Der Morgen . Der Morgen . IV . Th. A [2] [3] [figure] S ey mir , o heitrer Morgen , gegruͤßt ! Komm , ſteige hernieder
Von den verguͤldeten Hoͤhn in wiederermunterte Thaͤ - ler !
Sieh ! die Blume richtet ſich auf ; voll blitzender Perlen
Lacht ſie ſchoͤner umher , von deinen Stralen geoͤfnet :
A 2 Und , 4 Und , indem die Muſik des belebten Waldes erwachet ,
Wirſt du von Jubelgeſchrey , und jauchzenden Choͤren , begruͤſſet .
Du , die mit einweihendem Blick , den Britti - ſchen Saͤnger
Zu dem weiten Pallaſt der Jahreszeiten gefuͤhret :
Laß mich , Doriſche Muſe , die Jahreszeiten im Kleinen ,
Jahreszeiten des Tags , nicht ganz unwuͤrdig beſingen .
Bringe mich an die umleuchteten Pforten des ſchim - mernden Mergens !
Jhm eroͤfnet ſie ietzt mit Roſenfinger Aurora ,
Und er ſaͤhrt im Oſten herauf im Pompe des Sieges ,
Welchen er uͤber die Schatten erſtritt . Sein ſtralen - der Wagen
Fliegt durch die Himmel . Die guͤldenen Stunden , die lachenden Freuden ,
Schweben um ihn . Ein Perlenthau trieft von pur - purnen Raͤdern
Auf die erwachende Welt , die ihren Geliebten bewill - kommt .
Du , o mein getreueſter Gaͤrtner , du Ehre der Freundſchaft ,
Welchen das edelſte Herz auch ohne die gluͤcklichſten Gaben
Deines 5 Deines erleuchteten Geiſtes , erhuͤbe ; den oͤfters die Laute ,
Die der mahlende Thomſon geruͤhrt , zur Bewunde - rung hinriß ,
Wenn du , mit uͤber dich ſtroͤmender Luſt , vom Antlitz des Fruͤhlings
Unter dem ſchattichten Dach vertraulicher Linden und Ulmen
Dich begeiſtert gefuͤhlt ; und durch die Liebe begluͤcket ,
So durch die Liebe begluͤckt , als Sterbliche jemals ge - weſen ,
Mit vermehrter Empfindung der Nachtigall Lieder ge - hoͤret :
Leih auch meinem Geſang vom holden Lenze des Tages
Ein gefaͤlliges Ohr , und laͤchle der Kuͤhnheit Ermunt - rung .
Siehe ! die einſame Nacht winkt mit dem bleyer - nen Zepter
Jhrem duͤſteren Zug , den traurigen Kindern des Schat - tens .
Sie gehorchen dem Wink , und folgen eilig dem Wagen
Jn die Gefilde des Abends zuruͤck . Der ſtreifichte Schleyer
Dunkler verſammelter Wolken , in den die Natur ſich gehuͤllet ,
Rollt ſich vom Himmel bereits in wogichtwallenden Falten
A 3 Zit - 6 Zitternd verſchwinden die Sterne ; der helle Bote des Morgens ,
Luzifer , blinket allein mit matten verloͤſchenden Stra - len
Durch den unendlichen Raum des weiten aͤtheriſchen Reiches .
Vom Gefolge der Nacht entwiſchen indeſſen die Traͤume
Gauckelnd zuruͤck , und ſchwaͤrmen auf bunten flattern - den Fluͤgeln
Ueber den Haͤuptern der Menſchen herum in zahlloſen Schaaren .
Denn der Morgen , der ietzt den ſanfteſten Schlummer verſtreuet ,
Schafft in der leichteren Seele den freyen mittleren Zu - ſtand ,
Zwiſchen dem tiefeſten Schlaf und dem erſten leichten Erwachen ,
Jhrer bemeiſtert ſich ietzt die Phantaſey . Von dem Haupte
Weht ihr der wallende Federbuſch hin ; die goldenen Locken
Wallen mit Blumen gekraͤnzt in die Luft ; ihr Kleid iſt beſaͤet
Mit viel blitzenden Flittern , und tauſend wechſelnden Farben ,
Wild und ploͤtzlich ſchießt ſie umher . Bald ſteiget ihr Fittich
Jn die Geſilde der Luſt ; bald ſtuͤrzt ſie von Felſen her - unter ,
Und 7 Und arbeitet durch bruͤllendes Meer zu fernen Geſta - den ,
Jtzo geht ſie entzuͤckt in hellen bezauberten Wieſen ,
Hoͤrt Sirenengeſang , und ſpeißt in Schloͤſſern der Feyen ,
Oder ſie bebt durch ſchreckliche Wuͤſten , und alte Ge - maͤuer ,
Und geht unter den Graͤbern herum in Trauer verhuͤl - let :
Bis das kleinſte Geraͤuſch die leichten Traͤume zerſtoͤ - ret ,
Und dem erwachenden Blick die leeren Phantomen ver - ſchwinden .
Nach und nach enthuͤllet ſich nun die daͤmmernde Gegend .
Waldichte Huͤgel erheben ihr Haupt ; in blauer Schat - tirung
Schwillt zuſehends dem Auge bereits der Ruͤcken der Berge .
Dunkelglaͤnzend rollet der Strom die ruhigen Wogen
Durch das rauchende Land , das immer noch mehr ſich enthuͤllet .
Maͤchtige Thuͤrme ſteigen empor , und drohen den Wolken ,
Und das moſichte Dach tritt aus den verſchwindenden Schatten .
Jubilirend ſchwingt ſich indes die ſteigende Lerche
A 4 Von 8 Von der thauichten Flur , und ruft dem kommenden Tage .
Der erwachende Wald , die wiederbelebten Gefilde ,
Hoͤren die Stimme des Herolds , der zu Geſaͤngen er - muntert ,
Alle werden ermuntert . Es huͤpfen die Saͤnger des Waldes
Froͤhlich empor , und putzen die Schwingen . Jn ſtil - ler Erwartung
Scheinen ſie alle bereit , um bey dem gegebenen Zeichen
Mit dem allgemeinen Concert die Sonne zu gruͤßen .
Noch verbirgt ſie ſich uns . Auf roſenfarbenem Fittig
Rauſchet die Morgenroͤthe vorbey , indem ſie die Sterne
Ploͤtzlich vertilgt , und rings um ſich her die Wolken be - purpert .
Voller Ungeduld ſtuͤrzet die Schaar der groͤſſeren Voͤgel
Jn die Tiefe der Luft , die Sonne fruͤher zu ſchauen .
Aus dem dunkelen Forſt wallt ihr der reiſende Reyher
Und der Habicht entgegen . Ein dickes Geſchwader von Dohlen
Flattert um Felſen herum , mit lautem geſchwaͤtzigen Rufen ,
Da 9 Da in oberer Luft , in gaukelnden Kreiſen , die Schwal - be
Sich im roͤthenden Stral die blauen Fluͤgel verguͤldet .
Langſam trabet nunmehr der Hirſch mit ſtolzem Ge - weyhe
Ueber die Haide zum Forſt , und ſieht nach den Saa - ten zuruͤcke ,
Die er ungern verlaͤßt , vom fruͤhen Tage verſcheuchet .
Auch der Haſe fluͤchtet ſich nun zum buſchichten Vor - holz ;
Da aus hohen waldichten Wipfeln veralteter Eichen
Mit ſchwerfliegendem Flug der Rabe zu fernen Gefil - den
Fortzieht . Munter eroͤfnet bereits der Schaͤfer die Huͤrden ;
Von dem Widder gefuͤhrt , folgt ihm die bloͤckende Heerde
Zu den blumichten Hoͤhn . Von Fruͤhlingsgeruͤchen be - geiſtert ,
Setzt der zufriedene Hirt auf einem waldichten Huͤgel
Froͤhlich ſich hin ; ergreift ſein Rohr , und ſchallende Lieder
Toͤnen ins einſame Thal . Der Nachhall horchet den Liedern ,
Sendet ſie wieder zuruͤck , und taͤuſcht den lauſchenden Schaͤfer
A 5 Mit 10 Mit dem aͤhnlichen Ton . Nunmehr erwachen die Huͤtten .
Auf dem moſichten Dach girrt ſchon der buhlende Tau - ber
Um die Geliebte herum , die bald nach ſproͤdem Ver - zoͤgern
Jhm den verweigerten Kuß noch ſuͤſſer , noch feuriger , hingiebt .
Mit gebogenem Hals ſteht hoch auf der Leiter der Haushahn ,
Und kraͤht Freud ’ in den Hof ; mit lauten ſchlagenden Fluͤgeln
Springt er hinab auf den Platz , und tritt den ſchwaͤ - tzenden Weibern
Brennend entgegen ; er ſchuͤttelt voll Stolz die maͤch - tige Krone ,
Und geht unter ſie hin mit majeſtaͤtiſcher Herrſchaft .
Seine Stimme verkuͤndiget Arbeit . Den Herold des Tages
Hoͤrt der Landmann , ſpringt auf , und macht in grau - ender Daͤmmrung
Seinen Wagen zurecht ; er hohlt die wiehernden Roſſe
Aus dem niedrigen Stall , und fuͤhrt ſie der Arbeit entgegen .
Oder er ſpannt an den Pflug die wiederkaͤuenden Ochſen ,
Die geduldig dem Joch die breite Stirne gereichet .
Lang - 11 Langſam zieht er zur Flur , und reiſſet ſeitlang die Fur - chen ,
Unter der Lerche Muſik , die ihm die Arbeit verſuͤſſet .
Jetzo ruht er , gelehnt an den Pflug , und ſchauet be - gierig
Weit gen Oſten hinab , das Antlitz der Sonne zu ſehen .
Goͤnne dein Antlitz , o Sonne , den dich erwartenden Fluren ,
Und belohne die Muͤh des ſchweißvergieſſenden Land - manns ,
Sie beſchleunigt den Lauf , und roͤthet im wollichten Oſten
Jmmer heller die Wolken , die vor ihr hergehn , und ſchimmern ,
Wie ein glaͤnzender Hof , der ſeinen Monarchen ver - kuͤndigt .
Und nun ſiehe ! Sie koͤmmt , ſie iſt da ! Mit vollem Geſichte
Blickt queer uͤber die Welt die holde Fuͤrſtin des Tages .
Jetzo ſliege die Phantaſey , mit maͤchtigen Schwin - gen ,
An den entnebelten Strand des ruhig ſchweigenden Weltmeers ;
Oder ſie ſchaue herab von himmelnahen Gebirgen
Weit in die Wuͤſte des Meers , die jetzo der Morgen beſtralet .
Wie - 12 Wiehernd ſteigen die Pferde der Sonne , mit dam - pfenden Naſen ,
Aus den Fluthen herauf , die ſeurige Laufbahn zu ren - nen .
Sie , die Sonne ſitzet darauf im monarchiſchen Pompe ;
Von dem duftenden Haar der alles erheiternden Goͤttin
Troͤpfelt ein himmliſcher Thau , der , in ſich oͤfnenden Muſcheln ,
Zu den reineſten Perlen erſtarrt . Des Mecres Be - wohner
Recken ihr Haupt aus der Fluth , die ſruͤhe Sonne zu gruͤſſen .
Alles iſt Himmel und Meer ; doch auch die unendliche Wuͤſte
Lacht mit ſpielendem Glanz aus allen funkelnden Wo - gen .
Tief am Rande des Horizonts entdecket das Auge ,
Halb in Wolken , und halb in der Fluth , das maͤchtige Kriegsſchif ,
Sichtbar kaum ; jetzt naͤhert es ſich ; ſchon ſchwellen die Seegel
Jn das ſorſchende Glas ; ſchon flattern die Flaggen und Wimpel
Um den wankenden Maſt : bis endlich die ſchwimmende Veſtung
Alle Seegel verſpreitet , und nah am hohen Kaſteele
Mit 13 Mit dem Donner des Kriegs die lauten Jnſeln be - gruͤſſet .
Und nun iſt der Vorhang gefallen ! Auch uͤber die Ebnen
Funkelt der Sonne goͤttlicher Glanz ; es trinken die Felder
Geitzig das ſegnende Licht , das ſo wohlthaͤtig ſich aus - gießt .
Alles laͤchelt entzuͤckt von trunkner Freude verſchoͤnert ;
Jedes Gras erhebet ſein Haupt mit blitzenden Perlen ;
Alles , was Stimmen hat , feyert mit Stimmen die Ankunſt der Sonne ;
Die geſamte Natur ſchallt wieder von jauchzenden Choͤ - ren ,
Und ein heiliger Duft ſteigt , wie ein dampfender Ne - bel ,
Von dem Erdenaltar zum Morgenopfer der Sonne .
Praͤchtige Scene ! wer kan dich beſchreiben ? Wer tauchet den Pinſel
Jn die Farben des Morgenroths ein , dich wuͤrdig zu mahlen ?
Traurig harrte die bange Natur im erkaͤltenden Schau - der ,
Und ihr herrlichſter Schmuck war von den Schatten verſchlungen .
Wie ein maͤchtiger Tod lag mit verbreiteten Schwin - gen
Die 14 Die verhuͤllende Nacht weit uͤber dem einſamen Erd - kreis .
Aber auf einmal verjagt , die triumphirende Sonne ,
Schatten und Schauder und Schlaf zum Niedergange zuruͤcke ,
Jhre wohlthaͤtige Kraft gießt ſich durch alle Geſchoͤpfe -
Und der Puls der Natur faͤngt an von neuem zu ſchla - gen .
O wie war es ſo leicht ; daß Menſchen dich goͤttlich verehrten ,
Guͤtige Sonne , dich , Quelle des Lichts , dich , Fuͤrſtin des Himmels !
Da ihr erſtes Gefuͤhl zu ſolchen Wundern ſie hinriß .
Haͤtte der Heide dich nicht verehrt , ſo waͤre es dem Heiden
Zum Verbrechen geworden ! Wenn in dem Tempel von Cusko ,
An dem rauſchenden Ganges , und an des Hydaspis Geſtaden ,
Das lautfeyrende Chor der weißgekleideten Prieſter
Dich mit Hymnen begruͤßt , und dir mit Weyhrauch geopfert ;
Oder der nackende Mohr in froͤlichgeſchloſſenen Reihen
Dich mit Taͤnzen empfieng ; war dies nicht Menſchen gemaͤſſer ,
Als 15 Als vor Stieren zu knien , und Caimanen zu raͤu - chern ?
Sey auch uns , Regentin des Tags , im Oſton will - kommen !
Dich begruͤſſe das Lied der hingeriſſenen Muſe ,
Welche durch deinen Glanz den Thron des Schoͤpſers erblicket ,
Deſſen unterſte Stufen dein himmliſches Feuer verguͤl - det .
Stralender Ausfluß des Lichts ! du , Quelle von aller der Schoͤnheit ,
Die den wandelnden Erdkreis in ſeinen Veraͤndrungen ſchmuͤcket .
Seegen und Nahrung flieſſet aus dir , in feurigen Stroͤ - men ,
Fuͤr unzehlige Schaaren ſo vieler verſchiednen Ge - ſchoͤpfe !
Von den Herren der Welt , bis auf die ſtaubichte Milbe ,
Trinket alles , und lebt von deinem beſeelenden Aus - fluß !
Dich umtanzen die Stunden in muſikaliſchen Reihen ;
Und die Zeiten des Jahrs , im abgemeſſenen Wechſel ,
Folgen dir nach , und kraͤnzen mit Seegen und Freude den Erdkreis .
Wenn der blumichte Lenz kaum von den Purpurge - woͤlken
Seine 16 Seine Roſen verſtreut : ſo ſteigt der maͤchtige Sommer
Auf den ſtammenden Thron , und ſchieſſet ſengende Stralen
Aus dem Koͤcher herab ; die Pfeile ritzen die Erde ,
Das weitwallende Feld wird weiß ; die reifenden Aepfel
Gluͤhn erroͤthend am Baum ; indem in milderer Herr - ſchaft
Sich der verſchwendriſche Herbſt auf kuͤhlenden Luͤſten herablaͤßt ;
Sein von Trauben und Fruͤchten geſchwollenes Fuͤll - horn verſchuͤttet ,
Und das jauchzende Feld mit guͤldenem Regen erfreuet .
Bis , in Schneegeſtoͤber verhuͤllt , der brauſende Winter
Toͤdtende Seuchen verjagt , und auf verwuͤſtenden Stuͤr - men
Schaͤtze von Ruh und Geſundheit den ſtarrenden Flu - ren ertheilet ,
Daß der ermuͤdete Baum , die lang entkraͤſteten Felder
Unter der Decke der Flocken zu neuem Seegen ſich aus - ruhn .
Aber wie groß iſt nicht der , der dich , o maͤchti - ge Sonne ,
Und nicht dich nur allein , der Millionen von Sonnen ,
Jn 17 Jn den grenzloſen Raum , als ſtralende Funken , ge - ſchuͤttet ,
Die er aus dem Leeren des Chaos allmaͤchtig heraus - ſchlug ,
Jede von werdenden Welten , und ihren Trabanten umringet ,
Unausſprechliche Zahlen von tauſend verſchiednen Sy - ſtemen ,
Wovon jedes ihn preißt mit Myriaden Bewohner .
Muſe , der ſinkende Flug kan nicht die Hoͤhen er - reichen ,
Wo der brittiſche Geiſt im Sonnenglanze ſich badet .
Nur Thomſoniſche Hymnen erfuͤllen die Seele mit Feuer ,
Und beſingen allein den erhabenſten Gegenſtand wuͤrdig .
Doch jetzt , da die Natur zu Lobgeſaͤngen entzuͤ - cket ,
Jhm jauchzt , der ſie erſchuf ; da ihn die Huͤgel erhe - ben ,
Jhm die Waͤlder lobſingen , und alle Stimmen ihn preiſen ;
Jetzo ſchwiege der Menſch ? Jetzt ſchwiege der Chriſt ? O der Schande !
Unnatuͤrliche Traͤgheit , die unvergeblicher waͤre ,
Als die Blindheit des Heyden , wenn er der Sonne geraͤuchert .
IV . Th. B Aber 18 Aber was ſeh ich ? Viel tauſende ſteigen von naͤchtlichen Lagern
Nicht vom Vorſpiel des Todes geſchreckt , in welchem ſie lagen ,
Unerkentlich , obgleich ſie von neuem zum Leben er - wacht ſind !
Ohne Gedanken taumeln ſie hin zur niedrigen Arbeit ,
Ohne Gedanken von ihm , der ſie aus Staube geſchaffen .
Doch ich ſeh auch chriſtliche Haͤnde zum Himmel ſich falten ,
Und demuͤthige Knie ſich vor dem Allmaͤchtigen beugen .
GOtt ſchaut gnaͤdig herab ; die Morgenopfer der Her - zen
Sind ihm ein ſuͤſſer Geruch , und fuͤllen den jauchzen - den Himmel .
Ganz verblendet vom Glanz der groſſen praͤchti - gen Scene
Sitze die Seele vertieft , und ſchaue vom waldichten Huͤgel
Weit in das lachende Feld , dem Sonnenwagen entgegen .
Oder leite mich jetzt , o Muſe , zum winkenden Luſt - wald ,
Wo in hohen Gewoͤlben voll Laub ein heiliges Schre - cken
Mein durchdrungenes Herz mit frommen Gedanken be - geiſtert .
Laß 19 Laß der Sonne fruͤheſten Stral die ſtammelnden Seuf - zer ,
Mit dem Opfergeruch des Morgens , zum Himmel hin - aufziehn .
Huͤlflos lageſt du da , in einem Zuſtand von Ohnmacht ;
Es war Tod — Tod einer Nacht , in welchem du ſchliefeſt .
O wie maͤchtig ſolteſt du nicht die Wahrheit empfinden ,
Daß von einer hoͤheren Macht dein Leben gehangen !
Haſt du dich ſelber erweckt ? Haſt du die Augen geoͤfnet ,
Die ein Anfang vom ewigen Schlaf ſo feſt dir geſchloſ - ſen ?
Konteſt du deiner im Traum ausſchweifenden Seele gebieten ,
Oder die ſchwaͤrmende Phantaſey in Schranken erhalten ?
Und du ſiehſt es , du biſt erweckt ; ein Wunder erweckt dich ,
Und du lobſt nicht den GOtt , der dir von neuem dein Leben ,
Ein ſo großes Geſchenk , auf Sonnenſtralen herabgiebt ?
Doch die Andacht leitet mich ſchon auf feurigen Fluͤ - geln
Hoch in die Wolken empor , und laͤßt mich die Erde beſchauen .
B 2 Welche 20 Welche Mengen entdecket mein Blick , mit erhabenen Haͤnden ,
Voͤlker an Voͤlker , verſchieden in ihren Sprachen und Sitten !
Von der Pagode , Moſchee , von Synagogen , und Kirchen ,
Schallt die harmoniſche Cymbel , die weitertoͤnende Glocke
Mit der praͤchtgen Muſik der Orgel vermiſcht , in die Lieder
So viel tauſend verſchiedener Sekten , die hierin doch eins ſind ,
Einen allmaͤchtgen Beherrſcher der Welt , und der Geiſter zu loben ,
Welchen Namen ihm auch die menſchliche Sprache ge - geben .
Ewiger , einziger GOtt ! vor dem ſich die Thro - nen und Maͤchte ,
Und die Myriaden der Engel , das Antlitz bedecken ,
Laß dir die Lieder des Danks von deinen Geſchoͤpfen gefallen ,
Auch vom irrenden Wilden , der mit verbreiteten Ar - men
Jm Gebete feuriger brennt , als jene Maſchinen ,
Chriſten genannt , ſie , die nur allein aus Gewohnheit dich loben .
Meine Seele zittert gebuͤckt voll Andacht am Throne
Deiner 21 Deiner goͤttlichen Pracht , mit deren ſerneſten Stralen
Jetzt ſich die Morgenſonne bekleidet . Die ſterbliche Harfe
Singt zwar nicht wuͤrdig genug ſo groſſe Wunder der Allmacht ;
Doch du hoͤrſt auch das Lied , das fromme Bewun - drung dir ſtammelt .
Niemals muͤſſe das Licht den wollichten Oſten bepur - pern ,
Daß mein feuriges Herz nicht dir zu Ehren entbrenne ,
Wenn auch die Lippe vor dir mit heiligem Schweigen verſtummet .
Alles ſchimmert nunmehr vom weltbeſeelenden Feuer ;
Jegliche Perle von Thau blitzt uns im Kleinen der Sonne
Bildniß zuruͤck . Die ermunterten Blumen eroͤfnen ſich duftend
Jn dem friſcheſten Schmuck , und verhauchen Geruͤche von Balſam .
Laute vermiſchte Concerte von wilden Hymnen der Voͤ - gel
Schallen , aus Hecken und Baͤumen , ins Thal . Der Sperlinge Choͤre
Zwitſchern laut im Gipfel der Linde . Mit frohem Ge - klapper
Hebt ſich der Storch vom dornichten Neſt , durchſeegelt die Luͤfte ,
B 3 Und 22 Und ſinkt nieder zum Meer ; nun wadet er , langſam ſchreitend ,
Durch die Wieſen , im Thau , und ſuͤllt mit Froͤſchen den Schlund an .
Mit verbrantem Geſicht , und ſchwarzen feurigen Au - gen ,
Naht ſich die Dirne dem Quell , der einzigen Schmin - ke des Landmanns ,
Jhrer Mine fehlet nicht Reiz , nicht Anmuth den Wan - gen ;
Und Geſundheit und Jugend erſetzt den Mangel der Weiſſe ,
Die nur der Nachttiſch erzwingt . Mit maͤchtigem ſuͤſſen Verlangen
Sieht ſie der Hirt ; ihm klopfet ſein Herz . Er trei - bet die Heerden
Langſam fort , ſieht oͤfters ſich um , bis ſeine Geliebte
Seinen Blicken entflieht . Nun treibt er die bloͤcken - den Schaaren
Aus dem Dorfe die Trift hinauf , zum ſchattichten Forſte ,
Wo das dickeſte Gras die Kuͤhe verbirget . Die Haine
Hoͤren die ſuͤſſe Muſik der Schellen und Glocken , und fernher
Fuͤllt dies Gelaͤute mit Anmuth das Ohr des Wande - rers . Alles
Wimmelt im Felde nunmehr . Ein frohes buntes Ge - wuͤhle
Von 23 Von arbeitenden Menſchen , von einzeln weidenden Heerden ,
Welches ſich mit der wallenden Fluth der Saaten ver - miſchet ,
Reitzt den wandernden Blick mit einem lachenden Wechſel .
Und noch ſchlaͤft der Bewohner der Stadt ? und kennt nicht die Freuden ,
Die auf jegliche Flur die Hand des Morgens geſchuͤt - tet ?
Er ſieht nicht das holde Geſicht der ermunterten Erde -
Welche , gebadet in Thau , mit friſcherer Schoͤnheit um - herſieht ?
O der Schande ! Verhuͤllet in Dampf , vergraben in Federn ,
Traͤumt er den Morgen vorbey ; in Phantaſeyen ver - wirret ,
Welche die Duͤnſte des Weins im brauſenden Blute gebildet .
Und ihr , holde Schoͤnen der Stadt ! wie flieſſet ſo traurig
Euch das Leben dahin ! wie iſt euch die Anmuth ver - huͤllet ,
Welche der heitere Morgen auf jeden Spatzierenden ſchuͤttet ,
Der in heiliger Nacht ehrwuͤrdiger Waͤlder von Eichen ,
Oder am Teich , die goldenen Wolken beſchauend , ein - hertritt !
B 4 Warum 24 Warum athmet ihr nicht die friſcheſten Duͤſte der Ro - ſen ,
Und die reineſte Luft voll aromatſcher Geruͤche ?
Flieh , o Muſe , zuruͤck , und laß den ſtolzen Bewohner
Hoher Pallaͤſte den herrlichſten Morgen nur immer verſchlummern ,
Und , umſchwebt von leeren Phantomen der nichtigen Ehre ,
Halb das Leben vertraͤumen , und in dem uͤbrigen Knecht ſeyn .
Niemals hatte die ſchoͤne Seline den Einzug des Morgens
Jn dem Kerker der Stadt geſehn , in welcher vom Him - mel
Nur ein kleiner Bezirk zu ihren Augen ſich draͤngte .
Bilder vom Morgen hatte ſie zwar , ſo wie ſie der Maler ,
Oder der ſchaffende Dichter , in ihre Seele gezeichnet ;
Aber es waren nur Bilder , nie durch Erfahrung be - kraͤftigt .
Jn der Bluͤte der Jugend ward von der guͤtigen Liebe
Jhr ein zaͤrtlicher Juͤngling geſchenkt , mit dem ſie in Bergen
Jn der Nacht durchgereißt , und nun am daͤmmernden Morgen
Von 25 Von dem Abhang gen Oſten weit in die Ebnen hinab - ſah .
Ploͤtzlich ſchoß Aurora vor ihr , mit purpurnem Fittig ,
Durch den ſtreiſichten Himmel , und that die Thore der Sonne
Vor ihr auf ; doch ſchien ſie entzuͤckt im Fluge zu zoͤ - gern ,
So viel hohe , ſonſt nie geſehene , Schoͤnheit zu gruͤſſen .
Bald drauf kam die Sonne daher auf dem ſtralenden Wagen ,
Mit dem ganzen Pompe des herrlichſten Morgens be - gleitet .
Welches Entzuͤcken ergrif die fuͤhlende Seele des Maͤd - chens ,
Da auf einmal vor ihr die praͤchtigſte Scene ſich auf - that !
Neben ihr lag im ſuͤſſeſten Schlaf ihr theureſter Juͤng - ling ,
Deſſen bluͤhenden Reitz der Morgen noch ſchoͤner ihr zeigte .
Zaͤrtlich weckte ſie ihn mit einem feurigen Kuſſe ,
Und brach , froͤlich beſtuͤrzt , in dieſe befluͤgelten Worte :
O , mein Geliebter , erwache zum allerpraͤchtigſten Schauſpiel ,
Welches jetzt deine Seline zum erſtenmale betrachtet !
B 5 Him - 26 Himmel ! wie welken die Scenen dahin , die alle Thea - ter
Uns zu geben vermoͤgen ! und wie verſchieſſen die Far - ben
Aller Freuden des Hofs , vor dieſem himmliſchen Auf - tritt !
Und ſchon achtzehn Jahr ward mir dies Schauſpiel ge - halten ,
Eh ich nur einmal es ſah ? ( Hier floß auf die Roſen der Wangen
Eine Perle herab . ) Auch dieſe Scene , Geliebter , ( Fuhr ſie heiterer fort ; ) hab ich nur dir zu verdanken !
Sie umarmten ſich hier voll unausſprechlicher Liebe ,
Und der guͤnſtige Morgen verſchuͤttete Kraͤnze von Blumen
Ueber dies zaͤrtliche Paar , die gluͤcklichſte Liebe zu kroͤ - nen .
Solcher Scenen genieſſet der Blick des Wande - rers , wenn er ,
Nicht zu gemaͤchlich gewoͤhnt , ſich aus den Armen des Schlafs reißt ,
Und den Thau und die kuͤhlere Luft des Morgens nicht fuͤrchtet .
