PRIMS Full-text transcription (HTML)
Poetiſche Schriften
Zweyter Band.
Mit aller gnaͤdigſten Freyheiten.
[1]

Das Schnupftuch, Ein ſcherzhaftes Heldengedicht.

Erſter Geſang.

IIter Theil. A[2][3]
[figure]
Das Schnupftuch. Erſter Geſang.
Von Zwietracht, Zank, und Haß, und unerhoͤrten
Dingen,
Von einem Schnupftuch ſoll die Heldenmuſe ſingen;
Und von dem Zorn, in dem ein junger Herr entbrannt,
Als, ungeſchuͤtzt von Stolz, und Federhut, und Stand,
A 2Er4Das Schnupftuch.
Er, von dem Herrn von Strom hofmeiſterlich gezwun -
gen,
Ein Schnupftuch wiedergab, das ſich ſein Muth errun -
gen.
Und wie durch ſeinen Zorn, verwayſt von Scherz und
Spiel,
Ein praͤchtiger Pallaſt in lange Weile fiel;
Bis ſeine Goͤttin ihm das Schnupftuch wieder ſchickte,
Und ſeine Heldenſtirn ein neuer Lorbeer ſchmuͤckte.
Die wahre Muſ iſt fern, die mich begeiſtern kan!
Wer ſoll die Muſe ſeyn? Dich, Doris, ruf ich an.
Du wirſt zwar dieſes Lied nicht leſen, und verſtehen;
Doch wird man es vielleicht um deine Haare drehen.
Mir geht ſein Untergang nicht nah in deinem Haar,
Ob ich gleich manchen Reim nicht ohne Muͤh gebahr.
Kan man von der Natur zuſammen ſtets verlangen:
Pechſchwarzes Haar und Witz, Verſtand und ſchoͤne
Wangen?
Mir aber, Ewigkeit, die ſo viel Dichter ruͤhrt,
Mir5Erſter Geſang.
Mir oͤfne nun das Thor, das zu der Nachwelt fuͤhrt.
Schon wall ich auf der Bahn, die uns zur Ehre leitet.
Ein Burmann ſchimpft auf ihr, ein Carl der XIIte
ſtreitet;
Jch ſing ein Heldenlied von einer Kleinigkeit,
Und traͤume, wie der Held, von Ruhm und Ewigkeit.
Wie? traͤumen? Nein, mit Recht kan ich den Kranz
verlangen,
Mit dem auf hohen Haupt die Heldendichter prangen,
Da, durch der Muſe Gunſt in Wundern unverirrt,
Ein zweytes Jlium aus einem Schnupftuch wird.
Geſpenſter kehrten heim, die Graus und Nacht
bedecket,
Alp, Kobold, Poltergeiſt, und was in Winkeln ſchre -
cket.
Jn der gemeinen Welt war ſchon ſehr viel gethan,
Doch in der Adlichen brach noch kein Morgen an.
Die Zwietracht flog indes mit fuͤrchterlichen Schwingen
Durch die galante Welt, die Herzen aufzubringen.
A 3Herrſch -6Das Schnupftuch.
Herrſchſuͤchtig ſchuͤttelt ſie die Fackel in der Hand.
Sie ſetzet hier ein Herz, und dort ein Reich, in Brand;
Sie ſtuͤrzt Miniſter bald, bald Zofen die regierten;
Entzweyt bald Mann und Weib, und bald die Alliirten.
Sie ruͤhret ietzo nicht der Zwiſt in Corſika;
Vergebens iſt fuͤr ſie der Pohlen Reichstag da.
Jhr Abſehn geht allein auf eine holde Dame,
Jung, ſchoͤn, und unbeſiegt, Belinde war ihr Name.
Schon lange ſah mit Neid ihr Auge voller Wuth
Graf Holdens Liebesgluͤck, und dieſer Schoͤne Gluth.
Graf Hold ſah ſich geliebt. Zwar hielt durch viele
Sorgen
Des Grafens ganzes Gluͤck Belinde noch verborgen;
Doch manches ſuͤße Wort, und mancher ſanfte Blick,
Verrieth das weiche Herz, und des Geliebten Gluͤck,
Er, als ein junger Held mit allem ausgeruͤſtet,
Was7Erſter Geſang.
Was Herzen angeſteckt, und Tugenden verwuͤſtet;
Beſchaute ſiegreich oft Trophaͤen mancher Art,
Jn einem feſten Schrank ſorgfaͤltig aufbewahrt.
Doch unter manchem Band, geſchenket, und geſtohlen,
Lag auch ein Schnupftuch da. So wie vor Nachtviolen
Jhr koͤnigliches Haupt die Tuberoſ erhebt,
Und in Vergeſſenheit die Nachbarin begraͤbt;
So war dies Schnupftuch auch von allen Liebespfaͤn -
dern,
Von Locken, ſchwarz und blond, von Straͤußern und
von Baͤndern,
Das allerherrlichſte, das in dem Schatze lag,
Und ſelten kam es nur zum Anſehn an den Tag.
Bey einem Lomberſpiel ließ es Belinde fallen.
Der Vogel Jupiters ſchlaͤgt ſo wie maͤchtgen Krallen
Jn ein geputztes Lamm, zum Wettlaufspreis beſtimmt,
Als das entfallne Tuch der freche Sieger nimmt.
A 4Be -8Das Schnupftuch.
Belinde droht und fleht, vielleicht keins recht von bey -
den;
Doch taub bey ihrem Drohn, und taub bey ihrem Leiden,
Steckt er das Schnupftuch ein, und ſie ließ es geſchehn,
Und ein verſtohlner Blick vergab ihm ſein Vergehn.
So ſchien dies holde Paar die Zwietracht nicht zu ken -
nen;
Allein die Zwietracht faßt den Vorſatz, ſie zu trennen.
Es iſt ihr Zeitvertreib, Verliebte zu entzweyn.
Sie huͤllt in Puderſtaub und Caffeedampf ſich ein,
Macht ſich ein Neglige und eine Nachtkornette,
Und ſtellt, Belinden gleich, ſich an der Zofe Bette.
Liſette wiegte ſich in ſuͤßer Morgenruh,
Die Traͤume hielten noch die holden Augen zu;
Jhr Halstuch hatt im Schlaf ein Liebesgott verſchoben,
Man ſah die ſchoͤne Bruſt, die ſanfte Seufzer hoben,
Halb durch das zarte Tuch verraͤtheriſch verſteckt,
Weiß,9Erſter Geſang.
Weiß, wie der Fruͤhlingsſchnee, der Pfirſichbluͤthen
deckt.
Die Schoͤnheit waͤhlet ſich ſehr ungleich Unterthanen.
Man kan ſehr haͤßlich ſeyn, bey zwey und dreyßig Ahnen.
Das Kammermaͤdchen ſiegt im ſchimmernden Pallaſt
Oft mehr, als ihre Frau, die ihren Spiegel haßt.
Die Zwietracht ſprach zu ihr: Jch habe dir erzaͤhlet
Liſette, daß mir laͤngſt mein beſtes Schnupftuch fehlet.
Du weißt, Graf Hold hat es. Er prahlt damit herum,
Geh hin, und nimms ihm weg, ſo wird der Prahler
ſtum.
Jch will im Ernſt dafuͤr auf deine Heirath denken,
Dein gnaͤdges Fraͤulein ſeyn, und fuͤrſtlich dich beſchen -
ken.
So ſprach ſie, und verſchwand. Liſette macht ſich
auf,
Durch dies Geſicht verfuͤhrt, putzt ſich, und betet drauf.
Zwar ſprach ſie bey ſich ſelbſt: Wie wird mir das be -
fohlen!
Jch ſoll von ihrem Graf das Schnupftuch wiederholen?
A 5Sie10Das Schnupftuch.
Sie weis, daß er dadurch auf ewig mit ihr bricht
Doch ich gehorche nur, und unterſuche nicht.
Die ſchoͤne Welt fieng an die Ruhe zu verlaſſen.
Der Theetiſch deckte ſich mit buntbemahlten Taſſen;
Der ſchwarze Caffeetopf goß milde Fluthen aus:
Toppee wurden krumm, und Locken wurden kraus;
Schon lang erwarteten, die Voͤgel und die Hunde,
Confect und Schmeicheley, aus ſchoͤner Fraͤulein Mun -
de;
Als Lieschen ſich beſah, Putz und Gebet verließ,
Und ſchon in ihrem Sinn Frau, wie ſie wuͤnſchte, hieß;
Jhr Anfangscompliment ein paarmal uͤberdachte,
Und ſo im ſuͤßen Traum zum Graf von Hold ſich mach -
te.
Johann, der Laͤufer, ſtand vor ſeines Grafen Thuͤr,
Schoͤn wie ein Liebesgott, und buͤckte ſich vor ihr.
Der reinſte Puder roch aus ſeinen blonden Haaren,
Und11Erſten Geſang.
Und Locken ſpielten noch, die unzerſtoͤret waren.
Schlank, wie ein junger Baum, hatt er manch Herz
geruͤhrt,
Und manches Maͤdchens Blick durch ſeinen Blick ver -
fuͤhrt.
Den großen Federhut wußt er ſo ſtolz zu tragen,
Als ein Patricius, geadelt vor drey Tagen.
Liſette ſah ihn an, allein ihr Herz blieb frey,
So ſchoͤn er immer war, ſo war er doch Lakay.
Verſchmaͤhte ſie doch ſchon gewoͤhnliche Praͤſente,
Und Edelleuten nur vergalt ſie Complimente.
Er faßt ſie an das Kinn; Liſette trit zuruͤck;
Sein Muth ſinkt halb dahin vor ihrem hohen Blick.
Mein Engelchen, (ſprach er,) ſo fruͤh ſchon aus dem
Bette?
Wer? ich? ſein Engelchen? (ſprach voller Stolz Liſet -
te)
Der edelmuͤthge Hohn, der auf der Naſe ſaß,
Sah ietzund hoch herab auf eines Laͤufers Spaß.
Wo12Das Schnupftuch.
Wo iſt der Herr von Strom? Jch will zu ſeinem Gra -
fen,
Kan ich ihn ſprechen? Ja! Sie werden wohl noch
ſchlafen.
Doch, Muſe, miſche nicht zu ſehr in ein Gedicht,
Was der Bediente ſagt, und was die Zofe ſpricht.
Der goͤttliche Homer ſang Helden und ſang Maͤuſe,
Doch es ſpricht Held und Maus hoch, nach der Goͤt -
ter Weiſe.
So ſprich denn du auch hoch, du Magd, und du Lakay,
Daß ſolcher Thaten auch der Ausdruck wuͤrdig ſey.
Liſette war bereits ins Vorgemach gekommen.
Kein Fliſtern, kein Geraͤuſch, nichts hatte ſie vernom -
men.
Noch lag in tiefer Ruh der adliche Pedant,
Den in den Federn oft der hohe Mittag fand.
Hofmeiſter ward er bloß zur Ruh in ſeinem Alter.
Sonſt war er Schreiber, Vogt, Praͤceptor, und Ver -
walter,
Der Zins und Sporteln bald in die Regiſter trug,
Und13Erſter Geſang.
Und bald den Huͤnern rief, und bald den Junker ſchlug.
Es lag viel Zorn und Geiz in ſeinem hohen Blute;
Er war zur Feder ſtark, doch ſtaͤrker noch zur Ruthe.
Zween junge Herrn hat er durch ſeinen Stock formirt,
Und vor ſehr wenig Geld auf Reiſen ſie gefuͤhrt.
Sie hatten Rom geſehn, und gut darin gegeſſen,
Die heilgen Stuffen auch gezaͤhlet, und gemeſſen;
Paris hatt ihren Kopf nach neuer Art verſtutzt,
Und ihren deutſchen Rock mit neuem Gold geputzt.
Sie hatten auch von nichts, wie Reiſenden gebuͤhret,
Und ſtets der Deutſche thut, ein Tagebuch gefuͤhret.
Er, Strom, ſprach ventre bleu, wie ein Franzoſe
ſpricht,
Und rief, Got dam my! aus, denn deutſch flucht er gar
nicht.
Sein muͤrriſches Geſicht ſprach ſchweigend Sittenleh -
ren,
Man kont ihn weit und breit an ſeiner Stimme hoͤren,
Und14Das Schnupftuch.
Und jeden Tag gab er, mit Donner und Geſchrey,
Verweiſe ſeinem Graf, und Pruͤgel dem Lakay.
Er ſelbſt befand ſich wohl bey zornigem Gebluͤte,
Trank ſein Glas Moſelwein, und mit Appetite.
Es ſtuͤrzet ſich indes Johanns geſchwinder Lauf
Zum Bette ſeines Herrn; Er zieht den Vorhang auf,
Und zupft mit viel Reſpect den Grafen, ihn zu wecken;
Allein der Graf faͤngt an, ſich beſſer auszuſtrecken.
Er zupft noch einmal: Kerl, (ruft der erzuͤrnte Graf,)
Es iſt noch alles Nacht, und du ſtoͤrſt meinen Schlaf?
Bin ich vom Lernen nicht blaß, wie der Tod, geweſen,
Soll ich des Nachts auch noch die Teufelsbuͤcher leſen?
Geh oder
Gnaͤdger Herr, (verſetzt der Laͤufer drauf,)
Es iſt ein Maͤdchen da. Ein Maͤdchen? (faͤhrt er auf.)
Jndem15Erſter Geſang.
Jndem er Maͤdchen ſpricht, ſchallt alles Maͤdchen wie -
der;
Der alte Strom erwacht, und wiſcht die Augenlieder.
Wer ſchwatzt von Maͤdchen hier? (ſpricht er mit ern -
ſtem Blick,)
Der Graf ſteht auf und bebt; der Laͤufer fliegt zuruͤck;
Auch Strom erhebet ſich; faͤngt murrend an zu ſchellen;
Die Voͤgel ſingen laut; Joli und Dame bellen;
Am Fenſter toͤnt das Glas, und an der Wand die Uhr:
Es ſcheint, als nahe ſich das Ende der Natur.
Doch ietzt fieng nur die Thuͤr ein wenig an zu krachen;
Liſette tritt herein, ihr Compliment zu machen.
Der ſteife Mentor ſchiebt die Muͤtz aus dem Geſicht
Und gafft das Maͤdchen an, das ſchalkhaft lacht und
ſpricht:
Mein Fraͤulein laͤſſet ſich en Herren ſchoͤn em -
pfehlen,
Und ſie kan laͤnger nicht dem Herrn von Strom ver -
hehlen,
Wie wenig artig ſich ihr junger Herr bezeigt,
Der16Das Schnupftuch.
Der ſeinen Federhut zu ſehr den Gaſſen zeigt.
Mein Fraͤulein, (fuhr ſie fort, im hoͤhern Ton zu ſpre -
chen,)
Raͤcht immer ihr Geſchlecht und wird es ietzt auch raͤ -
chen.
Sie hat kein Pflaͤſterchen vergebens noch gelegt,
Und keinen Blick gethan, der nicht ein Herz bewegt.
Wie koͤmmts denn, daß der Graf, allein ſich unter -
ſtehet,
Und wider das Geſetz der Klugheit ſich vergehet?
Den ſieht mit ſchlechter Huld ein Frauenzimmer an,
Der, wenn er gluͤcklich iſt, nicht einmal ſchweigen kan.
Ein Schnupftuch hat er tuͤngſt dem Fraͤulein wegge -
nommen;
Er hat es halb mit Liſt, und halb mit Scherz bekom -
men;
Doch warum zeiget er es an die ganze Welt?
Wer hat wohl oͤffentlich ſo was zur Schau geſtellt?
Die ganze ſchoͤne Welt nimmt Theil an dieſer Sache.
Die Stadt iſt voll davon; das Schnupftuch fodert
Rache.
Und17Erſter Geſang.
Und ja! es ſoll geraͤcht und ausgeliefert ſeyn!
Jch fodr es feyerlich von ſeinen Haͤnden ein.
Wer ſo ein Gluͤck erhaͤlt, der lern es auch verhehlen;
Du wirſt es, weiſer Strom, dem jungen Herrn be -
fehlen.
So, wie der Thetis Sohn, von edler Wuth ent -
brannt,
Mit jugendlichem Stolz vor grauen Helden ſtand,
Briſeis und ſein Recht mit Kunſt und Muth beſchuͤtzte;
So ſteht der Graf auch auf, den Rach und Lieb erhitzte.
Er riß im erſten Zorn drey Papiljoten aus,
Und durch ein Wunderwerk ward eine Locke draus.
Was? (fieng er zornig an die Stimme zu erheben)
Sollt ich Feigherziger ein Schnupftuch wiedergeben,
Das ich mit ſo viel Liſt und ſo viel Muth erhielt?
Das zu erobern ich zwoͤlf Louisdor verſpielt?
Deswegen hab ich nicht bis in die Nacht geſeſſen,
IIter Theil. BUnd18Das Schnupftuch.
Und zweymal Solotout gedankenvoll vergeſſen;
Deswegen hab ich nicht mein graͤflich Blut verſpritzt,
Und Nadeln nicht geſcheut, die dieſe Hand zerritzt;
Daß ich, ſo wie es nun ein Kammermaͤdchen wollte,
Des theuren Sieges Preis zuruͤcke geben ſollte.
Denn wiß, ich glaub es nicht, daß dich Belinde ſchickt;
Wer weis, was fuͤr ein Traum dir das Gehirn ver -
ruͤckt.
Wie laͤg ein lumpicht Tuch der Fraͤulein doch am
Herzen!
Und wer prahlt denn damit? Nie iſt bey meinen
Scherzen
Des Schnupftuchs noch gedacht. Hier liegts in ſtolzer
Ruh;
Doch koͤmmt es freylich mir als eine Beute zu,
Die ich mit Recht gemacht, und auch mit Recht beſitze;
Und die ich voller Muth bis an den Tod beſchuͤtze.
Noch uͤberfaͤllt mich nicht vor deinem Drohn ein Graus;
Was mein iſt, das iſt mein, ich geb es nicht heraus.
So19Erſter Geſang.
So? (ſprach Liſette drauf,) der Graf will nicht?
Jch lache.
Was ſagſt du, weiſer Strom, zu der verworrnen Sache?
Jndem ſie dieſes ſprach, ſah ſie ihn zaͤrtlich an.
Welch Wunderwerk hat oft ein ſchoͤner Blick gethan!
Wie manches Richters Herz, der fuͤr kein Gold betro -
gen,
Hat einer Phryne Bruſt zum falſchen Spruch bewogen.
Durch ihren Blick koͤmmt Strom aus ſeiner weiſen
Ruh;
Er nimmt voll Ernſt Toback, und ſchnapt die Doſe zu.
Mein liebes Kind, (ſprach er,) man muß vor allen
Dingen
Den ganzen dunklen Kram in zwey drey Fragen brin -
gen,
Jch vor mein Theil bin ſo, wie Sokrates, geſinnt,
Und uͤberzeugt, daß man durch Fragen viel gewinnt.
Hat denn O (ſchreyt der Graf,) was iſt das viel zu
fragen,
Was ſoll hier Sokrates; dies Menſch hier darf es
wagen.
Ein Schnupftuch ventre bleu! (ruft Strom von
Wuth erhitzt,
B 2Jn -20Das Schnupftuch.
Jndem ihm ſchneller Zorn aus ſchwarzen Augen blitzt,
Der Graf ſoll alſobald das Schnupftuch wiedergeben!
God dam my! man ſoll mir ſo kuͤhn nicht widerſtreben,
Jch wills! er winket ihm mit wilder Gravitaͤt,
Die voller Ernſt gebeut, und die der Graf verſteht.
So maͤchtig ſitzt Neptun auf ſeinem Muſchelwagen,
Wenn ihn durch Fluth und Sturm die Waſſerpferde
tragen,
Und vor des Dreyzacks Macht, und ſeiner Augen Gluͤhn
Die Kinder Aeolus in ihre Hoͤhlen fliehn.
Der Graf wagt es nicht mehr, noch einmal ihn zu bit -
ten;
Es ward durch Schmeicheln nie dies Felſenherz be -
ſtritten;
Er buͤckt ſich, ſchweigt, und geht; thut ſtandhaft, als
ein Heid,
Da ihm vor Lieb und Zorn ſchon eine Thraͤn entfaͤllt.
Was ſollt er ietzo thun? Mit ſtolzem Muth ſich wehren,
Und eine Woche lang das Taſchengeld entbehren?
Mit21Erſter Geſang.
Mit dieſem Schnupftuch ſelbſt ein Staatsgeſangner
ſeyn?
Denn ſo ſehr hart war Strom, er ſchloß zur Straf
ihn ein.
O Muſe, laß uns mit bis in ſein Zimmer dringen,
Und ſeine Raſerey, und ſeine Klagen ſingen.
Der Graf, der ſonſt ſo frey den groͤßten Muth
gezeigt;
Der Sproͤde baͤndigte, Hochmuͤthige gebeugt;
Der zwar dem Thor oft glich, doch Thoren ſtets be -
kriegte;
Und bald mit dem Verſtand, bald mit der Weſte ſiegte;
Ein Spieler ohne Fluch, auch wenn er was verſah;
Der mit Gelaſſenheit die Bank ſich ſprengen ſah;
Und welcher ſein Geſicht kein einzigmal verzogen,
Wenn auch zum viertenmal der Koͤnig thn betrogen;
Der wirft ſich fuͤhllos nun in einen Lehnſtuhl hin,
Und murmelt was daher von tiefverſtecktem Sinn.
Kein Sterblicher verſtehts, in Buͤchern iſts zu leſen;
B 3Jm22Das Schnupftuch.
Jm Nimrod ſprechen ſo die uͤberirdſchen Weſen.
Jhm gegen uͤber lag in aufgebluͤhter Pracht,
So, wie das Morgenroth in bunte Thaͤler lacht,
Dies Schnupftuch, das ihm noch entgegen wallen
wollte,
Und das er ſchimpflich nun zuruͤcke geben ſollte.
O Muſe, mahle mir des ſeltnen Sehnupftuchs
Pracht!
Dir iſt nichts unbekannt, wovon war es gemacht?
Verewige zuerſt des großen Webers Namen,
Der mit geſchickter Hand in einen engen Rahmen,
Von Seide fein und zart, dies meiſterſtuͤck gewebt,
Das, durch mein Lied erhoͤht, in Famens Tempel
ſchwebt.
Jm heißen Vaterland der Mohren und der Affen
Hat es mit kuͤhnem Witz ein Jndier erſchaffen;
Viel Blumen drein gewebt, mit Roſenroth gefaͤrbt;
Es war noch nie gebraucht, durch keinen Schmutz ver -
derbt,
Und23Erſter Geſang.
Und in dem Zipfel war B. L. v. L. genaͤhet,
Charakter, welche Magd und Waͤſcherin verſtehet.
Der Leineweber ſelbſt hieß Brama Kinkinhan,
Ein Prinz, nicht, wie bey uns, ein armer Handwerks -
mann.
Ein allereinzigmal in ſeinem ganzen Leben
Hat er dies Tuch gewebt, und wird nicht wieder weben.
So ſitzt ein Staatsmann oft vor ſeiner Drechſelbank,
Und ſchlaͤgt aus ſeinem Sinn des Reiches Untergang.
Die Buͤrger ſind ſich ſchon Aufruhr und Tod gewaͤrtig,
Allein er drechſelt fort, und macht die Schachtel fertig.
Zum Schnupftuch ſprach der Graf: Dich ſoll ich nicht
mehr ſehn?
Mit dir ſoll ich mich nicht in ſchwuͤlen Tagen wehn?
Mit dir ſoll ich nicht mehr der Junker Neid erregen?
Dies ſagt er, daß ein Stein ſich haͤtt erbarmen moͤgen.
Er ſteht den Schmerz nicht aus, er uͤberwaͤltigt
ihn.
B 4Der24Das Schnupftuch.
Der Lehnſtuhl nimmt ihn blaß mit beyden Armen hin;
Ein milder Thraͤnenſtrom fließt von den Wangen nieder,
Er ſeufzt, und ſein Clavier ſeufzt dreymal klaͤglich
wieder.
Nun ſeufzt er auch nicht mehr. Ohnmaͤchtig und
halbtodt
That er die Augen zu, und ſank in tiefre Neth.
Doch ein geputzter Geiſt, bunt wie der Regenbogen,
Den Gabalis erſchuſ, und Pope groß gezogen.
Ein Sylphe, der getreu am Schnupftuch Schildwacht
ſtand,
Bewegte rauſchend ſchon ſein farbichtes Gewand.
Er durfte dieſesmal von ſeinem Poſten weichen,
Mit Balſam in der Noth den Grafen zu beſtreichen.
Er ſah die Wangen ſchon von Thraͤnen uͤberſchwemmt;
Er, der zu Liebenden und Ungluͤckſelgen koͤmmt,
Bald Theodore ſchuͤtzt, die man dethroniſiret,
Und bald die Muſche haͤlt, die eine Nymphe zieret;
Er25Erſter Geſang.
Er fliegt zum goldnen Schrank galanter Medicin,
Holt himmliſch Elixir, und koͤmmt und ſtaͤrket ihn.
Der Graf faͤngt nach und nach von neuem an zu leben,
Und matt und reizend blaß die Augen zu erheben.
So ſinkt zur rechten Zeit, bey einem kleinen Weh,
Ein angenehmes Kind ſanft auf ihr Canapee,
Und hebt, wenn ihr Amant von Gift und Stal ge -
ſprochen,
Die holden Augen auf, die ſie verſtellt gebrochen.
Ermuntre dich, mein Kind, (ſprach der bemuͤhte
Geiſt,)
Und gieb ein Schnupftuch hin, das dir der Neid ent -
reißt.
Wie gern ſah ich es nicht in deinen ſchoͤnen Haͤnden:
Du hatteſt es verdient, drum half ich dirs entwenden.
Doch gieb es wieder hin. Du kannſt verſichert ſeyn,
Belinden wird ſehr bald ihr Eigenſinn gereun.
Vielleicht jedoch ich darf das Schickſal nicht ent -
decken,
B 5Das26Das Schnupftuch.
Das zu der Menſchen Troſt Unſterbliche verſtecken.
So ſprach der holde Geiſt. Dem Grafen kam es vor,
Als liſpelt eine Stimm ihm etwas in das Ohr;
Doch halfen ihm ſehr bald des hohen Standes Rechte,
Er bildete ſich ein, als ob er ſelbſt es daͤchte.
Jndes erſcheint Johann, ſcheu wie ein Candidat,
Der ſich zum erſtenmal dem Kirchenrathe naht;
Jhn fuͤrſtlich ſpeiſen ſieht; ſich buͤckt, wie ſich gebuͤhret,
Und ſein fett Unterkinn mit Zittern reſpectiret.
Er blieb hart an der Thuͤr, die Stirne runzelnd, ſtehn.
Kaum wuͤrdigt ihn der Graf, ihn ſeitwaͤrts anzuſehn.
Herr Strom. Jch weis, Barbar, ſprach Hold mit
neuen Klagen,
Jch weis es, was du willſt, du ſollſt es mir nicht ſagen.
Wohlan ſo faſſe dich, beſtuͤrmtes armes Herz!
Du warſt ſtets unbeſiegt, ſey ietzt auch groß im
Schmerz.
Doch27Erſter Geſang.
Doch Goͤtter! koͤnnt ihr denn dies Schnupftuch nicht
erhalten?
Und darf nun uͤber mich ein Kammermaͤdchen walten?
Ach! ſoll ich nun der Spott der Promenaden ſeyn?
Jſt denn kein Mittel mehr Nein, Ungluͤckſelger,
nein!
So geh denn hin Er ſchwieg, doch ſagen viel Au -
toren,
Er habe den Verſtand in ſeiner Wuth verlohren,
Und habe noch zuletzt mehr Teufel hergeflucht,
Als je ein Adjutant von Deſſaus Heldenzucht.
Der alte Strom indes, den man nie lachen ſahe,
Kam ſcherzend nach und nach dem Kammermaͤdchen
nahe.
Man weis, daß gegen ihn kein Maͤdchen guͤtig iſt,
Doch ſagt Mnemoſine, es hab ihn dies gekuͤßt.
Und wozu kan ſich nicht die Politik entſchließen!
Sie wird ein Todtenbein, und Roms Pantoffel kuͤſſen,
Wenn ſie den Zweck erhaͤlt. Ein Abgeſandter ſeyn,
Schließt28Das Schnupftuch.
Schließt in Galanterie viel Selbſtverlaͤugnung ein.
Der Graf erſcheint, und Strom giebt ſich den Anſtand
wieder,
Doch ſchlug er, halbverwirrt, beſchaͤmt die Augen
nieder,
Bis Hold die Stimm erhub: Hier, Maͤdchen, iſt das
Tuch.
Doch ſagt zugleich dabey Belinden meinen Fluch:
Jch werde nimmermehr ihr Haus voruͤber gehen,
Und als Amant und Narr nach ihrem Fenſter ſehen.
Jch ſcheue voller Stolz der Fraͤulein Gegenwart,
Und uͤberlaſſe ſie Liebhabern niedrer Art.
Jch werde ſie nicht mehr vor ſo viel Thoren ſchuͤtzen,
Die, wo ſie geht, um ſie mit Drottelweſten blitzen.
Wer hebt ſie uͤber Mod und Nachred und Gebrauch?
Wer ſpielt ſo hoch, wie ich, und wer bezahlet auch?
Noch dieſen Nachmittag wird ſie den Graf vermiſſen,
Wenn ſie den Lombertiſch in ewgen Finſterniſſen,
Und29Erſter Geſang.
Und in der alten Nacht die Markenſchachteln ſieht,
Die nun kein Graf von Hold aus ihrem Chaos zieht.
Dies alles ſchwoͤr ich dir in meines Zornes Hitze
Bey meinem groͤßten Schwur, bey dieſer bunten Muͤ -
tze*)Homer im Erſten Buch der Jlias laͤßt den Achill eben ſo weitlaͤuftig bey ſeinem Zepter ſchwoͤren.,
Die meine Mutter mir mit hoher Hand geſtrickt
Aus Wolle, die ein Baum aus Spanien uns ſchickt.
Sie ſendet der Gewinn in weitentfernte Laͤnder;
Der Weber webt aus ihr Cattun, und bunte Baͤnder;
Entehrt verdorrt der Stamm, dem man den Schmuck
gerauht,
Und Muͤtzen werden draus fuͤr unſer hohes Haupt;
Bey dieſer ſchwoͤr ich dir, daß ich Belinden haſſe,
Und nun auf immerdar ſie, und ihr Haus verlaſſe;
Jhr Haus, das ewig nun die lange Weile plagt,
Und wo ihr Hold kein Lob auf ihre Bildung ſagt.
Er30Das Schnupftuch. Erſter Geſang.
Er ſchwieg; und riß im Zorn, mit wuͤthender Geberde
Die Muͤtze von dem Kopf, und ſchmiß ſie auf die Erde.
Liſette nimmt indes das Schnupftuch, und voll Hohn
Ruͤmpft ſie den Roſenmund, neigt ſich, und geht davon.
Das[31]

Das Schnupftuch. Zweyter Geſang.

