PRIMS Full-text transcription (HTML)
Poetiſche Schriften
Vierter Band.
Mit allergnaͤdigſten Freyheiten.

Vorbericht.

Die Tageszeiten, die in den bisheri - gen Auflagen ſo viel guͤtige Leſer ge - funden haben, erſcheinen allhier in ei - ner ſehr veraͤnderten Geſtalt. Jch kan dieſes Gedicht, wie ich glaube, mit* 2RechtVorbericht. Recht ein ganz neues Gedicht nennen, ſo gaͤnzlich iſt es von mir umgegoſſen worden. Die einzelnen Verſe, die ich noch aus den vorigen Auflagen bey - behalten habe, ſind einer beſſern Har - monie wegen faſt alle geaͤndert; groſ - ſe Stellen ſind herausgelaſſen worden, und groſſe Stellen ganz von neuemhinzu -Vorbericht. hinzugekommen. Da der Hauptton dieſes Gedichts ernſthaft war, ſo ha - be ich ſehr viel Schilderungen meiner eignen Kritik aufgeopfert, obgleich ei - nige Leſer ſie vielleicht vermiſſen wer - den. Alle groſſen und kleinen, ſo - wohl geaͤnderten als neugemachten Stellen anzuzeigen, wuͤrde zu weitlaͤuf -* 3tigVorbericht. tig ſeyn, da ſie, wie ich hoffe, ins Auge fallen. Jch uͤberlaſſe es alſo lediglich Kunſtrichtern und Liebhabern ſelbſt, die Vergleichung zwiſchen den erſten Auflagen, und dieſer meiner ietzigen verbeſſerten Arbeit anzuſtellen, und werde ich mich fuͤr vollkommen belohnt halten, wenn das PublikummitVorbericht. mit meiner Bemuͤhung, ſeinen Bey - fall zu erwerben, nicht ganz unzufrie - den iſt. Aller Sorgfalt ungeachtet ſind einige Druckfehler ſtehn geblieben, wovon man die vornehmſten hier an - zeigen will.

Jm Morgen S. 22. Z. 1. und im Mittag S. 105. Z. 3. muß jedesmal ſtatt Meer, Moor geleſen werden. Jm Mor - gen S. 28. Z. 10. muß das Wort zu -* 4ruͤck,Vorbericht. ruͤck, weggeſtrichen werden. Jm Mittag S. 56. Z. 8. liß ſtatt erwachſene, ver - wachſene. S. 85. Z. 11. muß das Wort er weg. Jm Abend S. 118. Z. 6. liß ſtatt aͤngſtlich ſtoͤhnen, aͤngſtlich ſchuͤrfend. Jn der Nacht S. 140. Z. 1. liß fuͤr erwaͤhlte, erwaͤhle. Jm 6ten Bande S. 87. Z. 4. liß zum Kriege denn, Goͤtter, zum Kriege. S. 300. Z. 1. Muß der Vers heiſſen, Leitet, o Seraph, dich nicht zu einer ſtraͤflichen Neugier.

[1]

Der Morgen. Der Morgen.

IV. Th. A[2][3]
[figure]
Sey mir, o heitrer Morgen, gegruͤßt! Komm, ſteige hernieder
Von den verguͤldeten Hoͤhn in wiederermunterte Thaͤ - ler!
Sieh! die Blume richtet ſich auf; voll blitzender Perlen
Lacht ſie ſchoͤner umher, von deinen Stralen geoͤfnet:
A 2Und,4Der Morgen.
Und, indem die Muſik des belebten Waldes erwachet,
Wirſt du von Jubelgeſchrey, und jauchzenden Choͤren, begruͤſſet.
Du, die mit einweihendem Blick, den Britti - ſchen Saͤnger
Zu dem weiten Pallaſt der Jahreszeiten gefuͤhret:
Laß mich, Doriſche Muſe, die Jahreszeiten im Kleinen,
Jahreszeiten des Tags, nicht ganz unwuͤrdig beſingen.
Bringe mich an die umleuchteten Pforten des ſchim - mernden Mergens!
Jhm eroͤfnet ſie ietzt mit Roſenfinger Aurora,
Und er ſaͤhrt im Oſten herauf im Pompe des Sieges,
Welchen er uͤber die Schatten erſtritt. Sein ſtralen - der Wagen
Fliegt durch die Himmel. Die guͤldenen Stunden, die lachenden Freuden,
Schweben um ihn. Ein Perlenthau trieft von pur - purnen Raͤdern
Auf die erwachende Welt, die ihren Geliebten bewill - kommt.
Du, o mein getreueſter Gaͤrtner, du Ehre der Freundſchaft,
Welchen das edelſte Herz auch ohne die gluͤcklichſten Gaben
Deines5Der Morgen.
Deines erleuchteten Geiſtes, erhuͤbe; den oͤfters die Laute,
Die der mahlende Thomſon geruͤhrt, zur Bewunde - rung hinriß,
Wenn du, mit uͤber dich ſtroͤmender Luſt, vom Antlitz des Fruͤhlings
Unter dem ſchattichten Dach vertraulicher Linden und Ulmen
Dich begeiſtert gefuͤhlt; und durch die Liebe begluͤcket,
So durch die Liebe begluͤckt, als Sterbliche jemals ge - weſen,
Mit vermehrter Empfindung der Nachtigall Lieder ge - hoͤret:
Leih auch meinem Geſang vom holden Lenze des Tages
Ein gefaͤlliges Ohr, und laͤchle der Kuͤhnheit Ermunt - rung.
Siehe! die einſame Nacht winkt mit dem bleyer - nen Zepter
Jhrem duͤſteren Zug, den traurigen Kindern des Schat - tens.
Sie gehorchen dem Wink, und folgen eilig dem Wagen
Jn die Gefilde des Abends zuruͤck. Der ſtreifichte Schleyer
Dunkler verſammelter Wolken, in den die Natur ſich gehuͤllet,
Rollt ſich vom Himmel bereits in wogichtwallenden Falten
A 3Zit -6Der Morgen.
Zitternd verſchwinden die Sterne; der helle Bote des Morgens,
Luzifer, blinket allein mit matten verloͤſchenden Stra - len
Durch den unendlichen Raum des weiten aͤtheriſchen Reiches.
Vom Gefolge der Nacht entwiſchen indeſſen die Traͤume
Gauckelnd zuruͤck, und ſchwaͤrmen auf bunten flattern - den Fluͤgeln
Ueber den Haͤuptern der Menſchen herum in zahlloſen Schaaren.
Denn der Morgen, der ietzt den ſanfteſten Schlummer verſtreuet,
Schafft in der leichteren Seele den freyen mittleren Zu - ſtand,
Zwiſchen dem tiefeſten Schlaf und dem erſten leichten Erwachen,
Jhrer bemeiſtert ſich ietzt die Phantaſey. Von dem Haupte
Weht ihr der wallende Federbuſch hin; die goldenen Locken
Wallen mit Blumen gekraͤnzt in die Luft; ihr Kleid iſt beſaͤet
Mit viel blitzenden Flittern, und tauſend wechſelnden Farben,
Wild und ploͤtzlich ſchießt ſie umher. Bald ſteiget ihr Fittich
Jn die Geſilde der Luſt; bald ſtuͤrzt ſie von Felſen her - unter,
Und7Der Morgen.
Und arbeitet durch bruͤllendes Meer zu fernen Geſta - den,
Jtzo geht ſie entzuͤckt in hellen bezauberten Wieſen,
Hoͤrt Sirenengeſang, und ſpeißt in Schloͤſſern der Feyen,
Oder ſie bebt durch ſchreckliche Wuͤſten, und alte Ge - maͤuer,
Und geht unter den Graͤbern herum in Trauer verhuͤl - let:
Bis das kleinſte Geraͤuſch die leichten Traͤume zerſtoͤ - ret,
Und dem erwachenden Blick die leeren Phantomen ver - ſchwinden.
Nach und nach enthuͤllet ſich nun die daͤmmernde Gegend.
Waldichte Huͤgel erheben ihr Haupt; in blauer Schat - tirung
Schwillt zuſehends dem Auge bereits der Ruͤcken der Berge.
Dunkelglaͤnzend rollet der Strom die ruhigen Wogen
Durch das rauchende Land, das immer noch mehr ſich enthuͤllet.
Maͤchtige Thuͤrme ſteigen empor, und drohen den Wolken,
Und das moſichte Dach tritt aus den verſchwindenden Schatten.
Jubilirend ſchwingt ſich indes die ſteigende Lerche
A 4Von8Der Morgen.
Von der thauichten Flur, und ruft dem kommenden Tage.
Der erwachende Wald, die wiederbelebten Gefilde,
Hoͤren die Stimme des Herolds, der zu Geſaͤngen er - muntert,
Alle werden ermuntert. Es huͤpfen die Saͤnger des Waldes
Froͤhlich empor, und putzen die Schwingen. Jn ſtil - ler Erwartung
Scheinen ſie alle bereit, um bey dem gegebenen Zeichen
Mit dem allgemeinen Concert die Sonne zu gruͤßen.
Noch verbirgt ſie ſich uns. Auf roſenfarbenem Fittig
Rauſchet die Morgenroͤthe vorbey, indem ſie die Sterne
Ploͤtzlich vertilgt, und rings um ſich her die Wolken be - purpert.
Voller Ungeduld ſtuͤrzet die Schaar der groͤſſeren Voͤgel
Jn die Tiefe der Luft, die Sonne fruͤher zu ſchauen.
Aus dem dunkelen Forſt wallt ihr der reiſende Reyher
Und der Habicht entgegen. Ein dickes Geſchwader von Dohlen
Flattert um Felſen herum, mit lautem geſchwaͤtzigen Rufen,
Da9Der Morgen.
Da in oberer Luft, in gaukelnden Kreiſen, die Schwal - be
Sich im roͤthenden Stral die blauen Fluͤgel verguͤldet.
Langſam trabet nunmehr der Hirſch mit ſtolzem Ge - weyhe
Ueber die Haide zum Forſt, und ſieht nach den Saa - ten zuruͤcke,
Die er ungern verlaͤßt, vom fruͤhen Tage verſcheuchet.
Auch der Haſe fluͤchtet ſich nun zum buſchichten Vor - holz;
Da aus hohen waldichten Wipfeln veralteter Eichen
Mit ſchwerfliegendem Flug der Rabe zu fernen Gefil - den
Fortzieht. Munter eroͤfnet bereits der Schaͤfer die Huͤrden;
Von dem Widder gefuͤhrt, folgt ihm die bloͤckende Heerde
Zu den blumichten Hoͤhn. Von Fruͤhlingsgeruͤchen be - geiſtert,
Setzt der zufriedene Hirt auf einem waldichten Huͤgel
Froͤhlich ſich hin; ergreift ſein Rohr, und ſchallende Lieder
Toͤnen ins einſame Thal. Der Nachhall horchet den Liedern,
Sendet ſie wieder zuruͤck, und taͤuſcht den lauſchenden Schaͤfer
A 5Mit10Der Morgen.
Mit dem aͤhnlichen Ton. Nunmehr erwachen die Huͤtten.
Auf dem moſichten Dach girrt ſchon der buhlende Tau - ber
Um die Geliebte herum, die bald nach ſproͤdem Ver - zoͤgern
Jhm den verweigerten Kuß noch ſuͤſſer, noch feuriger, hingiebt.
Mit gebogenem Hals ſteht hoch auf der Leiter der Haushahn,
Und kraͤht Freud in den Hof; mit lauten ſchlagenden Fluͤgeln
Springt er hinab auf den Platz, und tritt den ſchwaͤ - tzenden Weibern
Brennend entgegen; er ſchuͤttelt voll Stolz die maͤch - tige Krone,
Und geht unter ſie hin mit majeſtaͤtiſcher Herrſchaft.
Seine Stimme verkuͤndiget Arbeit. Den Herold des Tages
Hoͤrt der Landmann, ſpringt auf, und macht in grau - ender Daͤmmrung
Seinen Wagen zurecht; er hohlt die wiehernden Roſſe
Aus dem niedrigen Stall, und fuͤhrt ſie der Arbeit entgegen.
Oder er ſpannt an den Pflug die wiederkaͤuenden Ochſen,
Die geduldig dem Joch die breite Stirne gereichet.
Lang -11Der Morgen.
Langſam zieht er zur Flur, und reiſſet ſeitlang die Fur - chen,
Unter der Lerche Muſik, die ihm die Arbeit verſuͤſſet.
Jetzo ruht er, gelehnt an den Pflug, und ſchauet be - gierig
Weit gen Oſten hinab, das Antlitz der Sonne zu ſehen.
Goͤnne dein Antlitz, o Sonne, den dich erwartenden Fluren,
Und belohne die Muͤh des ſchweißvergieſſenden Land - manns,
Sie beſchleunigt den Lauf, und roͤthet im wollichten Oſten
Jmmer heller die Wolken, die vor ihr hergehn, und ſchimmern,
Wie ein glaͤnzender Hof, der ſeinen Monarchen ver - kuͤndigt.
Und nun ſiehe! Sie koͤmmt, ſie iſt da! Mit vollem Geſichte
Blickt queer uͤber die Welt die holde Fuͤrſtin des Tages.
Jetzo ſliege die Phantaſey, mit maͤchtigen Schwin - gen,
An den entnebelten Strand des ruhig ſchweigenden Weltmeers;
Oder ſie ſchaue herab von himmelnahen Gebirgen
Weit in die Wuͤſte des Meers, die jetzo der Morgen beſtralet.
Wie -12Der Morgen.
Wiehernd ſteigen die Pferde der Sonne, mit dam - pfenden Naſen,
Aus den Fluthen herauf, die ſeurige Laufbahn zu ren - nen.
Sie, die Sonne ſitzet darauf im monarchiſchen Pompe;
Von dem duftenden Haar der alles erheiternden Goͤttin
Troͤpfelt ein himmliſcher Thau, der, in ſich oͤfnenden Muſcheln,
Zu den reineſten Perlen erſtarrt. Des Mecres Be - wohner
Recken ihr Haupt aus der Fluth, die ſruͤhe Sonne zu gruͤſſen.
Alles iſt Himmel und Meer; doch auch die unendliche Wuͤſte
Lacht mit ſpielendem Glanz aus allen funkelnden Wo - gen.
Tief am Rande des Horizonts entdecket das Auge,
Halb in Wolken, und halb in der Fluth, das maͤchtige Kriegsſchif,
Sichtbar kaum; jetzt naͤhert es ſich; ſchon ſchwellen die Seegel
Jn das ſorſchende Glas; ſchon flattern die Flaggen und Wimpel
Um den wankenden Maſt: bis endlich die ſchwimmende Veſtung
Alle Seegel verſpreitet, und nah am hohen Kaſteele
Mit13Der Morgen.
Mit dem Donner des Kriegs die lauten Jnſeln be - gruͤſſet.
Und nun iſt der Vorhang gefallen! Auch uͤber die Ebnen
Funkelt der Sonne goͤttlicher Glanz; es trinken die Felder
Geitzig das ſegnende Licht, das ſo wohlthaͤtig ſich aus - gießt.
