PRIMS Full-text transcription (HTML)
Poetiſche Schriften
Vierter Band.
Mit allergnaͤdigſten Freyheiten.

Vorbericht.

Die Tageszeiten, die in den bisheri - gen Auflagen ſo viel guͤtige Leſer ge - funden haben, erſcheinen allhier in ei - ner ſehr veraͤnderten Geſtalt. Jch kan dieſes Gedicht, wie ich glaube, mit* 2RechtVorbericht. Recht ein ganz neues Gedicht nennen, ſo gaͤnzlich iſt es von mir umgegoſſen worden. Die einzelnen Verſe, die ich noch aus den vorigen Auflagen bey - behalten habe, ſind einer beſſern Har - monie wegen faſt alle geaͤndert; groſ - ſe Stellen ſind herausgelaſſen worden, und groſſe Stellen ganz von neuemhinzu -Vorbericht. hinzugekommen. Da der Hauptton dieſes Gedichts ernſthaft war, ſo ha - be ich ſehr viel Schilderungen meiner eignen Kritik aufgeopfert, obgleich ei - nige Leſer ſie vielleicht vermiſſen wer - den. Alle groſſen und kleinen, ſo - wohl geaͤnderten als neugemachten Stellen anzuzeigen, wuͤrde zu weitlaͤuf -* 3tigVorbericht. tig ſeyn, da ſie, wie ich hoffe, ins Auge fallen. Jch uͤberlaſſe es alſo lediglich Kunſtrichtern und Liebhabern ſelbſt, die Vergleichung zwiſchen den erſten Auflagen, und dieſer meiner ietzigen verbeſſerten Arbeit anzuſtellen, und werde ich mich fuͤr vollkommen belohnt halten, wenn das PublikummitVorbericht. mit meiner Bemuͤhung, ſeinen Bey - fall zu erwerben, nicht ganz unzufrie - den iſt. Aller Sorgfalt ungeachtet ſind einige Druckfehler ſtehn geblieben, wovon man die vornehmſten hier an - zeigen will.

Jm Morgen S. 22. Z. 1. und im Mittag S. 105. Z. 3. muß jedesmal ſtatt Meer, Moor geleſen werden. Jm Mor - gen S. 28. Z. 10. muß das Wort zu -* 4ruͤck,Vorbericht. ruͤck, weggeſtrichen werden. Jm Mittag S. 56. Z. 8. liß ſtatt erwachſene, ver - wachſene. S. 85. Z. 11. muß das Wort er weg. Jm Abend S. 118. Z. 6. liß ſtatt aͤngſtlich ſtoͤhnen, aͤngſtlich ſchuͤrfend. Jn der Nacht S. 140. Z. 1. liß fuͤr erwaͤhlte, erwaͤhle. Jm 6ten Bande S. 87. Z. 4. liß zum Kriege denn, Goͤtter, zum Kriege. S. 300. Z. 1. Muß der Vers heiſſen, Leitet, o Seraph, dich nicht zu einer ſtraͤflichen Neugier.

[1]

Der Morgen. Der Morgen.

