PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Philoſophiſche Verſuche uͤber die menſchliche Natur und ihre Entwickelung
[figure]
Zweyter Band. Leipzig, beyM. G. Weidmanns Erben und Reich.1777.
[II][III]

Jnhalt des zweeten Bandes.

Zwoͤlfter Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit und Freyheit.

I.

  • Einleitung. Schwierigkeiten bey dieſer UnterſuchungS. 1

II.

  • Begriff von der Freyheit, oder von der Selbſtmacht der Seele uͤber ſich, auf den die Empfindung fuͤh - ret5
  • 1) Freyheit iſt ein Vermoͤgen, das nicht zu thun, was man thut, oder es anders zu thun, als man es thut. Folgen aus dieſem Begriff5
  • 2) Daß wir ein ſolches Vermoͤgen beſitzen, iſt aus Beobachtungen erweislich8
  • 3) Wie ſolches aus der Erfahrung bewieſen werde? Woher die Fallazen der Empfindungen hiebey entſtehen koͤnnen11

III.

  • Von dem Umfange und den Grenzen der Freyheit19
  • 1) Die Freyheit findet ſich bey allen Arten von Kraft - aͤußerungen der Seele. Jn wieferne ſolche dem Willen oder der Aufmerkſamkeit ausſchließungs - weiſe zugeſchrieben werden koͤnne? Von der Will - kuͤr19a 22) DieIVJnhalt
  • 2) Die menſchliche Freyheit iſt eingeſchraͤnkt, ſo wohl in Hinſicht der innern Staͤrke als ihrer Ausdeh - nungS. 25

IV.

  • Das Maß der Freyheit26

V.

  • Wie die Freyheit ſich auf die Vernunft beziehet31
  • 1) Das Vermoͤgen zu dem Gegentheil deſſen, was wir wirklich vornehmen, iſt noch naͤher zu unter - ſuchen31
  • 2) Wie die Freyheit ſich auf die Vernunft beziehe nach den wolfiſchen Jdeen32
  • 3) Jede Handlung iſt eine freye Handlung, in der eine deutliche Vorſtellung von der Handlung und von dem Objekt die wirkende Kraft beſtimmt. Von der moraliſchen Nothwendigkeit34
  • 4) Aber die Handlung kann auch frey ſeyn, wenn gleich die Kraft von einer nicht deutlichen Vorſtel - lung und von einer Empfindung beſtimmet wird. Der Zuſtand der Beſinnung iſt allemal erfoder - lich, wenn die Seele frey handeln ſoll37

VI.

  • Das Vermoͤgen ſich anders zu beſtimmen bey freyen Handlungen muß ein aktives inneres Vermoͤgen ſeyn, und nicht eine bloße Receptivitaͤt anders beſtimmet werden zu koͤnnen39

VII.

  • Von dem zureichenden Grunde, den freye Handlungen haben41

VIII.

  • Von ſelbſtthaͤtigen und aus Eigenmacht hervorgehenden Kraftaͤußerungen. Was es heiße, unabhaͤngig und aus voller Eigenmacht handeln. Von ſelbſtthaͤtigen Kraͤften, zu deren Aeußerung ein Reiz von außen er -fodertVdes zweeten Bandes. fodert wird. Von Aktionen, die durch eine mitge - theilte Kraft hervorgebracht werdenS. 46

IX.

  • Von der Selbſtthaͤtigkeit der menſchlichen Seele59
  • 1) Es iſt Erfahrung, daß die Seele mit voͤlliger Selbſt - thaͤtigkeit handelt, wenn ſie frey handelt59
  • 2) Schwierigkeiten ſich von dem, was alsdenn in uns vorgehet, deutliche Begriffe zu machen. Wie die Determiniſten und Jndeterminiſten ſolche Em - pfindungen erklaͤren63
  • 3) Die Wirkſamkeit der Seele, womit ſie willkuͤrlich ſich ſelbſt beſtimmt, iſt eine von dem Einfluß aͤuße - rer Empfindungen erweckte Selbſtthaͤtigkeit66
  • 4) Weitere Fragen und Veranlaſſungen zu fernern Unterſuchungen dieſer Selbſtthaͤtigkeit der Seele69

X.

  • Von der Beſtimmung der ſelbſtthaͤtigen Seelenkraft zu einzelnen Aeußerungen73
  • 1) Die Seele wird zuweilen leidentlich beſtimmt; zu - weilen beſtimmt ſie ſich ſelbſt74 Erſte Erfahrung: Wenn ſie fuͤhlet und empfin - det, wird ſie leidentlich beſtimmet74
  • 2) Zwote Erfahrung: Jede Kraftaͤußerung der Seele, welche unmittelbar auf ein Gefuͤhl erfolget, und von der wir vorher keine Vorſtellung hatten, iſt eine ſolche, zu der die Kraft der Seele leidentlich be - ſtimmt wird74
  • 3) Dritte Erfahrung: Oftmals haben wir ſchon vor - her eine Jdee von der erfolgenden Aktion, und wer - den dennoch leidentlich zu ihr beſtimmet76
  • 4) Vierte Erfahrung: Die Gegenwart, die Bear - beitung und die weitere Entwickelung der Vorſtel - lungen iſt oftmals keine Selbſtthaͤtigkeit der Seele, wenigſtens dem Gefuͤhl nach nicht; oftmals iſt ſie es76a 35) GrundVIJnhalt
  • 5) Grund dieſer Verſchiedenheit in den Empfindungen. Fuͤnfter Erfahrungsſatz: von dem Unterſcheidungs - merkmal ſolcher Aktus der Seele, wozu ſie leident - lich beſtimmet wirdS. 79
  • 6) Weſentliche Verſchiedenheit zwiſchen dieſen, und denen, wozu ſie ſich ſelbſt beſtimmt82

XI.

  • Fortſetzung des Vorhergehenden. Von den Selbſtbe - ſtimmungen der Seele zu ihren Aktionen84
  • 1) Die Selbſtbeſtimmung erfodert, daß die Seele in dem Stande reger Wirkſamkeit ſich befinde85
  • 2) Die Selbſtbeſtimmung zu einer Aktion erfodert, daß eine Vorſtellung von dieſer Aktion vorhanden ſey86
  • 3) Das Selbſtbeſtimmen iſt ein Aktus der Wieder - vorſtellungskraft, welcher die Jdee von der Aktion zum naͤchſten Objekt hat. Und dieſe Reproduktion iſt eine Selbſtthaͤtigkeit, welche nicht unmittelbar auf das Gefallen erfolget89
  • 4) Die gefallende Vorſtellung beſtimmt das thaͤtige Princip nicht innerlich zu der Aktion, welche erfol - get, ſondern iſt blos ein Objekt, welches der inner - lich ſchon voͤllig zur Aktion beſtimmten Kraft vor - gelegt wird91
  • 5) Der letzte Satz wird aus Beobachtungen bewieſen. Zuerſt aus ſolchen Faͤllen, in denen wir uns mehr zu einer Art der Handlung als zu der andern be - ſtimmen94
  • 6) Ferner bey ſolchen Selbſtbeſtimmungen, wo wir zwiſchen Thun und Laſſen auswaͤhlen100
  • 7) Endlich bey ſolchen Selbſtbeſtimmungen, wo wir uns zu einer groͤßern Anſtrengung der Kraft oder zu einer Nachlaſſung derſelben beſtimmen100

XII.

  • Von dem Vermoͤgen ſich ſelbſt zu beſtimmen101
1) Unter -VIIdes zweeten Bandes.
  • 1) Unterſchied zwiſchen Wollen und Verrichten, und zwiſchen dem Vermoͤgen ſich ſelbſt zu beſtimmenS. 102
  • 2) Das Vermoͤgen ſich ſelbſt zu beſtimmen erfodert, daß die Kraft wirkſam ſey, und innerlich zurei - chend zu der Art ihrer Anwendung beſtimmet104
  • 3) Die Vorſtellung von der Aktion, wozu wir uns ſelbſt ſollen beſtimmen koͤnnen, muß in uns gegen - waͤrtig ſeyn106
  • 4) Fortſetzung des Vorhergehenden. Wie weit die vorſtellende Kraft in jedwedem Fall mit der Vor - ſtellung von der Aktion beſchaͤfftiget iſt, wenn wir uns ſelbſt zu der Aktion beſtimmen koͤnnen107
  • 5) Von den verſchiedenen Graden in dem Vermoͤgen ſich ſelbſt zu beſtimmen113
  • 6) Wie weit auch da ein Vermoͤgen uns ſelbſt anders zu beſtimmen vorhanden ſeyn kann, wo wir leident - lich zu etwas beſtimmet werden113
  • 7) Wie weit wir es gewiß ſeyn koͤnnen, daß wir ein Vermoͤgen anders zu handeln beſitzen. 114
  • 8) Das Vermoͤgen ſich ſelbſt zu beſtimmen geht nur auf Handlungen, die ſchon ehemals inſtinktartig vorgenommen ſind115
  • 9) Wie Vermoͤgen zu entgegengeſetzten Aktionen, zum Wollen und Nichtwollen, zum Thun und zum Laſſen, zugleich in der Seele nebeneinander be - ſtehen116

XIII.

  • Deutlichere Vorſtellung von der Freyheit oder der Selbſtmacht der Seele uͤber ſich121

XIV.

  • Von den Folgen der Freyheit in den freyen Handlun - gen ſelbſt124
a 4XV. VIIIJnhalt

XV.

  • Vereinigung der allgemeinen Vernunftſaͤtze mit dem Begriff von der FreyheitS. 129
  • 1) Die Verknuͤpfung zwiſchen Urſachen und Wirkun - gen iſt nicht allemal eine nothwendige Verknuͤ - pfung129
  • 2) Unter welchen Vorausſetzungen die verurſachende Verknuͤpfung zufaͤllig ſey134
  • 3) Unter welchen ſie nothwendig iſt140
  • 4) Zufaͤlligkeit der Verknuͤpfung, wenn freye Urſa - chen wirken141
  • 5) Eine Erinnerung uͤber den Gebrauch der Gemein - begriffe von Nothwendigkeit und Zufaͤlligkeit146

Dreyzehnter Verſuch. Ueber das Seelenweſen im Menſchen.

I.

  • Vorlaͤufiger Begriff von der thieriſchen Natur des Menſchen, und von dem Seelenweſen in ihm149

II.

  • Unſere Vorſtellungen von der Seele und ihren Veraͤn - derungen ſind, eben ſo wie unſere Jdeen von den Koͤrpern, nur Scheine152

III.

  • Von dem koͤrperlichen Beſtandtheile unſers Seelen - weſens158
  • 1) Von dem Antheil des Gehirns an jedweder Seelen - aͤußerung. Von materiellen Jdeen158
  • 2) Von der Natur des Selbſtgefuͤhls der Seele. Sie fuͤhlet und empfindet ſich auf eine aͤhnliche Weiſe, wie das Auge ſich im Spiegel ſiehet169

IV.

  • Von der Jmmaterialitaͤt unſers Jchs175
1) UeberIXdes zweeten Bandes.
  • 1) Ueber den Begriff von der Jmmaterialitaͤt der Seele, und von einer ſubſtanziellen EinheitS. 176
  • 2) Ob in der ſubſtanziellen Einheit eine Vielfachheit von Beſchaffenheiten ſeyn, und in wiefern ihr eine ideelle Ausdehnung zukommen koͤnne184
  • 3) Wie weit zunaͤchſt aus der beobachteten Einheit des Jchs die ſubſtanzielle Einheit der Seele ge - folgert werden koͤnne191
  • 4) Jn wie weit die Seelenaktus nur kollektive ſolche Aktus ſeyn koͤnnen? Die kollektiven Kraͤfte und Wirkungen ſetzen eine ſubſtanzielle Einheit voraus, in der die Kollektion geſchieht, und in Hinſicht auf welche ſie nur ſolche Kraͤfte und Wirkungen ſind, als ſie ſind194
  • 5) Es iſt ein Unterſchied zwiſchen bloß kollektiven Kraͤften und Wirkungen, und zwiſchen abſoluten Kraͤften und Wirkungen eines Dinges, die von ſeiner Verbindung mit andern abhangen199
  • 6) Die naͤchſte Folge aus dem Vorhergehenden iſt: daß wenn unſer Jch aus mehreren ſubſtanziellen Ein - heiten beſtehet, deren Kraͤfte und Aeußerungen, einzeln genommen, von den Seelenaͤußerungen verſchieden ſind, ſo muͤſſen jene Kraftaͤußerungen in jedwedem einfachen Theile des Ganzen zuſam - menlaufen, oder doch in Einem von dieſen Thei - len204
  • 7) Ob dieß nicht ſo viel heiße, als: jedweder Theil dieſes Ganzen muͤſſe ein fuͤhlendes, denkendes |und wollendes Jch ſeyn; oder, nur Einer dieſer Theile muͤſſe es ſeyn206
  • 8) Beſchluß dieſer Betrachtung. Das bisher bewie - ſene fuͤhret nicht weiter als auf eine Vorſtellung, die zwiſchen die gewoͤhnliche Vorſtellung der Jm - materialiſten und der Materialiſten faͤllt210
a 5V. VonXJnhalt

V.

  • Von dem Sitz der VorſtellungenS. 213
  • 1) Fernere Fragen uͤber die Natur des Seelenwe - ſens213
  • 2) Jnſonderheit uͤber den Sitz der Vorſtellungen. Verſchiedene Hypotheſen daruͤber217

VI.

  • Beurtheilung der erſten Hypotheſe von dem Sitz des Gedaͤchtniſſes in der Seele223
  • 1) Die Erklaͤrungsart bey dieſer Hypotheſe. Jhr zu - folge giebt es keinen unmittelbaren Uebergang im Gehirn von einer materiellen Jdee zur andern, die mit ihr verknuͤpft iſt224
  • 2) Auf welche Art viele Schwierigkeiten, die man die - ſer Erklaͤrungsart entgegenſetzet, gehoben werden koͤnnen? Wie gewiſſe harmoniſche Bewegungen im Gehirn gegenwaͤrtig ſeyn koͤnnen, ohne daß weder die Seele noch die ſonſten gewoͤhnliche Jmpreſſion von außen ſie hervorbringe? Jmgleichen wie Jdeen wider den Willen der Seele in ihr und von ihr reproducirt werden koͤnnen227
  • 3) Schwierigkeiten, die aus der beobachteten Abhaͤn - gigkeit des Gedaͤchtniſſes von dem Koͤrper, und von koͤrperlichen Urſachen entſtehen. Wie dieſe ge - hoben werden koͤnnen230
  • 4) Merkwuͤrdiger Unterſchied zwiſchen willkuͤrlichen Vorſtellungen, deren Gegenwart von einem ſelbſt - thaͤtigen Beſtreben der Seele abhaͤnget, und zwi - ſchen unwillkuͤrlichen, die ſich uns von ſelbſt dar - zuſtellen ſcheinen233
  • 5) Einwurf, der aus dieſer Verſchiedenheit entſprin - get gegen die Meynung, daß die Wiedervorſtel - lungskraft allein der Seele zukomme. Wie ſich darauf antworten laſſe236VII. VonXIdes zweeten Bandes. Von der zwoten bonnetiſchen Hypotheſe, von dem Sitz der Vorſtellungen in dem Gehirn, und von dem Vermoͤgen des Gehirns ſie zu reproduci - renS. 238
  • 1) Auszug der bonnetiſchen Analyſis239
  • 2) Pruͤfung dieſer Hypotheſe. Sie hebt die Freyheit der Seele nicht auf247
  • 3) Pruͤfung des erſten Grundſatzes. Ob es eine all - gemeine Eigenſchaft organiſirter Koͤrper ſey, daß Eindruͤcke auf ſie gewiſſe Diſpoſitionen hin - terlaſſen, empfangene Bewegungen nachher leich - ter anzunehmen 251
  • 4) Pruͤfung des zweeten Grundſatzes. Ob jede ver - ſchiedene materielle Jdee ihre eigene Fiber erfo - dere? 255
  • 5) Pruͤfung dieſes Syſtems, als eine Hypotheſe be - trachtet, aus der die pſychologiſchen Erſcheinungen erklaͤret werden ſollen. Es hat auf einer Seite ei - nen Vorzug vor dem vorhergehenden, da es die Abhaͤngigkeit der Jdeen von dem Koͤrper leichter erklaͤret262
  • 6) Ob irgend eine Vorſtellung ſich jemals gaͤnzlich verliere266
  • 7) Von dem Kindiſchwerden der alten Leute. Wie ſolches nebſt andern aͤhnlichen Wirkungen ſowohl nach der erſten Hypotheſe, als nach der bonneti - ſchen zu erklaͤren ſey268
  • 8) Jn der bonnetiſchen Hypotheſe iſt eine Luͤcke, da die Jmpreſſionen in dem Gehirne ihre bleibenden Spuren haben ſollen, aber die Jmpreſſionen in der Seele nicht ſo. Eine aͤhnliche Luͤcke findet ſich auch in der erſten Hypotheſe auf der andern Seite274
  • 9) Beobachtungen, die ſchwerer aus der bonnetiſchen Hypotheſe erklaͤret werden278
VIII. All -XIIJnhalt

VIII.

  • Allgemeine Ueberſicht der verſchiedenen Hypotheſen uͤber den Sitz der Vorſtellungen und der Phan - taſieS. 283
  • 1) Vorerinnerung283
  • 2) Von der Ordnung und Folge der Seelen. und Gehirnsveraͤnderungen wenn Vorſtellungen von mehrern Objekten in der Empfindung aſſociirt werden285
  • 3) Was bey der Reproduktion der Vorſtellungen in dieſer Empfindungsordnung geaͤndert werden kann und geaͤndert wird288
  • 4) Vortrag einer Hypotheſe, zu welcher die Beobach - tungen ſich am beſten zu vereinigen ſcheinen293

IX.

  • Verſuch, aus der Analogie der Seelennatur des Men - ſchen mit ſeiner thieriſchen Natur die Einrichtung der erſtern aufzuklaͤren299

Erſte Abtheilung.

  • 1) Worinn die Analogie der Seelennatur und der thieriſchen Natur in dem Menſchen beſtehe? We - ſentliche Beſtandtheile der thieriſchen Natur301
  • 2) Wie die Seelenkraft mit der Koͤrperkraft in der thieriſchen Natur in Vereinigung bey den thieriſchen Bewegungen wirke? Die thieriſchen Bewegungen haben eine Verbindung mit einander in dem Koͤrper, und auch eine vermittelſt der Seele306
  • 3) Fragen uͤber die beſtimmte Art dieſer Zuſammen - wirkung. Wie weit die Seelenkraft die Koͤrper - kraͤfte, und dieſe jene, erſetzen koͤnnen312
  • 4) Von den blos organiſchen Bewegungsreihen. Einige ſind natuͤrlich nothwendig, andere ſind zufaͤllig entſtanden3155) EsXIIIdes zweeten Bandes.
  • 5) Es aſſociiren ſich organiſche Bewegungen in dem Koͤrper, wie Vorſtellungen in der SeeleS. 317
  • 6) Charakter der blos organiſchen Bewegungsreihen321
  • 7) Wie weit die Seele bey dieſen mitwirke, und ihre Verbindung von der Seelenkraft abhange328
  • 8) Fortſetzung des Vorhergehenden332
  • 9) Von den willkuͤrlich aſſociirten Bewegungen339
  • 10) Wie weit es organiſche Aſſociationen in dem Koͤrper gebe, die zu den willkuͤrlichen Reihen ge - hoͤren? und ob dieſe organiſchen Reihen, ohne Beywirkung der Seele, durch die Koͤrperkraͤfte hervorgebracht werden koͤnnen341
  • 11) Wie weit die Aktion der Seele und der Koͤrper - kraͤfte ſich hiebey einander modificiren, und wiefern die Bewegungsreihen durch die letztern allein, oder durch die Seele allein, erfolgen koͤnnen344
  • 12) Von den uͤbrigen Bewegungsreihen, die zum Theil willkuͤrlich, zum Theil blos organiſch ſind347
  • 13) Ob es der Analogie der Natur gemaͤß ſey, die Jnſekten und andere unvollkommene Thiere fuͤr ſee - lenloſe Weſen zu halten? Von dem Uebergange von beſeelten zu unbeſeelten Weſen349 Zwote Abtheilung.
  • 1) Analogiſcher Schluß von der thieriſchen Natur des Menſchen auf ſeine Seelennatur357
  • 2) Eine Folgerung daraus366

Vierzehnter Verſuch.

  • Ueber die Perfektibilitaͤt und Entwickelung des Menſchen368
  • Vorerinnerung uͤber die Abſicht dieſes Verſuchs368
ErſterXIVJnhalt

Erſter Abſchnitt.

  • Von der Perfektibilitaͤt der Seelennatur und ihrer Entwickelung uͤberhauptS. 373

I.

  • Ob der Anwachs des Seelenvermoͤgens allein in einer Vermehrung der Jdeen und Jdeenreihen beſtehe? Searchs Gedanken hieruͤber373

II.

  • Naͤhere Unterſuchung uͤber den Anwachs bey den thaͤti - gen Vermoͤgen378
  • 1) Beobachtungen, welche zu beſtaͤtigen ſcheinen, daß die Erhoͤhung der Vermoͤgen zu Fertigkeiten allein in den erworbenen Jdeenreihen beſtehe379
  • 2) Andere Beobachtungen, welche mit dieſer Hypotheſe nicht ſo gut zu vereinigen ſind385
  • 3) Wenn ein Vermoͤgen in Fertigkeit uͤbergeht, ſo empfangen a) die Jdeen von den Objekten eine Leichtigkeit wiedererwecket zu werden; b) die Vorſtellungen von den Aktionen ſelbſt, die theils eine Reproduktion der die einzelnen Aktionen be - gleitenden Empfindungen, theils eine Wiederho - lung der ehemaligen Kraftaͤußerungen ſelbſt, in ſich faſſen, werden leichter erweckbar390
  • 4) Genauere Vergleichung der Beobachtungen uͤber den Zuwachs der Vermoͤgen durch die Uebung. Was in dieſem Zuwachs enthalten ſey392
  • 5) Zwo Folgen aus dem Vorhergehenden. Von dem vorzuͤglichen Nutzen, den das Leſen der Original - ſchriftſteller hat. Von dem Nutzen der Metaphy - ſik, als einer Uebung der Verſtandeskraͤfte400
  • 6) Wie weit die Erhoͤhung eines Seelenvermoͤgens ſich uͤber andere Vermoͤgen ausbreite403
  • 7) Von der Schwaͤchung der Vermoͤgen durch allzu ſtarke Anſtrengung405
III. VonXVdes zweeten Bandes.

III.

  • Von der Erhoͤhung der leidenden Vermoͤgen der Seele, der Receptivitaͤt, des Gefuͤhls und der Empfind - ſamkeitS. 412
  • 1) Von der Erhoͤhung der aͤußern Sinne. Was hierinn lieget, iſt auch in der Vervollkommnung der uͤbrigen leidenden Vermoͤgen enthalten413
  • 2) Die erlangten Jdeen von den Objekten machen Zuͤge und Eindruͤcke bemerkbar, die es fuͤr ſich we - niger oder gar nicht geweſen ſeyn wuͤrden415
  • 3) Es entſtehet eine Leichtigkeit dergleichen Eindruͤ - cke anzunehmen, und auf ſie zu reagiren, welche von der Leichtigkeit die Jdeen von den Objekten zu erneuern unterſchieden iſt416
  • 4) Die Verfeinerung Einer Seite unſerer leidenden Vermoͤgen verbreitet ſich uͤber andere420

IV.

  • Worinn die Entwickelung der menſchlichen Natur be - ſtehe421
  • 1) Allgemeiner Abriß von dem Gange, den die Entwi - ckelung der Seelenvermoͤgen nimmt421
  • 2) Unterſchied zwiſchen den abſoluten und relativen Vermoͤgen, und zwiſchen der Ausbildung an jenen und an dieſen431
  • 3) Ob und wiefern die Entwickelung der Seele als eine Evolution oder als eine Epigeneſis zu betrach - ten ſey434
  • 4) Fortſetzung des Vorhergehenden. Die Seelenent - wickelung nach dem bonnetiſchen Syſtem436
  • 5) Es iſt ſchwer hieruͤber zu entſcheiden, und nicht anders als durch die Analogie aus der Entwicke - lung des menſchlichen Koͤrpers439
  • 6) Wie weit zu den beſondern Faͤhigkeiten angeborne Anlagen einzuraͤumen ſind oder nicht442
ZweeterXVIJnhalt

Zweeter Abſchnitt.

  • Von der Entwickelung des menſchlichen KoͤrpersS. 448

I. Vorerinnerung.

  • Wiefern die Bildung organiſirter Koͤrper unausforſchlich iſt. Abſicht der folgenden Betrachtung448

II.

  • Von dem Princip der Bildung in organiſirten Koͤrpern, und von Keimen452
  • 1) Allgemeiner Grundſatz452
  • 2) Verſchiedene Perioden in der Entwickelung orga - niſirter Weſen453
  • 3) Die vornehmſte bildende Urſache bey den organi - ſirten Weſen liegt in dem Keim. Begriff vom Keim nach dem Hrn. Bonnet454
  • 4) Begriff von dem Keim nach Hrn. Wolff459
  • 5) Erinnerung uͤber die weſentlichen Bildungsgruͤn - de nach den Begriffen des Hrn. Wolff460
  • 6) Vom Modell, von Patronen in dem buͤffoniſchen Syſtem. Von unvollſtaͤndigen Keimen464
  • 7) Von der organiſchen Konkretion466
  • 8) Von der generatione aequivoca. Wie weit ſie unvernuͤnftig iſt469
  • 9) Von den unorganiſchen Konkretionen und von der Bildung uͤberhaupt473

III.

  • Von den verſchiedenen Arten, wie Formen in organi - ſirten Koͤrpern entſtehen koͤnnen476
  • 1) Was hier Form heiße? Wenn neue Formen ent - ſtehen? und wenn die ſchon vorhandenen nur ver - aͤndert werden? Wie die Vergroͤßerung eines organiſirten Koͤrpers ohne Vermehrung der Formen moͤglich ſey4772) DasXVIIdes zweeten Bandes.
  • 2) Das Eigene in der bonnetiſchen Evolution haͤngt von dem Grundſatz ab, daß keine neue Formen entſtehen, und faͤllt mit dieſem Grundſatze weg. S. 484
  • 3) Fortſetzung des Vorhergehenden487
  • 4) Unter welchen Bedingungen mit der Vermehrung der Maſſe neue Formen entſtehen muͤſſen? 490
  • 5) Wenn neue Formen entſtehen koͤnnen, ſo giebt es mehrere Arten, wie ſie entſtehen koͤnnen. Von der Epigeneſis, von der Appofition der Theile und von der nicht durchgaͤngigen Evolution. Unter - ſchied zwiſchen den Perioden der Bildung, des Aus - wachſens und der Fortdauer494

IV.

  • Einige Anmerkungen uͤber die verſchiedenen Entſte - hungsarten organiſirter Koͤrper, beſonders uͤber das Evolutionsſyſtem500
  • 1) Es ſind zween verſchiedene Saͤtze. Der erſte: Es entſtehen keine neue Formen, die nicht ſchon in dem Keim enthalten ſind. Der zweete: Der Reim beſtimmt allein die Bildung, und beſtimmt ſie voͤllig501
  • 2) Die bonnetiſche Hypotheſe hat eine dunkle Stelle. Es iſt ſchwer ein beſtimmtes Unterſcheidungsmerk - mal zwiſchen einer organiſchen Form anzugeben, und zwiſchen den unorganiſchen Verbindungsarten, die nothwendig entſtehen muͤſſen, wenn mehr Ma - terie hinzukommt502
  • 3) Dieſe Hypotheſe kann nie durch die Beobachtungen voͤllig bewieſen werden504
  • 4) Erfahrungen, welche zeigen, daß neue Formen durch die Verbindung anderer Formen entſtehen505II Theil. b5) DieXVIIIJnhalt
  • 5) Die Entſtehung neuer organiſchen Formen ſetzet eine Entwickelung ſchon vorhandener Formen voraus, und geſchieht durch die Vereinigung der - ſelben. Dieſe Epigeneſis durch Evolution ſcheint die allgemeine Entſtehungsart organiſirter Weſen zu ſeyn. Sie muß auch bey den organiſchen Kon - kretionen ſtattfindenS. 508

V.

  • Naͤhere Betrachtung der letzterwaͤhnten Hypotheſe von der Epigeneſis durch Evolution513
  • 1) Sie vertraͤgt ſich mit allen Beobachtungen513
  • 2) Sie laͤßt eine Erzeugung neuer Theile zu, ohne daß eigene Keime zu ſolchen Theilen vorhanden ſind. Von den Wiederergaͤnzungen515
  • 3) Sie laͤßt zu, daß Keime erzeuget werden516
  • 4) Wie die neuen Formen ſich auf den Keim bezie - hen, aus deſſen Entwickelung ſie hervorgehen. Jn Hinſicht einiger Formen beſitzet der Keim nichts mehr als bloße Empfaͤnglichkeit520
  • 5) Was Anlage, Hang, Tendenz und Trieb zu et - was ſey? Was weſentliche und unabaͤnderliche Naturtriebe und Formen ſind522
  • 6) Wie die weſentlichen Formen in dem Keim be - ſtimmt ſind, nach der Hypotheſe der Evolution und nach der Epigeneſis526
  • 7) Wie bloße Vermoͤgen in naͤhere Anlagen, und dieſe in Tendenzen uͤbergehen533
  • 8) Allgemeine Naturgeſchichte organiſirter Weſen534

Dritter Abſchnitt.

  • Von der Analogie der Entwickelung der Seele mit der Entwickelung des Koͤrpers539
I. DasXIXdes zweeten Bandes.

I.

  • Das koͤrperliche Werkzeug der Seele entwickelt ſich auf dieſelbige Art, wie der organiſirte Koͤrper, und die Seele entwickelt ſich auf eine analoge ArtS. 539

II.

  • Von dem Seelenweſen im Keim. Die immaterielle Seele kann nicht entſtehen wie der Koͤrper; aber der Keim des menſchlichen Seelenweſens kann entſtehen540

III.

  • Jdee von der angebornen Seelennatur. Vermoͤgen, Anlagen, Jnſtinkte in derſelben542

IV.

  • Jhre Ausbildung beſtehet in einer Epigeneſis durch Evolution. Die Art, wie der Koͤrper ſich entwi - ckelt, wird aus der Entwickelung der Seele er - laͤutert548

V.

  • Von dem Unterſchied unter Grundvermoͤgen und abgeleiteten Vermoͤgen548

Vierter Abſchnitt.

  • Von der Verſchiedenheit der Menſchen in Hinſicht ih - rer Entwickelung555

I.

  • Von der angebornen Verſchiedenheit der Menſchen555
  • 1) Einige Verſchiedenheit in der Natur giebt es, auch in Hinſicht der Seelenkraͤfte, gegen Helve - tius555
  • 2) Wie weit die Verſchiedenheit in den Menſchen - gattungen ein Unterſchied an der Art, oder nur eine Varietaͤt ſey? Von der Verſchiedenheit an Abſtammung. Princip der Specifikarion561b 23) VonXXJnhalt
  • 3) Von den Urſachen, welche die Natur modificiren. Wie gewiſſe Eigenſchaften des Koͤrpers und der Seele ſich fortpflanzenS. 569
  • 4) Fortſetzung des Vorhergehenden. Von dem Ein - fluß, den die Einbildungskraft in die Fortpflan - zung der Nationalcharaktere hat576

II.

  • Von den Urſachen, welche die menſchliche Natur aus - bilden, und deren Verhaͤltniß gegeneinander582
  • 1) Die Bildungsgruͤnde bey dem Menſchen ſind die Naturanlage, die phyſiſchen Umſtaͤnde, das Beyſpiel und die eigentliche Erziehung582
  • 2) Wie groß der Einfluß der Natur ſey in Verglei - chung mit den hinzukommenden aͤußern Urſachen589
  • 3) Von der Macht der vollkommenſten Erziehung595
  • 4) Wichtigkeit der aͤußern Umſtaͤnde. Vom Geiſt des Standes596
  • 5) Wie weit die Entwickelung der Seelenkraͤfte der eigentlichen Erziehung zuzuſchreiben ſey601

III.

  • Von den verſchiedenen Formen der Menſchheit
  • 1) Stand der Wildheit, der Barbarey und der Ver - feinerung610
  • 2) Wie weit dieſe als Stufen der Menſchheit zu be - trachten ſind615
  • 3) Wie ſich dieſe Zuſtaͤnde auf einander beziehen616

IV.

  • Von der einſeitigen Vervollkommnung des Menſchen622
  • 1) Zu weit getriebene Vervollkommnung an einer Seite kann der Vollkommenheit der ganzen Na - tur ſchaͤdlich werden6222) WieXXIdes zweeten Bandes.
  • 2) Wie das Maß der Vervollkommnung an einer Seite zu beſtimmen ſey, wo ſie in Hinſicht der Voll - kommenheit des Ganzen ein Groͤßtes iſtS. 628

V.

  • Wie die innere Groͤße der Menſchheit in ihren ver - ſchiedenen Formen zu ſchaͤtzen ſey632
  • 1) Von der abſoluten phyſiſchen Vollkommenheit des Menſchen. Jnnere Groͤße und Werth der Menſchheit in dem Menſchen632
  • 2) Wie ferne die koͤrperlichen Vollkommenheiten Be - ſtandtheile der geſammten menſchlichen Vollkom - menheit ſind636
  • 3) Die Vollkommenheit der menſchlichen Natur haͤngt von der Vollkommenheit der Seele ab642
  • 4) Der Werth der koͤrperlichen Kunſtfertigkeiten haͤngt von der Groͤße der Seelenthaͤtigkeit ab, die in ihnen wirket646
  • 5) Die Groͤße in den Seelenkraͤften haͤngt von der Groͤße der innern Selbſtthaͤtigkeit ab649
  • 6) Der innere Werth des Genies und des Charak - ters haͤngt gleichfalls von der Selbſtthaͤtigkeit der Seele ab. Von dem innern Werth der Tugend652
  • 7) Eine Folge hieraus, wenn Genies von verſchie - dener Gattung mit einander verglichen werden658
  • 8) Von dem Werth der Wahrheit im Verſtande662
  • 9) Fortſetzung des Vorhergehenden670

VI.

  • Von der Gleichheit der Menſchen in Hinſicht ihrer innern Vollkommenheit676
  • 1) Es giebt eine gewiſſe Gleichheit unter den entwi - ckelten Menſchen676b 32) NaͤhereXXIIJnhalt
  • 2) Naͤhere Beſtimmung, wie weit dieſe allgemeine Gleichheit geheS. 678
  • 3) Wie weit ſie ſich auf Bloͤdſinnige erſtrecke683
  • 4) Grenzen der allgemeinen Gleichheit aller Menſchen, und die Folgen derſelben684

VII.

  • Von dem Werth des aͤußern Zuſtandes in Hinſicht auf die Vervollkommnung des Menſchen692
  • 1) Die aͤußern Umſtaͤnde haben einen relativen Werth, inſoferne ſie Mittel ſind, die Vervollkomm - nung der Menſchheit zu befoͤrdern692
  • 2) Wie ferne die aͤußern Umſtaͤnde in Hinſicht auf die Vervollkommnung gleichguͤltig ſind694
  • 3) Fortſetzung. Allgemeine Anmerkungen uͤber die Vorzuͤglichkeit gewiſſer Verfaſſungen697
  • 4) Die Vervollkommnung der Menſchen geht weiter in polizirten Staaten als in der Barbarey und Wildheit705 Fuͤnfter Abſchnitt. Von den Grenzen der Entwickelung und von der Wie - derabnahme der Kraͤfte709

I.

  • Von dem Aeußerſten in der Entwickelung der Seelen - vermoͤgen709
  • 1) Vorerinnerung709
  • 2) Die Sinne, die Vorſtellungskraft und der Ver - ſtand kommen in Hinſicht ihrer innern abſoluten Groͤße zu einer aͤußerſten Stufe, wo die weitere Entwickelung aufhoͤrt. Erfahrungen hieruͤber711
  • 3) Die Art wie die Seelenvermoͤgen ihr Groͤßtes er - langen7144) ObXXIIIdes zweeten Bandes.
  • 4) Ob die Grenze der Entwickelung in den Seelen - vermoͤgen weiter hinausgeruͤckt werden koͤnneS. 719
  • 5) Von der Grenze der Perfektibilitaͤt in dem Men - ſchen, und von der Grenze derſelben in der Seele721
  • 6) Erinnerung uͤber das Maximum in den relativen Fertigkeiten724

II.

  • Von der Wiederabnahme der Seelenvermoͤgen uͤber - haupt726
  • 1) Vorerinnerung726
  • 2) Jn welchem Verſtande die Wiederabnahme der Seelenvermoͤgen keine Wiedereinwickelung ſeyn kann727

III.

  • Von der Abnahme der Kraͤfte, welche aus ihrem Nicht - gebrauch entſpringet729
  • 1) Ob der Verluſt ehemals gehabter Kenntniſſe als eine Einwickelung angeſehen werden koͤnne729
  • 2) Verluſt der Vermoͤgen aus dem Nichtgebrauch731
  • 3) Was die Zuruͤckſetzung der Seele in den Zuſtand der Kindheit in ſich faſſe735

IV.

  • Von der Ermuͤdung der Seelenkraͤfte, und ihren Schwaͤchung aus andern zufaͤlligen Urſachen736
  • 1) Von der Ermuͤdung der Kraͤfte736
  • 2) Von ihrer Schwaͤchung aus andern Urſachen740

V.

  • Von der natuͤrlichen Abnahme der Seelenvermoͤgen im Alter744
b 41) DieXXIVJnhalt
  • 1) Die Abnahme der Seele im Alter kann nicht nach dem Grade ihrer aͤußern Wirkſamkeit mittelſt des Koͤrpers beurtheilet werdenS. 744
  • 2) Von der Abnahme der koͤrperlichen Fertigkeiten und der aͤußern Sinne744
  • 3) Die Abnahme der Seele im Alter kommt nicht von dem Verluſte ihrer Vorſtellungen, ſondern von der erſchwerten Reproducibilitaͤt derſelben748
  • 4) Warum die Alten ſich der Zeiten ihrer Jugend beſſer erinnern, als der neuern Begebenheiten? Vergeſſene Vorſtellungen ſind ſolche, die unter an - dern Vorſtellungen verhuͤllet ſind750
  • 5) Die in dem Alter vorhandenen ruhenden Vorſtel - lungen ſind etwas Reelles. Ehrwuͤrdigkeit des Alters. Kindheit des Alters752
  • 6) Die Abnahme an Lebhaftigkeit des Geiſtes von der zunehmenden Unerweckbarkeit der Vorſtellun - gen754
  • 7) Ob man aus der Abnahme an Thaͤtigkeit auf die Abnahme an Kraͤften und Vermoͤgen ſchließen koͤnne755
  • 8) Wie weit die Abnahme des Seelenweſens eine Ab - nahme der unkoͤrperlichen Seele ſey? Was die Analogie hievon lehre, und wie ferne die Erfah - rungen damit uͤbereinſtimmen759 Sechster Abſchnitt. Von der fortſchreitenden Entwickelung des menſchli - chen Geſchlechts767
  • 1) Vorerinnerung. Es iſt ſchwer auszumachen, ob es eine fortſchreitende Vervollkommnung des ganzen Geſchlechts gebe7672) ObXXVdes zweeten Bandes.
  • 2) Ob eine Verbeſſerung der Naturanlagen zu er - warten ſeyS. 771
  • 3) Die Vervollkommnung im Geſchlecht kann nur wachſen durch die Verbeſſerung der aͤußern Mit - tel, welche die Entwickelung befoͤrdern775
  • 4) Einige Anmerkungen uͤber dieſe Vervollkomm - nungsmittel776
  • 5) Welche Arten von Kenntniſſen am meiſten die hoͤ - hern Seelenvermoͤgen in Thaͤtigkeit ſetzen777
  • 6) Welche Vortheile ſich von den jetzo vorhandenen Vervollkommnungsmitteln fuͤr das allgemeine Be - ſte der Menſchheit erwarten laſſen780
  • 7) Urſachen, die dieſe Erwartungen ſchwaͤchen784 Siebenter Abſchnitt. Von der Beziehung der Vervollkommnung des Men - ſchen auf ſeine Gluͤckſeligkeit791
  • 1) Die Vervollkommnung des Menſchen und ſeine Gluͤckſeligkeit ſind in Verbindung, aber doch un - terſchieden791
  • 2) Die Gluͤckſeligkeit kann nicht allein nach der Zu - friedenheit geſchaͤtzet werden792
  • 3) Ob die Entwickelung der Menſchheit zu weit ge - hen koͤnne fuͤr ihre Gluͤckſeligkeit794
  • 4) Gedanken einiger Nenern uͤber die Grenze der Ver - vollkommnung, wenn dieſe der Gluͤckſeligkeit nicht ſchaͤdlich werden ſoll796
  • 5) Die Gluͤckſeligkeit der Menſchen beſtehet nicht ganz im unthaͤtigen Genuß ſinnlicher Vergnuͤgungen797
  • 6) Von dem Vergnuͤgen aus der thaͤtigen Anwendung der Kraͤfte. Es iſt am groͤßten, wenn die Kraͤfte in der Maße angewendet werden, wie ſie zugleich am meiſten vervollkommnet werden800b 57) VonXXVIJnhalt
  • 7) Von dem Grundgeſetz der angenehmen GefuͤhleS. 804
  • 8) Die Vervollkommnung des Menſchen macht ihn der Gluͤckſeligkeit empfaͤnglicher, und gewaͤhrt ſolche ſelbſt814
  • 9) Die geſammte menſchliche Gluͤckſeligkeit kann nicht nach dem Grad innerer Vollkommenheit geſchaͤtzet werden. Sie iſt zum Theil abhaͤngig von aͤußern Urſachen816
  • 10) Allgemeines Wohl der Menſchheit820
  • 11) Wiefern der Naturtrieb des Menſchen als ein Trieb zur Entwickelung, zur Vollkommenheit und zur Gluͤckſeligkeit anzuſehen iſt820
  • 12) Von dem Gefuͤhl der Vollkommenheiten, ohne Ruͤckſicht auf ihren Gebrauch826
Zwoͤlfter[1]

Zwoͤlfter Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit und Freyheit.

I. Einleitung. Schwierigkeiten bey dieſer Unter - ſuchung.

Die Freyheit der Seele oder ihre Selbſtmacht uͤber ſich iſt dem Pſychologen und Moraliſten, jenem, in ſo fern er ihre Natur erforſchen, die - ſem, in ſo ferne er ſie erhoͤhen und verſtaͤrken will, ein eben ſo intereſſanter, und auch eben ſo ſchwer zu bear - beitender Gegenſtand, als die buͤrgerliche Freyheit fuͤr den Politiker. Jene iſt auch in der That, in Hin - ſicht des innern Menſchen und ſeiner Seelenvermoͤgen daſſelbige, was die letztere bey dem Buͤrger in ſeinem rechtlichen Vermoͤgen iſt; und jene macht die Groͤße des Menſchen, wie dieſe die Groͤße des Buͤrgers, aus. Welchen ſelbſtdenkenden Philoſophen hat nicht wohl die Unterſuchung uͤber die Natur unſerer Freyheit Anſtren - gung des Verſtandes gekoſtet? Sie wird auch vermuth - lich den kuͤnftigen dergleichen noch koſten, da ſie wegen ihrer Wichtigkeit nicht uͤberſehen, und ihrer Dunkelheit und Verwirrung wegen nicht leicht hell und beſtimmt genug gefaßt werden kann.

Es iſt indeſſen von verſchiedenen ſchon erinnert wor - den, daß der Punkt in dieſer Lehre, der am meiſten zwi -II. Theil. Aſchen2XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitſchen den Determiniſten und Jndeterminiſten ſtreitig iſt, und der nur darum, weil er einer der verwickelteſten iſt, am meiſten die Aufmerkſamkeit auf ſich zu ziehen pflegt, wohl nicht ſo erheblich und fruchtbar in ſeinen Folgerun - gen ſeyn moͤge, als die ſtreitenden Partheyen dafuͤr hal - ten. Jch bin dieſer Meinung zum Theil auch, wenn nur das Streitige, ob naͤmlich die menſchlichen Hand - lungen, die frey ſind, durch zureichende Gruͤnde voͤllig beſtimmt werden, oder nicht? allein auf dieſe einzige Stelle eingeſchraͤnket, und das Uebrige, was in der geſammten menſchlichen Freyheit enthalten iſt, als unabhaͤngig von jener Streitfrage, der Seele von kei - ner Seite her entzogen werde. Man nehme heraus, was die Beobachtungen unmittelbar von der Freyheit lehren, und was ich mich angewoͤhnt habe, unter dem Ausdrucke von Selbſtmacht der Seele uͤber ſich zu - ſammen zu faſſen, und unterſuche deſſen Folgen in der Moral, ſo mag das uͤbrige zu den feinern metaphyſi - ſchen Spekulationen gerechnet werden, welches ohne Verluſt an wichtigen praktiſchen Einſichten als unaus - gemacht dahin geſtellt bleiben kann. Jch werde wenig - ſtens in dem gegenwaͤrtigen Verſuche eine ſolche Abſonde - rung vornehmen. Um ſo mehr, da ich mich uͤberzeugt halte, daß die ſimple Erfahrungskenntniß von der Freyheit nur allein dadurch in ſo viele Verwirrungen ge - rathen iſt, weil man ſie mit allgemeinen Spekulationen zu fruͤhzeitig vermiſchet hat. Es iſt mir niemals ſchwer geworden, die Erfahrungen ſelbſt unter ſich zu vereini - gen. Aber ſobald man mit den allgemeinen Begriffen von Nothwendigkeit und Zufaͤlligkeit dazwiſchen kommt, und metaphyſiſche Theorien auf die Empfindun - gen anwenden will, ſo ſcheinen ſich ſo viele Knoten zu - ſammen zu ziehen, daß man die Aufloͤſung aufgeben, oder mit dem Schwerd ſich heraushelfen, und entweder die eine oder die andere von den Beobachtungen ablaͤu -gnen,3und Freyheit. gnen, wie die Meiſten thun, die hierinn entſchieden ha - ben, oder ſie, wie andere es gemacht, fuͤr einen be - truͤglichen Schein erklaͤren muß. Denn ſo iſt es gegan - gen von der Zeit an, da man angefangen hat, uͤber die Freyheit zu metaphyſiciren, bis auf unſere Zeiten. Die vornehmſten Gruͤnde und Gegengruͤnde des determiniſti - ſchen und indeterminiſtiſchen Syſtems lieſet man ſchon in dem itzo unvollſtaͤndigen Buche des Cicero de fato. Sollten wir etwan hier ein Beyſpiel haben, wo der ge - ſunde Menſchenverſtand, der den Empfindungen folgt, und das Nachdenken der hoͤhern Vernunft unvereinbar ſind? Ganz dreiſt antworte ich, nein. Aber ob wir hier nicht ein merkwuͤrdiges Beyſpiel von der Mangel - haftigkeit unſerer Gemeinbegriffe antreffen? ob nicht et - wan in den Begriffen von der Nothwendigkeit und Zu - faͤlligkeit ſich etwas phantaſtiſches eingeſchlichen habe? ein ſinnlicher Zuſatz der Phantaſie, der mit den reinen aus Empfindungen abgezogenen Verſtandesbegriffen vermiſchet worden iſt? oder auch, ob nicht etwan ein Paar an ſich ganz unterſchiedene, aber einander nahe liegende und einfache Elementarbegriffe des Verſtandes, deren Verſchiedenheit man in den allgemeinen Theorien nicht ſonderlich geachtet hat, mit einander verwechſelt werden, und nachher bey der naͤhern Beſtimmung und Anwendung dieſer Grundſaͤtze die Begriffe ſchwankend machen, wie Bilfinger*)Jn ſeinem Buche de origine mali. geglaubet hat? Dieß ſind andere Fragen.

Nach meiner Ueberzeugung, in der ich mich nun ſchon bey den oͤfters wiederholten Unterſuchungen ſeit laͤnger als zehn Jahren beſtaͤrkt habe, liegt es eben an der Unvollkommenheit der tranſcendenten Theorien. Hier iſt die Verwirrung, die fuͤr mich verſchwunden iſt,A 2ſeitdem4XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitſeitdem ich die Begriffe vom Nothwendigen und Zufaͤl - ligen zu realiſiren geſucht habe. Jch will nicht, daß dieß vielleicht manchen zu voreilig ſcheinende Geſtaͤndniß etwas mehr bedeuten ſolle, als das Geſtaͤndniß eines jedweden andern, der ſich entſcheidend in dieſer Lehre er - klaͤret hat. Nur wuͤnſchte ich die Aufmerkſamkeit der Nachdenkenden dadurch zu reizen. Zum wenigſten darf ich nach meinen Begriffen keiner Beobachtung Gewalt anthun, und von allem dem, was der ſtrengſte Jnde - terminiſt in der Seele von ihrem reellen Vermoͤgen, an - ders zu handeln, als man handelt, antrifft, darf ich nichts ablaͤugnen, oder unter dem Vorwande, die Er - fahrung ſey truͤglich, wegphiloſophiren. Unter allen Umſtaͤnden, unter denen das geſchieht, was von einem freyen Wollen abhaͤngt, kann es unterbleiben, oder an - ders geſchehen. Jch bin auch des Determiniſten Freund. Wenn dieſer durch die Uebereinſtimmung aller Beob - achtungen es beweiſet, daß auch die freyeſte Handlung einen voͤllig zureichenden Grund in den individuellen Um - ſtaͤnden habe, welche unmittelbar vor der freyen Beſtim - mung der Kraͤfte vorhergehet, ſo geſtehe ich gerne, daß er Recht habe, und finde auch hierinnen nichts, was nicht mit dem vorgedachten recht wohl zu vereinigen waͤre. Beide Syſteme enthalten Wahrheit in ſich, in ſo ferne ſie nur dasjenige bejahen, was wirklich beobach - tet iſt; aber wo beide ſich einander ihr Beobachtetes ſtreitig machen, wenn es mit dem ihrigen ſich nicht zu reimen ſcheint, ſo liegt die wahre Urſache davon in der Unbeſtimmtheit allgemeiner Begriffe, die ſie allenthal - ben einmiſchen. Am Ende mag mich denn wohl der Determiniſt naͤher auf ſeiner Seite hin antreffen, als ſein Gegner; und vielleicht auch mach ich es keinem recht.

Nach meinem Plan, den ich hier gemacht habe, will ich zuerſt die Selbſtmacht der Seele uͤber ſich,als5und Freyheit. als eine hoͤhere Stufe ihrer Selbſtthaͤtigkeit, ſo darzule - gen ſuchen, wie die bloße Beobachtung uns ſolche zeiget. Dann will ich einige kurze Reflexionen und die Reihe der allgemeinen Begriffe anfuͤgen, worinn die metaphy - ſiſche Spekulation daruͤber enthalten iſt. Dieſe ſollen das Mittel ſeyn, die dem Scheine nach unvertragbaren Beobachtungen zu vereinigen, und den aus Empfindun - gen gezogenen Begriff von der Freyheit ſeiner Schwie - rigkeiten zu entledigen. Das erſte ſehe ich hier als die Hauptſache an. Das letztere ſoll mehr eine bloße An - gabe meiner Gedanken ſeyn, als ein polemiſcher Vor - trag, der dahin gienge, anders denkende zu widerlegen; und daher wundre man ſich nicht, wenn man dieſe letz - tern ſpekulativiſchen Saͤtze weniger mit Gruͤnden unter - ſtuͤtzet findet, als die erſtern.

II. Begriff von der Freyheit, oder von der Selbſt - macht der Seele uͤber ſich, auf den die Em - pfindung fuͤhret.

  • 1) Freyheit iſt hier ein Vermoͤgen, das nicht zu thun, was man thut, oder es anders zu thun, als man es thut. Folgen aus die - ſem Begriffe.
  • 2) Daß wir ein ſolches Vermoͤgen beſitzen, iſt aus Beobachtungen erweislich.
  • 3) Wie ſolches aus der Erfahrung bewieſen werde. Woher die Fallazen der Empfin - dungen hiebey entſtehen koͤnnen.

1.

Die Seele wirket in ſich ſelbſt, beſtimmet und veraͤn - dert ſich, ſo wie ſie außer ſich in den Koͤrper wir -A 3ket.6XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitket. Dieß iſt unlaͤugbar, und wenn auch die Bemer - kung des Herrn Search’s*)Licht der Natur Erſt. B. Erſt. Th. Kap. 1. ohne Einſchraͤnkung rich - tig waͤre, daß ſie niemals ſich ſelbſt anders, als nur mittelbar modificire, indem ſie außer ſich auf das Ge - hirn ihre Kraft aͤußert, und dann ſelbſt durch eine Reak - tion des Gehirns eine Veraͤnderung in ſich aufnimmt. Eine Jdee, die nicht ſo weit von der gewoͤhnlichen ab - weichet, als es bey dem erſten Anblick ſcheinen mag, die ich aber hier nicht unterſuche.

Daher vermag die Seele etwas uͤber ſich ſelbſt, beſitzet Kraft und Vermoͤgen, auf ſich ſelbſt zu wirken.

Aber dieß Vermoͤgen, auf ſich ſelbſt zu wirken, iſt noch nicht das, was Freyheit genennt wird, und was ich hier die Selbſtmacht uͤber ſich nenne. Wo ihre Thaͤtigkeit als eine Freye Thaͤtigkeit wirket, da muß ſie auch unthaͤtig oder auf eine andere Art thaͤtig ſeyn koͤn - nen, als ſie es iſt. Denn wenn ſie nicht anders wir - ken kann, als ſie wirket, ſie mag in und auf ſich ſelbſt, oder auf den Koͤrper wirken, ſo kann ſie nicht unthaͤtig ſeyn, anſtatt daß ſie thaͤtig iſt, und ihre Wirkſamkeit nicht in ſich ſelbſt zuruͤckhalten, wenn dieſe hervorgeht, noch ſie in eine andere Richtung bringen, als die iſt, welche ſie nimmt; und ſo handelt ſie nicht mehr frey, als das Waſſer, welches aus dem Gefaͤße herausſpringt, an der Stelle, wo ihm eine Oeffnung gemacht iſt, in der Richtung und mit der Geſchwindigkeit, die ihm durch die Umſtaͤnde beygebracht wird; nicht freyer, als eine Kugel, welche herunterfaͤllt, wenn der Faden durchſchnit - ten wird, an dem ſie vorher feſtgehalten ward. Die Selbſtmacht uͤber ſich, die poſitive Kraft, wodurch wir uns in unſerer Gewalt haben, wenn wir thaͤtig ſind, erfordert ein gleichzeitiges inneres Vermoͤgen oder Faͤhigkeit, unter denſelbigen Umſtaͤnden das Gegen -theil7und Freyheit. theil von demjenigen zu thun, was wir thun, wie man ſich kurz erklaͤren kann. Dieß Vermoͤgen, an - ders thaͤtig zu ſeyn, unſere eigene wirkende Kraft ent - weder aufzuhalten, zu unterbrechen, oder anders wohin zu lenken, beſtehet waͤhrend der ganzen Handlung, wenn dieſe in ihrer ganzen Laͤnge bis zu Ende eine freye Handlung iſt.

Auf einen Augenblick angenommen, daß dieſe Jdee von der Freyheit richtig ſey, ſo fuͤhret ſie ſogleich zu ei - ner wichtigen Folge. Ein freyes, ſeiner ſelbſt maͤchti - ges Weſen, beſitzet immer noch ein phyſiſches reel - les inneres Vermoͤgen mehr, als ein unfreyes, das ſonſten eine Wirkung von gleicher Groͤße hervorbringen kann, wie jenes. Denn die Selbſtmacht uͤber ſich enthaͤlt außer der Kraft, welche auf die hervorgebrachte Wirkung verwendet wird, noch ein anderes Vermoͤ - gen, das jenem gleichſam zur Seite iſt, und ſo viel in - nere Staͤrke beſitzet, als hinreichen wuͤrde, die Thaͤtigkeit des wirkenden Vermoͤgens zu hindern, oder in eine an - dere Richtung zu bringen. Ein freywirkendes We - ſen iſt alſo ein groͤßeres, mehr reelles, mehr poſi - tive Kraft enthaltendes Weſen, als jedes unfreye, das ſonſten die naͤmliche Handlung hervorbringen kann. Es iſt Herr uͤber ſich, ſtaͤrker, als es ſich auslaͤßt, in ſei - nen phyſiſchen Wirkungen, und ergießet ſich nie ganz in derjenigen Aeußerung, in der es hervorgeht; es kann noch etwas anders thun, als es thut, und beſitzet ein poſitives Vermoͤgen zu dem Gegentheil der Handlung zu eben der Zeit in ſich, in der es ſeine Kraft auf die Hand - lung ſelbſt anwendet.

Nicht jede Selbſtthaͤtigkeit iſt zugleich auch eine freye Selbſtthaͤtigkeit. Das Waſſer, welches aus ei - nem Gefaͤße hervorſpringet, und die Springfeder, welche losſchnellet, wenn der Faden, der ſie zuruͤckhielt, zer - ſchnitten wird, wirken durch eine innere Kraft, dieA 4ſchon8XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit. ſchon vorher ein Beſtreben war, und nichts mehr be - durfte, um ſich in Bewegung zu ſetzen, als daß ein aͤuſ - ſeres Hinderniß, welches ihr Beſtreben zuruͤckhielt, aus dem Wege geraͤumet wuͤrde. Die bewegende Aktion erfolgte aus einem innern Princip. Da iſt alſo Spon - taneitaͤt. Aber auch Selbſtmacht uͤber ſich? Jſt auch in der Feder, indem ſie ſich ausdehnet, ein inneres Vermoͤgen vorhanden, ſich aufzuhalten, oder ſich in ſich zuruͤckzuziehen? Jſt in dem herausſpringenden Waſ - ſer eine Kraft, ſich in der Oeffnung feſtzuhalten? Hier ſind bloß phyſiſche Kraͤfte, einſeitige Vermoͤgen, ſo und in der Richtung zu wirken, wie ſie beſtimmt ſind. Woll - te man auch den Druck, der ſich in jedem Waſſertro - pfen nach allen Seiten hin aͤußert, ſo lange ſie noch in dem Gefaͤße verſchloſſen ſind, etwan als ein vielſeitiges Selbſtvermoͤgen anſehen, ſich nach einer jeden Richtung hin zu bewegen, ſo hoͤret doch dieſer Trieb nach andern Richtungen hin in ihnen auf, ſo bald ſie zur Oeffnung herausgehen; oder iſt zum wenigſten kein ſolches Ver - moͤgen, welches ſtark genug waͤre, um ſie von dem We - ge, auf dem ſie fortgetrieben werden, abzulenken, noch weniger ſie mitten in dem Herausſpringen zum Still - ſtand zu bringen.

2.

Da das Vermoͤgen, anders zu handeln, als man handelt, nur bloß Vermoͤgen iſt, das aber nicht an - gewendet wird, und ſeinen Effekt hervorbringet, weil die Handlung ihren Weg gehet, und nicht wirklich ge - hindert oder veraͤndert wird; woher kann man ſich denn ſicher uͤberzeugen, daß ein ſolches Vermoͤgen in uns vor - handen ſey? Der Reuter, der das Pferd in ſeiner Ge - walt hat, glaubet doch mit Ueberzeugung, er koͤnne es von dem Pfade ablenken, auf welchem er es gehen laͤßt, und daß es nur darauf ankomme, daß er die Kraft in ſeiner Hand dazu wirklich anwende, wenn es geſchehenſolle;9und Freyheit. ſolle; aber iſt dieß vielleicht eine Einbildung, ein falſcher Schein von einem Vermoͤgen, das nicht vorhanden iſt?

Jch ſitze jetzo auf einem Stuhle, und glaube, daß ich in dieſem naͤmlichen Augenblicke das Vermoͤgen habe, aufzuſtehen und fortzugehen. Unter dieſem Vermoͤgen verſtehe ich eine gewiſſe poſitive Beſchaffenheit mei - nes Koͤrpers, welche zu dieſer Wirkung erfodert wird, und die ich, um jenes mit Gewißheit zu glauben, nicht beſtimmter noch deutlicher kennen darf. Es hat ſich wohl zuweilen ereignet, daß jemand unter meinen Umſtaͤnden in derſelbigen Meinung geweſen iſt, der aber, als er den Verſuch anſtellen wollte, fand, daß ihm der Fuß ſchlief, und er wirklich zum Fortgehen unvermoͤgend war. Man kann ſich alſo darinnen irren. Kann nicht ein Ge - neſender, der im Bette liegt, ſich ſchon ſtark genug duͤn - ken, in der Stube zu ſpatzieren, und ſich nachher zu ſchwach finden, ſich nur auf den Beinen zu halten? Wie jemand, der in einem Zimmer ohne ſein Wiſſen ver - ſchloſſen iſt, nicht daran zweifelt, daß er nicht herausge - hen koͤnne, wenn es ihm beliebe, da er es doch wirklich nicht vermag, und darinn verbleibet, ohne zu wiſſen, daß er darinnen verbleiben muͤſſe. Bringet einem Menſchen unvermerkt eine Portion Opium bey, ſagt der witzige Verfaſſer, der unter dem Namen des von Joch vor ein Paar Jahren mit dem Herrn Home zu beweiſen verſucht hat, daß die Empfindung unſerer Freyheit truͤg - lich ſey; richtet es alſo ein, daß dieß Opium ſeine ein - ſchlaͤfernde Wirkung zu eben der Zeit aͤußere, in der er gewohnt iſt, ſich zur Ruhe zu begeben, weil ſonſten viel - leicht das Ungewoͤhnliche ſeine Ueberredung ſtoͤren moͤch - te: wie trefflich wird er hintergangen werden. Er wird glauben, es ſey ſeine ganz freye Handlung, wenn er dem Antriebe der Natur nachgiebt, von ſeiner Arbeit ab - bricht und ſich zu Bette leget; er meinet, ſich ſeiner voͤl - lig darinnen maͤchtig zu ſeyn, und es unterlaſſen zu koͤn -A 5nen,10XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitnen, wenn es ihm gefaͤllig waͤre. Aber eine phyſiſche Kraft zwinget ihn, und wenn er wollte, wuͤrde er ſich in dem Wachen nicht erhalten koͤnnen.

Jn ſolchen nur ſeltenen Beyſpielen ſollte eine Kraft liegen, die das Zeugniß der innern Empfindung, das ich von einem Vermoͤgen in mir habe, das Gegentheil von dem thun zu koͤnnen, was ich wirklich verrichte, un - zuverlaͤßig und verwerflich machen koͤnnte? Der optiſche Schein hat mich betrogen, und fuͤr einen ſoliden leben - den Koͤrper anſehen laſſen, was nichts als ein Gemaͤhl - de auf einer Flaͤche war, deswegen ſollte ich nach ver - nuͤnftigen Denkgeſetzen fuͤrchten muͤſſen, daß ich nun auch hintergangen wuͤrde, wenn ich auf dem Tiſche vor mir ein Buch liegen zu ſehen vermeine, ob ich gleich das Zeugniß eines andern Sinnes, des Gefuͤhls, in dieſem Falle noch nicht zur Beſtaͤtigung meiner Meinung zu Huͤlfe genommen habe? Doch ich will den Philoſophen, gegen welche ich hier rede, Gerechtigkeit wiederfahren laſſen. Solche Beyſpiele ſollen nur zeigen, daß die Em - pfindung truͤgen koͤnne; denn daß ſie wirklich durchge - hends truͤge, haben ſie durch andere Gruͤnde, durch ei - ne vermeintliche innere Unmoͤglichkeit in der Sache ſelbſt, die aus metaphyſiſchen Grundſaͤtzen hergeholet wird, er - weiſen wollen. Es wird alſo der Beweis aus der Er - fahrung dadurch noch nicht unthunlich. Berkeley rai - ſonnirte die Wirklichkeit der Koͤrperwelt weg, und dar - auf verwarf er die Ausſage der Empfindung. Ohne Ruͤckſicht auf die Guͤltigkeit oder Unguͤltigkeit ſeiner Spe - kulationen, koͤnnte doch ein Unterſchied zwiſchen wahren und bloß ſcheinbaren Empfindungen gemacht, und jene von dieſen ausgekannt werden. Berkeley kannte ſelbſt dieſen Unterſchied ſo gut, wie irgend jemand. War - um ſollte nicht das Naͤmliche in dem gegenwaͤrtigen Falle geſchehen koͤnnen? Wir ſind ein und das andere mal zu voreilig geweſen, und haben uns durch eine unaͤchte Em -pfindung11und Freyheit. pfindung verleiten laſſen, zu glauben, es ſey ein reelles Vermoͤgen in uns vorhanden, das nicht da war, ſollten wir deswegen nicht in andern Faͤllen es wiſſen koͤnnen, daß wir uns nicht irren, und uns von dem Daſeyn ei - nes ſolchen Vermoͤgens ſo vergewiſſern koͤnnen, als von dem Daſeyn der Koͤrperwelt außer uns? Ob wir denn nun aber nicht nachher dieſe Empfindungskenntniß wie - der aufgeben, und die ſubjektiviſche Wirklichkeit fuͤr ei - nen bloßen Schein erklaͤren muͤſſen, weil die Vernunft uns lehre, daß das objektiviſche Seyn der Sache etwas ungereimtes ſey, das iſt, wie ich ſchon erinnert habe, ei - ne ſpekulativiſche Frage, die uns nicht ſtoͤren muß, wo wir nur vorlaͤufig unterſuchen, ob die Beobachtung uns nicht die Wirklichkeit einer Sache lehre, oder uns ſol - che nur aufbinde?

3.

Es iſt nichts mehr noͤthig, als eine genaue Beob - achtung unſerer ſelbſt in einigen einzelnen Faͤllen, in de - nen wir uns gewiß halten, daß wir frey handeln, um den Gang der Denkkraft zu ſehen, den ſie nimmt, wenn ſie aus dem Gefuͤhle zu dem Gedanken kommt, ſie koͤn - ne anders handeln, als ſie es wirklich thut. Dann of - fenbaren ſich auch zugleich die Urſachen, die ihre Fehl - tritte hierinn veranlaſſen. Jch will es noch bis weiter hin uneroͤrtert laſſen, was es mit dieſem Vermoͤgen zum Gegentheil eigentlich fuͤr eine Beſchaffenheit habe. Ge - nug, es iſt etwas poſitives in dem ſeiner ſelbſt maͤchti - gen Weſen; eine gewiſſe abſolute reelle Beſchaffenheit deſſelben, die mit derjenigen Kraft, welche in Thaͤtigkeit geſetzet iſt und die freye Handlung bewirket, zugleich vorhanden iſt. Wir wiſſen, was ein Vermoͤgen zu den - ken, und ein Vermoͤgen das Nachdenken zu unterbre - chen; ein Vermoͤgen uns zu entſchließen, und ein Ver - moͤgen unſern Entſchluß zu aͤndern; ein Vermoͤgen, die Haͤnde und Fuͤße zu bewegen, und ein anders, ſie wiederzur12XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitzur Ruhe zu bringen und ihre Bewegungen anders wo - hin zu lenken, u. ſ. w. ſagen wolle. Aus dieſen Em - pfindungen iſt in uns ein allgemeiner Begriff von ei - nem Vermoͤgen, von einer Faͤhigkeit und von einer Kraft entſtanden, welcher immer nur ein gemeiner, unaufgeklaͤrter und undeutlicher Begriff ſeyn mag, aber doch ein klarer Begriff iſt, ſo daß wir Vermoͤgen von Unvermoͤgen, Kraft von Schwaͤche, Faͤhigkeit von Un - faͤhigkeit, und Macht von Ohnmacht ſo helle durch das Gefuͤhl unterſcheiden, als das Weiße von dem Schwar - zen durch die Augen.

Wir erhalten die Jdee von einem Vermoͤgen zum Handeln aus der Empfindung, die wir von der Handlung ſelbſt haben. Wir fuͤhlen unſern geſunden Arm auf ei - ne gewiſſe Art; es entſtehet ein Entſchluß, ihn zu be - wegen, ein Antrieb gegen denſelben, eine Bewegung in dem Koͤrper und wiederum neue Gefuͤhle, die darauf folgen. Das Gefuͤhl von dem Zuſtande, der zunaͤchſt vor der Handlung vorhergehet, wird unterſchieden von dem Aktus ſelbſt. Es kam zu jenem etwas hinzu, eine Vorſtellung, eine Empfindung, ein innerer Trieb in der Seele, oder was wir unter der Benennung von Bewegungsgruͤnden befaſſen moͤgen, und da erfolg - te die Thaͤtigkeit, die nicht erfolgte in einem andern Falle, wo der naͤmliche Bewegungsgrund vorhanden war, wo aber an dem dazu erfoderlichen vorhergehenden Zuſtande etwas fehlte, oder wo auch noch ſonſten etwas dazwiſchen kam. Solche Empfindungen lehren uns das bloße unthaͤtige Vermoͤgen von dem wirkenden unter - ſcheiden. Es haͤngen aber die Vorſtellungen von allen unſern Vermoͤgen, ſowohl von denen, die wir eigentlich als koͤrperliche in den Koͤrper hinſetzen, als auch von den uͤbrigen, die wir fuͤr Seelenvermoͤgen halten, an gewiſ - ſen Gefuͤhlen, die in uns in unſerm Jnnern ſich befin - den. Aus Empfindungen nehmen wir den Stoff allerJdeen,13und Freyheit. Jdeen, und aus innern Empfindungen den Stoff zu den Jdeen von den verſchiedenen Arten der Ver - moͤgen. Es giebt alſo innere Gefuͤhle, welche fuͤr uns die Charaktere der Vermoͤgen ſind, an denen wir ihre Gegenwart erkennen, ſo wie die dazu gehoͤrigen Phantasme die Vorſtellungen von ihnen als von abwe - ſenden Gegenſtaͤnden ausmachen.

Das Vermoͤgen zu einer Handlung iſt etwas an ſich vielbefaſſendes. Wenigſtens iſt dieß von ſolchen wohl richtig, die wir kennen, wenn ſie auch beym erſten Blick einfache zu ſeyn ſcheinen. Sie enthalten eine Menge von Beſchaffenheiten, die, wenn es koͤrperliche Vermoͤgen ſind, groͤßtentheils nur ſehr mittelbar in ih - ren Folgen gefuͤhlet werden, und vielleicht wird ein Theil dieſer Folgen gar nicht in einem ſolchen Grade empfun - den, als zum Gewahrnehmen noͤthig iſt. Die Vermoͤ - gen nehmen Groͤßen, Grade und Stufen an. Das eine Vermoͤgen iſt ein groͤßeres Ganzes, als ein anderes. Es gehoͤrt mehr Elaſticitaͤt in dem Koͤrper dazu, Luftſpruͤn - ge machen zu koͤnnen, als ſich gerade auf den Fuͤßen aufzurichten.

Von einer ſolchen vielbefaſſenden Totalempfindung der Folgen nehmen wir aber gemeiniglich nur den her - vorſtechenden Theil heraus, wenn wir ſie bemerken wol - len. Dieſer Theil iſt unſer Merkmal des Ganzen, und wir ſetzen das Ganze in ihm. Das iſt die gewoͤhnliche Regel des Denkens. *)Erſter Verſuch. X. ſ. 1. Th. S. 81-87.

Jſt es denn alſo zu verwundern, daß die Reflexion zuweilen irre, wenn ſie urtheilet, es ſey ein Vermoͤgen in uns vorhanden, wo doch nur ein Theil davon wirk - lich empfunden wird, der zwar gewoͤhnlicher Weiſe, aber nicht allemal, das uͤbrige mit ſich vergeſellſchaftet hat? Wie mancher trauet ſich Seelen-oder Leibeskraͤfte genugzu,14XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitzu, und muß es aus der Probe nachher erlernen, daß ſeine Schultern zu ſchwach ſind? Wenn ein Kranker ſich fuͤr ſtaͤrker haͤlt, als ers iſt, ſo entſtehet der Jrrthum aus der naͤmlichen Quelle.

Jn ſolchen Faͤllen, wo zu dem geſammten vollen Vermoͤgen noch gewiſſe Zuſtaͤnde in dem Koͤrper erfo - dert werden, noch mehr, wo es auch außer demſelben auf gewiſſe Einrichtungen ankommt, da iſt es noch leichter moͤglich, daß dieſes aͤußere Kennzeichen des Ver - moͤgens, von dem, was in unſerm Jnnern das Vermoͤ - gen ſelbſt ausmacht, und was naͤher und unmittelbarer in uns gefuͤhlet wird, getrennet ſeyn kann, ob es ſonſten gleich in den gewoͤhnlichen Faͤllen damit verbunden iſt. Wer es nicht weiß, daß die Thuͤre des Zimmers durch einen Zufall oder mit Vorſatz zugeſchloſſen iſt, glaubet, ſie laſſe ſich wie gewoͤhnlich eroͤffnen, und ſchreibet ſich das Vermoͤgen zu, herausgehen zu koͤnnen, ſo wie er wirklich das Vermoͤgen beſitzet, zu ihr hinzugehen, und die Hand anzulegen. Der Reuter, der in der Meinung iſt, er koͤnne ſein Pferd vom Wege ablenken, wenn er wolle, betruͤget ſich, wenn jemand ihm den Zuͤgel zer - ſchnitten, und die getrennten Enden durch ein wenig Pech wiederum zuſammengeklebet hat, um ihm den Be - trug zu verbergen. Wir fuͤhlen es nicht allemal, wenn wir ſitzen, daß die Nerven in den Lenden gedruckt ſind, und daß der Fuß ſchlafe, aber wir fuͤhlen das uͤbrige, was zu einer freyen Bewegungskraft derſelbigen nach unſern ſonſtigen Erfahrungen erfodert wird, und ſchrei - ben uns alſo das Vermoͤgen zu, von unſerm Sitze weg - gehen zu koͤnnen.

Es iſt alſo klar, daß die falſchen Urtheile aus innern Empfindungen auf die naͤmliche Weiſe und aus der aͤhn - lichen Urſache entſtehen, wie die Fallazen des Geſichts; aber zugleich iſt es auch klar, daß es aͤhnliche Mittel bey jenen giebt, wie bey dieſen, den Erſchleichungen zuvor -zukommen,15und Freyheit. zukommen, und die Erfahrungen zuverlaͤßig zu machen. Die Natur ſiehet bey der Uebung von ſelbſten darauf hin. Sind wir zweifelhaft, ob es ein bloßer Schein oder ein wahrer Gegenſtand iſt, den wir vor Augen ha - ben, ſo beſchauen wir ihn genauer, naͤher, von mehrern Seiten und unter veraͤnderten Umſtaͤnden, wie die Ge - legenheit zu dieſen oder jenen gegeben wird; und beru - higet uns dieſes noch nicht, ſo fragen wir einen andern Sinn, und am gewoͤhnlichſten das Gefuͤhl, durch deſſen Uebereinſtimmung mit dem Geſicht aller Zweifel geho - ben wird. Es iſt die naͤmliche Methode, welche uns die Natur bey den innern Empfindungen gelehret hat. Ob ich wohl wirklich das Vermoͤgen habe aufzuſtehen, da ich ſitze; ob ich wirklich die Reihe meiner Betrachtun - gen, die ich jetzo mit Fleiß verfolge, unterbrechen und mich der gegenwaͤrtigen Vorſtellungen entſchlagen koͤn - ne? Was wuͤrde ich thun, wenn ich daruͤber zweifelhaft waͤre? Mich bemuͤhen, entweder genauer, ſtaͤrker, voͤl - liger meinen jetzigen Zuſtand zu beobachten, und mit demjenigen, den ich unter den Begriffen von ſolchen Ver - moͤgen mir vorſtelle, in deren Beſitz ich zu ſeyn vermei - ne, vergleichen; oder ich wuͤrde den gegenwaͤrtigen Zu - ſtand von mehrern Seiten in ſeinen verſchiedenen be - merkbaren Folgen befuͤhlen. Wenn ich noch zweifelte, ob ich dieß oder jenes in meiner Macht habe, ſo wuͤrde ich den Anfang machen, das Vermoͤgen anzuwenden, und dann darauf achten, ob auch zugleich die Wirkung anfange hervorzugehen? Dieſe letztere Art der Berichti - gung iſt dem Befuͤhlen bey den geſehenen Gegenſtaͤnden aͤhnlich. Es iſt auch das kuͤrzeſte Mittel, um zur Ge - wißheit zu kommen, und wo es in unſerer Gewalt iſt, auch das gewoͤhnlichſte, deſſen wir uns bedienen. Sollte mein Fuß auch jetzo wohl lahm oder ſteif ſeyn? Sollte ich wohl aufſtehen koͤnnen? Jch ziehe ihn an; erprobe das Vermoͤgen; es entſtehet ein Beſtreben, und der Koͤr -per16XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitper faͤngt an, ſich zu richten. Es iſt zum Verſuch in dieſem Falle genug, wenn man es bey dem Anfange der Aktion bewenden laͤßt, und da in gleicher Maaße die Wirkung anfangen ſiehet. Man kehret alsdenn zu der erſten Handlung zuruͤck, von der man wegen des ent - ſtandenen Zweifels, ob man ſich ſeiner bey ihr maͤchtig ſey, abgezogen war, ohne der Abweichung zu dem Ge - gentheile weiter nachzugehen, und ohne die ſie unterbre - chende und veraͤndernde Aktion voͤllig auszufuͤhren.

Die Handlungen, welche wir mit voͤlliger Be - herrſchung unſerer ſelbſt verrichten, und welche zu denen gehoͤren, die am meiſten frey ſind, werden auch wirklich, wie die Erfahrung lehret, durch ſolche dazwi - ſchen tretende kleinere Beſtrebungen, die aus dem Vermoͤgen zu dem Entgegengeſetzten ent - ſpringen, auf Augenblicke unterbrochen und verzoͤ - gert, zuweilen mehr, zuweilen minder. Denn die gleichzeitigen entgegengeſetzten Vermoͤgen ſind oͤfters wirkende Beſtrebungen und fuͤhlbare Antriebe, denen die ihrer ſelbſt maͤchtige Seele entgegenſtreben muß, um ſich in demjenigen Gange der Thaͤtigkeit ohne Zerſtreuung zu erhalten, auf den ſie aus Abſicht ihre Kraͤfte gerichtet hat; wie der Steuermann ein Schiff, das Wind und Wellen von ſeiner Bahn abtreiben wuͤr - den, wenn er nicht ihrem Einfluſſe durch die Richtung des Ruders entgegen arbeitete. Freye Handlungen von ei - niger Laͤnge gehen nicht ſo ununterdrochen in Einer geraden Linie oder in Einer Richtung fort, als die bloß phyſiſchen, in denen die wirkende Kraft nach dem naͤmlichen Geſetze der Thaͤtigkeit in eines fort vom An - fange bis zum Ende hinwirket.

Es liegt alſo nicht in der Natur der Sache, ſondern an unſern Uebereilungen, wenn die Empfindungen von der Selbſtmacht uͤber uns unaͤcht und falſch ſind; ſie koͤnnen zuverlaͤßig ſeyn und werden. Glauben, daßſie17und Freyheit. ſie allemal unzuverlaͤßig ſind, hieße ſo viel, als ber - keleyiſiren.