Du , o Muſe , haſt oft die weichliche Ruhe verlaſſen ,
Haſt den wandernden Fuß mit Perlenthaue benetzet ,
Und 27 Und der Sonn ’ entgegen geblickt . Was gleichet der Anmuth
Einer Landſchaft , vom Morgen bemahlt ! was gleichet den Freuden ,
Die wir im Arme der Ruh , im Schatten der Frey - heit , genieſſen ?
Siehe ! dir winkt ein gluͤckliches Haus . Mit ſchimmernden Fenſtern
Stralet es , weit in das Feld , des Wanderers Blicken entgegen .
Eine Saͤule von Rauch ſteigt aus dem zierlichen Schor - ſtein
Dick in die Wolken empor , voll von der Levante Ge - ruͤchen ,
Und verkuͤndigt die Wohnung des Herrn des ruhigen Dorfes .
Jetzt , da ſeinen bevoͤlkerten Hof die bloͤckenden Heerden ,
Hinter einander ſich draͤngend , verlaſſen , und ſtarke Ge - ſpanne
Munterwiehernder Roſſe zum ſteinernen Thor hinaus - ziehn ;
Schluͤpfet aus ſeinem Arm die reizende Hausfrau zum Fenſter ,
Und ſieht mit aufwallender Bruſt den gluͤcklichen Reich - thum
Jhrer geſegneten Heerden . Mit ſcharfem haͤußlichen Auge
Schaut ſie hinab in den Hof ; ihr Blick ermuntert zur Arbeit .
Jhr 28 Jhr iſts nicht zu gering , die Dirnen zum Fleiſſe zu ſpornen ;
Sie ſieht ſelbſt den Vorrath der Milch , und ordnet des Gartens
Anbau an ; und rufet dem Schwarm der irrenden Huͤhner ,
Welche die Stimme ſogleich der ſchoͤnen Gebieterin kennen .
Sie verlaſſen das thauigte Gras , vom Hahne gefuͤhret ;
Kommen aus Scheuren und Staͤllen hervor , bis guͤl - dener Regen
Aus dem Fenſter uͤber ſie rauſcht . Sie hacken die Koͤrner
Eilig auf , und beiſſen voll Neid auf Sperling ’ und Tauben ,
Welche ſich unter ſie miſchen , und ihre Nahrung ſich ſtehlen .
Alsdann wendet ſie ſich zuruͤck , und wenn ſie im ſuͤſſeſten Schlummer
Jhren Geliebten noch ſieht ; beugt ſie ſich uͤber ſein Ant - litz ,
Haͤnget daruͤber in ſtiller Entzuͤckung und ſchmelzenden Freuden ,
Und kuͤßt ſanft ihm die Wange , die auch im Schlummer ihr Anmuth
Laͤchelt . Dann bringt ſie auf zaͤrtlichem Arm den Erſt - ling der Liebe ,
Ein aufbluͤhendes Maͤdchen , das ihrer Reizungen Bild iſt ,
Und 29 Und die Guͤte des Herzens in halben Worten erſt ſtam - melt .
Schalkhaft legt ſie es hin zu ihrem Vater , und rauſchet
Hinter den Vorhang zuruͤck , die ſuͤſſe Scene zn ſehen .
Das holdſelige Kind ſchlingt ſich mit ſchmeichelnden Ar - men
Um den Vater , und wecket ihn auf mit Kuͤſſen und Plappern .
Ploͤtzlich erwacht er , und ſucht die Geliebte vergebens ; dann druͤckt er
Seine kleine Buhlerin an ſich , und kuͤßt mit Entzuͤcken
Alle die Reize der Mutter , die hier im Kleinen ſich bilden .
Und nun kan ſich die Mutter nicht mehr verbergen ; ſie ſtuͤrzt ſich
Jn des Geliebten zaͤrtlichen Arm , und ſchmilzt in Ent - zuͤckung ,
Und indem ſie das Kind vom liebenden Vater zuruͤck - nimmt ,
Zittert die Thraͤne des Danks aus froͤhlichweinendem Auge .
Bald drauf hat ſich in leichtes Gewand der Vater ge - worfen ,
Und genieſſet des Morgens mit ihr . Sie wandeln zu - ſammen
Unter dem laubichten Dach der alten wirthbaren Lin - den ;
Oder 30 Oder ſie irren herum in bunten Blumengefilden ,
Und beſchauen die Pracht von ſo viel wechſelnden Far - ben ,
Welche die guͤtge Natur auf alle Geſchlechter verſchuͤt - tet .
Jetzo bricht er fuͤr ſie die juͤngſte thauigte Roſe ,
Die er laͤchelnd ihr reicht ; ihr ganzes Auge wird Him - mel ,
Und ſie ſteckt ſie ſogleich vor ihren wallenden Buſen .
O! wie dankbar lehnt ſie ſich nicht mit redenden Bli - cken
An ihn an , und ſagt ihm ſchweigend die feurigſte Lie - be !
Und wie verfinſtert wird nicht ihr holdes Auge , wofern ihn
Haͤusliche Sorgen ihr rauben , und er auf muthigem Roſſe
Ferne Fluren beſucht , und ſeine Schnitter ermuntert !
Lange ſieht ſie ihm nach , bis ihn die kruͤmmenden Thaͤler
Jhren Blicken entziehn . Dann kehrt ſie ernſter zuruͤcke ,
Und ihr hoffendes Herz denkt nichts , als ſeine Zuruͤck - kunft .
So verſtreicht dem Landmann der Morgen in ſchuldloſen Freuden ;
Nicht 31 Nicht ſo der praͤchtigen Stadt . Jn ihre geoͤfneten Thore
Zieht der Seegen des Landes , entweder auf ſeufzenden Achſen ,
Oder auch auf belaſtetem Ruͤcken des emſigen Land - manns .
Unruh , Getuͤmmel und Laͤrm , ſchwirrt durch bevoͤlkerte Straſſen .
Mancher Morgengeſang , mit wilden Fluͤchen vermi - ſchet ,
Und begleitet vom langſamen Schlag des Hammers , erſchallet
Aus der Werkſtatt des Kuͤnſtlers . Von weiſſen Ge - zelten bedecket
Steht der Markt ; und Handlung und Tauſch , mit der blaſſen Gewinnſucht ,
Spornen die Sterblichen an . Viel tauſend verſchie - dene Stimmen
Fuͤllen die Luft ; ſie brauſet und wallt , wie Wogen des Meeres ,
Die mit heiſerem Ton an rauhen Geſtaden ſich brechen .
Welch ein Ueberfluß ſtroͤmt in dieſe verſchwendriſchen Thore !
Und was wuͤrgt nicht der Menſch , um ſeinem Gau - men zu ſchmeicheln !
Siehe ! hier liegt das ſchuldloſe Lamm , erſt geſtern von Wieſen ,
Wo es ſpielte , der Mutter geraubt , und der Wolluſt geopfert .
Selber 32 Selber den nuͤtzlichen Stier , der mit geduldiger Arbeit
Manchen Acker gepfluͤgt , und ihn mit Erndten geklei - det ,
Nahm der Landmann , und hat ihn erwuͤrgt , voll Un - dank erwuͤrget !
Ja , ſogar die Bewohner des Waldes hat weder die Wildniß ,
Noch die ſchuͤchterne Flucht , vor blutigem Tode geſi - chert .
Den leichtſuͤßigen Hirſch , mit ſtolzem Geweyhe gekroͤ - net ,
Hat die Kugel ereilt , und von den Felſen geſtuͤrzet .
Selbſt am zaͤrtlichen Reh tropft noch die blutende Wunde ,
Welche das wuͤtende Bley in ſeine Seite geſchlagen .
Was fuͤr Mengen von herrlichen Fruͤchten ver - ſchuͤttet das Jahr nicht !
Und doch konte der Menſch zur Nahrung von Blut ſich gewoͤhnen ,
Zum Tyrannen der Thiere ſich wuͤrgen , und reine Ge - richte ,
Nicht mit Blute befleckt , verſchmaͤhn ! Jndem ihn die Erde
Ueberfluͤßig verſorgt mit paradieſiſcher Nahrung ;
Mordet er doch , und mordet zur Luſt ! Verderbte Lu - kulle ,
Da 33 Da das fluͤchtige Wild vor eurer Verfolgung nicht frey iſt ;
So beſchleunigt den Tod des armen leidenden Thieres ,
Und jagt nicht den Hirſch mit einer unmenſchlichen Freude
Jm Getoͤne des Jagdhorns , verfolgt von wuͤtenden Hunden ,
Durch den klagenden Wald , und durch die erſchrocke - nen Haiden ,
Bis er , erhitzt auf den Tod , die letzten Seufzer ver - roͤchelt ,
Und ſein Wildpret allein tyranniſche Hunde belohnet !
O ihr Groſſen der Welt ! gewoͤhnt nicht den kuͤnftigen Erben
Weiter Provinzen zur grauſamen Jagd ; damit nicht die Menſchheit ,
Und des Mitleids Gefuͤhl , in ſeinem Herzen erſticke !
Straft , ihr Muͤtter , auch nicht ein ſanftes fuͤhlendes Maͤdchen ,
Welches mit Thraͤnen euch fleht , es nicht tyranniſch zu zwingen ,
Jn den farbichten Hals der Taube das Meſſer zu ſtuͤr - zen ;
Oder dem ſtummen ſchnappenden Fiſch ſein Leben zu rauben !
Soll ſich ein zaͤrtliches Herz zu Grauſamkeiten gewoͤh - nen ,
IV . Th. C Und 34 Und im rinnenden Blut die himmliſche Schoͤnheit ſich baden ?
Jhre Thraͤnen verdienen zu ſehr die Verſchonung des Anblicks
Eines aͤngſtlich ſterbenden Thiers ! O gebt ſie dem Juͤng - ling
Jn den liebenden Arm mit unverdorbenem Herzen !
Welche Sanftmuth wird einſt , von zaͤrtlichem Mitleid erhoͤhet ,
Die gleichfuͤhlende Bruſt ihr aͤhnlicher Kinder beleben !
Jetzo nahn ſich die Pferde der Sonne den Krei - ſen des Mittags ,
Und der Hoͤfling erwacht , und die Dame . Von ge - ſtrigen Feſten
Ganz noch berauſcht , erheben ſie ſich , und taumeln er - mattet ,
Unbekuͤmmert , wie lange bereits der Morgen geſtralet ,
An die Tafel , wo ſie der Levante Getraͤnke beſeelet .
Unmuth folget ihr nach ; und fibriſche Todtenblaͤſſe
Decket die Wangen , von denen zu bald ihr Fruͤhling geflohen .
Kopfweh , vom Weine gezeugt , ſchwebt uͤber dem muͤr - riſchen Juͤngling ,
Und peitſcht ſeine ſchwellenden Schlaͤfe mit grimmigen Geiſſeln .
Er 35 Er bemuͤht ſich umſonſt , den Aufruhr des wallenden Blutes
Zu beſaͤnftgen , und trinkt umſonſt die kuͤhlende Quelle ;
Schon entflammt ihn ein ſchleichendes Gift . Am zier - lichen Nachttiſch
Sitzt , beſchaͤftigt im Putz , die halb noch traͤumende Schoͤne ,
Ernſtlich iſt ſie bemuͤht , auf ihren verbluͤhenden Wan - gen
Kuͤnſtliche Roſen zu ſchaffen ; wohlriechende Waſſer verduften
Rund um ſie her . Sie ſenket ſich ganz in den ſilbernen Spiegel
Und Stillſchweigen herrſchet um ſie , wofern ſie nicht etwan
Jhrer Gehuͤlfin Lehren ertheilt , hier Muſchen zu le - gen ,
Oder dort hoͤher empor die ſchimmernde Blume zu pflanzen .
Noch iſt ihr Angeſicht leer von allen erobernden Mi - nen ,
Die ein finſterer Ernſt , und Tiefſinn im Putze ver / ſchlungen .
Aber wie heitert es ploͤtzlich ſich auf ! Ein praͤchtiger Stutzer
Flattert herein ins Gemach , und kuͤßt mit wildem Ent - zuͤcken
Jhre verzaͤrtelte Hand , kaum von der Salbe getrocknet ,
C 2 Die 36 Die im Handſchuh des Nachts die Farbe noch weiſſer gekuͤnſtelt .
Jetzo ſetzt er ſich kuͤhn an ihre Seite . Sie blicket
Jhm Ermunterung zu , und eilt , mit ſiegenden Minen
Jhn zu bezaubern . Wie kuͤnſtlich weiß ſie die Reizun - gen alle
Zu verrathen , die ſie in ſeinen Augen verſchoͤnern .
Bald zeigt ſie den blendenden Arm ; bald wirft ſie im Sprechen
Jhren Mantel zuruͤck , und alle Schoͤnheit des Buſens
Schwillt vor ſeinem Verlangen empor ; ſein Auge wird wilder ,
Feuriger wallet ſein Blut ; die ſonſt geſchwaͤtzige Zunge
Stockt . Sie ſieht es , und lacht ; der Gott der fluͤchti - gen Liebe
Jauchzet ; die Keuſchheit entflieht , und ſie fuͤhrt ihren Verehrer
An den Siegeswagen geſchloſſen , zum ſtolzen Triumph fort .
Und am Nachttiſch nicht nur empfaͤngt , die entar - tete Schoͤne ,
Den wildliebenden Juͤngling : von Frankreichs Sitten verdorben ,
Nimmt ſie oft ſeinen Beſuch noch halb in den Armen des Schlafs an .
Und 37 Und dies nennet man Welt ? Dies heißt Erziehung ? O Name ,
Luͤgender Name ! Wie ſcheitert durch dich die Tugend und Keuſchheit
Bey ſo vieler Gefahr , die unter der Sicherheit lauſchet !
O wie biſt du , Germanien , nicht verdorben , vergiftet ,
Von der galliſchen Peſt ! Die gluͤcklichen guͤldenen Zei - ten ,
Da du mit deinen maͤnnlichen Sitten der Wolluſt den Eingang
Wehrteſt , und Trug nicht und Liſt die Herzen . der Fuͤr - ſten entweihte ,
Dieſe Zeiten ſind leider nicht mehr ! Denn damals war Tugend
Noch kein nichtsbedeutender Name . Die himmliſche Keuſchheit
Gieng , im hohen Gefolge von reinen eigenen Sitten ,
Unter deinen Toͤchtern einher . Die Choͤre der Jung - fraun ,
Und der Juͤnglinge Schaar erhub ſie in Hymnen . Kein Laſter
Hatte ſich damals , wie jetzt , in lachende Namen ver - kleidet ;
Keine Galanterie ſchlich um das Ehbett . Die wahre
Treueſte Redlichkeit nannte man damals die deutſche ; nie ward ſie
C 3 Von 38 Von der betruͤgenden Staatskunſt entweiht . Jn ehr - barer Freyheit
Wurden von Muͤttern allein die bluͤhenden Toͤchter er - zogen ,
Nicht vom galliſchen Maͤdchen , das mit den galliſchen Liedern
Alle Fehler ſie lehrt , die ihre Herzen vergiften .
Weder die Kunſt , mit der ſchildernden Nadel auf mun - tre Tapeten
Lachendes Feld , und lebende Bilder , in Seide zu pflan - zen ;
Noch die beſſere Kunſt , die Wirthſchaft gluͤcklich zu fuͤhren ;
Oder den reinlichen Tiſch mit deutſchen Gerichten zu fuͤllen ;
Auch nicht die Kunſt des Putzes ſogar , jetzt theuer er - kaufet ,
Fehlte Germaniens Toͤchtern . Am ungekuͤnſtelten Nachttiſch
Gieng nicht der Morgen vorbey , ſo mancherley Schmin - ken zu ordnen .
Nein , ſie ſchminkte der ſpiegelnde Quell ; und eigene Schoͤnheit
Nicht erzwungen mit Lilienweiß , und falſchen Carmine ,
Stralte von offener Stirn , und vollen roſigten Wan - gen ,
Freche Juͤnglinge konten noch nicht mit gleiſſenden Wor - ten ,
Oder 39 Oder durch blendenden Witz unſinniger ſchaaler Romane ,
Den geſunden Verſtand der deutſchen Schoͤne verfuͤhren .
Keine neue Mode von Stoff , kein Anzug von Spitzen
Brachte der Tugend Gefahr , und hieß die Keuſchheit entfliehen .
Dieſe Zeiten ſind leider nicht mehr ! Wir tragen das Merkmal
Von dem galliſchen Joch auf unſern gezeichneten Stir - nen ,
Frankreich krieget mit uns durch ſeine Waffen und Sitten ;
Seine Waffen weichen noch oft germaniſchen Fahnen ,
Aber mit ſeinen Sitten erobert es ſchneller und ſichrer .
Schaaren verdorbener witziger Koͤpfe , verhungerter Marquis ,
Kommen und pluͤndern uns aus , gleich ihren verwe - genen Heeren ,
Und dies iſt nicht genug . Wir ſenden zur galliſchen Hauptſtadt
Unſere Soͤhne , daß ſie dort ihre deutſche Geſundheit
Jm wolluͤſtigen Arm franzoͤſiſcher Weiber verlieren ,
Und ihr vaͤterlich Gut im ſchaͤndlichen Spiele verſchwen - den .
C 4 Gluͤck - 40 Gluͤckliches Volk ! als noch die Satyre des galliſchen Witzlings
Deiner ehlichen Treu , und Unerfahrenheit lachte .
Da Germaniens Schoͤne , zu Liebeshaͤndeln unfaͤhig ,
Dumm ſchien in franzoͤſiſchen Augen . Die Zeiten ſind nicht mehr !
Nehmt die Satyre zuruͤck , wir koͤnnen ſie nicht mehr verdienen ,
Denn wir gleichen euch nun in allen Moden und La - ſtern .
Dieſes war der guͤldene Morgen der gluͤcklichen Zeiten ,
Welche Deutſchland genoß ; und der mit ſchwaͤcheren Stralen
Fern von der Staͤdte Betrug noch auf die Huͤtte ſich ausgießt ,
Wo altvaͤtriſche Treu altvaͤtriſche Sitten begleitet .
Buͤckenden Schmeichlern oͤfnet ſich nun das Zim - mer der Groſſen .
O wie wimmelt der Saal von reichthumprahlenden Roͤcken ,
Und falſchklugen Geſichtern , in Staatsperuͤcken ge - huͤllet !
Sollte hier nicht der Klient , von leeren Verſprechun - gen trunken ,
Das ſo lang erwartete Gluͤck am ſicherſten finden ?
Doch 41 Doch Verſtellung herrſchet allhier . Ein Hofmann um - armet
Hier den andern , als Freund , und hat bereits ihn ver - rathen .
Ach ! ſein tuͤckiſches Herz wird bald das Jammern des Weibes ,
Und das Flehn unſchuldiger Kinder mit Freude ver - nehmen ;
Traurig ſtuͤrzen ſie , von dem Ruin des Vaters ergrif - fen ,
Mit in den Abgrund herab , und vergraben hohe Ta - lente .
Dreymal gluͤcklich iſt der , der einen erleuchteten Staatsmann
Nicht durch den ſclaviſchen Rauch verſtellter Opfer ge - wonnen .
Wie ungluͤcklich iſt der , der in dem Vorſaal des Schrei - bers ,
Unerhoͤret vom vorgen Lakay , um Allmoſen bettelt !
Der im Prozeß verwickelte Landmann koͤmmt jetzo mit Ehrfurcht
Zu dem Hauſe des Richters , dem ſeine Gerechtigkeit feil iſt .
Was ſein duͤrftiger Hof nur vermocht , die Kinder der Henne ,
Oder ein ſaugendes Lamm , bringt er zum Altar der Themis .
Geſtern noch gieng er im dickeſten Schilf an ſandichten Ufern ,
C 5 Um 42 Um die groͤſte Forelle des Bachs dem Anwald zu ſu - chen .
Traurig wartet er nun den langen Morgen im Vorhof
Des beſtochnen Gerichts , das ſeine Pflichten verkennet .
Ach ! wie wird er noch oft der Themis Tempel be - treten ,
Bis ſein Hof , entvoͤlkert vom Vieh , zur Wuͤſte ge - worden ,
Und ſein Acker allein dem Richter Sporteln getragen .
Gluͤcklich iſt der , der fern vom Altar der feilen Chikane ,
Richter und Anwald nicht kennt , und ſeinen ruhigen Morgen
Unter dem niedrigen Dach , von Wuͤrden verſchonet , dahinlebt .
Rufe der Muſen zaubriſches Chor zu deiner Geſell - ſchaft ,
Da der muntere Geiſt mit leichtern Gedanken empor - ſteigt ,
Und der Koͤrper noch nicht mit groͤberer Nahrung be - ſchwert iſt .
Dann verſchließ , von Thoren entfernt , dich unter die Weiſen
Griechenlandes und Roms , und lerne leben von Tod - ten .
Oder genieſſe des Morgens im Schatten vertraulicher Ulmen ,
Wo 43 Wo ſich der Epheu mit mahlriſchem Wuchs am Stam - me hinauſſchlingt .
Laß dich da das klaßiſche Blatt zu laͤndlichen Scenen
Leiten , und folge der Muſe des ſchoͤpfriſchen Thomſons zur Wohnung
Der mit ihm vertrauten Natur , und ſieh mit Entzuͤ - cken
Alle Schaͤtze , die ſie vor deinen Augen verbreitet .
Moͤcht auch ich in dem Arm der wahren Freyheit und Ruhe
Meine Tage vollenden , und keines Maͤchtigen Sklav ſeyn !
Waͤr auch mir es vergoͤnnt , die Balſamduͤfte des Mor - gens
Nicht im Kerker der Stadt , nein unter dem Himmel zu athmen ,
Welcher ſich uͤber dem Haupt des Landmanns heiterer woͤlbet !
Da wollt ich am murmelnden Bach , von Freuden be - rauſchet
Stehn , und geizige Zuͤge der Luͤfte trinken , die Fruͤh - ling ,
Luſt , und Zephir um mich verhaucht . Da wollt ich zufrieden
Wandeln unter dem Dach der alten geſelligen Linden ,
Oder im herzerfriſchenden Hain , wo kraͤftige Kraͤuter
Bis 44 Bis in den innerſten Sitz der Seele duſten . Da wollt ich
Tief gehn in das wallende Korn , das rund um mich herſchlaͤgt ,
Wie ein wogichtes Meer , indem die ſpielenden Winde
Sanft es kraͤuſeln . Auch wollt ich dann oft die Heer - den beſuchen ,
Die an blumichten Hoͤhn , in bunten Wieſen ſich wei - den ,
Und das muntere Lied des fruͤhen Hirten vernehmen ,
Das er auf ſeinem laͤndlichen Rohr dem Wiederhall ſpielet .
Und was wollt ich nicht ſehn , was wollt ich nicht alles betreten ?
Jeden lieblichen Fleck , und jeden geheiligten Schatten ,
Wo im einſamen Hain der Nachtigall Lieder ertoͤnen ,
Und mein fuͤhlendes Herz mit ſuͤſſer Wehmuth erfuͤllen .
Haͤtte mir dann ein guͤtig Geſchick zu dieſem Vergnuͤ - gen
Noch das groͤſte verliehn , ein ſanftes fuͤhlendes Maͤd - chen ,
Wie ich ſie oft im taͤuſchenden Traum von ſuͤſſen Ge - danken
Mir gedacht ; von munterem Witz und redlichem Her - zen ,
Jch 45 Jch fuͤr ſie nur gemacht , ſie ganz fuͤr mich nur geſchaf - fen ,
Welche die paradieſiſchen Freuden des guͤldenen Lebens
Mit mir genoͤſſe — was haͤtt ich da noch von Gluͤck : zu wuͤnſchen ?
Aber mir ſchien bey meiner Geburt kein ſolches Geſtirne !
Nicht ein einziger Fleck der weiten Erde gehoͤret
Meinen Wuͤnſchen ! Oft muß ich den Thor , den Witz - ling , ertragen ,
Um nur Baͤume zu ſehn , und Bluͤthen zu riechen . Oft muß ich
Stundenlang gehn , vor Hitze verſchmachten , bevor mich der Schatten
Eines Waldes erfriſcht ; indes der eckele Hofmann ,
Oder ein Harpax , der ſich nur freut im duͤſtern Ge - woͤlbe
Finſter zu lauſchen , und Schaͤtze zu haͤufen , die herr - lichſten Gaͤrten ,
Und Pallaͤſte beſitzt , um welche die gluͤcklichſten Fluren
Sich erſtrecken , und nicht ſie genießt ! Wie wuͤrde der Dichter
Sie genieſſen ! O gluͤckliches Land , in welchem ein Pope
Mit der goͤttlichen Kunſt die dichtriſche Leyer zu ruͤhren ,
Sich 46 Sich ſein Twidnam erwarb ! Was kan der Dichter erwarten ,
Welcher den Groſſen Germaniens ſingt ? erzwungenen Beyfall ,
Ein zweydeutiges Lob , und eine gnaͤdige Mine.
Doch was murreſt du , Muſe ? Hat nicht der Him - mel die Guͤter
Jn dich ſelber gelegt , die deine Zufriedenheit ſchaffen ?
Jſt ein fuͤhlendes Herz , ein immer heitres Gemuͤthe ,
Von Geſundheit erhoͤht , kein Schatz , der Wuͤnſche verdienet ?
Jſt die Schoͤpfung nicht dein ? Singt in dem offenen Walde
Nicht die Nachtigall dir mit noch mehr zaubriſchen Toͤ - nen ,
Als dem ſtumpferen Reichen in wenig genoſſenen Gaͤr - ten ?
Bluͤhn die Baͤume nicht dir , und koͤnnen Schranken und Hecken
Jhre Duͤfte verhindern , zu deinem Genuſſe zu drin - gen ?
Seyd mir alſo gegruͤßt ihr friſchen Auen , ihr Thaͤler ,
Wo der murmelnde Quell durch Gras und Blumen ſich windet ;
Und du freundlicher Hain , in deſſen bewirthenden Schatten
Mich 47 Mich ſo oft Erquickung gelabt ! — o ſey mir gegruͤſſet ,
Mutter Natur ! du gehoͤreſt mir zu ; wohin ich nur blicke ,
Seh ich Waͤlder und Fluren fuͤr mich . Sie ſollen umſonſt nicht
Mich einladen ; ich will oft darin mit maͤchtger Begei - ſtrung
Mich erheben zu Jhm , der dich ſo herrlich geſchaffen ,
Dich fuͤr mich auch erſchuf ; und will im Feuer des Dankes
Oft die Leyer ergreifen , und ſeine Wunder erheben .
Die ihr noch den lachenden Morgen des gluͤckli - chen Lebens
Jn unſchuldigen Jahren genießt , in welchem die Sorge ,
Oder ein druͤckendes Amt noch nicht die Muſen ver - ſcheuchet ;
Juͤnglinge , laßt nicht umſonſt die heitern Stunden entfliehen ,
Und bemuͤht euch , das friſche Gedaͤchtniß durch Schaͤtze der Weisheit ,
Und das fuͤhlende Herz zu wahrer Tugend zu bilden ;
Daß der erhoͤhtere Geiſt ſich zu Gedanken gewoͤhne ,
Wuͤrdig der edlen Menſchheit und eurer wahren Be - ſtimmung .
Millio - 48 Millionenreich , bleibet ihr doch bey Mangel an Weis - heit
Aermer , als Bettler ; und lernet ihr nicht , euch ſelber beſchaͤftgen ,
So wird euch ein feſtlicher Saal zur einſamen Wuͤſte .
Jhr auch , ihr , Germaniens Schoͤnen , entziehet am Nachttiſch
Einige Stunden dem Putz , und widmet ſie lehrenden Schriften .
Jn die Bildung voll Reitz , womit die Natur euch be - ſchenket ,
Bringt auch wahres edles Gefuͤhl vom Schoͤnen und Groſſen .
Aber verachtet den Witz , der mit der ſchluͤpfrigen Feder ,
Eure Gemuͤther verderbt , und lachende Laſter euch leh - ret .
Grabt die Geſaͤnge des lehrenden Dichters , die Lieder des Weiſen ,
Welcher , wie Young , zur Tugend entflammt , in zaͤrt - liche Herzen .
Laßt den leeren Roman die ſtrafbare Liebe verbreiten ,
Euer gereinigter Geiſt ſey viel zu edel zum Laſter .
Aber ſoltet ihr auch Geſchmack im Buͤcherſaal finden ,
Oder der feinere Witz ſich ſeiner Staͤrke bewußt ſeyn ;
O ſo 49 O ſo ſchreckt nicht ſogleich mit niederm pedantiſchen Stolze
Euer Geſchlecht , das neidiſch auf euch , von Erziehung verdorben ,
Wiſſenſchaften noch mehr im prahlenden Hochmuth ver - achtet .
Die gelehrteſte Schoͤne wird groͤſſerer Beyfall beloh - nen ,
Wenn ſie Natur und Zaͤrtlichkeit ſpricht , und zur Lie - be geſchaffen ,
Nicht mit Beleſenheit prangt , und unter Hauben nicht Mann iſt .
Folget auch ja nicht zu leicht , von Beyſpiel und Schmeichlern verleitet ,
Einer verwegenen Dichterin nach , zur Fahne der Rei - mer ,
Oder wohl gar in das Feld der Kritik . Die ſatyriſche Geiſſel
Schonet des Reifrocks nicht , und trift mit ſchmerzen - den Schlaͤgen
Einer Schoͤne durchwaͤſſertes Lied , ſo ſehr auch ihr Bildniß
Vor der mißlungenen Schrift vom Leſer Verſchonung erbittet .
