Die Freyheit der Seele oder ihre Selbſtmacht uͤber ſich iſt dem Pſychologen und Moraliſten, jenem, in ſo fern er ihre Natur erforſchen, die - ſem, in ſo ferne er ſie erhoͤhen und verſtaͤrken will, ein eben ſo intereſſanter, und auch eben ſo ſchwer zu bear - beitender Gegenſtand, als die buͤrgerliche Freyheit fuͤr den Politiker. Jene iſt auch in der That, in Hin - ſicht des innern Menſchen und ſeiner Seelenvermoͤgen daſſelbige, was die letztere bey dem Buͤrger in ſeinem rechtlichen Vermoͤgen iſt; und jene macht die Groͤße des Menſchen, wie dieſe die Groͤße des Buͤrgers, aus. Welchen ſelbſtdenkenden Philoſophen hat nicht wohl die Unterſuchung uͤber die Natur unſerer Freyheit Anſtren - gung des Verſtandes gekoſtet? Sie wird auch vermuth - lich den kuͤnftigen dergleichen noch koſten, da ſie wegen ihrer Wichtigkeit nicht uͤberſehen, und ihrer Dunkelheit und Verwirrung wegen nicht leicht hell und beſtimmt genug gefaßt werden kann.
Es iſt indeſſen von verſchiedenen ſchon erinnert wor - den, daß der Punkt in dieſer Lehre, der am meiſten zwi -II. Theil. Aſchen2XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitſchen den Determiniſten und Jndeterminiſten ſtreitig iſt, und der nur darum, weil er einer der verwickelteſten iſt, am meiſten die Aufmerkſamkeit auf ſich zu ziehen pflegt, wohl nicht ſo erheblich und fruchtbar in ſeinen Folgerun - gen ſeyn moͤge, als die ſtreitenden Partheyen dafuͤr hal - ten. Jch bin dieſer Meinung zum Theil auch, wenn nur das Streitige, ob naͤmlich die menſchlichen Hand - lungen, die frey ſind, durch zureichende Gruͤnde voͤllig beſtimmt werden, oder nicht? allein auf dieſe einzige Stelle eingeſchraͤnket, und das Uebrige, was in der geſammten menſchlichen Freyheit enthalten iſt, als unabhaͤngig von jener Streitfrage, der Seele von kei - ner Seite her entzogen werde. Man nehme heraus, was die Beobachtungen unmittelbar von der Freyheit lehren, und was ich mich angewoͤhnt habe, unter dem Ausdrucke von Selbſtmacht der Seele uͤber ſich zu - ſammen zu faſſen, und unterſuche deſſen Folgen in der Moral, ſo mag das uͤbrige zu den feinern metaphyſi - ſchen Spekulationen gerechnet werden, welches ohne Verluſt an wichtigen praktiſchen Einſichten als unaus - gemacht dahin geſtellt bleiben kann. Jch werde wenig - ſtens in dem gegenwaͤrtigen Verſuche eine ſolche Abſonde - rung vornehmen. Um ſo mehr, da ich mich uͤberzeugt halte, daß die ſimple Erfahrungskenntniß von der Freyheit nur allein dadurch in ſo viele Verwirrungen ge - rathen iſt, weil man ſie mit allgemeinen Spekulationen zu fruͤhzeitig vermiſchet hat. Es iſt mir niemals ſchwer geworden, die Erfahrungen ſelbſt unter ſich zu vereini - gen. Aber ſobald man mit den allgemeinen Begriffen von Nothwendigkeit und Zufaͤlligkeit dazwiſchen kommt, und metaphyſiſche Theorien auf die Empfindun - gen anwenden will, ſo ſcheinen ſich ſo viele Knoten zu - ſammen zu ziehen, daß man die Aufloͤſung aufgeben, oder mit dem Schwerd ſich heraushelfen, und entweder die eine oder die andere von den Beobachtungen ablaͤu -gnen,3und Freyheit. gnen, wie die Meiſten thun, die hierinn entſchieden ha - ben, oder ſie, wie andere es gemacht, fuͤr einen be - truͤglichen Schein erklaͤren muß. Denn ſo iſt es gegan - gen von der Zeit an, da man angefangen hat, uͤber die Freyheit zu metaphyſiciren, bis auf unſere Zeiten. Die vornehmſten Gruͤnde und Gegengruͤnde des determiniſti - ſchen und indeterminiſtiſchen Syſtems lieſet man ſchon in dem itzo unvollſtaͤndigen Buche des Cicero de fato. Sollten wir etwan hier ein Beyſpiel haben, wo der ge - ſunde Menſchenverſtand, der den Empfindungen folgt, und das Nachdenken der hoͤhern Vernunft unvereinbar ſind? Ganz dreiſt antworte ich, nein. Aber ob wir hier nicht ein merkwuͤrdiges Beyſpiel von der Mangel - haftigkeit unſerer Gemeinbegriffe antreffen? ob nicht et - wan in den Begriffen von der Nothwendigkeit und Zu - faͤlligkeit ſich etwas phantaſtiſches eingeſchlichen habe? ein ſinnlicher Zuſatz der Phantaſie, der mit den reinen aus Empfindungen abgezogenen Verſtandesbegriffen vermiſchet worden iſt? oder auch, ob nicht etwan ein Paar an ſich ganz unterſchiedene, aber einander nahe liegende und einfache Elementarbegriffe des Verſtandes, deren Verſchiedenheit man in den allgemeinen Theorien nicht ſonderlich geachtet hat, mit einander verwechſelt werden, und nachher bey der naͤhern Beſtimmung und Anwendung dieſer Grundſaͤtze die Begriffe ſchwankend machen, wie Bilfinger*)Jn ſeinem Buche de origine mali. geglaubet hat? Dieß ſind andere Fragen.
Nach meiner Ueberzeugung, in der ich mich nun ſchon bey den oͤfters wiederholten Unterſuchungen ſeit laͤnger als zehn Jahren beſtaͤrkt habe, liegt es eben an der Unvollkommenheit der tranſcendenten Theorien. Hier iſt die Verwirrung, die fuͤr mich verſchwunden iſt,A 2ſeitdem4XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitſeitdem ich die Begriffe vom Nothwendigen und Zufaͤl - ligen zu realiſiren geſucht habe. Jch will nicht, daß dieß vielleicht manchen zu voreilig ſcheinende Geſtaͤndniß etwas mehr bedeuten ſolle, als das Geſtaͤndniß eines jedweden andern, der ſich entſcheidend in dieſer Lehre er - klaͤret hat. Nur wuͤnſchte ich die Aufmerkſamkeit der Nachdenkenden dadurch zu reizen. Zum wenigſten darf ich nach meinen Begriffen keiner Beobachtung Gewalt anthun, und von allem dem, was der ſtrengſte Jnde - terminiſt in der Seele von ihrem reellen Vermoͤgen, an - ders zu handeln, als man handelt, antrifft, darf ich nichts ablaͤugnen, oder unter dem Vorwande, die Er - fahrung ſey truͤglich, wegphiloſophiren. Unter allen Umſtaͤnden, unter denen das geſchieht, was von einem freyen Wollen abhaͤngt, kann es unterbleiben, oder an - ders geſchehen. Jch bin auch des Determiniſten Freund. Wenn dieſer durch die Uebereinſtimmung aller Beob - achtungen es beweiſet, daß auch die freyeſte Handlung einen voͤllig zureichenden Grund in den individuellen Um - ſtaͤnden habe, welche unmittelbar vor der freyen Beſtim - mung der Kraͤfte vorhergehet, ſo geſtehe ich gerne, daß er Recht habe, und finde auch hierinnen nichts, was nicht mit dem vorgedachten recht wohl zu vereinigen waͤre. Beide Syſteme enthalten Wahrheit in ſich, in ſo ferne ſie nur dasjenige bejahen, was wirklich beobach - tet iſt; aber wo beide ſich einander ihr Beobachtetes ſtreitig machen, wenn es mit dem ihrigen ſich nicht zu reimen ſcheint, ſo liegt die wahre Urſache davon in der Unbeſtimmtheit allgemeiner Begriffe, die ſie allenthal - ben einmiſchen. Am Ende mag mich denn wohl der Determiniſt naͤher auf ſeiner Seite hin antreffen, als ſein Gegner; und vielleicht auch mach’ ich es keinem recht.
Nach meinem Plan, den ich hier gemacht habe, will ich zuerſt die Selbſtmacht der Seele uͤber ſich,als5und Freyheit. als eine hoͤhere Stufe ihrer Selbſtthaͤtigkeit, ſo darzule - gen ſuchen, wie die bloße Beobachtung uns ſolche zeiget. Dann will ich einige kurze Reflexionen und die Reihe der allgemeinen Begriffe anfuͤgen, worinn die metaphy - ſiſche Spekulation daruͤber enthalten iſt. Dieſe ſollen das Mittel ſeyn, die dem Scheine nach unvertragbaren Beobachtungen zu vereinigen, und den aus Empfindun - gen gezogenen Begriff von der Freyheit ſeiner Schwie - rigkeiten zu entledigen. Das erſte ſehe ich hier als die Hauptſache an. Das letztere ſoll mehr eine bloße An - gabe meiner Gedanken ſeyn, als ein polemiſcher Vor - trag, der dahin gienge, anders denkende zu widerlegen; und daher wundre man ſich nicht, wenn man dieſe letz - tern ſpekulativiſchen Saͤtze weniger mit Gruͤnden unter - ſtuͤtzet findet, als die erſtern.
Die Seele wirket in ſich ſelbſt, beſtimmet und veraͤn - dert ſich, ſo wie ſie außer ſich in den Koͤrper wir -A 3ket.6XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitket. Dieß iſt unlaͤugbar, und wenn auch die Bemer - kung des Herrn Search’s*)Licht der Natur Erſt. B. Erſt. Th. Kap. 1. ohne Einſchraͤnkung rich - tig waͤre, daß ſie niemals ſich ſelbſt anders, als nur mittelbar modificire, indem ſie außer ſich auf das Ge - hirn ihre Kraft aͤußert, und dann ſelbſt durch eine Reak - tion des Gehirns eine Veraͤnderung in ſich aufnimmt. Eine Jdee, die nicht ſo weit von der gewoͤhnlichen ab - weichet, als es bey dem erſten Anblick ſcheinen mag, die ich aber hier nicht unterſuche.
Daher vermag die Seele etwas uͤber ſich ſelbſt, beſitzet Kraft und Vermoͤgen, auf ſich ſelbſt zu wirken.