Es iſt nun unnoͤthig, noch beſonders einzelne Faͤlle von freyen Handlungen anzufuͤhren, in denen ein Ver - moͤgen, anders handeln zu koͤnnen, empfunden wird. Ei - nige ſind ſchon nebenher beygebracht. Auch iſt dieſelbige Handlung, die bey einem Menſchen unter gewiſſen Um - ſtaͤnden eine freye Handlung iſt, nicht allemal eine ſolche bey einem andern. Aber jeder meiner Leſer kann hier, indem er lieſet, bey dieſer ſeiner Handlung ſich fragen, ob er nicht in ſich auf die erwehnte Art ein Vermoͤgen fuͤhle, das Leſen zu unterlaſſen, wenn er gleich fortlieſet? Jch glaube, er leſe mit aller der Kaltbluͤtigkeit, die hiezu erfodert wird. Jede Betrachtung, jede willkuͤhrliche Be - wegung des Koͤrpers, jedes Fortſetzen des Fußes, jeder Griff mit der Hand, jedwede Aktion, die jemand mit voͤllig deutlichem Bewußtſeyn ohne Leidenſchaft, mit ge - ſetztem und gegenwaͤrtigem Geiſte vornimmt, giebt eine Erfahrung ab, die das Geſagte beſtaͤtiget. Wir fuͤh - len und empfinden es, daß wir ein Vermoͤgen haben, das zu unterlaſſen, was wir thun, oder doch es anders zu machen. Wir fuͤhlen einen Zuſtand in uns, der das iſt, was wir unter dem Begriffe von dieſem Vermoͤgen uns vorſtellen, und eben ein ſolcher iſt, wie andere, aus de - nen dieſer Begriff abſtrahirt worden iſt. Noch mehr. Wir koͤnnen uns ſogleich, wenn wir wollen, davon uͤber - zeugen, daß ſo ein Vermoͤgen anders zu handeln gegen - waͤrtig uns beywohne. Laßt es nur anfangen, ſich zu aͤußern, ſo fuͤhlen wir den Anfang ſeiner Wirkungen.

Wir unterſcheiden uͤberdieß die Faͤlle ſehr deutlich von einander, wenn wir einmal durch die zu große Leb - haftigkeit der Jdeen, und durch einen zu ſtarken Drang der Triebe zur Handlung hingeriſſen werden, und ein andermal mit voͤlliger Faſſung und Gewalt uͤber uns ſelbſt etwas ausrichten. Dort verlieren wir die Gegen -II Theil. Bwart18XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitwart des Geiſtes; hier fuͤhlen wir, daß wir die ganze Dauer der Aktion durch zwar zuweilen mit einer ſtarken Kraft und mit Nachdruck wirken; aber doch ſo, daß wir in jedem Momente die Aktion abzubrechen, oder ihr eine andere Richtung zu geben, vermoͤgend ſind. Oft wird der Trieb, mit dem wir handeln, in dem Fortgange der Aktion zu ſtark, und uͤberwaͤltiget uns; aber auch in dieſen Faͤllen laͤßt uns das Selbſtgefuͤhl die Stelle be - merken, wo der Widerſtand noch moͤglich war, von der an aber unſer Vermoͤgen zum Gegentheile immer mehr geſchwaͤcht, und durch die immer zunehmende zur Aktion treibende Kraft heruntergeſetzt oder gebunden ward, daß es in Ohnmacht uͤbergieng. Wir empfinden die allmaͤh - lig abnehmende Beſonnenheit, und fuͤhlen uns auch als - denn noch, wenn wir ſchon ſo weit ſind, daß wir uns dem Strome leidentlich uͤbergeben muͤſſen. Herr von Joch ſtelle einmal den Verſuch mit dem Opium, den er vorgeſchlagen hat, wirklich bey ſich an. Glaubet er, einen nur mittelmaͤßigen Beobachter ſeiner ſelbſt dadurch mehr als hoͤchſtens einmal zu hintergehen? Nicht zwey - mal, kaum das erſtemal, woferne nicht die Umſtaͤnde mit Sorgfalt darnach eingerichtet werden, daß die Re - flexion auf keine Weiſe rege wird, duͤrfte man’s dahin bringen, daß ein Menſch, der Opium bekommen haͤtte, ſich einbilden wuͤrde, es ſtuͤnde in ſeiner Macht, der un - natuͤrlichen und ſtarken Muͤdigkeit zu widerſtehen, der er nachgeben muß. So bald der Saft anfaͤngt, ſeine Wirkungen zu aͤußern, mag er vielleicht noch bey den erſten Anfaͤllen der Schlaͤfrigkeit die Augen offen zu hal - ten im Stande ſeyn, und bis dahin, ſo lange er dieß kann, beſitzet er auch wirklich das Vermoͤgen dazu, und handelt frey, wenn er ſich ergiebt. Aber die Erſtarrung dringet weiter ein. Dann wird ſein Widerſtand ver - geblich, und die Ermunterungskraft im Verhaͤltniß mit der einſchlaͤfernden zu ohnmaͤchtig. Da faͤngt der Zwangan.19und Freyheit. an. Die Selbſtmacht uͤber ſich iſt verlohren. Und ſo wird ihn ſein Selbſtgefuͤhl, wenn er ſich beobachtet, nichts mehr und nichts weniger lehren, als was wirk - lich vorhanden iſt.

III. Von dem Umfange und den Graͤnzen der Frey - heit.

  • 1) Die Freyheit findet ſich bey allen Arten von Kraftaͤußerungen der Seele. Jn wie ferne ſolche dem Willen oder der Aufmerk - ſamkeit ausſchließungsweiſe zugeſchrieben werden koͤnne? Von der Willkuͤhr.
  • 2) Die menſchliche Freyheit iſt eingeſchraͤnkt, ſowohl in Hinſicht der innern Groͤße, als ihrer Ausdehnung.

1.

Aus Erfahrungen iſt es alſo außer Zweifel, daß die menſchliche Seele Selbſtmacht uͤber ſich beſitze. Aber wie weit erſtreckt ſich ſelbige, und welches ſind ihre Schranken?

Die Beobachtung lehret uns, daß es ſo vielerley Arten freyer Thaͤtigkeiten der Seele gebe, als man uͤberhaupt wirkende Kraftaͤußerungen in ihr unter - ſcheiden kann; diejenige etwan abgerechnet, welche man zu ihrer leidenden Receptivitaͤt gewoͤhnlicher Weiſe hin - rechnet, womit ſie Eindruͤcke von außen und andere vor - handene Modifikationen in ſich fuͤhlet und empfindet. Jn einer Reihe von Vorſtellungen und Gedanken, die die Arbeit des Nachdenkens ausmachen, kann ich eben ſowohl abbrechen, und entweder die angeſtrengte Kraft zuruͤckziehen, oder anders wohin lenken, als es in mei -B 2ner20XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitner Gewalt iſt, im Spazierengehen ſtill zu ſtehen, oder einen andern Weg zu nehmen. Unter unſern Vorſtel - lungs - und Denkthaͤtigkeiten giebt es ſolche, uͤber die wir unmittelbar Herr ſind, ſowohl als unter den Aeuße - rungen der thaͤtigen Kraft, welche neue Modifikationen in uns und außer uns hervorbringet.

Einige Philoſophen haben die Freyheit auf den Willen eingeſchraͤnkt; andere laſſen auch der Erkennt - nißkraft dieſe Beſchaffenheit; und einige haben noch ge - nauer die Stelle in der Seele angegeben, wo ſie ſitzen ſolle, da ſie nur allein das Vermoͤgen aufmerkſam zu ſeyn, das iſt, das Vermoͤgen, die vorſtellende und denkende Kraft auf einen Gegenſtand hinzuwenden, fuͤr ein freyes Vermoͤgen erklaͤren, und es die Willkuͤhr nennen. Dieß letztere heißt ſo viel, als die Freyheit in dasjenige Vermoͤgen hinſetzen, welches an der Spitze aller uͤbrigen ſtehet, womit die Seele ein Objekt bear - beitet. Denn ſie richtet zuvoͤrderſt ihr Gefuͤhl und vor - ſtellende Kraft darauf, und hierauf entſtehet ein Ein - druck, eine Vorſtellung, und eine Jdee von der Sache: dann folget ein Gefallen oder Mißfallen, und dieſe Af - fektion reizet die begehrende Kraft zu einer Neigung auf das Objekt, oder zum Widerwillen gegen daſ - ſelbe.

Wenn es darauf ankommt, ſyſtemmaͤßig ſich aus - zudruͤcken, ſo kann jedwede dieſer beiden Behauptungen vertheidiget werden, je nachdem man die Erklaͤrungen der Worte, und die kuͤnſtlichen Klaſſifikationen der See - lenvermoͤgen einrichtet. Wer ſo, wie Herr Search, alle Selbſtbeſtimmungen, alle Beſtrebungen, Thaͤtigkei - ten und Handlungen, das iſt, alles, was eine Aeuße - rung der wirkſamen Kraft der Seele iſt, fuͤr eine Wir - kung des Willens erklaͤret, hat ohne Streit nicht un - recht, wenn er die Freyheit allein dem Willen beyleget, und dem Verſtande abſpricht. Denn bey dieſer Abthei -lung21und Freyheit. lung wird der Verſtand bloß auf die Receptivitaͤt und auf das Gefuͤhl eingeſchraͤnket, worinn, als in einem paſſiven Vermoͤgen, kein Vermoͤgen ſich anders zu be - ſtimmen ſtatt finden kann. Es laͤßt ſich ebenfalls vieles zur Behauptung der zwoten Meinung ſagen. Alles kommt darauf an, wie man ſich erklaͤret, und in der Anwendung auf einzelne Thaͤtigkeiten verſtanden ſeyn wolle, wie aus dem Folgenden erhellen wird.

Ueberhaupt die Sache betrachtet, ſo kann man ſich allenthalben eine Selbſtmacht uͤber ſich in der Seele vorſtellen, wo ſie mit ihrer Selbſtthaͤtigkeit arbeitet; ſie beſchaͤftige ſich als Erkenntnißkraft, ſie mache Vor - ſtellungen, ſie erwecke ſie wieder, ſie verbinde ſie, ſie trenne ſie; oder ſie bearbeite ſolche als Denkkraft, ſie urtheile, ſie uͤberlege, ſie ſchließe; oder endlich ſie wirke mit ihrer Aktivitaͤt, ſie bewege den Koͤrper und ihre Sinnglieder, oder ſie modificire ſich ſelbſt. Wo ſie in ſelbſtthaͤtigen Aeußerungen von Schritt zu Schritt fortgehet, da laͤßt ſich, bey allen dieſen Uebergaͤngen von der Thaͤtigkeit in dem vorhergehenden Augenblick zu der in dem naͤchſt folgenden, es als moͤglich vorſtellen, daß ſie ſich in ihrer Gewalt habe, und in jedwedem Moment ſich zum Stillſtande bringen, oder anderswohin wenden koͤnne. So lehren es auch die Beobachtungen. Jn allen dieſen verſchiedenartigen Verrichtungen zeiget ſich die Seele hie oder da als eine ihrer ſelbſt maͤchtige Kraft. Die Sphaͤre der Selbſtmacht uͤber ſich gehet alſo ſo weit heraus, als die Sphaͤre der thaͤtigen Kraft der Seele.

Allein weit gefehlt iſt es dennoch, daß die Seele in allen und jeden Momenten, die in der ganzen Dauer einer jeden unterſcheidbaren einzelnen Handlung, und auch in der einfachſten, angenommen, in den zu - ſammengeſetzten aber beobachtet werden koͤnnen, wirk - lich frey handeln ſollte. Die freyeſten Handlungen ſindB 3es22XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeites nur in Hinſicht ihrer weſentlichſten Punkte, von denen die ganze Aktion abgehangen hat. Sie werden beurtheilt und benennt nach dieſem wichtigſten Theile; und man hat, um dieſe Beurtheilung zu er - leichtern, die bekannte Unterſcheidung unter ſolchen Handlungen, die unmittelbar frey ſind, und ſolchen, die es nur mittelbar ſind, eingefuͤhrt. Von jenen iſt hier aber allein die Rede, als ſolchen, die nur im ei - gentlichen Verſtande freye Handlungen ſind. Zuwei - len iſt nur der erſte Anſatz zur Aktion eine freye Thaͤtig - keit; in allen folgenden kann ſich die Seelenkraft mit ſolcher Staͤrke ergoſſen haben, oder mit ſolcher Gewalt fortgetrieben worden ſeyn, daß es ihr unmoͤglich war ſich zu halten, wie ein Menſch, der vom Berge herun - ter laͤuft, am Ende mehr durch die Kraft der vorher - gehenden Bewegung fortgeriſſen wird, als ſelbſt noch fortgehet. Oft finden ſich mehrere ſolcher frey fortge - ſetzten Schritte auf demſelbigen Wege, die hie und da zwiſchen den uͤbrigen zerſtreuet ſind, und mit den un - freyen Fortgaͤngen abwechſeln, wozu die innere Natur, und die zunaͤchſt vorhergehenden Umſtaͤnde ſie unwider - ſtehlich fortreißen. Jch ſetze mich zum Nachdenken hin, das iſt eine freye Handlung; es entſtehen Verbindun - gen der Begriffe, Urtheile, fortgezogene Schluͤſſe. Da ſind Reihen von wiedererweckten Jdeen, die ſo ſchnell eine auf die andere folgen, daß man uͤberraſchet und unvermoͤgend wird, dazwiſchen zu kommen, oder den Faden zu zerſchneiden, und nur allein bey irgend einem merklichen Abſatze abbrechen kann. Aber dage - gen giebt es ſo viele Stellen, die in der Empfindung deutlich genug erkannt werden koͤnnen, wo man es fuͤh - let, daß ein neuer Anſatz der Kraft, oder eine ſtaͤrkere Jntenſion des vorigen Beſtrebens erfodert wird, wie bey einem Menſchen, der in die Hoͤhe ſteiget. Und an dieſen Stellen, und bey dieſen Schritten fuͤhlet die Seeleſich23und Freyheit. ſich ihrer maͤchtig. Da kann ſie abbrechen, oder ſich anders wohin wenden.

Man mache die Neubegierde eines Menſchen auf eine Seltenheit rege, die man ihm vorzeigen will, wie der Taſchenſpieler ſeine Zuſchauer. Das Auge wendet ſich nach der Stelle hin, wo es das Objekt erwartet; man empfindet, machet eine Jdee; dieſe afficirt das Gemuͤth, und die Gemuͤthsbewegung ſpannet wiederum die thaͤtige Kraft, entweder nur dazu, daß wir noch ge - nauer und beſſer zuſehn, oder auch dazu, daß wir uns zu einer Handlung in Hinſicht des Objekts beſtimmen. Jn dieſen und in unzaͤhlig aͤhnlichen Faͤllen erfolget die Richtung des Sinngliedes und der Aufmerkſamkeit, die Empfindung, die Jdee, die Gemuͤthsbewegung und die Neigung mit ſolcher Schnelligkeit eins auf das andere, daß, wenn die Seele bey dem erſten Anfange nicht ihrer ſelbſt maͤchtig war, ſie es nachher gewiß auch nicht geweſen iſt. Jeder Eindruck wuͤrde ſich auf eine Seele, die, voͤllig leer von allen Vorſtellungen und Fer - tigkeiten, ſich gegen ihn eroͤffnet haͤtte, auf die naͤmliche Art ergießen, und in ſie bis in ihr Jnnerſtes eindrin - gen. Solche Faͤlle ſind es, worauf man die vorher - erwehnte Lehre von der bloß auf das Aufmerkſamkeits - vermoͤgen eingeſchraͤnkten Selbſtmacht gegruͤndet hat. Aber wie viele andere Beobachtungen freyer Thaͤtigkei - ten giebt es nicht noch, die man mit dieſen haͤtte verglei - chen ſollen. Und dann haͤtte man die Freyheit wol nicht eben in dieſen Winkel der Seele eingeklemmt.

Wie, wenn ich z. B. nun den geſehenen Gegen - ſtand vom neuen genauer anſchaue, wenn ich ihn von mehrern Seiten betrachte, daruͤber reflektire, ihn mit andern vergleiche, ſein Gutes und ſein Boͤſes erwaͤge und abzaͤhle, und dann, wann ich ihn zu beſitzen wuͤn - ſche, ihn zu erhandeln ſuche, und zu dieſer Abſicht ge - wiſſe Woͤrter hervorbringe, Geld aus dem Beutel ziehe,B 4und24XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitund ihn zu mir nehme: kann man ſagen, dieſe ganze Reihe von Verſtandes - und Willensaͤußerungen werde nothwendig von der erſten Verwendung der Aufmerk - ſamkeit auf die Sache nach ſich gezogen, ſo daß die Seele keine dieſer nachfolgenden Schritte mit Selbſt - macht uͤber ſich unternommen habe? Dieß iſt wider alle Empfindung.

Vielleicht kann man ſich helfen. Die ganze zuſam - mengeſetzte Reihe mag vielleicht aus lauter einzelnen Theilen beſtehen, deren jeder fuͤr ſich eine ſolche Reihe iſt, die von der Aufmerkſamkeit anfaͤngt, und bey die - ſem Anfangspunkte frey iſt, aber in den folgenden nicht mehr. Jch fange an, uͤber die geſehene Sache nach - zudenken. Da beſtehet der erſte Schritt in einer Hin - lenkung der Denkkraft auf den Gegenſtand; und auf dieſen erfolgen Urtheil, Affektion und dann Spannung der thaͤtigen Kraft, oder Selbſtbeſtimmung, Wollen. Dieß iſt eine einfache Reihe, wo die Selbſtmacht der Seele uͤber ſich nur bey dem Anfange allein ſtatt finden kann. Auf eine aͤhnliche Art verhaͤlt ſichs vielleicht in den folgenden Theilen der ganzen Aktion. Jch bringe meine Hand zu dem Geldbeutel. Es entſtehet eine Em - pfindung, die gefaͤllt, und vom neuen die Kraft der Hand zur Fortſetzung ihrer Verrichtung ſpannet. Alſo ſind auch hier die einzelnen Aktionen als Theile des Ganzen von der naͤmlichen Art.

Gegen dieſe Applikation des Satzes, daß nur Freyheit ſtatt findet, wo die Seele aufmerkſam wird, wuͤrde ich nicht viel einwenden. So iſt es. Wenn die ſelbſt - thaͤtige Kraft der Seele auf einen Gegenſtand ſich be - ſtimmet, ſo iſt ein Anfang der Aktion da. Dieſe hat eine Empfindung, oder die Vorſtellung, oder die Jdee zur Folge, welche auf das Gemuͤth wirket, und eine Affektion hervorbringet, welche wiederum die Thaͤtigkeit reizet. Jn den letztern Modifikationen, welche Folgenjenes25und Freyheit. jenes erſten Beſtrebens der thaͤtigen Kraft ſind, iſt die Seele leidend, und hat alſo auch hiebey keine Selbſt - macht uͤber ſich. Aber da, wo dieſe Reihe an eine aͤhn - liche nachfolgende anſchließt; wo Anſtrengung, neues Beſtreben, oder auch nur eine Fortſetzung der erſten Jn - tenſion erfodert wird, da iſt wiederum eine Stelle, wo die Seele mit Selbſtmacht uͤber ſich handeln kann. Jch ſage, wo ſie es kann, denn in den wenigſten Faͤl - len beſitzet ſie ſolche. Wo keine Aeußerung der Selbſt - thaͤtigkeit iſt, da iſt keine Freyheit. Aber nicht allemal, leider nur in den wenigſten Faͤllen, iſt dieſe da, wo je - ne iſt.

Zugleich aber iſt es nun auch offenbar, was ich vorher vermuthet hatte, daß man eine jede Beſtim - mung der ſelbſtthaͤtigen Kraft zur Aktion, eine Anwen - dung der Aufmerkſamkeit genennt wiſſen wollen. So muß man zum mindeſten ſich erklaͤren, woferne man mit der Erfahrung auskommen will.

2.

Dieß iſt nun die Beſchraͤnkung der menſchlichen Freyheit von einer Seite, in ihrer Ausdehnung naͤm - lich. Sie iſt es auch in Hinſicht auf die Jntenſion, da die ihrer ſelbſtmaͤchtige Kraft, welche handelt, ge - ringe iſt; und ſie iſt ſchwach, in ſo ferne auf das Ver - moͤgen zu dem Gegentheil geſehen wird. Ein großer Vortheil wird dem Kaufmanne angeboten. Sein Ent - ſchluß bleibet frey; denn er beſitzet das Vermoͤgen, ſich anders zu beſtimmen, und den Handel zu unterlaſſen. Aber er mache den Verſuch einmal, und er wird finden, daß es ihm ungemein ſchwer werde, ſeiner Begierde zum Gewinn zu widerſtehen. Wir haben noch oft das Vermoͤgen zu dem Entgegengeſetzten; aber es iſt keine Fertigkeit, mit der wir leicht und geſchwind den Effekt hervorbringen koͤnnten. Es haͤtte oft einen ſchwerenB 5Kampf26XII. Verſuch. Ueber die SelbſtthaͤtigkeitKampf gekoſtet, wenn wir einen Gebrauch von dieſem Vermoͤgen haͤtten machen wollen. Wer unterſcheidet alle hier wirklich vorkommende Stufen der Schwaͤche, und wie leicht iſt ſogar der Punkt verfehlet, wo die Schwierigkeit anders zu handeln in eine Unmoͤg - lichkeit uͤbergehet? Eine voͤllige Selbſtmacht uͤber ſich wuͤrde nur da ſtatt finden, wo das gleichzeitige Ver - moͤgen zu dem Entgegengeſetzten in der Seele eine ſolche Staͤrke beſitzet, daß es eben ſo leicht iſt, die wirkliche Aktion zu unterlaſſen, als ſie vorzunehmen, oder gleich leicht, ſie anders einzurichten, als ſie ſo zu laſſen wie ſie iſt. Vergleicht man die beyden Vermoͤgen zum Thun und zum Laſſen, als bloße Vermoͤgen mit einander, ſo kann das letztere groͤßer ſeyn, als das erſtere. Es iſt leichter, auf dem Wege den Berg hinauf umzukeh - ren, als weiter fortzugehen. Aber man muß das wir - kende Vermoͤgen in ſeiner Wirkſamkeit betrachten, ſo wie die Bewegungsgruͤnde darauf wirken, und das Ver - moͤgen zum Gegentheile ſoll ſtark genug ſeyn, jenes in ſeiner Wirkſamkeit aufzuhalten, oder anders wohin zu lenken.

IV. Das Maß der Freyheit.

Man kann die Selbſtmacht uͤber ſich in einzel - nen Handlungen von einer zwiefachen Seite an - ſehen, und ihre Groͤße auf eine zwiefache Weiſe be - ſtimmen. Es iſt eine thaͤtige Kraft da, welche handelt, und zugleich ein Vermoͤgen zu dem Gegentheile. Die Summe von beiden zuſammen machet die ganze reelle phyſiſche Groͤße der freyen Kraft in dem handelnden Weſen aus, in ſo ferne ſich ſolche auf die verrichtete Handlung beziehet. Dieß iſt ihre abſolute Groͤße, nach welcher die innere Groͤße des freyen ſelbſtthaͤtigen Weſens beſtimmet wird.

Der27und Freyheit.

Der Moraliſt, der die Groͤße der Moralitaͤt, oder den Grad der Guͤte und der Boͤßheit in der freyen Aktion, das iſt, die Staͤrke, womit die handelnde Kraft nach der Richtung hin beſtimmt geweſen ſeyn muß, in der ſie gewirket hat, um eine ſolche Aktion zu bewirken, als erfolget iſt, nur einiger Maßen ſchaͤtzen will, muß doch auch auf beides zugleich, naͤmlich ſowohl auf die thaͤtige Kraft ſelbſt, als auf das Vermoͤgen zu dem Gegentheil, Ruͤckſicht nehmen. Sonſt faͤllt die Schaͤtzung mangelhaft aus. Von einem eigentlichen Meſſen laͤßt ſich nichts ſagen, da ſolches zur Zeit bey den Seelengroͤßen nicht moͤglich iſt. Ein Weſen, wel - ches aus innerer Naturnothwendigkeit Gutes wirket, welch eine vortreffliche Natur beſitzet es nicht? Aber dieſe Naturguͤte iſt doch keine freye Guͤte, und ein freyes Weſen, das eine gleiche Kraft zum Guten be - ſitzet, wie jenes, hat doch noch mehr innere Guͤte, und iſt ein groͤßeres Weſen, weil es mit einer groͤßern innern Kraft wirket, die auch Boͤſes zu thun das Ver - moͤgen hat, und ihrer ſelbſt maͤchtig iſt, auch dann, wann ſie Gutes thut. Die nothwendige Guͤte bey dem Menſchen, ſeine Natur - und Temperamentsguͤte, hat noch einen deſto wenigern Werth, weil ſie nicht ganz in einem reellen Grade der innern Selbſtthaͤtigkeit der Seele beſtehet, ſondern zum Theil nur in dem Koͤrper ihren Sitz hat, zum Theil auch wahre Schwaͤche und Ohnmacht iſt. Die allerbeſte menſchliche Tugend iſt freylich immer in einigem Grade abhaͤngig vom Koͤrper, aber je mehr ſie doch wahre Tugend iſt, deſto weniger iſt ſie es, und deſto mehr iſt ſie eine Realitaͤt des innern Menſchen, und Staͤrke in der ſelbſtthaͤtigen Seele.

Dagegen vermindert auch die Fertigkeit im Guten an ſich den moraliſchen Werth der Handlung nicht. Die Leichtigkeit gut zu handeln iſt ein Beweis, daß das auf das Gute und Rechtſchaffene gerichtete Vermoͤgenmit28XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitmit einer großen Jntenſion wirket. Aber es folget daraus nicht, daß das entgegengeſetzte Vermoͤgen ſehr ſchwach ſeyn muͤſſe; nicht einmal iſt es nothwendig, daß es in Vergleichung mit jenem geringe ſey, ob es gleich bey den menſchlichen Fertigkeiten wohl ſo iſt. Noch weniger folget alſo, daß die geſammte handelnde Kraft ſchwaͤcher ſey, fuͤr ſich nach ſeiner abſoluten Groͤße ge - ſchaͤtzet, als da, wo die Fertigkeit im Guten fehlet. Sollte der Erwachſene in der Tugend nicht noch eben die Geſchicklichkeit beſitzen Boͤſes zu thun, welche er vorher beſaß, da er mit den Verſuchungen noch kaͤmpfen mußte? Jene Geſchicklichkeit kann jetzo noch groͤßer ſeyn, als ſie vorher war, unerachtet ſie ſich jetzo nicht reget. Er wirket mit einer moraliſchen Kraft, die doch wenigſtens an der einen Seite, in ſo ferne ſie aufs Gute gehet, groͤßer iſt, als bey dem ſchwachen Anfaͤnger, wenn ſie nicht auch an der entgegengeſetzten zugleich es iſt, wie ſie doch ſeyn kann. Aber auch angenommen, daß die innere Seelengeſchicklichkeit zum Boͤſen, alles das zuſammen genommen, was dazu gehoͤret, durch die lange Uebung im Guten in etwas geſchwaͤcht worden ſey, weil ſie durch den Gebrauch nicht geſtaͤrkt worden iſt, ſo folgt dennoch nicht, daß der Zuwachs an Selbſt - thaͤtigkeit an der andern Seite nicht die Abnahme an der entgegenſtehenden uͤbertreffen koͤnne. Und dann wuͤrde doch noch die Fertigkeit im Guten eine wahre Seelen - groͤße ſeyn.

Es kann aber auch zweytens die Groͤße der Selbſt - gewalt uͤber ſich, beziehungsweiſe geſchaͤtzet wer - den, in ſo ferne ſie naͤmlich eine Selbſtmacht uͤber ſich iſt, in ſenſu diuiſo, wie die Alten geſagt haben wuͤrden, nicht in ſo ferne ſie eine Kraft iſt, welche Selbſt - macht beſitzet, in ſenſu compoſito, wie ich ſie vorher betrachtet habe. Alsdenn haͤnget ihre Groͤße nicht ab von den abſoluten Groͤßen der beiden entgegengeſetz -ten29und Freyheit. ten Vermoͤgen zu handeln, und die Handlung zu unter - laſſen, ſondern von ihrem Verhaͤltniſſe gegen einander; und ſie iſt deſto groͤßer, je groͤßer das Vermoͤgen zum Gegentheil in Beziehung auf das Vermoͤ - gen iſt, welches ſich wirklich aͤußert. Die Tu - gend, welche im Kampfe gegen Leidenſchaften und Ver - ſuchungen unterlieget, kann noch mehr werth ſeyn, und unſere Achtung und Mitleiden fuͤr ſie beweiſet es, daß wir ihren Werth empfinden, als die ſchwache Tugend, die nur da thaͤtig iſt, wo das Vermoͤgen zum Boͤſen ge - ringe iſt. Die wirkende Kraft, die von einer ſtaͤrkern uͤberwunden wird, kann wohl viel mehr innere Staͤrke beſitzen, als die, welche uͤber eine ſchwaͤchere den Sieg erhaͤlt. Man ſchließe alſo nicht, daß lebhafte Perſo - nen, die ſo oft von ihrer Leidenſchaft hingeriſſen werden, ein ſchwaͤcheres Vermoͤgen, ſich zu beherrſchen, beſitzen muͤſſen, als die Temperamentsweiſen, die immer bey ſich ſelbſt ſind, und ſich faſſen, weil ſie zu wenig em - pfindſam ſind, um in ſtarke Bewegung geſetzt zu wer - den. Aber dennoch iſt diejenige Kraft immer noch ed - ler und groͤßer, die auch ſtaͤrkere Triebe beſiegen kann.

Dieſe relative Groͤße der Freyheit, die Leich - tigkeit ſich zum Gegentheile zu beſtimmen, die von dem Verhaͤltniß der beiden Vermoͤgen zu der Handlung und zu ihrem Gegentheil entſpringet, macht eigentlich die innere Unabhaͤngigkeit aus, ſowohl von den aͤußern Dingen, die einen Einfluß in die Handlung haben, als auch von den innern Modifikationen, die dazu reizen und bewegen. Je weniger dieſe auf die thaͤtige Kraft einen beſtimmenden Einfluß haben, deſto weniger wird die letztere mit Gewalt zu der Handlung fortgetrieben; deſto gleichguͤltiger iſt die Handlung, und deſto ehe kann ſie unterlaſſen, oder anders eingerichtet werden. Hiezu wird nicht allemal ein gleich großes Vermoͤgen erfodert. Wenn die Wage mit einem geringen Uebergewicht aneiner30XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeiteiner Seite herunter ſteiget, ſo bedarf es auch nur eines kleinen Gegengewichts an der entgegengeſetzten, um ſie zuruͤckzuhalten, und wieder in die Hoͤhe zu bringen. Doch bitte ich, dieß Gleichniß nicht uͤber ſeine Abſicht auszudehnen.

Die Unabhaͤngigkeit iſt zur Freyheit erfoderlich. Aber ſie iſt nur eine Beſchaffenheit der freyen Kraft. Nach der Groͤße von jener kann wohl die Freyheit als Freyheit, aber nicht die ganze Groͤße der freywir - kenden Kraft geſchaͤtzt werden. Die unabhaͤngige Kraft kann eine auf wenige Handlungen und zu ſchwa - chen Aeußerungen aufgelegte Kraft ſeyn. Jch will nicht ſagen, daß dieſe Anmerkung ſehr viel auf ſich habe, aber mich deucht doch, daß ſie von verſchiedenen nicht genug in Betracht gezogen wird, wenn ſie die Groͤße der Frey - heit in dem unkultivirten Zuſtande wilder Voͤlker mit der Freyheit des Buͤrgers in den polizirten Nationen zu ver - gleichen ſuchen. Der Wilde iſt von Geſetzen und Men - ſchen unabhaͤngiger, als der Kultivirte. Das mag ſeyn. Aber beſitzet er uͤberhaupt ſo viele freywirkende Vermoͤ - gen in Hinficht auf andere Menſchen zu handeln, die aus der Geſellſchaft entſpringen, als in polizirten Staaten, wo die Verbindungen und Beziehungen der Menſchen mit und auf Menſchen verwickelter ſind, und alſo meh - rere und mannigfaltigere Vermoͤgen außer ſich in Hin - ſicht auf andere zu handeln entwickelt werden? Man muͤßte wenigſtens, um die Vergleichung richtig anzu - ſtellen, zuerſt feſt ſetzen, wie viele und wie große aͤußere Handlungen das ſind, uͤber die der Buͤrger der einge - richteten Geſellſchaften Herr iſt, und dieſe mit der gan - zen Groͤße und Menge derer, woruͤber er es iſt außer der Geſellſchaft und in dem Stande der Wildheit, verglei - chen. Was hilfts ihm, wenn er hier Herr uͤber alle iſt; aber nur wenige beſitzt? Vielleicht iſt er ein unabhaͤngi -ger31und Freyheit. ger Bettler, der uͤberhaupt weniger durch Geſetze ver - pflichtet iſt, weil er weniger Vermoͤgen hat.

V. Wie die Freyheit ſich auf die Vernunft beziehet.

  • 1) Das Vermoͤgen zu dem Gegentheile deſſen, was wir wirklich vornehmen, iſt noch naͤher zu unterſuchen.
  • 2) Wie die Freyheit ſich auf die Vernunft be - ziehe nach den Wolfiſchen Jdeen.
  • 3) Jede Handlung iſt eine freye Handlung, in der eine deutliche Vorſtellung von der Hand - lung und von dem Objekt die wirkende Kraft beſtimmet. Von der moraliſchen Nothwendigkeit.
  • 4) Aber die Handlung kann auch frey ſeyn, wenn gleich die Kraft von einer nicht deut - lichen Vorſtellung oder Empfindung beſtim - met wird. Der Zuſtand der Befinnung iſt allemal erfoderlich, wenn die Seele frey handeln ſoll.

1.

Die bisherigen Bemerkungen koͤnnten gemachtwerden, ohne die Freyheit noch weiter, als von ihrer Auſ - ſenſeite anzuſehen. Sie ſtellet ſich dar, ich wiederhole es mit Fleiß noch einmal, als ein Vermoͤgen, auf ei - ne andere Art thaͤtig zu ſeyn, als wir es ſind, das zugleich in uns vorhanden iſt, indem wir unſere Kraft anwenden. Worinn dasjenige auch beſtehen mag, was wir die Bewegungsgruͤnde nennen, die Reize und Veranlaſſungen von innen und außen, die ſich mit demVermoͤ -32XII. Verſuch. Ueber die SelbſtthaͤtigkeitVermoͤgen zu handeln in uns verbinden, und dieſe zu thaͤtigen lebendigen Kraͤften machen, ſo ſoll doch da, wo die Handlung frey iſt, noch in unſerm Jnnern ein Vermoͤgen zuruͤck ſeyn, den bewegenden Gruͤnden zu widerſtehen, die wirkende Kraft außer Thaͤtigkeit zu ſetzen, oder in eine andere Richtung zu bringen. Dieß iſt die Jdee von der Freyheit, welche das Gefuͤhl der - ſelben unmittelbar uns vorhaͤlt.

Aber worinn beſtehet das Vermoͤgen zu dem Gegentheile, dieß unthaͤtige, todte Vermoͤgen, wel - ches bloßes Vermoͤgen bleibet, und nicht wirket, naͤmlich nicht dasjenige wirket in Hinſicht auf das Ver - moͤgen, womit wir die Handlung vornehmen, was es auf ſolches wirken kann, in ſeiner Wirkſamkeit es nicht ſtoͤret, noch anders beſtimmet? Jn anderer Hinſicht hat dieß gleichzeitige Vermoͤgen zum Gegentheile aller - dings ſeine Folgen und Wirkungen in jeder freyen Hand - lung, wie ich oben ſchon einmal erinnert habe, und es in der Folge noch deutlicher entwickeln will. Denn in der freyen Handlung iſt ein Charakter von der Frey - heit, mit der die Urſache gewirket hat ein Zeichen von der wirklichen Gegenwart des Vermoͤgens, ſich auf eine entgegenſtehende Art beſtimmen zu koͤnnen.

Um einen Verſuch zu machen, wie weit die Natur dieſes Vermoͤgens ſich deutlicher entwickeln laſſe, will ich auf dem bisherigen Wege den Beobachtungen nach - gehen.

2.

Die Erfahrung lehret, daß Freyheit mit der Ver - nunft oder der hoͤhern Denkkraft in Verbindung ſtehe. Das vernunftloſe Thier iſt kein freyhandelndes Weſen, wenn man ihm gleich eine Willkuͤhr, ein Analogon von menſchlicher Freyheit in eben dem Sinne, wie ein Analogon der Vernunft zuſchreiben kann. Kinder,Bloͤdſin -33und Freyheit. Bloͤdſinnige, Schlafende, Nachtwanderer, Betrun - kene und alle ſolche, bey denen die Vernunft alsdenn, wenn ſie etwas unternehmen, ſich nicht wirkſam bewei - ſet, ſind auch ihrer ſelbſt bey ſolchen Handlungen nicht maͤchtig. So wie die Vernunft in dem Kinde, und in dem Juͤnglinge ſich erhebt, ſo waͤchſet auch ſeine Ge - walt uͤber ſich, und ſeine Freyheit.

Ueberhaupt iſt es ein allgemeiner Erfahrungsſatz: Wenn und wo es unmoͤglich iſt, die gegenwaͤrtigen Vorſtellungen, die unſere thaͤtige Kraft leiten oder be - ſtimmen, ſelbſtthaͤtig zu bearbeiten, aus einander zu ſetzen, zu vergleichen und daruͤber zu reflektiren; dann und da beſitzen wir auch keine Freyheit. Und alles dasjenige, wodurch jenes Vermoͤgen der Denkkraft bey einzelnen Handlungen geſchwaͤcht oder aufgehoben wird, benimmt uns in der gleichen Maße die Gegenwart des Geiſtes, bringet uns, wie wir ſagen, aus unſe - rer Faſſung, ſchwaͤchet die Selbſtmacht uͤber uns, oder hebet ſie auf.

Jn der Wolfiſchen Seelenlehre wird die Freyheit als eine nothwendige Folge der Vernunft angeſe - hen. Ein vernuͤnftiges Weſen kann ſich deutliche Be - griffe machen, und da es ſich nach ſeinen Vorſtellungen zur Handlung beſtimmet, ſo kann es ſich auch nach deutlichen Begriffen beſtimmen. Dieß Vermoͤ - gen, ſich nach deutlichen Begriffen zu beſtim - men, iſt die Freyheit nach der Wolfiſchen Erklaͤrung. Alſo iſt Freyheit eine weſentliche Folge und Wirkung vom Verſtande und Vernunft.

Eine ſolche Abſtammung der Freyheit von der Ver - nunft kann man nun freilich aus ihren Begriffen nicht beweiſen, wenn die obige Jdee von der Freyheit zum Grunde gelegt wird, die wir zunaͤchſt aus den Erfah - rungen erlangen. Ob der Wolfiſche Begriff einerleyII Theil. Cmit34XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitmit dieſem ſey, oder eine Folge davon, oder nur eine einſeitige Vorſtellung ihres Gegenſtandes, das iſt vor - her zu unterſuchen, ehe man es bey ihr bewenden laͤſſet. Und dieß gruͤndlich zu unterſuchen, heißt ſo viel, als die ganze Beziehung der Freyheit auf das Vermoͤgen deut - liche Vorſtellungen zu haben, aufzuſuchen. Moͤgen doch die leidenden, afficirenden und bewegenden Vorſtel - lungen bis zum hoͤchſten Grade entwickelt ſeyn; folget es, daß, wenn ſie die Thaͤtigkeitskraft beſtimmen, ſie ſol - che nicht eben ſo hinreißend und maͤchtig beſtimmen koͤn - nen, als eine ſtaͤrkere Empfindung, oder eine ſinnlich verwirrte Vorſtellung unſrer groͤbern Sinne? Koͤnnen nicht die entwickeltſten Jdeen ſo uͤberwaͤltigend ſeyn, daß alles Widerſtehen unmoͤglich wird? Aber die von Wolfen ſo ſorgfaͤltig aufgeſuchten Beobachtungen leh - ren uns eine Verbindung zwiſchen der Vernunft und Freyheit kennen, die naͤher betrachtet zu werden ver - dient.

3.

Erſtlich iſt es gewiß daß jede Handlung ei - ne freye Handlung iſt, zu der unſere Kraft durch deutliche Vorſtellungen von der Handlung und von dem Objekt, und von deſſen Beziehungen auf uns, be - ſtimmt und geleitet wird. Dieſe Regel iſt ohne Ausnahme, wenn ſie gehoͤrig verſtanden wird. Jede Vorſtellung, die wir deutlich nennen, iſt es nur von Einer Seite, in Hinſicht einiger Zuͤge in ihr, welche auseinander geſetzt ſind, und von uns unterſchieden werden; aber das Ganze derſelben iſt verwirrt und un - deutlich, wie in den Gemaͤlden. Eine deutliche Vor - ſtellung, die es nur in einigen Zuͤgen iſt, kann, in ſo fern ſie als ein verwirrtes und undeutliches Bild auf die Seelenkraft wirket, zwingend ſeyn. Aber je mehr ſie deutlich iſt, und in der Maße, wie ſie es iſt, laͤſſetſie35und Freyheit. ſie das Vermoͤgen anders zu handeln ungekraͤnkt, ſchwaͤchet es nicht, und bindet es nicht. Jn ſolchen Faͤllen haben wir, wie die Erfahrung lehret, uns alle - mal in unſerer Gewalt. Und nach deutlichen Vor - ſtellungen, mit vollem Bewußtſeyn deſſen, was wir thun, handeln, und durch nichts als durch dieſe deutli - che Jdeen beſtimmt werden, iſt ſo viel, als ſo handeln, daß wir uns in unſerer Gewalt haben und frey han - deln.

Es giebt zwar eine Nothwendigkeit in unſern Handlungen, die in der Vernunft ihren Grund hat, und eine wahre phyſiſche Nothwendigkeit iſt, aber dem Erfahrungsſatze, den ich oben vorher angezeigt habe, nicht entgegen ſtehet. Man pflegt ſie wohl eine moraliſche Nothwendigkeit zu nennen. Dieſen Namen kann ſie haben von einer Seite betrachtet, nur nicht in derjenigen Bedeutung, in der das Moraliſch - nothwendige ſo viel iſt, als das Geſetz - und Pflicht - maͤßige, das billig nicht nothwendig heißen ſollte, da die Rechtmaͤßigkeit der Handlung fuͤr ſich allein nie - mals die Selbſtmacht der Seele uͤber ſich aufhebet, und mit dieſer nichts zu thun hat. Jene phyſiſche Noth - wendigkeit zeiget ſich in folgenden Beyſpielen. Es iſt mir, wenn ich wache, und mich beſinnen kann, unmoͤg - lich, meine Hand willkuͤhrlich an dem Feuer verbren - nen zu laſſen, ſo unmoͤglich als es dem Reiſenden uͤber die Alpen iſt, der ſeine Vernunft beſitzet, ſich von dem Fuß - ſteige hinab in die Abgruͤnde zu ſtuͤrzen. Solche auf - fallende Unſinnigkeiten kann der mit Ueberlegungskraft begabte Menſch nicht vornehmen, als nur im Stande der Vernunftloſigkeit, bey den allerheftigſten Leiden - ſchaften, welche die Reflexion unterdruͤcken. Eine Lei - denſchaft brachte den Roͤmer Metius, bringet die Fackyers und andere Fanatiker, zu Tollheiten. Aber wo dieſe Urſachen fehlen, da fehlet nicht bloß ihre Wir -C 2kung,36XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitkung, ſondern es fehlet auch das Vermoͤgen zu ſolchen Wirkungen, wenn geſunde Vernunft das Steuerruder haͤlt. Die phyſiſche Kraft im Koͤrper, um die Hand dem Feuer entgegen zu halten, iſt da, aber dieſe macht das geſammte Vermoͤgen, eine ſolche Handlung vor - zunehmen, nicht aus. Hiezu wird auch eine Kraft er - fodert, den ſtarken Widerwillen, den die Vorſtellung von der That ſelbſt hervorbringet, zu unterdruͤcken, und ihr entgegen das koͤrperliche Bewegungsvermoͤgen auf die Handlung zu richten.

Jn den angefuͤhrten Beyſpielen iſt die Gegenwart der Vernunft, und die Reflexion uͤber die That, die phyſiſche Urſache, daß die Seele, wenn ſie ſo aͤußerſt unſinnige Handlungen unterlaͤßt, oder dagegen aͤußerſt nothwendige vornimmt, dabey nicht frey und mit Selbſt - gewalt uͤber ſich handelt. Aber ſie verrichtet und un - terlaͤßt ſolche auch alsdenn nicht um der Staͤrke der all - gemeinen vernuͤnftigen Ueberlegung willen. Ob es gut ſey oder nicht gut ſey, die Hand zu verbrennen, das kann ſie vernuͤnftig nach deutlichen Begriffen uͤberlegen; und dadurch wird ſie nicht aus ihrer Faſſung gebracht. Sie wuͤrde von dieſen Reflexionen in der That wenig Widerſtand finden, wenn ihr einmal die Luſt anwan - deln ſollte, eine ſolche Probe zu machen. Aber die le - bendigen verwirrten anſchaulichen Vorſtellungen von der That, von ihrer Unvernunft und ihren Wirkungen, welche mit jenen deutlichen Ueberlegungen verbunden ſind, und ſich gegenwaͤrtig der Seele darſtellen; dieſe ſind es, die mit ſolcher Heftigkeit auf das Gemuͤth und auf den Willen wirken, daß die Kraft mit Schaudern von der Handlung zuruͤckfahren muß, und ſich außer Stand geſetzet fuͤhlet, ihr nur zu naͤhern und den An - fang zu machen. Es iſt alſo auch nicht die deutliche Vorſtellung, ſondern die ſie begleitenden Empfindungen, was in ſolchen Faͤllen die Handlung erzwinget. Darausaber,37und Freyheit. aber, daß dergleichen zuruͤckhaltende Vorſtellungen un - ter gewiſſen Umſtaͤnden dennoch durch andere entgegen - geſetzte uͤberwunden werden koͤnnen, folget weiter nichts, als daß es Bewegungsgruͤnde gebe, die noch| ſtaͤrker, als jene ſind. Jn Feuersgefaͤhr ſpringt wohl ein ver - nuͤnftiger Mann im bloßen Hemde aus dem Fenſter auf die Straße, und handelt denn eben ſo nothwendig, als es ihm bey geſunden Verſtande nothwendig iſt, es bleiben zu laſſen.

4.

Dagegen iſt es nicht allemal nothwendig, daß, um frey zu handeln, eine deutliche Vorſtellung der Be - wegungsgrund zur Handlung ſeyn muͤſſe. Der wuͤrde in Wahrheit nur eine ſchwache Gegenwart des Geiſtes beſitzen, den jedwede Empfindung oder ſinnliche Vor - ſtellung, der er nachgehet, ſogleich unvermoͤgend machte, zu widerſtehen, und anders ſich zu beſtimmen. Das Gemuͤth wird oftmals im Gewuͤhl der Geſchaͤffte von verwirrten Bildern ſehr lebhaft angegriffen, und man beſtimmt ſich nach dieſen unentwickelten Vorſtellungen, und behaͤlt demunerachtet die Herrſchaft uͤber ſich, fuͤhlt ſein Vermoͤgen anders zu handeln, und handelt mit Freyheit. Wenn die bewegende Vorſtellung nur nicht die ſtaͤrkſte uͤber alle andere iſt, welche die Seele zu der Zeit in ſich aufbieten kann. Sie kann eine noch ſtaͤrkere in ihrer Ruͤſtkammer im Vorrath haben, die ſie jener entgegenzuſetzen, und unter den Umſtaͤnden, un - ter welchen ſie handelt, zu erwecken und aufzubieten vermag; und man weiß, wenn auch keine andere da iſt, wie ſtark allein die einzige Jdee ſey: ich muß nun ein - mal meinen eigenen Willen beweiſen; die uns zu Dien - ſten ſtehet, und ſich bey dem Eigenſinnigen oͤfterer und ſtaͤrker anbietet, als die Vernunft ſie haben will. Aber es iſt doch in allen Faͤllen, wenn das Vermoͤgen ſo eineC 3entge -38XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitentgegengeſetzte Vorſtellung hervorzuziehen, und uns nach ihr zu beſtimmen, vorhanden ſeyn ſoll, auch nothwen - dig, daß wir uns in dem Stande der Beſinnung alsdenn befinden. Denn ſo oft es hieran fehlet, ſo oft fehlet auch das Vermoͤgen, ſelbſtthaͤtig aus ſich die ru - henden Vorſtellungen und Kraͤfte zu erwecken und thaͤ - tig zu machen. Die Maximen der Weisheit im Ge - daͤchtniß helfen nichts, wenn der Menſch nicht die Kraft hat, ſich ihrer zur rechten Zeit zu erinnern, und ſie zur lebhaften Gegenwart zu bringen, dann, wann die Sinnlichkeit ihn angreift. Jhr Vorrath im Kopfe macht keinen Weiſen, ob ſie gleich die Waffen der Weis - heit ſind. Die Seele muß die Kraͤfte beſitzen, ſie zu fuͤhren, worauf alles ankommt; das iſt, die ſelbſtthaͤti - ge Kraft, die guten Gedanken zu gebrauchen, muß durch den Anfall der bewegenden Vorſtellung nicht ent - zogen, noch geſchwaͤcht noch gebunden werden. Und dazu iſt es nothwendig, daß die Beſinnung oder der Stand der wirkſamen Vernunft und Ueberlegungskraft erhalten werde.

Hieraus offenbaret ſich die Beziehung der Freyheit auf die Vernunft, und der Grund ihrer Verbindung miteinander ſehr deutlich, obgleich jene nicht einerley mit dieſer, noch in ihrem ganzen Umfange genommen, eine nothwendige Folge von ihr iſt.

Die Vernunft iſt ein ſelbſtthaͤtiges Vermoͤgen der Seele, das Vorſtellungen zu ſeinen Gegenſtaͤnden hat, und die Freyheit iſt eine erhoͤhete Selbſtthaͤtig - keit in allen Kraftaͤußerungen der Seele uͤberhaupt. Beide haben eine gemeinſchaftliche Quelle. Daher iſt es alſo nicht zu verwundern, daß, wo der eine von den Ausfluͤſſen, zumal derjenige, der meiſtentheils der ſchwaͤ - chere iſt, naͤmlich die Vernunft, nicht thaͤtig ſeyn kann, auch von dem ſtaͤrkern keine Wirkungen zu erwarten ſind. Jſt Unbeſinnlichkeit in der Seele, ſo iſt keine Selbſt -thaͤtig -39und Freyheit. thaͤtigkeit da, mit der ſie auf ihre Vorſtellungen wir - ken, und mittelſt derſelben ſich beſtimmen kann, entwe - der, weil die Seelenvermoͤgen nicht wirkſam genug ſind, oder weil die Vorſtellung mit zu großer Gewalt auf ſie zudraͤnget, als daß ſie ſolche in derjenigen Entfernung von ſich halten koͤnnte, in der ſie ſo zu ſagen bleiben muͤſſen, wenn die Seele auch vermoͤgend ſeyn ſoll, an - dere neben ihnen hervorzuziehen und zu vergleichen. Jm Schlafe fehlet es an dem erfoderlichen Grade der Thaͤtigkeit, aus Schwaͤche der Kraft; im wachenden Zuſtande, wenn ſinnliche Vorſtellungen und Leiden - ſchaften hinreißen, iſt die Gewalt der Empfindungen zu uͤberwaͤltigend und feſſelnd.

VI. Das Vermoͤgen ſich anders zu beſtimmen bey freyen Handlungen muß ein aktives inneres Vermoͤgen ſeyn, und nicht eine bloße Recepti - vitaͤt anders beſtimmt werden zu koͤnnen.

Wenn man weiter die Urſache auffuchet, warum es eben nothwendig iſt, daß wir uns in dem Stande der Beſinnlichkeit befinden muͤſſen, indem wir uns zu etwas beſtimmen, wofern die Handlung unmittelbar frey ſeyn ſoll, ſo kommen wir auf die dunkelſte Stelle in dieſer Betrachtung, wo uns die Frage aufſtoͤßt, was es fuͤr eine Beſchaffenheit mit dem Vermoͤgen habe uns anders zu beſtimmen, welches wir ſelbſtthaͤtig in uns ſollen aufbieten, und dadurch die wirkende Kraft zuruͤckhalten, oder anders beſtimmen koͤnnen. Jn wie fern iſt dieß Vermoͤgen anders zu thun, als wir thun, ein wahres aktives Vermoͤgen etwas hervorzubrin - gen und zu verrichten, und in wie fern iſt es ein Ver - moͤgen unſers ſelbſtthaͤtigen innern Princips?

C 4Die40XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit

Die Wagſchale ſey durch ein Uebergewicht an ei - ner Seite nach dieſer hin heruntergeneigt. Leget man noch ein ſtaͤrkeres Gewicht in die gegenſeitige Schale, ſo ſteiget jene wiederum in die Hoͤhe, und dieſe letztere mehr beſchwerte ſinkt herunter. Als die Wage auf die erſtere Art durch das Uebergewicht ſich bewegte, beſaß ſie die Receptivitaͤr, durch eine Vergroͤßerung des Gegengewichts an der andern Seite wieder in den Gleichſtand zu kommen, und nach der Gegenſeite hin bewegt zu werden. Machte dieß ihr paſſives Ver - moͤgen anders beſtimmt zu werden, als ſie es war, die Wage zu einem freyen ſeiner ſelbſt maͤchtigen Weſen?

Wenn mein Hund mit mir aufs Feld gehet, und nun hinter einer Kraͤhe herſtreichet, und ich ihn laut und mit dem Stock drohend zuruͤckrufe, ſo haͤlt er mit - ten im Lauf inne, und begiebt ſich zu meinen Fuͤßen. Dieß Thier beſaß alſo waͤhrend des Laufs, wozu es ſei - ne Begierde trieb, eine Gelenkſamkeit, auf meine Stimme und auf meinen Stock aufmerkſam zu werden. Durch die Empfindungen, die daraus entſtehen, konnte die bewegende Kraft ſeiner Muskeln anders gelenkt wer - den, als ſie wirklich vorher beſtimmt war. Hat der Hund deswegen mit Selbſtmacht uͤber ſich und mit Freyheit gehandelt, als er auf die erſtere Art fortlief? Wir Menſchen befinden uns zu oft in aͤhnlichen Um - ſtaͤnden, wenn uns Leidenſchaften hinreißen, als daß unſer Selbſtgefuͤhl uns nicht ſagen ſollte, daß dieſe Fra - ge zu verneinen ſey. Soll ich mit Freyheit handeln, ſo ſoll ich aus mir ſelbſt vermoͤgend ſeyn, mich zu be - ſtimmen, nicht aber bloß aufgelegt ſeyn, mich leidend beſtimmen zu laſſen.

VII. Von41und Freyheit.

VII. Von dem zureichenden Grunde, den freye Hand - lungen haben.

Ehe man aber weiter geht, iſt es noͤthig auf den Er - fahrungsſatz zuruͤckzuſehen, den die Jndetermini - ſten eben ſo vergeblich einzuſchraͤnken und wegzuraiſon - niren ſich bemuͤhen, weil er ſich mit ihrer Jdee von der Freyheit nicht vertraͤgt, als ihre Gegner das wahre Ge - fuͤhl von Freyheit; daß naͤmlich jedwede, auch die al - lerfreyeſte Handlung, die moͤglich iſt, theils in der Seele, welche ſich beſtimmt und handelt, theils in den aͤußern indwiduellen Beziehungen auf das Objekt der Aktion, theils in der Beſchaffenheit des Objekts ſelbſt, ihren voͤllig zureichenden, oder wenn man will, beſtim - menden Grund habe, das iſt, einen Grund, warum ſie unternommen wird, und warum ſie auf dieſe, und auf keine andere Art unternommen wird. Die Erfah - rung iſt hier eben ſo deutlich und entſcheidend, als ſie es in Hinſicht der Freyheit ſelbſt iſt. Jn unzaͤhligen Faͤllen erkennen wir den Zuſtand, der unmittelbar vor der Beſtimmung der Kraft vorhergeht, ſo weit, daß wir es deutlich ſehen, daß ein ſolcher hinreichender Grund vorhanden iſt. Und dieß offenbaret ſich am meiſten da, wo wir mit der voͤlligſten Beſinnung han - deln, und unſere Aktion ſo voͤllig frey iſt, als ſie es ſeyn kann. Noch ſind die Jndeterminiſten es ſchuldig, ir - gend eine einzige vollſtaͤndige Beobachtung beyzubrin - gen, die hievon eine Ausnahme mache. Denn in al - len ſolchen Faͤllen, die dem erſten Anſcheine nach viel - leicht angefuͤhrt werden moͤchten, und auch wohl von einigen als Beyſpiele gebraucht ſind, iſt es bis zur Evi - denz gewiß, daß uns die individuellen Umſtaͤnde lange nicht alle bekannt ſind, und daß alſo auch bloße Unwiſ - ſenheit den Theil der zureichenden Urſache, den wirC 5vermiſ -42XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitvermiſſen, verſtecken koͤnne, der ſich uͤberdieß in man - chen Faͤllen gezeiget hat, nachdem man ihn mit mehre - rer Aufmerkſamkeit aufgeſucht hatte. Es giebt keinen pſychologiſchen Erfahrungsſatz, der eine ſtaͤrkere Jn - duktion fuͤr ſich habe, als dieſer. So lange man nur bey der Erfahrung allein ſtehen bleibt, und die Speku - lationen aus Begriffen bey Seite ſetzet, wird man kein Bedenken haben, ihn fuͤr einen allgemeinen Satz zu er - kennen. Es iſt unnoͤthig, das metaphyſiſche Princip vom zureichenden Grunde hieher zu ziehen. Jch wenigſtens wuͤrde mich darum nicht einmal bekuͤmmern. Genug es iſt eine Uebereinſtimmung aller Empfindun - gen da, die fuͤr die Allgemeinheit des Satzes ſtreitet, und wenigſtens nicht erlaubet hier Ausnahmen anzu - nehmen, als bis etwan durch die ſtrengſten und buͤndig - ſten Beweiſe dargethan wird, daß es dergleichen geben muͤſſe, wenn man nicht Widerſpruͤche verdauen wolle. Durch dieſe letztere Einſchraͤnkung bezeuge ich den Jn - determiniſten meine ganze Nachgiebigkeit, womit zum wenigſten diejenigen von ihnen zufrieden ſeyn werden, die es ſelbſt eingeſtehen, daß die vollkommenſte Gleich - heit aller individuellen Umſtaͤnde auf beiden entgegen - geſetzten Seiten (ſtatum perfecti aequilibrii) aus der Erfahrung nicht zu beweiſen ſey, ob man gleich die Wirklichkeit ſolcher Faͤlle aus Gruͤnden erkenne, weil ſonſt keine wahre Freyheit im Menſchen vorhanden ſeyn koͤnne. Einige von ihnen wiſſen es ſo gut, daß dergleichen vollkommen gleiche Beſtimmtheit der Hand - lung und ihres Gegentheils ſelten oder gar nicht beob - achtet werde, daß ſie daher behauptet haben, es ſey genug, wenn man ihnen eingeſtehe, der Menſch muͤſſe doch dann und wann einmal zum mindeſten in ſeinem Leben in dieſem vollkommenen Gleichgewichte ſich befun - den haben. Wenn ich hiezu nun noch die Erklaͤrung ſetze, daß ich jede Theorie hier auf ihrem Werth undUnwerth43und Freyheit. Unwerth beruhen laſſen, nur lediglich der Beobachtung nachgehen, und am Ende es darauf ankommen laſſen wolle, ob die Jdee von der Freyheit, welche man in der Experimentalphyſik der Seele aus Beobachtungen erhaͤlt, durch die metaphyſiſchen Theorien aus Ver - nunftſaͤtzen auch etwas umgeformt werden muͤſſe, als welches an ſich ja nicht unmoͤglich iſt, noch befremdend ſeyn wuͤrde, da wir in andern Wiſſenſchaften von wirk - lichen Dingen, z. B. in der Aſtronomie, aͤhnliche Bey - ſpiele haben; wenn, ſage ich, dieß erklaͤrt wird, ſo deucht mich, ich koͤnne als Philoſoph vom Philoſophen fodern, daß man mich aushoͤren, und nicht zu voreilig durch die Abſtraktion von der Freyheit ſich an der rich - tigen Beobachtung ihrer Aeußerungen ſtoͤren laſſe.

Jn den mathematiſchen Wiſſenſchaften kann man ſeine Meinung mit wenig Worten ſagen, ohne befuͤrch - ten zu duͤrfen, von denen mißverſtanden zu werden, von denen man richtig verſtanden werden will. Jn der Philoſophie iſt es ſo weit noch nicht, es mag nun die Unbeſtimmtheit der Begriffe, oder die Unvollkommen - heit des Ausdrucks, Schuld daran ſeyn. Um alſo den Mißdeutungen uͤber das, was ich hier unter dem zu - reichenden Grunde verſtehe, den jede unſerer freyen Handlungen hat, vorzubeugen, will ich einen wirkli - chen Verſuch anfuͤhren, den ich mehrmals beſtaͤndig mit einerley Erfolg angeſtellet habe. Daraus wird man ſehen, was ich hier unter zureichendem Grund ver - ſtehe. Jch mag ihn nicht ſo gern den voͤllig beſtim - menden Grund nennen, weil der aktive Ausdruck be - ſtunmend eine Nebenidee von einer Aktion des Grun - des ausdruͤcket, die nicht allemal vorhanden iſt. Sonſt iſt an einem Worte fuͤr ſich nichts gelegen.

Jch ſetze mir vor, meine rechte Hand auf das eine oder auf das andere Ende eines Buchs, welches vor mir liegt, niederzulegen. Jch ſtelle mich ſo gegen dasBuch,44XII. Verſuch. Ueber die SelbſtthaͤtigkeitBuch, daß ich, ſo viel als immer moͤglich iſt, gegen dieſe beiden Bewegungen nach der einen und nach der andern Stelle hin, gleichguͤltig werde, und wenn ja etwan eine dieſer Aktionen ohne mein Wiſſen noch et - was voraus behalten ſollte, das mich zu ihr vorzuͤglich geneigt machen moͤchte, ſo kann ich doch die Sache ſo einrichten, daß der Einfluß davon in meine Beſtim - mung ſo geringe iſt, daß ich ihn mit aller mir moͤgli - chen Aufmerkſamkeit nicht wahrnehmen kann. Was geſchieht? Jch frage mich ſelbſt, nach welcher Seite ich wohl die Hand hinlegen wolle, nach dieſer oder jener? und ſo lange ich mich frage und mich bedenke, wechſele ich die Vorſtellungen von beiden Aktionen in mir ſchnell mit einander ab. Es geſchieht aber nichts, hoͤchſtens ſchwebt meine Hand etwas hin und her, oder neiget ſich eigentlich nur wechſelsweiſe nach beiden Seiten. Endlich werde ich des Verſuchs uͤberdruͤßig; noch einige Augenblicke fahre ich vielleicht fort mich zu bedenken, aber endlich entſchließe ich mich zum Entſcheiden. Fuͤr welche Seite entſcheide ich nun? Beide ſind mir, ſo viel ich immer bemerken kann, gleichguͤltig. Jch be - wege die Hand nach der Stelle und in der Richtung hin, wovon die Jdee mir am lebhafteſten in dem Au - genblick gegenwaͤrtig war, da ich mich entſchloſſen hatte zu entſcheiden.

Jch beſtimmte mich zum Entſcheiden, weil mir dieß mehr gefiel, als die laͤngere Fortſetzung des vergeb - lichen Bedenkens. Jch beſtimmte mich zur Rechten, nicht darum, weil ich in dieſer Aktion den geringſten Vorzug antraf, ſie fuͤr leichter, bequemer oder angeneh - mer anſah, als die andere, ſondern nur allein darum, weil dieſe, da mir beides gleichguͤltig war, eben zuerſt mir in den Sinn kam. Dieſer letztere Umſtand iſt nicht der zureichende Grund der ganzen Hand - lung; hiezu gehoͤret viel mehr; ſondern der Grund,warum45und Freyheit. warum ich dieſe Aktion vornahm, und nicht die entge - gengeſetzte. Die Faͤlle, worinn wir uns zu dem be - ſtimmen, was, nach einer vorhergegangenen Verglei - chung der mehrern Moͤglichkeiten, uns das Beſte fuͤr ſich und objektive das Vorzuͤglichſte zu ſeyn ſcheinet, ſind vielleicht in dem ganzen Jnbegriffe der freyen Hand - lungen die wenigſten. Oft iſt der Grund, warum wir dieß greifen, und nicht ein anders, nur der, weil in dem Augenblicke der Beſtimmung uns jenes zuerſt in den Wurf kommt. Die meiſten Male iſt vielleicht bei - des, innerer und aͤußerer Grund beyſammen, aber oft genug iſt es mehr der letztere, als der erſtere, von dem das Warum ſo und nicht anderſ? abhaͤngt. Wir ſagen von ſolchen Handlungen, und karakteriſiren ſie dadurch; das Erſte ſey das Beſte. Und auch in un - ſern wichtigen Entſchluͤſſen geſchieht es nicht ſelten, daß, wenn die lange Ueberlegung uns ſtumpf gemacht hat, wir endlich eben ſo, wie dort, das Erſte was uns ein - faͤllt, wenn wir den letzten Entſchluß faſſen wollen, das Beſte ſeyn laſſen. Eine geſpannte und nun entloͤſete elaſtiſche Feder ſchnellt eine Kugel fort. Warum dieſe Kugel und nicht eine andere? Um nichts anders, als weil dieſe vor ihr lag, und nicht die andere.

VIII. Von46XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit

VIII. Von ſelbſtthaͤtigen und aus Eigenmacht hervor - gehenden Kraftaͤußerungen. Was es heiße, unabhaͤngig und aus voller Eigenmacht handeln. Von ſelbſtthaͤtigen Kraͤften, zu deren Aeußerung ein Reiz von außen erfo - dert wird. Von Aktionen, die durch eine mit - getheilte Kraft hervorgebracht werden.

Da die vornehmſte Schwierigkeit bey dem Begriffe von der Freyheit am Ende in unſerm Begriffe von der Spontaneitaͤt lieget, ſo laßt uns bey dieſer letz - tern vorher etwas ſtille ſtehen. Man findet bey den aͤltern Metaphyſikern ſchon manche allgemeine Betrach - tungen uͤber die Natur der Kraft und der Wirkſam - keit, die hieher gehoͤren. Bilfinger hat vorzuͤglich vieles zur Aufklaͤrung dieſes Begriffs geleiſtet. *)De origine mali. Jch halte mich uͤberzeugt, man wuͤrde laͤngſtens den etwan noch fehlenden Schritt gethan haben, wenn man die Entwickelung der allgemeinen Verſtandesbegriffe, vom Thun und Leiden, Aktion, Vermoͤgen, Kraft, Princip, und anderer, die ſich auf dieſe beziehen, et - was mehr ſich haͤtte angelegen ſeyn laſſen, als es ge - ſchehen iſt. Dieß ſoll keine Vorrede zu einer metaphy - ſiſchen Spekulation ſeyn. Jch werde nichts mehr von allgemeinen Begriffen mitnehmen, als unumgaͤnglich uothwendig iſt, um deutlich und genau zu ſehen. Wer dieß nicht verlanget, kann dieſen Abſchnitt uͤberſchlagen, nnd ihn nachher leſen, wenn er aus dem folgenden be - merket hat, auf welche Punkte man eigentlich die Au - gen am meiſten richten muͤſſe. Ueberdieß werde ich auch die noͤthigen Gemeinbegriffe mehr in den einzel -nen47und Freyheit. nen Faͤllen darſtellen, aus denen man ſie ſelbſt ſich ab - ſtrahiren kann, als in ihren allgemeinen Definitionen, die man nur alsdenn erſt gut machen kann, wenn man die Begriffe ſchon genau und ſcharf gefaßt hat.

Eine Handlung, die wir einem thaͤtigen Weſen zuſchreiben, weil es wenigſtens den vornehmſten Theil der ganzen thaͤtigen und in der Handlung ſich aͤuſ - ſernden Kraft in ſich enthaͤlt, iſt auch um deſto mehr eine ſelbſtthaͤtige Aktion, je weniger irgend etwas anders, was ſonſt auch vorhanden ſeyn muß, und deſſen Gegenwart unter die Erfoderniſſe oder noth - wendigen Umſtaͤnde der Handlung |gehoͤrt, als ein thaͤtiges Weſen zu der Wirkung etwas beytraͤgt, und in die Beſchaffenheit der Handlung ſelbſt einen Einfluß hat. Je mehr alle Thaͤtigkeit aus dem Jnnern der thaͤtigen Kraft entſpringt, und je mehr alle umgebende und mit ihr verbundene Gegenſtaͤnde bloß leidentlich ſich dabey verhalten, deſto mehr ſelbſtthaͤtig iſt die Aktion in Hinſicht des Dinges, dem ſie zugeſchrieben wird. Die Selbſtthaͤtigkeit iſt eine Unabhaͤngigkeit des thaͤtigen Weſens in ſeinem Wirken von den Kraͤften und Aktionen anderer aͤußerer Dinge.

Die Schale von der Wage ſteiget herunter durch das Gewicht, welches hineingelegt wird, wie das Schwerdt durch die Kraft des Arms ſchneidet, der es fuͤhret. Die Schale und das Schwerdt ſind nicht ſelbſtthaͤtig. Was ſie wirken, wie groß und ſtark ihr Effekt auch iſt, und die Richtung, in der ſie wirken, das iſt nicht in ihrem thaͤtigen Princip beſtimmt, ſon - dern richtet ſich nach der Groͤße, Beſchaffenheit und Richtung der Kraft, wodurch ſie getrieben werden. Dagegen faͤhret die geſpannte und nun ausſpringende Stahlfeder gegen eine Kugel, und treibet ſie fuͤr ſich weg. Dieſe Feder iſt ſelbſtthaͤtig, Die Materie der Kugel beſitzet nichts als eine leidentliche Receptivitaͤt,eine48XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeiteine Bewegung anzunehmen; ihre Ruͤckwirkung, die man ihr waͤhrend der Aktion der Feder etwan zu - ſchreibet, abgerechnet. Die ganze Wirkſamkeit vom Anfange bis zu Ende iſt in der Feder, und gehet aus einem innern Princip in ihr hervor. Dieß iſt ein Bey - ſpiel, das uns einen Begriff von einer Selbſtthaͤtig - keit geben kann, die es in dem hoͤchſten Grade iſt. Wenn die Feder ſich nur allein ausdehnet, ohne daß ſie an einen andern Koͤrper anſtoͤßt, ſo iſt keine Aktion in ein anderes Objekt vorhanden, und die Feder wirket alsdenn nur auf ſich allein, und in ſich.

Zwiſchen den beiden Aeußerſten in dieſen angefuͤhr - ten Beyſpielen, zwiſchen der bloß leidenden und der ganz thaͤtigen Kraft, liegen andere Mittelſtufen, wo - von ich hier nur folgende beſonders auszeichnen will. Es ſey die Feder in ihrer freyen ausgeſtreckten Lage, und es werde ein harter Koͤrper gegen ſie geworfen, der ſie zuſammendruͤcke und ſpanne. Sobald ſie geſpannt wird, faͤngt ihre elaſtiſche Kraft an, ſich wirkſam zu beweiſen. Sie entziehet dem anſtoßenden Koͤrper ſeine Geſchwindigkeit, ſo lange ſie ihn noch immer naͤher hinan kommen laͤßt; und alsdenn giebt ſie ihm vom neuen eine entgegengeſetzte Bewegung, und entfernet ihn wieder von ſich. Hier laſſen ſich zwo Aktionen der Feder unterſcheiden, oder vielmehr etwas zweifaches in der Wirkung, die durch die Aktion hervorgebracht wird. Die Bewegung des Koͤrpers, der auf die Feder ſtoͤßt und ſie zuſammendruͤckt, wird zerſtoͤret, und eine neue Bewegung in derſelbigen Materie hervorgebracht. So - wohl die erſtere als die zwote von dieſen Aktionen ſind ſelbſtthaͤtige, jedoch mit einiger Verſchiedenheit, wenn jede fuͤr ſich abgeſondert und einzeln vorgeſtellet wird. Die letztere iſt vollkommen ſelbſtthaͤtig, wie in in dem vorhergehenden Beyſpiele; die erſtere aber nicht ſo. Der ſtoßende Koͤrper ſpannte durch ſeine Thaͤtigkeitdie49und Freyheit. die Feder, und hatte alſo einen Einfluß in die Wirk - ſamkeit ihrer Elaſticitaͤt. Da haben wir ein Beyſpiel, worinn die nachher ſelbſtthaͤtige Kraft vorher, durch die Einwirkung einer andern thaͤtigen Urſache, in einen ſol - chen Zuſtand verſetzet wird, in welchem ſie nun als eine gereizte und geſpannte ſelbſtthaͤtige Kraft ſich auslaſſen kann.

Ohne dieſe Beyſpiele von koͤrperlichen Kraͤften und Thaͤtigkeiten in andern Abſichten als zur Erlaͤu - terung zu gebrauchen, will ich daraus folgende Unter - ſchiede bemerklich machen.

Eine voͤllige Selbſtthaͤtigkeit, oder die Selbſt - thaͤtigkeit ohne Beywort iſt alsdenn vorhanden, wenn die ganze Aktion aus der Kraft der wirkenden Sub - ſtanz hervorgehet, ſo daß, wenn ſie eine herausgehende Handlung iſt, in den außer ihr befindlichen Dingen nichts mehr zur Handlung gehoͤriges enthalten ſey, als allein das Objekt, auf welches die Kraft angewendet wird, mit ſeiner Receptivitaͤt die Wirkung anzuneh - men.

Die erweckte Selbſtthaͤtigkeit in der geſpann - ten Feder iſt doch auch eine Selbſtthaͤtigkeit, und iſt vorhanden, wenn die thaͤtige Kraft durch die Aktion eines aͤußern Dinges in ſeinen Zuſtand der Wirkſam - keit geſetzt worden iſt.

Zwiſchen dieſen Selbſtthaͤtigkeiten, das iſt, der Wirkſamkeit aus eigner Macht und der Wirk - ſamkeit aus fremder Macht, liegen alle unvoll - ſtaͤndige Selbſtthaͤtigkeiten in unendlich mannich - faltigen Stufen, deren Unterſchiede von einem Mehr oder Weniger in jenen Beſchaffenheiten abhangen. Jſt die Aktion und die Wirkung, welche hervorgebracht wird, immer eine unmittelbare Aeußerung einer Kraft, die allein aus ihrem innern Princip hervorgeht, und alſo keinesweges als eine mittelbare Aktion einer frem -II Theil. Dden50XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitden Kraft angeſehen werden kann, ſo iſt es doch moͤg - lich, daß jene ſelbſtthaͤtige Kraft waͤhrend ihrer Aktion einer beſtaͤndigen Anreizung benoͤthigt ge - weſen ſey, und dieſe von dem Einfluſſe einer aͤußern Ur - ſache empfangen habe.

Hiebey ſtoͤßt uns aber in den Erfahrungen noch eine andere Verſchiedenheit auf, die ſehr in Betracht gezo - gen zu werden verdienet, weil ſie unſere Begriffe unge - mein verwirren kann. Es iſt naͤmlich ganz etwas an - ders, wenn ein Ding die Kraft eines andern zur Thaͤtigkeit reizet, und wenn ein Ding einem an - dern die Kraft verleihet, mit welcher dieß letztere wirket. Dieſe Verſchiedenheit verraͤth ſich an zweyen Merkmalen. Wenn eine Kraft nur durch ein anderes Ding, als durch ſein Jnſtrument wirket, ſo iſt das letztere nur ein Kanal, der die Wirkſamkeit des erſtern fortfuͤhrt, oder, nur ein Konduktor, wie die leidenden Koͤrper bey der Elektricitaͤt; und dann wuͤrde ſich die Kraft auch ohne dieſes Zwiſchenmittel, auf eine aͤhnli - che Art, obgleich in einer andern Richtung, wirkſam haben bewegen koͤnnen. Die Schale der Wage druckt die Hand nieder durch das Gewicht, welches in ihr liegt. Aber das Gewicht wuͤrde die naͤmliche Wirkung in der - ſelbigen Staͤrke unmittelbar hervorbringen koͤnnen. Die Schale handelt alſo nicht durch ihre eigene, ſondern durch die fremde Schwere, und der erfolgte Druck iſt nichts, als eine mittelbare Wirkung des fremden Ge - wichts, welches durch die Schale wirket. Es verhaͤlt ſich anders, wo die wirkende Kraft nur zur Thaͤtigkeit von ei - ner andern gereizet worden iſt. Denn in dieſem Fall wuͤrde die erfolgte Wirkung aus der Aktion der bloß reizen - den und erweckenden Kraft nimmermehr erfolget ſeyn.

Dazu kommt noch ein zweytes Kennzeichen. Wenn eine Urſache nur aus fremder mitgetheilter Kraft thaͤtig iſt, ſo hoͤret nicht nur ihre ganze Thaͤtigkeit, ſondernauch51und Freyheit. auch ihre Kraft als Vermoͤgen auf, ſo bald ſie des Ein - fluſſes des ſie kraͤftig machenden Weſens beraubet iſt. Oder wenn es ſich auch, wie bey der Bewegung der Koͤrper, die ſie im Fallen von der Schwere erlanget haben, verhaͤlt, wenn naͤmlich die durch einen fremden Einfluß erzeugte Kraft von einem fortdaurenden, aber zufaͤlligen und veraͤnderlichen, Zuſtande abhaͤngt: ſo wird doch, um der Urſache dieſe Kraft zu benehmen, nichts mehr noͤthig ſeyn, als nur dieſen Zuſtand in ihr abzu - aͤndern. Alsdenn iſt auch zugleich ihre ganze Thaͤtig - keit und Vermoͤgen dahin, und in ihr nichts reelles mehr uͤbrig, kein inneres Princip, kein Vermoͤgen, keine Faͤhigkeit, außer der bloßen Receptivitaͤt, ſich et - wan vom neuen mit Kraft begaben zu laſſen. Man nehme der Kanonenkugel ihre Geſchwindigkeit, die ihr von der ausdehnenden Kraft des Pulvers gegeben war; ſogleich hoͤrt alles Vermoͤgen ſich zu bewegen, und andere Koͤrper zu zerſchmettern, auf einmal auf.

So iſt es wiederum nicht bey den eigenmaͤchtigen nur zur Thaͤtigkeit gereizten Weſen. Jhre wirk - ſame Kraftaͤußerung kann aufhoͤren, wenn ſie nicht zur Wirkſamkeit gereizet wird; aber ihr Vermoͤgen, ihre tode Kraft bleibet in ihr, wie die Elaſticitaͤt in der Stahlfeder iſt, auch wenn ſie von keinem Druck ge - ſpannet wird. Die aus Eigenmacht wirkende Kraft behaͤlt noch immer eine Realitaͤt mehr in ſich, als bloße Receptivitaͤt, ſich von einer Kraft wiederum in einen gewiſſen Zuſtand verſetzen zu laſſen. Auch ungereizet und unerwecket, in ihrer Ruhe beſitzet ſie das, was wir Vermoͤgen nennen; welches die reelle Folge hat, daß ſobald ſie thaͤtig wird, der Effekt den ſie hervorbringet, nun nicht aus der Wirkung begreiflich iſt, die ſie von der reizenden Kraft aufgenommen hat, noch dieſer, wie eine Wirkung ihrer Kraft proportionirt ſeyn kann. Denn ſie bringet etwas hervor, welches ſowohl der Quantitaͤt alsD 2Quali -52XII. Verſuch. Ueber die SelbſtthaͤtigkeitQualitaͤt nach von dem verſchieden iſt, was durch den Einfluß der ſie erweckenden Urſache in ſie hineingeleget war. Und eben hieran verraͤth es ſich, daß ſelbſt in ihrem Jnnern eine Realitaͤt vorhanden iſt, die wir Ver - moͤgen nennen, die ihr nicht gegeben ward und die nun, nachdem die Reizung hinzu gekommen iſt, das wahre Princip oder die Quelle ihrer Aktion und ihrer Wirkung ausmacht. Beſaͤße z. B. die Feder keine Elaſticitaͤt, ſo wuͤrde ſie wie ein weicher Thon zwar von einem Druck gebogen werden, aber nicht wieder herauswirken. Die Wirkung des aͤußern Drucks bringet eine Veraͤnderung ihrer Figur hervor; und mit dieſer empfangenen Mo - difikation wuͤrde ſie widerſtehen, und einem andern Koͤr - per ſeine Kraft benehmen koͤnnen, der ſie vom neuen um - aͤndern wollte. Aber ſie wuͤrde keine bewegende Kraft aͤußern koͤnnen, wie ſie wirklich thut.

Ziehen wir noch einmal das Allgemeine, das in den angefuͤhrten und vielen andern ihnen aͤhnlichen Beyſpie - len enthalten iſt, die wir anfangs nur aus der Koͤrper - welt nehmen moͤgen, vor uns herauf, und vergleichen dieſe verſchiedenen Abſtraktionen mit einander, ſo zeiget ſich uns das Weſentliche in der Selbſtthaͤtigkeit, und der Grund und das Maß derſelben.

