PRIMS Full-text transcription (HTML)
Poetiſche Schriften
Zweyter Band.
Mit aller gnaͤdigſten Freyheiten.
[1]

Das Schnupftuch, Ein ſcherzhaftes Heldengedicht.

Erſter Geſang.

IIter Theil. A[2][3]
[figure]
Das Schnupftuch. Erſter Geſang.
Von Zwietracht, Zank, und Haß, und unerhoͤrten
Dingen,
Von einem Schnupftuch ſoll die Heldenmuſe ſingen;
Und von dem Zorn, in dem ein junger Herr entbrannt,
Als, ungeſchuͤtzt von Stolz, und Federhut, und Stand,
A 2Er4Das Schnupftuch.
Er, von dem Herrn von Strom hofmeiſterlich gezwun -
gen,
Ein Schnupftuch wiedergab, das ſich ſein Muth errun -
gen.
Und wie durch ſeinen Zorn, verwayſt von Scherz und
Spiel,
Ein praͤchtiger Pallaſt in lange Weile fiel;
Bis ſeine Goͤttin ihm das Schnupftuch wieder ſchickte,
Und ſeine Heldenſtirn ein neuer Lorbeer ſchmuͤckte.
Die wahre Muſ iſt fern, die mich begeiſtern kan!
Wer ſoll die Muſe ſeyn? Dich, Doris, ruf ich an.
Du wirſt zwar dieſes Lied nicht leſen, und verſtehen;
Doch wird man es vielleicht um deine Haare drehen.
Mir geht ſein Untergang nicht nah in deinem Haar,
Ob ich gleich manchen Reim nicht ohne Muͤh gebahr.
Kan man von der Natur zuſammen ſtets verlangen:
Pechſchwarzes Haar und Witz, Verſtand und ſchoͤne
Wangen?
Mir aber, Ewigkeit, die ſo viel Dichter ruͤhrt,
Mir5Erſter Geſang.
Mir oͤfne nun das Thor, das zu der Nachwelt fuͤhrt.
Schon wall ich auf der Bahn, die uns zur Ehre leitet.
Ein Burmann ſchimpft auf ihr, ein Carl der XIIte
ſtreitet;
Jch ſing ein Heldenlied von einer Kleinigkeit,
Und traͤume, wie der Held, von Ruhm und Ewigkeit.
Wie? traͤumen? Nein, mit Recht kan ich den Kranz
verlangen,
Mit dem auf hohen Haupt die Heldendichter prangen,
Da, durch der Muſe Gunſt in Wundern unverirrt,
Ein zweytes Jlium aus einem Schnupftuch wird.
Geſpenſter kehrten heim, die Graus und Nacht
bedecket,
Alp, Kobold, Poltergeiſt, und was in Winkeln ſchre -
cket.
Jn der gemeinen Welt war ſchon ſehr viel gethan,
Doch in der Adlichen brach noch kein Morgen an.
Die Zwietracht flog indes mit fuͤrchterlichen Schwingen
Durch die galante Welt, die Herzen aufzubringen.
A 3Herrſch -6Das Schnupftuch.
Herrſchſuͤchtig ſchuͤttelt ſie die Fackel in der Hand.
Sie ſetzet hier ein Herz, und dort ein Reich, in Brand;
Sie ſtuͤrzt Miniſter bald, bald Zofen die regierten;
Entzweyt bald Mann und Weib, und bald die Alliirten.
Sie ruͤhret ietzo nicht der Zwiſt in Corſika;
Vergebens iſt fuͤr ſie der Pohlen Reichstag da.
Jhr Abſehn geht allein auf eine holde Dame,
Jung, ſchoͤn, und unbeſiegt, Belinde war ihr Name.
Schon lange ſah mit Neid ihr Auge voller Wuth
Graf Holdens Liebesgluͤck, und dieſer Schoͤne Gluth.
Graf Hold ſah ſich geliebt. Zwar hielt durch viele
Sorgen
Des Grafens ganzes Gluͤck Belinde noch verborgen;
Doch manches ſuͤße Wort, und mancher ſanfte Blick,
Verrieth das weiche Herz, und des Geliebten Gluͤck,
Er, als ein junger Held mit allem ausgeruͤſtet,
Was7Erſter Geſang.
Was Herzen angeſteckt, und Tugenden verwuͤſtet;
Beſchaute ſiegreich oft Trophaͤen mancher Art,
Jn einem feſten Schrank ſorgfaͤltig aufbewahrt.
Doch unter manchem Band, geſchenket, und geſtohlen,
Lag auch ein Schnupftuch da. So wie vor Nachtviolen
Jhr koͤnigliches Haupt die Tuberoſ erhebt,
Und in Vergeſſenheit die Nachbarin begraͤbt;
So war dies Schnupftuch auch von allen Liebespfaͤn -
dern,
Von Locken, ſchwarz und blond, von Straͤußern und
von Baͤndern,
Das allerherrlichſte, das in dem Schatze lag,
Und ſelten kam es nur zum Anſehn an den Tag.
Bey einem Lomberſpiel ließ es Belinde fallen.
Der Vogel Jupiters ſchlaͤgt ſo wie maͤchtgen Krallen
Jn ein geputztes Lamm, zum Wettlaufspreis beſtimmt,
Als das entfallne Tuch der freche Sieger nimmt.
A 4Be -8Das Schnupftuch.
Belinde droht und fleht, vielleicht keins recht von bey -
den;
Doch taub bey ihrem Drohn, und taub bey ihrem Leiden,
Steckt er das Schnupftuch ein, und ſie ließ es geſchehn,
Und ein verſtohlner Blick vergab ihm ſein Vergehn.
So ſchien dies holde Paar die Zwietracht nicht zu ken -
nen;
Allein die Zwietracht faßt den Vorſatz, ſie zu trennen.
Es iſt ihr Zeitvertreib, Verliebte zu entzweyn.
Sie huͤllt in Puderſtaub und Caffeedampf ſich ein,
Macht ſich ein Neglige und eine Nachtkornette,
Und ſtellt, Belinden gleich, ſich an der Zofe Bette.
Liſette wiegte ſich in ſuͤßer Morgenruh,
Die Traͤume hielten noch die holden Augen zu;
Jhr Halstuch hatt im Schlaf ein Liebesgott verſchoben,
Man ſah die ſchoͤne Bruſt, die ſanfte Seufzer hoben,
Halb durch das zarte Tuch verraͤtheriſch verſteckt,
Weiß,9Erſter Geſang.
Weiß, wie der Fruͤhlingsſchnee, der Pfirſichbluͤthen
deckt.
Die Schoͤnheit waͤhlet ſich ſehr ungleich Unterthanen.
Man kan ſehr haͤßlich ſeyn, bey zwey und dreyßig Ahnen.
Das Kammermaͤdchen ſiegt im ſchimmernden Pallaſt
Oft mehr, als ihre Frau, die ihren Spiegel haßt.
Die Zwietracht ſprach zu ihr: Jch habe dir erzaͤhlet
Liſette, daß mir laͤngſt mein beſtes Schnupftuch fehlet.
Du weißt, Graf Hold hat es. Er prahlt damit herum,
Geh hin, und nimms ihm weg, ſo wird der Prahler
ſtum.
Jch will im Ernſt dafuͤr auf deine Heirath denken,
Dein gnaͤdges Fraͤulein ſeyn, und fuͤrſtlich dich beſchen -
ken.
So ſprach ſie, und verſchwand. Liſette macht ſich
auf,
Durch dies Geſicht verfuͤhrt, putzt ſich, und betet drauf.
Zwar ſprach ſie bey ſich ſelbſt: Wie wird mir das be -
fohlen!
Jch ſoll von ihrem Graf das Schnupftuch wiederholen?
A 5Sie10Das Schnupftuch.
Sie weis, daß er dadurch auf ewig mit ihr bricht
Doch ich gehorche nur, und unterſuche nicht.
Die ſchoͤne Welt fieng an die Ruhe zu verlaſſen.
Der Theetiſch deckte ſich mit buntbemahlten Taſſen;
Der ſchwarze Caffeetopf goß milde Fluthen aus:
Toppee wurden krumm, und Locken wurden kraus;
Schon lang erwarteten, die Voͤgel und die Hunde,
Confect und Schmeicheley, aus ſchoͤner Fraͤulein Mun -
de;
Als Lieschen ſich beſah, Putz und Gebet verließ,
Und ſchon in ihrem Sinn Frau, wie ſie wuͤnſchte, hieß;
Jhr Anfangscompliment ein paarmal uͤberdachte,
Und ſo im ſuͤßen Traum zum Graf von Hold ſich mach -
te.
Johann, der Laͤufer, ſtand vor ſeines Grafen Thuͤr,
Schoͤn wie ein Liebesgott, und buͤckte ſich vor ihr.
Der reinſte Puder roch aus ſeinen blonden Haaren,
Und11Erſten Geſang.
Und Locken ſpielten noch, die unzerſtoͤret waren.
Schlank, wie ein junger Baum, hatt er manch Herz
geruͤhrt,
Und manches Maͤdchens Blick durch ſeinen Blick ver -
fuͤhrt.
Den großen Federhut wußt er ſo ſtolz zu tragen,
Als ein Patricius, geadelt vor drey Tagen.
Liſette ſah ihn an, allein ihr Herz blieb frey,
So ſchoͤn er immer war, ſo war er doch Lakay.
Verſchmaͤhte ſie doch ſchon gewoͤhnliche Praͤſente,
Und Edelleuten nur vergalt ſie Complimente.
Er faßt ſie an das Kinn; Liſette trit zuruͤck;
Sein Muth ſinkt halb dahin vor ihrem hohen Blick.
Mein Engelchen, (ſprach er,) ſo fruͤh ſchon aus dem
Bette?
Wer? ich? ſein Engelchen? (ſprach voller Stolz Liſet -
te)
Der edelmuͤthge Hohn, der auf der Naſe ſaß,
Sah ietzund hoch herab auf eines Laͤufers Spaß.
Wo12Das Schnupftuch.
Wo iſt der Herr von Strom? Jch will zu ſeinem Gra -
fen,
Kan ich ihn ſprechen? Ja! Sie werden wohl noch
ſchlafen.
Doch, Muſe, miſche nicht zu ſehr in ein Gedicht,
Was der Bediente ſagt, und was die Zofe ſpricht.
Der goͤttliche Homer ſang Helden und ſang Maͤuſe,
Doch es ſpricht Held und Maus hoch, nach der Goͤt -
ter Weiſe.
So ſprich denn du auch hoch, du Magd, und du Lakay,
Daß ſolcher Thaten auch der Ausdruck wuͤrdig ſey.
Liſette war bereits ins Vorgemach gekommen.
Kein Fliſtern, kein Geraͤuſch, nichts hatte ſie vernom -
men.
Noch lag in tiefer Ruh der adliche Pedant,
Den in den Federn oft der hohe Mittag fand.
Hofmeiſter ward er bloß zur Ruh in ſeinem Alter.
Sonſt war er Schreiber, Vogt, Praͤceptor, und Ver -
walter,
Der Zins und Sporteln bald in die Regiſter trug,
Und13Erſter Geſang.
Und bald den Huͤnern rief, und bald den Junker ſchlug.
Es lag viel Zorn und Geiz in ſeinem hohen Blute;
Er war zur Feder ſtark, doch ſtaͤrker noch zur Ruthe.
Zween junge Herrn hat er durch ſeinen Stock formirt,
Und vor ſehr wenig Geld auf Reiſen ſie gefuͤhrt.
Sie hatten Rom geſehn, und gut darin gegeſſen,
Die heilgen Stuffen auch gezaͤhlet, und gemeſſen;
Paris hatt ihren Kopf nach neuer Art verſtutzt,
Und ihren deutſchen Rock mit neuem Gold geputzt.
Sie hatten auch von nichts, wie Reiſenden gebuͤhret,
Und ſtets der Deutſche thut, ein Tagebuch gefuͤhret.
Er, Strom, ſprach ventre bleu, wie ein Franzoſe
ſpricht,
Und rief, Got dam my! aus, denn deutſch flucht er gar
nicht.
Sein muͤrriſches Geſicht ſprach ſchweigend Sittenleh -
ren,
Man kont ihn weit und breit an ſeiner Stimme hoͤren,
Und14Das Schnupftuch.
Und jeden Tag gab er, mit Donner und Geſchrey,
Verweiſe ſeinem Graf, und Pruͤgel dem Lakay.
Er ſelbſt befand ſich wohl bey zornigem Gebluͤte,
Trank ſein Glas Moſelwein, und mit Appetite.
Es ſtuͤrzet ſich indes Johanns geſchwinder Lauf
Zum Bette ſeines Herrn; Er zieht den Vorhang auf,
Und zupft mit viel Reſpect den Grafen, ihn zu wecken;
Allein der Graf faͤngt an, ſich beſſer auszuſtrecken.
Er zupft noch einmal: Kerl, (ruft der erzuͤrnte Graf,)
Es iſt noch alles Nacht, und du ſtoͤrſt meinen Schlaf?
Bin ich vom Lernen nicht blaß, wie der Tod, geweſen,
Soll ich des Nachts auch noch die Teufelsbuͤcher leſen?
Geh oder
Gnaͤdger Herr, (verſetzt der Laͤufer drauf,)
Es iſt ein Maͤdchen da. Ein Maͤdchen? (faͤhrt er auf.)
Jndem15Erſter Geſang.
Jndem er Maͤdchen ſpricht, ſchallt alles Maͤdchen wie -
der;
Der alte Strom erwacht, und wiſcht die Augenlieder.
Wer ſchwatzt von Maͤdchen hier? (ſpricht er mit ern -
ſtem Blick,)
Der Graf ſteht auf und bebt; der Laͤufer fliegt zuruͤck;
Auch Strom erhebet ſich; faͤngt murrend an zu ſchellen;
Die Voͤgel ſingen laut; Joli und Dame bellen;
Am Fenſter toͤnt das Glas, und an der Wand die Uhr:
Es ſcheint, als nahe ſich das Ende der Natur.
Doch ietzt fieng nur die Thuͤr ein wenig an zu krachen;
Liſette tritt herein, ihr Compliment zu machen.
Der ſteife Mentor ſchiebt die Muͤtz aus dem Geſicht
Und gafft das Maͤdchen an, das ſchalkhaft lacht und
ſpricht:
Mein Fraͤulein laͤſſet ſich en Herren ſchoͤn em -
pfehlen,
Und ſie kan laͤnger nicht dem Herrn von Strom ver -
hehlen,
Wie wenig artig ſich ihr junger Herr bezeigt,
Der16Das Schnupftuch.