IV. Th. A[2][3]
[figure]
Sey mir, o heitrer Morgen, gegruͤßt! Komm, ſteige hernieder
Von den verguͤldeten Hoͤhn in wiederermunterte Thaͤ - ler!
Sieh! die Blume richtet ſich auf; voll blitzender Perlen
Lacht ſie ſchoͤner umher, von deinen Stralen geoͤfnet:
A 2Und,4Der Morgen.
Und, indem die Muſik des belebten Waldes erwachet,
Wirſt du von Jubelgeſchrey, und jauchzenden Choͤren, begruͤſſet.
Du, die mit einweihendem Blick, den Britti - ſchen Saͤnger
Zu dem weiten Pallaſt der Jahreszeiten gefuͤhret:
Laß mich, Doriſche Muſe, die Jahreszeiten im Kleinen,
Jahreszeiten des Tags, nicht ganz unwuͤrdig beſingen.
Bringe mich an die umleuchteten Pforten des ſchim - mernden Mergens!
Jhm eroͤfnet ſie ietzt mit Roſenfinger Aurora,
Und er ſaͤhrt im Oſten herauf im Pompe des Sieges,
Welchen er uͤber die Schatten erſtritt. Sein ſtralen - der Wagen
Fliegt durch die Himmel. Die guͤldenen Stunden, die lachenden Freuden,
Schweben um ihn. Ein Perlenthau trieft von pur - purnen Raͤdern
Auf die erwachende Welt, die ihren Geliebten bewill - kommt.
Du, o mein getreueſter Gaͤrtner, du Ehre der Freundſchaft,
Welchen das edelſte Herz auch ohne die gluͤcklichſten Gaben
Deines5Der Morgen.
Deines erleuchteten Geiſtes, erhuͤbe; den oͤfters die Laute,
Die der mahlende Thomſon geruͤhrt, zur Bewunde - rung hinriß,
Wenn du, mit uͤber dich ſtroͤmender Luſt, vom Antlitz des Fruͤhlings
Unter dem ſchattichten Dach vertraulicher Linden und Ulmen
Dich begeiſtert gefuͤhlt; und durch die Liebe begluͤcket,
So durch die Liebe begluͤckt, als Sterbliche jemals ge - weſen,
Mit vermehrter Empfindung der Nachtigall Lieder ge - hoͤret:
Leih auch meinem Geſang vom holden Lenze des Tages
Ein gefaͤlliges Ohr, und laͤchle der Kuͤhnheit Ermunt - rung.
Siehe! die einſame Nacht winkt mit dem bleyer - nen Zepter
Jhrem duͤſteren Zug, den traurigen Kindern des Schat - tens.
Sie gehorchen dem Wink, und folgen eilig dem Wagen
Jn die Gefilde des Abends zuruͤck. Der ſtreifichte Schleyer
Dunkler verſammelter Wolken, in den die Natur ſich gehuͤllet,
Rollt ſich vom Himmel bereits in wogichtwallenden Falten
A 3Zit -6Der Morgen.
Zitternd verſchwinden die Sterne; der helle Bote des Morgens,
Luzifer, blinket allein mit matten verloͤſchenden Stra - len
Durch den unendlichen Raum des weiten aͤtheriſchen Reiches.
Vom Gefolge der Nacht entwiſchen indeſſen die Traͤume
Gauckelnd zuruͤck, und ſchwaͤrmen auf bunten flattern - den Fluͤgeln
Ueber den Haͤuptern der Menſchen herum in zahlloſen Schaaren.
Denn der Morgen, der ietzt den ſanfteſten Schlummer verſtreuet,
Schafft in der leichteren Seele den freyen mittleren Zu - ſtand,
Zwiſchen dem tiefeſten Schlaf und dem erſten leichten Erwachen,
Jhrer bemeiſtert ſich ietzt die Phantaſey. Von dem Haupte
Weht ihr der wallende Federbuſch hin; die goldenen Locken
Wallen mit Blumen gekraͤnzt in die Luft; ihr Kleid iſt beſaͤet
Mit viel blitzenden Flittern, und tauſend wechſelnden Farben,
Wild und ploͤtzlich ſchießt ſie umher. Bald ſteiget ihr Fittich
Jn die Geſilde der Luſt; bald ſtuͤrzt ſie von Felſen her - unter,
Und7Der Morgen.
Und arbeitet durch bruͤllendes Meer zu fernen Geſta - den,
Jtzo geht ſie entzuͤckt in hellen bezauberten Wieſen,
Hoͤrt Sirenengeſang, und ſpeißt in Schloͤſſern der Feyen,
Oder ſie bebt durch ſchreckliche Wuͤſten, und alte Ge - maͤuer,
Und geht unter den Graͤbern herum in Trauer verhuͤl - let:
Bis das kleinſte Geraͤuſch die leichten Traͤume zerſtoͤ - ret,
Und dem erwachenden Blick die leeren Phantomen ver - ſchwinden.
Nach und nach enthuͤllet ſich nun die daͤmmernde Gegend.
Waldichte Huͤgel erheben ihr Haupt; in blauer Schat - tirung
Schwillt zuſehends dem Auge bereits der Ruͤcken der Berge.
Dunkelglaͤnzend rollet der Strom die ruhigen Wogen
Durch das rauchende Land, das immer noch mehr ſich enthuͤllet.
Maͤchtige Thuͤrme ſteigen empor, und drohen den Wolken,
Und das moſichte Dach tritt aus den verſchwindenden Schatten.
Jubilirend ſchwingt ſich indes die ſteigende Lerche
A 4Von8Der Morgen.
Von der thauichten Flur, und ruft dem kommenden Tage.
Der erwachende Wald, die wiederbelebten Gefilde,
Hoͤren die Stimme des Herolds, der zu Geſaͤngen er - muntert,
Alle werden ermuntert. Es huͤpfen die Saͤnger des Waldes
Froͤhlich empor, und putzen die Schwingen. Jn ſtil - ler Erwartung
Scheinen ſie alle bereit, um bey dem gegebenen Zeichen
Mit dem allgemeinen Concert die Sonne zu gruͤßen.
Noch verbirgt ſie ſich uns. Auf roſenfarbenem Fittig
Rauſchet die Morgenroͤthe vorbey, indem ſie die Sterne
Ploͤtzlich vertilgt, und rings um ſich her die Wolken be - purpert.
Voller Ungeduld ſtuͤrzet die Schaar der groͤſſeren Voͤgel
Jn die Tiefe der Luft, die Sonne fruͤher zu ſchauen.
Aus dem dunkelen Forſt wallt ihr der reiſende Reyher
Und der Habicht entgegen. Ein dickes Geſchwader von Dohlen
Flattert um Felſen herum, mit lautem geſchwaͤtzigen Rufen,
Da9Der Morgen.
Da in oberer Luft, in gaukelnden Kreiſen, die Schwal - be
Sich im roͤthenden Stral die blauen Fluͤgel verguͤldet.
Langſam trabet nunmehr der Hirſch mit ſtolzem Ge - weyhe
Ueber die Haide zum Forſt, und ſieht nach den Saa - ten zuruͤcke,
Die er ungern verlaͤßt, vom fruͤhen Tage verſcheuchet.
Auch der Haſe fluͤchtet ſich nun zum buſchichten Vor - holz;
Da aus hohen waldichten Wipfeln veralteter Eichen
Mit ſchwerfliegendem Flug der Rabe zu fernen Gefil - den
Fortzieht. Munter eroͤfnet bereits der Schaͤfer die Huͤrden;
Von dem Widder gefuͤhrt, folgt ihm die bloͤckende Heerde
Zu den blumichten Hoͤhn. Von Fruͤhlingsgeruͤchen be - geiſtert,
Setzt der zufriedene Hirt auf einem waldichten Huͤgel
Froͤhlich ſich hin; ergreift ſein Rohr, und ſchallende Lieder
Toͤnen ins einſame Thal. Der Nachhall horchet den Liedern,
Sendet ſie wieder zuruͤck, und taͤuſcht den lauſchenden Schaͤfer
A 5Mit10Der Morgen.
Mit dem aͤhnlichen Ton. Nunmehr erwachen die Huͤtten.
Auf dem moſichten Dach girrt ſchon der buhlende Tau - ber
Um die Geliebte herum, die bald nach ſproͤdem Ver - zoͤgern
Jhm den verweigerten Kuß noch ſuͤſſer, noch feuriger, hingiebt.
Mit gebogenem Hals ſteht hoch auf der Leiter der Haushahn,
Und kraͤht Freud in den Hof; mit lauten ſchlagenden Fluͤgeln
Springt er hinab auf den Platz, und tritt den ſchwaͤ - tzenden Weibern
Brennend entgegen; er ſchuͤttelt voll Stolz die maͤch - tige Krone,
Und geht unter ſie hin mit majeſtaͤtiſcher Herrſchaft.
Seine Stimme verkuͤndiget Arbeit. Den Herold des Tages
Hoͤrt der Landmann, ſpringt auf, und macht in grau - ender Daͤmmrung
Seinen Wagen zurecht; er hohlt die wiehernden Roſſe
Aus dem niedrigen Stall, und fuͤhrt ſie der Arbeit entgegen.
Oder er ſpannt an den Pflug die wiederkaͤuenden Ochſen,
Die geduldig dem Joch die breite Stirne gereichet.
Lang -11Der Morgen.
Langſam zieht er zur Flur, und reiſſet ſeitlang die Fur - chen,
Unter der Lerche Muſik, die ihm die Arbeit verſuͤſſet.
Jetzo ruht er, gelehnt an den Pflug, und ſchauet be - gierig
Weit gen Oſten hinab, das Antlitz der Sonne zu ſehen.
Goͤnne dein Antlitz, o Sonne, den dich erwartenden Fluren,
Und belohne die Muͤh des ſchweißvergieſſenden Land - manns,
Sie beſchleunigt den Lauf, und roͤthet im wollichten Oſten
Jmmer heller die Wolken, die vor ihr hergehn, und ſchimmern,
Wie ein glaͤnzender Hof, der ſeinen Monarchen ver - kuͤndigt.
Und nun ſiehe! Sie koͤmmt, ſie iſt da! Mit vollem Geſichte
Blickt queer uͤber die Welt die holde Fuͤrſtin des Tages.
Jetzo ſliege die Phantaſey, mit maͤchtigen Schwin - gen,
An den entnebelten Strand des ruhig ſchweigenden Weltmeers;
Oder ſie ſchaue herab von himmelnahen Gebirgen
Weit in die Wuͤſte des Meers, die jetzo der Morgen beſtralet.
Wie -12Der Morgen.
Wiehernd ſteigen die Pferde der Sonne, mit dam - pfenden Naſen,
Aus den Fluthen herauf, die ſeurige Laufbahn zu ren - nen.
Sie, die Sonne ſitzet darauf im monarchiſchen Pompe;
Von dem duftenden Haar der alles erheiternden Goͤttin
Troͤpfelt ein himmliſcher Thau, der, in ſich oͤfnenden Muſcheln,
Zu den reineſten Perlen erſtarrt. Des Mecres Be - wohner
Recken ihr Haupt aus der Fluth, die ſruͤhe Sonne zu gruͤſſen.
Alles iſt Himmel und Meer; doch auch die unendliche Wuͤſte
Lacht mit ſpielendem Glanz aus allen funkelnden Wo - gen.
Tief am Rande des Horizonts entdecket das Auge,
Halb in Wolken, und halb in der Fluth, das maͤchtige Kriegsſchif,
Sichtbar kaum; jetzt naͤhert es ſich; ſchon ſchwellen die Seegel
Jn das ſorſchende Glas; ſchon flattern die Flaggen und Wimpel
Um den wankenden Maſt: bis endlich die ſchwimmende Veſtung
Alle Seegel verſpreitet, und nah am hohen Kaſteele
Mit13Der Morgen.
Mit dem Donner des Kriegs die lauten Jnſeln be - gruͤſſet.
Und nun iſt der Vorhang gefallen! Auch uͤber die Ebnen
Funkelt der Sonne goͤttlicher Glanz; es trinken die Felder
Geitzig das ſegnende Licht, das ſo wohlthaͤtig ſich aus - gießt.
Alles laͤchelt entzuͤckt von trunkner Freude verſchoͤnert;
Jedes Gras erhebet ſein Haupt mit blitzenden Perlen;
Alles, was Stimmen hat, feyert mit Stimmen die Ankunſt der Sonne;
Die geſamte Natur ſchallt wieder von jauchzenden Choͤ - ren,
Und ein heiliger Duft ſteigt, wie ein dampfender Ne - bel,
Von dem Erdenaltar zum Morgenopfer der Sonne.
Praͤchtige Scene! wer kan dich beſchreiben? Wer tauchet den Pinſel
Jn die Farben des Morgenroths ein, dich wuͤrdig zu mahlen?
Traurig harrte die bange Natur im erkaͤltenden Schau - der,
Und ihr herrlichſter Schmuck war von den Schatten verſchlungen.
Wie ein maͤchtiger Tod lag mit verbreiteten Schwin - gen
Die14Der Morgen.
Die verhuͤllende Nacht weit uͤber dem einſamen Erd - kreis.
Aber auf einmal verjagt, die triumphirende Sonne,
Schatten und Schauder und Schlaf zum Niedergange zuruͤcke,
Jhre wohlthaͤtige Kraft gießt ſich durch alle Geſchoͤpfe -
Und der Puls der Natur faͤngt an von neuem zu ſchla - gen.
O wie war es ſo leicht; daß Menſchen dich goͤttlich verehrten,
Guͤtige Sonne, dich, Quelle des Lichts, dich, Fuͤrſtin des Himmels!
Da ihr erſtes Gefuͤhl zu ſolchen Wundern ſie hinriß.
Haͤtte der Heide dich nicht verehrt, ſo waͤre es dem Heiden
Zum Verbrechen geworden! Wenn in dem Tempel von Cusko,
An dem rauſchenden Ganges, und an des Hydaspis Geſtaden,
Das lautfeyrende Chor der weißgekleideten Prieſter
Dich mit Hymnen begruͤßt, und dir mit Weyhrauch geopfert;
Oder der nackende Mohr in froͤlichgeſchloſſenen Reihen
Dich mit Taͤnzen empfieng; war dies nicht Menſchen gemaͤſſer,
Als15Der Morgen.
Als vor Stieren zu knien, und Caimanen zu raͤu - chern?
Sey auch uns, Regentin des Tags, im Oſton will - kommen!
Dich begruͤſſe das Lied der hingeriſſenen Muſe,
Welche durch deinen Glanz den Thron des Schoͤpſers erblicket,
Deſſen unterſte Stufen dein himmliſches Feuer verguͤl - det.
Stralender Ausfluß des Lichts! du, Quelle von aller der Schoͤnheit,
Die den wandelnden Erdkreis in ſeinen Veraͤndrungen ſchmuͤcket.
Seegen und Nahrung flieſſet aus dir, in feurigen Stroͤ - men,
Fuͤr unzehlige Schaaren ſo vieler verſchiednen Ge - ſchoͤpfe!
Von den Herren der Welt, bis auf die ſtaubichte Milbe,
Trinket alles, und lebt von deinem beſeelenden Aus - fluß!
Dich umtanzen die Stunden in muſikaliſchen Reihen;
Und die Zeiten des Jahrs, im abgemeſſenen Wechſel,
Folgen dir nach, und kraͤnzen mit Seegen und Freude den Erdkreis.
Wenn der blumichte Lenz kaum von den Purpurge - woͤlken
Seine16Der Morgen.
Seine Roſen verſtreut: ſo ſteigt der maͤchtige Sommer
Auf den ſtammenden Thron, und ſchieſſet ſengende Stralen
Aus dem Koͤcher herab; die Pfeile ritzen die Erde,
Das weitwallende Feld wird weiß; die reifenden Aepfel
Gluͤhn erroͤthend am Baum; indem in milderer Herr - ſchaft
Sich der verſchwendriſche Herbſt auf kuͤhlenden Luͤſten herablaͤßt;
Sein von Trauben und Fruͤchten geſchwollenes Fuͤll - horn verſchuͤttet,
Und das jauchzende Feld mit guͤldenem Regen erfreuet.
Bis, in Schneegeſtoͤber verhuͤllt, der brauſende Winter
Toͤdtende Seuchen verjagt, und auf verwuͤſtenden Stuͤr - men
Schaͤtze von Ruh und Geſundheit den ſtarrenden Flu - ren ertheilet,
Daß der ermuͤdete Baum, die lang entkraͤſteten Felder
Unter der Decke der Flocken zu neuem Seegen ſich aus - ruhn.
Aber wie groß iſt nicht der, der dich, o maͤchti - ge Sonne,
Und nicht dich nur allein, der Millionen von Sonnen,
Jn17Der Morgen.
Jn den grenzloſen Raum, als ſtralende Funken, ge - ſchuͤttet,
Die er aus dem Leeren des Chaos allmaͤchtig heraus - ſchlug,
Jede von werdenden Welten, und ihren Trabanten umringet,
Unausſprechliche Zahlen von tauſend verſchiednen Sy - ſtemen,
Wovon jedes ihn preißt mit Myriaden Bewohner.
Muſe, der ſinkende Flug kan nicht die Hoͤhen er - reichen,
Wo der brittiſche Geiſt im Sonnenglanze ſich badet.
Nur Thomſoniſche Hymnen erfuͤllen die Seele mit Feuer,
Und beſingen allein den erhabenſten Gegenſtand wuͤrdig.
Doch jetzt, da die Natur zu Lobgeſaͤngen entzuͤ - cket,
Jhm jauchzt, der ſie erſchuf; da ihn die Huͤgel erhe - ben,
Jhm die Waͤlder lobſingen, und alle Stimmen ihn preiſen;
Jetzo ſchwiege der Menſch? Jetzt ſchwiege der Chriſt? O der Schande!
Unnatuͤrliche Traͤgheit, die unvergeblicher waͤre,
Als die Blindheit des Heyden, wenn er der Sonne geraͤuchert.
IV. Th. BAber18Der Morgen.
Aber was ſeh ich? Viel tauſende ſteigen von naͤchtlichen Lagern
Nicht vom Vorſpiel des Todes geſchreckt, in welchem ſie lagen,
Unerkentlich, obgleich ſie von neuem zum Leben er - wacht ſind!
Ohne Gedanken taumeln ſie hin zur niedrigen Arbeit,
Ohne Gedanken von ihm, der ſie aus Staube geſchaffen.
Doch ich ſeh auch chriſtliche Haͤnde zum Himmel ſich falten,
Und demuͤthige Knie ſich vor dem Allmaͤchtigen beugen.
GOtt ſchaut gnaͤdig herab; die Morgenopfer der Her - zen
Sind ihm ein ſuͤſſer Geruch, und fuͤllen den jauchzen - den Himmel.
Ganz verblendet vom Glanz der groſſen praͤchti - gen Scene
Sitze die Seele vertieft, und ſchaue vom waldichten Huͤgel
Weit in das lachende Feld, dem Sonnenwagen entgegen.
Oder leite mich jetzt, o Muſe, zum winkenden Luſt - wald,
Wo in hohen Gewoͤlben voll Laub ein heiliges Schre - cken
Mein durchdrungenes Herz mit frommen Gedanken be - geiſtert.
Laß19Der Morgen.
Laß der Sonne fruͤheſten Stral die ſtammelnden Seuf - zer,
Mit dem Opfergeruch des Morgens, zum Himmel hin - aufziehn.
Huͤlflos lageſt du da, in einem Zuſtand von Ohnmacht;
Es war Tod Tod einer Nacht, in welchem du ſchliefeſt.
O wie maͤchtig ſolteſt du nicht die Wahrheit empfinden,
Daß von einer hoͤheren Macht dein Leben gehangen!
Haſt du dich ſelber erweckt? Haſt du die Augen geoͤfnet,
Die ein Anfang vom ewigen Schlaf ſo feſt dir geſchloſ - ſen?
Konteſt du deiner im Traum ausſchweifenden Seele gebieten,
Oder die ſchwaͤrmende Phantaſey in Schranken erhalten?
Und du ſiehſt es, du biſt erweckt; ein Wunder erweckt dich,
Und du lobſt nicht den GOtt, der dir von neuem dein Leben,
Ein ſo großes Geſchenk, auf Sonnenſtralen herabgiebt?
Doch die Andacht leitet mich ſchon auf feurigen Fluͤ - geln
Hoch in die Wolken empor, und laͤßt mich die Erde beſchauen.
B 2Welche20Der Morgen.
Welche Mengen entdecket mein Blick, mit erhabenen Haͤnden,
Voͤlker an Voͤlker, verſchieden in ihren Sprachen und Sitten!
Von der Pagode, Moſchee, von Synagogen, und Kirchen,
Schallt die harmoniſche Cymbel, die weitertoͤnende Glocke
Mit der praͤchtgen Muſik der Orgel vermiſcht, in die Lieder
So viel tauſend verſchiedener Sekten, die hierin doch eins ſind,
Einen allmaͤchtgen Beherrſcher der Welt, und der Geiſter zu loben,
Welchen Namen ihm auch die menſchliche Sprache ge - geben.
Ewiger, einziger GOtt! vor dem ſich die Thro - nen und Maͤchte,
Und die Myriaden der Engel, das Antlitz bedecken,
Laß dir die Lieder des Danks von deinen Geſchoͤpfen gefallen,
Auch vom irrenden Wilden, der mit verbreiteten Ar - men
Jm Gebete feuriger brennt, als jene Maſchinen,
Chriſten genannt, ſie, die nur allein aus Gewohnheit dich loben.
Meine Seele zittert gebuͤckt voll Andacht am Throne
Deiner21Der Morgen.
Deiner goͤttlichen Pracht, mit deren ſerneſten Stralen
Jetzt ſich die Morgenſonne bekleidet. Die ſterbliche Harfe
Singt zwar nicht wuͤrdig genug ſo groſſe Wunder der Allmacht;
Doch du hoͤrſt auch das Lied, das fromme Bewun - drung dir ſtammelt.
Niemals muͤſſe das Licht den wollichten Oſten bepur - pern,
Daß mein feuriges Herz nicht dir zu Ehren entbrenne,
Wenn auch die Lippe vor dir mit heiligem Schweigen verſtummet.
Alles ſchimmert nunmehr vom weltbeſeelenden Feuer;
Jegliche Perle von Thau blitzt uns im Kleinen der Sonne
Bildniß zuruͤck. Die ermunterten Blumen eroͤfnen ſich duftend
Jn dem friſcheſten Schmuck, und verhauchen Geruͤche von Balſam.
Laute vermiſchte Concerte von wilden Hymnen der Voͤ - gel
Schallen, aus Hecken und Baͤumen, ins Thal. Der Sperlinge Choͤre
Zwitſchern laut im Gipfel der Linde. Mit frohem Ge - klapper
Hebt ſich der Storch vom dornichten Neſt, durchſeegelt die Luͤfte,
B 3Und22Der Morgen.
Und ſinkt nieder zum Meer; nun wadet er, langſam ſchreitend,
Durch die Wieſen, im Thau, und ſuͤllt mit Froͤſchen den Schlund an.
Mit verbrantem Geſicht, und ſchwarzen feurigen Au - gen,
Naht ſich die Dirne dem Quell, der einzigen Schmin - ke des Landmanns,
Jhrer Mine fehlet nicht Reiz, nicht Anmuth den Wan - gen;
Und Geſundheit und Jugend erſetzt den Mangel der Weiſſe,
Die nur der Nachttiſch erzwingt. Mit maͤchtigem ſuͤſſen Verlangen
Sieht ſie der Hirt; ihm klopfet ſein Herz. Er trei - bet die Heerden
Langſam fort, ſieht oͤfters ſich um, bis ſeine Geliebte
Seinen Blicken entflieht. Nun treibt er die bloͤcken - den Schaaren
Aus dem Dorfe die Trift hinauf, zum ſchattichten Forſte,
Wo das dickeſte Gras die Kuͤhe verbirget. Die Haine
Hoͤren die ſuͤſſe Muſik der Schellen und Glocken, und fernher
Fuͤllt dies Gelaͤute mit Anmuth das Ohr des Wande - rers. Alles
Wimmelt im Felde nunmehr. Ein frohes buntes Ge - wuͤhle
Von23Der Morgen.
Von arbeitenden Menſchen, von einzeln weidenden Heerden,
Welches ſich mit der wallenden Fluth der Saaten ver - miſchet,
Reitzt den wandernden Blick mit einem lachenden Wechſel.
Und noch ſchlaͤft der Bewohner der Stadt? und kennt nicht die Freuden,
Die auf jegliche Flur die Hand des Morgens geſchuͤt - tet?
Er ſieht nicht das holde Geſicht der ermunterten Erde -
Welche, gebadet in Thau, mit friſcherer Schoͤnheit um - herſieht?
O der Schande! Verhuͤllet in Dampf, vergraben in Federn,
Traͤumt er den Morgen vorbey; in Phantaſeyen ver - wirret,
Welche die Duͤnſte des Weins im brauſenden Blute gebildet.
Und ihr, holde Schoͤnen der Stadt! wie flieſſet ſo traurig
Euch das Leben dahin! wie iſt euch die Anmuth ver - huͤllet,
Welche der heitere Morgen auf jeden Spatzierenden ſchuͤttet,
Der in heiliger Nacht ehrwuͤrdiger Waͤlder von Eichen,
Oder am Teich, die goldenen Wolken beſchauend, ein - hertritt!
B 4Warum24Der Morgen.
Warum athmet ihr nicht die friſcheſten Duͤſte der Ro - ſen,
Und die reineſte Luft voll aromatſcher Geruͤche?
Flieh, o Muſe, zuruͤck, und laß den ſtolzen Bewohner
Hoher Pallaͤſte den herrlichſten Morgen nur immer verſchlummern,
Und, umſchwebt von leeren Phantomen der nichtigen Ehre,
Halb das Leben vertraͤumen, und in dem uͤbrigen Knecht ſeyn.
Niemals hatte die ſchoͤne Seline den Einzug des Morgens
Jn dem Kerker der Stadt geſehn, in welcher vom Him - mel
Nur ein kleiner Bezirk zu ihren Augen ſich draͤngte.
Bilder vom Morgen hatte ſie zwar, ſo wie ſie der Maler,
Oder der ſchaffende Dichter, in ihre Seele gezeichnet;
Aber es waren nur Bilder, nie durch Erfahrung be - kraͤftigt.
Jn der Bluͤte der Jugend ward von der guͤtigen Liebe
Jhr ein zaͤrtlicher Juͤngling geſchenkt, mit dem ſie in Bergen
Jn der Nacht durchgereißt, und nun am daͤmmernden Morgen
Von25Der Morgen.
Von dem Abhang gen Oſten weit in die Ebnen hinab - ſah.
Ploͤtzlich ſchoß Aurora vor ihr, mit purpurnem Fittig,
Durch den ſtreiſichten Himmel, und that die Thore der Sonne
Vor ihr auf; doch ſchien ſie entzuͤckt im Fluge zu zoͤ - gern,
So viel hohe, ſonſt nie geſehene, Schoͤnheit zu gruͤſſen.
Bald drauf kam die Sonne daher auf dem ſtralenden Wagen,
Mit dem ganzen Pompe des herrlichſten Morgens be - gleitet.
Welches Entzuͤcken ergrif die fuͤhlende Seele des Maͤd - chens,
Da auf einmal vor ihr die praͤchtigſte Scene ſich auf - that!
Neben ihr lag im ſuͤſſeſten Schlaf ihr theureſter Juͤng - ling,
Deſſen bluͤhenden Reitz der Morgen noch ſchoͤner ihr zeigte.
Zaͤrtlich weckte ſie ihn mit einem feurigen Kuſſe,
Und brach, froͤlich beſtuͤrzt, in dieſe befluͤgelten Worte:
O, mein Geliebter, erwache zum allerpraͤchtigſten Schauſpiel,
Welches jetzt deine Seline zum erſtenmale betrachtet!
B 5Him -26Der Morgen.
Himmel! wie welken die Scenen dahin, die alle Thea - ter
Uns zu geben vermoͤgen! und wie verſchieſſen die Far - ben
Aller Freuden des Hofs, vor dieſem himmliſchen Auf - tritt!
Und ſchon achtzehn Jahr ward mir dies Schauſpiel ge - halten,
Eh ich nur einmal es ſah? (Hier floß auf die Roſen der Wangen
Eine Perle herab.) Auch dieſe Scene, Geliebter, (Fuhr ſie heiterer fort;) hab ich nur dir zu verdanken!
Sie umarmten ſich hier voll unausſprechlicher Liebe,
Und der guͤnſtige Morgen verſchuͤttete Kraͤnze von Blumen
Ueber dies zaͤrtliche Paar, die gluͤcklichſte Liebe zu kroͤ - nen.
Solcher Scenen genieſſet der Blick des Wande - rers, wenn er,
Nicht zu gemaͤchlich gewoͤhnt, ſich aus den Armen des Schlafs reißt,
Und den Thau und die kuͤhlere Luft des Morgens nicht fuͤrchtet.
Du, o Muſe, haſt oft die weichliche Ruhe verlaſſen,
Haſt den wandernden Fuß mit Perlenthaue benetzet,
Und27Der Morgen.
Und der Sonn entgegen geblickt. Was gleichet der Anmuth
Einer Landſchaft, vom Morgen bemahlt! was gleichet den Freuden,
Die wir im Arme der Ruh, im Schatten der Frey - heit, genieſſen?
Siehe! dir winkt ein gluͤckliches Haus. Mit ſchimmernden Fenſtern
Stralet es, weit in das Feld, des Wanderers Blicken entgegen.