[32]33
Das Schnupftuch. Zweyter Geſang.
Die du in tiefer Ruh am Nachttiſch Baͤnder waͤhleſt,
Der Locken Bau beſiehſt, und Muſchen uͤberzaͤhleſt;
Und dir mit weiſem Ernſt viel Ueberlegung nimmſt,
Eh du im braunen Haar der Blume Platz beſtimmſt;
Belinde, bis hieher haſt du mit deinem Grafen
Die Mittel ſtets gewußt, die Thoren zu beſtrafen;
Und bis hieher hat es kein goldner Geck gewagt,
Und ein ſtaatskluges Nein zu Spielparthie geſagt,
Es glaͤnzte ſtets um dich des Grafen reiche Weſte;
Noch andre glaͤnzten auch, doch ſeine blieb die beſte.
Vor euch erzitterte des Lombers weites Reich,
Und im Triſſet und Wiſk fiel alles hin vor euch.
IIter Theil. CAls34Das Schnupftuch.
Als Lehrer ſtets bemuͤht, die Spiele fortzupflanzen,
Gewann dein Graf mit dir in ewgen Allianzen.
Doch jetzo trift dein Haupt der fuͤrchterliche Blitz.
Die Narren ruͤſten ſich mit Puder und mit Witz;
Bruͤnetten laͤrmen ſchon mit Hohn und lautem Tadel,
Und Karten wafnen ſchon den armgeſpielten Adel.
Ach Fraͤulein! wo iſt der, der nun dein Reich erhaͤlt?
Jm Ball fehlt der Amant, am Spieltiſch fehlt der
Held;
Ach, daß die Zwietracht doch mit Fledermaͤuſeſchwin -
gen
Liſettens Herz verfuͤhrt, den Grafen aufzubringen!
Und warum goͤnnteſt du ihm dieſes Schnupftuch nicht,
Da er fuͤr dich voll Muth ſo manche Lanze bricht?
Doch wer kan in den Rath erhabner Geiſter ſe -
hen!
So wie Kunſtrichter oft die Verſe nicht verſtehen,
Die ihre Noten uns mit kleiner Schrift erklaͤrt;
So35Zweyter Geſang.
So dunkel bleibt uns auch, was Schoͤnen wiederfaͤhrt.
Liſette war nunmehr drey Straßen durchgegan -
gen.
Sie gruͤßt die junge Welt, mit ſanſtverſchaͤmten Wan -
gen;
Fliegt ſtets eilfertig fort; und laͤßt doch in dem Gehn
Den ſchoͤnſten kleinen Fuß neuglergen Augen ſehn.
Man ſchlaͤgt die Fenſter auf; ihr folgen tauſend Blicke;
Der Rathsherr nickt ihr zu in langer Staatsperuͤcke;
Der dicke Domherr auch, der ganz die Saͤnſte fuͤllt,
Und ſein hochwuͤrdigs Haupt in hundert Locken huͤllt.
Liſette trat vergnuͤgt in ihrer Fraͤulein Zimmer.
Doch ſchnell erhub der Mops ein trauriges Gewimmer,
Und heulte himmelauf; that nicht, wie ſonſt, bekannt;
Auch maute trauervoll das Kaͤtzgen, Winz genannt.
Viel Wunderzeichen mehr, auf welche man nicht achtet,
Und die man leider nur nachher zu ſpaͤt betrachtet,
C 2Be -36Das Schnupftuch.
Begaben ſich anietzt; und zeugten klaͤrlich an,
Welch eine boͤſe That Liſettens Herz gethan.
Nun, Maͤdchen, biſt du da? (ſprach voller Zorn Be -
linde)
Wie viel Verdruß macht uns verdorbenes Geſinde!
Noch eh der Morgen graut, gehſt du, wohin du willſt,
Eh du die kleinſte noch von deiner Pflicht erfuͤllſt?
Sprich, wovor hab ich dich? ſoll ich mich ſelbſt frie -
ſiren;
Selbſt beten, ſo wie du; ſelbſt den Caffee umruͤhren?
Daß Papagey und Mops, von meiner eignen Hand,
Caffee und Zucker kriegt, ſchickt ſich fuͤr meinen Stand;
Doch daß ich ſelber ſoll den Morgenſegen beten;
Und ſelbſt mein Maͤdchen ſeyn, und vor den Spiegel
treten;
Das waͤre buͤrgerlich. Komm her, und ohne Liſt
Gieb mir jetzt Rechenſchaft, wo du geweſen biſt.
Sie ſagts, und nimmt Caffee. Liſette ſchweigt und
laͤchelt,
Wie37Zweyter Geſang.
Wie eine Dame thut, die ſich gelaſſen faͤchelt,
Wenn auf den Knien vor ihr, ſo wie es ſich gebuͤhrt,
Ein junger Ritter ſeufzt, und den Verſtand verliert.
Sie ſchlug den Mantel auf, und ließ mit ſanftem
Wallen
Das Schnupftuch nach und nach auf ihren Nachttiſch
fallen,
Und ſprach: Du haſt mich fruͤh in meinem Schlaf ge -
ſtoͤrt,
O Fraͤulein! Noch weiß ichs, was ich ſehr gut gehoͤrt?
Liſette, war dein Wort, du wirſt mich raͤchen muͤſſen.
Der Graf von Hold hat juͤngſt ein Schnupftuch mir
entriſſen;
Er zeigt es aller Welt, und prahlt damit herum;
Doch geh, und nimm es weg, ſo wird der Prahler
ſtumm.
Jch will im Ernſt dafuͤr auf deine Heyrath denken,
Dein gnaͤdges Fraͤulein ſeyn, und fuͤrſtlich dich be -
ſchenken.
So klang mir dein Befehl; ich zog mich hurtig an,
Und was man mir befahl, das hab ich auch gethan.
C 3Hier38Das Schnupftuch.
Hier ſchickt der Graf das Tuch; doch er hat ſich vor -
meſſen,
Dich und dies ganze Haus auf ewig zu vergeſſen.
Sein Haar, das er voll Zorn aus den Papieren riß,
Das Tuch, ſo ſeine Wuth mir vor die Fuͤße ſchmiß,
So mancher Fluch, den er mit Raſerey geſprochen,
Bezeigt, daß ich gehorcht, und daß ich dich gerochen.
O du Verraͤtherin, wie unverſchaͤmt luͤgſt du!
(So rief das Fraͤulein aus;) Heb ich mich aus der
Ruh
Ein einzigmal ſo fruͤh, als du heut ausgegangen?
Und hab ich dich zu ſehn wohl je ſo ein Verlangen,
Daß ich, uneingedenk des Standes uͤber dir,
Zu dir ans Bette kaͤm, o unverſchaͤmtes Thier!
Du luͤgſt. Jn tiefer Ruh hab ich vergnuͤgt geſchlafen.
Und haͤtt ich auch geſagt: Liſette, geh zum Grafen,
Und nimm das Schnupftuch weg; ſo biſt du doch nicht
klug,
Ein39Zweyter Geſang.
Ein Wort im Zorn geſagt, iſt das ſogleich genug?
Und haͤtteſt du vorher nicht unterſuchen ſollen,
Ob ich auch das befahl, was ich befehlen wollen?
O warum eilteſt du mit ſolchem Wuͤten fort?
Nie ſprach mein zaͤrtlich Herz ein ſolches hartes Wort!
Wie? (ſprach Liſette drauf,) du haͤtteſt nicht be -
fohlen,
Das Schnupftuch heute noch vom Grafen abzuholen?
Nein (rief Belinde,) nein wer weis, was du ge -
hoͤrt,
Und wer dich ſonſt, als ich, in deiner Ruh bethoͤrt.
O Fraͤulein Schweig, (ſprach ſie,) ich will nichts
weiter wiſſen!
O Himmel! Wie wird das den Graf beleidgen muͤſ -
ſen!
Sie ſagt es; und ihr faͤllt die Nadel aus der
Hand;
Verwegen ſtraͤubet ſich das unbiegſame Band;
Jhr ſchoͤpferiſcher Witz, den nichts zu binden pflegte,
Der Spitzen ſchnell erhob, mechaniſch Muſchen legte,
C 4Ward40Das Schnupftuch.
Ward irre. So wie ſich ein General verwirrt,
Wenn von dem wilden Bley ſein Prinz getoͤdtet wird;
Er weis den Plan nicht mehr, nach dem er kom -
mandiret;
Sein klopfend Herz ſagt ſchon, daß er die Schlachk
verlieret;
Die feurigen Majors fliehn aͤngſtlich durch das Feld;
Vergebens brauſt ihr Fluch; des Heeres Hofnung faͤllt.
So gieng es ietzt auch hier. Mit ſtuͤrmeriſchen
Schwingen
Naht ſich die Unordnung, das Fraͤulein aufzubringen.
Das Spiegelglas erblaßt; der Tag verliert den
Schein;
Der Nachttiſch huͤllte ſich in Puderwolken ein;
Der Staub formirte ſich zu vielen Wunderdingen,
Als ſie zu Locken ſprach, vergeht! und ſie vergien -
gen.
Liſette zitterte, und hieß in ihrem Sinn
Sie eine Furie, und eine Moͤrderin.
Auf einmal ward der Tiſch von tauſend Staͤub -
chen fleckigt,
Steck -41Zweyter Geſang.
Stecknadeln groß und klein, und Muſchen rund und
eckigt,
Verfinſterten die Luft; ſo wie zur Winterszeit
Der rauhe Nord das Feld mit Flocken uͤberſtreut;
So flog hier Spitz und Band. Sie thats, und
gieng von hinnen;
Fiel hin aufs Canapee mit trauervollen Sinnen,
Und ſchlug ihr Maͤntelchen betruͤbt um ſich herum;
Auch zornig war ſie ſchoͤn, und ſehr beredt, auch ſtumm.
Liſette ſucht indes ihr Fraͤulein zu erweichen;
Sie wagt es, unvermerkt bis zu ihr hin zu ſchleichen;
Stellt ſich beaͤngſtigt an; und ſpricht, wer kan da -
vor?
Was, (fuhr das Fraͤulein auf,) ſeht doch, wer kan
davor?
Du Thoͤrin, du allein! nichts koͤnnen und nichts tau -
gen,
Und doch vorwitzig ſeyn doch geh mir aus den Au -
gen.
Wie ein Miniſter bebt, und kaum glaubt, was er
ſieht,
Wenn ihm ſein Fuͤrſt erzuͤrnt den Ruͤcken kehrt und
flieht;
C 5Er42Das Schnupftuch.
Er geht den Vorſaal durch, er merket es an allen,
Der Hof buͤckt ſich nicht mehr, er ſiehts, er iſt ge -
fallen;
So geht das Maͤdchen auch; weint laut, und fleht
und klagt,
Jm Gluͤcke gar zu ſtolz, im Ungluͤck zu verzagt.
Unbillig ausgeſchimpft, und ungerecht geſtuͤrzet,
Sieht ſie auf einmal nun der Hoheit Ziel verkuͤrzet.
Tyrannin unſrer Bruſt, Monarchin der Natur,
Der Koͤnig auf dem Thron, der Schaͤfer auf der
Flur
Gehorchet dir, und liebt; ich, Liebe, will es wagen,
Und deine Hoheit ſchmaͤhn, und Boͤſes auf dich ſagen.
Du machſt, daß ohne Troſt die ſchoͤnſte Nymphe klagt;
Daß ſie mit Puder ſtuͤrmt, und Zofen von ſich jagt;
Du machſt, daß Scherze fliehn; daß Lippen ſich ent -
faͤrben,
Und Unſchuld, Weiß und Roth, auf zarten Wangen
ſterben.
Du machſt es, daß den Lord die Taͤnzerin verfuͤhrt,
Und43Zweyter Geſang.
Und daß in Deutſchland ſich der Graf meſalliirt.
Du uͤberſchwemmeſt uns mit Dichtern und Amanten,
Mit Hankens und Corvins, mit Stoppen und Me -
nanten.
Belinde ließ nunmehr dem Zorne freyen Lauf,
Und Klagen ſtuͤrmten hin, und Thraͤnen hoͤrten auf.
Sie nimmt das Schnupftuch, ſeufzt, und ſchmeißt es
in die Ecke,
Und hebt die Augen auf zum Schickſal, und zur Decke.
O armer Graf, (ſprach ſie,) wie jammert mich dein
Schmerz!
Jſt dieſes nun der Lohn fuͤr dein getreues Herz?
Du zaͤhlteſt keinen Trumpf; verſpielteſt mit Vergnuͤ -
gen,
Und ſahſt allein auf mich, dies Schnupftuch zu erſie -
gen.
Und dies verdammte Tuch, nach dem ich nichts ge -
fragt,
Raubt dir der Vorwitz nun der naſeweiſen Magd!
Wie wirſt du, armes Kind, dein Siegeszeichen ſuchen,
Auf mich und mein Geſchlecht, und ſeine Falſchheit
fluchen,
Und44Das Schnupftuch.
Und glauben, daß nunmehr Belinde dich vergißt,
Da ſie dir ietzt doch mehr, als je gewogen iſt!
Ach duͤrft ich dir ſogleich dies Schnupftuch wieder ſen -
den!
Wie bald wollt ich dein Leid und deine |Klagen enden!
Sollt ich es iſt zu ſpaͤt! Allein wer wehrt es mir?
Jch ſchenkte dir es ja; mit Recht gehoͤrt es dir.
Wohlan, |ſo ſoll es dir Liſette wieder bringen.
Ein ſuͤſſer Brief von mir ſoll deinen Zorn bezwin -
gen;
Es war ein Mißverſtand; er ſoll nicht Urſach ſeyn,
Daß uͤber dieſen Zank ſich unſre Feinde freun.
So ſpricht ſie; Scherz und Roth koͤmmt auf die
Wangen wieder.
Jndem ſtuͤrzt ſchleunig ſich die wache Zwietracht nie -
der;
Wirft Schlummerkoͤrner aus; verhuͤllt des Tages
Schein;
Der Nymphe Haupt ſinkt hin; ſie gaͤhnet, und ſchlaͤft
ein.
O Zwietracht, hilf mir ietzt zu deiner eignen
Ehre!
Jch45Zweyter Geſang.
Jch brauche dich ietzo ſo noͤthig als Voltaire.
Sein Lied waͤr ohne dich vom Wunderbaren leer.
Wie oftmals jaget er dich uͤber Land und Meer
Um eine Kleinigkeit, und macht dich ſo geringe,
Wie eine Botenfrau: Doch hier thu Wunderdinge.
Es iſt im Heldenlied von Alters hergebracht,
Daß man aus etwas nichts, und aus nichts etwas
macht.
Hier wird ein Hauch zum Sturm, ein Fluch zum
Donnerwetter,
Und unter unſrer Macht ſtehn Satane und Goͤtter.
Die Zwietracht ſiegt mit Liſt, da ſie mit Macht
nicht kan.
Schnell nimmt ſie die Geſtalt von Fraͤulein Lottchen
an,
Und iſt von Haupt zu Fuß, gleich der koſtbaren Sproͤde,
Hochadlich in dem Gang, und gnaͤdig in der Rede.
Sie war klein von Perſon, doch groß von Einbildung;
Dem Taufſchein nach, ſehr alt, der Schminke nach,
ſehr jung.
Jhr46Das Schnupftuch.
Jhr gleich, naht ſich voll Liſt die Zwietracht zu Be -
linden,
Und ſpricht; Wie, liebes Kind, muß ich dich ſchla -
fend finden?
Wie ruhſt du, da der Neid der ganzen Stadt er -
wacht,
Jn Unſchuld Laſter ſieht, aus Jugend Vorwurf macht?
Von deinen Moden ſpricht; auf deine Hauben ſpottet;
Zu Schwaͤtzern Schwaͤtzer bringt; zu Narren Narren
rottet?
Es ſpricht die ganze Stadt von der Begebenheit;
Man ſchweiget oͤffentlich, und ſchwatzt voll Heimlich -
keit,
Du ſuchteſt voller Liſt den Grafen zu gewinnen;
Der Mann ſagt es der Frau, der Nachbar Nachba -
rinnen;
Und du bekuͤmmerſt dich um dieſe Reden nicht,
Und ſchlaͤſſt, und bleibeſt ſtumm, da die Verlaͤum -
dung ſpricht?
O Freundin, laß dir eh die ſchoͤnſte Blume rauben,
Als daß man glauben darf, was alle von dir glauben.
Dies Schnupftuch gabſt du ihm aus Unvorſichtigkeit;
Nun47Zweyter Geſang.
Nun iſt es wieder dein, hat dir das ſchon gereut?
Laß es den jungen Herrn nur immerhin verdrießen;
Laß einen Thraͤnenſtrom von ſeinen Wangen ſchießen;
Die Thraͤnen fließen dir zur Ehre; Weh und Ach
Sey dir ein Jubelton; Jn ſeinem Thraͤnenbach
Wirſt du die Schmach allein von deinem Schnupftuch
baden,
Und ſeine Prahlerey wird dir nicht ferner ſchaden.
So ſprach ſie, und verſchwand. Die Nymph
ermuntert ſich.
Was war das (ruft ſie aus,) das Fraulein Lottchen
glich?
Und ſelbſt iſt ſie nicht da? Traͤum ich bey hellem Tage,
Und ſagen Traͤume mir, was ich mir ſelbſt nicht ſage?
Wer fuͤrchtet mehr, als ich, der Weiber Klaͤtſchereyn;
Jch ſeh es, wie ſie mir mit ihren Zungen draͤun:
Und ich gedenke noch, dies Tuch zuruͤck zu ſchicken?
Gewiß mein Herz iſt falſch! Doch es ſoll ihm nicht
gluͤcken!
Graf,48Das Schnupftuch.
Graf, dieſes Schnupftuch iſt einmal in meiner Hand,
Und nimmer nimmer wirds von mir zuruͤck geſandt.
Sogleich eroͤfnete der Putzſchrank beyde Thuͤren.
Hier lag Band alt und neu, Cornetten, Coeffuͤren,
Und Spitzen breit und ſchmal, Mantiljen dick und
fein,
Schnupftuͤcher bunt und weiß, Manſchetten groß und
klein.
Es ſtanden Doſen hier, verhuͤllt in dicken Ledern;
Auch Blumen bluͤhten hier, von Hausblaſ und von
Federn;
Careß und Eſklavage, und Schleif und Cavalier,
Lag unter ſich gemengt, und ſchlief in Frieden hier.
So wie ein Savojard viel ſchoͤne Raritaͤten
Jn ſeinem Kaſten zeigt; Trompeter die trompeten;
Des Kaiſers Kroͤnungsfeſt; den Koͤnig Salomon;
Biſchoͤf und Erzbiſchoͤf, Paradebett, und Thron;
So lag von ietzger Zeit, und von der Zeit der Ammen
Wolfs -49Zweyter Geſang.
Wolfszahn und Liebesbrief, und Dock und Stoff bey -
ſammen.
Belinde ſeufzt, und ſchmiß das Schnupftuch in den
Schrank,
Und ſchlug die Fluͤgel zu, daß Thuͤr und Fenſter klang.
Das Schloß flog krachend zu, als ſchloͤß es ſich auf
immer.
Die Zwietracht ſieht es, jauchzt, und brauſet durch
das Zimmer.
Der Sylphe, der auch ietzt das Schnupftuch nicht ver -
ließ,
Stuͤrzt mit ihm in den Schrank, und in die Finſterniß.
So ſchlaͤgt dem blaſſen Fauſt die fuͤrchterlichſte Stunde;
Die Teufel ſchleppen ihn zum rothen Hoͤllenſchlunde;
Er zappelt in der Luft; ſie achten nicht ſein Schreyn;
Zaͤhnflaͤtſchend werfen ſie ihn in die Kluft hinein;
Sie ſtuͤrzen ſich nach ihm in die gemalten Flammen,
Und die grauſame Gluth ſchlaͤgt uͤber ſie zuſammen.
Die Nymphe machte drauf zum Krankſeyn den
Verſuch.
Sie bindet um das Haupt ein duͤnnes weiſſes Tuch;
IIter Theil. DSieht50Das Schnupftuch.
Sieht zu, ob auch dadurch die holde Miene leidet,
Und freut ſich, daß ſie auch die Krankheit artig kleidet.
Der Mittag herrſchte ſchon, die Eſſenszeit war
nah;
Dem Rathsherrn hungerte, und hungrig ſagt er Ja.
Was Schmauſern riechbar war, das war nun ſchon
gerochen;
Was zu beſtechen war, das war nun ſchon beſtochen;
Clienten kamen leer aus ihres Anwalds Haus;
Der Raͤuber gieng zum Strick, der Richter auf den
Schmauß;
Die fette Gans ward braun; Schmarotzer liefen ſchnel -
ler,
Und folgeten entzuͤckt der Harmonie der Teller;
Als Frau von Lins einmal nach ihrer Tochter ſah.
Sie war die beſte Frau, die gnaͤdigſte Mama;
Sie liebte ſelbſt ſich noch in ihrem ſchoͤnen Kinde;
Jhr Hund war ihr ſehr lieb, doch lieber noch Belinde.
Wie ſehr erſchrack ſie nicht, da ſie ins Zimmer trat,
Und51Zweyter Geſang.
Und mit verbundnem Kopf ſich ihre Tochter naht.
Kind, (ſprach ſie ganz bewegt,) was haſt du angefan -
gen?
Wo iſt das ſanfte Roth von deinen muntern Wangen?
Hat etwa dein Gemuͤth ein Trauerſpiel beſtuͤrzt?
Hat deine Katze Winz vom Dache ſich geſtuͤrzt?
Hat deine Nachtigall zu baden ſich vergeſſen,
Und will etwa dein Mops, dein Papagey nicht freſſen?
Sprich, Kind, was fehlt dir denn? O gnaͤdige
Mama,
Mein Kopf thut grauſam weh Dein Kopf thut
weh? Ja ja,
Da haben wirs, das koͤmmt vom vielen Buͤcherleſen!
O wollt ich lieber doch, ſie waͤren nie geweſen!
Der Himmel weiß es nun, was ich beginnen mag,
Da ſo viel Zuſpruch koͤmmt auf dieſen Nachmittag.
O zieh dich an, mein Kind, du ſprichſt doch noch am
meiſten,
Dein lieber Graf von Hold ſoll dir Geſellſchaft leiſten.
D 2Wie52Das Schnupftuch.
Wie in der ſtillen Nacht, wenn auf die ſtarre Welt
Der wandelbare Schein des blaſſen Nordlichts faͤllt,
Oft, eh man ſichs verſieht, das blaſſe Nordlicht fliehet,
Und ſchnell ein brennend Roth den Himmel uͤberziehet;
Der Aberglaube bebt, und fuͤrchtet Krieg und Tod:
So ſchnell ward das Geſicht der ſchoͤnen Fraͤulein roth.
Doch ſie bemuͤhte ſich, die Unruh zu verhehlen,
Und ſprach noch ziemlich frey: wie die Mama befehlen.
Der gnaͤdigen Mama kuͤßt ſie die ſanfte Hand,
Die ſuͤßer laͤchelte, und durch die Thuͤr verſchwand.
Liſette trat herein; demuͤthig in Geberden,
Doch insgeheim gewiß, bald ausgeſoͤhnt zu werden.
Ach Fraͤulein, (ſprach ihr Blick) biſt du noch boͤs auf
mich?
Belinde lacht, und winkt, und ſie ermuntert ſich.
So lachen auf einmal in jugendlicher Wonne
Die53Zweyter Geſang.
Die Felder und der Wald beym erſten Stral der Sonne,
Wenn ſie nach Blitz und Sturm, voll ſtiller Majeſtaͤt,
Aus der furchtbaren Nacht der Donnerwolken geht.
Wie ſchnell kan Menſchen nicht der Hofnung
Stral beleben!
Graf Hold wird nur genannt, Liſetten iſt vergeben.
So faͤllt ein Staatsmann oft, wie er vermuthet hat,
Und flieht mit frohem Sinn die ungerechte Stadt;
Geht auf ſein Rittergut; hoͤrt dort vom Hofe wenig,
Und lebt als Philoſoph, und fuͤrchtet keinen Koͤnig;
Bis nach und nach das Reich die Unordnung verwirrt;
Man irrt im Kabinet, und weis nicht, wie man irrt;
Der weiſe Prinz nur ſieht die Fehler in dem Staate,
Hebt den, den man geſtuͤrzt, und folget ſeinem Rathe:
So nimmt das Fraͤulein auch Liſetten wieder an.
Die Zofe ward ihr mehr, als jemals, unterthan;
D 3Sie54Das Schnupftuch. Zweyter Geſang.
Sie kraͤuſelt das Toppee, das Eigenſinn verheeret,
Und richtet Locken auf, die Lieb und Zorn zerſtoͤret.
Die Goͤttin wird geputzt, und bluͤhet wie der Lenz,
Sieht ſich, und freuet ſich der neuen Exiſtenz.
Das[55]

Das Schnupftuch. Dritter Geſang.