Aber dieß Vermoͤgen, auf ſich ſelbſt zu wirken, iſt noch nicht das, was Freyheit genennt wird, und was ich hier die Selbſtmacht uͤber ſich nenne. Wo ihre Thaͤtigkeit als eine Freye Thaͤtigkeit wirket, da muß ſie auch unthaͤtig oder auf eine andere Art thaͤtig ſeyn koͤn - nen, als ſie es iſt. Denn wenn ſie nicht anders wir - ken kann, als ſie wirket, ſie mag in und auf ſich ſelbſt, oder auf den Koͤrper wirken, ſo kann ſie nicht unthaͤtig ſeyn, anſtatt daß ſie thaͤtig iſt, und ihre Wirkſamkeit nicht in ſich ſelbſt zuruͤckhalten, wenn dieſe hervorgeht, noch ſie in eine andere Richtung bringen, als die iſt, welche ſie nimmt; und ſo handelt ſie nicht mehr frey, als das Waſſer, welches aus dem Gefaͤße herausſpringt, an der Stelle, wo ihm eine Oeffnung gemacht iſt, in der Richtung und mit der Geſchwindigkeit, die ihm durch die Umſtaͤnde beygebracht wird; nicht freyer, als eine Kugel, welche herunterfaͤllt, wenn der Faden durchſchnit - ten wird, an dem ſie vorher feſtgehalten ward. Die Selbſtmacht uͤber ſich, die poſitive Kraft, wodurch wir uns in unſerer Gewalt haben, wenn wir thaͤtig ſind, erfordert ein gleichzeitiges inneres Vermoͤgen oder Faͤhigkeit, unter denſelbigen Umſtaͤnden das Gegen -theil7und Freyheit. theil von demjenigen zu thun, was wir thun, wie man ſich kurz erklaͤren kann. Dieß Vermoͤgen, an - ders thaͤtig zu ſeyn, unſere eigene wirkende Kraft ent - weder aufzuhalten, zu unterbrechen, oder anders wohin zu lenken, beſtehet waͤhrend der ganzen Handlung, wenn dieſe in ihrer ganzen Laͤnge bis zu Ende eine freye Handlung iſt.
Auf einen Augenblick angenommen, daß dieſe Jdee von der Freyheit richtig ſey, ſo fuͤhret ſie ſogleich zu ei - ner wichtigen Folge. Ein freyes, ſeiner ſelbſt maͤchti - ges Weſen, beſitzet immer noch ein phyſiſches reel - les inneres Vermoͤgen mehr, als ein unfreyes, das ſonſten eine Wirkung von gleicher Groͤße hervorbringen kann, wie jenes. Denn die Selbſtmacht uͤber ſich enthaͤlt außer der Kraft, welche auf die hervorgebrachte Wirkung verwendet wird, noch ein anderes Vermoͤ - gen, das jenem gleichſam zur Seite iſt, und ſo viel in - nere Staͤrke beſitzet, als hinreichen wuͤrde, die Thaͤtigkeit des wirkenden Vermoͤgens zu hindern, oder in eine an - dere Richtung zu bringen. Ein freywirkendes We - ſen iſt alſo ein groͤßeres, mehr reelles, mehr poſi - tive Kraft enthaltendes Weſen, als jedes unfreye, das ſonſten die naͤmliche Handlung hervorbringen kann. Es iſt Herr uͤber ſich, ſtaͤrker, als es ſich auslaͤßt, in ſei - nen phyſiſchen Wirkungen, und ergießet ſich nie ganz in derjenigen Aeußerung, in der es hervorgeht; es kann noch etwas anders thun, als es thut, und beſitzet ein poſitives Vermoͤgen zu dem Gegentheil der Handlung zu eben der Zeit in ſich, in der es ſeine Kraft auf die Hand - lung ſelbſt anwendet.
Nicht jede Selbſtthaͤtigkeit iſt zugleich auch eine freye Selbſtthaͤtigkeit. Das Waſſer, welches aus ei - nem Gefaͤße hervorſpringet, und die Springfeder, welche losſchnellet, wenn der Faden, der ſie zuruͤckhielt, zer - ſchnitten wird, wirken durch eine innere Kraft, dieA 4ſchon8XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit. ſchon vorher ein Beſtreben war, und nichts mehr be - durfte, um ſich in Bewegung zu ſetzen, als daß ein aͤuſ - ſeres Hinderniß, welches ihr Beſtreben zuruͤckhielt, aus dem Wege geraͤumet wuͤrde. Die bewegende Aktion erfolgte aus einem innern Princip. Da iſt alſo Spon - taneitaͤt. Aber auch Selbſtmacht uͤber ſich? Jſt auch in der Feder, indem ſie ſich ausdehnet, ein inneres Vermoͤgen vorhanden, ſich aufzuhalten, oder ſich in ſich zuruͤckzuziehen? Jſt in dem herausſpringenden Waſ - ſer eine Kraft, ſich in der Oeffnung feſtzuhalten? Hier ſind bloß phyſiſche Kraͤfte, einſeitige Vermoͤgen, ſo und in der Richtung zu wirken, wie ſie beſtimmt ſind. Woll - te man auch den Druck, der ſich in jedem Waſſertro - pfen nach allen Seiten hin aͤußert, ſo lange ſie noch in dem Gefaͤße verſchloſſen ſind, etwan als ein vielſeitiges Selbſtvermoͤgen anſehen, ſich nach einer jeden Richtung hin zu bewegen, ſo hoͤret doch dieſer Trieb nach andern Richtungen hin in ihnen auf, ſo bald ſie zur Oeffnung herausgehen; oder iſt zum wenigſten kein ſolches Ver - moͤgen, welches ſtark genug waͤre, um ſie von dem We - ge, auf dem ſie fortgetrieben werden, abzulenken, noch weniger ſie mitten in dem Herausſpringen zum Still - ſtand zu bringen.
Da das Vermoͤgen, anders zu handeln, als man handelt, nur bloß Vermoͤgen iſt, das aber nicht an - gewendet wird, und ſeinen Effekt hervorbringet, weil die Handlung ihren Weg gehet, und nicht wirklich ge - hindert oder veraͤndert wird; woher kann man ſich denn ſicher uͤberzeugen, daß ein ſolches Vermoͤgen in uns vor - handen ſey? Der Reuter, der das Pferd in ſeiner Ge - walt hat, glaubet doch mit Ueberzeugung, er koͤnne es von dem Pfade ablenken, auf welchem er es gehen laͤßt, und daß es nur darauf ankomme, daß er die Kraft in ſeiner Hand dazu wirklich anwende, wenn es geſchehenſolle;9und Freyheit. ſolle; aber iſt dieß vielleicht eine Einbildung, ein falſcher Schein von einem Vermoͤgen, das nicht vorhanden iſt?
Jch ſitze jetzo auf einem Stuhle, und glaube, daß ich in dieſem naͤmlichen Augenblicke das Vermoͤgen habe, aufzuſtehen und fortzugehen. Unter dieſem Vermoͤgen verſtehe ich eine gewiſſe poſitive Beſchaffenheit mei - nes Koͤrpers, welche zu dieſer Wirkung erfodert wird, und die ich, um jenes mit Gewißheit zu glauben, nicht beſtimmter noch deutlicher kennen darf. Es hat ſich wohl zuweilen ereignet, daß jemand unter meinen Umſtaͤnden in derſelbigen Meinung geweſen iſt, der aber, als er den Verſuch anſtellen wollte, fand, daß ihm der Fuß ſchlief, und er wirklich zum Fortgehen unvermoͤgend war. Man kann ſich alſo darinnen irren. Kann nicht ein Ge - neſender, der im Bette liegt, ſich ſchon ſtark genug duͤn - ken, in der Stube zu ſpatzieren, und ſich nachher zu ſchwach finden, ſich nur auf den Beinen zu halten? Wie jemand, der in einem Zimmer ohne ſein Wiſſen ver - ſchloſſen iſt, nicht daran zweifelt, daß er nicht herausge - hen koͤnne, wenn es ihm beliebe, da er es doch wirklich nicht vermag, und darinn verbleibet, ohne zu wiſſen, daß er darinnen verbleiben muͤſſe. Bringet einem Menſchen unvermerkt eine Portion Opium bey, ſagt der witzige Verfaſſer, der unter dem Namen des von Joch vor ein Paar Jahren mit dem Herrn Home zu beweiſen verſucht hat, daß die Empfindung unſerer Freyheit truͤg - lich ſey; richtet es alſo ein, daß dieß Opium ſeine ein - ſchlaͤfernde Wirkung zu eben der Zeit aͤußere, in der er gewohnt iſt, ſich zur Ruhe zu begeben, weil ſonſten viel - leicht das Ungewoͤhnliche ſeine Ueberredung ſtoͤren moͤch - te: wie trefflich wird er hintergangen werden. Er wird glauben, es ſey ſeine ganz freye Handlung, wenn er dem Antriebe der Natur nachgiebt, von ſeiner Arbeit ab - bricht und ſich zu Bette leget; er meinet, ſich ſeiner voͤl - lig darinnen maͤchtig zu ſeyn, und es unterlaſſen zu koͤn -A 5nen,10XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitnen, wenn es ihm gefaͤllig waͤre. Aber eine phyſiſche Kraft zwinget ihn, und wenn er wollte, wuͤrde er ſich in dem Wachen nicht erhalten koͤnnen.