Alles laͤchelt entzuͤckt von trunkner Freude verſchoͤnert;
Jedes Gras erhebet ſein Haupt mit blitzenden Perlen;
Alles, was Stimmen hat, feyert mit Stimmen die Ankunſt der Sonne;
Die geſamte Natur ſchallt wieder von jauchzenden Choͤ - ren,
Und ein heiliger Duft ſteigt, wie ein dampfender Ne - bel,
Von dem Erdenaltar zum Morgenopfer der Sonne.
Praͤchtige Scene! wer kan dich beſchreiben? Wer tauchet den Pinſel
Jn die Farben des Morgenroths ein, dich wuͤrdig zu mahlen?
Traurig harrte die bange Natur im erkaͤltenden Schau - der,
Und ihr herrlichſter Schmuck war von den Schatten verſchlungen.
Wie ein maͤchtiger Tod lag mit verbreiteten Schwin - gen
Die14Der Morgen.
Die verhuͤllende Nacht weit uͤber dem einſamen Erd - kreis.
Aber auf einmal verjagt, die triumphirende Sonne,
Schatten und Schauder und Schlaf zum Niedergange zuruͤcke,
Jhre wohlthaͤtige Kraft gießt ſich durch alle Geſchoͤpfe -
Und der Puls der Natur faͤngt an von neuem zu ſchla - gen.
O wie war es ſo leicht; daß Menſchen dich goͤttlich verehrten,
Guͤtige Sonne, dich, Quelle des Lichts, dich, Fuͤrſtin des Himmels!
Da ihr erſtes Gefuͤhl zu ſolchen Wundern ſie hinriß.
Haͤtte der Heide dich nicht verehrt, ſo waͤre es dem Heiden
Zum Verbrechen geworden! Wenn in dem Tempel von Cusko,
An dem rauſchenden Ganges, und an des Hydaspis Geſtaden,
Das lautfeyrende Chor der weißgekleideten Prieſter
Dich mit Hymnen begruͤßt, und dir mit Weyhrauch geopfert;
Oder der nackende Mohr in froͤlichgeſchloſſenen Reihen
Dich mit Taͤnzen empfieng; war dies nicht Menſchen gemaͤſſer,
Als15Der Morgen.
Als vor Stieren zu knien, und Caimanen zu raͤu - chern?
Sey auch uns, Regentin des Tags, im Oſton will - kommen!
Dich begruͤſſe das Lied der hingeriſſenen Muſe,
Welche durch deinen Glanz den Thron des Schoͤpſers erblicket,
Deſſen unterſte Stufen dein himmliſches Feuer verguͤl - det.
Stralender Ausfluß des Lichts! du, Quelle von aller der Schoͤnheit,
Die den wandelnden Erdkreis in ſeinen Veraͤndrungen ſchmuͤcket.
Seegen und Nahrung flieſſet aus dir, in feurigen Stroͤ - men,
Fuͤr unzehlige Schaaren ſo vieler verſchiednen Ge - ſchoͤpfe!
Von den Herren der Welt, bis auf die ſtaubichte Milbe,
Trinket alles, und lebt von deinem beſeelenden Aus - fluß!
Dich umtanzen die Stunden in muſikaliſchen Reihen;
Und die Zeiten des Jahrs, im abgemeſſenen Wechſel,
Folgen dir nach, und kraͤnzen mit Seegen und Freude den Erdkreis.
Wenn der blumichte Lenz kaum von den Purpurge - woͤlken
Seine16Der Morgen.
Seine Roſen verſtreut: ſo ſteigt der maͤchtige Sommer
Auf den ſtammenden Thron, und ſchieſſet ſengende Stralen
Aus dem Koͤcher herab; die Pfeile ritzen die Erde,
Das weitwallende Feld wird weiß; die reifenden Aepfel
Gluͤhn erroͤthend am Baum; indem in milderer Herr - ſchaft
Sich der verſchwendriſche Herbſt auf kuͤhlenden Luͤſten herablaͤßt;
Sein von Trauben und Fruͤchten geſchwollenes Fuͤll - horn verſchuͤttet,
Und das jauchzende Feld mit guͤldenem Regen erfreuet.
Bis, in Schneegeſtoͤber verhuͤllt, der brauſende Winter
Toͤdtende Seuchen verjagt, und auf verwuͤſtenden Stuͤr - men
Schaͤtze von Ruh und Geſundheit den ſtarrenden Flu - ren ertheilet,
Daß der ermuͤdete Baum, die lang entkraͤſteten Felder
Unter der Decke der Flocken zu neuem Seegen ſich aus - ruhn.
Aber wie groß iſt nicht der, der dich, o maͤchti - ge Sonne,
Und nicht dich nur allein, der Millionen von Sonnen,
Jn17Der Morgen.
Jn den grenzloſen Raum, als ſtralende Funken, ge - ſchuͤttet,
Die er aus dem Leeren des Chaos allmaͤchtig heraus - ſchlug,
Jede von werdenden Welten, und ihren Trabanten umringet,
Unausſprechliche Zahlen von tauſend verſchiednen Sy - ſtemen,
Wovon jedes ihn preißt mit Myriaden Bewohner.
Muſe, der ſinkende Flug kan nicht die Hoͤhen er - reichen,
Wo der brittiſche Geiſt im Sonnenglanze ſich badet.
Nur Thomſoniſche Hymnen erfuͤllen die Seele mit Feuer,
Und beſingen allein den erhabenſten Gegenſtand wuͤrdig.
Doch jetzt, da die Natur zu Lobgeſaͤngen entzuͤ - cket,
Jhm jauchzt, der ſie erſchuf; da ihn die Huͤgel erhe - ben,
Jhm die Waͤlder lobſingen, und alle Stimmen ihn preiſen;
Jetzo ſchwiege der Menſch? Jetzt ſchwiege der Chriſt? O der Schande!
Unnatuͤrliche Traͤgheit, die unvergeblicher waͤre,
Als die Blindheit des Heyden, wenn er der Sonne geraͤuchert.
IV. Th. BAber18Der Morgen.
Aber was ſeh ich? Viel tauſende ſteigen von naͤchtlichen Lagern
Nicht vom Vorſpiel des Todes geſchreckt, in welchem ſie lagen,
Unerkentlich, obgleich ſie von neuem zum Leben er - wacht ſind!
Ohne Gedanken taumeln ſie hin zur niedrigen Arbeit,
Ohne Gedanken von ihm, der ſie aus Staube geſchaffen.
Doch ich ſeh auch chriſtliche Haͤnde zum Himmel ſich falten,
Und demuͤthige Knie ſich vor dem Allmaͤchtigen beugen.
GOtt ſchaut gnaͤdig herab; die Morgenopfer der Her - zen
Sind ihm ein ſuͤſſer Geruch, und fuͤllen den jauchzen - den Himmel.
Ganz verblendet vom Glanz der groſſen praͤchti - gen Scene
Sitze die Seele vertieft, und ſchaue vom waldichten Huͤgel
Weit in das lachende Feld, dem Sonnenwagen entgegen.
Oder leite mich jetzt, o Muſe, zum winkenden Luſt - wald,
Wo in hohen Gewoͤlben voll Laub ein heiliges Schre - cken
Mein durchdrungenes Herz mit frommen Gedanken be - geiſtert.
Laß19Der Morgen.
Laß der Sonne fruͤheſten Stral die ſtammelnden Seuf - zer,
Mit dem Opfergeruch des Morgens, zum Himmel hin - aufziehn.
Huͤlflos lageſt du da, in einem Zuſtand von Ohnmacht;
Es war Tod Tod einer Nacht, in welchem du ſchliefeſt.
O wie maͤchtig ſolteſt du nicht die Wahrheit empfinden,
Daß von einer hoͤheren Macht dein Leben gehangen!
Haſt du dich ſelber erweckt? Haſt du die Augen geoͤfnet,
Die ein Anfang vom ewigen Schlaf ſo feſt dir geſchloſ - ſen?
Konteſt du deiner im Traum ausſchweifenden Seele gebieten,
Oder die ſchwaͤrmende Phantaſey in Schranken erhalten?
Und du ſiehſt es, du biſt erweckt; ein Wunder erweckt dich,
Und du lobſt nicht den GOtt, der dir von neuem dein Leben,
Ein ſo großes Geſchenk, auf Sonnenſtralen herabgiebt?
Doch die Andacht leitet mich ſchon auf feurigen Fluͤ - geln
Hoch in die Wolken empor, und laͤßt mich die Erde beſchauen.
B 2Welche20Der Morgen.
Welche Mengen entdecket mein Blick, mit erhabenen Haͤnden,
Voͤlker an Voͤlker, verſchieden in ihren Sprachen und Sitten!
Von der Pagode, Moſchee, von Synagogen, und Kirchen,
Schallt die harmoniſche Cymbel, die weitertoͤnende Glocke
Mit der praͤchtgen Muſik der Orgel vermiſcht, in die Lieder
So viel tauſend verſchiedener Sekten, die hierin doch eins ſind,
Einen allmaͤchtgen Beherrſcher der Welt, und der Geiſter zu loben,
Welchen Namen ihm auch die menſchliche Sprache ge - geben.
Ewiger, einziger GOtt! vor dem ſich die Thro - nen und Maͤchte,
Und die Myriaden der Engel, das Antlitz bedecken,
Laß dir die Lieder des Danks von deinen Geſchoͤpfen gefallen,
Auch vom irrenden Wilden, der mit verbreiteten Ar - men
Jm Gebete feuriger brennt, als jene Maſchinen,
Chriſten genannt, ſie, die nur allein aus Gewohnheit dich loben.
Meine Seele zittert gebuͤckt voll Andacht am Throne
Deiner21Der Morgen.
Deiner goͤttlichen Pracht, mit deren ſerneſten Stralen
Jetzt ſich die Morgenſonne bekleidet. Die ſterbliche Harfe
Singt zwar nicht wuͤrdig genug ſo groſſe Wunder der Allmacht;
Doch du hoͤrſt auch das Lied, das fromme Bewun - drung dir ſtammelt.
Niemals muͤſſe das Licht den wollichten Oſten bepur - pern,
Daß mein feuriges Herz nicht dir zu Ehren entbrenne,
Wenn auch die Lippe vor dir mit heiligem Schweigen verſtummet.
Alles ſchimmert nunmehr vom weltbeſeelenden Feuer;
Jegliche Perle von Thau blitzt uns im Kleinen der Sonne
Bildniß zuruͤck. Die ermunterten Blumen eroͤfnen ſich duftend
Jn dem friſcheſten Schmuck, und verhauchen Geruͤche von Balſam.
Laute vermiſchte Concerte von wilden Hymnen der Voͤ - gel
Schallen, aus Hecken und Baͤumen, ins Thal. Der Sperlinge Choͤre
Zwitſchern laut im Gipfel der Linde. Mit frohem Ge - klapper
Hebt ſich der Storch vom dornichten Neſt, durchſeegelt die Luͤfte,
B 3Und22Der Morgen.
Und ſinkt nieder zum Meer; nun wadet er, langſam ſchreitend,
Durch die Wieſen, im Thau, und ſuͤllt mit Froͤſchen den Schlund an.
Mit verbrantem Geſicht, und ſchwarzen feurigen Au - gen,
Naht ſich die Dirne dem Quell, der einzigen Schmin - ke des Landmanns,
Jhrer Mine fehlet nicht Reiz, nicht Anmuth den Wan - gen;
Und Geſundheit und Jugend erſetzt den Mangel der Weiſſe,
Die nur der Nachttiſch erzwingt. Mit maͤchtigem ſuͤſſen Verlangen
Sieht ſie der Hirt; ihm klopfet ſein Herz. Er trei - bet die Heerden
Langſam fort, ſieht oͤfters ſich um, bis ſeine Geliebte
Seinen Blicken entflieht. Nun treibt er die bloͤcken - den Schaaren
Aus dem Dorfe die Trift hinauf, zum ſchattichten Forſte,
Wo das dickeſte Gras die Kuͤhe verbirget. Die Haine
Hoͤren die ſuͤſſe Muſik der Schellen und Glocken, und fernher
Fuͤllt dies Gelaͤute mit Anmuth das Ohr des Wande - rers. Alles
Wimmelt im Felde nunmehr. Ein frohes buntes Ge - wuͤhle
Von23Der Morgen.
Von arbeitenden Menſchen, von einzeln weidenden Heerden,
Welches ſich mit der wallenden Fluth der Saaten ver - miſchet,
Reitzt den wandernden Blick mit einem lachenden Wechſel.
Und noch ſchlaͤft der Bewohner der Stadt? und kennt nicht die Freuden,
Die auf jegliche Flur die Hand des Morgens geſchuͤt - tet?
Er ſieht nicht das holde Geſicht der ermunterten Erde -
Welche, gebadet in Thau, mit friſcherer Schoͤnheit um - herſieht?
O der Schande! Verhuͤllet in Dampf, vergraben in Federn,
Traͤumt er den Morgen vorbey; in Phantaſeyen ver - wirret,
Welche die Duͤnſte des Weins im brauſenden Blute gebildet.
Und ihr, holde Schoͤnen der Stadt! wie flieſſet ſo traurig
Euch das Leben dahin! wie iſt euch die Anmuth ver - huͤllet,
Welche der heitere Morgen auf jeden Spatzierenden ſchuͤttet,
Der in heiliger Nacht ehrwuͤrdiger Waͤlder von Eichen,
Oder am Teich, die goldenen Wolken beſchauend, ein - hertritt!
B 4Warum24Der Morgen.
Warum athmet ihr nicht die friſcheſten Duͤſte der Ro - ſen,
Und die reineſte Luft voll aromatſcher Geruͤche?
Flieh, o Muſe, zuruͤck, und laß den ſtolzen Bewohner
Hoher Pallaͤſte den herrlichſten Morgen nur immer verſchlummern,
Und, umſchwebt von leeren Phantomen der nichtigen Ehre,
Halb das Leben vertraͤumen, und in dem uͤbrigen Knecht ſeyn.
Niemals hatte die ſchoͤne Seline den Einzug des Morgens
Jn dem Kerker der Stadt geſehn, in welcher vom Him - mel
Nur ein kleiner Bezirk zu ihren Augen ſich draͤngte.
Bilder vom Morgen hatte ſie zwar, ſo wie ſie der Maler,
Oder der ſchaffende Dichter, in ihre Seele gezeichnet;
Aber es waren nur Bilder, nie durch Erfahrung be - kraͤftigt.
Jn der Bluͤte der Jugend ward von der guͤtigen Liebe
Jhr ein zaͤrtlicher Juͤngling geſchenkt, mit dem ſie in Bergen
Jn der Nacht durchgereißt, und nun am daͤmmernden Morgen
Von25Der Morgen.
Von dem Abhang gen Oſten weit in die Ebnen hinab - ſah.