Der ſeinen Federhut zu ſehr den Gaſſen zeigt.
Mein Fraͤulein, (fuhr ſie fort, im hoͤhern Ton zu ſpre -
chen,)
Raͤcht immer ihr Geſchlecht und wird es ietzt auch raͤ -
chen.
Sie hat kein Pflaͤſterchen vergebens noch gelegt,
Und keinen Blick gethan, der nicht ein Herz bewegt.
Wie koͤmmts denn, daß der Graf, allein ſich unter -
ſtehet,
Und wider das Geſetz der Klugheit ſich vergehet?
Den ſieht mit ſchlechter Huld ein Frauenzimmer an,
Der, wenn er gluͤcklich iſt, nicht einmal ſchweigen kan.
Ein Schnupftuch hat er tuͤngſt dem Fraͤulein wegge -
nommen;
Er hat es halb mit Liſt, und halb mit Scherz bekom -
men;
Doch warum zeiget er es an die ganze Welt?
Wer hat wohl oͤffentlich ſo was zur Schau geſtellt?
Die ganze ſchoͤne Welt nimmt Theil an dieſer Sache.
Die Stadt iſt voll davon; das Schnupftuch fodert
Rache.
Und17Erſter Geſang.
Und ja! es ſoll geraͤcht und ausgeliefert ſeyn!
Jch fodr es feyerlich von ſeinen Haͤnden ein.
Wer ſo ein Gluͤck erhaͤlt, der lern es auch verhehlen;
Du wirſt es, weiſer Strom, dem jungen Herrn be -
fehlen.
So, wie der Thetis Sohn, von edler Wuth ent -
brannt,
Mit jugendlichem Stolz vor grauen Helden ſtand,
Briſeis und ſein Recht mit Kunſt und Muth beſchuͤtzte;
So ſteht der Graf auch auf, den Rach und Lieb erhitzte.
Er riß im erſten Zorn drey Papiljoten aus,
Und durch ein Wunderwerk ward eine Locke draus.
Was? (fieng er zornig an die Stimme zu erheben)
Sollt ich Feigherziger ein Schnupftuch wiedergeben,
Das ich mit ſo viel Liſt und ſo viel Muth erhielt?
Das zu erobern ich zwoͤlf Louisdor verſpielt?
Deswegen hab ich nicht bis in die Nacht geſeſſen,
IIter Theil. BUnd18Das Schnupftuch.
Und zweymal Solotout gedankenvoll vergeſſen;
Deswegen hab ich nicht mein graͤflich Blut verſpritzt,
Und Nadeln nicht geſcheut, die dieſe Hand zerritzt;
Daß ich, ſo wie es nun ein Kammermaͤdchen wollte,
Des theuren Sieges Preis zuruͤcke geben ſollte.
Denn wiß, ich glaub es nicht, daß dich Belinde ſchickt;
Wer weis, was fuͤr ein Traum dir das Gehirn ver -
ruͤckt.
Wie laͤg ein lumpicht Tuch der Fraͤulein doch am
Herzen!
Und wer prahlt denn damit? Nie iſt bey meinen
Scherzen
Des Schnupftuchs noch gedacht. Hier liegts in ſtolzer
Ruh;
Doch koͤmmt es freylich mir als eine Beute zu,
Die ich mit Recht gemacht, und auch mit Recht beſitze;
Und die ich voller Muth bis an den Tod beſchuͤtze.
Noch uͤberfaͤllt mich nicht vor deinem Drohn ein Graus;
Was mein iſt, das iſt mein, ich geb es nicht heraus.
So19Erſter Geſang.
So? (ſprach Liſette drauf,) der Graf will nicht?
Jch lache.
Was ſagſt du, weiſer Strom, zu der verworrnen Sache?
Jndem ſie dieſes ſprach, ſah ſie ihn zaͤrtlich an.
Welch Wunderwerk hat oft ein ſchoͤner Blick gethan!
Wie manches Richters Herz, der fuͤr kein Gold betro -
gen,
Hat einer Phryne Bruſt zum falſchen Spruch bewogen.
Durch ihren Blick koͤmmt Strom aus ſeiner weiſen
Ruh;
Er nimmt voll Ernſt Toback, und ſchnapt die Doſe zu.
Mein liebes Kind, (ſprach er,) man muß vor allen
Dingen
Den ganzen dunklen Kram in zwey drey Fragen brin -
gen,
Jch vor mein Theil bin ſo, wie Sokrates, geſinnt,
Und uͤberzeugt, daß man durch Fragen viel gewinnt.
Hat denn O (ſchreyt der Graf,) was iſt das viel zu
fragen,
Was ſoll hier Sokrates; dies Menſch hier darf es
wagen.
Ein Schnupftuch ventre bleu! (ruft Strom von
Wuth erhitzt,
B 2Jn -20Das Schnupftuch.
Jndem ihm ſchneller Zorn aus ſchwarzen Augen blitzt,
Der Graf ſoll alſobald das Schnupftuch wiedergeben!
God dam my! man ſoll mir ſo kuͤhn nicht widerſtreben,
Jch wills! er winket ihm mit wilder Gravitaͤt,
Die voller Ernſt gebeut, und die der Graf verſteht.
So maͤchtig ſitzt Neptun auf ſeinem Muſchelwagen,
Wenn ihn durch Fluth und Sturm die Waſſerpferde
tragen,
Und vor des Dreyzacks Macht, und ſeiner Augen Gluͤhn
Die Kinder Aeolus in ihre Hoͤhlen fliehn.
Der Graf wagt es nicht mehr, noch einmal ihn zu bit -
ten;
Es ward durch Schmeicheln nie dies Felſenherz be -
ſtritten;
Er buͤckt ſich, ſchweigt, und geht; thut ſtandhaft, als
ein Heid,
Da ihm vor Lieb und Zorn ſchon eine Thraͤn entfaͤllt.
Was ſollt er ietzo thun? Mit ſtolzem Muth ſich wehren,
Und eine Woche lang das Taſchengeld entbehren?
Mit21Erſter Geſang.
Mit dieſem Schnupftuch ſelbſt ein Staatsgeſangner
ſeyn?
Denn ſo ſehr hart war Strom, er ſchloß zur Straf
ihn ein.
O Muſe, laß uns mit bis in ſein Zimmer dringen,
Und ſeine Raſerey, und ſeine Klagen ſingen.
Der Graf, der ſonſt ſo frey den groͤßten Muth
gezeigt;
Der Sproͤde baͤndigte, Hochmuͤthige gebeugt;
Der zwar dem Thor oft glich, doch Thoren ſtets be -
kriegte;
Und bald mit dem Verſtand, bald mit der Weſte ſiegte;
Ein Spieler ohne Fluch, auch wenn er was verſah;
Der mit Gelaſſenheit die Bank ſich ſprengen ſah;
Und welcher ſein Geſicht kein einzigmal verzogen,
Wenn auch zum viertenmal der Koͤnig thn betrogen;
Der wirft ſich fuͤhllos nun in einen Lehnſtuhl hin,
Und murmelt was daher von tiefverſtecktem Sinn.
Kein Sterblicher verſtehts, in Buͤchern iſts zu leſen;
B 3Jm22Das Schnupftuch.
Jm Nimrod ſprechen ſo die uͤberirdſchen Weſen.
Jhm gegen uͤber lag in aufgebluͤhter Pracht,
So, wie das Morgenroth in bunte Thaͤler lacht,
Dies Schnupftuch, das ihm noch entgegen wallen
wollte,
Und das er ſchimpflich nun zuruͤcke geben ſollte.
O Muſe, mahle mir des ſeltnen Sehnupftuchs
Pracht!
Dir iſt nichts unbekannt, wovon war es gemacht?
Verewige zuerſt des großen Webers Namen,
Der mit geſchickter Hand in einen engen Rahmen,
Von Seide fein und zart, dies meiſterſtuͤck gewebt,
Das, durch mein Lied erhoͤht, in Famens Tempel
ſchwebt.
Jm heißen Vaterland der Mohren und der Affen
Hat es mit kuͤhnem Witz ein Jndier erſchaffen;
Viel Blumen drein gewebt, mit Roſenroth gefaͤrbt;
Es war noch nie gebraucht, durch keinen Schmutz ver -
derbt,
Und23Erſter Geſang.
Und in dem Zipfel war B. L. v. L. genaͤhet,
Charakter, welche Magd und Waͤſcherin verſtehet.
Der Leineweber ſelbſt hieß Brama Kinkinhan,
Ein Prinz, nicht, wie bey uns, ein armer Handwerks -
mann.
Ein allereinzigmal in ſeinem ganzen Leben
Hat er dies Tuch gewebt, und wird nicht wieder weben.
So ſitzt ein Staatsmann oft vor ſeiner Drechſelbank,
Und ſchlaͤgt aus ſeinem Sinn des Reiches Untergang.
Die Buͤrger ſind ſich ſchon Aufruhr und Tod gewaͤrtig,
Allein er drechſelt fort, und macht die Schachtel fertig.
Zum Schnupftuch ſprach der Graf: Dich ſoll ich nicht
mehr ſehn?
Mit dir ſoll ich mich nicht in ſchwuͤlen Tagen wehn?
Mit dir ſoll ich nicht mehr der Junker Neid erregen?
Dies ſagt er, daß ein Stein ſich haͤtt erbarmen moͤgen.
Er ſteht den Schmerz nicht aus, er uͤberwaͤltigt
ihn.
B 4Der24Das Schnupftuch.
Der Lehnſtuhl nimmt ihn blaß mit beyden Armen hin;
Ein milder Thraͤnenſtrom fließt von den Wangen nieder,
Er ſeufzt, und ſein Clavier ſeufzt dreymal klaͤglich
wieder.
Nun ſeufzt er auch nicht mehr. Ohnmaͤchtig und
halbtodt
That er die Augen zu, und ſank in tiefre Neth.
Doch ein geputzter Geiſt, bunt wie der Regenbogen,
Den Gabalis erſchuſ, und Pope groß gezogen.
Ein Sylphe, der getreu am Schnupftuch Schildwacht
ſtand,
Bewegte rauſchend ſchon ſein farbichtes Gewand.
Er durfte dieſesmal von ſeinem Poſten weichen,
Mit Balſam in der Noth den Grafen zu beſtreichen.
Er ſah die Wangen ſchon von Thraͤnen uͤberſchwemmt;
Er, der zu Liebenden und Ungluͤckſelgen koͤmmt,
Bald Theodore ſchuͤtzt, die man dethroniſiret,
Und bald die Muſche haͤlt, die eine Nymphe zieret;
Er25Erſter Geſang.
Er fliegt zum goldnen Schrank galanter Medicin,
Holt himmliſch Elixir, und koͤmmt und ſtaͤrket ihn.
Der Graf faͤngt nach und nach von neuem an zu leben,
Und matt und reizend blaß die Augen zu erheben.
So ſinkt zur rechten Zeit, bey einem kleinen Weh,
Ein angenehmes Kind ſanft auf ihr Canapee,
Und hebt, wenn ihr Amant von Gift und Stal ge -
ſprochen,
Die holden Augen auf, die ſie verſtellt gebrochen.
Ermuntre dich, mein Kind, (ſprach der bemuͤhte
Geiſt,)
Und gieb ein Schnupftuch hin, das dir der Neid ent -
reißt.
Wie gern ſah ich es nicht in deinen ſchoͤnen Haͤnden:
Du hatteſt es verdient, drum half ich dirs entwenden.
Doch gieb es wieder hin. Du kannſt verſichert ſeyn,
Belinden wird ſehr bald ihr Eigenſinn gereun.
Vielleicht jedoch ich darf das Schickſal nicht ent -
decken,
B 5Das26Das Schnupftuch.
Das zu der Menſchen Troſt Unſterbliche verſtecken.
So ſprach der holde Geiſt. Dem Grafen kam es vor,
Als liſpelt eine Stimm ihm etwas in das Ohr;
Doch halfen ihm ſehr bald des hohen Standes Rechte,
Er bildete ſich ein, als ob er ſelbſt es daͤchte.
Jndes erſcheint Johann, ſcheu wie ein Candidat,
Der ſich zum erſtenmal dem Kirchenrathe naht;
Jhn fuͤrſtlich ſpeiſen ſieht; ſich buͤckt, wie ſich gebuͤhret,
Und ſein fett Unterkinn mit Zittern reſpectiret.
Er blieb hart an der Thuͤr, die Stirne runzelnd, ſtehn.
Kaum wuͤrdigt ihn der Graf, ihn ſeitwaͤrts anzuſehn.
Herr Strom. Jch weis, Barbar, ſprach Hold mit
neuen Klagen,
Jch weis es, was du willſt, du ſollſt es mir nicht ſagen.
Wohlan ſo faſſe dich, beſtuͤrmtes armes Herz!
Du warſt ſtets unbeſiegt, ſey ietzt auch groß im
Schmerz.
Doch27Erſter Geſang.
Doch Goͤtter! koͤnnt ihr denn dies Schnupftuch nicht
erhalten?
Und darf nun uͤber mich ein Kammermaͤdchen walten?
Ach! ſoll ich nun der Spott der Promenaden ſeyn?
Jſt denn kein Mittel mehr Nein, Ungluͤckſelger,
nein!
So geh denn hin Er ſchwieg, doch ſagen viel Au -
toren,
Er habe den Verſtand in ſeiner Wuth verlohren,
Und habe noch zuletzt mehr Teufel hergeflucht,
Als je ein Adjutant von Deſſaus Heldenzucht.
Der alte Strom indes, den man nie lachen ſahe,
Kam ſcherzend nach und nach dem Kammermaͤdchen
nahe.
Man weis, daß gegen ihn kein Maͤdchen guͤtig iſt,
Doch ſagt Mnemoſine, es hab ihn dies gekuͤßt.
Und wozu kan ſich nicht die Politik entſchließen!
Sie wird ein Todtenbein, und Roms Pantoffel kuͤſſen,
Wenn ſie den Zweck erhaͤlt. Ein Abgeſandter ſeyn,
Schließt28Das Schnupftuch.
Schließt in Galanterie viel Selbſtverlaͤugnung ein.
Der Graf erſcheint, und Strom giebt ſich den Anſtand
wieder,
Doch ſchlug er, halbverwirrt, beſchaͤmt die Augen
nieder,
Bis Hold die Stimm erhub: Hier, Maͤdchen, iſt das
Tuch.