[56]57
Das Schnupftuch. Dritter Geſang.
Und du, gebeugter Graf, was thateſt du inzwiſchen?
Du wirſt gen Himmel ſehn, die naſſen Augen wiſchen;
Sprichſt etwa tiefgelehrt von Lieb und Schmerz und
Haß;
Schimpfſt auf den Wankelmuth, fluchſt, oder pfeifſt et -
was.
Unfehlbar ſitzeſt du vergraben in Gedanken;
Wirſt auf die Untreu ſchmaͤhn, und mit den Sternen
zanken;
Dies alles that er nicht. Die Miene des Geſichts
Schien wichtig, tief, und klug; allein was dacht er?
Nichts.
So denkt ein Domherr nichts, der Verſe leſen hoͤret,
Und wichtig laͤchelnd dann ſein volles Weinglas leeret;
Auf einmal breitet ſich die Hofnung zu dem Schmaus,
Und Ruh, und ſchwerer Spas, auf ſeinen Wangen aus.
D 5O Graf,58Das Schnupftuch.
O Graf, kein Seuſzer auch ſtieg zu dem Horizonte,
Dein Schmerz war noch zu groß, als daß er klagen
konnte.
Der Eindruck, den auf dich ein ſolcher Schlag gemacht,
Ward zwar von dir gefuͤhlt, allein nicht uͤberdacht.
So ſteht, vom Knall betaͤubt, ein Wandersmann, und
zittert,
Wenn ein verwegner Blitz den heilgen Eichbaum ſplit -
tert;
Durch ſeine Kleider irrt, ſein Gold zu Staub verzehrt,
Und donnernd im Triumph nach dem Olympus kehrt;
Der Wandrer weis noch nicht, was ihm der Blitz ver -
dorben,
Steht ſtarr als wie ein Bild, und meynt, er ſey ge -
ſtorben.
Und ſo erſtarrt ſteht auch, mit vielem Gold beſchwert,
Ein Stutzer, dem der Wind durch ſeine Locken faͤhrt;
Den ſtundenlangen Bau tyranniſch ruiniret,
Und Puder und Verdienſt in weite Luͤfte fuͤhret;
Der Stutzer ſteht betruͤbt, und ſieht der Wolke nach,
Und59Dritter Geſang.
Und huͤllt in ſeinen Hut ſein Haar, und ſeine Schmach.
So ſaß der arme Graf, vom Schmerz zu ſehr ge -
troffen.
Er naht ſich dem Clavier, und ſchleunig ſteht es offen;
Es breiten ſich vor ihm viel Noten bunt und kraus,
Von Haſſen und von Graun in praͤchtgen Bogen aus.
Schon laͤuft ein Silberton durch die belebten Saiten;
Das Zimmer wird erfuͤllt mit Haß und Zaͤrtlichkeiten.
O maͤchtige Muſik, du ſiegſt durch Dur und Moll,
Und machſt ein junges Herz von Opertrieben voll;
Es trillert in dem Saal, und ſinget auf den Gaſſen,
Der Stutzer und das Volk ein zaͤrtlich Lied von Haſſen.
Auch ietzo ruft der Graf, Arminden gleich, in Noth,
Mit Trillern Furien, mit Laͤufern ſeinen Tod;
Er fuͤhlt ſich nun, und weint, und in dem ſanften Her -
zen
Entſtehen Raſerey, und wilde Liebesſchmerzen.
Er60Das Schnupftuch.
Er hatt am Fenſter ſchon ein Schnupftuch voll geweint,
Und fieng am zweyten an, als ihm Johann erſcheint,
Der voller Weisheit ſpricht: Wer wird ſich ewig graͤ -
men,
Zuletzt muß alles doch ein gutes Ende nehmen.
Natur und Welt iſt gut in ihrem Wechſellauf;
Aus ſeiner Aſche ſteigt ein junger Phoͤnix auf.
Aus einem kleinen Dorf iſt Amſterdam entſtanden,
Und Feinde binden ſich mit neuen Freundſchaftsbanden.
Das Fraͤulein iſt verſoͤhnt; die Zwietracht hat ein End,
Und ein Lakay bringt ſchon ein großes Compliment
Von ihr, und Frau von Lins; Sie warten mit Ver -
langen
Auf dieſen Nachmittag, den Grafen zu empfangen.
Was? (ruft der Graf erfreut,) welch neuer Hofnungs -
ſchein!
Gewiß! man ladet nicht umſonſt mich wieder ein.
Empfiehl mich alſobald, und mir ſey es viel Ehre,
Daß61Dritter Geſang.
Daß dieſer Nachmittag fuͤr mich ſo gluͤcklich waͤre.
Auf einmal fuͤhlt ſein Herz der neuen Freude
Macht,
Sein Auge klaͤrt ſich auf, ſieht ſtolz umher, und lacht.
So ſieht man im April den Himmel traurig weinen,
Und ſchnell die Wolken fliehn, und ſchnell die Sonne
ſcheinen.
Friſirt mich; (ruft er aus) Vor Luſt bebt ſein Toppee;
Die Puderſchachtel huͤpft vor Freuden in die Hoͤh;
Der ganze Nachttiſch jauchzt, mit allen Liebesgoͤttern,
So wie im Lenz die Flur nach wilden Donnerwettern.
Der Schelle Silberton klang ſchon zum drittenmal,
Und Ludewig! erſcholl zum drittenmal im Saal.
Doch wo war Ludwig ietzt! Er ſaß bey vollen Faͤſſern,
Fern von des Herrn Geſchrey, den duͤrren Hals zu
waͤſſern.
Charmant, ein Sylphe ſahs, und bat ſein Oberhaupt,
Zu ſeyn, was Ludwig war, und es ward ihm erlaubt.
Schnell62Das Schnupftuch.
Schnell ließ er ſich herab aus hoher Geiſter Sphaͤre,
Und kraͤuſelte das Haar, als wenn er Diener waͤre.
So geht oft ein Franzos, indem ſein Rock zerreißt,
Verhungert aus Paris, das ihm kein Gluͤck verheißt;
Der falſche Marquis laͤßt dem Schneider ſeine Schul -
den,
Und wird beym deutſchen Volk Sprachmeiſter fuͤr zwey
Gulden.
Es hatte kaum Charmant das braune Haar er -
baut,
Und das Toppee gepruͤft, und Locken uͤberſchaut;
Als noch einmal der Graf mit finſtrer Stirne fragte:
War denn das Compliment, das dir der Diener ſagte,
Auch von der Fraͤulein? Nein, (verſetzt der Luftlakay,)
So geh zum Teufel, Kerl, was ſagſt du es darbey!
So ſpricht er, und ſpringt auf; ſo ſehr der Sylphe
bittet,
So wird doch ſein Toppee mit frecher Fauſt zerruͤttet;
Die dicke Locke wird des Eigenſinnes Raub,
Und63Dritter Geſang.
Und bis zur Decke ſteigt der wilde Puderſtaub.
Charmant ergrimmte ſehr, und im gerechten Eiſer
Verwuͤnſcht er Ludewig, Belinden, und den Laͤufer.
Doch vom Toppee rief ihm gebiethriſch Ariel,
Der Sylphen Oberſter; ſein Auge winkt Befehl.
Charmant verwechſelte die Ehrfurcht mit dem Grimme,
Und Ariel erhub die koͤnigliche Stimme:
O Sylphe, traure nicht, daß Locken untergehn,
Wenn Kaͤfer durch ſie ſchnurrn, und Winde durch ſie
wehn;
Wenn ihnen Zorn und Stolz den Untergang gebietet,
Und mit verruchter Hand in eigne Schoͤnheit wuͤtet.
Das Schickſal will es oft, und wills zum groͤßern
Zweck.
Kein Staub verfliegt umſonſt, umſonſt koͤmmt auch kein
Fleck
Jn Struͤmpf und Tugenden. Die Wuth iſt ein Ver -
brechen
Mit der Graf Hold verderbt, allein ſie ſoll ihn raͤchen.
Jch64Das Schnupftuch.
Jch hoͤrte ſeinen Fluch, als einer Zofe Hand
Das Schnupftuch ihm entriß, und er beſchimpfet ſtand;
Die Sterne hoͤrten ihn; es hoͤrten ihn die Goͤtter,
Und ihn beſtaͤtigte ein heilig Donnerwetter.
Belinde ſoll ihn nicht an ihrem Spieltiſch ſehn;
Jn groͤßter Aſſamblee ſoll ſie verdrießlich ſtehn;
Die Langeweile ſoll ihr ganzes Haus verderben;
Man ſchweige voll Vernunft, man gaͤhne bis zum
Sterben;
Man wiſſe kein Geſpraͤch, es ſey heut alles dumm;
Der Narr ſey ſtill und klug, der groͤßte Plaudrer
ſtumm;
So will ich hoch und ſtolz in Wolken ſie verhoͤhnen,
Wenn tief das Fraͤulein ſeufzt / und die Matronen ſteh -
nen;
Wenn Spieltiſch und Clavier in oͤder Stille weint,
Und alles Holden wuͤnſcht, und Hold doch nicht er -
ſcheint.
Charmant, eil alſobald zur Goͤttin Langeweile,
Und65Dritter Geſang.
Und merke den Befehl, wie ich ihn dir ertheile.
Sprich: Goͤttin, deren Macht auf alles ſich erſtreckt,
Dein Sklav iſt, der erzaͤhlt, und der, der Verſe heckt;
Du haſt ein großes Reich in Kirchen und in Saͤlen,
Wenn dort der Redner ſchreyt, und hier die Narren
quaͤlen.
Du fuͤhreſt gluͤcklich Krieg; und deine Streiter ſind
Autoren ohne Witz, und Prahler voller Wind.
Du herrſcheſt uͤberall, im Schloß und in der Huͤtte,
Und unter deinem Thron erhenket ſich der Britte.
Monarchin, dich erſucht um deinen maͤchtgen Schutz
Der Sylphen Oberſter; weil einer Nymphe Trutz
Schon lange dich geſchmaͤht, und Hohn ſpricht deinen
Heeren,
Als wenn ſie ohne Muth, und leicht zu ſchlagen waͤren.
Bis hieher hat Graf Hold viel Abbruch dir gethan;
Bis hieher durfteſt du dich nicht Belinden nahn;
IIter Theil. EAllein66Das Schnupftuch.
Allein der tapfre Held trennt nicht mehr deine Glieder;
Er iſt mit Recht erzuͤrnt, und legt die Waffen nieder.
Er uͤbergiebt dir nun zu einem Eigenthum
Belinden ganzes Haus, beſtaͤtge deinen Ruhm,
Und nimm es ſiegreich ein; und laß den Spoͤttern ſe -
hen,
Daß ſie nicht ungeſtraft auf deine Hoheit ſchmaͤhen.
Er ſagt es; und Charmant buͤckt ſich beym letzten
Wort,
Und ſchießet als ein Stral zur Langenweile fort.
Tief in Weſtphalen
(*)Siehe Epitres Divers. T. I. p. 224.
(*) liegt ein Wald von alten
Eichen,
Auf deſſen Grund niemals des Tages Stralen rei -
chen;
Jn dieſem dicken Wald erhebt ſich ein Pallaſt,
Der ſtolz den Boden druͤckt mit ſeiner gothſchen Laſt.
Hier herrſcht ſeit langer Zeit die finſtre Langeweile.
Jhr Reich verbreitet ſich bis in die fernſten Theile
Der67Dritter Geſang.
Der aufgeklaͤrten Welt; ſie ſcheut Vernunft und Witz,
Und nimmt im Hoͤrſaal gern, und Wochenſtuben Sitz.
Es ſchwaͤrmt um den Pallaſt ein großes Heer Autoren,
Die Metaphyſiken und Logiken gebohren,
Und an der beſten Welt, mit viel Geſchrey und Wind,
Vergebens demonſtrirt, weil ſie noch drinnen ſind.
Auch viel gehn hier herum, die todt erzaͤhlen koͤnnen;
Jn Londen und Paris die groͤßten Straßen nennen,
Und wichtig uns vertraun, was kaum zu glauben iſt,
Daß man in Engelland auch junge Huͤhner ißt.
Liebhaber gaͤhnen hier bey ihren dummen Schoͤnen,
Und Maͤdchens ſchlafen ein bey dummer Schaͤfer Toͤ -
nen;
Nur Gukugs ſingen hier ihr widriges Geſchrey,
Und Baͤche rauſchen hier ein ewigs Einerley.
Der ganze Wald iſt voll beſonderer Geſchoͤpfe.
E 2Die68Das Schnupftuch.
Die Stutzer haben hier die ungehirnten Koͤpfe,
Gleich Huͤten, unterm Arm, und treten hoch heran,
Und miſſen nicht den Kopf, der ſo nicht denken kan.
Der Unmuth haſchet hier an weißen Waͤnden Fliegen:
Und bey dem Bretſpiel ſitzt das ſchwere Mißvergnuͤ -
gen.
Viel Geiſter, die der Menſch gebohren, und doch haßt,
Und die man Grillen nennt, umflattern den Pallaſt.
Ein unermeßlich Heer mit ſeltſamen Geſtalten.
Der eine ſitzt gehuͤllt in melancholſche Falten,
Und fuͤrchtet Hungersnoth, ob er auf Gold gleich ſitzt,
Daß ihm kein Gold mehr ſcheint, und ihm verge -
bens blitzt.
Was Langeweile nur auf Erden ausgebruͤtet;
Was in Gedanken ſchmerzt, und in dem Herzen wuͤ -
tet;
Des Hofmanns Angſt vor Fall, der Nymphen Liebes -
pein,
Hat eines Geiſtes Form in dieſem weiten Hain.
An69Dritter Geſang.
An des Pallaſtes Thor ſteht das Hojanen Wache;
Ein widerliches Weib, verdrießlich wie ein Drache.
Doch iſt der Eingang leicht; wer eingefuͤhrt will ſeyn,
Der gaͤhnt ſie dreymal an, und ſie laͤßt ihn herein.
Der dunkele Pallaſt theilt ſich in tauſend Zimmer,
Die ſtets erleuchtet ſind von ſchwarzer Kerzen Schim -
mer.
Man glaubt, hier werde nie die Zeit Geſchoͤpfen lang
Bey ſo viel Zeitvertreib, bey Spiel und bey Geſang.
Doch man wird alſobald der Goͤttin Einfluß fuͤhlen;
Sie herrſcht hier unumſchraͤnkt in jeder Art von
Spielen.
Der ſchoͤne Dummkopf pfeift, ſein Pfeifen hilft ihm
nichts;
Man ſieht den Unmuth doch an Runzeln des Geſichts.
Matronen ſitzen hier, und laͤſtern Nachbarinnen;
Allein ſie koͤnnen doch dem Unmuth nicht entrinnen,
Die Zeit wird ihnen lang. Ein Krais von Schoͤnen
ſpricht
E 3Von70Das Schnupftuch.
Von Moden, Putz und Band; der Einfall gluͤcket nicht,
Die Zeit wird ihnen lang. Der Dichter lieſt Gedichte,
Man hoͤret ungern zu, und gaͤhnt ihm ins Geſichte.
Charmant drang endlich durch durch manche dicke
Schaar,
Und kam zum praͤchtgen Saal, in dem die Goͤttin war.
Der Zwang, ein ſteifer Geiſt, der alle Freuden ſtoͤret,
Mit Buͤcken alles ſpricht, mit Laͤcheln alles hoͤret,
Und in der Aſſamblee den ſtolzen Zepter fuͤhrt,
Bringt ihn bis an den Thron, ſo wie es ſich gebuͤhrt.
Schnell ward in dem Pallaſt ein Auflauf und Gedraͤnge,
Der Audienzſaal wird Neugierigen zu enge;
Die Goͤttin fuͤrchtete, es kaͤm ihr alter Feind,
Der edle Zeitvertreib, als ihr der Sylph erſcheint;
Nachdem er ſich gebuͤckt, trat er etwas zuruͤcke,
Und ſprach alſo zu ihr mit ehrfurchtsvollem Blicke:
O Goͤttin,71Dritter Geſang.
O Goͤttin, deren Macht auf alles ſich erſtreckt,
Dein Sklav iſt, der erzaͤhlt, und der, der Verſe heckt;
Du haſt ein großes Reich in Kirchen und in Saͤlen,
Wenn dort der Redner ſchreyt, und hier die Narren
quaͤlen;
Du fuͤhreſt gluͤcklich Krieg; und deine Streiter ſind
Autoren ohne Witz, und Prahler voller Wind;
Du herrſcheſt uͤberall, im Schloß und in der Huͤtte,
Und unter deinem Thron erhenket ſich der Britte;
Monarchin, dich erſucht um deinen maͤchtgen Schutz
Der Sylphen Oberſter, weil einer Nymphe Trutz
Schon lange dich geſchmaͤht, und Hohn ſpricht deinen
Heeren,
Als wenn ſie ohne Muth, und leicht zu ſchlagen waͤren.
Bis hieher hat Graf Hold viel Abbruch dir gethan;
Bis hieher durfteſt du dich nicht Belinden nahn;
Allein der tapfre Held trennt nicht mehr deine Glieder,
E 4Er72Das Schnupftuch.
Er iſt mit Recht erzuͤrnt, und legt die Waffen nieder.
Er uͤbergiebt dir nun zu einem Eigenthum
Belinden ganzes Haus; beſtaͤtge deinen Ruhm,
Und nimm es ſiegreich ein; und laß den Spoͤttern ſe -
hen,
Daß ſie nicht ungeſtraft auf deine Hoheit ſchmaͤhen.
Er ſagts; und halb entſchlaͤft die Langeweile ſchon,
Doch ſie ermuntert ſich, und ſpricht mit ſuͤßem Ton:
Geſandter Ariels des Oberhaupts der Sylphen,
Jhr wart mir ehmals treu, und meines Reichs Gehuͤl -
fen,
Da ihr noch Maͤdchen wart; mißfaͤllig hoͤr ich an,
Wie ſehr Belindens Haus uns Widerſtand gethan.
Jch weiß, wie ſehr Graf Hold ſonſt wider mich ge -
ſtritten;
Viel Niederlagen hat mein Heer von ihm erlitten;
Doch da er nicht mehr ſicht, und meine Macht bekriegt,
So hof ich ſicherer, daß meine Rache ſiegt.
Jch73Dritter Geſang.
Jch will Belindens Haus mit allen Ruthen ſtrafen;
Das Weib ſoll ſprachlos ſeyn, der junge Herr ſoll ſchla -
fen;
Man gaͤhne vor Verdruß, man ſchweige voll Verdacht,
Und alles opfere der Langenweile Macht.
Nimm hin dies ſchwarze Horn mit Zauberkunſt geſchloſ -
ſen;
Hierinnen liegt verwahrt, was Muntere verdroſſen,
Und Plaudrer ſchweigend macht; gieß auf Belindens
Haus,
Sobald dein Fuͤrſt es will, dies Horn des Ungluͤcks aus;
Auf einmal wird den Saal der Grillen Heer durchwuͤh -
len,
Und alles wird die Macht der Langenweile fuͤhlen.
Sie ſagts; und gab das Horn dem Sylphen in
die Hand,
Der in die Hoͤh ſich hob, und durch die Luft verſchwand.
Es war nun Nachmittag. Der Saͤnftentraͤger
Schritte
Fliehn mit der ſchoͤnen Laſt eilfertig zur Viſite.
Seht den Finanzenrath, der ſich im Wagen blaͤht;
E 5Er74Das Schnupftuch.
Er uͤberſtreut mit Staub, die Ehrlichkeit, die geht.
Aus ihrem Fenſter lacht die Graͤfin ihm entgegen,
Jhn gruͤßt des Poͤbels Hut auf allen ſeinen Wegen;
Mit Verſen ſchwer bepackt ſteht ſchon der Gratulant,
Und wartet an der Thuͤr auf ſeine milde Hand.
Belindens praͤchtig Haus eroͤfnet beyde Thuͤren,
Viel Diener, welche Gold und Achſelbaͤnder zieren,
Stehn froh und laut davor, und gruͤßen allezeit
Den weiten Buͤgelrock, und das beſetzte Kleid.
O Muſe, melde mir die Kleider und die Namen
Der Damen und der Herrn, die zu Belinden kamen;
Und gieß in mich die Gluth, die den Homer beſeelt,
Als er die lange Reih der alten Schiff erzaͤhlt.
Die Kutſche brauſt daher. Zuerſt ſteigt aus dem
Wagen
Die alte Canzlerin mit einem ſchwarzen Kragen.
Jhr75Dritter Geſang.
Jhr Fraͤulein folgt ihr nach; Das Kleid war weißer
Mohr,
Und ihre hohe Bruſt bedeckte ſchwarzer Flor.
Zwo Saͤnften ſtehen ſtill. Aus einer ſteigt Clorine;
Jhr blaues Auge ruͤhrt, und Sieg herrſcht aus der
Miene;
Das ſchoͤnſte Haar pries noch der Kammerjungfer Fleiß;
Jhr Kleid war roſenroth, und die Mantilje weiß.
Nach ihr kam Herr von Baum, frieſiret mit der Na -
del;
Sein Kleid war himmelblau, noch neu, und ohne Tadel;
Das Weſtgen glich ihm nicht, die Trottel dran war alt;
Sonſt war er reich und dumm, und lieblich von Geſtalt.
Der Herr Baron von Knall, Erbherr auf Queis und
Thoren,
Stieg ſtolz und laut heran, und ſprach ſehr hochgeboh -
ren;
Sein andres Jch, ſein Pferd, ein Fuchs aus Engelland,
Stand wiehernd vor der Thuͤr an ſeines Reitknechts
Hand.
Die Baroneßin Quant, mit ſchoͤnen blonden Haaren,
Kam76Das Schnupftuch.
Kam von dem Ritterguth mit ſechſen angefahren.
Den ſchlanken Leib umgab ein Amazonenkleid;
Jhr weißer Federhut ward aller Damen Neid.
Die Fraͤulein Hellersdorf, die Fraͤulein Wadersleben.
Ein junger Kriegesrath, groß in der Kunſt zu leben,
Ein Hauptmann, Herr von Trumpf, mit einem ſchwar -
zen Bart,
Beehrten dieſes Haus mit ihrer Gegenwart.
Auch irrten tief im Saal ein paar vernuͤnftge Leute,
Doch ſchlechte Buͤrger nur, und in gehoͤrger Weite
Vom adlichen Geſpraͤch. Ein lumpichter Poet,
Voll laͤcherlicher Reim, und voller Gravitaͤt,
Hielt an der Thuͤr ſich auf, an der er oft ſich buͤckte,
Bey allen laͤchelte, und mit dem Kopfe nickte.
Ein Namenstageslied ſah aus der Taſch heraus,
Denn das war ſein Tribut an dieſes hohe Haus.
Mit77Dritter Geſang.
Mit Rauſchen und Geſchrey, und vielen Reveren -
zen,
Umgab der bunte Krais des Caffeetiſches Graͤnzen.
Aus heiterm Silber ward der ſchwarze Trank geſchenkt
Mit dem der holde Blick ſich in die Taſſe ſenkt.
Unſichtbar kam indes Charmant im Saal geflogen,
Und hatt um ſeinen Hals das ſchwarze Horn gebogen.
Er oͤfnet es, und ſchnell zog draus ein ſchwuͤler Duft,
Und tauſend Ungluͤck floß in die verderbte Luft.
Stillſchweigen, Schlaͤfrichkeit, Kopfweh, Verdruß und
Traͤumen,
Viel Unſinn und Geſchwaͤtz in Proſa, und in Reimen;
Viel Grillen, ſchwarz und weiß, Zwang, Eigenſinn,
Verdacht,
Und was zu Sklaven uns der Langenweile macht;
Dies alles ſchien im Saal, gleich Atomen, zu ſchwim -
men.
Auf einmal legten ſich ſo viel verſchiedne Stimmen;
Nur Herr von Baum manchmal liebaͤugelt nach der
Kunſt
Bald78Das Schnupftuch.
Bald um Belindens Herz, bald um Clorinens Gunſt,
Die alte Canzlerin, die lange ſich gezwungen,
Eroͤfnete den Mund zu ſanften Laͤſterungen;
Mit Laͤcheln ruͤckte ſie zu ihrer Nachbarin,
Und mit dem Laͤcheln ſtarb ein guter Name hin.
Doch bald macht Still und Zwang der Laͤſterung ein
Ende.
Die Fraͤulein ſehn indes auf ihre ſchoͤnen Haͤnde.
Zwar prahlt der Capitain nach aller Moͤglichkeit,
Doch niemand hoͤret zu, und alles iſt zerſtreut.
Ach gaͤhnte der Baron, und wußte nichts zu ſagen.
Auf allen Lippen ſchwebt die Luſt, etwas zu fragen,
Allein die Frag erſtickt; man ſitzet ſich zur Quaal;
Die tiefſte Stille herrſcht im ganzen weiten Saal.
Dreymal zieht Herr von Baum zum Wortſpiel ſeine
Miene,
Und dreymal faͤchelt ſich die zierliche Clorine;
Schon79Dritter Geſang.
Schon dreymal trillerte der junge Kriegesrath,
Und dreymal wuͤnſchte ſich zum Teufel der Soldat.
Doch alles war umſonſt; der Zorn des jungen Grafen
Schien dies verſtoͤrte Haus mit Blindheit zu beſtrafen.
Der Hauptmann, welcher ganz in tiefe Schwermuth
fiel,
Vergaß den letzten Troſt, ſo manches edle Spiel.
O! daß ſein hoher Geiſt ihn nicht unſterblich machte,
Und auf den Lombertiſch die bunten Karten brachte;
Vergebens lagen ſie in Huͤllen mancher Art,
Weiß, roth und blau und gruͤn, in Faͤchern aufbewahrt.
Auf einmal toͤnete aus einer ſuͤſſen Kehle:
Wo iſt Graf Hold? Graf Hold, wo iſt er? meiner
Seele!
Bruͤllt in dem tiefſten Baß des Hauptmanns rauher
Hals,
Und jede Lippe wuͤnſcht den Grafen ebenfalls.
Von Famen wird ſein Lob trompetet aller Enden;
Graf80Das Schnupftuch.
Graf Hold ſchallt in der Luft, Graf Hold ſchallt von
den Waͤnden.
Belinde ſprach voll Stolz: er koͤmmt nicht! koͤmmt
er nicht?
Und Misvergnuͤgen herrſcht in iedem Angeſicht.
Die Munterkeit erſtarb in der verdroßnen Menge;
Den matten Damen ward Schnuͤrbruſt und Saal zu
enge.
Sie ſeufzen tief und laut in ihrem groͤßten Zwang,
Und alles denkt, wie ſehr wird uns die Zeit hier lang.
Die Baroneßin Quant hub ſich zuerſt vom Seſſel,
Und alles folgt ihr nach, und brach des Zwanges Feſſel.
Sie kuͤßt die Frau von Lins, macht manches Abſchieds -
wort;
Fliegt in den Phaeton, und ſchreyt zum Kutſcher:
Fort!
Und ſo war es im Buch des Schickſals angeſchrieben!
Die Damen, welche ſonſt den ganzen Abend blieben,
Empfohlen alle ſich; und ſelbſt der Kriegesrath
Gieng ohne Saͤnfte fort, und wagte ſeinen Staat.
Wie81Dritter Geſang.
Wie leicht konnt uͤber ihn ein ſanfter Regen kommen,
So ward dem Gallarock der hohe Glanz benommen;
So waren Witz, und Geiſt, und Dreſſen, in Gefahr;
Vergebens war alsdann Beſoldung auf ein Jahr.
So ploͤtzlich ward noch nie ein adlich Haus verlaſſen,
Jn dem ſonſt um ein Uhr noch Spielparthien ſaßen;
Jn dem die Mitternacht dem lauten Tage glich.
O welch ein Haupttriumph, erzuͤrnter Graf, fuͤr dich!
So nahm die Aſſamblee ein ungluͤckſelges Ende.
Die Zwietracht, die es ſah, ſchlug jauchzend in die
Haͤnde.
Belindens ganzes Haus war in Verzweifelung;
Dies war der groͤßte Sieg, der ihr jemals gelung.
An guͤldner Wand erloſch der Kerzen ſtolzer
Schimmer;
Jn Einſamkeit und Nacht verſank das oͤde Zimmer.
So ploͤtzlich uͤberfaͤllt ein deutſches Schauſpielhaus,
IIter Theil. FSo82Das Schnupftuch. Dritter Geſang.
So bald der Vorhang ſinkt, Stillſchweigen, Nacht und
Graus.
Herr Reibhand endigt nun ſein kaiſerliches Leben,
Und muß ſein ſchoͤnes Kleid betruͤbt zuruͤcke geben.
Da ſteht der große Held, der erſt ſo ſtolz gethan,
Und zieht den alten Rock mit leerem Magen an.
Dem Todtenreiche gleich, liegt alles oͤd und wuͤſte;
Nun ſieht man ieden Strick am nackenden Geruͤſte;
Hier liegt die Leinewand, die wie ein Meer gewallt,
Und die Piſtole dort, aus der der Blitz geknallt.
Das[83]

Das Schnupftuch. Vierter Geſang.