Jn ſolchen nur ſeltenen Beyſpielen ſollte eine Kraft liegen, die das Zeugniß der innern Empfindung, das ich von einem Vermoͤgen in mir habe, das Gegentheil von dem thun zu koͤnnen, was ich wirklich verrichte, un - zuverlaͤßig und verwerflich machen koͤnnte? Der optiſche Schein hat mich betrogen, und fuͤr einen ſoliden leben - den Koͤrper anſehen laſſen, was nichts als ein Gemaͤhl - de auf einer Flaͤche war, deswegen ſollte ich nach ver - nuͤnftigen Denkgeſetzen fuͤrchten muͤſſen, daß ich nun auch hintergangen wuͤrde, wenn ich auf dem Tiſche vor mir ein Buch liegen zu ſehen vermeine, ob ich gleich das Zeugniß eines andern Sinnes, des Gefuͤhls, in dieſem Falle noch nicht zur Beſtaͤtigung meiner Meinung zu Huͤlfe genommen habe? Doch ich will den Philoſophen, gegen welche ich hier rede, Gerechtigkeit wiederfahren laſſen. Solche Beyſpiele ſollen nur zeigen, daß die Em - pfindung truͤgen koͤnne; denn daß ſie wirklich durchge - hends truͤge, haben ſie durch andere Gruͤnde, durch ei - ne vermeintliche innere Unmoͤglichkeit in der Sache ſelbſt, die aus metaphyſiſchen Grundſaͤtzen hergeholet wird, er - weiſen wollen. Es wird alſo der Beweis aus der Er - fahrung dadurch noch nicht unthunlich. Berkeley rai - ſonnirte die Wirklichkeit der Koͤrperwelt weg, und dar - auf verwarf er die Ausſage der Empfindung. Ohne Ruͤckſicht auf die Guͤltigkeit oder Unguͤltigkeit ſeiner Spe - kulationen, koͤnnte doch ein Unterſchied zwiſchen wahren und bloß ſcheinbaren Empfindungen gemacht, und jene von dieſen ausgekannt werden. Berkeley kannte ſelbſt dieſen Unterſchied ſo gut, wie irgend jemand. War - um ſollte nicht das Naͤmliche in dem gegenwaͤrtigen Falle geſchehen koͤnnen? Wir ſind ein und das andere mal zu voreilig geweſen, und haben uns durch eine unaͤchte Em -pfindung11und Freyheit. pfindung verleiten laſſen, zu glauben, es ſey ein reelles Vermoͤgen in uns vorhanden, das nicht da war, ſollten wir deswegen nicht in andern Faͤllen es wiſſen koͤnnen, daß wir uns nicht irren, und uns von dem Daſeyn ei - nes ſolchen Vermoͤgens ſo vergewiſſern koͤnnen, als von dem Daſeyn der Koͤrperwelt außer uns? Ob wir denn nun aber nicht nachher dieſe Empfindungskenntniß wie - der aufgeben, und die ſubjektiviſche Wirklichkeit fuͤr ei - nen bloßen Schein erklaͤren muͤſſen, weil die Vernunft uns lehre, daß das objektiviſche Seyn der Sache etwas ungereimtes ſey, das iſt, wie ich ſchon erinnert habe, ei - ne ſpekulativiſche Frage, die uns nicht ſtoͤren muß, wo wir nur vorlaͤufig unterſuchen, ob die Beobachtung uns nicht die Wirklichkeit einer Sache lehre, oder uns ſol - che nur aufbinde?
Es iſt nichts mehr noͤthig, als eine genaue Beob - achtung unſerer ſelbſt in einigen einzelnen Faͤllen, in de - nen wir uns gewiß halten, daß wir frey handeln, um den Gang der Denkkraft zu ſehen, den ſie nimmt, wenn ſie aus dem Gefuͤhle zu dem Gedanken kommt, ſie koͤn - ne anders handeln, als ſie es wirklich thut. Dann of - fenbaren ſich auch zugleich die Urſachen, die ihre Fehl - tritte hierinn veranlaſſen. Jch will es noch bis weiter hin uneroͤrtert laſſen, was es mit dieſem Vermoͤgen zum Gegentheil eigentlich fuͤr eine Beſchaffenheit habe. Ge - nug, es iſt etwas poſitives in dem ſeiner ſelbſt maͤchti - gen Weſen; eine gewiſſe abſolute reelle Beſchaffenheit deſſelben, die mit derjenigen Kraft, welche in Thaͤtigkeit geſetzet iſt und die freye Handlung bewirket, zugleich vorhanden iſt. Wir wiſſen, was ein Vermoͤgen zu den - ken, und ein Vermoͤgen das Nachdenken zu unterbre - chen; ein Vermoͤgen uns zu entſchließen, und ein Ver - moͤgen unſern Entſchluß zu aͤndern; ein Vermoͤgen, die Haͤnde und Fuͤße zu bewegen, und ein anders, ſie wiederzur12XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitzur Ruhe zu bringen und ihre Bewegungen anders wo - hin zu lenken, u. ſ. w. ſagen wolle. Aus dieſen Em - pfindungen iſt in uns ein allgemeiner Begriff von ei - nem Vermoͤgen, von einer Faͤhigkeit und von einer Kraft entſtanden, welcher immer nur ein gemeiner, unaufgeklaͤrter und undeutlicher Begriff ſeyn mag, aber doch ein klarer Begriff iſt, ſo daß wir Vermoͤgen von Unvermoͤgen, Kraft von Schwaͤche, Faͤhigkeit von Un - faͤhigkeit, und Macht von Ohnmacht ſo helle durch das Gefuͤhl unterſcheiden, als das Weiße von dem Schwar - zen durch die Augen.
Wir erhalten die Jdee von einem Vermoͤgen zum Handeln aus der Empfindung, die wir von der Handlung ſelbſt haben. Wir fuͤhlen unſern geſunden Arm auf ei - ne gewiſſe Art; es entſtehet ein Entſchluß, ihn zu be - wegen, ein Antrieb gegen denſelben, eine Bewegung in dem Koͤrper und wiederum neue Gefuͤhle, die darauf folgen. Das Gefuͤhl von dem Zuſtande, der zunaͤchſt vor der Handlung vorhergehet, wird unterſchieden von dem Aktus ſelbſt. Es kam zu jenem etwas hinzu, eine Vorſtellung, eine Empfindung, ein innerer Trieb in der Seele, oder was wir unter der Benennung von Bewegungsgruͤnden befaſſen moͤgen, und da erfolg - te die Thaͤtigkeit, die nicht erfolgte in einem andern Falle, wo der naͤmliche Bewegungsgrund vorhanden war, wo aber an dem dazu erfoderlichen vorhergehenden Zuſtande etwas fehlte, oder wo auch noch ſonſten etwas dazwiſchen kam. Solche Empfindungen lehren uns das bloße unthaͤtige Vermoͤgen von dem wirkenden unter - ſcheiden. Es haͤngen aber die Vorſtellungen von allen unſern Vermoͤgen, ſowohl von denen, die wir eigentlich als koͤrperliche in den Koͤrper hinſetzen, als auch von den uͤbrigen, die wir fuͤr Seelenvermoͤgen halten, an gewiſ - ſen Gefuͤhlen, die in uns in unſerm Jnnern ſich befin - den. Aus Empfindungen nehmen wir den Stoff allerJdeen,13und Freyheit. Jdeen, und aus innern Empfindungen den Stoff zu den Jdeen von den verſchiedenen Arten der Ver - moͤgen. Es giebt alſo innere Gefuͤhle, welche fuͤr uns die Charaktere der Vermoͤgen ſind, an denen wir ihre Gegenwart erkennen, ſo wie die dazu gehoͤrigen Phantasme die Vorſtellungen von ihnen als von abwe - ſenden Gegenſtaͤnden ausmachen.
Das Vermoͤgen zu einer Handlung iſt etwas an ſich vielbefaſſendes. Wenigſtens iſt dieß von ſolchen wohl richtig, die wir kennen, wenn ſie auch beym erſten Blick einfache zu ſeyn ſcheinen. Sie enthalten eine Menge von Beſchaffenheiten, die, wenn es koͤrperliche Vermoͤgen ſind, groͤßtentheils nur ſehr mittelbar in ih - ren Folgen gefuͤhlet werden, und vielleicht wird ein Theil dieſer Folgen gar nicht in einem ſolchen Grade empfun - den, als zum Gewahrnehmen noͤthig iſt. Die Vermoͤ - gen nehmen Groͤßen, Grade und Stufen an. Das eine Vermoͤgen iſt ein groͤßeres Ganzes, als ein anderes. Es gehoͤrt mehr Elaſticitaͤt in dem Koͤrper dazu, Luftſpruͤn - ge machen zu koͤnnen, als ſich gerade auf den Fuͤßen aufzurichten.
Von einer ſolchen vielbefaſſenden Totalempfindung der Folgen nehmen wir aber gemeiniglich nur den her - vorſtechenden Theil heraus, wenn wir ſie bemerken wol - len. Dieſer Theil iſt unſer Merkmal des Ganzen, und wir ſetzen das Ganze in ihm. Das iſt die gewoͤhnliche Regel des Denkens. *)Erſter Verſuch. X. ſ. 1. Th. S. 81-87.
Jſt es denn alſo zu verwundern, daß die Reflexion zuweilen irre, wenn ſie urtheilet, es ſey ein Vermoͤgen in uns vorhanden, wo doch nur ein Theil davon wirk - lich empfunden wird, der zwar gewoͤhnlicher Weiſe, aber nicht allemal, das uͤbrige mit ſich vergeſellſchaftet hat? Wie mancher trauet ſich Seelen-oder Leibeskraͤfte genugzu,14XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitzu, und muß es aus der Probe nachher erlernen, daß ſeine Schultern zu ſchwach ſind? Wenn ein Kranker ſich fuͤr ſtaͤrker haͤlt, als ers iſt, ſo entſtehet der Jrrthum aus der naͤmlichen Quelle.
Jn ſolchen Faͤllen, wo zu dem geſammten vollen Vermoͤgen noch gewiſſe Zuſtaͤnde in dem Koͤrper erfo - dert werden, noch mehr, wo es auch außer demſelben auf gewiſſe Einrichtungen ankommt, da iſt es noch leichter moͤglich, daß dieſes aͤußere Kennzeichen des Ver - moͤgens, von dem, was in unſerm Jnnern das Vermoͤ - gen ſelbſt ausmacht, und was naͤher und unmittelbarer in uns gefuͤhlet wird, getrennet ſeyn kann, ob es ſonſten gleich in den gewoͤhnlichen Faͤllen damit verbunden iſt. Wer es nicht weiß, daß die Thuͤre des Zimmers durch einen Zufall oder mit Vorſatz zugeſchloſſen iſt, glaubet, ſie laſſe ſich wie gewoͤhnlich eroͤffnen, und ſchreibet ſich das Vermoͤgen zu, herausgehen zu koͤnnen, ſo wie er wirklich das Vermoͤgen beſitzet, zu ihr hinzugehen, und die Hand anzulegen. Der Reuter, der in der Meinung iſt, er koͤnne ſein Pferd vom Wege ablenken, wenn er wolle, betruͤget ſich, wenn jemand ihm den Zuͤgel zer - ſchnitten, und die getrennten Enden durch ein wenig Pech wiederum zuſammengeklebet hat, um ihm den Be - trug zu verbergen. Wir fuͤhlen es nicht allemal, wenn wir ſitzen, daß die Nerven in den Lenden gedruckt ſind, und daß der Fuß ſchlafe, aber wir fuͤhlen das uͤbrige, was zu einer freyen Bewegungskraft derſelbigen nach unſern ſonſtigen Erfahrungen erfodert wird, und ſchrei - ben uns alſo das Vermoͤgen zu, von unſerm Sitze weg - gehen zu koͤnnen.
