Ende des Schnupftuchs.
Singe mir, Muſe, den Waghals, welcher ſich un - terſtand, mitten im ſtuͤrmiſchen Wintermonat die un - geheuren Gebirge des Harzes zu uͤberſteigen. Schil - dre mir ihn, bald auf den Felſenhoͤhn, wo er mit derM 3verweg -182Hercynia.verwegnen Fauſt in die Wolken grif; oder zeige mir ihn mitten im Bauche der Berge, nahe am Mittel - punkte der Erde. Erzehle, was er fuͤr Abentheuer erlebt, was er fuͤr fremde Sitten geſehn; und wie er endlich nach mancherley Gefahren gluͤcklich wieder in den Mauren der Welfenburg zu den Umarmungen ſei - ner Freunde gelangte.
Schon vier langweilige Stunden waren verfloſ - ſen, ſeit dem Zelindor, und der roſenwangichte Hylas die beruͤhmte Veſtung der Guelfen verlaſſen hatten. Sie trabten, von einem einzigen Stallknecht begleitet, langſam uͤber manche ſteinigten Ebnen, giengen uͤber manche Suͤmpfe und Moraͤſte und uͤber manche ſchma - len Balken und alten Weidenbaͤume, welche man ſehr unrecht mit dem Namen der Bruͤcken beehrte. Ein beſtaͤndiger Wind mit Regen begleitet wehte ihnen entgegen, und blies ihre Regenroͤcke auf, daß ſie ſovoll185Erſter Geſang.voll von Luft wurden, wie die Seegel eines kleinen Milchefers, welches in groͤſter Geſchwindigkeit uͤber die Elbe fliegt, den lechzenden Zungen des hamburgi - ſchen Frauenzimmers die fette Kaarmilch, oder die quit - tengelbe Butter zu uͤberliefern. Noch lagen die Ge - genden vor ihnen her in Nebel und Duͤnſte verhuͤllet, und ſie hatten Muͤhe, den rechten Weg nicht zu ver - fehlen, ſo ſehr ſchlug ihnen der Regen in die Augen. Jhre ſonſt ſo muthigen Roſſe wadeten jetzt langſam durch die grundloſen Aecker, und hiengen die Ohren. Jhre Reuter ſelbſt waren ſtumm, auſſer daß von Zeit zu Zeit ein ungeduldiger Fluch ſich mit dem ſtuͤr - miſchen Wetter vermiſchte. Endlich brach der roſen - wangichte Hylas zuerſt das Schweigen, und wandte ſich alſo zu ſeinem Gefaͤhrten.
M 5O des186Hercynia.O des verteufelten Wegs? Weder das liebens - wuͤrdge Weſtphalen, noch das angenehme Paderbor - nerland haben ſo ſcheußliche Wege, wie dieſe. Siehſt du dort jene traurigen Ebnen, wild, ſchrecklich, ver - laſſen, und oͤde; wo ein tiefer, bodenloſer Fahrweg ſich zu einem abſcheulichen Dorfe hinunter windet? — Da werden wir uns hindurcharbeiten muͤſſen. Saͤſ - ſen wir nun noch in dem weichen Kanapee in jenem eingehitzten Zimmer, welches wir mit ſo groſſer Eile verlieſſen! Aber, wir Unſinnigen, wir wolten uns ja von keinem Bitten unſrer Freunde aufhalten laſſen, und glaubten, ein halbgefrohrner Regen vom Harz ſolte uns eben ſo angenehm ſeyn, als ein ſanfter May - regen; oder die Schneeflocken, die uns jetzt ſo reichlich in den Hals fliegen, ſolten uns eben ſo gut ſchmecken,als187Erſter Geſang.als der Trank der Levante mit dem herrlichſten Flott. O ich Thor! ich dreyfacher Thor! Eine Reiſe auf den Harz! Jm November! —
Hier ward auf einmal der Strom ſeiner figur - reichen Beredtſamkeit gehemmt. Denn ein Stuͤck weicher Erde ward von dem Hinterfuſſe des Roſſes, auf welchem Zelindor vor ihm her trabte, und welches jetzt ausglitſchte, ſo wunderbarlich geſchleudert, daß es ihm gerade ins Geſicht flog, und ihm auf einmal den Mund ſtopfte, welcher ſich eben in die abſcheulichſten Fluͤche ergieſſen wolte. Seine Wuth ward dadurch vermehrt; als ſein Begleiter in ein lautes Gelaͤchter ausbrach. Dieſer faßte ſich indeß gar bald, nahm wieder eine weiſe Mine an, und ſuchte den ar -men188Hercynia.men Hylas zu beſaͤnftigen, indem er alſo zu ihm an - hub:
Alſo Zelindor. Hylas aber blieb ſtumm, denn es ſchien nicht, daß die alltaͤgliche Moral der Philo - ſophie ihn in dieſen Reimen ſonderlich beſaͤnftigt habe. Die189Erſter Geſang.Die poetiſche Prophezeyung ward indeß erfuͤllt. Auf einmal zog der Zufall, oder ſonſt eine unſichtbare Hand einen Vorhang von neblichten Duͤnſten hinweg, wel - cher bisher alle Ausſicht verhindert hatte. Eine wun - derbare Kette von Bergen lag ganz nahe vor ihnen da, und an dem Fuſſe derſelben erblickten ſie das ſo lange gewuͤnſchte Goslar mit ſeinen altvaͤtriſchen Mauren und Thuͤrmen. Je naͤher ſie der Stadt kamen; je mehr wurden ſie von einem heiligen gothiſchen Schau - der eingenommen, der ſie bey dem Anblicke dieſer fin - ſtern ehrwuͤrdigen