Eine Saͤule von Rauch ſteigt aus dem zierlichen Schor - ſtein
Dick in die Wolken empor, voll von der Levante Ge - ruͤchen,
Und verkuͤndigt die Wohnung des Herrn des ruhigen Dorfes.
Jetzt, da ſeinen bevoͤlkerten Hof die bloͤckenden Heerden,
Hinter einander ſich draͤngend, verlaſſen, und ſtarke Ge - ſpanne
Munterwiehernder Roſſe zum ſteinernen Thor hinaus - ziehn;
Schluͤpfet aus ſeinem Arm die reizende Hausfrau zum Fenſter,
Und ſieht mit aufwallender Bruſt den gluͤcklichen Reich - thum
Jhrer geſegneten Heerden. Mit ſcharfem haͤußlichen Auge
Schaut ſie hinab in den Hof; ihr Blick ermuntert zur Arbeit.
Jhr28Der Morgen.
Jhr iſts nicht zu gering, die Dirnen zum Fleiſſe zu ſpornen;
Sie ſieht ſelbſt den Vorrath der Milch, und ordnet des Gartens
Anbau an; und rufet dem Schwarm der irrenden Huͤhner,
Welche die Stimme ſogleich der ſchoͤnen Gebieterin kennen.
Sie verlaſſen das thauigte Gras, vom Hahne gefuͤhret;
Kommen aus Scheuren und Staͤllen hervor, bis guͤl - dener Regen
Aus dem Fenſter uͤber ſie rauſcht. Sie hacken die Koͤrner
Eilig auf, und beiſſen voll Neid auf Sperling und Tauben,
Welche ſich unter ſie miſchen, und ihre Nahrung ſich ſtehlen.
Alsdann wendet ſie ſich zuruͤck, und wenn ſie im ſuͤſſeſten Schlummer
Jhren Geliebten noch ſieht; beugt ſie ſich uͤber ſein Ant - litz,
Haͤnget daruͤber in ſtiller Entzuͤckung und ſchmelzenden Freuden,
Und kuͤßt ſanft ihm die Wange, die auch im Schlummer ihr Anmuth
Laͤchelt. Dann bringt ſie auf zaͤrtlichem Arm den Erſt - ling der Liebe,
Ein aufbluͤhendes Maͤdchen, das ihrer Reizungen Bild iſt,
Und29Der Morgen.
Und die Guͤte des Herzens in halben Worten erſt ſtam - melt.
Schalkhaft legt ſie es hin zu ihrem Vater, und rauſchet
Hinter den Vorhang zuruͤck, die ſuͤſſe Scene zn ſehen.
Das holdſelige Kind ſchlingt ſich mit ſchmeichelnden Ar - men
Um den Vater, und wecket ihn auf mit Kuͤſſen und Plappern.
Ploͤtzlich erwacht er, und ſucht die Geliebte vergebens; dann druͤckt er
Seine kleine Buhlerin an ſich, und kuͤßt mit Entzuͤcken
Alle die Reize der Mutter, die hier im Kleinen ſich bilden.
Und nun kan ſich die Mutter nicht mehr verbergen; ſie ſtuͤrzt ſich
Jn des Geliebten zaͤrtlichen Arm, und ſchmilzt in Ent - zuͤckung,
Und indem ſie das Kind vom liebenden Vater zuruͤck - nimmt,
Zittert die Thraͤne des Danks aus froͤhlichweinendem Auge.
Bald drauf hat ſich in leichtes Gewand der Vater ge - worfen,
Und genieſſet des Morgens mit ihr. Sie wandeln zu - ſammen
Unter dem laubichten Dach der alten wirthbaren Lin - den;
Oder30Der Morgen.
Oder ſie irren herum in bunten Blumengefilden,
Und beſchauen die Pracht von ſo viel wechſelnden Far - ben,
Welche die guͤtge Natur auf alle Geſchlechter verſchuͤt - tet.
Jetzo bricht er fuͤr ſie die juͤngſte thauigte Roſe,
Die er laͤchelnd ihr reicht; ihr ganzes Auge wird Him - mel,
Und ſie ſteckt ſie ſogleich vor ihren wallenden Buſen.
O! wie dankbar lehnt ſie ſich nicht mit redenden Bli - cken
An ihn an, und ſagt ihm ſchweigend die feurigſte Lie - be!
Und wie verfinſtert wird nicht ihr holdes Auge, wofern ihn
Haͤusliche Sorgen ihr rauben, und er auf muthigem Roſſe
Ferne Fluren beſucht, und ſeine Schnitter ermuntert!
Lange ſieht ſie ihm nach, bis ihn die kruͤmmenden Thaͤler
Jhren Blicken entziehn. Dann kehrt ſie ernſter zuruͤcke,
Und ihr hoffendes Herz denkt nichts, als ſeine Zuruͤck - kunft.
So verſtreicht dem Landmann der Morgen in ſchuldloſen Freuden;
Nicht31Der Morgen.
Nicht ſo der praͤchtigen Stadt. Jn ihre geoͤfneten Thore
Zieht der Seegen des Landes, entweder auf ſeufzenden Achſen,
Oder auch auf belaſtetem Ruͤcken des emſigen Land - manns.
Unruh, Getuͤmmel und Laͤrm, ſchwirrt durch bevoͤlkerte Straſſen.
Mancher Morgengeſang, mit wilden Fluͤchen vermi - ſchet,
Und begleitet vom langſamen Schlag des Hammers, erſchallet
Aus der Werkſtatt des Kuͤnſtlers. Von weiſſen Ge - zelten bedecket
Steht der Markt; und Handlung und Tauſch, mit der blaſſen Gewinnſucht,
Spornen die Sterblichen an. Viel tauſend verſchie - dene Stimmen
Fuͤllen die Luft; ſie brauſet und wallt, wie Wogen des Meeres,
Die mit heiſerem Ton an rauhen Geſtaden ſich brechen.
Welch ein Ueberfluß ſtroͤmt in dieſe verſchwendriſchen Thore!
Und was wuͤrgt nicht der Menſch, um ſeinem Gau - men zu ſchmeicheln!
Siehe! hier liegt das ſchuldloſe Lamm, erſt geſtern von Wieſen,
Wo es ſpielte, der Mutter geraubt, und der Wolluſt geopfert.
Selber32Der Morgen.
Selber den nuͤtzlichen Stier, der mit geduldiger Arbeit
Manchen Acker gepfluͤgt, und ihn mit Erndten geklei - det,
Nahm der Landmann, und hat ihn erwuͤrgt, voll Un - dank erwuͤrget!
Ja, ſogar die Bewohner des Waldes hat weder die Wildniß,
Noch die ſchuͤchterne Flucht, vor blutigem Tode geſi - chert.
Den leichtſuͤßigen Hirſch, mit ſtolzem Geweyhe gekroͤ - net,
Hat die Kugel ereilt, und von den Felſen geſtuͤrzet.
Selbſt am zaͤrtlichen Reh tropft noch die blutende Wunde,
Welche das wuͤtende Bley in ſeine Seite geſchlagen.
Was fuͤr Mengen von herrlichen Fruͤchten ver - ſchuͤttet das Jahr nicht!
Und doch konte der Menſch zur Nahrung von Blut ſich gewoͤhnen,
Zum Tyrannen der Thiere ſich wuͤrgen, und reine Ge - richte,
Nicht mit Blute befleckt, verſchmaͤhn! Jndem ihn die Erde
Ueberfluͤßig verſorgt mit paradieſiſcher Nahrung;
Mordet er doch, und mordet zur Luſt! Verderbte Lu - kulle,
Da33Der Morgen.
Da das fluͤchtige Wild vor eurer Verfolgung nicht frey iſt;
So beſchleunigt den Tod des armen leidenden Thieres,
Und jagt nicht den Hirſch mit einer unmenſchlichen Freude
Jm Getoͤne des Jagdhorns, verfolgt von wuͤtenden Hunden,
Durch den klagenden Wald, und durch die erſchrocke - nen Haiden,
Bis er, erhitzt auf den Tod, die letzten Seufzer ver - roͤchelt,
Und ſein Wildpret allein tyranniſche Hunde belohnet!
O ihr Groſſen der Welt! gewoͤhnt nicht den kuͤnftigen Erben
Weiter Provinzen zur grauſamen Jagd; damit nicht die Menſchheit,
Und des Mitleids Gefuͤhl, in ſeinem Herzen erſticke!
Straft, ihr Muͤtter, auch nicht ein ſanftes fuͤhlendes Maͤdchen,
Welches mit Thraͤnen euch fleht, es nicht tyranniſch zu zwingen,
Jn den farbichten Hals der Taube das Meſſer zu ſtuͤr - zen;
Oder dem ſtummen ſchnappenden Fiſch ſein Leben zu rauben!
Soll ſich ein zaͤrtliches Herz zu Grauſamkeiten gewoͤh - nen,
IV. Th. CUnd34Der Morgen.
Und im rinnenden Blut die himmliſche Schoͤnheit ſich baden?
Jhre Thraͤnen verdienen zu ſehr die Verſchonung des Anblicks
Eines aͤngſtlich ſterbenden Thiers! O gebt ſie dem Juͤng - ling
Jn den liebenden Arm mit unverdorbenem Herzen!
Welche Sanftmuth wird einſt, von zaͤrtlichem Mitleid erhoͤhet,
Die gleichfuͤhlende Bruſt ihr aͤhnlicher Kinder beleben!
Jetzo nahn ſich die Pferde der Sonne den Krei - ſen des Mittags,
Und der Hoͤfling erwacht, und die Dame. Von ge - ſtrigen Feſten
Ganz noch berauſcht, erheben ſie ſich, und taumeln er - mattet,
Unbekuͤmmert, wie lange bereits der Morgen geſtralet,
An die Tafel, wo ſie der Levante Getraͤnke beſeelet.
Unmuth folget ihr nach; und fibriſche Todtenblaͤſſe
Decket die Wangen, von denen zu bald ihr Fruͤhling geflohen.
Kopfweh, vom Weine gezeugt, ſchwebt uͤber dem muͤr - riſchen Juͤngling,
Und peitſcht ſeine ſchwellenden Schlaͤfe mit grimmigen Geiſſeln.
Er35Der Morgen.
Er bemuͤht ſich umſonſt, den Aufruhr des wallenden Blutes
Zu beſaͤnftgen, und trinkt umſonſt die kuͤhlende Quelle;
Schon entflammt ihn ein ſchleichendes Gift. Am zier - lichen Nachttiſch
Sitzt, beſchaͤftigt im Putz, die halb noch traͤumende Schoͤne,
Ernſtlich iſt ſie bemuͤht, auf ihren verbluͤhenden Wan - gen
Kuͤnſtliche Roſen zu ſchaffen; wohlriechende Waſſer verduften
Rund um ſie her. Sie ſenket ſich ganz in den ſilbernen Spiegel
Und Stillſchweigen herrſchet um ſie, wofern ſie nicht etwan
Jhrer Gehuͤlfin Lehren ertheilt, hier Muſchen zu le - gen,
Oder dort hoͤher empor die ſchimmernde Blume zu pflanzen.
Noch iſt ihr Angeſicht leer von allen erobernden Mi - nen,
Die ein finſterer Ernſt, und Tiefſinn im Putze ver / ſchlungen.
Aber wie heitert es ploͤtzlich ſich auf! Ein praͤchtiger Stutzer
Flattert herein ins Gemach, und kuͤßt mit wildem Ent - zuͤcken
Jhre verzaͤrtelte Hand, kaum von der Salbe getrocknet,
C 2Die36Der Morgen.
Die im Handſchuh des Nachts die Farbe noch weiſſer gekuͤnſtelt.
Jetzo ſetzt er ſich kuͤhn an ihre Seite. Sie blicket
Jhm Ermunterung zu, und eilt, mit ſiegenden Minen
Jhn zu bezaubern. Wie kuͤnſtlich weiß ſie die Reizun - gen alle
Zu verrathen, die ſie in ſeinen Augen verſchoͤnern.
Bald zeigt ſie den blendenden Arm; bald wirft ſie im Sprechen
Jhren Mantel zuruͤck, und alle Schoͤnheit des Buſens
Schwillt vor ſeinem Verlangen empor; ſein Auge wird wilder,
Feuriger wallet ſein Blut; die ſonſt geſchwaͤtzige Zunge
Stockt. Sie ſieht es, und lacht; der Gott der fluͤchti - gen Liebe
Jauchzet; die Keuſchheit entflieht, und ſie fuͤhrt ihren Verehrer
An den Siegeswagen geſchloſſen, zum ſtolzen Triumph fort.
Und am Nachttiſch nicht nur empfaͤngt, die entar - tete Schoͤne,
Den wildliebenden Juͤngling: von Frankreichs Sitten verdorben,
Nimmt ſie oft ſeinen Beſuch noch halb in den Armen des Schlafs an.
Und37Der Morgen.
Und dies nennet man Welt? Dies heißt Erziehung? O Name,
Luͤgender Name! Wie ſcheitert durch dich die Tugend und Keuſchheit
Bey ſo vieler Gefahr, die unter der Sicherheit lauſchet!
O wie biſt du, Germanien, nicht verdorben, vergiftet,
Von der galliſchen Peſt! Die gluͤcklichen guͤldenen Zei - ten,
Da du mit deinen maͤnnlichen Sitten der Wolluſt den Eingang
Wehrteſt, und Trug nicht und Liſt die Herzen. der Fuͤr - ſten entweihte,
Dieſe Zeiten ſind leider nicht mehr! Denn damals war Tugend
Noch kein nichtsbedeutender Name. Die himmliſche Keuſchheit
Gieng, im hohen Gefolge von reinen eigenen Sitten,
Unter deinen Toͤchtern einher. Die Choͤre der Jung - fraun,
Und der Juͤnglinge Schaar erhub ſie in Hymnen. Kein Laſter
Hatte ſich damals, wie jetzt, in lachende Namen ver - kleidet;
Keine Galanterie ſchlich um das Ehbett. Die wahre
Treueſte Redlichkeit nannte man damals die deutſche; nie ward ſie
C 3Von38Der Morgen.
Von der betruͤgenden Staatskunſt entweiht. Jn ehr - barer Freyheit
Wurden von Muͤttern allein die bluͤhenden Toͤchter er - zogen,
Nicht vom galliſchen Maͤdchen, das mit den galliſchen Liedern
Alle Fehler ſie lehrt, die ihre Herzen vergiften.
Weder die Kunſt, mit der ſchildernden Nadel auf mun - tre Tapeten
Lachendes Feld, und lebende Bilder, in Seide zu pflan - zen;
Noch die beſſere Kunſt, die Wirthſchaft gluͤcklich zu fuͤhren;
Oder den reinlichen Tiſch mit deutſchen Gerichten zu fuͤllen;
Auch nicht die Kunſt des Putzes ſogar, jetzt theuer er - kaufet,
Fehlte Germaniens Toͤchtern. Am ungekuͤnſtelten Nachttiſch
Gieng nicht der Morgen vorbey, ſo mancherley Schmin - ken zu ordnen.
Nein, ſie ſchminkte der ſpiegelnde Quell; und eigene Schoͤnheit
Nicht erzwungen mit Lilienweiß, und falſchen Carmine,
Stralte von offener Stirn, und vollen roſigten Wan - gen,
Freche Juͤnglinge konten noch nicht mit gleiſſenden Wor - ten,
Oder39Der Morgen.
Oder durch blendenden Witz unſinniger ſchaaler Romane,
Den geſunden Verſtand der deutſchen Schoͤne verfuͤhren.
Keine neue Mode von Stoff, kein Anzug von Spitzen
Brachte der Tugend Gefahr, und hieß die Keuſchheit entfliehen.
Dieſe Zeiten ſind leider nicht mehr! Wir tragen das Merkmal
Von dem galliſchen Joch auf unſern gezeichneten Stir - nen,
Frankreich krieget mit uns durch ſeine Waffen und Sitten;
Seine Waffen weichen noch oft germaniſchen Fahnen,
Aber mit ſeinen Sitten erobert es ſchneller und ſichrer.
Schaaren verdorbener witziger Koͤpfe, verhungerter Marquis,
Kommen und pluͤndern uns aus, gleich ihren verwe - genen Heeren,
Und dies iſt nicht genug. Wir ſenden zur galliſchen Hauptſtadt
Unſere Soͤhne, daß ſie dort ihre deutſche Geſundheit
Jm wolluͤſtigen Arm franzoͤſiſcher Weiber verlieren,
Und ihr vaͤterlich Gut im ſchaͤndlichen Spiele verſchwen - den.
C 4Gluͤck -40Der Morgen.
Gluͤckliches Volk! als noch die Satyre des galliſchen Witzlings
Deiner ehlichen Treu, und Unerfahrenheit lachte.
Da Germaniens Schoͤne, zu Liebeshaͤndeln unfaͤhig,
Dumm ſchien in franzoͤſiſchen Augen. Die Zeiten ſind nicht mehr!
Nehmt die Satyre zuruͤck, wir koͤnnen ſie nicht mehr verdienen,
Denn wir gleichen euch nun in allen Moden und La - ſtern.
Dieſes war der guͤldene Morgen der gluͤcklichen Zeiten,
Welche Deutſchland genoß; und der mit ſchwaͤcheren Stralen
Fern von der Staͤdte Betrug noch auf die Huͤtte ſich ausgießt,
Wo altvaͤtriſche Treu altvaͤtriſche Sitten begleitet.
Buͤckenden Schmeichlern oͤfnet ſich nun das Zim - mer der Groſſen.
O wie wimmelt der Saal von reichthumprahlenden Roͤcken,
Und falſchklugen Geſichtern, in Staatsperuͤcken ge - huͤllet!
Sollte hier nicht der Klient, von leeren Verſprechun - gen trunken,
Das ſo lang erwartete Gluͤck am ſicherſten finden?
Doch41Der Morgen.
Doch Verſtellung herrſchet allhier. Ein Hofmann um - armet
Hier den andern, als Freund, und hat bereits ihn ver - rathen.
Ach! ſein tuͤckiſches Herz wird bald das Jammern des Weibes,
Und das Flehn unſchuldiger Kinder mit Freude ver - nehmen;
Traurig ſtuͤrzen ſie, von dem Ruin des Vaters ergrif - fen,
Mit in den Abgrund herab, und vergraben hohe Ta - lente.
Dreymal gluͤcklich iſt der, der einen erleuchteten Staatsmann
Nicht durch den ſclaviſchen Rauch verſtellter Opfer ge - wonnen.
Wie ungluͤcklich iſt der, der in dem Vorſaal des Schrei - bers,
Unerhoͤret vom vorgen Lakay, um Allmoſen bettelt!
Der im Prozeß verwickelte Landmann koͤmmt jetzo mit Ehrfurcht
Zu dem Hauſe des Richters, dem ſeine Gerechtigkeit feil iſt.
Was ſein duͤrftiger Hof nur vermocht, die Kinder der Henne,
Oder ein ſaugendes Lamm, bringt er zum Altar der Themis.
Geſtern noch gieng er im dickeſten Schilf an ſandichten Ufern,
C 5Um42Der Morgen.
Um die groͤſte Forelle des Bachs dem Anwald zu ſu - chen.
Traurig wartet er nun den langen Morgen im Vorhof
Des beſtochnen Gerichts, das ſeine Pflichten verkennet.
Ach! wie wird er noch oft der Themis Tempel be - treten,
Bis ſein Hof, entvoͤlkert vom Vieh, zur Wuͤſte ge - worden,
Und ſein Acker allein dem Richter Sporteln getragen.
Gluͤcklich iſt der, der fern vom Altar der feilen Chikane,
Richter und Anwald nicht kennt, und ſeinen ruhigen Morgen
Unter dem niedrigen Dach, von Wuͤrden verſchonet, dahinlebt.
Rufe der Muſen zaubriſches Chor zu deiner Geſell - ſchaft,
Da der muntere Geiſt mit leichtern Gedanken empor - ſteigt,
Und der Koͤrper noch nicht mit groͤberer Nahrung be - ſchwert iſt.
Dann verſchließ, von Thoren entfernt, dich unter die Weiſen
Griechenlandes und Roms, und lerne leben von Tod - ten.
Oder genieſſe des Morgens im Schatten vertraulicher Ulmen,
Wo43Der Morgen.
Wo ſich der Epheu mit mahlriſchem Wuchs am Stam - me hinauſſchlingt.
Laß dich da das klaßiſche Blatt zu laͤndlichen Scenen
Leiten, und folge der Muſe des ſchoͤpfriſchen Thomſons zur Wohnung
Der mit ihm vertrauten Natur, und ſieh mit Entzuͤ - cken
Alle Schaͤtze, die ſie vor deinen Augen verbreitet.
Moͤcht auch ich in dem Arm der wahren Freyheit und Ruhe
Meine Tage vollenden, und keines Maͤchtigen Sklav ſeyn!
Waͤr auch mir es vergoͤnnt, die Balſamduͤfte des Mor - gens
Nicht im Kerker der Stadt, nein unter dem Himmel zu athmen,
Welcher ſich uͤber dem Haupt des Landmanns heiterer woͤlbet!
Da wollt ich am murmelnden Bach, von Freuden be - rauſchet
Stehn, und geizige Zuͤge der Luͤfte trinken, die Fruͤh - ling,
Luſt, und Zephir um mich verhaucht. Da wollt ich zufrieden
Wandeln unter dem Dach der alten geſelligen Linden,
Oder im herzerfriſchenden Hain, wo kraͤftige Kraͤuter
Bis44Der Morgen.
Bis in den innerſten Sitz der Seele duſten. Da wollt ich
Tief gehn in das wallende Korn, das rund um mich herſchlaͤgt,
Wie ein wogichtes Meer, indem die ſpielenden Winde
Sanft es kraͤuſeln. Auch wollt ich dann oft die Heer - den beſuchen,
Die an blumichten Hoͤhn, in bunten Wieſen ſich wei - den,
Und das muntere Lied des fruͤhen Hirten vernehmen,
Das er auf ſeinem laͤndlichen Rohr dem Wiederhall ſpielet.
Und was wollt ich nicht ſehn, was wollt ich nicht alles betreten?
Jeden lieblichen Fleck, und jeden geheiligten Schatten,
Wo im einſamen Hain der Nachtigall Lieder ertoͤnen,
Und mein fuͤhlendes Herz mit ſuͤſſer Wehmuth erfuͤllen.
Haͤtte mir dann ein guͤtig Geſchick zu dieſem Vergnuͤ - gen
Noch das groͤſte verliehn, ein ſanftes fuͤhlendes Maͤd - chen,
Wie ich ſie oft im taͤuſchenden Traum von ſuͤſſen Ge - danken
Mir gedacht; von munterem Witz und redlichem Her - zen,
Jch45Der Morgen.
Jch fuͤr ſie nur gemacht, ſie ganz fuͤr mich nur geſchaf - fen,
Welche die paradieſiſchen Freuden des guͤldenen Lebens
Mit mir genoͤſſe was haͤtt ich da noch von Gluͤck: zu wuͤnſchen?
Aber mir ſchien bey meiner Geburt kein ſolches Geſtirne!
Nicht ein einziger Fleck der weiten Erde gehoͤret
Meinen Wuͤnſchen! Oft muß ich den Thor, den Witz - ling, ertragen,
Um nur Baͤume zu ſehn, und Bluͤthen zu riechen. Oft muß ich
Stundenlang gehn, vor Hitze verſchmachten, bevor mich der Schatten
Eines Waldes erfriſcht; indes der eckele Hofmann,
Oder ein Harpax, der ſich nur freut im duͤſtern Ge - woͤlbe
Finſter zu lauſchen, und Schaͤtze zu haͤufen, die herr - lichſten Gaͤrten,
Und Pallaͤſte beſitzt, um welche die gluͤcklichſten Fluren
Sich erſtrecken, und nicht ſie genießt! Wie wuͤrde der Dichter
Sie genieſſen! O gluͤckliches Land, in welchem ein Pope
Mit der goͤttlichen Kunſt die dichtriſche Leyer zu ruͤhren,
Sich46Der Morgen.
Sich ſein Twidnam erwarb! Was kan der Dichter erwarten,
Welcher den Groſſen Germaniens ſingt? erzwungenen Beyfall,
Ein zweydeutiges Lob, und eine gnaͤdige Mine.
Doch was murreſt du, Muſe? Hat nicht der Him - mel die Guͤter
Jn dich ſelber gelegt, die deine Zufriedenheit ſchaffen?
Jſt ein fuͤhlendes Herz, ein immer heitres Gemuͤthe,
Von Geſundheit erhoͤht, kein Schatz, der Wuͤnſche verdienet?
Jſt die Schoͤpfung nicht dein? Singt in dem offenen Walde
Nicht die Nachtigall dir mit noch mehr zaubriſchen Toͤ - nen,
Als dem ſtumpferen Reichen in wenig genoſſenen Gaͤr - ten?
Bluͤhn die Baͤume nicht dir, und koͤnnen Schranken und Hecken
Jhre Duͤfte verhindern, zu deinem Genuſſe zu drin - gen?
Seyd mir alſo gegruͤßt ihr friſchen Auen, ihr Thaͤler,
Wo der murmelnde Quell durch Gras und Blumen ſich windet;
Und du freundlicher Hain, in deſſen bewirthenden Schatten
Mich47Der Morgen.
Mich ſo oft Erquickung gelabt! o ſey mir gegruͤſſet,
Mutter Natur! du gehoͤreſt mir zu; wohin ich nur blicke,
Seh ich Waͤlder und Fluren fuͤr mich. Sie ſollen umſonſt nicht
Mich einladen; ich will oft darin mit maͤchtger Begei - ſtrung
Mich erheben zu Jhm, der dich ſo herrlich geſchaffen,
Dich fuͤr mich auch erſchuf; und will im Feuer des Dankes
Oft die Leyer ergreifen, und ſeine Wunder erheben.
Die ihr noch den lachenden Morgen des gluͤckli - chen Lebens
Jn unſchuldigen Jahren genießt, in welchem die Sorge,
Oder ein druͤckendes Amt noch nicht die Muſen ver - ſcheuchet;
Juͤnglinge, laßt nicht umſonſt die heitern Stunden entfliehen,
Und bemuͤht euch, das friſche Gedaͤchtniß durch Schaͤtze der Weisheit,
Und das fuͤhlende Herz zu wahrer Tugend zu bilden;
Daß der erhoͤhtere Geiſt ſich zu Gedanken gewoͤhne,
Wuͤrdig der edlen Menſchheit und eurer wahren Be - ſtimmung.
Millio -48Der Morgen.
Millionenreich, bleibet ihr doch bey Mangel an Weis - heit
Aermer, als Bettler; und lernet ihr nicht, euch ſelber beſchaͤftgen,
So wird euch ein feſtlicher Saal zur einſamen Wuͤſte.
Jhr auch, ihr, Germaniens Schoͤnen, entziehet am Nachttiſch
Einige Stunden dem Putz, und widmet ſie lehrenden Schriften.
Jn die Bildung voll Reitz, womit die Natur euch be - ſchenket,
Bringt auch wahres edles Gefuͤhl vom Schoͤnen und Groſſen.
Aber verachtet den Witz, der mit der ſchluͤpfrigen Feder,
Eure Gemuͤther verderbt, und lachende Laſter euch leh - ret.
Grabt die Geſaͤnge des lehrenden Dichters, die Lieder des Weiſen,
Welcher, wie Young, zur Tugend entflammt, in zaͤrt - liche Herzen.
Laßt den leeren Roman die ſtrafbare Liebe verbreiten,
Euer gereinigter Geiſt ſey viel zu edel zum Laſter.
Aber ſoltet ihr auch Geſchmack im Buͤcherſaal finden,
Oder der feinere Witz ſich ſeiner Staͤrke bewußt ſeyn;
O ſo49Der Morgen.
O ſo ſchreckt nicht ſogleich mit niederm pedantiſchen Stolze
Euer Geſchlecht, das neidiſch auf euch, von Erziehung verdorben,
Wiſſenſchaften noch mehr im prahlenden Hochmuth ver - achtet.
Die gelehrteſte Schoͤne wird groͤſſerer Beyfall beloh - nen,
Wenn ſie Natur und Zaͤrtlichkeit ſpricht, und zur Lie - be geſchaffen,
Nicht mit Beleſenheit prangt, und unter Hauben nicht Mann iſt.
Folget auch ja nicht zu leicht, von Beyſpiel und Schmeichlern verleitet,
Einer verwegenen Dichterin nach, zur Fahne der Rei - mer,
Oder wohl gar in das Feld der Kritik. Die ſatyriſche Geiſſel
Schonet des Reifrocks nicht, und trift mit ſchmerzen - den Schlaͤgen
Einer Schoͤne durchwaͤſſertes Lied, ſo ſehr auch ihr Bildniß
Vor der mißlungenen Schrift vom Leſer Verſchonung erbittet.
Aber wie werdet ihr nicht das Herz des Mannes begluͤcken,
Den die Vorſicht euch ſchenkt, wenn eure Wangen voll Roſen,
Euer ſiegender Blick, und eure Kaſtanienlocken
IV. Th. DJhn50Der Morgen.
Jhn nicht allein euch feſſeln; nein, wenn noch hoͤhere Reize,
Anmuth des Geiſtes und Hoheit der Seele mit lachen - dem Witze,
Jmmer gleich ſtark ihn bezaubern; wenn euer gefaͤlli - ger Umgang
Oft von den Buͤchern ihn lockt, und ſelbſt die Geſell - ſchaft des Freundes
Jhm nicht immer die Freuden erſetzt, die Jhr nur ihm ſchenket.
O verdient nicht dies Gluͤck, um fuͤr den Morgen des Lebens
Zeitig zu ſorgen, ihn nicht zu verputzen; und wenig - ſtens mehr noch
Eure Seele zu ſchmuͤcken? So wird ſie im ſpaͤteſten Alter
Ueber den Abend des Mannes mit Stralen des Mor - genroths laͤcheln.
Der[51]

Der Mittag. Der Mittag.

