ſondern ihnen ſo bald in gehorſam platz zu geben: insgeſamt auch in allem / was man thut / genau auf die abſicht des hertzens zu ſehen / warum wir jegliches thun / und was unſere rechte eigenliche treiben -de672Das fuͤnffte Capitel. de urſache ſeye / wo ſich mancher betrug unſers hertzens bey fleißigem nach - forſchen offenbahren wird / daß wir uns ſonſten ſelbſt nicht ſollen zu getrauet haben / aber die erkaͤntnuͤß deſſen uns viel nutzen bringen / und wo man der - gleichen einmal in eine gewohnheit gekommen iſt / eine der vortreflichſten be - forderungen zu einem rechtſchaffenen weſen werden kan: neben ſolchem wahr - nehmen ſeiner ſelbſt aber nicht weniger auch immer ſtets auf alles dasjenige zu ſehen / was um uns iſt / in dem nichts unter allem iſt / das uns nicht entwe - der eine foͤrderung oder hindernuͤß in unſerm Chriſtenthum geben kan / nach dem man ſichdagegen anſchicket. Dieſes geſamtliche achtgeben iſt einmal ein ſo kraͤfftiges mittel des geiſtl. wachsthums / als die unachtſamkeit faſt die al - gemeinſte urſach des verderbens der menſchẽ zu ſeyn pfleget / von dero gemei - niglich der anfang auch bey denen geſchihet / welche gar endlich in boßheit verfallen / daher wir uns davor als einem faſt verborgenen gifft nicht weni - ger als vor dem offenbaren zu huͤten haben. GOtt hat / meine geliebte / noch vor andern vielen trefflichere gelegenheit gegeben / da ſie gleich wie in dem oͤffentlichen alle noͤthige erbauung hat / alſo abſonderlich bey einer ſo chriſt - lichen Fuͤrſtin iſt / ſo die ihrige ſo gar nicht zu dienſten der eitelkeit mißbrau - chet / daß ſie vielmehr vor dero erbauung ſorget / und ſie nach allem vermoͤgen zu befoͤrdern trachtet. Welches gleich wie gegen ſie ſelbs mit ſo vielmehr treue / fleiß und gehorſam / alſo gegen GOtt / der es alſo gefuͤget / mit deſto hertzlicherem eyffer / ſich ſolches gutes zu ſeinem dienſt danckbarlich und de - muͤthig zu gebrauchen / zu erkennen iſt. So verſaͤume ſie alſo ja die gele - genheit nicht / welche ihro GOtt goͤnnet / und gedencke / der HErr fordere ſo vielmehr von ihr als vielen andern / ſo viel eine mehrere gnade er ſchon in ſolchem / wie er bißher uͤber ſie gewaltet / ihro erzeigt hat: wie hingegen alle ſaͤumigkeit eine ſo viel ſchwehrere ſuͤnde ihro ſeyn wuͤrde. Davor ſie aber der Herr durch ſeines H. Geiſtes kraͤfftige gnade verwahren und abhalten wolle. Nun dieſes deroſelben aus GOttes gnade hoffendes wachsthum in dem gu - ten / ſolle das vornehmſte ſtuͤck der danckbarkeit ſeyn / welches ich von ihro und andern lieben ſeelen / die da meinen / daß der HErr an ihnen durch mei - nen armen dienſt einige frucht geſchaffet habe / vor lange / daß ſie nemlich den in ſie ausgeſtreuten ſaamen alſo laſſe bey ſich fruchtbar ſeyn / daß er zu einer vollkommenen zeitigung und reicher erndte / in dem kuͤnfftigen tage des HERRN zu deſſen ehre / ihrer eigenen mehrern herrlichkeit und meiner ſee - len freude auswachſe. So offt ich auch / daß es ihrer ſeelen wohl ergehe / vernehmen werde / wird mirs allezeit eine urſach ſeyn dem HErrn HErrn mit ihr und fuͤr ſie zu dancken. 1681.

SECTIO673ARTIC. I. SECTIO XVII.

SECTIO XVII. Auffmunterung an eine Adeliche Frau / die GOtt ſamt ihrem Herrn aus der welt zu ſich gezogen hatte. Gefahr und pflicht unſerer zeit.

ES hat mich inniglich ergoͤtzet die guͤtige fuͤhrung des himmliſchen Va - ters / wie derſelbe meine werthe frau ſo weißlich nach und nach zu ſich gezogen / und immer ein band nach dem andern auffgeloͤſet / welches ſie zwahr nicht gantz von ihrem Heyland (mit deme ich ſchon bereits von guter zeit den grund ihrer ſeelen vereiniget / aber nur den voͤlligen durchbruch gehindert worden zu ſeyn / glaube / und aus der erzehlung abnehme) wol aber von ernſtlicher und eiffriger nachfolge / durch vieles zuruͤckziehen abge - halten hatte. Daher auch mit ihr ſolche ewige liebe und weißheit preiſe / welche ihr werck / auch denen ſelbs / in denen es geſchiehet / unvermerckt fuͤhret / alſo daß ſie deſſen offt kaum eher / als wo es nunmehr in einer voͤlligkeit darſtehet / gewahr werden. Jch bin auch verſichert / daß was dermaſſen nach und nach bey ihr ge - wircket worden / ſo viel beſtaͤndiger bleiben / und mit deſto herrlichern fruͤchten be - ſeliget werde werden / da hingegen mehrmaln die pflantzen / welche ſchnell und gleichſam auff einmal auffſchieſſen / da offt der grund ſehr ſeicht iſt / nicht ſo beſtaͤn - dig bleiben / ſondern wo nicht gar verdorren / Luc. 8 / 13. doch langſamer / ja auch etwa weniger / reiffe und recht geſchmackte fruͤchte bringen. Jch kan hiebey nichts anders thun / als mich mit derſelben in unſerm liebſten Vater hertzlich freuen / mit ihr und vor ſie deſſen guͤte danckbarlich ruͤhmen / und mein armes gebet mit dem ihrigen hinfort vereinigen / zu dem der ſie ferner durch und durch heiligen wolle / daß ihr geiſt gantz / ſamt ſeel und leib / unſtraͤflich erhalten werde auff die zukunfft JEſu Chriſti / nach der treue deſſen / der ſie darzu beruffen hat / und es auch thun wird / 1. Theſſ. 5 / 23. Jch ſchaͤtze dieſelbe auch ſo viel gluͤcklicher / und dancke dem HErrn mit ihr auch dafuͤr / daß er ihren geliebten ehe-herrn mit ihr gleicher maaſſen zu ſich gezogen; daher ſie mit der beſchwehrlichſten hindernuͤß / welche ſonſten manche gute ſeele / von ungleich-geſinneten ehegatten mit groſſen ſchmertzen be - ſeuffzen muͤſten / befreyet hat. Sonderlich iſt mir ein ſo viel rechtſchaffeners zeugniß ſeiner auffrichkeit vor GOtt / daß er / nachdem er das rechtſchaffene weſen in Chri - ſto JEſu erkant / auch umb deſſen willen zu leiden ſich nicht geſchaͤmet / ſondern auch verachtung / ungnad und verluſt auff ſich williglich genommen hat. Wel - ches leiden ich denn vor eine geſegnete duͤnge halte / davon was der HErr auf ſei - nen acker geſaͤet hat / ſo viel reichere fruͤchte bringen werde. Ob ich nun wol theils aus gethaner erzehlung / theils was mir auch ſonſt von ihrer gegend bekant wor - den / bedaure / daß ſie beyde vielleicht wenig auffmunterung und ſtaͤrckung ihresQ q q qorts674Das fuͤnffte Capitel. orts haben werden / ſo ihnen wol in ihren hertzen viele wehmuth offt erwecken wird / ſo zweifle doch nicht / daß der HErr ihrer beyder umgang unter ſich ſo viel herrlicher ſegnen / und dero gedult / langmuth und gutem exempel nach und nach auch andere / etwa von denen / welche jetzo noch entgegen ſind / ſchencken werde: darumb mit flehen helffen will. Wie wir denn freylich alle / die der HErr zu ſich zuziehen kraͤfftig angefangen hat / wol urſach haben / unſer gebet tag und nacht zu - ſammen zuſetzen: dann da der HErr hin und wieder ſeinem wort krafft giebet / daß es in mehrere hertzen ſtarck eintringet / und durchbricht / weiſet der ſatan da - gegen nicht allein ſeinen zorn / ſondern weil er ſihet / daß es ſeinem reich mit ernſt gelten ſolle / wird er immer grimmiger werden / und nichts unverſucht laſ - ſen / ſich ſeſter zuſetzen / umb ſeinen pallaſt in frieden zubewahren / und was ihm entriſſen worden / entweder zuuntertrucken / oder wieder znruͤck zuziehen. Es wird ihm darzu an weltlicher macht nicht mangeln / auch euſſerliche gewalt zu uͤben / ſondern es laͤſſet ſich darnach an / daß er an meiſten hoͤffen alles / vielleicht nicht ohne ſucces / verſuchen werde / den regenten allerley gefahr vorzubilden / welche nicht nur der gantzen kirchen / ſondern auch ihrem weltlichen ſtaat / bevorſtehe / wo man nicht den neuerungen und ſcheinheiligkeit / (dann mit dieſen nahmen muß ſich alle wahre Gottſeligkeit von denenjenigen beſchimpffen laſſen / die gern auff ihren alten hefen liegen bleiben / und von dem rechtſchaffenen weſen ſelbſt nichts wiſ - ſen) bey zeiten ſteure / und ſich der verdrießlichen leute / die alles nach ihrem kopff eingerichtet haben wolten / und alle andere verdam̃ten / loßmache. Gewiß duͤrffte dieſes das erſte ſeyn / worauff / wann GOtt den euſſerlichen frieden dem reich be - ſchehren ſollte / mancher feinde der gottſeligkeit anſchlaͤge werden gerichtet wer - den / ſie auch zu dero vollſtreckung ohnſchwehr die meiſte groſſe bringen / auch aus derſelben zahl diejenige / die ſonſten nicht boͤſe ſind / aber in einen unwiſſenden eif - fer bald gejagt werden koͤnnen / ihre gewalt / in den gedancken / die reine lehr und kirch in ſicherheit zuſetzen / in der that gegen dieſelbe zu mißbrauchen: worzu ſie zubringen es denjenigen / welche ſie anhetzen / auch an ſcheinbaren vorwaͤnden nicht mangeln wird / von den mißtritten / die etwa hier und dar von auch gutmei - nenden ſeelen geſchehen ſind. Dieſes ſtehet mir dermaſſen vor / daß ich mich nicht ſicher gnug glaube / ſondern ſorge / es moͤgen auch diejenige / auff die man jetzo das meiſte vertrauen noch ſetzet / gar leicht auch umgeſtimmet werden / und uns nichts von weltlichem arm uͤbrig bleiben / worauff wir uns verlaſſen koͤnten: damit ja unſer hertz nichts finde / darauff es nur einiger maaßen ruhen moͤchte / ſondern zu dem HErrn allein fliehen muͤſſe. Jch ſorge aber / es ſeye / was von euſſerlicher gewalt uns bevorſtehet / noch nicht das vornehmſte zufuͤrchten / ſondern der arge feind / wie er zwahr bereits ſcheinet ſolches anzufangen / werde es auch auff andere wege angreiffen / und darmit das gute theils ſpoͤhren / theils verdaͤch -tig675ARTIC. I. SECTIO XVII. tig machen / durch theils irrige und gefaͤhrliche meinungen / dadurch man von der einfalt der goͤttlichen wahrheit abgeleitet werde / theils anſtoͤßige abſonderungen / theils andere aͤrgernuͤſſen / damit wo es ihm zur lincken nicht angehen will / ers zur rechten gluͤcklicher verſuche: wie es dann leicht geſchehen kan / daß er auff ſolche weiſe dem fortgang des guten mehrern einhalt thue. Wie wir nun aber bey allen dem unſere zuflucht allein zu unſerm Heyland / deſſen reich und ſache es iſt / nehmen / und uns verſichern wollen / des ſatans angemaßte gewalt und liſt komme ſeiner allmacht bey weiten nicht bey / und er werde / wann die rechte ſtun - de da iſt / ſein reich laſſen durchbrechen / und indeſſen deren hertz redlich an ihm haͤnget / in allen tagen der verſuchung maͤchtig erhalten: alſo will es uns gleich - wol auch gebuͤhren / nicht allein deſto angelegenlicher tag und nacht zu dem HErrn zuruffen / daß er ſich nach ſeiner verheiſſung auffmache / und eine huͤlffe ſchaffe / daß man getroſt lehren moͤge / auch uns untereinander darzu auffzumuntern / ſon - dern insgeſamt auff ſolche vorſtehende pruͤfe-zeit uns recht zuſchicken / eins theils mit glaubiger ruͤſtung gegen alle gewalt und gefahr / andern theils mit Chriſtli - cher klugheit und vorſichtigkeit / die wir aber auch nicht von uns herhaben koͤn - nen / ſondern abermal von dem liebſten Vater erbitten muͤſſen / daß er doch ſeine ſalbung in ſolcher maaß ſtets uͤber uns ausgieſſe / die uns allein recht lehren kan / daß wir weder zur rechten noch zur lincken abweichen: Erlangen wir dieſe / wie ſie dann der Vater ſeinen kindern nicht verſagen kan / ſo wollen wir in unſerer einfalt beſtehen / wohingegen der welt weiſe zu thoren werden. Es troͤſtet uns auch billich / daß es unmuͤglich lange in dieſem ſtande waͤhren koͤnne: ſondern weil wir ſo augenſcheinlich ſehen / daß ſowol einige feigenbaͤume anfangen ſtarck auszuſchlagen / als auch die dornen und ſchaͤdliche baͤume je laͤnger je ſtaͤrcker her - vor brechen / iſts uns eine gewiſſe anzeige / der HErr habe etwas vor / und ob noch ſehr raue winter-wetter auszuſtehen ſind / ſolle doch ein angenehmer fruͤhling oder ſommer / deſſen jenes ein vorbote iſt / bald darauff folgen / und wir unſere hoffnung herrlich erfuͤllet ſehen. 1696.

SECTIO XVIII. Aufmunterung an eine Chriſtliche frau. Der H. Geiſt der rechte lehrer. Handlung goͤttlichen worts. Wachen / Beten: auch fuͤr andere.

ES iſt dieſes eine meiner groͤſten freude / nachdem wir ſonſten zu einer zeit leben / wo das rechtſchaffene weſen in CHriſto JEſu ſehr unbekant worden iſt / und ſich bey wenigen findet / (welches elend mit blutigen thraͤnen nicht gnug beweinet werden kan /) wann der himmliſche Vater mich bald da bald dort her einige perſonen ſehen / oder von denſelbenQ q q q 2hoͤren676Das fuͤnffte Capitel. hoͤren laͤſſet / welche ſowol das verderbnuͤß unſerer zeit mit andern augen / als die ſichere welt-kinder thun / anſehen / als auch ſich je mehr von der welt / die in dem argen liget / und derſelben theils offenbarer boßheit / theils heimlicher / wiewol Chriſt-klugen ſeelen ziemlich kanntlicher / heucheley / abzuſondern und zu reinigen befliſſen ſind. Denn weil an dieſen allein warhafftig der nahme GOttes gehei - liget wird / weil in ihnen das reich GOttes allein beſtehet / und von ihnen der goͤttliche wille allein geſchiehet / ſo gleichwol der zweck aller dinge / und alſo auch unſer einig verlangen ſeyn ſolle / ſo finden wir denn billich auch in deren erfuͤllung unſer einiges vergnuͤgen: Sonderlich aber weil Chriſtliche ſeelen vornemlich die - ſes aͤngſtiget / wenn ſie aus der erfahrung zu ſehen meinen / gleich haͤtte Gott alle ſeine gnade bereits von der welt zuruͤckgezogen / und hingegen ſeinem feind / dem ſatan / voͤllige macht uͤber die arme ſeelen der menſchen gegeben / (wie er freylich leider die meiſten in ſeinen ſtricken fuͤhret /) ſo ſind die exempel derjenigen / welche ſie noch an dem HErrn feſt zuhalten gewahr werden / ihnen ſo fern auch troͤſtlich / daß ſie abnehmen / ob freylich ein ſchwehrer goͤttlicher zorn wegen vorhergegan - genen langwierigen undancks und verachtung der gnade / auf unſerer zeit lieget / daß dennoch die gnade noch nicht aus / ſondern der HErr vielmehr willig ſeye / eben ſowol heut zu tage ſie denenjenigen ſeelen / welche ein verlangen darnach bey ſich erwecken laſſen / in gnugſamer maaß widerfahren zu laſſen / und ſeinen geiſt in ſie zugeben. Alſo iſt dieſes dasjenige / welches auch mich neben andern Chri - ſten am allermeiſten troͤſtet / und uns ein thaͤtliches zeugnuͤß wird der noch nicht geſchloſſenen goͤttlichen gnaden-thuͤr / zu deſto mehr auffmunterung der gelegen - heit / welche annoch zu dem guten gegeben wird / ſich nach vermoͤgen und treulich zu gebrauchen. Jch dancke auch billich meinem GOtt vor die mir hierinnen er - zeigende gnade / nachdem derſelbe nicht nur meinen unwuͤrdigen nahmen durch die ſtelle / worein er mich geſetzt / ihrer ſo viel mehrern hat laſſen bekannt werden / ſondern auch meine einfaͤltige ſchrifften vielen guten ſeelen in die haͤnde kommen laſſen / daß er dadurch unzehlich viel hertzen ſeiner kinder mit einer ſondern liebe gegen mich erfuͤllet hat / die aus einem Chriſtlichen vertrauen ſich mir kund geben / ja immer auch noch von andern bruͤdern und ſchweſtern / die hin und wieder vor dem himmliſchen Vater in kindlicher einfalt wandeln / erfreuliche anzeige thun: daß alſo durch deſſelben hertzliche gnade eine ziemliche anzahl derjenigen weiß / die mitten unter dem unſchlachtigen und verkehrten geſchlecht als die leuchten zu ihres Vaters preiß leuchten / daraus ich die troͤſtliche hoffnung ſchoͤpffe / daß ſo viel mehrere derſelben noch meinen augen verborgen ſich hin und wieder finden werden / die mit uns und allen[]brigen kindern Gottes in einer einigkeit des Gei - ſtes ſtehen / und ob wol dem fleiſch nach unbekant / dennoch eines leibes glieder ſind. Wie mich nun gedachter maaſſen dieſe freude unter meiner ſchwehrenlaſt677ARTIC. I. SECTIO XVIII. laſt am meiſten auffrichtet und erhaͤlt / ich ſie auch deswegen billich als eine theure goͤttliche wolthat anſehe / damit der HErr meiner ſchwachheit zu huͤlffe komme / daher auch zu demuͤthigſten danck deswegen verbunden bin / alſo trachte ich / als viel moͤglich iſt / mit denjenigen / die mir der HErr kund giebet / immer in deſto genauere freundſchafft zu kommen / ſonderlich aber da ich kein ander mittel habe mit ihnen umbzugehen / auffs wenigſte vor dem thron unſers GOttes mit ihm und vor ſie oͤffters zuerſcheinen / und alſo auch hinwieder von der gemeinſchafft ihres gebets einige weitere gnade von oben herab zuerlangen. Dieſe meine freu - de kan ich meine werthe frau verſichern / daß auch durch ſie vermehret worden / nachdem wir / ob zwahr vor noch nicht ſo langer zeit / dero redliches hertz zu dem treuen dienſt ihres JEſu von ſolchen freuden geruͤhret worden / von denen ich auch verſichere / daß ihnen GOtt ſo viel liecht gegeben habe / was rechtſchaffen ſeye oder nicht / in demſelben zuerkennen; daher auch ſie verſichern kan / ehe mir ihr liebes ſchreiben vor einigen tagen behaͤndiget worden / daß bereits ihren lieben nahmen nicht nur in meine gedaͤchtnuͤß eingeſchrieben / ſondern auch vor den HErrn gebracht habe: daraus ſie leicht erachten kan / wie mir ihre an mich ge - thane ſchrifft / nicht anders als hertzlich habe angenehm ſeyn koͤnnen. Dem Va - ter des liechts / von dem alle gute und alle vollkommene gaben kommen / ſeye hertzlicher danck / der auch ihr gegeben hat erleuchtete augen ihres verſtaͤndnuͤſſes / zuerkennen die hoffnung unſers beruffs / und wie gut es die kinder GOttes in ver - gleichung gegen die kinder der welt und ihre elende gluͤckſeligkeit haben / ſo dann aus ſolcher erkaͤntnuͤß getroſten muth ſolchem beruff wuͤrdiglich zu wandeln / und ſich deſto mehr vor aller befleckung des fleiſches und des geiſtes zu reinigen / folglich ſich dieſer welt nicht gleichzuſtellen / ſondern ſich zu veraͤndern durch ver - neuerung ihres ſinnes / auff daß ſie pruͤffen und immer tieffer einſehen moͤge / wel - ches da ſeye der gute / der wolgefaͤllige und der vollkommene Gottes wille. Er wolle alſo ſeine krafft in ihr ferner ſtaͤrcken und zunehmen laſſen / daß ihre liebe je mehr und mehr reich werde in allerley erkaͤntnuͤß und erfahrung / daß ſie noch weiter pruͤffen moͤge / was das beſte ſeye / auff daß ſie ſeye lauter und unanſtoͤßig biß auff den tag JEſu CHriſti / erfuͤllet mit fruͤchten der gerechtigkeit / die durch JEſum CHriſtum geſchehen in ihr zur ehre GOttes. Nechſt denſelben dancke auch deroſelben Chriſtlichen liebe und vertrauen zu mir / welches ſie in ihrem ſchreiben zu meiner ſondern freude bezeuget: Der HErr laſſe auch ſolche lie - be / die ſeines geiſtes frucht iſt / bey uns beyderſeits dazu kraͤfftig ſeyn uns unter - und aneinander zuerbauen und zu ſtaͤrcken. Wenn ſie nun zum zeugnuͤß ihrer zuverſicht zu mir einigen Chriſtlichen rath zu ihrem wachsthum verlanget / ſo wuͤnſchte ich wol hertzlich / ſo bald darinnen meine willigkeit zu zeigen / wo ich nur wuͤſte / worinnen eigentlich deroſelben rath noͤthig waͤre. Nachdem mir aber ſol -Qqqq 3ches678Das fuͤnffte Capitel. ches inſonderheit noch nicht bekant / ſo habe allein dieſen rath insgemein zuerthei - len / daß ſie ſich allein ferner demjenigen lehr-meiſter uͤberlaſſe / der ſie bereits da - hin / wo ſie jetzo ſtehet / gebracht hat / und am gewiſſeſten weiter fuͤhren wird: Dieſes iſt nun der heilige Geiſt / als der Geiſt ihres Heylands und eigen - thums-herrn JEſu / den er denen ſeelen / die ſich ihm gern wiedmen wollen / wil - lig giebet / und ſie durch denſelbigen auff richtigem wege leitet. Wir wiſſen aber / daß derſelbige in uns kraͤfftiger ſeyn wolle durch das wort / welches uns die Pro - pheten und Apoſtel von ihm getrieben auffgeſchrieben haben / und deſſen ſeele er gleichſam bleibet / durch daſſelbe in uns zu wuͤrcken. Alſo laſſe ſie ſich das wort des HErrn ihr anbefohlen ſeyn als ihre regel / ihr liecht / ihre ſpeiß / ihre artzney. Sie leſe daſſelbe fleißig / ſie hoͤre es auch gerne / und zwahr daß ſie immer ſo zu reden mit zweyen augen drauff ſchauende / das eine richte auff die theure ver - heiſſungen und wolthaten des Evangelii und der gnaden ihres liebſten Vaters in Chriſto JEſu / das andere aber auff deſſen gebote und befehl / was derſelbe wie - derumb von ihr fordere: damit durch jene betrachtung zum allerfoͤrderſten der wahre goͤttliche glaube in ihr mehr entzuͤndet und geſtaͤrcket / die ſeele ſtets mit den gnaden-ſchaͤtzen / die er erweget und begreiffet / erfuͤlle / und ſie denmach ihren treueſten Vater immer mit mehr kindlichem vertrauen anzuſehen / und ſich alles zu ihm zuverſehen lerne; durch die gebote ihres GOttes aber auch auffgemun - tert werde / der liebe deſſelben nach allem vermoͤgen mit thaͤtiger gegen-liebe gleich - ſam wiederum zu antworten. Welches unter beyden alleine bleibet / giebet al - lein ein halbes und nicht richtiges Chriſtenthum; wolte man ſuchen ſich allein an den gnaden-guͤtern und dero troſt zu ergoͤtzen ohne einigen willen des recht - ſchaffenen gehorſams / wuͤrde ſolches kein wahrer glaube ſondern betruͤgliche ein - bildung ſeyn / und ſich eben durch das ausbleiben und verſaͤumung der frucht verrathen. Foͤrchtet man ſich hingegen vor der annehmung der guͤter des Evan - gelii aus erkaͤntnuͤß der eigenen unwuͤrdigkeit / und meinet / es gehen uns noch allein der gehorſam der goͤttlichen gebote an / dadurch erſt zu jener tuͤchtig zu wer - den / ſo giebets ein geſetzliches weſen / ſo die ſeele nur aͤngſteten und ihr die rechte krafft gutes zu thun nie giebet / als welche vor dem Heiligen Geiſt allein kommen muß / der den kindlichen gehorſam nicht eher in die ſeelen bringet / biß er ſie auch der kindſchafft verſichert / und ſie zu glaͤubiger ergreiffung der liebe ihres treueſten Vaters gebracht hat. Alſo muͤſſen dieſe beyde ſtuͤcke / die der Geiſt unſers Got - tes in dem wort zuſammen geſetzet hat / in der uͤbung auch unzutrennet beyſam - men bleiben. Weil ſie aber mit goͤttlichem wort nicht umbzugehen verlanget / allein ein unfruchtbares wiſſen davon zu haben / ſondern daß auch daſſelbe war - hafftig in ihr hertz eingepflantzt werde / ſo des Heiligen Geiſtes werck iſt / ſo wird ſie immer eingedenck ſeyn / mit was andacht / ehrerbietung / gebet und auffmerck -ſamkeit679ARTIC. I. SECTIO XVIII. ſamkeit ſie damit umzugehen habe / damit ſolcher gute Geiſt nicht gehindert wer - de in ihrer ſeelen zu wircken / was ihre erbauung erfordert / ſonderlich / daß ſie ſich mehr und mehr gewehne / alles als viel moͤglich iſt / mit gottſeliger zueignung auff ſich ſelbſt zu leſen / und es alſo als eine ſtimme ihres Vaters nicht nur an andere / ſondern auch ſie ſelbſt / anzuhoͤren / dabey auch wol acht zugeben / wo aus dem wort gute bewegungen und gedancken erwecket werden / dieſelbe ſo bald anzuneh - men / ferner ihnen nachzuhaͤngen / und ſo viel moͤglich gleich zu gehorſamen. Da - zu wir uns auch auſſer der zeit / da wir eben unmittelbar mit dem goͤttlichen wort umbzugehen / es zu hoͤren / zu leſen oder zubetrachten / aber gleichwol vorher be - reits vieles daraus in das hertz gefaſſet haben / gewehnen muͤſſen / nemlich alle auffſteigende gute gedancken vor die wirckungen des Heiligen Geiſtes aus dem ſchon in uns gepflantzten wort / und demnach die ſtimme GOttes in uns anzuſe - hen / und ſie alſo niemal mit willen zuverachten / als womit wir uns ſchwehr ver - ſuͤndigen / auffs wenigſte vieler gnade verluſtig machen. Da ſie nun dermaſſen mit goͤttlichem wort umbgehet / ſo kan ſie verſichert ſeyn / daß ſie keinen lehrmei - ſter haben / als nebenſt ihrem Heyland ſeinen Geiſt der wahrheit. Wie ſie dann dieſes vor eine grund-regel ihres Chriſtenthums halten muß / weder in dingen die den glauben noch das leben angehen / einem einigen menſchen auch prediger / wie er nahmen haben moͤge / umb ſein ſelbſt willen / oder etwas weiters zu glauben / oder vor goͤttlich anzunehmen / als ſie aus ſeinen reden in ihrer ſeel und gewiſſen verſichert iſt / es ſeye ſolches nicht menſchen-ſondern GOttes wort / nachdem der prediger ſolches in der heiligen ſchrifft weiſet / und ſie in ihrer ſeelen die uͤberzeu - gung und verſiegelung davon hat. Dieſes iſt die ſicherſte verwahrung vor aller verfuͤhrung / und daß wir gewiß ſeyen / unſer glaube ſtehe auff goͤttlichem grunde. Da ſie nun meine werthe frau / dieſen lehrer folget / wird er ſie immer weiter fuͤh - ren / und ihr auch / was ſie von andern Chriſten oder menſchlichen lehrern hoͤret / unſchaͤdlich und nuͤtzlich machen. Da ich ſie denn einem ſolchen / nemlich dem beſten lehrer empfohlen habe / bedarff ſo viel weniger / daß ich vielmehr von den meinigen hinzuthue: nur daß ich noch zwey ſtuͤcke / wohin zwahr jener ſie ſelbſt weiſen und bißher gewieſen haben wird / wolmeinend recommendire / nemlich wachen und beten. Wachen zwahr / daß ſie ſich gewehne / allezeit nicht nur auff alles auſſer und umb ſich / nemlich die gelegenheiten gutes zu thun / und die gefahr der ſuͤnden / acht zugeben / jene nicht zuverſaͤumen / von dieſen aber nicht be - ruͤcket zu werden / ſondern vornemlich ſtets auff ihr hertz / deſſen abſicht in allen dingen / was ſie thut / ſeine bewegungen in gutem und boͤſen / und ſeinen gantzen grund acht zugeben / der gewiſſen verſicherung / wer ſtets alſo uͤber ſeine ſeele wache / der ſtehe am feſteſten / und wachſe am kraͤfftigſten. Zu dem wachen aber muß auch beten kommen / ſo ich aber ohne das ihre taͤglich und ſtuͤndliche arbeitzu680Das fuͤnffte Capitel. zu ſeyn nicht zweiffele / daher ſie ſo viel weniger wird meiner anleitung beduͤrffen: Nur daß ich dieſes einige auch hierbey hertzlich recommendiren will / mit nicht wenigerm fleiß und angelegenheit vor andere / ſonderlich Chriſtliche mit-bruͤder und mit-ſchweſtern / und alſo wahre kinder Gottes / zu beten / als ſie vor ſich ſelbſt be - tet / auch zu glauben / die hertzliche andacht in dem gebet vor anderer anliegen / wegen der darinnen uͤbender und gottgefaͤlligen liebe / erlange ihr eine ſo viel reich - lichere erhoͤrung auch aller vor ſich ſelbſt thuender bitten. Sonderlich weil der - jenige / der mit ſteter angelegenheit / vor alle wahre glaubige / ſonderlich die ihm GOtt hat laſſen bekant werden / zu GOtt ruffet / taͤglich gleichſam ſo viel tieffer in die gemeinſchafft der heiligen eintringt / und mit denſelben vor GOtt genauer verbunden wird / daher auch aller derſelben gebet / vor welche er bittet / nicht weni - ger vor dem thron der gnaden vor ihm angeſehen wird / und ſein ſchwaches ge - bet vor ſeine nothdurfft deſto mehr beſtaͤrcket. Hiemit empfehle ich ſie ſamt ih - rem gantzen hauſe GOtt und dem wort ſeiner gnade / der da maͤchtig und nicht weniger willig iſt / euch zuerbauen / und zu geben das erbe unter allen die geheili - get werden. 1689.

SECTIO XIX. Vermahnung an eine Jungfrau / die GOtt kraͤfftig zur buſſe ruffte.

NAch derjenigen liebe / mit welcher mich GOtt allen denjenigen / die ich in ihrer lieben ſtatt habe kennen lernen / verbunden hat / habe durch dero betruͤbten und klaͤglichen brieff nicht anders als ſonderlich geruͤhret wer - den koͤnnen. Die kranckheit ihrer ſeelen / die ſie mir vorgeſtellet / erwe - cket billich ein wehemuͤtiges mitleiden / aber da ſie erkant / und ſo nach - truͤcklich vorgeſtellet wird / erfuͤllet ſie mich zugleich mit getroſter hoffnung der ge - neſung. Zwahr iſts nicht ohn / daß mir biß daher ihren zuſtand nicht alſo ein - gebildet / ſondern wie in dero juͤngern jahren mehrmal nicht ohne betruͤbnuͤß das gemuͤth zur eitelkeit und pracht geneigt geſehen / auch nicht nur einmal daruͤber vermahnungen gethan / dabey aber gehoffet / daß mit den jahren ſolche / der jugend vor andern altern meiſt anklebende ſuͤnde / durch goͤttliche gnade wuͤrde abgeleget werden / alſo habe mir keine gedancken des geitzes von ihr gemacht / noch deswegen ſorge getragen: aber ich erfahre auch wieder an dieſem exempel / wie die ſuͤnden / die auch einander gar ſcheinen entgegen zuſtehen / gleichwol aneinander haͤngen / und forcht und liebe nicht grund in dem hertzen gefaßt / dieſes gar leicht von ei -nem681ARTIC. I. SECTIO XIX. nem in das andere laſter falle. Aber gelobet ſeye die unendliche goͤtt - liche barmhertzigkeit / die alle ſuͤnder ſo hertzlich zu ſich ruffet / ſich anerbeu - tet ſie wieder anzunehmen / und darinnen keinen unterſcheid machet / wie ſchwehr die ſuͤnde geweſen / und wie lang man derſelbigen gedienet. Ja ſie preiſet ſich ſo viel hoͤher / als mehr ſuͤnde ſie zuvergeben findet. Daher ſehe ich dieſe ihre erkaͤntnuͤß / da ſie ihren greuel recht einſihet / und an ſich ſelbs einen abſcheu faſſet / auch GOttes zorn und gericht uͤber ſich fuͤhlet / bereits als einen verborgenen gnaden-zug an / daß ihr liebſter himmliſcher Vater / ob ſie ſich auch ſein kind zu heiſſen unwuͤrdig gemacht / ſie wiederum durch eine redliche buſſe zu ſich ziehen wolle. Jch will daher ihre ſuͤnden nicht gering machen / ſondern glauben / ſie ſeye eine ſolche / wie ſie ſich in dem ſpie - gel ihres gewiſſens findet: ja ich erinnere ſie / daß ſie alle ihre ſuͤnden ſo viel ſchwehrer zu halten habe / nachdem der treue GOtt es ihro an mitteln zu ſeiner lebendigen erkaͤntnuͤß und forcht zugelangen nicht ermangeln laſ - ſen / ſondern vielmehr vor vielen hunderten dieſelbe reichlich zugetheilet hat: Daher ſie auch zu einer ziemlichen wiſſenſchafft / als mich erinnere / gekom - men iſt / und ſie nur ſelbs des guten Geiſtes wirckung / wo es nicht tieff in die ſeele eingetrungen / gehindert haben muß: Daher aber ſind die ſuͤnden / wo man goͤttlichen willen weiß / und gleichwol nicht thut / allezeit ſo viel ſchwehrer gegen andern unwiſſenden / mit denen der HErr mehr gedult traͤget. Alſo erſchrickt ſie billich uͤber ihre geſtalt vor GOtt / und uͤber die groſſe gefahr / in dero ihre arme ſeele bißher / da ſie vielleicht in ſicherheit in gutem ſtande zu ſeyn ſich eingebildet / geſtecket iſt: Sie muß aber auch be - reits dieſes / daß der heilige GOtt ihr hertz ihr auffgedecket / als eine groſſe gnade / und geoͤffnete thuͤr zu einem mehrern / anſehen. Nun dencke ſie / der HErr ruffe ihr jetzo zu / wie dorten durch Jeremiam: Kehre wieder du abtruͤnnige Jſrael / ſpricht der HErr / ſo will ich mein antlitz nicht gegen euch verſtellen / dann ich bin barmhertzig / ſpricht der HErr / und will nicht ewiglich zuͤrnen. Allein erkenne deine miſ - ſethat / daß du wider den HErrn deinen GOTT geſuͤndiget haſt. Dieſer ſtimme laſſe ſie auch in ihrer ſeelen platz / und ſeye verſichert / wo ſie ſolches thut / ſo werde dieſelbe ſie wiederum aus dem todt in das leben fuͤh - ren. Nur wie ſie ihre anklebende laſter / und zwahr auff eine ſolche art / wieR r r rdie -682Das fuͤnffte Capitel. dieſelbe ſie wahrhafftig gantz ungluͤckſelig machen / erkennet / daher nicht an - ders kan / als mißfallen daran haben / ſo trachte ſie allein darnach / wie ſie denſelben oder vielmehr ihren ausbruͤchen mit goͤttlicher huͤlffe ernſtlich wi - derſtehen und ſteuren moͤge / ja aber ihnen nicht mit fleiß nachhaͤnge. Und weiln ſie luͤgen und heucheley ſonderlich an ſich erkennet / welche ſie in den uͤbrigen ſuͤnden deſto mehr unterhalten / und hingegen die buſſe gehindert haben werden / ſo lege ſie zum allerforderſten dieſe ab / und ſuche nicht mehr mit fleiß anders als ſie iſt angeſehen zu werden. Zwahr kanich nicht rathen / die bewandnuͤß ihrer ſeelen jederman / ſo etwa vielen eher zum an - ſtoß gereichen moͤchte / zu offenbahren / ſondern nechſt ihrem beicht-vater / deſſen vertrauliches raths ſie hieruͤber zupflegen hat / erwehle ſie etzliche ver - traute Chriſtliche perſonen / welchen ſie mit gleicher auffrichtigkeit als mir ihr hertz entdecke / und denſelben eine zeitlang die gantze auffſicht uͤber ſich gebe / ja ihnen gleichſam uͤber alles ihr thun rechenſchafft abſtatte / auch ſo viel es an ihr iſt / ihnen folge / biß ſie vermittels goͤttlicher gnade in eine beſſere ordnung wieder komme. Jndeſſen laſſe ſie vor ſich ihre einige ſorge und anligen ſeyn (1) in ſtetem flehenlichem gebet vor dem Allerhoͤchſten anzuhalten / der doch ſelbs ihr hertz aͤndern / und ihren feind / welchem ſie ſo lange allzuviel macht uͤber ſich gelaſſen / in ihr daͤmpffen wolle. (2) Sich offters den elenden zuſtand vorzuſtellen / in welchem ſie ſo lange geſtanden / und gleichſam nur einen ſchritt von der hoͤlle geweſen. (3) Sich zuverwun - dern und danckbarlich zuerfreuen uͤber die langmuth ihres himmliſchen Va - ters / welche ſo lange gedult mit ihr getragen / und ihr nun ihr elend offen - bahre. (4) Mit groſſem ernſt ihren vorweilen mit GOTT gemachten tauff-bund / (wie ſie weiß / daß ich jederman allezeit darauff gewieſen habe) ihr immer vor augen zuſtellen / aber nicht nur / wie er von ihrer ſeit viel - faͤltig gebrochen worden / ſondern auch wie er von GOttes ſeite immer feſt bleibet / und der liebſte Vater bereit iſt / alle augenblick ſein auch abtruͤnni - ges und treu-loß gewordenes kind wiederum anzunehmen / da es nur nach ſeiner gnade aus fuͤhlung ſeiner bedoͤrffnuͤß ſolches verlanget. Jn dieſer betrachtung wolle ſie offt und lang beharren / daß ſie allezeit ihre undanck - barkeit gegen goͤttliche liebe / dero ruffen ſie lange mit tauben ohren ange - hoͤret / und hinwiederum die beſtaͤndigkeit dieſer liebe / die unermuͤdet im -mer683ARTIC. I. SECTIO XIX. mer wiederum / ſonderlich jetzt da ſie ihre ſuͤnde ihr laͤßt in der ſeele auff - wachen / bey ihr anklopffe: Darmit alſo ihr vorhin hartes hertz durch das feuer dieſer liebe / wo ſie immer ſich derſelben in ſich ſelbs naͤhert / voͤllig erweichet / und allgemach wiederum ein glaubiges vertrauen in ihr gewir - cket werde: Daraus alsdann erſt eine rechte goͤttliche reue in erkaͤntnuͤs ihrer unwuͤrdigkeit und goͤttlicher guͤtigkeit entſtehen / und ihre ſeele mit einer liebe gegen GOtt / folglich auch mit krafft ſich mehr und mehr zu rei - nigen / und in der heiligung zuzunehmen / erfuͤllet werden wird. Hiermit (5) muß ſie immer / ob ſie auch von allem keinen geſchmack in langer zeit empfinden ſollte / trachten fortzufahren und nicht nachzulaſſen: ſonderlich aber ihre meiſte gedancken auff goͤttliche inbruͤnſtige Vaters-liebe gegen alle auch ſchwehrſte ſuͤnder / auff das vollkommenſte verdienſt und unend - liche gerechtigkeit ihres JEſu / welches alle ſuͤnde weit uͤberwieget / daher auch auff das aus lauter liebe fuͤr uns uͤbernommene leiden und ſterben des theurſten Heylandes / in deſſen betrachtung die kirche ohne das zu die - ſer zeit ihren troſt ſuchet / auff die krafft des heiligen Geiſtes / deſſen an - k[l]opffen ſie offt gefuͤhlet / obwol ihm nicht gnugſam raum gegeben / auff die unveraͤnderliche gewißheit der goͤttlichen verheiſſung / dero genuſſes wir zwahr eine zeit ang durch unbußfertigkeit uns verluſtigt machen / ſie aber noch feſt ſtehen / auff die viele exempel der auch ſchwehrſten aber zur buß wieder geleiteten ſuͤnder / und auff diejenige materien richten / welche wie - derumb ein vertrauen zu GOtt machen. Dann dieſes kan mir alles mein eigen werck und bemuͤhen nicht geben oder zuwege bringen / daher auch die wahre heiligung nicht einmal recht anfangen / ſondern es muß alles eine wirckung des heiligen Geiſtes ſeyn durchs Evangelium / dieſes aber eben deswegen offt in ſeinen haupt-materien / die mit wenigem angefuͤh - ret / fleißig betrachtet werden. Wird meine geliebte jungfrau / ſo ja alle ſorge ihres heils nicht abgeleget / nach der wenigen krafft / die ihr der HErr verleihen wird / auff dieſen weg ſich begeben und darauff anhal - ten / ſo verſichere ſie an GOttes ſtatt / daß deſſen erbarmen / welches ohne des bereits uͤber ihr ſchwebt / ſich kraͤfftig an ihr offenbahren / und erſtlich ein vertrauen zu ihrem Vater wiederumb erwecket / aus demſel - ben ihre reue gantz anderer art als bißher werden / darauff die liebe GOt -R r r r 2tes684Das fuͤnffte Capitel. tes in ihr wachſen / und alsdann glaube und liebe der maͤchtige antrieb werden werde / ſich nunmehr von allem zu reinigen und an allen kraͤff - ten des innern menſchen zu wachſen. Da wird ſie alsdann die guͤte des liebſten Vaters preiſen / der ſie aus dem tod ins leben gefuͤhret / oder jetzo getoͤdtet / daß ſie wieder lebendig werde. Nur huͤte ſie ſich vor allen din - gen vor dem / was zu erſt bemercket / daß ſie keine heucheley weiter bey ſich einniſten laſſe / noch anders vor menſchen zu ſcheinen ſich befleißige / als ſie iſt / hingegen bemuͤhe ſie ſich einer ſolchen demuth / daß ſie gerne nichts vor GOtt und menſchen zu ſeyn verlange: verſichert / daß ſie durch nichts mehr als hochmuth und heucheley die gute hand GOttes an ſich hindern koͤnne: ſodann halte ſie mit ſeuffzen und flehen tag und nacht ſo lange an / biß ihr der HErr ſein angeſicht zeige. Jch an meinem weni - gen ort will auch nicht unterlaſſen / ihres nahmens und anligens vor dem gnaden-thron taͤglich / ſo viel GOtt gnade gibet / zugedencken / und alſo mit kaͤmpffen helffen. Er der Vater der barmhertzigkeit und GOtt alles troſtes / thue ferner was er thut / nemlich ziehe ſie auff ihm weißlichſt-be - kante wege zu ſich / erfuͤlle ſie mit buſſe und glauben / reinige ſie von allem ſchlangen-ſaamen / und was derſelbe vor fruͤchten bey ihr gebracht hat / hin - gegen laſſe er auffs neue ſeinen ſaamen / aus dem ſie einmal wiedergeboh - ren / und er gleichſam in ihr erſticket worden / wiederum lebendig und kraͤff - tig in ihr werden / und heilige ſie durch und durch / daß ihr geiſt gantz / ſamt ſeel und leib / unſtraͤfflich behalten werde auff den tag JESU CHriſti: 1. Theſſ. 5 / 23. 24. Getreu iſt der / der euch wiederrufft / der wirds auch thun umb unſers ſuͤnden-tilgers willen / Amen. Wormit deſſen der maͤchtig / guͤtig und weiſe iſt / ſchutz / liebe und regierung ſie treulich empfehle. 1694.

SE -685ARTIC. I. SECTIO XX.

SECTIO XX. Summa des Chriſtenthums / bußfertige erkaͤntnuͤs der ſuͤnden / glaͤubige ergreiffung der ſeeligkeit / und dar - aus entſtehende kindliche gehorſam.

JCh antworte zwahr meiner gewohnheit nach / ſo dann aus noth der geſchaͤfften etwas ſpatt / aber bezeuge nichts deſtoweniger hertzlich / daß mir ſein neuliches ſchreiben ſehr angenehm gewe - ſen / als ein liebes zeugnuͤß ſowol ſeines gottſeeligen hertzens / und wie er ſich mit ſolcher glaͤubigen demuth in die gnade und liebe ſei - nes Heylandes gibet / als auch abſonderlich ſeiner gegen mich tragenden liebe und zuneigung. Dieſes freuet mich deswegen hertzlich / weiln er be - zeuget / daß GOtt meinen armen und aus mir unmoͤgenden dienſt gleich - wol auch bey ihm habe laſſen zu einer geiſtlichen ſtaͤrckung und auffmun - terung einigmal gedeyen / auch dafuͤr ſeinem GOTT hertzlich dancket: Nun was kan uns mehr erfreuen / als wo uns GOTT die gnade thut / zuſehen / daß auch umb unſert willen / ihme von andern bruͤdern danck ge - bracht werde? Jenes zeugnuͤß aber des guten ſelbs / ſo der HErr in ihm gewircket hat / freuet mich ſo vielmehr / und ſage auch ich mit ihm dem HErrn dafuͤr demuͤthigen danck. Es iſt freylich alſo / wie er ſchrei - bet / und beſtehet darinn die gantze ſumma des Chriſtenthums / daß wir uns erſtlich unſerer ſuͤnden wegen rechtſchaffen vor dem HErrn demuͤthi - gen / und dieſer abſcheulichkeit wahrhafftig erkennen / worzu unſere pruͤ - fung und erforſchung des gewiſſens / ſo dann eine fleißige erwegung goͤtt - lichen geſetzes / ſamt vorſtellung der goͤttlichen wolthaten / ſo uns unſerer undanckbarkeit uͤberzeugen / folglich die demuth ſo viel befoͤrdern / die kraͤff -R r r r 3tige686Das fuͤnffte Capitel. tige mittel ſind: Es muß aber zu denſelbigen kommen die kraͤfftige wir - ckung des heiligen Geiſtes / daß ers in unſern hertzen empfindlich mache: als ohn welchen alle ſolche betrachtungen das hertz noch nicht exweichen / noch in eine ſeelige reue zerflieſſen machen wuͤrden. Bey welcher ſache wir gleich dieſes auch wol zuerwegen haben / daß der HErr ſowol in der - ſelben als in andern ſtuͤcken nicht nach unſerm gutduͤncken und wolgefal - len / ſondern nach ſeinem weiſeſten und guͤtigſten rath / mit uns verfahre / dahero auch nicht mit allen einerley wege gehe. Wie ſich dann die Erfah - rung zeigen wird / daß er zuweiln bey einigen ſolches fuͤhlen der ſuͤnden / laͤſſet ſehr ſchmertzlich / auch wol langwierig ſeyn / daß rechte hoͤllen-aͤngſten ſich zeigen / und gleichſam alle die zorns-fluthen uͤber eine ſeele gehen: Anderer ſchonet der HErr mit ſolchen empfindlichen aͤngſten / und ob er wol die noͤthige reue und haß der ſuͤnden auch wircket / ſo laͤſſet ers doch gehen / wie bey etzlichen weibern / welche zwahr nicht ohne einigen / dennoch mit gegen andern verglichen geringern / und faſt ſolches worts kaum wuͤr - digen / ſchmertzen ihre frucht zur welt gebaͤhren: So laͤſſet er auch die ſo bald erblickte gnade ihres Erloͤſers / die ſonſt anſetzende angſt der ſuͤnden / da ſie kaum gefuͤhlet worden / kraͤfftig vertrieben werden. Jſt umb der urſach willen zu mercken / damit weder diejenige / welche der HERR in ſolche aͤngſten gerathen laͤſſet / daraus ſchlieſſen / ob waͤren ſie nicht in ihres himmliſchen Vaters gnade / weiln ſie deſſen zorn ſo ſtarck empfunden: noch hingegen andere mit welchen GOtt auff eine gelindere art verfahren / und ſie der ſuͤnden bitterkeit nicht alſo ſchmecken laͤſſet / dadurch in anfech - tung und zweiffel gebracht werden uͤber die wahrheit ihrer buſſe / wel - che gleichwol nicht ſowol aus der hefftigkeit der ſchmertzen als auffrichtig - keit der erkaͤntnuͤß und haſſes gegen die ſuͤnde abzunehmen und zu urthei - len iſt. Nechſt ſolchem der ſuͤnden-erkaͤntnuͤß iſt freylich das wichtigſte / die vorſtellung und ergreiffung der theuren gnaden GOttes / in dem ver -dienſt687ARTIC. I. SECTIO XX. dienſt JEſu CHriſti: Dann dieſes allein bringet das hertz zur ruhe / und heilet ſeine wunden / ſonderlich wo wir uns recht gewoͤhnen / wie es denn ſeyn ſolte / daß wir alle die guͤter ſolches theuren verdienſtes anſehen / als ſolche zu denen wir nicht erſt durch unſern fleiß und gehorſam gelangen / und die eine belohnung unſerer wercke werden muͤſten / ſondern daß wir ſie wahrhafftig erkennen / daß ſie uns pur-lauter aus gnaden / ſo bald in dem erſten augenblick / da uns GOtt in der heiligen tauff in ſeinen bund auff - genommen hat / geſchencket / und wir alſo in demſelben / nach S. Pauli wor - ten bereits ſeelig gemacht worden ſeyen / obwol in der hoffnung / nemlich daß wir dermaleins in den voͤlligen und offenbahren genuß ſolcher heils - guͤter / deren eigenthum uns einmal geſchencket / geſetzet werden ſollen. Welche erkaͤntnuͤß des wahrhafftigen bereits geſchenckten heyls recht der kern des wahren glaubens iſt / und GOtt vortrefflich preiſet: Hingegen die glaubige ſeele / recht mit inniglichſter freude / uͤber ſolche ihre ſeeligkeit erfuͤllet. Welches ich gemeinet haben will / von dem ſtand auſſer der an - fechtung / in welcher zwahr nicht der glaube / wie es ſcheinet / jedennoch deſſen empfindlichkeit / und daher entſtehende vergnuͤgliche freude / zuruͤcke bleibet. Es iſt auch nicht zugedencken / daß die erkaͤntnuͤß und ergreif - fung ſothanes heils in CHriſto den menſchen ſicher machen werde / ſondern wo das hertz wahrhafftig ſolche guͤter anfaͤnget zu ſchmecken / kan es nicht anders / als gegen dieſelbe alles dasjenige verachten / was dieſe welt uns zu locken / uns vorſtellen mag / und insgemein alle diejenige dadurch zu ihrer liebe verzaubert / die nicht die wahre guͤter beſſer zuerkennen gelernet haben / und umb deſſelben willen die andere gering oder vor nichts achten. Daß alſo freylich dieſes gewiß folget / als das dritte auff die beyde vorige / wie der HErr ſagt / daß das hertz nicht kan anders als ſeinen ſo theuer verdienten freund wiederumb lieben / und getreulich nachfolgen / daß alſo in demjenigen / worinn er gegen mich ſein hertz und die ſumma ſeinesChri -688Das fuͤnffte Capitel. Chriſtenthums ausgeſchuͤttet / ich nichts zu aͤndern oder hinzu zuſetzen weiß. Vielmehr unſern allerliebſten Heyland demuͤthig anflehe / daß er ſolches ſowol ferner noch in ſeinem hertzen verſiegeln / als auch eben ſolche erkaͤntnuͤß / in allen ſeelen wircken wolle / die ihr heyl ſonſt in anderer unrechter ordnung ſuchen. Findet ſich aber jene erkaͤntnuͤß recht lebendig in uns / ſo doͤrffen wir nicht mehr mit zwang auff die praxin treiben / ſon - dern dieſelbige waͤchſet herrlich hervor / aus der ſo geſegneten wurtzel. Und das iſt alsdann der ſo groſſe unterſcheid / unter den wercken des bloſſen geſetzes / und die in dem geiſt der knechtſchafft geſchehen / und unter dem kindlichen gehorſam / wo die von dem geſetz erforderte aus glauben in liebe geleiſtet werden. Welchen unterſcheid wo wir recht erkennen / ein gewiſ - ſes zeugnuͤß iſt / daß wir durch goͤttliche gnade weit gekommen ſeynd. Jch will aber demſelben nicht mit allzuvieler weitleufftigkeit beſchwehrlich fallen / als der ohne daß meines unterrichts nicht bedarf / ſondern aus dem wort des lebens und von den theuren maͤnnern Gottes in heiliger ſchrifft alles noͤthige zu lernen ſich gewehnet / ſo dann mehrere Chriſtliche freunde umb ſich hat / derer unterweiſung und handleitung / ſo er einiger beduͤrff - tig iſt / ihm taͤglich nach verlangen ge - deyen kan. 1681.

SE -689ARTIC. I. SECTIO XXI.

SECTIO XXI. Vermahnung vornemlich auff dem weg des Ev - angelii einherzu gehen. Wie man ſich gegen die Refor - mirte zu bezeigen.

WJe es billich unſre groͤßte freude ſeyn ſolte / wo wir gewahr werden / wie die himmliſche guͤte da und dort bald dieſen bald jenen ergreifft / und aus der welt gemeinſchafft maͤchtiglich zu ſich reißt / als darin - nen ein groſſes ſtuͤck goͤttlicher ehr beſtehet / und wir uns an einem jeden ſol - chen menſchen eines brudern verſichern koͤñen / mit dem wir deꝛmaleins ewig - lich uns freuen ſollen: alſo kan verſichern / daß deſſen / ob wol mir ſo nahmen als perſon nach unbekant geweſten / liebes ſchreiben mich inniglich eꝛgoͤtzet hat. Dahero mit demſelben unſers himmliſchen Vaters ewiger guͤte demuͤthigſten danck ſage / der auch deſſen ſeele von der Obrigkeit der finſternuͤß errettet / und in das reich ſeines lieben Sohnes verſetzet / auch tuͤchtig gemacht hat zu dem erbtheil der Heiligen in dem liecht. Sie wolle aber noch fortfahren ſol - ches gute werck fortzuſetzen und zu vollfuͤhren auff den tag JEſu CHriſti: deſſen mich auch zu derſelben treue gewiß / zu ihme aber / daß er dem gnaden - zug auch kuͤnfftig gehorſam bleiben / und deſſen wirckung niemal ſelbs unter - brechen / oder an ſich vergebens machen werde / in chriſtlicher liebe verſehe. Dabey ſolte mir aber ſehr angenehm ſeyn / wo mein wehrter Herr geruhen wolte / die art und weiſe ausfuͤhrlicher zu beſchreiben / wie der guͤtigſte Vater das wahre und helle liecht der gerechtigkeit / davon das ſchreiben gedencket / in ſeiner ſeelen auffgehen laſſen / ob es ploͤtzlich oder allgemach / bey gelegen - heit des leſens / hoͤrens oder betrachtung goͤttlichen worts / oder auſſer dem - ſelben aus der krafft des vor dem gefaßten worts / geſchehen ſeye. Wie dann manchmal einige grund-wahrheiten aus dem goͤttlichen wort in in das hertz alſo gefaßt werden / daß weil durch anderes dero krafft / welche ſie ſonſten bey uns haben ſolten / gehindert wird / ſie gleichwol lang als waͤren ſie unkraͤfftig bey uns ligen bleiben / biß ſie ſo zu reden durch gewiſſe gelegen - heit rege gemacht werden / und in goͤttlicher krafft durchtringen: ſo ich zu vergleichen pflege mit einem ſaamkoͤrnlein / das in ein gantz trockenes land faͤllet / welches ſeine lebendige krafft zum auffgehen nicht ereignen kan / biß et - wa einmal ein geſegneter regen darauff faͤllet / ſo die erde anfeuchtet / daß das koͤrnlein zu kaͤumen und hervor zubrechen verurſachet / weil nunmehr die er - de darzu beqvem worden. Wie nun aber der weiſeſte GOTT nach ſeiner weißheit nicht nur eine / ſondern vielerley arten und wege bey ſeinen kindern gebraucht / ſolte michs ſehr freuen / vielleicht auch zu einigem nuͤtzlich ſeyn /S s s swo690Das fuͤnffte Capitel. wo umſtaͤndlicher den weg / welchen der HErr ihn gefuͤhret / und wie er auff ſolchem fortgefahren / erfahren koͤnte. Dabey verſichre ich / daß auch ſeines lieben nahmens vor dem angeſicht des HErrn unvergeſſen bleiben werde. Den fleiß in denen von Petro in der 2. epiſtel am 1. capitel erzehlten tugenden kan nicht anders als loben: nur will hoffen / derſelbe werde trachten / ihn vielmehr aus dem Evangelio als aus dem geſetz herzu ziehen und fortzuſe - tzen. Davon ich um der urſach willen meldung thue / weil mir bekant / daß zuweilen einige gute ſeelen ſich damit mehr hindern als fordern / wann ſie faſt ihr einiges werck daraus machen / ſich allein ihre obligende pflichten ſtets vor augen zu ſtellen / auch in leſung der H. Schrifft faſt allein auff dieſelbige acht zu geben / und ſich um die uͤbung derſelben offters faſt angſthafft zu be - muͤhen / dabey ſie ſich vielen zwang anzuthun meiſtens noͤthig befinden. Da hingegen der evangeliſche weg viel herrlicher kraͤfftiger und geſegneter iſt worauff der liebe Apoſtel ſelbs an ſolchem ort weiſet / wann er ſaget / daß allerley goͤttliche krafft / was zum leben und goͤttlichen wandel dienet / uns durch die erkaͤntnuͤß des der uns beruffen habe durch ſeine herr - lichkeit und tugend / geſchencket werde. Daher wo ein Chriſt ſein haupt - werck ſein laͤſſet / am meiſten ſeinen glauben an JEſum zu ſtaͤrcken / und in deſſen lebendiger erkaͤntnuͤß durch taͤgliche / ja gleichſam ſtuͤndliche betrach - tung deſſelben herrlichkeit und unausſprechlicher wolthaten / ja gegen uns brennender liebe / ſo dann der theuren ſchaͤtze der ſeeligkeit / die wir bereits in denſelben haben (dann alles ſolches gehoͤret zu ſeiner wahren erkaͤntnuͤß) zu wachſen / ſo wird dardurch am gluͤcklichſten auch aller wachsthum in den - brigen tugenden des lebens ohne euſſerliche viele muͤhe von innen ausbefoͤr - dert. Jn dem da der glaube die geſegnete wurtzel alles uͤbrigen guten iſt / fehlet ſich nicht. / daß nicht deſſen vermehrung auch deſto mehrere fruͤcht eu bringen muͤßte: und wo die ſeele das feuer der liebe ihres JEſu durch ſtaͤte glaubige betrachtung gleichſam in ſich zeucht / ſo zuͤndet daſſelbe aus dem glauben ſie hinwiderum mit derjenigen liebe an / die durch alle andere tugen - den wuͤrcket / und nicht anders als gutes thun kan / ja ſolches auch thut / da ſie kaum daran gedencket. Daher ſolcher gehorſam das wenigſte erzwun - gene oder angſthaffte bey ſich hat / weil alles aus dem wahren innern grund des glaubens gehet. Dieſes wuͤnſche nun / daß auch bißher meines wehrten Herrn meiſte uͤbung geweſen ſey / er auch in derſelben ſtets fortfahre / und taͤglich neue fruͤchten daraus in goͤttlichem ſeegen ſeliglich genieße / ſo dann mit ſeinem exempel auch andre neben ſich darzu auffmuntere. Was im - brigen das freundliche begehren wegen der Reformirten von den unſrigen unterſchiedenen lehrſaͤtzen anlangt / wuͤrde es vor einen brieff zu groß ſeyn /auch691ARTIC. I. SECTIO XXI. auch meine ſehr enge zeit / da auff einen jeden chriſtlichen freund / weil deren / die ſich an mich adreſſiren / eine zimliche anzahl iſt / ſehr wenig kommen kan / ſolches nicht zulaſſen / etwas ſchrifftliches darvon auffzuſetzen / ſondern wol - te mich hiemit bezogen haben auff mein buch / genannt die evangeliſche glau - bens-lehr (ſo von Franckfurt wol zu haben ſeyn wird) in dero gleichwie alle glaubens-articul ob wol einfaͤltig doch gruͤndlich ausgefuͤhret / alſo auch die materien / welche zwiſchen uns und den Reformirten ſtreitig befindlich ſind. Wie dann der punct von der gnaden-wahl und was dahin gehoͤret / vornem - lich bey dem Sonntag Septuageſim. von dem H. abendmahl auf den Gruͤnen Donnerſtag / andre anders wo zu leſen ſind. Wie ich nun hoffe / wo demſelben belieben ſolte / ſich ſolcher meiner arbeit zu bedienen / daß es ihm zu fernerer gruͤndung der erkaͤntnuͤß der wahrheit in dieſen und andern articuln durch GOttes gnade geſegnet werden wuͤrde / ſo wolte doch an ihrem ort nicht rathen / daß derſelbe ſich mit den Reformirten in viele diſputat einlaſſen ſol - te / ſondern gnugſam mag ſeyn / die wahrheit / die man erkennet / deutlich zu - bekennen / und nach ſeinem begriff dero gruͤnde zu zeigen / wo ſolches aber ge - ſchehen iſt / andre hinwiederum ihrem gewiſſen zu uͤberlaſſen / Gott den Herrn der ſeine wahrheit immer mehr und mehr allen / auch noch jetzo irrenden / ein - leuchten laſſen wolle / hertzlich anzuruffen / und die mit uns in der erkaͤntnuͤß nicht eins ſind / zum allerforderſten dem HErrn die wahre fruͤchten der un - ſtreitig noch bey behaltener ſtuͤcke der wahrheit zu bringen / anzumahnen: als welches ein ſtuͤck des weges iſt / worauff die irrende zu ferner erkaͤntnuͤß der goͤttlichen wahrheit kommen koͤnnen / wo ſie erſt fuͤr dasjenige / was ihnen GOtt von denſelben bereits gegeben und gelaſſen hat / ſich danckbarlich er - weiſen / und deſſen thaͤtliche fruͤchten bringen. Ach daß der HErr uns alle dahin regiere / daß wir / welchen er ſo vielmehr ſeiner wahren lehr anvertrau - et / nach deſſen maaß ihm auch deſtomehr gehorſam braͤchten: andre aber die weniger empfangen haben / doch auch mit nicht weniger treue ſich ſolches ge - horſams befliſſen. Geſchaͤhe dieſes / wie bald wuͤrde der HERR ſeine gnade bey allen vermehren / ja uns mehr und mehr in die wahre einigkeit des geiſtes einfuͤhren. ꝛc. 1695.

SECTIO XXII. Auffmunterung an einen in ledigem ſtande und auſſer amts lebenden / was derſelbe zu thun habe.

JCh erinnere auch denſelben nochmal hertzlich nach der pflicht eines gu - ten freundes und geweſenen Beicht-vaters / daß er auch das von mir die gantze zeit uͤber angehoͤrte wort GOttes noch ferner wolle in ſeinerS s s s 2ſee -692Das fuͤnffte Capitel. ſeelen fleißig bewahren / und trachten / daß es je laͤnger je mehr in derſelben tieff eingetruckt und lebendig gepflantzet werde / zu vieler frucht goͤttlichen preiſes. GOTT laſſe dasjenige wort / ſo er noch auch taͤglich hoͤret / gleicher - maſſen zu ſolcher reichen frucht ſtets geſegnet werden / und verleihe die gnade / die ſtattliche gelegenheit / die man jetzt noch hat / recht treulich zu GOttes ehre anzuwenden. Unſer liebe Apoſtel Paulus ruͤhmet 1. Cor. 7. die bequem - lichkeit / da man in dem ledigen ſtande bleibet / vornemlich darinn / daß man von der hauß-ſorge freyer deſto ungehinderter GOTT zu dienen vermoͤge. Weil nun der H[]chſte meinem werthſten HErꝛn ſolche gnade gethan / und ihm bißher im ledigen ſtand zu bleiben den ſinn gegeben hat / wuͤnſche ich / daß der - ſelbe auch ſo viel treulicher und ſorgfaͤltiger zu dem rechten zweck angewendet werde. Wo dann die frage iſt / was man bey entſtehung eines abſonderli - chen ordenlichen beruffs zu thun / und ſeine zeit nuͤtzlich zu gebrauchen habe / hoffe ich / werde ein gemuͤth / dem es wahrhafftig ernſt iſt / ſeiner zeit wegen GOTT dermaleins rechenſchafft geben zu koͤnnen / gnug finden / was man thun moͤge / ſich des muͤßiggangs zu entſchlagen. Wir ſind alle beruffen / daß unſere haupt-ſorge nechſt der goͤttlichen ehre ſeye / daß wir an unſerer ſeele ſol - len arbeiten / ſie mehr und mehr GOTT gefaͤllig zu machen / alſo in der leben - digen erkaͤntnuͤß GOttes und goͤttlicher dinge zuzunehmen / wie nicht weni - ger durch allerhand chriſtliche uͤbungen auch an den uͤbrigen kraͤfften unſerer ſeelen nach mehrer vollkommenheit in der liebe GOttes / in verſchmaͤhung der welt / in andern dergleichen geiſtlichen tugenden zu ſtreben: Wem denn GOTT ſo viel mehr zeit goͤnnet von abſonderlichen andern geſchaͤfften / der hat taͤglich ein ſo viel mehrers dahin zu heiligen / da andere ungluͤcklicher ſind / daß ſie nicht ſo viel zeit gewinnen koͤnnen / nachdem ſie etwan aus GOttes verordnung ihre meiſte zeit zu dem dienſt an andern / je nachdem ſie beruffen / anzuwenden gehalten ſind. Solche uͤbungen im leſen / betrachtung und an - derer andacht ſollen billich bey denen / die frey uͤber ihre ſtunden zu diſponiren haben / einen guten theil der bequemſten unter denſelben wegnehmen. Da - hin gehoͤret auch das gebet / dazu abermal zwahr alle Chriſten verpflichtet ſind / aber noch ſo vielmehr diejenige / welchen GOTT mehr freye zeit beſcheh - ret / damit ſie auch ſo viel mehrere ihm in dem dienſt widmen / worinn ſie ihr eigen anligen und anderer noth ſeiner guͤte vortragen. Wie denn auch die ſchuldige liebe diejen[i]ge / ſo in mangel abſonderlichen beruffs nicht ſo viel gele - genheit haben / dem nechſten ſonſten zu dienen / antreiben ſolle / daß ſie ſo viel angelegenlicher abermal taͤglich nicht nur die gemeine noth / ſondern auch die abſonderliche noth anderer nechſten / ſo viel ihnen jedesmal bekant wird / dem HErrn vortragen / und da ſie es auf andere weiſe wenig vermoͤgen / ein theil der pflicht / ſo ihnen gegen den nechſten obliget / dadurch abſtatten. Welchedarne -693ARTIC. I. SECT. XXIII. darneben ſich der ſtudiorum kundig gemacht / und nicht wiſſen / wenn ſie der HErr etwa auch nach ſeinem willen zu andern functionen bey einem gemei - nen weſen beruffen moͤchte / haben auch einen theil ihrer freyheit dazu zu wid - men / ſich durch leſen und ſtudiren immer tuͤchtiger zu machen / daß wo ihnen GOTT einige ſtellen anvertrauen wuͤrde / ſie in denſelben das gemeine beſte und die gerechtigkeit deſto beſſer zu befoͤrdern / alsdenn bereits verſtehen moͤ - gen: Zu dem daß ohne das das ſtudiren bey denen / welche ſeine ſuͤßigkeit recht erſchmecket / die anmuthigſte zeit-vertreib iſt / darinnen ſich das gemuͤth ergoͤ - tzen kan. Wer ferner darnach trachtet / ſeinem nechſten ſonſt auf allerley art liebe zu erzeigen / dem wirds auch an gelegenheit dazu ſelten mangeln / und mau alſo immer einige ſtunden dazu zu gebrauchen finden. Wie ich auch ſchließlichen den himmliſchen Vater darum demuͤthig anruffe / welcher ihn im - mer mehr und mehr mit ſeinem heiligen Geiſt erfuͤllen / was an ihm ſeiner hei - ligkeit nach mißfaͤllig ſeyn mag / kraͤfftig wegnehmen / und ihn davon reinigen / hingegen alles / wodurch er ihm und dem nechſten am kraͤfftigſten dienen / auch ſelbs an dem innern menſchen geſtaͤrcket werden moͤge / in ihm taͤglich wircken / in austheilung ſeiner zeit und dero anwendung weißheit und treue verleihen / und ihn immer mehr und mehr zu einem angenehmen gefaͤß ſeiner gnaden und durch gutes exempel bey andern / erbauliches werckzeug ſeiner ehre bereiten / ja mit allem himmliſchen ſegen in geiſtlichen guͤtern zeitlich und ewiglich beſe - ligen wolle. 1686.

SECTIO XXIII. Auffmunterung an eine unter ſchwehrer hauß - haltung ſtehende wittibe.

JCh zweiffle nicht / ſie werde noch immer auf dem wege / auf welchen ſie der HErr gefuͤhret hat / treulich fortzuwandeln befliſſen ſeyn: Zum foͤr - derſten zwahr trachten nach dem reich GOttes / und nach ſeiner gerech - tigkeit / und alſo ſich in dem geiſtlichen am eiffrigſten dahin zu beſtreben / wie ſie an dem innern menſchen / an glauben / und deſſen fruͤchten ſtets wachſen / und ſich darinnen durch das goͤttliche wort in oͤffentlicher und abſonderlicher handlung deſſelbigen / durch chriſtlichen umgang mit andern guten ſeelen / durch hertzliches geber / und durch uͤbung allezeit desjenigen / wozu ſie der HErr bereits gefuͤhret hat / und dadurch ihre treue pruͤfet / ſtaͤrcken moͤge. Jch weiß zwahr / daß ſie eine ſchwehre laſt der haußhaltung / handlung und daher kommenden ſorgen auf ſich hat / und uͤber dieſelbe offt als uͤber eine ſchwehre hindernuͤß klaget / ſie thue aber auch darinnen ihrem GOTT und Vater im glauben dieſe ehre / daß ſie ſich verſichere / es ſeye gleichwol eine guͤtige undS s s s 3weiſe694Das fuͤnffte Capitel. weiſe regierung deſſelben / der ſie und ihr beſtes wol kennet / und ſie ſelbs unter dieſe laſt geſtellet hat / daher ſichs nicht fehlet / wo ſie treulich auf ſeinen rath ſihet / daß nicht auch ſolches alles / ſo ſie beſeuffzet / zu ihrem beſten dienenmuͤ - ſte. Es muß gewiß denen / die ſich dem HErrn hertzlich uͤberlaſſen / dieſe ver - weſung des euſſerlichen menſchens / das leiden des leibes und des gemuͤths / ſo ſich bey dergleichen zuſtand findet / auch ein mittel der erneuerung des innern menſchen / deme es ſonſten gantz entgegen zu ſtehen / und ihn zu hindern ſchei - net / werden. Sie ſehe durch alle ihre ſonſten beſchwehrliche geſchaͤffte und ſorgen hindurch / und ſehe ſie an / nicht wie ſie der vernunfft vorkommen / ſon - dern wie ſie der glaube und deſſen auge mehr und mehr einſihet. Sie ſehe ſie an / als ein ſtuͤck des goͤttlicheu beruffs und willens / der ſie dazu geſetzet hat / und ſie ſich ja allezeit zu ſeinem gehorſam ſchuldig erkennet / auch weiß / daß ſolches das nuͤtzlichſte iſt; ſie ſehe ſie an / als einen dienſt GOttes / und verrichte alles / was ſie in ſolchem euſſerlichen thun muß / mit einem ſolchen hertzen / wel - ches verlanget / ſeinem GOTT damit zu dienen / welche abſicht und betrach - tung alle andere auch ſonſten weltliche geſchaͤffte zu einem wahrhafftigen got - tesdienſt machet / der nicht geringer zu halten / als derjenige / welcher in der kir - chen verrichtet wird; ſie ſehe ſie an / als einen beruff der liebe / da ſie auch in ge - wiſſer maaß ihrer eignen ſeelen erbauung / ſo ihr ſonſten unmittelbar zu ſuchen lieber waͤre / demjenigen nachſetzet / darinnen ſie nach GOttes willen den ihri - gen und andern jetzo in liebe dienen muß / und GOTT dem HErrn eben deß - wegen / weil es nicht aus bloß eigner wahl / ſondern aus ſeiner ordnung geſchi - het / am angenehmſten iſt; ſie ſehe es an / als einen dienſt / darinnen GOTT ih - re gedult uͤbet / und eine ſolche uͤbung ihro nuͤtzlich zu ſeyn / erkannt haben muß: Ob ſie dann vornemlich beklaget die hindernuͤß des jenigen / damit ſie zu meh - rer vergnuͤgung ihrer ſeele lieber ſtets umgehẽ wolte / ſo gedencke ſie / in ſolcher abſicht / da uns das euſſerliche wahrhafftig offt an dem geiſtlichen nicht wenig hindert / gehoͤre dieſes mit unter die dienſtbarkeit / wie auch alle creatur der eitelkeit in gewiſſer maaß wider ihren willen unterworffen iſt / um deſ - ſen willen der ſie unterworffen hat / und damit ihre ſeuffzen um die erloͤ - ſung ſo vielmehr befoͤrdert; ja unter die dienſtbarkeit / die unter menſchen auch diejenige betrifft / ſo andere regieren ſollen. Haben nun diejenige knechte und maͤgde / ſo zu der Apoſtel zeiten heydniſchen herrſchafften mußten als leibeigene dienen / da leicht zu erachten iſt / wie wenig zeit und gelegen - heit ſie zu ihrer andacht und erbauung werden gehabt haben / dannoch dabey ihr Chriſtenthum auf GOtt-gefaͤllige art uͤben koͤnnen / daß die Apoſtel ſie dabey hertzlich troͤſten / wie ſie nicht weniger als die freyen ihr gutes von dem HERRN empfahen wuͤrden / ſo gedencke ſie / da ſie zwahruͤber695ARTIC. I. SECTIO XXIV. uͤber andere die frau iſt und die regierung fuͤhret / daß ſie ihres GOttes magd in ſolchem dienſt ſeye / durch die regierung vielmehr ihm an andern / ja andern ſelbs / zu dienen / und daß ihr nichts dadurch abgehen ſolle / ob wol ſolcher ihr dienſt manche ſtunden und kraͤfften wegnimmt / ſo ſie nach eigener wahl lieber an das geiſtliche wendete / wie es dannoch heiſſet / ein jeglicher wandle / wie ihnder HErr beruffen hat. Sie ſehe es an als eine laſt / dero ſchwehre der HErr auch erkenne / und alſo gewißlich ſie nicht ſchwehrer werde werden laſſen / als er zu tragen die kraͤffte gegeben / und noch ferner geben wird. Wie auch dieſes mein einiger wunſch ſolle ſeyn / daß der HErr ihr ihre augen auff dieſe weiſe oͤffnen wollen / ſolche ihre laſt auff dergleichen art anzuſehen / da - mit ſie nicht wenig wird erleichtert werden; er helffe ihr aber auch ſelbſten tragen / und fuͤhre ihr allezeit auch treue freunde zu / die ihr mit rath und huͤlf - fe in ſeinem nahmen beyſtehen / ſonderlich mache er die ihrige zu dieſer liebes - pflicht geſchickt / er laſſe ſie auch an denſelben und gantzem hauſe in deſſen geiſt - lichem wachsthum und uͤbrigem wohlweſen taͤglich freud und troſt ſehen / er erzeige auch in dem uͤbrigen ſeine treue an ihr in erfuͤllung alles deſſen / was er denen auf ihn hoffenden wittiben zugeſaget / ſonderlich beſuche er ſie taͤglich mit neuer krafft ſeines H. Geiſtes / mit ſeinem liecht zu lebendiger erkaͤntnuͤß / zu getroſtem vertrauen auf ſeine guͤte / zu eiffrigem gehorſam ſeiner gebote / zu ſuͤſſem troſt und ſchmeckung ſeiner ſuͤßigkeit / und insgeſamt mit allem geiſtli - chen ſegen in himmliſchen guͤtern in CHriſto JEſu / damit ſie / die zu der ge - meinſchafft des HErrn auch beruffen iſt / darinnen ſtaͤts erhalten untadelich erfunden werde auff den tag ihres erloͤſers / und mit ſamt den ihrigen zu der herrligkeit eingehe. 1686.

SECTIO XXIV. Auffmunterung an zwey in Franckfurt hinterlaſ - ſene adeliche eheleute / zur beſtaͤndigkeit im guten und verwahrung vor anſtoß.

AUff das jenige zu kommen / was die hauptſache dieſes zuſchreibens iſt / und der inhalt meines muͤndlichen abſchieds haͤtte ſeyn ſollen / beſtehet ſolcher in zweyen ſtuͤcken / in freundlicher erinnerung und hertzlichem wunſch. Was jene betrifft / haͤtte hertzlich wuͤnſchen moͤgen / daß meines ge - liebten Herrn leibes-bewandnuͤß und etwa andere urſachen zeit meines an - weſens in Franckfurt zugegeben haͤtten / ſich meines einfaͤltigen dienſtes mehr zu gebrauchen / ſo zwahr nicht wol anders als durch oͤfftere beſuchung der oͤf - fentlichen predigten / als geſchehen zu ſeyn vernehmen muͤſſen / geſchehen haͤt - te koͤnnen / da ich mit ſo viel mehrerem recht und nachtruck auch demſelben daswort /696Das fuͤnffte Capitel. wort / welches ich vor der gemeinde allezeit nach dem maaß der gnade / wel - ches mir jedes mal der HErr mitgetheilet / vorgetragen habe / noch bey dem abſchied zu fernerer fleißiger bewahrung und fruchtbringung zu recommen - diren vermoͤchte. Weil aber nichts deſtoweniger / mich gleichwol verſichere / daß demſelben meine allezeit gefuͤhrte lehre dannoch bekant / ſo getraue mich darauff zu beziehen / daß keine andere von mir werde je gehoͤret worden ſeyn (das abſonderlich die wertheſte Fr. Eheliebſte / ſo mich oͤffters gehoͤret / zeu - gen wird) als diejenige / welche mich GOtt aus ſeinem heilgen wort erken - nen / und andern wiederum vorzutragen begreiffen hat laſſen: weswegen auch keinen ſcheu zu tragen habe / ſolche lehr noch allezeit treulich anzubefeh - len / als die nicht mein / ſondern des HErren iſt. Wo aber einige ſorge iſt / daß auff menſchen nicht ſicher zu trauen / wie ich auch mich von keinem zum grund des glaubens legen laſſen wolte; ſo iſt mir auch gnug / alle mir bekan - te liebe ſeelen an das einige ungezweiffelte wort GOttes ſelbs unmittelbar zu weiſen / als der auch nie von jemand etwas weiter aus meinem munde an - genommen zu werden verlangt habe / als ſo viel jeder in ſeinem gewiſſen ſich uͤberzeugt befinde / daß es nicht mein eigen / ſondern aus des HErren offen - bahrung hergenommenes wort ſeye: alſo hertzlich mit deme zu frieden bin / welcher unmittelbar aus dem brunnen ſchoͤpffet / was darinnen nothwendig am reineſten iſt. So wird mich alſo abſonderlich allezeit vergnuͤgen und er - freuen / wo ich von deſſelben werther perſon und Fr. Eheliebſten immer hoͤren werde / daß ſie feſt an der goͤttlichen in der ſchrifft geoffenbahrten wahrheit / was die wort und dero rechten verſtand betrifft / beſtaͤndig verharren / und ſich durch nichts davon abwendig machen laſſen werden / hingegen ſich auch befleiſſen deroſelben wahrhafftige und lebendige fruͤchten wahrhafftig zu bringen. Darinnen meine einige erinnerung und vermahnung beſtehen ſol - le. Hienechſt aber ruffe den lieben GOtt inbruͤnſtig an (wie ſich auch bey - derſeits gewiß verſichern koͤnnen / daß ich ihrer mir angenehmer perſonen / denn auff andere weiſe zu dienen keine gelegenheit weiter ſehe / vor dem ange - ſicht GOttes mehrmal nahmentlich zu gedencken nicht unterlaſſe) welcher mit ſeiner gnade allezeit uͤber ihnen kraͤfftig walten wolle. Er gebe zum foͤr - derſten dem euſſerlichen menſchen / ſo viel ihm von geſundheit und kraͤfften noͤ - thig iſt / mit linderung mehrmal beklagter beſchwehrden: nechſt dem aber ſtaͤrcke er vornemlich an ihnen den innern menſchen. Er laſſe ſie allezeit in ſeinem liecht aus dem wort die ihnen noͤthige wahrheit erkennen / und erhalte ihre ſeelen in der wahren einfalt in Chriſto / mit danckbarkeit dasjenige / was ihnen die guͤtige vaters-regierung von jugend auff / in der evangeliſchen lauteren lehr vortragen laſſen / ſtetsrein zu behalten / und ſich durch nichts / wie ſcheinbar es waͤre / davon gefaͤhrlich abziehen zu laſſen / und alſo in ietzi -ger697ARTIC. I. SECTIO XXIV. tziger wegen mancherley art der verleitungen ſo mißlichen zeit von allen irr - thumen ſich rein zu bewahren: zum fundament der ſeligkeit allein das theu - re verſoͤhn-opffer ihres Heylandes / das ihrem glauben geſchencket wird / zule - gen / und hierauff nachmal allen fleiß der heiligung als ein ſtuͤck der geſchenck - ten ſeligkeit zu bauen / ſich weder auff einer ſeit in die welt / in dero offenbare eitelkeit / einflechten / noch anderſeits durch einigen falſchen liecht-ſchein be - thoͤren zu laſſen: ſich alſo ſorgfaͤltig und fleißig von allem / was zu jener wahr - hafftig gehoͤret / und an ſich boͤſe iſt / abzuſondern / aber ſich auch vor allem de - me zu huͤten / da man aus furcht des boͤſen ſich auch des guten ſelbs entzie - hen wolte: daher mit der ſuͤnder boͤſen wercken keine gemeinſchafft zu haben / aber ſie mit groſſer gedult neben ſich zu tragen / und vor vermeſſenem urtheil uͤber ſie / auch allem / was denſelben ſonſten anſtoͤßig ſeyn moͤchte / vorſichtig - lich zu huͤten / hingegen ſich auch wol eines und andern zu begeben / da ſie ge - dencken koͤnten / ihnen vor ſich ſelbs beſſer rath zu ſchaffen / wo dieliebe und das beſte des nechſten ein anders fordert: Endlich die liebe / ſo aber auff der wahrheit gegruͤndet ſeye / und dieſe nicht gering achte / zur meiſterin ihres gan - tzen lebens zu machen / und zu behalten. Ach der HErr HErr vermehre das in ſie gelegte gute immer mehr / er reinige es von allen anklebenden ſchwach - heiten / und mache es zu vieler anderer erbauung fruchtbar / daher bewahre er es vor allem eigenſinn / und allem demjenigen / das deſſen gebrauch bey an - dern ſchlagen / oder doch ſchmaͤlern wuͤrde: er vollfuͤhre es endlich nach vieler gebrachter frucht auff den tag JEſu CHriſti: und gebe uns alſo die freude / nachdeme menſchlicher vermuthung nach wir wol ſchwehrlich einander in die - ſem fleiſch ſehen werden / beyderſeits vor ſeinem angeſicht / in der ſeligen ewig - keit einander zu finden / und uns uͤber einander / wann nun keines an dem an - dern mehr einige ſchwachheiten ſehen wird / nun recht vollkommen zu freuen (daran es hie immer gemanglet) ſolcher freude auch ewiglich zu genieſſen. 1686.

SECTIO XXV. Vermahnung an eine frau die zu dem Papſtum abgetreten / aber mit der ruͤckkehr wieder umginge.

WJe mir auch ihrer ſeelen heyl hertzlich anligt / ob wol in gegenwaͤrti - gem zuſtande dazu nicht weiter zu thun vermag / als daß ich ſie verſi - chern kan / daß ich derſelben vor GOttes angeſicht treulich gedencke / alſo hat mich gefreuet / ſo wol muͤnd-als ſchrifftlich auch von deroſelben zu - ſtand wiederum vertrauliche nachricht zu erlangen. Und zwahr iſt mir lieb geweſen / aus dero brieff zu erſehen / wie goͤttliche wirckung in ihr biß daherT t t tnicht698Das fuͤnffte Capitel. nicht nachgelaſſen / ſondern ſich in ihr noch kraͤfftig weiſe / zu erkennen den un - grund desjenigen / worauff ſie bey der kirchen / zu dero ſie ſich ſo unbedacht - ſam und gefaͤhrlich verleiten laſſen / gewieſen wird / und aber in allem demſel - ben / was ſolche von der unſrigen beſonders hat / vor ihr heyl keine krafft noch ſtaͤrcke / ſondern mehr hindernuͤß / antrifft und antreffen muß: dahero ſie wohl thut / in ihrem Evangeliſchen geſangbuch / da ſie nechſt der heiligen Bi - bel von unſern buͤchern etwa weniges mehr haben moͤchte / ſich zu ergoͤtzen / auffzumuntern und zu ſtaͤrcken. Nur iſt mir dabey leid / daß dero vorhaben / ihrem gewiſſen wiederum recht ruhe zu ſchaffen / und ſich von den ſtricken / da - mit ſie ſich hat binden laſſen / loßzureiſſen / ſcheinet weiter hinaus geſetzt zu werden. Da ich aber hertzlich bitte / ihre gefahr fleißig wahrzunehmen / und wo GOtt die wenigſte thuͤr auszugehen oͤffnet / ihm mit allzulangen ver zie - hen nicht ferner gefaͤhrlich zu verſuchen. Jndem ob ſie wol mit den groͤbſten greueln nicht eben mitmachet / ſondern wol gar einigen widerſprechen mag / ſorge ich dannoch / daß ſie etwa mit manchen dingen ſich beflecken muß / da ihr gewiſſen nicht wol mit zu frieden ſeyn wird / auffs wenigſte noch kuͤnfftig ſo viel unruhiger werden moͤchte. Sonderlich gedencke ſie / daſie der HErr wie - derum gefaͤhrlich niederlegen moͤchte / deſſen ſie ſo wenig / als jemand von an - dern leuten / verſichert ſeyn kan / wie mancher ſtaͤrckung ihre ſeele an ſolchem ort entrathen muͤſſe / welcher ſie unter ihren wahren glaubens-genoſſen ge - nieſſen koͤnte / ja wie ſie etwa gleichen anſtoß / von denen ſie troſt zu verlangen haͤtte / leiden doͤrffte / als ihr ſchon voriges mal begegnet iſt. Nun iſt zwahr wahr / daß der HErr den ſeinigen aller orten mit ſeiner krafft und geiſt beyſte - hen kan / und an keinen menſchen nicht gebunden iſt / worauff wir uns auch mit freudigem muth verlaſſen koͤnnen / wo wir von GOtt ſelbs an ſolche ort gefuͤhret worden / da er unſre gedult und glauben uͤben und pruͤfen will: daß ich aber jemand / deme GOtt auszugehen eine thuͤr oͤffnet / und er dannoch in der gefaͤngnuͤß bleiben will / aus dem vertrauen / ſtarck gnug zu ſeyn allen feinden / die uns unſern ſchatz rauben wolten / zu widerſtehen / ſolche ſonder - bare krafft von Gotteswegen verſprechen ſolte / getraue ich nicht / vielmehr warne ich jedermann / den HErrn nicht zu verſuchen. Sie gedencke alſo fleiſ - ſig an dasjenige / was ihr zu thun iſt / und verſaͤume nicht mit willen allzu - lang / was ſie nicht weiß / ob nach mehrmaligem verſaͤumen ſie es allezeit wie - derum haben werde: ſonderlich ruffe ſie GOtt / wie ichs auch thue / hertzlich an / daß er ſie ſelbs ausfuͤhre / und nach ſeinem rath leite. Jhrer zeitlichen nothdurfft und leibes-verſorgung halber mache ſie ſich keine ſorge / ſondern ſe - tze zwahr ihr vertrauen auff keinen menſchen / viel mehr auff die fuͤrſorge ih - res himmliſchen Vaters allein: indeſſen glaube ſie doch / daß derſelbe bereits menſchen darzu geruͤhret / daß ſie ihr auch gern mit einiger liebe begegnenwer -699ARTIC. I. SECTIO XXVI. werden. Daß NN. ſolte papiſtiſch worden ſeyn / iſt ſo wol auch anderwerts her berichtet worden / als wird nun in ihrem brieff auffs neue verſichert: gleichwol hat er vor etwa 2. monaten austruͤcklich nach Leipzig geſchrieben / und in die zeitung ſetzen laſſen / daß ſolches falſch ſeye / und ihm damit zu viel geſchehe. Was ich davon ſagen ſolle / weiß ich nicht: auffs wenigſte muß ein ſchlechter eiffer zu derjenigen religion ſeyn / die man angenommen zu ha - ben ſich ruͤhmet / da ſonſten / wer glaͤubte / daß er zu der erkaͤntnuͤß der wahr - heit gekommen waͤre / vielmehr ſolche ihm geſchehene gnade GOttes danck - barlich ruͤhmen / als ſolche verhaͤlen oder verleugnen wuͤrde. Nun der HERR erbarme ſich aller verirrten / und bringe ſie zurecht und zu ſeiner wahrheit. 1687.

SECTIO XXVI. An eben dieſelbe von gleicher materie.

Goͤttliche gnade / friede und liecht zur erkaͤntnuͤß der wahrheit von unſerem gecreutzigten Heylande JEſu Chriſto!

Jnſonders vielgeehrte und geliebte frau.

WJe ich ſchwehrlich jemal andere briefe als die beyde letzte von ihr mit gleicher wehmuth und verwunderung empfangen habe / alſo verſiche - re / daß mit gleichem mitleydigen gemuͤth dieſes mal die feder anſetze. Als dieſelbe vormalen von unſerer Evangeliſchen kirchen (darinnen gebohren und erzogen zu werden / der HERR ihr die gnade gegeben hatte) ſich zu der paͤpſtiſchen begeben / war mirs zwahr wie billich von hertzen leid / jedoch habe ich noch etlicher maſſen denſelben fall entſchuldiget / daß ſie theils aus leiblicher verlaſſung / und hingegen hoffnung auff ihre baaß ſich verleiten / theils aber durch unterſchiedliche aͤrgernuͤſſen / ſo ſie bey unſeren kirchen ge - ſehen / hingegen was in der Roͤmiſchen ſeye / noch wenig erkant / zu ſolcher vor ihre ſeeleſo gefaͤhrlichẽ reſolution ſich habe bringen laſſen. Nachdem aber die - ſelbige die paͤpſtiſche kirche tieffer eingeſehen / und kurtz nach ihrem abfall in ih - rer kranckheit / wie ſie mir ſelbs erzehlet / erfahren / wie man von ſeiten ihrer geiſtlichen den verſpruch ihrer mit allerley abeꝛglaubiſchen dingen zuſchonen / nicht gehaltẽ / ſondeꝛn ſo bald ihrem gewiſſen neue laſt aufgebuͤꝛdet habe: nach - dem ſie auch bekeñen muß / durch ſolchen umtritt nicht allein zukeiner ruhe ge - langet / ſondern in ſchwehrere des hertzens unruhe geſtuͤrtzet worden zu ſeyn / daruͤber denn der guͤtigſte Vater wiederum in ihrer ſeele ein verlangen nach unſerer gemeinſchafft erwecket hat: wovon ſie weiß / daß ſie etliche mal mit mir in Dreßden geredet / und unſere kirche wiederum zuſuchen keine andere hinder - nuͤß gehabt / als daß ſie in dem zeitlichen ſich in die gefahr mangel zu leiden zuT t t t 2ſtuͤr -700Das fuͤnffte Capitel. ſtuͤrtzen geſorget: Weßwegen ichſie zwahr hauptſaͤchlich auf die goͤttl. vorſor - gende gnade verwieſen / aber auch dabey / wo es ihr ein ernſt ſeye / uñ ſie ſich ge - buͤhrlich bezeugen werde / verſichert habe / daß es auch in unſerer kirche nicht an liebe mangeln ſolte / einer verlaſſenen perſon ihre nothdurfft zu verſchaf - fen. Nachdem ſie auch wircklichen deßwegen nach Dreßden ſich verfuͤ - get / und einiger liebe genoſſen / damit aber daß ſie ſich zu der ruͤckkehr zu uns uͤberzeugt gefunden / in der that gewieſen hat: ſo ſehe ich alles ſolches billich an als einen ſtarcken anfang einer goͤttlichen gnaden-wuͤrckung / ſie wieder zu recht zubringen / weil ich ja nicht dencken ſolle / daß ſie ſonſten aus fleiſchlichen urſachen ihꝛes an einem papiſtiſchen hoffe / da es ihr ja in dem euſſeꝛlichen nich uͤbel gegangen / obgelegenen dienſtes ſich eine weil haͤtte unter ſolchem vor - wand entziehen wollen. Daher aber nicht nur die unmehrige neue ent - ſchlieſſung / ſondern auch die gepflogene converſation ihres papiſtiſchen geiſt - lichen in Dreßden / nicht anders von mir angeſehen werden kan / als eine un - terbrechung des wercks des HErrn / ſo er wiederum in ihrer ſeelen angefangen hatte / und eine anzeige eines allerdings unbeſtaͤndigen gemuͤths / da ſie ſich in der that bezeuget / als ein rohr / ſo ſich von allem winde herum treiben laͤſ - ſet. An welcherley leuten der HErr keinen wolgefallen hat / und gemeinig - lich / wo man ſeinen gnadenzug / vornemlich da er uns aus einer verirrung wiederum zu ruͤcke fuͤhren will / widerſtehet / ſchwehre gerichte ergehen laͤſſet / ſonderlich aber offt ſein gnadenliecht vollends zuruͤcke zeucht. Weßwegen ich ihren zuſtand vor GOtt nicht anders als erbarmungs-wuͤrdig anſehe / und hertzlich daruͤber ſeuftzen muß. Sie weiß / als die mich lange kennet / zur gnuͤge / daß ich uͤber kein gewiſſen zu herſchen verlange / ſondern andere ihrem Herrn ſtehen und fallen laſſe / als deſſen eigenthum ſie alleine ſind. Jndeſſen kan ſie mir und andern chriſtlichen hertzen nicht verdencken / wo wir uͤber eine ſeele leyd tragen / die ſich in die euſerſte gefahr ſelbſt begibet. Jn dem ſie wiſ - ſen muß / daß es vor GOtt ein groſſer unterſchied ſeye unter denen / ſo in der Roͤmiſchen kirchen erzogen ſind / daher niemal klaͤhrers liecht haben gehabt / und unter denen / welche ſolches licht der wahren lehr mit der finſternuͤß vie - ler irrigen lehren / dero man ſich durch die eintretung in ihre kirche theilhaff - tig macht / verwechſelen / und dem ſich wieder zur ruͤckkehr regenden gewiſ - ſenstrieb ſich widerſetzen. Denn gleichwie bey jenen eher eine ſolche unwiſ - ſenheit ſeyn kan / die bey GOTT barmhertzigkeit findet / alſo iſt hingegen die - ſer fall und ſchuld ſchwehrer / folglich auch unentſchuldbarer / weil ſie goͤttli - cheꝛ wahrheit ſelbſt widerſtreben. Daher ich ſie nochmal vor den augen des Heil. GOttes hertzlich erinnere / ihrer ſeelen wahrzunehmen / und ſich dem gnadenzug des Vaters / von dem ſie nicht weiß / ob er in dieſem ſtuͤck der letzteſeyn701ARTIC. I. SECTIO XXVI. ſeyn moͤchte / nicht zu entziehen / ſondern vielmehr demſelben zu gehorſamen / ſolte ſie auch wegen ihrer leiblichen verſorgung nicht eben verſichert ſeyn / daß nicht mit einigem mangel ihre gedult geuͤbet werden moͤchte. Folget ſie nicht ſo wohl mir als der ſtimme der wahrheit / welche ſie zu ſich ruffet / ſo wird ſie davon allein den nutzen hier und dort haben / mir aber kom̃t davon nichts zu / als daß mich druͤber freuen / und dem liebſten Vater darvor dancken wuͤrde. Jſt aber die ſorge des zeitlichen ſo tieff bey ihr eingeſeſſen / oder hat ſie ſich von dem / ſo ihre ſeele wiederum zu beſtricken ſuchet / ſchon alſo einnehmen laſſen / daß ſie zuruͤcke tritt / und ihren erſten abfall ferner fortſetzet / ſo ſeufftze ich zwahr billich hieruͤber / bin aber gewiß / daß der HErr ihre ſeele dermaleins von mir nicht fordern werde / als der ſie noch dißmahl erinnert habe. Was nun das aus einer Tuͤrckin zur Chriſtin gewordene maͤgdlein anlangt / wun - dere mich / wie dieſelbe an mich nur dieſes geſinnen koͤnne / darzu zu helffen / daß ſolches ihr wieder abgefolget werde. Sie weiß / daß ſie aus freyen ſtuͤ - cken daſſelbe nach Dreyßden gebracht / ich auch / daß ſie es ohne vorwiſſen der herrſchafft gethan nicht gebilliget / aber von ihr verſtanden habe / daß man daſſelbe am hoff ohne das nicht achte / ſondern wohl zu frieden ſeyn wuͤrde / als einer laſt ſeiner loß zuwerden. Alſo wurde es aufgenommen / als ein verlaſſenes kind / ſo in das waͤyſenhauß zu bringen waͤre: Alß aber gleich er - hellete / daß es ſich dah in nicht ſchicken wuͤrde / wuſte ich nicht / wo mit demſel - ben hinſolte / und war als eine guͤtigkeit / von damahligem Fraͤulein von Frie - ſen nachmalen Graͤfin zu Solms / daß ſie ſich eines ſolchen kindes / mit dem man nirgends hinwuſte / annahm. Ob man nun es wohl zu der religion nicht gezwungen / nachdem es aber durch treuen unterricht darzu gekommen iſt / daß es nach ſeinem maaß die wahrheit erkennet / hingegen auch wie es in dem Papſtum ſo gefaͤhrlich ſtehen wuͤrde / begreiffet / daher nicht mehr dahin verlanget / ſo waͤre es nunmehr von der Fr. Graͤfin / ſo mutterſtelle bey dem - felben uͤbernommen und vertreten / in dem gewiſſen nicht verantwortlich / da ſie es wider ſeinen willen dahin uͤberlaſſen wolte / wo es zu derjenigen re - ligion geriſſen wuͤrde / dero ſeelen gefahr es nunmehr erkennet. Ob alſo wohl / was ſie erſtlich gethan / nemlich das maͤgdlein weg zu bringen / unrecht gewe - ſen / ſo hat doch GOTT nach ſeiner guͤte und weißheit gutes aus boͤſem ge - macht / und das maͤgdlein zu meh rerem liecht gebracht / welches wir ihm nicht mißgoͤnnen doͤrffen / und alſo auch niemand es darum zubringen helffen kan. Ob alſo die Fuͤrſtliche Herrſchafft erſtlich recht uͤber daſſelbige gehabt hat / ſo weichet doch dieſes der goͤttlichen wolthat / die dem kind wiederfahren iſt / es zu mehrerer erkaͤntnuͤß zu bringen: Zumalen da unter Chriſten die eigenliche ſclaverey laͤngſt auffgehoben / und das maͤgdlein durch die tauffe auffs wenig -T t t t 3ſte702Das fuͤnffte Capitel. ſte in diejenige freyheit geſetzet iſt / daß es zu einem dienſt / dabey es ſich einer gefahr ſeiner ſeelen zu beſorgen haͤtte / nicht genoͤthiget oder ausgelieffert wer - den mag. Hat alſo dieſelbe unrecht erſtlich gethan / ſo leidet ſie zwahr nun - mehr billich ihren verweiß / aber es ſind manche dinge / deren anfang unrecht war / die folge aber nichts mehr von dem unrechten annimmet / ſondern vielmehr deſſen unterlaſſung hingegen unrecht werden wuͤrde. Alſo hat die - ſelbe mit keinem recht wieder von der Graͤfin zu fordern / daß ſie thue / was ihr gewiſſen ihr verbeut / noch von mir / ſie dazu zu vermoͤgen / woruͤber mein eigen gewiſſen mich auch beſchuldigen wuͤrde. Vielmehr wo ſie je die mißliche reſolution gefaſſet / dahin wieder ungluͤcklich einzugehen / wovon auszugehen ſie angefangen hatte / ſo gehe ſie auf ihre gefahr allein / und beſchwehre ihr ge - wiſſen nicht weiter / noch andere mit ſich zu fuͤhren. Der HErr aber fuͤhre ſie doch ſelbs nicht nach ihrem /[ſondern] nach ſeinem rath / damit er ſie auch der - maleins mit ehren annehmen moͤge. Jndeſſen erbarmende und die hertzen lenckende liebe ſchließlich ſie empfehle. 1692.

NB. Es hatte dieſe frau / als ſie in Papiſtiſcher herrſchafft dienſten ſte - hende / da ſie wieder zu unſrer religion zu treten gedachte / ein geweßtes tuͤrcki - ſches maͤgdlein / ſo getaufft und an dem papiſtiſchen hof gehalten worden / weil man daſelbs ſeiner gantz uͤberdruͤßig waͤre / mit ſich nach Dreßden gebracht / da es ſich zu unſerer religion begeben: Als ſie aber zuruͤcke gekommen / wurde ſie von der herrſchafft / daſſelbe wieder herbey zu bringen / angehalten.)

SECTIO XXVII. Treuhertzige vermahnung an einen aus dem Papſtum bekehrten / der lang unordig gewandelt.