[84]85
Das Schnupftuch. Vierter Geſang.
Belinde hatte ſich in ihr Gemach begeben;
So fruͤh geſchah es nicht in ihrem ganzen Leben.
Diesmal verkehrte ſich die traurige Natur;
Sie war ſchoͤn, und allein? Und das ſchon um acht
Uhr!
Um dieſe Zeit kam ſonſt, mit neugeſchafnen Haaren,
Jhr allerliebſter Graf zur Aſſamblee gefahren;
Mit ihm kam Scherz und Luſt. Die laute Plauderey
Flog gaukelnd um ſein Haupt; und ſtand ihm ſiegreich
bey,
Wenn er von Kuͤſſen ſprach, die niemand ihm ver -
gonnte,
Und von den Arien, die er nicht ſpielen konnte.
Die Zeit war nun nicht mehr! Es wuchs der Nymphe
Gram,
Daß ſie die Zuflucht faſt zu dem Gebetbuch nahm.
F 3Doch86Das Schnupftuch.
Doch lagen noch dabey, zu ihrem beſſern Gluͤcke,
Zwo Arien von Graun, der Tonkunſt Meiſterſtuͤcke.
Die nahm ſie; und ſo bald ſie vor dem Fluͤgel ſaß,
So rauſchte, Wettern gleich, der fuͤrchterliche Baß;
Es wuͤtete der Sturm durch die empoͤrten Saiten,
Den finſtern Wellen gleich, die mit dem Donner ſtreiten.
Es ward im Zimmer ſtill, und in der Seele Nacht;
Selbſt Thiere fuͤhlten ietzt der hohen Tonkunſt Macht;
Jhr Papagey erſchrickt, ihr kleiner Mops Nerine
Huͤllt ſich, wie ein Pedant, in eine finſtre Miene.
Ein Orpheus ruͤhrte ſo, durch ſeiner Leyer Schall,
Den unwirthbaren Fels, den ſtarren Wiederhall;
Die Eichen gruͤßten ihn; er ward der Loͤwen Sieger,
Und ſanft lag neben ihm des Forſts Tyrann, der Tie -
ger.
Und ſo ruͤhrt Fleiſcher
*)Ein Virtuos auf dem Clavier.
*) uns, wenn er ſein Vorrecht fuͤhlt,
Und87Vierter Geſang.
Und mit der ſchnellen Hand in Diſſonanzen wuͤhlt;
Wenn er ein ganzes Meer von Toͤnen auf uns ſchwem -
met,
Und nach und nach den Sturm in unſern Seelen hem -
met.
Der arme Graf indes ſitzt traurig und allein.
Der alte Strom huͤllt ſich in ſeinen Schlafrock ein;
Nimmt ſeinen dicken Stock voll ſchiefgewachſner Kno -
ten,
Und ſcheut die Stuͤrme nicht, die der Peruͤcke drohten.
Nun gieng er heimlich fort zu ſeinem Pythias,
Der ſchon im dicken Dampf des edlen Knaſters ſaß.
Wie ſchlug ſein hoffend Herz, auf dieſen Troſt gegruͤn -
det,
Eh er in gleicher Ruh ſein Pfeifgen angezuͤndet?
An treues Bier gewoͤhnt, und von dem Durſt geplagt,
Ward er von dem Affect geſchwinder fortgejagt.
Sein Wunſch wird ihm gewaͤhrt; der lange Durſt ge -
ſtillet,
Und ſeine Pfeife wird in ſuͤſſer Ruh gefuͤllet.
F 4Die88Das Schnupftuch.
Die braune Koͤnigin der ſchlummernden Natur,
Die durch die ſchwere Luft mit ſtiller Hofſtatt fuhr,
Die Nacht, der Schuldner Troſt, der Liebenden Ver -
traute,
Hielt ihren Nachzug auf, als ſie die Welt durchſchaute.
Sie ſah den jungen Graf im Lehnſtuhl hingeſtreckt;
Ein angenehmes Roth, das ſeine Wangen deckt,
Sein dunkelbraunes Haar, das ſich nachlaͤßig kruͤmmet,
Und um den ſchlanken Hals in großen Locken ſchwimmet,
Nahm gleich der Goͤttin Herz zu ſeinem Vortheil ein.
So braucht man oft nicht klug, man braucht nur ſchoͤn
zu ſeyn.
Sie naͤherte ſich ihm, und ſah in ſeinem Herzen
Ein trauriges Gemiſch von Pein und Liebesſchmerzen.
Sein Schutzgeiſt, ganz bewegt von ſeinem Ungemach,
Trat zu der Goͤttin hin, und buͤckte ſich, und ſprach:
Regentin, deren Troſt der Koͤnig oft entbehret,
Wenn89Vierter Geſang.
Wenn deine milde Hand ihm keinen Schlaf gewaͤhret;
Die oft den Sterblichen beneidenswerther macht,
Der in der Huͤtte ſchlaͤft, als der in Schloͤſſern wacht;
Sieh dieſen jungen Herrn den artigſten von allen!
So bluͤhend, wie der Lenz, wem ſollt er nicht gefallen?
Allein was fuͤrcht ich nicht! Faſt keinen Augenblick
Schlaͤft er vor Quaal und Pein, ſo hart iſt ſein Ge -
ſchick.
Er liebt ein ſchoͤnes Kind, Belinde heißt ihr Name;
Ein Schnupftuch, das er einſt der angenehmen Dame
Beym Lomberſpiel geraubt, wird ihm ein Quell zur
Pein;
Doch, Goͤttin, wenn du willſt, ſo kan er gluͤcklich ſeyn.
Jch will von neuem mich in ſeine Seele wagen;
Du ſchlaͤfſt, geliebter Graf? will ich im Traum ihm
ſagen;
Der alte Strom iſt fort, und Laͤufer und Lakay
Liegt in dem tiefſten Schlaf durch meine Zauberey;
F 5Ge -90Das Schnupftuch.
Gebrauche dieſer Zeit; ſey kuͤhn, du wirſt Belinden
Jn einem ſanften Schlaf auf ihrem Zimmer finden.
Sie iſt allein und jung; o Graf, der Sieg iſt dein!
Wenn ſie dein Kuß erweckt, wird ſie noch zornig ſeyn?
Doch, holde Nacht, dein Schutz wird meinen Helden
leiten;
Du wirſt den tiefſten Schlaf auf ſeine Diener breiten;
Gieß auf Belindens Haus die angenehmſte Ruh,
Und ſchließ inſonderheit der Mutter Augen zu.
So ſprach der holde Geiſt, und kuͤſſet ehrerbietig
Der Nacht den ſchwarzen Rock; ſie aber reicht ihm
guͤtig
Die ſchoͤne braune Hand, und ſprach mit ſanftem Blick:
Geh, und beſchleunige des jungen Grafen Gluͤck.
Sie ſprachs; und kehrte ſich zu ihren ſchwarzen Schaa -
ren.
Was jemals Aberglaub, und Vorurtheil gebahren;
So manches grauſe Bild, ſo manch ſechsfuͤßig Kalb;
So91Vierter Geſang.
So mancher Poltergeiſt, ſo mancher ſchwerer Alp;
So mancher ſchwarze Hund, dem wild die Augen glaͤn -
zen;
So manches Ungetuͤm mit Klauen und mit Schwaͤnzen,
Und was die Finſterniß nur ſchreckliches vermag,
Folgt ihrem Wagen nach, und ſcheut Vernunft und Tag.
Nachdem ſie tiefen Schlaf auf alles ausgegoſſen:
So fuhr ſie weiter fort mit ihren traͤgen Roſſen.
Der Geiſt erſchien indes dem jungen Herrn im
Schlaf,
Gleich ſeinem Freund von Turm, und ſprach: Du
ſchlaͤfſt, o Graf?
Erwache, Schlaͤfriger, und eile zu Belinden;
Du wirſt im Canapee ſie eingeſchlummert finden;
Sie iſt jung und allein, dein Kuß erwecke ſie;
Die ſproͤdſte Schoͤne zuͤrnt nach einem Kuſſe nie.
Dein alter Strom iſt fort, es ſchlafen deine Leute;
Steh auf, kein Tag vielleicht ſchließt ſich ſo ſchoͤn, wie
heute.
Jch92Das Schnupftuch.
Jch ſeh das Schnupftuch ſchon in deiner Siegeshand,
Das du in dem Triumph von neuem ihr entwandt.
Es ſoll dem alten Strom bis in das Herz verdrießen,
Wenn er dich morgen ſieht das Schnupftuch wieder kuͤſ -
ſen.
So ſprach er, und entwich. Der muͤde Graf
erwacht,
Nachdem er gaͤhnend noch an ſeinen Traum gedacht.
Er ſah nach ſeiner Uhr; acht Uhr hat es geſchlagen,
Und ſchnell entſchloß er ſich des Traumes Rath zu wa -
gen.
Er warf den ſchlanken Leib in einen Oberrock;
Es wafnete die Hand ein wilder Dornenſtock;
Sein Haar flog halbverwirrt, auf das ein Hut ſich
druͤckte,
Den um den weiten Rand ein Strausgefieder ſchmuͤckte.
Auch ein nachlaͤßger Putz bringt Schoͤnen oft Gefahr.
Er war das Gegentheil von dem, was er ſonſt war;
Und dennoch war er ſchoͤn. Mit einem blinden Triebe
Eilt93Vierter Geſang.
Eilt er Belinden zu, gefuͤhrt von Muth und Liebe.
Was wagt nicht oft der Menſch, und wie viel
gluͤckt ihm nicht!
Seht, kein Eroberer, dem Fama Lorbeern flicht,
Laͤßt Blut und Menſchlichkeit in ſeinem Herzen reden,
Vom Macedonier bis auf den wilden Schweden.
Und kein Eroberer, dem Amor Kraͤnze flicht,
Erwegt, was die Vernunft zu ſeinem Vortheil ſpricht.
Die Ueberlegung iſt bey Liebenden vorlohren,
Vom Raͤuber Paris an, bis auf den deutſchen Thoren.
Was wagte nicht der Graf! Verwegen gieng er aus;
Verwegen trat ſein Fuß in ein geweihtes Haus;
Jn einem Oberrock; des Abends, ungebeten.
So hat es noch vor ihm kein junger Herr betreten.
Er war im Hauſe noch in einer kleinen Quaal;
Gleich einem Herkules ſtand er in ſchwerer Wahl.
Zwo94Das Schnupftuch.
Zwo Treppen leiteten zu ſeiner Schoͤne Zimmer;
Die eine war erhellt von einer Leuchte Schimmer,
Die andre war verſteckt im Winkel angebracht,
Und auf ihr ruhte ſtets geheimnißvolle Nacht.
Er ließ die letzte ſich zu ſeiner Goͤttin leiten.
O Muſe, laß uns nun den jungen Held begleiten,
Damit er nicht etwa ſich an die Naſe rennt,
Da ihn kein Troſt erweckt, und keine Leuchte brennt.
Schon war ſein leiſer Schritt auf halben Weg
gekommen;
Kein Diener, keine Magd hatt unſern Held vernom -
men;
Doch ploͤtzlich ſtieg etwas von oben her herab,
Und ploͤtzlich nahm ſein Muth bey dieſem Zufall ab.
Er richtete den Blick erſchrocken in die Hoͤhe,
Und ſah, damit ich es zu ſeinem Ruhm geſtehe,
Vielleicht das ſchrecklichſte aus Plutons Hoͤllenreich,
Zwo95Vierter Geſang.
Zwo Augen voller Gluth, den Kaͤſenaͤpfen gleich.
Voll Schrecken ſtand er da, und grif nach ſeinem De -
gen;
Ein fuͤrchterliches Thier kam ihm indes entgegen.
Vielleicht haͤtt er halbtodt den Fuß zuruͤckgewandt,
Wann er nicht das Geſpenſt zur rechten Zeit erkannt.
Es war ein ſchwarzer Feind der langgeſchwaͤnzten Rat -
ten,
Ein Held und ein Amant, wie er, im finſtern Schat -
ten;
Ein Kater, der beherzt, durch dicker Naͤchte Graus,
Zu ſchoͤnen Katzen ſchlich in ſeiner Nachbarn Haus,
Der kuͤhne Graf erreicht das Zimmer ſeiner Schoͤne,
Und hemmet voller Liſt der Thuͤre helle Toͤne,
Die ſie im Aufgehn macht, und tritt mit frechem Sinn
Bis an das Canapee, in dem ſie ſchlummert, hin.
Wie konnt ein Sterblicher ſo vielem Reiz entfliehen,
Mit dem, den Roſen gleich, die jungen Wangen bluͤhen!
Wer96Das Schnupftuch.
Wer ſieht den ſchoͤnſten Mund, der ihn nicht feurig kuͤßt,
Wenn Schlummer, Lieb und Nacht, ſo ſehr ihm guͤn -
ſtig iſt?
Wie pries der frohe Graf die ungehofte Stunde!
Schon nahte ſich ſein Mund dem allerſchoͤnſten Munde,
Als er von hinten zu an einen Theetiſch ſtieß,
Und Caffeezeug und Tiſch in einen Klumpen ſchmiß.
Ein fuͤrchterlicher Schall toͤnt durch das ganze Zimmer.
Belind erwacht, und ſchrie, und ſah die theuren Truͤm -
mer
Von ihrem Porcellan, und ſah noch halb im Schlaf
Mehr auf das Chaos hin, als auf den blaſſen Graf.
Doch endlich ſieht ſie ihn zu ihren Fuͤßen liegen.
Sein Anblick macht ihr ietzt kein ſonderlich Vergnuͤgen;
Graf! was fuͤhrt dich hieher? Du ſiehſt, ich bin allein,
Und wie, du dringeſt dich zu meinem Zimmer ein?
Welch eine freche That! Und wo iſt denn Liſette?
Hilf97Vierter Geſang.
Hilf Himmel, wenn jemand den Laͤrm gehoͤret haͤtte!
Geh dieſen Augenblick! So ſprach ſie blaß und roth.
Der arme Graf indes, vor Schrecken bleich und todt,
Verſuchte voller Angſt die ſchoͤne Hand zu kuͤſſen;
Allein ſie riß ſie weg. Sprich! Graf, ich will es wiſſen,
Was dich hieher gebracht. O Fraͤulein, (fieng er an,)
Du fragſt gewiß mich mehr, als ich dir ſagen kan.
Mein Unſtern bringt mich her zu dieſem neuen Schlage.
Liſette kam zu mir an dieſem Vormittage,
Und nahm das Schnupftuch weg, das mir ſo theuer war;
Mein Kummer war zu groß, ich wagt es mit Gefahr,
Aus deinem ſchoͤnen Mund, o Fraͤulein, ſelbſt zu wiſſen,
Ob meiner Goͤttin Zorn das Schnupftuch mir entriſſen.
Sonſt wolteſt du hier nichts? (ſprach ſie mit bitterm
Hohn,)
Ja, es war mein Befehl! und ſchnell gieng ſie davon.
IIter Theil. GHier98Das Schnupftuch.
Hier ſtund der arme Graf, erſchrocken und verlaſſen,
Jedoch in dieſer Noth half ihm ſein Stolz ſich faſſen.
Er gieng in voller Wuth zu ſeinem Hauſe fort,
Und murmelte bey ſich manch unverſtaͤndlich Wort.
Nachdem er heimlich ſich in ſein Gemach begeben,
Nahm er, zum erſtenmal in ſeinem ganzen Leben,
Von ſelbſt ein dickes Buch, und las zwar nicht darinn,
Doch legt er es zum Schein auf ſeinem Tiſche hin.
Der heiſre Waͤchter ließ ſein Abendlied ertoͤnen;
Noch ſaß der Officier bey den verborgnen Schoͤnen,
Und wies bey viel Geſang, und bey ſehr wenig Wein,
Die Schlacht bey Chotuſitz, den Uebergang am Rhein.
Der Hauptmann war bisher in dem Quartier geblie -
ben;
Der Fuͤndling
*)Ein Roman.
*) und Toback hatt ihm die Zeit vertrie -
ben.
Doch99Vierter Geſang.
Doch ſchnell entſchloß er ſich, zum Graf von Hold zu
gehn.
Kein Geld und auch kein Wein, das war nicht aus -
zuſtehn.
Er fand den Graf allein, und gar bey einem Buche,
Und macht ihm ſeinen Gruß mit einem ſchweren Flu -
che.
Ein Teufel war genung fuͤr Faͤhndrichs niedrer Art,
Er ſchwur bey tauſenden, ſo bald er Hauptmann ward.
Das Wetter! (fieng er an,) du willſt wohl gar ſtudi -
ren?
Welch hagelmaͤßig Buch, mir graut, es anzuruͤhren!
Dein alter Strom iſt doch ein rechter Erzpedant,
Schickt die Gelehrſamkeit ſich wohl fuͤr deinen Stand?
Wirf die Scharteken weg, und ſauf ein Glas Bur -
gunder.
Was hilft bey Maͤdchens dir der ganze dumme Plun -
der?
Die Zeit ward heute mir recht wettermaͤßig lang;
Jch weiß nicht, welch ein Geiſt mich zu Belinden
zwang;
Allein ſo hab ich mich mein Tage nicht gequaͤlet.
G 2Der100Das Schnupftuch.
Der Himmel weiß es auch, was der Begine fehlet.
Und du, ihr Herr Amant, du biſt ja ſonſt ſtets da,
Wie kam es, daß man dich nicht dieſen Abend ſah?
Der alte Strom wird dich noch ganz zum Narren
machen,
Miſcht der Praͤceptor ſich in alle deine Sachen?
Der Mucker! gieb ihm doch nicht allezeit Gehoͤr,
Du lernſt bey Maͤdchen ja, bey meiner Seele! mehr.
So ſprach er; und es trat ein ſchoͤner Kerl ins
Zimmer,
Jn deſſen ſchwerer Hand ihm des Burgunders Schim -
mer
Die Augen blendete. So ſehr ruͤhrt das Geſicht
Der jugendliche Glanz der Morgenroͤthe nicht.
Es ſtuͤrzte ſich ins Glas der rothe Saft der Reben;
Ein weißer Stern, wie Milch, fieng an ſich zu erhe -
ben;
Schoß ſcharfe Stralen fort, bis an des Glaſes Rand,
An dem er nach und nach, dem Nordlicht gleich, ver -
ſchwand.
Der101Vierter Geſang.
Der Hauptmann hatte ſchon viel Glaͤſer ausgeleeret,
Viel Schlachten ſchon erſiegt, viel Laͤnder ſchon verhee -
ret,
Als er den braven Graf, (brav durch ſo ſchoͤnen Wein,)
Jn tiefer Schwermuth ſah; er ſah es, und hielt ein.
Was fehlt dir, kleiner Narr? dein Maͤdchen, Graf,
Belinde!
Was ſchaͤmſt du dich? ſtoß an! Wie? (ſprach der Graf,)
Belinde?
Mein Maͤdchen? Freylich ja, dein Maͤdchen! laͤugn
es nicht,
Denn es verraͤth dich doch dein juͤngferlich Geſicht.
Es fiel dem Grafen ſchwer, der Neigung zu entſagen,
Beleidiget zu ſeyn, und keinem es zu klagen.
Und wo iſt der Amant, der wie ein Staatsmann
ſchweigt,
Und bey dem maͤchtgen Wein ſein zaͤrtlich Herz nicht
zeigt?
Ach Hauptmann, (ſprach der Graf,) mein Ungluͤck iſt
vollkommen!
Ein Schnupftuch, das ich juͤngſt der Fraͤulein wegge -
nommen,
Wozu ihr holder Blick mir ſelbſt Erlaubniß gab,
G 3Das102Das Schnupftuch. Vierter Geſang.
Das holt mir heute fruͤh ihr Maͤdchen wieder ab.
Ey, (ſprach der Capitaͤn,) laß es dir wiedergeben!
Und ſchenkt ſich tapfer ein, und laͤßt den Grafen leben.
Doch die Boutelje ward zu ſeinem Schrecken aus.
Der Waͤchter rief eilf Uhr, und Strom trat in das
Haus;
Das Schrecken kam mit ihm; ſchon auf den erſten
Stufen
Hoͤrt ihn der ſcheue Graf nach den Lakayen rufen.
Ach, das iſt Strom! (ſprach er) geh, Freund, eh er
dich ſieht
Der Hauptmann fuͤrchtet ihn, und nimmt den Hut
und flieht.
Das[103]

Das Schnupftuch. Fuͤnfter Geſang.