Ploͤtzlich ſchoß Aurora vor ihr, mit purpurnem Fittig,
Durch den ſtreiſichten Himmel, und that die Thore der Sonne
Vor ihr auf; doch ſchien ſie entzuͤckt im Fluge zu zoͤ - gern,
So viel hohe, ſonſt nie geſehene, Schoͤnheit zu gruͤſſen.
Bald drauf kam die Sonne daher auf dem ſtralenden Wagen,
Mit dem ganzen Pompe des herrlichſten Morgens be - gleitet.
Welches Entzuͤcken ergrif die fuͤhlende Seele des Maͤd - chens,
Da auf einmal vor ihr die praͤchtigſte Scene ſich auf - that!
Neben ihr lag im ſuͤſſeſten Schlaf ihr theureſter Juͤng - ling,
Deſſen bluͤhenden Reitz der Morgen noch ſchoͤner ihr zeigte.
Zaͤrtlich weckte ſie ihn mit einem feurigen Kuſſe,
Und brach, froͤlich beſtuͤrzt, in dieſe befluͤgelten Worte:
O, mein Geliebter, erwache zum allerpraͤchtigſten Schauſpiel,
Welches jetzt deine Seline zum erſtenmale betrachtet!
B 5Him -26Der Morgen.
Himmel! wie welken die Scenen dahin, die alle Thea - ter
Uns zu geben vermoͤgen! und wie verſchieſſen die Far - ben
Aller Freuden des Hofs, vor dieſem himmliſchen Auf - tritt!
Und ſchon achtzehn Jahr ward mir dies Schauſpiel ge - halten,
Eh ich nur einmal es ſah? (Hier floß auf die Roſen der Wangen
Eine Perle herab.) Auch dieſe Scene, Geliebter, (Fuhr ſie heiterer fort;) hab ich nur dir zu verdanken!
Sie umarmten ſich hier voll unausſprechlicher Liebe,
Und der guͤnſtige Morgen verſchuͤttete Kraͤnze von Blumen
Ueber dies zaͤrtliche Paar, die gluͤcklichſte Liebe zu kroͤ - nen.
Solcher Scenen genieſſet der Blick des Wande - rers, wenn er,
Nicht zu gemaͤchlich gewoͤhnt, ſich aus den Armen des Schlafs reißt,
Und den Thau und die kuͤhlere Luft des Morgens nicht fuͤrchtet.
Du, o Muſe, haſt oft die weichliche Ruhe verlaſſen,
Haſt den wandernden Fuß mit Perlenthaue benetzet,
Und27Der Morgen.
Und der Sonn entgegen geblickt. Was gleichet der Anmuth
Einer Landſchaft, vom Morgen bemahlt! was gleichet den Freuden,
Die wir im Arme der Ruh, im Schatten der Frey - heit, genieſſen?
Siehe! dir winkt ein gluͤckliches Haus. Mit ſchimmernden Fenſtern
Stralet es, weit in das Feld, des Wanderers Blicken entgegen.
Eine Saͤule von Rauch ſteigt aus dem zierlichen Schor - ſtein
Dick in die Wolken empor, voll von der Levante Ge - ruͤchen,
Und verkuͤndigt die Wohnung des Herrn des ruhigen Dorfes.
Jetzt, da ſeinen bevoͤlkerten Hof die bloͤckenden Heerden,
Hinter einander ſich draͤngend, verlaſſen, und ſtarke Ge - ſpanne
Munterwiehernder Roſſe zum ſteinernen Thor hinaus - ziehn;
Schluͤpfet aus ſeinem Arm die reizende Hausfrau zum Fenſter,
Und ſieht mit aufwallender Bruſt den gluͤcklichen Reich - thum
Jhrer geſegneten Heerden. Mit ſcharfem haͤußlichen Auge
Schaut ſie hinab in den Hof; ihr Blick ermuntert zur Arbeit.
Jhr28Der Morgen.
Jhr iſts nicht zu gering, die Dirnen zum Fleiſſe zu ſpornen;
Sie ſieht ſelbſt den Vorrath der Milch, und ordnet des Gartens
Anbau an; und rufet dem Schwarm der irrenden Huͤhner,
Welche die Stimme ſogleich der ſchoͤnen Gebieterin kennen.
Sie verlaſſen das thauigte Gras, vom Hahne gefuͤhret;
Kommen aus Scheuren und Staͤllen hervor, bis guͤl - dener Regen
Aus dem Fenſter uͤber ſie rauſcht. Sie hacken die Koͤrner
Eilig auf, und beiſſen voll Neid auf Sperling und Tauben,
Welche ſich unter ſie miſchen, und ihre Nahrung ſich ſtehlen.
Alsdann wendet ſie ſich zuruͤck, und wenn ſie im ſuͤſſeſten Schlummer
Jhren Geliebten noch ſieht; beugt ſie ſich uͤber ſein Ant - litz,
Haͤnget daruͤber in ſtiller Entzuͤckung und ſchmelzenden Freuden,
Und kuͤßt ſanft ihm die Wange, die auch im Schlummer ihr Anmuth
Laͤchelt. Dann bringt ſie auf zaͤrtlichem Arm den Erſt - ling der Liebe,
Ein aufbluͤhendes Maͤdchen, das ihrer Reizungen Bild iſt,
Und29Der Morgen.
Und die Guͤte des Herzens in halben Worten erſt ſtam - melt.
Schalkhaft legt ſie es hin zu ihrem Vater, und rauſchet
Hinter den Vorhang zuruͤck, die ſuͤſſe Scene zn ſehen.
Das holdſelige Kind ſchlingt ſich mit ſchmeichelnden Ar - men
Um den Vater, und wecket ihn auf mit Kuͤſſen und Plappern.
Ploͤtzlich erwacht er, und ſucht die Geliebte vergebens; dann druͤckt er
Seine kleine Buhlerin an ſich, und kuͤßt mit Entzuͤcken
Alle die Reize der Mutter, die hier im Kleinen ſich bilden.
Und nun kan ſich die Mutter nicht mehr verbergen; ſie ſtuͤrzt ſich
Jn des Geliebten zaͤrtlichen Arm, und ſchmilzt in Ent - zuͤckung,
Und indem ſie das Kind vom liebenden Vater zuruͤck - nimmt,
Zittert die Thraͤne des Danks aus froͤhlichweinendem Auge.
Bald drauf hat ſich in leichtes Gewand der Vater ge - worfen,
Und genieſſet des Morgens mit ihr. Sie wandeln zu - ſammen
Unter dem laubichten Dach der alten wirthbaren Lin - den;
Oder30Der Morgen.
Oder ſie irren herum in bunten Blumengefilden,
Und beſchauen die Pracht von ſo viel wechſelnden Far - ben,
Welche die guͤtge Natur auf alle Geſchlechter verſchuͤt - tet.
Jetzo bricht er fuͤr ſie die juͤngſte thauigte Roſe,
Die er laͤchelnd ihr reicht; ihr ganzes Auge wird Him - mel,
Und ſie ſteckt ſie ſogleich vor ihren wallenden Buſen.
O! wie dankbar lehnt ſie ſich nicht mit redenden Bli - cken
An ihn an, und ſagt ihm ſchweigend die feurigſte Lie - be!
Und wie verfinſtert wird nicht ihr holdes Auge, wofern ihn
Haͤusliche Sorgen ihr rauben, und er auf muthigem Roſſe
Ferne Fluren beſucht, und ſeine Schnitter ermuntert!
Lange ſieht ſie ihm nach, bis ihn die kruͤmmenden Thaͤler
Jhren Blicken entziehn. Dann kehrt ſie ernſter zuruͤcke,
Und ihr hoffendes Herz denkt nichts, als ſeine Zuruͤck - kunft.
So verſtreicht dem Landmann der Morgen in ſchuldloſen Freuden;
Nicht31Der Morgen.
Nicht ſo der praͤchtigen Stadt. Jn ihre geoͤfneten Thore
Zieht der Seegen des Landes, entweder auf ſeufzenden Achſen,
Oder auch auf belaſtetem Ruͤcken des emſigen Land - manns.
Unruh, Getuͤmmel und Laͤrm, ſchwirrt durch bevoͤlkerte Straſſen.
Mancher Morgengeſang, mit wilden Fluͤchen vermi - ſchet,
Und begleitet vom langſamen Schlag des Hammers, erſchallet
Aus der Werkſtatt des Kuͤnſtlers. Von weiſſen Ge - zelten bedecket
Steht der Markt; und Handlung und Tauſch, mit der blaſſen Gewinnſucht,
Spornen die Sterblichen an. Viel tauſend verſchie - dene Stimmen
Fuͤllen die Luft; ſie brauſet und wallt, wie Wogen des Meeres,
Die mit heiſerem Ton an rauhen Geſtaden ſich brechen.
Welch ein Ueberfluß ſtroͤmt in dieſe verſchwendriſchen Thore!
Und was wuͤrgt nicht der Menſch, um ſeinem Gau - men zu ſchmeicheln!
Siehe! hier liegt das ſchuldloſe Lamm, erſt geſtern von Wieſen,
Wo es ſpielte, der Mutter geraubt, und der Wolluſt geopfert.
Selber32Der Morgen.
Selber den nuͤtzlichen Stier, der mit geduldiger Arbeit
Manchen Acker gepfluͤgt, und ihn mit Erndten geklei - det,
Nahm der Landmann, und hat ihn erwuͤrgt, voll Un - dank erwuͤrget!
Ja, ſogar die Bewohner des Waldes hat weder die Wildniß,
Noch die ſchuͤchterne Flucht, vor blutigem Tode geſi - chert.
Den leichtſuͤßigen Hirſch, mit ſtolzem Geweyhe gekroͤ - net,
Hat die Kugel ereilt, und von den Felſen geſtuͤrzet.
Selbſt am zaͤrtlichen Reh tropft noch die blutende Wunde,
Welche das wuͤtende Bley in ſeine Seite geſchlagen.
Was fuͤr Mengen von herrlichen Fruͤchten ver - ſchuͤttet das Jahr nicht!
Und doch konte der Menſch zur Nahrung von Blut ſich gewoͤhnen,
Zum Tyrannen der Thiere ſich wuͤrgen, und reine Ge - richte,
Nicht mit Blute befleckt, verſchmaͤhn! Jndem ihn die Erde
Ueberfluͤßig verſorgt mit paradieſiſcher Nahrung;
Mordet er doch, und mordet zur Luſt! Verderbte Lu - kulle,
Da33Der Morgen.
Da das fluͤchtige Wild vor eurer Verfolgung nicht frey iſt;
So beſchleunigt den Tod des armen leidenden Thieres,
Und jagt nicht den Hirſch mit einer unmenſchlichen Freude
Jm Getoͤne des Jagdhorns, verfolgt von wuͤtenden Hunden,
Durch den klagenden Wald, und durch die erſchrocke - nen Haiden,
Bis er, erhitzt auf den Tod, die letzten Seufzer ver - roͤchelt,
Und ſein Wildpret allein tyranniſche Hunde belohnet!
O ihr Groſſen der Welt! gewoͤhnt nicht den kuͤnftigen Erben
Weiter Provinzen zur grauſamen Jagd; damit nicht die Menſchheit,
Und des Mitleids Gefuͤhl, in ſeinem Herzen erſticke!
Straft, ihr Muͤtter, auch nicht ein ſanftes fuͤhlendes Maͤdchen,
Welches mit Thraͤnen euch fleht, es nicht tyranniſch zu zwingen,
Jn den farbichten Hals der Taube das Meſſer zu ſtuͤr - zen;
Oder dem ſtummen ſchnappenden Fiſch ſein Leben zu rauben!
Soll ſich ein zaͤrtliches Herz zu Grauſamkeiten gewoͤh - nen,
IV. Th. CUnd34Der Morgen.
Und im rinnenden Blut die himmliſche Schoͤnheit ſich baden?
Jhre Thraͤnen verdienen zu ſehr die Verſchonung des Anblicks
Eines aͤngſtlich ſterbenden Thiers! O gebt ſie dem Juͤng - ling
Jn den liebenden Arm mit unverdorbenem Herzen!
Welche Sanftmuth wird einſt, von zaͤrtlichem Mitleid erhoͤhet,
Die gleichfuͤhlende Bruſt ihr aͤhnlicher Kinder beleben!
Jetzo nahn ſich die Pferde der Sonne den Krei - ſen des Mittags,
Und der Hoͤfling erwacht, und die Dame. Von ge - ſtrigen Feſten
Ganz noch berauſcht, erheben ſie ſich, und taumeln er - mattet,
Unbekuͤmmert, wie lange bereits der Morgen geſtralet,
An die Tafel, wo ſie der Levante Getraͤnke beſeelet.
Unmuth folget ihr nach; und fibriſche Todtenblaͤſſe
Decket die Wangen, von denen zu bald ihr Fruͤhling geflohen.
Kopfweh, vom Weine gezeugt, ſchwebt uͤber dem muͤr - riſchen Juͤngling,
Und peitſcht ſeine ſchwellenden Schlaͤfe mit grimmigen Geiſſeln.
Er35Der Morgen.
Er bemuͤht ſich umſonſt, den Aufruhr des wallenden Blutes
Zu beſaͤnftgen, und trinkt umſonſt die kuͤhlende Quelle;
Schon entflammt ihn ein ſchleichendes Gift. Am zier - lichen Nachttiſch
Sitzt, beſchaͤftigt im Putz, die halb noch traͤumende Schoͤne,
Ernſtlich iſt ſie bemuͤht, auf ihren verbluͤhenden Wan - gen
Kuͤnſtliche Roſen zu ſchaffen; wohlriechende Waſſer verduften
Rund um ſie her. Sie ſenket ſich ganz in den ſilbernen Spiegel
Und Stillſchweigen herrſchet um ſie, wofern ſie nicht etwan
Jhrer Gehuͤlfin Lehren ertheilt, hier Muſchen zu le - gen,
Oder dort hoͤher empor die ſchimmernde Blume zu pflanzen.
Noch iſt ihr Angeſicht leer von allen erobernden Mi - nen,
Die ein finſterer Ernſt, und Tiefſinn im Putze ver / ſchlungen.
Aber wie heitert es ploͤtzlich ſich auf! Ein praͤchtiger Stutzer
Flattert herein ins Gemach, und kuͤßt mit wildem Ent - zuͤcken
Jhre verzaͤrtelte Hand, kaum von der Salbe getrocknet,
C 2Die36Der Morgen.
Die im Handſchuh des Nachts die Farbe noch weiſſer gekuͤnſtelt.
Jetzo ſetzt er ſich kuͤhn an ihre Seite. Sie blicket
Jhm Ermunterung zu, und eilt, mit ſiegenden Minen
Jhn zu bezaubern. Wie kuͤnſtlich weiß ſie die Reizun - gen alle
Zu verrathen, die ſie in ſeinen Augen verſchoͤnern.