WAs derſelbige einige tage vor meiner abreiſe aus N. N. geſchrieben / und in mein hauß gelieffert / habe ich zwahr damal nicht alſobald leſen koͤnnen / weil bekanter maſſen mir meine zeit viel zu enge zuſammen gegangen: Jch habe es aber hier in der furcht des HErrn durchgeleſen / und zwahr ſchon eine gute weile zu beantworten mir vorgenommen gehabt / aber immer biß daher wiederum zu verſchieben verurſacht worden / nunmehr aber nicht laͤnger verſchieben ſollen / weil ihres orts ein buß-tag bevorſtehet / ob auch zu ferner heilſamen buß dieſe meine antwort in goͤttlicher krafft etwas beytragen moͤchte. Zum allerfoͤrderſten dancke ich von ihm und mit ihm dem himmliſchen Vater / welcher denſelben aus der paͤpſtiſchen finſternuͤß treulich herausgefuͤhret / und zu der ſeligen erkaͤntnuͤß ſeines heils gebracht hat: Jch dancke ihm auch / daß er ſeinem heiligen wort ſo viel krafft bey ihm gegeben / daß er weiß / was ſeines GOttes wille gegen ihn und an ihn ſeye / alſo derweg703ARTIC. I. SECTIO XXVII. weg des heils ihm nicht unbekant iſt / wie ich unter andern auch aus der mit - gegebenen ſchrifft der darinnen ſtehenden geſaͤngen und wiederholung deſſen / was er aus meinen predigten gefaſſet / zur gnuͤge abſehe / daß es alſo auffs we - nigſte an der buchſtaͤblichen erkaͤntnuͤß nicht mangelt: Jch dancke ihm auch / daß ſo wol aus dieſem ſehe / als auch aus allem demjenigen geſehen / was mit demſelben amtshalben zu thun gehabt habe / wie auch ſein Geiſt ihn wahrhaff - tig in ſeiner ſeele offt geruͤhret / und alſo auch ſein wort in das hertz zu bringen ſich bemuͤhet / davon auch vieles hineingekommen zu ſeyn nicht zweiffle: Jch dancke auch ſeiner vaͤterlichen langmuth / welche / da er eine geraume zeit gar nicht auf der richtigen bahn gewandelt / ſondern ſich ziemlich in die welt ver - wickelt / und auf ſolche wege begeben hatte / wo er an ſeiner ſeelen haͤtte verder - ben ſollen / ſeiner barmhertziglich geſchonet / ſeiner buſſe gewartet / und ihn in ſuͤnden noch nicht verlohren hat gehen laſſen: Jch dancke GOTT / welcher ihn ſonderlich vor ſolchem meinem abſchied durch ſeinen Geiſt kraͤfftig geruͤhret / und worinnen er geſuͤndiget / empfindlich erkennen hat laſſen / daraus auch ſol - che gegen mich gethane ſchrifftliche bekaͤntnuͤß gefolget / welche mich nicht nur deßwegen erfreuet / weil ich auffs neue draus ſehe / daß der HErr ſeinem wor - te in meinem munde krafft gegeben / ſondern auch um ſeinetwillen / weil es mir die hoffnung gibet / es werde auffs neue ein guter grund einer rechtſchaffenen beſſerung geleget ſeyn. So ſeye vor ſolches alles dem himmliſchen Vater ewiger danck geſaget / welcher zeiget / daß er ſich ſeiner ſeelen auffs kraͤfftigſte noch annehme. Nechſt deme verſichere denſelben hiermit auch vor GOttes angeſicht / daß ihm willig vergebe / worinnen er ſich gegen mir in meinem amt verſuͤndiget / da er einige mal auf mein erfordern nicht willig erſchienen / noch mit demjenigen gehorſam / wie es ſich billich geziemet haͤtte / die treugemeinte erinnerung angenommen hat. Ob nun wol es mich damal geſchmertzet / nicht um meinet willen / deme vor ſich ſo groß nicht daran gelegen waͤre / ſondern um ſeiner eigenen ſeele willen / dero heil mir von hertzen angelegen iſt / ſo iſt mir ſchon genug / daß derſelbe nunmehro in ſich gegangen / und verſichere alſo von meiner ſeiten williger vergebung / die auch GOTT nicht weniger wiederfah - ren laſſen wird. Ferner habe ich noch zu guter letzt und gleichſam zu meinem abſchied / hiermit zu vermahnen / und um Chriſti und ſeiner ſeligkeit willen fle - hentlich zu bitten / daß er das uͤbrige ſeines lebens / welches ich noch vieles zu ſeyn gerne wuͤnſche / wolle ſo viel treulicher in der furcht GOttes und nach ſei - nen geboten zubringen: So wol in allen uͤbrigen ſtuͤcken insgeſamt gegen GOTT und den nechſten ſich genau nach ſeinen chriſtlichen regeln anzuſchi - cken / hingegen mit willen nimmermehr wider dieſelbe oder ſeines eignen ge - wiſſens erinnerung zu thun / als auch abſonderlich vor allem demjenigen zu huͤ - ten / worinnen er findet / meiſtens biß dahin ſtraͤfflich ſich gehalten zu haben. Ob704Das fuͤnffte Capitel. Ob nun wol etwa moͤchte ſcheinen / nicht noͤthig zu ſeyn / daß ſolche ſtuͤcke hier austrucke / als welche ſein eigen hertz ihm ſelbſten ſagen wird / ſo wird er mir gleich wol auch nicht uͤbelnehmen / daß ich noch ſolche letzte erinnerung aus treuem hertzen / wie mir mein gewiſſen vor GOTT deſſen zeugnuͤß gibet / und ich je keine andere urſach dieſes ſchreibens habe / an ihn thue. So viel ich nun mich aus dem vorigen beſinne / ſo koͤmmet der urſprung aller vormals vorge - gangenen unordnungen urſpruͤnglich her von dem unfleiß in der arbeit / und dahero gekommenen liebe zur geſellſchafft / daraus iſt entſtanden ſpielen und unmaͤßiges trincken / aus ſolchem aber uneinige ehe und ſtreit mit ſeiner ſein beſtes ſuchenden hauß-frauen. Wie nun alle ſolche dergleichen ſuͤnden ſind / die ihn gleichwol in wahrhaffter uͤbung ſeines Chriſten thums ſehr zuruͤck ge - worffen haben / allermaſſen man bey deroſelben nachhaͤngung GOTT nicht gefallen hat koͤnnen / ſo ſinds dabey auch ſolche dinge / welche zulaſſen / wo man nur dem guten Geiſt bey ſich platz laſſen will / weder unmoͤglich noch ſchwehr ſind. Jch will zwahr hoffen / daß auf den hertzlichen vorſatz / welchen ſeine ſchrifft gegen mich bezeuget / allerdings alle ſolche dinge werden unterlaſſen worden ſeyn / da alsdann meine chriſtliche vermahnung allein dahin gehet / auf ſolchem guten weg immer fortzufahren / und ſich nicht wiederum auffs neue davon durch den ſatan oder deſſen werckzeuge jemals abwendig machen zu laſ - ſen. Waͤre aber unverhofft das vorige leben biß daher in einem oder dem andern ſtuͤck wieder angehoben worden / ſo vermahne und erinnere nochmal / um GOttes willen bey zeiten von dem irrwege wiederum zuruͤckzukehren / und ſolchen ſuͤnden wahrhafftig und voͤllig durch goͤttliche gnade abzuſterben. Es ſoll denſelben ſo vielmehr darzu antreiben / wenn er bedenckt die groſſe wolthat / die ihm der HErr erwieſen / da er denſelben aus dem finſternuͤß des Papſtums zu dem liecht des Evangelii gebracht hat / aber eben deßwegen von ihm deſto ernſtlicher fordert / daß er auch wuͤrdiglich dem beruff des Evange - lii wandeln ſolle: Da ſonſten ſeine ſuͤnde jetzo ſchwehrer wuͤrde ſeyn / als wo er derſelben in der unwiſſenheit des Papſtums nachgehaͤnget haͤtte / auch weiln jetzo das aͤrgernuͤß an ihm ſchwehrer iſt / da Papiſten an ihm ſehen ſolten / daß er nicht beſſer als andre lebte. Es ſoll auch denſelben darzu bewegen / weil er gleichwol durch GOttes gnade eine gnugſame erkaͤntnuͤß deſſen willens hat / die ihn zu ſo viel ernſtlicherer beobachtung deſſelben verbindet / indem ſonſten der knecht / der ſeines HErrn willen weiß / und ihn nicht thut / doppelte ſtreiche zu erwarten haben wuͤrde: Um ſo vielmehr / weil derſelbe nicht leugnen kan / daß er nicht nur mehrmal daruͤber erinnert worden / ſondern auch ſein eigen hertz ihn unterſchiedlich darob beſtraffet habe: Da wir aber allezeit vor GOtt ſchwehrere rechenſchafft zu geben haben / wo wir in unſerm gewiſſen die goͤtt - liche beſtraffung fuͤhlen. Hierzu kommet auch / daß er nicht in abrede ſeynwird705ARTIC. I. SECTIO XXVII. wird / GOTT und mir auf gethanen treuhertzigen zuſpruch die beſſerung und abſtellung des vorgehaltenen zugeſaget zu haben / welcher verſpruch ge - wißlich auf GOttes buch auffgezeichnet ſtehet / und eine fleißige haltung er - fordert / hingegen die dagegen begehende ſuͤnden ſo viel ſchwehrer ſeyn wuͤr - den / als offter ſie wiederholet / und beſſerung gelobet worden. Jch ſetze uͤber alles noch billich hinzu / daß die mir zugeſtellte ſchrifft / ſo er ſelbs begehret / daß ſie mein lebetage zur gedaͤchtnuͤß behalten ſolte / vor GOttes gericht denſelben ſo vielmehr verbindet / in den wegen des HErrn nach darinnen enthaltener zuſage / woruͤber er auch dabey goͤttlichen nahmen angeruffen hat / einherzu - gehen / und vorige irrwege zu meiden: weil ſie ſonſten vor GOttes ſtuhl der - maleins gegen ihm zeugen / und ein hartes urtheil nach ſich ziehen wuͤrde. Welches alles denſelben zu dieſer gebuͤhr ſo viel ſonderlicher uͤber dasjenige / was ohne das alle Chꝛiſten zum gehorſam goͤttlicher gebote antreiben ſolte / zu bewegentuͤchtig iſt: und mir das recht gibet / ſo viel angelegenlicher denſel - ben zu leiſtung chriſtlicher gebuͤhr zu vermahnen. Hingegen bitte ich ihn / er laſſe ſich ja keine einrede des ſatans / der welt oder ſeines eignen betruͤgli - chen fleiſches hierinnen irr machen. Jch erinnere mich zwahr wohl / wie es bey handwercksmeiſtern offt vor eine ausgemachte ſache gehalten wird / daß ſie ſelbs zu arbeiten nicht verbunden / ſondern gnug ſeye / wo ſie allein dem geſinde die arbeit an die hand geben: Aber ich finde dieſe freyheit in GOt - tes ordnung nicht / als welche von allem erfordert / daß er im ſchweiß ſeines angeſichts / nemlich mit der arbeit / welche ſeinem beruff gemaͤß iſt / ſein brodt eſſen ſolte: ſo muß ein meiſter / ſo wol als ein anderer / GOtt dem HErrn dermaleinſt davor ſchwehre rechenſchafft geben / wie er ſeine zeit zugebracht / und hingegen diejenige in der rechnung vor ihm nicht paſſiret werden / welche mit muͤßiggang zugebracht wird. Und ob etwa ein meiſter ſich endlich ſo wehe dabey nicht thun / oder ſich ſo ſtrenge angreiffen darff / ſo hat er gleich - wol auch die uͤbrige zeit nicht muͤßig / ſondern mit andern chriſtlichen verrich - tungen zuzubringen. Mir faͤllet auch dabey ein / daß ſich zuweilen einige wegen des ſpielens entſchuldiget / weil es ihr geld waͤre / haͤtten ſie damit nach belieben zu thun; aber auch dieſes gilt vor GOtt nicht / denn was wir haben iſt nicht alſo unſer / daß wir damit umbgehen doͤrfften wie wir wolten / ſondern wir muͤſſen GOtt davon rechnung thun / wie wirs recht oder nuͤtzlich angewendet; wie ich nun in dem ſpielen / wenn ich dem andern abgewinne / ihn damit auff von GOtt unrechte weiſe um das ſeinige bringe / alſo / wo ich verſpiele / bringe ich gleichfals mich / ſamt weib und kind um dasjenige / ſo ich zu nuͤtzlichem gebrauch anzuwenden von GOtt empfangen habe / da es alſo ein wider das 7. gebot ſtreitende ſuͤnde iſt. Bey dem trincken wird viel -U u u umal706Das fuͤnffte Capitel. maldieſes zur entſchuldigung gebraucht / man thue es eben nicht taͤglich / o - der man trincke ſich nicht eben gleich tolle und voll / oder man gehe nicht mit liederlichen lumpen-ſondern mit rechtſchaffenen leuten um / aber alle ſolche feigenblaͤtter moͤgen die bloͤſſe dieſes laſters nicht bedecken: denn offenbare ſuͤnde thun iſt unverantwortlich / wenns auch ſchon ſelten geſchehe / ſo hat uns auch CHriſtus nicht nur den euſerſten grad der trunckenheit / da man von ſeinen ſinnen nicht mehr weiß / verboten / ſondern eben ſo wol denjenigen / wo man ſein hertz mit dem trunck beſchwehret / uñ ſich zu andaͤchtigem dienſt Got - tes und nuͤtzlichen verrichtungen ſolche zeit untuͤchtig machet: auch heiſſet vor GOtt boͤſe geſellſchafft alle diejenige / womit man ſuͤndiget / ſolten es auch in der welt vor die ehrlichſten gehalten werden. Ferner iſt mir auch bekant / daß viel rohe ehemaͤnner meinen / (wie ich auch ſorge / daß einige ihm derglei - chen moͤgen zuweilen eingeblaſen haben) es waͤre wider ihre ehre / wo ſie ſich von ihren weibern etwas lieſſen einreden / ſondern wenn dieſe ihnen aus chriſtlichem gemuͤth zuſprechen / thun ſie ihnen zu trutz gerade das gegentheil / und halten ſie uͤbel daruͤber / gedencken auch / daß darinnen vornemlich ihre reputation beſtehe / aber es iſt auch dieſes wider goͤttliche ordnung / denn ob wol GOtt dem manne die herrſchafft uͤber das weib gegeben / ſo hat er ſie ihm doch zu einer gehuͤlffin zu geordnet: Daher hat ein chriſtlich eheweib fug / ja ſie iſt darzu verbunden / wenn ihr ehemann nicht in der ordnung bleibet / ihm liebreich und beweglich zu zuſprechen / er aber hat in ſolchem fall ihre ſtimme als GOttes ſtimme anzuhoͤren und willig zu folgen / ja derjenigen / die ihm freundlich zugeſprochen / dafuͤr als fuͤr eine ſonderbahre treue danck zu ſagen: Wo aber ein mann ſich widerſetzet / und ſolches wider ſein mann - liches recht zu ſtreiten einbildet / verraͤth er ſich / daß er goͤttliche ordnung noch nicht verſtehe / und verſuͤndiget ſich hefftig. An alles ſolches wolle er fleißig gedencken / und glauben / daß diejenige alle des ſatans werckzeuge / auch unwiſſend geweſen ſeyn / die ihn darzu angefriſchet / ſeiner lieben hauß - frauen dasjenige zu leid zu thun / welches abzuſteilen ſie ihn gebeten / da er ſie vielmehr fuͤr ſolche treue ſorgfalt deſto hertzlicher lieben ſollen. Nun mein ge - liebter freund / dieſes waͤren diejenigen dinge / welche ich auff veꝛanlaſſung ſei - ner mir zugeſtellten ſchrifft noch zu ſeiner ſeelen beſten aus treuem hertzen - berſchreiben / und ihr erinnern ſollen. Damit ich alſo an ihm voͤllig meine ſeele gerettet haben / und keine weitere rechenſchafft fuͤr dieſelbe geben will; aber bitte / er erwege dieſe meine antwort fleißig in der furcht des HErrn / le - ge ſie bey uñ uͤberleſe ſie mehrmal / ſonderlich ſo offt er ſein hertz zur bußuͤbung ſchicken will. Jch ruffe ſchließlichen GOtt an / und werde ihn noch ferner an - ruffen / der nicht nur dieſem ſeinem wort / itzt aus meiner feder gefloſſen / in ſeine ſeele zu dero ruͤhrung einen kraͤfftigen eintruck geben / ſondern insgeſamtihn707ARTIC. II. SECTIO. ihn mit ſeinem heiligen Geiſt dahin regieren wolle / daß er ſein gantzes leben nach goͤttlichem wolgefallen fuͤhre mit andaͤchtigem Gottesdienſt in der kiꝛche und zu hauſe mit hertzlichem gebet / mit fleißiger arbeit / mit liebreicher tracti - rung ſeiner hausfrauen / mit treulicher aufferziehung ſeiner lieben kinder / durch lehr / vermahnung und gute exempel / mit enthaltungaller zu unor - dentlichem leben veranlaſſender geſellſchafft / mit nuͤchterkeit und maͤßigkeit / mit ſorgfaͤltiger zurathaltung desjenigen / was ihm GOtt beſcheret / mit vermeidung aller bißherigen ſtein des anſtoſſens / und insgeſamt mit uͤbung aller chriſtlichen tugenden. Endlich wolle er auch das gute werck in ihm an - gefangen vollfuͤhren auf den tag JEſu CHriſti / damit er an jenem tag die verſprochene cron der ehren wircklich empfangen und ewig behalten moͤge. Dieſes erfuͤlle an ihm der getreue himmliſche Vater durch JEſum Chriſtum ſeinen ſohn in krafft des heiligen Geiſtes. Amen.

ARTICULUS II. Troſt-ſchreiben in allerley materien und faͤllen.

SECTIO

  • 1. AUffmunterung zu troͤſtlicher freudigkeit.
  • 2. Troſt-ſchreiben an einen in ſchwehrer anfechtung ſtehenden vorneh - men Theologum.
  • 3. Troſt-brieff an einen ſchwehr angefochtenen und der ſuͤnden wegen betruͤb - ten Prediger.
  • 4. Troſt-ſchreiben an einen ſchwehr angefochtenen Prediger / da er zum hei - ligen abendmahl gehen wollen. Erweiſung des glaubens bey mangel der fuͤhlung. Ein gebet im ſtand der anfechtung.
  • 5. Troſt an einen ſo ſchwehrmuͤthigen als angefochtenen Prediger / der we - gen ſeines leiblich und geiſtlichen elendes / die erlaſſung von ſeinem amt geſuchet / und erhalten / aber ſolches als ein zeichen goͤttlichen zorns anſehe.
  • 6. An einen lang angefochtenen / aber wieder befreyten Prediger / vom nutzen der anfechtung.
  • 7. Troſt-ſchreiben an einen ſonderlich ſeines amts wegen bekuͤmmerten Pre - diger. Wegen des Evangelii. Statii und Crameri ſchrifften. Sonn - tags-tantzen. Wie fern man etwas gutes unterlaſſen doͤrffe.
  • 8. Troſt und rath an einen von amts wegen geaͤngſteten Prediger.
  • 9. Troſt und rath an einen des beichtſtuls wegen geaͤngſteten Prediger.
U u u u 210. Troſt708Das fuͤnffte Capitel.
  • 10. Troſt und rath an einen Prediger / der um des guten willen getruckt zu werden ſorgte.
  • 11. Troſt an einen chriſtlichen Prediger in der angſt wegen des beichtſtuls und wenigem ausrichten in dem amt.
  • 12. Troſt an einen Prediger / der keine frucht ſeiner arbeit zu ſehen meinete.
  • 13. An einen Prediger / der zu wiſſen verlangte / ob ſein gutes aus GOTT oder nur aus der natur ſey.
  • 14. Troſt und ermunterung an eine hohe ſtandes-perſon. Erziehung der jugend vornehmen ſtandes.
  • 15. An eine hohe ſtandes-perſon / welche uͤber die hindernuͤß der uͤbung ihres Chriſtenthums klagte / herkommende aus anhaltendem kopff-wehe / und mangel der andacht im gebet.
  • 16. Troſt an eine ſtandes-perſon / die ſorgte / ihre gemuͤths-kraͤfften wuͤrden geſchwaͤcht / und ſie zum geiſtlichen untuͤchtig werden / 2. Cor. 4 / 16.
  • 17. An einen Fuͤrſtlichen Miniſter / der uͤber die zerſtreuung und hindernuͤß an dem geiſtlichen wegen ſeiner vielen verrichtungen geklaget.
  • 18. Wegen eines Predigers / der die verſuchung Chriſti nur innerlich gewe - ſen zu ſeyn gepredigt / und eine angefochtene uͤberreden wollen / daß es keine teuffliſche anfechtungen waͤren.
  • 19. Troſt uͤber die klage des mangels der empfindung goͤttlichen ſuͤſſen troſtes.
  • 20. Vom zuſpruch an einen ſchwehr angefochtenen. Bey der anfechtung auch meiſtens ſchwachheit der natur.
  • 21. Chriſtlicher rath uͤber eine vom teuffel ſchwehr angefochtene weibes - perſon.
  • 22. Troſt an eine angefochtene jungfrau.
  • 23. An einen / der in geiſtlichen hochmuth / daraus aber in ein ſchwehres an - fechtung-leiden / gefallen war / zum unterricht und troſt.
  • 24. An eben denſelben fernerer rath. Von den Quackern.
  • 25. An eine in ſchwehrer anfechtung und unempfindlichkeit des glaubens ſtehende perſon / ſie ihres glaubens zu verſichern. (Spieræ exempel examinirt.)
  • 26. Troſt der angefochtenen / daß ſie ohnerachtet ihres kampffs mit dem un - glauben dennoch glaubig ſeyen.
  • 27. Troſt eines angefochtenen wegen manglender fuͤhlung. Beſtraffung des nechſten.
  • 28. Troſt-ſchreiben an eine hart angefochtene jungfrau / die von GOTT verlaſſen zu ſeyn ſorgte.
29. Rath709ARTIC. II. SECTIO.
  • 29. Rath uͤber eine angefochtene perſon / die durch unverſoͤhnlichkeit ihr die anfechtung zugezogen hatte.
  • 30. Troſt-ſchreiben an eine chriſtliche jungfrau uͤber die fuͤhlung fleiſchlicher geluͤſte / weniger frucht des empfangenen heiligen abendmahls / eigenem mißfallen an ihrem Chriſtenthum / aͤrgernuͤß anderer unwuͤrdiger mit - communicanten. Ob man das abendmahl allein zu vermeidung aͤrger - nuͤß gebrauchen ſolle.
  • 31. Rath und troſt an einen / der ſich von ſeiner herrſchafft unrecht zu leiden davor hielte / und daruͤber auch in geiſtliche anfechtung geriethe.
  • 32. Troſt uͤber die klage der ſchwachheit. Je mehr man im geiſtlichen waͤch - ſet / je demuͤthiger wird man.
  • 33. Von einem angefochtenen knaben / auch offterer communion.
  • 34. Troſt an einen / der durch ungluͤcklichen fall eine zeitlang zu ſeinen amts - geſchaͤfften untuͤchtig worden.
  • 35. Troſt an eine chriſtliche frau / die neben leibes-ſchwachheit durch vielerley ſorgen niedergeſchlagen wurde.
  • 36. Troſt-ſchreiben an einen / der in langwieriger kranckheit ſein leben fuͤhren muͤſſen. Was aus GOttes rath dergleichen leben nuͤtze. Krafft de - rer ohne viele erudition gefaßter vieler ſchrifften.
  • 37. Auffmunterung und troſt gegen den todt / an eine in langwieriger kranck - heit gelegene chriſtliche frau.
  • 38. Vorbitte fuͤr mich. Jahrgang von den gnaden-ſchaͤtzen. Fleißige handlung der heiligen ſchrifft. Troſt gegen die furcht des todes / wegen der gefahr / wo man an dem letzten ende aus mangel gehoͤrs und geſichts GOttes wort nicht mehr hoͤren und leſen koͤnte.
  • 39. Die wenigſte behalten die erſte gnade. Anfechtung in der letzten todes - gefahr uͤberwunden zu werden.
  • 40. Troſt-ſchreiben an eine Fuͤrſtin uͤber den todt ihres ehegemahls.
  • 41. Troſt wegen abgeſtorbener ehegattin / und von dem vorſatz im wittwen - ſtand zu bleiben.
  • 42. Troſt uͤber den todt einer gottſeligen ehefrauen.
  • 43. Anfechtung eines / der aus leiblichem uͤbelergehen GOTTes ungnade ſchlieſſen wolte.
  • 44. Rath vor einen uͤber die goͤttliche lehr mit vielen zweifflen angefochtenen.
  • 45. Troſt an jemand / der ſich uͤber meinen abſchied von Dreßden betruͤbte.
U u u u 3SECTIO710Das fuͤnffte Capitel.

SECTIO I. Auffmunterung zu troͤſtlicher freudigkeit.

JCh wuͤnſche von hertzen / daß dieſe zeilen / meine in dem HErrn werth geachte frau und freundin / in ſo erwuͤnſchlicher leibes-beſchaffenheit als ſonderlich dergleichen zuſtand ihrer ſeelen antreffen moͤgen / wie ſie ſelbs / und ich mit ihr / verlange: Daß ich dermaleins vernehmen moͤchte / daß die liebliche ſtrahlen der empfindlichen goͤttlichen troſt - gnade die mehrmal beklagte dicke finſtere wolcken durchtrungen / und das hertz in eine rechtſchaffene ruhe geſetzt haͤtte. Ach daß ich einmal aus dem brieff erkennen ſolte / daß die gedaͤchtnuͤß der von dem Hoͤchſten ihr gnaͤdigſt be - ſchehrter / aber wieder nach ſeinem weiſen rath fruͤher zu ſich geforderter / freunde / bey ihr vielmehr eine zufriedenheit und danckſagung gegen GOTT / welcher ſie auffs wenigſte einige / kurtze oder laͤngere / zeit gelaſſen / und damit uns gutes gethan hat / als eine ſorgſame angſt und wehmuth uͤber ſolchen verluſt wirckete / wodurch freylich die ruhe der ſeelen nicht wenig geſtoͤhret wiꝛd / ohne welche wir aber auch ſonſten in andern ſtuͤcken die goͤttliche gnaden - wuͤrckungen nicht ſo empfindlich ſpuͤhren koͤnnen. Jch zweiffele nicht / die natuͤrliche leibs-diſpoſition bey derſelben thue zu der ſache viel / gleichwie alſo derſelben durch die in die natur von GOTT gelegte mittel zu begeg - nen billich getrachtet wird / ſo ſolle doch auch nicht unterlaſſen werden / das gemuͤth ſelbs mit der vorſtellung goͤttlicher gnaden-wolthaten zu ermuͤntern. Wo ich dann kein kraͤfftiger mittel weiß / ſo wol zu befoͤrderung eines heiligen eiffers und uͤbung der gottſeligkeit / als auch auffmunterung eines nieder - geſchlagenen gemuͤths und angſthafften hertzens / als die taͤgliche betꝛachtung der ewigen liebe unſers GOttes / und unzaͤhliche aus derſelben auff uns ge - floſſener / ja noch taͤglich flieſſender / theuren gutthaten / damit wir an ſeel und leib der himmliſchen gnade verſichert werden. Wie nun deroſelben die gantze ſchrifft voll iſt / und billich die beſten buͤcher mit ſolcher betrachtung groſſen theils ſollen erfuͤllet werden / ſo ſoll es auch unſere taͤgliche ſorge ſeyn / in leſung und anhoͤrung goͤttlichen worts auff ſolche materien acht zu geben / und in eigenem nachdencken / wie und was ausderſelben / wir an unſerer ei - genen perſon empfangen haben / uns zu erinnern. Dieſes iſt die herrlichſte ſo uͤbung als mehrung und ſtaͤrckung des glaubens / aus dem darnach weiter das uͤbrige gute entſpringet / und obs nicht allezeit wegen entgegen ſtehender leibes-complexion, oder da uns ſonſten der HErr ſolches fuͤhlen nicht ſo nuͤtz - lich findet / eine empfindliche freudigkeit wuͤrcket / ſo wehrets doch der nieder - geſchlagenen angſthafftigkeit / uͤber welche ſie am meiſten klaget. Gewiß iſts /jenes711ARTIC. II. SECTIO II. jenes feuer der goͤttlichen liebe gegen uns kan nicht in unſere hertzen in deſſen rechter lebendigen erkaͤntnuͤß kommen / daß nicht auch dieſe dadurch entzuͤn - det werden / alſo thun wir nicht beſſer / als ſolches durch ſtaͤtige vorſtellung der kraͤfftigen wuͤrckungen ſtaͤts gleichſaman die hertzen zu halten / biß ſie deſ - ſen krafft fuͤhlen. Welche derſelben aus treuem hertzen anwuͤnſche. 1680.

SECTIO II. Troſtſchreiben an einen in ſchwehrer anfechtung ſtehenden vornehmen Theologum.

DEſſelben in groſſer hertzensangſt und wehmuth / darauff es ſich ſelbs bezoge / geſchriebenes iſt mir wohl worden / und leugne nicht / daß es un - terſchiedlicherley gemuͤths-bewegungen erreget: einstheils zwahr war und iſt es mir eine innigliche freude / eines ſo theuren Theologi treuer gewogenheit / deren verſicherung mir durch andere liebe und von dem HEr - ren in ſeine ruh bereits verſetzte Gottesdiener zu mehrmalen ſehr angenehm geweſen iſt / durch eigenes handſchreiben auffs neue vergewiſſert zu werden / welche wolthat ich in ihrem geziemlichen werth zu halten weiß: andern theils aber wolte mich faſt niederſchlagen / da ich die beklagte hertzensangſt erwoge / und dabey gedachte / wo dergleichen am gruͤnen holtz geſchehe / was an dem duͤrren werden wolte / und da der HErr diejenige / welche er mit groͤſſerem maaß des Geiſtes ausgeruͤſtet / und ihre arbeit kraͤfftig geſegnet hat / derglei - chen ſchwehren kampff verſuchen laſſe / was ich armer ſchwacher und andere meines gleichen uns zuvorſtehen / und noch zu erwarten haͤtten. Daher faſt eine geraume zeit nicht wuſte / was ich antworten ſolte: ſo vielmehr weil die beſondere urſach ſothaner wehmuth nicht wuͤſte oder verſtuͤnde. Jedoch ha - be mich endlich erkuͤhnet / in gegenwaͤrtigem mich mit demſelben als einem Vater zu beſprechen / und meine kindliche einfalt vor demſelben zu offenbah - ren. Es kommt mir dabey vor / wie wir von dem theuren Apoſtel Paulo / dem groſſen glaubens-helden / leſen / daß er ſich nicht entbloͤdet / von ſich und andern ſeinen reichlichſt begabten mitarbeitern zu bekennen / daß er ſchreibe in groſſer truͤbſaal und angſt ſeines hertzens / ob ſie wol nicht verzagten / ſo ſey ihnen doch bange / ſie kommen in eine groſſe ἀπορίαν, ſie ſeyn allenthalben in truͤbſaal / auswendig ſtreit und inwendig furcht / 2. Cor. 2 / 4. 4 / 8. 7 / 4. 5. und was dergleichen mehr in ſeinen briefen anzuſe - hen iſt. Dabey erkenne ich / daß der HErr / ſo gantz weißlich die ſeine fuͤhret / die hertzliche freudigkeit ſeiner glaubigen / die zuweilen faſt heldenmaͤßig ſich erweiſet / und vor der empfindlichkeit der goͤttlichen theuren gnade die zuſtoſ - ſende widerwaͤrtigkeit wenig fuͤhlet / mehrmal laſſe mit einer empfindlichenangſt712Das fuͤnffte Capitel. angſt vermiſchet werden / damit ſie in der noͤthigen demuth verbleiben / und andern ein exempel ſo wol menſchlicher ſchwachheit / als goͤttlicher krafft zu herrlicher auffmunterung und erbauung werden muͤſſen. Jch finde im wei - teren nachſinnen / daß ſolches nicht nur allein von dem HErren laͤngſt vorge - ſagt / und alſo ein theil der von ihm weißlich eingeſetzten ordnung ſeye / daß ſie in der welt angſt (eine ſolche ϑλίψιν, da das gemuͤth ſo viel leidet als et - was anders den leib klemmet) auch alsdann erfahren muͤſſen / da ſie in ihm friede haben. Joh. 16 / 33. ſondern daß auch eben dergleichen zu al - len zeiten durch die exempel der dem HErren lieben heiligen in der erfahrung gezeigt worden. Jch weiß mich zu erinnern / von unſerem unvergleichl. glau - bens-lehrer und freudigem mann Gottes Luthero mehrmal geleſen zu haben / in was vor angſt des hertzens ihn ſein Heyland zu weilen habe laſſen gerathen / daß er auch durch den zuſpruch anderer weit weniger begabter perſonen ge - ſtaͤrckt zuwerden bedoͤrffte / aber auch deſſen kraft bey ſich geſpuͤret habe. Son - deꝛlich abeꝛ wie ſein tꝛeuer mithelffer Hieron, Wellerus in dieſem kampf vieles nach Gottes willen lernen muͤſſen. Und weil ich von unſerem gemeldten lieben Luthero wahrgenommen / daß er ein groſſes deſſen / wozu ihn Gott gebracht / durch den alten und von ihm ſo werth geachtetem Taulerum (deſſen ſprach / welcher ihr gewohnt iſt / gar offters in des vortreflichen mannes / ſonderl. er - ſten ſchrifften / zu bemercken ſtehet) gelernet worden ſeye: ſo entſinne mich auch / daß die voꝛnehmſte ſchul / woduꝛch der weiſe him̃liſche Vater ſolchẽ ſeinen aus - erwehlten ruͤſtzeug in dem ſonſten finſteꝛn Papſtum zu einer hoͤhern eꝛkaͤntnuͤß gebracht / ſeye in einer aͤngſtlichen und langwierigen anfechtung beſtanden / darinnen er faſt jedermann veraͤchtlich worden / die des HErren wege nicht erkennen konten. So iſt mir noch das neulichere und zu unſer zeit gehoͤrige exempel des S. D. Johann Schmidii zu Straßburg / im gedaͤchtnuͤß / der einmal von Gott in ſolche hertzens-angſt und jammerſtand gefuͤhret worden / daß er eine gute zeitlang zu verrichtung ſeines amts untuͤchtig / aber dadurch inſolcher verweſung dieſes euſſerlichen menſchen / der iñere bey ihm dermaſſen kraͤfftig erneuert worden / daß er nachmal mit ſo viel nachtruͤcklicher krafft ſein amt wieder angetreten / und mit vieler frucht gefuͤhret hat. So erkenne ich alſo billich / daß es der goͤttlichen weißheit gantz gemaͤß ſeyn muͤſſe / die ihrige / ſonderlich die vor andern zu auserwehlten werckzeugen erkohrne / um ihr ſelbs und anderer willen die dinge erfahren zu laſſen / welche der welt ſeltzam vorkommen / aber ſelbs ein mittel der verherrlichung GOttes ſind / und die diener Chriſti ihrem haupt ſo viel aͤhnlicher machen. Mein GOtt hat mich von ſolcher ſache ſo viel noch nicht empfinden laſſen / als der etwa meine ſchwachheit kennet / die zu der haͤrtern probe nicht tuͤchtig waͤre / jedoch ſind auch zuweilen einige tropffen aus dieſem kelche mir zugetheilet worden / undweiß713ARTIC. II. SECTIO II. weiß ich nicht / wie viel mir der HErr beſtimmet haben moͤchte: Jedoch der gewiſ - ſen zuverſicht lebende / daß er ſo getreu ſey / daß er entweder keine verſuchungen / welche uͤber die gegenwaͤrtige kraͤfften waͤren / mir zuſenden / oder ſo bald mit neuer krafft aus der hoͤhe zu dero uͤberwindung mich auch anthun und ausruͤſten werde. Jch ſuche mich auch bey zeiten auff alle die jenigen arten gefaßt zumachen / die mich betreffen koͤnten: wo ich in der theoria finde und leicht begreiffen kan / daß keine einige urſach ſo wichtig ſeyn koͤnne / uns von der vergnuͤglichen ruhe in GOtt und der freudigkeit des glaubens in ihm abzutreiben: aber ich weiß auch dieſes wohl / daß wo der HErr uns in die probe und in den ofen wirfft / es in unſerer macht nicht ſtehe / die krafft auch des kraͤfftigſten troſtes / der uns ſonſten mit hertzlicher ſuͤßigkeit erqvicket hat / zuſchmecken / ſondern daß ob wohl nicht dem goͤttlichen wort ſeine krafft entzogen jedoch unſer geſchmack gehemmet werde / dieſelbe vergnuͤglich zuempfinden / biß die ſtunde der verſuchung und das wetter vorbeyiſt. Daß alſo die praxis von der theoria noch zimlich entfernet iſt / und nicht alſo bald das jenige in dem hertzen gefuͤhlet wird / weſſen der verſtand gnugſam und ohne widerſpruch uͤberzeuget iſt. Jedoch iſt nicht zuleugnen / daß die gruͤnde / die wir zu guter zeit faſſen / auffs wenigſte gute waffen ſind / damit wir gegen die einſtuͤrmende anfechtungen kaͤmpffen. Da iſt mir gegen die ſo vormalige als noch in der ſchwachheit des fleiſches uͤbrig-habende ſuͤnde / die vorſtellung der unendlichen gnade des Vaters und vollkommenſten verdienſtes unſers liebſten Heylandes eine unuͤberwindliche ſeſtung. Jedoch weiß ich / wie auch da in der zueignung die krafft der anfechtung ſo ſtarck ſeyn mag / zuweilen die empfindung deß daher ſonſten flieſſenden troſtes allerdings zuhemmen. Nicht anders gehets bey andern urſachen der hertzens aͤngſten: plaget mich das anſehen des euſſerſten verderbens / daß ich durch und durch an allen orten / und vor menſchen augen keine huͤlffe / ſondern vielmehr die noch weiter zunehmende gefahr ſehe / und billich das ſchreckliche gericht / in welchem ſo viel tauſend ſeelen verlohren gehen / bedaure / ſo weiß ich zwahr wohl / daß ich mit goͤttlichem willen zufrieden ſeyn ſolle / ja daß / ſo fern auff ſolche art GOtt in der offenbahrung ſeiner gerechtigkeit will verherrlichet ſeyn / daſſelbe / obs wohl mit zulaſſung vieles boͤſen geſchehe / dennoch das allerbeſte ſeye / daß GOTT der die barmhertzigkeit ſelbſten iſt / deswegen viel barmhertziger ſeye / als ich oder einiger menſch ſeyn mag / und der urſach halber / wo er etwas geſchehen laſſe / mein un - maͤßiges erbarmen eben ſo wohl unordentlich werden moͤchte: ferner daß denen / die uͤber ſolche greuel ſeuffzen und ihre ſeelen zuretten trachten / dieſe zur ausbeute gegeben / Jerem. 45 / 3. 5. und ſie als ein brandt aus dem feuer errettet werden ſollen: und was andere dergleichen betrachtungen mehr ſind. Aber ich finde in der erfah - rung / wie dieſe an ſich ſelbſt unbetruͤgliche ſtaͤrckeſte gruͤnde / da ſie durch unſereX x x xſchwach -714Das fuͤnffte Capitel. ſchwachheit geſchwaͤchet werden / nicht alles in ſolchem ſtande bey mir ausrichten / was ſie ausrichten ſolten. Sehe ich die hindernuͤſſe meines eigenen amts an / und wie ſo gar ich die ſache ſo weit nicht bringe / als ich ſolte und ſelbſt verlangte / ja offt kaum von einiger frucht der arbeit das wenigſte ſehe / ſo kan mich zwahr wohl erin - neren / wie der HErr allein von ſeinen dienern die treue / nicht aber den ſucces / wel - cher in ihren haͤnden nicht ſtehet / fordere / und mit derſelben vaͤterlich zu - frieden ſeye / ja wohl eines Davids wohlgemeinte intention ihm zu ehren den tempel zubauen / ob er wohl ſolche ſelbſt zuruͤck gehalten und gehindert / in gnaden belohne. Da ſind die theſes allerdings richtig. Kommts aber wieder in hy - potheſi auff mich / und ſtuͤrmet die anfechtung her / ſo fuͤhlet man wohl / was vor ſtarcke exceptiones ſich dem gemuͤth ſelbſt vorſtellen / und uns unſere eigene treue / ob wir in derſelben alles muͤgliche geleiſtet / dermaſſen in zweiffel ziehen / daß die aͤngſten ſchwehr gnug werden. Alſo finde ichs in allen uͤbrigen ſtuͤcken / daher ei - nigehertzens-angſt entſtehen mag / auff gleiche weiſe bewandt. Daß alſo mein einiger grund bleibet / meines GOttes weißheit / macht / guͤte und wahrheit / mich deroſelben pur lauter allein zu uͤberlaſſen und gleichſam in dero arme zuwerffen: Solches gibt endlich / ob wohl nicht alſobald / die verlangte freude / gleichwohl ei - nige ruhe. Jch lebe der getroſten zuverſicht / mein wertheſter vater werde mir nicht in uͤbelem nehmen / daß vor demſelben von dergleichen dingen / wie ſie bey mir gefunden / und noch finde / zureden mich erkuͤhne / nicht denſelben damit auffzurichten / der ja einesſo viel ſchwaͤchern huͤlffe nicht bedarff / ſondern ihm meine ſchwachheit vor augen zulegen / der ich an deſſelben exempel zu lernen und geſtaͤrcket zu wer - den verlange. Wann aber das einige / womit auch der geringſte unter den glaͤu - bigen dem ſtaͤrckſten eine huͤlffe thun kan / das gebet iſt / welches deswegen auch die hoͤchſterleuchtete Apoſtel von ihren eigenen ſchuͤlern begehret haben / ſo iſt ſol - ches auch das einige / welches ich demſelben zuſagen kan / und zuſage: daß ich nemlich den HErrn der krafft und Vater des liechts / von dem alle gute und voll - kommene gaben herkommen / demuͤthig anruffe / und noch ferner anzuruffen nicht ermangeln werde / welcher an meinem geliebten Vater ſeiner kirchen noch lange / nach ſeinem allein guten rath einen theuren lehrer und vorſteher erhalten / und ſeine arbeit / zu ſeines heiligen nahmens preiß und vieler tauſend ſeelen erbauung / kraͤfftigſt ſegnen / ſo dann wircklichem und ſcheinbarem erfolg der zu ſolchem ende abzweckender anſchlaͤge und arbeiten erfreuen wolle: Sonderlich aber wolle er die beklagte hertzens-aͤngſten alſo heiligen / daß derſelbe dadurch immer ein ſo viel reiner gefaͤß der himmliſchen gnade und tuͤchtigerer werckzeug dero ehren werde / ja daß ſolche aͤngſten ſelige geburts-ſchmertzen ſeyen / ſowol bey ihm ſelbſt vieler geſegneten geiſtes-fruͤchten / als vieler ſeelen / ſo dem HErrn und zu jener lebendi -gen715ARTIC. II. SECTIO III. gen hoffnung wiedergebohren werden moͤchten. Er maͤßige aber ſolche ſchmer - tzen mit offterem und ſo viel empfindlicherm troſt von oben herab / daß der des leidens Chriſti viel empfunden / ſo viel reichlicher getroͤſtet / und mit mancher / denen andern in der welt befindlichen / oder auch durch leiden weniger geuͤbten / unbe - kandten / aus dem ſuͤſſen vorgeſchmack der kraͤfften der zukuͤnfftigen welt entſte - hender freude uͤberſchuͤttet / dadurch aber des vorigen jammers ergoͤtzet werde. Ach er laſſe dermaleins / und wo es ſein heiliger rath iſt / bald die zeit der verlangten erqvickung kommen vor dem angeſicht des HErrn / und nehme von uns und von unſern augen hinweg die urſachen / dadurch ſolche aͤngſten entſtehen / und ſo lange jene verhanden ſind / nicht allerdings moͤgen abgethan werden. Jndeſſen wapne er uns mit der zu dieſer zeit uns noͤthigſten gedult / weißheit und glauben. Mit welchem hertzlichen wunſch deſſen meinung auch ein theil meines armen gebets ſeyn ſolle (der hingegen auch dero andaͤchtiger fuͤrbitte theilhafftig zuwerden bitte) und dieſes maliger erlaſſung in die gnade unſers himmliſchen Vaters. m. f. w. 1681.

SECTIO III. Troſt-brieff an einen ſchwehr angefochtenen und der ſuͤnden wegen betruͤbten prediger.

Gnade / troſt und ſegen von dem Vater der barmhertzigkeit und GOtt alles troſts in JEſu Chriſto!

Chrwuͤrdig / Großachtbar und Wohlgelahrter / Jnſonders Hochgeehrter Herr Schwager / und in Chriſto vielgeliebter Bruder.

DEſſelben wehmuͤthiges von dem 9. Oct. des verwichenen jahrs iſt mir vor etlichen wochen / und alſo nach verflieſſung faſt 4. mona - ten / allererſt zu haͤnden gekommen / deswegen ich bitte den ver - zug der antwort nicht uͤbel zunehmen / als daran nicht ſo wohl ich als diejenige bey welchen das ſchreiben ſo lange ligen geblieben / ſchuld haben / ſo hat auch ein und andere amts-verrichtung die mir nicht allemal vieleX x x x 2zeit716Das fuͤnffte Capitel. zeit uͤbrig laſſen / verurſachet / daß jetzo auch einige wochen nach dem em - pfang habe muͤſſen vorbey ſtreichen laſſen. Die ſache ſelbs belangend / ſehe ich daß der Herr ſchwager ſonderliche confidenz gegen meine wenige perſon traͤget / ob moͤchte ich eine ſonderbahre gabe von GOtt empfangen haben / be - truͤbten und geaͤngſteten gewiſſen mit kraͤfftigem troſt an die hand zugehen und ſie auffzurichten. Nun ob ich wohl hierinnen vor andern etwas ſonderes empfangen zuhaben nicht / wol aber meiner eigenen ſchwachheit mir bewuſt bin / ſo bin ich doch ſo ſchuldig als willig / das pfand ſo mir mein GOtt verlie - hen / und was durch ſeine gnade in eigener erfahrung auch an mir ſelbſt er - lernet / zu angefochtener Chriſtlicher mitbruͤder troſt anzuwenden. Daher ich auch nicht in abrede bin / daß ich vor andern meinen amts-verrichtun - gen ſonderlich gern mit angefochtenen umgehe und in ſolcher ſchul mit und an andern lerne. Jedoch ſind die meiſten mit denen ich bißher zuthun gehabt ha - be / vielmehr mit andern und / wie ich erachte ſchwehrern arten der anfechtung heimgeſuchet geweſen / doch habe auch vor etzlichen jahren einige conferen - zen gehabt mit einem ſeiner ſuͤnden und angſt des gewiſſens wegen ſchwehr angefochtenen. Was dann nun den von dem Herrn ſchwager mir eroͤffneten ſeinen betruͤbten ſtand belanget / ſo iſt mir zufoͤrderſt nicht wiſſend / ob die natuͤrliche conſtitution, temperament und insgeſamt jetziger zuſtand des leibes etwas zu demſelben contribuire / in dem mir ſolche nicht zur gnuͤge bekant / und aber auch in dergleichen eigenlichen geiſtlichen anfechtungen woriñen zwahr die ſeele der vornehmlich leidende theil iſt / nichts deſtoweniger die leibes-beſchaffenheit vieles auff ein und andere ſeite thun kan. Dann zum exempel / wo dieſelbe conſtitution vor ſich ſelbs ad melancholiam incli - niret oder aus einigem affectu hypochondriaco dahin degenerirt / ſo thun die aus ſolcher natuͤrlichen leibes-beſchaffenheit entſtehende bangigkeiten / welche offters faſt keine urſach wiſſen / ſehr vieles zur beunruhigung des gemuͤ - thes / indem ſie theils hindern / daß man den der anfechtung entgegen halten - den troſt nicht ſo wol oder je ſo empfindlich und vergnuͤglich faſſen kann / theils dem menſchen ſelbs unvermerckter weiſe anleitung geben / uͤber dinge / da es ohne noth iſt / zu ſcrupuliren Da wir gemeiniglich finden werden / gleichwie andere / die ihnen ſonſten gewiſſe weltliche und zeitliche dinge / damit ſie offters umgegangen / ſonderlich haben angelegen laſſen ſeyn / wo ſie miteini -717ARTIC. II. SECTIO III. einiger melancholie befallen werden / in ſolchen dingen ihnen ſelbs tauſend ſorgen und damit das leben ſauer machen: Alſo faͤllet gemeiniglich bey den jenigen / welche das geiſtliche ihre haupt-ſorge haben ſeyn laſſen der affectus melancholicus auff ſolches objectum, das ihnen jederzeit am hoͤchſten angelegen geweſen / und findet dann in aͤngſtlicher ſorge uͤber demſelbigen ſein pabulum. Weßwegen aber bereits auch aus ſolcher urſach es mir bey dergleichen leuten eine gute anzeige ihres auffrichtigen Chriſtenthums / und daß daſſelbe ihr vornehmſtes anligen allezeit geweſen ſeye / gi - bet / daß ſich ihre betruͤbnuͤß / wo ſie auff etwas ſich ſchlagen muß / auff das geiſtliche leget / ob wol mit ſo viel empfindl icheren ſchmertzen als wegen der wichtigkeit die geiſtliche gefahr und angſt vor aller weltlichen tieffer einſchnei - det. Jch erinnere dieſes zum foͤrdriſten deswegen wofern der Herr ſchwa - ger finden ſolte / oder verſtaͤndige medici mit ihren gedancken dahin gingen / daß die conſtitutio corporis mit theil an dieſer ſeelen-kranckheit habe / darzu urſach gegeben oder ſie doch fomentirte / als dann in dem nahmen GOttes auch ſolchem leiblichen affectui, der ſo viel tieffer ſtecket / ſo vielwe - niger der patient deſſelben gewahr wird / noch an dem leib mangel zuhaben meinet / mit artzneyen begegnet / und die geiſtliche cur durch GOttes ſegen ſo vielmehr facilitiret wuͤrde / wozu der Herr ſchwager gelegenheit gnugſam hat / mit denen nahe angehoͤrigen und verſchwaͤgerten Hn. medicis in vertrauen zu conferiren / und was dann noͤthig ſeyn wuͤrde / auff ihr einrathen vorzu - nehmen. Nechſt deme ſo verſichere ich den Herrn ſchwager und bruder hiemit / daß derjenige zuſtand / in deme er liget / und uͤber den er ſich alſo bekla - get / ihm eine groſſe wohlthat des lieben GOttes ſeye. Es iſt zwahr dieſes ein ſehr hartes poſtulatum ſolches zuglauben / ja faſt das groͤſſeſte abſur - dum, in demjenigen / was uns alle gnade GOttes entziehen will / auch offters alle empfindlichkeit derſelben entzeucht / und unſerm beduͤncken nach uns zu dem genuß anderer goͤttlicher wohlthaten gleich als gantz untuͤchtig machet / eine gnade und wohlthat zuerkennen; ich gruͤnde mich aber in meinem ſatz nicht nur darauff / daß nach ausſage der ſchrifft denen die GOtt lieben alles / und alſo auch dieſe anfechtungen / zum beſten dienen Rom. 8. ſo dañ die anfechtungen erſt recht einen Theologum, ja Chriſten / machen muͤſ - ſen. Non tentatus qualia ſcit? Sondern verhoffe auch abſonderlichX x x x 3zu718Das fuͤnffte Capitel. zu zeigen / wie eben dieſe anfechtung ſo gar heilſam / und daher von GOtt aus hertzlicher liebe und wolmeinen zugeſandt ſeye. Wie dann alle die urſa - chen / welche ich in der zweyten gedruckten predigt von der anfechtung laͤſterli - cher gedancken / angefuͤhret / und wie heilſam die anfechtungen ſeyen / gewie - ſen habe / ſonderlich in dieſer gegenwaͤrtigen des Hl. ſchwagern anfechtung platz haben. Er gedencke der ſache nur ſelbs nach: wird er nicht finden / daß er die tage ſeines lebens die ſuͤndliche verderbnuͤß an ſich und andern nicht ſo nachtruͤcklich erkant / wie er ſie jetzt erkennet / und fuͤhlet? So viel noͤthiger uns nun ſolche erkaͤntnuͤß iſt / um unſerer ſelbſt und unſers heils / ſo dann was uns prediger anlanget / auch um unſerer zuhoͤrer willen: ſo viel nuͤtzlicher iſt dieſe ſchul zuhalten / da wir obwol mit fuͤhlung ſo ſcharffer ruth und unter ſo ſtrengem zuchtmeiſter in dieſer materie ſtudiren. Alſo will GOTT ihm auch erſt recht in dieſer ſchul den articul der rechtfertigung / den wir aus ſeinem wort muͤſſen unſerer gemeinde vortragen / zu verſtehen geben: daß er lerne / wie wir vor GOtt gerecht werden muͤſſen / auch um die zeit / da wir bey uns nichts anders als lauter greuel finden / wo uns GOTT die abſcheuligkeit der ſuͤnden recht laͤſſet gewahr werden / und deswegen dem teuffel zulaͤßt / uns dieſelbe groß zumachen; weil es dieſer zwahr zu dem en - de thut / daß er uns zur verzweiffelung treibe / da hingegen GOtt gar eine andere abſicht darunter hat / nemlich wo die ſuͤnde uͤberaus ſuͤndig und gantz maͤchtig worden ſeye / in unſern gewiſſen / daß dann die gnade auch noch maͤchtiger werde: Und wir damit auffs neue die hohe wichtigkeit der gnaden erkennen / welche nicht nur kleine / ſondern ſolche ſuͤnden / die uns centner ſchwehr in dem gewiſſen gelegen ſind / vergeben habe. Damit ob wol der glaube ſcheinet gantz untertrucket zuwerden / ſo wird er doch in dieſer uͤbung durch die verborgene krafft GOttes geſtaͤrcket / auch ſich die ſtaͤrckung deſſelben zu ſeiner zeit dermaleins zeigen. Wie viel andaͤch - tige und aͤngſtliche ſeuffzen er in dieſer noth zu ſeinem GOTT geſchicket / die wol ohne dieſelbe wuͤrden ausgeblieben ſeyn / wird ſich in dem nachden - cken leicht finden. Und ob ihm wol deucht / es habe dieſe unruhe des her - tzens ihn ſo vielmehr an ſeinem etwa ſonſten gewoͤhnlichen gebet / gehin - dert / daſſelbige nicht mehr mit ſolcher freudigkeit / wie er vor deme ge - pfleget / vor GOTT zuthun / ſo mag er doch gewiß ſeyn / daß ſolches vorſei -719ARTIC. II. SECTIO III. ſeinen und anderer unverſuchter augen unſcheinbare gebet / da er nicht mei - net / die andacht wie vorhin dabey zuhaben / ſondern mit lauter unruhe zu - verrichten / GOTT viel angenehmer ſeye / als alles vorige gebet mag gewe - ſen ſeyn. Hat jenes mehr wort und ordentlicher gefaßte conceptus men - tis gehabt / ſo hat dieſes mehr krafft / mehr hertz / mehr himmel durchdrin - genden nachtruck / weil es in lauter aͤngſten und bangigkeit geſchihet; Es iſt dem davidiſchen aͤhnlicher / wie der herr pfarherr aus fleißiger leſung der pſalmen ſelbs mercken wird / aber daraus erkeñen ſoll / daß er dann auch eben die gnade und erhoͤrung erlange / die David erhalten hat. Da iſt keine heuche - ley mehr bey dem gebet / welche ſich uns unvermerckt ſonſten gemeiniglich auſſer der noth in das gebet mit einſchleichet / ſondern da redet nichts als das hertz / oder die noth deſſelben / daß man kaum mercket / daß auch das hertz rede. Jndeſſen iſt die aͤngſtliche begierde nach goͤttlicher gnade vor GOttes oh - ren das lauteſte und ihm annehmlichſte gebet. Solte nun der Herr ſchwager nicht dieſe anfechtung vor nuͤtzlich achten / die ſo viel gutes ihm unvermercket bey ihm gewircket? wo er ferner will in ſich gehen / wird er ſolcher fruͤchten noch mehr finden. Solte er wol ſein lebenlang mit ſolcher demuth vor GOTT geſtanden ſeyn / als er jetzo bißher ſich vor deſſelben ſtuhl ſo offt mit furcht und zittern niedexgeworffen? Jch zweiffele nicht / das hertz wirds ſelber finden / daß ihm in ſolchem ſtand nicht moͤglich waͤre / gegen GOTT ſich einiges zuerheben / wozu ſonſten unſer fleiſch uns ſo liſtig verleitet / und damit in die groͤſſeſte gefahr ſtuͤrtzet. Vor ſolche gefaͤhrliche kranckheit iſt dieſes eine zwahr bittere und unbarmhertzige aber heilſame und nuͤtzliche artzney. Ja mit was ſanfftmuth / mitleiden und gedult lernet man gegen andere gebrechliche ſuͤnder ſich zuſtellen / da man in dieſer anfechtung erſt ſich ſelbs beßer hat erkennen lernen? Daß der Herr pfarherr viel zarter von ge - wiſſen gemacht worden / als ſonſten die welt pflegt zu ſeyn bekennet er ſelbſten: und was gilts / ſolte ihn GOTT mit anderm creutz nach ſeinem willen belegen / er wuͤrde finden / wie viel leichter es ihm wuͤrde zutragen werden. Daß er ſo vielmehr verlangen zu dem abſchied aus der welt bey ſich ſpuͤre / geſtehet er auch in ſeinem ſchreiben ultro, ob zwahr alſo / daß viel ſuͤndliches und ungedultiges mit in das ſonſten nicht unrechte verlan - gen mit einfleuſt und es verderbet. Aus dieſem wenigen aber wird er / ge -liebter720Das fuͤnffte Capitel. liebter Herr ſchwager und bruder / bereits ſehen / wie GOtt nicht ungefehr / noch auch aus andern als ihm ſelbs nuͤtzlichen urſachen / dieſe anfechtung ihm zugeſchicket und uͤber ihn verhenget: auch die angſt und ſchmertzen die das hertz daruͤber ausſtehen muß / wol angeleget achten / da ſie mit ſo vielem nutz erſetzet werden. Ach wie viel tauſend menſchen ſind / denen GOTT ſchwehrlich groͤſſere gnade thun koͤnte / als wo er ſie fuͤhlen lieſſe / dasjenige was derſelbe bißher gefuͤhlet / damit ſie in empfindlichkeit der ſuͤnden-ſchmer - tzen / von den ſuͤnden und dero gefahr abgefuͤhret / und damit von der ewi - gen qvaal befreyet wuͤrden? Jn dem uͤbrigen / wo ich meinen einfaͤltigen und wenigen rath geben ſolte / wie der Herr ſchwager ſich in die anfechtung zuſchi - cken habe / wuͤrde ſolches in folgendem beſtehen. Wo er wegen dieſer und jener ſuͤnde von dem boͤſen feind geplaget und geaͤngſtiget wird / und derſelbe findet den geringſten fehler / ſo von ſeiner ſeiten begangen worden / warhaff - tig dazu ſeyn / ob er wol davor haͤlt / er waͤre etwa ſo groß nicht geweſen / als ihm der teuffel denſelben machen will. So laſſe er ſich mit dem teuffel nicht in den diſputat / ob die ſuͤnde ſo groß ſeye oder nicht / und ſuche alſo ſeinen troſt nicht darinnen / daß die ſuͤnde eben nicht ſo ſchwehr geweßt / dann ſo lange er noch mit dem liſtigen ſophiſten wird daruͤber diſputiren / ſo verunruhiget er nur das gewiſſen mehr damit / und gewinnethingegen dem widerſacher nichts damit ab. Sondern er laſſe den teuffel darinnen gewonnen haben / ja es ſeye eine ſchwehrere ſuͤnde als menſchen davor halten koͤnnen. Welches ja wahr iſt / dann wo iſt eine einige ſuͤnde / ſolte es auch nur ein boͤſer gedancke / eine unterlaſſung des guten / ſo wir thun ſollen / oder unvollkommene ver - richtung deſſelben ſeyn / die nicht die hoͤlliſche verdamnuͤß vor ſich verſchulde - te? Alſo geſetzt / mein begangener fehler mag vielleicht nicht ſo ſchwehr ſeyn / wie man nemlich die ſuͤnde gegen einander vergleicht / als der ſatan mir vor - bilden will: iſts gnug / daß eran ſich ſelbſten ſo ſchwehr iſt / daß er die verdam - nuͤß verdienet. Alſo irre ich nicht / ob ich ſchon nicht ſo wol um ſein ſelbs willen / als weil die ſchrifft es ſelbſt ſagt / dem luͤgen-geiſt glaube / meine ſuͤnde ſey ſchwehr und groß. Aber alſo muͤſſen wir dem teuffel begegnen: wo er aus dieſer ihm geſtandenen concluſion, wir haben eine ſchwehre verdamliche ſuͤnde be - gangen / ferner ſchleuſt: wer eine verdamliche ſuͤnde begangen / der ligt denn nun unter GOTTES zorn / und hat ſich keine gnade zugetroͤſten. du721ARTIC. II. SECTIO III. du haſt dergleichen begangen. E. daß wir ihm den majorem negiren / oder exceptionem fori brauchen. Der major ſeye zwahr wahr nach dem ge - ſetz: Aber Chriſtus habe uns von dem geſetz befreyet / und uns in ein ſolches gnadenreich verſetzet / indem dieſe major nunmehr falſch iſt / als die wir den GOtt haben / der den gottloſen (nicht in ſeinem zorn ſtrafft / ſondern) gerecht machet. Rom. 4 / 5. daher nunmehr das urtheil nicht mehr heiſſe / wer das geſetz haͤlt wird ſelig / wer es nicht haͤlt der wird verdammt: ſondern Joh. 3 / 36. wer an den Sohn glaubet / der hat das ewige leben / wer aber dem Sohn nicht glaubet / der wird das leben nicht ſehen / ſondern der zorn GOttes bleibet uͤber ihm: dann ſolcher / ob er wol auch von Chri - ſto von dem geſetz und ſeinem fluch erloͤſet / faͤllet durch unglauben wieder un - ter das geſetz aus dem gnadenreich Chriſti / darinnen uns der glaube alleine erhaͤlt. Hie kan der teuffel nicht antworten / er muß entweder Chriſti ver - dienſt und goͤttliches wort gar in zweiffel ziehen / zu welcher impudenz er bey dem Herrn Schwager noch nicht gekommen iſt / oder er muß wollen diſtingui - ren unter den ſuͤnden: Es ſeye wol wahr / wo wir nur gemeine menſchliche ge - brechen haͤtten / ſo moͤchten wir uns wol Chriſti getroͤſten / aber das gehe uns nicht an wegen dieſer oder jener ſchwehren ſuͤnde. Das iſt ſo viel / Chriſtus habe wol fuͤr die geringe ſuͤnden gnug gethan / aber die groͤſſere ſeyen nicht mit gemeinet. Kommt der teuffel damit auffgezogen / ſo haben wir ihm die herrliche Evangeliſche ſpruͤch vorzuhalten. 1. Joh. 1. von allen ſuͤnden. Joh. 1. der welt (die aber ligt im argen 1. Joh. 5.) ſuͤnden. 1. Tim. 1. die ſuͤnder / nicht die geringe / ſondern die es grob gnug gemacht haben. Rom. 5. wo die ſuͤnde maͤchtig worden iſt / und dergleichen. Auff ſolche vermag er nicht mit aller ſeiner ſophiſtic zu antworten. Dann die laſſen nicht eine eini - ge ſuͤnde uͤbrig / dero vergebung der HErr nicht verdienet / und in dero ſtaͤter vergebung wir dann in dem reich der gnaden ſtehen / als lang wir deſſen ge - noſſen ſind. Wir ſind aber ſolches reichs genoſſen / nicht durch die eigne hei - ligkeit / ſondern den glauben CHriſti. Alſo klagt mich der teuffel an; mit dieſer und jener ſuͤnde habe ich die hoͤlle verdienet. So antworte ich ihm: daß ichs geſtehe: aber weiſe ihm / daß mich GOtt von dem tribunali oder gerichts - ſtul des geſetzes befreyet / und privilegiret hat / nicht vor demſelben / ſondern vor dem tribunali gratiæ dem gericht der gnaden nach dem Evangelio gerich - tet zu werden. Hie iſt nun noͤthig / daß ich das fœdus gratiæ oder gnaden - bund recht verſtehe / und alſo in meine tauff zuruͤck gehe / wie weit und was mir mein GOtt in derſelben verſprochen. Dann ſo viel ich davon empfan - gen habe / ſo viel habe ich / nicht mehr noch minder. Jch lerne aber aus der ſchrifft / daß die tauffe ſeye eine tauffe in dem nahmen JEſul Chriſti zurY y y yver -722Das fuͤnffte Capitel. vergebung der ſuͤnden. Ap. Geſch. 2 / 38. darinnen ich CHriſtum JE - ſum angezogen habe. Gal. 3 / 27. und darinnen mich mein GOtt nicht um einiger werck der gerechtigkeit willen / ſondern nach ſeiner barmher - tzigkeit ſelig gemachet habe. Tit. 3 / 5. Die vergebung der ſuͤnden muß ich recht verſtehen / daß ſolche ſeye univerſalis, der vergangenen / gegenwaͤrtigen / kuͤnfftigen: der groſſen und kleinen / und wie ſie nahmen haben moͤgen. Alle ſolche hat mir mein GOtt in der tauff vergeben / das iſt / er hat mich in das gnadenreich geſetzet / in welchem mir krafft ſolches bundes alle ſuͤnden auff einmal verziehen ſeyen / und von GOtt zugeſaget / daß auch inskuͤnfftige / als lange ich in dem glauben und alſo dem gnadenreich ſtehe / oder ſo bald ich wie - der in den glauben und ſolchen bund und reich eintrete / meiner ſuͤnden nim - mermehr ſolle gedacht / ſondern ſie vor ſeinem gericht abgethan und getoͤdtet ſeyn / daß daher nichts als der glaube / und wo ich davon gefallen / eine buß - fertige wiederkehr / zu demſelben vonnoͤthen iſt / ſo ſtehe ich in wircklichem ge - nuß ſolcher vergebung / die GOtt in ſeinem reich / und als lang ich in demſel - ben bin / nicht zuruͤcke zeucht. Alſo da ich Chriſtum angezogen / ſo bin ich da - mit ſeiner gerechtigkeit alſo theilhafftig worden / daß GOtt nun und hinfort an mir nicht weiter anſehe / was ich an mir ſelbs bin / ſondern ſein / meines Heylandes / gerechtigkeit.

Daher von ſolcher ſtunde an und hinfort / als lang ich in dem glauben Chriſti ſtehe / ſo kan ich voꝛgoͤttlichem gericht nicht geurtheilt werdẽ / nach dem jenigen / was ich gethan oder an mir ſelbs habe / ſondern was ſich an Chriſto findet / und mir von ihm geſchencket iſt. Dann da iſt der ſelige wechſel geſche - hen / gleich wie in dem leiden Chriſti / daß Chriſtus an unſre ſtelle getreten iſt / und nunmehr von ſeinem himmliſchen Vater tractiret worden iſt / nicht nach dem / was er ſelbs vor ſich war / nemlich ein heiliger uñ geliebteſter Sohn Got - tes / ſondern was wir geweſen ſind / nemlich verfluchte ſuͤnder und feinde Got - tes / maſſen das gantze leiden Chriſti und Paulus 2. Cor. 5 / 21. ſolches be - zeugen / daß alſo hingegen in der tauffe wir an Chriſti ſtelle getreten ſind / daß nunmehr wiederum goͤttliches gericht an uns nicht anſehe / was wir ſind / ſon - dern was derjenige iſt / in deſſen platz wir auffgenommen ſind / nemlich nicht ein ſuͤnder ſondern heiliger und gerechter GOttes Sohn / ja wie der Apoſtel zu reden ſich nicht entbloͤdet / ſelbs die gerechtigkeit die vor GOTT gilt. Alſo hat mich mein GOTT in der tauff ſelig gemacht / ſo iſt ſolches eine ewige ſeligkeit / die ich nicht anders / als wo ich ſie ſelbs von mir ſtoſſe / verliehren kan: und doch auch alsdann wo ich dieſelbe verlohren / wiederum zu derſelben zuruͤck zu kehren freyen platz habe. Dieſe be - trachtung ſolches mit uns von GOTT gemachten und ſeiner guͤl -tig -723ARTIC. II. SECTIO III. guͤltigkeit nach von GOttes ſeyten ewigen gnadenbundes / nimmet dem ſa - tan allen ſeinen anſpruch / ſo er der ſuͤnden wegen an uns gehabt: Und wird das allerkraͤfftigſte ſeyn / damit ein der ſuͤnden wegen angefochtener ſich durch Gottes gnade auffrichten mag. Damit aber der Hr. Schwager ihm ſol - ches ſo viel tieffer zu hertzen ziehen mag / wolte ich ihm vor andern recom - mendiren unſers S. Hrn. Lutheri ſchrifften / ſonderlich ſeine predigten von der tauff ſo in dem 6. Jeniſchen und Altenburgiſchen / oder 4. Wittenbergi - ſchen theil ſtehen. Weil auch der Herr Schwager ohne anſtoß diejenige ſchrifften / darinnen etwas zweiffelhafftiges ſtehen mag / leſen kan / ſo wuͤſte ich ihm kaum etwas kraͤfftigers vorzuſchlagen / durch deſſen leſung er ſich troͤ - ſten / und gegen ſolche ſuͤnden-anfechtung ſtaͤrcken mag / als Martini Statii geiſtliche ſchatz-kammer der glaubigen / ſo er aus Stephani Prætorii ſchriff - ten gezogen. Jch geſtehe zwahr / daß in Prætorii ſchrifften ſelbs einige din - ge ſich finden / die der analogiæ fidei nicht gemaͤß / wie er auch uͤber einiges ſchrifftlich revocirt / worinnen der fromme mann ſich verſtoſſen hatte. Es hat aber Statius die vorſichtigkeit gebraucht / daß er in ſein benanntes buch keine andere ſtellen geſetzet / als die entweder gantz wahr und recht / oder doch wo ſie cum benigna interpretatione angenommen werden / commode verſtanden werden koͤnnen / daher ich auch zu weilen nicht dawider bin / ſon - dern es ſelbs rathe / daß einige / die ich dazu tichtig finde / von einfaͤltigen ſolches buͤchlein leſen moͤgen. Ein chriſtlicher Theologus weiß es mit ſo viel mehrer diſcretion zu leſen. Daher ich rathen wolte / wo fern es nicht ſchon vorhin bekannt / der Herr Schwager ſaͤume nicht / es zur hand zuſchaffen / und fleißig zu leſen / mit gewißer hoffnung es werde mit ſonderer erleichterung des hertzens geſchehen: dann ich kaum iemahl gelernet / die gnade GOttes hoͤher zu achten / und die tauffe herrlicher zu preiſen / als eben aus ſolchem lieben und einfaͤltigen buͤchlein: deme ich auch daher / wo einige nævidarin - nen befindlich / ſolche gern zu gut halte. Die hauptſache iſt aus der Schrifft und Luthero ſo kraͤfftig erwieſen / daß ichs nie anders als mit vergnuͤglicher freude anſehe. Solte es vielleicht nicht in Straßburg zukauffen ſeyn / wie wol ichs doch vermuthe / ſo wuͤrde bey N. N. auff ſo lang ſein exemplar ge - lehnet werden koͤnnen / ich wolte gern mein eignes zu ſolchem nutzen ſchicken / aber es manglet an ſicherer gelegenheit. Neben dem mag auch nicht un - dienlich ſeyn / zu leſen / M. Andr. Crameri der glaubigen kinder GOttes ehrenſtand und pflicht / ſo ich zuſamt einer vorgeſetzten præfation alhier habe trucken laſſen / und ſo vielmehr wuͤnſchte unter from̃en hertzen bekant zu ſeyn / weil die hauptſtuͤcke / ſo Statius aus Prætorio urgiret / hierinnen auch herrlich getrieben / und hingegen die dinge / ſo in jenem verdaͤchtig moͤchtenY y y y 2ſeyn724Das fuͤnffte Capitel. ſeyn / hier ausgelaſſen worden ſind. Daß ich aber meinem hochgeehrten Hr. Schwager dieſe autores recommendire / geſchihet deßwegen / daß ich keinen methodum weiß / wie wir der anfechtung der ſuͤnden kuͤrtzer und nachtruͤckli - cher zu begegnen vermoͤgen / als wo wir recht lernen die krafft goͤttlicher gna - de und die ſchaͤtze der tauff verſtehen und betrachten. Die ſind das appro - birte antidotum wider jenes gifft. Zweiffle auch nicht daran / wo der Hr. Schwager wird anfangen ſeine gedancken hierauff zu ſchlagen / daß er ſelbs wuͤrde die krafft deſſelben bey ſich empfinden. Jm uͤbrigen auff die auch ab - ſonderliche petita zu antworten. 1. Ob / poſito, derſelbe haͤtte dem wein jenesmal zu viel gethan / und das kind nicht recht getaufft / ſolche ſuͤnde ihm noch vergeben werden koͤnte? So meyne ich / daß ſchwehrlich eine einige nur ſcheinbare ratio dubitandi vorgebracht werden moͤge / warum nicht ohne lang bedencken ſie bald mit ja beantwortet werden ſolte. Wir muͤſſen die ſchande dem blut CHriſti nicht anthun / daß wir einige ſuͤnde davon ausneh - men wolten / von dero uns daſſelbe nicht reinigte. 1. Joh. 1. Jn dem auch ſo gar die ſuͤnde in den heiligen Geiſt und boßhafftigſte beharrliche verleug - nung der wahrheit / nicht deßwegen ohne vergebung bleibet / daß CHriſti blut ſich nicht ſoweit erſtreckte / ſondern weil ſolche perſonen behaꝛꝛlich den be - kehrungs-mittlen ſich widerſetzen / und keine beßre begehren. Zwahr wo eini - ge ſorge waͤre / das kind waͤre nicht recht getaufft / und kein waſſer gebraucht worden / ſo haͤtte der Hr. Schwager ſolchen fehler zu repariren mit rechter adminiſtrirung der tauff / dann ohne waſſer waͤre das vorige keine tauff ge - weſen. Jch vernehme aber ex literis, daß teſtimonio parentum und aller umſtaͤnde dieſe einbildung widerleget werde / und alſo auch des Hrn. Schwa - gers conſcienz gewiß und ſicher ſtehe. Wann aber jenes geſchehen waͤre / wie begehrt wird ſolchen fall zu ſetzen / ſo beſtuͤnde die ſuͤnde in profanatione ſacramenti, und daß derſelbige ſo viel an ihm geweſen waͤre (aliud eſt ſi de, re ipſa loquamur in dem der bloſſe mangel das unſchuldige kind nicht verdammen kan. ) das kind um ſeine ſeeligkeit gebracht haͤtte. Nun ſind zwahr beydes ſchwehre ſuͤnden / aber auch troſts gnug gegen dieſelbe.

2. Wieviel ſind derer / welche unwuͤrdig des heiligen abendmahls / und alſo zu ihrem gericht / genieſſen? Solten wir aber ſagen / daß deren keiner nachmal wieder zu wahrer buß gelange / und dannoch die vergebung bekomme? Niemand wird ſolches nur ſa - gen. Wie offt wird etwa unwuͤrdigen unwiſſend oder aus nicht gnug - ſamer / ja an einigen orten zu ſolchem grad / unmuͤglicher / pruͤffung der communicanten / das heilige abendmahl gereicht / und der Prediger wird nachmal der ſache gewahr? Solte derſelbe denn keinen troſt weiter haben? Nun725ARTIC. II. SECTIO. III. Nun iſt in ſolchem eine nicht geringere profanatio Sacramenti, als in dem fall der hier geſetzet wird. Was das andere betrifft / ſo iſts zwahr freylich er - ſchroͤcklich zu gedencken / wo einer urſach an dem ewigen verluſt einer ſeelen wuͤrcklich ſolte ſeyn / ja wo er auch nur / wie in hoc caſu geſetzt wird / vor GOt - tes gericht / ob wol das kind nicht wuͤrcklich verdammt worden / ſolche ſuͤn - den tragen muͤſte. Aber auch hie hoͤret der troſt nicht auff. Laſſet uns A - dam und Evam anſehen: die haben auff ihrer ſeelen ligen alle die ſchuld der verdammnuͤß ſo vieler millionen ihrer nachkoͤmmlinge / nemlich aller die ver - lohren werden / jedoch verſichert uns die ſchrifft ihrer ſeligkeit. Hatte nicht Manaſſe mit ſeinen ſuͤnden und aͤrgernuͤſſen viele nicht nur um zeitlich leben / ſondern auch ihr heyl gebracht; jedoch war GOttes gnade maͤchtiger als ſei - ne ſuͤnde. Solte nicht David in ſeinem gewiſſen ſich ſchuldig haben geben muͤſſen / daß er unter den vielen / die ſeinet und ſeiner ſuͤnde wegen ſterben muſten / unter denen manche verlohren gangen ſind / vieler derſelben ver - dammnuͤß befoͤrdert? Jedoch war ihm die pforte des heyls nicht verſchloſ - ſen. Alſo ob wol nicht zu zweiffeln / daß Paulus in dem ſtand ſeines un - glaubens nicht nur die haͤnde mit blut beflecket / ſondern auch ſeine ſeele ver - ſchuldet / daß er ein und andern etwa mag zum abfall und alſo zur hoͤllen ge - bracht / bey vielen aber ihre bekehrung gehindert haben / ſo ruͤhmet er nichts deſtoweniger / daß ihm barmhertzigkeit wiederfahren / und zwahr andern zum exempel. 1. Tim. 1. 2. Was einen autorem betrifft / der das ver - dienſt CHriſti herrlich preiſe / bleibe ich bey oben ernenneten / darinnen auch die kraͤfftigſten ſtellen Lutheri befindlich und auffgezeichnet ſind / daß ſie hier - aus beſchrieben zu werden nicht bedoͤrffen. 3. Uber den locum 1. Joh. 3 / 19. 20. 21. iſt mir nichts bekant / ſo mir beſſer gefiele zu dieſem zweck als Pau - li Egardi guͤlden Chriſtenthum des himmliſchen adlers S. Johan - nis uͤber dieſen ort. Gleichwol bricht er auch faſt zu kurtz ab. Jſt wunder daß uͤber ſolche Epiſtel ſich noch weniger lehrer gemacht haben / als deroſel - ben vortreflichkeit werth iſt. 4. Uber den ort Epheſ. 6. laͤſt ſich am fuͤg - lichſten leſen die ſtattliche auslegung unſers Sel. Herrn Lutheri / ſo in dem 8. Jen. und Altorff. oder 1. Wittenb. theil ſtehet. Gleichwie ich aber in obigem einfaͤltig gezeiget / wie der Herr Schwager ſeiner anfechtung / und der darin - nen ihm vorſtellenden ſuͤnden / die unausſprechliche gnade und vortrefflichkeit des tauff-bundes entgegen zu halten habe / und was zu befoͤrderung ſolcher betrachtung zu leſen tuͤchtig ſeyn moͤchte: Alſo habe ferner denſelben zu dem gebet zu verweiſen / als dem nicht nur allgemeinen mittel in allen noͤthen / ſondern auch demjenigen / welches in dieſer art nemlich der anfechtung unſer ſtaͤrckeſter ſchutz und huͤlffe iſt. Wiewol ich nun dem Herrn Schwager nichtY y y y 3erſt726Das fuͤnffte Capitel. erſt zu zeigen habe / wie er beten ſolle / ſo wird derſelbe gleichwol auch nicht uͤbelnehmen / daß dannoch einiges dabey bemercke. Wie nemlich das gebet / gleichwie in allen andern arten des creutzes / alſo eingerichtet werden muͤſſe / daß wir zwahr unſeren jammer dem Vater der barmhertzigkeit wehemuͤthig klagen / und von ihm huͤlffe ſuchen / aber mit gaͤntzlicher unterwerffung unter ſeinen willen / wie oder wann er uns helffen wolle. Dann weil zwahr de[r]teuffel ſein geſchaͤfft in ſolcher anfechtung hat / aber uͤber demſelben der grund - guͤtige GOTT darinnen auch ſein werck fuͤhret / und dadurch der angefochte - nen heil kraͤfftig befoͤrdert / ſo wills uns nicht geziemen / daß wir bloß dahin von ſolchem creutz befreyet zu werden begehren ſolten / ſondern es muß ſolche bitte geſchehen aus einem ſolchen hertzen / welches bereit ſeye / wo es dem heili - gen GOTT gefallen ſolte / es noch laͤnger / ja biß in den todt in ſolcher betruͤb - nuͤß und ſchmertzlichem kampff zu laſſen / auf dieſe art des creutzes willig von ſeiner hand anzunehmen / und ſich allein / wohin er dorten Paulum verwieſen / an ſeiner gnade zu vergnuͤgen. Jſt eine harte lection, aber gantz nothwen - dig; und die huͤlffe gemeiniglich alsdann zum nechſten / wo nunmehr das fleiſch ſo weit uͤberwunden / daß man ſolche reſolution von hertzen gefaſſet hat / ſein creutz ihm ſelbs wolgefallen zu laſſen / weil es GOTT alſo gefalle / biß ihm auch wiederum gefallen werde / daſſelbe abzunehmen. Ja einem ſolchen iſt ſchon mehr als halb geholffen / welcher nunmehr mit ſeinem creutz zu frieden iſt / und es wider GOttes willen auch nicht anders begehrte. Daß aber ſolche gedult und reſolution (an dero wol ſo viel als an dem troſt ſelbs gele - gen iſt) befordert werde / iſt nuͤtzlich nicht nur zu betrachten / die freye macht unſers GOttes / uns mit einer art creutzes / als es ihm beliebig ſeye / heim - zuſuchen / ſondern auch ihm fleißig einzubilden / wie unwuͤrdig wir des goͤtt - lichen troſts ſeyen. Dann wer hertzlich bey ſich erweget / daß er eben um ſeiner ſuͤnden willen wol verdienet haͤtte / alles troſtes ewig beraubet zu ſeyn / und der ſuͤnden ſchmertzliche ſtachel unauffhoͤrlich zu fuͤhlen / derſelbe murret nicht nur nicht wider GOTT / daß er ihn ſolchen jetzt fuͤhlen laſſen / ſondern erkennet es noch vor ein groſſes ſchonen / daß GOTT ſolche ewige ſuͤnden-angſt in eine kurtze zeitlich verwandle / traͤget ſie alſo deſto williger. Dazu auch noch zuſetzen der herrliche nutzen der anfechtung / davon bald an - fangs geredet; und deſſen betrachtung machet / daß wir in ſolchem jammer - ſtand endlich lernen / mehr acht geben auf dasjenige / was dem geiſt heil - ſam / als dem fleiſch bitter und zuwider ſeye: Und nachdem wir um jenes willen es muͤſſen vor eine wolthat erkennen / daß wir um dieſes willen uns nicht zu ſehr beſchwehren. Ob dann nun wol die ausſtehende aͤngſten / ſee - len-betruͤbnuͤß und unruhige bangigkeiten kein geringes leiden ſind / ſon - dern von dem / der ſie leiden muß / wol gefuͤhlet werden / ſo ſind hingegendie727ARTIC. II. SECTIO III. die fruͤchten / welche dadurch GOTT wircket / auch kein geringes gut / ſon - dern endlich wol werth / ſo theuer uns angekommen zu ſeyn. Mit ſolcher und dergleichen betrachtungen das gemuͤth zu beruhigen / und zu wege zu bringen / daß man mit willen ſich unter die ſchwehr truckende hand GOttes demuͤthige / iſt eben ſo noͤthig / als der anfechtung ſelbs mit troſt zu begegnen / und das gebet / welches alsdann aus einem ſolchen hertzen gehet / ſo bereit iſt / ſo lang es GOTT gefaͤllig iſt / die laſt / wider welche es bittet / willig zu tragen / hat die ſtaͤrckeſte krafft / GOttes mitleidiges hertz zu bewegen. Da hinge - gen wo wir uns allzu angelegenlich dem creutz widerſetzen / und kurtzum davon wollen befreyet ſeyn / ſolches gebet viel eigenes willens und alſo GOTT mißfaͤlliges in ſich hat / und die huͤlffe nur mehr verzeucht. GOTT will uns lehren / auch ohne troſt eine weile zu ſeyn / und ihn doch zu lieben; wollen wir dann den troſt mit gewalt erzwingen / ſo hat GOTT ſeinen zweck an uns nicht erhalten / und haͤlt uns nur etwa ſo viel laͤnger in der probe: Ergeben wir uns aber willig darein / weil es ihm ſo gefaͤllig ſeye / eine weil in fuͤhlung ſol - cher ſuͤnden-angſt ohne troſt zu ſeyn / ſo hat GOTT an uns erhalten / was er ſucht / und laͤſſet uns ſo viel eher wieder frey. Jſt eine ſehr nothwendige bemerckung / auf die ich gern bey allen angefochtenen treibe. Auch bitte / der Herr Schwager wolle fleißig hieran gedencken: Und ja ſo eiffrig wider die ſich anmeldende ungedult als wider die ſuͤnden-anfechtung ſelbs kaͤmpf - fen. Dann injener wuͤrde er ſonſten ſuͤndigen / da ihm hingegen dieſe angſt / die er leiden muß / von GOTT nicht zur ſuͤnde zugerechnet wird. Sonder - lich huͤte er ſich / das tædium vitæ, und verdruß des lebens nicht bey ſich wur - tzeln zu laſſen / ſondern ſo offt daſſelbe ſich anmeldet / es ſo bald als eine ſuͤnde zu erkennen / und GOTT um dero vergebung zu bitten. Es ſoll uns kein creutz / und alſo auch dieſes nicht / dazu bewegen / daß wir auch nur mit wuͤn - ſchen GOTT aus ſeinem gehorſam begehrten auszutreten / ſondern kommen wir eben nicht aufdieſen grad der gedult / aus dem juͤngſthin eine chriſtliche perſon an mich ſchriebe / daß ſie / obwol ſonſten begierig bey ihrem Erloͤſer zu ſeyn / dannoch wo ſie GOTT noch laͤnger in dieſer jammer-vollen welt zu laſſen beſchloſſen / mit voͤlliger gelaſſenheit ſich ihme unterwerffe / vornemlich um des lieben creutzes willen / deſſen zu uͤbung ihrer gedult mehrers noch zu erfahren; ſo ſollen wir doch auffs wenigſte uns erinnern / daß wir des creu - tzes nicht uͤberdruͤßig werden / ſondern in der ſtille die angenehme zeit des HErrn und des tags der huͤlffe erwarten. Daß nun derſelbige durch kraͤff - tige goͤttliche gnade geſtaͤrcket / ſo wol gedultig in dem kampff / der ihm zu ſei - ner pruͤffung geſetzet iſt / ſtreiten / einen ſieg nach dem andern davon tragen / und dadurch an dem innerlichen menſchen zu eigner und anderer erbauung zu -neh -728Das fuͤnffte Capitel. nehmen moͤge / iſt noch derjenige einfaͤltige wunſch / den ich ſchließlich mit an - haͤnge / dabey aber denſelben verſichern mag / daß GOTT nach ſeiner treue nicht anders koͤnne / als die verſuchung alſo lindern und mildern / daß ſie er - traͤglich und heilſam ſeye / ja daß ſein Heyland / als der zuſeher des kampffs / mit hertzlichem mitleiden / als der an frembden ſuͤnden gefuͤhlet / was der ſuͤn - den ſtachel und quaal ſeye / ihm zu nechſt zur ſeiten ſtehe / ihn unvermerckt ſtaͤr - cke / und zu rechter zeit wiederum erfreuen werde. Womit meines fernern anhaltenden und mit ihm zugleich kaͤmpffenden gebets ihn bruͤderlich ver - ſichrende / und um gleiche hertzliche fuͤrbitte freundlich bittende / zu weiterer conferenz, wo er ſolche ihm nuͤtzlich erachtet / in ſolcher materie mich willig erbiete / und ihn goͤttlicher gnade wolmeinend erlaſſe. 1674.

SECTIO IV. Troſt-ſchreiben an einen ſchwehr angefochtenen Prediger / da er zum heiligen abendmahl gehen wollen. Erweiſung des glaubens bey mangel der fuͤhlung. Ein gebet im ſtand der anfechtung.

Aus unſers liebſten Heylands JEſu wunden / heil / krafft / troſt / friede / leben und ſegen!

Ehrwuͤrdiger und in ſolchem unſerm theuren Erloͤſer hertzlich geliebter Herr und Bruder.

JCh habe zwahr mit betruͤbnuͤß deſſen anhaltende ſchwehrmuth / aber auch mit freuden verſtanden / daß ſich ſolcher ſo weit uͤberwunden und reſolviret habe / juͤngſthin mit empfangung des heiligen abendmahls den todt des HErrn zu verkuͤndigen / und ſeinen glauben zu ſtaͤrcken. Ach ja werther Bruder / er gehe mit getroſter zuverſicht / oder wo er dieſe nicht fuͤhlen kan / mit kindlichem gehorſam / zu ſolchem theuren mahl der gnaden / und laſſe ſich ja durch nichts von ſolchem lieben vorſatz abhalten. Und ob ihn der ſatan ſolte mit furcht der unwuͤrdigkeit aͤngſten / ſo halte er ihm entgegen die wuͤr - digkeit ſeines lieben Heylands / der je werth iſt / daß wir ihm den gebotenen gehorſam leiſten / und uns auf ſein einladen einfinden / ob wir ſchon nicht wuͤr - dig waͤren / ſolche theure ſchaͤtze zu begehren oder anzunehmen; da wird gewiß - lich dieſe wuͤrdigkeit des liebſten Heylands unſere unwuͤrdigkeit gleichſam gantz verſchlingen. Und wo er nur acht auf ſich geben will / wird er gleichwol diejenige wuͤrdigkeit / welche der HErr von ſeinen gnaden-gaͤſten erfordert / ohne zweiffel bey ſich finden. Wir wiſſen es werde erfordert eine hertzliche reue und leyd uͤber die ſuͤnden. Wolte er zweiffeln / daß ſolche bey ihmewaͤ -729ARTIC. II. SECTIO IV. waͤre? oder uͤberzeuget ihn nicht ſeine ſtaͤtige wehmuth uͤber ſeine ſuͤnde / daß wahrhafftig dieſes ſtuͤck der buß bey ihm ſeye? es wird auch erfordert der wahre glaub an Chriſtum. Hie wird er vielleicht klagen / das ſeye eben das - jenige / daran es ihme mangele / und dieſes verurſache ihm ſeine aͤngſten. Aber geliebter Bruder / laßt uns die ſache recht unterſuchen / ſo hoffe / daß er unwi - derſprechlich der krafft des glaubens werde bey ſich gewahr werden; nur laſ - ſet uns lernen / daß der glaube nicht in der empfindlichen fuͤhlung der zuver - ſicht allein beſtehe / ſondern in derjenigen goͤttlichen wirckung des heiligen Geiſtes / welche uns ſo verborgen ſeyn kan / daß wir gar meinen / lauter das ge - gentheil und verzweiffelung bey uns zu fuͤhlen. Jndem nicht nur allein eine ſolche ſchwehrmuͤthige leibes-conſtitution ſeyn kan / welche wie ſie dem men - ſchen in andern ſtuͤcken alle freudigkeit benimmet / alſo auch ſelbs in dem geiſt - lichen diejenige freude / die wir ſonſten aus GOttes wirckung fuͤhlen wuͤrden / niederſchlaͤgt / und uns unempfindlich machet: Sondern / es hat GOTT ſelbs ſeine heilige urſachen / warum er uns den empfindlichen troſt des glaubens entzeucht / oder vielmehr zuruͤckhaͤlt / da er den glauben ſo viel herrlicher und edler machen will / daß wir lernen zu glauben wider den glauben / und auch an GOttes gnaden-verheiſſung gleichwol hangen bleiben / ob wir ſchon nichts fuͤhlen. Vorausgeſetzt deſſen / mag ich ihm getroſt ſagen / er glaube wahr - hafftig / ob er ſchon ſolches goͤttlichen liechts in ſich nicht gewahr wird. Da - mit er aber nicht auf meinem ſagen beruhen muͤſſe / als welches ſeinem gewiſ - ſen kein genuͤgen thaͤte / ſo weiſe ich ihn darauf / daß er ſich nur redlich vor GOTT pruͤffe / was er in ſich finde. Jch bin verſichert / er wird finden 1. eine innigliche betruͤbnuͤß uͤber ſeine ſuͤnde / damit er die gnade des HErrn verſaͤumet und verlohren zu haben ſorget / und traue ich ihm zu / daß / wo ers mit ſeinem todt erkauffen koͤnte / daß er die gnade nicht verlohren haͤt - te / er wuͤrde ſein leben dazu nicht zu theuer achten. 2. Ein inbruͤnſtiges verlangen nach der goͤttlichen gnade / wie ich abermal mich deſſen zu ihm verſehe / daß wo ihm einerſeits ein groſſes / was die welt ihm geben moͤchte / ſolte offeriret werden / auf der andern ſeiten aber die empfindliche verſiche - rung der goͤttlichen gnade ſtuͤnde / und ihm die wahl unter beyden gegeben wuͤrde / er wuͤrde mit begierde vielmehr nach dieſer als jener greiffen. Und was iſt die groſſe angſt / die er fuͤhlet / das ſtaͤte ſeuffzen und winſeln / anders als eine frucht / und alſo auch ein gewiſſes zeugnuͤß / eines ſolchen unverfaͤlſch - ten verlangens. 3. Eine ſorgfaͤltige verwahrung ſeines gewiſſens / daß er ja nicht mit willen begehrte / ſeinen GOTT zu beleidigen / ſondern viel - mehr ihm treulich nach ſeinem vermoͤgen zu dienen. Dieſe ſtuͤcke zweiffele ich nicht / daß ſie gewiß bey ihm ſeyn und ſich finden werden. Nun dencke er ſelbs / da er ſo verdorben iſt / als einiger anderer menſch von natur ſeyn kan / jaZ z z zwol730Das fuͤnffte Capitel. wol gar ſeine verderbnuͤß ſchwehrer als bey andern achtet / ob alle dieſe ding / die gleichwol gut ſeynd / ſich bey ihm alſo finden koͤnten / daß er ſie aus ſich ſelbs haͤtte / oder aber ob nicht vielmehr dieſelbe unwiderſprechliche zeugnuͤſ - ſen ſeynd / daß der Geiſt GOttes / welchen er von ſich gewichen zu ſeyn ſorget / wahrhafftig in ihm wohne / weil er ſolche theure fruͤchten in ihm bringet. Wie kan aber derjenige ohne glauben ſeyn / bey welchem dieſe liebe fruͤchten des glaubens und des Geiſtes ſich finden? Alſo / auserwehlter Bruder / erkenne er die ihm verborgene wurtzel / daß ſie gleichwol bey ihm lebendig annoch ſeyn muͤſſe / da er deroſelben werthe fruͤchten ſihet / welche einmal ohne ſolche wur - tzel durchaus nicht koͤnten da ſeyn. Wenn alſo auf einer ſeiten ſein hertz / welches wie alles menſchliche hertz von natur ein luͤgenhafftes hertz iſt / aus ſeinem betrieglichen empfinden ihm ſaget / er habe keinen glauben / auf der an - dern ſeiten ſaget GOttes wort / der menſch ſeye von ſich ſelbs zu allem guten untuͤchtig / daher wo ſich geiſtliches gutes befinde / ſo muͤſſe daſſelbige goͤttliche wirckung / und ein ſolcher menſch des heiligen Geiſtes werckſtatt ſeyn / wo der glaube ſich nothwendig befinden muß: Welchem unter beyden meinet er nun mit recht glauben zuzuſtellen? die vernunfft ſelbs wird ihn lehren / daß nicht ſein luͤgenhafftes hertz / und deſſen betriegliches fuͤhlen / ſondern das wort der wahrheit allein / wuͤrdig ſeye / ihm glauben beyzulegen. Alſo erkenne er wi - der allen ſeines hertzens widerſpruch gleichwol / daß er glaubig ſeye. Es wird ferner zu dem heiligen abendmahl erfordert ein hertzlicher vorſatz / ſein leben in der that und wahrheit nach aller gnade / die einem GOTT darzu verleihen werde / zu beſſern. Hie hoffe ich auch nicht / daß es ihm mangeln / ſondern ſich derſelbe ſo viel auffrichtiger bey ihm finden werde / als weniger der zuſtand der angefochtenen einiger heucheley bey ihnen platz laͤſſet. So gehe er dem - nach mit hertzlicher demuth und gehorſam zu ſolchem tiſch der gnaden / und ſpeiſe und traͤncke ſeine ſeele mit ſolchen himmliſchen guͤtern / die ihm anerbo - ten werden. Er verſichere ſich auch darbey / daß er nicht nur allein wahrhaff - tig den leib und blut ſeines liebſten Heylands daſelbs empfangen / ſondern zu - gleich der darinnen verſprochenen gnaden unfehlbarlich theilhafftig werde werden. Jm uͤbrigen kaͤmpffe er noch fort in der krafft des HErrn HErrn / in dem kampff / welchen deſſen heilige wahrheit ihm beſtimmet hat / als gewiß / welcher biß dahero beygeſtanden iſt / daß er uͤberwunden hat / wird auch ferner nicht weniger beyſtehen / und ihm helffen den voͤlligen ſieg davon tragen. Es wird ihm zwahr auch dieſes ſeltzam vorkommen / daß er biß dahero uͤberwun - den haben ſolte / da ihn doch deucht / er ſeye immerfort vielmehr uͤberwunden worden / und habe in ſich keine krafft zu ſtreiten. Aber liebſter Bruder / es iſt dieſes bereits ein herrlicher ſieg und uͤberwindung / daß ihn der HErr biß da - her annoch erhalten hat / daß er auf dieſe ſtund noch ſtehet / und ob wol ſeinemfuͤhlen731ARTIC. II. SECTIO IV. fuͤhlen nach ſchwaͤchlich / gleichwol wahrhafftig / annoch kaͤmpffet. Dann ſolte es nach dem willen ſeines feindes / des leidigen ſatans / der ihn ſichtet wie den weitzen / gegangen ſeyn / ſo haͤtte er laͤngſten allen glauben verliehren und unterligen muͤſſen. Daß alſo ſolcher ſein feind ſeinen willen an ihm noch nicht hat haben oder erhalten ſollen / iſt gewißlich ein nicht geringer ſieg / ſo uns die noch fernere verſicherung gibet / daß wir immer einen ſieg nach dem andern erhalten ſollen und werden. Laſſet uns nur fortfahren in dem kampff / wie ſchwach wir ſind / uns auf den kraͤfftigen beyſtand des HErrn HErrn verlaſ - ſende / ſonderlich aber in dem gebet / ſo unſere vortrefflichſte wehre ſeyn wird: Und ob es uns ſcheinet / der HErr hoͤre nicht / noch wolle hoͤren / ja unſer gebet pralle alles zuruͤck / oder werde uns gleichſam von GOTT vor die fuͤſſe ge - worffen / als ihm mißfaͤllig / ſo wollen wir doch nicht nachlaſſen / vielmehr mit dem Cananaͤiſchen weiblein immer deſto ſtaͤrcker anzuhalten / biß der HErr ſein liebreiches hertz uns in wircklicher huͤlffe offenbahre. Damit wir aber recht nach dem willen GOttes und deſto erhoͤrlicher beten / ſo wollen wir nicht ſo wol bloſſerdings um die hinwegnehmung der anfechtung und um den em - pfindlichen troſt / ſondern meiſtens und vornemlich darum bitten / daß er in den anfechtungen ſelbs ſeinen willen uns erkennen laſſen / uns mehr und mehr von allem eigenen willen und was ihm an uns mißfaͤllig ſeyn moͤchte / reini - gen / und uns auf diejenige art / welche er ſeiner weißheit und ehre am gemaͤſſe - ſten erkennet / bey ſeiner gnade erhalten / daher ſo zu reden in der that / wie dor - ten Paulo / zuſprechen wolle: Laß dir an meiner gnade genuͤgen. Thun wir dieſes von grund unſerer ſeelen / und werffen uns vor dem angeſicht un - ſers lieben Vaters alſo darnieder / daß es uns wahrhafftig nicht ſo wol um unſeren troſt und unſere vergnuͤgung / als um die vollbringung ſeines wil - lens an uns / zu thun ſeyn ſolle / ſo werden wir nicht nur der gnade ſolches himmliſchen Vaters gewiß gewahr werden / ſondern der HErr etwa mehr hinzuthun / als wir zu bitten uns unterſtanden haben wuͤrden. Dieſes iſt der weg / liebſter Bruder / auf welchem er ſich der huͤlffe unfehlbarlich verſehen darff. Es will in dem uͤbrigen die zeit nicht zugeben / mehreres hinzuzuthun / wie es ihm auch ohne das an dem noͤthigen unterricht in nichts mangeln wird. Jndeſſen wirds auch noͤthig ſeyn / vor den ſchwachen leib zu ſorgen / als deſſen conſtitution die innerliche und geiſtliche noth vermehret / wie etwa demſelben auch in dem nahmen des HErrn einiger rath geſchaffet werde / dazu vielleicht auf eines verſtaͤndigen Medici befragen eine ſauerbrunnen-cur moͤchte dien - lich ſeyn: Dahin wird auch gehoͤren / weil durch den wein die hitz und alſo die verſtopffung der adern ſehr vermehret werden mag / ſich alles deſſen unzeiti - gen und uberfluͤßigen gebrauchs zu entſchlagen / und ſich vor demſelben als vor gifft zu huͤten. Nun der HErr regire ihn auch in dieſer prob durch ſeinen hei -Z z z z 2ligen732Das fuͤnffte Capitel. ligen Geiſt / und lehre ihn recht ſeine wege erkennen / zeige ihm auch noch in der that / daß er ein Vater der barmhertzigkeit und GOTT alles troſtes zu ſeyn / noch nicht auffgehoͤret habe. Jch werde auch noch ferner nicht vergeſſen / den HErrn fuͤr ſeine noth anzuruffen / mich hinwieder auch fuͤr mich und mein ſchwehres amt ſeiner bruͤderlichen fuͤrbitte verſehende. 1682.

P. S. Weil auch eines gebets formul von mir verlanget worden / ſo ſchi - cke auch hiemit eine / nach belieben ſich derſelben / oder einer andern / welche ihn die eigene noth lehren moͤchte / ſich zu bedienen. Der HErr gieſſe ſelbs uͤber ihn aus den Geiſt der gnaden und des gebets.

ACh heiliger gerechter GOtt / barmhertziger himmliſcher Vater / deſſen gedancken wunderbarlich / und deine wege / auff welchen du uns fuͤhreſt / unſerer vernunfft unbegreiflich / aber alle deiner weiß - heit und guͤte gemaͤß find: du fuͤhreſt mich auch nach deinem rath / a - ber daß ich noch deine art nicht faſſen oder verſtehen kan: ſo verleyhe mir doch das liecht deines H. Geiſtes / in dem ich deinen willen und wie gut derſelbige ſeye / erkennen koͤnne. Du ſiheſt ſelbs die angſt meines hertzens und mein elend / ſo mir allzuſchwehr werden will / und es mir an krafft dieſes weiter auszuſtehen ermangelt: Ach ſo ſihe es dann mit barmhertzigen augen an / und laß es dir ſelbs zu hertzen gehen. Zwahr wo du wolteſt mit deinem knechte ins gericht gehen / ſo habe ich nicht al - lein dieſen jammer ſondern alle zeitliche und ewige ſtraffen / daher auch dieſes / wohl verſchuldet / daß du dich in meiner noth meiner nicht an - nehmeſt / ſondern dein angeſicht von mir wendeſt / und mich allerdings verſtieſſeſt / dann HErr ich bin nicht nur allein in ſuͤnden empfangen und gebohren / ſondern ich habe auch mit vielen unzaͤhlichen ſuͤnden / in gedancken / worten und wercken / mich an dir groͤblich und ſchwehr - lich verſuͤndiget. Wie viel gnade haſtu mir gegeben / wie reichlich habe ich dein wort von jugend auff gehabt / wie offt hat dein Heil. Geiſt kꝛaͤftig an meinem hertzen angeklopffet? ich armer habe aber ſolche gna - de nicht ſo danckbarlich angewendet / die krafft deines worts nicht ſo fleißig in mein hertz gefaſſet / noch deinem Heil. Geiſt ſo willig auffge - macht / ſondern leider ſeinen wuͤrckungen offt widerſtanden / oder ſie doch verſaͤumet / daher iſts kein wunder / daß das gute allgemach in mir erloſchen / und ich kaum etwas goͤttliches bey mir / ſondern allein meine verderbnuͤß und die hoͤlle / die ich verdienet habe / bey mir fuͤhle. Dieſe meine ſuͤnde erkenne ich / gerechter GOtt / und ach daß ich ſie rechtgruͤnd -733ARTIC. II. SECTIO IV. gruͤndlich erkennen / und dero ſchwehre wie es ſich gebuͤhret / beweinen koͤnte! laſſe ſie mir aber in dieſer meiner angſt nachtruͤcklich vor augen ſtehen / und dieſes eine frucht derſelben ſeyn / daß ich mich vor dir deſto beſſer demuͤthigen und ſie haſſen lerne / welche uns mit ſolchen aͤngſten lohnet. Laſſe aber auch alle ſolche meine ſuͤnde durch das blut deines allerliebſten Sohns / meines treuen Heylands / getilget und vergeben ſeyn / weil ja ſolches auch fuͤr dieſelbe vergoſſen worden iſt. Laß ſol - chen troſt in meinem hertzen lebendig und meinen glauben durch die verſiegelung deines H. Geiſtes geſtaͤrcket werden / wie du mir in mei - ner heiligen tauff eine ewige erloͤſung und vergebung meiner ſuͤnden zugeſaget und geſchencket / ſolche ſo offt in dem gnaden-wort des Ev - angelii wiederholet / und mit dem leib und blut deines liebſten Sohns als einem theuren pfand verſiegelt haſt. Dieſen glauben laß ja nim - mermehr von mir genommen / noch von der gewalt der anfechtung umgeſtoſſen werden. Lehre mich aber nicht auff das betruͤgliche fuͤh - len meines luͤgenhafften hertzens ſehen / noch daraus meinen glauben ſchaͤtzen / ſondern daß ich mich bloſſer dings an deine gnaden-verheiſ - ſungen in deinem wort halte / auch daß ich dieſem die ehre gebe / daß es wahr ſeye / ob auch mein fleiſch / meine vernunfft und das fuͤhlen mei - nes hertzens / lauter nein darzu ſpreche / und mir meinen glauben in zweiffel ziehen wolte. Wircke in mir ſtaͤts eine demuͤthige erkaͤnt - nuͤß meiner ſuͤnden / einen ernſtlichen haß gegen dieſelbe / und wahre traurigkeit daruͤber / daß ich dich meinen liebſten Vater beleidiget habe / erhalte das ſehnliche verlangen nach deiner gnade / und daß ich dieſelbige uͤber alles andere in der gantzen welt ſchaͤtze und achte; ſtaͤr - cke den heiligen vorſatz / mein gantzes leben allein zu deinen ehren treulich anzuwenden / gieſſe in mein hertze aus eine bruͤnſtige liebe gegen dich / eine wahrhafftige verſchmaͤhung der welt und alles deſ - ſen / was auſſer dir mein hertz in liebe gefangen nehmen wolte / eine auffrichtige liebe meines nechſten / ohne unterſcheid derer die mir gu - tes oder boͤſes erzeiget haͤtten / eine beſtaͤndige hoͤffnung auff deine huͤlffe in aller noth / eine gedultige gelaſſenheit in allem leiden / mei - nen willen dir auffzuopffern / eine feurige andacht zu dem gebet und heiligen uͤbungen / eine wahre ſanfftmuth / demuth / eintracht uñ freundlichkeit in dem umgang mit meinem nechſten / und alle an -Z z z z 3dere734Das fuͤnffte Capitel. dere dir gefaͤllige tugenden / damit ich aus dieſen fruͤchten und guten wirckungen deines Geiſtes uͤberzeuget werde / daß ich den glauben noch habe / welchen du mir ſo tieff verborgen haſt. Du ſiheſt auch / liebſter Vater / wie der ſatan / weil du dein gnaden-antlitz vor mir verdecket haſt / ſich der gelegenheit gebrauchet / und trachtet mich mit ſeinen feurigen pfeilen vollends zu verderben / in verzweiffelung / mißglauben und andere ſchand und laſter zu verfuͤhren. HErr ich bin viel zu ſchwach / dieſem boͤſewicht und ſeinen verſuchungen zu wi - derſtehen / aber ach ſihe du ſelbs mit erbarmenden augen auff mich / und hilff mir ritterlich ringen; gib ihm nicht zur beute die ſeele / wel - che dein Sohn ſo theuer erkauffet und erloͤſet hat / ſondern ſtaͤrcke mich alſo / daß ich ritterlich kaͤmpffe / alles wohl ausrichte und das feld behalte. Ach laß dieſes feuer der anfechtung dazu geſegnet werden / daß dadurch meines glaubens gold rechtſchaffen gelaͤutert / von den ſchlacken und aller unreinigkeit geſaͤubert / und insgeſamt alles / was von liebe dieſer welt bey mir uͤbrig ſeyn moͤchte / ausgebrandt werde. Gib mir nur gedult und ſtandhafftigkeit in ſolcher ſchweh - ren prob dir gehorſamlich auszuhalten. Ach wie verlanget mich nach deiner ſuͤſſen gnade / dieſelbe in ihrem troſt wiederum empfind - lich in meinem hertzen zu ſchmecken / und mit freudigem Geiſt dich zu loben: Wie ich aber dieſer wolthat mich unwuͤrdig achte / ſo bitte ich nur vielmehr allein / daß du deine gnade nicht von mir wendeſt / ſo ſolle mir daran genuͤgen / daß deine krafft in den ſchwachen maͤchtig ſeye. Lehre mich nur wandeln wuͤrdiglich desjenigen creutzes-be - ruffs / darein du mich jetzo geſetzet haſt / daß ich darinnen nicht wider dich ſuͤndige / ſondern mich unter deine gewaltige hand demuͤthige / und nichts mehrers verlange / als was dein wille uͤber mich iſt. Soll ich alſo aller freude und troſtes ermangeln / und in dieſer finſternuͤß und hoͤllen-angſt aushalten: Hie bin ich HErr / der ich es verſchul - det / ja ewiglich nicht daraus erloͤſet zu werden wohl verdienet habe / mache mit deinem knecht / was du wilt: Jch weiß doch und glaube fe - ſtiglich / daß dein liebreiches Vater-hertz mich nicht immerdar ver - ſtoſſen kan / ſondern / ob du mir ſchrecklich worden biſt / daß ich noch dein gnaden-antlitz wiederum ſchauen werde / dann das werck dei - ner hand und den du ſo hertzlich geliebet haſt / kanſtu nicht verlaſſen /weil735ARTIC. II. SECTIO IV. weil du ein wahrer und guͤtiger GOtt biſt / der ſich nicht verleugnen wird. So geſchehe mir wie du wilt / gib mir nur / daß ich thue was du wilt. Sihe aber auch auff dieſen meinen ſchwachen leib / und theile demſelbigen diejenige kraͤfften mit / dero ich bedarff / diejenige geſchaͤffte damit zu verrichten / wozu du mich geſetzet haſt / und weiſe du ſelbs diejenige mittel / welche du dazu ſegnen wilt. Regiere auch alle die um mich ſind / mit noͤthiger weißheit und liebe / daß ſie mit meiner ſchwachheit gedult tragen / mich alſo zu regieren / und mir zu begegnen wiſſen / wie es mir dienlich iſt / und vergilt ihnen die treue / welche ſie an mir erweiſen. Sonderlich laſſe ja niemand an mir ge - aͤrgert werden / noch einigen anſtoß nehmen / ſondern wo es dein hei - liger wille iſt / ſo laſſe mich vielmehr ein werckzeug deiner ehre an den jenigen ſeyn / die du mir anvertrauet haſt. Ach daß dann diejenige / ſo dein wort aus meinem munde hoͤren / deine gnade ausdemſelbi - gen in ihrem hertzen fuͤhlen / da ich von ſolchem geſchmack noch eine weile ſolle ausgeſchloſſen bleiben / ja daß alle / denen mein elend be - kant wird / an mir vieles lernen / und ſich an meiner demuth / gedult / und kampff erbauen / die auch endlich / wo die ſtunde der huͤlffe vor - handen ſeyn wird / mit miꝛfuͤr dieſelbe dancken moͤgen. Ach ja HErr / helffe mir dann alſo kaͤmpffen in der zeit / daß ich in deiner krafft end - lich noch voͤllig uͤberwinde / und dich auch dieſes ſieges wegen preiſe in jener ewigkeit. Erhoͤre mich Vater um deines liebſten Sohns JE - ſu willen / welcher auch uͤberwunden und mir die gemeinſchafft ſei - nes ſieges verheiſſen hat. Amen.