[104]105
Das Schnupftuch. Fuͤnfter Geſang.
Schon ſtieg zum zweytenmal die Sonn aus blauen
Wellen,
Die Huͤtt und den Pallaſt gleichgnaͤdig zu erhellen.
Sie ſtreute Freud und Tag auf die glorreiche Bahn,
Und nach und nach zog ſich das Kammermaͤdchen an.
Die Pagen fuhren ſchon in ihre Silberkleider;
Die Lerche ſang im Feld, und in der Stadt der Schnei -
der;
Schon ſtand der Grenadier, und wirte ſeinen Bart,
Und alles fuͤhlte ſchon des Morgens Gegenwart.
Die Frau von Lins ſtand auf. Jhr Haus ſchien
ihr erſtorben;
Es hatte laͤngſt der Graf ihr zartes Herz erworben;
Sie war an ihn gewoͤhnt; ohn ihn und ihren Hund,
War ſie nicht aufgeraͤumt, und auch nicht recht geſund.
G 5Und106Das Schnupftuch.
Und er hatt ihr gefehlt drey Tage ſchon, und druͤber!
Dies uͤberdachte ſie, und ſie bekam das Fieber.
Zwar war ihr eigentlich das Wetter nur zu rauh;
Doch das heißt Fieber ſchon, bey einer gnaͤdgen Frau.
Sie hatte Zeit genung, in Schwermuth ſich zu ſenken,
Und bey dem Morgenroth an ihren Gram zu denken.
O wie begluͤckt iſt der, der ſeinen Morgen braucht,
Und fruͤh beym klugen Buch ſein ſichres Pfeifgen
raucht!
Der Thee des Nachmittags, Caffee des Morgens trin -
ket,
Und fruͤh ſein Maͤdchen ſieht, wenn es ſich nicht ge -
ſchminket!
Weit ſchneller fließet fruͤh dem Anwald das Libell;
Purganzen wirken fruͤh; fruͤh reimt der Vers ſich
ſchnell.
Doch weh der gnaͤdgen Frau, die ihrem Stand entſa -
get,
Und, Buͤrgersleuten gleich, an Morgenluft ſich waget!
Kein Kerl, kein Maͤdchen wacht, Caffee iſt nicht be -
ſtellt,
Kein107Fuͤnfter Geſang.
Kein Menſch vermuthet ſie ſo fruͤh in unſrer Welt.
Aus Zaͤrtlichkeit waͤr ietzt die Frau von Lins geſtorben,
Haͤtt ihre Zoſe nicht den Nachruhm ſich erworben,
Und ihr Caffee gebracht, eh ſie es ihr geſagt;
Drum blaͤſt auch Fama noch von dieſer Heldin-Magd.
Die gnaͤdge Frau war blaß aufs Canapee geſunken;
Allein ſie hatte kaum zwoͤlf Taſſen ausgetrunken,
So wirkte der Caffee in ihr phlegmatiſch Blut,
Und zaͤrtlich ruft ſie aus: Ey, dein Caffee iſt gut!
Belinde ſchlaͤft wohl noch; weißt du mir nicht zu ſagen,
Warum Graf Hold nicht koͤmmt, und zwar ſchon ſeit
drey Tagen?
Ach, Jhro Gnaden, (ſprach Charlotte voller Liſt,)
Nur zu bekannt iſt es, was daran Urſach iſt?
Man ſagt, der junge Herr will ſich zu Tode graͤmen.
Liſette mußt ihm ja das Schnupftuch wieder nehmen,
Das108Das Schnupftuch.
Das bey dem Spiel einmal das Fraͤulein fallen ließ,
Und das ſie ihm im Scherz ſelbſt aufzuheben hieß.
Wie? (ſprach die Frau von Lins,) erſtaunt muß ich
das hoͤren!
Will denn mein eignes Kind die Aſſambleen ſtoͤren?
Denn ſp[ri]ch, was mach ich mir aus aller Aſſamblee,
Wenn ich am Lombertiſch den Graf von Hold nicht ſeh.
Mein Haus war wie verwuͤnſcht; ich konte mich nicht
faſſen,
Denn geſtern um acht Uhr ſah ich mich ſchon verlaſſen.
Haͤtt aber uns Graf Hold mit ſeinem Scherz erfreut,
So haͤtte ſich gewiß kein Menſch ſo bald zerſtreut.
Jch will indeß den Schimpf von meinem Hauſe raͤchen,
Ruf mir das Maͤdchen her, ich will es ſelber ſprechen.
Belinde kam. Wie ſanft trat ſie in das Gemach!
Und wie erſtaunte ſie, da ihre Mutter ſprach:
Wo iſt der Graf von Hold? Du weißt, ich kan ihn
leiden.
Warum109Fuͤnfter Geſang.
Warum mag er mein Haus mit ſo viel Zwang vermei -
den?
Und warum wirſt du roth? Biſt du wohl Schuld dar -
an?
Jch, gnaͤdige Mama? Was geht der Graf mich an?
Ja, Fraͤulein, eben du. Er flieht mein Haus aus Ra -
che.
Jhr Maͤdchens ſeyd nicht klug. Jch weiß die ganze
Sache.
Doch glaub, es laͤßt ſehr ſchlecht, ſo hoch du immer
denkſt,
Wenn du das wieder nimmſt, was du erſt ſelbſt ver -
ſchenkſt.
Zur Unzeit ſtellen ſich die Buͤrgermaͤdchen ſproͤde,
Kein Fraͤulein ziert ſich ſo. Soll unſer Haus denn oͤde,
Und der Quadrilletiſch deswegen einſam ſtehn,
Weil gegen dich ein Graf ein Baggatell verſehn?
Ruf deine Zofe nur in dieſem Augenblicke,
Und ſchick ohn allen Zwang das Schnupftuch ihm zu -
ruͤcke.
So eine Kleinigkeit, ſoll die wohl Urſach ſeyn?
Daß zwo Familien deswegen ſich entzweyn?
So110Das Schnupftuch.
So ſagte ſie, und ſchwieg. Zwar that die holde
Nymphe,
Als ſey ſie ſehr betruͤbt bey dieſem neuen Schimpfe:
Doch kaum war ſie allein, ſo pries ſie dieſen Tag,
Und eilte vor den Schrank, in dem das Schnupftuch
lag.
Mit Krachen oͤfnen ſich die aufgerißnen Fluͤgel.
So ſprangen von ſich ſelbſt des Hoͤllenthores Riegel,
Als um Euridicen der Wittwer Orpheus fang,
Und durch ſein maͤchtges Lied den Hoͤllenhund bezwang.
Der Sylphe, der auch hier das Schnupftuch noch be -
wachte,
Erſchrack, da ihn die Hand des Schickſals freyer machte.
Jn dieſem Schrank geliebt, und zaͤrtlich, und getreu,
Beſtuͤrzt die Freyheit ihn mehr, als die Sklaverey.
So wie aus Zaͤrtlichkeit ein Sklave ſich betruͤbet,
Der eine Zulima in ſeinen Ketten liebet,
Wenn ihm ein edler Dey die Freyheit wieder ſchenkt,
Und111Fuͤnfter Geſang.
Und mit dem erſten Schif ihn heimzuſchicken denkt.
Als ihn in dieſen Schrank das Schickſal eingeſchloſſen,
So lag er lange Zeit ohnmaͤchtig und verdroſſen;
Beklagte ſein Geſchick, und ſein verhaßtes Amt,
Das ihn, den Gnomen gleich, zur Sklaverey ver -
dammt.
Jhm gegenuͤber ſtand in einem goldnen Kleide,
Jetzt bloß zur Raritaͤt, ſonſt zu Belindchens Freude,
Ein Doͤckgen, ſchoͤn geputzt mit Flittergold und Band,
Das durch den ſuͤßen Blick den Sylphen uͤberwand.
Der Sylph im Geiſterreich war Stutzer ſonſt auf Er -
den,
Und ſagt ihr ſeinen Schmerz in zierlichen Geberden;
Die Puppe neigte ſich; ihr hoͤlzern Herz blieb kalt,
Doch endlich ſiegt der Geiſt durch Jugend und Geſtalt.
Was konnte ſie denn auch in dieſem Schrank erwarten,
Als ein paar Koͤnige aus alten Lomberkarten.
Ein112Das Schnupftuch.
Ein hoͤlzerner Huſar auf einem lahmen Pferd
Stand auch mit in dem Schrank, doch der war ſie
nicht werth.
Der Sylphe traurete, da er nun ſcheiden ſollte.
Mit einem Thraͤnenbach, der von den Wangen rollte,
Mit einem ſanften Ach, das ietzt ſehr redend war,
Stellt ſeiner Dido Reiz ſich doppelt ſchoͤner dar.
Sie ſah ihn zaͤrtlich an, und rang die ſchoͤnen Haͤnde.
Verraͤther, (ruft ſie aus,) hat nun die Lieb ein Ende,
Die du mir ewig ſchwurſt, und die du nun verſchmaͤhſt?
Untreuer, gehſt du fort, ſo ſterb ich, wenn du gehſt.
Welch Gluͤck, wenn ich, wie ſonſt, noch unempfindlich
waͤre!
Ach! warum folgeſt du dem Schnupftuch und der Eh -
re?
Wer weis, in welchem Schrank du ſchoͤnre Puppen
ſiehſt.
Doch, Sylphe, denke ſtets, daß du die treuſte fliehſt.
So ſprach ſie; und der Geiſt, der nichts zu ſagen wußte,
Und,113Fuͤnfter Geſang.
Und, ſeiner Pflicht gemaͤß, dem Schnupftuch folgen
mußte,
Gieng fort, und weinte laut, als gieng es ihm ſehr nah;
Doch faßt er ſich ſehr bald, da er ſie nicht mehr ſah.
So folgt der Officier, im kriegriſchen Getoͤne,
Der Trommel auf den Marſch, und denkt nicht an die
Schoͤne,
Die zaͤrtlich um ihn weint, und nach der Gegend ſieht,
Jn die zu Ehr und Tod ihr langer Hauptmann zieht.
Liſett erſchien indes. Auf ihren friſchen Wangen
War ohne Sorg und Gram die Jugend aufgegangen;
Allein wie ſchnell erblaßt das bluͤhende Geſicht,
Da ſie das Schnupftuch ſieht, und ſo ihr Fraͤulein ſpricht:
Nun triumphirt der Graf. Unſeliges Geſtirne,
Was ſchuͤtteſt du fuͤr Quaal auf mich, und dieſe Dirne!
Dies Schnupftuch ſoll zuruͤck zu ſeinem Raͤuber gehn!
O! warum leb ich noch, und warum bin ich ſchoͤn!
IIter Theil. HWie?114Das Schnupftuch.
Wie? (ſprach Liſett erzuͤrnt,) den Schimpf ſoll ich er -
leben,
Wir ſollen dieſes Tuch dem Grafen wieder geben?
Und ich, ich ſoll dazu die Abgeſandtin ſeyn?
O, Fraͤulein, was ſchließt dies fuͤr mich vor Demuth
ein!
Jch alſo ſoll mich nun, vor dieſem Sieger, buͤcken?
Jch ſoll nun den Triumph des ſtolzen Grafen ſchmuͤcken?
Hoffaͤrtiges Geſchlecht! gluͤckt es dir allezeit
Durch einen Federhut, durch ein beſetztes Kleid?
O koͤnnt ich heute noch zur Amazonin werden,
Mein Arm vertilgete das Mannsvolk von der Erden!
So wuͤtet ſie; und ſieh, der große Spielnapf klang;
Jm Zimmer zitterte der aufgeſprungne Schrank;
Der kleine Mops fuhr auf, fieng zornig an zu bellen;
Das Halsband laͤutete mit allen ſeinen Schellen.
So laͤuten von ſich ſelbſt die Glocken in der Nacht,
Wenn115Fuͤnfter Geſang.
Wenn Furcht und Phantaſie in einem Schloß erwacht;
Schon ſpuckt die weiße Frau, und wahrſagt das Ver -
derben,
Und jemand aus dem Schloß muß in dem Jahre ſterben;
Und ſo empoͤrt ſich oft die zitternde Natur
Jn einer Mordgeſchicht, auf eines Spielers Schwur.
Die Sonne wird bedeckt mit ſchwarzem Ofenruſſe;
Der Teufel ſelber koͤmmt mit einem Pferdefuſſe,
Schlaͤgt in des Spielers Haar die langen Klauen ein,
Und fuͤhrt ihn durch die Luft zur ewgen Hoͤllenpein;
Der Poͤbel ſteht umher, und kauft mit ſeinem Dreyer
Ein ewig Vorurtheil mit dieſem Abentheuer.
Liſette gieng betruͤbt zu der Geſandſchaft ab,
Die Thraͤnen rollten ihr von dem Geſicht herab;
Doch endlich ſiegt der Zorn, da ſie das Haus erblickte,
Jn das ihr Fraͤulein ſie zu ſo viel Demuth ſchickte,
H 2Der116Das Schnupftuch.
Der Laͤufer fuͤhrte ſie ins Grafen Vorgemach;
Schnell kamen ihr Lakay, und Kammerdiener nach,
Und machten einen Krais um die verſchaͤmte Dirne;
Sie aber ſchreckte ſie mit einer finſtern Stirne,
Und gieng durch ſie hindurch mit einem ſtolzen Schritt
Zum Grafen ins Gemach, und kein Bedienter mit;
Sie ſah ſich ſpoͤttiſch um, und ſah zu ihrer Freude
Sie alle hinter ſich in Ehrfurcht, und in Neide.
Der Graf, der ganz bequem in ſeinem Lehnſtuhl ſaß,
Und eben zum Caffee den ſechſten Zwieback ,
Bezwang, da er ſie ſah, des erſten Zornes Hitze,
Und grif bey ihrem Gruß großmuͤthig an die Muͤtze.
Jm Kloſter ſitzet ſo der Pater Guardian,
Und zehrt zum Morgenbrod an einem waͤlſchen Hahn.
So ſpeiſte Ruͤben auf, die ſeine Haͤnde brieten,
Der117Fuͤnfter Geſang.
Der große Curius, der Sieger der Samniten.
Dicht an dem Grafen ſaß ſein Strom in ſuͤßer Ruh,
Und ſah dem Knaſterdampf aus ſeiner Pfeife zu.
Liſette neigte ſich noch einmal vor dem Grafen;
Mein Fraͤulein, (ſagte ſie,) will dich nicht laͤnger ſtrafen;
Jch malt ihr deinen Schmerz, und deine Großmuth ab;
O, fieng mein Fraͤulein an, da er es wieder gab,
So voll Beſcheidenheit, ſo artig, ſo gelaſſen,
O ſo verdient er es, das Schnupftuch ihm zu laſſen;
Sag, es verdiene nicht ein ſolch beſondres Gluͤck,
Und geh, und bring es ihm von meiner Hand zuruͤck.
Jndem ſie voller Huld das Schnupftuch uͤberrei -
chet,
Ward durch des Sylphen Macht des Grafen Herz er -
weichet;
Als ploͤtzlich, da er ſchon das Schnupftuch wieder nahm,
Von Pohlens Reichstag her die Zwietracht wieder kam.
H 3Sie118Das Schnupftuch.
Sie haucht das Schnupftuch an; die koͤniglichen Far -
ben
Carmin und Purpurroth, und Gelb und Weiß erſtar -
ben.
Liſette! (ſchrie der Graf,) dein Fraͤulein iſt verruͤckt,
Welch ein verfluchtes Tuch, das ſie mir wieder ſchickt!
Und welch ein Schimpf fuͤr mich! ich weiß ihn nicht
zu raͤchen!
So ſprach er voller Wuth, und konnte nicht mehr ſpre -
chen.
Liſette ſteht erſtaunt, und weint, und ſchwoͤrt dabey,
Und ſpricht von Wunderwerk, und ſchwarzer Zauberey.
Jch hab es rein und ſchoͤn in dies Papier geſchlagen,
Und voller Vorſicht es in meiner Hand getragen.
Der Sylphe, der getreu bey ſeinem Schnupftuch ſtand,
Bemerkte, wie geſchwind der Farben Pracht ver -
ſchwand;
Und ſchrie der Zwietracht zu: Sollt ich nicht zornig
werden,
Scheuſeligſtes Geſicht im Himmel und auf Erden,
Da dein verfluchter Hauch mein Schnupftuch mir ver -
dirbt,
Und119Fuͤnfter Geſang.
Und ſeiner Farben Pracht, gleich einer Blume, ſtirbt?
Beherrſch in wilder Schlacht zwo alte boͤſe Frauen,
Laß etwa ſich einmal ein paar Jenenſer hauen,
Und jauchze, wenn durch dich ein Magiſtrat zerfaͤllt;
Doch miſche dich nicht mehr in die galante Welt.
Er ſagts, und faßte Muth zu einem wilden Streite,
Und ſtieß den ſcharfen Stal der Zwietracht in die Seite.
Es floß ihr geiſtig Blut, allein man ſah es kaum.
Sie fiel; So faͤllt im Harz ein hundertjaͤhrger Baum;
Und im Roman haut ſo ein junger Alexander,
Der tapfre Pharamund, die Drachen von einander.
Auf einmal ſieget nun des treuen Sylphen Macht,
Das Schnupftuch zeigte ſich in ſeiner erſten Pracht.
Graf Hold erſtaunt, und ſpricht: ich preiſe mein Ge -
ſchicke,
Die Goͤtter wollen es, es geht mein Schwur zuruͤcke.
H 4Be -120Das Schnupftuch.
Belinde ſoll aufs neu als ihren Held mich ſehn;
Der Langenweile Macht ſoll ewig untergehn;
Geſellſchaft, Spiel und Scherz ſoll wieder triumphi -
ren;
Der reiche Geizhals ſoll ſein Geld mit Luſt verlieren;
Durch mich ſoll ihr Pallaſt voll Staatsviſiten ſeyn;
Ein Ball in Maske ſoll den wichtgen Zeitpunct weihn,
Jndem wir uns verſoͤhnt; und auf den Lombertiſchen
Soll ſich das Gold, wie Staub, in unſre Marken mi -
ſchen;
Wenn meine Boͤrſe dann das Gold nicht mehr begreift,
Und wenn ich Louisdor auf Louisdor gehaͤuft;
Liſette, dann ſollſt du mich, und Belinden, ſegnen,
Wenn Schoͤnheit, Gold und Gluͤck in deine Schuͤrze
regnen.
Alsdann giebt dir ſein Herz mein Kammerdiener hin,
Alsdann wirſt du durch mich Frau Kammerdienerin.
So ſprach der frohe Graf zu der entzuͤckten Dirne,
Und121Fuͤnfter Geſang.
Und halb verruͤckt ihr faſt die Freude das Gehirne.
Wie ſchnell veraͤndert ſich der Sterblichen Ge -
ſchick!
Man giebt ein Schnupftuch hier, und dort ein Land zu -
ruͤck.
Der wilde Krieg hoͤrt auf, der Land und Herz betruͤbte,
Und es verſoͤhnen ſich bald Fuͤrſten, bald Verliebte.
Der wichtige Triumph ward allen kund gethan.
Lakay und Laͤufer kam, und ſah das Schnupftuch an;
Er ſelbſt vergaß es bald, und ließ es einſam liegen;
Und geht, und wafnet ſich zu neuen Liebeskriegen.
Allein indem der Graf im Putz beſchaͤftigt war,
Verſammelt ſich darum die ganze Sylphenſchaar;
Und Ariel nahm es auf ſeine bunten Fluͤgel;
Schaut in den tiefen Krais, und ſprach alſo vom Spie -
gel:
Getreue meines Reichs, beſonders du, Charmant,
Und du, der voller Muth die Zwietracht uͤberwand;
H 5(Dein122Das Schnupftuch.
(Dein Ruhm, o junger Held, wird an die Sterne rei -
chen!)
Seht voll Zufriedenheit auf dieſes Siegeszeichen.
Dies Schnupftuch ſey nicht mehr in Sterblicher Ge -
walt;
Kein Kaſten ſchicket ſich zu einem Aufenthalt
Fuͤr dieſen hohen Schmuck; Gleich andern Siegstro -
phaͤen,
Muͤß es die ſpaͤtſte Welt in Famens Tempel ſehen.
Die Locke, die ehmals ein ſcharfer Stal getrennt,
Und Hampton fallen ſah, glaͤnzt ietzt am Firmament.
Dies Schnupftuch, welches wir mit ſo viel Muth er -
fochten;
Das ewge Lorbeern uns um unſre Stirn geflochten,
Charmant, dies geb ich dir; mit Recht ſey ſtolz darauf,
Geh, haͤng es im Triumph in Famens Tempel auf.
So ſagt er, und Charmant ſteurt mit den hellen
Schwingen
Auf Famens Tempel zu, die Feyer zu vollbringen.
Wer kennt den Wunderbau von Famens Tempel
nicht?
Auf123Fuͤnfter Geſang.
Auf ihren Altar fliegt manch ſeltſames Gedicht;
Die feile Goͤttin ſteht, geehrt gleich Charlatanen,
Und blaͤſt von Stand, und Gold, Pedanterey, und
Ahnen
Jn die erſtaunte Welt; und ſchweigt die meiſte Zeit
Vom wirklichen Verdienſt, und wahrer Tapferkeit.
Die Waͤnde ſind bedeckt mit tauſend Siegeszeichen,
Erobert in Critik, erkauft mit Blut und Leichen.
Das Wapen haͤnget hier von manch erſtiegner Stadt,
Und bey der Fahne weht manch prahlend Titelblatt.
Charmant kam im Triumph, durch tauſend Ehren -
bogen,
Zum glaͤnzenden Altar der Fama hingeflogen,
Und weiht ihr feyerlich das bunte Siegespfand,
Mit manchem Reverenz, und vielen Woͤrtertand.
Alsdann erhub er ſich, gleich einem ſchnellen Pfeile,
Und ließ es ſiegreich wehn von einer Ehrenſaͤule;
An124Das Schnupftuch. Fuͤnfter Geſang.
An ihrem Haupte ſtund in einer Schrift von Gold:
Der Fama weihen es die Sylphen und Graf Hold.
So viel, verſoͤhnter Graf, kan Lieb und Zorn
erwarten.
Dein Name wehet nun bey Fahnen und Standarten;
Belindens Locke ward des Firmamentes Zier,
Dein Schnupftuch aber wird der Liebe Siegspanier.

Ende des Schnupftuchs.

Mur -[125]

Murner in der Hoͤlle. Ein ſcherzhaftes Heldengedicht.

Erſter Geſang.

[126][127]
[figure]
Murner in der Hoͤlle. Erſter Geſang.
Singe, ſcherzende Muſe, die großen heroiſchen Thaten,
Und den klaͤglichen Todt von einem unſterblichen Kater;
Welcher den ſchwarzen Cocytus beſchifft, und ſeine Ge -
beine,
Gleich den Gebeinen der Helden, mit Marmor bede -
cket geſehen!
Du,128Murner in der Hoͤlle.
Du, o holde Roſaura, die du das Ende des Lieb -
lings
Faſt drey Viertelſtunden beweint; (So lange weint oft
nicht,
Um den verſtorbnen podagriſchen Mann, die buhlriſche
Wittwe)
Holde Roſaura, beſeele dies Lied mit dem ſiegenden
Auge,
Welches ſo viele Herzen entflammt, und laͤchle der
Muſe
Wuͤrdige Kuͤhnheit ins Herz, wenn ſie die Stygiſchen
Waſſer
Unter ſich brauſen hoͤrt, und zu den traurigen Schaaren
Wandelnder Schatten ſich miſcht, die Charons Ueber -
fahrt fodern!
Mitten in einem veralteten Schloß am Ufer der
Elbe
Wohnte der ehrliche Raban mit ſeiner Nichte Roſaura.
Artiger war kein Fraͤulein umher, als ſeine Roſaura;
Holder waren die Gratien nicht, und ſchoͤner nicht Ve -
nus,
Als ſie, noch troͤpfelnd vom Schaume des Meers, die
Fluthen herausſtieg.
Zaͤrtlich liebte die Nichte der Onkel, und was ſie nur
wuͤnſchte,
War zu ihrem Befehl; doch wuͤnſchte das Fraͤulein nur
wenig;
Wel -129Erſter Geſang.
Welches dem oͤkonomiſchen Alten noch werther ſie machte.
Einſam im Zimmer, zufrieden mit ſich, durchlebte ſie
Tage,
Nicht vom Neide getruͤbt, noch von dem Stolze ver -
dunkelt.
Mit ihr wohnten in einem Zimmer zwey haͤußliche Thie -
re,
Cyper, ein fleckigter Kater, und ein geſchwaͤtziges Pap -
chen,
Welches uͤber das Weltmeer kam, und ſeiner Gebie -
thrin
Manche Stunde, ſo gut wie ein leerer Stutzer, ver -
plaudert.
Eben hatte der weichende Winter von ſtuͤrmiſchen
Schwingen
Seine letzten Schaure von rieſelndem Hagel geſchuͤt -
telt;
Ueber ſanftwallende bunte Tapeten von Veilchen und
Tulpen
Fuhr im Triumphe der Fruͤhling daher; und Pandions
Tochter
Stammelte ſchon gebrochne Verſuche zu maͤchtigen Lie -
dern
Jn halbgruͤnen Hecken; als an dem oͤſtlichen Himmel
Blutroth ſich Aurora erhub, und ſchneidende Luͤfte
Vor ihr her das einſame Schloß lautheulend umbrauß -
ten,
IIter Theil. JDaß130Murner in der Hoͤlle.
Daß die murrende Magd zum Vorrath des Holzes hin -
abſtieg,
Und von neuem wohlthaͤtige Feuer die Oefen erhitzten.
Jetzt kam Cyper uͤber das Dach. Er hatte| die Nacht
durch
Einſame Boͤden durchirrt, und Legionen von Ratten
Aus einander gejagt; mit ihrem rinnenden Blute
Seinen zaͤhnvollen Rachen genetzt, und trunken von
Siegen
Ueber die todten Leichname her ſich bruͤllend gewaͤlzet.
Still ſchluͤpft er zum Zimmer hinein, als eben die Zofe
Brauſendes Waſſer gehohlt, mit ſanftem Chineſiſchen
Tranke
Jhre Gebiethrin zu wecken. Doch, als ſie das gnaͤdige
Fraͤulein
Noch im tiefſten Schlafe| gefunden, fiel rauſchend der
Vorhang
Wieder uͤber das ſeidene Bett, und leiſe verließ ſie
Jhrer Fraͤulein Gemach. Von Abendtheuern ermuͤdet,
Legte ſich Cyper gemaͤchlich hin zum gluͤhenden Ofen;
Streckte die Loͤwenklauen von ſich, und ſank bald geru -
hig
Jn131Erſter Geſang.
Jn den ſuͤßeſten Schlaf. Die phantaſierenden Sinnen
Schweiften in guͤldenen Traͤumen umher. Er ſah die
Geſtalten
Schoͤner Katzen verſammelt um ſich, und hoͤrte die
Seufzer,
Welche vom mooſigten Dach, von alten verwachsnen
Gemaͤuern,
Jn vertraulicher Nacht um ſeinetwegen erſchollen.
Und dann duͤnkt ihm, er laͤge Roſauren vertraulich im
Schooße,
Wuͤrde von ihrer marmornen Hand liebkoſend geſtrei -
chelt,
Und vom hoͤlzernen Junker, und zierlichem Faͤhndrich,
beneidet.
Eitle Gedanken! Er ſollte nicht mehr die Hoͤhlen der
Ratten,
Noch die Geliebte, Wienzchen, beſuchen! er ſollte nicht
wieder,
Jn Roſaurens Armen gewiegt, ſanftſchnurrend ent -
ſchlummern!
Eine der Furien, welche das Herz der wildſten Xan -
tippe
Mit der brennenden Fackel zum Zank mit dem Ehmann
entflammet;
Wollte ſich von der Oberwelt ietzt zur Hoͤlle begeben,
Und flog, ſcheußlich und ſchwarz auf einer ſtinkenden
Wolke,
J 2Bey132Murner in der Hoͤlle.
Bey Roſaurens Fenſter vorbey. Jhr plauderndes Pap -
chen
Saß im guͤldenen Kaͤficht, und rief lautſchimpfend: Du
Scheuſahl!
Als die ſchlangenhaarigte Furie bey ihm vorbeyflog.
Auch die Furien tragen den Stolz im ſcheußlichen Buſen,
Einige Schoͤnheit zu haben, zum wenigſten wuͤrdig der
Hoͤlle.
Selbſt Alekto war Dame genung voll Zorn zu entbren -
nen,
Daß ſie der Vogel fuͤr haͤßlich geſchimpft. Wie leicht,
o Verwegner,
(Sagte ſie bey ſich ſelbſt) kan dich Alekto beſtrafen!
Deinen verraͤthriſchen Hals koͤnnt ich im Zorne dir um -
drehn,
Oder mit dieſer hoͤlliſchen Fackel zu Aſche dich brennen!
Doch du biſt mir zu klein fuͤr einer unſterblichen Goͤttin
Eigene Hand! Geh, ſchimpfe mich mehr im Magen
des Katers,
Der hier ſchlaͤft, und welchem ich dich zum Opfer be -
ſtimme!
Raſend fuͤr Wuth, begab ſich Alekto zum ſchlafen -
den Kater;
Hauchte mit Mordſucht ihn an, und ſprach mit glei -
ſenden Worten:
Jſt133Erſter Geſang.
Jſt es moͤglich? Du ſchnarchſt hier ruhig unter dem
Ofen,
Edler Murner, du Zierde der Kater; und haſt es ver -
geſſen,
Daß dich die Ehre zu herrlichen Thaten, zu Siegen
gerufen,
Welche vor dir kein Kater erſtritt? Verwandter der
Tyger,
Willſt du die Schaaren allein der fliehenden Maͤuſe
verfolgen,
Und mit tapferer Klau langſchwaͤnzige Ratten nur wuͤr -
gen?
Durſtet dich nicht nach edlerem Blut? O ſiehe, wie
trotzig
Sitzt der Liebling Roſaurens in ſeinem guͤldenen Kaͤ -
ficht,
Schimpft nach ſeinem Gefallen dich aus, und waget oft
ſelber
Fluͤche wider die holde Roſaura, woruͤber ſie laͤchelt,
Und ſie mit guͤtigem Blick und Schmeicheleyen beloh -
net,
Da ſie indes dich, Cyper, vergißt. O leide nicht laͤnger,
Daß der geſchwaͤtzige Vogel die Gunſt des Fraͤuleins
dir raube,
Und den maͤnnlichen Laut von deiner Stimme verſpotte,
Wenn er ſo oft dich laͤcherlich macht. Den Plauderer
ſchuͤtzet
J 3Nur134Murner in der Hoͤlle.
Nur ſein Kaͤficht umſonſt! Wie mancher Canarienvogel
Ward von deinen tapferen Ahnen im Kaͤficht zerriſſen!
Wuͤrge dann du auch den plaudernden Spoͤtter, und
ſtreu im Triumphe
Seine Federn, worauf er ſtolziert, in alle vier Winde!
Alſo ſagte die hoͤlliſche Goͤttin. Der Kater er -
wachte,
Sah mit funkelnden Augen umher, und bruͤllte nach
Blute.
Wie ein Blitz ſich vom hohen Olymp in die Felder hin -
abreißt,
Und den bluͤhenden Baum zerſchmettert, worunter der
Schaͤfer
Oft auf ſeinem harmoniſchen Horn die Auen ergoͤtzet:
So riß Cyper ſich auch, den Nebenbuhler zu toͤdten,
Unter dem Ofen hervor, und ſprang ſo behend, wie ein
Panther,
Auf den guͤldenen Kaͤficht. Der Vogel ſinket vor Schre -
cken
Auf den Boden des Kaͤfichts; doch haͤtt ihn Cyper un -
fehlbar
Voller Mordſucht gewuͤrgt, wenn nicht der ehrliche
Raban
Auf das wilde Geſchrey dem Vogel zu Huͤlfe geeilet.
Eben135Erſter Geſang.
Eben hatte der haͤußliche Greiß den knotichten Dorn -
ſtock,
Seinen Feldſtab, in zitternder Hand; kaum ſah er den
Kater
Ueber den Kaͤficht geklammert, ſo ſchlug er mit maͤnn -
lichen Kraͤften
Seiner Nichte Liebling aufs Haupt. Die grauſame
Parce
Schnitt ſein neunfaches Leben entzwey, und Cyper,
entſelet,
Fiel vom Kaͤficht, der Kaͤficht auf ihn, und uͤber den
Kaͤficht
Stuͤrzte der Alte; vom donnernden Laͤrm erbebte das
Zimmer!
Aengſtlich erwacht die holde Roſaura vom wuͤſten
Getuͤmmel;
Fliegt im leichten Gewand zu ihrem Gemache, worin ſie
Mit erſtarrendem Blick das blutige Trauerſpiel wahr -
nimmt.
Dreymal klang mit aͤngſtlichem Schall die ſilberne
Schelle
Durch das hallende Schloß; doch eh Liſette ſich nahet
Hilft das Fraͤulein dem Alten bereits in den ſammetnen
Lehnſtuhl,
Als er Athem geſchoͤpft, erhub er zur weinenden Nichte,
Welche den Leichnam des Cypers erblickt, die donnern -
de Stimme:
J 4Sie -136Murner in der Hoͤlle.
Siehe, der Hund! Schon war er bereit, den Papen
zu wuͤrgen!
Doch Potz Stern! ich habe noch Kraft in den Knochen!
da liegt er
Todt, der gierige Raͤuber! Er thut es nicht wieder,
ich wette!
Alſo ſprach er prahlend und ſtolz, und drohte noch drey -
mal
Mit dem knotichten Stock dem ſchon verblichenen Cyper.
Aber das Fraͤulein weinete laut; ihr Antlitz verbarg
ſich
Tief in ihr Schnupftuch, mit Thraͤnen genetzt; ſie fiel
in den Lehnſtuhl.
Sage mir, Muſe, die ſchmerzlichen Klagen des trau -
rigen Fraͤuleins,
Und vergiß nicht das laute Geheul der Zofe Liſette,
Welche der Wiederhall ward von ihrem gnaͤdigen Fraͤu -
lein.
Armes Cyperchen! (ſeufzete laut die holde Roſaura)
Welch ein erbaͤrmlicher Tod entreißet dich meiner Ge -
ſellſchaft,
So unruͤhmlich faͤllſt du dahin in der Bluͤthe des Le -
bens,
Todtgeſchlagen, mit einem Stock, unedel und grau -
ſam
Todtgeſchlagen von dem, der dich mir ſelber geſchenket!
Regt137Erſter Geſang.
Regt kein Leben ſich mehr in dir? Und haben auf ewig
Deine gruͤnen funkelnden Augen fuͤr mich ſich geſchloſ -
ſen?
Werd ich dir nicht mehr den Knebelbart ſtreicheln, und
nicht mehr im Dunkeln
Feuer dem ſeidenen Haar entlocken? und wirſt du mich
nicht mehr
Mit dem krummen Buckel, mit ſcherzenden Spruͤngen
ergoͤtzen?
Alſo Roſaura Die Zofe fuhr fort: Du Krone der
Kater,
O wie vornehm ſaheſt du aus! Ganz anders, wie Kater
Niedrer Bauren im Dorf! Dein rothes ſchimmerndes
Halsband
Wurde von allen Katzen im ganzen Umkreiß beneidet.
O wie artig ließ es dir nicht! Nun ſollſt du vermodern,
Und das ſchoͤne Halsband mit dir? Das niedliche Hals -
band,
Nein! ich nehm es fuͤr mich! es ſoll nicht mit dir ver -
modern!
O wie rinnet dein purpurnes Blut nicht uͤber dein
Haupt her!
Ja, du biſt todt; Du biſt es auf ewig, du armer Cy -
per!
Als ſie dies ſprach, erhub ſich von neuem der
Fraͤulein Gewinſel,
J 5Und138Murner in der Hoͤlle. Erſter Geſang.
Und der Alte weinete ſelbſt. Er faßte die Nichte
Bey der Hand, und fuͤhrte ſie weg vom traurigen Zim -
mer.
Und die Zofe heulete lauter: Der arme Cyper!
Und das Fraͤulein antwortete ſchluchzend: Der arme
Cyper!
Cyper! rufte die Wand, und Cyper! Cyper! der Pape,
Welcher dem Feind im Tode vergab. Die Furie ſah es
Voller hoͤlliſchen Froͤhlichkeit an, und ſtuͤrzte ſich ziſchend
Durch die verdunkelte Luft, und ſank in die Fluthen
des Orkus.
Mur -[139]

Murner in der Hoͤlle. Zweyter Geſang.