Aber wie werdet ihr nicht das Herz des Mannes begluͤcken ,
Den die Vorſicht euch ſchenkt , wenn eure Wangen voll Roſen ,
Euer ſiegender Blick , und eure Kaſtanienlocken
IV . Th. D Jhn 50 Jhn nicht allein euch feſſeln ; nein , wenn noch hoͤhere Reize ,
Anmuth des Geiſtes und Hoheit der Seele mit lachen - dem Witze ,
Jmmer gleich ſtark ihn bezaubern ; wenn euer gefaͤlli - ger Umgang
Oft von den Buͤchern ihn lockt , und ſelbſt die Geſell - ſchaft des Freundes
Jhm nicht immer die Freuden erſetzt , die Jhr nur ihm ſchenket .
O verdient nicht dies Gluͤck , um fuͤr den Morgen des Lebens
Zeitig zu ſorgen , ihn nicht zu verputzen ; und wenig - ſtens mehr noch
Eure Seele zu ſchmuͤcken ? So wird ſie im ſpaͤteſten Alter
Ueber den Abend des Mannes mit Stralen des Mor - genroths laͤcheln .
Der Mittag . Der Mittag . D 2 [52] [53] [figure] V on dem ſtralenden Hofe der Sonne begiebt ſich der Mittag ,
Unter dem hellen Gefolge der ſchwuͤlen feurigen Stun - den ,
Nach der Erde herab . Jhm gluͤht ſein maͤnnliches Antlitz ;
Faͤchelnde Winde ſchwaͤrmen um ihn , und kuͤhlen die Wangen ,
D 3 Welche 54 Welche die Milde beſeelt , und himmliſches Laͤcheln er - heitert .
Jhm ruht im wohlthaͤtigen Arm ein goldenes Fuͤllhorn ,
Voll von Fruͤchten . Es harrt die Natur auf ſeine Ge - ſchenke ;
Und er ſchuͤttet ſie aus , und ſein Gefolge bereitet
Tafeln umher mit Speiſe bedeckt , fuͤr alle Geſchoͤpfe .
Jn den kuͤhlenden Schatten von tauſendjaͤhrigen Eichen
Will ich jetzt wandeln . O ſenkt euch herab von rau - ſchenden Wipfeln ,
Heilige Schauer , die ganz die Seele des Dichters empfindet !
Oder indem ich entzuͤckt aus jener vertraulichen Grotte
Ausſeh in die ſtreifichte Flur : ſo komm , o Begeiſtrung ,
Die du ſo gern den einſamen Hain , die ruhigen Thaͤler ,
Oder die woͤlbende Hoͤle bewohnſt ! Sey guͤnſtig der Muſe ,
Die den wechſelnden Tag in ſeiner Vollkommenheit ſin - get .
Du , mein Giſeke ! du , der mit dem gefaͤlligſten Auge ,
Welches die treueſte Freundſchaft beſeelt , der furchtſa - men Leyer
Oft 55 Oft zu ſingen gebot ; der du mit holden Geſpraͤchen
Oft die laͤndliche Muſe durch Flur und Auen begleitet ,
Und der Ausſicht ruhige Freuden oft mit mir genoſſen :
Dies mein einfaches Lied ſey deiner Ermuntrung nicht unwerth !
Sey mir Apoll ! ſo ſchallet die Laute mit gluͤcklichen Toͤnen ,
Welche wie ſilberne Wellen in blumichte Gegenden rie - ſeln .
Und nun wandelt der Sommer des Tags mit al - lem Gefolge
Durch die bunten Gefilde , die ihn mit Jauchzen em - pfangen .
Tafeln entſtehn , ſo wie er ſich naht . Verſchwendriſche Feſte ,
Allgemeine , wohlthaͤtige Feſte fuͤr alle Geſchoͤpfe ,
Heben ſich an , zur Ehre fuͤr ihn , des Himmels Mon - archen ,
Welcher dem Bettler am Zaun , und im Palaſte dem Koͤnig ,
Seine Tafel gedeckt , und mit gleichſorgenden Gnaden
Elephanten ernaͤhrt , und Milben ſpeiſet . Die Spu - ren
Seiner Allgegenwart fuͤhlt die Natur . Die Stunde des Mittags
D 4 Nimmt 56 Nimmt die helle Poſaune . Die Fluren horchen ; und alles
Eilt aus Wald , und Waſſer , und Luft zum Gaſtmal des Schoͤpfers .
Hoch ſieht die Sonne vom Himmel herab , und ſcheinet im Laufe
Stille zu ſtehn , der Freude der Erde noch laͤnger zu ſtralen .
Nach ihr blickt der Schaͤfer hinauf , und meldet dem matten
Fragenden Wandrer die Zeit nach ſeiner nie truͤgenden Weltuhr .
Er indeſſen treibet ſein Vieh zum kuͤhleren Schatten ,
Welchen der hohe erwachſene Wald ins reifende Feld wirft ,
Oder welchen ein buſchichter Berg in die Wieſe ſchat - tiret .
Unter dem Ahorn lagert er ſich . Der blumichte Raſen
Jſt ſein Tiſch ; die ſchlechteſte Koſt , durch Arbeit ge - wuͤrzet ,
Schmeckt ihm unter dem Baum . Dann ſieht er mit froͤlichem Auge ,
Wie am rieſelnden Bach die bunt zerſtreueten Heer - den
Jrren ; und ſchoͤpft den ſilbernen Quell , und trinket zufrieden .
Tiefer im Walde weiden die Kuͤh ; die toͤnenden Schel - len
Fuͤllen 57 Fuͤllen mit hohlem Geklingel die lautantwortenden Thaͤ - ler .
Jetzo lagern ſie ſich auf einer umſchatteten Wieſe
Wiederkaͤuend , und ruhen beſchirmt im Dunkel der Eichen .
Selber die Rudel liegen geſtreckt im kuͤhleſten Dickigt ,
Tief im wallenden Gras , das ſie dem Jaͤger verſtecket .
An dem rothen Moraſt , wo ſich der Regen geſammelt ,
Waͤlzt ſich ſchnaubend die Bache mit ihren Jungen ; der Keiler
Wetzet indes am ſplitternden Stamm die grimmigen Waffen ,
Jetzo ſchweigen verſtummt die bunten Saͤnger des Waldes ,
Unter dem Dache von Laub die ſchwuͤlen Stunden vor - uͤber .
Nur der guͤldne Haͤmmerling ſitzt im Haſelgebuͤſche
Auf dem ſchwankenden Aſt , und ſingt den ruhigen Hai - den
Stets eintoͤnig ſein Lied . Jm innerſten dicken Ge - hoͤlze
Schlaͤgt , der ſchmetternde Fink , aus alten hangenden Bu - chen .
Seinen hellen Geſang begleiten der Turteltaube
D 5 Melan - 58 Melancholiſche Klagen , die ihren Geliebten beweinet ,
Den ihr der moͤrdriſche Habicht geraubt . Es picken , und hacken
Hundert Schnaͤbel am moſichten Zweig , und ſuchen ſich Nahrung ,
Oder berauben den Kopf der brennendbluͤhenden Diſtel .
Jn dem ſonnichten Vorholz lauſcht der ſchimmernde Rothſchwanz ,
Und ſchießt nach dem bunten Jnſekt . Nicht glaͤnzende Farben ,
Noch die guͤldenen Schwingen , erretten den Stutzer des Sommers .
Auch die Fuͤrſtin des Saͤngergeſchlechts , die Nachtigall ſchluͤpfet
Jn den Geſtraͤuchen herum ; mit gierigfunkelnden Au - gen
Faͤhrt ſie auf den ſich kruͤmmenden Wurm . Sie ſinget nun nicht mehr
Zaͤrtliche Lieder dem Hain ; und klebt , gleich niedrigen Seelen ,
An der Erde , beſchwert mit Sorgen ſchmutziger Nah - rung ,
Hart von Gefuͤhl ; verſtummt zu edlen harmoniſchen Toͤnen .
So ſang oft , begeiſtert von dir , o himmliſche Tugend ,
Einer bewundernden Welt der Dichter erhabene Lieder :
Doch 59 Doch ſein heuchelndes Herz verleugnet mit niedrigem Leben ,
Was er ſo edel beſang , und kriecht im Staube der La - ſter .
Langſam leitet nunmehr die matten Roſſe der Landmann
Nach dem freundlichen Dorf , das aus dem Schatten der Linden ,
Oder geheiligter Eichen , nach ihm ſuͤßlaͤchelnder aus - ſieht .
Alles koͤmmt vom Felde zuruͤck ; die gluͤhende Dirne
Unter der Laſt von welkenden Klee , eilt , ohne zu ru - hen ,
Jn den winkenden Meyerhof hin . Mit Schweiſſe be - decket
Eilen die heiſſen Geſpanne mit Brauſen unter das Ob - dach .
Nur der emſige Schnitter verachtet die Stralen der Sonne ,
Und maͤht fort ; weit klingt ins Feld die blitzende Senſe ,
Bis das ſinkende Korn in langen Reihen den Acker
Ueberzeichnet . Nun hoͤrt er von fern die fliegenden Schritte
Seines Weibes , welche ſogleich im Schatten der Eiche
Seine Tafel ihm deckt , und von den gluͤhenden Wan - gen
Schweiß 60 Schweiß ihm irocknet , mit Staube vermiſcht ; dann ſetzt er die Flaſche
An den durſtenden Mund , und ißt , zufrieden und gluͤcklich ,
Unter dem rauſchenden Baume ſein Brod mit freyem Gewiſſen .
Auch ſeys nicht der Muſe zu klein , die Tafel des Land - manus
Zu betrachten . Wofern auch nicht bemahlte Confekte ,
Oder Gaͤrten und Schloͤſſer von Zucker die Neubegier reizen :
So verdienen es doch die unverdorbenen Sitten ,
Mit der Treue gepaart , die laͤngſt den Staͤdten ent - flohn ſind .
Hoͤre ! ſie ruft die Glocke bereits mit ſilberner Stimme
Zu dem laͤndlichen Tiſch ; der Dirne ſinken die Haͤnde
Von der Arbeit dahin , und mit gelenkeren Fuͤſſen
Schreitet der Juͤngling vom Stalle herzu . Sie ſetzen ſich alle
Um die Schaale herum , mit einem geſitteten Anſtand ,
Welchen man ſonſt nicht ſo leicht an niedrer Erziehung bemerket .
Oefters ſtralet alsdann von jungen gluͤhenden Wangen
Liebe 61 Liebe hervor , und buhlet auch hier aus ſiegendem Auge .
Denn oft hat die Natur , auf eine der bluͤhenden Dirnen ,
Jhre gluͤcklichſten Reize verſchuͤttet . Mit zierlicher Laͤnge ,
Und mit ſchmaler Geſtalt , durch keine Kleidung er - kuͤnſtelt ,
Nimmt ſie unter den Nymphen ſich aus . Jhr feuri - ger Blick ſchießt
Maͤchtige Stralen umher ; die reichſte Jugend des Dorfes
Putzt ſich allein fuͤr ſie ; ihr ſtreicht die ſchreyende Fie - del
Serenaten in einſamer Nacht ; die bunteſten Straͤuſſer
Fliegen ihr von den Juͤnglingen zu , auch oͤfters am Jahrmarkt
Manches ſchimmernde Band . Sie haͤlt am niederen Landtiſch ,
Durch der Schoͤnheit Gewalt , die rauheſten Sitten in Ordnung .
Sind wohl die Sitten ſo fein am wilden Tiſche des Junkers ?
Mit der Grobheit vermaͤhlt ſitzt er bey theuren Gerich - ten
Unter plumpen ſchmarotzenden Gaͤſten als Witzling be - wundert .
Jn den entweihten Pocal rauſcht Wein , von Dumm - heit vergaͤllet ,
Und 62 Und der verguͤldete Saal toͤnt vom gemeinen Gelaͤchter .
Niedergeſchlagen ſitzet bey ihm die ſittſame Schoͤne ,
Welcher ſein ſchmutziger Scherz mit jedem Worte das Antlitz
Hochroth faͤrbt . Wie wuͤnſcht ſie ſich oft zum ſparſa - men Tiſche
Wieder zuruͤck , wo ehmals ihr Brod die Unſchuld ihr reichte !
Aber ſie wurde zu fruͤh der edelſten Eltern beraubet ,
Und zur Sklavin des Reichthums gemacht . Die zaͤrt - lichſte Roſe
Bluͤht hier vom Unkraut verſteckt ; doch bald wird guͤ - tig der Himmel
Auf ſie blicken ; ſie wieder hervorziehn unter dem Un - kraut ,
Und ihr leidendes Herz mit einem Wuͤrdigen lohnen ,
Der ſie lange gewuͤnſcht , und Tugend und Unſchuld verſtehet .
Doch nicht immer umſchwebt der niedere Scherz - und die Grobheit ,
Mit dem falſchen Geſchmack , die freye Tafel des Land - manns .
Wie begluͤckt iſt Amint auf ſeinem ruhigen Luſtſitz !
Ohne daß er den Namen Maͤcen von Schmeichlern er - kaufet ,
Jſt 63 Jſt er ein wahrer Maͤcen von allen ſchoͤpfriſchen Gei - ſtern .
Jetzo nahet er ſich mit ſeinen wenigen Freunden
Aus dem ſchattichten Hain , wo ſie den Mittag erwar - tet ,
Edle Gefaͤlligkeit geht vor ihm her ; und feinere Sitten ,
Als die Sitten des Hofs , ſind ſeine getreuen Begleiter .
Neben ihm wandelt mit heiterer Stirn die kuͤhnere Muſe
Eines ſich fuͤhlenden Dichters , der ſeine hohen Talente
Nun , durch ihn ermuntert , gebraucht . Auf guͤldener Laute
Sang er ihm goͤttliche Lieder von Lieb , und Freundſchaft , und Tugend .
Als er ihm ſang , da zitterten Thraͤnen von zaͤrtlichen Augen
Seiner Gemahlin und Toͤchter herab . Es rauſchten die Linden
Beyfall zu ; der ſilberne Bach floß langſam voruͤber ;
Lauſchend horchte der Weſt auf duftenden Wolken von Bluͤten ;
Und die Huͤgel lagen umher in friſcherer Anmuth ,
Als der Saͤnger ſo ſang , und aller Herzen entzuͤckte .
Jetzo 64 Jetzo ſetzen ſie ſich zur wohlgeordneten Tafel ;
Freude wuͤrzet das Mahl ; und unter edlen Geſpraͤchen
Eilen die Stunden davon . Auch fehlt der geſellige Scherz nicht ,
Und es rauſcht nicht umſonſt in roſenbekraͤnzete Becher
Deutſcher Nektar vom Rhein , und Saft der burgun - diſchen Traude .
Mancher froͤliche Reim geht um die muntere Tafel ;
Oder ein holder Geſang von Hagedorns maͤchtiger Leyer
Schallt von lieblichen Lippen , und reitzt die Ohren der Kenner .
Dann ergreift die heilige Gluth den Buſen des Dich - ters ,
Der dem beſcheidnen Geſuch des edlen Beſchuͤtzers ge - horchet ,
Und die Leyer ergreift . Bald ſingt er Liebender Kla - gen
Jn die Saiten ; bald fließt mit mehr erhabenen Toͤnen
Das harmoniſche Lob der Tugend . So erndtet er reichlich
Beyfall und Ruhm . Drauf wandelt er fort im dich - triſchen Tiefſinn
Jn den einſamen Hain zu dunkeln geheiligten Schatten ,
Wo 65 Wo er frey von niedern Geſchaͤften , und von der Zer - ſtreuung
Und der Staͤdte Getuͤmmel entfernt , unſterbliche Lieder
Sich erſchaft . Einſt hoͤrt ſie entzuͤckt der Kenner der Nachwelt ,
Segnet ſein Grab , ſtreut Roſen darauf , und lohnt ihm mit Beyfall .
Wenn des Mittags flammende Glut die Himmel entzuͤndet ,
Und der feurige Stral den Schooß der Erde durchdrun - gen ;
Wenn in dem finſterſten Wald ein flimmernder Son - nenblick wandelt ,
Und mit Zittern der Tag zu tiefen Gewoͤlben hinab - ſteigt :
Dann verlaſſen die giftgen Jnſekten die kaͤlteren Hoͤlen ,
Suchen das Licht , und kommen , im Glanze der Son - ne zu ſpielen .
Jm verfallnen Palaſt , und alter Schloͤſſer Ruinen ,
Sonſt vom Stolze bewohnt , blaͤht ſich die fleckigte Kroͤte .
Auch die Eidechs rauſchet vorbey am wuͤſten Gemaͤuer ;
Und die Schlange windet ſich nun aus dunkeler Woh - nung
Zu den Blumengefilden einher ; oft liegt ſie geſchlun - gen
IV . Th. E Unter 66 Unter dem Graſe verſteckt , und ſcheint unfaͤhig zu ſcha - den :
Aber Verderben und Tod ſitzt auf dem giſtigen Kamme ,
Weh dem , der ſie verletzt ! Sie wird ſich grimmiger raͤchen ,
Als die Apuliſche Spinne , von deren durchdringendem Gifte
Nur die maͤchtge Muſik mit wildem Tanze befreyet .
Gluͤckliches Land , in welchem der Mittag mit kuͤhleren Stunden
Ueber die Gegenden herrſcht ! Wo bald verhuͤllende Wolken
Vor der ſengenden Gluth den matten Wanderer ſchir - men ;
Oder ein friſcher faͤchelnder Wind aus Weſten ſich auf - macht ,
Und den Schweißvergieſſenden kuͤhlt . Dann ſinket oft Schlummer
Unter dem ſanften Geraͤuſch der immer lispelnden Eſche
Auf den Schaͤfer herab ; und kraͤftiger hauchen dann um ihn
Aromatiſche Kraͤuter , ſo wie ſie die Wildniß hervor - bringt .
Wenn uns nicht Waͤlder von Zimmt , ſo wie in Jn - dien , duften ,
Uns nicht Ananas ſpeißt , uns nicht der Cocos erfriſchet ;
So 67 So ſperrt auch die ſcheußliche Schlange , die Tyger verſchlinget ,
Hier nicht ihren Rieſenſchlund auf . Gluͤhn unſre Ge - filde
Nicht von paradieſiſchen Aepfeln , und wallen nicht Wolken
Von Orangengeruͤchen , wie in Hesperiens Feldern ,
Ueber unſere Flur , die nur mit Schaͤtzen der Ceres
Sich beſcheidener kleidet : ſo fuͤrchten wir , ſicherer , auch nicht
Scorpionen , bewafnet mit Gift , und wilde Taran - teln .
Die ihr , vor der Sonne beſchirmt , in praͤchtigen Salen
Euren Mittag nunmehr in ſchimmernden Freuden voll - bringet ,
Werfet die Augen auf die , die in der brennenden Hitze
Schweiß vergieſſen fuͤr euch , um euch mit Erndten zu naͤhren .
Eure Felder wimmeln umher von fleißigen Schnittern ,
Und die Wieſen von Maͤhern , die euer Landgut berei - chern .
An dem kalkichten Fels haͤngt von dem Morgen zum Abend
Euer Winzer mit emſiger Hacke , der Reben zu pflegen ,
E 2 Deren 68 Deren blinkender Saft nur eure Becher erfuͤllet .
Ja , vergebens ſpreitet der Wald die friſcheſten Zweige
Um den Koͤhler herum ; der himmelaufdampfende Holz - ſtoß
Schwaͤrzt den gruͤnenden Forſt , und hitzet ihn mehr , als der Mittag ,
Der durch Wolken von Rauch in ſeiner Klarheit ent - ſtellt wird .
Und doch lebt der Koͤhler vergnuͤgt ; die doppelte Hitze
Brennet ihn nicht ; er miſchet den Rauch der dampfen - den Pfeife
Zu dem ſchwarzaufſteigendem Rauch des gluͤhenden Waldes .
Unter dem Strohdach wohnet mit ihm die Unſchuld der Sitten ,
Mit der vergeſſenen Treu , die hier ſich zu ihm geſellet ;
Die Zufriedenheit traͤgt ſein ſchwarzes Brod ihm zu Tiſche ,
Und die Arbeit wuͤrzet den Trank : es ſey nun die Quelle ,
Welche mit murmelnden Fall vor ſeiner Huͤtte vorbey - rauſcht ;
Oder der Ceres ſtaͤrkender Saft , der ſuͤſſer ihm duͤnket ,
Als das perlende Naß von Cyperns Huͤgeln dem Schwel - ger .
Wenn 69 Wenn der Juͤngling , welchen der Trieb in den ſchattichten Wald rief ,
Von dem Wege verirrt , jetzt uͤber die brennenden Hai - den ,
Ganz ermattet vom Stral des Mittags wieder zuruͤck eilt :
O wie ſtaͤrket ihn da der Aushauch duftender Kraͤuter ,
Oder im friſchen Geſtraͤuch der Saft der labenden Erd - beer ,
Welche weit um ſich herum mit ihrem Geruch ſich ver - kuͤndigt .
Nicht Ambroſia koͤnte ſo ſehr den Muͤden erquicken ,
Wenn die erfriſchende Koſt , von einem Maͤdchen ge - pfluͤcket ,
Das hier , wie die Goͤttin des Waldes , ihm ploͤtzlich erſcheinet ,
Aus dem reinlichen Korb in ſeinen Jaͤgerhut regnet .
Schoͤner ſcheinet ihm dann im braunen Kittel das Maͤdchen ,
Und er vergißt die Beſchwerden des Mittags , und fol - get ihr willig ,
Nach dem niedrigen Dach , wo ihre gefaͤlligen Eltern
Jhren zufriedenen Gaſt mit laͤndlichen Speiſen bewir - then ;
Da das Maͤdchen indes ſein Herz auf ewig verwundet ,
E 3 Und 70 Und ihr reizendes Bild in ſeiner Seele zuruͤcklaͤßt .
Jn der bevoͤlkerten Stadt herrſcht nun das Ge - tuͤmmel des Mittags .
Tauſend Stimmen , vermiſcht mit dem Donner der raſſelnden Wagen ,
Wallen uͤber der Stadt , und ſie verſchlingen , wie Wellen
Eines brauſenden Meers , den angelandeten Fremd - ling .
Alles rauſcht in ſeinen Geſchaͤften mit fliegenden Schrit - ten
Bey einander vorbey ; und ſelber der muͤßige Stutzer
Geht vom Spiegel , und eilt , und ſuchet den Anſchein der Arbeit .
Denn entweder flattert er jetzt durch alle die Straſſen ,
Wo ein ſchoͤnes Geſicht den Fuß des Fluͤchtigen hinlockt ;
Oder er ſetzet ſich hin , und opfert dem Gotte des Caf - fee ,
Stammelt die Zeitungen durch , beſtimmt das Schick - ſal Europens ,
Bis Gewinnſucht und Spiel zu ihren Altaͤren ihn fo - dern .
Auf der Boͤrſe verſammelt ſich jetzt der emſige Kauf - mann .
Was die Handlung nur reicht , die ſchimmernden Schaͤ - tze von Ormus ,
Von 71 Von den Bengaliſchen Ufern , der caffeereichen Levante ,
Vom unwirthbaren Nord , in koͤſtliches Peltzwerk ver - huͤllet ;
Von der weſtlichen Welt wo unabſehlich der Plata
Wie ein Ocean ſich in Koͤnigreiche dahinwaͤlzt ;
Da , wo Mexiko prangt ; wo Peru guͤldene Flotten
Nach dem Jberier ſchickt ; der Reichthum ſuͤdlicher Laͤnder .
Alles flieſſet hieher . Brittannien ſchauet monarchiſch
Ueber das ihr gehorchende Meer ; die ſiegende Flagge
Weht an allen Geſtaden der Welt . Der Bataver eyfert ,
Stiller wirkend , ihr nach , und iſt das Wunder Eu - ropens .
Wird der Deutſche denn ſtets , von Vorurtheilen ge - blendet ,
An den Kuͤſten des Meers den Vortheil zur Handlung verſchlummern ?
Haͤlt er es noch fuͤr zu klein , dem Meere Geſetze zu geben ,
Und durch eigenen Fleiß der Erde Schaͤtze zu hohlen ,
Die ihm Belgien borgt , das unſer Silber bereichert ?
E 4 Doch 72 Doch ſieh ! durch das ſtaunende Meer ziehn Preußiſche Flaggen ,
Und wehn zu Germaniens Ruhm in jauchzenden Haͤfen .
Laß mit eitelem Stolz das prahlende China ſich blaͤhen ,
Das ſich mit furchtſamen Schritt nie von der Gewohn - heit entfernet ;
Jmmer erfand , und weiter nie gieng ; es ruͤhmet um - ſonſt ſich ;
Japan zeiget umſonſt auf ſeine thoͤnernen Schaͤtze ;
Unſer ſchoͤpfriſcher Geiſt hat ihre Kuͤnſte verbeſſert .
Jetzt deckt ſich mit meißniſchem Thon die Tafel der Groſſen ,
Eine ſchoͤnre Natur ſcheint hier verbreitet . Die Goͤtter
Koͤnten auf beſſern Gefaͤſſen nicht ſpeiſen . So bluͤhet die Roſe
Kaum am Stock ; kaum ſpielet ſo ſchoͤn die bunte Ra - nunkel
Auf dem kuͤnſtlichen Beet , als hier mit hoͤheren Far - ben
Der durchſichtige Thon , von Meiſterhaͤnden beſeelet .
O wie ungleich theilet die Hand der Vorſicht die Gnaden
Unter die Sterblichen aus ! hier ſitzt der Guͤnſtling des Gluͤckes
Ganz 73 Ganz vom Glanze bedeckt , an ſeiner praͤchtigen Tafel .
Doch kaum ſcheint es ein Tiſch ; es iſt ſein herrlicher Garten
Den die erfindſame Kunſt fuͤr ihn ins Kleine gezogen .
Unter Orangen ſitzen entzuͤckt die ſchimmernden Gaͤſte ,
Und wohlriechendes Naß ſteigt aus den ſanften Fontai - nen .
Meiſſen ſcheinet erſchoͤpft von ſeinen irdenen Schaͤtzen ,
Eine ſo blendende Reih von Schuͤſſeln bedecket die Ta - fel .
Zwanzig Koͤche verbrachten den Morgen , Gerichte zu ſchaffen ,
Die ſein Mund nicht verſucht , und ſein Verlangen nicht aufdeckt .
Alle Weine der Welt bringt ſein verguͤldeter Schenk - tiſch ,
Wie er winket , hervor ; Madera zinſet ihm willig
Seinen Nektar ; hieher ſchickt Cypern ſeine Tribute ,
Porto , Champagne , Tokay , ſind ſeine Tafelprovinzen ,
Und kaum wird ihn vom Rhein der Bacharacher ver - ſuchen .
Laͤufer , Lackeyen , Heyducken , in Sammt und Silber gekleidet ,
E 5 War - 74 Warten auf ſeiner Gaͤſte Befehle ; ſie werden vollzo - gen ,
Wie der Gedanke gewuͤnſcht , und winkende Blicke ge - fodert .
Und ſo trinken ſie , herrlich und groß , dem Abend ent - gegen ;
Wahre Zufriedenheit ſcheint auf ihre Stirnen gezeich - net ,
Und der Poͤbel beneidet das Gluͤck des maͤchtigen Man - nes .
Aber mit ſchaͤrferem Blick ſieht in der Ferne der Weiſe ,
Wie vergebens ſich hier von allen Theilen der Erde
Theure Speiſen zuſammengedraͤngt , und wie er verge - bens
Alle Weine verſucht , um ſeiner Zunge zu ſchmeicheln .
Doch ſein Gefuͤhl iſt dahin ! Sein laͤngſt verdorbener Magen
Muß die Pariſerpaſtete verſchmaͤhn , ſo ſehr auch die Reuter
Mit ihr durch Laͤnder geeilt , um ſeinen Geſchmack zu vergnuͤgen .
Und vor allem vergaͤllt ihm ſein Mahl die Furcht und die Unruh ,
Welche beſtaͤndig um ihn die ſtoͤrenden Schwingen ver - breiten .
Jn den Augen ſitzet der Neid , und der Argwohn , und wachet
Auf 75 Auf die Blicke der andern ; und ſpaͤht die geheimeſten Minen .
So eilt traurig die Zeit mit ſchwerem Schritte vor - uͤber ;
Hier wird Freude zur Quaal , hier iſt der Ueberfluß Mangel .
Wie viel gluͤcklicher ſitzet am Zaun auf blumichten Raſen
Jener , welcher ſein Brod mit Schweiß und Arbeit verdienet !
Den ſein Gewiſſen nicht nagt , und der mit froͤlichem Herzen
Zum erworbenen Mahl , das Hunger und Arbeit ge - wuͤrzet ,
Uuter die Schatten ſich ſetzt von einer vertraulichen Linde .
Vor ihm hat die Natur die Wieſe zum Teppich gebrei - tet ,
Und der Himmel woͤlbet ſich hier um bunte Gefilde .
Als die Decke des praͤchtigen Saals , in welchem er ſpeiſet .
