PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Wohl-informirter Poët,
worinnen Die Poëtiſchen Kunſt-Griffe, vom kleineſten bis zum groͤſten durch Frag und Antwort vorgeſtellet, und alle Regeln mit Exempeln er - klaͤret werden.
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Mit Koͤnigl. Pol. u. Churfl. Saͤchſ. gnaͤdigſtem Privilegio.
Leipzig,verlegtsJacob Schuſter.1719.
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Vorrede.

Geneigter Leſer.

WJe angenehm und nuͤtzlich / ja beyman - cher Peꝛſon die Teut - ſche Poëſie hoͤchſt noͤthig ſey / iſt eine bekannte Sa - che. Was kan ſchoͤners gefunden werden, als wenn man ſeine Ge - dancken in ein ordentliches Maß und wohlklingende Reime brin - gen kan. Wie groß der Nutzen ſey / wenn man bey dem Vers - machen auf allerhand Inventio - nen ſinnen, und die artigſtenA 2Ex -[4]Vorrede. Expreſſion hervor ſuchẽ muß, werden diejenigen am beſten ver - ſtehen, welche oͤffters Verſe ge - macht haben. Wer einen oͤffent - lichen Schulmann, oder Privat - Informatorem abgeben will / kan die Poëſie unmoͤglich ent - behren, weil er andere darinnen zu unterweiſen ſchuldig iſt. Und wie will ſich ein Client bey ſei - nen Patronen an Geburts - und Namens-Tagen / und bey vielen andern Gelegenheiten recom - mendiren / wenn er nicht einen zierlichen Vers zu machen weiß. Aus dieſen und vielen andern Urſachen bin ich bewogen wor - den / gegenwaͤrtiges Buch zuverfer -[5]Vorrede. verfertigen. Jch weiß zwar wohl / und wiſſen es auch andere / daß man unterſchiedene Buͤcher ha - be, welche Anweiſung geben / wie man einen Vers machen ſolle; ich laſſe auch alle ſolche Schriff - ten in ihrem Werthe: Gleich - wohl habe ich das Vertrauen / es werde auch gegenwaͤrtiger Tra - ctat einen guten Nutzen ſchaf - fen. Denn es iſt derſelbe weder zu lang / noch zu kurtz. Die gege - benen Regeln werden gewiß zu - langen / und von Exempeln wird man ſo viel finden / als zu Erklaͤ - rung der Regeln von noͤthen iſt. Haͤtte ich mehr Exempel ange - fuͤhret, ſo haͤtte ich zwar gewie -A 3ſen /[6]Vorrede. ſen, daß ich bey unterſchiedenen Gelegenheiten Verſe zu machen die Ehre gehabt / die Regeln aber wuͤrden dadurch nicht klaͤrer worden ſeyn / und gleichwohl wuͤrden die Kaͤuffer haben mehr Geld ausgeben muͤſſen. Ver - langet ja uͤber diß jemand viel - faͤltige und angenehme Exempel / ſo leſe er nur des Neu-eroͤffneten Muſen-Cabinets aufgedeckte Poëtiſche Wercke. Es ſind die - ſelben an eben dem Orte zu fin - den / wo dieſer Wohl-informirte Poët angetroffen wird. Adjeu!

J. N. J. C. [7]

J. N. J. C. Vorbereitung.

1. Was iſt die teutſche Poëſie?

DJe teutſche Poëſie iſt eine Geſchicklichkeit, ſeine Gedancken uͤber eine gewiſſe Sache zierlich, doch dabey klug und deutlich, in abgemeſſenen Worten und Reimen vorzubringen.

2. Muß denn einer nothwendig Verſe machen koͤnnen?

Mancher kan dieſe Kunſt ziemlich entbehren, der eben nicht groſſe Urſach hat, ſich durch ein Carmen bey andern beliebt zu machen, oder, ſo ihm ja eines ſol - te abgefordert werden, ſchon ſeinen Mann weiß, der an ſeiner ſtatt ſolche Poëtiſche Arbeit auf ſich nimmet: Wer aber ſeine Recommendation durch einen ge - ſchickten Vers erhalten ſoll, und keinen Subſtituten hat, der hierinnen ſeine Stelle vertraͤte, der wird der Poëſie gar ſchwerlich entbehren koͤnnen. Mancher muß andere in der Poëſie unterweiſen, und alſo noth - wendig dieſelbe wohl verſtehen.

3. Was nutzet aber eigentlich die Poëſie?

Mehr, als vielleicht mancher dencken ſolte: DennA 4es8Das I. Capitules bringet uns dieſelbe auf allerhand artige Inventio - nen, manierliche Expreſſionen, verſchaffet uns eine gu - te Copiam Verborum, beluſtiget unſer Gemuͤthe, und machet uns bey andern Leuten offtmahls uͤberaus be - liebt.

4. Wie werden wir nun die teutſche Poëſie in dieſem Buche abhandeln?

Wir werden allhier dabey vornemlich auf acht Stuͤcke ſehen: Das erſte werden die Reime ſeyn, das andere die Conſtruction, das dritte die Scanſion, das vierdte die Genera, das fuͤnffte die Invention, das ſechſte die Diſpoſition, das ſiebende die Elocution, und das ach - te die Imitation. Und aus eben dieſen acht Capituln wird unſer gegenwaͤrtiges Buch beſtehen. Dem - nach handelt

Das I. Capitul. Von den Reimen.

1. Was iſt ein Reim?

Ein Reim iſt, wenn einige Sylben oder Buchſta - ben am Ende auf einerley Artlauten.

2. Kan man nicht auch Verſe ohne Rei - me machen?

Ja es gehet ſolches bisweilen an: denn die Inſcri - ptiones, welche nicht nur zur Oratorie, ſondern auch zur Poëſie gehoͤren, pflegen keine Reime zu haben; Hernach kan man auch die Sylben richtig abzehlen, daß ſie andern Verſen gantz aͤhnlich ſeyn, und dennoch die Reime weglaſſen.

3. Was9von den Reimen.

3. Was hat es denn mit den Inſcriptionen vor eine Beſchaffenheit?

Es gehoͤren zwar die Inſcriptiones, wie allererſt ge - ſaget worden, auch zur Poëſie, gleichwohl wird davon in der Oratorie weitlaͤufftiger gehandelt. Kurtz zu ſa - gen, ſo muͤſſen in den Inſcriptionen lauter ſcharffſinni - ge Redens-Arten und die Zeilen von unterſchiedener Laͤnge ſeyn, damit ſie einige Figur machen. Die ſcharffſinnige Redens-Arten aber flieſſen aus vier Oer - tern her, welche ſind:

  • 1. Repugnantia, oder ſolche Redens-Arten / die einan - der gantz zuwider ſeyn. z. e. Ein alter Knabe. Eine hoͤltzerne Mauer.
  • 2. Alienata, oder ſolche Worte, welche ſich gar nicht zur Zeit, zum Orte, zur Perſon und Sache ꝛc. ſchicken. z. e. Er weinet bey der Hochzeit und lachet beym Begraͤbniſſe.
  • 3. Comparata, oder dergleichen Dinge, worinnen ich zwey Perſonen oder zwey Sachen mit einan - der vergleiche. z. e. Den Cardinal Protoca - rero mit dem Cardinal Richelieu. Jnglei - chen: Die Wohlthaten mit einem lieblichen Balſam.
  • 4. Alluſiones, oder ſolche Sachen, da man auf ein Symbolum, Sprichwort, ſinnreichen Spruch, Hiſtorie, Streit-Frage, Fabel ꝛc. alludiret. z. e. Bey einem Hochzeit-Wunſche koͤnte man die Frage eroͤrtern: Was man vor eine Perſon heyrathen ſolle.

Dieſes iſt wie gedacht, bey den Inſcriptionen nochA 5zu10Das I. Capitulzu mercken, daß man im Schreiben bald lange, bald kurtze Zeilen machen muͤſſe, damit einige Figur heraus komme; Wir wollen ein einziges Exempel auf den zu Leipzig ſo beruffenen Polter-Hans verfertigen:

Stehe ſtille!
Curieuſer Leſer,
Hier liegt ein Mann begraben,
Den ſeine Untugenden beruͤhmt gemacht,
Er war ein vernuͤnfftiges Schwein,
Des Bacchi natuͤrliches Ebenbild,
Aller Leute Bruder,
Und doch mit niemanden befreundet,
Ward auch von niemanden zum Bruder begehret.
Er leerte die Glaͤſer,
Er fraß die Glaͤſer,
Auch die Ecken an den Oefen waren vor ſeinen Zaͤhnen nicht ſicher
Er war ein hoͤflicher Toͤlpel,
Der ſeine tumme Reverence gegen jederman machte,
Seiner Profeſſion nach war er ein Gaſtwirth,
Seine abentheuerlichen Poſſen lockten mehr Gaͤſte an ſich,
als alle Delicateſſen.
Sein Wohlſtand machte ihn zu einem V[i]ehe,
Sein Ungluͤck zu einem Menſchen,
Sein Leben war ein Jnbegriff aller Laſter,
Sein Tod hingegen Lobens werth:
Denn
Jm Leben wuſte er nichts von Buſſe;
Allein
Jm Sterben wuſte er dieſelbe wohl zu practiciren.
Dannenhero
Tadle ſein Leben,
Und
Ruͤhme ſeinen Tod.
Wie heiſſet aber dieſer Mann?
Er iſt dir ſehr wohl bekannt,
Ob du ihn gleich nicht gekennet haſt,
Jn11von den Reimen.
Jn Leipzig wohnete er,
Jn Sachſen ward er in einer luſtigen Comœdie vorgeſtellet,
Jn Holland ward er in Kupffer geſtochen,
Und im Lazareth vor Leipzig ſtarb er,
Aus der Tauffe her hieß er Johannes,
Von ſeinem Vater Tietze,
Und
Wegen ſeiner wunderlichen Auffuͤhrung
Polter-Hans.

4. Wie ſehen denn die Verſe ohne Reime aus?

Wir wollen ſolches aus nachgeſetztem Exempel er - fahren. Es invitirte unlaͤngſt einer ſeinen guten Freund auf ſeine Stube, und der Eingeladene ſchrieb ihm dieſes zur Antwort:

Mein Freund, du haſt mich heut in dein Qvartier gebeten,
Und glaube, daß mir diß vortrefflich wohl gefalle;
Jch bin ja nirgends wo ſo froͤlich als bey dir,
Weil alles, was du thuſt, von lauter Liebe zeugt.
Und alſo danck ich dir vor dieſe Liebes-Probe,
Doch bitt ich, mache dir nicht meinet wegen Muͤhe:
Du weiſt ja, daß ein Freund gar wohl zu frieden iſt,
Wenn ihn der andere nur gerne bey ſich hat.
Will uns das Wurtzner-Bier zu unſern Dienſten ſtehen,
So werden wir dabey gar ſehr vergnuͤget leben,
Ein Pfeiffgen Toback ſoll mir auch kein Greuel ſeyn,
Doch ſchreib ich dir nicht vor, mach alles wie du wilſt,
Du ſolſt mich gegen drey auf deiner Stube ſehen,
Denn eher kan ich nicht von meiner Arbeit kommen.
Bleib mir indeſſen hold, und glaube gantz gewiß,
Daß ich vor dieſe Gunſt dein treuer Diener ſey.

Allein man mercket in ſolcher Gattung den Be - trug gar zu geſchwinde; Beſſer kan man ihn verber -gen,12Das I. Capitulgen, wenn man die langen und kurtzen Sylben mit einander abwechſeln laͤſſet. Als gedachtem guten Freunde nach dem Schmauſe der Kopff ziemlich we - he that, ſchrieb er an ſeinen geweſenen Wirth folgen - der Maſſen:

Mein Freund, erlaube mir, daß ich dir etwas klage,
Jch bin von geſtern her anjetzo ſterbens kranck;
Jch weiß nicht, ob das Bier den Kopff ſo eingenommen,
Daß er mir heute faſt vom Leibe fallen will.
Der Toback hat vielleicht auch was contribuiret,
Jch weiß nicht, wo ich bin, und wo ich bleiben ſoll:
Kanſt du mir einen Rath vor dieſe Schmertzen ſagen,
So bin ich dir davor unendlich zugethan.

5. Nunmehro moͤchte ich auch gerne wiſ - ſen, was bey den Reimen zu mer - cken iſt:

Bald Anfangs muß man bey den Reimen wiſſen, daß allemahl die gleichlautenden Sylben einen un - terſchiedenen Buchſtaben vorher haben ſollen.

Alſo waͤren dieſe Reime falſch:

Wohl dem, der andern gerne giebt,
Und ſich dem Geitze nicht ergiebt.

Denn vor beyden Reimen gehet einerley Buchſta - be, nemlich das G. vorher. Hingegen ſind dieſe Reime richtig:

Wohl dem, der andern gerne giebt,
Und arme Leute mehr, als ſeine Gelder liebt.

Denn da haben die Reime unterſchiedene Buch - ſtaben vor ſich hergehen, nemlich G. und L.

6. Wer -[13]von den Reimen.

6. Werden aber die Worte bey allen Leuten auf einerley Art ausgeſprochen, und mit einander gereimet?

Keines weges: Denn nur zweyer Landſchafften zu gedencken, ſo ſprechen die Sachſen und Meißner viele Worte anders aus, als die Schleſier. Alſo reimet ſich bey den Schleſiern Was und Fraß, Koͤn - nen und Sinnen, Von und Lohn, Muß und Gruß: Bey den Meißnern und Sachſen hingegen reimen ſich ſolche Worte nicht. Wenn man auf den Grund ſiehet, ſo beruhet ſolcher Unterſcheid, zwiſchen genannten und andern Nationen auf der mancherley Ausſprache der Vocalium, Diphthongorum, einfacher und gedoppelter Conſonantium. Wir wollen um mehrer Klarheit willen einige Buchſtaben mit einan - der durchlauffen, und den unterſchiedenen Thon in et - lichen Exempeln anhoͤren.

A. wird von etlichen alſo ausgeſprochen:

Jch weiß nicht mehr zu ſchlaffen,
Wilſt du mir Rath verſchaffen:
So zelge mir den Mann,
Der mich vergnuͤgen kan.

Jngleichen:

Jn dieſer gantzen Stadt;
Find ich gar keinen Rath.

E. Klinget bey etlichen folgender maſſen:

Soll das Hertz in Rube ſtehen,
Muß man nicht nach Weibern ſehen,
Denn man wird dadurch verliebt,
Das mehr Schmertz als Labſal giebt.
J. und14Das I. Capitul

J und JE. haben bey manchen einerley Thon: z. e.

Weil ich werd auf Erden leben,
Will ich alle Schuld vergeben,
Demnach weiſt du, wie ich bin,
Der ich dir ſonſt zornig ſchien.

O. ſprechen einige in folgenden Worten mit einem Thone aus: z. e.

Unterweiſe meinen Sohn,
Denn du haſt den Ruhm davon.

U. klinget bey etlichen in nachgeſetzten Worten auf ei - nerley Art:

Jhr Voͤgel ſeyd munter und nehmet die Flucht,
Jhr werdet von vielen gar eifrig geſucht.

AU. und O. wird von einigen auf einerley Art ausge - ſprochen. z. e.

Ach wie pflegt man zu dem Ofen,
Jn dem Winter zu zu lauffen.
  • (Jn dieſem Exempel ſiehet man zugleich, daß das einfache und doppelte F. gleichfalls bey etlichen ei - nerley Thon habe.)

EJ. und OE. oder E. klingen in mancher Ohren einer - ley. z. e.

Ein Meiſter im Luͤgen kan alles beſchoͤnen,
Jch aber will lieber das falſche verneinen.

OE. und J. reimen ſich bey einigen ſehr wohl. z. e.

Stets auf etwas kluges ſinnen,
Und den Menſchen dienen koͤnnen,
Jſt ein Schatz dem keiner gleicht
Und wodurch man Gluͤck erreicht.

D. und T. giebt bey manchen einen guten Reim ab. z. e.

Es15von den Reimen.
Es halffen vor dieſen die ehrlichen Schweden
Den teutſchen Bedraͤngten aus aͤuſſerſten Noͤthen.

B. und P. klinget in mancher Ohren auf einerley Art. z. e.

Scht doch die kleinen Buben
Wie ſie die hellen Schupen
Der Fiſche zu ſich ziehn,
Seht wie ſie ſich bemuͤhn.

G. und Ch. muß ſich bey etlichen wohl reimen. z. e.

Jch meide ſolchen Fluch,
Den deine Zunge trug,
Und will vielmehr den Segen
Auf meinen Naͤchſten legen

S. und ß. hat bey einigen einerley Thon. z. e.

Was ſchmecken dir vor Speiſen,
Du kanſt den Stahl zerbeißen,
Dein Magen iſt von Stein,
Du muſt ein Rieſe ſeyn.

Wer nun in ſolchen unterſchiedenen Ausſprachen nicht verſtoſſen will, der muß ſehen, was er vor ein Landsmann ſey, und wie man in ſeinem Lande die Worte ausſpreche; ingleichen muß er bedencken, wel - cher Nation er mit ſeinen Verſen am meiſten gefallen wolle, denn nach derſelben Mund-Art muß er ſich richten. Abſonderlich aber muß einer darauf Achtung geben, was am reineſten klinget, und am gelehrteſten ausſiehet.

7. Sind aber auch diejenigen Reime zu billi - gen, welche etlicher maſſen einerley Klang ha - hen, ob ſie gleich nicht aus einerley Buch - ſtaben beſtehen?

BDieſe16Das I. Capitul

Dieſe Worte, als: Naͤher, Seher, lieben / uͤben, nennen, koͤnnen, reimen ſich gantz gut mit einander, ob ſchon in dem einen ein einfacher Vocalis, und in dem andern ein Diphthongus gefunden wird, denn wenn man ſolche pronunciren hoͤret, haben ſie einerley Thon. Dannenhero wird mir dieſen Reim niemand tadeln koͤnnen:

Wer wahre Buſſe thut, der kan vor ſeine Suͤnden,
Sie ſeyn gleich noch ſo groß, bey GOtt Genade finden.

Allein das kan man nicht paſſiren laſſen, wenn einer mit den alten Meiſter-Saͤngern die Worte Sack, und Stab, fein, und heim, Greiß und Geiſt ꝛc. oder mit dem bekannten Poëten, Hans Sachſen, aus dem Liede: Warum betruͤbſtu dich mein Hertz, folgendes mit einander reimen wolte.

Weil du mein GOtt und Vater biſt,
Dein Kind wirſtu verlaſſen nicht,
Du vaͤterliches Hertz.
Jch bin ein armer Erden-Kloß,
Auf Erden weiß ich keinen Troſt.

Denn obgleich ſolche Worte, wenn man ſie uͤberhin an - hoͤret, ſcheinen gleichlautend zu ſeyn, ſo geben ſie doch bey accuraten Ohren keine Reime ab. Gleicher geſtalt kan man auch dieſe Reime nicht gelten laſſen:

Jch will in meinem gantzen Lebn,
Begierig nach der Tugend ſtrebn.

Jngleichen:

Das Wort ſie ſollen laſſen ſtahn,
Und kein’n Danck darzu haben,
Er iſt bey uns wohl auf dem Plan
Mit ſeinem Geiſt und Gaben:
Item:17von den Reimen.

Item:

Die viel erlitten han,
Stehn auf des Himmels Plan.

Denn dieſe Veraͤnderungen und Contractionen klingen gar zu harte, doch will ich hiermit die geiſtli - chen Lieder nicht verworffen haben, weil dieſelben auch ohne ſolche Kunſt ihre durchdringende Krafft mit ſich fuͤhren.

8. Nun iſt es Zeit, daß ich mich erkundige, wie vielerley die Reime ſeyn?

Man hat dreyerley Reime, als

  • 1. Einſylbige, welche maͤnnliche genennet werden, z. e. uͤber dieſes Sprichwort:
    • Ne ſutor ultra crepidam:
Will ein Schuſter etwas tadeln, ſagt man ihm: Er ſoll allein
Bey dem Schuh, Pantoffel, Stiefel, ſonſt bey nichts ein Do -
ctor ſeyn.
  • 2. Zweyſylbige, welche weibliche heiſſen. z. e. Uber die bekannten Verſe:
    • Germani cunctos poſſunt tolerare labores, O utinam poſſent & tolerare ſitim:
Kein Arbeit kan den Muth des Teutſchen niederſchlagen,
Ach! koͤnt er nur den Durſt auch als ein Held ertragen.
  • 3. Dreyſylbige, welche man Engliſche, weil ſie ge - meiniglich mehr, als menſchliche Kraͤffte und Kuͤnſte erfodern, oder auch Tendelhafftige heiſſen moͤchte, weil darinnen mehrentheils nur eine Tendeley verborgen lieget: z. e.
B 2Als18Das I. Capitul
Als ich im Buche blaͤtterte
Und zu der Weißheit kletterte,
Da war ich der Geſegnete,
Dem nie kein Schmertz begegnete.

9. Kan man denn gantze Carmina machen; welche aus lauter weiblichen Reimen beſtehen?

Man kan zwar ſolches thun, allein es klinget nicht all - zu lieblich. Siehe das Muſen-Cabinet 1143. & 1287. Alſo machteich vor einiger Zeit auf das ſtetige Regen - wetter zur Erndte-Zeit folgende Zeilen:

Mein GOtt, ſo trauret dann der Himmel alle Stunden,
Wenn hat ſich wohl ein Strahl der Sonnen eingefunden,
Und unſer Land erquickt? Die Wolcken ſind voll Regen,
Und wollen unſer Feld mit Feuchtigkeit belegen.
Ach! alle Frucht erſtickt; das Korn will gar nicht reiffen,
Der Meyher darff noch nicht, wie ſonſt die Senſe ſchleiften,
Und iſt die Zeit doch da; die Staͤdt und Doͤrffer weinen
Und will uns gar kein Rath nach aller Noth erſcheinen.
Die Angſt nimmt immer zu Die Boͤden ſind geleeret,
Drum wird die neue Frucht viel hefftiger begehret;
Der groſſe Mißwachs iſt ſchon manches Jahr geweſen,
Und das verderbte Feld kan noch nicht recht geneſen.
Der Menſch das Vieh erſtirbt: Dir, Hoͤchſter ſey’s geklaget,
Denn bloß von dir wird uns die Segens-Krafft verſaget,
Wer iſt doch Schuld daran, iſt deine Hand verkuͤrtzet?
Vielleicht macht uns dein Haß ohn unſ’re Schuld beſtuͤrtzet.
Ach nein! Wir haben diß mit unſerm Thun verdienet,
Weil unſer Suͤnden-Feld von lauter Laſtern gruͤnet;
Sonſt iſts ja deine Luſt uns gutes zu erweiſen,
Pflegſt du doch auch das Vieh aufs reichlichſte zu ſpeiſen:
Deßhalben wollen wir die Schuld gantz frey bekennen,
Die Kleinmuth ſoll uns nicht von deiner Liebe trennen;
Du19von den Reimen.
Du ſtraffſt das boͤſe Volck, ſo lang es Suͤnde liebet,
Biſt aber voller Gunſt, wenn’s gute Worte giebet.
Vergieb die Miſſethat, dein Geiſt wird uns regieren,
Und kuͤnfftig allezeit auf deinen Wegen fuͤhren.
Erhoͤre das Gebeth; Gieb warme Sonneu-Blicke,
Damit man ſich vergnuͤgt zu einer Erndte ſchicke.
Der Wunſch iſt ſchon erhoͤrt; Der Himmel will ſich freuen,
Die Sonne wird auf uns viel warme Funcken ſtreuen:
Dir ſey davor gedanckt; Wir freuen uns von Hertzen,
Und wollen deine Gunſt nicht wiederum verſchertzen.

10. Schickt ſichs denn auch, daß man lauter maͤnnliche Reime in einem gantzen Carmine anwende?

Es ſchickt ſich dieſes allerdinges, und klingen ſolche Verſe weit lieblicher, als die, ſo aus lauter weiblichen Reimen beſtehen. Siehe im Muſen-Cabinet p. 24. 961. 1115. & 1267. Als vor wenig Jahren die Damen in Franckreich anfiengen auf Eſeln zu reiten, hatte ich dieſe Poêtiſche Gedancken daruͤber:

Das munt’re Franckreich hat viel Moden ausgedacht,
Und ſolche weit und breit mit Nutzen angebracht,
Wie mancher Spanier will ein Frantzoſe ſeyn,
Jn Holl - und Engelland trifft dieſes gleichfalls ein.
Die Teutſchen nennen faſt nicht mehr ihr Vaterland,
Denn was nach Franckreich ſchmeckt, iſt ihnen nur bekandt;
Der Schwed und Daͤne will auch nicht entfernet ſtehn,
Der Welſche wird mit Luſt zu dieſer Svite gehn.
Von andern ſag ich nichts: Es wird noch gar geſchehn,
Man wird in kurtzer Zeit nichts als Frantzoſen ſehn;
Ein kluger mercket ſchon die groſſe Sclaverey,
Und klagt, daß alle Welt ſo ſehr verblendet ſey.
B 3Zu20Das I. Capitul
Zu Marly fangen ietzt die Damen etwas an,
Woruͤber man ſich faſt nicht gnug verwundern kan,
Es werden ſelbige den Eſeln aufgeſetzt,
Die groͤſte Hertzogin
*von Burgund.
* wird ſelbſt dadurch ergetzt.
Zeig’t dieſes Demuth an, ſo lob ich ihre That,
Wiewohl es laͤſſet mich derſelben groſſer Staat
Nicht ſo geſinnet ſeyn: Die Demuth iſt gar weit
Aus Franckreich weggebannt, drum geb ich den Beſcheid:
Der Vorwitz iſt der Sporn, ſo dieſe Damen treibt,
Was iſt wohl in der Welt, das unverſuchet bleibt?
Abſonderlich, wenn es ein Frauenzimmer ſieht,
Jn deren geilen Bruſt die Wolluſt haͤuffig bluͤht.
Jetzt muß der Eſel her: Vielleicht geſchicht es bald,
Daß man diß freche Volck in anderer Geſtalt
Auf einem Hirſche ſieht: Denn Vorwitz kan nicht ruhn,
Und heute will er diß und morgen jenes thun.
Jhr Damen reitet nun auf euren Eſeln hin,
Wer nicht geſchoſſen iſt, hat einen andern Sinn:
Wir Teutſchen ſind vergnuͤgt, wenn ein galantes Pferd
Zu unſern Dienſten ſteht; Eu’r Thun iſt Lachens werth.

11. Solte es aber nicht beſſer klingen, wenn in einem Gedichte theils maͤnnliche, theils weibliche Reime angewendet werden?

Es klinget ſolches freylich weit beſſer, und kan man dieſe Manier auf unterſchiedene Art vorneh - men.

  • I. Man kan anfangs zwey maͤnnliche, und hernach zwey weibliche Reime ſetzen. vid. Muſen-Ca - binet p. 5. 37. 62. 135. 154. 211. 388. 462. 488. 531. 541. 548. 559. 776. 796. 833. 875. 877. 1126. 1138.21von den Reimen. 1138. 1284. 1312. Als der damahlige Herr Licentiat Jttig zum Superintendenten in Leipzig beſtaͤti - get ward, verband ſich eine gewiſſe Compagnie, daß ein jeder etwas Poëtiſches auf dieſen Hochgelehrten Mann verfertigen ſolte, und da brachte einer folgen - de Arbeit:
Jhr edlen Leipziger, wiſcht eure Thraͤnen ab,
Jhr ſebt noch gar betruͤbt auf eures Lehmanns Grab,
Der theure Carpzov liegt euch immer in dem Hertzen,
Und koͤnnet deſſen Tod bis dato nicht verſchmertzen.
Wiſcht eure Thraͤnen ab, GOtt ſchenckt euch einen Mann,
Von dem die Wahrheit ſelbſt ein Zeugniß geben kan,
Daß Er ein Wunder ſey: Betrachtet Lehr und Leben,
So wird mir Hertz und Mund hierinnen Beyfall geben.
Seht dieſen Biſchoff an, der jedermann vergnuͤgt,
Und weil ſo groſſe Laſt auf ſeinen Schuldern liegt,
So betet doch vor Jhn, daß Jhn der Hoͤchſte ſtaͤrcke,
Damit Er neue Krafft im Amt und Alter mercke.
Nehmt ſeine Lehren an, und bringt ſie in die That,
Wenn Er ein Urtheil ſpricht, ſo ehret ſeinen Rath:
Er iſt ein ſolcher Mann, bey dem ihr Liebe findet,
Der ſich ſo manches Hertz durch Guͤtigkeit verbindet.
Mein GOtt beſchuͤtze doch diß hochgeſchaͤtzte Pfand,
Es ſey die Leibes Noth von Jhm weit abgewandt;
Gieb dem Gemuͤthe Krafft: laß alles wohl gelingen,
So wird man dir mit Luſt ein ſchoͤnes Danck-Lied ſingen.
  • II. Man kan anfangs zwey weibliche, und hernach zwey maͤnnliche Reime ſetzen. vid. Muſen-Cabinet p. 11. 23. 78. 147. 200. 565. 597. 779. 888. 965. 1125. 1183. 1221. 1281. 1294. 1297. 1302. 1326. So ſchrieb ich von den Leipzigiſchen Gaͤrten folgender Ge - ſtalt:
B 4Zu22Das I. Capitul
Zu Leipzig lacht alles von auſſen und innen,
Die Hauſer vergnuͤgen die luͤſternen Sinnen;
Die Gaͤrte bezaubern: Wer Eden
*Worinnen das Paradieß war.
* nicht kennt
Dem wird es zu Leipzig gar deutlich genennt.
Hier zeigt man den Garten, ſo Adam verlohren,
Den Eva vorm Falle zur Wohnung erkohren,
Es wuͤnſchet derſelbe beſuchet zu ſeyn,
Der Cherubim
Der Gaͤrtner.
laͤſſet auch Suͤnder hinein.
Da ſiehet man Blumen, da ſchauet man Fruͤchte,
Bald kommen die Teiche vor unſer Geſichte,
Da zeigen ſich Haͤuſer von herrlicher Pracht,
Ja Eden wird wenig vor Leipzig geacht.
Doch Eden bleibt Eden und ſchencket das Leben
Vom Baume, das Leipzig noch niemals gegeben:
Nur ſchlaͤfft man zu Leipzig im Garten mit Luft,
Jn Eden war dieſes faſt gar nicht bewuſt.
Beſuchet den Garten, ihr weltlichen Leute,
Mir bleibet was beſſers zur lieblichen Beute:
Mein Stuͤbgen vergnuͤget mir Augen und Geiſt,
Bis daß mich die Schwachheit ins Bette verweiß’t:
  • III. Man kan in der erſten und dritten Zeile weibliche, in der andern und vierdten aber maͤnnliche Reime ſetzen. vid. Muſen-Cabinet p. 25. 192. 198. 203. 218. 221. 371. 401. 506. 600. 763. 828 942. 1158. 1218. 1225. 1291. 1317. 1320. 1329. 1337. Alſo ward auf den Abzug eines lieben Freundes im Namen ei - ner gantzen Compagnie unter andern folgendes ver - fertiget:
Mein Freund, es ſchmertzet uns, wenn wir daran gedencken,
Daß unſ’re Compagnie Jhn nun entbehren ſoll;
Doch will Er beym Beſchluß uns nur ſein Hertze ſchencken,
So bleibet unſer Geiſt noch ferner Freuden-voll.
Was?23von den Reimen.
Was? Mund und Feder irrt! Soll Er das Hertze geben,
Das Er uns ſchon vorlaͤngſt ohn allen Zwang gegoͤnnt;
Er laſſe ſelbiges nur weiter bey uns leben,
So wird die Freundſchafft auch in aller Fern erkennt.
Jnzwiſchen wollen wir uns auch durch Briefe lieben,
Und zwar ein jedesmahl der Poſt was anvertrau’n,
Und ſolt ein einiger den Liebes-Dienſt verſchieben,
So wollen wir auf ihn mit ernſten Minen ſchau’n.
Adjeu Hochwerther Freund, Er leb in vollem Segen,
Es ſtellen ſich bey ihm begluͤckte Chargen ein,
Wir wollen Lebens-lang gantz klar vor Augen legen,
Daß wir ihm ohne falſch zum Dienſt ergeben ſeyn.
  • IV. Man kan in der erſten und dritten Zeile maͤnnliche, in der andern und vierdten aber weibliche Reime gebrauchen. z. e.
Der Vorwitz kuͤtzelte die Dina nicht allein,
Es hat dieſelbige viel Schweſtern hinterlaſſen;
Wie viele findet man, die ſehr verwegen ſeyn?
Ach! wie marchiren ſie durch die verbotne Straſſen.