D 2[52][53]
[figure]
Von dem ſtralenden Hofe der Sonne begiebt ſich der Mittag,
Unter dem hellen Gefolge der ſchwuͤlen feurigen Stun - den,
Nach der Erde herab. Jhm gluͤht ſein maͤnnliches Antlitz;
Faͤchelnde Winde ſchwaͤrmen um ihn, und kuͤhlen die Wangen,
D 3Welche54Der Mittag.
Welche die Milde beſeelt, und himmliſches Laͤcheln er - heitert.
Jhm ruht im wohlthaͤtigen Arm ein goldenes Fuͤllhorn,
Voll von Fruͤchten. Es harrt die Natur auf ſeine Ge - ſchenke;
Und er ſchuͤttet ſie aus, und ſein Gefolge bereitet
Tafeln umher mit Speiſe bedeckt, fuͤr alle Geſchoͤpfe.
Jn den kuͤhlenden Schatten von tauſendjaͤhrigen Eichen
Will ich jetzt wandeln. O ſenkt euch herab von rau - ſchenden Wipfeln,
Heilige Schauer, die ganz die Seele des Dichters empfindet!
Oder indem ich entzuͤckt aus jener vertraulichen Grotte
Ausſeh in die ſtreifichte Flur: ſo komm, o Begeiſtrung,
Die du ſo gern den einſamen Hain, die ruhigen Thaͤler,
Oder die woͤlbende Hoͤle bewohnſt! Sey guͤnſtig der Muſe,
Die den wechſelnden Tag in ſeiner Vollkommenheit ſin - get.
Du, mein Giſeke! du, der mit dem gefaͤlligſten Auge,
Welches die treueſte Freundſchaft beſeelt, der furchtſa - men Leyer
Oft55Der Mittag.
Oft zu ſingen gebot; der du mit holden Geſpraͤchen
Oft die laͤndliche Muſe durch Flur und Auen begleitet,
Und der Ausſicht ruhige Freuden oft mit mir genoſſen:
Dies mein einfaches Lied ſey deiner Ermuntrung nicht unwerth!
Sey mir Apoll! ſo ſchallet die Laute mit gluͤcklichen Toͤnen,
Welche wie ſilberne Wellen in blumichte Gegenden rie - ſeln.
Und nun wandelt der Sommer des Tags mit al - lem Gefolge
Durch die bunten Gefilde, die ihn mit Jauchzen em - pfangen.
Tafeln entſtehn, ſo wie er ſich naht. Verſchwendriſche Feſte,
Allgemeine, wohlthaͤtige Feſte fuͤr alle Geſchoͤpfe,
Heben ſich an, zur Ehre fuͤr ihn, des Himmels Mon - archen,
Welcher dem Bettler am Zaun, und im Palaſte dem Koͤnig,
Seine Tafel gedeckt, und mit gleichſorgenden Gnaden
Elephanten ernaͤhrt, und Milben ſpeiſet. Die Spu - ren
Seiner Allgegenwart fuͤhlt die Natur. Die Stunde des Mittags
D 4Nimmt56Der Mittag.
Nimmt die helle Poſaune. Die Fluren horchen; und alles
Eilt aus Wald, und Waſſer, und Luft zum Gaſtmal des Schoͤpfers.
Hoch ſieht die Sonne vom Himmel herab, und ſcheinet im Laufe
Stille zu ſtehn, der Freude der Erde noch laͤnger zu ſtralen.
Nach ihr blickt der Schaͤfer hinauf, und meldet dem matten
Fragenden Wandrer die Zeit nach ſeiner nie truͤgenden Weltuhr.
Er indeſſen treibet ſein Vieh zum kuͤhleren Schatten,
Welchen der hohe erwachſene Wald ins reifende Feld wirft,
Oder welchen ein buſchichter Berg in die Wieſe ſchat - tiret.
Unter dem Ahorn lagert er ſich. Der blumichte Raſen
Jſt ſein Tiſch; die ſchlechteſte Koſt, durch Arbeit ge - wuͤrzet,
Schmeckt ihm unter dem Baum. Dann ſieht er mit froͤlichem Auge,
Wie am rieſelnden Bach die bunt zerſtreueten Heer - den
Jrren; und ſchoͤpft den ſilbernen Quell, und trinket zufrieden.
Tiefer im Walde weiden die Kuͤh; die toͤnenden Schel - len
Fuͤllen57Der Mittag.
Fuͤllen mit hohlem Geklingel die lautantwortenden Thaͤ - ler.
Jetzo lagern ſie ſich auf einer umſchatteten Wieſe
Wiederkaͤuend, und ruhen beſchirmt im Dunkel der Eichen.
Selber die Rudel liegen geſtreckt im kuͤhleſten Dickigt,
Tief im wallenden Gras, das ſie dem Jaͤger verſtecket.
An dem rothen Moraſt, wo ſich der Regen geſammelt,
Waͤlzt ſich ſchnaubend die Bache mit ihren Jungen; der Keiler
Wetzet indes am ſplitternden Stamm die grimmigen Waffen,
Jetzo ſchweigen verſtummt die bunten Saͤnger des Waldes,
Unter dem Dache von Laub die ſchwuͤlen Stunden vor - uͤber.
Nur der guͤldne Haͤmmerling ſitzt im Haſelgebuͤſche
Auf dem ſchwankenden Aſt, und ſingt den ruhigen Hai - den
Stets eintoͤnig ſein Lied. Jm innerſten dicken Ge - hoͤlze
Schlaͤgt, der ſchmetternde Fink, aus alten hangenden Bu - chen.
Seinen hellen Geſang begleiten der Turteltaube
D 5Melan -58Der Mittag.
Melancholiſche Klagen, die ihren Geliebten beweinet,
Den ihr der moͤrdriſche Habicht geraubt. Es picken, und hacken
Hundert Schnaͤbel am moſichten Zweig, und ſuchen ſich Nahrung,
Oder berauben den Kopf der brennendbluͤhenden Diſtel.
Jn dem ſonnichten Vorholz lauſcht der ſchimmernde Rothſchwanz,
Und ſchießt nach dem bunten Jnſekt. Nicht glaͤnzende Farben,
Noch die guͤldenen Schwingen, erretten den Stutzer des Sommers.
Auch die Fuͤrſtin des Saͤngergeſchlechts, die Nachtigall ſchluͤpfet
Jn den Geſtraͤuchen herum; mit gierigfunkelnden Au - gen
Faͤhrt ſie auf den ſich kruͤmmenden Wurm. Sie ſinget nun nicht mehr
Zaͤrtliche Lieder dem Hain; und klebt, gleich niedrigen Seelen,
An der Erde, beſchwert mit Sorgen ſchmutziger Nah - rung,
Hart von Gefuͤhl; verſtummt zu edlen harmoniſchen Toͤnen.
So ſang oft, begeiſtert von dir, o himmliſche Tugend,
Einer bewundernden Welt der Dichter erhabene Lieder:
Doch59Der Mittag.
Doch ſein heuchelndes Herz verleugnet mit niedrigem Leben,
Was er ſo edel beſang, und kriecht im Staube der La - ſter.
Langſam leitet nunmehr die matten Roſſe der Landmann
Nach dem freundlichen Dorf, das aus dem Schatten der Linden,
Oder geheiligter Eichen, nach ihm ſuͤßlaͤchelnder aus - ſieht.
Alles koͤmmt vom Felde zuruͤck; die gluͤhende Dirne
Unter der Laſt von welkenden Klee, eilt, ohne zu ru - hen,
Jn den winkenden Meyerhof hin. Mit Schweiſſe be - decket
Eilen die heiſſen Geſpanne mit Brauſen unter das Ob - dach.
Nur der emſige Schnitter verachtet die Stralen der Sonne,
Und maͤht fort; weit klingt ins Feld die blitzende Senſe,
Bis das ſinkende Korn in langen Reihen den Acker
Ueberzeichnet. Nun hoͤrt er von fern die fliegenden Schritte
Seines Weibes, welche ſogleich im Schatten der Eiche
Seine Tafel ihm deckt, und von den gluͤhenden Wan - gen
Schweiß60Der Mittag.
Schweiß ihm irocknet, mit Staube vermiſcht; dann ſetzt er die Flaſche
An den durſtenden Mund, und ißt, zufrieden und gluͤcklich,
Unter dem rauſchenden Baume ſein Brod mit freyem Gewiſſen.
Auch ſeys nicht der Muſe zu klein, die Tafel des Land - manus
Zu betrachten. Wofern auch nicht bemahlte Confekte,
Oder Gaͤrten und Schloͤſſer von Zucker die Neubegier reizen:
So verdienen es doch die unverdorbenen Sitten,
Mit der Treue gepaart, die laͤngſt den Staͤdten ent - flohn ſind.
Hoͤre! ſie ruft die Glocke bereits mit ſilberner Stimme
Zu dem laͤndlichen Tiſch; der Dirne ſinken die Haͤnde
Von der Arbeit dahin, und mit gelenkeren Fuͤſſen
Schreitet der Juͤngling vom Stalle herzu. Sie ſetzen ſich alle
Um die Schaale herum, mit einem geſitteten Anſtand,
Welchen man ſonſt nicht ſo leicht an niedrer Erziehung bemerket.
Oefters ſtralet alsdann von jungen gluͤhenden Wangen
Liebe61Der Mittag.
Liebe hervor, und buhlet auch hier aus ſiegendem Auge.
Denn oft hat die Natur, auf eine der bluͤhenden Dirnen,
Jhre gluͤcklichſten Reize verſchuͤttet. Mit zierlicher Laͤnge,
Und mit ſchmaler Geſtalt, durch keine Kleidung er - kuͤnſtelt,
Nimmt ſie unter den Nymphen ſich aus. Jhr feuri - ger Blick ſchießt
Maͤchtige Stralen umher; die reichſte Jugend des Dorfes
Putzt ſich allein fuͤr ſie; ihr ſtreicht die ſchreyende Fie - del
Serenaten in einſamer Nacht; die bunteſten Straͤuſſer
Fliegen ihr von den Juͤnglingen zu, auch oͤfters am Jahrmarkt
Manches ſchimmernde Band. Sie haͤlt am niederen Landtiſch,
Durch der Schoͤnheit Gewalt, die rauheſten Sitten in Ordnung.
Sind wohl die Sitten ſo fein am wilden Tiſche des Junkers?
Mit der Grobheit vermaͤhlt ſitzt er bey theuren Gerich - ten
Unter plumpen ſchmarotzenden Gaͤſten als Witzling be - wundert.
Jn den entweihten Pocal rauſcht Wein, von Dumm - heit vergaͤllet,
Und62Der Mittag.
Und der verguͤldete Saal toͤnt vom gemeinen Gelaͤchter.
Niedergeſchlagen ſitzet bey ihm die ſittſame Schoͤne,
Welcher ſein ſchmutziger Scherz mit jedem Worte das Antlitz
Hochroth faͤrbt. Wie wuͤnſcht ſie ſich oft zum ſparſa - men Tiſche
Wieder zuruͤck, wo ehmals ihr Brod die Unſchuld ihr reichte!
Aber ſie wurde zu fruͤh der edelſten Eltern beraubet,
Und zur Sklavin des Reichthums gemacht. Die zaͤrt - lichſte Roſe
Bluͤht hier vom Unkraut verſteckt; doch bald wird guͤ - tig der Himmel
Auf ſie blicken; ſie wieder hervorziehn unter dem Un - kraut,
Und ihr leidendes Herz mit einem Wuͤrdigen lohnen,
Der ſie lange gewuͤnſcht, und Tugend und Unſchuld verſtehet.
Doch nicht immer umſchwebt der niedere Scherz - und die Grobheit,
Mit dem falſchen Geſchmack, die freye Tafel des Land - manns.
Wie begluͤckt iſt Amint auf ſeinem ruhigen Luſtſitz!
Ohne daß er den Namen Maͤcen von Schmeichlern er - kaufet,
Jſt63Der Mittag.
Jſt er ein wahrer Maͤcen von allen ſchoͤpfriſchen Gei - ſtern.
Jetzo nahet er ſich mit ſeinen wenigen Freunden
Aus dem ſchattichten Hain, wo ſie den Mittag erwar - tet,
Edle Gefaͤlligkeit geht vor ihm her; und feinere Sitten,
Als die Sitten des Hofs, ſind ſeine getreuen Begleiter.
Neben ihm wandelt mit heiterer Stirn die kuͤhnere Muſe
Eines ſich fuͤhlenden Dichters, der ſeine hohen Talente
Nun, durch ihn ermuntert, gebraucht. Auf guͤldener Laute
Sang er ihm goͤttliche Lieder von Lieb, und Freundſchaft, und Tugend.
Als er ihm ſang, da zitterten Thraͤnen von zaͤrtlichen Augen
Seiner Gemahlin und Toͤchter herab. Es rauſchten die Linden
Beyfall zu; der ſilberne Bach floß langſam voruͤber;
Lauſchend horchte der Weſt auf duftenden Wolken von Bluͤten;
Und die Huͤgel lagen umher in friſcherer Anmuth,
Als der Saͤnger ſo ſang, und aller Herzen entzuͤckte.
Jetzo64Der Mittag.
Jetzo ſetzen ſie ſich zur wohlgeordneten Tafel;
Freude wuͤrzet das Mahl; und unter edlen Geſpraͤchen
Eilen die Stunden davon. Auch fehlt der geſellige Scherz nicht,
Und es rauſcht nicht umſonſt in roſenbekraͤnzete Becher
Deutſcher Nektar vom Rhein, und Saft der burgun - diſchen Traude.
Mancher froͤliche Reim geht um die muntere Tafel;
Oder ein holder Geſang von Hagedorns maͤchtiger Leyer
Schallt von lieblichen Lippen, und reitzt die Ohren der Kenner.
Dann ergreift die heilige Gluth den Buſen des Dich - ters,
Der dem beſcheidnen Geſuch des edlen Beſchuͤtzers ge - horchet,
Und die Leyer ergreift. Bald ſingt er Liebender Kla - gen
Jn die Saiten; bald fließt mit mehr erhabenen Toͤnen
Das harmoniſche Lob der Tugend. So erndtet er reichlich
Beyfall und Ruhm. Drauf wandelt er fort im dich - triſchen Tiefſinn
Jn den einſamen Hain zu dunkeln geheiligten Schatten,
Wo65Der Mittag.
Wo er frey von niedern Geſchaͤften, und von der Zer - ſtreuung
Und der Staͤdte Getuͤmmel entfernt, unſterbliche Lieder
Sich erſchaft. Einſt hoͤrt ſie entzuͤckt der Kenner der Nachwelt,
Segnet ſein Grab, ſtreut Roſen darauf, und lohnt ihm mit Beyfall.
Wenn des Mittags flammende Glut die Himmel entzuͤndet,
Und der feurige Stral den Schooß der Erde durchdrun - gen;
Wenn in dem finſterſten Wald ein flimmernder Son - nenblick wandelt,
Und mit Zittern der Tag zu tiefen Gewoͤlben hinab - ſteigt:
Dann verlaſſen die giftgen Jnſekten die kaͤlteren Hoͤlen,
Suchen das Licht, und kommen, im Glanze der Son - ne zu ſpielen.
Jm verfallnen Palaſt, und alter Schloͤſſer Ruinen,
Sonſt vom Stolze bewohnt, blaͤht ſich die fleckigte Kroͤte.
Auch die Eidechs rauſchet vorbey am wuͤſten Gemaͤuer;
Und die Schlange windet ſich nun aus dunkeler Woh - nung
Zu den Blumengefilden einher; oft liegt ſie geſchlun - gen
IV. Th. EUnter66Der Mittag.
Unter dem Graſe verſteckt, und ſcheint unfaͤhig zu ſcha - den:
Aber Verderben und Tod ſitzt auf dem giſtigen Kamme,
Weh dem, der ſie verletzt! Sie wird ſich grimmiger raͤchen,
Als die Apuliſche Spinne, von deren durchdringendem Gifte
Nur die maͤchtge Muſik mit wildem Tanze befreyet.
Gluͤckliches Land, in welchem der Mittag mit kuͤhleren Stunden
Ueber die Gegenden herrſcht! Wo bald verhuͤllende Wolken
Vor der ſengenden Gluth den matten Wanderer ſchir - men;
Oder ein friſcher faͤchelnder Wind aus Weſten ſich auf - macht,
Und den Schweißvergieſſenden kuͤhlt. Dann ſinket oft Schlummer
Unter dem ſanften Geraͤuſch der immer lispelnden Eſche
Auf den Schaͤfer herab; und kraͤftiger hauchen dann um ihn
Aromatiſche Kraͤuter, ſo wie ſie die Wildniß hervor - bringt.
Wenn uns nicht Waͤlder von Zimmt, ſo wie in Jn - dien, duften,
Uns nicht Ananas ſpeißt, uns nicht der Cocos erfriſchet;
So67Der Mittag.
So ſperrt auch die ſcheußliche Schlange, die Tyger verſchlinget,
Hier nicht ihren Rieſenſchlund auf. Gluͤhn unſre Ge - filde
Nicht von paradieſiſchen Aepfeln, und wallen nicht Wolken
Von Orangengeruͤchen, wie in Hesperiens Feldern,
Ueber unſere Flur, die nur mit Schaͤtzen der Ceres
Sich beſcheidener kleidet: ſo fuͤrchten wir, ſicherer, auch nicht
Scorpionen, bewafnet mit Gift, und wilde Taran - teln.
Die ihr, vor der Sonne beſchirmt, in praͤchtigen Salen
Euren Mittag nunmehr in ſchimmernden Freuden voll - bringet,
Werfet die Augen auf die, die in der brennenden Hitze
Schweiß vergieſſen fuͤr euch, um euch mit Erndten zu naͤhren.
Eure Felder wimmeln umher von fleißigen Schnittern,
Und die Wieſen von Maͤhern, die euer Landgut berei - chern.
An dem kalkichten Fels haͤngt von dem Morgen zum Abend
Euer Winzer mit emſiger Hacke, der Reben zu pflegen,
E 2Deren68Der Mittag.
Deren blinkender Saft nur eure Becher erfuͤllet.
Ja, vergebens ſpreitet der Wald die friſcheſten Zweige
Um den Koͤhler herum; der himmelaufdampfende Holz - ſtoß
Schwaͤrzt den gruͤnenden Forſt, und hitzet ihn mehr, als der Mittag,
Der durch Wolken von Rauch in ſeiner Klarheit ent - ſtellt wird.
Und doch lebt der Koͤhler vergnuͤgt; die doppelte Hitze
Brennet ihn nicht; er miſchet den Rauch der dampfen - den Pfeife
Zu dem ſchwarzaufſteigendem Rauch des gluͤhenden Waldes.
Unter dem Strohdach wohnet mit ihm die Unſchuld der Sitten,
Mit der vergeſſenen Treu, die hier ſich zu ihm geſellet;
Die Zufriedenheit traͤgt ſein ſchwarzes Brod ihm zu Tiſche,
Und die Arbeit wuͤrzet den Trank: es ſey nun die Quelle,
Welche mit murmelnden Fall vor ſeiner Huͤtte vorbey - rauſcht;
Oder der Ceres ſtaͤrkender Saft, der ſuͤſſer ihm duͤnket,
Als das perlende Naß von Cyperns Huͤgeln dem Schwel - ger.
Wenn69Der Mittag.
Wenn der Juͤngling, welchen der Trieb in den ſchattichten Wald rief,
Von dem Wege verirrt, jetzt uͤber die brennenden Hai - den,
Ganz ermattet vom Stral des Mittags wieder zuruͤck eilt:
O wie ſtaͤrket ihn da der Aushauch duftender Kraͤuter,
Oder im friſchen Geſtraͤuch der Saft der labenden Erd - beer,
Welche weit um ſich herum mit ihrem Geruch ſich ver - kuͤndigt.
Nicht Ambroſia koͤnte ſo ſehr den Muͤden erquicken,
Wenn die erfriſchende Koſt, von einem Maͤdchen ge - pfluͤcket,
Das hier, wie die Goͤttin des Waldes, ihm ploͤtzlich erſcheinet,
Aus dem reinlichen Korb in ſeinen Jaͤgerhut regnet.
Schoͤner ſcheinet ihm dann im braunen Kittel das Maͤdchen,
Und er vergißt die Beſchwerden des Mittags, und fol - get ihr willig,
Nach dem niedrigen Dach, wo ihre gefaͤlligen Eltern
Jhren zufriedenen Gaſt mit laͤndlichen Speiſen bewir - then;
Da das Maͤdchen indes ſein Herz auf ewig verwundet,
E 3Und70Der Mittag.
Und ihr reizendes Bild in ſeiner Seele zuruͤcklaͤßt.
Jn der bevoͤlkerten Stadt herrſcht nun das Ge - tuͤmmel des Mittags.
Tauſend Stimmen, vermiſcht mit dem Donner der raſſelnden Wagen,
Wallen uͤber der Stadt, und ſie verſchlingen, wie Wellen
Eines brauſenden Meers, den angelandeten Fremd - ling.
Alles rauſcht in ſeinen Geſchaͤften mit fliegenden Schrit - ten
Bey einander vorbey; und ſelber der muͤßige Stutzer
Geht vom Spiegel, und eilt, und ſuchet den Anſchein der Arbeit.
Denn entweder flattert er jetzt durch alle die Straſſen,
Wo ein ſchoͤnes Geſicht den Fuß des Fluͤchtigen hinlockt;
Oder er ſetzet ſich hin, und opfert dem Gotte des Caf - fee,
Stammelt die Zeitungen durch, beſtimmt das Schick - ſal Europens,
Bis Gewinnſucht und Spiel zu ihren Altaͤren ihn fo - dern.
Auf der Boͤrſe verſammelt ſich jetzt der emſige Kauf - mann.
Was die Handlung nur reicht, die ſchimmernden Schaͤ - tze von Ormus,
Von71Der Mittag.
Von den Bengaliſchen Ufern, der caffeereichen Levante,
Vom unwirthbaren Nord, in koͤſtliches Peltzwerk ver - huͤllet;
Von der weſtlichen Welt wo unabſehlich der Plata
Wie ein Ocean ſich in Koͤnigreiche dahinwaͤlzt;
Da, wo Mexiko prangt; wo Peru guͤldene Flotten
Nach dem Jberier ſchickt; der Reichthum ſuͤdlicher Laͤnder.
Alles flieſſet hieher. Brittannien ſchauet monarchiſch
Ueber das ihr gehorchende Meer; die ſiegende Flagge
Weht an allen Geſtaden der Welt. Der Bataver eyfert,
Stiller wirkend, ihr nach, und iſt das Wunder Eu - ropens.
Wird der Deutſche denn ſtets, von Vorurtheilen ge - blendet,
An den Kuͤſten des Meers den Vortheil zur Handlung verſchlummern?
Haͤlt er es noch fuͤr zu klein, dem Meere Geſetze zu geben,
Und durch eigenen Fleiß der Erde Schaͤtze zu hohlen,
Die ihm Belgien borgt, das unſer Silber bereichert?
E 4Doch72Der Mittag.
Doch ſieh! durch das ſtaunende Meer ziehn Preußiſche Flaggen,
Und wehn zu Germaniens Ruhm in jauchzenden Haͤfen.
Laß mit eitelem Stolz das prahlende China ſich blaͤhen,
Das ſich mit furchtſamen Schritt nie von der Gewohn - heit entfernet;
Jmmer erfand, und weiter nie gieng; es ruͤhmet um - ſonſt ſich;
Japan zeiget umſonſt auf ſeine thoͤnernen Schaͤtze;
Unſer ſchoͤpfriſcher Geiſt hat ihre Kuͤnſte verbeſſert.
Jetzt deckt ſich mit meißniſchem Thon die Tafel der Groſſen,
Eine ſchoͤnre Natur ſcheint hier verbreitet. Die Goͤtter
Koͤnten auf beſſern Gefaͤſſen nicht ſpeiſen. So bluͤhet die Roſe
Kaum am Stock; kaum ſpielet ſo ſchoͤn die bunte Ra - nunkel
Auf dem kuͤnſtlichen Beet, als hier mit hoͤheren Far - ben
Der durchſichtige Thon, von Meiſterhaͤnden beſeelet.
O wie ungleich theilet die Hand der Vorſicht die Gnaden
Unter die Sterblichen aus! hier ſitzt der Guͤnſtling des Gluͤckes
Ganz73Der Mittag.
Ganz vom Glanze bedeckt, an ſeiner praͤchtigen Tafel.
Doch kaum ſcheint es ein Tiſch; es iſt ſein herrlicher Garten
Den die erfindſame Kunſt fuͤr ihn ins Kleine gezogen.
Unter Orangen ſitzen entzuͤckt die ſchimmernden Gaͤſte,
Und wohlriechendes Naß ſteigt aus den ſanften Fontai - nen.
Meiſſen ſcheinet erſchoͤpft von ſeinen irdenen Schaͤtzen,
Eine ſo blendende Reih von Schuͤſſeln bedecket die Ta - fel.
Zwanzig Koͤche verbrachten den Morgen, Gerichte zu ſchaffen,
Die ſein Mund nicht verſucht, und ſein Verlangen nicht aufdeckt.
Alle Weine der Welt bringt ſein verguͤldeter Schenk - tiſch,
Wie er winket, hervor; Madera zinſet ihm willig
Seinen Nektar; hieher ſchickt Cypern ſeine Tribute,
Porto, Champagne, Tokay, ſind ſeine Tafelprovinzen,
Und kaum wird ihn vom Rhein der Bacharacher ver - ſuchen.
Laͤufer, Lackeyen, Heyducken, in Sammt und Silber gekleidet,
E 5War -74Der Mittag.
Warten auf ſeiner Gaͤſte Befehle; ſie werden vollzo - gen,
Wie der Gedanke gewuͤnſcht, und winkende Blicke ge - fodert.
Und ſo trinken ſie, herrlich und groß, dem Abend ent - gegen;
Wahre Zufriedenheit ſcheint auf ihre Stirnen gezeich - net,
Und der Poͤbel beneidet das Gluͤck des maͤchtigen Man - nes.
Aber mit ſchaͤrferem Blick ſieht in der Ferne der Weiſe,
Wie vergebens ſich hier von allen Theilen der Erde
Theure Speiſen zuſammengedraͤngt, und wie er verge - bens
Alle Weine verſucht, um ſeiner Zunge zu ſchmeicheln.
Doch ſein Gefuͤhl iſt dahin! Sein laͤngſt verdorbener Magen
Muß die Pariſerpaſtete verſchmaͤhn, ſo ſehr auch die Reuter
Mit ihr durch Laͤnder geeilt, um ſeinen Geſchmack zu vergnuͤgen.
Und vor allem vergaͤllt ihm ſein Mahl die Furcht und die Unruh,