SECTIO V. Troſt an einen ſo ſchwehrmuͤthigen als angefochte - nen Prediger / der wegen ſeines leiblichen und geiſtlichen elen - den zuſtandes die erlaſſung von ſeinem amt geſucht und erhal - ten / aber ſolches als ein zeugnuͤß goͤttlichen zorns anſehe.

JCh ſehe ſonderlich aus dem an mich gelangtem zwey neue anſtoͤſſe / wel - che er davor halte / daß ſein jammerſtand dadurch vermehret worden ſeye: 1. in dem derſelbe ſich die gedancken macht / es ſey auch dieſes ein zeugnuͤß des goͤttlichen zorns / daß der HErr ihm ſeinen geiſt und deſſen ga - ben entzogen / damit aber ihn zu ſeinem dienſt untuͤchtig gemacht / er hingegenein736Das fuͤnffte Capitel. ein ſolches von ſeiner gerechtigkeit mit uͤbermachten ſuͤnden wol verſchuldet / und alſo dieſes gericht auff ſich ſelbs gezogen habe. 2. Weil er ſich erinne - re / daß von S. Hr. D. Schmieden gehoͤrt habe / der verſpruch bey der ordination geſchehe an eydesſtatt / ſolchen aber habe er mehrmalen gebro - chen / und demnach einen meineyd begangen. Was dann nun dieſe beyde ſtuͤcke anlangt / will ich je demſelben nicht ſchmeicheln / noch ſo viel an mir iſt / dazu helffen oder rathen / daß einiges unflaͤtiges oder eyterhafftiges in der wunden bleibe / und nur deſtomehr die heilung derſelben hindere: und alſo ob mir wol 1. ſein leben nicht ſo genau in allem bekant / was in demſelben mit verletzung der allgemeinen chriſtlichen oder amtspflicht moͤchte geſuͤndiget ſeyn worden / ja ich gar 2. daſſelbe etwa eher habe in vergleichung anderer ruͤhmen hoͤren / ſo dann 3. bey ſeiner gemuͤths-beſchaffenheit ſorgen muß / daß man ſich etwa aus unterſchiedlichen dingen ſuͤnde machen moͤchte / die vor GOtt und in ſich ſelbs nicht ſuͤnde ſind / will ich doch lieber mit ihm alles das - jenige vor ſuͤnde paſſiren laſſen / was ihm ſein gewiſſen in ſeine anklag vor ſuͤn - de darſtellet: in dem wo wir die art der ſuͤnden erkennen / jegliche derſelben ſchon vor ſich ſelbs groß genug und in dem goͤttlichen zeitlich und ewigen ge - richts ſchuldig iſt / da wir ſie nicht nur mit anderen groͤſſern vergleichen / ſon - dern wie ſie eine beleidigung des groſſen GOttes ſeye / anſehen: Es ſind auch alle ſuͤnden deſto ſchwehrer und groͤſſer zu halten / als mehr jeglicher un - ter uns von GOtt ſeine gnade und gabe ſeines geiſtes empfangen hat: Dann weil jede ſolche wolthat eine neue verbindlichkeit iſt zur goͤttlichen danckbar - keit / ſo macht ſie auch eine jede ſuͤnde deſto ſchwehrer wegen des darinnen enthaltenen undancks. Alſo bleibets wahr / daß jegliche ſolenne verſpruͤ - che / ſo wir GOtt thun / ſonderlich in dergleichen wichtigen dingen / als bey der ordination, ſind der krafft nach als eyde vor GOtt / und derwegen der - ſelbigen uͤbertretung haben etwas von dem meineyd. Alſo will ich in allem dieſem meinem wehrten bruder weder heiſſen noch rathen / daß er ſeine ſuͤnde gering achte / ſondern ſie vielmehr uͤberaus ſuͤndig mache / daß wo die ſuͤnde maͤchtig und deroſelben krafft erkannt worden iſt / die gnade ſo viel maͤchti - ger werde. Aber das laſſet uns dabey thun / daß wo wir der ſuͤnden tieffe erkennet / wir auch nachmal der gnade hoheit erkennen / und vor dieſer ſuͤnde uns ſonderlich huͤten / daß wir ſie ja nicht mit Cain muthwillig wolten groͤſſer achten / als daß ſie moͤchten vergeben werden / und alſo GOtt dieſen ſchimpff anthun / daß ſeine gnade nicht alles in der welt / und alſo auch die ſuͤnde / - bertreffe / welches goͤttlicher ehre am nechſten gehen / und ſie verletzen wuͤrde. Vielmehr da der teuffel uns ſolche feurige pfeil in das hertz ſchieſſet / und un - ſer fleiſch und blut ſich davon zum unglauben und verzweifflung anzuͤnden will / ſo laſſet uns gegen die ſuͤnde am ernſtlichſten ſtreiten / und die goͤttlichebarm -737ARTIC. II. SECTIO. V. barmhertzigkeit uͤber alles preiſen. Weil mirs aber vorkommt / als wuͤchſe bey meinem geliebten bruder dieſe ſeine hertzens-angſt vornemlich deſto ſtaͤr - cker / weil er wegen ſeines gemuͤths und leibeszuſtands ſich nicht mehr zu dem amt des kirchen-dienſts tuͤchtig befunden hat / und alſo bewogen worden / die erlaſſung deſſelben zu ſuchen / und zu erlangen / ſo bitte die ſache in der furcht des HErren ferner zu uͤbeꝛlegen / da er gewißlich finden wird / daß er ſolches nicht fuͤr ein zeugnuͤß goͤttlichen zorns / vielweniger eines ſolchen zorns / daß ihn der HErr gar von ſeinem angeſicht weggeworffen / zu halten habe. Es war kein zorn uͤber unſren alten S. D. Schmieden / der eine ſo geraume zeit an leib und gemuͤth zur verrichtung ſeines amts untuͤchtig worden / biß der HErr zum zeugnuͤß ſeiner wunder-guͤte / und etwa nicht um ſeinet willen (ohne daß er ihm noch ein groͤſſer maaß des leidens verordnet hatte / das er noch bey laͤngerem leben ausſtehen ſolle) als um der kirchen willen / die ſeiner beduͤrfftig war / ihn wieder in ſein amt eingeſetzet und tuͤchtig gemacht. Was nun auch GOtt uͤber todt und leben uͤber meinen geliebten bruder mag be - ſchloſſen haben / wiſſen wir nicht; koͤnnen aber eben deßwegen nicht ſagen / ob er nicht etwa auch ihn wiederum zu gleichem zeugnuͤß ſeiner wunderguͤte wieder auffrichten / und ihn etwa auch darinnen zu einem wuͤrcklichen troſt - exempel andern ſeinen glaubigen angefochtenen machen moͤchte. Gleichwol haben wir des HErren macht zu glauben / und wann / wie und an wem er der - gleichen zeugnuͤſſen ferner erweiſen wolle / ſeiner willkuͤhr und weißheit zu - berlaſſen. Geſetzt aber / er habe beſtimmt / daß er in dieſer vacanz ſein uͤbri - ges leben zubringen / und zu dem dienſt der kirchen nicht wiederkehren ſolte / ſo iſt doch dieſes eben ſo wenig ein uͤberzeugendes zeichen der goͤttlichen un - gnade. Es werden demſelben etwa unterſchiedliche exempel bekant ſeyn chriſtlicher und nicht uͤbel verdienter maͤnner / welche in ihrem alter / oder noch ehe daſſelbe ſo hoch gekommen / durch abnehmung der gedaͤchtnuͤß oder ande - rer gemuͤths-kraͤffte oder leibes ſchwachheit von podagra, laͤhme und der - gleichen / dermaſſen nach dem euſerlichen menſchen ruiniret worden ſind / daß ſie ihr amt nicht mehr verrichten koͤnnen / ſondern ſolches entweder durch Ad - junctos und Subſtitutos hat muͤſſen verrichtet / oder ſie gar erlaſſen uñ zur ru - he geſetzet werden. Und ſolche waren gleichwol chriſtliche und Gott angeneh - me uñ liebe maͤnner. So iſt ja dieſe meinem werthen Bruder zu geſtoſſene noth an ſich kein zeugnuͤß goͤttlichen zorn-gerichts / ſondern ſind dem HErrn die urſachen ſeiner heiligen verfuͤgung am beſten bekant / wir aber koͤnnen auffs wenigſte wiſſen / daß ſie ſeiner ehre gemaͤß / und zu meines geliebten Bruders eigenem beſten / wo er ſich in die goͤttliche ordnung recht ſchicken will / gemeinet ſeyn muͤſſen. Ja ſolte nicht vielmehr eine wolthat in ſolcher ſache ſeyn / die ihm zu begreiffen ſo ſchwehr werden will? Jch kenne chriſt -A a a a aliche738Das fuͤnffte Capitel. liche hertzen / die die gefahr des predigamts haben recht angefangen einzuſe - hen / welche es vor eine groſſe wolthat und gnade GOTTes achteten / wo ſie Gott durch dergleichen oder andere in dem gewiſſen verantwortliche art wol - te des dienſtes erlaſſen / und eine friſt goͤnnen / vor ihrem ende in einer ſtille zu leben / da ſie hingegen von ſelbſten aus dem beruff zu gehen / und eine va - canz zu machen / uͤber ihr gewiſſen nicht bringen koͤnnen / und wiſſen / daß wir ſo wenig von unſerer ſchildwach ohne ordre abziehen / als uns dazu verfuͤgen doͤrffen. Wo uns aber der HErr ſelbs beurlaubet / da moͤgen wir mit freu - den die uns goͤnnende ruhe annehmen. So iſt alſo ihm ja nichts wiederfah - ren / daß nicht auch eine wolthat darinnen ſeyn kan / und wo er ſich recht darinn ſchicken will / gewißlich ſeyn wird. Es iſt je der zuſtand unſerer kirchen ſo be - wandt / daß wir / ſo in derſelben dienſte leben / immerfort in euſſerſter ſeelen - gefahr ſchweben / und offt vor angſt des geiſtes kaum was zu thun ſeye / wiſ - ſen. Ach ſo ſoll uns ja nicht ſo ſauer ankommen / da der HErr eine ſo ſchwehr - truckende und gefaͤhrliche laſt von unſern ſchultern wegnimmt / und uns eine weile vor unſerm tode die zeit gibet / an uns ſelbs zu gedencken / GOtt und unſerer ſeele in einer ſtille zu leben? Jch meine ja / mein geliebter Bruder ha - be die zeit ſeiner bedienung ſelbs erfahren und gefuͤhlet / wie es denjenigen zu muth ſeye / die vor GOTT ihr amt fuͤhren / alſo daß die bey ihm entſtandene ſchwaͤchung der kraͤfften nicht wol anders als eine wirckung der in dem amt gehabter und daher gekommener ſeelen-angſt kan geweſen ſeyn. So glaube denn derſelbige / daß ſein himmliſcher Vater aus erbarmender und ſchonender liebe es dahin habe kommen laſſen / daß weil nicht nur das predigamt eine ſol - che ſchwehre laſt an ſich ſelbs / ſondern auch darinnen ihm noch ſchwehrer wor - den iſt / da ſeine ſchwehrmuͤthige leibes-conſtitution die gewiſſens-aͤngſten faſt unertraͤglich gemacht hat / er aus ſolcher ſchrecklichen beſchwehrde befrey - et die uͤbrige tage in einer mehreren ruhe zubringen / auffs wenigſte nicht taͤg - lich ſolche neue gelegenheit und urſachen der aͤngſten / wie in dem predigamt geſchihet / ihm auffſtoſſen moͤchten. So iſt es ja ein hertzliches ſchohnen und nicht ein zorn. Er hat jetzo fuͤr keine andere ſeele als die ſeinige und ſeines ei - genen hauſes zu ſorgen / und iſt eines groſſen theils der verantwortung entho - ben. Hingegen kan er gleichwol auch noch der gemeine nach gegenwaͤrtigem zuſtande dienen / wo er deſto eiffriger tag und nacht zu dem HErren fuͤr dieſel - be / und daß ſeine guͤte / die von den uͤbrigen Predigern taͤglich thuende arbeit deſto mildiglicher ſegnen / ja aus der ſelbs von ihm vor dem ausgeſtreuten ſaat annoch bey vielen eine ſo viel reichlichere erndte erwachſen laſſen wolle / ſeufftzen wird. Gewißlich dasjenige / was ein gottſeliger Prediger mit ſei - nem gebet thut / muß nicht vielweniger geachtet werden / als was man mit den menſchen handelt / indem an jenem ein groſſes ſtuͤck des ſeegens / welcher zuſolchen739ARTIC. II. SECTIO V. ſolchen verrichtungen gehoͤrt / haͤnget: daß ich auch offt davor halte / es man - gle uns manchmal mehr an eiffrigen betern als fleißigen arbeitern. Nun mit ſolchem gebet fuͤr die gemeine tag und nacht anzuhalten / hindert meinen gel. Bruder jetzt nichts / und alſo ob ſeine arbeit vor den menſchen nicht ſcheinbar iſt / ſo kan ſie doch vor GOtt kraͤfftig ſeyn. Nechſtdem daß er mit kindlicher gedult die zuͤchtigung ſeines himmliſchen Vaters ferner traͤgt / ſo erachte ich die erbauung ſolches exempels / welches andere an ihm wahrnehmen werden / auch nicht von geringem werth. Daß alſo obwol derſelbe ſeiner gewoͤhnli - chen oͤffentlichen verrichtungen erlaſſen / ihm dennoch nicht zugleich alle gele - genheit dem nechſten zur erbauung zu dienen zugleich entzogen iſt: zwahr hat ſein jetziger zuſtand vor unſern augen kein ſolches anſehen / gleich wie vorher / wird deswegen auch wenig vortheils in der welt davon zu erwarten ſeyn: Jch traue aber meinem werthen Bruder dieſes zu / daß er dieſes laͤngſt gelernet haben werde / nicht auff dasjenige zu ſehen / was in der menſchen augen hoch geachtet wird / ſondern worinnen des HErren wille geſchehe. So hoffe auch nicht / daß ihn der abgang des zeitlichen ſo ſehr betruͤben ſolle / indem ich nicht nur hoͤre / daß noch etwas von einem ſubſidio nach billigkeit gereicht werde / ſondern auch weiß / daß derſelbe von dem lieben GOtt alſo mit zeitlichen mit - teln geſegnet / daß was bey ſo enger haußhaltung / da ohne das die einige toch - ter wohl verſorget / noͤthig ſeyn mag / nicht mangeln wird; nun haben wir uͤber unſere nothdurfft nicht eben vieles zu verlangen. Gleich wie nun dieſe vor - ſtellung hoffentlich zu gnuͤge ihm darthun wird / daß er nicht urſach habe / die - ſe ſeines zuſtands aͤnderung einem ſonderlichen zorn-gericht GOttes zuzu - ſchreiben / da er vielmehr deſſen ſchonende guͤte darinnen erkennen kan. So finde ich auch die ſuͤnden / als viel mir offenbaret ſind / ſo das gewiſſen trucken / nicht dermaſſen / daß ſie eine ſolche zaghaffte angſt nach ſich ziehen ſolten. Jch wiederhole noch mal das obige / daß ich keine ſuͤnde gering machen wolle / aber ich bitte hingegen / daß auch die goͤttliche gnade nicht gering gemacht / ſondern derſelben ihre obhand uͤber die ſuͤnde gegoͤnnet werde. Unſer liebe Heyland iſt wahrhafftig nicht fuͤr eingebildete / auch nicht fuͤr geringe / kleine und kin - der-ſuͤnden allein geſtorben / ſondern fuͤr die allergroͤſſeſte der gantzen welt / und welche ſo zu reden werth waͤren / daß der Sohn GOTTES fuͤr ſie zur verſoͤhnung ſtuͤrbe. So hat demnach GOtt ſeinen gnaden-bund auch mit ihm nicht darauff gemacht / daß ihm / wo er gantz geringe ſuͤnde / die dem menſchli - chen anſehen nach ſolten kaum ſcheinen einer vergebung bedoͤrfftig zu ſeyn / an ſich haben wuͤrde / ſolche ſolten vergeben werden; ſondern er ſtehet in demjeni - gen gnaden-bund / da ihn das blut Jeſu Chriſti von allen ſuͤnden reiniget. So weiß derſelbe aus unſerer reinen Evangeliſchen lehre zur gnuͤge / daß der unterſcheid der laͤßigen und todtſuͤnden nicht von der geringigkeit oder groͤſſeA a a a a 2der740Das fuͤnffte Capitel. der materien oder der that ſelbs hergenommen werde / ſondern daß alle ſuͤn - de / wie ſie nahmen haben moͤgen / bey denen / wo annoch glaube / buſſe und vor - ſatz GOtt hertzlich zu dienen ſtehen bleiben / und demnach die aus unwiſſen - heit / uͤbereilung und ſchwachheit geſchehen / vor GOttes gericht ſolchen buß - fertigen und glaubigen nicht zugerechnet werden / ſondern ſie in krafft ihres glaubens in ſtaͤtem genuß der vergebung ſtehen. Solte nun nach fleißiger pruͤfung ſeiner ſelbs / mein werther Bruder nicht finden / daß er die meiſte zeit ſeines kirchen-dienſtes / auffs wenigſte von guter zeit her / wahrhafftig in ei - nem ſolchen ſtand geſtanden / wo es ihm redlich allein um ſeinen Gott zu thun geweſen / daß er ſich ſeine ſuͤnde ſtets laſſen leyd ſeyn / und er in vertrauen auff Chriſtum und ſein verdienſt (auffs wenigſte wo es an deſſen empfindlichkeit gemanglet / in verlangen ſolches vertrauens / in welchem es gleichwol ſchon ei - niger maſſen ſelbſten verborgen ſtecket) taͤglich ſeinen neuen vorſatz vor GOtt hertzlich erneuert habe? Jſt nun ſolches / ſo ſind ſeine ſuͤnden ſolcher zeit / wie ſchwehr ſie an ſich ſelbs ſcheinen / wahrhafftig lauter laͤßige ſuͤnden / und er in ſteter gnade ſeines lieben Vaters geweſen. Solte er aber finden / daß er wahrhafftig einige mal trotziglich und muthwillig gegen ſeinen GOTT geſuͤndigt / und deswegen den ſeelen-todt ihm zugezogen habe / ſo will ich auffs wenigſte auch nicht zweifflen an hertzlicher und auffrichtiger buß / davon mich ſein mir beſchriebener jetziger zuſtand ſeiner ſeelen gnug - ſam verſichert. Wie ſolte aber an ihm allein goͤttliche ordnung triegen / die darinnen beſtehet / daß GOtt allen bußfertigen alle ſuͤnde alſobald ſolchen augenblick vergebe / und ſeine barmhertzigkeit daran preiſe / daß die groͤſſeſte ſuͤnden eben ſo wol in ſolcher vergebung mit begriffen ſeyen? Hier muß wahrhafftig die goͤttliche gnade mit ihrer hoheit uns nicht weniger als die tieffe unſrer ſuͤnden vor augen ſtehen. Die gebrochene eydes-pflicht / ſo in der ordination geleiſtet worden / mache ich abermal an ſich ſelbs nicht gering / nur daß die goͤttliche gnade groͤſſer bleibe. Und meinet mein liebſter Bru - der / daß der verſpruch bey der ordination heiliger ſeye / als der erſte ver - ſpruch in der tauffe abgeleget? Zu folge deſſen / ſo ſind alle unſre ſuͤnden / wo wir nach abſagung des teuffels und ſeiner wercke und der weltlichen uͤppig - keit jemalen in unſermleben darnach geſuͤndiget haben / nicht weniger vor GOtt lauter meineyde. So muß denn entweder keine einige ſuͤnde uns nach der tauffe jemalen vergeben werden koͤnnen (wer wolte aber dieſes ſagen / was die gantze gnade GOttes uͤber ein hauffen werffen wuͤrde? Und wird hoffentlich mein geliebter Bruder / daß in der Chriſtenheit noch vor die ge - tauffte / ſo geſuͤndiget haben / eine vergebung uͤbrig ſeye / nicht zweiffeln) o - der er muß erkennen / daß eine brechung der GOtt geleiſteten pflicht / alſo ein ſo genannter meineyd / mit unter diejenigen ſuͤnden gehoͤre / welche ſo wol alsandre741ARTIC. II. SECTIO. V. andre von der barmhertzigkeit GOttes um Chriſti verdienſtes willen verzie - hen werden. Jſt es denn nun alſo / wie es denn wahrhafftig iſt / daß er ei - nen ſolchen gnaͤdigen GOtt hat / und ſeine ſchonende gnade auch in dieſem ſeinem betruͤbteſten ſtande waltet / auch weder ſeine noch einige andere ſuͤn - den der welt ſo groß ſind / daß ſie nicht das theure verdienſt unſres liebſten Erloͤſers weit / weit uͤberwiege / ja daß alle ſeine angſthafftigkeit und begier - de nach goͤttlicher gnade ein unbetriegliches zeichen ſeines bußſtandes ſeynd / ſo bitte ich um des HErrn willen / er thue deſſen gnade die ehre / und laſſe ſie in ſich ſo viel vermoͤgen / daß er ſich auffrichte / und ſich zu ſeinem himmliſchen Vater guts verſehe. So viel weiß ich wol / daß ich von ihm nicht fordern kan / daß er in freudigkeit des geiſtes andern mehrern etwa gleichkomme / dann ſolches maaß mag ihm nicht gegeben / noch dieſe ſeiner natur und tem - peraments beſchaffenheit dazu jetzo geſchickt ſeyn: Nun iſt zwahr GOTT nicht an natur und conſtitution gebunden / aber wie er auch dieſe nicht ohne weiſe austheilung unterſchiedlich dieſem und jenem zugeordnet / alſo richtet er ſich in ſeinen gnaden wuͤrckungen zimlich darnach. Da nun auch jeglicher ſonſten in dem leiblichen damit zufrieden ſeyn muß / was vor eine natur kraͤncklich oder ſtarck / der Herr ihm zu gemeſſen / und derjenige ſich nicht dar - uͤber zu beſchwehren fug hat / welcher auch wenige geſunde ſtunden ſein leb - tag haͤtte: So wolle er ſich auch unter die gewaltige hand GOttes demuͤ - thigen / da dieſelbe ihn vielmehr in aͤngſten als troſt / in finſternuͤß als liecht / in unempfindlichkeit der gnaden als dero ſuͤſſen geſchmack / durch dieſes jam - merthal fuͤhren will / und daher in der natur bereits ein ſolch temperament bekommen / daß hiezu und zu dieſen wegen geneigt iſt. Es bleibet doch da - bey / der HErr gedencket unſer / wo wir uns vor die verlaſſenſte achten / und haͤnget unſer heil nicht an unſerm fuͤhlen / ſondernGOttes geoffenbahrtem gnaden-urtheil. Dieſes nun verſichert ihn ſeines heyls / iſt aber deßwegenwuͤꝛ - dig / daß ihme vielmehr als demjenigen / was uns ſelbs vor uns ſelbs deuch - tet / glauben zugeſtellet werde. Die vier regeln ſo deſſen jetzigen zuſtand am noͤthigſten achte / fuͤge mit ſo viel worten noch letzlich an: ſolche heiſſen / lei - den / beten / hoffen und glauben. Er leide ſich als ein guter ſtreiter JEſu CHriſti / und gedencke / da er vorhin zu thun und arbeiten beruffen ge - weſen / ſo habe ihn jetzund der HErr in den leidensſtand verſetzet / in welchem er ihm mit geduldigem leiden ſo gefaͤllig dienen kan / als vorhin im arbeiten. Er bete hertzlich und unablaͤßig / und laſſe ſich ja den ſatan und ſein fleiſch nicht dadurch abhalten / ob waͤre ſein gebet zu unwuͤrdig und mangelhafft / vor GOtt zu erſcheinen: in dem ja unſer gebet niemal aus ſeiner wuͤrdigkeit / ſondern um des verdienſtes und fuͤrbitte unſres lieben Heylandes willen / GOtt angenehm und erhoͤrt iſt. Deucht ihn auch / er koͤnne nicht beten / ſoA a a a a 3ſeuff -742Das fuͤnffte Capitel. ſeuffze er / und verlange nach dem heil des HERREN / und wiſſe daß der HErr das verlangen der elenden hoͤre / und ſein ohre mercke auff ihr ſchreyen. Er hoffe / die huͤlffe werde zu rechter zeit und auff die beſte art kommen / entweder den HErren noch in dieſem fleiſch mit froͤlichem hertzen und mun - de wiederum zu loben / oder doch aus dieſer unruhe zu ſeiner zeit in die ſeeli - ge ewigkeit verſetzt zu werden. Er glaube / nicht aber ſeinen eigen betruͤg - lichen gedancken / ſondern dem pur lautern goͤttlichen wort / welches ihm und allen gnadhungrigen ohnfehlbar die gnade zuſagt / daher auch vor allem meinem und ſeinem duͤncken und fuͤhlen darauff zu beharren wuͤrdig iſt. Jn ſolchem glauben werffe er ſich getroſt und gleichſam blindlings in die arme der goͤttlichen barmhertzigkeit; er wird gewiß nicht uͤbel fallen noch ligen; ich werde meines theils auch nicht unterlaſſen / ſeiner vor GOtt zu gedencken / wie auch die anſtalt gemacht habe / daß fuͤr ihn hie in oͤffentlicher gemeinde unter andern nothleidenden abſonderlich (ob wol ohne noch eine perſon / Hr. N N. als ſeinen alten freund / niemand weiß / wer der mann ſeye. ) gebetet wird. Nun der HErr HErr erfuͤlle alle ſeine begierde und verlangen / und erhoͤre alle fuͤr ihn thuende gebet nach ſeinem heiligen rath / wie es zu ſeines h eiligen nahmens ehre / ſeiner ſeelen beſten / und anderer erbauung am dien - ſamſten ſeyn mag. Er ſeye ſein troſt und heil in zeit und ewigkeit. 1682.

SECTIO VI. An einen lang angefochtenen / aber wieder befrey - ten Prediger / vom nutzen der anfechtung.

ES iſt freylich ſo / wie derſelbe klaget / daß die anfechtungen / ſonderlich der wahrhafftigen oder eingebildeten ſuͤnden / ſchwehrer und untraͤglicher ſind / als niemand / der nichts davon geſchmecket / gedencken oder glauben kan: Und will freylich fleiſch und blut unmuͤglich fallen / den guͤtigen rath GOttes in dem ihm ſo widrigen recht zu erkennen und anzubeten. Aber wie dem allen / ſo bleibets gleichwol dabey / wie jener Jude zu ſagen pflegte:〈…〉〈…〉. Das iſt / auch dieſes muß zum beſten dienen. Es wuͤrde ja der ſo guͤtigſte Vater in dem himmel / welcher uns hertzlicher / als wirs uns ſelbs einzubilden vermoͤgen / liebet / nimmermehr dergleichen ſeinen geliebten kindern wiederfahren laſſen / wofern er nicht den nutzen ſolcher zu - laſſung ſo groß finden wuͤrde / daß er nicht beſſer an ihnen verherrlichet werde / noch ihr heil kraͤfftiger befoͤrdern koͤnte / als auf dieſe ſo widerſinnliche art. Daß euſſerliches leiden uns nuͤtzlich ſeye zu mortificirung unſers alten men - ſchen / iſt eine ſache / die etlicher maſſen auch die vernunfft noch begreiffen kan / weildieſelbe etwas darvon erkennet / wie die groͤſſeſte krafft des alten men -ſchen743ARTIC. II. SECTIO VI. ſchen in dem eigenen willen ſtehe / derſelbe aber / wo es uns nach ſeinem eigenen wunſch gehet / ſehr geſtaͤrcket wird / und nicht anders als durch widriges ge - ſchwaͤchet werden kan. Daher man den nutzen des euſſerlichen creutzes handgreifflich ſpuͤret. Wann aber zu unſerem alten menſchen gehoͤret nicht nur dasjenige / was an uns unordenliche begierden zu der welt erreget / und dem GOTT durch das euſſerliche creutz begegnet / ſondern auch die verderb - nuͤß tieffer gehet / daß ſie ſich auch findet in deme / worinnen wirs mit GOTT und dem geiſtlichen zu thun haben / da eben ſo wol allerhand unordnung ange - troffen wird / daß wir in dem geiſtlichen uns ſelbs / GOttes gaben nicht um ſein ſondern unſertwillen / ja dieſelbe vielmehr als ihn / den geber / ſuchen / und was dergleichen mehr ſeyn mag / ſo erfordert GOttes weiſeſter rath / daß er auch dieſer tieffer verborgenen / und von uns ſonſt faſt nicht erkantlichen kranckheit / eine artzeney verſchaffe / vermittels dergleichen innerlichen und geiſtlichen creutzes / entweder uns fuͤr jener gefahr / ehe wir darein kommen / heilſamlich zu verwahren / oder aber aus deroſelben wiederum kraͤfftiglich heraus zu ruͤcken: Hingegen den innerſten grund des hertzens auffs genaueſte zu reinigen / uns in unſer nicht / und alſo zu der innerſten und tieffſten demuͤ - thigung zu fuͤhren / hingegen dadurch erſt zu der hoͤchſten gnade recht tuͤchtig und deroſelben empfaͤnglich zu machen. Alſo wunderbarlich iſt der groſſe / heilige und guͤtige GOTT / daß nach ſeinem weiſeſten rath ſelbs der teuffel (dann daß ſolcher ſein werck mit dabey habe / iſt kein zweiffel) dazu helffen muß / daß der ſeinen geiſtliches beſtes befoͤrdert / vornemlich aber ſein glor - wuͤrdigſter nahme geprieſen werde; daher wir nicht ſo wol auf die ſache ſelbs / welche ſcheinet allerdings ſeiner ehre entgegen zu ſeyn / als auf die heilige ab - ſicht und nutzen zu ſehen haben / und aus erkaͤntnuͤß derſelben die goͤttliche weißheit zu preiſen anlaß nehmen ſollen. Schwehrmuth iſt freylich an ſich ſelbs nicht von dem GOTT der freuden / aber daß diejenige / welchen ſolche cur vonnoͤthen iſt / ſich damit eine zeitlang ſchleppen / gepantzerfeget werden muͤſſen / iſt ein ſtuͤck ſeiner heiligen verordnung / und ein theures gnaden - werck. Wie viel ſolten jetzo nicht in der verdammnuͤß ligen / wo ihnen GOtt nicht die groſſe gnade gethan / daß da ſie das gelindere anklopffen zur reue nicht annehmen wollen / er ihnen recht empfindlicher weiſe in ihrem hertzen die ſuͤnde haͤtte laſſen auffwachen / daß ſie durch ſolche hoͤllen-aͤngſten in der zeit der gnaden dem endlich unwandelbaren ewigen gericht entriſſen worden waͤ - ren? Wie viel ſolten nimmermehr zu dem hohen grad der gnaden gelanget ſeyn / mit welchem ſie GOTT endlich beſeliget hat / wo ſie nicht erſtlich durch einen etwa andern / welche ſo weit nicht kommen ſollen / ungewoͤhnlichen brand weiter gereiniget worden waͤren? Wie viele muͤſſen ſich mit andern anfech - tungen / der gottloſen und gotteslaͤſterlichen gedancken / ja der unempfindlich -keit744Das fuͤnffte Capitel. keit uͤber ihre ſuͤnden / plagen / daß wo es in ihrer willkuͤhr ſtuͤnde / ſie die aller - ſchmertzlichſte ſuͤnden-aͤngſten und den daruͤber brennenden zorn GOttes zu leiden eher wehlen wuͤrden. Jndem ſie in dieſem mehr ſchmertzen / in jenem aber unvergleichlich groͤſſere gefahr wahrnehmen. Aber allweiſe iſt derjeni - ge / der einem jeglichen zutheilet / wie und was ihm am ſeligſten iſt / und wie er will an ihm geprieſen werden? Wir aber wollen glauben / und uns ſolches am feſteſten einbilden / er habe nicht nur macht / mit uns nmzugehen / nach ſeinem wolgefallen / ſonderner fuͤhre auch diejenige / ſo ſich ohne ausnahm ihm laſſen / ob etwa durch die hoͤlle / doch in ſeinen himmel / und daſſelbe am allergewiſſe - ſten / ja ſo viel gewiſſer / als unbekanter und durch verborgene wege. Deſſen ſeiner himmliſchen guͤte ſeye auch ewig danckgeſagt / der denſelben zwahr ge - demuͤthiget / damit er ſeine rechte lerne / aber auch wieder hertzlich erfreuet / und aus den pforten der hoͤllen ausgefuͤhret hat. Den ruffe ich demuͤthig an / er wolle nunmehr auch laſſen ſeine ſuͤßigkeit ſo viel empfindlicher ſchmecken / und ihn auch hinkuͤnfftig fuͤhren nach ſeinem rath / in allem zum zeugnuͤß ſei - ner himmliſchen weiſen guͤte / ihn ſelbs andern zu ſetzen. Gegenwaͤrtiges hatte bereits (und zwahr in Schwalbach / da ich auf des Medici verordnung einige wochen der ſauerbrunnen-cur wegen etwas angeſetzter diſpoſitionis hecticæ zu wenden muſte / und alſo unterſchiedlicher guter freunde ſchreiben zu beant worten / mit mir genommen hatte) geſchrieben / als mir mein Collega, N. deſſen anderes ſchreiben eingehaͤndigt. Jſt mir auch aus ſolchem die con - tinuation goͤttlicher gnade und troſtes / ſo dann die von GOTT gnaͤdiglich gefuͤgte vocation in die ſtadt / zu vernehmen ſehr erfreulich geweſen. Der HErr laſſe ihn noch immerfort ſich ſeiner guͤte freuen / und taͤglich urſach fin - den / deroſelben neue lob - und danck-opffer zu bringen. So dann wolle er auch die nunmehr in der ſtadt verrichtende amts-geſchaͤffte kraͤfftiglich der - maſſen geſegnen / daß ſein heiliger nahme herrlich durch ihn geprieſen / und vie - le ſeelen zu ihrem heil befoͤrdert werden. Es wird nunmehr ſo viel weniger an gelegenheit manglen / durch gottſeliger mit-bruͤder und Chriſten freundli - che und troſtreiche converſation ſich ſo vielmehr von aller ſchwehrmuth zu verwahren / und ſich immer weiter in dem HErrn zu erbauen. Wie dann eben dieſes ein voenehmes ſtuͤck unſerer danckbarkeit iſt / daß wir nicht nur die groſſe thaten GOttes an uns geſchehen / andern ruͤhmen und ſie damit auff - richten / ſondern auch ſelbs uns zeit lebens der aͤngſten / aus denen wir gefuͤh - ret / erinnern / und in allen dingen zeigen / wie wir uns in allem ohne unterſcheid ewig unſerm GOTT gewidmet haben / der ſich uns durch ſo viel wiederholte wolthaten zu eigen gemacht hat: Ja eben damit die rechte gruͤndliche ver - leugnung ſeiner ſelbs / (welche GOTT durch die anfechtung zum foͤrderſten ſucht) bey uns befoͤrdern / und in dem ſo vornehmen aber leider ſo wenig bekan -ten745ARTIC. II. SECTIO VII. ten ſtuͤck unſers Chriſtenthums / je laͤnger je fleißiger uns uͤben / und ſie bey andern treiben: Auch uns dardurch / wofern GOTT noch andere kaͤmpffe uns vorbehalten / daran wir ins kuͤnfftige gefuͤhret werden ſollen / ſo viel beſſer darauf ruͤſten. Dann je weiter wir uns ſelbs verleugnen / je mehr iſt alle macht der anfechtung gebrochen / welche uns nirgend angreiffen kan / als wo wir noch eigenes an uns haben und behalten wollen. Goͤttlicher weiſeſten regierung / ſchuͤtzen den allmacht / und ſegnenden guͤte treulichſt empfehlend / verbleibe ſchließlichen. m. f. w.

SECTIO VII. Troſt-ſchreiben an einen ſonderlich ſeines amts wegen bekuͤmmerten Prediger. Wegen des Evangelii. Statii und Crameri ſchrifften. Sonntags-tantzen. Wie fern man etwas gutes unterlaſſen doͤrffe.

WAs geliebter Bruder von ſeiner eigenen ſeelen zuſtand mir wiſſend machen wollen / war mir angenehm zu vernehmen / finde aber demſel - ben das erſprießlichſte zu befoͤrderung mehreren wachsthums in der heiligung / nicht ſo wol dem geſetz mehr platz bey ſich zu geben / als vielmehr / daß das Evangelium dasjenige ſeye / das man trachte je laͤnger je tieffer in das hertz einzutrucken / darmit deſſen krafft je laͤnger je mehr alles lebendig mache; welches auch das vornehmſte mittel iſt / der natuͤrlichen angſthafftig - keit am kraͤfftigſten zu widerſtehen. Wie auch ein Prediger / in deſſen hertzen das Evangelium nunmehr die herrſchafft hat / auch durch deſſen krafft in die ſeelen am beſten eintringt / und insgemein dasjenige aus richtet / was das ge - ſetz nimmer aus zurichten vermoͤchte. Daher ich wie andere Chriſten alſo ſonderlich Prediger / des frommen Statii ſchatz-kammer aus Stephano Præ - torio ſehr dienlich achte: Dann obwol einiges darinnen / das guter erklaͤrung bedarff / und nicht ſo bloß dahin angenommen werden kan / ſo iſt doch die mei - nung des Autoris, wo ſie nach der liebe verſtanden wird / nicht allein gut / ſon - dern es hat der himmliſche Vater das buch an vielen ſeelen / auch noch vor kurtzen zeiten / alſo geſegnet / daß ſie ſeine guͤte daruͤber ewig preiſen werden / wegen des freudigen glaubens / welchen er durch deſſen fleißige leſung in ih - nen gewircket hat. Wo aber jemand anſtoß an den redens-arten Prætorii haben moͤchte / recommendire ich gern Andr. Crameri unterſchiedliche tra - ctaͤtlein / welche ich deßwegen unter dem nahmen ehren-ſtand der kinder GOttes in Franckfurt am Mayn und nachmal Dreßden / habe trucken laſ - ſen; darinnen ſolcher evangeliſche methodus auch ſtattlich gezeiget worden iſt / und durch GOttes gnade biß daher manchen leſern eingeleuchtet hat. B b b b bDann746Das fuͤnffte Capitel. Dann nachdem wir wiſſen / daß uns alles an dem glauben lige / der uns nicht allein vor GOttes gericht gerecht macht / ſondern uns auch alle krafft der he i - ligung geben muß / ſo iſt uns nichts dienlicher / als daß wir ſo wol ſelbs un - ſern glauben ſtets ſtaͤrcken / als auch aus eigener erfahrung ſo viel tuͤchtiger werden / andere auf dem glaubens-wege zu fuͤhren / deſſen pfade wir ſelbs durchgangen. Ja gegen die ſchwehrigkeit unſers amtes / und daher beſorg - ter gefahr unſerer ſeligkeit / iſt kein kraͤfftiger mittel / als daß uns aus dem Evangelio die treue und guͤte unſers himmliſchen Vaters ſtets vor augen ſtehe / die uns von jener anfechtung nicht gantz niedergeſchlagen werden laͤſ - ſet. Wo mir alſo mein gewiſſen zeugnuͤß gibet / daß ich es redlich vor GOtt / wie ſonſten in meinem Chriſtenthum / alſo auch in meinem amt / meine / und daher nichts anders verlange / als goͤttliche ehre zu befoͤrdern / alle ſeelen / die mir anvertrauet ſind / nach dem vermoͤgen / das GOTT darreichet / zu dem wahren heil zu fuͤhren / und die meinige zur ausbeute davon zu tragen / des we - gen auch keine arbeit zu ſcheuen / ja auch druͤber was noͤthig iſt zu leiden / dieſem vorſatz aber auch nachzukommen trachte / ſo zeuget dieſe hertzliche liebe GOt - tes und des nechſten in mir / daß ich durch den glauben / deſſen fruͤchten jene ſind / in goͤttlicher gnade ſtehe. Ob mir dann nun hingegen auch vor augen ſtehet / wie ſo gar ich weit zuruͤck bleibe / und weder ausrichte noch ausrichten kan / was ich verlange / und darnach arbeite / auch GOTT ſolches von mir fordert / weil ich gleichwol die meiſte glieder der gemeinde in ſolchem ſtande ſehe / der entweder gewiß boͤſe / oder mir billich ſehr verdaͤchtig iſt / ſo iſts zwahr nicht ohn / daß ſolches nicht anders als das gewiſſen aͤngſten / und mit der ver - antwortung der verlohren gehenden ſeelen ſchrecken kan / aber es bleibet doch der einige troſt des Evangelii / der uns / nicht in ſtetem kampff mit der ver - zweiffelung endlich unterzugehen / auffrichten kan. Wo wir erwegen / daß der gnaͤdigſte Vater / der ja aus liebe der ſeligkeit der menſchen das predig-amt eingeſetzet / und uns ſelbs zu demſelben beruffen habe / dasjenige / wozu es geordnet / nicht werde die urſach unſerer verdamm - nuͤß werden laſſen / um anderer willen / an denen wir nach vermoͤgen ar - beiten / unſere eigene ſeele zu verlieren / welches wider ſeine hochberuͤhm - te treue ſtreiten wuͤrde: So kenne er auch die elende jetzige verfaſſung un - ſerer kirchen / aus dero ſchuld auch die fleißigſte und kluͤgſte dennoch nicht / was ſie ſolten und wolten / ausrichten koͤnnen / nicht weniger kenne er unſere ſchwachheit / neben den ſo vielen hindernuͤſſen / und trage alſo vielmehr er - barmen mit ſeinen armen dienern / als daß er mit ihnen zuͤrnen / und was ſie um anderer ſeelen heils willen uͤbernehmen / zu ihrem nachtheil gereichen laſ - ſen ſolte. Ja die liebe / da ſie auch ſolche gefahr ihrer ſeelen um anderer wil - len uͤbernehmen / wird ſtatt bey ſeiner guͤte finden / nicht mit ihnen zu verfah -ren747ARTIC. II. SECTIO VII. ren nach dem es ſonſt ſcheinet / daß die ſchaͤrffe der ihnen obligenden pflicht / die ihrer ſeelen heil ſtarck an der anvertrauten ihres bindet / mit ſich braͤchte / ſondern mit vielem ſchonen / mit ihnen zu handeln. Dieſes vertrauen aber recht zu gruͤnden / und ſich feſt darinnen zu ſetzen iſt noͤthig / nicht allein daß man in dem articul der rechtfertigung wol gegruͤndet ſeye / ſondern insge - ſamt getrachtet habe / in einer lebendigen erkaͤnntnuͤß des evangelii zuſtehen / und mit demſelben immer umzugehen / damit es tieffe wurtzel in dem hertzen faſſe. Da wird ſich auch der ſcrupel, daruͤber derſelbe klaget / bald heben laſſen / wann er ſorget / er habe nicht die gaben in demjenigen maaß / als etwa einige geiſtreiche Theologi haͤtten: Dann daß ich nicht ſage / daß er ſelbs von dem maaß ſeiner gaben nicht wol zu urtheilen vermoͤge / in dem insgemein der HErr ſeinen kindern ſolches maaß alſo verbirget / daß was in anderer au - gen groß iſt / in den ihrigen ihnen klein vorkom̃et / ſo lehret uns das Evange - lium / wo wir es uns recht eingetruckt / alſo bald daß GOtt nicht nach dem maaß unſerer gaben / oder auch was wir damit ausrichten / vor ſeinem ge - richt mit uns handele / ſondern nach ſeiner gnade in CHriſto JEſu / daran ſich unſer glaube haͤlt; daß aber dieſer ein wahrer lebendiger glaube ſeye / iſt uns zum zeugnuͤß genug / daß wirs in unſerm amt treulich meinen / und die - ſes / ob wol in ſchwachheit / doch in aufrichtiger liebe CHriſti und der ſeelen verwalten. Wie nun das maaß der gaben nicht in unſerer hand ſtehet / ſon - dern der HErr daſſelbe nach ſeinem wolgefallen austheilet / ſo fordert der HErr von[uns] mehr nicht / als er uns gegeben hat / und wieweit ſolches hin - reichet. Daß das ſontags-tantzen eine ſchwere laſt auf dem hertzen ſeye / kan ich leicht ermeſſen / ſo vielmehr weil keine muͤglichkeit zu ſehen durch menſchliche huͤlffe ſolchem unweſen zu ſteuren. Wie denn leicht erachte / daß bey dem Abt nichts zu erhalten / in dem man in der Roͤmiſchen kirchen insge - mein uͤber der ſontags-feyr / wo nur der meß ihre zeit gegoͤnnet iſt / wenig ge - halten / oder ſie ſehr nothwendig geachtet wird. Ja wie ſo viele noch bey uns im ſchwang gehende ſuͤnden aus dem Papſtum ihren urſprung herha - ben / alſo ſonderlich entſtehet auch daher die vermeinte freyheit allerley welt - liche ergoͤtzlichkeiten auff den ſontag anzuſtellen / damit ihrer viele wol gar gedencken dem heiligen tage eine ehre zu erweiſen. Was aber den Hr. von N N. anlanget / wo ich an ſeiner ſtelle waͤre (da ich gleich wol im uͤbrigen nechſt geliebten Bruders ihm zu getheilten ruhm auch ander gutes zeugnuͤß von ihm gehoͤret) hielte ich mich verbunden / daß ich aufs wenigſte an mei - nem ort nach vermoͤgen ſolcher uͤppigkeit ſteurete / denn ob es wol an dem / daß man den leuten nicht gnug verwehren kan / anderwertlich hinzulauffen / wo ſie es etwa aͤrger als zu hauſe machen / ſo hielte doch 1. daß ich aufs wenigſteB b b b b 2mein748Das fuͤnffte Capitel. mein gewiſſen ſo ferne gerettet / die ſuͤnde von meinem ort abzuwenden. 2. So bleiben diejenigen / die kein wolgefallen an ſolchem unweſen haben / und deswegen zuruͤcke bleiben / in mehr ruhe / da hingegen wo in dem flecken ſelbs ſolche uͤppigkeit vorgehet / manche faſt wider ihren willen mit darzu hinge - riſſen werden / oder ſich doch eher verleiten laſſen / die nicht eben an andere ort der ſache nachlauffen / alſo werden immer etliche abgehalten / daß ſie nicht in die gemeinſchafft der ſuͤnden kommen. Zu geſchweigen daß bey allerhand wetter wiederum aus noth viele daheim bleiben / und gleichwol den ſontag beſſer anwenden / die ſonſten / wo ſie die ſchnoͤde luſt an dem ort ſelbs gehabt / ſich mit verfuͤhren haͤtten laſſen.

3. Daher zu hoffen / daß allgemach einige von dem unfug / darzu ſie die reitzung nicht vor augen haben und ihnen auch der Obrigkeit mißfallen an der ſache einleuchtet / gantz abgezogen / und immer eines exempel an dem an - dern fruchtbar werden moͤchte / biß endlich durch GOttes ſeegen die meiſten gewonnen wuͤrden / ſo bey fortwaͤhrenden remonſtrationen zu hoffen waͤre. Jndeſſen iſt dieſes und ſo vieles anders ein offenbares zeugnuͤß des ſchreckli - chen verderbens in der kirchen / da wir ſolche aͤrgernuͤß vor augen ſehen muͤſſen und ihnen doch nicht abhelffen koͤnnen: Hingegen ohne voͤllige zerrittung der gantzen gemeinde diejenigen mittel dargegen / die nuͤtzlich / ja in beſſerer verfaſſung unſerer kirchen allerdings noͤthig waͤren / nicht brauchen doͤrffen / wollen wirs nicht noch aͤrger machen. Wie ich denn mit denenjenigen nicht einſtimmen kan / welche lieber gar nicht in dem amte ſeyn wollen / als daß ſie etwas desjenigen zuruͤck laſſen wolten / was ſie ihres amts zu ſeyn achten / a - ber darzu nicht gelangen koͤnnen. Welche meinung und entſchluß ich ſehr gefaͤhrlich achte / und wo ſie bey vielen platz finden / der gantzen kirchen ruin nach ſich ziehen / das iſt / ſie treuer diener berauben / und vollends in die haͤnde von lauter miedlingen uͤberantworten wuͤrde. Hingegen bleiben bey mir die - ſe reglen.

  • 1. Was an und vor ſich ſelbſt unrecht iſt / darff nie aus keiner abſicht ei - nes nutzes gethan werden.
  • 2. Was ſchlechterdings nothwendig iſt / habe ich nicht macht / aus ſcheu des draus entſtehenden ungemachs zu unterlaſſen.
  • 3. Was nuͤtzlich iſt / GOttes ehre und der menſchen heil befoͤrdern kan / darff ich um meines leidens willen / dafern ich gleichwol jenes ausrichten koͤnte / nicht unterlaſſen.
  • 4. Wo aber etwas gut und nuͤtzlich waͤre / ich ſehe aber / daß ich nichts mit ausrichten / ſondern mehr ſuͤnden dadurch veranlaſſen / hingegen ander gu - tes / ſo von mir oder andern geſchehen wuͤrde koͤnnen / hindern werde / ſo habe ich es macht zu unterlaſſen / und ſuͤndige dar mit nicht.
5. Wo749ARTIC. II. SECTIO VIII.
  • 5. Wo mir einkaͤme / mein amt eher niederzulegen / als etwas deſſen aus gedachter urſach und in der noth zu unterlaſſen / wuͤrde mich fuͤr dem urtheil deſſen Matth. 25 / 26. fuͤrchten / der lieber ſein pfund im ſchweiß-tuch bewah - ren wolte / weil er ſorgte / er koͤnte nicht gnug damit wuchern / hingegen ſeye der HErr ſtrenge / und moͤchte zu viel fordern. Der HErr gebe uns aber ſelbs in allem ſeinen willen mit verſicherung unſers gewiſſens zu erkennen / regiere uns mit ſeinem heiligen Geiſt / trage gedult mit unſerer ſchwachheit / raͤume die viele hindernuͤſſen auf eine ſeite / und erfuͤlle endlich an ſeiner kirchen / wo die zeit der gerichte wird vorbey ſeyn / ſeine herrliche verheiſſungen / daß er ſich auffmachen und eine huͤlffe ſchaffen wolle / daß man getroſt lehren koͤnne. Amen. 1699.

SECTIO VIII. Troſt und rath an einen von amts-ſorgen geaͤngſte - ten Prediger.

ES iſt mir aus geliebten Bruders briefe dieſes vornemlich unangenehm geweſen / zu hoͤren / daß deſſen kraͤffte ſehr abgemattet waͤren / und er ſich einer ehen den auffloͤſung getroͤſte. Dann ob ich wol geliebtem Bruder / deſſen hertzens-kummer offt in meinem ſchooß ausgeſchuͤttet worden / gern glaube / daß derſelbe ſich nach der ruhe ſehne / ihm auch alles billich in liebe goͤnnen ſolle / worinn ihm wohl ſeyn kan / ſo wird derſelbe mir gleich wol nicht verdencken / daß ich hierinnen ſeine privat - liebe der liebe der kirchen nachſetze / und die erfuͤllung ſeines eigenen verlangens / was die auffloͤſung betrifft / lie - ber weit hinaus verſchoben zu werden GOtt bitte. Und wie unſer liebe Lu - therus an Fr. Myconium geſchrieben / der HErr laſſe mich ja nicht hoͤren / ſo lang ich lebe / daß ihr geſtorben ſeyd / ſo mag und ſoll ich Gott auch nicht anders uͤber geliebten Bruder als auch auff dieſe art anruffen / ob ich ſchon mit ſolcher krafft des Geiſtes ſolches jenem theuren Gottes mann nicht gleich zu thun vermag: Mich aber deſſen getroͤſte / GOtt werde den gebrauch der in ihn gelegten gaben / und ſein auffrichtiges hertz / mit welchem er dieſelbe an - zuwenden befliſſen iſt / ſich ſelbs bewegen laſſen / daß er denſelben noch zu vie - ler frucht lange zeit erhalte / und wenn er mich uͤber kurtz oder lang / welches in ſeinem heiligen rath ſtehet / abfordern wird / mir meinen abſchied auch dar - inn leicht machen / daß ich mich an ihm und einigen andern chriſtlichen mitbruͤ - bern / dergleichen leute zu hinterlaſſen getroͤſten mag / durch die alles / wo an mir ja etwas zu entgehen ſchiene / gnugſam erſetzt bliebe. Jndeſſen will ge - liebten Bruder hertzlich erinnert und gebeten haben / ſo viel gleichwol natuͤr - licher weiſe geſchehen kan / daß er ſich nach vermoͤgen conſervire. Jch habeB b b b b 3die750Das fuͤnffte Capitel. die ihm von GOtt verliehene kraͤfften des leibes bißher allezeit mit freuden alſo angeſehen / daß die arbeit des leibes demſelben nicht eben ſo ſehr abbruch thun ſolte. Wuͤrde er aber dennoch finden / daß die arbeit zu viel waͤre / und ihn zu ſtarck truckte / ſo erſuche hertzlich / den nutzen der kirchen und GOttes ehre auff mehrere jahr hinaus zu befoͤrdern / dem eyffer des geiſtes in dem ge - gen waͤrtigen gleich alles zu thun vorzuſetzen / und alſo von der arbeit ein zu - ziehen / was muͤglich waͤre. Weil ich aber mehr ſorge den kraͤfften bey ihm zu - geſetzt zu werden durch die gemuͤths-unruhe / ſorge und aͤngſten; erachte ich zwahr leicht / daß geliebter Bruder zu denſelben urſach uͤberfluͤßig habe / ſage auch nicht / daß die dinge / uͤber welche ich davor halte / daß er ſich herme / deſ - ſen nicht werth ſeyen / jedoch fordere ich billich / daß derſelbe nach allem ver - moͤgen ſich darinn maͤßige. Es iſt abermal hierbey meine meinung nicht / daß geliebter Bruder nicht ſolte ſeine amts-ſorge ſich laſſen treulich angele - gen ſeyn / tag und nacht hertzlich beten / nach vermoͤgen gelegenheit ſeine ge - meinde zu erbauen ſuchen / und immer was er publice und privatim vornim - met / ſorgfaͤltig vor dem HErrn uͤberlegen / wie es am rathſamſten und nuͤtz - lichſten angegriffen werden koͤnne. Dieſe ſorgen ſind noͤthig und geſegnet / ſie werden aber am wenigſten den leib ſchwaͤchen. Wo er aber alles vor dem HErrn uͤberleget / und in ſeiner furcht geſchloſſen und gethan / was ihm GOtt hat vorkommen laſſen / da bitte ich alsdann uͤber den eventum nicht mehr weiter zu ſorgen / ſondern ihn dem HErrn lediglich heimzuſtellen / und wo er denn ſihet / daß der zweck nicht erhalten worden / ſondern die ſache wol gar wi - drig ausgeſchlagen / ſich im geringſten nicht mehr weiter zu aͤngſten / ſondern dem alsdenn alles getroſt zu uͤberlaſſen / deſſen mehr als unſer / alles ſolches iſt / und der ſeine heilige urſachen hat / warum er diß oder ein ander mal eine ſache von ſtatten gehen oder nicht gehen laſſen wolle. Ja gar ob er auch ſehen ſolte / daß von ihm gefehlt worden / und ſolchem fehler der nicht gefolgte fort - gang zu geſchrieben werden koͤnte / ſage ich zwahr nicht / daß man ſich nicht deswegen vor GOtt bußfertig zu demuͤthigen habe; ich achte aber dennoch auch alsdann wohlgethan zu ſeyn / zugleich auff die goͤttliche fuͤgung / ſo un - ſern fehler zugelaſſen / ſo wol als auff denſelben ſelbs / zu ſehen / und zu glau - ben / daß auch dieſe nicht ohne goͤttlichen rath vorgehen / und der erfolg von derſelben beſtimmet ſeye. Damit wird das gemuͤth nie beaͤngſtiget / da oh - ne das die angſt niemal nutzet / wol aber das hertz abnagen kan. Jch wei - ſe ſonſten andere chriſtliche mitbruͤder nicht leicht auff mein exempel / weil ich weiß / wie viel mir noch mangelt: Jn dieſem aber traue ich darauff zu provo - ciren / wie nemlich ich dieſes das mittel gefunden / dadurch mich GOtt unter den vielen obligenheiten / ſorgen und anſtoͤſſen dannoch meiſtens in einer fei - nen ruhe des gemuͤths erhaͤlt / weil ich es damit laſſe gnug ſeyn / in der furchtdes751ARTIC. II. SECTIO IX. des HErrn uñ mit ſeiner anruffung alles ſorgfaͤltig zwahr zu uͤberlegen / was zuthun ſeye / wañ ich aber einmal geſchloſſen / und die ſach verrichtet / mich nicht weiter zu aͤngſten / es ſchlage aus wie es wolle / ſondern mich unter die gewal - tige hand GOttes hinzu werffen / die macht habe alles gerathen oder mißra - then zu laſſen / nach ihrem wolgefallen / ja auch meinẽ verſtand in der wahl zu erleuchten oder finſter zu laſſen / wie jedesmal zu ausfuͤhrung ihres raths am dienſamſten iſt. So viel nun ſonſten die aͤngſtliche ſorgen uͤber den ausgang und betruͤbnuͤß uͤber deſſen widrigkeit die lebens-kraͤfften ſchwaͤchen / ſo viel thut hingegen zu der erhaltung / wo man ſich auff gedachte art in ſeines Va - ters hand hingibet / und nicht nur thun / ſondern auch erfolgen laſſen will / was derſelbe will. Eine dergleichen ruhe wuͤnſche ich nicht allein geliebtem Bruder von grund der ſeelen von dem treuſten Vater / ſondern auch bitte ſo viel an mir iſt / er wolle ſo viel wiederum an ihm iſt nach deroſelben ſtreben / und ſich auch damit GOtt und ſeiner kirche ſo viel laͤnger erhalten. Der HErr aber regiere uns alleſamt / wie es vor ihm gefaͤllig und dem zweck darzu er uns geſetzt / am gemaͤſſeſten iſt. 1689.

SECTIO IX. Troſt und rath an einen des beichtſtuls wegen ge - aͤngſteten Prediger.

WAs die ſorge und betruͤbnuͤß anlangt / die noch des beichtſtuls wegen denſelben aͤngſtiget / befrembdet mich ſolche nicht / weil ich weiß / daß es die klage iſt / welche alle treue diener GOttes fuͤhren / und ich auch die zeit uͤber / als den beichtſtul noch zu beſitzen hatte / meine laſt davon gnug gefuͤhlet habe. Jndeſſen womit ich mich damal getroͤſtet und auffgerichtet / damit troͤſte gern auch andre meine Bruͤder. 1. Wo wir dem ſuͤnder die gefahr ſeiner ſuͤnden nachtruͤcklich gezeiget / auch zur gnuͤge gewieſen haben / daß alle abſolution von menſchen geſprochen in ihrer natur dem verſtand nach condi - tionata, daher das vertrauen / das ein unbußfertiger drauff ſetzet / aus ſeiner eigenen ſchuld ein bloſſer betrug ſeye / ſo haben wir unſre ſeelen errettet. Dic & ſalvaſti animam. Dazu kommt 2. daß wir ſonderlich in einem ritu, der nicht goͤttlicher einſetzung / ſondern nur eine kirchen-anſtalt iſt / nicht weiter zu gehen befugt ſind / als die kirche / die uns dar zu beruffen / macht gibet. 3. Da - her GOtt auch nicht mehr von uns fodern wird / als daß wir in dem was uns anbefohlen iſt / nach der ertheilten macht treu erfunden werden / da er unſre hertzen willig ſihet / mehr zu thun / wo es in unſrer gewalt ſtuͤnde. 4. Ob ſee - len durch das vertrauen auff unſre abſolution verlohren gehen / kommt die ſchuld nicht auff uns / die wir ihnen die gefahr treulich gezeiget / und ſie ge - warnet / ſondern auff ſie ſelbs / die ſich wider unſre warnung muthwillig ſelbsbetrie -752Das fuͤnffte Capitel. betriegen / und auf die uͤble verfaſſung unſerer kirchen / die wir zu aͤndern nicht vermoͤgen / wie hertzlich wir auch daruͤber ſeufftzen. 5. Wo wir uns hefftiger widerſetzen / oder des wegendem kirchen-dienſt gar entziehen wolten / wuͤrden wir damit der ſachen nicht rathen / keine ſeelen weiter gewinnen / ſondern nur zu mehrern ſuͤnden urſach und anlaß geben / und alſo ſorglich noch mehrere in tieffere verdammnuͤß ſtuͤrtzen. Daher iſt kein ander rath / als thun / was wir durch GOttes gnade noch vermoͤgen / todt und leben allen deutlich vorlegen / was wir nicht aͤndern koͤnnen mit gedult tragen / und unablaͤßig zu GOTT ſeufftzen / der ſich unſer / und ſeiner kirche erbarme / uns mit ſeiner gnade regie - re / und endlich ſelbs / was menſchen nicht auszurichten vermoͤgen / ſeine kir - che in beſſern ſtand zu ſetzen / ſich auffmache / welches er auch zu ſeiner zeit noch gewißlich thun wird. 1699.

SECTIO X. Troſt und rath an einen Prediger / der um des guten willen getruckt zu werden ſorgte.

D demſelben verſprechen ſolte / daß er immer in ruhe bleiben / und nicht ſtarck an ihn geſetzet werde werden / koͤnte ich nicht: Vielmehr iſts etwas ungemeines zu dieſer zeit / wo einer / der es mit dem reich Chriſti treu - lich meinet / ohne ſtarcken widerſpruch und anfechtung bleibet. Laſſet uns aber / die wir wiſſen / daß wir bey der reinen Evangeliſchen lehre (trotz aller verleumdung!) feſt halten / und nicht was das unſrige / ſondern was JESU Chriſti iſt / von hertzen ſuchen / uns fuͤr der gewalt und macht der widerſprecher nicht fuͤrchten. Dann der bey uns iſt / bleibet einmal viel maͤchtiger als ſie bey gantzem hauffen ſind / und wird uns endlich ſieg geben. Gibts etwas druͤber zu leiden / ſo iſts uns in der that mehr ehre als ſchande / mehr nutzen als ſchade / auch die ſache wol wuͤrdig / etwas dran zu wagen / ja auch zu verliehren: Geſchweige / daß die widrige bereits ein ſtarckes gericht GOttes an ſich ſehen laſſen / aus deme ſie vieles ihrer ſonſt gewohnten weißheit vet lohren / und da - her auf unterſchiedliche aꝛt ſich beꝛeits mehrmal deꝛmaſſen proſtituiret haben / daß ich auch leute / die eben meine freunde nicht ſind / weiß / die auf ſie / als welche die ſache gegen mich verderbet / ungehalten worden ſind / und ſich ihr geſchaͤmet haben. Sie werden ſich aber / wo ſich der HErr ihrer nicht erbarmet / und zur erkaͤntnuͤß der lauteren wahrheit ihnen die augen oͤffnet / ſo zwahr ihnen hertzlich goͤnne / und GOTT drum anruffe / immer noch weiter proſtituiren / biß die zeit komme / daß der HErr anders drein ſehe. Doch wird der liebſte Vater geliebtem Bruder die weißheit geben / die widrige nicht zu reitzen / viel - mehr von ihnen alles / ſo lang man ihm nichts wider gewiſſen und wahrheit zumuthet / mit gedult uͤber ſich gehen zu laſſen (wie wir dann offt durch leidenund753ARTIC. II. SECTIO XI. und weichen den ſo gewiſſeſten als herrlichſten ſieg darvon tragen.) Wo aber jene noth leiden wollen / alsdann mit freudigkeit ihnen den kopff zu biethen / der gewiſſen ver ſicherung / ſie koͤnnen nicht anders / als daß ſie endlich anlauf - fen und fallen muͤſſen. 1696.

SECTIO XI. Troſt an einen chriſtlichen Vrediger in der angſt wegen des beicht-ſtuls und wenigem ausrichten in dem amt.

ZU den lieben brieffen ſelbs zu kommen / wie mir ſolche ſchon bereits um der hand willen angenehm geweſen / ſo faſſen ſie auch meiſtens ſolchen inhalt in ſich / der mich auffrichtete und troͤſtete / indem ich neues zeug - nuͤß ſahe / wie der HErr ſeiner treuen diener arbeit nach ſeiner verheiſſung nicht ungeſegnet laſſe / ob es wol ſonſten ſo offt das anſehen gewinnen will / ob waͤre er uns ein born worden / der nicht mehr quellen wolle. Zwahr klagt werther Bruder annoch / und kan ſich an der frucht ſeiner arbeit nicht vergnuͤ - gen / wie zwahr freylich nicht ohn iſt / daß weiln / wie weit wir es bringen / es dannoch ſehr fern davon zuruͤckbleibet / als wirs bringen ſolten / wir alſo in nichts deſſen / was ausgerichtet worden / zu beruhen / ſondern immer weiter fortzufahren haben: Jndeſſen iſt dennoch / wo der HErr ſo viele gnade bereits ertheilet / dieſe auch wuͤrdig / erkant zu werden / und es billich / ſich und andere dadurch zu einem freudigen lobe GOttes auffzumuntern. Nun iſts gewiß - lich ſchon ſehr weit gebracht / da derſelbe ſeine ſchaafe / auch nach dem innern / auffs wenigſte dem maaß ihrer erkaͤntnuͤß / kennet / wohin es wegen ſolcher hindernuͤſſen / denen auch die treueſte nicht gnugſam gewachſen ſind / ſie von ſich abzulehnen / der zwantzigſte Prediger nicht bringen kan. Dann nach ſolcher erkaͤntnuͤß iſts nachmal ſo viel leichter / ſo wol die allgemeine reden und predigten nach erforderung dero erbauung einzurichten / als auch die abſon - derliche zuſpruͤche und vermahnungen bey der beicht deſto beſſer zu ihrer meh - rern frucht zu faſſen. Daß man aber bey allem ſolchem noch nicht allemal gantz gewiß ſeye / ob die confitenten wuͤrdig ſeyen / iſt freylich wahr / aber be - kenne dabey / daß ich mich den kummer daruͤber nicht eben niederſchlagen wolte laſſen. Es iſt die pruͤffung ſein ſelbs einem jeglichen communicanten befoh - len / nicht hauptſaͤchlich dem Prediger: Sondern dieſes amt beſtehet / was ſol - chen punct anlangt / darinnen / daß er ſeinem confitenten insgemein und ab - ſonderlich anzeiget und anleitung gibet / wie er ſich ſelbs zu pruͤffen: Hat er dieſes gethan / ſo ſtehets allein zu jenes verantwortung / wo er in der pruͤffung ſeiner ſelbs aus eigner ſchuld zuruͤcke bleibet / an dem Prediger aber kans nicht geſuchet werden. Ferner / weil die abſolution ſo wol als das heilige abend -C c c c cmahl754Das fuͤnffte Capitel. mahl ein all gemeines gut der kirchen iſt / dazu alſo alle deroſelben glieder recht haben /[w]eiß und beſcheide ich mich wol / daß ich ſolche evangeliſche guͤter eigen - maͤchtig keinem verſagen kan / welcher ſie von mir fordert / und ſich als einen ſolchen darſtellet / der ſich der goͤttlichen buß-ordnung zu bequemen zuſaget. Zwahr kans geſchehen / daß einige kommen / an dero redlichkeit der buß ich ſtarcke urſach zu zweifflen habe / da ich ihnen dann auch deſto hertzlicher zuzu - ſprechen / und ihnen die gefahr / wo ſie ſich GOTT zu betriegen unterſtehen wolten / zu zeigen / ſie auch vor dem gebrauch deſſen / was ihnen nicht nuͤtzlich ſeyn moͤchte / zu warnen habe. Wollen ſie aber dabey nicht beruhen / ſondern ſich vor bußfertig halten / ſtehet alsdann nicht mehr in meiner macht / ihnen zu verſagen / was nicht mein gut iſt / ſondern der kirchen / von dero ich zu der aus - theilung geſetzt bin / und ſie alſo keinem derer vorenthalten darff / welche ſie noch fuͤr ihre bruͤder und ſchweſtern erkennet. Auffs hoͤchſte / doͤrffte ich nicht weiter gehen / als die ſache an die gemeinde oder diejenige / ſo dieſelbe re - præſentiren / bringen / und von derſelben den entſcheid erwarten / wofuͤr ſie einen ſolchen erkenne. Und ach daß nur ſolche rechte kirchen-gerichte / dazu die gemeinden von GOttes wegen recht haben / aller orten waͤren / ſo wuͤrden unſere / der Prediger / gewiſſen groſſen theils ſehr erleichtert werden: Hinge - gen beſeuffze ich kaum etwas hertzlicher / als dieſen mangel / und glaube / daß es einer von denen ſeye / ſo uns das meiſte andere verderben und einen fluch uͤber den halß gezogen hat. Jndeſſen ſtehets ſo gar nicht in eines oder andern un - ter uns haͤnden / dergleichen in die ordnung zu bringen / daß ich alle unſere ver - faſſungen alſo anſehe / daß ohne goͤttliches wunderwerck keine huͤlffe zu hoffen / und es nunmehr menſchlicher weiſe eine bloſſe unmoͤglichkeit worden ſeye: Ja ich ſehe / was das aͤrgſte iſt / daß auch meiſtens die gemeinden ſo bewandt / daß ſie zu uͤbung ihrer rechten nicht tuͤchtig / und noch zu zweiffeln waͤre / ob ih - nen dieſelbe in ſolcher bewandnuͤß zu uͤberantworten. Jndeſſen ſtecken wir freylich / und wiſſen nicht / wie zu rathen. Zwahr ob auch ſolche ordnung in dem rechten ſchwang waͤre / wuͤrde dennoch damit nicht aller unwuͤrdigen admiſſion gnugſam gewehret werden / denn es traͤffe dennoch ſolches kirchen - gericht nichts anders als die ausbrechenden aͤrgernuͤſſen: Wie auch in der erſten kirchen keine andere von den heiligen guͤtern ausgeſchloſſen wurden / als dero ſuͤnde in ziemlich grobe aͤrgernuͤſſen ausgebrochen war. Ob ich aber wol ſolche leute vor den beicht-ſtul bekomme / die alſo keiner ſolchen cenſur vor einem kirchen-gericht / wo daſſelbe in guter ordnung vorhanden waͤre / ſchuldig waͤren / dahero an ihrer zulaſſung kein zweiffel ſeyn kan / bin ich dannoch in der ſeele nicht gantz gewiß verſichert / daß ſie bußfertig / und die abſolution an ih - nen kraͤfftig ſeye: Deßwegen bleibet mein vornehmſter grund / darauf ich baue / daß uͤber dergleichen mich nicht zu aͤngſtigen urſach habe / dieſer / weil nemlichalle755ARTIC. II. SECTIO XI. alle unſere / der Prediger / die in die hertzen nicht ſehen koͤnnen / abſolution, mit was formalien ſie auch immermehr abgefaſſet werden moͤchte / nicht anders als conditionata, und alſo von uns gemeinet ſeye / wofern nemlich das hertz des confi enten wahrhafftig auch bußfertig / und alſo ſo bewandt ſeye / wie er ſich in der beicht bekennet. Damit nun der andere ſich nicht vergeblich troͤſte / oder ſich der abſolution, die ihm nicht zukommet / weil ſie ihm gleichwol ge - ſprochen worden / annehmende ſich ſelbs betriege / ſo halte ichs fuͤr gantz noth - wendig / wie es auch ſelbs offt thue / denen zuhoͤrern manchmal duͤrre und klahr vorzuſtellen / daß keiner den geringſten nutzen von der abſolution ſchoͤpffen koͤnne / ob ſie ihm auch hundertmal geſprochen wuͤrde / er ſeye dann in ſeiner ſeele wahrhafftig bußfertig und glaͤubig. Wo dieſes den leuten ſo offt und deutlich vorgeſtellet wird / daß ſie davon in ihrem gewiſſen uͤberzeuget ſind / ſo faͤllet damit die ſtaͤrckung ihrer ſicherheit / welche ſie ſonſten aus dem opere operato der beicht und abſolution nehmen / und wir nicht ohne ſchwehre ſchuld ſeyn wuͤrden / wenn wir ihnen ſolchen irrthum nicht benaͤhmen. Jm uͤbrigen / weiln das beicht - weſen die groͤſte laſt unſers amts iſt / und die meiſte gewiſſens-aͤngſten macht / ſo erfahren wir aus ſolchem exempel / wie die beſte menſchliche anſtalten / ſo aus wichtigen und nuͤtzlichen urſachen gemacht wor - den ſind / endlich eben ſo viel uͤbels als gutes nach ſich ziehen koͤnnen. Denn ob es wol an dem iſt / daß die abſolution ſelbs nicht eine menſchliche erfin - dung / ſondern goͤttliche einſetzung iſt / dahero allezeit in der kirche hat ſollen ſeyn und geweſt iſt / daß ſo wol die gefallene ſuͤnder durch die vergebung wie - derum mit GOTT und der gemeinde verſoͤhnet / als auch jeder Chriſt / der in ſeinem hertzen der ſuͤnden wegen gewiſſens-aͤngſte empfindet / dadurch geſtaͤr - cket und auffgerichtet wuͤrde / ſo iſt gleichwol unſer jetziges beicht-weſen / daß ein jeder zu gewiſſen zeiten ſeine beicht ablegen / und die abſolution ſuchen / keiner hingegen / ohne / daß dergleichen vorgegangen waͤre / zur heiligen com - munion gelaſſen werden ſolte / nichts anders als eine kirchen ceremonie / die bekantlich weder von Chriſto ſelbs eingeſetzt / noch in den erſten kirchen uͤblich geweſen / ſondern etwas ſpaͤter eingefuͤhret worden iſt: Jch leugne zwahr nicht / daß es ſeinen nutzen hat / ſo gar / daß ob es auch in meiner hand ſtuͤnde / alles abzuſchaffen / ich ſehr anſtehe / ob mich noch derzeit dazu reſolviren wol - te / indeſſen wo ich auch die viele incommoda dabey wahrnehme / und was un - ſer gewiſſen daruͤber leiden muß / betrachte / weiß ich faſt nicht / ob ich den nutzen oder ſchaden groͤſſer halten ſolle. Es bleibet mir aber dabey kaum etwas an - ders uͤber / als daß ich es mit andern ſtuͤcken unſrer verderbnuͤß demjenigen vortrage / welcher allein helffen kan / wo aller menſchen huͤlffe nicht mehr zu - langen mag. Daß im uͤbrigen geliebter Bruder in ſeiner klage die meiſte ſchuld endlich denjenigen gibt / welche in unſerem ſtande leben / aber mehr ſichC c c c c 2als756Das fuͤnffte Capitel. als den HErrn ſuchen / unterſchreibe ſo bald mit / und erfahre ſolches zu allen zeiten / wie wahrhafftig die groͤſſeſte hindernuͤſſen des reichs Chriſti von denen kommen / welche zu deſſen dienern beruffen ſind. Jedoch wirds nicht immer al - ſo bleiben / ſondern ſich der HErr dermaleins auffmachen / und die kinder Levi reinigen und laͤutern / beſorglich zwahr mit einer nicht wenig ſchmertzlichen probe / und da vieles von den ſchlacken daruͤber verbrennen doͤrffte: Aber gnug / wo nur der ehre des HErrn und ſeiner kirchen gerathen wird. Ehe aber jenes geſchihet / ſo beſorglich faſt kaum anders als durch eine voͤllige umkehrung un - ſers gantzen euſſerlichen weſens geſchehen mag / fuͤrchte ich ſehr / daß wir / ob wir da und dort nach allem vermoͤgen in der gnade GOttes zu arbeiten uns befleiſſen / dennoch ſchwehrlich etwas / ſo der rede werth waͤre / und in die augen fiele / ausrichten / oder eine gemeine reformation ausrichten werden / ſondern wir werdens uns muͤſſen daran laſſen gnug ſeyn / daß wir ein und andere le - bendige ſteine itzo noch bereiten / ob wir ſie ſchon in die rechte ordnung noch nicht zu ſetzen vermoͤgen / die der HErr aber alsdenn gebrauchen und ordnen wird / wenn die ſtunde vorhanden iſt / daß er ſein zerfallenes Zion wiederum baue. Bleibet alſo itzund eine zeit allein der vorbereitung / nicht aber der oͤf - fentlichen und durchgehenden beſſerung / ob wir zwahr freylich auch an dieſer nach allen kraͤfften zu arbeiten / und allen verſuch zu thun / und alsdenn dem HErrn den fort - und ausgang zu empfehlen haben. Die betrachtung die - ſes zuſtandes unſrer zeit und gleichſam deſſen characteris in der forcht des HErrn angeſtellet / hoffe daß ſie nicht wenig manchen unſern kummer ſtillen / und uns zu der arbeit / ob wir auch in der gegenwaͤrtigen nichts auszurichten ſehen / weil wir aufhoffnung des kuͤnfftigen meiſtentheils arbeiten / freudiger machen ſolle. Es ſind aber dinge / die ſich nicht ſo wol ſchrifftlich austrucken laſſen / als zu einer muͤndlichen unterredung eine bequeme materi geben koͤnte. Daß im uͤbrigen ich aus dem / da geliebter Bruder mir in dem letzten davon einige vertroͤſtung thut / nun mehr hoffen kan / die freude zu haben uns einmal ſelbs zu ſehen / und in dem HErrn uns zu erbauen / iſt mir bereits vorher eine groſſe freude / und warte ich mit verlangen / wenn die goͤttliche guͤte denſelben dieſer orte herbringen / und meine hoffnung erfuͤllen wolle / ſo vielmehr da wir beyderſeits keine fleiſchliche abſichten dabey haben / noch irrdiſche luſt bey - ſammen ſuchen wollen / ſondern begierde tragen / von dem was des HErrn iſt / uns in ſeiner furcht zu unterreden / untereinander zu ſtaͤrcken / und die hertzen ſo viel genauer zu verbinden. Nun ich lebe ſo viel gewiſſer zuverſicht / daß es der HErr dann nach ſeiner guͤte und weißheit alſo fuͤgen werde: indeſſen ſind wir taͤglich vor dem HErrn und ſeinem angeſicht in gebet beyſammen / undvergnuͤgen uns ſo lange mit jener art der gegenwart / biß uns der liebſte Vater auch die andre goͤnnet. 1688.

SECTIO757ARTIC. II. SECTIO XII.

SECTIO XII. Troſt an einen Prediger der keine frucht ſeiner ar - beit zu ſehen meinete.

WAs die klage anlanget uͤber die unwiſſenheit ſeiner gemeinde / und das rohe weſen / dem man kaum ſteuren koͤnne / ſo dann / daß er der recht - ſchaffenen fruͤchte ſeiner arbeit nicht gewahr werde / ſeye derſelbe ver - ſichert / es ſeyen die klagen / welche mit uns auch anderer orten unſre bruͤder fuͤhren / ja wo wir uns hinwenden / ſolche hoͤren / und die urſachen darzu ſehen muͤſſen. Jch hoͤre auch hier in denen Saͤchſiſchen landen ſo viel gottſelige leh - rer ſeufftzen uͤber die grauſame unwiſſenheit der leute / und wie bey ſo vielen kaum einige erkaͤntnuͤß von den noͤthigſten glaubens-puncten ſich finde / ja oh - ne den nahmen Chriſti faſt das geringſte nicht von einigem chriſtlichen anzu - treffen ſeye. Jch ſehe auch ſo viel hindernuͤſſen in dem wege ſtehen / daß mit den vorſchlaͤgen / wie die leute zu einer gruͤndlichen erkaͤntnuͤß GOttes gebracht werden koͤnten / ſehr ſchwehr iſt durch zubrechen / und wol eine goͤttliche krafft noͤthig ſeyn wird. Wo aber auch endlich einige wiſſenſchafft der glaubens - materien den leuten in den kopff gebracht wird / wie man etwa an einigen or - ten ſich noch zimlicher buchſtaͤblicher erkaͤntnuͤß ruͤhmen moͤchte / iſt das be - truͤbteſte / daß dennoch auch bey denen noch zimlich unterrichteten leuten we - nig beſſeres Chriſtenthum ſich zeiget / als bey andern unwiſſenden / zum zeug - nuͤß / daß was bey denſelben mit fleiß endlich in den kopff gebracht worden / dannoch nicht ſo bald in das hertz gebracht oder darinnen lebendig werde. Da gleichwol wo dieſes nicht geſchihet / die buchſtaͤbliche erkaͤntnuͤß leicht ſo viel ſchaden mag / wegen deſto ſchwehrerer verantwortung / als ſie nicht nutzet vor dem gericht deſſen / der uns nicht nach unſerm wiſſen / ſondern des hertzens be - wandnuͤß urtheilet. Alſo ſehen wir / wohin wir auch die augen wenden / wenig was uns erfreuet / mehr aber / was uns ſo betruͤbet als aͤngſtet. Jndeſſen aber / geliebter Bruder / laſſet uns dadurch nicht ſo niedergeſchlagen werden / daß wir die haͤnde ſincken / und alle hoffnung ſchwinden laſſen wolten / ſondern ernſtlich fortfahren in dem werck / dazu uns der HErr ſetzet / hertzlich beten / und die ſo zeit als maaß des ſegens zu unſerer arbeit lediglich dem HErrn - berlaſſen: mit dieſer ſtaͤten vorſtellung / wir leben itzo wegen der vorherge - gangenen ſchrecklichen undanckbarkeit / in denjenigen zeiten des gerichts / da uns GOtt gleichſam worden iſt / wie ein brunn / der nicht mehr quellen will / und wir gantz wenig frucht einiger unſrer arbeit gewahr werden. Wir muͤſ - ſen aber auch in ſolchem ſtande dem HErrn aushalten / und mit demuͤthiger zufriedenheit ſeine heilige verfuͤgung verehren: dabey gleichwol verſichert / die arbeit mit redlichem hertzen in der furcht des HErrn gethan / koͤnne nie -C c c c c 3mal758Das fuͤnffte Capitel. mal gantz ohne frucht bleiben / als welches der goͤttlichen verheiſſung entge - gen waͤre. Ob wir alſo wol meinen / es ſeye gantz keine frucht geſchaffet wor - den / auffs wenigſte keine rechte geiſtes-frucht / wo uns aber unſer gewiſſen dabey gleichwol zeugnuͤß gibt / wir haben das lautere wort Gottes nach dem vermoͤgen / das uns der HErr ertheilet / getrieben / und gerne treu erfunden wollen werden / ſo bleibets gewiß dabey / es iſt dannoch die arbeit nicht gar vergebens: nicht nur ſo ferne / als der HErr unſere arbeit und dienſt ſelbſten in gnaden anſihet / und denſelben ihren gnaden-lohn nicht verſaget / ſondern auch / daß allezeit bey einigen die krafft des Geiſtes durchdringet. Daher / ob wir auch ſchon noch nicht ſehen / was wir verlangen / ſo folgt noch nicht / daß davon nichts geſchehen ſey. Der HErr verbirgt uns vieles / daß er uns vor hoch muth bewahre / zu fleißigerm gebet und fleiß antreibe / und unſern glau - ben und gedult uͤbe; Es iſt offt ein koͤrnlein noch lebendig / ſo in den hertzen li - get / ob es wol noch nicht auffgegangen / aber der HErr durch einen geſegneten regen es einmal wird anfeuchten und auffgehen laſſen. Es iſt offt allein eine gruͤne ſaat auffgegangen / die wir nur vor unfruchtbar graß achten / weil ſich die aͤhren noch nicht weiſen / indeſſen iſt doch eine fruchtbare krafft darinnen / die zu ſeiner zeit ſich weiter vorthun wird nach Marc. 4 / 28. Alſo ſtehet[uns] zu / zu thun / was der HErr uns befohlen hat / und ihm die ſache zu befeh - len: in ſeiner hand aber bleibet zu wuͤrcken / wie viel er will / zu jegliches men - ſchen bekehrung / zu ſegnen wen er will / die zeit zu ordnen / wie er will. Ja ſol - te er auch vieles / und das meiſte unſers amts / darzu laſſen ausſchlagen / daß es nur zum zeugnuͤß uͤber die zuhoͤrer dienete / und ein geruch des todes zum tode wuͤrde / haben wir doch nicht zu murren. Er iſt der HErr, und wir ſeine diener / wo er uns dann / da wir verlangten werckzeuge ſeiner barmhertzigkeit zu ſeyn / bey vielen laͤſſet diener ſeiner gerechtigkeit werden / an denen / die dem verderben zueylen / ſo hat ers macht / wir aber muͤſſen ſagen: dein wille iſt al - lezeit gut / wo er auch unſerm beſten willen zuwider iſt / er geſchehe alſo von uns / in uns / durch uns / in zeit und ewigkeit. Nun er laſſe uns allen dieſe Lection recht lernen / daß wir nicht nur den worten davon beypflichten / ſon - dern auch unſer hertz damit erfuͤllet werde. 1686.

SECTIO XIII. An einen Prediger / der zu wiſſen verlangte / ob ſein gutes aus GOtt oder nur aus der natur ſeye.

JEh preiſe billich die guͤte des himmliſchen Vaters / der nach deſſen eige - ner bekaͤntnuͤß derſelben dahin gefuͤhret / ſo wol die gemeine als auch eigne unwiſſenheit des rechtſchaffenen weſens in CHriſto / in welcherſo759ARTIC. II. SECTIO. XIII. ſo viele auch amtsperſonen leider ſtehen / zu erkennen / und auf richtigeren weg zu treten / ſondern auch mich duꝛch dieſe kundmachung und alſo neues exempel bekraͤfftiget hat: Da mir ſonſt von meinen widerſachern ſo offt widerſpro - chen / und als eine laͤſterung ausgedeutet wird / daß ich von dieſem auch in unſern ordinem eingeſchlichenen verderben je zu weilen meine klage ausge - ſchuͤttet habe / auch noch etwa bey gelegenheit ausſchuͤtte. Und wie ſolte man ſich ſo wol ſolcher wehmuͤthigen klagen entbrechen koͤnnen / wenn man erwe - get die groſſe gefahr / die daher den gemeinden entſtehet? Dann laſſe gelten / ein prediger handelt die uͤbrigen glaubens-articul der goͤttlichen wahrheit conform, was nuͤtzet es ſeinen zuhoͤrern / wo ſie an ſtatt eines wahren glau - bens / von denen ihnen die ſeeligkeit verſprochen wird / ſich mit einem eingebil - deten wahnglauben betriegen? Daher wie ja der articul der rechtfertigung das hertz der evangeliſchen religion iſt / und billich deſſen erkaͤntnuͤß vor allen andern auff den univerſitaͤten den ſtudioſis eingetruckt werden ſolle / ſo ſolte auch billich die art und bewandnuͤß des wahren glaubens mit groſſer ſorgfalt allen vorgebildet werden: Darzu unſer liebe Lutherus an ſo vielen orten die herrlichſte anweiſung gibet. Wie er denn nicht allein in der be - kannten vorrede uͤber die Roͤmer (welche ſtelle auch in die Form. Concordiæ geſetzt / und von den unſrigen damit beſonders auctoriſirt worden iſt) ſon - dern auch anderswo die art des glaubens ſtattlich zeiget: ja gar die ſicher - heit / die aus einem erdichteten glauben herkommt / aͤrger haͤlt / als alle irr - thumer / die vor dem geweſen ſind T. 2. Alt. f. 11. a. Sehe alſo gewiß nicht / wie es verantwortlich / wo es Profeſſores an ſich ermanglen laſſen / daß ſie nicht allen ſtudioſis auch dieſe wahrheit deutlich und nachtruͤcklich vorſtel - len. Geliebter Brnder aber wird billich dem groſſen GOtt dancken / der ihm auch in dieſem ſtuͤck das liecht ſeiner wahrheit aufgehen laſſen / ſo wol zu ſei - nem eigenen heil / als auch andre ohne fehl fuͤhren zu koͤnnen. Der HErr gebe gnade daß durch ſeinen dienſt vielen / die noch jetzo in ſicherheit ſtehen / die augen gleichfals ſeeliglich geoͤffnet / ja alle zu der wahren erkaͤntnuͤß ge - bracht werden. Daß denſelben ihrer mehrere an mir haben irre machen wol - len / wundere mich nicht / nach dem ich von mehreren jahren das objectum ge - weſen / an dem ſich mit urtheilen faſt jederman uͤben wollen / ein groſſer theil aber / theils aus boßheit / theils von andern eingenommen / und aus blindem eyffer der wahrheit und liebe darinnen vergeſſen haben / welches ihnen aber der HErr zu erkennen geben / und nicht zurechnen wolle: wie ichs ihnen / als der menſchlichen ſchwachheit wol kuͤndig / von hertzen vergebe / von GOtt aber auch die freude unterſchiedlich bekommen / daß einige der letzten art / die doch hefftig eine weil gegen mich durch andere erbittert geweſen waren / nicht allein von demſelben zur erkaͤntnuͤß ihres unrechts gebracht worden /ſon -760Das fuͤnffte Capitel. ſondern auch ſolches ſchrifftlich gegen mich bezeuget haben. Sonderlich a - ber iſt, mir lieb geweſen / nachdem es Gott gefallen (dem auch ſchlechterdings alle deſſen ehre einig gebuͤhret / und mir nichts zuzumeſſen habe) meine ſchrifften dazu zu ſegnen / daß ſie eine gelegenheit wuͤrden / der ordnung des heils beſſer nachzudencken / und in der wahrheit befeſtiget zu werden / daß der - ſelbe bezeuget ſolche geweſen zu ſeyn / theils die allzu grobe und greiffliche Calumnien, theils die ſtreitſchrifften zwiſchen Hrn. D. Pfeiffern und mir. Weil erkenne / aus jenem / daß der HErr nach ſeiner weißheit und guͤte aus dem boͤſen gutes und die luͤgen zur anleitung der wahrheit machen kan / aus dieſem aber / daß auch die ſtreit-ſchrifften / darmit viele geſorget / die zeit gantz vergeblich angewendet zu werden / nicht gantz ohne frucht geblieben ſind. Wie dann ob wol ſonſten zu ſtreit wenig belieben trage / auch darinnen goͤttliche regirung danckbarlich erkannt / daß mir durch meine gegner anlaßgegeben / ja ich gleichſam genoͤthiget worden / einige materien vorzunehmen und aus - zufuͤhren / darzu ich ſonſten auſſer ſolcher veranlaſſung kaum wuͤrde gekom - men ſeyn. Jch komme aber ſo bald auff die haupt-abſicht des lieben ſchrei - bens / da mein werther Herr vor ſich und andere wegen daruͤber auffgeſtie - gener und beywohnender ſcrupel, ein unbetriegliches kennzeichen verlangt / ob ſeine jetzige begierde guts zu thun und die welt zu verleugnen aus GOtt oder aus der natur ſeye. Nun bin ich nicht ungeneigt / chriſtli - chen freunden auff ihre begehren nach vermoͤgen zu antworten / ich ſehe aber dieſe anfrage alſo an / daß zu dero voͤlligen beantwortung die maaß eines brieffs nicht zu langen ſondern ein gantzes buch erfordert werden wuͤrde. Denn zwahr die antwort kurtz gefaſt werden kan / es ſeye ſolches kennzeichen der wahre lebendige glaube / der durch die wahre liebe Gottes und des nech - ſten thaͤtig iſt. Es wird aber ohne zweiffel auch die meinung ſeyn / woraus man ferner / daß unſer glaube ſo dann liebe GOttes und des nechſten rechter art ſeye / kennen / alſo das richtige vom falſchen ſchein unterſcheiden koͤnne und ſolle. Dieſe materie aber nach nothdurfft vorzuſtellen / wuͤrden etliche predigten nicht zureichen / vielweniger in einem brieff dieſelbe nach nothdurfft koͤnnen erleutert werden; und zwahr amaller wenigſten von mir / dem ohne das die gabe nicht gegeben / etwas kurtz zu faſſen. Daher ich nothwendig diejenige / welche meine gedancken hieruͤber verlangen / an die ſchon gethane arbeit entweder in den predigten von der wiedergeburth / oder in den tractat von natur und gnade / der doch nicht allzu weitlaͤufftig und leicht zu haben iſt / verweiſen muß: wiewol als denn bereit bin / ob jemand der dieſelbe geleſen oder lieſet / an dieſem oder jenen abſonderlichen puncten anſtoß haͤtte / und weitere erklaͤhrung / die ich noch nicht gegeben / verlangte / damit nach meinemmaaß761ARTIC. II. SECTIO XIII. maaß zu dienen. Jnsgemein moͤgen nur dieſe haupt-regeln der pruͤfung we - gen in acht genommen werden: einstheils daß man nicht ſo oben hin daruͤber fahre / und eitele einbildungen / von denen man gar keine wircklichkeit zeigen kaͤn / vor goͤttliche gewiſſe wirckungen achte / anderntheils daß man dasjenige / was wegen glaubens und liebe erfordeꝛt wiꝛd / nicht nach dem geſetz und deſſen ſtrenge examinire / ſondern ſich der Evangeliſchen guͤte (oder wie GOtt ſei - ner kinder hertzen und wercke urtheilet) erinnere / und alſo mit ungeheuchel - ter auffrichtigkeit zu frieden ſeye / nicht aber alle augen auff die vollkommen - heit richte. Sonſt wo gegen das erſte geſuͤndiget wird / gibets ſicherheit / aus dem andern fehler entſtehet lauter angſt und zagen / ja ringen mit der ver - zweiffelung. Der HErr aber gebe uns nicht allein allen ſeinen uns noͤthigen willen / ſondern nicht weniger unſern zuſtand vor ſeinem angeſicht / zu erken - nen / daß wir in dem liecht ſeines Geiſtes 1. Cor. 2 / 12. was er uns geſchen - cket hat / mit gewißheit ſehen / woran es noch manglet / wahrnehmen / und auch ſolche maͤngel ſtets zu beſſern in ſeiner krafft befliſſen ſeyen. Jm uͤbrigen ge - liebten Bruders eigenen zuſtand anlangend / ob mir wol auſſer dem brieff ſonſten von ihm nichts bekant / kan doch verſichern / daß nicht nur ich / ſondern auch zwey meiner vertrauten Collegen / welchen des wegen den brieff gezeiget / aus ſolchem ſchreiben keinen zweiffel gefunden / die gnade GOttes in dem - ſelben kraͤfftig zu erkennen: die der himmliſche Vater nicht allein erhalten / ſondern auch vermehren wolle. Jch komme nun auff die vorgeſtellte beſchrei - bung des glaubens / welche mir gefallen laſſe / nur daß die erlangung der ewi - gen ſeligkeit / die durch den glauben geſchicht / nicht erſt dereinſt hinaus nach dieſem leben verſchieben laſſen wolte / der mit Chriſto / Paulo und Luthero unſre ſeligkeit und ewiges leben bereits / weil wir noch in dem fleiſch ſind / an - zufangen und wahrhafftig beſeſſen zu werden. Joh. 3 / 16. 36. Rom. 8 / 24. Tit. 3 / 5. 1. Joh. 5 / 11. 12. mich verſichert halte: ſo dann in der erleuterung aus - gefuͤhret zu werden noͤthig achte / daß die aͤnderung unſres ſinnes nicht zu der form des glaubens / ſondern deſſen wirckung gehoͤre: auch was vor ein unter - ſcheid ſeye / unter den beyden fruͤchten des glaubens / die da ſind die gerecht - und heiligmachung / und veraͤnderung des menſchen: indem jene nicht eigen - lich eine wirckung iſt / indem der glaube die ſeligkeit nicht wuͤrcket / ſondern als ein geſchenck annimmet (non activè, ſed paſſivè, recipiendo donum) aber in der veraͤnderung des menſchen und wirckung der wercke und fruͤchten der gerechtigkeit / concurriret er durch eigenliche wirckung / oder iſt doch dasjeni - ge / wodurch der H. Geiſt wircket. Ob im uͤbrigen mein tractat, den ich von art des ſeligmachenden glaubens vor etlichen jahren heraus gegeben / und noch eine kleine folge der glaubens-gerechtigkeit iſt / zu der materie ausfuͤh -D d d d drung762Das fuͤnffte Capitel. rung dienlich ſeyn moͤchte / kan nicht ſagen / doch habe die ſache daſelbs etwa deutlicher / als ſonſten ausgefuͤhret.

Endlich ſage hertzlichen danck fuͤr den nachtruͤcklichen wunſch / mit wel - chem das liebe ſchreiben zu verſiegeln beliebig geweſen / und bleibe ſo viel - mehr dafuͤr verbunden / als mein zuſtand / darinnen ich ſtehe / vor andern / weil mir nicht wenig anbefohlen / auch ſo viele tauſend auff mich ſehen / daher wo etwas gutes thaͤte / ſolches von ſo vielmehr frucht ſeyn wuͤrde / jegliches mein verſehen aber mehreren ſchaden veranlaſſete / gefaͤhrlicher iſt / daher ich chriſtlicher mitbruͤder vor ſo vielen andern hochbeduͤrfftig bin / und mir des - wegen niemand groͤſſere liebe erzeigenkan / als da er die fuͤr mich und mein amt noͤthige gnade mir erbitten hilfft: damit denn auch noch kuͤnfftig fortzu - fahren freundlich bitte / und hinwieder deſſen vor dem HErrn zu gedencken mich erbiete. ꝛc. 1699.

SECTIO XIV. Troſt und ermunterung an eine hohe Stands-per - ſon. Erziehung der jugend vornehmen ſtandes.