Mehr Exempel ſtehen im Muſen-Cabinet p. 184. 575. 589. 917. 931. 934. 947. & 1271.

  • V. Man kan in der erſten und vierdten Zeile weibliche, in der andern und dritten aber maͤnnliche Reime machen. z. e.
Ein Sauertopff kan nicht geſchickte Verſe machen,
Es muß bey dieſer Kunſt Luſt und Courage ſeyn:
Wer demnach dichten will, der trinck ein Glaͤßgen Wein,
Denn ſonſt gerathen ihm gar ſchwerlich ſeine Sachen.

Conf. Muſen-Cabinet p. 411.

  • VI. Man kan in der erſten und vierdten Zeile maͤnnli - che, in der andern und dritten aber weibliche Reime ſetzen. z. e.
B 5Was24Das I. Capitul
Was iſt doch dieſe Welt? Nichts, als ein Jammerthal,
Der allerreichſte Mann wird ſeinen Kummer finden,
Mit jedem Gluͤcke pflegt ſich Elend zu verbinden,
Und alſo bleibet wohl das Leyden ohne Zahl.

Conf. Muſen-Cabinet p. 168. & 410.

  • VII. Jn den kurtzen Zeilen kan man die Reime gleich - falls auf vielerley Art verſetzen. z. e. Ein beliebter Poëte ſtellete die Klage einer alten verliebten, da - bey aber verhaßten Frauen in folgenden Wor - ten fuͤr:
Als ich vor ſechzig Jahren
Ein kleines Maͤdgen war,
Da giengen wir zu Paaren,
Und ſchertzten immerdar.
Da kunten wir fein niedlich,
Wie junge Leute thun,
Und durfften unterſchiedlich
Jm Klee beyſammen ruhn.
Jetzt auf die alten Tage
Da bin ich gantz allein,
Und muß wie eine Plage
Bey andern Leuten ſeyn.
Jch muß mich laſſen ſchelten,
Jch arme Fledermaus,
Als ſaͤh’ich zum St. Velten,
Gor wie der Hencker aus.
Jch bin wie eine Fliege,
Da iſt kein bisgen Schmaltz,
Wiewohl ich arme Ziege,
Leck annoch gerne Saltz.
Doch will ich etwas ſuchen,
Und komm ins Liebes-Spiel
So gehn die Leute fluchen,
Du alter Beſenſtiel.
Jch25von den Reimen.
Jch geh als wie ein Blinder,
Gantz furchtſam und gemach,
Drum kommen alle Kinder,
Und ſchren’n mir hinten nach.
Es iſt mir gar nicht eben,
Denn eine junge Sau,
Hat ein begluͤckter Leben,
Als eine graue Frau.

Oder alſo:

Seht doch den jungen Sack
Dort in dem Fenſter ſitzen,
Wie hurtig und wie ſtrack
Kan ſie das Maͤulgen ſpitzen,
Sie war vor wenig Tagen
Noch weit davon entfernt;
Doch ietzo muß ich ſagen,
Sie hat ſchon ausgelernt.

Oder auch ſolcher geſtalt:

Es ſind unterſchiedne Sachen,
So den Menſchen froͤlich machen,
Wenn er in dem Kummer lebt:
Doch kan nichts beliebter fallen,
Als wenn Prieſter. Stimmen ſchallen,
Da der Geiſt in Aengſten ſchwebt.
Redet ich mit boͤſen Leuten,
Duͤrfften ſie vielleicht beſtreiten,
Daß mein Wort nicht gruͤndlich ſey:
Denn die Welt kan’s nicht vertragen,
Wenn die Prieſter etwas ſagen,
Keines ſtimmt dem andern bey.
Drum ſo ſeh ich auf die Frommen,
Welche ſtets viel Luſt bekommen,
Wenn ſie Prieſter angehoͤr’t:
Denn in allen Gloubens-Gruͤnden,
Koͤnnen ſie bey dieſen finden,
Was die Jrrthums-Spruͤche ſtoͤrt.
Ach26Das I. Capitul
Ach wie wird der Menſch geplaget,
Wenn ihm Seel und Ketzer ſaget,
Was nach lauter Falſchheit ſchmeckt:
Aber wenn der Prieſter weiſet,
Wie der HErr mit Warheit ſpeiſet,
Wird vor Angſt viel Luſt erweckt.
Prieſter ſagen, wie zu leben,
Und die Suͤnde wegzuheben,
Welche Zorn und Hoͤlle bringt:
Wie erfreuen ſich die Seelen,
Wenn die Prieſter nichts verhoͤlen,
Worauf Amt und Himmel dringt.
Prieſter koͤnnen Luſt erregen,
Wenn ſie das vor Augen legen,
Was betruͤbte Hertzen ſtaͤrckt;
Ja wenn gar das Leben weichet,
Und der Prieſter Segen reichet,
Da wird recht die Luſt vermerckt.

Man hat noch viel andere Verſetzungen der Reime, es iſt aber nicht noͤthig, alle Gattungen anzufuͤhren, denn wer nur ein wenig Nachſinnen hat, kan ſelbige ohne ſchwere Muͤhe ſelbſt erfinden. vid. Muſen-Cabi - net p. 1284.

12. Muͤſſen ſich denn aber nur immer zwey, Zeilen mit einander reimen?

Es iſt ſolches nicht hoͤchſt noͤthig: Denn es koͤnnen ſich auch mehr Zeilen, als zwey, mit einander reimen und manchmahl eine ungereimet bleiben. Wir wollen ſol - ches in einigen Abtheilungen betrachten.

  • I. Es koͤnnen ſich manchmahl drey Zeilen mit einander reimen. z. e.
Jſt27von den Reimen.
Jſt in dem Lande Krieg und Streit,
So iſt gar hochbetruͤbte Zeit
Und nichts als lauter Hertzeleid:
Denn in dem Kriege fragt man nicht,
Ob einer diß und das verbricht,
Man ſieht gar ſchlecht auf ſeine Pflicht.
  • II. Man kan in einem gantzen Gedichte nur einen ein - tzigen Reim behalten; wiewohl dieſes gehet ſehr ſchwer an. z. e.
Kan man vom Frieden ſagen,
So weichen alle Plagen,
Kein Menſch darff ſich beklagen,
Noch in der Noth verzagen,
Er darff nach nichtes fragen,
Sich nicht mit Grillen ſchlagen,
Noch ſeine Bruſt benagen,
Er kan da Gluͤck erjagen,
Will er nur etwas wagen.

Es klinget trefflich ſchoͤne, daß einer immer die Oh - ren davor zuſtopffen moͤchte: Allein es gehet bey die - ſer Manier nicht ohne Schwachheiten ab, dannen - hero iſt es am beſten, wenn man ſolche gar unterwegen laͤſſet.

  • III. Man kan auch wohl eine Zeile ſetzen, mit welcher ſich gar keine andere reimet, wie ſonderlich in den Arien zu geſchehen pfleget. z. e.
Friſch auf mein Hertz!
Laß allen Kummer fahren,
Du kanſt die Klagen ſparen,
Weil dich dein JEſus liebt
Und dir in deiner Noth viel Gnaden-Blicke giebt.

Conf. Muſen-Cabinet p. 89. & 785.

13. Pflegt28Das I. Capitul

13. Pflegt man denn aber nur die Worte am Ende der Zeilen mit einander zu reimen?

Jnsgemein pfleget ſolches zu geſchehen: Jedoch kan man auch zuweilen in einer Linie etliche Worte mit ein - ander reimen. z. e.

Es ſingen und ſpringen die Knaben mit Freuden,
Sie lachen und machen ſich ſelten ein Leyden.

Oder dreyfaͤltig:

Wir nuͤtzen durch Sitzen und Schwitzen nicht viel,
GOtt leget, GOtt heget, GOtt traͤget das Ziel.

Allein ich will einen verſichern, er ſoll von dieſer Gat - tung wenig Verſe zuſammen bringen, ſo ein Geſchicke haben. Sonſt kan man auch zuweilen den Anfang zweyer Zeilen mit einander reimen. z. e.

Meine Freunde ſind geſtorben,
Deine ſind durch Schuld verdorben.

14. Jch habe bisher genug vernommen, was es mit den Reimen vor eine Beſchaffenheit habe: Nunmehro moͤchte ich wiſſen, woher man die Reime zuſammen ſuchen muͤſſe?

Man kan die Reime gar leicht zuſammen brin - gen, wenn man das Wort, worauf ſich ein ande - res reimen ſoll, in einem guten Reim-Regiſter auf - ſchlaͤget, oder auch nur das Alphabeth im Sinne durchlauffet. z. e. Habe ich das Wort: Leben, ſo reimet ſich darauf: Beben, eben, geben, heben,kleben,29Das II. Capitul von der Conſtruction. kleben, darneben, Reben, ſtreben, ſchweben, weben.

Das II. Capitul Von der Conſtruction.

1. Was hat man bey der Conſtruction zu mercken?

Dieſes einige, daß alle Worte in ihrer rechten Ordnung ſtehen ſollen, und dabey muß man dieſe Regul wohl mercken und practiciren: Man ſoll in Verſen die Worte in derjenigen Ordnung ſe - tzen, worinnen ſie auſſer den Verſen ſtehen: Will nun einer dieſe Regul in der Poëſie wohl an - wenden, ſo muß er ſich bemuͤhen, daß er auch in Proſa die Worte allemahl in richtiger Ordnung vor - bringe. Denn man ſpricht im Teutſchen: Jch weiß es wohl. Nicht nach dem Lateiniſchen: Hoc bene ſcio. Das wohl ich weiß. Auch nicht nach dem Frantzoͤſiſchen: Je le ſçai bien. Jch das weiß wohl.

2. Worinnen wird aber gemeiniglich wegen der Conſtruction verſtoſſen?

Vornehmlich in drey Stuͤcken als:

  • I. Jn den Verbis Compoſitis, denn dieſe werden nicht allemahl recht zertheilet. z. e.

Dieſes iſt recht:

Wer wolte doch von uns im Creutze traurig ſeyn,
GOtt ſchenckt uns ja dadurch nur lauter gutes ein.
Dieſes30Das II. Capitul

Dieſes iſt falſch:

Einſchencke mir das Glaß,
Mein Halß iſt nicht mehr naß.
  • II. Jn den Pronominibus Poſſeſſivis: Mein, Dein, Sein, Unſer, Euer. Denn dieſe werden nicht al - lemahl an den rechten Ort geſetzet, ſondern ſtehen bisweilen hinter dem Subſtantivo, da ſie doth vor demſelben ſtehen ſolten. z. e.

Dieſes iſt recht:

So lang ich dieſes weiß; GOtt will mein Vater ſeyn,
So ſtellet ſich bey mir nichts als Vergnuͤgung ein.

Dieſes iſt falſch:

Ey! was ſolt ich traurig ſeyn?
Jſt doch GOtt der Vater mein.
  • III. Jn den Particulis Connectendi: Eine andere Ord - nung verurſachet das Woͤrtgen denn, eine andere das Wort weil ꝛc. Dannenhero muß leiner dieſe Woͤrtgen wohl zu vertauſchen wiſſen. z. E.

Dieſes iſt recht:

Der Zorn erwecket Schmertzen,
Denn er verletzt die Hertzen.

Dieſes iſt falſch:

Weil er verletzt die Hertzen.

Mit einem Worte: Wer eine gute Conſtruction in ſeinen Verſen beobachten will, der muß wohl va - riiren koͤnnen, nach der Grammatic, Rhetoric und Lo - gic (wovon in der Oratorie gehandelt wird) vornehm - lich aber nach der Rhetoric, da er durch eine kleine Fi - gur alle unteutſche Conſtruction wird vermeiden koͤn - nen. z. e.

Die -31Das III. Capitul von der Scanſion.

Dieſes iſt falſch:

Kein Menſch auf Erden lebt,
Der nicht nach Ehren ſtrebt.

Dieſes iſt recht:

Lebt jemand auf der Erden,
Der nicht will vornehm werden?

Das III. Capitul. Von der Scanſion.

1. Was iſt die Scanſion?

Wenn ein jedes Wort ſeinen rechten Thon und Abſchnitt hat. Alſo hat folgender Vers keinen rech - ten Thon:

Jm Sommer kan man nicht lange in dem Studier-Stuͤb -
gen ſeyn;
Jm Winter hingegen findet man ſich fein zum Ofen ein.

Dieſe Zeilen hingegen haben keinen rechten Ab - ſchnitt:

Den Toback kan ich gantz und gar nicht wohl vertragen,
Er pflegt mich in dem Leibe gar zu arg zu plagen.

2. Worauf muß man denn ſehen, wenn die Worte ihren rechten Thon haben ſollen?

Man muß wiſſen, welche Sylben fallend oder ſteigend, lang oder kurtz ſeyn, und ob man wohl einige Reguln hiervon geben kan, ſo brauchet man doch die - ſer Weitlaͤufftigkeit nicht, ſondern man darff nur ſei - ne Verſe entweder ſelbſt genau leſen, oder andere le - ſen laſſen, ſo wird einem ſchon das Gehoͤre ſagen, obCalle32Das III. Capitulalle Sylben ihren rechten Accent bekommen haben. Wir wollen die Sache in Gegenhaltung falſcher und rechter Verſe anſehen. z. e.

Dieſes iſt falſch:

Liebet wohl die Jugend,
Die herrliche Tugend.

Dieſes aber iſt recht:

Es liebet die Jugend,
Gar ſelten die Tugend.

Dieſes iſt falſch:

Beſchauet die ſchnoͤde Welt,
Die vielen ſo wohl gefaͤllt.

Dieſes iſt recht:

Wie viele wuͤrden nicht die ſchnoͤde Welt beſchauen,
Solt ihrer Zaͤrtlichkeit nur nicht vorm Wetter grauen.

3. Muß man nicht bey dem Thon der Wor - te noch auf etwas anders Achtung geben?

Ja ’es iſt noch ein Stuͤcke ſehr wohl zu mercken, daß man nemlich ſehen muß, in welchem Worte der Nach - druck eines Dinges lieget, denn auf daſſelbe muß ſon - derlich der Thon geleget werden, weil man ſonſt nicht den rechten Verſtand heraus bringen wuͤrde. z. e. Wenn ich dieſe drey Worte haͤtte: Jch liebe dich. Und wolte ſagen, es ſey keine andere Perſon, die den andern ſo ſehr liebete, als ich, ſo muß der Thon auf eben dieſem Worte Jch liegen. z. e. Jch liebe dich. Wolte ich aber meinen Affect gegen den andern ge -nau33von der Scanſion. genau zu erkennen geben, ſo gehoͤret der Thon auf das Wort Lieben, und muͤſte alſo klingen: Jch liebe dich. Wolte ich endlich zeigen, daß ich niemand anders, als ihn liebete, den ich mit ſolchen Worten anredete, ſo faͤllt der Thon auf das Wort Dich, und lautet es alsdenn alſo: Jch liebe dich. Wenn nun die Verſe in Schauſpielen, oder bey an - dern Vorſtellungen muͤndlich ſollen vorgebracht wer - den, ſo muß der Accent allemal auf das rechte Wort geſetzet werden, wofern man glauben ſoll, daß der jeni - ge, ſo da redet, auch wiſſe, was er redet.

4. Was hat es denn nun mit dem Abſchnitte vor eine Bewandniß?

Der Abſchnitt iſt, da man die langen Zeilen gleich - ſam in der Mitten zertheilet, und ein wenig mit der Zun - ge inne haͤlt. z. e.

Wer fromm und luſtig iſt | der hat das hoͤchſte Gut.

Bisweilen hat man in einer Zeile eine gantze Sentenz, und alsdenn wird der Abſchnitt im reden nicht ſo deut - lich ausgedruͤcket. z. e.

Ein treuer Ehemann liebt ſeine Frau von Hertzen.

Wer nun bey dem Abſchnitte nicht fehlen will, der muß folgende Reguln beobachten:

  • I. Der Abſchnitt muß gemacht werden, nicht, wo nur die Worte, ſondern, wo einiger Verſtand aus iſt. z. e.

Dieſes iſt falſch:

Die Mädgen ſind gar ſehr | verliebet und geſchoſſen.
C 2Die -34Das III. Capitul

Dieſes iſt recht:

Die jungen Maͤdgen ſind | gar ſehr verchameriret.
  • II. Der Abſchnitt muß nicht mitten in einem gantzen Worte geſchehen. z. e.

Dieſes iſt falſch:

Ach lieber GOtt beſchuͤtze ferner unſer Land,

Dieſes iſt recht:

Beſchuͤtze, lieber GOtt, noch ferner unſer Land.
  • III. Das Adjectivum muß nicht in einem, und das Subſtantivum im andern Theile der Linie ſtehen, ſon - dern ſie muͤſſen beyde beyſammen bleiben. Dan - nenhero kan ich nicht ſagen:
Du hochgeehrteſter Freund, bis mir ferner guͤnſtig.

Sondern es muß alſo heiſſen:

Du hochgeehrter Freund, bis mir doch ferner guͤnſtig.
  • IV. Was zum folgenden Commate gehoͤret, muß nicht zum erſten Stuͤcke gezogen werden, und was zum vorhergehenden Commate gehoͤret, muß nicht zum andern Stuͤcke gezogen werden. z. e.

Dieſes iſt falſch:

Wen JEſus liebet, darff in keiner Noth verzagen.

Jngleichen:

Der liebe GOtt verſorgt uns, und hilfft aus den Noͤthen.

Dieſes aber iſt recht:

Wer ſeinen JEſum liebt, darff nimmermehr verzagen.

Jngleichen:

Der HErr verſorget uns, und hilfſt aus allen Noͤthen.

5. Gehoͤret ſonſt nichts zur Scanſion?

Noch ein einiges Ding iſt bey derſelben zu beobach - ten, nemlich die Eliſion, da man gewiſſe Buchſtaben und Sylben verſchlucket.

6. Wel -35von der Scanſion.

6. Welche Buchſtaben koͤnnen denn ver - ſchlungen werden?

Alle diejenigen, welche man in Proſa verſchweiget, nemlich A. E. J. Das A. wird verſchlungen in den Worten: Daran, darauf, darauſſen, darů - ber, daroben, darum; denn man kan ſprechen: Dran / drauf, drauſſen druͤber, droben, drum ꝛc. Das E. wird verſchwiegen im Anfange, als: Gna - de, gnau, grade, Gluͤck vor Genade, genau, gera - de, Geluͤck; Jn der Mitten / alſo ſagt man: Eh - mann, Liebſter, Schoͤnſter ꝛc. vor Ehemann, Liebeſter, Schoͤneſter; Am Ende, als: Lebt / gebt, labt, habt liebt, giebt, lobt, laß, thu ꝛc. vor lebet, gebet, labet, habet liebet, giebet, lobet, laſ - ſe, thue. Das J. wird verbiſſen in den Woͤr - tern: Heilger, Selger, ꝛc. vor: Heiliger, Seli - ger.

7. Wenn werden aber ſonderlich am Ende die Buchſtaben verſchlungen?

Wenn auf einen Vocalem ein anderer Vocalis oder Diphthongus folget: Doch muß man allemahl die Ohren zu Rathe ziehen, was in Proſa gebraͤuchlich iſt. Alſo ſage ich gar recht:

Jch lieb ein feines Maͤdgen
Das heiſſet Jungfer Kaͤthgen.

Das hingegen wuͤrde nicht recht klingen:

Jch liebe ein artiges Maͤdgen.
Und ruffe es immer: mein Kaͤthgen.
C 3Jnglei -36Das III. Capitul

Jngleichen klinget dieſes gar wohl:

Es vergeht mir alle Luſt!
Denn mir iſt nur Schmertz bewuſt.

Da hingegen dieſes ſchon etwas gezwungener klin - get:

Es vergehet mir die Luſt,
Denn mir iſt nur Angſt bewuſt.

8. Wirfft man denn auch am Ende den Vo - calem weg, wenn ein H. darauf folget?

Einige thun es: wiewohl es ſcheinet nicht noͤthig, ſolches zu thun, weil man auch in Proſa den Vocalem vor dem H. ausſpricht. Denn dieſer Vers klinget gantz rein:

Wer ſeine Herren liebt, iſt ein getreuer Knecht.

Dieſer hingegen klinget etwas hart:

Ein jeder der ſein Herren liebt, iſt ein getreuer Knecht.

9. Kan man aber nicht einen Vocalem am Ende wegwerffen, wenn ſich das folgende Wort mit einem Conſonante anfaͤnget?

Es pflegen ſolches etliche zu thun, und ſetzen immer einen Apoſtrophum dabey: Allein ſie thun ſolches mit Unverſtand, weil ſie gar kein Fundament von ſolcher Eliſion anfuͤhren koͤnnen. Denn wie ſchoͤne klingt doch dieſes:

Es hat ein kleine Frau mehr Eifer als ein groſſe.
10. Hat37von der Scanſion.

10. Hat man denn ſonſt noch andere abſurde Eliſiones?

Ach ja! Es iſt daran kein Mangel, und waͤre zu wuͤnſchen, daß deren nicht ſo viel waͤren. Denn es finden ſich noch heute zu Tage Leute, welche han, lan, ſtahn, vor haben, laſſen, ſtehen, ſetzen. Al - lein man muß mit ihrer Ignoranz Commiſeration haben.

11. Wenn pflegt man denn auſſer gedachten Conditionen einige Eliſiones vorzu - nehmen?

Es geſchiehet ſolches:

  • 1. Wenn zwey Woͤrter zuſammen kommen, ſo ei - nerley Endung haben: Alſo kan ich vor Bruͤ - der und Schweſter, Chriſtlich und Ehr - lich ſagen: Bruͤd - und Schweſter, Chriſt - und Ehrlich.
  • 2. Wenn das Subſtantivum ein Neutrum iſt. Alſo ſage ich vor reines Hertz, kleines Ding ꝛc. rein Hertz, klein Ding.

12. Gehet es denn auch an, daß man gantze Sylben verſchlucket?

Ja es gehet an, denn man ſaget ja brauchen vor gebrauchen. z. e.

Jch mag nicht Toback ſchmauchen,
Man muß die edle Zeit zu beſſern Dingen brauchen.
C 4Das38Das IV. Capitul

Das IV. Capitul Von den Generibus der Verſe.

1. Was verſtehet man durch das Genus der Verſe?

Das Genus der Verſe iſt nichts anders, als eine gewiſſe Abtheilung der Sylben, und unterſchiedene Abwechſelung der Reime und Scanſion. Habe ich nun gewiſſe Worte vor mir, worinnen meine gantze Invention beruhet, und welche unveraͤndert bleiben muͤſſen, ſo muß das Genus nach derſelben Beſchaffen - heit erwehlet werden. z. e. Haͤtte ich die Worte: So gehets in der Welt: zu meiner Invention beliebet, ſo wuͤrde ich das Genus Alexandrinum erwehlen. Wolte ich dieſe Worte: Meinen JEſum laß ich nicht: in einer Arie durchfuͤhren, ſo wuͤrde ich das Genus Trochaicum nehmen. Haͤtten mir dieſe Wor - te zu meinem Grunde gefallen; Lieben hat allen der Himmel beſohlen: So wuͤrde ich das Genus Dactylicum darzu anwenden, weil ſolche Genera ge - dachte Worte in ihrer Freyheit unveraͤndert laſſen, welches bey denen andern nicht ſo wohl angehen wuͤrde.

2. Wie vielerley ſind aber die Genera der Verſe?

Wenn man dieſes wiſſen will, ſo muß man die Beſchaffenheit der Pedum, oder des Thons in denenWor -39von den Generibus der Verſe. Worten zum Grunde ſetzen. Nun ſind die vornehm - ſten Pedes dreyerley, als da iſt:

  • I. Jambus, oder ein ſteigender Pes, wenn der Accent auf der andern Sylbe iſt. z. e. Beliebt, ver - wahrt, erzuͤrnt.
  • II. Trochæus, oder ein fallender Pes, wenn der Thon auf der erſten Sylbe ſtehet. z. e. Geben, loben, haben.
  • III. Dactylus, oder ein rollender Pes, wenn der Thon zwar, wie bey dem Trochæo auf der erſten Sylbe lieget, auf dieſelbe aber zwey kurtze Sylben folgen. z. e. Lieblicher, nimmermehr, immerdar. Was ein jed - wedes Wort vor einen Pedem abgebe, das wird einem das gute Gehoͤre zeigen. Aus die - ſen Pedibus entſtehen die drey vornehmſten Ge - nera, als das Jambi ſche, Trochai ſche, und Da - ctyli ſche.

3. Was iſt denn das Jambiſche Genus?

Dieſes Genus ſchicket ſich am beſten zu ernſthaff - ten Sachen, und beſtehet darinn, wenn ſich die Verſe mit einem Jambo anfangen, und auſſer den Abſchnitten lauter Jambos in ſich halten. z. e. Uber das: Ex libro doctus ruſticus eſſe poteſt.

Wird der gelehrt genennt, der hurtig leſen kan,
So trifft man dieſen Schmuck auch bey dem Bauer an.

Und dergleichen Jambiſche Verſe ſteigen von zweyC 5Sylben40Das IV. CapitulSylben bis auf dreyzehen und bisweilen druͤber, nach dieſer Figur:

[figure]

z. e.

Zweyſylbige:

Erlangt,
Geprangt

Dreyſylbige:

Jn Freuden
Und Leyden.

Vierſylbige:

Mit GOtt gewagt
Und unverzagt.

Fuͤnffſylbige:

GOtt ſtaͤrckt die Hertzen
Nach vielen Schmertzen.

Sechsſylbige:

Muß gleich die Welt vergehn,
Bleibt GOttes Wort doch ſiehn.

Siebenſylbige:

Jch will in allen Sachen
Mir keinen Kummer machen.

Achtſylbige:

Jhr Sterblichen erwegt den Tod,
Jhr kommt dadurch aus aller Noth.

Neunſylbige:

Wem JEſus nicht im Hertzen ſchwebet,
Der iſt ſchon tod, da er noch lebet.
Zehn -41von den Generibus der Verſe.

Zehnſylbige:

Jch hoͤre gerne neue Zeitung an,
Weil ich mein Hertz dadurch vergnuͤgen kan.

Eilffſylbige:

Denckt einer groſſe Haͤuſer aufzubauen,
So muß er erſt in ſeinen Beutel ſchauen.

Zwoͤlffſylbige:

Der Menſch lebt auf der Erden eine kurtze Zeit.
Jedoch kommt er hernachmals in die Ewigkeit.

Dreyzehnſylbige:

Denckt einer, weil er lebt, fein fleißig an das Sterben,
So kan er nach der Zeit die Seeligkeit ererben.

Die zweyſylbigen Verſe ſcheinen zwar mehr nur ei - nen Pedem, als einen Vers abzugeben: Allein wenn man betrachtet, daß in den Arien auch ſo kleine Zeilen nur von zwey Sylben mit unterzulauffen pflegen, wel - che gleichwohl rechte Verſe machen, ſo wird man ſol - che zweyſylbige Verſe auch gar gerne vor Verſe paſſi - ren laſſen. Die ſechsſylbigen werden Euripidiſche, die ſiebenſylbigen Anacreontiſche / die zehn - und eylffſylbige von den Frantzoſen Vers Communs, gemeine, und von den Jtaliaͤnern Verſi Intieri oder Perfetti, das iſt voll - kommene, und die zwoͤlff - und dreyzehnſylbige Alexan - driniſche Verſe genennet. Bey den zehn - und eilffſylbi - gen iſt der Abſchnitt manchmahl in der vierdten Syl - be. z. e.

Das Geld iſt weg | und der Credit iſt todt.

Manchmahl in der ſechſten Sylbe. z. e.

Die Herrlichkeit vergeht, | die Tugend bleibet.

Jn den zwoͤlff - und dreyzehnſylbigen Verſen faͤllt der Abſchnitt auf die ſechſte Sylbe. z. e.

Mein42Das IV. Capitul
Mein! klopffe dreymahl an; | wird dir nicht aufgemacht,
So gehe fort: Wer iſt? | der ſtets zu Hauſe wacht.

