Das Schnupftuch. Erſter Geſang. Von Zwietracht, Zank, und Haß, und unerhoͤrten
Dingen,
Von einem Schnupftuch ſoll die Heldenmuſe ſingen;
Und von dem Zorn, in dem ein junger Herr entbrannt,
Als, ungeſchuͤtzt von Stolz, und Federhut, und Stand,
A 2Er4Er, von dem Herrn von Strom hofmeiſterlich gezwun -
gen,
Ein Schnupftuch wiedergab, das ſich ſein Muth errun -
gen.
Und wie durch ſeinen Zorn, verwayſt von Scherz und
Spiel,
Ein praͤchtiger Pallaſt in lange Weile fiel;
Bis ſeine Goͤttin ihm das Schnupftuch wieder ſchickte,
Und ſeine Heldenſtirn ein neuer Lorbeer ſchmuͤckte.
Die wahre Muſ’ iſt fern, die mich begeiſtern kan!
Wer ſoll die Muſe ſeyn? Dich, Doris, ruf ich an.
Du wirſt zwar dieſes Lied nicht leſen, und verſtehen;
Doch wird man es vielleicht um deine Haare drehen.
Mir geht ſein Untergang nicht nah in deinem Haar,
Ob ich gleich manchen Reim nicht ohne Muͤh gebahr.
Kan man von der Natur zuſammen ſtets verlangen:
Pechſchwarzes Haar und Witz, Verſtand und ſchoͤne
Wangen?
Mir aber, Ewigkeit, die ſo viel Dichter ruͤhrt,
Mir5Mir oͤfne nun das Thor, das zu der Nachwelt fuͤhrt.
Schon wall ich auf der Bahn, die uns zur Ehre leitet.
Ein Burmann ſchimpft auf ihr, ein Carl der XIIte
ſtreitet;
Jch ſing ein Heldenlied von einer Kleinigkeit,
Und traͤume, wie der Held, von Ruhm und Ewigkeit.
Wie? traͤumen? Nein, mit Recht kan ich den Kranz
verlangen,
Mit dem auf hohen Haupt die Heldendichter prangen,
Da, durch der Muſe Gunſt in Wundern unverirrt,
Ein zweytes Jlium aus einem Schnupftuch wird.
Geſpenſter kehrten heim, die Graus und Nacht
bedecket,
Alp, Kobold, Poltergeiſt, und was in Winkeln ſchre -
cket.
Jn der gemeinen Welt war ſchon ſehr viel gethan,
Doch in der Adlichen brach noch kein Morgen an.
Die Zwietracht flog indes mit fuͤrchterlichen Schwingen
Durch die galante Welt, die Herzen aufzubringen.
A 3Herrſch -6Herrſchſuͤchtig ſchuͤttelt ſie die Fackel in der Hand.
Sie ſetzet hier ein Herz, und dort ein Reich, in Brand;
Sie ſtuͤrzt Miniſter bald, bald Zofen die regierten;
Entzweyt bald Mann und Weib, und bald die Alliirten.
Sie ruͤhret ietzo nicht der Zwiſt in Corſika;
Vergebens iſt fuͤr ſie der Pohlen Reichstag da.
Jhr Abſehn geht allein auf eine holde Dame,
Jung, ſchoͤn, und unbeſiegt, Belinde war ihr Name.
Schon lange ſah mit Neid ihr Auge voller Wuth
Graf Holdens Liebesgluͤck, und dieſer Schoͤne Gluth.
Graf Hold ſah ſich geliebt. Zwar hielt durch viele
Sorgen
Des Grafens ganzes Gluͤck Belinde noch verborgen;
Doch manches ſuͤße Wort, und mancher ſanfte Blick,
Verrieth das weiche Herz, und des Geliebten Gluͤck,
Er, als ein junger Held mit allem ausgeruͤſtet,
Was7Was Herzen angeſteckt, und Tugenden verwuͤſtet;
Beſchaute ſiegreich oft Trophaͤen mancher Art,
Jn einem feſten Schrank ſorgfaͤltig aufbewahrt.