Stadt uͤberfiel. Und in der That ſchien es, als ob die Natur ſich hier eine beſondere Muͤhe gegeben, dieſe ganze Gegend recht ſchwarz, trau - rig und abentheuerlich zu machen. Eine lange Reihe von Bergen, jeder waldichter, hoͤher, und fuͤrchter -licher190Hercynia.licher als der andre, erhuben ſich hinter der Stadt. Die Sonne ſchien im Mittag ſchon untergegangen zu ſeyn, und ganz beſondre Rieſenſchatten der Felſenge - buͤrge hatten ſich uͤber die Stadt gelagert. Die Hof - nung zu einem Wirthshauſe indes befluͤgelte den Schritt ihrer ermuͤdeten Roſſe; ſie kletterten muͤhſam die uͤbel - gepflaſterten Straſſen der Stadt hinauf, und gelang - ten endlich zu einem verwuͤnſchten Schloſſe, in der ge - meinen Sprache der Sterblichen, die Worth genannt. Gern haͤtte Zelindor dieſes Schloß fuͤr ein gewoͤhnli - ches Wirthshaus halten wollen, aber die leeren Zim - mer und Hallen, in welchem kein Stuhl war zum Sitzen, noch ein freundſchaftlicher gaſtfreyer Tiſch, er - laubte ihm dieſen Gedanken nicht. Der Mangel, ein hagres Geſpenſt, ſaß an der Thuͤr der Kuͤche, undhatte191Erſter Geſang.hatte eine verhungerte Katze bey ſich, welche hier nicht einmal Maͤuſe fand, ihren zuſammengeſchrumpften Magen zu fuͤllen. Kaum waren die beyden Helden abgeſtiegen, und ihre Roſſe in den Stall gezogen, als ihnen die Zauberin des Schloſſes erſchien; eine junge buhlriſche Feye, welche die geraͤtheleeren Zimmer die - ſer Burg bewohnte. Zwar konte ſie nicht, wie die beruͤhmte Circe, ihre Gaͤſte in Schweine verwandeln, dagegen war ſie ſelbſt einem Schweine viel aͤhnlicher, als irgend einem andern menſchlichen Geſchoͤpfe. Jh - re kleinen, langgeſpaltenen, mit weiſſen Haaren ein - gefaßten, Augen waren den Schweinsaugen ſo aͤhn - lich, als die Augen der Juno den Ochſenaugen. Jhr Mund naͤherte ſich ſo ſehr der Geſtalt eines Ruͤſſels, und ein paar groſſe Zaͤhne ſtanden auf beyden Seitenſo192Hercynia.ſo weit heraus, daß ſie mit dieſem Thiere noch mehr Aehnlichkeit bekam; beſonders, da ſie ſich eben ſo ſehr im Schlamme herumgewaͤlzt zu haben ſchien, als das von den Juden ſo ſehr verabſcheute Geſchoͤpf. Die Zauberin hatte die beyden Reiſenden kaum mit einem fluͤchtigen Blicke betrachtet, als ſie ſchon einen unkeu - ſchen Anſchlag auf den roſenwangichten Hylas in ihrem Herzen unterhielt. Sie ließ das Feuer in dem Ofen verdoppeln, ſie ſetzte ihm eine lieblich dampfende Brat - wurſt auf, und gab ihm reichlich von dem Zauber - tranke, Goſe genannt, zu trinken, welcher eben die einſchlaͤfernde Kraft hatte, als jener Leihaͤiſche Trank, durch welchen man alles vergaß, was man jemals gutes oder boͤſes verrichtet. Jhre liebaͤugelnden Schweinsaugen warfen brennende Blicke auf den jun -gen193Erſter Geſang.gen Hylas, und ſie wuſte die Gefahr, bey Heranna - hung der Nacht uͤber die ſchrecklichen Gebirge zu rei - ſen, ſo zu vergroͤſſern, daß der roſenwangichte Hylas ſchon geneigt war, dieſe Nacht in dem gefaͤhrlichen verwuͤnſchten Schloſſe zuzubringen. Zelindor ſah die drohende Gefahr, wie ein andrer Ulyſſes, und wußte, es ſey kein andres Mittel, den Lockungen dieſer Zau - berin zu entgehen, als die Flucht. Aber auf was vor Art ſolten ſie entfliehen? Jhre Roſſe ſtanden ermuͤ - det im Stall, und der Stallknecht ſchwur, ſie wuͤrden keinen Schritt weiter gehn, ohne auf den ſteilen Ber - gen umzufallen. Jn dieſer Noth nahte ſich ein an - drer alter Zaubrer dem Zelindor, welcher ſich erboth,IIter Theil. Nihn194Hercynia.ihn noch dieſen Abend ſicher und wohlbehalten auf die angenehmen beſchneyten Gefilde des Zellerfeldes bringen zu laſſen. Dieſer alte Zaubrer war niemand anders, als der Gemahl der verliebten Feye, welcher wohl wuſte, aus was vor ſtraͤflichen Abſichten ſeine ſchoͤne Haͤlfte die bluͤhenden Juͤnglinge bey ſich aufzu - halten ſuchte. Es war von jeher ſeine groͤſte Freude geweſen, ſie in allen ihren Abſichten, ſo viel als moͤg - lich, zu ſtoͤren. Er rieth alſo den beyden Helden, ihre Roſſe zuruͤck zu ſenden, und ſich ſeines Zauber - wagens uͤber die ſteilen Gebirge zu bedienen. Seine ſchoͤne Gemahlin gerieth mit ihm hieruͤber in einen hef - tigen Zwieſpalt, in welchem er aber doch, mit Huͤl -fe195Erſter Geſang.fe der Beredtſamkeit des Zelindor, den Sieg davon trug.