4. Giebt es aber bey dem Jambiſchen Genere nur einerley Manier?

Keines weges: Denn da kan man auf unterſchiede - ne Art variiren, als:

  • I. Kan man zwey weibliche, und alsdenn zwey maͤnn - liche Reime flieſſen laſſen. vid. Muſen-Cabinet p. 91. 147. 520. 779. 888. 965. 1125. 1221. 1281. 1297. 1302. 1326. Wenn einer die Poëſie exerciren wolte, koͤnte er ſich mit derſelben folgender maſſen bereden:
Komm, edle Poëſie, du ſchoͤnſte, komm gegangen,
Mein Zimmer iſt bereit, dich willig zu empfangen,
Du kanſt in meinen Sinn, und in mein Hertze gehn,
Nur laß mich deinen Knecht zu deinen Fuͤſſen ſtehn.
Ein ander mag der Luſt bey andern Sachen pflegen,
Jch werde mich allein auf deine Schoͤnheit legen:
Wer eine Charte ſucht, die Jungfern, oder Bier,
Dem laß ich ſeine Luſt, und bleibe nur bey dir.
Jch weiß, du Freundin wirſt mir manchen Dienſt erweiſen,
Du kanſt ja meinen Mund mit ſchoͤnen Worten ſpeiſen,
Du fuͤlleſt meinen Sinn mit lauter Weißheit an,
So, daß ich jedes Wort mit Nach druck reden kan.
Du lehreſt, wie man ſoll in kluger Ordnung bleiben,
Und ein galantes Bild in dem Gemuͤthe ſchreiben;
Daß alles leichte wird, und gleichſam lebend prangt,
Wird durch dich, Goͤnnerin, und deinen Schutz erlangt.
Die Kuͤnſte muͤſſen dir, wie auch die Diſciplinen,
Und jede Wiſſenſch afft zu deiner Arbeit dienen;
Du ſuchſt den Kern heraus; was todt und alber liegt,
Wird angenehm gemacht, wenn’s deine Huͤlffe kriegt.
Du edle Goͤnnerin, haſt manchen Sohn gezeuget,
Der hoher Leute Gunſt zu ſich herab geneiget;
Der43von den Generibus der Verſe.
Der Opitz gruͤnet noch, und der von Lohenſtein,
Colerus, Gryph[i]us und wer die andern ſeyn.
Hingegen ſind auch viel von ungerathnen Kindern,
Die dein verdientes Lob durch ihre Plumpheit mindern:
Denn mancher Toͤlpel denckt, diß ſey die beſte Liſt,
Wenn man die Sylben zehlt, und nach dem Holtze mißt.
Noch andre ſind bemuͤht, durch viel und langes Schmieren,
Es mag ſeyn, was es will, die Blaͤtter aus zuzieren;
Ja mancher Narre ſetzt das Woͤrtgen Thut darbey
Und meynt, daß ſolcher Quarck die beſte Zierath ſey.
Viel wenden ihren Fleiß auf nichts, als Fabel-Sachen,
Auf Poſſen, und auf Schertz, daß nur die Leute lachen,
Auf Jungfer Liedergen, und was noch aͤrger heiſt,
So kommet manch Paſquill aus dem verkehrten Geiſt.
Komm, Schoͤne, komm zu mir, ich will dich beſſer brauchen,
Durch dich ſoll GOtt dem HErrn ein ſchoͤnes Opffer rauchen;
Drum komm nur ungeſaͤumt, die Feder iſt bereit,
Die Geiſter ſind erweckt, vertreib mit mir die Zeit.
  • II. Kan man zwey maͤnnliche und hernach zwey weib - liche Reime ſetzen. vid. Muſen-Cabinet p. 84. 135. 211. 388. 462. 531. 776. 833. 875. 1126. 1138. 1312. Wenn man einen Freyer mit einem Jaͤger verglei - chen wolte:
Was vor Profeſſion mag wohl ein Freyer ſeyn?
Jch glaub, er findet ſich zu nechſt bey Jaͤgern ein:
Worinn die Freyer nun den Jaͤgern aͤhnlich leben,
Will ich in folgenden kurtz zu erkennen geben.
Der Jaͤger-Hauffe liebt ein gruͤn-gefaͤrbtes Kleid,
Darinnen ſtutzen ſie durch ihre Lebens Zeit,
Sie ziehen ſolches an, ſo offt ſie ſchieſſen gehen,
Und wenn ſie auſſer dem bey andern Leuten ſtehen.
Ein Freyer ziehet auch die gruͤnen Kleider an,
Wie jeder den Habit an ihm vermercken kan,
Wo iſt ein ſolcher Menſch, bey dem nicht Hoffnung bluͤhe,
Und ihn, ſo lang’er frey’t, zu ſeinem Wilde ziehe?
Doch44Das IV. Capitul
Doch iſt es ausgemacht: Nicht alle Freyer ſind
Jm Hoffen recht begluͤckt; Denn mancher kommet blind,
Und muß gantz unverhofft ein blaſſes Koͤrbgen ſchauen,
Und ſein Graß-gruͤnes Kleid demſelben anvertrauen,
Ein Jaͤger ſchaffet ſich Geſchuͤtze, Spieß und Rohr,
Mit dieſen reitet er nach aller Luſt hervor,
Desgleichen ſchaſſt er ſich etwas von guten Netzen,
Vor Hunde ſorgt er auch zum Spuren und zum Hetzen.
Ein Freyer tauget nichts, der kein Geſchuͤtze hat,
Er findet nirgends wo beym Frauenzimmer ſtatt;
Ein kluger Freyer ſorgt bey zeiten vor Geſchuͤtze,
Daß ihm, ſo bald er frey’t, zu ſeinem Zwecke nuͤtze.
Er ſchicket manch Geſchenck in ſeiner Goͤttin Hand,
Er iſt in Minen nett, und uͤberaus gewandt,
Er weiß ſich ſtets bey ihr manierlich aufzufuͤhren,
Und ſucht aufs moͤglichſte der Schoͤnen Hertz zu ruͤhren,
Auch Hunde fehlen ihm bey dieſem Falle nicht,
Wie manch vertrauter Freund wird von ihm abgericht,
Daß er den Appetit der Wertheſten erfahre,
Und ſeines Jaͤgers Geiſt mit ihrem Geiſte paare.
Jedoch des Jaͤgers Witz und aller Hunde Fleiß
Dringt manchmal langſam durch; zuweilen iſt der Schweiß
Auch gantz und gar umſonſt, das Wild pflegt nicht zu ſtehen,
Und muß der Jaͤger offt betruͤbt nach Hauſe gehen.
So gehts dem Freyer auch, ſein Schatz liebt offt die Flucht,
Daß er gar langſam kriegt, was er mit Fleiß geſucht:
Allein kan er ihm nur den Hertzens-Punct verletzen,
So wird er doch das Wild mit gutem Vortheil hetzen,
Bisweilen aber iſt ſein Wild von lauter Stein,
Und wuͤnſchet Lebens lang von ihm entfernt zu ſeyn,
Kein Schuß, kein Stich verhafft, ein jedes prallt zuruͤcke,
Ja gar das Liebes-Netz zerreißt in tauſend Stuͤcke.
Dergleichen Freyer wird in groſſen Schmertz gebracht:
Allein er handelt klug; wenn er ihn wenig acht,
Will ihn diß harte Kind gar nicht zum Schaͤtzgen haben,
So wird ihn mit der Zeit ſchon jemand anders laben.
Ein45von den Generibus der Verſe.
Ein Jaͤger heulet nicht, wenn ihm ein Wild entreißt,
Ob er gleich aus Verdruß den Mund zuſammen beiſt;
Er denckt: Der Wald iſt groß, man kan mehr Wild bekommen,
Hat ſchon das vorige die Flucht in acht genommen,
Jedennoch freu’t er ſich, wenn er ein Wild erlegt,
Man ſieht, wie ers mit Luſt in ſeinem Hauſe hegt;
Ein Freyer iſt vergnuͤgt, wenn er das Jawort hoͤret,
Weil dieſe Seelen-Luſt der Leib von auſſen lehret.
  • II. Kan man nach Art der Elegien die maͤnnlichen und weiblichen Reime mit einander abwechſeln laſſen, und zwar Anfangs ſo, daß die erſte und dritte Zeile weibliche, die andere und vierdte aber maͤnnliche Reime habe. vid. Muſen-Cabinet p. 105. & 551. 600. 763. 823. 904. 1133. 1215. 1291. 1317. 1320. 1329. 1337. Auf den Tod des Grævii Profeſſoris zu Ut - recht, ſo 1703. geſtorben:
Auf! Fama, ruͤſte dich, vergiß der andern Sachen,
Streich durch die gantze Welt, ſag etwas neues an;
Auf! denn du muſt das Leid geſchwinde kundbar machen,
Weil man dergleichen Schmertz nicht wohl verbergen kan.
Sprich nur: Der jenige hat jetzo aufgehoͤret,
Den ihr verwundert habt; Er legt die Feder weg;
Der jenige liegt todt, den ihr vor vielen ehret,
Er laͤßt die Laſter-Bahn, und geht den Tugend-Steg.
Der andern Worte gab, kan nicht ein Woͤrtgen ſprechen,
Die Zunge liegt erſtarrt, als ein gefangnes Glied,
Nicht eines Menſchen Hand, kunt ihm das Hertze brechen,
Der Muth war immer friſch, dis daß er gar verſchied.
Der groſſe Grævius will uns nicht ferner kennen,
Der zum gemeinen Nutz manch Buch zu leſen gab;
Man hoͤret jetzo nichts, als ſeinen Namen nennen,
Das macht, er aͤndert ſich, er ſtirbt und ſucht das Grab.
Es komme iedes Land, wo ſeine Schrifften leben,
Und klage den Verluſt, den es nunmehr verſpuͤrt,
Jch ſage, jedes Haus der Welt ſoll ſich erheben,
Und in der Trauer gehn, weils Grævium verliert.
IV. Her -46Das IV. Capitul
  • IV. Hernach kan der erſte und dritte Reim maͤnnlich, der andere und vierdte aber weiblich ſeyn. z. e.
Wer ſich dem Geitz ergiebt,
Wird ſchwerlich Suͤnde meiden;
Und wer die Jungfern liebt,
Muß manchen Titul leiden.

Conf. Muſen Cabinet p. 96. 153. 174. 184. 399. 407. 414. 415. 529. 811. 862. 899. 917. 947. 1271. 1285.

  • V. Kan der erſte und vierdte Reim weiblich, der ande - re und dritte maͤnnlich gemacht werden. z. e.
Es iſt ein ſchoͤnes Leben
Auf hohen Schulen ſeyn,
Da ſtellt ſich Weißheit ein,
Die kan Vergnuͤgung geben.
  • VI. Kan der erſte und vierdte Reim maͤnnlich, der an - dere und dritte weiblich ſeyn. z. e.
Wer wahre Tugend liebt,
Der iſt begluͤckt zu ſchaͤtzen.
Denn dieſe kan ergetzen,
Wenn Angſt und Noth betruͤbt.
  • VII. Kan man in dem erſten Hæmiſtichio einen Pedem weniger machen, als in der letzten. z. e.
Der Arme fuͤhrt gar ein begluͤcktes Leben,
Der Reichthum kan nicht ſtets Vergnuͤgung geben.
  • Eben dergleichen Verſe præſentiren ſich in dem Mu - ſen-Cabinet p. 1294.

5. Was iſt nun das Trochaiſche Genus?

Dieſes Genus ſchicket ſich ſehr gut zu Liedern und Trauer-Spielen, und beſtehet darinn, wenn ſich die Verſe mit einem Trochæo anfangen, und auſſer den Abſchnitten lauter Trochæos in ſich halten. z. e.

Jſt es nicht ein groſſes Gluͤcke, wenn man in der Freyheit lebt,
Und iſt ſolcher Menſch nicht naͤrriſch, welcher nach den Banden ſtrebt?
Denn47von den Generibus der Verſe.
Denn wie koͤnte man doch ſonſt den bekannten Spruch erfuͤllen,
Der in dieſen Worten liegt: Jeder Menſch hat ſeinen Willen.

Conf. Muſen-Cabinet p. 84. 469. 830. 848. 894. 1265. Die Trochaiſchen Verſe ſteigen von 2. bis auf 15. Syl - ben, man findet zwar zuweilen auch etliche von 16. Syl - ben, ſie klingen aber gar unangenehm, als:

Guten Tag und guten Abend, gute Nacht und guten Morgen.

Diejenigen, ſo aus 8. Sylben beſtehen, haben keinen Abſchnitt. z. e.

Kommt ihr angenehmen Gaͤſte,
Lebt mit mir aufs allerbeſte.

Die eilffſylbigen haben den Abſchnitt entweder in der ſechſten Sylbe. z. e.

Ach was will man weinen? Laßt uns luſtig ſeyn:
Heute ſieht man Regen, morgen Sonnenſchein.

Oder in der fuͤnfften. z. e.

Ach was weint man doch? laßt uns froͤlich leben.

Die dreyzehnſylbigen haben den Abſchnitt gleichfalls auf der ſechſten Sylbe. z. e.

Keiner lebt auf Erden, der nicht ſeinen Kummer hat.

Die funffzehnſylbigen ſind zweyerley, die eine Gattung hat den Abſchnitt nach der ſiebenden Sylbe und zwar auf maͤñliche Weiſe uñ gehet am Ende weiblich aus. z. e.

Wer die Seinen nicht verſorgt, iſt viel aͤrger als ein Heyde.
  • Ein gantzes Carmen von ſolchen Verſen ſtehet im Mu - ſen-Cabinet. 1278.

Die andere Art hat den Abſchnitt nach der achten Sylbe und zwar auf weibliche Art, und gehet am Ende maͤnnlich aus. z. e.

Eltern lieben ihre Kinder, als ihr eignes Fleiſch und Blut.

6. Koͤnnen auch in dem Trochaiſchen Genere die maͤnnlichen und weiblichen Reime mit einander abwechſeln?

DEs48Das IV. Capitul

Es gehet ſolches zwar an, doch klinget es in den lan - gen Zeilen nicht allzulieblich. z. e.

Jn dem Zorne ſind die Augen unſers Leibes trefflich klar.
Denn es pflegt das warme Blut in dieſelben aufzuſteigen,
Aber in den Seelen-Augen findet ſich gar viel Gefahr,
Und es kan der Zorn von nichts, als des Geiſtes Blindheit zei -
gen.

7. Was iſt denn endlich das Dactyliſche Genus?

Dieſes Genus ſchicket ſich am beſten zu ſpielenden und luſtigen Sachen, weil darinnen alles wie zu Sprunge gehet, und beſtehet ſolches Genus darinnen, wenn ſich die Verſe mit einem Dactylo anfangen, und auſſer dem letzten Pede lauter Dactylos in ſich hal - ten. z. e.

Luſtig ihr Freunde, verbannet die Grillen,
Laſſet euch heute die Ohren er fuͤllen,
Kommet und ſinget ein Liedgen mit mir,
Trincket vom Tuckſtein und Wurtzniſchen Bier.

Conf. Muſen-Cabinet p. 784. 1161.

Die Dactyliſchen Verſe ſteigen von 3. bis 11. ja bey et - lichen bis 14. Sylben hinauf, welche letztere aber gar ſelten vorkommen und gar uͤbel klingen. z. e.

Hertzgen, ach Schaͤtzgen, wo biſtu ſo lange geblieben,
Haſtu doch neulichſt, du Schelmgen, kein Brieffgen geſchrieben.

Die gebraͤuchlichſten unter den Dactyliſchen Verſen ſind folgende, als:

  • I. Die fuͤnffſylbigen, welche ſonſt Adoniſche heiſ - ſen. z. e.
Weicht, Trauer-Geiſter,
JEſus mein Meiſter,
Troͤſtet mich Armen
Durch ſein Erbarmen.
II. Die49von den Generibus der Verſe.
  • II. Die ſieben - und achtſylbigen, ſo Archilogiſche ge - nennet werden. z. e.
Was mich befriedigen kan,
Stehet mir allezeit an.

Jngleichen:

Jrdiſche Schaͤtze vergehen,
Himmliſche Guͤter beſtehen.
  • III. Die zehnſylbigen, welche auch Alckamanniſche ge - nennet werden. z. e.
Meine Vergnuͤgung beſtehet hierinn,
Daß ich, mein Werther, dein Eigeuthum bin.
  • IV. Die eilffſylbigen, welche bey den Lateinern Jtiſal - liſche heiſſen. z. e.
Freue dich Juͤngling, doch dencke darneben,
Endlich muß jedermann Rechenſchafft geben.

Sonſten laͤſſet man nicht gerne gleich-lautende Worte im Anfange oder in der Mitten zuſammen kommen, in den Dactyliſchen Verſen aber haͤlt man ſolches vor eine Zierath. z. e.

Jugend und Tugend ſind ſelten beyſammen.

8. Jſt ſonſt nichts mehr bey den Dactyliſchen Verſen zu mercken?

Es iſt nur noch dieſes einzige dabey zu behalten, daß zu den Dactyliſchen Verſen die Anapæſtiſchen gerech - net werden, und ſind ſie einander in allen Stuͤcken gantz gleich, auſſer daß bey den Anapæſtiſchen im An - fange eine Sylbe mehr iſt. z. e.

Dieſer iſt Dactyliſch:

Freuet euch alle mit froͤlichem Schalle.

Dieſer Anapæſtiſch:

Nun freuet euch alle mit froͤlichem Schalle.
D 29. Be -50Das IV. Capitul

9. Behaͤlt man aber in den Verſen nur einerley Genus?

Gemeiniglich geſchiehet ſolches; nichts deſto weni - ger pflegen die Genera in einer Strophe, auch wohl in einer Zeile, bisweilen vermiſchet zu werden.

  • I. Jn einer Strophe, als:
    • 1. Jn Jambiſchen und Trochaiſchen Verſen. z. e.
      Merckt auf ihr Sterblichen, was GOtt in Welſchland thut,
      Der Boden thut ſich auf, die Haͤuſer fallen nieder,
      Es ſchein’t, der Hoͤchſte ſey den Welſchen ſelbſt zuwider,
      Denn uͤber dieſes iſt auch hier die Krieges-Glut.
      Laßt euch dieſen Fall erſchrecken,
      Und zur wahren Buß erwecken.
    • 2. Jn Jambiſchen und Dactyliſchen. z. e.
      Es ſieht zwar uͤbel aus,
      Dennoch verzagen wir nicht,
      Denn GOtt ſchuͤtzt unſer Haus,
      Giebet auch, was uns gebricht.
    • 3. Jn Jambiſchen und Anapæſtiſchen. z. e.
    Wer nichts gelernet hak, muß ſtets im Kummer leben,
    Man wird ihm nimmermehr ein ehrlich Aemtgen geben:
    Wer aber wohl ſtudirt, iſt immer fort vergnuͤgt,
    Und weiß, daß rechte Kunſt doch endlich gluͤcklich ſiegt:
    Drum lernet und ſchwitzet ihr Menſchen bey zeiten,
    So wird euch ſchon einſten die Ehre begleiten.
  • Conf. Muſen-Cabinet p. 1259.
    • 4. Jn Trochaiſchen und Dactyliſchen. z. e.
Wer nach GOtt nicht fragt,
Auch nicht Menſchen ſcheuet,
Sondern alles wagt,
Das ihn nachmahls reuet,
Kommet am Ende zur aͤuſſerſten Noth,
Alles beſchimpfft ihn, ſein Leben und Tod.
5. Jn51von den Generibus der Verſe.
  • 5. Jn Trochaiſchen und Anapæſtiſchen. z. e.
Auf der Welt iſt lauter Graͤmen,
Wenn wir nur den Anfang nehmen,
Muͤſſen wir im Jammer ſtehn,
Endlich gar zu Grabe gehn:
So achte denn niemand die eitele Welt,
Als welche der einſten in Druͤmmern zerfaͤllt.
  • II. Jn einer Zeile. z. e.
O Menſch, laß dir doch rathen,
Thu ſtets loͤbliche Thaten.

10. Dieſes ſind alſo die drey vornehmſten Genera geweſen: Hat man ſonſt keine mehr?

Es ſind der uͤbrigen Generum mehr, als man wuͤn - ſchet. Jch will nicht von dem Genere Sapphico ſagen, welches gar ſchwer iſt, auch nicht wohl klinget, und deß - wegen gar ſelten gebraucht wird. Es klinget daſſelbe folgender maſſen:

Leget eure Luſt, werthe Freunde, nieder,
Vor den ſuͤſſen Thon blaſet Trauer-Lieder,
Denn der Winter hat uns mit Leid beſtreuet
ſchrecklich beſchneyet.

Auſſer dieſen hat es viel andere Genera, welche wir nach einander durchgehen wollen.

11. Welches Genus iſt allhier erſtlich zu mercken?

Die Oden, bey welchen ſich der Verſtand in einer jeden Strophe endigen ſoll. Bey den Oden aber ſind vornehmlich zwey Stuͤcke zu mercken:

D 31. Die52Das IV. Capitul
  • 1. Die Zeilen.
  • 2. Die Genera.

12. Wie viel Zeilen gehoͤren zu einer Strophe in der Ode?

Man iſt hiebey an keine Zahl gebunden, Denn man machet viel und wenig Zeilen, als:

  • I. Vier Zeilen z. e.
Ein Menſch, der ſeine Gaben
Vor andern ruͤhmen will,
Muß wenig Klugheit haben,
Sonſt ſchwieg er davon ſtill.
  • II. Sechs Zeilen.
    • vid. Muſen-Cabinet p. 9. 21. 165. 208. 577. 584. 602. 929. 1299. 1306. 1323.

Alſo gratulirte Anno 1703. ein vornehmer Leipziger dem nachmahls mit Ruhm regierenden Herrn Bur - germeiſter, Herrn D. Johann Alexander Chriſten in Leipzig, zu der nach Wurden erlangten Burgermeiſter - lichen Ehre folgender maſſen:

1.
Betruͤbtes Leipzig, freue dich,
Dein Moſes iſt zwar tod:
Allein es præſentiret ſich,
Jn dieſer deiner Noth,
Ein Joſua, der nimmt den Stab
Von deines theuren Falckners Grab.
2.
Ein Chriſt, ſoll dein Regente ſeyn,
Wohl dir, du werthe Stadt,
Trifft doch Platonis Ausſpruch ein,
Als der geſaget hat:
Dieſelbe Stadtſey hoͤchſt begluͤckt,
Der GOtt ein weiſes Haupt geſchickt.
3. Du53von den Generibus der Verſe.
3.
Du aher biſt weit beſſer dran,
Da dich ein Chriſt regiert;
Der Himmel ſchenckt dir ſolchen Mann;
Der That und Namen fuͤhrt,
Der als Pro. Conſul eine Zeit,
Stadt, Kirch und Schul allhier erfreu’t.
4.
Komm her, du werthe Buͤrger-Schaar,
Schweig mit dem Klagen ſtill,
Es ſteht ein Alexander dar,
Der dich beſchuͤtzen will,
Stellt ſich bey dir ein Kummer ein,
So wird er auch Johannes ſeyn.
5.
Die Laſt iſt zwar unſaͤglich groß,
So ein Regente traͤgt,
Daß auch wohl manchem dieſes Loß
Den Muth darnieder ſchlaͤgt:
Jedoch wem GOTT zur Seiten ſteht,
Der weiß, daß alles gluͤcklich geht.
6.
Wohlan! der Himmel ſchuͤtze dich,
Du Hochbelobter Mann,
Greiff nur getroſt und ritterlich
Den Regiments-Stab an;
Sey Atlas, welcher auch die Welt
Mit Luſt auf ſeine Schultern ſtellt.
  • III. Acht Zeilen. vid. Muſen-Cabinet p. 3. 74. 377. 486. 815. 844. 892. 1112.
Wenn and’re Leute ſitzen,
Und voller Freuden ſeyn,
So muß ich armer ſchwitzen,
Und leyde manche Pein:
D 4Doch54Das IV. Capitul
Doch denck ich ſtets bey mir,
Wer weiß, wielang es waͤhrt,
Daß ſich die Luſt bey dir,
Die Noth bey mir verkehrt.
  • IV. Zehn Zeilen:

Alſo ward auf Churfuͤrſtl. Durchl. zu Brandenburg Friderici III. Geburts-Tag A. 1694. bey der Inaugura - tion der Haͤlliſchen Univerſitaͤt folgendes gemacht. vid. Neu-eroͤffnetes Muſen-Cabinet p. 604. und 789.

Befremdets euch, ihr ſchoͤnen Himmels-Lichter,
Daß unſer Volck mit tauſend Lichtern geht?
Der aufgeweckte Thon? Die Freude der Geſichter?
So kommt, und ehrt mit uns des Brennus Majeſtaͤt;
Treibt die Schatten weit zuruͤcke,
Denn dergleichen Stern und Gluͤcke
Geht den Muſen ſelten auf:
Jſt uns wohl in dreyßig Jahren
Solche Ehre, ſolche Gunſt, ſolche Gnaͤde widerfahren,
Als in dreyer Tage Lauf?

13. Was vor Genera nehmen die Oden an?

Man kan alle gewoͤhnliche Genera der Verſe in den Oden anbringen, und zwar ſolches auf zweyerley Art, entweder ſo, daß nur ein Genus in einer Strophe iſt, oder ſo, daß mehr, als eines, darinnen iſt. Jene koͤnte man die ungemiſchten, dieſe aber die gemiſchten Oden nennen.

14. Wie ſehen denn die ungemiſchten Oden aus?

Wir wollen dabey die vornehmſten Genera durch - lauffen: Denn da haben wir

  • I. Jambiſche Oden, welche lange und kurtze Zeilenha -55von den Generibus der Verſe. haben, und die Reime auf allerhand Art verwech - ſeln koͤnnen. Es braucht es nicht, daß wir alle ſol - che Arten weitlaͤufftig durchlauffen: Denn wer das obige gemercket hat, wie man die Reime im Genere Jambico und andern Generibus auf mancherley Weiſe koͤnne abwechſeln laſſen, der wird ſolches auch gar leicht bey den Oden appliciren koͤnnen. Gleichwohl wollen wir zwey Jambiſche Oden an - fuͤhren. Mehr Exempel ſtehen im Muſen-Cabinet p. 9. 22. 73. 208. 577. 584.
    • 1. Eine von kurtzen Zeilen. Alſo ward unlaͤngſt ein neu-gebohrnes Toͤchtergen folgender maſſen be - willkommet.
1.
Willkommen, liebſtes Kind,
Willkommen in der Welt,
Wo deines gleichen ſind;
Du wirſt uns zugeſellt,
Nachdem wir dich von GOtt ſchon laͤngſt erbeten haben,
GOtt lob | wir koͤnnen uns an dir nunmehro laben.
2.
Verzeihe, daß ich mich
So langſam aufgemacht,
Jch hoͤre, daß man dich
Schon geſtern hergebracht.
Doch geſtern kunt ich dich, mein Engelgen, nicht kuͤſſen,
Man ließ mir Armen nichts von deiner Ankunfft wiſſen.
3.
Vielleichte wird es dir
Auch beute lieber ſeyn,
Denn geſtern nahmen mir
Den Platz viel ander ein,
D 5So56Das IV. Capitul
So dich bedieneten; heut iſt ein Raum erſchienen,
Deßhalben kan ich dich, mein Liebgen, wohl bedienen.
4.
O unvergleichlichs Pfand,
Sey tauſendfach begluͤckt,
Des Hoͤchſten Gnaden-Hand
Jſt uͤber dich geruͤckt,
Sie wird auch immerfort um deine Wiege bleiben
Und alles Ungemach von Leib und Seele treiben.
5.
Es ſey auch die vergnuͤgt,
So dich zur Welt gebahr,
Und dir zur Seite liegt,
Es muͤſſe die Gefahr
Von ihr und ihrem Herrn, dieweil ſie leben, weichen.
So werd ich meinen Zweck durch meinen Wunſch erreichen.
  • 2. Eine von laͤngern Zeilen. Alſo ſchrieb ich unlaͤngſt von der ſpeculativiſchen und practicablen Weißheit dieſes:
4.
Wer Weißheit liebt, iſt liebens werth,
Weil er den beſten Schatz aus allem Gut erwehlet;
Wer Weißheit hat, dem iſt beſchert,
Was auf der weiten Welt den meiſten Menſchen fehlet.
Wohl alſo dem, der Weißheit liebt,
Und welchen ſich dieſelb als Herrſcherin ergiebt.
2.
Doch dieſer Schatz iſt zweyerley:
Bey einem findet ſich die Weißheit im Verſtande;
Er glaubt, daß er der kluͤgſte ſey,
Und macht manch Staats-Decret in dem Gedancken-Lande:
Jn Praxi aber taug er nicht,
Weil ihm manch kluger Griff bey ſeiner Kunſt gebricht.
3. Ein57von den Generibus der Verſe.
3.
Ein andrer weiß ſein Weißheits-Pfund,
Wenn er was machen ſoll, klug an den Mann zu bringen,
Und deſſen Witz wird eilend kund,
Man ſiehet den und den zu ſolchem Weiſen dringen,
Den lobet man an jenes ſtatt,
Weil er ſehr viel beſitzt, was jener gar nicht hat.
  • II. Trochaiſche Oden. vid. Muſen-Cabinet p. 90. 109. 106. 377. & 378. 381. 383. 463. 491. 522. 535. 538. 792. 864. 1179. 1224. Alſo verfertigte ein guter Freund folgendes, als S. Koͤn. Majeſt. in Preuſ - ſen An. 1701. von der Croͤnung aus Preuſſen wie - der in die Marck zuruͤcke kam, und einem Ritter - ſchlage zu Sonnenburg beywohnen wolte.
1.
Groſſer Koͤnig, nimm mit Gnaden
Deines Knechtes Opffer an,
Deſſen Hertz mit Luſt beladen,
Die er nicht verbergen kan:
Nun du groſſer Friederich,
Siehſt mit Gnaden auch auf mich.
2.
Preuſſen wird begluͤckt geſchaͤtzet,
Daß es dir Hochtheurer Held,
Deine Cron aufs Haupt geſetzet,
Und den Scepter dargeſtellt:
Doch die Marck iſt mehr begluͤckt,
Weil ſie dich nun ſtets erblickt.
3.
Deine Majeſtaͤt durch dringet
Aller Unterthanen Bruſt,
Und dein Vater-Hertze bringet
Jhnen uͤberhaͤuffte Luſt,
Ohne58Das IV. Capitul
Ohne deine Gegenwart
Wird das Blut im Leibe hart.
4.
Drum ſey tauſendmahl willkommen;
Landes-Vater, frommer Fuͤrſt,
Aller Schmertz iſt weggenommen,
Wenn du uns gegoͤnnet wirſt;
Wir verehren deine Cron,
Deiner Macht und Thaten Lohn.
5.
Alle Teutſchen jubiliren,
Daß den Maͤrckiſchen Trajan
Jetzund Cron und Scepter zieren;
Sonnenburg tritt auf den Plan,
Und ruͤhmt ihren groſſen Held,
Der ſich bey ihr eingeſtellt.
6.
D du helle Landes Sonne!
Schein uns ferner gnaͤdigſt an;
Und verſchaffe Krafft und Wonne,
Daß man recht gedeyen kan;
Reiche deinen Biſchoffs Stab
Uber Kirch und Schul herab.
7.
Sey Auguſto gleich an Jahren,
Kluger Koͤnig, GOttes Hand
Taſſe dich viel Heyl erfahren,
Und beſchuͤtze ſelbſt dein Land;
Unſ’re Wuͤnſche mehren ſich: Vivat Koͤnig Friederich!
  • III. Dactyliſche Oden. z. e.
Sehet, wie hat ſich das Maͤdgen geputzt,
Glaͤntzet doch alles von unten bis oben:
Heute wird billig ihr Anblick erhoben,
Weil ſie vor allen als Koͤnigin ſtutzt;
Se -59von den Generibus der Verſe.
Sehet, wie lieblich ſind ihre Geberden,
Wer ſie betrachtet, müſſt ſelber ſo werden.
  • IV. Anapæſtiſche Oden. z. e.
Bekehre dich, Haͤnsgen, und werde geſcheuter,
Sonſt bleibeſtu warlich ein armer Baͤrnheutrr;
Sey fleißig beym Buche, ſo wirſtu gelehrt,
Und weiter durch keine Beſchimpffung geſtoͤrt:
Denn weiß man ſein Leben manierlich zu fuͤhren,
So kan man viel Goͤnner und Freunde verſpuͤren.

15. Wie verhalten ſich nun auch die ge - miſchten Oden?

Es werden bey denſelben in einer Strophe zwey, auch wohl drey Genera mit einander vermiſchet. Dannen - hero findet man Oden.

  • I. Von Jambiſchen und Trochaiſchen Verſen. z. e.
Friſch auf, mein Geiſt verzage nicht,
Es kommt ein Wechſel an,
Der alles, was dir jetzt gebricht,
Erwuͤnſcht erſetzen kan:
Drum ſo weichet alle Klagen,
Denn ich kan von Gluͤcke ſagen.

Siehe das Muſen-Cabinet p. 789. 1259.

  • II. Von Jambiſchen und Dactyliſchen Verſen. z. e.
Ach ſagt mir nichts von Gold und Schaͤtzen,
Von Pracht und Schoͤnheit dieſer Welt,
Es kan mich ja kein Ding ergoͤtzen.
Was mir die Welt vor Augen ſtellt:
Liebet, was eure Gedancken vergnuͤgt,
Wiſſet, daß JEſus mein Hertze beſiegt.
  • III. Von Jambiſchen und Anapæſtiſchen Verſen. z. e.
Was iſt doch dieſe Welt?
Ein Jammer-volles Feld,
Auch60Das IV. Capitul
Auch bey den beſten Tagen,
Hat man gar groſſe Plagen:
Drum bleibet derſelbige hoͤchſtens begluͤckt
Der ſeine Gedancken zum Himmel geſchickt.

Siehe das Muſen-Cabinet p. 1259.

