PRIMS Full-text transcription (HTML)
Joachim Nettelbeck, Buͤrger zu Colberg.
Eine Lebensbeſchreibung,
Zweites Baͤndchen.
Leipzig:F. A. Brockhaus. 1821.

Joachim Nettelbeck’s Lebensbeſchreibung. Zweites Baͤndchen.

[1]

Bevor ich hier in meinem Lebensberichte weiter fortfahre und mich zu den kleinen Abentheuern hinwende, die mir an der afri - kaniſchen Kuͤſte begegnet ſind, wolle mir der geneigte Leſer uͤber die nunmehr ergriffene Lebensart einige Entſchuldigung zugute kom - men laſſen. Wie? wird er vielleicht bei ſich ſelbſt geſagt haben Nettelbeck ein Sklavenhaͤndler? Wie koͤmmt ein ſo verrufenes Handwerk mit ſeinem ehrlichen pommerſchen Herzen zuſammen? Al - lein das iſt es ja eben, daß dies Handwerk zu damaliger Zeit bei weitem nicht in ei - nem ſolchen Verrufe ſtand, als ſeitdem man, beſonders in England, wider den Sklaven - handel, (und auch wohl nicht mit Unrecht) als einen Schandfleck der Menſchheit, ge - ſchrieben und im Parlamente geſprochen hat; und wenn er durch dies nachdruͤckliche Geſchrei entweder ganz abgekommen iſt, oder doch mit heilſamer Einſchraͤnkung be - trieben wird: ſo iſt gewiß auch der alte Nettelbeck nicht der letzte, der ſeine herz -11. Bändchen. (1)2liche Freude daruͤber hat. Aber vor 50 Jahren war und galt dieſer boͤſe Menſchen - handel als ein Gewerbe, wie andre, ohne daß man viel uͤber ſeine Recht - oder Un - rechtmaͤßigkeit gruͤbelte. Wer ſich dazu brauchen ließ, hatte die Ausſicht auf einen harten und beſchwerlichen Dienſt, aber auch auf leidlichen Gewinn. Barbariſche Grau - ſamkeit gegen die eingekaufte Menſchen-La - dung war nicht nothwendiger Weiſe damit verbunden und fand auch wohl nur in ein - zelnen Faͤllen ſtatt; auch habe ich, meines Theils, nie dazu gerathen oder geholfen. Freilich ſtieß mein Auge oft genug auf Rohheit und Haͤrte; aber die waren mir, leider, uͤberall, wohin der Beruf des See - manns mich fuͤhrte, und nicht bloß auf der Sklaven-Kuͤſte, ein nur zu gewohnter An - blick und konnten mir alſo auch eine Lebens - weiſe nicht verleiden, mit der ich, ſchon als Kind und bei meinem erſten Ausfluge in die Welt, vertraut geworden war, und zu der ich alſo auch jetzt, als Mann, um ſo unbe - denklicher zuruͤckkehrte.

Zu beſſerem Verſtaͤndniſſe des Folgenden wird es jedoch erforderlich ſeyn, einige Worte uͤber die Art und Weiſe, wie die - ſer Negerhandel damals von den Hollaͤn - dern betrieben wurde, im Allgemeinen bei - zubringen.

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Da hier Menſchen nun einmal als Waare angeſehen wurden, um gegen die Erzeugniſſe des europaͤiſchen Kunſtfleißes ausgetauſcht zu werden, ſo kam es haupt - ſaͤchlich darauf an, ſolche Artikel zu waͤhlen, welche das Beduͤrfniß oder der Luxus den Schwarzen am unentbehrlichſten gemacht hatte. Schießgewehre aller Art, und Schieß - pulver in kleinen Faͤſſern von 32, 16 bis 8 Pfund, nahmen hierunter die erſte Stelle ein. Faſt eben ſo begehrt war Taback, ſo - wohl geſchnitten, als in Blaͤttern, ſammt irdenen Pfeifen, und Branntwein, entweder in halben Ankern, oder in Flaſchenkellern von 12, 8 bis 6 Gemaͤßen. Kattune von allen Sorten und Farben, lagen in Stuͤcken von 21 bis 24 Ellen; ſo wie auch der - gleichen, oder leinene und ſeidene Tuͤcher, deren 6 bis 12 zuſammengewirkt waren. Eben ſo wenig durfte ein guter Vorrath von linnenen Lappen, 3 Ellen lang und halb ſo breit, fehlen, die dort als Leibſchurz getragen werden. Den Reſt der Ladung fuͤllten allerlei kurze Waaren; als kleine Spiegel, Meſſer aller Art, bunte Korallen, Naͤhnadeln und Zwirn, Fayence, Feuerſteine, Fiſchangeln und dergl.

Einmal gewoͤhnt, dieſe verſchiedenen Artikel von den Europaͤern zu erhalten, koͤnnen und wollen die Afrikaner, ſowohl an4 der Kuͤſte, als tiefer im Lande, ſie nicht miſſen, und ſind darum unablaͤſſig darauf bedacht, ſich die Waare zu verſchaffen, wo - durch ſie ſich dieſelben eintauſchen koͤnnen. Alſo iſt auch das ganze Land immerfort in kleine Partheien getheilt, die ſich feindlich in den Haaren liegen und alle Gefangenen, welche ſie machen, entweder an die ſchwarzen Sklavenhaͤndler verkaufen, oder ſie unmit - telbar zu den europaͤiſchen Sklavenſchiffen abfuͤhren. Allein oft, wenn es ihnen an ſolcher Kriegsbeute fehlt und ſie neue Waa - ren-Vorraͤthe beduͤrfen, greifen ihre Haͤupt - linge, die eine deſpotiſche Gewalt uͤber ihre Unterthanen ausuͤben, diejenigen auf, welche ſie fuͤr die entbehrlichſten halten; oder es ge - ſchieht wohl auch, daß der Vater ſein Kind, der Mann das Weib und der Bruder den Bruder auf den Sklavenmarkt zum Verkaufe ſchleppt. Man begreift leicht, daß es bei ſolchen Raubzuͤgen an Grauſamkeiten jeder Art nicht fehlen kann, und daß ſich alle dieſe Laͤnder dabei in dem elendeſten Zu - ſtande befinden. Aber eben ſo wenig kann auch abgelaͤugnet werden, daß die erſte Ver - anlaſſung zu all dieſem Elende von den Eu - ropaͤern herruͤhrt, welche durch ihre eifrige Nachfrage den Menſchenraub bisher beguͤn - ſtigt und unterhalten haben.

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Jhre, zu dieſem Handel ausgeruͤſteten Schiffe pflegteu laͤngs der ganzen Kuͤſte von Guinea zu kreuzen, und hielten ſich, unter wenigen Segeln, ſtets etwa eine halbe Meile oder etwas mehr vom Ufer. Wur - den ſie dann am Lande von Negern er - blickt, welche Sklaven oder Elephanten-Zaͤhne zu verhandeln hatten, ſo machten dieſe am Lande ein Feuer an, um dem Schiffe durch den aufſteigenden Rauch ein Zeichen zu ge - ben, daß es vor Anker gienge; warfen ſich aber auch zu gleicher Zeit in ihre Kanots und kamen an Bord, um die zur Schau aus - gelegten Waaren-Artikel zu muſtern. Vor ihrer Entfernung verſprachen ſie dann, mit einem reichen Vorrath von Sklaven und Zaͤhnen ſich wieder einzufinden; oft jedoch ohne darinn Wort halten zu koͤnnen oder zu wollen.

Gewoͤhnlich aber erſchienen ſie, zu wirk - lichem Abſchluß des Handels, mit ihrer Waare am naͤchſten Morgen, als der be - quemſten Tagszeit fuͤr dies Verkehr. Denn da dort jede Nacht ein Landwind weht, ſo hat dies auch bis zum naͤchſten Mittag eine ruhige und ſtille See zur Folge. Dann ſteigt wieder ein Seewind auf; die Bran - dung waͤlzt ſich ungeſtuͤmer gegen den Strand, und die kleinen Kanots der Schwarzen koͤn - nen ſich nicht fuͤglich hin und zuruͤck wagen. 6Das Fahrzeug, welches die verkaͤuflichen Sklaven enthielt, war in der Regel noch von einem halben Dutzend Andrer, jedes mit mehreren Menſchen angefuͤllt, begleitet, welche Alle einen Antheil an der ungluͤck - lichen Waare hatten. Allein nur 8 oder hoͤchſtens 10 aus der Menge wurden mit derſelben an Bord gelaſſen; waͤhrend die Uebrigen in ihren Kanots das Schiff um - ſchwaͤrmten und ein tolles Geſchrei ver - fuͤhrten.

Nun wurden auch die Gefangenen an Bord emporgehoben, um in naͤhern Augen - ſchein genommen zu werden; die maͤnnlichen mit auf dem Ruͤcken dergeſtalt hart zuſam - mengeſchnuͤrten Ellenbogen, daß oft Blut und Eiter an den Armen und Lenden hinunter - lief. Erſt auf dem Schiffe wurden ſie los - gebunden, damit der Schiffsarzt ſie genau unterſuchen konnte, ob ſie unverkruͤppelt und uͤbrigens von feſter Conſtitution und bei vol - ler Geſundheit waͤren; und hierauf eroͤffnete ſich denn die eigentliche Unterhandlung; je - doch nicht, ohne zuvor ſowohl den Verkaͤu - fern, die ſich auf dem Verdeck befanden, als ihren Kameraden in den Kanots, Taback und Pfeifen vollauf gereicht zu haben, damit ſie luſtig und guter Dinge wuͤrden freilich aber auch ſich um ſo leichter betruͤgen lieſſen.

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Die europaͤiſchen Tauſchwaaren wurden den Schwarzen ſtets nach dem hoͤchſten Ein - kaufspreiſe, mit einem Zuſatz von 25 Procent, angerechnet; und nach dieſem Tarif galt da - mals ein vollkommen tuͤchtiger maͤnnlicher Sklave etwa 100 Gulden Holl.; ein Burſche von 12 Jahren und druͤber ward mit 60 bis 70 Gulden, und ohngefaͤhr zu gleichem Preiſe auch eine weibliche Sklavinn bezahlt. War ſie jedoch noch nicht Mutter geweſen und ihr Buſen noch von jugendlicher Fuͤlle und Elaſticitaͤt, (und daran pflegt es die Natur bei den Negerinnen nicht fehlen zu laſſen) ſo ſtieg ſie auch verhaͤltnißmaͤßig im Werthe bis auf 120 oder 140 Gulden.

Die Verkaͤufer bezeichneten ſtuͤckweiſe die Artikel, welche ihnen unter den ausgelegten Waaren anſtanden; wogegen der hollaͤndiſche Einkaͤufer ſeinen Preis-Courant fleiſſig zu Rathe zog, um nach dem angenommenen Tarif nicht uͤber 90 Gulden hinauszugehen, und wobei auch der geſpendete Brantwein, ſammt Toback und Pfeifen, nicht unberuͤckſichtigt blieben. Fieng er dann an, ſich noch wei - tern Zulegens zu weigern, und ließ ſich hoͤch - ſtens noch ein Stuͤck Kattun abdringen, ſo ward der Ruͤckſtand im geforderten Men - ſchenpreiſe vollends mit geringeren Waaren und Kleinigkeiten, und zuletzt noch mit einem Geſchenk von Meſſern, kleinen Spiegeln und8 Korallen ausgeglichen. Wieviel es uͤbrigens, bis zum gewuͤnſchten Abſchluß, des Streitens, Fluchens und Laͤrmens bei dieſem Handel gegeben habe, bedarf kaum einer beſondern Erwaͤhnung: denn wenn der eigentlichen Wortfuͤhrer bei den Negern auch nur 2 oder 3 ſeyn mochten, ſo gab es doch immer un - aufhoͤrliche Ruͤckſprache und Verſtaͤndigung mit ihren Gefaͤhrten in den Kanots, die bei dem Erfolg der Unterhandlung Alle gleich ſehr intereſſirt waren. Hatten ſie dann end - lich die eingetauſchten Waaren in Empfang genommen, ſo packten ſie ſich wieder in ihre Fahrzeuge und eilten luſtig, wohlbenebelt und unter lautem Halloh wieder dem Strande zu.

Waͤhrend dieſer ganzen geraͤuſchvollen Scene ſaß nun der arme Sklave, um wel - chen es gegolten hatte, auf dem Verdeck und ſah ſich, mit ſteigender Angſt, in eine neue unbekannte Hand uͤbergehen, ohne zu wiſſen, welchem Schickſal er aufbehalten ſey. Man konnte den Ungluͤcklichen, ſo zu ſagen, das Herz in der Bruſt ſchlagen ſehen: denn eben ſo wenig, als die Meiſten von ihnen je zuvor das Weltmeer, auf dem ſie nun ſchwam - men, erblickt, hatten ſie auch fruͤherhin die weiſſen und baͤrtigen Menſchen geſehen, in deren Gewalt ſie gerathen waren. Nur zu gewiß waren ſie des Glaubens, wir haͤtten ſie nur gekauft, um uns an ihrem Fleiſche9 zu ſaͤttigen. Voll von dieſer Vorſtellung, ſah man es ihnen deutlich an, daß unſre weiße Hautfarbe ſie mit noch weit hoͤherem Ent - ſetzen erfuͤllte, als uns ihre ſchwarze erſchreckte.

Die Verkaͤufer waren nicht ſobald vom Schauplatz abgetreten, als der Schiffsarzt Sorge trug, den erhandelten Sklaven (war - lich zum ſchlechten Labſal!) ein Brechmittel einzugeben, damit die ſeither ausgeſtandene Angſt nicht nachtheilig auf ihre Geſundheit zuruͤckwirkte. Aber begreiflicher Weiſe konn - ten die gewaltſamen Wirkungen dieſer Pro - cedur jenen vorgefaßten ſchrecklichen Wahn ebenſowenig beſeitigen, als die Anlegung ei - ſerner Feſſeln an Hand und Fuß, wodurch man ſich beſonders der maͤnnlichen Sklaven noch enger zu verſichern ſuchte. Gewoͤhnlich kuppelte man ſie uͤberdem noch paarweiſe zu - ſammen, indem man durch einen, in der Mitte jeder Kette befindlichen Ring noch einen fußlan - gen eiſernen Bolzen ſteckte und feſt vernietete.

Verſchonte man auch die Weiber und Kinder mit aͤhnlichem Geſchmeide, ſo wurden ſie doch in ein feſtes Behaͤltniß vorne in der Schiffsback eingeſperrt; waͤhrend die er - wachſenen Maͤnner ihren Aufenthalt dicht daneben zwiſchen dem Fock - und großen Maſte fanden. Beide Behaͤlter waren durch ein zweizoͤlliges eichenes Plankwerk von einander geſondert, ſo daß ſie ſich nicht ſehen konnten. 10Doch brachten ſie in dieſem engeren Ver - wahrſam nur die Naͤchte zu; bei Tage hingegen war ihnen geſtattet, in freier Luft auf dem Verdecke zu verweilen. Auf ihre fernere Behandlung waͤhrend der Ueberfahrt nach Amerika werde ich in der Folge wieder zuruͤckkommen.

Der hiernaͤchſt bedeutendſte Gegenſtand des Handels an dieſer Kuͤſte ſind die Ele - phanten-Zaͤhne, von welchen auch der ganze Strich zwiſchen Cap Palmas und tres Pun - tas den Namen der Zahn-Kuͤſte fuͤhrt. Habe ich die Erzaͤhlungen der Eingebohrnen recht verſtanden, ſo bemaͤchtigen ſie ſich dieſer ſtark geſuchten Waare, indem ſie ſich, in Partheien von 30 und mehr Perſonen, in die landeinwaͤrts gelegenen Waͤlder auf die Elephanten-Jagd begeben. Jhre Waffen be - ſtehen hauptſaͤchlich in fußlangen zweiſchnei - digen Saͤbelklingen, die ſie von den Schiffen einhandeln und zu dieſen Jagden an langen Stangen befeſtigen. Haben ſie ein ſolches Thier aufgeſpuͤrt, ſo ſuchen ſie es entweder zu beſchleichen, oder treiben es mit offner Gewalt auf, und trachten einzig dahin, ihm den Ruͤſſel, der ſeine vorzuͤglichſte Schutzwehr ausmacht, an der Wurzel abzuhauen; oder ſie zerſchneiden ihm die Sehnen an den Fuͤßen, um es ſo zum Fallen zu bringen. Jſt der Feind ſolchergeſtalt uͤberwaͤltigt, ſo11 wird er vollends getoͤdtet; man haut ihm die Zaͤhne aus, und der Rumpf bleibt, als willkommne Beute fuͤr die Raubthiere und das Gevoͤgel, liegen.