JM uͤbrigen / wie E .... ſich deſſen allezeit verſichern koͤnnen / daß deroſel - ben perſon und anligens vor dem thron der gnaden gedencke / und darin - nen meine treue zu erzeigen nicht ſaͤumig werden ſolle: ſo iſt mir auch ſonderbar angenehm / mehrmal der heiligen leitung GOttes an deroſelben nachricht zu haben / damit ich mit danck und gebet vor GOtt deroſelben we - gen ſo viel nachtruͤcklicher erſcheinen moͤge. Jch kan aber aus allem / was je - mal hoͤre und erfahre / E .... nicht anders anſehen / als eine perſon / an dero der himmliſche Vater ein ſonderbares zeugnuͤß ſeiner guͤte / krafft / weißheit und barmhertzigkeit bißher erwieſen hat / und noch ferner zu erweiſen gewiß - lich nicht unterlaſſen wird. Jn ihrer theuren ſeele verſichre ich mich mehr von kraͤfftigen wirckungen GOTTes / als dieſelbe bey ſich ſelbs gewahr werden mag / nachdem der HErr aus guͤtigem rath ihro die fuͤhlung deſſen zuruͤcke zeucht / was er in ihr hat. Zwahr ſolte es ſcheinen / unmoͤglich zu ſeyn / daß der ſeele das in ſie von GOtt gelegte und in ihr gewuͤrckte ſolte verborgen bleiben koͤnnen / weil ja der geiſt des menſchen weiß / dasjenige / was in dem men - ſchẽ iſt. 1. Cor. 2. Aber ſolches beſſer zu begreiffen / wuͤſte ich E ..... faſt nichts deutlichers vorzuſchlagen / als was unſer liebe Lutherus uͤber Luc. 1 / 47. von dem geiſt und ſeele des menſchen ſchreibet / und ſolches in der erklaͤhrung des Magnificat, dieſe aber T. 1. Altenb. f. 758. oder T. 1. Jen. f. 478. 479. oder auch T. 6. Witteberg. ſtehet: da ſie geruhen wolten mit bedacht nachzule - ſen / indem man nachmal gar wol begreiffen kan / wie in der hoͤchſten krafft der ſeele / dem geiſt / wo GOtt allein ſeinen wohnplatz hat / von derſelben glaubenund763ARTIC. II. SECTIO XIV. und viel herrliches kan gewircket werden / deſſen fuͤhlung in der ſeelen weitere und gleichſam euſſere kraͤffte / dahin die beſinnung gehoͤret / nicht ausbrechen kan. Daher die beklagte kaltſinnigkeit in dem Chriſtenthum und uͤbungen der gottſeligkeit mir kein boͤſes zeichen iſt / ſondern ich ſehe ſolche vielmehr an nur als eine ſchwachheit der euſſerlichen natur / in dero nicht nur der leib ſelbs / ſondern auch die natuͤrliche kraͤfften des gemuͤths / und deſſen lebendige freu - digkeit durch viele leiden niedergeſchlagen und geſchwaͤchet worden. Daß a - ber bey der verweſung alles ſolches einigerley maſſen zu dem euſſern menſchen gehoͤrigen / der rechte innerliche menſch bey deroſelben immer mehr und mehr erneuertworden / halte ich mich gantz verſichert / nicht nur aus dem / da ſie offt die groͤſte ruhe ihrer ſeelen in dem euſſerlichen leiden gefuͤhlet / ſondern in aller ihrer ſchwachheit dergleichen ſtarcke puͤffe ausgeſtanden: ſo gewißlich eine nicht gemeine / ob wol vielleicht verborgene bleibende krafft des geiſtes an - zeiget / zugleich aber auch eine erfuͤllung deſſen bleibet / was des HErrn treue zugeſaget hat / wie ſeine krafft in den ſchwachen ſich maͤchtig weiſen wolle. Fuͤr die auch in dem euſſerlichen ſo wunderbar und faſt ploͤtzlich erzeigte huͤlffe / ruͤhme ich auch billich die goͤttliche wunderhand und guͤte / welche an derſelben dermaſſen auff unterſchiedliche art ſich zu ſtaͤrckung auch anderer glaubens darſtellet / und gewißlich ihr eigen werck an deroſelben zu ſeiner zeit / dero die - ſelbe auch in kindlicheꝛ gedult und gelaſſenheit zu erwarten hat / herrlich zu ih - rem preiß / vieler anderer auffmunterung und ihrem eigenen heyl hinaus fuͤh - ren wird. Jm uͤbrigen / daß Jhro ſonderlich die chriſtliche erziehung ihrer geliebteſten Herren ſoͤhne angelegen / iſt ein ſtuͤck muͤtterlicher treue und ſchuldigen fuͤrſorge / und erfordert zweyerley / einerſeits nichts zu unterlaſſen / was dazu dienſam ſeyn moͤchte / anderſeits ſich auch nicht zu viel daruͤber zu hermen / ſondern alles demjenigen / der das kuͤnfftige in ſeinen haͤnden allein hat / auch ohne den ſo wenig / als wider ihn / wir in einigen dingen jemal etwas aus zurichten vermoͤchten / mit kindlichem gehorſam zu uͤberlaſſen. Er iſt je unſrer kinder vater mehr / als wir leibliche eltern uns davor zu halten haben / daher ihm ihre wohlfarth gewißlich mehr als uns ſelbſten angelegen iſt / auch der ſucceß alles unſers vornehmens an ihnen an ſeinem ſegen und deſſen maaß hanget: daher wir uns auch gewiß verſichern koͤnnen / je mit gelaſ - ſenerem gemuͤth / und alſo thaͤtlicher erkaͤntnuͤß / daß es eigenlich nicht an uns lige / wir ihm die unſrige taͤglich empfehlen / ſo viel weniger laͤſſet er etwas an ſeiner Vater-treue ermangeln / welches wir ſonderlich derjenigen anfechtung entgegen zu halten haben / die uns auffſteiget / wo wir vor unſerer kinder rechter erziehung zu ſterben ſorgen / daß wir wiſſen / es ſterbe ihnen derjenige niemal ab / an deſſen gnade allein das gera -D d d d d 2then764Das fuͤnffte Capitel. then der kinder hanget. Jn deſſen bleibet gleichwol der eltern in allen ſtaͤnden angelegene pflicht / ſo viel ſorge an ihrer kinder aufferziehung zu wenden / als GOTT weißheit / mittel und gnade beſchehret. Das vornehmſte aber / welches an ihnen gethan werden kan / und ich nicht zweiffele / daß E ...... auch an dero geliebten jungen Herrſchafft ſich werden angelegen ſeyn laſſen / iſt / daß man den rechtſchaffenen grund des wahren Chriſtenthums von zar - ten kindes-beinen an bey ihnen lege / damit ſie ihren tauff-bund verſtehen / und zu deſſen ſorgfaͤltiger beobachtung ſtets angetrieben werden. Maſſen auch die zarte gemuͤther / in denen die welt noch nicht ſo ſtarcke wurtzeln gefaſ - ſet / faſt noch bequemer als die alte ſind / etwas rechtes gutes in ſie zu pflan - tzen / ſo zu ſeiner zeit frucht bringe. Und wo ein gemuͤth ſo bald in den erſten jahren zu einer forcht und liebe GOttes / zu einer bewahrung des gewiſſens / zu einer verachtung der welt / gewehnet worden / ehe man ſo recht in die welt kommet / ſo waͤhret der nutze davon das gantze leben durch. Jch glaube fer - ner / daß bey hohen ſtandes-perſonen auch deroſelben jugend am rathſamſten auf eine wenig von andern geringern leuten unterſchiedene art erzogen wer - de / und ſie gleichſam nicht wiſſen ſolle / wer ſie ſeyn / alſo / daß ſie ſich geweh - nen / in einem ſteten gehorſam zu leben / und ſich keiner / als austruͤcklich ver - goͤnneter / freyheit zu gebrauchen. Denn wo auf dieſe weiſe / und in ſolcher richtigen ordnung erſtlich der grund des gantzen lebens geleget iſt / ſo geweh - net man ſich nachmal / wo nun die jahre vorhanden / und man ſeine perſon auf - fuͤhren ſolle / gar bald zu denjenigen dingen / welche etwa der beſondere ſtand erfordert. Da hingegen / wo gleichſam von der mutter-milch an ſo bald der jugend / wer und was ſie vor andern ſeyen / vorgemahlet wird / nicht nur eitel - keit / hochmuth und freyheit ſich geſchwind in die gemuͤther nur allzufruͤhe ein - ſchleichet / ſondern was man lernen und ſtudiren ſolle / geſchihet nicht mit ſol - chem fleiß und grund / wie ſichs geziehmet. Es bedarff aber dieſelbe ſolches nicht erſt von mir zu vernehmen / von dero mich ohne das verſehe / wie ſie der HErr HErr das einig nothwendige allem andern vorzuziehen ſelbs gelehret / daß ſie auch zu ſolchem beſten theil die ihrige anweiſen / der himmliſche Vater aber ſeinen kraͤfftigen ſegen dazu verleihen werde: Wie auch deſſelben ewige guͤte darum / und insgeſamt um alles dasjenige / woran ſie an ihro / an dero geliebten gemahl und jugend dauckbarlich geprieſen werden moͤge / ſtets anzu - ruffen fortfahren werde. 1689.

SECTIO765ARTIC. II. SECTIO XV.

SECTIO XV. An eine hohe ſtandes-perſon / welche uͤber die hin - dernuͤß der uͤbung ihres Chriſtenthums klagte / herkommen - de aus anhaltendem kopff-wehe / und mangel der andacht im gebet.

JN E. Gn. gnaͤdigem an mich abgegebenen habe mit freuden geſehen die beſtaͤndige hertzliche reſolution ſich ihrem GOTT allerdings auffzu - opffern / und aus liebe zu ihm allem welt-weſen abzuſagen. Fuͤr welche goͤttliche bereits in wirckung ſothanen heiligen vorſatzes erzeigte gnade dem geber aller guten gaben demuͤthigſter danck geſaget ſeye / welchen auch hertz - lich anruffe / und anzuruffen nicht unterlaſſen werde / daß er ſolches gute werck immer mehr bekraͤfftigen / befeſtigen / vollbereiten und endlichen vollfuͤhren wolle auf den tag JEſu Chriſti. Es gedencken aber dieſelbige zwo hinder - nuͤſſen / deren eine an dem leib / die andere an der ſeele ſich finde. Jene belan - gend / als nemlich das kopff-wehe und den zahn-ſchmertzen / ſo ſcheinet ſolches vielmehr eine hindernuͤß zu ſeyn / als daß es wahrhafftig fuͤr eine zu halten waͤre. Dann ob zwahr ſelbiges das euſſerliche leſen / reden / ſingen / ſchreiben und andre geſchaͤfften des euſſerlichen menſchen hindert / ſo wiſſen wir doch / daß der dienſt GOttes in ſolchen euſſerlichen wercken hauptſaͤchlich nicht be - ſtehet / ſondern in dem hertzen allein / am reineſten und dem HErrn am gefaͤl - ligſten verrichtet wird: Ja es iſt offters dieſes des lieben GOttes heiliger und weiſer rath / daß er die ſeele / wo er ihr die verrichtungen / welche ſie durch euſſerliche ſinne und dero wirckungen ausuͤben muß / hemmet / und ſie zu ver - richtung derſelben untuͤchtig machet / in eine mehrere ſtille bringen will / ihm in ihrem innerſten heiligthum zu dienen / und wo wir auch zu der betrachtung wegen abhaltung der ſchmertzen untuͤchtig ſcheinen / auffs wenigſte uns ihme in bloſſer gedult alſo darzuſtellen / daß er darauf ſelbs in unſerer ſeele wircke / als worzu wir nie geſchickter / als zu der zeit / wo wir gantz von unſerem eige - nen werck abſtehen / und ruhen. Daher wuͤßte ich keinen deſſern rath / als wo wir uns in ſothanen ſchmertzen befinden / auch ſpuͤren / daß die gedancken nicht wollen geſchickt ſeyn / etwas formlich nachzuſinnen / GOTT zu loben / oder ei - nig ſonderbar gebet zu thun / daß wir dann allein dieſe uͤbung vornehmen / ge - dultig ſolche ſchmertzen anzunehmen / und unſern willen dem lieben Vater in dem himmel auffzuopffern / daß wir wollen mit ſeinem willen gantz zu frieden ſeyn / und ſeine zuchtigung annehmen / auch glauben / daß ſie unſerm geiſt viel nuͤtzlicher und ſeliger ſeye / als ſie dem fleiſch moͤchte beſchwehrlicher fallen. Wo wir unſere hertzen dahin bringen zu ſolcher ſtillen gelaſſenheit und gedult / daß wir allein an unſere ſchuldigkeit das creutz willig zu tragen / an das exem -D d d d d 3pel766Das fuͤnffte Capitel. pel unſers JEſu / und an den herrlichen nutzen ſolches leidens gedencken / nur bedacht / allen zur ungedult reitzenden bewegungen zu widerſtreben / und ſolche zu hintertreiben / ſo iſt gewißlich ſolche uͤbung / etwas gutes in die ſeele zu brin - gen / und das gute / ſo in ihr iſt / daſelbs zu vermehren / und zu ſtaͤrcken / viel nuͤtz - licher und kraͤfftiger / als bey geſunden tagen / viele betrachtungen / leſen / beten und ſingen / ſo alle ihren vortrefflichen nutzen / aber auch ihre zeit haben / da hingegen der weiſe GOTT zuweilen andere uͤbungen von uns fordert. Wer auch ſeine ſeele vermittels ſolches leidens in dieſe ſtille gebracht / ſolcher wird folgends auch bey geſunden tagen ſie eher in ſolche ſtilligkeit bringen und er - halten. Jch habe von GOTT auch nunmehr bey ſechzehen jahren und druͤ - ber ein dergleichen kopff-wehe / ſo zu zeiten mich angreifft / dafuͤr ihm aber bil - lich zu dancken / und die andere vorſchreibende regul zu practiciren habe; er - kenne mich aber darinn ſelbs noch ein ſchuͤler allein zu ſeyn. Es greifft mich aber nicht allzuſtarck an / und waͤhret nicht lange: vielleicht weilen GOTT ſich annoch meines armen dienſtes gegen andere gebrauchet / welcher ohne ſol - che mitwirckung des euſſerlichen nicht wol verrichtet werden koͤnte. Da aber zu meiner eigenen ſeelen reinigung und geiſtlichen wachsthum vielleicht wol dienlicher ſeyn moͤchte / ein laͤnger und ſtarck anhalten der ſchmertze. Aber es ſeye dem HErrn und ſeiner vaͤterlichen weiſeſten guͤte alles ſaͤmtlich befohlen. Was die andere hindernuͤß anlangt / daruͤber E. Gn. klagen / die manglende andacht und kaltſinnigkeit im gebet / iſt wol dieſelbe eine der groͤſten be - ſchwehrden / uͤber welche nicht wenige kinder GOttes klagen und ſeuffzen / ja ſolche vor eines ihrer vornehmſten creutze achten. Doͤrffte ich mein armes exempel anziehen / ſo beſtehet alle meine andacht meiſtens mehr in einem ver - langen darnach / als in der inbruͤnſtigkeit ſelber: Wiewol mich deſſen ſo viel - mehr zu ſchaͤmẽ habe / weil leyder finde / die urſach ziemlich an mir ſelbs zuhaff - ten / wegen der vielen verhindernuͤſſen / welche die andacht bey mir ſtoͤhren / und mein gemuͤth meiſtens in vieler zerſtreuung haltẽ: deren hindernuͤſſen viele we - gen der ſtaͤtigen geſchaͤfften nicht von mir ablegen zu koͤnnen / betruͤblich ſehe / die uͤbrige aber belangend / nach veꝛmoͤgen abzuſchaffen trachten will und ſolle. Deßwegen abeꝛ auch offters diejenige leute / deꝛen beꝛuf ſie nicht in ſo mancheꝛ - ley uñ lauteꝛ ſolche geſchaͤffte einflicht / die da das gemuͤth einnehmen / und mit ſtaͤten gedancken erfuͤllẽ / fuͤr gluͤckſelige leut achte / als die in ſolchem ſtande die ſeele eher in eine der andacht noͤthige ruhe und ſtilligkeit zu bringen vermoͤgen. Der HErr helffe mir auch ſolche ſteine des anſtoſſens zu uͤberwinden. Jndeſ - ſen habe allen denjenigen / welche in ſolchem ſpittal auch kranck ligen / in dieſem ihrem anligen zu rathen / zu forderſt erſtlich nach zu ſuchen / ob ſie et - wa ſelbſt an ſolcher zerſtreuung und kaltſinnigkeit urſach ſeyen: Und alſo ſich zu forſchen / ob etwa noch einige ſtarcke anhaͤngigkeit an der welt in gewiſſendin -767ARTIC. II. SECTIO. XV. dingen ſeye / ob wir noch an uns etwas finden / ſo wir erkennen wider GOt - tes liebe zu ſeyn / oder auch ob wir in dem gebet die andacht vielmehr begeh - ren / als eine vergnuͤgung unſerer ſeelen / wegen der etwa dabey befindlichen ſuͤßigkeit und freude / oder obs uns lauterlich darum zu thun ſeye / den groſ - ſen GOtt in uns zu verherrlichen / ihn mit unſerm gebet und erkaͤntnuͤß / daß wir alles von ihm allein haben und haben muͤſſen / zu ehren / und ihm naͤher vereinigt zu werden. Jn dem es auch zu weilen geſchiht / daß wir die geiſt - liche ſuͤßigkeit im gebet und betrachtungen hoͤher und mehr als ihn ſelber und ſeine gnade achten / daher er uns dasjenige entzeucht / was wir gegen ſeine ehre mißbrauchen / oder wo wirs erlangten / mißbrauchen wuͤrden. Finden wir nun hierinnen keinen mangel / oder ſuchen dasjenige / welches wir finden / nach vermoͤgen abzulegen / ſo haben wir ferner zu erwegen / daß nicht nur dasjenige ein wahres gebet iſt / welches entweder mit dem munde in gewiſſen worten gethan wird / oder aber in ordentlichen gedancken des hertzens / ſo ſich gleichwol auf einige gewiſſe worte vorbildet / beſtehe / als wozu wir offters die geringſte andacht nicht finden werden / ſondern daß eben ſo wol dieſes ein gebet ſeye / welches in einem bloſſen verlangen der ſeele beſtehet. Zum ex - empel E. Gn. wollen von ihrem GOtt einige wolthat bitten / ſo iſt das erſte und vornehmſte gebet / bereits das verlangen ihrer ſeelen / daß ſie von GOtt ſolches hertzlich wuͤnſchet und verlanget. Dieweil ein gebet nichts anders iſt als die begierde unſers hertzens zu GOtt / von ihm etwas zuerlan - gen / ſo redet ſolche begierde des hertzens zu GOtt ehe der mund ſpricht / ja ehe ſie gewiſſe gedancken macht / wie ſie ſolches von GOtt bitten will. Da heiſſets Pſ. 10 / 17. Das verlangen der elenden hoͤreſt du HErr / nicht nur das ſonſten insgemein alſo nennende gebet / da die wort mit dem munde oder in den gedancken formiret werden / ſondern die qvelle deſſelben das verlangen. Ob es alſo wol dahin kom̃et / daß wir etwa nicht in dem euſſerlichen gebet o - der dem innerlichen wort-gebet die erwuͤnſchte andacht finden / haben wir zu - ſehen / ob nicht uns unvermerckt eine mehrere / ob wol verborgene andacht in dem hertzen und dem grund der ſeelen ſich gefunden. Ob nicht das verlan - gen dieſe gnade von GOtt zuhaben aufrichtig geweſen / daß wir inbruͤnſtig dieſelbe von GOtt verlangen und wuͤnſchen: Ob ſchon in ausdruͤckung ſol - ches verlangens die gedancken nicht in eine ſtaͤtigkeit oder ruhige austru - ckung deſſelben kommen / wie wir wolten[.]Ja daß wir uns eben daruͤber be - truͤben / daß wir nicht mehrere andacht haben koͤnnen / iſt eine gewiſſe anzei - gung daß alſo in ſolchem verlangen und der qvelle des gebets wahrhafftige andacht geweſen. Damit moͤgen wir unſere uͤber unſere kaltſinnigkeit ſich aͤngſtende ſeele ſtillen / ob wir wol in der folgenden austruckung nicht haben /was768Das fuͤnffte Capitel. was wir gern wolten. So koͤnnen wir auch eben ſolches empfinden des man - gels der andacht / wo wir wollen / heilſamlich gebrauchen / nicht nur zur er - kaͤntnuͤß / wie wir ſo gar nichts von uns ſelber vermoͤgen / ſondern alles eine bloſſe gabe GOttes ſeye / ſondern eben zur uͤbung der wahren demuth gegen GOtt. Daher einem frommen hertzen / welches ſolche kaͤlte bey ſich empfindet / nichts beſſeꝛ zu rathen weiß / als wo es ſich vor ſeinen GOtt geſtellt / und ſeine heiligſte Majeſtaͤt vorgebildet hat / vor welche es jetzt trete / auch verſucht / eine andacht bey ſich zu erwecken / es aber findet / daß es nicht von ſtatten ge - hen wolle / daß es alsdann eine weil von dem gebet ablaſſe / und ſobald ſich an - fange ſein elend vor augen zuſtellen / und zu erkennen / wie verderbt es ſeye / als welches auch nicht ſeine eigene noth vor GOtt auszuſchuͤtten das ver - moͤgen habe / daraus gewißlich ſo bald eine hertzliche traurigkeit entſtehen / dieſe aber wircken wird / daß es damit ſich aufs tieffſte vor GOtt demuͤthige / und ein inniglich verlangen trage / mit bruͤnſtigem hertzen ſeinen lieben Va - ter anruffen zu koͤnnen: Nun ſolche demuͤthigung vor GOtt iſt einer der hei - ligſten dienſte / die wir GOtt leiſten / und ſolches verlangen nach der andacht iſt ein inbruͤnſtig gebet um die andacht / da wir nicht gedencken / daß wir beten. Alſo daß indem wir von derjenigen materie haben abgelaſſen zu beten / wel - che wir zu bitten uns vorhin vorgenommen hatten / wir damit auf ein ander gebet unvermuthet kommen / wohin uns der finger GOttes ſelbſt durch die verſagung der verlangten andacht gewieſen hat. Und in ſolchem gebet bit - ten wir ſo vielmehr nach GOttes willen / 1. Joh. 5 / 14. Und iſt ihm alſo ein vielangenehmer opffer / als mehr daſſelbe eine wuͤrckung des H. Geiſtes in unſrer ſeelen iſt / daran wir dißmal nicht vorher gedacht hatten / ſondern durch die erkaͤntnuͤß unſers elends dahin gebracht worden. Nechſt deme mag auch dienlich ſeyn / in dem vorgehabten gebet gleichwol fortzufahren / und ob wir wol ſelbſt davon gleichſam keinen geſchmack bey uns fuͤhlen / dannoch den gehorſam dem HERNN ſo fern erweiſen / als wir finden dieſesmal uns nuͤtz - lich zu ſeyn. Wie dann zuweilen ein anfangs kaltes aber anhaltendes gebet erſt in dem anhalten ein feuer erlanget. Noch mehrere mittel ſind hin und wieder bey gottſeligen lehrern zu finden / als daß man / ehe man beten will / ſich etwa uͤber die heilige ſchrifft mache / und einig viertel ſtuͤndlein leſe / und uͤber einen ſpruch ſeine gottſelige gedancken habe / damit ſich alſo mit vorbereitetem hertzen zu dem gebet verfuͤge / und was dergleichen mehr ſind / ſo aber hie zu weitlaͤufftig auszufuͤhren / und ohne das E. Gn. ſo wol in buͤ - chern als von gottſeligen hertzen / ſo um ſie ſeyn moͤgen / anleitung genug finden wird. Jch ſchlieſſe mit dieſem einfaͤltigen wunſch / daß GOTT der Vater aller guten gaben uͤber dieſelbe / dero hertzlich geliebten Herrn und jugend / ſo dann alle / die um ſie ſind / und ihn zu ſuchen begehren / ausgieſſe den Geiſt dergnaden769ARTIC. II. SECTIO XVI. gnaden und des gebets / der in kindlicher einfalt in ihrem hertzen ruffe / Abba lieber Vater / der ſie ſelbs / weil wir nicht bitten koͤnnen / wie wir ſolten / vertre - te mit unausſprechlichen ſeuffzen: Der allezeit ſo viel feuer der andacht in ihrem hertzen entzuͤnde / als zu dem erforderenden opffer ihrer hertzen und lip - pen noͤthig iſt: Der ihro in den ſinn und mund gebe die gedancken und worte / die zu verherrlichung ſeines nahmens und vortragung ihrer angelegenheiten noͤthig ſind / der ſie auch in ihrer ſeelen verſichere der erhoͤrung ihrer ſeuffzer / und alſo in denſelben auf goͤttliche art antworte / biß jedesmal zu der zeit / da er ſelbs findet nuͤtzlich zu ſeyn / der euſſerliche erfolg des gebetenen ſie der vori - gen erhoͤrung auffs neue vergewiſſere. Er ſtehe ihro auch bey mit troſt in der anfechtung der ermanglenden andacht / und lehre ſie auf die wuͤrdigkeit der theuerſten fuͤrbitte Chriſti ſehen / wo ſie ihres eigenen gebets unwuͤrdig - keit ſchrecket. Er ſetze endlich auch zu dieſer gabe alles andere / wodurch de - roſelben zeitlich und ewig nach ſeinem weiſeſten willen wol ſeyn mag / um JE - ſu Chriſti willen. Amen. 1677.

SECTIO XVI. Troſt an eine ſtandes-perſon / die ſorgte / ihre ge - muͤths-kraͤfften wuͤrden geſchwaͤcht / und ſie zum geiſt - lichen untuͤchtig werden. 2. Cor. 4 / 16.

AUs deroſelben letzterm erſehe mit chriſtlichem mitleiden / daß dieſelbe noch von ihrem himmliſchen Vater in einer faſt ſtrengen gedult-ſchu - len gehalten werde / indeſſen aber daß es gleichwol / ſo ich aus allem da - bey erkenne / an deſſen nothwendigem troſt und krafft auch nicht ermangle. Daher es meines troſtes und zuſpruches nicht noͤthig iſt / aber ich dabey ver - ſichere / daß dero werthen nahmens und beſondern anligens vor dem HErrn zu gedencken unvergeſſen bin / und da ichs in nichts anders zu thun vermag / auffs wenigſte mit ſolchem gebet meine chriſtliche ſchuldigkeit zu beobachten nie unterlaſſen werde. Wenn ſie im uͤbrigen ſonderlich ſich darinnen be - ſchwehret befindet / daß die anhaltende ſchmertzliche leibes-zuſtaͤnde das ge - muͤth und deſſen kraͤfften auch ſehr angreiffen wollen / daruͤber ſie zu dero be - ruffs-geſchaͤfften / auch etwas geiſtliches zu faſſen / ſich ſchwaͤcher fuͤhle / verſi - chere ich mich / daß dieſelbe ſolches ſo wenig als alles uͤbrige / was ſie von der hand ihres Vaters empfunden / anders als vor liebes-ſchlaͤge und heilſame heimſuchungen zu erkennen urſach habe / und der HErr ſie auch in dem liecht ſeines heiligen Geiſtes ſolches immer tieffer einſehen und erkennen laſſen werde. Es gehoͤren auch die kraͤfften unſers gemuͤths und der innern ſinnenE e e e edan -770Das fuͤnffte Capitel. dannoch mit zu dem euſſerlichen menſchen / bey deſſen verweſung / wo ſol - che allmaͤhlich anſetzet / dem innerlichen ſo gar nichts abgehet / daß er immer mehr und mehr erneuert wird 2. Cor. 4 / 16. Es ſolte zwahr ſolches zu be - greiffen faſt ſchwehr werden / wenn man bedencket / daß gleichwol zu dem geiſt - lichen auch die voͤllige kraͤfften des verſtandes und der innern ſinne / gedaͤcht - nuͤß und dergleichen / gehoͤren / daher wo dieſe etwas geſchwaͤchet werden / wie man zuweilen in ſchmertzen / kranckheit und wodurch jene etwas noth leiden / gewahr wird / geſchehe ja / daß man nicht alſo beten / ſich nicht ſo auffrichten / zu ſeinem troſt dieſes und jenes nicht erinnern koͤnne / alſo / daß man meinet / man ſeye damit zu dem geiſtlichen gantz untuͤchtig. Wie dann nicht ohne iſt / daß ſo fern wir das geiſtliche anſehen / als unſre ſeele und verſtand darinnen ver - nuͤnfftig wircket / dieſe wirckungen durch ſothane ſchwaͤchung ſehr gehemmet werden / und wo unſer geiſtliches allein in demſelben beſtuͤnde / waͤren wir uͤbel dran. Aber wir haben uns billich zu erinnern / daß das goͤttliche und geiſt - liche bey uns ſehr viel tieffer lige / und in uns wohne / als die euſſerliche aus - bruͤche der kraͤfften unſrer ſeelen zeigen; maſſen GOTT und ſein liecht und krafft in dem grund der ſeelen ſelbs ſeinen ſitz hat. Daher unſer liebe Lu - therus an einem ort uͤber das Magnificat ſehr trefflich von dem unterſcheid des geiſtes und der ſeelen redet / welchen ort mich entſinne in ein und ander leichen-predigt uͤber Pſalm 73 / 26. angefuͤhret zu haben. Er lehret aber alſo: Die ſchrifft und der Geiſt GOttes in derſelben theile den menſchen in drey theil / leib / ſeel und geiſt / was der leib ſeye / begreiffe jeder leicht: Die ſeele ſeye diejenige / welche verſtand / willen / affecten / gedaͤchtnuͤß und dergleichen kraͤfften hat / wie dieſelbe in den dingen dieſe zeit ange - hende gebraucht werden und wircken: Der geiſt ſey dem weſen nach eben die ſeele / aber in einer hoͤhern verrichtung / wie ſie es mit GOtt / ewigkeit und geiſtlichen dingen zu thun hat / auch dero wirckungen in ſich leidet: Dahero da in der ſeele / wie in dem heiligen des tempels oder der huͤtten des ſtiffts der leuchter mit den ſieben lampen war / auch vieles natuͤrli - ches liecht und erkaͤntnuͤß iſt / ſeye hingegen in dem geiſt als in dem allerheilig - ſten kein liecht als GOTT ſelbſten. Dieſes wende ich billich in gegenwaͤrti - gem anligen dahin an / daß was von kranckheiten und ſonſten / ſo euſſerlich als innerlichen zufaͤllen / an dem gemuͤth / verſtand und deſſen kraͤfften abgehet / be - treffe nach angedeuteter redens-art nur die ſeele / nicht aber den geiſt: Jn jener mag das gedaͤchtnuͤß ſchwach werden / die ſchaͤrffe des verſtaͤndnuͤſſes ſtumpff werden / der begriff der dinge / die uns zu bedencken vorkommen / uns ſchwehr werden / ja gar es dahin kommen / daß wir uns deſſen / was in uns iſt / ſchwehr -lich771ARTIC. II. SECTIO XVI. lich erinnern / daher des glaubens nicht gewahr werden / damit gehet dann dasjenige / was in dem euſſerlichen menſchen ſo zu reden noch das innerſte iſt / mehr und mehr in ſeine verweſung / aber den geiſt und deſſen grund / ſo dann die guͤter / welche mit GOTT in demſelben ſind / beruͤhret ſolcher abgang nicht / noch mag deſſen etwas hineintringen / was uns ſchaden kan. Wir ſehen et - was deſſen / wann wir bedencken / daß GOTT und deſſen liecht in einer glaͤu - bigen ſeelen iſt / auch alsdann / da der menſch ſchlaͤffet / da er in ohnmacht liget / oder ſonſten in einer kranckheit ſich nicht beſinnen kan / und alſo alle uns be - kante und erinnerliche vernuͤnfftige wirckungen der ſeelen gantz ruhen: Nicht weniger bleibet jenes innere / ſo in dem geiſt iſt / ungehindert / ob auch durch ei - nige zufaͤlle die kraͤfften des gemuͤths in dero euſſerlichen ausfluͤſſen auffs hefftigſte angegriffen und geſchwaͤchet wuͤrden. Alſo ob ich wol von grund der ſeelen wuͤnſche / daß die vaͤterliche guͤte unſers GOttes dermaleins an dem dero theuerſten perſon bißher zugeſchickten und aufferlegten ein gnuͤge haben / und alſo nachdem das maaß der beſtimmten pruͤffung erfuͤllet ſeyn wird / ſie auch in dem euſſerlichen wiederum der bißherigen laſt befreyen / damit aber zu einem neuen zeugnuͤß ſeiner ſo allgewaltigen als guͤtigen krafft / ja zu einem exempel ſeiner wunder-huͤlffe / machen oder doch die laſt immer erleichtern / hingegen die kraͤfften des gemuͤths allerdings unangetaſtet erhalten / und da - durch die erbauung derer / die um ſie ſind / deſto mehr noch ferner befoͤrdern wolle / welches auch gewiß geſchehen ſolle / wo der himmliſche Vater ſolches zu ſeiner ehre und dero wahrem geiſtlichen beſten nuͤtzlich zu ſeyn erkennen wird: So koͤnnen gleichwol dieſelbe ſich verſichern / im fall die goͤttliche weißheit / dero gedancken nicht allezeit mit den unſrigen einſtimmen / ſondern ſolche off - ters fuͤr nuͤtzlich achtet / was wir ſchaden zu ſeyn glauben / es anders beſchloſſen haben moͤchte / nemlich ſolche einen mercklichen abgang der gemuͤths-kraͤfften / gedaͤchtnuͤß und anders dergleichen fuͤhlen zu laſſen / daß damit wahrhafftig dero werthen ſeelen und innern ſchatz nichts abgehen koͤnne / ſondern ſolcher verluſt vielmehr diejenige allein betreffe / ſo ſonſten von dero gottſeligen bezeugung in ihrem leiden erbauung und auffmunterung genoſſen haben / ſo ſie aber in ſolchem ſtande weniger mehr finden wuͤrden. Wir wollen es aber alles insgeſamt lediglich dem lieben Vater uͤberlaſſen und empfehlen / der wirds alles wol / ja mehr als wol und am beſten / machen / und uns ob er uns auch ſo an ſich truckte (wie zu weilen eine mutter aus bruͤnſtiger liebe an ihrem kinde thut) daß uns die augen darob uͤbergingen / gleichwol ſeiner liebe getroͤ - ſten / die gewiß ſo groß als er ſelbſten und folglich unmaͤßlich und unendlich iſt. Meinen wir alſo / daß wir alles verliehren / oder alles uns verlaſſen wolle / ſo bleibet er uns ſelbs gnug / wenn wir ihn in unſrer ſeele beſitzen / und deſſen wir -E e e e e 2ckun -772Das fuͤnffte Capitel. wirckungen auch um die zeit bey uns gewahr werden koͤnnen / wenn die em - pfindlichkeit am meiſten noth leidet. Es bedarff aber nichts weiter hinzuzuſe - tzen / nachdem ich weiß / an eine perſon zu ſchreiben / die von dem HErrn ſelbs in unterſchiedlicher ſeiner ſchul bißher mehr gelehret worden iſt / als ich zu lehren vermoͤchte. Er walte noch ferner uͤber dieſelbe mit ewiger huld / und ſetze ſie zum zeugnuͤß ſeiner herrlichen gnade: ja er heilige ſie durch und durch / und ihr geiſt gantz ſamt ſeel und leib muͤſſe untadelich behalten werden biß auff den tag JEſu Chriſti ꝛc. 1687.

SECTIO XVII. An einen Fuͤrſtlichen Miniſter, der uͤber die zer - ſtreuung und hindernuͤß an dem geiſtlichen wegen ſeiner vielen verrichtungen geklaget.

DEn eigenen zuſtand E. Exc. anlangend / begreiffe ich leicht / daß einer ſeelen / die nun was beſſers geſchmecket / davon ſie aber durch allzuvie - le einflechtung in weitlaͤufftige geſchaͤfften mehr abgezogen wird / ſehr beſchwehrlich wird / wo ihre verſtreuungen vermehret / und hingegen die gele - genheit kraͤfftigen wachsthums gehindert wird: ſie ergibet ſich aber auch willig in den gehorſam ihres GOttes und deſſen regierung: verrichtet ihre weltliche geſchaͤffte ſo gut ſie kan / als ſtuͤcke ihrer noch waͤhrenden dienſtbar - keit (wie die leibeigene knechte zu allen zeiten / von denen Paulus fordert / daß ſie mit gedult in ihrem beruff beharren 1. Cor. 7 / 21. biß ihnen GOtt frey zu werden / ſelbs eine thuͤr oͤffnet) und richtet ſie noch ſo viel als muͤglich iſt zu ei - nigem nutzen des nechſten: vermeidet die ihr gefaͤhrliche ſteine des anſtoſſes / in entziehung von unnoͤthiger geſellſchafft / als viel in ihrer macht ſtehet / oder wo ſie an die gefahr muß / wapnet ſie ſich deſto ſtaͤrcker mit gebet und hertzli - chem vorſatz / auch unter unſchlachtigem geſchlecht zu leuchten: und wo ſie endlich gewahr wird / daß durch alle ihre arbeit wenig oder nichts gutes aus - gerichtet worden / demuͤthigt ſie ſich vor GOtt / vor dem ſie etwa nicht wuͤr - dig geweſen / daß er viel durch ſie ausgerichtet werden lieſſe / auch ſorget an ihrem fleiß etwas ermangelt zu haben / troͤſtet ſich aber damit / daß GOtt ih - re treue und auffrichtigkeit anſehe / und ſich eines Davids guten vorſatz den tempel zu bauen gefallen laſſe / ob wol die ſache nicht zu wercke gerichtet wer - den ſolle. Jch trage daher das gute vertrauen / daß E. Exc. ihre ſeele in e - ben ſolchemſtand befinden / aber ſich auch damit auffrichten werde / biß der liebſte Vater im himmel ſelbs ſeinen willen anders zeigen / und da man in dem frembden Luc. 16 / 12. ſich treu erwieſen / das eigene in ſo viel reicherermaaß773ARTIC. II. SECTIO. XVIII. maaß ertheilen / und demſelben ungehinderter abzuwarten gelegenheit be - ſchehren wird. Zu welchem allem das liecht und krafft von oben von grund der ſeelen anwuͤnſche. 1700.

SECTIO XVIII. Wegen eines Predigers / der die verſuchung Chriſti nur innerlich geweſen zu ſeyn gepredigt / und eine ange - fochtene uͤberreden wollen / daß es keine teuffliſche anfechtungen waͤren.

DAs mir großguͤnſt. communicirte / betreffende einige beſchwehrden von NN. gegen Titium, habe mit fleiß durchleſen / und in der furcht Got - tes erwogen: Jſt mir zum allerfoͤrderſten leid / daß ich vernehme / daß auch in ſolcher kirchen / ſo mitten unter allerhand glaubens-genoſſen ſich be - findet / einige zwiſt entſtehen wollen / woraus gemeiniglich vielerley aͤrgernuͤß nach zu folgen pflegen. Hienechſt bekenne / daß mit voͤlligem grund von der ſa - che nicht reden noch urtheilen kan. Als der ich nicht nur allein Titium und deſſen erklaͤhrung / wie er ſich verſtanden haben wolte / nicht daruͤber gehoͤret / ſondern auch nicht ausfuͤhrlich in dem geſchehenen bericht befinde / wie ſeine wort gelautet / derer er ſich in der predigt ſolte gebrauchet haben; Nun iſt be - kant / wie offt ein und ander wort / nachdem es geſetzet / gebraucht / und etwa mit andern limitiret worden / ein groſſes was den verſtand anlangt / importi - ren / und eine rede graviren / oder entſchuldigen kan. Daher ich mit gegenwaͤr - tigen meinen nach begehren communicirenden gedancken weder Titium noch jemanden præjudiciren mag. Was in dem uͤbrigen die ſache ſelbs / und zwahr erſtlich die materie von der verſuchung Chriſti anlangt / ſo geſtehe / daß ich ſelbs nicht deꝛ meinung bin / welche wie berichtet von Titio behauptet ſey woꝛ - den / als der ich dafuͤr achte / daß der boͤſe feind auch euſſerlich zu dem HErrn JEſu ſeye getreten / ſeine verſuchung etwa unter anderer geſtalt vorgebracht / auch den HErren in der that auff die zinne des tempels und den berg gefuͤh - ret / alſo dieſes alles / wie es der buchſtabe mit ſich bringet / in der wahrheit ge - ſchehen / nicht aber nur in einem geſicht / ob geſchehe dergleichen / dem HErren vorgekommen ſeye. So pflege ich zu lehren oͤffentlich / iſt auch meine meinung / daß ich mich darinn nicht zu irren verſichert halte / als wohin uns der einfaͤlti - ge buchſtabe der ſchrifft fuͤhret / von dem ich niemal / und alſo auch hierinnen nicht / ohne die hoͤchſte urſachen abzuweichen noͤthig erachte. Jndeſſen iſt die meinung / welche ich aus geſchehener communication vernehme / von Titio gelehret ſey worden / alſo bewandt / daß ſie nicht von ihm zuerſt auff die bahn gebracht / ſondern auch von einigen der alten beliebet / von den unſerigen aber /E e e e e 3als774Das fuͤnffte Capitel. als viel mir wiſſend iſt / niemal mit ſonderbarer hefftigkeit / oder harter be - ſtraffung verworffen worden. Wie mich darinn die modeſtia unſers wohl - verdienten Chemnitii ſehr vergnuͤget / wann er ſchreibet. Harm. Evang. c. 19. p. 188. Acceſſus tentatoris ad Chriſtum poſt 40. dies, non intelligendus, quod inviſibiliter & interius ſuis præſtigiis phantaſias animo Chriſti objecerit, & tales interiores cogitationes contra Spiritum, qualia verba hic deſcribun - tur, in cor Chriſti immiſerit: ſicut de Juda ſcribitur. Licet enim magna fuit exinatitio Chriſti, judicio tamen ſimplicius eſſe minus habere diſputatio - num, ſi recipiatur illa veterum ſententia, quod omnes tentationes foris per externas ſuggeſtiones factæ fuerint, quodque diabolus viſibili aliqua & corporali ſpecie Chriſto apparuerit. Verba enim Evangeliſtarum hoc videntur velle. &c. Voraus geſetzt deſſen / ſo wuͤnſchete zwahr / daß Titius eine ſolche meinung / welche insgemein nicht angenommen wird / und doch auch wenig zur erbauung ſcheinet dienlich zu ſeyn / nicht auff den oͤffentlichen predigtſtul gebracht haͤtte: ſonderlich waͤre mir es nicht lieb / wo es etwa mit ſonderbarem ernſt waͤre defendiret und behauptet worden / welches ich aber nicht geſchehen zu ſeyn / lieber hoffen will / und die gedancken haben / daß er aus vortrag ſolcher meinung / die er moͤchte der ſachen gemaͤſſer zu ſeyn vor ſich geachtet haben / nicht vermuthet / daß eine weiterung entſtehen wuͤrde. Wie es dann auch wohlmeinenden lehrern begegnen kan / daß ſie guter mei - nung etwas ſo ſie vor wahrheit achten / vortragen / und nicht abſehen / daß an - dere etwa ſich eher daran ſtoſſen moͤchten / auch wo ſie ſolches vorher geſehen haͤtten / gewißlich wuͤrden damit zuruͤck gehalten haben. Hingegen wuͤrde ich auch nicht gern geſehen haben / daß von andern Collegis die ſach wiederum in widerſpruch auff die cantzel gebracht worden / ſonderlich wo es mit einiger hefftigkeit ſolte geſchehen ſeyn. Es waͤre dann ſach / daß man gemercket / daß die gemeinde ſich ſehr an ſolcher meinung geſtoſſen / und alſo etwan nicht un - rathſam geweſen waͤre / wo Titius ſelbs ſeine meinung wieder auff der cantzel alſo modeſtè wiederholet / daß er gezeigt / wie er niemand darzu verbinde / ſon - dern nach der freyheit in ſolchen dingen / die das fundament des glaubens nicht eigenlich beruͤhren / ſein gutachten geſaget / deſſen er ſolche und ſolche gruͤnde habe / ſo er zu der zuhoͤrer / welche ſolchen dingen nachzudencken faͤ - hig (indem andere lieber von dergleichen dingen ſich gar abziehen ſolten) gottſeliger betrachtung und beurtheilung uͤberlaſſe / und mit niemand ſich deswegen zweyen wolte: ſonderlich aber wo einige boͤſe conſequenzen von andern daraus gemacht / beſcheidentlich zeigte / daß ſolches ſeine gedancken / oder meinung weder ſeye noch geweſen ſeye. Oder wo es rathſamer gefunden / daß ein anderer der Hochgeehrt. Herrn Collegen der gemeinde die ſache nach -mal775ARTIC. II. SECTIO XVIII. mal mit den argumenten vorgetragen / womit unſere gemeine meinung mag bekraͤfftiget werden / mit vermelden / daß ſie eine widrige auslegung von einem lieben bruder wuͤrden gehoͤret haben / die aber mit den an - gefuͤhrten gruͤnden wuͤrde abgeleinet werden koͤnnen / gleichwol alſo / daß ſie alle wiſſen ſolten / es waͤre ſolche materie nicht eben zu dem grund des glaubens gehoͤrig / in dero den lehrern und andern Chriſten eine mehrere freyheit gelaſſen ſeye / dasjenige zu halten / ſo man nach erwe - gung der ſachen der ſchrifft wahrheit am nechſten zuſeyn finden wuͤrde: Wes - wegen niemand an ſolchen unterſchied der meinung ſich ſtoſſen / ſondern alle einander in liebe tragen ſolten. Dazu billich auch gehoͤrete die ungleiche conſequentias, ſo aus uͤbel gefaſteter jener meinung gemacht wuͤrden / ſo bald den leuten zu benehmen / und den Collegam deroſelben bey den zuhoͤrern zu befreyen. Eine unter dieſen arten haͤtte darvor gehalten / daß erbaulich ſolte geweſen ſeyn / die ſonſten daraus ſorgliche zwiſte und der gemeinde tren - nung zu verhuͤten. Sonſt wuͤrde mit einander lieber geſehen haben / daß nichts weiter auf die cantzel gekommen waͤre. Sonderlich aber achte vor gantz noͤthig / daß der boͤſe argwohn / daß Titius nicht glauben muͤſſe / daß ein teuffel ſeye / allen gemuͤthern benommen werde / dann wie ich ſolchen irrthum auf keinerley weiſe nur von einigem chriſtlichen Theologo vermuthe / alſo folgt derſelbe auch nicht mit einigem ſchein aus dem was Titius geprediget haben ſolte. Nach meiner einfaͤltigen meinung aber wuͤrde ſolcher ſachen auch damit geholffen ſeyn / wo ſo wohl Titius mit beſcheidenheit in predig - ten ſich ſolches argwohns entſchuͤttete / und dergleichen von ihm nicht zu - ſchoͤpffen erinnerte / als auch die hochgeehrten Hrn. Collegen bey aller gele - genheit ſeine unſchuld behaupteten; Auff daß alſo fried und eintracht er - halten werde / an denen ſo groſſes gelegen; was die relation von der ange - fochtenen perſon anlanget / ſo iſt mir auch nicht wohl muͤglich darvon zu ur - theilen / in dem mir deren umſtaͤnde nicht ſo viel als etwa noͤthig waͤre / bekant ſeynd. Weswegen wann nun auch hiervon meine meinung ertheilen ſolle / ſolches nicht anders als in vermuthung beſtehen kan. Was es vor eine be - ſchaffenheit mit der angefochtenen habe / iſt mir nicht wiſſend / und moͤchte villeicht ſeyn / daß Titius ſo ſie etwa gekant / aus guten urſachen abgenom - men / daß es wahrhafftig mehr phantaſien einer mit leiblicher melancholie behaffteter perſon / als eigentliche ſuggeſtiones immediatæ des teuffels ſey - en. Wie dann zwahr bey den allermeiſten eingebungen und reitzungen unſers ſuͤndlichen fleiſches zu dem boͤſen / und alſo auch dergleichen in der melancho - lie aufſteigenden boͤſen gedancken / der teuffel ſein werck mit darbey hat / und wo er kohlen findet / dieſelbige gern auffblaͤſet / indeſſen koͤnnen wir nichtſchlecht776Das fuͤnffte Capitel. ſchlechterdings alles ſolches vor eigentliche eingebungen des teuffels achten; Jch habe auch einen gottſeligen Theologum, ſo nunmehr in GOTT ruhet / gekant / der als ich von dieſer materie einmal mit ihm handelte / darvor achte - te / daß man bey melancholiſchen perſonen / wo man die natuͤrlichen urſachen der leiblichen kranckheit ſehe / nicht ohne ſondere urſachen / dergleichen ge - dancken / des teuffels eingeben zuſchreiben ſolte / als woruͤber ſolche ohne das angſthaffte leute / wo ſie hoͤren / daß der ſatan ſolche gewalt uͤber ſie haͤtte / ih - nen dergleichen einzugeben / noch ſo vielmehr erſchrecken und ſich aͤngſtigten / damit aber ihr zuſtand mehr zunehmen / und vermehret werden mag. Daß alſo dieſes von einem gutgemeint ſeyn mag / welcher ihnen nicht noch ſchweh - rere forcht zu machen / es lieber einer kranckheit als ſolches hoͤlliſchen geiſtes einblaſen zuſchreiben wolte. Nur daß ſie dabey treulich erinnert wuͤrden / auch ſolchen aufſteigenden boͤſen gedancken in der krafft GOttes ernſtlich zu widerſtehen / als woriñen ſich der ſatan ſelbſt ſonſt leicht miſche. Solte dem gebet alle krafft abgeſchnitten ſeyn worden / ſo wuͤſte ich ſolches mit nichts zu entſchuldigen: Will aber dergleichen von einem Prediger nimmer vermu - then / ſondern ehe darvor halten / daß die frau die ſache nicht recht gefaſſet. Wo aber der rath dahin gegangen / daß ſie nicht allein beten / ſondern neben dem gebet auch den gedancken mit vernuͤnfftigen uͤberlegungen und wider - ſpruch begegnen ſolte / ſo halte ich in dergleichen materie / wo die abſcheulich - keiten der gedancken auch von dem natuͤrlichen verſtand wohl begriffen wer - den kan / einen ſolchen rath gantz chriſtlich und nuͤtzlich. Aber wie oben ge - meldt veꝛmag ich nicht mit der nothwendigen gewißheit von der gantzen ſache zureden / aus mangelung beſſern und voͤlligern berichts. Vielmehr ruffe ich allein den Vater in dem himmel hertzlich an / welcher die hertzen der Predi - ger / Collegen und zuhoͤrer mit dem geiſt der liebe und des friedens alſo erfuͤl - len wolle / daß ſie in liebe alles vertragen / in liebe auffnehmen / in liebe jedes / was etwa einiger maſſen gefehlet ſeyn worden / zu rechtbringen / und damit allen beſorgenden aͤrgernuͤſſen / vermittelſt ſeines ſegens / kraͤfftig begegnen. Welches nach angedeutetem verlangen / und zwahr wie gewuͤnſchet worden / ſchrifftlich habe antworten wollen / in meines hochgeehrten großguͤnſtigen Herrn belieben ſtellende / wie und was derſelbe hiervon denjenigen guten freunden / ſo ſolches begehret / zu communiciren beliebe. ꝛc.

SECTIO777ARTIC. II. SECTIO XIX.

SECTIO XIX. Troſt uͤber die klage des mangels der empfindung goͤttlichen ſuͤſſen troſtes.

D E. Wohl-Ehrw. Frau liebſte noch offtermals in groſſer hertzens - unruhe ſich befinde / iſt mir leyd: ſchreibe aber daſſelbige einstheils dem zu / daß ſo viel mich deucht / die leibes-conſtitution ad melancho - liam etwas incliniret: bey welcherley perſonen / wo ſie ihres Chri - ſtenthums ſich fleißig annehmen / deſſelben anligen insgemein der natuͤrlich bey ihnen aus der leibes-diſpoſition entſtehenden ſchwehrmuth objectum eben ſowol werden / als bey andern etwa zeitliche und weltliche ſorgen oder kuͤmmer - nuͤſſen. Und haben wir auch unterſchiedliche exempla dergleichen recht gott - ſeliger perſonen / denen aber umb ſolcher urſach willen ihr Chriſtenthum ſo viel ſaͤurer wird. Aber auch ſolches nicht ohne heilſamen und heiligen rath ihres him̃ - liſchen Vaters / der ſie damit ſo viel mehr vor aller ſicherheit verwahret / als leich - ter wir ſonſt in dieſelbe zufallen pflegen / wo wir unſerer meynung nach alles gu - tes und einen erwuͤnſchten ſucceß der taͤglichen andacht bey uns fuͤhlen. Des - wegen E. Wohl-Ehrw. ſie von ſelbſten gnug werden auffzurichten wiſſen / wie die ſuͤſſe troͤſtungen des Geiſtes / welche etwa einige gottſelige hertzen danckbarlich ruͤhmen / zwahr eine theure gnade GOttes ſeyn / damit er diejenige begabet / wel - chen er ſolches nuͤtzlich zu ſeyn erkennet. Es ſeye aber keine ſolche gabe / die uns ſchlechter dings / auffs wenigſte in dem grad / welchen wir von andern vernehmen / noͤthig waͤre / und aus derer ermangelung wir zu ſchlieſſen haͤtten / daß unſer GOtt unſer wenig achtete. Wie oft geſchihets / daß auch ſelbs die empfindlich keit des glau - bens / und zwahr auff eine nicht geringe zeit verlohren wird / und wir / da wir un - ſerem empfinden nach uns nicht anders als vor unglaubige achten koͤnten / deſſel - ben beywohnung allein aus einigen / und etwa gantz ſchwaͤchlichen fruͤchten abneh - men und ſchlieſſen muͤſſen / und gleichwol ſind wir in ſolchem ſtande nicht weniger unſerm GOtt angenehm / als bey dem auch fuͤhlenden glauben. Wie viel leich - ter moͤgen wir uns dann zufrieden geben / da wir noch den glauben fuͤhlen / und in demſelben der Geiſt GOttes unſerm geiſt noch zeugnuͤß gibet / daß wir GOttes kinder ſeyen / ob wol die eine frucht des glaubens / ſo in der ſuͤßigkeit und empfindli - chen geſchmack beſtehet des goͤttlichen troſts ſich nicht zeigen will. Da ja Gott als ein allweiſer medicus am beſten verſtehet / welcherley ſpeiß und artzney uns in dem geiſtlichen am erſprießlichſten / und nach ſolchem es auch mit uns haͤlt und ſchicket. Es haben die gedachte ſuͤſſe troͤſtungen des Geiſtes zwahr groſſe und unausſprech - liche frende / aber gemeiniglich muͤſſen diejenige / welchen GOtt dieſelbe in groͤſſererF f f f fmaaß778Das fuͤnffte Capitel. maaß gibet / zu andernmalen auch ſo vielmehr aus den baͤchen Belials beſcheid thun / und nicht weniger den hoͤllen-geſchmack einnehmen / als ſich zu andernma - len mit dem Manna des paradieſes erquicken / ſo ſtehen ſie auch in ſo viel groͤſſerer gefahr vor andern (conf. Ebr. 6, 4. 5. 6. ) wegen der mehr empfangenen guͤter / und alſo erforderender danckbarkeit / daß ihre ſuͤnden ſo viel ſchwehrer in goͤttlichem gericht angeſehen / und da ſie derſelben anfangen muthwilliglich nachzuhaͤngen / ſie auch eher von GOtt dem gericht der verſtockung uͤberlaſſen werden. Da hinge - gen bey andern / welche mit mehr furcht und zittern ihre ſeeligkeit ſchaffen muͤſſen / ob ſie ſchon vieler freude / welche jene beſeliget / entrathen muͤſſen / geſchihet / daß auch ihrer ſchwachheit in andren ſtuͤcken von GOtt mehr geſchonet / und doch zu - weilen etwas / ob zwahr in geringem grad / von goͤttlichem ſuͤſſem troſt zu ſchme - cken gegeben / das uͤbrige aber in jene ewigkeit verſparet wird. Der grundguͤtige GOtt helffe deroſelben das auffgelegte creutz alſo tragen / daß ſie ſeine guͤte und weiſen rath darinnen erkenne / und eben aus ſolchem ſich troͤſte: er erqvicke ſie aber auch zu weilen nach ſeinem heiligen wolgefallen mit einigem geſchmack derſelben ſuͤßigkeit / dero ermanglung ihr ſonſten ſo ſchwehr werden will / daß ſie ihm auch hier dafuͤr dancke / und der uͤbrigen zeit troſtloſe duͤrrigkeit mit deren wieder gedaͤcht - nuͤß ſo vielleichter ertragen koͤnne.

SECTIO XX. Von zuſpruch an einen ſchwehr angefochtenen. Bey der anfechtung auch meiſtens ſchwachheit der natur.

JCh habe den HErrn anzuruffen / der ſeine gnade und ſeegen zu ſolchem zuſpruch verleihen wolle / daß der zugeſchriebene troſt in das hertz trin - ge / und darinnen lebendig verſiegelt werde. Zu voͤlliger befreyung habe ich natuͤrlicher weiſe (dann der HErr kan durch ſeine wunder-krafft und guͤte manches thun / uͤber das was wir bitten und verſtehen) wenig hoffnung / als der ich den gantzen zuſtand nicht bloß vor eine geiſtliche anfechtung halte / ſondern glaube / der grund derſelben ſeye erſtlich eine natuͤrliche leibliche ſchwachheit eines nicht nur melancholiſchen temperaments, ſondern auch lang geſamleten mali hypochondriaci, ſo ihn nicht nur zu den amts-verrich - tungen / ſondern ohne zweiffel zu allem andern / wo ein freyes gemuͤth und nach - ſinnen erfordert wird / ungeſchickt gemacht haben wird. Daher weil auch das geiſtliche gleichwol in der ſeele und dero natuͤrlichen kraͤfften / verſtand / willen u. ſ. f. wircken muß / dieſe kraͤfften aber eben ſowol je nachdem die innere glieder des lei - bes / ſonderlich gebluͤt und geiſterlein in demſelben beqvem oder nicht beqvem ſind /ent -779ARTIC. II. SECTIO XX. entweder wohl oder uͤbel ihre verrichtung thun koͤnnen / ſo kans nicht fehlen / daß nicht dergleichen leuten nachmal ſchwehr werden ſolte / auch dasjenige / was in dem geiſtlichen deroſelben natuͤrlichen inclination entgegen iſt / (zum exempel / ein ſchwehrmuͤthiger den troſt und dasjenige / was ihn zur freude auffmuntern ſolte) zu faſſen. Ja bey ſolchen leuten / wo nun die natur dahin gekommen / daß ſie voller angſthafftigkeit / zagen und ſchwehrmuth ſtecket / da muß ſolche ihre inclination gemeiniglich etwas haben / darinnen ſie ſich martere. Alſo ſehen wir / daß bey ſolchen / die ihr Chriſtenthum ihnen nicht ſonderlich haben laſſen angelegen ſeyn / gemeiniglich ſich die aͤngſten zeigen werden in bauch-ſorge / angſt und furcht we - gen des zeitlichen / daher ſie leicht gar verzweiffeln / oder doch ſolche ihre ſuͤndliche zuneigung und habitus des geiſtes ihre ſtete marter und qvaal iſt. Hingegen bey gottſeligen hertzen ergreifft die natuͤrl. ſchwehrmuth ſo bald dasjenige objectum, damit ſie ſonſten meiſtens umbgangen oder es ihnen vor andern angelegen geweſen war / nemlich die geiſtliche / da will kein troſt alſo mehr hafften / daß man nemlich denſelben fuͤhlen koͤnte. Daß demnach ſolche zuſtaͤnde vermiſcht ſind / und etwas geiſt - und uͤbriges leibliches in ſich haben. Weil aber ſolche geiſtliche an - fechtung gewiß ſehr viel gutes in den ſeelen wircket / wo man goͤttlichem rath dabey platz gibt / ſo zweiffle nicht / daß GOtt / der uns ſchaffet in mutterleib / einer ſeele / wel - cher er nach ſeiner heiligen vorſehung ein ſolches leiden vor noͤthig erkennet / eben auch einen ſolchen leib und temperament gibet / darinnen ſie zu ſolchem creutz bereits die diſpoſition muͤſſen auff die welt bringen. Jndeſſen iſt nachmal eine ziem - liche vermuthung / wo das leibliche zum grunde liget / welches ſich natuͤrlicher weiſe / ſonderlich wo das uͤbel ſo tieff eingeſeſſen / nicht leicht mehr aͤndert oder gar weg - gehet / daß GOtt einem ſolchen menſchen die plage auf ſein lebetag zu tragen noͤ - thig beſunden / und dermaſſen zugeſchickt habe / wiewol ichs nur eine vermuthung nenne / den GOtt zuweilen zeiget / wie er auch wider und uͤber die natur ſeine all - maͤchtige krafft erweiſen koͤnne / und ſich an die natur / die ſeine ordnung und ge - ſchoͤpff iſt / nicht ſelbſt gebunden habe. Daher wir an ſolchen geaͤngſteten nicht nachlaſſen ſollen nach vermoͤgen zu arbeiten / ob wir wol der gaͤntzlichen befreyung keine verſicherte hoffnung haben / ob der HErr vielleicht etwas ſonderbares an ihnen thun / und unſer werck dazu ſegnen wolte; aufs wenigſte / daß doch ſolchen lieben leuten einige erleichterung erlangt / und ſie ſtets zur gedult unter Gottes zucht-hand und kindlicher gelaſſenheit (die die vornehmſte erleichterung der laſt iſt) gebracht und darinnen erhalten werden moͤchten. Wird alſo der HErr ſehr wol und Chriſt - lich thun / wo er continuiren wird / mit gleicher liebe ſich dieſes betruͤbten bru - ders anzunehmen / und nach der empfangenen goͤttlichen gnade und eigener creu - tzes-erfahrung ihm zu weilen zu zuſprechen. Ja es wird auch dieſes ein ſtuͤck derF f f f f 2ſchul -780Das fuͤnffte Capitel. ſchuldigen danckbarkeit ſeyn / weil der GOtt des troſtes denſelben in ſeinem ſchweh - ren creutz / ſo ich auch vor dem mit inniglichem mitleiden verſtanden / mit ſeinem kraͤfftigen troſt dennoch erhalten / aufgerichtet und geſtaͤrcket hat / daß er deſto wil - liger auch der betruͤbten ſich annehme / und ihnen mit dem troſt / damit ihn GOtt getroͤſtet / und er deſſen vornehmſte krafft in dem ſchwehrſten leiden und aͤngſten gefuͤhlet hat / hinwiederum zu ſtatten komme. Wie dann die auch einfaͤltigſte troſt - zuſpruͤche / ſo aus den hertzen kommen / welche aus eigener erfahrung reden / wol gemeiniglich am tieffſten durchtringen und ihre krafft erzeigen. 1682.

SECTIO XXI. Chriſtlicher rath uͤber eine vom teuffel ſchwehr an - gefochtene weibs-perſon.

DEn uͤberſandten caſum einer unbekanten und jetzo eine zeither in ſchweh - ren anfechtungen ligender weibs-perſon habe ſowol mit hertzlichem mit - leiden verſtanden / als vergnuͤglich daraus des getreuen himmliſchen Vaters uͤber ſie kraͤfftig waltende gnade erkennet. Jch halte ſie in al - lem dieſem vor ihren und aller unſer augen elendeſten zuſtand / vor eine perſon / an dero die goͤttliche guͤte bißhero ein groſſes gethan / auch noch groſſes zu thun vor - hat / und wo ſie ſich in die rechte ordnung ſchicken will / ohn zweiffentlich viele zeug - nuͤſſen groſſer gnade erweiſen wird. Jch will aber meine einfaͤltige gedancken in gewiſſe numeros abfaſſen.

  • 1. Halte ich ſie nicht vor beſeſſen / wie ſie von ſich beſorget / indeme die kenn - zeichen der leiblichen beſitzung / ja auch einiger vernuͤnfftiger ſchein derſelbigen / ſich an ihr nicht finden. Dann die fuͤhlende angſt und zittern an dem leib bringet ſol - chen argwohn nicht mit ſich / ſondern mag gar wol eine natuͤrliche wuͤrckung der traurigkeit und daraus entſtehender hertzens-bangigkeit ſeyn.
  • 2. Weil mir ihr voriges leben nicht bekant / ſo kan daher nichts vermuthen / ſo viel ich aber vernehme / daß verdruß bey ihr geweſen / bey einem ſeltzamen mann zu leben / ſo habe ſolchen vor den urſprung dieſes uͤbels zu achten: nicht nur weil ſolcher verdruß und betruͤbnuͤß den melancholiſchen affect bey ihr verurſacht oder vermehret: ſondern auch weil ſie darinnen GOtt dem HErrn mag urſach gegeben haben / da derſelbe ihre gedult durch einen widerlichen ehegatten zu uͤben / dergleichen ihr begegnen hatte laſſen / und dieſe ſich aber wider ſolchen rath ge - ſtreubet / auffs wenigſte nicht mit geziemender willigkeit ſolchen creutz-brecher aus ſeiner hand angenommen / noch ihm dafuͤr gedancket / ihr neben demſelben einen noch andern viel herbern und beſchwehrlichern einzuſchencken / und damit das -jenige781ARTIC. II. SECTIO XXI. jenige bey ihr auszurichten / was durch das vorige noch nicht erhalten war wor - den. Dann alſo pflegets GOtt gewoͤhnlich zu machen / daß er ſtatt des hoͤltzern jochs / ſo er auffgeleget / wo man daſſelbe zerbrechen will / ein eiſernes aufleget.
  • 3. Darauff vermuthe / daß der in ſeinen wegen ſo wunderbahre und verbor - gene GOtt ſie auff gar ſeltzame weiſe von anderer ſeelen-gefahr durch die vor augen ligende groͤſſeſte gefahr zu ihrem heil zu fuͤhren angefangen: halte alſo davor / daß einstheils der melancholiſche zuſtand aus GOttes willen bey ihr zugenommen / und alſo die natur ſolche teuffliſche impreſſiones zu leiden bequem gemacht worden: andern theils mag der goͤttliche rath dem leidigen ſatan macht uͤber ſie gegeben ha - ben / ſo grauſamlich ſie anzugreiffen: daher was nachmal gefolget / nicht ſowol ihre eigene handlungen als lauter ſataniſche verſuchungen geweſen.
  • 4. Demenach achte ich / daß alle die gefolgte abſcheulichſte gedancken / fluͤche und machinationen lauter feurige pfeile des teuffels geweſen / welche nicht von ihro ſelbſt hergekommen / ſondern auſſer ihr in ihre ſeele geſchoſſen worden. Wel - ches ſonderlich damit zu zeigen / weiln ſelbs das votum, des teuffels mit den ſei - nigen alſo zu ſeyn / wie ſie gewuͤnſchet / ein ſolch verlangen iſt / ſo ſelbſt der boßhaff - tigſten natur entgegen iſt: Maſſen alles der gottloſen menſchen begehren kommet aus der eigenen liebe / als dem grund unſerer verderbnuͤß / und ſuchet alſo der menſch in demſelben einiges / ſo er ihm aufs wenigſte etlicher maaßen nuͤtzlich zu ſeyn / und davon nutzen / luſt oder dergleichen zu haben glaubet; wie die hexen / entweder umb ſchaͤndlicher fleiſches-luſt / umb gelds oder anderer urſachen willen / da ſie meynen / daß ihnen auffs wenigſte eine weile wohl ſeyn werde / dem ſatan ſich ergeben. Nullum ſine autoramento vitium eſt. Dieſes verlangen aber der unbekanten perſon iſt gantz wider natuͤrlich / nemlich ſo bald von dem teuffel weggefuͤhret und zuriſſen zu werden. Dann wo man ſagen wolte / ſie haͤtte da - mit gehoffet ihres lebens loß zu werden / ſo waͤre dazu / geſchweige der damit an - gefangenen ewigen marter / dieſe art / von dem teuffel zerriſſen zu werden / nicht noͤ - thig geweſen / als die auff andere weiß ihres lebens abkommen moͤgen: bleibe alſo dabey / es ſeyen lauter teuffliſche ſuggeſtiones geweſen / da der feind erſtlich den verſtand durch den affectum melancholicum turbiret / daß ſie ſich in ſolchen ſuggeſtionibus deſſen nicht gebrauchen koͤnnen / ſondern in dieſen gedancken wenig von einer wahnſinnigen perſon unterſchieden geweßt / und alsdann ſolche grauſame dinge und vota ihr imprimiret; Sind ſie alſo der art / welche Gerſon ſolle peccata paſſiva nennen / darinnen der menſch mehr leidet als thut.
  • 5. Gleichwol hatſie deswegen nicht zu meynen / daß ſie ſich mit ſolchen ihr ge - waltſam eingetruckten teuffliſchen gedancken / bald dieſes bald jenes laſter zubege - hen / nicht verſuͤndigt haͤtte / ſondern auff den leidigen feind / wie die vornehmſte /F f f f f 3alſo782Das fuͤnffte Capitel. alſo gar alle ſchuld ſchieben doͤrffte / vielmehr wird ſie urſach gnug finden / wes - wegen ſie ſich vor GOtt zu demuͤthigen / und ihr eigen ſuͤnden-elend zubejammern hat. (1) Jſt die gewalt / die der teuffel uͤber uns hat / und zu uͤbung derſelben an ihr von GOtt / ſondere verhaͤngnuͤß bekommen / eine frucht unſerer erb-ſchulde: und muß ſie ſich ſelbſt erkennen / unter der zahl derjenigen zu ſeyn / welche uͤber ſich in Adam durch die ſuͤnde dem teuffel gewalt gegeben haben / und alſo deswegen ſchuld haben an allem / wozu ſie nachmal dieſer mißbrauchet. (2) Wo ſie ſchon nicht durch vorher gegangene ſuͤnden goͤttliches gericht uͤber ſich gezogen / als da - von ich nichts weiß / und alſo auch nicht temere argwohnen ſolle / iſt gleichwol der verdruß und ungedult in der ihr mißfaͤlligen ehe bereits eine ſolche ſuͤnde / wel - che / wie ſie vermuthlich GOtt zu dieſer zulaſſung urſach gegeben / die ſchuld des darauff geſolgten auff die perſon ſelbſten zeucht. (3) Ob wol ſeinen glaubigen der getreue himmliſche Vater die von ihnen ohne willen und aus ſchwachheit begangene ſuͤnden nicht zurechnen will / geſchihets doch nicht daher / gleich ob ver - dienten dieſelbe nicht goͤttlichen zorn / weil ja freylich der fluch des geſetzes uͤber alles gehet / wo das hertz aus eignen oder anders her angeflognen gedancken nicht in der ordnung vor GOTT ſtehet / wie es ſtehen ſolle; weswegen glaubige auch ſolcher ihrer ſchwachheit-ſuͤnden wegen ſich in taͤglicher buß vor GOtt demuͤthigen / und die nicht zurechnung derſelben allein ihres GOttes vaͤter - licher liebe und Chriſti verdienſt / ja aber nicht deme zuſchreiben / daß die ſuͤnde an ſich ſelbſt geringe waͤre: So dann nun bekantlich glaubige ihre ſuͤnde / die ſie aus ſchwachheit in dem ſtand der gnaden begangen / ob ſie wol ihnen niemal zugerech - net worden / nicht gering ſchaͤtzen / ſondern ſchmertzlich bereuen / ſo hat dieſe perſon ſo vielmehr urſach / bey dero / wie weit ſie mit gewircket oder nicht / und ob ſie in ſolcher zeit allerdings den glauben und heiligen Geiſt verlohren gehabt / oder als eine ihres verſtands allerdings damal in dieſen dingen beraubte (die deßwegen wuͤrcklicher boßheit nicht faͤhig geweſen) vor GOtt in dem ſtand geblieben / in wel - chem ſie mit dergleichen betreten worden / noch den heiligen Geiſt behalten / (ob zwahr derſelbe ſeine wirckung nicht weiter ſpuͤren laſſen / als daß er ſie vor dem euſſerſten verderben bewahret) ungewiß ſeyn mag / alle ihre ſuͤnde / ſo damal vor - gegangen / als ſchwehre greuel anzuſehen / und ſchmertzlich ſie zubereuen. Jm uͤbrigen meyne ich nicht nothwendig zu ſeyn / daß die angedeutete zweiffelhaffte frage decidiret werde; das ſicherſte wohin auch die meiſte rationes gehen moͤchten / wuͤrde ſeyn / ſie halte ſolche ihre ſuͤnde vielmehr ſchwehrer als leichter / und ſuche ſie in nichts zuentſchuldigen. (4) Sonderlich weil ſolche teuffliſche impreſſiones bey ihr keinen widerſtand gefunden / vielmehr ſie denſelben nach - gehaͤnget / darein gewilliget / zum oͤfftern ſolch votum wiederholet / andere ſuͤn - den zubegehen / als mit gifft zuvergeben / ehebruch zutreiben ꝛc. getrachtet / undohne783ARTIC. II. SECTIO XXI. ohne zweiffel dazu gelegenheit geſucht. Welche ſtuͤck alle ein ſtarcke cooperation von ihrer ſeiten mit ſich bringen / indeme noch nicht genugſam erhellet / daß ſie damal in dem melancholiſchen zuſtand alſo ihres verſtands auch hierinnen zuge - brauchen beraubt geweſen / daß zu keiner reſiſtentz muͤglichkeit geweßt waͤre: in welchem fall allein ihr ſolches uͤbel / dem ſie nicht widerſtehen moͤgen / nicht wuͤrde zugerechnet worden ſeyn.
  • 6. Aus allem wird verhoffentlich klahr erkant werden / daß ſie hohe urſach habe die grauſamkeit ſolcher ſuͤnde / die der ſatan zwahr hauptſaͤchlich bey ihr gewircket / aber ſie ſolcher ſchuld ſich darnach theilhafftig gemacht / und ein gantzes jahr ohne einiges wahres gebet oder wahrhafftigen actum pietatis gegen ihren GOTT zugebracht / zuerkennen / und wie ſie freylich damit ewig der gnade GOttes ver - luſtig zu ſeyn / wol verdienet haͤtte / zu glauben. Aber darneben ſolle ſie auch er - kennen / daß die teuffliſche boßheit gegen ſie ſich ſo groß nicht gezeiget / als goͤtt - liche guͤtigkeit uͤber ihr gewaltet. 1. Jndem ſie dem teuffel eine gantz gemeſſene macht uͤber ſie gegeben / uͤber welche er nicht gehen / und alſo wie er wol bey meh - rer macht wuͤrde gethan haben / ihr verlangen ihre kinder an dem leib / ſie an leib und ſeel zu verderben / nicht erfuͤllen doͤrffte. Dann nicht zugedencken / daß der teuffel zu faul oder ſo barmhertzig geweſen / ihre ſo offt wiederholte vota zu erhoͤ - ren / und ſie alſo zu ſich allerdings zureiſſen / wo nicht hoͤhere hand ihn zuruͤck ge - halten haͤtte. 2. Hat auch goͤttliche gnade darinne ſich erwieſen / daß er ihr alle gelegenheit benommen / die von dem ſatan eingegeben / und von ihr verwilligte ſuͤn - den in das werck zu ſetzen / dazu ſie ohne zweiffel ſelbſt gelegenheit gefunden / und auffs wenigſte der teuffel ſelbs ſolche ihr leicht gemacht wuͤrde haben: zum exem - pel / da ſie ehbruch geſucht / haͤtte er in ermangelung eines andern ehebrechers ſelbs in gewiſſer angenommener geſtalt ſchande mit ihr treiben moͤgen. Daß aber alles ſolches unterblieben / iſt ein kraͤfftiges zeugnuͤß der uͤber ihr geſchwebter goͤtt - licher guͤte / der ſie zwahr ſincken / doch nicht verſincken laſſen wollte. Dahin ſon - derlich gehoͤret / daß 3. wuͤrcklich kein pactum mit dem teuffel gemacht / woran doch dieſem es an gelegenheit ja nicht kan gemanglet haben. Aber GOTT wolte dieſe ſeele zwahr des feindes grauſamkeit erſahren laſſen / aber ſie ihm nicht gar uͤbergeben. Hiezu ſetze noch 4. daß GOTT ſie in ſolchem greulichen ſtand nicht ſterben hat laſſen oder zugegeben / daß der verdruß des lebens ſie zu dem ſelbs-mord braͤchte / dazu ſie der moͤrder ohne zweiffel gereitzet / und gebracht haben wuͤrde / wo er gedoͤrfft 5. Kom̃t hieher dieſes zeugnuͤß der gnade / daß ſie der barmhertzige Vater zur erkaͤntnuͤß ihres elendes und ſchwehren ſuͤnden gebracht / daß das gewiſſen (ſo viel ich ſehe nicht aus ſonderbahrer euſſerlichen gelegenheit oder zuſpruch / ſon - dern eigenen erinnerung desjenigen / ſo ſie vorhin aus GOttes wort gehoͤret) bey ihr auffgewachet / ſie darauff ihre uͤbelthaten ſchmertzlich deteſtiret / undnach784Das fuͤnffte Capitel. nach goͤttlicher gnade verlangen bekommen / auch einigen troſt eine weil wieder geſpuͤret / welche aus dem irrweg ſie wiederruffende gnade ein klahres zeugnuͤß iſt / daß die vorige gewalt / ſo dem ſatan uͤber ſie verhaͤnget / nicht zu ihrem verder - ben / ſondern zu ihrem beſten gemeynt geweſen: und daß GOtt aus ihr ein ſeli - ges exempel ſeiner unbegreifflichen weißheit und guͤte machen wollen. 6. Jch ziehe auch dahin / daß GOtt ihr ihre buß nicht ſo leicht ankommen laſſen / ſondern ſomol die gewiſſens-aͤngſten uͤber alle maaſſen hefftig bey ihr ſich gezeiget / als auch der troſt ihr ſauer wird: auff daß / was GOtt jetzt gutes bey ihr wircken will / deſto tieffer wurtzel ſetze: und ſie nicht aus vorigem anfechtungs-ſtand in noch ge - faͤhrlichern ſtand der ſicherheit gerathe / welches leider bey einigen angefochtenen zuweilen zu geſchehen pfleget.
  • 7. Was dann anlanget / was nunmehr bey ihr zu thun / ſo wuͤrde ſie erſtlich zuerinnern ſeyn / daß ſie ihre ſuͤnde hertzlich zuerkennen fort fahre / und ob zwahr dieſelbe nicht ihr allein / ſondern vornemlich des teuffels / ſind / ſie doch nicht ent - ſchuldige. Nechſtdem daß ſie deswegen ins kuͤnfftige mit goͤtlicher gnade zu frie - den ſeye / in was groſſer oder geringer maaß er ihr dieſelbe erzeige / und gedencke / wo ihr GOtt entweder anderes creutz noch zuſenden ſolte / oder eben dieſen ihr empfindlichſten jammer der anhaltenden teuffliſchen verſuchungen bey ihr fort waͤh - ren laſſen wolte / daß er ihr nicht unrecht thue / undſie nicht zu fragen habe / womit ſie es von ihm verſchuldet. Wolte GOtt mit ihr verfahren nach ihrem ver - dienſt / ſo iſt ja iegliche ſuͤnde des ewigen todes / und alſo ſo vielmehr anderer ſtraffen werth / daher ſie ſich uͤber GOtt ja nicht beſchwehren / ſondern nachdem ſie gnad erlanget / alles vor ein vaͤterliches ſchonen achten ſolle / was ſie tragen muß / gegen den verdienten ewigen ſtraffen. 3. Solte ſie einige fernere grobe ſuͤnde auff dem gewiſſen ligen haben / ſo thue ſie GOtt die ehre / und bekenne ſie vor ihm und ſeinem diener / umb auch daruͤber troſt zu empfangen. 4. Hoͤre und leſe ſie fleißig Gottes wort / auch wo ſie ſchon nicht den geſchmack und troſt / den ſie wuͤnſchte / daraus empfindet; empfindet ſie zwahr etwas / ſo dancke ſie ihrem GOtt dafuͤr hertzlich / und erkenne ſich deſſelben unwuͤrdig / fuͤhlet ſie aber mehr ſchrecken und angſt als troſt / ſo demuͤthige ſie ſich auch deswegen vor GOtt / ge - dencke ſie ſeye der freude und troſts / den andere kinder GOttes aus ſeinem wort fuͤhlen / nicht werth / und GOtt thue ihr nicht unrecht / daß er ihr ſolchen hinter - halten / mit dem ſteten willen / dahin ſie ſich am meiſten zu gewehnen / wo GOtt nach ſeinem heiligen rath ſie die tage ihres lebens mit ſolcher plage wolte behaff - tet ſeyn / und von dem teuffel ohnauff hoͤrlich mit dergleichen faͤuſten geſchlagen werden laſſen / habe ſie es nicht nur verſchuldet / ſondern wolle es / ob zwahr ſol - ches ſchwehrer als uͤbrige aller welt plagen ſeyn wuͤrde / gern leiden / GOtt wolle nur nicht zugeben / daß ſie dem teuffel / deſſen pfeile ſie leiden muͤſte / nicht ſelbsraum785ARTIC. II. SECTIO XXI. raum gebe / und mit willen ihren Vater weiter erzuͤrne / ſondern daß ſeine ehre auf ihm bewußte weiſe auch hierinnen an ihr moͤge befoͤrdert / und die krafft des fuͤr ſie vergoſſenen blutes JEſu / als des uͤberwinders des ſatans / an ihr nicht moͤge verlohren werden. Wo nun alſo ſeine ehr an ihr wieder geprieſen werde / wolle ſie ſich gern der freude und troſt / die ſie ſonſt aus ihm auch noch hier in der welt zugenieſſen ſehnlich verlangte / umb ſeines willens willen verzeihen. Dieſes iſt wol die faſt ſchwehrſte lection, indem die verleugnung ſein ſelbs darzu in ziemlich hohem / ja faſt hoͤchſten grad / gehoͤret. Aber GOtt will ſie hiedurch auf dieſelbe ſtuffe fuͤhren / wo ſie ſich will leiten laſſen. Kommt ſie nun dahin / daß das hertz endlich ſich reſolviret / ſeinen GOtt mit ſich machen zu laſſen / die pfeile des teuf - fels / und daher entſtehende ſchmertzen gedultig zu leiden / daruͤber nicht wider GOtt zu murren / indeß auch der mittheilenden gnade dazu zugebrauchen / daß ſie dem feind nicht ſelbs zu willen werde / ſondern auff ihrer hut in jedem kampff bleibe; ſo iſt das ſchwehrſte der anfechtung vorbey / und nachdem der eigne wille dem goͤttlichen gewichen / wird der verlangte empfindliche troſt / auff den ſie gleich - ſam verzieg gethan / ſo viel baͤlder wieder kommen. 5. Damit ſie aber in die - ſem kampff moͤge beſtehen / iſt der bey ihr ſchwache glaube fleißig zu ſtaͤrcken / und ſie dahin zu weiſen / daß der glaube nicht aus dem empfindlichen troſt in dem hertzen / ſondern in dem ſtande der anfechtung aus goͤttlichen worts außage / welche allezeit der einige feſte grund iſt / zu urtheilen ſeye. GOTT weiſet uns nicht auff unſer fuͤhlen / ſondern auff ſeine zuſage. Nun hat ihr GOtt in der heiligen tauffe eine ewige gnade zugeſagt / einen ewigen bund mit ihr gemacht / auch den glauben bey ihr / biß ſie zu dem ſchauen verſetzt werde / zuerhalten ver - ſprochen. Dieſe zuſage wird gewiß an ihr erfuͤllet / wo ſie ſolcher gnad und wuͤrckung GOttes ſich nicht muthwillig widerſetzet / ſondern in der ordnung Got - tes und gebrauch ſeiner gnaden-mittel bleibet. Nun aber daß ſie ſolcher heili - ligen wuͤrckung GOttes in ihrem hertzen ſich nicht zuwiderſetzen begehre / gibt ihr gewiſſen zeugnuͤß / ja iſt ohnfehlbahr daraus zuerkennen / daß ſie alle ihre ſuͤnden / die ſie in ſich leiden muß / ſo ernſtlich haſſet / ſich daruͤber graͤmet / nach dem troſt und goͤttlicher gnade ſo ſehnlich verlangen traͤget / und anders dergleichen; dann weil ſolches eines wahren glaubens und je nicht des fleiſches / (ſonderlich zeit - waͤhrender ſolcher ſataniſchen anfechtung) fruͤchten ſind / ſo hat ſie aus denſelben auch eben ſowol des glaubens ſich zuverſichern / als aus empfindlichem deſſelben troſt: gleichwie ich aus dem vorhergehenden rauch ſowol / daß verborgenes feuer da ſeye / alſo aus der flamme ſchlieſſen und abnehmen kan. Sie mag auff den ſchoͤnen ſpruch gewieſen werden / 2. Tim. 2 / 13. Glaͤuben wir nicht / ſo blei - bet er treu / er kan ſich ſelbſt nicht verleugnen. Es iſt auch dieſes eine ſchwehre uͤbung / den glauben bey ſich zu glaͤuben / wo man mit lauter unglau -G g g g gben786Das fuͤnffte Capitel. ben bey ſich zu kaͤmpffen hat / und daher die groͤſſeſte marter empfindet / aber wo wir uns unſerm Heyland uͤberlaſſen / ſolle auch ſolche lection nicht zu ſchwehr werden. Der jenigen anfechtung aber / da ſie in ſorgen ſtehen mag / daß die etwa ferner continuirende teufliſche verſuchungen ſie aus goͤttlicher gnade heraus ſe - tzen moͤchten / und ſie GOttes kind je nicht ſeyn koͤnne / bey ſolchem elenden bewand - nuͤß ihrer ſeelen / iſt kraͤfftig dieſes entgegen zu halten / daß an den glaͤubigen nichts verdamliches mehr ſeye / und alſo die an ſich ſelbs verdamliche ſuͤnde ver - liehre an ihnen ihre krafft / und werde ihnen nicht zugerechnet; in dem das blut JEſu CHriſti / deſſen krafft wegen des glaubens hey ihnen immer bleibet / ſolche an ihnen decket und tilget. Ja in ſolchem ſtand / und bey ihrem hertzlichen miß - fallen / habe es mit ſolchen teufliſchen ſuggeſtionibus nicht mehr die jenige be - wandnuͤß / die es vorhin gehabt / als ſie noch gefallen daran hatte. Sondern ob wohl damal ſolche des teuffels eingebung auch ihre eigene ſuͤnde worden / welcher ſie nicht widerſtanden; ſo werden ſie doch jetzt nicht mehr fuͤr ihre ſuͤnden vor GOTT angeſehen. Zwahr abermal nicht aus dem geſetz / dann ſie muß allemal wiſſen / daß ihr hertz dergleichen teufliſchen ſuggeſtionen unterworffen / und von dem feind dazu mißbraucht werde / ſeye nicht nur allein eine frucht der ſuͤndlichen verderbnuͤß / ſondern es gehe nie lehr ab / daß ſie nicht ſelbs daran participire / indem wir niemal ſolchen ernſt / fleiß / eiffer / mißfallen dagegen be - zeugen / als die ſache erfordert. Dahero ſie immer materie hat ihre taͤgliche buß zuûben / aber aus gnaden JEſu CHriſti wird ihr ſolches nicht zugerechnet / weil dieſelbe uͤber ſie waltet / als lang ſie nicht durch unglauben / und boßhafftige ein - willigung / die gnade von ſich ſtoſſet. Einige pflegen ſolche gifftige pfeile / die die glaͤubige ſeele wider willen ſchmertzlich leiden muß / zuvergleichen mit andern leibes-ſchmertzen / und achten ſie vor eine gewiſſe art eines martyrii, ſo ſie um CHriſti willen / oder doch aus ſeinem H. rath leiden muß. Wie nun aus die - ſem troſt vermeine / daß ſie ſich gnug auffrichten / und in ihren ſtand ſich ſchicken lernen koͤnne / ſo mag auch noch bey geſetzt werden / wie GOTT durch ſolches jetzo ihr auffligendes ſchmertzliches creutz viel gutes bey ihr wircken wolle / ſie in ſteter demuth zuhalten / aller ſicherheit zuwehren / zumachen daß ſie ihre ſeeligkeit mit furcht und zittern ſchaffe / ſie von der welt abzuziehen / dero ſuͤßigkeit ihr bitter zumachen / an ihr ein exempel ſeiner kraͤfftigen und wunderbahren guͤte zuzeigen. u. ſ. f. Welches alles weiſet / aus was heilſamen rath GOTT ſolches gleich an - ſangs zugeſchicket habe: und deswegen weil er jetzt dasjenige / da ſie in erkaͤntnuͤß ſolches goͤttlichen raths und in ſtetem kampff wider das eingebende boͤſe ſtehe / noch auff ihr ligen laͤſſet / ſolches kein zorn-ſondern gnaden-zeichen ſey. 6. Vor - aus geſetzt dieſes goͤttlichen troſts gebrauche ſie ſich nicht nur / wie oberwehnet / des heiligen worts Gottes / ſondern auch des H. Abendmahls mit der vorbereitung alsjetzige787ARTIC. II. SECTIO XXI. jetzige ihres hertzens beſchaffenheit ſolches zulaͤſſet: ſonderlich aber des lieben ge - bets / damit ſie immerfort anhalten ſoll; und ob ſie ſchon alle andacht mei - net weg und erloſchen zu leyn / ſo muß ſie ſich nicht ſchrecken laſſen / ſondern fort - fahren: aber alſo / damit ſie nicht wider / ſondern nach GOttes willen bete / und alſo zwahr mit inbruͤnſtigem verlangen / daß ihr GOTT den freudigen geiſt geben wolle / damit ſie ohne dergleichen furchtſame gedancken ihm wieder freyer dienen moͤchte; aber gleich dabey willigſter uͤberlaſſung / wann GOtt auch zu ihr wie Pau - lo ſprechen wolte / laß dir an meiner gnade genuͤgen / auch damit zufrie - den zuſeyn / und uͤber dieſe ſeelen-marter nicht zumurren; der gewiſſen zuverſicht / GOtt werde es zu ſeiner zeit wol wiſſen zu machen / wie ſeine ehr und ihr heil es erfordere; und geſalle ſie ihm mehr in dem ſtand / darein er ſie geſetzt / als wo ſie ſich deſſelben mit gewalt / ſo doch vergebens / und ungedultig entbrechen wolte. 7. Dann iſt ſie zuvermahnen / in allen ſtuͤcken ſorgfaͤltig ihr gewiſſen wahrzunehmen / und es ja nicht mit einig wiſſentlicher ſuͤnden willig zubeflecken: als wodurch ſie dem ſatan leicht mehr gewalt geben werde: da hingegen Gott unter andern eben die - ſes mit dergleichen verhaͤngnuͤß ſuchet / das gewiſſen zart zu machen / und ſo viel - mehr ſorgfalt vor wiſſentlichen ſuͤnden zu wircken / weil ſie ſo viel anderes bey ſich leiden muß. Dieſen goͤttlichen rath muß ſie bey ſich laſſen kraͤfftig ſeyn. 8. Sonderlich weil ihr hertz gegen ihren wunderlichen ehmann mit unwillen lang muß erfuͤllet geweſen ſeyn; (ſo zu allem dieſem unheil urſach gegeben /) ſo ſolle ſie dieſer ſuͤnde bey ſich ſo viel ernſtlicher ſteuren / ihrem ehmann / dafern derſelbe noch lebet / ſo viel fleißiger unter augen zugehen / und immer zugedencken / da er je ſollte ſeltzam ſeyn / ſo koͤnne er ſie dadurch nimmer ſo beleidigen / als ſie ihm ſolche zeit uͤber / obwol vielleicht ihr unwiſſend / unrecht gethan / daher ſie nun ſo viel gedultiger alles von ihm leyden / und ihn inbruͤnſtig lieben / ja ſich auch alles harten tractaments / ſo ſie von ihm empfangen moͤchte / vor GOtt wuͤrdig er - kennen / indeſſen mit liebe und ſanfftmuth ihn ſuchen zu gewinnen. Dieſes iſt ein gantz nothwendigs ſtuͤck / ſo bey ihr ernſtlich zu treiben: Alſo auch iſt ſie ſchuldig / ihren kindern darinn ſatisfaction zu thun / daß ſie ſo viel eiffriger kuͤnfftig fuͤr ſie bete / und ſo viel ſorgfaͤltiger nach GOttes willen ſie zuerziehen trachte / als vielmehrmal ſie dieſelbe verfluchet. Endlich und 9. halte ich ſie auch dahin zu - erinnern / daß ſie ja / wo ſie goͤttlichen troſt in ihrem hertzen nicht nach wunſch fuͤhlen moͤchte / und hingegen dieſer ihr jammer-ſtand continuirte / ſich fleißig huͤte / den troſt nicht in der welt nach weltlicher freude zu ſuchen: wie dann den angeſochtenen nichts gefaͤhrlicher gerathen werden kan / als daß ſie in der welt allerhand freud und luſt ſuchen ſollen; damit ſie aber entweder ihre ſchwehrmuth nur vermehren / oder aus gerechtem gericht Gottes gar in ſicherheit verfallen / und nachmal eine ſichere freude fuͤr den wahren goͤttlichen troſt betruͤglich halten. G g g g g 2GOtt788Das fuͤnffte Capitel. GOtt will einmal haben / daß die er in ſolchen trauer-ſtand geſetzt hat / in ſolchem ſtehen bleiben / biß er ſie ſelbſt erfreuen will / verſagt er ihnen nun die geiſtliche freude / ſo muͤſſen ſie nicht gleichſam ihm zu trutz daſſelbe in der welt ſuchen / ſondern gleichwie die von dem lieben GOTT in den leiblichen trauer-ſtand ge - ſetzte witwen ſchuldig ſind / ihrem trauer-ſtand gemaͤß zu leben / alſo vielmehr die - jenigen / die er in dem geſtlichen / in die troſtloſigkeit geſetzt / ſollen ſich dare in ſchi - cken / und ſo lang auch keine welt-freude ſuchen / als ihnen GOtt die geiſtliche freude noch verſaget: hat der Vater ihr ins angeſicht geſpeyet / 4. Moſ. 12 / 14. ſollte ſie ſich nicht ſo lang ſchaͤmen? daher ſie nebenſt dem Gottesdienſt / deſſen ſie ſich vor allen zubefleiſſen hat / ihrer haushaltung und anderer gottſeliger wercke ſich einig und allein zubefleiſſen / und darinn / nicht aber in weltlicher ergoͤtzlichkeit / ihr vergnuͤgen zu ſuchen / deswegen ſich auch anderer als gottſeliger leute / von dero exempel und zuſpruch ſie auffgerichtet werden mag / geſellſchafft mehr zu ent - ſchlagen / als etwa in vieler geſellſchafft eine diverſion des gemuͤths zu ſuchen hat: wie dann ſo wenig die viele leute als die gantze einſamkeit ſolchen leuten nuͤtzlich iſt.

Sind meine einfaͤltige gedancken hievon: zweiffle aber nicht / wo die per - ſon gegenwaͤrtigem rath ſolgen wird / daß ſie in dem geiſt wird mehr geſtaͤrckt werden / als ſie immermehr gedacht / und daß auffs kraͤfftigſte GOtt ſie ein ſon - bares inſtrument ſeiner ehr und gnade wolle werden laſſen / daß ſie fuͤr ſolche ihre demuͤthigung / als eine theure wolthat / ihm ſelbs noch ewig danckſagen wird. GOtt erfuͤlle es in ihr / und trete den teuffel unter unſere fuͤſſe. Amen.

SECTIO XXII. Troſt an eine angefochtene Jungfrau. Goͤttliche gnade / liecht / fried und troſt in CHriſto JEſu unſerm HErrn! Jn demſelben vielgeliebte Jungfrau.

WJe ich von mehrern jahren deroſelben hertzliche begierde nach der wah - ren erkaͤntnuͤß GOttes und dahin angewandten fleiß ſtets mit freuden erkant und geliebet / auch die fruͤchte deſſen in dero leben wahrgenom - men habe / ſo iſt mir zwahr meines entſinnens als lange ich ihres orts geweſen / davon nicht wiſſend worden / daß ſie der HErr auch nachſeinem789ARTIC. II. SECTIO XXII. ſeinem willen in die anfechtungs-ſchule und an ſolchen kampff gefuͤhret habe: Jch habe mich aber daſſelbe nicht befrembden laſſen / als ich durch N. N. deſſen benachrichtiget worden / ja ob mir ſchon das leiden guter freunde an ſich ſelbs keine freude iſt / ſondern ſo fern mit deroſelben und andern in gleichem leiden ſte - henden billich ein hertzliches mitleiden trage / bekenne dannoch / daß ich urſach be - ſunden / auch wegen dieſes guͤtigen raths des himmliſchen Vaters / deſſen lieb - reiche weißheit an ihr danckbarlich zu preiſen. Jch habe zwahr auch ſeither noch - mal verſtanden / daß der HErr HErr ſie einen theil ſolches kampffs ſiegreich uͤberwinden laſſen / und die laſt etwas erleichtert habe / darinnen abermal ſeine himmliſche ſchonende gnade erkenne / welche nach ihrer verheiſſung uns nicht uͤber vermoͤgen laͤſſet verſuchet werden. Nun habe von der zeit / als ich von die - ſem ihrem zuſtand gehoͤret / mir ſo bald vorgeſetzt / nach der pflicht der liebe zu - verſuchen / ob mit einigem Chriſtlichen zuſpruch ihr beyzuſtehen und zu ſtaͤrcken GOTT mir die gnade geben wolte / wozu aber bey gegenwaͤrtiger bewandnuͤß keine andere gelegenheit iſt / als ſolches durch brieffe zu thun: jedoch hat mir indeſſen faſt keine zeit darzu werden wollen / und hab ich es alſo von einem tage zum andern auffſchieben muͤſſen. Gleichwol kan ſie verſichern / wie ich auch vorhin ihres lieben hauſes / und alſo darinnen auch ihr / vor dem angeſicht des HErrn nicht vergeſſen / daß biß daher auch abſonderlich getrachtet habe / mit mei - nem gebet ihr / obwol dem leibe nach abweſend / dennoch nach dem geiſt gegen - waͤrtig kaͤmpffen zu helffen. Weil mir denn nun einige ſtunde frey wird / habe nicht laͤnger verſchieben ſollen / an dieſelbe zu ſchreiben / und alſo mein hertz vor ihr uͤber die bewandnuͤß ihrer ſeelen / ſo viel die zeit zugibet / auszuſchuͤtten. Das erſte / das dieſelbe zuerinnern und von ihr zu bitten habe / iſt dieſes / daß ſie ſich ja den kampff / darein ſie der HErr gefuͤhret werden laſſen / nicht befrembden laſſe. Jch moͤchte hier die wort des lieben Petri auch gegen ſie gebrauchen: Laſſet euch die hitze / ſo euch begegnet / nicht befrembden (die euch wieder - faͤhret / daß ihr verſuchet werdet /) als wiederfuͤhre euch etwas ſeltza - mes: und nochmal: wiſſet / daß eben dieſelbige leiden uͤber eure bruͤ - der in der welt gehen. Meine geliebte / freylich iſts ſo / wo ſie in die her - tzen aller ihrer bruͤder und ſchweſtern ſehen ſolte / wuͤrde ſie gewißlich mehr lei - dens-genoſſen finden / als ſie ihr lebenlang ſich nicht einbilden koͤnnen. Es iſt zwahr der glaube ein liecht und feſte zuverſicht / auch thut ſich daſſelbe zuweilen in der ſeelen hervor / und fuͤhlen wir dieſe nicht ohne vergnuͤgung: aber ach wie offt verbirget ſich jenes liecht und ſonnen-glantz unter dergleichen ſchwartzen und dicken wolcken des natuͤrlichen unglaubens / daß wir uns ſelbs mehr vor unglau - big als glaͤubig halten / auch kaum uns einbilden koͤnnen / daß wir jemal recht glaͤubig geweſen waͤren. Da wir etwa auch zu andernmalen uns gegen alleG g g g g 3auff -790Das fuͤnffte Capitel. auffſteigende zweiffel zur gnuͤge erwehren haben koͤnnen / und unſers ſieges ge - wahr worden ſind / ſo deucht uns zu andernmalen / daß dieſe die obhand wider unſern willen gewonnen / und was von einiger ſeſtigkeit iemal vorhanden gewe - ſen / allerdinges niedergeſchlagen ſeye. Jetzo nicht zu gedencken des kampffs der gotteslaͤſterlichen gedancken / ſo die ſeele nicht nur grauſamlich aͤngſtet / ſon - dern gar ſorge macht / der ſatan muͤſſe ſich allzufeſt bey uns eingeſetzt haben / daß er nach ſeinem belieben alle ſeine feurige pfeile in uns ſchieſſen koͤnne. Alſo wird ſie den geringſten umſtand alles ihres leidens und kampffes nicht finden / da ſie nicht dergleichen und noch ſchwehrers in den ſeelen anderer bruͤder und ſchwe - ſtern antreffen ſollte / wo ihr der HErr die augen oͤffnete / in dieſelbe hinein zuſe - hen. Ja ſie ſey verſichert / daß ſie mir nicht leicht einen gedancken / der bey ihr auffgeſtiegen / oder einen zweiffel / welcher ſie geaͤngſtet / ſagen wuͤrde / da ich / wo wir beyſammen waͤren / nicht getrauete / ihr ſo bald ein und anders weiter zu ſa - gen / wie es in ihrer ſeele ſeye / da ich entweder gleiches empfunden / wie ich denn zur noth noch ſchrifftlich zeigen kan / was ich vor 34. jahren in meinem unglau - bens-kampff auffgeſchrieben / oder bey mir die perſonen weiß / ſo ihre hertzen bey mir ausgeſchuͤttet / und gleiches gefuͤhlet haben. Jndeſſen weiß ich gantz wol / daß alle ſolche liebe ſeelen / und jede von ſich ſelbſt / meinen / ſie ſeyen die einige in der welt / und ſcheuen ſich wol gar / ihre wunden zu weiſen / als die ſie ſorgen / allzu abſcheulich zu ſeyn / daß ſie ſie niemand ohne deſſen aͤrgernuͤß weiſen doͤrffen. Jſt alſo bereits etwas eine erleichterung / da ſie ſehen oder hoͤren / daß ſie ihres gleichen ſo viel / auch unter denjenigen haben / welche unter die kinder GOttes zugehoͤren ſie ſelbs nicht zweiffeln. Daraus folget alſobald 2. das andere / daß ſie dieſes / weil ſie ihr himmliſcher Vater in ſolchen kampff gefuͤhret hat / nicht als eine anzeigung ſeines zorns oder verſtockung / ſondern vielmehr ſeiner liebe anſehe / daß er ſie durch dieſe uͤbung wolle immer ſtaͤrcker machen / wie man ei - nen noch jungen baum offt mit fleiß hin und her reiſſet / nicht daß man ihn ausreiſſen / ſondern nur machen wolle / daß die wurtzeln in der erde ſo viel feſter anſchlagen und tieffer eindringen. Er will ſie durch viele zweiffel ſo viel gewiſſer machen / und dar - neben ihre ſchwach heit ihr mehr zuerkennen geben / damit ſie ſo viel hertzlicher zu ihm um ſeine krafft ſeuffze / und ſich zu ſtaͤrcken trachte. Ja er will ſie verwahren fuͤr aller ſicherheit und innerlichen gefahr. Jch weiß zwahr / daß der HErr be - reits von guter zeit in ihr die liebe der welt und dero euſſerlicher eitelkeit ziemlich getilget hat / wozu die Chriſtliche aufferziehung ihrer lieben eltern viel gethan / da - her ich nicht eben dafuͤr halte / daß die gefahr bey ihr ſo groß geweſen / auch euſſer - lich dahin zu verfallen / daß ſie mit der welt in ihrer groben eitelkeit mit machte / ſie gedencke aber / daß ſie gleichwol dasjenige fleiſch an ſich traͤget / das ſie nicht nur auch zu dem guten ſtets traͤge machet / und in deme immerdar eine heimlicheliebe791ARTIC. II. SECTIO XXII. liebe der welt verborgen ſtecket: auffs wenigſte wie leicht es ſeyn moͤgen / daß ſie an dem guten / was der HErr in ſie geleget / haͤtte moͤgen anfangen wolgefallen ha - ben / es als ihr eigenes anſehen / und ſich alſo deſſen uͤberheben / welche befleckung des geiſtes wol ſo gefaͤhrlich iſt / als die befleckung des fleiſches / 2. Cor. 7 / 1. ſo vielmehr weil ſie weniger und ſchwehrer als dieſe erkant wird / und gleichwol alles gute in uns zu nicht / ja GOtt dem HErrn zum greul / machen kan. Wo ſie aber nun in ihr hertz gehet / hoffe ich / werde ſie finden / wie kraͤfftig ſie darinne uͤberzeuget ſeye / daß ſie ohne die gnade GOttes nichts / ja etwa das gute in ihr noch in dem grad nicht ſeye / wie ſie wol auſſer ſolchem ſtande ſich einbilden moͤgen. Das iſt nun die rechte nicht angemaſte ſondern wirckliche demuth / wo wir uns nun in unſrer bloͤſſe / in unſerm unvermoͤgen und elend aus eigner erfahrung anſe - hen / und wahrhafftig erkennen / daß GOtt nur ein wenig ſein liecht mit einer wol - cke uͤberzogen werden laſſen / und den empfindlichen einfluß ſeiner gnade zuruͤck ziehen doͤrffe / ſo offenbahre ſich unſre finſternuͤß und boßheit unſers hertzens / der - gleichen wir bey uns zu ſeyn / ohne ſolche eigne erfahrung / nimmermehr geglau - bet haͤtten. Wie ſie ohne zweiffel dieſe zeit uͤber ſo viel greuel und auffteigende luͤſten in haß und murren gegen GOtt / der ſich nicht nach unſerm willen offen - bahren wolle / in zweiffel an alle dem / was wir von ihm gehoͤret / und in andern dergleichen regungen des fleiſches / wird bey ſich gefuͤhlet haben / da ſie ſich ſon - ſten von andern ſchwehrlich wuͤrde haben uͤberreden laſſen / daß das hertz aus ſei - ner natur ein ſolcher garſtiger pful voll ſtinckenden waſſers ſeye / ſo bald es ſich ſelbs etlicher maaſſen uͤberlaſſen wird. Dieſe recht gruͤndliche demuth aber / ſo aus der eignen erfahrung koͤmmt / iſt nun ein grund vieles guten in ihrem kuͤnff - tigen gantzen leben / in dem / wo ſie auch nach GOttes gnade wiederum zu ziem - licher ruhe wird gekommen ſeyn / ſie dennoch ſtets ſich deſſen erinnern wird / was ſie an ſich befunden / damit aber wird auch alles uͤbrige an ihr deſto mehr gehei - liget und GOtt gefaͤllig gemacht werden. Es wird ſie auch dieſes deſto ſorg - faͤltiger machen / ſich vor aller vorſetzlichen beleidigung ihres GOttes und vor aller ſicherheit vorzuſehen / wenn ſie bedencket / wie vieles ſie noch GOtt mißfaͤlli - ges wider ihren willen in ſich leiden muͤſſe / und wie leicht ſie von ſolchem einwoh - nenden uͤbel / wo ſie nicht in ſteter wachſamkeit bleibe / koͤnte uͤberworffen / und in fernere gefahr ihrer ſeelen geſtuͤrtzet werden / damit ſie nebſt aller kindlicher zuver - ſicht auff die vaͤterliche gnade ihres beruffers auch recht mit forcht und zittern ſchaffe / daß ſie ſelig werde. So iſt ja dergleichen leiden heilſam / was uns vor mehrer gefahr bewahret. Sie wird hoffentlich bey ſich fuͤhlen / daß in dieſer zeit ihrer anfechtung die liebe der welt und alles irdiſche mehr als vorher abgenom - men haben / und hingegen die begierde von dem leibe dieſes todes erloͤſet zu wer - den / nicht wenig gewachſen ſeyn wird. Sonderlich gedencke ſie / wie ſo viel ſehnlicherund792Das fuͤnffte Capitel. und hertzlicher ſie zu ihrem Gott bißher als vorhin wird geſeuffzet und gebeten haben. Vieleicht aber mag ſie ſagen / ſie habe ja nicht beten koͤnnen vor ſolchem zweiffel und unruhe ihrer ſeelen / ſo ihr allen glauben und deſſen freudigkeit benommen habe / ohne die ja das gebet todt ſeye. Sie wird ſich aber auch noch erinnern / von mir viel - mal gehoͤret zu haben / daß das rechte und bruͤnſtige gebet beſtehe in dem feurigen verlangen nach goͤttlicher gnade / nicht aber bloſſer dinges in den mit ruhigem her - tzen und empfindlicher andacht ſprechenden worten / oder in dergleichen ruhigen nach einander folgenden gedancken: ſo ich zwahr freylich vor eine gnade in dem gebet / aber daſſelbe auch auſſer jenem muͤglich zu ſeyn / erkenne. Wo ſie nun in ſich gehet / wird ſie finden / daß ihr hertz in ſolchem kampff faſt unauff hoͤrlich mit dem verlangen und begierde erfuͤllet geweſen / daß der HErr ſich ihrer erbarmen / ih - ren kampff und ſchwachheit anſehen / ihre zweiffel ihr benehmen / ſich ihr offenbah - ren / und ihr hertz gewiß machen wolle. Dieſe begierde und ſeuffzen darnach iſt ja tag und nacht in ihrer ſeele geblieben / auch da ſie ſo zureden nicht daran ge - dacht / und wenn ſie denn austruͤcklich umb ſolche gnade gebeten / ſo iſt ja alles ſolches ſchon vorher in ihrem hertzen geweſen / und alſo da ſie gemeinet / wegen der verſtreueten gedancken / ſie koͤnne nicht beten / und ſey keine andacht in ihr / ſind ſolche ſeuffzen und etwa ſtoß-gebete immerfort die allerkraͤfftigſte gebet / und wol inbruͤnſtiger geweſen / als etwa / wenn ſie zu andernmalen gebetet / da dasje - nige / was ſie gebetet / erſt gleichſam bey dem gebet der ſeele vorgeſtellt / und die andacht und begierde darnach hat muͤſſen erwecket werden. Jch hoffe auch / dieſe uͤbung ſolle ſie nun deſto geſchickter gemacht haben / ihr lebtag ſo viel kraͤfftiger aus ihrer ſeele zu beten und zu GOtt zu ruffen. Weil ſie denn nun in hertzli - cher uͤberlegung ihres bißherigen zuſtandes in dieſen und etwa andern ſtuͤcken wahr - hafftig finden wird / wie viel gutes der HErr in dieſem kampff an ihr erwieſen / ſo hoffe ich / es ſolle ihr eine unwiderſprechliche uͤberzeugung ſeyn / daß GOTT in dieſer verhaͤngnuͤß uͤber ſie gewißlich keine gedancken des zorns / ſondern der gnaden / und ſie ſich vielmehr daraus in ſeiner gnade zu ſtehen zu getroͤſten / als von ihm verſtoſſen zu werden / zu ſorgen habe. Alſo meine geliebte / ſey ſie ge - troſt in dem HErrn / bleibe ihm treu / und halte vollends in demjenigen aus / wie viel von ſolchem kampff uͤbrig iſt. Sie ruffe eiffrig zu ihrem GOtt / aber / wel - ches ſie wol in acht zunehmen hat / nicht ſowol umb voͤllige hinwegnehmung ih - rer laſt / und endigung ihres kampffs / als welche wir noch nicht eben gewiß goͤtt - lichen willens zu ſeyn vorwiſſen / als vielmehr umb ſeine gnade / ſeinen kuͤnfftigen beyſtand / linderung der verſuchung / damit ſie ihr nicht zu ſchwehr werde / und vollbringung ſeines willens in ihr / dabey verſichert / daß ſie nicht ehender zu voͤlliger uͤberwindung ihrer anfechtung gelangen werde / als wo ſie ſich von grund der ſeelen reſolviren koͤnte / die befreyung davon wider goͤttl, willen auch nicht ein -mal793ARTIC. II. SECTIO XXII. mal zuverlangen / hingegen ſo willig unter derſelben zu bleiben / als davon erloͤ - ſet zu werden: dann kaͤme ihre ſeele zu ſolcher uͤberlaſſung / daß ſie ſich bloß ihrem vater in ſeinen ſchooß wuͤrffe / mit ihr nach belieben umzugehen / es ſeye nun / daß er ſie in liecht oder finſternuͤß / in oder ohne geſchmack ſeiner gnaden / in ruhe oder unruhe haben wolte / mit ihm gantz zufrieden zuſeyn / ſo haͤtte derſelbe allen zweck wohin die anfechtung gemeinet ſind / bey ihr erhalten / und koͤnte der voͤllige ſieg nicht lange auſſenbleiben. Weil ich aber weiß / daß dieſes eine hohe lection iſt / und ein ziemlicher grad der goͤttlichen gnaden-wirckung / ſo kan ich ihr wol zeigen / wornach ſie ſich beſtreben ſolle / aber nicht verſprechen / ob und wie bald ſie darzu gelangen werde. Jndeſſen gewoͤhne ſie ſich doch ihr gebet deſtomehr dahin zurichten / daß der HErr ihren willen dem ſeinigen mehr und mehr unterwerffen wolle. Ob ſie denn auch mehrmal meinen moͤchte / zu dem gebet untuͤchtig zu ſeyen / und es auch nicht ohne iſt / daß ihr uͤbriges gebet / mit viel zerſtreuung der gedan - cken geſchihet / laſſe ſie ſich doch ſolches von dem gebet nicht abſchrecken / aus ſor - ge / GOtt moͤchte ſolches aus mangel der andacht mißfaͤllig ſeyn / vielmehr brin - ge ſie ihm mehrmal ihr opffer / wie ſie es jegliches mal in ihrer ſchwachheit ver - mag / allezeit mit der kindlichen demuͤthigung vor ihm / daß ſie deſſen unvoll - kommenheit erkenne / und wiſſe wie ihr gebet / nicht um ihr ſondern CHriſti ver - dienſt willen vor ihm gebracht zu werden wuͤrdig / dahero auch der vergebung aus derſelben bedoͤrfftig ſeye / wie ſie ihm aber hertzlich gern ein vollkommener opffer bringen wolte / wo ſie es vermoͤchte: gleichfalls laſſe ſie ſich auch von fleißigem ge - hoͤr und leſung goͤttliches worts nicht abſchrecken / ob ſie ſchon meinet / ſie waͤre da - zu wenig geſchickt / ſondern vermehrete nur damit ihren zweiffel. Denn ſie blei - bet mit recht auff dem ordentlichen weg / darauff ſie der HErr geſetzet hat / und uͤberlaͤſſet ihm / wie viel empfindlichen ſeegen zu jedemmal er ſeinen gnaden-mitteln an ihr geben wolle. Aus gleicher urſach halte ſie ſich von dem heiligen abend - mahl nicht ab / noch ſorge / daß dieſer zuſtand ſie dazu ungeſchickt mache / vielmehr glaͤube ſie die krancken ſeyn der artzney am benoͤthigſten / und die ſich muͤhſelig und beladen fuͤhlen / haben das vornehmſte recht zu CHriſto zukommen. Jn ihrem leben gebe ſie auff alle bewegungen ihres hertzens und geſamtes thun deſto fleißiger acht / damit ſie niemal unbedachtes thue / und damit ihr gewiſſen beſchwehre. Dann wie zwahr zu allen zeiten ſolches gefaͤhrlich / ſo iſts doch in dem ſtande der anfechtung ſo viel ſchaͤdlicher / und kan eine geringe verletzung des gewiſſens die anfechtung gleichſam auffs neue anzuͤnden / und ſo viel hefftiger machen: alſo wan - dele ſie vor GOtt in ſteter demuth / ehrerbietigen furcht / kindlichem danck fuͤr biß - herige empfangene wohlthaten / ſehnlichem verlangen nach ſeiner gnade und bereit - willigen gedult / gegen den nechſten aber in ſo viel hertzlicher liebe / ſanfftmuth / gedult demuth / auch ſtetem gebet fuͤr andre / damit ſie / weil ſie anderer bruͤder und ſchwe -H h h h hſtern794Das fuͤnffte Capitel. ſter fuͤrbitte auch jetzo deſtomehr bedarff / in ihrer fuͤrbitte fuͤr ſie auch deſtomehr recht an der gemeinſchfft der heiligen / und deſſen troſt in ihrer ſeelen habe. Sie offen - bahre auch ihre ſeele und dero anligen nicht jederman / der ſich etwa daran ſtoſſen koͤn - te / ſondern ſolchen ſeelen die ſie weiß / daß ſie GOtt hertzlich lieben / und eine erkaͤnt - nuͤß deſſen art mit den ſeinigen umzugehen haben: deroſelben raths und troſts ge - brauche ſie ſich vertraulich: weil aber die ſorge / daß ſie auſſer dem glauben / und al - ſo gantz auſſer der gnaden ſeye / ſie am meiſten an allem hindern moͤchte / ſo lerne ſie an dieſer kunſt am meiſten ihren glauben / den ſie nicht fuͤhlet / an den fruͤchten zu kennen. Sie erinnert ſich wol / wie offt ich darauff getrieben / daß wir nicht auff unſer fuͤhlen bloß dahin gewieſen ſeyn / ſonderlich aber daß der glaube und troſt auch bey denen / da er iſt / nach GOttes rath / tieff verborgen / und deſſen em - pfindung verlohren werden koͤnne. Aber wie wir alsdenn aus deſſen fruͤchten die verborgene wurtzel / und aus dem rauch / das unter der aſchen noch glimmen - de feuer erkennen muͤſſen. Alſo ſchmeichle ſie ihr ſelbs zwahr nicht / ſich derglei - chen gutes zuzuſchreiben / das nicht in ihr waͤre / ſie verleugne aber auch die gnade GOttes / welche in ihr iſt / eben ſo wenig. Alſo erwege ſie / was ſie vor liebe gegen GOtt / und gegen den nechſten / demuth / gedult / und anders dergleichen / an ihr finde / und examinire ſolche dinge / ob ſie nicht wahrhafftige fruͤchten der gna - den in ihr ſeyen / darinnen vielleicht mein neuliches tractaͤtl. von natur und gnade einige anleitung geben kan. Sonderlich gedencke ſie / warumb es ihr gleichwol am meiſten in ihrem gantzen leben / umb GOTT und ihre ſeeligkeit / oder umb fleiſchliches und weltliches / zu thun ſeye / da ich hoffe / daß eben diejenige angſt / in dero ſie ſolchen kampff fuͤhren muͤſſen / ein herrliches zeugnuͤß werden koͤnne / wie ihr gewiß das erſte mehr als das andere angelegen ſeye. Wo ſie dann / wie es ihr daran aus eigner pruͤffung und gottſeliger freunde mithuͤlffe nicht mangeln wird / dergleichen zeugnuͤſſen der gnade bey ſich antreffen wird / da ſeye ſie gewiß / ihr aͤngſtliches verlangen und ſeuffzen nach dem glauben / an dero ſie ſichs zu mangeln meinet / ſeye der rechte wahre glaube / oder ſtecke doch in demſelben / daher ſeye dieſes himmliſche liecht in dem grund der ſeelen und allerheiligſten / obwol nach GOttes heiligen rath deſſen liecht in die empfindliche kraͤffte und gleichſam das heilige auszubrechen zuruͤck gehalten wird / und ſich nur durch uͤbrige wirckungen offenbahret. Nun ich uͤberlaſſe ſie hiermit dem HErrn / und dem kraͤfftigen wort ſeiner gnade. Jhr ſeelen-braͤutigam JEſus / der ihre ſeele lie - bet / und ſie gewiß bewohnet / ſtehe ihr kraͤfftig bey in ihrem kampff / und ob er ſich nicht ſehen laͤſſet / ſo laſſe er ſie doch ſeines beyſtandes gewahr werden / er ruͤſte ſie immer von der hoͤhe mit neuem vermoͤgen aus / wo ſie meinet / daß ſie nun keine krafft zu ſtreiten mehr habe / er laſſe durch dieſe anfechtung / alles was ſchlacken an ihr ſind / alle heimliche eigen-liebe / oder liebe der welt / ausgebrannt /und795ARTIC. II. SECTIO XXIII. und ſie deſto beſſer gelaͤutert werden / er offenbahre aber auch zu rechter zeit ihr ſein eigenes liebreiches angeſicht / und erſcheine in ihrer finſternuͤß mit hellem liecht / daß ihre ſeele geneſe / und da ſie die anfechtung uͤberwunden / ſeine guͤte ſamt allen denen / welche ihres kampffes kundig worden ſind / danckbarlich preiſe / biß ſie end - lich alles uͤberwinde / und die krohn der ehren aus der hand deſſen / in deſſen krafft ſie gekaͤmpffet / dorten empfange zu ewigem triumpff. Jch werde nicht unterlaſſen noch ferner auch treulichen fuͤr ſie zu ſeuffzen. 1687.