Doch unter manchem Band, geſchenket, und geſtohlen,
Lag auch ein Schnupftuch da. So wie vor Nachtviolen
Jhr koͤnigliches Haupt die Tuberoſ’ erhebt,
Und in Vergeſſenheit die Nachbarin begraͤbt;
So war dies Schnupftuch auch von allen Liebespfaͤn -
dern,
Von Locken, ſchwarz und blond, von Straͤußern und
von Baͤndern,
Das allerherrlichſte, das in dem Schatze lag,
Und ſelten kam es nur zum Anſehn an den Tag.
Bey einem Lomberſpiel ließ es Belinde fallen.
Der Vogel Jupiters ſchlaͤgt ſo wie maͤchtgen Krallen
Jn ein geputztes Lamm, zum Wettlaufspreis beſtimmt,
Als das entfallne Tuch der freche Sieger nimmt.
A 4Be -8Belinde droht und fleht, vielleicht keins recht von bey -
den;
Doch taub bey ihrem Drohn, und taub bey ihrem Leiden,
Steckt er das Schnupftuch ein, und ſie ließ es geſchehn,
Und ein verſtohlner Blick vergab ihm ſein Vergehn.
So ſchien dies holde Paar die Zwietracht nicht zu ken -
nen;
Allein die Zwietracht faßt den Vorſatz, ſie zu trennen.
Es iſt ihr Zeitvertreib, Verliebte zu entzweyn.
Sie huͤllt in Puderſtaub und Caffeedampf ſich ein,
Macht ſich ein Neglige’ und eine Nachtkornette,
Und ſtellt, Belinden gleich, ſich an der Zofe Bette.
Liſette wiegte ſich in ſuͤßer Morgenruh,
Die Traͤume hielten noch die holden Augen zu;
Jhr Halstuch hatt im Schlaf ein Liebesgott verſchoben,
Man ſah die ſchoͤne Bruſt, die ſanfte Seufzer hoben,
Halb durch das zarte Tuch verraͤtheriſch verſteckt,
Weiß,9Weiß, wie der Fruͤhlingsſchnee, der Pfirſichbluͤthen
deckt.
Die Schoͤnheit waͤhlet ſich ſehr ungleich Unterthanen.
Man kan ſehr haͤßlich ſeyn, bey zwey und dreyßig Ahnen.
Das Kammermaͤdchen ſiegt im ſchimmernden Pallaſt
Oft mehr, als ihre Frau, die ihren Spiegel haßt.
Die Zwietracht ſprach zu ihr: Jch habe dir erzaͤhlet
Liſette, daß mir laͤngſt mein beſtes Schnupftuch fehlet.
Du weißt, Graf Hold hat es. Er prahlt damit herum,
Geh hin, und nimms ihm weg, ſo wird der Prahler
ſtum.
Jch will im Ernſt dafuͤr auf deine Heirath denken,
Dein gnaͤdges Fraͤulein ſeyn, und fuͤrſtlich dich beſchen -
ken.
So ſprach ſie, und verſchwand. Liſette macht ſich
auf,
Durch dies Geſicht verfuͤhrt, putzt ſich, und betet drauf.
Zwar ſprach ſie bey ſich ſelbſt: Wie wird mir das be -
fohlen!
Jch ſoll von ihrem Graf das Schnupftuch wiederholen?
A 5Sie10Sie weis, daß er dadurch auf ewig mit ihr bricht —
Doch ich gehorche nur, und unterſuche nicht.
Die ſchoͤne Welt fieng an die Ruhe zu verlaſſen.