Welche beſtaͤndig um ihn die ſtoͤrenden Schwingen ver - breiten.
Jn den Augen ſitzet der Neid, und der Argwohn, und wachet
Auf75Der Mittag.
Auf die Blicke der andern; und ſpaͤht die geheimeſten Minen.
So eilt traurig die Zeit mit ſchwerem Schritte vor - uͤber;
Hier wird Freude zur Quaal, hier iſt der Ueberfluß Mangel.
Wie viel gluͤcklicher ſitzet am Zaun auf blumichten Raſen
Jener, welcher ſein Brod mit Schweiß und Arbeit verdienet!
Den ſein Gewiſſen nicht nagt, und der mit froͤlichem Herzen
Zum erworbenen Mahl, das Hunger und Arbeit ge - wuͤrzet,
Uuter die Schatten ſich ſetzt von einer vertraulichen Linde.
Vor ihm hat die Natur die Wieſe zum Teppich gebrei - tet,
Und der Himmel woͤlbet ſich hier um bunte Gefilde.
Als die Decke des praͤchtigen Saals, in welchem er ſpeiſet.
Wenn der Mittag bey ihm mit ſchwuͤlen Luͤften vor - beygeht,
Und der murmelnde Bach, die immer ſummende Biene,
Jhn im Schatten der rauſchenden Eſche zum Schlum - mer verfuͤhret:
Sinkt ihm ſorglos das Haupt; in einem erfreulichen Traume
Sieht76Der Mittag.
Sieht er ſein fleißiges Weib ſein Abendeſſen bereiten;
Oder er angelt im Traum am Ufer des maͤchtigen Stro - mes
Einen zappelnden Fiſch; faͤngt auf dem lockenden Heer - de
Voͤgel der ſeltenſten Art, die er dem Staͤdter verkaufet.
Bis er vom nahen Geraͤuſch der Mitarbeiter erwachet,
Und mit friſcherem Muth in ihre Reihen ſich miſchet.
Unzufriedener waͤlzet ſich jetzt auf ſeidenen Kuͤſſen,
Da die Sonne tiefer nun ſinkt, die weichliche Schoͤne.
Mit bereitetem Haar, und kuͤnſtlich bluͤhenden Wan - gen,
Und in reizender Mattigkeit gaͤhnend, erwartet ſie ſeuf - zend
Einen ſchmeichelnden Schlaf, die langen Stunden zu toͤdten.
Lange ſchon liegt ſie, und ſpielt mit roſenfarbenen Schlei - fen,
Die den wallenden Buſen verſchoͤnern; auch blaͤttert ſie oͤfters
Jn Romanen herum, und wird zur ſeufzenden Heldin.
Bis ihr Blut ſich erhitzt, und Luftgeſchoͤpfe ſich bildet
Von77Der Mittag.
Von Arkadiſchen Schaͤfern, von ſuͤſſen Platoniſchen Nymphen;
Und ſie Wolluſt mit Tugend vereint, und Stutzer mit Treue.
Alsdann uͤberlaͤßt ſie ſich ganz den ſreyen Gedanken,
Welche nun wild durch alle Gebiete der Einbildung ſchwaͤrmen.
Jn dem oͤden Gemach, vom gruͤnen ſichernden Vor - hang
Melancholiſch verhuͤllt, herrſcht eine vertrauliche Stille.
O! wenn dann ihr kuͤhner Amant den Eintritt gefunden,
Und ſie zu viel im erdichteten Schlaf dem Juͤngling ge - trauet:
Dann iſt oft mit eilenden Fluͤgeln, und weinenden Au - gen
Die beleidigte Keuſchheit von ihr auf ewig entwichen!
Wenn der Mittag nun bald die hoͤhern Bezirke verlaſſen,
Und dem kuͤhleren Abend ſich naht: dann dampft die Levante
Ueber dem Caffeetiſch auf; die Goͤttin der leeren Ge - braͤuche
Herrſchet nunmehr. Das ſchimmernde Kleid, der rauſchende Reifrock
Fuͤllt nun Saͤnften oder Caroſſen. Mit tiefer Ver - ſtellung
Eilt78Der Mittag.
Eilt man zu dem Beſuch; mit ſtetem gezwungenen Laͤ - cheln,
Und verzognem Geſicht, wird jede Sylbe begleitet.
Schwuͤre von Freundſchaft und Treu, und Reden vol - ler Verehrung,
Flieſſen von truͤgriſchen Lippen herab, und werden ver - geſſen.
Alles iſt eyfrig bemuͤht, den Stunden Fluͤgel zu geben;
Thoͤrichte Fragen, und leeres Gewaͤſch, erſchallen im Zimmer,
Unter dem zierlichen Rauſchen der Faͤcher. Sanft - freundliche Stimmen,
Die voll Schmaͤhſucht und Neid die reinſten Tugenden ſchwaͤrzen,
Lautes Gelaͤchter, und trockener Scherz voll Unſinn und Wortſpiel,
Alles wird unter einander vermiſcht. Ein Chaos, in Aufruhr,
Wo ſich der Weiſe verliert, und nur der Dummkopf daheim iſt.
Angenehmer flieſſen dem Freunde der Muſen des Mittags
Schwuͤle Stunden im Buͤcherſaal hin. Hier athmet er Ruhe.
Von dem leeren Geraͤuſch der eitlen Beſuche geſondert,
Und geſtorben fuͤr Narren, und ungehirnte Geſchoͤpfe,
Unter -79Der Mittag.
Unterhaͤlt er ſich hier mit unterrichtenden Todten.
Bring, o Muſe, mich jetzt zu jener hohen Rotunde,
Zu der Zierde des Gvelfiſchen Hauſes, und laß mich dort geizig
Schaͤtze ſammeln von Weisheit und Witz, die Nah - rung der Seele.
Laß die ſchoͤpfriſchen Griechen dich unterrichten. Vom Schoͤnen
Hatte kein anderes Volk ſo viel Empfindung. Sie ſind es,
Unſere Meiſter, die uns mit allen Kuͤnſten bereichert,
Und, uns Soͤhne der Gothen, zur Spur des Erhabnen geleitet.
Oder beſuche das herrſchende Rom, das unter den Sie - gen
Nicht die Muſen vergaß. Die hohen unſterblichen Lieder
Eines Virgils entzuͤcken noch jetzt; die Leyer des Flak - kus
Reißt uns jetzo noch hin mit ihren bezaubernden Toͤnen,
Sey auch nicht zu verwoͤhnt, der alten germaniſchen Barden
Rauhere Stimme zu hoͤren; ſie, die in der finſteren Dummheit,
Die ſonſt Deutſchland bedeckt, die ſelaviſchen Feſſel ge - brochen.
Und80Der Mittag.
Und mit ihrem Geſang barbariſche Sitten gemildert.
Philomele ſingt ſo in tiefen ſchauernden Waͤldern
Durch die Nacht der Wildniß ihr Lied, und troͤſtet den Wandrer,
Welcher im Walde verirrt mit Kummer den Morgen erwartet.
Oft verfolg auch den Weg durch friſche Waͤlder von Eichen
Bis zur Lindenallee, die nach Salzdalum
*)Ein berzoal. Braunſchweigiſches Luſtſchloß; wegen ſeiner Gemaͤldengallerie merkwuͤrdig.
*) dich leitet,
Wo die erſchaffende Kunſt in kuͤhlen Gemaͤchern und Hallen
Eine zweyte Natur, beſeelt durch den Pinſel, dir auf - ſtellt.
Welch ein Anblick! Das ſchwellende Herz ſcheint maͤcht - ger zu fuͤhlen,
Wenn es den opfernden Abraham
**)Von Lievens.
**) ſieht, der voller Entzuͤcken
Seinen Jſak umarmt, und mit dem ſprechenden Auge
Dank fuͤr ſeinen Geretteten weint. Mit flammenden Blicken
Haͤlt hier Judiths blutige Hand des aßyriſchen Feld - herrn
Scheuß -81Der Mittag.
Scheußliches Haupt. Dort ſtirbt in Cephalus zittern - dem Arme
Prokris;
*)Vom Guido.
*) und die Schatten des Todes, Cleopatra
*)Vom Guido.
*), decken
Dein erblaßtes Geſicht. Von Rubens maͤnnlichem Pinſel
Liegt mit den Nymphen des Waldes Diana ſchlafend. Satyren
Und wolluͤſtige Faunen belauſchen die ſchlummernden Nymphen;
Bogen und Koͤcher haͤngen umher, und mancherley Wild liegt
Zu der Schlafenden Fuß, das ihre Pfeile getoͤdtet.
Und du, herrliches Denkmal der Kunſt, du, ſiegend, als Venus
Jn der Medicis Saal; ja! du biſt Eva!
**)Ein vortrefliches Stuͤck von dem beruͤhmten van der Werſt.
**)So rei - zend
Schuf dich des Allmaͤchtigen Hand; ſo mahlte dich Milton,
Mit ſo holdem Geſicht, mit ſolchem redenden Auge,
Mit ſo guͤldnem fliegenden Haar um blendende Huͤften.
IV. Th. FAlſo82Der Mittag.
Alſo wird dir der ſchwuͤlere Sommer des Tages verſchwinden,
Jn unſchuldigen Freuden auf tauſend Arten veraͤndert.
Setze dich bald zum rieſelnden Quell, der unter dem Felſen,
Von bejahrten Eichen umhuͤllt, ſtets murmelnd her - vorbricht;
Oder folge dem ſilbernen Bach, ſo wie er ſich kruͤm - mend
Durch das Thal ſchleicht, bis er zuletzt zum ſtehenden See wird.
Oder ergoͤtzen dich groͤſſere Scenen von weiterer Aus - ſicht,
So beſuche den Strom, der auf dem ſchwellenden Ruͤ - cken
Schiffe duldet, und Voͤlker begluͤckt durch Segen der Handlung.
So ſah ich den ſchlaͤngelnden Rhein, durch bluͤhende Laͤu - der,
Seinen aͤndernden Lauf nach Belgiens Kuͤſten verfol - gen.
Und ſo waͤlzt in traͤgerem Lauf der maͤchtige Mayn ſich
Truͤb und leimicht zum Rhein, und gruͤßt die vollen Provinzen,
Welche Bacchus und Ceres mit ihren Schaͤtzen berei - chern.
So83Der Mittag.
So hab ich im lachenden Thal im Schatten der Erlen
An dem Geſtade der Weſer geſeſſen, und froͤlich die Blicke
Jn der Gegend umher an heitern Scenen geweidet.
Aber wie ſchwaͤrzte ſich bald die Ausſicht mit truͤberen Wolken,
Als der ſchreckliche Krieg die flammende Fackel erho - ben.
Als das galliſche Heer, auf allen Huͤgeln gelagert,
Wuͤſteneyen hinter ſich lies, ſo wie es den Weg nahm;
Oder das brittiſche Roß, wildwiehernd, uͤber die Fluren,
Die es abgemaͤht, flog; und Seuche, Hunger und Elend,
Ueber dem ſeufzenden Lande mit ſchwarzen Fittigen ſchwebten.
Damals, o Elbe! floſſeſt du auch mit traurigen Wel - len
Durch ſo manche verheerte Provinz; trugſt eherne Donner,
Statt der Waarebeladenen Schiffe, vor zagende Staͤdte,
Und ſahſt Gallier, Hungarn, und Britten an deinen Geſtaden.
F 2Nur84Der Mittag.
Nur Hammonia ſtand, vom Sturm des Krieges ver - ſchonet,
Und genoß im Schooſſe der Ruh des guͤldenen Friedens.
Rufe dir, Muſe, noch oft die gluͤcklichen Stunden zu - ruͤcke,
Wenn der laubichte Gang von hohen woͤlbenden Schat - ten
Dich zum Ufer des praͤchtigen Stroms hinunter gelei - tet.
Niemals wurdeſt du muͤde, die waͤlzenden Wogen zu ſchauen,
Und mit gierigem Blick dem ſchwellenden Seegel zu folgen,
Das die Wellen durchſchnitt, und Ueberfluß, Seegen, und Reichthum,
Zu den Gluͤcklichen brachte, die Freyheit und Hand - lung bereichert.
Schnell verfloſſen dir da des Mittags brennende Stun - den,
Unter dem laubichten Dach der dich verhuͤllenden Schat - ten;
Hoͤrteſt, Muſe, nicht mehr die Kriegesfurien bruͤllen,
Und warſt gluͤcklich im Schooſſe des Friedens, der Ruh, und der Freundſchaft.
Dich zu betrachten, Natur! wird immer mein Auge beſchaͤftgen.
Mor -85Der Mittag.
Morgen, Mittag, und Abend, und Nacht hat eigene Freuden,
Welche mich mehr als Ball, und Spiel, und Theater ergoͤtzen.
Und wie koͤnteſt du nicht der Ladung folgen, o Muſe,
Welche die freundliche Gegend dir ſchickt; indem dir der Mittag,
Einen entfernteren Weg mit heiſſem Athem verbietet.
Dort, wo waldichte Hoͤhn den blauen Ruͤcken verbrei - ten.
Und ein friſcherer Weſt von ihrem Gipfel herabhaucht,
Dorthin lenke den Schritt. Folg immer dem kuͤhleren Thale
Tief in der Berge beſchattete Schooß; bis laubichte Kruͤmmen
Dich zu der wilden Natur einſamen Theater geleitet.
Hier, wo er uͤber dem Fels der Eſche ſilberne Blaͤtter
Lieblicher lispeln ins Thal, und mahlriſch hangende Straͤuche
Von dem Fuſſe des Bergs in ſpiegelnde Fluthen ſich neigen;
Hier beut dir von bluͤhendem Moos die Wildniß den Sitz dar,
F 3Und86Der Mittag.
Und eroͤfnet vor dir die ernſte ruhige Scene.
Von der ſtuͤrmiſchen Welt iſt dieſe Wuͤſte geſchieden;
Huͤgel auf Huͤgel, und Felſen auf Fels, verhindern den Mittag,
Mit dem brennenden Stral die tiefen Thaͤler zu ſengen.
Einoͤde! ſey mir gegruͤßt! Du biſt die ſicherſte Zu - flucht
Vor dem Narren voll Witz, und vor der wilden Zer - ſtreuung,
Welche beſtaͤndig im Laͤrme der Stadt die Seele ver - folget.
Hier iſt die Einſiedeley der Natur; Hier iſt die Be - hauſung
Melancholiſcher Stille, der Dichtkunſt treueſten Freun - din.
Sey mir gegruͤſſet, o Hain! Jhr ſanften rieſelnden Quellen,
Dieſes ſilbernen Bachs, der von den Felſen herabfließt,
Seyd mir gegruͤßt! Oft hab ich allhier begeiſtert ge - ſeſſen,
Von der Natur auf mein Blatt die lachenden Scenen zu ſtehlen,
Die ich zu ſchildern gewaͤhlt. Hier haſt du oͤfters, o Muſe,
Dei -87Der Mittag.
Deinen Thomſon, die andre Natur, aufmerkſam ſtu - diret,
Oder in Miltons Geſang den bluͤhenden Garten von Eden
Mit dem lieblichſten Paar, das je ein Dichter erſchaf - fen,
Vor dir geſehn. Hier folgteſt du Popen zur Huͤtte des Schaͤfers;
Saſſeſt um Windſor im Hain; erforſchteſt mit ihm den Menſchen,
Oder hoͤrteſt auf brittiſcher Leyer Maͤonides Lieder.
Dreymal gluͤckliches Eyland! auf welches die guͤl - dene Freyheit
Alle Schaͤtze der Welt mit reichen Haͤnden verſchuͤttet;
Wo jedwedes Verdienſt von Kenneraugen entdecket,
Und von ihrem Maͤcen jedwede Muſe beſchuͤtzt wird!
Welchen maͤchtigen Schirm gabſt du der himmliſchen Dichtkunſt!
Und wo fand ſie, von andern verſchmaͤht, ſo ſichere Zuflucht,
Als in deinen, ihr heiligen Grenzen? Dort gruͤnet ihr Lorbeer,
So wie einſt in Graͤciens Boden, an guͤtigen Son - nen.
F 4Selber88Der Mittag.
Selber der Reichthum, welcher bisher partheyiſch ſein Fuͤllhorn
Vor dem Dichter verſchloß, eroͤfnet es willig, und ſtreuet
Ruhm und Guineen zugleich auf deine bewunderten Barden.
Aber noch leuchtet kein gluͤcklich Geſtirn dem Lieb - ling der Muſen,
Deutſchland, in dir! Noch biſt du zu rauh, die feine - ren Kuͤnſte
Griechenlands Stolz, Jtaliens Ruhm, nach Wuͤrden zu ſchaͤtzen.
Wo ſind deine Maͤcene? Wo ſind die erleuchteten Col - berts,
Welche jedes Talent nach ſeinem Werthe belohnen?
Noch gehn unſre Muſen beſchaͤmt um Allmoſen betteln.
Oder ſind ſie zu ſtolz, die Thuͤr der Groſſen zu ſtuͤr - men;
So bleibt oft der gluͤcklichſte Geiſt in Armuth vergra - ben,
Und der Unſterblichkeit Sohn ſteht in Geſahr zu verhun - gern.
Und doch biſt du, Germanien, ſchon ein Wunder dem Weiſen,
Der mit ſtaunendem Blick des Schickſals Wege ver - folget.
Nicht89Der Mittag.
Nicht durch Auguſte beſchuͤtzt, durch keinen Ludwig be - lohnet,
Steigen doch unter der Laſt des Mangels die feurigſten Geiſter
Zu den Sternen empor, mit ihren erhabnen Geſaͤngen.
Sie ermntern ſich ſelbſt, und ſehn mit edler Verach - tung,
Daß der Verſchnittne Tauſende nimmt; daß guͤldene Summen
Jn die Schuͤrze der Taͤnzerin regnen; und uͤber die Alpen,
Von Ducaten belaſtet, die feile Saͤngerin heimkehrt.
Sie ertragen gelaſſen den Hohn des glaͤnzenden Dumm - kopfs,
Welcher die himmliſche Kunſt, die Sprache der Goͤt - ter zu reden,
Als veraͤchtlich, als unnuͤtz verſchmaͤht. Die Dicht - kunſt ſo unnuͤtz?
Wohl! belohnt ſie nur ſo, wie ihr den gaukelnden Taͤn - zer,
Welcher dem Staate noch weniger nuͤtzt, die Triller des Welſchen,
Oder die engliſche Kuppel bezahlt. Sind dieſe nicht unnuͤtz,
O ſo ſind es noch weniger Lieder, der Nachwelt Be - wundrung,
F 5Welche90Der Mittag.
Welche das ſchwellende Herz noch mehr zur Tugend erheben.
Und ihr Helden, ihr Groſſen des Staats, ſo eifrig auf Nach ruhm.
Wer kan euch Unſterblichkeit geben? Der Taͤnzer, der Saͤnger,
Oder der Dichter, der ſie ſchon oft den Helden verlie - hen.
Wuͤrden, ohne Maͤonides Lied, Achill und Ulyſſes
Nicht in Vergeſſenheit trauren? Und waͤre der Name Maͤcenas
Ein beſtaͤndiges Lob fuͤr alle Miniſter geworden,
Wenn nicht Virgil und Horatz den groſſen Namen ver - ewigt?
Nie ſchwang ſich ein wuͤrdger Regent vom Staube der Fuͤrſten,
Der nicht die Kuͤnſte geliebt, und dich, o Dichtkunſt, belohnet.
Heilige Namen den Muſen, Auguſt, und Ludwig, und Friedrich!
Friedrich, der du dein nordiſches Reich zum Wunder Europens
Umſchafſt; jedes Verdienſt, das deinem Auge ſich naͤ - hert,
Aufnimmſt, ermunterſt, bereicherſt; der du den Mil - ton der Deutſchen
Zu91Der Mittag.
Zu dir beriefſt; als Koͤnig ihn lohnſt, als Kenner ihn ſchaͤtzeſt.
Aber ach! daß traurig vom Thron des wuͤrdigſten Koͤ - nigs
Vor dem galliſchen Witz die deutſche Muſe zuruͤckbebt!
Glaub es, erhabner Monarch, dem patriotiſchen Zu - traun:
Selbſt in Deutſchland, in Preuſſen entſtuͤnde der deut - ſche Voltaire,
Welcher, wofern ihm dein Lob die Fluͤgel zur Ewigkeit ſtaͤrkte,
Dich, o Friedrich, auch deutſch, der Unſterblichkeit wuͤrdig, beſaͤnge.
Wo einſt Canitz gebluͤht, kan da kein Arouet werden?
Doch auch ohne der Groſſen Ermuntrung; auch ohne die Ehre,
Welche den Roͤmer erhob, und noch den Britten er - hebet;
Feurig allein durch eigenen Trieb, erhebt ſich der Deutſche
Mit gewaltigem Flug zur Spitze des heiligen Berges.
Er beſieget den Mangel, indem er nicht Dichter allein iſt,
Und zwingt durch noch andre Verdienſte das Gluͤck, ihm zu folgen.
So92Der Mittag.
So wie Achill, ergreift er nur dann die harmoniſche Leyer,
Wenn er im ſtillen Gezelt von groͤſſern Geſchaͤften ſich ausruht.
So hat Haller, wenn ihn nicht mehr Hygea gefeſſelt,
Dir, o Deutſchland, zum Ruhm unſterbliche Lieder geſungen.
So nimmt Cramer, beſeelt von heiligem Feuer, die Harfe,
Mit dem Davidiſchen Lied dem Menſchengeſchlechte zu predgen,
Wenn er nicht mehr an heiliger Staͤte des Ewigen Worte,
Vor den Groſſen der Welt, ein andrer Chryſoſtomus, redet.
Und ſo ruͤhrt mein Gemmingen auch die ſilbernen Sai - ten,
Wenn er zum ſtillen Gemach vom Tempel der Themis zuruͤckkehrt.
Selbſt bey der Waffen Geraͤuſch, im blutigen Felde des Krieges
Schlug im einſamen Zelt ein Kleiſt die Doriſche Leyer.
O wie faͤrbt ſich die Wange mit patriotiſcher Freude,
Daß die Dichtkunſt der Deutſchen ſich ihrem Mittage naͤhert!
Man -93Der Mittag.
Mancher ſeurige Geiſt erhebt die maͤchtigen Schwin - gen,
Und ſteigt uͤber die niedere Schaar proſaiſcher Saͤnger
Jn die Wolken hinaus. Umſonſt verſuchet die Dumm - heit,
Jhm die Saͤrke der Fluͤgel, den wahren poetiſchen Aus - druck,
Zu beſchneiden; er fuͤhlet die Gluth, die Britten be - ſeelet,
Folget Albion nach, und laͤßt die Dunſe der Deutſchen
Wider den falſchen Geſchmack vergebliche Klagen ver - athmen.
Hagedorn, zwar du biſt uns entflohn! Doch lebet dein Ruhm noch
Ewig bey uns! Du wurdeſt aufs neu der Opitz der Deutſchen,
So gelaͤutert, ſo ſanft, floß dir das maͤnnliche Lied hin.
Schoͤpfriſcher Milton, wer konte bey uns dich ſchoͤner verewgen,
Als ein Bodmer und Klopſtock durch ihre bewunderten Lieder.
Die unſterbliche Rowe ſingt aus dem fuͤhlenden Wie - land.
Gellert, der la Fontaine der Deutſchen, noch reiner im Ausdruck,
Mehr94Der Mittag.
Mehr noch voll vom maͤchtgen Gefuͤhl der himmliſchen Tugend,
Reißt in Entzuͤckung uns hin mit ſeinem zaubriſchen Liede.
Lichtwehr folgt wetteifernd ihm nach zur Ewigkeit Tempel,
Gleim, der Deutſchen Anakreon, ſingt, und alles em - pfindet
Wolluſt und Liebe. Neben ihm geht mit harmoniſcher Leyer
Utz. So rieſelt kein Strom in bunten Blumengefil - den,
Als ſein ſanftes zaͤrtliches Lied. Zu ihnen geſellt ſich
Gerſtenberg; gauckelt und ſcherzt, gleich einem Zephir, um Blumen,
Und erheitert des Traurigen Stirn. Arkadiens Sprache
Redet der treue Myrtill, durch dich begeiſtert, o Gaͤrt - ner;
Und Schmidt mahlt in frommen Jdyllen die heilige Vorwelt.
Er auch, der gluͤckliche Geiſt, der mit der bezaubern - den Proſa
Unter die Dichter ſich miſcht, und ihre Lorbeern errun - gen;
Gesner ſchildert mit lachendem Pinſel die Freuden der Schaͤfer.
Ram -95Der Mittag.
Ramler, gedrungen und rein in ſeinem feurigen Aus - druck,
Schwingt ſich, Flakkus, dir nach. Und du, der wuͤr - dige Bruder
Unſers Corneille; wie fließt, o Schlegel, das gluͤck - liche Lied nicht
Deinem begeiſterten Kiel! Wie biſt du voller Empfin - dung
Giſeke, wenn dich die Gluth des Dichtergottes beſee - let.
Duſch, im Lehrgedicht ſtark, und du, freymuͤthiger Huber,
Jhr auch ſeyd Germaniens Ruhm. Jhr Zierden der Buͤhne,
Leßing, der du ſo oft durch deine Sara die Thraͤnen
Fuͤhlender Augen entlockſt; und du, o maͤchtiger Weiſſe,
Der die zarteſten Saiten der Herzen getroffen; ihr ſeyd es,
Deren ſchoͤpfriſcher Geiſt Germaniens Ehre behauptet.
Jhr auch, die ihr zu fruͤh fuͤr unſer Schauſpiel geſtor - ben,
Kruͤger und Cronegk! Wie herrſchtet ihr ſchon in zaͤrt - lichen Seelen
Durch die zaubriſche Macht, die euch die Muſen ver - liehen!
Und96Der Mittag.
Und koͤnnt ich dich, Ebert, vergeſſen? Du, der du die Sprache
Albions dir zum Eigenthum machſt, und unſere Mu - ſen
Mit den herrlichſten Schaͤtzen der dichtriſchen Jnſel be - reicherſt;
Schau voll Mitleid mit mir auf alle die Reimer her - nieder,
Welche die Proſa zur Goͤttin erheben; die Popen ver - kennen,
Youngs Geſaͤnge verſchmaͤhn, und Miltons Lieder ver - achten.
Die du mir oft im heiligen Hain, im ſchattichten Thale,
Truͤbe Stunden verſungen, und dich durch Doriſche Lieder
Auf der harmoniſchen Laute zu hoͤhern Geſaͤngen berei - teſt;
Muſe, prahle mit Recht, wenn du den guͤtigen Bey - fall
Dieſer Kenner erlangſt; doch prahle noch mehr mit der Freundſchaft
Dieſer erhabenen Geiſter, die zu der Unſterblichkeit ei - len.
Der[97]

