EW. Excellence uͤberreiche ich nach der unter denen Gelehrten an - genommenen Gewohnheit ge - genwaͤrtige Schrift, als einen Beweiß meiner gegen Deroſelben tragenden Hochachtung und nie auszuloͤſchen - den Liebe und Zuneigung. Jch habe ſelbige verfertiget, um die wichtigſten Glaubens-Lehren unſerer Evangeli - ſchen Kirchen gegen einem zur Genuͤ - ge bekannten, heftigen Verfolger der - ſelben zu verthaͤdigen und meyne alſo eine gute Sache fuͤr mir zu haben. Es iſt angenehm in dergleichen Zwi - ſtigkeiten alſobald einen Schieds -MannZu-Schrift.Mann und Richter zu kennen, und ich bin uͤberfuͤhrt, daß Ew. Excellence hiezu eine vollenkommene Faͤhigkeit beſitzen. Jch trete der Warheit in keine Wege zu nahe, weñ ich oͤffentlich bekenne, daß man Dero Urtheil weder partheyiſch noch ungegruͤndet wuͤrde finden. Die - ſe Urſache koͤnte ſchon mein Unterneh - men, da ich dieſe geringe Arbeit Ew. Excellence zueigne, fuͤr ſich rechtfertigen. Sie iſt es aber nicht allein. Der kraͤf - tigſte Bewegungs-Grund nimmt ſei - nen Urſprung aus einer zaͤrtlichen Leydenſchaft meines Gemuͤhts. Die Empfindung von Ew. Excellence lieb - reichen Zuneigung gegen meine Per - ſon und wuͤrcklich genoſſenen Wohl - thaten lieget mir ſo tieff im Hertzen, daß die Entlegenheit des Orts Dero Auffenthalts ſelbige ſo wenig auszu - loͤſchen vermag; als wenig der Ablauf der Zeiten ſolche hat hinweg nehmen koͤnnen. Es geben ſich jezuweilen gluͤckliche Umſtaͤnde in unſerm Leben an, welche in den gantzen Uberreſt deſ -ſelbenZu-Schrift.ſelben einen Einfluß haben: wenig - ſtens ſich von denen uͤbrigen Bege - gnuͤſſen mercklich unterſcheiden. Mir iſt die Gelegenheit, da ich Ew. Excellence zuerſt bekannt geworden, allezeit als die Vortheilhaftſte, die ich in der Welt gehabt, vorgekommen: wenigſtens kan ich ruͤhmen, daß ſolche zu mei - nen zeitlichen Wohlſeyn einen merckli - chen Grund gelegt. Die Weißheit, ſo alle menſchliche Dinge nach heiligen Geſetzen regieret, hat es gefuͤget, daß eben zu der Zeit, da ich meine Academi - ſchen Studia auf der wehrten Kieliſchen Univerſit aͤt, die Gott im Segen erhalte! geendiget, und um eine Gelegenheit, wie bey meinen wenigen Mitteln der - ſelben Wachsthum ferner moͤgte be - fordert werden, bekuͤmmert war, Ew. Excellence unvermuhtet meiner Unterweiſung und Aufſicht anbefoh - len wurden. Andern gereicht derglei - chen Bedienung zur Muͤhe und Laſt. Sie laͤſt unterweilen weder Zeit noch Luſt uͤbrig, fuͤr ſich an dem Schatz der Wiſſenſchaften etwas zu gewiñen. JchimZu-Schrift.im Gegentheilhabe aus derſelben Ver - gnuͤgen und Vortheile geſchoͤpfft. Jch bin im Zweiffel, ob Ew. Excellence mehr durch meinen Unterricht, als ich durch Dero bey denen Jahren ungewoͤhnli - che Begierde zum Wiſſen und natuͤr - liche Scharffſinnigkeit bin erbauet worden. Dieß hat mir Anlaß gegeben, vielen Dingen gruͤndlich nachzuſinnen, auf welche ich vielleicht niemahls ge - rahten waͤre. Jch habe auf ſolche Art aus denen Bemuͤhungen Ew. Excellence von meinen wenigen Wiſ - ſenſchafften mitzutheilen, allemahl ei - nen mercklichen Gewinn gezogen. Dieſer iſt unſtreitig groß geweſen: aber ich vergleich ihn nicht mit dem Vergnuͤgen / ſo ich aus Dero Umgang geſchoͤpffet. Jch habe ſolche vier Jahr genoſſen / die mir gewiß wie einzele Tage geworden. Ew. Excellence Ge - muͤhts-Neigungen ſind von der Beſchaffen - heit / daß ſie ſolche angenehme Wirckung ha - ben muͤſſen. Jch habe ſie dazumahl und auch nachhero ſo treflich und edel gefunden / als ſie immer in einer menſchlichen Seele koͤnnen ge - funden werden. Es wird alſo unmoͤglich ſeyn / daß der Eindruck davon ſich aus mei -nemZu-Schrift.nem Geiſt ehe kan verlieren / bis die Erinne - rung der irrdiſchen Dinge durch meine letzte Veranderung auch ihre Veranderung wird leiden muͤſſen. Je groſſer dieſer iſt / deſtowe - niger habe ich Umgang nehmen koͤnnen / einen oͤffentlichen Beweiß davon zu geben. Dabey iſt dieß mein hertzlicher Wunſch zu GOTT / daß Er Ew. Excellence mit Dero hoͤchſtge - ſchaͤtzten Frau Gemahlin bey dem Antritt des einſtehenden neuen Jahres und fernerhin in einem geſegneten Wohlſtande wolle erhalten / der ich in voͤlliger Uberfuͤhrung von Dero un - ſchaͤtzbaren Gewogenheit in geziemender Ehr - erbietung bis an meine Vermoderung ver - harre Hochwuͤrdiger und Hochwol - gebohrner Herr Stifts - Amtmann / Hoͤchſtgeneigter Herr / Ew. Excellence
Ploͤn / den 22 Dec. 1731. gehorſam-verpflichteter Diener und Fuͤrbitter bey Gott PETRUS HANSSEN.
WJllkuͤhrliche Meynungen und noht - wendige Warheiten haben in ſich einen weſentlichen Unterſchied, und werden auf gantz verſchiedene Art in der See - len gezeuget und empfunden. Es iſt alſo moͤglich, daß man dieſelbe kennen und von einander unterſcheiden kan: ob es gleich ſchwer iſt und denen Wenigſten gelingt, dieſen Un - terſchied zu bemercken und einzuſehen. Will - kuͤhrliche Meynungen haben ihren Grund in einer leeren Einbildung: bey nohtwendigen Warheiten hingegen iſt eine voͤllige Uberzeu - gung in dem Verſtande. Die Einbildung unterdeſſen hat einige Aehnlichkeit mit der U - berzeugung, und wird bey dem groͤſten Hauf - fen vor dieſelbe angenommen. Die Meiſten glauben von Dingen, die ſie ſich ſelbſt nur alſo vorgemahlt, uͤberzeuget zu ſeyn. Es iſt auch nichts ſchwerer, als die Merckmahle, wornach man die Uberzeugung von der Ein - bildung unterſcheiden muß, jemanden beyzu - bringen. Gleichwohl kan man in Erfindung und Beurtheilung der Warheit, ohne hievon einen deutlichen Begrif zu haben, ohnmoͤg - lich gluͤcklich fortkommen, noch etwas Rechtes ausrichten. Eben daher, daß ſo wenige die - ſen Unterſchied kennen, geſchiehet es, daß vieleaJrr -2Vorrede. Jrrthuͤmer vor Warheiten, und allerley ab - geſchmackte Einfaͤlle gar vor goͤttliche Einge - bungen angenommen und ausgegeben wer - den. Man verthaͤdiget jezuweilen die unge - reimtſten Meynungen bis aufs Blut, und zwei einander offenbar widerſprechende Saͤtze, da - von einer nohtwendig falſch ſeyn muß, werden ſolchergeſtalt verfochten, daß einjeder den ſei - nigen vor unuͤberwindlich, und denjenigen vor blind, einfaͤltig und verſtockt haͤlt, der ſol - ches nicht annehmen oder auf einige Weiſe in Zweiffel ziehen wil. Es iſt aber denen Men - ſchen nicht genug, daß ſie ſelber irren und den Wachsthum ihrer innerlichen Vollenkom̃en - heit hindern; ſondern ſie haben auch den ſchaͤd - lichen Wahn, ob waͤren ſie verbunden, ihre Ein - faͤlle andern zugleich bekannt zu machen, und ihren Nechſten die Fruͤchte ihrer Einbildung genieſſen zu laſſen. Alſo laſſen ſie ſichs recht ſauer werden, das Reich der Finſternuͤs zu vermehren, und ſie meynen Wunder, was ſie vor eine heilſame Arbeit ausgerichtet, wenn ſie einige bloͤde Geiſter an ſich ziehen und denen - ſelben ihre After-Begriffe beybringen koͤnnen. Sie ſuchen dieſes mit mehrerm oder wenigerm Eyfer ins Werck zu richten, nach dem ihr Zweck und Vorſatz ſolches zu erfodern ſcheinet, und dieſer hat gemeiniglich ſeinen Grund in demWil -3Vorrede. Willen des Fleiſches: Die Begierde, einen groſſen Namen in der Welt zu haben; wegen beſonderer Einſichten und Schaͤrffe des Ver - ſtandes bewundert zu werden; denen, welchen man uͤbel wil, Verdruß und Unruh zu erre - gen und auch jezuweilen nach Befindung der Umſtaͤnde denen Einfaͤltigen das Geld aus dem Beutel zu locken, macht die Menſchen emſig, ſinnreich und hitzig, ihre ſelbſterwehlte Begriffe als unuͤberwindliche Warheiten zu verthaͤdigen, und ohne Schaam und Scheu mit Mund und Schriften auszubreiten. Ge - ſchiehet ſolches mit einer muntern Schreib - Art, mit einem Spiel-Werck ſchoͤnklingen - der Woͤrter und Redens-Arten, wenn ſie gleich unverſtaͤndlich und nichts bedeuten; mit dem Zeugnuͤß eines Eyfers fuͤr die War - heit; der Liebe zu dem Heyl anderer Men - ſchen; der verbindlichkeit GOttes Ehre aus - zubreiten; ſo finden ſolche Leute nicht nur bey vielen Aufmerckſamkeit, ſondern auch bey et - lichen Glauben und Beyfall. Und diß iſt eben nicht zu bewundern. Die wenigſten haben ein Gefuͤhl der Warheit: dahingegen iſt der groͤſte Hauffen zur Leichtglaͤubigkeit, zu Neue - rungen und zu Veraͤnderungen geneigt. Die Menſchen wollen ſich immer verbeſſern; ſolt es auch ſelbſt in der Religion und denena 2Glau -4Vorrede. Glaubens-Lehren ſeyn. Das Neue wird ihnen bald alt: und ſo bald es ihnen alt zu ſeyn daucht, wollen ſie was neues haben.
Und warlich hierin liegt der Grund, wie von vielen andern Jrrthuͤmern; alſo inſon - derheit von denen Ketzereyen und irrigen Meynungen, welche in Lehren, die das ewige Wohl der Menſchen angehen, ausgebruͤtet werden. Ein jeder nimmt Theil an denen Lehren von der Seligkeit. Niemand wird vorſetzlich ewig elend werden wollen. Alſo iſt es an ſich unmuͤglich, daß ein Menſch, welcher glaubt, daß eine Seligkeit zukuͤnftig ſey, nicht auch ſolte wuͤnſchen, dieſelbe zu er - langen: folglich auch den Weg und die Mit - tel zu wiſſen, wie ſolches geſchehen moͤge. Daher koͤmmts, daß die meiſten Menſchen auf die Religion und was darin gelehrt wird, fuͤrnemlich wenn ſich Neuerungen darin her - vor thun, aufmerckſam ſind. Nachdem nun dieſelbe leichtglaͤubig und argwoͤhniſch, ſo laſſen ſie ſich blenden und einnehmen. Solches wiſſen dann andere, die etwas ſchlau ſind und gerne einen groſſen Namen haben wollen, ſich zu Nutz zu machen. Auf ſolche Art kan man in keinen Wiſſenſchaften leichter von der Warheit abgefuͤhret werden, als in de - nen, die das ewige Wohl der Seelen ange -hen;5Vorrede. hen; und man hat in keiner Lehre ſich ſorg - faͤltiger in acht zu nehmen, als eben in der, die unſere Religion und Glauben betrift. Und da gilt fuͤrnemlich die Regul des Apoſtels, daß wir uns bemuͤhen ſolten hinan zu kommen zu einerley Glauben und Erkaͤnntnuͤß des Soh - nes Gottes und ein vollkommen Mann wer - den, der da ſey in der Maaß des vollenkom - menen Alters Chriſti. Eph. IV. 14. Dieſes a - ber wird nicht geſchehen moͤgen, es ſey dann, daß man das Willkuͤhrliche von dem Noht - wendigen, und das Falſche von dem Wah - ren zu unterſcheiden geſchickt ſey. Und es iſt nicht nnmoͤglich unter Gottes Beyſtand die - ſe Geſchicklichkeit zu erlangen. Zwar der Un - terricht, welchen bloſſe Vernunft hievon gibt, iſt unzulaͤnglich, und die Begriffe, welche wir uns durch Huͤlffe derſelben von Lehr-Saͤtzen, ſo hieher gehoͤren, machen, ſind mit der Furcht des Gegentheils verknuͤpft, und laſſen folg - lich die Seele in Zweifel und Ungewißheit. Niemand wird durch eigenes Nachſinnen, er ſey noch ſo ſtarck an Gaben des Verſtandes, zur Erkaͤnntnuͤß des Heyls, die da iſt in Ver - gebung der Suͤnden, gelangen. Die Erfah - rung hat es auch zur Gnuͤge erwieſen, daß ſol - ches auſſer Menſchen Kraͤften geweſen. Al - lein dieſem Mangel hat GOtt ſelbſt abge -a 3holf -6Vorrede. holffen. Von ihm iſt die Schrifft eingege - ben, die uns | unterweiſen kan zur Seligkeit. 2 Tim. III. 15, 16. GOTT thut auch ſeinem Zweck allemahl ein Genuͤge. Alſo muͤſſen alle Warheiten, die uns ſelig machen, darin enthalten ſeyn. Sie muͤſſen ſolchergeſtalt darin enthalten ſeyn, daß Seelen, die mit Aufmerck - ſamkeit ſie ſuchen, ſelbige unfehlbahr finden. Man kan ſich die Lehre, welche uns von der Seligkeit einen zulaͤnglichen Unterricht geben ſoll, nicht anders als eine Zuſammenfaſſung unveraͤnderlicher Warheiten, die ihren Grund in denen goͤttlichen Vollenkommenheiten, folglich in ſeinem Weſen haben, vorſtellen. Man pfleget dieſelbe die Ordnung des Heyls zu nennen. Dieſe iſt es, welche in GOttes Wort verfaßt. Wer von derſelben wil ein zulaͤngliches und uͤberzeugendes Erkaͤnntnuͤs haben, muß es in dieſem Wort ſuchen: Gott laͤßt keine Seele irren, die nicht irren wil. Er wil, daß alle Menſchen ſollen zur Erkaͤnntnuͤs der Warheit kommen. 1 Tim. II. 4. Alſo kan es an Zulaͤnglichkeit der Mitteln auf ſeiner Seiten nicht fehlen: thut dann der Menſch auch das, was an ſeiner Seiten unumgaͤng - lich geſchehen muß, ſo wird die Uberzeugung gewißlich folgen. Worin diß aber beſtehe, ſolches wird ſich aus nachfolgenden in etwasbe -7Vorrede. beurtheilen laſſen. Die Glaubens-Warhei - ten von unſerer Seligkeit muͤſſen freylich in Gottes Wort geſuchet werden: es iſt aber dabey fuͤr ſich klar, daß ſolches ſuchen ohne den rechten Gebrauch unſerer Seelen Kraͤfte un - moͤglich geſchehen koͤnne: ja in der Schrift wer - den viele Warheiten, die mit der Ordnung des Heyls eine genaue Verbindung haben, als ſolche, die man aus dem Licht der Natur mit zulaͤnglicher Uberfuͤhrung erkennen kan, voraus geſetzt. Eine jede Uberzeugung alſo, die in der Seele entſtehen ſoll, muß entweder aus der Vernunft oder aus der Schrift den Urſprung nehmen. Die Uberzeugung aus bloſſer Vernunft kennet man bey dem nohtwendigen Beyfall. Man muß die Warheit ſolchergeſtalt empfinden, daß es nicht in unſer Gewalt ſtehe, dieſelbe mehr zu leugnen. Die hoͤchſte Stuffe der Uberzeugung iſt, wenn wir uͤberfuͤhrt, daß das Gegentheil unmoͤglich.