Doch ſagt zugleich dabey Belinden meinen Fluch:
Jch werde nimmermehr ihr Haus voruͤber gehen,
Und als Amant und Narr nach ihrem Fenſter ſehen.
Jch ſcheue voller Stolz der Fraͤulein Gegenwart,
Und uͤberlaſſe ſie Liebhabern niedrer Art.
Jch werde ſie nicht mehr vor ſo viel Thoren ſchuͤtzen,
Die, wo ſie geht, um ſie mit Drottelweſten blitzen.
Wer hebt ſie uͤber Mod und Nachred und Gebrauch?
Wer ſpielt ſo hoch, wie ich, und wer bezahlet auch?
Noch dieſen Nachmittag wird ſie den Graf vermiſſen,
Wenn ſie den Lombertiſch in ewgen Finſterniſſen,
Und29Erſter Geſang.
Und in der alten Nacht die Markenſchachteln ſieht,
Die nun kein Graf von Hold aus ihrem Chaos zieht.
Dies alles ſchwoͤr ich dir in meines Zornes Hitze
Bey meinem groͤßten Schwur, bey dieſer bunten Muͤ -
tze*)Homer im Erſten Buch der Jlias laͤßt den Achill eben ſo weitlaͤuftig bey ſeinem Zepter ſchwoͤren.,
Die meine Mutter mir mit hoher Hand geſtrickt
Aus Wolle, die ein Baum aus Spanien uns ſchickt.
Sie ſendet der Gewinn in weitentfernte Laͤnder;
Der Weber webt aus ihr Cattun, und bunte Baͤnder;
Entehrt verdorrt der Stamm, dem man den Schmuck
gerauht,
Und Muͤtzen werden draus fuͤr unſer hohes Haupt;
Bey dieſer ſchwoͤr ich dir, daß ich Belinden haſſe,
Und nun auf immerdar ſie, und ihr Haus verlaſſe;
Jhr Haus, das ewig nun die lange Weile plagt,
Und wo ihr Hold kein Lob auf ihre Bildung ſagt.
Er30Das Schnupftuch. Erſter Geſang.
Er ſchwieg; und riß im Zorn, mit wuͤthender Geberde
Die Muͤtze von dem Kopf, und ſchmiß ſie auf die Erde.
Liſette nimmt indes das Schnupftuch, und voll Hohn
Ruͤmpft ſie den Roſenmund, neigt ſich, und geht davon.
Das[31]

Das Schnupftuch. Zweyter Geſang.

[32]33
Das Schnupftuch. Zweyter Geſang.
Die du in tiefer Ruh am Nachttiſch Baͤnder waͤhleſt,
Der Locken Bau beſiehſt, und Muſchen uͤberzaͤhleſt;
Und dir mit weiſem Ernſt viel Ueberlegung nimmſt,
Eh du im braunen Haar der Blume Platz beſtimmſt;
Belinde, bis hieher haſt du mit deinem Grafen
Die Mittel ſtets gewußt, die Thoren zu beſtrafen;
Und bis hieher hat es kein goldner Geck gewagt,
Und ein ſtaatskluges Nein zu Spielparthie geſagt,
Es glaͤnzte ſtets um dich des Grafen reiche Weſte;
Noch andre glaͤnzten auch, doch ſeine blieb die beſte.
Vor euch erzitterte des Lombers weites Reich,
Und im Triſſet und Wiſk fiel alles hin vor euch.
IIter Theil. CAls34Das Schnupftuch.
Als Lehrer ſtets bemuͤht, die Spiele fortzupflanzen,
Gewann dein Graf mit dir in ewgen Allianzen.
Doch jetzo trift dein Haupt der fuͤrchterliche Blitz.
Die Narren ruͤſten ſich mit Puder und mit Witz;
Bruͤnetten laͤrmen ſchon mit Hohn und lautem Tadel,
Und Karten wafnen ſchon den armgeſpielten Adel.
Ach Fraͤulein! wo iſt der, der nun dein Reich erhaͤlt?
Jm Ball fehlt der Amant, am Spieltiſch fehlt der
Held;
Ach, daß die Zwietracht doch mit Fledermaͤuſeſchwin -
gen
Liſettens Herz verfuͤhrt, den Grafen aufzubringen!
Und warum goͤnnteſt du ihm dieſes Schnupftuch nicht,
Da er fuͤr dich voll Muth ſo manche Lanze bricht?
Doch wer kan in den Rath erhabner Geiſter ſe -
hen!
So wie Kunſtrichter oft die Verſe nicht verſtehen,
Die ihre Noten uns mit kleiner Schrift erklaͤrt;
So35Zweyter Geſang.
So dunkel bleibt uns auch, was Schoͤnen wiederfaͤhrt.
Liſette war nunmehr drey Straßen durchgegan -
gen.
Sie gruͤßt die junge Welt, mit ſanſtverſchaͤmten Wan -
gen;
Fliegt ſtets eilfertig fort; und laͤßt doch in dem Gehn
Den ſchoͤnſten kleinen Fuß neuglergen Augen ſehn.
Man ſchlaͤgt die Fenſter auf; ihr folgen tauſend Blicke;
Der Rathsherr nickt ihr zu in langer Staatsperuͤcke;
Der dicke Domherr auch, der ganz die Saͤnſte fuͤllt,
Und ſein hochwuͤrdigs Haupt in hundert Locken huͤllt.
Liſette trat vergnuͤgt in ihrer Fraͤulein Zimmer.
Doch ſchnell erhub der Mops ein trauriges Gewimmer,
Und heulte himmelauf; that nicht, wie ſonſt, bekannt;
Auch maute trauervoll das Kaͤtzgen, Winz genannt.
Viel Wunderzeichen mehr, auf welche man nicht achtet,
Und die man leider nur nachher zu ſpaͤt betrachtet,
C 2Be -36Das Schnupftuch.
Begaben ſich anietzt; und zeugten klaͤrlich an,
Welch eine boͤſe That Liſettens Herz gethan.
Nun, Maͤdchen, biſt du da? (ſprach voller Zorn Be -
linde)
Wie viel Verdruß macht uns verdorbenes Geſinde!
Noch eh der Morgen graut, gehſt du, wohin du willſt,
Eh du die kleinſte noch von deiner Pflicht erfuͤllſt?
Sprich, wovor hab ich dich? ſoll ich mich ſelbſt frie -
ſiren;
Selbſt beten, ſo wie du; ſelbſt den Caffee umruͤhren?
Daß Papagey und Mops, von meiner eignen Hand,
Caffee und Zucker kriegt, ſchickt ſich fuͤr meinen Stand;
Doch daß ich ſelber ſoll den Morgenſegen beten;
Und ſelbſt mein Maͤdchen ſeyn, und vor den Spiegel
treten;
Das waͤre buͤrgerlich. Komm her, und ohne Liſt
Gieb mir jetzt Rechenſchaft, wo du geweſen biſt.
Sie ſagts, und nimmt Caffee. Liſette ſchweigt und
laͤchelt,
Wie37Zweyter Geſang.
Wie eine Dame thut, die ſich gelaſſen faͤchelt,
Wenn auf den Knien vor ihr, ſo wie es ſich gebuͤhrt,
Ein junger Ritter ſeufzt, und den Verſtand verliert.
Sie ſchlug den Mantel auf, und ließ mit ſanftem
Wallen
Das Schnupftuch nach und nach auf ihren Nachttiſch
fallen,
Und ſprach: Du haſt mich fruͤh in meinem Schlaf ge -
ſtoͤrt,
O Fraͤulein! Noch weiß ichs, was ich ſehr gut gehoͤrt?
Liſette, war dein Wort, du wirſt mich raͤchen muͤſſen.
Der Graf von Hold hat juͤngſt ein Schnupftuch mir
entriſſen;
Er zeigt es aller Welt, und prahlt damit herum;
Doch geh, und nimm es weg, ſo wird der Prahler
ſtumm.
Jch will im Ernſt dafuͤr auf deine Heyrath denken,
Dein gnaͤdges Fraͤulein ſeyn, und fuͤrſtlich dich be -
ſchenken.
So klang mir dein Befehl; ich zog mich hurtig an,
Und was man mir befahl, das hab ich auch gethan.
C 3Hier38Das Schnupftuch.
Hier ſchickt der Graf das Tuch; doch er hat ſich vor -
meſſen,
Dich und dies ganze Haus auf ewig zu vergeſſen.
Sein Haar, das er voll Zorn aus den Papieren riß,
Das Tuch, ſo ſeine Wuth mir vor die Fuͤße ſchmiß,
So mancher Fluch, den er mit Raſerey geſprochen,
Bezeigt, daß ich gehorcht, und daß ich dich gerochen.
O du Verraͤtherin, wie unverſchaͤmt luͤgſt du!
(So rief das Fraͤulein aus;) Heb ich mich aus der
Ruh
Ein einzigmal ſo fruͤh, als du heut ausgegangen?
Und hab ich dich zu ſehn wohl je ſo ein Verlangen,
Daß ich, uneingedenk des Standes uͤber dir,
Zu dir ans Bette kaͤm, o unverſchaͤmtes Thier!
Du luͤgſt. Jn tiefer Ruh hab ich vergnuͤgt geſchlafen.
Und haͤtt ich auch geſagt: Liſette, geh zum Grafen,
Und nimm das Schnupftuch weg; ſo biſt du doch nicht
klug,
Ein39Zweyter Geſang.
Ein Wort im Zorn geſagt, iſt das ſogleich genug?
Und haͤtteſt du vorher nicht unterſuchen ſollen,
Ob ich auch das befahl, was ich befehlen wollen?
O warum eilteſt du mit ſolchem Wuͤten fort?
Nie ſprach mein zaͤrtlich Herz ein ſolches hartes Wort!
Wie? (ſprach Liſette drauf,) du haͤtteſt nicht be -
fohlen,
Das Schnupftuch heute noch vom Grafen abzuholen?
Nein (rief Belinde,) nein wer weis, was du ge -
hoͤrt,
Und wer dich ſonſt, als ich, in deiner Ruh bethoͤrt.
O Fraͤulein Schweig, (ſprach ſie,) ich will nichts
weiter wiſſen!
O Himmel! Wie wird das den Graf beleidgen muͤſ -
ſen!
Sie ſagt es; und ihr faͤllt die Nadel aus der
Hand;
Verwegen ſtraͤubet ſich das unbiegſame Band;
Jhr ſchoͤpferiſcher Witz, den nichts zu binden pflegte,
Der Spitzen ſchnell erhob, mechaniſch Muſchen legte,
C 4Ward40Das Schnupftuch.
Ward irre. So wie ſich ein General verwirrt,
Wenn von dem wilden Bley ſein Prinz getoͤdtet wird;
Er weis den Plan nicht mehr, nach dem er kom -
mandiret;
Sein klopfend Herz ſagt ſchon, daß er die Schlachk
verlieret;
Die feurigen Majors fliehn aͤngſtlich durch das Feld;
Vergebens brauſt ihr Fluch; des Heeres Hofnung faͤllt.
So gieng es ietzt auch hier. Mit ſtuͤrmeriſchen
Schwingen
Naht ſich die Unordnung, das Fraͤulein aufzubringen.
Das Spiegelglas erblaßt; der Tag verliert den
Schein;
Der Nachttiſch huͤllte ſich in Puderwolken ein;
Der Staub formirte ſich zu vielen Wunderdingen,
Als ſie zu Locken ſprach, vergeht! und ſie vergien -
gen.
Liſette zitterte, und hieß in ihrem Sinn
Sie eine Furie, und eine Moͤrderin.
Auf einmal ward der Tiſch von tauſend Staͤub -
chen fleckigt,
Steck -41Zweyter Geſang.
Stecknadeln groß und klein, und Muſchen rund und
eckigt,
Verfinſterten die Luft; ſo wie zur Winterszeit
Der rauhe Nord das Feld mit Flocken uͤberſtreut;
So flog hier Spitz und Band. Sie thats, und
gieng von hinnen;
Fiel hin aufs Canapee mit trauervollen Sinnen,
Und ſchlug ihr Maͤntelchen betruͤbt um ſich herum;
Auch zornig war ſie ſchoͤn, und ſehr beredt, auch ſtumm.
Liſette ſucht indes ihr Fraͤulein zu erweichen;
Sie wagt es, unvermerkt bis zu ihr hin zu ſchleichen;
Stellt ſich beaͤngſtigt an; und ſpricht, wer kan da -
vor?
Was, (fuhr das Fraͤulein auf,) ſeht doch, wer kan
davor?
Du Thoͤrin, du allein! nichts koͤnnen und nichts tau -
gen,
Und doch vorwitzig ſeyn doch geh mir aus den Au -
gen.
Wie ein Miniſter bebt, und kaum glaubt, was er
ſieht,
Wenn ihm ſein Fuͤrſt erzuͤrnt den Ruͤcken kehrt und
flieht;
C 5Er42Das Schnupftuch.
Er geht den Vorſaal durch, er merket es an allen,
Der Hof buͤckt ſich nicht mehr, er ſiehts, er iſt ge -
fallen;
So geht das Maͤdchen auch; weint laut, und fleht
und klagt,
Jm Gluͤcke gar zu ſtolz, im Ungluͤck zu verzagt.
Unbillig ausgeſchimpft, und ungerecht geſtuͤrzet,
Sieht ſie auf einmal nun der Hoheit Ziel verkuͤrzet.
Tyrannin unſrer Bruſt, Monarchin der Natur,
Der Koͤnig auf dem Thron, der Schaͤfer auf der
Flur
Gehorchet dir, und liebt; ich, Liebe, will es wagen,
Und deine Hoheit ſchmaͤhn, und Boͤſes auf dich ſagen.
Du machſt, daß ohne Troſt die ſchoͤnſte Nymphe klagt;
Daß ſie mit Puder ſtuͤrmt, und Zofen von ſich jagt;
Du machſt, daß Scherze fliehn; daß Lippen ſich ent -
faͤrben,
Und Unſchuld, Weiß und Roth, auf zarten Wangen
ſterben.
Du machſt es, daß den Lord die Taͤnzerin verfuͤhrt,
Und43Zweyter Geſang.
Und daß in Deutſchland ſich der Graf meſalliirt.
Du uͤberſchwemmeſt uns mit Dichtern und Amanten,
Mit Hankens und Corvins, mit Stoppen und Me -
nanten.
Belinde ließ nunmehr dem Zorne freyen Lauf,
Und Klagen ſtuͤrmten hin, und Thraͤnen hoͤrten auf.