Der Nachmittag hatte noch nicht lange geherrſcht; denn ſchon um drey Uhr verkuͤndigten die Schaa - ren der Dohlen, welche ſich von den Gefilden nach ih - rer Reſidenz, der alten Kayſerlichen Burg, und nach dem einſamen Kirchthurm begaben, die Ankunft des Abends: als auf einmal mit donnerndem Geraſſel der Zauberwagen erſchien, welcher die Abentheuerer uͤber die wolkentragenden Gebirge bringen ſolte. Er hatte die Geſtalt eines Phaetons, ob er gleich nur von ge - meinen Tannenbretern zuſammengenagelt war. Nicht der geringſte Zierrath war an ihm verſchwendet. ErN 2gieng196Hercynia.gieng auf zwey ſtark mit Eiſen beſchlagnen Karrenraͤ - dern einher, und zwey muthige ſchwere Hengſte, ei - ner hinter dem andern, waren davor geſpannt, wel - che Schenkel hatten wie die Schenkel der Elephanten. Auf dem vorderſten Roß ſaß in die Queer ein ver - wegner Harzjuͤngling mit um das Maul haͤngenden Haaren. Er trug einen weiten leinwandnen Kittel, und fuͤhrte in der Hand eine ſchreckliche Peitſche.
Die Wandrer beſahen lange mit groſſen Augen die maßiven Raͤder, den Strohſack, welcher auf ih - rem Sitz lag, die Hengſte mit Elephantenknochen, und den verwegnen Harzjungen, welcher ſie fuͤhren ſolte. Ehe ſie ſich aber dieſem ſeltſamen Fuhrwerkvertrau -197Erſter Geſang.vertrauten, giengen ſie noch einmahl in den Stall, und nahmen einen traurigen Abſchied von den getreuen Roſſen, welche ſie bisher auf ihrem Ruͤcken getragen hatten. Lebe wohl, Gelber! ſeufzete Hylas. Lebe wohl! Koͤmmſt du zuruͤck in deinen bequemen Hof - ſtall, ſo muͤſſe dir der Stallknecht doppeltes Futter ge - ben, und kein Page beſteige in den erſten acht Ta - gen deinen edlen Ruͤcken. Lebe wohl, o Schecke! unterbrach ihn Zelindor; lebe wohl! du haſt mich zwar unſanft genung getragen; oftmals habe ich in dei - nem ſchweren Trotte gefuͤhlt, daß du ehmals ein Kutſchpferd warſt, und oftmals haſt du Luſt bezeigt, mit mir uͤber und uͤber zu ſtuͤrzen; aber alles iſt jetztN 3verge -198Hercynia.vergeben! Lebe wohl! und koͤmmſt du gluͤcklich zu dem Stalle des Hofmanns zuruͤck, welchem du dienſt, ſo ſage ihm, wie gut ich dich gehalten, und welchen Ge - fahren wir entgegen gehn.
Alſo beſprachen ſich die beyden Wandrer lange mit ihren Roſſen; und die Roſſe hiengen die Ohren, und ſchienen zu trauren, und gaben eine Art von Seuf - zern von ſich. Doch jetzt erſchallte die ſchreckliche Peitſche des Harzjungen. Alles war bereit; der Zaub - rer fuͤhrte ſie von dem hoͤlzernen Altan die Stufen hinunter, und ſprach: ſehet da, Wandrer, euer Fuhrwerk, welches euch ſicher durch die unwirthba - ren Gebirge hindurchbringen wird. Fuͤrchtet keineGefahr,199Erſter Geſang.Gefahr, ſondern verlaßt euch auf euren Fuͤh - rer!
So ſprach er. Die Wandrer ſtiegen hinein in das Fuhrwerk; als die Feye mit lautem Geheul auf den Altan ſtuͤrzte, und folgendergeſtalt ihre verzweif - lungsvolle Stimme erhub. Fahrt hin, ihr Undank - baren, fahrt hin! Aber Ungluͤck muͤſſe euch begleiten bey jedem Schritte, den ihr thut. Schnee muͤſſe euch bedecken bis uͤber die Ohren; die Nacht muͤſſe euch uͤberfallen mitten in den ſchrecklichen Gebirgen. Geiſter und Rieſen muͤſſen ſich eurem Wege entgegen ſtellen, und euch in der Jrre herumfuͤhren die ganze lange Nacht durch, ohne daß ihr den labenden GeruchN 4der200Hercynia. Erſter Geſang.der Bratwurſt empfindet, oder die dicke leimichte Go - ſe euch erquickt.