Bald zeigt ſie den blendenden Arm; bald wirft ſie im Sprechen
Jhren Mantel zuruͤck, und alle Schoͤnheit des Buſens
Schwillt vor ſeinem Verlangen empor; ſein Auge wird wilder,
Feuriger wallet ſein Blut; die ſonſt geſchwaͤtzige Zunge
Stockt. Sie ſieht es, und lacht; der Gott der fluͤchti - gen Liebe
Jauchzet; die Keuſchheit entflieht, und ſie fuͤhrt ihren Verehrer
An den Siegeswagen geſchloſſen, zum ſtolzen Triumph fort.
Und am Nachttiſch nicht nur empfaͤngt, die entar - tete Schoͤne,
Den wildliebenden Juͤngling: von Frankreichs Sitten verdorben,
Nimmt ſie oft ſeinen Beſuch noch halb in den Armen des Schlafs an.
Und37Der Morgen.
Und dies nennet man Welt? Dies heißt Erziehung? O Name,
Luͤgender Name! Wie ſcheitert durch dich die Tugend und Keuſchheit
Bey ſo vieler Gefahr, die unter der Sicherheit lauſchet!
O wie biſt du, Germanien, nicht verdorben, vergiftet,
Von der galliſchen Peſt! Die gluͤcklichen guͤldenen Zei - ten,
Da du mit deinen maͤnnlichen Sitten der Wolluſt den Eingang
Wehrteſt, und Trug nicht und Liſt die Herzen. der Fuͤr - ſten entweihte,
Dieſe Zeiten ſind leider nicht mehr! Denn damals war Tugend
Noch kein nichtsbedeutender Name. Die himmliſche Keuſchheit
Gieng, im hohen Gefolge von reinen eigenen Sitten,
Unter deinen Toͤchtern einher. Die Choͤre der Jung - fraun,
Und der Juͤnglinge Schaar erhub ſie in Hymnen. Kein Laſter
Hatte ſich damals, wie jetzt, in lachende Namen ver - kleidet;
Keine Galanterie ſchlich um das Ehbett. Die wahre
Treueſte Redlichkeit nannte man damals die deutſche; nie ward ſie
C 3Von38Der Morgen.
Von der betruͤgenden Staatskunſt entweiht. Jn ehr - barer Freyheit
Wurden von Muͤttern allein die bluͤhenden Toͤchter er - zogen,
Nicht vom galliſchen Maͤdchen, das mit den galliſchen Liedern
Alle Fehler ſie lehrt, die ihre Herzen vergiften.
Weder die Kunſt, mit der ſchildernden Nadel auf mun - tre Tapeten
Lachendes Feld, und lebende Bilder, in Seide zu pflan - zen;
Noch die beſſere Kunſt, die Wirthſchaft gluͤcklich zu fuͤhren;
Oder den reinlichen Tiſch mit deutſchen Gerichten zu fuͤllen;
Auch nicht die Kunſt des Putzes ſogar, jetzt theuer er - kaufet,
Fehlte Germaniens Toͤchtern. Am ungekuͤnſtelten Nachttiſch
Gieng nicht der Morgen vorbey, ſo mancherley Schmin - ken zu ordnen.
Nein, ſie ſchminkte der ſpiegelnde Quell; und eigene Schoͤnheit
Nicht erzwungen mit Lilienweiß, und falſchen Carmine,
Stralte von offener Stirn, und vollen roſigten Wan - gen,
Freche Juͤnglinge konten noch nicht mit gleiſſenden Wor - ten,
Oder39Der Morgen.
Oder durch blendenden Witz unſinniger ſchaaler Romane,
Den geſunden Verſtand der deutſchen Schoͤne verfuͤhren.
Keine neue Mode von Stoff, kein Anzug von Spitzen
Brachte der Tugend Gefahr, und hieß die Keuſchheit entfliehen.
Dieſe Zeiten ſind leider nicht mehr! Wir tragen das Merkmal
Von dem galliſchen Joch auf unſern gezeichneten Stir - nen,
Frankreich krieget mit uns durch ſeine Waffen und Sitten;
Seine Waffen weichen noch oft germaniſchen Fahnen,
Aber mit ſeinen Sitten erobert es ſchneller und ſichrer.
Schaaren verdorbener witziger Koͤpfe, verhungerter Marquis,
Kommen und pluͤndern uns aus, gleich ihren verwe - genen Heeren,
Und dies iſt nicht genug. Wir ſenden zur galliſchen Hauptſtadt
Unſere Soͤhne, daß ſie dort ihre deutſche Geſundheit
Jm wolluͤſtigen Arm franzoͤſiſcher Weiber verlieren,
Und ihr vaͤterlich Gut im ſchaͤndlichen Spiele verſchwen - den.
C 4Gluͤck -40Der Morgen.
Gluͤckliches Volk! als noch die Satyre des galliſchen Witzlings
Deiner ehlichen Treu, und Unerfahrenheit lachte.
Da Germaniens Schoͤne, zu Liebeshaͤndeln unfaͤhig,
Dumm ſchien in franzoͤſiſchen Augen. Die Zeiten ſind nicht mehr!
Nehmt die Satyre zuruͤck, wir koͤnnen ſie nicht mehr verdienen,
Denn wir gleichen euch nun in allen Moden und La - ſtern.
Dieſes war der guͤldene Morgen der gluͤcklichen Zeiten,
Welche Deutſchland genoß; und der mit ſchwaͤcheren Stralen
Fern von der Staͤdte Betrug noch auf die Huͤtte ſich ausgießt,
Wo altvaͤtriſche Treu altvaͤtriſche Sitten begleitet.
Buͤckenden Schmeichlern oͤfnet ſich nun das Zim - mer der Groſſen.
O wie wimmelt der Saal von reichthumprahlenden Roͤcken,
Und falſchklugen Geſichtern, in Staatsperuͤcken ge - huͤllet!
Sollte hier nicht der Klient, von leeren Verſprechun - gen trunken,
Das ſo lang erwartete Gluͤck am ſicherſten finden?
Doch41Der Morgen.
Doch Verſtellung herrſchet allhier. Ein Hofmann um - armet
Hier den andern, als Freund, und hat bereits ihn ver - rathen.
Ach! ſein tuͤckiſches Herz wird bald das Jammern des Weibes,
Und das Flehn unſchuldiger Kinder mit Freude ver - nehmen;
Traurig ſtuͤrzen ſie, von dem Ruin des Vaters ergrif - fen,
Mit in den Abgrund herab, und vergraben hohe Ta - lente.
Dreymal gluͤcklich iſt der, der einen erleuchteten Staatsmann
Nicht durch den ſclaviſchen Rauch verſtellter Opfer ge - wonnen.
Wie ungluͤcklich iſt der, der in dem Vorſaal des Schrei - bers,
Unerhoͤret vom vorgen Lakay, um Allmoſen bettelt!
Der im Prozeß verwickelte Landmann koͤmmt jetzo mit Ehrfurcht
Zu dem Hauſe des Richters, dem ſeine Gerechtigkeit feil iſt.
Was ſein duͤrftiger Hof nur vermocht, die Kinder der Henne,
Oder ein ſaugendes Lamm, bringt er zum Altar der Themis.
Geſtern noch gieng er im dickeſten Schilf an ſandichten Ufern,
C 5Um42Der Morgen.
Um die groͤſte Forelle des Bachs dem Anwald zu ſu - chen.
Traurig wartet er nun den langen Morgen im Vorhof
Des beſtochnen Gerichts, das ſeine Pflichten verkennet.
Ach! wie wird er noch oft der Themis Tempel be - treten,
Bis ſein Hof, entvoͤlkert vom Vieh, zur Wuͤſte ge - worden,
Und ſein Acker allein dem Richter Sporteln getragen.
Gluͤcklich iſt der, der fern vom Altar der feilen Chikane,
Richter und Anwald nicht kennt, und ſeinen ruhigen Morgen
Unter dem niedrigen Dach, von Wuͤrden verſchonet, dahinlebt.
Rufe der Muſen zaubriſches Chor zu deiner Geſell - ſchaft,
Da der muntere Geiſt mit leichtern Gedanken empor - ſteigt,
Und der Koͤrper noch nicht mit groͤberer Nahrung be - ſchwert iſt.
Dann verſchließ, von Thoren entfernt, dich unter die Weiſen
Griechenlandes und Roms, und lerne leben von Tod - ten.
Oder genieſſe des Morgens im Schatten vertraulicher Ulmen,
Wo43Der Morgen.
Wo ſich der Epheu mit mahlriſchem Wuchs am Stam - me hinauſſchlingt.
Laß dich da das klaßiſche Blatt zu laͤndlichen Scenen
Leiten, und folge der Muſe des ſchoͤpfriſchen Thomſons zur Wohnung
Der mit ihm vertrauten Natur, und ſieh mit Entzuͤ - cken
Alle Schaͤtze, die ſie vor deinen Augen verbreitet.
Moͤcht auch ich in dem Arm der wahren Freyheit und Ruhe
Meine Tage vollenden, und keines Maͤchtigen Sklav ſeyn!
Waͤr auch mir es vergoͤnnt, die Balſamduͤfte des Mor - gens
Nicht im Kerker der Stadt, nein unter dem Himmel zu athmen,
Welcher ſich uͤber dem Haupt des Landmanns heiterer woͤlbet!
Da wollt ich am murmelnden Bach, von Freuden be - rauſchet
Stehn, und geizige Zuͤge der Luͤfte trinken, die Fruͤh - ling,
Luſt, und Zephir um mich verhaucht. Da wollt ich zufrieden
Wandeln unter dem Dach der alten geſelligen Linden,
Oder im herzerfriſchenden Hain, wo kraͤftige Kraͤuter
Bis44Der Morgen.
Bis in den innerſten Sitz der Seele duſten. Da wollt ich
Tief gehn in das wallende Korn, das rund um mich herſchlaͤgt,
Wie ein wogichtes Meer, indem die ſpielenden Winde
Sanft es kraͤuſeln. Auch wollt ich dann oft die Heer - den beſuchen,
Die an blumichten Hoͤhn, in bunten Wieſen ſich wei - den,
Und das muntere Lied des fruͤhen Hirten vernehmen,
Das er auf ſeinem laͤndlichen Rohr dem Wiederhall ſpielet.
Und was wollt ich nicht ſehn, was wollt ich nicht alles betreten?
Jeden lieblichen Fleck, und jeden geheiligten Schatten,
Wo im einſamen Hain der Nachtigall Lieder ertoͤnen,
Und mein fuͤhlendes Herz mit ſuͤſſer Wehmuth erfuͤllen.
Haͤtte mir dann ein guͤtig Geſchick zu dieſem Vergnuͤ - gen
Noch das groͤſte verliehn, ein ſanftes fuͤhlendes Maͤd - chen,
Wie ich ſie oft im taͤuſchenden Traum von ſuͤſſen Ge - danken
Mir gedacht; von munterem Witz und redlichem Her - zen,
Jch45Der Morgen.
Jch fuͤr ſie nur gemacht, ſie ganz fuͤr mich nur geſchaf - fen,
Welche die paradieſiſchen Freuden des guͤldenen Lebens
Mit mir genoͤſſe was haͤtt ich da noch von Gluͤck: zu wuͤnſchen?
Aber mir ſchien bey meiner Geburt kein ſolches Geſtirne!
Nicht ein einziger Fleck der weiten Erde gehoͤret
Meinen Wuͤnſchen! Oft muß ich den Thor, den Witz - ling, ertragen,
Um nur Baͤume zu ſehn, und Bluͤthen zu riechen. Oft muß ich
Stundenlang gehn, vor Hitze verſchmachten, bevor mich der Schatten
Eines Waldes erfriſcht; indes der eckele Hofmann,
Oder ein Harpax, der ſich nur freut im duͤſtern Ge - woͤlbe
Finſter zu lauſchen, und Schaͤtze zu haͤufen, die herr - lichſten Gaͤrten,
Und Pallaͤſte beſitzt, um welche die gluͤcklichſten Fluren
Sich erſtrecken, und nicht ſie genießt! Wie wuͤrde der Dichter
Sie genieſſen! O gluͤckliches Land, in welchem ein Pope
Mit der goͤttlichen Kunſt die dichtriſche Leyer zu ruͤhren,
Sich46Der Morgen.
Sich ſein Twidnam erwarb! Was kan der Dichter erwarten,
Welcher den Groſſen Germaniens ſingt? erzwungenen Beyfall,
Ein zweydeutiges Lob, und eine gnaͤdige Mine.
Doch was murreſt du, Muſe? Hat nicht der Him - mel die Guͤter
Jn dich ſelber gelegt, die deine Zufriedenheit ſchaffen?
Jſt ein fuͤhlendes Herz, ein immer heitres Gemuͤthe,
Von Geſundheit erhoͤht, kein Schatz, der Wuͤnſche verdienet?
Jſt die Schoͤpfung nicht dein? Singt in dem offenen Walde
Nicht die Nachtigall dir mit noch mehr zaubriſchen Toͤ - nen,
Als dem ſtumpferen Reichen in wenig genoſſenen Gaͤr - ten?
Bluͤhn die Baͤume nicht dir, und koͤnnen Schranken und Hecken
Jhre Duͤfte verhindern, zu deinem Genuſſe zu drin - gen?
Seyd mir alſo gegruͤßt ihr friſchen Auen, ihr Thaͤler,
Wo der murmelnde Quell durch Gras und Blumen ſich windet;
Und du freundlicher Hain, in deſſen bewirthenden Schatten
Mich47Der Morgen.
Mich ſo oft Erquickung gelabt! o ſey mir gegruͤſſet,
Mutter Natur! du gehoͤreſt mir zu; wohin ich nur blicke,
Seh ich Waͤlder und Fluren fuͤr mich. Sie ſollen umſonſt nicht
Mich einladen; ich will oft darin mit maͤchtger Begei - ſtrung
Mich erheben zu Jhm, der dich ſo herrlich geſchaffen,
Dich fuͤr mich auch erſchuf; und will im Feuer des Dankes
Oft die Leyer ergreifen, und ſeine Wunder erheben.
Die ihr noch den lachenden Morgen des gluͤckli - chen Lebens
Jn unſchuldigen Jahren genießt, in welchem die Sorge,
Oder ein druͤckendes Amt noch nicht die Muſen ver - ſcheuchet;
Juͤnglinge, laßt nicht umſonſt die heitern Stunden entfliehen,
Und bemuͤht euch, das friſche Gedaͤchtniß durch Schaͤtze der Weisheit,
Und das fuͤhlende Herz zu wahrer Tugend zu bilden;
Daß der erhoͤhtere Geiſt ſich zu Gedanken gewoͤhne,
Wuͤrdig der edlen Menſchheit und eurer wahren Be - ſtimmung.
Millio -48Der Morgen.
Millionenreich, bleibet ihr doch bey Mangel an Weis - heit
Aermer, als Bettler; und lernet ihr nicht, euch ſelber beſchaͤftgen,
So wird euch ein feſtlicher Saal zur einſamen Wuͤſte.
Jhr auch, ihr, Germaniens Schoͤnen, entziehet am Nachttiſch
Einige Stunden dem Putz, und widmet ſie lehrenden Schriften.
Jn die Bildung voll Reitz, womit die Natur euch be - ſchenket,
Bringt auch wahres edles Gefuͤhl vom Schoͤnen und Groſſen.