Der Abend. Der Abend.

IV. Th. G[98][99]
[figure]
Sieh! von ſanfteren Himmeln, und roſenfarbnen Gewoͤlken,
Senkt ſich der Abend herab. Aus ſeinen blumichten Haaren,
Und dem friſchen Gewand, verbreiten ſich ſtaͤrkre Ge - ruͤche
Ueber die Flur, den gruͤnenden Wald, und duftende Haiden.
G 2Ein100Der Abend.
Ein balſamiſcher Thau ſteigt, von den dunkelern Wieſen,
Zart und kuͤhlend empor; und wie ein ruhiges Eden
Lacht, die geſamte Natur, in ihrer neuen Erfriſchung.
Dir, mein Gemmingen, ſucht, das Doriſche Lied zu gefallen,
Hoͤre mir zu! Dein Beyfall allein belohnet die Muſe,
Welche fuͤr dich die Leyer ergreift. Verſag ihr dein Lob nicht,
Da ſie mit feurigem Muth die Bande der gothiſchen Reime
Abgeworfen; und ſich mit ungebundenen Schwingen
Von den Sklaven erhebt, die ihre Feſſeln verehren,
Und vom ſpielenden Reim gezwungne Gedanken erbet - teln.
Sey jetzt dein, und heitre dich auf, indem dich der Abend
Vom Archontiſchen Stuhl, und von dem Geraͤuſche des Vorſaals,
Jn die dunklen Alleen entlockt; und Ruhe der Seele
Von dem lachenden Himmel ſich auf den Spatzierenden ausgießt.
Wenn die Sonne nunmehr die muͤden ſchnauben - den Pferde
Nach101Der Abend.
Nach dem Ocean lenkt, und mildere Stralen herab - ſchießt;
Wenn der Wandrer beſtuͤrzt den langen gigantiſchen Schatten
Vor ſich erblickt; und dunkler die Wieſen, und dunkler die Felder
Um das Dorf ſich verbreiten; und ferne waldichte Ber - ge
Den verkuͤrzten Proſpekt mit blauem Ruͤcken verſchlieſ - ſen:
Alsdann blicket der Abend bereits, mit ſeinem Gefolge,
An dem Himmel hervor. Jn grauen dichteren Wol - ken,
Welche ſich um den Geſichtskreis ſetzen, verbirgt er ſein Zepter,
Bis die Monarchin des Tags die weſtlichen Felder des Himmels
Vor ihm verlaͤßt, und eilt, ſich in die Fluthen zu tau - chen.
Dann ertoͤnet vom Thurm, den in der Ferne der Wan - drer,
Wie von Golde ſchimmernd, erblickt, die Abendglocke.
Jhrem erfreulichen Schall antworten umliegende Doͤr - fer,
Bis vom hellen Getoͤs die ganze Gegend ertoͤnet.
Ploͤtzlich entſinkt die Hacke, das Beil, die blitzende Senſe
G 3Aus102Der Abend.
Aus der ermuͤdeten Hand. Jm Felde vernimmt es die Dirne,
Sammelt geſchwinder den Klee in Haufen, und eilet zuruͤcke
Nach dem freundlichen Dorf. Nachlaͤßig ſitzet der Landmann
Queer auf ſeinem ſtolpernden Roß, das, muͤde vom Acker,
Vor dem knarrenden Pfluge ſich ſchleppt; er ſelber ver - treibt ſich,
So wie er fortzieht, die Zeit mit einem froͤlichen Liede,
Oder er floͤtet der Nachtigall nach, und locket den Vo - gel
Zu dem Wege herzu, und lacht des gelungnen Betru - ges.
Hurtiger treibet vom Berg der Schaͤfer auf ſteinigtes Brachfeld.
Seine Heerde zur Huͤrde, die ihre Schranken ver - ſchlieſſet.
Er lehnt ſich ans irrende Haus, durchzehlet die Heer - den,
Bis der Abendſtern winkt, und er zur Huͤtte hinein - kriecht.
Ueber die Haide kommen vom Forſt die Kuͤhe, verſam - melt
Um den fleckigten Stier, und folgen dem Hirten, be - laden
Mit der ſuͤſſeſten Milch, dem wahren Reichthum des Landmanns.
Auch103Der Abend.
Auch der Bauer jaget nunmehr mit wiehernden Noſſen
Jauchzend nach ſeiner Heimath zuruͤck; die Duͤnſte des Bacchus
Straͤuben ſein Haar; er druͤckt ſich den Huth in die Augen, und rollet
Ueber den Sand, und Wolken von Staub verfolgen den Wagen
Weit ins Feld. Die Baͤurin, geſchmuͤckt mit Blumen und Kraͤnzen,
Welche dem Staͤdter das Kleid der Wollenheerde ver - handelt,
Sieht des Mannes verwegenen Muth, die fliegenden Raͤder,
Und das ſchaͤumende Roß; ſie wendet die aͤngſtlichen Blicke
Hinter ſich, bis ſie das Dorf mit klopfenden Herzen erreicht hat.
Und nun rauſcht in den Abendgefilden ein Vorhang von Wolken
Gegen mir auf, und oͤfnet mir ſchnell die praͤchtigſte Scene,
Tief am Himmel erſcheint mit breitem zitternden Ant - litz,
Und mit ſanfterem Stral die niederſinkende Sonne.
Jhren Wagen umringt ein Haufen geſelliger Wolken,
Die ihr lieblicher Glanz mit tauſend Veraͤndrungen faͤrbet.
G 4Kaum104Der Abend.
Kaum lacht ſo die ſtreifichte Flur im blumichten Fruͤh - ling,
Wenn ſie vom fruchtbaren Regen erfriſcht, mit ſpielen - den Farben
Vor des Wanderers Blick am fernen Gehoͤlze vorbey - laͤuft:
Als die himmliſche Flur in wechſelnden Farben jetzt ſchimmert.
Zwar die Sonne tauchet nun ſchon, die Raͤder des Wa - gens,
Jn den Ocean ein; doch goͤnnt ſie dem bluͤhenden Erd - kreis
Noch ihr holdes Geſicht bey ihrem lieblichen Abſchied.
Ungern ſcheidet ſie ſich; mit einem Auge voll Sehn - ſucht
Schaut ſie oͤfters ſich um nach ihrem verlaßnem Ge - biete,
Welches hinter ihr, wie ſie entweicht, der Abend er - obert.
Ploͤtzlich gerathen dadurch die Voͤgel des Himmels in Aufruhr,
Als wenn eine Poſaune das Zeichen zum Aufbruch ge - geben.
Und das Abendroth ſteckt das winkende Purpurpanier auf,
Welches von Weſten ſogleich tief in den Himmel hinab - ſtroͤmt.
Alles erhebt ſich, und ſucht die alte ſichere Zuflucht
Vor105Der Abend.
Vor der drohenden Nacht, die ſchon im Hinterhalt lauert.
Schreyende Schaaren von Kibitzen ſteigen mit ſilber - nen Fluͤgeln
Von dem ſumpfichten Meer, und kehren ſich gegen die Sonne,
Laute Zuͤge geſchwaͤtziger Dohlen begeben ſich eilend
Nach der dampfenden Stadt, und laſſen ſich flatternd hernieder
Auf das einſame Dach, und zur bewachſenen Mauer
Eines verfallenen Thurms, von deſſen kahlen Ruinen
Traurig das fremde Gebuͤſch zum fernen Erdreich her - abgruͤnt,
Andres Gefieder wendet ſich nun zur ſchirmenden Woh - nung
Jn dem dichten Gebuͤſch, und in den dornichten Hecken,
Oder im woͤlbenden Baum, und in aufgeborſtenen Fel - ſen.
Rings um ſchweigt der grauende Wald; die einſame Luft ſelbſt
Hoͤrt nicht mehr der Lerche Geſang, und ſcheint nun entvoͤlkert;
Auſſer daß hier noch und da der melancholiſche Rabe,
Mit arbeitendem Flug, nach alten mooſichten Eichen
G 5Seine106Der Abend.
Seine Reiſe beginnt, und auf ſchnell pfeifendem Fittig
Zum einheimiſchen Teich die Ente wieder zuruͤckkehrt.
Und zum letztenmal blickt die Abſchiednehmende Sonne
Ueber die Flur; ſie zittert, und ſinkt! Nun iſt ſie ver - ſchwunden,
Ploͤtzlich verſchwunden! Zwar ſterbende Farben ver - weilen noch etwas
Ueber der daͤmmernden Welt; doch nimmt das Abend - roth endlich
Seine Standarte hinweg, und ſteckt die naͤchtliche Fahne
An die Zinne des Himmels; ſie wirft den dichteren Schatten
Ueber die ganze Natur; es ſinkt der verhuͤllende Vor - hang,
Und das bunte Theater des Tags veraͤndert ſich ploͤtzlich
Jn viel blaͤſſere Scenen, viel tiefer und dunkler ſchat - tiret.
Jn der bevoͤlkerten Stadt iſt alles in Eil und in Aufruhr.
Wagen auf Wagen rollen heraus mit donnernden Raͤ - dern
Ueber die raſſelnden Bruͤcken, die unter dem Donner erbeben.
Wolken von Menſchen dringen herein; ein buntes Ge - wimmel
Wallet107Der Abend.
Wallet unter dem Thor; ein ſummendes lautes Getoͤſe
Tauſend verſchiedner kreiſchenden Stimmen, vom Wie - hern der Roſſe
Fuͤrchterlich wild untermiſcht, verwirrt und betaͤubet die Ohren.
Rette dich aus dem Getuͤmmel der Stadt, und der rauſchenden Freuden,
Zu ermuͤdend fuͤr uns, wenn wir ſie lange genoſſen.
Wie ein tobendes Meer hat dich, das wilde Gedraͤnge,
An ein ſichres Geſtade geworfen. Die ruhige Land - ſchaft
Reicht dir den offenen Arm, und lacht dir voll Anmuth entgegen.
Wende dich, Muſe, mit mir zu Riddagshauſens Ge - filden,
Wo um den Hain die ſanfteſte Stille des Abends ſich aufhaͤlt.
Sieh! Wie liegt es verſenkt im Kreiſe der ſchweigenden Waͤlder,
Welche kein Weſtwind bewegt. Die dunkeln thauich - ten Wieſen
Kleidet ein tieferes Gruͤn; ſie hauchen dir ſtaͤrkre Ge - ruͤche.
Ueber den Teichen ſchwebet kein Wind; wie truͤbere Spiegel
Liegen ſie, ruhig und ſtill, weit in die Felder verbrei - tet.
Ernſt108Der Abend.
Ernſt ſteht in des Alterthums Pracht, das einſame Kloſter
Jn der Waͤlder verborgenem Schoos; und Birken und Linden
Laſſen es fern vom Geraͤuſch in ihren Umarmungen ru - hen.
Und mich duͤnkt, es winket dir zu. Ein heiliger Schauer,
Welcher mich maͤchtig ergreift, fuͤhrt mich mit zaubern - der Kraft fort
Jn den geweihten Bezirk, zur Andacht heiligen Woh - nung.
Folge dem inneren Ruf, und geh in einſamen Gaͤngen
An den Teichen umher, in ſuͤſſem Tiefſinn verſunken;
Wo mit zackigtem Zweig, der melancholſche Wacholder,
Nach dem weiblichen Baum ſich mahlriſch traurig her - abneigt;
Oder ſind dir Gedanken von ernſterer Art nicht zuwi - der;
So geh unter das prachtloſe Dach, und athme begierig
Jn den Gaͤngen die Kloſterluft ein, die oͤfters der Seele
Heilſamer iſt, als keuchender Bruſt die reinere Land - luft,
Wenn uns ein ſchleichendes Gift die tobenden Adern entzuͤndet.
Hier109Der Abend.
Hier kanſt du die Schwachheit der Tugend mit Todes - gedanken,
Mit dem Balſam der Froͤmmigkeit, heilen, wofern du nicht voͤllig
Unter den Freuden der Welt die goͤttliche Weisheit ver - lohren.
Und ſey ja nicht zu ſtolz, dem Moͤnch zur Hora zu folgen.
Wenn der ſilberne Schall zur Abendfeyer ihn rufet.
Niedriger Stolzer! ſie ruft auch dich! Kan jemals der Menſchſtaub
Gegen den Herrſcher der Welt genug zur Erde ſich nei - gen?
Sey mir gegruͤßt, eroͤfneter Tempel! Jch ſegne dich, Stunde,
Da ich mein ſtilles Gebet mit zu den Hymnen ver - ſammle,
Welche der Gottheit zum Ruhm hier ſeit Jahrhunder - ten toͤnen.
Hoͤr ich es? Oder betriegt mich ein Traum? Jndem ich begeiſtert,
Und in Andacht verſenkt, hier auf dem laͤndlichen Al - tar
Mit freywilliger Hand mein Abendopfer verbrenne:
Da eroͤfnen ſich ſtralende Wolken mir uͤber dem Haupte,
Und der Himmel ſteiget herab. Die Schaaren der Engel
Miſchen110Der Abend.
Miſchen ihr jauchzendes Lied zu unſern antwortenden Choͤren.
Eine balſamiſche Luft ſinkt von dem Fittig des Abends
Auf die Erde herab, und macht die daͤmmernden Stun - den
Bis zum voͤlligen Einbruch der Nacht dem Wanderer ſchaͤtzbar.
Laß ſie doch nicht in der Stadt, im dumpfichten Zim - mer, verflieſſen;
Ob dir gleich die todte Tapete nachahmend die Flur zeigt,
Und ein munterer Wald an deinen Waͤnden ſich aus - ſtreckt.
Eine Tapete, viel hoͤher gefaͤrbt mit lebendigen Far - ben,
Hat die reiche Natur auf jede Wieſe gebreitet;
Jedes Ufer des Bachs mit Blumenſchmelze gezieret,
Und den friſcheſten Hain um liebliche Huͤgel gezogen.
Folge dem aromatiſchen Hauch des heiterſten Abends,
Und geh tief in das Land. Verfolg entweder den Feld - bach,
Welcher ſich ſtill in die Au mit krummen Maͤandern hinabſchlingt;
Oder begieb dich zum innerſten Forſt, wo ſtark, wie Orangen,
Und111Der Abend.
Und geſunder dem Haupt, die Kraͤuter des Waldes dir duften.
Nimm auch oͤfters den Weg zu jenem buſchichten Huͤ - gel,
Den dir von fern die zackichte Tanne bezeichnet. Vom Abhang
Laß die Blicke von da weit in die Gegenden ſchweiſen,
Die mit dem letzten ſcheidenden Stral die Sonne ver - guͤldet.
Welch ein holder Proſpekt! Tief in dem freundlichen Schutze
Hoher vertraulicher Linden entdeck ich ruhige Doͤrfer;
Und der Meyerhof guckt nur halb aus Erlengebuͤſchen.
Dort dehnt ſich die praͤchtige Stadt am ſchlaͤngelnden Strom aus,
Und verhuͤllet ihr Haupt in dunkler werdenden Wolken.
Einzelne Roſſe weiden nur noch auf ſumpfichten Wieſen,
Und ihr Huͤter entweicht zu einem ſchirmenden Eich - baum,
Wo er nunmehr den ſchlafenden Funken zur lodernden Gluth macht,
Und ſich die ſchleichende Zeit mit einem Geſange ver - kuͤrzet.
Liebſt du vielleicht noch tiefere Stille: ſo ſteige herun - ter
Jn112Der Abend.
Jn das melancholiſche Thal, wo hangende Felſen
Ueber den See ſich geneigt, und Eſchen, am oͤden Ge - ſtade
Mit dem Weſtwind in ſtetem Geſchwaͤtz, die Stunden dir kuͤrzen.
Ein geſicherter Ort vor aller Verfolgung der Thoren,
Und die Zuflucht fuͤr die, die gern die Einoͤde lieben,
Und, in ruhigen Tieſſinn verſenkt, der unſterblichen Seele
Unterredungen hoͤren von Grosmuth und himmliſcher Tugend.
Wenn nicht etwan ein weiſer Geſang von wuͤrdigen Dichtern
Jhr Gedaͤchtniß erfuͤllt, und ſie in ſuͤſſer Entzuͤckung
Engelsſtimmen vernehmen, die ihre Geiſter erheben.
Dieſen entlegenen Ort liebt auch der traurige Juͤngling,
Welcher ſein Maͤdchen beweint, zu fruͤh vom Tod ihm entriſſen.
Die romantiſche Gegend, die tiefe ſchauernde Stille,
Ladet voll Mitleid ihn ein, und ſchmeichelt ſeiner Be - truͤbniß.
Dann erſcheinet vor ihm der Theureſten Todtenurne,
Die113Der Abend.
Die er umarmt mit ſtuͤrmiſchen Thraͤnen und zaͤrtlichen Seufzern.
Oder er hoͤrt noch entzuͤckt die ſuͤſſe harmoniſche Stim - me,
Und ſieht ihre verklaͤrte Geſtalt ihm laͤchelnd vorbey - gehn,
Bis das Traumbild entflieht, und ſeine Vernunft ſich erhellet.
Und doch iſt er gluͤcklicher noch, als jener Verlaßne,
Welcher noch mehr als den Tod die Untreu des Maͤdchens beweinet.
Sein gefoltertes Herz ſcheint in der traurigen Wuͤſte
Einige Ruhe zu finden; ihm ſind die hangenden Felſen,
Und das grauſende Thal, ein ſympathetiſcher Anblick,
Denn ein Eden wuͤrde noch mehr in Schwermuth ihn ſtuͤrzen.
Unter dem Einfluß von guͤtigen Sternen iſt jener gebohren,
Welchen, mit ſeiner Geliebten vereint, ein heiterer Abend
IV. Th. HUnter114Der Abend.
Unter die Schatten begleitet, wo Ruh, und Sicher - heit lauſchen.
Welche Zaͤrtlichkeit blickt aus ihren begeiſterten Augen!
Dieſer harmoniſche Zug, der ihre Seelen gefeſſelt,
Steigt in die Mienen empor, und lispelt aus jeglichem Worte.
Auf ſie ſchuͤttet der ſpielende Weſt die reineſten Duͤfte;
Lieblicher hauchen die Roſen um ſie, und lieblicher liegen
Alle Huͤgel umher, die ihre Schritte beſuchen.
Aber wer kan die Wolluſt beſchreiben, nur Sterbli - chen fuͤhlbar,
Deren erhabner Geiſt aus feinerem Aether geformt iſt.
Leihe mir deinen Geſang, du, die du jetzt unter den Schatten
Mit dem zaubriſchen Lied die einſame Gegend erfreueſt.
Koͤnt ich, Philomele, wie du, mit maͤchtgen Accenten,
Welche115Der Abend.
Welche die Liebe beſeelt, die gluͤckliche Liebe beſingen!
Wie entzuͤckt dein holder Geſang ein fuͤhlendes Herz nicht,
Wenn du am Abend aus ſchlummernden Lauben dem horchenden Weſtwind
Deine Seufzer verhauchſt, und tief im ruhigen Walde
Den erwachenden Wiederhall lehrſt, bis ſchmachtende Triller
Jmmer ſterbender ſich mit lispelnden Luͤften vermi - ſchen.
Alsdann druͤckt mit frohem Entzuͤcken der gluͤckliche Juͤngling
Seiner Schoͤne die Hand, und kennt nichts, was er beneidet.
Jetzt, da die ganze Natur ein herrlicher Garten geworden,
Will ich geitzig den Duft der Felder voll bluͤhender Boh - nen
Einziehn. Welch ein Geruch! Wie ſtreut in goldenen Saͤlen
Das mit Kraͤutern gefuͤllte Gefaͤß die Duͤfte nur ſchwach aus,
H 2Die116Der Abend.
Die ich hier athme. Der Lenz, die Stille des Abends, die Ruhe
Meines zufriednen Gemuͤths, erfuͤllt mich mit Wonn und Entzuͤckung.
Alles lacht Anmuth fuͤr mich. Jn lieblicher Daͤmme - rung liegen
Weite Waͤlder vor mir. Ein blauer Guͤrtel von Ber - gen
Miſcht ſich unter die Wolken, und ſchließt die langen Proſpek[te].
Und vor allem entdeck ich von fern, ehrwuͤrdig im Dunkel,
Den gebirgichten Harz; und mit den Wolken benach - bart,
Sein vorragendes Haupt, den praͤchtigen Melibokus.
Laſt uns dort das rauhere Thal, o Muſe, beſu - chen,
Und am hangenden Fels, in langen ſchrecklichen Waͤl - dern,
Kuͤhn einhergehn, und mit zur froͤlichen Knappſchaft uns miſchen.
Ein zufriedenes Volk, obgleich ein ſparſamer Himmel
Ueber117Der Abend.
Ueber den traurenden Thaͤlern haͤngt; die ſelten die Sonne
Guͤtig beſucht; in welchen noch nie der ackernde Land - mann
Furchen gezogen; die Ceres vergißt, und Bacchus nicht kennet.
Von dem Marmorgeſtein neigt ſich die zitternde Tanne
Ueber die ſchreckliche Tiefe herab, und hoͤret die Bude
Unten im ſteinichten Thal die ſchallenden Fluthen er - gieſſen.
So wie ſie veroͤdete Berge wohlthaͤtig vorbeyfließt,
Laͤßt an ihren Geſtaden der Genius uͤber die Gruben
Muͤhlen, und Huͤtten, und Puchwerk entſtehn. Vom Raſſeln der Raͤder,
Von dem Pfeifen der Baͤlge, vom wilden Donner des Hammers,
Schallt ein lautes vermiſchtes Gebruͤll in die hohlen Gebirge,
Und die Gegend umher erſuͤllt ein betaͤubender Nach - hall.
H 3Nie118Der Abend.
Nie ermuͤdet Vulkan, den hohen Ofen zu feuern,
Welcher in unaufhoͤrlichen Stroͤmen von gluͤhenden Ei - ſen
Sich ergieſſet. Jndes daß bey der verſengenden Hitze
Munter der Huͤttenmann geht. Jhm fahren die ſpruͤ - henden Funken
Um das blaſſe Geſicht, und Flammen folgen dem Fuß - tritt.
Knieend, ſtoͤhnend, gewinnt der Bergmann in tiefen Gebirgen
Flimmerndes Erzt; laͤßt, dunkelgewoͤhnt, die Freuden des Tages,
Und den Wechſel des Jahrs vergeblich uͤber ſich wan - deln.
Jhn beſucht nicht der Glanz des lieblichen Morgens. Der Abend
Steigt nicht in die Tiefe hinab. Das Grubenlicht ſtreuet
Seinen ſterbenden Schein durch unterirdiſche Daͤmpfe
Freudenlos um ihn herum, und mit unſaͤglicher Arbeit
Sucht119Der Abend.
Sucht er im harten Geſtein die oft verſchwindenden Gaͤnge.
Gluͤcklich, wenn ihn nur nicht die ſchaͤdlichen Wetter erſticken,
Oder der Gruben giftiger Dunſt zum Schatten ihn doͤrret!
Oftmals ſtuͤrzt er herab von halbvermoderten Farthen;
Eine verraͤthriſche Wand ſchießt ein; begraͤbt ihn im Erzte,
Oder zu fruͤh entzuͤndetes Pulver erſchlaͤgt ihn mit Felſen.
Alles dies hindert ihn nicht, die finſtre Grube zu lie - ben,
Und zu ſparſamen Brod oft nur die Quelle zu trinken;
So viel wirkt Erziehung in ihm, und Liebe zur Frey - heit.
Kaum gebohren, wandert er ſchon als Knabe, zufrie - den,
Obgleich barfuß, uͤber den Schnee, und bettelt mit Liedern,
Welche die rauhe Muſik der einfachen Zyther begleitet.
H 4Ziert120Der Abend.
Ziert der Schachthuth ihn dann, ſo waͤhlt er ſich unter den Nymphen
Seiner Gegenden die, die ſeine Begierden entzuͤndet;
Lebt zufrieden mit ihr, obgleich ſein duͤrftiger Lohn ihm
Kaum das Noͤthigſte reicht. Jſt dann die Stunde der Arbeit
Bey ihm vorbey; ſo eilet er ſchnell zum froͤhlichen Wirthshaus,
Nimmt da jauchzend das Horn, die Geige, Schallmey, und die Zyther,
Singt ſein Berglied dazu, und laͤßt den taumelnden Becher
Niemals leer von ſtaͤrkender Goſe: ſo daß die Gebirge
Weit um ihn her von Muſik, und Tanz, und Jauch - zen erſchallen.
Mit dir, Giſeke, war mir im Harz ein laͤngerer Abend
Nicht zuwider, wenn uͤber dem Hain ſchneeſchimmern - der Tannen
Freundlich der ſilberne Mond ſich erhub; und lauter die Bude
H 4Hinter121Der Abend.
Hinter uns rauſchte. Dann ſtrichen wir fort durch ſteinichte Haiden,
Oder durch finſtres Fichtengebuͤſch, zum Dorfe hernie - der,
Welches mit moſichten Huͤtten im einſamen Thale zer - ſtreut lag.
Da empfieng uns mit freundlichem Blick die treue Gefaͤhrtin,
Die dir der Himmel geſchenkt. Jn ihrer Liebe begluͤ - cket
War dir die ſchreckliche Gegend ſo ſchoͤn, als irgend ein Tempe.
Eine Forelle hatte der Bach zu Tiſch dir geliefert,
Oder der Forſt ein leckeres Wild. Vertraute Geſpraͤche
Wuͤrzten den blinkenden Wein, den keine Gewinnſucht geſchwefelt.
O wie waren wir da im oͤden Thale zufrieden,
Wenn auf hellem Gewoͤlk die Freundſchaft uͤber uns ſchwebte,
Und der laute ſichere Scherz ſich zu uns geſellte!
H 5Man -122Der Abend.
Mancher Abend flog da, mit allzueilenden Fluͤgeln,
Ueber uns weg; uns fehlte da nichts zu groͤſſerm Ver - gnuͤgen,
Als die Geſellſchaft der Freunde, von denen das Schick - ſal uns trennte.
Tiefere Schatten fallen nunmehr in dichteren Zir - keln
Ueber die Flaͤche der Dinge, die immer dunkeler wer - den.
Nach und nach verſchlinget, die Schoos gethuͤrmeter Wolken,
Auch die letzten Stralen des Lichts; die dickere Daͤmm - rung
Menget Felder und Hain und Wieſen unter einander.
Kuͤhner leitet der Hirſch aus dicken Waͤldern die Rudel
Ueber die Haiden zur gruͤnenden Flur. Umſonſt hat der Landmann
Seine Saaten umzaͤunt, und ſie mit Federn umzogen,
Oder ein Schreckbild von Stroh in ſeinen Gefilden er - richtet:
Sie123Der Abend.
Sie verachten die leere Geſtalt, und wandeln gemaͤch - lich
Jn dem Acker herum, und richten die kuͤnftigen Ernd - ten,
Mit ſo vieler Arbeit erpfluͤgt, auf einmal zu Grunde.
Laſt doch dieſe die Jagd mit allem Donner verfolgen,
Wenn ſie, zu haͤufig vermehrt, des Landmanns Reich - thum verwuͤſten!
O wie wird der Unterthan nicht, ihr Fuͤrſten, euch ſegnen,
Wenn am Abend der Wald von euren Jaͤgern umringt wird;
Feuer die Fliehenden jagt, und durch ein gluͤckliches Treiben
Euer von Waͤnden umzingelter Forſt die Bruͤllenden einſchließt.
Wenn Aurora darauf die oͤſtlichen Wolken bepurpert:
Alsdann laſſet von Thal zu Thal das Jagdgeſchrey toͤ - nen,
Bis die ſchuͤchterne Schaar vor eurem Gezelte vorbey - fliegt,
Und124Der Abend.
Und ſie ein toͤdtlicher Regen von pfeifenden Kugeln er - eilet,
Oder die borſtige Sau in blinkende Lanzen ſich ſtuͤrzet.
Wann dann Reh, und Keiler, und Hirſch, im ſchwei - ſichten Graſe
Liegen, und froͤhlich die Reih der Jaͤger vom Holze zuruͤckkoͤmmt;
Wenn das Hifthorn ertoͤnt; die Hunde bellen; und Echo
Ringsum das wilde Geſchrey der horchenden Gegend verkuͤndigt:
Dann iſt dieſe ſonſt grauſame Luſt die edelſte Wohlthat,
Welche den Landmann begluͤckt, und eurer Hoheit ge - maͤß iſt.
Von den guͤnſtigen Schatten gelockt, begiebt ſich das Raubthier
Aus dem geſicherten Bau in unabſehlichen Waͤldern.
Hungrig trabet der Wolf zu nahgelegnen Gefilden,
Und belauſchet die Heerde von fern mit blutgem Ver - gnuͤgen.
Doch125Der Abend.
Doch bald faͤllt ihm der Muth. Er hoͤrt die wachſa - men Hunde
Laut anſchlagen, und oft um die niedere Huͤrde herum - gehn.
Jm verſchloſſenen Stall, und hoch auf ſichernden Bal - ken,
Sitzt, vertraulich umringt von ſeinen Weibern, der Haushahn.
Merkt er unten den lauſchenden Fuchs, den diebiſchen Marder;
Alsdann hebt er ſein Feldgeſchrey an, das oͤfters die Raͤuber,
Die ihn mit Neid in Sicherheit ſehn, vom Hofe ver - ſcheuchet.
Aus der dumpfichten Kluft, den Felſenritzen, dem Schorſtein,
Schwinget die Fledermaus ſich auf duͤnnem ruſichten Fittig
Jn die niedere Luft. Mit weit verſpreiteten Schwin - gen
Rauſcht die Eule vom Thurm, und henlt vom einſa - men Kirchdach
Jhren gefuͤrchteten Todtengeſang. Die ſchwache Ma - trone
Zittert126Der Abend.
Zittert voll Ahndung, und duͤnket ſich ſchon am Rande des Grabes.
Aber der kluͤgere Wirth verachtet ihr aͤchzendes Klag - lied,
Und verſchanzet mit groͤſſerem Fleiß die Wohnung der Tauben.
Denn ſie iſt immer die Feindin der Unſchuld, und hat oft den Gatten
Von der Seite der Taͤubin geraubt; mit ſtuͤrmiſchen Fluͤgeln
Schoß die erſchrockene Schaar aus ihrer entweihten Behauſung,
Und kam lange nicht wieder zuruͤck, bis Locken und Schmeicheln
Die Verjagten aufs neu zum vorigen Aufenthalt brachte.
Jetzt entfaltet das Nachtinſekt die mehlichten Fluͤgel,
Schießt nach der brennenden Kerze des einſamen Wei - ſen, und gauckelt
Um die Flammen herum, bis ſeine Schwingen ver - ſengt ſind.
Laͤngſt des Juͤnglings aͤhnliches Bild, der gauckelnd und flatternd
Um127Der Abend.
Um die Wolluſt ſich dringt, bis ihn Verderben ergrif - fen,
Und er zum Elend hinab, verbrannt und fluͤgellos, ſtuͤrzet.
Und nun entſinkt aus laͤßiger Hand dem Kuͤnſtler der Hammer,
Und die erfindſame Nadel, und jedes geſchaͤftige Werk - zeug
Wird bey Seite gelegt, da frohere Stunden erſcheinen.
Jetzo trinkt er die freyere Luft des heiteren Abends,
Schaut neugierig umher, verhuͤllt von virginiſchen Daͤmpfen;
Oder er wandelt auch fort zu einer vertrauten Ver - ſammlung,
Wo bey ſchaͤumendem Bier der ſchwerere Bacchus das Wort fuͤhrt;
Wo der politiſche Thor in Staatsgeſchaͤfte ſich miſchet,
Feldherrn tadelt, und Schlachten gewinnt, und Laͤn - der erobert.
Da indeſſen ſein Weib die Nachbarinnen beſuchet,
Wo128Der Abend.
Wo ein plaudernder Kreis ſich um die Schwaͤtzerin ſchlieſſet,
Welche die Schmaͤhſucht erhitzt. Wenn dann der Re - gen den Abend
Noch langweiliger macht, und jede Verleumdung er - ſchoͤpft iſt:
Dann geht oft die Geſpenſtergeſchichte, mit mancher Erdichtung,
Jn der Geſellſchaft herum, bis ſchnell ein paniſches Schrecken
Naͤher zuſammen ſie bringt, und Schauder uͤber ſie ausgießt.
Laß nur immer den weſtlichen Sturm auf brau - ſenden Schwingen
Ueber uns ſchweben; auf Muͤßige nur ſtroͤmt Unmuth und Gaͤhnen
Aus dem geoͤfneten Horn der Langenweile hernieder.
Nie wird uͤber die Laͤnge des Abends der Gluͤckliche murren,
Welcher ſich ſelber Geſellſchaft, und mit den Muſen bekannt iſt,
Oder bey Zeiten gelernt, mit weiſen Todten zu reden.
Oefters129Der Abend.
Oefters ſollen die Stunden alsdann mit Freunden ver - flieſſen,
Deren harmoniſche Seelen zu meiner Seele geſtimmt ſind.
Unſer ernſtes Geſpraͤch ſoll bald die Schoͤnheit der Tu - gend,
Und das Lob der Weisheit erhoͤhn; bald ſoll uns die Freundſchaft,
Unter geſelligem Scherz, zu bluͤhenden Lauben beglei - ten,
Wo ſich die Freude die Wohnung gewaͤhlt. Hier wol - len wir ſingen,
Und zufriedener ſeyn, als arme Reiche bey Schaͤtzen,
Und der verguͤldete Thor in unſchmackhafter Zerſtreuung.
Dann, mein Kirchmann kamſt du zu mir, mit redli - chem Herzen,
Munterem Witz, und erſuͤllt von allen Schaͤtzen der Weisheit.
O wie waren wir gluͤcklich! Wie floß vertraulich der Abend
Ueber uns weg, indem uns Geſpraͤche voll feuriger Freundſchaft
IV. Th. JUnter -130Der Abend.
Unterhielten. Da hoͤrteſt du oft mit Beyfall der Muſe
Furchtſames Lied; dann fuͤhrteſt du mich, auf blumichten Wegen,
Zu dem geheiligten Tempel der ewigen Wahrheit. Wie ploͤtzlich
Jſt dies Gluͤck mir entflohn! Dir winkte die Vorſicht, du eilteſt
Jn der Unſterblichkeit Schoos, und wurdeſt belohnet. Jhr Thraͤnen,
Fließt voll Wehmuth nicht mehr! er wurde belohnet. Du, Aſche
Seiner Gebeine, ruh ſanft! Umſchattet ſie, rauſchende Linden!
Laß, o ewige Vorſicht, mir noch die wenigen Ed - len,
Welche die Ehre der Freundſchaft ſind, damit ſie die Bahn mir
Dieſes fluͤchtigen Lebens erheitern. Du Gaͤrtner, und Ebert,
Laſt uns noch oft des Abends genieſſen, eh unſer Ge - ſchick uns
Von einander getrennt. Was hat die Erde fuͤr Gluͤck nicht
Durch131Der Abend.
Durch die Freundſchaft! Eilig entfliehn die traurigen Stunden,
Wenn ſie uns lacht; dann ſind wir zufrieden, und ſpot - ten der Sorge.
Oftmals wollen wir auch in unſre geheime Verſamm - lung
Fremde laden, die immer fuͤr uns zum Vergnuͤgen be - reit ſind.
Ohne Zauberſtab fuͤhren wir ſie zuruͤck von den Todten.
Uns wird nicht der Grieche verſchmaͤhn; auch wird ſich der Roͤmer
Gern geſellen zu uns. Doch ſoll uns vor allen der Britte
Mit dem erhabnen Geſang zu gleichen Verſuchen begei - ſtern.
Milton ſchlage fuͤr uns die hohe harmoniſche Harfe;
Pope ſoll unter uns lehren; und jener wuͤrdige Barde,
Young, auch in dem deutſchen Gewande den Kenner entzuͤcken.
Da indes der mahlende Thomſon, ein maͤchtiger Zaubrer,
J 2So,132Der Abend.
So, wie ich will, im Gemach mir alle Zeiten des Jahrs ſchafft,
Und dem Winter zu ſtuͤrmen, dem Lenze zu laͤcheln, gebietet.
Oft ſoll auch mit Roſen gekraͤnzt der froͤhliche Becher
Unſern Abend erheitern, wenn wir mit freyem Ge - laͤchter
Ueber den Narren voll Witz die traurigen Sorgen ver - geſſen.
Rauſchende Freuden beginnen nunmehr, im Saale der Groſſen.
Unter dem Glanz unzaͤhliger Kerzen entſtehet ein neuer
Hellerer Tag. Der Stolz und die Pracht, und die trunkene Wolluſt,
Herrſchen in jedem Gemach. Die Maskerade verſam - melt
Schwaͤrmende Larven zum Tanz. Das Spiel erhebet ſein Zepter,
Und ſchnell ſind die Tiſche beſetzt. Der rauſchende Reifrock,
Ernſte Peruͤcken, das Kriegergewand, die blitzende Weſte,
Alles133Der Abend.
Alles dringet herzu. Sie fuͤhrt die blaſſe Gewinnſucht,
Und die Hofnung zu Gold. Verzweifelung ſchleudert die Karten
Jn das Gemach; die Beutel ſind leer; die quaͤlende Reue
Naht ſich herzu; und Fluchen und Klagen erſchallet im Zimmer.
Jn der reicheren Stadt ſteckt auch am Abend das Schauſpiel
Seinen Federbuſch auf, und ruft zur Schule der Sit - ten.
Hermann haͤngt im Triumph, die uͤberwundenen Ad - ler,
An die heiligen Eichen der deutſchen Freyheit zum Opfer.
Dido
(†)Trauerſpiele vom ſeel. Profeſſor Schlegel.
(†) weint vergebliche Klagen. Die ſterbende
(*)Von Herrn Leßing.
(*) Sara
Schwellt das Mitleid herauf zu unſerm thraͤnenden Au - ge.
J 3Lor -134Der Abend.
Lorchen
(*)Die zaͤrtlichen Schweſtern, vom Herrn Profeſſor Gellert.
(*) und Caroline bezaubern mit aller der An - muth,
Die dem erhabnen Gemuͤth die edelſte Tugend ertheilet.
Und der deutſche Myrtill
(**)Die gepruͤfte Treu, vom Herrn Prof. Gaͤrtner.
(**) und Sylvia reden die Sprache
Einer gelaͤuterten Liebe, des alten Arkadiens wuͤrdig.
Doch wie ſelten vergoͤnnt uns dieſe Freuden das Schick - ſal,
Welches noch immer mit eiſerner Hand den Deutſchen zuruͤckhaͤlt,
Und auch jetzt noch zum Sklaven ihn macht von allem, was fremd iſt!
Unter viel hundert maͤchtigen Staͤdten, die alle ſich ſchmeicheln,
Jn der beguͤterten Schoos die feineren Sitten zu naͤh - ren;
Jſt kaum Eine, die kuͤhn genug iſt, die eigene Buͤhne
Zu135Der Abend.
Zu ermuntern, zu ſchuͤtzen, und zu belohnen. Wie elend
Jrrt die verlaſſene Schaar, die mit geſchickten Talen - ten
Unſer Lachen erweckt, und unſre Thraͤnen entlocket,
Durch ganz Deutſchland umher; und wird durch Man - gel gezwungen,
Wider ihr beßres Gefuͤhl des Poͤbels Geſchmacke zu froͤhnen.
Jſt denn keiner von euch, ihr Fuͤrſten Germaniens? keiner,
Der die verachtete Kunſt durch ſeinen maͤchtigen Bey - ſtand
Zu ermuntern gedaͤchte? Wie? Jhr, Germaniens Zierden,
Die ihr ſo oft der Gallier Heer durch Deutſche geſchla - gen,
Deutſch ſo wuͤrdig oft denkt, und, deutſch auch, edel euch ausdruͤckt;
Wie? Jhr ſchaͤmt euch, Deutſche zu ſeyn; und hohlet den Fremden
Ueber den Rhein und die Alpen herzu, um euch zu ver - gnuͤgen?
J 4Gebt136Der Abend.
Gebt nur die Haͤlfte von Lob, die Haͤlfte der guͤldenen Summen,
Die ihr bisher an Fremde vertheilt, Germaniens Kin - dern;
Und bald wird die ermunterte Kunſt ſich muthig erhe - ben.
Eine Goßin wird bald auch unter den Deutſchen bezau - bern,
Ein le Kain wird entſtehn, und mancher gluͤckliche Geiſt wird
Wie ein Schlegel, und Leßing, und Weiß, die Ta - lente gebrauchen,
Welche bisher, von keinem beſchuͤtzt, vergeſſen ge - ſchlummert.
Unſere Buͤrger werden alsdann nicht blos nur die Au - gen,
An dem Bunten der Scene veranuͤgen. Jhr werdet die Seelen
Jhnen erhoͤhn, die Herzen erweitern, die Sitten ver - beſſern;
Und Gefuͤhl und Geſchmack wird alle Staͤnde beleben.
Welch ein glaͤnzender Pomp, welch eine ſchim - mernde Scene
Oefnet137Der Abend.
Oefnet ſich unter dem praͤchtigen Schall der rauſchen - den Saiten?
Dies iſt die Stimme der Oper; ihr Land, voll ſuͤſſer Bezaubrung,
Wo der Sieger, der rauheſte Held, verliebt iſt, und ſinget.
Schon bin ich, o maͤchtge Muſik, ganz Ohr, dir ge - widmet!
Was auch immer die ſtolze Kritik fuͤr Regeln erſonnen,
Handle dawider! Wofern du mich nur bewegſt, und bezauberſt.
Und mich duͤnkt, ich ſehe dich ſelbſt auf ſtralendem Throne
Von den Muſen umringt, die mit verwundernden Bli - cken
Deine Zaubermacht hoͤren, und alle gefaͤllig dir dienen.
Orpheus, mit dem Gefolge der Floͤtenſpieler der Alten,
Steht in Erſtaunen entzuͤckt; die einfache Leyer ent - ſinkt ihm
Die er ehmals geruͤhrt; er giebt den Neuern den Vor - zug.
J 5Doch138Der Abend.
Doch ihr Meiſter der Kunſt, die ihr mit maͤchtigen Toͤnen
Unſre begeiſterten Seelen erhebt; ihr, die ihr den Au - gen
Oftmals Thraͤnen entlockt; wenn ihr die inneren Sai - ten
Unſers Gefuͤhls zu treffen gewußt; ſagt, muß denn die Stimme
Des erregten Affekts in krauſen Verzierungen klagen?
Muß der Gefangne, der Sterbende, noch in Stunden des Abſchieds
Durch die verrathene Kunſt den ſuͤſſen Betrug uns ent - reiſſen,
Welcher ſchon anfieng, das Herz zum zaͤrtlichen Mit - leid zu ſchmelzen?
Und muß ſtets nach einerley Schwung, in einerley Um - lauf,
Ewig ſich gleich die Arie ſeyn? Jhr kuͤnftigen Haſ - ſen,
Folgt dem Vorurtheil nicht! Folgt nicht dem Einfall des Saͤngers,
Folgt der wahren Natur! Sucht unſre Herzen zu ruͤh - ren!
Und139Der Abend.
Und ihr ruͤhrt ſie gewiß, wofern ihr ſelber geruͤhrt ſeyd.
Wenn der Abend lange dich ſchon an den einſa - men Schreibtiſch,
Oder auch an das lehrende Buch bezaubernd gefeſſelt:
Dann erheitre den Geiſt, der anfaͤngt, matter zu den - ken,
Durch die maͤchtge Muſik. Auf einer Steinertſchen Geige
Zeig entweder die Kunſt in langſam ſeufzenden Noten,
Die wie Farben in Farben ſich in einander verlieren:
Oder ergreif die gauckelnde Floͤte. Harmoniſche Spruͤn - ge,
Schnelle Triller, und huͤpfende Toͤne, wie rieſelnde Wellen,
Schallen im Saal, und reizen von fern den horchen - den Nachhall.
Aber vor allem ſetze dich hin zum hohen Klaviere;
Denn hier biſt du allein dir ſelber ein ganzes Orcheſter.
Auch140Der Abend.
Auch erwaͤhlte vor allen, die Schoͤne, den ſilbernen Fluͤ - gel.
Wenn ſie es will, ſo ertoͤnt die Ouvertuͤre der Oper
Durch ihr ſchallend Gemach, in ganzer voller Beglei - tung.
Und dann rauſchet der Vorhang empor; die Arie ſinget
Durch die ſilbernen Saiten; und hat ſie ſelber gelernet,
Jhre Stimme zu biegen, und von den Welſchen zu borgen:
So wird unſer Vergnuͤgen durch zaͤrtliche Worte ver - mehret,
Wenn der bezaubernde Mund mit wahrer Empfindung ſie ſinget;
Jhre Fertigkeit wird ein Kreis der Bewunderer prei - ſen.
Und hier wolle die Muſe Germaniens Ehre be - haupten,
Das durch eignes Verdienſt den muſikaliſchen Lorbeer
Um die Schlaͤfe ſich beugt, und mehr, und groͤſſere Namen,
Unter141Der Abend.
Unter der Menge von Meiſtern erblickt, als Frankreich und Welſchland.
Jener Orpheus der Britten in Vauxhall und Rane - lagh bewundert,
Der im Tempel entzuͤckt, und auf dem Theater ge - herrſcht hat;
Dieſer gehoͤrte zu uns. Der Marmor, welchen die Ehr - furcht
Jhm errichtet, iſt auch ein Ehrengedaͤchtniß fuͤr Deutſch - land.
Und durch ihn ward Deutſchland nicht arm. Der gluͤckliche Haſſe,
Allezeit gluͤcklich im Ausdruck, und neu in ſeiner Er - findung,
Hat nicht Germanien nur in hohes Erſtaunen gezwungen,
Welſchland ſelber hat ſich nach ſeinem Muſter gebildet.
Und ſang nicht der gruͤndliche Graun die zaͤrtlichſten Lieder,
Mit dem groͤſten Genie auch nach den ſtrengeſten Regeln,
Regeln, die niemals ihm Schwung, und Feuer, und Kuͤhnheit, benahmen?
Aber142Der Abend.
Aber wer iſt der Greis, der mit der leichteſten Feder,
Voll von heiliger Gluth, den ſtaunenden Tempel ent - zuͤcket?
Hoͤre! wie rauſchen die Wogen des Meers! wie jauch - zen die Berge
Und das Land dem Herrn! Wie fuͤllt mit heiligem Schauer
Ein harmoniſches Amen die fromme Seele! Wie zit - tert,
Von dem geheiligten Schall, der Hallelujah der Tempel!
Telemann, niemand als du, du Vater der heiligen Tonkunſt,
Deſſen erhabnen Geſang der Gallier ſelber bewundert,
Kan mit irdiſchen Toͤnen die Choͤre der Engel entzuͤcken.
Und wie viel der wuͤrdigſten Geiſter umringen die Muſe,
Welche fuͤr ihre beſondere Kunſt den Lorbeer verlangen!
Von der geheiligten Orgel bis auf die Floͤte, ſind Mei - ſter,
Die143Der Abend.
Die kein anderes Volk in ſolcher Vollkommenheit dar - ſtellt.
Welche Namen ſind Bach, und ſeine melodiſchern Soͤhne,
Sie, die der Hand, ſonſt lahm zum Klavier, mehr Finger gegeben.
Matheſon, dieſer gruͤndliche Greis, und Marpurg, erhellen
Durch die leuchtende Fackel der Wahrheit die Nebel des Jrrthums,
Welche bisher die Tonkunſt umhuͤllt. Ein Wagenſeil ſchweifet
Wild und bezaubernd durch maͤchtige Saiten. Der wuͤrdige Bruder
Unſers unſterblichen Grauns wird ewig durch eigenen Lorbeer;
Und Agricola ſtimmet das Herz zu ſanftem Entzuͤcken.
Schwanenberg koͤmmt mit gruͤndlicher Einſicht, mit reicher Erfindung,
Ueber die Alpen zuruͤck. Sack, Fleiſcher, und Nichel - mann zaubern
Auf dem beſeelten Klavier; und Benda, von ewigen Nachruhm,
Faßt144Der Abend.
Faßt den gewaltigen Bogen. Die Herzen ſchmelzen, und neidiſch
Hoͤren die Welſchen ihm zu. Quanz macht die ſcher - zende Floͤte
Zu der Kenner Erſtaunen, und ward der Liebling der Tonkunſt,
Der dich, groſſer Friedrich, gelehrt. Der gluͤckliche Rolle
Folgt Grauns blumichter Bahn. Ried, Schafrath, Hertel, und Schale
Reiſſen uns hin; wie du auch, o Kunz, manch zaͤrt - liches Lied fließt
Von melodiſchen Lippen, das ihre Begeiſtrung erfunden.
Dich deckt Staub, des Pantalons Schoͤpfer, doch le - beſt du ewig
Bey der Nachwelt; auch du, o Weiſe, du maͤchtiger Zaubrer
Auf nun faſt vergeſſener Laute. Mit frohem Entzuͤcken
Sieht die Muſe Schaaren bey Schaaren, und ſegnet die Namen,
Deren zu viel ſind, als daß ſie die Grenzen des engeren Liedes
Faßten;145Der Abend.
Faßten; die aber dereinſt, mit guͤldnen unſterblichen Lettern,
Das Geruͤcht an die Pfeiler im Tempel der Ewigkeit eingraͤbt.
Du, des Tages gefaͤlliger Herbſt, du, der du mich reitzeſt
Mit dem wolkigten Himmel, mit ſanften gemaͤßigten Schatten;
Der du lauter mit ſich der Seele zu reden vergoͤnneſt;
Holder Abend, dem meine Geſaͤnge zum oͤfterſten ſchallen:
Schuͤtte den Einfluß harmoniſcher Sphaͤren, und blin - kender Sterne,
Welche du jetzt zum maͤandriſchen Tanz am Himmel herauffuͤhrſt,
Ueber meinen Geſang, damit er in flieſſenden Toͤnen
Von der Leyer erſchalle, die jener zaubernde Britte
Ueber ein aͤhnliches Thema mit groͤſſerem Feuer geſchla - gen.
Recke den Zauberſtab aus, und laß die Gefilde der Thorheit,
IV. Th. KUnd146Der Abend.
Und der vergaͤnglichen Freuden vor meinen Augen ver - ſchwinden.
Hoͤhere Scenen erwarten mein Lied. Schon ſeh ich von fernher
Deine Schweſter, die Nacht, in majeſtaͤtiſcher Stille;
Und die Muſe verſammelt die Kraͤfte zum kuͤnftgen Ge - ſange.
Der[147]