Wenn der Mittag bey ihm mit ſchwuͤlen Luͤften vor - beygeht ,
Und der murmelnde Bach , die immer ſummende Biene ,
Jhn im Schatten der rauſchenden Eſche zum Schlum - mer verfuͤhret :
Sinkt ihm ſorglos das Haupt ; in einem erfreulichen Traume
Sieht 76 Sieht er ſein fleißiges Weib ſein Abendeſſen bereiten ;
Oder er angelt im Traum am Ufer des maͤchtigen Stro - mes
Einen zappelnden Fiſch ; faͤngt auf dem lockenden Heer - de
Voͤgel der ſeltenſten Art , die er dem Staͤdter verkaufet .
Bis er vom nahen Geraͤuſch der Mitarbeiter erwachet ,
Und mit friſcherem Muth in ihre Reihen ſich miſchet .
Unzufriedener waͤlzet ſich jetzt auf ſeidenen Kuͤſſen ,
Da die Sonne tiefer nun ſinkt , die weichliche Schoͤne .
Mit bereitetem Haar , und kuͤnſtlich bluͤhenden Wan - gen ,
Und in reizender Mattigkeit gaͤhnend , erwartet ſie ſeuf - zend
Einen ſchmeichelnden Schlaf , die langen Stunden zu toͤdten .
Lange ſchon liegt ſie , und ſpielt mit roſenfarbenen Schlei - fen ,
Die den wallenden Buſen verſchoͤnern ; auch blaͤttert ſie oͤfters
Jn Romanen herum , und wird zur ſeufzenden Heldin .
Bis ihr Blut ſich erhitzt , und Luftgeſchoͤpfe ſich bildet
Von 77 Von Arkadiſchen Schaͤfern , von ſuͤſſen Platoniſchen Nymphen ;
Und ſie Wolluſt mit Tugend vereint , und Stutzer mit Treue .
Alsdann uͤberlaͤßt ſie ſich ganz den ſreyen Gedanken ,
Welche nun wild durch alle Gebiete der Einbildung ſchwaͤrmen .
Jn dem oͤden Gemach , vom gruͤnen ſichernden Vor - hang
Melancholiſch verhuͤllt , herrſcht eine vertrauliche Stille .
O! wenn dann ihr kuͤhner Amant den Eintritt gefunden ,
Und ſie zu viel im erdichteten Schlaf dem Juͤngling ge - trauet :
Dann iſt oft mit eilenden Fluͤgeln , und weinenden Au - gen
Die beleidigte Keuſchheit von ihr auf ewig entwichen !
Wenn der Mittag nun bald die hoͤhern Bezirke verlaſſen ,
Und dem kuͤhleren Abend ſich naht : dann dampft die Levante
Ueber dem Caffeetiſch auf ; die Goͤttin der leeren Ge - braͤuche
Herrſchet nunmehr . Das ſchimmernde Kleid , der rauſchende Reifrock
Fuͤllt nun Saͤnften oder Caroſſen . Mit tiefer Ver - ſtellung
Eilt 78 Eilt man zu dem Beſuch ; mit ſtetem gezwungenen Laͤ - cheln ,
Und verzognem Geſicht , wird jede Sylbe begleitet .
Schwuͤre von Freundſchaft und Treu , und Reden vol - ler Verehrung ,
Flieſſen von truͤgriſchen Lippen herab , und werden ver - geſſen .
Alles iſt eyfrig bemuͤht , den Stunden Fluͤgel zu geben ;
Thoͤrichte Fragen , und leeres Gewaͤſch , erſchallen im Zimmer ,
Unter dem zierlichen Rauſchen der Faͤcher . Sanft - freundliche Stimmen ,
Die voll Schmaͤhſucht und Neid die reinſten Tugenden ſchwaͤrzen ,
Lautes Gelaͤchter , und trockener Scherz voll Unſinn und Wortſpiel ,
Alles wird unter einander vermiſcht . Ein Chaos , in Aufruhr ,
Wo ſich der Weiſe verliert , und nur der Dummkopf daheim iſt .
Angenehmer flieſſen dem Freunde der Muſen des Mittags
Schwuͤle Stunden im Buͤcherſaal hin . Hier athmet er Ruhe .
Von dem leeren Geraͤuſch der eitlen Beſuche geſondert ,
Und geſtorben fuͤr Narren , und ungehirnte Geſchoͤpfe ,
Unter - 79 Unterhaͤlt er ſich hier mit unterrichtenden Todten .
Bring , o Muſe , mich jetzt zu jener hohen Rotunde ,
Zu der Zierde des Gvelfiſchen Hauſes , und laß mich dort geizig
Schaͤtze ſammeln von Weisheit und Witz , die Nah - rung der Seele .
Laß die ſchoͤpfriſchen Griechen dich unterrichten . Vom Schoͤnen
Hatte kein anderes Volk ſo viel Empfindung . Sie ſind es ,
Unſere Meiſter , die uns mit allen Kuͤnſten bereichert ,
Und , uns Soͤhne der Gothen , zur Spur des Erhabnen geleitet .
Oder beſuche das herrſchende Rom , das unter den Sie - gen
Nicht die Muſen vergaß . Die hohen unſterblichen Lieder
Eines Virgils entzuͤcken noch jetzt ; die Leyer des Flak - kus
Reißt uns jetzo noch hin mit ihren bezaubernden Toͤnen ,
Sey auch nicht zu verwoͤhnt , der alten germaniſchen Barden
Rauhere Stimme zu hoͤren ; ſie , die in der finſteren Dummheit ,
Die ſonſt Deutſchland bedeckt , die ſelaviſchen Feſſel ge - brochen .
Und 80 Und mit ihrem Geſang barbariſche Sitten gemildert .
Philomele ſingt ſo in tiefen ſchauernden Waͤldern
Durch die Nacht der Wildniß ihr Lied , und troͤſtet den Wandrer ,
Welcher im Walde verirrt mit Kummer den Morgen erwartet .
Oft verfolg auch den Weg durch friſche Waͤlder von Eichen
Bis zur Lindenallee , die nach Salzdalum *) Ein berzoal . Braunſchweigiſches Luſtſchloß ; wegen ſeiner Gemaͤldengallerie merkwuͤrdig .
*) dich leitet , Wo die erſchaffende Kunſt in kuͤhlen Gemaͤchern und Hallen
Eine zweyte Natur , beſeelt durch den Pinſel , dir auf - ſtellt .
Welch ein Anblick ! Das ſchwellende Herz ſcheint maͤcht - ger zu fuͤhlen ,
Wenn es den opfernden Abraham **) Von Lievens .
**) ſieht , der voller Entzuͤcken Seinen Jſak umarmt , und mit dem ſprechenden Auge
Dank fuͤr ſeinen Geretteten weint . Mit flammenden Blicken
Haͤlt hier Judiths blutige Hand des aßyriſchen Feld - herrn
Scheuß - 81 Scheußliches Haupt . Dort ſtirbt in Cephalus zittern - dem Arme
Prokris ; *) Vom Guido .
*) und die Schatten des Todes , Cleopatra *) Vom Guido .
*) , decken Dein erblaßtes Geſicht . Von Rubens maͤnnlichem Pinſel
Liegt mit den Nymphen des Waldes Diana ſchlafend . Satyren
Und wolluͤſtige Faunen belauſchen die ſchlummernden Nymphen ;
Bogen und Koͤcher haͤngen umher , und mancherley Wild liegt
Zu der Schlafenden Fuß , das ihre Pfeile getoͤdtet .
Und du , herrliches Denkmal der Kunſt , du , ſiegend , als Venus
Jn der Medicis Saal ; ja ! du biſt Eva ! **) Ein vortrefliches Stuͤck von dem beruͤhmten van der Werſt .
**) So rei - zend Schuf dich des Allmaͤchtigen Hand ; ſo mahlte dich Milton ,
Mit ſo holdem Geſicht , mit ſolchem redenden Auge ,
Mit ſo guͤldnem fliegenden Haar um blendende Huͤften .
IV . Th. F Alſo 82 Alſo wird dir der ſchwuͤlere Sommer des Tages verſchwinden ,
Jn unſchuldigen Freuden auf tauſend Arten veraͤndert .
Setze dich bald zum rieſelnden Quell , der unter dem Felſen ,
Von bejahrten Eichen umhuͤllt , ſtets murmelnd her - vorbricht ;
Oder folge dem ſilbernen Bach , ſo wie er ſich kruͤm - mend
Durch das Thal ſchleicht , bis er zuletzt zum ſtehenden See wird .
Oder ergoͤtzen dich groͤſſere Scenen von weiterer Aus - ſicht ,
So beſuche den Strom , der auf dem ſchwellenden Ruͤ - cken
Schiffe duldet , und Voͤlker begluͤckt durch Segen der Handlung .
So ſah ich den ſchlaͤngelnden Rhein , durch bluͤhende Laͤu - der ,
Seinen aͤndernden Lauf nach Belgiens Kuͤſten verfol - gen .
Und ſo waͤlzt in traͤgerem Lauf der maͤchtige Mayn ſich
Truͤb und leimicht zum Rhein , und gruͤßt die vollen Provinzen ,
Welche Bacchus und Ceres mit ihren Schaͤtzen berei - chern .
So 83 So hab ich im lachenden Thal im Schatten der Erlen
An dem Geſtade der Weſer geſeſſen , und froͤlich die Blicke
Jn der Gegend umher an heitern Scenen geweidet .
Aber wie ſchwaͤrzte ſich bald die Ausſicht mit truͤberen Wolken ,
Als der ſchreckliche Krieg die flammende Fackel erho - ben .
Als das galliſche Heer , auf allen Huͤgeln gelagert ,
Wuͤſteneyen hinter ſich lies , ſo wie es den Weg nahm ;
Oder das brittiſche Roß , wildwiehernd , uͤber die Fluren ,
Die es abgemaͤht , flog ; und Seuche , Hunger und Elend ,
Ueber dem ſeufzenden Lande mit ſchwarzen Fittigen ſchwebten .
Damals , o Elbe ! floſſeſt du auch mit traurigen Wel - len
Durch ſo manche verheerte Provinz ; trugſt eherne Donner ,
Statt der Waarebeladenen Schiffe , vor zagende Staͤdte ,
Und ſahſt Gallier , Hungarn , und Britten an deinen Geſtaden .
F 2 Nur 84 Nur Hammonia ſtand , vom Sturm des Krieges ver - ſchonet ,
Und genoß im Schooſſe der Ruh des guͤldenen Friedens .
Rufe dir , Muſe , noch oft die gluͤcklichen Stunden zu - ruͤcke ,
Wenn der laubichte Gang von hohen woͤlbenden Schat - ten
Dich zum Ufer des praͤchtigen Stroms hinunter gelei - tet .
Niemals wurdeſt du muͤde , die waͤlzenden Wogen zu ſchauen ,
Und mit gierigem Blick dem ſchwellenden Seegel zu folgen ,
Das die Wellen durchſchnitt , und Ueberfluß , Seegen , und Reichthum ,
Zu den Gluͤcklichen brachte , die Freyheit und Hand - lung bereichert .
Schnell verfloſſen dir da des Mittags brennende Stun - den ,
Unter dem laubichten Dach der dich verhuͤllenden Schat - ten ;
Hoͤrteſt , Muſe , nicht mehr die Kriegesfurien bruͤllen ,
Und warſt gluͤcklich im Schooſſe des Friedens , der Ruh , und der Freundſchaft .
Dich zu betrachten , Natur ! wird immer mein Auge beſchaͤftgen .
Mor - 85 Morgen , Mittag , und Abend , und Nacht hat eigene Freuden ,
Welche mich mehr als Ball , und Spiel , und Theater ergoͤtzen .
Und wie koͤnteſt du nicht der Ladung folgen , o Muſe ,
Welche die freundliche Gegend dir ſchickt ; indem dir der Mittag ,
Einen entfernteren Weg mit heiſſem Athem verbietet .
Dort , wo waldichte Hoͤhn den blauen Ruͤcken verbrei - ten .
Und ein friſcherer Weſt von ihrem Gipfel herabhaucht ,
Dorthin lenke den Schritt . Folg immer dem kuͤhleren Thale
Tief in der Berge beſchattete Schooß ; bis laubichte Kruͤmmen
Dich zu der wilden Natur einſamen Theater geleitet .
Hier , wo er uͤber dem Fels der Eſche ſilberne Blaͤtter
Lieblicher lispeln ins Thal , und mahlriſch hangende Straͤuche
Von dem Fuſſe des Bergs in ſpiegelnde Fluthen ſich neigen ;
Hier beut dir von bluͤhendem Moos die Wildniß den Sitz dar ,
F 3 Und 86 Und eroͤfnet vor dir die ernſte ruhige Scene .
Von der ſtuͤrmiſchen Welt iſt dieſe Wuͤſte geſchieden ;
Huͤgel auf Huͤgel , und Felſen auf Fels , verhindern den Mittag ,
Mit dem brennenden Stral die tiefen Thaͤler zu ſengen .
Einoͤde ! ſey mir gegruͤßt ! Du biſt die ſicherſte Zu - flucht
Vor dem Narren voll Witz , und vor der wilden Zer - ſtreuung ,
Welche beſtaͤndig im Laͤrme der Stadt die Seele ver - folget .
Hier iſt die Einſiedeley der Natur ; Hier iſt die Be - hauſung
Melancholiſcher Stille , der Dichtkunſt treueſten Freun - din .
Sey mir gegruͤſſet , o Hain ! Jhr ſanften rieſelnden Quellen ,
Dieſes ſilbernen Bachs , der von den Felſen herabfließt ,
Seyd mir gegruͤßt ! Oft hab ich allhier begeiſtert ge - ſeſſen ,
Von der Natur auf mein Blatt die lachenden Scenen zu ſtehlen ,
Die ich zu ſchildern gewaͤhlt . Hier haſt du oͤfters , o Muſe ,
Dei - 87 Deinen Thomſon , die andre Natur , aufmerkſam ſtu - diret ,
Oder in Miltons Geſang den bluͤhenden Garten von Eden
Mit dem lieblichſten Paar , das je ein Dichter erſchaf - fen ,
Vor dir geſehn . Hier folgteſt du Popen zur Huͤtte des Schaͤfers ;
Saſſeſt um Windſor im Hain ; erforſchteſt mit ihm den Menſchen ,
Oder hoͤrteſt auf brittiſcher Leyer Maͤonides Lieder .
Dreymal gluͤckliches Eyland ! auf welches die guͤl - dene Freyheit
Alle Schaͤtze der Welt mit reichen Haͤnden verſchuͤttet ;
Wo jedwedes Verdienſt von Kenneraugen entdecket ,
Und von ihrem Maͤcen jedwede Muſe beſchuͤtzt wird !
Welchen maͤchtigen Schirm gabſt du der himmliſchen Dichtkunſt !
Und wo fand ſie , von andern verſchmaͤht , ſo ſichere Zuflucht ,
Als in deinen , ihr heiligen Grenzen ? Dort gruͤnet ihr Lorbeer ,
So wie einſt in Graͤciens Boden , an guͤtigen Son - nen .
F 4 Selber 88 Selber der Reichthum , welcher bisher partheyiſch ſein Fuͤllhorn
Vor dem Dichter verſchloß , eroͤfnet es willig , und ſtreuet
Ruhm und Guineen zugleich auf deine bewunderten Barden .
Aber noch leuchtet kein gluͤcklich Geſtirn dem Lieb - ling der Muſen ,
Deutſchland , in dir ! Noch biſt du zu rauh , die feine - ren Kuͤnſte
Griechenlands Stolz , Jtaliens Ruhm , nach Wuͤrden zu ſchaͤtzen .
Wo ſind deine Maͤcene ? Wo ſind die erleuchteten Col - berts ,
Welche jedes Talent nach ſeinem Werthe belohnen ?
Noch gehn unſre Muſen beſchaͤmt um Allmoſen betteln .
Oder ſind ſie zu ſtolz , die Thuͤr der Groſſen zu ſtuͤr - men ;
So bleibt oft der gluͤcklichſte Geiſt in Armuth vergra - ben ,
Und der Unſterblichkeit Sohn ſteht in Geſahr zu verhun - gern .
Und doch biſt du , Germanien , ſchon ein Wunder dem Weiſen ,
Der mit ſtaunendem Blick des Schickſals Wege ver - folget .
Nicht 89 Nicht durch Auguſte beſchuͤtzt , durch keinen Ludwig be - lohnet ,
Steigen doch unter der Laſt des Mangels die feurigſten Geiſter
Zu den Sternen empor , mit ihren erhabnen Geſaͤngen .
Sie ermntern ſich ſelbſt , und ſehn mit edler Verach - tung ,
Daß der Verſchnittne Tauſende nimmt ; daß guͤldene Summen
Jn die Schuͤrze der Taͤnzerin regnen ; und uͤber die Alpen ,
Von Ducaten belaſtet , die feile Saͤngerin heimkehrt .
Sie ertragen gelaſſen den Hohn des glaͤnzenden Dumm - kopfs ,
Welcher die himmliſche Kunſt , die Sprache der Goͤt - ter zu reden ,
Als veraͤchtlich , als unnuͤtz verſchmaͤht . Die Dicht - kunſt ſo unnuͤtz ?
Wohl ! belohnt ſie nur ſo , wie ihr den gaukelnden Taͤn - zer ,
Welcher dem Staate noch weniger nuͤtzt , die Triller des Welſchen ,
Oder die engliſche Kuppel bezahlt . Sind dieſe nicht unnuͤtz ,
O ſo ſind es noch weniger Lieder , der Nachwelt Be - wundrung ,
F 5 Welche 90 Welche das ſchwellende Herz noch mehr zur Tugend erheben .
Und ihr Helden , ihr Groſſen des Staats , ſo eifrig auf Nach ruhm .
Wer kan euch Unſterblichkeit geben ? Der Taͤnzer , der Saͤnger ,
Oder der Dichter , der ſie ſchon oft den Helden verlie - hen .
Wuͤrden , ohne Maͤonides Lied , Achill und Ulyſſes
Nicht in Vergeſſenheit trauren ? Und waͤre der Name Maͤcenas
Ein beſtaͤndiges Lob fuͤr alle Miniſter geworden ,
Wenn nicht Virgil und Horatz den groſſen Namen ver - ewigt ?
Nie ſchwang ſich ein wuͤrdger Regent vom Staube der Fuͤrſten ,
Der nicht die Kuͤnſte geliebt , und dich , o Dichtkunſt , belohnet .
Heilige Namen den Muſen , Auguſt , und Ludwig , und Friedrich !
Friedrich , der du dein nordiſches Reich zum Wunder Europens
Umſchafſt ; jedes Verdienſt , das deinem Auge ſich naͤ - hert ,
Aufnimmſt , ermunterſt , bereicherſt ; der du den Mil - ton der Deutſchen
Zu 91 Zu dir beriefſt ; als Koͤnig ihn lohnſt , als Kenner ihn ſchaͤtzeſt .
Aber ach ! daß traurig vom Thron des wuͤrdigſten Koͤ - nigs
Vor dem galliſchen Witz die deutſche Muſe zuruͤckbebt !
Glaub es , erhabner Monarch , dem patriotiſchen Zu - traun :
Selbſt in Deutſchland , in Preuſſen entſtuͤnde der deut - ſche Voltaire ,
Welcher , wofern ihm dein Lob die Fluͤgel zur Ewigkeit ſtaͤrkte ,
Dich , o Friedrich , auch deutſch , der Unſterblichkeit wuͤrdig , beſaͤnge .
Wo einſt Canitz gebluͤht , kan da kein Arouet werden ?
Doch auch ohne der Groſſen Ermuntrung ; auch ohne die Ehre ,
Welche den Roͤmer erhob , und noch den Britten er - hebet ;
Feurig allein durch eigenen Trieb , erhebt ſich der Deutſche
Mit gewaltigem Flug zur Spitze des heiligen Berges .
Er beſieget den Mangel , indem er nicht Dichter allein iſt ,
Und zwingt durch noch andre Verdienſte das Gluͤck , ihm zu folgen .
So 92 So wie Achill , ergreift er nur dann die harmoniſche Leyer ,
Wenn er im ſtillen Gezelt von groͤſſern Geſchaͤften ſich ausruht .
So hat Haller , wenn ihn nicht mehr Hygea gefeſſelt ,
Dir , o Deutſchland , zum Ruhm unſterbliche Lieder geſungen .
So nimmt Cramer , beſeelt von heiligem Feuer , die Harfe ,
Mit dem Davidiſchen Lied dem Menſchengeſchlechte zu predgen ,
Wenn er nicht mehr an heiliger Staͤte des Ewigen Worte ,
Vor den Groſſen der Welt , ein andrer Chryſoſtomus , redet .
Und ſo ruͤhrt mein Gemmingen auch die ſilbernen Sai - ten ,
Wenn er zum ſtillen Gemach vom Tempel der Themis zuruͤckkehrt .
Selbſt bey der Waffen Geraͤuſch , im blutigen Felde des Krieges
Schlug im einſamen Zelt ein Kleiſt die Doriſche Leyer .
O wie faͤrbt ſich die Wange mit patriotiſcher Freude ,
Daß die Dichtkunſt der Deutſchen ſich ihrem Mittage naͤhert !
Man - 93 Mancher ſeurige Geiſt erhebt die maͤchtigen Schwin - gen ,
Und ſteigt uͤber die niedere Schaar proſaiſcher Saͤnger
Jn die Wolken hinaus . Umſonſt verſuchet die Dumm - heit ,
Jhm die Saͤrke der Fluͤgel , den wahren poetiſchen Aus - druck ,
Zu beſchneiden ; er fuͤhlet die Gluth , die Britten be - ſeelet ,
Folget Albion nach , und laͤßt die Dunſe der Deutſchen
Wider den falſchen Geſchmack vergebliche Klagen ver - athmen .
Hagedorn , zwar du biſt uns entflohn ! Doch lebet dein Ruhm noch
Ewig bey uns ! Du wurdeſt aufs neu der Opitz der Deutſchen ,
So gelaͤutert , ſo ſanft , floß dir das maͤnnliche Lied hin .
Schoͤpfriſcher Milton , wer konte bey uns dich ſchoͤner verewgen ,
Als ein Bodmer und Klopſtock durch ihre bewunderten Lieder .
Die unſterbliche Rowe ſingt aus dem fuͤhlenden Wie - land .
Gellert , der la Fontaine der Deutſchen , noch reiner im Ausdruck ,
Mehr 94 Mehr noch voll vom maͤchtgen Gefuͤhl der himmliſchen Tugend ,
Reißt in Entzuͤckung uns hin mit ſeinem zaubriſchen Liede .
Lichtwehr folgt wetteifernd ihm nach zur Ewigkeit Tempel ,
Gleim , der Deutſchen Anakreon , ſingt , und alles em - pfindet
Wolluſt und Liebe . Neben ihm geht mit harmoniſcher Leyer
Utz. So rieſelt kein Strom in bunten Blumengefil - den ,
Als ſein ſanftes zaͤrtliches Lied . Zu ihnen geſellt ſich
Gerſtenberg ; gauckelt und ſcherzt , gleich einem Zephir , um Blumen ,
Und erheitert des Traurigen Stirn . Arkadiens Sprache
Redet der treue Myrtill , durch dich begeiſtert , o Gaͤrt - ner ;
Und Schmidt mahlt in frommen Jdyllen die heilige Vorwelt .
Er auch , der gluͤckliche Geiſt , der mit der bezaubern - den Proſa
Unter die Dichter ſich miſcht , und ihre Lorbeern errun - gen ;
Gesner ſchildert mit lachendem Pinſel die Freuden der Schaͤfer .
Ram - 95 Ramler , gedrungen und rein in ſeinem feurigen Aus - druck ,
Schwingt ſich , Flakkus , dir nach . Und du , der wuͤr - dige Bruder
Unſers Corneille ; wie fließt , o Schlegel , das gluͤck - liche Lied nicht
Deinem begeiſterten Kiel ! Wie biſt du voller Empfin - dung
Giſeke , wenn dich die Gluth des Dichtergottes beſee - let .
Duſch , im Lehrgedicht ſtark , und du , freymuͤthiger Huber ,
Jhr auch ſeyd Germaniens Ruhm . — Jhr Zierden der Buͤhne ,
Leßing , der du ſo oft durch deine Sara die Thraͤnen
Fuͤhlender Augen entlockſt ; und du , o maͤchtiger Weiſſe ,
Der die zarteſten Saiten der Herzen getroffen ; ihr ſeyd es ,
Deren ſchoͤpfriſcher Geiſt Germaniens Ehre behauptet .
Jhr auch , die ihr zu fruͤh fuͤr unſer Schauſpiel geſtor - ben ,
Kruͤger und Cronegk ! Wie herrſchtet ihr ſchon in zaͤrt - lichen Seelen
Durch die zaubriſche Macht , die euch die Muſen ver - liehen !
Und 96 Und koͤnnt ich dich , Ebert , vergeſſen ? Du , der du die Sprache
Albions dir zum Eigenthum machſt , und unſere Mu - ſen
Mit den herrlichſten Schaͤtzen der dichtriſchen Jnſel be - reicherſt ;
Schau voll Mitleid mit mir auf alle die Reimer her - nieder ,
Welche die Proſa zur Goͤttin erheben ; die Popen ver - kennen ,
Youngs Geſaͤnge verſchmaͤhn , und Miltons Lieder ver - achten .
Die du mir oft im heiligen Hain , im ſchattichten Thale ,
Truͤbe Stunden verſungen , und dich durch Doriſche Lieder
Auf der harmoniſchen Laute zu hoͤhern Geſaͤngen berei - teſt ;
Muſe , prahle mit Recht , wenn du den guͤtigen Bey - fall
Dieſer Kenner erlangſt ; doch prahle noch mehr mit der Freundſchaft
Dieſer erhabenen Geiſter , die zu der Unſterblichkeit ei - len .
Der Abend . Der Abend . IV . Th. G [98] [99] [figure] Sieh ! von ſanfteren Himmeln , und roſenfarbnen Gewoͤlken ,
Senkt ſich der Abend herab . Aus ſeinen blumichten Haaren ,
Und dem friſchen Gewand , verbreiten ſich ſtaͤrkre Ge - ruͤche
Ueber die Flur , den gruͤnenden Wald , und duftende Haiden .
G 2 Ein 100 Ein balſamiſcher Thau ſteigt , von den dunkelern Wieſen ,
Zart und kuͤhlend empor ; und wie ein ruhiges Eden
Lacht , die geſamte Natur , in ihrer neuen Erfriſchung .
Dir , mein Gemmingen , ſucht , das Doriſche Lied zu gefallen ,
Hoͤre mir zu ! Dein Beyfall allein belohnet die Muſe ,
Welche fuͤr dich die Leyer ergreift . Verſag ihr dein Lob nicht ,
Da ſie mit feurigem Muth die Bande der gothiſchen Reime
Abgeworfen ; und ſich mit ungebundenen Schwingen
Von den Sklaven erhebt , die ihre Feſſeln verehren ,
Und vom ſpielenden Reim gezwungne Gedanken erbet - teln .
Sey jetzt dein , und heitre dich auf , indem dich der Abend
Vom Archontiſchen Stuhl , und von dem Geraͤuſche des Vorſaals ,
Jn die dunklen Alleen entlockt ; und Ruhe der Seele
Von dem lachenden Himmel ſich auf den Spatzierenden ausgießt .
Wenn die Sonne nunmehr die muͤden ſchnauben - den Pferde
Nach 101 Nach dem Ocean lenkt , und mildere Stralen herab - ſchießt ;
Wenn der Wandrer beſtuͤrzt den langen gigantiſchen Schatten
Vor ſich erblickt ; und dunkler die Wieſen , und dunkler die Felder
Um das Dorf ſich verbreiten ; und ferne waldichte Ber - ge
Den verkuͤrzten Proſpekt mit blauem Ruͤcken verſchlieſ - ſen :
Alsdann blicket der Abend bereits , mit ſeinem Gefolge ,
An dem Himmel hervor . Jn grauen dichteren Wol - ken ,
Welche ſich um den Geſichtskreis ſetzen , verbirgt er ſein Zepter ,
Bis die Monarchin des Tags die weſtlichen Felder des Himmels
Vor ihm verlaͤßt , und eilt , ſich in die Fluthen zu tau - chen .
Dann ertoͤnet vom Thurm , den in der Ferne der Wan - drer ,
Wie von Golde ſchimmernd , erblickt , die Abendglocke .
Jhrem erfreulichen Schall antworten umliegende Doͤr - fer ,
Bis vom hellen Getoͤs die ganze Gegend ertoͤnet .
Ploͤtzlich entſinkt die Hacke , das Beil , die blitzende Senſe
G 3 Aus 102 Aus der ermuͤdeten Hand . Jm Felde vernimmt es die Dirne ,
Sammelt geſchwinder den Klee in Haufen , und eilet zuruͤcke
Nach dem freundlichen Dorf . Nachlaͤßig ſitzet der Landmann
Queer auf ſeinem ſtolpernden Roß , das , muͤde vom Acker ,
Vor dem knarrenden Pfluge ſich ſchleppt ; er ſelber ver - treibt ſich ,
So wie er fortzieht , die Zeit mit einem froͤlichen Liede ,
Oder er floͤtet der Nachtigall nach , und locket den Vo - gel
Zu dem Wege herzu , und lacht des gelungnen Betru - ges .
Hurtiger treibet vom Berg der Schaͤfer auf ſteinigtes Brachfeld .