Aber verachtet den Witz, der mit der ſchluͤpfrigen Feder,
Eure Gemuͤther verderbt, und lachende Laſter euch leh - ret.
Grabt die Geſaͤnge des lehrenden Dichters, die Lieder des Weiſen,
Welcher, wie Young, zur Tugend entflammt, in zaͤrt - liche Herzen.
Laßt den leeren Roman die ſtrafbare Liebe verbreiten,
Euer gereinigter Geiſt ſey viel zu edel zum Laſter.
Aber ſoltet ihr auch Geſchmack im Buͤcherſaal finden,
Oder der feinere Witz ſich ſeiner Staͤrke bewußt ſeyn;
O ſo49Der Morgen.
O ſo ſchreckt nicht ſogleich mit niederm pedantiſchen Stolze
Euer Geſchlecht, das neidiſch auf euch, von Erziehung verdorben,
Wiſſenſchaften noch mehr im prahlenden Hochmuth ver - achtet.
Die gelehrteſte Schoͤne wird groͤſſerer Beyfall beloh - nen,
Wenn ſie Natur und Zaͤrtlichkeit ſpricht, und zur Lie - be geſchaffen,
Nicht mit Beleſenheit prangt, und unter Hauben nicht Mann iſt.
Folget auch ja nicht zu leicht, von Beyſpiel und Schmeichlern verleitet,
Einer verwegenen Dichterin nach, zur Fahne der Rei - mer,
Oder wohl gar in das Feld der Kritik. Die ſatyriſche Geiſſel
Schonet des Reifrocks nicht, und trift mit ſchmerzen - den Schlaͤgen
Einer Schoͤne durchwaͤſſertes Lied, ſo ſehr auch ihr Bildniß
Vor der mißlungenen Schrift vom Leſer Verſchonung erbittet.
Aber wie werdet ihr nicht das Herz des Mannes begluͤcken,
Den die Vorſicht euch ſchenkt, wenn eure Wangen voll Roſen,
Euer ſiegender Blick, und eure Kaſtanienlocken
IV. Th. DJhn50Der Morgen.
Jhn nicht allein euch feſſeln; nein, wenn noch hoͤhere Reize,
Anmuth des Geiſtes und Hoheit der Seele mit lachen - dem Witze,
Jmmer gleich ſtark ihn bezaubern; wenn euer gefaͤlli - ger Umgang
Oft von den Buͤchern ihn lockt, und ſelbſt die Geſell - ſchaft des Freundes
Jhm nicht immer die Freuden erſetzt, die Jhr nur ihm ſchenket.
O verdient nicht dies Gluͤck, um fuͤr den Morgen des Lebens
Zeitig zu ſorgen, ihn nicht zu verputzen; und wenig - ſtens mehr noch
Eure Seele zu ſchmuͤcken? So wird ſie im ſpaͤteſten Alter
Ueber den Abend des Mannes mit Stralen des Mor - genroths laͤcheln.
Der[51]

Der Mittag. Der Mittag.

D 2[52][53]
[figure]
Von dem ſtralenden Hofe der Sonne begiebt ſich der Mittag,
Unter dem hellen Gefolge der ſchwuͤlen feurigen Stun - den,
Nach der Erde herab. Jhm gluͤht ſein maͤnnliches Antlitz;
Faͤchelnde Winde ſchwaͤrmen um ihn, und kuͤhlen die Wangen,
D 3Welche54Der Mittag.
Welche die Milde beſeelt, und himmliſches Laͤcheln er - heitert.
Jhm ruht im wohlthaͤtigen Arm ein goldenes Fuͤllhorn,
Voll von Fruͤchten. Es harrt die Natur auf ſeine Ge - ſchenke;
Und er ſchuͤttet ſie aus, und ſein Gefolge bereitet
Tafeln umher mit Speiſe bedeckt, fuͤr alle Geſchoͤpfe.
Jn den kuͤhlenden Schatten von tauſendjaͤhrigen Eichen
Will ich jetzt wandeln. O ſenkt euch herab von rau - ſchenden Wipfeln,
Heilige Schauer, die ganz die Seele des Dichters empfindet!
Oder indem ich entzuͤckt aus jener vertraulichen Grotte
Ausſeh in die ſtreifichte Flur: ſo komm, o Begeiſtrung,
Die du ſo gern den einſamen Hain, die ruhigen Thaͤler,
Oder die woͤlbende Hoͤle bewohnſt! Sey guͤnſtig der Muſe,
Die den wechſelnden Tag in ſeiner Vollkommenheit ſin - get.
Du, mein Giſeke! du, der mit dem gefaͤlligſten Auge,
Welches die treueſte Freundſchaft beſeelt, der furchtſa - men Leyer
Oft55Der Mittag.
Oft zu ſingen gebot; der du mit holden Geſpraͤchen
Oft die laͤndliche Muſe durch Flur und Auen begleitet,
Und der Ausſicht ruhige Freuden oft mit mir genoſſen:
Dies mein einfaches Lied ſey deiner Ermuntrung nicht unwerth!
Sey mir Apoll! ſo ſchallet die Laute mit gluͤcklichen Toͤnen,
Welche wie ſilberne Wellen in blumichte Gegenden rie - ſeln.
Und nun wandelt der Sommer des Tags mit al - lem Gefolge
Durch die bunten Gefilde, die ihn mit Jauchzen em - pfangen.
Tafeln entſtehn, ſo wie er ſich naht. Verſchwendriſche Feſte,
Allgemeine, wohlthaͤtige Feſte fuͤr alle Geſchoͤpfe,
Heben ſich an, zur Ehre fuͤr ihn, des Himmels Mon - archen,
Welcher dem Bettler am Zaun, und im Palaſte dem Koͤnig,
Seine Tafel gedeckt, und mit gleichſorgenden Gnaden
Elephanten ernaͤhrt, und Milben ſpeiſet. Die Spu - ren
Seiner Allgegenwart fuͤhlt die Natur. Die Stunde des Mittags
D 4Nimmt56Der Mittag.
Nimmt die helle Poſaune. Die Fluren horchen; und alles
Eilt aus Wald, und Waſſer, und Luft zum Gaſtmal des Schoͤpfers.
Hoch ſieht die Sonne vom Himmel herab, und ſcheinet im Laufe
Stille zu ſtehn, der Freude der Erde noch laͤnger zu ſtralen.
Nach ihr blickt der Schaͤfer hinauf, und meldet dem matten
Fragenden Wandrer die Zeit nach ſeiner nie truͤgenden Weltuhr.
Er indeſſen treibet ſein Vieh zum kuͤhleren Schatten,
Welchen der hohe erwachſene Wald ins reifende Feld wirft,
Oder welchen ein buſchichter Berg in die Wieſe ſchat - tiret.
Unter dem Ahorn lagert er ſich. Der blumichte Raſen
Jſt ſein Tiſch; die ſchlechteſte Koſt, durch Arbeit ge - wuͤrzet,
Schmeckt ihm unter dem Baum. Dann ſieht er mit froͤlichem Auge,
Wie am rieſelnden Bach die bunt zerſtreueten Heer - den
Jrren; und ſchoͤpft den ſilbernen Quell, und trinket zufrieden.
Tiefer im Walde weiden die Kuͤh; die toͤnenden Schel - len
Fuͤllen57Der Mittag.
Fuͤllen mit hohlem Geklingel die lautantwortenden Thaͤ - ler.
Jetzo lagern ſie ſich auf einer umſchatteten Wieſe
Wiederkaͤuend, und ruhen beſchirmt im Dunkel der Eichen.
Selber die Rudel liegen geſtreckt im kuͤhleſten Dickigt,
Tief im wallenden Gras, das ſie dem Jaͤger verſtecket.
An dem rothen Moraſt, wo ſich der Regen geſammelt,
Waͤlzt ſich ſchnaubend die Bache mit ihren Jungen; der Keiler
Wetzet indes am ſplitternden Stamm die grimmigen Waffen,
Jetzo ſchweigen verſtummt die bunten Saͤnger des Waldes,
Unter dem Dache von Laub die ſchwuͤlen Stunden vor - uͤber.
Nur der guͤldne Haͤmmerling ſitzt im Haſelgebuͤſche
Auf dem ſchwankenden Aſt, und ſingt den ruhigen Hai - den
Stets eintoͤnig ſein Lied. Jm innerſten dicken Ge - hoͤlze
Schlaͤgt, der ſchmetternde Fink, aus alten hangenden Bu - chen.
Seinen hellen Geſang begleiten der Turteltaube
D 5Melan -58Der Mittag.
Melancholiſche Klagen, die ihren Geliebten beweinet,
Den ihr der moͤrdriſche Habicht geraubt. Es picken, und hacken
Hundert Schnaͤbel am moſichten Zweig, und ſuchen ſich Nahrung,
Oder berauben den Kopf der brennendbluͤhenden Diſtel.
Jn dem ſonnichten Vorholz lauſcht der ſchimmernde Rothſchwanz,
Und ſchießt nach dem bunten Jnſekt. Nicht glaͤnzende Farben,
Noch die guͤldenen Schwingen, erretten den Stutzer des Sommers.
Auch die Fuͤrſtin des Saͤngergeſchlechts, die Nachtigall ſchluͤpfet
Jn den Geſtraͤuchen herum; mit gierigfunkelnden Au - gen
Faͤhrt ſie auf den ſich kruͤmmenden Wurm. Sie ſinget nun nicht mehr
Zaͤrtliche Lieder dem Hain; und klebt, gleich niedrigen Seelen,
An der Erde, beſchwert mit Sorgen ſchmutziger Nah - rung,
Hart von Gefuͤhl; verſtummt zu edlen harmoniſchen Toͤnen.
So ſang oft, begeiſtert von dir, o himmliſche Tugend,
Einer bewundernden Welt der Dichter erhabene Lieder:
Doch59Der Mittag.
Doch ſein heuchelndes Herz verleugnet mit niedrigem Leben,
Was er ſo edel beſang, und kriecht im Staube der La - ſter.
Langſam leitet nunmehr die matten Roſſe der Landmann
Nach dem freundlichen Dorf, das aus dem Schatten der Linden,
Oder geheiligter Eichen, nach ihm ſuͤßlaͤchelnder aus - ſieht.
Alles koͤmmt vom Felde zuruͤck; die gluͤhende Dirne
Unter der Laſt von welkenden Klee, eilt, ohne zu ru - hen,
Jn den winkenden Meyerhof hin. Mit Schweiſſe be - decket
Eilen die heiſſen Geſpanne mit Brauſen unter das Ob - dach.
Nur der emſige Schnitter verachtet die Stralen der Sonne,
Und maͤht fort; weit klingt ins Feld die blitzende Senſe,
Bis das ſinkende Korn in langen Reihen den Acker
Ueberzeichnet. Nun hoͤrt er von fern die fliegenden Schritte
Seines Weibes, welche ſogleich im Schatten der Eiche
Seine Tafel ihm deckt, und von den gluͤhenden Wan - gen
Schweiß60Der Mittag.
Schweiß ihm irocknet, mit Staube vermiſcht; dann ſetzt er die Flaſche
An den durſtenden Mund, und ißt, zufrieden und gluͤcklich,
Unter dem rauſchenden Baume ſein Brod mit freyem Gewiſſen.
Auch ſeys nicht der Muſe zu klein, die Tafel des Land - manus
Zu betrachten. Wofern auch nicht bemahlte Confekte,
Oder Gaͤrten und Schloͤſſer von Zucker die Neubegier reizen:
So verdienen es doch die unverdorbenen Sitten,
Mit der Treue gepaart, die laͤngſt den Staͤdten ent - flohn ſind.
Hoͤre! ſie ruft die Glocke bereits mit ſilberner Stimme
Zu dem laͤndlichen Tiſch; der Dirne ſinken die Haͤnde
Von der Arbeit dahin, und mit gelenkeren Fuͤſſen
Schreitet der Juͤngling vom Stalle herzu. Sie ſetzen ſich alle
Um die Schaale herum, mit einem geſitteten Anſtand,
Welchen man ſonſt nicht ſo leicht an niedrer Erziehung bemerket.
Oefters ſtralet alsdann von jungen gluͤhenden Wangen
Liebe61Der Mittag.
Liebe hervor, und buhlet auch hier aus ſiegendem Auge.
Denn oft hat die Natur, auf eine der bluͤhenden Dirnen,
Jhre gluͤcklichſten Reize verſchuͤttet. Mit zierlicher Laͤnge,
Und mit ſchmaler Geſtalt, durch keine Kleidung er - kuͤnſtelt,
Nimmt ſie unter den Nymphen ſich aus. Jhr feuri - ger Blick ſchießt
Maͤchtige Stralen umher; die reichſte Jugend des Dorfes
Putzt ſich allein fuͤr ſie; ihr ſtreicht die ſchreyende Fie - del
Serenaten in einſamer Nacht; die bunteſten Straͤuſſer
Fliegen ihr von den Juͤnglingen zu, auch oͤfters am Jahrmarkt
Manches ſchimmernde Band. Sie haͤlt am niederen Landtiſch,
Durch der Schoͤnheit Gewalt, die rauheſten Sitten in Ordnung.
Sind wohl die Sitten ſo fein am wilden Tiſche des Junkers?
Mit der Grobheit vermaͤhlt ſitzt er bey theuren Gerich - ten
Unter plumpen ſchmarotzenden Gaͤſten als Witzling be - wundert.
Jn den entweihten Pocal rauſcht Wein, von Dumm - heit vergaͤllet,
Und62Der Mittag.
Und der verguͤldete Saal toͤnt vom gemeinen Gelaͤchter.
Niedergeſchlagen ſitzet bey ihm die ſittſame Schoͤne,
Welcher ſein ſchmutziger Scherz mit jedem Worte das Antlitz
Hochroth faͤrbt. Wie wuͤnſcht ſie ſich oft zum ſparſa - men Tiſche
Wieder zuruͤck, wo ehmals ihr Brod die Unſchuld ihr reichte!
Aber ſie wurde zu fruͤh der edelſten Eltern beraubet,
Und zur Sklavin des Reichthums gemacht. Die zaͤrt - lichſte Roſe
Bluͤht hier vom Unkraut verſteckt; doch bald wird guͤ - tig der Himmel
Auf ſie blicken; ſie wieder hervorziehn unter dem Un - kraut,
Und ihr leidendes Herz mit einem Wuͤrdigen lohnen,
Der ſie lange gewuͤnſcht, und Tugend und Unſchuld verſtehet.
Doch nicht immer umſchwebt der niedere Scherz - und die Grobheit,
Mit dem falſchen Geſchmack, die freye Tafel des Land - manns.
Wie begluͤckt iſt Amint auf ſeinem ruhigen Luſtſitz!
Ohne daß er den Namen Maͤcen von Schmeichlern er - kaufet,
Jſt63Der Mittag.
Jſt er ein wahrer Maͤcen von allen ſchoͤpfriſchen Gei - ſtern.