SECTIO XXIII. An einen der in geiſtlichen hochmuth / daraus aber in ein ſchwehres anfechtungs-leiden gefallen war / zum unterricht und troſt.

Jn unſerm Gnaden-Koͤnig JEſu / der uns am creutz verſoͤhnet hat / geliebter Herr und Freund.

JCh preiſe billig die heilige / weiſe und guͤtige fuͤhrung des himmliſchen Vaters uͤber ſeine kinder wie er ſie nicht allein / da ſie ihm in einfalt und demuth ihre haͤnde bieten / und ſich fuͤhren laſſen / auffs beſte leitet / daß ſie nicht irren / ſondern wo ſie aus vorwitz / hochmuth / vermeſſenheit / oder anderm antrieb des fleiſches / ja auch anderer verleitung / von der richtigen hahn abweichen / dieſelbe freundlich wiederum zuruͤck fuͤhret aber wenn ſie ja ſolchem liebreichen zug nicht folgen wollen / zuweilen gleichſam mit unſanfften griffen bey den armen nimmet / und aus dem verderben / in welches ſie ſich ſtuͤrtzen wuͤrden / mit einer gnaͤdigen gewalt heraus reiſſet. Mein geliebter / wo er ſich und ſein gan - tzes leben erweget / wird ſeinem himmliſchen Vater zu ehren bekennen / alles dieſes ſelbſt an eigener perſon erfahre zu haben. Er erinnert ſich daß der HErr ihn vor mehrern jahren bereits in ſeiner ſeelen geruͤhret / und zu erkennen gegeben hat / wie der weg / auff welchem gemeiniglich die welt ihre ſeeligkeit auſſer der ordnung CHriſti und dennoch in einem eingebildeten vertrauen auff ihn ſuchet / der rechte weg nicht ſeye / ſondern wir in dem lebendigen glauben dem HErrn naͤher treten muͤß - ten: Jch zweifle auch nicht / daß des HErrn wruͤckung in ſeiner ſeelen eine gute zeit kraͤfftig geweſen / und dasjenige liecht in ihm entzuͤndet haben werde / darinn er ſeinen erloͤſer als ſeine gerechtigkeit und ſeine heiligung wahrhafftig erkant habe / und in ſeiner wahren gemeinſchafft geſtanden ſey; welches ich daraus ſchlieſſe / daß auch andere von ſeinem liecht und brunſt wahrhafftig entzuͤndet worden. Es gibet ihm aber nun ſein guͤtigſter Vater zuerkennen / wie er von ſolchem richtigen weg ſich abfuͤhren laſſen / da er beſorglich ſich in der gabe / die ihm derſelbeertheilet /H h h h h 2zu -796Das fuͤnffte Capitel. zuſpigeln und wol zugefallen angefangen / damit uͤber andere ſich erhoben / oder er - hoben ſeyn wollen / und alſo aus der demuth / ſo die gewiſſe ſichere bewahrerin der empfangenen gaben / ausgeſchritten iſt / daraus gekommen / daß man an dem ein - faͤltigen weg der ſeeligkeit / der uns auff eine ſolche art der gerechtigkeit / die uns keinen ruhm zuleget / ſondern denſelben allen unſerm Heyland der uns ſein ver - dienſt ſchencket / uͤberlaͤſſet / einig weiſet / einen eckel bekommen / und in eigener ge - rechtigkeit der heiligung ſein heil ſuchen wollen: daher ferner entſtanden / daß goͤttliche gnade nachdem ſie nicht mehr der einige grund des vertrauens ſeyn ſollen / ſich zuruͤckgezogen / und ihn eine zeitlang ihme ſelbſt gelaſſen hat / welcher zuſtand nichts anders nach ſich ziehen koͤnnen / als daß man nun alles goͤttlichen ungewiß bald da bald dorther allerley meinungen aus buͤchern und andere reden ergriffen / ſich auffdieſelbe feſt geſetzet / mit von einbildung der eigenen gerechtigkeit ver - blendeten augen den greuel der eigenen verderbnuͤß nicht mehr erkant / alſo in eine phariſaͤiſche einbildung der auch geſetzlichen vollkommenheit und unſuͤndlichkeit eingetreten / andere gegen ſich verachtet / und ſich gegen goͤttliches gericht / mit ab - legung aller uns noch hier noͤthigen furcht / verhaͤrtet / indeſſen doch wol gar in ſolche ſuͤnden (weil GOtt ſeine hand zuruͤckgezogen) gefallen iſt / vor welchen ſich auch offenbahre welt-leute zu huͤten nicht nur vermoͤgen / ſondern wuͤrcklich huͤ - ten. Es wuͤrde vielleicht vor einer noch kurtzen zeit nicht moͤglich geweſen ſeyn / meinen geliebten dahin zubringen / daß er dieſen ſeinen zuſtand erkant haͤtte / als der ſich auff ſich ſelbſt zu feſte geſetzet. Daher ichs fuͤr eine ſonderliche ſchickung GOttes gehalten / nachdem mir bey einem jahr her unterſchiedliches betruͤbtes von verwirr - und verirrung in ihrer gegend wehmuͤthig hinterbracht worden / aber ob ich wol immer darnach verlangt / umſtaͤndlichen bericht der gantzen ſache / nur daß deſſen perſon fuͤrnehmlich dabey zu ſeyn verſtanden / nicht erlangen koͤnnen / alſo daß es ohne etwas weiter dabey thun zu koͤnnen dem HErrn allein im gebet vorzutragen mich vergnuͤgen muͤſſen / da gleichwol von einiger zeit / ſonderlich nach dem er das letzte mal an mich geſchrieben gehabt / mir vorgenommen an denſel - ben zuſchreiben / und meinen kummer uͤber ihn bey ihm auszuſchuͤtten / daß derſel - be weiſe GOtt mich gleichwol bißher immer durch allerhand hindernuͤſſen auffge - halten daß ſolches verſchoben habe / nunmehr aber die hand des HErrn erkenne die mich zuruͤckgezogen von meinem unterſtehen / ſo bey demſelben ohne frucht ge - weſen ſeyn / und etwa mehr ſuͤnden verurſachet haben wuͤrde / nachdem ſie beſchloſ - ſen hatte / ſelbſt allein die ehre zu haben / ohne menſchliches zuthun den verirrten zuruͤckzuholen. Ach guͤtigſte weißheit eines ſo lieben Vaters! ſie iſt ja wuͤrdig / daß wir ſie in tieffſter demuth aber mit froͤlichem munde preiſen: Und wird mein Geliebter uns nicht verdencken / ob wir ſchon mit ſeinem ſchwehren leiden / ſo wol von den ſchwehrſten / die in der welt gefunden werden moͤgen / ſeyn wird / hertzlichesmit -797ARTIC. II. SECTIO XXIII. mitleiden tragen / und uns ſeiner ſchmertzen nicht freuen / daß wir uns gleichwol freuen uͤber die guͤte unſers Vaters und unſers JEſu / ſo deñ uͤber den heylſamen zweck ſeiner leiden / den auch in gewiſſer frucht erhalten zu werden nicht zweifle. Ja ich will ihm die - ſes zutrauen / wie ſchwehr es dem euſſern menſchen wird / dieſes feuer / in welches ihn der HErr geworffen / von den hart anklebenden ſchlacken ihn zu laͤutern / er werde gleichwol auch in allem ſolchen leiden (ob es ihm wol jetzo / da es empfunden wird / keine freude iſt) die liebe ſeines Vaters und dieſes gnaden-gericht uͤber ihn alſo er - kennen / daß er aus gegenhaltung des ſo viel ſchrecklichern feuers / in welches man endlich durch geiſtlichen hochmuth ſtuͤrtzen moͤgen / vor dieſe gelindere heimſuchung und ob wol ſchmertzlichſte cur einer ſonſt gefaͤhrlichſten kranckheit / die hand mit de - muͤthigem danck kuͤſſen / die ihn noch ſchlaͤget; ja ſich gedultig dazu reſolviren / ob ihn der HErr noch eine weil euſſerl. ſeinen zorn (da ihme hingegen der glaube die gnade innerlich vorſtellet und gewiß machet) fuͤhlen laſſen wolte / ſich in ſolchem feuer noch ferner reinigen zulaſſen: dann gewiß die errettung der ſeelen aus voriger gefahr iſt ſo viel werth / auch etwas zu leiden. Er laſſe nur dieſe beyde ſtuͤcken ſeine einige uͤbung ſeyn / und verlange von denen / die mit ihm umgehen nechſt der leiblichen pflege / welche er auch in goͤttlicher ordnung mit danck anzunehmen hat / keine andere liebe als ihn in derſelben mit zuſpruch und gebet zu ſtaͤrcken: Eines theils ſich ſtets noch vor dem HErrn zu demuͤthigen uͤber dasjenige / was ihm derſelbe in ſeinem gewiſſen nunmehr vorgeſtellet / auch wo ihm das fleiſch / da es wieder etwas in ruhe kaͤme / einiges auffs neue davon wolte verkleiſtern / weder demſelben noch auch andern / die ſichs unterſtehen wuͤrden / gehoͤr zugeben: Sonderlich bey allem zuerwegen / wie die ſuͤnde dadurch ſo viel groͤſſer worden / da auch andern zu ſuͤndigen gelegenheit gegeben / und ſie mit worten und exempel verleitet worden ſind. Dieſe demuth wird die glaubens-freudigkeit nicht aufheben / ſondern das hertz im̃er dazu deſto tuͤchtiger erhalten / wie er deñ andeꝛn theils dahin zutrachten hat / nunmehr die gnade ſeines JEſu / welche er mit beyſetzung eigener gerechtigkeit beſchimpffet hatte / deſtomehr nun zu ehren / daß er glaube / ſie ſey unendlich groͤſſer / als alle ſeine und uͤbriger menſchen ſuͤnde / daher ihr ja die ſchande nicht anzuthun / daß wir nur eine ſtunde gedencken wolten / daß einige unſere ſuͤnde dieſelbe uͤberwi - get. Er gedencke offt an die wort des heiligen Pauli 1. Tim. 1. das iſt je ge - wißlich ꝛc. die ich ihm zum gruß und anſpruch voran geſchrieben hab / und laſſe ſie auch nun den feſten grund werden ſeines vertrauens / itzo und im kuͤnfftigen gan - tzen leben. Er behertzige ſeinen tauff-bund / als einen ewigen bund / ob nun wol derſelbe ihn / als der allein auff der gerechtigkeit des todes JEſu CHriſti / ſo uns zugerechnet wird beruhet / mit der ſuchung eigener gerechtigkeit / ſo fern verleugnet / ſo ſeye doch ſerne daß der himmliſche Vater denſelben oder ſich in dem - ſelben verleugnen / und ihn auch auffgehoben haben ſolte; ſondern bey dem ſtehet erH h h h h 3him -798Das fuͤnffte Capitel. himmel-feſte / und tritt er nicht gewiſſer von ſeiner ſeite wiederum ein / als da er nun von grund der ſeelen / alle eigene gerechtigkeit hinwiederum verleugnet und wegwirffet / hingegen ſeine ſuͤndliche befleckte kleider / in dem blut des lammes waͤſchet. Alſo wiſſe er nun / und ſein gantzes leben / von nichts mehr weiter vor GOttes thron / als von der gerechtigkeit der verſoͤhnung ſeines lieben Heylandes / die eine ewige vergebung der ſuͤnden bringet / und in dero allein er vor dem ſtren - gen gericht GOttes beſtehen mag / daran gedencke er / davon rede er / dero freue er ſich / davon begehre er / daß andere ſtets mit ihm handeln / und huͤte ſich zeit lebens vor nichts ſorgfaͤltiger als vor dem ſtein des anſtoſſes / an welchen er ſich ſo ge - ſaͤhrlich geſtoſſen hat / nemlich vor vertrauen auf eigene heiligkeit / einbildung der fal - ſchen vollkommenheit und verachtung anderer. Damit ſage ich nicht / daß er nicht ſolte der heiligung kuͤnfftig mit allem ernſte nachjagen / ſondern ſolcher fleiß muß und wird ſich deſtomehr gewiß verdoppeln / als er von dem unflat der eigenen einbil - dung / ſo ihn biß daher beflecket / wird gereiniget ſeyn: alſo beſtrebe er ſich immer mehr und mehr in dem gehorſam goͤttlicher gebote und in der reinigung von aller befleckung des fleiſches und des geiſtes / und ſolches nicht mit wenigerem ernſt / als ob er es hie in dem fleiſch es ſo weit haͤtte bringen koͤnnen / gantz ohne ſuͤnde zu ſeyn; Wie weit ihn aber die krafft GOttes auf ſolchem wege ſuͤhren werde / er - kenne er doch noch immer / daß ihm noch ſo viel mehr mangele. Und alſo lerne er das gute thun / nicht als ein tagloͤhner um lohn / noch als ein ſtoltzer / ſich ſelbſt darinn wolzugefallen und zu erheben / ſondern als ein kind aus liebe und gehor - ſam gegen ſeinen vater in rechter einfalt: Hingegen halte er allezeit das gute an einem andern / ob es den augen gering vorkommt / ſo hoch / daß es vor GOttes gericht wol das ſeinige uͤbertreffen moͤge: hierauff richte er auch alles ſein gebet / daß doch GOtt dieſe beyde fruͤchte ſeiner ſchwehren zuͤchtigung / innigliche demuth und reinen glauben / ſo tieff in ſeine ſeele trucken wolle / daß ſie die beyde qvellen ſeyn / aus denen kuͤnfftig hin alles ſein leben flieſſe. Waͤre es ſache / daß er ſich noch bewußt waͤre / einiger eingeſogener irriger und unſerer Evangeliſchen wahrheit widrigen meinung / ſo wolle er ja uͤber dieſelbe mit Chriſtlichen freunden communiciren / und trachten auff einem feſten grund / der kein anderer als das Prophetiſche und Apoſtoliſche wort ſeyn kan / in allem zu beſtehen.

Da er auch gefunden haͤtte / daß einige buͤcher ihm ſchaͤdlich / und ſeine kraͤffte zu dero pruͤffung nicht zulaͤnglich geweſen / ſo wolle er ſich auch vor ſolchen kuͤnfftig huͤten / und ſich in ſeiner ſchwachheit beſcheiden / wie ich dergleichen in vielem thun muß. Was anlanget den an mich geſandten aufffatz / in dem er ſein gewiſſen gegen mich und andere ausgelaͤhret / auch darinn wolgethan daß er nach Pſ. 32 / dem trieb GOttes gefolget hat / ſo werde ich denen darinnen benahmten perſo - nen theils alles / theils nachdem ich es nuͤtzlich befinde / gewiſſes / und ihnen ange -hen -799ARTIC. II. SECTIO XXIII. hendes / communiciren / undkan derſelbe ſolcher bekaͤntnuͤß wegen vor dißmal nur zu frieden ſeyn: Nachdem aber da einige durch denſelben bißher irre gemacht worden waͤren / ſonderlich an ihrem ort / die wahre liebe vor allem erfordert / daß denſelben auch gerathen werde / ſo wird ihm auff ſeinem gewiſſen ligen / alles zu thun / was zu der zurechtbringung noͤthig iſt / und zu glauben / der HErr habe ihn deswegen ſofort heimgeſuchet / daß er zum exempel und ſchreckung anderer diene / daher allen muͤglichen fleiß auff ſeiner ſeite anzuwenden / umb auch ſolchen ſeelen (die ich nicht weiß / wer ſie ſind) auffs beſte zu helffen / damit nicht auch dieſelbe einer ſchwehren hand GOttes noͤthig haben. Wenn aber derſelbige ſolle in den gedancken gehabt haben / dergleichen gar oͤffentlich zu bekennen / und an den tag zu geben / ſo bitte nicht allein darinn ſelbſt ſich nicht zu uͤbereilen / ſondern ſich auch von niemand dazu treiben zu laſſen / wie ich denn verſichere / daß eine unvorſichtige be - kaͤntnuͤß und offenbahrung der ſache mehr ſchaden thun / und zur hindernuͤß des guten ausſchlagen wuͤrde / als erbauung davon zu hoffen waͤre. Wo aber GOTT / den wir ferner hertzlich anruffen wollen / gnade zur wiedergeneſung beſchehren wird / hoffe ich / durch deſſen gnade ein mittel vorzuſchlagen / was meinem geliebten ſchreiben und publiciren koͤnte / daß alles aͤrgernuͤß / ſo aus der oͤffentlichen be - kaͤntnuͤß zubeſorgen / vermieden / und dennoch das gute / was man in dieſer moͤchte ſuchen / voͤllig / ja kraͤfftiger erhalten wuͤrde. Davon alſo kuͤnfftig unter uns mag gehandelt werden. Jch verſpreche nicht allein treulich zu unterſchiedlichen malen ſeinen lieben nahmen und anligen / (als lang es damit anhalten wird) vor den gnaden-thron unſers JEſu zu bringen / ſondern auch / worinn ich mit rath und ſonſten das werck des HErrn an ihm befoͤrdern kan / dergleichen willig zu thun / wie ihn denn hiemit von grund der ſeelen der barmhertzigen liebe unſers theurſten Vaters / der verſoͤhnenden und reinigenden gnade des liebſten JEſu / und kraͤfftigen wir - ckung des wertheſten heiligen Geiſtes befehle.

SECTIO XXIV. An eben denſelben fernerer rath. Von den Qvackern.

VOn der zeit an als ich voriges jahr von deſſen ſchwehren heimſuchung verſtanden / verſichere / daß nicht abgelaſſen habe / taͤglich / und zwahr auch des tages nicht nur einmal / deſſen lieber perſon und anligens vor dem thron der gnaden zugedencken: daß der guͤtige Vater ſich ſeiner erbarme / die laſt erleichtere und zu rechter zeit voͤllig wegnehme / in - deſſen in ſolchem ſcharffen feuer ſeinen glauben ſo reinige als erhalte / und ſein exempel an andern zur erbauung ſegne. So ich auch alles / mit heimgebung zeit und art an ſeine goͤttliche weißheit / noch zu geſchehen mich verſichere. So habeauch800Das fuͤnffte Capitel. auch mit billiger danckſagung zu GOtt verſtanden / daß obwol der ſchwehre zu - ſtand noch nicht vorbey / ſondern annoch an leib und gemuͤth ſtarck zuſetzet / dan - noch jetziger kampff gegen den vorigen gerechnet ziemlich gelindert ſeye: welche wolthat wir gleichwol auch zuerkennen / und aus angefangener ſolcher huͤlffe / daß der HErr noch ferner dieſelbe fortſetzen und vollkommen machen werde / zu ſtaͤrckung unſeres glaubens zuſchlieſſen haben. Nechſt dem will gedult von noͤ - then ſeyn / die frucht der verheiſſung zu ſeiner zeit wircklich zuerlangen / und der HErr wird auch darzu das vermoͤgen beſchehren. Daruͤber freue mich ſonderlich / daß derſelbe auff unſers theuren Lutheri ſchrifften gefuͤhret worden und ſich in ſol - chen fleißig uͤbet. Denn ich halte / wir haben kaum von der Apoſtel zeiten an eini - gen lehrer gehabt / welcher die krafft der goͤttlichen gnade zu unſrer rechtfertigung und auch des lebendigen glaubens beſſer erklaͤhret / und ſeye dieſes das eigenliche ihm von GOtt anvertraute pfund geweſen / das wir dann auch billich bey uns wu - chern laſſen ſollen / und ſo viel wir koͤnnen / uns deſſelben gebrauchen. Er treibet auch dasjenige offt / was ich darvor halte / deſſen jetzt noͤthigſte lection zu ſeyn / allein an goͤttlichem wort zu hangen und vielmehr demſelben als eigener empfindung die auff beyden ſeiten betrieglich ſeyn kan / zutrauen. Wie nun die ſache ſelbs / nemlich daß das goͤttliche wort allein unfehlbar / unſer hertz aber luͤgenhafft ſeye / ſo gewiß iſt / daß wirs auch nicht widerſprechen koͤnnen; alſo weiß ich doch wol / daß wahrheit recht ins hertz zubringen / eine ſache von mehrer ſchwehrigkeit ſeye / und man darzu goͤttlicher kraͤfftiger gnade / und von unſerer ſeite gebets und gedult noͤthig ha - be: Ergreiffen wir aber einmal ſolche wahrheit recht in unſern hertzen / ſo iſt die meiſte krafft der anfechtung uͤberwunden. Alſo gewehne er ſich auch / je mehr und mehr ſeine augen von ſich ab / und pur allein auff ſeinen JEſum zurichten / der keine unſre wuͤrdigkeit erfordere / ſondern den muͤhſeligen und beladenen ſeine ge - rechtigkeit ſchencke / und nach Mal. 4 / 2. als die ſonne der gerechtigkeit aufgehe / nicht denen / welche GOttes gebot gehalten haͤtten / ſondern die ſeinen nahmen fuͤrchten / wie der prophet auch anderswo ſagt (Jeſ. 66 / 2.) er ſe - he an den elenden der zubrochenes geiſtes iſt / und der ſich foͤrchte vor ſeinem wort: ja die auch nur ernſtlich hungern und duͤrſten nach der ge - rechtigkeit / ſollen / nemlich mit demjenigen / wornach ſie hungert und duͤrſtet / alſo geſaͤttiget werden / daß ſie auch zu ſeiner zeit ſatt zu ſeyn fuͤhlen ſollen. Unter alle dieſe ſich zuzehlen / treibet ihn ſein empfindliches elend / ſo kans auch nicht fehlen / recht zuhaben an dem jenigen / was ſolchen von GOtt verheiſſen iſt. So laſſet uns vollends aushalten in dem kampff der uns verordnet iſt / und glau - ben / es habe weder die macht GOttes abgenommen / noch ſeye ſeine guͤte im wenig - ſten erkaltet / daher da dieſelbige das vorige zu uͤberwinden kraͤffte gegeben / werdeſie801ARTIC. II. SECTIO XXIV. ſie es auch an dem noch uͤbrigen nicht manglen laſſen. Dann er iſt allezeit einer / und derjenige / der da ſpricht〈…〉〈…〉. Mit meinem armen gebet will nicht ablaſſen / ſondern fortfahren zu dem zu flehen / der uns befohlen hat fuͤr einander zu beten. Daß einige das an ihm geſchehene nicht ſo viel zu ihrer beſſerung / als unterlaſſung des fleiſſes in dem guten / ſich haben dienen laſſen / iſt eine muͤgliche und glaub - liche ſache / daran aber weder GOtt / noch er ſelbs (von dieſem ſtuͤck abſonder - lich zureden) ſchuld hat / ſondern es iſt die eigen menſchliche verderbnuͤß / welche alles / auch das beſte / zu mißbrauchen pfleget. Hiemit bekenne zwahr / daß denſelben von der ſchuld des aͤrgernuͤſſes nicht bloß loßzehle / ſo aber nicht durch dieſe begegnuͤß / ſondern vorige irrwege / die man gegangen / gegeben worden / GOtt aber ſolches eben durch das bißher zugeſandte zu beſſern wiederum geſucht / auch hoffentlich eini - ge ſeelen / die es noͤthig hatten / von einigem wahn abgezogen haben wird / daß die - ſes eben nicht ohne frucht geblieben. Wie nun derſelbe / um dieſe zuerhalten / ſich aus goͤttlichem trieb von grund der ſeelen gedemuͤthiget / und darmit ſein gewiſſen gereiniget / ſo kommts weiter nicht mehr auff ſeine rechnung / wann nun andre ſich deſſen ſo wol mißbrauchen / als viele vor deme ſich die lehr des evangelii Pauli ſich darzu dienen lieſſen / daß ſie ihnen und andern daraus frey heit zuſuͤndigen hernah - men: denen ſich der Apoſtel mit eiffer widerſetzet. So viel iſt zwahr wahr / daß den mißbrauch abzulehnen nun ſchwehrer wird / wegen gegenwaͤrtiger zeiten be - wandnuͤß / da auff einer ſeit falſch evangeliſche freyheit oder vielmehr ſicherheit / auff der andern ſeiten einbildung eigener gerechtigkeit / einander alſo entgegen ſte - hen / daß man ſchwehr mit nachtruck dem einen uͤbel widerſtehen kan / daß nicht ſo bald das andre ſich daſſelbe zu ſeinem vortheil und der wahrheit ſchaden ſehr miß - brauchte. Jedoch hielte nicht vor undienſam / ſondern ein ſolches mittel / darvon ich mir in GOttes ſeegen nicht wenig verſprechen wolte: wo derſelbe eine treuher - tzige warnung auffſetzte an alle / die dem HErrn dienen wolten / ſich vor dieſen beyden extremis zuhuͤten / mit anzeige / wie man ſo leicht aus einem in das an - dere verfallen koͤnne. Da zum foͤrderſten zu zeigen waͤre / wie groſſe gefahr da - bey ſeye / wann man der menſchlichen auch noch in der wiedergeburt uͤber - bleibenden ſchwachheit vergeſſe / und nicht allein nach der vollkommenheit ſtre - be (als welchesallen zukomme) ſondern ſich einbilde / dieſelbe in hoͤchſtem grad zuerreichen / in dem daraus die eigenliebe ſo bald anfaͤnget / das wenige gute / wel - ches etwa vorhanden iſt / ſich ſo groß vorzuſtellen / daß man wahrhafftig glaubet / jenem grad nahe gnug gekommen zu ſeyn / oder ihn wol gar bereits erreichet zuha - ben. Dieſes iſt nun der gefaͤhrlichſte zuſtand / darein ein menſch gerathen kan / ja in gewiſſer maaß gefaͤhrlicher als roher weltleute / dann weil Gott dem HErrn nichts mehr zuwider iſt / als der menſchen ſonderlich geiſtlicher / hochmuth / hingegen ein groſſes ſtuͤck ſeiner ehre darinnen beſtehet / daß wir an ſeiner bloſſen barmhertzig -J i i i ikeit802Das fuͤnffte Capitel. keit hengen / und von keiner eigenen gerechtigkeit wiſſen / daher die augen nicht we - niger auff die unſrem guten annoch anklebende unvollkommenheit und gebrechen als daſſelbige ſelbs richten / alſo ſtets von dem ſchoͤnen pfauen-ſchwantz auff die garſtige ſuͤſſe ſehen / ſo iſts GOttes gerechtes gericht / wo der menſch ſich anfaͤnget vor ihm zu uͤberheben / und etwas des ſeinigen vor ihn zubringen / daß er ſeine gna - de von einem ſolchen mehr und mehr abziehet / und ihn ſeinem betruͤglichen fleiſch uͤberlaͤſſet / dardurch nicht allein der hochmuth waͤchſet / ſondern weil die wahre gnaden-wuͤrckungen allgemach erloͤſchen / zwahr der ſchein der heiligung und groſſer einbildung bleibet / der arme menſch aber eben deßwegen in eine ſo grobe heucheley verfaͤllt / daß er auch / wo es nur verborgen bleibet / einige groͤbere ſuͤnden ohne ſcheu begehet / und ſich doch noch dabey gerecht zu ſeyn glaͤubet / hingegen alles was ſeine heiligkeit nicht erkennet / oder er darvon hindernuͤß ſorget / von hertzen neidet und haſſet / ja wo er kan ſolches etlicher maſſen zu untertrucken ſu - chet / indeſſen mit ſeinem urtheil alles und alle die um ihn ſind vermeſſen richtet / und gegen ſich verachtet. Jn ſolchem ſtande kennet er ſich nun gar nicht mehr / und iſt aufgeblaſen gegen GOtt und menſchen / deßwegen ihm aber auch ſchwehrer / als einigen andern zu helffen iſt / weil er ſich uͤber alle andere duͤncket / ja wo ihn GOtt aus ſonderbahrer gnade wieder heraus reiſſen ſolle / bedarffs groſſe gewalt / und muß derſelbe ihn gleichſam erſt gantz zu boden ſchlagen / ehe er anderer beſſerung faͤhig iſt: ja ihn in die hoͤlle fuͤhren / da er ſich laͤngſt in dem himmel zu ſeyn ver - meſſen / um wiederum auff den rechten weg zukommen. Wie nun ſolches ein groſſes gnaden-werck GOttes iſt / ſo haben wir auch zuglauben / daß deſſelben ge - rechtigkeit und guͤte nuͤtzlich findet / einige auch ſeiner kinder in ſolchen ſtand gera - then und fallen zulaſſen / ſo wol daß ſie nachmalen alſo gedemuͤthigt werden / damit ſie folglich in ihrem gantzen leben deſto mehr vor hoffart verwahret bleiben moͤgen / als auch andern ein exempel zuweiln vorzuſtellen / an deme ſie in der demuth zu blei - ben lernen moͤchten. Hie koͤnte derſelbe ſeine gantze hiſtorie (nicht aber als ihm geſchehen / in dem die feinde der gottſeligkeit ſich deſſen ſehr wider dieſelbe wuͤrden mißbrauchen koͤnnen / ſondern wie dergleichen hergehen koͤnne / und zuweilen an ei - nigen vorgegangen ſeye) beweglich vorſtellen / und wie nachmal der HErr ſolche / die in ihres hertzens ſinn hochmuͤthig ſind / zu demuͤthigen / ja gleichſam zu ſtaub zu - zermalmen / vermoͤge. Wie man ſich nun auff der einen ſeiten hiervor zuhuͤten habe / waͤre ferner zuzeigen / daß man hingegen ſich auch auff der andern ſeiten von der ſicherheit nicht verfuͤhren laſſen muͤſſe: entweder zuverleugnen die nothwen - digkeit oder muͤglichkeit eines wahrhafftig gottſeligen und nach GOttes geboten eingerichteten lebens / oder den fleiß nach der vollkommenheit mehr und mehr zutrachten / aus vorwand ſie nicht zuerreichen / bey ſich ſelbs oder andern niderzu - ſchlag en / oder damit man nicht in hoffarth fallen / ſondern in demuth bleiben moͤge /ſein803ARTIC. II. SECTIO XXIV. fein ſich nichts gutes mit ernſt zubefleiſſen / ſondern immer gern in ſolchen ſunden fortzufahren / daruͤber man ſich augenblicklich vor GOtt zu demuͤthigen handgreifli - che urſach bey ſich fuͤhle / oder kein heuchler zu werden oder zu heiſſen / ſich der welt tapffer gleich zuſtellen / und alles was derſelben alamode froͤmmigkeit nicht ge - maͤß iſt / ſelbs verdaͤchtig zu halten oder zumachen / oder auch andre / die noch in den wegen des HErrn mit eiffer wandlen / der heucheley und hochmuths zube - ſchuldigen / oder insgeſamt die zur ehre GOttes und verſicherung unſers heils noͤ - tigſte lehr der rechtfertigung gegen goͤttlichen willen wider die heiligung und de - ro ernſt zu mißbrauchen / und was dergleichen mehr ſeyn mag / und vorgeſtellet werden koͤnte. Hingegen waͤre zuletzt die rechte mittel-ſtraß zuweiſen / wie das vertrauen unſrer gerechtigkeit / auff Chriſti gerechtigkeit auch bey dem beſten leben allein und nicht anders als in der erſten bekehrung von der welt dienſt / unſer eini - ger auffenthalt bleiben muͤſſe / ferner / daß alle heiligung ſchlechter dings goͤttlicher gnade in uns / ohne den eignen kraͤfften das geringſte zuzumeſſen / zuzuſchreiben / und von dem guten ihm ſelbs nicht mehr als nur die anklebende fehler zuzueignen ſeye / und dennoch an die uͤbung der gottſeligkeit nicht weniger fleiß / als wann wir dardurch ſelig werden muͤßten / angewandt / und gleichwol alles in tieffſter demuth dem / der in uns kraͤfftig geweſen heim gegeben / ſo dann alles richten mehr an uns ſelbs als an andern geuͤbet werden ſolle. Eine dergleichẽ ſchrifft hielte ich ſehr dienlich / daß von demſelben mit hertzlichem gebet zu GOtt zwahr aus eigenem hertzen / aber doch mit anderer Chriſtlichen freunde einrathen / auffgeſetzet wuͤrde / welche ich als - denn an orten / da es noͤthig / communiciren wolte / oder auch getruckt werden koͤnte. Hieran mag in der furcht des HErrn gedacht / und die ſache ferner uͤberle - getwerden. Jch komme nun auff den punct von den Qvackern: da ich nicht bergen kan / daßeiniger freunde zuneigung zu ihnen / und die leſung Barclaji ſchrifften / eine groſſe urſach vieler zerruͤttung unter uns / und vieles guten hinde - rung worden zu ſeyn ſorge. Man haͤtte ſich alſo ſolcher leute / ſo nie unſrer kirchen glieder geweſen / entſchlagen / und ſie ihres orts laſſen ſollen: hingegen da von ei - nigen ſolches nicht geſchehen / ſondern eine mehrere gemeinſchafft mit ihnetz geſucht ſeyn worden mag / hat ſolches den widerſachern des guten treflich geholffen / ihren beſchuldigungen / als waͤren alle / welche die gottſeligkeit treiben / wahrhafftig in dem hertzen ſolcher ſecte zugethan / einen ſchein zugeben / und manche / die auff gutem wege geweſen / darvon abzuſchrecken / deswegen welche ſolches gethan / das aͤrger - nuͤß und veranlaſſeten ſchaden vor GOtt hertzlich zuerkennen haben. An ſich ſelbs wiſſen wir / daß ſie ein von allen andern theilen der Chriſtenheit abgeſonderten hauffen machen / und aus andern kirchen ausgegangen ſind. Auff Barclaji ſchrifft haben bereits unterſchldliche unſre Theologen geantwortet / wiewol et - wa mit ungleichem ſucceß, je nach dem einige mehr oder weniger fleiß angewandt /J i i i i 2am804Das fuͤnffte Capitel. am letzten aber und erſt neulich Herr D. Beyer zu Jena in collatione doctri - Quackerorum & Proteſtantium, welche die Qvacker in Holland ſelbs æſtimiren ſollen. So wenig alſo andere religionen ſich beklagen koͤnnen ge - gen unſre kirche / ob wuͤrden ſie ohne grund verworffen / und waͤren noch nicht uͤber - zeuget / ſo wenig koͤnnen es auch die Qvacker thun: noch thut unſre kirche unrecht daß ſie derjenigen irrthume verwirfft / die ihrer aus GOttes gnade erkanten wahr - heit entgegen ſtehen. Was aber die ſingula membra der kirchen anlangt / wel - che mit dem kirchen-dienſt nichts zuthun haben / wie ihnen gnug iſt / die wahrheit daran der ſeeligmachende glaube ſich haͤlt / zuerkennen / haben ſie nicht noͤthig we - der uͤber dieſe noch andre religion das urtheil zufaͤllen / wo ſie nicht klahre uͤber - zeugung der irrthumer haben / ſonſten laſſen ſie ſieihrem HErrn ſtehen und fallen. Wie ſie aber ſich ihrer wahrheit in der ſeelen uͤberzeuget halten / entſchlagen ſie ſich bil - lich / als ihrer ſchwachheit ſich wol bewuſt / der gemeinſchafft deren / die mit ihnen nicht einerley bekennen / und geben ſich nicht in gefahr ihrer irrthuͤme. Von N N. zu urtheilen vermag ich nicht / als der ihn nicht kenne. Das rechtſchaffene weſen in CHriſto JEſu zu lieben und zu ſuchen / iſt recht / und wird billich von jederman erfordert: hingegen ſingularitaͤten ſich wehlen / oder von andern auſſer unſrer kirchen entlehnen / und damit nicht nur offenbahre welt-leut zur laͤſterung alles gu - ten reitzen / ſondern auch andren ſchwachen / oder die das gute damit weiterem ver - dacht unterworffen zu werden / mit betruͤbnuͤs anſchauen / kan ich mit der liebe nicht reimen. Ob aber dergleichen von ihm geſchehe / weiß ichnicht: Geſchaͤhe es / ſo koͤnte es nicht billigen / dann da der glaube eine groſſe freyheit hat / ſo weichet die liebe bey denen / die die ſtaͤrckeſte ſeyn wollen / andern gern / in allem dem was nicht dem gewiſſen entgegen iſt. Und da ich keinen wider ſein gewiſſen noͤthigen kan / die Qvacker zuverurtheilen / iſt doch derjenige welcher noch in unſrer kirchen ge - meinſchafft ſtehet / und ſie alſo nicht vor falſch in der lehre haͤlt (denn wo dieſes waͤre / und er die Qvacker vor die wahre kirche achtete / wuͤrde erſich ja zu derſelben begeben muͤſſen) verbunden / ſich auch der vertheidigung derjenigen / welche offenbahr unſerer kirchen entgegen ſind / was ihre lehr anlanget / bey denen die davon anſtoß nehmen koͤnnen und wuͤrcklichen anſtoß nehmen / zu enthalten / und es nur bey dem erinnern zulaſſen / daß man in dem urtheil uͤber fremde knechte ſich mit vermeſſenheit nicht verſuͤndige. Nun der HErr wehre doch allen zerruͤttungen / und reinige diejenige welche ſonſten guten willen haben ihm treulich zu dienen / von allem bekannt und unbekanten / was den wachsthum und die vereinigung in ihm hindert / fuͤhre auch ſein werck ſelbs herrlich nicht nach un - frem / ſondern ſeinem rath hinaus / / ſo er auch thun wird. Uns wird ſon - derlich obligen / die groſſe gnade welche er unſrer kirchen in anvertrauung ſeiner wangeliſchen wahrheit erzeiget hat / mit dero ernſtlichen und unvermiſchten bey -be -805ARTIC. II. SECTIO XXV. behaltung zuerkennen / und ihm mit reichen fruͤchten derſelben danckbar zu wer - den: mit andern die auſſer unſer gemeinde ſind / keine andere als der allgemeinen liebe / welche auch hertzliches gebet fuͤr ſie / vorleuchtung gutes exempels / und von denen / welche dazu das vermoͤgen haben / vorſtellung der von ihnen noch nicht er - kanten wahrheit erſordert / gemeinſchafft zuhalten / und ſie dem HErrn zuem - pfehlen: auch nicht auffzuhoͤren zu dem HErrn zu flehen / daß er doch ſein liecht der wahrheit ſo kraͤfftig durchtringen laſſe / damit alle irrthuͤme / und anders ſo zu der finſternuͤß gehoͤret / vertrieben werde / und endlich der HErr nur einer ſeye / und ſein nahme nur einer. Nach dieſer regel einhergehende werden wir unter der fuͤhrung der guten hand GOttes nicht irren / ſondern das ſelige ziel erreichen. 1694.

SECTIO XXV. An eine in ſchwehrer anfechtung und unempfind - lichkeit des glaubens ſtehende perſon / ſo ihres glaubens zu verſichern. (Spieræ exempel examinirt.)

JCh will in meiner antwort ſeinen lieben brieff gleichſam auf dem fuß nach - gehen / auff jegliches nach der gnade / die mir der HErr geben wird / und geben wolle / alſo zu antworten / wie es ſeiner ſeelen zuſtand dienlich ſeyn wird. Daß mein voriges bereits angenehm geweſen / war mir lieb zu vernehmen / hingegen ſind ſolche zeilen dergleichen vielen dancks nicht wuͤrdig geweſen. Wir ſind als bruͤder allerdings verbunden / mit der gabe / die der HErr uns nicht umb unſert willen / ſondern anderer willen / verliehen hat / treu - lich und bey jeder begebender gelegenheit zu dienen. Es wird ſich auch N. N.. willig zu allem verſtehen / wo er ſeiner ſeelen eine liebe zu erzeigen vermoͤgen wird. Beliebet deswegen ein brieflein an ihn abgehen zu laſſen / ſo will ich daſſelbe ſelbs beſtellen. Die kundſchafft mit N. N. iſt mir auch ſehr lieb / und zweifle nicht / ſie als eine fuͤgung vom HErrn zu erkennen / der ſie vielleicht deswegen zuſammen gefuͤhret / daß einer an dem andern erbauet wuͤrde. Daß nun an ihm / wie auch N. N. und einigen andern / welche mit mir umgegangen / eine gottſelige freudig - keit verſpuͤret worden / dancke ich zwahr dem HErrn / der ſolchen lieben freunden auch ſolche wolthat erzeiget hat. Jedoch hoffe ich nicht / daß dieſelbe andern bruͤdern / und ſonderlich ſeiner werthen ſeelen / ſolle ein anſtoß ſeyn / oder dero be - truͤbniß vermehren. Jch dancke meinem GOtt / der mir in ſeinem heiligen wort und unſer allgemeinen kirchen-lehr das troſtreiche Evangelium von Chriſto / ſeinergerech - tigkeit und in ihm habende und beſitzende heyl zuerkennen gegeben hat / das ich auch / wo ich nur kan / als das hauptſtuͤck unſerer Chriſtlichen religion / die ja nicht im geſetz ſondern im Evangelio beſtehet / nach der gnade und geiſt / ſo mir der HErr alle -J i i i i 3mal806Das fuͤnffte Capitel. mal dazu gibet / zu treiben und der gemeine GOTTES vorzutragen mich befleißige. Solche lehre aber iſt an ſich ſo bewandt / daß ſie troſt und freude in ſich faſſet / und aus ihrer natur an ſich ſelbs ſie zu wircken tuͤchtig iſt. Jn - deſſen findet ſich nicht bey allen / daß dieſe empfindliche freudigkeit auff ſolcher lehre anhoͤrung und betrachtung folge / als wozu mehr als die lehre ſelbs kommen muß. Die ſache nun etwa gruͤndlicher zuerwegen / haben wir wol in acht zuneh - men / daß zwahr ein einiger weg zur ſeeligkeit ſeye / nemlich der glaube an Chri - ſtum JEſum und ſein theuers verdienſt / darinnen wir der gnade GOttes und al - les heyls theilhafftig werden. Aber es ſind ſo zu reden einige beſondere pfaͤde auff dieſem einigen wege / das iſt / die arten GOTTES / wie er die ſeinigen auff ſolchen wegen zu dem glauben und in dem glauben fuͤhret / ſind nicht gantz einerley / ſondern GOTT nach ſeiner weißheit fuͤhret jeglichen auf die art / welche er an ihm zu ſeinen ehren und des menſchen heyl jedesmal am dienſtlich - ſten erkennet / deſſen unterſcheids wir vielleicht bißweilen bey etzlichen die urſachen erkennen koͤnnen / bey andern aber / oder in andern ſtuͤcken / mags uns wol verbor - gen / und unter den ſchaͤtzen der goͤttlichen weißheit / die wir erſt in jenem leben er - ſehen / und darinnen ein groſſes ſtuͤck unſerer ſeligkeit erkennen ſollen / verdecket bleiben. Dahin gehoͤret / daß er einige in vielen freuden und empfindlichem troſt fuͤhret / ſo gleichſam immerfort in einem liechte wandeln; andere aber fuͤhret er gleichſam in lauter finſternuͤß / traurigkeit und aͤngſten; gleichwol beyde an ſei - ner hand / und endlich zu einem zweck. Daß beyderley die wege Gottes ſeyen / ſehen wir offenbahrlich an ſehr vielen exempeln / da ein menſch zuweilen in der tieffſten angſt-hoͤlen ligen / und uͤber nichts als unglauben und verlaſſung klagen muß / der etwa zu andern zeiten und malen auch eine him̃liſche ſuͤßigkeit geſchme - cket hat / oder ſchmecken wird. Wo kein zweiffel iſt / daß beydes wercke und wege des guͤtigſten Vaters ſind. Wie nun in ſolcher abwechſelung die ſache ſo viel offenbahrer iſt / ſo ſehe ich nicht / wie vor unmuͤglich zu halten ſeye / daß GOTT nicht ſollte einige auff dem einen pfad allein immerfort ſuͤhren / ſonderlich auff dem pfade der angſt und finſternis: indem auff dem pfad des ſtaͤtigen liechts und freude allhier immerfort zu wandeln / moͤchte faſt vor den ſtand der erniederung / darinnen wir noch hier in dieſem leben ſtehen / zu viel ſeyn / und mit der goͤttlichen ordnung / darinnen ein unterſcheid unter dem weg und vaterland bleiben muß / nicht am beſten uͤberein kommen. Was aber die fuͤhrung auff dem ſtaͤten angſt - wege anlanget / ſehe noch nicht / wie dieſelbe der goͤttlichen ordnung zuwider waͤre. Jndeſſen bleibet freylich die vermiſchte und abwechſelende art der goͤttlichen fuͤh - rung wol die gemeinſte. Hie ſtehet nun aber der goͤttlichen weißheit frey / auff welchem ſie mich oder einen andern zu dem heyl leiten wolle; wir glauben aber billich / daß ſie allezeit deſſen heilige / ob ſchon uns gemeiniglich unerforſchliche / urſachen habe. Wie wir ſonſten in dem leiblichen finden / daß GOTT einemeine807ARTIC. II. SECTIO XXV. eine geſunde / einem andern eine ſtaͤts kraͤnckliche natur und beyderley nicht ohne wichtige urſachen gegeben / wie er auch die temperamenta des menſchen / ſo ſich nicht nur in dem leibe zeigen / ſondern vieles auch in dem gemuͤth wuͤrcken / unterſchieden geſchaffen hat: da wir auch finden werden / daß eben in dieſer ſache das menſchliche temperament ſehr vieles hiebey mit dazu thue: wie dann bey denen / welche mit geiſtlichen anfechtungen und mangel der empfindlichkelt geplagt werden / ſich groſſen theils ein ſolches temperament finden wird / welches na - tuͤrlicher weiſe zu einer ſchwehrmuth und ſorgſamen oder zweiffelhaffter uͤberlegung alles anligens geneigt iſt. Welches ich gar nicht dahin meyne / als wann das temperament die einige vornehmſte urſache und alle dergleichen anſechtungen in ſich nichts anders als miltz-ſchwachheiten und dero auſſteigende duͤnſte waͤren. Sondern dieſes allein ſage ich / daß ſich GOtt der natur dabey gebrauche; wie zum exempel der heilige Geiſt auch bey denen unmitelbahr von ihm erleuchteten maͤnnern vieles ihres natuͤrlichen / ſtylum, phraſin und ſolche einige characte - res animi naturales, gelaſſen / und in ſeiner inſpiration ſich nach denſelben accommodiret hat / aber alſo / daß nichts deſtoweniger ſeine erleuchtung das haupt-werck und meiſterin der natur waͤre. Ja weil GOtt auch nicht ungefehr laͤſſet ſolche temperamenten unterſchieden ſeyn / dieſem dieſes / einem andern ein anders / gibet / ſondern auch ſolche austheilung nach ſeinem rath anſtellet / ſo glauben wir billich / daß alſo je nachdem er auf einem oder andern pfad jeden zu fuͤhren weißlich beſtimmet / er ihm auch nachmal ein ſolches temperament er - theilet habe / welches dazu das beqvemſte iſt. Alsdann handelt er auch mit ihnen nach demſelben / daß wir offt alles vor bloſſe wirckung des temperaments achten ſolten / und iſt doch wahrhafftig GOttes gnaden-werck in demſelben. Es kan aber zuweilen auch geſchehen / daß der menſch aus eigener ſchuld einiges an ſeinem temperament verderbet / als wo man aus ungedult euſſerlicher truͤbſa - len ſich erſtlich / da mans wol laſſen koͤnnen / in eine ſchwehrmuth gibet / und nach - mal die natur dermaſſen niedergeſchlagen wird / daß das gantze temperament ſich gleichſam aͤndert. Wo alsdann ſolche leute zwahr ihre eigene ſchuld erken - nen muͤſſen / daß ſie ſich ſelbſt dadurch zu einiger goͤttlichen troſt-wirckung unge - ſchickter gemacht / daher auch deſto gedultiger und ohne murren als gegen ſich ſelbſt tragen ſollen / aber wiederum dabey zu erkennen / es ſey auch ſolcher ihr ſehler nicht ohne goͤttlichen rath geſchehen / der ſie hinkuͤnfftig in einem zwahr beſchwehrlichern zuſtand ihr leben zubringen laſſen wolle / indeſſen aber doch die gnade / die ihnen in demſelben noͤthig / nicht verſagen werde. Weil alſo die wege GOttes ſo unter - ſchiedlich ſind / ſo werden wir auch bey der helleſten vortragung des Evangelii fin - den / daß zwahr einige dadurch zu einem ſolchen empfindlichen glauben kommen /der808Das fuͤnffte Capitel. der einen ſuͤſſen troſt bey ſich hat / (nemlich welchender HErr dieſen nuͤtzlich findet / u. ihnen gemeiniglich einige beqvemheit auch in demnatuͤrlichen dazu gegeben.) An - dere aber ob ſie wol wahrhafftig zu dem glauben kommen / werden von dieſer em - pfindlichkeit abgehalten. Daher ob mein werther bruder einige derjenigen / welche hier geweſen und in denen der freudige geiſt / dasjenige was er an ihnen wahrge - nommen / gewircket / wo ich nicht leugnen will / daß es eine frucht der lehre des Evangelii ſeye; ſo ſey er hingegen verſichert / daß unter denjenigen / welche von mir und meinen Hn. Collegis einerley Evangeliſche wahrheit hoͤren / derer abermal nicht wenige ſeyen / welche mit ihm in gleichem ſpittal ligen / und dero hertzens-be - wandnuͤß er an dem ſeinigen ſo abgemahlet hat / als ſie es mit eigenen worten nicht voͤlliger haͤtten zu thun vermoͤcht. Zu der ſache nun ſelber zu gehen / ſo ſehe / daß ſein einiges anligen ſeye / weil er an ſeinem glauben zu zweiffeln urſach zu ha - ben vermeinet. Nun dieſes iſt die gemeinſte klage der auch GOtt liebſter ſee - len / und weiß ich nicht / ob ich nicht den zuſtand ſolcher leute als anderer / bey wel - chen ſich die empfindlichkeit mehr offenbahret / nicht zwahr vergnuͤglicher (denn frey - lich iſts ihnen eine harte probe) aber der endlichen ſeeligkeit verſicherter achten ſolle; indem ihre daher entſtehende demuth und aͤngſtliche ſorge / ſie vor der groͤſten gefahr der ſicherheit ſtattlich verwahret. Als viel ich aber aus ſeinem ſchreiben ſeine liebe per - ſon und dero innern zuſtand ſehen kan / weiß ich nicht anders vor GOtt zu urtheilen / als daß er wahrhafftig in einem glaubigen ſtande ſtehe: finde auch deſſen ſo viele kennzeichen / die ſich bey ſo vielen nicht in ſolcher anzahl finden / von denen doch eben ſowol nicht zweifle. Es iſt faſt ungemein ein ſolches gemuͤth zu finden / wel - ches ſo bald von jugend auf eine ſolche begierde / und alſo erkaͤntnuͤß goͤttlicher gnade / in ſich gehabt / und auf ſein heil acht gegeben / welches ſeines gewiſſens anklage umb die zeit / da ſonſten meiſtens wenig daran gedacht wird / nicht nur gefuͤhlet / ſondern ſolche bey ſich fruchten laſſen; welches ſeines glaubens ſchwachheit erkant / aber dagegen zu ſtreiten ſich befliſſen / und immer eine ſo ſtaͤtige begierde gehabt / ſei - nes GOttes wort feſter anhangen zu koͤnnen: ja bey welchem die begierde nach dem wahren glauben ſo beſtaͤndig und eifferig geblieben / daß die vermeinte aus - bleibung der erhoͤrung auff ſo lang anhaltendes ſeufftzen und beten / es dennoch weder von der fortſetzung des gebets noch uͤbrigem gebrauch der glaubens-mittel abgezogen / oder weil es doch verlohrne ſache waͤre / den eiffer der gottſeligkeit ausgeloͤſchet / vielmehr dazu ſo viel ernſtlicher angeſpohret hat / daß er deswegen ſeine allermeiſte ſorge ſeines lebens noch hierauff ſchlaͤget / und ihm ſein gewiſſen / obs ihm die wahrheit des glaubens ſelbs will in zweiffel ziehen / auffs we - nigſte die auffrichtigkeit ſeiner begierde nicht mit einigem ſchein in zweiffel zie - hen kan. Alles dieſes zuſammen genommen (ein anders iſts wo man aus einer einmaligen angeflogener andacht eines verlangen nach goͤttlicher gnadeund809ARTIC. II. SECTIO XXV. und verſicherung derſelben urtheilen wolte. ) iſt ein unhintertreibliches zeugnuͤß des heiligen Geiſtes / welcher bey ihm nicht nur angeklopffet / ſon - dern ſein ſtaͤtiges werck in ihm gehabt habe / ja daß nicht ein geringer ſondern ein ſtarcker glaube in ihm ſich befinde / und wahrhafftig nicht ohne ſolche goͤtt - liche ſtaͤrcke in dergleichen duͤrrigkeit des gemuͤths als in der wuͤſte haͤtte aus - halten koͤnnen. Und mag etwa dieſes die meinung des ungenanten beicht - vaters geweſen ſeyn / daß er den glauben in ihm erkant / und nur ſolche erin - nerung noͤthig erachtet / daß wir auch das geringere maaß der ertheilten glau - bens-gnade mit danck erkennen / und damit verlieb nehmen ſollten. Daß ihm daruͤber ſowol weil es mit den ſtudiis nicht nach wunſch habe gehen wollen als andere truͤbſaal denſelben betroffen haben / die gedancken wegen goͤttli - cher zorn-gerichte auffgeſtiegen ſeynd / iſt nichts neues / ſondern dasjenige / wozu unſer fleiſch / wenn nicht ein noch aͤrgerer atheiſmus ſtarck eingeniſtet hat / von ſich ſelbs natuͤrlich geneigt iſt / und die exempel ſonderlich in den pſalmen ſich finden laſſen. So iſts keine ſache / welche ihn allein betrifft / ſondern jenes zwahr ein faſt allgemeines ungluͤck aller oder doch meiſten ſtu - dirender / denen es leyder an gehoͤrigen handleitung mangelt / und es faſt durch und durch auff den eignen fleiß und gerathwol ankommen muß; dieſes aber / andere zeitliche unfaͤlle / ſehen wir auch taͤglich vor augen. Hingegen daß ſolche angſtgedancken wegen goͤttlichen zorns ſich gezeiget / ob ſie wol aus dem natuͤrlichen unglauben herkommen / iſt mir ein mehr gutes als boͤ - ſes anzeigen. Jndem bey den verruchten gemuͤthern ſonſten das fleiſch ſie auff das bloſſe gluͤck weiſet / daß ſie nur ihre ungluͤckſeligkeit beklagen / oder andern die ſchuld geben / und mit denſelbigen zoͤrnen / und auff unziemliche weiſe ihnen ſelbs helffen wollen. Welcherley leuten ſehr uͤbel zu helffen iſt: Wo hingegen dergleichen leiden ſo bald uns GOttes zorn vorleget / zeigets ein noch zartes gewiſſen / und iſt bereits deſſen regung eine ruͤhrung der gna - de / die aber den dabey noch befindlichen unglauben / in dem man vor dem fuͤh - len des zorns der gnade nicht gewahr werden kan / ſelbs uͤberwinden will / und endlich uͤberwindet. Alſo iſt einmal daſſelbe auch kein ſo arges zeichen / als es etwa von ihm angeſehen wird. Jedoch iſt wol dabey bemercket / daß es auch ihm dieſelbe unart unſers hertzens offenbahret habe / wie wir ſo gern einen weltlichen Meßiam haben und von ihm die gluͤckſeligkeit dieſes lebens erwarten wollen. Welche unart / wo ſie nun erkant wird / ſo vielweniger gefahr mehr in ſich hat. Daß alle die motiva fidei wie ſie pflegen genant zu werden / allein einen menſchlichen glauben wuͤrcken / iſt wahr / aber recht zu - verſtehen. Jn dem damit nicht geſagt wird / daß aller der glaube / der bey uns aus gelegenheit ſolcher urſachen und motiven gefaſſet wird / nicht goͤtt - lich ſondern allein menſchlich ſeye (dann wer die heilige ſchrifft mit einem vonK k k k kſol -810Das fuͤnffte Capitel. ſolchen urſachen und motiven erſtlich bewegtem gemuͤth liſet / mag den wah - ren goͤttlichen glauben empfangen aus der krafft der ſchrifft ſelbs) ſondern dieſes wird allein damit gemeint / daß aus deroſelben krafft in ſich ſelbs / wie ſie ein vernuͤnfftiger ſchluß ſind / die wahrheit des glaubens nicht herkom - men kan / ſondern aus der wahrheit ſelbs / die uns ſolchen ſchluß vorleget. Al - ſo ſind ſie an ſich ſelbs diejenige dinge / welche das gemuͤth etlicher maſſen be - reiten / und ſonderlich die natuͤrliche widerſetzung und etwa uͤbel gegen die ſchrifft gefaßte concepta, wegnehmen / hingegen eine gute opinion von ſol - chem wort machen / damit der menſch alſo geſchickter und beqvemer wird / daß alsdenn / wo wir die ſchrifft leſen / hoͤren / oder einige ſtuͤcke und ſpruͤche derſelben unſerm gemuͤth vorſtellen / durch goͤttliche wuͤrckung der glaube entſtehet. Jm uͤbrigen daß eine goͤttliche gewißheit und doch auch nieder - ſchlagung des gemuͤths beyſammen ſeyn koͤnnen / achte ich keine ungereimte oder auch ungemeine ſache zuſeyn. Denn warum ſolte nicht in dieſem ſtuͤck des unglaubens ſowol als in andern ſtuͤcken das fleiſch wider den geiſt geluͤ - ſten? indem der unglaube ſowol gleichſam das hertz des fleiſches / wie der glaube des geiſtes iſt. Was anlanget / ob der wille des glaubens der wah - re glaube ſeye / oder denſelben vielmehr præſupponire / meine ich zwahr nicht / daß man ſo bloß dahin dergleichen zu ſagen haͤtte / aber doch will ich kein bedencken machen / zuſagen / daß unmuͤglich ſeye / daß ein auffrichtiger wille und verlangen nach dem glauben und goͤttlicher gnade in einer ſeele / die ihr elend erkennet / dero es auch redlich und allein um ihre ſeeligkeit zuthun iſt / ſich auch in allen ſtuͤcken willig der goͤttlichen ordnung zu untergeben begeh - ret / ja mit der gnade / wie gering ſie ſeye / wo es nur die wahre gnade ſeye / gern zu frieden ſeyn will / und ſich ſowol ſehnet GOtt gefaͤllig in allem wand - len zu koͤnnen / als ſich ſtracks deſſen befleiſſet / gefunden weꝛden moͤge / die nicht ſchon zum grunde in dem grund der ſeelen den wahren / ob zwahr ihr verbor - genen glauben habe. Dann es ſind jene fruͤchten viel zu edel / als daß ſie aus natuͤrlichen kraͤfften kom̃en koͤnten / ſondern gewiſſe wuͤrckungen des heili - gen Geiſtes / welcher wo er wohnet / ein Geiſt des glaubens iſt. So muͤſten wir die haupt-fundamenta unſerer Theologiæ von den natuͤrlichen kraͤfften und des heiligen Geiſtes gnade uͤberhauffen ſtoſſen / wo wir anders halten wolten. Zu dem wie ſolte muͤglich ſeyn / daß goͤttliche ſo ſehr in der ſchrifft ge - prieſene barmhertzigkeit / welche ſo viele tauſend mitten aus ihrem boßhaffti - gen lauff herausreiſſet / und zu dem glauben bekehret / eine ſeele verlaſſen und ihr den glauben verſagen ſolte / dero inbruͤnſtiges verlangen nach nichts an - ders als nach derſelben gehet / und dasjenige allein begehret / wozu ſie GOtt erſchaffen / beruffen und erloͤſet hat. Mir iſts gewiß unbegreifflich / wie einſol -811ARTIC. II. SECTIO XXV. ſolches nur muͤglich ſeyn koͤnte. Was das exempel Franc. Spieræ anlanget / bleibe ich dabey / daß wir nicht nach den exempeln / in denen uns ſo viele unbe - kante dinge ſich finden moͤgen / ſondern nach GOttes eigenem wort zu urthei - len haben. Daher ich lieber das verlangen nach dem glauben bey ihm / ob es redlich vor GOtt geweſen / als die goͤttliche barmhertzigkeit und wahrheit in zweiffel ziehen will. So meldet Sleidanus austruͤcklich von ihm / daß er be - kant / Deum ſe amare non poſſe, verum horribiliter odiſſe. Wir reden a - ber von einer ſeele / die eine ſehnliche begierde nach GOtt und ſeiner gnade hat / wo dann nothwendig die liebe der inneꝛſte grund ſolcher begierde iſt / maſ - ſen niemand ein ſehnliches verlangen nach etwas haben kan / welches er nicht liebet / und ſo viel ernſtlicher liebet / als ſeine begierde bruͤnſtiger darnach iſt. Und wo endlich etwas aus Spieræ exempel ſich ziehen lieſſe / wuͤrde es nichts anders ſeyn / als daß ein menſch mit ſeiner boßhafftigen verſtoſſung der er - kanten goͤttlichen wahrheit in ein ſolches gericht und verſtockung fallen koͤnte / daß er gleichſam ſchon hie in der verdamnuͤß lige / wie auch Spiera ſolches fuͤhlen geklaget hat / und daher gantz keine goͤttliche wirckung mehr in ihm platz habe. Aber aus ſolchem allem laͤſt ſich mit keinem ſchein ſchlieſſen / daß nicht GOtt ſeine gnade demjenigen zu geben willig ſeye / bey welchem verlan - gen und liebe / die bereits ſeiner gnade wuͤrckungen ſind / ſich finden. So hat auch unſer S. D. Dannhauer / und mit ihm andere Theologi, aus der hiſto - rie zur gnuͤge dargethan / daß bey Spiera die opinion von der bloſſen verwerf - fung der menſcheu den haͤrteſten ſtoß ſeiner verzweiffelung gegeben / und alle krafft des troſtes gehindert. Da aber gleichwie der glaube ſelbs durch einen ſolchen irrthum zunicht gemacht werden kan / warum nicht das verlangen nach demſelben / als ein deſſen ſchwaͤcherer oder doch verborgenerer grad? Hingegen wo wir reden von dem verlangen des glaubens / welches vor einen wahren glauben zu halten / ſo reden wir davon mit den uͤbrigen requiſitis, ſo zu dem glauben gehoͤren. So haͤtte auch dafuͤr gehalten / daß dem armen mann noch auff andere art / als man findet / zuzuſprechen geweſen waͤre / ihn von dem fuͤhlen / welches in ſolchem ſtande das allergefaͤhrlichſte iſt / ab - und auff andere gewiſſere fundamenta zu fuͤhren. Jetzo eben nicht zu ſagen / daß einige wol in den gedancken ſeyn / Spieræ verdammnuͤß ſey eben nicht ſo ge - wiß / ſondern moͤge zwahr das ſchreckliche leiden und hoͤllen-angſt / mit dero er kaͤmpffen muͤſſen / und allem anſehen nach untergelegen / ein heilig gericht GOttes uͤber ihn geweſen ſeyn / ſo wol zur ſtraffe ſeiner ſuͤnden / als anderen zum abſcheu und ſchrecken vor dem abfall: es moͤge aber der HErr doch noch / anderen unvermercket / in ſeinem letzten in dem grund ſeiner ſeelen einige troͤpfflein haben kommen laſſen / davon er erhalten worden / daß ja ſein verlan - gen nicht vergebens waͤre. Wie denn / wo ſolches recht auffrichtig und nichtK k k k k 2viel -812Das fuͤnffte Capitel. vielmehr aus einer bloſſen furcht des gerichts als begierde der gnade herge - kommen / daſſelbe mehr von GOtt erlangen mag / als wir etwa begreiffen moͤ - gen. Davon ich aber mein urtheil gern ſuſpendire: allein aber dieſe dinge hier bemercke / zu zeigen / wie es eine faſt ungewiſſe ſache iſt / aus exempeln et - was dermaſſen zu ſchlieſſen / in denen / wo es auff ſolche tieffe in dem hertzen verborgene dinge ankommt / ſo vieles uͤber unſern nicht nur ſinn ſondern verſtand ſich erſtrecket. Was die verſieglung anlanget / achte ich auch ſol - che / als die nichtes anders iſt als die verſicherung ſelbs / moͤge von der em - pfindlichkeit abgeſondert werden: Oder wir muͤſſen ſagen / wo der menſch nicht immer in wuͤrcklicher reflexion ſeines glaubens beſtehet / ſo ſeye ſo lang auch die verſieglung aus / und geſchehe allezeit auffs neue / wenn er wieder dran gedencket / ſo ich nicht leicht von jemand dafuͤr gehalten zu werden hoffe. Daß das goͤttliche zeugnuͤß nach der ſchrifft zu pruͤfen ſeye / wird etwa dieſen verſtand haben ſollen / nicht daß das zeugnuͤß ſelbs oder die bezeugung in ſol - che pruͤfung komme (es waͤre denn ſache / daß von der art derſelben / wie ſie geſchehe / die frage waͤre) ſondern daß das bezeugte ſolcher pruͤfung beduͤrffe: das iſt / wo wir etwas mit einem goͤttlichen zeugnuͤß und verſieglung zu er - kennen gedencken / haben wir ſolche theſin gegen die ſchrifft zu halten / finden wir daß ſolche unſrem ſatz widerſpreche / ſo iſt uns ſolches ein gewiſſes zeug - nuͤß / es ſeye dasjenige kein zeugnuͤß des Heil. Geiſtes / ſondern unſer eigener gedancken geweſen / den wir jener art erachtet haben: kommt er aber mit der ſchrifft uͤberein / ſo bleibets ein wahres zeugnuͤß GOttes / wo nicht ander - werts her demſelben etwas ermangelt. Mit denen / die die beyde propoſi - tiones, ich glaube / oder ich bin mir deſſen und deſſen bewußt / was ich began - gen habe / eines ſchlages in der verſicherung des hertzens achten wollen / koͤnte ichs nicht halten / wo nicht etwa eine andere meinung und erklaͤhrung / die ich itzt nicht vorſehe / darunter oder dabey ſeyn moͤchte. Es iſt freylich das eine eine ſache / welche der natuͤrlichen erkaͤntnuͤß unterworffen / die andre a - ber nicht. Und dieſes iſt die urſach / weswegen ich mit meinem Sel. Præce - ptore D. Dannhauern mich verſichere / daß nach unſern Evangeliſchen prin - cipiis ein glaͤubiger ſeines glaubens gewiß ſeyn moͤge / nicht aber ein Refor - mirter nach den ſeinigen / wo er bey dem abſoluto decreto beſtehet. Dann bey einem Reformirten kommets auff nichts anders an / als auff die empfind - lichkeit und fuͤhlung des glaubens / die ſo wol mangeln als dem menſchen zweiffelhafftig ſeyn kan / ob ihn nicht ſein fuͤhlen betriege; dann es gehet mit einem uͤbernatuͤrlichen objecto um / nemlich dem glauben ſelbs. Aber bey ei - nem Lutheriſch-Evangeliſchen gruͤndet ſich die verſicherung des glaubens auff die unzweiffenliche guͤte GOttes / welche allen denjenigen / welche ſich dem wort und gnaden-wuͤrckung GOttes nicht boßhafftig widerſetzen wol -len /813ARTIC. II. SECTIO. XXV. len / gnade und glauben zu geben willig iſt: damit ſo kommts auff den mino - rem allein an. Nun bin ich ein ſolcher / der nicht muthwillig widerſtreben will / oder widerſtrebet. Dieſes iſt nun eine ſach / die noch von uns mit einer unfehl - baren gewißheit erkant werden kan / und da heiſts nun recht / 1. Cor. 2 / 11. der geiſt des menſchen weiß was in ihm iſt (und zwahr mit einer unbetriegli - chen wiſſenſchafft / nicht aber dasjenige / was in ſich GOttes und goͤttliche wirckung iſt) daher ſind ſolche dinge einer pruͤfung recht unterworffen. So ſchreibet beſagter Herr D. Dannhauer. Sal. Ref. und macht dieſen Syllogismum p. 495. 496. Aller derjenige unwiderſtrebende menſch / dem GOtt den glauben nicht allein wahrhafftig geben will / ſondern auch wircklich und verſchiedentlich durch wort und Sacrament darreicht / iſt glau - big. Jch bin ein ſolcher unwiderſtrebender GOtt gelaſſener menſch (davon mein geiſt in mir / als einem ding / ſo demſelben zu wiſſen ohn ein uͤbernatuͤrlich liecht wol muͤglich / zeuget) dem GOtt der HErr den glau - ben geben will / denn hat er mir den baum ſchencken wollen / ſeinen Sohn Chriſtum / ſo hat er mir auch ja deſſen edle frucht den glauben ſchencken wollen / (wie ſolte er uns mit ihm nicht alles ſchencken?) ſo iſt ſein Evangelium / ſein Sacrament ein mittel / dadurch der glaube in un - ſerm hertzen erwecket und verſieglet wird ꝛc. Neben dieſem wird mein werther Bruder ferner erkennen / daß auch ein groſſer unterſcheid ſey unter der erkaͤntnuͤß des glaubens ſelbs und deſſen fruͤchten / und ob wol bey - de keine dinge ſind / ſo unſerer vernunfft unterworffen / indeme ſo wol die fruͤchte als dero wurtzel der glaube der goͤttlichen wirckung zugehoͤren / daß dennoch die fruͤchte ſich nicht gleicher maſſen / auffs wenigſte alle / und zwahr die haupt-fruͤchte verbergen laſſen / wie der glaube ſich verborgen halten kan / und daß ſich alſo jene dermaſſen zeigen koͤnnen / daß unſere vernunfft wol bey ſich dieſes begreiffet / es ſeye in uns und in unſerer ſeelen etwas mehr als na - tuͤrliches oder aus dergleichen kraͤfften herkommendes; ſo nichts anders als goͤttliches ſeyn kan / ob ſie wol / wie es goͤttlich ſeye / aus ſich nicht gnugſam begreiffet. Wo wir nun ſolche goͤttliche wirckungen in den glaubens-fruͤch - ten dermaſſen bey uns antreffen / daß auch unſere vernunfft uͤberzeuget iſt / daß ſie nicht unſer werck ſeyn / ſo ſchlieſſet ſie ſelbs unwiderſprechlich / wo GOTTES wort wahr iſt / wie wirs wahr zu ſeyn wiſſen / ſo muͤſſe denn auch der heilige Geiſt und glaube bey uns ſeyn / an deſſen empfindung es uns ſonſt mangelt. Es ſind aber ſolche verſicherte glaubens-fruͤchte / die von de - nen ſonſten aus einer guͤte der natur und moral-inſtitution herkommenden tugenden unterſchieden ſind / vornemlich das hertzliche mißfallen an allem dem / was GOTT zu wider ſeye / ſo wol in ſpecie gegen dieſes und jenes / ſoK k k k k 3wir814Das fuͤnffte Capitel. wir erkennen / ihm zu wider zu ſeyn / (ſonderlich dazu wir etwa ſonſten mehrere natuͤrliche inclination bey uns fuͤhlen / aber auch einen nicht nur widerſpruch des gewiſſens / ſondern auch einen eckel daran und mißfallen / ob wir wol noch in dem fleiſch ein wolgefallen und geneigtheit dazu fuͤhlen) als insgemein / daß uns alles ein abſcheu ſolle ſeyn / wo wir auch noch weiter etwas erkennen ſolten / daß GOTT verboten haͤtte / wie lieb es uns ſonſten waͤre / und folg - lich die innigliche begierde in allen ſtuͤcken den HErrn in gehorſam zu lieben; die freude die wir haben / ſo wir etwas zu GOttes ehre gutes zu geſchehen ſe - hen; ſonderlich aber die ungefaͤrbte liebe des nechſten / auch desjenigen / und aus denjenigen urſachen / da ſonſten natuͤrlicher welſe wir keine liebe zu haben wuͤrden / ſondern eher ein widerwillen und haß dagegen entſtehen koͤnte; die vorziehung des goͤttlichen gnaden-ſtands vor aller weltlichen gluͤckſeligkeit; die in ihrer rechten ordnung eingeſchrenckte begierde des leibs dieſes todes und einwohnender ſuͤnden loß zu werden / und in die ſelige ewigkeit gern ein - zugehen / und deswegen auch das gluͤcklichſte welt leben zu verlaſſen; die ſtaͤte erhebung zu GOTT und heimliches ſeuffzen zu ihm / nicht nur alsdann / wo wir gleichſam mit fleiß und ex conſilio beten wollen / ſondern daß bey aller gelegenheit von ſelbſten als von innen herausgehet / und alſo das habitual - verlangen nach GOTT in der ſeelen verborgen zu ſeyn zeiget; ſonderlich aber die hochhaltung der gnade Chriſti / und einige beruhigung in ſeinem ver - dienſt / mit williger verleugnung aller eignen und frembden gerechtigkeit / hin - gegen eiffrige begierde / ihm wiederum in allem danckbar zu werden / und ſich in der that ſein eigenthum zu erweiſen: So dann die bruͤnſtige liebe gegen GOTT und Chriſtum / ſo entweder ſelbs gefuͤhlet wird / oder aus den obigen ſtuͤcken / da es auch an jener fuͤhlung manglete / unfehlbar abgenommen werden mag / indem ſie alle gleichſam lauter beſondere austruͤcke und wirckungen der goͤttlichen liebe ſeynd. Alle dieſe dinge / welche ſich meiſtens bey den ange - fochtenen und uͤber die unempfindlichkeit ihres glaubens geaͤngſteten in ziem - lichem grade finden / ſind unfehlbar zeugnuͤſſe des wahren glaubens / ſo gar / daß auch ein anderer aus denſelben bey denjenigen / wo er ſie findet / ohnfehl - bar / daß ſie glaͤubig ſeyn / ſchlieſſen koͤnte / wo er in dero hertz / daß ſolche ſtuͤcke wahrhafftig bey ihnen ſich befinden / koͤnte gewahr werden. Was aber andere nicht koͤnnen / daſſelbige kan jeglicher bey ſich ſelbs nemlich mit unfehlbarer gewißheit verſichert ſeyn / daß es ihm in allem ſolchem ein gruͤndlicher ernſt / nicht aber angenommene heucheley ſey. Und ſo ſehen wir / daß der liebe Apo - ſtel Johannes 1 / 3 / 18. 19. aus der liebe der bruͤder / die da in der that und in der wahrheit iſt / ſchlieſſet / daß wir aus der wahrheit (das iſt / aus GOTT ge - bohren und demnach glaͤubig) ſeyen: Und dazu mit einem ſolchen ſchluß / denwir815ARTIC. II. SECTIO XXV. wir unſerm hertzen / wo es uns verdammen / und auf GOttes tieffer ſehendes aug / welches in uns dasjenige / was wir noch nicht gewahr werden / bemercken moͤchte / weiſen will / daß wir dennoch unſer hertz damit ſtillen koͤnnen / das iſt / daß unſer hertz urſach habe / ſich davon zu ſtillen / obwol der effect in der an - fechtung nicht allemal folget. Daß die wirckung des glaubens / was anlan - get die individual application, einiger maſſen moͤchte immediata genennet werden / will ich nicht eben ſehr widerſprechen. Wird aber nichts damit an - ders gemeint werden / als daß / nachdem ich aus den gruͤnden goͤttlichen worts / da der vorſatz ſelbs gemeiniglich in den worten des heiligen Geiſtes beſtehet / der nachſatz in der eigenen entweder fuͤhlung oder neuer collection aus einer andern fuͤhlung beruhet / dasjenige geſchloſſen habe / worauf mein glaube be - ruhet / endlich die concluſion auch bekraͤfftiget wird in dem hertzen durch goͤtt - liche verſiglung: Die aber nicht allemal empfindlich / ſondern aus GOttes wort offt / daß ſie da ſeyn muͤſſe / zu ſchlieſſen iſt / wider die eigene unempfind - lichkeit. Weil aber mein geliebter Bruder ſich ſonderlich daruͤber ſo hertz - lich aͤngſtet / wo er von anderer empfindung liſet / und wie ſolche in der ſchrifft auch den glaͤubigen zugeſchrieben werde / gewahr wird: So meine ich daß die - ſe beyde / ſo er einander unmittelbar entgegen ſetzt / entweder muͤſſe lauter pra - lerey und erdichtetes weſen ſeyn / was andere von der empfindung ruͤhmeten / und ſich auff ihre oder anderer erfahrung berufften / oder muͤſte bekennen / daß es ihme gar an dem glauben mangle / weil er ſolches nicht bey ſich haben ſolte / nicht ſo unmittelbare oppoſita, ſondern dieſes mittel dazwiſchen ſeye / daß er zwahr den glauben habe / aber entweder in ſchwaͤcherem grad / oder doch mit zuruͤckhaltung dieſes bey andern ſich offt befindenden ausfluſſes. Gleich wie ein menſch / welcher von kindheit an niemal anders als kraͤncklich und mit al - lerhand ſchmertzen behafftet geweſen / nicht ſagen kan / entweder muß es pra - lerey ſeyn / was andere davon ruͤhmen / daß ihnen nie kein finger wehe gethan habe / oder ich bin nicht eben ſo wol ein wahrer menſch als jene ſind / ſondern allein / daß er nicht ſo geſund wie dieſelbe ſeye. So bin ich auch verſichert / daß es auch allen glaͤubigen nicht gar an aller empfindung / geſchmack / erfah - rung ꝛc. mangle: Ja ich bin verſichert / daß mein geliebter Bruder / ob ers wol nicht meinet wahrzunehmen / manchen geſchmack und empfindung der goͤttli - chen liebe und begierde nach GOTT gehabt habe: An dieſem aber wird eben ſo wol dasjenige wahr gemacht / was die ſchrifft von ſolchen dingen ſagt / als an der freundlichen und troſtreichen empfindung / und iſt alſo derjenige / der zwahr nicht dieſe art aber jene hat / nicht aller empfindung und geſchmacks ent - ohnicht. Daß im uͤbrigen derſelbe ſehnlich verlange / ſo offt er liſet und hoͤret / wann andere von der gnade GOttes ihnen in ſolchen ſtuͤcken wiederfahren ruͤhmen / eben derſelben auch theilhafftig zu werden / iſt nicht unrecht / dann wirnach816Das fuͤnffte Capitel. nach den geiſtlichen gaben zu trachten haben / auf daß der HErr ſo vielmehr an uns und von uns moͤge geprieſen werden. Doch will ich hoffen / es werde dabey eine kindliche zufriedenheit und gelaſſenheit ſich finden / ſich mit demje - nigen maaß der gnaden zu vergnuͤgen / welches der liebſte Vater zugemeſſen habe / und ihm / wo er ihn in dem finſtern fuͤhren wolle / die hand auch willig zu reichen / und ihn mit ſich machen zu laſſen / wie es ihm wolgefaͤllig ſeye. Wie auch dieſes ein hoher grad der verleugnung ſeiner ſelbs iſt / nach der wir eben ſo wol zu trachten haben / daß wo der HErr auch zeiget / daß einiges auch chriſtliches unſer verlangen ſeinem rath nicht eben gemaͤß ſeye / wir auch lie - ber / daß ſein uns hart-ſcheinender als unſer zu unſerer geiſtlichen vergnuͤ - gung zielender wille geſchehen moͤge / uns reſolviren / und daher auch unſer ſehnliches verlangen ihm gleichſam wieder auffopffern. Es geſchihet ja noch / daß in der that der HErr zu einigen ſeinen kindern ſpricht / laß dir an meiner gnade genuͤgen / da ſollen wir unſer Amen willig dazu ſprechen; wo es hingegen an demjenigen / der uns die gnade verſprochen hat / nicht mangeln kan / daß nicht dieſelbe ſolte uns kraͤfftig genug ertheilet werden. So iſt doch das beſte / wie mein geliebter Bruder in ſeinem brieff faſt ſchlieſſet / daß er nichts verlange / als daß ihm GOTT um ſeines liebſten Sohnes / als des ei - nigen / vollguͤltigſten und allgemeinen ſeligmachers willen / gnaͤdig ſeye / und in ſolchem glauben ſelig zu leben und zu ſterben geben wolle. Hie iſt goͤttliche verheiſſung / daß weil er darinnen betet nach GOttes willen / und ſich demſel - ben bloſſerdings zu ergeben verlangt / die erhoͤrung unzweiffentlich erfolgen muß. Dieſes ſind meine einfaͤltige gedancken bey der vorgetragenen mate - rie / dabey es dißmal bewenden laſſe / mich aber nicht entziehen will / wo auf die - ſes einige weitere erlaͤuterung durch vorſtellung / wie er ſolches recht bey ſich thunlich oder nicht thunlich finde / und was etwa fuͤr wichtige exceptiones da - gegen moͤchten gebracht werden / verlanget werden ſolte / auf dasjenige nach goͤttlicher gnade wiederum zu antworten / was an mich gelangen wird. Jn - deſſen um das obige gleichſam in ein compendium zu bringen / ſo bitte dienſt - lich / ſich vornemlich dahin zu beſtreben / und dazu goͤttliche gnade anzuruffen / daß er lernen moͤge / 1. ſeine gedancken abzuziehen von der empfindlichkeit auf das bloſſe wort. 2. in der empfindlichkeit mehr acht zu geben auf die em - pfindlichkeit der fruͤchten des glaubens / als deſſelben unmittelbare actus. 3. zu glauben / daß der HErr / wie er ſeine heilige auf unterſchiedene pfaͤde fuͤhre / ſolches unterſcheids heilige und ſeiner wahrheit gemaͤſſe urſachen habe. 4. verſichert zu ſeyn / dieſer dunckele und dem fleiſch ſo viel ſaurere weg gehe ſo wol zu dem ewigen liecht / als derjenige / auf welchem man bereits mehr liecht gewahr wird. 5. den grund ſeines heils auf die bloſſe barmhertzigkeit und treue ſeines GOttes zu ſetzen / und ſich ohne andere verſicherung in dero arm /ja817ARTIC. II. SECTIO XXVI. ja abgrund / hinzuwerffen / weil ſie nicht koͤnne jemand verlaſſen / ſo nicht von ihr wegfliehe / ſondern auffrichtig allein nach ihrem genuß verlange. 6. zu glauben / er ſtehe in einer gemeinſchafft vieler tauſend bruͤder und ſchweſtern / welche in gleichem leiden ſtecken / fuͤr die er nicht weniger inbruͤnſtig als fuͤr ſeine eigene noth zu beten hat / damit hinwieder ihr ſeuffzen auch fuͤr ihn / da er an deroſelben communion ſeine liebes-pflicht ſelbs wahrnimmt / deſto kraͤfftiger gehen und guͤltig ſeyn moͤgen. 7. endlich ſich ſo viel fleißiger vor aller verletzung des gewiſſens zu huͤten / als gefaͤhrlicher dieſelbe in ſolchem ſtande ſeynd / hingegen der entweder verlangten empfindlichen gnade annoch allhier / oder der endlichen erloͤſung und verſetzung in das ſchauen / mit williger gedult zu erwarten. Der HErr wircke es in ihm und uns allen zu ritterli - cher uͤberwindung und ſeinem ewigen preiß. 1682.

SECTIO XXVI. Troſt der angefochtenen / daß ſie ohnerachtet ihres kampffs mit dem unglauben / dennoch glaubig ſeyen.

DEn verlegten locum Mucſchelii betreffend / vermag ich darauf nicht gruͤndlich zu antworten / weil das buch nicht bey handen habe / und alſo die antecedentia und conſequentia, den rechten verſtand zu faſſen / mit conferiren kan. Gleichwol erinnere mich nicht / als ſolches ſcriptum geleſen / daß ich etwas darinnen wider die wahrheit gefunden oder bemercket haͤtte: Hoffe alſo / wo die ſache recht erwogen wird / werde auch ſolche ſtelle mit der wahrheit uͤbereinkommen. Jndeſſen will von der materie ſelbs etwas ge - dencken. So iſt nun der glaube freylich unſer ſieg / damit wir die welt / und auch dero fuͤrſten den teuffel mit ſeinen feurigen pfeilen / uͤberwinden. Da - her einem angefochtenen daran das meiſte gelegen / daß er ſeines glaubens verſichert ſeye. Aber da iſt mit groſſer ſorgfalt zu verfahren / daß wir wiſſen / woraus wir den wahren glauben in der anfechtung pruͤffen ſollen. Zwahr auſſer derſelben ſo iſt das empfindliche zeugnuͤß des heiligen Geiſtes / welcher unſerem geiſt bezeuget / daß wir GOttes kinder ſind / und das fuͤhlen der hertz - lichen und beſtaͤndigen zuverſicht ein kantliches kennzeichen / dabey der menſch / neben den uͤbrigen von den fruͤchten hernehmenden zeugnuͤſſen / ſich in ſeiner ſeele des beywohnenden glaubens verſichert. Aber es kommt zuwei - len bey gottſeligen hertzen in den ſtand / davon der geiſtreiche Arnd W. Chri - ſtenth. 2 / 52. redet / und ich wuͤrcklich jetzt eine gottſelige perſon in derſelben uͤbung und kampff weiß: Daß der menſch in der noth ſo tieffin den un - glauben geſtuͤrtzet wird / daß er ſeines glaubens nicht kan gewiß wer -L l l l lden. 818Das fuͤnffte Capitel. den. Es zeucht ſich alle krafft des glaubens in ein punct und in ein unausſprechlich ſeuffzen / darinnen noch der glaube ihm unwiſ - ſend verborgen iſt / und dieſer verborgene glaube iſt dem ſein unglau - be und iſt ſein hoͤlle und marter. m. f. w. Da laͤſſet ſich denn ſolches in - wendige zeugnuͤß des geiſtes nicht mehr fuͤhlen / da iſt zuverſicht und alles hinweg / und weiß der menſch keinen zuſprechenden troſt ſich zuzueignen. Wol ein betruͤbter / und gleichwol hochnuͤtzlicher ſtand! Aber da haben wir die pruͤffung des glaubens gantz anders anzuſtellen / als bey ruhigem gemuͤth / in ſolchem ungeſtuͤm muͤſſen wir die ſegel gantz anders ſpannen / als bey lieb - lichem ſonnenſchein und ſtillem wetter. Nemlich weil wir a priori den glau - ben nicht mehr fuͤhlen / a poſteriori, ihn zu ſchlieſſen: weil wir keine flamme noch funcken / nachdem alles mit aſchen bedecket iſt / ſehen / aus dem rauch das verborgene feuer abzunehmen. Nemlich / daß wir die angefochtene anwei - ſen / daß ſie aus der hertzlichen betruͤbnuͤß uͤber ihre ſuͤnde / ſehnlichen verlan - gen nach goͤttlicher gnade / beſtrebung nach derſelben / reinen vorſatz ſeinen GOtt nicht mit willen zu beleidigen / und was dergleichen iſt / ſchlieſſen / wo dieſe fruͤchte ſeyen / da muͤſſe nothwendig die edle wurtzel des glaubens / ob ſchon tieff verborgen / vorhanden ſeyn. Jnmaſſen jene ohn dieſe zu ſeyn nicht vermoͤchten. Jſt alſo bey ſolchen lieben leuten ein GOtt allein ſichtbarer / ſo dann an dem eußerlichen kantlicher / ihnen ſelbs aber unempfindlicher glaube vorhanden / der ſie erhaͤlt / biß die zeit der probe aus iſt. Solcher glaube in ihnen uͤberwindet immer fort / auch wenn ſie meinen / ſie ligen ſtaͤtig unter: denn der ſieg muß ſo verborgen ſeyn / als der glaube ſelbs iſt. Jndeſſen ſo iſt freylich auch unglaube dabey / den ſie gnugſam bey ſich fuͤhlen / und eben um deſſelben willen den glauben nicht empfinden koͤnnen. Solches nun recht zu verſtehen: ſo muͤſſen wir wiſſen / daß der unglaube ſowol als alle andre ſuͤn - den uns angebohren / und ein ſtuͤck unſerer natuͤrlichen verderbnuͤß ſeye: auch daß wir deswegen die wurtzel des unglaubens in uns behalten / ſo lang wir fleiſch und blut an uns tragen / und alſo dieſes gantze leben durch. Solcher uns angebohrner unglaube (der freylich auch bey den glaubigen noch uͤbrig iſt) reget ſich auch / und bringet allerhand boͤſe fruͤchten / alſo daß wir wol ſa - gen muͤſſen: wie die fruͤchte des geiſtes lauter fruͤchten des glaubens ſind / ſo ſeynd hinwieder alle wercke des fleiſches / und alſo alle ſuͤnden / lauter boͤſe fruͤchten des unglaubens. Wo dann nun der menſch glaubig worden aus des heiligen Geiſtes gnade / und in ſolchem glauben bleibet / ſo iſt kein herſchen - der unglaube bey ihm / aber von dem kaͤmpffenden unglauben wird er ſich nicht freyſprechen koͤnnen: Sonſten muͤſte er aller ſuͤnden bereits befreyet ſeyn / wenn ſolche boͤſe wurtzel gantz aus geriſſen waͤre. Alſo was ich vor boͤ -ſe ge -819ARTIC. II. SECTIO XXVI. ſe gedancken und begierden bey mir fuͤhle / und mit groſſem meinem mißſallen dannoch leiden muß / ſind ſie fruͤchten des noch uͤbrigen und ſich thaͤtlich her - vorthuenden unglaubens: denn ſo der glaube mich nunmehr gantz gereiniget haͤtte / ſo wuͤrde ſolche ſonne alle dieſelbe nebel verzehret haben. Weil aber ſolcher unglaube nicht herrſchet / ſondern der noch beywohnende glaube die o - berhand behaltet / wie ichs daraus erkenne / daß ich an ſolchen gedancken miß - fallen habe und ſehnlich verlange davon befreyet zu werden / ſo iſt auch ſolcher unglaube / wie alle andere ſuͤnde / die in mir wohnet / und ich mich derſelben nicht entſchuͤtten kan / nicht mehr verdamlich / ſondern iſt vergeben. Rom. 8 / 1. und wird der men ſch von GOTT von dem uͤberwindenden glauben glau - big / nicht aber von dem kaͤmpffenden und unterligenden unglauben vor un - glaubig geachtet. Jndeſſen bleibets doch dabey / wie der glaube bey dem men - ſchen die officin iſt / in dero der heilige Geiſt ſo viel liebe gute gedancken wir - cket / ſo iſt ſolcher noch bey uns wohnende unglaube derjenige / in dem und aus dem der leidige ſatan boͤſe gedancken herausbruͤtet. Dann wo der unglau - be und beywohnende ſuͤnde nicht waͤren / ſo vermoͤchte er wol uns anfechten / aber er koͤnte wircklich keine boͤſe gedancken auffſteigend machen / und alſo bleiben alle propoſitiones, ſo der herr machet / wahr / ſtreiten aber nicht wi - der einander. 1. Angefochtene ſind nichtunglaubige ſondern glaubige. 2. Wo der glaube iſt / da ſind ſeelige gedancken / (aber nicht allein / ob wol ſo fern der glaube da iſt / und in demſelben keine andere als heilige gedancken ſind / dann die unheilige gedancken / ſo dabey auffſteigen / ſind nicht aus dem glau - ben) 3. Wo der unglaube iſt / da ſind laͤſterliche und boͤſe gedancken. Weil ſol - che allezeit aus dem unglauben entſtehen: Aber nicht nur allein aus dem her - ſchenden unglauben / ſondern / eben ſowol demjenigen / bey dem der wahre glaube noch bleibet. Ja bey dieſem werden ſie noch haͤuffiger entſtehen / ſon - derlich was die gotteslaͤſterliche gedanckenanlangt. Mit denen der teuffel die - jenige wenig geplagt werden laͤßt / bey welchen der unglaube uͤberhand ge - nommen / oder ſie ſind doch bey ihnenkeine anfechtungen / ſondern / mit luſt hegende gedancken. 4. Wo laͤſterliche gedancken ſeyn / da iſt unglaube / nicht aber allemal ein herrſchender unglaube / ſondern wie oben erklaͤhret / die letzte propoſition oder concluſion iſt allein falſch: Wo dann laͤſterliche gedaucken ſeyn / da ſeye kein glaube / keine gnade / kein GOtt / kein heiliger Geiſt. Es be - darff aber die folge dieſes letzteren nicht viel widerlegt zu werden / ſondern erhellet von ſich ſelbs wie falſch ſie ſeye. Es bleibet dabey / wie Paulus ſagt. Rom. 8 / 10. (welches ein mir ſonderlicher lieber ſpruchiſt) der leib iſt tod um der ſuͤnden willen (in dem euſſerlichen menſchen iſt tod / unglauben / boͤſe gedancken ꝛc. ) aber der geiſt iſt doch das leben um der gerechtigkeitL l l l l 2wil -820Das fuͤnffte Capitel. len (der neue menſch hat leben / gerechtigkeit / glauben / gute gedancken.) Was ferner gemeldet wird / wie der unglaube ſich halte bey den angefochtenen nicht nur negative, expulſive, ſubtractive ſondern auch contradictorie: weiß diß - mal nicht zu beantworten / weil ich den autorem nicht bey haͤnden habe / uñ al - ſo nicht ſo gewiß / als ſolte / bin / wie er ſolches orts dieſe terminos gebraucht. Mein vielgeliebter Bruder in Chriſto ſeye getꝛoſt in ſeinem Gott / und laſſe ſich auch ſolche verſuchung nicht zu viel betruͤben. Der HErr iſt getreu / und kan ſich nicht verleugnen / daß er nicht ſolte ſeine verheiſſung 1. Cor. 10 / 13. an allen angefochtenen / die bey ihm bleiben wollen / erfuͤllen. Er laſſe ſich al - lein dieſe tentationes zu dem ende dienen / wozu ſie ihm von GOTT gegeben ſind / nemlich ein befoͤrderungs-mittel zu ſeyn / zu der von ihm ſo ſehr uns an - befohlenen ſelbs-verleugnung / hochſchaͤtzung ſeiner gnade / reſignirung in goͤttlichen willen / und fleißiger nachfolge JEſu; ſo wird gewißlich nicht nur die verſuchung allezeit ertraͤglich ſeyn / und er / ſo offt es ſcheinet / nunmehr muͤſſe man untenligen / wiederum mit einer krafft aus der hoͤhe angethan wer - den / ſondern er wird auch ſeinem guͤtigen GOTT fuͤr ſolche bittere aber heil - ſame artzney noch hie zeitlich / ſonderlich aber dort ewig / danckſagen / und nach - dem er einen ſieg nach dem andern davon getragen / ſeinem Siegs-fuͤrſten / der in ihm uͤberwunden / das ewige triumph-lied ſingen. Der GOTT aller gna - den / der uns beruffen hat zu ſeiner ewigen herrlichkeit in Chriſto JEſu / der - ſelbe wolle ihn und alle in gleichem kampff ſtehende mit-bruͤder und ſchwe - ſtern / die wir hie eine kleine zeit leiden / vollbereiten / ſtaͤrcken / kraͤfftigen / gruͤn - den. Demſelben ſeye von uns allen ehre und macht von ewigkeit zu ewig - keit. Amen. 1675.

SECTIO XXVII. Troſt eines angefochtenen wegen manglender fuͤh - lung. Beſtraffung des nechſten.