Der Theetiſch deckte ſich mit buntbemahlten Taſſen;
Der ſchwarze Caffeetopf goß milde Fluthen aus:
Toppee wurden krumm, und Locken wurden kraus;
Schon lang erwarteten, die Voͤgel und die Hunde,
Confect und Schmeicheley, aus ſchoͤner Fraͤulein Mun -
de;
Als Lieschen ſich beſah, Putz und Gebet verließ,
Und ſchon in ihrem Sinn Frau, wie ſie wuͤnſchte, hieß;
Jhr Anfangscompliment ein paarmal uͤberdachte,
Und ſo im ſuͤßen Traum zum Graf von Hold ſich mach -
te.
Johann, der Laͤufer, ſtand vor ſeines Grafen Thuͤr,
Schoͤn wie ein Liebesgott, und buͤckte ſich vor ihr.
Der reinſte Puder roch aus ſeinen blonden Haaren,
Und11Und Locken ſpielten noch, die unzerſtoͤret waren.
Schlank, wie ein junger Baum, hatt’ er manch Herz
geruͤhrt,
Und manches Maͤdchens Blick durch ſeinen Blick ver -
fuͤhrt.
Den großen Federhut wußt’ er ſo ſtolz zu tragen,
Als ein Patricius, geadelt vor drey Tagen.
Liſette ſah ihn an, allein ihr Herz blieb frey,
So ſchoͤn er immer war, ſo war er doch Lakay.
Verſchmaͤhte ſie doch ſchon gewoͤhnliche Praͤſente,
Und Edelleuten nur vergalt ſie Complimente.
Er faßt ſie an das Kinn; Liſette trit zuruͤck;
Sein Muth ſinkt halb dahin vor ihrem hohen Blick.
Mein Engelchen, (ſprach er,) ſo fruͤh ſchon aus dem
Bette?
Wer? ich? ſein Engelchen? (ſprach voller Stolz Liſet -
te)
Der edelmuͤthge Hohn, der auf der Naſe ſaß,
Sah ietzund hoch herab auf eines Laͤufers Spaß.
Wo12Wo iſt der Herr von Strom? Jch will zu ſeinem Gra -
fen,
Kan ich ihn ſprechen? Ja! Sie werden wohl noch
ſchlafen.
Doch, Muſe, miſche nicht zu ſehr in ein Gedicht,
Was der Bediente ſagt, und was die Zofe ſpricht.
Der goͤttliche Homer ſang Helden und ſang Maͤuſe,
Doch es ſpricht Held und Maus hoch, nach der Goͤt -
ter Weiſe.
So ſprich denn du auch hoch, du Magd, und du Lakay,
Daß ſolcher Thaten auch der Ausdruck wuͤrdig ſey.
Liſette war bereits ins Vorgemach gekommen.
Kein Fliſtern, kein Geraͤuſch, nichts hatte ſie vernom -
men.
Noch lag in tiefer Ruh der adliche Pedant,
Den in den Federn oft der hohe Mittag fand.
Hofmeiſter ward er bloß zur Ruh in ſeinem Alter.
Sonſt war er Schreiber, Vogt, Praͤceptor, und Ver -
walter,
Der Zins und Sporteln bald in die Regiſter trug,
Und13Und bald den Huͤnern rief, und bald den Junker ſchlug.
Es lag viel Zorn und Geiz in ſeinem hohen Blute;
Er war zur Feder ſtark, doch ſtaͤrker noch zur Ruthe.
Zween junge Herrn hat er durch ſeinen Stock formirt,
Und vor ſehr wenig Geld auf Reiſen ſie gefuͤhrt.
Sie hatten Rom geſehn, und gut darin gegeſſen,
Die heilgen Stuffen auch gezaͤhlet, und gemeſſen;
Paris hatt’ ihren Kopf nach neuer Art verſtutzt,
Und ihren deutſchen Rock mit neuem Gold geputzt.
Sie hatten auch von nichts, wie Reiſenden gebuͤhret,
Und ſtets der Deutſche thut, ein Tagebuch gefuͤhret.