Mit der Uberzeugung aus der Schrift muß es der Natur der Sachen nach freylich eine andere Beſchaffenheit haben. Hie kommt es darauf an, daß wir unter denen Woͤrtern und Redens-Arten uns die Begriffe machen, welche die Verfaſſer darin haben ausdruͤcken wollen. Sie haben ihre Begriffe in Woͤrter, und der Leſer muß die Woͤrter wiederum ina 4Be -8Vorrede. Begriffe verwandeln. Die wenigſten Woͤr - ter aber ſind in ihren Bedeutungen beſchraͤn - cket und abgemeſſen. Jhre Bedeutungen ſind auch, wie nach vielen andern Umſtaͤn - den, alſo auch nach dem Ablauf der Zeiten, vielfaͤltig veraͤndert. Daher kommen die man - nigfaltige und ſich offt untereinander wider - ſprechende Erklaͤrungen der Schrift. Daher kommen die viele Secten der Chriſtenheit, da eine jede vermeynet ihre angegebene Grund - ſaͤtze aus der Schrift beweiſen zu koͤnnen. Daher kommen die unzehlbare beſondere Re - ligions-Meynungen, die viele critiſche und phi - lologiſche Anmerckungen und Streitigkeiten, welche ſo viel hundert Jahr gedauret haben, und auch, ſo lang Gelehrten auf Erden ſind, dauren werden. Diß ſolte zwar denjenigen, der mit reiner Liebe zur Warheit nach dem Wege des Heyls forſcht, beynahe zaghaft machen, ob es auch uͤberall moͤglich, eine voͤlli - ge Uberzeugung von dem, was Gottes Geiſt zu unſerer Seligkeit darinn lehren wollen, aus ſelbiger zu erlangen. Es iſt bekannt, daß die Lehrer der Roͤmiſchen Kirche uns deſſen gerne bereden wollen, wie es auch die Grundſaͤtze ihrer Religion erfordern. Al - lein auch dieſer Meynung kan man ohne Nachtheil der Warheit nicht beypflichten. GOtt kan unmoͤglich wollen, daß ſo viel an9Vorrede. ihm, die Menſchen in unaufloͤßlichen Zwei - feln ſollen ſtecken bleiben; es widerſpricht dem Zeugnuͤß, daß er wolle, ſie ſollen zur Er - kaͤnntnuͤs der Warheit kommen. Der Be - griff von ſeiner Vollenkommenheit laͤſt uns glauben, daß er ſeinen Sinn ſo klar, als moͤglich, ausdrucken und auf die begreiflichſte Art mit uns reden wolle. Je weniger uns je - mand zu betriegen gedencket, deſto deutlicher redet er. So bald einer ohne Noht figur - lich, dunckel und uneigentlich redet, laͤſt er von ſich den Argwohn, daß er ſeinen Leſer will in Ungewißheit laſſen. Daraus aber fol - get, daß man die Woͤrter und Redens-Ar - ten der Schrift in der eigentlichſten Bedeu - tung nehmen muͤſſe, welche ſie leyden koͤn - nen, das iſt, ſolchergeſtalt, wie ſie gewoͤhnlich in der Welt gebraucht werden, und wie ſie ſich dem Zuſammenhang nach am fuͤglichſten gebrauchen laſſen. Hauptſaͤchlich iſt dieſes zu beobachten, wenn man ſich von denen Grund - Lehren der Seligkeit will zuverlaͤßige Begrif - fe machen. Man wuͤrde ſich in Ewigkeit der - gleichen nicht machen koͤnnen, wenn menſch - licher Verſtand erſt daran kuͤnſteln und wie die Woͤrter zu verſtehen, ausfuͤndig machen ſolte. Ein jeglicher wuͤrde ſeine Auslegung fuͤr die Beſte halten; wie es leyder! alſo in dera 5Welt10Vorrede. Welt taͤglich erfahren wird. Ein jeder pocht auf ſeinen Verſtand und wo iſt der Richter, der uns ſagen kan, wer den Beſten hat? Wann man ſolchemnach dieſen Satz als richtig annimmt, daß es der H. Scribenten Vorſatz muͤſſe geweſen ſeyn, die ihnen von dem Geiſtes Gottes mitgetheilte ſeligma - chende Weißheit auf die verſtaͤndlichſte Art, ſo nur immer moͤglich, auszudruͤcken, ſo koͤn - nen wir nicht mehr zweifeln, daß das, was nohtwendig aus dem Zuſammenhang ihrer Rede folgen und man bey dem eigentlichen und natuͤrlichen Gebrauch ihrer Woͤrter ſich gedencken muß, auch warhafftig ihre Mey - nung geweſen. Auf ſolche Art iſt eine Uberzeugung aus der Schrift moͤglich und zwar eine ſolche Uberzeugung die uns keine Furcht des Gegentheils zuruͤck laͤſt. Und ſolche beſteht eben darin, daß es nicht in un - ſerer Wahl, zu glauben, daß ſie einen andern Begrif haben ausdruͤcken wollen. Alſo ken - net man die nohtwendige Warheiten. Alle uͤ - brige Begriffe ſind willkuͤhrliche Meynungen: es ſtehet in menſchliche Freyheit, wie lang man ſie behalten und wenn man ſelbige aͤndern und abſchaffen will. Sie ſind im Grunde nichts als leere Einbildungen.
Man nennet eine Geſellſchaft von Men -ſchen11Vorrede. ſchen, welche ſich zu einerley Grund-Lehren von der Seeligkeit bekennen und die weſent - liche Stuͤcke des aͤuſerlichen Gottesdienſt mit einander auf gleiche Art beobachten, eine Kirche. Da nun vermoͤge des Vorherge - henden nur eine von GOtt beſtimmte Ord - nung des Heyls ſeyn kan, ſo iſt auch nur eine Zuſammenfaſſung derjenigen Warheiten, die dieſe Grund Lehren ausmachen, moͤglich: folg - lich kan nur eine wahre und rechtglaͤubige Kir - che ſeyn, und eben die Reinigkeit der Lehre gibt ihr den weſentlichen Vorzug und iſt ihr eigent - liches Kennzeichen:(1)Jch gerahte durch eine Folge meiner Gedan - cken auf die Warheit / welche von unſern Gottesgelehrten wider die Lehrer der Roͤmiſchen Kirchen verthaͤdiget wird / daß nemlich das einzige und eigentliche Kennzeichen der wah - ren Kirche die Reinigkeit der Lehre ſey: es geben zwar etliche den rechten Gebrauch der H. Sacramenten als das Zweyte an / es hat aber der gruͤndl. Theologus, Joh Gerhardus ſchon an - gemerckt / daß ſolche von dem erſten nicht ab - zuſondern / ſondern vielmehr mit ſelbigem ei - nerley ſey. Seine Worte davon ſind dieſe: eum pura verbi pradicatio legitimum ſacra - mentorum uſum iucludat (ſiquidem ſacramen - tum eſt verbum aliquod viſibile) cumque nonſit Wer alſo die wahreKir -12Vorrede. Kirche kennen will, der muß die Richtigkeit ihrer Lehren pruͤfen und die Glaubens-Be - kaͤnntnuͤſſe, welche die Glieder derſelben vor wahr halten, nach Gottes Wort beurthei - len. Diß iſt das eintzige Mittel fuͤr uns ſelbſt eine Uberzeugung zu erlangen und die goͤttli - che Warheiten von menſchlichen Einbildun - gen zu unterſcheiden. Es kommt alles dar - auf an, daß man Vernunft und Schrift von einander abzuſondern und jedes recht zu ge - brauchen wiſſe. Wer dieß nicht in acht nimmt; der kan niemals fuͤr Verfuͤhrung und Jrrthuͤmer ſicher ſeyn: und wo jemand noch uͤber dem einen Lehrer abgeben will, ſo kan er nichts als bloſſe Phantaſien und ſelbſt - erwehlte Meynungen zu Marckt bringen. Gleichwohl gibt es eine Art Schwaͤrmer, die, da ſie weder an Vernunft noch Schrift ſich wollen binden laſſen, dennoch eine voͤlligeUber -(1)ſit eadem ſacramentorum, quam eſt verbi & fidei ad ſalutem necesſitas (ſiquidem eccleſia Iſraelitica per 40. annos in deſerto circumciſio - nem intermiſit) ideo ſi ſtricte velimus loqui, poſſet una tantum propria & eſſentialis eccle - ſiæ nota conſtitui, videlicet pura verbi prædi - catio, cujus appendix eſt legitimus ſacramen - torum uſus. L. Theol. Tom. V. 25. de eccleſ. p. m. 832. 13Vorrede. Uberzeugung von ihren ſelbſterwehlten Mey - nungen zu haben ruͤhmen: die ſich gaͤntzlich uͤberreden, daß ſie es allein ſind, durch wel - che der Welt ein neues Licht koͤnne aufgehen: und ſich einbilden mehr als andere Menſchen erleuchtet zu ſeyn. Sie geben vor einen Schatz der Weißheit in ihnen ſelbſt zu beſt - tzen, ob ſie gleich keine Merckmahle als ihren eigenen Wahn davon angeben koͤnnen. Sie ſind auch dabey jezuweilen reich an Einfaͤllen, wie ein unzubereiteter Acker an Unkraut, und das ſcharffe Gefuͤhl von ihren Vollenkom - menheiten, welches gleichſam eine Gemuͤhts - Kranckheit, daran ſolcher Art Leute groͤſten - theils nieder liegen,(2)Gemeiniglich ſind diejenige / welche ſich wider die rechtglaͤubige Kirche aufgelehnet und in Glaubens-Sachen allerley neue Meynungen ausgebruͤtet / von Hochmuht und Ehrgeitz ge - trieben worden. Von denen alten Ketzern als Simone Mago, Menandro, Cerintho, Neſto - rio, Valentino, Montano, Novato, Sabbatio, Tatiano, Paulo Samoſateno und andern iſt ſol - ches zur Gnuͤge bekandt. Euſeb. H. E. L. II. c. XIII. L. III. c. XXIII. & XXV. Socr. H. E. L. VII. c. XXIX. & XXXII. Budd. Diſſ. de Valent. hæreſi § IV. Hornb. ſumma controv. p. 405 & 406. Dieſer Trieb iſt bey vielen ſo ſtarck geweſen /daß macht, daß ſie ſolcheals14Vorrede. als Glaubens-Articul der Welt mit Gewaltauf -(2)daß er alle Empfindungen von Schaam und Wohlſtand in ihnen toͤdtet und ausloͤſcht. Da ſich ſonſt niemand findet / der ſich ruͤhmen wil / ſo ruͤhmen ſie ſich ſelbſt: und ſolches auf eine ſo unverſchaͤmte Art / daß der Geſtanck davon kaum zu erdulden. Jnſonderheitfindet man dieß an den ſogenannten Fanaticis und Enthuſiaſten. So ſchaͤmet ſich Z. E. der beruffene David Joris nicht / vorzugeben / er habe alle Geheim - nuͤſſe ohne alle Buͤcher allein aus hoher goͤttlicher Offenbahrung und aus dem Anſchauen des unbedeckten Angeſichtes ſeines Gottes gelernet / er muͤſſe alle Menſchen / hohe und niedrige / kleine und groſſe / gelehrte und ungelehrte ermah - nen / daß ſie ihn / als einen gebohrnen Gottes von Himmel / einen Ambaſſadeur und Geſandten Gottes / einen Fortbrin - ger dieſes neuen Lichts in der andern Gebuhrt erkennen / zu ihm kommen / ſich von ihm als die unmuͤndigen Kindlein lehren und ohne Wiederdencken ſagen laſſen / wo ſie nicht ewig wollen unter-und verlohren gehen. Geſtaltſam derſelbe / der ſeiner Lehre widerſpricht / die rechte Suͤnde in den H. Geiſt begehe. Jeſſenii aufgedeckte Larve D. J. p. 99. Es klingt auch hochmuͤhtig genung / wenn Val. Weigel ſeinenguͤld -15Vorrede. aufdringen wollen. Jezuweilen ſind auchdie(2)guͤldnen Grif alſo anfaͤngt: Jn dem Na - men unſers HErren JEſu Chriſti ſchreib ich dieß Buͤchlein / darinnen auch die Ein - faͤltigen ſo weit im Verſtande gebracht werden / daß ſie uͤberwinden und treiben koͤnnen / viel hochgelehre Doctores und Welt-Gelehrte uͤberzeugen / daß viele Hochgelehrte in Blindheit ſitzen in allen dreyen Facultæ ten. So ſind es gleichfals nicht die ſchlechſten Lobſpruͤche / welche die Anthoi - nette Burignon ſich ſelbſt beylegt und von ih - ren Anhaͤngern beylegen laͤſt: wenn es von ihr heiſſt / ſie ſey eine Mutter der Kirchen / eine Mutter der Glaͤubigen: eine Fontei - ne des lebendigen Waſſers / davon die Stroͤme ſich ausbreiten werden in die gantze