Sie nimmt das Schnupftuch, ſeufzt, und ſchmeißt es
in die Ecke,
Und hebt die Augen auf zum Schickſal, und zur Decke.
O armer Graf, (ſprach ſie,) wie jammert mich dein
Schmerz!
Jſt dieſes nun der Lohn fuͤr dein getreues Herz?
Du zaͤhlteſt keinen Trumpf; verſpielteſt mit Vergnuͤ -
gen,
Und ſahſt allein auf mich, dies Schnupftuch zu erſie -
gen.
Und dies verdammte Tuch, nach dem ich nichts ge -
fragt,
Raubt dir der Vorwitz nun der naſeweiſen Magd!
Wie wirſt du, armes Kind, dein Siegeszeichen ſuchen,
Auf mich und mein Geſchlecht, und ſeine Falſchheit
fluchen,
Und44Das Schnupftuch.
Und glauben, daß nunmehr Belinde dich vergißt,
Da ſie dir ietzt doch mehr, als je gewogen iſt!
Ach duͤrft ich dir ſogleich dies Schnupftuch wieder ſen -
den!
Wie bald wollt ich dein Leid und deine |Klagen enden!
Sollt ich es iſt zu ſpaͤt! Allein wer wehrt es mir?
Jch ſchenkte dir es ja; mit Recht gehoͤrt es dir.
Wohlan, |ſo ſoll es dir Liſette wieder bringen.
Ein ſuͤſſer Brief von mir ſoll deinen Zorn bezwin -
gen;
Es war ein Mißverſtand; er ſoll nicht Urſach ſeyn,
Daß uͤber dieſen Zank ſich unſre Feinde freun.
So ſpricht ſie; Scherz und Roth koͤmmt auf die
Wangen wieder.
Jndem ſtuͤrzt ſchleunig ſich die wache Zwietracht nie -
der;
Wirft Schlummerkoͤrner aus; verhuͤllt des Tages
Schein;
Der Nymphe Haupt ſinkt hin; ſie gaͤhnet, und ſchlaͤft
ein.
O Zwietracht, hilf mir ietzt zu deiner eignen
Ehre!
Jch45Zweyter Geſang.
Jch brauche dich ietzo ſo noͤthig als Voltaire.
Sein Lied waͤr ohne dich vom Wunderbaren leer.
Wie oftmals jaget er dich uͤber Land und Meer
Um eine Kleinigkeit, und macht dich ſo geringe,
Wie eine Botenfrau: Doch hier thu Wunderdinge.
Es iſt im Heldenlied von Alters hergebracht,
Daß man aus etwas nichts, und aus nichts etwas
macht.
Hier wird ein Hauch zum Sturm, ein Fluch zum
Donnerwetter,
Und unter unſrer Macht ſtehn Satane und Goͤtter.
Die Zwietracht ſiegt mit Liſt, da ſie mit Macht
nicht kan.
Schnell nimmt ſie die Geſtalt von Fraͤulein Lottchen
an,
Und iſt von Haupt zu Fuß, gleich der koſtbaren Sproͤde,
Hochadlich in dem Gang, und gnaͤdig in der Rede.
Sie war klein von Perſon, doch groß von Einbildung;
Dem Taufſchein nach, ſehr alt, der Schminke nach,
ſehr jung.
Jhr46Das Schnupftuch.
Jhr gleich, naht ſich voll Liſt die Zwietracht zu Be -
linden,
Und ſpricht; Wie, liebes Kind, muß ich dich ſchla -
fend finden?
Wie ruhſt du, da der Neid der ganzen Stadt er -
wacht,
Jn Unſchuld Laſter ſieht, aus Jugend Vorwurf macht?
Von deinen Moden ſpricht; auf deine Hauben ſpottet;
Zu Schwaͤtzern Schwaͤtzer bringt; zu Narren Narren
rottet?
Es ſpricht die ganze Stadt von der Begebenheit;
Man ſchweiget oͤffentlich, und ſchwatzt voll Heimlich -
keit,
Du ſuchteſt voller Liſt den Grafen zu gewinnen;
Der Mann ſagt es der Frau, der Nachbar Nachba -
rinnen;
Und du bekuͤmmerſt dich um dieſe Reden nicht,
Und ſchlaͤſſt, und bleibeſt ſtumm, da die Verlaͤum -
dung ſpricht?
O Freundin, laß dir eh die ſchoͤnſte Blume rauben,
Als daß man glauben darf, was alle von dir glauben.
Dies Schnupftuch gabſt du ihm aus Unvorſichtigkeit;
Nun47Zweyter Geſang.
Nun iſt es wieder dein, hat dir das ſchon gereut?
Laß es den jungen Herrn nur immerhin verdrießen;
Laß einen Thraͤnenſtrom von ſeinen Wangen ſchießen;
Die Thraͤnen fließen dir zur Ehre; Weh und Ach
Sey dir ein Jubelton; Jn ſeinem Thraͤnenbach
Wirſt du die Schmach allein von deinem Schnupftuch
baden,
Und ſeine Prahlerey wird dir nicht ferner ſchaden.
So ſprach ſie, und verſchwand. Die Nymph
ermuntert ſich.
Was war das (ruft ſie aus,) das Fraulein Lottchen
glich?
Und ſelbſt iſt ſie nicht da? Traͤum ich bey hellem Tage,
Und ſagen Traͤume mir, was ich mir ſelbſt nicht ſage?
Wer fuͤrchtet mehr, als ich, der Weiber Klaͤtſchereyn;
Jch ſeh es, wie ſie mir mit ihren Zungen draͤun:
Und ich gedenke noch, dies Tuch zuruͤck zu ſchicken?
Gewiß mein Herz iſt falſch! Doch es ſoll ihm nicht
gluͤcken!
Graf,48Das Schnupftuch.
Graf, dieſes Schnupftuch iſt einmal in meiner Hand,
Und nimmer nimmer wirds von mir zuruͤck geſandt.
Sogleich eroͤfnete der Putzſchrank beyde Thuͤren.
Hier lag Band alt und neu, Cornetten, Coeffuͤren,
Und Spitzen breit und ſchmal, Mantiljen dick und
fein,
Schnupftuͤcher bunt und weiß, Manſchetten groß und
klein.
Es ſtanden Doſen hier, verhuͤllt in dicken Ledern;
Auch Blumen bluͤhten hier, von Hausblaſ und von
Federn;
Careß und Eſklavage, und Schleif und Cavalier,
Lag unter ſich gemengt, und ſchlief in Frieden hier.
So wie ein Savojard viel ſchoͤne Raritaͤten
Jn ſeinem Kaſten zeigt; Trompeter die trompeten;
Des Kaiſers Kroͤnungsfeſt; den Koͤnig Salomon;
Biſchoͤf und Erzbiſchoͤf, Paradebett, und Thron;
So lag von ietzger Zeit, und von der Zeit der Ammen
Wolfs -49Zweyter Geſang.
Wolfszahn und Liebesbrief, und Dock und Stoff bey -
ſammen.
Belinde ſeufzt, und ſchmiß das Schnupftuch in den
Schrank,
Und ſchlug die Fluͤgel zu, daß Thuͤr und Fenſter klang.
Das Schloß flog krachend zu, als ſchloͤß es ſich auf
immer.
Die Zwietracht ſieht es, jauchzt, und brauſet durch
das Zimmer.
Der Sylphe, der auch ietzt das Schnupftuch nicht ver -
ließ,
Stuͤrzt mit ihm in den Schrank, und in die Finſterniß.
So ſchlaͤgt dem blaſſen Fauſt die fuͤrchterlichſte Stunde;
Die Teufel ſchleppen ihn zum rothen Hoͤllenſchlunde;
Er zappelt in der Luft; ſie achten nicht ſein Schreyn;
Zaͤhnflaͤtſchend werfen ſie ihn in die Kluft hinein;
Sie ſtuͤrzen ſich nach ihm in die gemalten Flammen,
Und die grauſame Gluth ſchlaͤgt uͤber ſie zuſammen.
Die Nymphe machte drauf zum Krankſeyn den
Verſuch.
Sie bindet um das Haupt ein duͤnnes weiſſes Tuch;
IIter Theil. DSieht50Das Schnupftuch.
Sieht zu, ob auch dadurch die holde Miene leidet,
Und freut ſich, daß ſie auch die Krankheit artig kleidet.
Der Mittag herrſchte ſchon, die Eſſenszeit war
nah;
Dem Rathsherrn hungerte, und hungrig ſagt er Ja.
Was Schmauſern riechbar war, das war nun ſchon
gerochen;
Was zu beſtechen war, das war nun ſchon beſtochen;
Clienten kamen leer aus ihres Anwalds Haus;
Der Raͤuber gieng zum Strick, der Richter auf den
Schmauß;
Die fette Gans ward braun; Schmarotzer liefen ſchnel -
ler,
Und folgeten entzuͤckt der Harmonie der Teller;
Als Frau von Lins einmal nach ihrer Tochter ſah.
Sie war die beſte Frau, die gnaͤdigſte Mama;
Sie liebte ſelbſt ſich noch in ihrem ſchoͤnen Kinde;
Jhr Hund war ihr ſehr lieb, doch lieber noch Belinde.
Wie ſehr erſchrack ſie nicht, da ſie ins Zimmer trat,
Und51Zweyter Geſang.
Und mit verbundnem Kopf ſich ihre Tochter naht.
Kind, (ſprach ſie ganz bewegt,) was haſt du angefan -
gen?
Wo iſt das ſanfte Roth von deinen muntern Wangen?
Hat etwa dein Gemuͤth ein Trauerſpiel beſtuͤrzt?
Hat deine Katze Winz vom Dache ſich geſtuͤrzt?
Hat deine Nachtigall zu baden ſich vergeſſen,
Und will etwa dein Mops, dein Papagey nicht freſſen?
Sprich, Kind, was fehlt dir denn? O gnaͤdige
Mama,
Mein Kopf thut grauſam weh Dein Kopf thut
weh? Ja ja,
Da haben wirs, das koͤmmt vom vielen Buͤcherleſen!
O wollt ich lieber doch, ſie waͤren nie geweſen!
Der Himmel weiß es nun, was ich beginnen mag,
Da ſo viel Zuſpruch koͤmmt auf dieſen Nachmittag.
O zieh dich an, mein Kind, du ſprichſt doch noch am
meiſten,
Dein lieber Graf von Hold ſoll dir Geſellſchaft leiſten.
D 2Wie52Das Schnupftuch.
Wie in der ſtillen Nacht, wenn auf die ſtarre Welt
Der wandelbare Schein des blaſſen Nordlichts faͤllt,
Oft, eh man ſichs verſieht, das blaſſe Nordlicht fliehet,
Und ſchnell ein brennend Roth den Himmel uͤberziehet;
Der Aberglaube bebt, und fuͤrchtet Krieg und Tod:
So ſchnell ward das Geſicht der ſchoͤnen Fraͤulein roth.
Doch ſie bemuͤhte ſich, die Unruh zu verhehlen,
Und ſprach noch ziemlich frey: wie die Mama befehlen.
Der gnaͤdigen Mama kuͤßt ſie die ſanfte Hand,
Die ſuͤßer laͤchelte, und durch die Thuͤr verſchwand.
Liſette trat herein; demuͤthig in Geberden,
Doch insgeheim gewiß, bald ausgeſoͤhnt zu werden.
Ach Fraͤulein, (ſprach ihr Blick) biſt du noch boͤs auf
mich?
Belinde lacht, und winkt, und ſie ermuntert ſich.
So lachen auf einmal in jugendlicher Wonne
Die53Zweyter Geſang.
Die Felder und der Wald beym erſten Stral der Sonne,
Wenn ſie nach Blitz und Sturm, voll ſtiller Majeſtaͤt,
Aus der furchtbaren Nacht der Donnerwolken geht.
Wie ſchnell kan Menſchen nicht der Hofnung
Stral beleben!
Graf Hold wird nur genannt, Liſetten iſt vergeben.
So faͤllt ein Staatsmann oft, wie er vermuthet hat,
Und flieht mit frohem Sinn die ungerechte Stadt;
Geht auf ſein Rittergut; hoͤrt dort vom Hofe wenig,
Und lebt als Philoſoph, und fuͤrchtet keinen Koͤnig;
Bis nach und nach das Reich die Unordnung verwirrt;
Man irrt im Kabinet, und weis nicht, wie man irrt;
Der weiſe Prinz nur ſieht die Fehler in dem Staate,
Hebt den, den man geſtuͤrzt, und folget ſeinem Rathe:
So nimmt das Fraͤulein auch Liſetten wieder an.
Die Zofe ward ihr mehr, als jemals, unterthan;
D 3Sie54Das Schnupftuch. Zweyter Geſang.
Sie kraͤuſelt das Toppee, das Eigenſinn verheeret,
Und richtet Locken auf, die Lieb und Zorn zerſtoͤret.
Die Goͤttin wird geputzt, und bluͤhet wie der Lenz,
Sieht ſich, und freuet ſich der neuen Exiſtenz.
Das[55]

Das Schnupftuch. Dritter Geſang.

[56]57
Das Schnupftuch. Dritter Geſang.
Und du, gebeugter Graf, was thateſt du inzwiſchen?
Du wirſt gen Himmel ſehn, die naſſen Augen wiſchen;
Sprichſt etwa tiefgelehrt von Lieb und Schmerz und
Haß;
Schimpfſt auf den Wankelmuth, fluchſt, oder pfeifſt et -
was.
Unfehlbar ſitzeſt du vergraben in Gedanken;
Wirſt auf die Untreu ſchmaͤhn, und mit den Sternen
zanken;
Dies alles that er nicht. Die Miene des Geſichts
Schien wichtig, tief, und klug; allein was dacht er?
Nichts.
So denkt ein Domherr nichts, der Verſe leſen hoͤret,
Und wichtig laͤchelnd dann ſein volles Weinglas leeret;
Auf einmal breitet ſich die Hofnung zu dem Schmaus,
Und Ruh, und ſchwerer Spas, auf ſeinen Wangen aus.
D 5O Graf,58Das Schnupftuch.
O Graf, kein Seuſzer auch ſtieg zu dem Horizonte,
Dein Schmerz war noch zu groß, als daß er klagen
konnte.
Der Eindruck, den auf dich ein ſolcher Schlag gemacht,
Ward zwar von dir gefuͤhlt, allein nicht uͤberdacht.