Jetzo nahet er ſich mit ſeinen wenigen Freunden
Aus dem ſchattichten Hain, wo ſie den Mittag erwar - tet,
Edle Gefaͤlligkeit geht vor ihm her; und feinere Sitten,
Als die Sitten des Hofs, ſind ſeine getreuen Begleiter.
Neben ihm wandelt mit heiterer Stirn die kuͤhnere Muſe
Eines ſich fuͤhlenden Dichters, der ſeine hohen Talente
Nun, durch ihn ermuntert, gebraucht. Auf guͤldener Laute
Sang er ihm goͤttliche Lieder von Lieb, und Freundſchaft, und Tugend.
Als er ihm ſang, da zitterten Thraͤnen von zaͤrtlichen Augen
Seiner Gemahlin und Toͤchter herab. Es rauſchten die Linden
Beyfall zu; der ſilberne Bach floß langſam voruͤber;
Lauſchend horchte der Weſt auf duftenden Wolken von Bluͤten;
Und die Huͤgel lagen umher in friſcherer Anmuth,
Als der Saͤnger ſo ſang, und aller Herzen entzuͤckte.
Jetzo64Der Mittag.
Jetzo ſetzen ſie ſich zur wohlgeordneten Tafel;
Freude wuͤrzet das Mahl; und unter edlen Geſpraͤchen
Eilen die Stunden davon. Auch fehlt der geſellige Scherz nicht,
Und es rauſcht nicht umſonſt in roſenbekraͤnzete Becher
Deutſcher Nektar vom Rhein, und Saft der burgun - diſchen Traude.
Mancher froͤliche Reim geht um die muntere Tafel;
Oder ein holder Geſang von Hagedorns maͤchtiger Leyer
Schallt von lieblichen Lippen, und reitzt die Ohren der Kenner.
Dann ergreift die heilige Gluth den Buſen des Dich - ters,
Der dem beſcheidnen Geſuch des edlen Beſchuͤtzers ge - horchet,
Und die Leyer ergreift. Bald ſingt er Liebender Kla - gen
Jn die Saiten; bald fließt mit mehr erhabenen Toͤnen
Das harmoniſche Lob der Tugend. So erndtet er reichlich
Beyfall und Ruhm. Drauf wandelt er fort im dich - triſchen Tiefſinn
Jn den einſamen Hain zu dunkeln geheiligten Schatten,
Wo65Der Mittag.
Wo er frey von niedern Geſchaͤften, und von der Zer - ſtreuung
Und der Staͤdte Getuͤmmel entfernt, unſterbliche Lieder
Sich erſchaft. Einſt hoͤrt ſie entzuͤckt der Kenner der Nachwelt,
Segnet ſein Grab, ſtreut Roſen darauf, und lohnt ihm mit Beyfall.
Wenn des Mittags flammende Glut die Himmel entzuͤndet,
Und der feurige Stral den Schooß der Erde durchdrun - gen;
Wenn in dem finſterſten Wald ein flimmernder Son - nenblick wandelt,
Und mit Zittern der Tag zu tiefen Gewoͤlben hinab - ſteigt:
Dann verlaſſen die giftgen Jnſekten die kaͤlteren Hoͤlen,
Suchen das Licht, und kommen, im Glanze der Son - ne zu ſpielen.
Jm verfallnen Palaſt, und alter Schloͤſſer Ruinen,
Sonſt vom Stolze bewohnt, blaͤht ſich die fleckigte Kroͤte.
Auch die Eidechs rauſchet vorbey am wuͤſten Gemaͤuer;
Und die Schlange windet ſich nun aus dunkeler Woh - nung
Zu den Blumengefilden einher; oft liegt ſie geſchlun - gen
IV. Th. EUnter66Der Mittag.
Unter dem Graſe verſteckt, und ſcheint unfaͤhig zu ſcha - den:
Aber Verderben und Tod ſitzt auf dem giſtigen Kamme,
Weh dem, der ſie verletzt! Sie wird ſich grimmiger raͤchen,
Als die Apuliſche Spinne, von deren durchdringendem Gifte
Nur die maͤchtge Muſik mit wildem Tanze befreyet.
Gluͤckliches Land, in welchem der Mittag mit kuͤhleren Stunden
Ueber die Gegenden herrſcht! Wo bald verhuͤllende Wolken
Vor der ſengenden Gluth den matten Wanderer ſchir - men;
Oder ein friſcher faͤchelnder Wind aus Weſten ſich auf - macht,
Und den Schweißvergieſſenden kuͤhlt. Dann ſinket oft Schlummer
Unter dem ſanften Geraͤuſch der immer lispelnden Eſche
Auf den Schaͤfer herab; und kraͤftiger hauchen dann um ihn
Aromatiſche Kraͤuter, ſo wie ſie die Wildniß hervor - bringt.
Wenn uns nicht Waͤlder von Zimmt, ſo wie in Jn - dien, duften,
Uns nicht Ananas ſpeißt, uns nicht der Cocos erfriſchet;
So67Der Mittag.
So ſperrt auch die ſcheußliche Schlange, die Tyger verſchlinget,
Hier nicht ihren Rieſenſchlund auf. Gluͤhn unſre Ge - filde
Nicht von paradieſiſchen Aepfeln, und wallen nicht Wolken
Von Orangengeruͤchen, wie in Hesperiens Feldern,
Ueber unſere Flur, die nur mit Schaͤtzen der Ceres
Sich beſcheidener kleidet: ſo fuͤrchten wir, ſicherer, auch nicht
Scorpionen, bewafnet mit Gift, und wilde Taran - teln.
Die ihr, vor der Sonne beſchirmt, in praͤchtigen Salen
Euren Mittag nunmehr in ſchimmernden Freuden voll - bringet,
Werfet die Augen auf die, die in der brennenden Hitze
Schweiß vergieſſen fuͤr euch, um euch mit Erndten zu naͤhren.
Eure Felder wimmeln umher von fleißigen Schnittern,
Und die Wieſen von Maͤhern, die euer Landgut berei - chern.
An dem kalkichten Fels haͤngt von dem Morgen zum Abend
Euer Winzer mit emſiger Hacke, der Reben zu pflegen,
E 2Deren68Der Mittag.
Deren blinkender Saft nur eure Becher erfuͤllet.
Ja, vergebens ſpreitet der Wald die friſcheſten Zweige
Um den Koͤhler herum; der himmelaufdampfende Holz - ſtoß
Schwaͤrzt den gruͤnenden Forſt, und hitzet ihn mehr, als der Mittag,
Der durch Wolken von Rauch in ſeiner Klarheit ent - ſtellt wird.
Und doch lebt der Koͤhler vergnuͤgt; die doppelte Hitze
Brennet ihn nicht; er miſchet den Rauch der dampfen - den Pfeife
Zu dem ſchwarzaufſteigendem Rauch des gluͤhenden Waldes.
Unter dem Strohdach wohnet mit ihm die Unſchuld der Sitten,
Mit der vergeſſenen Treu, die hier ſich zu ihm geſellet;
Die Zufriedenheit traͤgt ſein ſchwarzes Brod ihm zu Tiſche,
Und die Arbeit wuͤrzet den Trank: es ſey nun die Quelle,
Welche mit murmelnden Fall vor ſeiner Huͤtte vorbey - rauſcht;
Oder der Ceres ſtaͤrkender Saft, der ſuͤſſer ihm duͤnket,
Als das perlende Naß von Cyperns Huͤgeln dem Schwel - ger.
Wenn69Der Mittag.
Wenn der Juͤngling, welchen der Trieb in den ſchattichten Wald rief,
Von dem Wege verirrt, jetzt uͤber die brennenden Hai - den,
Ganz ermattet vom Stral des Mittags wieder zuruͤck eilt:
O wie ſtaͤrket ihn da der Aushauch duftender Kraͤuter,
Oder im friſchen Geſtraͤuch der Saft der labenden Erd - beer,
Welche weit um ſich herum mit ihrem Geruch ſich ver - kuͤndigt.
Nicht Ambroſia koͤnte ſo ſehr den Muͤden erquicken,
Wenn die erfriſchende Koſt, von einem Maͤdchen ge - pfluͤcket,
Das hier, wie die Goͤttin des Waldes, ihm ploͤtzlich erſcheinet,
Aus dem reinlichen Korb in ſeinen Jaͤgerhut regnet.
Schoͤner ſcheinet ihm dann im braunen Kittel das Maͤdchen,
Und er vergißt die Beſchwerden des Mittags, und fol - get ihr willig,
Nach dem niedrigen Dach, wo ihre gefaͤlligen Eltern
Jhren zufriedenen Gaſt mit laͤndlichen Speiſen bewir - then;
Da das Maͤdchen indes ſein Herz auf ewig verwundet,
E 3Und70Der Mittag.
Und ihr reizendes Bild in ſeiner Seele zuruͤcklaͤßt.
Jn der bevoͤlkerten Stadt herrſcht nun das Ge - tuͤmmel des Mittags.
Tauſend Stimmen, vermiſcht mit dem Donner der raſſelnden Wagen,
Wallen uͤber der Stadt, und ſie verſchlingen, wie Wellen
Eines brauſenden Meers, den angelandeten Fremd - ling.
Alles rauſcht in ſeinen Geſchaͤften mit fliegenden Schrit - ten
Bey einander vorbey; und ſelber der muͤßige Stutzer
Geht vom Spiegel, und eilt, und ſuchet den Anſchein der Arbeit.
Denn entweder flattert er jetzt durch alle die Straſſen,
Wo ein ſchoͤnes Geſicht den Fuß des Fluͤchtigen hinlockt;
Oder er ſetzet ſich hin, und opfert dem Gotte des Caf - fee,
Stammelt die Zeitungen durch, beſtimmt das Schick - ſal Europens,
Bis Gewinnſucht und Spiel zu ihren Altaͤren ihn fo - dern.
Auf der Boͤrſe verſammelt ſich jetzt der emſige Kauf - mann.
Was die Handlung nur reicht, die ſchimmernden Schaͤ - tze von Ormus,
Von71Der Mittag.
Von den Bengaliſchen Ufern, der caffeereichen Levante,
Vom unwirthbaren Nord, in koͤſtliches Peltzwerk ver - huͤllet;
Von der weſtlichen Welt wo unabſehlich der Plata
Wie ein Ocean ſich in Koͤnigreiche dahinwaͤlzt;
Da, wo Mexiko prangt; wo Peru guͤldene Flotten
Nach dem Jberier ſchickt; der Reichthum ſuͤdlicher Laͤnder.
Alles flieſſet hieher. Brittannien ſchauet monarchiſch
Ueber das ihr gehorchende Meer; die ſiegende Flagge
Weht an allen Geſtaden der Welt. Der Bataver eyfert,
Stiller wirkend, ihr nach, und iſt das Wunder Eu - ropens.
Wird der Deutſche denn ſtets, von Vorurtheilen ge - blendet,
An den Kuͤſten des Meers den Vortheil zur Handlung verſchlummern?
Haͤlt er es noch fuͤr zu klein, dem Meere Geſetze zu geben,
Und durch eigenen Fleiß der Erde Schaͤtze zu hohlen,
Die ihm Belgien borgt, das unſer Silber bereichert?
E 4Doch72Der Mittag.
Doch ſieh! durch das ſtaunende Meer ziehn Preußiſche Flaggen,
Und wehn zu Germaniens Ruhm in jauchzenden Haͤfen.
Laß mit eitelem Stolz das prahlende China ſich blaͤhen,
Das ſich mit furchtſamen Schritt nie von der Gewohn - heit entfernet;
Jmmer erfand, und weiter nie gieng; es ruͤhmet um - ſonſt ſich;
Japan zeiget umſonſt auf ſeine thoͤnernen Schaͤtze;
Unſer ſchoͤpfriſcher Geiſt hat ihre Kuͤnſte verbeſſert.
Jetzt deckt ſich mit meißniſchem Thon die Tafel der Groſſen,
Eine ſchoͤnre Natur ſcheint hier verbreitet. Die Goͤtter
Koͤnten auf beſſern Gefaͤſſen nicht ſpeiſen. So bluͤhet die Roſe
Kaum am Stock; kaum ſpielet ſo ſchoͤn die bunte Ra - nunkel
Auf dem kuͤnſtlichen Beet, als hier mit hoͤheren Far - ben
Der durchſichtige Thon, von Meiſterhaͤnden beſeelet.
O wie ungleich theilet die Hand der Vorſicht die Gnaden
Unter die Sterblichen aus! hier ſitzt der Guͤnſtling des Gluͤckes
Ganz73Der Mittag.
Ganz vom Glanze bedeckt, an ſeiner praͤchtigen Tafel.
Doch kaum ſcheint es ein Tiſch; es iſt ſein herrlicher Garten
Den die erfindſame Kunſt fuͤr ihn ins Kleine gezogen.
Unter Orangen ſitzen entzuͤckt die ſchimmernden Gaͤſte,
Und wohlriechendes Naß ſteigt aus den ſanften Fontai - nen.
Meiſſen ſcheinet erſchoͤpft von ſeinen irdenen Schaͤtzen,
Eine ſo blendende Reih von Schuͤſſeln bedecket die Ta - fel.
Zwanzig Koͤche verbrachten den Morgen, Gerichte zu ſchaffen,
Die ſein Mund nicht verſucht, und ſein Verlangen nicht aufdeckt.
Alle Weine der Welt bringt ſein verguͤldeter Schenk - tiſch,
Wie er winket, hervor; Madera zinſet ihm willig
Seinen Nektar; hieher ſchickt Cypern ſeine Tribute,
Porto, Champagne, Tokay, ſind ſeine Tafelprovinzen,
Und kaum wird ihn vom Rhein der Bacharacher ver - ſuchen.
Laͤufer, Lackeyen, Heyducken, in Sammt und Silber gekleidet,
E 5War -74Der Mittag.
Warten auf ſeiner Gaͤſte Befehle; ſie werden vollzo - gen,
Wie der Gedanke gewuͤnſcht, und winkende Blicke ge - fodert.
Und ſo trinken ſie, herrlich und groß, dem Abend ent - gegen;
Wahre Zufriedenheit ſcheint auf ihre Stirnen gezeich - net,
Und der Poͤbel beneidet das Gluͤck des maͤchtigen Man - nes.
Aber mit ſchaͤrferem Blick ſieht in der Ferne der Weiſe,
Wie vergebens ſich hier von allen Theilen der Erde
Theure Speiſen zuſammengedraͤngt, und wie er verge - bens
Alle Weine verſucht, um ſeiner Zunge zu ſchmeicheln.
Doch ſein Gefuͤhl iſt dahin! Sein laͤngſt verdorbener Magen
Muß die Pariſerpaſtete verſchmaͤhn, ſo ſehr auch die Reuter
Mit ihr durch Laͤnder geeilt, um ſeinen Geſchmack zu vergnuͤgen.
Und vor allem vergaͤllt ihm ſein Mahl die Furcht und die Unruh,
Welche beſtaͤndig um ihn die ſtoͤrenden Schwingen ver - breiten.