Noch wird an einem anderm Striche dieſer Negerlaͤnder, die Goldkuͤſte genannt, einiger Verkehr mit Goldſtaub, oder vielmehr kleinen Koͤrnern dieſes Metalls, das entweder aus dem Flußſande gewaſchen oder von der reichen Natur dieſes heiſſen Bodens oft dicht unter dem Raſen dargeboten wird, getrieben. Doch war dies Geſchaͤft weder betraͤchtlich, noch ſonderlich gewinnreich; und pflegte des - halb dem Oberſteuermann, bei ſeinen kleinen Nebenfahrten, fuͤr eigne Rechnung anheim - geſtellt zu werden; ſo wie ihm zu dem Ende auch vergoͤnnt war, den Betrag von 600 holl. Gulden in Waaren mit an Bord zu nehmen. Jch ſelbſt hatte mich zu dieſem Privat-Handel mit allerlei Quincaillerieen, etwa 500 Gulden an Werth, verſehen.

Denn auſſer dem Verkehr, der am Bord des Schiffes ſelbſt ſtatt fand, wurden von demſelben, in gleicher Abſicht, zugleich auch noch mehrere Boͤoͤte ausgeruͤſtet und abge - ſchickt, welche ſich oft auf mehrere Wochen lang entfernten und bis auf 50 und mehr Meilen an der Kuͤſte umherkreuzten. Dieſer Bootsfahrten habe ich zwar bereits oben, bei Gelegenheit meines fruͤheren Ausflugs12 in dieſe Weltgegend, erwaͤhnt: doch ſey es mir erlaubt, hier noch etwas ausfuͤhrlicher auf dieſen Gegenſtand zuruͤckzukommen.

Sobald die Guineafahrer ſich dem waͤr - meren Himmelsſtrich naͤherten, begannen auch die Schiffszimmerleute, die Schaluppen und Schiffsboote zu ihrer kuͤnftigen neuen Be - ſtimmung in Stand zu ſetzen, indem ſie ein Verdeck darauf anbrachten und Alles ſo ein - richteten, daß ſie See zu halten vermochten. Holz und Planken hiezu ward ſchon von Holland aus mitgenommen und zwiſchendecks bereit gehalten. Die Beſatzung eines ſolchen Fahrzeugs beſtand aus 10 bis 12 Mann, unter Anfuͤhrung des Oberſteuermanns oder eines andern Schiffs-Officiers. Auch war es mit einigen Drehbaſſen und kleinerm Hand - gewehr wohl verſehen.

Die Beſtimmung dieſer Boote erforderte, ſtets in einiger Entfernuug vor ihrem Schiffe vorauszugehen und die Punkte, wo ein vor - theilhafter Handel zu treiben war, zu ver - vielfaͤltigen, damit die gewuͤnſchte volle La - dung deſto ſchneller zuſammengebracht und der Aufenthalt an dieſen ungeſunden Kuͤſten um ſo mehr abgekuͤrzt wuͤrde. So oft nun ein ſolches Fahrzeug ſeine mitgenommenen Waaren-Artikel oder ſeine Lebensvorraͤthe erſchoͤpft, oder einen genuͤgenden Eintauſch gemacht hatte, kehrte es an Bord ſeines13 Schiffes zuruͤck, um ſofort fuͤr eine neue Reiſe ausgeruͤſtet zu werden. Es ergiebt ſich dar - aus, wie anſtrengend und beſchwerlich dieſer Dienſt ſeyn mußte.

Allein auch auſſerdem war derſelbe mit gar mancher Faͤhrlichkeit verbundeu: denn nicht ſelten gieng bereits ein ſolches Boot durch Ueberrumpelung der Neger, ſammt dem Leben der ganzen Beſatzung, verloren; und ſo ward hier die hoͤchſte Vorſicht erforderlich. Nie wurden mehr, als 4 Verkaͤufer, zugleich auf dem Boote zugelaſſen; und auch die Uebri - gen in den Kanots durfte man nicht zunahe herankommen laſſen. Waͤhrend alſo der Steuermann, nebſt einem Gehuͤlfen, hinten im Fahrzeuge den Handel betrieb, ſtand der Reſt der Mannſchaft vorne auf demſelben mit dem geladenen Gewehre in der Hand zu ſeinem Schutze bereit, und wehrte zugleich den umkreiſenden Kanots, ſich nicht ungebuͤhr - lich zu naͤhern.

Noch gefaͤhrlicher waͤre es geweſen, die Nacht uͤber an dem nemlichen Orte liegen zu bleiben, wo man ſich am Abend befunden hatte. Vielmehr mußte man die Ankerſtelle ſorgfaͤltig veraͤndern, um jede Vermuthung der verraͤtheriſchen Schwarzen, die unauf - hoͤrlich auf Ueberfall ſannen, zu taͤuſchen. Eben ſo ſehr gebot es die Klugheit, keiner ihrer noch ſo freundlichen Einladungen zu14 trauen, und am wenigſten, ſich in die Muͤn - dung ihrer Fluͤſſe zu wagen.

Die maͤnnlichen Sklaven, die man auf dieſen Fahrten erhandelte, wurden ſofort un - ter das Verdeck gebracht, weil ſie ſonſt nur zuleicht Gelegenheit gefunden haben wuͤrden, uͤber Bord zu ſpringen. Jm Raume aber legte man ihnen eiſerne Buͤgel um die Fuͤße, die mit Ringen verſehen waren; und dieſe ſtreifte man hinwiederum uͤber eine lange, mit beiden Enden unten im Vorder - und Hintertheile des Bootes befeſtigte Kette, ſo daß ſie wenigſtens einige Schritte hin und wieder gehen konnten. Glimpflicher verfuhr man mit den Weibern, deren Zutrauen man ſich auf eine leichtere Weiſe verſicherte.

Noch hatte wenigſtens Eines dieſer Fahr - zeuge die Nebenbeſtimmung, den aus Europa mitgebrachten Briefſack ſchneller, als ſonſt haͤtte geſchehen koͤnnen, nach dem hollaͤndi - ſchen Haupt-Fort St. George de la Mina zu foͤrdern. Denn da die ankommende Schiffe ihr Handelsgeſchaͤft gewoͤhnlich bei Sierra Leona anfingen, welches gegen 200 Meilen weſtlicher liegt, und laͤngs der Kuͤſte nur ge - machſam fortkreuzten, ſo wuͤrde es oft 6 bis 8 Monate gewaͤhrt haben, bevor ſie ſelbſt jenen Platz erreichten. Dieſer Unbequemlich - keit zu begegnen, waren demnach die Schiffer angewieſen, mit den Regierungs-Depeſchen15 auch die anderweitige Correſpondenz ohne Aufhalt nach der gedachten Niederlaſſung ab - zuliefern.

Dieſen Auftrag erhielt auch ich, ſobald wir in den erſten Tagen des Jahrs 1772 auf der Kuͤſte von Guinea angelangt waren. Zu dem Ende ward die Barkaſſe mit 10 Mann unter meinen Befehlen ausgeruͤſtet und mit Proviſionen aller Art, beſonders aber ſolchen, beladen, welche in dieſem heiſſen Klima einem ſchnellen Verderb ausgeſetzt ſeyn konnten. Das Brieffelleiſen ward nicht ver - geſſen; und ſo ſteuerte ich, nachdem ich auch die Vorraͤthe fuͤr meinen eigenen kleinen Handel eingenommen hatte, bereits am vier - ten Tage nach unſrer Ankunft, dem Schiffe vorangehend, gegen Oſten.

Bei dieſer Kuͤſtenfahrt fuͤhrte mich mein Weg zunaͤchſt nach dem hollaͤndiſchen Fort Axim, wo ich ein Pack Briefe, europaͤiſche Zeitun - gen und andre Kleinigkeiten abzugeben hatte. Jch fand den dortigen Befehlshaber, einen gebohrnen Hanoveraner, Namens Feneckol, ſehr begierig nach Neuigkeiten aus dem ge - meinſchaftlichen Vaterlande, ſo wie ihm hin - wiederum die Nachricht, daß ich ein Preuſſe ſey, Gelegenheit gab, mich aufmerkſam dar - auf zu machen, daß Fort Axim fruͤherhin eine Beſitzung unſers großen Churfuͤrſten geweſen, die erſt im Jahre 1718 durch16 Kauf an Holland uͤbergegangen. Er zeigte mir auch die daruͤber verhandelten Acten, ſo wie ſechs alte brandenburgiſche Kanonen, die noch auf einer Batterie aufgepflanzt ſtanden. Hab ich anders ſeine Erzaͤhlung recht behalten, ſo hatt es hiemit folgende Be - wandtniß.

Urſpruͤnglich gehoͤrte Axim den Spaniern zu. Als aber der Churfuͤrſt Friedrich Wil - helm, welcher dieſer Macht in ihren Kriegen gegen Frankreich Huͤlfstruppen in den Nie - derlanden geſtellt, die bedungenen Subſidien, trotz aller guͤtlichen Unterhandlung, nicht er - halten koͤnnen, habe er in Hamburg eine kleine Flotte ausruͤſten laſſen, 500 Mann darauf eingeſchifft, auſſer andern genommenen Repreſſalien, auch Axim angreifen und in Beſitz nehmen laſſen und ſich dort neun Jahre lang behauptet. Waͤhrend dieſer Zeit, wo der brandenburgiſche Gouverneur auch noch das Meile oͤſtlicher gelegene Fort Frie - drichsburg gegruͤndet, ſey von Hamburg und Emden aus ein lebhafter Handel dorthin ge - trieben worden, bis dieſe Befeſtigungen die Unzufriedenheit der benachbarten Negerſtaͤmme aufgeregt und dieſe die Beſatzungen beider Plaͤtze, welche nicht genugſam auf ihrer Hut geweſen, uͤberrumpelt und niedergemacht haͤtten.

Jn dieſem ungluͤcklichen Ereigniß lautete die fernere Erzaͤhlung ſey es dem dama -ligen17ligen Gouverneur zwar gegluͤckt, ſich mit ei - nigen wenigen Gefaͤhrten in das Pulver-Ma - gazin zu fluͤchten: doch habe er’s vorgezogen, ſich mit demſelben freiwillig in die Luft zu ſprengen, als unter den Haͤnden der Neger einen martervollen Tod zu dulden. Dieſe haͤtten darauf beide Forts ſpoliirt und dem Erdboden gleich gemacht. Solchergeſtalt haͤt - ten nun dieſe Plaͤtze gegen 30 Jahre lang in Schutt und Verwuͤſtung gelegen, bis Koͤnig Friedrich Wilhelm I. ſeine Anſpruͤche auf dieſe Beſitzungen an Holland gegen eine Summe von 200,000 Gulden uͤberlaſſen habe.

Zwei Tage nach meinem Abgange von Axim ſtieß ein Kanot mit vier Negern vom Lande ab und knuͤpfte einen kleinen Handel in Goldſtaub mit mir an. Von ihnen erfuhr ich, daß an dieſem nemlichen Morgen ein portugieſiſches Schiff an dieſer Kuͤſte gekreuzt und eine Rolle gepreßten braſilianiſchen Ta - back gegen zwei Unzen Gold an ſie vertauſcht habe. Dieſe Art Tabacks iſt in Rindsleder genaͤht, enthaͤlt einige und ſiebenzig Pfund und iſt eine, von den Schwarzen ſehr begie - rig geſuchte Waare. Das Preisverhaͤltniß aber wird ſich ergeben, wenn ich bemerke, daß die Unze Goldſtaub dort zu 42 holl. Gul - den berechnet zu werden pflegte.

Nichts haͤtte mir erwuͤnſchter ſeyn koͤn - nen, als von dieſem Schiffe fuͤr meinen eig -11. Bändchen. (2)18nen kleinen Verkehr einige Rollen dieſes Ta - backs gegen die bei mir habenden Kaufwaa - ren umzuſetzen. Jch erblickte auch ſeine Se - gel in einer Entfernung von etwa anderthalb Meilen vor mir und ſaͤumte alſo nicht, unter Aufziehung der hollaͤndiſchen Flagge, auf daſ - ſelbe zuzuſteuern. Je eifriger ich mich aber muͤhte, es zu erreichen, deſto mehr Segel ſetzte es auch Seinerſeits auf, um ſich von mir zu entfernen. Jch ſchoß zu mehreren Malen Einen von meinen Poͤllern unter dem Winde ab, um ihm mein Verlangen nach einer naͤhe - ren Gemeinſchaft zu erkennen zu geben: der Portugieſe hingegen manoevrirte unaufhoͤrlich, mir durch veraͤnderten Kurs aus dem Geſichte zu kommen. Es ſchien nicht anders, als ob er ſich vor mir fuͤrchtete, ohne daß ich gleichwohl begriff, was ein Schiff von dieſer Groͤße wohl von einem Fahrzeuge Meines - gleichen zu beſorgen haben koͤnne?

Jch ließ indeß nicht ab, Jagd auf daſſelbe zu machen, bis die Nacht einbrach und die Dunkelheit mir Einhalt gebot. Jndem ich aber meinen Weg laͤngs der Kuͤſte fortſetzte, hielt ich mich doch mehr ſeewaͤrts und unter vollen Segeln; und meine Hoffnung, dieſem verwunderlichen Gaſte dicht auf der Ferſe zu bleiben, trog mich auch ſowenig, daß gleich der erſte Morgenſtrahl mir ihn, kaum drei - viertel Meilen von mir, naͤher dem Lande zu19 und uͤber dem Winde, wieder zu Geſicht fuͤhrte. Zugleich erblickte ich, eine Meile von mir entfernt, das engliſche Fort Deſcowy, wo auch zwei engliſche Schiffe auf der Rheede vor Anker lagen.

Erpicht auf mein Vorhaben, mit dem Portugieſen zur Sprache zu kommen, ſteuerte ich von neuem auf ihn zu. Allein bevor ich ihn einholen konnte, war er ſchon in den Be - reich der Englaͤnder gekommen. Einer von ihnen that einen Schuß auf den Fluͤchtling, der nun zwar ſeine Flagge aufzog, aber zu - gleich auch bei ſeinem vorigen Kurs beharrte. Zwei darauf folgende Schuͤſſe blieben gleich - maͤßig ohne Wirkung. Nun aber lieſſen beide Englaͤnder ihre Ankertaue fahren, ver - legten dem Portugieſen den Weg und nahmen ihn hart zwiſchen ſich in die Mitte; worauf ſie von neuem vor Anker giengen.

Von dieſem ganzen Vorgange war ich in faſt unmittelbarer Naͤhe Zeuge geweſen, und begriff je laͤnger je weniger, wie ich mir den - ſelben erklaͤren ſollte. Da ich indeß wußte, daß England und Holland in vollkommen fried - lichem Vernehmen ſtanden, ſo uͤberwog bei mir die Neugier jede anderweitige Ruͤckſicht. Jch legte mich zuverſichtlich neben das eine engliſche Schiff und ſtieg ſogar an Bord des Portugieſen hinuͤber, wo mir ſofort eine Scene des hoͤchſten Wirrwarrs in die Augen20 fiel. Die Englaͤnder hatten das Verdeck des angehaltenen Schiffes erfuͤllt, die Lucken deſ - ſelben geoͤffnet, und waren im Begriff, eine bedeutende Parthie Tabacks-Rollen auf das Verdeck empor zu werfen. Der portugieſi - ſche Kapitain knirſchte mit den Zaͤhnen und ſchoß wuͤthende Blicke auf mich; ſeine engli - ſchen Herren Collegen aber, obwohl ſie mir etwas glimpflicher begegneten, waren doch mit dem guten Rathe fertig, mich augen - blicklich davonzupacken.

Je mehr ich ſah und hoͤrte, je wunderſa - mer und verdaͤchtiger erſchien mir der ganze Handel. Jch hatte nur die Wahl, entweder zu glauben, daß es zwiſchen der engliſchen und portugieſiſchen Regierung zu einem ploͤtz - lichen Bruche gekommen, oder daß es die Abſicht der Englaͤnder ſey, ihre Uebermacht hier zu einer gewaltſamen Beraubung zu mißbrauchen. Beides aber ließ es noch im - mer unerklaͤrt, warum der Portugieſe auch mir Ohnmaͤchtigen ſo geflieſſentlich ausge - wichen ſey. Erſt ſpaͤterhin, als ich zu St. George de la Mina angelangt war, ſollte ich den eigentlichen Zuſammenhang dieſes Raͤth - ſels erfahren.

Dieſe Ankunft erfolgte zwei Tage ſpaͤter, nach jenem Vorfall; wo ich denn ſofort mei - nem Auftrage durch Ueberlieferung des Brief - Felleiſens und der dazu gehoͤrigen Schluͤſſel21 an den Gouverneur genuͤgte. Es ward von dieſem in meiner Gegenwart geoͤffnet, und zugleich entſpann ſich zwiſchen uns eine ver - trauliche Unterhaltung, worinn ich mit dem Ehrenmanne um ſo weniger ſonderliche Um - ſtaͤnde machte, als ſein Aufzug in einem lin - nenen Schlafrock und einer ſchmierigen Schlaf - muͤtze eben nicht geeignet war, einen großen Reſpect einzufloͤßen; ſo wie er mir denn uͤberhaupt als eine gute grundehrliche Haut, und was man einen alten deutſchen Degen. knopf nennt, erſchien. Auch er ſelbſt ſchien das Cerimoniell wenig zu lieben, und lud mich gutmuͤthig ein, ihm die Briefe ſortiren zu helfen, da deren verſchiedene nach den an - dern hollaͤndiſchen Forts auf der Kuͤſte abzu - ſchicken waren.