So ſaß ehmals eine der Harpyen auf einem Fel - ſen, und ſtieß Verwuͤnſchungen wider die Trojaner aus, daß dem frommen Aeneas die Haare zu Berge ſtunden. Aber das Fuhrwerk gieng fort durch man - che lange waſſerreichen Straſſen des edlen Goslar. Jetzt kamen ſie die alte kayſerliche Burg voruͤber, und die rauchrichte Stadt war auf einmal hinter ihrem Ruͤcken.
Aber auch von dem Himmel ſahn ſie nur einen kleinen Fleck uͤber ihren Haͤuptern, ſo ſehr verhinder -ten204Hercynia.ten die waldichten Ruͤcken der Berge die Ausſicht. Wie durch Zauberey ſchienen ſie jetzt auf einmal in ein ganz anders Clyma verſetzt zu ſeyn. Die Wolken, welche kurz zuvor in dem platten Felde nur Regen hatten flieſſen laſſen, ſchuͤtteten jetzt aus ihrem Schooß eine ungeheure Menge von Schneeflocken aus, daß die Wandrer, und Roß, und Wagen, und Fuͤhrer, auf einmal ganz weiß wurden. Die Roſſe ſchuͤttelten unwillig den Schnee von ihren Maͤhnen, und glitſch - ten oft auf dem Eiſe aus, welches bereits die Felſen - wege gepflaſtert hatte. O rief Hylas, wie ſehr wuͤnſch - te ich, daß uns jetzo die ſanfte Semire, oder die zaͤrt - liche Lucinde ſaͤhe, welche eine duͤnnere Geſtalt hat, als ein herumfliegendes Sommerinſekt, welches in der Mitten abgebrochen ſcheint. Dieſe weichlichenDa -205Zweyter Gefang.Damen, welche auf ihren Fuͤſſen nicht gehn koͤnnen; die nur aus einem Zimmer in das andere reiſen, und niemals andre Berge geſehn haben, als die auf einem Landſchaftsgemaͤlde! Wie wuͤrde die fuͤrchterlich ſchoͤ - ne Natur ſie hier mit Grauſen erfuͤllen! und wie ſehr wuͤrden ſich ihre Begriffe von der Schoͤpfung dadurch erweitern! Aber die eine ſitzet jetzo unruhig uͤber ei - ne kleine kupfrige Morgenroͤthe, durch die ſie die Spitze ihrer Naſe feuriger werden merkt, als gewoͤhn - lich; und die andere bringt die Artillerie aller ihrer Reizungen in Ordnung, womit ſie einem jungen Kriegshelden, welcher eben vor ihr ſeufzt, eine ganze Lage zu geben gedenkt. Brauſe nur zu, heulender Sturm; fallet noch haͤufiger, ihr Schneeflocken! ich ſehe mit einem gewiſſen Vergnuͤgen dieſes mir ſelteneSchau -206Hercynia.Schauſpiel, welches mir angenehmer duͤnkt, als alle ruhigen und gewoͤhnlichen Freuden!
Alſo ſprach Hylas, und war durch das Bewußt - ſeyn ſeiner Unerſchrockenheit auch im Sturme ver - gnuͤgt, und zufrieden mit ſich. Jndes ward es im - mer dunkler und fuͤrchterlicher. Die letzte Daͤm - merung des Abends ſchien alle Gegenſtaͤnde groͤſſer und ſchrecklicher zu machen, und die geſchaͤftige Phan - taſie, die in dieſen einſamen Gebirgen durch nichts zerſtreuet wurde, erſchuf ſich ſeltſame Geſtalten aus jedem verdorreten Stamm, und aus jedem uͤberhan - genden Felſen. Ploͤtzlich ſchien jetzt der hohle Fahr - weg ein Ende zu haben. Es kam ihnen vor, als fuͤh - re eine ungeheure Rieſengeſtalt, groß wie ein Berg, auf einmal aus der Erde heraus, um ihnen den fer -nern207Zweyter Geſang.nern Weg zu verſperren. Die Haare richteten ſich allmaͤhlig unter ihren Huͤthen empor, da ſie dieſen Rieſen ſahn. Ein furchtbarer Anblick!
Man unterſchied nichts von dieſem Rieſen, als das ungeheure Haupt. Sein ganzer Leib ſchien ſich in ein Gebirge zu verlieren, ſo wie die Mahler oder Dich -ter208Hercynia.ter den Atlas zu ſchildern pflegen, welcher auf ſeinen Schultern den Olymp trug. Zelindor eroͤfnete ein paar groſſe Augen bey dem Anblicke dieſer Erſcheinung, und ſtieß ſeinen Gefaͤhrten an; die Roſſe zitterten, und wolten nicht weiter, und der unerſchrockne Harz - junge wußte nicht, was er ſagen ſolte. Jndem erhub ſich eine Stimme, oder vielmehr eine Art von dum - pfigten Gebruͤlle, und Zelindor glaubte folgende Wor - te zu vernehmen:
Wohin, ihr kuͤhnen Wandrer? Haltet euren verwegnen Schritt auf, oder erfahret die Rache des Rieſen Ramobok. Hier iſt mein Reich; und ich ha - be mich noch nie umſonſt den Waghaͤlſen in den Weg geſtellt, welche die Geheimniſſe des Harzes haben erforſchen wollen. Kehret zuruͤck zu eurer Heymath,ihr,209Zweyter Geſang.ihr, die ihr nicht gewoͤhnt ſeyd, gegen den Him - mel zu klettern, oder in die Tiefen der Erde hin - unter zu ſteigen. Kehret zuruͤck, oder ich will ganze Wolken von Schnee auf euch niederſchuͤtten; ich will eure Wagenraͤder zerſchmettern, oder euch unter der Laſt meiner einſtuͤrzenden Felſen begraben.