Seine Heerde zur Huͤrde , die ihre Schranken ver - ſchlieſſet .
Er lehnt ſich ans irrende Haus , durchzehlet die Heer - den ,
Bis der Abendſtern winkt , und er zur Huͤtte hinein - kriecht .
Ueber die Haide kommen vom Forſt die Kuͤhe , verſam - melt
Um den fleckigten Stier , und folgen dem Hirten , be - laden
Mit der ſuͤſſeſten Milch , dem wahren Reichthum des Landmanns .
Auch 103 Auch der Bauer jaget nunmehr mit wiehernden Noſſen
Jauchzend nach ſeiner Heimath zuruͤck ; die Duͤnſte des Bacchus
Straͤuben ſein Haar ; er druͤckt ſich den Huth in die Augen , und rollet
Ueber den Sand , und Wolken von Staub verfolgen den Wagen
Weit ins Feld . Die Baͤurin , geſchmuͤckt mit Blumen und Kraͤnzen ,
Welche dem Staͤdter das Kleid der Wollenheerde ver - handelt ,
Sieht des Mannes verwegenen Muth , die fliegenden Raͤder ,
Und das ſchaͤumende Roß ; ſie wendet die aͤngſtlichen Blicke
Hinter ſich , bis ſie das Dorf mit klopfenden Herzen erreicht hat .
Und nun rauſcht in den Abendgefilden ein Vorhang von Wolken
Gegen mir auf , und oͤfnet mir ſchnell die praͤchtigſte Scene ,
Tief am Himmel erſcheint mit breitem zitternden Ant - litz ,
Und mit ſanfterem Stral die niederſinkende Sonne .
Jhren Wagen umringt ein Haufen geſelliger Wolken ,
Die ihr lieblicher Glanz mit tauſend Veraͤndrungen faͤrbet .
G 4 Kaum 104 Kaum lacht ſo die ſtreifichte Flur im blumichten Fruͤh - ling ,
Wenn ſie vom fruchtbaren Regen erfriſcht , mit ſpielen - den Farben
Vor des Wanderers Blick am fernen Gehoͤlze vorbey - laͤuft :
Als die himmliſche Flur in wechſelnden Farben jetzt ſchimmert .
Zwar die Sonne tauchet nun ſchon , die Raͤder des Wa - gens ,
Jn den Ocean ein ; doch goͤnnt ſie dem bluͤhenden Erd - kreis
Noch ihr holdes Geſicht bey ihrem lieblichen Abſchied .
Ungern ſcheidet ſie ſich ; mit einem Auge voll Sehn - ſucht
Schaut ſie oͤfters ſich um nach ihrem verlaßnem Ge - biete ,
Welches hinter ihr , wie ſie entweicht , der Abend er - obert .
Ploͤtzlich gerathen dadurch die Voͤgel des Himmels in Aufruhr ,
Als wenn eine Poſaune das Zeichen zum Aufbruch ge - geben .
Und das Abendroth ſteckt das winkende Purpurpanier auf ,
Welches von Weſten ſogleich tief in den Himmel hinab - ſtroͤmt .
Alles erhebt ſich , und ſucht die alte ſichere Zuflucht
Vor 105 Vor der drohenden Nacht , die ſchon im Hinterhalt lauert .
Schreyende Schaaren von Kibitzen ſteigen mit ſilber - nen Fluͤgeln
Von dem ſumpfichten Meer , und kehren ſich gegen die Sonne ,
Laute Zuͤge geſchwaͤtziger Dohlen begeben ſich eilend
Nach der dampfenden Stadt , und laſſen ſich flatternd hernieder
Auf das einſame Dach , und zur bewachſenen Mauer
Eines verfallenen Thurms , von deſſen kahlen Ruinen
Traurig das fremde Gebuͤſch zum fernen Erdreich her - abgruͤnt ,
Andres Gefieder wendet ſich nun zur ſchirmenden Woh - nung
Jn dem dichten Gebuͤſch , und in den dornichten Hecken ,
Oder im woͤlbenden Baum , und in aufgeborſtenen Fel - ſen .
Rings um ſchweigt der grauende Wald ; die einſame Luft ſelbſt
Hoͤrt nicht mehr der Lerche Geſang , und ſcheint nun entvoͤlkert ;
Auſſer daß hier noch und da der melancholiſche Rabe ,
Mit arbeitendem Flug , nach alten mooſichten Eichen
G 5 Seine 106 Seine Reiſe beginnt , und auf ſchnell pfeifendem Fittig
Zum einheimiſchen Teich die Ente wieder zuruͤckkehrt .
Und zum letztenmal blickt die Abſchiednehmende Sonne
Ueber die Flur ; ſie zittert , und ſinkt ! Nun iſt ſie ver - ſchwunden ,
Ploͤtzlich verſchwunden ! — Zwar ſterbende Farben ver - weilen noch etwas
Ueber der daͤmmernden Welt ; doch nimmt das Abend - roth endlich
Seine Standarte hinweg , und ſteckt die naͤchtliche Fahne
An die Zinne des Himmels ; ſie wirft den dichteren Schatten
Ueber die ganze Natur ; es ſinkt der verhuͤllende Vor - hang ,
Und das bunte Theater des Tags veraͤndert ſich ploͤtzlich
Jn viel blaͤſſere Scenen , viel tiefer und dunkler ſchat - tiret .
Jn der bevoͤlkerten Stadt iſt alles in Eil und in Aufruhr .
Wagen auf Wagen rollen heraus mit donnernden Raͤ - dern
Ueber die raſſelnden Bruͤcken , die unter dem Donner erbeben .
Wolken von Menſchen dringen herein ; ein buntes Ge - wimmel
Wallet 107 Wallet unter dem Thor ; ein ſummendes lautes Getoͤſe
Tauſend verſchiedner kreiſchenden Stimmen , vom Wie - hern der Roſſe
Fuͤrchterlich wild untermiſcht , verwirrt und betaͤubet die Ohren .
Rette dich aus dem Getuͤmmel der Stadt , und der rauſchenden Freuden ,
Zu ermuͤdend fuͤr uns , wenn wir ſie lange genoſſen .
Wie ein tobendes Meer hat dich , das wilde Gedraͤnge ,
An ein ſichres Geſtade geworfen . Die ruhige Land - ſchaft
Reicht dir den offenen Arm , und lacht dir voll Anmuth entgegen .
Wende dich , Muſe , mit mir zu Riddagshauſens Ge - filden ,
Wo um den Hain die ſanfteſte Stille des Abends ſich aufhaͤlt .
Sieh ! Wie liegt es verſenkt im Kreiſe der ſchweigenden Waͤlder ,
Welche kein Weſtwind bewegt . Die dunkeln thauich - ten Wieſen
Kleidet ein tieferes Gruͤn ; ſie hauchen dir ſtaͤrkre Ge - ruͤche .
Ueber den Teichen ſchwebet kein Wind ; wie truͤbere Spiegel
Liegen ſie , ruhig und ſtill , weit in die Felder verbrei - tet .
Ernſt 108 Ernſt ſteht in des Alterthums Pracht , das einſame Kloſter
Jn der Waͤlder verborgenem Schoos ; und Birken und Linden
Laſſen es fern vom Geraͤuſch in ihren Umarmungen ru - hen .
Und mich duͤnkt , es winket dir zu . Ein heiliger Schauer ,
Welcher mich maͤchtig ergreift , fuͤhrt mich mit zaubern - der Kraft fort
Jn den geweihten Bezirk , zur Andacht heiligen Woh - nung .
Folge dem inneren Ruf , und geh in einſamen Gaͤngen
An den Teichen umher , in ſuͤſſem Tiefſinn verſunken ;
Wo mit zackigtem Zweig , der melancholſche Wacholder ,
Nach dem weiblichen Baum ſich mahlriſch traurig her - abneigt ;
Oder ſind dir Gedanken von ernſterer Art nicht zuwi - der ;
So geh unter das prachtloſe Dach , und athme begierig
Jn den Gaͤngen die Kloſterluft ein , die oͤfters der Seele
Heilſamer iſt , als keuchender Bruſt die reinere Land - luft ,
Wenn uns ein ſchleichendes Gift die tobenden Adern entzuͤndet .
Hier 109 Hier kanſt du die Schwachheit der Tugend mit Todes - gedanken ,
Mit dem Balſam der Froͤmmigkeit , heilen , wofern du nicht voͤllig
Unter den Freuden der Welt die goͤttliche Weisheit ver - lohren .
Und ſey ja nicht zu ſtolz , dem Moͤnch zur Hora zu folgen .
Wenn der ſilberne Schall zur Abendfeyer ihn rufet .
Niedriger Stolzer ! ſie ruft auch dich ! Kan jemals der Menſchſtaub
Gegen den Herrſcher der Welt genug zur Erde ſich nei - gen ?
Sey mir gegruͤßt , eroͤfneter Tempel ! Jch ſegne dich , Stunde ,
Da ich mein ſtilles Gebet mit zu den Hymnen ver - ſammle ,
Welche der Gottheit zum Ruhm hier ſeit Jahrhunder - ten toͤnen .
Hoͤr ich es ? Oder betriegt mich ein Traum ? Jndem ich begeiſtert ,
Und in Andacht verſenkt , hier auf dem laͤndlichen Al - tar
Mit freywilliger Hand mein Abendopfer verbrenne :
Da eroͤfnen ſich ſtralende Wolken mir uͤber dem Haupte ,
Und der Himmel ſteiget herab . Die Schaaren der Engel
Miſchen 110 Miſchen ihr jauchzendes Lied zu unſern antwortenden Choͤren .
Eine balſamiſche Luft ſinkt von dem Fittig des Abends
Auf die Erde herab , und macht die daͤmmernden Stun - den
Bis zum voͤlligen Einbruch der Nacht dem Wanderer ſchaͤtzbar .
Laß ſie doch nicht in der Stadt , im dumpfichten Zim - mer , verflieſſen ;
Ob dir gleich die todte Tapete nachahmend die Flur zeigt ,
Und ein munterer Wald an deinen Waͤnden ſich aus - ſtreckt .
Eine Tapete , viel hoͤher gefaͤrbt mit lebendigen Far - ben ,
Hat die reiche Natur auf jede Wieſe gebreitet ;
Jedes Ufer des Bachs mit Blumenſchmelze gezieret ,
Und den friſcheſten Hain um liebliche Huͤgel gezogen .
Folge dem aromatiſchen Hauch des heiterſten Abends ,
Und geh tief in das Land . Verfolg entweder den Feld - bach ,
Welcher ſich ſtill in die Au mit krummen Maͤandern hinabſchlingt ;
Oder begieb dich zum innerſten Forſt , wo ſtark , wie Orangen ,
Und 111 Und geſunder dem Haupt , die Kraͤuter des Waldes dir duften .
Nimm auch oͤfters den Weg zu jenem buſchichten Huͤ - gel ,
Den dir von fern die zackichte Tanne bezeichnet . Vom Abhang
Laß die Blicke von da weit in die Gegenden ſchweiſen ,
Die mit dem letzten ſcheidenden Stral die Sonne ver - guͤldet .
Welch ein holder Proſpekt ! Tief in dem freundlichen Schutze
Hoher vertraulicher Linden entdeck ich ruhige Doͤrfer ;
Und der Meyerhof guckt nur halb aus Erlengebuͤſchen .
Dort dehnt ſich die praͤchtige Stadt am ſchlaͤngelnden Strom aus ,
Und verhuͤllet ihr Haupt in dunkler werdenden Wolken .
Einzelne Roſſe weiden nur noch auf ſumpfichten Wieſen ,
Und ihr Huͤter entweicht zu einem ſchirmenden Eich - baum ,
Wo er nunmehr den ſchlafenden Funken zur lodernden Gluth macht ,
Und ſich die ſchleichende Zeit mit einem Geſange ver - kuͤrzet .
Liebſt du vielleicht noch tiefere Stille : ſo ſteige herun - ter
Jn 112 Jn das melancholiſche Thal , wo hangende Felſen
Ueber den See ſich geneigt , und Eſchen , am oͤden Ge - ſtade
Mit dem Weſtwind in ſtetem Geſchwaͤtz , die Stunden dir kuͤrzen .
Ein geſicherter Ort vor aller Verfolgung der Thoren ,
Und die Zuflucht fuͤr die , die gern die Einoͤde lieben ,
Und , in ruhigen Tieſſinn verſenkt , der unſterblichen Seele
Unterredungen hoͤren von Grosmuth und himmliſcher Tugend .
Wenn nicht etwan ein weiſer Geſang von wuͤrdigen Dichtern
Jhr Gedaͤchtniß erfuͤllt , und ſie in ſuͤſſer Entzuͤckung
Engelsſtimmen vernehmen , die ihre Geiſter erheben .
Dieſen entlegenen Ort liebt auch der traurige Juͤngling ,
Welcher ſein Maͤdchen beweint , zu fruͤh vom Tod ihm entriſſen .
Die romantiſche Gegend , die tiefe ſchauernde Stille ,
Ladet voll Mitleid ihn ein , und ſchmeichelt ſeiner Be - truͤbniß .
Dann erſcheinet vor ihm der Theureſten Todtenurne ,
Die 113 Die er umarmt mit ſtuͤrmiſchen Thraͤnen und zaͤrtlichen Seufzern .
Oder er hoͤrt noch entzuͤckt die ſuͤſſe harmoniſche Stim - me ,
Und ſieht ihre verklaͤrte Geſtalt ihm laͤchelnd vorbey - gehn ,
Bis das Traumbild entflieht , und ſeine Vernunft ſich erhellet .
Und doch iſt er gluͤcklicher noch , als jener Verlaßne ,
Welcher noch mehr als den Tod — die Untreu des Maͤdchens beweinet .
Sein gefoltertes Herz ſcheint in der traurigen Wuͤſte
Einige Ruhe zu finden ; ihm ſind die hangenden Felſen ,
Und das grauſende Thal , ein ſympathetiſcher Anblick ,
Denn ein Eden wuͤrde noch mehr in Schwermuth ihn ſtuͤrzen .
Unter dem Einfluß von guͤtigen Sternen iſt jener gebohren ,
Welchen , mit ſeiner Geliebten vereint , ein heiterer Abend
IV . Th. H Unter 114 Unter die Schatten begleitet , wo Ruh , und Sicher - heit lauſchen .
Welche Zaͤrtlichkeit blickt aus ihren begeiſterten Augen !
Dieſer harmoniſche Zug , der ihre Seelen gefeſſelt ,
Steigt in die Mienen empor , und lispelt aus jeglichem Worte .
Auf ſie ſchuͤttet der ſpielende Weſt die reineſten Duͤfte ;
Lieblicher hauchen die Roſen um ſie , und lieblicher liegen
Alle Huͤgel umher , die ihre Schritte beſuchen .
Aber wer kan die Wolluſt beſchreiben , nur Sterbli - chen fuͤhlbar ,
Deren erhabner Geiſt aus feinerem Aether geformt iſt .
Leihe mir deinen Geſang , du , die du jetzt unter den Schatten
Mit dem zaubriſchen Lied die einſame Gegend erfreueſt .
Koͤnt ich , Philomele , wie du , mit maͤchtgen Accenten ,
Welche 115 Welche die Liebe beſeelt , die gluͤckliche Liebe beſingen !
Wie entzuͤckt dein holder Geſang ein fuͤhlendes Herz nicht ,
Wenn du am Abend aus ſchlummernden Lauben dem horchenden Weſtwind
Deine Seufzer verhauchſt , und tief im ruhigen Walde
Den erwachenden Wiederhall lehrſt , bis ſchmachtende Triller
Jmmer ſterbender ſich mit lispelnden Luͤften vermi - ſchen .
Alsdann druͤckt mit frohem Entzuͤcken der gluͤckliche Juͤngling
Seiner Schoͤne die Hand , und kennt nichts , was er beneidet .
Jetzt , da die ganze Natur ein herrlicher Garten geworden ,
Will ich geitzig den Duft der Felder voll bluͤhender Boh - nen
Einziehn . Welch ein Geruch ! Wie ſtreut in goldenen Saͤlen
Das mit Kraͤutern gefuͤllte Gefaͤß die Duͤfte nur ſchwach aus ,
H 2 Die 116 Die ich hier athme . Der Lenz , die Stille des Abends , die Ruhe
Meines zufriednen Gemuͤths , erfuͤllt mich mit Wonn und Entzuͤckung .
Alles lacht Anmuth fuͤr mich . Jn lieblicher Daͤmme - rung liegen
Weite Waͤlder vor mir . Ein blauer Guͤrtel von Ber - gen
Miſcht ſich unter die Wolken , und ſchließt die langen Proſpek [te ] .
Und vor allem entdeck ich von fern , ehrwuͤrdig im Dunkel ,
Den gebirgichten Harz ; und mit den Wolken benach - bart ,
Sein vorragendes Haupt , den praͤchtigen Melibokus .
Laſt uns dort das rauhere Thal , o Muſe , beſu - chen ,
Und am hangenden Fels , in langen ſchrecklichen Waͤl - dern ,
Kuͤhn einhergehn , und mit zur froͤlichen Knappſchaft uns miſchen .
Ein zufriedenes Volk , obgleich ein ſparſamer Himmel
Ueber 117 Ueber den traurenden Thaͤlern haͤngt ; die ſelten die Sonne
Guͤtig beſucht ; in welchen noch nie der ackernde Land - mann
Furchen gezogen ; die Ceres vergißt , und Bacchus nicht kennet .
Von dem Marmorgeſtein neigt ſich die zitternde Tanne
Ueber die ſchreckliche Tiefe herab , und hoͤret die Bude
Unten im ſteinichten Thal die ſchallenden Fluthen er - gieſſen .
So wie ſie veroͤdete Berge wohlthaͤtig vorbeyfließt ,
Laͤßt an ihren Geſtaden der Genius uͤber die Gruben
Muͤhlen , und Huͤtten , und Puchwerk entſtehn . Vom Raſſeln der Raͤder ,
Von dem Pfeifen der Baͤlge , vom wilden Donner des Hammers ,
Schallt ein lautes vermiſchtes Gebruͤll in die hohlen Gebirge ,
Und die Gegend umher erſuͤllt ein betaͤubender Nach - hall .
H 3 Nie 118 Nie ermuͤdet Vulkan , den hohen Ofen zu feuern ,
Welcher in unaufhoͤrlichen Stroͤmen von gluͤhenden Ei - ſen
Sich ergieſſet . Jndes daß bey der verſengenden Hitze
Munter der Huͤttenmann geht . Jhm fahren die ſpruͤ - henden Funken
Um das blaſſe Geſicht , und Flammen folgen dem Fuß - tritt .
Knieend , ſtoͤhnend , gewinnt der Bergmann in tiefen Gebirgen
Flimmerndes Erzt ; laͤßt , dunkelgewoͤhnt , die Freuden des Tages ,
Und den Wechſel des Jahrs vergeblich uͤber ſich wan - deln .
Jhn beſucht nicht der Glanz des lieblichen Morgens . Der Abend
Steigt nicht in die Tiefe hinab . Das Grubenlicht ſtreuet
Seinen ſterbenden Schein durch unterirdiſche Daͤmpfe
Freudenlos um ihn herum , und mit unſaͤglicher Arbeit
Sucht 119 Sucht er im harten Geſtein die oft verſchwindenden Gaͤnge .
Gluͤcklich , wenn ihn nur nicht die ſchaͤdlichen Wetter erſticken ,
Oder der Gruben giftiger Dunſt zum Schatten ihn doͤrret !
Oftmals ſtuͤrzt er herab von halbvermoderten Farthen ;
Eine verraͤthriſche Wand ſchießt ein ; begraͤbt ihn im Erzte ,
Oder zu fruͤh entzuͤndetes Pulver erſchlaͤgt ihn mit Felſen .
Alles dies hindert ihn nicht , die finſtre Grube zu lie - ben ,
Und zu ſparſamen Brod oft nur die Quelle zu trinken ;
So viel wirkt Erziehung in ihm , und Liebe zur Frey - heit .
Kaum gebohren , wandert er ſchon als Knabe , zufrie - den ,
Obgleich barfuß , uͤber den Schnee , und bettelt mit Liedern ,
Welche die rauhe Muſik der einfachen Zyther begleitet .
H 4 Ziert 120 Ziert der Schachthuth ihn dann , ſo waͤhlt er ſich unter den Nymphen
Seiner Gegenden die , die ſeine Begierden entzuͤndet ;
Lebt zufrieden mit ihr , obgleich ſein duͤrftiger Lohn ihm
Kaum das Noͤthigſte reicht . Jſt dann die Stunde der Arbeit
Bey ihm vorbey ; ſo eilet er ſchnell zum froͤhlichen Wirthshaus ,
Nimmt da jauchzend das Horn , die Geige , Schallmey , und die Zyther ,
Singt ſein Berglied dazu , und laͤßt den taumelnden Becher
Niemals leer von ſtaͤrkender Goſe : ſo daß die Gebirge
Weit um ihn her von Muſik , und Tanz , und Jauch - zen erſchallen .
Mit dir , Giſeke , war mir im Harz ein laͤngerer Abend
Nicht zuwider , wenn uͤber dem Hain ſchneeſchimmern - der Tannen
Freundlich der ſilberne Mond ſich erhub ; und lauter die Bude
H 4 Hinter 121 Hinter uns rauſchte . Dann ſtrichen wir fort durch ſteinichte Haiden ,
Oder durch finſtres Fichtengebuͤſch , zum Dorfe hernie - der ,
Welches mit moſichten Huͤtten im einſamen Thale zer - ſtreut lag .
Da empfieng uns mit freundlichem Blick die treue Gefaͤhrtin ,
Die dir der Himmel geſchenkt . Jn ihrer Liebe begluͤ - cket
War dir die ſchreckliche Gegend ſo ſchoͤn , als irgend ein Tempe .
Eine Forelle hatte der Bach zu Tiſch dir geliefert ,
Oder der Forſt ein leckeres Wild . Vertraute Geſpraͤche
Wuͤrzten den blinkenden Wein , den keine Gewinnſucht geſchwefelt .
O wie waren wir da im oͤden Thale zufrieden ,
Wenn auf hellem Gewoͤlk die Freundſchaft uͤber uns ſchwebte ,
Und der laute ſichere Scherz ſich zu uns geſellte !
H 5 Man - 122 Mancher Abend flog da , mit allzueilenden Fluͤgeln ,
Ueber uns weg ; uns fehlte da nichts zu groͤſſerm Ver - gnuͤgen ,
Als die Geſellſchaft der Freunde , von denen das Schick - ſal uns trennte .
Tiefere Schatten fallen nunmehr in dichteren Zir - keln
Ueber die Flaͤche der Dinge , die immer dunkeler wer - den .
Nach und nach verſchlinget , die Schoos gethuͤrmeter Wolken ,
Auch die letzten Stralen des Lichts ; die dickere Daͤmm - rung
Menget Felder und Hain und Wieſen unter einander .
Kuͤhner leitet der Hirſch aus dicken Waͤldern die Rudel
Ueber die Haiden zur gruͤnenden Flur . Umſonſt hat der Landmann
Seine Saaten umzaͤunt , und ſie mit Federn umzogen ,
Oder ein Schreckbild von Stroh in ſeinen Gefilden er - richtet :
Sie 123 Sie verachten die leere Geſtalt , und wandeln gemaͤch - lich
Jn dem Acker herum , und richten die kuͤnftigen Ernd - ten ,
Mit ſo vieler Arbeit erpfluͤgt , auf einmal zu Grunde .
Laſt doch dieſe die Jagd mit allem Donner verfolgen ,
Wenn ſie , zu haͤufig vermehrt , des Landmanns Reich - thum verwuͤſten !
O wie wird der Unterthan nicht , ihr Fuͤrſten , euch ſegnen ,
Wenn am Abend der Wald von euren Jaͤgern umringt wird ;
Feuer die Fliehenden jagt , und durch ein gluͤckliches Treiben
Euer von Waͤnden umzingelter Forſt die Bruͤllenden einſchließt .
Wenn Aurora darauf die oͤſtlichen Wolken bepurpert :
Alsdann laſſet von Thal zu Thal das Jagdgeſchrey toͤ - nen ,
Bis die ſchuͤchterne Schaar vor eurem Gezelte vorbey - fliegt ,
Und 124 Und ſie ein toͤdtlicher Regen von pfeifenden Kugeln er - eilet ,
Oder die borſtige Sau in blinkende Lanzen ſich ſtuͤrzet .
Wann dann Reh , und Keiler , und Hirſch , im ſchwei - ſichten Graſe
Liegen , und froͤhlich die Reih der Jaͤger vom Holze zuruͤckkoͤmmt ;
Wenn das Hifthorn ertoͤnt ; die Hunde bellen ; und Echo
Ringsum das wilde Geſchrey der horchenden Gegend verkuͤndigt :
Dann iſt dieſe ſonſt grauſame Luſt die edelſte Wohlthat ,
Welche den Landmann begluͤckt , und eurer Hoheit ge - maͤß iſt .
Von den guͤnſtigen Schatten gelockt , begiebt ſich das Raubthier
Aus dem geſicherten Bau in unabſehlichen Waͤldern .
Hungrig trabet der Wolf zu nahgelegnen Gefilden ,
Und belauſchet die Heerde von fern mit blutgem Ver - gnuͤgen .
Doch 125 Doch bald faͤllt ihm der Muth . Er hoͤrt die wachſa - men Hunde
Laut anſchlagen , und oft um die niedere Huͤrde herum - gehn .
Jm verſchloſſenen Stall , und hoch auf ſichernden Bal - ken ,
Sitzt , vertraulich umringt von ſeinen Weibern , der Haushahn .
Merkt er unten den lauſchenden Fuchs , den diebiſchen Marder ;
Alsdann hebt er ſein Feldgeſchrey an , das oͤfters die Raͤuber ,
Die ihn mit Neid in Sicherheit ſehn , vom Hofe ver - ſcheuchet .
Aus der dumpfichten Kluft , den Felſenritzen , dem Schorſtein ,
Schwinget die Fledermaus ſich auf duͤnnem ruſichten Fittig
Jn die niedere Luft . Mit weit verſpreiteten Schwin - gen
Rauſcht die Eule vom Thurm , und henlt vom einſa - men Kirchdach
Jhren gefuͤrchteten Todtengeſang . Die ſchwache Ma - trone
Zittert 126 Zittert voll Ahndung , und duͤnket ſich ſchon am Rande des Grabes .
Aber der kluͤgere Wirth verachtet ihr aͤchzendes Klag - lied ,
Und verſchanzet mit groͤſſerem Fleiß die Wohnung der Tauben .
Denn ſie iſt immer die Feindin der Unſchuld , und hat oft den Gatten
Von der Seite der Taͤubin geraubt ; mit ſtuͤrmiſchen Fluͤgeln
Schoß die erſchrockene Schaar aus ihrer entweihten Behauſung ,
Und kam lange nicht wieder zuruͤck , bis Locken und Schmeicheln
Die Verjagten aufs neu zum vorigen Aufenthalt brachte .
Jetzt entfaltet das Nachtinſekt die mehlichten Fluͤgel ,
Schießt nach der brennenden Kerze des einſamen Wei - ſen , und gauckelt
Um die Flammen herum , bis ſeine Schwingen ver - ſengt ſind .
Laͤngſt des Juͤnglings aͤhnliches Bild , der gauckelnd und flatternd
Um 127 Um die Wolluſt ſich dringt , bis ihn Verderben ergrif - fen ,
Und er zum Elend hinab , verbrannt und fluͤgellos , ſtuͤrzet .
Und nun entſinkt aus laͤßiger Hand dem Kuͤnſtler der Hammer ,
Und die erfindſame Nadel , und jedes geſchaͤftige Werk - zeug
Wird bey Seite gelegt , da frohere Stunden erſcheinen .
Jetzo trinkt er die freyere Luft des heiteren Abends ,
Schaut neugierig umher , verhuͤllt von virginiſchen Daͤmpfen ;
Oder er wandelt auch fort zu einer vertrauten Ver - ſammlung ,
Wo bey ſchaͤumendem Bier der ſchwerere Bacchus das Wort fuͤhrt ;
Wo der politiſche Thor in Staatsgeſchaͤfte ſich miſchet ,
Feldherrn tadelt , und Schlachten gewinnt , und Laͤn - der erobert .
Da indeſſen ſein Weib die Nachbarinnen beſuchet ,
Wo 128 Wo ein plaudernder Kreis ſich um die Schwaͤtzerin ſchlieſſet ,
Welche die Schmaͤhſucht erhitzt . Wenn dann der Re - gen den Abend
Noch langweiliger macht , und jede Verleumdung er - ſchoͤpft iſt :
Dann geht oft die Geſpenſtergeſchichte , mit mancher Erdichtung ,
Jn der Geſellſchaft herum , bis ſchnell ein paniſches Schrecken
Naͤher zuſammen ſie bringt , und Schauder uͤber ſie ausgießt .
Laß nur immer den weſtlichen Sturm auf brau - ſenden Schwingen
Ueber uns ſchweben ; auf Muͤßige nur ſtroͤmt Unmuth und Gaͤhnen
Aus dem geoͤfneten Horn der Langenweile hernieder .
Nie wird uͤber die Laͤnge des Abends der Gluͤckliche murren ,
Welcher ſich ſelber Geſellſchaft , und mit den Muſen bekannt iſt ,
Oder bey Zeiten gelernt , mit weiſen Todten zu reden .