So ſteht, vom Knall betaͤubt, ein Wandersmann, und
zittert,
Wenn ein verwegner Blitz den heilgen Eichbaum ſplit -
tert;
Durch ſeine Kleider irrt, ſein Gold zu Staub verzehrt,
Und donnernd im Triumph nach dem Olympus kehrt;
Der Wandrer weis noch nicht, was ihm der Blitz ver -
dorben,
Steht ſtarr als wie ein Bild, und meynt, er ſey ge -
ſtorben.
Und ſo erſtarrt ſteht auch, mit vielem Gold beſchwert,
Ein Stutzer, dem der Wind durch ſeine Locken faͤhrt;
Den ſtundenlangen Bau tyranniſch ruiniret,
Und Puder und Verdienſt in weite Luͤfte fuͤhret;
Der Stutzer ſteht betruͤbt, und ſieht der Wolke nach,
Und59Dritter Geſang.
Und huͤllt in ſeinen Hut ſein Haar, und ſeine Schmach.
So ſaß der arme Graf, vom Schmerz zu ſehr ge -
troffen.
Er naht ſich dem Clavier, und ſchleunig ſteht es offen;
Es breiten ſich vor ihm viel Noten bunt und kraus,
Von Haſſen und von Graun in praͤchtgen Bogen aus.
Schon laͤuft ein Silberton durch die belebten Saiten;
Das Zimmer wird erfuͤllt mit Haß und Zaͤrtlichkeiten.
O maͤchtige Muſik, du ſiegſt durch Dur und Moll,
Und machſt ein junges Herz von Opertrieben voll;
Es trillert in dem Saal, und ſinget auf den Gaſſen,
Der Stutzer und das Volk ein zaͤrtlich Lied von Haſſen.
Auch ietzo ruft der Graf, Arminden gleich, in Noth,
Mit Trillern Furien, mit Laͤufern ſeinen Tod;
Er fuͤhlt ſich nun, und weint, und in dem ſanften Her -
zen
Entſtehen Raſerey, und wilde Liebesſchmerzen.
Er60Das Schnupftuch.
Er hatt am Fenſter ſchon ein Schnupftuch voll geweint,
Und fieng am zweyten an, als ihm Johann erſcheint,
Der voller Weisheit ſpricht: Wer wird ſich ewig graͤ -
men,
Zuletzt muß alles doch ein gutes Ende nehmen.
Natur und Welt iſt gut in ihrem Wechſellauf;
Aus ſeiner Aſche ſteigt ein junger Phoͤnix auf.
Aus einem kleinen Dorf iſt Amſterdam entſtanden,
Und Feinde binden ſich mit neuen Freundſchaftsbanden.
Das Fraͤulein iſt verſoͤhnt; die Zwietracht hat ein End,
Und ein Lakay bringt ſchon ein großes Compliment
Von ihr, und Frau von Lins; Sie warten mit Ver -
langen
Auf dieſen Nachmittag, den Grafen zu empfangen.
Was? (ruft der Graf erfreut,) welch neuer Hofnungs -
ſchein!
Gewiß! man ladet nicht umſonſt mich wieder ein.
Empfiehl mich alſobald, und mir ſey es viel Ehre,
Daß61Dritter Geſang.
Daß dieſer Nachmittag fuͤr mich ſo gluͤcklich waͤre.
Auf einmal fuͤhlt ſein Herz der neuen Freude
Macht,
Sein Auge klaͤrt ſich auf, ſieht ſtolz umher, und lacht.
So ſieht man im April den Himmel traurig weinen,
Und ſchnell die Wolken fliehn, und ſchnell die Sonne
ſcheinen.
Friſirt mich; (ruft er aus) Vor Luſt bebt ſein Toppee;
Die Puderſchachtel huͤpft vor Freuden in die Hoͤh;
Der ganze Nachttiſch jauchzt, mit allen Liebesgoͤttern,
So wie im Lenz die Flur nach wilden Donnerwettern.
Der Schelle Silberton klang ſchon zum drittenmal,
Und Ludewig! erſcholl zum drittenmal im Saal.
Doch wo war Ludwig ietzt! Er ſaß bey vollen Faͤſſern,
Fern von des Herrn Geſchrey, den duͤrren Hals zu
waͤſſern.
Charmant, ein Sylphe ſahs, und bat ſein Oberhaupt,
Zu ſeyn, was Ludwig war, und es ward ihm erlaubt.
Schnell62Das Schnupftuch.
Schnell ließ er ſich herab aus hoher Geiſter Sphaͤre,
Und kraͤuſelte das Haar, als wenn er Diener waͤre.
So geht oft ein Franzos, indem ſein Rock zerreißt,
Verhungert aus Paris, das ihm kein Gluͤck verheißt;
Der falſche Marquis laͤßt dem Schneider ſeine Schul -
den,
Und wird beym deutſchen Volk Sprachmeiſter fuͤr zwey
Gulden.
Es hatte kaum Charmant das braune Haar er -
baut,
Und das Toppee gepruͤft, und Locken uͤberſchaut;
Als noch einmal der Graf mit finſtrer Stirne fragte:
War denn das Compliment, das dir der Diener ſagte,
Auch von der Fraͤulein? Nein, (verſetzt der Luftlakay,)
So geh zum Teufel, Kerl, was ſagſt du es darbey!
So ſpricht er, und ſpringt auf; ſo ſehr der Sylphe
bittet,
So wird doch ſein Toppee mit frecher Fauſt zerruͤttet;
Die dicke Locke wird des Eigenſinnes Raub,
Und63Dritter Geſang.
Und bis zur Decke ſteigt der wilde Puderſtaub.
Charmant ergrimmte ſehr, und im gerechten Eiſer
Verwuͤnſcht er Ludewig, Belinden, und den Laͤufer.
Doch vom Toppee rief ihm gebiethriſch Ariel,
Der Sylphen Oberſter; ſein Auge winkt Befehl.
Charmant verwechſelte die Ehrfurcht mit dem Grimme,
Und Ariel erhub die koͤnigliche Stimme:
O Sylphe, traure nicht, daß Locken untergehn,
Wenn Kaͤfer durch ſie ſchnurrn, und Winde durch ſie
wehn;
Wenn ihnen Zorn und Stolz den Untergang gebietet,
Und mit verruchter Hand in eigne Schoͤnheit wuͤtet.
Das Schickſal will es oft, und wills zum groͤßern
Zweck.
Kein Staub verfliegt umſonſt, umſonſt koͤmmt auch kein
Fleck
Jn Struͤmpf und Tugenden. Die Wuth iſt ein Ver -
brechen
Mit der Graf Hold verderbt, allein ſie ſoll ihn raͤchen.
Jch64Das Schnupftuch.
Jch hoͤrte ſeinen Fluch, als einer Zofe Hand
Das Schnupftuch ihm entriß, und er beſchimpfet ſtand;
Die Sterne hoͤrten ihn; es hoͤrten ihn die Goͤtter,
Und ihn beſtaͤtigte ein heilig Donnerwetter.
Belinde ſoll ihn nicht an ihrem Spieltiſch ſehn;
Jn groͤßter Aſſamblee ſoll ſie verdrießlich ſtehn;
Die Langeweile ſoll ihr ganzes Haus verderben;
Man ſchweige voll Vernunft, man gaͤhne bis zum
Sterben;
Man wiſſe kein Geſpraͤch, es ſey heut alles dumm;
Der Narr ſey ſtill und klug, der groͤßte Plaudrer
ſtumm;
So will ich hoch und ſtolz in Wolken ſie verhoͤhnen,
Wenn tief das Fraͤulein ſeufzt / und die Matronen ſteh -
nen;
Wenn Spieltiſch und Clavier in oͤder Stille weint,
Und alles Holden wuͤnſcht, und Hold doch nicht er -
ſcheint.
Charmant, eil alſobald zur Goͤttin Langeweile,
Und65Dritter Geſang.
Und merke den Befehl, wie ich ihn dir ertheile.
Sprich: Goͤttin, deren Macht auf alles ſich erſtreckt,
Dein Sklav iſt, der erzaͤhlt, und der, der Verſe heckt;
Du haſt ein großes Reich in Kirchen und in Saͤlen,
Wenn dort der Redner ſchreyt, und hier die Narren
quaͤlen.
Du fuͤhreſt gluͤcklich Krieg; und deine Streiter ſind
Autoren ohne Witz, und Prahler voller Wind.
Du herrſcheſt uͤberall, im Schloß und in der Huͤtte,
Und unter deinem Thron erhenket ſich der Britte.
Monarchin, dich erſucht um deinen maͤchtgen Schutz
Der Sylphen Oberſter; weil einer Nymphe Trutz
Schon lange dich geſchmaͤht, und Hohn ſpricht deinen
Heeren,
Als wenn ſie ohne Muth, und leicht zu ſchlagen waͤren.
Bis hieher hat Graf Hold viel Abbruch dir gethan;
Bis hieher durfteſt du dich nicht Belinden nahn;
IIter Theil. EAllein66Das Schnupftuch.
Allein der tapfre Held trennt nicht mehr deine Glieder;
Er iſt mit Recht erzuͤrnt, und legt die Waffen nieder.
Er uͤbergiebt dir nun zu einem Eigenthum
Belinden ganzes Haus, beſtaͤtge deinen Ruhm,
Und nimm es ſiegreich ein; und laß den Spoͤttern ſe -
hen,
Daß ſie nicht ungeſtraft auf deine Hoheit ſchmaͤhen.
Er ſagt es; und Charmant buͤckt ſich beym letzten
Wort,
Und ſchießet als ein Stral zur Langenweile fort.
Tief in Weſtphalen
(*)Siehe Epitres Divers. T. I. p. 224.
(*) liegt ein Wald von alten
Eichen,
Auf deſſen Grund niemals des Tages Stralen rei -
chen;
Jn dieſem dicken Wald erhebt ſich ein Pallaſt,
Der ſtolz den Boden druͤckt mit ſeiner gothſchen Laſt.
Hier herrſcht ſeit langer Zeit die finſtre Langeweile.
Jhr Reich verbreitet ſich bis in die fernſten Theile
Der67Dritter Geſang.
Der aufgeklaͤrten Welt; ſie ſcheut Vernunft und Witz,
Und nimmt im Hoͤrſaal gern, und Wochenſtuben Sitz.
Es ſchwaͤrmt um den Pallaſt ein großes Heer Autoren,
Die Metaphyſiken und Logiken gebohren,
Und an der beſten Welt, mit viel Geſchrey und Wind,
Vergebens demonſtrirt, weil ſie noch drinnen ſind.
Auch viel gehn hier herum, die todt erzaͤhlen koͤnnen;
Jn Londen und Paris die groͤßten Straßen nennen,
Und wichtig uns vertraun, was kaum zu glauben iſt,
Daß man in Engelland auch junge Huͤhner ißt.
Liebhaber gaͤhnen hier bey ihren dummen Schoͤnen,
Und Maͤdchens ſchlafen ein bey dummer Schaͤfer Toͤ -
nen;
Nur Gukugs ſingen hier ihr widriges Geſchrey,
Und Baͤche rauſchen hier ein ewigs Einerley.
Der ganze Wald iſt voll beſonderer Geſchoͤpfe.
E 2Die68Das Schnupftuch.
Die Stutzer haben hier die ungehirnten Koͤpfe,
Gleich Huͤten, unterm Arm, und treten hoch heran,
Und miſſen nicht den Kopf, der ſo nicht denken kan.
Der Unmuth haſchet hier an weißen Waͤnden Fliegen:
Und bey dem Bretſpiel ſitzt das ſchwere Mißvergnuͤ -
gen.
Viel Geiſter, die der Menſch gebohren, und doch haßt,
Und die man Grillen nennt, umflattern den Pallaſt.
Ein unermeßlich Heer mit ſeltſamen Geſtalten.
Der eine ſitzt gehuͤllt in melancholſche Falten,
Und fuͤrchtet Hungersnoth, ob er auf Gold gleich ſitzt,
Daß ihm kein Gold mehr ſcheint, und ihm verge -
bens blitzt.
Was Langeweile nur auf Erden ausgebruͤtet;
Was in Gedanken ſchmerzt, und in dem Herzen wuͤ -
tet;
Des Hofmanns Angſt vor Fall, der Nymphen Liebes -
pein,
Hat eines Geiſtes Form in dieſem weiten Hain.
An69Dritter Geſang.
An des Pallaſtes Thor ſteht das Hojanen Wache;
Ein widerliches Weib, verdrießlich wie ein Drache.
Doch iſt der Eingang leicht; wer eingefuͤhrt will ſeyn,
Der gaͤhnt ſie dreymal an, und ſie laͤßt ihn herein.
Der dunkele Pallaſt theilt ſich in tauſend Zimmer,
Die ſtets erleuchtet ſind von ſchwarzer Kerzen Schim -
mer.
Man glaubt, hier werde nie die Zeit Geſchoͤpfen lang
Bey ſo viel Zeitvertreib, bey Spiel und bey Geſang.
Doch man wird alſobald der Goͤttin Einfluß fuͤhlen;
Sie herrſcht hier unumſchraͤnkt in jeder Art von
Spielen.
Der ſchoͤne Dummkopf pfeift, ſein Pfeifen hilft ihm
nichts;
Man ſieht den Unmuth doch an Runzeln des Geſichts.
Matronen ſitzen hier, und laͤſtern Nachbarinnen;
Allein ſie koͤnnen doch dem Unmuth nicht entrinnen,
Die Zeit wird ihnen lang. Ein Krais von Schoͤnen
ſpricht
E 3Von70Das Schnupftuch.
Von Moden, Putz und Band; der Einfall gluͤcket nicht,
Die Zeit wird ihnen lang. Der Dichter lieſt Gedichte,
Man hoͤret ungern zu, und gaͤhnt ihm ins Geſichte.
Charmant drang endlich durch durch manche dicke
Schaar,
Und kam zum praͤchtgen Saal, in dem die Goͤttin war.
Der Zwang, ein ſteifer Geiſt, der alle Freuden ſtoͤret,
Mit Buͤcken alles ſpricht, mit Laͤcheln alles hoͤret,
Und in der Aſſamblee den ſtolzen Zepter fuͤhrt,
Bringt ihn bis an den Thron, ſo wie es ſich gebuͤhrt.
Schnell ward in dem Pallaſt ein Auflauf und Gedraͤnge,
Der Audienzſaal wird Neugierigen zu enge;
Die Goͤttin fuͤrchtete, es kaͤm ihr alter Feind,
Der edle Zeitvertreib, als ihr der Sylph erſcheint;
Nachdem er ſich gebuͤckt, trat er etwas zuruͤcke,
Und ſprach alſo zu ihr mit ehrfurchtsvollem Blicke:
O Goͤttin,71Dritter Geſang.