So bruͤllte die Geſtalt. Aber der Harzjunge bekam auf einmal wieder Muth, peitſchte von neu - em auf ſeine Roſſe, fluchte einige Teufel und Donnerwetter, und fuhr zu, als wenn er mit - ten durch den Leib des Rieſen hindurchfahren woll - te. Und, ſiehe! ploͤtzlich ſchien die ſchreckliche Ge - ſtalt in einen Nebel zu zerflieſſen; es war auf ein - mal wieder ein Weg da, und der Rieſe ver - ſchwand. So wollte es das Schickſal. Muth undIIter Theil. OUn -210Hercynia.Unerſchrockenheit ſollte dieſes Phantom allezeit uͤber - winden. Sie fuhren vorbey, der Wind verwehte ſeine Drohungen, und nichts gieng davon in die Erfuͤllung, als daß ſie von neuem mit einem di - cken Schneegeſtoͤber bedeckt wurden.
Jndes war die Nacht voͤllig eingebrochen. Die Wandrer wuͤrden ſich gewiß in den ungeheu - ren Waͤldern verlohren haben, wenn es moͤglich geweſen waͤre, aus den hohlen Wegen heraus zu fallen. Sie| ſetzten ihre Reiſe mit innerer Furcht fort. Bald ſahen ſie bey dem Schimmer des Schnees in liefe Thaͤler hinab; Bald ſtacken ſie wieder zwiſchen ſteilen Felſenwaͤnden, die ihnen al - le Ausſicht verwehrten. Jetzt rollte ein Bach unter ihren Fuͤſſen dahin, und ietzt in loͤcherichten Rennenuͤber211Zweyter Geſang.uͤber ihrem Haupt weg, daß ſie ganz naß wur - den. Nach vielem Ungemach kamen ſie endlich aus den dicken Waͤldern heraus; ſie wuͤrden aber viel - leicht die ganze lange Nacht durch auf den unwirth - baren Haiden herumgefahren ſeyn, da der Schnee alle Spuren von einem Wege bedeckt hatte, wenn nicht in eben dem Augenblicke ein kleiner Bergſyl - phe aus dem Pallaſte der Hercynia ganz matt und kraftlos auf ihr Fuhrwerk niedergeſunken waͤre, ſo ſehr hatte der Schnee ſeine bunten Schwingen be - ſchwert. Gluͤckliche Wandrer! rief er aus; die Beherrſcherin dieſer Gebirge, die maͤchtige Nym - phe Hercynia, ſendet mich euch entgegen. Sie hat euch unter viel tauſend Sterblichen auserſehn, alle ihre Wunderwerke zu ſchauen, und ſie auf dieO 2Nach -212Hercynia. Zweyter Geſang.Nachwelt zu bringen. Seyd unberuͤmmert, denn ich bin nunmehro euer Fuͤhrer!
Alſo ſprach er, und ſchwang ſich in der Ge - ſtalt eines kleinen Bergknabens auf das vorderſte Roß. Er fuͤhrte ſie gluͤcklich uͤber die pfadloſen Ebnen. Jetzt ſahen ſie die Wohnungen des Zeller - feldes in der Ferne ſchimmern, wie Ster - ne durch die neblichte Luft ſtralen.
So wie ein Reiſender, welchen ſein ungluͤckliches Geſtirn verdammt hat, auf einer Kuͤchenpoſt zu fahren, wenn der unbequeme Wagen bey Sturm - wind, und Sonnenſchein, und Regen, immer gleich langſam fortgekrochen iſt, endlich ſich freut, wenn er nach vielen toͤdtlichlangweiligen Stunden irgendwo in der menſchenleeren Haide ein Licht ent - deckt, und ihm jedes ſchlechte Wirthshaus mit ei - nem Strohdach herrlicher vorkoͤmmt, als einO 4praͤch -216Hercynia.praͤchtiges Schloß: eben ſo ſehr, und mit noch groͤßerem Rechte, freuten ſich Hylas und Zelindor, als ihr Harzfuhrwerk auf einmal ſtille hielt, und ſie von dem getreuen Bergſylphen in ein Haus ge - fuͤhrt wurden, welches zwar von auſſen nicht viel verſprach, inwendig aber ſich alſobald in einen herr - lichen Pallaſt verwandelte. Man nahm ihnen ſo - gleich ihre ſchneebedeckten Maͤntel ab, und fuͤhrte ſie durch eine Reihe wohlgehitzter Zimmer bis in das Gemach der Nymphe Hercynia, welches von vielen Wachslichtern praͤchtig erleuchtet war. Die Waͤnde ſchimmerten von mancherley glaͤnzenden Dru - ſen und Erzten, und ein aromatiſcher Geruch vonWachol -217Dritter Geſang.Wacholderholz, welches in einem Camin brannte, duftete durch das ganze Zimmer. Unter einem kry - ſtallenen Spiegel lag eine wohlgeſtimmte Zyther, mit guͤldnen und filbernen Saiten bezogen, und ein groſ - ſes harmoniereiches Cymbal ſtand in der Ecke des Gemachs. Es waͤhrte nicht lange, ſo trat Hercy - nia ſelbſt aus einem Nebenzimmer in den Saal, und bezauberte die Augen der beyden Wandrer. Jh - re goldgelben Locken waren mit Perlen und Edelge - ſteinen eingeflochten; ihre braunen Augen laͤchelten voll unbeſchreiblicher Anmuth, und ihre Wangen bluͤhten wie Roſen, die ſich eben beym Aufgange der Sonne, mit Thautropfen geſchmuͤckt, eroͤfnen.