Jſt es nur Ein Weſen, welches wirket, denn die - ſen einfachſten Fall kann man am leichteſten uͤberſehen, und doch in der That aus ihm alles Licht haben, das man gebraucht, ſo iſt ſeine Aktion eine Folge ſeiner innern dermaligen Beſchaffenheit, ſeiner thaͤtigen Vermoͤgen und Kraͤfte. Dieß in ihm vorhandene ma - chet das innere thaͤtige Princip, den innern zurei - chenden Grund von der Aktion aus, in welcher die Kraft hervorgeht und ſich aͤußert. Dieß wirkende We - ſen wirket alſo ſelbſt und allein, und ſeine Aktion geht alſo dermalen aus ihm ſelbſt hervor, und iſt in ſo weit eine ſelbſtthaͤtige Handlung.

Ohne53und Freyheit.

Ohne noch darauf zu ſehen, ob es Eigenmacht, oder nur fremde Macht iſt, welche dieſe Aktion her - vorbringet, muß doch da, wo die Aktion auswaͤrts her - ausgehet, und in einem andern Objekt die Wirkung verurſachet, noch ein aͤußerer Umſtand hinzu kom - men, woraus ſich begreiffen laͤßt, warum ſie eben auf dieſen Gegenſtand, und keinen andern trift, von dieſer Seite, und auf dieſe Art, und nicht anders*)Erſt. Th. viert. Verſ. IV. 2. 3.. Die - ſer Umſtand beſtehet in einer gewiſſen Lage des aͤuſ - ſern leidenden Objekts gegen die Kraft. Wo das thaͤtige Weſen in ſich ſelbſt wirket, faͤllt dieſes Erfoderniß weg. Es iſt aber klar, daß da, wo dieſer aͤußere Umſtand weiter nichts, als eine unwirkſame Beziehung der Kraft auf ihren Gegenſtand in ſich haͤlt, ſolcher zwar als ein Theil des ganzen zureichen - den Grundes, warum das, was geſchieht, ſo ge - ſchieht und nicht anders, angeſehen, und alſo auch in dem ganzen entſcheidenden Grunde der Aktion be - griffen werden muͤſſe, aber daß auch dieß nicht hindere, daß nicht die erfolgende Aktion ſelbſt ihrem ganzen in - nern Gehalt und ihrer Beſchaffenheit nach, der Art und Weiſe der Thaͤtigkeit nach, ihrer Staͤrke und Richtung nach, voͤllig und allein in dem Jnnern des handelnden Weſen, ihren ganzen zureichenden Grund haben, und eine dieſem innern Princip entſpre - chende Wirkung ſeyn koͤnne. Denn nichts, als dasje - nige, worinn die Aktion, wenn ſie ſo zu ſagen außer dem thaͤtigen Weſen heraus iſt, umgeaͤndert wird, und das giebt der Wirkung freylich oft ein ganz entge - gengeſetztes Anſehen, haͤngt in dem hier angenom - menen Fall von dem Daſeyn, von der Receptivitaͤt, und von der Lage des leidenden Objekts ab. Ob aber die Aktion voͤllig oder zum Theil ſelbſtthaͤtig aus Ei -D 3genmacht,54XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitgenmacht, oder durch eine fremde Kraft, aus innerer beſtaͤndiger Naturkraft, oder nur aus einer zufaͤlli - gen, mitgetheilten, aus nur erweckter Selbſt - thaͤtigkeit, oder aus hineingelegter Kraft ent - ſpringe? dieß iſt von jenen aͤußern unwirkſamen Um - ſtaͤnden unabhaͤngig.

Der innere zureichende Grund der erfolgenden Aktion kann aber ſo in der thaͤtigen Subſtanz vorhan - den ſeyn, daß er ganz allein von dieſer ſelbſt, ihrer Natur, oder ihrem zwar erworbenen aber beſtaͤn - dig fortdaurenden Vermoͤgen abhaͤnget, und daß, um ſich auf eine ſolche Art zu aͤußern, es durchaus kei - ner neuen Modifikation von einem andern Dinge, und keines aͤußern Einfluſſes einer fremden Urſache, mehr bedarf. Jn dieſem Fall handelt ſo ein Weſen voͤllig unabhaͤngig, und allein aus Eigenmacht, und iſt ein ſelbſtthaͤtiges Weſen, in dem Zuſtand betrach - tet, in dem wir es uns vorſtellen, wenn wir uͤber ſeine Selbſtmacht urtheilen. Dieß Weſen mag unter andre aͤußere Umſtaͤnde gebracht; das Zufaͤllige, was gegen - waͤrtig von der Einwirkung fremder Urſachen in ihm abhaͤngt, mag abgeſondert; es ſelbſt mag iſoliret wer - den: ſo hat es das ganze innere Princip in ſich, was die voͤllige Urſache der Aktion iſt, die aus ihm her - vorgeht.

So ein Weſen kann das, was es jetzo iſt gewor - den, ſeyn, und ſeine dermaligen Vermoͤgen und Kraͤfte erworben haben, ſolche nicht von Natur, nicht noth - wendig und nicht unverlierbar beſitzen. Aber dennoch iſt dieſes innere thaͤtige Princip nun einmal mit ſeiner Natur vereiniget und klebt dieſer beſtaͤndig an, unter welche Beziehungen die Subſtanz auch gebracht wird. Jenes Princip iſt eine innere Quelle von Aeußerungen und Wirkungen, die fuͤr ſich allein ſich ergießet, dauer - haft iſt und beſtehet in der Maße, daß ſie nicht ſelbſtdurch55und Freyheit. durch dieſe ihre Aeußerungen geſchwaͤchet werde und verſiege. Das Gewicht eines Koͤrpers vermindert ſich nicht, ſo lange fort auch der Koͤrper ſeinen Druck auf einen andern ſchon geaͤußert hat; und die Ausdehnungs - kraft der Luft wird nicht geſchwaͤchet, wenn ſie gleich mehrmalen nach einander angewendet worden iſt. Aber eine Kanonenkugel verliert ihre bewegende Kraft, in - dem ſie ſolche auf andere Koͤrper verwendet.

Dieß ſind eigenmaͤchtige Aktionen, die von ihren Gegenſtaͤnden, auf die ſie verwender wer - den, bloß aufgenommen werden.

Aber es kann auch dieſer ganze dermalige inne - re zureichende Grund der Aktion eine Wirkung ſeyn, welche durch den Einfluß eines andern Dinges in das handelnde Weſen hervorgebracht iſt, und entweder immerfort durch eben dieſen Einfluß unterhalten werden muß, oder doch nicht laͤnger in der thaͤtigen Subſtanz beſtehet, als bis ſie ſich thaͤtig damit beweiſet, und es anwendet. Alsdenn iſt es eine fremde Kraft, wo - durch das wirkende Weſen thaͤtig iſt. Es iſt zwar auch ſelbſtthaͤtig in den dermaligen Umſtaͤnden, unter de - nen es wirket, weil das Princip der Aktion innerlich in der handelnden Subſtanz ſich befindet. Aber man ent - ziehe dieſe der Einwirkung der aͤußern Urſache, von der ſie den Zuſtand empfaͤngt, worauf das Vermoͤgen be - ruhet, ſo iſt ſie tod und unvermoͤgend, wie die Kugel, der man ihre Bewegung entzogen, und die man von allem weitern Einfluß einer bewegenden Kraft ent - fernt hat.

Dieß iſt eine Aktion aus fremder Macht.

Es gehoͤrt keine beſondere Subtilitaͤt dazu, hiebey noch eine Verſchiedenheit gewahrzunehmen. Jſt der fremde Einfluß in die thaͤtige Subſtanz ununter - brochen erfoderlich, ſo iſt dieſe Subſtanz ſchlechthin nichts als ein leidendes Jnſtrument, durch welches dieD 4fremde56XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitfremde Kraft durchgehet, wie der Hebebalken iſt, durch den eine Laſt in die Hoͤhe gehoben wird.

Beſtehet aber doch der innere Grund der Aktion in den Dingen ſelbſt als ein bleibender Zu - ſtand, auch wenn ſich die Kraft verleihende aͤußere Ur - ſache entzogen hat, wie die Bewegung in der Kugel, die ſie von dem Druck empfaͤngt, ſo kann man doch ſchon ſagen, daß hier das wirkende Weſen mit eigener aber nur mitgetheilter Kraft handele. Allein dieſe Ei - genmacht klebet ihm nicht laͤnger an, als bis es ſo viele Wirkſamkeit ausgelaſſen hat, als es vorher an lei - dentlichen Veraͤnderungen empfangen hatte.

Endlich iſt es leicht begreiflich, daß der ganze in - nere zureichende Grund, als die Quelle der Aktion, zum Theil zu der Natur, oder doch zu den bleiben - den beſtaͤndigen Beſchaffenheiten der Subſtanz ſelbſt gehoͤren, zum Theil aber von dem Einfluß einer andern Urſache außer ihr abhangen koͤnne. Jn Hinſicht des letztern iſt ſie den aus fremder Kraft wirkenden Ur - ſachen aͤhnlich; in Hinſicht des erſtern aber denen die aus Eigenmacht handeln, oder den voͤllig ſelbſtthaͤti - gen. So verhaͤlt es ſich bey der Feder, die geſpannet werden mußte, ehe ſich ihre Elaſticitaͤt wirkſam bewies.

Jſt in dieſem Fall der Antheil an dem ganzen innern Grunde der Aktion, welcher in dem Jnnern des handelnden Wefens ſelbſt liegt, ihm und ſeiner Na - tur anklebet, zu ſeinen Beſchaffenheiten gehoͤrt, die es unter allen Umſtaͤnden und Verbindungen in ſich hat, der groͤßte, erheblichſte, wichtigſte; und iſt das, was ihm fehlet, um voͤllig zureichend zur Aktion zu werden, und was anderswoher ihm beygebracht werden muß, das geringſte, unwichtigſte: ſo iſt dieß eine eigenmaͤch - tige ſelbſtthaͤtige Kraft, die aber eines Reizes, oder einer Erweckung von außen bedarf.

Je57und Freyheit.

Je weniger alſo von dem ganzen innern zurei - chenden Grunde der Aktion in einer Subſtanz von aͤußern Urſachen abhaͤngt, deſto groͤßer iſt ihre Ei - genmacht.

Je mehr ſie aber, als inneres Princip ihrer Handlung betrachtet, ſelbſt eine Wirkung von einer aͤußern Urſache iſt, deſto weniger beſitzet ſie ſelbſtthaͤ - tige Eigenmacht.

Jch habe ſchon bey mehrern Gelegenheiten die ſelbſtthaͤtigen Veraͤnderungen der Seele von ihren leidentlichen Modifikationen unterſchieden. *)Erſter Verſuch XVI. 4. 5. 6. Zweyter Verſuch II. 4.Aber dorten konnte es genuͤgen, wenn man nur darauf Ruͤck - ſicht nahm, in wie weit eine Modifikation oder Wir - kung, welche erfolgte, in der Seele ſelbſt, und in ihrer eigenen Kraft, oder wie ferne ſie in einer andern Kraft außer ihr ihre Quelle hatte. Es war bey einer Veraͤnderung ihres Zuſtandes nur davon die Frage, wie weit ſolche eine wahre Aktion oder eine Paſſion ſey? wie viel ſie naͤmlich ſelbſt von der ganzen thaͤtigen und verurſachenden Kraft in ſich enthalte, oder wie viel fremde aͤußere Weſen dazu beywirken? Und weiter in die Natur der Eigenmacht hineinzugehen war oben un - noͤthig, weil es nur darauf ankam, wie weit das thaͤtige Princip ihr eigenes inneres Princip, oder eine fremde Kraft ſey, die ſie modificire?

Aber hier, wo die Natur der Selbſtthaͤtigkeit naͤher entwickelt werden muß, wenn anders unſere Jdee von der Freyheit mehr inneres Licht erhalten ſoll, muß man ſichs nicht verdrießen laſſen, auch dieſe Begriffe etwas microſkopiſcher zu betrachten. Jſt das thaͤtige Princip in der Seele ſelbſt, ſo iſt noch eine weſentliche Unterſuchung daruͤber zuruͤck: wie weit ſolches einer Reizung von außen noͤthig habe? wie weit es eine frem -D 5de58XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitde mitgetheilte Kraft ſey, oder von dem Einfluſſe an - derer abhange? oder wie weit es der Seele ſelbſt blei - bend zukomme?

Wer nur einigermaßen ſich dieſe allgemeinen Be - griffe gelaͤuſig gemacht hat, wird es bald gewahrneh - men, daß dieſes noch lange nicht alles ſey, was hie - bey weiter entwickelt werden muͤßte, wenn durch den ganzen Zweig dieſer Notionen Deutlichkeit und Einſicht gebracht werden ſollte. Aber dann ſchlage er auch die metaphyſiſchen Schriften nach; und ich hoffe, er werde die Klage nicht ungegruͤndet finden, wenn ich ſage, daß hier Dunkelheiten und Verwirrungen vorkommen, woran man noch die Fackel der Analyſe nicht hingebracht hat.

Noch eine Anmerkung. Wenn die Wirkung, wel - che hervorgebracht wird, eine Wirkung mehrerer ver - einigten Kraͤfte iſt, und nur derjenigen Kraft allein zu - geſchrieben wird, die unter den mitwirkenden den Haupt - antheil an ihr hat: ſo iſt dieſe letztere nicht in dem eigent - lichen Sinne, ſondern durch eine Synekdoche die Urſache zu nennen. Und wenn die Aktion oder die Wirkung auf dieſe vornehmſte Kraft bezogen wird, ſo kann nicht eher beſtimmt beurtheilet werden, in wie weit ſie aus ih - rer innern Eigenmacht hervorgehe, als bis der eigent - lich ihr zugehoͤrige Antheil von dem uͤbrigen, was an - dern Urſachen zukoͤmmt, abgeſondert wird. Nichts iſt leichter zu begreifen, als dieſe logiſche Regel, und nichts ſcheinet doch ſchwerer zu ſeyn, als ſie bey der Beurthei - lung wirklicher Dinge gehoͤrig zu befolgen.

IX. Von59und Freyheit.

IX. Von der Selbſtthaͤtigkeit der menſchlichen Seele.

  • 1) Es iſt Erfahrung, daß die Seele mit voͤlli - ger Selbſtthaͤtigkeit handelt, wenn ſie frey handelt.
  • 2) Schwierigkeiten, ſich von dem, was als - denn in uns vorgehet, deutliche Begriffe zu machen. Wie die Determiniſten und Jn - determiniſten ſolche Empfindungen erklaͤren.
  • 3) Die Wirkſamkeit der Seele, womit ſie will - kuͤhrlich ſich ſelbſt beſtimmt, iſt eine von dem Einfluſſe aͤußerer Empfindungen erweckte Selbſtthaͤtigkeit.
  • 4) Weitere Fragen, und Veranlaſſungen zu fernern Unterſuchungen dieſer Selbſtthaͤtig - keit der Seele.

1.

Man muß ſich in Acht nehmen, daß ſolche auseinan - dergeſetzten Gemeinbegriffe, wie die vorhergehenden ſind, die ſich auf ſelbſtthaͤtige Aktionen beziehen, da ſie Augenglaͤſer vor dem Verſtande ſind, nicht auch, wie ſo oft geſchieht, zu gefaͤrbten Glaͤſern werden, wenn das Verſchiedene in unſern wirklichen Empfindungen durch ſie beſchauet wird. Nur leitende Jdeen ſollen ſie ſeyn, die uns auf das Mannigfaltige in den Empfindungen mehr aufmerkſam machen, und die Unterſcheidung und Deutlichkeit befoͤrdern. Aber ob, wie weit und wenn wir wirklich ſelbſtthaͤtig oder aus Eigenmacht handeln, und ob, wie weit, und wann wir leidend von aͤuſ - ſern Urſachen getrieben werden, das muß allein die Be - obachtung entſcheiden.

Bey60XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit

Bey unſern einzelnen Handlungen den Grad der Selbſtthaͤtigkeit in ſeiner voͤlligen Schaͤrfe zu beſtimmen, das geht ohne Zweifel uͤber alle unſere Kraͤfte. Nur der Allwiſſende beurtheilet unſere individuellen Kraft - aͤußerungen nach einer voͤllig gerechten Wage, die es genau angiebt, was und wie viel unſerm Jch, uns als Seele zukommt, und wie viel dem Einfluſſe aͤußerer Umſtaͤnde beyzumeſſen ſey, von denen viele allzu ſehr im Dunkeln liegen, als daß unſer Auge ſie entdecken koͤnnnte. Aber dieß macht unſere deutlichen Selbſtge - fuͤhle nicht unzuverlaͤßig, die uns doch die Unterſchiede, ſo weit es uns in Beziehung auf unſere ſonſtigen Kennt - niſſe um ſie zu thun ſeyn kann, deutlich genug vorhalten.

Wir fuͤhlen es oft, daß Empfindungen, Vorſtel - lungen, Bewegungsgruͤnde uns beſtimmen und fort - druͤcken, auf eine Art die der aͤhnlich iſt, auf welche die Schale an der Wage, die im Gleichgewicht ſtehet von dem Uebergewicht niedergedruͤckt wird; daß ſie uns ziehen und zuweilen ſtoßen. Jn dieſen Faͤllen ſagen wir, wenn wir eigentlich reden, nicht, daß wir uns ſelbſt beſtimmen; wir werden vielmehr beſtimmt, hingeriſ - ſen, und die erfolgende Aktion wird uns abgezwungen.

Es mag ſeyn, daß die Thaͤtigkeit, welche alsdenn erfolget, eine Thaͤtigkeit unſers innern Princips ſey; zuweilen ſcheinet ſie dieß nicht zu ſeyn; aber es wird unſere innere Selbſtkraft doch von der hinzukommenden Empfindung oder Vorſtellung modificirt, und nun erſt durch dieſe neue Beſtimmung zu einem innerlich zurei - chenden Grunde gemacht, wovon der gegenwaͤrtige Trieb, das Beſtreben, oder die Aktion, ſo wie ſie erfolget, abhangen. Daß wir gerade zu derjenigen Kraftaͤußerung beſtimmet ſind, welche unter dieſen Umſtaͤnden entſpringt, haͤngt alsdenn von dem Einfluſſe der Empfindung oder der uns gefallenden Vorſtellung ab, von der wir modificirt ſind, und iſt alſo ſelbſt kein Werk unſerer Eigenmacht.

Spricht61und Freyheit.

Spricht nicht hingegen das Selbſtgefuͤhl eben ſo laut, daß wir zuweilen, alsdenn naͤmlich, wenn wir mit voͤlliger Beſinnung, nach Reflexion, oder, wie wir ſagen, mit Freyheit uns entſchließen, uns wirklich ſelbſt beſtimmen? Sind wir nicht in dieſen Faͤllen vorher, ehe wir unſere Kraft anwenden, innerlich un - beſtimmt, zum Wollen und Nichtwollen, zum Thun und Laſſen; oder ſind wir nicht zu beiden entgegengeſetz - ten auf eine gleiche Art beſtimmt? Wenn das eine er - folgt und nicht das andere, was geſchieht alsdenn in unſerer innern Kraft fuͤr eine Veraͤnderung? was kommt noch zu ihr hinzu, als allein der aͤußere Umſtand, daß ſie nun auf dieſen und nicht auf einen andern Ge - genſtand verwendet wird? Das Waſſer am Boden des Gefaͤßes ſpringt da heraus, wo ihm die Oeffnung gemacht wird, oder wo der Widerſtand am geringſten iſt; aber die ganze Aktion iſt Eigenmacht des Waſſers, inſoferne wir den Druck nach allen Seiten, den es lei - det, als ſeine eigene innere Kraft anſehen. Sind nicht die Bewegungsgruͤnde in ſolchen Faͤllen, wo wir uns ſelbſt zu dem beſtimmen, was uns am meiſten gefaͤllt, nur ebendaſſelbe, was die gemachte Oeffnung, oder die Stellen des leichteſten Widerſtandes bey dem Fluͤßigen iſt, wohin die innere wirkſamſte Kraft ſich ergießet, in - dem ſie dem leichteſten Wege nachgehet?

Jn ſolchen Beyſpielen, wo wir das Erſte das Beſte ergreifen, wo kein vorzuͤgliches Gefallen desjeni - gen, was wir waͤhlen, einen Einfluß in unſere Wahl hat, iſt unſer inneres Princip doch wohl eben ſo beſtim - met, auf das gewaͤhlte ſich zu verwenden, als auf das nicht gewaͤhlte. Das Gewaͤhlte war vor uns das, was die Kugel bey der ſich ausdehnenden elaſtiſchen Feder iſt, die ihr eben vorgeleget wurde. Die Feder haͤtte ſich ge - gen eine Wand losſchnellen koͤnnen, oder gegen jede an - dere Kugel. Jhre Aktion war ganz eine Wirkung ihrerEigen -62XII. Verſuch. Ueber die SelbſtthaͤtigkeitEigenmacht, und ihre Elaſticitaͤt bekam keine beſondere innere Beſtimmung durch die Gegenwart der Kugel, auf die ſie wirkte.

Wenn die gegenwaͤrtigen Empfindungen und Vor - ſtellungen, das Gefallen, und was uͤberhaupt zu den aͤußern Beſtimmungsgruͤnden der Aktion gerechnet werden kann, auch nichts mehr wirken, als nur, daß ſie dem innern thaͤtigen Princip den Gegenſtand vor - ſchieben, auf den es ſich anwendet; wenn ſie keine ſolche Modifikationen ſind, die zu Beſtandtheilen des in - nern zureichenden Grundes der Aktion werden und dergleichen in uns auch nicht hervorbringen, ſo iſt die Anwendung des innern Princips auf das Objekt eine aͤhnliche voͤllige Selbſtthaͤtigkeit. Da wir ſogar bey Koͤrpern Beyſpiele von Handlungen finden, die aus voller Eigenmacht entſtehen, ſo haben wir doch wohl noch weniger Urſache zu vermuthen, daß unſer Selbſt - gefuͤhl uns betruͤge, wenn wir dergleichen auch bey un - ſerer Seele gewahrnehmen.

Die Determiniſten haben doch eingeſtanden, daß die Bewegungsgruͤnde uns nicht ziehen, ſtoßen, zwingen, fortreißen, ſondern nur geneigt machen, lenken, und daß wir uns ſelbſt nach ihnen beſtim - men. Sie haben den Unterſchied richtig gefuͤhlet, der wirklich da iſt, aber ſie haben ihn nicht deutlich erklaͤret.

Von dem Vermoͤgen anders zu handeln, als wir es thun, von der Selbſtmacht uͤber uns, iſt noch nicht die Rede, ſondern nur von der Spontaneitaͤt der Eigenmacht. Jſt es alſo zu bezweifeln, daß wir oftmals ſo ſelbſtthaͤtig und eigenmaͤchtig handeln in der Art der Handlung, in ihrer Staͤrke, ſo gar in ihrer Richtung, und ſo unabhaͤngig von den Objekten, auf die wir uns beſtimmen, als die elaſtiſche Feder, oder als das herausſpringende Waſſer aus dem Gefaͤß, wel - ches auch die Richtung, in der es hervorſtroͤmet, inſeinem63und Freyheit. ſeinem innern Druck vorher ſchon hatte, ehe die Oeff - nung gemacht war, und ſolche durch dieſe letztern nicht erſt annahm?

2.

Die unmittelbare Erfahrung ſcheinet uns alſo auf ein - mal alles ins Klare zu ſetzen. Jndeſſen wird die Ausſicht bald wieder truͤbe, wenn wir ſie deutlicher faſſen wollen.

Wenn unſer inneres Princip zum Wollen und Nichtwollen, zum Thun und zum Laſſen, zu die - ſer Art der Aktion und zu einer andern, innerlich un - beſtimmt, oder zu allen auf gleiche Weiſe beſtimmt iſt, wie entſtehet denn diejenige Kraftaͤußerung, welche wirk - lich erfolget? Wollen iſt doch etwas anders, als Nichtwollen, eine andere Wirkung, eine andere Beſtimmung; zur Rechten gehen iſt doch eine andere Aktion, als zur Linken hin gehen. Woher das Eigene in der Art der Aktion, welche erfolget? Jſt hier nicht etwas mehr, als bloß eine Applikation des unbeſtimm - ten innern Princips auf eine gewiſſe Vorſtellung, oder auf ein gewiſſes Objekt?

Beide, die Determiniſten ſowohl, als Jndeter - miniſten fcheinen daruͤber einig zu ſeyn, daß in der wirklichen Anwendung der innern Kraft eine eigene hinzu gekommene Beſchaffenheit, und zwar in dem Jnnern der Aktion ſelbſt vorhanden ſey, die nicht bloß von der Beſchaffenheit des Objekts und von deſ - ſen Receptivitaͤt abhange. Es iſt daſſelbige Objekt, ich mag mich beſtimmen zum Wollen oder zum Nicht - wollen; aber dieſe beiden Handlungen ſind nach den Be - griffen beider Partheyen, unterſchiedene Aktionen; in dem Wollen iſt etwas, was in dem Nichtwollen nicht iſt. Woher nun dieſes?

Da iſt eben die Beſchaffenheit, ſagen die Deter - miniſten, welche auch ihren zureichenden Grund haben muß. Sie hat ihn auch in dem Gefallen, oderin64XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitin andern gegenwaͤrtigen Empfindungen. Alſo haben dieſe letztern Empfindniſſe, wenn wir es gleich nicht bemerken, das innere thaͤtige Princip zu der beſondern Aeußerung beſtimmet, zu der es vorher unbeſtimmt war?

Die Gegner laͤugnen dieß. Das Selbſtgefuͤhl, die ſchaͤrfſte Beobachtung lehret uns, daß wir nicht zu dieſer beſondern Handlung vorher innerlich beſtimmt ſind, ehe wir handeln. Aber die erfolgte Handlung hat doch ihre Eigenheit. Dieſe bedarf keines zureichenden Grundes, warum ſie iſt, ſetzen ſie hinzu, und hat auch keinen. Der Gemeinſatz vom zureichenden Grunde hat ſeine Einſchraͤnkungen. So antworten die Jnde - terminiſten.

Da ziehet ſich alſo der Knoten wieder feſt zuſam - men. Das Princip des zureichenden Grundes ſoll ſeine Einſchraͤnkung haben! Die Vernunft will nicht gerne daran. Oder ſoll unſer Gefuͤhl irrig ſeyn, welches uns ſo lebhaft ſaget, daß wir innerlich nicht zum Wollen be - ſtimmt werden, wenn wir frey wollen? Jſt dieß Ge - fuͤhl unrichtig, ſo handeln wir nicht einmal aus ſo vol - ler Eigenmacht, wie ein elaſtiſcher Koͤrper, oder wie das ausſpringende Waſſer.

Einer unter den ſcharfſinnigſten Jndeterminiſten, die mir bekannt geworden ſind, der Hr. G. R. Darjes,*)Jn ſeiner Metaphyſik. Pſych. Empir. §. CIX. hat doch geglaubt, der Satz vom zureichenden Grunde vertruͤge ſich ohne Einſchraͤnkung mit der freyen Wahl, in ſolchen Faͤllen, wo wir uns zu Einem Mittel von meh - rern entſchließen, die uns alle zu unſerer Abſicht gleich - guͤltig ſind, und alſo das Erſte das Beſte ſeyn laſſen. Das innere Princip iſt nicht mehr beſtimmt zu dem Ei - nen Mittel, das gewaͤhlet wird, als zu dem andern. Warum wird es denn gewaͤhlet, und warum nicht ein anders? Der genannte Philoſoph antwortet, weil es zu unſerer Abſicht hinreichet, und mehr ſuchen wir nicht. Jch65und Freyheit. Jch fuͤhre dieſe ſeine Erklaͤrung hier beſonders an, weil ich glaube, er ſey im Begriffe geweſen, in dieſer einen Art von Faͤllen den Knoten aufzuloͤſen. Aber er hat ihn nicht aufgeloͤſet. Denn die Antwort, die er gab, war unzureichend. Das Mittel genuͤget zur Abſicht. Wohl, aber die uͤbrigen Mittel, die nicht gewaͤhlet werden, genuͤgen auch. Bey dieſen war alſo derſelbige Grund, wie bey jenen. Warum wurde denn jenes, nicht dieſe, genommen? Mich deucht, es ſey ſehr auf - fallend, daß die Antwort ſo lauten muͤſſe: es werde darum gewaͤhlet, weil es unſerer ſich beſtimmenden Kraft jetzo vorlieget; nicht aber darum, weil es unſerer innern wollenden Kraft eine eigne Beſtimmung bey - bringet, und ſolche nun erſt zu einer eigenen Handlung geſchickt machet; ſondern darum, weil es ſich nun eben als ein Objekt darſtellet, uns in dieſem Augenblicke eben in den Sinn kommt, oder lebhafter und klaͤrer uns gegenwaͤrtig wird, als die uͤbrigen. Es war die Ku - gel, die man der elaſtiſchen Feder eben vorlegte, da ſie ſich ausdehnte. Wie, wenn ein anderes Mittel ſtatt des gewaͤhlten genommen worden waͤre, wuͤrde alsdenn eine andere Aktion, eine andere Selbſtbeſtimmung er - folget ſeyn? Nichts weniger; es wuͤrde dieſelbige Aktion erfolget ſeyn, nur auf ein anderes Objekt verwendet. Da iſt alſo nichts vorhanden, was außer dem innern wirkſamen Princip einen zureichenden Grund erfo - dert, als nur der aͤußere Umſtand, daß die Kraft auf dieſes Objekt beſonders appliciret ward; denn weiter iſt nichts Eigenes in dem, was hiebey wirklich geſchieht. Alſo war es die Gegenwart dieſes Objekts, was hinzu kam; und nun hat alles das Jnnere und das Aeußere der erfolgten Aktion ſeinen voͤllig zureichenden Grund, warum es ſo, und nicht anders iſt.

Laſſet uns annehmen, die Faͤlle dieſer Art, worinn wir uns zu Einem von mehrern gleichguͤltigen DingenII Theil. Eent -66XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitentſchließen, und wo das Warum ſo, und nicht anders, allein von der Gegenwart des Objekts abhaͤnget, worauf ſich die Kraft anwendet, waͤren voͤllig erklaͤrt; wie muͤßte es ſich denn in den uͤbrigen verhalten, wo das vorzuͤgli - che Gefallen es iſt, wonach wir uns beſtimmen, oder mit andern Worten, wo wir nach dem Geſetz des Beſten wollen und handeln? Hier ſcheint der eigentliche Sitz der Schwierigkeiten zu ſeyn. Handeln wir da ſelbſt, be - ſtimmen wir uns ſelbſt, wenn wir das waͤhlen, was uns gefaͤllt? So uͤberredet es uns unſer Gefuͤhl. Oder werden wir paſſive beſtimmt zur Handlung, und iſt die Handlung ſelbſt zum Theil wenigſtens eine Leiden - heit? So ſcheinet es, muͤſſe es ſeyn, wenn wir darauf ſehen, daß das Gefallen in der Sache uns beweget; und daß dieß Gefallen ein Empfindniß iſt, wodurch das Wollen hervorgebracht wird.

3.

Es ſind doch einige Vorbereitungen noͤthig, ehe man geradezu dieſe Schwierigkeiten angreifen kann. Meine Abſicht iſt nicht ſo ausgedehnt, die ganze Be - ſchaffenheit unſerer Selbſtthaͤtigkeit zu unterſuchen. Dieß iſt eine Tiefe, die uns deſto unerreichbarer vor - kommt, je weiter man in ſie hinabſteiget. Hier we - nigſtens verlange ich nicht mehr, als nur bis zu dem Grunde zu gelangen, woraus dasjenige entſpringet, was wir in unſern Gefuͤhlen vor uns haben, und helle genug unterſcheiden. Was iſt in uns vorhanden, was geſchieht, wenn wir mit Beſinnung willkuͤhrlich wol - len, uns beſtimmen, und handeln? Was iſt alsdenn da, wenn wir gereizet, getrieben, gedruckt, genoͤthi - get werden? Warum das Eine unter dieſen, das an - dere unter andern Umſtaͤnden? Aber auch zu dieſen Fragen iſt es noͤthig, ſich nach einigen Erfahrungsſaͤtzen uͤber die Selbſtthaͤtigkeit der Seele umzuſehen. Sichbeſtim -67und Freyheit. beſtimmen zu einer Aktion, kann von der Aktion ſelbſt unterſchieden werden, zu der wir uns beſtimmen. Dennoch iſt auch die Selbſtbeſtimmung, als eine will - kuͤhrliche Anwendung unſerer Kraft eine Selbſtthaͤ - tigkeit.

Zuvoͤrderſt wiederhole ich die Erinnerung, daß ich hier die immaterielle Seele, das eigentliche Jch, von ihrem innern unzertrennlichen Organ noch nicht unter - ſcheide. Die Empfindungen, die Vorſtellungen, das Wollen, das Thun iſt in der Seele. Dieſe iſt das leidende und wirkende Subjekt, welches empfindet, den - ket, will, thaͤtig iſt. So weit unſer inneres Selbſt - gefuͤhl uns Begriffe von dieſen Modifikationen giebet, ſo weit gehoͤren ſie zu den Veraͤnderungen des Seelen - weſens in dem Menſchen.

Dieß Weſen iſt nach der Ausſage aller Erfahrun - gen nicht ſo natuͤrlich ſelbſtthaͤtig, daß es in dem Zu - ſtande einer regen und beobachtbaren Wirkſam - keit ſich befinden kann, ohne von dem Einfluſſe aͤuße - rer Dinge gereizet und unterſtuͤtzt zu ſeyn. Jm tiefſten Schlafe, in der Ohnmacht, was wirkt die Seele dann? Sie mag wirken, ſich beſtreben, etwas hervor - bringen; niemals ein bloßes oder todtes Vermoͤgen ſeyn; ſo iſt doch ſo viel entſchieden, daß ſie nichts wirke, deſſen wir uns nachher erinnern koͤnnen. Jſt ſie in die - ſem Zuſtande thaͤtig, beſtimmt ſie ſich, handelt ſie, ſo liegen dieſe ihre Aeußerungen nicht in dem Umfange deſſen, was wir beobachten, und uͤber die unſer Selbſt - gefuͤhl uns ſagen koͤnne, ob es Selbſtthaͤtigkeiten oder Leidenheiten ſind? Wir beduͤrfen klarer Empfin - dungen von außen, um wachend zu ſeyn; und von den Handlungen des wachenden Menſchen iſt hier nur die Rede. Wenn wir auch zuweilen willkuͤhrlich im Traum handeln, ſo kommen dieſe Aktionen hier we - niger in Betracht; wie auch alsdenn die Selbſtwirk -E 2ſamkeit68XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitſamkeit im Traume mit den Empfindungen des aͤußern Gefuͤhls in Verhaͤltniß ſtehen moͤge. Und geſetzt, es ſind nicht klare aͤußere Empfindungen, ohne welche die Seele ſich als ein ſelbſtthaͤtiges Weſen vor ſich ſelbſt nicht zeigen kann, ſo ſind es doch innerliche koͤrperliche Gefuͤhle, die hiezu erfodert werden.

Alſo iſt die rege thaͤtige Seelenkraft, das in - nere wirkende Princip, wenn ſie ſich ſelbſtbeſtim - met, abhaͤngig von andern Dingen, und die Wirk - ſamkeit deſſelben iſt hoͤchſtens nichts mehr, als eine von andern Urſachen erweckte Selbſtthaͤtigkeit.

Dieß letztere, naͤmlich eine erweckte aber wahre Selbſtthaͤtigkeit iſt es auch, was ihre Wirkſamkeit ausmacht. Zu derjenigen Gattung von unſelbſtthaͤ - tigen Weſen, welche ſelbſt kein inneres Princip ihrer Wirkungen beſitzen, und nur Jnſtrumente fremder Kraͤfte ſind, nur Kanaͤle, wodurch die wahren Quellen aller Thaͤtigkeit und alles deſſen, was hervorgebracht wird, hindurchgehen, gehoͤrt ſie ganz gewiß nicht. Sie iſt nicht der Hammer, wozu ihr Koͤrper die Hand iſt, die ihn fuͤhret, noch die Kugel, die nur ſo viel be - wegende Kraft hat, als ihr durch die Schwere im Fal - len gegeben iſt. Zuverlaͤßig hat ſie ſelbſt ein inneres Princip zur Thaͤtigkeit. Jn ihren aͤußern Empfindun - gen verhaͤlt ſie ſich am leidentlichſten, und dennoch giebet eine etwas genaue Beobachtung gute Gruͤnde an die Hand,*)Erſter Verſuch XVI, 4. 5. Eilfter Verſuch III. zu glauben, daß auch zu den leidentlichſten Gefuͤhlen, die in ihr entſtehen, die innere Naturkraft etwas thaͤtig beytrage. Dieſe Mitwirkſamkeit des in - nern Princips iſt die Selbſtthaͤtigkeit, worinn der Grund zu dem Vermoͤgen lieget, Vorſtellungen zu haben und zu reproduciren.

Jſt69und Freyheit.

Jſt nun eine ſolche Modifikation, die ſie aufnimmt, wenn ſie fuͤhlet, nicht einmal ganz und gar ein Effekt der Kraft, die von außen einwirket, wie viel weniger ſind es denn die thaͤtigen Seelenaͤußerungen, zu welchen ſie, wenn ſie durch jene Gefuͤhle gereizet worden iſt, uͤbergehet; und ihre Beſtrebungen und Triebe, die ſie aͤußert, Vorſtellungen zu reproduciren, zu dichten, zu uͤberlegen, zu wollen, zu bewegen, und etwas hervor - zubringen? Dieſe Kraftaͤußerungen ſetzen noch viel - mehr eine abſolute und reelle Beſchaffenheit, als ein Vermoͤgen in ihr voraus, welches, ehe die Reizung von außen hinzukommt, ſchon vorhanden war, und nun rege gemacht, der wahre und letzte Grund der hervor - gehenden Aktion iſt. Sollte dieſe ſo evidente Folgerung noch dem mindeſten Zweifel unterworfen ſeyn, ſo kann die durchgaͤngige Uebereinſtimmung unſerer Selbſtge - fuͤhle ſie vollends beſtaͤtigen.

Dieß iſt alſo der erſte Erfahrungsſatz, und hier ein Grundſatz: die rege Wirkſamkeit der Seele in dem Zuſtande, wenn wir wachen, und willkuͤhrlich handeln, iſt eine erweckte Selbſtthaͤtigkeit; das innere thaͤ - tige Princip, ſo wie es nun der innere zureichende Grund der hervorgehenden Thaͤtigkeiten wird, iſt Ei - genmacht der Seele, die durch Gefuͤhle und Empfin - dungen erweckt und beſtimmt iſt.

4.

Bey dieſem Grundſatze, den ich hier als ein Faktum anſehe, will ich ſtehen bleiben. Die Wirkſamkeit der Seele, als menſchlichen Seele, die zu empfindende, die beobachtbare Wirkſamkeit, iſt eine gereizte, erweckte Selbſtthaͤtigkeit. Aber wie viele Dunkelheit liegt noch in dieſem Begriff? und wie viel Fragen kann man noch hinzuſetzen, auf welche die Antworten ſo leicht nicht duͤrften zu finden ſeyn?

E 3Auf70XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit

Auf welche Art wird das innere Princip in der Seele rege gemacht? und worinn beſteht dieſe Erregung?

Jſt dieß innere Princip, ehe es noch den aͤußern Reiz empfaͤngt, bloßes Vermoͤgen, etwas zu ver - richten, bloße Moͤglichkeit; oder iſt es ſchon thaͤtige obgleich uns verborgene Kraft?

Wenn das letztere iſt, worinn beſtehen die Aeuße - rungen, die Beſtrebungen dieſes Princips, ehe die Er - weckung von außen durch den Koͤrper dazu kommt? Hievon haben wir wohl nicht einmal Begriffe? oder ſind dieſe Aeußerungen eben dieſelbigen, die wir das Fuͤhlen, das Vorſtellen, Denken, Wollen nennen? innerlich dieſelbigen, nur daß wir ſie nicht gewahrneh - men koͤnnen? Geben die Eindruͤcke von außen nichts mehr her, als die Gegenſtaͤnde, auf welche das innere Princip ſich anwendet, und mit denen die Aktionen erſt ſelbſt empfindbar vor uns werden? Die Elaſticitaͤt in der geſpannten Feder iſt innerlich derſelbige wirkſame Trieb, daſſelbige Beſtreben, derſelbige Drang ſich zu aͤußern, die Feder mag in dieſem geſpannten Zuſtande erhalten, oder losgelaſſen werden; ſie mag eine Kugel antreffen, die ſie fortſtoͤßt, oder ſich ſelbſt ausdehnen. Jſt dieß ein Bild von der innern Eigenmacht der menſch - lichen Seele?

Wenn es ſich nicht ſo verhaͤlt, kann es denn nicht ſeyn, daß beides Seele und Koͤrper, jeder aber fuͤr ſich, nur in Verbindung wirken? Die Aktion der Seele ſelbſt iſt Eigenmacht, und der Beytrag des Koͤrpers iſt es auch. Was beide zuſammenwirken, das kann viel - leicht in ſeinem Effekt erſt beobachtbar werden, ohne daß die Aeußerung der Seele fuͤr ſich allein es ſeyn wuͤrde. Und dieſes Ganze wird als ein Effekt der Seele angeſehen, weil ſie die vornehmſte der beywirkenden Urſachen iſt. Sollte es ſich ſo verhalten?

Von71und Freyheit.

Von dieſer Vorſtellung laͤßt ſich vielleicht alsdenn Gebrauch machen, wenn die Frage iſt, wie das imma - terielle Jch, und ihr inneres Organ, in Vereinigung als ein Weſen wirken, und ſich auf einander beziehen? Dagegen aber hier, wo wir das ganze vorſtellende, den - kende und wollende Eins, als die Seele anſehen, der man den organiſirten Koͤrper entgegenſetzet, ſcheinet man ihn nicht anwenden zu koͤnnen. Wenigſtens iſt die Vorſtellung natuͤrlicher, daß das geſammte innere wirkſame Princip, oder der ganze zureichende Grund der Aktionen in der Seele, als dem Subjekt ſelbſt vor - handen ſey, nachdem ſie durch Eindruͤcke von außen modificiret worden iſt.

Jſt das innere Princip der Seele vor der Erweckung von außen, nur bloßes Vermoͤgen, was iſt es als Ver - moͤgen? Ein innerer noch unzureichender Grund zu einer Thaͤtigkeit. Wie wird dieſer unzureichen - de Grund in einen zureichenden verwandelt? Kann eine ſolche Erweckung dadurch beſchaffet werden, wenn das vermoͤgende Weſen leidentliche Modifikationen von andern empfaͤngt, wie etwan, nach unſern ſinnli - chen Vorſtellungen zu urtheilen, die vorher ruhende Kanonenkugel durch die Wirkung des Pulvers, oder durch den Stoß anderer, eine zerſchmetternde Kraft bekommt, die ſie vorher nicht beſitzet? Oder gibt es durchaus kein ganz unwirkſames Vermoͤgen, etwas zu thun, keine todte Faͤhigkeiten oder Kraͤfte, wie einige ſolche bloße Vermoͤgen nennen, ohne Wirkſam - keit? wie es nach der Meinung verſchiedener großen Philoſophen nicht geben kann, weil ſonſten nicht zu be - greifen ſey, wie ein unwirkſames Vermoͤgen in eine thaͤtige Kraft uͤbergehen koͤnne. Jſt aber vorher ſchon das bloße Vermoͤgen etwas wirkſames, ſo ließe ſich die Erweckung dieſer todten Kraft zu einer lebendigen, wel - che durch die Einwirkung einer fremden Kraft verurſa -E 4chet72XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitchet wird, darinn aufloͤſen, daß jenes innere vorher ſchon wirkſame Princip nur zur Reaktion gegen die von außen einwirkende Kraft gebracht werde. Und ſollte ſichs ins - beſondere bey der Seele nicht auf dieſe Art verhalten?

Endlich wenn die Wirkſamkeit der Seele ſowol von dem innern Naturprincip, als von der Einwirkung aͤußerer Urſachen abhaͤngt, wie verhaͤlt ſich die Bey - wirkung von außen zu dem Antheil, den jenes in - nere Princip an der entſtandenen Wirkſamkeit hat? Wie unendlich viele Grade und Stufen in dieſer Ab - haͤngigkeit giebt es nicht, die zugleich die innere Groͤße der natuͤrlichen Selbſtthaͤtigkeit eines Weſens beſtim - men? Dieß Verhaͤltniß iſt, zumal bey uns, wenn das ganze innere Seelenweſen fuͤr die Seele angeſehen wird, nicht allemal das naͤmliche. Die Lebhaftigkeit des Geiſtes iſt zuweilen mehr eine Wirkung der heitern Luft, der Geſundheit des Koͤrpers, des Gluͤcks, des Weins, als der innern Seelenſtaͤrke. Um manchem eingebildeten ſtarken Geiſte ſeinen Muth zu entziehn, darf man ihn nur kuͤmmerlich ſpeiſen, oder in eine dicke luft bringen; aber bey andern iſt die Quelle des Lebens und der Staͤrke in dem Jnnern. Nicht alle Menſchen ſind gleich wetterlaͤuniſch, wie der Hypochondriſt. Wo liegt der Grund dieſer Verſchiedenheit?

Es iſt ſchon zu viel gefragt. Wenn es in unſern Gemeinbegriffen nicht noch an demjenigen fehlte, was die Metaphyſiker in ihren Syſtemen ſchon darinn zu finden geglaubt haben, ſo ließe ſich Eins und das andere naͤher beſtimmen, und ohne Zweifel wuͤrden ſie uns denn ihrem Zwecke gemaͤß um eine Schicht tiefer unter der Oberflaͤche, und naͤher an das Jnnere unſerer Natur bringen. Aber unerreichbar iſt dieſes Jnnere doch. Jch kehre zu den Beobachtungen zuruͤck, und habe bey dieſen Fragen die Graͤnzlinie ziehen wollen, innerhalb welcher ich ſtehen bleiben will.

X. Von73und Freyheit.

X. Von der Beſtimmung der ſelbſtthaͤtigen Seelen - kraft zu einzelnen Aeußerungen.

  • 1) Die Seele wird zuweilen leidentlich be - ſtimmt; zuweilen beſtimmt ſie ſich ſelbſt. Erſte Erfahrung: Wenn ſie fuͤhlet und em - pfindet, wird ſie leidentlich beſtimmt.
  • 2) Zwote Erfahrung: Jede Kraftaͤuße - rung der Seele, welche unmittelbar auf ein Gefuͤhl erfolget, und von der wir vorher keine Vorſtellung hatten, iſt eine ſolche, zu der die Kraft der Seele leidentlich beſtim - met wird.
  • 3) Dritte Erfahrung: Oftmals haben wir ſchon vorher eine Jdee von der erfolgenden Aktion, und werden dennoch leidentlich zu ihr beſtimmt.
  • 4) Vierte Erfahrung: Die Gegenwart, die Bearbeitung, und die weitere Entwicke - lung der Vorſtellungen iſt oftmals keine Selbſtthaͤtigkeit der Seele, wenigſtens dem Gefuͤhl nach nicht; oftmals iſt ſie es.
  • 5) Grund dieſer Verſchiedenheit in den Em - pfindungen.
  • Fuͤnfter Erfahrungsſatz: von dem Unter - ſcheidungsmerkmal ſolcher Aktus der See - le, wozu ſie leidentlich beſtimmt wird.
  • 6) Weſentliche Verſchiedenheit zwiſchen dieſen und denen, wozu ſie ſich ſelbſt beſtimmt.
E 51. Wenn74XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit

1.

Wenn einmal vorausgeſetzt wird, daß die Kraft der Seele in dem Zuſtande einer regen Wirkſam - keit ſich befindet, ſo iſt nun vornehmlich auf das Wie und Wodurch zu ſehen, wenn ſie zu ihren beſondern Anwendungen, Handlungen und Verrichtungen gebracht werde? Jch bin wachend und munter, und komme auf mein Zimmer. Jnnerlich ſind eine Menge von Em - pfindungen rege, und außerhalb umgeben mich viele Gegenſtaͤnde. Es reget ſich das Gefuͤhl meines Be - rufs; ich empfinde Triebe, Verlangen; eine Menge von Vorſtellungen iſt gegenwaͤrtig. Jch ſetze mich nie - der, um uͤber die Freyheit zu denken und zu ſchreiben. Wie geht es zu, daß mein inneres thaͤtiges Princip zu dieſer beſondern Art von Wirkſamkeit und auf dieſe be - ſondern Objekte gelenket wird?

Erſte Erfahrung. Wenn ich Eindruͤcke von Gegenſtaͤnden empfange, die auf meine Sinnglieder wirken, und ſolche fuͤhle, ſo mag es ſeyn, daß dieß Aufnehmen und dieß Fuͤhlen eine Thaͤtigkeit ſey, die aus meinem innern Princip hervorgeht; aber es iſt gewiß, daß ich zu dieſer Aeußerung beſtimmet wer - de. Es iſt eine Reaktion, zu der mich die Ein - wirkung der aͤußern Dinge noͤthiget; und mir kommt das ganze Gefuͤhl wie ein Leiden vor. Aber es ſey eine Thaͤtigkeit, ſo iſt dieß doch gewiß kein thaͤtiger Aktus, daß meine Kraft auf dieſe Art angewendet wird. Dieß letztere iſt eine Leidenheit, wozu ſie beſtimmt wird. Die Groͤße der Reaktion und ihre Richtung haͤngt von einer andern Urſache ab.

Wenn ich dieſe Empfindung fortſetze, genauer zu - ſehe, oder die Augen wegwende, verſchließe, ſo fuͤhle ichs, daß ich hier ſchon mich ſelbſt beſtimmen kann. Die Jmpreſſionen, welche wir annehmen, koͤnnen wohlmittel -75und Freyheit. mittelbar oder auch unmittelbar von Selbſtbeſtimmun - gen meiner Kraft, welche vorhergegangen ſind, abhan - gen. Aber hier, wo von dem Eindruck und von dem Gefuͤhl die Rede iſt, welche unmittelbar auf die Ruͤh - rung der Organe folgen, da iſt es gewiß, daß die Be - ſtimmung des innern Sinns zu dieſem Gefuͤhl keine Selbſtthaͤtigkeit und kein Selbſtbeſtimmen ſey.

Es verhaͤlt ſich auf eine aͤhnliche Art bey den innern Empfindungen und bey den Empfindniſſen. Jch werde afficirt von einer Veraͤnderung, von Vorſtellun - gen. Sie ſind mir angenehm oder unangenehm. Dieſe Gefuͤhle moͤgen Folgen meines innern thaͤtigen Princips ſeyn, das auf eine gewiſſe Weiſe zuruͤckwirkt; aber zu dieſen Ruͤckwirkungen werde ich leidentlich beſtimmt.

2.

Zwote Erfahrung. Jede Kraftaͤußerung der Seele, die unmittelbar auf ein Gefuͤhl erfolget, und von der ich keine vorhergehende Vorſtellung habe, iſt eine ſolche, zu der die Kraft leidentlich beſtimmet wird.

Die Eindruͤcke von außen bringen nicht nur die er - ſten Reaktionen der Seele hervor, die das Fuͤhlen und das Empfinden ausmachen, ſondern verurſachen auch andere Kraftaͤußerungen in einem ſo thaͤtigen Weſen, als die Seele iſt. Es werden entweder Vorſtellungen erwecket, getrennet, vermiſcht; Jdeen, Gewahrneh - mungen, Gedanken hervorgebracht, indem die vorſtel - lende Kraft und die Denkkraft zur Anwendung erwecket werden; oder es entſtehen auch ganz neue Modifikatio - nen, eigentliche Thaͤtigkeiten,*)Zehnter Verſuch. I. 1. und gemeiniglich beides zugleich.

Jn jedem Fall, wenn ſie inſtinktartig erfolgen, ohne daß wir eine Vorſtellung von ihnen gehabt haben,die76XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitdie zuvoͤrderſt wieder erwecket ward, iſt es keine Selbſt - thaͤtigkeit, wenn die innere Wirkſamkeit auf dieſe Weiſe, in dieſer Richtung und mit dieſer Staͤrke hervorgehet.

3.

Dritte Erfahrung. Es iſt oͤfters eine Vorſtel - lung von einer Handlung in mir, und dennoch werde ich leidentlich zu ihr beſtimmt.

Oſtmals habe ich gegaͤhnet, auch gelachet, und weiß alſo, was beides iſt, kann auch beides willkuͤhrlich mittelſt dieſer Vorſtellung wieder hervorbringen. Wenn ich einem andern nachgaͤhne, ſo geſchieht ſolches auch nicht anders, als dadurch, daß die Vorſtellung von dem Aktus des Gaͤhnens erreget wird, und in Thaͤtig - keit uͤbergehet. *)Zehnter Verſuch. III. 3.Wie manches Frauenzimmer kann nicht ihre Thraͤnenquelle fließen laſſen, wenn ſie will! Aber dennoch uͤberfaͤllt uns auch wohl das Gaͤhnen, das Lachen, das Weinen, unmittelbar auf eine vorhergegan - gene Empfindung, ſo daß die Anwendung der thaͤtigen Seelenkraft, die hiezu erfodert wird, eine pure Leiden - heit iſt, und die Vorſtellung leidentlich reproducirt, und die Kraft zur Aktion leidentlich beſtimmet wird. Die Aktus ſelbſt ſind alsdenn wahre Kraftaͤußerungen; aber daß unſer inneres Princip ſich auf dieſe Art aͤußert, und in der Maße hervorgehet, iſt keine Selbſtthaͤtigkeit; es wird dazu eben ſo beſtimmet, als der reizbare Mus - kel zum Zuſammenziehen, wenn man ihn mit der Spitze einer Nadel oder eines Meſſers reizet.

4.

Vierte Erfahrung. Daß Vorſtellungen in uns wieder erwecket, und gegenwaͤrtig gemacht wer - den, daß ſie dermalen lebhafter ſind, daß ſie faſt bis an die ehemaligen Empfindungen hin ſich auswickeln, iſt77und Freyheit. iſt oftmals, nach unſerm Selbſtgefuͤhl zu urtheilen, eine Leidenheit; aber oft auch, und beſonders in dem Zuſtande der Beſinnung, wenn wir unſer ſelbſt maͤchtig ſind, eine Selbſtthaͤtigkeit, und eine Folge unſers eigenen Beſtrebens.

Zuweilen iſt es wallendes Gebluͤt, Affekt, Fieber - hitze, was uns mit Phantaſien beſchweret, deren wir uns nicht entſchlagen koͤnnen, wenn wir auch wollen. Da - gegen, wo wir uns hinſetzen, einen Plan zu durchden - ken, eine verwickelte Meditation vorzunehmen, eine Sache von allen Seiten zu uͤberſehen, da fuͤhlen wir unſere eignen Beſtrebungen, die dazu gehoͤrigen Vor - ſtellungen in uns hervorzurufen, zu unſerm Gebrauche gegenwaͤrtig zu erhalten, und ſie eine nach der andern zu entwickeln.

Wie es ſich auch mit der erſten Reproduktion der Vorſtellungen verhalten mag: denn zuweilen, wenn wir uns mit Fleiß auf etwas beſinnen, fuͤhlen wir auch hiebey unſer Thaͤtigſeyn; ſo fuͤhlen wir jenen Unter - ſchied am ſtaͤrkſten in ſolchen Faͤllen, wo es darauf ankommt, Jdeen gegenwaͤrtig vor unſerm Bewußtſeyn zu erhalten und ſie lebhafter in uns auszudrucken. Jch fuͤhle ſeltener ein Selbſtbeſtreben, wenn mir etwas ein - faͤllt; aber ich fuͤhle es oͤfters, wenn ich die mir einfal - lende Sache anſchaulich, und als ſtuͤnde ſie vor mir, zu gedenken mich bemuͤhe.

Dieſe Verſchiedenheit der Vorſtellungen, da ihre Gegenwart entweder eine Folge eines thaͤtigen Beſtre - bens der Seele iſt, oder nicht, haͤngt nicht allein von ihrer innern Lebhaftigkeit und Staͤrke, oder von der Menge der innern Aktionen ab, die in ihnen enthalten ſind. Es kommt auf noch etwas anders dabey an, das in dem Koͤrper liegt, und uͤberdieß auch auf etwas in der Kraft der Seele, was wir Geiſtesſtaͤrke nennen. Der große Verſtand wirket auf eine Sphaͤre von Jdeen,die78XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitdie ausgedehnter, intenſiv ſtaͤrker, und voller verwirr - ten und dunkeln Stellen iſt, und er erhaͤlt ſich dennoch in ſeiner Faſſung; da hingegen der ſchwache Kopf bey der geringſten Lebhaftigkeit und Verwirrung fortgeriſ - ſen wird. Jener behaͤlt ſich in ſeiner Gewalt, ſo lange dieſe Scene in ihm ſein eigen Werk iſt, das nur durch ſeine Thaͤtigkeit da iſt, und verſchwindet, ſobald er ſeine Kraft zuruͤckziehet; dieſer geraͤth außer ſich, und ſein Blut und ſein Gehirn ſpielt in ihm fort. Es ſind oͤf - ters dieſelbigen Vorſtellungen, die wir anfangs mit Muͤhe zuſammengeſucht und geordnet haben, und die uns nachher, nachdem wir ſchon allzulange und zu hef - tig mit ihnen uns befaſſet haben, nicht wieder ſogleich verlaſſen, als es uns gefaͤllig iſt, und als wir aufhoͤren, ſie zu erregen.

Aber dennoch lehret es die Erfahrung, daß dieſe ihre groͤßere und geringere Abhaͤngigkiet von der in - nern Seelenkraft auch mit ihrer Dunkelheit und Klar - heit, Verwirrung und Deutlichkeit, Staͤrke und Schwaͤche, in Beziehung ſtehe. Je naͤher ſie fuͤr ſich den Empfindungen kommen, deren zuruͤckgeblie - bene Spuren ſie ſind, deſto mehr ſind ſie auch, wenn alles uͤbrige gleich iſt, Leidenheiten, oder deſto leichter werden ſie es. Je mehr auseinandergeſetzt und je deut - licher ſie ſind, deſto mehr ſind ſie ſchon bey ihrem erſten Entſtehen auch Wirkungen von ſelbſtthaͤtigen Seelen - aͤuſſerungen, und deſto mehr haͤngt auch bey ihrer Re - produktion von dieſen letztern ab. Dazu kommt, daß ſie auch in jenem Fall mehr nach Art der Empfindun - gen wirken, und die Seelenkraft zu neuen inſtinktarti - gen Aktionen reizen, als ſie es thun, wenn ſie entwickelt und vernuͤnftig ſind. Je dunkler, je verwirrter, je mehr beſtimmter und vielbefaſſender die Vorſtellungen ſind, deſto ehe regieren und lenken ſie unſer Wollen, und un - ſere Thaͤtigkeit.

Es79und Freyheit.

Es laͤßt ſich etwas aͤhnliches bey unſern Gewahr - nehmungen, Urtheilen und andern Aeußerungen der Denkkraft, ſogar bey unſern Ueberlegungen anmerken. Wie oft werden ſolche uns nicht, ſo zu ſagen, abgenoͤthiget, wie Empfindungen, ohne daß wir es fuͤhlen, daß ſolche aus eigenem Beſtreben ent - ſpringen? deſto weniger und ſeltener, je mehr ſie ſelbſtthaͤtige Aktus der Denkkraft erfodert haben, ehe ſie zu Stande gekommen ſind. Und ſolche Aktus der Seele, wozu ſie paſſive beſtimmet wird, hinterlaſſen ihre Spuren, welche oft ſo innig an die Vorſtellungen, die anfangs das Objekt der thaͤtigen Kraft waren, ſich an - legen und mit ihnen vereiniget werden, daß der Aktus ſelbſt, wie z. B. das Gaͤhnen, wieder erwecket wird und hervorgehet, ſo bald die ſie veranlaſſende Vorſtel - lung wiederum da iſt, und zwar ſo, daß dieſe wieder - holte Aktion ſelbſt nur eben ſo, wie eine ſonſten paſſive Empfindung, in der Seele gegenwaͤrtig wird.

5.

Dieſe Verſchiedenheit in den Beſtimmungen der Seelenkraft mag ihren Grund haben, worinn ſie wolle; ſie iſt ſo groß, als der Unterſchied zwiſchen Thun und Leiden, und unſer Selbſtgefuͤhl lehret ſie uns ſehr deutlich von einander unterſcheiden. Es iſt auch nicht ſchwer, uͤberhaupt davon eine Erklaͤrung zu geben, ob dieſe gleich nach den verſchiedenen Vorſtellungen, die man ſich von der Natur des Seelenweſens macht, auf eine verſchiedene Art ausfallen muß. Seele und Koͤr - per handeln in Vereinigung, welche bey allen Hypothe - ſen, die man auch uͤber die Beſchaffenheit dieſer Ver - bindung annimmt, die Folge hat, daß mit jedweder Seelenveraͤnderung, mit jedweder Leidenheit und mit jeder Thaͤtigkeit eine gewiſſe Beſchaffenheit im Gehirn vergeſellſchaftet ſey, ohne welche jene wenigſtens nichtauf80XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitauf eine ſolche Art vorhanden iſt, daß wir uns ihrer bewußtſeyn koͤnnten. Die Kraft der Seele iſt das wirkſame Princip in dem Fall, wenn die Veraͤnde - rung eine Kraftaͤußerung iſt; und dann iſt das koͤr - perliche Organ das leidende, das nichts mehr thut, als bloß allein zuruͤckwirket; aber hingegen iſt das Or - gan das wirkende Princip, und die Seele reagirt nur leidentlich in den Empfindungen. Kann nun das Koͤr - perliche in dem Organ, die materielle Jdee, oder, wie wir es nennen wollen, die harmoniſche Veraͤnde - rung, die zu einer Seelenthaͤtigkeit gehoͤret, durch Ur - ſachen in dem Koͤrper gegenwaͤrtig gemacht werden, ſo kann die Seele dadurch leiden, und dann inſtinktartig zu dem begleitenden, vorſtellenden oder denkenden Aktus beſtimmet werden.

Jedoch alle Erklaͤrungen bey Seite geſetzt, will ich noch Eine Bemerkung zu den vorigen hinzuſetzen. Dieß ſoll der fuͤnfte Erfahrungsſatz ſeyn. Wenn es uns nach der dritten und vierten Beobachtung begegnet, daß eine Vorſtellung ohne ein Gefuͤhl unſers eignen Beſtrebens in uns gegenwaͤrtig wird, oder gegenwaͤr - tig bleibet, oder lebhafter hervorgehet, ingleichen wenn wir zu einer Reflexion, oder zu einem Tenk - aktus, oder zu einer andern Thaͤtigkeit leidentlich be - ſtimmet werden: ſo finden wir uns auf eine aͤhnliche Art modificiret, als es nach der zwoten Erfahrung |in ſolchen Faͤllen geſchieht, wo eine Kraftaͤußerung un - mittelbar auf ein Gefuͤhl erfolget, zu der dieſes Gefuͤhl uns beſtimmet.

Jch bin in einer Leidenſchaft, oder es wallet doch das Gebluͤt noch jetzo von ihr. Die vorigen Jdeen ſteigen von Zeit zu Zeit wieder auf, und reizen zu den vorigen Aktionen, die dann auch wohl zum Theil wirk - lich wieder erfolgen. Aber es iſt nicht ſchwer zu be - merken, daß, was hier leidentlich erfolget, unterbro -chen,81und Freyheit. chen, und nur, ſo zu ſagen, ſtoßweiſe erfolget. So wie die auftretende Vorſtellung weggeht, und ſich einen Augenblick verliert, ſo faͤllt auch der Anſatz zur Thaͤtigkeit mit ihr zugleich zuruͤck. Die Aktion beſtehet in dieſem Fall aus unterſchiedenen getrennten Theilen, die nach und nach hervorgetrieben werden, aber keine in Eins fortgehende Aktion ausmachen. Verfolgt mich ein Gedanke, ſo werde ich zwar zum Ge - wahrnehmen gezwungen; aber ich fuͤhle es doch, daß dieß Gewahrnehmen eben ſo vorhanden iſt, als wenn mir jemand das auf ein Spiegelglas aufgefangene Son - nenbild in die Augen wirft, und mich mit dieſem Bilde verfolget. Jch ſchließe die Augen zu, und drehe ſie weg; aber wenn ich ſie wieder eroͤffne, ſo iſt das blen - dende Bild, das mich verfolgt, auch wiederum vor mir; ich mach's wieder ſo, wie vorher. Jch handele aber unterbrochen, ſo wie mir die Aktion theilweiſe ab - gezwungen wird.

Dagegen wenn die Kraftaͤußerungen nicht ſolche unmittelbare Folgen ſind, wozu mich die Gefuͤhle be - ſtimmen, ſo gehen ſie in Eins fort, wenn ſie einmal angefangen haben. Der erſte Anfang der Aktion mag ein unmittelbarer Ausbruch der Kraft ſeyn, wozu das Gefuͤhl gereizet und geſtimmet hat; aber wenn das, was ferner erfolgt, meine Selbſtthaͤtigkeit iſt, ſo iſt es eine Folge meines Beſtrebens, und geht mit dem Beſtre - ben fort. Jn ſolchen Faͤllen fuͤhlen wir unſer Beſtre - ben und unſere Selbſtwirkſamkeit, und zwar darum, weil ſie fortdauern, und ſich dem Bewußtſeyn darſtel - len. Jn jenem Fall war auch eine Kraftaͤußerung vor - handen, inſoferne die Wirkung aus dem innern Prin - cip der Seele hervorgeht; aber ſie erſcheint auf die Art, wie eine Leidenheit, weil ſie als Selbſtthaͤtigkeit be - trachtet, nicht fortdaurend iſt, und daher weder nach - empfunden noch beobachtet werden kann.

II Theil. F6. Dieß82XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit

6.

Dieß iſt ſchon genug, um den großen Unterſchied zwiſchen dem Beſtimmetwerden, und zwiſchen dem Selbſt ſich beſtimmen merkbar zu machen. Jch gehe auf dem Felde; unvermuthet entſteht hinter mir ein erſchuͤtterndes Geraͤuſch; ich fahre zuſammen, und ſehe mich um, ehe ich mich noch beſinne. Hier wer - de ich, groͤßtentheils wenigſtens, leidend beſtimmt.

Jch ſitze jetzo auf meinem Stuhle, und fuͤhle eine Unbequemlichkeit. Es faͤllt mir ein, aufzuſtehen, und die Fuͤße zu bewegen: ich bedenke mich aber noch, weil ich eben mitten in einer Reflexion begriffen bin, die ich gerne ganz aufs Papier bringen moͤchte; indeſſen waͤhle ich doch das erſtere, ſtehe ohne Uebereilung ganz kalt - bluͤtig auf. Das Gefuͤhl ſagt, daß ich mich hiebey ſelbſt beſtimme.

Von Empfindung oder Gefuͤhl faͤngt die Aktion an. Jn dem erſten Fall reizet das Gefuͤhl, und es erfolget unmittelbar eine Beſtimmung der Kraft. Das Gefuͤhl beſtehet, oder dauert etwas fort, und es erfolgen alſo mehrere Beſtimmungen der Kraft von ei - nerley Art. Jhre Folge auf einander macht die ganze Aktion aus, die aber als Seelenaktion unterbrochen iſt, obgleich zuweilen auch in Eins fort zu gehen ſcheinet. Sie kommt uns in dieſen Faͤllen als ſo etwas Paſſives vor, wie jede andere leidentliche Empfindung.

Jn dem zwoten Fall faͤngt ſich die Aktion auch mit einem Gefuͤhl an. Dieß erwecket eine Jdee und macht meine Aufmerkſamkeit rege. Bis dahin geht ihre un - mittelbare Wirkung, und bis dahin werde ich be - ſtimmt. Aber es erfolget noch eine weitere Anwendung meiner Kraft, bey der ſich die neue Aktion anfaͤngt.

Wie wenn dieſe, auf welche Art ſie auch hinzu - kommt, durchaus eine Selbſtthaͤtigkeit iſt; wenn dieerfolgende83und Freyheit. erfolgende Aktion aus dem innern Princip ſo hervor - geht, wie die Ausdehnung einer elaſtiſchen Feder aus ihrer innern Elaſticitaͤt: ſo entſtehet hier etwas, das weſentlich von dem vorhergehenden unterſchieden iſt. Denn hier iſt die nachfolgende Aktion von ihrem An - fange an, von dem naͤchſten Schritt an, der auf die erſte inſtinktartige Aeußerung erfolgte, und noch eine unmittelbare Folge der Empfindung war, eine wahre Aktion. Der Anfang von ihr, oder der Anſatz dazu, der von dem weitern Erfolg unterſchieden werden kann, wie eine Beſtimmung zur Handlung von der Handlung ſelbſt, iſt ſchon Selbſtthaͤtigkeit, die nicht mehr unmit - telbar von einer Empfindung beſtimmet worden iſt. Und dieſe iſt eine Selbſtbeſtimmung.

Mehr ſuche ich hier noch nicht zu erweiſen, als daß es eine ſolche weſentliche Verſchiedenheit geben koͤn - ne. Wie es ſich aber bey den Selbſtbeſtimmungen un - ſerer Seele wirklich verhalte, wird nun vom neuen aus Beobachtungen aufzuſuchen ſeyn.

F 2XI. Fort -84XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit

XI. Fortſetzung des Vorhergehenden. Von den Selbſtbeſtimmungen der Seele zu ihren Aktionen.

  • 1) Die Selbſtbeſtimmung erfodert, daß die Seele in dem Stande reger Wirkſamkeit ſich befinde.
  • 2) Die Selbſtbeſtimmung zu einer Aktion er - fodert, daß eine Vorſtellung von dieſer Ak - tion vorhanden ſey.
  • 3) Das Selbſtbeſtimmen iſt ein Aktus der Wie - dervorſtellungskraft, welcher die Jdee von der Aktion zum naͤchſten Objekt hat. Und dieſe Reproduktion iſt eine Selbſtthaͤtigkeit, welche nicht unmittelbar auf das Gefallen erfolget.
  • 4) Die gefallende Vorſtellung beſtimmt das thaͤtige Princip nicht innerlich zu der Aktion, welche erfolget, ſondern iſt bloß ein Objekt, welches der innerlich ſchon voͤllig zur Aktion beſtimmten Kraft vorgeleget wird.
  • 5) Der letzte Satz wird aus Beobachtungen bewieſen. Zuerſt aus ſolchen Faͤllen, in denen wir uns mehr zu einer Art der Hand - lung, als zu einer andern beſtimmen.
  • 6) Ferner bey ſolchen Selbſtbeſtimmungen, wo wir zwiſchen Thun und Laſſen waͤhlen.
  • 7) Endlich bey ſolchen Selbſtbeſtimmungen, wo wir uns zu einer groͤßern Anſtrengung der Kraft, oder zu einer Nachlaſſung der - ſelben beſtimmen.
1. Die85und Freyheit.

1.

Die vorhergehenden Bemerkungen bringen uns end - lich zu der dunkeln Stelle hin, wo wir Licht und Helle zu haben wuͤnſchen. Wir handeln frey, und be - ſtimmen uns ſelbſt aus Eigenmacht. Dieß fuͤhlen wir. Aber wir werden auch ſo oft nur leidentlich beſtimmet. Da die Umſtaͤnde, unter welchen das letztere geſchieht, aufgeſuchet worden ſind, und uͤberhaupt ſchon der Un - terſchied zwiſchen wahren Selbſtbeſtimmungen und zwi - ſchen den paſſive angenommenen Richtungen unſerer Kraft bemerket iſt, ſo fehlet es nur noch daran, daß wir auf eine aͤhnliche Art die Erfoderniſſe von jenen wahren freyen Selbſtbeſtimmungen aufſuchen, und daraus in die innere Beſchaffenheit derſelben einige Blicke wagen. Es ſollen aber auch hier wiederum Er - fahrungen zum Grunde geleget werden.

Die erſte iſt dieſe: Wo ich mich ſelbſtthaͤtig zu etwas beſtimme, etwas will, da muß ſich die innere Kraft der Seele, mit der ich will, und mich zu der Aktion beſtimme, in einem Zuſtande der regen Wirk - ſamkeit befinden.

Jch beſtimme mich mit Ueberlegung, zur rechten Hand zu gehen, oder zur Linken. Da empfinde ich, daß meine Willenskraft, oder mein Vermoͤgen mich entſchließen zu koͤnnen, in einem Zuſtand der Wirkſam - keit iſt. Es iſt zum wenigſten ein Trieb da, heraus zu wollen. Man beſtimmt ſich ſelbſt, wenn man mit Beſinnung, und mit Gegenwart des Geiſtes handelt. Nach meinem Gefuͤhl iſt es wenigſtens ſo; und auf ſol - che Faͤlle, wo man nach Ueberlegung oder wenigſtens mit Beſinnung handelt, muß man allein zuruͤckſehen, wenn man das aufſuchen will, was in unſern Selbſt - beſtimmungen enthalten iſt. Denn dieſe Kraftaͤuße - rungen, und nur dieſe ſind zuverlaͤßig diejenigen, dieF 3wir86XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitwir als ſolche empfinden, zu denen wir uns ſelbſt be - ſtimmen, nicht aber zu ihnen gezogen, geſtoßen, oder leidentlich beſtimmet werden.

Jch beſtimme mich zum Aufſtehen, da ich ſitze. Das naͤchſte was erfolget, iſt das, was wir in uns das Wollen nennen. Es gehoͤrt noch mehr dazu, um das Gewollte auszurichten; aber indem ich mich mit Ueber - legung zum Wollen beſtimme, ſo finde ich meine Kraft ſchon in Wirkſamkeit, noch ehe ich will, ſchon waͤhrend des Beſinnens und des Ueberlegens.

Vielleicht ſchlaͤft mir der Fuß oder iſt paralytiſch geworden, ohne daß ichs weiß. Alsdenn werde ich nicht aufſtehen koͤnnen. Dieſe letztere Aktion des Koͤr - pers wollen wir noch bey Seite ſetzen. Aber ich kann es doch nichts deſtoweniger wollen, und will es. Jn dem Zuſtande, da ich mich beſinne und will, finde ich die innere ſich zum Wollen beſtimmende Kraft erreget und thaͤtig, und bereit zum Nichtwollen, wenn mir dieß gefaͤllt.

2.

Die zwote Erfahrung iſt dieſe. Man kann nichts wollen, ſich zu nichts ſelbſtthaͤtig beſtimmen, wenn nicht eine Vorſtellung in uns vorhanden iſt, nicht al - lein von dem Objekt, worauf das Wollen gehet, ſon - dern auch von derjenigen Kraftaͤußerung, welche er - folget, indem man will, das iſt, von der Beſtim - mung, welche der Kraft im Wollen gegeben wird.

Da dieß unmittelbare Erfahrung iſt, ſo kann ich nichts zu ihrer Beſtaͤtigung ſagen, als daß man nur in ſolchen Faͤllen, wo man ſich zu etwas entſchließt, auf ſich acht haben duͤrfe, um es ſo in ſich ſelbſt ge - wahrzunehmen. Jch bin munter zur Arbeit, komme auf mein Zimmer, beſinne mich, welches Geſchaͤffte ich vorzunehmen habe. Es ſind Vorſtellungen von denThaͤ -87und Freyheit. Thaͤtigkeiten vorhanden, die das Geſchaͤffte erfodert, das ich waͤhle, und dieſe Vorſtellungen ſtellen ſich mir dar.

Die Vorſtellungen von Thaͤtigkeiten ſind den Vorſtellungen von den Objekten und ihren Wirkungen einverleibet; aber dennoch iſt die Vorſtellung von der Sache von derjenigen, die wir von der Aktion ſelbſt ha - ben, unterſchieden; und jene macht noch dieſe nicht aus, wie ich anderswo ausfuͤhrlicher und deutlicher gezeiget habe. *)Zehnter Verſuch II. 3.Nach der jetzo bey vielen gewoͤhnlichen Art, ſich auszudruͤcken, ſind die Vorſtellungen von Objekten nichts als innere wiedererweckte ſinnliche Bewegungen in den Empfindungsfibern, und in dem Gehirn ſind ohne Zweifel die materiellen Jdeen wirklich ſo et - was. Dagegen aͤhnliche Spuren in den innern Aktions - fibern die Vorſtellungen von Aktionen ausmachen. Aber ohne Ruͤckſicht auf die mechaniſche Pſychologie iſt es eine Folge der reinen Erfahrungen, daß die Vorſtel - lungen von Aktionen wirkliche Anfaͤnge zu ihnen in dem Jnnern ſind, die in dem Koͤrper auch mit den Anwan - delungen zu gewiſſen Bewegungen verbunden ſind, wel - che, wenn ſie weiter herausgehen, koͤrperliche Handlun - gen oder Thaͤtigkeiten werden. Das Koͤrperliche oder das Materielle zu dieſen Vorſtellungen iſt außer Zweifel ſo ein Anſatz zu einer Bewegung in den Aktionsfibern, oder wenn man will, gewiſſe Schwingungen in ihnen, die aber den Schwingungen der Empfindungsfibern in - nig einverleibet ſind. Es iſt nicht die Vorſtellung von dem Objbkt der Handlung allein, die mir vorlieget, wenn ich mich zu etwas beſtimme, dafern ich mich ſelbſt be - ſtimme; ſondern auch die Vorſtellung von der Hand - lung ſelbſt iſt mir gegenwaͤrtig. Mir fallen zwo Ge - genden in die Augen, wenn ich ſpatzieren gehe, und ich frage mich, welche von beiden ich waͤhlen ſoll? Die Empfindungen von beiden Gegenſtaͤnden ſind zunaͤchſtF 4vor88XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitvor mir; ich vergleiche ſie, und finde die eine angeneh - mer, als die andere; oftmals iſt es auch das Angeneh - me des Weges, die Art der Bewegung, die ich im Hin - gehen habe, was den Entſchluß auf eine Seite hinlen - ket. Allein in jedem Falle, auch in dem erſten, be - ſtimme ich mich nicht ſelbſt, wenn das Gefallen, was der Vorſtellung von dem Objekt anklebet, unmittelbar das Wollen und die Aktion nach ſich ziehet; oder in der neuern Sprache zu reden, wenn die angenehme Schwin - gung in der Empfindungsfiber ſogleich die Aktionsfiber zu ihrer vollen Bewegung beſtimmet. Dieß letztere geſchieht wohl zuweilen, allein das Selbſtgefuͤhl lehret, daß es da nicht ſo ſey, wo ich mich ſelbſt zu der Aktion beſtimme. Jn dieſem Fall finde ich jedesmal eine vor - hergehende jetzo gegenwaͤrtige Vorſtellung von der Aktion ſelbſt in mir, ehe ich dieſe will. Die Empfindung des Angenehmen mag aus der Jdee von dem Objekt ent - ſtehen, und dieſe Jdee mir naͤher bringen; aber dieß iſt noch nicht der Entſchluß, oder die Selbſtbeſtimmung des Willens. Dieß letztere iſt, ſo zu ſagen, ein neuer Andruck auf die Vorſtellung von der Aktion, wodurch dieſe mehr und voͤlliger reproduciret wird.

Aus dieſem Charakter unſerer Selbſtbeſtimmungen folget, was wiederum unmittelbar durch die Beobach - tung beſtaͤtiget wird, daß wir nichts wollen, und uns zu keiner Kraftanwendung ſelbſt beſtimmen, als nur zu ſolchen, von welchen wir Vorſtellungen beſitzen, und die alſo ſchon vorher inſtinktartig erfolget ſind, ohne ſie damals gewollt, oder uns ſelbſt dazu beſtim - met zu haben. Jedoch ſetze ich dabey voraus, daß man ſich bey dieſem Satze zugleich auch an diejenige Einſchraͤnkung erinnern werde, welche ich ihm oben*)Zehnter Verſuch II. ſchon beygefuͤgt habe.

3. Dritte89und Freyheit.

3.