Es iſt alſo klar, daß die falſchen Urtheile aus innern Empfindungen auf die naͤmliche Weiſe und aus der aͤhn - lichen Urſache entſtehen, wie die Fallazen des Geſichts; aber zugleich iſt es auch klar, daß es aͤhnliche Mittel bey jenen giebt, wie bey dieſen, den Erſchleichungen zuvor -zukommen,15und Freyheit. zukommen, und die Erfahrungen zuverlaͤßig zu machen. Die Natur ſiehet bey der Uebung von ſelbſten darauf hin. Sind wir zweifelhaft, ob es ein bloßer Schein oder ein wahrer Gegenſtand iſt, den wir vor Augen ha - ben, ſo beſchauen wir ihn genauer, naͤher, von mehrern Seiten und unter veraͤnderten Umſtaͤnden, wie die Ge - legenheit zu dieſen oder jenen gegeben wird; und beru - higet uns dieſes noch nicht, ſo fragen wir einen andern Sinn, und am gewoͤhnlichſten das Gefuͤhl, durch deſſen Uebereinſtimmung mit dem Geſicht aller Zweifel geho - ben wird. Es iſt die naͤmliche Methode, welche uns die Natur bey den innern Empfindungen gelehret hat. Ob ich wohl wirklich das Vermoͤgen habe aufzuſtehen, da ich ſitze; ob ich wirklich die Reihe meiner Betrachtun - gen, die ich jetzo mit Fleiß verfolge, unterbrechen und mich der gegenwaͤrtigen Vorſtellungen entſchlagen koͤn - ne? Was wuͤrde ich thun, wenn ich daruͤber zweifelhaft waͤre? Mich bemuͤhen, entweder genauer, ſtaͤrker, voͤl - liger meinen jetzigen Zuſtand zu beobachten, und mit demjenigen, den ich unter den Begriffen von ſolchen Ver - moͤgen mir vorſtelle, in deren Beſitz ich zu ſeyn vermei - ne, vergleichen; oder ich wuͤrde den gegenwaͤrtigen Zu - ſtand von mehrern Seiten in ſeinen verſchiedenen be - merkbaren Folgen befuͤhlen. Wenn ich noch zweifelte, ob ich dieß oder jenes in meiner Macht habe, ſo wuͤrde ich den Anfang machen, das Vermoͤgen anzuwenden, und dann darauf achten, ob auch zugleich die Wirkung anfange hervorzugehen? Dieſe letztere Art der Berichti - gung iſt dem Befuͤhlen bey den geſehenen Gegenſtaͤnden aͤhnlich. Es iſt auch das kuͤrzeſte Mittel, um zur Ge - wißheit zu kommen, und wo es in unſerer Gewalt iſt, auch das gewoͤhnlichſte, deſſen wir uns bedienen. Sollte mein Fuß auch jetzo wohl lahm oder ſteif ſeyn? Sollte ich wohl aufſtehen koͤnnen? Jch ziehe ihn an; erprobe das Vermoͤgen; es entſtehet ein Beſtreben, und der Koͤr -per16XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitper faͤngt an, ſich zu richten. Es iſt zum Verſuch in dieſem Falle genug, wenn man es bey dem Anfange der Aktion bewenden laͤßt, und da in gleicher Maaße die Wirkung anfangen ſiehet. Man kehret alsdenn zu der erſten Handlung zuruͤck, von der man wegen des ent - ſtandenen Zweifels, ob man ſich ſeiner bey ihr maͤchtig ſey, abgezogen war, ohne der Abweichung zu dem Ge - gentheile weiter nachzugehen, und ohne die ſie unterbre - chende und veraͤndernde Aktion voͤllig auszufuͤhren.
Die Handlungen, welche wir mit voͤlliger Be - herrſchung unſerer ſelbſt verrichten, und welche zu denen gehoͤren, die am meiſten frey ſind, werden auch wirklich, wie die Erfahrung lehret, durch ſolche dazwi - ſchen tretende kleinere Beſtrebungen, die aus dem Vermoͤgen zu dem Entgegengeſetzten ent - ſpringen, auf Augenblicke unterbrochen und verzoͤ - gert, zuweilen mehr, zuweilen minder. Denn die gleichzeitigen entgegengeſetzten Vermoͤgen ſind oͤfters wirkende Beſtrebungen und fuͤhlbare Antriebe, denen die ihrer ſelbſt maͤchtige Seele entgegenſtreben muß, um ſich in demjenigen Gange der Thaͤtigkeit ohne Zerſtreuung zu erhalten, auf den ſie aus Abſicht ihre Kraͤfte gerichtet hat; wie der Steuermann ein Schiff, das Wind und Wellen von ſeiner Bahn abtreiben wuͤr - den, wenn er nicht ihrem Einfluſſe durch die Richtung des Ruders entgegen arbeitete. Freye Handlungen von ei - niger Laͤnge gehen nicht ſo ununterdrochen in Einer geraden Linie oder in Einer Richtung fort, als die bloß phyſiſchen, in denen die wirkende Kraft nach dem naͤmlichen Geſetze der Thaͤtigkeit in eines fort vom An - fange bis zum Ende hinwirket.
Es liegt alſo nicht in der Natur der Sache, ſondern an unſern Uebereilungen, wenn die Empfindungen von der Selbſtmacht uͤber uns unaͤcht und falſch ſind; ſie koͤnnen zuverlaͤßig ſeyn und werden. Glauben, daßſie17und Freyheit. ſie allemal unzuverlaͤßig ſind, hieße ſo viel, als ber - keleyiſiren.
Es iſt nun unnoͤthig, noch beſonders einzelne Faͤlle von freyen Handlungen anzufuͤhren, in denen ein Ver - moͤgen, anders handeln zu koͤnnen, empfunden wird. Ei - nige ſind ſchon nebenher beygebracht. Auch iſt dieſelbige Handlung, die bey einem Menſchen unter gewiſſen Um - ſtaͤnden eine freye Handlung iſt, nicht allemal eine ſolche bey einem andern. Aber jeder meiner Leſer kann hier, indem er lieſet, bey dieſer ſeiner Handlung ſich fragen, ob er nicht in ſich auf die erwehnte Art ein Vermoͤgen fuͤhle, das Leſen zu unterlaſſen, wenn er gleich fortlieſet? Jch glaube, er leſe mit aller der Kaltbluͤtigkeit, die hiezu erfodert wird. Jede Betrachtung, jede willkuͤhrliche Be - wegung des Koͤrpers, jedes Fortſetzen des Fußes, jeder Griff mit der Hand, jedwede Aktion, die jemand mit voͤllig deutlichem Bewußtſeyn ohne Leidenſchaft, mit ge - ſetztem und gegenwaͤrtigem Geiſte vornimmt, giebt eine Erfahrung ab, die das Geſagte beſtaͤtiget. Wir fuͤh - len und empfinden es, daß wir ein Vermoͤgen haben, das zu unterlaſſen, was wir thun, oder doch es anders zu machen. Wir fuͤhlen einen Zuſtand in uns, der das iſt, was wir unter dem Begriffe von dieſem Vermoͤgen uns vorſtellen, und eben ein ſolcher iſt, wie andere, aus de - nen dieſer Begriff abſtrahirt worden iſt. Noch mehr. Wir koͤnnen uns ſogleich, wenn wir wollen, davon uͤber - zeugen, daß ſo ein Vermoͤgen anders zu handeln gegen - waͤrtig uns beywohne. Laßt es nur anfangen, ſich zu aͤußern, ſo fuͤhlen wir den Anfang ſeiner Wirkungen.
Wir unterſcheiden uͤberdieß die Faͤlle ſehr deutlich von einander, wenn wir einmal durch die zu große Leb - haftigkeit der Jdeen, und durch einen zu ſtarken Drang der Triebe zur Handlung hingeriſſen werden, und ein andermal mit voͤlliger Faſſung und Gewalt uͤber uns ſelbſt etwas ausrichten. Dort verlieren wir die Gegen -II Theil. Bwart18XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitwart des Geiſtes; hier fuͤhlen wir, daß wir die ganze Dauer der Aktion durch zwar zuweilen mit einer ſtarken Kraft und mit Nachdruck wirken; aber doch ſo, daß wir in jedem Momente die Aktion abzubrechen, oder ihr eine andere Richtung zu geben, vermoͤgend ſind. Oft wird der Trieb, mit dem wir handeln, in dem Fortgange der Aktion zu ſtark, und uͤberwaͤltiget uns; aber auch in dieſen Faͤllen laͤßt uns das Selbſtgefuͤhl die Stelle be - merken, wo der Widerſtand noch moͤglich war, von der an aber unſer Vermoͤgen zum Gegentheile immer mehr geſchwaͤcht, und durch die immer zunehmende zur Aktion treibende Kraft heruntergeſetzt oder gebunden ward, daß es in Ohnmacht uͤbergieng. Wir empfinden die allmaͤh - lig abnehmende Beſonnenheit, und fuͤhlen uns auch als - denn noch, wenn wir ſchon ſo weit ſind, daß wir uns dem Strome leidentlich uͤbergeben muͤſſen. Herr von Joch ſtelle einmal den Verſuch mit dem Opium, den er vorgeſchlagen hat, wirklich bey ſich an. Glaubet er, einen nur mittelmaͤßigen Beobachter ſeiner ſelbſt dadurch mehr als hoͤchſtens einmal zu hintergehen? Nicht zwey - mal, kaum das erſtemal, woferne nicht die Umſtaͤnde mit Sorgfalt darnach eingerichtet werden, daß die Re - flexion auf keine Weiſe rege wird, duͤrfte man’s dahin bringen, daß ein Menſch, der Opium bekommen haͤtte, ſich einbilden wuͤrde, es ſtuͤnde in ſeiner Macht, der un - natuͤrlichen und ſtarken Muͤdigkeit zu widerſtehen, der er nachgeben muß. So bald der Saft anfaͤngt, ſeine Wirkungen zu aͤußern, mag er vielleicht noch bey den erſten Anfaͤllen der Schlaͤfrigkeit die Augen offen zu hal - ten im Stande ſeyn, und bis dahin, ſo lange er dieß kann, beſitzet er auch wirklich das Vermoͤgen dazu, und handelt frey, wenn er ſich ergiebt. Aber die Erſtarrung dringet weiter ein. Dann wird ſein Widerſtand ver - geblich, und die Ermunterungskraft im Verhaͤltniß mit der einſchlaͤfernden zu ohnmaͤchtig. Da faͤngt der Zwangan.19und Freyheit. an. Die Selbſtmacht uͤber ſich iſt verlohren. Und ſo wird ihn ſein Selbſtgefuͤhl, wenn er ſich beobachtet, nichts mehr und nichts weniger lehren, als was wirk - lich vorhanden iſt.