Er, Strom, ſprach ventre bleu, wie ein Franzoſe
ſpricht,
Und rief, Got dam my! aus, denn deutſch flucht er gar
nicht.
Sein muͤrriſches Geſicht ſprach ſchweigend Sittenleh -
ren,
Man kont ihn weit und breit an ſeiner Stimme hoͤren,
Und14Und jeden Tag gab er, mit Donner und Geſchrey,
Verweiſe ſeinem Graf, und Pruͤgel dem Lakay.
Er ſelbſt befand ſich wohl bey zornigem Gebluͤte,
Trank ſein Glas Moſelwein, und aß mit Appetite.
Es ſtuͤrzet ſich indes Johanns geſchwinder Lauf
Zum Bette ſeines Herrn; Er zieht den Vorhang auf,
Und zupft mit viel Reſpect den Grafen, ihn zu wecken;
Allein der Graf faͤngt an, ſich beſſer auszuſtrecken.
Er zupft noch einmal: Kerl, (ruft der erzuͤrnte Graf,)
Es iſt noch alles Nacht, und du ſtoͤrſt meinen Schlaf?
Bin ich vom Lernen nicht blaß, wie der Tod, geweſen,
Soll ich des Nachts auch noch die Teufelsbuͤcher leſen?
Geh oder —
Gnaͤdger Herr, (verſetzt der Laͤufer drauf,)
Es iſt ein Maͤdchen da. Ein Maͤdchen? (faͤhrt er auf.)
Jndem15Jndem er Maͤdchen ſpricht, ſchallt alles Maͤdchen wie -
der;
Der alte Strom erwacht, und wiſcht die Augenlieder.
Wer ſchwatzt von Maͤdchen hier? (ſpricht er mit ern -
ſtem Blick,)
Der Graf ſteht auf und bebt; der Laͤufer fliegt zuruͤck;
Auch Strom erhebet ſich; faͤngt murrend an zu ſchellen;
Die Voͤgel ſingen laut; Joli und Dame bellen;
Am Fenſter toͤnt das Glas, und an der Wand die Uhr:
Es ſcheint, als nahe ſich das Ende der Natur.
Doch ietzt fieng nur die Thuͤr ein wenig an zu krachen;
Liſette tritt herein, ihr Compliment zu machen.
Der ſteife Mentor ſchiebt die Muͤtz aus dem Geſicht
Und gafft das Maͤdchen an, das ſchalkhaft lacht und
ſpricht:
Mein Fraͤulein laͤſſet ſich en Herren ſchoͤn em -
pfehlen,
Und ſie kan laͤnger nicht dem Herrn von Strom ver -
hehlen,
Wie wenig artig ſich ihr junger Herr bezeigt,
Der16Der ſeinen Federhut zu ſehr den Gaſſen zeigt.
Mein Fraͤulein, (fuhr ſie fort, im hoͤhern Ton zu ſpre -
chen,)
Raͤcht immer ihr Geſchlecht und wird es ietzt auch raͤ -
chen.
Sie hat kein Pflaͤſterchen vergebens noch gelegt,
Und keinen Blick gethan, der nicht ein Herz bewegt.
Wie koͤmmts denn, daß der Graf, allein ſich unter -
ſtehet,
Und wider das Geſetz der Klugheit ſich vergehet?
Den ſieht mit ſchlechter Huld ein Frauenzimmer an,
Der, wenn er gluͤcklich iſt, nicht einmal ſchweigen kan.
Ein Schnupftuch hat er tuͤngſt dem Fraͤulein wegge -
nommen;
Er hat es halb mit Liſt, und halb mit Scherz bekom -
men;
Doch warum zeiget er es an die ganze Welt?
Wer hat wohl oͤffentlich ſo was zur Schau geſtellt?
Die ganze ſchoͤne Welt nimmt Theil an dieſer Sache.
Die Stadt iſt voll davon; das Schnupftuch fodert
Rache.