Die Nacht. Die Nacht.

[148][149]
[figure]
Melancholiſche Stille, von ſchwaͤrzeren Stunden begleitet,
Schwebt die Himmel hindurch. Tiefſchweigend lie - gen die Himmel
Dick in Wolken gehuͤllt, und feyerlich harret die Erde.
Sie erſcheint, die heilige Nacht, in ſtralloſem Pompe,
K 3Ma -150Die Nacht.
Majeſtaͤtiſch, und ernſt, auf ihrem behangenen Wa - gen,
Vor ihr wandelt ein ſaͤuſelnder Wind, und wickelt die Wolken,
Wie ſie winket, zuſammen. Von ihrem holden Geſichte
Nimmt ſie den Schleyer hinweg; die Hoͤrner des wachſenden Mondes
Glaͤnzen mit flimmerndem Stral aus ihrer leuchten - den Krone,
Und ihr Mantel, mit Sternen beſaͤt, fließt weit in die Luͤfte.
Dir, ehrwuͤrdiger Greis, auf deſſen ſilberne Locken
Dir die guͤnſtige Nacht ihr heiliges Salboͤl geſchuͤttet,
Der du, von ihr zum Liebling geweiht, ihr Heilig - thum ſaheſt,
Und mit brittiſchem Schwung ſie unnachahmlich ge - ſungen;
Young, wie wuͤnſchte mein Lied, von deinen Ge - ſaͤngen entzuͤndet,
Dir zu toͤnen, ſo ſchwach auch der Schall der Lau - te dir klaͤnge.
Hoͤre151Die Nacht.
Hoͤre denn du mich, Ebert, fuͤr ihn! Du, der du zuerſt mich
Jn den unſterblichen Kreis von Albions Barden ge - fuͤhret,
Und Youngs Muſe zuerſt dem Blick Germaniens zeigteſt.
Dir nur konnt es gelingen, indem du die Klagen des Weiſen
Ganz verſtanden, und ganz gefuͤhlt. Den heiligen Dichter
Sah oft die einſame Nacht, die ſeinen Geſang ihm beguͤnſtigt,
Mit den Sternen vertraut; allein nicht minder be - geiſtert,
Sah ſie auch dich, wenn ſtilles Entzuͤcken bey ſei - nen Geſaͤngen
Deine Wange gefeuert, und ſympathetiſche Neigung
Melancholiſch, gleich ihm, dich unter die Graͤber geleitet.
Goͤnne mir ietzt aufmerkſam dein Ohr! Noch hat dir die Muſe
Naͤchtliche Scenen zu zeigen, nicht alle vom Brit - ten geſchildert.
K 4Rings -152Die Nacht.
Ringsum liegt die Natur in tiefer traurender Stille.
Feyerlich zittert, im ſtummen Gehoͤlz, ein heiliges Schrecken;
Und das grauſende Thal, das dicke Finſterniß decket,
Schlummert nun ſchweigend und todt. Der ſchwarze Schleyer der Schatten
Hat, die himmliſche Schoͤnheit und alle Farben, ver - huͤllet.
Jetzo ſpreitet das naͤchtliche Grauen ihr dunkles Ge - zelt aus;
Alles fliehet vor ihr; ſie hat die Herrſchaft behauptet,
Und das troͤſtende Licht und alle Wonne verjaget.
Ach! wie biſt du ſo ploͤtzlich von uns, o Tochter des Himmels,
Guͤtige Sonne! ſo ploͤtzlich entflohn! Wo ſchimmerſt du ietzo?
Fernen geliebteren Voͤlkern, die deinen praͤchtigen Aufgang
Mit lautſchallendem Chor, mit Cymbeln und Rei - gen begruͤſſen.
Da153Die Nacht.
Da du entflohſt, da haſt du von uns die Freude genommen,
Welche die Felder beſeelt; nun ſtarren ſie dunkel und traurig.
Doch was klag ich, den Thoͤrichten gleich, die Freu - den nicht ſchmecken,
Wenn ſie nicht immer fuͤr ſie in blendende Farben getaucht ſind?
Hat nicht die Nacht vor dem Blick des Weiſen und Dichters noch Scenen,
Welche das fuͤhlende Herz mit gleichem Vergnuͤgen betrachtet,
Als die lachenden Scenen des Tags? Mit eroͤfne - tem Auge
Sieh ietzt auf zum Throne der Nacht. Jn thauen - den Wolken
Steht er ſtill; ſie ſtreckt ihr ſchweres anarchiſches Zepter
Ueber den Erdkreis. Verhuͤllt in leichte Kleider von Schatten,
Sendet ſie uns, wohlthaͤtig, den Schlaf zur Erde hernieder.
Sein befluͤgelter Fuß durcheilt die Wolken; ein Mohnſtrauß
K 5Jn154Die Nacht.
Jn der zitternden Hand, ſtreut Schlummerkoͤrner. Die Traͤume
Folgen ihm nach; zur Linken die Schaar der traurigen Schatten;
Schreckliche wilde Figuren, mit Rabenfluͤgeln und Klauen;
Oft mit Dolchen bewehrt; ſie ſchwingen, wie Furien, Schlangen
Ueber der Sterblichen Haupt, und peitſchen die Ruhe des Schwelgers.
Heitere Traͤume flattern dem Gott zur Rechten, und tragen
Kronen und Zepter fuͤr Sklaven, und Jndiens Schaͤtze fuͤr Bettler.
Aber indem ſich der gauckelnde Schlaf zur Erde hinab - ſchwingt,
Rauſchet er oft die Schloͤſſer vorbey, und ſinket auf Huͤtten;
Oder er ſchickt zum praͤchtgen Pallaſt die ſchrecklichen Traͤume,
Und die guten folgen ihm nach zur Huͤtte des Hirten,
Oder des ſchnarchenden Landmanns, dem keine feuri - gen Weine,
Und155Die Nacht.
Und kein Jndiſch Gewuͤrz, ſein reines Gebluͤte ver - dorben.
Sey mir willkommen, o Hain, voll melancholi - ſcher Gange,
Nimm mich in deinen geruhigen Schoos, und lisple mir Muth zu.
Fuͤrchterlich ſchallet durch dich mein irrender naͤchtlicher Fußtritt,
Welcher umſonſt die Spuren des Freundes, die Spu - ren von Menſchen
Jn der erſtorbenen Flur, in wuͤſten Gegenden aufſucht.
Unter die heilige Linde, die ihren waldichten Wipfel
Hier in traurige Schatten verbirgt, und Schrecken herabrauſcht,
Will ich mich ſetzen. Verwayßt, gleich einem Lande des Todes,
Liegt die Gegend um mich. Jn bunten wechſelnden Farben
Wallet nicht mehr das finſtre Gewand der ſchlafenden Erde.
Nun liegt Garten und Au, nun liegen Schloͤſſer und Huͤtten
Vor156Die Nacht.
Vor den Augen des Wandrers verſteckt; er ſucht ſie vergebens.
Biſt du es noch, gluͤckſeelige Flur, in der ich die Ruhe
Unter dem Strohdach umarmt? und dich, Zufrieden - heit, ſitzend
An des Landmanns offener Thuͤr? Biſt du es, o Ge - gend,
Wo die Freude mich oft, gleich einer arkadiſchen Nymphe
Ueber Wieſen und Thaͤler gefuͤhrt; indem mir die Dryas
Jn dem innerſten Hain voll Wolluſt zu wandeln er - laubte?
Ach! ich kenne dich nicht! die Stimme der Saͤnger des Waldes,
Die mich hier oͤfters entzuͤckt, ſcheint nun auf ewig verſtummet.
Jſt die Schoͤpfung nun todt! Wo iſt die Zierde der Erde,
Der monarchiſche Menſch? Jch bin allein nur noch uͤbrig,
Nicht vom Schlafe beſucht, um dich, o Nacht, zu be - ſingen.
Du157Die Nacht.
Du verdienſt es, ſo ſehr, als der Tag. Laß im - mer den Morgen
Ueber die froͤhliche Flur die Kraͤnze von Roſen ver - ſtreuen;
Laß des Mittags eroͤfnetes Horn die Sterblichen ſpeiſen,
Und mit ſaͤuſelndem Weſt den Abend den Weltkreis er - friſchen.
Du, holdſeelige Nacht, reichſt uns nicht ſchlechtre Ge - ſchenke,
Da uns der ſtaͤrkende Schlaf auf deinem Wagen ge - bracht wird.
Von den Gebruͤdern, welche die Reiche des Tages be - herrſchen,
Biſt du die aͤltere Schweſter. Du thronteſt lange vor ihnen
Ueber des Chaos verwirrtes Gebiet, und ſahſt ſie ent - ſtehen,
Als ſich die Erde zuerſt um ihren Mittelpunkt drehte.
Selber des Himmels erhabner Regent hat oft dich ge - wuͤrdigt,
Wenn in Geheimniſſen ſich ſein Wille den Engeln ver - kuͤndigt,
Jhn158Die Nacht.
Jhn aus dir zu verkuͤndgen; und heiliges Dunkel um - huͤllet
Seinen gefuͤrchteten Thron, wenn ſein Orakel ertoͤnet.
Und wie hat er dich herrlich gemacht vor deinen Ge - ſchwiſtern,
Als in Menſchengeſtalt Gott ſelbſt die Erde beſuchte!
Dir ſang damals der Seraphim Chor in himmliſchen Hymnen;
Rund um flammten der Cherubim Feuer in Bethle - hems Fluren,
Und der chriſtlichen Welt biſt du noch ietzo geweyhter,
Als der herrlichſte Tag. Du hohe Vertraute des Him - mels,
Heilige Nacht! Gegruͤſſet auch mir! Das irdiſche Lied auch
Jauchzt dir entgegen, indeſſen der Schall olympiſcher Harfen
Dich vor deinen Bruͤdern zur Erde herunter begleitet.
Dich empfangen mit jauchzenden Reihn die ſchimmern - den Sterne,
Welche159Die Nacht.
Welche die Sonne voll Neid mit ihren Stralen verdeckte.
Jetzt blickt freundlich der Mond aus ſilberfarbnen Ge - woͤlken,
Halbverſchleyert, hervor; und leitet die guͤldnen Geſtirne
Ueber die Himmel zu myſtiſchem Tanz; und Thaͤler und Huͤgel
Liegen in Schlummer und Ruh durch deinen guͤtigen Einfluß.
Die geſamte Natur iſt unter deiner Regierung
Gluͤcklich. Jm Arme des Schlafs liegt ietzt der Bett - ler auf Raſen,
Wie der Monarch auf Federn des Schwans. Selbſt Thiere genieſſen
Ein ertraͤglicher Loos, da ihre harten Beherrſcher
Nicht mehr mit tyranniſcher Hand die Seufzenden pla - gen.
Und dich ſegnet vor allem der Weiſe, der ietzo ſein Auge
Mit dem Sehrohr geſtaͤrkt, zum Sternenhimmel erhe - bet,
Und160Die Nacht.
Und entweder den wandelnden Mond neugierig betrach - tet,
Oder den ſeltenen Lauf des truͤben Kometen verfolget.
Leuchte mit allen Geſtirnen, o Nacht, der Seele des Dichters,
Die im Pilgergewand die heiligen Graͤber beſuchet;
Oder in Liedern, der Gottheit zum Ruhm, Empfindun - gen ausgießt,
Wie ein Bodmer, und Klopſtock und Wieland. Wenn anders noch Tugend
Kommende Zeiten entzuͤckt, ſo werden ſie kommende Zeiten,
Als die Predger der Tugend, den ſpaͤteſten Enkeln erheben.
So kam ehmals die himmliſche Muſe zu Milton her - nieder,
Wenn du den Weltkreis bedeckt. So wie du den Au - gen des Dichters
Auch am Tage mit Blindheit verhuͤllt: ſo wuchs in der Seele
Deſto ſtaͤrker der Tag der innern maͤchtgen Erleuchtung.
Young,161Die Nacht.
Young, begeiſtert durch dich, ſang dir ſo wuͤrdige Lieder,
Daß der Himmliſchen Schaar den Klang der irdiſchen Leyer
Mit Entzuͤcken und Beyfall gehoͤrt; und wuͤrdige See - len,
Jhrer Beſtimmung bewußt, ihn voller Bewunderung ſegnen.
Und wenn kan ſich der Menſch mit ſeinem geheimen Gebete
Maͤchtger erheben zu Gott, als wenn vor alle Zerſtreuung
Du den Vorhang gezogen, und aller Orten der Weltkreis
Eine Kammer fuͤr Betende ſcheint, wo engliſche Fluͤgel
Unſre Seufzer erwarten, ſie uͤber die Sterne zu tragen?
Niemals muͤſſe dein Wagen, o Nacht, die Erde beſuchen,
Daß mein ſtilles Gebet nicht, auf den Fluͤgeln der An - dacht,
Sich zum Himmel erhebe, der ietzt durch Heere von Sternen
IV. Th. LMit162Die Nacht.
Mit noch hellerm Beweiß den Koͤnig der Geiſter ver - kuͤndigt!
Und nun, da ich am Ufer des Hains in Gedanken verſenkt bin:
Hoͤr ich hinter mir dunkles Gemurmel, und fluͤſternde Winde,
Die durch rauſchendes Laub der zitternden Eſchen ſich kraͤuſeln.
Jetzo pfeifen ſie ſchaͤrfer durch zackigte Tannen und Kie - fern,
Und nun taumelt der Sturm lautheulend uͤber mein Haupt hin.
Wie ein Ocean tobet der Wald; die rauſchenden Baͤume
Neigen die Wipfel, der niedrige Strauch wallt uͤber dem Boden.
Zehnmal ſchrecklicher huͤllet die Nacht den ſtuͤrmiſchen Himmel
Jn aufruͤhriſche Wolken, die wie Gebirge ſich waͤlzen.
Haufen auf Haufen jaget der Sturm vom Weltmeer heruͤber;
Sie durchſeegeln die Luft, und drohen im Fliehen ver - gebens
Ueber -163Die Nacht.
Ueberſchwemmung und Donner aus ſchwangeren Schlaͤuchen zu gieſſen.
Von den Winden gepeitſcht, entweichen ſie uͤber die Him - mel,
Eh noch der Engel des Sturms die Regenurne verſchuͤttet.
Ploͤtzlich ruhet der Wind. Die weiten azurnen Gefilde
Flimmern auf einmal umher mit ſchaͤrferſtralenden Sternen.
Und nun ſteiget der Mond, halb von den Gewoͤl - ken verſchleyert,
Ueber die Erde herauf, und blickt mit ruhigem Antlitz
Jn die erſtorbnen Gefilde, die traurig liegen und ſchlum - mern.
Klagender rollt der rieſelnde Bach, die ſilbernen Wellen,
Jn dem blinkenden Schein durch ſtille Wieſen und Thaͤler.
Seufzender bebet auch ietzt der matte naͤchtliche Zephyr
Durch der Eſpen erzitterndes Laub. Ein heiliges Grauen
L 2Wan -164Die Nacht.
Wandelt im Hain, und koͤmmt mir entgegen mit ſtillem Gelispel.
Geh ich ins Dunkle hinein, da, wo die zackigte Tanne
Halb im Mondenglanz ſteht, und halb mit ſchwaͤrzerem Gruͤne
Unter die Schatten der Nacht ſich miſcht, und freuden - los trauert?
Oder ſoll ich die Ebne beſuchen, die ietzo mir da liegt,
Wie das traurige Land, das nach der Sage der Dichter
Sich im Reiche der Nacht um Lethens Ufer erſtrecket?
Schlummernd raget das Dorf aus waldichten Linden und Ulmen
Dunkel hervor; ein ungewohntes groreskeres Anſehn
Giebt ihm der Mond; es ſcheinet nicht mehr die la - chende Wohnung,
Welche der heitere Tag mit Arbeit und Freude belebte.
Dort ſteht einſam am Ende die Kirche, von welcher der Schatten
Halb165Die Nacht.
Halb den Kirchhof verhuͤllt. Dahin, o ernſtere Muſe,
Laß uns wandeln, und dort Gedanken zur Sterblichkeit athmen.
Feld des Todes, o ſey mir gegruͤßt! Jhr naͤcht - lichen Schatten,
Die ihr unter Cypreſſen hier wohnt; und ihr, o ihr Schrecken
Dunkler Begraͤbniſſe, ſeyd mir gegruͤßt! Mit beben - den Fuͤſſen
Steh ich auf Graͤbern; die Graͤber bedeckt kein prah - lender Marmor,
Und kein Stein voll Rednerfiguren erhebet den Land - mann,
Welcher kein Lob ſich erkauft, und ohne Denkmal hier ſchlummert.
Hier und da ſteht etwan ein Kreutz, ein Buͤſchel von Wermuth,
Friſch mit Thraͤnen benetzt; und auf dem Grabe des Maͤdchens,
Oder des Juͤnglings, etwan ein Kranz von Flittern und Blumen.
Eine Linde beſchattet mit ihren Zweigen den Kirchhof,
L 3Und166Die Nacht.
Und ſenkt Stille herab. Jch will mich unter ſie ſetzen,
Und mit muthigem Blick die veroͤdete Gegend durch - irren.
Hier iſts alſo, wo Staub zu Staub, wo Erde zu Erde
Sich zuſammen gefellt? Hier iſts, wo uͤber die Scene,
Ueber das Schauſpiel des Lebens, der Vorhang nieder - gelaſſen,
Und das ſchimmernde Kleid dem Spieler wieder ge - raubt wird?
Alle verſchlingt der raͤubriſche Tod! Der niedrige Land - mann
Fuͤllt ihm nicht ſchlechter den Schlund, als Sieger, Mon - archen, und Helden.
Unſere Hofnungen alle ſind aus; mit grauſamem Laͤcheln
Stuͤrzt er die Schloͤſſer der Luft vom kindiſchen Ehr - geitz errichtet,
Unter einander; er fodert den Greis; er hauchet die Roſe
Bluͤhender Schoͤnheit zu Staub, die Staͤrke der Ju - gend zu Erde.
Schre -167Die Nacht.
Schreckendes Grab! Du letzte Behauſung fuͤr Goͤtter im Leben,
O wie beugſt du den traͤumenden Stolz! Hier, ſterbli - cher Stolzer,
Hier am Rande der Gruft, betrachte die morſchen Ge - beine,
Welche vielleicht mit eben der Jugend, mit eben der Schoͤnheit,
Und dem Anfehn, trotzten, wie du. Wo ſind die Ent - ſchluͤſſe,
Die wir im Leben gemacht? Wo ſind die Hofnungen alle,
Bunte flatternde Schaaren, die uns betruͤgriſch umtan - zen?
Jſt noch Eine zuruͤck, der zeitlichen Hofnungen Eine,
Welche nicht treulos von dir am Rande des Grabes davon flieht?
Rufe ſie alle; ſie hoͤren dich nicht; mit rauſchenden Fluͤgeln
Fahren ſie auf in die Luͤfte, zerflattern, und laſſen dich ſterben.
Eine nur nahet ſich noch, den Tugendhaften zu ſtaͤrken,
L 4Wenn168Die Nacht.
Wenn ſein Auge ſich ſchließt; doch iſt ſie auch goͤttlich von Abkunft,
Und ſie wartet nicht hier auf ihre gewuͤnſchte Belohnung.
Sie, die troͤſtende Goͤttin, auf ihren Anker gelehnet,
Sitzt am Grabe des Weiſen, des wahren chriſtlichen Weiſen.
Und mich duͤnkt, ich hoͤre bereits die ſilberne Stimme,
Wie der Himmliſchen Stimme, mit dieſen Worten er - toͤnen:
Zittre nicht furchtſam zuruͤck, du, der den chriſtlichen Namen
Durch dein Leben geehrt, du wirſt nicht ſterben im Grabe.
Dieſe ſchauernde Gruft laͤßt deinen irdiſchen Koͤrper
Nicht auf immer im Staub! Er wird ſich wieder erheben
Aus der Vergeſſenheit Nacht, und ſeine reinere Seele
Schwingt ſich uͤber die Luft, und koſtet Olympiſche Freuden,
Freu -169Die Nacht.
Freuden, von denen die kleinſten mit hoͤherer Anmuth entzuͤcken,
Als die praͤchtigſten Freuden der Welt. Die Choͤre der Engel
Warten auf ihn, mit Palmen und Kronen, den Sieger zu ſchmuͤcken.
O wie gluͤcklich iſt der, dem ſie, die olympiſche Hofnung,
Dieſes Todtenlied ſingt! Vergebens ſchuͤttelt das Schre - cken
Auf dem Helme den ſcheußlichen Kamm; vergebens be - weinet
Schwacher Sterblichen Thraͤne die aufgeſchwungene Seele.
Sanft und gelaſſen ſchlieſſet der Chriſt ſein brechendes Auge,
Und ſteigt, ſo wie die Flamme, mit brennender An - dacht gen Himmel.
So ſtarb Hagedorn juͤngſt, und fuͤgte zu ſeinen Ver - dienſten
Noch das groͤßte Verdienſt, den Ruhm des ſterbenden Chriſten.
Ruhiges Land! Hier findet mein Herz die einſa - me Stille,
L 5Wel -170Die Nacht.
Welche die Stadt uns verſagt. Sogar dein ſchattich - ter Kirchhof
Scheint mir ſichrer zum Schlummer, als die um ent - heiligte Dome,
Wo ſich Frechheit zum Laſter geſellt. O moͤcht ich hier ruhen,
Hier im Schatten geheiligter Linden! O moͤchte die Freundſchaft
Hier mein Grab mit Blumen beſtreun, und etwan die Thraͤne
Einer Geliebten mich hier in einſamen Stunden bewei - nen!
Geht ein Wanderer dann, ein Freund der himmliſchen Muſen,
Jn der vertrautichen Gegend voruͤber, der nahe der Gruft ſich,
Welche den Dichter bedeckt, und ehre des Schlum - mernden Aſche,
Welcher nichts groͤſſers gekant, als dich, o Tugend, zu preiſen.
Welch ein ſchwarzer Gedanke verhuͤllt mir ploͤtz - lich die Seele,
Und ſpricht laut in mir ſelbſt? Warum ergießt ſich der Thraͤnen
Maͤch -171Die Nacht.
Maͤchtiger Strom? Was zwinget mein Herz zum traurigen Anblick
Ruͤhrender Bilder der Phantaſey? Jch ſehe die Ruhſtai
Meines Vaters, um welchen noch oft mein Auge ſich netzet.
Beſter der Vaͤter! O daß ich dir nicht, mit der zaͤrtli - chen Rechte,
Unter dem ſterbenden Haupte gelegen! O daß ich dein Auge
Nicht noch einmal mir laͤcheln geſehn! O daß dir mein Herz nicht
Nur noch einmal gedankt fuͤr alle zaͤrtliche Sorge,
Nur noch einmal die Hand dir gekuͤßt, und weinend den Seegen,
Den du entfernt mir ertheilt, von deinen Lippen em - pfangen!
Dir ſingt dankbar dies naͤchtliche Lied. Die traurige Muſe
Streut dir den Weyhrauch hier aus, den ſie dir ſchul - dig geworden.
Wer vordienet ihn mehr noch, als du? Du gabſt mir die Leyer
Schon172Die Nacht.
Schon in die kindiſche Hand, und hoͤrteſt oft guͤtig die Toͤne,
Welche der Knabe dir ſang, und deinen Beyfall erhielten.
Kehr ich einſt zur Gegend zuruͤck, wo deine Gebeine
Seelig ſchlafen: ſo ſoll ſich mein Fuß in kindlicher Wallfarth,
Vater, zu deinem Grabe begeben. Dann will ich es ſegnen,
Dich beweinen, und ſagen: Hier ruht der Beſte der Vaͤter!
Und die Reihe der andern Verwayßten ſoll um mich verſammelt
Stehn, und weinen, und ſagen: er war der Beſte der Vaͤter!
Nun hat auch die laͤrmende Stadt die praͤchtigen Thuͤrme
Tief in die Schatten gehuͤllt, und ſuͤſſer Schlummer, und Ruhe
Sinkt vom Himmel herab. Die tiefe naͤchtliche Stille
Wandelt die Straſſen umher, und findet ſie einſam und oͤde.
Zwar173Die Nacht.
Zwar ertoͤnt noch in dem Pallaſt die Stimme der Freude
Unter der Saiten Geſang, und taumelnde volle Pokale
Klingen noch durch die entheiligte Nacht, und rau - ſchende Taͤnze
Jagen die Larven im Staube herum, dem Morgen entgegen.
Aber die Muſe verſchmaͤht die Neigen ſchwaͤrmender Thoren,
Welche den Tag und die Nacht durch ihre Getuͤmmel verkehren.
Wuͤrdiger ſitzt der Dichter und Weiſe bey naͤchtlicher Lampe
Tief in lehrende Schriften verſenkt, indem die Geſtirne
Sanfter uͤber ihn gleiten, und ihren kraͤftigſten Einfluß
Ueber ſein Haupt verſchuͤtten; damit er den Weltkreis erleuchte,
Oder im hohen Geſang die Wege der Allmacht erzehle.
Jetzt weckt ihn ein ſtilles Getuͤmmel aus ſeiner Betrach - tung,
Und174Die Nacht.
Und die Leyer haͤlt ein mit ihrem ſuͤſſen Geſange.
Feyerlich rollt mit eiſernen Raͤdern der Leichenwagen
Durch die Straſſen einher; die wiederhallenden Straſ[-]ſen
Seufzen ihm nach, und huͤllen ſich hinter dem naͤchtli - chen Aufzug
Schwarzer dampfender Fackeln in zehnmal dickeres Dunkel.
Jhn umringt ein traurig Gefolge. Die Stimme der Klagen
Weinet ihm nach. Der Zug geht fort, und fuͤrchter - lich ſteht er
Vor dem Pallaſt des ſchwelgenden Reichen. Das Krachen der Raͤder
Schallt wie ein Donner der Mitternacht ihm im hor - chenden Ohre;
Und der dampfende Schein der Leichenfackel verdunkelt
Seiner Kerzen verblendenden Glanz. Er kan ſich nicht faſſen,
Faͤhrt ſchnell athemlos auf, und ſetzt den blinkenden Becher
Auf175Die Nacht.
Auf die Tafel, ſchaut aus, und erblaßt, und fuͤhlet ſich ſterblich.
Doch bald kommen die frecheren Gaͤſte mit prahlenden Worten,
Spotten der kindiſchen Furcht, und gieſſen ihm Muth in die Seele.
Und ſobald der traurige Zug ſich weiter entfernet,
Flieht das Schrecken ſogleich von ſeinen erſtorbenen Wangen.
Froͤhlicher eilt der Becher herum; man lachet der Thor - heit,
So verzagt, ſo ſeltſam den Tod gefuͤrchtet zu haben.
Alle Gedanken entfliehn von einer drohenden Zukunft,
Und ſie duͤnken voll Stolz aufs neu ſich unſterblich wie Goͤtter.
Doch dem Weiſen verſchwindet nicht ſo der ernſte Ge - danke,
Den der erweckende Pomp aus ſeiner Seele heraufrief.
Sein beherzterer Blick geht mit dem Trauergefolge
Bis176Die Nacht.
Bis zur wartenden Gruſt; das fuͤrchterlich dumpfe Gepolter
Des hinunterrollenden Sargs erfuͤllt ihn mit Schauer.
Aber nicht lange, ſo hebt der Andacht feuriger Fluͤgel
Seine Seele zum Himmel empor, und zeiget ihm Scenen,
Unausſprechliche Scenen, die dort der Seeligen warten.
Wenn ietzt die Stadt und das Land, in tiefer Stille begraben,
Sorgenlos ſchlaͤft, dann wachet noch oft die Frechheit zum Schaden.
Daß der blutbegierige Leu in ſchrecklichen Wuͤſten
Seine Beute verfolgt, daß aus dem Jnnern der Waͤlder
Heulende Woͤlfe nach Raub die einſamen Haiden durch - irren,
Dies vergiebt die Natur dem angebohrnen Jnſtinkte,
Doch, daß Menſchen noch wuͤthender ſind, als raſende Thiere,
Was177Die Nacht.
Was entſchuldiget dies? Jſts moͤglich, koͤnnen die Laſter
Ganz der Menſchheit Gefuͤhl aus menſchlichen Herzen verbannen?
Mit der Finſterniß wagt ſich nunmehr, der kuͤhnere Raͤuber,
Aus dem tiefſten Gehoͤlz; er ſtreift durch oͤde Gefilde,
Naht ſich dem ſchlummernden Hof, und wachſam bel - len die Hunde
Durch das horchende Dorf. Die zarte verlaſſene Schoͤne
Zittert in toͤdtlicher Angſt die ſchwarzen Stunden voruͤber.
Jedes kleine Geraͤuſch iſt ihr ein Zeichen zum Einbruch;
Und ſchon ſieht ſie voll Furcht vor ihrem Anblick die Raͤuber
Scheußlich verlarvt, von Frechheit gefuͤhrt, mit Dol - chen bewafnet.
O dann wuͤnſcht ſie ſich arm, und weniger vornehm. Die Staͤdter
IV. Th. MScheinen178Die Nacht.
Scheinen ihr ietzt, im ſicheren Wall, beneidenswerth gluͤcklich.
Aber uͤber ihr wacht der Vorſicht gnaͤdiges Auge,
Welches nie ſchlummert, und ietzt den engliſchen Schaa - ren gebietet,
Ueber die Unſchuld und Tugend zu wachen. Die from - me Begeiſtrung
Sieht dann oft von himmliſchen Waffen, und flammen - den Schilden
Alle Gebirge bedeckt; die Schaar der heiligen Waͤchter
Geht umher durch das Land; vor ihnen wandelt das Schrecken,
Welches den Boͤſewicht faßt, ſein Haupthaar aufwerts ihm ſtraͤubet,
Und mit Schlangen die eilige Flucht zur Hoͤle zuruͤck - peitſcht;
Da indes der muthige Mann mit feſtem Vertrauen
Auf die engliſche Wacht in ſeinem Berufe getreu iſt,
Einſam179Die Nacht.
Einſam durch die Finſterniß geht, und uͤber die Haide,
Oder im dicken Gehoͤlz mit einem ermunternden Liede
Sich die naͤchtlichen Stunden verſingt, und ſicher und gluͤcklich
Seine Heimath erreicht, ſein Weib umarmet und kuͤſſet,
Und vom Freudeſtammelnden Kreis der Kinder um - ringt wird.
Niemals herrſchet die Nacht mit einem ſchwere - ren Zepter,
Als im Winter, in welchem ſie oft zwey Theile des Tages
Unter der langen Regierung verſchlingt. Wie fuͤrch - terlich ſchuͤtten
Alle dann loßgelaſſenen Stuͤrme die ſtroͤmenden Urnen
Ueber die Erde herab, durch dicke Cimmeriſche Naͤchte.
Undurchdringliche Nebel verhuͤllen dem Auge die Him - mel,
M 2Daß180Die Nacht.
Daß die zitternden Sterne verſchwinden, und ſelber der Mond kaum
Mit dem erblaßten Geſicht durch dampfende Duͤnſte hervorſtralt.
Wilder und ſchrecklicher brauſen alsdann die tobenden Waſſer,
Mit aufruͤhriſcher Wuth, von hohen Gebirgen herunter.
Ganze Huͤgel von Schnee zerſchmelzen im reiſſenden Waldſtrom,
Welcher entwurzelte Tannen, und halbe Thaͤler des Harzes
Jn die Ebenen ſchwemmt; auf ſchwarzen bruͤllenden Wogen
Sitzt die Todesgefahr, und unter den Wellen ſind Bruͤcken
Pfad und Stege verſchlungen. Den Reuter ſaſſet am Ufer
Ploͤtzlicher Schauder; er hoͤrt das Getoͤs der brauſen - den Waſſer,
Voll von innerer Angſt, und unter ihm zittert er - ſchrocken
Sein181Die Nacht.
Sein ſonſt muthiges Roß. Von ſchwarzer Ahndung getroffen,
Und von ſeinem ſchuͤtzenden Geiſt ſanftlispelnd gewarnet,
Zieht er die Zuͤgel zuruͤck; doch endlich ſtaͤhlt er von neuem
Sein ermuntertes Herz; vertraut ſich der Kaͤnntniß des Pfades,
Und trabt blind in die Fluth. Die Fluthen ergreifen ihn maͤchtig,
Fuͤhren ihn fort; vergebens beſtrebt das ſchnaubende Roß ſich,
Jhn mit Schwimmen zu retten; umſonſt! der reiſſen - de Waldſtrom
Rollt mit gewaltigem Schuß ſie klaͤglich unter einander.
Seufzend begiebt ſich ſein Engel zuruͤck vom oͤden Geſtade,
Und ſein Leichnam treibet dahin; mit haͤufigen Zaͤhren
Wartet ſein Weib die ſchreckliche Nacht; oft ſchaut ſie vergebens
M 3.Jn182Die Nacht.
Jn die Finſterniß aus. Viel traurige Tage verſtreichen,
Eh ſie die Nachricht erhaͤlt von ſeinem entſetzlichen Tode.
Weniger ſchrecklich erſcheinet die Nacht, wenn unter dem Froſte
Selber der Waldſtrom erſtarrt, und uͤber beſchneyte Gefilde
Tauſend Sternchen und Flittern im hellen Monden - glanz ſchimmern,
Und der Himmel geſchmuͤckt mit allen ſeinen Geſtirnen
Heller jetzt ſcheint, und guͤtig dem Pfad des Wande - rers leuchtet.
Dann erklinget der Schnee ſcharf unter dem naͤchtlichen Fußtritt,
Und der ſchneidende Nord jagt ihn mit pfeifendem Athem
Seinen Gegenden zu; indes vom Himmel die Kaͤlte
Jmmer ſchwerer und heftiger faͤllt; die rieſelnden Baͤche
Laſſen183Die Nacht.
Laſſen die Wellen im Eis; das Kunſtrad drehet ſich langſam,
Bis es im letzten vergeblichen Schwunge gefrieret, und ſtill ſteht.
Manche kandirte Figur haͤngt an den glaͤnzenden Tannen,
Und der rauhere Reif blaͤßt Schnee, mit Eiſe vermi - ſchet,
Ueber Waͤlder und Hain; im feſtlichen Schmucke liegt alles
Am erwarteten Morgen, und ſchimmert im weiſſen Ge - wande.
Vor mir liegt der naͤchtliche Himmel in aller der Schoͤnheit,
Die des Ewigen Hand auf ſeine Fluren geſchuͤttet.
Welch unzehlige Mengen von guͤldnen blitzenden Span - gen
Werden zum Hauptſchmuck der Nacht, und gieſſen ge - milderte Stralen
Jn das Auge des naͤchtlichen Schauers, der voller Ent - zuͤcken
Unter dem Bogen der Luft in ſtarrem Wunder vertieft ſteht.
M 4Dieſe184Die Nacht.
Dieſe Schoͤnheit des Sternengewoͤlbes bezauberte vor - mals
Auf chaldaͤiſcher Flur und in Arabiens Wuͤſten
Einſame Schaͤfer, die hier ſich mit den Geſtirnen ergetz - ten.
Jhnen brachte zuerſt die Nacht in himmliſcher Anmuth
Dich, o Aſtronomie, noch in der Schoͤnheit der Jugend.
Deine Kindheit ſpielteſt du da mit Hirten voruͤber,
Schufeſt Namen den Sternen, und theilteſt in Bilder den Himmel.
Damals rollte der Wagen zuerſt, die glaͤnzenden Raͤder,
Um den Nordpol herum; und um den ſtaunenden Thierkreis
Nahm die Sonne den Weg; die guͤldene Leyer des Himmels
Klang zu der Sphaͤren Geſang; jetzt wand die Schlan - ge ſich kruͤmmend
Durch die Geſtirne hindurch; die ſtuͤrmiſchen truͤben Plejaden
Schuͤt -185Die Nacht.
Schuͤtteten Regenurnen herab. Mit ſchaͤdlichem Ein - fluß
Brannte Sirius uͤber dem Haupt. Die hohen Planeten
Wurden nach Jnfluenzen beſchaut; aus ihrer Begeg - nung
Rieth manch thoͤrichter Traum das kuͤnftige Schickſal der Menſchen.
Bis die ſpaͤtere Kunſt in rauhen nordlichen Laͤndern,
Dir zum wichtgen Geſchenk, ein zauberndes Sehrohr verliehen.
Du kamſt von dem Olymp mit ſeltnen Entdeckungen wieder;
Mancher ſchoͤpfriſche Geiſt berechnete Fernen und Groͤſ - ſen;
Kuͤhn befreyte Copernick zuerſt die belaͤſtigte Sonne
Von dem beſchwerlichen Weg um unſern geringeren Erdball;
Ließ ſie nun wieder im Mittelpunkt ruhn, und beſſer die Erde,
Zu den Planeten geſellt, ſich um die Sonne bewegen.
M 5Auch186Die Nacht.
Auch eroberte Hevel den Mond; ſah Alpen und Seen,
Auf der fleckigten Kugel, und nannte die Laͤnder mit Namen.
Galilaͤi erblickte zuerſt die Jupitersmonden,
Und Saturns Trabanten und Ring Huygen und Caßini.
Newton verfolgte ſogar den Lauf des ſchnellen Kometen
Ueber die ferneſten Grenzen des Weltgebaͤudes hinuͤber;
Nahm die nichtigen Schrecken, vom Aberglauben er - dichtet,
Seinem Haupthaar und Schweif; gieng mit den el - liptiſchen Kreiſen
Seiner verworrenen Bahn, und prophezeyte den Zeit - punkt
Seiner Zuruͤckkunft mit mehr als eines Sterblichen Kraͤften.
Welche Gedanken von Gott und ſeinem herrlichen Weltbau
Denkt ſich, nach ſo mancher Entdeckung, der ſtaunende Chriſt nicht!
Wer187Die Nacht.
Wer kan jemals ermuͤden, mit mehr als menſchlicher Einſicht,
Mit der Einſicht der Engel ſich unter die Sterne zu miſchen?
Wer iſt niedrig genug, im Schlamme der Laſter zu wuͤh - len,
Seine Geburth zu entehren, und zu den Thieren zu ſinken,
Wenn der Himmel auf ihn mit allen leuchtenden Augen
Achtſam ſchaut, und den Lauf von ſeinem Wandel be - trachtet?
Tauche nur immer, o Sonne, dein Haupt in weſtli - che Fluthen!
Jetzt fuͤhrt tauſend Sonnen die Nacht in maͤandriſchen Taͤnzen
An dem Himmel fuͤr Weiſe herauf; die klingenden Sphaͤren
Schallen im hohen Olymp; der Morgenſterne Geſaͤnge
Reiſſen die Seele hinauf zu ihrem allmaͤchtigen Schoͤp - fer.
Jſt ein andrer Gedanke ſo faͤhig, die ſtaunende Seele
Mit188Die Nacht.
Mit dem groͤßten Begrif von Gottes Hoheit zu fuͤllen,
Als die unendliche Zahl von Erden, Monden und Son - nen,
Die in harmoniſchen Kreiſen nach ſeinem Winke ſich lenken?
Muſe, du zitterſt mit Recht, eh du mit wagenden Fluͤgeln
Unter tauſend und tauſend Syſteme von Welten dich ſtuͤrzeſt.
Denn wer zehlt ſie? Du reiſeſt ohn Ende von Sternen zu Sternen;
Sinkſt, und wuͤrdeſt verſinken im Abgrund der goͤttli - chen Tiefe,
Wenn nicht die Allmacht zuruͤck nach deiner Heymath dich fuͤhrte.
Darf das irdiſche Lied dich noch erheben? Dich, Schoͤpfer,
Vater, Erhalter, Koͤnig und HErr? da Himmel an Himmel
Lobgeſaͤnge dir weihn, und deine Werke verkuͤndgen?
Da ich von Sonne zu Sonne die guͤldene Leiter hin - aufſtieg,
Bis189Die Nacht.
Bis zum ſtralenden Thron der Gottheit, von welcher die Erde
Kaum die unterſte Staffel mir ſchien; wie ſank da der Hochmuth
Welcher vermeſſen geglaubt, ſo viele Himmel und Wel - ten
Waͤren allein fuͤr Sterbliche da. Mein Antlitz, geblendet,
Neiget ſich, HErr, in den Staub, denn ich bin Staub und von Erde.
Wie veraͤchtlich entfliehn die leeren irdiſchen Freuden,
Bey mir vorbey, ſie alle von ihrem Flittergold glaͤnzend!
Wie vergebens winket der Ruhm mit welkenden Lor - beern,
Und der Wolluſt geſchminktes Geſicht! Wie prahlet ver - geblich
Reichthum mit duͤrftigem Gold, und nichtigen Schaͤ - tzen von Perlen!
Mein ſind Welten! Mir ſchenkt ſie der Glaube. Schon hoͤr ich die Stimme,
Welche vom Himmel erſchallt; dies alles will ich dir geben,
Wenn190Die Nacht.
Wenn du tugendhaft biſt, und deine Beſtimmung er - fuͤlleſt,
Und dies Gluͤck iſt Chriſten gewiß; mit guͤldenen Let - tern
Hat die Allmacht ihr Wort auf ewige Tafeln gegraben,
Jhr Verſprechen mit Eiden beſchworen, mit Blute be - ſiegelt.
Zweifelt noch einer von uns? Kan einer noch unter uns anſtehn,
Solche Reiche zu erben, auf ſolchen Thronen zu ſitzen?
Und nun iſt es geſchehn! Die dickſten ſchwaͤrzeſten Schatten
Huͤllet die Nacht um die Erde herum, und herrſchet al - lein nun
Ueber die ſchlummernde Welt mit ihrem bleyernen Zep - ter.
Voͤllig iſt nun die praͤchtige Scene des Tages geſchloſſen!
Morgen ward vom Mittag verſchlungen, der Mittag vom Abend,
Alle von der gebietenden Nacht, die ehmals vor ihnen
Ueber191Die Nacht.
Ueber die Erde geherrſcht, als keine Sonne noch ſtralte.
O wie todt ſind Fluren und Hain! wie todt die Gefilde!
Und wie todt iſt das Dorf! wie todt die pra[nge]nden Staͤdte!
Schreckliche Pauſe der bangen Natur! Erweckendes Vorbild,
Von der entſetzlichen Nacht, die einſt nach tauſend Aeonen,
Wenn ſich nun der groͤſſeſte Tag zum Ende geneiget,
Alle Himmel und Welten verſchlingt; und uͤber die Truͤmmer
Eben ſo herrſcht, wie uͤber das Reich des finſteren Chaos.
Nahe dich hier, o du, du melancholiſche Muſe,
Die du ſo gern in heiliger Nacht die ſilbernen Saiten
Jn der Einſamkeit ruͤhrſt, und dich mit irrendem Fuſſe
Nicht den Graͤbern zu nahen geſcheut; wo Dunkel und Schrecken
Um192Die Nacht.
Um dich floſſen, und kalte Schauer des Todes dich faͤß - ten.
Schaue hinab in die Nacht der allgemeinen Verwuͤſtung,
Wo am Rande der kuͤhnſte Gedanke mit Grauſen zuruͤck bebt;
Und wogegen die Nacht des Grabes wie Mittag zu rechnen?
Wage den einſamen Flug! Du bebſt? Wer ſollte nicht beben,
Hinter dem Vorhang der Nacht den Weg zum Him - mel zu finden.
Ach! was hilft es uns nun, daß man uns Kronen ver - ſprochen,
Und ein ſchoͤneres Eden, als jenes Eden auf Erden,
Da der Leitſtern uns fehlt durch dieſe Cimmeriſchen Naͤchte.
Doch, was ſeh ich? Wer iſt die Himmliſchglaͤn - zende Goͤttin,
Welche ſich dir zur Fuͤhrerin beut? Sie ſchwingt in den Haͤnden
Eine leuchtende Fackel; und eine Krone von Sternen
Schim -193Die Nacht.
Schimmert um ihr holdſeeliges Haupt; die ruhigen Augen
Reden ſtaͤhlernen Muth, und Andacht, und Hoheit der Seele.
Ja! ſonſt niemand als du, o du, im Himmel gebohrne,
Heilige Religion, zeigt uns die Pfade zum Himmel.
Muſe, du haſt im doriſchen Ton, die verſchiednen Geſtalten
Des abwechſelnden Tages, geſungen: bekroͤne dein Lied nun
Mit der Religion und ihrem geheiligten Lorbeer!
Treueſte Freundin des Menſchen, du unerſchrockner Gefaͤhrte
Durch die ewige Nacht; du groͤßtes Geſchenke der Gottheit,
O wie, nenn ich dich recht, du Fuͤhrerin unſerer See - len?
Weisheit von oben herab? Wie, oder hoͤrſt du dich lieber
Mit dem wuͤrdigen Namen des chriſtlichen Glaubens benennen?
IV. Th. NDenn194Die Nacht.
Denn wo iſt noch, auſſer der Lehre der Chriſten, die Tugend
Nein, und nicht durch Schwachheit entſtellt? Dein ſicherer Finger
Zeigt den einzigen Weg, der uns zum Himmel hinauf - fuͤhrt.
Wie die Sonne der Welt, ſo leuchtet dein guͤtiges Auge
Allen verfinſterten Seelen; dein Einfluß auf menſchli - che Herzen
Jſt noch maͤchtger, als der von allen Sphaͤren und Sternen
Auf die Natur. Was waͤren wir doch, wir irrenden Menſchen,
Ohne dein goͤttliches Licht? Was waͤre ſelber der Weiſe,
Wenn ſein Herz nur menſchliche Weisheit zur Tugend erhuͤbe?
Mehr oft, als der niedere Sklave des Laſters, vom Ungluͤck
Hier belaſtet, wuͤrde ſogar die Hofnung ihm fehlen,
Sich dereinſt in anderen Welten belohnet zu ſehen.
Mit195Die Nacht.
Mit dir ſtralte zu uns die Menſchenliebe vom Himmel,
Fuͤhrte die Voͤlker aufs neu zum erſten Urſprung zuruͤcke,
Machte die Menſchen zu Bruͤdern, die irdiſche Woh - nung zum Eden.
Mit dir fuͤrchten wir nicht das tobende Meer, noch die Flamme,
Noch das freſſende Schwerdt, und nicht die Macht des Tyrannen.
Durch dich werden wir mehr als Stoiker unter den Martern,
Und noch reiner in Tugend, als alle weltlichen Weiſen.
Und vor allem leiteſt du uns auf ſicheren Wegen
Ueber die Baͤche des Todes, und machſt den Menſchen zum Engel.
Jhn erwartet der goldene Stuhl, die ewige Krone;
Jhn erwartet das jauchzende Chor der engliſchen Har - fen,
Und er wird ſich unter ſie miſchen, und feurige Hymnen
N 2Dem196Die Nacht.
Dem Allmaͤchtigen ſingen, und ſeinem allmaͤchtigen Sohne.
Dann iſt niemals mehr Nacht. Jn allen Bezirken des Himmels
Wird Ein ewiger Tag den Ewiggluͤcklichen leuchten.
Der[197]