O 5So218Hercynia.Die Nymphe ſetzte ſich auf, einen rothſammet - nen Sofa, und nachdem ſie ihre Gaͤſte gegen ſich uͤber gleichfalls zum Sitzen genoͤthigt, erhub ſie fol - gendergeſtalt ihre harmoniſche Stimme:
Seyd mir gegruͤßt, Wanderer! Lange ſchonlie -219Dritter Geſang.liegen die Gebirge des Harzes unbeſucht von Rei - ſenden; der Krieg, welcher nun ſchon ſo lange Deutſchland verwuͤſtet, hat auch meine Bergſtaͤdte zur Einoͤde gemacht, und in meinen Gruben und Schachten iſt es leer von Arbeitern. Meine junge Mannſchaft iſt mir geraubt, und ſtreitet ietzo wi - der die galliſchen Fahnen. Mehr als einmal haben die feindlichen Kriegsſchaaren mein Gebiete durchzo - gen, und die Schaͤtze mitgenommen, die nicht fuͤr ſie mit ſo vielem Schweiß aus den Tiefen der Erde heraufgebracht waren. Seyd mir alſo ge - gruͤßt, edelmuͤthige Freunde, die ihr weder die ſtuͤrmiſche Witterung, noch die ſteilen unwegſamenGe -220Hercynia.Gebirge geſcheut habt; die ihr nicht kommt, mei - ne Schaͤtze zu rauben, ſondern die Wunder zu be - trachten, welche die reiche Natur auch in dem Jn - nerſten der Erde mit reicher Hand ausgeſchuͤttet hat. Nichts ſey euch verborgen, wenn ihr anders Muth genung habt, in den Bauch der Gebirge hin - unter zu ſteigen, und da eine neue unterirdiſche Schoͤpfung zu bewundern.
So die holdſelige Nymphe. Bald drauf ſtell - ten einige geſchaͤſtige Berggeiſter eine zierliche Tafel in das Gemach, mit allem beſetzt, was der Harz mit den umliegenden Gegenden wohlſchmeckendes darbot. Die bunte Forelle rauchte zwiſchen gruͤnerPe -221Dritter Geſang.Peterſilie hervor, und ein halber gebratener Ham - mel, welcher ſich mit den ſchoͤnſten Harzkraͤutern genaͤhrt, war ietzt der ſchoͤnſte Gegenſtand von den Augen der Wandrer. Mancherley Fruͤchte, die Caſtanienbraune Nuß, die bitterſuͤſſen Krohnsbee - ren, welche auf dem Ruͤcken des Blocksberges wach - ſen, und vielerley andre Arten von Beeren reitzten die Begierde zum Eſſen. Auch war hier kein Man - gel an ſeltenen Getraͤnken, welche die Caravanen der Harzmaͤdchen auf ihrem Ruͤcken herauftragen. Die Wandrer tranken aus Gefaͤßen von hellgeſchliſ - fenem Bergkryſtall; und nachdem ſie ſich hinlaͤng - lich erfriſcht, wandte ſich Hercynia alſo zu ihnen:Noch222Hercynia. Dritter Geſang.Noch vor Anbruch des Tages will ich euch einen Fuͤhrer ſenden, welcher euch zu den Tiefen der Er - de hinunterbegleiten ſoll. Ruhet euch aus, und vergeßt bald | in einem | ſuͤſſen Schlummer alle euer ausgeſtandnes Ungemach.
Alſo ſprach ſie, und ſchied von ihnen. Die Reiſenden wurden von vielen dienſtfertigen Geiſtern zu ihrem Schlafzimmer begleitet, und uͤberließen ſich bald drauf einer ungeſtoͤrten Ruh.
Kaum ſchimmerte im Oſten die erſte Daͤmmerung durch die dicken Nebel, als ein ernſthafter Steiger vor das Lager der Fremdlinge trat, und ſie fol - gendergeſtalt erweckte: Friſch auf, ihr Wandrer! Verlaſſet die unedle Ruh, wofern ihr anders noch geſonnen ſeyd, mit mir in den Schooß der Erde hinabzufahren. Mich ſendet die maͤchtige Hercynia; folget mir ohne Furcht.