Bei dieſem Geſchaͤft geriethen wir noch tiefer in’s Plaudern, und ich erzaͤhlte ihm, was ſich mit dem portugieſiſchen Schiffe be - geben und wovon ich an deſſen Borde Au - genzeuge geweſen. Ploͤtzlich gerieth mein Mann in Feuer und ward ganz ein Andrer, als er kaum ein paar Minuten zuvor gewe - ſen. Das iſt ein ernſthafter Caſus ; ſagte er mit Gravitaͤt und dem muͤſſen wir auf den Grund kommen! Zugleich noͤthigte er mich, in ein anſtoßendes Zimmer zu treten und dort den ganzen Vorfall, mit all ſeinen beſondern Umſtaͤnden, zu Papier22 zu bringen. Nachdem dies geſchehen war, eroͤffnete er mir ſeinen Entſchluß, gleich des naͤchſten Morgens den hohen Rath zu ver - ſammeln, und gab mir auf, zuſammt meinem Schiffsvolk vor demſelben zu erſcheinen, damit wir unſre Ausſage eidlich bekraͤftigten, er aber ſeine ferneren Maaßregeln darnach naͤhme.

Dieſer Vorladung gemaͤß erſchien ich am andern Tage mit den Meinigen, und ward ſofort auch in den Rathsſaal eingefuͤhrt, uͤber deſſen hier kaum erwartete Pracht ich nicht wenig erſtaunte. Alles glaͤnzte von Gold, und Tiſch und Stuͤhle waren mit violettem Sammet uͤberzogen, mit goldenen Treſſen beſetzt und mit dergleichen Franzen reich umhangen. Mein guter Freund von geſtern, der Gouverneur Peter Wortmann, ſtrahlte mir vor allen Andern in ſeiner Herr - lichkeit entgegen. Er ſaß, als Praͤſident der Verſammlung, an dem Seſſions-Tiſche in ei - ner gewaltigen hollaͤndiſchen Rathsherrn-Pe - ruͤcke, (Ein wunderlicher Staat in dieſem Klima!) und ſteckte uͤberdem in einer hollaͤn - diſchen goldgeſtickten Garde-Uniform, die uͤber - dem noch von Treſſen ſtarrte. Auf eine aͤhn - liche Weiſe, nur etwas minder herausgeputzt, ſaßen der Fiskal, die Rathsherrn und die Aſſiſtenten um ihn her, und machten die Feierlichkeit vollkommen.

Dennoch war der, mir und meinen Leu -23 ten hier abgenommene Eid und die wieder - holte Ausſage uͤber den Vorgang mit dem portugieſiſchen Schiffe nur eine Cerimonie, und das, was geſchehen ſollte, ſchon waͤhrend der Nacht voͤllig vorbereitet. Es ſtanden nemlich bereits zwei Kanots fertig, in deren Jedes 25 Soldaten und 20 Ruderer einge - ſchifft wurden, und die unmittelbar darauf, hinten und vorn mit der hollaͤndiſchen Flagge geſchmuͤckt, unter Trommel - und Trompeten - Klang in See ſtachen, um das angefochtene portugieſiſche Schiff aufzuſuchen und nach St. George de la Mina zu bringen. Nichts ſetzte mich hierbei mehr in Erſtaunen, als dieſe Kanots, welche bei einer Laͤnge, die uͤber 50 Fuß hinausreichte, und bei einer Breite von 6 bis Fuß, aus einem einzigen Bau - me, wiewohl von weichem und leichtem Holze, gehauen waren. Man ſagte mir, daß dieſe Rieſenbaͤume mehrere Meilen landeinwaͤrts angetroffen wuͤrden, wohin Unſer Einer frei - lich nicht zu kommen pflegt.

Mit dem ausgezogenen Staatsrocke war der Gouverneur auch wieder, wie zuvor, mein Freund und Goͤnner geworden und be - hielt mich unausgeſetzt in ſeiner Naͤhe. Von ihm erhielt ich nun aber auch naͤhern Auf - ſchluß uͤber alle jene Dinge, die mir bisher ſo wunderſeltſam vorgekommen waren. Er erzaͤhlte mir, daß das Fort St. Georg und24 die andern davon abhaͤngigen Beſitzungen ur - ſpruͤnglich unter portugieſiſcher Hoheit geſtan - den, von den Hollaͤndern aber, in ihrem er - ſten großen Freiheitskriege, den Spaniern, welche damals auch Portugal ſich einverleibt hatten, abgewonnen worden. Jm endlich er - folgten Frieden waͤren ſie auch in den Haͤn - den der jungen Republik verblieben, und zwar noch mit der demuͤthigenden Einſchraͤn - kung, daß forthin kein ſpaniſches oder por - tugieſiſches Schiff an der Kuͤſte von Guinea Handel treiben ſolle, bevor es nicht vor St. George angelegt und zehn Procent von ſeiner geſammten Ladung fuͤr die Erlaubniß eines freien Verkehrs entrichtet haͤtte. Bei der ge - ringſten Hintanſetzung dieſer Verpflichtung ſollte jedesmal Schiff und Ladung verfallen ſeyn; und auf dieſen Vertrag wuͤrde auch immerfort noch um ſo ſtrenger gehalten, da England und Frankreich ihn ſpaͤterhin be - ſtaͤtigt haͤtten.

So begriff ich den̄ nun, worinn der por - tugieſiſche Kapitain, dem ich begegnet war, ſich ſtrafbar gemacht, und warum er gegen mich ein ſo boͤſes Gewiſſen verrathen hatte; wie aber auch jene beiden Englaͤnder garſtig anlaufen duͤrften, falls er ihnen erweiſen koͤnnte, daß ſie auf eine raͤuberiſche Weiſe zu ihm an Bord gekommen und ihn zum Handel gezwungen haͤtten. Und dieſe Ausflucht zu25 benutzen, ſetzte der Gouverneur hinzu wird er auch ſicherlich nicht unterlaſſen; wie vollkommen ich auch uͤberzeugt bin, daß er von Herzen gerne mit den beiden engliſchen Schiffen ein Geſchaͤft gemacht haben wuͤrde, wenn es unter der Hand haͤtte geſchehen koͤn - nen und Jhr nicht, als ein ungelegener Dritter, daruͤber zugekommen waͤret.

Weiter belehrte er mich, was mir eigent - lich bei dieſer Gelegenheit zu thun obgelegen haͤtte, wenn ich mit den Geſetzen und Rech - ten meiner Nation in dieſer Weltgegend be - kannter geweſen waͤre. Jch mußte nemlich meine hollaͤndiſche Flagge an dem Schiffe des Portugieſen befeſtigen, oder auch nur ſie uͤber die geoͤffnete Schiffslucke decken, um da - durch Schiff und Ladung unter ihren Schutz zu ſetzen. Haͤtten dann die Englaͤnder es gewagt, auch nur irgend etwas mit der Spitze ihres Fingers anzuruͤhren, ſo waͤren ſie, als offenbare Seeraͤuber, in die ſchwerſte Verantwortung gerathen; mir aber haͤtte dann, nach unſern Geſetzen, eine Belohnung von hundert Dukaten gebuͤhrt. Von alle Dieſem aber war mir, wie ich’s nun zu ſpaͤt bedauerte, kein Jota bewußt geweſen.

Zwei Tage nachher kam die ausgeſchickte Expedition mit dem ertappten Portugieſen gluͤcklich auf der Rheede an. Zufall oder Neugierde fuͤhrten mich dem Kapitain bei26 ſeiner Landung in den Weg; und die grim - migen Blicke, die er auf mich ſchoß, lieſſen mich nicht zweifelhaft, daß er mich fuͤr ſei - nen Angeber erkannte, deſſen Ausſagen ihn ohne Zweifel in’s Verderben ſtuͤrzen wuͤrden. Jndeſſen mußte ihn doch gleich ſein erſtes Verhoͤr eines Beſſern belehrt und er gefun - den haben, daß im Gegentheil meine abgege - bene Erklaͤrung zu ſeinem Vortheil lautete: denn er ließ mich am andern Tage zu ſich bitten, fiel mir dankbar um den Hals, wußte nicht, was er mir zu Liebe thun ſollte, und noͤthigte mich, eine Rolle Taback, ſammt 20 Pfund Zucker, zum Geſchenk von ihm an - zunehmen.

Obwohl nun mein Geſchaͤft an dieſem Platze beendigt war, ſo hielt mich doch Herr Peter Wortmann von Einem Tage zum An - dern bei ſich auf; ſey es, daß er irgend ein abſonderliches Wohlgefallen an mir gefunden, oder daß ſonſt Neugier und Langeweile ihn plagten: denn des Fragens, ſowohl nach meinen perſoͤnlichen Umſtaͤnden, als uͤberhaupt nach Neuigkeiten aus Europa, wollte kein Ende werden. Das war freilich auch eben ſo erklaͤrbar, als verzeihlich. Die Anſiedler in dieſen afrikaniſchen Niederlaſſungen leben ſo abgeſchieden von der ganzen uͤbrigen Welt, daß ſie nur in langen Zwiſchenraͤumen er - fahren, was ſich daheim und andrer Orten27 begeben hat. Oft bringt ihnen ein Schiff einen ganzen Jahrgang alter Zeitungen auf einmal, die zwar den vollen Reiz der Neu - heit fuͤr ſie haben, aber ihrer Wißbegier den - noch nicht in dem Maaße genuͤgen, daß ihnen nicht auch noch manche muͤndliche Erlaͤute - rung zu wuͤnſchen uͤbrig bliebe. Hiezu koͤmmt, daß ein großer Theil der hier Angeſtellten aus deutſchen Landsleuten beſteht, die inſon - derheit auch von ihrem lieben Vaterlande hoͤren wollen und darinn kaum zu erſaͤttigen ſind.

Jn dieſem Falle war nun auch der Gou - verneur, der ſich auf’s Ausfragen verſtand, wie irgend Einer; dagegen aber auch ebenſo - wenig mit Mittheilungen aus ſeiner eigenen Lebensgeſchichte gegen mich zuruͤckhielt. Er war aus Gruͤningen gebuͤrtig, hatte daſelbſt das Metzger-Handwerk erlernt und ein Weib genommen, deſſen Untreue aber ihn endlich zu dem raſchen Entſchluſſe gebracht, ſie zu verlaſſen und in alle Welt zu gehen. So war er nach Holland gerathen, als gemeiner Soldat nach der Kuͤſte von Guinea gegangen, hier allmaͤhlig zu hoͤhern Militair-Graden emporgeſtiegen und endlich nicht nur Befehls - haber im Fort St. George de la Mina, ſon - dern auch uͤber alle hollaͤndiſche Beſitzungen in dieſer Weltgegend geworden. Sein Titel28 lautete nemlich als General-Gouverneur uͤber die Weſtkuͤſte von Afrika.

Endlich mußt ich mich doch von dieſem wackern Manne trennen, der noch einen be - deutenden Einfluß auf meine Lebenslage ge - winnen ſollte. Er gab mir ein beſonderes Belobungsſchreiben an meinen Kapitain mit, worinn der Wunſch ausgedruͤckt war, daß derſelbe fuͤr den Fall, daß neue Communica - tionen mit dem Haupt-Forte und der Regie - rung nothwendig wuͤrden, keinem Andern, als mir, den Auftrag dazu geben moͤchte. Jch hatte indeß den noͤthigen Ballaſt eingenom - men, und machte mich auf den Ruͤckweg nach Weſten, um mein Schiff wieder aufzuſuchen. Die Reiſe war ohne beſondern Zufall: doch kann ich nicht umhin, hierbei ein es ſeltſamen Fundes zu erwaͤhnen, der vielleicht auch die Aufmerkſamkeit der Leſer verdient.

Wir befanden uns in See, etwa vier Meilen vom Lande; und nicht nur war der Wind, wie ausgeſtorben, ſondern auch das Meer (wie es hier nichts Seltenes iſt) bot rings umher eine glatte Flaͤche dar, in welcher ſich die Sonne ſpiegelte. Zugleich ſahen wir, in weiter Ferne ſeewaͤrts, von Zeit zu Zeit etwas aus dem Waſſer glaͤnzend auftauchen, was mir Anfangs etwa ein todter Fiſch daͤuchtete, deſſen ſilberweiſſen Bauch die Sonne beſchiene. Endlich ließ ich, von Reugier ge -29 trieben, darauf zurudern; und da fand ſich’s denn, daß eine viereckige Bouteille aus einem Flaſchenfutter, den Hals nach oben gekehrt und mit einem Korkſtoͤpſel verſehen, im Meere ſchwamm. Rings um hatte ſich ein runder Haufen Seegras um dieſelbe, in einem Durch - ſchnitte von 10 bis 12 Fuß, angeſetzt. Jch ergriff die Flaſche, mich weit uͤber Bord leh - nend, an der Muͤndung, war aber nicht im Stande, ſie von dem Kraͤutergeflechte zu trennen, welches an dieſelbe feſt angewachſen war. Es bedurfte daher meines Meſſers, womit ich all dieſe fremdartigen Anhaͤngſel kappte und ſolchergeſtalt, wiewohl nicht ohne Anſtrengung und Beſchwerde, mich meiner Beute bemaͤchtigte.

Bei genauerer Beſichtigung befand ſich nun, daß dieſe Flaſche etwa zu einem Drit - tel (und daher ihre aufrechte Stellung) mit in Brandtwein eingemachten, aber freilich ſchon verdorbenen Kirſchen angefuͤllt und ver - muthlich auch, als unbrauchbar, uͤber Bord geworfen war. Allein was ſie eigentlich in meinen Augen merkwuͤrdig machte, war die Entdeckung, daß ſich auſſen umher uͤberall Schulpen und andre Muſcheln feſt angeſetzt hatten, die hinwiederum den Seegewaͤchſen zu einem Befeſtigungs-Punkte gedient, um Wurzeln darinn zu ſchlagen und allmaͤhlig zu einem dichten Klumpen von ſo anſehnlichem30 Umfange heran zu wachſen. Wie lange mußte indeß dies Glas nicht bereits in den Wogen umhergetrieben ſeyn, bevor die Natur nach und nach alle dieſe Erſcheinungen an demſel - ben hervorbringen konnte! Es haͤtte verdient, mit all dieſen Anhaͤngſeln von Muſcheln und Tang in einem Naturalien-Kabinette aufbe - wahrt zu werden; und darum reut mich jetzt um ſo mehr meine Unachtſamkeit, die dieſe Seltenheit, nachdem ich ſie noch einige Zeit aufgehoben, endlich doch dem zufaͤlligen Schick - ſal des Zerbrechens preißgab.

Meinen Kapitain mit dem Schiffe fand ich noch bei Cap Meſurado, nachdem ich laͤnger, als vier Wochen, abweſend ge - weſen. Bevor ich jedoch zu einer neuen Handelsfahrt abgehen konnte, ward es fuͤr noͤthig befunden, neue Vorraͤthe von Waſſer einzunehmen, und dieſes Geſchaͤft mir zur Ausrichtung uͤbertragen. Bei dem gegenſei - tigen Mißtrauen aber, welches zwiſchen den europaͤiſchen Schiffen und den Eingebohrnen herrſcht und tief in der Natur des hier be - triebenen Handels liegt, iſt ein ſolcher Auf - trag ebenſowohl mit Beſchwerde, als mit Gefahr verknuͤpft, und erfordert die genaueſte Vorſicht, um nicht von den treuloſen Afri - kanern uͤberwaͤltigt, ausgepluͤndert und er - mordet zu werden.

31

Das Waſſer, deſſen man bedarf, muß jedesmal von ihnen am Lande erhandelt wer - den. Man verſieht ſich hiezu an Bord mit allerlei kleinem Kram, an Spiegeln, Korallen, Meſſern, Fiſchangeln, Naͤhnadeln, Zwirn und dergl., und erwartet, dicht am Seeſtrande, wohlbewaffnet, daß zufaͤllige Zuſammentreffen mit den Eingebohrnen, um mit ihnen den Preis fuͤr jedes Faß Waſſer, welches man eben holt, oder auch kuͤnftig zu holen gedenkt, zu verabreden. Das hiezu beſtimmte Boot bleibt jedesmal bis 120 Klaſter weit vom Lande vor Anker liegen. Die ledigen Waſ - ſertonnen werden uͤber Bord geworfen, und die Neger ſtuͤrzen ſich in die Brandung, um ſie ſchwimmend an Land zu bringen, und nach ihren Brunnen und Waſſerſtellen hin - aufzurollen. Sind ſie hier angefuͤllt und verſtopft, ſo werden ſie wieder an den Strand zuruͤckgewaͤlzt, von zwei ſchwimmenden Negern in die Mitte genommen und an das Boot gebracht, wo ihnen dann die dafuͤr bedun - genen Waaren aus geliefert werden.