Der Tempel des Friedens.

N 3[198]199

Der Tempel des Friedens.

Noch erklang das Jubelgeſchrey vom himmliſchen Frieden,
Welcher nach dreyßig eiſernen Jahren die blutgen Gefilde
Deutſchlands wieder beſucht, und Voͤlker wieder verſoͤh - net.
Noch ſtieg unter den Choͤren der Tempel die jauchzende Feyer
Dieſes ſeeligen Tags, mit Blumen gekraͤnzt, zum Olymp auf;
Und noch rauchte der Dankaltar, daß endlich die Liebe,
Bruͤder wieder zu Bruͤdern, und Chriſten zu Chri - ſten vereinet;
Als die Begeiſtrung im Traum mir erſchien, gleich einer der Muſen,
N 4Die200Der Tempel des Friedens.
Die auf der Hoͤh des Aoniſchen Bergs in die goͤtt - liche Leyer
Feurige Lieder ertoͤnt; und gleich der Gratien einer,
Die mit laͤchelndem Blick die Fluren um Paphos ver - ſchoͤnert.
Sie ergrif mir die Hand, und mit gebietender Stimme
Sprach ſie: Folge mir nach! Jch folgte der Goͤttin; und ploͤtzlich
War ich mit ihr in einer entſetzlich verwuͤſteten Ebne,
Unabſehbar, verwachſen, und wild, voll verworrener Wege.
Heere von Menſchen wimmelten drauf, und meine Ge - faͤhrtin
Sagte mir: Alles dieſes ſind Wege zum Tempel des Friedens.
Aber wafne mit Muth dein Herz! Du kanſt ihn nicht ſehen,
Wenn du nicht mit mir vorher viel blutige Scenen betrachtet.
Alſo die Goͤttin. Wir hoͤrten von fern Ge - winſel und Klagen,
Und201Der Tempel des Friedens.
Und fahn bald uns in Wolken von himmelaufſtei - gendem Rauche.
Welch ein Anblick! Das dampfende Feld des eiſer - nen Krieges
Zeigte ſich ploͤtzlich dem Blick. Es rauſchten die bluti - gen Waffen
Schrecklich wider einander; und vor dem Donner der Feldſchlacht
Hoͤrte man kaum der Armen Geſchrey, die ſchreckliche Seufzer
Mit den Seelen verhauchten Aus einer ſalpetri - ſchen Wolke
Riß ſich die Ehrſucht, und trat auf uns zu. Gleich einer Minerva
Schmuͤckte der Helm ihr Haupt, ein Buſch von pur - purnen Federn
Wallte dahin in den Wind. Jndem ſie mit klingen - der Lanze
Eiſerne Schaaren ins Schlachtfeld trieb. Da brannten die Augen
Vor Vergnuͤgen, den Krieg zu verbreiten, und Blut zu vergieſſen.
Jhren Schritten folgte ſogleich die wilde Verwuͤſtung,
N 5Und202Der Tempel des Friedens.
Und die Felder erſtarben vor ihr. Der ſchreckliche Hunger
Schwebte mit langſamem Flug, von giftigen Seuchen begleitet,
Ueber dem Lager und uͤber der Stadt, und wuͤrgte mehr Menſchen,
Als das blinkende Schwerdt. Jndeſſen fuͤhrte die Ehr - ſucht
Jhre Helden von Voͤlkern zu Voͤlkern, von Siege zu Siege,
Ueber erſtorbene Felder einher; der Tempel des Friedens
Schien ihr jedoch noch immer verſteckt, obgleich ihr mit Leichen
Nationen den Weg zu dieſem Tempel gezeichnet.
Hier erblickt ich die ſtolzen Erobrer, vergoͤtterte Raͤuber,
Helden, denen zu mehreren Siegen die Erde zu klein ſchien.
Das Geruͤcht, mit ſchimmernden Kraͤnzen und taͤu - ſchenden Lorbeern,
Flog vor ihnen voraus; es drang die Stimme des Elends
Nie203Der Tempel des Friedens.
Nie in ihr Ohr, indem die Trompete der prahlenden Goͤttin
Sie beſtaͤndig mit Lerm, und Thaten des Krieges, be - taͤubte.
Nimrode ſah ich allhier; und ſtolze Seſoſtriſſe zogen
Durch die Welt im Gepraͤnge des Sieges. Die Alex - ander
Fuͤhlten die Menſchheit nicht mehr; es rauchten die praͤchtigen Staͤdte
Aſiens auf, durch die Fackel der Wuth in Ruinen geſtuͤr - zet.
Auch ſah ich, wie der pluͤndernde Roͤmer zum Helden ſich wuͤrgte,
Wie er der Koͤnige Schaar an ſeinen Wagen gefeſſelt;
Und die Beute der Welt den ſtolzen Buͤrgern vertheilte.
Die Kriegsfurie brachte darauf die Schwaͤrme der Go - then,
Welche wie Fluthen des Meers die ſuͤdlichen Laͤnder be - deckten.
Manches herrliche Denkmal der Kunſt, und des Fleiſ - ſes der Menſchen
Stuͤrzte204Der Tempel des Friedens.
Stuͤrzte herab in den Staub. Jn Haufen gethuͤrme - te Schriften
Fraß die Glut; Barbariſche Haͤnde zerſtreueten Werke,
Vieler Jahrhunderte Schmuck, in Einer ſchrecklichen Stunde.
Traurig, verſtellt, und zerſtoͤrt, verfielen die Tempel der Muſen,
Und die Kuͤnſte nahmen die Flucht vor den Soͤhnen des Nordens.
Wir verlieſſen den blutigen Weg, und wandten uns endlich
Fern von dieſen verheerten Gefilden. Wir ſahen ſchon fernher
Jn der Wuͤſte den Tempel; als ſchnell ein Weib uns ſich nahte,
Gluͤhend von Unſinn und Stolz. Mit einer betruͤg - riſchen Larve
War ihr Antlitz bedeckt; vom Vorurtheile begleitet,
Folgten ihr Krieger und Prieſter; ſie war die ſchreck - lichſte Geiſſel
Von dem Menſchengeſchlecht, die Goͤttin heiliger Schwaͤrmer.
Jhr205Der Tempel des Friedens.
Jhr zur Seite wuͤrgte die Wuth mit geweyhetem Schwerdte,
Und die Verfolgung, unter dem Namen des heiligen Eifers,
Schlepte, vom Blute der Menſchen beſpritzt, zu graͤß - lichen Martern
Schaaren Unſchuldiger fort, die unter den Foltern ver - ſchieden.
Und nicht Mahomet nur, und ſeine Vertheidiger ſochten
Unter der Fahne der heiligen Wuth; und beugten den Nacken
Aſiens unter das Joch: ich ſah noch aͤrgre Verfolger,
Froͤmmre Tyrannen, und groͤſſere Moͤrder; die nann - ten ſich Chriſten.
Heilige Heere zogen dahin, mit dem Kreutze bezeichnet,
Das ſie durch Pluͤndern und Schwelgen, und alle La - ſter entweihten.
Sieh, fieng meine Begleiterin an, des Wuͤthenden Fahne,
Welcher Einſiedeleyen verlaͤßt, um Heere zu ſuͤhren!
Er206Der Tempel des Friedens.
Er fuͤhrt Schaaren verruchter Verbrecher zum heiligen Grabe,
Welches ſonſt Pilger allein voll frommer Demuth be - ſuchten.
Groͤſſere Menſchlichkeit, groͤſſere Tugenden machten den Sultan
Wuͤrdger der heiligen Gruft, als irrende Ritter und Fromme,
Welche ſich Laſter erlaubt, die kein Beſchnittner veruͤbet.
Was fuͤr Verbrechen mußte da nicht der Orient dulden,
Als das befleckte Panier des Kreutzes die Laͤnder durch - ſtroͤmte!
Aber der Occident auch ſah ſich zerruͤttet. Die Heere
Lehrender Ritter durchirrten das Land, und tauften mit Blute!
So die Goͤttin. Mich duͤnkte, das Weinen der Voͤlker ſtieg aͤugſtlich
Zu dem Himmel hinauf. Man wollte durch Schwerd - ter bekehren,
Und ich ſah den Prieſter, ergrimmt, mit Dolchen bewafnet,
Flie -207Der Tempel des Friedens.
Fliehende Schaaren verfolgen, und Staͤdte mit Feuer vertilgen.
Und doch rufte die heilige Wuth: zum Tempel des Friedens
Jſt kein anderer Weg, als dieſer, welchen ich fuͤhre.
Blut der Ketzer vergieſſen, heißt, Gott gefaͤlliger werden!
Alſo ſchrie ſie. Die grauſamen Haufen umgaben uns jauchzend;
Doch wir entkamen den wuͤthenden Schaaren. Die Menſchenliebe,
Mit Olympiſchem Schimmer geſchmuͤckt, entriß uns den Schwaͤrmern.
Eine ſanfte Gewalt zog uns zur Goͤttin; wir folgten
Willig ihr nach; ſie nahm mit uns zum Tempel des Friedens
Den geradeſten Weg. Vom blutigen Felde des Krieges
Riſſen ſich einige wenige Helden, die Zierde der Menſch - heit.
Zaͤrtliche Thraͤnen zitterten noch im traurigen Auge,
Das208Der Tempel des Friedens.
Das vom Metzeln ſich wandt, und Lorbeerkraͤnze ver - ſchmaͤhte,
Welche das Blut der Menſchen erkauft. Die jauchzen - den Voͤlker,
Welche ſich wieder verſoͤhnt, begleiteten hoch im Tri - umphe
Jhre Beſchuͤtzer, die wahren Helden, zum ſtralenden Tempel.
Jn dem Hinzug warfen ſie ſchon die ſchimmernden Waffen,
Und die blutigen Schwerdter hinweg; indem ſich die Krieger
Kraͤnze von Lorbeern und Palmen geflochten. Die wallenden Fahnen,
Und die Paniere wurden nunmehr zuſammen gewickelt,
Sie in den Tempel des Friedens zu haͤngen. Wir ſahn ihn ietzt naͤher
Uns entgegen winken. Jn einem heiligen Haine
Wo der Oelbaum und Lorbeer von hohen Cedern be - ſchirmt ward,
Lag er in einer lachenden Ebne; ihn hatten die Voͤlker
Praͤch -209Der Tempel des Friedens.
Praͤchtig erbaut, und alle Schaͤtze der Erde ver - ſchwendet,
Um ihn herrlich zu machen. Zwar hatten Barba - ren und Gothen
Oft verſucht, ihn ganz zu zerſtoͤren; doch ſtand er noch immer
Von der ewigen Vorſicht beſchuͤtzt. Es lagen rund um ihn
Bluͤhende Felder, auf welchen der Landmann die Schwerdter zu Sicheln,
Und die Lanze zur Pflugſchaar gemacht. Die ſtil - len Gefilde
Gruͤneten ſicher und ſtolz in Seegen und Thaue gebadet.
Juͤngling und Jungfraun ſangen in Reigen dem Frieden zu Ehren
Dankbare Hymnen, und von dem lachenden bluͤhen - den Huͤgel
Blies der zufriedne Schaͤfer ins Thal, in welchem die Heerden
Sorgenlos giengen; mit ſchlafeinladendem ſuͤſſen Gemurmel
IV. Th. ORieſelte210Der Tempel des Friedens.
Rieſelte ſanfter der Bach, indem an blumichten Ufern
Die Najaden in Taͤnzen ſich uͤbten, und unter dem Schatten
Hoher vertraulicher Ulmen, Verliebte ſich ſicher be - ſprachen.
Alles athmete Freyheit und Ruh; die gluͤckliche Landſchaft
Lag friſchbluͤhend, ſo wie ſie am Tage der Schoͤp - fung ſich umſah.
Welch ein Schimmer umleuchtete mich, indem ſich der Tempel
Ganz nun meinen Augen enthuͤllte! Der goͤttliche Friede
Saß auf einem praͤchtigen Thron. Die Krone des Hauptes
War vom Lorbeer und Oelbaum. Ein Palmenzweig gruͤnte noch ſchoͤner
Jn der wohlthaͤtigen Hand; und ſanfte himmliſche Freuden
Goß ſein heiterer Blick in aller Umringenden Her - zen.
Um211Der Tempel des Friedens.
Um ihn ſtanden die Muſen und Gratien liebreich verſammelt,
Und die Kuͤnſte, die zu ihm geflohn. Jetzt brach - ten die Helden
Jhm die Trophaͤen des Kriegs, und weihten ihm ihre Paniere,
Die nun von ſchimmernden Pfeilern zum ewgen Ge - daͤchtniſſe wehten.
Als ich ſtaunend noch ſtand, erhub ſich im Jn - nern des Tempels
Eine ſuͤſſe Muſik von hohen harmoniſchen Stim - men,
Die uns zu groſſen Empfindungen riß, und Ruhe der Seele,
Mit der Liebe zum Menſchengeſchlecht, in dem Her - zen erweckte.
Jetzo ſchwiegen die Harfen. Des Friedens bezau - bernde Lippen
Sprachen ietzund, und alles verſank in die tiefeſte Stille.
Suͤſſer ertoͤnete keine Muſik; die ſterblichen Worte
O 2Stre -212Der Tempel des Friedens.
Streben umſonſt, wie er die Harmonien zu reden,
Welche von ſeinem goͤttlichen Munde ſich alſo er - goſſen.
Beneidenswerthes Volk, das ohne Schild und Schwerdt
Den ſichern Acker baut, und Lorbeern nicht begehrt;
Das gluͤcklich iſt durch ſich; und keine Helden ken - net,
Als Sieger, deren Bruſt von Menſchenliebe bren - net,
Und die mit groͤſſerm Ruhm, als den der Kriegs - gott giebt,
Das Vorurtheil geſtuͤrzt, ihr Vaterland geliebt;
Die Wuͤſte reich gemacht, der Handlung Flor er - weitert,
Und des Barbaren Geiſt durch Wiſſenſchaft erhei - tert.
So war der groſſe Czaar, der Rußland beſſer ſchuf,
Ein213Der Tempel des Friedens.
Ein Held ein halber Gott. Der ſchmeichleriſche Ruf
Jns blutge Siegesfeld kont ihn nicht uͤbertaͤuben,
Da er die Kunſt verſtand, im Frieden Held zu bleiben.
Ein guͤldner Regen fiel auf ein barbariſch Land,
Und Wilde wurden ietzt zu Menſchen umgewandt;
Gluͤck, Seegen, Reichthum, Pracht, umarmten hier einander,
Da Schweden hungerte durch ſeinen Alexander.
Zwar ſind auch mir ſehr oft des Siegers Lorbeern werth,
Wenn Ungerechtigkeit die Laͤnder nicht verheert;
Wenn die Erobrungsſucht das Mordſchwerdt nicht gezuͤcket:
Und nicht der Heldenmuth die Menſchlichkeit erſticket.
O 3Al -214Der Tempel des Friedens.
Allein mit welchem Schmerz ſeh ich Trophaͤen an,
Die mir der Held nur bringt, nicht der rechtſchaf - ne Mann!
Es iſt nur groß und ſchoͤn, fuͤrs Vaterland zu ſter - ben;
Nur groß, mit Menſchenblut den Frieden zu erwer - ben;
So wie Georg einſt focht, und wie ein Friedrich ficht,
Wenn ſchon der nahe Sturm auf ſeine Laͤnder bricht.
Gluͤckſeliges Geſchlecht, Menſch, moͤchteſt du erwaͤgen,
Daß dich die Vorſicht ſchuf zum Beyſtand und zum Segen,
Nicht zu der Deinen Fluch, nicht zum beſtaͤndgen Krieg,
Der unter Thieren herrſcht! Was iſt der ſchoͤnſte Sieg
Mit Menſchenblut erkauft? Sind Alexanders Kro - nen
der215Der Tempel des Friedens.
Der Niederlage werth von ſo viel Millionen?
Mit welcher Heiterkeit ſieht nicht ein wahrer Held
Sein Volk durch ſich begluͤckt, begluͤckt die halbe Welt?
Die ſichern Felder bluͤhn; die Thaͤler ſchallen wieder
Von Heerden ohne Zahl, in ihrer Hirten Lieder;
Der Oelbaum gruͤnt und waͤchſt fuͤr den, der ihn ge - pflanzt;
Die Traube reifet ihm; der frohe Landmann tanzt
Um ſeinen Erndtenkranz. Jn praͤchtgen Staͤdten bluͤhet
Die Handlung wieder auf; die fremde Flagge ziehet
Jn ihren Hafen ein, und des Geſchuͤtzes Knall
Verkuͤndigt Ueberfluß und Reichthum uͤberall;
O 4Er216Der Tempel des Friedens.
Er ſtroͤmt vom fernen Oſt, und von dem reichen Weſten,
Und jeder frohe Tag gleicht freudenvollen Feſten.
Jhr Helden, iſt dies Gluͤck nicht mehr als alle Pracht
Vom wilden Kriegesheer und vom Getoͤs der Schlacht?
Seyd denn des Rechtes Schutz, und eurer Laͤnder Retter,
Und wollt ihr Goͤtter ſeyn, ſo ſeyd nur Friedensgoͤtter.
Als er noch ſprach, da trat in den Tempel ein ho - hes Gefolge
Hinter einer Goͤttin einher, die nach dem Altare
Zugieng. Die Religion, von Deutſchland begleitet, mit ihnen
Einigkeit, Liebe, Freundſchaft, und Gluͤck, begaben ſich feyernd
Nach dem Altar. Von fern ſchon erblickte der goͤttli - che Friede
Seine217Der Tempel des Friedens.
Seine Schweſter, die Religion, mit frohem Entzuͤcken.
Beyde ſtammten vom Himmel. Als ſie ietzt naͤher gekommen,
Reicht ihr der Friede den Palmzweig entgegen; die Religion ſprach:
Gluͤcklicher Tag, an dem ich zuerſt nach langem Ver - weilen
Mit Germanien wieder dich himmliſchen Tempel be - ſuchte;
Schoͤnſter der Tage fuͤr Deutſchland, fuͤr mich! nie muͤſſe dir Jubel
Mangeln am Tage der Feyer; nie muͤſſe dich Deutſch - land vergeſſen!
Koͤnte dich einer des Volkes vergeſſen, das ietzund im Frieden
Sicher ſchlummert, und Seegen genießt; ſo ſey er die Schande
Von Germaniens Namen! Der Edle kehre ſich von ihm
Mit Verachtung, und laß ihn unter dem fuͤhlloſen Poͤ - bel!
O 5Vaͤ -218Der Tempel des Friedens.
Vaͤter, erzehlt den horchenden Kindern, nun ſaget den Enkeln,
Welch ein Blut man in Deutſchland vergoß, zum Schimpfe der Menſchheit,
Und, ſo wie die Wuͤthriche glaubten, zu meiner Ver - theidigung.
Braucht ich Waffen zu meiner Vertheidigung? und toͤdtende Schwerdter,
Meiner Lehre zum Schutz? Und hatte der Predger der Liebe
Seinen Glauben mit Haß und Blute zu lehren gebo - ten?
Und doch thatens die blinden Verfolger? Jm grauſa - men Buſen
Redte die Sanftmuth umſonſt. Der Prieſter wafne - te Bruͤder
Wider Bruͤder, und Chriſten bekriegten ſich blutger, als Heiden!
Welch ein Anblick! indem ich zuruͤckſeh auf alles das Elend
Jener verfloſſenen Zeit, die Deutſchland ewig zum Schimpf iſt!
Rauchen -219Der Tempel des Friedens.
Rauchende Doͤrfer, gepluͤnderte Staͤdte, verwuͤſtete Felder,
Schaaren von Kriegern, von Raͤubern vielmehr. Von einſamen Warten
Schauen die Waͤchter ins Land, und ſehen nichts als Rauben und Morden,
Nichts als blinkende Waffen, und Hunger, und Truͤb - ſal und Elend.
Weinend druͤckt die verzweifelnde Mutter den ſchmach - tenden Saͤugling
An ihr klopfendes Herz, und zitternd ſchauet der Mann aus;
Hoͤrt von fern her die kriegriſche Trommel, und reiſſet die Kinder
Und ſein Weib an der Hand, hinab in tiefe Gewoͤl - ber,
Oder in wuͤſte Tempel; umſonſt das durſtige Mordſchwerdt
Findet ihn da auch, und ſchonet ihn nicht, und legt ihn in Blut hin.
O! der entſetzlichen Scenen! Du, o getreue Ge - ſchichte,
Wolleſt220Der Tempel des Friedens.
Wolleſt ſie nimmer zu melden vergeſſen, damit das Entſetzen
Ueber ſo viel vergoßnes Blut, den Deutſchen bewahre,
Nie Germaniens Ruhm mit ſolchen Thaten zu ſchaͤn - den!
Laß ihn mit jauchzendem Dank die Tage des Friedens erkennen,
Die ihm der Himmel geſchenkt, der ſeine verfallenen Tempel
Wieder mit Hallelujah gefuͤllt, und fromme Gebeter,
Frey vom Banne, zu halten erlaubt O ſeliger Friede,
Nimm das Opfer Germaniens an, und laß es nun ewig
Deiner Fruͤchte genieſſen, und wenigſtens werde nie wieder
Von unheiligen Haͤnden mein Nam entweihet; nie werde
Gott zu Ehren die Menſchheit erſtickt, und der Erd - kreis entvoͤlkert!
Mei -221Der Tempel des Friedens.
Meine Fackel ſoll leuchten, und nicht in verfolgenden Haͤnden
Huſſens, Servetens, Holzſtoß entflammen, und Staͤd - te verbrennen.
Geiſt der Duldung, o ſteige herab, laß doch nicht ewig
Chriſten Chriſten verketzern, und Wortgefechte der Prieſter
Koͤnige wafnen, und Laͤnder empoͤren, und Voͤlker ver - wuͤſten!
Alſo die Goͤttin! das jauchzende Chor antwortete wie - der:
Gluͤcklicher Tag! kehr oftmals zuruͤcke! wie Feſte Gottes
Sey im Tempel des Friedens mit Hallelujah ge - feyert.
Wenn du mit Blumen gekraͤnzt am oͤſtlichen Him - mel heraufſteigſt,
Schweige der Sturmwind vor dir, und heiterer ſtra - le die Sonne
Ueber dem Weltmeer herauf; die Erde muͤſſe dir laͤcheln,
Wenn222Der Tempel des Friedens.
Wenn Germaniens Jauchzen zum Meer dich hin - unter begleitet!
Dieſes ſangen die Choͤre des Tempels. Jch ſtand voll Entzuͤcken
An der Hand der Begeiſtrung, und hoͤrte noch, da ich erwachet,
Lange den ſuͤſſen melodiſchen Schall, und ſah noch den Tempel;
Bis mir die Muſe befahl die himmliſchen Harmo - nien,
Obgleich nur mit ſterblichen Toͤnen dem Frieden zu ſingen.

Ende des vierten Bandes.

[223]

About this transcription

TextPoetische Schriften
Author Justus Friedrich Wilhelm Zachariae
Extent231 images; 24765 tokens; 6761 types; 172862 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationPoetische Schriften Vierter Band Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. . [12] Bl., 222 S. SchröderBraunschweig1764.

Identification

SUB Göttingen SUB Göttingen, 8 P GERM III, 7380:4

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Lyrik; Belletristik; Lyrik; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ShelfmarkSUB Göttingen, 8 P GERM III, 7380:4
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