Und17Und ja! es ſoll geraͤcht und ausgeliefert ſeyn!
Jch fodr’ es feyerlich von ſeinen Haͤnden ein.
Wer ſo ein Gluͤck erhaͤlt, der lern es auch verhehlen;
Du wirſt es, weiſer Strom, dem jungen Herrn be -
fehlen.
So, wie der Thetis Sohn, von edler Wuth ent -
brannt,
Mit jugendlichem Stolz vor grauen Helden ſtand,
Briſeis und ſein Recht mit Kunſt und Muth beſchuͤtzte;
So ſteht der Graf auch auf, den Rach und Lieb erhitzte.
Er riß im erſten Zorn drey Papiljoten aus,
Und durch ein Wunderwerk ward eine Locke draus.
Was? (fieng er zornig an die Stimme zu erheben)
Sollt ich Feigherziger ein Schnupftuch wiedergeben,
Das ich mit ſo viel Liſt und ſo viel Muth erhielt?
Das zu erobern ich zwoͤlf Louisdor verſpielt?
Deswegen hab ich nicht bis in die Nacht geſeſſen,
IIter Theil. BUnd18Und zweymal Solotout gedankenvoll vergeſſen;
Deswegen hab ich nicht mein graͤflich Blut verſpritzt,
Und Nadeln nicht geſcheut, die dieſe Hand zerritzt;
Daß ich, ſo wie es nun ein Kammermaͤdchen wollte,
Des theuren Sieges Preis zuruͤcke geben ſollte.
Denn wiß, ich glaub es nicht, daß dich Belinde ſchickt;
Wer weis, was fuͤr ein Traum dir das Gehirn ver -
ruͤckt.
Wie laͤg ein lumpicht Tuch der Fraͤulein doch am
Herzen!
Und wer prahlt denn damit? Nie iſt bey meinen
Scherzen
Des Schnupftuchs noch gedacht. Hier liegts in ſtolzer
Ruh;
Doch koͤmmt es freylich mir als eine Beute zu,
Die ich mit Recht gemacht, und auch mit Recht beſitze;
Und die ich voller Muth bis an den Tod beſchuͤtze.
Noch uͤberfaͤllt mich nicht vor deinem Drohn ein Graus;
Was mein iſt, das iſt mein, ich geb es nicht heraus.
So19So? (ſprach Liſette drauf,) der Graf will nicht?
Jch lache.
Was ſagſt du, weiſer Strom, zu der verworrnen Sache?
Jndem ſie dieſes ſprach, ſah ſie ihn zaͤrtlich an.
Welch Wunderwerk hat oft ein ſchoͤner Blick gethan!
Wie manches Richters Herz, der fuͤr kein Gold betro -
gen,
Hat einer Phryne Bruſt zum falſchen Spruch bewogen.
Durch ihren Blick koͤmmt Strom aus ſeiner weiſen
Ruh;
Er nimmt voll Ernſt Toback, und ſchnapt die Doſe zu.
Mein liebes Kind, (ſprach er,) man muß vor allen
Dingen
Den ganzen dunklen Kram in zwey drey Fragen brin -
gen,
Jch vor mein Theil bin ſo, wie Sokrates, geſinnt,
Und uͤberzeugt, daß man durch Fragen viel gewinnt.
Hat denn — O (ſchreyt der Graf,) was iſt das viel zu
fragen,
Was ſoll hier Sokrates; dies Menſch hier darf es
wagen.
Ein Schnupftuch — ventre bleu! (ruft Strom von
Wuth erhitzt,
B 2Jn -20Jndem ihm ſchneller Zorn aus ſchwarzen Augen blitzt,
Der Graf ſoll alſobald das Schnupftuch wiedergeben!
God dam my! man ſoll mir ſo kuͤhn nicht widerſtreben,
Jch wills! — er winket ihm mit wilder Gravitaͤt,
Die voller Ernſt gebeut, und die der Graf verſteht.