Als ich in ſolcher Expedition zum Erſten - male das Ufer betrat, ſtanden bereits 12 oder 14 Schwarze unſers Empfangs gewaͤrtig; und waͤhrend ich, mit etwa 10 meiner Be - gleiter vollend’s in’s Trockne watete, kam uns auch ihr Anfuͤhrer entgegen, bot mir32 die Hand, ſchnitt eine Menge wunderlicher Capriolen, und gab ſich mir endlich mit den Worten Amo King Sorgo (Jch bin der Koͤnig George) zu erkennen. Daß er aber auch fuͤr irgend etwas Beſonderes angeſehen ſeyn wollte, gab ſchon ſein ganzer Aufzug zu erkennen. Er war nemlich mit einer alten zerriſſenen linnenen Pumphoſe und einer weiſſen Kattun-Weſte ohne Ermel bekleidet; ſein noch groͤßerer Schmuck aber beſtand in einer rothen und weiſſen Schminke, womit er ſich Geſicht und Haͤnde, vorzugsweiſe vor all ſeinen Gefaͤhrten, ſcheußlich bemahlt hatte. Mit dieſem Narren nun und ſeinen Unter - thanen wurden wir des Preiſes fuͤr das Waſſerfuͤllen einig und hielten uns auch des naͤchſten Tages wacker zu unſrer Arbeit.

Bei dieſer Gelegenheit nahm ich am Strande eine Menge von Feldſteinen wahr, deren wir, als Ballaſt, fuͤr Boot und Scha - luppe vielfach benoͤthigt waren. Jch ſchloß demnach mit den Negern einen neuen Handel uͤber eine Bootsladung ſolcher Steine ab, worinn zugleich die Groͤße derſelben dahin beſtimmt wurde, daß ein Menſch ſie allenfalls tragen und damit handthieren koͤnnte. Sie ſuchten Jhrerſeits ſich den Tranſport zu er - leichtern, indem ſie ein Kanot dicht auf den Strand zogen und es fuͤllten, ſoviel es bequemtragen33tragen konnte. Dann traten je vier von ihnen an jede Seite des Fahrzeugs, warte - ten eine niedrigere Welle ab, und ſchoben es dann ſchnell in die See, waͤhrend Einer be - hende hinein huͤpfte, um es vollends an unſer Boot zu geleiten und in daſſelbe auszuladen.

So geſchah es indeß, daß einſt auf dieſer Ueberfahrt eine Woge, ſtuͤrmiſcher, als die uͤbrigen, uͤber das Kanot herſtuͤrzte und es augenblicklich verſenkte. Sofort ſprangen die am Ufer zuruͤckgebliebenen hinzu, ſchwam - men nach der Stelle, wo ſich der Unfall er - eignet hatte, blaͤueten den ungeſchickten Faͤhr - mann, zu unſrer großen Beluſtigung, wacker durch, aber erregten auch ebenſoſehr unſer Erſtaunen, als ſie hierauf, Einer nach dem Andern, in eine Tiefe von wenigſtens 12 bis 14 Fuß untertauchten und, nach kurzem Ver - zuge, Jeder mit einem verſunkenen Steine, von beinahe Centners-Schwere, auf die Schul - ter geladen und mit der Hand im Gleichge - wicht gehalten, wieder emporkamen. Noch mehr! Mit dieſer nemlichen Laſt ſchwammen ſie, wenn gleich mit ſichtbarer Anſtrengung und blaſendem Athem, noch 40 bis 50 Klaf - ter weiter an unſer Boot, um ihren ſauer gewordenen Fund an uns abzuliefern.

Noch oft und viel bin ich Zeuge von der ungeheuren Koͤrperkraft der Neger, ſo wie von ihrer ausgezeichneten Behendigkeit und11. Bändchen. (3)34Ausdauer im Schwimmen geweſen. Wenn ſie mit ihren Kanots dicht an der Einen Seite des Schiffes lagen, und Jemand ſich eine Luſt mit ihnen machen wollte, ſo durft er ihnen nur eine thoͤnerne Tabackspfeife zei - gen und ſie uͤber den entgegengeſetzten Bord in’s Meer werfen. Alſogleich auch ſtuͤrzte ſich dann eine Anzahl aus dem Kanot nach in die Fluth; tauchte, unter dem Schiffe weg, in den Grund, und ſicherlich kam irgend Einer, mit der unbeſchaͤdigten Pfeife in der Hand, wieder zum Vorſchein, wenn gleich das Meer auf einer ſolchen Stelle eine Tiefe von 25 bis 35 Klaftern hatte.

Nicht minder habe ich geſehen, wie Kinder von etwa fuͤnf Jahren keck und wohl - gemuth ſich im Waſſer tummelten und durch - einander ſchwammen; ja ſogar wie einſt ein Neger (wahrſcheinlich war es der Vater des Kindes) einen ſolchen vier - oder fuͤnfjaͤhrigen Burſchen bei beiden Beinen ergriff und ihn, ſoweit er mit aller Kraft vermochte, in die See ſchleuderte. Das Kind kam nach wenig Augenblicken wieder an Land geſchwommen; und ſeine frohe Miene bewies, wie geringe der Eindruck geweſen, den dieſe rohe Be - handlung auf daſſelbe gemacht hatte.

Noch waren wir mit unſern Stein - und Waſſer-Tranſporten beſchaͤftigt, als ich eines Morgens bei guter Zeit mit dem Boote,35 ohnweit des Strandes, zu Anker kam. Hier war indeß noch kein Neger ſichtbar, um uns bei unſern Faͤſſern Handreichung zu thun. Denn da in dieſer Weltgegend die Naͤchte ſtets zwoͤlf Stunden waͤhren, ſo kuͤhlt ſich binnen dieſer Zeit die Temperatur ſehr merk - lich ab und es weht bis 8 oder 9 Uhr Morgens eine ziemlich friſche Luft, die den voͤllig nacket einhergehenden Negern ſo em - pfindlich faͤllt, daß ſie ſich nicht gerne fruͤ - her aus ihren Huͤtten hervormachen. Jhre Erſcheinung mußte alſo mit Geduld erwar - tet werden.

Gerade dies Warten aber gab uns in unſerm Boote eine Langeweile, die je laͤnger, je druͤckender fuͤr uns wurde. Unter meinen Gefaͤhrten befand ſich ein engliſcher Matroſe, der ſich bereit erklaͤrte, an Land zu ſchwim - men und die ſaͤumigen Neger herbeizuholen. Haͤtte ich auch nicht andre Gruͤnde gehabt, ihm meine Zuſtimmung zu verſagen, ſo wuͤrde mich doch ſchon die Furcht, daß ein Hayfiſch ihn packen koͤnnte, dazu bewogen haben. Jn - zwiſchen gab es vergeblichen Harrens immer mehr; unſer Mißmuth ſtieg, und der Eng - laͤnder erbot ſich zu wiederholten Malen, das, wie er vermeynte, ganz unbedenkliche Aben - theuer zu beſtehen. Mein Kopfſchuͤtteln daͤmpfte indeß ſeine Begierde nicht, bis ich endlich, mehr ermuͤdet von ſeinem ſtetem Andringen,36 als es billigend, und zugleich hoffend, daß ja nicht augenblicklich ein ſolches Unge - thuͤm in der Naͤhe lauern werde, ihm nach - ließ, zu thun, was er nicht laſſen koͤnnte.

Alſobald warf der Menſch, frohen Mu - thes, ſeine Hemde von ſich, ſprang uͤber Bord und ſteuerte ſchwimmend dem Lande zu. Allein kaum hatt er ſich zwei Klafter weit vom Boot entfernt, ſo ſahen wir ihn auch bereits von einem ſolchen gefuͤrchteten Thiere umkreiſet, bis es ſich endlich, nach ſeiner Gewohnheit, auf den Ruͤcken warf, ſeine ungluͤckliche Beute ergriff und mit der - ſelben davonzog. Bald ragte der Kopf, bald Hand oder Fuß des armen Schwimmers uͤber die Wellen empor; endlich aber verſchwand er ganz aus unſerm Geſichte, die wir Zeugen dieſes graͤßlichen Schauſpiels hatten ſeyn muͤſſen, ohne helfen und retten zu koͤnnen. Daß es, als ich wieder an Bord kam, an einem tuͤchtigen, aber auch verdienten Ver - weiſe von meinem Kapitain nicht fehlte, kann man ſich wohl vorſtellen. Gott wird mir jedoch meine Suͤnde vergeben, da er am beſten weiß, daß ich dies Ungluͤck nicht aus Muthwillen, ſondern gaͤnzlich wider meinen Wunſch und Willen verſchuldet!

Merkwuͤrdig iſt gleichwohl die Verſiche - rung der Neger, die auch durch den Augen - ſchein beſtaͤtigt wird, daß Keiner Jhresglei -37 chen von der Gefraͤßigkeit dieſer Haye etwas zu fuͤrchten habe; ſo daß man wohl ſchlieſſen muß, die ſchwarze Farbe derſelben habe etwas, wodurch ſie abgehalten werden, jene anzufallen. Eine ſolche Gefahr wuͤrden dieſe Afrikaner inſonderheit in der Naͤhe der Schiffe laufen, welche zumahl wenn ihr Bord unter Waſſer allmaͤhlig mit Muſcheln uͤber - zogen und mit allerlei Seegras bewachſen iſt von jenen Fiſchen vorzuͤglich gerne auf - geſucht werden. Hier ſieht man ſie, wenn manchmal das Wetter ſtill und die See ruhig geworden, in ganzen dichten Heerden, wor - unter es Beſtien von 12 Fuß lang und dar - uͤber giebt, dieſe Fahrzeuge umſchwaͤrmen und das Geringſte, was oßbar ſcheint und zufaͤllig uͤber Bord geworfen wird, begierig und heißhungrig erſchnappen.

Wird ihr hartes und unſchmackhaftes Fleiſch gleich nicht gegeſſen, ſo macht man doch zu Zeiten zum Vergnuͤgen Jagd auf ſie; und dazu bedarf es kaum etwas mehr, als eines tuͤchtigen Hakens von irgend einem Kiſtengehaͤnge, den man an eine ſtarke Leine befeſtigt, an der Spitze aber mit einem Stuͤcke Speck oder dergl. koͤdert. Kaum hat er das Waſſer erreicht, ſo hat auch bereits ein Hay - fiſch wuͤthend angebiſſen, der dann emporge - zogen und auf dem Verdecke vollends getoͤd - tet wird. Grauſamer aber iſt der, gar nicht38 ſeltene Gebrauch, wo ihnen auf dem Ruͤcken ein Loch queer durch die ſtarke Haut geſtochen und dann ein Tau von drei oder vier Klaf - tern Laͤnge hindurch gezogen wird, an deſſen entgegengeſetztes Ende man ein Stuͤck Holz oder auch ein verſpuͤndetes ganzes oder hal - bes Ankerfaß befeſtigt, um ſie ſodann wieder lebendig in die See zu werfen. So ſieht man ſie dann wohl zwei, drei und mehr Ta - ge ſich unaufhoͤrlich auf den Wogen umher - waͤlzen, weil jenes leichte Anhaͤngſel ſie am Untertauchen hindert.

Noch lagen wir in dieſer Kuͤſtengegend vor Anker, als ſich auch ein hollaͤndiſches Skla - venſchiff bei uns einfand und gleichfalls dicht neben uns ankerte. Der Kapitain deſſelben rief uns zu, daß wir ihn doch mit unſrer Schaluppe zu uns heruͤber holen moͤchten. Kaum war dies geſchehen und er zu uns an Bord gekommen, als er uns die druͤckende Roth klagte, in welcher er ſich augenblicklich befaͤnde. Eilf Mann von ſeiner Beſatzung waͤ - ren ihm unterweges geſtorben; und noch ha - be er 14 Kranke liegen, ſo daß er kaum noch 5 geſunde Leute an die Arbeit ſtellen koͤnne. Auch habe er ſeither nicht mehr, als 18 Skla - ven eingehandelt, und wiſſe vor Sorge und Verlegenheit nicht, was er beginnen ſolle. Sein eigentlicher Wunſch aber war, daß wir ihm einige Koͤpfe von unſrer Mannſchaft39 uͤberlaſſen moͤchten. Hieran war jedoch von unſrer Seite ſo weniger zu denken, als ſelbſt kaum irgend Jemand von den Unſrigen ſich zu einem ſolchen Tauſche freiwillig verſtan - den haben wuͤrde. Der einzige Rath, den wir ihm geben konnten, war, daß er ſuchen moͤchte, St George de la Mina je eher je lieber zu erreichen, wo das Gouvernement verpflichtet ſeyn wuͤrde, ſich Seiner anzu - nehmen.

Waͤhrend ich ihn wieder nach ſeinem Schiffe zuruͤckbrachte, erzaͤhlte er mir noch umſtaͤndlicher, daß daſſelbe zu Middelburg in Seeland ausgeruͤſtet worden; er ſelbſt aber heiſſe Harder; ſey, gleich mir, ein Pommer und von Ruͤgenwalde gebuͤrtig. Nun that es mir doppelt leid um den armen Lands - mann, als ich an ſeinen Bord kam und uͤberall ein Elend und eine Unbereitſchaft wahrnahm, wie ſie mir noch niemals vorge - kommen war. Faſt mit Thraͤnen in den Augen trennten wir uns; und ſo wie ich mich von dem Schiffe entfernte, nahm ich auch wahr, daß es die Anker lichtete und unter Segel gieng. Doch mocht es kaum eine Viertelmeile Weges gemacht haben, ſo legte es ſich abermals, uns im Geſichte, vor Anker.

Mitten in der Nacht aber ſahen wir von dorther Gewehrfeuer aufblitzen und hoͤrten40 neben dem Schieſſen auch allerlei Laͤrm und Geraͤuſch, ohne zu wiſſen, was wir daraus machen ſollten. Endlich ward Alles wieder ſtill und ruhig: doch als der Tag anbrach, erblickten wir jenes Schiff auf den Strand geſetzt und von unzaͤhligen Negern um - ſchwaͤrmt; deren gleichwohl Keiner waͤhrend der zwei Tage, die wir hier noch liegen blie - ben, ſich vom Lande zu uns an Bord ge - traute; zur hinreichenden Beſtaͤtigung unſers Argwohns, daß ſie den wehrloſen Middelburger uͤberrumpelt, die Beſatzung nie - dergehauen und das Schiff hatten ſtranden laſſen, um ſeine Ladung deſto bequemer zu pluͤndern.

Wenn eine ſolche blutige Gewaltthat den Leſer mit Recht empoͤrt, ſo muß dagegen nothwendig in Anrechnung gebracht werden, daß dergleichen eigentlich doch nur als Noth - wehr oder Wiedervergeltung gegen nicht minder abſcheuliche Ueberfaͤlle angeſehen wer - den muͤſſen, welche ſich auch die Europaͤer gegen dieſe Schwarzen geſtatten. Beſonders ſind die Englaͤnder dafuͤr bekannt, daß ſich von Zeit zu Zeit in ihren Haͤfen einige Rot - ten von Boͤſewichtern, 15 bis 20 Mann ſtark, und aus verlaufenen Steuerleuten und Matroſen beſtehend, die bereits mit dem Gange des Sklavenhandels bekannt ſind, ver - einigen, die ein kleines Fahrzeug ausruͤſten,41 ſich mit Schießbedarf und Proviant, ſo wie mit einigen Waaren-Artikeln, wie ſie zu dieſem Handel gebraͤuchlich ſind, zum Scheine ver - ſehen, und ſo nach der Kuͤſte von Guinea ſteuern. Kommen hier nun die Neger an Bord eines ſolchen Korſaren, um ein fried - liches Verkehr anzuknuͤpfen: ſo fallen dieſe Raͤuber uͤber ſie her, legen ſie ſammt und ſonders in Ketten und Banden; und haben ſie der Ungluͤcklichen ſolchergeſtalt 30 bis 40 oder wie viele ſie bewachen koͤnnen, zuſam - mengerafft, ſo ſtechen ſie damit nach Suͤd - Amerika hinuͤber, um ſie an die Spanier oder Portugieſen loszuſchlagen. Dort ver - kaufen ſie auch ihr Fahrzeug und gehen nun einzeln, als Reiſende mit ihrem ungerechten Gewinn nach England zuruͤck, um vielleicht unmittelbar darauf ein neues Unternehmen dieſer Art zu wagen.