[140]141
Murner in der Hoͤlle. Zweyter Geſang.
Kaum beherrſchte Liſette nunmehr das einſame Zimmer
Unumſchraͤnkt und allein; ſo nahm ſie die Maſke der
Trauer
Von dem Geſicht, und war nicht mehr der Seufzer
Roſaurens
Stets gefaͤlliges Echo. Sie warf auf den Leichnam des
Katers,
Den ſie ſo ſehr im Leben gehaßt, zufriedene Blicke.
Alſo ſchaut der wuͤrgende Sieger zufrieden ins Schlacht -
feld;
Weidet die Augen am Blut der Erſchlagnen; die wie -
hernden Roſſe
Tragen ihn hoch auf Leichnamen her Jndem die Po -
ſaune
Siegender Heerſchaaren um ihn ertoͤnt, ſo duͤnkt er ein
Gott ſich.
Hoͤniſch ſtieß die erbitterte Zofe den blutigen Leichnam
Mit dem Fuß; doch riß ſie vorher mit entweihenden
Haͤnden
Von dem Halſe den blendenden Purpur mit ſilbernen
Blumen,
Und142Murner in der Hoͤlle.
Und mit Laubwerk geſtickt; beſah ihn mit geitzigen Bli -
cken,
Rollt ihn zuſammen, und ſprach: Dem Himmel ſey
Dank, daß du endlich
Deinen verraͤthriſchen Hals gebrochen, verworfnes Ge -
ſchoͤpfe!
Wohl mir! daß ich dich todt, du falſche Beſtie, ſehe;
O wie bin ich ſo ſicher nunmehr, daß kuͤnftig mein
Fraͤulein
Jn dem Schooße dich wiegt, und dich aus Zaͤrtlichkeit
kuͤſſet.
Pfui! wie konnten die ſchoͤnſten Lippen ſo zaͤrtlich dich
kuͤſſen,
Und wie konnte die weicheſte Hand dein Fuchshaar ſo
ſtreicheln!
Geh nun hin, du hungriger Raͤuber, und friß mir den
Braten,
Oder das braune Ragout, das ich vom Munde mir
ſparte!
Geh nun hin, und wuͤrge dir Tauben, und hohle dir
ferner
Papageyen zum leckernen Fraß! es ſey dir erlaubet!
Alſo ſpottete ſie des armen getoͤdteten Murners.
O wie ploͤtzlich aͤndern ſich nicht die gleiſenden Reden
Eines veraͤnderten Hofs, der nichts mehr fuͤrchtet und
hoffet!
Jetzt143Zweyter Geſang.
Jetzt eroͤfnet Liſette das Fenſter; ſie faßet den Koͤrper
Bey dem hinterſten Bein, und wirft ihn zum Fenſter
herunter
Auf den ſchimpflichen Miſt. So ſtuͤrzten die Statuen
ehmals
Eines Tyrannen herab; ſo ward das Schrecken der
Roͤmer
Nun ein verſtuͤmmelter Rumpf, in faule Canaͤle ge -
ſchmiſſen.
Fern vom traurigen Zimmer befand ſich indeſſen
Roſaura
Bey dem guͤtigen Alten, der ſie mit holden Geſpraͤchen,
Von anmuthigen Reiſen ins Bad, zu troͤſten bemuͤht
war,
Jhr Geſchenke verſprach von neuen modiſchen Stoffen,
Und mit Soucis, und Lila, und Dauphine ſie erfreute.
Muntrer kam ſie zu ihrem Gemach; des Lieblings ver -
geſſend,
Denket ſie nicht an ſein Grab, und ſetzt zum Putze ſich
nieder.
Schachteln giengen da auf, und Buͤchſen wurden eroͤfnet;
Eiſen gluͤhten in ſchwarzen Vulkanen; und Wolken von
Puder
Waͤlzten ſich gegen die Sonne; dann rollte die raſſelnde
Kutſche
Glaͤn -144Murner in der Hoͤlle.
Glaͤnzender Fremden uͤber den Hof. Es dampfte di[e]
Kuͤche
Hohen Geruch, von Braten, Paſteten, und kraͤftigen
Bruͤhen.
Eine muntere Tafel, von leichten Scherzen umflattert,
Schmaußte den langen Nachmittag durch; die hellen
Pokale
Taumelten unter dem Junker herum, bis durch die
Gewoͤlke
Freundlich der Abendſtern blinkt; da unterdeſſen das
Fraͤulein,
Von der horchenden Schaar, am ſilbernen Fluͤgel um -
ringet,
Mit dem holden Geſang die eilenden Stunden verkuͤrzte.
So ward alles Leid und alle Trauer vergeſſen.
Und nun eilte bereits die murrende Seele des Ka -
ters
Zu der Hoͤlle hinab. Verzeiht es, ihr Stygiſchen
Maͤchte,
Jhr Beherrſcher der Seelen, ihr einſamen Schatten;
du, Chaos,
Phlegeton, und ihr oͤden Behauſungen, daß ich es wage,
Vor der Lebendigen Blick des Abgrunds Tiefen zu zei -
gen.
Murner wandelte fort durch dicke Cimmeriſche Naͤchte
Ueber145Zweyter Geſang.
Ueber Plutons finſtre Gefilde. Der Vorhof der Hoͤlle
Schlang ihn ein. Da wohnten die Klagen, die raͤchri -
ſchen Sorgen,
Bleiche toͤdtliche Seuchen, das traurige Alter, der Hun -
ger,
Armuth und Furcht. Viel ſcheußliche Larven, der Krieg,
und die Zwietracht
Mit dem Schlangenhaar, hauſeten hier. Jn rauſchen -
den Hainen
Dunkeler Ulmen flatterten auch die ſchrecklichen Traͤume.
Ungeheuer wandelten hier, und ſchreckende Larven,
Wilde Centauren, Gorgonen, Hyaͤnen, und ſchmutzge
Harpyen.
Bang und zitternd eilete Murner durch dieſe Geſtalten
Zu den Stygiſchen Ufern, und wallte verlaſſen, und
traurig,
Am Geſtade des dunkeln Cocytus. Es braußten die
Waſſer
Unaufhaltſam und wild zu den Pforten des Todes hin -
uͤber.
Durch ſie fuhr der finſtere Charon; ein ſchmutziger Al -
ter,
IIter Theil. KDeſ -146Murner in der Hoͤlle.
Deſſen grauer verworrener Bart den Guͤrtel herabfloß.
Muͤrriſch ſaß er im Kahn, und ſteuerte langſam ſein
Fahrzeug
Gegen die brauſende Fluth zum Ufer, wo Schaaren von
Seelen
Zum Geſtade ſich draͤngten. Hier giengen unter ein -
ander
Fuͤrſten, Comoͤdianten und Dichter, und Huren und
Nonnen,
Goldmacher, Raͤuber und Prokuratoren, und Aerzte
mit ihnen,
Todtengraͤber, nebſt lachenden Erben. Auch giengen hier
Seelen
Vornehmer Damen, mit Seelen von Hunden und Ka -
tzen und Voͤgeln;
Da die Schatten indes von ihren verachteten Kindern
Einſam an dem Geſtade zur Mutter die Stimmen er -
huben,
Welche ſie vornehm verließ, und lieber die Seele des
Huͤndchens,
Jhres Vergnuͤgens im Leben, in Charons Nachen mit
wegnahm.
Wie im Herbſte der Nord die gelbgewordenen Waͤlder
Brauſend durchfaͤhrt, und dicke Wolken von fallenden
Blaͤttern
Ueber147Zweyter Geſang.
Ueber die Thaͤler verſtreut; und wie an Thulens Ge -
ſtaden
Schreyende Schaaren von wandernden Voͤgeln die Wo -
gen bedecken:
Alſo ſtuͤrzten die Schatten zum Ufer, und ſtreckten die
Haͤnde
Bittend zum Charon empor, der einige Bittenden ein -
nahm.
Aber andre mit ſchwankendem Ruder vom Kahne zu -
ruͤckhielt.
Denn der muͤrriſche Greis fuͤhrt keine verſtorbenen
Seelen
Ueber die Stygiſchen Waſſer, und hohen Cocythiſchen
Fluthen,
Wenn nicht ihr Koͤrper auf Erden die letzten Ehren er -
halten.
So ward auch der Schatten des Katers vom Fahrzeug
entfernet.
Traurig gieng er am Ufer herum, und hofte vergebens,
Ueber den Fluß zu kommen. Er ſprang zuletzt in die
Fluthen,
Und verſuchte heruͤber zu ſchwimmen; doch Charon er -
grif ihn
Mit dem maͤchtigen Ruder, und ſchlug ihn zum Ufer
zuruͤcke.
Voller Verzweiflung miſcht er ſich drauf zu bleichen Ge -
ſpenſtern,
K 2Wel -148Murner in der Hoͤlle. Zweyter Geſang.
Welche zur Oberwelt eilten, und kam mit ihnen von
neuem
Zu dem Schloſſe zuruͤck, wo ſein verachteter Leichnam
Auf dem Miſte noch lag, zum Eckel des Knechts und
der Viehmagd.
Mur -[149]

Murner in der Hoͤlle. Dritter Geſang.

[150]151
Murner in der Hoͤlle. Dritter Geſang.
Lange ſchon hatte die finſtre Nacht mit maͤchtigen
Schwingen
Ueber die Welt und das Dorf ſich verbreitet. Die furcht -
ſame Schloßuhr
Schlug ietzt zwoͤlf. Die ſchreckliche Stunde, worin die
Geſpenſter
Frey umhergehn, mit raſſelnden Ketten, mit gluͤhen -
den Augen,
Und mit ſcheußlichen Larven. Die tiefſte Ruhe beherrſchte
Das altvaͤtriſche Schloß; der alte Raban, Roſaura,
Koch und Kutſcher, und Magd lag tief im Schlafe ver -
graben.
Nur Liſette ſtickete noch bey naͤchtlicher Lampe
Jhrem Geliebten, dem ſchwarzen Jaͤger, Manſchetten;
als ploͤtzlich
Die gefuͤrchtete Mitternachtsſtunde mit ſilberner Stim -
me
Durch das einſame Schloß erſchallt: da fiel ihr die
Nadel
Aus der zitternden Hand; im Augenblick nahm ſie das
Nachtlicht,
K 4Und152Murner in der Hoͤlle.
Und gieng bebend fuͤr Angſt zur ſchneckenfoͤrmigen Trep -
pe,
Aber wie blind macht oͤfters die Furcht! An ſtatt daß
die Zofe
Zu dem niedern Gemach dicht an dem Dache hinauf -
ſtieg,
Kam ſie in ihrer Beſtuͤrzung herab zur Thuͤre des Kel -
lers.
Dieſer war, ſchrecklich und wuͤſt, ſchon lange die ſchwar -
ze Behauſung
Aller Geſpenſter geweſen. Jn bangen Mitternachts -
ſtunden
Hoͤrte man oft ein Winſeln darin; auch hatte der Kut -
ſcher
Blaue Lichter bey flimmernden Schaͤtzen drin brennen
geſehen.
Wie vom Donner geruͤhrt ſtand ietzt die furchtſame Zofe
Vor dem Schlunde des Kollers; ein toͤdtliches paniſches
Schrecken
Straͤubte der zitternden Nymphe das Haupthaar em -
por; mit Entſetzen
Stieg ſie die Stufen von neuem hinauf, und wollte
nun ſichrer
Jhre Kammerthuͤr oͤfnen; da kam ihr der Schatten der
Katze
Wild entgegen gebraußt. Sie ſahe die funkelnden Au -
gen
Und den zaͤhnefletſchenden Schlund, und ſtuͤrzte ſich
ſchreyend
Tief153Dritter Geſang.
Tief in ihr Bette. Hier lag ſie in Angſt drey ſchreckli -
che Stunden,
Ohne den Kopf aus dem tiefen Gewuͤhle der Federn zu
wagen;
Bis ſie der Schlaf mit dem Anbruch des Tages mitlei -
dig beſuchte.
Aber der Schatten des Katers begab ſich zur Kam -
mer des Alten,
Schnaubte Rache; ſprang wild auf den Tiſch, auf wel -
chem ein Nachtlicht
Sterbende blaue Stralen verſtreute. Die zitternde
Flamme
Fuhr in die Hoͤh und erloſch; drauf ſchallte durchs ein -
ſame Zimmer
Murners Todtengeheul. Der Alte fuhr auf aus dem
Schlafe,
Furchtſam, und blaß; da ſah er den Cyper mit gluͤhen -
den Augen,
Welcher hoͤlliſche Flammen aus ſeinem Naſenloch brauß -
te.
Schrecklich riß er den Mund auf und ſchrie. Vom wil -
den Geheule
Schallte das Schloß, und endlich verſchwand der er -
ſcheinende Murner.
Er flog ietzo mit wenigerm Schrecken zum Zimmer Ro -
ſaurens,
Und erſchien ihr im Schlaf mit blaſſem entſtellten Ge -
ſichte.
Schoͤnſte Roſaura, (ſo ſprach er zu ihr,) vergieb es
der Seele
K 5Dei -154Murner in der Hoͤlle.
Deines getoͤdteten Cypers, wofern er die ſuͤſſeſte Ruhe
Mit der blaſſen Erſcheinung dir ſtoͤrt; vergieb es der
Seele,
Welche, ſogar von den Ufern des dunkeln Cocytus ge -
wieſen,
Jn der Jrre ſich quaͤlt, da unbegraben mein Leichnam
Auf dem Miſte verachtet liegt, und meine Gebeine
Nicht einmal mit ein wenig Staub mitleidig bedeckt
ſind.
Ach Roſaura! verdienet denn dies dein geweſener Lieb -
ling?
Hab ich dir darum im |Leben ſo oft die Haͤnde gekuͤſſet,
Und die ſcharfen Klauen verborgen? und hab ich dir
darum
Deine widrigſten Feinde, die Ratten, ſo treulich ge -
fangen,
Um nicht einmal ein Grab nach meinem Tode zu haben.
Ach! was kan ich dafuͤr, daß einer Furie Liſten
Mich auf deinen Vogel erhitzt? und kan ich die Triebe,
Welche die maͤchtge Natur zum Morden mir einbließ,
veraͤndern?
Bin ich dafuͤr nicht genung mit dem ſchmerzlichſten Tode
beſtrafet?
Goͤttliche155Dritter Geſang.
Goͤttliche Schoͤne, wenn anders dein Herz Erbarmen
empfindet,
Wenn dein Cyper dir je in ſeinem Leben gefallen:
O ſo laß es nicht zu, daß ſein verachteter Leichnam,
Von gefraͤßigen Hunden, und ſchnatternden Enten ein
Raub ſey!
Gieb den armen Gebeinen ein Grab; und goͤnne die
Ruhe
Seinem irrenden Schatten, daß ihm der muͤrriſche Cha -
ron
Ueber die ſtygiſche Fluth die Farth verſtatte; daß nicht
mehr
Sein gepeinigter Geiſt mit andern Geſpenſtern umher -
geh,
Und in finſterer Nacht mit ſeiner Erſcheinung erſchrecke.
Alſo ſagte der Schatten des Katers, und flog in die
Luͤfte.
Aengſtlich erwachte Roſaura. Die Morgenroͤthe
bedeckte
Die Gebirge mit Purpur. Es toͤnte vom blumichten
Anger
Das erweckende Horn des Hirten. Die nuͤtzlichen
Stiere
Giengen langſam am Fluge zum Acker. Der fruͤhe
Verwalter
Trabte mit ſeinem wiehernden Fuchs durch Haiden und
Aecker.
Drey -156Murner in der Hoͤlle.
Dreymal zog Roſaura mit Macht die toͤnende Schelle,
Welche mit hellem ſcharfen Gelaͤute Liſetten erweckte.
Sie erſchien, vom naͤchtlichen Schrecken noch blaß und
entſtellet,
Und das Fraͤulein redte zu ihr mit gefluͤgelten Worten:
Ach! wie haben wir denn den armen Cyper vergeſſen
Jn die Erde zu ſcharren! Jm Traum erſchien mir ſein
Schatten,
Welcher herumirrt, weil wir ihn nicht mit Ehren be -
ſtattet.
Jch vergeb es mir nie, ich Undankbare! Wie haſt du
Mich nicht erinnert Liſette? So laͤgen ſeine Gebeine
Nicht verachtet, in freyer Luft, den Thieren zum Rau -
be!
Eile, befiel dem Gaͤrtner, ſogleich vom Miſt ihn zu
nehmen,
Und ihm unter den Linden am Waſſer ein Grab |zu be -
reiten.
Alſo das Fraͤulein. Liſette verſetzt: Noch beb ich fuͤr
Schrecken,
Denn auch mir iſt der Schatten des todten Cypers er -
ſchienen.
O wie graͤßlich drohte ſein Blick, indem er wildheulend
Ueber157Dritter Geſang.
Ueber den Weg mir lief! Wir wollen ihn ſchleunig be -
graben,
Daß er nicht wieder mit ſeiner Erſcheinung die Nacht
durch uns ſtoͤre!
Als ſie noch ſprach, da kam auch der Alte mit zitternden
Fuͤſſen,
Lehnte ſich auf den Dornſtock, und ſprach: Jhr Kin -
der, begrabet
Schleunig den Leichnam des Katers! Noch bin ich des
Todes fuͤr Schrecken!
Denn Potz Stern! ich hab ihn geſehn! Wie gluͤhten
dem Teufel
Seine hoͤlliſchen Augen! Wie ſchnaubte die grimmige
Naſe
Flammen umher ich verlang es nicht wieder noch
einmal zu ſehen!
Eilend begab ſich die Jris des Fraͤuleins zum Gaͤrt -
ner, und ſagte:
Conrad, folge mir nach, und nimm vom Miſte den
Leichnam
Unſers verſtorbenen Cypers. Am Waſſer unter den Lin -
den
Mach ihm ein Grab, und leg ihn darein; damit er nicht
wieder
Jn dem Schloſſe mit ſeiner Erſcheinung die Lebenden
ſchrecke.
Deine Muͤhe ſoll dir ein blanker Gulden belohnen,
Und ein Glas voll herrlichen Brandweins die Kehle
dir netzen.
Alſo158Murner in der Hoͤlle. Dritter Geſang.
Alſo ſprach ſie. Jhr folgete Conrad, vom Brand -
wein ermuntert,
Gieng auf den Hof, und nahm auf den Spaten den
Leichnam des Cypers,
Trug ihn unter die Linden, und legte die ſtarren Gebeine
Tief in ein kuͤhles Grab. Gleich flog ſein irrender Schat -
ten
Wieder zur Hoͤlle hinab, und miſchte ſich unter die See -
len,
Die zum ſchwankenden Kahn des alten Charons ſich
draͤngten.
Mur -[159]

Murner in der Hoͤlle. Vierter Geſang.

[160]161
Murner in der Hoͤlle. Vierter Geſang.
Und nun wafne dein Herz mit Muth von neuem, Ro -
ſaura,
Wenn du die Muſe zur Hoͤlle begleiteſt; zur Hoͤlle, die
oftmals
Dich im Schauſpiel geſchreckt, wenn Teufel mit ſeide -
nen Struͤmpfen,
Und mit blitzenden Schuhen getanzt; wenn Flammen
von Pulver
Ueber die bunten papiernen Waͤnde des Abgrunds ſich
walzten,
Und Colofoniendampf aus tiefen Schluͤnden heraufſchlug.
Stralte nicht durch die Nacht mir dein Auge; wie koͤnnt
ich es wagen,
Zu den finſtern Gefilden des Erebus zweymal zu wan -
deln.
Doch damit du das Schickſal des Cypers vollendet er -
fahreſt,
Soll ihn die kuͤhnere Muſe noch jenſeits des Styres
begleiten.
Charon ſah den Schatten des Katers dem Fluſſe
ſich nahen.
Well er wußte, ſein Leichnam ſey zur Erde beſtattet,
IIter Theil. LRuͤckt162Murner in der Hoͤlle.
Ruͤckt er den Kahn ans Ufer, und nahm den Murner
ins Schif ein.
Rauſchend eilte der Kahn von ſelbſt zum Ufer hinuͤber,
Wo an den Pforten des Orkus der grauſame Cerberus
wachte.
Als die Katze den Hoͤllenhund ſah, der ſeine drey Ra -
chen
Fuͤrchterlich aufriß, und bellte; da fuhr ſie erſchrocken
zuruͤcke,
Kruͤmmte den Buckel, und ſchnaubte; daß ſelbſt der fin -
ſtere Charon
Seine Runzeln zum Laͤcheln verzog. Doch ſetzt er ſie
endlich
An das Ufer des Tartarus aus. Sie ſchluͤpfte verſtolen
Bey dem Hoͤllenhunde vorbey, und kam durch die Hoͤle
Zu den Geſtaden des flammenden Phlegethons, welcher
lautbraußend
Ueber die ſchallenden Felſen die feurigen Wogen verfolgte.
Hier erblickte der Cyper die hohen ehernen Mauren,
Und die demantnen Pforten, die zu dem Quaalenreich
fuͤhren.
Auf der eiſernen Warte, die hoch in die Luͤfte ſich hebet.
Sitzet die immer wache Tiſiphone ſchrecklich am Ein -
gang,
Peitfchet163Vierter Geſang.
Peitſchet mit Schlangen den Fluͤchtling zuruͤck, der vol -
ler Verzweiflung
Aus den ſchwarzen Gefilden der Pein zu entwiſchen ge -
denket.
Schaudernd hoͤrte der Cyper die bruͤllenden Seufzer,
die Schlage,
Mit dem Geſchwirre des Eiſens, und ſchwerer raſſeln -
der Ketten,
Welche die Elenden zogen, die hier der hoͤlliſche Richter
Rhadamantus zu langen und grauſamen Martern ver -
dammte.
Jetzo ſprangen mit ſchrecklichem Schall die demantnen
Pforten
Aus den donnernden Angeln. Alekto mit brennender
Fackel
Fuhr heraus, und faßte den Cyper, und wollte ſchon
ſcheltend
Vor den Richter ihn ſchleppen, als ſie ihn ploͤtzlich er -
kannte.
O biſt du es, (erhub ſie die Stimme,) du trauriges Op -
fer
Meiner Rache, die du gewagt fuͤr mich zu vollbringen?
Dafuͤr ſollſt du die Quaalen nicht ſehn, die raͤubriſche
Thiere
Hier Jahrhunderte peitſchen. Dann wiſſe, hier wer -
den die Loͤwen,
Blutige Tyger und Panther, und alle die ſtolzen Erobrer,
L 2Eh -164Murner in der Hoͤlle.
Ehmals das Schrecken der klagenden Waͤlder, verſchie -
den gemartert.
Woͤlfe werden allhier bey langſamen Feuer gebraten;
Raͤubriſche Fuͤchſe liegen gefeſſelt an feurigen Ketten,
Sehn die Huͤner vor ſich, und koͤnnen ſie niemals erreichen.
O was nuͤtzet es hier dem Adler, dem Koͤnig der Voͤgel,
Daß er Monarch war, von allen Poeten und Rednern
geprieſen!
Ewig ſitzet er hier in einem gluͤhenden Kaͤficht,
Und verfluchet, daß man in ihm den Raͤuber vergoͤttert.
Aber wie koͤnnt ich dir, Murner, unzehlbare Quaalen
beſchreiben,
Welche das raͤubriſche Thier hier ſtrafen, wofern es die
Unſchuld,
Oder die nuͤtzlichen Thiere gewuͤrgt! Doch trift nicht
dies Urtheil
Dich, und alle die Thiere, die mit den raͤchriſchen Zaͤhnen,
Oder mit ſcharfen Klauen und Schnaͤbeln, das Ungeziefer,
Ratten und Maͤuſe, Schlangen und Eidechſen, Spin -
nen und Raupen
Zu verderben geſucht; die gehn in ſchattichten Hainen
Gluͤck -165Vierter Geſang.
Gluͤcklich einher; doch muͤſſen die Katzen nicht ſingende
Voͤgel
Oder unſchuldige Huͤner erwuͤrgen, ſonſt werden ſie
gleichfalls
Mit den Woͤlfen gebraten, und mit den Fuͤchſen gepeinigt.
Wohl dir! daß dich dein Schickſal bewahrt! Verfolge
nun ferner
Deinen Weg von dieſem Fluſſe nach jenen Gefilden,
Wo die gluͤcklichen Thiere |wandeln dir wird man
auf Erden
Unter den Linden am Bach ein praͤchtiges Denkmal er -
richten,
Und bey deinem Grabe weinen So ſprach ſie. Die
Pforten
Sprangen hinter ihr zu, und uͤber die ehernen Saͤulen
Schlug ein ſchweflichter Dampf mit blauen Flammen
vermiſchet.
Drauf gieng Murner mit muthigerm Schritt durch
dunkele Wege,
Bis er zu jenen gluͤcklichen Waͤldern und Auen gelangte,
Wo die milderen Thiere nach ihrem Tode ſpatzieren.
Hier herrſcht ewiger Lenz; hier fließen die Quellen| des
Aethers
L 3Sanf -166Murner in der Hoͤlle.
Sanfter aus guͤtigen Sonnen; und uͤber die lachenden
Felder
Hat die Natur ihr ganzes blumichtes Fuͤllhorn verſchuͤttet.
Durch die bluͤhenden Auen ergießt in gleiſenden Wellen
Lethe den ſchlaͤngelnden Strom. Hier trinken mit dur -
ſtigen Zuͤgen
Alle Thiere Vergeſſenheit ein, und ihre Naturen
Werden hier milder gemacht. Auch baden hier alle die
Seelen,
Welche vom Schickſal zur Wandrung in andre Leiber
beſtimmt ſind.
Hier ſah Cyper den Schatten des Hofhunds, welcher
erwehlt war,
Eines kuͤnftigen Harpagons Koͤrper zur Wohnung zu ha -
ben,
Seelen von Papageyen beſtimmt, in Weiſe zu fahren,
Und in Dichter, welche fuͤr ſich zu denken nicht wagen,
Giengen allhier, auch Seelen von Pfauen fuͤr eitele Da -
men,
Seelen von Raben fuͤr Richter, und Seelen von Fuͤch -
ſen fuͤr Schreiber.
Andere Seelen von beſſeren Thieren genoſſen hier Ruhe,
Frey -167Vierter Geſang.
Freyheit und ewigen Lenz, in ihren Elyſiſchen Feldern.
Hier gieng munter das edle Roß auf gruͤnenden Wieſen;
Friſche Winde kraͤuſelten ihm die fliegenden Maͤhnen,
Und es wieherte Freyheit. Auf holden blumichten Angern
Stand der nuͤtzliche Stier, auf ewig vom Joche befreyet.
Das unſchuldige Schaf ſprang auf dem lachenden Huͤgel
Scherzend einher, und erndtete hier die ſuͤſſe Belohnung
Seiner Geduld und Nuͤtzlichkeit ein. Die bluͤhenden
Waͤlder
Schallten wieder von farbichten Saͤngern. Der Colibri
Schaaren
Hiengen wie Gold an den Aeſten. Der holden Nach -
tigall Lieder
Drangen bis in der Seelen Gefild, wo zaͤrtliche Dichter
Jhren Seufzern zuhoͤrten. Die guͤldnen Canarienvoͤgel
Fuͤllten die Luft mit Muſik; der ſtralende Vogel der
Sonne
Machte die Ufer umher von ſeinen Geſaͤngen ertoͤnen.
L 4Mur -168Murner in der Hoͤlle. Vierter Geſang.
Murner trank den Letheiſchen Fluß mit geitzigen Zuͤgen,
Und ſein raͤubriſches Weſen ward bald in Sanftmuth
verwandelt.
Als er freundlich im Sonnenſchein ſaß, da kamen die
Tauben
Zu ihm vertraulich herab, und ſcherzend ſpielt er mit ihnen.
Er vergaß den ſchmerzlichen Tod, in ſtiller Erwartung,
Einſt in einem edleren Koͤrper ins Leben zu kehren.
Mur -[169]

Murner in der Hoͤlle. Fuͤnfter Geſang.