  • IV. Von Trochaiſchen und Dactyliſchen Verſen. z. e.
Kunſt hat jederzeit erhoben:
Drum muß man denſelben loben,
Der nach guten Kuͤnſten ſtrebt:
Wer hingegen muͤßig lebt,
Gleichet den Eſeln, ſo Freude verſpuͤren,
Wenn ſie die laſtbaren Saͤcke verlieren.
  • V. Von Trochaiſchen und Anapæſtiſchen Verſen. z. e.
Gut macht Muth! wem Geld gebricht,
Achtet mancher Freude nicht:
Doch es wirfft ein edier Sinn
Seine Freude niemahls hin:
Denn iſt nur die Tugend ins Hertze gegraben,
So wird man gar wenig von Traurigkeit haben.

16. Hat man auſſer gedachten Oden keine andere mehr?

Es ſind derer noch etliche, als:

  • 1. Madrigaliſche Oden.
  • 2. Pindariſche Oden.
  • 3. Ringel-Oden.
  • 4. Nach-Oden.

17. Wie ſind die Madrigaliſchen Oden beſchaffen?

Wenn man dieſes recht verſtehen will, ſo muß man dieſe zwey Stuͤcke beſonders anſehen:

  • 1. Was ein Madrigal ſey.
2. Was61von den Generibus der Verſe.
  • 2. Was die Madrigaliſchen Oden ſeyn.

18. Was iſt denn ein Madrigal?

Ein Madrigal iſt ein kurtzes, dabey aber ſcharffſin - niges Gedichte, da man die vorhabende Materie ent - weder mit einer nachdencklichen Sentenz anfaͤnget, oder - beſchlieſſet. Es iſt aber noͤthig, daß man bey den Ma - drigalen betrachtet

  • 1. Die Zeilen. Nun werden in den gemeinſten Ma - drigalen 7. 8. 9. 10. oder 11. Zeilen angetroffen: Doch giebt es auch Madrigale von 12. 13. 14. 15. bisweilen auch von 6. Zeilen; ingleichen fin - det man Madrigale von 6. auch wohl nur von 5. Zeilen. Und dieſe kleinen werden Madrigal - lettchen gennet.
  • 2. Die Reime. Jn den Madrigalen bleibet biswei - len eine, manchmahl auch zwey bis drey Zeilen ungereimt, und das werden Waͤyſen-Verſe genennet, weil ſie gleichſam keine Eltern oder gleichlautende Reime haben, die ſich ihrer an - nehmen, ſondern als verlaſſene Wayſen allei - ne ſtehen muͤſſen. Hingegen bleibet in man - chen Madrigalen keine Zeile ungereimt, ſon - dern es finden ſich darinnen wohl drey Zeilen, welche ſich mit einander reimen. Doch hat man dabey die Freyheit, daß man die reimen - den Zeilen entweder bald hinter einander, oder andere darzwiſchen ſetzen kan.
  • 3. Das Genus. Die Madrigale pflegen gemeiniglich aus Jambiſchen Verſen zu beſtehen: Jedochgie -62Das IV. Capitulgiebet es auch etliche von Trochaiſchen, Dacty - liſchen und Anapæſtiſchen Verſen. Ja in man - chen miſchet man Jambiſche und Trochaiſche, oder Jambiſche, Dactyliſche und Anapæſtiſche, bisweilen auch wohl Trochaiſche, Jambiſche und Dactyliſche unter einander.
  • 4. Die Sylben. Jnsgemein ſind die Zeilen in den Madrigalen von 6. 7. und 8. Sylben, jedoch ſteigen ſie bisweilen bis auf 11. Sylben, da denn der Abſchnitt auf der vierdten Sylbe iſt. Manchmahl beſtehen die Zeilen auch aus mehr, als 11. Sylben. Und da kan man nach Belie - ben bald eine lange, bald eine kurtze Zeile ſetzen. Es wird nicht noͤthig ſeyn, daß wir von allen Gattungen Exempel anfuͤhren, weil der Platz dazu zu enge werden wuͤrde, und weil ſich der jenige auch hier gar leicht drein ſchicken wird, der das Fundament aus obigen Manieren der Verſe gefaſſet hat. Dannenhero ſetzen wir nur ein einiges Exempel von einem Madrigal her, es iſt ſolches ein Leichen-Gedichte:
Mein Pilgram, eile nicht,
Laß dich die blaſſen Todten lehren,
Daß deine ſchnelle Flucht zerbricht,
Wenn nur ein Stein wird deinen Fuß verſehren,
Jch ſchlieſſe nun den Reſt der Jahre,
Wie meine Leibes-Lichter zu,
Mein Wohnhaus heiſt die ſchwartze Toden-Bahre,
Der Tod der Port der Ruh.
Die Seele geht zu GOtt hinauf,
Was ſchadet mir der kurtze Lebens-Lauf?
Der Tugend Ruhm will ſelbſt den Grabſtein legen,
Wor -63von den Generibus der Verſe.
Worauf man dieſes ſetzen ſoll:
Wer wohl gelebt, der kan niemahls erſterben,
Wenn gleich der Geiſt entweicht,
Die Tugend laͤßt das Leben nicht verderben,
Der lebt auch, wenn er ſtirbt, der Laſter fleucht.

19. Was ſind nun auch die Madrigali - ſchen Oden?

Man findet hievon vielerley Arten, die vornehmſten davon ſind folgende zwey, als:

  • I. Wenn man in den Oden bald lange, bald kurtze Zei - len machet, und manchmahl eine, auch wohl mehr Zeilen mit untermenget, auf die ſich ent - weder keine andere reimet, oder auf die ſich et - liche andere reimen. Und ſolche Ode heiſſet ein Madrigalon. z. e. Auf den Tod eines wohlge - rathenen Kindes:
Wie wird der Eltern Hertz,
Der Eltern, die in einer See von Thraͤnen baden,
Der Eltern, die voll Angſt und Schmertz,
Mit Centner ſchwerer Laſt beladen,
Wie wird es ihnen nun mit deinem weggeriſſen,
Die, da ſie dich verliern, kaum von ſich ſelber wiſſen,
So ſchwerlich ſcheidet nicht der Geiſt von ſeinen Gliedern,
Als jetzund Sie von dir ſich abgetrennet ſehn,
Ach ja! Es iſt geſchehn!
Du gehſt dahin, du deines Hauſes Wonne,
Vergeblich klagt man dich mit tauſend Thraͤnen-Liedern.
Du war’ſt der Deinen Sonne.
Wie gab dein Morgen uns ſo einen hellen Schein,
Der in dem Mittag auch nicht koͤnte heller ſeyn.
Nun aber loͤſcht die ſchwartze Nacht denſelben aus,
Da du den Sarg zu Lohne kriegeſt,
Ja deiner Eitern Hertz und Haus
Jſt finſt’rer, als das Grab, darinn du Engel liegeſt.
EII. Wenn64Das IV. Capitul
  • II. Wenn unter etliche Madrigale eine Arie gemen - get wird, dergleichen man ſonderlich in den Opern antrifft. z. e. Jn der Opera von Ferdi - nando und Iſabella, ſo An. 1703. zu Leipzig an der Neu-Jahrs-Meſſe præſentiret wurde, re - dete Sebaſtian, Ferdinands Diener, Actu I. Sce - na 5. folgender Geſtalt:
So tret ich nun in einen neuen Orden,
Und bin ein Jaͤger worden.
Jch ſchicke mich nicht drein.
Das Waide-Meſſer wird mein Lohn,
Und beſtes Trinck-Geld ſeyn.
Jedoch ich ihue, was ich kan,
Und zwar gantz unverdroſſen,
Schieß ich kein Wild nicht an,
So bin ich ſelbſt geſchoſſen,
Und laͤuffet nichts ins Netz hinein,
So muß ich ſelbſt ein Haſe ſeyn.
Ja kan ich keinen Hirſch erjagen,
So muß ich ſelbſt die Hoͤrner tragen.
ARIA
Viel Menſchen gleichen ſich den Thieren,
Der eine traͤgt ein Hirſch-Gewey,
Und jener kommt den Haſen bey;
Der ſcheint ein ſchlauer Fuchs zu ſeyn,
Der ander gar ein wildes Schwein.
Und dieſes kan man taͤglich ſpuͤren,
Viel Menfchen gleichen ſich den Thieren.
(Da ſtolperte er uͤber einen Baͤr.)
Oho, wer hat dich denn erſchoſſen?
Halt, halt du liebes Thier,
Du giebeſt mir
Noch einen praven Poſſen.
Jch will dich hier vom Orte tragen
Und alsdenn ſagen,
Jch haͤtte dich gefaͤllt.
Wer65von den Generibus der Verſe.
Wer weiß, was ich mit dieſer Luͤgen,
Vors Jaͤger-Recht kau kriegen,
Komm her, huck auf, der Hencker du biſt ſchwer,
Jch kan dich auch wohl ſchleppen.

Siehe das Muſen-Cabinet p. 1233. 1246. 1333.

20. Genug von den Madrigaliſchen Oden: Wie ſtehet es nun um die Pindariſchen Oden?

Wenn wir hiebey deutlich wollen unterrichtet ſeyn, ſo muͤſſen wir folgende vier Stuͤcke wohl mercken, als:

  • I. Die Stuͤcke dieſer Oden. Es gehoͤren aber zu den Pindariſchen Oden hauptſaͤchlich drey Stuͤcke, nemlich
    • 1. Propoſitio, oder der Satz,
    • 2. Aſſumtio, oder der Gegenſatz,
    • 3. Concluſio, oder der Nachſatz.
  • II. Den Grund dieſer Oden. Wenn man die Sache genau anſtehet, ſo beruhet das gantze Weſen mit den Pindariſchen Oden
    • Entweder auf einer Connexion per Syllogiſmum, und iſt der Satz Major, der Gegenſatz Mi - nor, und der Nachſatz Concluſio. Es kan auch der Satz Minor, der Gegenſatz Major, und der Nachſatz Concluſio ſeyn.
    • Oder auf einer Connexion per Antecedens & Con - ſequens, da der Satz Antecedens, der Gegen - ſatz Conſequens, und der Nachſatz Formula Finalis iſt.
    • Oder auf einer Connexion per Theſin & Hypo -E 2theſin,66Das IV. Capitultheſin, und iſt der Satz Theſis, der Gegen - ſatz Hypotheſis, und der Nachſatz Formula Finalis. Denn an das Wort Gegenſatz darf ſich niemand ſtoſſen, und meynen, als muͤſ - ſe es ſeinem Namen nach eben ein Contrarium ſeyn. Keines weges; denn es kan darein bald eine Ætiologie, bald ein Simile, Exemplum, und andere Amplification geſtecket werden.
  • III. Das Genus der Verſe in dieſen Oden. Hier er - fordert der Satz und Gegenſatz einerley Ge - nus, es mag nun ſolches Jambiſch, Trochaiſch, Dactyliſch, oder Anapæſtiſch, oder auch ein Madrigal ſeyn. Der Nachſatz hingegen will ein gantz ander Genus haben, als in dem Satz und Gegenſatz gebrauchet worden. Wiewohl dieſes letztere gar ſelten beobachtet wird, doch pfleget die Laͤnge der Zeilen in dem Nachſatz anders zu ſeyn, als in dem Satz und Gegenſatz.
  • IV. Die mancherley Arten dieſer Oden. Es giebt bey denen Pindariſchen Oden vornehmlich dreyerley Gattungen, denn
    • 1. Kan darinnen nur ein Satz, ein Gegenſatz und ein Nachſatz gebrauchet werden, ſiehe das Muſen-Cabinet p. 1343.
    • 2. Kan man zwey auch wohl mehr Saͤtze, und eben ſo viel Gegenſaͤtze und Nachſaͤtze auf einan - der folgen laſſen.
    • 3. Kan man zwey und mehr Saͤtze und Gegen - ſaͤtze, aber nur einen Nachſatz machen.
Mehr67von den Generibus der Verſe.

Mehr Weitlaͤufftigkeit iſt hier nicht von noͤthen, deß - halben wollen wir nur eine eintzige Pindariſche Ode zur Probe mit nehmen. Es beklaget nemlich ein Bruder das Abſterben ſeiner geliebteſten Schwe - ſter.

Erſter Satz.
Nun, Schweſter, du gehſt hin,
Und zwar in voller Bluͤthe,
Drum ſtarret mein Gemuͤthe,
Es ſchwindet Geiſt und Sinn.
Denn, waͤr ich gleich von Eiſen,
Ein Loͤw und Tieger-Thier,
So muß ich dennoch dir
Die Thraͤnen-Pflicht erweiſen,
Diß eine kan ich nur,
Und lehrt mich die Natur,
Ach leyder! zu geſchwinde,
Jndem ich ſelbſt empfinde,
Was dir den Stoß gethan,
Und zu der Grabes-Bahn
Die Thuͤren aufgeſchloſſen.
Hier wein’t dein lieber Mann,
Der dich nicht miſſen kan,
Und deiner kaum genoſſen.
O Schmertz, die Eltern weinen auch
Gantz wider der Natur Gebrauch.
Erſter Gegen-Satz.
Diß Leben iſt gewiß
Ein Rauch, der bald verrauchet,
Was unſre Kehle hauchet,
Wie bald verſchwindet diß;
Die Jungen und die Alten
Bedecket eine Grufft,
Wo ſie ſpeißt eine Lufft,
Die Runtzeln und die Falten
E 3Der68Das IV. Capitul
Der Jahr und Zeiten Spur,
Sind nicht die Furchen nur,
Worein der Todt ſich praͤget,
Und ſeine Sichel ſchlaͤget.
Das Grab ſteht offen, auch
Selbſt in der Mutter Bauch;
Ein Menſch kan kaum beſehen,
Den Labyrinth der Welt,
So iſt es ſchon beſtellt,
Menſch, du muſt fuͤrder gehen,
Und endlich kommt der Schluß heraus,
Die Welt iſt nur ein Pilgrims Haus.
Erſter Nach-Satz.
Nun wir zuͤnden auch mit Schmertzen,
Dir, o Schweſter, Kertzen an,
Und gehn dieſe Trauer-Bahn,
Mit Betruͤbniß-vollem Hertzen,
O wie kan wohl eine Pein
Je und immer groͤſſer ſeyn.
Dort die Liebſte, hier die Schweſter,
Was verknuͤpffet doch wohl feſter.
Gehets endlich an den Riß,
Ach ſo fuͤhlt man, daß das Scheiden
Kan die Seele ſelbſt zerſchneiden,
Steinern waͤre, der’s verbiß.
Anderer Satz.
Es iſt doch wohl gethan
Und iſt des Himmels Wille,
Drum ſchweige man nur ſtille,
Sie iſt ja nur voran,
Zun Sternen hingeſchicket:
War ſie ein junges Blut:
Wohlan es iſt auch gut,
So iſt ſie nicht beſtricket,
Und kommt nicht mehr in Schuld,
Drum habet nur Gedult:
Sie69von den Generibus der Verſe.
Sie hat nie was verbrochen,
Noch ſich’allhier verkrochen:
Denn fromm ſeyn war ihr Ziel,
Doch kommt ſie mit ins Spiel,
Und liegt nun in der Aſchen,
Es laͤuffet Jung und Greiß
Durch Land, durch Meer und Eiß,
Nur etwas zu erhaſchen;
Der ſtreicht wohl gar zum Teuffel zu.
So ſpielt der Weltmann blinde Kuh.
Anderer Gegen-Satz.
Diß Hertz iſt unverfuͤhrt,
Und ohne falſch geweſen,
Das Tugend auserleſen,
Und ihr nur nachgeſpuͤrt;
Drum muſte ſie verlaſſen
Das Babel dieſer Welt,
So in ſich ſelbſt zerfaͤllt.
Und alle Frommen haſſen.
Hier iſt nur Dunſt und Schein,
Wir ſeyn kaum, wenn wir ſeyn,
Man laſſe GOtt nur walten,
Der lange Hausgehalten,
Man kuͤſſe ſeine Hand,
Nehm an des Creutzes Pfand,
Er weiß, was ſeinen Kindern
Kan gut und dienlich ſeyn.
Solt er ſie laſſen? Nein, o nein,
Er wird ihr Gluͤck nicht mindern.
Wohlan! So ſteigt man Himmel an,
Diß iſt die rechte Lebens-Bahn.
Anderer Nach-Satz.
Nun wir wollen unterdeſſen,
Weil das Lebens-Feuer glimmt,
Und der Geiſt die Lufft vernimmt,
Deines Namens nicht vergeſſen;
E 4Es70Das IV. Capitul
Es ſoll deiner Tugend-Ruhm,
O du deiner Zeiten Blum,
An den blauen Himmels-Spitzen
Nunmehr einverleibet ſitzen.
Und wir lernen das dabey:
Dieſer Welt ſey nicht zu trauen,
Noch auf ihre Luſt zu bauen,
Und daß alles nichtig ſey.

21. Was iſt nun auch bey den Ringel-Oden zu mercken?

Man muß dabey dieſe 3. Stuͤcke wohl behalten, als:

  • I. Den Grund dieſer Oden. Es gruͤnden ſich aber die Ringel-Oden auf die Ringel-Reime, welche von den Frantzoſen Rondeau genennet werden. Sol - che Ringel-Reime nun beſtehen darinn, daß der An - fang und das Ende einerley Worte haben. Und eben daher heiſſen ſie auch Ringel-Reime, weil ſie gleichſam im runten Kreiſſe und Ringel herum lauffen, bis ſie wieder ihren Anfang antreffen. Dergleichen Reime trifft man auf zweyerley Art an
    • 1. Jn zwey Zeilen. z. e.
O hoͤchſt betruͤbte Zeit! Wenn Mars im Lande ſchrey’t,
Und alles nieder reißt. O hoͤchſt-betruͤbte Zeit.
  • 2. Jn gantzen Strophen. z. e.
Ach meide ja den Wein! Denn dieſer leert den Beutel,
Und macht gantz unvermerckt honete Seelen eitel.
Wer offt zum Weine geht, kan nicht begluͤcket ſeyn:
Drum ſag ich noch einmahl: Ach meide ja den
Wein.
II. Das71von den Generibus der Verſe.
  • II. Das Genus der Verſe in dieſen Oden. Hierinn hat ein Poëte die Freyheit, ein Genus zu erwehlen, welches er will, und welches ſich am beſten zu den - jenigen Worten ſchicket, darinnen die Ringel - Reime beruhen. Ja er kan auch die Madrigali - ſche Oden zu Huͤlffe nehmen.
  • III. Die mancherley Arten dieſer Oden. Es kom - men hiebey ſonderlich folgende Manieren vor, als:
    • 1. Da nur eine Zeile mit eben den Worten am An - fang und Ende vorkommt. z. e.
So gehets in der Welt! Wenn man gantz ſicher meynt,
Man hab an dem und dem den allerbeſten Freund;
So ſieht man, daß er ſich nur als ein Freund geſtellt,
Da er es doch nicht iſt. So gehets in der Welt.

Siehe auch das Muſen-Cabinet p. 91. 206. 787. 919.

  • 2. Da zwey Zeilen mit eben den Worten am An - fang und Ende gefunden werden. z. e.
Ob uns gleich die Menſchen neiden,
Ran uns doch der Himmel leiden.
Wer auf Erden was beſitzt,
Und der Welt mit Ruhme nuͤtzt,
Muß der Neider Zaͤhne fuͤhlen,
Die an ihm ihr Luͤſtgen kuͤhlen:
Doch wer will ſich druͤber kraͤncken,
Man muß nur dabey gedencken:
Ob uns gleich die Menſchen neiden,
Ran uns doch der Himmel leiden.
  • 3. Da ſich alle Strophen auf einerley Art anfan - gen und endigen. Alſo ward An. 1694. bey ei -E 5ner72Das IV. Capitulner gewiſſen Vermaͤhlung ein Geſpraͤch zwi - ſchen Cleandern und Florinen vorgeſtellet, da ſich in des Cleanders Anrede alle Strophen mit den Worten: Vergnuͤge mich mein Kind; in der Florinen Antwort aber alle Strophen mit den Worten: Du ſchertzeſt nur mit mir! anfiengen und beſchloſſen. Die gan - tzen Oden koͤnnen in dem Muſen-Cabinet p. 13. und 15. geleſen werden. Wir behalten allhier zur Probe von einer jedweden Ode nur die erſte Strophe.
Cleander:
Vergnuͤge mich mein Kind! Florine komm geſchwind,
Die Stunden ſind erſchienen,
Von den Saphiernen Buͤhnen,
Die uns zur Luſt von GOtt erkohren ſind; Vergnuͤge mich mein Kind!
Florine:
Du ſchertzeſt nur mit mir,
Vielmehr ſuch ich bey dir
Vergnuͤgen, Luſt und Freude,
Und meiner Seelen Weide.
Dein Auge macht, daß ich nur Anmuth ſpuͤr; Du ſchertzeſt nur mit mir.

Siehe ferner das Muſen-Cabinet p. 89. 547. 739.

  • 4. Da in einer gantzen Ode nur der Anfang der er - ſten, und das Ende der letzten Strophe einander gleich ſind. Wir duͤrffen hievon nicht eine gantze Ode anfuͤhren, weil man ſich dieſe Ma - nier aus angezogenen kurtzen Exempeln zur Gnuͤge wird einbilden koͤnnen.
5. Da73von den Generibus der Verſe.
  • 5. Da der Anfang, Mittel und Ende einerley Wor - te haben. z. e.
Alles iſt nur Eitelkeit! Wer auf dieſer Erden lebet,
Und jedweden Augenblick nur nach hohen Ehren ſtrebet,
Dencket zwar, er ſey begluͤcket: Doch wenn er ſich recht be[i]
denckt,
Sieht er, daß er ſeine Sinnen, nur auf Eitelkeit gelenckt.
Alles iſt nur Eitelkeit! Wer nach groſſen Guͤtern ſiehet,
Und dieſelben, wie er kan, mit Begierde zu ſich ziehet,
Mey’nt, nun ſey er recht geſegnet: Aber eh er ſich beſinnt,
Mercket er, daß ſein Vermoͤgen als geſchmoltzen Wachs zer -
rinnt.
Wer der Wolluſt Dienſte thut, und die ſchoͤnen Maͤdgen liebet,
Oder auch der Voͤllerey ſeine Seele gantz ergiebet,
Kuͤtzelt ſich mit ſolchen Sachen: doch auch dieſes frißt die
Zeit,
Und der Spruch wird guͤltig bleiben: Alles iſt nur Ei -
telkeit!

22. Wie ſtehets endlich um die Nach - Oden?

Die Nach-Oden werden ſonſt Parodien genennet, und heiſſen deßwegen Nach-Oden, weil ſie etwas nachzumachen pflegen. Es geſchiehet aber ſolches auf vielerley Art, als:

  • I. Wenn etwas weltliches auf etwas geiſtliches appli - ciret wird. z. e. Wenn ich folgende weltliche Ode, an Melinden gerichtet, nehme:
1.
Jch rede nur mit Steinen
Dein ſtoltzes Ohre hoͤrt mich nicht,
Und deiner Augen feurig Licht
Will mir nur ewig grauſam ſcheinen. Kan74Das IV. Capitul
Kan denn mein naſſes Thraͤnen-Meer
Nicht deines Zornes Blut abwaſchen?
So ſiehe, wie ich mich verzehr!
Dein heiſſer Augen-Blitz verbrennet mich zu Aſchen.
2.
Was zwinget dich, Melinde,
So grauſam gegen mir zu ſeyn?
Verdopple doch nicht meine Pein,
Weil ich ohndem genug empfinde;
Du ſtrafeſt mich ja gar zu ſehr.
Verdienet denn ein treues Lieben
Bey dir ſchon kein Erbarmniß mehr,
Wo haſtu, Schoͤnſte, denn die Feinde hingeſchrieben?
3.
Was wilſt du ferner haben?
Begehrſt du noch mein Blut zu Lohn?
Denn meine Seele haſt du ſchon,
So nimm es; Dir will ichs vergraben.
Wird hiedurch deine Luſt geſtillt,
So will ich mich noch ſterbend freuen,
Und alſo mach ichs, wie du wilt;
Doch wo du menſchlich biſt, ſo wird mein Tod dich reuen.

So koͤnte ich ſelbige folgender Geſtalt auf etwas geiſt - liches richten:

1.
Jch rede nur mit Steinen,
Dein Vater-Ohre hoͤrt mich nicht,
Und deiner Augen helles Licht,
Will mir nur ewig finſter ſcheinen.
Kan denn mein naſſes Thraͤnen-Meer
Nicht deines Zornes Glut abwaſchen?
So ſiehe, wie ich mich verzehr!
Dein Haſſes-voller Blitz verbrennet mich zu Aſchen.
2. Was75von den Generibus der Verſe.
2.
Was zwingt dich, meine Freude,
So zornig gegen mich zu ſeyn?
Verdopple doch nicht meine Pein,
Weil ich ohndem zur Gnuͤge leide;
Du ſtrafeſt mich ja gar zu ſehr.
Erhaͤlt denn ein getreues Lieben
Bey dir ſchon kein Erbarmniß mehr,
Wo haſt du denn, mein GOtt, die Feinde hingeſchrieben?
3.
Was wilſt du ferner haben?
Verlangeſt du mein Blut zum Lohn?
Denn meine Seele haſt du ſchon:
So nimm es. Dir will ichs vergraben.
Wird nur hierdurch dein Zorn geſtillt,
So will ich mich noch ſterbend freuen;
Und alſo mach ichs, wie du wilt:
Doch dich, du Lebens-Fuͤrſt, wird mein Verderben reuen.

Wiewohl bey ſolcher Application muß man ſich wohl huͤten, daß man nicht etwan liederliche und garſti - ge Sachen auf etwas Goͤttliches richte, denn das wuͤrde ein Geſpoͤtte werden. Sonſt waͤre zu wuͤn - ſchen, daß mancher aus ſeinen Liebes-Liedergen der - gleichen geiſtliche Oden machte und ſolche ſtatt jener abſaͤnge.

  • II. Wenn zwey Gedichte gegen einander gerichtet werden, welche zwar meiſtens einerley Worte, jedoch ein gantz ander Abſehen haben. z. e. Wenn ein Manns-Volck ſein Geſchlechte, ei - ne Frauens-Perſon aber das ihrige aus eben denſelben Gruͤnden erhuͤbe.
Manns -76Das IV. Capitul
Manns-Volck:
Die Maͤnner bleiben wohl die allerbeſten Leute,
Dieweil durch ihren Kopff das allermeiſte geht;
Die Weiber halten ſie vor eine ſchoͤne Beute,
Wer weiß nicht, daß der Mann der Frau zur Rechten ſteht;
Das arme Weibes-Volck kan nichts allein verrichten,
Die Maͤnner muͤſſen ja die ſchwerſten Sachen ſchlichten.
Frauens-Perſon:
Die Weiber bleiben wohl die allerbeſten Leute,
Dieweil durch ihren Kopff die gantze Wirthſchafft geht;
Die Maͤnner halten ſie vor eine ſchoͤne Beute,
Man ſieht, daß jetzt die Frau dem Mann zur Rechten ſteht.
Das arme Maͤnner-Volck kan nichts allein verrichten,
Die Weiber muͤſſen ja die meiſten Sachen ſchlichten.
  • III. Wenn man ein teutſches Gedichte zur Richtſchnur nimmt, und nach eben der Art, die Sylben in jeder Zeile, die Zeilen ſelbſt, ingleichen die Rei - me und derſelben Abwechſelung beobachtet. z. e. Nach dem bekandten Liede: Warum be - truͤbſtu dich, mein Hertz ꝛc.
Cur tam triſtaris anima?
Cur angeris o miſera?
Mundanas ob opes,
Confide modo Numini,
Quod ſemper aſſiſtit tibi.

Man muß aber nicht dencken, als ob man eben den Verſtand, der in den teutſchen Liedern iſt, auch im la - teiniſchen behalten muͤſſe: Denn man kan eine gantz andere Materie nehmen.

23. Diß77von den Generibus der Verſe.

23. Diß waͤren alſo die mancherley Oden: Was hat man denn weiter vor Generader Verſe?

Es iſt auſſer dieſen noch ein ziemlicher Vorrath dar. Doch alle Confuſion zu vermeiden, ſo wollen wir eines nach dem andern in beſondern Fragen be - trachten. Den erſten Platz moͤgen die Vers-Briefe haben.

24. Wie verhalten ſich aber die Vers - Briefe?

Sie ſind eben wie andere Briefe beſchaffen, und kan man ſolche zu Condolenzen und Gratulationen brauchen, die Diſpoſition gehet eben wie in an - dern Briefen durch ein Antecedens, Connexionem und Conſequens an. Der Jnhalt beſtehet entwe - der in einem bloſſen Compliment, oder es wird dar - innen eine gewiſſe Materie durchgefuͤhret. Bey Hochzeiten laͤſſet ſich darinnen gar fein ein vertrautes Geſpraͤche, entweder zwiſchen Braͤutigam und Braut, oder auch zwiſchen andern Perſonen anſtellen. Wer demnach in der Oratorie hat zierliche Briefe machen lernen, der darff dieſelbe nur in Verſe bringen, ſo iſt das Kunſtſtuͤck richtig. Alſo machte ich anno 1702. auf den Tod des weitberuͤhmten Kauff-Herrn zu Leipzig, Herrn Johann Grafens, folgenden Vers-Brief. Der Titul lautet alſo:

Es78Das IV. Capitul

Es ſoll diß wenige Herr Grafens Haus bekommen, das einen blauen Stern zum Zeichen angenom̃en.

Der Jnhalt dieſes Briefes war folgender:

Du Hochbetruͤbtes Haus,
Nimm die geringen Zeilen
Von deines Dieners Hand mit holden Blicken an:
Nach Rechte kanſt du mir zwar keine Gunſt ertheilen,
Dieweil ich wenigſter mich gar nicht ruͤhmen kan,
Daß ich ein eintzig mahl mein ſchuldigs Hertz erwieſen,
So offt den Deinigen was ſonderlichs geſchehn;
Jch hab auch dazumahl dein Gluͤcke nicht geprieſen,
Da Delitz deinen Sohn als Braͤutigam geſehn,
Allein verzeihe mir. Jch will die Schuld bekennen,
Daß ich zu ſolcher Zeit mein Amt nicht recht bedacht:
Jedennoch ſollt ich dir dieſelben Stuͤcke nennen,
Die mich mit viel Verdruß ſuſpect und grob gemacht;
So wuͤrdeſt du gewiß mir ohne Zwang ver zeihen,
Und (wie dein edler Geiſt es ſonſten mit ſich bringt)
Bey aller meiner Schuld noch deine Gunſt verleihen,
Die in ſo manches Hertz mit Luſt und Nutzen dringt.
Jch weiß du biſt verſoͤhnt, ich will die Feder brauchen,
Muß ſie gleich jetzt, wie ſonſt, zu andrer Arbeit gehn;
Es ſoll dir, edles Haus, ein treues Opffer rauchen;
Mein gantzes Leben ſoll zu deinen Dienſten ſtehn.
Es iſt, o Schmertzens-Wort! dein theures Haupt gefallen.
Ach GOtt! Wie muß dir doch hiebey zu Muthe ſeyn?
Denn, kunte dieſe Poſt doch kaum bey mir erſchallen,
So ſtellten ſich alsbald verſaltzte Thraͤnen ein.
Naemi79von den Generibus der Verſe.
Naemi weint in dir, und iſt zur Mara worden,
Die ſonſt mit ihrem Muth Amazonen gegleicht;
Es iſt dieſelbige nunmehr im Witwen-Orden,
Und fuͤhlt den herben Schmertz, der Seel und Leib durchſtreicht.
Derjenige liegt tod, der Sie, den Sie geliebet,
Und nimmt ihr halbes Hertz mit ſich ins finſtre Grab;
Mit Willen hat ſie ihn kein eintzig mahl betruͤbet;
Jm krancken Alter war Sie ſein getreuer Stab.
Der Hoͤchſte ſtaͤrcke Sie ln ihrem Witwen-Stande;
Es zeig ihr tapfres Hertz noch ferner ſeine Krafft;
Der Muth, den ſie beſitzt, dient ihr zum Unterpfande,
GOtt hab ihr vor das Creutz ein Mittel angeſchafft.
Mein Vater iſt erblaßt! So hoͤr ich andre klagen:
Hier ſitzt ein Frauen, Bild, und zeiget ihren Schmertz;
Dort muͤſſen Hoͤchſtbetruͤbt drey Herren Soͤhne ſagen:
Es greifſt des Vaters Tod empfindlichſt an das Hertz.
Hochwertheſte, Sie thun, was ihre Treu befiehlet,
Und wer ihr Hertze kenn’t, der billigt ihre That:
GOtt aber, welcher ſonſt betruͤbte Seelen kuͤhlet,
Sey auch in dieſer Angſt ihr allerbeſter Rath.
Der Hoͤchſte ſchaffe nur, daß die Frau Mutter lebe,
Und immerfort geſund, begluͤckt, vergnuͤget ſey.
Ach! daß der Himmel doch dem Wunſch Erhörung gebe,
So wird der Grafen Gluͤck von Tag zu Tage neu.
Jch ſolt und wolte nun auch an die Armen dencken,
Die deines Hauptes Tod in groſſe Klagen ſetzt:
Der Hoͤchſte ließ ſie ja durch dieſen Mann beſchencken;
Viel hundert Armen hat er durch ſein Geld ergetzt.
Allein diß wuͤrde ſich zu dieſer Schrifft nicht ſchicken:
Jch habe nur mit dir, Hochwerthes Haus, zu thun;
Ein and’rer mag den Punct in ſeine Verſe ruͤcken:
Jch aber laſſe nun die Feder wieder ruhn.
Bleib mir indeſſen hold; Befoͤrdre mein Geluͤcke,
Und nimm davor zum Danck mein unverfälſchte Treu,
Jngleichen mein Gebet, ſo ich zum Himmel ſchicke,
Und glaube, daß ich ſtets mit Luſt dein Diener ſey.
FJch80Das IV. Capitul

Jch bekam ſelbſt vor einiger Zeit Anlaß, einen ſol - chen Vers-Brief auf die Hochzeit eines werthgeſchaͤtz - ten Freundes zu verfertigen: Der Titul war alſo ab - gefaſſet:

Herr Doctor N. ſoll diß Brieffgen ſelbſt erbrechen, Ein andrer moͤchte ſich vielleicht ins Siegel ſtechen.