Alſo ſprach er, und Hylas und Zelindor war - fen ſich geſchwind in ihre Kleidung, und folgten ihrem Fuͤhrer uͤber die kalten beſchneyten Gefilde, wo das knarrende Geſtenge, mit einem ewig ein -IIter Theil. Pfoͤr -226Hercynia.foͤrmigen Tone weit in das Feld hineinſchob. Nicht lange, ſo traten ſie unter ein einſamgelegenes Dach, welches ein mit Eiſe kandirter Tannenwald umgab. Hier reichte ihnen ihr Fuͤhrer ein ſchwar - zes Grubengewand, welches ſie uͤber ihre Kleidung warfen; ſie ſetzten einen Schachthuth uͤber ihr flie - gendes Haar, und nun zuͤndete der Steiger ſein Grubenlicht an, und fuͤhrte ſie bis an den Mund des Schachtes. Sehet hier, ſprach er, die An - fahrt zu der weltberuͤhmten Dorothea, die ihre Ge - werken ſchon ſeit ſo langer Zeit mit einer reichen Ausbeute belohnt. Folget mir nach! Haltet euch feſt an die Fahrten, und uͤbereilet euch nicht: denn der Weg hinunter, iſt lang, und zu der Herauf - fahrt gehoͤren nicht weniger Kraͤfte. Alſo ſprach er,und227Vierter Geſang.und Hylas und Zelindor ſahn hinunter in den Schacht, bis da, wo ſich das letzte Tageslicht mit der unterirdiſchen Nacht vermiſchte. Ploͤtzlich uͤber - fiel den roſenwangigten Hylas ein kalter Schauder, ſein Haar ſtraͤubte ſich empor, er trat zuruͤck, und ſprach alſo zu ſeinem Gefaͤrten: Vergieb mir, Ze - lindor, aber mein Herz klopft mir vor Furcht. Was wollen wir unternehmen, wir, die wir nicht gewoͤhnt ſind, die ſchwindelnden Tiefen zu befah - ren. Laß uns umkehren, Zelindor! wir moͤchten vielleicht in den Abgrund hinabſtuͤrzen, oder von den giftigen Daͤmpfen der Gruben erſticken. Laß uns umkehren, oder zuͤrne nicht, wenn ich dieſe Gefahren nicht mit dir zu theilen verlange.
P 2So228Hercynia.So ſprach er. Zelindor aber laͤchelte voll Un - erſchrockenheit, und verſetzte: Warum haben wir denn die bequemen Freuden der Stadt verlaſſen, und ſind mit ſo vielen Beſchwerlichkeiten zu dieſen unwegſamen Gebirgen heraufgeſtiegen, wenn wir nicht die Wunder des Harzes unter der Erde be - trachten wollen? Wiſſe, Hylas, daß keine eingebil - dete Gefahr mich abhalten ſoll, meine brennende Neugier zu ſtillen. Fuͤrchteſt du dich aber ſo ſehr, dein junges Leben in Gefahr zu ſetzen, wohlan! ſo erwarte mich hier. Lebe wohl, und begleite mich wenigſtens mit deinen guten Wuͤnſchen!
Als er dieſes geſagt, trat er beherzt hinter dem Steiger auf die erſte Fahrt, und bald hatten ſie den letzten Schimmer des Tageslichts aus den Au -gen229Vierter Geſang.gen verlohren. Noch ſetzte Zelindor mit vieler Un - erſchrockenheit ſeine unterirdiſche Reiſe fort; als er aber nichts anders um ſich ſah, als die dicke un - terirdiſche Finſterniß, die nur noch fuͤrchterlicher durch das ſchwache Grubenlicht des Steigers erleuch - tet wurde; als immer eine Fahrt nach der andern enger und unbequemer hinunter zu ſteigen ward; als neben ihm die donnernde Tonne in dem Treib - ſchachte mit ſchrecklichem Geraſſel von Ketten vor - beyfuhr; da entfiel ihm das Herz. Schweiß ſtand ihm unter| dem Schachthuth, und kaum | konnten ſeine Haͤnde an den naſſen kaͤltenden Fahrten ſich feſt genug halten. Zu rechter Zeit machte ſein Fuͤh - rer hier einen Stillſtand; fuͤhrte ihn queer durch den Berg, wo er auf einmal ein hohes GewoͤlbeP 3er -230Hercynia.erblickte, welches voller Arbeiter war. Die Men - ge der Grubenlichter, das auf allen Seiten ſchim - mernde Erzt, das muntre Gluͤckauf! der Berg - leute, erhellte auf einmal ſein trauriges Gemuͤth. Er ſetzte ſich auf einen tauſendjaͤhrigen Stamm nie - der, welcher den ſinkenden Berg unterſtuͤtzen ſoll - te, und konnte nicht genug die Rieſenarbeit betrach - ten, wodurch das ungluͤckliche Metall aus der Er - de gewonnen wird, welches die Menſchen ſo we - nig gluͤcklich machen kan. Nun ſetzte er ſeine Fahrt fort bis zum Geſenke der Dorothea; kroch darauf die Benedikte hindurch, und fieng an, die Caroline wieder heraufzuſteigen. Er hatte kaum die Haͤlfte des Wegs zuruͤckgelegt, ſo verlieſſen ihn zum zweytenmal ſeine Kraͤfte; die warmen Wetter droh -ten231Vierter Geſang.ten ihn zu erſticken, wenn er nicht zur rechten Zeit an einem Durchſchlag ſich niedergeſetzt, und ihn ſein Fuͤhrer mit einem guͤldenen Apfel erfriſcht haͤt - te. Endlich ſahn ſie den Schimmer des Tags uͤber ihrem Haupt, und gelangten gluͤcklich wieder zur Oberwelt, wo indes die helle Mittagsſonne alle Tannenwaͤlder rund umher erhellt hatte. Hylas ge - ſellte ſich hier wieder zu ſeinem Gefaͤrten, nicht ohne Schaamroͤthe uͤber ſeine ungegruͤndete Furcht. Zelindor zog ſein Grubengewand aus, und nahm Abſchied von ſeinem getreuen Steiger.