Welt; ob ſie zwar nie einige Buͤ - cher leſe / haben ſie doch die Wiſſenſchaft aller Dinge / kein Engel im Himmel koͤnne ihr was lehren: ſie habe die Ca - pacite, daß wenn ſie es noͤhtig haͤtten / die gantze Welt zu regieren / ohne Zweifel wuͤrde ihr GOtt Beyſtand thun: ja es ſey ihr geſagt / daß ſie bequem ſey / die gantze Welt zu regieren / da ſie damahlen nur von 20 Jahren geweſen. Jo. Bur - chardi Anmerckungen uͤber A. B lehren p. 107, 108. Jch uͤbergehe aus Liebe zurkuͤrtze die uͤbrigenPra -16Vorrede. die Umſtaͤnde in der Welt, daß ſolche Leute Glauben und Anhang finden. Die heilſame Lehre muß alſo auf ein Zeitlang denen Jrrthuͤ - mern weichen und allerley willkuͤhrliche, zum theil thoͤrichte Meynungen nehmen den Platz ein, wo die goͤttliche Warheit wohnen ſollte. Eshaben ſo gar Leute, davon ich gewißlich glaͤu - be, daß ſie entweder Ertzboͤſewichter oder auch auf einen gewiſſen, ob gleich nicht eben ſo gar mercklichen Grad im Kopf verruͤckt geweſen, zum theil gantze Secten, zum theil eine Menge Verehrer und Bewunderer nachgelaſſen. Wer das verwirrte Gezeug, ſo Böhm, Weigel, Fel - genhauer, Meth, Stiefel, David Joris, Daut, Römling, Tennhard, Nic. Storch. Andres Carlſtadt, ja eben die Burignon, Elias Prætorius oder Chriſt. Hohburg und viele andere zum theil zu Papier gebracht,zum(2)Pralereyen / mit welchen Felgenhauer, Meth, Stiefel, El. Brætorius, Storch / Carlſtadt, Th. Munſter, Joh von Leyden, Knipper dolling, Hans Engelbrecht und andere dergleichen Schwaͤr - mer mehr ſich ſelbſt haben ſchmuͤcken und fuͤr der Welt groß machen wollen. Daß es Joh. Conr. Dippeln nach dem Exempel dieſer Leute / die zum Theil ſeine Vorgaͤnger geweſen / weder an Gaben noch Luſt fehle / ſeinen Ruhm zu verkuͤndigen / davon werden wir unten einige Proben anzufuͤhren Gelegenheit haben.17Vorrede. zum Theil muͤndlich hinterlaſſen, mit Auf - merckſamkeit erweget; der wird faſt genoͤhti - get, auf dieſen Argwohn zu gerahten. (3)Es ſcheinet dieſe Meynung zwar hart zu ſeyn: ſie hat aber in der Sachen ſelbſt ihren Grund. Es gibt viele Arten des Wahnwitzes / da Leute im Kopf unrichtig / ob man ſie nicht eben darf in Ketten und Banden ſchlieſſen. Man leſe nur obgedachter Leute Schriften mit Auf - merckſamkeit und bemuͤhe ſich ihre Woͤrter und Redens-Arten in Begriffe zu brin - gen / und ſehe / was alsdann heraus kommt. Bey denen meiſten laͤuft es auf ein general Ge - ſchwaͤtz aus / da ſie den Wahn / ſo ſie ſich einmahl im Kopf geſetzt / auf allen Blaͤttern wieder - holen und dabey mancherley Woͤrter auf eine unſinnige Art verbinden / darunter ſich ſo un - moͤglich etwas gedencken laͤſt / als unmoͤglich die Verfaſſer ſelbſt etwas kluges darunter haben gedencken koͤnnen. Etliche haben den wunder - lichen Zuſtand ihres Geiſtes durch allerley Seltſamkeiten ſelbſt verrahten. Was iſt nicht das vor eine Grille / daß Jacob Böhme durch das Anſehen des Centri in einer zinnern Schuͤſ - ſel zum erſtenmahl erleuchtet worden? Daß Val. Weigel wuͤnſcht auf eine halbe Stunde ein Klotz zu werden / um wie ein Prophet und A - poſtel zu ſeyn? Daß Joh. von Leyden ihm ſelbſt eine dreyfache Crone aufſetzt? Daß Knipper -dol -bGleich -18Vorrede. Gleichwohl iſt keiner unter dieſen, der nicht ſei - ne Liebhabere gefunden. Es gibt Leute von verſchiedenem Geſchmack: darum kan denen, die gerne Haͤupter neuer Secten werden wol - len, wenn ſie ſonſt nur von geiſtlichen Sa - chen einiges Geſchwaͤtz machen koͤnnen und dabey die noͤhtige Verwegenheit und Ge - muͤhts-Haͤrte haben, ihr Anſchlag nicht leicht - lich misgelingen. (4)Der H. Hieronymus iſt zwar der Meynung / quod nullus posſit adſtruere hæreſin, niſi qui ardentis ingenii eſt & habet dona naturæ, quæ a Deo artifice ſunt creata. Er fuͤhrt dabey die beyden groſſe Ketzer den Valentinum und Mar - cionem als Exempel an. Comm. in Hoſ. c. X. EsDie Exempel von JacobBöhm(3)dolling, wenn ſeine Gemeine beyſammen ge - weſen / oben auf die Leute geſprungen / ihnen auf den Koͤpffen herum gekrochen / ſie ange - blaſen und geſagt: Nehmet hin den H. Geiſt. Daß Nic. Storch ruͤhmt / der Engel Gabriel haͤtte im Traum mit ihm geredt / daß die Bou - rignon glaubt / ſie waͤre geſchickt / die gantze Welt zu regieren / daß Andr. Carlſtadt einen grauen Bauren-Rock anzeucht / Holtz zu Marckt fuͤhret und Pfefferkuchen / Brandt - wein / Spiegel und Neſtel zu Kemberg feil hat. Wo ſolche Dinge vorgehen / da muß es gewiß mit dem Gehirn nicht die rechte Beſchaffen - heit haben.19Vorrede. Böhm und Johann von Leyden beweiſen, daß diß Schuſtern und Schneidern gelungen, ob gleich ihre Weißheit nichts mehr im hinterhalt gehabt, als was man von dergleichen Leuten er - warten koͤnnen.
So weit gehet die Schwachheit der Menſchen, und ſolchergeſtalt laſſen ſie ſich von mancherley Wind der Lehre wie - gen und waͤgen. Unterdeſſen iſt es nicht zu ſtreiten, daß demſelben an Erkaͤnntnuͤs der Warheit zur Beforderung ſeiner zeitlichen und ewigen Wohlfahrt ein groſſes gelegen. Der Mangel deſſelben thut ihm nicht bloß an dem Jrrdiſchen, ſondern auch an der Seelen ſchaden. So lieb ſolchemnach jemanden ſeine Seligkeit iſt, ſo viel Fleiß hat er darauf zuwen - den, daß er nicht durch Schalckheit und Teuſche - rey moͤge verfuͤhret werden, daß er den Gradb 2der(4)Es hat aber dieſer Satz unſtreitig ſeine Abfaͤl - le. Die Erfahrung hat es leyder! zu oft ge - lehrt / daß Leute von ſchlechtem Verſtande und von noch ſchlechterer Gelehrſamkeit Ketze - reyen mit mercklichen Fortgang angefangen: wenn ſie ſonſt nur eine geſchmeidige Zunge / und ein fertiges Maul gehabt. Von dem groſſen Ketzer Neſtorio gibt uns Socrates dieß Zeugnuͤß. H. E. c. XXXII. 20Vorrede. der Uberzeugung, haben moͤge, welcher nach Beſchaffenheit ſeiner Seelen-Kraͤfte immer kan erlanget werden. Ein jeder muß die War - heit nach aͤuſerſtem Vermoͤgen ſuchen: es iſt aber auch ein jeder verbunden, die Ausbrei - tung der Warheit nach aͤuſerſtem Vermoͤgen zu befordern. Man muß keine Seele ver - fuͤhren laſſen, die man fuͤr der Verfuͤhrung er - halten und bewahren kan. Der Grund des Geſetzes, welches uns verbindet, des Nech - ſten irrendes Vieh zurecht zu bringen. Deut. XXII. 1. verbindet uns vielmehr den Nechſten ſelbſt, wenn wir es verhuͤten koͤnnen, nicht im Jrrthum zu laſſen. So jemand irren wuͤr - de von der Warheit und jemand bekehret ihn, der ſoll wiſſen daß wer den Suͤnder bekehret hat von dem Jrrthum ſeines Wegens, der hat einer Seelen von dem Tode geholffen. Jac. V. 19, 20. Diejenige aber ſind hierzu in - ſonderheit verpflichtet, welche ſich zu oͤffent - liche Lehrer haben beſtellen laſſen. Es waͤre ein ſchaͤndlicher Betrug, wenn man ſolche Dinge wolte lehren, davon man ſelbſt nicht uͤberfuͤhrt: es waͤre aber auch eine unverant - wortliche Kaltſinnigkeit, wenn man die Leh - re, welche man prediget und davon man uͤ - berfuͤhrt iſt, wollte des Jrrthums verdaͤchtig und ſich ſelbſt zum Luͤgen-Prediger machenlaſ -21Vorrede. laſſen. Das Vermoͤgen, die Widerſprecher zu ſtraffen, gehoͤretzu denen Eigenſchaften eines rechtſchaffenen Biſchofs. Tit. I. 9. So hat auch derjenige, welcher Lehren prediget, die durch ein oͤffentliches Anſehen in der Kirchen ange - nommen, wo nicht mehr, doch eben ſo viel Recht, dieſelbe zu verthaͤdigen, als ein anderer hat, ſie anzufeinden. Die Pflicht, ſo man der Warheit fuͤr ſich ſchuldig, erheiſchet die - ſes: und das Amt verdoppelt dieſe Verbind - lichkeit. So kan ich auch nicht abſehen, war - um oͤffentliche Lehrer ſchuldig ſeyn ſollten, al - lerley Schmaͤhungen, ob waͤren ſie falſche Leh - rer und Suͤnden-Evangeliſten, von unarti - gen Leuten, die an ihrem Gehirn verwundet, uͤber ſich ergehen zu laſſen, wenn ſie ſo lehren, wie ſie in ihrem Hertzen glauben: und ſo glau - ben, wie ſie aus dem geſchriebenen Wort un - terrichtet und nach demſelben zu glauben ge - zwungen werden. Jn Dingen, die das Er - kaͤnntnuͤß angehen, ſteht es nicht in eigener Wahl und Willkuͤhr, eines jeden Meynung beyzupflichten. Uberdem ſieht die Einfalt dem Laͤſterer tief ins Maul: wenn der eine laͤſtert und beſchuldiget, und der andere ſchweigt, ſo glaubt der dritte, daß es mit der Beſchuldigung ſeine Richtigkeit habe. Auchb 3die -22Vorrede. dieſe Anmerckung verbindet denjenigen, der in einem oͤffentlichen Lehr-Ampt ſteht, das, was er prediget, gegen die Widerſprecher zu verthaͤdigen: fuͤrnemlich, wenn dieſe ihren Vor - trag darauf einrichten, daß ſie die Lehrer bey ihren Zuhoͤrern als ſolche, die ſelbige betriegen wollen, moͤgen verdaͤchtig machen. Die Men - ſchen ſind, wie zu andere Fehlern, alſo auch zum Argwohn ſehr geneigt. Wie wenig Muͤhe koſtet es, einem ungleiche Gedancken von jemanden beyzubringen? Alſo koͤnnen boßhafte Gemuͤhter leichtlich verurſachen, daß die Welt von denen oͤffentlichen Lehrern, was ihre Lehre und Ampt betrift, ohne Grund Arges gedencket, und viele, ob ſie gleich ſich nicht oͤffentlich wider dieſelbe auflehnen, doch ein geheimes Mißtrauen faſſen. Dieß iſt a - ber allezeit von ſchaͤdlicher Folge und Wir - ckung. Wie kan man diejenige erbauen, wel - che ſich haben einbilden laſſen, daß wir ſelbſt kein Erkaͤnntnuͤß von dem Wege zur Selig - keit haben, daß wir in denen wichtigſten Glau - bens-Articuln irren und ſolche Lehren vortra - gen, welche die Menſchen ſicher machen und zur Gottloſigkeit verfuͤhren. Kein Evange - liſcher Lehrer kan ſein Ampt und Religion ohne Nachtheil ſeiner Hirten-Treu verachtenlaſ -23Vorrede. laſſen. Es iſt ihm ſo gar nicht zu veruͤblen, wenn er angefochtene Glaubens-Warheiten nach dem Vermoͤgen, ſo GOtt darreicht, zu verthaͤdigen bemuͤht iſt; daß er vielmehr ver - moͤge der Pflicht, ſo aus ſeiner Seelen-Sor - ge entſteht, ſolches nach aͤuſerſten Kraͤften ins Werck zu richten verbunden. Der iſt kein getreuer Knecht ſeines Herrn, welcher ſchweigt, wenn er in dem Stande iſt, zur Befeſtigung der Warheit, zur Erhaltung der Schwach - glaͤubigen, und zu Wiederbringung der Jr - renden unter Gottes Gnade und Beyſtand etwas ausrichten zu koͤnnen.