Der Jnhalt lautete folgender maſſen:

Mein Herr, er ladet mich zu ſeiner Hochzeit ein;
Jch wuͤrd auch gantz gewiß mit Luſt ſein Gaͤflgen ſeyn,
Wenn mich die Arbeit nur von hier aus Leipzig lieſſe,
Und ich mich nicht ſo ſehr an weite Reiſen ſtieße.
So kan ich ihn denn nicht in ſeinem Krantze ſehn:
Doch ſoll um dieſe Zeit bey mir auch was geſchehn;
Jch will ſein Hochzeit-Feſt in Leipzig celebriren,
Er wird die Krafft davon in ſeinem Hertzen ſpuͤren.
Jn meinem Stuͤbgen ſoll die Freude vor ſich gehn,
Der Freunde Compagnie ſoll mir zur Seite ſtehn.
Jn ſolcher Aſſemblée wird man diß Liedgen ſingen,
Es wird ein zarter Wind den Schall nach bringen.
1.
Verliebter Freund!
Wo iſt ſein tapfrer Geiſt?
Der nichts von Lieben hoͤr’te,
Den keine Venus ſtoͤr’te,
Der ietzt ein anders weiſt.
Er hat uns was geſagt, das er nicht ſo gemeynt.
Verliebter Freund!
2. Ge -81von den Generibus der Verſe.
2.
Gerechter Freund!
Wer tadelt ſeinen Trieb,
Den ihm der Himmel ſchencket,
Wenn er ſein Gluͤck bedencket;
Ein Maͤdgen iſt ihm lieb,
An welcher Froͤmmigkeit und reine Liebe ſchein’t
Gerechter Freund!
3.
Begluͤckter Freund!
Sein Wunſch iſt wohl erfuͤllt;
Die Curen ſind begluͤcket,
Wenn ihn die Liebe druͤcket,
Wird ſie mit Luſt geſtillt,
Und was er ſonſt begehrt, wird ihm niemahls verneint.
Begluͤckter Freund!
4.
Vergnuͤgter Freund!
Nun wird ſein frommes Hertz
Jn lauter Friede leben,
Und ſolche Proben geben,
Worinnen gar kein Schmertz.
Wenns Zeit iſt, giebt auch GOtt, was in den Windeln weint.
Vergnuͤgter Freund!
So viel bericht ich ihm, von andern ſchweigt mein Kiel,
Er weiß, ich ſchweige gern und dencke dabey viel.
Anjetzo laͤßt mich auch die Arbeit wenig ſchreiben,
Jch werde lebenslang ſein treuer Diener bleiben.

Artige Vers-Briefe ſind auch zu leſen im Muſen - Cabinet p. 37. 529. 534. 860. 957.

25. Was folget nach den Vers-Briefen?

Es iſt das Sonnet, welches auch ein Kling-Ge - dichte genennet wird; Es beſtehet ſolches aus 14. Zeilen, und ſoll in den erſten 8. Zeilen die Theſis, inF 2den82Das IV. Capitulden letzten 6. aber die Hypotheſis enthalten ſeyn. Was die Reime betrifft, ſo werden unter den erſten 8. Zeilen gemeiniglich die 1. 4. 5. und 8te mit einerley, und hernach, die 2. 3. 6. und 7de gleichfalls mit einerley Reimen, es moͤgen ſolche maͤnnlich oder weiblich ſeyn, verſehen. Bisweilen aber pflegt man auch die 1. 3. 5. und 7de und hernach die 2. 4. 6. und 8te mit einander zu reimen. Jn den letzten 6. Zeilen hat man ſeine voͤllige Freyheit, und mag man die Zeilen mit einander reimen, wie man will. Was endlich die Genera anlanget, ſo kan man entweder das Jambiſche, oder Trochaiſche, oder Dacty - liſche, oder auch ein gemiſchtes Genus zu den Sonnet - ten erwehlen. Jngleichen kan man lange oder kurtze Zeilen machen. Siehe das Muſen-Cabinet p. 390. 580. 796. Unſer Exempel zielet auf eine Hochzeit, und iſt an die Verliebten gerichtet:

Jſt Lieb und Freund ſchafft nur nach Worten auszumeſſen,
So waͤre dieſer Raum vor meinen Wunſch zu klein,
So wuͤrd ein groſſes Buch auch noch zu wenig ſeyn.
Was uͤberbliebe mir? Doch bleib ich unterdeſſen
Der Pflicht, die mich an euch verbunden, unvergeſſen.
Denn eure Liebe ſteht in Wercken nur allein,
Nicht in der Woͤrter-Pracht, nur da ein bloſſer Schein,
So iſt mir Pflicht und Wunſch im Munde nicht geſeſſen.
Was hilfft der Woͤrter-Tand, ſtimmt nicht das Hertze bey?
Jch wuͤnſche, daß bey euch kein Wunſch von noͤthen ſey.
Das wuͤnſchet Hertz und Mund: O daß der Wunſch bekleibe,
Nicht tieffer wurtzelt er, nicht hoͤher hebt er ſich.
Nehmt diß, ihr Lieben, hin, und denckt darbey, daß ich,
Wie ihr mehr thut, als ſagt, viel mehr gedenck als ſchreibe.

26. Was iſt nach den Sonnetten zu betrachten?

Die Epigrammata, welche auch Uberſchrifften,Bey -83von den Generibus der Verſe. Beyſchrifften, Grabſchrifften, Denckſpruͤche Sinngedichte und anders, genennet werden. Es iſt aber ein Epigramma ein ſolches Gedichte, da man uͤber eine gewiſſe Perſon, Verrichtung, Sentenz ꝛc. einige kurtze, doch ſcharffſinnige Verſe abfaſſet. Man kan ein jedwedes Genus, es ſey Jambiſch oder anders, dar - inn gebrauchen, ingleichen ein Madrigal und Sonnet. Wegen der Zeilen hat man auch ſeine Freyheit, weil man derſelben viel oder wenig machen kan. Was die Materie anlanget, ſo kan man in einem Epigram - mate entweder eine bloſſe Theſin, oder eine Theſin und Hypotheſin abhandeln. Wer ſonſt einen kurtzen Ab - riß von einem Epigrammate haben will, der mercke nur die zwey Verſe des Maſenii.

Omne Epigramma ſit inſtar apis, ſit aculeus iſti, Sint ſua mella, ſit & corporis exigui.

Weiter brauchen wir keinen Unterricht von Epigram - matibus, ſondern wollen nur noch einige Exempel mit - nehmen.

1. Auf das in eine Saltz-Seule verwan - delte Weib des Loths.
Durch Fuͤrwitz muſte mir der Klugheit Saltz zerflieſſen,
Drum ward ich nach Verdienſt in lauter Saltz verkehrt.
Jhr Weiber, wo ihr nicht die Blindheit ſelbſt ernehrt,
So kommt, von mir das Saltz der Klugheit zu genieſſen.
2. Auf einen alten Verliebten.
Man ſieht mein graues Haupt nur uͤber Achſeln an,
Und wenn ein Junger kommt, der beſſer dahlen kan,
So ſchuͤppet man mich fort: Solt ich denn nun nicht ſchelten,
Da junge Dahler mehr, als alte Thaler gelten.
F 33. Auf84Das IV. Capitul
3. Auf einen Kuß.
Das Frauenzimmer fragt: Was Kuͤſſen auf ſich haͤtte,
Zur Antwort dient: Mehr als zu viel.
Denn das iſt wohl kein Kinder-Spiel,
Wer ſich aufs Kuͤſſen legt, der legt ſich auch aufs Bette.
4. Grabſchrifft eines Henckers.
Es ließ vor meinem Tod der Tod mir zu entbiethen:
Jch fiel ihm in die Kunſt: Und wuͤrd ich mich nicht huͤten,
So braͤch er mir den Hals. Mir ſtunde das nicht an,
Drum ſchrieb ich ein Cartel, und foderte den Mann.
Wir giengen auf den Hieb: Doch ich lief in Gefahr,
Weil mein Schwerdt nicht ſo ſcharf, als ſeine Senſe war.

Wer allerhand artige Manieren von Epigrammatibus ſehen will, der leſe nur des ſeel. Herrn M. Meiſters Di - ſputation de Epigrammatibus Vernaculis, ingleichen das Muſen-Cabinet p. 487. 603. 1188.

27. Was kommt nach den Epigramma - tibus vor?

Die Raͤtzel-Verſe. vid. Muſen-Cabinet p. 1175. 1224. Da muͤſſen wir uns nun um das Raͤtzel ſelbſt bekuͤmmern. Ein Raͤtzel aber iſt ein ſolcher Diſcurs, oder ein ſolches Gedichte, darinnen man etwas be - kanntes durch ſolche Redens-Arten vortraͤget, wel - che dem erſten Anſehen nach ſehr dunckel ſcheinen, durch ein kluges Nachſinnen aber gar wohl auf die verborgene Sache koͤnnen gedeutet werden. Das gantze Fundament von den Raͤtzeln beruhet darin - nen, daß man von der Sache, darauf das Raͤtzel zie - let, allerhand Prædicata erſinnet und mit artigen Worten vortraͤget. Der Anfang muß am ſchwer - ſten gemacht, am Ende aber die Sache etwas deut -licher85von den Generibus der Verſe. licher vorgebracht werden. z. e. Wenn ich auf eine Peruque ein Raͤtzel machen wolte, ſo haͤtte ich von dieſer Sache folgende Prædicata;

  • 1. Die Peruquen werden zu Hamburg hauffig gemacht.
  • 2. Jn den Peruquen iſt ein runtes Loch, um wel - ches viel Haare ſeyn.
  • 3. Die Peruquen werden von den Maͤnnern ge - liebt.
  • 4. Die Peruquen vereinigen ſich mit dem Kopfe und halten denſelben warm.
  • 5. Jn den Peruquen gefaͤllet man dem Frauen - Zimmer wohl.

Das Raͤtzel ſelbſt lautet in Verſen alſo:

Wer gluͤcklich rathen kan, der thu es ſonder Lachen,
Jn Hamburg wird man es faſt alle Tage machen:
Es iſt ein rundes Loch, um welches Haare gehn,
Der Maͤnner Appetit pflegt ſehr darnach zu ſtehn.
Des Leibes beſter Theil pflegt ſich mit ihm zu paaren.
Und faſt ein jeder wuͤnſcht mit Luſt hinein zu fahren.
Das wohl zuſammen haͤlt, und gute Waͤrme giebt,
Jn dieſem Loch iſt man bey Jungfern ſehr beliebt.

28. Was folgt auf die Raͤtzel?

Die Emblemati ſchen Verſe, worinnen man uͤber ein gewiſſes Bild und deſſen Uberſchrifft Verſe ma - chet, und alles dieſes auf etwas gewiſſes appliciret. z. e. Es ſtellete einer eine Perſon von maͤßigen Jah - ren, welche in Gegenwart anderer Leute gantz alt - klug that, und gleichwohl in geheim etliche Kinder - Spielgen mit machte, unter dieſem Bilde vor, daF 4eine86Das IV. Capituleine Frauens-Perſon ein kleines Kind auf dem Arme liegen hatte, und zwar einen Fecher in der Hand fuͤhrete, die Augen aber gantz frey behielt und ſolche auf das Kind werffen kunte. Uber dieſem Bilde ſtunden fol - gende Worte: Es iſt alles gantz verſtellt. Die Verſe druͤber lauteten alſo:

Wilſt du, verſtelltes Bild, die Kinder-Luſt verſtecken?
Begehret ſich ein Kind auf deinen Arm zu ſtrecken,
So muß der Fecher her: Doch ſind die Augen frey,
Wer glaubt, daß Kinder Luſt in dir erſtorben ſey.
So pflegt es halb-aͤltliche Jugend zu machen,
Sie ſieht nicht, und ſieht doch nach kindiſchen Sachen.

29. Was iſt nach den Emblematiſchen Ver - ſen zu betrachten?

Die Spraͤch-Gedichte, da einige Perſonen mit einander redend eingefuͤhret werden, es mag ſeyn, in was vor Faͤllen es will. Solche Perſonen nun koͤnnen entweder erdichtet, oder wahrhafftig ſeyn. Das Geſpraͤche ſelbſt kan ſo eingerichtet werden, daß eine Perſon eine gantze Strophe, oder nur eine Zeile und halbe Zeile rede. Faſt lauter gantze Stro - phen kamen auf eine Perſon, in demjenigen artigen Geſpraͤche, welches dem Durchl. Printzen Eugenio von Savoyen und dem in Cremona gefangenen Duc de Villeroy vor einiger Zeit angedichtet worden. Weil nun daſſelbe gar curieus und luſtig (ob es gleich etwas reiner ſeyn koͤnte und ſolte) iſt, und zeiget, wie ſchwer die Teutſche Sprache den Frantzoſen zu reden vorkommt, wird es dem munteren Leſer nicht mißfallen, wenn ſich ſolches gantze Geſpraͤche allhier præſentiret.

Villeroy87von den Generibus der Verſe.
Villeroy.
Allons par force! Ha! Ha! Was mak dock die Franſoſe?
Ats gein Courage mehr? Steckt in die Teuſe Oſe
Jtzt viel ein groͤſrer Mut? Die halte Catinat Par Dieu! iſt gar Foutu; Er gommt er gar zu ſpat.
Eugenius.
Monſieur de Villeroy iſt, wie ich hoͤr, gekommen,
Der Namur vor entſetzt, hat ſich nun vorgenommen
Auch in Jtalien zu zeigen ſeinen Muth,
Wie wagt der theure Held ſo liederlich ſein Blut?
Villeroy.
Morbleu! Was mak die Teutſ? Jk ab der Goff ſerſtoſſen.
Das nit gut Manier, ò futtre ſchlimme Poſſen:
Sie at mir eine Brill auf meine Nas geſteckt,
Jch aͤt er nit geglaubt, daß er die Saͤhn ſo bleckt.
Eugenius.
Ha! Monſieur Villeroy, wir, die zuſammen kamen,
Wir wollen auf dem Bret, wir wollen auf der Damen
Einander jagen um; ſonſt wird die Zeit zulang;
Vielleicht kan hier ein Stein dem andern machen bang.
Villeroy.
Pardon, mon Prince, Pardon, Jhr muͤßt nit ſo anpacken
Die Nobles gens Franęois; Jhr muͤßt is nit ſo macken:
Das iſt brutalité, der Teutſ Mann iſt ſonſt gut,
Er ſagt: O bon Franſos! Behalt er du dein Blut.
Eugenius.
Jch komm aus Ungarn erſt, und hab in Siebenbuͤrgen
Nichts anders ſonſt gelernt, als Saͤbeln, Hauen, Wuͤrgen.
Weil nun Frantzos und Tuͤrck wie Bruͤder ſind vereint,
So ſcher ich billig ſie, wie andre Chriſten-Feind.
Villeroy.
Pardon mon Prince glaub mir: Wann die Franſos angreiffen
Mit die Deg in der And, wenn ſie die Chappeaux ſtreiffen
Und trotzig drucken ein, ſie ſchrecken halle Welt;
Sich ein Franſos galant und oͤflich dannock ſtellt.
F 5So88Das IV. Capitul
So ſoll die Teutſ ock ſeyn: das is nit bonne Maniere,
Das iſt nit bon Cretien, wenn ſie ſo ſchlimm tractiere.
Mon Dieu! Die Herr Franſos! Js Teutſ Victorieux,
So iſt ſie gantz Barbar, Cruel, Horrible, boͤß:
Daß ab bey Chiari die gut Franſos erfahren.
Er ſagte ſu die Teutſ, die Aut gans zu bewahren: O Monſieur Allemand, o pour l amour de Dieu
Quartier, mon Allemand, faͤllt er gar auf der Knye. O Futtre Allemand, er ſchreyt: Goff weg, ſchieß nieder,
Schlag todt die Unsfut, Schelm, Franſos Marode Bruͤder.
Daß dick die Schinder ol, daß dick Daußſafferment,
Du Und, du Beſtie, daß dick die Encker ſchaͤnd!
Eugenius.
Auf dieſe lange Klag weiß ich ſonſt nichts zu ſagen,
Als daß ſo lang die Welt noch wird Frantzoſen tragen,
Kein Fried auf Erden ſey Setzt immer auf die Huͤt,
So trutzig als ihr koͤnt; Wir ſind des Pralens muͤd.
Man kan es nicht ſo arg mit euch Frantzoſen treiben,
Man wird den groͤſten Reſt euch dennoch ſchuldig bleiben.
Jn Summa: Weſſen ihr uns Teutſche klaget an:
Haͤtt ihrs uns koͤnnen thun, ihr haͤttets auch gethan.
Villeroy.
Es iſt dock nit Manier, ock nit Raiſon de Guerre.
Eugenius.
Macht mir von dieſem nicht ein alberes Geplerre.
Villeroy.
Man mack ock Priſoniers, ſo mack es die Franſos.
Eugenius.
Man ſpricht von dieſer Ehr, bey uns nit ſonders groß.
Villeroy.
Wann die Franſos marchir, und ſtellt ſich in Bataille.
So aͤlt die Teutſ ſie nur wie Futtre und Canaille
Kikrikik, o die Spott! Laufft mit ſo ringen Auffen,
Wie tauſend Teubel ſu, laßt gein Franſoß verſnauffen
Aut ihm die Leib entzwey, wie mit der Encker-Schwerdt:
Serſpalt ſie ihm die Goff, wie Wolff die Schaafe ſcheert.
Als89von den Generibus der Verſe.
Als waͤr Franſos nur Und, und nit honnett zu nennen,
Nit Gens de qualité: Die Teuts wills nur ergennen,
Fuͤr Gens von Malefice, das iſſe nit Raiſon,
O Bongre Allemand, bis nimmer gut Patron.
So die Franſos nit mack, mack nit glei maſſacriren,
Er mack daß die Bleſſur Barbier nock gan curiren.
Teuts zieget die Franſos hall mit einander aus,
Wie Froſ, bis auf die Emd, ſchlagt er tod, wie e Maus.
Wer at die Teutſe Gatz in Welſchland lern ſo mauſen.
D das iſt nit Raiſon, bon Chretien, ſo auſen, Miſericordie nit, die Teuts iſt gantz Barbar.
Verſchont nit ſein Prochain, er will ſie freſſen gar.
Eugenius.
So recht der alte Brauch, die Kriegs Manier wills haben;
Wir laſſen uns von euch nicht mehr das Ruͤblein ſchaben,
Wie bis daher geſchach: Die Zeiten aͤndern ſich,
Wir lieſſen ſchaͤndlich ſonſt des Kaͤyſers Ehr im Stich,
Dem ihr noch bis daher habt allen Spott erwieſen,
Der in der gantzen Welt doch Chriſtlich wird geprieſen,
Barmhertzig, fromm und mild, der nicht mit Chriſten-Blut
Unnoͤthig iſt befleckt, wie ihr Frantzoſen thut.
Wann Teutſchland ſoll von euch des Naͤchſten Liebe lernen,
So muͤſten wir ſo weit von ſelber uns entfernen,
Als Himmel und die Hoͤll. Jch ſage frey dabey:
Daß niemand, als der Teutſch, fuͤr jetzt mein Naͤchſter ſey.
Villeroy.
Monſieur! Wann ſie nit geb gut Ordre ſein Soldaten,
Daß raiſonabler ſie tractir mein Cameraden,
Laufft all Franſos davon, bleibt nit in Welſchland mehr.
Die Teuts iſt gar Cruel, mack mir die Sack ſo ſchwer.
Jck gan bravure nit, mit Gaſconnade macken,
Nit bruit, nit Cherny bleu, wenn uns die Teuts anpacken, Rotamandote faͤllt: Gomm nit gut Ordre ein? Mon Dieu; ſo muß Franſos Bernäuter alle ſeyn.
Eugenius.
Was ich fuͤr Ordres ſtell, das ſoll euch nicht anfechten:
Jch ſuche meinen Feind zur Lincken und zur Rechten.
Seyd90Das IV. Capitul
Seyd ihr Frantzoſen dann in Welſchland nicht zu Haus,
So jagt man billig euch, als grobe Gaͤſt hinaus.
Schert euch ihr Cherny bleu, ihr Sacre Dieu, von hinnen,
Die Ordre geb ich jetzt. Mein einiges Beginnen
Jſt euer Untergang, wollt ihr Bernhaͤuter ſeyn?
So widerſprech ichs nicht, und ſtimme ſelbſt mit ein.

Ein Geſpraͤche, da die Perſonen weniger zu reden haben, ſtehet in dem beliebten Muſen-Cabinet pag. 1116. Wir wollen von ſelbigem nur den Anfang an - fuͤhren:

P.
So tritt Herr Grohmann heut auch in Magiſter-Orden.
N.
Ach ja; Nun iſts ein Jahr, als wir gebacken worden.
P.
Doch machen wir auch was nach unſrer Schuldigkeit?
N.
Ein Carmen meynſt du ja? Jch bin darzu bereit.
P.
Was vor Invention wird ſich am beſten ſchicken?
N.
Jch werde meinen Kopff ſchon in die Falten ruͤcken ꝛc. ꝛc.
  • Noch andere Geſpraͤche ſind in eben ſolchem Muſen Cabinet p. 13. 1218. 1221. 1246.

30. Was folgt auf die Spraͤch-Gedichte?

Die Satyriſchen Gedichte, welche auch Straf - Gedichte genennet werden, und beſtehen darinn, wenn man unanſtaͤndige Sachen heimlich, doch er - baulich, und mit dem guten Abſehen durchziehet, da - mit ſolche moͤgen verbeſſert werden. Mit dieſen aber haben die Paſquille nichts zu thun, als welche aus einem uͤbeln Abſehen offtmahls uͤber unſchuldige Leute und deren loͤbliches Verhalten ſchaͤndlicher Weiſe verfertiget werden. Ein Satyriſches Ge - dichte ſoll folgends ſeyn, worinnen ein gelehrterMann91von den Generibus der Verſe. Mann einen naͤrriſchen Buͤcher-Schreiber abgebildet hat.

Matz ſchreibt ein groſſes Buch, in dem kein Witz zu finden,
Und da man keinen Kern, nur lauter Huͤlſen ſieht,
Wie ſchwitzt der Binder doch, wie iſt er doch bemuͤht,
Das Eſels-Werck ja gut in Kalb-Fell einzubinden.
O bind er fuͤr ſein Buch den tollen Schreiber an,
Man bind ihm ſeine Fauſt, daß er nicht ſchreiben kann.

Jngleichen auf einen miſerablen Poêten.

Marculus der Verſe Hencker,
Pritzſchemeiſter, Reimenſchrencker,
Marculus der Muſen-Hohn,
Und der Dichter Huren Sohn,
Miß’t ſein liederlich Gedichte,
Nicht nach Wuͤrden und Gewichte,
Sondern nach der Fuͤſſe Zahl,
Die er dennoch all zumahl
Pflegt mit Zwanck herbey zu holen,
Meynet denn, ſie ſind ſehr ſchoͤn,
Da ſie doch theils barfuß gehn,
Oder auf gefluͤckten Solen.

31. Was kommt nach den Satyriſchen Gedichten?

Die Bilder-Gedichte / ſo die Frantzoſen Ac - colade nennen, da man die Zeilen der Verſe ſo einrich - tet, daß aus deren artigen Setzung die Figur eines Be - chers, Hertzens, Eyes, Creutzes, Baumes, (warum nicht auch eines Affen) und anderer Dinge heraus kommt. Alſo ward einſten Herr Doctor Mayern zu ſeinem Namens-Tage folgender Palm-Baum offe - riret:

Jm92Das IV. Capitul
Jm
Mertzen
da Schmertzen,
des Winters vergehn,
Da liebliche Schnaten
aus gruͤnenden Palmen entſtehn,
und Lorbeern ſich zeigen in Thaten;
Will Echo die Goͤnner mit Anmuth beſtreun,
Die Namen derſelben in Rinden einſchreiben,
ſo keiner Verweſung je unterthan ſeyn,
ſo ſoll auch heut Friederich bleiben.
geaͤtzet,
geſetzet,
in Wonne,
der Sonne,
in Bluͤcke,
von Gluͤcke,
viel Zeiten,
ohn ſtreiten,
Jn gruͤnenden Palmen die niemahls verweſen,
Daß unſere Nachwelt den Namen kan leſen,
Des Maͤyers ſein Nachruhm iſt ewig geneſen.

32. Was iſt nach den Bilder-Gedichten zu be - trachten?

Die Nachtigallen, welches ſolche Verſe ſind, in deren erſten Zeilen etliche Stuͤcke oder Worte einzeln geſetzet, und hernach in den letzten zuſammen gezogen werden. z. e.

Mein Freund, du biſt begluͤckt da dich die Eltern lieben,
Da deine Lehrer dich in guten Kuͤnſten uͤben,
Und deine Goͤnner ſtets auf deine Wohlfahrt ſehn.
Wohl dem, dem ſo, wie dir, mein liebſter Freund, ge -
ſchehn,
Goͤn -93von den Generibus der Verſe.
Goͤnner, Lehrer, Eltern ſind ja diejenigen Perſonen,
Welche Fleiß mit Lob und That, ſchon zu rechter Zeit belohnen.

33. Was folgt auf die Nachtigallen?

Die wiederkehrende Reime, welche darinn be - ſtehen, wenn man einige Zeilen auf einerley Art gerei - met hat, und mit eben ſolchen Reimen die folgenden Zeilen verſiehet, und von hinten zu bis forne zuruͤcke kehret. z. e.

Wenn andre Leute lachen
Und ſich Vergnuͤgung machen,
So muß ich armer wachen,
Doch will ich gerne wachen,
Und nebſt den andern lachen.

34. Was merckt man nach den widerkeh - renden Reimen?

Die Gegen-Tritte, welche auch Wider Tritte genennet werden, und darinn beſtehen, wenn in einer Strophe von 4. Zeilen nur zwey Reime ſind, welche wieder zuruͤck treten. z. e.

Was helffen uns die Grillen?
Die keinen Kummer ſtillen:
Weil ſie nun wenig ſtillen,
So meide man die Grillen.

35. Was iſt nach den Gegen-Tritten zu beobachten?

Das Echo, da entweder in der Mitten, oder am Ende des Verſes, entweder das vorhergehendeWort94Das IV. CapitulWort (welches ein reines Echo heiſſet) widerholet, oder ein gleichlautendes nach geſetzet wird, (welch es ein unreines Echo heiſſet.) Am beſten ſcheinet es wohl zu ſeyn, wenn nicht das gantze Wort, ſondern nur etwas davon, welches jedoch einen rechten Verſtand haben muß, widerholet wird, weil ein Echo eben ſolchen Gebrauch hat. Wir wollen Exempel von jeder Gat - tung anſehen:

Exempel eines unreinen Echo:

Was bringet doch das Hertzen?
Echo: Schmertzen.
Was machen eitle Freuden?
E. Leyden.

Exempel eines reinen Echo:

Biſtu ein Barbar oder Chriſt?
E. Chriſt.
Biſtu ein Feind? Biſtu ein Freund?
E. Freund.

Exempel eines noch reinern Echo:

Biſtu ein Jeſuita?
E. Ita.
Wo wird man dich denn loben?
E. Oben.

Siehe das Muſen-Cabinet p. 1236. 1278.

36. Was folgt auf das Echo?

Die Cabbaliſti ſchen Verſe, welche auch Para - grammata genennet werden, da man einige Woͤrter nach unterſchiedener Cabbala ausrechnet, was vor eine Zahl aus deren Buchſtaben heraus kommet, und hernach andere Worte zuſammen ſuchet, welche eben eine ſolche Zahl ausmachen, doch hat man dieFrey -95von den Generibus der Verſe. Freyheit um einige Zahlen zu fehlen. Die gantze In - vention aber aus dieſem Fundament iſt nichts werth, weil man die edle Zeit mit ſolchen laͤppiſchen und mei - ſtentheils gezwungenen Poſſen zubringet. Nichts de - ſtoweniger wollen wir einige Arten der Cabbala herſe - tzen, und daraus ſehen, was vor mancherley Zahlen die Buchſtaben haben. Wer unnoͤthige Gedult hat, mag Verſe darnach machen.

Cabbala Triangularis.
1.3.6.10.15.21.28.36.
A. B. C. D. E. F. G. H.
45.55.66.78.91.105.120.136.
I. K. L. M. N. O. P. Q.
153.171.190.210.231.253.276.300.
R. S. T. V. W. X. Y. Z.
Cabbala Quadrangularis.
1.4.9.16.25.36.49.64.
A. B. C. D. E. F. G. H.
81.100.121.144.169.196.225.256.
I. K. L. M. N. O. P. Q.
289.324.361.400.441.484.529.576.
R. S. T. V. W. X. Y. Z.
Cabbala Naturalis.
1.2.3.4.5.6.7.8.
A. B. C. D. E. F. G. H.
9.10.20.30.40.50.60.70.
I. K. L. M. N. O. P. Q.
80.90.100.200.300.400.500.600.
R. S. T. V. W. X. Y. Z.
GCabba -96Das IV. Capitul
Cabbala Natur aliſſima ſed minus uſitata.
1.2.3.4.5.6.7.8.
A. B. C. D. E. F. G. H.
9.10.11.12.13.14.15.16.
I. K. L. M. N. O. P. Q.
17.18.19.20.21.22.23.24.
R. S. T. V. W. X. Y. Z.