Jn den Augen ſitzet der Neid, und der Argwohn, und wachet
Auf75Der Mittag.
Auf die Blicke der andern; und ſpaͤht die geheimeſten Minen.
So eilt traurig die Zeit mit ſchwerem Schritte vor - uͤber;
Hier wird Freude zur Quaal, hier iſt der Ueberfluß Mangel.
Wie viel gluͤcklicher ſitzet am Zaun auf blumichten Raſen
Jener, welcher ſein Brod mit Schweiß und Arbeit verdienet!
Den ſein Gewiſſen nicht nagt, und der mit froͤlichem Herzen
Zum erworbenen Mahl, das Hunger und Arbeit ge - wuͤrzet,
Uuter die Schatten ſich ſetzt von einer vertraulichen Linde.
Vor ihm hat die Natur die Wieſe zum Teppich gebrei - tet,
Und der Himmel woͤlbet ſich hier um bunte Gefilde.
Als die Decke des praͤchtigen Saals, in welchem er ſpeiſet.
Wenn der Mittag bey ihm mit ſchwuͤlen Luͤften vor - beygeht,
Und der murmelnde Bach, die immer ſummende Biene,
Jhn im Schatten der rauſchenden Eſche zum Schlum - mer verfuͤhret:
Sinkt ihm ſorglos das Haupt; in einem erfreulichen Traume
Sieht76Der Mittag.
Sieht er ſein fleißiges Weib ſein Abendeſſen bereiten;
Oder er angelt im Traum am Ufer des maͤchtigen Stro - mes
Einen zappelnden Fiſch; faͤngt auf dem lockenden Heer - de
Voͤgel der ſeltenſten Art, die er dem Staͤdter verkaufet.
Bis er vom nahen Geraͤuſch der Mitarbeiter erwachet,
Und mit friſcherem Muth in ihre Reihen ſich miſchet.
Unzufriedener waͤlzet ſich jetzt auf ſeidenen Kuͤſſen,
Da die Sonne tiefer nun ſinkt, die weichliche Schoͤne.
Mit bereitetem Haar, und kuͤnſtlich bluͤhenden Wan - gen,
Und in reizender Mattigkeit gaͤhnend, erwartet ſie ſeuf - zend
Einen ſchmeichelnden Schlaf, die langen Stunden zu toͤdten.
Lange ſchon liegt ſie, und ſpielt mit roſenfarbenen Schlei - fen,
Die den wallenden Buſen verſchoͤnern; auch blaͤttert ſie oͤfters
Jn Romanen herum, und wird zur ſeufzenden Heldin.
Bis ihr Blut ſich erhitzt, und Luftgeſchoͤpfe ſich bildet
Von77Der Mittag.
Von Arkadiſchen Schaͤfern, von ſuͤſſen Platoniſchen Nymphen;
Und ſie Wolluſt mit Tugend vereint, und Stutzer mit Treue.
Alsdann uͤberlaͤßt ſie ſich ganz den ſreyen Gedanken,
Welche nun wild durch alle Gebiete der Einbildung ſchwaͤrmen.
Jn dem oͤden Gemach, vom gruͤnen ſichernden Vor - hang
Melancholiſch verhuͤllt, herrſcht eine vertrauliche Stille.
O! wenn dann ihr kuͤhner Amant den Eintritt gefunden,
Und ſie zu viel im erdichteten Schlaf dem Juͤngling ge - trauet:
Dann iſt oft mit eilenden Fluͤgeln, und weinenden Au - gen
Die beleidigte Keuſchheit von ihr auf ewig entwichen!
Wenn der Mittag nun bald die hoͤhern Bezirke verlaſſen,
Und dem kuͤhleren Abend ſich naht: dann dampft die Levante
Ueber dem Caffeetiſch auf; die Goͤttin der leeren Ge - braͤuche
Herrſchet nunmehr. Das ſchimmernde Kleid, der rauſchende Reifrock
Fuͤllt nun Saͤnften oder Caroſſen. Mit tiefer Ver - ſtellung
Eilt78Der Mittag.
Eilt man zu dem Beſuch; mit ſtetem gezwungenen Laͤ - cheln,
Und verzognem Geſicht, wird jede Sylbe begleitet.
Schwuͤre von Freundſchaft und Treu, und Reden vol - ler Verehrung,
Flieſſen von truͤgriſchen Lippen herab, und werden ver - geſſen.
Alles iſt eyfrig bemuͤht, den Stunden Fluͤgel zu geben;
Thoͤrichte Fragen, und leeres Gewaͤſch, erſchallen im Zimmer,
Unter dem zierlichen Rauſchen der Faͤcher. Sanft - freundliche Stimmen,
Die voll Schmaͤhſucht und Neid die reinſten Tugenden ſchwaͤrzen,
Lautes Gelaͤchter, und trockener Scherz voll Unſinn und Wortſpiel,
Alles wird unter einander vermiſcht. Ein Chaos, in Aufruhr,
Wo ſich der Weiſe verliert, und nur der Dummkopf daheim iſt.
Angenehmer flieſſen dem Freunde der Muſen des Mittags
Schwuͤle Stunden im Buͤcherſaal hin. Hier athmet er Ruhe.
Von dem leeren Geraͤuſch der eitlen Beſuche geſondert,
Und geſtorben fuͤr Narren, und ungehirnte Geſchoͤpfe,
Unter -79Der Mittag.
Unterhaͤlt er ſich hier mit unterrichtenden Todten.
Bring, o Muſe, mich jetzt zu jener hohen Rotunde,
Zu der Zierde des Gvelfiſchen Hauſes, und laß mich dort geizig
Schaͤtze ſammeln von Weisheit und Witz, die Nah - rung der Seele.
Laß die ſchoͤpfriſchen Griechen dich unterrichten. Vom Schoͤnen
Hatte kein anderes Volk ſo viel Empfindung. Sie ſind es,
Unſere Meiſter, die uns mit allen Kuͤnſten bereichert,
Und, uns Soͤhne der Gothen, zur Spur des Erhabnen geleitet.
Oder beſuche das herrſchende Rom, das unter den Sie - gen
Nicht die Muſen vergaß. Die hohen unſterblichen Lieder
Eines Virgils entzuͤcken noch jetzt; die Leyer des Flak - kus
Reißt uns jetzo noch hin mit ihren bezaubernden Toͤnen,
Sey auch nicht zu verwoͤhnt, der alten germaniſchen Barden
Rauhere Stimme zu hoͤren; ſie, die in der finſteren Dummheit,
Die ſonſt Deutſchland bedeckt, die ſelaviſchen Feſſel ge - brochen.
Und80Der Mittag.
Und mit ihrem Geſang barbariſche Sitten gemildert.
Philomele ſingt ſo in tiefen ſchauernden Waͤldern
Durch die Nacht der Wildniß ihr Lied, und troͤſtet den Wandrer,
Welcher im Walde verirrt mit Kummer den Morgen erwartet.
Oft verfolg auch den Weg durch friſche Waͤlder von Eichen
Bis zur Lindenallee, die nach Salzdalum
*)Ein berzoal. Braunſchweigiſches Luſtſchloß; wegen ſeiner Gemaͤldengallerie merkwuͤrdig.
*) dich leitet,
Wo die erſchaffende Kunſt in kuͤhlen Gemaͤchern und Hallen
Eine zweyte Natur, beſeelt durch den Pinſel, dir auf - ſtellt.
Welch ein Anblick! Das ſchwellende Herz ſcheint maͤcht - ger zu fuͤhlen,
Wenn es den opfernden Abraham
**)Von Lievens.
**) ſieht, der voller Entzuͤcken
Seinen Jſak umarmt, und mit dem ſprechenden Auge
Dank fuͤr ſeinen Geretteten weint. Mit flammenden Blicken
Haͤlt hier Judiths blutige Hand des aßyriſchen Feld - herrn
Scheuß -81Der Mittag.
Scheußliches Haupt. Dort ſtirbt in Cephalus zittern - dem Arme
Prokris;
*)Vom Guido.
*) und die Schatten des Todes, Cleopatra
*)Vom Guido.
*), decken
Dein erblaßtes Geſicht. Von Rubens maͤnnlichem Pinſel
Liegt mit den Nymphen des Waldes Diana ſchlafend. Satyren
Und wolluͤſtige Faunen belauſchen die ſchlummernden Nymphen;
Bogen und Koͤcher haͤngen umher, und mancherley Wild liegt
Zu der Schlafenden Fuß, das ihre Pfeile getoͤdtet.
Und du, herrliches Denkmal der Kunſt, du, ſiegend, als Venus
Jn der Medicis Saal; ja! du biſt Eva!
**)Ein vortrefliches Stuͤck von dem beruͤhmten van der Werſt.
**)So rei - zend
Schuf dich des Allmaͤchtigen Hand; ſo mahlte dich Milton,
Mit ſo holdem Geſicht, mit ſolchem redenden Auge,
Mit ſo guͤldnem fliegenden Haar um blendende Huͤften.
IV. Th. FAlſo82Der Mittag.
Alſo wird dir der ſchwuͤlere Sommer des Tages verſchwinden,
Jn unſchuldigen Freuden auf tauſend Arten veraͤndert.
Setze dich bald zum rieſelnden Quell, der unter dem Felſen,
Von bejahrten Eichen umhuͤllt, ſtets murmelnd her - vorbricht;
Oder folge dem ſilbernen Bach, ſo wie er ſich kruͤm - mend
Durch das Thal ſchleicht, bis er zuletzt zum ſtehenden See wird.
Oder ergoͤtzen dich groͤſſere Scenen von weiterer Aus - ſicht,
So beſuche den Strom, der auf dem ſchwellenden Ruͤ - cken
Schiffe duldet, und Voͤlker begluͤckt durch Segen der Handlung.
So ſah ich den ſchlaͤngelnden Rhein, durch bluͤhende Laͤu - der,
Seinen aͤndernden Lauf nach Belgiens Kuͤſten verfol - gen.
Und ſo waͤlzt in traͤgerem Lauf der maͤchtige Mayn ſich
Truͤb und leimicht zum Rhein, und gruͤßt die vollen Provinzen,
Welche Bacchus und Ceres mit ihren Schaͤtzen berei - chern.
So83Der Mittag.
So hab ich im lachenden Thal im Schatten der Erlen
An dem Geſtade der Weſer geſeſſen, und froͤlich die Blicke
Jn der Gegend umher an heitern Scenen geweidet.
Aber wie ſchwaͤrzte ſich bald die Ausſicht mit truͤberen Wolken,
Als der ſchreckliche Krieg die flammende Fackel erho - ben.
Als das galliſche Heer, auf allen Huͤgeln gelagert,
Wuͤſteneyen hinter ſich lies, ſo wie es den Weg nahm;
Oder das brittiſche Roß, wildwiehernd, uͤber die Fluren,
Die es abgemaͤht, flog; und Seuche, Hunger und Elend,
Ueber dem ſeufzenden Lande mit ſchwarzen Fittigen ſchwebten.
Damals, o Elbe! floſſeſt du auch mit traurigen Wel - len
Durch ſo manche verheerte Provinz; trugſt eherne Donner,
Statt der Waarebeladenen Schiffe, vor zagende Staͤdte,
Und ſahſt Gallier, Hungarn, und Britten an deinen Geſtaden.
F 2Nur84Der Mittag.
Nur Hammonia ſtand, vom Sturm des Krieges ver - ſchonet,
Und genoß im Schooſſe der Ruh des guͤldenen Friedens.
Rufe dir, Muſe, noch oft die gluͤcklichen Stunden zu - ruͤcke,
Wenn der laubichte Gang von hohen woͤlbenden Schat - ten
Dich zum Ufer des praͤchtigen Stroms hinunter gelei - tet.
Niemals wurdeſt du muͤde, die waͤlzenden Wogen zu ſchauen,
Und mit gierigem Blick dem ſchwellenden Seegel zu folgen,
Das die Wellen durchſchnitt, und Ueberfluß, Seegen, und Reichthum,
Zu den Gluͤcklichen brachte, die Freyheit und Hand - lung bereichert.
Schnell verfloſſen dir da des Mittags brennende Stun - den,
Unter dem laubichten Dach der dich verhuͤllenden Schat - ten;
Hoͤrteſt, Muſe, nicht mehr die Kriegesfurien bruͤllen,
Und warſt gluͤcklich im Schooſſe des Friedens, der Ruh, und der Freundſchaft.
Dich zu betrachten, Natur! wird immer mein Auge beſchaͤftgen.
Mor -85Der Mittag.
Morgen, Mittag, und Abend, und Nacht hat eigene Freuden,
Welche mich mehr als Ball, und Spiel, und Theater ergoͤtzen.
Und wie koͤnteſt du nicht der Ladung folgen, o Muſe,
Welche die freundliche Gegend dir ſchickt; indem dir der Mittag,
Einen entfernteren Weg mit heiſſem Athem verbietet.
Dort, wo waldichte Hoͤhn den blauen Ruͤcken verbrei - ten.
Und ein friſcherer Weſt von ihrem Gipfel herabhaucht,
Dorthin lenke den Schritt. Folg immer dem kuͤhleren Thale
Tief in der Berge beſchattete Schooß; bis laubichte Kruͤmmen
Dich zu der wilden Natur einſamen Theater geleitet.
Hier, wo er uͤber dem Fels der Eſche ſilberne Blaͤtter
Lieblicher lispeln ins Thal, und mahlriſch hangende Straͤuche
Von dem Fuſſe des Bergs in ſpiegelnde Fluthen ſich neigen;
Hier beut dir von bluͤhendem Moos die Wildniß den Sitz dar,
F 3Und86Der Mittag.
Und eroͤfnet vor dir die ernſte ruhige Scene.
Von der ſtuͤrmiſchen Welt iſt dieſe Wuͤſte geſchieden;
Huͤgel auf Huͤgel, und Felſen auf Fels, verhindern den Mittag,
Mit dem brennenden Stral die tiefen Thaͤler zu ſengen.
Einoͤde! ſey mir gegruͤßt! Du biſt die ſicherſte Zu - flucht
Vor dem Narren voll Witz, und vor der wilden Zer - ſtreuung,
Welche beſtaͤndig im Laͤrme der Stadt die Seele ver - folget.
Hier iſt die Einſiedeley der Natur; Hier iſt die Be - hauſung
Melancholiſcher Stille, der Dichtkunſt treueſten Freun - din.
Sey mir gegruͤſſet, o Hain! Jhr ſanften rieſelnden Quellen,
Dieſes ſilbernen Bachs, der von den Felſen herabfließt,
Seyd mir gegruͤßt! Oft hab ich allhier begeiſtert ge - ſeſſen,
Von der Natur auf mein Blatt die lachenden Scenen zu ſtehlen,
Die ich zu ſchildern gewaͤhlt. Hier haſt du oͤfters, o Muſe,
Dei -87Der Mittag.