Aus Erfahrungen iſt es alſo außer Zweifel, daß die menſchliche Seele Selbſtmacht uͤber ſich beſitze. Aber wie weit erſtreckt ſich ſelbige, und welches ſind ihre Schranken?
Die Beobachtung lehret uns, daß es ſo vielerley Arten freyer Thaͤtigkeiten der Seele gebe, als man uͤberhaupt wirkende Kraftaͤußerungen in ihr unter - ſcheiden kann; diejenige etwan abgerechnet, welche man zu ihrer leidenden Receptivitaͤt gewoͤhnlicher Weiſe hin - rechnet, womit ſie Eindruͤcke von außen und andere vor - handene Modifikationen in ſich fuͤhlet und empfindet. Jn einer Reihe von Vorſtellungen und Gedanken, die die Arbeit des Nachdenkens ausmachen, kann ich eben ſowohl abbrechen, und entweder die angeſtrengte Kraft zuruͤckziehen, oder anders wohin lenken, als es in mei -B 2ner20XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitner Gewalt iſt, im Spazierengehen ſtill zu ſtehen, oder einen andern Weg zu nehmen. Unter unſern Vorſtel - lungs - und Denkthaͤtigkeiten giebt es ſolche, uͤber die wir unmittelbar Herr ſind, ſowohl als unter den Aeuße - rungen der thaͤtigen Kraft, welche neue Modifikationen in uns und außer uns hervorbringet.
Einige Philoſophen haben die Freyheit auf den Willen eingeſchraͤnkt; andere laſſen auch der Erkennt - nißkraft dieſe Beſchaffenheit; und einige haben noch ge - nauer die Stelle in der Seele angegeben, wo ſie ſitzen ſolle, da ſie nur allein das Vermoͤgen aufmerkſam zu ſeyn, das iſt, das Vermoͤgen, die vorſtellende und denkende Kraft auf einen Gegenſtand hinzuwenden, fuͤr ein freyes Vermoͤgen erklaͤren, und es die Willkuͤhr nennen. Dieß letztere heißt ſo viel, als die Freyheit in dasjenige Vermoͤgen hinſetzen, welches an der Spitze aller uͤbrigen ſtehet, womit die Seele ein Objekt bear - beitet. Denn ſie richtet zuvoͤrderſt ihr Gefuͤhl und vor - ſtellende Kraft darauf, und hierauf entſtehet ein Ein - druck, eine Vorſtellung, und eine Jdee von der Sache: dann folget ein Gefallen oder Mißfallen, und dieſe Af - fektion reizet die begehrende Kraft zu einer Neigung auf das Objekt, oder zum Widerwillen gegen daſ - ſelbe.
Wenn es darauf ankommt, ſyſtemmaͤßig ſich aus - zudruͤcken, ſo kann jedwede dieſer beiden Behauptungen vertheidiget werden, je nachdem man die Erklaͤrungen der Worte, und die kuͤnſtlichen Klaſſifikationen der See - lenvermoͤgen einrichtet. Wer ſo, wie Herr Search, alle Selbſtbeſtimmungen, alle Beſtrebungen, Thaͤtigkei - ten und Handlungen, das iſt, alles, was eine Aeuße - rung der wirkſamen Kraft der Seele iſt, fuͤr eine Wir - kung des Willens erklaͤret, hat ohne Streit nicht un - recht, wenn er die Freyheit allein dem Willen beyleget, und dem Verſtande abſpricht. Denn bey dieſer Abthei -lung21und Freyheit. lung wird der Verſtand bloß auf die Receptivitaͤt und auf das Gefuͤhl eingeſchraͤnket, worinn, als in einem paſſiven Vermoͤgen, kein Vermoͤgen ſich anders zu be - ſtimmen ſtatt finden kann. Es laͤßt ſich ebenfalls vieles zur Behauptung der zwoten Meinung ſagen. Alles kommt darauf an, wie man ſich erklaͤret, und in der Anwendung auf einzelne Thaͤtigkeiten verſtanden ſeyn wolle, wie aus dem Folgenden erhellen wird.
Ueberhaupt die Sache betrachtet, ſo kann man ſich allenthalben eine Selbſtmacht uͤber ſich in der Seele vorſtellen, wo ſie mit ihrer Selbſtthaͤtigkeit arbeitet; ſie beſchaͤftige ſich als Erkenntnißkraft, ſie mache Vor - ſtellungen, ſie erwecke ſie wieder, ſie verbinde ſie, ſie trenne ſie; oder ſie bearbeite ſolche als Denkkraft, ſie urtheile, ſie uͤberlege, ſie ſchließe; oder endlich ſie wirke mit ihrer Aktivitaͤt, ſie bewege den Koͤrper und ihre Sinnglieder, oder ſie modificire ſich ſelbſt. Wo ſie in ſelbſtthaͤtigen Aeußerungen von Schritt zu Schritt fortgehet, da laͤßt ſich, bey allen dieſen Uebergaͤngen von der Thaͤtigkeit in dem vorhergehenden Augenblick zu der in dem naͤchſt folgenden, es als moͤglich vorſtellen, daß ſie ſich in ihrer Gewalt habe, und in jedwedem Moment ſich zum Stillſtande bringen, oder anderswohin wenden koͤnne. So lehren es auch die Beobachtungen. Jn allen dieſen verſchiedenartigen Verrichtungen zeiget ſich die Seele hie oder da als eine ihrer ſelbſt maͤchtige Kraft. Die Sphaͤre der Selbſtmacht uͤber ſich gehet alſo ſo weit heraus, als die Sphaͤre der thaͤtigen Kraft der Seele.
Allein weit gefehlt iſt es dennoch, daß die Seele in allen und jeden Momenten, die in der ganzen Dauer einer jeden unterſcheidbaren einzelnen Handlung, und auch in der einfachſten, angenommen, in den zu - ſammengeſetzten aber beobachtet werden koͤnnen, wirk - lich frey handeln ſollte. Die freyeſten Handlungen ſindB 3es22XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeites nur in Hinſicht ihrer weſentlichſten Punkte, von denen die ganze Aktion abgehangen hat. Sie werden beurtheilt und benennt nach dieſem wichtigſten Theile; und man hat, um dieſe Beurtheilung zu er - leichtern, die bekannte Unterſcheidung unter ſolchen Handlungen, die unmittelbar frey ſind, und ſolchen, die es nur mittelbar ſind, eingefuͤhrt. Von jenen iſt hier aber allein die Rede, als ſolchen, die nur im ei - gentlichen Verſtande freye Handlungen ſind. Zuwei - len iſt nur der erſte Anſatz zur Aktion eine freye Thaͤtig - keit; in allen folgenden kann ſich die Seelenkraft mit ſolcher Staͤrke ergoſſen haben, oder mit ſolcher Gewalt fortgetrieben worden ſeyn, daß es ihr unmoͤglich war ſich zu halten, wie ein Menſch, der vom Berge herun - ter laͤuft, am Ende mehr durch die Kraft der vorher - gehenden Bewegung fortgeriſſen wird, als ſelbſt noch fortgehet. Oft finden ſich mehrere ſolcher frey fortge - ſetzten Schritte auf demſelbigen Wege, die hie und da zwiſchen den uͤbrigen zerſtreuet ſind, und mit den un - freyen Fortgaͤngen abwechſeln, wozu die innere Natur, und die zunaͤchſt vorhergehenden Umſtaͤnde ſie unwider - ſtehlich fortreißen. Jch ſetze mich zum Nachdenken hin, das iſt eine freye Handlung; es entſtehen Verbindun - gen der Begriffe, Urtheile, fortgezogene Schluͤſſe. Da ſind Reihen von wiedererweckten Jdeen, die ſo ſchnell eine auf die andere folgen, daß man uͤberraſchet und unvermoͤgend wird, dazwiſchen zu kommen, oder den Faden zu zerſchneiden, und nur allein bey irgend einem merklichen Abſatze abbrechen kann. Aber dage - gen giebt es ſo viele Stellen, die in der Empfindung deutlich genug erkannt werden koͤnnen, wo man es fuͤh - let, daß ein neuer Anſatz der Kraft, oder eine ſtaͤrkere Jntenſion des vorigen Beſtrebens erfodert wird, wie bey einem Menſchen, der in die Hoͤhe ſteiget. Und an dieſen Stellen, und bey dieſen Schritten fuͤhlet die Seeleſich23und Freyheit. ſich ihrer maͤchtig. Da kann ſie abbrechen, oder ſich anders wohin wenden.
Man mache die Neubegierde eines Menſchen auf eine Seltenheit rege, die man ihm vorzeigen will, wie der Taſchenſpieler ſeine Zuſchauer. Das Auge wendet ſich nach der Stelle hin, wo es das Objekt erwartet; man empfindet, machet eine Jdee; dieſe afficirt das Gemuͤth, und die Gemuͤthsbewegung ſpannet wiederum die thaͤtige Kraft, entweder nur dazu, daß wir noch ge - nauer und beſſer zuſehn, oder auch dazu, daß wir uns zu einer Handlung in Hinſicht des Objekts beſtimmen. Jn dieſen und in unzaͤhlig aͤhnlichen Faͤllen erfolget die Richtung des Sinngliedes und der Aufmerkſamkeit, die Empfindung, die Jdee, die Gemuͤthsbewegung und die Neigung mit ſolcher Schnelligkeit eins auf das andere, daß, wenn die Seele bey dem erſten Anfange nicht ihrer ſelbſt maͤchtig war, ſie es nachher gewiß auch nicht geweſen iſt. Jeder Eindruck wuͤrde ſich auf eine Seele, die, voͤllig leer von allen Vorſtellungen und Fer - tigkeiten, ſich gegen ihn eroͤffnet haͤtte, auf die naͤmliche Art ergießen, und in ſie bis in ihr Jnnerſtes eindrin - gen. Solche Faͤlle ſind es, worauf man die vorher - erwehnte Lehre von der bloß auf das Aufmerkſamkeits - vermoͤgen eingeſchraͤnkten Selbſtmacht gegruͤndet hat. Aber wie viele andere Beobachtungen freyer Thaͤtigkei - ten giebt es nicht noch, die man mit dieſen haͤtte verglei - chen ſollen. Und dann haͤtte man die Freyheit wol nicht eben in dieſen Winkel der Seele eingeklemmt.