Es iſt zur Gnuͤge bekannt, was die Prote - ſtantiſche Kirche uͤberhaupt, inſonderheit aber die Evangeliſch-Lutheriſche vor einen Feind und Verfolger nun ſchon uͤber dreißig Jahr an dem beruffenen Johann Conrad Dippel gehabt: wie er ſich mit der groͤſten Verwegenheit ge - gen die Glaubens-Warheiten derſelben auf - gethuͤrmet; wie er ſolche allerley groben und Seelen-verderblichen Jrrthuͤmer beſchuldiget; wie er als ein anderer Saulus wider die Diener des HErrn mit Draͤuen und Morden ge - ſchnaubet, und, wenn es in ſeinem Vermoͤgen geſtanden, alle Evangeliſche Gemeinden gern aufgewiegelt haͤtte, ihren Lehrern entweder dieb 4Haͤl -24Vorrede. Haͤlſe zu zerbrechen, oder ſie doch zum wenig - ſten zum Lande hinaus zu ſchaffen. Es iſt nicht weniger bekannt, daß unterſchiedliche ge - ſchickte Lehrer unſerer Kirchen ſich, wie es auch die Noht erforderte, demſelben in oͤffentlichen Schriften widerſetzet und mit buͤndigen Be - weißthuͤmern dargethan, daß nicht die in un - ſere Symboliſchen Glaubens-Buͤchern ent - haltene: ſondern ſeine aufgegriffene Lehrſaͤtze offenbar wider die Zeugnuͤſſe der Schrift und der erſten Vaͤter der Kirchen Jeſu Chriſti. Dieß aber hat ſo gar nicht ſeinen ſteifen Sinn brechen und ihn bewegen koͤñen, die Warheit zu erkeñen und als ein verirrtes Schaaf zu der Heerde, da - von er ſich unnoͤhtiger Weiſe abgeſondert, wie - derum zuruͤck zukehren, daß er vielmehr noch bis auf die gegenwaͤrtige Stunde wider den Sta - chel leckt. Es iſt auch wohl keine Hofnung, daß bey einem ſolchen Menſchen, der von Vorur - theilen, groſſer Einbildung und gewiſſen aͤuſ - ſerlichen Umſtaͤnden gantz und gar uͤberwaͤlti - get iſt, jemals etwas werde ausgerichtetwerden. Jch wuͤnſche zwar und bete zu GOtt, daß er wiederum moͤge zur Erkaͤnntnuͤß der Warheit kommen: ich zweifle aber, ob es wuͤrde geſche - hen, wenn auch ſelbſt von denen Apoſteln je - mand von den Todten auferſtuͤnde. Pauluswuͤr -25Vorrede. wuͤrde aus eben dem Grund, da er die Evan - geliſche Lehrer alſo nennet, von ihm ein falſcher Apoſtel und Suͤnden-Evangeliſt geſcholten werden: dafern er dabey wuͤrde bleiben, daß ſein Vortrag von denen goͤttlichen Warhei - ten in eigentlicher und natuͤrlicher Bedeu - tung anzunehmen. Das ſicherſte waͤre al - ſo, ſich nach der Regul des Apoſtels zu verhalten: Einen ketzeriſchen Menſchen mey - de, wenn er einmahl und abermahl ermahnet iſt, und wiſſe, daß ein ſolcher verkehret iſt, und ſuͤndiget, als der ſich ſelbſt verurtheilet hat. Tit. III. 10, 11. Wenigſtens iſt die Meynung, ſo ich von mir ſelbſt hege, nicht ſo groß, daß ich glauben ſolte, dasjenige bey ihm ausrichten zu koͤnnen, was andre vergeblich verſucht. Unterdeſſen halte ich davor, es werde nicht ohne allen Nutzen ſeyn, meine wenige Anmer - ckungen von dem Ungrund der Dippelſchen Lehrſaͤtze und wie ſolche nichts als willkuͤhrli - che Meynungen ſind, kund zu machen. Wuͤr - cken ſolche gleich keine Aenderung in dem Ge - muͤhte desjenigen, wider welchen ſie gerichtet, ſo koͤnnen ſie vieleicht andern Seelen zu ih - rer Erbauung erſprießlich ſeyn: und ich bin gern zufrieden, wenn dieſelbe nur zu mehrern Nachſinnen in denen ſeligmachenden Grund -b 5Leh -26Vorrede. Lehren einem oder dem andern Gelegenheit geben. Meine Sorge geht hauptſaͤchlich dahin, daß ich uͤber meinem wenigen getreu ſeyn und mein Pfund nicht in einem Schweiß Tuch vergraben moͤge. Jch glaube, darum rede ich. Waͤre ich ſolchergeſtalt uͤberfuͤhrt, daß die Lehre, welche ich nach Anleitung goͤttlicher Schrift und unſerer daraus genom̃enen Glau - bens-Buͤcher und Formuln der Bekaͤnntnuͤſſe bißhero geprediget, irrig und ſeelenverderb - lich; wie ich uͤberzeuget bin, daß ſelbige war - haftig und daß diejenige, welche darnach glauben und leben, des Wegens zur Seelig - keit nimmermehr verfehlen werden; ſo wollte ich gewis fernerhin ein Schloß an meinen Mund legen und ein Siegel auf mein Maul druͤcken. Das muͤſte eine niedertraͤchtige See - le ſeyn, welche uͤm des Brodts willen ſollte Luͤgen predigen und die Menſchen zu ſchaͤd - lich Jrrthuͤmern verfuͤhren. Die wenigſten Menſchen ſind Prediger und darum ſterben ſie doch nicht von Hunger. Das oͤffentliche Lehr-Amt hat ohne dem nicht ſo viele Herr - ligkeiten an ſich, als die Welt ſich aͤuſſerlich davon einbildet. Wenigſtens hab ich es nicht ſo gefunden. Jch ſchreibe alſo lediglich zur Ver - thaͤdigung der Warheit, die ich in meinemAmpt27Vorrede. Ampt bißhero oͤffentlich geprediget und zwar ſolchergeſtalt, wie dieſelbe ſich nach Ver - nunft und Schrift in meiner eigenen Seele gezeuget: und ich uͤberlaſſe es deiner Pruͤfung, mein Leſer, ob ſich dieſelbe eben ſo in deiner Seelen zeugen wird. Wo dieſes geſchiehet, ſo wirſt du mir von ſelbſten beyfallen; auſſer dem aber verlange ich deinen Beyfall nicht. Man kan denſelben niemanden abpochen o - der abbetteln: und ein Vernuͤnftiger wird weder das eine noch das andere zu thun be - gehren. Menſchen, die ihre Meynungen an - dern mit Gewalt wollen aufdringen, und de - nen es darum zu thun, daß ſolche geglaubt und vor richtig angenommen werden, verrah - ten ihre fleiſchliche Triebe und eigennuͤtzige Abſichten. Mein Zweck geht nicht wei - ter, als daß ich uͤberhaupt denen, die die Warheit, ſo ihre Seelen kan ſelig machen, lieb haben, zu einer naͤhern Einſicht nach mei - nem wenigen Vermoͤgen Gelegenheit gebe; inſonderheit aber meine Glaubens-Genoſſen in der Gewißheit, daß die Religion, zu wel - cher wir uns bekennen, die ſeligmachende ſey, ſtaͤrcken, mithin darthun moͤge, daß die Be - ſchuldigungen, ſo J. C. Dippel ihr aufbuͤrden will, gantz und gar ohne Grund, daß er we -der28Vorrede. der Vernunft noch Schrift auf gehoͤrige Art gebrauche. (5)Wir haben oben erinnert / daß / wenn ein Be - weiß aus bloſſer Vernunft uͤberfuͤhrend ſeyn ſoll / ſo muß er den Verſtand zum Beyfall noͤh - tigen. Es muß darin gewieſen werden / daß das Gegentheil nicht moͤglich / und es uͤberall nicht in unſerer Gewalt ſtehe / den bewieſenen Satz zu leugnen. Dergleichen Beweiſe wird J. C. Dippel nicht einen einzigen in ſeinen Schrif - ten zeigen koͤnnen. Er ſpricht zwar viel von Mathemati ſchen Beweiſen; es wuͤrde aber ſchlecht mit der Mathematic in dem Fall be - ſtellet ſeyn / wann ſie keine buͤndigere Art zu ſchlieſſen haͤtte. Uberhaupt fehlt es durch und durch in ſeinen Schriften an Erklaͤrung der Woͤrter. Haͤtte er / was man in GOtt un - ter dem Namen Liebe / Gerechtigkeit / Gnade / Zorn und dergl. ſich vorzuſtellen habe: imgl. was er unter Jrrdiſch / Futter / Verleugnung und dergl. wolle verſtanden wiſſen / erklaͤret; ſo wuͤrde er ſich in dem La - byrinth ſeiner eigenen Gedancken nicht ſol - chergeſtalt verlohren und aus bloſſen Woͤrtern / welchen er nach leerer Einbildung Schrancken geſetzt / Folgerungen gemacht haben. Uber - dem ſetzt er Dinge / davon das Gegentheil gar zu moͤglich / als gewiß und ausgemacht hin /dieDaß folglich ſeine Lehrſaͤtze,noht -29Vorrede. nohtwendig willkuͤhrl. Meynungẽ ſeyn muͤſſen und daß bey ihm, ſo viel man aus ſeinen Schrif -ten(5)die gewiß kein vernuͤnftiger Menſch, es ſey dann / daß er ſie mit Wunderwercken bewieſe / ihm zutrauen kan. Zur Probe dienet nach - folgender Diſcurs: Jn der Gemeinſchaft mit GOtt findet der ſonſt hungrige und na - ckende Geiſt wiederum ſeine wahre Spei - ſe / und durch das einziehen oder genieſ - ſen ſolcher Speiſe bekleidet er ſich mit einem neuen geiſtl. Licht-Leib / in welchem er nach Ablegung der fleiſchlichen Huͤtten wohnen koͤnne und nicht bloß erfunden werde. dem. theol. p. 107. Auf eben ſolche Art handelt er mit der Schrift. Wann man ihre Woͤrter und Redens-Arten in der eigentlichſten und natuͤrlichen Bedeu - tung nimmt; ſo iſt ſie von keiner Meynung weiter entſernet / als derjenigen / welche ſich J. C. Dippel von dem Mittler-Ampt JEſu Chriſti und deſſen Wirckungen in den Kopf geſetzt. Gleichwohl drehet er ſie ſolchergeſtalt / daß ſie dieſelbe beweiſen ſoll und muß. Redet der Heyland ſelbſt von der Vergebung der Suͤnden / als der eigentlichen Frucht ſeines verdienſtlichen Todes / und befiehlet / man ſoll dieſelbe als eines der wichtigſten Stuͤcke ſei - ner Lehren nach ſeiner Himmelfahrt unter al -len30Vorrede. ten ſehen kan, weder das Vermoͤgen noch der Vorſatz ſey, die Warheit in ihren Quellenzu(5)len Voͤlckern predigen. Luc. XXIV. 47. ſo ſagt er / das thue Chriſtus nur deswegen / weil er unter dem Volck gebohren / ſo von GOtt den verkehrten Concept gehabt / als ob er ein erzuͤrnter Raͤcher und Richter waͤre. l. c. p. 105. Stellet uns die Schrift die Erloͤſung / Ver - ſoͤhnung / Fuͤrbitte und Vergebung der Suͤn - den als eine Frucht des Todes JEſu Chriſti fuͤr; ſo ſagt er / es waͤren viele von den ange - nommenen falſchen Ideen der von GOtt ab - gekehrten Menſchen hergeleitete Redens-Arten in die Schrift eingeſchlichen / und von den H. Scribenten gebrauchet und angewendet wor - den / nicht eben / wie ſich ſelbige bey der Sachen / wovon ſie geſagt worden / in der That befinden / ſondern wie ſie nach menſchlicher Weiſe von denen gefaſſet werden koͤnnen / welche ſich von denen Vorgefaßten und in der Jugend ein - geſogenen Einbildungen nicht alſobald und gleichſam in einem Augenblick abbringen laſ - ſen. l. c. p. 171. Haͤlt der Apoſtel dafuͤr / daß ſo einer fuͤr alle geſtorben / ſo ſind ſie alle geſtor - ben 2 Cor. V. 14. und beſtaͤtiget damit die War - heit / daß weil der Creutzes-Tod JESU ein verdienſtlicher Todt / ſo wuͤrden alle die / davor er denſelben geſchmecket / angeſehen / als wennſie31Vorrede. zu pruͤfen und in ihren eigentlichen Gruͤnden zu unterſuchen; daß er endlich ſelbſt ſeine Leh - re in der Ausuͤbung luͤgen ſtraffe, und mit ſei - nen Wercken verleugne. Jch habe mir inſon - derheit fuͤrgeſetzt, zwey Saͤtze wider J. C. Dippel zu behaupten, von welchen er das Gegentheil unſtreitig in ſeinen Schriften lehret. Der Er - ſte iſt dieſer: GOtt, der eben ſo viel Recht hat,die(5)ſie ſolchen ſelbſt empfunden; ſo weiß er ſich alſo zu helffen / daß er ſagt / es wuͤrde das / was ge - ſchehen ſoll / als bereits geſchehen vorausge - ſetzt / um die nohtwendige Erfuͤllung / daß das / was das Haupt im Fleiſche vollfuͤhret / auch den Gliedern zu vollbringen gebuͤhre / beſtaͤndig einzuſchaͤrffen. l. c. p. 167. Sind das nicht ſeltſame Erklaͤrungen? Kan auch der hoch - muͤhtigſte Pabſt ſich groͤſſerer Freyheit gebrau - chen? Laͤſt ſich nicht ein jeder Satz auf ſolche Art aus der Schrift behaupten und auch wi - derlegen? Werden nicht die Glaubens-Lehren ſolchergeſtalt ein Spielwerck menſchlicher Sin - nen? Werden ſie nicht dem Geſpoͤtt der Laͤ - ſterer ausgeſetzt? Laſſen ſie nicht die Bloͤden in ewiger Furcht und Zweiffel? Muͤſſen nicht tauter leere / willkuͤhrliche Meynungen daraus gezeuget werden? und heiſt das nicht / die Re - ligion laͤſtern und mit denen Glaubens-War - heiten Muhtwillen treiben?32Vorrede. die Ubertreter ſeiner Gebote zu ſtraffen; als er Macht gehabt, die freye Handlungen der Menſchen in dieſen ſeinen Geboten unter der Wahl des Beſten einzuſchrencken, da er von dieſem ſeinen Recht wolte nachlaſſen, Gnade beweiſen und die Suͤnde vergeben, hat ſol - ches in ſeinem Sohn Chriſto JEſu dergeſtalt bewerckſtelliget, daß an ihm, als dem Mittler zwiſchen GOtt und den Menſchen, in ſeinem ſchmertzlichen Leyden und ſchmaͤhligen Creu - tzes-Todt das Mißgefallen GOttes an der Suͤnde offenbar, zugleich aber ſeine Gnade und mit derſelben dieſe Warheit der Welt kund geworden, daß wir an Chriſto haben die Erloͤſung durch ſein Blut, nemlich die Vergebung der Suͤnden. Der Andere aber iſt folgender: Die Lehre von dem Mittler-Ampt JEſu Chriſti, wie ſolche in der Evangeliſchen Kirche vorgetragen wird, verfuͤhret die Men - ſchen ſo gar nicht zur Ruchloſigkeit und einem unheiligen Leben, daß ſie vielmehr die aller - kraͤftigſten Bewegungs-Gruͤnde zu einem gottſeligen Wandel in ſich faſſet. Dieſe bee - den Saͤtze halte ich vor nohtwendige und un - betriegliche Warheiten. Um aber ſolches mit Gruͤnden darzuthun, habe ich gegenwaͤrtige achtzig Grund-Fragen zu Papier gebracht,und33Vorrede. und die darin enthaltene Saͤtze mit Erlaͤute - rung zum Theil bewieſen, zum Theil deutlich gemacht; und eben zur | Wahl dieſer Methode haben mir die von J. C. Dippel ans Licht ge - ſtellte 153 Fragen, welche ſeiner ſo genandten veræ demonſtrationi Evang. einverleibt, Anlas gegeben. Jn denenſelben halte ich mich ſo lang bey dem Licht der Natur auf, biß uns ſol - ches zu dem Erkenntnuͤs unſers innerlichen Verderbens und