37. Was iſt nach den Cabbaliſtiſchen Verſen zu mercken?

Der Cubus, da man einen einzigen Vers ſo ſchrei - bet, daß man ihn oben und unten, zur Rechten und zur Lincken, die Quere und die Laͤnge leſen kan. Es be - ruhet aber nur alles auf der Schreib-Art, und wuͤrde ſich einer bey einem klugen Manne ſehr proſtituiren, wenn er mit ſolcher[L]umperey aufgezogen kaͤme. Weßhalben wir uns auch gar nicht dabey verweilen wollen.

38. Was kommt nach dem Cubo?

Das Jrr-Gedichte, ſonſt auch Dithyrambiſche Verſe genannt, da man allerhand Genera, ingleichen kurtze und lange Zeilen unter einander ſetzet, auch die Reime wunderlich unter einander miſchet. z. e.

Armuth iſt ein groſſes Leyden,
Wenn einer keine Gelder hat,
So wird er von andern gar wenig geachtet;
Ein Armer muß faſt immer unten liegen,
Bey Reichen find’t er keine Statt,
Alle Bequemligkeit muß er vermeiden:
Dennoch hat er viel Vergnuͤgen,
Wenn er nur als ein Chriſt nach GOttes Reiche trachtet.
39. Was97von den Generibus der Verſe.

39. Was folgt auf das Jrr-Gedichte?

Die Acroſtecha oder Form-Reime, da aus den An - fangs-Buchſtaben einer jeden Strophe, oder jeden Zei - le in einer Strophe, oder jedes Wortes in einer Zeile ein gewiſſer Name heraus kommt. Wir wollen nur ein Exempel hievon mitnehmen, weil darnach die an - dern Gattungen gar leichte koͤnnen verfertiget werden. Geſetzt ich wolte uͤber das Bekaͤntniß Petri Matth. 16. Du biſt C Hriſtus, des lebendigen GOttes Sohn! Verſe machen, ſo koͤnte ich aus den Anfangs-Buchſta - ben der Zeilen den Namen Petrus folgender Geſtalt heraus bringen:

P reilt Hoͤllen-Pforten weit zuruͤcke,
E s iſt ein Felſen-Zeugniß hier.
T rotz! daß mich eure Staͤrcke druͤcke:
R aſt, wie ihr wolt, was ſchadets mir?
V on JESU ſolches Zeugniß geben,
S chafft warlich ein erwuͤnſchtes Leben.

40. Was iſt nach den Acroſtichis zu be - trachten?

Die Chronodiſticha oder Zahl-Verſe, da man in einem Verſe eine gewiſſe Zahl heraus bringet. Es bedeuten aber nicht alle, ſondern nur folgende Buchſtaben eine gewiſſe Zahl, nemlich I. bedeutet 1. V. bedeutet 5. X. bedeutet 10. L. 50. C. 100. D. 500. M. 1000. Und da kan man gleichlautende Buchſta - ben als I. und Y. D. und T. mit einander verwechſeln. z. e.

Die Zeit der Belagerung, welche WallenſteinG 2Anno98Das IV. Capitulanno 1628. wider die Stadt Stralſund vorgenommen, ſtehet in folgenden Worten:

BLeIb beI Vns, Denn es VVIL AbenD VVerDen.

Anno 1603. brannte die Stadt Greiffenberck ab, und dieſe Jahrzahl ſtehet in folgender Zeile:

AM PfIngſt DIenſtage brannte GreIffenbergCk ab.

Anno 1610. brannte die Stadt Glogau ab, welches Jahr in dieſen Worten enthalten iſt:

M[e]Lzer zVnDet GLogaV an.

41. Was folgt auf die Chronodiſticha?

Die Anagrammata, oder Buchſtaben-Wechſel, wenn man die Buchſtaben einiger Worte umſetzet, und andere Worte heraus bringet, welche hernach zu eini - gen Gedancken, auch wohl gantzen Gedichten gute Ge - legenheit geben. Hiebey aber iſt dieſes zu mercken, es muͤſſen die Worte, ſo man aus andern heraus bringet, auch einen rechten Verſtand haben und nachſinnlich ſeyn; Ferner muß man nicht nach Belieben Buchſta - ben auslaſſen oder hinzu ſetzen; Jedoch ſtehet es frey, daß man gleichlautende Buchſtaben an die Stelle der andern ſetze. z. e. Vor ein K. ein C. und vor ein C. ein K. vor ein D. ein T. vor Qw. das Kw. vor Cs. das Ks. und X. vor ein doppelt I. ein Y. und vor ein Y. ein doppelt I. vor ein Ch. ein K. vor ein W. ein doppelt V. Alſo kommt aus:

AbendBaden.
BaurRaub.
BernhardusBruder Hans.
DameMade
DienerNeider.
EhreRehe.
ErdeRede
Fehlen.Flehen.
FreyenEyfern.Feyren.
FurchtFrucht.
GaſtereyReyſetag.
GewaltAltweg.
KeuterlingEin gut Kerl.
LebenNebel.
LiebBeil.
NothThon.
RegenGerne.
SchifFiſch.
SchlafFalſch.
SchneiderSchindere.
SeelEſel.
TugendGut End.
UhrRuh.
WinterNi trew.

Wer nun aus ſolchen Anagrammatibus will Verſe machen, dem wird es gar eine leichte Muͤhe geben. z. e.

Das Leben iſt, und bleibt ein Nebel, es vergehet,
Gantz unvermerckt, und faͤllt, wenn es am beſten ſtehet.

42. Was kommt nach den Anagramma - tibus?

Die Krebs-Reime oder Ruͤcklinge, da man die Zeilen auch zuruͤcke leſen kan, ſo, daß bisweilen ein gantz anderer Verſtand heraus kommet. Dieſe Manier aber gehet auf zweyerley Art an:

G 3I. Da100Das IV. Capitul
  • I. Da man die gantzen Worte unveraͤndert zuruͤcke lieſet. Alſo machte ein Gefangener auf Pabſt Pium II. folgendes Epigramma:
Laus tua, non tua Fraus, virtus, non copia rerum
Scandere te fecit hoc decus eximium.

Wenn ſolches zuruͤcke geleſen wird, ſo hat es einen gantz andern Verſtand und lautet alſo:

Eximium decus hoc fecit te ſcandere rerum
Copia, non virtus, fraus tua, non tua laus.
  • II. Da man gar alle Buchſtaben zuruͤcke leſen kan; dergleichen Schrifft ward von einem ſinnrei - chen Engelaͤnder gemacht, als der Hertzog von Monmouth An. 1685. war enthauptet worden, und beſtehet ſolche in folgenden Worten:
Sa[t]ſe jam erutam tenet mature majeſtas,

Gleich wie nun ſolches im Lateiniſchen angehet, alſo ge - het es auch im Teutſchen an, wiewohl es darinnen faſt noch mehr Muͤhe zu koſten ſcheinet.

43. Was folget nach den Krebs-Reimen?

Die Frag-Reime da das gantze Gedichte in Fra - gen und Antwort beruhet. z. e.

Was iſt ein Muſen-Sohn? Ein allerliebſt es Bild.
Worinn beſteht ſein Thun? Er treibt, was Seelen fuͤllt.
Was macht er Tag und Nacht? Er denckt auf ſein Studieren.
Was hat er denn davon? Er kan einſt promoviren.

44. Was iſt nach den Frag-Reimen zu wiſſen?

Die Ketten-Reime welche deswegen alſo ge - nennet werden, weil ſie durch ihre Reime die Stro -phen,101von den Generibus der Verſe. phen, als wie die Glieder eine Kette, zuſammen hal - ten. Sie werden aber auf unterſchiedene Art gema - chet, als:

  • I. Wenn ſich der folgende Vers mit eben dem Wor - te anfaͤnget, mit welchem ſich der vorhergehende geendiget hat. z. e.
Venus deine ſtarcke Macht
Macht, daß Hertz und Lippe lacht;
Lachtman gleich, doch muß man ſorgen,
Sorgen muß man bis zum Morgen,
Morgen iſt ſo manche Noth,
Noth und Angſt iſt unſer Brod.
  • II. Wenn der Ausgang des vorhergehenden Ver - ſes ſich mit dem Anfange des folgenden reimet. Alſo koͤnte man in einen Pathen-Zettul dieſes ſchreiben:
JEſus ſoll dein Morgen-Stern, liebſter Pathe, ſtets ver -
bleiben,
Treiben laß dich nichts von dem, der dich kan zum Himmel
ſchreiben.
Reiben ſich die Feind an dich, o dein JEſus iſt dein Kleid.
Leyd und Suͤnde deckt er zu: Der ſey deine Seeligkeit.
  • III. Wenn ſich der Anfang des vorhergehenden und der Ausgang des folgenden Verſes mit einan - der reimen. z. e.
Meide doch den Muͤßiggang
Denn er bringt nicht wahre Freude;
Buhle ja nicht allzuſehr,
Sondern halt dich fein zur Schule.
G 4IV. Wenn102Das IV. Capitul
  • IV. Wenn ſich der Anfang und das Ende in einer Zei - le, und hernach das Mittel in beyden Zeilen mit einander reimen. z. e.
Liebe dringt durch Marck und Bein, denn ſie wirckt mit ſtil -
lem Triebe,
Hertzen muͤſſen ſteinern ſeyn, ſoll ſie dieſes Feu’r nicht
ſchmertzen.

45. Was kommt nach den Ketten-Rei - men vor?

Die Klapp-Reime, wenn ſich der Anfang und das Ende der Zeilen mit einander reimen. z. e.

Mercke dir die Artzeney, denn ſie dient zur Leibes-Staͤrcke. Man ſiehet aber wohl, daß dieſe mit den Ketten-Rei - men eine groſſe Verwandniß haben.

46. Was folgt auf die Klapp-Reime?

Die Tritt-Reime, da das erſte Wort der vorher - gehenden Zeile ſich auf das erſte Wort der folgenden Zeile, das andere auf das andere, und ſo fort, beziehet. Die erſte Zeile wird der Vortritt, die andere der Nachtritt, und die Woͤrter ſelbſt die Abtritte oder Stuffen genennet. Alſo ſtelzet an dem Leibzigiſchen Rathhauſe inwendig uͤber der Thuͤre zum groſſen Sa - le folgendes Diſtichon:

Hæt domus odit. | amat. | punit. | conſervat. | bonorat.
Nequitiam. | pacem. | crimina. | jura. | probat.

47. Was iſt nach den Tritt-Reimen zu mercken?

Die103von den Generibus der Verſe.

Die Stickel-Gebaͤude, da man aus anderer Poë - ten Schrifften halbe und gantze Zeilen, auch wohl gan - tze Strophen entlehnet, und daraus ein Gedichte zu - ſammen ſticket. Man kan aber leichte dencken, was manchmahl vor eine ſchoͤne Connexion unter ſolchen zuſammen geſtoppelten Verſen ſeyn muͤſſe. Und wer ein freyes Gemuͤthe hat, dem wird ſolche langwierige Arbeit und ſchaͤndliche Sclaverey nimmermehr an - ſtehen.

48. Was hat man nach den Stickel-Gebaͤu - den zu beobachten?

Die Imitationes auf die Lateiniſchen Genera, da man eben ſo viel und eben ſolche Pedes in Teutſchen Verſen machet, als in dem Lateiniſchen Genere enthal - ten ſind. z. e.

In Genere Elegiaco.
Lachet ihr Liebgen ſein luſtig und ſchlafet fein lange beyſammen,
Kuͤſſet und labet euch wohl, dencket an keine Gefahr;
Streitet im Lieben, und mehret durch Hertzen die lieblichen Flam -
men,
Bringet was junges hervor, bleibet ein froͤliches Paar.

Wem es beliebet, der kan ſeine Teutſchen Verſe auch nach den uͤbrigen Generibus der Lateiniſchen Verſe ein - richten: Allein die rechte Warheit zu ſagen, ſo wird er mit allen ſolchen Imirationen wenig Vergnuͤgung er - wecken, weil ſolche Artin den Teutſchen Verſen gar gezwungen heraus kommt.

Der uͤberfluͤßige Fleiß mancher Leute weiß noch viel andere Genera von Teutſchen Verſen herzuzeh - len: Allein, wenn man dieſelben beym Lichte beſie -G 5het,104Das V. Capitulhet, ſo ſind ſie entweder nichts nuͤtze, oder gehoͤren doch zu den bereits erzehlten Generibus. Wer eine gute Methode beobachten will, der muß ſich unter andern auch dieſe Regul wohl laſſen recommendiret ſeyn: En - tia præter neceſſitatem non ſunt multiplicanda. Weil wir nun uͤber diß beſorgen, es werde manchem Leſer die Zeit auch nur bey angefuͤhrten Generibus ziemlich lange werden: Als beſchlieſſen wie dieſes Stuͤcke und be - trachten nunmehro

Das V. Capitul Von der Invention.

1. Was wird in dieſem Capitul vor - kommen?

Wir werden darinnen hoͤren / wie man etwas ange - nehmes zu ſeinem Carmine erfinden ſolle.

2. Wodurch kan man aber zu einer artigen Invention gebracht werden?

Es geſchiehet ſolches auf zweyerley Art

  • 1. Unmittelbar oder ohne Huͤlffs-Mittel.
  • 2. Mittelbar oder durch die Huͤlffs-Mittel.

3. Wie kan ich denn etwas unmittelbar er finden?

Es heiſt ſolches eigentlich gar keine Erfindung, weil man ſich nicht auf eine gewiſſe Materie gruͤn - det, ſondern nur vielerley Umſtaͤnde beruͤhret, wel - che an den Perſonen, auf welche ein Carmen ge -macht105von der Invention. macht wird, angetroffen werden. Auf ſolche Art ver - fertigte ich einſten ein Begraͤbniß-Carmen auf die Frau Schubartin, gebohrne von Hardtmannin, wel - ches ſich alſo verhielt:

1.
So reißt der Himmel etwas ein,
Das er doch ſelbſt ſo wohl gebauet,
Wer die Frau Schubartin beſchauet,
Wird willig dieſer Meynung ſeyn:
Sie ſey ein Meiſterſtuͤck geweſen,
Woraus man GOttes Kunſt geleſen.
2.
Sie war von herrlicher Statur
Von ſonderbaren Schoͤnheits-Gaben,
Die viel an ihr bewundert haben;
Wie angenehm war die Figur?
So ſich in Jhren Minen zeigte,
Und aller Augen zu ſich neigte.
3.
Der aufgeweckete Verſtand
Ließ ſich in allen Worten ſpuͤren,
Die Noth muſt alle Krafft verlieren,
Weil ſich in Jhr viel Muth befand:
Jedoch ich mag nicht alles ſagen,
Der Neid kan ſolches nicht vertragen.
4.
Mein GOtt, wie iſts? gereut dichs nicht?
Solch herrlich Kunſt, Werck zu zerſtuͤcken,
Und ſo gar bald ins Grab zu ſchicken:
Denn dieſer ſchoͤne Leib zerbricht,
Da er nur zwantzig Jahr gegruͤnet,
Und deinem Ruhme ſelbſt gedienet.
5. Allein106Das V. Capitul
5.
Allein dein Thun iſt lobens-werth,
Du biſt der Weiſeſte vor allen,
Dein Weg muß aller Welt gefallen,
Denn was dein Weiſer Schluß begehrt,
Das macht zwar anfangs ſehr betruͤbet,
Doch ſieht man, daß es Nutzen giebet.
6.
Du zeigſt uns deine Wunder-Hand,
Doch nur ſo lang, als dirs beliebet,
Denn was uns deine Guͤte giebet,
Jſt nur ein bloſſes Unterpfand,
Das wir dir muͤſſen wiedergeben,
Und noch dabey gelaſſen leben.
7.
So nímm demnach den edlen Geiſt
Zu dir in deine Himmels-Freuden,
Muß er gleich von dem Leibe ſcheiden,
So weiß man doch, daß du verheißt;
Die Todten ſollen einſt erwachen,
Und dir nebſt uns viel Freude machen.
8.
Troͤſt alle, ſo betruͤbet ſind,
Gieb ihnen dieſes zu erkennen,
Daß ſie ſich deine Kinder nennen,
Bey welchen das Gefallen findt,
Was du, als Vater, auferleget,
Ob ſich gleich mancher Kummer reget.
9.
Uns alle lehret dieſer Todt:
Man ſolle nicht der Jugend trauen,
Noch auf die Leibes-Schoͤnheit bauen,
Denn beydes iſt nicht ohne Noth;
Wer Muth und Krafft beſitzt, der wiſſe,
Daß endlich beydes fallen muͤſſe.
Siehet107von der Invention.

Siehet man dieſes Carmen genau an, ſo haͤtte ich al - lerdings mehr Umſtaͤnde an der Verſtorbenen antref - fen und mitnehmen koͤnnen, weil aber ſolches nicht ge - ſchehen iſt / ſo habe ich blos auf die Schoͤnheit, galante Statur, Manierlichkeit in Geberden, Klugheit und Großmuͤthigkeit der Verſtorbenen geſehen. Und weil ich GOtt vor den Urheber aller dieſer Gaben billig er - kennet habe, ſo habe ich gleichſam eine Objection ge - macht, ob auch GOtt ſein eigenes ſchoͤnes Werck, wor - aus man ſeine Weißheit geſehen und ihn davor geehret, ohne Reue habe ſo zeitig verderben koͤnnen. Wor - auf ich aber geantwortet, und zwar aus drey Gruͤn - den: 1.) Weil GOtt in allen ſeinen Thaten nach ſei - ner Weißheit verfahre. 2.) Weil er uͤber alles, was er den Menſchen giebet, eine freye Herrſchafft behal - ten / und ſolches nach ſeinem Gefallen wiedernehmen koͤnne, ſo, daß die Menſchen mit ſeinem Verfahren zufrieden ſeyn muͤſſen. 3.) Weil alles, was GOtt thut, nuͤtzlich ſey. Hierauf habe ich GOtt die Seele uͤberlaſſen, auf des Leibes Auferſtehung geſehen, die Leidtragenden getroͤſtet, und die jungen, ſchoͤnen, ſtar - cken und muthigen Leute von der Sicherheit abge - mahnet.

4. Wie kan ich denn ſonſt bey dieſer Manier verfahren?

Jch kan hiebey zweyerley Arten gebrauchen:

I. Da108Das V. Capitul
  • I. Da ich blos die Umſtaͤnde von der Perſon, ohne Ju - dicia und Meditationes, und ſolcher Geſtalt nur als Hiſtoriſch durchfuͤhre. z. e. Wolte man auf den Tod des ſeel. Hrn. Samuel von Pu - fendorff ein Carmen machen, ſo duͤrffte man nur auf folgende Umſtaͤnde ſehen. Der Herr von Pufendorff war
    • 1.) Grundgelehrt, welches man aus ſeinen Di - ſcurſen und Schrifften abnehmen kunte.
    • 2.) Fromm, welches ſein Leben und Abſehen in ſei - nen Schrifften bezeuget.
    • 3.) Schoͤn, weil er eine anſehnliche Perſon præ - ſentirte und eine vortreffliche Phyſiognomie hatte.
    • 4.) Fleißig, dieſes hat er auf Schulen und Univer - ſitaͤten, bey ſeinen Profeſſionen, am Hofe und im Buͤcher-ſchreiben ſattſam erwieſen.
    • 5.) Beruͤhmt, wegen ſeiner Schrifften, welche von Gelehrten und groſſen Politicis, auch ho - hen Potentaten uͤberall gar ſehr æſtimiret wer - den.
    • 6.) Geehrt, indem er zu vielen vornehmen Aem - tern befoͤrdert, und vom Koͤnige in Schweden gar baroniſiret worden.
    Wer Luſt hat, kan ohne groſſe Muͤhe noch viel an - dere Umſtaͤnde zuſammen bringen. Wem derglei - chen Manier beliebet, daß er ſeine Poëtiſche Arbeit auf bloſſe Umſtaͤnde gruͤndet, der muß ſein Carmen durch galante Expreſſiones in allen Redens-Artenzu109von der Invention. zu recommendiren wiſſen, weil ſonſt die bloſſe Hiſtori - ſche Erzehlung gar zu kahl ausſehen wuͤrde.
  • II. Da ich zu den Umſtaͤnden allerhand Meditationes und Ampliſicationes ſetze. z. e. Bey vorigem Caſu. Pufendorff war
    • 1.) Grundgelehrt. Meditatio: Man hat einen Uberfluß und doch auch einen Mangel an ge - lehrten Leuten. Denn es nennen ſich viele ge - lehrt, und gleichwohl ſind die wenigſten mit ei - ner gruͤndlichen Gelehrſamkeit verſehen.
    • 2.) Fromm. Amplificatio a Simili: Gelehrſam - keit ohne Froͤmmigkeit iſt ein Mond, der zwar Licht, aber keine Waͤrme giebet.
    • 3.) Schoͤn. Medit. Mancher iſt ſehr gelehrt und doch nicht beliebt, weil ihm das aͤuſſerliche An - ſehen fehlet.
    • 4.) Fleißig. Medit. Ein Studierender arbei - tet begierig, ob er gleich nicht bald eine Beloh - nung ſehen kan; Endlich aber kommt der Lohn, als Hochachtung, Amt und Einnahme mit reichem Maſſe.
    • 5.) Beruͤhmt.
      • 1.) Meditatio: Es iſt ein artig Ding mit einem Gelehrten; Er kommt offt nicht aus der Stelle, und wird doch durch die gantze Welt bekannt.
      • 2.) Amplific〈…〉〈…〉 a Simili: Ein Feuer wird auch in der Ferne geſe - hen.
    6.) Ge -110Das V. Capitul
    • 6.) Geehrt.
      • 1.) Meditat. Manche Menſchen ſe - hen die Gelehrten nicht gerne uͤber die Achſeln an: Allein es finden ſich auch andere, auch wohl gar hohe Potentaten, welche ihre Qua - litaͤten zu æſtimiren und zu ehren wiſſen.
      • 2.) Amplif. ab Exemplo: Kaͤyſer Au - guſtus reſpectirte die Poëten und Philoſophos gar hoch.

Es dencke niemand, als ob man in der Praxi bey allen Umſtaͤnden dergleichen Meditationes und Ampli - ficationes ſetzen muͤſſe. Keines weges: Denn ſolches wuͤrde bisweilen ziemlich alber und gezwungen her - aus kommen. Gegenwaͤrtige Arbeit iſt nur zum Un - terricht abgefaſſet worden, daß man daraus die vorge - ſchlagene Manier deſto deutlicher ſehen koͤnne. Her - nach wenn man dergleichen Meditationes und Ampli - ficationes anwendet, muß die Elocution fein argut ge - machet werden.

5. Wie kan man ſich bey dieſer Art im Vor - trage verhalten?

Es kan entweder der Poëte ſelbſt den Vortrag thun, oder er kan durch eine Proſopopœiam die Fama, ein Land, eine Stadt, ein Haus, einen Fluß, einen Garten ꝛc. re - dend einfuͤhren. Solcher geſtalt ließ ſichs gar wohl hoͤ - ren, als anno 1702. bey dem Begraͤbniß Herr Guldens, vornehmen Handelsmann zu Leipzig, deſſen Garten folgender maſſen klagend eingefuͤhret ward:

Jch111von der Invention.
Jch Ungluͤckſeligſter! wie wechſelt doch mein Gluͤcke?
Vor kurtzem gab es mir die angenehmſten Blicke;
Jetzt kehret es ſich weg, und ſiehet ſauer aus,
An ſtatt des Gartens bin ich nun ein Trauer-Haus.
Mein Gulden faͤllt in mir! Mein Gulden, mein Beſitzer,
Mein Bau-Herr, meine Luſt, mein Troſt und mein Beſchuͤtzer,
Ach! dieſer werthe Mann wird durch den Schlag geruͤhrt,
Und als ein Sterbender aus mir zur Stadt gefuͤhrt.
Der Fall erſchrecket mich, mein Boden wird erſchuͤttert,
Ein jedes Graͤßgen wanckt, ein jeder Baum erzittert:
Doch diß iſt nicht genung; die Zeitung kommt herbey,
Daß mein getreues Haupt auch gar geſtorben ſey.
D Schmertzens-volles Wort! Mein Gulden iſt erblaſſet,
Der, welchen ich ſo offt in meinem Zaun umfaſſet,
Den ich nach vieler Laſt durch meine Frucht erquíckt,
Und mit vergnuͤgtem Geiſt in ſeine Stadt geſchickt.
Mein Herr beſuchet mich, ich will ihn auch vergnuͤgen,
Doch ehe man es merckt, muß er zu Boden liegen:
Jch bin nicht Schuld daran! Der Himmel ſtuͤrmt herein,
Und mein Beſitzer ſoll hinfort nicht bey mir ſeyn.
Der Schluß verbindet mich zu einem Stilleſchweigen,
Jch will auch ſolches thun: Doch wird mein Aublick zeigen,
Wie wehe mir geſchehn. Mein Leben faͤllt dahin,
Dieweil ich meines Herrn ſo ſchnell beraubet bin.
Mein Kreyß wird kuͤnfftig nichts, als nur Cypreſſen hegen,
Der gantze Blumen Schmuck wird ſich zur Erdelegen;
Ein jeder Baum verdorrt, wirfft Frucht und Blaͤtter ab,
Und was gelebet hat, begiebet ſich ins Grab.
Kein Vogel ſoll hinfort in meinen Graͤntzen ſingen,
Die Todtenfarbe wird aus allen Zweigen dringen;
Mein Luſt-Haus ſoll nunmehr betruͤbt und wuͤſte ſtehn,
Herr Guldens Garten wird in tieffſter Trauer gehn.
Jch werde meinen Schmertz bey jedermann entdecken,
Und einen Trauer-Brieff an meine Thuͤre ſtecken,
Worauf die Worte ſtehn; Die Herrlichkeit iſt aus,
Mein Herr iſt nicht mehr da, ich bin ein Trauer-Haus.
HAlſo112Das V. Capitul

Alſo wurde Anno 1705. und 1706. die Preuſſenſche Krone redend eingefuͤhret, ſiche das Muſen-Cabinet p. 211. und 593.

6. Gnug von der unmittelbaren Erfindung: Wie kan ich denn etwas mittelbar erfinden?

Es geſchiehet ſolches durch Huͤlffe der Locorum Topicorum, da ich die Perſonen, auf welche ein Car - men ſoll gemachet werden, nach denenſelben durchfuͤh - re. Wer ſich nicht nach den Locis Topicis richten will, der halte ſich an den Vers: Quis, quid, ubi, quibus auxiliis, cur, quomodo, quando? Was aber ein jed - weder Locus Topicus in ſich halte, das muß man aus der Oratorie vorher wiſſen. Wir wollen dieſe Locos kurtz durchgehen, und ſehen, auf was vor Inventionen man durch dieſelben gebracht werde.

1. Eocus Notationis.

Bey dem Sinner - und Guldiſchen Hochzeit-Feſte in Leipzig wurde der Wettſtreit der Sinnen vorge - ſtellet.

2. Locus Deſcriptionis.

Da koͤnte bey einer Leiche die Beſchreibung des To - des unterſuchet werden: Ob er denn das aller - ſchrecklichſte unter allen Sachen ſey.

3. Locus Generis.

Alſo ward bey der Hilſcher - und Lehmanniſchen Hochzeit die Vortrefflichkeit der Redner vorge -ſtel -113von der Invention. ſtellet. (Denn der Herr M. Hilſcher, Diaconus in Alt - Dreßden iſt eine Species von Rednern.)

4. Locus Specierum.

Als Herr George Winckler, Baumeiſter zu Leip - zig, ſeinen aͤlteſten Sohn beerdigen ließ, ward von zwey vornehmen Perſonen der geſtiegene Haͤuſer - und ge - fallene Leibes-Bau vorgeſtellet. (Denn der Haͤu - ſer - und Leibes-Bau ſind Species vom Bauen.)

vid. Muſen-Cabinet p. 557.

5. Locus Totius.

Als Herr Johann Chriſtoph Olearius Anno 1698. zu Leipzig Magiſter wurde, ſtellete eine gewiſſe Perſon den um die ſchoͤne Sophia viele Jahre dienenden Studenten vor. (Denn ein Studente iſt reſpectu des Herrn M. Olearii, ein Totum, nemlich Univer - ſale.)

6. Locus Partium.

Als Herr Samuel Barthel Anno 1698. zu Leipzig Magiſter wurde, fuͤhrete eine gewiſſe Compagnie die in den Studenten-Jahren ſich befindliche Ver - gnuͤgung aus. (Denn die Vergnuͤgung iſt nur ein Pars von den Studenten-Jahren.)

vid. Muſen-Cabinet p. 830.

7. Locus Cauſœ Efficientis.

Alſo wurden bey der Promotion eines gewiſſen Freundes die Motiv en zum eifrigen Studieren durch - gefuͤhret.

8. Locus Cauſæ Materialis.

H 21. Ma -114Das V. Capitul

1. Materiæ in Qua ſive Subjecti.

Bey der Pipping - und Seligmanniſchen Verehli - gung An. 1700. ward von der Leipzigiſchen vertrauten Teutſchen Redner-Geſellſchafft eine neue vertraute Redner-Geſellſchafft vorgeſtellet. (Denn die ge - dachte Leipzigiſche Redner-Geſellſchafft war das Sub - jectum, ſo dieſes Carmen offerirte. ) vid. Muſen-Cabi - net p. 59.

2. Materiæ Circa Quam ſive Objecti.

Alſo ward bey der Beerdigung eines gelehrten Stu - dioſi das Buch des Lebens vorgeſtellet. (Denn die Buͤcher ſind Objecta der Studenten.)

9. Locus Cauſœ Formalis.

Bey der Beerdigung Herrn Baumeiſter Heylan - des zu Leipzig ward der wohlgefuͤhrte Seelen-Bau vorgeſtellet. (Denn das Bauen iſt die Forma eines Baumeiſters.)

10. Locus Cauſœ Finalis.

Bey einer gewiſſen Promotion ward die ruͤhm - lich-erlangte Ehren-Crone vorgeſtellet. (Denn auf die Ehre pflegt ein jedweder renommirter Studente zu ſehen.)

11. Locus Effectorum.

Als ein werther Freund in ein anſehnliches Amt be - foͤrdert ward, ſtellete einer den wohlbelohnten Fleiß vor. (Denn der Lohn iſt ein Effectus des Fleiſſes.)

12. Locus Circumſtantiarum.

1.) Loci.

Als Anno 1700. Herr Valentin Alberti zu Leipzig Magiſter ward, betrachtete deſſen Stuben-Nachbardie115von der Invention. die angenehme Stuben-Nachbarſchafft in den Studenten-Jahren.

2.) Temporis.

Als An. 1698. Herr Andreas Chriſtophorus Calvi - ſius zu Leipzig Magiſter wurde, handelten zwey gute Freunde den Krieg und den darauf erfolgten Friedens-Schluß zwiſchen der Philoſophie und Pedanterie ab. (Denn kurtz vorher 1697. ward der Ryswickiſche und 1698. der Carlowitziſche Friede ge - ſchloſſen.)

13. Locus Adjunctorum.

An dem Hochzeit-Feſte eines gewiſſen Schulmanns Anno 1697. wurde der muͤhſame, doch dabey ver - gnuͤgte Schulmann vorgeſtellet. (Denn Muͤhe und Vergnuͤgung ſind Adjuncta von einem Schul - manne, wiewohl ſich das erſte oͤffter bey ihm einſtellet, als das andere.)