Deinen Thomſon, die andre Natur, aufmerkſam ſtu - diret,
Oder in Miltons Geſang den bluͤhenden Garten von Eden
Mit dem lieblichſten Paar, das je ein Dichter erſchaf - fen,
Vor dir geſehn. Hier folgteſt du Popen zur Huͤtte des Schaͤfers;
Saſſeſt um Windſor im Hain; erforſchteſt mit ihm den Menſchen,
Oder hoͤrteſt auf brittiſcher Leyer Maͤonides Lieder.
Dreymal gluͤckliches Eyland! auf welches die guͤl - dene Freyheit
Alle Schaͤtze der Welt mit reichen Haͤnden verſchuͤttet;
Wo jedwedes Verdienſt von Kenneraugen entdecket,
Und von ihrem Maͤcen jedwede Muſe beſchuͤtzt wird!
Welchen maͤchtigen Schirm gabſt du der himmliſchen Dichtkunſt!
Und wo fand ſie, von andern verſchmaͤht, ſo ſichere Zuflucht,
Als in deinen, ihr heiligen Grenzen? Dort gruͤnet ihr Lorbeer,
So wie einſt in Graͤciens Boden, an guͤtigen Son - nen.
F 4Selber88Der Mittag.
Selber der Reichthum, welcher bisher partheyiſch ſein Fuͤllhorn
Vor dem Dichter verſchloß, eroͤfnet es willig, und ſtreuet
Ruhm und Guineen zugleich auf deine bewunderten Barden.
Aber noch leuchtet kein gluͤcklich Geſtirn dem Lieb - ling der Muſen,
Deutſchland, in dir! Noch biſt du zu rauh, die feine - ren Kuͤnſte
Griechenlands Stolz, Jtaliens Ruhm, nach Wuͤrden zu ſchaͤtzen.
Wo ſind deine Maͤcene? Wo ſind die erleuchteten Col - berts,
Welche jedes Talent nach ſeinem Werthe belohnen?
Noch gehn unſre Muſen beſchaͤmt um Allmoſen betteln.
Oder ſind ſie zu ſtolz, die Thuͤr der Groſſen zu ſtuͤr - men;
So bleibt oft der gluͤcklichſte Geiſt in Armuth vergra - ben,
Und der Unſterblichkeit Sohn ſteht in Geſahr zu verhun - gern.
Und doch biſt du, Germanien, ſchon ein Wunder dem Weiſen,
Der mit ſtaunendem Blick des Schickſals Wege ver - folget.
Nicht89Der Mittag.
Nicht durch Auguſte beſchuͤtzt, durch keinen Ludwig be - lohnet,
Steigen doch unter der Laſt des Mangels die feurigſten Geiſter
Zu den Sternen empor, mit ihren erhabnen Geſaͤngen.
Sie ermntern ſich ſelbſt, und ſehn mit edler Verach - tung,
Daß der Verſchnittne Tauſende nimmt; daß guͤldene Summen
Jn die Schuͤrze der Taͤnzerin regnen; und uͤber die Alpen,
Von Ducaten belaſtet, die feile Saͤngerin heimkehrt.
Sie ertragen gelaſſen den Hohn des glaͤnzenden Dumm - kopfs,
Welcher die himmliſche Kunſt, die Sprache der Goͤt - ter zu reden,
Als veraͤchtlich, als unnuͤtz verſchmaͤht. Die Dicht - kunſt ſo unnuͤtz?
Wohl! belohnt ſie nur ſo, wie ihr den gaukelnden Taͤn - zer,
Welcher dem Staate noch weniger nuͤtzt, die Triller des Welſchen,
Oder die engliſche Kuppel bezahlt. Sind dieſe nicht unnuͤtz,
O ſo ſind es noch weniger Lieder, der Nachwelt Be - wundrung,
F 5Welche90Der Mittag.
Welche das ſchwellende Herz noch mehr zur Tugend erheben.
Und ihr Helden, ihr Groſſen des Staats, ſo eifrig auf Nach ruhm.
Wer kan euch Unſterblichkeit geben? Der Taͤnzer, der Saͤnger,
Oder der Dichter, der ſie ſchon oft den Helden verlie - hen.
Wuͤrden, ohne Maͤonides Lied, Achill und Ulyſſes
Nicht in Vergeſſenheit trauren? Und waͤre der Name Maͤcenas
Ein beſtaͤndiges Lob fuͤr alle Miniſter geworden,
Wenn nicht Virgil und Horatz den groſſen Namen ver - ewigt?
Nie ſchwang ſich ein wuͤrdger Regent vom Staube der Fuͤrſten,
Der nicht die Kuͤnſte geliebt, und dich, o Dichtkunſt, belohnet.
Heilige Namen den Muſen, Auguſt, und Ludwig, und Friedrich!
Friedrich, der du dein nordiſches Reich zum Wunder Europens
Umſchafſt; jedes Verdienſt, das deinem Auge ſich naͤ - hert,
Aufnimmſt, ermunterſt, bereicherſt; der du den Mil - ton der Deutſchen
Zu91Der Mittag.
Zu dir beriefſt; als Koͤnig ihn lohnſt, als Kenner ihn ſchaͤtzeſt.
Aber ach! daß traurig vom Thron des wuͤrdigſten Koͤ - nigs
Vor dem galliſchen Witz die deutſche Muſe zuruͤckbebt!
Glaub es, erhabner Monarch, dem patriotiſchen Zu - traun:
Selbſt in Deutſchland, in Preuſſen entſtuͤnde der deut - ſche Voltaire,
Welcher, wofern ihm dein Lob die Fluͤgel zur Ewigkeit ſtaͤrkte,
Dich, o Friedrich, auch deutſch, der Unſterblichkeit wuͤrdig, beſaͤnge.
Wo einſt Canitz gebluͤht, kan da kein Arouet werden?
Doch auch ohne der Groſſen Ermuntrung; auch ohne die Ehre,
Welche den Roͤmer erhob, und noch den Britten er - hebet;
Feurig allein durch eigenen Trieb, erhebt ſich der Deutſche
Mit gewaltigem Flug zur Spitze des heiligen Berges.
Er beſieget den Mangel, indem er nicht Dichter allein iſt,
Und zwingt durch noch andre Verdienſte das Gluͤck, ihm zu folgen.
So92Der Mittag.
So wie Achill, ergreift er nur dann die harmoniſche Leyer,
Wenn er im ſtillen Gezelt von groͤſſern Geſchaͤften ſich ausruht.
So hat Haller, wenn ihn nicht mehr Hygea gefeſſelt,
Dir, o Deutſchland, zum Ruhm unſterbliche Lieder geſungen.
So nimmt Cramer, beſeelt von heiligem Feuer, die Harfe,
Mit dem Davidiſchen Lied dem Menſchengeſchlechte zu predgen,
Wenn er nicht mehr an heiliger Staͤte des Ewigen Worte,
Vor den Groſſen der Welt, ein andrer Chryſoſtomus, redet.
Und ſo ruͤhrt mein Gemmingen auch die ſilbernen Sai - ten,
Wenn er zum ſtillen Gemach vom Tempel der Themis zuruͤckkehrt.
Selbſt bey der Waffen Geraͤuſch, im blutigen Felde des Krieges
Schlug im einſamen Zelt ein Kleiſt die Doriſche Leyer.
O wie faͤrbt ſich die Wange mit patriotiſcher Freude,
Daß die Dichtkunſt der Deutſchen ſich ihrem Mittage naͤhert!
Man -93Der Mittag.
Mancher ſeurige Geiſt erhebt die maͤchtigen Schwin - gen,
Und ſteigt uͤber die niedere Schaar proſaiſcher Saͤnger
Jn die Wolken hinaus. Umſonſt verſuchet die Dumm - heit,
Jhm die Saͤrke der Fluͤgel, den wahren poetiſchen Aus - druck,
Zu beſchneiden; er fuͤhlet die Gluth, die Britten be - ſeelet,
Folget Albion nach, und laͤßt die Dunſe der Deutſchen
Wider den falſchen Geſchmack vergebliche Klagen ver - athmen.
Hagedorn, zwar du biſt uns entflohn! Doch lebet dein Ruhm noch
Ewig bey uns! Du wurdeſt aufs neu der Opitz der Deutſchen,
So gelaͤutert, ſo ſanft, floß dir das maͤnnliche Lied hin.
Schoͤpfriſcher Milton, wer konte bey uns dich ſchoͤner verewgen,
Als ein Bodmer und Klopſtock durch ihre bewunderten Lieder.
Die unſterbliche Rowe ſingt aus dem fuͤhlenden Wie - land.
Gellert, der la Fontaine der Deutſchen, noch reiner im Ausdruck,
Mehr94Der Mittag.
Mehr noch voll vom maͤchtgen Gefuͤhl der himmliſchen Tugend,
Reißt in Entzuͤckung uns hin mit ſeinem zaubriſchen Liede.
Lichtwehr folgt wetteifernd ihm nach zur Ewigkeit Tempel,
Gleim, der Deutſchen Anakreon, ſingt, und alles em - pfindet
Wolluſt und Liebe. Neben ihm geht mit harmoniſcher Leyer
Utz. So rieſelt kein Strom in bunten Blumengefil - den,
Als ſein ſanftes zaͤrtliches Lied. Zu ihnen geſellt ſich
Gerſtenberg; gauckelt und ſcherzt, gleich einem Zephir, um Blumen,
Und erheitert des Traurigen Stirn. Arkadiens Sprache
Redet der treue Myrtill, durch dich begeiſtert, o Gaͤrt - ner;
Und Schmidt mahlt in frommen Jdyllen die heilige Vorwelt.
Er auch, der gluͤckliche Geiſt, der mit der bezaubern - den Proſa
Unter die Dichter ſich miſcht, und ihre Lorbeern errun - gen;
Gesner ſchildert mit lachendem Pinſel die Freuden der Schaͤfer.
Ram -95Der Mittag.
Ramler, gedrungen und rein in ſeinem feurigen Aus - druck,
Schwingt ſich, Flakkus, dir nach. Und du, der wuͤr - dige Bruder
Unſers Corneille; wie fließt, o Schlegel, das gluͤck - liche Lied nicht
Deinem begeiſterten Kiel! Wie biſt du voller Empfin - dung
Giſeke, wenn dich die Gluth des Dichtergottes beſee - let.
Duſch, im Lehrgedicht ſtark, und du, freymuͤthiger Huber,
Jhr auch ſeyd Germaniens Ruhm. Jhr Zierden der Buͤhne,
Leßing, der du ſo oft durch deine Sara die Thraͤnen
Fuͤhlender Augen entlockſt; und du, o maͤchtiger Weiſſe,
Der die zarteſten Saiten der Herzen getroffen; ihr ſeyd es,
Deren ſchoͤpfriſcher Geiſt Germaniens Ehre behauptet.
Jhr auch, die ihr zu fruͤh fuͤr unſer Schauſpiel geſtor - ben,
Kruͤger und Cronegk! Wie herrſchtet ihr ſchon in zaͤrt - lichen Seelen
Durch die zaubriſche Macht, die euch die Muſen ver - liehen!
Und96Der Mittag.
Und koͤnnt ich dich, Ebert, vergeſſen? Du, der du die Sprache
Albions dir zum Eigenthum machſt, und unſere Mu - ſen
Mit den herrlichſten Schaͤtzen der dichtriſchen Jnſel be - reicherſt;
Schau voll Mitleid mit mir auf alle die Reimer her - nieder,
Welche die Proſa zur Goͤttin erheben; die Popen ver - kennen,
Youngs Geſaͤnge verſchmaͤhn, und Miltons Lieder ver - achten.
Die du mir oft im heiligen Hain, im ſchattichten Thale,
Truͤbe Stunden verſungen, und dich durch Doriſche Lieder
Auf der harmoniſchen Laute zu hoͤhern Geſaͤngen berei - teſt;
Muſe, prahle mit Recht, wenn du den guͤtigen Bey - fall
Dieſer Kenner erlangſt; doch prahle noch mehr mit der Freundſchaft
Dieſer erhabenen Geiſter, die zu der Unſterblichkeit ei - len.
Der[97]

Der Abend. Der Abend.

IV. Th. G[98][99]
[figure]
Sieh! von ſanfteren Himmeln, und roſenfarbnen Gewoͤlken,
Senkt ſich der Abend herab. Aus ſeinen blumichten Haaren,
Und dem friſchen Gewand, verbreiten ſich ſtaͤrkre Ge - ruͤche
Ueber die Flur, den gruͤnenden Wald, und duftende Haiden.
G 2Ein100Der Abend.
Ein balſamiſcher Thau ſteigt, von den dunkelern Wieſen,
Zart und kuͤhlend empor; und wie ein ruhiges Eden
Lacht, die geſamte Natur, in ihrer neuen Erfriſchung.
Dir, mein Gemmingen, ſucht, das Doriſche Lied zu gefallen,
Hoͤre mir zu! Dein Beyfall allein belohnet die Muſe,
Welche fuͤr dich die Leyer ergreift. Verſag ihr dein Lob nicht,
Da ſie mit feurigem Muth die Bande der gothiſchen Reime
Abgeworfen; und ſich mit ungebundenen Schwingen
Von den Sklaven erhebt, die ihre Feſſeln verehren,
Und vom ſpielenden Reim gezwungne Gedanken erbet - teln.
Sey jetzt dein, und heitre dich auf, indem dich der Abend
Vom Archontiſchen Stuhl, und von dem Geraͤuſche des Vorſaals,
Jn die dunklen Alleen entlockt; und Ruhe der Seele
Von dem lachenden Himmel ſich auf den Spatzierenden ausgießt.
Wenn die Sonne nunmehr die muͤden ſchnauben - den Pferde
Nach101Der Abend.
Nach dem Ocean lenkt, und mildere Stralen herab - ſchießt;
Wenn der Wandrer beſtuͤrzt den langen gigantiſchen Schatten
Vor ſich erblickt; und dunkler die Wieſen, und dunkler die Felder
Um das Dorf ſich verbreiten; und ferne waldichte Ber - ge
Den verkuͤrzten Proſpekt mit blauem Ruͤcken verſchlieſ - ſen:
Alsdann blicket der Abend bereits, mit ſeinem Gefolge,
An dem Himmel hervor. Jn grauen dichteren Wol - ken,
Welche ſich um den Geſichtskreis ſetzen, verbirgt er ſein Zepter,
Bis die Monarchin des Tags die weſtlichen Felder des Himmels
Vor ihm verlaͤßt, und eilt, ſich in die Fluthen zu tau - chen.
Dann ertoͤnet vom Thurm, den in der Ferne der Wan - drer,
Wie von Golde ſchimmernd, erblickt, die Abendglocke.
Jhrem erfreulichen Schall antworten umliegende Doͤr - fer,
Bis vom hellen Getoͤs die ganze Gegend ertoͤnet.
Ploͤtzlich entſinkt die Hacke, das Beil, die blitzende Senſe
G 3Aus102Der Abend.
Aus der ermuͤdeten Hand. Jm Felde vernimmt es die Dirne,
Sammelt geſchwinder den Klee in Haufen, und eilet zuruͤcke
Nach dem freundlichen Dorf. Nachlaͤßig ſitzet der Landmann
Queer