Elendes bringt, damit der Menſch von der Warheit, daß ihm ein Hey - land und Mittler noͤhtig ſey, ſelbſt durch die Vernunft moͤge uͤberzeuget werden. Die Fol - gende halten nach denen Lehren goͤttlicher Schrift die Begriffe von der Natur und Kraft des Mittler-Ampts JEſu Chriſti in ſich, wie dadurch die Schmertzen des Gei - ſtes, ſo aus dem Gefuͤhl der Suͤnden ent - ſtehen, weggenommen und hingegen allerley ſeelige Empfindungen in glaͤubigen Seelen gewirckt werden. Aus dieſen wird in denen uͤbrigen die Verbindlichkeit zu einem goͤttli - chen Wandel her geleitet und dabey ſchließlich die Schaͤdlichkeit und Unrichtigkeit der Dippel - ſchen Lehren gewieſen. Jch habe, was den Vor - trag betrift, mehr darauf gedacht, wie ich al - les mit deutlichen Woͤrtern moͤchte vortragencals34Vorrede. als mich in allerley dunckeln und kuͤnſtlichen Ausdruͤckungen verſtecken: damit es dem Leſer nicht ſauer wuͤrde, bald von meinen Gedan - cken Begriffe zu erlangen. Die Warheit iſt niemahls ſchoͤner, als wenn ſie ſich nackt ſehen laͤſt. Ob ich meinem Vorſatz ein Ge - nuͤge gethan, und Vernunft und Schrift auf die Art gebrauchet, welche ich ſelbſt als ein Mittel zur Uberzeugung zu gelangen, angege - ben, daruͤber ſolt du, mein Leſer, ſelbſt das Ur - theil faͤllen und dieſes falle aus, wie es wol - le, ſo wirſt du mich niemals desfals mißver - gnuͤgt und verdrießlich finden. Jch ſehe ja taͤglich, was Menſchen thun, wie ſie ſich in Beurtheilung anderer Gedancken von ihren Neigungen treiben laſſen: und ich verlange nicht, daß man mir ſoll etwas neues machen. Doch damit du dich hierin nicht uͤbereilen moͤ - geſt, ſo erinnere ich wollmeinend, eine jede Frage ſo wohl nach ihrem Jnnhalt als nach ihrem Zuſammenhang mit denen vorherge - henden, recht einzuſehen und zu pruͤfen. Zwar was den Mann betrift, gegen welche dieſe Schrift inſonderheit gerichtet; ſo iſt er frey - lich von denen, die gar keinen Widerſpruch vertragen koͤnnen. Er handelt mit ſeinen Gegnern nicht allein unfreundlich; ſondernauch35Vorrede. auch grolliſch, giftig und boßhaftig. Seine Urtheile haben nicht das kleinſte Fuͤncklein von Beſcheidenheit und Sanftmuht. Es beweiſen ſolches ſeine Schriften uͤberhaupt: inſonderheit aber diejenige, welche mir eben dazumahl, als ich nachſtehende achtzig Fragen bereits zum Abdruck fertig hatte, erſtlich zu Ge - ſicht gekommen, und darin er ſeine ſogenannte veram demonſtrationem Evangelicam gegen Hrn. Neumeiſter und Hrn. D. Lange verthaͤdigen wol - len. Es iſt darin aller Gift ausgeſpien, den ſein unartiges Gemuͤht nur ſammlen koͤnnen. Sie iſt mit ſolcher Frechheit und auf eine ſo un - ſaubere Art abgefaßt, daß ein ehrliebend Ge - muͤht nohtwendig einen Abſcheu darob em - pfinden muß. Jch habe keine Urſache, zu glauben, daß ich ein beſſeres Schickſal haben werde. Das aber hoffe ich, es werde ſolches meine Gemuͤhts-Ruhe in keine Wege ſtoͤ - ren. Haͤtte ich mir davor einige Furcht ge - macht, ſo wuͤrde ich gewiß die Feder nicht wi - der ihn angeſetzet haben: den Frieden der See - len und die Ruhe des Gemuͤhts habe ich viel zu lieb, als daß ich ſelbige auf ſolche Art ſolte in die Waage ſetzen. Jch halte ſie fuͤr un - ſchaͤtzbare Guͤter und den beſten Theil in mei - nem Leben. So ſtehet es mir auch gar zu deut -c 2lich36Vorrede. lich vor Augen, wie es bey ſolchen Leuten in ihren Abſichten und Gemuͤhts-Neigungen ge - gruͤndet ſeyn muͤſſe, daß ſie von allen Seiten, wie die Ketten-Hunde, um ſich beiſſen, um al - ſo etliche zu ſchrecken, etliche an ſich zu ziehen, ihnenſelbſt aber Durchbruch und Raum zu ma - chen: und um des Willen, wird es mich um deſtoweniger kraͤncken, da ich weiß, daß es nach dem Zuſammenhang ihrer Neigungen alſo geſchehen muß. Was in dergleichen Faͤllen die Pflichte des Chriſtenthums erfordern, ſol - ches habe ich in meinen Betrachtungen vom Tugendhaften Leben Part. II. p. 56. 177. und 275. mit wenigen abgehandelt, und ſolches werde ich mir ſelbſt zur Richtſchnur dienen laſſen. Solte es unterdeſſen Joh. Conr. Dippeln gefallen meine Grund-Fragen zu beantwor - ten; ſo kan ſolches auf eine zwiefache Art, da bey einer jeglichen ein beſonderer Vorſatz ſeyn wird, geſchehen. Entweder mit einer Empfin - dung der Warheit oder mit einem Gefuͤhl des Verdruſſes und Widerwillens. Jſt das Letz - tere, ſo wird er ſich nicht bemuͤhen meinen Ge - dancken zu folgen; ſondern vielmehr hin und wieder einen oder den andern Satz aus der Connexion herausbrechen, ſolchen mit ſtachlich - ten Woͤrtern und heilloſen Redens-Arten un -ter37Vorrede. ter einer Geſtalt verſtellen, welche dieſelbe kan bey Leuten, die ſuperficiell ſind und denen doch die Ohren nach etwas neues jucken, wo nicht laͤcherlich, doch verhaßt machen. Er wird dar - auf gedencken, ob nicht auſſer dem Barbaro und Antibarbaro noch ein Name auszuſinnen, wel - cher hiezu koͤnne dienlich ſeyn. Auf den Fall wird er, wie ich zu GOtt hoffe, mich ſo geſin - net finden, wie der Meiſter geweſen, dem diene. Jch werde gewiß ohne aͤuſſerſte Noht nicht wie - der ſchelten. Nicht, daß ich mich nicht ſo wohl ſolte fuͤhlen, wie andere Menſchen: ſon - dern bloß der Lehre des Heylandes den Ruhm des Sieges zu laſſen. Jch habe auf ſeinẽ Winck Empfindungen, die mir viel tieffer ans Hertz gelegen, und denen ich gewiß gern ein Genuͤge gethan haͤtte, verleugnet: und ich hoffe dieſe unter ſeinem Beyſtand um deſto leichter zu be - ſiegen. Sollte aber J. C. Dippel mich das Recht der Menſchlichkeit genieſſen laſſen, und davor halten die Sache, woruͤber geſtritten wird, ſey noch nicht ſo voͤllig ausgemacht, wie er ſich ein - bildet; ſo bitte ich mir dieſes aus, daß er die Woͤrter, darauf alles ankommt, vorher fein er - klaͤre und ſich alſo aus dem Stand der duncklen Begriffe herausſetze. Es iſt mit denen, wel - che zwar viel, aber dabey verwirrt und dun -c 3ckel38Vorrede. ckel dencken, fuͤrnemlich, wenn ſie dabey viel Ein - bildung haben, ſchwer auszukommen. Koͤn - te ich mir immittelſt die Hoffnung machen, daß an J. C. Dippels Seele irrgends etwas aus - zurichten und ſelbige der Uberzeugung faͤhig waͤre; ſo wolte ich mir die Muͤhe nicht ver - drieſſen laſſen, die hierin verhandelte Lehre nach der Methode, welche bey denen Mathematicis ge - brauchlich, ſo viel es die Beſchaffenheit der Materie leiden will, vorzuſtellen. Er ſpricht doch hin und wieder von Mathematiſchen Demon - ſtrationen, ob gleich der Begriff, ſo er biß hie - her davon hat, noch duͤſter und unvollſtaͤn - dig. Allein es iſt zu befuͤrchten, daß dieſe Arbeit mit aller uͤbrigen bey ihm duͤrfte ver - lohren ſeyn. Gegen Empfindungen, die aus einem boͤſen Willen kommen, koͤnnen die buͤn - digſten Vernunft Schluͤſſe und klarſten Zeug - nuͤſſe der Schrift nichts ausrichten. Uber - dem ſind die Wunden der Einbildung ge - meiniglich unheilbar. Um ihm gleichwohl Gelegenheit zu geben, ſeinen erwaͤhlten Lehr - ſaͤtzen gruͤndlicher nachzuſinnen und durch ei - ne genauere Betrachtung derſelben auf beſſere Gedancken zu kommen, will ich ihm ſchließ - lich dieſe Frage, welche aus der innerſten Natur und Beſchaffenheit ſeiner Lehre ge -nom -39Vorrede. nommen, zur Eroͤrterung aufgeben: Auf welche Art nemlich das Jrrdiſche in dem innerſten Grunde muͤſſe verleug - net und vor nichts geachtet werden, damit GOtt die Nahrung oder wie die Dippelſche Art zu reden iſt, das Fut - ter unſers unſterblichen Geiſtes wer - den moͤge?
Gefaͤllt es ihm, dieſelbe zu beantworten und ſeine davon habende Einſicht der Welt kund zu machen; ſo kan er ſolches gelegentlich mir eroͤfnen: und verpflichte ich mich ein gleiches zu thun. Jch uͤberlaß es ſeiner Wahl, ob wir dieſe Abhandlung in der gemeinen Lehr-Art, oder nach der, ſo unter denen Mathe - maticis angenommen, vortragen wollen. Jm - mittelſt koͤnten dieſe unſere Betrachtungen zu einer von ihm zu beſtimmenden Zeit zugleich ans Licht treten und ſich dem Urtheil der Welt unterwerffen. Vielleicht iſt dieß noch ein Weg ihm ſeine Vorurtheile zu benehmen und von der Religion, die er bißhero ſo hef - tig verfolget, beſſere Gedancken beyzubringen. Die Einbildungs-Krafft kan uns ungemein betriegen. Uns kommen oft Dinge ſo deut - lich und gewis vor, daß man ſich ehe ſollte das Leben nehmen, als des Jrrthums uͤber -reden40Vorrede. reden laſſen, und die Zeit entdeckts doch, daß wir gar ſehr gefehlet und uns ſelbſt betro - gen haben. Dafern aber dieſe Wirckung wegen unuͤberwindlicher Haͤrte ſeines Sinnes nicht erfolgen ſollte, ſo kan es doch dazu die - nen, daß er lerne ſeine Schwaͤche erkennen und laſſe von ſeiner unmaͤßigen Einbildung und hochmuͤhtigen Gedancken fahren welches gewis ſeiner Seelen hoͤchſt heilſam und er - ſprießlich ſeyn wuͤrde. Hochmuht und Einbil - dung machen allemahl den Menſchen unge - ſchickt, daß er ſich weder am Verſtande noch Willen beſſern kan. Mein hertzlicher Wunſch, mein Leſer, iſt der, daß GOtt dich fuͤr derglei - chen und andern Laſtern bewahren, in der Er - kenntniß der Warheit erhalten und zugleich geſchickt machen wolle, ſolche von Jrrthuͤ - mern und willkuͤhrlichen ſchaͤdlichen Einbil - dungen wohl zu unterſcheiden. Gehabe dich wohl. Geſchrieben Ploen, den 24. Dec. 1731.
Grund -Erlaͤuterung.
DJeſe Beſchreibung unterſcheidet das goͤttliche Weſen von denen uͤbri - gen Dingen und faſſet zugleich die Gruͤnde in ſich / aus welchen man deſſen Eigenſchafften kan herleiten: welches eben dasjenige iſt / ſo zu einer gruͤndlichen Beſchreibung erfordert wird. So erwecken auch die Woͤrter / ſo bald ſie nur verſtanden werden / ſolche Begriffe / welche nicht nur allem / was der menſchli - che Verſtand von GOtt gedencken kan / nachzu - ſinnen / Gelegenheit geben; wie ſich ſolches aus demAfol -2folgenden wird erkennen laſſen / ſondern ſetzen auch denſelben in ſolche Verfaſſung / daß weder Abgoͤtterey noch Atheiſterey darin Eingang und Platz finden moͤge. Die Abgoͤtterey machet ſich einen unanſtaͤndigen und die Atheiſterey gar kei - nen Begriff von GOtt: beedes aber wird dem - jenigen nicht moͤglich ſeyn / der dieſe Beſchreibung recht verſtanden.
Erlaͤuterung.
Jch nehme die Woͤrter wuͤrcklich und gut ſenſu metaphyſico, und wil daſſelbe damit andeu - ten / was man ſonſt entia poſitiva & realia nennet. Wie kein anderer Fall moͤglich / Begriffe von Dingen / die wuͤrcklich ſind / zu erlangen / als daß wir auf das / was in uns vorgehet / genau mer - cken / und was ſich in einer Sachen unterſcheiden laͤſt / ſorgfaͤltig aus einander legen; ſo haben wir auch natuͤrlicher Weiſe keine andere Gelegenheitetwas3etwas von GOtt zu gedencken; als daß wir die Wuͤrcklichkeiten / ſo in uns Grentzen haben / in ihm ohne Grentzen uns vorſtellen. Unterdeſſen wird damit nicht geſagt / wie es denn auch keineswe - ges folget / daß nicht noch mehrere Vollkommen - heiten / als davon wir die Fußſtapffen in uns ſelbſt finden / in GOtt ſeyn koͤnnen. Niemand weiß / was in GOtt iſt / ohne der Geiſt GOttes. 1 Cor. II. 11. GOtt hat uns etliche in ſeinem Wort geoffenbahret / dahin wir die ewige Zeugung des Sohnes aus dem Weſen ſeines Vaters rechnen koͤnnen.
Erlaͤuterung.
Es muß ſich niemand verwundern / daß wir die Exiſtentz GOttes aus der von ihm gegebenen Beſchreibung folgern: denn dieſe iſt alſo beſchaf - fen / daß die Exiſtentz nohtwendig darin mit be - griffen. Hieher gehoͤret in gewiſſer Maaſſe das Axioma des Ariſtotelis: In æternis non differt eſſe à poſſe. Daruͤber venerabilis Beda in axiom. phi - loſophicis dieſe Anmerckung hat: ſenſus eſt, quicquid in eo, quod vere & proprie æternum eſt, cujusmodiA 2qui -4quidem ſolus Deus eſt, eſſe poteſt, idipſum etiam eſt. Eſt enim Deus purus actus, in quo nulla potentia ad intra &c. Was gar nicht iſt / kan keine Vollen - kommenheit haben / und die Exiſtentz iſt der Ord - nung nach die erſte unter den Realitæten. Wer ſolchemnach die Gottheit leugnen wil / muß zeigen / daß dieſe Beſchreibung etwas Widerſprechendes in ſich faſſe / das iſt: daß ein ſolches Weſen un - muͤglich ſey / welches nimmermehr wird geſche - hen koͤnnen. Der Begriff von der vollenkom - menſten Art der Exiſtence iſt in dem Begriff von der Exiſtentz der Dinge gegruͤndet. Eben daher / daß Dinge exiſtiren / folget unwidertreiblich / daß etwas auf die vollenkommenſte Art exiſtiren muͤſ - ſe. Ein Atheiſt muß alſo darthun / daß gar nichts exiſtire oder daß er und / was um ihn iſt / auf die vollenkommenſte Art exiſtire und ſchon eine Gott - heit ſey: in beeden Faͤllen aber wird ſeine Muͤhe vergeblich ſeyn und von der Groͤſſe ſeiner Thor - heit zeugen.
Erlaͤuterung.