Ein andrer Fuͤhrer brachte ſie hierauf zu den laͤrmenden Puchwerken, und ewigrauchenden Huͤt - ten. Sie ſahn aufmerkſam alle die mancherley Ar - beit mit dem zerſtoßenen Erzt, und wurden zuletztP 4mit232Hercynia.mit dem Regenbogen des Silberblicks belohnt. End - lich verlieſſen ſie die Wohnungen, wo die giftigen Daͤmpfe der Erze alle Geſundheit zerſtoͤren, und die Arbeiter zu ſchwindſuͤchtigen Gerippen machen, und wanderten zuruͤck durch das rauchende Clausthal, wo bereits der Nachmittag herrſchte.
Jetzt kam Zelindor auf den Gedanken, in die Huͤtte eines Bergmanns zu gehn, und ſeine Wirth - ſchaft zu betrachten. Er trat in die erſte Wohnung hinein, wo ihm ſogleich aus dem Zimmer eine er - ſtickende Hitze entgegen ſchlug. Ein munteres Weib mit großen blauen Glasſteinen in den Ohren berei - tete den Tiſch fuͤr ihren Mann, welchen ſie erwartete, und rief ihre Kinder herbey, welche baarfuß und halbnackend im Schnee ſpielten. Jetzt kam der Berg -mann233Vierter Geſang.mann, gruͤßte die Fremdlinge, und ließ ſich ein an - dres Gewand reichen; und zuͤndete alſobald ſeine Pfeife an. Unterdes ſetzte ſein geſchaͤftiges Weib fettes Schweinefleiſch auf den Tiſch, und dicken Reiß, welcher reichlich mit Zucker und wohlriechendem Zim - met beſtreut wurde. Hiezu ſchenkte ſie ihm Goſe voll ein, ſo daß er vergnuͤgter war, als ein Koͤnig. So leben wir! ſprach er zu den Fremden. Ge - ſundheit iſt unſer beſter Schatz, und Freyheit unſer wahrer Reichthum. Drauf ergriff er die Zyther, und beſang das Lob des Bergmannslebens; legte ſich hernach nieder auf eine harte Bank, und ſchlief ein. Zelindor konnte ſich nicht enthalten, im Weg - gehn zu ſagen:
P 5Be -234Hercynia. Vierter Geſang.Schon hatte ſich die Sonne fruͤher wie ſonſt un - ter dem Schleyer neblichter Duͤnſte verhuͤllt, und der Abend brach herein, ehe die Wandrer den Pal - laſt der Hercynia erreichten. Sie ſahn ihn ſchon von fernher praͤchtig erleuchtet, und als ſie hinein - traten in die wohlriechenden Zimmer, fanden ſie die Nymphe außerordentlich geſchmuͤckt, und heiter. Sie empfieng ſie holdſelig, und rufte voll Freuden aus: Welch ein gluͤcklicher Tag, Wandrer! O! neh -238Hercynia.nehmet Antheil an meinem Entzuͤcken! Denn ver - nehmts, der Zorn des Himmels iſt endlich ver - ſoͤhnt. Es iſt Friede! Nun werden meine verlaß - nen Staͤdte wieder geſegnet, und meine Gruben wieder mit Arbeitern gefuͤllt werden. Alſo ſprach ſie, und noͤthigte ihre Gaͤſte an die ſchimmernde Tafel. Eine allgemeine Freude herrſchte. Es er - hub ſich eine angenehme Muſik; der Triangel, und die harmoniſche Zyther, ertoͤnten, indem zugleich ein Chor von jungen Bergſaͤngern hereintrat, wel - che folgendergeſtalt ihre froͤlichen Stimmen unter die Muſik erſchallen lieſſen:
Gluͤck239Fuͤnfter Geſang.Alſo ſangen die Juͤnglinge, und die Nacht ver - ſtrich unter frohen Geſpraͤchen, die oft durch man - cherley Berglieder unterbrochen wurden; bis endlich das Morgenroth feurig uͤber die bereiften Tannen - waͤlder heraufſtieg. Hylas und Zelindor nahmen nunmehr voll Dankbarkeit Abſchied von der gefaͤlli -Q 2gen244Hercynia.gen Hercynia, welche ſie auf ſtarken Roſſen von einem Berggeiſte die Felſenwege hinunter geleiten ließ. Mancher ſeltſame Anblick eroͤffnete ſich ietzt mit dem Anbruch des Tages ihren Augen. Sie ſahn die Wolken bald zu ihren Fuͤſſen, bald wur - den ſie auf einmal von ihnen eingehuͤllt, und bald zogen ſie ſich uͤber ihre Haͤupter empor. Endlich gelangten ſie nach und nach in die Ebnen bey Gos - lar hinab. Sie trabten langſam uͤber die ſteinigten Gefilde, und kamen mit Anbruch des Abends gluͤck -lich245Fuͤnfter Geſang.lich in die Welfenſtadt zuruͤck, wo ihre Freunde ſie mit Ungeduld erwarteten. Nachdem ſie ſich alle um eine dampfende Schale, mit Punſch gefuͤllt, herumgeſetzt hatten, wurden ihre Abentheuer mehr als einmal erzehlt, und mehr als| ein Glaß vor Freuden uͤber den Frieden ausgeleert.
Ende des zweyten Bandes.
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Fraktur
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