So maͤchtig ſitzt Neptun auf ſeinem Muſchelwagen,
Wenn ihn durch Fluth und Sturm die Waſſerpferde
tragen,
Und vor des Dreyzacks Macht, und ſeiner Augen Gluͤhn
Die Kinder Aeolus in ihre Hoͤhlen fliehn.
Der Graf wagt es nicht mehr, noch einmal ihn zu bit -
ten;
Es ward durch Schmeicheln nie dies Felſenherz be -
ſtritten;
Er buͤckt ſich, ſchweigt, und geht; thut ſtandhaft, als
ein Heid,
Da ihm vor Lieb und Zorn ſchon eine Thraͤn entfaͤllt.
Was ſollt er ietzo thun? Mit ſtolzem Muth ſich wehren,
Und eine Woche lang das Taſchengeld entbehren?
Mit21Mit dieſem Schnupftuch ſelbſt ein Staatsgeſangner
ſeyn?
Denn ſo ſehr hart war Strom, er ſchloß zur Straf
ihn ein.
O Muſe, laß uns mit bis in ſein Zimmer dringen,
Und ſeine Raſerey, und ſeine Klagen ſingen.
Der Graf, der ſonſt ſo frey den groͤßten Muth
gezeigt;
Der Sproͤde baͤndigte, Hochmuͤthige gebeugt;
Der zwar dem Thor oft glich, doch Thoren ſtets be -
kriegte;
Und bald mit dem Verſtand, bald mit der Weſte ſiegte;
Ein Spieler ohne Fluch, auch wenn er was verſah;
Der mit Gelaſſenheit die Bank ſich ſprengen ſah;
Und welcher ſein Geſicht kein einzigmal verzogen,
Wenn auch zum viertenmal der Koͤnig thn betrogen;
Der wirft ſich fuͤhllos nun in einen Lehnſtuhl hin,
Und murmelt was daher von tiefverſtecktem Sinn.
Kein Sterblicher verſtehts, in Buͤchern iſts zu leſen;
B 3Jm22Jm Nimrod ſprechen ſo die uͤberirdſchen Weſen.
Jhm gegen uͤber lag in aufgebluͤhter Pracht,
So, wie das Morgenroth in bunte Thaͤler lacht,
Dies Schnupftuch, das ihm noch entgegen wallen
wollte,
Und das er ſchimpflich nun zuruͤcke geben ſollte.
O Muſe, mahle mir des ſeltnen Sehnupftuchs
Pracht!
Dir iſt nichts unbekannt, wovon war es gemacht?
Verewige zuerſt des großen Webers Namen,
Der mit geſchickter Hand in einen engen Rahmen,
Von Seide fein und zart, dies meiſterſtuͤck gewebt,
Das, durch mein Lied erhoͤht, in Famens Tempel
ſchwebt.
Jm heißen Vaterland der Mohren und der Affen
Hat es mit kuͤhnem Witz ein Jndier erſchaffen;
Viel Blumen drein gewebt, mit Roſenroth gefaͤrbt;
Es war noch nie gebraucht, durch keinen Schmutz ver -
derbt,
Und23Und in dem Zipfel war B. L. v. L. genaͤhet,
Charakter, welche Magd und Waͤſcherin verſtehet.
Der Leineweber ſelbſt hieß Brama Kinkinhan,
Ein Prinz, nicht, wie bey uns, ein armer Handwerks -
mann.
Ein allereinzigmal in ſeinem ganzen Leben
Hat er dies Tuch gewebt, und wird nicht wieder weben.
So ſitzt ein Staatsmann oft vor ſeiner Drechſelbank,
Und ſchlaͤgt aus ſeinem Sinn des Reiches Untergang.
Die Buͤrger ſind ſich ſchon Aufruhr und Tod gewaͤrtig,
Allein er drechſelt fort, und macht die Schachtel fertig.