Alles dieſes flieſſet aus dem Begriff der vol - lenkommenſten Art / nach welcher GOtt alle Vol - lenkommenheiten beſitzt. Die hoͤchſte Stuffe der Exiſtentz iſt die / daß etwas von und durch ſich ſelbſt beſtehe und es folglich unmoͤglich ſey / daß es nicht exiſtiren ſolte. Auf ſolche Art hat GOTT den Grund und die Urſach ſeiner Exiſtentz in ihm ſelbſt / es wuͤrde uͤberall nichts ſeyn koͤnnen / wenn GOtt auf ſolche Art nicht waͤre. Die Exiſtentz der endlichen Dinge iſt zufaͤllig; darum iſt es moͤg - lich / daß ſie auch nicht exiſtiren / folglich kan ihre Exiſtence nur aus der Erfahrung erkannt werden: dahin gegen die Exiſtentz Gottes ſchon in dem er - ſten Begriff von ihm gegruͤndet / und folglich der Demonſtration faͤhig iſt.
Wie GOtt alſo auf die vollenkommenſte Art / d. i. nohtwendig exiſtiret; ſo lebet er auch auf die vollenkommenſte Art / welches wir mit dem Na - men der hoͤchſten Seligkeit ausgedruͤckt. Das Leben Gottes muß alſo von dem Leben der Men - ſchen nach der Art / wie er ihm ſelbſt bewuſt iſt und wie er ſich empfindet / unendlich weit unter - ſchieden ſeyn / folglich laͤſſet ſich davon nicht reden oder ſchreiben. Man kan ihm weder Leidenſchaf - ten noch Gemuͤhts-Bewegungen zueignen: un -A 3ter -6terdeſſen laͤſt ſich doch eine Gleichguͤltigkeit in ihm nicht gedencken / als welche mit dem wollen / waͤh - len / wircken / ſtraffen / belohnen und dergl. nicht beſtehen kan. So folget es auch keines weges / daß dergleichen Beſchaͤftigungen ſeinen Ruhſtand ſtoͤren moͤgen. Einen je hoͤhern Grad menſchli - cher Vollenkommenheiten jemand beſitzt; deſto - weniger werden die auſerliche Beſchaͤfftigungen ihn verunruhigen moͤgen: und GOTT / der alle Vollenkommenheiten beſitzet / wird darum / daß in ſeinen Geſchoͤpffen Veraͤnderungen ſich eraͤugen / in dem Genuß ſeiner innerlichen Gluͤckſeligkeit kei - nen Wechſel mercken / ungeacht ſein Verhalten gegen dieſelbe nach dieſen Veraͤnderungen einge - richtet und abgemeſſen werden muß: Dieß giebt eben denen Menſchen Gelegenheit ſich unterſchied - liche Aeuſerungen des goͤttlichen Willens zu ge - dencken / und denenſelben unterſchiedliche Namen / als Liebe / Gerechtigkeit / Zorn / Barmhertzigkeit und dergl. beyzulegen. Und dieß macht / daß Gott ſeinen vernuͤnfftigen Geſchoͤpffen in etwas begreif - lich wird. Wenn GOtt gegen alles dasjenige / ſo auſſer ihm / gantz gleichguͤltig; wenn ſein Verhal - ten gegen Gut und Boͤſes einerley; ſo wuͤrde ſich nichts von ihm gedencken laſſen / er wuͤrde gantz unerkenntlich werden / und der Begriff von einem ſolchen Weſen wuͤrde gar verſchwinden. Es wird ſich unten bemercken laſſen / daß die unrichtige Gedancken / welche J. C. Dippel ſich von GOtt in die - ſem Fall gemacht / ihm zu ſeinen Jrrthuͤmern unddenen7denen wider die Evangeliſche Warheit ausge - ſtoſſenen bittern Reden Gelegenheit gegeben.
Erlaͤuterung.
Die in dieſer Frage enthaltene Warheit iſt ſo klar / daß ſie keiner Erlaͤuterung bedarff / und auch von niemand / der eine Gottheit erkennet / kan in Zweiffel gezogen werden.
Erlaͤuterung.
Weil in GOtt alles auf die vollenkommen - ſte Art iſt / ſo muß auch alles bey ihm in der vol - lenkommenſten Wirckung ſeyn. Sein Verſtand hat alſo ein einſchauendes und / daß ich / um mich recht zu erklaͤren / ſo reden moͤge / ein voͤllig-aus - gewickeltes Erkaͤnntnuͤs: Er erkennet alles / was ſeiner Natur nach erkannt werden kan / es ſey in der Reihe der moͤglichen oder der wuͤrcklichen Warhei - ten: oder wie der ſel. Hr. von Leibnitz es ausdruckt: er erkennet alle moͤgliche Welten. Sein Wille neiget ihn / demjenigen / was er der Exiſtentz faͤhig zu ſeyn erkannt hat / dieſelbe in der Ubereinſtim - mung mit der von ihm erkannten beſten Ordnung zu geben: und da es ihm an Macht nicht fehlen kan / ſo muß es auch zu ſeiner Zeit die Wuͤrcklich - keit erreichen. Alſo folget aus dem Begriff von denen goͤttlichen Vollenkommenheiten / daß in ihm eine immerwaͤhrende Neigung ſey zu wircken / wel - che ſich nach der Faͤhigkeit der Creaturen aͤuſſert und die Wuͤrcklichkeit erreichet. Epicurus hat dieſes der Gottheit abſprechen wollen / und zwar deswegen / weil er eine ſolche Beſchaͤfftigung mitdem9dem Begriff einer vollenkommenen Seligkeit nicht reimen koͤnnen / er hat ſich dabey eingebildet / daß in ihm weder Zorn noch Guͤte / weil dieſes Unvol - lenkommenheiten. Zweiffelsfrey / weil er es bey Menſchen alſo gefunden: gerade als wenn die menſchliche Unvollenkommenheiten mit dem / was in GOtt vorgeht / eine Aehnlichkeit haͤtten. Sein Lehrſatz von GOTT iſt dieſer:〈…〉〈…〉. quod beatum atque immortale eſt, neque ipſum, otia habet, neque alii præbet: quo fit, ut neque ira, neque gratia tangatur, nam hujusmodi omnia infirmitatis ſunt. Laert. in vita Epic. L. X. Seg. 139. p. m. 661. ex ed. M. Meibomii. Der Marcus Meibomius urtheilet in ſeiner Anmerckung uͤber dieſen Ort gar vernuͤnfftig: Hoc Epicurus ut homo vanus opinatur. Denn in der That iſt es nichts mehr als eine Meynung / die ſich derſelbe willkuͤhrlich gemacht: und ſolte man bald denen Beyfall geben / welche Cicero anfuͤhrt: Video non - nullis videri, Epicurum, ne in offenſionem Athe - nienſium caderet, verbis reliquiſſe Deos, re ſuſtuliſſe. de Nat. Deor. L. I. Aus ſolchen Reden / der gleichen Epicurus von GOtt gibt / zeugen ſich nur ſchlechte Begriffe / die / wo ſie nicht alle Empfindung von der Gottheit ausloͤſchen / doch gewiß ſehr wenige davon uͤbrig laſſen. Dieß hat eben das goͤttliche Weſen voraus / daß / ungeacht GOtt in denen Ge - ſchoͤpffen nach derſelben unterſchiedenen Faͤhigkei -A 5ten10ten und Verhaͤltnuſſen unterſchiedliche Veraͤn - derungen wircket / er doch in ihm ſelbſt unveraͤn - dert bleibt: welches auch nichts Widerſprechen - des in ſich faſt.
Erlaͤuterung.
Uber die Fragen: Ob die Welt ewig ſey? Ob ſie in ihrer vollkommenen Geſtalt oder nur der Materie nach von Ewigkeit ſey? Ob ſie fuͤr ſich und ihrer Natur nach ewig / oder ob ſie zufaͤllig und von GOtt von Ewigkeit her ſey erſchaffen? iſt ſchon vor langer Zeit unter denen Weltweiſen geſtritten worden. Was man hierin dem Ariſto - teli beymeſſe / iſt bekannt genug. Gaſſendus meynt / es waͤren alle heydniſche Philoſophi darin einig / daß die Materie / daraus die Welt gemacht / vor - her geweſen / weil aus nichts nichts wird. Phyſ. Sect. I. L. I. c. 6. Auguſtinus in ſeinem Buch de hæreſibus c. LIX. ſetzet die Seleucianos und Hermia -nos11nos in die Reihe der Ketzer und fuͤhrt von ihren Jrrthuͤmer dieſe zuerſt an / daß ſie vorgeben / die Materie / daraus die Welt gemacht / ſey nicht von GOtt erſchaffen / ſondern mit GOtt gleich ewig. L. Danæus in ſeinen Anmerckungen uͤber dieſen Ort haͤlt nicht ohne Grund davor / daß der Hermias, von welchen die Hermiani den Namen fuͤhren / mit dem Hermogene, deſſen Jrrthum von der Ewig - keit der Welt-Materie Tertullianus in einem be - ſondern Werck widerlegt / und ihn und ſeine An - haͤnger daher Materlanos nennet / einerley ſey. Auch in denen neuern Zeiten iſt die Frage: Ob und wie die Welt ewig ſeyn koͤnne? nicht ununterſucht ge - blieben. Etliche Theologi, welche es nicht vor un - moͤglich halten / daß die Welt ewig ſeyn koͤnne / und daß man es bloß aus der Offenbahrung wiſ - ſe / ſie habe in der Zeit einen Anfang genommen / wollen / daß ſie nichts deſtoweniger zufaͤllig ſey und von GOtt herab hange. Sie machen einen Unterſcheid inter æternitatem cum ſucceſſione & in - ter æternitatem ſine ſucceſſione, und wiederum in - ter æternitatem extrinſecam, contingentem & de - pendentem & inter æternitatem intrinſecam, abſo - lutam & independentem. Jene legen ſie der Welt und dieſe GOtt bey. Poiret wil gar / man ſolle deswegen die Welt nicht ewig nennen / wenn man gleich ſagte / daß ſie allezeit geweſen waͤre und kein Augenblick in derſelben verhanden / fuͤr welches ein anderes vorher gegangen. Quamvis hoc eſſet, ſind ſeine Worte / nihilominus mundus tempora -rius12rius eſſet & dependens neque hoc quicquam DEI æternitati aut potentiæ detraheret. cogit. rat. de Deo, anima & malo L. III. c. 16. n. 9. Der Hr. Hoff - Raht Wolff lehret / daß / wenn GOtt gleich die Welt von Ewigkeit hervorgebracht haͤtte / ſo waͤre ſie doch in dem Verſtande nicht ewig / wie GOtt ewig iſt: Denn ſie waͤre in einer unendlichen Zeit / hingegen GOtt ſey auſſer der Zeit. Metaphyſ. §. 1075. Er berufft ſich / in dem etliche dieſe Lehre vor gefaͤhrlich ausgegeben / auf andere / die eben dieß behauptet / inſonderheit auf den ſel. Scheibler, der deutlich genug ſagt: poteſt Deus rem aliquam ab æter - no creare, quod nec ſit repugnantia ex parte creantis, nec ex parte creati, nec ex parte ipſius creationis, talia autem, quæ repugnantiam non involvunt, Deo poſſibilia ſunt. vid. Wolfii Anmerckungen uͤber ſei - ne Metaphyſ. §. 420. Mir daucht aber / der ſel. Scheibler hat hier einen Satz als gewiß hingeſetzt / den er nohtwendig vorher beweiſen ſollen / daß nemlich die Creatur einer ewigen Schoͤpffung faͤ - hig ſey. Wenn dieß waͤre / ſo waͤre keine Urſach zu begreiffen / warum ſie nicht von Ewigkeit ſolte ſeyn erſchaffen worden. Vielmehr folget daher / daß die Welt ewig ſeyn muͤſſe: in dem GOtt dasjeni - ge / wozu er von Ewigkeit zulaͤngliche Urſachen hat und welches auch von Ewigkeit der Natur der Sachen nach geſchehen kan / muß von Ewigkeit her verrichtet haben. Andere haben ſich bemuͤht / mit Gruͤnden / die ihren Wehrt und Buͤndigkeit haben / darzuthun / daß die Geſchoͤpffe ſo wenigder13der unendlichen Dauer / als der Unermeßlichkeit faͤhig / und daß / wie ſie in ihrem Umfang nicht un - begrentzt ſind / ſie auch in der Zeit einen Anfang haben nehmen muͤſſen. Richard Bentley hat in einer Rede / da er die Atheiſterey aus dem Urſprung und dem Verband der Welt widerlegt / hieruͤber viel ſchoͤne Gedancken / davon ich dieſe zur Probe hieher ſetzen wollen: pone æternam durationem mundi præteritam, infinitasque telluris circa ſolem revolutiones annuas; at de menſtruis lunæ circa ter - ram & diurnis terræ circa proprium axem revolu - tionibus, quæ per hypotheſin prioribus illis coævæ ſtatuuntur, licebit quærere, hæ ipſæ quoque finitæ ſint, an infinitæ? Non utique finitæ: quippe nu - merus finitus infinito major eſſet, prout 12 vel 365 unitate ſunt majora: at neque infinitæ, duo enim vel tria infinita ſeſe magnitudine excederent, prout annus menſem, vel uterque diem excedit. Utrolicet ergo modo hypotheſis capiatur repugnans eſt & im - poſſibilis. Bentley ſtult. & irration. Atheismi ex verſione latina Jablonski p. m. 294.
Erlaͤuterung.
Unter dem Weſen ſtellen wir uns dasjenige vor / wodurch eine Sache das iſt / was ſie iſt / und wel - ches folglich ſie von allen uͤbrigen Dingen unter - ſcheidet. Es kan alſo nicht gewaͤhlet noch ge - macht werden: es gruͤndet ſich in dem Satz des Widerſpruchs / daß eine Sache unmoͤglich zu - gleich ſeyn und nicht ſeyn koͤnne. Das Weſen eines Dinges hat ſeine innerliche Beſtimmung und Nohtwendigkeit und iſt ein ſo fern der Idee nach / die davon in dem goͤttlichen Verſtande iſt / ewig. Dieſes iſt unter dem bekannte canone metaphyſico: eſſentiæ rerum ſunt æternæ laͤngſt gelehret worden. Die Eigenſchafften der Dinge / die Faͤhigkeiten / die Kraͤffte und dergl. ſind hierin gegruͤndet. Wer dieſes leugnen wil / muß ſagen / daß die Weſen der Dinge willkuͤhrlich und folg - lich ein jegliches allerley ſeyn und allerley Eigen - ſchafften annehmen koͤnne und daraus muͤſſen viele ungereimte und gefaͤhrliche Lehren flieſſen. Es wuͤrde folgen / daß Recht koͤnte Unrecht / Finſter - niß Licht und 3 mahl 3 fuͤnf ſeyn / wenn es GOtt ſo gewollt. Herr Bayle hat viele Schwierig - keiten gegen die Guͤte Gottes in Anſehung des Boͤſen / ſo in der Welt iſt / gemacht; die er nicht wuͤrde gemacht haben / wenn er erkannt / daß GOtt vermoͤge dieſer Warheit / die er doch ſonſthoch -15hochzuhalten ſcheinet / dem Menſchen alles gege - ben / was ſein Verſtand in dem menſchlichen We - ſen gegruͤndet zu ſeyn erkannt hat: wie ſolches aus deſſen 19 Philoſophiſchen Lehr-Saͤtzen / die Herr Leibnitz in ſeiner Theodice widerlegt / zur Gnuͤge erhellet. Herr Hoff-Raht Wolff hat angemerckt / daß der Begriff von dem willkuͤhr - lichen Weſen der Dinge den Engellaͤnder John Lock auf die Gedancken gebracht / es ſey moͤglich / daß die Materie von GOtt eine Krafft zu geden - cken empfaͤngen koͤnne / welches auſſer allem Zweiffel ein gefaͤhrlicher Jrrthum und fuͤr einen ſolchen Mann eine groſſe Ubereilung. Wolfens Anmerck uͤber ſeine Metaphyſ. §. 264. Der Lehr - Satz von dem nohtwendigen Weſen der Dinge giebt Gelegenheit / ſich von GOtt / deſſen Raht - ſchluͤſſen auch allen Wercken der Gnade und Ge - rechtigkeit anſtaͤndige Begriffe zu machen. Es nimmt ſeinen Geſchoͤpffen allen Vorwand / ſich un - ter einigem Schein uͤber ihm zu beſchweren. Es wird ſich in den folgenden bemercken laſſen / daß dieſe Meynung mit denen Glaubens-Lehren unſer Evangeliſchen rechtglaͤubigen Kirchen eine noht - wendige Verknuͤpffung habe.