[170]171
Murner in der Hoͤlle. Fuͤnfter Geſang.
Muſe, laß uns nunmehr aus unterirdiſchen Reichen
Wieder zur Oberwelt kehren! Und wenn du mit guͤlde -
ner Leyer
Mir die einſamen Stunden verſuͤßt; und wenn dich
Roſaura
Mit holdſeeligem Beyfall beehrt, ſo hoͤre gelaſſen
Was der tiefgelehrte Pedant, das ſpitzige Fraͤulein,
Oder der Duns in der Knotenperuͤcke zum Hohne dir
ſagen.
Conrad hatte nunmehr das Mauſoleum des Katers
Mit der letzten Erde bedeckt. Er hob nun den Spaten
Auf die breiten Schultern, und gieng, ſtillſchweigend
und feyrend,
Ueber den Edelhof weg. So wenden ſich Todtengraͤber
Langſam feyerlich wieder zuruͤck, wenn unter dem Beyleid
Chriſt -172Murner in der Hoͤlle.
Chriſtlicher Juden und Wechsler ein reicher Geizhals
verſcharrt iſt.
Jhn ſah uͤber den Hof Roſaura; da ſtiegen ihr Thraͤnen
Jn die himmliſchen Augen; ſie ruͤhrten den ehrlichen
Raban,
Und er begleitete ſie mit ſeinem zaͤrtlichen Mitleid.
Endlich brach Roſaura das traurige Schweigen, und
ſagte:
Geh nun hin, getreue Liſette, bezahle den Gaͤrtner
Fuͤr den letzten, dem Cyper erwieſenen, Dienſt; und
befiehl ihm
Veilchen zu pfluͤcken, damit ich ſein Grab mit Blumen
beſtreue!
Alſo Roſaura; drauf nahm ſie den Huth, und
ſtieg mit dem Onkel
Ueber den Hof. Am Graben der Burg ſtehn heili -
ge Linden
Mit den dicken waldichten Wipfeln bey zackigten Tannen.
Jhre Wurzeln waſchen beſtaͤndig die ſilbernen Wellen,
Und ein hoͤheres Gruͤn belebet die ſaftigen Zweige.
Jn der Mitte ſtrecket ihr Haupt die groͤßte von allen
Stolz173Fuͤnfter Geſang.
Stolz zu den Wolken empor; es wohnen die Voͤgel des
Himmels
Jm ehrwuͤrdigen Baum, der faſt den Augen ein Wald
ſcheint.
Ein erfriſchender Balſamgeruch von Timiansbuͤſchen
Und Lavendel herrſchet allhier; und uͤber dem Raſen
Blitzen viel tauſend geſternte Ranunkeln und ſchimmern -
de Blumen,
Welche die wilde Natur, die Kunſt zu beſchaͤmen, her -
vorbringt.
Hier lag Murner am Fuß der großen Linde verſcharret;
Angenehm war ſein einſames Grab von Baͤumen um -
ſchattet,
Gleich den Graͤbern der Alten, die nicht mit Leichenge -
ruͤchen
Jhre Tempel erfuͤllt, und todt noch Seuchen erweckten.
Bey dem Grabe ſtanden Roſaura, der Onkel, mit ihnen
Conrad, Liſette, nebſt Herrmann, dem Jaͤger. Die
holde Roſaura
Nahm zwo Haͤnde voll Veilchen, und ſtreute ſie uͤber
das Grabmal
Jhres geliebren Cypers. Da nahm der Jaͤger ſein
Jagdhorn,
Wie174Murner in der Hoͤlle.
Wie der gehoͤrnete Mond geſtaltet, von maͤnnlichen
Schultern,
Und fieng an, mit klaͤglichem Ton in die Haine zu blaſen,
Wie nach Jaͤgers Gebrauch der todte Haſe beklagt wird.
Alle Hunde wurden drauf laut; auch kamen die Katzen
Auf den Daͤchern des Schloſſes zuſammen, und heulten
erbaͤrmlich
Ueber den Tod des treuen Gefaͤhrten; da Ratten und
Maͤuſe
Heimlich jauchzten, und Feſttage hielten, daß Cyper ge -
fallen.
Endlich wandte Roſaura ſich von dem Grabe; ſie ſprach
noch
Als ſie gieng: So ruhet dann ſanft im Schatten der
Linden,
Werthe Gebeine des Cypers! O daß nicht die Muſen
die Stirne
Mir mit Lorbeer gekroͤnt, und daß nicht hier in dem
Dorfe
Jemand die Sprache der Goͤtter gelernt; ſonſt ſollte
dein Name,
Zu den Sternen erhoͤht, den ſpaͤteſten Zeiten noch werth
ſeyn.
So das Fraͤulein, und kehrte zuruͤck nach ihren Gemaͤ -
chern.
Fa -175Fuͤnfter Geſang.
Fama begab ſich indes mit ihrer hellen Poſaune
Durch das Dorf, und ließ ſich herab zum Hauſe des
Kuͤſters,
Welcher mit majeſtaͤtiſchem Ernſt die Jugend des Dorfes
Vor ſich ſah. Mit lautem Geſchrey, und ſtammelnder
Zunge,
Wiederhohlten ſie oft die ſchweren Verſuche zum Leſen,
Jhm naht ſich die Goͤttin, und ſpricht: Du Liebling
Apollens,
Schweigeſt du ietzt beym Todte des Cypers des gnaͤdi -
gen Frauleins,
Und verſaͤumſt nachlaͤſſig, unſterblichen Ruhm zu erlan -
gen?
Gab die Natur dir umſonſt die Wundergabe zu reimen,
Neujahrswuͤnſche zu machen, mit mancher poetiſchen
Jnnſchrift
Haͤuſer und Scheuren zu zieren? Und ietzo wollteſt du
zaudern,
Einen klingenden Vers dem Cyper zu Ehren zu machen?
Alſo goß ſie den dichtriſchen Trieb in die Seele des Kuͤ -
ſters,
Der ſich erhub vom krachenden Thron, aus Binſen ge -
flochten,
Und176Murner in der Hoͤlle.
Und ſogleich der laͤrmenden Schule die Freyheit ertheilte.
Wie die Heerde geſchwaͤtziger Gaͤnſe, vom Schießhund
gejaget,
Mit Geſchrey in die Luͤfte ſich hebt, und uͤber dem Dorf -
teich
Jn das ſichre Schilf ſich rettet; ſo drangen die Knaben
Jauchzend aus ihrem dumpfichten Kerker, und liefen
zum Spielplatz,
Wo mit Jubelgeſchrey der elaſtiſche Ball in die Luft ſtieg.
Aber der Kuͤſter ſteckte die Faſces des wichtigen Lehramts,
Seine birkene Ruth und den Stock an das ſchwitzende
Fenſter.
Jetzo war er allein. Er nahm die zaubriſche Feder,
Zog an der Stirne ſchreckliche Runzeln, verkehrte die
Augen,
Und fieng an mit tiefen Gedanken auf Reime zu ſinnen.
Dreymal ſchmiß er die Feder halbaufgefreſſen zur Erde,
Dreymal beſchwur er die Muſen, und ſeinen getreue -
ſten Huͤbner.
Endlich ſprang er freudenvoll auf, und laſ mit Entzuͤ -
cken
Den177Fuͤnfter Geſang.
Den erſtaunenden Waͤnden die herrliche Grabſchrift
der Katze.
Muſe! dir iſt nichts verborgen, erzehle der Nach -
welt die Grabſchrift,
Wenn dein freyerer Vers nicht vor den Reimen
zuruͤckbebt.
Alſo lautete ſie:
Hier liegt ein Kater der ſchoͤnſten Art,
Der Cyper von Fraͤulein Roſauren zart.
Zu ſeinen Ehr’n hat dieſes geſtellt
Der Kuͤſter, Martin Schinkenfeld.
Als er nunmehr auf Papier, mit Todtenkoͤpfen ge -
zieret,
Dieſes Denkmal geſchrieben, und ſeine Peruͤcke ge -
kaͤmmet,
Gieng er voll Hochmuth zum Schloß, und uͤber -
reichte Roſauren
Feyerlich ſeine Geburt mit krummen ſcharrendem Fuße.
Laͤchelnd nahm Roſaura die Grabſchrift; und ſagte:
Herr Kuͤſter,
Dieſes werde dem Cyper zu Ehren in Marmor geaͤ -
tzet,
Als ein ewiges Denkmal ſein fruͤhes Grab zu bedecken.
IIter Theil. MJhm178Murner in der Hoͤlle. Fuͤnfter Geſang.
Jhm, dem Dichter ſollen zwey Luͤneburgiſche Roſſe,
Welche, noch neu, im Silbergewoͤlke die Naſen er -
heben,
Seine Muͤhe verſuͤſſen. So ſprach ſie, und ſchickte
den Jaͤger
Nach dem Steinmetz, welcher die Grabſchrift mit
kuͤnſtlichem Griffel
Auf den adrichten Marmor ſchrieb. Er liegt nun
auf ewig
Ueber der Gruft; der gefaͤllige Fremde betrachtet ihn
oftmals;
Und der neugierige Wandrer erzehlt in fernen Pro -
vinzen
Dieſes ſeltne Denkmal. So ſteiget der Name des
Cypers
An die Sterne; die ſpaͤteſte Zeit wird von ihm er -
ſchallen.
Hercynia[179]

Hercynia. Ein ſcherzhaftes Heldengedicht.

Erſter Geſang.

M 2[180][181]
[figure]

Hercynia. Erſter Geſang.

Singe mir, Muſe, den Waghals, welcher ſich un - terſtand, mitten im ſtuͤrmiſchen Wintermonat die un - geheuren Gebirge des Harzes zu uͤberſteigen. Schil - dre mir ihn, bald auf den Felſenhoͤhn, wo er mit derM 3verweg -182Hercynia.verwegnen Fauſt in die Wolken grif; oder zeige mir ihn mitten im Bauche der Berge, nahe am Mittel - punkte der Erde. Erzehle, was er fuͤr Abentheuer erlebt, was er fuͤr fremde Sitten geſehn; und wie er endlich nach mancherley Gefahren gluͤcklich wieder in den Mauren der Welfenburg zu den Umarmungen ſei - ner Freunde gelangte.

Die du durch deine ſanfte Kunſt
Der Kenner Ohr entzuͤckſt; die du geneigt
Auch manchmal mir den Weg zum Helikon
gezeigt;
Noch einmal ſchenke mir, o Muſe! deine
Gunſt,
Und fuͤhre mich durch dicker Waͤlder Nacht,
Durch manches Thal voll ſchreckensvoller
Pracht,
Durch manchen ſteilen dunkeln Schacht,
Begluͤckt183Erſter Geſang.
Begluͤckt hindurch durch deine Zaubermacht!
Und du, Roſalia, der Aufenthalt
Jn einer Wuͤſteney; der unwirthbare Wald
Wird durch dich heiter, wenn dein Blick
Voll Anmuth laͤchelt. Welch ein Gluͤck
Biſt du fuͤr ihn, den wuͤrdigſten Gemahl,
(So ſehr begluͤckt durch dich!) da ſein Ge -
ſchick
Jhn in der Stuͤrme Vaterland
Zu langer Einſamkeit verbannt.
Du biſt ihm Hof und Welt. Der ſanfte
Stral
Von deinem Auge ſchaft Zufriedenheit.
Rund um ihn her, wenn gleich der Winter
draͤut,
Und Thal und Felſen uͤberſchneit.
M 4Dein184Hercynia.
Dein Wink, Roſalia, befahl dies Lied;
Dir ſey es auch geweyht!
Wofern es einſt der Wuth der Zeit entflieht,
So dankt es dir allein den Kranz der Ewig -
keit.

Schon vier langweilige Stunden waren verfloſ - ſen, ſeit dem Zelindor, und der roſenwangichte Hylas die beruͤhmte Veſtung der Guelfen verlaſſen hatten. Sie trabten, von einem einzigen Stallknecht begleitet, langſam uͤber manche ſteinigten Ebnen, giengen uͤber manche Suͤmpfe und Moraͤſte und uͤber manche ſchma - len Balken und alten Weidenbaͤume, welche man ſehr unrecht mit dem Namen der Bruͤcken beehrte. Ein beſtaͤndiger Wind mit Regen begleitet wehte ihnen entgegen, und blies ihre Regenroͤcke auf, daß ſie ſovoll185Erſter Geſang.voll von Luft wurden, wie die Seegel eines kleinen Milchefers, welches in groͤſter Geſchwindigkeit uͤber die Elbe fliegt, den lechzenden Zungen des hamburgi - ſchen Frauenzimmers die fette Kaarmilch, oder die quit - tengelbe Butter zu uͤberliefern. Noch lagen die Ge - genden vor ihnen her in Nebel und Duͤnſte verhuͤllet, und ſie hatten Muͤhe, den rechten Weg nicht zu ver - fehlen, ſo ſehr ſchlug ihnen der Regen in die Augen. Jhre ſonſt ſo muthigen Roſſe wadeten jetzt langſam durch die grundloſen Aecker, und hiengen die Ohren. Jhre Reuter ſelbſt waren ſtumm, auſſer daß von Zeit zu Zeit ein ungeduldiger Fluch ſich mit dem ſtuͤr - miſchen Wetter vermiſchte. Endlich brach der roſen - wangichte Hylas zuerſt das Schweigen, und wandte ſich alſo zu ſeinem Gefaͤhrten.

M 5O des186Hercynia.

O des verteufelten Wegs? Weder das liebens - wuͤrdge Weſtphalen, noch das angenehme Paderbor - nerland haben ſo ſcheußliche Wege, wie dieſe. Siehſt du dort jene traurigen Ebnen, wild, ſchrecklich, ver - laſſen, und oͤde; wo ein tiefer, bodenloſer Fahrweg ſich zu einem abſcheulichen Dorfe hinunter windet? Da werden wir uns hindurcharbeiten muͤſſen. Saͤſ - ſen wir nun noch in dem weichen Kanapee in jenem eingehitzten Zimmer, welches wir mit ſo groſſer Eile verlieſſen! Aber, wir Unſinnigen, wir wolten uns ja von keinem Bitten unſrer Freunde aufhalten laſſen, und glaubten, ein halbgefrohrner Regen vom Harz ſolte uns eben ſo angenehm ſeyn, als ein ſanfter May - regen; oder die Schneeflocken, die uns jetzt ſo reichlich in den Hals fliegen, ſolten uns eben ſo gut ſchmecken,als187Erſter Geſang.als der Trank der Levante mit dem herrlichſten Flott. O ich Thor! ich dreyfacher Thor! Eine Reiſe auf den Harz! Jm November!

Hier ward auf einmal der Strom ſeiner figur - reichen Beredtſamkeit gehemmt. Denn ein Stuͤck weicher Erde ward von dem Hinterfuſſe des Roſſes, auf welchem Zelindor vor ihm her trabte, und welches jetzt ausglitſchte, ſo wunderbarlich geſchleudert, daß es ihm gerade ins Geſicht flog, und ihm auf einmal den Mund ſtopfte, welcher ſich eben in die abſcheulichſten Fluͤche ergieſſen wolte. Seine Wuth ward dadurch vermehrt; als ſein Begleiter in ein lautes Gelaͤchter ausbrach. Dieſer faßte ſich indeß gar bald, nahm wieder eine weiſe Mine an, und ſuchte den ar -men188Hercynia.men Hylas zu beſaͤnftigen, indem er alſo zu ihm an - hub:

O Hylas, zuͤrne nicht, wenn das Ge -
ſchick
Nicht immer deinen Wuͤnſchen lacht.
Nach einer truͤben ſchwarzen Nacht
Erheitert uns der Morgenſonne Blick.
Der Weiſe bleibt im Ungluͤck und im Gluͤck
Gleich groß. Sieh auf, durch dicker Nebel
Flohr
Hebt Goslar ſich bereits vor unſerm Blick
empor.

Alſo Zelindor. Hylas aber blieb ſtumm, denn es ſchien nicht, daß die alltaͤgliche Moral der Philo - ſophie ihn in dieſen Reimen ſonderlich beſaͤnftigt habe. Die189Erſter Geſang.Die poetiſche Prophezeyung ward indeß erfuͤllt. Auf einmal zog der Zufall, oder ſonſt eine unſichtbare Hand einen Vorhang von neblichten Duͤnſten hinweg, wel - cher bisher alle Ausſicht verhindert hatte. Eine wun - derbare Kette von Bergen lag ganz nahe vor ihnen da, und an dem Fuſſe derſelben erblickten ſie das ſo lange gewuͤnſchte Goslar mit ſeinen altvaͤtriſchen Mauren und Thuͤrmen. Je naͤher ſie der Stadt kamen; je mehr wurden ſie von einem heiligen gothiſchen Schau - der eingenommen, der ſie bey dem Anblicke dieſer fin - ſtern ehrwuͤrdigen Stadt uͤberfiel. Und in der That ſchien es, als ob die Natur ſich hier eine beſondere Muͤhe gegeben, dieſe ganze Gegend recht ſchwarz, trau - rig und abentheuerlich zu machen. Eine lange Reihe von Bergen, jeder waldichter, hoͤher, und fuͤrchter -licher190Hercynia.licher als der andre, erhuben ſich hinter der Stadt. Die Sonne ſchien im Mittag ſchon untergegangen zu ſeyn, und ganz beſondre Rieſenſchatten der Felſenge - buͤrge hatten ſich uͤber die Stadt gelagert. Die Hof - nung zu einem Wirthshauſe indes befluͤgelte den Schritt ihrer ermuͤdeten Roſſe; ſie kletterten muͤhſam die uͤbel - gepflaſterten Straſſen der Stadt hinauf, und gelang - ten endlich zu einem verwuͤnſchten Schloſſe, in der ge - meinen Sprache der Sterblichen, die Worth genannt. Gern haͤtte Zelindor dieſes Schloß fuͤr ein gewoͤhnli - ches Wirthshaus halten wollen, aber die leeren Zim - mer und Hallen, in welchem kein Stuhl war zum Sitzen, noch ein freundſchaftlicher gaſtfreyer Tiſch, er - laubte ihm dieſen Gedanken nicht. Der Mangel, ein hagres Geſpenſt, ſaß an der Thuͤr der Kuͤche, undhatte191Erſter Geſang.hatte eine verhungerte Katze bey ſich, welche hier nicht einmal Maͤuſe fand, ihren zuſammengeſchrumpften Magen zu fuͤllen. Kaum waren die beyden Helden abgeſtiegen, und ihre Roſſe in den Stall gezogen, als ihnen die Zauberin des Schloſſes erſchien; eine junge buhlriſche Feye, welche die geraͤtheleeren Zimmer die - ſer Burg bewohnte. Zwar konte ſie nicht, wie die beruͤhmte Circe, ihre Gaͤſte in Schweine verwandeln, dagegen war ſie ſelbſt einem Schweine viel aͤhnlicher, als irgend einem andern menſchlichen Geſchoͤpfe. Jh - re kleinen, langgeſpaltenen, mit weiſſen Haaren ein - gefaßten, Augen waren den Schweinsaugen ſo aͤhn - lich, als die Augen der Juno den Ochſenaugen. Jhr Mund naͤherte ſich ſo ſehr der Geſtalt eines Ruͤſſels, und ein paar groſſe Zaͤhne ſtanden auf beyden Seitenſo192Hercynia.ſo weit heraus, daß ſie mit dieſem Thiere noch mehr Aehnlichkeit bekam; beſonders, da ſie ſich eben ſo ſehr im Schlamme herumgewaͤlzt zu haben ſchien, als das von den Juden ſo ſehr verabſcheute Geſchoͤpf. Die Zauberin hatte die beyden Reiſenden kaum mit einem fluͤchtigen Blicke betrachtet, als ſie ſchon einen unkeu - ſchen Anſchlag auf den roſenwangichten Hylas in ihrem Herzen unterhielt. Sie ließ das Feuer in dem Ofen verdoppeln, ſie ſetzte ihm eine lieblich dampfende Brat - wurſt auf, und gab ihm reichlich von dem Zauber - tranke, Goſe genannt, zu trinken, welcher eben die einſchlaͤfernde Kraft hatte, als jener Leihaͤiſche Trank, durch welchen man alles vergaß, was man jemals gutes oder boͤſes verrichtet. Jhre liebaͤugelnden Schweinsaugen warfen brennende Blicke auf den jun -gen193Erſter Geſang.gen Hylas, und ſie wuſte die Gefahr, bey Heranna - hung der Nacht uͤber die ſchrecklichen Gebirge zu rei - ſen, ſo zu vergroͤſſern, daß der roſenwangichte Hylas ſchon geneigt war, dieſe Nacht in dem gefaͤhrlichen verwuͤnſchten Schloſſe zuzubringen. Zelindor ſah die drohende Gefahr, wie ein andrer Ulyſſes, und wußte, es ſey kein andres Mittel, den Lockungen dieſer Zau - berin zu entgehen, als die Flucht. Aber auf was vor Art ſolten ſie entfliehen? Jhre Roſſe ſtanden ermuͤ - det im Stall, und der Stallknecht ſchwur, ſie wuͤrden keinen Schritt weiter gehn, ohne auf den ſteilen Ber - gen umzufallen. Jn dieſer Noth nahte ſich ein an - drer alter Zaubrer dem Zelindor, welcher ſich erboth,IIter Theil. Nihn194Hercynia.ihn noch dieſen Abend ſicher und wohlbehalten auf die angenehmen beſchneyten Gefilde des Zellerfeldes bringen zu laſſen. Dieſer alte Zaubrer war niemand anders, als der Gemahl der verliebten Feye, welcher wohl wuſte, aus was vor ſtraͤflichen Abſichten ſeine ſchoͤne Haͤlfte die bluͤhenden Juͤnglinge bey ſich aufzu - halten ſuchte. Es war von jeher ſeine groͤſte Freude geweſen, ſie in allen ihren Abſichten, ſo viel als moͤg - lich, zu ſtoͤren. Er rieth alſo den beyden Helden, ihre Roſſe zuruͤck zu ſenden, und ſich ſeines Zauber - wagens uͤber die ſteilen Gebirge zu bedienen. Seine ſchoͤne Gemahlin gerieth mit ihm hieruͤber in einen hef - tigen Zwieſpalt, in welchem er aber doch, mit Huͤl -fe195Erſter Geſang.fe der Beredtſamkeit des Zelindor, den Sieg davon trug.

Der Nachmittag hatte noch nicht lange geherrſcht; denn ſchon um drey Uhr verkuͤndigten die Schaa - ren der Dohlen, welche ſich von den Gefilden nach ih - rer Reſidenz, der alten Kayſerlichen Burg, und nach dem einſamen Kirchthurm begaben, die Ankunft des Abends: als auf einmal mit donnerndem Geraſſel der Zauberwagen erſchien, welcher die Abentheuerer uͤber die wolkentragenden Gebirge bringen ſolte. Er hatte die Geſtalt eines Phaetons, ob er gleich nur von ge - meinen Tannenbretern zuſammengenagelt war. Nicht der geringſte Zierrath war an ihm verſchwendet. ErN 2gieng196Hercynia.gieng auf zwey ſtark mit Eiſen beſchlagnen Karrenraͤ - dern einher, und zwey muthige ſchwere Hengſte, ei - ner hinter dem andern, waren davor geſpannt, wel - che Schenkel hatten wie die Schenkel der Elephanten. Auf dem vorderſten Roß ſaß in die Queer ein ver - wegner Harzjuͤngling mit um das Maul haͤngenden Haaren. Er trug einen weiten leinwandnen Kittel, und fuͤhrte in der Hand eine ſchreckliche Peitſche.

Die Wandrer beſahen lange mit groſſen Augen die maßiven Raͤder, den Strohſack, welcher auf ih - rem Sitz lag, die Hengſte mit Elephantenknochen, und den verwegnen Harzjungen, welcher ſie fuͤhren ſolte. Ehe ſie ſich aber dieſem ſeltſamen Fuhrwerkvertrau -197Erſter Geſang.vertrauten, giengen ſie noch einmahl in den Stall, und nahmen einen traurigen Abſchied von den getreuen Roſſen, welche ſie bisher auf ihrem Ruͤcken getragen hatten. Lebe wohl, Gelber! ſeufzete Hylas. Lebe wohl! Koͤmmſt du zuruͤck in deinen bequemen Hof - ſtall, ſo muͤſſe dir der Stallknecht doppeltes Futter ge - ben, und kein Page beſteige in den erſten acht Ta - gen deinen edlen Ruͤcken. Lebe wohl, o Schecke! unterbrach ihn Zelindor; lebe wohl! du haſt mich zwar unſanft genung getragen; oftmals habe ich in dei - nem ſchweren Trotte gefuͤhlt, daß du ehmals ein Kutſchpferd warſt, und oftmals haſt du Luſt bezeigt, mit mir uͤber und uͤber zu ſtuͤrzen; aber alles iſt jetztN 3verge -198Hercynia.vergeben! Lebe wohl! und koͤmmſt du gluͤcklich zu dem Stalle des Hofmanns zuruͤck, welchem du dienſt, ſo ſage ihm, wie gut ich dich gehalten, und welchen Ge - fahren wir entgegen gehn.

Alſo beſprachen ſich die beyden Wandrer lange mit ihren Roſſen; und die Roſſe hiengen die Ohren, und ſchienen zu trauren, und gaben eine Art von Seuf - zern von ſich. Doch jetzt erſchallte die ſchreckliche Peitſche des Harzjungen. Alles war bereit; der Zaub - rer fuͤhrte ſie von dem hoͤlzernen Altan die Stufen hinunter, und ſprach: ſehet da, Wandrer, euer Fuhrwerk, welches euch ſicher durch die unwirthba - ren Gebirge hindurchbringen wird. Fuͤrchtet keineGefahr,199Erſter Geſang.Gefahr, ſondern verlaßt euch auf euren Fuͤh - rer!

So ſprach er. Die Wandrer ſtiegen hinein in das Fuhrwerk; als die Feye mit lautem Geheul auf den Altan ſtuͤrzte, und folgendergeſtalt ihre verzweif - lungsvolle Stimme erhub. Fahrt hin, ihr Undank - baren, fahrt hin! Aber Ungluͤck muͤſſe euch begleiten bey jedem Schritte, den ihr thut. Schnee muͤſſe euch bedecken bis uͤber die Ohren; die Nacht muͤſſe euch uͤberfallen mitten in den ſchrecklichen Gebirgen. Geiſter und Rieſen muͤſſen ſich eurem Wege entgegen ſtellen, und euch in der Jrre herumfuͤhren die ganze lange Nacht durch, ohne daß ihr den labenden GeruchN 4der200Hercynia. Erſter Geſang.der Bratwurſt empfindet, oder die dicke leimichte Go - ſe euch erquickt.

So ſaß ehmals eine der Harpyen auf einem Fel - ſen, und ſtieß Verwuͤnſchungen wider die Trojaner aus, daß dem frommen Aeneas die Haare zu Berge ſtunden. Aber das Fuhrwerk gieng fort durch man - che lange waſſerreichen Straſſen des edlen Goslar. Jetzt kamen ſie die alte kayſerliche Burg voruͤber, und die rauchrichte Stadt war auf einmal hinter ihrem Ruͤcken.

Hercynia.[201]

Hercynia. Zweyter Geſang.

N 5[202]203

Hercynia. Zweyter Geſang.

Schon klang mit Fluchen und Geſchrey
Der fuͤrchterlichen Peitſche Knall
Mit tauſendfachem Wiederhall
Durch der Gebirge lange Reih.
Schon kletterten auf mancher Felſenbahn
Die ſtarken Roſſe himmelan.
Die Wandrer zitterten, und ſahn zuletzt nichts
mehr,
Als Wald und Himmel um ſich her.

Aber auch von dem Himmel ſahn ſie nur einen kleinen Fleck uͤber ihren Haͤuptern, ſo ſehr verhinder -ten204Hercynia.ten die waldichten Ruͤcken der Berge die Ausſicht. Wie durch Zauberey ſchienen ſie jetzt auf einmal in ein ganz anders Clyma verſetzt zu ſeyn. Die Wolken, welche kurz zuvor in dem platten Felde nur Regen hatten flieſſen laſſen, ſchuͤtteten jetzt aus ihrem Schooß eine ungeheure Menge von Schneeflocken aus, daß die Wandrer, und Roß, und Wagen, und Fuͤhrer, auf einmal ganz weiß wurden. Die Roſſe ſchuͤttelten unwillig den Schnee von ihren Maͤhnen, und glitſch - ten oft auf dem Eiſe aus, welches bereits die Felſen - wege gepflaſtert hatte. O rief Hylas, wie ſehr wuͤnſch - te ich, daß uns jetzo die ſanfte Semire, oder die zaͤrt - liche Lucinde ſaͤhe, welche eine duͤnnere Geſtalt hat, als ein herumfliegendes Sommerinſekt, welches in der Mitten abgebrochen ſcheint. Dieſe weichlichenDa -205Zweyter Gefang.Damen, welche auf ihren Fuͤſſen nicht gehn koͤnnen; die nur aus einem Zimmer in das andere reiſen, und niemals andre Berge geſehn haben, als die auf einem Landſchaftsgemaͤlde! Wie wuͤrde die fuͤrchterlich ſchoͤ - ne Natur ſie hier mit Grauſen erfuͤllen! und wie ſehr wuͤrden ſich ihre Begriffe von der Schoͤpfung dadurch erweitern! Aber die eine ſitzet jetzo unruhig uͤber ei - ne kleine kupfrige Morgenroͤthe, durch die ſie die Spitze ihrer Naſe feuriger werden merkt, als gewoͤhn - lich; und die andere bringt die Artillerie aller ihrer Reizungen in Ordnung, womit ſie einem jungen Kriegshelden, welcher eben vor ihr ſeufzt, eine ganze Lage zu geben gedenkt. Brauſe nur zu, heulender Sturm; fallet noch haͤufiger, ihr Schneeflocken! ich ſehe mit einem gewiſſen Vergnuͤgen dieſes mir ſelteneSchau -206Hercynia.Schauſpiel, welches mir angenehmer duͤnkt, als alle ruhigen und gewoͤhnlichen Freuden!