O Goͤttin, deren Macht auf alles ſich erſtreckt,
Dein Sklav iſt, der erzaͤhlt, und der, der Verſe heckt;
Du haſt ein großes Reich in Kirchen und in Saͤlen,
Wenn dort der Redner ſchreyt, und hier die Narren
quaͤlen;
Du fuͤhreſt gluͤcklich Krieg; und deine Streiter ſind
Autoren ohne Witz, und Prahler voller Wind;
Du herrſcheſt uͤberall, im Schloß und in der Huͤtte,
Und unter deinem Thron erhenket ſich der Britte;
Monarchin, dich erſucht um deinen maͤchtgen Schutz
Der Sylphen Oberſter, weil einer Nymphe Trutz
Schon lange dich geſchmaͤht, und Hohn ſpricht deinen
Heeren,
Als wenn ſie ohne Muth, und leicht zu ſchlagen waͤren.
Bis hieher hat Graf Hold viel Abbruch dir gethan;
Bis hieher durfteſt du dich nicht Belinden nahn;
Allein der tapfre Held trennt nicht mehr deine Glieder,
E 4Er72Das Schnupftuch.
Er iſt mit Recht erzuͤrnt, und legt die Waffen nieder.
Er uͤbergiebt dir nun zu einem Eigenthum
Belinden ganzes Haus; beſtaͤtge deinen Ruhm,
Und nimm es ſiegreich ein; und laß den Spoͤttern ſe -
hen,
Daß ſie nicht ungeſtraft auf deine Hoheit ſchmaͤhen.
Er ſagts; und halb entſchlaͤft die Langeweile ſchon,
Doch ſie ermuntert ſich, und ſpricht mit ſuͤßem Ton:
Geſandter Ariels des Oberhaupts der Sylphen,
Jhr wart mir ehmals treu, und meines Reichs Gehuͤl -
fen,
Da ihr noch Maͤdchen wart; mißfaͤllig hoͤr ich an,
Wie ſehr Belindens Haus uns Widerſtand gethan.
Jch weiß, wie ſehr Graf Hold ſonſt wider mich ge -
ſtritten;
Viel Niederlagen hat mein Heer von ihm erlitten;
Doch da er nicht mehr ſicht, und meine Macht bekriegt,
So hof ich ſicherer, daß meine Rache ſiegt.
Jch73Dritter Geſang.
Jch will Belindens Haus mit allen Ruthen ſtrafen;
Das Weib ſoll ſprachlos ſeyn, der junge Herr ſoll ſchla -
fen;
Man gaͤhne vor Verdruß, man ſchweige voll Verdacht,
Und alles opfere der Langenweile Macht.
Nimm hin dies ſchwarze Horn mit Zauberkunſt geſchloſ -
ſen;
Hierinnen liegt verwahrt, was Muntere verdroſſen,
Und Plaudrer ſchweigend macht; gieß auf Belindens
Haus,
Sobald dein Fuͤrſt es will, dies Horn des Ungluͤcks aus;
Auf einmal wird den Saal der Grillen Heer durchwuͤh -
len,
Und alles wird die Macht der Langenweile fuͤhlen.
Sie ſagts; und gab das Horn dem Sylphen in
die Hand,
Der in die Hoͤh ſich hob, und durch die Luft verſchwand.
Es war nun Nachmittag. Der Saͤnftentraͤger
Schritte
Fliehn mit der ſchoͤnen Laſt eilfertig zur Viſite.
Seht den Finanzenrath, der ſich im Wagen blaͤht;
E 5Er74Das Schnupftuch.
Er uͤberſtreut mit Staub, die Ehrlichkeit, die geht.
Aus ihrem Fenſter lacht die Graͤfin ihm entgegen,
Jhn gruͤßt des Poͤbels Hut auf allen ſeinen Wegen;
Mit Verſen ſchwer bepackt ſteht ſchon der Gratulant,
Und wartet an der Thuͤr auf ſeine milde Hand.
Belindens praͤchtig Haus eroͤfnet beyde Thuͤren,
Viel Diener, welche Gold und Achſelbaͤnder zieren,
Stehn froh und laut davor, und gruͤßen allezeit
Den weiten Buͤgelrock, und das beſetzte Kleid.
O Muſe, melde mir die Kleider und die Namen
Der Damen und der Herrn, die zu Belinden kamen;
Und gieß in mich die Gluth, die den Homer beſeelt,
Als er die lange Reih der alten Schiff erzaͤhlt.
Die Kutſche brauſt daher. Zuerſt ſteigt aus dem
Wagen
Die alte Canzlerin mit einem ſchwarzen Kragen.
Jhr75Dritter Geſang.
Jhr Fraͤulein folgt ihr nach; Das Kleid war weißer
Mohr,
Und ihre hohe Bruſt bedeckte ſchwarzer Flor.
Zwo Saͤnften ſtehen ſtill. Aus einer ſteigt Clorine;
Jhr blaues Auge ruͤhrt, und Sieg herrſcht aus der
Miene;
Das ſchoͤnſte Haar pries noch der Kammerjungfer Fleiß;
Jhr Kleid war roſenroth, und die Mantilje weiß.
Nach ihr kam Herr von Baum, frieſiret mit der Na -
del;
Sein Kleid war himmelblau, noch neu, und ohne Tadel;
Das Weſtgen glich ihm nicht, die Trottel dran war alt;
Sonſt war er reich und dumm, und lieblich von Geſtalt.
Der Herr Baron von Knall, Erbherr auf Queis und
Thoren,
Stieg ſtolz und laut heran, und ſprach ſehr hochgeboh -
ren;
Sein andres Jch, ſein Pferd, ein Fuchs aus Engelland,
Stand wiehernd vor der Thuͤr an ſeines Reitknechts
Hand.
Die Baroneßin Quant, mit ſchoͤnen blonden Haaren,
Kam76Das Schnupftuch.
Kam von dem Ritterguth mit ſechſen angefahren.
Den ſchlanken Leib umgab ein Amazonenkleid;
Jhr weißer Federhut ward aller Damen Neid.
Die Fraͤulein Hellersdorf, die Fraͤulein Wadersleben.
Ein junger Kriegesrath, groß in der Kunſt zu leben,
Ein Hauptmann, Herr von Trumpf, mit einem ſchwar -
zen Bart,
Beehrten dieſes Haus mit ihrer Gegenwart.
Auch irrten tief im Saal ein paar vernuͤnftge Leute,
Doch ſchlechte Buͤrger nur, und in gehoͤrger Weite
Vom adlichen Geſpraͤch. Ein lumpichter Poet,
Voll laͤcherlicher Reim, und voller Gravitaͤt,
Hielt an der Thuͤr ſich auf, an der er oft ſich buͤckte,
Bey allen laͤchelte, und mit dem Kopfe nickte.
Ein Namenstageslied ſah aus der Taſch heraus,
Denn das war ſein Tribut an dieſes hohe Haus.
Mit77Dritter Geſang.
Mit Rauſchen und Geſchrey, und vielen Reveren -
zen,
Umgab der bunte Krais des Caffeetiſches Graͤnzen.
Aus heiterm Silber ward der ſchwarze Trank geſchenkt
Mit dem der holde Blick ſich in die Taſſe ſenkt.
Unſichtbar kam indes Charmant im Saal geflogen,
Und hatt um ſeinen Hals das ſchwarze Horn gebogen.
Er oͤfnet es, und ſchnell zog draus ein ſchwuͤler Duft,
Und tauſend Ungluͤck floß in die verderbte Luft.
Stillſchweigen, Schlaͤfrichkeit, Kopfweh, Verdruß und
Traͤumen,
Viel Unſinn und Geſchwaͤtz in Proſa, und in Reimen;
Viel Grillen, ſchwarz und weiß, Zwang, Eigenſinn,
Verdacht,
Und was zu Sklaven uns der Langenweile macht;
Dies alles ſchien im Saal, gleich Atomen, zu ſchwim -
men.
Auf einmal legten ſich ſo viel verſchiedne Stimmen;
Nur Herr von Baum manchmal liebaͤugelt nach der
Kunſt
Bald78Das Schnupftuch.
Bald um Belindens Herz, bald um Clorinens Gunſt,
Die alte Canzlerin, die lange ſich gezwungen,
Eroͤfnete den Mund zu ſanften Laͤſterungen;
Mit Laͤcheln ruͤckte ſie zu ihrer Nachbarin,
Und mit dem Laͤcheln ſtarb ein guter Name hin.
Doch bald macht Still und Zwang der Laͤſterung ein
Ende.
Die Fraͤulein ſehn indes auf ihre ſchoͤnen Haͤnde.
Zwar prahlt der Capitain nach aller Moͤglichkeit,
Doch niemand hoͤret zu, und alles iſt zerſtreut.
Ach gaͤhnte der Baron, und wußte nichts zu ſagen.
Auf allen Lippen ſchwebt die Luſt, etwas zu fragen,
Allein die Frag erſtickt; man ſitzet ſich zur Quaal;
Die tiefſte Stille herrſcht im ganzen weiten Saal.
Dreymal zieht Herr von Baum zum Wortſpiel ſeine
Miene,
Und dreymal faͤchelt ſich die zierliche Clorine;
Schon79Dritter Geſang.
Schon dreymal trillerte der junge Kriegesrath,
Und dreymal wuͤnſchte ſich zum Teufel der Soldat.
Doch alles war umſonſt; der Zorn des jungen Grafen
Schien dies verſtoͤrte Haus mit Blindheit zu beſtrafen.
Der Hauptmann, welcher ganz in tiefe Schwermuth
fiel,
Vergaß den letzten Troſt, ſo manches edle Spiel.
O! daß ſein hoher Geiſt ihn nicht unſterblich machte,
Und auf den Lombertiſch die bunten Karten brachte;
Vergebens lagen ſie in Huͤllen mancher Art,
Weiß, roth und blau und gruͤn, in Faͤchern aufbewahrt.
Auf einmal toͤnete aus einer ſuͤſſen Kehle:
Wo iſt Graf Hold? Graf Hold, wo iſt er? meiner
Seele!
Bruͤllt in dem tiefſten Baß des Hauptmanns rauher
Hals,
Und jede Lippe wuͤnſcht den Grafen ebenfalls.
Von Famen wird ſein Lob trompetet aller Enden;
Graf80Das Schnupftuch.
Graf Hold ſchallt in der Luft, Graf Hold ſchallt von
den Waͤnden.
Belinde ſprach voll Stolz: er koͤmmt nicht! koͤmmt
er nicht?
Und Misvergnuͤgen herrſcht in iedem Angeſicht.
Die Munterkeit erſtarb in der verdroßnen Menge;
Den matten Damen ward Schnuͤrbruſt und Saal zu
enge.
Sie ſeufzen tief und laut in ihrem groͤßten Zwang,
Und alles denkt, wie ſehr wird uns die Zeit hier lang.
Die Baroneßin Quant hub ſich zuerſt vom Seſſel,
Und alles folgt ihr nach, und brach des Zwanges Feſſel.
Sie kuͤßt die Frau von Lins, macht manches Abſchieds -
wort;
Fliegt in den Phaeton, und ſchreyt zum Kutſcher:
Fort!
Und ſo war es im Buch des Schickſals angeſchrieben!
Die Damen, welche ſonſt den ganzen Abend blieben,
Empfohlen alle ſich; und ſelbſt der Kriegesrath
Gieng ohne Saͤnfte fort, und wagte ſeinen Staat.
Wie81Dritter Geſang.
Wie leicht konnt uͤber ihn ein ſanfter Regen kommen,
So ward dem Gallarock der hohe Glanz benommen;
So waren Witz, und Geiſt, und Dreſſen, in Gefahr;
Vergebens war alsdann Beſoldung auf ein Jahr.
So ploͤtzlich ward noch nie ein adlich Haus verlaſſen,
Jn dem ſonſt um ein Uhr noch Spielparthien ſaßen;
Jn dem die Mitternacht dem lauten Tage glich.
O welch ein Haupttriumph, erzuͤrnter Graf, fuͤr dich!
So nahm die Aſſamblee ein ungluͤckſelges Ende.
Die Zwietracht, die es ſah, ſchlug jauchzend in die
Haͤnde.
Belindens ganzes Haus war in Verzweifelung;
Dies war der groͤßte Sieg, der ihr jemals gelung.
An guͤldner Wand erloſch der Kerzen ſtolzer
Schimmer;
Jn Einſamkeit und Nacht verſank das oͤde Zimmer.
So ploͤtzlich uͤberfaͤllt ein deutſches Schauſpielhaus,
IIter Theil. FSo82Das Schnupftuch. Dritter Geſang.
So bald der Vorhang ſinkt, Stillſchweigen, Nacht und
Graus.
Herr Reibhand endigt nun ſein kaiſerliches Leben,
Und muß ſein ſchoͤnes Kleid betruͤbt zuruͤcke geben.
Da ſteht der große Held, der erſt ſo ſtolz gethan,
Und zieht den alten Rock mit leerem Magen an.
Dem Todtenreiche gleich, liegt alles oͤd und wuͤſte;
Nun ſieht man ieden Strick am nackenden Geruͤſte;
Hier liegt die Leinewand, die wie ein Meer gewallt,
Und die Piſtole dort, aus der der Blitz geknallt.
Das[83]

Das Schnupftuch. Vierter Geſang.

[84]85
Das Schnupftuch. Vierter Geſang.
Belinde hatte ſich in ihr Gemach begeben;
So fruͤh geſchah es nicht in ihrem ganzen Leben.
Diesmal verkehrte ſich die traurige Natur;
Sie war ſchoͤn, und allein? Und das ſchon um acht
Uhr!
Um dieſe Zeit kam ſonſt, mit neugeſchafnen Haaren,
Jhr allerliebſter Graf zur Aſſamblee gefahren;
Mit ihm kam Scherz und Luſt. Die laute Plauderey
Flog gaukelnd um ſein Haupt; und ſtand ihm ſiegreich
bey,
Wenn er von Kuͤſſen ſprach, die niemand ihm ver -
gonnte,
Und von den Arien, die er nicht ſpielen konnte.
Die Zeit war nun nicht mehr! Es wuchs der Nymphe
Gram,
Daß ſie die Zuflucht faſt zu dem Gebetbuch nahm.
F 3Doch86Das Schnupftuch.