Es kann nicht fehlen, daß ſolche Raub - zuͤge dem regelmaͤßigen Handel an der afri - kaniſchen Kuͤſte, ſo wie dem gegenſeitigen Vertrauen, den empfindlichſten Nachtheil brin - gen. Beſonders verderblich aber waren ſie zu jener Zeit fuͤr das Verkehr, welches die Hollaͤnder vermittelſt ihrer Boͤoͤte betrieben, da die Neger dieſe von jenen engliſchen Raub - fahrzeugen nicht hinreichend zu unterſcheiden vermochten. Dieſe Erfahrung machte auch ich an meinem Theile, als ich, in der Mitte42 Februars, mit der Schaluppe unſers Schiffs, und begleitet von 13 Mann und mit 6 klei - nen Poͤllern wohlausgeruͤſtet, eine neue Kuͤſten - fahrt antrat. Kurz zuvor nemlich hatte ein ſolcher engliſcher Korſar in dieſer Gegend herumgekreuzt und mancherlei Unfug veruͤbt. Wo ich mich alſo irgend blicken ließ, ward ich von den Schwarzen mit Jenem verwech - ſelt; nirgend wollte ſich ein Einziger von ihnen zu mir an Bord getrauen. Kam ja hie und da ein Kanot zum Vorſchein, ſo hielt es ſich, voll Argwohns, in einer Ent - fernung von hundert und mehr Klaftern; die armen furchtſamen Schlucker glotzten mich an; fragten, ob ich ein Englaͤnder oder Hollaͤnder ſey, und verlangten, zum Wahr - zeichen des letztern, eine hollaͤndiſche Pfeife zu ſehen, als ob dieſe aus einem andern Thone gebacken waͤre. Oft auch ſollte ich ihnen eine Flaſche aus meinem Flaſchenfutter zeigen, weil ſie wußten, daß die engliſchen Handelsleuten dergleichen nicht zu fuͤhren pflegten.

Mit ſolcherlei kleinen Kuͤnſten und guten Worten gelang es mir endlich doch, drei Ne - ger, die in einem Kanot gekommen waren, zu bewegen, zu mir an Bord zu ſteigen. Sie hatten einen Elephanten-Zahn zu ver - handeln: aber in ihren ſcheuen Blicken ver - rieth ſich die Angſt und der Zweifel, ob ſie43 bei mir auch ſicher ſeyn wuͤrden. Nun wollte es der Zufall, daß ich einen etwas naͤrriſchen Matroſen im Boote hatte, der ſich den Spaß machte, Einen von unſern Gaͤſten um den Leib zu faſſen und ihn auf die ſchwarzen Lenden zu klatſchen. Allein dies Uebermaaß von guter Laune brachte einen ſo ploͤtzlichen und heftigen Schreck uͤber ſie Alle, daß ſie ſich kopfuͤber in ihr Kanot ſtuͤrzten und ei - ligſt davon machten, ohne ihres Elephanten - Zahns zu gedenken, den ſie in unſern Haͤn - den zuruͤcklieſſen. Jn einiger Entfernung hielten ſie indeß an, huben die Haͤnde in die Hoͤhe und baten um Auslieferung ihres Ei - genthums.

All mein Winken und guͤtliches Zureden zur Umkehr war vergeblich. Je ernſtlicher mein Unwille uͤber das ſo muthwillig geſtoͤrte gute Vernehmen war, deſto weniger bedachte ich mich, nach einem tuͤchtigen Endchen Tau zu greifen und den Friedensſtoͤrer im Ange - ſichte Jener nachdruͤcklich abzuſtrafen. Dieſe Gerechtigkeitspflege gab ihnen wenigſtens den Muth, ſich, obwohl mit Zittern und Zagen, ſoweit zu naͤhern, daß wir ihnen ihren Zahn in’s Kanot werfen konnten. Da ſie es aber immer noch weigerten, ſich uns naͤher anzu - vertrauen, ſo lieſſen wir ſie endlich in Frie - den ihres Weges nach dem Lande ziehen.

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Wenige Tage ſpaͤter befand ich mich vor der Muͤndung eines kleinen Fluſſes, genannt Rio de St. Paul, aus welchem zwei Neger in einem Kanot zu mir herankamen, um mir den Kauf von zwei Sklaven und einer Kackebobe*)Der dort uͤbliche Name einer jungen Sklavinn, die noch nicht Mutter geworden. anzubieten, die ſie daheim be - wahrten und wohlfeilen Preiſes loszuſchlagen gedaͤchten. Doch war die Bedingung, daß ich mit dem Boote zu ihnen in den Strom kommen muͤßte, weil ſie mit ihren Nachbarn am andern Ufer in offner Fehde begriffen waͤren, die ſie ſonſt mit ihrer Waare nicht ungehindert paſſiren laſſen moͤchten. Wie mißlich mir auch dieſer Antrag daͤuchte, ſo uͤberwog doch endlich die Betrachtung, daß ich bereits ſeit mehreren Tagen zu gar keinem Handel hatte kommen koͤnnen und daß hier ſchon einmal etwas gewagt ſeyn wolle. Nachdem ich alſo meine kleinen Poͤller geladen, die Gewehre zur Hand genommen und mich in gehoͤrige Verfaſſung geſetzt hatte, ruderte ich getroſt auf den Ausfluß zu, waͤh - rend die beiden Schwarzen bei mir im Fahr - zeuge verblieben.

Ein paar hundert Klafter mocht ich ſtrom - aufwaͤrts gekommen ſeyn, wo ich beide Ufer dicht mit Gebuͤſch verwachſen fand und der45 Fluß ſelbſt eine Kruͤmmung machte, als ich es, unter ſolchen Umſtaͤnden, doch fuͤr rathſam hielt, hier vor Anker zu gehen, wie ſehr meine neuen Begleiter auch in mich drangen, noch weiter hinauf bis an ihre Heimath zu fahren. Da ich dies aber beharrlich wei - gerte, giengen ſie in ihrem Kanot ab und kamen mir aus dem Geſichte. Jnzwiſchen vergieng wohl noch eine Stunde, die ich in immer geſpannterer Erwartung zubrachte, als ploͤtzlich ein Schuß fiel und gleich darauf ein gewaltiger Laͤrm ſich erhob. Hiedurch mit Recht beunruhigt, ließ ich augenblicklich das Bootsanker aus dem Grunde reiſſen, das Fahrzeug ſeewaͤrts umwenden, und begann das Weite zu ſuchen. Gleichzeitig ſtuͤrzte ſich auch Einer von jenen beiden Negern vom Ufer herwaͤrts in den Strom, ſchwamm zu uns an’s Boot und verlangte, aufgenommen zu werden, indem er immerfort ſchrie: Sie ſind da! Sie ſind da! und meinen Bruder haben ſie ſchon in ihrer Gewalt!

Kaum hatt ich indeß die Strommuͤndung erreicht und die Brandung hinter mir, ſo fuͤllte ſich auch das Seeufer mit einer großen Anzahl von ſchwarzen Verfolgern, die mir eine Menge von Kugeln und Pfeilen nach - ſchickten; jedoch ohne Jemand von uns zu treffen, wogegen aber unſre Segel verſchie - dene Schuͤſſe empfiengen. So kam ich alſo46 noch leidlich gut aus einem Abentheuer davon, das mir und Allen im Boote den elendeſten Tod haͤtte bringen koͤnnen, wenn ich nur noch eine einzige Minute gezoͤgert haͤtte, auf meinen Ruͤckweg zu denken. Was aber nun mit unſerm neuen Boots-Kameraden begin - nen? Waͤr es auch nach den hollaͤndi - ſchen Geſetzen nicht bei Lebensſtrafe verboten, oͤffentlichen oder heimlichen Menſchenraub zu begehen, ſo haͤtt ich mich doch nimmermehr entſchlieſſen koͤnnen, ſein Zutrauen ſo ſchaͤnd - lich zu mißbrauchen und mich fuͤr den ver - fehlten Handel an ſeine ſchwarze Haut zu hal - ten. Nachdem ich alſo noch etwa eine halbe Meile laͤngs dem Strande geſegelt war, gab ich ihm ſeinen Freipaß und ließ ihn wieder nach dem Lande ſchwimmen, wo der arme Teufel hoffentlich in Sicherheit gelangte.

Doch ehe ich ſelbſt noch ganz auſſerhalb des Bereichs unſrer Widerſacher kam, be - merkte ich mit Verwunderung, daß das Boot weder gehoͤrig ſteuern, noch ſo raſch von der Stelle wollte, als es nach Maaßgabe ſeiner Beſeglung geſollt haͤtte. Jn der Meinung, daß ſich irgend einiges Kraut oder Strauch - werk am Kiel verfangen und das Steuerru - der behindert habe, lehnte ich mich, ſoweit moͤglich, uͤber Bord, um die Seiten und den Boden des Fahrzeugs unterhalb Waſſers zu unterſuchen. Da fand ich denn, daß ſich47 Tauſende von Neunaugen an daſſelbe uͤberall feſtgeſogen hatten, die ſich ohne Zweifel in dem ſuͤßen Stromwaſſer befanden und mit unſern Feinden gemeinſchaftliche Sache ge - macht zu haben ſchienen, um uns dort zu - ruͤckzuhalten. Da indeß alles Losreiſſen mit den Haͤnden nicht genuͤgte, uns von dieſem Ungeziefer zu befreien, ſo zogen wir endlich einige Taue unter dem Boote durch, womit wir daſſelbe durch Hin - und Herziehen all - maͤhlig abſtreiften.

Waͤhrend ich nun mein Verkehr, bald mit mehr, bald mit weniger Gluͤck, an der Kuͤſte fortſetzte und mich dabei immer weiter vom Schiffe entfernte, begann mir allmaͤhlig das friſche Waſſer zu mangeln, ohne daß ich deſ - ſen am Lande wieder haͤtte habhaft werden koͤnnen. Es ſchien mir demnach Zeit, mich wieder nach dem Schiffe hinzuwenden; gleich - wohl aber fand ich, in der Zwiſchenzeit von 13 Tagen, ſammt meinen Gefaͤhrten und den paar erhandelten Negern, uͤberfluͤſſige Zeit, die ſteigenden Schreckniſſe eines unausloͤſch - lichen Durſtes unter dieſem gluͤhenden Himmel zu erproben. Wer es nicht ſelbſt erfahren hat, iſt durchaus unfaͤhig, ſich dies Elend in ſeiner ganzen Groͤße vorzuſtellen. Mit dem Mangel an friſchem Waſſer wurden uns auch unſre trock - nen Lebensvorraͤthe an Erbſen, Graupen u. ſ. w unbrauchbar: denn mit Seewaſſer48 gekocht, (wie wir es verſuchten) blieben ſie ſo hart und waren zugleich von ſo bitterm Ge - ſchmack, daß ſie ſtets wie das heftigſte Brech - mittel wirkten. Ebenſowenig konnten wir unſer Poͤkelfleiſch ungewaͤſſert kochen und verzehren, ohne unſern grauſamen Durſt noch zu ſteigern; und ſelbſt unſern trocknen Zwieback vermochten wir unaufgeweicht nicht durch den ausgedoͤrrten Hals zu wuͤrgen.

Jn dieſem Drangſal erinnerte ich mich, gehoͤrt zu haben, daß der ſparſame Genuß des Branntweins in ſolchen Faͤllen ein er - probtes Mittel zur Linderung des Durſtes darbiete. Allein die kleine Probe, die wir damit anſtellten, bekam uns gar uͤbel: denn die Hitze dieſes Getraͤnks trieb uns ſoviel Galle in den Magen, daß wir ſelbſt den Mund beſtaͤndig voll davon hatten und dar - uͤber zum Sterben erkrankten. Trotz meiner von jeher gleichſam eiſernen Natur, befand ich mich am elendeſten unter Allen, und lag bereits faſt regungslos auf dem Verdeck dar - nieder. Nur unſre Sklaven ſchienen im Gan - zen von dieſer Noth am wenigſten angefoch - ten zu werden.

Jn der That aber war es mit derſelben bei uns ſchier auf das Hoͤchſte geſtiegen, als wir in der Ferne ein Segel anſichtig wurden und um ſo freudiger darauf losſteuerten, da wir es bald fuͤr ein hollaͤndiſches erkannten. Wir49Wir klagten dem Kapitain unſer Elend und baten um Abhuͤlfe; erhielten aber den ſchlechten Troſt, daß es ihm ſelbſt an friſchem Waſſer fehle: doch wolle er unſerm drin - gendſten Beduͤrfniß abhelfen; und ſo ſchickte er uns wirklich ein Faͤßchen, das vielleicht ein halb Anker halten mochte, heruͤber.

Mit einer Begierde, die keine Beſchrei - bung zulaͤßt, ſetzte ich ſofort das Gefaͤß an den Mund; und ſowohl ward mir dabei, daß ich fortgetrunken haben wuͤrde, bis ich auf der Stelle den Tod davon gehabt, wenn meine Leute, eben ſo ungeduldig nach dem Genuß dieſes Labſals, es mir nicht von den durſtigen Lippen weggeriſſen haͤtten. Als nun aber auch Einer nach dem Andern ſich guͤtlich gethan, war das Waſſer ſchier alle geworden. Die Leute, welche es uns in ihrer Schaluppe gebracht hatten und Zeugen von dieſem Auftritte waren, konnten des Erſtaunens uͤber unſre ausgedoͤrrten Kehlen und unſer Elend kein Ende finden Um ſo williger erfuͤllten ſie meine Bitte, ihren Ka - pitain in meinem Namen um noch einigen Vorrath anzugehen. Jhre Verwendung war auch nicht ohne Erfolg; und es ward uns ein aͤhnliches halbes Ankerfaͤßchen zugeſtanden.

Solchergeſtalt verſehen, goͤnnten wir uns eine neue Erquickung, indem wir uns alſo -11. Bändchen. (4)50fort nicht nur einen Kaffee bereiteten, ſon - dern auch einen Keſſel mit Graupengruͤtze zum Feuer brachten, um endlich wieder ein - mal eine ordentliche warme Speiſe zu ge - nieſſen. Das Gleiche wiederholten wir am naͤchſtfolgenden Tage: aber mit dem dritten war nun auch wieder unſre Labequelle ver - ſiegt, und das vorige Faſten waͤre wieder an die Tagesordnung getreten, wenn wir nicht noch des nemlichen Tages ein Kanot mit zwei Negern angetroffen haͤtten, mit denen ich mich uͤber einen kleinen Waſſer - Tranſport vom Lande verſtaͤndigte. Allein die Burſche merkten, daß wir uns darum in Verlegenheit befanden, und forderten fuͤr die Lieferung von zwei Faͤßchen, die ich ihnen zeigte, und deren jedes etwa 30 Quart ent - halten mochte, einen ſo ungeheuern Preis an Waaren, daß wir dafuͤr in Europa den koͤſtlich - ſten Wein haͤtten kaufen koͤnnen. Jndeß galt hier kein Weigern, und die Gefaͤße wurden ihnen zum Fuͤllen hingegeben.

Erſt in der Nacht kehrten ſie damit zu - ruͤck, und empfiengen den bedungenen Lohn. Als wir aber den Jnhalt naͤher unterſuchten, ergab ſich, daß derſelbe merklich nach See - waſſer ſchmeckte; ſey es, daß hier ein ab - ſichtlicher Betrug vorgegangen, oder daß ſie, aus Bequemlichkeit, aus dem erſten dem naͤch -51 ſten Brunnen mit Brackwaſſer geſchoͤpft, oder daß uͤber das Kanot in der Brandung eine Welle hergeſtuͤrzt, die Faͤſſer umgerollt, den Stoͤpſel ausgeworfen und ſie zum Theil wieder mit Seewaſſer angefuͤllt hatte. Da jedoch die Beimiſchung noch ertraͤglich fiel, ſo nahmen wir auch weiter keinen Anſtand, in unſerm dringenden Beduͤrfniß davon Ge - brauch zu machen. Auch erreichten wir drei Tage ſpaͤter unſer laͤngſt erſehntes Schiff, das bei Cap la How kreuzte: aber unſre dies - malige Fahrt, die gleichwohl bis in die fuͤnfte Woche gewaͤhrt hatte, war in jedem Betracht unguͤnſtig ausgefallen: denn wir brachten nur 3 Sklaven und 5 Elephanten-Zaͤhne mit uns. Gluͤcklicher war unter der Zeit das Schiff ſelbſt in ſeinem Handel geweſen.

Waͤhrend der acht Tage, die ich am Borde verweilte, um mich, mit Hoffnung beſſern Erfolgs, auf eine neue Bootsreiſe anzu - ſchicken, kam ein Schiff unter franzoͤſiſcher Flagge, und als Fregatte gebaut, in unſern Geſichtskreis, welches von Norden nach Suͤ - den laͤngs der Kuͤſte ſteuerte. Sogleich auch gab mir mein Kapitain den Auftrag, mit der Schaluppe hinuͤber zu ſegeln und nach neuen Zeitungen uͤber Krieg und Frieden in Europa nachzufragen, damit wir, falls unſre Nation ſeit unſrer Abfahrt irgend in Krieg verwickelt worden waͤre, unſre Maaßregeln52 deſto ſicherer darnach nehmen koͤnnten. Den ſchon genannten franzoͤſiſchen Matroſen Jo - ſeph nahm ich mit, um mir als Dolmet - ſcher zu dienen.