Wie, wenn ich z. B. nun den geſehenen Gegen - ſtand vom neuen genauer anſchaue, wenn ich ihn von mehrern Seiten betrachte, daruͤber reflektire, ihn mit andern vergleiche, ſein Gutes und ſein Boͤſes erwaͤge und abzaͤhle, und dann, wann ich ihn zu beſitzen wuͤn - ſche, ihn zu erhandeln ſuche, und zu dieſer Abſicht ge - wiſſe Woͤrter hervorbringe, Geld aus dem Beutel ziehe,B 4und24XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitund ihn zu mir nehme: kann man ſagen, dieſe ganze Reihe von Verſtandes - und Willensaͤußerungen werde nothwendig von der erſten Verwendung der Aufmerk - ſamkeit auf die Sache nach ſich gezogen, ſo daß die Seele keine dieſer nachfolgenden Schritte mit Selbſt - macht uͤber ſich unternommen habe? Dieß iſt wider alle Empfindung.
Vielleicht kann man ſich helfen. Die ganze zuſam - mengeſetzte Reihe mag vielleicht aus lauter einzelnen Theilen beſtehen, deren jeder fuͤr ſich eine ſolche Reihe iſt, die von der Aufmerkſamkeit anfaͤngt, und bey die - ſem Anfangspunkte frey iſt, aber in den folgenden nicht mehr. Jch fange an, uͤber die geſehene Sache nach - zudenken. Da beſtehet der erſte Schritt in einer Hin - lenkung der Denkkraft auf den Gegenſtand; und auf dieſen erfolgen Urtheil, Affektion und dann Spannung der thaͤtigen Kraft, oder Selbſtbeſtimmung, Wollen. Dieß iſt eine einfache Reihe, wo die Selbſtmacht der Seele uͤber ſich nur bey dem Anfange allein ſtatt finden kann. Auf eine aͤhnliche Art verhaͤlt ſichs vielleicht in den folgenden Theilen der ganzen Aktion. Jch bringe meine Hand zu dem Geldbeutel. Es entſtehet eine Em - pfindung, die gefaͤllt, und vom neuen die Kraft der Hand zur Fortſetzung ihrer Verrichtung ſpannet. Alſo ſind auch hier die einzelnen Aktionen als Theile des Ganzen von der naͤmlichen Art.
Gegen dieſe Applikation des Satzes, daß nur Freyheit ſtatt findet, wo die Seele aufmerkſam wird, wuͤrde ich nicht viel einwenden. So iſt es. Wenn die ſelbſt - thaͤtige Kraft der Seele auf einen Gegenſtand ſich be - ſtimmet, ſo iſt ein Anfang der Aktion da. Dieſe hat eine Empfindung, oder die Vorſtellung, oder die Jdee zur Folge, welche auf das Gemuͤth wirket, und eine Affektion hervorbringet, welche wiederum die Thaͤtigkeit reizet. Jn den letztern Modifikationen, welche Folgenjenes25und Freyheit. jenes erſten Beſtrebens der thaͤtigen Kraft ſind, iſt die Seele leidend, und hat alſo auch hiebey keine Selbſt - macht uͤber ſich. Aber da, wo dieſe Reihe an eine aͤhn - liche nachfolgende anſchließt; wo Anſtrengung, neues Beſtreben, oder auch nur eine Fortſetzung der erſten Jn - tenſion erfodert wird, da iſt wiederum eine Stelle, wo die Seele mit Selbſtmacht uͤber ſich handeln kann. Jch ſage, wo ſie es kann, denn in den wenigſten Faͤl - len beſitzet ſie ſolche. Wo keine Aeußerung der Selbſt - thaͤtigkeit iſt, da iſt keine Freyheit. Aber nicht allemal, leider nur in den wenigſten Faͤllen, iſt dieſe da, wo je - ne iſt.
Zugleich aber iſt es nun auch offenbar, was ich vorher vermuthet hatte, daß man eine jede Beſtim - mung der ſelbſtthaͤtigen Kraft zur Aktion, eine Anwen - dung der Aufmerkſamkeit genennt wiſſen wollen. So muß man zum mindeſten ſich erklaͤren, woferne man mit der Erfahrung auskommen will.
Dieß iſt nun die Beſchraͤnkung der menſchlichen Freyheit von einer Seite, in ihrer Ausdehnung naͤm - lich. Sie iſt es auch in Hinſicht auf die Jntenſion, da die ihrer ſelbſtmaͤchtige Kraft, welche handelt, ge - ringe iſt; und ſie iſt ſchwach, in ſo ferne auf das Ver - moͤgen zu dem Gegentheil geſehen wird. Ein großer Vortheil wird dem Kaufmanne angeboten. Sein Ent - ſchluß bleibet frey; denn er beſitzet das Vermoͤgen, ſich anders zu beſtimmen, und den Handel zu unterlaſſen. Aber er mache den Verſuch einmal, und er wird finden, daß es ihm ungemein ſchwer werde, ſeiner Begierde zum Gewinn zu widerſtehen. Wir haben noch oft das Vermoͤgen zu dem Entgegengeſetzten; aber es iſt keine Fertigkeit, mit der wir leicht und geſchwind den Effekt hervorbringen koͤnnten. Es haͤtte oft einen ſchwerenB 5Kampf26XII. Verſuch. Ueber die SelbſtthaͤtigkeitKampf gekoſtet, wenn wir einen Gebrauch von dieſem Vermoͤgen haͤtten machen wollen. Wer unterſcheidet alle hier wirklich vorkommende Stufen der Schwaͤche, und wie leicht iſt ſogar der Punkt verfehlet, wo die Schwierigkeit anders zu handeln in eine Unmoͤg - lichkeit uͤbergehet? Eine voͤllige Selbſtmacht uͤber ſich wuͤrde nur da ſtatt finden, wo das gleichzeitige Ver - moͤgen zu dem Entgegengeſetzten in der Seele eine ſolche Staͤrke beſitzet, daß es eben ſo leicht iſt, die wirkliche Aktion zu unterlaſſen, als ſie vorzunehmen, oder gleich leicht, ſie anders einzurichten, als ſie ſo zu laſſen wie ſie iſt. Vergleicht man die beyden Vermoͤgen zum Thun und zum Laſſen, als bloße Vermoͤgen mit einander, ſo kann das letztere groͤßer ſeyn, als das erſtere. Es iſt leichter, auf dem Wege den Berg hinauf umzukeh - ren, als weiter fortzugehen. Aber man muß das wir - kende Vermoͤgen in ſeiner Wirkſamkeit betrachten, ſo wie die Bewegungsgruͤnde darauf wirken, und das Ver - moͤgen zum Gegentheile ſoll ſtark genug ſeyn, jenes in ſeiner Wirkſamkeit aufzuhalten, oder anders wohin zu lenken.
Man kann die Selbſtmacht uͤber ſich in einzel - nen Handlungen von einer zwiefachen Seite an - ſehen, und ihre Groͤße auf eine zwiefache Weiſe be - ſtimmen. Es iſt eine thaͤtige Kraft da, welche handelt, und zugleich ein Vermoͤgen zu dem Gegentheile. Die Summe von beiden zuſammen machet die ganze reelle phyſiſche Groͤße der freyen Kraft in dem handelnden Weſen aus, in ſo ferne ſich ſolche auf die verrichtete Handlung beziehet. Dieß iſt ihre abſolute Groͤße, nach welcher die innere Groͤße des freyen ſelbſtthaͤtigen Weſens beſtimmet wird.
Der27und Freyheit.Der Moraliſt, der die Groͤße der Moralitaͤt, oder den Grad der Guͤte und der Boͤßheit in der freyen Aktion, das iſt, die Staͤrke, womit die handelnde Kraft nach der Richtung hin beſtimmt geweſen ſeyn muß, in der ſie gewirket hat, um eine ſolche Aktion zu bewirken, als erfolget iſt, nur einiger Maßen ſchaͤtzen will, muß doch auch auf beides zugleich, naͤmlich ſowohl auf die thaͤtige Kraft ſelbſt, als auf das Vermoͤgen zu dem Gegentheil, Ruͤckſicht nehmen. Sonſt faͤllt die Schaͤtzung mangelhaft aus. Von einem eigentlichen Meſſen laͤßt ſich nichts ſagen, da ſolches zur Zeit bey den Seelengroͤßen nicht moͤglich iſt. Ein Weſen, wel - ches aus innerer Naturnothwendigkeit Gutes wirket, welch eine vortreffliche Natur beſitzet es nicht? Aber dieſe Naturguͤte iſt doch keine freye Guͤte, und ein freyes Weſen, das eine gleiche Kraft zum Guten be - ſitzet, wie jenes, hat doch noch mehr innere Guͤte, und iſt ein groͤßeres Weſen, weil es mit einer groͤßern innern Kraft wirket, die auch Boͤſes zu thun das Ver - moͤgen hat, und ihrer ſelbſt maͤchtig iſt, auch dann, wann ſie Gutes thut. Die nothwendige Guͤte bey dem Menſchen, ſeine Natur - und Temperamentsguͤte, hat noch einen deſto wenigern Werth, weil ſie nicht ganz in einem reellen Grade der innern Selbſtthaͤtigkeit der Seele beſtehet, ſondern zum Theil nur in dem Koͤrper ihren Sitz hat, zum Theil auch wahre Schwaͤche und Ohnmacht iſt. Die allerbeſte menſchliche Tugend iſt freylich immer in einigem Grade abhaͤngig vom Koͤrper, aber je mehr ſie doch wahre Tugend iſt, deſto weniger iſt ſie es, und deſto mehr iſt ſie eine Realitaͤt des innern Menſchen, und Staͤrke in der ſelbſtthaͤtigen Seele.
Dagegen vermindert auch die Fertigkeit im Guten an ſich den moraliſchen Werth der Handlung nicht. Die Leichtigkeit gut zu handeln iſt ein Beweis, daß das auf das Gute und Rechtſchaffene gerichtete Vermoͤgenmit28XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitmit einer großen Jntenſion wirket. Aber es folget daraus nicht, daß das entgegengeſetzte Vermoͤgen ſehr ſchwach ſeyn muͤſſe; nicht einmal iſt es nothwendig, daß es in Vergleichung mit jenem geringe ſey, ob es gleich bey den menſchlichen Fertigkeiten wohl ſo iſt. Noch weniger folget alſo, daß die geſammte handelnde Kraft ſchwaͤcher ſey, fuͤr ſich nach ſeiner abſoluten Groͤße ge - ſchaͤtzet, als da, wo die Fertigkeit im Guten fehlet. Sollte der Erwachſene in der Tugend nicht noch eben die Geſchicklichkeit beſitzen Boͤſes zu thun, welche er vorher beſaß, da er mit den Verſuchungen noch kaͤmpfen mußte? Jene Geſchicklichkeit kann jetzo noch groͤßer ſeyn, als ſie vorher war, unerachtet ſie ſich jetzo nicht reget. Er wirket mit einer moraliſchen Kraft, die doch wenigſtens an der einen Seite, in ſo ferne ſie aufs Gute gehet, groͤßer iſt, als bey dem ſchwachen Anfaͤnger, wenn ſie nicht auch an der entgegengeſetzten zugleich es iſt, wie ſie doch ſeyn kann. Aber auch angenommen, daß die innere Seelengeſchicklichkeit zum Boͤſen, — alles das zuſammen genommen, was dazu gehoͤret, — durch die lange Uebung im Guten in etwas geſchwaͤcht worden ſey, weil ſie durch den Gebrauch nicht geſtaͤrkt worden iſt, ſo folgt dennoch nicht, daß der Zuwachs an Selbſt - thaͤtigkeit an der andern Seite nicht die Abnahme an der entgegenſtehenden uͤbertreffen koͤnne. Und dann wuͤrde doch noch die Fertigkeit im Guten eine wahre Seelen - groͤße ſeyn.