JCh gehe aber zu dem ſchreiben ſelbs / da ich bekenne / mir leid geweſen zu ſeyn / daß derſelbe vergangen jahr Herrn N. N. nicht geſprochen / von deme als einem mann / welchem GOTT ein mehrers maaß des Gei - ſtes / als ihm angeſehen wird / ertheilet hat / demſelben durch gegenwaͤrtigen zuſpruch zu ſeiner ſtaͤrckung nicht wenig huͤlffe gehoffet haͤtte. Nachdem aber ſolche gelegenheit meiſtens aus bloͤdigkeit verabſaͤumet / und ſonſt nicht ver - achtet worden / erkenne ich daraus oder darinnen vielmehr eine goͤttliche re - gierung / und bin damit zu frieden. Weil manchmal der HErr einer ſeele mehr den weg zu andern / von welchen ſie erbauet zu werden / die hoffnung ſeyn ſolte / gleichſam ſelbs verleget / da er ſie etwa mehr von allen creaturen entbloͤſ -ſen /821ARTIC. II. SECTIO XXVII. ſen / und zu ſich allein ziehen will. Ob nun ſolches die art des HErrn mit ihm umzugehen geweſen ſeye / wird er verhoffentlich ſelbs bißher beſſer erkant haben. Auffs wenigſte laͤſſet der HErr den ſeinigen niemal nichts begeg - nen / ohne ſeinen weiſen und guͤtigen rath / ja auch ihre verſaͤumnuͤſſen muͤſſen durch ſeine gnade ordenlicher weiſe ein anlaß werden / dadurch er bey ihnen et - was gutes ausrichtet. Was aber anlangt die wehmuͤthige klage uͤber die fuͤhlung ſeiner ſchwachheit / und zweiffelhaffte gedancken wegen des beywoh - nenden glaubens / trage ich zwahr ſo fern chriſtliches mitleiden mit ſolchem elend / welches ich wol verſtehe / wie ſchwehr und empfindlich es ſeye / und alſo es nicht geringe achte / indeſſen iſt mir doch uͤber ihn nicht bange dabey / als der ich an eigenem und andern mehr exempeln erfahren / wie viel guͤtiger rath GOttes in ſolcher verhaͤngnuͤß ſeye: Wie nemlich die ſeelen / welche er in ſo - thanes ſchweiß-bad gefuͤhret werden laͤſſet / wahrhafftig in der rechten ſchulen ſind der gruͤndlichen erkaͤntnuͤß ihrer ſelbs und ihrer ſuͤndlichen nichtigkeit / der verleugnung und abſterbung der welt / des haſſes gegen die ſuͤnde / der hertzlichen demuth gegen GOTT und den nechſten / gegen welche alle man ſich ſehr unwuͤrdig haͤlt / des gebets zu GOTT / welches ſo viel auffrichtiger vor GOTT iſt / ſo viel ein inniglicheres verlangen und aͤngſtlichere begierde nach ſeiner gnade unauffhoͤrlich in dem hertzen iſt / das doch vor unruhe kaum ein andaͤchtiges gebet herausbringen / oder die gedancken zu der ordnung eines formlichen gebets bringen kan / und daher ſich eben daruͤber aͤngſtet / daß es meinet / es bete nicht / und koͤnne nicht beten / der vorſichtigkeit in ſeinem gan - tzen leben / um nicht mit willen zu ſuͤndigen / und alſo einer wachſamkeit uͤber die ſeele / ja auch des glaubens ſelbs. Dann gewißlich der wahre krafft-glau - be waͤchſet und wurtzelt am tieffſten in ſich / wo man ſich faſt unglaubig achtet. Nur bitte ich / er uͤberlaſſe ſich ſeinem GOTT / ſeye mit gegenwaͤrtiger gnade zu frieden / bete zwahr / ob ihm GOTT ſein angeſicht wiederum klaͤhrer zeigen und ſeine gnade in ſich empfinden laſſen wolle / aber immer mit wahrhafftiger ausnahm ſeines willens / und mit zufriedenheit / auch in dieſem ſtand gern aus - zuharren / ob ihn der HErr auch immer darinne laſſen wolte; wie denn zur ruhe der ſeelen in aller ſolcher unruhe nichts noch kraͤfftiger iſt / als die in der forcht GOttes gefaßte reſolution, man wolle ſich an goͤttlicher gnade genuͤ - gen laſſen / und geſinnet ſeyn / wie Paulus / da ihm ſolches von oben herab an - gezeiget / und hingegen die wegnehmung ſeines pfahls austruͤcklich abgeſchla - gen war worden. Jn ſolchem ſtande und zufriedenheit kan es ihm wahrhaff - tig an gnaͤdiger erhaltung nicht mangeln / und ſtehet er in der that ſicherer / als die meiſte bey aller empfindlichkeit. So dann laſſe er ſich dieſes nimmermehr aus dem hertzen nehmen / daß uns GOTT nicht auf unſer fuͤhlen / ſondern aufden glauben und hoffnung / wo nichts zu hoffen iſt / oder gefuͤhlet wird /L l l l l 3ſondern822Das fuͤnffte Capitel. ſondern das hertz ſelbs lauter nein ſprechen und verdammen will / gewieſen haben wolle. Da mags wol von andern heiſſen / weil ſie geſehen haben / das iſt / weil ſie bey ſich in einem klahren liecht fuͤhlen / ſo glauben ſie / aber ſeliger ſind noch diejenige / die nicht ſehen / die in ſich dasjenige / das ſie gern wol - ten / nicht ſehen / und dannoch glauben / Joh. 20. die ihres GOttes guͤte zutrauen / er werde die ſeele / die ihn ſuchet / nicht vergebens ſeyn / ſondern ſich von ihr finden laſſen / er werde diejenige nicht vergebens laſſen duͤrſten / welche duͤrſten nach der gerechtigkeit / ſondern ſie auf ihm gefaͤllige weiſe noch ſaͤtti - gen. Sagt er aber / ja was habe ich fuͤr einen grund / daß ich mich fuͤr glaͤu - big / und in der gnade wahrhafftig zu ſtehen halten ſolle / da ich das gegentheil in mir augenſcheinlich zu erkennen meine / damit ich mich nicht ſelbs betriege? Antwort. Der grund iſt GOttes treue in Chriſto JEſu ſelbs / welche uns in der ſchrifft ſo theuer und hoch geruͤhmet wird / und nicht zulaͤſſet / daß moͤglich ſeye / daß er eine ſeele verlieſſe / die ſich aͤngſtlich nach ihm und ihres JESU heyl ſehnet; dieſe treue iſt eine ewige wahrheit GOTTES / und wer ſich auch ohn alles fuͤhlen darauff verlaͤſſet / ſich alſo dem HERRN und ſeiner hand dargibet / daß er ihn auch in der finſternuͤß fuͤhren moͤge / kan un - moͤglich betrogen werden / denn GOTT kan ſich nicht leugnen / und wer mit dieſem glauben abſchiede / ob ihm auch ſonſten ſein hertz von lauter ver - dammnuͤß predigen ſolte / faͤhret gewiß nicht anders hin / als in die hand des lieben Vaters / deſſen treue er ſich lediglich uͤberlaſſen hat. Zu weiterer verſicherung aber moͤgen ihm auch diejenige pruͤfungen die - nen / in denen er die fruͤchte ſeines glaubens / da ihm derſelbe ſelbs ver - borgen wird / unterſuchen kan. Denn weil er gewiß iſt / daß nicht eine wahrhafftige frucht / und wahrhafftige tugend in einer unwieder - gebohrnen und in der that unglaubigen ſeele ſeye / ſo wirds ihm nicht ſo ſchwehr werden / deren etwa mehrere bey ſich zu finden / dagegen er hoffent - lich nichts als auch einigen mangel der fuͤhlung vorwenden kan. Hierzu mag demſelben nicht etwa undienlich ſeyn / mein neulich uͤberſandtes tractaͤtlein von Natur und Gnade; dann wie ich ſorge / ja verlange / daß ſolches man - chen / die in heucheley geſtanden / ſich vor gute Chriſten gehalten / aber damit betrogen haben / auffwecken und in zweiffel ſeiner ſeligkeit bringen / aber eben dadurch zur wahren buß und ſeligkeit den weg bahnen mag / ſo hoffe da - bey / daß er undandere GOTT treulich ſuchende ſeelen vieles darinnen fin - den werden / daraus ſie ſich ihres gnaden-ſtands und glaubens zur uͤber - zeugung verſichern koͤnnen / ſonderlich wo ſie was §. 91. u. f. zu ihrer ver - wahrung bemercket worden / in der furcht des HERRN und mit deſſenanruf -823ARTIC. II. SECTIO XXVII. anruffung treulich erwegen. Daher auch dieſes mal nichts weiter hievon gedencken will / biß vernehmen werde / ob und wie fern der HERR ſolche einfaͤltige arbeit auch an ihm geſegnet haben mag. Dieſes einige meine doch noch noͤthig zu erinnern / weil ich weiß / daß es ſchwachen offters die ſache ſehr ſchwehr machet / nemlich / daß er dieſes ſich nicht zu einem ge - faͤhrlichen anſtoß mache / es muͤſſe nicht mehr wol mit ſeiner ſeelen ſtehen / weil er bey dem anfang ſeiner bekehrung ſo viel ſelige ſtunden gehabt / und ſo manche ſuͤßigkeit von ſeinem GOTT empfunden / davon er jetzt nichts mehr fuͤhle / aber eben deswegen ſorge / GOtt habe ihm um einiger undanckbarkeit willen ſeine vorige gnade entzogen. Denn es iſt dieſes GOttes des HErrn offtmalige art mit den ſeinigen umzugehen / daß er zuerſt groſſe freude und troſt in die ſeelen gibet / biß ſie ihn haben kennen und lieben lernen: aber nach dem entziehet er gemeiniglich ſolche empfindlichkeit / und laͤſſet es wol gar zu groſſer traurigkeit und troſtloſigkeit gerathen / damit er ſolche liebe pruͤfe / reinige / und feſt mache / auff daß nicht etwa bey fortwaͤhrender ſtaͤter freude unſre liebe mehr gegen die ſuͤßigkeit unſers Vaters als gegen ihn ſelbs gehe / welches eine gantz unordentliche liebe machen wuͤrde: alſo lehret uns GOtt / ihn auch ohne jenen troſt lieben / und uͤbet uns in ſolcher lection. Er ma - chets / wie mans etwa mit den kindern machet / die man mit zucker zuerſt in die ſchule locket / wo ſie aber derſelben nunmehr gewohnet ſind / damit inhaͤlt / und ſie gleichwol darnach nicht weniger als zuvor liebet / und ihr beſtes ſu - chet. Hierinn lerne er ſich ſchicken / und erinnere ſich zwahr offt des ſuͤſſen geſchmacks / den er vor dem gefuͤhlet / nicht aber entweder denſelben wieder - um unmaͤßig GOtt abzwingen zu wollen / oder aus dem mangel ſeinen gna - denſtand in zweiffel zu ziehen / ſondern allein in ſolcher erinnerung ſich zu ſtaͤr - cken wie wahrhafftig ſeye / was die ſchrifft von der ſuͤßigkeit GOttes zeuget / welches er ſelbs geſchmecket habe / und ihm der HErr ſolches auch wieder als - dann zu ſchmecken geben werde / wenn ers ſeiner ſeele nuͤtzlich befinden wird. Jch ſehe auch ferner / daß die ſcrupuli wegen der beſtraffung des nechſten noch nicht gantz weg ſind / wie ich aber aus dem brieff wahrnehme / daß er die rechte fundamenta, worauff er ſeine ruhe in ſolcher ſache gruͤnden ſolle / wol einſihet / ſo achte ich auch dieſe angſt vielmehr zugleich mit vor einen effect des leiblichen mali hypochondriaci, welches bey allen das nechſte objectum, ſo uns etwa einmal einen zweiffel gemacht / ergreifft / und uns damit quaͤlet / als vor einen bloſſen gewiſſens-ſcrupul: alſo will es nur dagegen gebetet / und dann noͤthig ſeyn / ſo off ein neuer ſturm davon koͤmmt / die fundamenta auch auffs neue wieder anzuſehen / und ſich damit zu beruhigen. Was ich vor dieſem geſchrieben / iſt mir nicht eben annoch in friſcher gedaͤchtnuͤß. Dißmalbitte824Das fuͤnffte Capitel. bitte nur dieſe ſtuͤcke wol zu behertzigen: die urſachen ſolcher beſtraffung ſeyen hauptſaͤchlich zwo / erſtlich der eiffer fuͤr GOTT es ehre / daß man dieſelbe nicht laſſe ſchaͤnden / und dann die liebe des nechſten / daß man ſeine ſeele / ſo viel an uns iſt / auch nicht laſſe in ſuͤnden verlohren gehen. Dieſe beyde urſa - chen geben zimliche maaß / wie wir die ſache anzugreiffen. Daher wo hoff - nung iſt / daß wir damit die ehre GOttes entweder bey dem / der ſie geſchaͤn - det / oder bey andern / ſo dabey ſind / und von unſerm ſtillſchweigen wuͤrden aͤrgernuͤß nehmen / zu retten / oder auch des nechſten ſeele zu beſſern vermoͤgen / ſo ſind wir freylich zu ſolcher ſache verbunden; wo aber grade das gegentheil ſich vorher weiſet / daß man nur das wort des HErrn dadurch zu ſpott ma - chen / mehrere ſchaͤndung goͤttlicher ehre / und fernere ſuͤnden verurſachen / folglich des nechſten ſecle nur tieffer verdammen helffen werde / ſo ſolle uns die urſach des goͤttlichen gebots mehr von demjenigen abhalten / was daſſelbe von uns zu fordern geſchienen hat. Und dahin weiſet uns unſer Heyland austruͤcklich Matth. 7 / 6. mit den bekanten worten: Jhr ſolt das heilig - thum nicht den hunden geben / und eure perlen ſolt ihr nicht vor die ſchweine werffen / auff daß ſie dieſelbige nicht zutreten mit ihren fuͤſ - ſen / und ſich wenden / und euch zerreiſſen. Wo unſer Heyland / wie aus den vorhergehenden worten abzunehmen / ſonderlich auff die beſtraffung des nechſten die abſicht hat / und mit derſelben alſo umgegangen haben will / daß wir nicht mit unvorſichtigkeit / das wort GOttes / ſo wir in ſolcher beſtraf - fung fuͤhren / zum ſpott machen / und uns unnoͤthige gefahr / ohne damit we - der GOtt noch dem nechſten zu nutzen / zu ziehen. Nun der HErr mache durch ſeine gnade unſre hertzen gewiß / und gebe uns in allen ſtuͤcken mit einer ſol - chen verſicherung / als uns noͤthig iſt / nur uns nicht zu verſuͤndigen / ſeinen willen zu erkennen / damit wir ihn auch getroſt vollbringen. Er troͤſte auch ſeine ſeele / und da ſie nach ſeinem heiligen rath zu ihrem beſten von der leibes - conſtitution einige beſchwehrde tragen ſolle / mildere er dennoch ſolche laſt / wie ers ſelig zu ſeyn erkennet / und laſſe ſie niemal zu ſchwehr werden / hinge - gen immer nach ſchwehrem gewitter ſo viel ſonnenſchein erfolgen / als die er - haltung ſeines glaubens erfordert / biß der kampff gantz verrichtet / und ein froͤlicher ſieg erfolge / noch / ſo lang es GOttes rath gut befindet / allhier in der zeit / vornemlich aber in dem mit keiner finſternuͤß vermiſchten liecht der ewigkeit. Jch werde nicht unterlaſſen / ihm auch noch mit helffen zu kaͤmpf - fen / da ich ferner fortfahren will ſeiner vor dem HErrn zu gedencken / mich hingegen auch ſeiner chriſtlichen fuͤrbitte von grund der ſeelen freuende / und um dero fortſetzung betende. 1687.

SECTIO825ARTIC. II. SECTIO XXVIII.

SECTIO XXVIII. Troſt-ſchreiben an eine hart angefochtene jungfrau / die von GOtt verlaſſen zu ſeyn ſorgte.

  • Selig iſt der menſch / der die anfechtung erduldet / denn nachdem er bewaͤhret iſt / wird er die crone des lebens empfangen / welche GOtt verheiſſen hat / denen die ihn lieb haben.

Jn unſerm lebens-fuͤrſten und erſtgebohrnen bruder geliebte jung - frau und freundinn.

WJe ſie unſer guͤtigſter Vater an einen ſchwehren kampff gefuͤhret / und derſelbe nun eine gute weile gewaͤhret habe / iſt mir von chriſtli - chen freunden berichtet worden: nun iſt mirs zwahr betruͤblich / und trage mitleiden / wegen deſſen / was ſie daruͤber an ihrem euſſerlichen men - ſchen leiden muß / welcher recht als in einem feuer der leuterung / deſſen / ihm unertraͤglich ſcheinende hitz und flammen jetzt ausſtehen muß / aber mich be - frembdet es nicht / noch aͤngſtiget mich. Dann wie ſolle ich mich deſſen be - frembden / was ein leiden iſt / welches ſo viele bruͤder und ſchweſtern in der welt betrifft / und an welches der guͤtigſte Vater gemeiniglich diejenigen vor andern fuͤhret / welche er vor andern in ſolchem ofen auserwehlet machen / und zu manchem andern guten bereiten will? So habe ich mich daruͤber nicht zu aͤngſtigen / als der ich weiß / daß GOtt getreu ſeye / und weder andere noch ſie werde laſſen verſucht werden uͤber vermoͤgen / ſo dann dergleichen kampff manchmal bereits geſehen / allezeit aber erfahren / daß er gluͤcklich und ſelig / ob wol nicht auff einerley art noch zu einerley zeit / in der gnade GOttes ab - gegangen / und der gewiſſe ſieg in unſerm ſieges-fuͤrſten unfehlbarlich erhal - ten werden wird ja muß. Alſo da ich jetzt ihr nicht zuruffen darff / daß ſie freudig und getroſt ſeyn ſoll / welches ich wol weiß / daß ſie es nicht vermag / ſo ruffe ich ihr nur dieſes zu / daß ſie in dieſem kampff nur gedultig leide / und ſtille ſeye / als verſichert / daß ſie nicht kaͤmpffen doͤrffe / ſondern ihr JESUS kaͤmpffet fuͤr ſie / ſie aber laſſe ihm nur ſein werck in ſich; ſo dann ſetze ſie die - ſes zum grunde / dieſe gedancken / welche ſie aͤngſtigen und plagen / ob ſeye ſie von GOtt verſtoſſen / ſeyen nicht ihre eigne gedancken / ſondern (wie Paulus Rom. 7. ſaget / ich thue daſſelbe nicht / ſondern die ſuͤnde ſo in mir woh - net /) es ſeyen theils feurige pfeile des boͤſewichts / der ſo viel es an ihm waͤ - re / gern das gute des HErrn in ihr wieder ausloͤſchen wolte (ſo er aber wol wird bleiben muͤſſen laſſen) und ihr alſo mit lauter ſchrecken zuſetzet / theils der in ihrem fleiſch noch uͤbrige unglaube / welcher als ein zunder jene funckenM m m m mder826Das fuͤnffte Capitel. der anfechtung fertig annimmt. Da gedencke ſie nun / wie der liebreichſte Vater darzu kommen ſolle / daß er ſolche ihre zweiffel-gedancken ihr vor ſei - nem gericht zurechnen / und ſie etwa erſt um derſelben willen verſtoſſen wolte / da er ſihet / daß es von ſeinem feinde herkommet / welcher ſolche ſchuld tragen ſolle. Daß es aber ihre gedancken und rechte hertzens-meinung nicht ſeye / findet ſie ja genug daraus / theils weil ſie gar anders von goͤttlicher uͤber ſie waltender gnade gedacht / ehe ſie von ſolchen feinden angegriffen worden / theils weil ſie ſelbs anjetzo gern anders gedencken / und einen troſt in ihrer ſee - len fuͤhlen wolte / welches verlangen wahrhafftig in ihr / und eine wirckung GOttes iſt. Jndeſſen ob wol angezeigter maſſen / neben ihrem fleiſch auch der fuͤrſt der finſternuͤß dabey ſein werck hat / und darinn gegen ſie ſtreitet / dencke ſie des wegen ja nicht / daß ſie ihm in ſeine gewalt uͤberlaſſen ſeye / wel - ches zu thun GOttes art nicht iſt / und ſie ſich verſichern wolle / daß welche der ſatan in ſeine gewalt bekommt / daß er ſie lieber in den ſchlaff der ſicher - heit einzuwiegen und damit zu faͤllen / ja mit falſcher einbildung der goͤttli - chen gnade / bey allem weltweſen unvermerckt zu bethoͤren / aber deſto gewiſſer in die hoͤlle zu ſtuͤrtzen pflege / als daß er ſie dermaſſen anfechten ſolte / da er weiß / daß ſolche anfechtung ſie mehr von der ſicherheit auffwecken wuͤrde. Alſo hat GOtt eben ſo wol ſein werck dabey / einmal daß er dem ſatan gewalt gelaſſen hat / ſie zu ihrem beſten eine zeitlang zu aͤngſtigen / da ihm hingegen bereits ſein ziel geſetzt iſt / uͤber welches er ſo wenig bey ihr als bey andern ſchreiten darff: ſo dann daß ihr Heyland ſelbs ſich ſo fern in den kampff mit ihr begebe / dieweil ſie mit ihrem feind ſtreiten muß / gleichſam die haͤnde / mit denen ſie ſich wehren ſolte / haͤlt / indem er ihr die empfindlichkeit ihres glau - bens zuruͤck zeucht / aber alles zu ihrem beſten. Wie denn gewiß der aus - gang zu ſeiner zeit weiſen muß / daß auch dieſes ein heylſamer rath ihres Va - ters und Heylandes JEſu uͤber ſie geweſen / das gute / was er in ſie geleget / wofern biß daher ſich etwas von eigner einbildung / eignerehr / eigen geſuch / eigen wolgefallen und geiſtliche hoffarth mit eingemiſchet haͤtte / und ſie es bißher nicht gewahr worden waͤre / von allem ſolchen zu reinigen / alſo wird nichts an ihr verbrennen als die ſchlacken / (die ſind ohne das zum feuer be - ſtimmet) aber das gold wird ſo viel reiner und glaͤntzender werden: und wie demuͤthig wird ſie ihr lebenlang die gnade ihres GOTT es an ſich erkennen / und ſich keinem menſchen vorziehen / weil ſie nun jetzt in dieſer ſchul lernet / was wir in und vor uns ſelbs ſeyn / ſo wir ohne dergleichen probe und kampff ſchwehrlich dermaſſen einſehen: und wie wird dieſe dadurch geſtaͤrckte de - muth auch ihre uͤbrige dadurch gereinigte gaben dermaſſen heiligen / daß ſie ihꝛ lebtag deſto fruchtbarer werden / und ſie auch ihr lebenlang deſto vorſichti - ger ſich halte. Jndeſſen da ſie nicht zu glauben meinet / als worinnen diegroͤſ -827ARTIC. II. SECTIO XXVIII. groͤſſeſte krafft ihrer anfechtung ſtecket / erinnere ſie ſich nur / was ſie offt in dem examine nicht nur gehoͤret / ſondern ſelbs bekant / daß der glaube auch wol ohne empfindlichkeit bleibe / daß GOtt das fuͤhlen offt aus heiligen ur - ſachen bey ſeinen kindern zuruͤck ziehe / und daß er alles ſolches in und aus gnaden thue. Jndeſſen kan ich ihr ihren glauben / ob ich wol nicht bey ihr bin / zeigen aus denjenigen fruͤchten / die davon unabſonderlich ſind. Fuͤh - let ſie nicht ein groſſes mißfallen an allem ihrem thun / ſo gar daß ſie auch das gute davor kaum erkennet / ſondern nur die demſelben anklebende unreinigkeit ſihet? Hat ſie nicht einen inniglichen haß gegen das boͤſe in ſich / ſo viel mehr als ſie deſſen aͤngſten fuͤhlet? Jch bin verſichert / es mangle an ſolchem miß - fallen und haß nicht / ja ſie ſeyen ihr ſelbs zur quaal worden. Ferner hat ſie nicht ein inniges verlangen nach goͤttlicher gnade und dero verſicherung / daß ſie gern alles in der welt um ſolchen troſt und gnade geben wolte? Gewiß ih - re angſt und jammerklage uͤber den mangel ſolcher empfindlichen gnade / ſind ungeheuchelte zeugen ſolches bruͤnſtigen verlangens. Wolte ſie nicht wil - lig / wo ihr der himmliſche Vater nur ſeine gnade wieder ſchencken wolte / ihr gantzes leben nach allen kraͤfften zu ſeinen ehren anwenden / und alle des vori - gen lebens gebrechen wiederum nach vermoͤgen einbringen? Jch bin verſi - chert / es mangle auch an dieſem wollen und verlangen bey ihr nicht / wie ſie ſelbs bekennet / ſie habe das wollen / aber an dem vollbringen mangle es / wo - mit ſie aber bezeuget / daß ſie in GOttes gnade ſtehe / da ſie auſſer derſelben zu ſtehen klaget / denn eben ſolches iſt der zuſtand Pauli Rom. 7. Nun alle dieſe dinge insgeſamt ſind unfehlbare zeugnuͤſſen / daß der wahre glaube / auch ohne empfindlichkeit / bey ihr ſeye. Und will ſie das rechte contrafait ihres jetzigen innerlichen zuſtandes ſehen / ſo leſe ſie in Arnds Wahr. Chriſt. in dem andern buch das 52. cap. Es wird ein menſch in dieſer noth ſo tieff in den unglauben geſtuͤrtzet / daß er ſeines glaubens nicht kan gewahr wer - den. Es zeucht ſich alle krafft des glaubens in ein punt / und in ein un - ausſprechliches ſeufftzen / darinnen noch der glaube ihm unwiſſend verborgen iſt. Und dieſer verborgene glaube iſt denn ſein unglau - be / und iſt ſeine hoͤlle und marter. Er kan in dieſer hoͤlle nicht glau - ben / daß ihm GOTT gnaͤdig ſeye / und ſpricht: ach wie gern wolt ich glauben / wenn mir GOTT die gnade gebe / mit folgenden worten: welches ſie alles fleißig leſen / und ihr bild darinnen recht beſchauen wolle. Jhre ſcrupel zu beantworten hat ſie ja 1. an ihrer heiligen tauffe im geringſten nicht zu zweiffeln; ihr vater mag dabey andaͤchtig gebetet haben / (ſo ich am liebſten hoffen will) oder nicht: Denn obwol das gebet der umſte - henden bey der tauffe dem taͤuffling ein ſo viel reichlicher gnaden-maaß er -M m m m m 2lan -828Das fuͤnffte Capitel. langen mag / ſo ich nicht widerſpreche / und deßwegen ſelbſt immer erinnere / ſolches werck heiliglich zu verrichten: in deſſen ob auch niemand mit recht - ſchaffener andacht darbey beten ſolte / ſo hat die tauffe die krafft in ſich ſelbſt aus der ordnung und einſetzung GOttes / und erlanget das getauffte kind die ihm verſprochene gnade und ſeeligkeit. 2. Solte es ſeyn / daß ſie / wie ſie ſorget / vormalen unterſchiedlich das heilige abendmahl aus mangel un - terrichts ohne pruͤffung empfangen haͤtte / ſo ſeye ſie beynebens gewiß / daß der HERR auch gedult trage mit ſeiner einfaͤltigen kinder unwiſſenheit / und hoffe ich auch / ſie werde biß daher den mehrern unterricht zu deſto fleiſ - ſiger pruͤfung ſich haben dienen laſſen. 3. Daß ſie ihren GOtt nie recht ge - liebet / gefoͤrchtet uñ ihm vertrauet habe / veꝛſtehet ſie nach dem geſetz oder nach dem Evangelio. Verſtehet ſie es nach jenem und deſſen ſtrenge / ſo hat ſie freylich die vollkommenheit ſo wenig des erſten als anderer gebote in ihrem leben erreichet / und muß ſich vor GOtt ſchuldig geben: Sie weiß aber auch aus dem Evangelio / daß der HErr JEſus das geſetz fuͤr ſie gehalten / und ſolche vollkommene haltung ſeinen glaubigen zu eigen geſchencket / ſie auch von dem geſetz freygemacht habe. Redet ſie aber davon nach dem urtheil des Evangelii / nach welchem der himmliſche Vater mit ſeiner kinder unvollkom - menem aber redlichem gehorſam / um CHriſti willen gedult tragen / und ihm ſolche gefaͤllig ſeynlaſſen will / ſo meine ich an deroſelben ſelbſt zeugnuͤß geſehen zu haben / daß obſchon nicht eine vollkommene / dannoch redliche / lie - be ihres GOttes bey ihr gefunden habe. Und ſolte ſie noch jetzt finden / wie ſie ſaget / daß auch dieſelbe mit einiger heucheley und ſcheinheiligkeit verun - reinigt geweſt waͤre / ſo erkenne ſie goͤttliche wolthat / der ſie durch dieſen ſtand zu derſelben erkaͤntnuͤß um der beſſerung willen gebracht habe / demuͤthige ſich vor ihrem GOtt deßwegen hertzlich / und liebeihn inskuͤnfftig nach dem maaß der gnaden / als ihr wird gegeben werden. 4. Was anlangt die ewige ver - ſehung und wahl GOttes / verſteige ſie ſich ja nicht in derſelben materie und hohen geheimnuͤß / und gedencke wie ich allzeit auff die einfalt in deſſen vor - trag getrieben habe. Will ſie ihre wahl ſehen / ſo ſehe ſie in die wunden ih - res JEſu / daraus ſein blut fuͤr ihre ſuͤnde gefloſſen iſt / darmit ſind alle in das buch des lebens geſchrieben / welche daſſelbe mit glauben annehmen. Daß aber der wahrhafftige glaube / obwol verborgen ligend / bey ihr ſeye / habe ihr bereits[vo]rgethan. So hat GOtt das gute / was ſie gehabt / nicht von ihr genommen / ſondern er hats in ein ſolches feuer geleget / in dem nichts als was von unreinigkeit anklebet / verbrennen ſoll / und nachdem ſie beken - net / das wollen noch zu haben / ſo weiß ſie ja / daß auch das wollen GOttes wuͤrckung / und alſo ein zeugnuͤß des beywohnenden geiſtes GOttes ſeye. 5. Hat ſie GOtt fuͤr die gnade / die derſelbe ihr / wie durch andere ſeine die -ner829ARTIC. II. SECTIO XXVIII. ner alſo auch mich im vortrag der heils-lehr erzeiget hat / nicht hertzlich genug gedancket / ſo thue ſie es noch / und zwahr in der that / daß ſie nun / was ſie von mir gehoͤret / ſonderlich wie wir nicht auff das gefuͤhl unſers hertzens / als welches auff beyderley ſeit uns betriegen kan / ſondern auff ſein wort und gnaden anerbietung gehen ſollen / in der that practiſire / und damit zeige / daß ſie es gehorſam annehme. Hingegen bilde ſie ſich nicht ein / daß weder ſie noch andere gute ſeelen verſchuldet haben / daß mich GOtt von ihnen weggenom̃en habe. Dann mein beruff hieher iſt nicht ein ſtraff-gericht / ſondern ein gna - denrath GOttes geweſen / der mich / nach dem ich in Sachſen mein tagwerck / ſo viel er mir mag beſtimmt gehabt haben / verrichtet / auch an andern ort ſen - den hat wollen / daſelbſt das Evangelium zu verkuͤndigen. Alſo ſihet ſie / daß alle ihre ſcrupel nicht ſo bewandt ſind / daß ſie uꝛſach haͤtte / darvor zuhal - ten / ob haͤtte ſie GOtt verſtoßen / da ſie doch in ſeinem gnadenſchooß unwiſ - ſend ruhet. Daher ermahne ich ſie endlich in dem HErrn / ſie lauffe ferner in gedult in dem kampff des leidens / welcher ihr verordnet iſt / und gedencke ſie ſtehe jetzt in der probe ihres GOttes / und muͤſſe nun aushalten biß auf die ſtunde der guͤtigen huͤlffe: Sie werde nicht muͤde zu ſeuffzen und zu flehen vor dem angeſicht ihres Vaters / und zwahr nicht gleich ſo viel um errettung als um ſeinen beyſtand gedultig auszuhalten. Will es mit dem gebet nicht fort / ſo ſeuffze und weine ſie dafuͤr; deucht ſie das gebet wolle nicht vor GOtt kommen / ſondern pralle zuruͤck / ſo fahre ſie dannoch fort / biß ſich der HErr ihrer erbarme: Jhre klage ſchuͤtte ſie aus vor denen / die ihr etwa moͤ - gen troſt zuſprechen / ſo viel es aber muͤglich iſt / ſo halte ſie dieſelbe zuruͤcke vor denen / die ſich in die wege des HErrn nicht zurichten verſtehen / und ſich daran ſtoſſen moͤchten: Wo ihr Prediger oder andere chriſtliche perſonen zu - ſprechen; ſo nehme ſie es an mit gehorſam / und ohne widerſpruch / wills nicht ins hertz / ſo laſſe ſie ſolang genug ſeyn / daß es in dem verlangen bleibe; Nur huͤte ſie ſich vor murrengegen GOtt oder menſchen / und wehre vornem - lich / wo das fleiſch darzu ſolte reitzen. Der HErr aber der himmliſche Va - ter / und unſer liebſte Heyland JESUS CHRJSTUS ſtehe ihr kraͤfftig bey / und laſſe ſie nimmer fallen / ſondern durch jenes liebe / und deſſen fuͤr ſie erhaltenen ſieg / ſelbſt zu rechter zeit ſiegen: Der heilige Geiſt mit dem ſie verſiegelt iſt auff den tag ihrer erloͤſung gebe auch ihrem geiſt zeugnuͤß der goͤttlichen kindſchafft / und wo ſie in der gewalt der anfechtung keinen troſt fuͤhlen kan / erhalte er ſie ohne empfindlichen troſt / biß das wetter voruͤber ſeye / und ſeine gnadenſonne wiederum ihr faſt ver finſtertes hertz auffs neue herrlich erleuchte und erfreue. Amen. Es wird und ſoll geſchehen nach goͤtt - licher treue / zu ſeiner zeit. Amen um unſers mittlers fuͤrbitters und ho - henprieſters JESU / auch ſeines kampffs und ſieges willen. Amen. JchM m m m m 3un -830Das fuͤnffte Capitel. unterlaſſe nicht auch ſeloͤſt in meiner ſchwachheit ihr kaͤmpffen zuhelffen taͤg - lich. 1691.

SECTIO XXIX. Rath uͤber eine angefochtene perſon / die durch un - verſoͤhnlichkeit ihr die anfechtung zugezogen hatte.

MEine einfaͤltige gedancken uͤber die aus dem vorgelegten caſu, vorge - legte fragen ſind dieſe. I. Ob der zweiffel an Chriſto / ſeinem leiden und aufferſtehung / ſo der tentatæ bey dem altar einge - kommen / ein ſtraff-gericht GOttes wegen gebrauchten abendmahls in unverſoͤhnlichkeit; oder eine liebes-zuͤchtigung / ihr natuͤrlich un - vermoͤgen zu erkennen / wie wir ſo gar nicht aus natuͤrlicher krafft an JEſum Chriſtum glauben und zu ihm kommen koͤnnen / ſondern der heilige Geiſt denſelben glauben im hertzen wircken muͤſſe? Hierauf ant - worte 1) daß es freylich an ſich ſelbs ein ſtraff-gericht ſeye: Jndem ich nicht nur nicht weiß / ob ſolche perſon vorher in lebendiger erkaͤntnuͤß GOttes je - mal recht geſtanden / ſondern auffs wenigſte aus der relation nehme / daß ſie wahrhafftig eine geraume zeit in einer unverſoͤhnlichkeit und bitterkeit gele - bet / auch dabey das abendmahl des HErrn gebraucht / bey ſolcher bitterkeit und haß ſpricht ihr aber die ſchrifft alle goͤttliche gnade / glauben / vergebung der ſuͤnden und das leben ab / Matth. 5 / 24. 25. 26. 6 / 15. 18 / 35. 1. Joh. 3 / 15. Daher ſie in ſolchem ſtand auſſer der gnade geweſen / keine vergebung der ſuͤn - den haben koͤnnen / folglich die ſigel derſelben ſich nicht anmaſſen ſollen / mit ſolcher anmaſſung aber des leibes und bluts des HErrn ſchuldig worden iſt. Was nun auf ſolche ſuͤnde und ſelbs in dero begehung gefolget iſt / ſehe ich des - wegen billich an als ein gerechtes ſtraff-gericht GOttes 1. Cor. 11 / 29. 30. 31. Jndeſſen 2) wie GOttes guͤte ſo groß iſt / daß er immer hier in dieſem leben der ſuͤnder bekehrung ſuchet / und wir daher nicht leicht ein einiges gericht GOttes hier in dieſer gnaden-zeit antreffen werden / daß nicht / indem der ge - rechte richter die boͤſe ſtraffet / er zugleich ſolche ſtraff zu einem mittel nach ſei - ner mit untermiſchten guͤtigen abſicht gebrauchet / die ſuͤnder zur buß zu brin - gen (wie wir das exempel an Manaſſe ſehen) alſo / daß wir auch die ſtraffen der ſunder unter die zaͤume und gebiß zehlen muͤſſen / die GOTT den roſſen und maͤulern / wenn ſie anders nicht zu ihm wollen / anleget; alſo ſehe auch die - ſes gericht / ſo die tentatam betroffen / alſo an / daß es zwahr in ſeiner natur eine wolverdiente ſtraffe ſeye / aber der HErr auch ſeine barmhertzigkeit mit untermiſchet habe / durch ſolche ſtraffen / wo ſie ſeinem ferneren gnaͤdigen rath an ſich platz laſſen / und ſeine ſchlaͤge fuͤhlen wolte / Jer. 5 / 3. ſie zu wahrer bußund831ARTIC. II. SECTIO XXIX. und erkaͤntnuͤß ihres gefaͤhrlichen und verdammlichen zuſtands zu bringen. Wie uns Paulus an gedachtem ort v. 32. auch dazu anleitung gibt. Alſo 3) will ich hoffen / ſie ſolle nicht nur zu der erkaͤntnuͤß ihrer natuͤrlichen verderb - nuͤß dadurch kommen / ſondern insgeſamt goͤttliche guͤte / ſie aus der verdamm - lichen ſicherheit / darinnen ich foͤrchte / daß ſie bey ihrer vorigen einbildung von Chriſto (indem bey ſolchem feindſeligen hertzen das liecht des glaubens nicht hat bey ihr ſeyn koͤnnen) geſtecket war / herausreiſſen / und das wahre liecht / ob etwa mit vielem und langem kampff / in ihr anzuͤnden / damit ſie auch an ihrem exempel dermaleins erfahre / wie goͤttliche gerichte allezeit mit guͤ - tigkeit vermiſchet ſeyen.

II. Ob bey ſolchem zweiffel ſie unrecht gethan / zum tiſch des HErrn zu gehen / und der gebrauch deſſelben eine urſach mehrer un - gewißheit gegeben / oder ob ſie dem zweiffel abzukommen / ſolches zur glaubens-ſtaͤrckung brauchen koͤnnen und ſollen? Hierauf antworte / wo ſich ſolche zweiffel bey einer perſon befaͤnden / welche ſonſten vorhin in goͤtt - licher gnade geſtanden / wolte ich ſagen / daß das gehen zum heiligen abend - mahl derſelben nicht ſuͤndlich oder ſchaͤdlich geweſen waͤre / indem daſſelbe ſei - ner einſetzung nach wahrhafftig eine ſtaͤrckung des glaubens bey denjenigen iſt / bey welchen dieſer ſich obwol ſchwach findet. Wann ich aber dieſe perſon nach vorangedeutetem nicht anders anſehen kan / als eine ſolche / die ſich be - reits durch haß und unverſoͤhnlichkeit auſſer GOttes gnade geſetzt / und ſchon vor ſolchem gefuͤhl des zweiffels das himmliſche liecht des glaubens ver - lohren hatte / ſo bringet ſolches mit ſich / daß ſie dann zu ſolchem ſacrament un - tuͤchtig geweſen / und durch deſſen gebrauch das gericht uͤber ſie immer ver - mehret habe / und ſie alſo ſich deſſen bey ſolcher ihrer bewandnuͤß beſſer enthal - ten haben wuͤrde.

III. Ob der darauf erfolgte horror von dem gebrauch aus teuf - feliſchem eingeben oder bloß aus forcht der unwuͤrdigen nieſſung ent - ſtanden? Hievon wolte eher das erſte erwehlen / aber auf dieſe weiſe / daß zwahr der ſatan bey einer ſeelen uͤber die er eine ziemliche gewalt erlanget / die - ſen abſcheu vor dem heiligen ſacrament erreget / nach ſeiner gewohnheit / wie er von ſelbſten geneigt iſt / alle goͤttliche einſetzungen uns zu wider zu machen: Aber daß GOTT ihm ſolches aus heiligem rath verhenget habe / damit er die ſeele / welche in fortſetzendem unbußfertigem gebrauch leichter haͤtte ver - lohrengehen koͤnnen / durch ſolche angſt auffgewecket und huͤlff zu ſuchen ange - reget werden laſſen moͤchte.

IV. Ob die darauf / als ſie aufihres Beicht-vaters / der es fuͤr eine gemeine verſuchung gehalten / einrathen / mit dem gebrauch deshei -832Das fuͤnffte Capitel. heiligen abendmahls fortgefahren / erfolgte laͤſterung oder laͤſterliche gedancken bey dem genuß deſſelben ein zeichen der goͤttlichen gaͤntzli - chen verlaſſung und teuffliſchen beſitzung oder ſorglichen wircklichen verdammung / oder weitere pruͤffung und uͤbung ihrer buß / glau - bens / gebets ꝛc. ſeye? Hierauf antworte alſo / daß ich ſolche laͤſterungen an - ſehe / nicht als eine eigenliche beſitzung des teuffels / vielweniger wirckliche ver - dammnuͤß / ſondern als ein goͤttliches gericht / der dem ſatan uͤber ihre ſeele / ſie mit ſolchen laͤſterungen anzugreiffen / gewalt gegeben habe / da ſie die dabey ausſtehende aͤngſten als etwas wol verſchuldetes billich leidet / GOTT aber hat dabey ſeine gnaͤdige abſicht / ſie eben aus desjenigen klauen herauszureiſ - ſen / dem er zu einer aͤngſtigung derſelben macht gegeben hat. Wie ſich hof - fentlich die ſache ſelbs zeiget / daß vermuthlich ſie kaum jemal etwas zu aͤngſtlicherer ſorge fuͤr ihre ſeele als die quaal dieſer laͤſterung getrieben haben mag.

V. Ob die angſt und forcht vor der verdammung noch ein kennzeichen des glaubens / oder nur eine knechtiſche forcht des unglau - bens ſeye? Dieſe frage zu beantworten / will faſt ſchwehr werden / indem zu dero entſcheidung wolte zu wiſſen noͤthig ſeyn / ob und wie viel biß daher GOttes Geiſt in dieſer geiſtlichen noth bey ihr gewircket / und ſie aus den vo - rigen ſuͤnden-ſtricken loßzumachen angefangen habe. Daher ich lieber von dem goͤttlichen rath / ſo zu beobachten iſt / die antwort faſſen will / nemlich daß dieſe angſt nicht eben gewiß ein zeugnuͤß ſeye des wahren glaubens / wol aber / daß GOTT noch gnaden-gedancken uͤber ſie / nicht aber ſie in die verſtockung uͤbergeben habe: Alſo iſt entweder der glaube in ihr / wovon zu urtheilen eini - ges mehrers von der perſon und ihrem zuſtand zu wiſſen noͤthig waͤre / oder doch zeigt ſich wiederum ein ſaͤmlein deſſelben / ſo GOTT in die ſeele kommen laſſen / welches auch wiederum / dafern ſie GOTT an ſich arbeiten laͤſt / zu - nehmen / und ein ſeliger anfang einer rechtſchaffenen bekehrung werden ſolle.

VI. Wie ſolcher armen ſeel zu helffen / bey ſolcher laͤſterung der gnaden-mittel? Dieſe frage achte unter allen die noͤthigſte / und erklaͤhre mich dahin. 1. Wird der anfang zu machen ſeyn von demjenigen / was des jammers der anfang geweſen iſt: Nemlich es muß die tentata dazu gebracht werden / daß ſie ihr voriges ſuͤndliches leben / in dero unbußfertigkeit / unver - ſoͤhnlichkeit / oder wo ſie auch ſonſten mit der welt ſich beflecket haͤtte / in allem dem / was bey ihr dem goͤttlichen willen zu wider waͤre / wahrhafftig erkenne / bereue / und von grund der ſeelen zu haſſen anfange: Wobey ſie billich allezeit gedencken ſolle / daß ſolches ihr voriges leben wahrhafftig die urſach alles ſol - ches goͤttlichen gerichts / und ſie daher ſich vor GOTT deßwegen hertzlichſt zudemu -833ARTIC. II. SECTIO XXIX. demuͤthigen verbunden ſeye. Je zu einer ſchmertzlicheren erkaͤntnuͤß ihres ſuͤnden-weſens / und alſo eigner gutheiſſung der goͤttlichen gerechtigkeit in verhaͤngung dieſer verſuchung / ſie gebracht wird werden / ſo viel feſterer grund zu allem uͤbrigen wird bey ihr geleget ſeyn / und nachmal der wunde koͤnnen das heil-pflaſter auffgeleget werden / wo ſie erſtlich von demjenigen unflath wird recht gereiniget ſeyn. Jch wolte deswegen zu ihrem beſten rathen / daß ſie einem gottſeligen vertrauten freund und Prediger ihr gantzes leben / und was ihr gewiſſen ſie in einigem beſchuldigen moͤchte / anvertraute / damit der - ſelbe genau acht gebe / durch was etwa ohne die bekante unverſoͤhnlichkeit noch ferner bey ihr ſolches goͤttliche gericht gereitzet worden ſeyn moͤchte. Wie dann gewiß iſt / daß je auffrichtiger ſie ihre buß anſtellet / ſo viel beſſer auch alles uͤbrige zu ihrer beruhigung gemeinte anſchlagen werde.

2. Wo ſie nun erſtlich ihr hertz dermaſſen gereiniget haben wird von demjenigen / was alle uͤbrige goͤttliche wirckungen ſonſten hindern wuͤrde / haͤt - te ſie zu trachten / wie ſie durch chriſtliche freunde und Prediger von allem dem / wodurch die hiſtoria von Chriſto dem buchſtaben nach bekraͤfftiget werden kan / wie man etwa einen Heyden erſtmals unterrichten wuͤrde / ja insgemein auch von der goͤttlichkeit der heiligen ſchrifft / in dem verſtande uͤberzeuget / und hingegen was ihr von ſcrupeln beywohnet / mit grund benommen wuͤrde.

3. Hiebey hat ſie ſtaͤtig GOTT hertzlich zu beten / und auch anderer chriſtlichen fuͤrbitte zu gebrauchen / daß ſich derſelbe ihr erbarmen und ſein liecht in ihr anzuͤnden / alſo dasjenige / worvon ſie mehr und mehr nach dem buchſtaben bekraͤfftiget wird / auch bey ihr lebendig machen wolle: Mit ſtaͤter demuͤthiger bekaͤntnuͤß / wie ſie ſein liecht vorher in ſich durch nachlaͤßigkeit und ſuͤndliches leben zwahr ausgeloͤſchet habe / daher es wiederum zu erlangen nicht wuͤrdig waͤre / hingegen ſolche gnade allein von ſeiner barmhertzigkeit verlange: Auch vielmehr bitte / daß der HErr ſie nicht gar von ſeinem ange - ſicht verſtoſſen / ſondern ſein liechtlein wiederum in ſie geben / alſo die andere angſt von ihr nehmen / und ſie mit empfindlichem troſt erquicken wolle / ja ſich willig darzu reſolvire / wenn ſie der HErꝛ ihr lebtag in ſolchem kampff und mit zweiffel angefochten werden laſſen wolte / ſolches ohne murren wider ihn / als von dem ſie es verſchuldet / zu tragen / und ſich allein an ſeiner gnade / wenn er derſelben nur einige zeugnuͤſſen ihr gebe / zu vergnuͤgen. Wie denn ſolche de - muͤthige unterwerffung unter goͤttlichen willen / wenn derſelbe uns auch in dem geiſtlichen / dasjenige / was wir gern haͤtten / verſaget / und uns nur mit der euſſerſten nothdurfft zu frieden ſeyn heiſſet / wo ſie recht von grund der ſee - len gehet / das kraͤfftigſte mittel iſt / alles von dem HErrn zu erlangen / nach dem exempel des Cananaͤiſchen weibes / ſo mit den geringſten broſamen ſich nach hundes-art begnuͤgen wolte / aber deſto mehr von ihrem Heyland erlan -N n n n nget.834Das fuͤnffte Capitel. get. Jch weiß / daß es ſolchen lieben leuten ſauer wird / ſich dazu zu reſolvi - ren / aber damit kommen ſie am erſten davon.

4. Nebens ſolchem gebet hat ſie auch fleißig GOttes wort / ſonderlich das Evangelium zu leſen und zu betrachten / auch ſich die dabey auffſteigende zweiffel nicht abhalten zu laſſen / vielmehr dem heiligen Geiſt platz zu geben / daß er durch daſſelbe in ihr zu ihm gefaͤlliger zeit wircke / auch dabey ein ſolches leben zu fuͤhren / daß von dem groͤſten biß auf das geringſte mit aller ſorgfalt nach den regeln Chriſti eingerichtet / ſo dann dem zuſtand derer / welche unter einer ſo ſchwehren zuͤchtigung liget / gemaͤß ſeye / daher ſie ſich ſo vielmehr in allen ſtuͤcken der demuth gegen jederman / der ſanfftmuth / der liebe / der gedult befleißigen / und hingegen aller welt-freuden / weil ſie der HErr in einen trauer-ſtand geſetzt / entſchlagen ſolle / auf dieſe weiſe der zeit des goͤttlichen troſts erharrende.

5. Wenn ſie nun in ſolcher rechtſchaffenen buß ſtehet / und ſich derſel - ben redliche fruͤchten bey ihr / als goͤttliche wirckungen / zeigen / ſamt dem hertz - lichen verlangen nach der empfindlichkeit des glaubens / in welcher derſelbe bey denen der goͤttlichen krafft nicht vorſetzlich widerſtehenden ſich gewiß ſelbs findet / ſo kan ſie mit treuem rath ihres Predigers / welcher auch ſeines orts ihre vorbereitung ſorgfaͤltig befoͤrdern wird / wiederum zu dem heiligen abendmahl gehen / und darff ſich nicht mehr den vorigen horrorem oder ein - fallende zweiffel / mit denen es nun bey geaͤndertem zuſtand ihrer ſeelen gantz eine andere bewandnuͤß hat / abhalten laſſen / ſondern ohnerachtet deſſen durchbrechen / und ſich verſichern / daß der HErr ſie in gnaden anſehen werde. Deſſen erleuchtenden / troͤſtenden / ſtaͤrckenden und regierenden gnade ich ſie auch empfehle / und ferner ihn demuͤthig anruffen werde / daß er ſo wol denen / die mit ihr zu handeln haben / die goͤttliche weißheit verleihen / als auch dieſe ihre / obwol aus eigner verſchuldung ihr ſelbs zugezogene verſuchungen dazu ſegnen wolle / daß welche vielleicht in voriger ſicherheit haͤtte moͤgen verlohren gehen / nun durch die zweiffel auffgewecket erſt recht zur wahren ſorgfalt ihres heils und der goͤttlichen gewißheit kommen / alſo ein neues exempel der goͤttli - chen guͤte / ſo auch der ihrigen ſuͤnden zu ihrem geiſtlichen beſten zu verwenden / und aus dem gifft einen theriac zu machen verſtehe und vermoͤge / zu dero herr - lichen preiß werden / und alſo das ende des glaubens endlich erlangen moͤge durch JEſum Chriſtum. Amen. 1688.

SECTIO835ARTIC. II. SECTIO XXX.

SECTIO XXX. Troſt-ſchreiben an eine chriſtliche jungfrau / uͤber die fuͤhlung fleiſchlicher geluͤſte / weniger frucht des em - pfangenden heiligen abendmahls / eigenem mißfallen an ſeinem Chriſtenthum / aͤrgernuͤß anderer unwuͤrdiger mit-communican - ten. Ob man das abendmahl allein aͤrgernuͤß zu vermeiden gebrauchen ſolle.

Goͤttliche gnade / liecht und troſt in unſerem liebſten Heiland!

Jn demſelben unſerm erſtgebohrnen bruder geliebte Schweſter.

JCh habe deroſelben wehemuͤthige klage / ſo ſie in meinen ſchooß ausge - ſchuͤttet / wol verſtanden / und ach daß ich recht tuͤchtig ſeyn moͤge / alles ihrer ſeelen noͤthige bey ihr auszurichten. Sie traͤget das gute ver - trauen zu mir / daß in goͤttlichem liecht die bewandnuͤß ihrer ſeelen mit allen umſtaͤnden erkenne. Aber ach daß ich ſolches bey mir finden koͤnte / und nicht vielmehr klagen muͤßte / daß mein GOTT mir zwahr / mehr als ich wuͤrdig bin / die gnade gegeben habe / ſeinen willen und wahrheit insgemein andern vorzutragen / aber wo es auf die application und urtheil kommt / abſonderlich wie ſich dieſer und jener perſon zuſtand befinde / ſo manglet mirs leider an ſol - chem liecht allzuſehr. Doch trage dieſes vertrauen zu GOTT / er werde mir dasjenige / was ich weder ſelbs habe / noch vor mich wuͤrdig bin / dieſesmal um ihrentwillen geben / da er ihr hertz zu mir geneiget / in ſeiner ordnung von mir / als ſeinem diener / rath und zuſpruch zu ſuchen / daher ers auch nicht wird laſſen vergebens ſeyn. Jn ſolcher zuverſicht / ſo will ſuchen / deroſelben bey - wohnende ſcrupul und ſorgen nach der gnade GOttes / die er mir verleihen wird / auffzuloͤſen / und zu beantworten. Jch ſehe nun 1. ihr erſtes anligen uͤber die boͤſe fleiſches-geluͤſten / mit denen ſie zu kaͤmpffen habe / und ſorget / es haben dieſelbe den platz eingenommen / da GOttes liebe wohnen ſolte. Liebe Schweſter / ich will dieſe ſuͤnde nicht geringe machen / ſondern erkenne freylich / daß auch ſolche unreinigkeit uns vor den augen des reinen GOttes / da er uns an uns ſelbs anſehen will / zu einem greuel machen / und von ſeinem anſchauen uns ausſchlieſſen muͤßten: Jch will auch nicht eben entſchuldigen ihre in vori - gen jahren gehabte beluſtigung in denſelben und gethane nachhaͤngung / da - durch ſolche verſuchung erſtarcket ſeyn mag / und ſie jetzo nach GOttes heili - gem willen zu ihrer ſo viel mehrer und ſtaͤtiger demuͤthigung deſto oͤffter mit dieſem feind kaͤmpffen muß / und keinen voͤlligen ſieg noch davon tragen kan; weil ſie einmal demſelben mehr platz gelaſſen: Wie auch einer / der etwa durchN n n n n 2unmaͤßig -836Das fuͤnffte Capitel. unmaͤßigkeit oder ſonſten ſeine geſundheit verdorben / nachmals / da er nun in GOttes gnaden ſtehet / dannoch ſolches ungemach zu ſtaͤter erinnerung ſeiner ſuͤnden leiden muß: Ja ich will auch nicht entſchuldigen / wo ſie ſeither nicht ſo ernſtlich gegen ſolchen ihren feind geſtritten / oder ſo vorſichtig deſſelben liſt und angriff wahrgenommen / und ihnen zu entgehen ſich bemuͤhet hat: Vielmehr vermahne ich ſie in dem nahmen des HErrn / ſich fleißig zu unterſuchen / aus was gelegenheit und anlaß einige mal ſolches fener in der aſchen wieder anzuglimmen beginnet / damit ſie ſich ſo wol vor dem HErrn deswegen demuͤthige / als auch in dem neuen gehorſam deſto vorſichtiger alle die ſteine des anſtoſſes ſuche zu vermeiden. Jn - deſſen ſehe ich gleichwol auch ſolche ihre fleiſchliche luͤſten nicht an als eine ſuͤnde / die ſie aus der gnade GOttes ſetze. Sie erkennet ja dieſe fleiſches - luſt als ihren hauptfeind / und kaͤmpffet gegen ihn / ſo dienet ſie ihm alſo nicht. Nun nicht diejenige / die das fleiſch an ſich haben / fuͤhlen / und von ſeinen luͤ - ſten angefallen werden / ſind deswegen auſſer Chriſto / ſondern allein die nach demſelben wandlen / und alſo trachten dieſelbe zu erfuͤllen. Vor welchem grad ſie aber ihr guͤtiger Vater noch bißher durch ſeinen Geiſt bewahret ha - be / vielmehr bezeuget ſie ja eine ſehnliche angſt ihres gewiſſens auch uͤber die - ſe ſuͤnde: und hat ſchon deren ein zeugnuͤß der gnade GOttes / weil ſie ſolche natuͤrliche verderbnuͤß / und dero auch in ihr bleibende geluͤſte / ſo ſchmertzlich erkennet / da hingegen / welche auſſer der gnade ſtehen / dieſelbe gantz geringe / ja kaum vor ſuͤnde achten / geſchweige daß ſie ſich deswegen vor GOtt demuͤ - thigen ſolten: alſo iſts ſchon ein zeugnuͤß des guten beywohnenden Geiſtes / der ſie die art des geiſtlichen geſetzes hat einſehen / und diejenige ſuͤnden / wel - che fleiſch und blut oder die vernunfft nicht erkennet / recht erkennen laſſen. Wie Paulus Rom. 7. nicht eher die luſt / wie ſuͤndlich ſie ſeye / erkante / biß er das geſetz mit gantz andern augen / als vorher einzuſehen lernete. Jedoch ſeye ſie fleißig auff ihrer hut / und da ſie dieſen brunn nicht auslaͤhren kan / befleißige ſie ſich deſtomehr die ausbruͤche zu verſtopffen / und betaͤube ihren leib auff alle thunliche und nuͤtzliche weiſe. Jch bemercke noch ferner / daß ſie ihr und der goͤttlichen gnade ſelbs unrecht thut / wo ſie meinet / die fleiſchliche luſt habe in ihr den platz genommen / wo die liebe und gnade GOttes ſonſten wohnen ſolte. Nun iſt zwahr wahr / die liebe GOttes ſolle unſre gantze ſeel und leib einnehmen / und alſo wo die fleiſchliche luſt ſich findet / gehoͤrte der platz eigenlich der liebe GOttes. Aber der hauptſitz der gnade iſt in der ober - ſten und innerſten krafft der ſeele / da hingegen ihre fleiſchliche luſt in den an - dern und mit dem leib am nechſten verknuͤpffeten kraͤfften iſt. Jene obere krafft aber beherrſchet dieſe / und alſo da in derſelben die liebe GOttes vorhanden iſt / auch ſich eben darinnen zeiget / daß ſie ſtaͤtes mißfallen an den ſuͤnden undver -837ARTIC. II. SECTIO. XXX. verlangen eines beſſern wircket / ſo ſihet ſie ja / daß ſolcher vornehmſte platz noch demjenigen eigen bleibet / dem alles aus allem recht gebuͤhret. Sie ge - dencke fleißig und erwege fleißig den ſpruch Rom. 7 / 25. mit vor und nach - gehenden: ſo wird ſie ſich in die ſache fein ſchicken koͤnnen.

2. Den andern ſcrupul ſehe ich dieſen / daß ſie nach mehrmaligem gebrauch des heiligen abendmahls ſo wenig beſſerung bey ſich ſpuͤhre / und deswegen in die gedancken gerathe / obs nicht beſſer waͤre / ſich gar deſſelben zu enthalten / und nicht ein ſchwehrer gericht ſich beyzuziehen. Hie will ich ſie abermal nicht ſicher machen / wo ſie bey ſich findet / daß aus ihrer verſaͤumnuͤß / traͤgheit und unachtſamkeit vieles von der frucht / ſo ſonſten bey ihr folgen ſoll / ausgeblie - ben waͤre: ſondern auch dieſe ſuͤnden gehoͤren mit unter diejenige / welcher wegen ſie immer auffs neue wiederum gnade ſuchet: Aber gleichwol bey al - lem dem / meine geliebte / laſſet uns gedencken / was die rechte art unſers Chriſtenthums / ſo lang wir noch in dem fleiſch leben / ſeye / und wozu das heilige abendmahl eingeſetzet worden. Was jenes anlangt / ſo laßt uns ja nicht gedencken / daß unſer Chriſtenthum jetzo ſchon beſtehe in einem eigenli - chen fromm ſeyn / ſondern in einem taͤglichen fromm werden / das iſt / daß wir wo wir auch unſerm GOtt treu zu ſeyn uns befleiſſen / dannoch noch taͤglich an uns dergleichen antreffen / das zu beſſern noͤthig iſt. Wes wegen unſer Chriſtenthum ſchon in gutem ſtand zu ſeyn erkant werden muß / ſo lang ein ernſtlicher und redlicher wille des guten und fleiß in demſelben ſich findet. Ja derjenige hat ſchon eine wahre frucht der beſſerung / der in ſolchem fleiß und willen fortfaͤhret. Sonderlich aber iſt das heilige abendmahl eine art der artzeney / welche nicht den geſunden ſondern den krancken gebuͤhret: ja auch welche uns nicht eben ſo bald gantz geſund machet / ſondern allein wehret / daß die kranckheit nicht uͤberhand nehme / und toͤdtlich werde. Wie denn wo die frucht des heiligen abendmahls dieſe waͤre / daß damit alle gewalt der ſuͤnden gebrochen / und inskuͤnfftige der menſch ſo davon frey wuͤrde / daß er keines weitern ernſtlichen kampffs mehr bedoͤrffte / ſo wuͤrden wir deſſelben nicht mehr als etwa ein oder etliche mal zu gebrauchen habẽ / uñ nachmal unſer leb - tag nicht mehr ſein benoͤthigt ſeyn: dahingegen unſeꝛ Heyland ſolches gnaden - mahl eingeſetzet / daß wir immer in demſelben ſeinen todt verkuͤndigen ſollen / welches anzeiget / daß wir noch immer dasjenige an uns haben / zu deſſen ver - ſoͤhnung wir ſtaͤts auffs neue der krafft des todes CHriſti bedoͤrfften. Da - her derjenige nicht klagen darff / daß das mehrmal genoſſene abendmahl oh - ne frucht geblieben ſeye / welcher noch in der begierde in dem guten zuzuneh - men / und in dem fleiß zu derſelben geblieben iſt / und ſich darinnen findet. Dann auch dieſe erhaltung in ſolchem guten iſt eine ſelige wirckung dieſer himmliſchen ſpeiſe. Dahero wir ja dieſen gedancken nicht bey uns platz laſſenN n n n n 3muͤſ -838Das fuͤnffte Capitel. muͤſſen / wir wolten des heiligen abendmahls uns enthalten / weil wir keine frucht davon biß dahin geſpuͤhret / nemlich weil wir noch nicht zu demjenigen grad der vollkommenheit gekommen / nach welchem wir ſtreben / da doch die - ſes ſchon eine herrliche krafft iſt / wo es uns geſtaͤrcket / daß wir noch bißher beſtanden ſind. Laßt uns ein exempel nehmen: Es hat einer eine gewiſſe kranckheit vom ſtein / kopffſchmertzen oder dergleichen ſiechen / mit welcher er ſich ſein lebtag ſchleppen muß / wie etwa mehrere dergleichen ſind / von denen man ſelten eine voͤllige befreyung in dieſem leben hoffen kan: Er hat hingegen auch eine gewiſſe artzeney / die er dagegen braucht. Da wuͤrde nicht weißlich gethan ſeyn / wo er ſolche artzeney / nachdem er ſie unterſchiedliche mal ge - braucht / und fuͤhlet / daß er darum ſeiner kranckheit nicht gantz frey wird / des - wegen gar unterlaſſen wolte / als die denn unnuͤtz waͤre. Da er doch erken - nen ſolte / daß auch dieſes ſchon ein nutze der artzeney ſeye / daß ſie wehret / daß der zuſtand nicht allzuarg werde / und uͤberhand nehmen / ſondern daß man noch dabey ausdauren koͤnne / ſo vielleicht ohne ſolche artzeney nicht geſchehen wuͤrde. Alſo ob wir von dem heiligen abendmahl noch die krafft nicht ha - ben empfangen / daß wir die macht der ſuͤnden nicht mehr fuͤhleten / oder dawi - der zu ſtreiten haͤtten / ſo iſts gnug / daß wir dieſe frucht davon genieſſen / daß wir ſolchen ſuͤndlichen anlaͤuffen deſto beſſer widerſtehen moͤgen. Dann weil ja der glaube das kraͤfftigſte mittel iſt / alle geiſtliche feinde zu uͤberwinden / ſo iſt die verkuͤndigung des todes CHRJſti in dem heiligen abendmahl ein kraͤfftiges mittel der ſtaͤrckung des glaubens / und folglich des kampffs wider die ſuͤnde. Solte ich alſo nicht mehrmal mit dieſer himmliſchen ſpeiſe und tranck geſtaͤrcket ſeyn worden / ſo moͤchte ich bißher in dem kampff gegen die ſuͤnde untergelegen und uͤberwunden ſeyn worden. Es bleibet einmal ge - wiß / der leib und blut unſers Heylands / die er uns gleichwol unzweiffentlich gibt / koͤnnen uns nicht ohne nutzen bleiben; ſpuͤhren wir keinen abſonderli - chen nutzen / welchen ich gerad zeigen kan / ſo habe ich billich meine bißherige erhaltung ſo demſelben als uͤbrigen gnaden-mitteln / ohne genaue unterſu - chung (die etwa unmuͤglich) wie viel ein jegliches beſonders zu der ſache ge - than habe / insgemein zuzuſchreiben / und irre daran nicht. Daher will unſre chriſtliche einfalt dieſes von uns haben / daß wir / weil es der HErr be - fohlen / auch in dieſem mahl ſeinen todt verkuͤndigen / und uns verſichern / es ſeye niemal ohne nutzen / ob wir auch denſelben nicht ſo eigenlich fuͤhlten / wie ich auch in dem natuͤrlichen nicht eben zeigen kan / von welcher mahlzeit / die ich gethan / dieſe oder jene krafft mir hergekommen ſeye / bin aber verſichert / jegliche thue das ihrige zu erhaltung des lebens und deſſen kraͤfften. Zwahr dafuͤr muß ich mich freylich huͤten / daß ich ſolche theure ſpeiſe nicht zum ge - richt empfange / niemand aber empfaͤngt ſie zum gericht / wer ſich ſelbspruͤ -839ARTIC. II. SECTIO XXX. pruͤfet und richtet / und eben gegen das gericht / deſſen er ſich ſchuldig fin - det / ſeinen troſt in dieſem theuren pfande ſeiner erloͤſung ſuchet. 3. Der dritte ſcrupel iſt / ihr Chriſtenthum wolle ihr ſelbs nicht gefallen / wie viel weniger ſolte es denn GOTT gefallen / vor deſſen augen nichts an - ders als heiliges und reines beſtehen kan. Hie laſſet uns aber gedencken / es ſeye dieſes ſchon ein Gott gefaͤlliges thun / daß uns unſer Chriſtenthum / das iſt / unſere eigene gerechtigkeit / die in uns ſich finde / nicht gefalle: hingegen wo wir an uns ſelbs anfangen gefallen zu tragen / und uns vor uns ſelbs ge - recht zu ſchaͤtzen / ſo werden wir dem HErrn ein greuel / und mißfallen ihm euſ - ſerſt: aber die opfer / die Gott gefallen / ſind ein geaͤngſter geiſt: Woruͤber aber geaͤngſtet: Gewißlich uͤber nichts anders / als uͤber die erkaͤntnuͤß ſeiner ſuͤn - den und unvollkommenheit. Weil aber unſer Chriſtenthum nicht allein / ja nicht hauptſaͤchlich / beſtehet in demjenigen was an uns iſt / wieweit wir in der heiligung zugenommen haben / ſondern beſtehet vornemlich in CHriſto ſelbs und in ſeinem verdienſt / wie uns derſelbe zur ver gebung unſer ſuͤnde ge - ſchencket iſt / ſo durch den glauben allein ergriffen wird / ſo muß uns ſolch un - ſer Chriſtenthum auch wolgefallen / weil ſolche gnadenguͤter GOtt gefallen / die uns von ihm geſchencket ſind; und da muͤſſen wir lernen in der frage / wie wir vor GOtt beſtehen / unſere augen von dem articul der heiligung / wie weit wir ſchon in derſelben gekommen ſeyn / abziehen / und hingegen auff den articul von der erloͤſung und gnugthuung Chriſti wenden. Denn in denſelben allein finden wir unſere ſeelen-ruhe. So iſts zwahr in gewiſſer maaß wahr / daß GOtt nicht gefallen koͤnne / was nicht heilig und rein iſt. Es gilt aber ſolches allein nach dem geſetz. Denn nach dem gnadenbund hat GOtt zuge - ſagt / daß er in gnaden bey uns annehmen wolle / was noch ſehr mangelhafft iſt / wann wir nur durch den glauben in Chriſto ſeyen: Ja dieſer iſt allein der - jenige / welchen GOtt von uns / da wir ſeiner in dem glauben theilhafftig[werd]en / anſehen will / und an demſelben / folglich auch an uns / da wir in ihm ſind / ein wolgefallen hat. Und ſo iſts wiederum wahr / daß GOtt nichts ge - falle / was nicht heilig und rein iſt / dann CHriſtus iſt ja heilig und rein / und in ſeiner heiligkeit ſind wirs vor Gott / die wir noch ſo viel unheiligkeit in und an uns haben. Aber ſo iſt unſere wahre gerechtigkeit viel eine andere / als die des geſetzes iſt / ſondern die gemeldete gerechtigkeit CHriſti. Ach daß der HErr uns dieſe lebendig zu erkennen gebe / daß wir dasjenige / was wir in CHriſto haben / vielmehr als was in uns iſt / anzuſehen lernen! So wird uns recht wol und unſer gewiſſen mit dem blut JESU recht gereinigt wer - den. 4. Den vierdten ſcrupel halte denſelben zu ſeyn / daß ſie allein anderer aͤrgernuͤß zu vermeiden / hinzugehen wolle. Aber geliebte Schweſter / die - ſes iſt nicht die rechte wahre urſach. Wir ſind aͤrgernuͤß zu vermeiden die dinge zuthun ſchuldig / welche ſonſten nicht eben nothwendig noch von GOttaus -840Das fuͤnffte Capitel. austruͤcklich geboten waͤren: Da fordert die liebe von uns / was wir ſonſten unterlaſſen koͤnten. Hie aber von dem heiligen abendmahl haben wir den unwiderſprechlichen befehl unſers liebſten Heylandes / thut ſolches zu mei - nem gedaͤchtnuͤß / und ihr ſollt den tod des HERRN verkuͤndigen. Dieſen befehl ſehe ſie recht an / ſo wird ſie glauben / ſie ſeye ſchuldig / ſolche art der verkuͤndigung des todes des HErrn zu begehen / ob ſich auch niemand daran aͤrgerte / da ſie es unterließe. Sie glaubt ja / daß von dem tode des HErrn ihr alle krafft der vergebung der ſuͤnden und auch des neuen lebens komme / und daß der HErr dieſelbe mit ſeinem leib und blut gebe / da ſolle ſie der glaube ſelbs dahin treiben / ſolcher guͤter ſich ſuchen theilhafftig zu - machen. Sie weiß / wie hochnoͤthig ſie der ſtaͤrckung in dem geiſtlichen noͤ - thig habe / da ſolle ſie der hunger ſelbs zu dieſer mahlzeit treiben. Alſo iſt der befehl des HErrn / der nutzen der uns verſprochen wird / und unſre eigne noth ſchon wichtige urſachen / um welcher willen wir uns bey dieſem tiſch ein - finden ſollen / ob wol endlich auch die liebe nicht ausgeſchloſſen wird / die das aͤrgernuͤß des nechſten gern verhuͤten will. Jch komme endlich auff den 5. ſcrupel der von andern / die das heilige abendmahl nicht mithalten / und mit allerhand meinungen / auch richten des nechſten / ſich verſuͤndigen / genomme - ner aͤrgernuͤſſe. Aber geliebte ſchweſter / laßt uns ſolche aͤrgernuͤſſen mit hertz - lichem mitleiden und gebet zu GOtt anſehen / nicht aber durch dieſelbige im geringſten uns von unſerem guten weg abhalten laſſen. Anderer irrthum und fall wird uns ſo wenig ſchaden / als uns anderer wahrheit und recht - ſchaffenheit nutzen wird / ohne deroſelben ſelbſten theilhafftig zu ſeyn. Es iſt dieſes ein betrug des ſatans / und verhengnuͤß des goͤttlichen gerichts / daß einige an der einfalt des Evangelii / ſo wir von jugend auff aus GOTTES wort gelernet haben / und fuͤr ſolche dem HErrn ſtets danckbar ſeyn ſolten / auff allerhand ſonderliche neue meinungen verfallen / und weil ſie andere〈…〉〈…〉 unrein achten / ſich ihres abendmahls enthalten wollen / aber ſich damit an GOtt und an den bruͤdern verſuͤndigen. Laſſet uns hingegen bey GOt - tes wort allein bleiben / und dem HErrn dancken / daß er uns in eine ſolche kirche geſetzet hat / welche ob ſie in andern ſtuͤcken auch viele verderbnuͤß in ſich hat / gleichwol die lehr noch rein behalten. Laſſet uns unſere nechſten nicht richten / noch ſie ſo boͤſe achten / daß wir auch von derſelben gemeinſchafft in den guten wercken uns verunreinigt zu werden ſorgen wolten. Vielmehr laſſet uns glauben / wir ſind ſelbs ſchwehre ſuͤnder / die nicht anders als aus der barmhertzigkeit unſers GOttes das heil zu erwarten haben / und darinn ſolches bey Chriſto ſuchen wollen: geſchihet nun ſolches in geſellſchafft an - derer / deren ſuͤnden uns mehr in die augen leuchten / ſo laſſet uns glaubeu / wir ſeyn wuͤrdig / unter dieſen zuſtehen / wollen aber zufrieden ſeyn / da unsun -841ARTIC. II. SECTIO XXX. unter denſelben gnade von unſerm Heyland widerfaͤhret. Dieſe demuth wird uns nicht ſchaden ſondern nutzen / und der glaube bey derſelben erhaͤlt fuͤr uns gewiß die uns noͤthige gaben. Und ſo wenig den Judam genutzet / daß er unter 11. wuͤrdigen juͤngern zuerſt dieſes ſacrament genoſſen / ſo wenig wirds einem frommen und wuͤrdigen Petro ſchaden / ob ers unter 11. die Judaͤ gleich waͤren / empfinge. Dann der gerechte lebet nicht eines andern / ſondern ſei - nes / glaubens. Laſſet uns auch nicht darob aͤrgern / wo unter denen / wel - che einen guten anfang der wahrheit gehabt haben / trennungen vorgehen. Dann es war die kirche zu Corintho von dem Apoſtel ſelbs mit goͤttlicher weißheit gepflantzet / und dannoch in der ſelben fanden ſich noch in lebzeiten deſſelben ſpaltungen und ſchwehre aͤrgernuͤſſen: daß er ſelbs ſaget: Es muͤßen rotten unter euch ſeyn / auff daß die ſo rechtſchaffen ſind un - ter euch offenbar werden. 1. Cor. 11. Was wollen wir dann nicht von un - ſern zeiten und bewandnuͤß unſerer kirche ſagen? Doch hoͤren wir hie / ſolche aͤrgernuͤſſen und trennungen ſollen noch einen nutzen haben in pruͤfung und offenbahrung derjenigen / die rechtſchaffen ſind / unter welchen zu ſeyn wir uns allein befleiſſen muͤſſen. Alſo laſſet uns ſtaͤts allein ſehen auff unſern GOtt und Heyland JEſum / und nicht auff menſchen: haben wir ſein gebot vor uns / ſo laſſet uns thun / was ſolches fordert / und nicht gedencken / ob und was andere thun. Sehen wir an andern gutes / ſo laſſet uns GOtt dancken / und dem exempel folgen / ſehen wir boͤſes oder aͤrgernuͤß / ſo laſſet uns daruͤber feufftzen / aber ja nicht folgen / ſondern die ſache GOtt befehlen / ſo ſtehen wir feſt / dann der HErr iſt allein der unbewegliche grund. Sonderlich laſſet uns die rechte lehr der gnadẽ / wie wir nicht aus unſrer gerechtigkeit / oder aus den fruͤchten des glaubens / ſondern aus pur lauter gnade und zurechnung des verdienſts unſers Heylands ſelig werden muͤſſen / feſt halten: daher die gewiß - heit unſers heils nicht an der vollkommenheit unſer heiligung ſondern an der gnade und dero verſicherung in dem glauben / deſſen gewißheit aber wieder - um nicht an der vollkommenheit / wie weit wir ſchon zugenommen / ſondern an der auffrichtigkeit unſers hertzens vor GOtt / lige. Haben wir dieſes feſt in dem hertzen / liebe ſchweſter / ſo ſind wir zimlich verwahret gegen die meiſte aͤrgernuͤſſen / welche aus der nicht recht eingenommenen gnaden-lehr herkom - men: und aus ſolcher wahren lehr wird unſer hertz ſich lernen recht freuen in ſeinem GOtt. Der HErr JEſus ſegne auch dazu ihr chriſtliches vorhaben / und gebe ihr nicht nur mit dem munde ſeinen wahren leib und blut zu em - pfangen / ſondern auch in der ſeele die krafft ſolcher himmliſchen ſpeiſe zu ko - ſten / und neue ſtaͤrcke zu erlangen gegen alle aͤrgernuͤſſen des fleiſches / der welt und dero fuͤrſten ſelbs / ja je mehr und mehr himmliſch zu werden / wie er iſt / der ſie zu ſeiner wohnung und braut auserkohren hat.

O o o o oP. S. 842Das fuͤnffte Capitel.

P. S. Liebe Schweſter. Ach fahret fort / wie ihr euch erklaͤhret / den elenden zuſtand ſeiner Chri - ſtenheit unſerm liebſten Heyland treulich und unablaͤßig (wozu ihr vor an - dern mehrere gelegenheit habt) vorzutragen. Er iſt ja ſo bewandt / daß er kaum elender ſeyn koͤnte. Alſo iſts wachens und betens zeit. Aber der HERR wird drein ſehen / und die tag und nacht zu ihm ruffen / retten in kur - tzem. 168 ...

SECTIO XXXI. Kath und troſt aneinen / der ſich von ſeiner herr - ſchafft unrecht zu leiden davor hielte / und daruͤber auch in geiſtliche anfechtungen geriethe.

JCh habe mit nicht weniger beſtuͤrtzung und betruͤbnuͤß deſſelben ſchrei - ben in Franckfurt kurtz vor meiner abreiſe hieher nach Schwalbach empfangen und geleſen / und zwahr nicht alſo bald daſelbſten antwor - ten moͤgen / aber einen theil der hieſigen ruhe zu dieſer beantwortung anwen - den ſollen. Zum allerforderſten verſichere ich mich aus mir von langem be - kanter alter redlichkeit / daß in facto, wie derſelbe erzehlet / ſich alſo alles ver - halte / und er demnach in ſeinem hertzen und gewiſſen ſeiner voͤlligen un - ſchuld verſichert ſeyn werde. Dann wozu wuͤrde es nutzen / einem als ich bin / der zu der hauptſache nichts zuthun vermag / die unſchuld perſvadiren wollen / die ſich nicht alſo verhielte / und es etwa dermaleins geſchehen moͤch - te / daß ich ſelbſt ein widriges anderſther vernehmen / und denjenigen / welcher mich auch mit angemaſter unſchuld zu betriegen geſuchet haͤtte / ſo viel ſchul - diger achten muͤſte? So hafftet auch kein troſt zu heilung der ſeelen-wun - den / als lang wo die angemaßte unſchuld nicht auch in der that iſt / man ſich auf dieſelbige bezeucht / und nicht vielmehr mit redlicher bekaͤntnuͤß ſeines verbrechens dem gewiſſen rath ſchaffet: Jn dem dieſes / ob es die gantze welt zu betriegen wuͤßte / doch vor GOtt nicht hoffen kan / denſelbigen zu be - triegen / ſondern deſſen ſtraffende ſtimme ſo viel ſtaͤrcker in ſich fuͤhlen muß / je weniger man ihm die ehre der bekaͤntnuͤß auch vor menſchen geben will. Da - her / wofern dieſes mein præſuppoſitum der unſchuld / auf welche ſich mein hochgeehrter Herr berufft / ſich nicht alſo verhalten ſolte (daran ich aber mei - nes orts zu zweiffeln keine vernuͤnfftige urſachen ſehe / und ohne das wohl weiß / wie es etwa offt auch mit treuen bedienten bey hoͤffen und an hohen orten zuzugehen pfleget) wuͤrde ſonſten alles andere / was ich ſchreiben wuͤr - de / mit da hinfallen / und nichts hafften. Ja wo auch bey der unſchuld inder843ARTIC. II. SECTIO XXXI. der haupt-ſache das gewiſſen uns doch in andern ſtuͤcken nicht rein ſpricht / ſo muß auch in ſolchem fall / ſoll anders dieſem recht gerathen werden / erkaͤnt - nuͤß und bekaͤntnuͤß vorhergehen. Waͤrens nun ſolche fehler / die gleichwol die hauptſache nicht angiengen / und alſo auch in derſelben die unſchuld nicht voͤllig / ſondern allein aus einem geringern / jedoch wahrhafftigem verbrechen ein groͤſſeres gemacht worden waͤre / ſo wird das gewiſſen / ſonderlich wo der HErr nunmehr ſeine ſchrecken in daſſelbe ſchieſſet / ſich nicht befriedigen laſ - ſen / man gehe dann auch darinnen redlich und auffrichtig herauß / auch vor denjenigen / an denen man ſich verſuͤndiget / und wir ihnen alſo ſatisfaction, ſchuldig ſind. Sinds aber ſolche ſuͤnden / die ſich zwahr in die ſache / deßwe - gen wir angegriffen werden / mit einflechten / aber allein in dingen beſtehen / welche vor GOttes gericht gehoͤren (als mit was hertzen und abſicht wir in eines herrn dienſte getreten; wie wir etwa des herrn gunſt jemahl der geiſt - lichen vorgezogen haͤtten; mit was gedult und gehorſam wir auch das un - recht ertragen / und alle widrigkeit nicht ſo wol als von den cauſis ſecundis als vielmehr von der verhaͤngnuͤß GOttes angenommen / oder wider beyde gemurret haben / und was dergleichen iſt) die wird uns unſer gewiſſen in ſei - ner pruͤffung nicht weniger vor augen ſtellen / ja auch durch vorſtellung der ge - rechtigkeit goͤttlichen gerichts uns zu ſo viel gehorſamer niederwerffung diſponiren. Es ermangelt auch das gewiſſen nicht zu ſolcher zeit / ob wir uns wol nicht in der haupt-ſache vor der welt einer voͤlligen unſchuld getroͤ - ſten / ſondern (welches ſchwehr wird werden dahin zukommen / wo es gleich - wol bey einigen moͤchte vor muͤglich gehalten werden) vor GOTT auch in ſolcher ſach uns / das gewiſſen gantz rein behalten zu haben / ruͤhmen koͤnten / daß es uns nicht unſer uͤbriges gantzes leben vorſtellete / und darinnen / wie wir von jugend an vor GOtt gewandelt / vorhielte: Wo wir uns in ſo vielen ſtuͤcken vor GOttes gericht ſchuldig zu geben urſach finden / als wir niemal vorher gedacht haͤtten / auch eben dieſes die erſte vorbereitung zum rechten troſt iſt / ſein hertz von anſehung deß ihm von menſchen geſchehenden unrechts (welche immer fort ſo viel mehrere verunruhigung des gemuͤths und unge - dultigen widerwillen gegen die beleidiger nach ſich zeucht / damit aber die ſee - le des rechten troſts gantz unfaͤhig macht) gantz abzuziehen / und allein auf GOtt zuſehen / und zu glauben / er thue uns nicht unrecht / ob er auch die un - gerechteſte werckzeuge gegen uns gebrauchen ſolte / ſondern wir ſeyn vor ihm aller ſtraffen / und alſo wo noch ſo viel mehrere waͤren / als wir bereits leyden / ſo gantz ſchuldig / daß wir uns daruͤber nicht zubeſchwehren fug haͤtten / ſon - dern auch unſers GOTTES guͤte preiſen muͤſten / der in allem ſolchem das euſſerſte gegen uns nach verdienſt nicht gehen laſſe / und noch darzu ſo guͤtig ſeye / daß da wir uns unter ſeine vaͤterliche hand bußfertig demuͤthigen / er dieO o o o o 2ver -844Das fuͤnffte Capitel. verdiente ſtraff zu einer heilſamen zuͤchtigung mache. Damit iſt eine herrli - che frucht des leydens erhalten / wo GOTT auch durch unrecht uns angetha - nes leyden uns deſſen kraͤfftig erinnert / was er gerechter weiſe gegen uns zu thun vermoͤchte / eine heylſame reue und buß / ſo dann ernſtlichen haß gegen die ſuͤnde / dadurch bey uns zu wuͤrcken. Dieſe betrachtung wuͤrcket auch ei - ne ſo viel gehorſamere gedult / daß wir ſagen moͤgen: Jch will des HErrn zorn tragen / dann ich habe wider ihn geſuͤndigt. Mich. 7 / 9. Ja ſolche betrachtung machet uns ſo viel faͤhiger des goͤttlichen troſts / als williger deſſelben verzug zu tragen / und damit zu frieden zu ſeyn / daß der HErr uns denſelben entziehe. Jm uͤbrigen was die ſchwehre verſuchungen und ſeelen - anfechtungen anlanget / uͤber welche derſelbe ſo wehmuͤthig klagt / ſo iſts eine ſchule / in der der weiſe himmliſche lehrmeiſter ſehr viele derjenigen fuͤhret / die er zur ſeligkeit verordnet hat / aber ſie durch eine ſo herbe artzeney von dem jenigen / was ihnen an ſolchem zweck waͤre hinderlich geweſen / gereiniget wer - den muͤſſen. Und zwahr laͤſſet GOtt nicht nur diejenige offters in ſolche ver - ſuchung fallen / bey welchen die leibliche ungluͤck das gemuͤth ohne das nieder - geſchlagen haben / uñ je feſter etwa das hertz an einigen weltlichen dingen han - get / der verluſt derſelben ihnen zu ertragen ſo viel ſchwehrer worden iſt / und wo das zeitliche elend und leyden als ein taͤglich zeugnuͤß goͤttlichen zorns angeſehen wird / und endlich die betrachtung deſſen uns mehr als das vorige zeitliche ungluͤck martert und quaͤlet; ſondern es laͤſſet GOTT nach ſeinem weiſen rath offters auch einige mit dergleichen anfechtungen heimgeſuchet werden / denen es in allem uͤbrigen wol und nach des natuͤrlichen willens eige - nem belieben ergehet / aber in ſolchem ſtande der anfechtung alle ihre euſſerli - che gluͤckſeligkeit ſie nicht im wenigſten auffrichten und erfreuen kan / ſondern wol ſo beſchwehrlich wird / als andern ihre zeitliche ungluͤckſeligkeit ſeyn moͤchte. Ja bey dieſen wird gemeiniglich die gewalt ſolcher anfechtung ſo viel ſtaͤrcker ſeyn / weil ſie allezeit bloß in geiſtlichen dingen beſtehet / die einer ſeelen am empfindlichſten ſind / als bey den andern / wo die geiſtlichen verſu - chungen aus weltlicher traurigkeit den anfang genommen haben / und daher auch unvermerckt mit einigen von derſelben noch vermiſchet ſind / welche die ſeele zwahr auch martert / aber ſo empfindlich nicht peinigen kan / als wo die gantze verſuchung lauterlich in geiſtlicher noth beſtehet. Jndeſſen gleich wie ſich GOTT gemeiniglich dieſer anfechtung darzu gebraucht / damit die hertzen in ihrem gluͤcklichen ſtand / welches zu unterlaſſen ſo ſchwehr hergehet / ſich nicht in denſelben / in ihre ehre / reichthum und dergleichen / gefaͤhrlich ver - lieben / und damit verlohrn gehn / weswegen ſie der HErr / nach ſeinem wei - ſen rath durch ein ſolch gewaltſames und ſchmertzliches mittel von ſolcher lie - be abzeucht / da er ihnen alle ſolche gluͤckſeligkeit bitter / und damit unange -nehm845ARTIC. II. SECTIO XXXI. nehm machet: alſo gebraucht er ſich offters bey denjenigen / die er in weltli - ches elend gerathen laſſen / eben ſolcher geiſtlichen anfechtungen / damit die weltliche daher entſtehende traurigkeit nicht den geiſtlichen todt bey ihnẽ wir - cke / ſo auff unterſchiedliche weiſe geſchehen / auffs wenigſte der nutze / welchen GOtt durch jene auch zeitliche zuͤchtigung intendiret / verhindert / und alſo goͤttlicher rath unkraͤfftig gemacht werden wuͤrde; ſondern daß die dazu kom - mende geiſtliche verſuchungen ein neues huͤlffs-mittel ſeyn / der ſeelen ihre ausgeſtandene truͤbſaalen / nach GOttes rath erſt recht nuͤtzlich zu machen. So ſind ohne das auch die allgemeine urſachen / warum GOtt geiſtliche ver - ſuchungen uͤber die ſeinige verhenget / wo denſelben in der furcht Gottes nach - gedacht wird / alſo bewandt / daß ſie wol eine groſſe weißheit / und in dem ſo harten tractament, gleichwol eine guͤtige barmhertzigkeit des himmliſchen Vaters gegen die ſeinige / bezeugen. Wir lernen nicht nur alles weltliche ſo vielmehr verachten / und die liebe deſſelben recht aus dem hertzen reiſſen / wo wir uns in einem ſolchen ſtande finden / da entweder alle weltliche herrlichkeit / ehre / reichthum und wolluſt / wo wir ſie in allem uͤberfluß haben / die angſt unſerer ſeelen nicht ein augenblick ſtillen oder mindern koͤnnen / alſo daß man auch ſolche anzuſehen einen eckel bey ſich ſpuͤret / oder wo man ſolche nicht hat / bey ſich gleich wol empfindet / daß in ſolcher ſeelen-angſt / ob wir ſie auch nach verlangen haben moͤchten / weder dero hoffnung / noch beſitz / noch verheiſſung / nicht zum troſt der ſeelen genugſam ſeyn. Welche eigene erfahrung des un - vermoͤgens / ſo in allem zeitlichen ſich findet / einer ſeelen wol zu thun / mehr als einiges anderes / den werth deſſelben bey uns verringert / und alſo die ſeele von ſolchem bande befreyet.

Wir lernen allgemach unſern grund und troſt / nicht auff das fuͤhlen uñ em - pfinden / dabey noch die vernunfft ſich ſo viel einmiſchet / und daſſelbe betruͤg - lich machet / ſondern auff den bloſſen glauben goͤttlichen worts gruͤnden: und dem HErrn gleichſam blindlings auf ſein wort uns verlaſſen / ohne daß wir unſerm fuͤhlen nach / bey uns das wenigſte finden / darauf wir einige zuver - ſicht ſetzen moͤchten. Wo es dahin kommet / daß nicht nur ſich an ſtatt des glaubens lauter unglauben unſerm fuͤhlen præſentiret / ſondern auch unſer gebet / wie wirs bey uns finden / mehr ſuͤnde ſcheinet / als daß wir darvon ei - nige ruhe der ſeelen erlangten. Wie viel ſolches nutze / iſt etwa nicht ſo leicht mit worten ausgetruckt / als die erfahrung diejenige lehret / die es ſelbſt empfunden. Daher kan ich meinen hochgeehrten Herrn in GOTT es nah - men verſichern / wo er die gnade / welche ihm GOTT auch in dieſer anfech - tung erzeigen und beweiſen will / gehorſamlich anzunehmen / und zu gebrauchen befliſſen ſeyn wird / ſo werde er an derſelben eine der groͤßten wolthaten / ſo ihm die tage ſeines lebens erwieſen worden /O o o o o 3zuerken -846Das fuͤnffte Capitel. zu erkennen urſach haben / und nach GOTTES willen ſolches der - maleins wircklich erkennen / und den HErrn daruͤber preiſen. Jetzo lautet dieſes gantz ungereimt und widerſinniſch / iſt aber eine goͤttliche wahrheit / wo wir von dem goͤttlichen rath / und was derſelbe hierinnen ſuchen wolte / reden; deme aber / daß derſelbe ſich gemaͤß bezeugen werde / ich hoffe und alſo den gu - ten ausgang erwarte. Wie aber derſelbe ſich darein zu ſchicken habe / wird meiner anweiſung nicht eben viel vonnoͤthen ſeyn; ſolte doch derſelbe aus freundlichem vertrauen auch meine einfaͤltige gedancken und rath verlangen / ſo habe nicht nur allein in den getruckten predigten von den verſuchungen / die - ſelbe mit etwas mehrers ausgefuͤhret (welche predigten vielleicht zu andern - malen geſehen worden / oder doch bey ihnen werden befindlich ſeyn) ſondern will ich mit wenigem die in dieſer ſeiner hypotheſi mir vorkommende gedan - cken willig nach der gnade GOttes / die er geben wird / hieher ſetzen. Das erſte achte ich eine taͤgliche und ſtuͤndliche erwegung / wie GOTT ſo heilig und gerecht in ſeinen wegen ſeye / auch da er uns wider unſern willen alles wiederfahren laͤſſet / und wie hingegen es von uns mit hertzlicher demuth auff - genommen werden ſolle. Dieſes wird uns unſers gantzen lebens / und wie daſſelbe vor GOTT gefuͤhret worden / erinnern. Und ſolten uns nicht bald diejenige gedancken dabey auffſteigen / und unſer gewiſſen uns zuſprechen? Wie ſo gar iſt mein GOTT nicht ungerecht gegen mich / der jetzo mein gebet / ſo viel ich ſpuͤren kan / nicht hoͤret / nachdem ich ſo offt ſeine ſtimme / da er mich zu ſeinem gehorſam hat geruffen / nicht / oder je nicht mit geziemender ſorgfalt / angehoͤret habe. Solte ich mich wol zu beſchwehren haben / daß ich jetzo die gnade zu beten nicht alſo habe und fuͤhle / wie ich wolte / ſondern iſt alles kalt und gleichſam wie erſtorben? Nachdem ich zu andernmalen ſo offt ohne an - dacht vor GOTT erſchienen bin / da er mir / ſo ich ſeine gnade annehmen wol - len / dieſelbe in gnugſamem maaß zu geben wuͤrde bereit geweſen ſeyn? Jſts wol wunder / daß ich jetzo aus goͤttlicher ſchrifft und dero troſt-ſpruͤchen nicht diejenige krafft empfinde / wie ich verlange? Der ich ſo offt in gutem ſtande dem gehoͤrten und geleſenen wort / ſonderlich da mich mein GOTT von der liebe der welt zu ſich gefordert / nicht platz in meiner ſeelen gelaſſen / oder ſeine wirckung / wie ſichs geziemet angenommen habe. Solte ich GOTT einer unbillichkeit beſchuldigen koͤnnen / daß er mir den troſt ſeiner gnaden und alſo eines verſoͤhnten gewiſſens jetzo nicht / vielmehr aber lauter zweiffel-aͤngſten fuͤhlen laͤſſet? Da ich bey guten tagen die ſorge ein reines und unbeflecktes ge - wiſſen zu behalten / nicht ſo eiffrig habe bey mir ſeyn laſſen / ja da ich etwa ſo offt ohne hertzliche unterſuchung in ſicherheit / dero uns jetzt unſer gewiſſen / nachdem wir daſſelbe fleißiger forſchen / uͤberzeuget / mich der gnade getroͤſtet / darauf getrotzet / die gute bewegungen des heiligen Geiſtes / ſo mich aus derſicher -847ARTIC. II. SECTIO XXXI. ſicherheit auffwecken wollen / ausgeſchlagen / wol gar vor gefaͤhrliche anfech - tungen des ſatans gehalten / und der gnaden-verheiſſung mißbraucht habe. Gewißlich die redliche forſchung unſers gewiſſens wird uns alle in unſerm vorigen leben vieles deſſen uͤberzeugen / und die vor GOTT ſchuldige demuth fordert ſolche erkaͤntnuͤß. Hie moͤchte aber ein angefochtener ſagen / ſo wird mir nicht geholffen / die angſt meiner ſuͤnden quaͤlet mich ohne das / und nimmt mir allen troſt / wie ſoll ich dieſelbe mit noch mehrer vorſtellung ſchwehrer ma - chen / und noch tieffer hinab trucken / da ich ohne das in dem tieffen ſchlamm verſincke? Aber hierauf iſt zu antworten / daß das allererſte und noͤthigſte mittel zu rechtem troſt zu kommen / ſeye die reinigung ſeines gewiſſens; und je ſorgfaͤltiger ſie angeſtellet wird / je gruͤndlicher wird geholffen. Und gilts nicht zu ſagen / wo eine wunde ſchmertzet / man doͤrffte dieſelbe mit reinigung und wegnehmung des faulen fleiſches und dergleichen nicht angreiffen / noch zu den vorigen ſchmertzen neue machen / als die ohne das weh genug thun / ſon - dern man ſuche linderung. Da aber ein verſtaͤndiger wund-artzt und patient wol wiſſen / es ſeyen ſolche ſchmertzen recht die vorbereitung zu den heil-pfla - ſtern / und wo es inwendig eytericht bleibet / ſo muͤſſe die wunde wieder auff - brechen / die zu eilig zugeheilet worden. Und woher kommts / daß der vorige troſt / da ich bey guten tagen mich ſo gantz leicht troͤſten und goͤttlicher gnade verſichern konte / ſo bald als eine zeitliche truͤbſaal mich uͤberfallen / dahingehet und verſchwindet? Als daß gemeiniglich unſere vorige gewiſſens-curen pal - liativæ ſeynd / und nicht ſo wol den ſchaden zu reinigen / als gleich zuzuheilen gemeint geweſen: Daher das geringſte ſymptoma macht den ſchaden neu und viel aͤrger. Und laſſet uns in unſere hertzen gehen / wie wir uns etwa insge - mein uns unſerer ſuͤnden erinnert haben: Jſts nicht obenhin geſchehen? Haben wir auch die macht und greuel derſelben jemal alſo erkant / biß uns der HErr einen funcken ſeines zorns hat in die hertzen fallen laſſen? Haben wir geglaubet / daß wir ſo boͤſe ſeyen / als uns jetzo der zorn GOttes zu fuͤhlen gi - bet? Haben wir nicht insgemein pflegen unſer leben mehr aus gegenhaltung anderer / gegen welche zu rechnen wir ſo viel gutes an uns zu haben gedacht / zu rechtfertigen / als aus der einigen regel goͤttlichen gebots und pruͤffung nach derſelbigen zu beſchuldigen? Ja haben wir noch biß daher GOttes heilige gerechtigkeit geprieſen / daß wir wahrhafftig erkant / wir haben alles dieſes und noch die ewige ſtraffen gantz wol verdienet / und daß wir nicht laͤngſt dar - ein geſtuͤrtzet / ſeye ein groſſes ſchonen ſeiner barmhertzigkeit? Wo ſolche er - kaͤntnuͤß nicht nur in den gedancken / ſondern wahrhafftig in dem hertzen iſt / daß wir uns allein der ſtraffe wuͤrdig / nicht aber der gnade werth achten / und geben GOttes gericht uͤber uns recht / lieber wollende / daß wir leiden als ſei - ne gerechtigkeit zuruͤck bleiben ſolte / ſo wird damit am kraͤfftigſten das mur -ren848Das fuͤnffte Capitel. ren in unſern ſeelen geſtillet / welches die groſſe hindernuͤß des troſts iſt / und doch auf eine ſubtile und ſehr verborgene weiſe ſich gemeiniglich bey uns fin - det: Daß ob wir wol mit dem munde bekennen / wir haben GOttes ungnade verdienet / auch einigerley maſſen ſolches gedencken / jedennoch in dem hertzen wir die goͤttliche gerechtigkeit wegen unordenlicher ſelbs-liebe nicht auf gehoͤ - rige weiſe erkennen / und uns deroſelben demuͤthig unterwerffen: Sondern es iſt uns nur immer um uns ſelbs zu thun / mit goͤttlicher gerechtigkeit gehe es wie es wolle. Daher iſt uns allemal die ſtraffe der ſuͤnden eher zu wider / als der greuel derſelben ſelbs. Und wie viel harte gedancken ſteigen gegen GOtt in einem ſolchen unruhigen hertzen auf? Denen aber nicht beſſer widerſtanden werden kan / als wo wir von grund der ſeelen glauben / wir habens verdienet / und ob wir in ſolchen ſuͤnden nun ohne gnade ſolten untergehen muͤſſen / ſo waͤ - re ſolches beſſer / als daß etwas an goͤttlicher gerechtigkeit manglen ſolte. Wol eine harte lection, aber gewiß der nechſte weg / wer denſelben gehet / zu dem wahren troſt zu gelangen! auffs wenigſte ſo weit wir auf demſelben zu - kommen / die gnade empfangen / laſſet uns denſelben eintretten. Es iſt auch dieſes ein hauptſtuͤck der demuth / die wir von unſerm Heiland lernen muͤſ - ſen / ſollen wir anders ruhe finden fuͤr unſere ſeelen Matth. 11. So wird alsdann die auch offt unordenliche und uns nur deſto mehr aͤngſtigende und verunruhigende begierde nach der fuͤhlung des troſts um die zeit / da der HErr dieſelbe uns zu geben noch nicht ſeinem heiligen rath gemaͤß erkennet / gemaͤßi - get / und an die rechte ordnung gebracht werden. Wo nun erſtlich getrachtet worden zu ſolcher wahren demuth vor GOTT und erkaͤntnuͤß des gerechten verdienſts unſerer ſuͤnden zu kommen / in welcher GOTT ein groſſes ſtuͤck ſeines raths an uns erhalten hat / als welcher dahin gehet / daß wir nichts / und er alles / wir ſuͤnder und er allein gerecht ſeye: So gehoͤret zu und nach derſel - ben demuth / als das nechſte mittel / ein hertzliches gebet. Hie aber wirfft die anfechtung gleich ein / daran mangelt mirs eben / daß ich nicht beten kan / ſon - dern lauter kaͤlte in meiner ſeelen fuͤhle / und eben deſſen zeugnuͤß daran habe / daß GOTT ja mein ſeuffzen nicht erhoͤret. Aber auch dieſer einwurff iſt nicht ſtarck genug / daß deswegen das gebet unterlaſſen und vor beſſer geachtet werde / gar nicht / als auf die art zu beten / wie gegenwaͤrtiger unſerzuſtand uns zulaͤſſet. Von dieſem letztern anzufangen / ſo iſts offt gantz eine betruͤgliche folge / von der erhoͤrung auf das gebet ſelbs. Du haͤlteſt darvor / dein gebet ſey bißher nie erhoͤret worden. Warum? weil das gebetene noch nicht er - folget. Aber ſo laͤſts ſichs nicht bloſſerdings dahin ſchlieſſen / ſondern wol ſo fern / daß du erkenneſt / du werdeſt in deinem gebet ein und anderes mit einge - miſchet haben / darinn du goͤttlicher gnade vorgeſchrieben haſt: Da du doch bloß nach goͤttlichem willen beten ſolteſt. Dann ob man wol insgemein denunter -849ARTIC. II. SECTIO XXXI. unterſchied machet / daß man um die geiſtliche guͤter ohne bedingung / um die leibliche mit bedingung des goͤttlichen willens / beten moͤge: So iſt jenes wahr / von den geiſtlichen guͤtern / die uns ſchlechterdings zur verherrlichung der ehre GOttes und unſerer ſeligkeit noͤthig ſind / davon iſt uns goͤttlicher wille zur gnuͤge offenbahret; Es ſind aber auch geiſtliche guͤter / von denen wir eben ſolches nicht ſagen / und daher nicht unfehlbar wiſſen koͤnnen / ob dißmal dieſes gut oder hingegen deſſen verſagung dem willen GOttes gemaͤſſer ſeye. Zum exempel / ob zu GOttes ehren mehr dienlich ſeyn werde / daß ich ſeines troſts empfindlich gewahr werde / oder aber in lauter aͤngſten und pruͤffung der gedult ſtehen ſolle? Daher wo wir recht beten / ſo muß allezeit unſer gebet und verlangen des troſts mit der condition verſtanden werden / wo es nem - lich goͤttlichem willen alſo gemaͤß ſeyn werde. Folget nun auf das gebet der empfindliche troſt nicht / ſo kan ich noch nicht ſagen / daß das gebet nicht erhoͤ - ret ſeye / ſondern iſts mit kindlichem hertzen gethan / ſo iſts gewiß durch eine neue ſtaͤrckung in ſeiner gnade erhoͤret / ob wol nicht nach unſerem willen / jedennoch nach dem weiſen rath des Vaters. Und laͤßt ſich alſo nicht ſchlieſ - ſen / GOTT hat dasjenige / was ich von ihm verlangt / nicht erfolgen laſſen / deswegen ſo ſtehe ich in ſeiner ungnade / als welchem er die erhoͤrung verſagt. Was aber die kaͤlte und untuͤchtigkeit zum gebet anlanget / ſo findet ſich die - ſelbe gemeiniglich / wo wir das gebet allein erkennen in dem muͤndlichen oder doch durch ordenliche conceptus nach einander thuenden hertzens-gebet / dazu man offt in ſolchen aͤngſten am wenigſten tuͤchtig iſt. Wo wir aber verſte - hen / was eigenlich das gebet ſeye / und wie mit GOTT in dem geiſt gehandelt werde / ſo iſt das verlangen einer ſolchen ringenden ſeelen / welche unablaͤßig / auch da ſie meinet / ſie koͤnne und doͤrffte nicht beten / nur nach der goͤttlichen gnade ſich ſehnet / das allerkraͤfftigſte / und faſt unauffhoͤrliche / gebet vor GOttes ohren; ja viel inniglicher und feuriger / weil es ohne mittel der zunge / oder auch nur der reflectirenden gedancken / ſelbs aus dem hertzen entſprin - get / und darinnen geſchihet / ja nichts als lauter hertz iſt. Da heiſſets einmal / das verlangen der elenden hoͤret der HErr / Pſalm 10 / 17. und alſo nicht nur das uͤbrige muͤndliche und gebet der gedancken. Daher ſolche liebe leute mehr beten als ſie ſelbſten glauben. Der wichtigſte einwurff aber iſt faſt dieſer / wie man beten oder ſich einer erhoͤrung getroͤſten koͤnne / weil man ohne glauben ſeye / ohne welchen nichts GOTT dem HErrn gefallen koͤnne / und alſo alles gebet vielmehr ſuͤnde ſeye? Hie iſt aber nichts mehr noͤthig / als daß wir recht lernen den glauben erkennen / und dieſes zu unterſcheiden wiſ - ſen / daß derſelbe nicht allemal durch das fuͤhlen erkant werden muͤſſe / ſondern ſolches in dem ſtande der anfechtung gemeiniglich das erſte iſt / welches dem menſchen entgehet / ja keine anfechtung ſonderlich ſtarck zuſetzen koͤnte / wo dieP p p p pfuͤh -850Das fuͤnffte Capitel. fuͤhlung des glaubens nicht entweder gantz entgangen / oder doch ſchwach worden waͤre. Vielmehr gehen wir viel ſicherer / denſelben an ſeinen uͤbri - gen kennzeichen und fruͤchten zu erkennen / und ſolchen vielmehr als unſerem reflectirenden gefuͤhl zutrauen. Da bleibet dieſes feſt ſtehen / bey wem ein hertzliches mißfallen und haß gegen ſeine ſuͤnde / verlangen nach goͤttlicher gnade / liebe zu GOTT / eiffer fuͤr ſeine ehre / und begierde auf ſein lebenlang alles dasjenige zu unterlaſſen womit wir GOTT erzuͤrnen moͤchten / ſonder - lich auch ein williges hertz / alles leiden von der hand des HErrn mit gedult auffzunehmen / ſich findet / da iſt goͤttliche gnade kraͤfftig / und wohnet der heili - ge Geiſt / der aber nirgend ohne den glauben iſt / und dieſen zu allererſt in den hertzen wircket. Ob alſo ſchon der actus reflexus, (daß wir ſpuͤren / wir glau - ben) ſich nicht bey uns findet / ſondern von GOTT aus heiligen urſachen ſol - che anfechtungen geſandt worden / welche ſolche fuͤhlung hemmen / ſo laͤſſet ſich doch aus den uͤbrigen kennzeichen und fruͤchten deſſelben ſo wol ſeine gegen - wart ſchlieſſen / als aus dem auffſteigenden rauch des in der aſche verborgenen feuers. Da lehret uns Johannes 1. Joh. 3 / 19. aus deme / daß wir in der wahren liebe ſtehen / ſchlieſſen / daß wir aus der wahrheit / und alſo in dem glauben / ſeyen / obwol unſer hertz uns ſelbſten verdammet / von welcher mate - rie etwa mehrmal gehandelt wird / aber wol den angefochtenen die allernoth - wendigſte iſt / daß ſie lernen von der fuͤhlung zu abſtrahiren / und ihren glauben aus den fruͤchten zu urtheilen. Alſo da wir wiſſen / daß wir GOTT foͤrch - ten und ſeinen willen zu thun von grund der ſeelen bereit ſeyn / ſo laſſet uns ge - troſt vor GOTT treten / wir fuͤhlen den glauben oder nicht / und uns unſern vermeinten unglauben und ringenden zweiffel nicht abſchrecken: Gewiß es wird bey fortſetzung ſolches gebets / indem die erhoͤrung GOttes je wuͤrdig iſt / daß wir dieſelbe mit laͤngerem anhalten ſuchen / endlich ſich zeigen / daß wir nicht vergebens gebeten haben / ſondern die verlangte gnade wird erhalten werden: Ja GOTT wird uns endlich den glauben fuͤhlen laſſen / wo wir auch noch vor fuͤhlung deſſelben nicht unterlaſſen haben / ihm auffrichtig zu gehor - ſamen / und uns vor ihm zu demuͤthigen. Zu dem gebet ſetze ich billich auch das hoͤren und leſen goͤttlichen worts / ſonderlich in der heiligen ſchrifft ſelbs / ſo dann nechſt deroſelben in andern gottſeligen buͤchern / unter denen in dieſem zuſtand / ich Arnds wahres Chriſtenthum und Th. à Kempis nachfolge Chri - ſti ſonderlich recommendiren wolte: Aber noͤthig achte / daß man nicht ſo wol gleich aus ſolchen oder andern buͤchern troſt ſuchen wolte / als ſie vielmehr da - zu brauchen / ſein hertz zum forderſten daraus recht zu erkennen lernen / und daſ - ſelbe von allem GOtt mißfaͤlligem zu reinigen trachten / auf welches wo wir darinn GOtt treu worden ſind / der troſt von ſelbs kraͤfftiger folgt / als ob wir mit noch ſo groſſer angelegenheit nur allein in den buͤchern den troſt ſuchẽ wol -ten /851ARTIC. II. SECTIO XXXI. ten / der aber ſo wenig hafftet / als die ſtaͤrckende artzneyen / ehe die purgantia zur gnuͤge vorhergegangen ſind. So mag auch andaͤchtiger gebrauch des heiligen abendmahls mit darzu gezogen und recommendiret werden. Das dritte mittel wolte ich vorſchlagen / welches aus dem vorigen flieſſet / nem - lich eine ſorgfaͤltige unterſuchung / wie inskuͤnfftige in allen ſtuͤcken unſer le - ben moͤge und ſolle vor GOtt gefuͤhret werden / mit heiligem und kraͤfftigem ſo vorſatz als geluͤbde / der gnade GOttes kuͤnfftig hin ſo viel ſorgfaͤltiger zu gebrauchen / ſich von aller befleckung des fleiſches und des geiſtes zureinigen / und in der heiligung und furcht Gottes zuzunehmen. Auch ſo bald zum zeug - nuͤß / daß ſolches von hertzen gehe / und redlich gemeinet ſeye / alles abzulegen / was an uns ſuͤndlich zuſeyn unſer gewiſſen uns uͤberzeuget / ja nicht nur al - lein den euſſerlichen ausbruͤchen der ſuͤnde zu wehren / ſondern das hertz ſelbſt ernſtlich anzugreiffen / daß wir wahrhafftig die tugenden / die uns befohlen / in uns bekommen und haben moͤgen. Stehn wir nun in ſolchem ſtande / und laſſen uns von dem teuffel oder der welt von einem ſolchen weg eines rechten chriſtlichen lebens / welches in einer rechtſchaffenen verleugnung ſein ſelbſt und alles irdiſchen / ſo dann hertzlichem gehorſam gegen die goͤttliche gebote / und einem fleiß alle unſere wercke niemal mehr anders / als in einer reinen abſicht auf GOttes ehre / und aus liebe des nechſten / und alſo ohne eigenes geſuch zu verrichten (wozu auch bey denen / welche von andern mit unrecht beleidiget zu ſeyn / meinen / eine hertzliche vergebung / und liebe der feinde ge - hoͤret) nicht abziehen / ſo ſtehn wir ohnfehlbar in goͤttlicher gnade / und ob wir meinten / in dem augenblick wuͤrde uns die verſuchung uͤber einen hauffen werffen / ſo iſt gleichwol kein zweiffel ſo ſtarck / der bey ſolcher bewandnuͤß un - ſerer ſeelen / wie von ihrem GOtt verlaſſen ſie ſich fuͤhlete / uns von der liebe GOttes gegen uns / und alſo der ſeligkeit / abreiſſen koͤnte: Dann GOtt kann eine ſolche ſeele nicht laſſen / ſondern wie er getreu iſt / alſo gibt er ihr den ſieg zu ſeiner zeit / oder ſieget vielmehr ſchon in derſelben / als lang ſie ſolche anfechtungen ertraͤgt / und der dem anſehen nach ſo ſchwache glaube nichts deſtoweniger gegen alle anlaͤuffe und anſtoͤſſe feſt ſtehet. Zu dieſem allen achte ich 4. nuͤtzlich zuſeyn / wo wir nach allem maaß der gnaden / welches uns gegeben iſt / uns befliſſen haben / unſere ſeele ſo wohl mit unterſuchung des vorigen lebens als einem grund des kuͤnfftigen zu reinigen / daß wir alsdann ohne ferneres aͤngſtliches verunruhigen unſern zuſtand dem HERRN mit hertzlicher gelaſſenheit empfehlen / und den troſt nicht mit gewalt erzwingen wollen / ſondern uns willig reſolviren / da es alſo der wille unſers Vaters ſeyn ſolte / ohne troſt und empfindlichkeit ſeiner gnade unſer leben zuzubrin - gen / daß wir damit zufrieden ſeyn wollen. Dann 1. haben wir von grund der ſeelen erkannt / daß wir alles troſts unwuͤrdig ſeyen. 2. Haben wir auchP p p p p 2ge -852Das fuͤnffte Capitel. gelernet zuglauben / daß es beſſer ſeye / wir leyden / als daß goͤttliche gerech - tigkeit / da dieſelbe uns unſerer vorigen unachtſamkeit und mißbrauchs ſei - ner gnade durch ſolche hinterhaltung erinnern will / zuruͤckbleiben muͤſte. Ja wir haben 3. gelernet / daß unſer heyl nicht an unſerem fuͤhlenden glauben / ſondern goͤttlicher gnade allein gelegen ſeye / dero wir aus den obigen erzehl - ten kennzeichen des glaubens verſichert koͤnnen werden. 4. Wir werden hieraus ſchon ferner gefaſſet haben / wie eine ſolche entziehung ſowol goͤttli - cher ehre als unſerem heyl gantz gemaͤß / und einer von den wegen ſeye / auff welchem uns die unerforſchliche weißheit unſers GOttes gantz heilſamlich und gewiß fuͤhret / dahin wir uns ſeiner je nicht zu beſchwehren haͤtten. 5. Wir werden / wo es eine zeitlang gewaͤhret / in dero erfahrung finden / wie viel unſer ſonſten elende zuſtand uns nutze in abziehung von der welt / in ſorg - faͤltiger warnehmung unſer ſelbſt / und in dem fleiß des guten; alſo gar / daß wir wol niemal ſo weit in anderm ſtand wuͤrden gekommen ſeyn. Dieſe be - trachtungen ſollen und werden uns endlich dahin bringen / daß wir mit dem willen unſers GOttes zufrieden ſeyn / und an jene wort gedencken / ob waͤre uns gleiches mit dem lieben Paulo geſagt: Laß dir an meiner gnade be - gnuͤgen. 2. Cor. 12 / 9. Jſts dahin gebracht / daß wir aus gehorſam ge - gen GOTT uns willig reſolviren / auch ohne troſt dem HErr dennoch gehor - ſamlich zu dienen / und auch in dem geiſtlichen nichts anders von ihm / als was ſeinem heiligen rath gemaͤß iſt / zu verlangen: So hat GOTT bey uns ſeinen zweck erreichet / und wird gewiß eine ſolche gnade folgen / zu welcher wir nimmermehr ſonſten gekommen waͤren. Dieſes ſind meine einfaͤltige gedancken / die ich zu deſſelben gottſeliger uͤberlegung hiemit uͤberſchreiben wollen / dabey den hoͤchſten und lieben himmliſchen Vater / als den Vater der barmhertzigkeit und GOtt alles troſtes / inbruͤnſtig anruffe / daß er die - ſes oder anderes / was zu ſeiner beruhigung und geiſtlichem beſten gereichen mag / kraͤfftig bey ihm ſegne / zu erkaͤntnuͤß ſeines gnaͤdigen willens / und wuͤr - ckung aller noͤthigen gnade / in ſeinem geaͤngſteten hertzen / biß die liebe ſtunde des empfindlichen troſts auch kommen moͤge / welche er zu rechter zeit ſchicken / und es alſo fuͤgen wolle / daß er noch hie in dieſer zeit die fruͤchten ſolcher vaͤ - terlichen zuͤchtigung ſelbs mit danckſagung erkenne / ſo dann hier und dort der ſo weiſen / obwol wunderbahren / regierung des himmliſchen Vaters ewigen preiß und danck ſage. Welches ich ſamt einigen lieben freunden auch fuͤr ſein anligen zu dem lieben GOTT gebeten hab / auch noch ferner zu beten nicht unterlaſſen werde. Der HERR HERR ſeye ſeine ſtaͤrcke in der ſchwachheit / ſein ſchutz gegen ſeine feinde / ſein troſt in aller anfechtung / ſein ſieg in allem ſtreit. 1679.