14. Locus Comparatorum & Contrariorum.

Als Anno 1701. Monſieur Ryſſel, verlobter Braͤu - tigam der Jgf. Zollerin in Leipzig beerdiget wurde, ſtellete eine gewiſſe Perſon das verſtimmete Lau - ten-Spiel der uͤber Jhren allzufruͤh verſtorbe - nen Ryſillo ſchmertzlich betruͤbten Mariane vor. (Denn die Einigkeit verlobter Gemuͤther iſt einem wohl - klingenden Lauten-Spiele gleich, und durch die Tren - nung wird ſolches Lauten-Spiel verſtimmet.)

15. Locus Exemplorum.

Bey der Beerdigung Herrn Buͤrgermeiſter Falck - ners zu Leipzig Anno 1703. ward der Leipzigiſche Mo - ſes und Atlas durchgefuͤhret.

H 3Das116Das VI. Capitul

Das VI. Capitul Von der Diſpoſition.

1. Wie wird ein Carmen diſponiret?

Es kan ſolches auf unterſchiedliche Art geſchehen, und wollen wir eine jede Gattung in abſonderlichen Fragen betrachten.

2. Welches iſt die erſte Gattung zu diſponiren?

Da man immer eine Propoſition nach der andern durchfuͤhret, doch muß auch unter denſelben eine fei - ne Connexion, daß eine aus der andern flieſſe, beob - achtet werden. Und bey dieſer, wie auch bey allen andern Gattungen kan man im Anfange eine kleine Formulam Initialem und am Ende eine Formulam Finalem ſetzen. z. e. Wenn ein Studioſus ſeinem ge - weſenen Schul-Lehrer ein Hochzeit-Carmen machen wolte, ſo koͤnte er dazu folgende Propoſitiones oder Theſes nebſt gedachter Formula Initiali und Finali ge - brauchen.

  • Formula Initialis. Mein Lehrer, nimm dieſes Carmen geneigt auf.
  • Theſis.
    • 1. Jch bin dir ſehr verbunden.
    • 2. Denn du haſt mich wohl informiret und zu allem Guten angewieſen.
    • 3. Du haſt dich auch meiner leiblichen Wohl - fart angenommen.
    • 117
    • 4. Du haſt mich den Profeſſoribus auf Uni - verſitaͤten recommendiret.
    • 5. Du ſorgeſt noch jetzo vor mein Gluͤck.
    • 6. Nimm vor dieſes alles meinen Danck, mein Gebet, meinen Gehorſam an.
    • 7. Abſonderlich wuͤnſche ich, daß deine Ehe moͤge geſegnet ſeyn.
    • 8. GOtt ſegne ferner deine Verrichtungen bey der Jugend.
  • Formula Finalis. Laß dir noch weiter meine Wohl - fart anbefohlen ſeyn.

Wenn man nun ſolche Theſes mit feinen Meditatio - nen, auch andern Amplificationen verſiehet, und ma - nierlich ausredet, ſo wird das Carmen gar ein gutes An - ſehen gewinnen.

3. Welches iſt die andere Gattung zu diſponiren?

Da man einen Syllogiſmum zur Diſpoſition an - wendet. Die Concluſion haͤlt allemahlmein Haupt - Werck in ſich, da ich entweder gratulire oder condo - lire. z. e. Jch gratuli re zur Hoch zeit. Die Minor Propoſitio haͤlt eine Ætiologie in ſich, welche ſaget, warum dieſe Concluſion ſtatt finde. z. e. Bey ge - dachter Concluſion waͤre dieſes die Minor: Sie ſind mein Patron. Und bey ſolcher Minori haͤlt man ſich am laͤngſten auf, weil darinnen die vornehmſten und ſpecialeſten Sachen vorkommen. Man pfleget auch in derſelben nicht nur eine, ſondern viel Urſachen an - zufuͤhren. z. e. Gedachter Minor waͤre gleichſamH 4eine118Das VI. Capituleine neue Theſis, und wuͤrde alſo bewieſen und ausge - fuͤhret: 1) Sie haben mich in ihr Haus und an ihren Tiſch genommen. 2.) Sie haben mich mit Kleidern verſorget. 3.) Sie haben mir viel Ge - ſchencke gegeben. 4.) Sie haben mich auch an - dern Leuten recommendi ret. 5.) Sie haben rech - te Vater-Stelle vertreten. Die Major Propoſi - tio haͤlt einen generalen Ausſpruch, oder ein Geſetze in ſich, worunter der Minor enthalten iſt. z. e. Bey ge - dachtem Falle: Wenn ein Patron Hochzeit machet, ſo muß ein Client darzu gratuli ren. Bey ſolcher Majori kan man ſich lange oder kuͤrtzlich aufhalten; Lange, wenn man eine Theſin weitlaͤufftig ausfuͤh - ren will; Kuͤrtzlich, wenn man die Hypotheſin recht bedencken will. Solcher Geſtalt wuͤrde die Diſpoſi - tion durch einen Syllogiſmum folgende ſeyn.

  • Major. Wenn ein Patron Hochzeit machet, ſo muß ein Client darzu gratuliren.
  • Minor. Da muß ich gleichſam zwey Theſes ma - chen.
    • 1. Sie ſind mein Patron. Welches durch folgen - de Stuͤcke bewieſen wird.
      • 1.) Sie haben mich in ihr Haus und an ihren Tiſch genommen.
      • 2.) Sie haben mich mit Kleidern verſorget.
      • 3.) Sie haben mir viel Geſchencke gegeben.
      • 4.) Sie haben mich auch andern Leuten recom - mendiret.
      • 5.) Sie haben rechte Vater-Stelle vertreten.
    2. Sie119von der Diſpoſition.
    • 2. Siemachen anjetzo Hochzeit. Da koͤnte man zeigen, wie wohl dieſe Heyrath getroffen ſey, wie die Braut und ihre Familie beſchaf - fen ꝛc.
  • Concluſio. Deßwegen gratulire ich zu dieſer Hochzeit.

Da ſetzet man nun einen Wunſch dazu.

Wer Luſt hat, kan ſolche drey Propoſitiones nach der Oratoriſchen Anweiſung auf allerhand Art verſe - tzen.

Die Diſpoſition durch einen Syllogiſmum laͤſſet ſich auch anwenden, wenn man eine gewiſſe Invention, nach den Locis Topicis erfunden, durchfuͤhren will. z. e. Wenn einer um Pfingſten Hochzeit machte, ſo koͤnte man e Loco Circumſtantiarum und zwar Tem - poris, ingleichen e Loco Adjunctorum und Comparato - rum: Die ſchoͤne Pfingſt-Roſe abhandeln. Und waͤre die Diſpoſition folgende:

  • Minor. Er bekommt anjetzo eine ſchoͤne Pfingſt-Roſe. Da muͤſten die Qualitaͤten der Braut mit den Adjunctis der Roſe manierlich vergli - chen werden.
  • Major. Wer aber eine ſchoͤne Pfingſt-Roſe bekommt, dem gratuliret man darzu. Da muͤſte man ſich ein wenig dabey aufhalten, wie ange - nehm die pfingſt-Roſen ſeyn.
  • Concluſio. Deßwegen gratulire ich darzu, und wuͤn - ſche, daß ſie ſtets moͤge guten Geruch von ſich geben.
H 54. Wel -120Das VI. Capitul

4. Welches iſt die dritte Gattung zu diſponiren?

Da man durch eine Chrie diſponiret, und zwar ſo wohldurch eine Chriam Ordinatam, als Inverſam.

5. Wie gehet die Diſpoſition durch eine Chriam Ordinatam an?

Wer die Oratorie verſtehet, dem wird ſolches nicht ſchwer fallen; anjetzo mercken wir nur ſo viel davon: Man mache ſich eine richtige Theſin, probire und am - plificire hernach dieſelbe. z. e. Auf den Tod einer ge - liebten Ehefrau:

  • Theſis. Der Tod ſeiner Ehe-Liebſten betruͤbet mich.
    • Ætiologia 1. Denn ſie war eine qualificirte Perſon.
      • Amplificatio a Simili. Es betruͤbet einen, wenn ei - ne ſchoͤne Blume verwelcket.
      • Amplificatio a Loco Communi vel Chria Acceſſo - ria, ubi
        • 1) Protaſis. Eine qualificirte Frauens-Per - ſon kommt mit einer Blume in vielen Stuͤcken uͤberein.
        • 2) Probatio. Denn man findet an ihr ſchoͤ - ne und mancherley Farben, wie auch ei - nen angenehmen Geruch, welches ihre Froͤmmigkeit, Keuſchheit, Sittſamkeit und Manierlichkeit iſt.
        • 3) Amplif. a Contrario. Manche Frauens - Perſon hat weder Geruch noch Farbe.
    Ætiolo -121von der Diſpoſition.
    • Ætiologia 2. Denn er hat dieſelbe hertzlich geliebet.
      • Amplif. a Loco Communi. Es iſt nichts ſtaͤrcker, als eheliche Liebe, und nichts empfindlichers, als wenn dieſelbe getrennet wird.
      • Amplif. ab Exemplo. Kaͤyſer Ferdinandus be - ſuchte ſeiner Gemahlin Grab offte, weinete da - bey und ſagte: Hier liegt nechſt GOtt mein liebſter Schatz auf dieſer Welt.
    • Ætiologia 3. Denn ſie hat ihm ſein Hausweſen ſehr wohl verſehen.
      • Amplif. a Simili. Eine gute Hausfrau iſt als eine ge - ſchaͤfftige Ameiſe und Biene, welche einen gu - ten Vorrath einſammlet, deſſen man ſich in der Noth bedienen kan.
      • Amplif. a Conſectario Pædevtico. Er laſſe aber den Muth nicht ſincken. Iſt keine Eheliebſte mehr da, ſo ſind doch ſo viel aufrichtige Freun - de da, welche ſich ſeiner Sachen annehmen wer - den.
  • Concluſio. Nun GOtt troͤſte, ſtaͤrcke, beſchuͤtze und ſegne ihn anderweit.

6. Wie laͤſſet ſich denn die Diſpoſition durch eine Chriam Inverſam vornehmen?

Weil die Chria Inverſa auf zweyerley Art vorge - nommen wird, nemlich entweder durch ein Antecedens und Conſequens, oder durch eine Theſin und Hypothe - ſin, wollen wir beyde Gattungen verſuchen.

7. Wie diſponiret man ein Carmen durch ein Antecedens und Conſequens?

Wenn122Das VI. Capitul

Wenn man die Urſachen voran ſetzet und das Hauptwerck nachfolgen laͤſſet. z. e. Wenn ich einem zu erlangter Magiſter-Wuͤrde gratuliren wolte, koͤnte ich das Carmen alſo diſponiren.

  • Antecedens. Mein Herr iſt jetzo Magiſter worden.
    • Ætiologia. Denn ſeine Gelehrſamkeit und ruͤhmli - che Auffuͤhrung haben ſolches verdienet.
      • Amplif. a Loco Communi. Wo Tugend iſt, da pfleget die Ehre und Belohnung nicht auſſen zu bleiben, ſondern ſich zu rechter Zeit einzufin - den.
      • Amplif. a Contrario. Mancher verachtet die Academiſchen Gradus: Er aber iſt ande - rer Meynung, und zwar mit Recht gewe - ſen.
      • Ratio. Denn was von Kaͤyſern und Fuͤrſten zum Tugend-Lohne und der loͤbli - chen Aufmunterung verordnet / auch von ſo vielen rechtſchaffenen Leuten mit gutem Nutzen beliebet worden, das kan ein rechtſchaffenes Gemuͤthe nicht verachten.
  • Conſequens. Dannenhero gratulire ich ihm dazu, und wuͤnſche, daß er in Ehre und Segen immer hoͤher ſteigen moͤge.

8. Wie laͤßt ſich ein Carmen durch eine Theſin und Hypotheſin diſponiren?

Wenn man eine gewiſſe Materie in der Theſi durch Ætiologien und Amplificationen ausfuͤhret /und123von der Diſpoſition. und ſolche hernach auf vorhabenden Fall in der Hypo - theſi accurat appliciret. Es geſchiehet aber ſolches auf folgende Art.

  • I. Wenn man die Hypotheſin unter die Theſin von Stuͤck zu Stuͤck menget, und bald die Theſin, bald die Hypotheſin voran ſetzet. Alſo war das Carmen, worinnen ein Freyer mit einem Jaͤger verglichen ward, und das im 4ten Capi - tul gegenwaͤrtigen Buches angefuͤhret worden, folgender Maſſen diſponiret, daß die Hypothe - ſis generalis immer mit unter der Theſi ſtand, die Hypoth. Specialis aber gantz nachgeſetzet war.
    • Theſis generalis. Ein Freyer iſt einem Jaͤger gleich. Probatur per varias Theſes ſpeciales.
      • 1. Theſis. Ein Jaͤger traͤgt ein gruͤnes Kleid.
        • Hypotheſis. Ein Freyer iſt mit Hoffnung angethan.
      • 2. Th. Ein Jaͤger ſchafft ſich Geſchuͤtze, Hunde und Netze.
        • Hyp. Ein Freyer braucht Geſchencke, fuͤh - ret ſich von auſſen manierlich auf, wel - ches ſein Geſchuͤtze und Netze ſind; Braucht allerhand Freunde, als Spuͤr - Hunde.
      • 3. Th. Bisweilen ſtehet das Wild nicht, und der Jaͤger bekommt nichts, doch giebt er ſich zu frieden, und hofft anderswo etwas.
        • Hyp. Mancher Freyer ſucht eine Liebſte ver -ge -124Das VI. Capitulgebens. Aber getroſt! Will eine nicht, ſo wird ſich ſchon eine andere finden.
      • 4. Th. Ein Jaͤger freuet ſich, wenn er ein Wild gefaͤllet hat, und bringet es mit Luſt nach Hauſe.
        • Hyp. Ein Freyer iſt auch vergnuͤgt, wenn er das Ja-Wort hoͤret, und holet ſeine Geliebte mit Luſt nach Hauſe.
    • Hypotheſis ſpecialiſſima. Unter ſolche Freyer gehoͤret auch Hr. N. Er hat gut geſchoſſen, ein ſchoͤnes Rehe gefaͤllet und fuͤhret ſolches anjetzo heim.
    • Votum. GOtt ſegne den Jaͤger und das Rehe, er laſ - ſe beyde fruchtbar, und ihr Haus ſtets einen ſchoͤ - nen Wald ſeyn.
  • II. Wenn man eine Theſin gantz abhandelt, und her - nach die Hypotheſin darauf ſetzet, ſo, daß man entweder alle Stuͤcke der Theſeos, oder nur das letzte appliciret, nachdem man a pari oder impari verfahren iſt. Wir wollen zum Be - ſchluſſe dieſes Capituls ein Carmen diſponiren, und elaboriren. z. e. Als eine geehrte Jungfer heyrathete, und mit ihrem Liebſten an einen an - dern Ort ziehen, und ihre Frau Mutter allein zuruͤck laſſen muſte, wurde e Loco Cauſæ Effi - cientis die Staͤrcke der Liebe durchgefuͤhret.

Diſpoſitio.

  • Theſis. Die Liebe iſt ſtarck.
    • probatur.
      • 1. Reſpectu amoris honeſti.
        • 1) Dei erga homines
        • 2) Hominum erga homines, ut(1) Prin -125von der Diſpoſition.
          • (1) Principis erga ſubditos.
          • (2) Patris erga filium.
          • (3) Domini erga ſervum.
      • 2. Reſpectu amoris furtivi.
        • Amplif. a Diſtributione per varios caſus.
      • 3. Reſpectu amoris conjugalis.
        • Amplificatio ab Exemplis.
  • Hypotheſis. Dieſes trifft auch jetzund ein, da dieſe Jungfer ihre Frau Mutter verlaͤſſet und mit ihrem Liebſten an einen andern Ort ziehet.
  • Votum. GOtt laſſe dieſe Liebe auch in dem Eheſtande ſtarck ſeyn.

Elaboratio.

Die Liebeskrafft iſt ſtarck! Wer in der Welt geweſen,
Hat den Beweiß hiervon wohl uͤberall geleſen,
Kein Plaͤtzgen iſt ſo klein, wo dieſer Spruch nicht gilt,
Auch in dem Himmel ſelbſt wird deſſen Krafft erfuͤllt.
Ein Menſch wird niemahls mehr, zur Gottesfurcht erreget,
Als wenn er mit Bedacht des Hoͤchſten Lieb erweget,
GOtt ſelber laͤßt bey ſich die Liebe kraͤfftig ſeyn,
Drum ſtellt ſich ſeine Gunſt bey uns ſo reichlich ein.
Der Jeremias weiß hiervon gar viel zu ſagen,
Wenn er des Hoͤchſten Wort will vor die Juͤden tragen,
Er ſpricht:
*Jerem. 31. v. 13.
* wie findet doch die Gnade bey euch ſtatt?
Dieweil euch je und je der HErr geliebet hat.
Die Liebe wuͤrckete bey GOtt ſehr groſſe Sachen,
Es kunt ihn ſolche faſt zu unſerm Schuldner machen,
Er zahlt auch redlich aus, da er ſein liebſtes Kind
Aus Lieb uns ſchenckete, durch das wir Kinder find.
Ein kluger Landes-Fuͤrſt kan alle Seelen zwingen,
Laͤßt er die Liebe nur aus ſeinem Hertzen ſpringen,
Deſſelben Unterthan acht’t Gut und Leben nicht,
Er iſt aus Gegen-Lieb auf ſeinen Herrn gericht’t.
Die126Das VI. Capitul
Die Vater-Liebe kan des Sohnes Hertz verbinden;
Beym Knechte muß alsbald der Widerſinn verſchwinden,
Wenn ihm ein kluger Herr vor Pruͤgel Liebe zeigt,
Und ſich alſo mit Gunſt zu ſeinem Knechte neigt.
Auch bey verbotner Lieb iſt groſſe Krafft zu ſpuͤren,
Kan des Cupido Pfeil nur eines Hertze ruͤhren,
So weiſet ſich darinn die uͤbergroſſe Krafft,
Die offtermahls viel Schmach und Ungeluͤcke ſchafft.
Ein Venus-Sclave laufft (Amaſien zu dienen)
Wohl durch viel Meilen hin, und iſt ſie ihm erſchienen,
Ach! was vor ſtarcke Krafft zeigt ſein verliebter Geiſt,
Daß er wohl gar nicht weiß, wie er mit Namen heiſt.
Kein Fluß iſt ihm zu ſchnell, den er nicht uͤberſchwimme,
Wie offt erhebet er beym Sternen-Licht die Stimme
Und ſingt ein Liebes Lied; wie manche ſchoͤne Nacht
Wird von dem Corydon mit Wachen zugebracht.
Will ihm ein anderer in ſein Gehege gehen,
Ach! wie erboſt pflegt er bey ſolchem darzuſteheu,
Der Stab und Degen muß alsbald gezucket ſeyn,
Er ſchlaͤget, hau’t und ſticht, und hat vielfache Pein.
Jm Eheſtande zeigt ſich recht der Liebe Staͤrcke,
Die Eheleute thun aus Liebe ſolche Wercke,
Die auch der ſtaͤrckeſte ſonſt kaum verrichten kan,
Streckt er gleich gantz erhitzt die beſten Kraͤffte dran.
Man kunte dazumahl faſt mehr, als Wunder, ſchauen,
Da den Belaͤgerten
*Jn der Belagerung Weinsberg Anno 1139.
* und meiſt gefangnen Frauen
Vom Feind erlaubet ward, das lieblichſte zu thun,
Jedwede ließ den Mann auf ihren Schultern ruhn,
Und trug denſelbigen aus den beſchloßnen Mauren,
Sie ließ ſich ſolchen Fleiß auch nachmahls gar nicht dauren,
Blieb gleich ihr groſſer Schatz in der geplagten Stadt,
Den der Belagerer hinweg geraubet hat.
Ein treues Ehe-Weib geht mit dem Ehegatten,
Wohl ins Gefaͤngniß hin,
**Wie A. 1616. die Gemahlin des Printzens v. Conde that.
** und laͤßt den finſtern Schatten
Jhr127Das VII. Cap. von der Elocution.
Jhr nicht beſchwerlich ſeyn, und ſtirbet ja der Mann,
So ſieht man allererſt, was Ehe-Liebe kan.
Die Jungfer wird ein Exempel geben.
Wie ſtarck die Liebe ſey; Sie wird im Ehe-Leben
Jn voller Liebe ſtehn; man mercke nur darauf,
Und raiſonnire dann von ihrem Lebens-Lauf.
Sie weiſet es ſchon jetzt, da ſie dieſelbe meidet,
Die ihr das Leben gab, und von viel andern ſcheidet;
Diß iſt gewiß ein Werck, ſo groſſen Ruhm verdient,
Sie zeigt, daß GOttes Rath
*Geneſ. 2. v. 24.
* in ihrer Seele gruͤnt.
Begluͤckter Braͤntigam, ihm iſt von GOtt gegoͤnnet,
Was ſonſt der Eheſtand vor einen Schatz erkennet,
Der Himmel ſchenckt ihm jetzt ein tugendhafftes Bild,
Das bey der ſchoͤnen Welt auch vor ein Muſter gilt.
Ach! Hoͤchſter, ſegne doch, die wertheſten Perſonen,
Du wirſt ſie vaͤterlich mit Ungeluͤck verſchonen,
Gieb, daß die Liebes-Glut in beyden kraͤfftig ſey,
So ſeh’n wir uͤbers Jahr vor zwey vieleichte drey.

Alſo haben wir zwar einiger maſſen geſehen, wie man ein Carmen diſponiren muͤſſe, wer aber nichts aus der Oratorie verſtehet, dem wird dieſes noch ſehr obſcur und ſchwer vorkommen; Wem hingegen dieſe edle Kunſt den Verſtand geoͤffnet, der wird gegenwaͤrtigen Diſcurs ſehr wohl verſtehen und practiciren koͤnnen.

Das VII. Capitul Von der Elocution.

1. Was wird in dieſem Capitul vorkommen?

Wir werden darinnen vernehmen, wie man ſich in Verfertigung eines Carminis wegen des Styli undJDer128Das VII. Capitulder Redens-Arten verhalten ſolle. Wiewohl auch hier das meiſte aus der Oratorie præſupponiret wird, ſo wollen wir dennoch einige Stuͤcke anſehen.

2. Was habe ich denn bey dem Stylo in einem Carmine zu beobachten?

Wir wollen das gantze Weſen in etlichen Abthei - lungen mercken.

  • I. Der Stylus muß ſich nach der Sache und Perſon richten. Alſo wenn ich vom Kriege ein Car - men machte, wuͤrde ich lauter hitzige Redens - Arten brauchen muͤſſen. z. e. Der Blutduͤrſti - ge Soldat hat lauter grauſame Gedan - cken. Verfertigte ich etwas auf eine Hochzeit, ſo wuͤrde ich nichts, als liebliche Worte anwen - den muͤſſen. z. e. Die angenehme Braut hat ihr Anmuths-volles Bette mit lauter lieb - koſenden Roſen beſtreuet. Schreibet man an einen vornehmen und gelehrten Mann, ſo muͤſſen die Redens-Arten weit delicater und nachſinnlicher ſeyn, als wenn ich an einen ge - meinen und ungelehrten Kerlen ein Carmen richte.
  • II. Man ſoll allemahl dergleichen Worte brauchen, welche am gebraͤuchlichſten ſeyn. Alſo muß ich nicht ſagen; Studenten-Præceptor, ſondern Profeſſor, nicht Buͤrger-Regierer, ſondern Buͤrgermeiſter, nicht Tage-Lichter, ſon - dern Fenſter, nicht Jungfern-Zwinger, ſon - dern Kloſter, nicht Unterwurff, ſondern Subjectum.
Alſo129von der Elocution.

Alſo wuͤrde diß garſtig klingen:

Seht doch die ſchoͤne Huͤlle
Womit das Maͤdgen ſtutzt,
Sie haͤlt gar gerne ſtille,
Wenn ſie die Sclavin butzt.

Beſſer wuͤrde dieſes zu hoͤren ſeyn:

Seht doch das ſchoͤne Kleid,
Worinn die Jungfer geht.
Sie iſt gar ſehr erfreu’t,
Wenns Maͤdgen bey ihr ſteht.

Dieſes klinget gar uͤbel:

Der Herr Aufſeher hat der Schulen viel gedienet,

Hingegen klinget dieſes gar gut:

Der Herr Inſpector hat der Schulen viel gedienet,
Denn ſeine Sorgfalt macht, daß ſie vor andern gruͤnet.
  • III. Man ſoll ſtets die penetranteſten Worte brau - chen.

Dieſes iſt penetranter:

Mein Hertz im Leibe brennt, wenn ich an GOtt gedencke.

Als folgendes:

Jch bin gar ſehr erfreut, wenn ich an GOtt gedencke.
Und meine Zuverſicht in ſeine Liebe ſencke.
  • IV. Man muß ſich vor unnoͤthigen und uͤbelklingen - den Flickwoͤrtern huͤten, dergleichen Wohl, Jetzt ꝛc. ſind. Alſo lautet auch dieſes gar uͤbel:
Jch thue mich bedancken,

Beſſer:

Jch werde mich bedancken,
Vor ſolche Liebes-Schrancken.
  • V. Man muß nicht allzuviel einſylbige Woͤrter laſſen zuſammen kommen. Alſo wuͤrde dieſer Vers nicht wohl lauten:
J 2Du130Das VII. Capitul
Du machſt dir ſelbſt viel Angſt und Noth
Dein Hertz faͤllt hin, du ruffſt den Tod.

Eben dieſes iſt auch im Lateiniſchen zu beobachten. Demnach klingen folgende zwey Verſe, deren Woͤrter 39916800. koͤnnen verſetzet werden, gar garſtig:

Lex, Grex, Rex, Res, Spes, Jus, Thus, Sal, Sol, (bona) Lux,
Laus.
Mars, Mors, Sors, Fraus, Fex, Styx, Mox, Crux, Pus (mala)
Vis, Lis.
  • VI. Man muß nicht viel Woͤrter zuſammen ſetzen, welche ſich alle mit einerley Buchſtaben anfan - gen. z. e. Herr hoͤre her, hier hat Hertz, Hand und Mund gebetet. Man muß auch nicht ſolche Woͤrter laſſen zuſammen kommen, deren vorhergehends ſich eben mit der Sylbe endiget, mit welcher ſich das folgende anfaͤnget. z. e. Jch habe bekommen. Er ſage geſchwinde.
  • VII. Die Epitheta muͤſſen ſich wohl zu vorhabenden Materie ſchicken. z. e.

Dieſes iſt nicht accurat:

Es hat der weiſe GOtt den reichen Mann veracht’t,
Hingegen Lazarum in ſeinen Schoos gebracht.

Dieſes iſt beſſer:

Du haſt, gerechter GOtt, den reichen Mann veracht’t
Hingegen Lazarum in deinen Schoos gebracht.
  • Die Epitheta Compoſita haben einen guten Nach - druck. z. e.
Es muß der Tuͤrcken-Heer, bey Zenta hefftig klagen,
Der Blutgefaͤrbte Fluß wird davon reichlich ſagen.

Jngleichen:

Der zuckerſuͤſſe Mund der Jungfern locket an,
So, daß auch Jupiter ſich nicht enthalten kan.
VIII. Di131von der Elocution.
  • VIII. Die Namen der Heydniſchen Goͤtter kan man zwar in Politiſchen, nicht aber in Theologi - ſchen Materien brauchen. z. e.

Dieſes iſt recht:

Jn Ungarn hoͤrt man jetzt nicht viel von Krieges-Waffen,
Der ſonſt erhitzte Mars muß ohne Regung ſchlaffen.

Dieſes aber iſt unrecht:

Jupiter giebt Sonnenſchein
Und will uns gewogen ſeyn.
  • IX. Die Woͤrter aus andern Sprachen muß man maͤßig und nur diejenigen, ſo gaͤnge und gebe ſind, in Teutſchen Verſen anwenden, z. e.

Aus der Lateiniſchen Sprache kan ich bisweilen gar gar wohlein gebraͤuchlich Wort entlehnen. z. e.

Jch darff nicht, wie ich will, nach theuren Buͤchern fragen,
Denn mein Salarium kan ſolches nicht vertragen.

Wenn man aber des Dinges zuviel macht / hat es kein Geſchicke. Solcher geſtalt klang die Leichen-Inſcri - ption, welche Friderico Severo, Marggrafen zu Meiſ - ſen, gemacht ward, nicht gar zu zierlich:

Hier liegt ein Fuͤrſte loͤbelich, quem vulgus flebile plangit,
Von Meiſſen Marggraf Friederich, cujus inſignia pangit.
Clerus, Clauſtralis, Laicus den Fuͤrſten leidlichen Klagen,
Dux, inops, altus, infimus, Fuͤrſtlich Werck von ihm ſagen.
Warhafftig, weiſe, tugendlich, affabilis atque benignus.
Jn Gottesfurchte ſtetiglich, fuit hic Landgrafius dignus.
Da veniam Chriſte, laß uns Gnade finden.
Anima ut iſta loß werde von ihren Suͤnden.

Gleicher geſtalt kan ich auch die gewoͤhnlichen Frantzoͤ - ſiſchen Woͤrter mit gutem Gewiſſen anwenden. z. e.

Jch ſehe, daß mein Herr gar gluͤcklich avanci ret,
Weil er bey ſeinem Thun ſo viel Patronen ſpuͤret.
J 3Die -132Das VIII. Capitul

Dieſes aber wuͤrde ein wenig zu viel ſeyn, wenn ich ſagen wolte:

Mein Herr, er ſey ſo gut, und gebe mir Gehoͤr,
Jch ſag aus Hertzengrund: Je ſuis votre ſerviteur.

Es ſey denn, daß man einen Schertz damit machen wolte, Siehe Muſen-Cabinet p. 188. 968. 1225. 1337. Alſo verfertigte bey einer gewiſſen Hochzeit in Leipzig ein luſtiger Kopff ein Carmen, welches halb Teutſch, und halb Frantzoͤſ. war / und in jetztgedachtem Muſen - Cabinet p. 33. zu ſehen iſt. Der Titul war eben ſo ge - miſcht abgefaßt:

Unmaßgebliche Remarquen bey der bien heureu - ſen und hoͤchſt-agreablen K. und L. Mariage.

Der erſte Satz lautet folgender maſſen:

Wer ſchaͤtzt die Liebe nicht pour choſe difficile?
Man kommt én general gar langſam zu dem Ziele,
Et l on ne trouve aucun in der verliebten Welt,
Der en ce grand point toujours balance hàlt.
Denn welcher ſein Propos denckt au mieux zu treffen,
Wird aiſement trompé und ſidelt hintern Steffen,
Ja mancher Spas Galan faͤllt par hazard au trou,
Und zieht ſich dans le cœur Verdruß und Unmuth zu.
Wen aber ſein panchant zu ſeines gleichen fuͤhret,
Wer Cleliens Humeur mit groſſer Muͤh ſondiret
Und findet nach der Hand l’E galité au fond,
Der weiß von keiner Noth; mit kurtzem: tout eſt bon.
  • X. Die Tropi und Figuræ Rhetoricæ muͤſſen wohl an - gebracht werden. Wir wollen zur Probe nur etliche durchlauffen.
    • 1. Metaphora:
So bald das Liebes-Feu’r in unſerm Buſen brennt,
Wird manch erhitzter Blick in unſerm Ang erkennt.
〈…〉〈…〉
Wenn133von der Elocution.
Wenn ein frommer Chriſt die Haͤnde zu dem Himmel aus -
gebreitt
Wird auf ihn von GOttes Throne manche Segens-Krafft ge -
ſtreu’t.
  • 3. Synecdoche:
Es weiß ein kluger Kopff ſich in die Welt zu ſchicken,
Und laͤßt ſich nimmermehr von einer Liſt beruͤcken.
  • 4. Interrogatio:
Wer tadelt GOttes Rath? Er mey’ntes immer gut,
Es ſchmeckt nach lauter Huld, was dieſer Vater thut.
  • 5. Exclamatio:
O Schmertzens-volles Wort! Die Chriſten fuͤhren Krieg,
Der eine wird erlegt, der andre hat den Sieg.
  • 6. Apoſtrophe:
Jhr Sterne weint mit mir; mein Goͤnner iſt erblaſſet,
Ein Mann, der mich bißher mit vieler Lieb umfaſſet.
  • 7. Proſopopœia: Welche auch darinn beſtehet, wenn man etwas von dem Abſtracto ſaget, das doch nur dem Concreto zukommet. z. e.
Der Neid verderbt ſich ſelbſt, da er auf andre zielet,
Von dem geneideten wird offt kein Schmertz gefielet.
  • XI. Weil die Connexiones viel Schwierigkeit zu ma - chen pflegen, ſo muß man damit wohl umzuge - hen wiſſen: Man kan aber dieſelben bißweilen ausdruͤcklich ſetzen, und bißweilen auslaſſen. Wir wollen einige Exempel anſehen, da der - gleichen Particulæ Connectendi bald da, bald weg ſeyn.