Zum Schnupftuch ſprach der Graf: Dich ſoll ich nicht
mehr ſehn?
Mit dir ſoll ich mich nicht in ſchwuͤlen Tagen wehn?
Mit dir ſoll ich nicht mehr der Junker Neid erregen?
Dies ſagt er, daß ein Stein ſich haͤtt erbarmen moͤgen.
Er ſteht den Schmerz nicht aus, er uͤberwaͤltigt
ihn.
B 4Der24Der Lehnſtuhl nimmt ihn blaß mit beyden Armen hin;
Ein milder Thraͤnenſtrom fließt von den Wangen nieder,
Er ſeufzt, und ſein Clavier ſeufzt dreymal klaͤglich
wieder.
Nun ſeufzt er auch nicht mehr. Ohnmaͤchtig und
halbtodt
That er die Augen zu, und ſank in tiefre Neth.
Doch ein geputzter Geiſt, bunt wie der Regenbogen,
Den Gabalis erſchuſ, und Pope groß gezogen.
Ein Sylphe, der getreu am Schnupftuch Schildwacht
ſtand,
Bewegte rauſchend ſchon ſein farbichtes Gewand.
Er durfte dieſesmal von ſeinem Poſten weichen,
Mit Balſam in der Noth den Grafen zu beſtreichen.
Er ſah die Wangen ſchon von Thraͤnen uͤberſchwemmt;
Er, der zu Liebenden und Ungluͤckſelgen koͤmmt,
Bald Theodore ſchuͤtzt, die man dethroniſiret,
Und bald die Muſche haͤlt, die eine Nymphe zieret;
Er25Er fliegt zum goldnen Schrank galanter Medicin,
Holt himmliſch Elixir, und koͤmmt und ſtaͤrket ihn.
Der Graf faͤngt nach und nach von neuem an zu leben,
Und matt und reizend blaß die Augen zu erheben.
So ſinkt zur rechten Zeit, bey einem kleinen Weh,
Ein angenehmes Kind ſanft auf ihr Canapee,
Und hebt, wenn ihr Amant von Gift und Stal ge -
ſprochen,
Die holden Augen auf, die ſie verſtellt gebrochen.
Ermuntre dich, mein Kind, (ſprach der bemuͤhte
Geiſt,)
Und gieb ein Schnupftuch hin, das dir der Neid ent -
reißt.
Wie gern ſah ich es nicht in deinen ſchoͤnen Haͤnden:
Du hatteſt es verdient, drum half ich dirs entwenden.
Doch gieb es wieder hin. Du kannſt verſichert ſeyn,
Belinden wird ſehr bald ihr Eigenſinn gereun.
Vielleicht — jedoch ich darf das Schickſal nicht ent -
decken,
B 5Das26Das zu der Menſchen Troſt Unſterbliche verſtecken.
So ſprach der holde Geiſt. Dem Grafen kam es vor, —
Als liſpelt’ eine Stimm ihm etwas in das Ohr;
Doch halfen ihm ſehr bald des hohen Standes Rechte,
Er bildete ſich ein, als ob er ſelbſt es daͤchte.
Jndes erſcheint Johann, ſcheu wie ein Candidat,
Der ſich zum erſtenmal dem Kirchenrathe naht;
Jhn fuͤrſtlich ſpeiſen ſieht; ſich buͤckt, wie ſich gebuͤhret,
Und ſein fett Unterkinn mit Zittern reſpectiret.
Er blieb hart an der Thuͤr, die Stirne runzelnd, ſtehn.
Kaum wuͤrdigt ihn der Graf, ihn ſeitwaͤrts anzuſehn.
Herr Strom. Jch weis, Barbar, ſprach Hold mit
neuen Klagen,
Jch weis es, was du willſt, du ſollſt es mir nicht ſagen.
Wohlan ſo faſſe dich, beſtuͤrmtes armes Herz!
Du warſt ſtets unbeſiegt, ſey ietzt auch groß im
Schmerz.