Dritte Beobachtung. Wo wir uns ſelbſt be - ſtimmen zu einer Aktion, oder ſie wollen, da iſt die - jenige Aeuſſerung der Kraft, welche das Beſtimmen ausmacht, ein ſtaͤrkeres Beſtreben auf die Vorſtellung von der Aktion; und von dieſem Beſtreben iſt es eine Wirkung, daß jene Vorſtellung voͤlliger reproducirt wird, und in eine volle Aktion, wenigſtens in eine innere, uͤbergehet. Und dieß Beſtreben zur Ent - wickelung der Vorſtellung iſt eine Selbſtthaͤtigkeit, welche nicht unmittelbar auf das Gefallen erfolget.

Nicht alle Kraftaͤußerungen der Seele beſtehen in Reproduktionen und Bearbeitungen der Vorſtellungen, ja keine einzige beſtehet ganz allein darinn. *)Zehnter Verſuch IV. 2.Aber da, wo wir ſelbſt uns zu etwas beſtimmen, da beſtehet das Wollen in einer Tendenz, eine vorhandene Vorſtellung von einer Aktion bis zur Empfindung zu erheben. Mit dieſer ſind zugleich Gefuͤhle und Empfindungen verbun - den, durch welche wiederum unmittelbare, inſtinktartige Thaͤtigkeiten veranlaſſet werden, wovon neue Modifika - tionen in der Seele abhangen. Niemals iſt eine ganze individuelle Kraftanwendung der Seele eine Selbſt - beſtimmung. Aber ſoweit ſie eine ſolche iſt, beſtehet ſie in einem Anſatz, eine Vorſtellung von einer Aktion voͤlliger bis zur Empfindung zu entwickeln.

Dieſe reproducirende Aktion iſt nicht unmittelbar die naͤchſte Folge von der Affektion, welche wir das Gefallen nennen, und welche inſtinktartig hervorgehet. Das Gefallen kann aus der Vorſtellung von dem Objekt der Handlung entſpringen, und dann unmittelbar die Jdee von der Aktion ſelbſt erwecken; oder, wenn dieſe ſchon erweckt iſt, ſolche noch mehr gegenwaͤrtig machen. Bis dahin werden wir beſtimmt. Nur iſt dieß nochF 5nicht90XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitnicht der Entſchluß, oder das Wollen. Dieß letz - tere iſt eine neue Thaͤtigkeit, die zu derjenigen, welche durch das Gefuͤhl des Angenehmen unmittelbar hervor - gebracht worden iſt, und zu der wir leidend beſtimmet waren, hinzu kommt und auf ſie folget. Wir erken - nen dieß am deutlichſten, wenn eine merkliche Ueberle - gung vorhergehet. Wie oft waͤlzen wir dann die Jdeen und Vorſtellungen um; und wenn nun auch das Gefal - len da iſt, außer dem wir nichts mehr gebrauchen, ſo kann uns doch noch eine gewiſſe Bedachtſamkeit, die zu - weilen Aengſtlichkeit wird, zuruͤckhalten. Wenn wir aber nichts mehr antreffen, das uns abhaͤlt, ſo beſtim - men wir uns nach unſerm Gefallen zu einer Vorſtellung, die ſchon vorher eben ſo vorhanden war, wie ſie es je - tzo iſt.

Jm Affekt, z. B. bey einem ſtarken Hunger tritt uns der Speichel in den Mund, wenn wir die wolſchme - ckende Speiſe auf dem Tiſch vor uns ſehen. Dieß iſt eine unwillkuͤrliche inſtinktartige Wirkung; und die ſie begleitende Begierde in der Seele zum Eſſen, welche zugleich mit jener Bewegung im Koͤrper entſpringet, iſt es nicht weniger. Aber in einem ſolchen Fall iſt das Begehren keine Selbſtbeſtimmung, und kein eigentli - ches Wollen.

Hiemit vergleiche man einen andern Fall, wo wir nach unſerm ſinnlichen Urtheil ſagen, daß die Bewe - gungsgruͤnde uns nur geneigt machen, uns nur rei - zen, locken, aber doch zum Entſchluß nicht zwingen, nicht beſtimmen und ziehen. Dieſe Verſchiedenheit hat man gefuͤhlet. Worinn beſtehet ſie? Jch meine hie - rinn, daß in dem letzten Fall die Selbſtbeſtimmung ei - ne neue Aktion ſey, welche noch zu der erſten Kraft - aͤußerung, oder zu der erſten Spannung der Kraft, die eine unmittelbare Folge von dem Gefallen war, hinzu - kommt.

Wir91und Freyheit.

Wir handeln zuweilen ohne merkliche Ueberle - gung, ſehr ſchnell; und dennoch fuͤhlen wir, daß wir da mit Beſinnung handeln, wo wir uns ſelbſt beſtim - men, und da nicht, wo wir hingeriſſen werden. Jn der Beſinnung iſt eine gewiſſe Reihe von Veraͤnderun - gen enthalten, die zum mindeſten um ein Glied groͤßer iſt, als die Reihe von Veraͤnderungen iſt, wenn wir ohne Beſinnung handeln. Jn der Beſinnung finden wir nur zuerſt ein Gefallen, dann eine gewiſſe Kraft - aͤußerung, wozu dieß Gefallen beſtimmet, eine Span - nung der Kraft, oder eine entſtehende Zuneigung zu der gefallenden Sache; und alsdenn endlich noch eine wei - tere Selbſtthaͤtigkeit, die aus dem Jnnern kommt, die nicht unmittelbar auf eine Empfindung folgt. Das letztere dieſer Stuͤcke fehlt, wo wir leidentlich beſtimmt werden.

4.

Viertens. Die gefallende Vorſtellung, auf welche ſich die thaͤtige Kraft verwendet, indem wir uns ſelbſt beſtimmen, iſt nichts, als ein Objekt, das dem innerlichen wirkſamen Princip vorge - leget wird; nichts anders, als was die Oefnung dem herausſpringenden Waſſer iſt, oder die Kugel, welche der Stahlfeder vorgeleget wird, indem dieſe ſich ausdehnt.

Die gefallende Vorſtellung, ſo wie ſie da iſt, wenn die wirkſame Seelenkraft ſich auf ſie wendet, ſie weiter entwickelt, und zur voͤlligen Aktion herausarbeitet, macht alſo keinen Beſtandtheil des innern zureichenden Grundes zu der Aktion aus, die aus dem ſich ſelbſt beſtimmenden Princip hervorgehet. Sie gehoͤrt alſo auch nicht zu den innern Beſtimmungsgruͤnden, wo - durch die innere Kraft aufgelegt gemacht wird, mit ei - ner ſolchen Jntenſion, und nach derjenigen Richtunghin92XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeithin zu wirken, mit und in der die Kraftaͤußerung er - folget. Sie iſt das ſich darbietende Objekt; ſie iſt wie der leichteſte Weg, auf dem die wirkſame, innerlich ohne ſie voͤllig beſtimmte Kraft ihre Wirkſamkeit auslaͤſſet. Es handelt alſo die Seele, da wo ſie ſich ſelbſt beſtimmt, aus voller Eigenmacht.

Dieſer Satz iſt, meiner Meinung nach, eigentlich der Schluͤſſel, der unſere Selbſtgefuͤhle von den freyen Handlungen entziffert. Jch bitte meine ſcharſſinnigen Leſer, ihn zu erproben, ob er allenthalben paſſe. Oben (IX. 2.) habe ichs erinnert, wo die Schwierigkeiten lie - gen. Wir fuͤhlen uns, wenn wir willkuͤrlich und frey wollen und handeln, innerlich nicht beſtimmt mehr zum Wollen, als zum Nichtwollen, nicht mehr zum Thun als zum Laſſen; nicht mehr zum Sowollen, als zum Anderswollen.

Aber die gefallende Vorſtellung gab der Aktion, welche erfolgte, doch ihre eigenen Beſtimmungen. Woher dieſe? Sie haben keinen zureichenden Grund, und beduͤrfen keines; antwortet der Jndeterminiſt. Sie muͤſſen einen haben; und daher iſt es außer Zweifel, daß wir nicht ſo unbeſtimmt vor der Aktion haben ſeyn koͤnnen, als die Empfindung es uns wol uͤberreden will. Dieß iſt die Antwort der Gegner.

Wie aber, wenn die ganze Vorausſetzung zum Theil irrig iſt; wenn in der Aktion, welche erfolget, keine beſondere Beſchaffenheiten vorhanden ſind, die ſich nicht auch in ihrem Gegentheil finden; ſo bedarf es auch keines zureichenden Grundes in dem innern Princip vor der Handlung, warum ſie mehr erfolgt, als nicht erfolgt, ſo erfolgt, und nicht anders; ſo wenig, als es eines beſondern Beſtimmungsgrundes in dem innern Druck des Waſſers am Boden eines Gefaͤßes bedarf, warum es an der Seite herausſpringet, wenn ihm hier die Oeffnung gemacht wird, und nicht vielmehr geradeunter -93und Freyheit. unterwaͤrts an dem Boden? Es iſt alſo in dem thaͤtigen Princip der Seele ſo viel zureichender Grund da, als zu den geſammten Beſchaffenheiten der Aktion erſodert wird, wenn wir naͤmlich dieſe ſo betrachten, wie ſie aus dem thaͤtigen Princip hervorgehet.

Wodurch denn aber Wollen und Nichtwollen, Thun und Laſſen, Sowollen und nicht Anderswollen, ihre Eigenheiten und Unterſcheidungsmerkmale empfangen, die ſie an ſich haben? Jch antworte: dieſe Verſchie - denheiten entſtehen alle aus dem Objekt des thaͤtigen Princips, welches hier die gefallende Vorſtellung von der Aktion iſt, worauf die innre Kraft ſich verwendet. Die Aktion iſt innerlich, als unmittelbare Folge der thaͤ - tigen Kraft betrachtet, dieſelbige, wir moͤgen wollen oder nicht wollen, ſo wollen oder anders wollen; aber die Verſchiedenheit dieſer Aktionen entſpringet aus der ver - ſchiedenen Receptivitaͤt des ideellen Gegenſtandes, mit dem ſich die Kraft verbindet, oder auf welches ſie ſich anwendet.

Jn ſolchen gleichguͤltigen Handlungen, wo uns das Erſte das Beſte iſt, indem wir uns beſtimmen, iſt es offenbar, daß es ſich auf dieſe Art verhalte. Es iſt oben gezeiget worden, wie dieſe letztere auf eine ſolche Art erklaͤret werden koͤnne, daß alle Schwierigkeiten wegfallen. Das thaͤtige Princip kann innerlich ſo gut beſtimmt ſeyn zu dem, was wir waͤhlen, als zu dem, was wir nicht waͤhlen. Nur die aͤußern Umſtaͤnde fuͤh - ren auf jenes. Aber dieſe Umſtaͤnde enthalten auch von nichts mehr den beſtimmenden Grund in ſich, als da - von, daß die Kraft auf einen beſtimmten Gegenſtand angewendet wird, und nicht auf einen andern. Sie geben keine innere Beſtimmungsgruͤnde her zu der Art der Handlung; und werden nicht zu Beſtandtheilen des ganzen innern zureichenden Grundes der Aktion; keine Ergaͤnzung zu dieſem. Wenn es ſich auf dieſelbige Artauch94XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitauch bey ſolchen Handlungen verhaͤlt, die wir nach dem Grundſatz des groͤſſern Gefallens vornehmen, ſo wird auch bey dieſen alles voͤllig begreiflich ſeyn. Aber dieß iſt es auch, was am wenigſten auffaͤllt, was am verſteckteſten war, ſo lange man nicht deutlich einſah, worinn die Vorſtellungen von Aktionen beſtehen; und was vorher ins Licht geſetzet werden muß, wenn unſere Gefuͤhle von Freyheit nicht mehr raͤthſelhaft ſeyn, oder gar unbegreiflich ſcheinen ſollen.

5.

Der Beweiß davon, daß die gefallende Vorſtel - lung, zu der wir uns beſtimmen, ſich wirklich alſo auf die erfolgende Selbſtbeſtimmung beziehe, muß aus Beobachtungen gefuͤhret werden. Hiezu kann man aber nur ſolche Beyſpiele nehmen, bey denen wir uns es voͤl - lig bewußt ſind, daß wir willkuͤrlich und frey handeln, und zwar, wo die Handlung unmittelbar willkuͤrlich iſt.

Zuerſt zergliedere man einen ſolchen Fall, wo wir uns zu Einer Art der Handlung vor der andern be - ſtimmen.

Jch bin jetzo zur Arbeit aufgelegt. Meine Kraft iſt rege, und ich fuͤhle ein Beduͤrfniß, mit dem Ver - ſtande thaͤtig zu ſeyn. Eine Menge von Empfindun - gen und Vorſtellungen ſind mir gegenwaͤrtig; und ich frage mich ſelbſt, mit welchem Geſchaͤffte ich mich nun wohl befaſſen ſolle? Es iſt mehr, als Eins, deſſen Vorſtellung ſich mir darbietet. Jch vergleiche ſie, und waͤhle dasjenige, was mir jetzo das angemeſſenſte, oder das noͤthigſte, oder das angenehmſte zu ſeyn ſcheinet. Hier kann ichs wohl merken, daß die Gefuͤhle, die in mir entſtehen, wenn ſie lebhaft ſind, auch ſogleich merk - liche Begierden erregen. Dieſe Gefuͤhle wirken auf mich, erregen, ſpannen, reizen meine Kraft, lenkenſie95und Freyheit. ſie nach einer gewiſſen Richtung hin, und ich beſtimme mich nach dieſer Richtung.

Wenn man nun dieß ſo erklaͤret, es ſey die wirk - ſame Seelenkraft durch die gefallende Vorſtellung in ihrem Jnnern zu einer gewiſſen Art von Handlung naͤher beſtimmet worden, als ſie es vorher war, ſo ſagt man etwas, das von einer Seite betrachtet, mit dem, was ich wirklich fuͤhle, uͤbereinſtimmet. Allein wenn ich nur mich ſo entſchließe, als wir es denn thun, wo wir uns unſern Entſchluß ſelbſt zuſchreiben, und uns voͤllig in unſerer Gewalt haben; und wenn wir alsdenn genauer auf das acht haben, was in uns vorgeht, ſo verhaͤlt es ſich zuverlaͤßig nicht gaͤnzlich auf der Art, wie man es in jener Erklaͤrung angiebt.

Jch fuͤhle mich vorher, ehe die gefallende Vorſtel - lung ſich darbietet, eben ſo gut beſtimmt zu einem an - dern Geſchaͤffte. Anſtatt meine Betrachtung uͤber die Freyheit fortzuſetzen, war ich aufgelegt, einem Dichter nachzuempfinden. Oder doch, wenn ich ja mehr zur Spekulation geſtimmt war, ſo haͤtte ich mich doch eben ſo gut mit vielen andern befaſſen koͤnnen, wenn mir die Vorſtellung von ihnen in den Sinn gekommen waͤre, und auch eben ſo gefallen haͤtte; denn es fallen mir wirk - lich mehrere Vorſtellungen von Handlungen ein. So lange ich noch uͤberlege, was ich zu thun habe, und alſo die Eine Arbeit noch keine Vorzuͤge vor den uͤbrigen mir zu haben ſcheint, ſo lange fuͤhle ich nicht die geringſte naͤhere innere Beſtimmung, keinen Drang, keine Be - gierde zu der Einen mehr als zu der andern.

Es kann vielleicht eine innere Beſtimmung in mei - nem dermaligen Zuſtande verborgen ſeyn, die ich nicht gewahrnehme. Jch geſtehe es. Vielleicht geht ein gewiſſer Zug, aus Gewohnheit entſtanden, mehr nach der einen Aktion hin, als nach der andern. Aber da ich dergleichen Beſtimmungen doch ſonſt wohl fuͤhle:was96XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitwas habe ich denn fuͤr Grund zu glauben, daß ſie nun auch da ſey, wo ich ſie mit aller meiner Sorgfalt nicht gewahrnehme? Und ganz gewiß giebt es doch ſolche Faͤlle, wo ich ſie nicht gewahrnehmen kann.

Nun aber kommt zu dieſer unbeſtimmten innern Wirkſamkeit die gefallende Vorſtellung hinzu; ich werde afficirt, und dieß Gefallen hat eine Wirkung auf mich, die ich ſo ausdruͤcke: ich werde geneigt, nach dieſer Vorſtellung mich zu beſtimmen.

Unterſuche ich mich bis hieher, ſo deucht mich, es ſey offenbar, daß der ganze Unterſchied zwiſchen der Neigung zu dieſer Aktion, die mir gefaͤllt, und zwi - ſchen der Neigung zu einer andern, von nichts weiter abhange, als davon, daß es die Vorſtellung von jener, und nicht die Vorſtellung von einer andern ſey, welche mir gefaͤllt, und dadurch meiner wirkſamen Kraft vor - gelegt wird. Die Neigung zu einem andern Geſchaͤffte wuͤrde eine Applikation der naͤmlichen innern Kraft auf einen andern ideellen Gegenſtand geweſen ſeyn. Wenn mir eine Vorſtellung von einer andern Unterſuchung in den Sinn gekommen waͤre, ſtatt jener, ſo wuͤrde eine andere Neigung entſtanden ſeyn, die aber nur ihr Cha - rakteriſtiſches von ihrem Gegenſtand gehabt haͤtte. Das innere Princip wollte thaͤtig ſeyn auf irgend ein Objekt, und beſtrebte ſich, wie die ſich ausdehnende Feder. Die Jdee, welche dieß Beſtreben auf ſich zog, war das, was die Kugel iſt, welche der Feder im Wege liegt, und ihren Jmpuls aufnimmt.

Aber vom Gefallen und Geneigtſeyn bis zur Selbſtbeſtimmung iſt noch ein Schritt weiter, und dieſer Schritt iſt ein ſelbſtthaͤtiger Reproduktionsaktus.

So weit ich hiebey mich ſelbſt und meine thaͤtige Kraft fuͤhlen kann, finde ich in dieſer Selbſtbeſtimmung wiederum innerlich nichts, das von einem jeden andern Reproduktionsaktus an ſich unterſchieden waͤre, nur daßein97und Freyheit. ein gewiſſes beſtimmtes Objekt vorhanden iſt, worauf ſich das Vermoͤgen zu reproduciren anwendet. Das Gefallen an Einer Vorſtellung hat mir das Objekt dar - geſtellet, aber mir keine neue Beſtimmung beygebracht, die meine Wirkſamkeit nur allein auf dieſe Vorſtellung zu wirken geſchickt gemacht haͤtte. Jene werde mir in dem Augenblick entzogen, oder es falle mir ein, daß es gut ſey, einmal nach Eigenſinn zu handeln! Was wird geſchehen? Es wird mir ein anderer Gegenſtand vorgelegt. Die Jndeterminiſten haben ſich ganz rich - tig auf dieſe Faͤlle berufen. Denn ſo viel lieget doch darinn, daß ſelbſt die Affektion des Gefallens, und ihre unmittelbare Wirkung keine Ergaͤnzung des in - nern zureichenden Grundes zu der Handlung war, woraus dieſe mehr als eine andre hervorgieng. Es war von nichts mehr der zureichende Grund, als davon, daß ein beſtimmtes Objekt auf eine naͤhere Art der Kraft dargeſtellet ward, und daß dieſe ſich eben auf je - nes anwandte und auf kein anderes. Ob ich alſo ſelbſt - thaͤtig die Eine Jdee, die mir mehr gefaͤllt, weiter fortſetze, und bis auf einen gewiſſen Grad hin ſie wieder erwecke, oder ob ich eine andre auf dieſe Weiſe bearbeite, das iſt in Hinſicht der reproducirenden Kraft ſo gleichguͤltig, als es in Hinſicht des Drucks des Waſſers iſt, wo ihm die Oeffnung gemacht wird. So fuͤhle ichs da, wo ich mich voͤllig in meiner Gewalt habe, indem ich will, mich entſchließe, mich beſtimme. Haͤtte ich etwas an - ders gewollt, als was ich jetzo will, ſo wuͤrde der Un - terſchied des letztern Wollens und des erſtern wiederum nur allein objektiviſch geweſen ſeyn.

Oftmals ſtellen ſich mehrere gefallende Vorſtellun - gen als ideelle Objekte mir dar, die ich aber noch mit einander vergleiche, ehe ich mich beſtimme. Jn die - ſem Falle bin ich zu jeder von ihnen geneigt, beſtimme mich aber zu dem, wozu ich es am meiſten bin. Jed -II Theil. Gwede98XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitwede von ihnen wirket auf mich, und beſtimmt mich zu dieſer Neigung. Aber ich fuͤhle mich ſo mit dieſen Neigungen beſtimmet, daß die hinzukommende Wahl eine Aktion meiner Kraft iſt, die innerlich dieſelbige ſeyn wuͤrde, wenn ſie auch auf ein andres Objekt gefallen waͤre. Die Wage ſteigt nieder von dem Uebergewicht, und es iſt die Kraft des Gewichts, wovon die Wirkung abhaͤngt. Hiemit mag eine Neigung, die unmittelbar aus der Empfindung des Angenehmen entſpringet, eine Aehn - lichkeit haben; allein die freye Wahl, welche nachfolgt, iſt eine Selbſtthaͤtigkeit, und innerlich eben ſo, wie ſie geweſen ſeyn wuͤrde, wenn ſie einen andern Gegenſtand gehabt haͤtte. Jhr eigenes haͤngt nun von der Receptivitaͤt des Objekts ab.

Dieß Objekt iſt eine Vorſtellung von einer Sa - che, und von einer Thaͤtigkeit. Beyde Arten von Vor - ſtellungen ſind ſo verſchieden, als die Aktionen und Empfindungen ſelbſt, von denen ſie zuruͤckgebliebene Spuren ſind. Daher veranlaſſet die Jdee, meinen Arm zu bewegen, eine andre Handlung, als die Jdee, meinen Fuß zu bewegen, wenn die innere thaͤtige Kraft nun jene, nicht dieſe wieder hervorzieht, ſich auf ſie beſtimmt, und dieſe Bedingungen will. Dadurch iſt es begreiflich, daß die Aktion, welche nach dieſen Vorſtellungen erfol - get, verſchieden ſeyn kann, ohnerachtet der Aktus des Wollens in der Seele ſelbſt in beyden Faͤllen eben der - ſelbige iſt. Hierzu kommt noch eine zwote Urſache der objektiven Verſchiedenheit. Wenn die Selbſtbe - ſtimmung geſchehen iſt, und die Aktion erfolget, ſo ent - ſtehen neue Gefuͤhle, welche wiederum die Seele zu in - ſtinktartigen, ihnen angemeſſenen Folgen beſtimmen. Kein Wunder alſo, daß die Reihe der Veraͤnderungen, und alſo die aͤußere Aktion ſogleich ein ganz verſchiede - nes Anſehen erhaͤlt, und auch wirklich verſchieden wird, ſo bald ſie, ſo zu ſagen, aus der Kraft heraus iſt, und ſich auf das Objekt verwendet hat.

Man99und Freyheit.

Man koͤnnte ſagen, da es doch die bewegende Kraft der Jdee iſt, welche das innere Princip zu der Neigung beſtimmet, die wir faſſen, ſo empfange dieſe Kraft eben durch die Jdee innerlich eine gewiſſe Richtung nach dieſer Vorſtellung hin, welche ſie vor - her nicht hatte, und alſo empfange ſie eine neue innere Beſtimmung, geſetzt, daß dieſe auch nur in einer Rich - tung beſtehe?

Jch antworte. So wenig als der Druck des Waſ - ſers im Gefaͤß alsdenn erſt eine neue Richtung em - pfaͤngt, nach der Stelle hin ſich zu |bewegen, wo man ihm ein Oeffnung macht, die es vorher nicht hatte; ſo wenig giebt die Jdee, welche ſich der innern wirkſamen Kraft darſtellt, ihr eine neue innere Beſtimmung. Das Waſſer beſaß ſchon vorher dieſelbige Tendenz, und beſtrebte ſich nach allen Seiten hin ſich herauszudrengen, und auch da, wo es wirklich herausgehet, nachdem die Oeffnung gemacht iſt. Die Richtung hieher iſt keine Wirkung davon, daß ein Hinderniß oder der Wider - ſtand an dieſer Stelle gehoben wird. Wenn das Waſſer aus der Oeffnung durch eine aͤußere Kraft her - ausgezogen wuͤrde, wie ein Pfahl aus der Erde, oder fortgeſtoßen wuͤrde, wie eine ruhende Kugel auf der Ta - fel: alsdenn wuͤrde die Aktion keine Selbſtthaͤtigkeit mehr ſeyn.

Allerdings eraͤugnet es ſich oft, daß die entſtehende Neigung uns hinreißt, wie es in jedem Affekt geſchieht, und auch zwiſchen durch bey den minder lebhaften Trie - ben. Jn ſolchen Faͤllen hat das Gefallen noch eine Wirkung mehr, als dieſe, daß es das Objekt zu der Kraft, oder die Kraft zu dem Objekt naͤher bringet. Aber wir fuͤhlen es alsdenn auch in uns, daß uns nicht ſo ſey, wie in den uͤbrigen Faͤllen, wo wir, unſerer vor - zuͤglichen Neigung zu einer Sache ohnerachtet, doch uns voͤllig in unſerer Gewalt haben, und unmittelbar freyG 2handeln100XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeithandeln. Und dieſe innere Diſpoſition, daß wir da, wo wir unſerer Neigung folgen, dennoch innerlich zu der entgegengeſetzten Kraftaͤußerung eben ſo wohl aufgelegt und geſtimmt ſind, als zu der, welche erfol - get, iſt eben diejenige Beſchaffenheit, welche wir durch die Redensart anzeigen: wir haben uns in unſerer Gewalt.

6.

Zu der zweyten Gattung von Selbſtbeſtimmungen gehoͤren ſolche, wo wir zwiſchen Wollen und Nicht - wollen zwiſchen Thun und Laſſen auswaͤhlen. Jch beſtimme mich, vom Stuhl aufzuſtehen, oder ſitzen zu bleiben. Es iſt unnoͤthig, hier wiederum ſo weitlaͤuf - tig zu ſeyn, als bey dem vorhergehenden. Man unter - ſuche, uͤberlege, waͤhle und entſchließe; man wird auch hier daſſelbige finden. Der Unterſchied zwiſchen Wol - len und Nichtwollen, zwiſchen Thun und Laſſen, wenn beydes ſelbſtthaͤtige Handlungen ſind, haͤnget wiederum allein von der Verſchiedenheit der gefallenden Vorſtellung ab, auf der die wirkſam ſich ſelbſt beſtimmende Kraft angewendet wird. Nichtwollen iſt ſo gut eine Selbſt - beſtimmung, als Wollen und Unterlaſſen, ſo weit es in einem innern Entſchluß beſtehet; ſo gut eine Kraftaͤußerung, als Verrichten. Jn ihren Folgen gehen beide freylich ſehr weit von einander ab.

7.

Die meiſten Schwierigkeiten moͤchten vielleicht in ſolchen Faͤllen angetroffen werden, wo unſere Selbſtbe - ſtimmungen dahin gehen, eine groͤßere Kraft anzuwen - den, mit ſtaͤrkerer Jntenſion zu arbeiten, oder im Ge - gentheil nachlaſſender zu wirken. Jch will ſtaͤrker und ſchneller fortgehen; ich will langſamer gehen; ich will ſtill ſtehen. Aber auch dieſe Willensaͤußerungen ſind, alsHand -101und Freyheit. Handlungen der Seele betrachtet, wiederum in nichts unterſchieden, als in Hinſicht der Vorſtellungen, auf welche die wirkſame Kraft ſich anwendet; in ihrem An - fang naͤmlich, nicht, in ſo fern ſie von uns ſelbſt ab - hangen. Aber die nachher erfolgenden Aktionen gehen ſo weit von einander ab, als Anſtrengung und Unthaͤ - tigkeit. Die Vorſtellung von jener hat Vorſtellungen mit ſich verbunden, welche der letztern fehlen, und dieſe verknuͤpften Vorſtellungen erwecken wiederum neue Em - pfindungen, welche von neuem reizen, und das innere Princip der Seele zur groͤßern Thaͤtigkeit unwillkuͤr - lich ſtimmen koͤnnen. Sonſten fuͤhlen wir es ſehr leb - haft, daß es oft eben ſo ſchwer iſt, die wirkſame See - lenkraft zu maͤßigen, und uns zur Ruhe zu bringen, als es Wirkſamkeit und Thaͤtigkeit iſt, ſie zu ermuntern und anzuſtrengen.

XII. Von dem Vermoͤgen, ſich ſelbſt zu beſtimmen.

  • 1) Unterſchied zwiſchen Wollen und Verrich - ten, und zwiſchen dem Vermoͤgen ſich ſelbſt zu beſtimmen.
  • 2) Das Vermoͤgen ſich ſelbſt zu beſtimmen er - fodert, daß die Kraft wirkſam ſey, und innerlich zureichend zu ihrer Art der Anwen - dung beſtimmet.
  • 3) Die Vorſtellung von der Aktion, wozu wir uns ſelbſt ſollen beſtimmen koͤnnen, muß in uns gegenwaͤrtig ſeyn.
  • 4) Fortſetzung des Vorhergehenden. Wie weit die vorſtellende Kraft in jedwedem Fall mit der Vorſtellung von der AktionG 3beſchaͤff -102XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitbeſchaͤfftiget iſt, wenn wir uns ſelbſt zu der Aktion beſtimmen koͤnnen.
  • 5) Von den verſchiedenen Graden in dem Vermoͤgen ſich ſelbſt zu beſtimmen.
  • 6) Wie weit auch da ein Vermoͤgen, uns ſelbſt anders zu beſtimmen, vorhanden ſeyn kann, wo wir leidentlich zu etwas beſtimmt werden.
  • 7) Wie weit wir es gewiß ſeyn koͤnnen, daß wir ein Vermoͤgen anders zu handeln be - ſitzen.
  • 8) Das Vermoͤgen ſich ſelbſt zu beſtimmen geht nur auf Handlungen, die ſchon ehe - mals inſtinktartig vorgenommen ſind.
  • 9) Wie Vermoͤgen zu entgegengeſetzten Aktio - nen, zum Wollen und zum Nichtwollen, zum Thun und zum Laſſen, zugleich in der Seele nebeneinander beſtehen?

1.

Vermoͤgen, Wollen und Thun unterſcheiden wir von einander in der Seele, ohnerachtet jedes Wol - len fuͤr ſich ſchon eine wirkliche Thaͤtigkeit und Kraft - aͤußerung iſt. Wenn indeſſen dieſer Unterſchied beobachtet wird, ſo iſt das Wollen nichts anders als die anfaͤngliche Beſtimmung der Kraft zur Thaͤtigkeit; noch nicht ein eigentliches Beſtreben, oder ein Trieb, etwas zu ver - richten, ſondern diejenige Selbſtbeſtimmung und Rich - tung der Kraͤfte, welche zu einer beſtimmten Handlung vorher erfodert wird. Wir wollen eine Sache in Ueberlegung nehmen, ſie durchdenken, wir wollen uns beruhigen, wir wollen mit dem Koͤrper arbeiten. Die -103und Freyheit. Dieſer Wille, dieſe Beſtimmung unſerer Kraͤfte iſt oft dem Vollbringen ſo nahe, daß beides zuſammenfaͤllt. Dann nennet man es ein volles, thaͤtiges, kraͤftiges Wollen. Denn, ich will den Arm ausſtrecken, und ich thue es, iſt faſt nur eine Aktion. Aber in andern Faͤllen iſt der Wille zwar vorhanden, wo leider, wenn es zur Sache kommt, das Vermoͤgen, das Gewollte auszurichten, fehlet. Und ſehr oft iſt von dem erſten Wollen bis zum Vollbringen ein langer Weg, auf dem wir ermuͤden und zuweilen gar nicht fortgehen. Zuweilen wollen wir etwas auch jetzo nicht, ſondern erſt auf die Zukunft. Jn ſolchen Faͤllen iſt das Wollen oder das Beſchließen auch noch jetzo nicht einmal ein eigentlicher Anfang der Thaͤtigkeit ſelbſt, die man ausfuͤhren will; ſondern eine gewiſſe Einrichtung unſerer ſelbſt und unſerer Kraͤfte, die als eine Vorrich - tung zu der kuͤnftigen Handlung erfodert wird, und wovon wir, wenn es zur wirklichen Ausrichtung kommt, anfangen.

Gleichwol iſt jedes Wollen doch auch ſchon eine Anwendung und Aeußerung der Seelenkraft, und, wie ſchon angemerket iſt, oft der weſentlichſte Theil der gan - zen erfolgenden Aktion. Daher kann ich hier, wo es auf den Unterſchied zwiſchen ſelbſtthaͤtigen und unſelbſt - thaͤtigen, freyen und unfreyen Aktionen ankommt, das Wollen mit dem Thun unter einem gemeinſchaftli - chen Begrif der thaͤtigen Kraftaͤußerung zuſammen laſſen, und nur dann, wenn etwan auf ihre Unterſchei - dung etwas ankommt, das Wollen fuͤr die erſte Be - ſtimmung der Kraft zur Thaͤtigkeit annehmen, das Thun aber fuͤr die wirklich erfolgende volle Thaͤtigkeit.

Aber ein Vermoͤgen zu einer ſelbſtthaͤtigen Hand - lung iſt weder ſo viel als etwas wollen, noch ſo viel, als ſich auf etwas beſtreben. Das Vermoͤgen muß vorhanden ſeyn, ehe die Thaͤtigkeit erfolgt. Denn ſoG 4bald104XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitbald eine wirkliche Thaͤtigkeit, ein Beſtreben, ein Trieb erſcheinet, ſo iſt es ſchon mehr als ein Vermoͤgen, we - nigſtens iſt es nicht ein bloßes Vermoͤgen, ſondern wirkſames thaͤtiges Vermoͤgen, das von den mehreſten Kraft genennet wird. Das Vermoͤgen zu einer Aktion machet ſie moͤglich, aber das Wollen, das Beſtreben machet ſie ſchon, wenigſtens in ihren erſten Anfaͤngen, oder in ihren unmittelbar vorhergehenden Zubereitungen, zu einer wirklichen Thaͤtigkeit.

Von den Vermoͤgen beſitzet die Seele ſo viele und ſo mancherley, als es Aeußerungen ihrer Kraft giebt. Und da ſie ſich ſelbſt beſtimmet, ſo beſitzet ſie auch das Vermoͤgen dazu. Und dieß lihr Vermoͤgen ſich ſelbſt zu beſtimmen macht ihren Willen aus.

2.

Wenn wir mit Freyheit etwas wollen oder nicht wollen; etwas thun oder unterlaſſen; auf eine Art es thun und nicht auf die andere; ſo iſt zugleich in uns ein Vermoͤgen zu dem Gegentheil. Wir wollen, aber wir haben das Vermoͤgen nicht zu wollen; wir han - deln, aber wir haben das Vermoͤgen, es zu unterlaſ - ſen; wir richten es ſo ein, und koͤnnen es anders ein - richten. Aber dieſe Vermoͤgen zu dem Gegentheil von dem, was wir wirklich wollen und vornehmen, die - ſe Vermoͤgen, uns ſelbſt anders zu beſtimmen, bleiben nur bloße Vermoͤgen. Es iſt ein weſentliches Stuͤck in unſerm Begriff von der Freyheit, dieſe Vermoͤgen zu unterſuchen.

Um die Betrachtung im Anfang ſo einfach zu ma - chen, als es moͤglich iſt, wollen wir dieſe Ver - moͤgen, uns ſelbſt zu beſtimmen, nur auf das Ver - moͤgen zu wollen oder nicht zu wollen, einſchraͤn - ken. Weil doch oft unſer Wille in unſerer Ge - walt iſt, wo das Vollbringen es nicht iſt, ſo iſt es fuͤrſich105und Freyheit. ſich klar, daß außer den Vermoͤgen, diejenige anfaͤng - liche Selbſtbeſtimmung unſerer Kraft zu ertheilen, in der das Wollen und Nichtwollen beſtehet, noch etwas mehr vorhanden ſeyn muß, wenn wir auch ein ſolches Vermoͤgen zu der That ſelbſt beſitzen ſollen. Dieß letz - tere laß hier noch bey Seite geſetzet werden.

Ein anders iſt ein mittelbares, ein anders ein unmittelbares Vermoͤgen zu etwas; ein anders ein nahes und ein entferntes Vermoͤgen; und noch ein anders, wirkſame Kraft, (potentia in actu primo et ſecundo, wie die Alten ſagten). Dieſe Unterſchiede hat man gefuͤhlt; haͤtte man ſie aber deutlich erklaͤrt, ſo wuͤrde es nicht nur kuͤrzer geſagt, ſondern auch in der That etwas leichter und beſſer beobachtet werden koͤnnen, wohin die Vermoͤgen, uns ſelbſt zu beſtimmen, zu rech - nen ſind, und was in ihnen enthalten iſt. Nun feh - let aber dieß Huͤlfsmittel, und ich weiß kein anders, um einen beſtimmten Begrif von jenem Vermoͤgen zu erlangen, als dieſes, daß man die volle Selbſtbeſtim - mung zur Richtſchnur nehme, und dann aus den Be - obachtungen aufſuche, was und wie viel an ihr und an ihren Beſtandtheilen fehlet, wenn nichts mehr als ein bloßes Vermoͤgen dazu vorhanden iſt.

Die wirkliche Selbſtbeſtimmung unſerer Kraft er - fodert:

Zuerſt, daß eine rege Kraft vorhanden ſey, die innerlich zureichend zu der Aktion eingerichtet iſt, wel - che erfolget, indem wir wollen, das iſt, uns ſelbſt be - ſtimmen.

Dann, daß ein ideeller Gegenſtand, oder eine Vorſtellung in uns vorhanden ſey, und in eine gewiſſe Lage komme, in der das innere thaͤtige Princip auf ſie angewendet wird. Hiezu iſt der Grund entweder in dem vorzuͤglichen Gefallen an dieſer Vorſtellung, wenn das gewollt wird, was uns das beſte zu ſeynG 5ſcheint;106XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitſcheint; oder er liegt in andern Umſtaͤnden, unter wel - chen die innere Kraft ſich derzeit auslaͤſſet.

Aber in jedem Fall iſt die wirkende Kraft innerlich zu ihrer Aeußerung voͤllig beſtimmt. Nichts fehlet ihr außer dem Objekt, das aber, wenn es gleich in der Seele eine angenehme Empfindung hervorbringet, den - noch der Kraft keine neue Beſtimmung mehr ertheilen muß, welche auf die folgende Art der Selbſtbeſtim - mung einen Einfluß hat. Sondern wenn auch die Vor - ſtellung, als der ideelle Gegenſtand, mit einer Affektion des Gemuͤths begleitet iſt: ſo muß dieſes weiter keine Folge fuͤr die Aktion haben, als bloß die Annaͤherung der Jdee zu der Kraft, oder daß eben dieſes Objekt der wirkſamen Kraft vorgehalten und dadurch ihre Anwen - dung auf ſelbiges veranlaſſet werde.

Wie viele von dieſen Jngredienzen fehlen nun dem bloßen Vermoͤgen? in dem Vermoͤgen nicht zu wollen, oder zu unterlaſſen, was wir doch wirklich wollen und thun.

Die erſte Wirkſamkeit des thaͤtigen Princips, der innere zureichende Grund zu der Handlung uͤber - haupt, darf nicht fehlen. Jm tiefen Schlaf, in dem Stand der Unbeſinnlichkeit und der Ohnmacht moͤgen wir noch das Vermoͤgen haben wirkſam zu werden, aber das Vermoͤgen, unſer thaͤtiges Princip dermalen anzuwenden, uns ſelbſt zu beſtimmen und zu wollen, beſi - tzen wir nicht, und koͤnnen es nicht beſitzen, da es uns ganz an dieſer thaͤtigen Kraft fehlet.

3.

Jſt dieſe Wirkſamkeit vorhanden, ſo beſitzen wir ſchon eine Spontaneitaͤt, eine Eigenmacht, derglei - chen in der Stahlfeder iſt, eine Kugel fortzuſtoßen, wenn ihr eine vorkommt. Aber dieß iſt es noch nicht alles, was in uns vorhanden iſt, wenn wir ſagen, wir haben ein Vermoͤgen, uns anders zu beſtimmen, alses107und Freyheit. es wirklich geſchieht. Denn dieß letztere heißt ſo viel, als wir koͤnnen unſere Kraft auf ein anderes Objekt an - wenden, als dasjenige iſt, wozu wir uns wirklich be - ſtimmen, und dieß erfodert, daß ein ſolches Objekt jetzo innerhalb der Sphaͤre unſrer Wirkſamkeit ange - troffen werde. Sonſten iſt es nichts, als ein Vermoͤgen einen Menſchen zu ſehen, der aber jetzo viele Meilen von mir entfernt iſt. Jch habe allerdings das Vermoͤ - gen ihn zu ſehen, wenn er nur vor mir waͤre. Aber jetzo habe ich das Vermoͤgen nicht, ihn zu ſehen; und ſo ſoll es doch ſeyn. Jetzo da ich will, ſoll ich das Vermoͤgen haben, es nicht zu wollen; jetzo, da ich dieß will, ſoll ich ein andres wollen koͤnnen.

Es iſt die Jdee vom Nichtwollen ſo gut in uns gegenwaͤrtig, und bietet ſich uns dar, als die Jdee vom Wollen; die Jdee von dem Verrichten ſo gut als die Jdee von dem Unterlaſſen. Und ſo muß es ſeyn. Wenn wir vorher deutlich uͤberlegen, was fuͤr ein Entſchluß zu nehmen ſey, ſo vergleichen wir die Jdeen; wir haben ſie alſo gegenwaͤrtig, und bearbeiten ſie, um die meiſt gefallende ausfuͤndig zu machen. Jn jedem Fall, wo wir uns vorher beſinnen, ehe wir wollen, ſchwebt uns beydes, das Wollen und das Nichtwollen in der Phan - taſie vor, ſo geſchwind auch die Auswahl erfolgen mag. Alſo muß die Vorſtellung von dem, was wir ſollen wollen koͤnnen, in uns dermalen gegenwaͤrtig ſeyn.

4.

Jndeſſen giebt es doch viele Stufen der Klarheit und Staͤrke, womit eine Vorſtellung in uns gegenwaͤr - tig ſeyn kann. Daher entſpringen die folgenden Ver - ſchiedenheiten, welche nach den Begriffen moͤglich ſind, und nach unſerm Selbſtgefuͤhl in uns wirklich vorkom - men. Zuweilen denken wir mit voͤlliger Klarheit und mit Bewußtſeyn an das Gegentheil von dem, was wir thun, und wir beſtreben uns, das Gute und Gefallen -de108XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitde bey demſelben ausfuͤndig zu machen. Zuweilen ſe - hen wir das Gegentheil nur in der Ferne ſchwach und dunkel. Jch weiß, ich halte mich die meiſten male nicht lange bey der Unterſuchung auf, was fuͤr eine Ar - beit ich etwa vornehmen ſollte; ich entſchließe mich bald und doch mit voͤlliger Beſinnung. Oft denken wir gar nicht an das Gegentheil, und haben nicht einmal eine Vorſtellung davon in uns. Es faͤllt uns ſolches nicht einmal ein, wie wir ſagen.

Jn dem erſten Fall beſtimmen wir uns mit deut - licher Kuͤckſicht auf das Gegentheil, und da zweifeln wir nicht daran, daß wir nicht das Vermoͤgen haͤtten, das Gegentheil zu wollen, und daß wir es auch wuͤrden gewollt haben, wenn es uns gefallen haͤtte. Jn dem zweyten ſehen wir doch auch auf das Gegentheil zu - ruͤck, aber auf eine ſchwaͤchere Art. Jn dem letzten Fall beſtimmen wir uns ohne alle Ruͤckſicht auf das Gegen - theil. Haben wir hier auch noch ein Vermoͤgen ge - habt, nicht zu wollen, oder das Gegentheil zu wollen?

Erſtlich, wenn ich keine Vorſtellung von einer Sache und von einer Aktion in mir habe, wenn keine Jdee davon in meinem Gedaͤchtniß iſt, oder wenn ſie durch meine Kraft nicht entdeckt werden kann, oder wenn ſie dieß nicht kann unter den Umſtaͤnden, unter de - nen ich mich gegenwaͤrtig befinde, ſo beſitze ich auch kein Vermoͤgen, meine Wirkſamkeit nach dieſer Vorſtellung zu beſtimmen, und ſo etwas zu wollen, und die dazu gehoͤrige Handlung hervorzubringen. Jetzo, da ich in meiner Stube ſitze, kann ich das nicht beſchauen, was an einem entfernten Orte ausgeſtellt iſt. Dieß iſt eine Graͤnzlinie, bis wohin uns die Vorſtellung nicht fehlen darf, wenn wir ein Vermoͤgen beſitzen ſollen, uns auf ſie zu beſtimmen.

Dagegen, wenn ich die gefliſſentlichſte Ruͤckſicht auf das Gegentheil von dem nehme, was ich jetzo will;wenn109und Freyheit. wenn ich beide entgegengeſetzte ideelle Objekte betrachtet und erwogen habe: ſo fehlet nichts mehr, um das Ge - gentheil wirklich zu wollen, als daß es am meiſten ge - falle. Daß es aber jetzo mir weniger oder gar nicht ge - faͤllt, hat ſeinen Grund in der Natur der vorgeſtellten Sache, und ihren Beziehungen auf mich, alſo in der Vorſtellung ſelbſt, und in dem Mangel ihrer vorzuͤg - lich bewegenden Kraft, mit der ſie auf mich zuruͤckwir - ken konnte; aber nicht darinn, weil ich ſie weniger als die ihr entgegengeſetzte bearbeitet haͤtte, und ſie weniger klar und deutlich dermalen in mir gegenwaͤrtig geweſen waͤre.

Jn |dieſem Fall, wo ich nicht will, weil es mir nicht gefaͤllt, und wo dieß Nichtgefallen allein darinn ſeinen Grund hat, weil es an bewegender Kraft in der gegenwaͤrtigen Jdee von dem Objekt und von der Hand - lung fehlte, nicht aber darinn, daß ſie etwan nicht in der gehoͤrigen Lage geweſen waͤre, um auf mich mit ih - rer bewegenden Kraft wirken zu koͤnnen; in dieſem Fall, ſage ich, fuͤhlen wirs am deutlichſten, daß wir eben ſo gut nicht wollen koͤnnen, als wollen, und das Vermoͤ - gen zu beiden in gleicher Maße beſitzen. Wir fuͤhlen es, daß, wenn wir nun mehr wollen als nicht wollen, oder unſere Kraft wirklich auf die erſte Art anwenden, und nicht auf die zwote, dieß darum allein ſich eraͤug - ne, weil jenes gefaͤllt, und nicht dieſes.

Wenn die Jdee der Sache ſelbſt es nicht iſt, die ſie uns gefaͤllig macht, ſondern eine mit ihr verbundene Nebenidee; und auch, wenn wir es fuͤr gut befinden, unſerm Kopf zu folgen, gegen die beſſern vernuͤnfti - gern Gruͤnde: ſo aͤndert dieß nichts in dem Vermoͤgen. Jch uͤberlege, ich vergleiche, kann das Eine und das Andere wollen. Zu beiden Beſtimmungen iſt innere Wirkſamkeit, ein Gegenſtand, und eine ſolche Lage des Gegenſtandes vorhanden, daß meine Kraft vielleichtnoch110XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitnoch leichter ſich zum Nichtwollen, als zum Wollen be - ſtimmen konnte. Allein mir gefaͤllt nun das Eine nicht, und ich beſtimme mich alſo auf dieſe Jdee nicht.

Dieß iſt die zwote Graͤnzlinie. Sie liegt da, wo mein klarſtes Selbſtbewußtſeyn, auch nach der ſorgfaͤltig - ſten Pruͤfung, mir nicht den geringſten Zweifel daruͤ - ber zuruͤcklaͤßt, daß ich nicht haͤtte nicht wollen koͤnnen; daß ich nicht das volle Vermoͤgen gehabt haͤtte, mich auf eine Art zu beſtimmen, die derjenigen, auf der ich mich wirklich beſtimmt habe, ganz entgegen iſt.

Aber das Selbſtgefuͤhl der Freyheit ſagt uns, daß eine ſolche gefliſſentliche Erwaͤgung des Gegentheils nicht allemal vorhanden ſey, auch wenn ich mit Beſin - nung will, und auch noch eben ſo ſtark ein volles Ver - moͤgen nicht zu wollen in mir gewahrnehme.

Laß die Jdee vom Nichtwollen, die wir immer noch als den Gegenſtand anſehen koͤnnen, auf den die ſich ſelbſt beſtimmende Kraft applicirt werden ſollte, dermalen min - der lebhaft in mir gegenwaͤrtig ſeyn, und laß dieſen Um - ſtand allein den Grund ſeyn, warum ſie mir minder ge - fallen hat, als ihre entgegengeſetzte: ſo kann ſie nichts deſto weniger auf eine ſolche Art in mir ſeyn, daß, um ſie mir lebhaft gegenwaͤrtig zu machen, und in meinem dermaligen Zuſtande ſie mehr zu entwickeln, als es wirklich geſchieht, weiter nichts erfodert werde, als daß nur dieſer Aktus der ſtaͤrkern Reproduktion mir mehr bey ihr gefallen haͤtte, als bey der entgegengeſetzten. Jch rede immer nur von ſolchen Aktionen, wozu ein unmittelbares Vermoͤgen vorhanden iſt. Sonſten liegt nichts daran, wenn ich auf das Gegentheil gar keine Ruͤckſicht nehme; wenn ich nur es gethan haben wuͤrde, ſo bald ich in meiner gegenwaͤrtigen Verfaſſung es gefaͤlliger gefunden haͤtte, mich mehr umzuſehen, und noch andre Jdeen zu erwecken, als mich zu der Erſten zu beſtimmen, die ſich darbot. Faͤllt mir das Gegen -theil111und Freyheit. theil nicht ein, ſo wuͤrde es mir doch eingefallen ſeyn, wenn ſtatt der erſten Selbſtbeſtimmung, womit ich der Jdee folgte, die vor mir lag, die andere Aktion des Bedenkens mir angenehm geweſen waͤre. Nun habe ich mich vielleicht nicht bedacht, und alſo habe ich mich dermalen zum Gegentheil auch nicht beſtimmen koͤnnen, weil ich es nicht vor mir hatte; aber ich haͤtte mich be - denken koͤnnen, und hatte alſo ein mittelbares Ver - moͤgen zu dem Gegentheil.

Wenn ein unmittelbares Vermoͤgen ſich ſelbſt zu beſtimmen vorhanden iſt, ſo muß doch die Repro - duktionskraft mit der Vorſtellung, auf welche ich mich jetzo ſoll beſtimmen koͤnnen, in eine gewiſſe Maße ſich wirklich beſchaͤfftigen, ſo weit naͤmlich, daß ſie dieſe Jdee wirklich ſo weit reproducirt haben wuͤrde, als es das Wollen erfodert, wenn ihr dieſer ideelle Gegen - ſtand in ſeiner damaligen Lage nur genug dazu gefallen haͤtte. Wenn ich jetzo das auch nicht wollen kann, was ich will, ſo habe ich die Vorſtellung von dem Nicht - wollen, oder von dem Gegentheil als ein Objekt mei - ner Kraft innerhalb der Sphaͤre meiner gegenwaͤrtigen Wirkſamkeit, wenn gleich minder nahe und vortheil - haft, als die Jdee vom Wollen; und die Kraft meiner Seele iſt innerlich voͤllig aufgelegt und beſtimmt, jene noch weiter zu bearbeiten und mehr zu entwickeln. Daß dieß letztere nicht geſchahe, dazu fehlte nichts, als das Gefallen.

Jch uͤberſehe zwey Wege bey meinem Spatziergehen, und waͤhle und will den Einen. Es mag wohl ſeyn, daß, wenn ich den zuruͤckgeſetzten genauer angeſehen haͤtte, dieſer vielleicht den Vorzug behalten ha - ben wuͤrde. Aber ich fuͤhle es recht ſehr, daß ich nur allein nach meinem gegenwaͤrtigem Gefallen mich mit der Vorſtellung des erſtern befaßte, und daß ich mich mit der Jdee des letztern wuͤrde befaßt, und aufdieſe112XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitdieſe mich vielleicht wirklich beſtimmt haben, wenn ſie mir in ihrer dermaligen Lage in mir mehr gefallen haͤtte, oder wenn es mir gefallen haͤtte, noch vorher mehr die Sache zu uͤberdenken.

Jſt eine Jdee mir gar nicht gegenwaͤrtig, ſo kann ich auch unmittelbar ihr Objekt nicht wollen. Aber wenn ich auf Eine meiner gegenwaͤrtigen Empfindungen oder Vorſtellungen gewirkt haͤtte, oder ſtaͤrker gewirkt haͤtte, ſo wuͤrde ſich jene Vorſtellung dargeſtellt haben. Jch ſehe etwas nicht, das vor mir liegt, aber wenn ich auf eine andere Empfindung zuruͤckgewirkt haͤtte, ſo wuͤrde mein Auge in die Lage gekommen ſeyn, es gewahr zu nehmen.

Mich deucht, es ſey in dieſen Faͤllen deutlich, daß es mit den unmittelbaren Vermoͤgen, mich zu etwas anders zu beſtimmen, eine ſolche Beſchaffenheit habe, als ich vorher ſchon angezeiget. Wenn, um die mir fehlende Vorſtellung zu erlangen, nichts mehr erfoder - lich geweſen waͤre, als daß ich unter den gegenwaͤrtigen Vorſtellungen, als ſo vielen Saiten der Seele, eine an - dere geruͤhrt haͤtte, als diejenige war, die ich wirklich ruͤhrte, und wenn ich ein ſelbſtthaͤtiges Vermoͤgen ge - habt habe, jenes zu thun, wenn es naͤmlich bloß daran lag, weil es mir nicht gefiel, ſo habe ich auch ein Ver - moͤgen gehabt, mittelbar mich auf die nun nicht ge - genwaͤrtige Vorſtellung zu beſtimmen. Das weſentli - che Erfoderniß iſt aber immer daſſelbige. Es mußte nichts, als nur allein das Nichtgefallen die Urſache ſeyn, daß ich die dazu erfoderliche Richtung meiner Kraft nicht wirklich gab. Dieſes mittelbare Vermoͤgen, ſich ſelbſt zu beſtimmen, vermiſcht unſer Gefuͤhl oft genug mit dem unmittelbaren. Aber ich will ſie hier bey Seite ſetzen. Sie machen im Anfange die Betrach - tung nur verwirrt, und in der Folge erklaͤren ſie ſich von ſelbſt.

Alle113und Freyheit.

Alle dieſe Beobachtungen beſtaͤtigen das obige Merk - mal von einem Vermoͤgen, ſich ſelbſt zu beſtimmen, das aber nur bloßes Vermoͤgen bleibet. So ein Ver - moͤgen iſt wahre Wirkſamkeit, und iſt auch Wirkſam - keit auf eine gegenwaͤrtige Jdee. Der Uebergang vom Vermoͤgen zur Wirkſamkeit haͤngt davon ab, daß durch das Gefallen an dem ideellen Objekte die Kraft und das Objekt mit einander in Verbindung kommen, da dieſes jener vorgeſtellet wird.

5.

Die Vermoͤgen, ſich ſelbſt zu beſtimmen, haben wie jedwede andere Art von Vermoͤgen ihre Groͤßen und Grade an innerer Staͤrke und Maͤchtigkeit. Das Ver - moͤgen kann ſo ſchwach ſeyn, daß es mit dem Unver - moͤgen zuſammenſchließet, wie wir wirklich oft genug die Schwaͤche mit der Ohnmacht, und die Schwierig - keit mit der Unmoͤglichkeit verwechſeln. Das Vermoͤ - gen erfodert eine innere Zureichlichkeit zu dem Effekt, der hervorgebracht werden ſoll, und wenn es ein volles Vermoͤgen iſt, ſo bedarf es keines neuen Zuſatzes von außen. Aber es kann auch nur zur Noth zureichen; es kann ganz mit ſeiner voͤlligen Jntenſion und in ſei - nem voͤlligen Umfange dazu erfodert werden, und den - noch iſt es ein Vermoͤgen. Es kann uͤberfluͤßige Staͤrke haben, es kann erhoͤhetes Vermoͤgen und Fer - tigkeit ſeyn.

6.

Wenn die Empfindung des Vergnuͤgens oder des Verdruſſes uns zu der folgenden Kraftaͤußerung leident - lich beſtimmt, und wir alſo nicht ſelbſtthaͤtig handeln, ſo haben wir es freylich auch nicht in unſerer Gewalt, dieſe erſte Wirkung von ihrer Urſache abzuſondern und ſie zuruͤckzuhalten. Ueberfaͤllt uns ein Gefuͤhl, ſo koͤn -II Theil. Hnen114XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitnen wir freylich der Affektion des Gemuͤths, und der erſten Bewegung, und den Regungen des Verlangens und der Begierde nicht widerſtehen. Aber wenn nun die bewegenden Vorſtellungen in uns ohne thaͤtiges Zu - thun unwillkuͤhrlich gegenwaͤrtig bleiben, ſich erneuern, und nach und nach der Seele durch ihre wiederholten Reizungen das Wollen und Vollbringen abnoͤthigen, ſo folget doch nicht, daß wir nicht ein volles Vermoͤgen gehabt haben koͤnnten, uns anders zu beſtimmen, wie uns das Gefuͤhl lehret, daß wir es wirklich gehabt haben. Die Gegenwart der bewegenden Vorſtellung oder Em - pfindung, welche in dieſem Fall als die Urſache anzuſe - hen iſt, kann in unſerer Gewalt geweſen ſeyn, und noch ſeyn; wenn wir andere Vorſtellungen durch eine Wir - kung aufs Gehirn hervorrufen koͤnnen, wodurch jene un - terdruͤcket werden; und wenn nichts mehr daran fehlet, daß es wirklich geſchehe, und die bewegende Vorſtellung unterdruͤcket werde, als nur das Gefallen an dieſer neuen Art der Thaͤtigkeit und des Beſtrebens. Wir koͤnnen kaͤmpfen gegen die Leidenſchaften und ſiegen.

7.

Das Vermoͤgen zu wollen iſt nur der Anfang von dem Vermoͤgen zu vollbringen. Von jenem koͤnnen wir unmittelbar und zunaͤchſt aus dem Gefuͤhl unſers gegenwaͤrtigen Zuſtandes uͤberzeuget werden, daß wir es beſitzen. Wir haben eine Jdee vom Wollen, vom Selbſtbeſtimmen, von Kraft und Vermoͤgen welche aus unſern innern Empfindungen entſtanden iſt, wie die Jdee von der rothen Farbe aus unſern Jmpreſ - ſionen von außen. Und auf dieſelbige Art, wie ich jetzo gewahrnehme, indem ich die weiße Wand anſehe, daß unter meinen gegenwaͤrtigen Jmpreſſionen ſo eine ſich befindet, die ich dadurch bezeichne, daß ich ſie das Ge - fuͤhl der weißen Farbe nenne, ſo kann ich auch aus derVer -115und Freyheit. Vergleichung meiner gegenwaͤrtigen Gefuͤhle von mei - nem innern Zuſtande mit den vergangenen es wiſſen, daß ich jetzo ſo modificiret ſey, als ich es ſonſten gewe - ſen bin, wo ich mir eine Kraft oder ein Vermoͤgen zu - geſchrieben habe. *)Zweeter Verſuch I. 5. Vierter Verſuch VII. 6. Fuͤnfter Verſuch VII.

Das Vermoͤgen zu vollbringen erfodert noch meh - rere Diſpoſitionen in der Seele und in dem Koͤrper, de - ren Daſeyn wir aus dem, was unmittelbar empfunden wird, mittelbar durch die Jdeenaſſociation erkennen. Die Jdeen von Thaͤtigkeiten, ſo wie wir ſolche in uns haben, ſind oft das Kennzeichen geweſen, daß auch die uͤbrigen in der Seele und in dem Koͤrper dazu gehoͤrigen Vermoͤgen vorhanden ſind, und zwar ein ſo zuverlaͤßi - ges, daß wir an dieſem letztern ſo wenig zweifeln, wenn uns jene Merkmale vorſchweben, als ein Reuter daran zweifelt, daß er mit dem Anziehen von dem Zaume, den er unmittelbar mit der Hand anfaſſet, das Gebiß in dem Maul des Pferdes ziehen und regieren werde. Dieſe Erkenntniß iſt von der Art, wie andere Empfindungs - kenntniſſe. Der Reuter koͤnnte ſich doch irren, wenn Jemand den Zaum in der Mitte durchſchnitten, und die Enden nur mit Wachs zuſammen gebacken haͤtte.

8.

Kein ſelbſtthaͤtiges Vermoͤgen erſtreckt ſich in - deſſen weiter, als auf Handlungen, die wir einzeln ehe - dem ſchon unternommen haben, oder die aus ſolchen zuſammengeſetzet ſind. Unſere Selbſtthaͤtigkeit wirkt durch die Wiedererweckung der Vorſtellungen und der Vorſtellungsreihen, die wir von Thaͤtigkeiten in uns haben. Dieſe Vorſtellungsreihen ſind die Ner - ven der thaͤtigen Kraft und des Willens, ſo wie die von den Objekten es bey dem Verſtande ſind. Daher iſtH 2unſere116XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitunſere Selbſtthaͤtigkeit im Handeln das Parallel zu der Dichtkraft in den Vorſtellungen. Die Vorſtellungen von Aktionen ſind, ſo zu ſagen, in den Thaͤtigkeitsfibern, was die Vorſtellungen von Sachen in den Empfindungs - fibern ſind, und beide erregen ſich wechſelſeitig. Wie jede neue Vorſtellung, die keine Phantaſie und keine Produktion der ſchaffenden Dichtkraft iſt, aus einer neuen hinzugekommenen Empfindung ihren Urſprung hat; eben ſo gehoͤret auch jedwede Aktion, die nicht bloß eine Reproduktion einer andern vorhergegangenen iſt, und auch aus ſolchen nicht zuſammengeſetzet, keinesweges zu denen, zu welchen wir uns ſelbſt beſtimmt haben, und ſelbſt beſtimmet haben koͤnnen. Es ſind dergleichen vielmehr neue inſtinktartige Ausbruͤche unſerer Kraft, wozu die Seele durch einen gewiſſen Eindruck leidentlich beſtimmt worden iſt.

9.

Eine Hauptfrage iſt noch dieſe: Kann denn auch in demſelbigen Moment, in welchem wir uns ſelbſt beſtimmen, das Vermoͤgen, uns ſelbſt anders zu be - ſtimmen, vorhanden ſeyn? Koͤnnen ſolche zwey entgegengeſetzte Vermoͤgen zugleich neben einander beſte - hen? Jedes enthaͤlt eine gewiſſe Aktion auf eine Vor - ſtellung. Kann man zugleich auf die Vorſtellung von der Handlung wirken, ſolche wieder hervorziehen, gegen - waͤrtig erhalten, und auch zugleich das naͤmliche bey der entgegengeſetzten vornehmen?

Die Erfahrung lehret, daß, ſo oft wir zwiſchen Wollen und Nichtwollen hin und her wanken, auch die beiden Jdeen von den einander entgegenſtehenden Aktio - nen in uns mit einander abwechſeln. Und wenn uns zuweilen mitten indem wir uns entſchließen, die Vor - ſtellung von dem Gegentheil einfaͤllt, oder gar noch nach - her, wenn wir ſchon mit der Ausfuͤhrung unſers Ent -ſchluſſes117und Freyheit. ſchluſſes beſchaͤfftiget ſind, ſo wird die erſtere Vorſtellung gleichſam ſo lange aufgehalten, und die letztere nimmt auf einen Augenblick ihre Stelle von dem Bewußtſeyn ein.

Siehet man dieſe Erfahrungen genauer an, ſo ſieht man bald, daß es ſich mit der vorzuͤglichen Gegenwart der Jdee, nach der wir uns beſtimmen, hier wo unſere Selbſtbeſtimmung nach ihnen gelenket wird, nicht an - ders verhalte, als es ſich uͤberhaupt mit ſolchen Vorſtel - lungen in dem Verſtande verhaͤlt, auf die wir in Einem Augenblick am meiſten aufmerkſam ſind. *)Zweeter Verſuch. II. 4.Mit Ei - ner ſind wir zwar in Einem Augenblick am meiſten, und am naͤchſten beſchaͤfftigt, aber es hindert uns dieß nicht, daß wir nicht wirklich auch auf eine große Menge anderer in demſelbigen Moment thaͤtig ſeyn ſollten; und zwar in der Maße, daß nichts mehr noͤthig iſt, als nur daß es uns gefalle, auch eine von dieſen letztern mehr hervor zu ziehen, und die vorzuͤglich gegenwaͤrtige durch ſie zu verdraͤngen und zu verdunkeln. Die Seele wirket zugleich auf einmal in allen Richtungen auf ihre Vorſtellungen.

Es wuͤrde allerdings eine große Ungereimtheit ſeyn, wenn man ſich einbilden wollte, die Seele koͤnne zugleich in demſelbigen Augenblicke wollen, und daſſelbige auch nicht wollen. Dieß hieße ſo viel, ſie koͤnne ſich mit ei - ner Jdee in dem Grade beſchaͤfftigen, als zu dem Wol - len erfodert wird, und zugleich es auch nicht thun, oder ſich doch mit einer andern eben ſo ſehr beſchaͤfftigen, daß die Applikation der Kraft auf die erſtere hintertrieben werde. Aber man behauptet auch dieß nicht, wenn man ſaget, daß die Seele etwas wollen koͤnne, und zu - gleich das Vermoͤgen beſitze daſſelbige nicht zu wollen. Zu dieſem letztern iſt nichts mehr erfoderlich, als wasH 3auch118XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitauch ſehr wohl angehet, naͤmlich daß die Seele, indem ſie ſich mit einer Jdee ſo weit beſchaͤfftiget und die Kraft auf ſie anwendet, als es geſchieht, wenn ſie ſich nach ihr beſtimmet und will, auch zugleich auf eine andere entgegengeſetzte, ſo zu ſagen, drucke, und ſie vor ſich er - halte. Die Jdee vom Wollen, Thun, So wollen, So thun und So handeln iſt am meiſten gegenwaͤrtig; aber die Jdee vom Nichtwollen, Unterlaſſen, Anders - wollen, Andershandeln kann zugleich, nur in einem mindern Grade gegenwaͤrtig ſeyn, wie in einem Koͤrper eine Bewegung nach Einer Seite hin, zugleich mit ei - nem Druck nach einer andern beſtehen kann, aber nicht mit einer wahren Bewegung nach einer andern hin. Denn ſo verhaͤlt ſich ohngefaͤhr die Jdee von einer Aktion, welche in uns gegenwaͤrtig iſt, zu der Aktion ſelbſt, oder zu der wirklichen Selbſtbeſtimmung unſerer Kraft, wie der Druck oder Anſatz zur Bewegung bey den Koͤrpern ſich zu der Bewegung ſelbſt verhaͤlt. Jndeſſen wuͤrde man um dieß im Vorbeygehen noch zu erinnern, eine ſehr ſonderbare Folgerung machen, wenn man daraus, daß Wollen und Nichtwollen Anwendungen der Seelen - kraft auf zwo verſchiedene Jdeen ſind, ſchließen wollte, daß die Unmoͤglichkeit beide dieſe Kraftaͤußerungen zu - gleich mit einander zu verbinden, nur allein ihren Grund in der Einſchraͤnkung und in der Endlichkeit der Kraft habe, ſo wie in dem Koͤrper die Unmoͤglichkeit nach meh - reren Richtungen hin zugleich ſich zu bewegen nur daher entſtehet, weil ſeine Kraft nicht Vermoͤgen genug hat, ſich allſeitig auf einmal auszulaſſen, und daß alſo, an ſich die Sache betrachtet, ein unendliches Weſen viel - leicht zugleich zum Wollen und zum Nichtwollen ſich beſtimmen koͤnne. Auf dieſe Art wuͤrde der Wider - ſpruch zwiſchen Wollen und Nichtwollen, und zwiſchen Thun und Laſſen bey einem uneingeſchraͤnkt wirkſamen Weſen wegfallen, und uͤberhaupt die Unvereinbarkeitentge -119und Freyheit. entgegengeſetzter Handlungen nur eine Art von Kolliſion ſeyn, die bey endlichen Kraͤften vorkommen koͤnnte. Jch wuͤrde mich nicht wundern, wenn man dieß be - hauptet und auf eine aͤhnliche Art jeden Widerſpruch in den Handlungen fuͤr bloße Relation in Hinſicht auf die Kraft, welche handelt, erklaͤret haͤtte, wie man es von dem Widerſpruche der Jdeen geſaget, und dadurch in der That den Grundſatz des Widerſpruchs, inſoferne ſolcher ein objektiviſcher Grundſatz unſerer Erkenntniß ſeyn ſoll, gelaͤugnet hat. Man ſehe aber nach, was ich anderswo*)Siebenter Verſuch IV. hieruͤber weitlaͤuftiger geſagt habe, ſo wird es einleuchten, daß auch hier ein großer Unter - ſchied ſey zwiſchen bloß verſchiedenen Handlungen, die eine Kraft ihrer Einſchraͤnkung wegen nicht auf ein - mal verrichten kann, wie ein Menſch nicht zugleich zur rechten und zur linken Hand hingehen, und ſich an meh - reren Orten gegenwaͤrtig machen kann; und zwiſchen Handlungen, die ſich ihrer Natur nach wider - ſprechen, und ſich einander aufheben, wie jene nur in Hinſicht auf die eingeſchraͤnkte Kraft es thun. Ein Weſen, das zugleich das naͤmliche wollen und nicht wollen, daſſelbige zugleich verrichten und unterlaſſen ſoll - te, muͤßte die Jdee von der Aktion des Wollens in der Maße gegenwaͤrtig haben, als es erfodert wird, wenn die Selbſtbeſtimmung der Kraft auf ſie erfolgen ſoll, und zugleich ſie nicht in dieſer Maße vor ſich haben; ſie alſo reproduciren und auch nicht reproduciren, ſon - dern ſie zuruͤckhalten, zugleich ſich nach ihr beſtimmen, und ſich nicht nach ihr beſtimmen. Dieß iſt ein aͤhn - liches Erfoderniß, als wenn eine Denkkraft zugleich ei - nen Gedanken haben und auch nicht haben ſoll. Und da iſt es offenbar, daß, ſo wie dieß letztere nicht bloß in Beziehung auf ein gewiſſes denkendes Weſen, ſondernH 4ſchlecht -120XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitſchlechthin unmoͤglich und unthunlich iſt, ſo ſey auch jenes unmoͤglich durch die Natur eines jeden handeln - den und ſich ſelbſt beſtimmenden Weſens, es mag ſeine Kraft eingeſchraͤnkt und endlich, oder unendlich und eine Allmacht ſeyn.

Es iſt aus dem obigen nunmehr ſehr begreiflich, daß wir ſo viele Vermoͤgen uns zu beſtimmen zugleich beſitzen koͤnnen, als wir verſchiedene Vorſtellungen von Handlungen in uns haben, auf welche wir in demſelbi - gen Augenblicke wirken koͤnnen, und in einigem Grade wirken. Dieſe gleichzeitige Wirkung auf ſolche entge - gengeſetzte Vorſtellungen kann ſo weit gehen, daß ent - gegenſtehende Neigungen daraus werden, gewiſſe An - lagen ſich zu entſchließen, dergleichen wir oft genug in uns gewahrnehmen, beſonders alsdenn, wenn wir ſagen, daß wir nicht einig mit uns ſelbſt werden koͤnnen.

Nun iſt aber freylich hiebey noch eine wichtige Frage zuruͤck. Wenn gleich das Vermoͤgen nicht zu wollen eben ſo gut vorhanden iſt, als das Vermoͤgen zu wollen, wie die Preſſion nach der einen Seite in dem gedruckten Waſſer mit einer Preſſion nach der andern zugleich be - ſtehet: muß denn nicht doch das eine Vermoͤgen zu dem Entgegengeſetzten von dem, was geſchieht, wegfallen, oder doch wenigſtens geſchwaͤcht werden, in dem Au - genblicke, wenn die Aktion erfolget? Jch antworte: dieß geſchieht wohl da, wo nur allein die erſte Selbſt - beſtimmung des Willens in unſerer Gewalt war, nicht aber die folgenden Theile der Handlung. So geſchieht es bey den Koͤrpern. Die geſpannte Feder druckt auf beide entgegenſtehende Flaͤchen, von denen ſie geklem - met wird, gleich ſtark. Aber ſobald ſie nach Einer Seite hin Freyheit bekommt, ſich auszudehnen, ſo ver - mindert ſich der Druck gegen die andere, und verſchwin - det endlich, und mit ihm zugleich das Vermoͤgen, nach dieſer Seite hin zu wirken. Etwas aͤhnliches geht beydem121und Freyheit. dem Druck des Waſſers vor, das alsdenn, wenn es ſich nach einer Seite hin wirklich beweget, deſto weniger nach der gegenuͤberſtehenden hin mit ſeiner Preſſion wirket. Jn der Seele aber iſt es nicht alſo. Wenn dieſe ſich waͤhrend der ganzen Aktion in ihrer Gewalt behaͤlt, ſo beſtehet ihre Vorſtellung von dem Entgegen - geſetzten, und ihr Druck auf dieſe Jdee eben ſo, wie ſol - cher im Anfange vorhanden war. Dieß iſt es eben, was die fortdaurende Gegenwart des Geiſtes, womit eine freye Handlung ganz durch verrichtet wird, aus - machet.

XIII. Deutlichere Vorſtellung von der Freyheit, oder der Selbſtmacht uͤber ſich.

Nun meyne ich, ſind wir bis auf die eigentliche Stelle hin, wo ich habe hinwollen. Laßt uns nur noch einmal auf das Vorhergehende einen allgemeinen Blick werfen. Wenn wir frey handeln oder mit Selbſtmacht uͤber uns, ſo ſoll in uns ein Vermoͤgen, uns ſelbſt zu dem Gegentheil zu beſtimmen, vorhanden ſeyn, und zu - gleich in demſelbigen Moment vorhanden ſeyn, in dem wir uns beſtimmen. Und dieß letztere Vermoͤgen ſoll unter allen Umſtaͤnden der Handlung ein ſolches Ver - moͤgen bleiben, ſo weit naͤmlich die Handlung frey iſt. Denn darum hat der Menſch ſich im Affekt noch nicht in ſeiner Gewalt, weil er etwan im erſten Anfang deſ - ſelben ſich hatte begreifen koͤnnen? Die Gegenwart des Geiſtes, die thaͤtige Wirkung der Seele auf den Um - fang ihrer dermaligen Gefuͤhle und Vorſtellungen (com - poſitio mentis) muß fortdauern, ſo lange die Hand - lung als eine freye Handlung fortgehet.

Das Vermoͤgen, anders zu handeln, muß ferner ein hinreichendes Vermoͤgen ſeyn, das iſt, von ſolcherH 5Staͤrke,122XII. Verſuch. Ueber die SelbſtthaͤtigkeitStaͤrke, daß es hinreichet, der itzo ſie bewegenden Ur - ſache, den Empfindungen und Vorſtellungen, welche ſie afficiren, ſich zu widerſetzen, ſie zu unterdruͤcken, oder ihre Wirkung aufzuheben, und eine ſelbſtthaͤtige Wendung der Seele auf das Gegentheil hervorzubringen.

Dieß Vermoͤgen iſt nicht bloße Receptivitaͤt, auf eine andere Art, durch andere Motiven beſtimmt zu werden. Es iſt innerlich thaͤtige Kraft, und innerlich zu dem Laſſen und zu dem Andersmachen voͤllig be - ſtimmt. Es fehlet nur die wirkliche Applikation der Kraft auf ihren Gegenſtand; welche alsdenn hinzu - kommt, wenn dieſer gefaͤllt, oder ihr ſonſten vorzuͤglich dargeſtellet wird. Jn der Hitze der Leidenſchaft ſind wir noch wohl faͤhig, durch einen entgegengeſetzten ſtaͤr - kern Eindruck umgeſtimmt zu werden; aber ſelbſt uns umzuſtimmen haben wir das Vermoͤgen nicht.

Soll nicht bloß das Wollen frey ſeyn, ſondern auch das Ausfuͤhren, ſo iſt es noch nicht genug, daß waͤhrend der Aktion eine Vorſtellung von dem Gegen - theil vorhanden ſey. Dieſe mag ſogar lebhaft gegen - waͤrtig ſeyn, wie ſie es im Affekt oft iſt, und ein Wol - len und Beſtreben, die dermalige Richtung der Seele zu veraͤndern, nach ſich ziehen. Video meliora, proboque, deteriora ſequor. Voͤllige Selbſtmacht uͤber ſich, in Hinſicht der ganzen Aktion, erfodert ein Vermoͤgen, das Entgegengeſetzte wirklich auszurichten, und folglich alle Diſpoſitionen und Faͤhigkeiten in der Seele und in dem Koͤrper, ohne welche das Gegentheil nicht verrichtet werden kann.

Je lebhafter und ſtaͤrker die Vorſtellungen ſind, die uns zur Handlung geneigt machen, oder bewegen, je mehr ſie Empfindungen aͤhnlich ſind, und je groͤßer die Fertigkeit der Kraft iſt, in ſolche Aktionen auszubre - chen, deſto mehr gehoͤrt dazu, wenn ein Vermoͤgen zu dem Entgegengeſetzten ſtatt finden ſoll; deſto ſtaͤrkermuß123und Freyheit. muß die in der Seele liegende Vorſtellung des Gegen - theils ſeyn, deſto naͤher muß ſie der Reproduktionskraft vorliegen, und deſto groͤßer die Fertigkeit ſeyn, auf dieſe Jdee ſo weit zu wirken, als erfodert wird, ſie zu einer Aktion zu entwickeln.

Um ſeiner ſelbſtmaͤchtig zu bleiben, iſt es nicht alle - mal noͤthig, daß das Gegentheil der Handlung zugleich mit klarem Bewußtſeyn vorgeſtellet werde. Un - vorſichtigkeit machet die Handlung nicht allemal unfrey. Wenn man der einſeitigen Vorſtellung von der Aktion nachgeht, ohne daran zu gedenken, daß man dasjenige unterlaſſen koͤnne, was man thut, ſo benimmt uns dieß noch nicht allemal die Herrſchaft uͤber uns. Wenn und warum aber nicht? Dann nicht, wenn die gefallende Vorſtellung die Jdee von dem Gegentheil nur nicht ſo weit aus der Sphaͤre der gegenwaͤrtigen Wirkſamkeit wegdraͤnget, oder die Seelenkraft nicht ſo ſehr von ihr abziehet, daß ſie nicht auch bis zur Aktion wieder her - aufgebracht werden koͤnne, wenn es der Seele gefiele, ſie hervorzuziehen. Die Vorſtellungen ſind hier die Tangenten, auf welche die Seele unmittelbar angreifen kann. Wird Eine von dieſen weggenommen oder zuge - deckt, daß die Hand nicht zu ihr hinzu kommen kann, ſo wird dem Spieler das Vermoͤgen entzogen, ſie zu ruͤhren. Er kann ſie alsdenn nicht ruͤhren, wenn er auch Neigung dazu haͤtte. Aber ſonſten kann er anſchlagen, welche er will, wie es ihm gefaͤllig iſt, und auch dieje - nigen, an die er nicht einmal lebhaft druckt. Wenn die Aktion nicht unmittelbar frey iſt, ſo kann ſie es doch mittelbar ſeyn, und ſie iſt es, wenn die Seele durch eine Wirkung auf ihre dermaligen Vorſtellungen die Jdee von dem Gegentheil hervorziehen, und zur Aktion bringen koͤnnte.

Unterſchiedene Vorſtellungen von Gegenſtaͤnden und Aktionen verdraͤngen einander gewiſſermaſſen, eben ſowie124XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitwie unterſchiedene Aktionen ſelbſt. Die Menſchenſeele hat eine eingeſchraͤnkte Sphaͤre ihrer Wirkſamkeit. Sie vertreiben einander nicht ganz aus der Seele, aber ſie vertreiben einander, ſo zu ſagen, aus ihren naͤchſten Stellen von der Seele, von dem Platze der leichtern Reproducibilitaͤt weg, wo die thaͤtige Kraft am leichte - ſten ſich auf ſie verwenden kann. Denn nicht jede Vor - ſtellung, die in uns vorhanden iſt, kann in jedem Zu - ſtande und unter jeden Umſtaͤnden unmittelbar reprodu - cirt werden. Hiezu iſt es erfoderlich, daß ſie mit den unmittelbar gegenwaͤrtigen in einer naͤhern Verbindung ſtehe, oder ſelbſt darunter gehoͤre. Die menſchliche Freyheit iſt in allen Hinſichten endlich und einge - ſchraͤnkt.