Dort angelangt, fand ich eine Menge von Schiffs-Officieren (oder mochten es Paſſa - giere in Uniform ſeyn) vor, die meine Be - gruͤßung mit Hoͤflichkeit erwiederten, und eben ſo auch meine Fragen uͤber ihren Kurs, und wie lange ſie bereits in See geweſen, beantworteten. Jndem ich auf dieſe Weiſe vernahm, daß ſie vor etwa vier Wochen von Havre de Grace in See gegangen, fiel mir augenblicklich jenes, von ſeiner Mann - ſchaft verlaſſene Schiff ein, welches wir im vorigen October-Monat in der ſpaniſchen See angetroffen und beſetzt hatten, und wel - ches gleichfalls von jenem Hafen nach den Antillen beſtimmt geweſen. Jch trug dem - nach meinem Dollmetſcher auf, die Herren zu fragen, ob und was ihnen von dieſem Schiffe bewußt ſeyn moͤchte?

Schon an ihren verwunderten Geſichtern konnt ich es ſpuͤren, daß ſie mit dieſem Er - eigniſſe bereits bekannt ſeyn muͤßten; und nun erfuhr ich von ihnen folgende Umſtaͤnde, die mich dem voͤlligen Aufſchluſſe jener raͤth - ſelhaften Begebenheit um Manches naͤher fuͤhrten. Das Schiff war, nachdem es uns ſo ploͤtzlich von der Seite verſchwunden, wi -53 der all unſer Hoffen, gluͤcklich in Rotterdam angekommen, wo man aus den vorgefunde - nen Papieren ſofort erſehen hatte, daß es von Havre de Grace ausgefahren geweſen. Dieſem zufolge hatten die hollaͤndiſchen Be - hoͤrden ſowohl an den Handelsſtand in je - nem franzoͤſiſchen Hafen ein Circulare erlaſ - ſen, als durch die Zeitungen oͤffentlich be - kannt gemacht: Kapitain Johann Harmel, mit dem Schiffe Chriſtina von Rotterdam, habe in den ſpaniſchen Gewaͤſſern ein fran - zoͤſiſches Schiff menſchenleer umhertreibend angetroffen, mit Mannſchaft beſetzt und nach Holland fuͤhren laſſen. Bei naͤherer Unter - ſuchung ſey befunden worden, daß hinten un - terhalb Waſſers zwei Loͤcher durch das Schiff gebohrt geweſen, indem der dazu gebrauchte Bohrer noch daneben gelegen. Die ſtumpfe Schneide deſſelben habe jedoch verurſacht, daß die Spaͤhne von der aͤuſſern Planken - haut nicht ſcharf abgeſchnitten worden, ſich in die Oeffnung zuruͤckgelegt, voll Waſſer ge - ſogen und dadurch verhindert haͤtten, daß daſſelbe nicht voͤllig habe eindringen und das Schiff, der gehabten Abſicht nach, zum Sin - ken bringen koͤnnen. Nicht minder wunder - bar habe eingedrungene Naͤſſe das Fort - glimmen einer wirklich ſchon brennenden, zehn Fuß langen Lunte gewehrt, deren entge - gengeſetztes Ende zu einem Pulverfaſſe ge -54 leitet worden. Aus beiden frevelhaften Ver - ſuchen aber gehe deutlich hervor, daß das Schiff muthwillig und ohne Noth verlaſſen worden und entweder habe ſinken oder in die Luft fliegen ſollen.

Waͤhrend nun durch dieſe Kundmachungen die Rheeder des Schiffes aufgefordert wor - den, ſich zu ihrem Eigenthume zu melden, hatte auch der franzoͤſiſche Kapitain deſſel - ben, von Liſſabon aus, an ſie nach Havre de Grace geſchrieben: Sein Schiff ſey im Meerbuſen von Biskaja ſo leck geworden, daß er befuͤrchtet, jeden Augenblick ſinken zu muͤſſen, als zum Gluͤck ein Schwediſcher Oſtindien-Fahrer in ſeine Naͤhe gekommen, der ſich auf ſein dringendes Bitten habe bewegen laſſen, ihn und die uͤbrige Mann - ſchaft, zu ihrer Aller Lebensrettung, an ſei - nen Bord abzuholen. Dieſer ſey darauf zu Liſſabon angekehrt und habe ſie ſaͤmmtlich dort an’s Land geſetzt. Er habe nicht un - terlaſſen, hier mit ſeinen Leuten alſo gleich eine gerichtliche eidliche Erklaͤrung abzulegen, die er zugleich mit einſende.

Beide Nachrichten, welche zu der nemli - chen Zeit in Umlauf kamen, lieſſen es, in ihrer Zuſammenſtellung, keinen Augenblick zweifelhaft, daß der franzoͤſiſche Kapitain ein abgefeimter Betruͤger geweſen; und auch die darauf angeſtellte gerichtliche Unterſu -55 ſuchung ergab, daß er mit zwei Mit-Rhee - dern des Schiffs unter einer Decke geſteckt, indem ſie daſſelbe zu gleicher Zeit in Lon - don, Amſterdam und Hamburg fuͤr große Summen verſichern laſſen. Dieſe ſahen nun ihrer gerechten Strafe entgegen; ihr Mit - ſchuldiger aber (wahrſcheinlich unter der Hand von ihnen ſelbſt gewarnt) hatte es fuͤr’s kluͤgſte gefunden, ſich in Liſſabon un - ſichtbar zu machen, ohne wieder nach ſeiner Heimath zu verlangen.

Fuͤr unſer Schiffsvolk ward ich, als ich mit dieſen eingeſammleten Nachrichten von der gluͤcklichen Bergung unſrer, ſchon fuͤr verloren geachteten Priſe wieder an Bord kehrte, ein wahrer Freudenbote: denn nun durfte Jeder auch auf ſeinen angemeſſenen Antheil an der, fuͤr die Rettung derſelben zu beſtimmenden Praͤmie hoffen. Es begann ſofort Ein Handel uͤber den Andern wegen dieſer zu erwartenden Priſen-Gelder. Ei - nige verkauften ihr Anrecht fuͤr wenige Flaſchen Branntwein; Andre fuͤr etliche Pfunde Taback, ohne ſich um die nur zu muthmaaßliche Uebervortheilung zu kuͤmmern.

Nach Verlauf einiger Tage ruͤſtete ich mein Boot zu einer neuen dritten Handels - fahrt zu; und diesmal durft ich auch fuͤr mein Privat-Verkehr, im Einkauf von Staubgold, gewiſſern Vortheil hoffen, da56 wir uns nunmehr im Angeſichte der ſoge - nannten Goldkuͤſte befanden. Hier wird es daher auch an der rechten Stelle ſeyn, mich uͤber die Art, wie dies Geſchaͤft be - trieben zu werden pflegt, etwas ausfuͤhrli - cher auszubreiten.

So verſchwenderiſch hat die Natur hier ihr edelſtes Metall verbreitet, daß ſelbſt der Seeſand deſſen in hinreichender Menge mit ſich fuͤhrt, um die Muͤhe des Einſam - melns zu verguͤten. Wenn daher Vormit - tags die Sonne hoch genug geſtiegen iſt, um den nackten Negern die Luft-Tempera - tur behaͤglich zu machen, finden ſie ſich zu Hunderten am Strande ein; ſo daß der - ſelbe oft ganz ſchwarz von ihnen wimmelt. Dann ſetzen ſie ſich, dicht neben dem Ab - lauf der Wellen in’s Waſſer, und jeder haͤlt eine tiefe hoͤlzerne Schuͤſſel (deren die Schiffe ihnen als Handelswaare zufuͤhren) vor ſich zwiſchen den Knieen, nachdem er ſie zuvor voll goldhaltigen Sandes geſchoͤpft. Sie wiſſen dieſe Gefaͤße ſo geſchickt zu dre - hen, daß jede anlaufende Welle daruͤber hin - ſpuͤlt und etwas von dem leichteren Sande uͤber den Rand mit ſich fortſchwemmt; waͤhrend das Metall ſich, vermoͤge ſeiner natuͤrlichen Schwere, tiefer zu Boden ſenkt. Dies wird ſo lange wiederholt, bis der Sand beinahe gaͤnzlich verſchwunden iſt und57 das reine Staubgold, kaum noch mit eini - gen fremden Koͤrnern untermiſcht, ſichtbar geworden. Die Neger wiſſen es ſodann gar geſchickt und behende in ihre kleine Do - ſen aufzufaſſen, die wir ihnen gleichfalls zum Verkaufe bringen. Auf dieſe Weiſe habe ich wohl ſelbſt zum oͤftern geſehen, daß Manche binnen 8 bis 10 Stunden den Werth von 6 bis 12 und mehr hollaͤndiſchen Stuͤ - bern zu Wege brachten.

Noch weiß ich aus den, deshalb ange - ſtellten Erkundigungen, daß ſie auch weiter landeinwaͤrts mit dem dort befindlichen gold - haltigen Kiesſande auf eine aͤhnliche Art verfahren, indem ſie dieſe Erdklumpen in die Naͤhe eines Gewaͤſſers tragen und Erde, Sand und Kies ſo lange durcheinan - der ruͤhren und ausſpuͤlen, bis ſie zu dem nemlichen Erfolg gelangen. Hier aber fin - den ſich auch nicht ſelten bedeutendere Stuͤck - chen Goldes, ſelbſt von der Groͤße, wie un - ſer grober Seegries. Die Neger nennen es heiliges Gold; durchbohren es, reihen es auf Faͤden und ſchmuͤcken mit dieſen koſt - baren Schnuͤren Hals, Arme und Beine. Jn ſolchem ſtattlichen Putze zeigen ſie ſich gerne auf den Schiffen; und ſo traͤgt oft ein Einziger einen Werth von mehr als tau - ſend Thalern am Leibe.

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Stellen ſie ihr gewonnenes Gold auf den europaͤiſchen Fahrzeugen zu Kaufe, ſo werden ihnen zuvor die ihnen anſtaͤndigen Waaren vorgelegt und uͤber den anzuneh - menden Werth derſelben eine Uebereinkunft getroffen. Dieſer Werth wird in Bont - jes beſtimmt, oder Stuͤckchen Goldes, et - wan einer Erbſe ſchwer und zu 6 Stuͤber Geldwerth zu berechnen. Acht Bontjes be - tragen ein Entis oder einen Thaler hollaͤn - diſch; und 10 Entis ein Loth, deſſen Werth zu 24 hollaͤndiſche Gulden, oder nach Un - zen zu 42 Gulden angeſchlagen wird. Die Neger Jhrerſeits bedienen ſich aͤhnlicher Ge - wichte, welche aber gegen die hollaͤndiſchen jedesmal zu kurz kommen.

Hier geht nun das Streiten und Zan - ken an. Jmmer noch fehlt etwas noch etwas, und ſo weiter; bis man denn zu - letzt unter Zanken und Streiten doch einig wird. Betrogen aber werden die Neger endlich doch immer, wie ſchlau ſie es auch anfangen moͤgen! Mancher Weiſſe laͤßt ſich ſogar abſichtlich die Naͤgel an den Fingern lang wachſen; ruͤhrt damit in dem Staub - golde, unter dem Vorwande, als werde er noch gelben Sand unter den Metallkoͤrn - chen gewahr, umher, und kraut ſich dann, unmittelbar darauf, mit den Naͤgeln in den Haaren, um die aufgefiſchte Beute dort ab -59 zuſetzen. Haben ſich endlich die Verkaͤufer entfernt, ſo kaͤmmt er ſein ſtruppiges Haar mit einem engen Kamme wohl durch, und bringt dadurch zuweilen zwei und noch mehr Bontjes Goldſtaub vom Kopfe. Niemand rechnet ſich dieſe Hinterliſt zum Vorwurf. Es heißt dann immer: Nun, was iſt’s mehr? Jſt’s doch nur ein Neger, der an - gefuͤhrt wird!

Nachdem ich endlich eines Morgens meine Fahrt wirklich angetreten hatte und ich etwa drei Meilen vom Schiffe entfernt war, kam mir noch an dem nemlichen Nach - mittage ein kleines engliſches Schiff zu Ge - ſichte, das ungewoͤhnlich nahe am Strande vor Anker lag, waͤhrend ein Theil der Se - gel und des Takelwerks ſich in groͤßter Un - ordnung befand und wild um die Maſten peitſchte. Jndem ich meine Begleiter auf dieſe in ſolcher Lage unbegreifliche Nachlaͤſ - ſigkeit aufmerkſam machte, beſchloß ich, mich dieſem Fahrzeuge zu naͤhern, ob ihm viel - leicht Huͤlfe vonnoͤthen ſeyn moͤchte, die wir ihm leiſten koͤnnten. Bald kam ich im Heranſegeln ſo dicht an ſeine Seite, daß ich ihm die Frage zurufen konnte: Warum er ſich in dieſe gefaͤhrliche Naͤhe an einem un - ſichern Strande gelegt habe?

War ich bereits verwundert, ſo ward ich es noch vielmehr, als ſich kein einziger60 Weiſſer am Borde blicken ließ, dagegen aber wohl 20 bis 30 Neger auf dem Verdeck herum ſtanden und giengen. Vor Allem zeichnete ſich ein Kerl auf dem Hintertheil, mit einem blauen Ueberrock bekleidet, durch ſeine Keckheit aus, indem er ein kurzes weitmuͤndiges Schießgewehr (Wir nennen es eine Donnerbuͤchſe) in der Hand fuͤhrte und auf uns anlegte. Ein Andrer ſtand vorne, mit einer weiſſen Weſte ohne Ermel, und lag mit ſeinem Gewehr ebenfalls im Anſchlage auf uns. Auch die Uebrigen Alle, laͤngs dem Borde, winkten mit den Haͤnden abwaͤrts und ſchrieen aus vollem Halſe: Go way! Go way! (Packt euch!)

Was war natuͤrlicher zu glauben, als daß dies Schiff ſo eben in die Gewalt der Schwarzen gerathen, welche die engliſche Mannſchaft ermordet haͤtten und im Be - griffe ſtaͤnden, ihre Beute auszupluͤndern. Hier war es alſo nicht allerdings rathſam, lange zu verweilen. Jch ſteuerte demnach ab, gegen den Wind: doch indem ich mich außer der Schußweite ſah, fieng ich an zu uͤberlegen, daß es nicht gar ehrenvoll fuͤr uns ausſehen wuͤrde, die ſchwarzen Raͤuber ihr Weſen ſo ganz ungeſtoͤrt treiben zu laſſen. Jch berieth mich mit meinen Leu - ten, ob nicht ein entſchloßner Angriff auf die Brut zu wagen ſeyn moͤchte? Denn61 wenn wir gleich mit einem tuͤchtigen Feuer auf ſie anruͤckten, ſo war ich der Mey - nung, daß die Kerle, da ſie ſo dicht am Lande lagen, bald uͤber Bord ſpringen und uns das Schiff als gute Priſe uͤberlaſſen wuͤrden.

Dieſer Vorſchlag, mit ſo glaͤnzender Ausſicht auf Gewinn verbunden, gewann ſich alſobald ihren ungetheilten Beifall. Um mir aber jede kuͤnftige Verantwortung und uͤble Nachrede zu erſparen, fuhr ich fort: Jhr habt aber auch geſehen, daß wenig - ſtens Zwei von ihnen Schießgewehr fuͤhren und es ſicherlich auch gebrauchen werden, bevor ſie uns das Feld raͤumen. Sollte nun Einer oder der Andre von uns dabei zu Schaden kommen, ſo ſage Niemand: Jch haͤtte ihn zu dem Unternehmen gezwungen. Hier bedarf es durchaus eines freiwilligen Entſchluſſes. Alſo: Ja oder Nein? Jhr kaltbluͤtiges Ja weckte das glim - mende Feuer in mir zur vollen lichten Flamme. Wir gehen drauf los, und jagen die ſchwarzen Beſtien durch ein Knopf - loch? fragte ich noch lauter und heftiger. Ja! Das wollen wir! ſcholl mir zur Antwort entgegen. Nun denn! Jmmer drauf, in Gottes Namen!

Sofort ſprang ich nun, zu Vollfuͤhrung meines Vorſatzes, hinten in die Luke her -62 nieder; ergriff ein kleines Pulverfaß, das 16 Pfund enthielt; trat ihm haſtig mit ei - nem Fußſtoße den Boden ein; fuͤllte mei - nen Hut mit Pulver; eilte damit auf’s Deck; lud meine ſechs Poͤller allein; ſetzte auf jede Ladung zwei Kugeln, und ließ ein paar angezuͤndete Lunten in Bereitſchaft hal - ten. Den beſten und zuverlaͤſſigſten Mann ſetzte ich an’s Ruder, mit dem Gebot, daß er von vorne auf das Schiff zuſteuern und ſo laͤngs dem Borde deſſelben hinweg ſtrei - fen ſollte, wie ich ihn an Ort und Stelle noch genauer anweiſen wuͤrde. Das Ab - feuern meines Geſchuͤtzes behielt ich mir ausſchließlich ſelbſt vor, um meines Ziels deſto ſicherer nicht zu verfehlen; wogegen meine uͤbrigen Leute im rechten Augenblick mit dem Handgewehre ihr Beſtes thun ſollten.