Particula Cauſalis Nam Præſens:

Der Tod erſchreckt mich nicht, ich wart auf ihn mit Freuden,
Denn er befreyet mich von allen meinem Leyden.
J 4Parti -134Das VII. Cap. von der Elocution.

Particula Nam abſens:

Jch warte meiner Pflicht, ſo mir GOtt auferlegt;
Wer weiß nicht, daß alſo der Menſch viel F[]chte traͤgt.

Particulæ Similitudinis Quemadmodum, Ita præſentes:

Gleich wie der weiche Schnee gantz unvermerckt zergehet:
So ſieht man, daß der Menſch auch kurtze Zeit beſtehet.

Particulæ illæ Similitudinis abſentes:

Ein Roſenſtrauch vergnuͤgt, doch kan er auch verwunden:
Beym Frauen-Volcke wird theils Luſt, theils Schmertz, ge -
funden,
  • XII. Das Antecedens und Conſequens kan gar ſchoͤn mit einander umgeſetzet werden. z. e.

Antecedens, poſt Conſequens:

Wenn die Noth am groͤſten iſt, und uns GOtt mit Rath er -
ſcheinet,
Da vermerckt man allererſt, wie er’s mit uns Menſchen
meynet.

Conſequens, poſt Antecedens:

Da verſpuͤret man, wie gut es der Hoͤchſte mit uns meynet,
Wenn er in der groͤſten Noth uns mit ſeiner Huͤlff erſchei -
net.
  • XIII. Die Ætiologie kan man bisweilen abſonderlich ſetzen, bis weilen aber auch nur in ein Wort oder in eine Phraſin ſtecken. z. e.

Ætiologia diſtincte poſita:

David greifft den Goliath
Mit getroſter Seelen an,
Weil er GOtt zur Seite hat,
Der ihn nicht verlaſſen kan.

Ætiologia occultata:

Der kleine David greifft mit GOtt den Rieſen an,
Wohl dem der dieſe Kunſt mit ihm vollbringen kan.
XIV. Die135Das VIII. Cap. von der Imitation.
  • XIV. Die Amplificationes ſetzet man bald auſſer der Theſi, bald ſtecket man ſie in die Theſin. z. e.
    • Simile
      • 1) expreſſe poſitum:
        Gleich wie ein glatter Aal, bald aus den Haͤnden
        weichet,
        So ſieht man, daß das Gluͤck auch bald voruͤber ſtrei -
        chet.
      • 2) tecte poſitum:
        Das Gluͤck iſt nur ein Aal, ſo durch die Haͤnde ſtrei -
        chet,
        Drum wund’re man ſich nicht, wenn es von dannen
        weichet.
    • Exemplum
      • 1) clare poſitum:
        Die Bruͤder pflegen ſich nicht allemahl zu lieben,
        Der Eſau kunte ja den Jacob ſehr betruͤben.
      • 2) occulte poſitum:
        Wie mancher Eſau ſtellt jetzt ſeinem Jacob nach,
        Er neidet, haſſet ihn, und ſchonet keiner Schmach.

Es wird unter dieſen Exempeln noch eines und das an - dere dunckel ausſehen, alleine man ziehe nur die Orato - rie zu Rathe, ſo wird alles deutlich werden.

Das VIII. Capitul Von der Imitation.

1. Was iſt in dieſem Capitul zu lernen?

Wir werden darinnen kuͤrtzlich ſehen, wie man an - dern Poëten ihre Kuͤnſte ablernen und nachmachen ſolle.

2. Was muß ich aber bey andern Poëten zu meiner Imitation bemercken?

J 5Jch136Das VIII. Capitul

Jch muß auf ihre Inventiones, Worte, Redens-Ar - ten, Connexiones, Argumenta, Amplificationes, Diſpo - ſitiones, und gantze Elaborationes Achtung geben, und ſolche nachzumachen bemuͤhet ſeyn.

3. Wie kan ich einem andern eine Invention nachmachen lernen?

Es gehet ſolches gar leichte an, denn ich darff nur ſehen, bey was vor einer Gelegenheit einer dieſe oder jene Invention gebrauchet habe: Kommt mir nun eben ein ſolcher, oder anderer Caſus vor, darff ich nur einige Umſtaͤnde veraͤndern, ſo lerne ich dem andern die Invention ab. Denn eben die Materie, welche ein anderer bey einem gewiſſen Falle zur Invention gebrauchet, muß ich nicht eben bey einem ſolchen Falle anwenden, weil ſolches nicht imitiren, ſondern ausſchreiben hieſſe. Es muͤſte denn ſeyn, daß ein ſol - ches Carmen an einem weit entlegenen Orte waͤre verfertiget, und niemanden an meinem Orte bekannt worden, und ich gar keine Zeit uͤbrig haͤtte, und doch ein Carmen machen ſolte. Wiewohl auch dieſe Ma - nier keinem galanten Menſchen anſtehen wird, weil er ſolcher Geſtalt eines andern Arbeit vor die ſeinige ausgeben muͤſte. z. e. Wenn einer bey Beerdigung eines einigen geliebten Sohnes: den ſeinen Jſaac opffernden Abraham durchgefuͤhret haͤtte: So wuͤrde es ſchrecklich laͤppiſch heraus kommen, wenn ein ander bey Beerdigung gleichfalls eines einigen geliebten Sohnes dieſe Invention nehmen und eben alſo ausfuͤhren wolte. Hingegen, wenn einer bey Beerdigung einer geliebten Tochter: den ſeineToch -137von der Imitation. Tochter beweinenden Jephtha vorgeſtellet haͤtte, koͤnte man durch Veraͤnderung der Perſonen bey Be - erdigung eines geliebten Sohnes: den ſeinen Jo - ſeph beweinenden Jacob auffuͤhren. Jngleichen haͤtte einer bey Beerdigung eines Buͤrgermeiſters die klagende Buͤrgerſchafft vorgeſtellet, ſo koͤnte man darnach bey Beerdigung eines Profeſſoris die klagen - de Studenten vorſtellen. Man hat noch viel ande - re Arten, die Inventiones zu imitiren: Wenn bey ei - ner Hochzeit ein Geſpraͤch zwiſchen Braut und Braͤutigam waͤre vorgeſtellet worden, ſo koͤnte man auf ſolche Art bey Beerdigung einer Ehe-Frau zwi - ſchen ihr und dem hinterlaſſenen Ehe-Liebſten ein Geſpraͤche anſtellen. Haͤtte einer bey gewiſſer Gelegenheit halb Teutſche, halb Frantzoͤſiſche Ver - ſe gemachet, ſo koͤnte ein anderer halb Teutſche, halb Jtaliaͤniſche, oder Lateiniſche Verſe verfertigen. Bißweilen pfleget man auch wohl den Titul eines an - dern nachzumachen, alſo ſind bißher etliche Titul zu Verſen verfertiget worden, welche nur aus zwey oder vier Verſen beſtehen. Und kan man ſolcher Geſtalt vieler Titul und Ceremonien entuͤbriget ſeyn. vid. Mu - ſen-Cab. p. 37. 188. 763. & 1274.

4. Wie kan man andern ihre Worte und Redens-Arten nachmachen?

Es gehet ſolches auf zweyerley Art an, als:

  • I. Wenn ich andere Worte und Redens-Arten un - veraͤndert behalte, und bey gewiſſer Gelegenheit an - wende. z. e. Die Worte:
Was138Das VIII. Capitul
Was trotzt der arme Menſch auf Kraͤfften und Geluͤcke,
Diß alles iſt der Morgenroͤthe gleich,
Dem Gluͤcke folgt der Fall, den Kraͤfften folgt die Kruͤcke,
Was fruͤh dem Purpur gleicht, das macht der Abend
bleich,
Ein Augenblick zureißt die Freuden-Saiten,
Und vor das Luſt-Haus muß man uns den Sarg
bereiten.
  • Dieſe Worte, ſage ich, koͤnte man folgender maſſen imitiren:
Was trotzt der arme Menſch doch auf Gelehrſamkeit,
Dieſelbe bleibet wohl der Morgenroͤthe gleich,
Dem Wiſſen folgt das Nichts, der Zeit folgt Ewigkeit,
Was fruͤh dem Purpur gleicht, das macht der Abend
bleich.
Ein Augenblick verderbt ſo viel Geſchicklichkeiten,
Und vors Muſeum muß man uns das Grab bereiten.
  • II. Wenn ich eines andern Worte und Redens-Ar - ten nicht behalte, ſondern nur nach denſelben die meinigen einrichte. z. e. Wenn ich dieſe Zei - len vor mich naͤhme:
Wer das, was fuͤr ihm iſt, aus dem, was ſchon geſchehen,
Mit klugen Sinnen kennt, der laͤßt den Nordwind wehen,
So lang er raſen will, und ſchauet trotzig an
Des Gluͤckes Wanckelmuth, den niemand hemmen kan.

So koͤnte ich auf ſolchen Schlag folgendes machen:

Wer GOtt, der ihn geliebt, aus ſeinen Liebes-Thaten
Mit rechtem Ernſt erkennt, der nimmt ſein Creutz auf ſich,
So lang es GOtt gefaͤllt, und laͤßt den Hoͤchſten rathen,
Er denckt in ſeiner Noth: Der Hoͤchſte liebet mich.
5. Wie139von der Imitation.

5. Wie kan man eines andern Connexiones imitiren?

Wenn man ſein Antecedens und Conſequens oder Theſin und Hypotheſin mit eben ſolchen Par - ticulis Connectendi verſiehet, wie der andere ge - than hat. z. e. Wenn ich dieſe Zeilen vor mich nehme:

Wilſtu nicht ſeyn ein Schertz, ſo ſchertze nicht ſo leicht,
Jndem gebrauchter Schertz offt einer Thorheit gleicht.

So kan ich ſolche Connexiones in folgender Materie nachmachen:

Wilſtu nicht naͤrriſch thun, ſo laß die Liebe fahren,
Jndem Verliebete, die Klugheit treflich ſparen.

Oder wenn ich dieſes vor mir haͤtte:

Wie ein getroffner Hund pflegt in den Stein zu beiſſen,
Und wie ein Knabe pflegt die Ruthe zu zerreiſſen:
Die es doch nicht verdient: So thut Bibonus auch,
Wenn er die Weinſucht hat im Kopff und in dem Bauch,
Wirfft er die Glaͤſer hin, zerbricht ſie nach der Reih,
Ey, brich die Glaͤſer nicht, brich dir den Hals entzwey.

So koͤnte ich die Connexiones alſo machen:

Wie eine Henne pflegt die Jungen zu beſchuͤtzen,
Und wie ein Vater pflegt vor ſein Geſchlecht zu ſchwitzen,
Das er von Hertzen liebt: So machts auch unſer
GOtt,
Wenn er das Elend ſieht, und ſeiner Kinder Spott,
Bricht ihm ſein Vater-Hertz, und wendet unſer
Leid,
Ey, Menſch, ſey doch dafuͤr zum Dancken ſtets
bereit.
6. Wie140Das VIII. Capitul

6. Wie kan man eines andern Argumenta imitiren?

Jch darff nur ſehen, was einer vor Argumenta Explicantia, Probantia, Commoventia, oder Conci - liantia gebraucht hat, und darnach erwegen, ob ich ſolche bey einer andern Begebenheit anwenden kan. z. e. Wenn ich die bekannte Arie vor mir haͤtte:

1.
Was frag ich denn darnach,
Wenn du mich nicht wilſt lieben,
Das kan mich nicht betruͤben,
Jch weiß, was Daphnis ſprach:
Wird gleich der Chloris Gunſt geringer,
Jſt doch die gantze Welt voll ſolcher Dinger,
Was frag ich denn darnach!
2.
Jch bin ſo gut, als du:
Du muſt es auch entbehren,
Was ich dir kan gewaͤhren,
Schleuß nur dein Hertze zu!
Meins hat dich ſchon vor laͤngſten ausgejaget,
Wer weiß, wen noch der Schimpff am aͤrgſten plaget:
Jch bin ſo gut, als du:
3.
Jch ſpitz mich ſchon darauff,
Wie es dich wird gereuen:
Wie werd ich mich erfreuen,
Wenn dir huͤpft keiner auf:
Wenn du muſt welcke Riebgen ſchaben,
Und Flederwiſch am Marckte feil wirſt haben:
Jch ſpitz mich ſchon darauf.
So141von der Imitation.

So ſehe ich, daß einer, dem die Gegen-Liebe verſa - get worden, ſich deßwegen vornehmlich mit drey Ar - gumentis troͤſte, nemlich: 1) Weil er andere Perſo - nen zu lieben bekommen kan. 2) Weil er die vorhin geliebte und harte Perſon ſelbſt nicht mehr achtet. 3) Weil es der harten Perſon nicht wieder ſo gut kommen wird, daß ſie jemand wird lieben wollen. Wenn ich nun hierauf eine Imitation machen wolte, ſo koͤnte ei - nem Studioſo dieſes begegnen, daß er einen andern Studioſum gerne haͤtte wollen zum Stuben-Burſchen haben, der andere aber ihm ſolches ſpoͤttiſcher weiſe ab - geſchlagen haͤtte. Wolte ſich nun ein ſolcher gegen dergleichen Verweigerung erklaͤren, ſo koͤnte er eben dieſe drey Argumenta anwenden, und zwar kuͤrtzlich fol - gender maſſen:

Mein Freund, ich habe dich unlaͤngſten ſehr gebeten,
Du moͤchteſt auf ein Jahr mein Stuben-Burſche ſeyn:
Du aber wolteſt nicht in dieſes Buͤndniß treten,
Und vor das Jawort ſtellt ſich noch Verſchmaͤhung ein.
Doch frag ich nichts darnach: Jch kan ſchon andre haben,
Und meine Luſt zu dir laͤßt jetzo trefflich nach.
Jch will inzwiſchen mich an dieſer Hoffnung laben:
Es achtet dich kein Menſch, du bringſt dich ſelbſt in
Schmach:

7. Wie kan man eines andern Amplificationes imitiren?

Jch muß Achtung geben, mit was vor Amplifica - tionen ein anderer ſeine Theſin verſehen habe / ob er Similia, Contraria, Exempla, Teſtimonia, Meditatio - nes, oder Conſectaria zu derſelben Erlaͤuter - und Aus -fuͤhrung142Das VIII. Capitulfuͤhrung angewendet; Darnach muß ich ſehen, ob ich meine Theſin mit eben dergleichen Amplificationen aus - putzen koͤnne. z. e. Wir wollen folgende Zeilen eines gewiſſen Poëten vor uns nehmen, welcher mehr argut, als rein geſchrieben hat:

1.
Es wird dabey wohl bleiben,
So lang es[h]ier nur tagt,
Daß auf der Erden-Scheiben,
Ein jeder das beklagt,
Was ihm iſt lieb geweſen:
Ob gleich auch mancher Held,
Bißweilen, wie wir leſen,
Sich muthig angeſtellt.
2.
Zwar Cato mag die Schmertzen
Verbergen, wie er mag;
Mir will es nicht zu Hertzen,
Daß er denſelben Tag,
Als man den Sohn beerdet,
So keck geweſen ſey,
Wie er ſich hat gebaͤrdet.
Es war nur Pralerey.
3.
Jch will hier ſicher ſprechen,
Wann, Kuͤnſtler Momus, du
Ein Fenſter ſolteſt brechen
Hin nach dem Hertzen zu,
Du wuͤrdeſt ohne Brillen
Es Caton ſehen an,
Wie er ſein Angſt und Grillen
So artlich bergen kan:
4. Ob143von der Imitation.
4.
Ob mancher gleich die Sorgen
Verdruͤckt mit kluger Liſt;
So wohnt doch auch verborgen
Jn uns, was menſchlich iſt;
Der, der die Grames-Flamme
Beaſcht im Hertzen hegt,
Jſt gleich dem ſchwachen Damme,
Der fuͤr den Strom ſich legt.
5.
Man kan es ja nicht laſſen,
Wer klagt die Seinen nicht?
Doch ſoll diß auch mit Maſſen
Geſchehen, wann’s geſchicht.
Wann Chriſten recht erwegen,
Derſelben Herrlichkeit,
Die ſie ins Grab hinlegen,
So zaͤhmt ſich ſchon das Leid.
  • Jn dieſer Arie kommen folgende Amplificationes vor:
  • Protaſis: Einen jeden Menſchen ſchmertzet der Verluſt desjenigen, was er geliebet hat.
  • Amplificatio a Confutatione. Ubi
    • 1. Objectio: Theſis. Man lieſet von vielen groß - muͤthigen Leuten, welche der - gleichen Schmertz nicht em - pfunden haben.
      • Amplif. ab Exemplo: Ein ſolcher war Cato, als ihm ſein Sohn ſtarb.
    • 2. Reſponſio: Allein Cato und andere haben ſich nur ſo unempfindlich geſtellet.
KAm -144Das VIII. Capitul
  • Amplif. a Chria Acceſſoria, ubi
    • 1. Theſis Acceſſoria: Mancher Menſch kan zwar den Kummer verbergen, nicht aber aus dem Hertzen jagen.
    • 2. Amplif. a Simili: Wer den Kummer im Hertzen verborgen haͤlt, iſt als ein ſchwacher Damm ge - gen einen ſtarcken Strom.
  • Concluſio: Es bleibt dabey: Man kan die Seinen nicht ohne Klagen von ſich laſſen: Doch muͤſ - ſen die Chriſten ihre Klagen maͤßigen.
    • Probatio: Denn die ſeelig-Verſtorbenen leben in groſſer Herrlichkeit.
  • Wolte man nun eine Imitation hierauf machen, ſo waͤ - re die Diſpoſition dazu folgende:
  • Protaſis: Es iſt kein Menſch ohne alle Suͤnde.
  • Amplif. a Confut. ubi
    • 1. Object. Theſ. Man hoͤret aber in der heiligen Schrifft von vielen heiligen Leuten.
      • Amplif. ab Exemplo: Dergleichen war Enoch, Johannes, Maria.
    • 2. Reſponſ. Allein alle dieſe Perſonen ſind nicht oh - ne alle Suͤnde geweſen, ſondern haben nur nicht ſo grobe Suͤnden begangen.
  • Amplif. a Chria Acceſſor. ubi
    • 1. Theſ. Acceſſor. Ein Menſch iſt zwar froͤmmer, als der ander, doch kan er nicht ohne alle Suͤn - de ſeyn.
    • 2. Amplif. a Simili: Auch der reineſte Atlas iſt nicht ohne alle Flecke.
Con -145von der Imitation.
  • Concluſio: Es bleibet wohl wahr: Kein Menſch iſt ohne Suͤnde. Doch muͤſſen rechtſchaffene Chriſten der uͤbrigen Suͤnde aufs moͤglichſte widerſtehen.
    • Probatio: Denn das will ihre Chriſten-Pflicht haben.
  • Die Elaboration ſoll folgende ſeyn:
Kein Menſch iſt ohne Suͤnde;
Berufft man ſich auf GOttes Schrifft,
Jn welcher man viel fromme Hertzen finde,
Wie ſolches Looß Johann, Marie, und Enoch trifft:
So muß man diß zur Nachricht wiſſen:
Daß wir zwar dieſes ſagen muͤſſen:
Sie haben nicht ſo arg gelebet,
Als man von vielen andern hoͤrt:
Doch wer von ihnen alle Suͤnde hebet,
Jſt warlich recht bethoͤrt.
Kein Menſch kan ohne Suͤnde ſeyn.
Der reineſt Atlas iſt nicht rein.
Kan aber gleich der Menſch nicht ohne Suͤnde bleiben:
Muß er doch diß tief in ſein Hertze ſchreiben:
Er ſolle ſtets der Suͤnden widerſtehen,
Hierauf pflegt ja die Pflicht der Glaͤubigen zu gehen.

8. Wie kan man eines andern gantze Diſpoſi - tiones und Elaborationes imitiren?

Es geſchiehet ſolches, wenn man nicht nur alle Stuͤcke in eben der Ordnung behaͤlt, ſondern auch faſt alle Redens-Arten und Manieren nachzuma - chen ſuchet. Wobey denn dieſes wohl zu mercken, daß ſolche Imitation nicht allzugezwungen heraus kommen muͤſſe. Wir wollen dieſe Art zu imitirenK 2nur146Das VIII. Capitulnur in einem kleinen Exempel betrachten. z. e. Wir wollen auf einen Studenten, der ein Soldate worden, folgende Zeilen zur Richtſchnur ſetzen:

Wie iſts, Hans Unbeſtand, was wird Apollo ſagen,
Wann du ins kuͤnfftige des Martis Wapen tragen,
Und ihn bedienen wirſt. O unvernuͤnfftigs Blut,
Derſelb iſt wohl ein Narr, der gleiches mit dir thut.
Vor die Schreib-Feder muß dein Arm Schweins-Federn
heben,
Bor Dinte wird man dir das Bley und Pulver geben,
An des Papieres ſtatt ſoll der Frantzoſe ſeyn:
Ach traͤff auch nur dein Bley dem Feind ins Hertz hin -
ein.
Jndeſſen troͤſte dich: Wirſtu dich tapffer halten,
So kanſtu leicht einmahl ein Hauptmanns-Amt verwalten:
Jſt dir kein Amt beſcheert, ſo wiſſe dieſen Lohn:
Thuſtu nicht recht, ſo kommt der Pruͤgel, Spott und
Hohn

Sehe ich dieſes genau an, ſo finde ich in dieſen Ver - ſen hauptſaͤchlich drey Theſes, und iſt

  • Die erſte: Du unbeſtaͤndiger Menſch biſt naͤrriſch, daß du ein Soldate wirſt.
    • Fudicium: Wer dir ſolches nachthut, iſt auch ein Narre.
  • Die andere: Dein Werckzeug wird jetzo gantz ver - aͤndert.
    • Diſtributio: Vor die Schreibfeder bekommeſt du eine Schweinsfeder; vor Dinte Bley und Pulver: vors Papier den Feind.
    • Votum vel Irr ſio: Ach wenn du auch nur den Feind traͤffeſt.
Die147von der Imitation.
  • Die Dritte: Du kanſt guten und boͤſen Lohn bekom - men.
    • 1) Guten, nemlich eine Charge, wo du tapffer biſt.
    • 2) Boͤſen, nemlich Pruͤgel, Hohn und Spott, wenn du nicht recht thuſt.

Wolte ich dieſes auf einen verliebten Studenten appliciren, ſo machte ich in der Imitation eben ſolche drey Haupt-Theſes:

  • Die erſte: Du verliebter Kerl thuſt wunderlich, daß du ſo verliebt biſt.
    • Fudicium: Wer es ſo, wie du, macht, iſt nicht klug.
  • Die andere: Deine Sachen ſind gantz veraͤndert.
    • Diſtributio: Vor die Buͤcher liebſtu die Bruͤſte; vor die Luſt zum lernen fieleſtu Flei - ſches-Luͤſte; vor das Muſeum er - wehleſtu das Jungfer-Zimmer.
    • Votum: Ach wenn du doch kluͤger waͤreſt.
  • Die Dritte: Es kan dir wohl und uͤbel gehen:
    • 1) Wohl, wofern du die Jungfern fahren laͤſ - ſeſt.
    • 2) Ubel, wo du ſie ferner beſucheſt.
  • Die Elaboration waͤre folgende:
Wie gehts, du Jungfer-Knecht, was wird die Mutter ſagen,
Wenn ſie erfahren wird, daß dich die Jungfern plagen,
Und du ihr Sclave ſeyſt? Otieff-verliebtes Blut,
Der iſt gewiß nicht klug, der gleiches mit dir thut.
K 3Vor148Das VIII. Cap. von der Imitation.
Vor Buͤcher liebeſtu die Geilheits-vollen Bruͤſte,
Vor Luſt zum Lernen ſind in dir nur Fleiſches Luͤſte,
Vor das Muſeum ſtellt ſichs Jungfer Zimmer ein,
Ach wolte doch dein Hertz ein wenig kluͤger ſeyn.
Jnzwiſchen mercke diß: Wirſtu die Jungfern meiden,
So reiſſeſtu dich ſelbſt aus einem groſſen Leyden;
Wilſtu hingegen vor wie nach zur Jungfer gehn,
So wirds um dein Geluͤck gewiß gar muͤßlich ſtehn!

Wer nun vorgeſchriebene Manieren in ſeinen Imita - tionen zu beobachten beliebet, wird in der Praxi gar groſſen Vortheil verſpuͤren: Wer aber mit einem ſo gluͤcklichen Naturell begabet iſt, daß er auch ohne anderer Leute Muſter etwas geſchicktes erſinnen, eintheilen und ausfuͤhren kan, wird die Regeln von der Imitation gar wohl entbehren koͤnnen. Diß iſt das Lied vom ENDE.

Et prodeſſe volunt & delectare Poëtæ.

[figure]

Omne tulit punctum, qui miſcuit utile dulci.

Ver -[149]
Verzeichniß der Capitul in dieſem Buche
  • VOrbereitungPag. 1
  • Das I. Cap. von den Reimen. 8
  • Das II. Cap. von der Conſtruction. 29
  • Das III. Cap. von der Scanſion. 31
  • Das IV. Cap. von den Generibus der Verſe. 38
  • Das V. Cap. von der Invention. 104
  • Das VI. Cap. von der Diſpoſition. 116
  • Das VII. Cap. von der Elocution. 127
  • Das VIII. Cap. von der Imitation. 135
K 4Regiſter[150]

Regiſter.

A.

  • ABſchnitt in Verſen. Pag. 33
  • Acroſticha. 97
  • Anagrammata. 98
  • Anapæſtiſche Verſe. 49

B.

  • Bilder-Gedichte. 91
  • Brieffe in Verſen. 77
  • Buͤcher-Schreiber naͤrriſch, Verſe drauf. 91

C.

  • Cabbaliſtiſche Verſe. 94
  • Chriſt wird Buͤrgermeiſter zu Leipzig. Verſe dar - auf. 52
  • Chronodiſticha. 97
  • Conſtruction. 29
  • Cubus. 96

D.

  • Dactyliſche Verſe. 48
Damen[151]Regiſter.
  • Damen in Franckreich reiten auf Eſeln. Verſe dar - auf. Pag. 19
  • Diſpoſition eines Carminis. 115

E.

  • Echo. 93
  • Ehe-Frau. Carmen auf deren Tod diſponiret. 120
  • Eliſion der Buchſtaben. 34
  • Elocution im Carmine. 127
  • Emblematiſche Verſe. 85
  • Epigramma. 82

F.

  • Form-Reime. 97
  • Frag-Reime. 100
  • Frau. Alt, verliebt, doch verhaßt. Verſe dar - auf. 24
  • Freyer mit einem Jaͤger verglichen. 43

G.

  • Gegen-Tritte. 93
  • Genera der Verſe. 38
  • Geſpraͤch-Gedichte. 86
  • Grævius, Profeſſor zu Utrecht. Verſe auf deſſen Tod. 45
  • Graf, Kauffmann zu Leipzig. Verſe auf deſſen Tod. 78
  • Gulden, Kauffmann zu Leipzig. Verſe auf deſſen Tod. 110

H.

  • Henckers-Grab-Schrifft. 84
K 5J. Jam -[152]Regiſter.

J.

  • Jambiſche Verſe. Pag. 39
  • Imitationes .103. 135
  • Inſcriptiones. 9
  • Invention eines Carminis. 104
  • Jrr-Gedichte. 96
  • Jttig. Wird Superintendent zu Leipzig. Verſe dar - auf. 21

K

  • Ketten-Reime. 100
  • Kind. Auf deſſen Geburt Verſe. 55
  • Klapp-Reime. 102
  • Krebs-Reime. 99
  • Kuß. Epigramma darauf. 84

L.

  • Leipzigiſche Gaͤrte. Verſe darauf .21. 22
  • Liebe iſt ſtarck. Verſe darauf. 124
  • Loci Topici dienen zur Invention. 112
  • Loths Weib. Epigramma darauf. 93

M.

  • Madrigal. 60

N.

  • Nach-Oden. 73
  • Nachtigallen. 92

O.

  • Oden. 51
P. Palm -[153]Regiſter.

P.

  • Palm-Baum. 92
  • Peruque. Raͤtzel darauf. 85
  • Pindariſche Oden. 65
  • Poêſie. Was ſie ſey. Jſt noͤthig und nuͤtzlich1 durch Verſe eingeladen. 42
  • Poëte. Miſerabler, Verſe darauf. 91
  • Polter-Hans. Inſcription auf ihn. 10
  • Preuſſen. Aufdeſſen Koͤnig Fridericum I. Verſe. 57
  • Prieſter, deren Lieblichkeit in Verſen beſchrieben. 25
  • Pufendorff. Diſpoſition zu einem Carmine auf deſſen Tod. 108

R.

  • Raͤtzel-Verſe. 84
  • Regenwetter zur Erndte-Zeit, Verſe darauf. 18
  • Reime, was ſie ſeyn.8 ob ſie noͤthig zu Verſen .ib. vielerley. 12
  • Ringel-Oden70
  • Ruͤcklinge. 99

S.

  • Saphiſche Verſe. 51
  • Satyriſche Gedichte. 90
  • Scanſion. 31
  • Schubartin in Leipzig. Verſe auf ihren Tod. 105
  • Sonnet. 81
  • Stickel-Gebaͤude. 103
Stu -[154]Regiſter.
  • Student, der ein Soldat wird und verliebt iſt. Verſe darauf. 146
  • Stylus im Carmine. 128

T.

  • Thon bey den Nationen unterſchieden. 13
  • Tritt-Reime. 102
  • Trochaiſche Verſe. 46

V.

  • Verliebter Alter. Verſe darauf. 83

W.

  • Weißheit iſt doppelt. Verſe darauf. 56
  • Wiederkehrende Reime. 93

Z.

  • Zahl-Verſe. 97

ENDE.

[155]

About this transcription

TextWohl-informirter Poët
Author Erdmann Uhse
Extent164 images; 29031 tokens; 6745 types; 192676 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationWohl-informirter Poët worinnen Die Poëtischen Kunst-Griffe, vom kleinesten bis zum grösten durch Frag und Antwort vorgestellet, und alle Regeln mit Exempeln erkläret werden Erdmann Uhse. 2. Auflage. 148 S., [4] Bl. SchusterLeipzig1719.

Identification

SLUB Dresden SLUB Dresden, Ling.Germ.rec.635

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Verslehre; Gebrauchsliteratur; Verslehre; core; ready; china

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Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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ShelfmarkSLUB Dresden, Ling.Germ.rec.635
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