XIV. Von den Folgen der Freyheit in den freyen Hand - lungen ſelbſt.

Wer Freyheit beſitzet, beſitzet wahre reelle Vermoͤ - gen, und zwar mehrere neben einander. Von der Freyheit haͤngt auch die Moralitaͤt des freyen We - ſens ab, und beides iſt ein Ausfluß, der in der Selbſt - thaͤtigkeit der Weſen ſeine Quelle hat. Selbſtthaͤtig - keit iſt zwar fuͤr ſich allein keine Freyheit, und giebt den Weſen, die ſie beſitzen, fuͤr ſich allein keine moraliſche Natur. Aber wenn die Selbſtthaͤtigkeit erhoͤhet und ausgedehnet wird, und alſo mehrere gleichzeitige Thaͤ - tigkeiten nach mehrern Seiten, und in verſchiedenen Richtungen hin, entſtehen, ſo wird ein ſolches ſelbſt - thaͤtiges Weſen ein freyes Weſen, wenn es Vorſtellun - gen von Handlungen aufnimmt, und dieſe durch ſeine innere Selbſtmacht reproduciren kann.

Zunaͤchſt begreift man daraus, warum freye Hand - lungen in einem hoͤhern Verſtande dem handelnden We -ſen125und Freyheit. ſen zuzurechnen ſind, als unfreye. Darum naͤm - lich, weil das freyhandelnde Weſen in einem hoͤhern Sinn Urheber von ihnen iſt, als das letztere. Es iſt eine ſolche Urſache ſeiner Wirkungen, welche zugleich mit einem Vermoͤgen verſehen war, die Wirkung durch ſich ſelbſt zuruͤck zu halten, und alſo die Urſache ſeiner Aktion in einer gedoppelten Hinſicht: einmal darum, weil es ſie gethan hat: und dann zweytens darum, weil es ſie nicht unterlaſſen hat, wozu es ein Vermoͤgen be - ſaß. Jn dem freyen Weſen iſt außer dem Vermoͤgen, etwas thun zu koͤnnen, und außer der wirklichen Appli - kation dieſes Vermoͤgens auf die Handlung noch ein drittes vorhanden, naͤmlich das phyſiſche Vermoͤgen zu unterlaſſen. Die unfreye Kraft enthaͤlt nur zwey von dieſen dreyen Stuͤcken.

Die Strafen und Belohnungen haben eine hoͤhere Abſicht bey Menſchen, als bey Thieren, weil ſie bey jenen eigene und vorzuͤgliche Folgen und Wirkungen ha - ben, die bey dieſen fehlen. Das unfreye Weſen kann durch angenehme und unangenehme Folgen der Hand - lungen in eine gewiſſe Form gebracht, zu gewiſſen Rich - tungen hingelenket, und auf eine beſtimmte Art gezo - gen werden; aber in dem freyen Weſen koͤnnen dadurch neue ſelbſtthaͤtige Vermoͤgen hervorgezogen, das iſt, es kann eine innere Erhoͤhung der Natur bewirket werden. Die meiſten kuͤnſtlichen Abrichtungen der Thiere ſchwaͤ - chen ihre Naturkraͤfte, und ſetzen ſie mehr herunter, als ſie ſie erheben. Der Menſch dagegen ſammlet aus den Folgen ſeiner Handlungen, Vorſtellungen von Thaͤ - tigkeiten, und ſelbſtthaͤtige Vermoͤgen, und erweitert die innere Sphaͤre ſeiner Wirkſamkeit.

Aber da die Freyheit, oder Selbſtmacht der Seele uͤber ſich, nur das Vermoͤgen enthaͤlt ſich anders zu be - ſtimmen, und dieſes nur ein bloßes Vermoͤgen oder ei - ne tode Kraft bleibet: welche Folgen und Beſchaffen -heiten126XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitheiten kann ſolches in der Handlung ſelbſt hervorbrin - gen? und kann die freye Handlung auch eigene charakte - riſtiſche Zuͤge haben, die ſie nicht an ſich haben wuͤrde, wenn jenes bloße Vermoͤgen nicht in der Kraft vorhan - den geweſen waͤre, die ſie hervorbrachte? Vaucanſons Floͤtenſpieler und andere Schreib - und Sprachmaſchi - nen machen es begreiflich, daß die freyeſten Handlun - gen, wenn man bloß auf den aͤußern Effekt ſieht, der von ihnen in andern Koͤrpern hervorgebracht wird, in ihrem voͤlligen Umfange, und an ſich noch vollkomme - ner, als es bisher geſchehen iſt, durch Maſchinen nach - gemacht werden koͤnnen, die doch zu ihrer Art zu wir - ken ſo einſeitig beſtimmt ſind, daß durchaus kein Ver - moͤgen, ſich anders zu beſtimmen, bey ihnen gedacht werden kann. Dieß kann nicht gelaͤugnet werden. Aber iſt denn das, was eine Maſchine verrichtet, die ganze Aktion, die ein freyhandelnder Menſch vornimmt, wenn er ſchreibet, redet, ſpielet? iſt es ſie wohl ganz, wenn man nur allein auf dasjenige ſiehet, was in dem Koͤrper des Menſchen vorgehet, und aͤußerlich geſehen werden kann? Wie vieles fehlet nicht hieran? Ein Blick auf die Augen, auf das Geſicht, auf die Gebehr - den und die Bewegungen des uͤberlegenden Mannes, der zwar mit Feuer und Nachdruck etwas verrichtet, aber ſeiner ſelbſt maͤchtig iſt, wird es uns anders leh - ren. Das geſetzte Weſen, die auf alle Seiten hinge - richtete und angeſtrengte Aufmerkſamkeit, die Menge der zugleich thaͤtigen Kraͤfte, die, ſo zu ſagen, bereit ſind, auf jeden Wink ſich anderswohin zu wenden, wenn die Abſicht es erfodert, und die auch oft zwiſchen durch, wenn die Vorſtellung von dem Gegentheil einmal leb - haft wird, von ihrer Richtung abbeugen; dieſe Wir - kungen, welche aus den thaͤtigen Beſtrebungen des frey - handelnden innern Princips hervorgehen, koͤnnen in kei - ne Maſchine uͤbergetragen werden, und ſind wirkſameVer -127und Freyheit. Vermoͤgen, ob ſie gleich von der Seite betrachtet, in ſo fern durch ſie die Handlung veraͤndert werden kann, nur todte Vermoͤgen bleiben. Wir vermiſſen ihre Aeuſ - ſerungen in dem Affekt, wenn der Menſch hingeriſſen wird, und ſich nicht mehr in ſeiner Gewalt hat. Ei - ne jedwede individuelle freye Aktion iſt unendlich voͤlli - ger, mannichfaltiger und vielſeitiger, als ſie uns dann erſcheinet, wenn nur auf den einen Zug von ihr allein geſehen wird, der eine einzige Reihe von Veraͤnderun - gen darſtellt, die wir als die weſentlichen in der Hand - lung anſehen. Jn den unfreyen Handlungen fehlen alle diejenigen Beziehungen auf das Gegentheil, die in den freyen wahrgenommen werden, und aus dem regen Vermoͤgen, ſich anders zu beſtimmen, entſpringen.

Die Folgen und Wirkungen, welche das Vermoͤ - gen zum Gegentheil hat, und die man mit den bloßen Preſſionen in den Koͤrpern vergleichen kann, gehen zu - naͤchſt aus der Seele in unſern organiſirten Koͤrper uͤber, und ſind hier noch, wie ſchon erinnert iſt, ſichtlich. Es iſt nothwendig, daß dieſe Folgen ſich noch weiter heraus verbreiten, und auch in die aͤußern uns umgebenden Koͤrper uͤbergehen muͤſſen, ob wir gleich hier ihre Spu - ren verlieren. Zuweilen laſſen ſie ſich auch hier noch fuͤhlen und empfinden, wenn gleich nicht mehr deutlich unterſcheiden.

Wir haben aͤußere Kennzeichen der Spontanei - taͤt eines handelnden Weſens, und wir urtheilen nach denſelben, ob wir uns gleich zuweilen dabey irren koͤn - nen. Veraͤnderungen, Bewegungen, die aus den Ein - druͤcken von außen her, aus dem Stoße, oder dem Zu - ge, welche ein Koͤrper empfaͤngt, nicht begreiflich zu ſeyn ſcheinen, fuͤhren uns auf den Gedanken, daß in ihm ein inneres Princip als die Quelle ſeiner Aktion ſeyn muͤſſe. Dieß iſt der Grund, warum wir die klei - nen mikroſkopiſchen Thierchen fuͤr wahre Thiere halten,und128XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitund ihnen eine innere Selbſtthaͤtigkeit beylegen. Und in dieſen Faͤllen kann man ſichs auch nicht erwehren, ſo zu urtheilen, wenn man anders ſelbſt einmal ihre Be - wegungen aufmerkſam betrachtet hat, ob es gleich an ſich nicht unmoͤglich waͤre, daß unſer Urtheil falſch ſeyn konnte. Denn es iſt darauf zu wetten, daß manche Perſonen die Theilchen des fein geriebenen Eiſens, die man auf dem Papier durch einen Magneten in Bewe - gung ſetzen, fortgehen, ſtille ſtehen, ſich umdrehen und wieder zuruͤckſpringen laſſen kann, ebenfalls fuͤr leben - dige Weſen anſehen wuͤrden, wenn man ihnen ſolche zum erſtenmale vorzeigte und die Hand mit dem Ma - gneten verſteckte, durch deren Wendungen jene Bewe - gungen verurſacht werden. Doch, weil doch auch in die - ſem letztern Beyſpiel wirklich eine ſelbſtthaͤtige Kraft vorhanden iſt, diejenige naͤmlich, welche die Hand und den Magneten regiert, ſo kann ſolches unſere Ue - berzeugung von der Animalitaͤt der ſogenannten mikro - ſkopiſchen Thiere nicht ſchwaͤchen.

Wir haben auch Charaktere der Willkuͤr und der Freyheit in den aͤußern Wirkungen, aber es iſt nicht zu verwundern, daß ſie ſchwerer zu entdecken ſind. Da - her bedienen wir uns ihrer nicht auf dieſelbige Art, ſon - dern ſchließen ſolche vielmehr nur aus andern bekannten Aehnlichkeiten der Thiere und Menſchen mit uns ſelbſt in unſerm Stande der Beſinnung. Es wuͤrde vortreff - lich ſeyn, wenn wir die aͤußern Abdruͤcke der Freyheit in den freyen Handlungen genauer und deutlicher ange - ben koͤnnten. Dieß muͤßte, nur Eins zu ſagen, wenn es auf die Betrachtung uͤber die Natur angewendet wuͤrde, die hoͤchſte Freyheit des Schoͤpfers eben ſo ſichtbar in ſeinen Werken machen, als ſeine Macht und Weisheit es iſt.

XV. Ver -129und Freyheit.

XV. Vereinigung der allgemeinen Vernunftſaͤtze mit dem Begriff von der Freyheit.

  • 1) Die Verknuͤpfung zwiſchen Urſachen und Wirkungen iſt nicht allemal eine nothwen - dige Verknuͤpfung.
  • 2) Unter welchen Vorausſetzungen die verur - ſachende Verknuͤpfung zufaͤllig ſey?
  • 3) Unter welchen ſie nothwendig iſt?
  • 4) Zufaͤlligkeit der Verknuͤpfung, wenn freye Urſachen wirken.
  • 5) Eine Erinnerung uͤber den Gebrauch der Gemeinbegriffe von Nothwendigkeit und Zufaͤlligkeit.

1.

Nach meiner Ueberzeugung haben die vorhergehenden Betrachtungen ſo viel außer Zweifel geſetzt, daß in unſern Empfindungen und Beobachtungen uͤber die Freyheit alles ſehr wohl mit einander zuſammenhange. Denn wenn wir auf einer Seite uns unabhaͤngig von den aͤußern Umſtaͤnden und von den innern Bewegungs - gruͤnden beſtimmen, und uns ſo fuͤhlen, auf der andern Seite aber doch dieſen Motiven unterworfen zu ſeyn ſcheinen: ſo vereiniget ſich dieſes beides durch die Be - merkung mit einander, daß allerdings unſere innere Kraft unabhaͤngig und eben ſo gut zum Wollen als zum Nichtwollen, zum Thun als zum Laſſen, innerlich auf - gelegt iſt, wenn ſie ſich auf die bewegende Vorſtellung nicht anders, als auf einen ihr vorkommenden ſchickli - chen Gegenſtand beſtimmet, und darauf ihre Wirkſam - keit anwender. Von dieſer Seite betrachtet iſt alſo, wie ich meyne, die Lehre von der Freyheit als ein TheilII. Theil. Jder130XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitder beobachtenden Pſychologie ihrer Schwierigkeiten ent - lediget.

Aber nun iſt noch die zwote Seite zuruͤck, an der man jederzeit ſo viele Dunkelheiten und Verwirrungen gefunden hat. Wie kann da, wo freye Urſachen wir - ken, und in ihren Kraftaͤußerungen und Handlungen eine Zufaͤlligkeit Statt finden ſoll, die allgemeine Ver - knuͤpfung zwiſchen Urſachen und Wirkungen vorhanden ſeyn, und wie kann die Wirkung durch ihre vorherge - hende Urſachen und Umſtaͤnde zum voraus in aller Hin - ſicht oder vollſtaͤndig beſtimmt ſeyn? Das iſt, wie laſſen ſich die allgemeinen Grundſaͤtze der Vernunft uͤber die urſachliche Verbindung, welche durchaus keine Aus - nahme zu leiden ſcheinen, auch da anwenden, wo freye Urſachen thaͤtig ſind, und zufaͤllige Wirkungen hervor - bringen?

Ohne mich in weitlaͤuftige Eroͤrterung der hieher gehoͤrigen metaphyſiſchen Lehren einzulaſſen, will ich hier nur in Kuͤrze anzeigen, wie ich fuͤr mich ſelbſt dar - uͤber raiſonnire. Gewiß iſt es, daß hier irgendwo ei - ne Verwirrung in den Begriffen ſeyn muͤſſe; und es laͤßt ſich zum voraus wohl vermuthen, daß der Knoten nicht nur ſehr verwickelt, ſondern noch dazu an einer Stelle, vielleicht in den Grundbegriffen, ſitzen muͤſſe, wo ihm nur mit Muͤhe beyzukommen iſt. Fuͤr diejenigen, die gaͤnzlich mit den metaphyſiſchen Spekulationen uͤber Nothwendigkeit und Zufaͤlligkeit unbekannt ſind, wird dieſer folgende Zuſatz unbrauchbar, den ich ohnedieß weggelaſſen haben wuͤrde, wenn nicht ſehr viel an der Aufmerkſamkeit der ſpekulativiſchen Philoſophen, und wenn es ſeyn koͤnnte, an ihrer Ueberzeugung und Bey - ſtimmung gelegen waͤre. Dazu kommt, daß doch die bloße Erfahrungserkenntniß auch von dem Menſchen nur unverbundene Materialien und zuweilen nur Bruchſtuͤcke ausmacht, die mittelſt der allgemeinen Vernunftſaͤtzeerſt131und Freyheit. erſt in ein ganzes wiſſenſchaftliches Gebaͤude zuſammen - gebracht werden koͤnnen, welches zu foͤrdern der Wunſch und die Abſicht der Philoſophen iſt.

Die Wirkung iſt mit ihrer Urſache nothwen - dig verbunden, ſagt Hr. Home und mit ihm andre. Alſo iſt die Dependenz der letztern von der erſtern noth - wendig, das iſt, die Wirkung muß erfolgen, und kann nicht ausbleiben, wenn die ganze Urſache voll - ſtaͤndig vorhanden iſt. Daher, ſo ſchließen ſie nun wei - ter, iſt auch die Empfindung, die es uns bey unſern freyen Handlungen weiß machet, als wenn wir ſie un - ter denſelbigen Umſtaͤnden, unter welchen wir ſie bege - hen, unterlaſſen oder anders einrichten koͤnnten, eine leere Erſcheinung, und eine Fallaz des innern Sinns, wie es die optiſchen Scheine bey dem aͤußern Sinne des Geſichts ſind.

Die Empfindung betruͤget uns nicht, antwortet der Jndeterminiſt, und ich mit ihm. Aber wenn dieſer hinzuſetzet, die Dependenz der Wirkung von der Ur - ſache binde jene nur alsdenn an dieſe letztere noth - wendig, wenn die Urſache eine voͤllig beſtimmende Urſache, ein Wolfiſcher zureichender Grund iſt, dergleichen ſie nicht allemal iſt, noch ſeyn darf, weil nicht alles einen ſolchen zureichenden Grund hat noch haben muß: ſo enthaͤlt dieſer Nachſatz ein Rai - ſonnement, dem ich nicht beytreten kann.

Der Satz, daß jede Wirkung, welche hervorge - bracht wird, jede Sache, jede Modification, jede Handlung, welche entſtehet, ihren voͤllig beſtim - menden zureichenden Grund habe, von dem es abhanget, daß jene entſtehe, und in Hinſicht aller ih - rer Beſchaffenheiten und Beziehungen eine ſolche wird, wie ſie wirklich iſt, und keine andere; dieſer Satz iſt bey mir ein Grundſatz, den ich fuͤr ein Axiom er -J 2kenne,132XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitkenne, ohne daß es noͤthig ſey, ihn als einen Jnduk - tionsſatz aus Erfahrungen zu beweiſen.

Jndeſſen, wenn er es auch nicht waͤre, als ein all - gemeiner Grundſatz des Verſtandes in der Metaphyſik betrachtet, ſo muͤßte ich unmittelbar aus der Erfah - rung annehmen, daß es mit den Handlungen der menſchlichen Seele, auch mit denen, die am meiſten gleichguͤltig und im hoͤchſten Grade frey ſind, eine ſol - che Beſchaffenheit habe, dergleichen nach dieſem Prin - cip ein jedes werdendes, und ein jedes zufaͤllig vorhan - denes Ding haben ſoll. Es fehlet keiner einzigen von ih - nen an einem ſolchen vollſtaͤndigen und beſtimmenden Grunde, warum ſie ſo und nicht anders erfolgen. Man ſehe auf das zuruͤck, was ich oben (N. VII. ) hieruͤber angefuͤhret habe.

Aber wenn die Wirkung mit einer zureichenden und voͤllig ſie beſtimmenden Urſache verbunden iſt, ſo findet ſich doch eine zwiefache, durch reelle Merk - male von einander unterſchiedene Beſchaffenheit dieſer Verbindung, davon die Eine ſie zu einer nothwen - digen, die andre ſie zu einer zufaͤlligen Verknuͤpfung macht. Will man ſie nicht mit dieſem Namen benen - nen, weil etwan das zur Richtſchnur angenommene me - taphyſiſche Lexikon dagegen iſt, ſo waͤhle man andere. Genug, wenn hierbey eine ſolche reelle und deutlich kennbare Verſchiedenheit angetroffen wird.

Laß die vollſtaͤndig beſtimmende Urſache von einer Wirkung vorhanden ſeyn, ſo iſt es zwar ein Axiom: Wenn jene Urſache vorhanden iſt, ſo erfolget auch die Wirkung (poſita cauſa ponitur effectus); aber es ſtehet eine Einſchraͤnkung dabey, oder ſie muß dabey ſtehen, naͤmlich dieſe: daferne kein Hinderniß im Wege lieget. Der Wind wird den beweglichen Wet - terhahn herumdrehen; aber nur unter der Bedingung, daß jener nicht aufgefangen wird; oder daß der Wet -ter -133und Freyheit. terhahn etwan nicht von jemand mit der Hand feſt ge - halten werde, oder ſonſten durch den Roſt ſeine vorige Beweglichkeit verloren habe. Jn dieſen Faͤllen wird er nicht gedrehet werden. Das angelegte Feuer wird das Holz verbrennen, wenn es nicht jetzo noch gleich ausgeloͤſchet wird, oder wenn das Holz, indem das Feuer zu brennen anfaͤngt, der Flamme nicht entzogen wird, oder ſonſten nicht etwas geſchieht, welches jene Wirkung zuruͤckhaͤlt. Ueberhaupt naͤmlich ſetzt der wirk - liche Erfolg die Bedingung voraus, daß die gegenwaͤr - tig vorhandene vollſtaͤndige Urſache, welche vor dem Effekt unmittelbar vorhergehet, noch in dem naͤchſt - folgenden Augenblicke die naͤmliche bleibe, die ſie iſt, oder daß nicht zwiſchen ihr und der Wir - kung ſich etwas fremdes einſchiebe, welches die letz - tere von der erſten abtrennet. Der Schlag mit einem Stock auf ein porcellaines Gefaͤß wird es in Stuͤcke zerſchlagen, wofern er nicht aufgegriffen, oder auch das Gefaͤß im erſten Anfang des Schlages der Gewalt deſ - ſelben entzogen wird.

Alſo iſt es klar, daß außer der vollſtaͤndig beſtim - menden wirkenden Urſache, von der die Wirkung nach allen ihren Beſchaffenheiten und Verhaͤltniſſen abhaͤnget, noch immer die Abweſenheit des dazwiſchen tre - tenden Hinderniſſes vorausgeſetzet werde.

Und alsdenn erfolget ſie nothwendig, oder nach den gewoͤhnlichen metaphyſiſchen Begriffen, die hier noch ungeaͤndert beybehalten werden koͤnnen, auf eine ſolche Art, daß ſie nicht ausbleiben kann. Setzet die vollſtaͤndig beſtimmende Urſache und die Abweſenheit aller Hinderniſſe zuſammen, und verbindet damit den Satz, der Effekt erfolge nicht : ſo iſt in dieſer Ver - bindung ein Widerſpruch. Der Satz, es erfolget die Wirkung , iſt eine ſo nothwendige Folgerung aus je - nen beiden Vorderſaͤtzen, als die drey Winkel im Trian -J 3gel134XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitgel eine nothwendige Folge von ſeinen drey Seiten ſind. Dieß laͤugnet derjenige, der etwas dem Zufall uͤber - laͤßt; und dieß laͤugnet auch der Jntederminiſt. Er meint, er ſey dazu gezwungen, vermoͤge deſſen, was ihn die Erfahrung von freyen wirkenden Urſachen leh - ret. Jch meine es nicht, und wenn ſie dies als das Schiboleth ihrer Gegner, der Determiniſten, anſe - hen, ſo nehme ich es an, zu dieſen letztern gezaͤhlt zu werden.

Allein, wenn die Bedingung, daß kein Hinderniß da ſey, noch nicht angenommen werden kann; wenn ſie noch dahin ſtehet, und wenn man nur allein die Vor - ausſetzung vor ſich hat, daß die voͤllig beſtimmen - de Urſache vorhanden ſey, worunter ich hier, ſo wohl die eigentliche wirkende Urſache mit ihrer thaͤ - tigen Kraft, als auch die uͤbrigen poſitiven Er - foderniſſe und Umſtaͤnde, die etwas zur Beſtim - mung der Wirkung beytragen, zuſammen nehme: ſo finden zween ſehr verſchiedene Faͤlle Statt, auf deren wichtige Unterſcheidung alles ankommt.

2.

Die Urſache mit allen uͤbrigen Erfoderniſſen iſt vorhanden; aber es kann, ehe die Wirkung erfolgt, noch etwas Poſitives dazwiſchen kommen. Eine Ku - gel fahre z. B. in gerader Richtung auf ein Glas zu, ſo wird ſie das Glas zerbrechen, wenn nichts dazwiſchen tritt. Aber nun wird ſie aufgegriffen, oder das Glas wird ihr entzogen, und die Wirkung erfolget nicht. Al - les war gleichwohl dazu vorbereitet, nichts fehlte mehr daran, es haͤtte nur nichts neues, nur keine neue Urſache, keine Wirkung einer andern fremden Kraft, nichts, das ein Hinderniß ausmachte, hinzukommen ſollen.

Hier war alſo ein Beyſpiel, wo die Regel: poſita cauſa ponitur effectus, nur unter der Bedingung Stattfand,135und Freyheit. fand, wenn kein Hinderniß hinzukommt; und die - ſe Bedingung war noch nicht mit eingeſchloſſen, als man vorausſetzte, daß die wirkende Urſache ſammt allen uͤbrigen Erfoderniſſen vorhanden | ſey.

Das hinzukommende Hinderniß, welches dazwi - ſchen tritt, und den Erfolg zuruͤckhaͤlt, obgleich ſein zu - reichender Grund ſchon da iſt, kann eine zwiefache Wirkung hervorbringen. Zuweilen kann die erſte wirkſame Urſache mit ihrer ganzen thaͤtigen Kraft, in - gleichen das Objekt, welches die Wirkung aufnehmen ſoll, und deſſen Lage gegen die Kraft; mit einem Wort alles, was zu dem vorhergehenden zureichenden Grunde gehoͤrte, unveraͤndert bleiben, und noch eben ſo beſte - hen, wie es vorher war; ohnerachtet der Erfolg durch die hinzukommende hindernde Urſache zuruͤckgehalten wird. Das Gewicht in einer Schale an der Wage drucket noch eben ſo ſtark wie vorher; und die Schale iſt eben ſo be - weglich, wie vorher: aber dennoch ſinkt ſie nicht, wenn man ſie von unten unterſtuͤtzet.

Es giebt alſo einen Fall, wo nicht[nur]der voͤllig zureichende Grund vorhanden iſt, d[urc]h den der Ef - fekt bewirket wird, ſondern, wo ſelbiger auch unver - aͤndert beſtehet, und demohnerachtet die Wirkung nicht erfolget. Mit der Vorausſetzung, daß ein zurei - chender Grund vorhanden ſey, kann man noch dieſe ver - binden, daß derſelbige auch unveraͤndert bleiben und be - ſtehen ſoll; und dennoch erfolget die Wirkung nur un - ter der Bedingung, daß nichts anders in den Weg komme.

Alsdenn iſt es offenbar, daß die Verknuͤpfung zwiſchen der Urſache und ihrer Wirkung eine zufaͤllige Verknuͤpfung ſey, weil ſie auch fehlen kann. Die Ur - ſache zieht in dieſen Beyſpielen nicht nur die Wirkung nicht nothwendig nach ſich, wenn ſie zuerſt vorhanden iſt, ſondern auch, wenn ſie gleich unveraͤndert beſtehetJ 4und136XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitund ſo bleibet wie ſie iſt. Die Urſache ſelbſt und das Gegentheil von ihrer Wirkung koͤnnen alſo zugleich, in eben dem Zeitmoment, mit einander beſtehen.

Ob etwa hier nicht alles unter dem zureichenden Grunde begriffen wird, was man ſonſten darunter verſteht? Die wirkende Urſache und ihre Kraft ma - chet freylich den geſammten zureichenden Grund noch nicht aus, und daher koͤnnte man glauben, es laſſe ſich die obige Regel, daß die Urſache nur unter einer Be - dingung die Wirkung nach ſich ziehe, nicht anwenden, wenn von dem zureichenden Grunde die Rede iſt. Einige verlangen, daß unter dem voͤllig zureichenden und beſtimmenden Grunde nicht nur alle innere und aͤuſ - ſere Erfoderniſſe der Wirkung begriffen werden, ſondern zugleich auch die Bedingung, daß ſich kein Hinderniß eraͤugne. Wenn die Kugel, die im Begriff iſt, auf ein porcellaines Gefaͤß herunter zu fallen, unterwegens aufgefangen wird, ſo fehlte nach dieſer Jdee von dem zureichenden Grunde noch etwas daran, naͤmlich dieſer Umſtand, daß nichts zwiſchen der Kugel und dem Ge - faͤße ſich befinde, und auch nichts ſich dazwiſchen lege, wodurch die Wirkung des Stoßes auf das Gefaͤß ver - hindert werde.

Es iſt unnuͤtz, um Worte ſich zu ſtreiten. Mich deucht, es ſey in den angefuͤhrten Beyſpielen ungemein leicht, alles dasjenige reelle und poſitive, was die Wirkung erheiſchet, und ohne welches ſie ſo, wie ſie erfolget, nicht erfolgen kann, von dieſer Bedingung: daß nur außerdem nichts neues hinderndes hinzukom - men ſolle, abzuſondern. Die letztere Bedingung er - fodert nicht, daß außer demjenigen, was ſchon als vor - handen angenommen wird, etwas poſitives oder reelles mehr da ſey, nicht, daß eine neue Kraft, eine neue Richtung, eine neue Beziehung des Gegenſtandes auf die Kraft zu dem, was ſchon da iſt, hinzukomme, wo -durch137und Freyheit. durch der Wirkung noch beſondere Beſchaffenheiten gegeben werden, und noch etwas mehr bey ihr begreiflich werde, was es nicht ſchon aus demjenigen iſt, das in dem poſitiven zureichenden Grunde zuſammengefaſſet war. Die bedungene Abweſenheit des Hinderniſſes enthaͤlt nur allein, daß nichts mehr, als da iſt, hinzu - komme. Wenn demnach dieſes beides, naͤmlich der voͤllig beſtimmende poſitive Grund und die Ab - weſenheit eines Hinderniſſes, ſo deutlich von einan - der unterſchieden werden kann, ſo deucht mich, man koͤnne das erſtere wol mit Fuge den ganzen zureichen - den Grund nennen, weil er alles, was bey der Wir - kung vorkommt, begreiflich macht.

Allerdings iſt hier die Stelle, wo die Jndetermi - niſten und die Determiniſten anfangen, ſich von ein - ander zu trennen, wie ich ſchon erinnert habe.

Wenn der voͤllig beſtimmende Grund und die Ab - weſenheit jedweden Hinderniſſes zuſammen genommen werden, ſo erfolget die Wirkung ſo und nicht anders ohne alle fernere Bedingung, und ſie erfolgt noth - wendig. Dieß iſt ein Grundſatz bey dem einen Theil und bey mir auch; aber nicht bey den Jndeterminiſten, welche es fuͤr nothwendig anſehen, dem Princip des zu - reichenden Grundes gewiſſe Graͤnzen zu ſetzen. Jch habe mich vorher ſchon erklaͤrt, was man dem Umfang dieſes Princips entzieht, wird dem Zufall eingeraͤumet. Hier betrifft der Streit Grundſaͤtze. Aber in der Un - terſuchung uͤber die Freyheit braucht es keine Spekula - tion, ſondern nur die Erfahrung, um dieſen Grundſatz auf die Seelenveraͤnderungen angewendet, ſo ſtark zu befeſtigen, als die vollſtaͤndigſte Jnduktion jemals ei - nen allgemeinen Erfahrungsſatz befeſtiget hat.

Aber wenn wir dagegen die Abweſenheit eines Hin - derniſſes als eine blos negative Bedingung von dem uͤbrigen poſitiven zureichenden Grund abſondern undJ 5den138XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitden letztern allein nehmen, ſo lehren die obigen Beyſpie - le ſchon, daß die Wirkung ausbleiben koͤnne, wenn gleich der voͤllig beſtimmende Grund vorhanden iſt, und daß jene alſo nur zufaͤllig mit dieſem verbunden ſey. Allein es koͤnne auch andre Faͤlle geben, wo die Ver - knuͤpfung nothwendig iſt. Dieß iſt ſie naͤmlich als - denn, wenn die Bedingung, daß kein Hinderniß vor - handen ſey, ſchon in dem uͤbrigen wahren zureichenden Grunde begriffen iſt, und zugleich dadurch mit geſetzet wird, ſo daß dieſer poſitive Grund nicht ſo ſeyn oder ſo bleiben wuͤrde, wie er iſt, wenn ein Hinderniß erfolget.

Wir ſtellen uns die Urſache, ihre Aktion, und das Wirklichwerden des Effekts in einer gewiſſen Zeitfolge vor, ſo nahe und unmittelbar ihre einzelne Momente auch an einander liegen. Nach dieſer Jdee kann man mit der Vorausſetzung des poſitiven Grundes auch ſo gar die Bedingung verbinden, daß in dem er - ſten Moment kein Hinderniß vorhanden ſey; und es blei - ben doch noch zween ſehr unterſchiedene Faͤlle uͤbrig, die beide moͤglich ſind. Jn dem Einen kann noch derglei - chen Hinderniß in den folgenden Momenten hinzukom - men, in dem andern aber nicht.

Die Verknuͤpfung zwiſchen der Urſache und ihrer Wirkung iſt alſo zufaͤllig alsdenn, wenn der ganze po - ſitive Grund mit allen uͤbrigen poſitiven Erfoderniſſen ſo ſeyn und bleiben kann, wie er iſt und bleibet, wenn die Wirkung verurſachet wird, und dennoch ein neues Hin - derniß dazwiſchen kommen kann, was ſeine Ausrichtung oder Verurſachung auf haͤlt. Dieß iſt eine Zufaͤllig - keit, die in dem eigentlichſten Verſtande in der Depen - denz der Wirkung von der vorhandenen und auch fortdauernden Urſache Statt findet.

Geſetzt aber, daß die wirkliche Verhinderung nicht anders moͤglich ſey, als daß auch zugleich alsdenn et - was in jenem poſitiven zureichenden Grunde, es ſeynun139und Freyheit. nun in der wirkſamen Kraft, oder in den aͤußern Erfo - derniſſen und Umſtaͤnden abgeaͤndert werde: ſo iſt es dennoch zufaͤllig, daß die Wirkung erfolget, wo der zureichende Grund jetzo vorhanden iſt. Denn die Wir - kung kann auch in dieſem Fall ausbleiben, obgleich der Grund jetzo vorhanden iſt, und veraͤndert wird, wenn das Hinderniß eintritt. Wenn z. B. die Kugel auf das Gefaͤß zufaͤhret, und dieſes ihm entruͤcket wird, ſo kann man ſagen, es ſey das Gefaͤß nicht in derſelbigen Lage geblieben, in der es vorhero lag, und dieſer Um - ſtand habe doch zu dem geſammten zureichenden Grun - de mitgehoͤret. Alſo bleibet die ganze Urſache nicht un - veraͤndert, wenn das Hinderniß hinzukommt. Man koͤnnte alſo ſagen, daß, wenn hier die Wirkung fehlen koͤnne, obgleich die Urſache vorhanden iſt, ſo kom - me dieß nicht ſowohl daher, weil die Wirkung ſich von der Urſache und den vorgehabten Umſtaͤnden trennen ließe, als vielmehr, weil die Urſache oder die Umſtaͤnde, ob ſie gleich jetzo ſo ſind, ſich veraͤndern laſſen, daß ſie nicht in der Folge ſo bleiben, wie ſie jetzo ſind. Die Zufaͤlligkeit, die hier Statt findet, lieget alſo in der Zu - faͤlligkeit der Urſachen und der Umſtaͤnde, oder in der Zufaͤlligkeit des vorhandenen, poſitiven, hinrei - chenden Grundes ſelbſten. Allein aus welchem Geſichts - punkt man die Sache auch anſieht, ſo iſt ſie immer die - ſelbige. Wenn gleich jetzo alles vorhanden iſt, wovon die Wirkung abhaͤngt, die ganze Urſache mit allen ihren Umſtaͤnden, ſo erfolget die Wirkung nicht, als nur unter der Vorausſetzung, daß kein Hinderniß ſich eraͤugne, und daß alles auch unveraͤndert und ohne Zuſatz beſtehe und bleibe, wie es iſt, bis der Effekt be - wirket iſt, und der gegenwaͤrtige Stand der Sachen macht nicht fuͤr ſich ſchon dieſe Bedingung unnoͤthig.

Die urſachlichen Verbindungen der wirklichen Din - ge in der Welt ſind nach Leibnitzen und Wolfen zufaͤl -lig140XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitlig, in dem Verſtande, wie es hier eben beſtimmt iſt. Man kann in der Phyſik nicht demonſtriren, ſagte Leibnitz, wie in der Geometrie; von welchem Ausdruck man nicht allemal den vollen wahren Sinn gefaßt hat. Die wirkenden Urſachen in der Natur haben unter den geſetzten Umſtaͤnden ihre Wirkungen; aber deswegen iſt es kein Widerſpruch, daß die letztern fehlen, wenn gleich jene mit allen ihren Erfoderniſſen und Umſtaͤnden vorhanden ſind. Man kann nur alsdenn demonſtriren, daß die Wirkung erfolge, wenn man außer der Exi - ſtenz der Urſachen auch noch die Bedingung, daß kein Hinderniß in den Weg trete, unter die Praͤmiſſen auf - nimmt; ſonſten aber folget der Schlußſatz, daß die Wirkung zu Stande komme, nicht aus den Vorderſaͤ - tzen, worinnen die Urſache und ihre Umſtaͤnde als exi - ſtirend angenommen werden. Dieß iſt ohne Zweifel ei - ne vielbedeutende innere Zufaͤlligkeit der Welt, die der ſpinoziſtiſchen und ſtoiſchen Nothwendigkeit von den ge - nannten Philoſophen entgegengeſetzt wird.

3.

Der Erfolg dagegen iſt nothwendig an ſeinen zu - reichenden Grund gebunden, wenn dieſer, einmal ſo an - genommen, wie er iſt, die zwote Bedingung, daß kein Hinderniß erfolge, ſo in ſich enthaͤlt, daß dieſe letztere aus dem erſtern, wie eine Folgerung, hergeleitet werden kann. Wenn die wirkende Urſache durch nichts um ih - re Wirkſamkeit waͤhrend der Aktion gebracht, und jene nicht einmal geſchwaͤcht werden kann; wenn das Objekt ihr nicht entzogen werden kann; wenn die Urſache un - widerſtehlich wirket, und die Erfoderniſſe der Aktion unveraͤnderlich ſind; wenn dieß alles beyſammen iſt: ſo iſt das Wirklichwerden des Effekts eine nothwendige Folge von der Wirklichkeit des voͤlligen Grundes. Die Allmacht wuͤrde allemal nothwendig wirken, wofern ſie nicht die Allmacht eines freyen Weſens waͤre, dasſich141und Freyheit. ſich ſelbſt durch ſeine innere Selbſtmacht verhindern, und ſeine Allmacht, ſo zu ſagen, auf halten kann.

4.

Von dieſer allgemeinen Zufaͤlligkeit der wirkenden Verknuͤpfungen in der Welt iſt die innerliche Zufaͤllig - keit noch ſehr unterſchieden, welche alsdenn Statt fin - det, wenn die thaͤtige Urſache mit Freyheit wirket. Wenn der Wind die Wolken treibet, der Blitz einſchlaͤ - get, und das Waſſer Daͤmme fortreißet, ſo iſt es zwar moͤglich, daß dieſe Wirkungen auch unter den naͤmli - chen Umſtaͤnden haͤtten verhindert werden koͤnnen; aber aus welchem Grunde, und welch eine Urſache haͤtte dieß Hinderniß verſchaffen muͤſſen? Die Verurſachung der Wirkungen war zufaͤllig, weil die wirkenden Urſachen entweder fuͤr ſich zufaͤllig ſind, und, ob ſie gleich da wa - ren, noch vorher, noch ehe ſie ihren Effekt hatten, auf - gehaben werden konnten, oder weil ihre Thaͤtigkeit uͤberwindlich und widerſtehlich war. Allein wenn ein wirkliches Hinderniß haͤtte erfolgen ſollen, ſo wuͤrde eine aͤußere Urſache erfordert worden ſeyn, die ſich zu ihnen geſellen, und ſich in ihre Thaͤtigkeit einmiſchen konnte. Die Zufaͤlligkeit der Verknuͤpfung ſelbſt iſt zwar, von Einer Seite betrachtet, eine innere, und hat ihren Grund in der Beſchaffenheit der Natur der wirkenden Kraͤfte. Denn die hindernde Urſache mag wirklich da - zwiſchen kommen oder nicht, ſo iſt doch die Wirkung mit der angenommenen Urſache in einer ſolchen Ver - knuͤpfung, die fehlen, geaͤndert und aufgehoben werden konnte. Allein es enthaͤlt doch dieſe Zufaͤlligkeit zu - gleich eine Hinſicht auf eine aͤußere Urſache, welche auſ - ſer derjenigen, die hier wirket, und außer den Umſtaͤn - den, unter denen ſie wirket, das iſt, außer dem indi - viduellen zureichenden Grunde, vorhanden ſeyn ſoll. Wie wir eine Sache fuͤr eine ſolche anſehen, die hervor - gebracht werden kann, ſo muß nicht nur ihre Entſte -hung142XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeithung von einem innern Widerſpruch frey ſeyn, ſondern es wird zugleich angenommen, daß eine Kraft wirklich exiſtire, welche das noͤthige Vermoͤgen, ſie hervorzubrin - gen, beſitze. Man kann freylich auch wohl jene abſolute Moͤglichkeit, daß naͤmlich die Sache werden koͤnne, wenn nur eine Kraft da waͤre, die ſie hervorzubringen das Vermoͤgen haͤtte, als ihre abſolute Moͤglichkeit zu werden, oder als ihre innere Machbarkeit anſehen; allein die naͤhere Moͤglichkeit, daß ſie gemacht und hervorgebracht werden kann, ſetzet die dazu erfoderliche Kraft als ſchon exiſtirend voraus. Soll alſo nach die - ſen Begriffen nur alsdenn die urſachliche Verbindung fuͤr zufaͤllig gehalten werden, wenn wirkliche Kraͤfte mit hinreichendem Vermoͤgen vorhanden ſind, die unter den angenommenen Umſtaͤnden dazwiſchen kommen, und den Effekt verhindern koͤnnen, ſo iſt diejenige Zufaͤllig - keit, welche in den Verknuͤpfungen der Koͤrperwelt an - getroffen wird, nichts mehr als eine aͤußere Zufaͤllig - keit, die ſich auf eine aͤußere Urſache beziehet, welche an - derswoher dazwiſchen kommen kann.

Daher iſt auch dieſe Zufaͤlligkeit in der Verknuͤ - pfung nicht mehr da, wenn dieſe Bedingung nur hin - zugeſetzt wird, daß von außen nichts in den Weg tre - te. Wirf den Funken in das trockne Pulver, und nimm an, es ſey außer dieſen beiden in einander wir - kenden Dingen und den ſonſtigen gewoͤhnlichen Umſtaͤn - den nichts weiter vorhanden, was der zuͤndenden Kraft des Feuers, und dem Feuerfangen und Zerplatzen des Pulvers ſich entgegenſetze, ſo iſt genug angenommen. Die Wirkung erfolget, und erfolget nothwendig unter dieſen Vorausſetzungen.

Dagegen, wenn eine freye Urſache wirket, ſo iſt es moͤglich, daß die Aktion unterbrochen oder verhindert werde, wegen des Vermoͤgens zu dem Gegentheil, das dem handelnden Weſen ſelbſt zukommt. Laß die freye Urſache wirken, ſo kann die Wirkung ausbleiben, nichtnur143und Freyheit. nur weil die Urſache fuͤr ſich gehindert werden kann, ſondern auch weil ſie durch ihre eigene innere Kraft ih - re Handlung unterbrechen kann, und dazu das volle Vermoͤgen hat, ob ſie gleich jene |ihren Weg gehen laͤßt. Hier iſt alſo in den freyen Handlungen eine in - nere Zufaͤlligkeit, die das Daſeyn aͤußerer Urſachen nicht erfodert, und die auch durch keine Gewalt von außen aufgehoben werden kann, wofern nicht auch zu - gleich die Handlung erzwungen werden, und eine freye Handlung zu ſeyn aufhoͤren ſoll.

Um alſo die Wirkung einer frey handelnden Kraft aus ihrer zureichenden Urſache herzuleiten, iſt es nicht genug, dieſe letztere mit allen ihren Erfoderniſſen anzu - nehmen. Es muß hinzugefuͤget werden, daß ſich von außen kein Hinderniß einmiſche. Und noch nicht ge - nug; es muß ferner hinzugefuͤget werden, daß ſich von innen nichts einmiſche, naͤmlich daß die thaͤtige Kraft ſich ſelbſt nicht zuruͤckhalte, oder ſich anders beſtimme.

Dieſe Verſchiedenheiten aus allgemeinen Begriffen ſind doch zum mindeſten reelle Verſchiedenheiten, wel - ches auch der Jndeterminiſt nicht ablaͤugnen wird, we - nigſtens nicht darf, um ſein Syſtem zu behaupten. Er laͤugnet nur, daß dieſe Zufaͤlligkeit fuͤr freye Handlun - gen genuͤge. Aber dieß mußte von neuem zur Frage ge - ſetzet werden.

Die hier erklaͤrte Zufaͤlligkeit iſt dieſelbige, welche wir in unſern Erfahrungen bey der Seele antreffen. So viel, nicht mehr, noch weniger enthaͤlt die Empfindung unſerer Freyheit, als was in jenem Begriff enthalten iſt. Vernunft und Erfahrung ſind in Harmonie mit einander. Jch handle, ſo wie ich handle, nach zurei - chenden Gruͤnden; aber ich kann anders handeln, durch mich ſelbſt und aus mir ſelbſt, wenn ich meiner ſelbſt maͤchtig bin. Jch hoͤre jetzo noch nicht auf zu ſchreiben; dazu habe ich keinen Grund, und es gefaͤlltmir144XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitmir nicht; aber ich fuͤhle und weiß es, daß ich doch das ungekraͤnkte Vermoͤgen beſitze, jetzo die Feder wegzu - legen, und meine thaͤtige Kraft anderswohin zu lenken. Oder ſoll man nichts thun koͤnnen, was man nicht wirklich thut? Was nicht anders geſchieht, das ſollte auch nicht anders geſchehen koͤnnen? Einige haben wirklich in den metaphyſiſchen Spekulationen ſich dahin verloren, daß ſie endlich Seyn und Seyn koͤnnen, Werden und Werden koͤnnen, fuͤr einerley angeſe - hen, weil ſie die Graͤnzen dieſer beiden ſo auffallend un - terſchiedenen Grundbegriffe nicht recht feſtzuhalten wuß - ten. Und ohne Zweifel war die Verwechſelung dieſer beiden Begriffe, die oft ſowohl in der philoſophiſchen Sprache, als in dem gemeinen Ausdruck vorkommt, eine große Veranlaſſung darzu. Was nicht iſt, was gewiß und ſicher nicht iſt, wird oft ſo ausgedruckt, daß es nicht ſeyn koͤnne; und von dem, was ge - wiß iſt, ſagen wir oft: es iſt nothwendig. Um alle Verwirrung in den Gedanken zu heben, muß ſolche auch allerdings in der Sprache gehoben werden. Leibnitz ſagte mit Recht: ohne zureichenden Grund geſchieht nichts. Aber wer hat die Philoſophen be - rechtigt zu ſagen: ohne zureichenden Grund koͤnne nichts geſchehen. So wenig daraus, daß etwas nur ſeyn kann, gefolgert werden darf, daß es wirklich ſey; eben ſo wenig darf daraus, daß etwas nicht ge - ſchieht, geſchloſſen werden, daß es nicht geſchehen koͤnne. Wenn nun etwas keinen zureichenden Grund hat, und alſo nicht geſchieht, wie kann man ſchließen, es koͤnne auch nicht geſchehen. Faͤllt denn mit dem Grunde der Wirklichkeit auch der Grund der Moͤglichkeit, mit der wirklichen Anwendung eines Vermoͤgens auch das Vermoͤgen ſelbſt weg.

Der Jndeterminiſt iſt mit keiner Moͤglichkeit des Gegentheils, und alſo mit keiner Zufaͤlligkeit derSa -145und Freyheit. Sache ſelbſt zufrieden, ſobald ein voͤllig zureichender oder beſtimmender Grund von ihr angenommen wird. Die Zufaͤlligkeit iſt in ſeinen Augen keine wahre voͤllige Zufaͤlligkeit, wenn nicht mit der vorhergehenden thaͤti - gen Urſache und mit allen Erfoderniſſen der Handlung, und ſo gar unter der Bedingung, daß kein Hinderniß eintrete, es dennoch beſtehen kann, daß die Wirkung unterbleibe. Jſt dieß das Weſen der Zufaͤlligkeit, ſo erfodert Zufaͤlligkeit einen blinden Zufall in Hinſicht deſſen, was geſchieht. Es iſt hier ein Princip der Vernunft, woruͤber wir von einander abgehen. Aber ich habe nirgends gefunden, daß man eine noch mehr enthaltende Zufaͤlligkeit, als die oben erklaͤret iſt, in den freyen Handlungen aus Beobachtungen erwieſen habe. Man hat nur geſchloſſen, es muͤſſe ſolche vorhanden ſeyn, weil ſonſten gar keine da ſey. Aber welche ſoll die wahre Zufaͤlligkeit ſeyn? Etwan die innere Unbeſtimmt - heit des ſich ſelbſt entſchließenden Princips in der Seele? Dieſe iſt allerdings vorhanden, aber ſie beſteht ſehr wohl mit dem Grundſatze von dem innern zureichenden Grunde. Jch kann wollen und nicht wollen, und will, wie mirs gefaͤllt; und wenn es mir gefaͤllt, daß ich will, ſo behalte ich mein Vermoͤgen nicht zu wollen ſo gut, als ich es vorher hatte. Aber iſt irgend ein Beyſpiel vorhanden, daß ich gewollt haͤtte, ohne daß mir dieſe Selbſtbeſtimmung entweder vorzuͤglich gefallen haͤtte, oder doch ohne daß in den vorhergehenden Umſtaͤnden etwas geweſen waͤre, warum ich mehr gewollt, als nicht gewollt, mehr dieß Objekt als ein anderes gewollt haͤtte? Soll dieſer Grund darum kein beſtimmender Grund genennet werden, weil er wirklich die handelnde Kraft nicht innerlich mehr zur Aktion zureichend macht, als ſie es vorher war, ſondern nur als ein Objekt der Kraft ſich darſtellet, ſo wuͤrde ich damit ſehr einig ſeyn, und wuͤnſchen, daß er nicht beſtimmend genennet werdenII Theil. Kmoͤchte.146XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeitmoͤchte. Denn was beſtimmet doch die Kugel, die man eben der elaſtiſchen Feder vorleget, indem dieſe ausſpringet, die Elaſticitaͤt derſelben und ihre innere zureichende Kraft? obgleich dieſer Umſtand doch das Warum enthaͤlt, daß die Kraft auf dieſe Kugel ange - wendet wird! Warum ſoll dasjenige beſtimmend heißen, was nicht aktiv beſtimmt? Aber ein Grund oder ein hinreichender Grund wuͤrde es wohl heißen muͤſſen. Doch an Worte ſollten ſich wenigſtens Philo - ſophen nicht ſtoßen.

5.

Die metaphyſiſchen Gemeinbegriffe von dem Noth - wendigen und Zufaͤlligen beduͤrfen ohne Zweifel ei - ner ſorgfaͤltigen Pruͤfung. Es ſcheint, ſie haͤtten einen Anſtrich von dem Jmaginairen an ſich, das die bilden - de Phantaſie zu dem, was aus reinen Empfindungs - ideen gezogen worden iſt, hinzuzuſetzen pfleget. Aber Hr. Hume hat in ſeiner Analyſe des Nothwendigen zu wenig geſehen. Denn Nothwendig iſt mehr, als beſtaͤndig auf einerley Art ſeyn. Jndeſſen glaube ich, da dieſe Begriffe vom Nothwendigen und Zufaͤlli - gen ſo viele Verwirrung veranlaſſet haben, man thue wohl, wenn man ſie mit allen uͤbrigen, die ſich auf ſie beziehen, aus der Philoſophie wegließe, und das Reel - le, was nun einmal in dieſen beiden Notionen, die gleichſam zwey große Faͤcher des Verſtandes geworden ſind, enthalten iſt, zertheilt aufſuche, und in andere Gemeinbegriffe hineinbringe. Selbſt die gegenwaͤrtige Unterſuchung uͤber die Natur der Freyheit giebt ein Bey - ſpiel davon ab, daß Lehren, in denen man ſonſten ſo oft um dieſe Notionen herumdrehet, eben ſo faßlich und zuſammenhangend vorgetragen werden koͤnnen, wenn man ſich gleich der Woͤrter, Nothwendig und Zufaͤlligmit147und Freyheit. mit ſammt der Moͤglichkeit des Gegentheils in der phi - loſophiſchen Sprache gaͤnzlich enthalten wuͤrde.

Jch will damit nicht ſagen, daß man ſich ihrer nicht mit Nutzen bedienen koͤnne, wenn nur ihre Be - deutung vorher ſo genau beſtimmt iſt, als ſie es bey all - gemeinen Begriffen ſeyn muß, die wir zum Grunde unſerer Schluͤſſe legen wollen.

Die Spekulationen uͤber die gedachten Begriffe fuͤhren zu Diſtinktionen, die im allgemeinen vorgetra - gen, fein genug ſind, um als ſachleere Spitzfindigkei - ten zu erſcheinen, und ſind doch unvermeidlich, ſobald man bis auf die erſten Gruͤnde zuruͤckgeht, wo die An - faͤnge des Wahren und des Falſchen oft dicht an einan - der liegen. Wer ſie vermeiden will, entſage dem Ver - gnuͤgen aus der deutlichern Einſicht, und bleibe naͤher bey den Empfindungen, die aber doch ſehr oft, und be - ſonders hier, das Mikroſkop der Vernunft erfodern, wenn man recht wiſſen will, was man ſiehet.

Babuc*)Dieſe Erzaͤhlung ſtehet in der bekannten ſchoͤnen Schrift des ehemaligen daͤniſchen Profeſſors Schnee - dorf: Babuc, oder: die Welt, wie ſie iſt. Eine Art von Nachahmung von dem Voltairiſchen Zadic. 1761. ins Deutſche uͤberſetzt. ſprach mit dem Vornehmſten der Drui - den in Scythien, der auf den Groß-Lama zu Tibet uͤbel zu ſprechen war, weil dieſer ſich fuͤr unfehlbar haͤlt. Er verſicherte, die Druiden verdienten mehr geſchaͤtzt zu werden, weil ſie es Niemanden uͤbel deu - teten, wenn ſie von ihren Fehlern unterrichtet wuͤrden. Wie, ſagte der vornehme Geiſtliche, ſind Sie ein Unglaͤubiger? Glauben Sie, daß unſere Druiden fehlen? Fehlen zu koͤnnen und wirklich zu feh -K 2 len148XII. Verſuch. Ueb. die Selbſtthaͤtigk. c. len ſind zwey ganz unterſchiedene Dinge. Wir feh - len nie, aber wir geben es gerne zu, daß wir fehlen koͤnnen. Babuc, ſetzet der Erzaͤhler hinzu, der nicht ſcharfſichtig genug war, dieſen Unterſchied zu begreifen, ſchwieg und gieng fort.

Babuc hatte geſunden Menſchenverſtand. Aber war die Diſtinktion der Druiden an ſich wohl unrichtig? Jch kann vielleicht mit uͤberwiegenden Gruͤnden denje - nigen widerlegen, der mir vorwirft, ich haͤtte in dieſer oder jener Sache mich geirret. Aber nur ein Wort dagegen ſagen wollen, daß ich irren koͤnne, wuͤrde Un - ſinn ſeyn.

Drey -149

Dreyzehnter Berſuch. Ueber das Seelenweſen im Menſchen.

I. Vorlaͤufiger Begriff von der thieriſchen Natur des Menſchen und von dem Seelenweſen in ihm.

Der Menſch iſt ein Thier, und hat als Thier eine thieriſche Natur, die keiner ſcharfſinniger un - terſuchet hat, als Hr. Unzer in ſeiner Phyſiologie der Thiere. Als Thier beſitzt der Menſch Seelen - kraͤfte und koͤrperliche Kraͤfte. Zu den letzten gehoͤ - ren ſowohl die mechaniſchen, die eine Folge des Me - chanismus des Koͤrpers ſind, als auch die Nerven - kraͤfte. Dieſe letztern aber ſind gleichfalls koͤrperli - che Kraͤfte wie die erſtern, und wie jene eine Folge der Organiſation. Wir kennen ihre Natur nicht, und wiſ - ſen von ihren Wirkungsgeſetzen noch wenig, aber ſo viel laͤßt ſich ſagen, daß ihre Wirkungen aus den bekannten Grundſaͤtzen der Mechanik zur Zeit noch nicht erklaͤret werden koͤnnen, daher ſie auch durch den Namen der organiſchen oder Nervenkraͤfte von den mechani - ſchen ganz fuͤglich unterſchieden werden. Gleichwol ſcheint es nicht zu bezweifeln zu ſeyn, daß ſie uns nicht etwas naͤher bekannt werden koͤnnten, wenn eines Theils nur die Mechanik der fluͤſſigen elaſtiſchen Koͤrper, des Aethers, des Feuers, der Elektricitaͤt, des Magne - tismus u. ſ. w. nicht ſo weit zuruͤck waͤre, als ſie es iſt, und dann zweytens noch genauer aus Beobach - tungen nach den Grundgeſetzen, wornach ſie wirken,K 3gefor -150XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſengeforſchet wuͤrde. Sie ſind indeſſen Kraͤfte materiel - ler, koͤrperlicher Weſen, und wirken mit den Seelen - kraͤften in Verbindung in dem Thiere, und zwar in ſo inniger Verbindung, daß es auch darum, wenn nicht ganz unmoͤglich, doch lange noch ſchwer ſeyn wird, ihre Natur und Wirkungsart fuͤr ſich allein beſonders zu be - trachten. Aus jener Verbindung entſtehet die thieri - ſche Natur des Menſchen. Das Thier iſt das aus Seele und organiſirtem Koͤrper beſtehende Ganze.

Der Menſch als ein Weſen, welches empfindet, Vorſtellungen hat, denkt und will, beſitzet eine geiſti - ge Natur, oder, wenn man nur auf das Allgemeinere Ruͤckſicht nimmt, das auch den vernunftloſen Thieren zukommt, eine Seelennatur. Jſt auch dieſe ein zu - ſammengeſetztes Eins, und ſind die Kraͤfte und Ver - moͤgen, die wir der Seele zuſchreiben, und fuͤr See - lenkraͤfte anſehen, auch etwa nur Kraͤfte des Zuſam - mengeſetzten, die in einer Verbindung von Kraͤften ei - nes unkoͤrperlichen einfachen Weſens mit den Kraͤften eines innern koͤrperlichen Seelenorgans ihren Grund haben?

Jn dieſer dunkeln Gegend, die zu dem Jnnern der Menſchheit gehoͤrt, habe ich, mit dem Senkbley der Beobachtung in der Hand, etwas herumgeforſchet. Von dem Wege, den ich genommen habe, und von dem Erfolg meiner Bemuͤhungen will ich in dieſem Ver - ſuche Nachricht geben. Jch denke nicht einmal auf eine Entſchuldigung bey dem philoſophiſchen Leſer, auch bey dem nicht, der am Ende wohl mit gutem Grunde ſagen mag: Nichts mehr, als das?

Wenn wir unſere Empfindungen, Vorſtellungen, Gedanken und Neigungen und die dazu gehoͤrigen Thaͤ - tigkeiten ſo nehmen, wie wir ſie mit unſerm Selbſtge - fuͤhl faſſen und gewahrnehmen, und dieß alles als See - lenveraͤnderungen und Seelenwirkungen anſehen, esunter151im Menſchen. unter einander vergleichen, aufloͤſen und die einfachen Grundkraͤfte dazu aufſuchen, ſo ſind wir in einem et - was bekanntern Welttheile. Hier giebt es Erfahrun - gen, die uns leiten und zurechtweiſen.

Aber wenn wir nun weiter fragen: was iſt dieß fuͤr ein Weſen, dieſe Seele, dieſes Subjekt der Vor - ſtellungen, dieſes thaͤtige, Empfindungen und Vorſtel - lungen bearbeitende Weſen? Vorausgeſetzt, daß es ein eigenes beſonderes Weſen in uns giebt, welches un - ſer Jch ausmacht, und nun im pſychologiſchen Ver - ſtande die Seele genannt wird. Sind denn die Vor - ſtellungen in dieſer Seele Beſchaffenheiten ihrer Sub - ſtanz, oder haben ſie nur ihren Sitz in dem Gehirn, in einem koͤrperlichen ſenſorio communi, in dem Theile unſers organiſirten Koͤrpers, der die innern Werkzeuge der Seele und den koͤrperlichen Theil des Seelenweſens im Menſchen ausmachet? Wie etwa der Ton, den ein Jnſtrument angiebt, nicht in den Fingern des Spie - lers iſt, ob dieſe ihn gleich hervorbringen?

Dieſe Frage ſetze ich hier an der Spitze der uͤbrigen; denn es wird ſich bald zeigen, daß hier die Stelle ſey, wo die Betrachtung hinlaͤuft, und wo ſie ihr Ende findet.

Wenn wir dieß und mehreres fragen, was hieher gehoͤrt, ſind wir denn auch noch in einer Gegend, wo uns die Erfahrung leitet? Es giebt allerdings einige Beobachtungen, die uns einigermaßen zurechtweiſen; aber es ſind ihrer ſo wenige, daß man ſie nur wie eini - ge Jnſeln anſehen kann, die hie und da auf einem großen Ocean zerſtreuet, und in weiten Entfernungen ſtehen; und davon uͤberdieß einige, die auf den Charten der neuern Philoſophen geſetzet ſind, wirklich nicht ein wahres Land, ſondern nur Nebelbaͤnke geweſen ſind; Phantaſien, nicht Beobachtungen.

K 4II. Unſere152XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen

II. Unſere Vorſtellungen von der Seele und ihren Veraͤnderungen ſind eben ſo, wie unſere Jdeen von dem Koͤrper, nur Scheine.

Wir kennen unſer Empfinden, unſer Vorſtellen unſer Denken, Wollen und ſo ferner, bis da - hin, daß wir uns Jdeen von dieſen Operationen unſers Selbſt machen, ſie mittelſt dieſer Jdeen verglei - chen und unterſcheiden, auf die naͤmliche Art, wie wir es mit den Jdeen von den Wirkungen und Kraͤften der koͤrperlichen Dinge machen. Aber da wir die Jdeen von jenen wie von dieſen aus den Empfindungen haben, und da die Koͤrper und ihre Beſchaffenheiten, die der aͤußere Sinn uns darſtellet, nur Phaͤnomene vor uns ſind, was werden denn jene Seelenaͤußerungen, davon der innere Sinn uns die Vorſtellung giebt, vor uns ſeyn? Sind Empfinden, Denken, Wollen auch nur Phaͤnomene?

Dieſer unbeſtimmte Ausdruck, den man ſeiner Kuͤrze und zum Theil auch ſeiner Unbeſtimmtheit wegen in der Philoſophie ſo oft gebrauchet, will doch, wenn er deutlich erklaͤrt wird, nichts ſagen, was eigentlich die Natur der Koͤrper außer uns und ihre Beſchaffen - heiten angehet. Es iſt die ſubjektiviſche Natur unſerer Jdeen von ihnen, die ſie vor uns zu Phaͤnomenen ma - chet; und unſere Vorſtellungen von ihnen ſind Scheine oder Erſcheinungen, und zwar aus einem zwiefachen Grunde.

Erſtlich ſind unſere einfachſten Empfindungsvorſtel - lungen verwirrte Vorſtellungen, die vieles und etwas mannigfaltiges auf einmal in einander zuſammenlau - fend uns darſtellen.

Dann ſind zweytens unſere Empfindungsideen von den Beſchaffenheiten der Koͤrper nur relative Vorſtel -lungen153im Menſchen. lungen von den Objekten, das iſt, ſolche Vorſtellungen, welche nicht allein ſchon durch die Natur des vorſtellen - den Weſens und deſſen Beziehung auf die Objekte das ſind, was ſie ſind, ſondern die auch von der Beſchaf - fenheit der ſinnlichen Organe, und andern außer der Seele vorhandenen Empfindungserfoderniſſen, und von der Lage des Objekts gegen die Organe abhangen. Saunderſons Seele war daſſelbartige Weſen, wie die unſrige, und dennoch waren ſeine Vorſtellungen von dem Licht, von den Farben, von dem Raum u. ſ. f. von den Jdeen, die wir von dieſen Gegenſtaͤnden haben, ſo unterſchieden, wie es die koͤrperlichen Gefuͤhle der Aus - dehnung, das Gefuͤhl von einer Linie, und das Ge - fuͤhl von einer Bewegung, von den Jmpreſſionen ſind, die in uns von den naͤmlichen Objekten vermittelſt der Augen entſtehen. Unſere Geſichtsbilder haben etwas an ſich, das ſie allein von dem Organ des Auges haben, und Saunderſons Gefuͤhlsbilder hatten etwas an ſich, das von den Organen des Gefuͤhls abhaͤnget. Abſo - lute Vorſtellungen dagegen ſollen die ſeyn, welche jed - wedes aͤhnliche vorſtellende Weſen, auf die naͤmliche Art, von dem naͤmlichen Gegenſtande haben wuͤrde. Jene ſind uͤberhaupt Erſcheinungen, und koͤnnen, wie man leicht ſiehet, ihrer Natur nach nichts mehr, als einſei - tige Jdeen ſeyn, die ihre Objekte nur von Einer Seite und aus Einem Geſichtspunkte darſtellen, und alſo bey weitem die beſtimmten Begriffe nicht ſind, wodurch die Sachen, ſo wie ſie ſind, ihren innern Beſchaffenheiten nach, rein und farbenlos abgebildet werden.

Eine von den beiden Urſachen, wodurch unſere aͤußern Empfindungsideen zu verwirrten und zu einſei - tigen Jdeen werden, iſt offenbar bey den innern Em - pfindungsideen vorhanden, und von der andern iſt es wahrſcheinlich, daß ſie auch da ſey. Was iſt uns alſoK 5Buͤrge,154XIII. Verſuch. Ueber das SeelenweſenBuͤrge, daß unſere Jdeen vom Denken und Wollen vollkommnere Jdeen ſind, als die von dem Licht und von den Toͤnen? Der Eindruck von außen, der von dem weißen Licht entſtehet, iſt keine einfache Empfin - dung in dem Sinne, daß er ſelbſt als innerer Eindruck, als Beſchaffenheit und Modifikation der Seele einfach ſey; denn er enthaͤlt wirklich etwas vielfaches, wie der Lichtbuͤſchel, der durchs Auge gehet; ſondern wenn wir ihn fuͤr eine einfache Empfindung halten, ſo iſt ers nur in ſo weit, als nichts mannigfaltiges in ihm gewahrgenommen, oder nichts in ihm unterſchie - den werden kann, weil wir nicht jedwede Elementar - modifikation der Seele beſonders empfinden, von an - dern abſondern, und mit einem eigenen Aktus des Em - pfindens ſie bearbeiten koͤnnen. Nun ſind die innern Modifikationen, deren Gefuͤhl unſer Selbſtgefuͤhl aus - machet, darinn von den Jmpreſſionen von außen unter - ſchieden, daß ſie andere Urſachen haben, die ſie her - vorbringen. Sie entſtehen von innen und aus der Kraft der Seele ſelbſt. Dieſe wirket zuruͤck, wenn ſie empfin - det, iſt| thaͤtig, wenn ſie denket, beſtimmt ſich ſelbſt, wenn ſie will, und die nachbleibenden Spuren von die - ſen Aktionen ſind es, aus welchen wir unſere Vorſtel - lungen von den Seelenaͤußerungen hernehmen. Sind wir vergewiſſert, ja haben wir nur Einen Grund, es fuͤr wahrſcheinlich zu halten, da es der Analogie ſo ſehr entgegen iſt, daß die Aktus des Empfindens, des Den - kens, des Wollens ſo einfach ſind, als ſie uns vorkom - men? Jede einzelne individuelle Aktion, jedes Em - pfinden, Denken, Wollen iſt etwas in Eins fortgehen - des und erfodert ſeine Zeitlaͤnge, in der es entſtehet, und hat ſeinen Anfang, ſeine Mitte und ſein Ende. Vielleicht iſt gar jede beobachtbare Aktion aus heteroge - nen Aktionen und Paſſionen zuſammengeſetzt, die fuͤr unſere Abſonderungskraft zu unaufloͤslich und, einzelngenom -155im Menſchen. genommen, unbeobachtbar ſind. Wenigſtens haben wir keine Gruͤnde, dieß Vielleicht wegzulaſſen.

Was die zwote Eigenſchaft eines Phaͤnomens be - trifft, daß naͤmlich die Jdee der Sache nur eine rela - tive Jdee von uns ſey, die außer der Natur des vor - ſtellenden Weſens von gewiſſen Werkzeugen des Vor - ſtellens und von andern Umſtaͤnden abhaͤnget; ſo ſind wir, das wenigſte zu ſagen, hieruͤber nicht voͤllig ſicher, daß unſere Jdeen aus innern Empfindungen nicht eben ſo wohl zu dieſen Klaſſen gehoͤren, als die Jdeen aus den aͤußern Sinnen. Das Gegentheil wird vielmehr wahrſcheinlich, und beynahe voͤllig gewiß, wenn man auf die Art zuruͤckſiehet, wie ſolche Jdeen entſtehen. *)Erſter Verſuch VII. Zweeter Verſuch II. 5.Wie lernen wir unſer Gefuͤhl kennen, um nur dieß Eine zum Beyſpiel hier wieder anzufuͤhren? Wir empfin - den oder fuͤhlen den Eindruck von aͤußern Gegenſtaͤnden. Alsdenn gehet etwas in uns vor, und die Seele wirkt zuruͤck auf das Gehirn, indem ihre Kraft von den Be - wegungen deſſelben modificirt wird. Nun hinterlaͤßt der Aktus des Gefuͤhls eine Spur; es ſey unentſchieden, ob in der Seele oder in dem innern Organ, oder in beiden, genug daß ſolche in unſerm Seelenweſen zu - ruͤckbleibet, das iſt, in dem Weſen, welches fuͤhlet; und dieſe hinterlaſſene Spur muß von neuem gefuͤhlt, abſonderlich gefuͤhlt und unterſchieden werden, wenn eine Vorſtellung von dieſem Aktus des Fuͤhlens entſte - hen ſoll. Um alſo dieſe Vorſtellung von dem Gefuͤhl zu erhalten, iſt erfoderlich, daß wir den vorhergegan - genen Aktus des Gefuͤhls in ſeiner fortdaurenden Wirkung nochmals fuͤhlen und unterſcheiden; und als - denn fuͤhlen wir uns ſelbſt auf eine aͤhnliche Art, wie das Auge im Spiegel vermittelſt des reflektirten Lichts ſich beſehen kann. Da nun der Aktus des Gefuͤhlseine156XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſeneine gleichzeitige Veraͤnderung des Gehirns erfodert, und dieſe Organsbeſchaffenheit auch wiederum vorhan - den ſeyn muß, wenn wir den Aktus des Fuͤhlens ge - wahrnehmen ſollen, ſo folgt, daß unſere Vorſtellung von unſerm Fuͤhlen auch von der Einrichtung des innern Organs abhange, eben ſo, wie der erſte Aktus des Fuͤh - lens ſelbſt zum Theil davon abhaͤnget. Ein anderes Organ wuͤrde alſo eine andere Vorſtellung von dem Aktus des Fuͤhlens geben.

Dieſe Anmerkung wirft ein undurchdringliches Dunkel um das Jnnre unſerer Seelenaͤußerungen, un - ſers Fuͤhlens, Denkens, Wollens u. ſ. f. worinn auch das ſchaͤrfſte Auge nichts erkennen kann. So wenig die erſten einfachen Elemente der Koͤrper und ihre ein - fachen Wirkungen ſich durch die Zergliederung dem An - ſchauen darſtellen laſſen, und ſo wenig jemals der ſchaͤrf - ſte Blick des Menſchen in dem weißen Lichtſtrahl die vereinigten Farbenſtrahlen unterſcheiden wird; eben ſo wenig iſt zu erwarten, daß ein Beobachter ſeiner ſelbſt durch die bloße Aufmerkſamkeit auf ſein Gefuͤhl es aus - machen werde, ob die Seelenaͤußerungen, die vor ihm einfach ſind, auch wirklich einfach oder zuſammengeſetzt; und ob ſie aus einerleyartigen oder verſchiedenartigen Beſtrebungen entſtehen? Das Fuͤhlen, das Denken, das Selbſtbeſtimmen iſt vor uns etwas einfaches ohne innere Mannichfaltigkeit; aber da es vor uns ein Phaͤ - nomen iſt, ſo kann es entweder eine ſolche Empfindung ſeyn, welche aus unterſchiedenen Theilen zuſammenge - ſetzt iſt, wie die von dem weißen Lichte iſt, oder ſie kann aus homogenen Kraftaͤußerungen beſtehen, wie die Jdeen von den einfachen Grundfarben, von welchen wir es noch nicht wiſſen, daß ſie heterogene Theile in ſich enthalten.

Aber ich ſage nur, die Beobachtung allein koͤnne hier nichts ausrichten, nicht eindringen, undnichts157im Menſchen. nichts auseinanderſetzen. Ob denn auch durch andere Wege, von hinten zu, durch Umwege, oder durch Rai - ſonnements ſich nichts ausrichten laſſe? das iſt eine an - dere Frage, die man nicht zugleich mit der erſtern ver - neinen darf. Newton wußte es doch offenbar zu ma - chen, daß das weiße Licht eine Vermiſchung verſchie - denartig faͤrbender Strahlen ſey, obgleich weder das bloße Auge noch das bewaffnete dieſe Beſtandtheile dar - inn unterſcheiden konnte. Die chymiſche Aufloͤſung der Koͤrper leget uns die einfachen Elemente der Koͤrper nicht dar, und bringet uns in der That nicht einmal ſo weit, daß wir durch ſie daruͤber gewiß werden, ob es dergleichen wahre ſubſtanzielle Einheiten gebe, wie die Philoſophen behaupten, und dennoch glaube ich es den letztern, daß ſie vorhanden ſind, um ihrer Schluͤſſe willen, womit ſie dieß erweiſen; und geſetzt, daß ich es nicht glaubte, ſo wuͤrde ich doch die gaͤnzliche Unmoͤg - lichkeit, durch die Beobachtung ſie zu erkennen, nicht einmal unter die Gruͤnde meines Zweifels auffuͤhren. Am Ende wird es alſo nur darauf ankommen, ob es nicht andere Gruͤnde gebe, wornach wir die innere Ein - fachheit oder Zuſammenſetzung unſerer Gefuͤhle einfa - cher Seelenaͤußerungen beurtheilen koͤnnen.

III. Von158XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen

III. Von dem koͤrperlichen Beſtandtheile unſers See - lenweſens.

  • 1) Von dem Antheil des Gehirns an jedweder Seelenaͤußerung. Von materiellen Jdeen.
  • 2) Von der Natur des Selbſtgefuͤhls der Seele. Sie fuͤhlet und empfindet ſich auf eine aͤhnliche Weiſe, wie das Auge ſich im Spiegel ſiehet.

1.

Es giebt hier doch zween Saͤtze, die ſich ausmachen laſſen, und die bey den weiter gehenden Raiſonne - ments uͤber die Natur der Seele Leichtthuͤrme fuͤr uns ſeyn muͤſſen. Der erſte iſt mehr ein Erfahrungsſatz; der andere erfodert mehr Raiſonnement, wenn ſeine Ge - wißheit einleuchten ſoll. Jndeſſen beſtehen ſie beide in Begriffen und Urtheilen, die aus Empfindungen gezo - gen werden.

Der erſte Satz iſt dieſer: Zu jedweder Seelen - aͤußerung wirket ein gewiſſer innerer Theil unſers Koͤr - pers bey; wir moͤgen dieſen Theil das Gehirn, das ſenſorium commune, Seelenorgan, ſchema per - ceptionis, oder wie wir wollen, benennen.

Die andere Grundwahrheit iſt folgende: Es giebt außer den gedachten koͤrperlichen Seelenorganen in uns ein Weſen, das zwar in Vereinigung mit jenen wirkt, aber fuͤr ſich ein eigenes beſtehendes Ding oder eine Subſtanz iſt, die wir die Seele in pſychologiſcher Bedeutung oder unſer Jch nennen. Und dieß letztere un - koͤrperliche Weſen iſt es entweder allein, was das empfin - dende, denkende und thaͤtige Seelenweſen im Menſchen ausmacht, oder es iſt doch der vornehmſte Theil dieſes Ganzen,159im Menſchen. Ganzen, die Hauptſubſtanz deſſelben, deren Beſchaf - fenheiten und Aktionen das Weſentliche von dem aus - machen, was wir Empfinden, Denken und Wollen nennen, und der wir daher auch unſere Seelenbe - ſchaffenheiten und die Seelenkraͤfte und Seelenaͤuße - rungen als dem vornehmſten Weſen nicht unrecht bey - legen.

Zur Beſtaͤtigung des erſtern Satzes hier etwas hinzu zu ſetzen, iſt uͤberfluͤßig. Die Phyſiologie und Pſychologie hat nunmehr ſo viele Fakta geſammelt, welche dieſe durchgaͤngige Mitveraͤnderung des Gehirns zu allen Seelenveraͤnderungen offenbar machen, daß ſol - che als außer Zweifel geſetzt angeſehen werden kann. Jeder Eindruck von außen, jedes innere Gefuͤhl, jedes Empfindniß, jede Vorſtellung, jede Jdee, jedes Wol - len oder Beſtrebung und Thaͤtigkeit, mit einem Wort, jede Modifikation, jedes Thun und Leiden der Seele hat eine gewiſſe Modifikation des Gehirns mit ſich ver - bunden, ohne welche jene nicht vorhanden iſt, oder doch wenigſtens nicht ſo vorhanden iſt, daß wir ſie ſoll - ten bemerken und gewahrnehmen koͤnnen. Die Ge - hirnsveraͤnderungen dauren fort, ſo lange die Seelen - veraͤnderungen dauren, nehmen mit ihnen zu und ab, und hoͤren mit ihnen auf. Jhre Verbindung iſt auch nicht bloß einſeitig, ſondern ſie ziehen einander wechſel - ſeitig nach ſich. Wenn die Seele mit einem Spieler, und das Organ mit einem Jnſtrument verglichen wer - den ſollte, ſo muͤßte man zu dieſem Gleichniſſe hinzu - ſetzen, daß die Finger des Spielers ununterbrochen dicht an die Klaves oder an die Saiten des Jnſtru - ments anliegen; und daß, wie jede Regung und Druck von den Fingern in die Saiten des Jnſtruments uͤber - gehet, ſich auch dagegen jede Bewegung, jeder Schwung, jedes Zittern in den Saiten des Jnſtru -ments160XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenments den Fingern des Spielers mittheile und dieſe zu uͤbereinſtimmenden Bewegungen beſtimme.

Man hat einer Klaſſe von dieſen Gehirnsveraͤnde - rungen den Namen der materiellen Jdee gegeben, denen naͤmlich, die zu unſern Vorſtellungen und Jdeen gehoͤren. Es kann aber dieſelbige Benennung auf alle uͤbrige ausgedehnet werden, wie es auch von verſchie - denen ſchon geſchehen iſt, und dann ſind alle Gehirns - beſchaffenheiten, die unſere Seelenveraͤnderungen be - gleiten, materielle Jdeen.

Aber bey dieſem Erfahrungsſatze iſt noch eine Frage zuruͤck, die von großer Wichtigkeit ſeyn wuͤrde, wenn wir nur Data haͤtten, ſie zu entſcheiden. Jede Seelen - veraͤnderung wird von einer Gehirnsveraͤnderung beglei - tet, und umgekehrt; aber ſind wir verſichert, daß dieſe naͤmlichen Seelen - und Koͤrperveraͤnderungen einander beſtaͤndig begleiten, die einmal in Geſellſchaft geweſen ſind? Muß mit derſelbigen beſtimmten Seelenveraͤn - derung die naͤmliche Gehirnsveraͤnderung in allen Faͤllen verbunden ſeyn, die durch jene einmal veranlaſſet worden iſt, oder auch ſelbſt die Seelenveraͤnderung zuerſt veran - laſſet hat? Oder kann auch ſtatt dieſer eine andere vor - handen ſeyn? Diejenigen, welche ſich beſtaͤndig beglei - ten, ſind eigentlich nur harmoniſche, einander entſpre - chende und zugehoͤrige Veraͤnderungen.