Es kann aber auch zweytens die Groͤße der Selbſt - gewalt uͤber ſich, beziehungsweiſe geſchaͤtzet wer - den, in ſo ferne ſie naͤmlich eine Selbſtmacht uͤber ſich iſt, in ſenſu diuiſo, wie die Alten geſagt haben wuͤrden, nicht in ſo ferne ſie eine Kraft iſt, welche Selbſt - macht beſitzet, in ſenſu compoſito, wie ich ſie vorher betrachtet habe. Alsdenn haͤnget ihre Groͤße nicht ab von den abſoluten Groͤßen der beiden entgegengeſetz -ten29und Freyheit. ten Vermoͤgen zu handeln, und die Handlung zu unter - laſſen, ſondern von ihrem Verhaͤltniſſe gegen einander; und ſie iſt deſto groͤßer, je groͤßer das Vermoͤgen zum Gegentheil in Beziehung auf das Vermoͤ - gen iſt, welches ſich wirklich aͤußert. Die Tu - gend, welche im Kampfe gegen Leidenſchaften und Ver - ſuchungen unterlieget, kann noch mehr werth ſeyn, und unſere Achtung und Mitleiden fuͤr ſie beweiſet es, daß wir ihren Werth empfinden, als die ſchwache Tugend, die nur da thaͤtig iſt, wo das Vermoͤgen zum Boͤſen ge - ringe iſt. Die wirkende Kraft, die von einer ſtaͤrkern uͤberwunden wird, kann wohl viel mehr innere Staͤrke beſitzen, als die, welche uͤber eine ſchwaͤchere den Sieg erhaͤlt. Man ſchließe alſo nicht, daß lebhafte Perſo - nen, die ſo oft von ihrer Leidenſchaft hingeriſſen werden, ein ſchwaͤcheres Vermoͤgen, ſich zu beherrſchen, beſitzen muͤſſen, als die Temperamentsweiſen, die immer bey ſich ſelbſt ſind, und ſich faſſen, weil ſie zu wenig em - pfindſam ſind, um in ſtarke Bewegung geſetzt zu wer - den. Aber dennoch iſt diejenige Kraft immer noch ed - ler und groͤßer, die auch ſtaͤrkere Triebe beſiegen kann.
Dieſe relative Groͤße der Freyheit, die Leich - tigkeit ſich zum Gegentheile zu beſtimmen, die von dem Verhaͤltniß der beiden Vermoͤgen zu der Handlung und zu ihrem Gegentheil entſpringet, macht eigentlich die innere Unabhaͤngigkeit aus, ſowohl von den aͤußern Dingen, die einen Einfluß in die Handlung haben, als auch von den innern Modifikationen, die dazu reizen und bewegen. Je weniger dieſe auf die thaͤtige Kraft einen beſtimmenden Einfluß haben, deſto weniger wird die letztere mit Gewalt zu der Handlung fortgetrieben; deſto gleichguͤltiger iſt die Handlung, und deſto ehe kann ſie unterlaſſen, oder anders eingerichtet werden. Hiezu wird nicht allemal ein gleich großes Vermoͤgen erfodert. Wenn die Wage mit einem geringen Uebergewicht aneiner30XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeiteiner Seite herunter ſteiget, ſo bedarf es auch nur eines kleinen Gegengewichts an der entgegengeſetzten, um ſie zuruͤckzuhalten, und wieder in die Hoͤhe zu bringen. Doch bitte ich, dieß Gleichniß nicht uͤber ſeine Abſicht auszudehnen.
Die Unabhaͤngigkeit iſt zur Freyheit erfoderlich. Aber ſie iſt nur eine Beſchaffenheit der freyen Kraft. Nach der Groͤße von jener kann wohl die Freyheit als Freyheit, aber nicht die ganze Groͤße der freywir - kenden Kraft geſchaͤtzt werden. Die unabhaͤngige Kraft kann eine auf wenige Handlungen und zu ſchwa - chen Aeußerungen aufgelegte Kraft ſeyn. Jch will nicht ſagen, daß dieſe Anmerkung ſehr viel auf ſich habe, aber mich deucht doch, daß ſie von verſchiedenen nicht genug in Betracht gezogen wird, wenn ſie die Groͤße der Frey - heit in dem unkultivirten Zuſtande wilder Voͤlker mit der Freyheit des Buͤrgers in den polizirten Nationen zu ver - gleichen ſuchen. Der Wilde iſt von Geſetzen und Men - ſchen unabhaͤngiger, als der Kultivirte. Das mag ſeyn. Aber beſitzet er uͤberhaupt ſo viele freywirkende Vermoͤ - gen in Hinficht auf andere Menſchen zu handeln, die aus der Geſellſchaft entſpringen, als in polizirten Staaten, wo die Verbindungen und Beziehungen der Menſchen mit und auf Menſchen verwickelter ſind, und alſo meh - rere und mannigfaltigere Vermoͤgen außer ſich in Hin - ſicht auf andere zu handeln entwickelt werden? Man muͤßte wenigſtens, um die Vergleichung richtig anzu - ſtellen, zuerſt feſt ſetzen, wie viele und wie große aͤußere Handlungen das ſind, uͤber die der Buͤrger der einge - richteten Geſellſchaften Herr iſt, und dieſe mit der gan - zen Groͤße und Menge derer, woruͤber er es iſt außer der Geſellſchaft und in dem Stande der Wildheit, verglei - chen. Was hilfts ihm, wenn er hier Herr uͤber alle iſt; aber nur wenige beſitzt? Vielleicht iſt er ein unabhaͤngi -ger31und Freyheit. ger Bettler, der uͤberhaupt weniger durch Geſetze ver - pflichtet iſt, weil er weniger Vermoͤgen hat.
Die bisherigen Bemerkungen koͤnnten gemachtwerden, ohne die Freyheit noch weiter, als von ihrer Auſ - ſenſeite anzuſehen. Sie ſtellet ſich dar, ich wiederhole es mit Fleiß noch einmal, als ein Vermoͤgen, auf ei - ne andere Art thaͤtig zu ſeyn, als wir es ſind, das zugleich in uns vorhanden iſt, indem wir unſere Kraft anwenden. Worinn dasjenige auch beſtehen mag, was wir die Bewegungsgruͤnde nennen, die Reize und Veranlaſſungen von innen und außen, die ſich mit demVermoͤ -32XII. Verſuch. Ueber die SelbſtthaͤtigkeitVermoͤgen zu handeln in uns verbinden, und dieſe zu thaͤtigen lebendigen Kraͤften machen, ſo ſoll doch da, wo die Handlung frey iſt, noch in unſerm Jnnern ein Vermoͤgen zuruͤck ſeyn, den bewegenden Gruͤnden zu widerſtehen, die wirkende Kraft außer Thaͤtigkeit zu ſetzen, oder in eine andere Richtung zu bringen. Dieß iſt die Jdee von der Freyheit, welche das Gefuͤhl der - ſelben unmittelbar uns vorhaͤlt.
Aber worinn beſtehet das Vermoͤgen zu dem Gegentheile, dieß unthaͤtige, todte Vermoͤgen, wel - ches bloßes Vermoͤgen bleibet, und nicht wirket, naͤmlich nicht dasjenige wirket in Hinſicht auf das Ver - moͤgen, womit wir die Handlung vornehmen, was es auf ſolches wirken kann, in ſeiner Wirkſamkeit es nicht ſtoͤret, noch anders beſtimmet? Jn anderer Hinſicht hat dieß gleichzeitige Vermoͤgen zum Gegentheile aller - dings ſeine Folgen und Wirkungen in jeder freyen Hand - lung, wie ich oben ſchon einmal erinnert habe, und es in der Folge noch deutlicher entwickeln will. Denn in der freyen Handlung iſt ein Charakter von der Frey - heit, mit der die Urſache gewirket hat ein Zeichen von der wirklichen Gegenwart des Vermoͤgens, ſich auf eine entgegenſtehende Art beſtimmen zu koͤnnen.
Um einen Verſuch zu machen, wie weit die Natur dieſes Vermoͤgens ſich deutlicher entwickeln laſſe, will ich auf dem bisherigen Wege den Beobachtungen nach - gehen.
Die Erfahrung lehret, daß Freyheit mit der Ver - nunft oder der hoͤhern Denkkraft in Verbindung ſtehe. Das vernunftloſe Thier iſt kein freyhandelndes Weſen, wenn man ihm gleich eine Willkuͤhr, ein Analogon von menſchlicher Freyheit in eben dem Sinne, wie ein Analogon der Vernunft zuſchreiben kann. Kinder,Bloͤdſin -33und Freyheit. Bloͤdſinnige, Schlafende, Nachtwanderer, Betrun - kene und alle ſolche, bey denen die Vernunft alsdenn, wenn ſie etwas unternehmen, ſich nicht wirkſam bewei - ſet, ſind auch ihrer ſelbſt bey ſolchen Handlungen nicht maͤchtig. So wie die Vernunft in dem Kinde, und in dem Juͤnglinge ſich erhebt, ſo waͤchſet auch ſeine Ge - walt uͤber ſich, und ſeine Freyheit.
Ueberhaupt iſt es ein allgemeiner Erfahrungsſatz: „ Wenn und wo es unmoͤglich iſt, die gegenwaͤrtigen „ Vorſtellungen, die unſere thaͤtige Kraft leiten oder be - „ ſtimmen, ſelbſtthaͤtig zu bearbeiten, aus einander zu „ ſetzen, zu vergleichen und daruͤber zu reflektiren; dann „ und da beſitzen wir auch keine Freyheit. “ Und alles dasjenige, wodurch jenes Vermoͤgen der Denkkraft bey einzelnen Handlungen geſchwaͤcht oder aufgehoben wird, benimmt uns in der gleichen Maße die Gegenwart des Geiſtes, bringet uns, wie wir ſagen, aus unſe - rer Faſſung, ſchwaͤchet die Selbſtmacht uͤber uns, oder hebet ſie auf.