Doch lagen noch dabey, zu ihrem beſſern Gluͤcke,
Zwo Arien von Graun, der Tonkunſt Meiſterſtuͤcke.
Die nahm ſie; und ſo bald ſie vor dem Fluͤgel ſaß,
So rauſchte, Wettern gleich, der fuͤrchterliche Baß;
Es wuͤtete der Sturm durch die empoͤrten Saiten,
Den finſtern Wellen gleich, die mit dem Donner ſtreiten.
Es ward im Zimmer ſtill, und in der Seele Nacht;
Selbſt Thiere fuͤhlten ietzt der hohen Tonkunſt Macht;
Jhr Papagey erſchrickt, ihr kleiner Mops Nerine
Huͤllt ſich, wie ein Pedant, in eine finſtre Miene.
Ein Orpheus ruͤhrte ſo, durch ſeiner Leyer Schall,
Den unwirthbaren Fels, den ſtarren Wiederhall;
Die Eichen gruͤßten ihn; er ward der Loͤwen Sieger,
Und ſanft lag neben ihm des Forſts Tyrann, der Tie -
ger.
Und ſo ruͤhrt Fleiſcher
*)Ein Virtuos auf dem Clavier.
*) uns, wenn er ſein Vorrecht fuͤhlt,
Und87Vierter Geſang.
Und mit der ſchnellen Hand in Diſſonanzen wuͤhlt;
Wenn er ein ganzes Meer von Toͤnen auf uns ſchwem -
met,
Und nach und nach den Sturm in unſern Seelen hem -
met.
Der arme Graf indes ſitzt traurig und allein.
Der alte Strom huͤllt ſich in ſeinen Schlafrock ein;
Nimmt ſeinen dicken Stock voll ſchiefgewachſner Kno -
ten,
Und ſcheut die Stuͤrme nicht, die der Peruͤcke drohten.
Nun gieng er heimlich fort zu ſeinem Pythias,
Der ſchon im dicken Dampf des edlen Knaſters ſaß.
Wie ſchlug ſein hoffend Herz, auf dieſen Troſt gegruͤn -
det,
Eh er in gleicher Ruh ſein Pfeifgen angezuͤndet?
An treues Bier gewoͤhnt, und von dem Durſt geplagt,
Ward er von dem Affect geſchwinder fortgejagt.
Sein Wunſch wird ihm gewaͤhrt; der lange Durſt ge -
ſtillet,
Und ſeine Pfeife wird in ſuͤſſer Ruh gefuͤllet.
F 4Die88Das Schnupftuch.
Die braune Koͤnigin der ſchlummernden Natur,
Die durch die ſchwere Luft mit ſtiller Hofſtatt fuhr,
Die Nacht, der Schuldner Troſt, der Liebenden Ver -
traute,
Hielt ihren Nachzug auf, als ſie die Welt durchſchaute.
Sie ſah den jungen Graf im Lehnſtuhl hingeſtreckt;
Ein angenehmes Roth, das ſeine Wangen deckt,
Sein dunkelbraunes Haar, das ſich nachlaͤßig kruͤmmet,
Und um den ſchlanken Hals in großen Locken ſchwimmet,
Nahm gleich der Goͤttin Herz zu ſeinem Vortheil ein.
So braucht man oft nicht klug, man braucht nur ſchoͤn
zu ſeyn.
Sie naͤherte ſich ihm, und ſah in ſeinem Herzen
Ein trauriges Gemiſch von Pein und Liebesſchmerzen.
Sein Schutzgeiſt, ganz bewegt von ſeinem Ungemach,
Trat zu der Goͤttin hin, und buͤckte ſich, und ſprach:
Regentin, deren Troſt der Koͤnig oft entbehret,
Wenn89Vierter Geſang.
Wenn deine milde Hand ihm keinen Schlaf gewaͤhret;
Die oft den Sterblichen beneidenswerther macht,
Der in der Huͤtte ſchlaͤft, als der in Schloͤſſern wacht;
Sieh dieſen jungen Herrn den artigſten von allen!
So bluͤhend, wie der Lenz, wem ſollt er nicht gefallen?
Allein was fuͤrcht ich nicht! Faſt keinen Augenblick
Schlaͤft er vor Quaal und Pein, ſo hart iſt ſein Ge -
ſchick.
Er liebt ein ſchoͤnes Kind, Belinde heißt ihr Name;
Ein Schnupftuch, das er einſt der angenehmen Dame
Beym Lomberſpiel geraubt, wird ihm ein Quell zur
Pein;
Doch, Goͤttin, wenn du willſt, ſo kan er gluͤcklich ſeyn.
Jch will von neuem mich in ſeine Seele wagen;
Du ſchlaͤfſt, geliebter Graf? will ich im Traum ihm
ſagen;
Der alte Strom iſt fort, und Laͤufer und Lakay
Liegt in dem tiefſten Schlaf durch meine Zauberey;
F 5Ge -90Das Schnupftuch.
Gebrauche dieſer Zeit; ſey kuͤhn, du wirſt Belinden
Jn einem ſanften Schlaf auf ihrem Zimmer finden.
Sie iſt allein und jung; o Graf, der Sieg iſt dein!
Wenn ſie dein Kuß erweckt, wird ſie noch zornig ſeyn?
Doch, holde Nacht, dein Schutz wird meinen Helden
leiten;
Du wirſt den tiefſten Schlaf auf ſeine Diener breiten;
Gieß auf Belindens Haus die angenehmſte Ruh,
Und ſchließ inſonderheit der Mutter Augen zu.
So ſprach der holde Geiſt, und kuͤſſet ehrerbietig
Der Nacht den ſchwarzen Rock; ſie aber reicht ihm
guͤtig
Die ſchoͤne braune Hand, und ſprach mit ſanftem Blick:
Geh, und beſchleunige des jungen Grafen Gluͤck.
Sie ſprachs; und kehrte ſich zu ihren ſchwarzen Schaa -
ren.
Was jemals Aberglaub, und Vorurtheil gebahren;
So manches grauſe Bild, ſo manch ſechsfuͤßig Kalb;
So91Vierter Geſang.
So mancher Poltergeiſt, ſo mancher ſchwerer Alp;
So mancher ſchwarze Hund, dem wild die Augen glaͤn -
zen;
So manches Ungetuͤm mit Klauen und mit Schwaͤnzen,
Und was die Finſterniß nur ſchreckliches vermag,
Folgt ihrem Wagen nach, und ſcheut Vernunft und Tag.
Nachdem ſie tiefen Schlaf auf alles ausgegoſſen:
So fuhr ſie weiter fort mit ihren traͤgen Roſſen.
Der Geiſt erſchien indes dem jungen Herrn im
Schlaf,
Gleich ſeinem Freund von Turm, und ſprach: Du
ſchlaͤfſt, o Graf?
Erwache, Schlaͤfriger, und eile zu Belinden;
Du wirſt im Canapee ſie eingeſchlummert finden;
Sie iſt jung und allein, dein Kuß erwecke ſie;
Die ſproͤdſte Schoͤne zuͤrnt nach einem Kuſſe nie.
Dein alter Strom iſt fort, es ſchlafen deine Leute;
Steh auf, kein Tag vielleicht ſchließt ſich ſo ſchoͤn, wie
heute.
Jch92Das Schnupftuch.
Jch ſeh das Schnupftuch ſchon in deiner Siegeshand,
Das du in dem Triumph von neuem ihr entwandt.
Es ſoll dem alten Strom bis in das Herz verdrießen,
Wenn er dich morgen ſieht das Schnupftuch wieder kuͤſ -
ſen.
So ſprach er, und entwich. Der muͤde Graf
erwacht,
Nachdem er gaͤhnend noch an ſeinen Traum gedacht.
Er ſah nach ſeiner Uhr; acht Uhr hat es geſchlagen,
Und ſchnell entſchloß er ſich des Traumes Rath zu wa -
gen.
Er warf den ſchlanken Leib in einen Oberrock;
Es wafnete die Hand ein wilder Dornenſtock;
Sein Haar flog halbverwirrt, auf das ein Hut ſich
druͤckte,
Den um den weiten Rand ein Strausgefieder ſchmuͤckte.
Auch ein nachlaͤßger Putz bringt Schoͤnen oft Gefahr.
Er war das Gegentheil von dem, was er ſonſt war;
Und dennoch war er ſchoͤn. Mit einem blinden Triebe
Eilt93Vierter Geſang.
Eilt er Belinden zu, gefuͤhrt von Muth und Liebe.
Was wagt nicht oft der Menſch, und wie viel
gluͤckt ihm nicht!
Seht, kein Eroberer, dem Fama Lorbeern flicht,
Laͤßt Blut und Menſchlichkeit in ſeinem Herzen reden,
Vom Macedonier bis auf den wilden Schweden.
Und kein Eroberer, dem Amor Kraͤnze flicht,
Erwegt, was die Vernunft zu ſeinem Vortheil ſpricht.
Die Ueberlegung iſt bey Liebenden vorlohren,
Vom Raͤuber Paris an, bis auf den deutſchen Thoren.
Was wagte nicht der Graf! Verwegen gieng er aus;
Verwegen trat ſein Fuß in ein geweihtes Haus;
Jn einem Oberrock; des Abends, ungebeten.
So hat es noch vor ihm kein junger Herr betreten.
Er war im Hauſe noch in einer kleinen Quaal;
Gleich einem Herkules ſtand er in ſchwerer Wahl.
Zwo94Das Schnupftuch.
Zwo Treppen leiteten zu ſeiner Schoͤne Zimmer;
Die eine war erhellt von einer Leuchte Schimmer,
Die andre war verſteckt im Winkel angebracht,
Und auf ihr ruhte ſtets geheimnißvolle Nacht.
Er ließ die letzte ſich zu ſeiner Goͤttin leiten.
O Muſe, laß uns nun den jungen Held begleiten,
Damit er nicht etwa ſich an die Naſe rennt,
Da ihn kein Troſt erweckt, und keine Leuchte brennt.
Schon war ſein leiſer Schritt auf halben Weg
gekommen;
Kein Diener, keine Magd hatt unſern Held vernom -
men;
Doch ploͤtzlich ſtieg etwas von oben her herab,
Und ploͤtzlich nahm ſein Muth bey dieſem Zufall ab.
Er richtete den Blick erſchrocken in die Hoͤhe,
Und ſah, damit ich es zu ſeinem Ruhm geſtehe,
Vielleicht das ſchrecklichſte aus Plutons Hoͤllenreich,
Zwo95Vierter Geſang.
Zwo Augen voller Gluth, den Kaͤſenaͤpfen gleich.
Voll Schrecken ſtand er da, und grif nach ſeinem De -
gen;
Ein fuͤrchterliches Thier kam ihm indes entgegen.
Vielleicht haͤtt er halbtodt den Fuß zuruͤckgewandt,
Wann er nicht das Geſpenſt zur rechten Zeit erkannt.
Es war ein ſchwarzer Feind der langgeſchwaͤnzten Rat -
ten,
Ein Held und ein Amant, wie er, im finſtern Schat -
ten;
Ein Kater, der beherzt, durch dicker Naͤchte Graus,
Zu ſchoͤnen Katzen ſchlich in ſeiner Nachbarn Haus,
Der kuͤhne Graf erreicht das Zimmer ſeiner Schoͤne,
Und hemmet voller Liſt der Thuͤre helle Toͤne,
Die ſie im Aufgehn macht, und tritt mit frechem Sinn
Bis an das Canapee, in dem ſie ſchlummert, hin.
Wie konnt ein Sterblicher ſo vielem Reiz entfliehen,
Mit dem, den Roſen gleich, die jungen Wangen bluͤhen!
Wer96Das Schnupftuch.
Wer ſieht den ſchoͤnſten Mund, der ihn nicht feurig kuͤßt,
Wenn Schlummer, Lieb und Nacht, ſo ſehr ihm guͤn -
ſtig iſt?
Wie pries der frohe Graf die ungehofte Stunde!
Schon nahte ſich ſein Mund dem allerſchoͤnſten Munde,
Als er von hinten zu an einen Theetiſch ſtieß,
Und Caffeezeug und Tiſch in einen Klumpen ſchmiß.
Ein fuͤrchterlicher Schall toͤnt durch das ganze Zimmer.
Belind erwacht, und ſchrie, und ſah die theuren Truͤm -
mer
Von ihrem Porcellan, und ſah noch halb im Schlaf
Mehr auf das Chaos hin, als auf den blaſſen Graf.
Doch endlich ſieht ſie ihn zu ihren Fuͤßen liegen.
Sein Anblick macht ihr ietzt kein ſonderlich Vergnuͤgen;
Graf! was fuͤhrt dich hieher? Du ſiehſt, ich bin allein,
Und wie, du dringeſt dich zu meinem Zimmer ein?
Welch eine freche That! Und wo iſt denn Liſette?
Hilf97Vierter Geſang.
Hilf Himmel, wenn jemand den Laͤrm gehoͤret haͤtte!
Geh dieſen Augenblick! So ſprach ſie blaß und roth.
Der arme Graf indes, vor Schrecken bleich und todt,
Verſuchte voller Angſt die ſchoͤne Hand zu kuͤſſen;
Allein ſie riß ſie weg. Sprich! Graf, ich will es wiſſen,
Was dich hieher gebracht. O Fraͤulein, (fieng er an,)
Du fragſt gewiß mich mehr, als ich dir ſagen kan.
Mein Unſtern bringt mich her zu dieſem neuen Schlage.
Liſette kam zu mir an dieſem Vormittage,
Und nahm das Schnupftuch weg, das mir ſo theuer war;
Mein Kummer war zu groß, ich wagt es mit Gefahr,
Aus deinem ſchoͤnen Mund, o Fraͤulein, ſelbſt zu wiſſen,
Ob meiner Goͤttin Zorn das Schnupftuch mir entriſſen.
Sonſt wolteſt du hier nichts? (ſprach ſie mit bitterm
Hohn,)
Ja, es war mein Befehl! und ſchnell gieng ſie davon.
IIter Theil. GHier98Das Schnupftuch.
Hier ſtund der arme Graf, erſchrocken und verlaſſen,
Jedoch in dieſer Noth half ihm ſein Stolz ſich faſſen.
Er gieng in voller Wuth zu ſeinem Hauſe fort,
Und murmelte bey ſich manch unverſtaͤndlich Wort.
Nachdem er heimlich ſich in ſein Gemach begeben,
Nahm er, zum erſtenmal in ſeinem ganzen Leben,
Von ſelbſt ein dickes Buch, und las zwar nicht darinn,
Doch legt er es zum Schein auf ſeinem Tiſche hin.