Gewiſſe Vorſtellungen moͤgen vielleicht mehrere und verſchiedene Gehirnsbewegungen, und wiederum dieſelbigen Bewegungen im Gehirn, nach der Verſchie - denheit der Umſtaͤnde und der Lage der Phantaſie, bald dieſe bald jene Seelenveraͤnderungen bey ſich fuͤhren, ohne daß eben jede Veraͤnderung in einem Theile eine gewiſſe beſtimmte Veraͤnderung in dem andern begleite. Ein gewiſſer Hypochondriſt, den ich genau kenne, und der ſeine Krankheit oftmals dazu gebraucht, die ſonder - baren Wendungen der Einbildungskraft zu beobachten,empfand161im Menſchen. empfand einen Magenkrampf, ſo oft ihn etwas lebhaft ruͤhrte, die Urſachen ſeiner Leidenſchaft, die einzelnen Vorſtellungen und die beſondere Art der Ruͤhrung moch - ten ſeyn wie ſie wollten. Aber er empfand in jedem Fall eine ſolche Verbindung zwiſchen dem Krampf in dem Magen und der lebhaften Jdee in der Seele, daß er verſicherte, er wiſſe es aus eigner Empfindung recht anſchaulich, was jene Frau wohl moͤchte empfunden haben, welche von ſich ſagte, daß ſie es fuͤhle, wie der boͤſe Gedanke aus dem Magen in den Kopf hinauffteige. War die Vorſtellung lebhaft, ſo fuͤhlte er ſeinen Krampf; und regte ſich der Krampf von neuem, wenn er ſich der Jdee entſchlagen | hatte, ſo ward auch dieſe letztere wie - der erwecket. Die Vorſtellungen waren ſehr verſchie - den |in den verſchiedenen Faͤllen, aber in ſeinen Gefuͤh - len von den begleitenden Affektionen des Magens konnte er mit aller Aufmerkſamkeit nicht gewahrnehmen, daß ſie das eine Mal anders beſchaffen waͤren als die uͤbri - gen Male. Sollte nicht die Verbindung zwiſchen den Organsveraͤnderungen und den Seelenveraͤnderungen auf eine aͤhnliche Art nur ſo unbeſtimmt ſeyn, ſo wie ſie hier zwiſchen den Modifikationen in dem Kopfe und in dem Magen waren?

Das angefuͤhrte Beyſpiel ſoll es nur erlaͤutern, wor - uͤber hier noch Unterſuchungen anzuſtellen ſind, aber nicht zum Beweiſe gebraucht werden, wie es denn auch nichts beweiſen kann. Denn nicht zu erwaͤhnen, daß man es noch fuͤr moͤglich halten kann, daß die Em - pfindungen in dem Magen, welche das eine Mal einen Verdruß, das andere Mal ein lebhaftes Verlangen, und dann wieder eine vorzuͤgliche Freude begleitete, in dieſen verſchiedenen Umſtaͤnden wirklich auch ſelbſt ver - ſchiedene Gefuͤhle geweſen ſind, wenn gleich ihre Ver - ſchiedenheit dem Beobachter unbemerklich blieb: ſo wuͤr - de doch eine ſolche unbeſtimmte Verbindung zwiſchenII Theil. LKopfs -162XIII. Verſuch. Ueber das SeelenweſenKopfs - und Magensveraͤnderungen uns nicht berechti - gen zu ſchließen, daß die viel innigere Vereinigung zwiſchen Seelen - und Gehirnsveraͤnderungen nicht mehr beſtimmt ſeyn muͤſſe. Jndeſſen habe ich dieß nicht un - erinnert laſſen wollen, weil es Gelegenheit zu weitern Nachforſchungen geben kann. Denn man ſieht leicht ein, daß es ganz etwas anders iſt, wenn jedwede See - lenveraͤnderung nur uͤberhaupt von einer Gehirnsveraͤn - derung begleitet ſeyn darf, und wenn jedwede von jenen nur eine beſtimmte von dieſen, und jedwede von dieſen, nur eine beſtimmte von jenen neben ſich erfodert. Wenn man die Erfahrungen pruͤfet, die man fuͤr den obigen Allgemeinſatz anzufuͤhren pfleget, ſo wird man finden, daß eine große Anzahl von ihnen am Ende doch nichts mehr beweiſet, als daß uͤberhaupt eine Seelenveraͤnde - rung mit einer gewiſſen Gehirnsveraͤnderung vergeſell - ſchaftet ſey, ohne daß es daraus folge, daß die letztere immer eben dieſelbige ſeyn muͤſſe.

Es faͤllt von ſelbſt auf, und es wird ſich unten noch mehr zeigen, wie wichtig es fuͤr unſere Kenntniſſe von der Natur der Seele ſeyn wuͤrde, wenn es ſich naͤher ausmachen ließe, wie weit nur die eigentliche ſo genannte Harmonie ſich erſtrecke, und wie weit alſo von dem Daſeyn beſtimmter Seelenmodifikationen auf das Da - ſeyn beſtimmter Koͤrperbeſchaffenheiten, und umgekehrt, geſchloſſen werden koͤnne? Hr. Bonnet hat es ver - ſucht, daruͤber durch ein Raiſonnement zu entſcheiden, das ich unten zu pruͤfen mir vorbehalte.

So wie außer Zweifel iſt, daß, ſo oft ich dieß Buch, welches vor mir lieget, ſehen ſoll, auch auf der Netzhaut meines Auges daſſelbige Bild von dieſem Objekt vorhanden ſeyn muß, und auch umgekehrt, ſo oft dieß Bild auf meiner Netzhaut, die uͤbrigen Er - foderniſſe vorausgeſetzt, vorhanden iſt, auch in der Seele die naͤmliche Empfindung vorhanden iſt: ſo mußauch163im Menſchen. auch uͤberhaupt wohl zugeſtanden werden, daß jede be - ſondere Empfindungsvorſtellung in der Seele eine eigene ihr zugehoͤrige materielle Jdee im Gehirn er - fodere, ohne welche ſie nicht iſt, und mit der ſie zu - gleich iſt.

Wenn man noch weiter gehet, ſo kann man daſſel - bige auch wohl auf alle lebhafte Phantasmen ausdeh - nen, die den Empfindungen nahe kommen. Jede leb - hafte Erinnerung an ein geſehenes Ding, an einen Ton, den man gehoͤret hat, oder an jedes andere empfundene Objekt, erfodert, daß eine Gehirnsveraͤnderung in dem naͤmlichen innern Organ vorhanden ſey, das iſt, daß dieſelbige materielle Jdee wieder vorhanden ſey.

Aber wenn Vorſtellungen aus Einem Sinn an Vorſtellungen eines andern Sinnes genau aſſociiret ſind, und durch die letztern auf eine gleiche Art und in gleicher Schwaͤche wieder erweckt werden, wie wir die Gedan - ken bey dem Anblicke der Worte erneuern, womit ſie bezeichnet ſind: ſollte eine ſolche entfernte, mittelbare und ſchwache Wiedervorſtellung einer empfundenen Sache nicht in der Seele vorhanden ſeyn koͤnnen, ohne daß eben die erſte Gehirnsveraͤnderung, bey der die Vor - ſtellung entſtanden iſt, auch wieder gegenwaͤrtig ſey? Wenn alle Faſern, die das Organ des Gehirns auch in dem Jnnern des Gehirns ausmachen, herausgezo - gen oder unfaͤhig gemacht wuͤrden, ſinnlich veraͤndert zu werden: wuͤrde daraus folgen, daß zugleich die ganze Erinnerung der vorhin empfundenen Toͤne wegfallen muͤßte? Sollten die Gehoͤrsideen nicht den Vorſtel - lungen des Geſichts ſo innig einverleibet werden koͤnnen, daß es genug ſey, wenn nur die Fibern des Sehorgans und etwan auch ihre Nebenfaſern, durch welche ſie mit den Fibern des Gehoͤrwerkzeuges verbunden ſind, und die ſinnlichen Bewegungen auf die Gehoͤrsfibern fort - leiten, im Stande ſind, ihre gewoͤhnlichen Dienſte zuL 2thun?164XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenthun? Wenn es ſich ſo verhaͤlt, ſo wuͤrde es der ehema - ligen materiellen Jdeen fuͤr die Toͤne in den Faſern des Gehoͤrs nicht mehr beduͤrfen, und dennoch wuͤrden die Vorſtellungen von Toͤnen in der Seele vorhanden ſeyn koͤnnen.

Die Beobachtung verlaͤßt uns hier gaͤnzlich. Denn wenn gleich das aͤußere Sinnglied Schaden leidet, wenn Taubheit oder Blindheit entſtehet, und dennoch der Menſch ſich der ehemaligen Jmpreſſionen aufs Auge und Ohr erinnern kann: ſo laͤßt ſich, wie man wohl ſiehet, daraus nicht ſchließen, daß dieß Unvermoͤgen, ſinnlich beweget zu werden, ſich bis in die innern Theile des Organs in dem Gehirn erſtrecke, wo die dadurch erlangten materiellen Jdeen aufbewahret ſind, oder wo wenigſtens die ſinnlichen Bewegungen nothwendig ſind, welche die Phantaſien begleiten. Wir haben hier alſo keine entſcheidende Beobachtungen, und alſo nur die unſichere Analogie, die uns hieruͤber etwas lehren kann.

Auf der einen Seite iſt es wahrſcheinlich, daß etwas von der erſten materiellen Jdee eines Tons wieder erwecket werden muͤſſe, wenn die ihr zugehoͤrige Vor - ſtellung in der Seele vorhanden iſt. Die materiellen Geſichtsideen, die mit den materiellen Gehoͤrsideen ver - bunden ſind, wuͤrden doch allein fuͤr ſich nichts enthal - ten, was ſie zu materiellen Jdeen der Toͤne machte. Wenn alſo die Vorſtellungen von Toͤnen dennoch in der Seele in Geſellſchaft von jenen erneuert wuͤrden, ſo wuͤrde folgen, daß dieſe Gehoͤrsvorſtellungen in der Seele kei - ne ihnen insbeſondere entſprechende Organsveraͤnderun - gen bey ſich haben, welches unwahrſcheinlich iſt. Zum mindeſten muͤßte man doch annehmen, daß jenen ma - teriellen Jdeen des Geſichts etwas Charakteriſtiſches anklebe, was ihrer Verknuͤpfung mit den Vorſtellun - gen von Toͤnen entſpricht. Dieß iſt der ſonſt bekannten Analogie gemaͤß.

Hin -165im Menſchen.

Hingegen iſt es auch eben dieſer Analogie nicht zu - wider, wenn wir annehmen, daß nicht alle beſondere Arten materieller Jdeen zu den ihnen Anfangs zugehoͤ - rigen Jdeen in der Seele in gleichem Grade nothwen - dig ſind. Und da kann es alſo, um die Vorſtellung ei - nes Tons in Verbindung mit einer Geſichtsidee in der Seele zu haben, vielleicht genug ſeyn, daß die mate - rielle Jdee von dem Ton in dem innern Organ nicht weiter erneuert werde, als ich es vorher geſagt habe. Vielleicht iſt es genug, daß die aſſociirte Geſichtsidee allein vorhanden iſt, wenn ſie nur ſo vorhanden iſt, mit denſelbigen individuellen Beſchaffenheiten, wie ſie mit der materiellen Jdee von dem Ton vorher aſſociiret war, dergeſtalt etwan, daß die Bewegung oder Schwingung in den Geſichtsfaſern ſich auch zugleich in die Zwiſchen - faſern fortpflanze, wodurch die Geſichtsfibern und die Gehoͤrsfibern ſonſten verbunden ſind, und ſich einander zu ſinnlichen Bewegungen erwecken, ſo oft die Jdeen des einen Sinns die aſſociirten des andern Sinns wie - der hervorziehen. Wenn es ſich auf dieſe Art verhielte, ſo wuͤrde man doch ſagen koͤnnen, daß die Jdeen von Toͤnen in der Seele gegenwaͤrtig ſeyn koͤnnten, ob es gleich an den Oſcillationen in den Gehoͤrsfibern, welche das weſentlichſte Stuͤck der materiellen Jdeen von Toͤ - nen ausmachen, mangelte.

Hieraus wuͤrde alſo folgen, daß die Gegenwart der materiellen Jdeen in dem Gehirne, zu ihren Vorſtellun - gen in der Seele, nicht uͤberall in einem gleichen Grade nothwendig ſey. Dieß fuͤhret zu einer Mannichfaltig - keit in dem Mehr und Weniger, von dem wir wiſſen, daß die Natur ſie liebet, und dadurch wird ſie einiger - maßen wahrſcheinlich. Die Erfahrung iſt nicht dage - gen. Vielmehr laͤßt ſich aus dem, was wir bey der Aſſociation der Empfindungsideen aus den uͤbrigen Sinnen mit den Jdeen aus dem Geſicht antreffen, ei -L 3ne166XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenne Anzeige hernehmen, die ſolches beſtaͤtiget. Vielleicht iſt dieß eben das Mechaniſche in dem Gehirn, was der Einverleibung der Jdeen verſchiedener Sinne in ein - ander in der Seele entſpricht. *)Erſter Verſuch VIII. X. Fuͤnfter Verſuch VIII. XII. Es ſcheint ſo, als wenn das Organ des Geſichts am meiſten gebrauchet wird, wenn der Verſtand arbeitet, und zwar auch als - denn, wenn wir uns mit Gegenſtaͤnden beſchaͤfftigen, die nicht ſichtbar ſind. Dieß laͤßt ſich auch an dem aͤußern Theile deſſelben, an den aͤußern Augen und den herumliegenden Gefaͤßen gewahrnehmen, welche auf - laufen, wenn wir nachdenken. Vielleicht hat dieſe Be - merkung die alte Meinung veranlaſſet, daß der Ver - ſtand in dem Vordertheil des Kopfes ſitze. Wenn man annimmt, daß die Aſſociation faſt aller Vorſtellungen mit den Geſichtsideen nun auch die Folge habe, daß die Gegenwart der Gedanken in der Seele am meiſten und faſt allein nur ſinnliche Bewegungen in den Faſern des Geſichtswerkzeuges erfodere, und daß die Schwin - gungen oder materiellen Jdeen in dieſem die Stelle der uͤbrigen zum Theil vertreten koͤnne, ſo haben wir we - nigſtens einen naͤhern Grund, die erwaͤhnten Bemer - kungen zu erklaͤren.

Jndeſſen bitte ich, zu glauben, daß ich dieſe letzte Anmerkung fuͤr nichts mehr angeſehen haben wolle, als fuͤr das, was ſie nur iſt, naͤmlich fuͤr einen Wink zu neuen Vermuthungen, und, wenns ſeyn kann, zu neuen Unterſuchungen.

Jch habe es mehrmalen erklaͤrt, daß dasjenige, was wir von der Natur der materiellen Jdee wiſſen, nach meiner Ueberzeugung beynahe ſo viel, als nichts, heiſ - ſe. Da es Modifikationen und Beſchaffenheiten eines Koͤrpers ſind, ſo koͤnnen wir zwar ſchließen, daß jede Gehirnsveraͤnderung aus einer Bewegung entſtehe, unddie167im Menſchen. die ruhende, materielle Jdee, die von einer Empfindung zuruͤckgeblieben iſt, entweder ebenfalls in einer Bewe - gung oder doch in einer gewiſſen neuen Lage der Theile, oder in einem Zuſatz oder in einer Entziehung gewiſſer Partikeln, oder in dem einen und dem andern zugleich, beſtehe; aber dieß alles iſt nur etwas allgemeines und unbeſtimmtes. Die Erfahrung hat gelehrt, daß es Nerven ſind, welche die weſentlichen Theile unſerer Em - pfindungswerkzeuge ausmachen. Daraus iſt es wahr - ſcheinlich, daß die innern Organe aus Nerven beſtehen, und vermuthlich iſt es, daß außer dem Theile der Ner - ven, den wir als einen feſten Theil anſehen, weil der Zuſammenhang ſeiner Partikeln ihn von fluͤſſigen Din - gen unterſcheiden laͤſſet, ſo weich ſie ſonſten auch ſind, noch wol ein anderes fluͤßiges Weſen in ihnen vorhan - den ſey, das man Nervenſaft und Lebensgeiſter und Aether genennet hat, und daß dieſe Materie an ihren ſinnlichen Bewegungen und Schwingungen Antheil ha - be. Aber was iſt dieß fuͤr eine Materie? und was ſind es fuͤr Bewegungen, die ſie annimmt? nach welchen Geſetzen erfolgen ſie? nach den Geſetzen elaſtiſcher Koͤr - per, des Aethers? Sind es Schwingungen? Wallun - gen? Elektriſche Bewegungen? Es rathe, wer da wolle.

Aber was indeſſen die Gehirnsveraͤnderungen oder materielle Jdeen auch ſind, ſo laͤßt ſich doch ſo viel noch hinzuſetzen, daß ſie etwas Mannigfaltiges in ſich ent - halten, und in einer analogiſchen Beziehung ſowohl auf die aͤußern Objekte ſtehen, von denen die ſinnlichen Eindruͤcke herruͤhren, als auch auf die aͤußern Eindruͤ - cke, die auf die aͤußern Theile der Organe gemacht wer - den, und auch uͤberdieß mit den Seelenveraͤnderungen ſelbſt in Verhaͤltniß ſtehen. Denn ſo wie die rothe Farbe nicht die blaue Farbe in den Koͤrpern ſelbſt iſt, und der Eindruck auf die Augen, ingleichen das BildL 4auf168XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenauf der Netzhaut von der rothen nicht einerley mit dem Bild von der blauen iſt, ſo koͤnnen die ihnen zugehoͤri - gen innern Gehirnsveraͤnderungen, die Fiberſchwingun - gen, und die von ihnen zuruͤckgebliebenen, ruhenden, ma - teriellen Jdeen, nicht von beiden die naͤmlichen ſeyn. So ſind auch die ganzen Empfindungen nicht einerley, und alſo auch die Beſtimmungen und Modifikationen der Seele nicht. Die materiellen Jdeen ſind alſo einerley und verſchieden, wie die Objekte außer uns und die Seelenveraͤnderungen in uns es ſind, und das Mannich - faltige in jenen beziehet ſich auf eine aͤhnliche Art auf einander, wie das Mannichfaltige in den Zeichen und Bildern auf das Mannichfaltige in den abgebildeten Sa - chen. Wenn man will, ſo kann man die materiellen Jdeen dieſer Analogie wegen Bilder der Gegenſtaͤnde nennen.

Aber man wuͤrde viel zu voreilig ſchließen, wenn man aus dieſer allgemeinen Analogie folgern wollte, daß ſie in der Maße Bilder der Objekte ſeyn muͤßten, wie die bekannten Bilder auf der Netzhaut im Auge es ſind. So haben einige ſie ſinnreich gnug uns beſchrieben. Solche Gehirnsveraͤnderungen, wie die materiellen Jdeen ſind, koͤnnen vielleicht nicht mehr Bilder ſeyn, als der helle Fleck, den man auf einem Papier ſiehet, wenn man die durch ein erhabenes Glas fallenden Licht - ſtrahlen, nicht an dem Ort des Bildes, ſondern naͤher an dem Glaſe, oder weiter von ihm ab auffaͤngt, ein Bild des Gegenſtandes iſt. Das verwirrte Licht auf dieſer Stelle hat zwar ſeine analogiſche Beziehung ſo wohl auf das Objekt vor dem Glaſe, von dem es ausge - het, als auf das Bild in dem Vereinigungsort hinter dem Glaſe, wo die von den einzelnen Punkten ausge - henden Strahlen wieder in beſondere Punkte vereiniget werden. Dennoch ſiehet man auf der erwaͤhnten hellen Stelle nichts, dem man den Namen des Bildes bey -legen169im Menſchen. legen wuͤrde, weil die Strahlen nicht wiederum in be - ſondere Punkte vereiniget ſind. Koͤnnte nicht auf eine aͤhnliche Art der Ort des Bildes in der Seele ſelbſt ſeyn, und in dem Gehirn etwan nichts mehr als die Strahlen, die zwar ihre gewiſſen Lagen und Richtun - gen haben, aber unauseinandergeſetzt nur durchfahren? Wo wuͤrde in dieſem Fall das Bildliche in der materiel - len Jdee ſeyn, und wie viel wuͤrde es ſeyn außer der all - gemeinen Analogie, die zwiſchen jeder Urſache und ih - rer Wirkung, zwiſchen der Sache und ihren Zeichen vorhanden iſt? Nur allein durch dieſe Analogie ſind die ſogenannten materiellen Jdeen Jdeen, wie es die Vorſtellungen uͤberhaupt ſind. *)Erſter Verſuch. X. XI.

2.

Aus den beiden angefuͤhrten Grundſaͤtzen von der Natur der Seele folget, wenn wir den zweeten hier ſchon fuͤr eben ſo gewiß anſehen, als den erſtern, daß man auf die Frage: Was iſt das Jch, welches empfindet, denket, will? zunaͤchſt nichts anders antworten koͤnne, als dieß: es iſt ein Menſch, das empfindende, den - kende und wollende Ganze, das beſeelte Gehirn. Es iſt weder das Gehirn allein, noch das unkoͤrperliche Weſen allein, was wir fuͤhlen und uns vorſtellen, wenn wir unſer Jch fuͤhlen und uns uns ſelbſt vorſtellen. Man kann auf die Frage, welches iſt das den Ton her - vorbringende Ding? nicht antworten, daß es der Spieler allein ſey, noch daß es das Jnſtrument allein ſey. Aber der Spieler iſt thaͤtig und wirket auf die Saiten des Jnſtruments, und dieſe wirken auf die Luft, und bringen eine zitternde Bewegung hervor, die unſer Ohr empfaͤngt, die wir empfinden, und den Schall nennen. Auf gleiche Art iſt dasjenige, was in der Seele vorgehet, mit dem, was in| dem Organ vor -L 5gehet,170XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſengehet, zuſammen genommen, das Empfinden, das Denken, das Wollen.

Die Vereinigung dieſer beiden Theile mit einander iſt ſo innig, daß jedes Gleichniß, welches man von an - dern bekannten Arten von Vereinigungen hernimmt, um jene zu erlaͤutern, etwas unanpaſſendes hat. Die Or - gel ſpielet nicht von ſelbſt, und reißt den Finger des Spielers nicht zu den zugehoͤrigen Bewegungen mit ſich fort. Aber die Seelenmaſchine geraͤth oft durch aͤußere Urſachen in Bewegungen, welche das Jch gerne nicht fuͤhlen und unterdruͤcken moͤchte, aber es nicht kann. Sollte auch das, was in dem Denken vorge - het, nur allein aus dieſem Grunde dem Jch zugeſchrie - ben werden, weil die Bewegung des Denkorgans doch von der Wirkſamkeit des Jchs abhaͤnget, von dieſem hervorgebracht, modificirt und unterhalten wird, ſo muͤßte man es auch alsdenn dem |Gehirn zuſchreiben, wenn dieſes die erſte Urſache iſt, von der die Thaͤtigkeit des Jchs abhaͤnget, die das Jch in Aktion ſetzet, und die Veraͤnderungen in demſelben beſtimmet. Es muß alſo noch ein anderer Grund vorhanden ſeyn, der uns berechtigen kann, unſer Jch fuͤr das eigentlich fuͤh - lende und denkende Weſen zu halten, und das Ge - hirn fuͤr ein Jnſtrument deſſelben, nicht aber umge - kehrt unſer Jch fuͤr ein Jnſtrument des Gehirns, wo - fern wir anders wirklich zu dieſer Vorſtellungsart einen wahren Grund aus unſern Beobachtungen haben koͤnnen.

Noch weiter, wenn ich mich ſelbſt und meine Aktio - nen fuͤhle, was iſt alsdenn das Objekt meines Ge - fuͤhls? Die reine Beobachtung kann, wie geſagt, nichts anders antworten, als es ſey das Jch, was ich fuͤhle, das fuͤhlende, denkende und wollende Ganze, das aus einem Koͤrper und aus einer einfachen Seele beſtehet, die eingekoͤrperte Seele, oder wie mans nennenwill171im Menſchen. will, das beſeelte Organ. Jndem ich mich ſelbſt in meinen Wirkungen fuͤhle, empfinde ich etwas, das in mir, dem Menſchen, iſt, und ich ſelbſt, der ichs fuͤhle, bin ein Menſch. Mehr lehret die Beobachtung unmit - telbar nicht.

Stellen wir uns das Fuͤhlen und Empfinden ſo vor, wie es die Erfahrungen wenigſtens erlauben, als eine Reaktion der Seele auf eine Gehirnsveraͤnde - rung, ſo laͤſſet ſich die Art und Weiſe, wie das Selbſt - gefuͤhl ſich aͤußert, noch etwas beſtimmter angeben. Ein jedes Gefuͤhl iſt naͤmlich ein Aktus der modificirten Seele, mit dem ſie gegen eine Gehirnsveraͤnderung thaͤtig iſt. Sie kann dies nun zwar nicht ſeyn, ohne ſich ſelbſt zu veraͤndern, indem ſie zur Reaktion uͤber - gehet, und dadurch ihren eigenen Zuſtand veraͤndert; aber eigentlich iſt doch das naͤchſte Objekt, auf welches ſie zuruͤckwirket, das Gehirn und die materielle Jdee in denſelben. Nehmen wir die Vorſtellungsart als die wahre an, ſo kann die Seele ſich ſelbſt und ihre Aktio - nen nur auf eine aͤhnliche Art in dem Gehirn empfin - den, wie das beſeelte Auge ſich ſelbſt durch ein reflectir - tes Licht im Spiegel ſehen kann. Jeder Aktus der der Seele hat eine Wirkung im Gehirn nachgelaſſen, und auch vielleicht in dem Jch oder in der Seele ſelbſt, von der ich hier vorausſetze, daß ſie ein eigenes von dem, was wir unter Organ und Gehirn uns vorſtel - len, verſchiedenes Weſen ſey. Soll ich aber nun einen ſolchen Aktus fuͤhlen, ſo muß eine Reaktion der Seele auf jene bleibende Folgen deſſelben im Gehirn vor ſich gehen. Das heißt, die Seele muß ſich fuͤhlen und ſe - hen in dem Gehirn; da iſt ihr Spiegel, da ſtehen die Wirkungen und Folgen ihrer Thaͤtigkeit abgedruckt, die naͤmlich, auf welche ſie zuruͤckwirken, die ſie fuͤhlen und gewahrnehmen kann.

Jch172XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen

Jch habe geſagt, die Seele ſehe ſich ſelbſt auf eine aͤhnliche Art, wie das Auge ſich im Spiegel ſieht; aber wenn das beſeelte Auge ſich ſelbſt ſiehet, ſo iſt es doch unmittelbar nur die aͤußere Flaͤche des Auges, die man nun fuͤr den naͤchſten Gegenſtand des Geſichts an - nehmen kann; und der Gedanke, daß die Sache, oder das Objekt, das ich ſehe, das beſeelte Auge eines le - benden Weſens iſt, entſteht durch ein Raiſonnement, wobey wir durch die Kunſt des Malers hintergangen werden koͤnnen. Folglich ſiehet das beſeelte Auge nie - mals ſich ſelbſt weiter, als an ſeiner aͤußerlichen Flaͤche und an ſeinen Bewegungen, aber nicht inſofern es be - ſeelt iſt. Soll alſo die Seele, die ſich ſelbſt fuͤhlt, auf eine aͤhnliche Art nur das Gehirn fuͤhlen, ſo muß es bloß eine Wirkung des Raiſonnements ſeyn, daß ſie ſich ſelbſt zu fuͤhlen glaubt, da ſie nichts weiter als die aͤuſ - ſern Abdruͤcke ihrer Thaͤtigkeiten aufs Gehirn unmittel - telbar vor ſich hat. So verhaͤlt es ſich auch wirklich. Denn wenn wir unſer Jch als das Objekt unſers Ge - ſichts anſehen, ſo iſt außer dem bloßen Gefuͤhl auch ein Gedanke da, der außer dem ſimpeln Aktus des Ge - fuͤhls auch einen Aktus der eigentlichen Denkkraft erfo - dert, jene Abdruͤcke im Gehirn als Wirkungen auf die Seele, als ihre Urſache, beziehet, und dadurch dieſe in jenen und durch jene erkennt. *)Vierter Verſuch. III.

Wenn wir die Ruͤckwirkung der Seele auf das mo - dificirte Gehirn als das weſentliche Stuͤck in dem Aktus des Fuͤhlens anſehen, woran wir eben nicht Unrecht ha - ben, ſo koͤnnen wir zwar nun das Gefuͤhl, inſofern es in dieſem zuruͤckwirkenden Aktus beſtehet, der Seele al - lein mit Ausſchließung des Gehirns zuſchreiben, und das modificirte Gehirn als den gefuͤhlten Gegenſtand anſe - hen. Und in dieſem Verſtande iſt es weder das Ge -hirn173im Menſchen. hirn, welches fuͤhlet, noch das Ganze aus der Seele und dem Gehirn zuſammengeſetzt, ſondern die Seele oder das Jch iſt es allein. Aber wir nehmen als - denn auch unter der Benennung von Fuͤhlen nicht al - les zufammen, was ſelbſt nach dieſer Vorſtellung wirk - lich vorhanden iſt. Die Ruͤckwirkung der Seele auf das Gehirn ſetzet nicht nur eine gewiſſe Modification in dem Gehirn, ſondern auch eine Aktion des Gehirns auf die Seele voraus, welche ſo lange beſtehen muß, als die Reaktion der Seele dauert, und eben ſo unentbehr - lich iſt, als die letztere, wovon ein Gefuͤhlsaktus ent - ſtehen ſoll. Folglich iſt das Ganze, was alsdenn wirk - lich in uns vorgehet, etwas in der Seele und in dem Gehirn zugleich; und man muß wiederum ſagen, es ſey der Menſch oder das Seelenweſen, welches fuͤhler, das iſt, was in dem Aktus des Fuͤhlens wirkſam iſt.

Aber was das unmittelbare Objekt des Gefuͤhls be - trifft, das wir vor uns haben, wenn wir fuͤhlen, ſo iſt ſolches zwar eine Gehirnsbeſchaffenheit, allein dieſe iſt mit einer harmoniſchen Beſchaffenheit der Seele verge - ſellſchafftet, ohne welche ſie nicht beſtehen wuͤrde. Es iſt das beſeelte Auge, nicht blos ein todes oder ein gemaltes, welches von ſich ſelbſt im Spiegel geſehen wird. Das ganze wirkliche Objekt, was gefuͤhlet wird, iſt alſo eine Seelenbeſchaffenheit und Gehirnsbeſchaffen - heit zugleich; oder es iſt der Menſch, der von dem Menſchen gefuͤhlet wird.

Daraus aber, daß die Seele ſich auf eine aͤhnliche Art fuͤhlen ſoll, wie das Auge ſich im Spiegel ſiehet, wird man keine nachtheilige Folge gegen die Zuverlaͤſ - ſigkeit des Gefuͤhls, oder eigentlich gegen die Zuverlaͤſ - ſigkeit des aus dem Gefuͤhl entſtehenden Gedankens, daß es das Jch ſey, welches von ſich ſelbſt gefuͤhlet wird, herleiten. Es kann freylich ein ſolcher Gefuͤhls - gedanke unrichtig ſeyn, und iſt es vielleicht oftmals,wenn174XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenwenn wir etwas in uns ſelbſt als gegenwaͤrtig empfin - den, was doch nicht da iſt. Aber ſollte wohl die Schoͤ - ne, die ſich beſpiegelt, zweifelhaft daruͤber ſeyn duͤrfen, ob es auch ihr beſeeltes Auge ſey, was ſie jetzo ſiehet? Obgleich ein fremdes und ein gemaltes Auge denſelbi - gen Schein erregen kann, und wir es auch an den kleinen Kindern ſehen, daß ſie Anfangs ſo wenig als ein Be - wohner des Feuerlandes wiſſen, was ſie aus dem Bil - de im Spiegel machen ſollen, wenn ſie ſich ſelbſt darin - nen ſehen: ſo zeigen doch dieſe Erfahrungen nichts mehr, als daß die Reflexion der Seele uͤber ſich ſelbſt und ins - beſondere der Gedanke, das bin ich, und das iſt in mir, und geht in mir vor, ebenfalls zu den Wirkungen der Denkkraft gehoͤre, wozu dieſe ſich nur nach und nach entwickelt, und daß eine ſorgfaͤltige Beobachtung ſeiner ſelbſt vorausſetze, daß man ſchon aus der Kindheit her - aus ſey. Aber wer wird darum das ſtarke Selbſtge - fuͤhl in Zweifel ziehen?

Auf dieſen Umſtand, daß die Seele ſich ſelbſt, wie das Auge im Spiegel, beſchauen koͤnne, muͤſſen die Phi - loſophen nicht zuruͤckſehen, welche der Seele alle Er - kenntniß von ſich ſelbſt und von ihrer Natur aus dem Grunde abſprechen, weil ſie niemals ſich ſelbſt, ſondern wie das Auge des Koͤrpers, nur aͤußere und fremde Ge - genſtaͤnde empfinden koͤnne. Mich deucht, das Auge ſehe ſich ſelbſt mit zuruͤckfallendem Licht ſo gut, als es jedes andere Objekt mit gerade auffallendem ſehen kann. Und ſo verhaͤlt ſichs auch bey der Seele. Hierinn kann alſo kein allgemeiner Grund liegen, der Erkennt - niß von der Seele eine weſentliche Dunkelheit zuzuſchrei - ben, die bey unſerer Kenntniß von koͤrverlichen Dingen nicht angetroffen werden ſollte. Wir kennen die Koͤr - per und ihre Kraͤfte eben ſo wenig und unmittelbar als die Seele, und erhalten von ihnen eben ſo, wie von uns ſelbſt, nur Jdeen aus ihren Eindruͤcken und Wir -kungen175im Menſchen. kungen auf uns. Eingeſchraͤnkter, unentwickelter, mehr in einander laufend und verwickelter kann die eine Gat - tung von Vorſtellungen und Kenntniſſen vor der andern wohl ſeyn, und doch muß auch hierbey auf manche Be - dingungen Ruͤckſicht genommen werden, wenn die Ver - gleichung richtig gemacht werden ſoll; aber die Gattung macht nicht mehr noch minder eine Erkenntniß aus, das heißt, ſie iſt nicht mehr noch minder eine Seelenbeſchaf - fenheit, die ſich auf ihre Objekte analogiſch beziehet, und die wir unterſcheiden und bemerken, als die andere.

IV. Von der Jmmaterialitaͤt unſers Jchs.

  • 1) Ueber den Begriff von der Jmmateriali - taͤt der Seele, und von einer ſubſtantiel - len Einheit.
  • 2) Ob in der ſubſtantiellen Einheit eine Vielfachheit von Beſchaffenheiten ſeyn koͤnne? und inwiefern ihr eine ideel - le Ausdehnung zukommen koͤnne?
  • 3) Wie weit zunaͤchſt aus der beobachteten Einheit des Jchs auf die ſubſtantielle Einheit der Seele gefolgert werden koͤnne?
  • 4) Jn wie weit die Seelenaktus nur kollekti - ve ſolche Aktus ſeyn koͤnnen. Die kollekti - ven Kraͤfte und Wirkungen ſetzen eine ſubſtantielle Einheit voraus, in der die Kollektion geſchieht, und in Hinſicht auf welche ſie nur ſolche Kraͤfte und Wirkungen ſind, als ſie ſind.
  • 5) Es iſt ein Unterſchied zwiſchen bloß kollek -tiven176XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſentiven Kraͤften und Wirkungen, und zwi - ſchen abſoluten Kraͤften und | Wirkungen eines Dinges, die von ſeiner Verbindung mit andern abhangen.
  • 6) Die naͤchſte Folge aus dem Vorhergehen - den iſt, daß, wenn unſer Jch aus meh - rern ſubſtantiellen Einheiten beſtehet, de - ren Kraͤfte und Aeußerungen, einzeln ge - nommen, von den Seelenaͤußerungen ver - ſchieden ſind, ſo muͤſſen jene Kraftaͤuße - rungen in jedweden einfachen Theil des Ganzen zuſammenlaufen, oder doch in Ei - nen von dieſen Theilen.
  • 7) Ob dieß nicht ſo viel heiße, als: jedweder Theil dieſes Ganzen muͤſſe ein fuͤhlendes, denkendes und wollendes Jch ſeyn; oder nur Einer dieſer Theile muͤſſe es ſeyn?
  • 8) Beſchluß dieſer Betrachtung. Das bis - her Bewieſene fuͤhret nicht weiter als auf eine Vorſtellung, die zwiſchen die gewoͤhn - liche Vorſtellung der Jmmaterialiſten und der Materialiſten faͤllt.

1.

Der zweete Grundſatz, ohne den man ſogleich die wei - tere Unterſuchung uͤber die Natur des Seelenwe - ſens abbrechen muß, beſteht darinn, daß außer dem koͤrperlichen Antheil deſſelben ein immaterielles We - ſen mit jenem verbunden ſey, und daß dieß letztere ei - gentlich unſer Jch ausmache. Man mag ſich die Art und Weiſe, wie dieß Jch mit dem materiellen Organ ver - einiget iſt, vorſtellen, wie man will, es ſich wie eine un -koͤrper -177im Menſchen. koͤrperliche Kraft vorbilden, die das Gehirn durchdrin - get, oder wie ein Weſen, das ſeine eigene Stelle haben muß, wo es von den koͤrperlichen Werkzeugen umgeben iſt, und auf dieſe unmittelbar durch eine Art von Be - ruͤhrung wirken kann. Jm Anfange der Unterſuchung iſt hieran nichts gelegen, wenn nur das Daſeyn eines ſolchen immateriellen Weſens beſtaͤtiget iſt. Jſt aber dieß nicht, ſo faͤllt die neuere mechaniſche Pſycholo - gie ſo gut dahin, als die alte intellektuelle, und wenn alsdenn nichts mehr als die koͤrperliche Organiſation des Materialiſten uͤbrig bliebe, ſo muͤßte man wenig mit der Beſchaffenheit unſerer bisherigen Kenntniſſe von organiſirten Weſen bekannt ſeyn, wenn man ſichs auch nur als moͤglich vorſtellen wollte, daß die Philo - ſophen uͤber die innere Beſchaffenheit unſers organiſirten Seelenweſens etwas mehr als dichten und traͤumen koͤnnten. Man mag immerhin ſagen, daß die Lehre von der Jmmaterilaitaͤt der Seele wenig praktiſche Folgen fuͤr unſere Hoffnung auf die Zukunft habe, die mit dem entgegengeſetzten Materialiſmus nicht auch ver - bunden werden koͤnnten. Jn einem gewiſſen Verſtande, nur nicht gaͤnzlich, kann dieſes eingeſtanden werden; aber hier iſt die Frage von einem theoretiſchen Grund - ſatz, von dem wenigſtens ſehr vieles in der Erkenntniß abhaͤngt, und mit dem viele pſychologiſche Raiſonne - ments wegfallen muͤſſen. Mich deucht, allein in die - ſer Hinſicht ſey die Jmmaterialitaͤt unſers Jchs der ſcharfſinnigen Bemuͤhungen werth, die darauf verwen - det worden ſind. Und wenn es auf der einen Seite ab - ſchrecken kann, daß ſo viele von den Verſuchen, ſie zu beweiſen und ins Helle zu bringen, vergeblich geweſen ſind: ſo iſt es auch auf der andern Seite ein beſonderes Phaͤnomen, daß ſowol die Beobachter als die freyeſten und ſtaͤrkſten Raiſonneurs auf die Jdee eines einfachen Jchs gekommen ſind, und ſich von ſeiner Wahrheit,II Theil. Mjene178XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenjene durch ihr feines Gefuͤhl, dieſe durch ihre entwickel - ten Demonſtrationen, uͤberzeugt gehalten haben. So lange der Materialiſt das Spiel der Bilder in der Phan - taſie aus dem Mechaniſmus der Gehirnfaſern erklaͤrt, ſcheint es, es laſſen ſich ſeine Erklaͤrungen wol hoͤren; aber ſobald das Gefuͤhl von unſerm Jch, das klare Be - wußtſeyn unſer ſelbſt, unſers innern Wohls und Wehs, unſers Denkens und Wollens und unſerer Freyheit wie - der lebhaft wird, ſo draͤnget ſich uns auch wiederum der Gedanke auf: dieß ſey doch mehr als ein Spiel der Faſern, mehr als ein Zittern vom Aether und als Gehirnsbewe - gungen, was dahinter ſtecke. Mein Jch iſt ein Eins, nicht ein Haufen von mehrern Dingen. Vielleicht giebt es hier einen richtigen Weg von dem Gefuͤhl zu dem Schlußſatz, und vielleicht mehr als Einen, den der Verſtand inſtinkt - maͤßig findet, aber nicht ſo auf hellen kann, daß er ſelbſt den ganzen Gang ſeiner Reflexionen in ihrer Verbin - dung deutlich und entwickelt ſich darſtellen koͤnne.

Die erſte Vorſtellung, die wir aus dem Selbſtge - fuͤhl von einem Weſen uns machen, welches fuͤhlen, denken, ſich bewußt ſeyn und wollen kann, iſt ſo ganz heterogen von dem Begriff, den wir uns von der Ma - terie und dem Koͤrper aus unſern aͤußern Empfindun - gen abſtrahiren, und beyde ſind ſo unvergleichbar mit einander, daß wir nothwendig Anfangs dieſe beiden Ar - ten von Weſen als ganz verſchiedene Weſen uns vorzu - ſtellen genoͤthigt ſind. Der Koͤrper leidet, nimmt auf, wird modificirt, bewegt und wirkt zuruͤck; aber keine Spur vom Gefuͤhl, von Apperception, Vergnuͤgen und Verdruß, vom Wollen, vom Selbſtbeſtimmen liegt in allen Eindruͤcken, die wir von ihm erhalten. Dieſe erſte leichte Bemerkung fuͤhrt zugleich zu einer Folge - rung, die nicht unerheblich iſt. Geſetzt, daß es den Philoſophen nicht gelingen ſollte, es voͤllig evident zu machen, daß die Thaͤtigkeiten der Seele durchaus kei -ne179im Menſchen. ne Aktionen von Dingen ſeyn koͤnnten, die ſo wie Koͤr - per aus andern einfachen Subſtanzen vereiniget ſind: ſo muͤſſen dagegen die Verſuche der Materialiſten noch un - gluͤcklicher ablaufen, wenn dieſe Denken, Empfinden und Sichſelbſtbeſtimmen in Wirkungen koͤrperlicher Be - wegungen aufzuloͤſen bemuͤhet ſind. Eben dieſes iſt auch bis hieher durch den Erfolg beſtaͤtiget worden. Denn dasjenige, was bisher zu der Abſicht geſagt iſt, um Gefuͤhl und Bewußtſeyn aus koͤrperlicher Organiſa - tion begreiflich zu machen, iſt ſo unbedeutend, daß es kaum der Aufmerkſamkeit werth iſt. Daher auch die Scharfſichtigſten unter den Materialiſten ſich lieber an den aͤußern Gruͤnden halten, deren ganze Kraft, wenn ſie ſolche beſaͤßen, darinn beſtehen wuͤrde, daß bloß ge - zeiget wuͤrde, die Seele ſey koͤrperlich, ohne es begreif - lich zu machen, wie ſie es ſey. Man beruft ſich, z. B. auf die Analogie der Natur; dieſe ſoll es unwahr - ſcheinlich machen, daß ein Weſen, wie der Menſch, aus zwo Gattungen von heterogenen Weſen zuſammenge - ſetzt ſey; und auf gewiſſe aͤußere Zufaͤlle der Seele, die Beweiſe ihrer Abhaͤngigkeit von dem Koͤrper ſind. Was jene betrifft, ſo ſcheint ein Mißverſtand zum Grunde zu liegen, und wenn dieſer gehoben wird, ſo kann die Ana - logie mehr gebraucht werden, die Jmmaterialitaͤt der Seele zu beſtaͤtigen, als ſie zu beſtreiten, wie ich ſchon anderſwo erinnert habe. Die uͤbrigen Phaͤnomene be - weiſen am Ende weiter nichts, als daß die Seele ohne Koͤrper ſich ſo wenig als Seele beweiſen koͤnne, als ein Virtuoſe ohne Jnſtrument ſich als einen Spieler zeigen kann; oder doch nur, daß bey organiſirten Koͤrpern auch Bewegungen ohne Seelenkraͤfte ſich zeigen, dergleichen die von der Reizbarkeit abhangenden Zuſammenziehun - gen ſind, die wir nicht kennen, und die denen, welche in unſerm beſeelten Koͤrper angetroffen werden, und in dieſem von dem Beſtreben der Seele abhangen, von außen und in einem gewiſſen Grade aͤhnlich ſind.

M 2Es180XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen

Es iſt alſo, die Sache in ihrer Beziehung auf die Natur unſerer Kenntniſſe betrachtet, nicht abzuſehen, wie die Vernunft zu irgend einer feſten Entſcheidung hieruͤber gelangen koͤnne, wofern nicht den Jmmateria - liſten endlich der oft verſuchte Beweis gelinget, daß ein ſolches Weſen wie unſer Jch iſt, unmoͤglich zuſammen - geſetzt und materiell ſeyn koͤnne. Denn das Gegentheil, welches Lock bloß nicht fuͤr ganz unmoͤglich hielt, daß Gott der Materie eine Kraft zu denken beylegen koͤnne, liegt ſo weit von den bisherigen Graͤnzen unſerer Er - kenntniß, wie ich wenigſtens meine, entfernt, daß, im Fall es auch eine Wahrheit enthaͤlt, doch zur Zeit kein Anſchein vorhanden iſt, wie dieſe in den Umfang un - ſerer gewiſſen Kenntniſſe hineingebracht werden koͤnne. Alles wird in Moͤglichkeiten, Vermuthungen und hoͤch - ſtens in Wahrſcheinlichkeiten beſtehen muͤſſen, wofern nicht die Vertheidiger der Jmmaterialitaͤt auf ihrer Sei - te ſich endlich zur Evidenz durcharbeiten. Und da auf dieſer Seite die Hoffnung am ſtaͤrkſten iſt, ſo will ich es verſuchen, eine Hand mit anzulegen, indem es zu mei - ner gegenwaͤrtigen Abſicht eigentlich gehoͤret, das zuſam - men zu ſuchen, was uͤber die Natur unſers Seelenwe - ſens ſich mit einiger Gewißheit feſtſetzen laͤßt. Man wird es alſo fuͤr keine Ausſchweifung halten, wenn ich hier meine Gedanken ſo weit herſetze, als ich glaube, daß man feſte Ueberzeugung erlangen koͤnne. *)Die vornehmſten der bisher fuͤr die Unkoͤrperlich - keit der Seele gefuͤhrten Beweiſe hat Hr. Hennings in ſeiner Geſchichte der Seele beurtheilet. Dieß iſt mit vielem metaphyſiſchen Scharfſinne geſchehen; aber doch ließen ſich manche Einwuͤrfe gegen dieſe oder jene Beweiſe aus den Beweiſen ſelbſt heben. Was das eigne Raiſonnement des Hrn. Hennings aus der Willkuͤr betrifft, ſo iſt es wohl außer Zwei - fel, daß in dieſem Vermoͤgen der Seele ſowohl, als in denuͤbri -

Aber181im Menſchen.

Aber es iſt eine Hauptſache, daß man zum Vor - aus ſich wohl bedenke, was man hier eigentlich unter der Jdee eines immateriellen Weſens ſich vorzuſtel - len habe, dergleichen die Seele ſeyn ſoll. Hr. Prieſt - ley ſcheint ſich daran zu ſtoßen, daß Seele und Koͤrper ſo ſchlechterdings ungleichartige Weſen ſeyn ſollen, da - von das Eine Beſchaffenheiten beſitze, die den Be - ſchaffenheiten des andern gerade entgegengeſetzt ſind, und haͤlt es darum fuͤr unwahrſcheinlich, daß der Menſch aus ſo heterogenen Theilen beſtehe. Nun iſt es zwar wahr, daß immateriell und materiell nach dem Sinn der Jmmaterialiſten als ſolche einander entgegengeſtellet werden; aber wenn Hr. Prieſtley Leibnitzen und Wolfen ſtudieret haͤtte, ſo wuͤrde er gefunden haben, daß, nach der Meinung mancher Phi - loſophen, jene Heterogeneitaͤt nur ſo weit gehe, als die Verſchiedenheit zwiſchen Einem Dinge und zwiſchen einem Haufen von mehrern, die mit einander vereinigt ſind. Die Seele iſt nur Ein fuͤr ſich be - ſtehendes Ding, Eine Kraft; der Koͤrper iſt ein aus mehrern Einheiten beſtehendes Ganzes, deſſen Theile mit einander dem Ort nach vereiniget ſind; und Ma - terie iſt das Aggregat, oder die Menge ſolcher einfachen Subſtanzen, wenn man ihre beſtimmte Vereinigung zuM 3Einem*)uͤbrigen, der Charakter ihrer immateriellen Natur durchſcheinen werde. Aber um dieß deutlich zu ſehen, wuͤrde wol ein mehr entwickelter Begriff von der Spon - taneitaͤt erfodert werden, als Herr Hennings vorausſe - tzet, der auf den Jndeterminiſmus bauet. Und dann, deucht mich, ſey dieſer Beweisgrund es am wenigſten, der uns den kuͤrzeſten Weg fuͤhre. Evidenz iſt zum mindeſten der Vorzug der Henningſchen Demonſtration nicht, die mehr als ein Glied hat, bey dem ich die Ver - bindung nicht begreife; ob es an mir liege, oder an der Sache, mag hier, da ich nicht kritiſiren will, dahin geſtellet bleiben.182XIII. Verſuch. Ueber das SeelenweſenEinem Ganzen in Gedanken bey Seite ſetzet. Nach der Jdee dieſer genannten Philoſophen iſt der Koͤrper ein Jnbegriff ſolcher Einheiten, die einzeln fuͤr ſich ſogar vorſtellende Weſen ſind, wie es die Seele auch iſt, und von denen die letztere nichts anders als einen hoͤ - hern Grad, eine Groͤße und Staͤrke der Vorſtellungs - kraft voraus hat. Die Seele, als das Jch, verhaͤlt ſich zu ſeinem Koͤrper, ſo wie der Chef einer Armee ſich zu dem Haufen der einzelnen Soldaten verhaͤlt, die zu - ſammen genommen die Armee ausmachen.

Ohne auf das Eigene in dieſen Leibnitziſchen Jdeen Ruͤckſicht zu nehmen, ſo iſt doch auch, nach der allge - meinen Meinung der Jmmaterialiſten, die Seele ſelbſt, eben ſo wohl als die einfachen Elemente des Koͤrpers, ein einfacher Beſtandtheil des ganzen Menſchen. Nur wie unter den uͤbrigen Elementen ſelbſt eine große innere Verſchiedenheit ihrer Kraͤfte und Vermoͤgen, Modifi - kationen und Wirkungen Statt finden kann; ſo iſt es ja auch moͤglich, daß das einfache Jch ſeine eigenen habe. Von jenen haben wir keine Begriffe, weil wir nur Begriffe haben von dem, was ſie ſind, wenn ſie zu ganzen Haufen im Koͤrper vereinigt ſind, oder eigent - lich von dem, was ſie zu ſeyn ſcheinen; aber wenn ſie uns bekannt waͤren, ſo wuͤrde vielleicht am Ende die Heterogeneitaͤt der Seele von den uͤbrigen nicht groͤßer ſeyn, als dieſer ihre unter ſich iſt. Wer es wahr - ſcheinlich findet, daß der letzte Stoff aller wirklichen Materie und aller Koͤrper einerley Natur ſey, und daß alle Verſchiedenheit der Koͤrper nur von der Art der Zu - ſammenſetzung abhange, wird auch keine Unmoͤglichkeit in der Leibnitziſchen Hypotheſe finden, daß die Ele - mente des Koͤrpers mit der Seele gleichartiger, vorſtel - lender Natur ſind? Mit einem Wort, die Heteroge - neitaͤt der Seele und des Koͤrpers, worauf alles bey ih - rer Jmmaterialitaͤt ankommt, iſt keine andere, als dieHete -183im Menſchen. Heterogeneitaͤt eines einzigen Waſſertroͤpfchens und ei - ner Maſſe Waſſers, die aus ſolchen vereinigten Troͤpf - chen zuſammengeſetzet iſt. Das immaterielle Jch iſt als ein ſolches nur Ein Ding, und das materielle Gehirn iſt eine Menge vereinigter Dinge. Und aus dieſem Unterſcheidungsmerkmal entſpringt die Ent - gegenſetzung ihrer beiderſeitigen Beſchaffenheiten, Hand - lungen und Wirkungen. Jenes kann nicht in mehrere Theile zerlegt werden, da jedes auch ein fuͤr ſich beſte - hendes Weſen iſt, wie der Koͤrper. Dieſen muß man ſich als ein aus ſubſtantiellen Einheiten beſte - hendes Ding vorſtellen, wofern man nicht zu den alten ariſtoteliſchen Jdeen von der ſubſtantiellen Form zu - ruͤckgehen will, die man ſich als etwas, das die Mate - rie durchdringet, ſich in ihr verbreitet, ihr beywohnt, und mit ihr vereiniget iſt, abbildet. Es iſt leicht ein - zuſehen, daß dieſe Begriffe aus dem Schein, den wir von den Koͤrpern erlangen, abſtrahiret ſind. Aber eine naͤhere Entwickelung dieſer verwirrten ſinnlichen Jdeen hat es, man kann ſagen, entſchieden, daß die Koͤrper aus Theilen beſtehen, die von einander wirklich abge - ſondert ſind, und nicht in einander fortlaufen, wenn gleich oft dicht an einander anliegen (partes diſcretae); und daß jene alſo Einheiten in ſich faſſen, die nicht von neuem aus andern trennbaren Einheiten zuſammen - geſetzt ſind. Dieß, was ich bisher nur als die Vor - ſtellungsart der Jmmaterialiſten angefuͤhrt habe, iſt, meiner Meinung nach, die richtige, wofern nicht etwa von neuem die Begriffe von Materie und Koͤrper zweifelhaft gemacht und der philoſophiſche Lehrſatz, daß es einfache Weſen oder Monaden gebe, und daß dieſe die letzten Beſtandtheile des Koͤrpers ausmachen, verworfen werden ſoll. Allein, wer hiebey noch an - ſtoͤßt, ſollte der auch wol genug vorbereitet ſeyn, um mit der beſondern Unterſuchung uͤber die Einfachheit derM 4Seele184XIII. Verſuch. Ueber das SeelenweſenSeele ſich befaſſen zu koͤnnen? Da beide Partheyen, die in der Pſychologie als Materialiſten und Jmma - terialiſten ſich entgegen ſind, gewoͤhnlicher Weiſe ſich uͤber jenen Grundſatz vereinbaret haben, oder es doch vorher noch thun muͤßten, ehe ſie uͤber die Natur der Seele beſonders mit einander ſich einlaſſen: ſo deucht mich, man koͤnne bey dieſem Grundſatz einen feſten Punkt annehmen, und, ohne weiter in metaphyſiſche Unterſuchungen hinein zu gehen, vorausſetzen, daß es ſolche Einheiten gebe, und daß die Seele, auch wenn ſie Materie und Koͤrper iſt, aus ſolchen beſtehen muͤſſe.

Dieſer Grundbegriff von der ſubſtantiellen Ein - heit iſt ſehr einfach. Sie iſt ein fuͤr ſich beſtehendes Ding. Das Materielle iſt etwas, welches mehrere ſolche Einheiten als ſeine Theile in ſich hat. Alle Veraͤnderungen in jener ſind Veraͤnderungen in einer und eben derſelbigen Kraft; in einem und demſelbigen Dinge; dagegen in der Materie, ſo genau auch ihre Theile mit einander vereiniget ſind, dennoch jedes einzel - ne Element ſeine eigne Kraft wie ſein eignes Beſtehen hat. Einer ihrer Beſtandtheile iſt nicht der andere; die Kraft der einen Monade iſt nicht die Kraft der an - dern. Die Veraͤnderung in der Einen iſt nicht die Ver - aͤnderung in der zwoten, ſo innig ſich dieſe auch einan - der mittheilen. Dieß iſt eine leicht auffallende Folge - rung aus dem Vorhergehenden.

2.

Dieß iſt noch nicht alles, was vorher zu thun iſt, ehe wir die Sache voͤllig im Freyen vor uns haben. Waͤre es nur etwan um ſolche Erinnerungen zu thun, die fuͤr den Metaphyſiker brauchbar ſind, wenn er ſeine Spekulationen uͤber die Subſtanzen mehr berichtigen und beſtimmen will: ſo wuͤrde ich ſie hier vorbeylaſſen. Aber da gewoͤhnlicher Menſchenverſtand, der ohne all -gemeine185im Menſchen. gemeine Vernunfttheorie uͤber dieſe Sache urtheilet, ſie durch ſeine verwirrten Gemeinbegriffe, als durch ge - faͤrbte Glaͤſer, anſiehet; ſo muß auch dieſer daruͤber erin - nert werden, um zu wiſſen, woran er ſich zu halten habe, wenn ihn ſeine Scheine verwirren. Es eraͤugnet ſich hier, was ſich ſo oft eraͤugnet. Nicht ſowohl die Ein - ſicht der Wahrheit ſelbſt iſt ſchwer, wenn man ſie nur erſt gerade vor ſich hat; aber ſie iſt mit fremden Geſtal - ten und ſchwankenden Bildern umgeben. Wenn man die Sache in der Naͤhe anſieht, ſo findet man das nicht an ihr, was alles in den verwirrten Bildern enthalten war, die man in der Ferne hatte, und wird ungewiß, ob man auch dieſelbige Sache ſehe. Und wenn man dieſe nun einmal ſcharf gefaßt hat, und es auch weis, daß man ſie habe, ſo ſchweben uns doch die verwirrten Bilder von neuem wieder vor, wenn wir nur ein wenig uns von der Betrachtung entfernen. Alsdenn ſieht wieder alles dunkel und neblich aus. Ob die Seele ei - ne immaterielle Subſtanz ſey, oder Materie, wird ſich, wie ich meine, leicht begreifen laſſen, wenn wir erſt recht wiſſen, wonach wir fragen, und dann nach - her nur nicht wieder dadurch irre werden, daß wir nicht wiſſen, welche Geſtalt und Figur wir ihr beylegen ſollen.

Es lehrt die Beobachtung, daß die Seele vielerley, das iſt mehrere und verſchiedene Vermoͤgen beſitze, und vielerley Arten von Veraͤnderungen annehme. Jn ihr, was ſie auch iſt, giebt es alſo eine gewiſſe Mannich - faltigkeit. Kann dergleichen in einer ſubſtanziellen Einheit ſtatt finden, oder hat dieſe Einheit doch eine gewiſſe ideelle Ausdehnung? Theile, die von ein - ander verſchieden ſind, und auch außer einander ſind, wie die Punkte einer Kugel? und, wenn ſie ſolche hat, wie kann ſie denn eine einfache Subſtanz ſeyn, die unzertheilbar und unaufloͤslich iſt?

M 5Was186XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen

Was die ſogenannte unkoͤrperliche Ausdehnung oder ideelle Extenſion betrift, die einige Philoſo - phen als eine allgemeine Eigenſchaft aller Subſtanzen uͤberhaupt anſehen und glauben ſolche nothwendig ei - ner jeden zuſchreiben zu muͤſſen, ſo iſt es, meiner Mei - nung nach, nicht zu zweifeln, daß ſolche nicht als ein anpaſſendes ſinnliches Bild von der Mannichfaltig - keit der Beſchaffenheiten in einem Dinge ſollte gebraucht werden koͤnnen (multitudo affectionum in vno ente phaenomenon.) Denn wenn wir ein Weſen uns vorſtellen, das von einer gewiſſen Groͤße iſt, und einen Raum einnimmt, worinnen ſich Theile und Punkte unterſcheiden laſſen, auf eine aͤhnliche Art, wie in einem geometriſchen Koͤrper, das iſt, in einer in Eins fortgehenden Ausdehnung nach allen Di - menſionen: ſo iſt es klar, daß dieſe Theile nicht eige - ne, abzuſondernde und fuͤr ſich beſtehende Weſen ſeyn koͤnnen. Der Geometer theilet ſeinen Raum durch Flaͤchen, Linien und Punkte; aber die wahre geometri - ſche Jdee eines Kontinuums oder einer Ausdehnung; die in Eins fortgehet, bringet es mit ſich, daß jede ſie durchſchneidende Flaͤche, Linie oder Punkt ſelbſt ein Stuͤck von ihr ſey, das ſowohl dem einen als dem an - dern der geſchnittenen Theile gemeinſchaftlich zukommt, und zugleich das Ende des einen und der Anfang des folgenden iſt. Alſo werden dadurch die Theile nicht als beſondere Stuͤcke fuͤr ſich abgeſchnitten, wie die Theile der wirklichen Koͤrper. Jene machen nur Ein Ganzes aus. Dieſen Unterſchied zwiſchen dem Kon - tinuum und dem ſogenannten Diskretum uͤberſah Sextus Empitikus, als er gegen die Geometer diſpu - tirte, und ihnen ihre Theilung einer Linie in zween gleich große Theile ſtreitig machen wollte. Wo zwo phyſi - ſche Kugeln einander beruͤhren, da hat doch jede fuͤr ſich ihren eigenen beſondern Umfang, und es giebt alsdennzween187im Menſchen. zween ſich einander beruͤhrende Punkte, die ganz nahe an einander liegen, die aber nicht in Einen Punkt zu - ſammenfließen. Zwo geometriſche Kugeln dagegen fließen in Einen Punkt zuſammen, wenn ſie ſich beruͤh - ren, ſo daß der Beruͤhrungspunkt ſowohl ein Punkt in der einen als auch in der andern zugleich iſt, und beiden zugehoͤret. Der Begriff von dem Kontinuum hebt alſo die wirkliche Abſonderung und die beſondere Beſteh - barkeit der Theile ganz auf. Dieſe Theile bleiben nichts mehr, als Theile, die unterſcheidbar von einander ſind, und außer einander exiſtiren, die partes extra partes, nach dem alten Ausdruck, aber nicht von einander abgeſondert ſind, nicht ſo, daß jeder fuͤr ſich ſein eige - nes Beſtehen haben koͤnne.

Auf dieſelbige Art verhaͤlt es ſich mit den Be - ſchaffenheiten, die wir uns in den Subſtanzen vor - ſtellen, und als in dieſen vorhanden von einander unter - ſcheiden. Man ſehe auf den Urſprung der Begriffe von Subſtanzen und Beſchaffenheiten zuruͤck, ſo wie ſolcher oben angegeben worden iſt. *)Erſter B. Fuͤnfter Verſuch. VI. Die Jdee von der Beſchaffenheit iſt eine Jdee von einem Theil oder von einem Zuge eines unzertrennlichen Ganzen, der aber fuͤr ſich allein nicht iſt. Wir koͤnnen, wie ſchon Leibnitz richtig geſagt hatte, die Beſchaffenheit fuͤr nichts anders anſehen, als fuͤr die ſo beſchaffene Sub - ſtanz in der Abſtraktion vorgeſtellet, indem wir die Seite einer Sache als eine eigene Sache anſehen. Die Bewegung, z. B. iſt der bewegte Koͤrper in dieſem Zu - ſtande der Bewegung vorgeſtellet, und dann dieſen Zu - ſtand beſonders in einer eigenen Jdee gefaßt. Es war eine ungemein leere Fiktion, womit ſich die Scholaſti - ker quaͤlten, und uͤber die auch neuere Philoſophen ſo manche unverſtaͤndliche Lehrſaͤtze von Weſen und For -men188XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenmen vortragen, wenn man die Subſtanz oder das Subſtanziale in ihr, dem Jnbegriff aller Beſchaf - fenheiten entgegenſetzte, und jenes als eine gewiſſe Grundlage ſich vorſtellte, worauf die Beſchaffenheiten aufgeklebet, und mit dem insbeſondere das Weſen, oder die Form, oder die Grundbeſchaffenheiten un - zertrennlich vereiniget waͤren. Nach der Entſte - hungsart dieſer Gemeinbegriffe, kann man die Be - ziehung der abſoluten Beſchaffenheiten in den Sub - ſtanzen auf die Subſtanz ſelbſt nicht beſſer vorſtellen, als wenn man ſie fuͤr das anſieht, was die einzelnen un - terſcheidbaren Punkte eines Kontinuums in dem Ganzen ſind. Nicht Theile, aus denen das Ganze, wie ein Koͤrper aus ſeinen Stuͤcken, zuſammengeſetzt iſt oder zu - ſammengeſetzet werden koͤnnte, ſondern wie ſo etwas, das zuſammen ein Eins ausmacht, und das einzeln ge - nommen, nur unterſcheidbare Stellen und Zuͤge in dem Eins ſind.

Eine ſolche ſubſtanzielle Einheit beſitzet alſo nur Eine und dieſelbige Kraft; und wenn gleich eine Veraͤnderung in ihr nicht ebendieſelbe iſt, wie eine andere, ſo ſind doch beide in demſelbigen Dinge. Jeder Eindruck an jeder Seite, auf jeden Punkt iſt zugleich ein Eindruck aufs Ganze, verbreitet ſich durchs Ganze, und iſt nur zuerſt unmittelbar eine Modifikation an Einer Stelle, aber zugleich eine Modifikation an allen, die durch alle Punkte geht, und in einem und demſelbigen Dinge ſich eraͤugnet.

Jſt dagegen ein Ding aus mehrern ſubſtanziellen Einheiten zuſammengeſetzt, wie die Koͤrper ſind, ſo zieht zwar die Vereinigung der Theile unter einander die Folge nach ſich, daß jeder Eindruck auf einen Theil ſich durch das Ganze verbreitet; aber da dieſe Theile fuͤr ſich beſtehende unterſchiedene Weſen ſind: ſo iſt doch niemals die geſammte Modifikation, die in dem Gan -zen189im Menſchen. zen iſt, in Einem Dinge beyſammen. Denn die Eine Haͤlfte der Beſchaffenheit befindet ſich als eine Beſchaf - fenheit an der Einen Haͤlfte der einfachen Subſtanzen, und die andere Haͤlfte von ihr in den uͤbrigen. So aͤhnlich und gleichartig dieſe Beſtandtheile auch ſeyn moͤgen, ſo ſind ſie doch nicht Ein und daſſelbige Ding.

Wenn nur dieſes Unterſcheidungsmerkmal deutlicher entwickelt werden koͤnnte! Denn daß es es nicht kann, iſt eben die Urſache von der Dunkelheit in ſo vielen der beſten Beweiſe, die man fuͤr die Jmmaterialitaͤt der Seele gegeben hat. Wenn jede Veraͤnderung in einem Theile zugleich eine Veraͤnderung in dem Ganzen iſt, und in demſelbigen Ganzen: wie unterſcheidet man es, ob jene Theile nur Beſchaffenheiten einer einfachen Subſtanz ſind, Seiten von ihr, ſubſtanzielle Punkte, wenn ſie ſo heißen ſollen; oder ob ſie fuͤr ſich beſonders beſtehende und trennbare Weſen ſind? Und wenn man auch erweiſen kann, daß in Ei - nem und demſelbigen Dinge, worinn ein Theil von ei - ner Modifikation ſich befindet, auch die geſammte Mo - difikation begriffen ſey: ſo iſt noch immer die Ausflucht uͤbrig, daß dieß Eins und daſſelbige Ganze vielleicht Eins und daſſelbige zuſammengeſetzte, nicht aber Eins und daſſelbige Einfache, ſeyn koͤnne. Es iſt eine große Verſchiedenheit zwiſchen dieſen beiden Faͤllen, die wir klar genug fuͤhlen. Denn da, wo doch etwas zwiſchen zweyen vertheilet iſt, da iſt nicht das Ganze in Einem und demſelbigen Dinge, worinn nur die Eine Haͤlfte iſt. Aber daran fehlt es, daß dieſer Unterſchied nicht ſo deut - lich gemacht werden kann, daß ſich ſolcher noch anders als aus dem Gefuͤhl erkennen laͤßt, indem man dieſe beiden unterſchiedenen Vorſtellungen gegen einander haͤlt. Dieß Gefuͤhl des Unterſchiedes ſcheim zu ver - ſchwinden, ſobald wir die Jdeen nicht mehr ſo voͤllig anſchaulich vor uns haben.

Jſt190XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen

Jſt die ideelle Extenſion ein brauchbares ſinnli - ches Bild von der Mannichfaltigkeit in der Ein - heit beider Subſtanzen, und iſt es alſo auch erlaubt, die immaterielle Seele uns wie ein Weſen von einer gewiſ - ſen Geſtalt und Form vorzubilden, um dem Verſtande ihre Betrachtung zu erleichtern, ſo iſt noch dieſes eine zwote Frage: ob ſie auch etwas mehr als ein ſolches Bild ſey? Muß das Einfache nothwendig einen Raum auf eine ſolche Art einnehmen? Dieß wird man wohl ſchwerlich einraͤumen, wenn man weis, woher und auf welche Art die Jdee vom Raum in uns entſtehet. Sie iſt aus den Geſichts - und Gefuͤhlsempfindungen her. *)Vierter Verſuch VII. 4.Das Ohr empfindet ſowohl mehrere verſchie - dene Toͤne zugleich, als Einen Ton auf einmal; aber dieſe Vereinigung in den Gehoͤrseindruͤcken giebt uns kein ſolches Bild von der Ausdehnung, wie wir aus dem Geſicht und aus dem Gefuͤhl dadurch erlangen, daß jeder Eindruck ein gleichzeitiger vereinigter Eindruck von vielen iſt. Die innern Selbſtgefuͤhle geben uns eben ſo wenig ein ſolches Bild. Was iſt alſo die Frage: ob die Seele, vorausgeſetzt daß ſie eine ſubſtanzielle Einheit ſey, eine Ausdehnung an ſich habe, und von welcher Figur und Geſtalt ſie ſey? anders, als die Frage jenes Blinden: welchen Ton die rothe Farbe habe? oder die Frage eines Gehoͤrloſen: auf welche Art der Ton einer Trompete gefaͤrbet ſey? Wenn naͤmlich unter der Jdee von der ideellen Ausdehnung das Beſondere in unſerm Bilde einbegriffen iſt, und alſo noch etwas naͤher beſtimm - tes darinnen lieget, als in dem Allgemeinbegriff von Man - nichfaltigkeit der Beſchaffenheiten in der fuͤr ſich beſtehenden Einheit: wer kann denn ſagen, daß die Seele zu der Art von Objekten gehoͤre, die durchs Ge - ſicht oder durchs aͤußerliche koͤrperliche Gefuͤhl empfun -den191im Menſchen. den werden, und alſo einen ſolchen Schein hervorbrin - gen koͤnnen, als der iſt, den wir von der Ausdehnung haben? Wenn aber nichts mehr durch die ideelle Aus - dehnung dem Einfachen beygeleget wird, als uͤberhaupt Mannichfaltigkeit in Einem: ſo wird dieſe Benennung in einem tranſcendenten und allgemeinem Verſtande ge - nommen, in dem man ſo wohl eine Beſchaffenheit der Seele, als anderer einfachen Subſtanzen, daraus ma - chen kann.

3.

Wenn wir auch nichts mehr, als dieſe Begriffe zur Fertigkeit gebracht haben, ſo zeiget ſich unmittelbar aus den Beobachtungen eine gewiſſe Einheit unſers Jchs, bey der es zwar noch nicht entſchieden iſt, daß ſie eine ſubſtanzielle Einheit ſey, die aber doch fuͤr ſich allein ſchon eine fruchtbare Vorſtellung giebt. Sie verdienet, fuͤr ſich erwogen zu werden.

Es iſt ein ſo ſehr erwieſener Beobachtungsſatz, als es ſonſten einer ſeyn kann, daß das Jch, welches ſiehet, das naͤmliche iſt, welches hoͤret, ſchmecket, riechet, fuͤhlet, denket, will; wenn wir auch nicht wiſſen, worinn dieſe Aeußerungen der Seele beſtehen, und nur ſo verwirrte und relative Vorſtellungen davon haben, als unſere Scheine von den Koͤrpern ſind. Jch, der ich fuͤhle, denke, afficirt werde, leide, handle, bin ſo ſehr Eins und daſſelbige Weſen, Ding oder Kraft, wie man es nennen will, daß ich keinen Begriff von ei - ner groͤßern Jdentitaͤt habe, als dieſe Jdentitaͤt meines Jchs iſt. Jch kann mir nicht vorſtellen, daß A mehr einerley mit A, oder ein Ding mehr einerley mit ſich ſelbſt ſeyn koͤnne, als das Jch, welches denket, es iſt mit dem Jch, welches will.

Es mag wohl ſeyn, daß dieß Jch, wenn ich ſehe, in Verbindung mit den Augen wirket, das iſt, mit ei -nem192XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſennem gewiſſen unterſchiedenen Theile des Koͤrpers, und, wenn ich hoͤre, in Verbindung mit einem andern Theile des Koͤrpers. Jſt es ſo, ſo wird folgen, daß das ganze Ding, welches veraͤndert wird, wenn ich ſehe, nicht daſſelbige iſt mit dem Ganzen, welches veraͤndert wird, wenn ich hoͤre, u. ſ. f. Allein ſo viel iſt offenbar, es iſt Ein Ding vorhanden, was ich vorzugsweiſe mein Jch nenne, und dieß iſt in allen den genannten Seelenaͤuße - rungen immer ebendaſſelbige.

Dieß erſtrecket ſich auf die kleinſten und einfachſten Handlungen und Leidenheiten, deren ich mir bewußt bin. Jch bin daſſelbige Jch, welches das ganze Gemaͤlde uͤberſieht, und welches einen einfachen Strich darauf ge - wahr wird; daſſelbige, was in ſolchen Faͤllen, wo wir ſagen, daß wir mit uns ſelbſt uneins ſind, bald zum Beyfall, dann zur Abſtimmung ſich neiget; jetzt zum Wollen, und im Augenblick darauf, ehe der Entſchluß ſich voͤllig entwickelt, wieder zum Nichtwollen gereizet wird.

Dieß wichtige Datum laͤßt doch zunaͤchſt ſo viel deutlich einſehen. Wenn auch das Jch ein aus meh - rern einfachen Weſen beſtehendes Ganze iſt, ſo muß zwiſchen den ſubſtanziellen Einheiten, woraus es beſteht, eine durchgaͤngige und einige Vereinigung ſtatt finden. Jede merkbare Veraͤnderung des Einen Theils muß ſich durch das Ganze verbreiten, und alle uͤbrigen Be - ſtandtheile daran Antheil nehmen laſſen. Denn wollte man ſich vorſtellen, daß etwan Einem der Beſtandtheile unſers Jchs das Sehen, und einem andern das Hoͤren ausſchließungsweiſe zukomme; daß alſo die mancherley Geſchaͤffte der Seele zwiſchen dieſem Weſen ſo vertheilet ſind, wie die Geſchaͤffte eines Kollegiums zwiſchen meh - rern Mitgliedern deſſelben, davon jeder fuͤr ſich in ſei - nem eigenen Fach arbeitet, ohne daß der andere an ſei - nen meiſten Verrichtungen Antheil nimmt; ſo habenwir193im Menſchen. wir eine Jdee, die ſich mit den Beobachtungen ſchlecht - hin nicht vereinigen laͤßt. Giebt es beſondere Theile, die zunaͤchſt die Eindruͤcke bey beſondern Empfindun - gen annehmen: ſo muͤſſen die uͤbrigen davon zugleich auch mit veraͤndert, und die Veraͤnderung muß eine Veraͤnderung des Ganzen werden. Und dieß muß ſich auf jeden einzelnen Aktus des Geſichts, des Denkens und des Wollens erſtrecken, den wir als eine Aeuſſerung unſers Jchs gewahrnehmen. Denn in dem entgegen - geſetzten Fall iſt es unmoͤglich, daß es ebendaſſelbige Ding ſeyn koͤnne, welches die einen und auch die uͤbri - gen Wirkungen hervorbringet. Jn der Uhr iſt es die Feder, welche treibet, und der Zeiger, der auf dem Zif - ferblatte herumgehet; aber ſo gewiß es iſt, daß jedes dieſer Stuͤcke der Maſchine ſein eigenes Geſchaͤffte habe, welches nicht das Geſchaͤffte des andern iſt, ſo gewiß falſch iſt es auch, daß ebendaſſelbige Weſen, welches das Uhrwerk treibet, auch dasjenige ſey, welches un - mittelbar die Stunden anzeiget. Nur ein Wortſpiel wuͤrde es ſeyn, wenn Jemand darauf beſtehen wollte, daß doch gleichwol der ganzen Uhr, beides, die Ver - richtung der Feder und des Zeigers, zugeſchrieben wer - den koͤnne. Wo wir ſo gewiß verſichert ſind, daß meh - rere Wirkungen Einer und derſelbigen Kraft zugehoͤren, als wir es bey den Wirkungen unſers Jchs ſind, da koͤnnen ſolche zwiſchen mehrern Dingen, die nur neben einander ſind, nicht vertheilt gedacht werden. Dieſe Dinge muͤſſen zum mindeſten ſo mit einander vereini - get ſeyn, daß Jedes-Jedem das Seinige mittheile, und daß Jedes an den Veraͤnderungen eines Jeden ſo viel Antheil nehme, als dieſe Veraͤnderungen in Einem und demſelbigen Dinge ſind.

Es folget ferner, daß unſer Jch ein Weſen ſey, welches von allem dem, was wir unter der Jdee vom koͤrperlichen Organ der Seele uns vorſtellen, un -II Theil. Nter -194XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenterſchieden iſt, und daß es auch den ganzen Jnbegriff unſerer Organe nicht ausmachen koͤnne. Die aͤußern Werkzeuge der Empfindung, ſo weit wir ſie kennen, ſind auf ſolche Art mit einander nicht verbunden, daß nicht jedes ſeine ſinnlichen Modifikationen fuͤr ſich haben koͤnne. Der Eindruck von dem Licht iſt in dem Auge, wenn wir ſehen, aber dieſer Eindruck iſt keine Veraͤnde - rung in den Ohren. Denken wir uns unter dem Be - griffe von Werkzeugen ſolche Theile des Koͤrpers, die zu beſondern Arten von Veraͤnderungen ausſchlieſ - ſungsweiſe gehoͤren, ſo iſt das Jch von allen dieſen Organen zuſammengenommen, ſo weit unterſchieden, als das beſeelte Gehirn von den aͤußern Gliedmaßen des Koͤrpers iſt. Aber freylich kann auch dieſe Jdee von Seelenwerkzeugen erweitert werden. Denn wir koͤnnen auch ſolche koͤrperliche Theile darunter verſtehen, die zu eigenen Arten von Veraͤnderungen nur in ſo weit gehoͤ - ren, als ſie es ſind, die ſolche unmittelbar aufneh - men, obgleich ihre Vereinigung ſo innig iſt, daß jeder ſogleich jedem andern ſich voͤllig kommunicire. Wenn dieß ſo iſt, ſo koͤnnte das Ganze dieſer Organe, auch wenn es von dem Jch unterſchieden iſt, als ein allge - meines Organ, oder als ein ſenſorium commune gedacht werden. Jm Fall aber dieß Ganze mit dem geſammten Seelenweſen einerley iſt, ſo muͤßte das, was wir fuͤr beſondere Organe anſehen, die zu eigenen Gattungen von Eindruͤcken gehoͤren, mehr fuͤr gewiſſe Seiten der Seele und beſondere Theile von ihr, als fuͤr Organe, zu halten ſeyn.

4.