Erlaͤuterung.
Man kan ſich keine andere Grentzen / die ſich GOTT in Beſtimmung der Eigenſchafften der Creaturen und derer ihnen zuzutheilenden Guͤter fuͤrgeſetzt / als eben die Faͤhigkeit / ſo in ihrem We - ſen gegruͤndet / (Erlaͤut. quæſt. 8.) vorſtellen. Gott iſt ein unerſchoͤpfliches Meer von Guͤtern: und da / ſo viel an ihm / der Vorſatz / ſolche mitzuthei - len / kein Ziel hat; ſo gibt er ſo lang / bis ſein Ge - ſchoͤpff nicht mehr faſſen kan. Es heiſt nimmer: Der Schoͤpffer kan und wil nicht mehr geben; ſondern: Das Geſchoͤpff kan nicht mehr anneh - men. Darum muͤſſen alle Dinge ſo vollenkom - men ſeyn / als ſie ihrer Natur nach haben werden koͤnnen. Der Herr von Leibnitz hat gar wohl angemerckt / daß der Hr. Bayle ſich ohne Urſach die Frage als ſchwer vorgeſtellt: Ob GOtt vollen - kommenere Dinge haͤtte ſchaffen koͤnnen / als er gemacht. Theod. p. II. §. CCIII. Wenn eine Sache alles hat / was in ihrem Weſen gegruͤndet / ſo iſt ſie vollenkommen. Es kan GOtt weder am Vermoͤgen noch Willen fehlen / einem jeden Ge - ſchoͤpff ſolches alles zu geben.
Erlaͤuterung.
Man kan die Liebe / in ſo fern ſolche in dem Willen eines vernuͤnftigen Weſens ihren Wohn - ſitz hat / eine Empfindung der Zuneigung nennen: in ſofern aber ſich dieſelbe aͤuſſert und zum Vor - theil des geliebten geſchaͤftig iſt / unter einem Vor - ſatz andere gluͤcklich zu machen / vorſtellen. GOtt thut ihm ſelbſt in aller ſeiner Arbeit eine vollenkommene Genuͤge / und alſo iſt nichts gewiſ - ſers / als daß Er eine Zuneigung und Wolgefal - len an ſeinen Wercken habe. Gen. I. 31. Pſ. CIV. 31. Sap. XI. 25. Ob aber und wie ſolche und an - dere Aeuſſerungen des goͤttlichen Willens gegen ſeine Geſchoͤpffe von ihm empfunden werden; ſol - ches laͤſt ſich wohl durch einen menſchlichen Ver - ſtand nicht einſehen und erkennen. Man muß ſolchemnach die Liebe Gottes ſowohl / als die uͤbri - ge Aeuſſerungen ſeines Willens denen Wirckun - gen nach anſehen: und ſo iſt ſie eben der Vorſatz einem jeglichen Geſchoͤpff alles zu geben / was ſie nur annehmen kan und wil. Jnſonderheit ver -Bdie -18dienet ſolcher den Namen der Liebe in Anſehung der - jenigen Geſchoͤpffe / welche ſich empfinden / ſich ihrer Empfindungen bewuſt / und folglich einer Gluͤck - ſeligkeit fahig ſind: ſolchemnach kan man die Lie - be Gottes gegen den Menſchen beſchreiben / daß ſie ſey ein Vorſatz / demſelben alles zu geben / was er nur immer annehmen kan und wil. Wer ſich dieſen Begriff von der Liebe Gottes macht / wird die Unrichtigkeit der Gedancken / ſo J. C. Dippel ſei - nem Leſer davon ſuchet beyzubringen / leichtlich pruͤfen und erkennen koͤnnen. Dem Vorſatz Got - tes / die Menſchen gluͤcklich zu machen / wird nicht nur von den Schrancken ihrer Natur / ſondern auch von ihrem wollen und nicht wollen Gren - tzen geſetzt. Jer. V. 25.
Erlaͤuterung.
Es handeln diejenige unſtreitig unvorſichtig /wel -19welche die Vollenkommenheit der Geſchoͤpffe aus dem unumgeſchrenckten und unbedingten Wil - len des Schoͤpffers herleiten / und die Faͤhigkeit der Creatur niemahls in Betracht ziehen. Wenn etliche ſich nicht ſcheuen zu fragen: ſolte nicht die hoͤchſte Macht / wenn ſie mit einer unendlichen Guͤtigkeit verknuͤpfft iſt / ihr Werck mit Guͤtern erfuͤllen und uͤberſchuͤtten? vid. Leibnitz Theodic. P. II. §. CLI. p. 386. ſo kommt es mir vor / als wenn ſie ſprechen: ſolte nicht GOtt lauter Ge - ſchoͤpffe / die alle Vollenkommenheiten auf die vol - lenkommenſte Art beſitzen / d. i. lauter Goͤtter her - vor gebracht haben? Auf ſolche Art koͤnte eine jeg - liche Creatur ſich einbilden / ſie waͤre befugt / zu be - gehren / GOtt gleich zu ſeyn. Es war dieß der erſte Jrrthum / darin der Verfuͤhrer unſere Eltern ſtuͤrtzte. Gen. III. 5. Kein vernuͤnftiger Menſch wird ſich alſo uͤberreden / daß GOtt einer Crea - tur unbegrentzte Vollenkommenheiten haͤtte bey - legen koͤnnen / wenn er nur gewollt. Hat aber eine jegliche derſelben ihre Grentzen / ſo muß ja eine Richtſchnur ſeyn / wornach ſeine Weißheit und Guͤte dieſelbe beſtimmt und abmißt / und wo koͤn - nen dieſe anders als in dem Weſen der Dinge und der darin gegruͤndeten Faͤhigkeit geſetzet wer - den. Jndeß iſt es doch lediglich auf den Willen GOttes angekommen / die Dinge / von deren Natur und Weſen ſein Verſtand von Ewigkeit her Begriffe gehabt / in der Zeit zur Exiſtentz zu bringen und ſie zu ſeine Creaturen zu machen. B 2Sei -20Seine Vollenkommenheiten / welche ihn allein dazu bewegt / haben ihn auch bewegen muͤſſen / einer jeglichen dasjenige zu geben / was er ſeiner Weiß - heit nach erkannt / daß es den hoͤchſten Grad ih - rer Vollenkommenheit wuͤrde ausmachen. Alſo iſt ein jegliches in ſeiner Art und nach dem Ver - band mit dem gantzem in Betracht des / was der Schoͤpffer daran gethan / vollenkommen und er ſelbſt folglich ohne Tadel. Keines ſeiner Wer - cke kan ſich mit Grund uͤber ihn beſchweren / viel - mehr muͤſſen alle uͤberhaupt und ein jegliches in - ſonderheit zu ſeinem Ruhm gereichen.
Erlaͤuterung.
Man muß ſich den Menſchen erſt uͤberhaupt oder nach ſeiner Menſchlichkeit und dann auch inſon - derheit oder wie wir ſie in der Welt finden / vor -ſtel -21ſtellen. Nach der erſten Betrachtung hat ihm GOtt alles gegeben / was zur Menſchlichkeit ge - hoͤret / dahin man nebſt andern die Kraft zu erken - nen und zu wollen / die Freyheit des Willens / die Faͤhigkeit nach einer Richtſchnur zu leben / die Moͤglichkeit zu ſuͤndigen / und dergl. rechnen kan. GOtt konte ihm von dieſen nichs vorenthalten / ohne die Menſchlichkeit zu zernichten / welches die - jenige nicht einſehen / welche meinen / es waͤre eine groͤſſere Guͤte geweſen / wenn GOtt den Menſchen alſo gemacht haͤtte / daß er uͤberall nicht haͤtte ſuͤn - digen koͤnnen. Was die Menſchen / wie wir ſie in der Welt finden / betrift; ſo werden wir gantz unterſchiedliche Grade der Eigenſchafften an de - nenſelben gewahr. Einer hat fuͤr dem andern an innerlichen und aͤuſerlichen Guͤtern vieles voraus. Dieſe unterſchiedene Stuffen beſtimmet freylich GOtt / und er kan ſie auch mindern und mehren / doch braucht er dazu niemals eine unumgeſchrenck - te Macht. Er handelt allezeit nach gerechten und zulaͤnglichen Urſachen und Bewegungs-Gruͤnden: und darum kan man nicht zweifeln / daß er in al - lem / was er mit denen Menſchen zur Vermehrung ihres Wolſtandes fuͤrnimmt / es ſey ordentlich o - der auſſerordentlich / Natur oder Gnade / ſich nach derſelben Faͤhigkeit / wie auch nach der Gelegenheit / die ſie ihm geben / um das Gute von ſeiner Hand zu empfangen / richte.
Erlaͤuterung.
Der Begriff von menſchlicher Freyheit kan nicht anders als durch die Erfahrung erlanget werden. Sie hat ihren Grund in dem Willen / und gehoͤrt alſo zu denen Dingen / die der Menſchin23in ihm ſelbſt empfinden muß. Es koſtet auch nicht viele Muͤhe / dieſelbe wahrzunehmen und zu erken - nen. Wir mercken in uns Bewegungen / die gantz auſſer unſerer Gewalt / als Z. E. den Umlauf des Gebluͤts / die Verdauung der Speiſen / aller - ley Auswurff der Natur und dergl. Man kan da - hin rechnen alle Empfindungen / die leidend in uns entſtehen / als Hunger und Durſt / Kaͤlte und Waͤr - me / Schlaf und Muͤdigkeit und dergl. Wir be - mercken aber auch in uns Veraͤnderungen / mit welchen es nicht alſo beſchaffen. Es ſind viele Ar - ten der Bewegungen lediglich in unſerer Gewalt / da wir uns hie oder dazu entſchlieſſen / unſere Glie - der ſo oder anders gebrauchen / dieſe oder jene Ver - richtungen vornehmen koͤnnen. So gewiß es nun iſt / daß dieſe beyde Gattungen der Bewegung nicht von einerley Art / ſondern vielmehr unend - lich von einander unterſchieden / ſo wenig darf man an der menſchlichen Freyheit zweiffeln. Zwar was die Wahl der Mittel zu unſerer Seligkeit betrifft / ſo ſteht ſolche freylich nicht in menſchli - cher Gewalt. Die Verderbnuͤs / darin wir durch den Fall gerahten / iſt ſo groß / daß wir / was das Ewige betrifft / weder das Wollen noch Vollbrin - gen haben. Phil. II. 13. Unſere Evangeliſche Kir - che verwirfft alſo billig auf der einen Seite die Jrr - thuͤmer derer / welche vorgeben / daß des Menſchen Wille zu allerley Schande und Laſter mit Gewalt gezwungen werde: auf der andern aber verab - ſcheuet ſie auch die groben Lehren der Pelagianer, dieB 4da24da meinen / daß der Menſch aus eigenen Kraͤften ſich koͤnne zu GOtt wenden / das Geſetz vollen - kommentlich halten / und das ewige Leben erwer - ben. Sie haͤlt nicht weniger die Meinungen der Semipelagianer, der Maſſilienſer, der Papiſten / Synergiſten / Enthuſiaſten und anderer / welche dem Menſchen in ſeinem natuͤrlichen Zuſtand einige Kraft an ſeiner Seligkeit zu wircken beylegen / mit Grund vor irrig. form. conc. art. II. de lib. ar - bitr. p. 677. edit. Rechenb. Ob nun zwar auf ſolche Art dem Menſchen die Freyheit / durch ſich ſelbſt bekehrt zu werden und den Weg zum Leben zu fin - den / abgeſprochen wird; ſo bleibt ihm doch die Freyheit durch ſich ſelbſt nicht bekehrt zu werden / und der Gnade / welche ſich hiezu geſchaͤftig erweiſt / Widerſtand zu thun. Hulſem. diſpp. III. de aux. gratiæ quæſt. VII. theſ. I. §. 4. GOtt braucht in der Bekehrung des Menſchen eine zulaͤngliche / aber keine unuͤberwindliche oder / wie es etliche ausdruͤ - cken / allmaͤchtige Gnade. Es wuͤrde aus dem Werck der Bekehrung ein mechanismus ſpiritualis und der bekehrte Menſch in primo termino con - verſionis ein automa ſpirituale ſeyn. Es iſt nicht zu begreiffen / wie es mit der Menſchlichkeit zuſam - men zu reimen / wenn etliche in der Reformirten Kirche lehren / daß der Gnade Gottes von dem Menſchen in actu primo & ſecundo nicht moͤge wi - derſtanden werden / d. i. daß diejenige / an welchen GOtt mit ſeiner Gnade wircket / nicht nur wuͤrck - lich allemahl bekehret werden; ſondern daß es auchnicht25nicht in ihren Vermoͤgen ſtehe / dieſe Bekehrung zu hindern. Nach einer ſolchen Meynung haben die Menſchen weder wollen noch nicht wollen. Alſo werden in der Synod. Dordracena diejenige ausdruͤcklich verworffen / qui docent, hominem DEO & Spiritui S. regenerationem ejus intendenti & regenerare ipſum volenti, ita poſſe reſiſtere & a - ctu ipſo ſæpe reſiſtere, ut ſui regenerationem pror - ſus impediat. art. VIII. Janſenius, von dem bekañt / daß er die irreſiſtibilitatem gratiæ paſſivam als ein beſonderer Verehrer des Auguſtini, mit demſelben verthaͤdiget / bezeuget / daß die Lehren des Auguſtini von der Meynung des Calvini gantz und gar un - terſchieden / und ſolches eben darum / weil dieſer lehret / daß es in des Menſchen Gewalt nicht ſtuͤn - de / der Gnade zu widerſtehen / davon Auguſtinus das Gegentheil geglaubt. Potentia diſſentiendi, ſagt Janſenius, non repugnat actuali gratiæ, motio - ni & conſenſui, quamvis fieri nequeat, ut actualis diſſenſus cum actuali DEI motione jungatur. vid. Janſenii Auguſtinus L. VIII. c. XXI. p. m. 376. Es ſcheint aber die Anmerckung / welche andere ſchon gemacht / nicht ohne Grund zu ſeyn / daß Janſenius nur darum habe davor angeſehen ſeyn wollen / ob ſey er in dieſer Lehre von der Meynung Calvini gantz unterſchieden / damit er ſich bey ſeinen Glau - bensgenoſſen deſtoweniger Haß erwecken moͤchte. Walchs Einl. zu den Rel. Streitigk. c. III. §. 2. p. 237.