Alſo ſprach Hylas, und war durch das Bewußt - ſeyn ſeiner Unerſchrockenheit auch im Sturme ver - gnuͤgt, und zufrieden mit ſich. Jndes ward es im - mer dunkler und fuͤrchterlicher. Die letzte Daͤm - merung des Abends ſchien alle Gegenſtaͤnde groͤſſer und ſchrecklicher zu machen, und die geſchaͤftige Phan - taſie, die in dieſen einſamen Gebirgen durch nichts zerſtreuet wurde, erſchuf ſich ſeltſame Geſtalten aus jedem verdorreten Stamm, und aus jedem uͤberhan - genden Felſen. Ploͤtzlich ſchien jetzt der hohle Fahr - weg ein Ende zu haben. Es kam ihnen vor, als fuͤh - re eine ungeheure Rieſengeſtalt, groß wie ein Berg, auf einmal aus der Erde heraus, um ihnen den fer -nern207Zweyter Geſang.nern Weg zu verſperren. Die Haare richteten ſich allmaͤhlig unter ihren Huͤthen empor, da ſie dieſen Rieſen ſahn. Ein furchtbarer Anblick!

Sein ſtraͤubicht Haar ſchien in der Fern ein
Wald,
Und Wolken floſſen in den Bart.
Ein ungeheurer Mund,
Wodurch die ſchreckliche Geſtalt
Noch fuͤrchterlicher ward,
That ſich ſo weit auf, wie ein Schlund;
Und dicker Nebel, ſchwarz, und ungeſund,
Stieg auf aus dieſem weiten Schlund.

Man unterſchied nichts von dieſem Rieſen, als das ungeheure Haupt. Sein ganzer Leib ſchien ſich in ein Gebirge zu verlieren, ſo wie die Mahler oder Dich -ter208Hercynia.ter den Atlas zu ſchildern pflegen, welcher auf ſeinen Schultern den Olymp trug. Zelindor eroͤfnete ein paar groſſe Augen bey dem Anblicke dieſer Erſcheinung, und ſtieß ſeinen Gefaͤhrten an; die Roſſe zitterten, und wolten nicht weiter, und der unerſchrockne Harz - junge wußte nicht, was er ſagen ſolte. Jndem erhub ſich eine Stimme, oder vielmehr eine Art von dum - pfigten Gebruͤlle, und Zelindor glaubte folgende Wor - te zu vernehmen:

Wohin, ihr kuͤhnen Wandrer? Haltet euren verwegnen Schritt auf, oder erfahret die Rache des Rieſen Ramobok. Hier iſt mein Reich; und ich ha - be mich noch nie umſonſt den Waghaͤlſen in den Weg geſtellt, welche die Geheimniſſe des Harzes haben erforſchen wollen. Kehret zuruͤck zu eurer Heymath,ihr,209Zweyter Geſang.ihr, die ihr nicht gewoͤhnt ſeyd, gegen den Him - mel zu klettern, oder in die Tiefen der Erde hin - unter zu ſteigen. Kehret zuruͤck, oder ich will ganze Wolken von Schnee auf euch niederſchuͤtten; ich will eure Wagenraͤder zerſchmettern, oder euch unter der Laſt meiner einſtuͤrzenden Felſen begraben.

So bruͤllte die Geſtalt. Aber der Harzjunge bekam auf einmal wieder Muth, peitſchte von neu - em auf ſeine Roſſe, fluchte einige Teufel und Donnerwetter, und fuhr zu, als wenn er mit - ten durch den Leib des Rieſen hindurchfahren woll - te. Und, ſiehe! ploͤtzlich ſchien die ſchreckliche Ge - ſtalt in einen Nebel zu zerflieſſen; es war auf ein - mal wieder ein Weg da, und der Rieſe ver - ſchwand. So wollte es das Schickſal. Muth undIIter Theil. OUn -210Hercynia.Unerſchrockenheit ſollte dieſes Phantom allezeit uͤber - winden. Sie fuhren vorbey, der Wind verwehte ſeine Drohungen, und nichts gieng davon in die Erfuͤllung, als daß ſie von neuem mit einem di - cken Schneegeſtoͤber bedeckt wurden.

Jndes war die Nacht voͤllig eingebrochen. Die Wandrer wuͤrden ſich gewiß in den ungeheu - ren Waͤldern verlohren haben, wenn es moͤglich geweſen waͤre, aus den hohlen Wegen heraus zu fallen. Sie| ſetzten ihre Reiſe mit innerer Furcht fort. Bald ſahen ſie bey dem Schimmer des Schnees in liefe Thaͤler hinab; Bald ſtacken ſie wieder zwiſchen ſteilen Felſenwaͤnden, die ihnen al - le Ausſicht verwehrten. Jetzt rollte ein Bach unter ihren Fuͤſſen dahin, und ietzt in loͤcherichten Rennenuͤber211Zweyter Geſang.uͤber ihrem Haupt weg, daß ſie ganz naß wur - den. Nach vielem Ungemach kamen ſie endlich aus den dicken Waͤldern heraus; ſie wuͤrden aber viel - leicht die ganze lange Nacht durch auf den unwirth - baren Haiden herumgefahren ſeyn, da der Schnee alle Spuren von einem Wege bedeckt hatte, wenn nicht in eben dem Augenblicke ein kleiner Bergſyl - phe aus dem Pallaſte der Hercynia ganz matt und kraftlos auf ihr Fuhrwerk niedergeſunken waͤre, ſo ſehr hatte der Schnee ſeine bunten Schwingen be - ſchwert. Gluͤckliche Wandrer! rief er aus; die Beherrſcherin dieſer Gebirge, die maͤchtige Nym - phe Hercynia, ſendet mich euch entgegen. Sie hat euch unter viel tauſend Sterblichen auserſehn, alle ihre Wunderwerke zu ſchauen, und ſie auf dieO 2Nach -212Hercynia. Zweyter Geſang.Nachwelt zu bringen. Seyd unberuͤmmert, denn ich bin nunmehro euer Fuͤhrer!

Alſo ſprach er, und ſchwang ſich in der Ge - ſtalt eines kleinen Bergknabens auf das vorderſte Roß. Er fuͤhrte ſie gluͤcklich uͤber die pfadloſen Ebnen. Jetzt ſahen ſie die Wohnungen des Zeller - feldes in der Ferne ſchimmern, wie Ster - ne durch die neblichte Luft ſtralen.

Hercynia.[213]

Hercynia. Dritter Geſang.

O 3[214]215

Hercynia. Dritter Geſang.

So wie ein Reiſender, welchen ſein ungluͤckliches Geſtirn verdammt hat, auf einer Kuͤchenpoſt zu fahren, wenn der unbequeme Wagen bey Sturm - wind, und Sonnenſchein, und Regen, immer gleich langſam fortgekrochen iſt, endlich ſich freut, wenn er nach vielen toͤdtlichlangweiligen Stunden irgendwo in der menſchenleeren Haide ein Licht ent - deckt, und ihm jedes ſchlechte Wirthshaus mit ei - nem Strohdach herrlicher vorkoͤmmt, als einO 4praͤch -216Hercynia.praͤchtiges Schloß: eben ſo ſehr, und mit noch groͤßerem Rechte, freuten ſich Hylas und Zelindor, als ihr Harzfuhrwerk auf einmal ſtille hielt, und ſie von dem getreuen Bergſylphen in ein Haus ge - fuͤhrt wurden, welches zwar von auſſen nicht viel verſprach, inwendig aber ſich alſobald in einen herr - lichen Pallaſt verwandelte. Man nahm ihnen ſo - gleich ihre ſchneebedeckten Maͤntel ab, und fuͤhrte ſie durch eine Reihe wohlgehitzter Zimmer bis in das Gemach der Nymphe Hercynia, welches von vielen Wachslichtern praͤchtig erleuchtet war. Die Waͤnde ſchimmerten von mancherley glaͤnzenden Dru - ſen und Erzten, und ein aromatiſcher Geruch vonWachol -217Dritter Geſang.Wacholderholz, welches in einem Camin brannte, duftete durch das ganze Zimmer. Unter einem kry - ſtallenen Spiegel lag eine wohlgeſtimmte Zyther, mit guͤldnen und filbernen Saiten bezogen, und ein groſ - ſes harmoniereiches Cymbal ſtand in der Ecke des Gemachs. Es waͤhrte nicht lange, ſo trat Hercy - nia ſelbſt aus einem Nebenzimmer in den Saal, und bezauberte die Augen der beyden Wandrer. Jh - re goldgelben Locken waren mit Perlen und Edelge - ſteinen eingeflochten; ihre braunen Augen laͤchelten voll unbeſchreiblicher Anmuth, und ihre Wangen bluͤhten wie Roſen, die ſich eben beym Aufgange der Sonne, mit Thautropfen geſchmuͤckt, eroͤfnen.

O 5So218Hercynia.
So glich ſie dir, Roſalia,
Wenn deine ſanfte Freundlichkeit
Jedwedem Auge Heiterkeit,
Dem Unmuth ſelbſt Zufriedenheit,
Und jedem Herzen Ruh gebeut.
Den Wanderern ſchien ſo Hercynia,
Roſalia.

Die Nymphe ſetzte ſich auf, einen rothſammet - nen Sofa, und nachdem ſie ihre Gaͤſte gegen ſich uͤber gleichfalls zum Sitzen genoͤthigt, erhub ſie fol - gendergeſtalt ihre harmoniſche Stimme:

Seyd mir gegruͤßt, Wanderer! Lange ſchonlie -219Dritter Geſang.liegen die Gebirge des Harzes unbeſucht von Rei - ſenden; der Krieg, welcher nun ſchon ſo lange Deutſchland verwuͤſtet, hat auch meine Bergſtaͤdte zur Einoͤde gemacht, und in meinen Gruben und Schachten iſt es leer von Arbeitern. Meine junge Mannſchaft iſt mir geraubt, und ſtreitet ietzo wi - der die galliſchen Fahnen. Mehr als einmal haben die feindlichen Kriegsſchaaren mein Gebiete durchzo - gen, und die Schaͤtze mitgenommen, die nicht fuͤr ſie mit ſo vielem Schweiß aus den Tiefen der Erde heraufgebracht waren. Seyd mir alſo ge - gruͤßt, edelmuͤthige Freunde, die ihr weder die ſtuͤrmiſche Witterung, noch die ſteilen unwegſamenGe -220Hercynia.Gebirge geſcheut habt; die ihr nicht kommt, mei - ne Schaͤtze zu rauben, ſondern die Wunder zu be - trachten, welche die reiche Natur auch in dem Jn - nerſten der Erde mit reicher Hand ausgeſchuͤttet hat. Nichts ſey euch verborgen, wenn ihr anders Muth genung habt, in den Bauch der Gebirge hin - unter zu ſteigen, und da eine neue unterirdiſche Schoͤpfung zu bewundern.

So die holdſelige Nymphe. Bald drauf ſtell - ten einige geſchaͤſtige Berggeiſter eine zierliche Tafel in das Gemach, mit allem beſetzt, was der Harz mit den umliegenden Gegenden wohlſchmeckendes darbot. Die bunte Forelle rauchte zwiſchen gruͤnerPe -221Dritter Geſang.Peterſilie hervor, und ein halber gebratener Ham - mel, welcher ſich mit den ſchoͤnſten Harzkraͤutern genaͤhrt, war ietzt der ſchoͤnſte Gegenſtand von den Augen der Wandrer. Mancherley Fruͤchte, die Caſtanienbraune Nuß, die bitterſuͤſſen Krohnsbee - ren, welche auf dem Ruͤcken des Blocksberges wach - ſen, und vielerley andre Arten von Beeren reitzten die Begierde zum Eſſen. Auch war hier kein Man - gel an ſeltenen Getraͤnken, welche die Caravanen der Harzmaͤdchen auf ihrem Ruͤcken herauftragen. Die Wandrer tranken aus Gefaͤßen von hellgeſchliſ - fenem Bergkryſtall; und nachdem ſie ſich hinlaͤng - lich erfriſcht, wandte ſich Hercynia alſo zu ihnen:Noch222Hercynia. Dritter Geſang.Noch vor Anbruch des Tages will ich euch einen Fuͤhrer ſenden, welcher euch zu den Tiefen der Er - de hinunterbegleiten ſoll. Ruhet euch aus, und vergeßt bald | in einem | ſuͤſſen Schlummer alle euer ausgeſtandnes Ungemach.

Alſo ſprach ſie, und ſchied von ihnen. Die Reiſenden wurden von vielen dienſtfertigen Geiſtern zu ihrem Schlafzimmer begleitet, und uͤberließen ſich bald drauf einer ungeſtoͤrten Ruh.

Hercynia.[223]

Hercynia. Vierter Geſang.

[224]225

Hercynia. Vierter Geſang.

Kaum ſchimmerte im Oſten die erſte Daͤmmerung durch die dicken Nebel, als ein ernſthafter Steiger vor das Lager der Fremdlinge trat, und ſie fol - gendergeſtalt erweckte: Friſch auf, ihr Wandrer! Verlaſſet die unedle Ruh, wofern ihr anders noch geſonnen ſeyd, mit mir in den Schooß der Erde hinabzufahren. Mich ſendet die maͤchtige Hercynia; folget mir ohne Furcht.

Alſo ſprach er, und Hylas und Zelindor war - fen ſich geſchwind in ihre Kleidung, und folgten ihrem Fuͤhrer uͤber die kalten beſchneyten Gefilde, wo das knarrende Geſtenge, mit einem ewig ein -IIter Theil. Pfoͤr -226Hercynia.foͤrmigen Tone weit in das Feld hineinſchob. Nicht lange, ſo traten ſie unter ein einſamgelegenes Dach, welches ein mit Eiſe kandirter Tannenwald umgab. Hier reichte ihnen ihr Fuͤhrer ein ſchwar - zes Grubengewand, welches ſie uͤber ihre Kleidung warfen; ſie ſetzten einen Schachthuth uͤber ihr flie - gendes Haar, und nun zuͤndete der Steiger ſein Grubenlicht an, und fuͤhrte ſie bis an den Mund des Schachtes. Sehet hier, ſprach er, die An - fahrt zu der weltberuͤhmten Dorothea, die ihre Ge - werken ſchon ſeit ſo langer Zeit mit einer reichen Ausbeute belohnt. Folget mir nach! Haltet euch feſt an die Fahrten, und uͤbereilet euch nicht: denn der Weg hinunter, iſt lang, und zu der Herauf - fahrt gehoͤren nicht weniger Kraͤfte. Alſo ſprach er,und227Vierter Geſang.und Hylas und Zelindor ſahn hinunter in den Schacht, bis da, wo ſich das letzte Tageslicht mit der unterirdiſchen Nacht vermiſchte. Ploͤtzlich uͤber - fiel den roſenwangigten Hylas ein kalter Schauder, ſein Haar ſtraͤubte ſich empor, er trat zuruͤck, und ſprach alſo zu ſeinem Gefaͤrten: Vergieb mir, Ze - lindor, aber mein Herz klopft mir vor Furcht. Was wollen wir unternehmen, wir, die wir nicht gewoͤhnt ſind, die ſchwindelnden Tiefen zu befah - ren. Laß uns umkehren, Zelindor! wir moͤchten vielleicht in den Abgrund hinabſtuͤrzen, oder von den giftigen Daͤmpfen der Gruben erſticken. Laß uns umkehren, oder zuͤrne nicht, wenn ich dieſe Gefahren nicht mit dir zu theilen verlange.

P 2So228Hercynia.

So ſprach er. Zelindor aber laͤchelte voll Un - erſchrockenheit, und verſetzte: Warum haben wir denn die bequemen Freuden der Stadt verlaſſen, und ſind mit ſo vielen Beſchwerlichkeiten zu dieſen unwegſamen Gebirgen heraufgeſtiegen, wenn wir nicht die Wunder des Harzes unter der Erde be - trachten wollen? Wiſſe, Hylas, daß keine eingebil - dete Gefahr mich abhalten ſoll, meine brennende Neugier zu ſtillen. Fuͤrchteſt du dich aber ſo ſehr, dein junges Leben in Gefahr zu ſetzen, wohlan! ſo erwarte mich hier. Lebe wohl, und begleite mich wenigſtens mit deinen guten Wuͤnſchen!

Als er dieſes geſagt, trat er beherzt hinter dem Steiger auf die erſte Fahrt, und bald hatten ſie den letzten Schimmer des Tageslichts aus den Au -gen229Vierter Geſang.gen verlohren. Noch ſetzte Zelindor mit vieler Un - erſchrockenheit ſeine unterirdiſche Reiſe fort; als er aber nichts anders um ſich ſah, als die dicke un - terirdiſche Finſterniß, die nur noch fuͤrchterlicher durch das ſchwache Grubenlicht des Steigers erleuch - tet wurde; als immer eine Fahrt nach der andern enger und unbequemer hinunter zu ſteigen ward; als neben ihm die donnernde Tonne in dem Treib - ſchachte mit ſchrecklichem Geraſſel von Ketten vor - beyfuhr; da entfiel ihm das Herz. Schweiß ſtand ihm unter| dem Schachthuth, und kaum | konnten ſeine Haͤnde an den naſſen kaͤltenden Fahrten ſich feſt genug halten. Zu rechter Zeit machte ſein Fuͤh - rer hier einen Stillſtand; fuͤhrte ihn queer durch den Berg, wo er auf einmal ein hohes GewoͤlbeP 3er -230Hercynia.erblickte, welches voller Arbeiter war. Die Men - ge der Grubenlichter, das auf allen Seiten ſchim - mernde Erzt, das muntre Gluͤckauf! der Berg - leute, erhellte auf einmal ſein trauriges Gemuͤth. Er ſetzte ſich auf einen tauſendjaͤhrigen Stamm nie - der, welcher den ſinkenden Berg unterſtuͤtzen ſoll - te, und konnte nicht genug die Rieſenarbeit betrach - ten, wodurch das ungluͤckliche Metall aus der Er - de gewonnen wird, welches die Menſchen ſo we - nig gluͤcklich machen kan. Nun ſetzte er ſeine Fahrt fort bis zum Geſenke der Dorothea; kroch darauf die Benedikte hindurch, und fieng an, die Caroline wieder heraufzuſteigen. Er hatte kaum die Haͤlfte des Wegs zuruͤckgelegt, ſo verlieſſen ihn zum zweytenmal ſeine Kraͤfte; die warmen Wetter droh -ten231Vierter Geſang.ten ihn zu erſticken, wenn er nicht zur rechten Zeit an einem Durchſchlag ſich niedergeſetzt, und ihn ſein Fuͤhrer mit einem guͤldenen Apfel erfriſcht haͤt - te. Endlich ſahn ſie den Schimmer des Tags uͤber ihrem Haupt, und gelangten gluͤcklich wieder zur Oberwelt, wo indes die helle Mittagsſonne alle Tannenwaͤlder rund umher erhellt hatte. Hylas ge - ſellte ſich hier wieder zu ſeinem Gefaͤrten, nicht ohne Schaamroͤthe uͤber ſeine ungegruͤndete Furcht. Zelindor zog ſein Grubengewand aus, und nahm Abſchied von ſeinem getreuen Steiger.

Ein andrer Fuͤhrer brachte ſie hierauf zu den laͤrmenden Puchwerken, und ewigrauchenden Huͤt - ten. Sie ſahn aufmerkſam alle die mancherley Ar - beit mit dem zerſtoßenen Erzt, und wurden zuletztP 4mit232Hercynia.mit dem Regenbogen des Silberblicks belohnt. End - lich verlieſſen ſie die Wohnungen, wo die giftigen Daͤmpfe der Erze alle Geſundheit zerſtoͤren, und die Arbeiter zu ſchwindſuͤchtigen Gerippen machen, und wanderten zuruͤck durch das rauchende Clausthal, wo bereits der Nachmittag herrſchte.

Jetzt kam Zelindor auf den Gedanken, in die Huͤtte eines Bergmanns zu gehn, und ſeine Wirth - ſchaft zu betrachten. Er trat in die erſte Wohnung hinein, wo ihm ſogleich aus dem Zimmer eine er - ſtickende Hitze entgegen ſchlug. Ein munteres Weib mit großen blauen Glasſteinen in den Ohren berei - tete den Tiſch fuͤr ihren Mann, welchen ſie erwartete, und rief ihre Kinder herbey, welche baarfuß und halbnackend im Schnee ſpielten. Jetzt kam der Berg -mann233Vierter Geſang.mann, gruͤßte die Fremdlinge, und ließ ſich ein an - dres Gewand reichen; und zuͤndete alſobald ſeine Pfeife an. Unterdes ſetzte ſein geſchaͤftiges Weib fettes Schweinefleiſch auf den Tiſch, und dicken Reiß, welcher reichlich mit Zucker und wohlriechendem Zim - met beſtreut wurde. Hiezu ſchenkte ſie ihm Goſe voll ein, ſo daß er vergnuͤgter war, als ein Koͤnig. So leben wir! ſprach er zu den Fremden. Ge - ſundheit iſt unſer beſter Schatz, und Freyheit unſer wahrer Reichthum. Drauf ergriff er die Zyther, und beſang das Lob des Bergmannslebens; legte ſich hernach nieder auf eine harte Bank, und ſchlief ein. Zelindor konnte ſich nicht enthalten, im Weg - gehn zu ſagen:

P 5Be -234Hercynia. Vierter Geſang.
Begluͤcktes Volk, beneidenswerth biſt du;
Ein ſuͤßer Schlaf druͤckt dir die Augen zu,
Wenn du aus deiner tiefen Gruft,
Von ſchwerer Arbeit matt,
Zur ſtillen Huͤtte kehrſt.
Geſundheit ſchwebt um deine Lagerſtatt,
Und Freude weckt dich auf, wenn du die
Zyther hoͤrſt,
Die dich zu Tanz und Liedern ruft.
Hercynia[235]

Hercynia. Fuͤnfter Geſang.

[236]237

Hercynia. Fuͤnfter Geſang.

Schon hatte ſich die Sonne fruͤher wie ſonſt un - ter dem Schleyer neblichter Duͤnſte verhuͤllt, und der Abend brach herein, ehe die Wandrer den Pal - laſt der Hercynia erreichten. Sie ſahn ihn ſchon von fernher praͤchtig erleuchtet, und als ſie hinein - traten in die wohlriechenden Zimmer, fanden ſie die Nymphe außerordentlich geſchmuͤckt, und heiter. Sie empfieng ſie holdſelig, und rufte voll Freuden aus: Welch ein gluͤcklicher Tag, Wandrer! O! neh -238Hercynia.nehmet Antheil an meinem Entzuͤcken! Denn ver - nehmts, der Zorn des Himmels iſt endlich ver - ſoͤhnt. Es iſt Friede! Nun werden meine verlaß - nen Staͤdte wieder geſegnet, und meine Gruben wieder mit Arbeitern gefuͤllt werden. Alſo ſprach ſie, und noͤthigte ihre Gaͤſte an die ſchimmernde Tafel. Eine allgemeine Freude herrſchte. Es er - hub ſich eine angenehme Muſik; der Triangel, und die harmoniſche Zyther, ertoͤnten, indem zugleich ein Chor von jungen Bergſaͤngern hereintrat, wel - che folgendergeſtalt ihre froͤlichen Stimmen unter die Muſik erſchallen lieſſen:

Gluͤck239Fuͤnfter Geſang.
Gluͤck auf! Gluͤck auf! der Fried iſt da,
Die Voͤlker ſind verſoͤhnt,
Und mit dem Oelzweig wird die Stirn
Der Helden nun gekroͤnt!
Willkommen! langerſeufzter Tag,
Willkommen tauſendmal!
Nun fuͤrchten wir nicht mehr den Feind,
Und des Verderbers Stahl.
Preiß euch, ihr Helden, deren Muth
Fuͤr uns gefochten hat!
Zieht240Hercynia.
Zieht nun mit Siegeskraͤnzen heim,
Des langen Krieges ſatt.
Preiß dir vor allen, Ferdinand!
Du, jedes Lobes werth!
Preiß dir! Wie haſt du maͤchtig uns
Geſchuͤtzt mit deinem Schwerdt.
Du haſt mit einer Hand voll Volk
Ein furchtbar Heer geſchwaͤcht,
Und an dem Stolz der Gallier
Dein Vaterland geraͤcht.
Sprich,241Fuͤnfter Geſang.
Sprich, Creveld, ſeiner Thaten Ruhm!
Auch du, beruͤhmtes Feld
Bey Minden, und bey Grebenſtein!
Preiß dir, Preiß dir, o Held!
Auch dir, o Braunſchweigs Erbprinz, ſey
Der Lorbeerkranz geweyht!
Du eileſt den geraden Weg
Zu der Unſterblichkeit.
Wie oft warfſt du mit Loͤwenmuth
Dich in der Feinde Schaar;
IIter Theil. QUnd242Hercynia.
Und ſtellteſt deine Heldenbruſt
Dem Kriegesdonner dar.
Erſtaunt ſah dich der Weſerfluß,
Erſtaunt ſah dich der Rhein.
O Prinz, du muͤßeſt lange noch
Der Voͤlker Wunder ſeyn!
Noch einen Kranz fuͤr ſeine Stirn
Dem Sieger Friederich!
Dein Braunſchweig, welches du befreyt,
Preißt, ewig dankbar, dich!
Gluͤck243Fuͤnfter Geſang.
Gluͤck auf! Gluͤck auf! Erhebe nun
Dein Haupt, Hercynia!
Nun koͤmmt die guͤldne Zeit zuruͤck;
Gluͤck auf! Der Fried iſt da!

Alſo ſangen die Juͤnglinge, und die Nacht ver - ſtrich unter frohen Geſpraͤchen, die oft durch man - cherley Berglieder unterbrochen wurden; bis endlich das Morgenroth feurig uͤber die bereiften Tannen - waͤlder heraufſtieg. Hylas und Zelindor nahmen nunmehr voll Dankbarkeit Abſchied von der gefaͤlli -Q 2gen244Hercynia.gen Hercynia, welche ſie auf ſtarken Roſſen von einem Berggeiſte die Felſenwege hinunter geleiten ließ. Mancher ſeltſame Anblick eroͤffnete ſich ietzt mit dem Anbruch des Tages ihren Augen. Sie ſahn die Wolken bald zu ihren Fuͤſſen, bald wur - den ſie auf einmal von ihnen eingehuͤllt, und bald zogen ſie ſich uͤber ihre Haͤupter empor. Endlich gelangten ſie nach und nach in die Ebnen bey Gos - lar hinab. Sie trabten langſam uͤber die ſteinigten Gefilde, und kamen mit Anbruch des Abends gluͤck -lich245Fuͤnfter Geſang.lich in die Welfenſtadt zuruͤck, wo ihre Freunde ſie mit Ungeduld erwarteten. Nachdem ſie ſich alle um eine dampfende Schale, mit Punſch gefuͤllt, herumgeſetzt hatten, wurden ihre Abentheuer mehr als einmal erzehlt, und mehr als| ein Glaß vor Freuden uͤber den Frieden ausgeleert.

Germanien, wie ſelig wirſt du ſeyn!
Kein furchtbar fremdes Kriegesheer
Bedecket deine Fluren mehr.
Die Muſen, welche dich geflohn,
Umringen nun von neuem deinen Thron,
Q 3Und246Hercynia. Fuͤnfter Geſang.
Und guͤldene Gluͤckſeeligkeit
Zieht wieder bey dir ein.
O moͤchteſt du doch lange Zeit
Dich dieſes Gluͤckes freun!

Ende des zweyten Bandes.

[247][248][249][250][251][252]

About this transcription

TextPoetische Schriften
Author Justus Friedrich Wilhelm Zachariae
Extent260 images; 24578 tokens; 6259 types; 163562 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationPoetische Schriften Zweyter Band Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. . [1] Bl., 246 S. SchröderBraunschweig1763.

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Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Lyrik; Belletristik; Lyrik; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-09T17:35:55Z
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