Dieſe Einheit unſers Jchs iſt noch das nicht, was die Jmmaterialiſten durch ihre Beweiſe darzuthun ge - ſucht haben. Laßt uns die Seelenaͤußerungen in ihre einfachen Aktus zerlegen, in welche ſie durch die ſchaͤrf -ſte195im Menſchen. ſte Analyſis zerleget werden koͤnnen. Laßt zum Bey - ſpiel in jedem Urtheil die drey Aktus unterſchieden wer - den: die Vorſtellung des Subjekts, die Vorſtellung des Praͤdikats, und den Aktus des Beziehens dieſer beiden Vorſtellungen auf einander. Nun folget zwar aus dem Vorhergehenden ſo viel, daß, wenn gleich un - ſer urtheilendes Jch aus mehrern trennbaren Weſen zu - ſammengeſetzet ſey, dieſe jene Aktus doch nicht ſo unter ſich vertheilet haben koͤnnen, daß einige von ihnen allein die Vorſtellung des Subjekts in ſich haben, andere da - gegen das Praͤdikat ſich vorſtellen, und wiederum an - dere den beziehenden Aktus vornehmen, und den Ver - haͤltnißgedanken oder die Form des Urtheils hervor - bringen. Man kann ſagen, daß es eben ſo unmoͤglich ſey, daß es ſich auf dieſe Art verhalte, als ein Zirkel Ecken haben kann; da es offenbar iſt, daß bey dieſer Vorausſetzung es nicht Eins und daſſelbige We - ſen iſt, welches alle dieſe Aktus vornimmt. Aber den - noch lieget hierinn, wie einige ganz richtig bemerket ha - ben, noch die groͤßte Schwierigkeit. Wenn gleich jede einfache Seelenaͤußerung ein Aktus ebendeſſelben zu - ſammengeſetzten Weſens iſt, dem jede andere Seelen - aͤußerung auch zukommt, ſo iſt die große Frage zuruͤck: ob nicht jeder ſimple Aktus ein Aktus mehrerer Dinge ſeyn koͤnne, und woher man wiſſen koͤnne, daß ein Ganzes, welches alle Aktus unter alle ſeine Theile verbreitet, ohne reelle Zuſammenſetzung ſeyn muͤſſe? Da es eine Vielfachheit in demſelben giebt, iſt denn dieſe nothwendig nur eine bloße Vielfachheit ſubſtan - zieller Punkte, die zuſammen nur die ſubſtanzielle Einheit ausmachen? Man thut, um bey dieſer Unter - ſuchung recht ſcharf und vorſichtig zu Werke zu gehen, ſehr wohl, wenn man dieſe zwey Bilder beſtaͤndig ge - gen einander haͤlt, naͤmlich das Bild von einer ſub - ſtanziellen Einheit, in der es bloß eine Mannichfaltig -N 2keit196XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenkeit von einzeln unbeſtehbaren Punkten giebt, welche die Beſchaffenheiten des einfachen Weſens vorſtellen; und auf der andern Seite das Bild von einer zuſam - mengeſetzten Subſtanz, die aus mehrern reell ver - ſchiedenen Subſtanzen, welche einzeln fuͤr ſich beſte - hen, zuſammengeſetzet iſt. Jeder Beweis fuͤr die Jm - materialitaͤt der Seele aus ihren Kraftaͤußerungen muß die letztere Vorſtellung aufheben; aber es giebt, ſo viel ich weis, keine, mit der nicht jene erſtere als eine bild - liche Vorſtellung der Sache ſich vereinigen laſſe, und man kann ſichs verſichern, daß irgend etwas in unſern Raiſonnements erſchlichen ſey, wenn wir auf eine Fol - gerung gerathen, die das Jch nothwendig von einem mathemathiſchen Punkt in Hinſicht der Ausdehnung machen wuͤrde. Denn dieſe Nebenidee iſt in dem Be - griffe der Einfachheit nicht enthalten, ſobald wir nur die Mehrheit in einem Kontinuum von einer Mehrheit reell unterſchiedener und nur dicht an einander liegender phy - ſiſchen Punkte zu unterſcheiden wiſſen.

Das erſte und vornehmſte, was uns hier aufſtoͤßt, iſt die Frage: ob fuͤhlen, afficirt werden, gewahrneh - men, ſich beſtimmen, nur bloß kollektive Hand - lungen eines zuſammengeſetzten Ganzen ſeyn koͤnnen, die aus gewiſſen Handlungen der einfachen Subſtanzen beſtehen, welche einzeln genommen zwar ſeelenartige Kraftaͤußerungen genannt werden moͤgen, aber von den eigentlichen Seelenaͤußerungen unterſchieden ſind? und die vielleicht gar nur in Bewegungen beſtehen, oder wenigſtens zu einer Art von Wirkungen gehoͤren, wo - von wir keine Vorſtellungen haben?

Mich deucht, es fehle nichts an der Evidenz in der Antwort, die verſchiedene Philoſophen, und unter die - ſen beſonders der vortreffliche Verfaſſer des Phaͤdons hierauf gegeben haben. Jſt der Aktus des Fuͤhlens aus einer Menge anderer Kraftaͤußerungen zuſammen -geſetzt,197im Menſchen. geſetzt, die einzeln genommen keine Gefuͤhle ſind: ſo wird aus dieſen letztern nur alsdann erſt ein Gefuͤhls - aktus, wann ſie vereiniget und zuſammen, das iſt, kollektive genommen werden. Aber es iſt unmoͤglich, daß ſie kolligirt werden koͤnnen, wofern ſolches nicht in Einem Dinge geſchieht, welches eine wahre ſubſtan - zielle Einheit iſt. Denn wenn die verſchiedenen Be - ſtandtheile des Aktus durch mehrere verſchiedene Weſen vertheilet ſind, davon jedes einzeln, nur einen einzelnen von jenen Aktus hervorbringet: ſo iſt zwar ein Haufen von Elementen des Gefuͤhls in mehrern Dingen vertheilt vorhanden; aber nirgends iſt ein Gefuͤhl, nir - gends das vereinigte Ganze aus ihnen, das nach der Vorausſetzung, heterogen von ſeinen Elementen, erſt ein Gefuͤhl wird, wenn jene Elemente zuſammen genom - men werden; nirgends iſt einmal ein Schein des gan - zen Gefuͤhls. Wie kann man ſagen, daß es ein fuͤh - lendes Weſen im Menſchen gebe, ohne ſich vorzuſtellen, daß jene heterogene Beſtandtheile des Gefuͤhls in irgend einem Dinge zuſammen kommen, und hier zu einer Kollektion in Einem werden, wodurch jener Jnbegriff von Aktionen zu einem Gefuͤhl gemacht wird? Was bloß kollektive ein Gefuͤhl iſt, muß kolligiret wer - den, ehe es ein ſolches wird. Es kann als ein unlaͤug - barer Erfahrungsſatz angeſehen werden, daß unſer Jch ſich ſelbſt als ein fuͤhlendes und denkendes Weſen er - ſcheine. Aber ſowohl die Exiſtenz des Gefuͤhls, das nur durch die Kollektion ein Gefuͤhl iſt, wie hier angenom - men wird, als auch nur der Schein deſſelben, worinn dieſer letztere auch beſtehen mag, faͤllt weg, wenn nichts weiter, als eine Menge von Weſen da iſt, deren jed - wedes allein fuͤr ſich ganz etwas anders als ein Fuͤhlen hervorbringet.

Es iſt laͤngſt angezeiget worden, wie wenig anpaſ - ſend das Gleichniß der Materialiſten ſey, wenn ſie dieN 3Entſte -198XIII. Verſuch. Ueber das SeelenweſenEntſtehungsart der Seelenaͤußerungen aus Bewegun - gen, durch die Entſtehung der Harmonie aus einzelnen Schallarten, erklaͤren wollen. Wenn das Ohr, das die einzelnen harmonirenden Toͤne vereiniget, wegge - nommen wird, wo bleibet denn die Harmonie, die nur durch die Vereinigung derſelben in Einem Dinge zur Harmonie wird? Jede Kraft und jede Wirkung einer Kraft in den zuſammengeſetzten Dingen kann nicht an - ders Ein Ganzes ſeyn, als entweder in Hinſicht Ei - nes andern, das die Wirkungen von den einzelnen Theilen des Zuſammengeſetzten in ſich aufnimmt, wie der Druck eines zehn Pfund ſchweren Koͤrpers nur ein ganzer Druck iſt, in ſo ferne er in einem andern Koͤrper ſich vereiniget; oder nur in Hinſicht eines vorſtel - lenden Weſens, das ſich alles Einzelne zuſammen auf einmal vorſtellet. Jn dem feſten ſchweren Koͤrper iſt eine gewiſſe Verbindung der Theile mit einander, welche, als die objektive Vereinigung der Partikeln, der Grund davon iſt, daß ihre einzelnen Druckungen ſich mit einander vereinigen. Aber ein zuſammengeſetzter Druck aus allen einzelnen Preſſionen der Partikeln erfodert ein anderes Ding, in welchem jene ſich in ihren Wirkun - gen vereinigen. Die ganze Kollektion dieſer Druckun - gen iſt nur etwas Subjektiviſches in dieſem leidenden Weſen. Wenn ein Regiment manoͤvrirt, ſo beſtehet die Bewegung des Ganzen aus den Bewegungen aller Jndividuen, die zugleich und uͤbereinſtimmend erfol - gen; aber fuͤr jeden einfachen Soldaten, der nur auf ſich ſieht, iſt keine ganze gleichzeitige Bewegung der Ar - me und der Gewehre in allen vorhanden, ſo wenig als es irgendwo ein ganzes koͤrperliches Gefuͤhl von dieſen Bewegungen giebt, das aus der Vereinigung aller einzel - nen Gefuͤhle beſtuͤnde. Dieß letztere iſt nirgends. Ei - ne kollektive Bewegung des Ganzen befindet ſich nur ſubjektive in dem Zuſchauer.

Hier199im Menſchen.

Hier iſt der Unterſcheidungscharakter zwiſchen ei - nem einfachen Weſen, in welchem man ſich eine Mehrheit von verſchiedenen ſubſtanziellen Theilen vor - ſtellt, und zwiſchen einem aus reell unterſchiedenen Sub - ſtanzen zuſammengeſetztem Ganzen. Wenn gleich eine Aktion des Einfachen ebenfalls eine Mannichfaltigkeit in ſich faſſen, und gleichſam als aus ſo vielen Theilen beſtehend gedacht werden kann, als man ſubſtanzielle Punkte in dem Ganzen ſich gedenket: ſo iſt doch dieſe Aktion ein Kontinuum, das nicht aus reell verſchie - denen Theilen beſtehet, und nur Eine Aktion in Ei - nem Weſen ausmachet. Die Kollektion der einzelnen. Theile der Aktion geſchieht in demſelbigen Weſen, und wird alſo in demſelben zu einer ſolchen Aktion, als ſie iſt. Jſt dagegen das Ganze ein ſolches, das aus mehrern Einheiten beſtehet, davon jede ihren unterſchiedenen Beytrag zu der ganzen Aktion liefert, ſo wird aus die - ſen Beytraͤgen zuſammen niemals ein Ganzes werden, wofern nicht alle Beytraͤge in jedwede einzelne Einheit zuſammengebracht werden, wie z. B. jeder Soldat den ganzen Knall hoͤret, der durch das gleichzeitige Schieſ - ſen hervorgebracht wird. Alsdenn aber geſchehen ſo viele Kollektionen, als es ſolche kolligirende Einheiten giebt. Jſt aber nur Eine kolligirende Einheit vorhan - den, ſo iſt es eine wahre ſubſtanzielle Einheit, und das, was ſie in ſich vereiniget, ſind nichts, als ſubſtanzielle Theile eines Ganzen.

5.

Man hat die bloß kollektiven Kraͤfte und Aktio - nen, die das nicht ſind, was ſie ſind, als nur allein in der Beziehung auf dasjenige Weſen, in welchem ſie kollektiret werden, mit einer Art von abſoluten Kraͤf - ten und Kollektionen verwechſelt, die nur in der Ver - bindung mehrerer Dinge entſpringen, und daher auchN 4nicht200XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſennicht zu den Grundkraͤften, ſondern zu den abgelei - teten gerechnet werden muͤſſen. Die einzelnen Theile einer Stahlfeder beweiſen keine Elaſticitaͤt, wenn der Stahl aufgeloͤſet wird. Dieß Vermoͤgen erlangen ſie nur in einer gewiſſen Verbindung mit einander. Das Knallgold verlieret feine ausdehnende und knallende Ei - genſchaft, wenn das Gold, und der ihm anklebende fremde Zuſatz von einander wieder getrennet werden. Dergleichen Beyſpiele giebt es unzaͤhlige in der Koͤrper - welt, und man hat ſich ihrer bedienet, um begreiflich zu machen, wie aus nicht denkenden Elementen der Materie, durch eine gewiſſe Verbindung derſelben, den - kende Weſen entſtehen koͤnnen.

Allerdings wuͤrde auf dieſe Beyſpiele Ruͤckſicht ge - nommen werden muͤſſen, wenn davon die Rede waͤre, ob das denkende Jch ſchon ſeiner erſten Grundkraft nach ein denkendes Ding ſey? |oder ob nicht vielmehr die Grundkraft deſſelben noch vorher in Verbindung mit einem ſchicklichen Gehirn geſetzt werden muͤſſe, auf wel - ches ſie wirke, und von dem und deſſen Eindruͤcken ſie erreget und gereizet werde, ehe ſie in den Stand kom - me, ſolche Aktionen hervorzubringen, wie diejenigen ſind, welche wir jetzo ein Fuͤhlen, Empfinden, Denken und Wollen nennen? Jn welcher Maße iſt das koͤr - perliche Organ der Seele unentbehrlich, nicht nur um wirkliche Denkaktus hervorzubringen, ſondern um ihre Denkvermoͤgen zu behalten? Dieſe Frage wird noch nicht zugleich entſchieden, wenn die Jmmaterialitaͤt der Seele bewieſen iſt; und darauf gruͤndet ſich, was ver - ſchiedene geſagt haben, daß von der Jmmaterialitaͤt der Seele nicht ſehr vieles abhange. Denn wenn es nun auch ausgemacht wird, daß unſer Jch ein unkoͤrperli - ches oder einfaches Weſen iſt: ſo wird es dadurch nur der Zerſtoͤrung entzogen, der es ſonſten als Materie unterworfen ſeyn wuͤrde; aber es wird dadurch ſeineFort -201im Menſchen. Fortdauer als Seele, als fuͤhlendes und denkendes We - ſen, nicht außer Zweifel geſetzet. Und ob man nun jenes wiſſe, wenn man doch das letztere nicht weiß, daran duͤrfe uns, wie einige meinen, wenig gelegen ſeyn. Jch habe es vorher ſchon erinnert, es mag viel oder wenig von einer Wahrheit abhangen, und ſoll man darnach ſo aͤngſtlich fragen: ſo iſt doch eine jedwede ein Schatz fuͤr ſich, den der Denker nicht gleichguͤltig weglaͤßt, wenn er gleich andre noch entbehren muß, die ihm viel angelegentlicher ſind.

Es iſt ſehr leicht zu begreifen, wenn mehrere ein - fache Weſen mit einander vereinigt werden, und in ein - ander wirken, daß dadurch Thaͤtigkeiten und Wirkungs - arten in ihnen erreget werden, die ſie allein fuͤr ſich nicht wuͤrden geaͤußert haben. Aber dergleichen Kraft - aͤußerungen, ob ſie gleich an gewiſſe aͤußere Umſtaͤnde gebunden ſind, ſind doch dermalen abſolute Kraͤfte und Wirkungsarten, die eine objektiviſche Exiſtenz in den Dingen ſelbſt haben. Sie haben zwar ihren Grund, zum Theil wenigſtens, in gewiſſen Beziehungen auf andre Dinge, und haͤngen von dieſen Beziehungen ab, ſie beſtehen nur, ſo lange dieſe dauern, und hoͤren auf, wenn ihre Verbindungen mit andern wegfallen; aber ſie ſind das, was ſie ſind, nicht bloß ſubjektiviſch in andern Dingen, wie die kollektiven Kraͤfte und Vermoͤgen, deren Exiſtenz nur ſubjektiviſch in dem kolligirenden Weſen iſt, das ſich ſolche vorſtellet, oder ihre vereinigten Wirkungen in ſich aufnimmt.

Die Eigenſchaften der Koͤrper und der Kraͤfte, die wir ihnen zuſchreiben, koͤnnen von uns, wenn wir auf die Natur unſerer ſinnlichen Vorſtellungen zuruͤckſehen, fuͤr nichts anders, als fuͤr bloß kollektive Beſchaf - fenheiten und Kraͤfte gehalten werden. Wir em - pfinden nicht einzelne Einheiten, ſondern immer nur ganze Haufen von ihnen auf einmal. Daher ſind wirN 5auch202XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenauch nicht berechtigt, den koͤrperlichen Kraͤften, wie wir uns ſolche in unſern Bildern von ihnen vorſtellen, eine objektiviſche Exiſtenz beyzulegen; es ſey denn, daß wir es aus andern Gruͤnden einſehen, daß eine Kraft des Ganzen mit den einzelnen Kraͤften der einfachen Theile gleichartig und nur in der Groͤße davon unter - ſchieden ſey. So iſt z. B. das Gewicht einer ganzen Maſſe eine Summe von gleichartigen Druckungen jedes kleinſten Atoms der Materie; und wenn ein ganzer Koͤrper mit einer Geſchwindigkeit ſich fortbeweget; ſo muͤſſen wir dieſe letzte Beſchaffenheit in dem Ganzen als eine ſolche anſehen, die auch jeder Partikel und je - dem Element des Koͤrpers fuͤr ſich einzeln genommen zu - kommt. Es verhaͤlt ſich auch die Sache in die - ſen und andern Beyſpielen wirklich ſo, inſofern wir bey der Aufloͤſung des Koͤrpers nicht weiter hinausge - hen, als es in der Naturlehre geſchieht, das iſt, nicht weiter als auf die kleinſten koͤrperlichen Theile, die noch Koͤrper ſind. Aber man nehme einmal an, Leibni - tzens Hypotheſe, daß die Monaden, als die letzten Elemente der Koͤrper, eine vorſtellende Kraft beſitzen, und daß aus den Veraͤnderungen, welche durch dieſe Kraͤfte entſtehen, wenn jene in einem Haufen von Mo - naden zuſammengenommen, auf einmal ſinnlich, ver - wirrt, und von einer Seite vorgeſtellet werden, unſere ſinnliche Jdee von der Bewegung entſpringe, ſey eine richtige Muthmaßung: was wird alsdenn die Bewe - gung, die Geſchwindigkeit und der Druck anders ſeyn, als die Farben und andere Koͤrperbeſchaffenheiten ſind? naͤmlich blos kollektive Beſchaffenheiten, die von den abſoluten, objektiviſchen Kraͤften ſo weit unterſchie - den ſind, als unſere Jdeen von einer Vorſtellung und von einer Bewegung es ſind. Aber das Eigene Leib - nitziſche in dieſer Vermuthung bey Seite geſetzet, ſo iſt doch das Allgemeine außer Zweifel, daß die koͤrperli -chen203im Menſchen. chen Kraͤfte, ſo wie wir ſolche uns vorſtellen, nur blos als etwas ſubjektiviſches angenommen werden duͤrfen.

So verhaͤlt es ſich in den angefuͤhrten Beyſpielen mit der Elaſticitaͤt und mit der Eigenſchaft des Knall - goldes. Es ſind dieß bloß kollektive Beſchaffenhei - ten, die wir nicht weiter in ihre abſolute Beſtandtheile aufloͤſen koͤnnen, und die vor uns das Abſolute ſelbſt ſind. Aber da wir erfahren, daß die ſcheinbaren Kraͤfte der Dinge ſich bey ihnen veraͤndern, je nachdem ſie mit andern Dingen in Verbindung kommen, ohne daß wir glauben koͤnnten, daß dieß nur einer neuen Art der Kollektion der naͤmlichen objektiviſchen Kraͤfte zuzu - ſchreiben ſey, die wir in uns ſelbſt vornehmen koͤnnten: ſo ſchließen wir, daß die Veraͤnderung in dem Schein ihren Grund in der Veraͤnderung der Objekte, und in ih - rer veraͤnderten Verbindung mit andern habe. Das Knallgold wird nur Knallgold dadurch, daß es durch ein gewiſſes Salz aus ſeiner Solution in Koͤnigswaſſer niedergeſchlagen wird, und erhaͤlt dieſe Eigenſchaft nicht, wenn ein anderes Mittel zur Niederſchlagung deſſelben genommen wird. Sie iſt ein neues Vermoͤgen, wel - ches in andern Umſtaͤnden dem Golde fehlet. Dieß neue Vermoͤgen muß alſo der dem Golde beywohnenden Kraft durch die Einwirkung des mit ihm verbundenen Koͤrpers beygebracht worden ſeyn, und dieſe Veraͤnde - rung iſt eine objektiviſche; die neue Eigenſchaft iſt eine neue abſolute Kraft, die aus der Verbindung entſtan - den iſt, und alſo eine abgeleitete Kraft, aber keine Kol - lektion, ſo wie wir ſie naͤmlich kennen. Jedes Element, jeder einfache Theil kann nun auf eine neue Art wirken, auf die er ſonſten nicht gewirket hat. Aber dieſe neuen abgeleiteten Kraͤfte ſind von den bloß kollektiven Kraͤften weit unterſchieden.

6. Das204XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen

6.

Das Reſultat aus dieſen Betrachtungen giebt uns einen Grundſatz, durch den ſchon vieles in dieſer dun - keln Sache ausgemacht iſt, und der dem Materialiſten Eine ſeiner gewoͤhnlichſten Erklaͤrungsarten gaͤnzlich entziehet.

Es ſey naͤmlich die Seele ein Jnbegriff mehrerer Weſen, die zuſammen wirken; und es ſey das, was je - des einfache Weſen fuͤr ſich allein wirket, und was in jedem einzeln genommen vorgeht, wenn das Ganze fuͤhlet, ein Druck zur Bewegung, oder ſonſt ſo et - was, wie die Reaktion eines Koͤrpers; nur ſey es kein Fuͤhlen noch Denken: ſo muͤſſen alle dieſe Aktus, oder die Folgen und Verbindungen von ihnen, zuſammen - laufen und ſich irgendwo in Einem Dinge vereinigen, damit ihre Kollektion ein Fuͤhlen und Denken werden koͤnne. Entweder giebt es alſo außer dieſem zu - ſammengeſetzten Jch noch ein andres Jch, worinnen dieſe Vereinigung vorgehet, wie die Bewegungen der einzelnen Soldaten eines Regiments in dem Zuſchauer, der ſie alle zuſammen ſiehet, vereiniget werden; oder dieſes kollektirende Jch iſt ſelbſt ein Beſtandtheil des geſammten wirkenden Jchs, wenn es nur ein einziges dergleichen giebt; oder es iſt jeder einfache Theil des Ganzen ſelbſt ein ſolches. Das letztere wird viel - leicht von den Gegnern am erſten zugegeben werden; in - dem es ohne dieß ſchon eine Folge iſt, die aus der Ver - einigung mehrerer Subſtanzen zu Einer fließet. Denn ſo weit die Vereinigung geht, ſo weit wird auch jedwe - de Veraͤnderung in jeder, und alſo die ganze Menge von gleichzeitigen Veraͤnderungen in allen, auf jede ein - zelne, ſo zu ſagen, reflektiret, und in ihren Folgen ver - einiget.

Dieſe unmittelbare Folgerung hat die vollkommen - ſte Evidenz. Denn das Fuͤhlen iſt entweder eine ab -ſolute205im |Menſchen. ſolute Aktion der einzelnen Theile, die jedes einzeln fuͤr ſich aͤußert, oder es iſt ein Aggregat derſelben verei - niget in Einem, oder der Jnbegriff von den abſoluten Aktionen durch alle vertheilet. Aber das letzte iſt nichts, als eine Menge von mehrern gleichzeitigen Aeußerun - gen, die, wofern nicht jedwede einzelne fuͤr ſich ein Ge - fuͤhl iſt, auch keine Summe von Gefuͤhlen ausmacht. Denn in dem angenommenen Fall wird die Summe von den einzelnen Aktionen nur zum Gefuͤhl dadurch, daß ſie kollektive genommen werden, das iſt, nur dadurch, daß ſie ihre Wirkungen in Einem Dinge zuſammen - bringen, und in dieſer einen Schein bewirken. Und dieß letztere iſt ſo wenig gedenkbar, ohne daß irgendwo in einem Weſen, als in einem Mittelpunkt, dieſe Kol - lektion vorgehe, daß auch ſelbſt die Folgerung, daß ei - ne dreyſeitige Figur drey Winkel haben muß, nicht evi - denter ſeyn kann.

Wird nun z. B. ein Eindruck von dem vor mir ſte - henden Menſchen auf das fuͤhlende Jch hervorgebracht, ſo mag auf der innern zuſammengeſetzten Seele ein ſol - ches Bild entſtehen, wie auf dem Papier, worauf eine Zeichnung gebracht wird, oder wie das Bild auf der Netzhaut iſt, das ſich auf mehrere Nerven verbreitet. Ein Theil mag den Kopf, ein anderer den Leib, ein dritter die Arme faſſen, und ein vierter die Eindruͤcke von den Fuͤßen aufnehmen. Aber ſollen dieſe Eindruͤcke nun erſt vereiniget das Gefuͤhl und die Vorſtellung des Ganzen ausmachen, ſo muͤſſen jene Theile in der innigſten Verbindung mit einander ſtehen, und jeder ſich jedem mittheilen. Alle Veraͤnderungen in allen Theilen muͤſſen, ſo zu ſagen, in ihren Wirkungen durch einander laufen, und entweder in jedem einzelnen einfachen Weſen ſich vereinigen, oder nur in Einem von ihnen; oder in einem andern Weſen, das zu die - ſem Haufen nicht hingehoͤrt.

Eben -206XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen

Ebendaſſelbige wird erfordert, wenn wir den Aktus des Vergleichens in einem Urtheil betrachten. Die Vorſtellung der einen Sache, welche verglichen wird, iſt eine Modifikation des Ganzen, die aber durch die Ver - einigung entweder in allen und jeden ſubſtanziellen Theilen, oder in Einem einzigen von ihnen, zu einer Vorſtellung wird, wenn ſie es nicht ohne dieß ſchon in jedweder einzeln genommen iſt. Mit der Vorſtellung der zwo - ten Sache verhaͤlt es ſich auf dieſelbige Art. Nun folgt die Vergleichung. Laßt dieſe Aktion auf die Jdeen wiederum eine Aktion des Ganzen ſeyn, ſo ſind entweder die einzelnen Aktionen jedweder Theile Aktus des Ver - gleichens, oder ſie ſind es nur kollektive, inſofern ſie in ihren Folgen und Wirkungen auf ein einfaches ſich ver - einigen, und in dieſem, wenn es ein vorſtellendes We - ſen iſt, den ſubjektiviſchen Schein von dem Aktus des Vergleichens hervorbringen.

7.

Kann man ſagen, daß dieſe Folgerung in andere Worte uͤberſetzet, ſo viel heiße: es ſey jedes einfache Weſen, woraus das angenommene zuſammengeſetz - te Jch beſtehet, ſelbſt ein fuͤhlendes, denkendes und wollendes Weſen, ſelbſt die Seele, ſelbſt ein Jch? Laßt uns zur Maxime nehmen, uns ſo nahe bey der materialiſtiſchen Vorſtellung zu halten, als wir nicht durch die Vernunft davon abgedraͤnget werden, und laßt alſo nicht Einen, ſondern alle fuͤr ſich beſtehende Punkte des Ganzen ſolche Weſen ſeyn, in welchen die heterogenen Aktus von allen vereiniget werden.

Wir koͤnnen alſo jeden einfachen Aktus der Seele von einer zweyfachen Seite betrachten, wenn wir auf alles ſehen, was zu dieſem Aktus gehoͤret; und alsdann koͤn - nen wir dieſe Vorſtellung durch eine andere erlaͤutern, die ſchon bekannter iſt. Wenn ein Regiment Solda -ten207im Menſchen. ten zugleich Feuer giebt, und ein Schall entſtehet, der von jedem einzelnen Menſchen gehoͤrt wird, ſo iſt zwar jeder Soldat fuͤr ſich das hoͤrende Weſen, aber man kann nicht ſagen, daß jeder allein dieſen hoͤrbaren Knall wuͤrde hervorgebracht, und ſich die Empfindung davon verſchafft haben. Jn dieſem Beyſpiel treffen wir zuerſt etwas objektiviſches an, naͤmlich, die Bewe - gungen in der Luft, die auf einmal durch alle Schuͤſſe hervorgebracht werden. Dieſe machen eigentlich das Objekt aus, das kollektive in jedem einzelnen Gehoͤr ge - nommen der ganze Knall iſt, der nur ein ſubjektiviſches Daſeyn in den empfindenden Jndividuen hat.

Kann nicht jedes einfache Gefuͤhl eine ganze Men - ge anderer Aktus in ſich enthalten, die noch keine Ge - fuͤhle ſind, die in Reaktionen des zuſammengeſetzten Seelenweſens auf den Koͤrper beſtehen, und die alſo auch Aktionen des Koͤrpers auf das Seelenweſen voraus - ſetzen? Aber dieſe Aktus vereinigen ſich in jedem ein - fachen Theil des Ganzen. Daher geht ihre Kollektion in jedem einzelnen einfachen Theil vor ſich, und das iſt es, was nun dieſe Seelenaͤußerung zu einem Ge - fuͤhl macht. Allein die letztere Vereinigung kann nicht Statt finden, wenn nicht die ſich vereinigenden Aktus des Ganzen vorhanden ſind, das iſt, wenn nicht alle Theile des Ganzen gewirkt haben.

Nun iſt es zugleich offenbar, da es unter dieſer Vor - ausſetzung mehrere Weſen geben muß, in denen die Kollektionen der geſammten Gefuͤhlsaktus vor ſich gehen, und da jene Kollektion dieſe letztern Aktus erſt zum Gefuͤhl machet, oder doch zu einem Gefuͤhl ſubjekti - viſch betrachtet, zu einem Schein des Gefuͤhls; ſo wuͤr - de es auch eben ſo viele fuͤhlende Weſen geben, als es hoͤrende Soldaten giebt, die den Knall des ganzen Re - giments hoͤren. Es iſt nicht nur ein Haufe von We - ſen vorhanden, die ſolche Gefuͤhlshandlungen her -vor -208XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenvorbringen, und die alsdann, wann wir |empfinden, auf das modificirte Gehirn zuruͤckwirken, ſondern es iſt auch ein Haufe von Weſen da, in welchen dieſe Re - aktionen in ihren Folgen vereiniget werden und in ein Gefuͤhl uͤbergehen. Nur das Ganze zuſammen, nur alle Theile in Verbindung moͤgen das Ding ſeyn, wel - ches die ſich vereinigenden Aktus hervorbringet; aber dieſe Aktus ſind vor ihrer Vereinigung kein Gefuͤhl; das Gefuͤhl iſt nur in jedem einzelnen Theil, da wo die Kollektion geſchieht. Der fuͤhlenden Weſen giebt es alſo ſo viele, als es ſolche kolligirende ſubſtanzielle Einheiten giebt. Fuͤhlen, inſofern es eine Kolligiren anderer uns unbekannter Modifikationen, oder wenn man will, von Bewegungen iſt, muß dennoch ein Aktus einer einfachen Subſtanz ſeyn, ſo wie Ge - wahrnehmen und Wollen. Aber deswegen darf es kein einfacher Aktus ſeyn. Es iſt erlaubt, ſich ſeinen An - fang, ſeine Mitte und ſein Ende als unterſcheidbar vorzuſtellen, und ſogar eine unendliche Mannichfaltig - keit in demſelben anzunehmen; aber es iſt ein Aktus einer einfachen, alles dieſes in Einem, das iſt, in ſich ſelbſt vereinigenden Kraft.

Wird es zugegeben, daß die einzelnen Aktus der einfachen Weſen bey dem Gefuͤhl, ſelbſt ſchon mit dem Gefuͤhl homogene Handlungen ſind, ſo bedarf es keiner weitern Frage, ob es nicht mehrere fuͤhlende Weſen ge - be? Jn dieſer Vorausſetzung wuͤrde das Fuͤhlen eine abſolute Aktion ſeyn, die nicht in einer Kollektion meh - rerer in Einem beſtehet. Alsdann wuͤrde nur noch zu unterſuchen ſeyn, ob alle dieſe einzelnen Gefuͤhlshand - lungen gleichermaßen in jeder einzelnen fuͤhlenden Ein - heit ſich vereinigten, und alſo in jeder ein kollektives Ganzes ausmachten? Aber wenn irgendwo ein ſubjekti - viſcher Schein des ganzen zuſammengeſetzten Gefuͤhls ſeyn ſoll; wenn die einzelnen Gefuͤhlsaktus der Theilevon209im Menſchen. von dem zuſammengeſetzten kollektiven Gefuͤhl, das wir von uns ſelbſt erkennen, unterſchieden ſind: ſo iſt es wiederum außer Zweifel, daß eine Vereinigung aller Gefuͤhle in Einer Subſtanz, oder in jeder geſchehen muͤſſe, die ein Theil des Ganzen iſt. Genug, unſer Gefuͤhl, das, was mein Jch aͤußert, inſofern ichs kenne, iſt das Gefuͤhl eines einfachen Weſens.

Will man dieſe Vorſtellung vertheidigen, daß un - ſer Jch aus mehrern fuͤhlenden Weſen beſtehe, de - ren jedwedes ein Vereinigungspunkt der Veraͤnde - rung im Ganzen iſt: ſo geſtehe ich zwar, ich weiß nichts, womit ich beweiſen koͤnne, daß dieß unmoͤglich ſey. Aber mich deucht, eine Vorausſetzung, die nicht nur gar nichts fuͤr ſich hat, ſondern auch nimmermehr durch einen vernuͤnftigen Grund beſtaͤtigt werden koͤnn - te, wenn ſie wahr waͤre, falle von ſelbſt hinweg. Jn - dem unſer Jch ſich in ſeinen Wirkungen ſelbſt fuͤhlet, ſo wuͤrde in dem Fall, daß mehrere Jchs zugleich und jedes die ganze Menge derſelben erkennte, kein einziges von ihnen es wiſſen koͤnnen, daß andre neben ihm ſind, und neben ihm fuͤhlen und denken. Jſt der Schein von meinem Jch ein Schein von einer Menge, ſo iſt dieſer Schein auch wiederum in jedem Theil dieſer Menge, in jedem einzelnen Jch. Daß ein anderes Ding, als ich ſelbſt bin, naͤmlich ein Koͤrper, an mei - nen Seelenhandlungen Antheil nimmt, und etwas bey - wirket, das kann ich auf dieſelbige Art vermuthen, oder aus Gruͤnden ſchließen, wie der blinde Soldat es wiſ - ſen kann, daß ſeine Flinte es nicht allein ſey, die den großen Knall des ganzen Regimentsſchuſſes hervor - bringt; aber daß es unter den Urſachen, die mit meinem Jch zugleich wirken, noch mehrere ſolche Jchs gebe, da - von kann das Eine Jch nichts wiſſen. Man kann dem Jmmaterialiſten die Widerlegung dieſes Gedan - kens, daß es eine Menge von Jchs in Einem Men -II Theil. Oſchen210XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenſchen gebe, wohl ſchenken. Es iſt zum mindeſten uͤber alle Maßen unwahrſcheinlich, daß es in mir mehr als eine einzige, die Modifikationen der uͤbrigen in ſich kol - lektirende und fuͤhlende, Einheit gebe.

8.

Weiter, als bis zu dieſer Folgerung, daß in dem menſchlichen Seelenweſen, außer dem koͤrperlichen Organ, ein einfaches unkoͤrperliches Weſen, eine wahre ſubſtantielle Einheit vorhanden ſey, welche ei - gentlich das fuͤhlende, denkende und wollende Ding iſt, getraue ich mich nicht fortzugehen. Das Licht, das bis hieher ſcheinet, verliert ſich, wenn man ein mehreres von dem erweiſen will, was ſonſten die Jm - materialiſten zu beweiſen ſuchen. Das bisher erwieſene Reſultat fuͤhret nur auf eine Vorſtellung, die gleichſam zwiſchen der gewoͤhnlichen Vorſtellung der letztern, und zwiſchen der entgegengeſetzten des Materialiſten, in der Mitte lieget. Kann das Jch zu irgend einem Gefuͤhl eines Gegenſtandes gelangen, ohne Beyhuͤlfe des Koͤr - pers? kann das Selbſtgefuͤhl ohne dieſe letztere Statt finden? und iſt unſere Jdee von uns ſelbſt und von un - ſern Seelenaͤußerungen, die wir aus dem Selbſtgefuͤhl erhalten, ein Schein in einer andern Bedeutung, als es unſere Vorſtellungen von den Koͤrpern ſind, obgleich das Objekt von jener Jdee, naͤmlich die Veraͤnderungen und Wirkungen unſers Jchs, Beſchaffenheiten einer einfachen Subſtanz ſind. Jch weiß auf dieſe Frage hier nichts weiter zu antworten, als dieſes:

Wenn ein Eindruck von einem aͤußern Gegenſtan - de auf die Seele faͤllt, ſo mag die Aktion des Gehirns nicht nur dazu noͤthig ſeyn, daß dieſer Eindruck zu der Seele hingebracht wird, ſondern auch dazu, daß die Seele auf ihn zuruͤckwirke, und dann, daß dieſe Ruͤck - wirkung, die eine Reaktion vieler Punkte ſeyn kann, indem211im Menſchen. dem Jch durch die Vereinigung des Mannichfaltigen zum Gefuͤhl werde. Es iſt anderswo*)Zweeter Verſuch. VIII. eine Jdee von dem Gefuͤhl angefuͤhret worden, die beſonders bey den neuern Philoſophen beliebt iſt. Das Fuͤhlen ſoll eine Art von geiſtiger Reaktion der Seele ſeyn. Man koͤnnte durch die letzten Verſuchungen veranlaßt werden zu glauben, daß dieſe Jdee ſehr mangelhaft ſey, und ſo zu ſagen nur die aͤußern Wirkungen von dem Aktus des Gefuͤhls angebe. Denn nicht ſowohl die Reaktion der fuͤhlenden Subſtanz außer ſich auf die ſie umgebende Materie, ſondern vielmehr die Kollektion oder Vereinigung der Folgen, die ſowohl aus dieſen Aktionen des Seelenweſens, als aus der Aktion ande - rer Dinge entſpringen, und in dem Jch zuſammenlau - fen, macht das Weſentliche in dem Aktus des Gefuͤhls aus. Das Gehirn wirket auf die Seele, und die Seele wirket zuruͤck. Nun kann eine Materie vorhanden ſeyn, die das fuͤhlende Jch umgiebt, und mit dieſem zu einer materiellen Subſtanz vereiniget iſt, vielleicht ſogar auf eine von den naͤmlichen Arten, wie auch in den Koͤrpern Monaden mit Monaden zu einer Subſtanz vereiniget ſind. Wenn die Seele aufs Gehirn wirket, oder auf die innern Organe, ſo mag dieß eine Reaktion nicht nur des fuͤhlenden Jchs, des Mittelpunkts von allen, ſondern eine Reaktion des Ganzen, und aller mit dem Jch vereinigten Weſen ſeyn. Wenn es ſich ſo verhielte, ſo wuͤrde nicht ſowohl der Aktus des Fuͤhlens in dieſer vielleicht feinen koͤrperlichen Reaktion auf die Organe beſtehen, ſondern vielmehr in dem Aktus des Vereinigens, da die Folgen aus allen dieſen einzelnen Aktionen in dem Jch, als ihrem Mittelpunkt, zuſam - mengehen und dadurch zum Fuͤhlen werden. Was nun dem Jch widerfahren wuͤrde, wenn die gedachteO 2innere212XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſeninnere Materie aufgeloͤſet wuͤrde, davon es, ſo zu ſagen, die Grundeinheit iſt; ob es alsdenn mehr als das Ver - moͤgen unter aͤhnlichen Umſtaͤnden wiederum fuͤhlend zu werden behalten wuͤrde, kann ich aus den vorherge - henden Schluͤſſen nicht ſo ausmachen, wie es nach der gewoͤhnlichen Vorſtellungsart derer, die das Jch als eine ſubſtanzielle Einheit anſehen, entſchieden ſeyn wuͤrde.

Was endlich die Natur unſers Selbſtgefuͤhls und der Vorſtellungen betrifft, die wir von unſern eigenen Wirkungen haben, ſo koͤnnen ſie, nach den hier ange - ſtellten Raiſonnements, nichts mehr als Schein ſeyn; ſo wie die unmittelbare Beobachtung uns auch nicht be - rechtiget, ſie fuͤr etwas mehr anzuſehen, wie ich vorher (XI, 3.) gezeigt habe. Denn wir empfinden die Aktus unſers Gefuͤhls, und des Denkens, und des Wollens nur in ihren Wirkungen, das iſt, in den Veraͤnderungen und Folgen, die davon in dem geſammten Seelenweſen, das iſt, in einem zuſammengeſetzten Weſen, abhangen. Dieſe Empfindung entſtehet alſo auf eine aͤhnliche Art, wie die Empfindung eines aͤußerlichen koͤrperlichen Ge - genſtandes, von dem eine Jmpreſſion auf die innern Organe vorhanden iſt. Jene iſt eine Empfindung in - nerer Modificationen in der Materie, die aber ihre Ur - ſache, von der ſie abhaͤngt, und auf die ſie als Wirkung bezogen wird, in der Aktion des Jchs, das iſt, eines einfa - chen Weſens, hat, und die auch eine zuſammengeſetzte Aktion des einfachen Jchs ſelbſt ſeyn kann. Man muß zum mindeſten einſehen, daß die Pſychologen es bisher nicht bewieſen haben, daß dieſe Vorſtellung unreimlich ſey. Und wenn das iſt, ſo iſt es auch offenbar, daß die zwote Empfindung von der erſten Empfindung eines aͤußern Objekts, und uͤberhaupt, das Gefuͤhl unſerer eigenen Gemuͤthsbewegungen, unſerer Denkthaͤtigkeiten und unſers Willens, und alſo auch die Vorſtellungen aus dieſen Empfindungen in allen Hinſichten nur Er -ſchei -213im Menſchen. ſcheinungen ſind, die unmittelbar von dem koͤrperli - chen Beſtandtheile der Seele herruͤhren, ſich aber mit - telbar auf die Beſchaffenheiten, Kraͤfte und Vermoͤgen des einfachen Jchs beziehen, und in ſo weit Vorſtellun - gen von dem Einfachen ſind, aber nur verwirrte und re - lative Vorſtellungen. Vielleicht ſetzen kuͤnftige Unter - ſuchungen hieruͤber noch etwas mehr ins Licht.

V. Von dem Sitz der Vorſtellungen.

  • 1) Fernere Fragen uͤber die Natur des See - lenweſens.
  • 2) Jnſonderheit uͤber den Sitz der Vorſtel - lungen. Verſchiedene Hypotheſen daruͤber.

1.

Die bisher erwogenen zween Grundſaͤtze zeigen uns zwo Seiten von der Seelennatur des Menſchen. Jn jeder Empfindung, Vorſtellung und ſo ferner, iſt eine Seelenbeſchaffenheit in unſerm Jch enthalten, eine gewiſſe Modifikation, Beſtimmung oder Ein - ſchraͤnkung dieſer Kraft, oder wie man ſie nennen und unter welcher Metapher man ſie ſich vorſtellen will. Auf der andern Seite iſt eine Organsveraͤnderung da, und beide ſind zuſammen.

Will man nun tiefer in das Jnnere der Seele hinein, ſo werden wir freylich bald auf eine Menge von Fragen ſtoßen; aber, wie ich fuͤrchte, wenig beſtimmte Antworten aus der Erfahrung darauf erhalten. Zuerſt die gewoͤhnlichen uͤber die ſogenannten pſychologiſchen Syſteme.

Jſt zwiſchen der Seelenbeſchaffenheit (idea intelle - ctualis) und der ihr zugehoͤrigen Modifikation des Ge - hirns, oder materiellen Jdee, eine wahre urſachlicheO 3Ver -214XIII. Verſuch. Ueber das SeelenweſenVerbindung? bringet jene dieſe, oder dieſe jene, wie eine Urſache ihre Wirkung, hervor? Oder iſt nichts mehr als eine harmoniſche Geſellſchaft zwiſchen ihnen? Nichts als ein beſtaͤndiges Zuſammentreffen der Einen mit der andern, wie zwiſchen zwo Uhren, oder zwiſchen zwo Perſonen, die alle Markttage in Einer Stadt, in Einem Gaſthofe und in Einem Zimmer, zu Einer Ta - gesſtunde, ohne vorhergenommene Abrede, zuſammen kommen?

Und wenn es ſich alſo verhaͤlt, iſt es denn ſo, wie Leibnitz es ſich vorſtellte? bringet die Seele ihre eige - nen, und das organiſirte Gehirn auch die ſeinigen, durch ſeine eignen Kraͤfte hervor?

Oder wirket Gott unmittelbar in beiden alles, wie Malebranche es meinte, nach dem Syſtem der durch - gaͤngigen Aſſiſtenz.

Oder wirket Gott nur einige Seelenbeſchaffenheiten unmittelbar, ihre paſſiven Modifikationen naͤmlich, oder ihre Gefuͤhle; und nur einige in dem Koͤrper, die - jenigen Bewegungen naͤmlich, welche ſonſten der Thaͤ - tigkeit der Seele zugeſchrieben werden? So iſt es nach dem Syſtem der gelegentlichen Urſachen oder der gelegentlichen Aſſiſtenz. Gott wirket naͤmlich ſo viel, als zur Erhaltung der allgemeinen Harmonie erfodert wird. Malebranche entzog der Seele alle Kraft, alle Selbſtthaͤtigkeit, und dem Koͤrper gleichfalls. Dieß Syſtem war von der Leibnitziſchen Harmonie nur allein darinn unterſchieden, daß es die wirkende Urſache in Gott, Leibnitz aber in der Seele und in dem Koͤrper ſelbſt, ſetzte. Aber dieß war die Meinung des Des Car - tes und der Vertheidiger der gelegentlichen Aſſiſtenz nicht; welche letztere Hypotheſe ganz andere Folgen hat, als jene, ob ſie gleich von einigen Philoſophen mit jener verwechſelt worden iſt. Denn nach der letztern waren es nur die paſſiven Veraͤnderungen, die Gott unmittel -bar215im Menſchen. bar bewirkte, und die nach der gewoͤhnlichen Meinung ihr, wenn ſie empfindet, von dem Koͤrper beygebracht werden. Nun aber konnte ſie ſelbſt dieſe Empfindungen bearbeiten, und ſich ſelbſt zur Aktion beſtimmen, und hatte alſo ihr eigenes Werk. Und wenn mit dieſer Seelenthaͤtigkeit in dem Gehirn eine harmoniſche Be - wegung vergeſellſchaftet iſt, ſo war die letztere wiederum eine Wirkung von Gott, von welcher neue Bewegungen entſtehen, dem Mechaniſmus des Koͤrpers gemaͤß, die ihren Grund in dem Koͤrper ſelbſt und in ſeinen organi - ſchen Kraͤften haben, und wiederum neue Empfin - dungen in der Seele veranlaſſen. Die Seele ſowohl als der Koͤrper behielten ihre Spontaneitaͤt, deren ſie in dem Syſtem der Aſſiſtenz gaͤnzlich beraubet wurden.

Jch erwaͤhne dieſer Fragen hier nicht, um mich auf ſie weiter einzulaſſen, da ſie ſo ſehr durchgemuthmaßet, durchvernuͤnftelt und durchgedacht ſind, daß man dieß Feld fuͤr ganz ausgebaut anſehen kann, das vielleicht ein halbes Jahrhundert wieder brach liegen muß, ehe ſich von einer neuen Kultur deſſelben etwas erhebliches erwarten laͤßt. Das gemeine Syſtem, daß die Seele mit dem Koͤrper in einer wahren phyſiſchen Verbindung ſey, iſt das natuͤrliche Syſtem des Menſchenverſtandes. Nach allen Unterſuchungen hat ſichs gewieſen, daß die Schwierigkeiten bey demſelben, die man als die Gruͤn - de vorwandte, warum es noͤthig ſey, ſich um eine an - dre Vorſtellungsart zu bekuͤmmern, am Ende ſich in einen Mangel an deutlichen Begriffen uͤber die urſachli - che Verknuͤpfung aufloͤſen, und in eine Unbekanntſchaft mit dem Jnnern der Natur, welche in jeder andern Hy - potheſe nicht geringer iſt. Aber es hat ſich kein einziger Grund gefunden, der uns noͤthigte, in das gemeine Raiſonnement des Verſtandes ein Mißtrauen zu ſetzen, ob es gleich auf nur wahrſcheinlichen Grundſaͤtzen beruhet, die das Gegentheil nicht voͤllig wie eine UnmoͤglichkeitO 4aus -216XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenausſchließen. Dagegen haben die uͤbrigen Syſteme nichts fuͤr ſich, als bloß ihre innere Moͤglichkeit, die wenigſtens bisher noch nicht widerlegt worden iſt. Aber wie viel bedeuten Hypotheſen und Meinungen von der Einrichtung der Natur, die nichts weiter fuͤr ſich haben, als daß vielleicht die Sache ſo ſeyn koͤnne, wie man ſich ſie vorſtellet, ohne daß naͤhere Anzeigen vorhanden ſind, welche ihnen eine Wahrſcheinlichkeit geben? Mei - ne Abſicht iſt hier nur, die Beziehung zu bemerken, in der dieſe ſogenannten pſychologiſchen Syſteme mit einer andern Unterſuchung uͤber den Sitz der Vorſtellun - gen ſtehen, die unter den Philoſophen nicht ſo alt iſt, daß ſie nicht noch etwas von dem Glanze der Neuheit an ſich habe, und noch weniger von allen ihren Seiten bisher erwogen iſt.

Jſt naͤmlich die Leibnitziſche Harmonie oder die Aſ - ſiſtenz das wahre Syſtem, ſo faͤllt die Frage: in wel - chem Theile unſerer ganzen Seelenweſen ſich die Vor - ſtellungen befinden, das iſt, die wiedererweckbaren Spuren ehemaliger Empfindungen, von ſelbſt weg. Nach Leibnitz, Malebranche und Des Cartes verſtehet es ſich von ſelbſt, daß die Vorſtellungen ſowohl als die Empfindungen Seelenbeſchaffenheiten ſind, und in der Seele, als in ihrem Subjekt, ihren Sitz haben. Denn nicht nur die Modifikation, welche die Empfin - dung ausmacht, iſt in der Seele, ſondern hier iſt es auch, wo die Spur davon zuruͤckbleibet, und wieder erwecket wird. Nun bleibt es zwar noch unbeſtimmt, ob nicht auch in dem Gehirn ſich etwas aͤhnliches eraͤugne; ob nicht die Veraͤnderung in der organiſirten Maſſe, wel - che in der Empfindung entſtehet, auch in dem Organ eine Spur hinterlaſſe, welche durch koͤrperliche Urſachen, ſie moͤgen in dem Gehirn ſelbſt ſeyn, oder von außen auf daſſelbige wirken, wieder erneuert werden koͤnne? oder ob das Gehirn wie ein fluͤſſiges Weſen ſich ver -haͤlt,217im Menſchen. haͤlt, welches die harmoniſchen Bewegungen nur allein aufnimmt, ohne ſie in ſich beſtehen zu laſſen, oder eine Spur davon zu behalten? Allein wie ſich auch der Har - moniſt, oder der Vertheidiger der Aſſiſtenz daruͤber er - klaͤren mag, ſo hat er doch uͤber den weſentlichen Punkt, naͤmlich uͤber die Exiſtenz der intellektuellen Jdee in der Seele, ſchon entſchieden. Zum mindeſten iſt es ſo bey der Leibnitziſchen Harmonie. Denn die Carteſiſche und Malebranchiſche Hypotheſe koͤnnte noch ſo raffinirt werden, daß ſie den unterſchiedenen Meinungen uͤber den Sitz der Vorſtellungen angepaßt wuͤrde.

Allein wenn das Syſtem der urſachlichen Verknuͤ - pfung zwiſchen dem immateriellen Jch, und zwiſchen dem Koͤrper vorausgeſetzet wird: ſo iſt allerdings die letzte Frage uͤber den Sitz der Vorſtellungen als eine der Hauptfragen anzuſehen, wenn man uͤber die Natur der Seele philoſophiren will. Da nun der Jnſtinkt den Philoſophen ſowohl als den Nichtphiloſophen unauf hoͤr - lich anlieget, ſich fuͤr dieſe Meinung zu erklaͤren, und die Vernunft nach der ſchaͤrfſten Aufloͤſung der Begriffe nichts dagegen zu ſagen hat, ſondern vielmehr beyſtim - met, ſo iſt es endlich unter den neuern Philoſophen ſo gut als ausgemacht angenommen, daß ſie die wahre Vorſtellung von der Union ſey, und dadurch iſt zugleich die Unterſuchung uͤber das Subjekt der Vorſtellungen außerordentlich intereſſant geworden. Gluͤcklich, wenn es, wie mans glaubet, wahr iſt, daß hier eine Stelle gefunden ſey, wo ſich der Schleyer der Natur auf he - ben laͤßt; ich fuͤrchte, unter dem Schleyer ſey ſie noch mit einem dichten Mantel bedecket.

2.

Jch ſehe den Mond und empfinde ihn. Es iſt ei - ne Modifikation in der Seele vorhanden, und eine gleichzeitige Veraͤnderung im Gehirn.

O 5Jch218XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen

Jch habe jetzo, da ich den Mond zwar nicht ſehe, aber an ihn denke, eine Vorſtellung von ihm. Es iſt alſo wiederum eine Modifikation meines Jchs vorhan - den, eine Beſtimmung oder Einſchraͤnkung der Seelen - kraft, und eine gleichzeitige Modifikation in meinem Gehirn. Die Seele iſt alſo ein Ding, worinn etwas iſt, als eine Beſchaffenheit in einem Subjekt. Aber hievon iſt eigentlich die Frage nicht.

Die Empfindung hinterlaͤßt eine Spur, auch wenn ſie bis dahin voruͤbergehet, daß ich von ihr nichts mehr weiß. Worinn dieſe Spur beſtehe, weiß ich nicht. Vielleicht iſt es die naͤmliche oder doch eine gleichartige Modifikation, wie die Empfindung ſelbſt war, nur ge - ſchwaͤcht, in ſich zuſammengezogen, eingewickelt, ſo daß ſie nicht mehr als gegenwaͤrtig vorhanden gewahr - genommen werden kann; aber doch ſo, daß ſie, ohne eine neue Jmpreſſion von dem aͤußern Objekt, wiederum verſtaͤrket, ausgebreitet, entfaltet, und dann als ein mir gegenwaͤrtiges Phantasma gewahrgenommen werden kann.

Vielleicht iſt es ſo etwas, als man ſich unter dem Beſtreben oder unter der Tendenz einer Kraft, ſich in einen gewiſſen Zuſtand zu verſetzen, vorbildet. Aber was es auch ſey, ſo hat es die Folge, daß eine gewiſſe Leichtigkeit in uns vorhanden iſt eine gewiſſe, der ehemaligen Empfindung aͤhnliche Modifikation anzuneh - men, oder in einen aͤhnlichen Zuſtand verſetzet zu wer - den, welche Diſpoſition vorher nicht da war, ſondern aus der Empfindung entſtanden iſt. Solche Leich - tigkeiten oder eigentlich die Beſchaffenheiten, welche der Grund von ihnen ſind, machen die ruhenden Vor - ſtellungen in dem Gedaͤchtniſſe aus; und ſolche ſind in uns vorhanden, auch wenn wir ſie nicht ge - brauchen.

Wo219im Menſchen.

Wo ſind dieſe Beſchaffenheiten, dieſe ruhenden, wieder erweckbaren Spuren ehemaliger Empfindungen? Sind es gewiſſe Beſchaffenheiten der Seelenkraft, Mo - difikationen von unſerm Jch? Wenn ſie wirklich re - produciret werden, ſo ſind Seelenbeſchaffenheiten vor - handen, und Gehirnsveraͤnderungen. Dieß letztere iſt nicht zweifelhaft, aber von jenem iſt die Frage naͤm - lich davon: welches das Subjekt der zuruͤckgebliebenen Spuren oder der Sitz der Leichtigkeiten ſey, den Zu - ſtand der Empfindungen auf eine gewiſſe Weiſe zu er - neuern?

Wenn jene bleibende Spuren nur allein in dem koͤrperlichen Organ der Seele vorhanden ſind, ſo wird die Empfindung dennoch eine wahre Modifikation der Seele und des Gehirns zugleich ſeyn. Die wieder - erweckte Vorſtellung iſt in der Seele ſelbſt ein wieder zuruͤckkehrender ehemaliger Zuſtand, eine nochmalige matte Empfindung oder ein ſchwaches Bild von ihr. Aber wenn die Seele nun leichter in dieſen Zuſtand ver - ſetzet werden kann, ſo mag dieß vielleicht daher kom - men, weil das Gehirn die dazu gehoͤrige, materielle Jdee leichter aufnimmt; nicht aber daher, weil ſie ſelbſt in ſich ſo eine Diſpoſition erhalten hatte. Jn dieſem Fall wuͤrde die Reproduktion nicht in der Seele, ſondern in dem Organ geſchehen. Jn jener wuͤrde jedes Phan - tasma ein neuer Zuſtand, eine neue Jmpreſſion ſeyn, aber keine Ausdehnung oder Erweckung deſſen, was ſchon wie im Keim, oder wie ein Funke unter der Aſche, vorher wirklich vorhanden war. Wenn eine ge - trocknete Blaſe, die mit Luft erfuͤllet iſt, jeden Augen - blick durch den Druck der Hand eine andere Geſtalt an - nimmt, aber wieder in ihre erſte Geſtalt ausſpringet, nachdem der Druck aufgehoͤret hat, ſo lege man ihr noch außer der Elaſticitaͤt die Beſchaffenheit bey, daß ſie von jedem ſtarken Druck eine ſolche Lage ihrer Fibernerhalte,220XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenerhalte, die ſie aufgelegt machet, in dieſe Form am leichteſten wieder verſetzet werden zu koͤnnen, und zwar durch ein gewiſſes Schuͤtteln, ohne daß es einer aͤhnli - chen Preſſion mit der Hand beduͤrfe, welche das erſte - mal nothwendig war. Jhre Biegſamkeit, die ſie, zu - gleich mit ihrer Elaſticitaͤt und Feſtigkeit vereiniget, zu dieſem Ende beſitzen muͤßte, wuͤrde ausnehmend groß ſeyn, und groͤßer als wir ſie bey irgend einem Koͤrper antreffen. Aber wenn wir denn der Blaſe dieſe Ei - genſchaften in Gedanken leihen, ſo iſt es begreifllich, daß ſie von jedweder Veraͤnderung ihrer Geſtalt eine Spur, oder eine Leichtigkeit dieſe Figur von neuem an - zunehmen, behalten wuͤrde. So oft ſie ſich bey dieſer Vorausſetzung veraͤndert, ſo oft veraͤndert ſich auch die Figur der innern, in ihr verwahrten fluͤßigen Luft. Denn dieſe aͤndert ihren aͤußern Umfang, wie die Blaſe und mit ihr zugleich, ohne daß dem ohnerachtet in der Luft etwas anzutreffen ſey, ſo mit den bleibenden Spu - ren in der Blaſe zu vergleichen waͤre. Die Luft iſt und bleibet wie das Waſſer, aller Veraͤnderungen ihrer Form in dem Gefaͤße ungeachtet, zu jeder Geſtalt gleichguͤl - tig, und hat fuͤr ſich ſelbſt keine andere, als diejenige, welche ihr von ihrem Gefaͤße gegeben wird. Man kann ihr in der Fiktion noch außer ihrer Elaſticitaͤt, womit ſie gegen die Waͤnde des Gefaͤßes druckt und auswaͤrts treibet, auch Kraͤfte beylegen gewiſſe ge - genwaͤrtige Geſtalten des Gefaͤßes zu erhalten, und ge - wiſſen Abaͤnderungen derſelben zu widerſtehen, ſo daß ſie nicht ganz gleichguͤltig gegen alle iſt; dennoch wird ſie keiner bleibenden Spuren in ſich faͤhig, und bleibet in ihrem Jnnern ſo unbeſtimmt, wie ſie vorher gewe - ſen iſt.

Hier liegt der Mittelpunkt der Sache. Jſt die von der Empfindung in dem Seelenweſen zuruͤckgeblie - bene Spur, eine bleibende Beſchaffenheit derSeele,221im Menſchen. Seele, oder des Organs? Hat das Gedaͤchtniß, dieſes Jdeen aufbewahrende Vermoͤgen, ſeinen Sitz in der Seele oder in dem Gehirn?

Man kann vier Antworten darauf geben:

1) Die Spuren ſollen allein Seelenbeſchaffen - heiten ſeyn. Dieß iſt die erſte und gemeinſte Hy - potheſe von dem Sitz der Vorſtellungen in der Seele.

2) Sie ſollen allein Beſchaffenheiten des Ge - hirns ſeyn. Dieß iſt das Bonnetiſche Syſtem von dem Sitz des Gedaͤchtniſſes im Gehirn.

Oder 3) ſie ſollen Beſchaffenheiten in beiden ſeyn. Die Seele ſoll die Leichtigkeit in ſich haben, auf die vorige Art von neuem modificirt zu werden; und das Gehirn gleichfalls. Jene in der Seele wird alsdenn das weſentlichſte Stuͤck ſolcher ruhenden Vorſtellung ausmachen; wenn dieſe gleich nicht wieder erwecket wer - den kann, ohne daß die Gehirnsbeſchaffenheit zugleich auch erneuert werde. Dieß iſt die dritte Hypotheſe von dem Sitz der Vorſtellungskraft in beiden Theilen des Menſchen. Vielleicht iſt ſie am Ende die wahrſcheinlichſte, weil ſie in der Mitte lieget.

Oder 4) einige im Gedaͤchtniß ruhende Vorſtellungen koͤnnen nur allein Seelenbeſchaffenheiten ſeyn, andere allein Gehirnsbeſchaffenheiten. Vielleicht einige auch Beſchaffenheiten von beiden.

Jrgendwo ſind dieſe Vorſtellungen vorhanden in dem innern Menſchen; in dem beſeelten Organ, oder in der mit dem Organ vereinigten Seele. Dadurch werden wir verſichert, daß doch auf Einer dieſer vor uns liegenden Hoͤhen die Wahrheit ſtehen muͤſſe. Zu welcher fuͤhren uns nun die Beobachtungen hin, oder zu welcher von ihnen bringen ſie uns doch ſo nahe, daß wir es ganz helle ſehen, ſie ſey es, die wir ſuchen? Jch ſage, die Beobachtungen: denn ſonſten habenauch222XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenauch die Metaphyſiker vieles uͤber die Natur der Sub - ſtanzen aus Begriffen raiſonnirt, das, wenn es hier ſicher gebrauchet werden koͤnnte, uns die Dienſte der Teleſkope thun moͤchte. Aber ſo ſcheinet jetzo noch nichts anders uͤbrig zu ſeyn, als daß man ſich auf den langen und zum Theil ungebahnten Weg der Erfahrung zu Fuß begebe, und langſam immer etwas naͤher hinan zu kommen ſuche.

Hiebey muß ich aber noch folgende Anmerkung hin - zuſetzen. Wenn gleich die hier aufgezaͤhlten vier Ver - ſchiedenheiten alle moͤgliche Hypotheſen begreifen, die man uͤber den Sitz des Gedaͤchtniſſes, inſoferne ſolches den Jnbegriff der ruhenden Vorſtellungen ausmachet, erſin - nen kann, ſo ſind ſie es doch nicht alle, die moͤglich ſind, wenn auch zugleich der Sitz der Wiedervorſtellungs - kraft oder des Vermoͤgens zu reproduciren beſtim - met werden ſoll. Die hinterbliebene Spur der Em - pfindung kann in dem Gehirn, und die Kraft ſie wieder zu erwecken, in der Seele, oder umgekehrt, das Ver - moͤgen der Reproduktion in dem Gehirn, und die erweck - bare Spur in der Seele ſeyn. Die Kraft und ihr Objekt koͤnnen in demſelbigen Weſen beyſammen, oder ſie koͤnnen auch getrennet ſeyn. Dieſe moͤgliche Ver - ſchiedenheit iſt alſo noch mit jener zu verbinden; und daher kann jede der obigen vier Hypotheſen, in zwo Nebenhypotheſen auseinander gehen, wie ſich bald erge - ben wird, wenn man in die Unterſuchung der Sache ſelbſt etwas hineingehet. Nun iſt ſchon vorher ange - merket worden, daß unter dem Namen von Vorſtel - lungen nicht jedwede hinterbliebene Spuren verſtan - den werden, ſondern eine ſolche, welche durch innere Urſachen in der Seele auch wieder erwecket werden kann, wenn gleich die Einwirkung der Urſachen fehlet, welche die erſten Jmpreſſionen in der Empfindung hervorbrachte. Es iſt nichts daran gelegen, wenn man den Sitz desGedaͤcht -223im Menſchen. Gedaͤchtniſſes und den Sitz der Vorſtellungen fuͤr einerley haͤlt; aber alsdenn kann der Sitz der Vor - ſtellungen von dem Sitz der Einbildungskraft oder des Wiedererneurungsvermoͤgens verſchieden ſeyn. Jndeſſen, da es hier meine Abſicht nicht iſt, alle Moͤg - lichkeiten durchzugehen, ſondern nur die Wahrſchein - lichkeiten aufzuſuchen, ſo bedarf es auch keine vollſtaͤn - digere Aufzaͤhlung von jenen, und es iſt genug, auf ſie eine allgemeine Ruͤckſicht zu nehmen.

VI. Beurtheilung der erſten Hypotheſe von dem Sitz des Gedaͤchtniſſes in der Seele.

  • 1) Die Erklaͤrungsart bey dieſer Hypotheſe. Jhr zufolge giebt es keinen unmittelbaren Uebergang im Gehirn von einer mate - riellen Jdee zur andern, die mit ihr ver - knuͤpft iſt.
  • 2) Auf welche Art viele Schwierigkeiten, die man dieſer Erklaͤrungsart entgegenſetzet, ge - hoben werden koͤnnen. Wie gewiſſe har - moniſche Bewegungen im Gehirn gegen - waͤrtig ſeyn koͤnnen, ohne daß weder die Seele, noch die ſonſt gewoͤhnliche Jmpreſ - ſion von außen, ſie hervorbringe. Jnglei - chen, wie Jdeen wider den Willen der Seele in ihr und von ihr reproduciret wer - den koͤnnen.
  • 3) Schwierigkeiten, die aus der beobachteten Abhaͤngigkeit des Gedaͤchtniſſes von dem Koͤrper und von koͤrperlichen Urſa -chen224XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenchen entſtehen. Wie dieſe gehoben werden koͤnnen.
  • 4) Merkwuͤrdiger Unterſchied zwiſchen will - kuͤrlichen Vorſtellungen, deren Gegen - wart von einem ſelbſtthaͤtigen Beſtreben der Seele abhaͤngt, und zwiſchen unwill - kuͤrlichen, die ſich uns von ſelbſt darzu - ſtellen ſcheinen.
  • 5) Einwurf, der aus dieſer Verſchiedenheit entſpringet, gegen die Meinung, daß die Wiedervorſtellungskraft allein der Seele zukomme. Wie ſich hierauf antworten laſſe.

1.

Die erſte der gedachten Hypotheſen iſt die gewoͤhnlich - ſte, die man in den Lehrbuͤchern der aͤltern Philo - ſophen als eine nicht zweifelhafte Vorausſetzung an - trifft; oder wenigſtens kommt ihr die gewoͤhnlichſte am naͤchſten, zumal wenn man auf die Anwendung ſieht, die gemeiniglich von ihr gemacht wird. Jn der Seele ſoll das Gedaͤchtniß und der aufbewahrte Vorrath von Vorſtellungen, Jdeen und Gedanken; dagegen in dem Ge - hirn nichts dahin gehoͤriges ſeyn, wenn die Empfindung voruͤber iſt, und die Vorſtellung aufgehoͤret gegenwaͤr - tig uns vorzuſchweben. Da das Gehirn weich, und der Nervenſaft fluͤßig iſt, ſo kann hier vielleicht ſo wenig eine Spur von der vorhergegangenen ſinnlichen Bewe - gung zuruͤckgeblieben ſeyn, als in dem Waſſer die Stelle kenntlich iſt, wo ein Stein hineingeworfen iſt, ſobald die wallende Bewegung auf der Flaͤche ſich wiederum verloren hat, die keine Minute beſtehet.

Wir225im Menſchen.

Wir wollen hiemit auch dieß verbinden, daß nur allein die Seele eine pſychologiſche Reproduktionskraft beſitze. Sie ſoll es ſeyn, welche ihre gehabte Vorſtel - lungen aus ſich wiederum erwecket, die alsdenn in ihr eigentlich nur Wiedervorſtellungen ſind. Die Bewe - gungen im Gehirn, welche zu ihnen gehoͤren, ſind je - desmal neue Bewegungen, obgleich Wiederholungen anderer vorhergegangenen, denen ſie aͤhnlich ſind. Man laſſe zum zweytenmal einen Stein auf der naͤmlichen Stelle ins Waſſer fallen, wenn die Kreiſe, die der erſte machte, nicht mehr ſichtbar ſind; ſo werden aͤhn - liche Kreiſe entſtehen; aber es ſind neue Kreiſe, die eben ſo von dem zweeten fallenden Stein entſtehen, als die erſtern, und keine Beziehung auf jene haben, welche vorhergegangen ſind.

Die Seele reproducirt die Jdeen nach dem Geſetz der Aſſociation: theils nach der Verbindung, die ſie ſchon in dem Gedaͤchtniß haben, theils nach der Aehn - lichkeit unter ſich, und mit dem gegenwaͤrtigen Zuſtand der Seele. Hiebey hat die Seele ſich nicht immer in ihrer Gewalt. Denn dieß Geſetz iſt ein Geſetz ihrer Natur, von dem ſie nicht anders abgehen kann, als in ſo ferne ſie ſelbſt ihren eigenen Zuſtand zu veraͤndern im Stande iſt. Heget ſie alſo Jdeen wider ihren Willen, oder faͤllt ſie auf ſie mit Unmuth alle Augenblicke zuruͤck; iſt ſie von ihnen bezaubert, wie ein Kaninchen von ei - ner Klapperſchlange, das ſich entfernen will, auch ſich wirklich etwas entfernet, aber doch gleich wieder zuruͤck - kehret und, indem es unverwandt dem Verſchlinger in die funkelnden Augen ſiehet, ſich ihm immer mehr naͤ - hert, und endlich zur Beute uͤberlaͤßt; wenn ſo etwas aͤhnliches dem Liebhaber mit der Vorſtellung von ſeiner Geliebten begegnet, und jedem andern mit ſeinem Steckenpferde: ſo folget nicht, daß die Seele von dem Strome des Gehirns getrieben wuͤrde; es folget nur,II Theil. Pdaß226XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſendaß ſie nicht allemal das Vermoͤgen habe, die in ihr feſtgeſetzte Folge von Vorſtellungen ſelbſtthaͤtig abzu - aͤndern.

Ein weſentlicher Charakter dieſer Hypotheſe, der nothwendig aus dem vorhergehenden folget, beſtehet darinn, daß es nur allein in der Seele einen unmit - telbaren Uebergang von einer reproducirten Vor - ſtellung zu der andern giebt. Die intellektuelle Jdee von dem Berge, lieget dicht an der intellektuellen Jdee von dem Thale. Die dazu gehoͤrigen Gehirnsveraͤnde - rungen haben unter ſich unmittelbar keine Verbindung, ſondern ſind nur ſich zur Seite ſtehende Wirkungen Ei - ner Urſache. Die materielle Jdee von dem Berge im Gehirn, oder die Gehirnsveraͤnderung wird durch die intellektuelle Vorſtellung in der Seele hervorgebracht, und die zwote von dem Thale iſt in dem Gehirn mit der zwoten Jdee von dem Thale in der Seele verbun - den. Dieſe beiden Gehirnsbewegungen folgten in der Empfindung auf einander, als das Auge von dem Ber - ge zum Thale ſich hinwandte; aber ſie haben dennoch in der Reproduktion keine ſolche Beziehung auf einan - der, daß die erſtere Oſcillation im Gehirn die letztere unmittelbar erwecken koͤnne. Folglich kann keine Ge - hirnsveraͤnderung wieder zuruͤckkehren, woferne nicht entweder von außen die naͤmliche Urſache einen Ein - druck machet, oder nicht von innen die Seelenkraft auf die naͤmliche oder auf eine aͤhnliche Art dieſelbige Fiber in Bewegung ſetzet.

Entweder die naͤmliche oder doch eine aͤhnliche aͤußere Urſache kann die naͤmliche, oder doch eine aͤhnliche, Gehirnsbewegung hervorbringen. Aeußere Urſache iſt hier aber eine jede, die, wenn ſie gleich in - nerhalb des Umfangs des Koͤrpers iſt, doch außer der Seele und außer ihrem innern Organ ſich befindet, wie z. B. Funken herausfahren, wenn das Auge ſtark ge -ſtoßen227im Menſchen. ſtoßen oder geſchlagen wird. Es entſtehen alſo mate - rielle Jdeen von Licht und Feuer, ohne daß ein Feuer außer den Augen vorhanden ſey. Das naͤmliche wird durch eine Menge von optiſchen Erſcheinungen, be - ſonders durch die ſo genannten zufaͤlligen Farben, oder veraͤnderlichen Scheinfarben, die in uns ent - ſtehen, ohne daß aͤußere Gegenſtaͤnde vor uns ſind, wo - durch auf die gewoͤhnliche Weiſe die materiellen Bilder von ſolchen Farben erreget werden koͤnnten, beſtaͤtiget. Wir haben alſo ſinnliche Bewegungen im Gehirn, wel - che zu gewiſſen Jdeen in der Seele gehoͤren, und in dem Gehirn hervorgebracht werden, ohne daß die ge - woͤhnliche Jmpreſſion von außen vorhanden ſey. Und auch iſt es die Seele nicht, welche ſie hervorbringet.

2.

Jn dieſem Erfahrungsſatz, daß gewiſſe ſinnliche Bewegungen im Gehirn durch mehr als Eine Urſache entſtehen koͤnnen, obgleich zwiſchen dieſen Urſachen we - nig Aehnlichkeit zu ſeyn ſcheinet, hat man einen Ge - meinort, aus dem ſich eine Menge von Erklaͤrungen herholen laſſen, wenn der Vertheidiger der gemeinen Hypotheſe Schwierigkeiten aufloͤſen ſoll, die ihm aus gewiſſen Faktis entgegengeſetzt werden. Denn da es Eindruͤcke im Gehirn giebt, wovon man vielleicht glau - ben kann, daß ſie durch die Thaͤtigkeit der Seele be - wirket werden, und die doch auch von einer Reproduk - tionskraft des Gehirns nicht entſtehen koͤnnen, weil das Gehirn dergleichen nicht beſitzet, ſo muͤſſen ſie jedesmal, wenn ſie vorhanden ſind, aͤußerliche Urſachen haben, wovon ſie herruͤhren. Sind nun die gewoͤhnlichen nicht da, ſo koͤnnen es andere ſeyn, die jenen zwar in man - chen Hinſichten unaͤhnlich ſind, aber doch unter gewiſ - ſen Umſtaͤnden aͤhnliche Bewegungen im Gehirn her - vorbringen.

P 2So228XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen

So ein anderer Gemeinort iſt in dem ſchon ange - fuͤhrten Satz, den man mit dieſer Hypotheſe verbinden kann, daß naͤmlich die Seele nicht allemal ihre Repro - duktion in ihrer Gewalt habe, und dem Geſetz der Aſ - ſociation auch wider ihren Willen unterworfen ſey. Fraget man z. B. wie Wallungen im Gebluͤt Phanta - ſien veranlaſſen, wie der Wein angenehme Vorſtellun - gen erwecke, und die Hitze des Fiebers Raſerey? wie kann es die Seele ſelbſt thun? ſo laͤßt ſich antworten, ohne daß man dem Gehirn ruhende, materielle Vorſtel - lungen, oder ein Vermoͤgen zu reproduciren einraͤume. Man kann hier nicht annehmen, wie ſonſten in manchen andern Faͤllen, daß die Bewegungen in dem Gebluͤt und in den Saͤften die Urſachen ſind, die ſolche Ein - druͤcke in dem Seelenorgan des Kranken, in ſolcher Menge und ſo ſchnell hervorzaubern koͤnnen, wozu ſon - ſten Jahre erfodert werden, ehe ſie nach und nach aus den Empfindungen geſammlet werden. Es waͤre we - nigſtens außerordentlich unwahrſcheinlich, die Bilder des Jrreredenden im Fieber fuͤr Wirkungen von den Jmpreſſionen der aͤußern Objekte anzuſehen, die gegen - waͤrtig auf das Gehirn wirken ſollten. Jſt es moͤglich, ohne Augen und Ohren zu gebrauchen, daß durch ge - wiſſe innere Bewegungen in dem Gehirn Schwingun - gen entſtehen, die ſonſten nur vermittelſt der offenen Sinnglieder hervorkommen? Dieſe Antwort aus dem erſtern Grundſatz laͤßt ſich hier nicht geben. Die See - le ſelbſt wird ſich auch ja nicht ſo aus ihrer Faſſung ſe - tzen, und ſo unordentlich und verwirrt reproduciren, daß ſie zur andern Zeit ſich dafuͤr ſchaͤmen muͤßte.

Allein aus dem letztern Satze kann man antworten, ohne die Hypotheſe zu verlaſſen. Es bedarf keiner An - lagen im Gehirn aus ehemaligen Empfindungen her, die durch koͤrperliche Urſachen, ohne Zuthun der Seele, erwecket wuͤrden. Alles kann auf die folgende Art zu -gehen.229im Menſchen. gehen. Die Bewegungen in dem Koͤrper, die von dem Wein, von der Hitze, oder von andern Urſachen entſtehen, veranlaſſen Empfindungen in der Seele, weil ſie im Gehirn einen ſinnlichen Eindruck machen, welcher zu ſolchen Empfindungen gehoͤret. Aber die Seele, wenn ſie einmal auf dieſe Empfindungen gebracht iſt, uͤber - laͤßt ſich dem Geſetz der Aſſociation. Der Wein, der des Menſchen Herz erfreuet, erreget zunaͤchſt ein Ge - fuͤhl des Wohlſeyns. Dieß Gefuͤhl giebt der Seele den Ton in ihren Kraftaͤußerungen und Phantaſien; und es werden Jdeen erwecket, die ſich auf dieſen Zu - ſtand beziehen, ſchoͤne Ausſichten, Hoffnungen, Freu - den, nach dem Geſetz der Aſſociation; und dieſe Jdeen in der Seele bringen ihre zugehoͤrigen Gehirnsbeſchaf - fenheiten hervor. Jn andern Leidenſchaften und in der Raſerey iſt die Reihe von Vorſtellungen anders, und ihre Folgen ſind anders; das Spiel in der Seele iſt anders, und folglich auch die Reihe der Gehirnstoͤne. Allein in allen dieſen Faͤllen iſt die Seele der Spieler; nur daß ſie durch einen oder den andern Ton, den eine fremde Urſache hervorbrachte, zuerſt in den Schwung geſetzt worden iſt, bey dem ſie oftmals aus ihrer Faſ - ſung geſetzet wird.