Wie geſagt, ſo geſchehen! Wir ſteu - erten ſo dicht auf unſre gehoffte Priſe los, daß wir ihren Bord im Voruͤberfahren mit einem Bootshaken haͤtten entern koͤnnen. Waͤhrend dem gab ich zugleich aus all mei - nen vier Poͤllern Feuer; hatte aber den Schreck, zu ſehen, wie ſie ſammt und ſon - ders zerſprangen und uͤberm Haufen lagen, weil ich ſie in meinem unbedachten Eifer zu ſtark uͤberladen hatte. Was mich jedoch auf der Stelle troͤſtete, indem wir nun hin -63 ter das Schiff kamen, war die gelungene Frucht meines Knallens der Anblick einer guten Anzahl ſchwarzer Koͤpfe im Waſſer, die bereits eifrig dem Lande zu - ſchwammen.

Jetzt rief ich meinen Leuten zu: Das Boot umgelegt! Nun dran! Nun geen - tert! Handgewehr auf’s Deck! Jch ſelbſt ſprang wiederum hinten in die Lucke hinab, um die Gewehre, die uns fruͤher hinderlich geweſen waͤren, ſchnell hervorzu - langen: aber da ſprudelte mir von unten ein maͤchtiger Waſſerſtrahl aus dem Boden des Fahrzeugs entgegen. Es war nicht an - ders zu glauben, als daß, waͤhrend der Pulverdampf Alles erfuͤllte, im Voruͤberfah - ren am Schiffe, jener Kerl mit der Don - nerbuͤchſe vom hoͤheren Hintertheile herab gerade in die offne Lucke gehalten und den Boden ſo ungluͤcklich durchſchoſſen haben mußte. Konnt es wohl einen wunderliche - ren, aber zugleich auch widerwaͤrtigeren Zu - fall geben?

Jch trat augenblicklich mit dem Fuße auf das Loch und ſchrie nach irgend einem Kleidungsſtuͤck, um davon einen Pfropfen zu drehen und dieſen in oder auf die Oeffnung zu ſtopfen. Meine Leute aber ſtanden Alle wie angewurzelt und bedonnert, ohne meine Meynung zu faſſen. Endlich riß ich mir64 ſelbſt das Hemde vom Leibe; wickelte es ſo feſt zuſammen, als mir moͤglich war, und ſuchte dem Unheil vorlaͤufig damit abzuhel - fen. Doch wie ich nun auf das Deck kam nahm ich wahr, daß das Boot faſt bis zum Sinken tief lag und das eingedrungene Waſ - ſer es binnen der kurzen Zeit ſchier bis oben erfuͤllt hatte. Noch empfindlicher aber ward mir dies Ungluͤck in der Betrachtung, daß ich ſo eben erſt mein Schiff verlaſſen hatte und nun mein noch vollſtaͤndiger Vor - rath von Handelswaaren durchnaͤßt und nur zu gewiß verdorben worden. An die Fort - ſetzung des Gefechts war unter dieſen Um - ſtaͤnden nicht mehr zu denken; und alle unſre ſchon erlangten Vortheile mußten aufgegeben werden.

Jch entfernte mich alſo mit großem Schaden von dem Kampfplatze. Dreiviertel Meilen weiter von hier, unter dem Winde, nahm ich ein Schiff vor Anker wahr, auf welches ich zuſegelte, bis ich neben demſel - ben gleichfalls den Anker fallen ließ, um mein eingedrungenes Waſſer auszupumpen. Der Kapitain jenes Schiffes kam in ſeiner Schaluppe zu mir an Bord, weil er wahr - genommen, daß ich bei jenem ober Windes liegenden Fahrzeuge geſchoſſen, und er zu wiſſen wuͤnſchte, was dies zu bedeuten ge - habt? Mein Bericht ſetzte ihn eben ſoſehr65ſehr in Erſtaunen, als er mir ſein Beileid uͤber meinen erlittenen Unfall und das Ver - derbniß meiner Ladung bezeugte: denn ich hatte ſo eben die unerfreuliche Entdeckung gemacht, daß meine Waaren nicht nur ſaͤmmt - lich unter Waſſer gelegen, ſondern daß auch die Pulverfaͤſſer, woraus ein Theil derſelben beſtand, durch das Schlingern des Bootes ihren Jnhalt dem Waſſer mitgetheilt und all meine Zeugwaaren voͤllig ſchwarz gefaͤrbt hatten.

Der Kapitain bemerkte, daß er das eng - liſche Fahrzeug bereits ſeit drei Tagen dort habe liegen ſehen. Gegen den Wind habe er zu demſelben nicht heranſteuern koͤnnen; und da auch ſein Boot gerade auf einer Handelsreiſe abweſend ſey, ſo habe er bisher einen unthaͤtigen Zuſchauer abgeben muͤſſen. Er wolle mir aber mein Boot in moͤglichſt kurzer Zeit wieder dicht machen helfen, ſich perſoͤnlich mit mir vereinigen, noch etwa ein 10 oder 20 Koͤpfe von ſeinen Leuten mit zu Huͤlfe nehmen, und das engliſche Schiff mit mir gemeinſchaftlich angreifen und neh - men. Allein ich hatte in dem Augenblick den Kopf zuvoll von meinen Ungluͤck, das mir auf dem Halſe lag. Jch ſchlug ihm daher meine Theilnahme an der Fortſetzung dieſes Abentheuers ab; und wahrſcheinlich waͤre es auch eben ſo fruchtlos abgelaufen: denn ſchon11. Bändchen. (5)66am naͤchſtfolgenden Morgen ſahen wir das engliſche Schiff voͤllig am Strande liegen, wohin es die Schwarzen hatten treiben laſ - ſen. Was ferner damit geworden ſeyn mag, iſt mir nicht wiſſend geworden.

Fuͤr mich blieb nun kein andrer Rath, als mich wieder nach unſrer Chriſtina zu wenden und eine ganz neue Ausruͤſtung zu verlangen. Jndeß mag ſich der Leſer ſelbſt, wenn er kann, eine Vorſtellung davon machen, mit welch einem garſtigen Willkommen ich dort, nach Abſtattung meines Berichts, von meinem Kapitain empfangen wurde, der das Ungluͤck hatte, faſt beſtaͤndig betrunken zu ſeyn. Er wollte mich todtſtechen, todtſchieſ - ſen, oder mir ſonſt auf eine neue, noch un - erhoͤrte Manier das Garaus machen. Da ich nun Meinerſeits des Glaubens war, daß ich, nach Maaßgabe der Umſtaͤnde, vollkom - men recht und pflichtmaͤßig gehandelt, und ich den ungluͤcklichen Zufall, der hier den Ausſchlag gegeben, nicht verantworten koͤnnte: ſo mocht ich mich auch nicht entſchlieſſen, demuͤthig zu Kreuze zu kriechen; und ſo gab es nun noch drei Wochen lang zwiſchen uns nichts, als boͤſes Blut und taͤglichen Ver - druß, (denn in dem Aerger ſprach mein Geg - ner nur um ſo fleiſſiger der Flaſche zu, und ward dann wie ein tolles raſendes Thier) bis wir endlich vor St. George de la Mina67 anlangten, um dort unſern letzten Handel abzuſchlieſſen.

Hier fand ich den Gouverneur Peter Wortmann noch von den nemlichen wohl - wollenden Geſinnungen gegen mich erfuͤllt, wie ich ihn vormals verlaſſen hatte. Jch klagte ihm bei Gelegenheit mein ganzes Un - gluͤck und meine obſchwebende Mißhelligkeit mit dem Kapitain, die mir alle Ruhe des Lebens verbitterte. Er dagegen hieß mich guten Muthes ſeyn; indem er eheſtens den hohen Rath verſammlen wolle, wo ich volle Freiheit finden wuͤrde, mein beobachtetes Verfahren zu vertheidigen. Dies geſchah auch wirklich bald nachher in einer Sitzung, wozu auſſer den ordentlichen Raͤthen noch fuͤnf hollaͤndiſche Schiffs-Kapitaine, die dort eben mit ihren Schiffen auf der Rheede lagen, mit hinzugezogen wurden. Jch er - klaͤrte vor dieſer Verſammlung, unter dem Vorſitz des Gouverneurs und im Beiſeyn Kapitain Harmels, den ganzen Verlauf der Sache mit dem Angriff auf das engliſche Fahrzeug; daß ich, was ich gethan, zu Gunſten unſers Schiffs und unſrer Leute unternommen, welche, wenn die Beſitznahme gegluͤckt waͤre, nach den See - rechten Zweidrittel der Ladung als Berge - lohn zu fordern berechtigt geweſen ſeyn wuͤrden. Ob mein Angriff ungeſchickt ge -68 leitet worden und ob ich, ohne den empfan - genen Schuß mein Vorhaben nicht unfehl - bar erreicht haben wuͤrde, uͤberließ ich, dem Gericht zur einſichtsvollen Beurtheilung. Die Folge dieſer Verantwortung war, daß ich einſtimmig und mit Ehren freigeſprochen wurde.

Waͤhrend unſers ferneren Verweilens vor dieſem Platze kam eines Tages ein hol - laͤndiſches Schiff auf der Rheede vor Anker, welches ſofort auch die Nothflagge wehen ließ und mehrere Nothſchuͤſſe abfeuerte. Von allen anweſenden Schiffen konnte indeß nichts zu deſſen etwannigen Beiſtande geſchehen, da unſre ſaͤmmtlichen Kapitaine eben mit den Schaluppen an Land gegangen waren, und wir Steuerleute kein anderes Boot zu unſrer Verfuͤgung hatten. Doch ſahen wir bald, daß vom Forte aus ein Kanot mit vier Negern abſtieß, eiligſt nach dem nothleiden - den Schiffe hinruderte und auch, nach Ver - lauf einer Stunde, von dort wieder zuruͤck - kehrte.

Zwei Stunden ſpaͤter kam dies nemliche Kanot, vom Lande aus, wieder zum Vorſchein und geradesweges zu mir an Bord. Es brachte mir den ſchriftlichen Befehl des Gou - verneurs, mit dieſen Negern zu ihm an Land zu fahren. Jch befolgte dieſe Weiſung ohne mir’s einfallen zu laſſen, daß meinem69 Kapitain hievon nichts geſagt worden. Jn - dem ich aber in den großen Saal trat, fand ich die nemliche Verſammlung, vor welcher ich ohnlaͤngſt zu Gerichte geſtanden, und auch den Kapitain Harmel, an der Tafel bei einem froͤhlichen Mittagsmahl ſitzen. Kaum aber faßte mich der Letztere in’s Auge, ſo ſprang er auf, und fragte mich in rauhem Tone: Was ich am Lande zu ſchaffen haͤtte? Statt der Antwort uͤberreichte ich ihm das, von Seiner Edelheiten, dem Gouverneur erhaltene Billet, und trat, waͤhrend deſſen, hinter den Stuhl des Letztern, um zu fragen, was zu ſeinen Befehlen ſtaͤnde?

Da iſt hub Dieſer an, indem er aufſtand und ſich zu mir wandte ſo eben der Kapitain Santleven von Vlieſſingen auf der Rheede angelangt und befindet ſich im aͤuſſerſten Drangſal. Er ſelbſt liegt krank im Bette; ſeine Steuerleute ſind todt; er hat daneben beinahe hundert Sklaven an Bord, und ſeine Noth und Verlegenheit iſt dermaaſſen groß, daß er hat eilen muͤſſen, dieſe Station zu erreichen, um von den hier liegenden Schiffen einen Steuermann zu er - langen, der die Fuͤhrung des Schiffes uͤber - nehmen moͤchte. Jch und die uͤbrigen Herren Kapitaine hier wuͤnſchen ihm darinn, wie billig, zu willfahren und haben Euch, mein lieber Nettelbeck, zu dieſem Poſten erſehen.

70

Bevor noch der Gouverneur ſeinen An - trag geendigt hatte, begann ſchon mein Ka - pitain, ihn unterbrechend, dagegen aus allen Kraͤften zu proteſtiren; wie ſehr auch die uͤbrigen Anweſenden bemuͤht waren, ihn da - von zuruͤckzuhalten. Zuletzt wandte er ſich ganz wuͤthend gegen mich und gebot mir: Nettelbeck, Jhr verfuͤgt Euch ſtehendes Fußes auf mein Schiff zuruͤck, und verſeht den Dienſt am Bord. Jch will und befehl es! Dem mußte allerdings gehorcht werden! Jch wandte mich ruhig um und gieng zum Saale hinaus.

Kaum war ich aus der Thuͤre, ſo hoͤrte ich etwas hinter mir drein ſchreiten. Es war Einer von den tafelnden Kapitainen, der aufgeſprungen war, mich haſtig an der Hand ergriff, und mich fragte: Jch bitte Euch um Alles Jhr heißt Nettelbeck? Jch bejahete; und nun fuhr Jener noch an - gelegentlicher fort: Und ſeyd Jhr ein Col - berger? Wohnt nicht Euer Vater dort am Markte? und habt Jhr nicht eine Schweſter, die an Einem Fuße hinkt? Jch bejahete wiederum, aber mit zunehmender Verwun - derung, theils uͤber dieſe genaue Kenntniß meiner Familie, theils uͤber die Abſicht all dieſer Fragen. Nun denn; ſetzte er, mit gleichem Feuer, hinzu So muͤßt Jhr ja auch einen Bruder in Koͤnigsberg71 haben, der ein Schiff fuͤr eigne Rechnung faͤhrt? Der werde ich wohl ſelbſt ge - weſen ſeyn; war meine Antwort. Wie? Nicht moͤglich! Jhr ſelbſt? Nun denn, um ſo weniger unterbrach er ſich ſelbſt, hielt mich noch feſter und zog mich ſtuͤrmiſch wieder in das eben verlaſſene Zimmer zu - ruͤck. Jch wußte am allerwenigſten, was dies alles zu bedeuten haben koͤnnte.

Sein Naͤchſtes war nun, daß er ſich an den Kapitain Harmel wandte, ihn freund - lich umfieng, und ihm ſchmeichelnd zuredete: Nicht wahr, lieber alter Freund, Jhr gebt meinem und unſer Aller Dringen eine gute Statt, und uͤberlaßt dieſen wackern Mann an Santleven? Denn ich will’s Euch nur ſagen: Fuͤr Alles, was Nettelbeck heißt, laß ich Leib und Leben; und ich will Euch fuͤr ihn einen meiner eignen Steuerleute, und einen befahrnen Matroſen oben ein, der es auch alle Tage werden koͤnnte, an Bord ſchicken. Topp? Auch die Andern ins - geſammt umringten den zornigen Menſchen und redeten ſo lange und eifrig auf ihn ein, bis er ſich jede Ausflucht abgeſchnitten ſah, und endlich, mir halb uͤber die Achſel zuge - wandt, entgegenbrummte: So geht denn Meinetwegen zum Teufel! Das war und blieb mein Abſchied!

72

Dagegen drang nun der Mann, der mir ſo gefliſſen das Wort geredet hatte, in mich, nun auch ſofort mit ihm zu Kapitain Sant - leven an Bord zu gehen, wohin er mich in ſeiner Schaluppe bringen wolle. Dies geſchah auch, und indem wir nun vom Strande abſtieſſen und in der See waren, konnt ich mich denn laͤnger nicht entbrechen, an meinen freundlichen Begleiter die Bitte zu richten, daß er mir doch erklaͤren wolle, woher er eine ſo genaue Kenntniß meiner Familie habe, und wie er uͤberhaupt dazu komme, einen ſo warmen und freundſchaft - lichen Antheil an mir zu nehmen.

Nun, erwiederte er laͤchelnd das wird Euch weiter nicht Wunder nehmen, wenn Jhr hoͤren werdet, was ich Euch zu erzaͤhlen habe. Jm Jahr 1764 fuhr ich, als Steuermann, auf einem hollaͤndiſchen Schiffe und hatte, in der herbeſten Jahres - zeit zwiſchen Weihnachten und Neujahr, das Mißgeſchick, eine Meile von Colberg zu ſtranden und kaum das nackte Leben zu ber - gen. Des naͤchſten Tages fuͤhrte Euern Vater der Zufall in das Dorf und die arm - ſelige Bauerhuͤtte, wohin ich und meine uͤbri - gen Ungluͤcksgefaͤhrten uns kuͤmmerlich ge - fluͤchtet hatten. Die hellen Thraͤnen traten ihm bei unſerm Anblick in’s Auge. Jnſon - derheit richtete er ſeine Aufmerkſamkeit auf73 mich, fragte mich uͤber meine Umſtaͤnde aus und erbot ſich auf der Stelle edelmuͤthig, mich, wenn ich wolle, mit nach Colberg zu nehmen und fuͤr mein weiteres Unterkommen zu ſorgen. Er habe auch zwei Soͤhne in der See; und Gott wiſſe, wo und wie auch ſie die Huͤlfe mitleidiger Seelen beduͤrfen koͤnnten. Vor der Hand koͤnne er zwar nur mich allein mitnehmen: allein auch fuͤr die Ruͤck - bleibenden ſolle baldigſt Rath geſchafft werden.