Oefters 129 Oefters ſollen die Stunden alsdann mit Freunden ver - flieſſen ,
Deren harmoniſche Seelen zu meiner Seele geſtimmt ſind .
Unſer ernſtes Geſpraͤch ſoll bald die Schoͤnheit der Tu - gend ,
Und das Lob der Weisheit erhoͤhn ; bald ſoll uns die Freundſchaft ,
Unter geſelligem Scherz , zu bluͤhenden Lauben beglei - ten ,
Wo ſich die Freude die Wohnung gewaͤhlt . Hier wol - len wir ſingen ,
Und zufriedener ſeyn , als arme Reiche bey Schaͤtzen ,
Und der verguͤldete Thor in unſchmackhafter Zerſtreuung .
Dann , mein Kirchmann kamſt du zu mir , mit redli - chem Herzen ,
Munterem Witz , und erſuͤllt von allen Schaͤtzen der Weisheit .
O wie waren wir gluͤcklich ! Wie floß vertraulich der Abend
Ueber uns weg , indem uns Geſpraͤche voll feuriger Freundſchaft
IV . Th. J Unter - 130 Unterhielten . Da hoͤrteſt du oft mit Beyfall der Muſe
Furchtſames Lied ; dann fuͤhrteſt du mich , auf blumichten Wegen ,
Zu dem geheiligten Tempel der ewigen Wahrheit . Wie ploͤtzlich
Jſt dies Gluͤck mir entflohn ! Dir winkte die Vorſicht , du eilteſt
Jn der Unſterblichkeit Schoos , und wurdeſt belohnet . Jhr Thraͤnen ,
Fließt voll Wehmuth nicht mehr ! er wurde belohnet . Du , Aſche
Seiner Gebeine , ruh ſanft ! Umſchattet ſie , rauſchende Linden !
Laß , o ewige Vorſicht , mir noch die wenigen Ed - len ,
Welche die Ehre der Freundſchaft ſind , damit ſie die Bahn mir
Dieſes fluͤchtigen Lebens erheitern . Du Gaͤrtner , und Ebert ,
Laſt uns noch oft des Abends genieſſen , eh unſer Ge - ſchick uns
Von einander getrennt . Was hat die Erde fuͤr Gluͤck nicht
Durch 131 Durch die Freundſchaft ! Eilig entfliehn die traurigen Stunden ,
Wenn ſie uns lacht ; dann ſind wir zufrieden , und ſpot - ten der Sorge .
Oftmals wollen wir auch in unſre geheime Verſamm - lung
Fremde laden , die immer fuͤr uns zum Vergnuͤgen be - reit ſind .
Ohne Zauberſtab fuͤhren wir ſie zuruͤck von den Todten .
Uns wird nicht der Grieche verſchmaͤhn ; auch wird ſich der Roͤmer
Gern geſellen zu uns . Doch ſoll uns vor allen der Britte
Mit dem erhabnen Geſang zu gleichen Verſuchen begei - ſtern .
Milton ſchlage fuͤr uns die hohe harmoniſche Harfe ;
Pope ſoll unter uns lehren ; und jener wuͤrdige Barde ,
Young , auch in dem deutſchen Gewande den Kenner entzuͤcken .
Da indes der mahlende Thomſon , ein maͤchtiger Zaubrer ,
J 2 So , 132 So , wie ich will , im Gemach mir alle Zeiten des Jahrs ſchafft ,
Und dem Winter zu ſtuͤrmen , dem Lenze zu laͤcheln , gebietet .
Oft ſoll auch mit Roſen gekraͤnzt der froͤhliche Becher
Unſern Abend erheitern , wenn wir mit freyem Ge - laͤchter
Ueber den Narren voll Witz die traurigen Sorgen ver - geſſen .
Rauſchende Freuden beginnen nunmehr , im Saale der Groſſen .
Unter dem Glanz unzaͤhliger Kerzen entſtehet ein neuer
Hellerer Tag. Der Stolz und die Pracht , und die trunkene Wolluſt ,
Herrſchen in jedem Gemach . Die Maskerade verſam - melt
Schwaͤrmende Larven zum Tanz . Das Spiel erhebet ſein Zepter ,
Und ſchnell ſind die Tiſche beſetzt . Der rauſchende Reifrock ,
Ernſte Peruͤcken , das Kriegergewand , die blitzende Weſte ,
Alles 133 Alles dringet herzu . Sie fuͤhrt die blaſſe Gewinnſucht ,
Und die Hofnung zu Gold . Verzweifelung ſchleudert die Karten
Jn das Gemach ; die Beutel ſind leer ; die quaͤlende Reue
Naht ſich herzu ; und Fluchen und Klagen erſchallet im Zimmer .
Jn der reicheren Stadt ſteckt auch am Abend das Schauſpiel
Seinen Federbuſch auf , und ruft zur Schule der Sit - ten .
Hermann haͤngt im Triumph , die uͤberwundenen Ad - ler ,
An die heiligen Eichen der deutſchen Freyheit zum Opfer .
Dido (†) Trauerſpiele vom ſeel . Profeſſor Schlegel .
(†) weint vergebliche Klagen . Die ſterbende (*) Von Herrn Leßing .
(*) Sara Schwellt das Mitleid herauf zu unſerm thraͤnenden Au - ge .
J 3 Lor - 134 Lorchen (*) Die zaͤrtlichen Schweſtern , vom Herrn Profeſſor Gellert .
(*) und Caroline bezaubern mit aller der An - muth , Die dem erhabnen Gemuͤth die edelſte Tugend ertheilet .
Und der deutſche Myrtill (**) Die gepruͤfte Treu , vom Herrn Prof. Gaͤrtner .
(**) und Sylvia reden die Sprache Einer gelaͤuterten Liebe , des alten Arkadiens wuͤrdig .
Doch wie ſelten vergoͤnnt uns dieſe Freuden das Schick - ſal ,
Welches noch immer mit eiſerner Hand den Deutſchen zuruͤckhaͤlt ,
Und auch jetzt noch zum Sklaven ihn macht von allem , was fremd iſt !
Unter viel hundert maͤchtigen Staͤdten , die alle ſich ſchmeicheln ,
Jn der beguͤterten Schoos die feineren Sitten zu naͤh - ren ;
Jſt kaum Eine , die kuͤhn genug iſt , die eigene Buͤhne
Zu 135 Zu ermuntern , zu ſchuͤtzen , und zu belohnen . Wie elend
Jrrt die verlaſſene Schaar , die mit geſchickten Talen - ten
Unſer Lachen erweckt , und unſre Thraͤnen entlocket ,
Durch ganz Deutſchland umher ; und wird durch Man - gel gezwungen ,
Wider ihr beßres Gefuͤhl des Poͤbels Geſchmacke zu froͤhnen .
Jſt denn keiner von euch , ihr Fuͤrſten Germaniens ? keiner ,
Der die verachtete Kunſt durch ſeinen maͤchtigen Bey - ſtand
Zu ermuntern gedaͤchte ? Wie ? Jhr , Germaniens Zierden ,
Die ihr ſo oft der Gallier Heer durch Deutſche geſchla - gen ,
Deutſch ſo wuͤrdig oft denkt , und , deutſch auch , edel euch ausdruͤckt ;
Wie ? Jhr ſchaͤmt euch , Deutſche zu ſeyn ; und hohlet den Fremden
Ueber den Rhein und die Alpen herzu , um euch zu ver - gnuͤgen ?
J 4 Gebt 136 Gebt nur die Haͤlfte von Lob , die Haͤlfte der guͤldenen Summen ,
Die ihr bisher an Fremde vertheilt , Germaniens Kin - dern ;
Und bald wird die ermunterte Kunſt ſich muthig erhe - ben .
Eine Goßin wird bald auch unter den Deutſchen bezau - bern ,
Ein le Kain wird entſtehn , und mancher gluͤckliche Geiſt wird
Wie ein Schlegel , und Leßing , und Weiß , die Ta - lente gebrauchen ,
Welche bisher , von keinem beſchuͤtzt , vergeſſen ge - ſchlummert .
Unſere Buͤrger werden alsdann nicht blos nur die Au - gen ,
An dem Bunten der Scene veranuͤgen . Jhr werdet die Seelen
Jhnen erhoͤhn , die Herzen erweitern , die Sitten ver - beſſern ;
Und Gefuͤhl und Geſchmack wird alle Staͤnde beleben .
Welch ein glaͤnzender Pomp , welch eine ſchim - mernde Scene
Oefnet 137 Oefnet ſich unter dem praͤchtigen Schall der rauſchen - den Saiten ?
Dies iſt die Stimme der Oper ; ihr Land , voll ſuͤſſer Bezaubrung ,
Wo der Sieger , der rauheſte Held , verliebt iſt , und ſinget .
Schon bin ich , o maͤchtge Muſik , ganz Ohr , dir ge - widmet !
Was auch immer die ſtolze Kritik fuͤr Regeln erſonnen ,
Handle dawider ! Wofern du mich nur bewegſt , und bezauberſt .
Und mich duͤnkt , ich ſehe dich ſelbſt auf ſtralendem Throne
Von den Muſen umringt , die mit verwundernden Bli - cken
Deine Zaubermacht hoͤren , und alle gefaͤllig dir dienen .
Orpheus , mit dem Gefolge der Floͤtenſpieler der Alten ,
Steht in Erſtaunen entzuͤckt ; die einfache Leyer ent - ſinkt ihm
Die er ehmals geruͤhrt ; er giebt den Neuern den Vor - zug .
J 5 Doch 138 Doch ihr Meiſter der Kunſt , die ihr mit maͤchtigen Toͤnen
Unſre begeiſterten Seelen erhebt ; ihr , die ihr den Au - gen
Oftmals Thraͤnen entlockt ; wenn ihr die inneren Sai - ten
Unſers Gefuͤhls zu treffen gewußt ; ſagt , muß denn die Stimme
Des erregten Affekts in krauſen Verzierungen klagen ?
Muß der Gefangne , der Sterbende , noch in Stunden des Abſchieds
Durch die verrathene Kunſt den ſuͤſſen Betrug uns ent - reiſſen ,
Welcher ſchon anfieng , das Herz zum zaͤrtlichen Mit - leid zu ſchmelzen ?
Und muß ſtets nach einerley Schwung , in einerley Um - lauf ,
Ewig ſich gleich die Arie ſeyn ? — Jhr kuͤnftigen Haſ - ſen ,
Folgt dem Vorurtheil nicht ! Folgt nicht dem Einfall des Saͤngers ,
Folgt der wahren Natur ! Sucht unſre Herzen zu ruͤh - ren !
Und 139 Und ihr ruͤhrt ſie gewiß , wofern ihr ſelber geruͤhrt ſeyd .
Wenn der Abend lange dich ſchon an den einſa - men Schreibtiſch ,
Oder auch an das lehrende Buch bezaubernd gefeſſelt :
Dann erheitre den Geiſt , der anfaͤngt , matter zu den - ken ,
Durch die maͤchtge Muſik . Auf einer Steinertſchen Geige
Zeig entweder die Kunſt in langſam ſeufzenden Noten ,
Die wie Farben in Farben ſich in einander verlieren :
Oder ergreif die gauckelnde Floͤte . Harmoniſche Spruͤn - ge ,
Schnelle Triller , und huͤpfende Toͤne , wie rieſelnde Wellen ,
Schallen im Saal , und reizen von fern den horchen - den Nachhall .
Aber vor allem ſetze dich hin zum hohen Klaviere ;
Denn hier biſt du allein dir ſelber ein ganzes Orcheſter .
Auch 140 Auch erwaͤhlte vor allen , die Schoͤne , den ſilbernen Fluͤ - gel .
Wenn ſie es will , ſo ertoͤnt die Ouvertuͤre der Oper
Durch ihr ſchallend Gemach , in ganzer voller Beglei - tung .
Und dann rauſchet der Vorhang empor ; die Arie ſinget
Durch die ſilbernen Saiten ; und hat ſie ſelber gelernet ,
Jhre Stimme zu biegen , und von den Welſchen zu borgen :
So wird unſer Vergnuͤgen durch zaͤrtliche Worte ver - mehret ,
Wenn der bezaubernde Mund mit wahrer Empfindung ſie ſinget ;
Jhre Fertigkeit wird ein Kreis der Bewunderer prei - ſen .
Und hier wolle die Muſe Germaniens Ehre be - haupten ,
Das durch eignes Verdienſt den muſikaliſchen Lorbeer
Um die Schlaͤfe ſich beugt , und mehr , und groͤſſere Namen ,
Unter 141 Unter der Menge von Meiſtern erblickt , als Frankreich und Welſchland .
Jener Orpheus der Britten in Vauxhall und Rane - lagh bewundert ,
Der im Tempel entzuͤckt , und auf dem Theater ge - herrſcht hat ;
Dieſer gehoͤrte zu uns . Der Marmor , welchen die Ehr - furcht
Jhm errichtet , iſt auch ein Ehrengedaͤchtniß fuͤr Deutſch - land .
Und durch ihn ward Deutſchland nicht arm . Der gluͤckliche Haſſe ,
Allezeit gluͤcklich im Ausdruck , und neu in ſeiner Er - findung ,
Hat nicht Germanien nur in hohes Erſtaunen gezwungen ,
Welſchland ſelber hat ſich nach ſeinem Muſter gebildet .
Und ſang nicht der gruͤndliche Graun die zaͤrtlichſten Lieder ,
Mit dem groͤſten Genie auch nach den ſtrengeſten Regeln ,
Regeln , die niemals ihm Schwung , und Feuer , und Kuͤhnheit , benahmen ?
Aber 142 Aber wer iſt der Greis , der mit der leichteſten Feder ,
Voll von heiliger Gluth , den ſtaunenden Tempel ent - zuͤcket ?
Hoͤre ! wie rauſchen die Wogen des Meers ! wie jauch - zen die Berge
Und das Land dem Herrn ! Wie fuͤllt mit heiligem Schauer
Ein harmoniſches Amen die fromme Seele ! Wie zit - tert ,
Von dem geheiligten Schall , der Hallelujah der Tempel !
Telemann , niemand als du , du Vater der heiligen Tonkunſt ,
Deſſen erhabnen Geſang der Gallier ſelber bewundert ,
Kan mit irdiſchen Toͤnen die Choͤre der Engel entzuͤcken .
Und wie viel der wuͤrdigſten Geiſter umringen die Muſe ,
Welche fuͤr ihre beſondere Kunſt den Lorbeer verlangen !
Von der geheiligten Orgel bis auf die Floͤte , ſind Mei - ſter ,
Die 143 Die kein anderes Volk in ſolcher Vollkommenheit dar - ſtellt .
Welche Namen ſind Bach , und ſeine melodiſchern Soͤhne ,
Sie , die der Hand , ſonſt lahm zum Klavier , mehr Finger gegeben .
Matheſon , dieſer gruͤndliche Greis , und Marpurg , erhellen
Durch die leuchtende Fackel der Wahrheit die Nebel des Jrrthums ,
Welche bisher die Tonkunſt umhuͤllt . Ein Wagenſeil ſchweifet
Wild und bezaubernd durch maͤchtige Saiten . Der wuͤrdige Bruder
Unſers unſterblichen Grauns wird ewig durch eigenen Lorbeer ;
Und Agricola ſtimmet das Herz zu ſanftem Entzuͤcken .
Schwanenberg koͤmmt mit gruͤndlicher Einſicht , mit reicher Erfindung ,
Ueber die Alpen zuruͤck . Sack , Fleiſcher , und Nichel - mann zaubern
Auf dem beſeelten Klavier ; und Benda , von ewigen Nachruhm ,
Faßt 144 Faßt den gewaltigen Bogen . Die Herzen ſchmelzen , und neidiſch
Hoͤren die Welſchen ihm zu . Quanz macht die ſcher - zende Floͤte
Zu der Kenner Erſtaunen , und ward der Liebling der Tonkunſt ,
Der dich , groſſer Friedrich , gelehrt . Der gluͤckliche Rolle
Folgt Grauns blumichter Bahn . Ried , Schafrath , Hertel , und Schale
Reiſſen uns hin ; wie du auch , o Kunz , manch zaͤrt - liches Lied fließt
Von melodiſchen Lippen , das ihre Begeiſtrung erfunden .
Dich deckt Staub , des Pantalons Schoͤpfer , doch le - beſt du ewig
Bey der Nachwelt ; auch du , o Weiſe , du maͤchtiger Zaubrer
Auf nun faſt vergeſſener Laute . Mit frohem Entzuͤcken
Sieht die Muſe Schaaren bey Schaaren , und ſegnet die Namen ,
Deren zu viel ſind , als daß ſie die Grenzen des engeren Liedes
Faßten ; 145 Faßten ; die aber dereinſt , mit guͤldnen unſterblichen Lettern ,
Das Geruͤcht an die Pfeiler im Tempel der Ewigkeit eingraͤbt .
Du , des Tages gefaͤlliger Herbſt , du , der du mich reitzeſt
Mit dem wolkigten Himmel , mit ſanften gemaͤßigten Schatten ;
Der du lauter mit ſich der Seele zu reden vergoͤnneſt ;
Holder Abend , dem meine Geſaͤnge zum oͤfterſten ſchallen :
Schuͤtte den Einfluß harmoniſcher Sphaͤren , und blin - kender Sterne ,
Welche du jetzt zum maͤandriſchen Tanz am Himmel herauffuͤhrſt ,
Ueber meinen Geſang , damit er in flieſſenden Toͤnen
Von der Leyer erſchalle , die jener zaubernde Britte
Ueber ein aͤhnliches Thema mit groͤſſerem Feuer geſchla - gen .
Recke den Zauberſtab aus , und laß die Gefilde der Thorheit ,
IV . Th. K Und 146 Und der vergaͤnglichen Freuden vor meinen Augen ver - ſchwinden .
Hoͤhere Scenen erwarten mein Lied . Schon ſeh ich von fernher
Deine Schweſter , die Nacht , in majeſtaͤtiſcher Stille ;
Und die Muſe verſammelt die Kraͤfte zum kuͤnftgen Ge - ſange .
Die Nacht . Die Nacht . [148] [149] [figure] Melancholiſche Stille , von ſchwaͤrzeren Stunden begleitet ,
Schwebt die Himmel hindurch . Tiefſchweigend lie - gen die Himmel
Dick in Wolken gehuͤllt , und feyerlich harret die Erde .
Sie erſcheint , die heilige Nacht , in ſtralloſem Pompe ,
K 3 Ma - 150 Majeſtaͤtiſch , und ernſt , auf ihrem behangenen Wa - gen ,
Vor ihr wandelt ein ſaͤuſelnder Wind , und wickelt die Wolken ,
Wie ſie winket , zuſammen . Von ihrem holden Geſichte
Nimmt ſie den Schleyer hinweg ; die Hoͤrner des wachſenden Mondes
Glaͤnzen mit flimmerndem Stral aus ihrer leuchten - den Krone ,
Und ihr Mantel , mit Sternen beſaͤt , fließt weit in die Luͤfte .
Dir , ehrwuͤrdiger Greis , auf deſſen ſilberne Locken
Dir die guͤnſtige Nacht ihr heiliges Salboͤl geſchuͤttet ,
Der du , von ihr zum Liebling geweiht , ihr Heilig - thum ſaheſt ,
Und mit brittiſchem Schwung ſie unnachahmlich ge - ſungen ;
Young , wie wuͤnſchte mein Lied , von deinen Ge - ſaͤngen entzuͤndet ,
Dir zu toͤnen , ſo ſchwach auch der Schall der Lau - te dir klaͤnge .
Hoͤre 151 Hoͤre denn du mich , Ebert , fuͤr ihn ! Du , der du zuerſt mich
Jn den unſterblichen Kreis von Albions Barden ge - fuͤhret ,
Und Youngs Muſe zuerſt dem Blick Germaniens zeigteſt .
Dir nur konnt es gelingen , indem du die Klagen des Weiſen
Ganz verſtanden , und ganz gefuͤhlt . Den heiligen Dichter
Sah oft die einſame Nacht , die ſeinen Geſang ihm beguͤnſtigt ,
Mit den Sternen vertraut ; allein nicht minder be - geiſtert ,
Sah ſie auch dich , wenn ſtilles Entzuͤcken bey ſei - nen Geſaͤngen
Deine Wange gefeuert , und ſympathetiſche Neigung
Melancholiſch , gleich ihm , dich unter die Graͤber geleitet .
Goͤnne mir ietzt aufmerkſam dein Ohr ! Noch hat dir die Muſe
Naͤchtliche Scenen zu zeigen , nicht alle vom Brit - ten geſchildert .
K 4 Rings - 152 Ringsum liegt die Natur in tiefer traurender Stille .
Feyerlich zittert , im ſtummen Gehoͤlz , ein heiliges Schrecken ;
Und das grauſende Thal , das dicke Finſterniß decket ,
Schlummert nun ſchweigend und todt . Der ſchwarze Schleyer der Schatten
Hat , die himmliſche Schoͤnheit und alle Farben , ver - huͤllet .
Jetzo ſpreitet das naͤchtliche Grauen ihr dunkles Ge - zelt aus ;
Alles fliehet vor ihr ; ſie hat die Herrſchaft behauptet ,
Und das troͤſtende Licht und alle Wonne verjaget .
Ach ! wie biſt du ſo ploͤtzlich von uns , o Tochter des Himmels ,
Guͤtige Sonne ! ſo ploͤtzlich entflohn ! Wo ſchimmerſt du ietzo ?
Fernen geliebteren Voͤlkern , die deinen praͤchtigen Aufgang
Mit lautſchallendem Chor , mit Cymbeln und Rei - gen begruͤſſen .
Da 153 Da du entflohſt , da haſt du von uns die Freude genommen ,
Welche die Felder beſeelt ; nun ſtarren ſie dunkel und traurig .
Doch was klag ich , den Thoͤrichten gleich , die Freu - den nicht ſchmecken ,
Wenn ſie nicht immer fuͤr ſie in blendende Farben getaucht ſind ?
Hat nicht die Nacht vor dem Blick des Weiſen und Dichters noch Scenen ,
Welche das fuͤhlende Herz mit gleichem Vergnuͤgen betrachtet ,
Als die lachenden Scenen des Tags ? Mit eroͤfne - tem Auge
Sieh ietzt auf zum Throne der Nacht . Jn thauen - den Wolken
Steht er ſtill ; ſie ſtreckt ihr ſchweres anarchiſches Zepter
Ueber den Erdkreis . Verhuͤllt in leichte Kleider von Schatten ,
Sendet ſie uns , wohlthaͤtig , den Schlaf zur Erde hernieder .
Sein befluͤgelter Fuß durcheilt die Wolken ; ein Mohnſtrauß
K 5 Jn 154 Jn der zitternden Hand , ſtreut Schlummerkoͤrner . Die Traͤume
Folgen ihm nach ; zur Linken die Schaar der traurigen Schatten ;
Schreckliche wilde Figuren , mit Rabenfluͤgeln und Klauen ;
Oft mit Dolchen bewehrt ; ſie ſchwingen , wie Furien , Schlangen
Ueber der Sterblichen Haupt , und peitſchen die Ruhe des Schwelgers .
Heitere Traͤume flattern dem Gott zur Rechten , und tragen
Kronen und Zepter fuͤr Sklaven , und Jndiens Schaͤtze fuͤr Bettler .
Aber indem ſich der gauckelnde Schlaf zur Erde hinab - ſchwingt ,
Rauſchet er oft die Schloͤſſer vorbey , und ſinket auf Huͤtten ;
Oder er ſchickt zum praͤchtgen Pallaſt die ſchrecklichen Traͤume ,
Und die guten folgen ihm nach zur Huͤtte des Hirten ,
Oder des ſchnarchenden Landmanns , dem keine feuri - gen Weine ,
Und 155 Und kein Jndiſch Gewuͤrz , ſein ’ reines Gebluͤte ver - dorben .
Sey mir willkommen , o Hain , voll melancholi - ſcher Gange ,
Nimm mich in deinen geruhigen Schoos , und lisple mir Muth zu .
Fuͤrchterlich ſchallet durch dich mein irrender naͤchtlicher Fußtritt ,
Welcher umſonſt die Spuren des Freundes , die Spu - ren von Menſchen
Jn der erſtorbenen Flur , in wuͤſten Gegenden aufſucht .
Unter die heilige Linde , die ihren waldichten Wipfel
Hier in traurige Schatten verbirgt , und Schrecken herabrauſcht ,
Will ich mich ſetzen . Verwayßt , gleich einem Lande des Todes ,
Liegt die Gegend um mich . Jn bunten wechſelnden Farben
Wallet nicht mehr das finſtre Gewand der ſchlafenden Erde .
Nun liegt Garten und Au , nun liegen Schloͤſſer und Huͤtten
Vor 156 Vor den Augen des Wandrers verſteckt ; er ſucht ſie vergebens .
Biſt du es noch , gluͤckſeelige Flur , in der ich die Ruhe
Unter dem Strohdach umarmt ? und dich , Zufrieden - heit , ſitzend
An des Landmanns offener Thuͤr ? Biſt du es , o Ge - gend ,
Wo die Freude mich oft , gleich einer arkadiſchen Nymphe
Ueber Wieſen und Thaͤler gefuͤhrt ; indem mir die Dryas
Jn dem innerſten Hain voll Wolluſt zu wandeln er - laubte ?
Ach ! ich kenne dich nicht ! die Stimme der Saͤnger des Waldes ,
Die mich hier oͤfters entzuͤckt , ſcheint nun auf ewig verſtummet .
Jſt die Schoͤpfung nun todt ! Wo iſt die Zierde der Erde ,
Der monarchiſche Menſch ? — Jch bin allein nur noch uͤbrig ,
Nicht vom Schlafe beſucht , um dich , o Nacht , zu be - ſingen .
Du 157 Du verdienſt es , ſo ſehr , als der Tag. Laß im - mer den Morgen
Ueber die froͤhliche Flur die Kraͤnze von Roſen ver - ſtreuen ;
Laß des Mittags eroͤfnetes Horn die Sterblichen ſpeiſen ,
Und mit ſaͤuſelndem Weſt den Abend den Weltkreis er - friſchen .
Du , holdſeelige Nacht , reichſt uns nicht ſchlechtre Ge - ſchenke ,
Da uns der ſtaͤrkende Schlaf auf deinem Wagen ge - bracht wird .
Von den Gebruͤdern , welche die Reiche des Tages be - herrſchen ,
Biſt du die aͤltere Schweſter . Du thronteſt lange vor ihnen
Ueber des Chaos verwirrtes Gebiet , und ſahſt ſie ent - ſtehen ,
Als ſich die Erde zuerſt um ihren Mittelpunkt drehte .
Selber des Himmels erhabner Regent hat oft dich ge - wuͤrdigt ,
Wenn in Geheimniſſen ſich ſein Wille den Engeln ver - kuͤndigt ,
Jhn 158 Jhn aus dir zu verkuͤndgen ; und heiliges Dunkel um - huͤllet
Seinen gefuͤrchteten Thron , wenn ſein Orakel ertoͤnet .
Und wie hat er dich herrlich gemacht vor deinen Ge - ſchwiſtern ,
Als in Menſchengeſtalt Gott ſelbſt die Erde beſuchte !
Dir ſang damals der Seraphim Chor in himmliſchen Hymnen ;
Rund um flammten der Cherubim Feuer in Bethle - hems Fluren ,
Und der chriſtlichen Welt biſt du noch ietzo geweyhter ,
Als der herrlichſte Tag. Du hohe Vertraute des Him - mels ,
Heilige Nacht ! Gegruͤſſet auch mir ! Das irdiſche Lied auch
Jauchzt dir entgegen , indeſſen der Schall olympiſcher Harfen
Dich vor deinen Bruͤdern zur Erde herunter begleitet .
Dich empfangen mit jauchzenden Reihn die ſchimmern - den Sterne ,
Welche 159 Welche die Sonne voll Neid mit ihren Stralen verdeckte .
Jetzt blickt freundlich der Mond aus ſilberfarbnen Ge - woͤlken ,
Halbverſchleyert , hervor ; und leitet die guͤldnen Geſtirne
Ueber die Himmel zu myſtiſchem Tanz ; und Thaͤler und Huͤgel
Liegen in Schlummer und Ruh durch deinen guͤtigen Einfluß .
Die geſamte Natur iſt unter deiner Regierung
Gluͤcklich . Jm Arme des Schlafs liegt ietzt der Bett - ler auf Raſen ,
Wie der Monarch auf Federn des Schwans . Selbſt Thiere genieſſen
Ein ertraͤglicher Loos , da ihre harten Beherrſcher
Nicht mehr mit tyranniſcher Hand die Seufzenden pla - gen .
Und dich ſegnet vor allem der Weiſe , der ietzo ſein Auge
Mit dem Sehrohr geſtaͤrkt , zum Sternenhimmel erhe - bet ,
Und 160 Und entweder den wandelnden Mond neugierig betrach - tet ,
Oder den ſeltenen Lauf des truͤben Kometen verfolget .
Leuchte mit allen Geſtirnen , o Nacht , der Seele des Dichters ,
Die im Pilgergewand die heiligen Graͤber beſuchet ;
Oder in Liedern , der Gottheit zum Ruhm , Empfindun - gen ausgießt ,
Wie ein Bodmer , und Klopſtock und Wieland . Wenn anders noch Tugend
Kommende Zeiten entzuͤckt , ſo werden ſie kommende Zeiten ,
Als die Predger der Tugend , den ſpaͤteſten Enkeln erheben .