Erlaͤuterung.
Der in dieſer Frage enthaltene Satz wird von dem / der ihn recht einſieht / nicht geleugnet werden moͤgen. Die Wuͤrckungen unſerer Thaten geben zur Genuͤge zu erkennen / daß ſie / was die Guͤte derſelben betrifft / ſich nicht einander gleich ſind. Es kan unmoͤglich einerley ſeyn / ob man ſeines Nechſten Weib beſchlaͤfft oder daſſelbe von der Unkeuſchheit abmahnet: ob man jemand ſein Geld nimmt / oder ihm einen Allmoſen rei - chet: ob man jemand Wunden ſchlaͤgt / oder ihm dieſelbe verbindet. Sind alſo die Thaten nicht von gleicher Art; ſo muͤſſen etliche in ihrer Gat - tung die Beſten ſeyn / welche wir tugendhaft nennen: daß ſie aber ſolche werden / muß kein ei - niger Umſtand / der ihre Vollenkommenheit aus - macht / fehlen. Schomeri Theol. mor. C. II. §. 3. Sie ſind alſo von denen uͤbrigen / die man Laſter - hafft nennet / wie das Vollenkommene von demUn -27Unvollenkommenen / das iſt / weſentlich und noht - wendig unterſchieden. Sie haben ihre moralita - tem intrinſecam und ſind in dem goͤttlichen Ver - ſtande ſchon von Ewigkeit her als Gut erkannt. Daher halten auch einige Gottes-Gelehrte und zwar mit Grund davor / das Principium: man muͤſſe das Gute thun und das Boͤſe laſſen / ſey eben ſo allgemein / als dieſes: es koͤnne unmoͤg - lich ein Ding zugleich ſeyn und nicht ſeyn. Dann - haueri Hodoſoph. phæn. VI. p. 311.
Erlaͤuterung.
Der Herr Hof-Raht Wolf hat die War - heit / daß GOtt die Menſchen verbinde / Tugen - haft zu leben / und alſo / wie er redet / aus dem Geſetzt der Natur auch ein goͤttliches Geſetz wer - de / aus dieſer Erfahrung / daß durch GOttesVer -28Verhaͤngnuͤs auf gute Handlungen Gluͤcksfaͤlle / auf boͤſe aber Ungluͤcksfaͤlle erfolgen / beſtaͤtigen wollen. Von der Menſchen Thun und Laſſen c. I. §. 30. Die Sache iſt an ihr ſelbſt richtig genung und ſtimmet auch mit GOttes Wort uͤ - berein / nur darin findet ſich eine Schwierigkeit / daß dieſe Erfahrung nicht ſo in die Augen leuch - tet / daß man allem Widerſpruch damit begeg - nen moͤge. Wir ſuchen den Grund der Ver - bindlichkeit in der Beſchreibung / die wir von GOtt gegeben / vermoͤge welcher er allezeit das Beſte auf die vollenkommſte Art wil / daher ihm unmoͤglich etwas gleichguͤltig ſeyn kan. Wer kan ſich von GOtt die Gedancken machen / daß er uns Vermoͤgen / Gelegenheit und Guͤter / wo - durch wir unſern und anderer Menſchen Wohl - ſtand befordern koͤnnen / ohne Abſicht koͤnne gege - ben haben? So braucht dieß auch ja wohl keinen weitlaͤuftigen Beweiß / daß durch einen willkuͤhr - lichen Gebrauch derſelben nicht nur unſer eigenes / ſondern auch anderer Menſchen gluͤcklich ſeyn gehindert und geſtoͤret werde / und ſo muß von ſelbſt folgen / es ſey GOttes will / daß wir un - ſern Willen in allem Thun und Laſſen auf die beſtmoͤglichſte Art beſtimmen ſollen / welches man in GOtt Gerechtigkeit nennet.
Erlaͤuterung.
Dieſe Frage bringet uns auf den Haß GOt - tes wider das Boͤſe und gibt zu erkennen / daß die Urſache / welche macht / daß er das Beſte ernſt - lich wil / auch machen muͤſſe / daß er an denen / die ihm hierin zuwider / ein Misgefallen trage. Die - ſes Misgefallen aber kan man ſich nicht als ei - ne Leidenſchaft in ſeinem Weſen / wie es bey Men - ſchen iſt / ſondern nur der Wirckung nach in der Seelen des Ubertreters vorſtellen. GOTT empfindet daſſelbe nicht auf menſchliche Art: Er laͤſt es aber diejenige nachdruͤcklich fuͤh - len / an denen er es traͤgt. Wann das nicht waͤre / ſo koͤnte man nicht ſagen / daß dieſer Wil - le GOttes der ernſtlichſte und kraͤftigſte. Die Gottloſen wuͤrden ungeſcheut uͤber ihm ihr Ge - ſpoͤtt treiben / und ſich an ſein Gebot vielwe - niger als an den Befehl eines irrdiſchen Regen - ten kehren. Ja der Unterſcheid unter boͤſen und guten wuͤrde ewig unkennbar bleiben. Die Vol - lenkommenheit in GOtt erfordert alſo / daß wir uns ihn als einen ſolchen vorſtellen / den alle Welt als den groͤſten Wolthaͤter zu lieben / aber auch alsden30den ernſtlichſten und gerechteſten Richter zu fuͤrch - ten Urſache hat. Der Herr v. Leibnitz wil zwar / daß es zweydeutig / wenn man ſagt / die Liebe zur Tugend und der Haß gegen die Laſter in GOtt ſey unendlich / in dem nach ſeiner Meynung ſo dann kein Laſter in der Welt ſeyn wuͤrde: Theod. P. II. §. CXVII. Ob dieſes folge weiß ich nicht; das aber / meyne ich / koͤnne mit Grund von GOtt geſagt werden / daß er das Gute auf die vollen - kommenſte Art liebe und das Boͤſe auf eben die Art haſſe. Die Schrift bringt uns eine ſolche Meynung von GOtt bey. Exod. XX. 5. Deut. IV. Pſ. V. 5. VII. 12 und an unzehligen Ortern mehr. Es iſt mir / wenn ich auch wolte / nicht moͤglich zu glauben / daß die Schrift hierin hat mehr figur - lich reden wollen / als wenn ſie von der Liebe GOttes Zeugnuͤſſe gibt. Es iſt alſo eine leere Einbildung / welche ſich J. C. Dippel. macht / als wenn eigentlich in GOtt nichts als lauter Liebe / die uͤbrigen Eigenſchaften als Zorn / Haß / Eyfer / und dergleichen wuͤrden ihm nur menſchlicher Weiſe beygelegt: weil er ſonſt in ſeinem Weſen wuͤrde geaͤndert werden. Es iſt bereits erinnert / (Erlaͤuterung quæſt. 4.) daß man dieſe Dinge nicht als Leydenſchaften und Gemuͤhts-Bewe - gungen muͤſſe anſehen: die wuͤrden freylich Ver - aͤnderungen in ihm machen. Wer wolte aber ſol - GOtt zu ſchreiben? Die Liebe iſt ſo wenig eine Leiden ſchaft in ihm / als der Haß: und alſo kan weder das eine noch das andere ihn veraͤndern:eben31eben der Unterſchied / welcher ſich unter den Men - ſchen in Anſehung ihres moraliſchen Zuſtandes befindet / macht / daß GOtt auf verſchiedene Art ſich gegen ſie verhalten muß / wo wir uns nicht ein Numen Epicureum vormahlen wollen. Und gewiſſer Maaſſe ſcheinet die Meynung des Epi - curi mehr Aehnlichkeit mit der Vernunft zu ha - ben / als dieſe des Dippels: denn um ſeinen Be - griff von dem goͤttlichen Ruheſtand nicht zu ver - letzen / ſpricht er ihm ſowohl die Liebe als den Haß ab. 〈…〉〈…〉. Jn dem er wol eingeſehen / daß / wenn man ihm das eine von die - ſem beymißt / es ungereimt ſeyn wuͤrde / das andere in Abſicht auf die vernuͤnftige Creaturen zu leug - nen. Die Urſache / ſo ihn bewegt / das Gute und Vollkommene an ſeinen Geſchoͤpffen zu lieben / muß ihn auch bewegen / das Boͤſe und die moraliſche Unvollenkommenheiten zu haſſen. Jmmittelſt hat ſich Epicurus eine unnoͤhtige Sorge gemacht / daß dadurch der goͤttliche Ruhſtand werde geſtoͤret werden / wie auch kein Grund und Urſache verhan - den / warum dieſe unterſchiedliche Aeuſſerungen des goͤttl. Willens eine Veraͤnderung in ſeinen Ei - genſchaften machen ſolten, Solchemnach ficht J. C. Dippel mit ſeinem eigenen Schatten / wenn er quæſt. 6. & 7. fragt: Ob GOtt in ſeinen Eigen - ſchaften durch den Abfall der Creatur ſey geaͤn - dert worden? Ob man ſich eine Abwechſel des Lichts und der Finſterniß / oder Zorn / Haß und Rache in Gott ohne eine Laͤſterung ſeines We -ſens32ſens koͤnne einbilden? Wo hat jemals ein Lehrer der Evangeliſchen Kirchen dem goͤttlichen Weſen Gemuͤhts-Bewegungen oder Leidenſchaften beyge - legt? GOtt muß ſich freylich anders gegen die U - bertreter ſeiner Gebote / als die / ſo ihn fuͤrchten / ver - halten: wie aber kan daher folgern / daß Er als - dann in ſeinen Eigenſchaften muͤſſe veraͤndert wer - den / oder daß ein Wechſel des Lichts und der Fin - ſterniß in ihm vorgehe? muͤſte man ſich nicht viel - mehr lauter Finſterniß in GOtt einbilden / wenn er ſich gegen gut und boͤß auf gleiche Art verhiel - te? erfordert es nicht ſeine Vollenkommenheit / daß er eines von dem andern nach deſſen innern Beſchaffenheit unterſcheide? muͤſſen nicht unter - ſchiedliche Dinge auch unterſchiedliche Namen ha - ben? Nennet man dann nicht das Verhalten ge - gen die Frommen mit Grund eine Liebe / gegen die Gottloſen aber einen Haß? iſt es nicht ſolchemnach ein unbeſonnener Diſcours, weñ Dippel in ſeiner 8ten Frage ſich nicht entbloͤdet vorzugeben / die Benen - nungen von Zorn / Haß / Rache und dergl. waͤ - ren aus der Eigenſchaft und Jrrthum der Creatur genommen / deren Begriff ſich Gott ſelbſt zuweilen accommodiret und zu ihren Be - ſten ſich herunter gelaſſen / um durch beyge - brachte Furcht und Schrecken das in etwas zu erhalten / was ſonſt durch Uberzeugung der weſentlichen Warheit nicht koͤnte ſo leicht bey Blinden und Unartigen zum Effect ge - bracht werden? Gehen die uneigentliche Redender33der Schrift ſo weit / ſo wird es nicht moͤglich ſeyn jemanden zu uͤberzeugen / daß ſie jemals eigentlich rede: denn was bleibt vor ein Merckmahl uͤbrig / dabey man die eigentliche Reden von denen unei - gentlichen unterſcheiden moͤge? ſo weit geht der Hochmuht etlicher Leute / daß ſie gern GOtt ſelbſt zum Luͤgner machen / wenn ſie nur ihren Wahnſaͤtzen koͤnnen dadurch ein Anſehen zu We - ge bringen. So faͤllt auch hiemit die ungegruͤnd - te Folgerung / welche J. C. Dippel. gar Mathema - tiſch zu nennen ſich nicht ſchaͤmet / uͤbern hauffen. Er meynet / es folge / daß wenn in GOtt reeller Zorn und reelle Rache zufinden / er die Welt nicht nur neceſſario haben ſchaffen muͤſſen / ſondern auch in derſelben das Boͤſe zum Vorſchein bringen / um ſo wohl immerwaͤhrende Vor - wuͤrffe ſeines Zorns als ſeiner Erbarmung und Liebe zu haben. Verthaͤdigung der veræ dem. Ev. p. 15 & 16. Er haͤtte ſehr wohl gethan wenn er eine Beſchreibung von dem / was er un - ter reellen Zorn und Rache verſtehe / gegeben / ehe er daraus Schluͤſſe gemacht. Es iſt ohne dem eine Eigenſchaft der bloͤden Geiſter / daß ſie aus Woͤrtern / die nicht erklaͤrt ſind / Schluͤſſe ma - chen. Zorn und Rache in GOtt ſind Aeuſſerun - gen ſeines Willens / welche ſich auf das moraliſche Verhalten der Menſchen beziehen: es iſt alſo un - ter dieſem und jenen eine Verknuͤpffung als zwi - ſchen der Urſache und ihren Wirckungen; nicht aber umgekehrt. Die Urſache des Haſſes iſt nichtCin34in GOtt / ſondern in dem Geſetzfaͤhigen Geſchoͤpf / wenn er dieſe Faͤhigkeit mißbraucht. Was haſ - ſenswuͤrdig iſt / kan GOtt nicht lieben: es waͤre wider ſeine Vollenkom̃enheit (quæſt. 1) die Schrift lehret eben ſo davon. Num. XI. 33. Mich. VII. 9. Rom. II. 5. 8. Eph. V. 6. 2 Theſſ. I. 6. 10.
Erlaͤuterung.
Es iſt noͤhtig bey dieſer Gelegenheit zu zeigen / was man ſich unter dem Wort: Geſetz / eigentlich vorzuſtellen habe. Das Geſetz iſt ein Befehl eines Oberen / zu deſſen Erfuͤllung derſelbe diejenige / ſo ihm zu gehorchen ſchuldig / auf eine zulaͤngliche Art nach der Groͤſſe ſeines Vermoͤgens verbindet. Es iſt alſo von einem Raht ſehr unterſchieden. Das Geſetz iſt eine Wuͤr - ckung der rechtmaͤßigen Gewalt: der Raht aber eine Folge der Freundſchaft: die Unterlaſſung desGe -35Geſetzes gibt dem Geſetzgeber gerechte Urſachen zu ſtraffen / die Verſaͤumung des Rahts ſchadet nicht weiter / als daß der Vortheil / ſo wir durch deſſen Annahme vielleicht erlanget haͤtten / verlohren wird. Es wird ſich alſo leicht beurtheilen laſſen / ob die Erklaͤrungen des goͤttlichen Willens von dem Thun und Laſſen der Menſchen als Geſetze / oder als heylſame