SECTIO853ARTIC. II. SECTIO XXXII.

SECTIO XXXII. Troſt uͤber die klage der ſchwachheit. Je mehr man im geiſtlichen waͤchſet / je demuͤthiger wird man.

D meine geliebte mir auch den liebreichen vaters-nahmen beyleget / haͤtte ich wol mit fug zu decliniren / nachdem er mir mit recht nicht zu - kommt / als den der himmliſche Vater an ihrer wiedergeburt oder er - neuerung mit zu arbeiten / und alſo dieſen titul zu verdienen / nicht gebrauchet hat / ich will mich aber auch deſſen nicht weigern / da mir deroſelben liebe ihn zugedacht / und vielleicht auf mein amt / darinnen mich der HErr auffs wenig - ſte einigen in gewiſſem verſtand zum vater verordnet hat / oder auf mein an - wachſendes alter ſihet. Derjenige aber / der der rechte Vater iſt uͤber alles / was kinder heißt im himmel und auf erden / verleihe mir die gnade / daß dann inskuͤnfftige in und aus ſeiner krafft etwas zu ſtaͤrckung ihres inwendigen menſchens mit beytragen moͤchte / ſo mich freuen und alsdann ſolchen nahmen mir ſo viel angenehmer machen ſolte. Auffs wenigſte werde nicht unterlaſ - ſen / wie es auch bißher geſchehen zu ſeyn vor GOTT bezeugen kan / den lieb - ſten Vater demuͤthig anzuruffen / daß / der ſein gutes werck in ihr angefangen / und ſo weit fortgeſetzet / es noch weiter in tieffer eintringung in die wahrheit goͤttlichen worts / in gewiſſer erkaͤntnuͤß ſeines heiligen willens / in krafft der heiligung und in troſt der hoffnung vollfuͤhret werden laſſe biß auf den tag JEſu Chriſti. Dieſes gebet iſt das einige / ſo ich noch in gegenwaͤrtigem zu - ſtande fuͤr dieſelbe zu thun weiß / ob mich wol auch nicht entziehen wuͤrde / wo mir noch andere gelegenheit des guten gegeben werden ſolte. Die klage uͤber ihre ſchwachheit und traͤgheit in dem guten hat mich nicht ſo wol betruͤbet / ob - wol alle kinder GOttes ſtarck und auffgemuntert verlangte / als erfreuet: Dann / ich ſehe ſolche an als eine wirckung der demuth / welche der beſte und recht geduͤngte acker iſt / auf dem die beſten fꝛuͤchte des Geiſtes in goͤttlichem ſe - gen wachſen. So erfahre in der that / daß es ſich mit dem Chriſtenthum in dieſem ſtuͤck nicht viel anders als mit den ſtudiis verhaͤlt. Wer zu ſtudiren anfaͤngt / und durch fleiß bald zu einigen wiſſenſchafften gelanget / bildet ſich gemeiniglich zu erſt das meiſte ein / wie gelehrt er ſey: Je laͤnger er aber in dem ſtudiren fortfaͤhret / und immer ſihet / wie viel noch zu lernen ſeye / je mehr laͤſ - ſet er die einbildung ſeiner gelahrtheit fahren / daß ich nicht zweiffle / wo er das hoͤchſte / ſo er erreichen koͤnnen / erreicht / er werde ſich vielweniger gelehrt hal - ten / alsbald nach dem erſten anfang; die urſache iſt dieſe / weil alle erſte einbil - dung daher gekommen / daß man noch nicht verſtanden / was zur eruditionP p p p p 3gehoͤre /854Das fuͤnffte Capitel. gehoͤre / ſondern nur wie einer / der in einem thal ſtehet / einen engen umgriff ſihet / den er bald auszuſtudiren gedencket / je weiter aber der menſch kommt / ſteiget er gleichſam immer den berg hinauf / es entdecket ſich aber immer ein weiterer horizont, daß er je laͤnger je weniger mehr denſelben zu begreiffen trauet. Alſo erkennet ein ſolcher nicht allein / wie vielerley dinge ihm zu wiſſen ſeyn / daran er vormalen nicht gedacht / ſondern / was auch zu ei - nem wahren wiſſen gehoͤre / da er findet / daß vieles vor dem nur meinung ge - weſen / ſo er vor wiſſen gehalten haͤtte / ehe er jeglicher dinge grund tieffer ein - zuſehen gelernet. Daher mir dieſes das beſte zeugnuͤß eines recht grundge - lehrten und weiſen mannes iſt / wo er nunmehro wahrhafftig glaubet / daß er noch nicht viel wiſſe / und daß alles itzige wiſſen / ein recht elendes ſtuͤckwerck ſeye. So verhaͤlt ſichs auch mit dem Chriſtenthum / da ſind faſt gemeinig - lich die anfaͤnglinge / wo ſie anfangen einigen glaſt eines liechts der erkaͤnt - nuͤß bey ſich gewahr zu werden / einige krafft des Geiſtes zu fuͤhlen / und die verleugnung ihrer ſelbs anzutreten / in den beſten gedancken von ſich ſelbs / und meinen weit gekommen zu ſeyn. Je mehr aber das liecht zunimmt / ſo dann auch die krafft waͤchſet / ſo vielmehr werden ſie gewahr / was ihnen noch mangelt / und was erfordert wird / hingegen wie ihr voriges und jetziges noch ſo gar gering ſeye / gegen dem / was ſie mehr und mehr erkennen / wohin ſie kommen ſolten. Sie hatten erſt allein das groͤbere der welt abgeleget / und daruͤber ſehr gute gedancken von ſich gehabt / denn die augen trangen noch nicht ſo tieff hinein / je tieffer ſie aber hinein tringen / ſo vielmehr finden ſie von der ſubtilern welt / und werden gewahr / daß ſich manches davon auch unter dem ſchein des guten verborgen habe. Sie mercken auch in der ausuͤbung der tugenden / wie viel ſtuffen in denſelben noch ſeyen / die ſie ſteigen ſolten / da ſie etwa auff der erſten ſtuffe ſich eingebildet / ſie haben das meiſte alles be - reits erſtiegen. So finden ſie auch der ſchrifft verſtand immer tieffer / und werden gewahr / wie noch ſo viel ſchaͤtze in dieſem bergwerck ſtecken / davon ſie nur erſtlich etwas von dem ertz / ſo ſich an den tag leget / geſehen hatten und ſol - ches vor viel gehalten. Damit kommen ſie endlich dahin / wahrhafftig zu be - greiffen / wie alle unſere erkaͤntnuͤß und heiligung noch ſtuͤckwerck ſeye / und wie weit ſie nicht allein noch von dem zweck / den ſie hier erreichen konten / zu - ruͤcke ſeyen / daher ſich ferner darnach beſtreben muͤßten / ſondern wie weit auch noch jener zu erreichen muͤgliche hoͤchſte grad von der vollkommenheit entfernet bleibe. Dieſes iſt alsdann die gruͤndliche demuth / neben dem / daß ſie auch alles was ſie haben / deſſen geber allein zuſchreiben / und alle ehre auff ihn weiſen / und dieſe bleibet alsdann feſte ſtehen: ſie iſt auch nichts erdichte - tes oder angenommenes / ſondern kommt aus der klahren uͤberzeugung ihres hertzens. Nun aus dieſer demuth hoffe ich dero klagen zu kommen / und ruf -fe855ARTIC. II. SECTIO XXXIII. fe noch ſchließlich den himmliſchen Vater an / er wolle ſolche ihre klage / ihr ei - nen ſtaͤten antrieb werden laſſen / in ſeiner krafft ſtaͤts zu wachſen / worinnen ſie ſich ſchwach findet / und ihre traͤgheit ſelbs auffzumuntern / er laſſe aber auch die demuth immer zunehmen / ſo vielmehr als uͤbriges alles waͤchſet / und alſo je groͤſſer ſie in des HErrn und der glaubigen augen werden moͤchte / je kleiner in den ihrigen zu ſeyn; insgemein aber nichts von ſich zu wiſſen / als daß ſie ein durch JEſu blut erkaufftes und durch ſeinen Geiſt geſalbtes kind GOttes ſeye / das der Vater aus gnaden liebe / das blut des Sohnes immer mehr reinigen / und der Geiſt an deſſen heiligung arbeiten wolle / ſich alſo dem zu uͤberlaſſen / der es alles vollend ausmache / und ſie in den genuß des ewigen erbes endlich ſetze. 1692.

SECTIO XXXIII. Von einem angefochtenen knaben / auch offte - rer communion.

WAs den ſchwehrmuͤthigen und angefochtenen knaben anlanget / ſchei - net wol das meiſte ein natuͤrlicher affect zu ſeyn / der entweder allezeit oder meiſtens die phantaſie verunruhiget / doch mag ſich der boͤſe geiſt / wie er keine gelegenheit uns zu ſchaden verſaͤumet / etwas zu weilen mit einmiſchen. Am aller meiſten wundert mich / und habe dergleichen ſonſt we - niger wahrgenommen / daß er zu der arbeit nicht gebracht werden kan. Den zuſtand nun an ſich ſelbſten / halte ich davor / muͤſſe man verſtaͤndigen leibli - chen Medicis (ob zwahr vielleicht nicht alle unter denſelben dergleichen unge - meine kranckheiten verſtehen) uͤberlaſſen: von geiſtlichen mitteln aber / um ſo wol der gelegenheit zur beſſerung des menſchen ſich recht zu gebrauchen / als auch dem ſatan zu wehren / daß derſelbe ſich nicht dieſes zuſtandes zu gefahr der ſeelen mißbrauche / weiß ich keine andere als das goͤttliche wort und gebet: jenes daß der knabe / ſo fern anders von ihm keine verunruhigung in der ver - ſammlung zu ſorgen iſt / ſo wol fleißig zu dem gottesdienſt und der predigt ge - bracht / als auch zu hauß fleißig unterrichtet / und ſonderlich ihm die erkaͤnt - nuͤß der gnaden-ſchaͤtze der heiligen tauff zu begruͤndung des glaubens und troſtes aus GOttes wort beyzubringen getrachtet werde: indem wo er ſon - derlich der kindſchafft des himmliſchen Vaters und der daraus habender rech - te in ſeiner ſeele uͤberzeuget wuͤrde / die ſchwehrmuth hinfallen oder doch ſehr gemindert werden muͤſte: dieſes aber / das gedet anlangende / achte ich es vor wuͤrdig / daß oͤffentlich in der gemeinde dieſe noth dem HErrn vorgetragen werde: ſo dann wird dienlich ſeyn / daß man ihn nicht allein fleißig zum gebet / wiewol ohn eigenlichen zwang / anweiſe und vermahne / ſondern ſo wol die el - tern als andre gute freunde / wo ſie zu ihm kommen / mit ihm beten: ſonderlichaber856Das fuͤnffte Capitel. aber wird geliebter bruder / als ſein ſeelſorger / dieſe ſorge mit gebet und zu - ſpruch an ihmuͤben. Der HErr aber ſelbs gebe darzu noͤthige weißheit und krafft. Jch komme nun auff den punct von der offtern communion / und er - klaͤhre mich auff folgende art 1. die offtere communion der Chriſten / welche ei - nen hertzlichen hunger und durſt darnach empfinden / kan ich nicht unbilligen / ſondern loben: jedoch / daß verhuͤtet werde / daß eben ſolches offtere nicht et - wa allgemach eine verachtung / geringſchaͤtzung oder wol endlich eckel verur - ſache. Jch weiß mich zu erinnern / daß der alte Sel. D. Johann Schmid in Straßburg alle monaten zu communiciren pflegte: dergleichen ich auch einen kauffmann in Franckfurt am Mayn zum beicht-kind gehabt / deſſen mehrma - ligere communion aber nicht eben groſſe fruͤchte gebracht hat. So hatte noch eine andere beicht-tochter / ſo auch ſehr vielmal communicirte / die ich aber des wegen / damit es eine gemeinde nicht ſo leicht gewahr wuͤrde / und ſich dar - an ob wol unbillich ſtieſſe / in zwey kirchen / weil ich in beyden mit adminiſtrir - te / darzu gehen lieſſe. 2. Wo einer einen ſcrupel bekaͤm / als uͤber unwuͤrdig genommenes Sacrament / und er verlangte ſo bald drauff ihm ſolches noch - mal zu reichen / koͤnte ſich auch auff die geiſtliche nieſſung nicht bloß verweiſen laſſen / haͤtte man ihm auch unſchwehr zufuͤgen. Wie mich auch erinnere / daß zu meiner zeit Herr D. Tabor, da er ein mal in eine ſchwehrmuth geriethe / in etlichen tagen zwey mal das heilige abendmahl genoſſen. 3. Wo jemand ſehr offt das heilige abendmahl zu gebrauchen ſich vornehme / haͤtte der beicht - vater ſeine urſachen zu forſchen / und zu pruͤfen / ob ſie wichtig / oder nur in ei - ner ſingularitaͤt und eigenſinn beſtuͤnden: waͤre dieſes / o waͤre er fleißig zu er - iñern / ſich nicht an einer heiligen ſache / wo man unbedachtſam damit umgien - ge / nicht nur deſto mehr zu verſuͤndigen: faͤnde man aber die urſachen richtig / und das verlangen nach geiſtlicher ſtaͤrckung zum grund wahrhafftig geleget / ſo haben wir Prediger einem ſolchen unſer amt nicht zu verſagen / ſondern auch mehrmals daſſelbe Sacrament ihm willig zu reichen: indem uns ſolche mehr - malige communion weder in GOttes wort noch auch nur in kirchen-ordnun - gen verboten iſt. 4. Weil aber in allem dahin zu ſehen iſt / daß andern kein anſtoß geſetzet werde / ſo gar daß wir dieſen zu vermeiden nach der Apoſtoli - ſchen lehr wol gar auch unſre eigne freyheit ausſetzen ſollen / ſo muß auch ver - huͤtet werden / daß dieſes mehrmalige brauchen des Sacraments niemand anſtoͤßig werde. Daher wo die perſonen nicht ſo gar als ſonſt insgemein an eine gemeinde gebunden / wie etwa Studioſi mehr freyheit haben / moͤchte viel - leicht ſolchen zu rathen ſeyn / daß ſie ſolche geiſtliche ſpeiſe in etlichen gemein - den / zu einer zeit in einer / zu einer andern zeit in der andern / genieſſen / ſo aber mit vorwiſſen und belieben beyder Prediger geſchehen muͤſte. Sinds aber leute / ſo durch die ordnung an eine gemeinde verwieſen / haͤtte ich kein beden -cken /857ARTIC. II. SECTIO. XXXIII. cken / da ich einmal des redlichen hertzens derſelben verſichert waͤre / ſie ſo offt als die heilige handlung meines orts oͤffentlich gehalten wuͤrde / auch mit zu admittiren: wuͤrde aber die gelegenheit nehmen / in predigten einige mal da - von unterricht zu geben / daß niemand ſeinen bruder / der ſeine freyheit zu ſei - ner ſeelen mehrern erbauung gebrauchte / daruͤber urtheilen / oder ſich daran ſtoſſen ſolte: Wie ich dann in Franckfurth dergleichen mehrmal auff der can - tzel erinnert habe. 5. So lange man aber ſolche oͤffentliche cbmmunion haben kan / lieſſe ichs nicht darzu kommen / die handlung auſſer dem nothfall / wo man zur gemeinde nicht zu kommen vermag / zu hauſe anzuſtellen. Jndem ein - mal die Sacramenten / als die bande der gemeinde / rechtswegen in die oͤffent - liche verſammlungen / und daß alſo alle glieder davon wiſſen moͤgen / gehoͤren / daher auch davon nicht abzuziehen ſind. 6. Wo ſich aber bey einer ſeelen ein ſo inbruͤnſtiges verlangen nach dieſer ſtaͤrckung faͤnde an einem ort / da man dieſe handlung ſeltener oͤffentlich haben kan / oder auch ſonſt auſſer der zeit / die darzu verordnet iſt / wolte ich zwahr ihr zumuthen / ob ſie es nicht lieber auff die zeit der verſammlung verſchieben wolte / lieſſe ihr aber ihr verlangen ſolches nicht zu / wuͤrde es ihr entweder zu hauſe oder in der ſacriſtey allein zu reichen mich nicht entziehen. 7. Wie nun dieſes alles geredet iſt von einem Prediger / und wie derſelbe ſich gegen ſeiner gemeinde glieder / oder doch die ſich ſeines dienſts gebrauchen wollen / zu verhalten habe: alſo koͤnte hingegen durchaus nicht billigen / wo ſich einige / ob wol ſonſten glaubige hertzen / die freyheit nehmen wolten / (wie eines orts dergleichen exempel vorgegangen / aber insgemein mehr ſchaden gethan hat / als ſolche gute leute vor ſich nutzen davon gehabt zu haben / gedencken moͤgen) unter ſich privatim die heilige com - munion zu halten. Dann nachdem aus goͤttlicher verordnung in der kirchen das amt der aͤltiſten verordnet iſt / ſo iſt denſelben die auffſicht auf alles in der kirchen anbefohlen / und kan alſo nichts / was die gemeinde angehet / dahin dann die handlung der Sacramenten gehoͤret / als welche die bande der gan - tzen gemeinde ſind / von jemand ohne derſelben vorwiſſen und einſtimmung vorgenommen werden / wie ich ſolches in einem eigenen bedencken ausgefuͤh - ret habe / ſondern wer ſich dergleichen / auſſer dem wahren nothfall / unterneh - me / wuͤrde ſich damit verſuͤndigen / auch in einer ſonſten an ſich ſelbs heiligen ſache: zu geſchweigen was aus ſolcher licenz der eigenmaͤchtigen communion vor aͤrgernuͤß und zerruͤttung entſtehen wuͤrde / alſo daß unſrer gantzen kir - chen euſſerſter ruin und oͤffentliche trennung daraus nothwendig erfolgen muͤſſe / zu allzuſchwehrer verantwortung derjenigen / welche dergleichen ver - anlaßten / nachdem das gewiß daher erwartende unheil ſo groß iſt / daß wo auch einigerley maſſen eine mehrere freyheit goͤttlichem wort nicht gantz zu - wider zu ſeyn gezeiget werden koͤnte / glaubige ſich lieber ihrer eigenen frey -Q q q q qheit858Das fuͤnffte Capitel. heit und daraus hoffenden troſtes aus liebe enthalten / und die erſetzung die - ſes mangels von dem / der die liebe gnaͤdig anſihet / erwarten / als einen ſolchen jammer / an den ich nicht gedencken kan / daß mir nicht die haare zu berge ſte - hen / und deſſen erfolg nachmal ihnen ſelbs ſehr ſchwehr auff das gewiſſen fal - len wuͤrde / veranlaſſen ſolten. Jn allem dieſem bitte ich die ſache in der furcht des HErrn und mit deſſen anruffung hertzlich zu uͤberlegen / und der eigenen ſtaͤrckung ſich alſo zu gebrauchen / daß ſie nicht zu ſo vieler anderer ſchwachen und ſtarcken niederſtoſſung gereiche: auch in dieſer gantzen materie die folgen - de ſpruͤche immer vor augen zu haben / einstheils Hebr. 5 / 4. Niemand nim - met ihm ſelbs die ehre / ſondern der auch beruffen ſeye von GOTT / gleich wie der Aharon: andern theils 1. Cor. 10 / 23. Jch habe es zwahr alles macht / aber es frommet nicht alles. Jch habe es alles macht / a - ber es beſſert nicht alles: und Philip. 2 / 4. ein jeglicher ſehe nicht auff das ſeine / ſondern auf das / das des andern iſt. Der HErr aber gebe uns ſelbs die weißheit / die vor ihm iſt / ſeinen willen in allen ſtuͤcken zu erkennen / und demſelben nachzufolgen / in dem was er austruͤcklich befohlen hat / men - ſchen nicht zu fuͤrchten / in andern dingen aber anderer aus ſein und des nechſten liebe zu ſchonen: Er bewahre auch ſelbs ſeine kirche vor allem anſtoß / und diejenige ſteine / die wir ohne mehrern ſchaden noch nicht heben koͤnnen / hebe er bald durch ſeine herrliche zukunfft / dero wir die ehre der voͤlligen zu - rechtbringung werden muͤſſen uͤberlaſſen und empfehlen. 1693.

SECTIO XXXIV. Troſt an einen / der durch ungluͤcklichen fall eine zeit - lang zu ſeinen amts-geſchaͤfften untuͤchtig worden.

ES wird in rechter ſeelen-ruhe zu bleiben / ſehr nuͤtzlich ſeyn / alle die ge - dancken von menſchen / was ſie in dieſem geſchaͤfft gethan oder gelaſſen / und anders ſich haͤtten bezeugen ſollen / ſchlechterdings abzuziehen / und auf GOtt lauterlich zu richten / als ohne deſſen willen uns nicht ein haar von unſerm haupt fallen / weniger ein ſchwehreres ungluͤck uns betreffen / o - der uns von menſchen etwas begegnen kan. Was wir nun mit ſolchem her - tzen anſehen / als von GOtt kommende / ſolches laͤſſet uns in unſrer ruhe: und finden wir leicht ſelbs / daß wir mit GOtt nicht zuͤrnen koͤnnen / noch deſſen urſach haben: jenes / weil er nach unſerm zorn nichts zu fragen hat; dieſes / weil ſein rath / auch da er unſern gedancken entgegen / gewiß weiſe und guͤtig / daher zu unſerm wahren beſten gerichtet iſt. Ginge es nun nach meinem und etwa auch anderer menſchen gutachten / hielten wir es vor das beſte / wie wir auch wuͤnſchen / daß derſelbe durch goͤttliche gnade wiederum dermaſſen zu -recht859ARTIC. II. SECTIO XXXIV. zurecht kommen moͤge / ohne einige hindernuͤß immerfort alle ſeine vorige ver - richtungen wieder ſo anzutreten / als lange zeit annoch zu verwalten: ſolle es aber dem HErrn HErrn gefallen / denſelben laͤngere zeit in dieſer gedult-ſchu - le auffzuhalten / oder ſein lebtage an dieſer laſt tragen zu laſſen / ſo muͤſten wir gleichwol auch ſagen / der HErr thue alles wohl / auch wo er wider dieſe un - ſre gedancken thut / und bleibe demnach ſein wille allezeit der beſte. Wir wiſ - ſen / der gantze zweck dieſes unſers zeitlichen lebens iſt derjenige / damit unſre ſeele zu jener kuͤnfftigen herrlichkeit recht bereitet werde / und wir hier in die - ſer zeit vielen guten ſaamen ausſtreuen / davon wir dort in der ewigkeit eine reiche erndte ſammlen moͤgen. Hierzu iſt nun wol das ordentlichſte mittel / daß man lange vieles gutes in ſeinem ſo allgemeinen Chriſten-als abſonderlichen ſtand und beruff zu GOttes ehren und des nechſten beſtem auszurichten / zeit / gelegenheit und kraͤfften habe / darzu langes leben und gute geſundheit er - fordert wird / daher aus jenem rechten zweck auch nach dieſen verlangen zu tragen nicht unrecht / ſondern goͤttlicher ordnung gemaͤß iſt. Wem auch Gott ſolche beſchehret / iſt man dieſelbe treulich darzu anzuwenden allerdings ver - bunden. Es kan aber geſchehen / daß goͤttlicher rath zuweilen ein anders - ber uns beſchloſſen hat / daß er nemlich / da wir noch mitten in dem lauff mit allerley arbeit ihm zu dienen begriffen ſind / denſelben durch entziehung der geſundheit hemmet / und uns alſo auſſer dem ſtande ſetzet / mit vorigen verrichtungen ihm ferner zu dienen. Geſchihet nun ſolches / ſo thut uns ins - gemein nicht allein das leyden unſers leibes wehe / ſondern die fleiſchliche vernunfft / die ſich nicht in GOttes ordnung zu ſchicken weiß / fichtet uns da - mit an / daß wir damit zu allem dienſt Gottes unnuͤtz wuͤrden / woraus nichts anders als ſchwehrer zorn deſſelben zu ſchlieſſen ſeye. Nun iſt nicht ohne / daß man freylich die ſache auch alſo anzuſehen habe / GOtt weiſe uns auff die pruͤ - fung unſers vorigen lebens / wie fleißig wir alle unſere wercke lauterlich zu GOttes ehre und des nechſten beſten gerichtet / oder eigengeſuch mit einge - miſchet / und ihn zu entziehung des nicht treulich angewandten verurſacht haben moͤchten / um nachdem wir uns befinden / deswegen vor GOtt bußfer - tig zu demuͤthigen. Jndeſſen haben wir ſonderlich darauff zu ſehen / daß der - gleichen ſchwaͤchung unſerer natuͤrlichen kraͤfften / gleich wie die verbindung zu dem dienſt unſers GOttts / alſo auch das vermoͤgen darzu / nicht auffhebe / ſondern nur aͤndere. Jndem man demſelben nicht allein mit emſiger arbeit und verrichtung vieler euſſerlichen geſchaͤfften / ſo zwahr auch bey geſunden tagen nach habendem beruff geſchehen muß / ſondern nicht weniger mit gedul - tiger tragung der aufferlegten laſt / und taͤglicher auffopfferung oder erge - bung ſeines willens in den goͤttlichen / geſchehen kan: ja dieſer dienſt in gedult aus glaubigem hertzen geleiſtet / iſt ſo heilig vor GOtt / als derjenige / der et -Q q q q q 2wa860Das fuͤnffte Capitel. wa zu andern malen mit vieler arbeit / als man ſie zu thun vermochte / gelei - ſtet worden war. Sehen wir aber uns ſelbſten an / ſo iſt kaum einiger zuſtand tuͤchtiger an unſrer ſeelen ungehindert zu arbeiten / darzu ſonſten bey der ver - richtung vieler geſchaͤfften man ſo offt kaum zeit und kraͤfften / die an anders gewendet werden muͤſſen / findet. Alſo daß man auch wahrhafftig darinnen Gottes heilige liebe gegen uns abzunehmen / und wann man ſie erkant / danck - barlich zu preiſen hat / wenn er uns einen theil unſers lebens / nachdem wir das uͤbrige faſt allein an andern anwenden muͤſſen / uns lediglich zu unſrer eignen ſeelen ſorge / und mit ihm ſelbs mehr umzugehen / uͤberlaͤſſet. Hat nun dorten Carolus V. um eine zeit zu haben / da er auch ihm ſelbs in geſundem verſtand lebte / ſich ſeiner reiche entſchlagen; Geſchihet es auch jetzt zuweilen von einigen (dero thun zwahr nicht vermeſſentlich beurtheilen will / aber goͤtt - lichen willen darinnen auch nicht ſehen kan / noch auff mich die verantwor - tung zu nehmen getraute) die bey noch geſunden tagen ſich aller geſchaͤfften und aͤmter entſchlagen / in einer ſtille GOtt an ihren ſeelen arbeiten zu laſſen: ſo ſolle uns ſo viel leichter ankommen / in demjenigen ſtand / darinn uns GOtt ſelbs ſetzet / und wir daher an dem beruff darzu keinen zweifel haben koͤnnen / ihm willig auszuhalten / nach welchem andere geſtrebet / und darein zu kom - men mit einer gewalt ſich loßzureiſſen wuͤrdig geachtet haben. Jchzweifle aber nicht / derſelbe werde ſeither ſelbs alles dieſes vor GOtt hertzlich uͤberle - get / darinnen troſt gefunden / und ſich deſto williger in die hand des HErrn / darinnen uns nicht anders als wohl ſeyn kan / gegeben haben. Der liebſte Vater / der zwahr auch dem euſſerlichen menſchen noch ſo viel kraͤffte als ſei - ne ehre mit ſich bringet / beſchehren wolle / laſſe ſonderlich alle bißherige jenes verweſung mit ſo viel kraͤftigerm wachsthum des innerlichen erſetzet werden / und ſchicke es alſo / daß auch um dieſe guͤtige fuͤhrung wir ihm von grund der ſeelen dancken in zeit und ewigkeit: ſo er auch gewiß thun wird. ꝛc. 1698.

SECTIO XXXV. Troſt an eine chriſtliche frau / die neben leibes - ſchwachheit durch vielerley ſorgen niedergeſchlagen wurde.

OB ich wol daran nicht zweiffele / daß dieſelbe mit ihrem GOTT hertz - lich zu frieden / an denjenigen guͤtern / mit welchen der liebſte Vater ihre ſeele begnadet / ſich vornemlich vergnuͤget / aber darvon auch manche hertzliche freude des Geiſtes bey ſich fuͤhlen wird / kan doch auch leicht erach - ten / daß ſo wol die leibes-ſchwachheit / damit dem liebſten Vater nechſt an - dern proben ihre gedult offt zu pruͤffen beliebet hat / als auch dasjenige / wasman861ARTIC. II. SECTIO XXXV. man in geiſtlichem und leiblichem zu geſchehen anſehen muß / ihre ſeele manch - mal aͤngſte / daß derſelben offt lang werden wird / unter Meſech und in den huͤt - ten Kedar zu wohnen. Wie aber die vaͤterliche guͤte das leiden des leibes ſo wol allezeit ertraͤglich machen und mit ihrem troſt erleichtern / alſo auch durch ſolche verweſung des euſſern menſchen des innern wachsthum und erneue - rung herrlich befoͤrdern wird / ſo wir von derſelben uns gewiß verſehen moͤ - gen: Alſo wird auch dieſelbe ſie uͤber alles dasjenige / wo ſie ſich auch die allge - meine uͤbel zu hertzen zeucht / als welches wahrer Chriſten art iſt / kraͤfftig troͤ - ſten. Laſſet uns glauben / es moͤge ſo arg und boͤſe immer hergehen / ſo muͤſſe es alſo gehen; ſeye uns laͤngſten vorgeſagt / und werde zu derjenigen beſten ausſchlagen / welche JEſum hertzlich lieben. Solten auch falſche lehren uͤberhand nehmen / und die verfuͤhrungen groß werden / welches allerdings und ſchrecklicher / als wirs uns noch einbilden / geſchehen wird: So wird Chri - ſtus ſeine auser wehlten / die ihn vor ihren einigen meiſter erkennen / und ſich an ſeine wort halten / vor kraͤfftigen irrthuͤmen bewahren / und die ſalbung in derjenigen maaß ertheilen / die ihnen gnug ſeye / vor allen verfuͤhrungen ſicher zu bleiben. Solle die gottſeligkeit noch ferner verſpottet / und welche ſie trei - ben / eben deswegen vor verdaͤchtig / ja vor verfuͤhrer / gehalten werden: So wird der HErr gleichwol die ſeelen / die in ihrer einfalt ihm glaubig anhangen / auch bewahren / daß ſie weder an andern unſchuldigen ſich mit verſuͤndigen / noch dardurch von dem wege der gottſeligkeit abwendig machen / ſondern deſto ernſtlicher drauf fortfahren / und etwas der ſchmach Chriſti auch willig mit auffnehmen. Sollen auch euſſerliche harte verfolgungen bald ausbrechen / davon man vielleicht die wetter ſchon von weitem auffgehen ſihet / ſo ſolle doch auch ſolche verſuchung nach der treue GOttes ſeinen kindern nicht zu ſchwehr werden / ſondern das maaß des Geiſtes wachſen / nachdem die leiden zunehmen. Sollen auch ſtunden kommen / daß ſich das vaͤterliche angeſicht verbirget / und die fuͤhlung des troſtes eine zeitlang entſtehet / ſo wird der HErr den glauben / den wir verlohren zu haben meinen / uns unwiſſend in dem tieffſten grund der ſeelen und in dem allerheiligſten / uns aber durch denſelben / erhalten. Solle die ungerechtigkeit mehr und mehr uͤberhand nehmen / alſo gar / daß auch diejenige / ſo die verſorger und beſchuͤtzer des volcks ſeyn ſollen / demſelben zu lauter plag und ſtraffe wuͤrden / alſo daß leib / leben / ehr / haab und gut zu verliehren augenblickliche gefahr obſchwebte: So bleibet Chriſtus un - ſer ſo guͤtiger als gerechter Koͤnig / der / wo er der ſeinigen glauben durch die ungerechtigkeit ſeiner amtleute obwol mit harten proben uͤberlaͤſſet / ſie dan - noch maͤchtiglich erhaͤlt / den abbruch der irrdiſchen guͤter mit ſo vielmehr geiſt - lichem und innerlichem erſetzet / das verlangen des ewigen dardurch bey ihnen ſchaͤrffet / und zu rechter zeit allen gefahren entreiſſet. Sollen die zeiten kom -Q q q q q 3men862Das fuͤnffte Capitel. men der truͤbſaalen / dergleichen noch nie geweſen ſind / wie ſie dann kommen muͤſſen: So muß auch ſeine krafft in den ſeinigen ſo viel ſtaͤrcker werden / und ſehen ſie da hindurch auf die verheiſſene erquickung vor dem angeſicht des HErrn / und uͤberwinden damit alles weit in dem / der ſie geliebet hat und lie - bet / ſo wol in dem reich des creutzes / als in dem reich des liechtes / und endlich jener ewigkeit. An allem dieſem troſt weiß ich / wirds meiner geliebten / der - jenige nicht manglen laſſen / den ſie auch liebet / und der ihr ſchon ſo viel zu uͤber - winden geholffen hat. 1696.

SECTIO XXXVI. Troſt-ſchreiben an einen / der in langwieriger kranckheit ſein leben fuͤhren muͤſſen. Was aus GOttes rath dergleichen leben nutze. Krafft deren ohne vieler erudition gefaßter ſchrifften.

ES hat mich erfreuet / daß der groſſe GOTT meine wenige arbeit / ſo er von mir verrichten laſſen / nachdem theils deroſelben durch den truck pu - bliciret worden / ſonderlich aber meine poſtill / auch ihres orts und nah - menlich bey meinem geliebten freunde geſegnet habe / da derſelbe einige er - bauung daraus geſchoͤpfft zu haben freundlich bezeuget. Jch weiß zwahr und erkenne / daß der lieben und von GOTT mit mehreren gaben ausgeruͤſte - ten maͤnnern ausgefertigten buͤcher gnug vorhanden ſind / daß wir / da ohne das die heilige ſchrifft unſer haupt - und vornehmſtes buch bleibet / anderer weiter nicht bedoͤrffen / weil aber durch unterſchiedliche gelegenheit / guter freunde begehren und alſo vermutheter goͤttlichen fingers anzeige / veranlaſ - ſet worden bin / mehrere von meinen einfaͤltigen predigten herauszugeben / ſo iſt mirs billich eine freude / wo mich GOTT hoͤren laͤſſet / daß er ſolche arbeit bey einigen guten hertzen ſegne / und ſie alſo nicht vergebens angewendet ſeye: Jndem ich dadurch / nach art der menſchlichen natur / welche offters etwa eini - ge auffmunterung / in dem guten nicht traͤge zu werden / noͤthig hat / zur arbeit deſto mehr auffgemuntert / gegen die anfechtung / welche daſſelbe offters ver - urſachet / wo man ſihet / (wie ich leider auch erfahren muͤſſen!) daß wolgemein - te dinge und ſchrifften von andern widrig-geſinneten und unbedachtſamen in verdacht gezogen und faſt unnuͤtz gemacht werden wollen / bekraͤfftiget / und dem geber aller guten gaben und alles ſegens deſto hertzlicher danckzuſagen in dem gemuͤth / ſo ſonſten offters niedergeſchlagen iſt / erhoben werde. Und zwahr ſolches ſo vielmehr / weil jedes ſolches zeugnuͤß eines chriſtlichen menſchen / der ſich durch ſolche erbaut zu ſeyn bekennet / mir eine neue probe iſt / wie GOTT auch die einfaͤltigſte und ohne apparat der erudition ausgefertigte ſchrifftenwie863ARTIC. II. SECTIO XXXVI. (wie ichdann nicht nur allein mir meiner ſchwachheit wol bewußt bin / ſondern nicht leugne / daß ich in predigten und ſchreiben geiſtlicher materien mich aller einfalt vor allen dingen befleiſſe / und den gebrauch der wenigen erudition, die ich haben mag / lieber ſuche dabey zu unterlaſſen / als dieſelbe darinnen anzu - wenden) nicht weniger ja offters mehr ſegne / als diejenige / wo alles nach den reguln der kunſt ausgearbeitet wird. Da bekenne nun / daß mich ſolches ſo viel hertzlicher erfreuet / weil es eine bekraͤfftigung der wahrheit iſt / ſo ich offt treibe / und deſto hoͤher die erfahrung derſelben halte / daß die krafft des goͤtt - lichen worts nicht haͤnge an dem kuͤnſtlichen vortrag / und hinzugeſetzter menſchlicher erudition, ſondern dieſelbe in ſich habe / und ſie gemeiniglich am kraͤfftigſten erzeige / wo man es ohne vielen zuſatz menſchlicher kuͤnſte laͤſſet. Wie der Apoſtel ſagt: Er habe das Evangelium nicht predigen ſollen mit klugen worten / auf daß nicht das creutz Chriſti zu nichte werde; und wiederum ſein wort und predigt ſeye nicht geweſen in vernuͤnffti - gen reden menſchlicher weißheit / ſondern in beweiſung des Geiſtes und der krafft / auf daß ihr glaube beſtehe nicht auf menſchen-weißheit / ſondern auf GOttes krafft. 1. Cor. 1 / 17. 2 / 4. Da ich deswegen immer geſorget / wo allzuviel erudition und menſchliche kunſt mit eingemiſchet werde (welche ſonſten ihres orts wol auch paßiren mag) ſo moͤge es leicht geſchehen / daß die gemuͤther ſich in dieſen dingen vergaffen / und an menſchlichen bewe - gungen haͤngen bleiben / die krafft des worts ſelbs wenig achtende. Alſo preiſe ich billich den himmliſchen Vater / der hingegen auch an meinem weni - gen exempel zeiget / daß ſein wort ohne dergleichen geſuchte zierrathen nichts weniger kraͤfftig ſeye / ſondern in die hertzen tringe: Bitte ihn auch / daß er mich immer mehr und mehr zu der rechten einfalt in Chriſto fuͤhre / und darinnen befeſtige / daß ich nicht ſuche / ſein wort zu verkuͤnſtlen / ſondern wiſſe / wozu die menſchliche erudition zu brauchen ſeye / worinnen ſie ihren nutzen habe oder nicht habe. Was im uͤbrigen anlangt das verlangen meiner wenigen ſchriff - ten indiculum zu ſehen / ſo lege denſelben hiebey. Ferners iſt mir auch dieſes liebe ſchreiben darinnen erfreulich geweſen / daß dadurch Herrn N. N. nahm und geruͤhmte treue mir bekant worden iſt. Wie ich dann nicht leugne / daß / nachdem ich leider an den meiſten orten / wo ich meine augen offtmals in unſe - rer Evangeliſchen kirchen hinwende / vielmehr miedlinge und untreue / als wahre und ihres Ertz-hirten exempel nachahmende hirten anſehe / und dieſes vor eines der ſchwehrſten gerichte und elend unſerer zeiten achte / deſto hertzli - cher erfreuet werde / wo ich bald da bald dorther von treuen bruͤdern hoͤre / wel - che nach Pauli worten nicht das ihre / ſondern was JEſu Chriſti iſt / mit auff - richtigem hertzen ſuchen / weder ehre / noch reichthum / noch wolluſt in dieſerwelt /864Das fuͤnffte Capitel. welt / noch auch ihre gunſt angelegenlich verlangen / ſondern allein begehren / vor dem HErrn in ſeinem dienſt treu erfunden zu werden; welches geſchihet / da ſie das wort der wahrheit / offentlich und abſonderlich / wie es ſeyn mag / lauter / eiffrig und in goͤttlicher weißheit vortragen / und dadurch / wie nicht weniger mit heiligem wandel / an ihren gemeinden arbeiten. Dergleichen nun zu ſeyn ruͤhmet mein wertheſter freund ſeinen treuen Beicht-vater: Da ich auch deswegen den groſſen GOTT danckbarlich preiſe / welcher auch an demſelben einen treuen arbeiter in ſeine erndte geſendet / er wolle auch ſolchen / ſamt allen andern ihres und anderes orts gleich-geſinneten / gnaͤdiglich ſtaͤr - cken und erhalten / ja dero zahl immer groͤſſer / die menge aber der ſich ſelbs ſuchenden und weidenden hirten / auf ihm bekante und ſeiner ſo weißheit als guͤte / und gerechtigkeit gemaͤſſe art / geringer werden laſſen / auch deroſelben hindernuͤſſen / die ſie dem guten in den weg werffen / kraͤfftiglich widerſtehen. Neben dem bitte freundlich / bey gelegenheit ihm meinen bruͤderlichen gruß ſamt hertzlichem vergnuͤgen ſo ich von ſeiner angeruͤhmten amts-treue ge - ſchoͤpffet zu hinterbringen. Wie ich auch nicht unterlaſſen will den HErrn fuͤr ihn anzuflehen. Hinwieder mich auch in deſſelben fuͤrbitte hertzlichem - pfehle. Wie nun alles dieſes in ſeinem werthen ſchreiben mich ſehr erfreuet / ſo iſt noch eines darinnen geweſen / ſo zwahr eine urſach einer betruͤbnuͤß / ſo - bald aber auch dabey neuer freude gegeben / da mein geliebter Herr und freund ſeines von 9. jahren her ausgeſtandenen creutzes meldung thut. Na - tuͤrlich iſts ſeine ſchmertzen und leyden fuͤhlen / und geſtehet auch der liebe A - poſtel Hebr. 12. daß die truͤbſaal / wo ſie da iſt / uns nicht duͤncke freude zu ſeyn ſondern traurigkeit. So bringt die freundſchafft-liebe auch die - ſes mit ſich / daß man derjenigen / welche man werth haͤlt / ſchmertzen / in einer gemeinſchafft des gemuͤths auch damit empfindet / und alſo nicht ohne wah - res mitleiden davon angehoͤret werden kan. Wie mich dieſes dann auch ſo vielmehr verbinden wird / den HERRN HErrn hertzlich anzuruffen / daß er auch dieſe laſt ſo tragen helffen / auch mindern undzu rechter zeit wiederhin wegnehmen wolle. Jndeſſen leugne nicht / daß mich zugleich inniglich ver - gnuͤget und erfreuet hat / aus eben ſolchem geliebten brieffe zu vernehmen / wie chriſtlich und gelaſſen derſelbe ſolches ſein creutz annimmet / und alſo wie viel nutzen es bereits in GOttes ſeegen an ſeiner ſeelen gebracht haben muß / daß alſo nach Pauli worten duꝛch die verweſung des euſſern der innere menſch zimlich muß erneuert worden ſeyn. Er nennet es ein leidliches / heilwer - thes creutzlein. So wuͤrde etwa die vernunfft / fleiſch und blut darvon nicht reden / in dem wir die geſundheit vor das theuerſte gut unter allem zeit - lichen achten; wie es auch in der that gegen andere zeitliche gerechnet dieſel -be865ARTIC. II. SECTIO XXXVI. be weit uͤbertrifft. So kan alſo eine ſolche anhaltende ſchmertzliche unpaͤß - lichkeit unſerm alten menſchen nicht anders als untraͤglich vorkommen; ſchei - net auch / er habe ſcheinbare urſach / ſich derſelben zu beſchwehren / wo man ſi - het / daß man dadurch gehindert und gleichſam umuͤchtig wird / unſerer mei - nung und gedancken nach GOTT zu dienen. Ja es iſt unmoͤglich / daß wir anders davor halten koͤnnen / als lang wir nicht bloſſer dings die augen ſchlieſſen / und nur auff GOttes rath und willen ſehende wahrhafftig glau - ben / GOtt werde niemalen von uns beſſer gedienet / als auf die art und wei - ſe / nicht welche wir nach eigener weißheit uns erwehlen / ſondern wie er uns berufft / es ſeye zuthun oder zuleiden. Alſo ſind es worte / die wie ich mich verſichere / daß ſie von hertzen gehen / alſo aus der wuͤrckung des heiligen Gei - ſtes herkommen muͤſſen: Da heiſſet uns leidlich / was uns ſonſten untraͤglich ſchiene / weil wir die goͤttliche krafft ſpuͤhren / welche uns in dem gegenwaͤrti - gen das leyden uͤbertragen hilfft / und auf das kuͤnfftige die goͤttliche verheiſ - ſungvor augen haben / die uns verſichert / daß uns nichts zuſchwehr wer - den ſolle. Da heiſſet uns heilwertig / worinnen der natuͤrliche menſch nichts als unheil ſchaden und hindernuͤß des vorgehabten guten zu erkennen meinet. Da heiſſets ein creutzlein / welches ſonſten die empfindlichkeit des fleiſches uns nicht groß genug zumachen weiß. Und erinnerten mich ſolche wort der gleichfoͤrmigen beurtheilung des in dem creutz wohlgeuͤbten Pauli: Unſere truͤbſaal (da er doch von den ſchwehrſten redet / welche moͤg en gefun - den werden) die zeitlich und leicht iſt / ſchaffet eine ewige und uͤber alle maaß wichtige herrlichkeit / uns die wir nicht ſehen auff das ſichtbare / ſondern auff das unſichtbare. Denn was ſichtbar iſt / das iſt zeit - lich / was aber unſichtbar iſt das iſt ewig. 2. Cor. 4 / 17. 18. Alſo iſt mir dieſes ein liebes und angenehmes zeugnuͤß / daß der HErr ſo viel durch ſolches creutz und deſſen erfahrung bereits in meinem werthen freunde gewircket / daß er gelernet / von allen dingen nicht zu urtheilen nach der em - pfindlichkeit der natur / ſondern nach der wahrheit des geiſtes. Welches wahrhafftig viel ein herrlicher gut iſt / als alle vergnuͤgung / welche der menſch von ſeiner leiblichen geſundheit / und was dieſelbige dem menſchen nutzen kan / fchoͤpffen moͤchte. Wie nun die goͤttliche wuͤrckung ſeinen verſtand erleuch - tet hat / in dem creutz dasjenige zu erkennen / was das natuͤrliche liecht daſelbs nicht entdecket / alſo ſehe ich auch / daß das liebe gemuͤth und wille dadurch nicht weniger kraͤfftig geruͤhret ſeye / da er ſeinem himmliſchen Vater fuͤr ſol - che heimſuchung hertzlich dancket / und damit allerdings zufrieden iſt. Wo ich nun dieſe unterwerffung des willens unter den goͤttlichen oder dieſe kindliche gelaſſenheit bey einer ſeelen finde / ſo preiſe ich ſie billich vor ſo vielen andern /R r r r rauch866Das fuͤnffte Capitel. auch in der welt gluͤckſeligſten / hochſelig / dann dieſelbe iſt GOttes beqveme ſo wohnung als werckſtaͤtte / darinnen er immer mehr und mehrers wircket / an dem ſonſten der eigene wille ihn leider bey uns meiſtens hindert. Ja ein ſolcher iſt faſt entflohen allem elend / ſo uns ſonſten trifft / in dem er nichts mehr vor elend haͤlt / ſondern mit froͤlicher zufriedenheit und danckſagung von dem himmliſchen Vater dasjenige aufnimmet / deſſen leiden und em - pfindlichkeit andere elend und betruͤbt machet. Ob nun auch ſein alſo ein - ſam fuͤhrendes leben andern ſehr ungluͤckſelig ſcheinen moͤchte / ſo iſts wahr - hafftig ein ſeliges leben / bey einem ſolchen gemuͤth / das es auf eine derglei - chen art aufnimmet: und ob wir / die wir nach des HErrn heiligem rath und willen ſtets unter andern leuten leben muͤſſen / und dazu von der amts - und liebe pflicht verbunden werden / billich GOTT dem HErrn auch fuͤr ſolche gnade dancken / wo er uns durch dieſes mittel zu einigen werckzeugen ſeiner gnaden macht / daß wir anderen gutes zuthun die gelegenheit offters bekom - men / ſo fuͤhlen wir doch auch dabey / wo wir acht geben / unſere ſchwehre laſt / und wie manchmal der auch noͤthige umgang mit andern uns ſo vieles un - gleiches und unreines anklecket / daß wir offt ſchier nicht genug abſehen / ob wir dem nechſten mehr nutzen oder uns ſchaden gethan. Es gehet uns faſt wie dem geld / in je mehrere haͤnde es kommet / ſo viel unſauberer wird es. Da - her diejenige / welche nicht ihre eigene zaͤrtigkeit oder eigenſinn / da man des nechſten / und was wir demſelben verbunden ſeyen / nicht achtet / ſondern GOt - tes heilige regierung und alſo die von ihm zuſendende leibes ſchwachheit von der meiſten anderer leute converſation abhaͤlt / ſich nicht ſonderlich daruͤber zu betruͤben / weniger zu beſchwehren / ſondern es vielmehr vor eine ſonderbare goͤttliche wolthat zu achten haben / welche ihrer ſchonet / und ob wir ſolches ſo eigenlich bey uns nicht abnehmen koͤnnen / aber aus der goͤttlichen guͤtigen re - gierung billich davor zu halten haben / vorgeſehen haben muß / daß wir unter den leuten unſeren ſeelen weniger frucht wuͤrden geſchafft haben / noch ſtarck genug geweſen ſeyn / allen denen in dergleichen umgang uns betreffenden ver - ſuchungen dermaſſen zu widerſtehen / daß wir nicht ſchaden darvon genommen haͤtten. Nun was liget uns an allem andern als an erhaltung unſers theuerſten kleinods der ſeelen? zu dero beſſerung / reinigung und heiligung gi - bet aber dergleichen ein auch aus noth abgeſondertes leben / bey denen / ſo den rath des himmliſchen Vaters in ſolcher ſache recht einſehen / und ſich demſel - ben gemaͤß zu bezeugen trachten / viel trefflichere und leichtere gelegenheit / als dasjenige / welches unter andern gefuͤhret wird. Und wo es etwa darum zu thun iſt / oder dieſes guten ſeelen eine anfechtung und betruͤbnuͤß machet / daß ſie ſorgen / ſie ſeyen nichts nutz in der welt / und koͤnten mit ihrem pfund GOTT und dem nechſten nicht rechtſchaffen dienen: So wird ſich doch ingott -867ARTIC. II. SECTIO XXXVI. gottſeliger uͤberlegung die ſache gantz anders finden: Dann diejenige ſind ſchon nutz genug / welche ihr leben fuͤhren nach dem willen deſſen / der ſie in die welt geſetzet hat / und ſie alſo haben will / als er ſie ſelbs gemacht: Wie ich nun nicht ſagen kan von einiger andern creatur / dero nutzen mir nicht ſcheinbar iſt / daß ſie in der welt unnuͤtz ſeye / als welches die weißheit des Schoͤpffers in zweiffel ziehen wuͤrde / welche etwas unnuͤtzliches gemacht haͤtte / daher mir dieſes bereits dazu genug iſt / daß ein ding nuͤtzlich ſeye / weil und wann es das - jenige iſt und bleibet / wozu es der Schoͤpffer geſetzet hat: So kan ich auch kei - nen einigen menſchen vor unnuͤtz halten / als lang er in der ordnung ſtehet / wie ihn ſein Schoͤpffer geordnet hat / welcher beſſer verſtehet / wie ſeine ehr an jeg - lichem / an einem ſo an einem andern anders / am beſten befoͤrdert werde. Nun beſtehet aber der vornehmſte nutzen unſerer ſelbs und aller creaturen darin - nen / wann wir werckzeuge der ehre unſers GOttes nach ſeinem willen ſind / und moͤchte uns daſſelbe ſchon genug ſeyn / wo es moͤglich waͤre / daß wir auch nichts zu unſers neben-menſchen dienſt zu thun vermoͤchtẽ / daß gleichwol der / um deßwillen alles iſt / an uns ſeinen zweck erreichete. Zu dem noch ferner kommt / daß die fernere heiligung unſerer ſeelen / dazu ein ſolches leben ſo ſtatt - liche anlaß gibet / wahrhafftig ein groſſer nutzen iſt / nicht nur vor uns / ſondern zur befoͤrderung des allgemeinen zwecks unſers groſſen GOttes / bey dem al - les dahin gehet / derjenigen ſeelen viele zu haben / die ihn wahrhafftig erkennen / und danckbarlich preiſen / und in denen ſein bild mehr und mehr erneuert wird. Jſts alſo undiſputirlich / daß diejenige nutz in der welt ſind / welche anderer ſeelen zu GOTT fuͤhren / wie ſolte dasjenige unnuͤtz ſeyn / was unſere ſeelen dem HErrn zu gefallen ſo vielmehr bereitet? Jndeſſen moͤgen wir ja nicht ſa - gen / daß ſolche liebe leute / welche der weiſe Vater auf dieſe oder andere weiſe in einer mehrern einſamkeit enthaͤlt / andern ihren nechſten unnuͤtz ſeyen / wie ſie offters ſorgen: Aber das ſey ferne! Es gibt ihnen ja auch ſolches ihr leben / ſo ſie zwahr in mehrer einſamkeit fuͤhren / anlaß genug / ihrem nechſten mit er - innerung / rath und dergleichen an die hand zu gehen / und ſolches meiſtens in allen denjenigen ſtuͤcken / worinnen der verſtand und gemuͤths-kraͤfften mehr als die bemuͤhung des leibs zu thun vermoͤgen: Wie viele von unterſchiedli - chen profeſſionen arbeiten zu hauß ſo viel vor ihren nechſten / und werden des - wegen zu hauſe geſucht / als immer andere thun koͤnnen / die ſtets unter den leuten herum gehen? Zu geſchweigen der regierung ſeiner hauß-genoſſen und pflichten / ſo man in geiſtlich - und leiblichem ihnen thun / daher die liebe kraͤfftig erweiſen kan: Auch jetzo nicht zu ſagen / daß ſo gar diejenige / welche dermaſſen unvermoͤgliches leibes und durch kranckheiten zu andern verrichtungen un - vermoͤgend gemacht ſind / daß ſie ſolten ihnen ſelbs und andern nur eine un - nuͤtze laſt ſcheinen / wo ſie wahre gottſelige Chriſten ſind / mit dem gebet allein /R r r r r 2ſo868Das fuͤnffte Capitel. ſo ſie fuͤr ſich und andere zu GOTT auffſchicken / etwa mehr nutzen / als viele andere / an denen offt alles geſchaͤfftig zu ſeyn ſcheinet: Wie ich nicht zweiffele / daß nicht nur einmal nicht ſo wol die ſorge und klugheit ſo dann arbeitſamkeit und fleiß derjenigen / welche in geiſtlich-weltlichem und gemeinem ſtand alles allein zu thun das anſehen haben / eine ſtadt erhalten / viel ſegen erlan - get / und ungluͤck abgewendet habe / als das inbruͤnſtige und unauffhoͤrliche ſeuffzen und flehen etzlicher armer verachteter aber gottſeliger leutlein / die in einem winckel gelegen / und doch ihnen ſelbs unvermerckt in der gemeinen wol - fahrt herrlich und kraͤfftig gearbeitet haben: Welches ſich dermaleins / wo wir dorten die uns verborgene regierung GOttes beſſer einſehen werden / deutlicher und klaͤhrlicher offenbahren wird. Wo komme ich aber hin? Mein geliebter freund ſihet auffs wenigſte hieraus / wie mir ſein ob - wol ſonſten dem euſſerlichen nach betruͤbt ſcheinender zuſtand vorkom - me / daß ich neben dem chriſtlichen mitleiden nicht unbillich mit dem - ſelben eben ſo wol anbey mich erfreuen und ihm gratuliren koͤnne / daß der HERR von einer thraͤnen-ſaat eine ſo fruchtbare erndte vie - les guten bereits habe bey ihm erwachſen laſſen / zu ſo viel gewiſſer verſicherung der dermaleins uͤberaus groſſen herrlichkeit. Jch ruffe zuletzt / nach dem faſt allzulange denſelben mit meinem ſchreiben auffgehalten / den Vater der barmhertzigkeit und GOTT alles troſtes flehentlich an / welcher noch ferner uͤber ihn ſeine gnade kraͤfftig walten laſſen / wo die zeit verhanden ſeyn wird / bißheriges leyden wenden oder mildern / und ſolche leibes-kraͤffte / die auff andere art auch ſeine ehre und des nechſten beſtes befoͤrdern moͤchten / verleyhen / ſo lang aber ſolche laſt noch ligen bleiben ſolle / oder wo er ja die - ſelbe die zeit dieſes lebens zu waͤhren beſtimmet haͤtte / noch ferner mit derje - nigen krafft und gnade des Heil. Geiſtes dermaſſen beyſtehen wolle / daß er immerdar fortfahre / alles leyden nicht mit fleiſches-ſondern mit glaubens - augen anzuſehen / GOtt in ſolchem zu preiſen / und mit danckſagung zu erken - nen / wie guͤtig der rath ſeye / welcher durch verluſt an dem euſſerlichen men - ſchen und deſſen kraͤfften den innerlichen ſo kraͤfftig ſtaͤrcket / die ſeele durch die - ſes feuer ſo viel mehr von aller anhaͤngigkeit dieſer welt und eigenen willen befreyet und zu der ſeligen ewigkeit herrlichen bereitet. 1682.

SECTIO XXXVII. Auffmunterung und troſt gegen den todt an eine in langwieriger kranckheit gelegene chriſtliche frau.

DA ich das gute vertrauen gehabt / die von uns in einer geſellſchafft zu NN. gebrauchten waſſer-cur werde auch durch goͤttlichen ſegen und nachwirckung ihrer werthen perſon zur erleichterung ihrer leibes-be -ſchwehr -869ARTIC. II. SECTIO XXXVII. ſchwehrde und einiger geſundheit gereichen / ſie auch folglich ſolche kꝛaͤffte wie - derum ſo viel treulicher zu dem preiß ihres GOttes anwenden: ſo habe gleich - wol von lieber hand berichtet werden muͤſſen / daß dero zuſtand je laͤnger je ſchwaͤcher und gefaͤhrlicher zu werden beginne. Wann ich dann / was meine ſchuldigkeit und chriſtliche pflicht geweſen waͤre / dißmal gegenwaͤrtig nicht leiſten / oder ihr zuſprechen kan / da des HErrn wille dem ort nach uns von einander geſchieden / ſo habe durch ſchreiben erſetzen wollen / was durch die zunge nicht geſchehen kan. Jch weiß / daß ichs mit einer Chriſtinn / und die ihres himmliſchen Vaters willen wohl erkant hat / zu thun habe / und ſie alſo nicht bedarff / daß ich ſie lehre / ſondern nur erinnere / was ſie in ihrem hertzen bereits erkennet. Jch will auch die hoffnung haben / der HErr werde ſie ſo viel empfindlicher die erneuerung des innerlichen menſchen bey ſich ſpuͤren laſſen / als ſie den euſſerlichen in ſeiner verweſung taͤglich fuͤhlet. Sie wird nunmehr gewahr / was vor ein unterſcheid ſeye unter dem troſt GOttes an ſeinen glaͤubigen / und unter dem troſt / den die vernunfft und dero lehren uns geben. Dieſe geben wol dem gemuͤth einen auffenthalt / ſo lang es noch nicht hart widergehet: wo uns aber alles in der welt verlaſſen will / und wir auch ſelbs aus derſelben ſcheiden ſollen / hat jene nichts mehr uͤbrig / als das harte wort / es kan doch nicht anders ſeyn / ſondern / da muͤſſen wir durch / welches endlich bey einigen gemuͤthern noch eine verzweiffelte hartnaͤckigkeit erwe - cken / ſie aber nimmermehr zu einer vergnuͤgenden zufriedenheit bringen kan: aber je weiter es mit uns dahin koͤmmt / daß aller andere troſt auffhoͤret / ſo vielmehr offenbaret ſich die vortreflichkeit des troſtes goͤttlichen worts / weil derſelbige uns einen mit fingern zeiget / der / ob uns unſer leib und ſeel ver - ſchmachtet / dennoch unſers hertzens troſt und theil bleibe; ja wo dieſes ge - brechliche hauß dieſer huͤtten eingehet / uns auff eine behauſung im himmel weiſet / die nicht mit haͤnden gemacht iſt / und ewig bleibet / davon unſre ver - nunfft uns ſonſten nichts gewiſſes ſagen kan. Jch weiß alſo / nachdem ohne das / ob ich auch zugegen waͤre / meines vermoͤgens nicht waͤre / ihrem ſchwa - chen leib rath zu ſchaffen / zu ſtaͤrckung ihrer ſeel ſie auff nichts anders zu wei - ſen / als auff den bund / welchen unſer himmliſcher Vater mit ihr / wie mit uns allen / gemacht / da er uns nicht hauptſaͤchlich zu dieſem leben / und was wir dabey genieſſen / ſondern zu viel hoͤhern / verordnet hat. Sehen wir an unſre ſchoͤpffung / ſo weiſet ſie ſchon / weil uns der HErr eine ſeel / und gleichſam ſeinen athem / eingeblaſen hat / welche ein ewiger geiſt iſt / daß unſer haupt - werck nicht in dieſer zeit ſtehen kan / ſondern nach derſelben ſich weiter hinaus erſtrecken muß. So viel mehr hat uns unſer allerliebſter Heyland mit ſeinem heiligen opffer gewißlich nicht zu dieſem ſondern einem unvergaͤnglichen le - ben erloͤſet und erkaufft / welches einigerley maſſen wuͤrdig waͤre / daß dafuͤrR r r r r 3ſo870Das fuͤnffte Capitel. ſo ein theures und ewiges rantzion-geld bezahlet wuͤrde. Da wir auch in der tauffe in den bund GOttes eingetreten / ſo hat uns der Vater unſers HErrn JEſu CHriſti wiedergebohren durch die aufferſtehung unſers Heylandes / nicht zu dieſem leben / darzu wir bereits durch die fleiſchliche geburth einge - gangen waren / ſondern zu einer lebendigen hoffnung / zu einem unver - gaͤnglichen und unbefleckten / unverwelcklichen erbe / das auffgehal - ten wird in dem himmel / und alſo zu deſſen vollkommenem und offenba - rem gebrauch wir zeit dieſer unſer pilgramſchafft nicht gelangen moͤgen. Wir wiſſen / daß es aus ſolcher wiedergeburth / die von oben herkoͤmmet / geſchehen iſt / daß unſer buͤrger-recht nicht hie auff erden / ſondern in dem himmel iſt / und daß das leben / ſo wir aus der aufferſtehung JEſu Chriſti empfangen haben / uns auff dasjenige weiſet / in welches Chriſtus durch ſeine aufferſtehung ein - getreten iſt / und uns zu demſelben beruffet. Daher / wenn er uns auch in dem heiligen abendmahl mit ſeinem leib und blut ſpeiſet und traͤncket / und uns ſo zu reden aus der herrlichen ewigkeit / da er wohnet / ſolche ſpeiſe ſendet / ſo zie - het er ſo bald unſere gemuͤther und ſeelen von dem anſehen dieſes / was wir hier in dieſem leben haben / zu dem verlangen der dinge / die unſer bey ihm warten / und zu dero verſicherung er uns ſeinen Heil. Geiſt / als das pfand des erbes gegeben hat. Alſo moͤgen wir anſehen unter den dingen / die GOtt mit uns vor hat / was wir wollen / ſo weiſet uns ſolches alles aus der zeit hinaus zu jener ewigkeit. Daher ja freylich der troſt / der uns der ſeeligkeit in derſelben verſichert / der allerwertheſte und kraͤfftigſte zu achten. Jſt es alſo / meine werthe / daß der HErr ſolte nunmehr allgemach mit der - ſelben wegeilen / und ſolches durch dieſe ſchwachheit andeuten laſſen wollen / weiß ich faſt nicht / ob ich mehr wegen ihres euſſerlichen menſchen / und was derſelbe dabey auszuſtehen hat / ſo auch / weil ich eine angenehme freundin nicht gern verliehre / condoliren / oder wegen ſolches ſeeligen wechſels gratu - liren ſolle. Sie weiß / ſie verliehret oder verlaͤſſet nichts / als einen ſchwaͤch - lichen leib / der auf allerley weiſe und letzther mit vielen leyden / den geiſt et - wa mehr gehindert als gefoͤrdert hat / ein fleiſch / das noch immer die ſuͤnde in ſich wohnend hat / und das abermal dem geiſt / welcher gerne ungehindert und in vollkommener heiligkeit GOTT dienen wolte / viele ſeuffzen ausge - truckt / eine welt voller falſchheit / und welche an ſtat einmaliger geringen vergnuͤgung mit hundertfacher beleidigung (ſonderlich / wo wir / wie wir ſollen / die gelegenheit und reitzung zur ſuͤnden vor die groͤſte beleidigung ach - ten) uns qvaͤlet / daß einer ſeelen unter Meſech zuwohnen lang wird / ein le - ben voller leyden / und wo nicht taͤglichen ungluͤcks / doch taͤglicher furcht vor dem was koͤm̃t oder kommen moͤchte / eine zeit die ohne dem von GOTT zuſchreck -871ARTIC. II. SECTIO XXXVII. ſchrecklichen gerichten beſtimmet iſt / die nun nach einander ausbrechen ſollen / und beſorglich die vorige weit uͤbertreffen moͤgen / und letzlich einen kampff - platz / da mans mit teuffel / welt und fleiſch / daher mit maͤchtigen feinden / die mit gewalt / vielmehr aber mit lockungen und verfuͤhrungen / zuſetzen / zu - thun hat / von denen auch / welche uͤberwinden / nicht ohne manche wunden ſchlaͤge und ſchmertzen davon kommen. Dieſes ſind die dinge / die wir hier verlaſſen / und alſo gewißlich nicht wuͤrdig viel betrauret zu werden. Ver - laſſen wir zwahr auch etwa liebe blut - und muths-freunde / ſo iſts nicht ohne / daß deroſelben liebe / ſo viel tieffer ſie in die ſeele eingetrungen / den ſchmertzen deſſen verluſts empfindlicher macht; aber auch dieſer ſchmertz wird zur gnuͤ - ge gemildert durch die betrachtung des kuͤnfftigen ſeeligen wiederſehens / des vertrauens / wie auch ſolche goͤttlichen willen uͤber uns ſich wolgefallen laſ - ſen werden / und des einigen habenden vortheils / wo endlich die liebe von ſich ſelbſt anfaͤngt. Von dem verluſt der zeitlichen und irrdiſchen guͤter will ich nicht ſagen / als der ich ihrem Chriſtenthum mehr zutraue / als daß ſie de - ro liebe in ihr hertz ſolte haben laſſen eintringen / oder ſie anders / als ſolche dinge / angeſehen haͤtte / die man allein aus noth und duͤrfftigkeit gebrauchen muß / und alſo ſo gern mit andern vergnuͤglichern vertauſchet / als diejenige / die ihre art nicht kennen / ſie immer zu behalten und zu vermehren verlangen. Jch verſehe mich auch / daß ſie ihren Heyland und ſeelen-braͤutigam aus ſeinem wort und eigner erfahrung alſo habe lernen kennen / wie er ſey der rechte ſieges-fuͤrſt und uͤberwinder des todes / der demſelben ſeinen ſtachel gebrochen habe / daß wirs nun mit einem entwaffneten tode zuthun haben / wo wir noch in unſerm abſchied an ſeinem ſiege hangen / ſo uns deſſen wahr - hafftige gemeinſchafft gibet. Alſo / da uns der HErr durch ſeine krafft taͤglich aus einem und andern tod errettet / ja in dem wir taͤglich unſerm alten menſchen ſterben und an ihm toͤdten / daher des ſterbens bereits gewohnt ſind / in allem ſolchen toͤdten und ſterben taͤglich beyſtehet / und ſein leben in uns kraͤfftig ſeyn laͤſſet / ſo ſind wir gewiß / wo es an dieſen letzten feind kommet / ſolle es uns an dem ſieg nicht mangeln / um deſſen willen / der uns in allen - brigen kaͤmpffen deßwegen ſiegreich beygeſtanden / damit wir in dieſem letz - ten auch unfehlbarlich uͤberwinden / und die verſprochene krohne erlangen. Wie denn nach ſolchem ſiegreichen abſchied nichts anders ſolcher ſeelen er - wartet / die nunmehr nach ihrem wunſch und gebet wahrhafftig von allem uͤbel erloͤſet ſind / als die erfuͤllung alles deſſen / was ihnen als ſeinen kindern der himmliſche Vater verſprochen / und ſie unter allen ihren leyden darauff vertroͤſtet hat. Sie ſollen ſehen / was kein ſterbliches auge ſehen kan / GOtt in ſeiner majeſtaͤt und glorie und von ſolchem glantz durchtrungen / und durchleuchtet leuchten in einem uͤbermenſchlichen liecht nach dem nunmehrdas872Das fuͤnffte Capitel. das goͤttliche ebenbild wiederum in ihnen voͤllig erneuert faͤhig iſt / alle ſolche ſtrahlen gleichſam auffzufaſſen und ſelbſt anzunehmen / daher der Apoſtel ſich nicht entbloͤdet zu ſagen / ſie werden ihm gleich ſeyn / denn ſie werden ihn ſehen wie eriſt. 1. Joh. 3 / 2. daß es alſo je kein unfruchtbares uñ unkraͤfftiges ſehen ſeyn kan / ſondern ein ſolches ſeyn muß / dadurch das ſehende alle des an - dern herrlichkeit ſelbſt in ſich ziehet. Sie werden ſehen ihren hoͤchſtverdienten Heyland / welchen ſie / ehe ſie ihn geſehen / bereits alhier hertzlich geliebet / und daß ſie ihn nicht gnugſam lieben koͤntẽ / ſchmeꝛtzlich bedauꝛet habẽ. Wie ſie ihn aber jetzo ſehen in ſeiner herrlichkeit und ſelbſt alle ihre ſchwachheit / und was ſie an ihrer vollkommenen liebe und faͤhigkeit gehindert hatte / abgeleget ha - ben / alſo wird nun die liebe alſo durchtringend ſeyn / daß wie der HERR ſich ihrer liebe gantz uͤberlaͤſſet / alſo auch dieſe ihn allerdings in ſich faſſe / und mit aller ſeiner herrlichkeit beſitze / viel genauer als der mond das liecht der ſonnen aufffaßet / und darinn leuchtet. Sie werden in GOtt ſehen alle ſei - ne guͤte und weißheit / welche er ihnen in ihrem gantzen leben erzeiget / ſonder - lich mit welcher er ihr heil geſchaffet hat; wie viele gaben er uͤber ſieausge - goſſen; wie manche gefahr er von ihnen abgewendet habe / von welchem allem ſie den hunderſten theil kaum hier erkennet / und was ſie erkant / gleichwol nicht tieff genung eingeſehen haben: hingegen in jeglicher erkaͤntnuͤß der be - reits hier empfangerer goͤttlichen wolthaten eine ſo viel inniglichere wonne finden werden / als tieffer ſie nun in die verborgene guͤte und weißheit / dero ſie ihr heyl ſchuldig ſind / einſchauen / und ſich mit lauter danckſagung daruͤ - ber verwundern. Sie werden nun bey ihrem Heyland ſeyn allezeit / und mit ihrem erſtgebohrnen bruder unverletzt der goͤttlichen ehre und anbetung / damit ſie ihn zum demuͤthigſten verehren / auffs vertraulichſte umgehen / als eine juͤngere ſchweſter mit ihrem aͤltern bruder / oder eine braut mit ihrem ge - liebten braͤutigam. Und wie er denn nichts / als liebe und freundlichkeit iſt / ſo iſt auch ihr gantzes leben nichts anders / als der ſuͤſſeſte genuß einer in die - ſer unvollkommenheit noch unbegreiflichen liebe. Sie werden ſehen die lie - ben Engel und himmliſche Fuͤrſten / mit denen ſie nun unter einem haupt und HErrn JEſu vereiniget / und nicht geringerer herrlichkeit theilhafftig ſind / ja derſelben geſellſchafft ſich ſo viel mehr freuen werden / weil ſie diejenige ſind / welche ſie auch hier auff ihres HErrn befehl in ſo mancher gefahr be - ſchuͤtzet haben. Sie werden ſehen nicht nur diejenige / welche ſie hier im fleiſch gekant und geliebet haben / ſo viele derſelben in wahrem glauben ihnen vorge - gangen oder nachgefolget ſind / an dem ſeligen ort der herrlichen zuſammen - kunfft / wo auch die erinneꝛung der vorigen liebe die freude vermehꝛet / ſondern alle kinder GOttes / die von anbegin der welt gelebet / und ſie unterſchiedli - cher davon nahmen gehoͤret / auch dieſelben geliebet / ja vor eine groſſe gluͤck -ſelig -873ARTIC. II. SECTIO XXXVII. ſeligkeit geachtet haͤtten / nur einige von ſolchen heiligen Vaͤtern / Propheten / Apoſteln / beruͤhmten Lehrern / Maͤrtyrern / beyderley geſchlechts / von weiten zu ſehen: welches ihnen nicht nur jetzo gewaͤhret wird / ſondern ſie in die ge - meinde eintreten mit allen denſelben kuͤnfftig als mit ihren geliebteſten bruͤ - dern und ſchweſtern in einer viel genauern vereinigung der hertzen zu leben / als unter den alleriñigſt mit einander verbundenen hier in dieſem fleiſch nicht geſchehen kan. Alſo wenn wir die ſache mit einander vergleichen / verlaſſen wir nichts als boͤſes / finden aber nichts als gutes / und das allerbeſte. Jch zweiffele nicht / meine werthe Frau / werde allezeit mit ſolchen augen das ende dieſer ihrer walfarth / wo es ſich nun naͤhert / anſchauen. Da wirds nicht wol fehlen koͤnnen / daß ſich nicht ihre ſeele erhebe / und es in derſelben heiſſe: Eya waͤren wir da / eya waͤren wir da. Wodurch alles dasjenige kraͤff - tig uͤberwunden werden kan / womit ſonſten die natur uns ſchrecket / wo wir an den abſchied gedencken. Jſts aber / daß dieſelbe vornemlich in ihrer ſeele eini - ge ſchwachheit fuͤhlen ſolte / nicht ſo wol vor dem tode als vorhergehenden be - ſchwehrlichen leiden / und daß ſothanes ende und erloͤſung ſo nahe noch nicht ſeye / als ſie verlangte / ſo wird ſie ſich dabey chriſtlich beſcheiden / daß auch die - ſer veꝛzug der ſeligen auffloͤſung ein theil des willens und guͤtigen raths ihres himmliſchen Vaters ſeye / welcher wie er von ewigkeit den augenblick ihres eingangs in dieſes jammerthal / alſo eben ſo wol auch die ſtunde ihres aus - tritts beſtimmet hat. Gedencket ſie dann / es ſeye der rath ihres Vaters / ſo weiß ſie / daß er gegen ſie ſo guͤtig und auch allweiſe ſeye / daß nothwendig das augenblick / welches er darzu beſtimmet / das zu ſeiner ehr und ihrer ſeligkeit bequemſte ſeye. So iſt gewiß das leiden / welches indeſſen zu tragen ſeyn mag / nicht uͤbel angewendet / ſondern ein feuer / welches die ſeele / ſo itzo vor ihrem GOtt erſcheinen ſoll / in krafft des blutes Chriſti reiniget. Wo wir eine geraume zeit unſern abſchied vorſehen / haben wir friſt / und wird auch wol ſolches die abſicht des himmliſchen Vaters ſeyn / ſolche zeit dem HErrn meiſtens zu heiligen / gleich wie in nachſinnung alles des guten / ſo er uns auf tauſenderley art in unſerm leben erwieſen / und wir manche wenig beobachtet haben / alſo auch ſonderlich in unterſuchung unſers gantzen lebens / wie daſſel - be vor dem HErrn zu allen zeitẽ / vornemlich / wo wir eine zeitlang / ehe die guͤ - tige hand GOttes uns wieder zuruͤck gezogen / in die welt uns auch mit ver - tieffet haben / gefuͤhret worden iſt. Da werden wir manches finden / ſo etwa niemand als GOtt und unſerm gewiſſen bekant worden / weswegen wir uns ſchuldig bekennen werden / uns nachmal vor GOtt zu demuͤthigen. Denn ob die ſeele / die nunmehr ſich aus dem verdienſt ihres Heylandes / der gnade des Vaters und vollkommenen vergebung ihrer ſuͤnden verſichert / kein beiſſen mehr in ſich empfindet / daß ſolche ſuͤnden nicht ſolten laͤngſt mit dem blut ih -S s s s sres874Das fuͤnffte Capitel. res erloͤſers getilget ſeyn / ſo wirfft ſie ſich doch gern in kindlicher ſchaam zu ſeinen fuͤſſen nieder / klagt ihm die auch vergebene ſchulden / entbrennet ſo viel mehr in dem haß gegen die ſuͤnde / und liebet den HErrn ſo viel inbruͤnſtiger / je oͤffter ſie bey ſich gewahr wird / wie vieles der HErr ihr nachgelaſſen habe. Dieſe uͤbung der buſſe / glaubens / liebe und demuth ſind dem noch uͤbrigen fleiſch am hefftigſten zu wider / und reinigen die ſeele immer mehr von der ſonſt ankledenden verderbnuͤß. Wie viel und wie lange es nun der ſeelen noͤhtig ſeye / erkennet derjenige am beſten / welcher ſie innerſt kennet / und als ihr treueſter Medicus ihre cur ſo lange oder kurtz verordnet / als er ihr noth - wendig und nuͤtzlich zu ſeyn weiß. Schiebet alſo der HErr die ſtunde unſerer letzten erloͤſung noch eine weile auff / ſo wollen wirs nicht anders anſehen / als daß noch einiges uͤbrig an uns ſeye / davon uns der HErr reinigen / und ſich des leidens als einer geſegneten purgation gebrauchen wolle. Wobey wir ſo viel mehr zu frieden ſeyn koͤnnen / weil wir wiſſen / daß dieſe unſere cur von kei - nem Medico verordnet iſt / der uns entweder gehaͤßig waͤre / und mit fleiß lan - ge quaͤlete / oder aus unwiſſenheit / unbedachtſamkeit und verſeben uns eine allzuſchwehre und langwierige cur / die wir nicht auszudauren vermoͤchten (welcherley in der welt nicht nur den ungeſchickten / ſondern auch wol den be - ſten Medicis zuweilen begegnen kan / da ihnen etwas in der natur verborgen geblieben / ſo ſich nachmals erſt offenbaret / und den ſchaden der cur gezeiget) ſondern daß unſer Medicus uns unſere kraͤffte und alles kuͤnfftige genau ein - und vorſihet / hingegen uns ſo hertzlich liebet / daß er uns nicht einen augen - blick laͤnger unter dem leyden laſſen wuͤrde / wo nicht auch ſolches uns gantz nothwendig waͤre. Und ſolte esdahin kommen / daß wirs nun nicht weiter auszuſtehen und ihm dabey getreu zu bleiben vermoͤchten / iſt er derjenige / der auch noch in ſolchem augenblick die noͤthige gnade uns zu ertheilen willig iſt. Wie es dabey bleibet: Er iſt getreu / und wird euch nicht laſſen verſucht werden uͤber euer vermoͤgen / ſondern ſchaffen / daß die verſuchung ſo ein ende gewinne / daß ihrs moͤget ertragen. 1. Cor. 10 / 13. Dieſe treue iſt in ſeinem wort gegruͤndet / und ſeine eigene natur / die er nicht verleugnen kan noch wird. Der auch ſolches in unſerm gantzen leben gezeiget / und dieſe wahrheit durch unſere eigene erfahrung bekraͤfftiget werden laſſen / wird ſei - ne treue ſo viel mehr an uns erzeigen / da wir dero am meiſten beduͤrffen / da uns mehr und mehr alle eigene kraͤffte und huͤlffe / die wir von den creaturen nehmen koͤnten / entgehen / und es auff die einige allein ankoͤmmet. So wird ſich insgeſamt die frucht des leidens zeigen / eine friedſame frucht der ge - rechtigkeit / da wir uns in den zuͤchtigungen des Vaters uͤberlaſſen. Wie ſich denn wahrhafftig in mehr und mehr verachtung der welt / begierde nach derewig -875ARTIC. II. SECTIO XXXVII. ewigkeit / bruͤnſtigen gebet / ſehnlicher hoffnung / und andern gaben des Gei - ſtes / ſolche frucht noch hier in der zeit etwa weiſet: aber die rechte zeit / da ſichs weiſen ſolle / iſt jenes leben / und wird die reiche erndte darſtellen / was vor eine fruchtbare ſaat mit ſeufftzen und thraͤnen ausgeſtreuet worden / da gleichſam jegliches koͤrnlein das ſeine bringen wird. Alſo wird meine werthe freundinn ſich auch nicht beſchwehren / ob die zeit ihrer pruͤfung noch eine wei - le anhalten / und der HErr alſo fernere probe ihrer gedult und glaubens for - dern wolte. Jch ruffe ſchließlichen den Vater der barmhertzigkeit und GOtt alles troſtes demuͤthigſt an / welcher mit ſeiner gnade biß in die ewigkeit kraͤff - tig uͤber ihr walten wolle. Er gebe ihr ſeinen H. Geiſt in reichlicher maaß / als den Geiſt der offenbahrung und erleuchtete augen ihres verſtaͤndnuͤſ - ſes / daß ſie erkennen moͤge / welches ſey die hoffnung ihres beruffs / und welches ſeye der reichthum ſeines herrlichen erbes an ſeinen heiligen / Eph. 1. damit ſiein lebendiger erkaͤntnuͤß ſolcherdinge geſtaͤrcke / ſo viel wil - liger vergeſſe / alles was dahinden iſt / und ſich ſtrecke nach dem kleinod / welches vorhaͤlt die himmliſche beruffung. Er reinige noch taͤglich mit dem blut JEſu in der krafft des Heil. Geiſtes ihr leib und ſeele von aller un - reinigkeit / in verſicherung der gnaͤdigen vergebung in ihrem glauben / und in ſtaͤter abwaſchung der uͤbrigen flecken / wozu der HErr auch das leiden ver - ordnet hat. Er laſſe ſeine liebe immer ſtaͤrcker in ihrer ſeele werden / daß ſol - ches feuer alle eigne und noch uͤbrige welt-liebe verzehre / und ſie hinauff trei - be / ſich vollends in ihren geliebten einzutringen. Er heilige je mehr und mehr ihr hertz / daß ihre gedancken / worte und wercke dieſe letzte zeit ihres lebens die beſte / und in goͤttlicher krafft gethan bey andern fruchtbar ſeyn moͤgen / daß ſie mit glauben / andacht / gedult / ſanfftmuth und zufriedenheit / alle wel - che um ſie ſind / in gutem exempel ſtaͤrcken und erbauen / auch ihr ſegen an de - nen / welche ſie ſegnen wird / kraͤfftig bekleiben moͤge. Er erfuͤlle auch hinge - gen / die um ſie ſind / mit weißheit / liebe und gedult / ihr alle noͤthige treue zu er - zeigen / und ſich gegen ſie alſo zu verhalten / wie es ihrer ſeelen am beſten iſt. Er wolle auch die leibliche laſt erleichtern / und dem beſchwehrten coͤrper nicht all - zuviel aufflegen / ſondern wo es je ohne laͤngere ſchmertzen nicht abgehen ſolte / auffs wenigſte allezeit dazwiſchen wiederum ruhe beſchehren / daß ſie ſich er - quicke / und zu dem etwa neubeſtimmten kampff mit neuer krafft ausgeruͤſtet werde. Er ſeye der artzt / wie ihrer ſeele alſo auchihres leibes / und regiere den rath der leiblichen aͤrtzte allezeit dahin / wie es zu milderung ihrer beſchwehrde dienlich ſeyn mag. Solte es aber ſeinem rath nicht entgegen ſeyn / daß ſie aufs neue wiederum mit leben und geſundheit ausgeruͤſtet werde / ihm noch im lan - de der lebendigen allhier auffs neue zu dienen / ſo bitte ich auch / daß er ſolchesS s s s s 2zeug -876Das fuͤnffte Capitel. zeugnuͤß ſeiner allmacht und ſeiner guͤte an ihr erzeigen / und ſie zum wunder / denen die ihn lieben / ſtellen wolle / damit auch ihrentwegen ihm viel dancks moͤ - ge gebracht werden. Nahet ſich aber die zeit des ſeligen abſchiedes / ſo laſſe er vorher einen blick aus jener ewigkeit in ihre ſeele ſchieſſen zu ihrer auffmunte - rung / ſtaͤrcke ſie in dem glauben auf den letzten kampff / mache ſie des ſieges ih - res treuen Heylandes vollkommen theilhafftig / und fuͤhre ihre ſeele in ſeine heilige wohnung zu ſeiner ſeligen ſchaue und unſerer ewigen wieder-vereini - gung. Wie dieſer wunſch aus glaͤubigem und treuem hertzen gehet / alſo ver - ſehe ich mich gegen meinen himmliſchen Vater / daß er auch denſelben nicht werde unerhoͤrt laſſen / und werde auch damit nicht nachlaſſen / ſo lange ſie noch in dieſer pilgramſchafft zu ſeyn wiſſen werde / nach dero abſchied aber mich freuen des ſehens droben / da keines mehr an dem andern anders als lauter vergnuͤgliches ohne einige ſchwachheit ſehen wird. 1686.

SECTIO XXXVIII. Vorbitte fuͤr mich. Jahrgang von den gnaden - ſchaͤtzen. Fleißige handlung der heiligen ſchrifft. Troſt gegen die forcht des todes / wegen der gefahr / wo man an dem letz - ten ende aus mangel gehoͤrs und geſichts goͤttliches wort nicht mehr hoͤren noch leſen koͤnte.

JCh bedancke mich fuͤr die ſo hertzlich gegen mich bezeugende liebe / vor - nemlich in dem eiffrigen und gottſeligen wuͤnſchen / an dero krafft ich nicht zweiffle / ſondern vielmehr / daß ſie von GOTT um ſeines liebſten Sohns willen gnaͤdig auf art und weiſe / wie es ſeiner ehre gemaͤß ſeyn wird / erhoͤret werden werden / mich zuverſichtlich getroͤſte. Ach wie bedarff ich ſo hoͤchlich lieber chriſtlicher mit-bruͤder bruͤderlichen gebets / der ich nicht nur als ein Prediger (da doch unſer ſtand insgemein vor allen der allergefaͤhrlichſte iſt) ſondern unter und vor andern Predigern in unterſchiedlichen umſtaͤnden ſtets in ſolcher gefahr ſchwebe / darinnen ich ohne anderer frommer mit-Chri - ſten gebet je nicht beſtehen und erhalten werden koͤnte; wo ich bedencke / wie viel mir anvertrauet / und was vor eine weißheit darzu noͤthig ſeye / die ich aber bey mir nicht finde: Wie dann dem HErrn HErrn meine noth und anli - ligen bekant iſt / und er treuer bruͤder vorbitte um ſeines liebſten Sohns wil - len auch fuͤr mich in gnaden anſehen wird. Sonderlich hat mich erfreuet die chriſtliche anwuͤnſchung des goͤttlichen ſegens zu dem damal vorgeſtandenen kirchen-jahr / und zweiffle auch an deſſelben erfolg nicht. Jch erkenne aber die goͤttliche gnade / darzu mir ſo viel noͤthiger als wichtiger die materie iſt / welche ich mir in dem nahmen des HErrn vor ſolches jahrs methodum erwehlet habe / nemlichen zu tractiren die theure wolthaten und ſchaͤtze der ſeligkeit / wel -che877ARTIC. II. SECTIO. XXXVIII. che wir in Chriſto JEſu haben / je nachdem ich in jedem Evangelio dazu gele - genheit finde. Wie nun ſolche materien guͤter ſind / ſo uͤber allen unſern ver - ſtand gehen / alſo bedarff ich ja ſonderbare gnade und liechts des heiligen Gei - ſtes / zu dero eigner erkaͤntnuͤß und erbaulichen vortrage / und alſo dasjenige / was dorten der hocherleuchte Apoſtel Paulus ſeinen Epheſern c. I, 17. 18. 19. und ich aus deſſen munde meiner geliebten gemeinde gleichfals auf den erſten Advent / einfaͤltig angewuͤnſchet habe. Ach daß wir ſolche guͤter recht leben - dig in unſern ſeelen erkennen lernen / ſo haben wir genug in zeit und ewigkeit: Dann darinnen wird unſer glaube geſtaͤrckt / und wir immer mehr mit ſolcher GOttes-fuͤlle erfuͤllet / darinnen wir alles haben / und jenes leben nichts an - ders als dero offenbarung ſeyn kan. Und ſo wird es uns weder an krafft noch an antrieb manglen / alles gute zu thun / wodurch der HErr an uns geprieſen werden ſolte: Dann der allerkraͤfftigſte antrieb zu dem wahren GOtt-gefaͤlli - gen guten iſt gewißlich nicht ſo wol aus dem geſetz oder der furcht / ſondern aus der theuren gnade unſers heils in unſerm JESU uns geſchenckt: Aus jenem kommen knechtiſche / aus dieſer recht kindliche und alſo dem allerliebſten Va - ter angenehme wercke. Je fleißiger wir alſo ſind / die uns geſchenckte guͤter zu erkennen / und alſo wahrhafftig eine lebendige deroſelben erkaͤntnuͤß in un - ſre ſeele bringen / ſo viel ſtaͤrcker wird auch der innerliche trieb werden / ſolcher ſeligkeit uns gemaͤß zu bezeugen / dem theuerſt verdienten Heyland fuͤr ſeine liebe recht danckbar zu werden. Es wird uns aber auch allezeit eine neue krafft von oben / ſolches gute zu thun / aus ſolchem glauben zukommen / indem ja al - les / was wir zu thun haben / thaͤtlich lauter glaubens-fruͤchte ſeyn ſollen / daher der geſtaͤrckte glaube dieſe auch ſo vie l reichlicher bringen wird. Und dieſes war meine abſicht in erwehlung ſolches methodi. Ach daß der HERR von oben mir das noͤthige liecht und krafft dazu verleihen wol - le / nicht nur um meinetwillen / maſſen ich gern mich eines mehrern unwuͤrdig erkenne / ſondern um derer willen / denen er mich vorgeſtel - let hat / ſein wort und guͤter ihnen vorzulegen. Fahret alſo fort / geliebter bruder; fuͤr mich alſo zu dem HErrn zuſeuffzen / daß er mir in ſol - chem gantzen kirchen-jahr dasjenige maaß ertheilen wolle / nicht deſſen ich wuͤrdig bin / dann da wuͤrde es ſchlecht hergehen / ſondern deſſen ſeine ehre und der ſeelen heil wuͤrdig iſt / auf daß ich nichts verſaͤumen moͤge / was er durch ſeinen liebſten Sohn ſo theuer hat erkauffen laſſen. Jch werde mich auch ſeiner gern erinnern / und vor ſein anligen den HErrn demuͤthig anruf - fen. Ferner hat mich erfreuet / daß ich ſehe / wie mein werther bruder ſo recht dran ſeye / in der heiligen ſchrifft / als dem einigen unfehlbaren wort GOttes ſeine einige vergnuͤgung und troſt zu ſuchen. So iſts freylich: kein menſchliches wort oder ſpruch mag unſerer ſeelen die in noth und tod beſte -S s s s s 3hen -878Das fuͤnffte Capitel. hende krafft geben / ſondern allein das lebendige wort deſſen / der ſelbſt allein liecht und leben iſt. Und was wir aus anderer gottſeliger leute ſchrifften lernen / und erbauet werden / geſchihet allein krafft der entweder darinnen formaliter enthaltenen und erklaͤhrter oder zum grund der folge geſetzter ſpruͤche / oder derjenigen in den ſpruͤchen gegruͤndeter wahrheiten / welche ein chriſtlicher lehrer / offtmals ohne anzeige der ort oder eigenlichen worte der ſchrifft / ausfuͤhret / da aber ein geuͤbter Chriſt ſich bald derjenigen ſtellen erinnert / wo dieſelbe gegruͤndet ſtehen / die jener anzufuͤhren etwa deßwegen nicht noͤthig erachtet / weil er ſie allerdings bekant zu ſeyn geglaubet hatte. Und ſo kan freylich kein menſch / wie erleuchtet er ſeye / mich ein mehrers leh - ren / als was die ſchriff / uns lehret. Sein gantzer dienſt aber beſtehet darin - nen / wo er nach der gabe / die ihm GOtt gegeben / in ſolchen ſpruͤchen / es ſeye nun aus den grund-ſprachen / aus erwegung der umſtaͤnde / und was die me - dia bonæ interpretationis ſonſten ſeynd / ein und andere dinge zeiget / oder daraus folget / die wir ſonſten ohne einen ſolchen anzeiger ſchwehrlich oder gar nicht wuͤrden erkant haben. So ſchmecket uns alsdann der zucker aus ſolchen roͤhren / wo er uns nach unſerer faͤhigkeit ausgeſotten und beqvem gemacht iſt: da diejenige / ſo uns denſelben vortragen / nichts anders dabey gethan / als daß ſie das darinnen verborgene geweſene uns gezeigt / und zum gebrauch fuͤglich bereitet haben. Welches gleichwol wiederum nicht dahin gemeinet haben will / ob waͤre dergleichen bereitung und dienſt einer chriſtli - chen ſeelen allerdings noͤthig / und vermoͤchte ſie ohne dieſelbe gar nicht / das ihr noͤthige darinnen zu finden / welches ferne ſeye. Jn dem das himmli - ſche manna auch in derjenigen art / wie es gefallen iſt / bereits zu unſerer chriſtlichen nothdurfft von GOtt genugſam bereitet iſt; obwol nachmal ei - ne fernere zuruͤſtung nach jegliches menſchen geſchmack demſelben nicht aller - dings entgegen iſt. Bleibet alſo dabey / daß ſolche menſchliche beyhuͤlffe nicht bloſſer dings noͤthig / aber eben auch nicht gantz und gar zu verachten / ſondern wo wir ſie haben / vor eine goͤttliche wolthat zu erkennen ſeye. So werden wir auch finden / daß uns ſolche menſchliche erklaͤhrungen gemeinig - lich etwa erſtlich am dienlichſten ſind / biß wir dadurch und vermittels ihrer in die ſchrifft tieffer hinein gefuͤhret / alsdann in ihr ſelbſten alles mit mehrer vergnuͤgung finden. Daß ich dieſes vor ein zeugnuͤß nunmehr zu einer voll - kommenheit gelangt zu ſeyn / achten wolte: wann einem nun nicht leicht mehr etwas anders ſchmecket / als die ſchrifft ſelbs und man den unterſcheid aller auch beſter menſchlicher ſchrifften gegen ſolche goͤttliche deutlich bey ſich erkennet. Die chriſtliche uͤbung / gewiſſe ſpruͤche zu einem gewiſſen zweck aus der ſchrifft auszuleſen und zuſammen zuſchreiben / iſt ſehr nuͤtzlich / und trucket ſich dasjenige / was man ſelbs auffſchreibet / durch das ſchreiben deſtotieffer879ARTIC. II. SECTIO XXXVIII. tieffer ins gedaͤchtnuͤß und hertz. Wo zu ich auch diejenige / ſo von der berei - tung zu dem tod geſamlet worden / geſegnet zu werden hertzlich wuͤnſche. Wo meine einfaͤltige buß - und leichpredigten etwas zur aufferbauung und auff - munterung dienen / dancke ich dem HErrnfuͤr ſolche frucht. Jch habe noch einige weitere leichpredigten ſeither gehalten ſo à part getruckt / aber zu einem faſciculo noch nicht genug ſind: Wo ich weiß / daß ſolche nicht unangenehm / will ſie in der nechſten meß geliebt es GOtt ſenden / dann ich noch von jegli - cher wohl unterſchiedliche exemplaria uͤbrig habe. Jm uͤbrigen hoffe ich / es werde mein geliebter bruder jemehr und mehr die vorgefaßte forcht wegen der gefahr des letzten ſtuͤndleins / bey ſich haben fallen laſſen / und ſich die treue ſeines himmliſchen Vaters dermaſſen vorſtellen / wie es deroſelben unmuͤg - lich ſeye / diejenige / ſo ihm biß dahin / als lang ſie die von ihm verordnete mit - tel ihres heyls zubrauchen vermocht / in ſchwachheit aber doch einfaͤltiger aufrichtigkeit gedienet / um die zeit zu verlaſſen / und einer allzuſchwehren verſuchung zu uͤberlieffern. Wie ich dann weniges wuͤßte / was der ſo hoch geprieſenen vaͤterlichen guͤte mehr entgegen waͤre als eben dieſes: Daher wir es auch nicht gedencken ſollen. Wir wiſſen je / daß alle unſere ſeeligkeit / und was dazu gehoͤret / nicht henge an den euſſerlichen gnaden-mitteln / ſondern an der gnade des HErrn ſelbs und dero innerlicher wirckender krafft. Da - her wir zwahr / weil der HERR ordentlich durch ſolche euſſerliche mittel des gehoͤrs oder leſens des worts / heilige abendmahl uñ deꝛgleichen / in uns kraͤff - tig ſeyn will / derſelbigen uns / als lang wir derſelben habhafft werden koͤn - nen / ja nicht enthalten / oder ſie verachten ſollen / als womit wir aus eigener ſchuld die goͤttliche wuͤrckung hindern wuͤrden: wir muͤſſen aber die goͤttliche gnade auch nicht dermaſſen dran binden / daß wir gedencken wolten / ohne die - ſelbe wuͤrde der HErr auch nicht ſein werck in uns verrichten / ſondern viel - mehr uns verſichern / ſeine gnade erſetze alsdann unmittelbar in den hertzen der ſeinigen was an den euſſerlichen mittelen ohne dero ſchuld abgehet. Der ſaame GOTTes / das wort / bleibet in den widergebohrenen 1. Joh. 3 / 9. und erhaͤlt alſo in ihnen den glauben / nicht nur ſo lange ſie daſſelbe mit ohren hoͤren / oder mit den augen ſehen / ſondern wo auch ſolche ſinne manglen / da dasjenige noch in dem tieffſten hertzen-grund uͤbrig iſt / was darinnen gepflan - tzet worden. Wir haben auff das goͤttliche wort als auf ein liecht acht zu ge - ben / als lang uns ſolches vor augen ſtehet / werden aber unſere augen geſchloſ - ſen ſolches anzuſehen / ſo haben wir genug an dem tag / der aus jenem liecht in unſern hertzen angebrochen / an dem morgenſtern / welcher darinn aufgegan - gen iſt. Alſo muß es den kindern GOttes niemal manglen / und ſie nichts von der liebe GOTTES ſcheiden / weder gegenwaͤrtiges noch zu - kuͤnfftiges.