So kam ehmals die himmliſche Muſe zu Milton her - nieder ,
Wenn du den Weltkreis bedeckt . So wie du den Au - gen des Dichters
Auch am Tage mit Blindheit verhuͤllt : ſo wuchs in der Seele
Deſto ſtaͤrker der Tag der innern maͤchtgen Erleuchtung .
Young , 161 Young , begeiſtert durch dich , ſang dir ſo wuͤrdige Lieder ,
Daß der Himmliſchen Schaar den Klang der irdiſchen Leyer
Mit Entzuͤcken und Beyfall gehoͤrt ; und wuͤrdige See - len ,
Jhrer Beſtimmung bewußt , ihn voller Bewunderung ſegnen .
Und wenn kan ſich der Menſch mit ſeinem geheimen Gebete
Maͤchtger erheben zu Gott , als wenn vor alle Zerſtreuung
Du den Vorhang gezogen , und aller Orten der Weltkreis
Eine Kammer fuͤr Betende ſcheint , wo engliſche Fluͤgel
Unſre Seufzer erwarten , ſie uͤber die Sterne zu tragen ?
Niemals muͤſſe dein Wagen , o Nacht , die Erde beſuchen ,
Daß mein ſtilles Gebet nicht , auf den Fluͤgeln der An - dacht ,
Sich zum Himmel erhebe , der ietzt durch Heere von Sternen
IV . Th. L Mit 162 Mit noch hellerm Beweiß den Koͤnig der Geiſter ver - kuͤndigt !
Und nun , da ich am Ufer des Hains in Gedanken verſenkt bin :
Hoͤr ich hinter mir dunkles Gemurmel , und fluͤſternde Winde ,
Die durch rauſchendes Laub der zitternden Eſchen ſich kraͤuſeln .
Jetzo pfeifen ſie ſchaͤrfer durch zackigte Tannen und Kie - fern ,
Und nun taumelt der Sturm lautheulend uͤber mein Haupt hin .
Wie ein Ocean tobet der Wald ; die rauſchenden Baͤume
Neigen die Wipfel , der niedrige Strauch wallt uͤber dem Boden .
Zehnmal ſchrecklicher huͤllet die Nacht den ſtuͤrmiſchen Himmel
Jn aufruͤhriſche Wolken , die wie Gebirge ſich waͤlzen .
Haufen auf Haufen jaget der Sturm vom Weltmeer heruͤber ;
Sie durchſeegeln die Luft , und drohen im Fliehen ver - gebens
Ueber - 163 Ueberſchwemmung und Donner aus ſchwangeren Schlaͤuchen zu gieſſen .
Von den Winden gepeitſcht , entweichen ſie uͤber die Him - mel ,
Eh noch der Engel des Sturms die Regenurne verſchuͤttet .
Ploͤtzlich ruhet der Wind . Die weiten azurnen Gefilde
Flimmern auf einmal umher mit ſchaͤrferſtralenden Sternen .
Und nun ſteiget der Mond , halb von den Gewoͤl - ken verſchleyert ,
Ueber die Erde herauf , und blickt mit ruhigem Antlitz
Jn die erſtorbnen Gefilde , die traurig liegen und ſchlum - mern .
Klagender rollt der rieſelnde Bach , die ſilbernen Wellen ,
Jn dem blinkenden Schein durch ſtille Wieſen und Thaͤler .
Seufzender bebet auch ietzt der matte naͤchtliche Zephyr
Durch der Eſpen erzitterndes Laub . Ein heiliges Grauen
L 2 Wan - 164 Wandelt im Hain , und koͤmmt mir entgegen mit ſtillem Gelispel .
Geh ich ins Dunkle hinein , da , wo die zackigte Tanne
Halb im Mondenglanz ſteht , und halb mit ſchwaͤrzerem Gruͤne
Unter die Schatten der Nacht ſich miſcht , und freuden - los trauert ?
Oder ſoll ich die Ebne beſuchen , die ietzo mir da liegt ,
Wie das traurige Land , das nach der Sage der Dichter
Sich im Reiche der Nacht um Lethens Ufer erſtrecket ?
Schlummernd raget das Dorf aus waldichten Linden und Ulmen
Dunkel hervor ; ein ungewohntes groreskeres Anſehn
Giebt ihm der Mond ; es ſcheinet nicht mehr die la - chende Wohnung ,
Welche der heitere Tag mit Arbeit und Freude belebte .
Dort ſteht einſam am Ende die Kirche , von welcher der Schatten
Halb 165 Halb den Kirchhof verhuͤllt . Dahin , o ernſtere Muſe ,
Laß uns wandeln , und dort Gedanken zur Sterblichkeit athmen .
Feld des Todes , o ſey mir gegruͤßt ! Jhr naͤcht - lichen Schatten ,
Die ihr unter Cypreſſen hier wohnt ; und ihr , o ihr Schrecken
Dunkler Begraͤbniſſe , ſeyd mir gegruͤßt ! Mit beben - den Fuͤſſen
Steh ich auf Graͤbern ; die Graͤber bedeckt kein prah - lender Marmor ,
Und kein Stein voll Rednerfiguren erhebet den Land - mann ,
Welcher kein Lob ſich erkauft , und ohne Denkmal hier ſchlummert .
Hier und da ſteht etwan ein Kreutz , ein Buͤſchel von Wermuth ,
Friſch mit Thraͤnen benetzt ; und auf dem Grabe des Maͤdchens ,
Oder des Juͤnglings , etwan ein Kranz von Flittern und Blumen .
Eine Linde beſchattet mit ihren Zweigen den Kirchhof ,
L 3 Und 166 Und ſenkt Stille herab . Jch will mich unter ſie ſetzen ,
Und mit muthigem Blick die veroͤdete Gegend durch - irren .
Hier iſts alſo , wo Staub zu Staub , wo Erde zu Erde
Sich zuſammen gefellt ? Hier iſts , wo uͤber die Scene ,
Ueber das Schauſpiel des Lebens , der Vorhang nieder - gelaſſen ,
Und das ſchimmernde Kleid dem Spieler wieder ge - raubt wird ?
Alle verſchlingt der raͤubriſche Tod ! Der niedrige Land - mann
Fuͤllt ihm nicht ſchlechter den Schlund , als Sieger , Mon - archen , und Helden .
Unſere Hofnungen alle ſind aus ; mit grauſamem Laͤcheln
Stuͤrzt er die Schloͤſſer der Luft vom kindiſchen Ehr - geitz errichtet ,
Unter einander ; er fodert den Greis ; er hauchet die Roſe
Bluͤhender Schoͤnheit zu Staub , die Staͤrke der Ju - gend zu Erde .
Schre - 167 Schreckendes Grab ! Du letzte Behauſung fuͤr Goͤtter im Leben ,
O wie beugſt du den traͤumenden Stolz ! Hier , ſterbli - cher Stolzer ,
Hier am Rande der Gruft , betrachte die morſchen Ge - beine ,
Welche vielleicht mit eben der Jugend , mit eben der Schoͤnheit ,
Und dem Anfehn , trotzten , wie du . Wo ſind die Ent - ſchluͤſſe ,
Die wir im Leben gemacht ? Wo ſind die Hofnungen alle ,
Bunte flatternde Schaaren , die uns betruͤgriſch umtan - zen ?
Jſt noch Eine zuruͤck , der zeitlichen Hofnungen Eine ,
Welche nicht treulos von dir am Rande des Grabes davon flieht ?
Rufe ſie alle ; ſie hoͤren dich nicht ; mit rauſchenden Fluͤgeln
Fahren ſie auf in die Luͤfte , zerflattern , und laſſen dich ſterben .
Eine nur nahet ſich noch , den Tugendhaften zu ſtaͤrken ,
L 4 Wenn 168 Wenn ſein Auge ſich ſchließt ; doch iſt ſie auch goͤttlich von Abkunft ,
Und ſie wartet nicht hier auf ihre gewuͤnſchte Belohnung .
Sie , die troͤſtende Goͤttin , auf ihren Anker gelehnet ,
Sitzt am Grabe des Weiſen , des wahren chriſtlichen Weiſen .
Und mich duͤnkt , ich hoͤre bereits die ſilberne Stimme ,
Wie der Himmliſchen Stimme , mit dieſen Worten er - toͤnen :
Zittre nicht furchtſam zuruͤck , du , der den chriſtlichen Namen
Durch dein Leben geehrt , du wirſt nicht ſterben im Grabe .
Dieſe ſchauernde Gruft laͤßt deinen irdiſchen Koͤrper
Nicht auf immer im Staub ! Er wird ſich wieder erheben
Aus der Vergeſſenheit Nacht , und ſeine reinere Seele
Schwingt ſich uͤber die Luft , und koſtet Olympiſche Freuden ,
Freu - 169 Freuden , von denen die kleinſten mit hoͤherer Anmuth entzuͤcken ,
Als die praͤchtigſten Freuden der Welt . Die Choͤre der Engel
Warten auf ihn , mit Palmen und Kronen , den Sieger zu ſchmuͤcken .
O wie gluͤcklich iſt der , dem ſie , die olympiſche Hofnung ,
Dieſes Todtenlied ſingt ! Vergebens ſchuͤttelt das Schre - cken
Auf dem Helme den ſcheußlichen Kamm ; vergebens be - weinet
Schwacher Sterblichen Thraͤne die aufgeſchwungene Seele .
Sanft und gelaſſen ſchlieſſet der Chriſt ſein brechendes Auge ,
Und ſteigt , ſo wie die Flamme , mit brennender An - dacht gen Himmel .
So ſtarb Hagedorn juͤngſt , und fuͤgte zu ſeinen Ver - dienſten
Noch das groͤßte Verdienſt , den Ruhm des ſterbenden Chriſten .
Ruhiges Land ! Hier findet mein Herz die einſa - me Stille ,
L 5 Wel - 170 Welche die Stadt uns verſagt . Sogar dein ſchattich - ter Kirchhof
Scheint mir ſichrer zum Schlummer , als die um ent - heiligte Dome ,
Wo ſich Frechheit zum Laſter geſellt . O moͤcht ich hier ruhen ,
Hier im Schatten geheiligter Linden ! O moͤchte die Freundſchaft
Hier mein Grab mit Blumen beſtreun , und etwan die Thraͤne
Einer Geliebten mich hier in einſamen Stunden bewei - nen !
Geht ein Wanderer dann , ein Freund der himmliſchen Muſen ,
Jn der vertrautichen Gegend voruͤber , der nahe der Gruft ſich ,
Welche den Dichter bedeckt , und ehre des Schlum - mernden Aſche ,
Welcher nichts groͤſſers gekant , als dich , o Tugend , zu preiſen .
Welch ein ſchwarzer Gedanke verhuͤllt mir ploͤtz - lich die Seele ,
Und ſpricht laut in mir ſelbſt ? Warum ergießt ſich der Thraͤnen
Maͤch - 171 Maͤchtiger Strom ? Was zwinget mein Herz zum traurigen Anblick
Ruͤhrender Bilder der Phantaſey ? Jch ſehe die Ruhſtai
Meines Vaters , um welchen noch oft mein Auge ſich netzet .
Beſter der Vaͤter ! O daß ich dir nicht , mit der zaͤrtli - chen Rechte ,
Unter dem ſterbenden Haupte gelegen ! O daß ich dein Auge
Nicht noch einmal mir laͤcheln geſehn ! O daß dir mein Herz nicht
Nur noch einmal gedankt fuͤr alle zaͤrtliche Sorge ,
Nur noch einmal die Hand dir gekuͤßt , und weinend den Seegen ,
Den du entfernt mir ertheilt , von deinen Lippen em - pfangen !
Dir ſingt dankbar dies naͤchtliche Lied . Die traurige Muſe
Streut dir den Weyhrauch hier aus , den ſie dir ſchul - dig geworden .
Wer vordienet ihn mehr noch , als du ? Du gabſt mir die Leyer
Schon 172 Schon in die kindiſche Hand , und hoͤrteſt oft guͤtig die Toͤne ,
Welche der Knabe dir ſang , und deinen Beyfall erhielten .
Kehr ich einſt zur Gegend zuruͤck , wo deine Gebeine
Seelig ſchlafen : ſo ſoll ſich mein Fuß in kindlicher Wallfarth ,
Vater , zu deinem Grabe begeben . Dann will ich es ſegnen ,
Dich beweinen , und ſagen : Hier ruht der Beſte der Vaͤter !
Und die Reihe der andern Verwayßten ſoll um mich verſammelt
Stehn , und weinen , und ſagen : er war der Beſte der Vaͤter !
Nun hat auch die laͤrmende Stadt die praͤchtigen Thuͤrme
Tief in die Schatten gehuͤllt , und ſuͤſſer Schlummer , und Ruhe
Sinkt vom Himmel herab . Die tiefe naͤchtliche Stille
Wandelt die Straſſen umher , und findet ſie einſam und oͤde .
Zwar 173 Zwar ertoͤnt noch in dem Pallaſt die Stimme der Freude
Unter der Saiten Geſang , und taumelnde volle Pokale
Klingen noch durch die entheiligte Nacht , und rau - ſchende Taͤnze
Jagen die Larven im Staube herum , dem Morgen entgegen .
Aber die Muſe verſchmaͤht die Neigen ſchwaͤrmender Thoren ,
Welche den Tag und die Nacht durch ihre Getuͤmmel verkehren .
Wuͤrdiger ſitzt der Dichter und Weiſe bey naͤchtlicher Lampe
Tief in lehrende Schriften verſenkt , indem die Geſtirne
Sanfter uͤber ihn gleiten , und ihren kraͤftigſten Einfluß
Ueber ſein Haupt verſchuͤtten ; damit er den Weltkreis erleuchte ,
Oder im hohen Geſang die Wege der Allmacht erzehle .
Jetzt weckt ihn ein ſtilles Getuͤmmel aus ſeiner Betrach - tung ,
Und 174 Und die Leyer haͤlt ein mit ihrem ſuͤſſen Geſange .
Feyerlich rollt mit eiſernen Raͤdern der Leichenwagen
Durch die Straſſen einher ; die wiederhallenden Straſ [- ] ſen
Seufzen ihm nach , und huͤllen ſich hinter dem naͤchtli - chen Aufzug
Schwarzer dampfender Fackeln in zehnmal dickeres Dunkel .
Jhn umringt ein traurig Gefolge . Die Stimme der Klagen
Weinet ihm nach . Der Zug geht fort , und fuͤrchter - lich ſteht er
Vor dem Pallaſt des ſchwelgenden Reichen . Das Krachen der Raͤder
Schallt wie ein Donner der Mitternacht ihm im hor - chenden Ohre ;
Und der dampfende Schein der Leichenfackel verdunkelt
Seiner Kerzen verblendenden Glanz . Er kan ſich nicht faſſen ,
Faͤhrt ſchnell athemlos auf , und ſetzt den blinkenden Becher
Auf 175 Auf die Tafel , ſchaut aus , und erblaßt , und fuͤhlet ſich ſterblich .
Doch bald kommen die frecheren Gaͤſte mit prahlenden Worten ,
Spotten der kindiſchen Furcht , und gieſſen ihm Muth in die Seele .
Und ſobald der traurige Zug ſich weiter entfernet ,
Flieht das Schrecken ſogleich von ſeinen erſtorbenen Wangen .
Froͤhlicher eilt der Becher herum ; man lachet der Thor - heit ,
So verzagt , ſo ſeltſam den Tod gefuͤrchtet zu haben .
Alle Gedanken entfliehn von einer drohenden Zukunft ,
Und ſie duͤnken voll Stolz aufs neu ſich unſterblich wie Goͤtter .
Doch dem Weiſen verſchwindet nicht ſo der ernſte Ge - danke ,
Den der erweckende Pomp aus ſeiner Seele heraufrief .
Sein beherzterer Blick geht mit dem Trauergefolge
Bis 176 Bis zur wartenden Gruſt ; das fuͤrchterlich dumpfe Gepolter
Des hinunterrollenden Sargs erfuͤllt ihn mit Schauer .
Aber nicht lange , ſo hebt der Andacht feuriger Fluͤgel
Seine Seele zum Himmel empor , und zeiget ihm Scenen ,
Unausſprechliche Scenen , die dort der Seeligen warten .
Wenn ietzt die Stadt und das Land , in tiefer Stille begraben ,
Sorgenlos ſchlaͤft , dann wachet noch oft die Frechheit zum Schaden .
Daß der blutbegierige Leu in ſchrecklichen Wuͤſten
Seine Beute verfolgt , daß aus dem Jnnern der Waͤlder
Heulende Woͤlfe nach Raub die einſamen Haiden durch - irren ,
Dies vergiebt die Natur dem angebohrnen Jnſtinkte ,
Doch , daß Menſchen noch wuͤthender ſind , als raſende Thiere ,
Was 177 Was entſchuldiget dies ? Jſts moͤglich , koͤnnen die Laſter
Ganz der Menſchheit Gefuͤhl aus menſchlichen Herzen verbannen ?
Mit der Finſterniß wagt ſich nunmehr , der kuͤhnere Raͤuber ,
Aus dem tiefſten Gehoͤlz ; er ſtreift durch oͤde Gefilde ,
Naht ſich dem ſchlummernden Hof , und wachſam bel - len die Hunde
Durch das horchende Dorf . Die zarte verlaſſene Schoͤne
Zittert in toͤdtlicher Angſt die ſchwarzen Stunden voruͤber .
Jedes kleine Geraͤuſch iſt ihr ein Zeichen zum Einbruch ;
Und ſchon ſieht ſie voll Furcht vor ihrem Anblick die Raͤuber
Scheußlich verlarvt , von Frechheit gefuͤhrt , mit Dol - chen bewafnet .
O dann wuͤnſcht ſie ſich arm , und weniger vornehm . Die Staͤdter
IV . Th. M Scheinen 178 Scheinen ihr ietzt , im ſicheren Wall , beneidenswerth gluͤcklich .
Aber uͤber ihr wacht der Vorſicht gnaͤdiges Auge ,
Welches nie ſchlummert , und ietzt den engliſchen Schaa - ren gebietet ,
Ueber die Unſchuld und Tugend zu wachen . Die from - me Begeiſtrung
Sieht dann oft von himmliſchen Waffen , und flammen - den Schilden
Alle Gebirge bedeckt ; die Schaar der heiligen Waͤchter
Geht umher durch das Land ; vor ihnen wandelt das Schrecken ,
Welches den Boͤſewicht faßt , ſein Haupthaar aufwerts ihm ſtraͤubet ,
Und mit Schlangen die eilige Flucht zur Hoͤle zuruͤck - peitſcht ;
Da indes der muthige Mann mit feſtem Vertrauen
Auf die engliſche Wacht in ſeinem Berufe getreu iſt ,
Einſam 179 Einſam durch die Finſterniß geht , und uͤber die Haide ,
Oder im dicken Gehoͤlz mit einem ermunternden Liede
Sich die naͤchtlichen Stunden verſingt , und ſicher und gluͤcklich
Seine Heimath erreicht , ſein Weib umarmet und kuͤſſet ,
Und vom Freudeſtammelnden Kreis der Kinder um - ringt wird .
Niemals herrſchet die Nacht mit einem ſchwere - ren Zepter ,
Als im Winter , in welchem ſie oft zwey Theile des Tages
Unter der langen Regierung verſchlingt . Wie fuͤrch - terlich ſchuͤtten
Alle dann loßgelaſſenen Stuͤrme die ſtroͤmenden Urnen
Ueber die Erde herab , durch dicke Cimmeriſche Naͤchte .
Undurchdringliche Nebel verhuͤllen dem Auge die Him - mel ,
M 2 Daß 180 Daß die zitternden Sterne verſchwinden , und ſelber der Mond kaum
Mit dem erblaßten Geſicht durch dampfende Duͤnſte hervorſtralt .
Wilder und ſchrecklicher brauſen alsdann die tobenden Waſſer ,
Mit aufruͤhriſcher Wuth , von hohen Gebirgen herunter .
Ganze Huͤgel von Schnee zerſchmelzen im reiſſenden Waldſtrom ,
Welcher entwurzelte Tannen , und halbe Thaͤler des Harzes
Jn die Ebenen ſchwemmt ; auf ſchwarzen bruͤllenden Wogen
Sitzt die Todesgefahr , und unter den Wellen ſind Bruͤcken
Pfad und Stege verſchlungen . Den Reuter ſaſſet am Ufer
Ploͤtzlicher Schauder ; er hoͤrt das Getoͤs der brauſen - den Waſſer ,
Voll von innerer Angſt , und unter ihm zittert er - ſchrocken
Sein 181 Sein ſonſt muthiges Roß . Von ſchwarzer Ahndung getroffen ,
Und von ſeinem ſchuͤtzenden Geiſt ſanftlispelnd gewarnet ,
Zieht er die Zuͤgel zuruͤck ; doch endlich ſtaͤhlt er von neuem
Sein ermuntertes Herz ; vertraut ſich der Kaͤnntniß des Pfades ,
Und trabt blind in die Fluth . Die Fluthen ergreifen ihn maͤchtig ,
Fuͤhren ihn fort ; vergebens beſtrebt das ſchnaubende Roß ſich ,
Jhn mit Schwimmen zu retten ; umſonſt ! der reiſſen - de Waldſtrom
Rollt mit gewaltigem Schuß ſie klaͤglich unter einander .
Seufzend begiebt ſich ſein Engel zuruͤck vom oͤden Geſtade ,
Und ſein Leichnam treibet dahin ; mit haͤufigen Zaͤhren
Wartet ſein Weib die ſchreckliche Nacht ; oft ſchaut ſie vergebens
M 3. Jn 182 Jn die Finſterniß aus . Viel traurige Tage verſtreichen ,
Eh ſie die Nachricht erhaͤlt von ſeinem entſetzlichen Tode .
Weniger ſchrecklich erſcheinet die Nacht , wenn unter dem Froſte
Selber der Waldſtrom erſtarrt , und uͤber beſchneyte Gefilde
Tauſend Sternchen und Flittern im hellen Monden - glanz ſchimmern ,
Und der Himmel geſchmuͤckt mit allen ſeinen Geſtirnen
Heller jetzt ſcheint , und guͤtig dem Pfad des Wande - rers leuchtet .
Dann erklinget der Schnee ſcharf unter dem naͤchtlichen Fußtritt ,
Und der ſchneidende Nord jagt ihn mit pfeifendem Athem
Seinen Gegenden zu ; indes vom Himmel die Kaͤlte
Jmmer ſchwerer und heftiger faͤllt ; die rieſelnden Baͤche
Laſſen 183 Laſſen die Wellen im Eis ; das Kunſtrad drehet ſich langſam ,
Bis es im letzten vergeblichen Schwunge gefrieret , und ſtill ſteht .
Manche kandirte Figur haͤngt an den glaͤnzenden Tannen ,
Und der rauhere Reif blaͤßt Schnee , mit Eiſe vermi - ſchet ,
Ueber Waͤlder und Hain ; im feſtlichen Schmucke liegt alles
Am erwarteten Morgen , und ſchimmert im weiſſen Ge - wande .
Vor mir liegt der naͤchtliche Himmel in aller der Schoͤnheit ,
Die des Ewigen Hand auf ſeine Fluren geſchuͤttet .
Welch unzehlige Mengen von guͤldnen blitzenden Span - gen
Werden zum Hauptſchmuck der Nacht , und gieſſen ge - milderte Stralen
Jn das Auge des naͤchtlichen Schauers , der voller Ent - zuͤcken
Unter dem Bogen der Luft in ſtarrem Wunder vertieft ſteht .
M 4 Dieſe 184 Dieſe Schoͤnheit des Sternengewoͤlbes bezauberte vor - mals
Auf chaldaͤiſcher Flur und in Arabiens Wuͤſten
Einſame Schaͤfer , die hier ſich mit den Geſtirnen ergetz - ten .
Jhnen brachte zuerſt die Nacht in himmliſcher Anmuth
Dich , o Aſtronomie , noch in der Schoͤnheit der Jugend .
Deine Kindheit ſpielteſt du da mit Hirten voruͤber ,
Schufeſt Namen den Sternen , und theilteſt in Bilder den Himmel .
Damals rollte der Wagen zuerſt , die glaͤnzenden Raͤder ,
Um den Nordpol herum ; und um den ſtaunenden Thierkreis
Nahm die Sonne den Weg ; die guͤldene Leyer des Himmels
Klang zu der Sphaͤren Geſang ; jetzt wand die Schlan - ge ſich kruͤmmend
Durch die Geſtirne hindurch ; die ſtuͤrmiſchen truͤben Plejaden
Schuͤt - 185 Schuͤtteten Regenurnen herab . Mit ſchaͤdlichem Ein - fluß
Brannte Sirius uͤber dem Haupt . Die hohen Planeten
Wurden nach Jnfluenzen beſchaut ; aus ihrer Begeg - nung
Rieth manch thoͤrichter Traum das kuͤnftige Schickſal der Menſchen .
Bis die ſpaͤtere Kunſt in rauhen nordlichen Laͤndern ,
Dir zum wichtgen Geſchenk , ein zauberndes Sehrohr verliehen .
Du kamſt von dem Olymp mit ſeltnen Entdeckungen wieder ;
Mancher ſchoͤpfriſche Geiſt berechnete Fernen und Groͤſ - ſen ;
Kuͤhn befreyte Copernick zuerſt die belaͤſtigte Sonne
Von dem beſchwerlichen Weg um unſern geringeren Erdball ;
Ließ ſie nun wieder im Mittelpunkt ruhn , und beſſer die Erde ,
Zu den Planeten geſellt , ſich um die Sonne bewegen .
M 5 Auch 186 Auch eroberte Hevel den Mond ; ſah Alpen und Seen ,
Auf der fleckigten Kugel , und nannte die Laͤnder mit Namen .
Galilaͤi erblickte zuerſt die Jupitersmonden ,
Und Saturns Trabanten und Ring Huygen und Caßini .
Newton verfolgte ſogar den Lauf des ſchnellen Kometen
Ueber die ferneſten Grenzen des Weltgebaͤudes hinuͤber ;
Nahm die nichtigen Schrecken , vom Aberglauben er - dichtet ,
Seinem Haupthaar und Schweif ; gieng mit den el - liptiſchen Kreiſen
Seiner verworrenen Bahn , und prophezeyte den Zeit - punkt
Seiner Zuruͤckkunft mit mehr als eines Sterblichen Kraͤften .
Welche Gedanken von Gott und ſeinem herrlichen Weltbau
Denkt ſich , nach ſo mancher Entdeckung , der ſtaunende Chriſt nicht !
Wer 187 Wer kan jemals ermuͤden , mit mehr als menſchlicher Einſicht ,
Mit der Einſicht der Engel ſich unter die Sterne zu miſchen ?
Wer iſt niedrig genug , im Schlamme der Laſter zu wuͤh - len ,
Seine Geburth zu entehren , und zu den Thieren zu ſinken ,
Wenn der Himmel auf ihn mit allen leuchtenden Augen
Achtſam ſchaut , und den Lauf von ſeinem Wandel be - trachtet ?
Tauche nur immer , o Sonne , dein Haupt in weſtli - che Fluthen !
Jetzt fuͤhrt tauſend Sonnen die Nacht in maͤandriſchen Taͤnzen
An dem Himmel fuͤr Weiſe herauf ; die klingenden Sphaͤren
Schallen im hohen Olymp ; der Morgenſterne Geſaͤnge
Reiſſen die Seele hinauf zu ihrem allmaͤchtigen Schoͤp - fer .
Jſt ein andrer Gedanke ſo faͤhig , die ſtaunende Seele
Mit 188 Mit dem groͤßten Begrif von Gottes Hoheit zu fuͤllen ,
Als die unendliche Zahl von Erden , Monden und Son - nen ,
Die in harmoniſchen Kreiſen nach ſeinem Winke ſich lenken ?
Muſe , du zitterſt mit Recht , eh du mit wagenden Fluͤgeln
Unter tauſend und tauſend Syſteme von Welten dich ſtuͤrzeſt .
Denn wer zehlt ſie ? Du reiſeſt ohn Ende von Sternen zu Sternen ;
Sinkſt , und wuͤrdeſt verſinken im Abgrund der goͤttli - chen Tiefe ,
Wenn nicht die Allmacht zuruͤck nach deiner Heymath dich fuͤhrte .
Darf das irdiſche Lied dich noch erheben ? Dich , Schoͤpfer ,
Vater , Erhalter , Koͤnig und HErr ? da Himmel an Himmel
Lobgeſaͤnge dir weihn , und deine Werke verkuͤndgen ?
Da ich von Sonne zu Sonne die guͤldene Leiter hin - aufſtieg ,
Bis 189 Bis zum ſtralenden Thron der Gottheit , von welcher die Erde
Kaum die unterſte Staffel mir ſchien ; wie ſank da der Hochmuth
Welcher vermeſſen geglaubt , ſo viele Himmel und Wel - ten
Waͤren allein fuͤr Sterbliche da . Mein Antlitz , geblendet ,
Neiget ſich , HErr , in den Staub , denn ich bin Staub und von Erde .
Wie veraͤchtlich entfliehn die leeren irdiſchen Freuden ,
Bey mir vorbey , ſie alle von ihrem Flittergold glaͤnzend !