Der heiſre Waͤchter ließ ſein Abendlied ertoͤnen;
Noch ſaß der Officier bey den verborgnen Schoͤnen,
Und wies bey viel Geſang, und bey ſehr wenig Wein,
Die Schlacht bey Chotuſitz, den Uebergang am Rhein.
Der Hauptmann war bisher in dem Quartier geblie -
ben;
Der Fuͤndling
*)Ein Roman.
*) und Toback hatt ihm die Zeit vertrie -
ben.
Doch99Vierter Geſang.
Doch ſchnell entſchloß er ſich, zum Graf von Hold zu
gehn.
Kein Geld und auch kein Wein, das war nicht aus -
zuſtehn.
Er fand den Graf allein, und gar bey einem Buche,
Und macht ihm ſeinen Gruß mit einem ſchweren Flu -
che.
Ein Teufel war genung fuͤr Faͤhndrichs niedrer Art,
Er ſchwur bey tauſenden, ſo bald er Hauptmann ward.
Das Wetter! (fieng er an,) du willſt wohl gar ſtudi -
ren?
Welch hagelmaͤßig Buch, mir graut, es anzuruͤhren!
Dein alter Strom iſt doch ein rechter Erzpedant,
Schickt die Gelehrſamkeit ſich wohl fuͤr deinen Stand?
Wirf die Scharteken weg, und ſauf ein Glas Bur -
gunder.
Was hilft bey Maͤdchens dir der ganze dumme Plun -
der?
Die Zeit ward heute mir recht wettermaͤßig lang;
Jch weiß nicht, welch ein Geiſt mich zu Belinden
zwang;
Allein ſo hab ich mich mein Tage nicht gequaͤlet.
G 2Der100Das Schnupftuch.
Der Himmel weiß es auch, was der Begine fehlet.
Und du, ihr Herr Amant, du biſt ja ſonſt ſtets da,
Wie kam es, daß man dich nicht dieſen Abend ſah?
Der alte Strom wird dich noch ganz zum Narren
machen,
Miſcht der Praͤceptor ſich in alle deine Sachen?
Der Mucker! gieb ihm doch nicht allezeit Gehoͤr,
Du lernſt bey Maͤdchen ja, bey meiner Seele! mehr.
So ſprach er; und es trat ein ſchoͤner Kerl ins
Zimmer,
Jn deſſen ſchwerer Hand ihm des Burgunders Schim -
mer
Die Augen blendete. So ſehr ruͤhrt das Geſicht
Der jugendliche Glanz der Morgenroͤthe nicht.
Es ſtuͤrzte ſich ins Glas der rothe Saft der Reben;
Ein weißer Stern, wie Milch, fieng an ſich zu erhe -
ben;
Schoß ſcharfe Stralen fort, bis an des Glaſes Rand,
An dem er nach und nach, dem Nordlicht gleich, ver -
ſchwand.
Der101Vierter Geſang.
Der Hauptmann hatte ſchon viel Glaͤſer ausgeleeret,
Viel Schlachten ſchon erſiegt, viel Laͤnder ſchon verhee -
ret,
Als er den braven Graf, (brav durch ſo ſchoͤnen Wein,)
Jn tiefer Schwermuth ſah; er ſah es, und hielt ein.
Was fehlt dir, kleiner Narr? dein Maͤdchen, Graf,
Belinde!
Was ſchaͤmſt du dich? ſtoß an! Wie? (ſprach der Graf,)
Belinde?
Mein Maͤdchen? Freylich ja, dein Maͤdchen! laͤugn
es nicht,
Denn es verraͤth dich doch dein juͤngferlich Geſicht.
Es fiel dem Grafen ſchwer, der Neigung zu entſagen,
Beleidiget zu ſeyn, und keinem es zu klagen.
Und wo iſt der Amant, der wie ein Staatsmann
ſchweigt,
Und bey dem maͤchtgen Wein ſein zaͤrtlich Herz nicht
zeigt?
Ach Hauptmann, (ſprach der Graf,) mein Ungluͤck iſt
vollkommen!
Ein Schnupftuch, das ich juͤngſt der Fraͤulein wegge -
nommen,
Wozu ihr holder Blick mir ſelbſt Erlaubniß gab,
G 3Das102Das Schnupftuch. Vierter Geſang.
Das holt mir heute fruͤh ihr Maͤdchen wieder ab.
Ey, (ſprach der Capitaͤn,) laß es dir wiedergeben!
Und ſchenkt ſich tapfer ein, und laͤßt den Grafen leben.
Doch die Boutelje ward zu ſeinem Schrecken aus.
Der Waͤchter rief eilf Uhr, und Strom trat in das
Haus;
Das Schrecken kam mit ihm; ſchon auf den erſten
Stufen
Hoͤrt ihn der ſcheue Graf nach den Lakayen rufen.
Ach, das iſt Strom! (ſprach er) geh, Freund, eh er
dich ſieht
Der Hauptmann fuͤrchtet ihn, und nimmt den Hut
und flieht.
Das[103]

Das Schnupftuch. Fuͤnfter Geſang.

[104]105
Das Schnupftuch. Fuͤnfter Geſang.
Schon ſtieg zum zweytenmal die Sonn aus blauen
Wellen,
Die Huͤtt und den Pallaſt gleichgnaͤdig zu erhellen.
Sie ſtreute Freud und Tag auf die glorreiche Bahn,
Und nach und nach zog ſich das Kammermaͤdchen an.
Die Pagen fuhren ſchon in ihre Silberkleider;
Die Lerche ſang im Feld, und in der Stadt der Schnei -
der;
Schon ſtand der Grenadier, und wirte ſeinen Bart,
Und alles fuͤhlte ſchon des Morgens Gegenwart.
Die Frau von Lins ſtand auf. Jhr Haus ſchien
ihr erſtorben;
Es hatte laͤngſt der Graf ihr zartes Herz erworben;
Sie war an ihn gewoͤhnt; ohn ihn und ihren Hund,
War ſie nicht aufgeraͤumt, und auch nicht recht geſund.
G 5Und106Das Schnupftuch.
Und er hatt ihr gefehlt drey Tage ſchon, und druͤber!
Dies uͤberdachte ſie, und ſie bekam das Fieber.
Zwar war ihr eigentlich das Wetter nur zu rauh;
Doch das heißt Fieber ſchon, bey einer gnaͤdgen Frau.
Sie hatte Zeit genung, in Schwermuth ſich zu ſenken,
Und bey dem Morgenroth an ihren Gram zu denken.
O wie begluͤckt iſt der, der ſeinen Morgen braucht,
Und fruͤh beym klugen Buch ſein ſichres Pfeifgen
raucht!
Der Thee des Nachmittags, Caffee des Morgens trin -
ket,
Und fruͤh ſein Maͤdchen ſieht, wenn es ſich nicht ge -
ſchminket!
Weit ſchneller fließet fruͤh dem Anwald das Libell;
Purganzen wirken fruͤh; fruͤh reimt der Vers ſich
ſchnell.
Doch weh der gnaͤdgen Frau, die ihrem Stand entſa -
get,
Und, Buͤrgersleuten gleich, an Morgenluft ſich waget!
Kein Kerl, kein Maͤdchen wacht, Caffee iſt nicht be -
ſtellt,
Kein107Fuͤnfter Geſang.
Kein Menſch vermuthet ſie ſo fruͤh in unſrer Welt.
Aus Zaͤrtlichkeit waͤr ietzt die Frau von Lins geſtorben,
Haͤtt ihre Zoſe nicht den Nachruhm ſich erworben,
Und ihr Caffee gebracht, eh ſie es ihr geſagt;
Drum blaͤſt auch Fama noch von dieſer Heldin-Magd.
Die gnaͤdge Frau war blaß aufs Canapee geſunken;
Allein ſie hatte kaum zwoͤlf Taſſen ausgetrunken,
So wirkte der Caffee in ihr phlegmatiſch Blut,
Und zaͤrtlich ruft ſie aus: Ey, dein Caffee iſt gut!
Belinde ſchlaͤft wohl noch; weißt du mir nicht zu ſagen,
Warum Graf Hold nicht koͤmmt, und zwar ſchon ſeit
drey Tagen?
Ach, Jhro Gnaden, (ſprach Charlotte voller Liſt,)
Nur zu bekannt iſt es, was daran Urſach iſt?
Man ſagt, der junge Herr will ſich zu Tode graͤmen.
Liſette mußt ihm ja das Schnupftuch wieder nehmen,
Das108Das Schnupftuch.
Das bey dem Spiel einmal das Fraͤulein fallen ließ,
Und das ſie ihm im Scherz ſelbſt aufzuheben hieß.
Wie? (ſprach die Frau von Lins,) erſtaunt muß ich
das hoͤren!
Will denn mein eignes Kind die Aſſambleen ſtoͤren?
Denn ſp[ri]ch, was mach ich mir aus aller Aſſamblee,
Wenn ich am Lombertiſch den Graf von Hold nicht ſeh.
Mein Haus war wie verwuͤnſcht; ich konte mich nicht
faſſen,
Denn geſtern um acht Uhr ſah ich mich ſchon verlaſſen.
Haͤtt aber uns Graf Hold mit ſeinem Scherz erfreut,
So haͤtte ſich gewiß kein Menſch ſo bald zerſtreut.
Jch will indeß den Schimpf von meinem Hauſe raͤchen,
Ruf mir das Maͤdchen her, ich will es ſelber ſprechen.
Belinde kam. Wie ſanft trat ſie in das Gemach!
Und wie erſtaunte ſie, da ihre Mutter ſprach:
Wo iſt der Graf von Hold? Du weißt, ich kan ihn
leiden.
Warum109Fuͤnfter Geſang.
Warum mag er mein Haus mit ſo viel Zwang vermei -
den?
Und warum wirſt du roth? Biſt du wohl Schuld dar -
an?
Jch, gnaͤdige Mama? Was geht der Graf mich an?
Ja, Fraͤulein, eben du. Er flieht mein Haus aus Ra -
che.
Jhr Maͤdchens ſeyd nicht klug. Jch weiß die ganze
Sache.
Doch glaub, es laͤßt ſehr ſchlecht, ſo hoch du immer
denkſt,
Wenn du das wieder nimmſt, was du erſt ſelbſt ver -
ſchenkſt.
Zur Unzeit ſtellen ſich die Buͤrgermaͤdchen ſproͤde,
Kein Fraͤulein ziert ſich ſo. Soll unſer Haus denn oͤde,
Und der Quadrilletiſch deswegen einſam ſtehn,
Weil gegen dich ein Graf ein Baggatell verſehn?
Ruf deine Zofe nur in dieſem Augenblicke,
Und ſchick ohn allen Zwang das Schnupftuch ihm zu -
ruͤcke.
So eine Kleinigkeit, ſoll die wohl Urſach ſeyn?
Daß zwo Familien deswegen ſich entzweyn?
So110Das Schnupftuch.
So ſagte ſie, und ſchwieg. Zwar that die holde
Nymphe,
Als ſey ſie ſehr betruͤbt bey dieſem neuen Schimpfe:
Doch kaum war ſie allein, ſo pries ſie dieſen Tag,
Und eilte vor den Schrank, in dem das Schnupftuch
lag.
Mit Krachen oͤfnen ſich die aufgerißnen Fluͤgel.
So ſprangen von ſich ſelbſt des Hoͤllenthores Riegel,
Als um Euridicen der Wittwer Orpheus fang,
Und durch ſein maͤchtges Lied den Hoͤllenhund bezwang.
Der Sylphe, der auch hier das Schnupftuch noch be -
wachte,
Erſchrack, da ihn die Hand des Schickſals freyer machte.
Jn dieſem Schrank geliebt, und zaͤrtlich, und getreu,
Beſtuͤrzt die Freyheit ihn mehr, als die Sklaverey.
So wie aus Zaͤrtlichkeit ein Sklave ſich betruͤbet,
Der eine Zulima in ſeinen Ketten liebet,
Wenn ihm ein edler Dey die Freyheit wieder ſchenkt,
Und111Fuͤnfter Geſang.
Und mit dem erſten Schif ihn heimzuſchicken denkt.
Als ihn in dieſen Schrank das Schickſal eingeſchloſſen,
So lag er lange Zeit ohnmaͤchtig und verdroſſen;
Beklagte ſein Geſchick, und ſein verhaßtes Amt,
Das ihn, den Gnomen gleich, zur Sklaverey ver -
dammt.
Jhm gegenuͤber ſtand in einem goldnen Kleide,
Jetzt bloß zur Raritaͤt, ſonſt zu Belindchens Freude,
Ein Doͤckgen, ſchoͤn geputzt mit Flittergold und Band,
Das durch den ſuͤßen Blick den Sylphen uͤberwand.
Der Sylph im Geiſterreich war Stutzer ſonſt auf Er -
den,
Und ſagt ihr ſeinen Schmerz in zierlichen Geberden;
Die Puppe neigte ſich; ihr hoͤlzern Herz blieb kalt,
Doch endlich ſiegt der Geiſt durch Jugend und Geſtalt.
Was konnte ſie denn auch in dieſem Schrank erwarten,
Als ein paar Koͤnige aus alten Lomberkarten.
Ein112Das Schnupftuch.
Ein hoͤlzerner Huſar auf einem lahmen Pferd
Stand auch mit in dem Schrank, doch der war ſie
nicht werth.
Der Sylphe traurete, da er nun ſcheiden ſollte.
Mit einem Thraͤnenbach, der von den Wangen rollte,
Mit einem ſanften Ach, das ietzt ſehr redend war,
Stellt ſeiner Dido Reiz ſich doppelt ſchoͤner dar.
Sie ſah ihn zaͤrtlich an, und rang die ſchoͤnen Haͤnde.
Verraͤther, (ruft ſie aus,) hat nun die Lieb ein Ende,
Die du mir ewig ſchwurſt, und die du nun verſchmaͤhſt?
Untreuer, gehſt du fort, ſo ſterb ich, wenn du gehſt.
Welch Gluͤck, wenn ich, wie ſonſt, noch unempfindlich
waͤre!
Ach! warum folgeſt du dem Schnupftuch und der Eh -
re?
Wer weis, in welchem Schrank du ſchoͤnre Puppen
ſiehſt.
Doch, Sylphe, denke ſtets, daß du die treuſte fliehſt.
So ſprach ſie; und der Geiſt, der nichts zu ſagen wußte,
Und,113Fuͤnfter Geſang.