Jn der Wolfiſchen Seelenlehre wird die Freyheit als eine nothwendige Folge der Vernunft angeſe - hen. Ein vernuͤnftiges Weſen kann ſich deutliche Be - griffe machen, und da es ſich nach ſeinen Vorſtellungen zur Handlung beſtimmet, ſo kann es ſich auch nach deutlichen Begriffen beſtimmen. Dieß Vermoͤ - gen, ſich nach deutlichen Begriffen zu beſtim - men, iſt die Freyheit nach der Wolfiſchen Erklaͤrung. Alſo iſt Freyheit eine weſentliche Folge und Wirkung vom Verſtande und Vernunft.
Eine ſolche Abſtammung der Freyheit von der Ver - nunft kann man nun freilich aus ihren Begriffen nicht beweiſen, wenn die obige Jdee von der Freyheit zum Grunde gelegt wird, die wir zunaͤchſt aus den Erfah - rungen erlangen. Ob der Wolfiſche Begriff einerleyII Theil. Cmit34XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitmit dieſem ſey, oder eine Folge davon, oder nur eine einſeitige Vorſtellung ihres Gegenſtandes, das iſt vor - her zu unterſuchen, ehe man es bey ihr bewenden laͤſſet. Und dieß gruͤndlich zu unterſuchen, heißt ſo viel, als die ganze Beziehung der Freyheit auf das Vermoͤgen deut - liche Vorſtellungen zu haben, aufzuſuchen. Moͤgen doch die leidenden, afficirenden und bewegenden Vorſtel - lungen bis zum hoͤchſten Grade entwickelt ſeyn; folget es, daß, wenn ſie die Thaͤtigkeitskraft beſtimmen, ſie ſol - che nicht eben ſo hinreißend und maͤchtig beſtimmen koͤn - nen, als eine ſtaͤrkere Empfindung, oder eine ſinnlich verwirrte Vorſtellung unſrer groͤbern Sinne? Koͤnnen nicht die entwickeltſten Jdeen ſo uͤberwaͤltigend ſeyn, daß alles Widerſtehen unmoͤglich wird? Aber die von Wolfen ſo ſorgfaͤltig aufgeſuchten Beobachtungen leh - ren uns eine Verbindung zwiſchen der Vernunft und Freyheit kennen, die naͤher betrachtet zu werden ver - dient.
Erſtlich iſt es gewiß „ daß jede Handlung ei - „ ne freye Handlung iſt, zu der unſere Kraft durch „ deutliche Vorſtellungen von der Handlung und von „ dem Objekt, und von deſſen Beziehungen auf uns, be - „ ſtimmt und geleitet wird. “ Dieſe Regel iſt ohne Ausnahme, wenn ſie gehoͤrig verſtanden wird. Jede Vorſtellung, die wir deutlich nennen, iſt es nur von Einer Seite, in Hinſicht einiger Zuͤge in ihr, welche auseinander geſetzt ſind, und von uns unterſchieden werden; aber das Ganze derſelben iſt verwirrt und un - deutlich, wie in den Gemaͤlden. Eine deutliche Vor - ſtellung, die es nur in einigen Zuͤgen iſt, kann, in ſo fern ſie als ein verwirrtes und undeutliches Bild auf die Seelenkraft wirket, zwingend ſeyn. Aber je mehr ſie deutlich iſt, und in der Maße, wie ſie es iſt, laͤſſetſie35und Freyheit. ſie das Vermoͤgen anders zu handeln ungekraͤnkt, ſchwaͤchet es nicht, und bindet es nicht. Jn ſolchen Faͤllen haben wir, wie die Erfahrung lehret, uns alle - mal in unſerer Gewalt. Und nach deutlichen Vor - ſtellungen, mit vollem Bewußtſeyn deſſen, was wir thun, handeln, und durch nichts als durch dieſe deutli - che Jdeen beſtimmt werden, iſt ſo viel, als ſo handeln, daß wir uns in unſerer Gewalt haben und frey han - deln.
Es giebt zwar eine Nothwendigkeit in unſern Handlungen, die in der Vernunft ihren Grund hat, und eine wahre phyſiſche Nothwendigkeit iſt, aber dem Erfahrungsſatze, den ich oben vorher angezeigt habe, nicht entgegen ſtehet. Man pflegt ſie wohl eine moraliſche Nothwendigkeit zu nennen. Dieſen Namen kann ſie haben von einer Seite betrachtet, nur nicht in derjenigen Bedeutung, in der das Moraliſch - nothwendige ſo viel iſt, als das Geſetz - und Pflicht - maͤßige, das billig nicht nothwendig heißen ſollte, da die Rechtmaͤßigkeit der Handlung fuͤr ſich allein nie - mals die Selbſtmacht der Seele uͤber ſich aufhebet, und mit dieſer nichts zu thun hat. Jene phyſiſche Noth - wendigkeit zeiget ſich in folgenden Beyſpielen. Es iſt mir, wenn ich wache, und mich beſinnen kann, unmoͤg - lich, meine Hand willkuͤhrlich an dem Feuer verbren - nen zu laſſen, ſo unmoͤglich als es dem Reiſenden uͤber die Alpen iſt, der ſeine Vernunft beſitzet, ſich von dem Fuß - ſteige hinab in die Abgruͤnde zu ſtuͤrzen. Solche auf - fallende Unſinnigkeiten kann der mit Ueberlegungskraft begabte Menſch nicht vornehmen, als nur im Stande der Vernunftloſigkeit, bey den allerheftigſten Leiden - ſchaften, welche die Reflexion unterdruͤcken. Eine Lei - denſchaft brachte den Roͤmer Metius, bringet die Fackyers und andere Fanatiker, zu Tollheiten. Aber wo dieſe Urſachen fehlen, da fehlet nicht bloß ihre Wir -C 2kung,36XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitkung, ſondern es fehlet auch das Vermoͤgen zu ſolchen Wirkungen, wenn geſunde Vernunft das Steuerruder haͤlt. Die phyſiſche Kraft im Koͤrper, um die Hand dem Feuer entgegen zu halten, iſt da, aber dieſe macht das geſammte Vermoͤgen, eine ſolche Handlung vor - zunehmen, nicht aus. Hiezu wird auch eine Kraft er - fodert, den ſtarken Widerwillen, den die Vorſtellung von der That ſelbſt hervorbringet, zu unterdruͤcken, und ihr entgegen das koͤrperliche Bewegungsvermoͤgen auf die Handlung zu richten.
Jn den angefuͤhrten Beyſpielen iſt die Gegenwart der Vernunft, und die Reflexion uͤber die That, die phyſiſche Urſache, daß die Seele, wenn ſie ſo aͤußerſt unſinnige Handlungen unterlaͤßt, oder dagegen aͤußerſt nothwendige vornimmt, dabey nicht frey und mit Selbſt - gewalt uͤber ſich handelt. Aber ſie verrichtet und un - terlaͤßt ſolche auch alsdenn nicht um der Staͤrke der all - gemeinen vernuͤnftigen Ueberlegung willen. Ob es gut ſey oder nicht gut ſey, die Hand zu verbrennen, das kann ſie vernuͤnftig nach deutlichen Begriffen uͤberlegen; und dadurch wird ſie nicht aus ihrer Faſſung gebracht. Sie wuͤrde von dieſen Reflexionen in der That wenig Widerſtand finden, wenn ihr einmal die Luſt anwan - deln ſollte, eine ſolche Probe zu machen. Aber die le - bendigen verwirrten anſchaulichen Vorſtellungen von der That, von ihrer Unvernunft und ihren Wirkungen, welche mit jenen deutlichen Ueberlegungen verbunden ſind, und ſich gegenwaͤrtig der Seele darſtellen; dieſe ſind es, die mit ſolcher Heftigkeit auf das Gemuͤth und auf den Willen wirken, daß die Kraft mit Schaudern von der Handlung zuruͤckfahren muß, und ſich außer Stand geſetzet fuͤhlet, ihr nur zu naͤhern und den An - fang zu machen. Es iſt alſo auch nicht die deutliche Vorſtellung, ſondern die ſie begleitenden Empfindungen, was in ſolchen Faͤllen die Handlung erzwinget. Darausaber,37und Freyheit. aber, daß dergleichen zuruͤckhaltende Vorſtellungen un - ter gewiſſen Umſtaͤnden dennoch durch andere entgegen - geſetzte uͤberwunden werden koͤnnen, folget weiter nichts, als daß es Bewegungsgruͤnde gebe, die noch| ſtaͤrker, als jene ſind. Jn Feuersgefaͤhr ſpringt wohl ein ver - nuͤnftiger Mann im bloßen Hemde aus dem Fenſter auf die Straße, und handelt denn eben ſo nothwendig, als es ihm bey geſunden Verſtande nothwendig iſt, es bleiben zu laſſen.
Dagegen iſt es nicht allemal nothwendig, daß, um frey zu handeln, eine deutliche Vorſtellung der Be - wegungsgrund zur Handlung ſeyn muͤſſe. Der wuͤrde in Wahrheit nur eine ſchwache Gegenwart des Geiſtes beſitzen, den jedwede Empfindung oder ſinnliche Vor - ſtellung, der er nachgehet, ſogleich unvermoͤgend machte, zu widerſtehen, und anders ſich zu beſtimmen. Das Gemuͤth wird oftmals im Gewuͤhl der Geſchaͤffte von verwirrten Bildern ſehr lebhaft angegriffen, und man beſtimmt ſich nach dieſen unentwickelten Vorſtellungen, und behaͤlt demunerachtet die Herrſchaft uͤber ſich, fuͤhlt ſein Vermoͤgen anders zu handeln, und handelt mit Freyheit. Wenn die bewegende Vorſtellung nur nicht die ſtaͤrkſte uͤber alle andere iſt, welche die Seele zu der Zeit in ſich aufbieten kann. Sie kann eine noch ſtaͤrkere in ihrer Ruͤſtkammer im Vorrath haben, die ſie jener entgegenzuſetzen, und unter den Umſtaͤnden, un - ter welchen ſie handelt, zu erwecken und aufzubieten vermag; und man weiß, wenn auch keine andere da iſt, wie ſtark allein die einzige Jdee ſey: „ ich muß nun ein - mal meinen eigenen Willen beweiſen; ‟ die uns zu Dien - ſten ſtehet, und ſich bey dem Eigenſinnigen oͤfterer und ſtaͤrker anbietet, als die Vernunft ſie haben will. Aber es iſt doch in allen Faͤllen