Wie vergebens winket der Ruhm mit welkenden Lor - beern ,
Und der Wolluſt geſchminktes Geſicht ! Wie prahlet ver - geblich
Reichthum mit duͤrftigem Gold , und nichtigen Schaͤ - tzen von Perlen !
Mein ſind Welten ! Mir ſchenkt ſie der Glaube . Schon hoͤr ich die Stimme ,
Welche vom Himmel erſchallt ; dies alles will ich dir geben ,
Wenn 190 Wenn du tugendhaft biſt , und deine Beſtimmung er - fuͤlleſt ,
Und dies Gluͤck iſt Chriſten gewiß ; mit guͤldenen Let - tern
Hat die Allmacht ihr Wort auf ewige Tafeln gegraben ,
Jhr Verſprechen mit Eiden beſchworen , mit Blute be - ſiegelt .
Zweifelt noch einer von uns ? Kan einer noch unter uns anſtehn ,
Solche Reiche zu erben , auf ſolchen Thronen zu ſitzen ?
Und nun iſt es geſchehn ! Die dickſten ſchwaͤrzeſten Schatten
Huͤllet die Nacht um die Erde herum , und herrſchet al - lein nun
Ueber die ſchlummernde Welt mit ihrem bleyernen Zep - ter .
Voͤllig iſt nun die praͤchtige Scene des Tages geſchloſſen !
Morgen ward vom Mittag verſchlungen , der Mittag vom Abend ,
Alle von der gebietenden Nacht , die ehmals vor ihnen
Ueber 191 Ueber die Erde geherrſcht , als keine Sonne noch ſtralte .
O wie todt ſind Fluren und Hain ! wie todt die Gefilde !
Und wie todt iſt das Dorf ! wie todt die pra [nge ] nden Staͤdte !
Schreckliche Pauſe der bangen Natur ! Erweckendes Vorbild ,
Von der entſetzlichen Nacht , die einſt nach tauſend Aeonen ,
Wenn ſich nun der groͤſſeſte Tag zum Ende geneiget ,
Alle Himmel und Welten verſchlingt ; und uͤber die Truͤmmer
Eben ſo herrſcht , wie uͤber das Reich des finſteren Chaos .
Nahe dich hier , o du , du melancholiſche Muſe ,
Die du ſo gern in heiliger Nacht die ſilbernen Saiten
Jn der Einſamkeit ruͤhrſt , und dich mit irrendem Fuſſe
Nicht den Graͤbern zu nahen geſcheut ; wo Dunkel und Schrecken
Um 192 Um dich floſſen , und kalte Schauer des Todes dich faͤß - ten .
Schaue hinab in die Nacht der allgemeinen Verwuͤſtung ,
Wo am Rande der kuͤhnſte Gedanke mit Grauſen zuruͤck bebt ;
Und wogegen die Nacht des Grabes wie Mittag zu rechnen ?
Wage den einſamen Flug ! Du bebſt ? Wer ſollte nicht beben ,
Hinter dem Vorhang der Nacht den Weg zum Him - mel zu finden .
Ach ! was hilft es uns nun , daß man uns Kronen ver - ſprochen ,
Und ein ſchoͤneres Eden , als jenes Eden auf Erden ,
Da der Leitſtern uns fehlt durch dieſe Cimmeriſchen Naͤchte .
Doch , was ſeh ich ? Wer iſt die Himmliſchglaͤn - zende Goͤttin ,
Welche ſich dir zur Fuͤhrerin beut ? Sie ſchwingt in den Haͤnden
Eine leuchtende Fackel ; und eine Krone von Sternen
Schim - 193 Schimmert um ihr holdſeeliges Haupt ; die ruhigen Augen
Reden ſtaͤhlernen Muth , und Andacht , und Hoheit der Seele .
Ja ! ſonſt niemand als du , o du , im Himmel gebohrne ,
Heilige Religion , zeigt uns die Pfade zum Himmel .
Muſe , du haſt im doriſchen Ton , die verſchiednen Geſtalten
Des abwechſelnden Tages , geſungen : bekroͤne dein Lied nun
Mit der Religion und ihrem geheiligten Lorbeer !
Treueſte Freundin des Menſchen , du unerſchrockner Gefaͤhrte
Durch die ewige Nacht ; du groͤßtes Geſchenke der Gottheit ,
O wie , nenn ich dich recht , du Fuͤhrerin unſerer See - len ?
Weisheit von oben herab ? Wie , oder hoͤrſt du dich lieber
Mit dem wuͤrdigen Namen des chriſtlichen Glaubens benennen ?
IV . Th. N Denn 194 Denn wo iſt noch , auſſer der Lehre der Chriſten , die Tugend
Nein , und nicht durch Schwachheit entſtellt ? Dein ſicherer Finger
Zeigt den einzigen Weg , der uns zum Himmel hinauf - fuͤhrt .
Wie die Sonne der Welt , ſo leuchtet dein guͤtiges Auge
Allen verfinſterten Seelen ; dein Einfluß auf menſchli - che Herzen
Jſt noch maͤchtger , als der von allen Sphaͤren und Sternen
Auf die Natur . Was waͤren wir doch , wir irrenden Menſchen ,
Ohne dein goͤttliches Licht ? Was waͤre ſelber der Weiſe ,
Wenn ſein Herz nur menſchliche Weisheit zur Tugend erhuͤbe ?
Mehr oft , als der niedere Sklave des Laſters , vom Ungluͤck
Hier belaſtet , wuͤrde ſogar die Hofnung ihm fehlen ,
Sich dereinſt in anderen Welten belohnet zu ſehen .
Mit 195 Mit dir ſtralte zu uns die Menſchenliebe vom Himmel ,
Fuͤhrte die Voͤlker aufs neu zum erſten Urſprung zuruͤcke ,
Machte die Menſchen zu Bruͤdern , die irdiſche Woh - nung zum Eden .
Mit dir fuͤrchten wir nicht das tobende Meer , noch die Flamme ,
Noch das freſſende Schwerdt , und nicht die Macht des Tyrannen .
Durch dich werden wir mehr als Stoiker unter den Martern ,
Und noch reiner in Tugend , als alle weltlichen Weiſen .
Und vor allem leiteſt du uns auf ſicheren Wegen
Ueber die Baͤche des Todes , und machſt den Menſchen zum Engel .
Jhn erwartet der goldene Stuhl , die ewige Krone ;
Jhn erwartet das jauchzende Chor der engliſchen Har - fen ,
Und er wird ſich unter ſie miſchen , und feurige Hymnen
N 2 Dem 196 Dem Allmaͤchtigen ſingen , und ſeinem allmaͤchtigen Sohne .
Dann iſt niemals mehr Nacht . Jn allen Bezirken des Himmels
Wird Ein ewiger Tag den Ewiggluͤcklichen leuchten .
Der Tempel des Friedens . N och erklang das Jubelgeſchrey vom himmliſchen Frieden ,
Welcher nach dreyßig eiſernen Jahren die blutgen Gefilde
Deutſchlands wieder beſucht , und Voͤlker wieder verſoͤh - net .
Noch ſtieg unter den Choͤren der Tempel die jauchzende Feyer
Dieſes ſeeligen Tags , mit Blumen gekraͤnzt , zum Olymp auf ;
Und noch rauchte der Dankaltar , daß endlich die Liebe ,
Bruͤder wieder zu Bruͤdern , und Chriſten zu Chri - ſten vereinet ;
Als die Begeiſtrung im Traum mir erſchien , gleich einer der Muſen ,
N 4 Die 200 Die auf der Hoͤh des Aoniſchen Bergs in die goͤtt - liche Leyer
Feurige Lieder ertoͤnt ; und gleich der Gratien einer ,
Die mit laͤchelndem Blick die Fluren um Paphos ver - ſchoͤnert .
Sie ergrif mir die Hand , und mit gebietender Stimme
Sprach ſie : Folge mir nach ! Jch folgte der Goͤttin ; und ploͤtzlich
War ich mit ihr in einer entſetzlich verwuͤſteten Ebne ,
Unabſehbar , verwachſen , und wild , voll verworrener Wege .
Heere von Menſchen wimmelten drauf , und meine Ge - faͤhrtin
Sagte mir : Alles dieſes ſind Wege zum Tempel des Friedens .
Aber wafne mit Muth dein Herz ! Du kanſt ihn nicht ſehen ,
Wenn du nicht mit mir vorher viel blutige Scenen betrachtet .
Alſo die Goͤttin . Wir hoͤrten von fern Ge - winſel und Klagen ,
Und 201 Und fahn bald uns in Wolken von himmelaufſtei - gendem Rauche .
Welch ein Anblick ! Das dampfende Feld des eiſer - nen Krieges
Zeigte ſich ploͤtzlich dem Blick . Es rauſchten die bluti - gen Waffen
Schrecklich wider einander ; und vor dem Donner der Feldſchlacht
Hoͤrte man kaum der Armen Geſchrey , die ſchreckliche Seufzer
Mit den Seelen verhauchten — Aus einer ſalpetri - ſchen Wolke
Riß ſich die Ehrſucht , und trat auf uns zu . Gleich einer Minerva
Schmuͤckte der Helm ihr Haupt , ein Buſch von pur - purnen Federn
Wallte dahin in den Wind . Jndem ſie mit klingen - der Lanze
Eiſerne Schaaren ins Schlachtfeld trieb . Da brannten die Augen
Vor Vergnuͤgen , den Krieg zu verbreiten , und Blut zu vergieſſen .
Jhren Schritten folgte ſogleich die wilde Verwuͤſtung ,
N 5 Und 202 Und die Felder erſtarben vor ihr . Der ſchreckliche Hunger
Schwebte mit langſamem Flug , von giftigen Seuchen begleitet ,
Ueber dem Lager und uͤber der Stadt , und wuͤrgte mehr Menſchen ,
Als das blinkende Schwerdt . Jndeſſen fuͤhrte die Ehr - ſucht
Jhre Helden von Voͤlkern zu Voͤlkern , von Siege zu Siege ,
Ueber erſtorbene Felder einher ; der Tempel des Friedens
Schien ihr jedoch noch immer verſteckt , obgleich ihr mit Leichen
Nationen den Weg zu dieſem Tempel gezeichnet .
Hier erblickt ’ ich die ſtolzen Erobrer , vergoͤtterte Raͤuber ,
Helden , denen zu mehreren Siegen die Erde zu klein ſchien .
Das Geruͤcht , mit ſchimmernden Kraͤnzen und taͤu - ſchenden Lorbeern ,
Flog vor ihnen voraus ; es drang die Stimme des Elends
Nie 203 Nie in ihr Ohr , indem die Trompete der prahlenden Goͤttin
Sie beſtaͤndig mit Lerm , und Thaten des Krieges , be - taͤubte .
Nimrode ſah ich allhier ; und ſtolze Seſoſtriſſe zogen
Durch die Welt im Gepraͤnge des Sieges . Die Alex - ander
Fuͤhlten die Menſchheit nicht mehr ; es rauchten die praͤchtigen Staͤdte
Aſiens auf , durch die Fackel der Wuth in Ruinen geſtuͤr - zet .
Auch ſah ich , wie der pluͤndernde Roͤmer zum Helden ſich wuͤrgte ,
Wie er der Koͤnige Schaar an ſeinen Wagen gefeſſelt ;
Und die Beute der Welt den ſtolzen Buͤrgern vertheilte .
Die Kriegsfurie brachte darauf die Schwaͤrme der Go - then ,
Welche wie Fluthen des Meers die ſuͤdlichen Laͤnder be - deckten .
Manches herrliche Denkmal der Kunſt , und des Fleiſ - ſes der Menſchen
Stuͤrzte 204 Stuͤrzte herab in den Staub . Jn Haufen gethuͤrme - te Schriften
Fraß die Glut ; Barbariſche Haͤnde zerſtreueten Werke ,
Vieler Jahrhunderte Schmuck , in Einer ſchrecklichen Stunde .
Traurig , verſtellt , und zerſtoͤrt , verfielen die Tempel der Muſen ,
Und die Kuͤnſte nahmen die Flucht vor den Soͤhnen des Nordens .
Wir verlieſſen den blutigen Weg , und wandten uns endlich
Fern von dieſen verheerten Gefilden . Wir ſahen ſchon fernher
Jn der Wuͤſte den Tempel ; als ſchnell ein Weib uns ſich nahte ,
Gluͤhend von Unſinn und Stolz . Mit einer betruͤg - riſchen Larve
War ihr Antlitz bedeckt ; vom Vorurtheile begleitet ,
Folgten ihr Krieger und Prieſter ; ſie war die ſchreck - lichſte Geiſſel
Von dem Menſchengeſchlecht , die Goͤttin heiliger Schwaͤrmer .
Jhr 205 Jhr zur Seite wuͤrgte die Wuth mit geweyhetem Schwerdte ,
Und die Verfolgung , unter dem Namen des heiligen Eifers ,
Schlepte , vom Blute der Menſchen beſpritzt , zu graͤß - lichen Martern
Schaaren Unſchuldiger fort , die unter den Foltern ver - ſchieden .
Und nicht Mahomet nur , und ſeine Vertheidiger ſochten
Unter der Fahne der heiligen Wuth ; und beugten den Nacken
Aſiens unter das Joch : ich ſah noch aͤrgre Verfolger ,
Froͤmmre Tyrannen , und groͤſſere Moͤrder ; die nann - ten ſich Chriſten .
Heilige Heere zogen dahin , mit dem Kreutze bezeichnet ,
Das ſie durch Pluͤndern und Schwelgen , und alle La - ſter entweihten .
Sieh , fieng meine Begleiterin an , des Wuͤthenden Fahne ,
Welcher Einſiedeleyen verlaͤßt , um Heere zu ſuͤhren !
Er 206 Er fuͤhrt Schaaren verruchter Verbrecher zum heiligen Grabe ,
Welches ſonſt Pilger allein voll frommer Demuth be - ſuchten .
Groͤſſere Menſchlichkeit , groͤſſere Tugenden machten den Sultan
Wuͤrdger der heiligen Gruft , als irrende Ritter und Fromme ,
Welche ſich Laſter erlaubt , die kein Beſchnittner veruͤbet .
Was fuͤr Verbrechen mußte da nicht der Orient dulden ,
Als das befleckte Panier des Kreutzes die Laͤnder durch - ſtroͤmte !
Aber der Occident auch ſah ſich zerruͤttet . Die Heere
Lehrender Ritter durchirrten das Land , und tauften mit Blute !
So die Goͤttin . Mich duͤnkte , das Weinen der Voͤlker ſtieg aͤugſtlich
Zu dem Himmel hinauf . Man wollte durch Schwerd - ter bekehren ,
Und ich ſah den Prieſter , ergrimmt , mit Dolchen bewafnet ,
Flie - 207 Fliehende Schaaren verfolgen , und Staͤdte mit Feuer vertilgen .
Und doch rufte die heilige Wuth : zum Tempel des Friedens
Jſt kein anderer Weg , als dieſer , welchen ich fuͤhre .
Blut der Ketzer vergieſſen , heißt , Gott gefaͤlliger werden !
Alſo ſchrie ſie . Die grauſamen Haufen umgaben uns jauchzend ;
Doch wir entkamen den wuͤthenden Schaaren . Die Menſchenliebe ,
Mit Olympiſchem Schimmer geſchmuͤckt , entriß uns den Schwaͤrmern .
Eine ſanfte Gewalt zog uns zur Goͤttin ; wir folgten
Willig ihr nach ; ſie nahm mit uns zum Tempel des Friedens
Den geradeſten Weg . Vom blutigen Felde des Krieges
Riſſen ſich einige wenige Helden , die Zierde der Menſch - heit .
Zaͤrtliche Thraͤnen zitterten noch im traurigen Auge ,
Das 208 Das vom Metzeln ſich wandt ’ , und Lorbeerkraͤnze ver - ſchmaͤhte ,
Welche das Blut der Menſchen erkauft . Die jauchzen - den Voͤlker ,
Welche ſich wieder verſoͤhnt , begleiteten hoch im Tri - umphe
Jhre Beſchuͤtzer , die wahren Helden , zum ſtralenden Tempel .
Jn dem Hinzug warfen ſie ſchon die ſchimmernden Waffen ,
Und die blutigen Schwerdter hinweg ; indem ſich die Krieger
Kraͤnze von Lorbeern und Palmen geflochten . Die wallenden Fahnen ,
Und die Paniere wurden nunmehr zuſammen gewickelt ,
Sie in den Tempel des Friedens zu haͤngen . Wir ſahn ihn ietzt naͤher
Uns entgegen winken . Jn einem heiligen Haine
Wo der Oelbaum und Lorbeer von hohen Cedern be - ſchirmt ward ,
Lag er in einer lachenden Ebne ; ihn hatten die Voͤlker
Praͤch - 209 Praͤchtig erbaut , und alle Schaͤtze der Erde ver - ſchwendet ,
Um ihn herrlich zu machen . Zwar hatten Barba - ren und Gothen
Oft verſucht , ihn ganz zu zerſtoͤren ; doch ſtand er noch immer
Von der ewigen Vorſicht beſchuͤtzt . Es lagen rund um ihn
Bluͤhende Felder , auf welchen der Landmann die Schwerdter zu Sicheln ,
Und die Lanze zur Pflugſchaar gemacht . Die ſtil - len Gefilde
Gruͤneten ſicher und ſtolz in Seegen und Thaue gebadet .
Juͤngling ’ und Jungfraun ſangen in Reigen dem Frieden zu Ehren
Dankbare Hymnen , und von dem lachenden bluͤhen - den Huͤgel
Blies der zufriedne Schaͤfer ins Thal , in welchem die Heerden
Sorgenlos giengen ; mit ſchlafeinladendem ſuͤſſen Gemurmel
IV . Th. O Rieſelte 210 Rieſelte ſanfter der Bach , indem an blumichten Ufern
Die Najaden in Taͤnzen ſich uͤbten , und unter dem Schatten
Hoher vertraulicher Ulmen , Verliebte ſich ſicher be - ſprachen .
Alles athmete Freyheit und Ruh ; die gluͤckliche Landſchaft
Lag friſchbluͤhend , ſo wie ſie am Tage der Schoͤp - fung ſich umſah .
Welch ein Schimmer umleuchtete mich , indem ſich der Tempel
Ganz nun meinen Augen enthuͤllte ! Der goͤttliche Friede
Saß auf einem praͤchtigen Thron . Die Krone des Hauptes
War vom Lorbeer und Oelbaum . Ein Palmenzweig gruͤnte noch ſchoͤner
Jn der wohlthaͤtigen Hand ; und ſanfte himmliſche Freuden
Goß ſein heiterer Blick in aller Umringenden Her - zen .
Um 211 Um ihn ſtanden die Muſen und Gratien liebreich verſammelt ,
Und die Kuͤnſte , die zu ihm geflohn . Jetzt brach - ten die Helden
Jhm die Trophaͤen des Kriegs , und weihten ihm ihre Paniere ,
Die nun von ſchimmernden Pfeilern zum ewgen Ge - daͤchtniſſe wehten .
Als ich ſtaunend noch ſtand , erhub ſich im Jn - nern des Tempels
Eine ſuͤſſe Muſik von hohen harmoniſchen Stim - men ,
Die uns zu groſſen Empfindungen riß , und Ruhe der Seele ,
Mit der Liebe zum Menſchengeſchlecht , in dem Her - zen erweckte .
Jetzo ſchwiegen die Harfen . Des Friedens bezau - bernde Lippen
Sprachen ietzund , und alles verſank in die tiefeſte Stille .
Suͤſſer ertoͤnete keine Muſik ; die ſterblichen Worte
O 2 Stre - 212 Streben umſonſt , wie er die Harmonien zu reden ,
Welche von ſeinem goͤttlichen Munde ſich alſo er - goſſen .
Beneidenswerthes Volk , das ohne Schild und Schwerdt
Den ſichern Acker baut , und Lorbeern nicht begehrt ;
Das gluͤcklich iſt durch ſich ; und keine Helden ken - net ,
Als Sieger , deren Bruſt von Menſchenliebe bren - net ,
Und die mit groͤſſerm Ruhm , als den der Kriegs - gott giebt ,
Das Vorurtheil geſtuͤrzt , ihr Vaterland geliebt ;
Die Wuͤſte reich gemacht , der Handlung Flor er - weitert ,
Und des Barbaren Geiſt durch Wiſſenſchaft erhei - tert .
So war der groſſe Czaar , der Rußland beſſer ſchuf ,
Ein 213 Ein Held — ein halber Gott . Der ſchmeichleriſche Ruf
Jns blutge Siegesfeld kont ’ ihn nicht uͤbertaͤuben ,
Da er die Kunſt verſtand , im Frieden Held zu bleiben .
Ein guͤldner Regen fiel auf ein barbariſch Land ,
Und Wilde wurden ietzt zu Menſchen umgewandt ;
Gluͤck , Seegen , Reichthum , Pracht , umarmten hier einander ,
Da Schweden hungerte durch ſeinen Alexander .
Zwar ſind auch mir ſehr oft des Siegers Lorbeern werth ,
Wenn Ungerechtigkeit die Laͤnder nicht verheert ;
Wenn die Erobrungsſucht das Mordſchwerdt nicht gezuͤcket :
Und nicht der Heldenmuth die Menſchlichkeit erſticket .
O 3 Al - 214 Allein mit welchem Schmerz ſeh ich Trophaͤen an ,
Die mir der Held nur bringt , nicht der rechtſchaf - ne Mann !
Es iſt nur groß und ſchoͤn , fuͤrs Vaterland zu ſter - ben ;
Nur groß , mit Menſchenblut den Frieden zu erwer - ben ;
So wie Georg einſt focht , und wie ein Friedrich ficht ,
Wenn ſchon der nahe Sturm auf ſeine Laͤnder bricht .
Gluͤckſeliges Geſchlecht , Menſch , moͤchteſt du erwaͤgen ,
Daß dich die Vorſicht ſchuf zum Beyſtand und zum Segen ,
Nicht zu der Deinen Fluch , nicht zum beſtaͤndgen Krieg ,
Der unter Thieren herrſcht ! Was iſt der ſchoͤnſte Sieg
Mit Menſchenblut erkauft ? Sind Alexanders Kro - nen
der 215 Der Niederlage werth von ſo viel Millionen ?
Mit welcher Heiterkeit ſieht nicht ein wahrer Held
Sein Volk durch ſich begluͤckt , begluͤckt die halbe Welt ?
Die ſichern Felder bluͤhn ; die Thaͤler ſchallen wieder
Von Heerden ohne Zahl , in ihrer Hirten Lieder ;
Der Oelbaum gruͤnt und waͤchſt fuͤr den , der ihn ge - pflanzt ;
Die Traube reifet ihm ; der frohe Landmann tanzt
Um ſeinen Erndtenkranz . Jn praͤchtgen Staͤdten bluͤhet
Die Handlung wieder auf ; die fremde Flagge ziehet
Jn ihren Hafen ein , und des Geſchuͤtzes Knall
Verkuͤndigt Ueberfluß und Reichthum uͤberall ;
O 4 Er 216 Er ſtroͤmt vom fernen Oſt , und von dem reichen Weſten ,
Und jeder frohe Tag gleicht freudenvollen Feſten .
Jhr Helden , iſt dies Gluͤck nicht mehr als alle Pracht
Vom wilden Kriegesheer und vom Getoͤs der Schlacht ?
Seyd denn des Rechtes Schutz , und eurer Laͤnder Retter ,
Und wollt ihr Goͤtter ſeyn , ſo ſeyd nur Friedensgoͤtter .
Als er noch ſprach , da trat in den Tempel ein ho - hes Gefolge
Hinter einer Goͤttin einher , die nach dem Altare
Zugieng . Die Religion , von Deutſchland begleitet , mit ihnen
Einigkeit , Liebe , Freundſchaft , und Gluͤck , begaben ſich feyernd
Nach dem Altar . Von fern ſchon erblickte der goͤttli - che Friede
Seine 217 Seine Schweſter , die Religion , mit frohem Entzuͤcken .
Beyde ſtammten vom Himmel . Als ſie ietzt naͤher gekommen ,
Reicht ’ ihr der Friede den Palmzweig entgegen ; die Religion ſprach :
Gluͤcklicher Tag , an dem ich zuerſt nach langem Ver - weilen
Mit Germanien wieder dich himmliſchen Tempel be - ſuchte ;
Schoͤnſter der Tage fuͤr Deutſchland , fuͤr mich ! nie muͤſſe dir Jubel
Mangeln am Tage der Feyer ; nie muͤſſe dich Deutſch - land vergeſſen !
Koͤnte dich einer des Volkes vergeſſen , das ietzund im Frieden
Sicher ſchlummert , und Seegen genießt ; ſo ſey er die Schande
Von Germaniens Namen ! Der Edle kehre ſich von ihm
Mit Verachtung , und laß ihn unter dem fuͤhlloſen Poͤ - bel !
O 5 Vaͤ - 218 Vaͤter , erzehlt den horchenden Kindern , nun ſaget den Enkeln ,
Welch ein Blut man in Deutſchland vergoß , zum Schimpfe der Menſchheit ,
Und , ſo wie die Wuͤthriche glaubten , zu meiner Ver - theidigung .
Braucht ich Waffen zu meiner Vertheidigung ? und toͤdtende Schwerdter ,
Meiner Lehre zum Schutz ? Und hatte der Predger der Liebe
Seinen Glauben mit Haß und Blute zu lehren gebo - ten ?
Und doch thatens die blinden Verfolger ? Jm grauſa - men Buſen
Redte die Sanftmuth umſonſt . Der Prieſter wafne - te Bruͤder
Wider Bruͤder , und Chriſten bekriegten ſich blutger , als Heiden !
Welch ein Anblick ! indem ich zuruͤckſeh auf alles das Elend
Jener verfloſſenen Zeit , die Deutſchland ewig zum Schimpf iſt !
Rauchen - 219 Rauchende Doͤrfer , gepluͤnderte Staͤdte , verwuͤſtete Felder ,
Schaaren von Kriegern , von Raͤubern vielmehr . Von einſamen Warten
Schauen die Waͤchter ins Land , und ſehen nichts als Rauben und Morden ,
Nichts als blinkende Waffen , und Hunger , und Truͤb - ſal und Elend .
Weinend druͤckt die verzweifelnde Mutter den ſchmach - tenden Saͤugling
An ihr klopfendes Herz , und zitternd ſchauet der Mann aus ;
Hoͤrt von fern her die kriegriſche Trommel , und reiſſet die Kinder
Und ſein Weib an der Hand , hinab in tiefe Gewoͤl - ber ,
Oder in wuͤſte Tempel ; umſonſt — das durſtige Mordſchwerdt
Findet ihn da auch , und ſchonet ihn nicht , und legt ihn in Blut hin .
O! der entſetzlichen Scenen ! — Du , o getreue Ge - ſchichte ,
Wolleſt 220 Wolleſt ſie nimmer zu melden vergeſſen , damit das Entſetzen
Ueber ſo viel vergoßnes Blut , den Deutſchen bewahre ,
Nie Germaniens Ruhm mit ſolchen Thaten zu ſchaͤn - den !
Laß ihn mit jauchzendem Dank die Tage des Friedens erkennen ,
Die ihm der Himmel geſchenkt , der ſeine verfallenen Tempel
Wieder mit Hallelujah gefuͤllt , und fromme Gebeter ,
Frey vom Banne , zu halten erlaubt — O ſeliger Friede ,
Nimm das Opfer Germaniens an , und laß es nun ewig
Deiner Fruͤchte genieſſen , und wenigſtens werde nie wieder
Von unheiligen Haͤnden mein Nam entweihet ; nie werde
Gott zu Ehren die Menſchheit erſtickt , und der Erd - kreis entvoͤlkert !
Mei - 221 Meine Fackel ſoll leuchten , und nicht in verfolgenden Haͤnden
Huſſens , Servetens , Holzſtoß entflammen , und Staͤd - te verbrennen .
Geiſt der Duldung , o ſteige herab , laß doch nicht ewig
Chriſten Chriſten verketzern , und Wortgefechte der Prieſter
Koͤnige wafnen , und Laͤnder empoͤren , und Voͤlker ver - wuͤſten !
Alſo die Goͤttin ! das jauchzende Chor antwortete wie - der :
Gluͤcklicher Tag ! kehr oftmals zuruͤcke ! wie Feſte Gottes
Sey im Tempel des Friedens mit Hallelujah ge - feyert .
Wenn du mit Blumen gekraͤnzt am oͤſtlichen Him - mel heraufſteigſt ,
Schweige der Sturmwind vor dir , und heiterer ſtra - le die Sonne
Ueber dem Weltmeer herauf ; die Erde muͤſſe dir laͤcheln ,
Wenn 222 Wenn Germaniens Jauchzen zum Meer dich hin - unter begleitet !
Dieſes ſangen die Choͤre des Tempels . Jch ſtand voll Entzuͤcken
An der Hand der Begeiſtrung , und hoͤrte noch , da ich erwachet ,
Lange den ſuͤſſen melodiſchen Schall , und ſah noch den Tempel ;
Bis mir die Muſe befahl die himmliſchen Harmo - nien ,
Obgleich nur mit ſterblichen Toͤnen dem Frieden zu ſingen .
Ende des vierten Bandes .
Halle , gedruckt bey Johann Joachim Beyern , 1764.