SECTIO880Das fuͤnffte Capitel.

SECTIO XXXIX. Die wenigſte behalten die erſte gnade. Anfech - tung in der letzten todes-gefahr uͤberwunden zu werden.

D in hohem ſtande gemeiniglich von jugend auf mehr die liebe der welt und dero eitelkeit denen / welche gleichwol in der tauffe denſelben ein vor allemal / und auf das gantze leben / abgeſaget haben / eingepflantzet wer - de / iſt zwahr hertzlich zu betauren / aber ſo vielweniger zu verwundern / weil wir leider dergleichen auch in dem gemeinen ſtande und leben gewahr werden: daß es vielleicht eine ſeltene ſache iſt / daß einige in ihrer durch die tauff empfange - nen wiedergeburt beharren / ſondern die meiſte erſt wiederum in dem zuge - nommenen alter einer neuen wiedergeburt durch das goͤttliche wort vonnoͤ - then haben. Hingegen preiſen wir billich die guͤtigkeit und treue unſers himmliſchen Vaters / welcher nicht nur die jahre der unwiſſenheit mit groſſer langmuth uͤberſihet / ſondern aus den ſeelen / die ſich in der jugend durch den allgemeinen ſtrohm der exempel in die welt mit hinreiſſen laſſen / diejenige / welche er noch findet / daß ſie ſeiner gnade platz geben werden, jede zu der be - quemſten zeit / wiederum ſo kraͤfftig ziehet / daß ſie ſich auffs neue von der welt entreiſſen laſſen / und der neue menſch nachmal in ihnen durch goͤttliche krafft gebohren wird; obs wol gemeiniglich nicht ohne ſchwehrere geburts-ſchmer - tzen abgehet / ja der treue Vater offt euſſerliches creutz zu der erſten bereitung der hertzen gebraucht. Wie aber die ſeelen / welche auf ſolche art in hertzlicher buß wiederum zu ihrer erſten tauff-gnade und bund ſich zuruͤck begeben / ver - ſichert ſind / daß ihnen auch die vorige ſuͤnden und eitelkeit ihrer unwiſſenheit vor GOTT um Chriſti willen nicht mehr zugerechnet werden / alſo laſſen ſie die ihnen wiederfahrne gnade ſich ſo wol zum grunde eines ewigen troſts auf ihr gantzes leben / als kraͤfftigem antrieb einer ſo viel ernſtlichern uͤbung der gottſeligkeit / gereichen / und machen von nichts mehreres werck / als wie ſie fuͤr ſolche uͤberſchwengliche guͤte ſich nur wiederum dem allerliebſten Vater danck - bar gnug erzeigen moͤchten. Weil ſie auch aus voriger erfahrung an ſich ſelbs gelernet / welches die vornehmſte hindernuͤſſen ihres Chriſtenthums bey ihnen geweſen / oder welche verſuchungen und gelegenheiten ihnen am gefaͤhrlichſten gefallen ſind / und ſich alſo ſolche erfahrung in dem uͤbrigen leben zu deſto meh - rer vorſichtigkeit dienen laſſen / ſo preiſen ſie wiederum die liebe deſſen / der ih - nen auch einige vorige irrwege auffs neue zu ihrem beſten (nemlich deſto ſorg - faͤltiger bewahrung ihrer ſelbs) gereichen laͤſſet: So zwahr ihnen auch aller - dings noͤthig ſeyn will. Was im uͤbrigen E. Hoch-Fuͤrſtl. Durchl. anligen anlanget / daß an dem letzten ende der ſatan den kindern GOttes am gefaͤhr -lich -881ARTIC. II. SECTIO XXXIX. lichſten zuſetzen moͤchte / daraus die forcht entſtehet / ob man in ſolcher ſchwach - heit ihm zu widerſtehen vermoͤgen werde / oder nicht vielmehr zu ſorgen habe / alsdann erſt uͤberwunden zu werden und ſein heil zu verliehren / ſo iſt eben ſol - ches anligen vieler anderer kinder GOttes / dabey ich aber folgendes zu beob - achten noͤthig halte. Erſtlich zwahr / daß unſre meiſte ſorge dieſe muͤſſe ſeyn / annoch bey guten und geſunden tagen in den ſtand uns zu ſetzen / da wir unſers gnaden-ſtands undkindſchafft / folglich des glaubens / an welchem jene han - gen / eine wahre verſicherung in unfern ſeelen haben moͤgen: Worzu gehoͤret / daß uns unſer hertz / ob es wol uns unſre ſchwachheit weiſet / dannoch dasjeni - ge zeugnuͤß nach redlicher pruͤffung gebe / daß wir einen auffrichtigen vorſatz / unſerm GOTT und Erloͤſer nach ſeinen geboten treulich zu dienen / immer in unſrer ſeelen behalten / denſelben taͤglich vor ſeinem angeſicht erneuen / ſo offt wir deſſen erkaltung / oder dawider aus uͤbereilung geſuͤndiget zu haben / bey uns gewahr werden / uns ſo bald nicht allein mit glauben in dem blut JESU Chriſti waſchen / ſondern den vorſatz auffs neue befeſtigen / und nach allem vermoͤgen aus demſelben unſer leben zu fuͤhren befliſſen ſeyen. Dann wo die - ſer ungeheuchelte und thaͤtliche vorſatz / und alſo die dardurch ſich ereignende kindliche liebe unſers Vaters / dero uͤberzeugung wir wol bey uns erlangen koͤnnen (obs auch ſchon an der empfindung des glaubens manglet) ſich findet / da haben wir aus ſolchem die unfehlbare verſicherung / daß wir in dem ſtand der kindſchafft / und alſo in dem glauben / ſtehen / wo uns folglich aller Evange - liſche troſt / den der treueſte Vater ſeinen kindern ſo reichlich in ſeinem wort mitgetheilet hat / mit allem recht gebuͤhret. Jſt nun eine ſeele ihres gnaden-ſtands verſichert in ihrem leben / ſo iſt ſie gewiß auch verſichert / daß ihr letzter kampff nicht anders als ſelig und ſiegreich ſeyn koͤnne. Dieſes iſt eine unwiderſprechliche folge der 1. Cor. 10 / 13. ſo hoch geruͤhmten treue / aus dero GOTT uns nicht uͤber unſer vermoͤgen verſuchet will werden laſ - ſen / dero hingegen ſchnurſtracks entgegen waͤre / wo er eine ſeele / die ihm nach ihrem maaß biß dahin treulich zu dienen bemuͤhet geweſen war / und er ihr ſo lang / als ſie gleichſam noch ſelbs einige kraͤfften gehabt / beygeſtanden haͤtte / um diejenige zeit / da ſie am ſchwaͤchſten wird / uͤber ſie dergleichen anfechtun - gen kommen laſſen wolte / denen zu widerſtehen / und ſie zu uͤberwinden / ſie nicht kraͤfften gnug bey ſich finde. Welches ſo wahr unmuͤglich iſt / als GOtt ſich und ſeine treue nicht verleugnen kan: Daher ichs auch ſo wol ſonſten hin und wieder als ſonderlich in der getruckten predigt von der ſeligkeit der Chri - ſten an und in ihrem tode getrieben / und behauptet habe / daß ſolcher letzte kampff bey den kindern GOttes nicht ſo wol mehr ein kampff / als ein bloſſer ſieg / ſeye. Weswegen dann GOTT um ſolche zeit entweder dem ſatan keine weitere macht geſtattet / ihnen mit anfechtungen zuzuſetzen / oder doch ſie als - dann mit ſeiner krafft alſo ſtaͤrcket / daß ihr ſie am letzten deſto herrlicher wer -T t t t tde.882Das fuͤnffte Capitel. de. Wo aber noch ein ſolcher kampff bevorſtehen ſolte / ſo geziehmet ſich vorhin bey geſunden tagen die vorbereitung dazu zu machen / nicht allein nichts mit willen zu thun / was wir ſorgen muͤſten / daß uns ſolches um dieſelbe zeit angſt machen moͤchte / ſondern vornemlich uns in dem bund des Evangelii und deſſen wahrer erkaͤntnuͤß recht zu gruͤnden: daß wir nemlich wiſſen / unſre ſeligkeit be - ſtehe durchaus nicht in der vollkommenheit unſrer heiligung / und werde uns alſo auch durch dero mangel nicht entzogen / ſondern ſie ſeye das bloſſe gnaden - geſchenck unſers himmliſchen Vaters / welches er unſerm glauben an Chri - ſtum JEſum lauter und umſonſt geſchencket hat / daher es bey denen / die in dem glauben ſtehen / nicht heiſſen wird / was ſie eigenlich gutes oder boͤſes ge - than haben / daß daran das urtheil uͤber ſie hangen ſolte / ſondern was ſie von dem Vater geſchencket empfangen / und ob ſie ſolches in Chriſto JEſu und mit demſelben behalten haben: haben ſie dann nun dieſen / ſo ſind alle ihre ſuͤnde als ein nebel von der ſonne augenblicklich verzehret / und beruffen ſie ſich auf die zuſage ihres Vaters / daß an denen / die in Chriſto JEſu ſind / nichts verdamm - liches und keine verdammung ſeyn ſolle / da ſie hingegen wiſſen / daß die verſi - cherung ihres glaubens / und daß ſie in Chriſto JEſu ſeyn / nicht an dem lige / daß ſie nicht das fleiſch an ſich haͤtten / oder deſſen ſchwachheiten an ſich fuͤhlen muͤſten / ſondern allein daran / daß ſie nicht nach dem fleiſch wandeln / ſondern nach dem geiſt / und alſo nicht unter jenes / ſondern dieſes regiment geſtanden ſind. Wolte alſo der teuffel um ſolche zeit dieſe oder jene ſuͤnde / oder wol gar dero ziemliches regiſter / vorhalten / provociren wir mit allem recht / daß wir nicht nach dem geſetz gerichtet werden ſollen / ſondern nach der gnade JEſu Chriſti / der das geſetz erfuͤllet hat / denn wir ſeyen nicht unter dem geſetz / ſon - dern unter der gnade: Deſſen unbetruͤgliches zeugnuͤß wir aus unſerm glau - ben / deſſen aber aus der auffrichtigkeit unſers vorſatzes / nach allem vermoͤgen unſerm HErrn zu dienen / der durch die fehler der unwiſſenheit und ſchwach - heit nicht auffgehoben wird / haben / und es daher ziehen koͤnnen. Alſo haben wir uns nur allein laſſen angelegen zu ſeyn / daß wir die krafft des Evangelii / ſonderlich aber des gnaden-bunds in der tauff / je laͤnger je mehr gruͤndlich ver - ſtehen lernen / daher uns auch die davon handlende buͤcher nechſt der heiligen ſchrifft angenehm ſeyn ſollen. Wo ſolches Evangelium recht lebendig in un - ſern ſeelen wird / da iſt alsdann der glaube derjenige ſchild / mit welchem wir alle feurige pfeile des boͤſewichts auszuloͤſchen vermoͤgen / da hingegen die meiſte macht der anfechtungen daraus kommet / wo wir uns gegen des geſetzes anſpruͤche nicht mit der gnaden-lehr zu wapnen gelernet haben. Nun der HErꝛ / der tren iſt / wird an allen ſeinen kindern / wie in ihrem gantzen leben alſo auch in dero letzten kampff es an nichts deſſen ermanglen laſſen / was zu dero erhaltung und vollkommenem ſieg noͤthig iſt. Er laſſe es auch ferne von uns ſeyn / daß wir anders von ihm gedencken wolten. 1690.

SECTIO883ARTIC. II. SECTIO XL.

SECTIO XL. Troſt-ſchreiben an eine Fuͤrſtin uͤber den todt ihres ehegemals.

Von dem Vater der barmhertzigkeit und GOtt alles troſts / gnade / liecht / troſt und friede in Chriſto JEſu unſerm theuren Heylande und Ad - vents-Koͤnige!

Durchlauchtigſte Fuͤrſtin / Gnaͤdigſte Fuͤrſtin und Frau.

NAch dem ich dieſer tagen / mit ſo vielmehr beſtuͤrtzung als unvermuthet mir die poſt geweſen iſt / von dem ploͤtzlichen ableiben E. Hochfl. Durchl. ſeligen Ehe-Herrn vernommen / habe ich meiner unterthaͤnigſten ſchul - digkeit erachtet / nicht nur mein hertzliches leidweſen uͤber den verluſt eines theuerſten Fuͤrſten und zierde ſeines hauſes zu bezeugen / ſondern auch meinen hertzlichen troſts-wunſch von grund meiner ſeelen abzulegen; dann dieſes iſt doch das einige / womit meine unterthaͤnigſte pflicht dißmal einigerley maſſen abſtatten mag. Es beſtehet aber aller ſolcher mein wunſch / und was ich von der himmliſchen guͤtigkeit E. Hochfl. Durchl. zu erbitten verlange / darinnen / daß dieſelbe ihre augen oͤffnen / und auch dieſen fall nicht alſo / wie er vor men - ſchen-augen ſcheinet / und dem fleiſch vorkommt / ſondern wie er in ſeinem wei - ſeſten rath beſchloſſen worden / anzuſehen / ſeinen heiligen Geiſt in gnugſamem maaß verleihen wolle. Es gebe der allerliebſte Vater ihto recht kraͤfftig und le - bendig zu erkennen ſein habendes recht uͤber uns und alle die unſrige / oder die wir lieben; wie alle unſre ſeelen in ſeiner hand ſeyen / und er alſo eine freye macht habe / das ſeinige / was nicht nur ſein geſchoͤpff / ſondern auch ſonſten aus vielen urſachen ſein iſt / welchen augenblick er will / zu ſich wiederum zu neh - men. Dann wo wir dieſes erſtlich recht lebendig in unſerm hertzen erkennen / ſo wird der tieffſte grund geleget / daß wir allerdings mit zu frieden ſeyn / was der HErr uͤber uns verordnet / und alle murrende gedancken / welche uns auffſtei - gen wolten / ſo bald zuruͤck treiben; als dero ungerechtigkeit wir erkennen / daß wir dem HErrn dardurch gleichſam ſein recht diſputiren wolten / ob haͤtte er mit dem ſeinigen nicht macht zu handeln nach ſeinem wolgefallen. Er gebe E. Hochfl. Durchl. zu erkennen / wie viel billicher es ſeye / ſeine guͤte darum danckbarlich zu preiſen / welche eine ſolche werthe perſon und treuen ehe-herrn ſo lang / und durch ſeine vergnuͤglichſte beywohnung ſo viele wolthat genieſſen / habe gelaſſen / als nur im wenigſten ſich daruͤber zu beſchwehren / daß er eine liebreiche ehe nunmehr getrennet / deſſen er den erſten augenblick bereits macht und recht gehabt haͤtte / und daher aller ſolcher zeit erfolgter genuß als ſein gnaden-geſchenck anzuſehen iſt. Gewiß iſts / daß auch ſolche betrachtung in der forcht des HErrn angeſtellet / trefflich unſere ſeelen beruhigen mag / da dieT t t t t 2danck -884Das fuͤnffte Capitel. danckbare gedaͤchtnuͤß der liebe Gottes / ſo ſich auch in dem erfreulichen genuß einer geſegneten ehe ſo wol als anderen wolthatẽ geoffenbahret hat / uns noch um die zeit vergnuͤget / wann er ſchon nach ſeinem heiligen willen uns das jeni - ge hinweg aus den augen geruͤcket / ſo er uns vor eine zeitlang zum pfand dero - ſelben geliehen hatte. Er lehre ferner E. Hochfl. Durchl. ihre augen von dem betruͤbten und ſchmertzlichen abſchied hinweg / und auf dieſelige ruhe / darein dero wertheſter ehegemahl eingegangen / zu wenden: Jndem gewiß iſt / daß ein einiger blick in ſolche herrlichkeit / in dem liecht des Heil. Geiſtes gethan / aber - mal kraͤfftiger iſt / eine ſeele zu erfreuen / als alles anſehen des dabey gelitte - nen verluſtes dieſelbe zu betruͤben. Und je hertzlicher die liebe gegen die un - ſrige geweſen / ſo viel williger werden wir / da wir ihre gegenwaͤrtige glorie uns recht eingetruckt / dieſe unſerer eigen begierde / welche ſonſten an ſich ſelbs waͤre / ihrer laͤnger zugenieſſen / weit vorzuziehen und dem HErrn viel - mehr demuͤthigſt zu dancken / welcher ſolche unſere liebſte nicht weniger hertz - lich geliebet / und ſie alſo zu ſich verſetzet / als uns zu beſchwehren / daß es ih - nen eher ſo gut habe werden ſollen / als wir ihnen doch endlich nach laͤngerem genuß zu wiederfahren ſelbs gewuͤnſchet haͤtten. Welches abermal uns ſo vielmehr bewegen ſoll und wird / daß bereits auch in der welt offters ein ehe - gemahl des andern eine zeitlang willig / obwol mit ſeiner beſchwehrde / entra - thet / wo es demſelben anderswo wolgehet / oder deſſen wolfahrt eine abwe - ſenheit erfodert. Weil allezeit die wahre liebe ihr wohlſeyn vielmehr in dem wohlſeyn des geliebten / als ihrer eigenen empfindung ſuchet / und jenes die - ſem weit vorziehet. Er lehre ſie ferner die augenwenden auff die kuͤnfftige wie - der zuſam̃enkunft / dero freude auch nur in der hoffnung angeſehen den ſchmer - tzen der treñung ſtattlich lindert. Welche ewig ſich geſchieden zuſeyn wiſſen / uñ wo eine chriſtliche perſon einen ſolchen ehegatten verlohren / den ſie wahrhaff - tigverlohren ſeyn weiß / mag man ſagen / daß es recht einer ſchmertzlichen traur wuͤrdig ſeye / und da ſich eine ſeele erſtlich kaum drein zufinden wuͤßte / ſolte es uns nicht ſo verwunderlich vorkommen / weil die gegen ſie getragene liebe kei - ne hoffnung mehr vor das ihm werth geweßte uͤbrig ſehe. Wo aber ein ehe - gemahl dahin vorangeſchickt iſt / welchen wir in glaubiger zuverſicht daſelbs unſer zuwarten wiſſen / wohin wir uns ſelbſt ſehnen / ſo lindert ſolches treff - lich den ſchmertzen deꝛ abweſenheit: Und lernen wiꝛ die ſachen alſo anſehen / wie etwa ein ehegatt ſich nicht ſo aͤngſtet / als freuet / da er ſelbs an einem gefaͤhr - lichen ort ſich befindende ſeinen geliebten irgend hin in die ſicherheit verſchi - cket / wo er ſeiner eine weil warten ſoll. Und wie iſts anders / wo wir dieſe zeit anſehen / darum die goͤttliche gerichte mit gewalt auszubrechen trohen / als daß der abſchied der unſrigen / ſo in dem glauben abtrucken / wahrhafftig genennt werden mag eine verſetzung in das friedens-land von der unruh die -ſer885ARTIC. II. SECTIO XL. ſer unſerer erden / auf dero wir keinen wahren frieden finden werden oder er - warten doͤrffen / und alſo nur denſelben bald nach zufolgen verlangen? Weil aber eben dieſes offtmals am allermeiſten die betruͤbte qvaͤlet / daß ſie er - kennen / den ihrigen wohlzu ſeyn / ihnen aber gar uͤbel geſchehen zu ſeyn gnug - ſam fuͤhlen / ſo wolle die himmliſche guͤte E. Hochfl. Durchl. noch ferner erkennen laſſen / daß ob ſie wohl vieles nach des fleiſches meinung / jedoch nach des geiſtes urtheil auch nichts / verlohren habe. Dann ob ſie wohl ih - res geliebten HErrn leiblichen gegenwart nun wiſſen ſolle / ſo wird nicht nur die gedaͤchtnuͤß ſeiner gegen ſie getragener liebe und ſeiner ruhmwuͤrdigen tu - genden ihrem gemuͤth zu deſſen vergnuͤgung ſtets gegenwaͤrtig ſeyn / ſondern der HErr wird ihro ſelbs durch ſeine gnade unmittelbar dasjenige werden / was ſie / wo es nach menſchlichem willen ergangen waͤre / gewinſchet haͤtte / daß er noch laͤnger durch ſolche ſeine gabe menſchlich ihren ſeeligſten ehe-herrn ihro geblieben waͤre. So verliehret man nichts / wo man alles ſolches ſo wir in den menſchen ſelbs verlohren zuhaben gedacht / in dem HErrn findet und behaͤlt / und dieſer unſer troſt / ſchutz / huͤlffe / verſorger und freude ſeyn will / was er vorhin durch die unſrige uns eine zeitlang geweſen war. Jn dem wir dieſe alle / wo wir ſie recht anſehen wollen / nicht anders anſehen koͤnnen / mit unſerm lieben Luthero, als vor larven GOttes / hinter denen derſelbe im - mer zuſtehen gepfleget / und derjenige geweſen ſeye / der uns durch ſie gutes gethan / aber wo er die larve abzeucht / noch immer einer gegen uns bleibet / und nichts weder ſeiner krafft noch guͤte gegen uns verlohren hat. Und ob es ſeyn mag / daß in den dingen die dieſer welt ſind / etwa ein nicht geringes ab - gegangen zuſeyn ſcheinen mag / ſo wird ſich nach fleißiger erwegung zeigen / daß wo goͤttlichem rath platz gegeben wird / alles in den geiſtlichen guͤtern von dem HErrn erſetzet werde werden. Wir wiſſen daß unſerer ſeelen huͤlffe da - rinn beſtehe / mit dem hoͤchſten gut in lieb und glauben am inniglichſten und genaueſten vereiniget zu ſeyn / wir finden aber offt ſehr viele hindernuͤſſen ſolcher vereinigung / dazu zugelangen oder in derſelben ohnverruckt zuver - bleiben; unter ſolchen hindernuͤſſen iſt nun ſehr offt die anhaͤngigkeit unſers hertzens an einige creatur; dann ſo viel ſich von dieſer bey uns findet / ſo viel ſtehet uns im weg / unſers heils recht vollkommenlich zu genieſſen. Nun iſt zwahr nicht alle liebe / vertrauen und freude uͤber dasjenige / was uns GOtt hie in dieſer welt gibet / unter denen treue ehegemale von den vornehmſteu ſind / an und vor ſich ſelbs unrecht / ſondern bleiben in ihrer ordnung gut / a - ber unſere verderbnuͤß iſt ſo groß / daß ſich faſt immer fort und fort eine unor - dentliche anhaͤngigkeit mit beyſchlaͤget / und ſie uns alſo an dem genuß des hoͤhern gutes eine hindernuͤß werden / daher entziehet uns der HERR off - ters dasjenige / da entweder unſer hertz mit allzuvieler angelegenheit darauffT t t t t 3zu886Das fuͤnffte Capitel. zu ruhen angefangen / oder er vorher ſihet / daß ein ſolches leicht geſchehen moͤchte. Ja er entbloͤſſet uns insgeſamt von allem troſt und freude dieſeꝛ welt / oder der creaturen / nach ſeinem guͤtigen rath / auf daß wir mehr und mehr ler - nen / alles bloſſer dings allein in ihm zu ſuchen / wo wirs auch ſo viel gewiſſer finden werden / als weniger mehr des uͤbrigen uͤbergeblieben. Welchen nu - tzen ich vor einen der vornehmſten achte / der ſich bey dem ſonſten betruͤbten wittwen-ſtand findet / daß der HErr die ſeelen deſto naͤher zu ſich zeucht / mit ihm allein ſich zu vergnuͤgen. Wie ich mich nun deſſen verſichere / daß E. Hoch - fuͤrſtl. Durchl. ſich bißher mit fleiß angelegen hat ſeyn laſſen / in ihrem GOtt allein ſich zu vergnuͤgen / ſo zweifle ich nicht / daß ſie durch ſeine gnade in we - niger zeit erfahren werde / wie ein vortreffliches huͤlffs-mittel ſolchen zweck deſto beſſer zu erhalten / und ihm naͤher zu kommen / dieſer ſtand ſeye: da ſie nun ſo vielmehr abgeſondert von denjenigen gelegenheiten / in denen man mit der welt eitelkeit zu verletzung ſeiner ſeele leicht eingeflochten werden kan / (auffs wenigſte da ſolches nicht geſchehen ſolle / einer groſſen fuͤrſichtigkeit uñ kampffs noͤthig iſt) ein ſolches leben und hoffhaltung vor ſich mit den ihrigen anſtellen mag / darinnen alles ohne jemands eintrag und hindernuͤß zu dem einigen nothwendigen und der ſeelen erbauung eingerichtet werde. Daraus ich ſolchen wachsthum des innern menſchen und wahren ſeelen-guͤter hoffe / mit denen ſich alle die uͤbrige bequemlichkeiten / welche unſere natuͤrliche be - gierde verlangen moͤchte / nicht vergleichen laſſen. Nun ſolchen guͤtigſten rath ihres himmliſchen Vaters / welcher alſo ihre liebſte ſeele deſto naͤher zu ſichzie - hen / und ungehindeꝛt ſie mit ſo viel reichlichern ſchaͤtzen / daran ſie bißher durch vieles gehindert worden / erfuͤllen will / recht innerſt einzuſehen und zu erken - nen / iſt eines der vornehmſten ſtuͤcke / welche ich E. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht. von ihm anwuͤnſche: Aber alſo daß ſie alles dieſes nicht in vernuͤnfftigen - berlegungen betrachten / ſondern deſſen troſtes krafft durch die gnade des H. Geiſtes in der ſeele lebendig empfinden moͤge: ſo dann daß der HErr / welcher aller hertzen in ſeinen haͤnden hat / auch derjenigen insgeſamt / dero treue ſie inskuͤnfftige / was die dinge dieſes lebens anlangt / bedoͤrffen wird / hertzen und gemuͤther dermaſſen lencken wolle / daß ſie der billichkeit / und wie werth ſie ihr ſeligſter Herr gehalten / daher auch nach ſeinem ableiben ihr mit liebe begegnet zu werden / nicht anders als eiffrigſt verlanget haben kan / ſich ſtaͤtig erinnern / und alle / jeglicher an ſeinem ort / und wie es ihm zukommen mag / ſich alſo gegen ſie anſchicken moͤgen daß man ſehe / ſie ergeben ſich zu werckzeu - gen / durch die Gott nach ſeiner uͤberſchwenglichen gnade an ihro erfuͤllen wol - te / was er ſonderlich denen ihn fuͤrchtenden und auff ihn trauenden wittwen verheiſſen hat. Darnebens aber wolle er auch / weil bey hohen und niedern ſolcher ſtand gleichwol auch ein creutz-ſtand iſt / die gedult in derjenigen maaß verleihen / als auch noͤthig ſeyn moͤchte / die von ihm beſtimmete beſchwehrlich -keiten887ARTIC. II. SECTIO XLI. keiten willig aus ſeiner hand anzunehmen / undderoſelben ſich nach ſeinem rath alſo zu gebrauchen / daß es lauter mittel werden / das hertz ſo vielmehr von der welt und aller dero betruͤglichen anhaͤngigkeit abzuwenden / und zu den ewigen guͤtern immer tuͤchtiger zu machen / welches endlich der einige zweck unſers lebens / und alles was dahin fuͤhret / vor lauter nutzen und ge - winn zu achten iſt. Dieſes iſts / theurſte Fuͤrſtin / was bey ſolcher empfange - nen traur-poſt dero wertheſten ſeele ſonderlich von dem Gott alles troſts und geber alles guten wuͤnſche / worinnen ſie die tage ihrer walfahrt ihm gefaͤllig und ihro ſelbs vergnuͤglich zubringen mag / biß ſie nach vollendetem lauff die - ſer zeit ſelbs auch in die ewigkeit mit freuden uͤbergehe / und in erfreulichſter / ob wol nicht mehr ehlichſter / doch noch genauerer / gemeinſchafft mit ihrem nun vorangeſchickten Herrn der verſprochenen glorie genieſſe / und ſie beyde mit einander nun denjenigen / welchen ſie hie billich uͤber alles / auch ſich ſelb - ſten / geliebet / ehe ſie ihn geſehen / mit unausſprechlicher freude ſehen / und ſei - ner herrlichkeit ohn ende mit genieſſen. Nun der HErr ſpreche auch alſo wie wir bitten. 1681.

SECTIO XLI Troſt wegen abgeſtorbener ehegattin und von dem vorſatz im wittwen-ſtand zubleiben.

DAs einige / ſo mir in deſſelben brieff betruͤblich moͤgen vorkommen / war die anzeige der wegnehmung der gottſeligen ehegattin. Wann ich aber bedencke den ſeligen wechſel deroſelben / und die geruͤhmte proben ihres glaubens und gedult / damit der HErr ihren wandel gezieret hat / ſo dann den troſt / welchen ich ſehe / daß auch der GOtt des troſtes in deſſen liebe ſeele ein - gefloͤſſet hat: ſo will ieber mit demſelben ſagen: der HErr hat gegeben / der HErr hat genommen / der nahme des HErrn ſeye gelobet in ewigkeit. Er ſeye gelobet fuͤr alles / ſo er der ſeligen je in der zeit erzeiget / und nun in der ewig - keit auch erzeiget: er ſey gelobet fuͤr das gute / ſo derſelbe an ihr in der ehe ge - noſſen: er ſeye gelobet / daß ſich der HErr mit ſeiner krafft und troſt in ſeinem hertzen bereits anſtatt der ſeligen abgeleibten darſtellet / und ihm anfaͤnget ſelbs dasjenige zu ſeyn / was er ihm vorhin durch dieſe geliebte ſeele gewe - ſen war / dero er hingegen ihr gutes / ſo ſonſten als an demſelben gethan / in jener ewigkeit herrlich vergelten / und ihr verlangen und bitte fuͤr denjeni - gen / in deſſen liebe ſie abgeſchieden iſt / und ſolche liebe als die nichts fleiſch - liches iſt / dorten nicht allerdings abgeleget haben kan / in vollkommener deſ - ſen wolfarth / und dero ſo vermehrung als erhaltung / ſo lang biß auff den froͤ - lichen tag der ewigen vereinigung erfuͤllen wolle. Das urtheil derjenigen / ſo die ſchuld des todes dem werck der liebe an dem verwundeten erzeiget / zu - ſchreiben / iſt denjenigen leicht zu uͤberwinden / welche / wann wahr hafftig ſol -che888Das fuͤnffte Capitel. ches liebes-werck die urſach geweſen waͤre / gedencken / daß wir auch fuͤr die bruͤder zuweilen das leben laſſen ſollen: daß aber die welt ſolches nicht ver - ſtehet / haben wir uns nicht zu verwundern / weil es nothwendig uͤber ihren be - griff iſt / als die nichts von derjenigen krafft je geſpuͤhret oder gefuͤhlet hat / wovon dieſes alles allein kommen muß. Was nun anlangt den vorſatz / aus angedeuteten urſachen und liebe gegen ſeine gemeinde ferner in einſamkeit uñ auſſer der ehe das leben zu fuͤhren / weil ich nicht zweifle / daß derſelbe nach fleißiger pruͤfung ſeiner ſelbs und aller umſtaͤnde / auch eiffrigem gebet werde gefaſſet ſeyn worden / kan ich denſelben nicht unbilligen / als der ich offt ge - wuͤnſchet / daß mehrere unter uns / welchen GOtt die gabe gegeben / ſich der - ſelben zu der kirchen beſtem gebrauchen ſolten / wo nur an allen orten derglei - chen gelegenheit ſich finden moͤchte / in ſolchem ſtande das leben ſo wol ohne anderer anſtoß / als auch mit nichts zu groſſer und an verrichtung des guten ſelbs hinderlicher unbequemlichkeit / zu fuͤhren. Jedoch wolte bitten und er - innern / ſolchen vorſatz weder mit allzugewiſſer und verbindlicher betheurung / noch viel weniger mit einigem / allerwenigſten ſolennen geluͤbde zubeſtaͤrcken / und ſich alſo die freyheit auffs kuͤnftige nicht allerdings abzuſchneiden. Dann weil wir der kuͤnfftigen dinge nicht wiſſend ſind / ſo moͤgen ſich ſolche faͤlle be - geben / da einmal die aͤnderung des ſtandes wahrhafftig zu unſerem geiſtli - chen oder leiblichen beſten / ja auch unſers amts fruchtbarlicher verwaltung / moͤchte nuͤtzlicher ſeyn. Wo man nun alsdann ſolches vor augen / ſich aber ſei - ne freyheit alſo benom̃en hat / daß man ohne ſcrupel des gewiſſens / oder auch anderer anſtoß / davon nicht abtreten darff / woran man ſich einmal verbun - den / gehets nicht ohne ſchwehre gedancken / ja manchmal gewiſſens-aͤngſten / ab. Daher am beſten iſt / in ſolchen dingen in der furcht des HErrn dasjenige wehlen / was wir der ehre GOttes und erhaltung des zwecks / dazu wir geſe - tzet ſind / das vortraͤglichſte nach der gottſeligen uͤberlegung und gebet befun - den haben: aber ſolche wahl allemal auff das gegen waͤrtige allein zu ſetzen / ſo dann ſo lange uns GOtt nicht ſolche urſachen / welche die vorige uͤberwiegen / auffſtoſſen laſſen wuͤrde: und deswegen allezeit eine freye hand vor Gott und menſchen / den vorſatz aus guten bewegnuͤſſen zu aͤndern / zu behalten. So lebt man mit weniger ſorge oder furcht des kuͤnfftigen / und gehet allezeit einher wie jedesmal der HErr uns ſelbſten fuͤhret. Deſſen guͤte ich auch hertzlich an - ruffe / daß wie ich dieſen vorſatz von deroſelben hergekommen nicht zweifflen will / ſie denſelben ſtaͤts alſo mit dero hand leite / dabey zu blelben / und ſich deſſen zu der erhaltung des guten vor augen habenden zwecks zu gebrauchen / wo abereine aͤnderung vortraͤglicher ſeyn wuͤrde / ihm auch dero willen deut - lich zu verſtehen gebe. 1690.

SECTIO889ARTIC. II. SECTIO XLII.

SECTIO XLII. Troſt uͤber den todt einer gottſeligen ehefrauen.

VOn der zeit an als ich vor etlichen jahren denſelben und zugleich deſſen wertheſte ehegemahlin kennen zu lernen die freude genoſſen / kan verſi - chern / daß nimmer dero angenehmſtes gedaͤchtnuͤß mir aus dem ſinne gekommen / noch ich auch daſſelbige vor denthron des allerhoͤchſten zu bringen unterlaſſen habe: nimmer aber gedencken koͤnnen und ſollen / daß bey dieſem meinem abgaͤngigen alter betruͤbte nachricht eines ehendern abſchieds eines unter denſelben hoͤren wuͤrde. Daher mich geſtern ſo viel weniger erſt begreif - fen koͤnnen / als von deſſen hand eine ſo klaͤgliche poſt einnehmen muͤſſen. Aber es muß dabey bleiben / daß GOtt ein verborgener GOtt ſeye / und ſeine ge - dancken von den unſrigen / ob wir ſie auch vor die beſte und weiſeſte achteten / himmelweit unterſchieden bleiben. Jndeſſen kan aus demjenigen / wie mirs vorgekommen / ſo viel leichter denjenigen ſchmertzen abnehmen / welchen dero - ſelben ſeele von dieſem harten riß fuͤhlen muͤſſen. Zwahr iſts nicht ohne / daß wir / wie derſelbe auch chriſtlich thut / der ſel. frauen ihre zeitliche erloͤſung aus dieſer welt / dero verderben auch anzuſehen ihr ſo lang ein eckel und laſt gewe - ſen / nachdem ſie der himmliſche Vater damit beſeliget / nicht zu mißgoͤnnen haben / ſo vielmehr weil wir zu einer zeit leben / da die ſchwehreſte gerichte GOttes uns uͤber den haupten ſchweben / und die ſich uͤber uns in geiſt - und weltlichem zuſammenziehende wetter ihren ausbruch bald nehmen / auch nicht vor aus gewuͤtetem zorn deſſelben ſich wieder legen werden: welcherley truͤbſaalen zu verſchlaffen eine ſo viel groͤſſere ſeligkeit iſt. So iſt auch nicht ein geringes zum troſt / wenn der alles gut machet / ein vor ſeinem angeſicht ge - fuͤhrtes leben noch zu ende mit glaubiger freudigkeit zieret / und bey dem letz - ten ſieg zu der uͤberbleibenden erbauung ſeine ſonderbare krafft auch von an - dern ſehen laͤſſet. Daher wir bey aller wehemuth des hertzens dennoch billich zum forderſten dem HERRN HERRN demuͤthigſten danck abſtatten fuͤr alles unzaͤhliche in geiſt - und leiblichem derſeligen und duꝛch ſie an andern / wie jedes derſelben auff unterſchiedliche art / in ehelicher treue / muͤtterlichen fuͤr - ſorge / gutthaten / freundſchafft / fuͤrbitte / gutem exempel und dergleichen an deroſelben genoſſen / erzeigte guͤte / auch endlich ſo gnaͤdige einfuͤhrung in jene herrliche ewigkeit / um ſo wol daſelbs bereits der ſeelen nach der himmliſchen freude zu genieſſen / als auch des herrlichſten offenbahren kroͤnungs-tags nach ſeiner verheiſſung zu erwarten: da ſie nun ſelbs ihren danck und lob auffs voͤlligſte abſtattet / deſſen all unſer danck gleichſam nur ein geringer wie - derhall iſt. Jndeſſen bedaure nicht allein ich / ſondern wie ich mich verſichert halte / alle welche denſelben und deſſen wol hochſchaͤtzen / den von ſeiner ſeiten in dieſem abſchied eꝛlittenen veꝛluſt / deꝛ ſoviel groͤſſer iſt / als das zuruͤckg ezogeneU u u u ureſo -890Das fuͤnffte Capitel. gut theurer geweſen iſt: erachte auch leicht / daß keine auch mannlichſte reſo - lution die empfindlichkeit des ſchmertzens hinwegnehmen koͤnne; ja es wird auch dem glauben zimlich ſchwehr / auffs erſte den vaͤterlichen rath alſo zu faſſen / daß wir ſo bald die ob zwahr liebe hand / die uns geſchlagen / mit voͤlli - ger zufriedenheit kuͤſſeten. Was zwahr zu ſolcher gelaſſenheit / in dero allein ruhe zu finden / nicht allein die vernunfft vorſtellen kan / ſondern vornemlich der reiche ſchatz des goͤttlichen worts an die hand gibet / iſt nicht noͤthig dem - ſelben vorzuhalten / als ihm ſelbs gnugſam bekant: niemand aber kan deſſen krafft in das hertz eintrucken / als der H. Geiſt und deſſen finger. Daher hie - mit den treuſten Vater in dem himmel demuͤthigſt anflehe / welcher ſolchen Geiſt des troſtes nach dem maaß jetzigen leidens in ſeine theure ſeele mildig - lichſt eingieſſen wolle / in ſeinem liecht nicht allein ſein unwider ſprechliches recht uͤber unſer und der unſrigen leben / ſondern auch ſeine heilige weißheit und guͤte / nach welcher er ſich deſſelben alſo braucht / daß wie es auch vor men - ſchen augen das anſehen gewinnet / in der wahrheit eines jeglichen ſeiner kin - der abſchied / nach art und zeit / immer ſich alſo angeordnet findet / wie es am beſten iſt / ferner die ſeligkeit des herrlichen wechſels / auch freudige hoffnung der kuͤnfftigen wiederzuſammenkunfft / dermaſſen einzuſehen / und in ſolches goͤttliche einen blick zu thun / daß damit das hertz durch eine lebendige empfin - dung des troſtes / deſſen gruͤnde alſo recht eingeſehen werden / auffs kraͤfftig - ſte beruhigt werde: worzu alle bloß-menſchliche krafft unzulaͤnglich iſt. Nach - dem er aber als ein guͤtiger GOtt mit den ſeinigen in gnaden alſo verfaͤhret / daß er ihnen niemal nichts entzeucht / daß er nicht hinwieder ihnen an ſich ſelbs oder andern auff allerley wieſe hinwiederum erſetzte / ſo iſt auch dieſes / was von ſeiner guͤte wuͤnſche und bitte / daß eine ſo viel ſtaͤrckere krafft ſeines Geiſtes den abgang der von ihr in dem geiſtlichen genoſſenen auffmunterung und erbaulichen begehung erſetze / die leibes-geſundheit deſto mehr ſtaͤrcke / als ſonſten vieles in treuer pflege abgegangen iſt; zu denen dieſes lebens ſorgen / daran vorhin zwey leichter getragen / gedoppelte kraͤfften / um nicht unterzu - ligen / zugeben; zu der wertheſten jugend ihm gefaͤlliger aufferziehung ſelbs mit beyzutreten / und denſelbigen alles dasjenige ſelbſten zu ſeyn / was er biß - her denſelben in einer treuen mutter geweſen; und alſo in der that zu zeigen / ob er ein und zwahr edles geſchenck ſeiner gnade zu ſich wieder genommen / daß er dennoch ſeine gnade in nichts gemindert habe / vielmehr denjenigen ſe - gen / mit welchem ſie noch vor ihrem ende die ihrige beſchencket haben wird / in allen ſtuͤcken und unausſetzlich ſo lange an ſamt und ſonders erfuͤllen / und ſie nach ihrem wunſch fuͤhren wolle / biß die jetzo getrennete in einer herrlichkeit ſich wieder umfaſſen und alsdann ewig vereinigt bleiben. Er laſſe auch ihr ge - daͤchtnuͤß wie in dem preiß ihrer tugenden und gottſeligkeit / alſo auch in ein - truckung gleiches ihres bildes in die ſeelen der geliebteſtẽ kinder / an denſelbenſtaͤts891ARTIC. II. SECTIO XLIII. ſtaͤts zu leuchten / immer bluͤhen und auff die nackkommende erhalten werden. Nun der HErr unſer GOtt / ein HErr der zeit und ewigkeit / erfuͤlle / was wir bitten / ihm allerdings auch gefaͤllig zu ſeyn in zeit und ewigkeit um JESU Chriſti willen ꝛc. 1697.

SECTIO XLIII. Anfechtung eines / der aus leiblichem uͤbelergehen GOttes ungnade ſchlieſſen wolte.

JCh bitte hertzlich in dem HErrn und in ſeiner kraff ſich zu ſtaͤrcken / und den anfechtungen des tꝛauergeiſts nicht zueigeneꝛ quaͤlung bey ſich platz zu geben. Dabey habe ſonderlich zu erinnern / daß die meiſte krafft der - ſelben aͤngſtigendẽ anfechtungen auf einigem falſchem præſuppoſito beruhet / nemlich / daß wir von der gnade oder ungnade GOttes gegen uns / aus dem jenigen zu urtheilen haͤtten / wie derſelbige uns in dem leiblichen es ergehen laſſe / ſonderlich aber / daß ein gewiß zeichen ſeye / daß der HErr uͤber uns ſon - derbar erzuͤrnet ſeyn muͤſſe / da er uns in dem irrdiſchen nicht nur nicht glei - chen ſegen mit andern ertheilet / ſondern vor andern ſich hart erweiſet / ja wol gar mit ungemeinen truͤbſaalen auff uns zutringet / welches ſchlechter dinges ungegruͤndet iſt / und dahin derjenige ſpruch / welcher uns zuweilen wider die verſicherung der goͤttlichen gnade von den Papiſten vorgeruͤcket zu werden pfleget / mehr gehoͤren mag Pred. Sal. 9 / 1. doch kennet kein menſch weder die liebe noch den haß irgend eines / den er vor ſich hat. Jch ſage / es ſeye ſolche meynung allerdings ungegruͤndet / wie wir bereits in dem A. T. ſehen: indem eben hierinnen der fehler der freunde Jobs beſtunde / daß ſie dafuͤr hielten / es ſeyeaus dem leiden Jobs offenbahr / daß Gott uͤber ihn wahrhaff - tig erzuͤrnet ſeyn muͤſſe / uͤber welchen er ſo viel jammer[/]zuſammen ſchlagen lieſſe / und gleichſam allen fluch auf ihn ausſchuͤttete / daraus denn folgte / daß ſeine froͤm̃igkeit heucheley geweſen ſeye. Wie groſſen ſchein nun dieſemeinung hatte / uñ ſie ſich ſtaͤts einbildeten / ſie eifferten treflich vor Gottes ehre / ſo wer - den ſie gleichwol daruͤber von Gott hart geſtraft / daß ſie Jobs fuͤrbitte bedorf - ten / weil ſie nicht recht von Gott und deſſen art / wie er mit den ſeinigen umzu - gehen pflegte / geredet hatten. Jn dem Levitiſchen geſetz uñ bundwurden denẽ welche das geſetz zu halten ſich befleißigen wuͤrdẽ / ſonderlich ſtattliche verheiſ - ſungen leiblicher gluͤckſeligkeit gegeben / dero ſie auf erden in dem lande Ca - naan genieſſenſolten / aber auch dieſe verheiſſung ſchloß die pruͤffung Gottes / die er mit zeitlichem leiden einiger ſeiner kinder noͤthig hielte / nicht aus. Daß wir hin und wieder ſehen / daß ſich auch gottſelige / wenn ſie ihrer und der uͤber - treter zuſtand gegen einander betrachteten / nicht wenig aͤrgerten / wie ſonder - lich Aſſaph Pſ. 73. bezeuget / da nemlich die gottloſe gluͤckſelig in der weltU u u u u 2waͤ -892Das fuͤnffte Capitel. waͤren / und reich wuͤrden / er hingegen taͤglich geplagt wuͤrde / und ſeine plage alle morgen da waͤre; daruͤber er dann ſchier auch davor gehalten ha - be / es waͤre umſonſt / wo man gottſelig lebte; ſagt aber dabey / damit haͤt - te er verdammt alle GOttes-kinder / die je geweſen ſeyen / weil nemlich GOtt gemeiniglich an denſelbigen mehr andere als leibliche verheiſſungen zu erfuͤllen gepfleget haͤtte. Kommen wir aber auf das N. T. ſo finden wir durch und durch keine ſonderbare verheiſſungen von leiblicher gluͤckſeligkeit und reichthum / die den glaͤubigen kindern von dem him̃liſchen Vater als ein ſtuͤck des bundes gegeben worden waͤren / vielmehꝛ ſo verkuͤndiget er insgemein den ſeinigen vieles von allerley truͤbſaalen; ja er haͤlt reichthum und anders / ſo in dem alten geſetz bey den Juden als ein ſonderbarſter ſegen geachtet wurde / vor eine gefaͤhrliche ſache / und will alſo nicht leiden / daß die ſeinige auch nur eine ernſtliche begierde 1. Tim. 6 / 9. 10. darnach haben ſollen. Denn nachdem er die geiſtliche guͤter in reichlicher maaß den ſeinigen nunmehr beſtim̃et / zu wel - chen aber tuͤchtig zu werden eine mehrere toͤdtung der eignen luͤſte und natuͤr - lichen willens gehoͤret / ſo findet er hierzu ein ſolches leben / in welchem es un - ſerm fleiſch durchaus nicht nach willen gehet / viel geſchickter / als das gluͤckſeli - gere / und gebraucht allerley arten leidens / nicht nur / die man austruͤcklich um der gerechtigkeit willen ausſtehen muß / die zwahr ſo viel geſegneter ſind / ſon - dern zuweilen auch anderer / armuth / zuruͤckgehung allerley vorhabens / ver - achtung und anders dergleichen / als eines ſolchen feuers / dadurch viele ſchla - cken der liebe der welt / und dero groͤbern / oder auch ſubtilern / anhaͤngigkeit ausgebrandt / und das gold der in den ſeinigen gewirckten geiſtlichen gaben mehr und mehr gereiniget werden ſollen. Daher in dem gantzen N. T. wir im - mer mehr vom leiden als euſſerlicher gluͤckſeligkeit leſen / ja nicht zeigen koͤn - nen / daß uns von dem irrdiſchen etwas mehr als unſer taͤgliches brodt / und zwahr nach der ermeſſung nicht unſer ſelbs / ſondern des guͤtigen und weiſen Vaters / der es zuweilen ſparſamer uns zuzutheilen ſeine wolgemeinte / obwol uns gantz verborgene / urſachen haben mag / zugeſagt ſeye: Daher auch ein kind GOttes ſich mehr und mehr beſtrebet / ſich die wahre und geiſtliche guͤter ſo angenehm zu machen / daß es wahrhafftig willig ſeye / wo es ſeinem Vater ge - faͤllig / ihn auch mit ermangelung alles uͤbrigen und gedultiger uͤbernehmung deſſen ihn zu preiſen: Huͤtet ſich aber ſonderlich auch aus dieſer art leidens ihm die gnade deſſelben nicht in zweiffel ziehen zu laſſen. Allem dieſem bitte ich fer - ner in der forcht des HErrn / und mit deſſen hertzlicher anruffung nachzuden - cken / da ich verſichere / mein hochgeehrter Herr werde finden / daß was ich hier ſchreibe / eine goͤttliche wahrheit ſeye / ob ſie wol von vielen nicht erkant wird. Liget dieſes zum grund feſt in ſeiner ſeele / ſo iſt die meiſte krafft der ihn plagen - den anfechtung gebrochen: Es wird auch alsdenn deſſen verlangen und gebet viel inbruͤnſtiger dahin gehen / daß ihm der Herr / in allem ſeinem willen gedul -tig893ARTIC. II. SECTIO XLIV. tig auszuhalten / glauben und muth verleihen / auch ſolches zu ſein und der ſei - nigen ſeelen beſten richten wolle / als auf die errettung aus leiblicher noth. Kommet aber die ſeele auch dahin / daß auch ihr verlangen nach dem irꝛdiſchen meiſtens gebrochen / und ſie ſich in dieſem lediglich ihres GOttes willen / et - was oder nichts zu haben / uͤbergibet / ſo iſt gewoͤhnlich auch die leibliche huͤlffe naͤher / als ſie geweſen / ſo lange ſie mit mehrer begierde geſucht worden. Der HErr HErr gebe ſolche lebendige erkaͤntnuͤß in dem liecht ſeines heiligen Geiſtes in ſeine ſeele / fuͤhre ihn nach ſeinem rath / und nehme ihn mit ehren an. Womit in die troͤſtende liebe des treueſten Vaters ſamt gantzem hauſe hertz - lich empfehle. 1688.

SECTIO XLIV. Rath vor einen mit ſchwehren zweiffeln uͤber die goͤttliche lehr angefochtenen.

GLeichwie ich von der in demſelben von guter zeit her kraͤfftig erkanten goͤttlichen gnade bey etzlichen jahren durch unterſchiedliche freunde nicht nur einmal vergnuͤglichen bericht empfangen / und mich daruͤber hertzlich erfreuet habe / ſo hat es bey mir ſo viel hertzlichers mitleiden verurſa - chet / als von noch nicht langer zeit nicht weniger verſtanden / wie es dem himm - liſchen Vater gefallen hat / ihn in ſeine zucht-ſchule zu fuͤhren / und zwahr am empfindlichſten ort anzugreiffen / nemlich an der ſeele ſelbs / mit entziehung de - ro ruhe / und empfindlicher gewißheit / welchen zuſtand ich wol weiß einer ſee - len den ſchmertzlichſten zu ſeyn / an deſſen ſtatt ſie gemeiniglich alle andere lei - den dieſer welt lieber erwehlen wuͤrde. Jndeſſen ſind wir gewiß / daß deſſen vaͤ - terliche guͤte weder in dem leiden ſelbs / noch in der wahl deſſelben / welches er uns beſtimmet / anders verfahre / als wie ers ſeinen kindern zu ihrem wahren beſten erſprießlich zu ſeyn weißlich erkennet. Daher ob mir wol eines chriſtli - chen geliebten freundes leiden billich zu hertzen gehet / bekenne / daß mir den - noch daruͤber nicht angſt weꝛden laſſe / ſondeꝛn mich an demſelben eines ſolchen feuers verſichere / dadurch ſein gold nicht verdorben / vielmehr aber gelaͤntert und herrlicher gemacht werden ſolle; wie auch nicht unterlaſſe / ſo viel als taͤg - lich dieſes anligen der guͤte unſers getreuen Vaters demuͤthigſt zu befehlen. Jch wende mich auch ſo bald zu einfaͤltiger beantwortung der mir vorgeleg - ten fragen mit hertzlicher anruffung GOttes / mir darinnen dasjenige liecht zu geben / ſo zu deſſen wahrer beruhigung mir noͤthig ſeyn wird. Es iſt aber die erſte frage / ob er in ſeinem gegenwaͤrtigen zuſtand / darinnen er auch an den nothwendigſten glaubens-articuln zweiffle / doch aber nichts ver - werffe / ſondern gern glauben wolte / wenn er die wahrheit erkeñete / in der gnade GOttes ſtehe / und wenn er in ſolchem ſtand ſtuͤrbe / die ſelig -U u u u u 3keit894Das fuͤnffte Capitel. keit ererben koͤnte? Hier auf fuͤge an zum foͤrderſten eine antwort eines an - dern gottſeligen freundes / deme die fragen communiciret / und von ihm die - ſes erhalten habe: Der angefochtene klaget uͤber zweiffel in den nothwendig - ſten glaubens-articuln (die / indem ſie nicht haben koͤnnen ſpecificiret werden / die generalius einzurichtende antwort ſchwehrer machen) und verwirfft doch nichts / ſondern will glauben. Er laͤſt denn die ſchrifft GOttes wort / vermuthe ich / ſeyn / und verwirfft es nicht / oder ſuchet doch auch wider dieſelbe ſich erre - gende zweiffel zu uͤberwinden. Nun das wollen (glauben wollen / allen zweiffel uͤberwinden wollen) von wem kommets? von GOtt gewiß Phil. 2 / 13. Und iſts freylich beſſer ſuchen und forſchen. Joh. 5 / 39. (ſolts auch mit furcht und zittern geſchehen) als den zweiffel nicht achten oder zu uͤberwinden nicht trach - ten. Jch præſupponire / daß tentatus ſich weiſen laſſen wird / wie nach Lutheri heroiſchen worten / nicht glauben koͤnnen / und doch glauben wollen / vor Gott ein angenehmer glaube ſeye. Welches aus den buͤchern deren / ſo von der ſchwachheit des glaubens geſchrieben / zur gnuͤge dargethan wird. Nun will er aber glauben. Welches wollen gewiß ein fuͤncklein iſt / ſo von Gottes Geiſt be - reits gewircket iſt / der dann dieſem ſcrutanti zu der ihm beliebigen ſtunde (wo und wie ers gut befinden wird) das fuͤncklein des glaubens weiter wird anzu - blaſen wiſſen. Und geſetzt / Gott lieſſe ihn in deꝛ ſchwachglaͤubigkeit noch etwas umzappeln / ſo hat er in Gott-gelaſſenheit ſich der worte Pauli zu erinnern / laß dir an meiner gnade gnuͤgen / denn meine krafft iſt in den ſchwachen maͤchtig 2. Cor. 12. Sagt doch GOtt ſelbs / er wolle das zuſtoſſene rohr nicht zubrechen. Welches weiſet / daß auch ſolche leute in gnaden ſtehen. Und auf die frage / ob ſie in ſolchem zuſtand ſelig werden? ſoll auch JEſus antworten im anfang der ſo ſchoͤnen berg-predigt / Matth. 5. Selig ſind / die geiſtlich arm ſind / das himmelreich iſt ihr. Das ſtaͤrcker glauben wollen iſt ein liebes - ſtrick / wodurch uns GOtt naͤher zu ſich ziehet. Wir lernen beſſer verſtehen / was liecht iſt / wenn es in unſerm hertzen vorher recht dunckel geweſen. Wir ſehen mehrmal aus erfahrung / daß dieſe leute / die durch allerley ſcrupel Gott hat laſſen exerciret werden / nachmal die gegruͤndeſten und feſteſten im glau - ben werden. Und mag ſeyn / daß auch bey dieſer werthen perſon der weiſeſte Gott / der gewohnt iſt / das kleine groß und aus nichts alles zu machen / es vor - hat / ſie felſen-feſt zu machen / daß ſie ſagen koͤnne aus erfahrung / wenn du mich demuͤthigeſt / macheſt du mich groß: Mein HErr und mein GOtt! Wie der erſt un-hernach ſtarck-glaubige Thomas ſagte: Und wie Paulus / wenn ich ſchwach bin / bin ich ſtarck. GOtt wolle mein hoffen laſſen amen ſeyn. Jch muß hierbey was erzehlen: Jch habe eine frau gekant / die in der lehr von Chri - ſti Gottheit zu ſcrupuln kommen iſt / daß ſie und niemand ihr zu helffen ge - wuſt. Dieſe (ſonſt ein weib von maͤnnlichem geiſt und muth) iſt hernach fleißignechſt895ARTIC. II. SECTIO XLIV. nechſt andaͤchtigem gebet uͤber der bibel gelegen / die ſie fleißig durchgangen / und alle von Chriſto handlende weiſſagungen und ſpruͤche ihr aus - und unter - gezeichnet / daß ſie die krafft-kern-ſpruͤche / auch in andern materien / zu vielma - liger meiner verwunderung ſo appoſite und mit nachtruck angefuͤhret / als viel Prediger nicht ſolten thun koͤnnen. Und weiß ich nicht / ob ich mein tag jemand von ſtaͤrckerm glauben faſt gehoͤrt als ſie. Jch bekenne[/]daß mit ihr offt ein paar ſtunden in dem HErrn zu converſiren mir ſo viel genutzt als vieles leſen. Das kan GOtt! darum nur auf ihn gehofft! Jch kenne einen menſchen in Chriſto / der in ſuͤnden-zweiffel geſteckt / aber durch GOttes guͤte ihm ſelbs und andern zum troſt 2. Cor. 1 / 3. 4. ſo erquickt worden / daß da ihm vorher die erde fuͤr angſt zu enge war / nachmal ſein hertz zu enge war den troſt zu faſ - ſen. Ein dergleichen angefochtenes hertz muß dencken: Dem GOtt wilſtu dich laſſen gantz und gar / und indeſſen mit ſamt dem ſchwachen glauben dich in ſei - ne haͤnde und wunden werffen. Dieſes iſt die antwort des gedachten chriſtli - chen mit-bruders / zu welcher ich in der ſache ſelbs nichts zu ſetzen habe / ſondern gleichſam jene nur mit andern expreſſionen wiederhole. So iſt nun gewiß / daß allein der glaube das mittel unſrer ſeligkeit ſeye / und wir uns alſo derſelben gewiß verſichern koͤnnen / wo jener verhanden iſt. Es iſt auch eine ausgemach - te ſache / daß der ſeligmachende glaube nicht eine menſchliche wiſſenſchafft und uͤberzeugung ſeye / ſondern ein liecht von GOtt / und ſolche wirckung in dero wir ſeine gnade in CHriſto JESU ergreiffen / daher ſie nicht andern wiſſen - ſchafften und menſchlichen habitibus zu vergleichen iſt. Daß ich aber naͤher zur ſache komme / halte ich / daß wol in acht zu nehmen ſeye / wie unſer liebe Lu - therus uͤber das Magnificat T. 1. Alt. (welchen ort auch D. Dannhauer ſeiner Hodoſophiæ einzuverleiben / wuͤrdig gehalten hat Ph. 5. p. 420.) den menſchen in 3. theile theile aus 1. Theſſ. 5 / 23. geiſt / ſeel und leib / gleichwol daß die erſte beyde dem weſen nach eins ſeyen: wo er ſagt / es ſeye der geiſt das tieff - ſte / edelſte / hoͤchſte theil des menſchen / darinn er geſchickt iſt unbe - greiflich unſichtig ewige dinge zu faſſen / und iſt kuͤrtzlich das hauß / da der glaube und GOTTES wort inne wohnet. Die ſee - le iſt eben der geiſt / aber in einem andern werck / und iſt deſſen art zu faſſen / was die vernunfft kennen und erkennen kan. Da ſage ich nun es muͤſſe zum grunde ligen / daß der glaube ein werck GOttes in dem geiſt ſeye / da der menſch der goͤttlichen gnade verſichert iſt / wo zwahr freylich auch erkaͤntnuͤß / beyfall und zuverſicht ſeyn muß / aber nicht mit der voͤlligen reflexion. Wo nun ſolcher glaube in dem grund der ſeelen oder in dem geiſt iſt / da bricht er ordentlicher weiſe auch aus in die ſeele / daß nemlich der verſtand / womit der menſch ſonſten andre dinge verſtehet / mit ſeinem liecht auch die dinge / ſo der glaube vor ſich hat / anſihet / beurtheilet und an -nim -896Das fuͤnffte Capitel. nimmet / ſonderlich mit den folgen umgehet / wie eines aus dem andern folge. Damit iſt alsdenn der glaube in dem geiſt und in der ſeele / hie nimmt dieſelbe die wahrheit an / die ſie ſihet / aus dieſem und jenem ſpruch goͤttlichen worts zu folgen / oder wie eine wahrheit die andere erweiſet / dorten geſchihet es mit mehrer einfalt und ohne diſcurs. Hingegen kan geſchehen / daß der aus - bruch aus dem geiſt in die ſeele gehindert wird. Wie wir bekennen / daß die kleine kinder wahrhafftig glauben / ſo muß alſo in ihrem geiſt das himmliſche liecht ſeyn / ſo ſich dannoch wegen unfaͤhigkeit der ſeelen damaligen kraͤfften no ch nicht darein ausgieſſet. Ja wenn auch wir erwachſene ſchlaffen / leuch - tet das liecht des glaubens noch immer wuͤrcklich in dem geiſt / in dem wir nie - mal ohne wircklichen glauben in GOttes gnade ſtehen koͤnten / und wenn es nicht gedachter maſſen ſich verhielte / keiner in dem ſchlaff ſterbender ſelig ſeyn wuͤrde / und dennoch ergeuſt ſich ſolcher glaube um ſolche zeit nicht in die ſeele oder dero kraͤfften / die der reflexion faͤhig ſind: Welches wir auch von denjenigen glaͤubigen ſagen moͤgen / die in ohnmacht / ſonderlich vor ihrem ab - ſchied manchmal mehrere ſtunden ja tage ohne gebrauch der ſinnen und ver - ſtandes ligen / da gleichwol kein zweiffel iſt / daß der wirckliche glaube (fides actualis) auch uͤm ſolche zeit bey ihnen ſich finde / ja wohl vermuthlich / daß ſolches liecht bey kindern GOttes um die zeit / da ſie der ewigkeit naͤher ſind / gleichſam mit neuen ſtrahlen aus der ewigkeit in ihnen geſtaͤrcket wird. Wie denn nun aus dieſen exempeln erhellet / daß der glaube in dem geiſt ſeyn koͤn - ne / da ſich nichts davon in der ſeele und dero kraͤfften bey uns euſſert: ſo iſt nicht weniger muͤglich / daß der glaube in dem geiſt bleibe / wenn etwas deſ - ſelben in die euſſerliche kraͤfften der ſeelen ausgehet / aber ſo daß die vernunfft oder natur ſich widerſetzet. Welches die art der angefochtenen iſt / dero glau - be nicht bloß in dem geiſt bleibet / ſondern die kraͤffte der ſeelen gehen mit uͤm / der verſtand betrachtet die vorgeſtellte wahrheiten / und gibt ihnen einigen beyfall / und der wille will mit vertrauen dieſelbe ergreiffen / aber der ver - ſtand / in dem die goͤttliche krafft aus dem innerſten ſolchen eintruck thut / hat noch ſeine natuͤrliche finſternuͤß / dieſe miſchet ſich in die betrachtung der him̃ - liſchen wahrheiten / daher er ſie ſehr tunckel erkennet / ſie gibet auch ſo viel widrige einwuͤrffe / und bereitet einen nebel vor die augen / daß an ſtatt des unzweiffentlichen beyfalls / der ohne dieſe hindernuͤß wuͤrde da ſeyn / ein gantz ſchwaͤchlicher beyfall allein bleibet / den die zweiffel ſo verunruhigen / wie der nebel / der ſich beweget / machet / daß man was dahinden iſt / bald etwas klahr / bald dunckler bald gar nicht / ſihet: Daher das ergreiffen des willens auch nicht anders als ſehr ſchwach ſeyn kan. Dieſes iſt die bewandnuͤß des glau - bens bey einem ſchwachen oder angefochtenen / wie er ſich nemlich in der ſeele und dero kraͤfften / wo die reflexion und entſinnung dabey iſt / hervorthut. Jndeſſenbleibet in dem geiſt dannoch der wahre und unbewegliche goͤttlicheglau -897ARTIC. II. SECTIO XLIV. glaube / der uns ſeelig machet. Man moͤchte aber fragen: Woher wir denn wuͤſten / daß der glaube annoch innerſt in dem geiſt ſeye / da doch in den kraͤfften der ſeelen ſich faſt mehr widriges zeiget? Es wird aber die ant - wort unſchwehr ſeyn. Wo der heilige Geiſt iſt / da ſeye / wie er ein liecht iſt / ausbleiblich auch ſein liecht / wie erſtlich in dem glauben / alſo auch nach - mal in deſſen fruͤchten. 1. Cor. 2 / 12. 2. Cor. 4 / 13. Daß aber an ſolchen perſonen / die in anfechtungen wider den teuffel ſtreiten / der heil. Geiſt kraͤff - tig ſeye und wohne / ſolches ſehen wir unwiderſprechlich aus allen andern ſei - nen wuͤrckungen in ihnen / die ſich in die ſeele durch die fruͤchten empfindlicher ergieſſen / alsdurch die empfindlichkeit des glaubens ſelbſt. Alſo die angſt / die eine ſolche ſeele / da ſich der glaube verborgen / daruͤber hat / das mißfallen an den zweiffeln / die begierde nach empfindlicher gewißheit / die liebe zu Gott / die ſorgfaͤltige verwahrung des gewiſſens / und was dergleichen ſtuͤcke der heiligung ſind / dero auffrichtigkeit der angefochtene ſich gewiß verſichern kan / ſind lauter ſolche wuͤrckungen / die von keiner geringern urſach als dem heiligen Geiſt ſelbs herzukommen vermoͤgen / daß alſo dergleichen leute ſich ſeiner einwohnung aus den kraͤfftigen wirckungen verſichern / daraus aber unfehlbarlich ſchlieſſen koͤnnen / daß in dem geiſt / wo derſelbe wohnet / und woheraus alle dieſe wuͤrckungen kom̃en / der wahre und goͤttliche glaube ſeye / deſſen ſie ſo viel / als ſie verlangten / in der ſeelen kraͤfften nicht gewahr wer - den. Da hingegen die muͤglichkeit deſſen aus obbeſagten hoffentlich ziemlich erhellen kan. Daraus ſihet man alſo / wie wahꝛ es ſeye / daß glauben wollen ein wahrer glaube ſeye / oder vielmehr jener austruck in dem willen der ſeele das zeugnuͤß ſeye / daß der wahre glaube in dem geiſt verborgen ſeye.

Die II. frage lautet nun: Worinnen die goͤttliche gewißheit in den nothwendigſten glaubens-articuln beſtehe / und was ſie ſeye? Da zugleich hinzugeſetzt wird / es werde ſolche ſeyn eine aus der erleuchtung des geiſtes GOttes entſtandene kraͤfftige uͤberzeugung des hertzens. Welches auch freylich alſo / aber dennoch auch zu mercken iſt / daß ſolche gewißheit ih - re gewiſſe grade und ſtuffen habe. Zwahr von ſeiten der goͤttlichen wahr - heiten ſelbs iſt kein unterſcheid / ſondern alle goͤttliche wahrheiten ſind einer gleich unbetruͤglichen gewißheit: es iſt auch kein unterſcheid / was anlangt die goͤttliche offenbahrung ſelbs insgemein / weil ſie wiederum alle von einer goͤttlichen offenbahrung herkommen muͤſſen / maſſen wiꝛ von dem verborgenen GOtt / ſonderlich wo wir reden / davon eigentlich hier geredet zu werden mich verſichere / von dem geheimnuͤß des Evangelii / nichts anders oder weiter er - kennen und wiſſen moͤgen / als was der HErr geoffenbahret hat. Was aber die offenbahrung ſelbs anlangt / gibts in der art / wie dieſe uns kund wird / einigen unterſcheid. 1. Jſt eine art die unmittelbare offenbahrung / wie Gott den Pro -X x x x xphe -898Das fuͤnffte Capitel. pheten / Apoſteln / und dergleichen die wahrheiten / welche ihnen zu wiſſen noͤ - thig waren / ſonderlich davon ſie muͤndlich oder ſchrifftlich zeugen ſolten / alſo vorgeſtellet / uñ in die hertzen eingetrucket hat / daß ſie ſo bald ſo wol dieſelbe in dem mitgetheilten liecht ſtracks voͤllig / oder ſo viel ihnen davon entdecket hat werden ſollen / erkanten / als auch der gewißheit derſelben alſobald ſo verſi - chert wurden / daß ihnen ſo unmuͤglich geweſen waͤre / an ſolchen zu zweiffeln / als einer der ſich recht beſinnet / und bey hellem mittag die ſonne ſihet / daß er ſie ſehe / zu zweiffeln nicht vermag. Dieſe gewißheit iſt wol die hoͤchſte / aber nicht allen Chriſten gemein. 2. Jſt eine art der gewißheit / ſo aber nur gewiſſe dinge angehet / nemlich die zu der heiligung / und theils zur rechtfertigung ge - hoͤren / da der menſch die ſache nicht nur weiß und glaubet aus der goͤttlichen offenbahrung in dem wort / ſondern hat auch die eꝛfahrung davon in ſeiner ſee - len / welche gewahr wird deſſen / was in ihr geſchihet: wo dann die erfahrung eine bekraͤfftigung der offenbahrung / ja gleichſam eine wiederholte offenbah - rung iſt. Bey dieſer / ſo weit die erfahrung ſelbs gehet / hat auch kein zweiffel platz / oder iſt doch alſobald uͤberwunden.

3. Was aber diejenigen materien anlangt / davon keine erfahrung ſeyn kan / geſchihet einigen die gnade / daß auch die wahrheiten von denſelben in ih - rer ſeelen alſo verſieglet werden / daß ſie die gewißheit derſelben in ſich ſelbs ſo wol in dem himmliſchen liecht ſehen / als ſie die wahrheit der axiomatum, wel - che die vernunfft klahr ſihet / alſo erkennen / daß ſie dero gewißheit nicht erſt durch vielen erweiß ſich einzutrucken noͤthig haben. Dieſe verſieglung und of - fenbahrung iſt nun ſo feꝛn nicht unmittelbaꝛ / indem ſie aus der kraft des goͤtt - lichen worts / ſo man geleſen oder gehoͤret hat / herkommet / ich moͤchte ſie aber ſo fern unmittelbar nennen / weil der glaube ſie ergreifft nicht nur als gewiſſe concluſiones aus dem goͤttlichen und davor erkanten wort / ſondern als ſolche wahrheiten / da ihm eine jegliche derſelben ſelbs von dem H. Geiſt in der ſeelen verſieglet und zu erkennen gegeben wird (ſihe Eph. 1 / 17. 18. ) daher abermal bey dieſer erkaͤntnuͤß kein zweiffel ſeyn / oder doch nicht ſtarck eintringen kan.

4. Endl. iſt diejenige erkaͤntnuͤß / und zwahr die gemeinſte / da eine glaͤubige ſeele zwahr von der goͤttlichkeit des worts und der ſchrifft durch den H. Geiſt und ſpuͤhrung dero krafft uͤberzeuget iſt / aber aller oder der meiſten theologi - ſchen wahrheiten (wovon nemlich keine erfahrung ſeyn kan) abſonderlicher of - fenbahrung oder verſieglung ſich nicht ruͤhmen darff: ſondern allein vergnuͤgt iſt / daß ſie dieſelbe entweder mit klahren worten in der ſchrifft enthalten / oder auf eine ſolche buͤndige artdaraus gezogen ſihet / daß ſie der guͤltigkeit der fol - ge uͤberzeuget iſt / und alsdenn ſolche theſes feſt ergꝛeifft / als goͤttl. wahrheiten aus der allgemeinen uͤberzeugung / daß die H. ſchrifft das wahre wort GOt - tes ſeye. Wie nun dieſer grad gegen die vorige etwas geringer iſt / ſo mangelts ihm doch nicht an der zur ſeligkeit noͤthigen gewißheit: indeſſen iſt er mehrernzweif -899ARTIC. II. SECTIO XLIV. feln unterworffen / nicht nur denjenigen / womit auch bey den rechtglaͤubigen das unglaͤubige fleiſch zuweilen einige einwuͤrffe gegen die goͤttlichkeit des worts thut / oder doch das gefuͤhl der uͤberzeugung davon ſchwaͤchet / ſondern auch denjenigen / welche uͤber die richtigkeit der folgen aus der ſchrifft entſte - hen koͤnnen. Judeſſen iſts gleichwol eine goͤttliche gewißheit / nach dem ſie ſich gruͤndet auf die goͤttl. uͤberzeugung von der wahrheit des worts Gottes / dar - innen diejenige dinge ſtehen / uñ daraus gezogen werden / welche wir mit glau - ben um der wahrheit willen deſſen / der uns das wort gegeben hat / annehmen.

Wo nun III. gefraget wird / welches die unfehlbare kennzeichen ſol - cher gewißheit ſeyen? So wird nicht wol von den drey erſten arten gefraget werden / indem in denſelben was die erſte und dritte anlangt / das goͤttliche liecht ſich ſo wol ſelbs offenbahret / daß anderwerts nicht eben kennzeichen her - zunehmen ſind / als die ſonne geſehen keines andern liechts / zur verſicherung ſie geſehen zu haben noͤthig hat. Was aber die vierdte betrifft / weil in derſel - ben wiederum zweyerley ſich ſindet / in der ſeele die uͤberzeugung von der ge - wiſſen folge aus GOttes wort / oder von dem rechten verſtand der worte der ſchrifft ſelbs / dazu ein diſcurſus und operatio mentis gehoͤret / und in dem geiſt das goͤttliche liecht des glaubens insgemein: So wird jene gewißheit erkant an der pruͤffung / ob ſolche folge den regeln einer wahrhafftigen folge / und die erklaͤhrung der wahren erklaͤhrung oder hermenevtic gemaͤß ſeye / alſo / daß nichts erhebliches dagegen gebracht werden kan. Was aber die andre gewiß - heit anlangt / ob insgeſamt das liecht in unſrem geiſt / mit dem wir insgemein die goͤttliche ſeligmachende wahrheit und lehre annehmen / das wahre goͤttli - che liecht ſeye / weiß ich kein gewiſſer und unfehlbarer kennzeichen zu geben / als der Apoſtel gibt 1. Joh. 2 / 3. daran mercken wir / daß wir ihn kennen / und alſo / daß unſer erkaͤntnuͤß und glaube von ihm nicht luͤgen oder menſchli - cher gedancken / ſondern wahrheit / eine wahrheit GOttes ſeye / ſo wir ſeine gebot halten. Alſo wo ich in meiner ſeele finde / daß mein glaube mich kraͤff - tig zu der heiligung nach allen geboten Chriſti ſtets antreibe / und ſolche thaͤt - lich bey mir wircke / ſo bin ich unfehlbar verſichert / daß ſolcher nicht von fleiſch und blut / ſondern von GOttes Geiſt / herkomme / und alſo ob ſchon in begreif - fung dieſer und jener theſium in der ſeele ein menſchlicher irrthum mit einge - lauffen ſeyn moͤchte / und ich alſo der veritatis objectivæ von allem nicht un - fehlbar gewiß bin / daß dennoch der glaube in dem geiſt das rechte und ſelig - machende liecht in mir ſeye. Welches ſich ſonderlich mit dem exempel der juͤn - ger Chriſti vor ſeinem todt erweiſen laͤſt / in derer ſeele viel ſchwehre irrthuͤme / in dem geiſt aber deñoch ohneracht jener / der wahre goͤttliche glaube ſich fand.

Die IV. frage iſt / ob derſelbe ſich deſſen / davon er keine goͤttliche ge - wißheit habe / im beten annehmen / es andeꝛn pꝛedigen und lehren / auchX x x x x 2als900Das fuͤnffte Capitel. als eine wahrheit unterſchreiben koͤnne? Weil nun hievon der chriſtliche Theologus, ſo auch uͤber die 1. frage ſeine gedancken eroͤffnet / gleichfals etwas geantwortet / ſetze ich zu erſt ſeine beantwortung gantz hieher / die alſo lautet: Jch lieſſe in dieſem fall mein ernſtes gebet ſtets ſeyn: O GOtt / was ich dir / un - ſrer kirchen confeſſion und deiner ſchrifft / wie ich es indeſſen einfaͤltig / obwol ſchwaͤchlich glaube / gemaͤß vortrage / das laß dir gefallen. Jch ſehe es einmal an als deine wahrheit. Solteſtu befinden / daß ich etwas wider dich oder dein wort betete (welches ich gleichwol zu thun nicht willens / wie du allwiſſender weitß) ſo moͤchteſtu es als nicht gebetet halten. Jch will alle mein gebet deinem uns vorgeſchriebenen Vater unſer conform eingerichtet wiſſen. Damit betete ich in GOttes nahmen alle denen in unſern kirchen uͤblichen glaubens-arti - culn gemaͤſſe gebete: Mit bedingung / GOtt wolle meinen ſchwachen glauben nicht verachten / ſondern ſtaͤrcken / ja als ſeine wirckung ihm ein angenehmes opffer um Chriſti willen ſeyn laſſen. So auch mit dem predigen. Jch beflieſſe mich auffs einfaͤltigſte die goͤttliche wolthaten vorzuhalten / und wie ſie uns zur danckbarkeit und einem heiligen leben erwecken / zu zeigen / damit legte ich troſt und buß in die heꝛtzen. Kaͤme mir etwas in dem text oder ſonſten vor / dar - ob ich ſtutzte: So fuͤhrte ich indeſſen an der kirchen meinung / und ſagte: Unſre kirche lehret hievon ſo und ſo. Mit dem mich kuͤmmernden zweiffel machte ich andre nicht irre. Mit dem unterſchreiben ſaͤhe ich auf das maaß der gewiß - heit / ſo ſtarck mir es GOtt gegeben: hoffende der HErr werde mich darinnen ſtaͤrcken. Jch unterſchriebe es mit ſolch einem hertzen / daß ich es doch nicht ver - werffe / und noch begierig ſeye / durch gebet / leſen und forſchen in der gewißheit geſtaͤrcket zu werden. Dieſes ſind des lieben freundes chriſtl. und gegruͤndete gedancken. Jch wiederhole ſie theils / theils richte ſie ein nach meinem begriff. 1. Was das gebet anlangt / ſo mache ich einen unterſcheid unter den gebeten / die oͤffentl. uñ mit andern geſchehen / uñ unter denjenigen[/]welche ichallein vor meinem Gott thue. Was die erſte art betrifft / vergnuͤgte ich mich damit / was der chriſtl. bruder vorgeſchlagen hat / und aͤnderte nichts in den gebeten / ob mir wol zweiffel gegen die wahrheit eines uñ andern ſtuͤckes auffſtiegen / wie mirs auch nicht frey ſtehet etwas zu aͤndern in demjenigen gebet / was nicht mein / ſondern der gantzen kiꝛchen / gebet iſt / die ich um meines zweiffels willen nichts desjenigen gleichſam berauben darf / wovon andere eine gewißheit haben moͤ - gen. Damit ich aber mein gebet nicht ſelbs als wider die wahrheit vor GOtt ſtreitend anſehen doͤrffe / ſo huͤlffe ich mir in meiner ſeele mit demjenigen vor - ſchlag der bedingung / wo ſolches der wahrheit Gottes nicht gemaͤß ſeyn ſolte / da ich mich noch eines andern verſaͤhe / es nicht gebetet zu haben. Da ohne das wer auf der cantzel das gebet verlieſet / nur auch als ein diener der gemeinde in ſolchem ſtuͤck angeſehen werden kan / welches amt er alſo verrichtet / ob er wol in ſeinem hertzen dasjenige ſo zu reden nicht mit betet / woran er zweiffelt. Jnden901ARTIC. II. SECTIO XLIV. den gebeten aber / die ich allein fuͤr mich thaͤte / wolte ich ſo weit nicht gehen / ſondern neben dem gebet des HErrn / an dem ich nichts zu zweiffeln habe / alle meine gebet alſo einrichten / wie ſie derjenigen erkaͤntnuͤß gemaͤß ſind / welche mir GOtt annoch gegeben oder gelaſſen hat / und ihn ſonderl. immer anruffen um die feſtigkeit und gewißheit in denjenigen puncten / die ich noch nicht der - maſſen / wie ich wolte / zu faſſen vermag / am alleꝛmeiſten / da mir dieſelbe zu dem vertrauen in dem gebet noͤthig achte. 2. Jn dem predigen / wo mir freye texte bleiben / erwehle ich allein diejenige / in welchen ſolche materien enthalten ſind / von denen ich mit gnugſamer gewißheit reden kan / und fuͤhrte alsdenn dieſel - be aus nach dem geſchenckten maaß der gnaden. Waͤre ich aber an gewiſſe tex - te / zum exempel / Evangelia / Epiſteln oder dergl. gebunden / ſo nehme ich auch aus denſelden diejenige puncten / von welchen ich mit wenigſtem zweiffel re - den kan: wie man ja ohne das nicht allezeit an voͤllige abhandlung ſolcher tex - te verbunden iſt. Wo aber ent weder wegen der kuͤrtze des texts ſelbs / oder aus anderer urſach eine materie nothwendig von mir beruͤhret werden muͤſte: ſo achtete noͤthig / die angegebene veꝛwahꝛung in acht zunehmen / daß nemlich un - ſer kirchen lehr / mit austruͤcklicher dero meldung / auffs treulichſte erklaͤhrte / und was zu dero beſtaͤtigung angefuͤhrt zu werden pfleget / mit fleiß anfuͤhr - te / ohne daß weder meinen conſenſum austruͤcklich bejahete / noch hingegen einigerley maſſen den zuhoͤrerneine ſorge meines diſſenſus odeꝛ zweifel mach - te. Hingegen nachmal auff diejenige dinge in ſolchem articul am ſtaͤrckeſten triebe / was mir noch darinnen am gewiſſeſten iſt. 3. Mit der unter ſchrifft a - ber hat es eine andere art / denn weil derſelben eigenlicher zweck iſt / meine ge - muͤths-meinung zu entdecken / und alſo die kirche oder andere / deren intereſſe dabey verſiret / zu verſichern / daß ſie von mir keine widrige lehr zu erwarten habe: ſo bin ich ſchuldig / entweder die unterſchrifft gar auff beſte weiſe zu de - cliniren / oder doch denjenigen / welche ſie mir zumuthen / deutlich vorzuſtellen / wie ich wider ſolche mir vorgeſchꝛiebene lehr nichts voꝛtragen wolte / auch von dero wahrheit eine vollkommene uͤberzeugung zu haben hertzlich verlangte / wie ich aber noch mit gewiſſen ſcrupuln dagegen zu kaͤmpffen haͤtte / und alſo mich in meinem hertzen dazu noch nicht voͤllig zu bekennen vermoͤchte. Womit ſie aber billich zu frieden ſeyn ſolten: auff den austruͤcklichen verſpruch / nichts widriges andern beyzubringen / und wo ich ſolte wider vermuthen des gegen - theils mich uͤberzeugt befinden / da ich ſolcher lehr eher widerſprechen muͤſte / als dazu mich bekennen doͤrffte / ihnen ſolches auffrichtig auch zu hinterbrin - gen / und alſo die auf gewiſſe art geſchehene unterſchrifft zu wiederruffen. Wo die ſache nun auff dieſe weiſe eingerichtet wird / ſehe ich nicht / daß die gethane einwuͤrffe mehr krafft haben. 1. Wird nichts wider die wahrheit oder auffrich - tigkeit gethan / wann wir nur dieſes dabey bemercken / daß allein wider dieſel - be ſtreite / wo man wider dasjenige redet / was man in dem hertzen hat / nichtX x x x x 3aber /902Das fuͤnffte Capitel. aber / wo man etwas deſſen aus wichtigen urſachen verſchweiget und verhaͤ - let / womit man andere vielmehr irre machen / als ihnen nutzen ſchaffen wuͤrde. 2. Werde ich mir damit auch nicht wider die ſchuldige gelaſſenheit aus eignem willen einen glauben machen / den ich behalten / und damit GOttes wirckung zuvor kommen wolte. Sondern was ich thue in ſolcher ſache / gehet nicht wei - ter / als daß ich nach vermoͤgen bey derjenigen lehr und bekaͤntnuͤß zu bleiben mich bemuͤhe / zu dero mich vorher goͤttliche guͤtige fuͤrſorge durch meine ge - burth und auffer ziehung gefuͤhret hat / von welcher ich alſo mit gutem gewiſ - ſen nicht eher zu weichen vermag / als biß ich des gegentheils mit einer voͤlli - gen verſicherung uͤberzeuget waͤre: ſo lange aber mein vorhin gefaßtes mir nur duꝛch aufſteigende zweiffel beſtritten wird / kan ich es noch nicht wegweꝛf - fen / ſondern es behaͤlt das andere noch ſo lang den ihm zukommenden vorzug / daß ob ich wol nicht mehr feſt drauff ſtehe / ich gleichwol auch nichts dagegen thue / und wo ich auff eine ſeite etwas thun muß / wie in den predigten / da eine der contradictoriarum austruͤcklich muß gebraucht weꝛden / dasjenige behal - te und treibe / was ſolcher gemeinde geſetz und ordnungen ohne das mit ſich bringen. Wie auch ſonſten in zweiffelhafften faͤllen / wo nothwendig etwas ge - than werden muß / der ſicherſte theil zu erwehlen iſt: welcher in dieſem fall iſt die behaltung der gemeinen lehr / durch die niemand / durch das gegentheil a - ber gewiß viele / irre gemacht und geaͤrgert wuͤrden. Deswegen ich ſo gar meine uͤber die gemeine lehr habende ſcrupel in der oͤffentlichen rede vorzuſtel - len durch die ſchuldigkeit der auffrichtigkeit nicht verbunden werde / daß ich vielmehr aus der ſchuldigen ſorge / die ich haben muß / niemand anders in ge - fahr des irrthums zu fuͤhren / verpflichtet bin / wo ich eines reden muß / bey der gemeinen lehr zu bleiben / und zu trachten / daß ich vielmehr aus anderer als meinem munde auf obengezeigte weiſe rede. 3. Wird alſo damit auch nicht wi - der Rom. 14 / 24. geſuͤndiget / ſondern ich kan alsdenn aus dem glauben (in dieſem verſtand) thun / was itzt vorgeſchlagen: Dann ob ich wol in dem glau - ben nicht verſichert bin / ob dieſe lehr die unzweiffentliche wahrheit ſeye / ſo bin ich doch in dem glauben verſichert / daß bey dieſer bewandtnuͤß die liebe und das gebot des HErrn dergleichen von mir fordere.

V. Jſt noch uͤbrig die letzte frage / was bey gegenwaͤrtigem zuſtand noch zu thun? Hier will ich abermal / weil der beruͤhrte freund auch uͤber dieſelbe ſeinen rath gegeben / wie bey den vorigen beyden ſeine wort / wie ſie lauten / herſetzen. Die bekante mittel / ſo hierinn zur hand zu neh - men / waͤren 1. fuͤr ſich ſelbs fleißig beten um goͤttliche ſtaͤrckung / mit gaͤntzlicher ſubmiſſion in GOt - tes weißheit und willen. 2. Gute getreue mit-bruͤder à part um fuͤrbitte anzuſprechen O das gebet des gerechten vermag auch in dieſem ſtuͤck viel / wanns ernſtlich iſt. Meines wenigen gebets ver - ſichere ſolche liebe ſeele in dem HErrn HErrn. Ach der HErr wolle auch zu dieſem liebes-dienſt an - dere mit-bruͤder und mich ermuntern / und um JEſus willen erhoͤren. Amen Amen. 3. Fleißig die bibel / unſre ſymboliſche buͤcher / und etwa eines geiſtreichen mannes wol eingerichtetes ſyſtema zu leſen. 4. Die am meiſten truckende ſcrupul auffzuzeichnen / wie ſie offt einfallen / auch wenn es nicht in einer ſo genauen ordnung waͤre. Doch von den penetrantſten / die den tentatum am meiſten tru -cken /903ARTIC. II. SECTIO XLIV. cken / den anfang zu machen. 5. Buͤcher wider die kleinglaͤubigkeit als Mülleri uͤber Pſal. 143. Sche - rerzeri Fuga Melanch. Lanckiſchii ſeelen-artzney / Scriverii ſeelen-ſchatz u. ſ. f. zu leſen. Dieſe vor - ſchlaͤge laſſe ich mir nun auch wolgefallen / ſetze aber noch ferner bey / nachdem das anligen auch ſon - derlich angefuͤhret wird / ob die zweiffel ſo fort als verſuchuugen des teuffels aus dem ſinn zu ſchla - gen / und ſich bloß an das / was vorhin geglaubet worden / zu halten waͤre / oder / ob es beſſer / die din - ge / daruͤber die zweiffel entſtanden / deſto gruͤndlicher zu unterſuchen / und nechſt demuͤthiger einfaͤl - tiger nachforſchung es GOtt in demuͤthigem gebet vorzuſtellen und zu uͤbergeben / daß er durch die verſigelung des heiligen Geiſtes den ausſchlag geben wolle: Daß nemlich unter dieſen beyden das erſte weder practicabel noch nuͤtzlich achte / maſſen nie keine beſtaͤndige ruhe daraus folgen wuͤrde / hingegen das andre zu ergreiffen rathe: Nicht zwahr alſo / daß man ſich befleiſſen wolte / wie ich weiß / daß zuweilen einige ſolchen vorſchlag thun / alle vorhin gefaßte ideas von ſolchen materien bloſſerdinges / ſo viel muͤglich / aus dem ſinn wegzuthun / und ſich als einen ſolchen darzuſtellen / der nie nichts von allem gewußt haͤtte / welches eines theils nicht nur ſchwehr / ſondern vielleicht zu pra - cticiren unmoͤglich / anders theils eine und anckbarkeit gegen GOtt ſeyn moͤchte / was wir bereits einmal empfangen / ſelbs wieder wegzuwerffen: ja es waͤre wenig anders / als ſich eben damit gleich voran zu der einen ſeite / nemlich der verleugnung ſolcher dinge / determiniren: ſondern auf dieſe wei - ſe / daß man ſo bald dasjenige behalte / was uns noch nicht angegriffen worden (obwol auch in ſol - chem nicht mißrathen wolte / um ſich auffs kuͤnfftige ſo viel feſter zu ſetzen / daß man auch den grund ſolcher wahrheiten unterſuche / um deſto gewiſſer zu ſeyn) was uns aber in zweiffel gezogen zu wer - den angefangen / nicht zwahr ſo bald hingebe / aber auch ſich nicht mit gewalt ſolches zu glauben vergebens bemuͤhe / ſondern in der forcht des HErrn dergleichen theſes mit groſſer ſorgfalt exami - nire / ob und wie fern ſie in GOttes wort gegruͤndet ſeyen: Zwahr wegen deſſen / daß GOtt ſie uns von jugend auf einbilden laſſen / eine zuneigung gegen dieſelbe allezeit behalte / und darinnen befe - ſtiget zu werden verlange (als welches immer zu der ſchuldigen danckbarkeit gegen goͤttliche un - ſrer kirchen erzeigte gnade gehoͤret) hingegen auch ſtets bereit bleibe / wo man den ungrund einer meinung gnugſam erkennen wuͤrde / gern alles zu verlaſſen / was wir ſonſten vor gewiß gehalten hatten / ohnerachtet alles zeitlichen ungemachs / ſo uns daraus entſtehen doͤrffte. Eine mit derglei - chen gemuͤth und vorſatz / auch in ſolcher art anſtellende unterſuchung kan unmuͤglich uͤbel ablauf - fen / ſondern der HErr wird einer ſeiner wahrheit begierigen / und in ſeine ordnung ſich ſchickenden / ſeelen dieſelbe auffs wenigſte in noͤthiger maaß und zu ſeiner zeit offenbahren / deſſen man ſich aus ſeiner hochberuͤhmten treue gewiß verſichern kan.

Weil noch zuletzt auch des vorſchlages zu ihrem zucht-hauſe meldung gethan / und meine gedancken daruͤber verlangt worden / ſo erklaͤhre mich auch offenhertzig. 1. Daß ich da - fuͤr halte / daß er ſo lange decliniret worden / koͤnne nicht geſtrafft werden / denn nachdem derſelbe ſich biß daher ein gewiſſen gemacht / zeit beywohnender ſcrupul etwas der wahrheiten / die ihm in zweiffel gezogen worden ſind / zu lehren und andern vorzutragen / ſo konte denn auch ohne ſuͤnde ſol - ches damal nicht geſchehen. 2. Nachdem aber verhoffentlich derſelbe aus unterſchiedlichem chriſt - licher freunde rath / was in ſolcher ſache thunlich oder nicht thunlich ſeye / nunmehr verſtanden ha - ben / und ſich daruͤber uͤberzeuget finden wird / ſo wuͤrde nunmehr / wo die ſache noch nicht vergeben / und der antrag nochmal geſchehen ſolte / rathen / die ſache als aus dem HErrn ſo viel getroſter an - zunehmen / als eine dergleichen ſtelle / welche vor andern einem mit zweiffel angegriffenen bequem ſeyn moͤchte / indem die bewandnuͤß der zuhoͤrer nicht erfordern wird / mit ihnen anders zu handeln / als die allergemeineſte wahrheiten / von denen hoffentlich kein zweiffel ſeyn wird: Alſo dienete dieſe gelegenheit dazu die von GOtt verliehene gaben zu einiger frucht nach jetziger dero bewandnuͤß ſo bald anzuwenden / und hingegen bey ſolcher ſtelle / die der arbeit nicht zu viel gleich erſtlich auffleg - te / raum zu haben / auch das uͤbrige / mit gnugſamem fleiß zu unterſuchen / und damit zu einer meh - rern feſtigkeit zu gelangen / in deroſelben folgends Gott an wichtigeren ſtellen hinkuͤnfftig zu dienen.

Dieſes waͤren meine gedancken uͤber das mir freundlich vorgelegte / ſo ich nun deſſen eigner pruͤffung uͤberlaſſe / wie alles / oder was ſeinem gewiſſen (uͤber welches ich mir bey keinem menſcheneine904Das fuͤnffte Capitel. ART. II. SECTIO XLV. eine herrſchafft nehme) einleuchten werde oder nicht: ſchließlich den himmliſchen Vater demuͤthigſt anflehende / der ſein liecht und Geiſtes krafft in ſeiner lieben ſeelen immer heller auffgehen / und ſich ſtaͤrcker in ihr erweiſen laſſen wolle / damit er nach ſeinem hertzlichen verlangen die wahrheit ſtets tieffer einſehe / davon eine voͤllige uͤberzeugung in ſich fuͤhle / dadurch alle anfechtung und zweiffel uͤberwinde / aber nach dieſem ſieg ſich ſo viel kraͤfftiger und geſchickter finde / die mit ſolchem ernſt ge - pruͤffte wahrheit der gemeinde des Herrn / wie mit mehrer gewißheit / alſo auch mit ſtaͤrckerem nach - truck vorzutragen / und alſo viel ſeelen neben ſich zur lebendigen und ſeligmachenden erkaͤntnuͤß der wahrheit zu fuͤhren. Der HErr ſpreche auch alſo / wie wir bitten / und gebe auch mir gnade / ſein werck an ſeiner werthen ſeele einiger maſſen mit befoͤrdern zu helffen. 1689.

SECTIO XLV. Troſt an jemand / ſo ſich uͤber meinen abzug von Dreßden betruͤbte.

DJeſes einige haͤtte von lieben freunden zu verlangen / daß der an meiner entziehung geſchehe - ne verluſt nicht ſo hoch geachtet wuͤrde: dann ob mir mein getreuer GOtt einige geiſtliche ga - ben verliehen haben mag / deren mich zwahr auch nicht wuͤrdig achte / ſo iſt doch das maaß derſel - ben nicht ſo groß / daß man viel verlohren zu haben / billich klagen koͤnte. Und wie ich zu geſchehen wuͤnſche und bitte / wird der HErr HErr / der mich von ihrem ort ſelbs hat heiſſen ausgehen / ſeinen uͤbrigen dienern / welche er denſelben gelaſſen hat / oder ferner ſenden wird / ſo viele gaben und ſegen geben / daß keiner ſeelẽ / welche ihn wahrhafftig ſuchet / das geringſte abgehen ſoll oder wird / wo - durch ſie auffgemuntert oder erbauet zu werden bedarff: und ob es ſeyn ſolte / daß einige biß dahin gewohnte uͤbungen unterbleiben / wie etwa das examen, von dem ich eben nicht gewiſſe hoffnung machen kan / ob es wieder angeſtellet werde werden / ſo kan der daraus vorhin geſchoͤpffte nutzen ohnſchwehr auf andre weiſe erſetzet werden / wo eine chriſtliche perſon entweder allein in der heili - gen bibel / oder andern gottſeligen buͤchern / zu leſen ſolche zeit anwendet / oder mit einigen andern auch chriſtlichen vertrauten freunden zugleich liſet / ſich unter emander beſprachet / oder man mit einander betet und ſinget: welche uͤbung / wie ich aus der erfahrung ſelbs habe / einen ungemeinen nutzen ſchaffet / und hingegen / daß ſie weniger im gebrauch iſt / vieles gutes zuruͤck haͤlt. Jn ſumma unſer treueſte Heyland liebet die ſeelen / die in ſeiner vereinigung zuzunehmen verlangen / viel zu hertzlich / als daß ihnen etwas deſſen / was wahrhafftig ſolche gemeinſchafft befoͤrdern koͤnte / man - glen ſolte / ſondern der anſcheinende mangel muß nur ihr verlangen deſto mehr ſchaͤrffen und bruͤn - ſtig machen; je inbruͤnſtiger aber daſſelbe wird / je mehr nahe ſich der HErr ſelbs zu denſelben / und vereiniget ſich immer inniglicher / daß man nachmal erbauliche uͤbungen nicht verachtet / ſon - dern wo man ſie haben kan / mit freuden und fleißig gebrauchet / aber wo man ihr entrathen ſolle / ſich hertzlich zu frieden gibt / und in demjenigen / ſo viel uns der HErr zu jedenmalen annoch laͤſſet / allezeit ſeine gnuͤge findet. Dieſes wuͤnſche wol von grund des hertzens allen denen / welchen mein abſchied noch biß daher moͤchte etwas ſchwehr worden ſeyn; ſonderlich aber / daß ich / gleichwie von uͤbrigen deroſelben wolſtand / alſo auch vornemlich / daß das werck des HErrn in dero innern men - ſchen ſtets wachſe und zunehme / offtmal erfreuliche nachricht / und alſo urſach denſelben zu preiſen / bekommen moͤge. Daß im uͤbrigen einige chriſtliche freunde ſichmeineꝛ her ausgegebenen wercke ge - brauchen / und aus denſelbigen ſich zu erbauen ſuchen / habe ich auch der goͤttlichen guͤte in ſchuldi - ger demuth zu dancken / die mir alſo gelegenheit machet / auch abweſend an einigen frucht zu ſchaf - fen / dardurch aber anfriſchet / ſo ſie mir einiges / ſo erbaulich halte / beſchehret / daſſelbe ſo viel lieber auch durch den truck gemein zu machen / weil mir von dem ſegen / den der HErr nach ſeiner barmhertzigkeit hin und wieder dazu gegeben / oͤffters da und dort her zeugnuͤß eingelauffen ſind. 1691.

About this transcription

TextTheologische Bedencken
Author Philipp Jakob Spener
Extent913 images; 387685 tokens; 24334 types; 2687773 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationTheologische Bedencken Und andere Brieffliche Antworten auff geistliche/ sonderlich zur erbauung gerichtete materien zu unterschiedenen zeiten auffgesetzet/ und auff langwihriges anhalten Christlicher freunde in einige ordnung gebracht/ und heraus gegeben Anderer Theil. Worinnen sonderlich die pflichten gegen GOtt/ die Obern/ den nechsten und sich selbs/ auch ehe-sachen/ so dann auffmunterung- und trost-schreiben enthalten Philipp Jakob Spener. . [4] Bl., 904 S. WaisenhausHalle (Saale)1701.

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SUB Göttingen SUB Göttingen, 8 TH MOR 108/19:2

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Erbauungsliteratur; Gebrauchsliteratur; Andachtsbuch; core; ready; china

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Editorial principles

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:34:55Z
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ShelfmarkSUB Göttingen, 8 TH MOR 108/19:2
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