Doch27Doch Goͤtter! koͤnnt ihr denn dies Schnupftuch nicht
erhalten?
Und darf nun uͤber mich ein Kammermaͤdchen walten?
Ach! ſoll ich nun der Spott der Promenaden ſeyn?
Jſt denn kein Mittel mehr — Nein, Ungluͤckſelger,
nein!
So geh denn hin — Er ſchwieg, doch ſagen viel Au -
toren,
Er habe den Verſtand in ſeiner Wuth verlohren,
Und habe noch zuletzt mehr Teufel hergeflucht,
Als je ein Adjutant von Deſſaus Heldenzucht.
Der alte Strom indes, den man nie lachen ſahe,
Kam ſcherzend nach und nach dem Kammermaͤdchen
nahe.
Man weis, daß gegen ihn kein Maͤdchen guͤtig iſt,
Doch ſagt Mnemoſine, es hab ihn dies gekuͤßt.
Und wozu kan ſich nicht die Politik entſchließen!
Sie wird ein Todtenbein, und Roms Pantoffel kuͤſſen,
Wenn ſie den Zweck erhaͤlt. Ein Abgeſandter ſeyn,
Schließt28Schließt in Galanterie viel Selbſtverlaͤugnung ein.
Der Graf erſcheint, und Strom giebt ſich den Anſtand
wieder,
Doch ſchlug er, halbverwirrt, beſchaͤmt die Augen
nieder,
Bis Hold die Stimm erhub: Hier, Maͤdchen, iſt das
Tuch.
Doch ſagt zugleich dabey Belinden meinen Fluch:
Jch werde nimmermehr ihr Haus voruͤber gehen,
Und als Amant und Narr nach ihrem Fenſter ſehen.
Jch ſcheue voller Stolz der Fraͤulein Gegenwart,
Und uͤberlaſſe ſie Liebhabern niedrer Art.
Jch werde ſie nicht mehr vor ſo viel Thoren ſchuͤtzen,
Die, wo ſie geht, um ſie mit Drottelweſten blitzen.
Wer hebt ſie uͤber Mod und Nachred und Gebrauch?
Wer ſpielt ſo hoch, wie ich, und wer bezahlet auch?
Noch dieſen Nachmittag wird ſie den Graf vermiſſen,
Wenn ſie den Lombertiſch in ewgen Finſterniſſen,
Und29Und in der alten Nacht die Markenſchachteln ſieht,
Die nun kein Graf von Hold aus ihrem Chaos zieht.
Dies alles ſchwoͤr ich dir in meines Zornes Hitze
Bey meinem groͤßten Schwur, bey dieſer bunten Muͤ -
tze*)Homer im Erſten Buch der Jlias laͤßt den Achill eben ſo weitlaͤuftig bey ſeinem Zepter ſchwoͤren.,
Die meine Mutter mir mit hoher Hand geſtrickt
Aus Wolle, die ein Baum aus Spanien uns ſchickt.
Sie ſendet der Gewinn in weitentfernte Laͤnder;
Der Weber webt aus ihr Cattun, und bunte Baͤnder;
Entehrt verdorrt der Stamm, dem man den Schmuck
gerauht,
Und Muͤtzen werden draus fuͤr unſer hohes Haupt;
Bey dieſer ſchwoͤr ich dir, daß ich Belinden haſſe,
Und nun auf immerdar ſie, und ihr Haus verlaſſe;
Jhr Haus, das ewig nun die lange Weile plagt,
Und wo ihr Hold kein Lob auf ihre Bildung ſagt.
Er30Er ſchwieg; und riß im Zorn, mit wuͤthender Geberde
Die Muͤtze von dem Kopf, und ſchmiß ſie auf die Erde.
Liſette nimmt indes das Schnupftuch, und voll Hohn
Ruͤmpft ſie den Roſenmund, neigt ſich, und geht davon.