Ueberhaupt wenn es nur auf das Vertheidigen hier ankaͤme, wenn ſich vorausſetzen ließe, die Hypotheſe ſey mehr als eine Hypotheſe, entweder in Faktis voͤl - lig gegruͤndet, oder doch wegen der Menge und Wich - tigkeit der Anzeigen, die fuͤr ſie ſind, uͤberwiegend wahr - ſcheinlich in Vergleichung mit andern, die man ihr zur Seite ſetzen kann; wenn ſich dieſes ſchon annehmen ließe, und es alſo nur darum zu thun waͤre, daß man zeigte, es koͤnnten die ihr entgegengeſtellten Schwierig - keiten gehoben werden, ohne daß ſie ſchlechthin dadurch umgeſtoßen werde: ſo ließe ſich wohl Rath ſchaffen. Moͤchten dann gleich manche Erfahrungen leichter, ein -P 3facher230XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenfacher und naͤher aus einer andern Hypotheſe erklaͤret werden koͤnnen, ſo kann darauf noch kein ſo vielbedeu - tender Einwurf gegruͤndet werden, da wir doch aus manchen Beyſpielen in der Naturlehre wiſſen, daß Er - klaͤrungsarten, die anfangs die einfachſten und leichte - ſten zu ſeyn ſchienen, nachher bey weitem nicht als die richtigſten befunden worden ſind. Die Natur iſt zwar einfach in ihrem Verfahren, aber auch ſo mannichfaltig, daß die verworrenſten Arten zu wirken, ſo wie ſie uns naͤmlich vorkommen, oftmals die ſind, welche ſie liebet. Aber es fehlet noch viel daran, daß es mit unſerer Hy - potheſe ſchon ſo weit gebracht ſey. Jn wie vielen Faktis iſt ſie gegruͤndet, ſo daß nicht fuͤr jede der uͤbrigen eben ſo viele auf die naͤmliche Art angefuͤhrt werden koͤnnten? Wenn ſie alſo an Glaubwuͤrdigkeit etwas voraus hat, ſo ſoll dieſer Vorzug erſt aus den vorzuͤglich leichten und einfachen Erklaͤrungsarten, die aus ihr genommen werden koͤnnen, hervorleuchten. Sie muß alſo an Wahrſcheinlichkeit verlieren, wenn ihre Vertheidiger noch neue Hypotheſen hinzuſetzen muͤſſen, um mit ihr aus - zureichen; noch mehr aber, wenn dieß ſchon noͤthig iſt, um ſie zu erhalten, daß ſie durch Fakta nicht umge - worfen werde.

3.

Zu den vornehmſten Schwierigkeiten, die ſich bey ihr finden, gehoͤret die bekannte Abhaͤngigkeit des Gedaͤchtniſſes von dem Gehirn und dem Koͤrper. Jſt das Gedaͤchtniß, als der Jdeenſitz, allein in der Seele: wie kann die Krankheit ſolches wegnehmen, wo - von man Beyſpiele hat, daß es geſchehen iſt? Wie kann das Alter es ſchwaͤchen? Die Leiden des Koͤrpers bringen Empfindungen in der Seele hervor, und hin - dern ihre Vermoͤgen zu wirken; aber koͤnnen ſie auch die Spuren in dem Jnnern der Seele ausloͤſchen, dieſich231im Menſchen. ſich da aus den Empfindungen her ſchon feſtgeſetzt hat - ten? Koͤnnen ſie dieß nicht, warum werden denn ſo viele Jdeen durch Zufaͤlle entzogen, oder unerweckbar gemacht?

Vielleicht hat die koͤrperliche Urſache die Fibern des Gehirns erſchlaffet oder erſtarret, daß es ihnen nun an der noͤthigen Feſtigkeit oder Beugſamkeit fehlet, die in - nern Eindruͤcke von der Seele her anzunehmen. Jch wuͤrde dieß antworten. Und dann iſt es zugleich be - greiflich, warum die Seele, ob ſie gleich ihre intel - lektuellen Jdeen wieder hervorziehet, ſich auf nichts be - ſinnen koͤnne. Denn wenn ſie dieſe letztern in ſich wie - der erneuert: ſo thut ſie das, was ein Spieler thut, wenn er mit ſeinen Fingern auf die Klaves hin und her faͤhrt, wie er es ſonſten macht, wenn er ſpielet. Es erfolget dennoch kein Ton, wenn die Saiten des Jn - ſtruments geſchlaffet oder zerſprungen ſind. Auf gleiche Weiſe koͤnnte die intellektuelle Jdee wieder hervorkom - men; aber wenn die dazu gehoͤrige Gehirnsveraͤnderung nicht vorhanden iſt: ſo iſt es auch nicht moͤglich, daß die Seele ihre wiedererweckte Vorſtellung empfinden, und von ihr wiſſen koͤnne, daß ſie in ihr ſey. Denn ein Gefuͤhl von einer gegenwaͤrtigen Vorſtellung erfo - dert allemal eine gegenwaͤrtige Gehirnsbewegung, auf welche die Seele zuruͤckwirket, indem ſie die dazu gehoͤ - rige Vorſtellung fuͤhlet.

Genuͤget dieſe Antwort? Menſchen, deren Ge - daͤchtniß in hitzigen Krankheiten vergangen iſt, haben eigentlich am meiſten an dem Jdeenvorrath gelitten, nicht ſo ſehr an dem Gedaͤchtniß ſelbſt, als Vermoͤgen betrachtet, obgleich allerdings auch an dem letztern, zu - weilen mehr, zuweilen weniger. Sonſten findet ſich, wenn ſie wiederum geſund ſind, daß ihr Gedaͤchtniß auch ſeine Dienſte wiederum leiſtet, Modifikationen aufbewahrt und reproducirt. Dieß ſcheinet zu beweiſen,P 4daß232XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſendaß die Gehirnsfibern ihre Receptivitaͤt ſich ſpannen zu laſſen nicht verloren haben, wenn nur Vorſtellungen vorhanden waͤren. Solche Leute muͤſſen von neuem lernen, weil ihr aufgeſammleter Jdeenvorrath dahin iſt. Dieſer Umſtand giebt eine neue Schwierigkeit. Wie iſt dieß zu begreifen, wenn die Jdeen in der Seele ſelbſt uͤbrig geblieben ſind, wie vorher, und das Gehirn uͤber - haupt nichts mehr in ſich hat, noch annehmen kann, als nur die unbeſtimmte Faͤhigkeit, ſich von der Seele modificiren zu laſſen? Sobald dieſe Staͤrke wiederum in den Fibern da iſt, ſollten ſich ja auch zugleich alle vorige Jdeen wieder erneuern laſſen.

Auf dieſe Replik ließe ſich noch wohl dupliciren. Bey einigen beſondern Faͤllen iſt es noͤthig, ſich ſo ge - nau in die Gruͤnde fuͤr und wider eine Hypotheſe ein - zulaſſen, um ihre ganze Staͤrke im Erklaͤren einzuſehen. Aber auch nur in einigen Faͤllen. Denn wenn man Muthmaßungen pruͤfet, ſo iſt es ganz ein anders, als wenn man Wirkungen aus einer bekannten Urſache ab - leiten will. Bey jenem kommt es mehr auf eine allge - meine Ueberſicht aller Anzeigen zuſammen und auf die Uebereinſtimmung der Muthmaßungen mit allen an, als auf die Art dieſer Uebereinſtimmung mit einigen ein - zeln fuͤr ſich betrachtet.

Es laͤßt ſich, wie geſagt, noch einmal auf den letz - ten Einwurf antworten. Koͤnnen nicht die Fibern des Gehirns durch die Krankheit zu ſchlaff geworden ſeyn, um durch die Aktion der Seele von innen die noͤthigen Schwingungen anzunehmen, und durch eine neue An - wendung bey den Empfindungen dieſen Grad ihrer Spannkraft, der ihnen fehlet, nur allmaͤhlig wieder er - halten? Ein Kranker hatte ſeinen Namen vergeſſen; dieſer wird ihm von neuem vorgeſagt, und er behaͤlt ihn nun. Vielleicht war die Fiber zu ſchwach, um die materiellen Jdeen von innen anzunehmen; aber nichtzu233im Menſchen. zu ſchwach, um ſie aus der ſtaͤrkern Jmpreſſion, die von dem aͤußern Schall herkommt, zu erhalten. Und wenn ſie nun zugleich ihre vorige Elaſticitaͤt wieder em - pfaͤngt, ſo iſt ſie in den Stand geſetzt, auch von der zuruͤckgebliebenen Jdee in der Seele modificiret zu wer - den. Die aͤußern Empfindungen muͤßten nach dieſer Erklaͤrung zwar die Elaſticitaͤt oder worinn eigent - lich die Empfaͤnglichkeit des innern Organs beſtehen mag verſtaͤrken, und in ſo weit etwas in dem Or - gan zuruͤcklaſſen. Allein was ſie zuruͤcklaſſen, iſt eine bloße Erhoͤhung der Elaſticitaͤt, welche keine Spuren von beſondern Toͤnen, das iſt, keine materiellen Jdeen ausmacht. Uebrigens kann man bey dieſer Hypotheſe es auch gerne zugeben, daß ſich Vorſtellungen ſelbſt aus der Seele zum Theil und gaͤnzlich verlieren, und daß dieß Vergeſſen in der Seele ſelbſt in die angefuͤhr - ten Erfahrungen einen Einfluß habe.

4.

Es giebt eine Menge von Vorſtellungen in uns, bey denen das Selbſtgefuͤhl es offenbar zu lehren ſcheinet, daß ihre Reproduktion die durchaus keiner aͤußern Urſache zugeſchrieben werden kann auch keine Wir - kung der Seele ſey, ſondern eine bloße Leidenheit, wie die aͤußern Empfindungen, die ihre Urſachen außer der Seele haben. Soll jede reproducirte Vorſtellung als eine Wirkung von der Seelenkraft angeſehen werden, ſo iſt man zuweilen genoͤthiget, auf gut idealiſtiſch oder harmoniſtiſch zu erklaͤren.

Wir kennen den Unterſchied zwiſchen unwillkuͤrli - chen Vorſtellungen, die von ſelbſten ſich uns darzubie - ten ſcheinen, und zwiſchen den willkuͤrlichen, deren Wiedererweckung nicht ohne eine merkliche Anſtrengung unſerer Kraft geſchieht, ſehr gut. Die Empfindung lehret dieſen Unterſchied; und, ohne Ruͤckſicht auf irgendP 5eine234XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſeneine Hypotheſe, iſt ſo viel außer Zweifel, daß die eine Art weniger, als die andere, eine außerordentliche und ſich auszeichnende Thaͤtigkeit unſers Jchs erfodere, ſie mag nun von dem Gehirn, oder von dem Jch, oder von beiden zugleich abhangen. Wir unterſcheiden die Stunden der Arbeit und des geſchaͤfftigen Beſtrebens des Geiſtes, im Vorſtellen und im Nachdenken, von den Stunden der Ruhe und des Genuſſes. Jn jenen iſt die Reproduktion der Vorſtellungen mehr ein Werk von uns ſelbſt; dagegen in den letztern die Phantaſien ſich von ſelbſt darbieten, und uns eine leichte und ab - wechſelnde Unterhaltung verſchaffen. Jn jenen arbeitet die Seele, und die Organe verrichten ihre Dienſte mit Munterkeit; die Vorſtellungen ſind lebhaft, und ſtel - len ſich zu unſerm Dienſte dar, ohne doch ſich laͤnger zu verweilen als wir ſie gebrauchen. Die Seele blei - bet dabey beſinnlich, behaͤlt die Herrſchaft uͤber die Jdeen, und bringet auch das Organ, wenn ſie will, wiederum in Ruhe. Dieß fuͤhlen wir, ſo lange die Staͤrke und Lebhaftigkeit der Jdeen innerhalb einer ge - wiſſen Grenze bleibet, die der Geometer im Nachden - ken, und der Dichter in der Begeiſterung, ja nicht zu uͤberſchreiten hat. Denn ſobald die Vorſtellungen ſo lebhaft werden, daß ſie in der Seele den Meiſter ſpielen, ſo ſind ſie ungelenkbar, und verfolgen uns auch wider ihren Willen. Eine aͤhnliche Graͤnze findet ſich gleich - falls auch auf der andern Seite in unſern Erholungen und vernuͤnftigen Vergnuͤgungen, die nicht in gaͤnzli - cher Unthaͤtigkeit beſtehen. So lange wir innerhalb derſelben ſind, iſt Beſinnung und Beherrſchung der Vor - ſtellungen da; aber weiter herunter entſtehet der Traum und der Schlaf, in welchem die Seele, obgleich aus ei - nem andern Grunde, naͤmlich aus Mangel an innerer Selbſtthaͤtigkeit, eben ſo wenig ſich und ihre Vorſtel - lungen regieren kann.

Es235im Menſchen.

Es verdienet hiebey eine beſondere Bemerkung, daß es ein großes Beduͤrfniß unſrer Seele ſey, daß ſie ununterbrochen fort mit ſolchen unwillkuͤrlichen und lei - dentlichen Vorſtellungen, wie mit Empfindungen, er - fuͤllet ſey. Fehlet es uns auf dem Boden unſerer See - le an Jdeen und Gedanken, die ſich uns darſtellen, und ſich in uns erhalten, ohne daß es der Seele eine be - merkbare Aeußerung koſte ſich ſolche zu verſchaffen, ſo iſt die Munterkeit und Geſundheit und, faſt kann man ſagen, das Leben des Geiſtes dahin. Wenn das ge - ſchwaͤchte Gehirn uns hierinn ſeine Dienſte verſagt und nicht immerfort Bilder zur Beſchaͤfftigung uns vor - haͤlt: auf einen Augenblick naͤmlich einmal ange - nommen, daß das Gehirn ſelbſt ſeine Schwingungen er - neuere: ſo entſtehet ein ungluͤckſeliger Zuſtand in dem Menſchen, wovon ich nicht wuͤnſche, daß meine Leſer anſchaulich aus der Erfahrung ihn kennen moͤgen. Naͤm - lich es entſtehet ſo ein Lebensverdruß, als das weſent - liche Stuͤck in dem Spleen der Englaͤnder ſeyn ſoll. Dieſe Krankheit hat, wie man meint, ihre erſte Urſa - che zwar im Unterleibe, aber ſie verbreitet ſich ins Ge - hirn, und machet das Seelenorgan unfaͤhig, die uns unterhaltenden Vorſtellungen herzugeben, welche die Gegenſtaͤnde und die Nahrung fuͤr die Wirkſamkeit der Seele und fuͤr ihr Leben ſind. Alsdenn entſteht ein ſchreckliches Leeres in uns, das die Seele durch ein Beſtreben Jdeen zu erwecken, oder auch durch Zer - ſtreuungen und neue Empfindungen, auszufuͤllen ſucht; aber ſo, daß ſie zugleich bey dieſen Beſtrebungen ihre Schwaͤche und Ohnmacht fuͤhlet und muthlos wird. Die Bilder erfolgen nicht, oder fallen ſogleich wiederum weg. Es iſt ſehr natuͤrlich, daß daraus ein Unmuth entſpringe, welcher mehr, als ein Verdruß uͤber einzelne unangenehme Zufaͤlle, mehr als ein Gefuͤhl von Schmerzen und Widerwaͤrtigkeit, welches doch dieSeele,236XIII. Verſuch. Ueber das SeelenweſenSeele, ſo lange es nur nicht ganz betaͤubend iſt, in Thaͤ - tigkeit ſetzet und ſie zugleich mit dem begleitenden Ge - fuͤhl ihrer Staͤrke aufrichtet, ſondern ein Ueberdruß des Lebens ſelbſt iſt. Denn das Gefuͤhl der Exi - ſtenz wird widrig, und alſo Vorſtellen und Denken ei - ne Laſt, die, wenn ſie anhaͤlt, die Geiſteskraft zu Bo - den druͤcket.

5.

Aus dieſem Unterſchiede zwiſchen den reproducirten Vorſtellungen kann eine unſrer gegenwaͤrtigen Hypotheſe ungemein nachtheilige Folgerung gezogen werden. Da es in uns eine ununterbrochene Reihe unzaͤhliger Vor - ſtellungen giebt, die nicht von aͤußern Eindruͤcken ent - ſtehen, auch keine innern Empfindungen ſind, weder gewoͤhnliche noch ungewoͤhnliche, weder aͤchte noch un - aͤchte; ſoll man annehmen, daß unſer Jch ſelbſt ſie her - vorbringe: ſo kann man aus eben dieſen Gruͤnden an - nehmen, daß es auch die Eindruͤcke von den Farben hervorbringet, wenn wir ſehen. Denn das Jch iſt, dem Gefuͤhl nach, bey jenen Vorſtellungen nicht mehr ſelbſt - thaͤtig, als bey ſeinen leidentlichen Jmpreſſionen, wenn wir empfinden.

Und kann nicht offenbar der naͤmliche Schluß bey der großen Menge von Jdeen angebracht werden, die uns nicht nur ohne unſern Willen, ſondern auch ge - gen unſern Willen und gegen unſer Beſtreben ſich auf - draͤngen, wieder zuruͤckkehren und uns verfolgen, wie die Schmerzen aus dem Koͤrper? Jn der That finde ich keinen Unterſchied in dem Gefuͤhl meiner Wirkſamkeit bey jenen und bey dieſen. Dennoch ſoll das Jch es ſeyn, was die Vorſtellungen in ſich ſelbſt erweckt, und alsdann erſt die harmoniſchen Gehirnsveraͤnderungen hervorbringet. Wenn das Gehirn ſeine materiellen Jdeen in ſich ſelbſt und aus ſich hervorziehet, und derSeele237im Menſchen. Seele ſie vorhaͤlt: ſo ſcheinet dieſe Reproduktion ſo gut erklaͤrt zu ſeyn, als die Empfindungen, denen ſie von dieſer Seite ſo ſehr aͤhnlich ſind. Laßt uns die Re - produktionskraft, ſo viel naͤmlich zu den paſſiven Vor - ſtellungen erfodert wird, dem Gehirne beylegen, und alſo auch in dieſem die ruͤhrenden materiellen Jdeen an - nehmen: ſo haben wir eine Erklaͤrung dieſer Phaͤnome - ne, die viel natuͤrlicher und leichter iſt, als die gemeine Hypotheſe ſie geben kann.

Aber daß die letztere nun ſchlechthin damit nicht be - ſtehen koͤnne: dieß wuͤrde ich nicht zugeben, wenn ich ihr Vertheidiger ſeyn wollte. Kann die Seele nicht aufgelegt ſeyn, durch ihre natuͤrliche Wirkſamkeit eine Menge von Vorſtellungen in ſich zu unterhalten, wo - fern nur das Gehirn nicht ungeſchickt iſt, ſeine Dienſte zu thun, ohne daß ſie doch dieſe ihre eigenen Beſtrebun - gen beſonders fuͤhlen und gewahrnehmen duͤrfe? Wenn ſie einmal durch Empfindungen in den Stand reger Wirkſamkeit gebracht iſt, ſo mag ſie ſo leicht und ſo unmerklich Jdeen reproduciren, als ein Virtuos auf ſeinem Jnſtrument phantaſiren kann. Dieſer Effekt koſtet zwar Kraft und Thaͤtigkeit, daher ſie auch endlich daruͤber ermuͤdet; aber doch keine ſich ausneh - mende Anſtrengung, die ſie als eine eigene Kraftaͤuße - rung und als ein beſonderes Beſtreben in ihrer ganzen Thaͤtigkeit unterſcheiden muͤßte. Wenn aber das Ge - hirn ſeine Receptivitaͤt dazu verloren hat, dann iſt es nicht zu verwundern, daß ſeine ſinnlichen Bewegungen nicht erfolgen, und daß es alsdenn an dem Gefuͤhl der Vorſtellungen und der Thaͤtigkeit fehle, oder auch, daß dieß Gefuͤhl ſo ſchmerzhaft werde, als die Anſtrengung des Kopfes, wenn das Gehirn durch eine hitzige Krank - heit gelitten hat.

Kann die Seele dieſe oder jene Vorſtellung nicht unterdruͤcken, wie ſie will, ſo kann dieß darinn ſeinenGrund238XIII. Verſuch. Ueber das SeelenweſenGrund haben, weil dieſe mit einer Empfindung ver - knuͤpfet iſt, die von außen her unauf hoͤrlich in uns ver - neuert wird. Das Gebluͤt behaͤlt noch einige Zeit ſeine Wallungen, und der Magen kocht noch etwas fort, wenn gleich der Zorn voruͤber iſt. Jn dieſen Umſtaͤn - den mag die Seele die Vorſtellung von einer empfange - nen Beleidigung einen Augenblick unterdruͤcken; und dieß vermag ſie; aber weil die Bewegungen im Koͤrper noch immer dieſelbigen dunklen Empfindungen wieder er - neuern, die in dem ganzen Affekt enthalten waren: ſo ſtellen ſich auch die Jdeen von dem Beleidiger und von der Beleidigung, die noch eben vorher ſo innig mit jenen Jmpreſſionen aſſociirt waren, nach dem Geſetz der Aſ - ſociation wieder dar, das die Seele nicht auf heben kann. Auf dieſe Art laſſen ſich die obgedachten Beob - achtungen noch erklaͤren; und dann ſteht die Meinung, daß alle Vorſtellungen nur allein in der Seele und von der Seele reproduciret werden, wo auch allein ihr Sitz iſt, noch an derſelbigen Stelle, wo ſie vorhero ſtand.

VII. Von der zwoten Bonnetiſchen Hypotheſe; von dem Sitz der Vorſtellungen im Gehirn, und von dem Vermoͤgen des Gehirns ſie zu reproduciren.

  • 1) Auszug der Bonnetiſchen Analyſis.
  • 2) Pruͤfung dieſer Hypotheſe. Sie hebt |die Freyheit der Seele nicht auf.
  • 3) Pruͤfung des erſten Grundſatzes. Ob es eine allgemeine Eigenſchaft organiſirter Koͤr - per ſey, daß Eindruͤcke auf ſie gewiſſe Diſpo - ſitionen hinterlaſſen, die empfangenen Be - wegungen nachher leichter anzunehmen?

4) Pruͤ -239im Menſchen.

  • 4) Pruͤfung des zweeten Grundſatzes. Ob jede verſchiedene materielle Jdee ihre eigene Fiber erfodere?
  • 5) Pruͤfung dieſes Syſtems, als eine Hypo - theſe betrachtet, aus der die pſychologiſchen Erſcheinungen erklaͤrt werden ſollen. Es hat auf Einer Seite einen Vorzug vor dem vorhergehenden, da es die Abhaͤngigkeit der Jdeen von dem Koͤrper leichter erklaͤrt.
  • 6) Ob irgend eine Vorſtellung ſich jemals gaͤnzlich verliere?
  • 7) Von dem Kindiſchwerden der alten Leute. Wie ſolches nebſt andern aͤhnlichen Wirkun - gen ſowohl nach der erſten Hypotheſe, als nach der Bonnetiſchen, zu erklaͤren ſey?
  • 8) Jn der Bonnetiſchen Hypotheſe iſt eine Luͤ - cke, da die Jmpreſſionen in dem Gehirn ih - re bleibenden Spuren haben ſollen, aber die Jmpreſſionen auf die Seele nicht ſo. Eine aͤhnliche Luͤcke findet ſich auch in der vorher - henden Hypotheſe auf der andern Seite.
  • 9) Beobachtungen, die ſchwerer aus der Bon - netiſchen Hypotheſe erklaͤret werden.

1.

Nun zur zwoten Hypotheſe, welche das ganze Ge - daͤchtniß dem Gehirn oder den innern Seelenor - ganen zuſchreibet! Nach dieſer iſt das Gehirn das Subjekt und der Sitz der Vorſtellungen, dem auch das Vermoͤgen, ſie wieder zu erwecken, eigentlich zukommt. Der240XIII. Verſuch. Ueber das SeelenweſenDer Verfaſſer des bekannten Eſſai de Pſychologie, wovon man nun weiß, daß es Hr. Bonnet nicht iſt, hatte dieſelbige Meinung ſchon vorgetragen; aber Hr. Bonnet hat ſie in ſeinem bekannten Verſuche ſo voͤl - lig ausgebildet, daß ſie wohl den Namen von ihm fuͤh - ren kann. Man muß gleich anfangs geſtehen, wie viel oder wenig man auch dem Fundament und der Fe - ſtigkeit dieſes neuen pſychologiſchen Gebaͤudes zutrauen mag: ſo iſt doch ſeine Form und die Zuſammenfuͤgung ſeiner Theile ein Meiſterſtuͤck der philoſophiſchen Archi - tektonik. Es iſt mit ausnehmender Vorſichtigkeit und mit einer Aufmerkſamkeit von dem vortrefflichen Manne bearbeitet, die beſtaͤndig das Ganze vor ſich hatte, und in ſeinem Jnnern die lichtvolleſte Ordnung erhalten hat, die es in allen ſeinen Theilen leicht uͤberſehen laͤſſet. Jch will zuvoͤrderſt die Grundlage herſetzen.

Der Menſch empfindet. Alsdenn iſt eine Modi - fikation in dem Gehirn vorhanden, eine uns unbekann - te Bewegung in ſeinen Fibern, in ihren feſten oder fluͤſ - ſigen Theilen. Die Seele reagirt auf das Gehirn, und wird dadurch zugleich modificirt; und dieſer ihre Modi - fikation iſt es, was wir das Gefuͤhl, die Empfin - dung, oder die Perception des Objekts nennen.

Hat die Empfindung aufgehoͤrt, ſo iſt voraus - geſetzt, daß ſie einen gewiſſen Grad von Staͤrke und Lebhaftigkeit gehabt habe in der bewegten Fiber des Gehirns eine Veraͤnderung vorgegangen. Dieſe kann nunmehr leichter auf die naͤmliche Art beweget werden; vielleicht hat ſie eine gewiſſe Tendenz ſich ſo zu bewegen bekommen; ſie kann nunmehr faſt durch jedwede Urſache, die ſie etwas ſtark erſchuͤttert, in den vorigen Schwung verſetzet werden, wenn gleich nicht ſo ſtark, als der Eindruck von außen in der Em - pfindung es gethan hatte. Die Fiber beſaß dieſe Diſ - poſition, leichter eine gewiſſe ſinnliche Bewegung an -zuneh -241im Menſchen. zunehmen, vorher nicht, als ſie noch unberuͤhrte Jung - ferfiber (fibre vierge) war. Die aͤußere Empfin - dung mußte ihr ſolche beybringen, entweder dadurch, daß ſie ein Hinderniß ſich auf dieſe Art zu bewegen wegnahm, oder ihr gewiſſe Theile zuſetzte, oder ſie ſtaͤr - ker ſpannte, oder ihren Theilen eine gewiſſe Lage bey - brachte, oder auf welche Art man ſichs am beſten ver - meinet vorſtellen zu koͤnnen. Genug, das Faktum iſt da, und es iſt eine Folge von dem Mechaniſmus des Gehirns. Jn dieſem bleiben die Spuren von den Empfindungen zuruͤck, welche die ruhenden materiellen Jdeen ausmachen.

Zu jeder verſchiedenen Jmpreſſion von außen, aus der eine Vorſtellung eines Objekts entſtehet, ge - hoͤrt auch eine eigene beſondere Fiber. Die naͤm - liche Fiber kann nicht zu zwoen ſinnlichen Bewegungen die naͤhern Diſpoſitionen aufnehmen. Die Leichtigkeit zu der Einen wuͤrde ſich mit der Leichtigkeit zu der an - dern verwirren und in Eine zuſammenfließen; und dann koͤnnten die Vorſtellungen ſolcher Dinge nicht un - terſchiedene Vorſtellungen bleiben. Dieſer Satz und ſeine Folgen machen eigentlich nur eine Nebenbetrach - tung aus, die ſich von den uͤbrigen abſondern laͤßt. Aber Hr. Bonnet haͤlt ſie fuͤr nothwendige Theile des ganzen Syſtems, ohne welche nicht Licht genug darein gebracht werden koͤnne.

Die Seele, ein immaterielles, von dem Koͤr - per und dem Gehirn ganz unterſchiedenes und mit dieſem unvergleichbares Weſen, denn Hr. Bonnet konnte Denken und Bewußtſeyn in dem Koͤrper nicht finden, weil ſeine Hypotheſe unter den uͤbrigen die naͤch - ſte bey dem Materialiſmus iſt; dieſe Seele em - pfindet und wird auf eine gewiſſe Art modificirt, wenn in dem Gehirn die ſinnliche Bewegung, z. B. die Jm - preſſion auf das Werkzeug des Geruchs von der Nelke,II Theil. Qent -242XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenentſtehet. Sie hat eine andere Empfindung, wenn anſtatt der Nelke der Duft aus der Roſe die Nerven ruͤhret. Aber ſobald die Empfindung der Nelke aufge - hoͤrt hat, und nun nichts mehr als eine Leichtigkeit zu der aͤhnlichen Bewegung in den Gehirnsfibern uͤbrig iſt, ſo iſt in der Seele keine Spur mehr davon. Dieſe, als das eigentliche Jch im Menſchen, iſt eine unbeſtimm - te, das Gehirn bewegende, fuͤhlende Kraft, die nur jedes - mal eine ſolche Form hat, als ihr von der gegenwaͤrti - gen Bewegung des Gehirns gegeben wird. Nur als - denn, wenn die ſinnliche Bewegung in dem Organ wie - derum erwecket wird, nimmt auch die Seele die vorige Form wieder an. Die Leibnitziſche Erklaͤrung von der Seele, daß ihr weſentlicher Charakter in der Vorſtel - lungskraft beſtehe, iſt nach dieſem Syſtem die allerun - ſchicklichſte. Der Menſch, das beſeelte Organ, ſtellet ſich die Welt vor; aber die Seele fuͤhlet nur die gegen - waͤrtigen ſinnlichen Bewegungen im Gehirn.

Jn der Seele ſelbſt kann keine Vorſtellung die an - dere unmittelbar wieder erwecken. Jch habe ge - ſtern einen Menſchen neben einem Eſel, und beyde bey einer Quelle, geſehen. Wenn durch irgend eine Urſache die Vorſtellung von dieſem Eſel wieder hervorkommen ſoll: ſo muß im Gehirn die vorige ſinnliche Bewegung erneuert werden; und wenn dieſe Jdee die uͤbrigen ver - geſellſchafteten erwecket: ſo ziehet Eine der Gehirnsbe - wegungen unmittelbar die zwote hervor, die in der Em - pfindung an ſie geknuͤpfet ward; und dieſe erreget die zwote Vorſtellung in der Seele. Darauf gehet das Gehirn von der zwoten zur dritten Bewegung uͤber; und die dritte im Gehirn bringet die dritte in der Seele her - vor. Die Phantaſie, das Vermoͤgen zum Wiedervor - ſtellen, iſt in den Fibern des Gehirns. Jn dieſem lie - gen die Jdeenreihen wie Linien, deren Punkte die ma - teriellen Vorſtellungen ſind. Von jedem dieſer Punktegehet243im Menſchen. gehet zwar aufwaͤrts eine Seitenlinie in der Seele; aber die Vorſtellungen in der Seele ſind nichts, wenn ſie nicht gegenwaͤrtig uns vorſchweben. Daher kann die Seele von der Einen zur Andern nicht uͤbergehen, als vermittelſt der materiellen Jdeen, die im Gehirn in Verbindung ſind. Das Gehirn iſt alſo eine wieder - vorſtellende Maſchine, und die Einbildungskraft nebſt dem Gedaͤchtniß eine Folge der Organiſation.

So lange eine ſinnliche Bewegung in dem Gehirn beſtehet, ſo lange dauert auch die gleichzeitige Jdee in der Seele. Wie aber, wenn die Leichrigkeit zu der naͤmlichen Bewegung, die im Gehirn zuruͤckbleibet, nichts anders waͤre, als eine fortdauernde, wahre, ob - gleich geſchwaͤchte und unbemerkbare Bewegung; wie der Verfaſſer des Eſſai de Pſychologie ſichs vorſtellete, und Hr. Bonnet nicht fuͤr ganz unwahrſcheinlich haͤlt? Wuͤrde denn nicht die entſprechende Seelenbeſchaffenheit und alſo die ruhende Jdee auch in der Seele fort - dauernd ſeyn muͤſſen; und alſo die Seele das Subjekt der Vorſtellungen und der Sitz des Gedaͤchtniſſes ſeyn? Aber man ſieht leicht, daß dadurch das Eigene dieſer Erklaͤrung nicht wegfalle. Denn wenn das Jch auch unaufhoͤrlich ihre Vorſtellungen in ſich behaͤlt, und ſol - che in einer permanenten Spur von der Empfindung beſtehet: ſo kann ihr dennoch das Vermoͤgen fehlen, ei - genmaͤchtig dieſe Spuren in ſich wieder zu entwickeln und bemerkbar zu machen. Dieß Vermoͤgen der Re - produktion wuͤrde noch ausſchließungsweiſe eine Eigen - ſchaft des Organs ſeyn koͤnnen.

So weit gehet der erſte Theil dieſer Pſychologie, der hier am meiſten zur Unterſuchung kommt; aber man muß zugleich auf den zweeten ſehen, worinn der thaͤtige Antheil der Seele an den Vorſtellungen be - ſtimmt wird, um ſie in ihrem ganzen Umfange zu faſ - ſen. Die Seele verhaͤlt ſich bey dieſem Spiel des Ge -Q 2hirns244XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenhirns doch nicht ganz unthaͤtig. Sie beſitzet die Kraft, eine gegenwaͤrtige Vorſtellung zu unterhalten, oder auf eine andere fortzugehen. Dadurch kann ſie ihren gegenwaͤrtigen Zuſtand ſelbſtthaͤtig fortſetzen, wenn ſie die dazu gehoͤrige ſinnliche Gehirnsbewegung unterhaͤlt; und dieß geſchieht, ſo oft wir die Aufmerkſamkeit auf eine Vorſtellung verwenden, oder mit andern Worten, ſo oft die Seele in einem hoͤhern Grade mit ihrer Aktivi - taͤt auf die in Bewegung gebrachte Fiber zuruͤckwirket. Eben ſo kann ſie eine Vorſtellung voruͤbergehen laſſen, wenn ſie ihre Kraft von der bewegten Fiber abziehet, und auf eine andre anwendet.

Es geſchieht das eine oder das andere, je nachdem ihre gegenwaͤrtige Modifikation ihr gefaͤllt oder miß - faͤllt. Dieſe Affektion haͤnget aber von einem gewiſſen Verhaͤltniß zwiſchen der Groͤße der Bewegung und der Beſchaffenhenheit der Fiber ab, welche beweget wird. Jſt das Verhaͤltniß der Bewegung zu der Kraft der Fiber ſo, daß jene dieſer angemeſſen iſt, oder die Fiber weder ſtaͤrker noch ſchwaͤcher erſchuͤttert wird, als die Verbindung ihrer Theile und ihre Nervenkraft es ver - tragen kann, ohne uͤbermaͤßig geſpannt zu werden: ſo iſt ſolch eine Bewegung ihr angemeſſen, und die daraus entſtehende Empfindniß iſt angenehm. Mehr oder Weniger, als dieſes Maß gehet, macht die Bewe - gung unangenehm, und verurſachet entweder Schmer - zen oder Langeweile.

Aber jedwede ſinnliche Bewegung, die durch die Thaͤtigkeit der Seele unterhalten wird, erreget zugleich eine Menge von ſinnlichen Bewegungen in andern Fi - bern; vorausgeſetzt, daß die Leichtigkeiten dazu ih - nen ſchon in vorhergegangenen Empfindungen beyge - bracht ſind, und daß zwiſchen dieſen und jenen mittel - bar oder unmittelbar eine Verbindung nach dem Geſetz der Aſſociation zu Stande gebracht iſt. Daher kannauch245im Menſchen. auch eine ſinnliche Bewegung, die fuͤr ſich ſelbſt gleich - guͤltig iſt, wegen ihrer Verbindung mit andern ange - nehm oder unangenehm ſeyn. Jndem nun aber die Aufmerkſamkeit bey Einer Vorſtellung verweilet, oder zu einer andern uͤbergehet: ſo giebt jenes, wie dieſes, Anlaͤſſe genug zu einer Menge anderer Reproduktionen im Gehirn und zu Vorſtellungen in der Seele, aus de - nen ſie wiederum einige auswaͤhlet und andere zuruͤck - laͤſſet, wie ſie es fuͤr gut befindet.

Die Seele iſt nach dieſer Vorſtellung in Hinſicht auf ihr Gehirn weniger, als ein Spieler in Hinſicht auf ſein Klavier; und das Gehirn iſt mehr bey der Seele, als das Jnſtrument bey dem Spieler. Das Seelenorgan iſt ein Jnſtrument, worauf die aͤußern Gegenſtaͤnde zu ſpielen anfangen, die Toͤne anfangs in den Saiten angeben, und dann die Saiten auf eine ſolche Art ſpannen, daß ſie um ein vieles gegen die naͤm - lichen Toͤne empfindlicher gemacht werden, als ſie es vorhero waren. Und wenn nun dieſes bey allen Saiten geſchehen iſt, ſo ſpielet das Jnſtrument von ſelbſt, ſo bald als einige Saiten durch irgend eine Urſache in Be - wegung gebracht ſind. Die Seele ſitzet in dem Jn - nern dieſes Automatons; und obgleich dieſes keinen Ton hervorbringet, ohne daß jene modificirt wird: ſo thut doch die Seele nichts mehr, als daß ſie das Spiel len - ket, einzelne Toͤne maͤßiget oder verſtaͤrket, nachdem es ihr gefaͤllt, und ſo weit ſie kann. Vielleicht wuͤrde dieſe Beywirkung der Seele zu dem Organ beſſer mit dem Geſchaͤfft eines Steuermanns zu vergleichen ſeyn, der dem Schiffe keine Bewegung mittheilet, aber es fuͤhret und lenket, wenn es von dem Wind und Strom getrieben wird.

Den naͤmlichen Antheil, nicht mehr oder nicht we - niger, hat die Seele auch an den Bewegungen des Koͤrpers, und an der innern Wirkſamkeit, die wirQ 3der246XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſender Seele auf den Koͤrper zuſchreiben. Die Gehirns - fibern, die ſinnlich beweget werden, wenn Vorſtellungen da ſind, haben eine Verbindung mit denen, wodurch die weiter abſtehenden Theile des Koͤrpers in Bewegung ge - ſetzt werden. Dieß iſt die Verbindung der Vorſtel - lungsfibern mit den Thaͤtigkeitsfibern. Jndem alſo die Seele die ſinnlichen Bewegungen der erſtern verſtaͤrket oder ſchwaͤchet, ſo regiert und lenkt ſie auch die Thaͤtigkeitsfibern und ihre Wirkungen. Herr Bon - net haͤtte dieſe Stelle ſeines Syſtems noch mehr ins Helle ſetzen koͤnnen, wenn er die Natur unſerer Jdeen, die wir von den Thaͤtigkeiten und Bewegungen des Koͤrpers haben, genauer unterſuchet haͤtte. Die an - ſchauliche Vorſtellung einer Aktion iſt ſchon ein ſchwacher Anfang zur Bewegung in den Thaͤtigkeitsfi - bern ſelbſt, wie ich anderswo gezeiget habe. *)Zehnter Verſuch II. So oft man ſich lebhaft vorſtellet, wie man den Arm bewege, den Kopf umdrehe, gaͤhne u. ſ. w. ſo iſt ſchon eine An - wandlung in uns da ſolche Bewegungen wirklich vor - zunehmen, und dieſe geht in eine volle Bewegung uͤber, wenn das naͤmliche Beſtreben der Seele fortdauert, und nichts in den Weg kommt, wodurch ihre Kraft anders - wohin gerichtet wird. Hieraus wuͤrde die Folgerung gezogen werden koͤnnen, daß die Verbindung der Aktio - nen mit den Vorſtellungen von derſelbigen Verknuͤpfung der Gehirnsfibern abhange, woraus die Jdeenaſſocia - tion uͤberhaupt entſpringet, ohne daß außer dieſer noch ein eigener Zuſammenhang zwiſchen Denk - und Hand - lungsfaſern angenommen werden duͤrfe.

Dieß iſt die Jdee des Hrn. Bonnets von der menſchlichen Seelennatur. Die Vorſtellung, welche Herr Search und andere Neuere ſich davon machen, ſcheinet im Grunde dieſelbige zu ſeyn; nur iſt ſie vonkei -247im Menſchen. keinem andern ſo deutlich und beſtimmt entwickelt wor - den. Das Gehirn, das innere Seelenorgan, iſt der Sitz der Vorſtellungen, und die Seele ſelbſt eine unbe - ſtimmte Kraft, die in ſich und aus ſich nichts reprodu - ciren kann. Woraus denn folget, daß zwo menſchli - che Seelen ihre Koͤrper umtauſchen koͤnnten, ohne die ihnen widerfahrende Veraͤnderung gewahr zu wer - den; was ſich ſogar auf Thierſeelen erſtrecken muͤßte, die in ein menſchliches Gehirn verſetzet, hier wie Men - ſchenſeelen ſich vorſtellen, denken und handeln wuͤrden, oh - ne zu wiſſen, was ſie vorher geweſen ſind. Denn da jedwede Seele ein mit Vorſtellungen verſehenes Gehirn antreffen wuͤrde, von deſſen ſinnlichen Bewegungen es modificiret wird, und da ſie nicht weniger und nicht mehr, noch auf eine andre Art afficiret werden kann, als ihr Vorgaͤnger in derſelbigen Wohnung es gewor - den waͤre: ſo behaͤlt ſie auch nicht die geringſten Merk - zeichen, woran ſie wiſſen koͤnnte, daß ſie ehedem an - derswo ſich aufgehalten und ſich anders befunden habe. Nach der erſten vorhergepruͤften Hypotheſe iſt dieß un - moͤglich. Wenn mein Jch in ſich ſelbſt die Spuren von ſeinen Empfindungen auf behaͤlt, ſo wuͤrde es ein neues Organ entweder nicht gebrauchen koͤnnen, oder wenn es das koͤnnte, eine neue Reihe von Empfindungen und ein neues Leben anfangen. Koͤnnte es in dieſem Fall ſeine vor - her aufgeſammelten Jdeen reproduciren, ſo wuͤrde es das Neue ſeines Zuſtandes deutlich erkennen. Wenn es aber auch ſolches nicht koͤnnte, und alles Vorhergehen - de gaͤnzlich vergeſſen hatte: ſo wuͤrde es doch in dieſer neuen Lage ſo wirken, wie ein Weſen, das ehemals in einer andern geweſen waͤre, und davon die Folgen empfinden.

2.

Dieſe Bonnetiſche Hypotheſe verdienet um ſo mehr eine etwas genauere Pruͤfung, da ſie durch die Ueber -Q 4ſetzung248XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenſetzung des Eſſai de Pſychologie und des Eſſai analy - tique des Hrn. Bonnets unter uns bekannt geworden iſt, und ſchon unter den Philoſophen ihr Gluͤck zu ma - chen ſcheinet. Sie iſt auch in ſich ſelbſt zuſammenhaͤn - gend, und nicht nur mit Scharfſinnigkeit, ſondern auch mit der dem beruͤhmten Bonnet eigenthuͤmlichen ein - nehmenden Deutlichkeit dargeſtellet, ſo daß es nicht zu verwundern iſt, wenn ſie bey dem großen Schein, den ſie hat, von vielen ſeiner Leſer fuͤr etwas mehr als eine Hypotheſe gehalten wird, wofuͤr ſie doch ihr Lehrer ſelbſt nur ausgegeben hat. Denn Hr. Bonnet geſteht es, daß ſie noch nichts mehr als eine Hypotheſe ſey, welche die Erſcheinungen auf eine ungezwungene Art und voll - ſtaͤndig erklaͤre, aber dadurch mehr nichts als eine große Wahrſcheinlichkeit erhalte. Nur was die erſten Grund - ſaͤtze betrifft, ſo ſieht man ſolche als Erfahrungsſaͤtze an, die auf Beobachtungen beruhen und durch. Beob - achtungen beſtaͤtiget werden. Jn Wahrheit, wenn dieſe mechaniſche Pſychologie wirklich alle diejenigen Vorzuͤge an ſich haͤtte, die Hr. Bonnet ihr beyleget: ſo wuͤrde ich ſelbſt unter diejenigen von ſeinen Leſern ge - hoͤren, welche glauben, der Philoſoph habe nach ſeiner gewoͤhnlichen Beſcheidenheit weniger von ihrem wahren Werthe geſagt, als derjenige, der ſie durchdenket, bey ihr antreffen muß. Jch werde alſo aus mehr als Ei - nem Grunde mich bey ihrer Pruͤfung etwas verweilen.

Um voͤllig gerecht zu ſeyn, will ich ihr zuvoͤrderſt ei - nen Vorwurf abnehmen, der ſie bey ſo vielen anſtoͤßig gemacht hat, naͤmlich, daß ſie die Freyheit der Seele auf hebe. Mit des Hrn. Bonnets Erklaͤrung von der Freyheit kann man freylich nicht zufrieden ſeyn, wenn man dieſe genauer unterſucht hat. Allein was ſein Syſtem betrifft, ſo meine ich, daß es von dieſem Feh - ler befreyet werden koͤnne, wie ſolches auch bey dem Verfaſſer des Eſſai de Pſychologie noch davon wirklichfrey249im Menſchen. frey war. Hr. Bonnet laͤßt zwar die Seele nach Vor - ſtellungen handeln, und nach deutlichen Vorſtellungen; oder eigentlicher zu ſagen, nach ihrem Gefallen oder Mißfallen an den ſinnlichen Bewegungen des Gehirns, und an den Objekten, die dieſe Bewegungen verurſa - chen. Aber er erwaͤhnt nicht einmal der innern Selbſt - macht der Seele uͤber ſich, nach der ſie unter allen be - ſtimmenden Umſtaͤnden entweder anders handeln als ſie wirklich handelt, oder die Handlung unterlaſſen kann; ſondern er tadelt dieß vielmehr an ſeinem Vorgaͤnger, daß dieſer ihr ein Vermoͤgen zugeſchrieben hatte, nach ihrer Willkuͤr eine andere Fiber ſo gut ſpielen zu laſ - ſen, als diejenige, die ſie wirklich ſpielen laͤßt. Die ganze Selbſtthaͤtigkeit der Seele richtet ſich alſo nur nach den ſinnlichen Bewegungen des Gehirns. Denn in dieſen lieget die Urſache von dem Angenehmen und dem Unangenehmen in der Empfindung; und nach die - ſen Gefuͤhlen beſtimmt ſich die Seele, und will, ohne daß ſie im geringſten eine andre Jdee hervorziehen koͤn - ne, als diejenige, die unter denen, welche das Gehirn ihr vorhaͤlt, die gefaͤlligſte iſt.

Nach dem Syſtem ſelbſt kann zwar die Seele kei - ne Jdee durch ihre Selbſtthaͤtigkeit unmittelbar hervor - bringen; aber ſie kann doch auf die gegenwaͤrtige Jdee ihre Aufmerkſamkeit fortſetzen und verſtaͤrken, oder nach - laſſen und abziehen, und es dadurch ausrichten, daß entweder die naͤmliche Gehirnsbewegung fortdauere, oder daß eine andre Fiber mit andern Schwingungen zur Aktion gelange. Alſo iſt es doch eine Wirkung ihrer eigenen Selbſtbeſtimmung, wenn ihre Kraft auf eine Jdee mehr oder weniger verwendet wird. Und da ſelbſt eifrige Jndeterminiſten die Freyheit auf dieſe Selbſtbe - ſtimmung zur Aufmerkſamkeit eingeſchraͤnket haben: ſo kann ſogar die ganze Willkuͤr nach dem Begriff der Jndeterminiſten mit der Hypotheſe verbunden werden. Q 5Die250XIII. Verſuch. Ueber das SeelenweſenDie Jdeen werden unterhalten oder weggeſchafft, je nachdem die Aufmerkſamkeit auf ſie hingewendet oder von ihnen abgezogen wird. Soll dieß geſchehen, ohne einen andern Grund in der Seele zu haben, als weil ſie ſich ſelbſt auf dieſe Art beſtimmt, weil ſie will oder nicht will, oder in der Sprache der Jndeterminiſten, ohne beſtimmenden Grund: ſo heißt dieß, in die Bon - netiſche Sprache uͤberſetzt, ſo viel, daß ſie als die bewe - gende Kraft des Gehirns, ſich zu einer Aktion aufs Gehirn beſtimme, und dadurch eine Veraͤnderung in den ihr vorſchwebenden Vorſtellungen bewirke, und Fi - bern, die auf koͤrperliche Bewegungen hingehen, in Be - wegung bringe, ohne daß etwas vorhanden ſey, war - um ſie auf dieſe Fiber wirke und nicht auf eine andere. Die Seele bleibet ein ſelbſtthaͤtiges Weſen, iſt die ei - gentliche Kraft des Gehirns; und alsdenn kann man ja nur hinzuſetzen, daß ſie ſich zuweilen ohne zureichen - de Gruͤnde auf gewiſſe Bewegungen anwende.

Sehen wir auf den wahren Begriff von der Frey - heit, nach welchem Freyheit ſo viel, als ein Vermoͤgen der erhoͤheten Selbſtthaͤtigkeit iſt, auch noch auf mehre - re und entgegengeſetzte Arten ſich wirkſam zu aͤußern, wenn die Seele auf eine gewiſſe Art thaͤtig iſt: ſo iſt zwar in der Bonnetiſchen Pſychologie nicht abzuſehen, wie Erhoͤhungen der Seelenvermoͤgen, und alſo auch der Selbſtthaͤtigkeit, in der immateriellen Seele oder in dem Jch entſtehen koͤnnten, weil dieſes Jch keine Jdeen ſei - ner Handlungen in ſich zuruͤckbehaͤlt; aber es laſſen ſich doch dergleichen in dem beſeelten Organ gedenken, wenn ſie gleich allein nur auf Entwickelungen der Organe und auf die Diſpoſitionen derſelben, Jdeenreihen zu repro - duciren, hinausgehen. Alſo kann doch auch dieſe letztere Jdee von der Freyheit in die mechaniſche Pſychologie eingeſchaltet werden, ohne daß es noͤthig ſey, dieſer ihre Grundtheile zu verruͤcken.

Auch251im Menſchen.

Auch will ichs ihr nicht vorwerfen, daß ſie einen all - zukuͤnſtlichen Mechanismus im Gehirn erfodere. Vau - cauſſons Floͤtenſpieler, und faſt noch mehr ſein Kanarien - vogel, erlaͤutern die Moͤglichkeit ſolcher Maſchinen. Sie erlaͤutern ſie, ſage ich, denn es iſt allerdings noch im - mer ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen allen auch noch ſo kuͤnſtlichen Maſchinen und zwiſchen einem repro - ducirenden Gehirn zuruͤck, den ich gleich weiter eroͤrtern will. Die Leibnitziſche Harmonie verlangte noch viel mehr von dem Mechaniſmus des Koͤrpers; da ſie dieſen alles thun ließ, was zu der Hervorbringung der mate - riellen Jdeen und der Bewegungen gehoͤret, Hr. Bon - net dagegen die Seele dazwiſchen kommen und die Be - wegungen im Koͤrper durch ſie regieren und lenken laͤßt. Und dennoch war der Einwurf, den Bayle ge - gen Leibnitz machte, daß ein ſolcher Mechaniſmus uͤber die Allweisheit Gottes hinausgehe, nichts als ein leeres Wortſpiel. Mit einem Wort, gegen die Moͤglichkeit der Sache weiß ich nichts zu ſagen.

3.

Sie hat aber anderswo zwo Seiten, wo man ihr beykommen kann. Es werden gewiſſe phyſiſche Grund - ſaͤtze angenommen, auf die ihre Moͤglichkeit gebauet iſt. Hier kann man zuerſt fragen, ob dieß wahre Saͤtze, und ob ſie es alle ſind? Sind ſie zur voͤlligen phyſiſchen Ge - wißheit gebracht, die Hr. Bonnet in ihnen vorausſetzet, oder koͤnnen ſie dahin gebracht werden?

Alsdenn ſoll ſie zweytens als Hypotheſe betrachtet, alles begreiflich machen, was wir bey der Seele beob - achten. Und da iſt die zwote große Frage: Ob ſie denn ein ſolcher Gemeinſchluͤſſel ſey, der alles aufſchließet, was er oͤffnen ſoll? Oder ob ſie nicht vielmehr nur zu einigen Erfahrungen paſſe, zu andern nicht? und ob nicht Beobachtungen da ſind, bey denen ſie eben ſo ge -drehet252XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſendrehet werden muͤſſe, um ſie anzuwenden, als das vor - hergehende Syſtem und als jedes andere? Denn wenn dieß iſt, ſo wird es ſchon ſchwer zu glauben, daß es in dem denkenden und handelnden Menſchen wirklich alſo zugehe, als Hr. Bonnet an ſeiner beſeelten Statue es hat vorſtellig machen wollen.

Der erſte und allgemeinſte Grundſatz, auf den Hr. Bonnet bauet, iſt folgender: Jn dem Gehirn ſollen die Jmpreſſionen von außen waͤhrend der Empfin - dung, gewiſſe permanente Beſchaffenheiten, oder Leichtigkeiten auf die naͤmliche ſinnliche Art von neuem beweget zu werden, hervorbringen. Dieſe materiellen Jdeen ſoll das Gehirn vermoͤge ſeiner Or - ganiſation annehmen.

Wenn man behaupten will, daß dieß wahrſchein - lich angenommen werden koͤnne, ſo habe ich kein Be - denken, beyzuſtimmen. Es entſtehen auch in andern Theilen des Koͤrpers, in den Fingern, in den Fuͤßen, in den Augen, und faſt in allen Muskeln dergleichen Leichtigkeiten, oder Diſpoſitionen, wie ſich beſonders alsdenn gewahrnehmen laͤßt, wenn wir uns koͤrperliche Kunſtfertigkeiten zu verſchaffen uns bemuͤhen. Wer an ein anhaltendes Leſen in Buͤchern nicht gewoͤhnt iſt, fuͤhlet anfangs, daß ihm die Augen wehe thun; und wer auf einem Jnſtrumente ſpielen lernet, hat im Anfange, bey einiger Anſtrengung unangenehme Empfindungen. Je - de ungewohnte Arbeit iſt, wie die Erfahrung lehret, ſchwer auch fuͤr den Koͤrper, und wird leicht durch die Uebung. Daher iſt es außer Zweifel, daß die Wie - derholung einerley Art von Handlungen auch in den aͤußern Theilen des organiſirten Koͤrpers eine gewiſſe Geſchwindigkeit hervorbringe, welche ſie aufgelegt macht, auf eine gewiſſe Art und in einer beſondern Fol - ge, leichter beweget zu werden, als ſie es vorhero gewe - ſen ſind. Sollte nun die Analogie nicht etwas aͤhnli -ches253im Menſchen. ches in den innern Faſern des Gehirns vermuthen laſ - ſen, in dem Theile, der von allen organiſchen Kraͤften unſers Koͤrpers die Quelle und der Hauptſitz zu ſeyn ſcheinet?

Ohne Zweifel. Kopfarbeiten verurſachen im An - fange Kopfſchmerzen und andere Uebel, die eine Folge von einem zu ſtarken Reiz des Gehirns ſind; iſt man aber jener gewohnt, ſo verlieren ſich dieſe Empfindun - gen. Hieraus folget doch im Allgemeinen ſo viel, daß die ſinnlichen Bewegungen im Gehirn gewiſſe Diſpo - ſitionen hinterlaſſen, die daſelbſt noch fortdauren, wenn die Bewegungen aufgehoͤret haben.

Vielleicht iſt dieß eine allgemeine Eigenſchaft aller organiſirten Koͤrper, da man ſogar etwas da - von in den muſikaliſchen Jnſtrumenten antrifft, und in den groben Maſchinen, die nichts mehr als Maſchinen ſind. Die Jnſtrumente geben alsdenn erſt die Toͤne am reinſten und am hellſten an, wenn ſie eine Zeitlang gebrauchet und ausgeſpielet worden ſind. Jm Anfange ſind einige Hinderniſſe da, eine gewiſſe Unbiegſamkeit und Rauhigkeit, wodurch ſich die Theile an einander reiben und die Bewegungen gehindert werden, die ſich in der Folge verlieren.

Es iſt zugleich auch begreiflich, daß die Receptivi - taͤt zu ſolchen Fertigkeiten unendlich verſchiedene Grade haben koͤnne. Sie iſt auch wohl nicht in allen Seelen - organen in dem Menſchen von gleicher Groͤße. Das Werkzeug des Geſichts, oder der Theil des Gehirns, wo ſich die Eindruͤcke des Geſichts ablegen, ſcheinet hier - innen, wie bekannt und niehrmalen ſchon erinnert iſt, einen merklichen Vorzug zu haben.

Aber dennoch kann dabey einiger Zweifel entſtehen, ob dieß auch ſo weit gehe, als Hr. Bonnet es zum Grundſatz machet und machen muß; ſo weit naͤmlich, daß jedwede unterſcheidbare ſinnliche Bewegungeine254XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſeneine eigene unvermiſchte Spur hinterlaſſe? ſo weit, daß dieſe Spur zu einer Diſpoſition werde, die naͤmliche Bewegung wieder anzunehmen, ſobald nur eine andere Bewegung in einer andern Fiber vorhanden iſt, die ehedem mit jener verknuͤpfet war, oder doch nur etwas gemeinſchaftliches und aͤhnliches mit ihr hat? Wir kennen die Natur der Organiſation noch zu wenig, als daß ſich ohne Erfahrung daruͤber urtheilen ließe. Hr. Bonnet ſtellet ſich eine gewiſſe wechſelſeitige Einwir - kung zwiſchen den Fibern vor, die zugleich mit einander in Bewegung kommen. Allein dieß heißet eine Hypo - theſe durch eine andere ſtuͤtzen. Jn den Vaucauſſoni - ſchen Maſchinen ſind es jedesmal dieſelbigen oder doch aͤhnliche Urſachen, wovon aͤhnliche Bewegungen gewir - ket werden; welches aber alles nicht hinreichet, die Aſ - ſociation der Jdeen begreiflich zu machen, wodurch Jdeen wiederum erneuert werden, auch wenn keine Ur - ſache von außen wirket, die derjenigen aͤhnlich iſt, wo - durch ſie das erſtemal erreget iſt, wenn nur bloß eine andere erneuert iſt, die mit jener ehedem vergeſellſchaf - tet war. Dazu geſteht man, daß es allein dieſe Ver - bindung ſey, von der die Aſſociation abhange. Herr Bonnet hat ſich ſelbſt in Verlegenheit befunden, dieß aus der bloßen Organiſation begreiflich zu machen.

Enthauptete Thiere und beſonders einige Jnſekten verrichten ohne Kopf und Gehirn, und wie man wohl annehmen kann ohne Seele, Handlungen, die denen aͤhnlich ſind, welche ſie vorher verrichtet ha - ben, da ſie voͤllig lebten. Dieſe Beyſpiele lehren, daß es Bewegungen in dem thieriſchen Koͤrper gebe, die ohne Beywirkung der Seele durch die Nervenkraͤfte erfolgen, obgleich ſonſten gewoͤhnlicher Weiſe das Gehirn und die Seele wenn eine da iſt Antheil daran haben. Sie beweiſen ferner, daß es auch in dem Koͤrper Aſ - ſociationen der Bewegungen gebe, welche ich untengenauer255im Menſchen. genauer zu betrachten Gelegenheit haben werde. Dieß ſind ohne Zweifel Fakta, wodurch die Aſſociation der materiellen Jdeen im Gehirn erlaͤutert wird. Jedoch will ich hier nur zum voraus erinnern, daß, wenn man jene mit dieſer naͤher vergleichet, ſo finde ſich eine ſo weſentliche Verſchiedenheit zwiſchen ihnen, daß es ſelbſt daraus unwahrſcheinlich wird, daß ohne Zuthun der Seele die Jdeenverknuͤpfung in der Phantaſie allein von der Organiſation des Koͤrpers abhangen koͤnne.

4.

Dieſem erſten Grundſatze hat Hr. Bonnet einen zweeten zugefuͤgt, den er mit jenem durch ſein ganzes Syſtem verwebet hat, der ſich aber doch wieder heraus - ziehen laͤßt, ohne daß darum das Syſtem ſelbſt aus - einandergehe. Es ſoll naͤmlich jedwede verſchiedene Jmpreſſion, und jedwede verſchiedene materielle Jdee ihre eigene Fiber haben, worinn ſie ihren Sitz hat. Eine einfache Fiber ſoll nur Eine ſinnli - che Modifikation aufnehmen. Die rothe Farbe ſoll ihre Fiber haben, und dieſe ſoll von der Fiber, die zu der Jdee von der blauen Farbe gehoͤrt, verſchieden ſeyn. Eine andere ſoll fuͤr den Ton der Violine, eine andere fuͤr den Ton der Trompete beſtimmt ſeyn.

Dieß kann nun noch auf eine zweyfache Art beſtim - met werden.

Sollen ſo viele Fibern vorhanden ſeyn, als es ein - zelne zuſammengeſetzte Empfindungen und Jdeen einzelner Dinge giebt, davon jede etwas eigenes an ſich hat? Soll fuͤr jedes einzelne Menſchengeſicht, fuͤr jedes einzelne gruͤne Blatt, ſobald dieſe Gegenſtaͤnde und ihre Jmpreſſionen merklich verſchieden ſind, eine eigene einfache oder zuſammengeſetzte Fiber vorhan - den ſeyn? eine andere fuͤr die Jdee des Purpurrothen, und eine andere fuͤr die Jdee des Gelbrothen, und nocheine256XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſeneine andere fuͤr das Braunrothe? u. ſ. f. Da die naͤm - lichen einfachen Bewegungen in mehrern zuſammenge - ſetzten Jmpreſſionen vorkommen, nur in einer andern Ordnung und in einem andern Verhaͤltniß: ſo kann dennoch jedes unterſcheidbare Ganze ſeinen eigenen Fi - berbuͤſchel haben; und dieß macht die Menge ſolcher be - ſondern Buͤſchel ſo groß, als die Anzahl der einzelnen individuellen Jmpreſſionen iſt.

Aber es kann auch vielleicht genuͤgen, daß die Man - nichfaltigkeit der Fibern ſo groß ſey, als die Mannich - faltigkeit der einfachen Jmpreſſionen. So hat jede Saite in dem Jnſtrument ihren eigenen Ton; aber nicht jedes Stuͤck, was geſpielet wird, hat ſein eigenes Jnſtrument, ſondern die naͤmlichen Saiten werden in einer andern Folge und in andern Verbindungen ge - ruͤhret.

Wenn man das letztere annimmt, ſo darf die Zahl der unterſchiedenen Fibern nicht groͤßer ſeyn, als es Mannichfaltigkeit in den einfachen Empfindungen giebt; und wenn nun dieß wiederum auf die einfach - ſten Elemente der Empfindungen eingeſchraͤnkt wird; wer kann denn ſagen, wie gering ihre Anzahl wohl nicht am Ende nur ſeyn koͤnnte? Denn auf dieſe Art wuͤrden nicht mehr einfache Fibern noͤthig ſeyn, als es ein - fache Grundfarben giebt, aus deren Vermiſchung die uͤbrigen entſtehen; und vielleicht wuͤrde die Zahl von drey Grundfarben, die man annimmt, noch zu groß ſeyn, wenn man ſie noch weiter aufzuloͤſen im Stande waͤre, als man es jetzo iſt.

Dieſe letztere Vorſtellung ſcheinet auf der Einen Seite die Hypotheſe ungemein einfach zu machen; aber auf der andern wird ſie dadurch doch nicht minder zuſam - mengeſetzt. Denn wenn nur ſo wenige Fibern erfodert werden, um die einfachen Toͤne in der Seele anzugeben: ſo muß eine jede auf eine vielfache Art mit jedwederandern257im Menſchen. andern verknuͤpft ſeyn, um die zuſammengeſetzten Jdeen in ſo inniger Vereinigung aller ihrer einfachen Theile, als einzelne Ganze, zu reproduciren. Jn ſo un - zaͤhlig vielen Jdeen die Vorſtellung von der weißen Farbe ein Beſtandtheil iſt, ſo viele Verknuͤpfungen muß die zu ihr gehoͤrige Fiber mit andern haben.

Daher muß man geſtehen, daß ſowohl die letztere Vorſtellung von der Einrichtung des Gehirns, als die erſtere auf etwas Unendliches in der Feinheit, Man - nichfaltigkeit und Verbindung der Fibern hinfuͤhre, worinn unſere Phantaſie ſich verlieret. Wer die Natur kennet, wird zwar hierauf keine Einwendung gruͤnden, da dieß Unuͤberſehbare vielmehr das wahre Gepraͤge von ihr und von der unendlichen Weisheit ihres Urhebers iſt; aber es iſt doch auch gewiß, daß eine ſolche ſchein - bare Unbegreiflichkeit einer Hypotheſe, die noch nichts mehr iſt, als dieſes, nach den Geſetzen unſers Verſtan - des ſie nicht empfehlen koͤnne, zumal wenn ſie nur darum ergriffen wird, um einer andern auszuweichen, der man auch nichts weiter als eine ſolche Unbegreiflich - keit vorzuwerfen hat. Hr. Bonnet hat ſich fuͤr das erſtere erklaͤret, daß naͤmlich jede einzelne verſchiedene Empfindung ihre eigene Fiber habe, von der die materielle Jdee aufgenommen werde; aber er hat noch mehr gethan, er hat es durch ein Raiſonnement aus Gruͤnden zu erweiſen geſucht, daß es ſich auf dieſe Art in dem Gehirn verhalten muͤſſe. Dieſer Beweis ver - dienet eine Pruͤfung. Jch will ſonſten gerne zugeben, daß manche Schwierigkeiten, die ſich beym erſten An - blicke zeigen, nachhero ſich heben laſſen, wenn man die Sache deutlicher entwickelt. Denn da bey ſo vielen ver - ſchiedenen ſinnlichen Jmpreſſionen ohne Zweifel ihre ganze Verſchiedenheit nur auf Grade ankommt, auf eine groͤßere oder geringere Jntenſion des Eindrucks, der ſonſten an und fuͤr ſich derſelbige ſeyn kann: ſo be -II Theil. Rdarf258XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſendarf es fuͤr dieſe Verſchiedenheiten in den Graden auch keiner verſchiedenen Fibern, ſondern es wuͤrde genug ſeyn, wenn die naͤmliche Fiber nur in verſchiedenen Gra - den der Staͤrke ſchwingen kann. Und dadurch koͤnnte die Zahl der beſondern einzelnen Fibern ſchon um ein großes heruntergeſetzet werden. Allein der Beweis, den Hr. Bonnet gefuͤhret hat, iſt entweder nicht rich - tig, oder er wuͤrde, wenn man ihn nur ein wenig aͤn - dert, noch mehr beweiſen und eben ſo gut darthun, daß auch jeder Grad einer Jmpreſſion ihre eigene Fiber erfodere, als daß jede verſchiedene Jmpreſſion derglei - chen haben muß. Und uͤberhaupt, wenn man etwas genauer die Folgen uͤberdenket, die aus dieſem pſycho - logiſchen Fiberſyſtem entſpringen, man mag es, wie man will, auf die eine oder die andere Art erklaͤren: ſo wird man es nicht ſo leicht finden, ſich einen Mecha - niſmus vorzuſtellen, der zu allen unſern Jdeenaſſocia - tionen hinreichet. *)Erſter Verſuch XV.

Der Beweis, den Hr. Bonnet fuͤr ſeinen gedachten Grundſatz gefuͤhret hat, iſt folgender. Eine und die naͤmliche Fiber, ſie mag als einfach angeſehen wer - den! die den Geruch der Roſe aufgenommen hat, kann den Eindruck von dem Geruch der Nelke nicht em - pfangen, ohne daß ihre vorhergegangene Jmpreſſion von der Roſe in dieſen nachfolgenden Eindruck von der Nelke einen Einfluß habe. Denn da die erſte ſinnliche Bewegung von der Roſe eine Leichtigkeit in der Fiber hinterlaſſen hat erneuert zu werden, ſo muß ja, wenn nun die naͤmliche Fiber von der Nelke modificirt wird, jene erſtere mit der letztern wieder hervorkommen. Ei - ne Fiber, die ſchon eine Tendenz oder eine Leichtigkeit zu einer ſinnlichen Bewegung empfangen hat, darf nur auf irgend eine Art ſinnlich beweget werden, und es wird dieihr259im Menſchen. ihr gelaͤufige Bewegung erneuert. Die Empfindung von der Roſe wuͤrde alſo in der Geſtalt eines Phantas - ma reproduciret werden, wenn der Eindruck von der Nelke hinzukommt. Aber alsdenn muͤßten ſich dieſe zwo, zugleich in Einer Fiber vorhandenen, Bewegun - gen mit einander vermiſchen, und in eine mittlere Bewegung zuſammenlaufen, die weder eine Bewe - gung von der Nelke noch von der Roſe iſt, wie das allgemeine Bewegungsgeſetz von der Vereinigung zwoer Seitenbewegungen zu einer dritten Diagonalbewegung, die weder die Eine noch die andere von jenen allein iſt, es mit ſich bringet. Daraus wuͤrde folgen, daß die materielle Jdee von dem Geruch der Nelke nicht abge - ſondert genug von der Vorſtellung, die zu der Roſe ge - hoͤret, erhalten werden koͤnne, ſondern daß aus beiden Jmpreſſionen zuſammen nur Eine vermiſchte Jdee von dem Geruch der Nelke durch den Geruch der Roſe mo - dificirt zuruͤckbleibe, welches doch wider die Erfahrung iſt. Wir haben unterſchiedene Jdeen von beiden, und zwar auf dieſelbige Art, es mag zuerſt die Roſe und dann die Nelke, oder in umgekehrter Ordnung, gero - chen worden ſeyn. Es iſt alſo offenbar, daß jede be - ſondere Empfindung ihre eigene Gehirnsfiber erfodere, die ſie aufnimmt.

Gewiß hat der ſcharfſinnige Mann hier die Grund - ſaͤtze der Mechanik nicht vorſichtig genug angewen - det. Jch will das uͤbergehen, was tiefere Unterſuchun - gen uͤber die Bewegungen geſpannter Saiten gelehret haben. Es iſt kein Zweifel, daß nicht mehrere verſchie - dene Schwingungen zu derſelbigen Zeit in Einer Saite, ohne einander zu ſtoͤren, und ohne auch in Eine ſich zu vermiſchen, vorhanden ſeyn koͤnnten. Wenn alſo die Gehirnsfibern in dieſer Hinſicht mit den Saiten ver - glichen werden koͤnnen: welches doch Hr. BonnetR 2auch260XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenauch zulaͤßt, ohne ſie ſelbſt eben fuͤr ſolche anzuſehen; ſo wuͤrde das, was von jener ihren Bewegungen be - kannt iſt, mehr Gruͤnde als man dazu noͤthig hat an die Hand geben, um zu zeigen, daß Hr. Bonnet unrichtig geſchloſſen habe. Jndeſſen darf man ſo weit nicht gehen, und kann ſich ohne mathematiſche Spe - kulation aus leichten Beyſpielen erklaͤren, daß die Ver - miſchung der Jmpreſſionen in Einer Fiber nicht noth - wendig ſey, wenn ihrer gleich mehrere in derſelbigen Fiber zugleich ſind. Eine Kugel, die auf einer hori - zontalen Flaͤche liegt, hat eine Tendenz, herunter zu fallen, und mit dieſer druͤckt ſie auf die Flaͤche. Hin - dert dieſer Druck in der Vertikallinie, daß ſie nicht von jedweder Kraft in der Horizontalrichtung nach jeder Richtung hin beweget werden koͤnne, und auf dieſelbige Art beweget werden koͤnne, als wenn ſie ganz ohne Ge - wicht in der naͤmlichen Ebene ſich befindet? Wenn nun die materielle Jdee von dem Geruch der Roſe nichts anders iſt, als eine Tendenz, eine gewiſſe ſinnliche Be - wegung anzunehmen, warum ſollte dieſe Tendenz nicht fuͤr ſich beſonders aufbewahret ſeyn koͤnnen, ohne daß ſie einer neuen ſinnlichen Bewegung ein Hinderniß ſetzet? Es muß doch nicht eine jedwede Erſchuͤtterung in der Fiber ohne Unterſchied ihre vorige ſinnliche Bewegung wiederum erwecken koͤnnen, ſonſt muͤßte dieſe letztere beſtaͤndig in ihr erwecket ſeyn, weil kein Theil des Ge - hirns einen Augenblick ohne Bewegung und Druck iſt, und dann wuͤrden wir nicht viele Sachen ganze Jahre durch, ohne an ſie zu gedenken, im Gedaͤchtniß haben koͤnnen. Hr. Bonnet erfodert ſelbſt dazu, daß eine Bewegung die andere reproducire, und daß ſchon eine gewiſſe Kommunikation zwiſchen ihnen zu Stande gekom - men ſey. Warum ſollte alſo ohne Unterſchied jede neue ſinnliche Bewegung in der Fiber die Tendenz zu einer vorhergegangenen wieder erwecken, und dieß bis da -hin,261im Menſchen. hin, daß ſie als eine gegenwaͤrtige Vorſtellung in der Seele erſcheine?

Allein man kann auch gerne zugeben, daß die Jm - preſſion von der Roſe, wenn dieſe empfunden wird, die ehemalige Jmpreſſion von der Nelke erneuere. Jn dieſem Fall wuͤrde doch die letztere auf die erſtere eine ſo ſchwa - che Beziehung haben, als eine Einbildung auf eine Empfindung iſt. Sollte alſo jene dieſe in etwas modi - ficiren, wie eine kleine Seitenbewegung in einem Koͤr - per eine andere ſtaͤrkere abaͤndert, ſo koͤnnte ihr Einfluß doch nicht groͤßer ſeyn, als es ihre eigene Staͤrke er - laubet; und alsdenn moͤchte dieſer Einfluß, wenn die Einbildung von der Roſe nur nicht noch eine wahre Nachempfindung, oder doch ſehr lebhaft iſt, ſo unbe - deutend geringe ſeyn, daß man ihn nicht bemerken kann. Die folgende Empfindung von der Nelke, koͤnnte als eine ganz reine Empfindung von der Nelke ſich darſtel - len. So wuͤrde die Jmpreſſion von der Nelke ihre ei - gene Natur und ihre eigenen Folgen in uns haben, und ſich wie ein eigener verſchiedener ſinnlicher Eindruck in derſelbigen Fiber feſtſetzen, in der ſich der Eindruck von der Roſe ſchon vorher feſtgeſetzet hatte. Jſt aber dieß einmal geſchehen, warum ſollte nicht eine jede derſelben auch auf die ihr eigene Art, bey der Abweſenheit der Objekte erneuret, und als eine beſondere Phantaſie in uns reproduciret werden koͤnnen, ohne ſich mit der an - dern zu vermiſchen?

Sehen wir auf das, was wirklich geſchieht, wenn wir unmittelbar nach der Roſe auch die Nelke vor die Naſe halten, ſo zeiget ſich eine Wirkung, die der bon - netiſchen Jdee, daß es zwo verſchiedene Fibern ſind, welche von dieſen Eindruͤcken geruͤhrt werden, faſt mehr entgegen iſt, als ſie beſtaͤtiget. Die vorhergegan - gene Empfindung modificiret die nachfolgende, und modificiret ſie ſo ſehr, daß der Duft der Nelke nicht ſoR 3empfun -262XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſenempfunden werden kann, als ſonſten, wenn er zuerſt in die Naſe kommt, und daß wir auch nicht voͤllig die naͤmliche materielle Geruchsidee aus dieſer Empfindung von ihr erhalten. Daſſelbige zeiget ſich in vielen an - dern Empfindungen, bey allen Sinnen, am meiſten aber bey den niedern Sinnen des Geruchs, des Ge - ſchmacks und des Gefuͤhls. Jede wird etwas geaͤndert durch die, welche unmittelbar oder doch nicht lange vor - hergegangen ſind, und von deren Eindruck noch etwas zuruͤck iſt. Man kann daraus zwar nicht geradezu ſchließen, daß die Eindruͤcke auf ebendieſelbige Fiber fallen, weil jener Einfluß derſelben in einander auch aus ihrer Verbindung wohl begreiflich iſt. Aber dennoch moͤchte ich, nach dieſen Beobachtungen allein zu urthei - len, es fuͤr wahrſcheinlicher halten, daß mehrere Ein - druͤcke auf einerley Fiber kommen, als das Gegentheil. Hat ſich die Empfindung der Roſe gaͤnzlich verloren, ſo erhalten wir die Jmpreſſion von der Nelke unver - miſchter und reiner; allein man weiß auch, wie wenig die Reproduktion einer Geruchsempfindung zu bedeuten habe, wenn ſie mit einer Empfindung verglichen wird. Wenn man die Beyſpiele aus den Geſichtsempfindun - gen hernimmt, ſo beſtaͤtiget es die Erfahrung mehr als zu viel, wie leicht die Einbildungen ſich mit den gegen - waͤrtigen Jmpreſſionen verbinden, und dadurch unreine Eindruͤcke hervorbringen. Dieß fuͤhret gleichfalls mehr auf die Vermuthung, daß dieſelbige Fiber mehrere Jmpreſſionen aufnehme, als daß jede ihre eigene habe.

5.

Bis hieher gehen die erſten Gruͤnde des bonneti - ſchen Syſtems, bey deren letztern diejenige Zuverlaͤſ - ſigkeit nicht mehr iſt, die der ſcharfſinnige Mann ihm zuſchrieb. Aber nun iſt die Hauptſache noch zuruͤck. Denn263im Menſchen. Denn nun iſt die Frage: wie weit ſich die pſychologi - ſchen Erfahrungen auf Bonnetiſch erklaͤren laſſen? das iſt, ob dieß Syſtem, als Hypotheſe betrachtet, den großen innern Vorzug vor andern beſitze, den ihm ſchon ſo viele als unbezweifelt zuerkennen? ob es naͤmlich leichter, faßlicher, vollſtaͤndiger erklaͤre, als die gewoͤhn - liche Meinung von dem Sitz der Vorſtellungen in der Seele?

Von Einer Seite betrachtet ſcheinet es ſo zu ſeyn. Die Abhaͤngigkeit der Seelenaͤußerungen von dem Koͤr - per, und von Urſachen, die auf den Koͤrper wirken, und die ſich darauf beziehende Fakta; der Verluſt des Gedaͤchtniſſes durch Krankheiten und Alter; die Schwaͤ - chung und Verſtaͤrkung der Seelenkraft und der Selbſt - thaͤtigkeit, welche die Veraͤnderungen in dem Koͤrper nach ſich ziehen, ſo gar die in den aͤußern Theilen vor - gehen; und uͤberhaupt dasjenige, was oben bey der er - ſten Hypotheſe Schwierigkeiten verurſachte: findet hier in dieſer zwoten ganz leicht ſeine Gruͤnde und Urſachen. Hat die Seele, als eine an ſich unbeſtimmte und nur die ſinnlichen Bewegungen des Koͤrpers fuͤhlende und dann in das Gehirn wirkende Kraft, gar keine Vorſtel - lungen mehr, wenn ſie an die Gegenſtaͤnde nicht geden - ket; iſt die Wiederhervorziehung der Jdeen nicht ihr Werk: was folget natuͤrlicher, als daß ſie aufhoͤre zu fuͤhlen, zu denken und zu handeln, ſobald das Gehirn außer Stand geſetzet iſt, ihr die Objekte ihrer Thaͤtig - keit vorzuhalten? was natuͤrlicher, als daß alle ihre Jdeen und Gedanken dahin ſind, wenn entweder ein langer Nichtgebrauch der Fiber, oder eine koͤrperliche Urſache ihr ihre Leichtigkeiten benommen hat, auf die erfoderliche Art beweget zu werden? Denn wenn die Spuren der Empfindungen in dem Organ verloſchen ſind, ſo kann die Seele es auch nicht wiſſen, daß ſie ſolche jemals gehabt habe, da ſie nicht das geringſteR 4Merk -264XIII. Verſuch. Ueber das SeelenweſenMerkmal, woran ſie ſich ihrer erinnern koͤnnte, uͤbrig hat.

Aber es iſt doch auch wahr, daß ſich eben dieſe Er - ſcheinungen mit dem erſtern Syſtem vereinigen laſſen. Dieß iſt vorher ſchon gezeiget worden; allein man kann noch hinzuſetzen, daß, wenn man ſich hiebey aufs be - ſondere einlaͤßt, und die bonnetiſchen Erklaͤrungen mit den vorigen vergleichet, das Uebergewicht von jenen, das wenigſte zu ſagen, um ein Großes vermindert werde. Es ſind dieſe Vorfaͤlle fuͤr ſich ſo merkwuͤrdig, daß es ſich wohl der Muͤhe verlohnet, einige davon als Bey - ſpiele hier beſonders naͤher zu betrachten.

Was die Staͤrkung des Gedaͤchtniſſes durch ein fleißiges Ueben, und die Schwaͤchung deſſelben durch den Nichtgebrauch betrifft, ingleichen das Vergeſſen ſolcher Jdeen, welche in langen Zeiten unerneuert ge - blieben ſind, ſo ſehe ich nicht, warum dieſe Wirkungen nicht eben ſowohl begreiflich ſeyn ſollten, wenn man an - nimmt, daß die Vorſtellungen Seelenbeſchaffenheiten ſind