So kam ich fuhr er fort nach Colberg in Euer vaͤterliches Haus, wo ich an Eures Vaters, Mutter und Schweſter Seite ge - geſſen und getrunken, all meine Nothdurft empfangen und tauſendfache Liebe und Guͤte genoſſen habe. Eure Schweſter verſorgte mich mit Waͤſche; meine kleinſten Wuͤnſche wurden erfuͤllt; und ſo erhielt ich von ſo liebreichen Haͤnden meine volle Verpflegung bis uͤber Oſtern hinaus, wo ſich endlich eine Schiffsgelegenheit fand, wieder nach der Heimath zuruͤckzukehren. Aber auch da noch ſteckte mir Euer Vater einen hollaͤndiſchen Dukaten zum Reiſegelde in die Hand, und hinter ſeinem Ruͤcken that Eure Mutter mit zwei preuſſiſchen harten Thalern das nemliche. Oft genug erzaͤhlten mir Beide von ihrem wackern Sohne in Koͤnigsberg; und ich hin - wiederum vertraute ihnen, wie ich, obwohl ich es vorgegeben, doch kein Hollaͤnder, ſon -74 dern ein preuſſiſches Landeskind und aus Neuwarp in Vorpommern gebuͤrtig ſey, Carl Friedrich Mick heiſſe und mich aus Furcht vor dem Soldaten-Stande auſſer Landes ge - wandt habe. Seit jenen Zeiten habe ich nun allſtets darauf geſonnen, wie ich es moͤglich machen wollte, ſoviel Liebe und Guͤte nach Wuͤrden zu vergelten, und haͤtte wohl nicht gedacht, daß ſich mir dazu hier an der Kuͤſte von Afrika eine ſo erwuͤnſchte Gelegenheit auf - thun ſollte. Wiewohl ich noch immer nicht begreife, was fuͤr ein widriges Schickſal Euch hieher fuͤhrt und Eure bluͤhenden Umſtaͤnde ſo ganz veraͤndert hat?

Die Antwort auf dieſe theilnehmende Frage mußte ich dem guten Manne fuͤr diesmal noch ſchuldig bleiben, da wir ſo eben am Bord des Kapitains Sandleven anlangten. Dieſen fanden wir, beim Ein - tritt in die Kajuͤte, bettlaͤgrig und in elen - der Verfaſſung. Mein Begleiter ſtellte mich ihm, mit einer nachdruͤcklichen Empfehlung und Verbuͤrgung, als Denjenigen vor, der ihm in Fuͤhrung ſeines Schiffs und ſeiner Geſchaͤfte beiraͤthig ſeyn ſolle, und auf den er ſich in allen Faͤllen verlaſſen koͤnne. Der gute Mann ſtreckte ſeine Arme nach mir aus, umfieng mich inbruͤnſtig und hieß mich von ganzem Herzen willkommen. Dem - naͤchſt uͤbergab er mir das voͤllige Kom -75 mando am Borde, ließ mich durch den Ka - pitain Mick dem Schiffsvolke vorſtellen, gab mir die noͤthige Einſicht in ſeine Pa - piere und Geſchaͤfte und war ſolchergeſtalt nach Moͤglichkeit behuͤlflich, daß hier Alles wieder mit einem neuen Geiſt und Leben beſeelt wurde. Mir ſelbſt war nicht minder zu Muthe, als ſey ich aus der Hoͤlle in den Himmel uͤbergegangen.

Bevor nun mein neuer thaͤtiger Freund und Goͤnner mich verließ, bemerkte ich ihm, daß ich auf der Chriſtina noch eine ſechs - monatliche Gage zu fordern haͤtte; und er verſprach mir, daß ſie mir unverkuͤrzt aus, gezahlt werden ſollte. Wirklich geſchah dies auch gleich am naͤchſten Tage mittelſt einer Anweiſung des Kapitains Harmel auf 216 Gulden hollaͤndiſch. an ſeine Schiffs-Rhee - der, die Herren Rochus und Kopſtaͤdt in Rotterdam, die auch zu ihrer Zeit gebuͤh - rend honorirt wurde. Eben ſo holte ich meine Habſeligkeiten aus dem alten in das neue Schiff ab, und war von dieſem Augen - blick an in dem Letztern vollkommen ein - heimiſch.

Nach gepflogener Berathſchlagung mit meinem Kapitain wandten wir das Schiff wiederum gegen die weſtlicher gelegenen Punkte, um unſre Ladung durch fortgeſetz - ſetzten Handel zu vervollſtaͤndigen. Das76 beſchaͤftigte uns bis in den September hin - ein; waͤhrend welcher Zeit der gute Mann, zu meiner nicht geringen Freude, ſich merk - lich erholte, und endlich auch wieder auf dem Verdeck erſcheinen konnte. Um ſo leichter ließ ſich nun auch der Beſchluß ausfuͤhren, daß ich mit dem Boote nach dem, 6 Meilen von uns entfernten hollaͤndiſchen Forte Boutrou abgehen ſollte, wohin wir mit dem Schiffe zu kommen durch Wind und Stroͤmung verhindert wurden und wo ſich gleichwohl vielleicht einiger Vortheil fuͤr unſer Verkehr beſchaffen ließ.

Auf dem Wege dahin erblickte ich ein Boot, das uns entgegenſteuerte; und aus dieſer Richtung ſowohl, als aus andern Um - ſtaͤnden erkannte ich leicht, daß es mit ſei - nem Briefſack nach St. George de la Mina gedenke und zu einem, kuͤrzlich erſt auf der Kuͤſte angelangten Schiffe gehoͤren muͤſſe. Dies machte mir Luſt, mich ihm zu naͤhern und ihm ſeine mitgebrachten Neuigkeiten abzufragen. Kaum aber war das Geſpraͤch angeknuͤpft, ſo erkannte ich in dem jenſeiti - gen Fuͤhrer, mit abſonderlicher Verwunde - rung, den nemlichen Steuermann Peters, der uns in vorigem Herbſte mit der beſetz - ten franzoͤſiſchen Priſe ſo unerwartet und bei Nacht und Nebel davon gegangen. Auch mein Geſicht ward ihm ſofort kenntlich; er77 rief meinen Namen, und wir verloren kei - nen Augenblick, unſre Fahrzeuge an einan - der zu befeſtigen, damit wir die tauſend Fragen und Antworten, die uns beiderſeits auf der Zunge ſchwebten, gegen einander austauſchen koͤnnten, indem er zu mir uͤber - ſprang und mir vollkommne Befriedigung meiner Neugier gelobte.

Daß er ſich mit dem Schiffe gluͤcklich nach Rotterdam hingefunden hatte, war mir, wie der geneigte Leſer weiß, bereits im Merz durch die franzoͤſiſche Fregatte zu Oh - ren gekommen. Allein wie er dies bei ſei - nen eingeſchraͤnkten Kenntniſſen vom See - weſen, und ohne einen feſten Punkt von Laͤnge und Breite mit ſich zu nehmen, habe moͤglich machen koͤnnen, wollte mir eben ſo wenig, als daß ſein Verſchwinden ein blo - ßes Werk des Zufalls geweſen ſeyn ſollte, einleuchten. Jndeß behauptete er doch, er habe, als es Tag geworden, uns in der Chriſtina weder geſehen, noch wieder auf - finden koͤnnen, und ſey alſo genoͤthigt gewe - ſen, ſeinen Kurs nach Gutduͤnken, gegen den engliſchen Kanal zu, einzurichten. Jn dieſer beibehaltenen Richtung ſey er einige Tage ſpaͤter auf ein engliſches Schiff geſtoßen, bei welchem er ſich wegen der Lage von Oueſſant und der Entfernung dieſes Punk - tes befragt, aber von der Antwort wenig78 verſtanden habe, da ihm, wer weiß wie - viel hundert Meilen (wahrſcheinlich wohl en - gliſche Seemeilen, 60 auf einen Grad) vor - gerechnet worden. Demnach ſey er getroſt bei ſeinem anfaͤnglichen Kurs geblieben, bis ihm des naͤchſtfolgenden Tages ein ſchwedi - ſches Schiff die Auskunft ertheilt, daß er Kap Landsend in Oſtnordoſt 65 Meilen vor ſich liegen habe; und dieſer willkommenen Weiſung nachſteuernd, habe er denn auch, bei guͤnſtigem Winde, dieſe Landſpitze des dritten Tages zu Geſichte bekommen, von dort den Kanal hinaufgeleiert, ferner die flaͤmiſchen Kuͤſten moͤglichſt in der Naͤhe behalten, und ſo des fuͤnften Tages auch gluͤcklich Goree und die Muͤndung der Maas erreicht.

Weiter ſetzte er hinzu: Der Hafenmei - ſter von Goree, als er zu ihm an Bord gekommen, ihn alſobald wieder erkannt, daß er erſt vor wenigen Wochen von hier in See gegangen und ſich die uͤbrigen ſeltſa - men, dies Schiff betreffenden Umſtaͤnde be - richten laſſen, habe ſich vor Verwunderung gekreuzigt und geſegnet, aber auch um ſo weniger zulaſſen wollen, daß es ſeinen Weg ſtromaufwaͤrts nach Rotterdam fortſetze, be - vor nicht davon Bericht erſtattet und eine naͤhere Unterſuchung verfuͤgt worden. Bei - des ſey demnaͤchſt auf Veranſtaltung des79 Handelshauſes Rochus und Kopſtaͤdt durch eigne Commiſſarien geſchehen, der Befund nach dem Haag an die Staaten von Hol - land abgegangen und von dorther die An - weiſung zu dem gerichtlichen Verfahren ge - kommen, wovon bereits oben ausfuͤhrliche Meldung geſchehen. Eben ſo uͤbereinſtim - mend war des Steuermanns Erzaͤhlung von dem Befund der verſuchten Anbohrung des Schiffes, welcher ſich beim Ausraͤumen deſſelben ergeben. Schiff und Ladung wa - ren in der Folge gerichtlich zu Verkauf ge - ſtellt und aus beiden ein Werth von 99,000 Gulden holl. geloͤſt worden.

Von dieſer bedeutenden Summe kamen nun, nach den hollaͤndiſchen Seerechten, Zweidrittel den franzoͤſiſchen Eigenthuͤmern, Eindrittel aber dem Schiffsvolke der Chri - ſtina zu. Umgekehrt waͤre das Verhaͤltniß geweſen, wenn ſich jener Hund nicht mehr, als Waͤchter, auf dem Schiffe befunden haͤtte, um dieſes als voͤllig herrenlos anzu - nehmen; woraus denn zu erſehen, was fuͤr eine ſonderbare Gerechtigkeit die Seegeſetze auf einem Schiffe ſelbſt einem Hunde ein - raͤumen. Denn Dieſer hier verdiente ſeinem Herrn durch ſein Bellen, womit er uns em - pfieng, reine 32,000 Gulden!

Das Drittel, welches unſerm Schiffe zufiel, kam zur Haͤlfte wiederum den Rhee -80 dern zu gute; die Andre hingegen dem Schiffsvolke, nach Maaßgabe der Monats - Gage, die Jeder zu empfangen hatte. Ob jedoch hierbei ganz nach den richtigſten Grundſaͤtzen verfahren wurde, mag man dar - aus entnehmen, daß, als ich in der Folge, als geweſener Ober-Steuermann der Chri - ſtina, meine Forderung an dieſe Priſen - gelder in Holland geltend machte, mir 42 Gulden ausgezahlt wurden. Von Pe - ters aber habe ich nur noch zu erzaͤhlen, daß er demnaͤchſt auf einem Schiffe des nemlichen Handelshauſes Rochus und Kop - ſtaͤdt, als Ober-Steuermann, unter Kapitain Schleuß, angeſtellt worden, das jetzt bei Kap Monte lag und mit deſſen Briefſack er eben auf dem Wege nach St. George de la Mina begriffen war.

Einige Tage nachher traf ich zu Bou - trou ein, ohne dort fuͤr unſer Negoz et - was Tuͤchtiges ſchaffen zu koͤnnen. Ueberall war fuͤr dieſen Augenblick im Handel be - reits aufgeraͤumt und die groͤßere Anzahl der Schiffe, als ich nach unſerm Hauptfort zu - ruͤck kehrte, von dort nach Amerika in See gegangen. Es blieb uns daher nur uͤbrig, dieſem Beiſpiel ungeſaͤumt zu fol - gen und zu dem Ende uns fuͤr dieſe Reiſe mit Trinkwaſſer und Brennholz zu verſehen.

Als81

Als ich bei dieſer Gelegenheit mit mei - nen Leuten mich am Lande befand, trat ich bei einem Kompagnie-Neger, Namens Franz, ein, deſſen Bekanntſchaft ich ge - macht hatte. Hinter ſeiner Huͤtte hatte dieſer Menſch eine Art von Gaͤrtchen ein - gehegt; und ich bemerkte, daß er ſich zum oͤftern dorthin begab, um mit ſichtbarer Sorgfalt an einem Schirm von Baſtmatten zu drehen und zu ſtellen. Meine Neugier erwachte; ich gieng ihm nach und fragte, was fuͤr einen ſeltenen Schatz er hinter dem Schirme huͤtete? Ja wohl, ei - nen Schatz! war ſeine Antwort Ein rares vaterlaͤndiſches (d. i. hollaͤndiſches) Gewaͤchs! Nun erwartete ich wenig - ſten ein Beet mit den theuerſten harlemer Blumen-Zwiebeln vorzufinden. Ei, Franz! Das ſind ja aber ganz gewoͤhnliche Gruͤnkohl-Pflanzen! und aus den 5 oder 6 Pflanzen wirſt du ſchwerlich auch einmal ein Gericht zuſammen bringen! Nun, wer ſagt denn auch, daß ich ſie eſſen will? Es iſt ja nur der Raritaͤt wegen! Und dicht neben dieſer vaterlaͤndiſchen Ra - ritaͤt lagen Citronen und Limonien zu Dutzenden im Graſe, und verfaulten, ohne daß Jemand es der Muͤhe werth gehalten haͤtte, ſie aufzuleſen! So verſchieden ſind die Begriffe von Werth oder Unwerth, den11. Bändchen. (6)82wir auf dergleichen Sachen zu legen geneigt ſind!

Zu Anfang Octobers endlich verlieſſen wir die afrikaniſche Kuͤſte, um, unſrer Beſtimmung zufolge, zufoͤrderſt den Markt von Suriname zu beſuchen. Zu Beſchleu - nigung der Fahrt wandten wir uns erſt ſuͤdlich und giengen unter der Linie durch, um 3 oder 4 Grad jenſeits derſelben die gewoͤhnlichen ſuͤdoͤſtlichen Paſſat-Winde zu gewinnen, vor welchen man dann weſtlich und nordweſtlich hinlaͤuft, bis man von neuem die Linie paſſirt, um die nordoͤſtlichen Paſſat-Winde zu benutzen und mit ihnen die Reiſe zu beendigen. Die Krankheiten und die Sterblichkeit, welche unter den Sklaven bei jeder verlaͤngerten Dauer der Ueberfahrt nur zu gewoͤhnlich einzureiſſen pflegen, machen es wuͤnſchenswerth, dieſelbe auf jede Weiſe abzukuͤrzen. Unſre Ladung beſtand aus 425 Koͤpfen, worunter ſich 236 Maͤnner und 189 Frauen, Maͤdchen und Jungen befanden. Es begreift ſich alſo auch wohl, daß es dazu auf dem Schiffe einer ganz beſondern Wirth - ſchaft bedurfte; und daruͤber will ich hier noch einige Worte verlieren.

Ueber die Art, die Ungluͤcklichen Paar - weiſe zuſammenzufeſſeln, und das zwiefache Behaͤltniß vorn im Schiffe, wo ſie, jedoch beide Geſchlechter durch ein ſtarkes Gitter -83 werk von einander geſchieden, den Tag uͤber zubringen, iſt ſchon oben das Noͤthige beige - bracht worden. Vor jener Plankenwand ſtehen zwei Kanonen, deren Muͤndung gegen das Behaͤltniß der Maͤnner gerichtet iſt; und gleich anfaͤnglich werden dieſelben in ihrem Beiſeyn mit Kugeln und Kartaͤtſchen geladen, nachdem man ihnen die moͤrderiſche Wirkung derſelben durch Abfeuern gegen einige nahe und entfernte Gegenſtaͤnde be - greiflich gemacht hat, und ſie bedroht worden ſind, daß Jhrer bei der mindeſten unruhigen Bewegung das nemliche Schickſal warte. Heimlich aber werden nachher die Kugeln und Kartaͤtſchen wieder herausgezogen und, ſtatt deren, die Stuͤcke mit Gruͤtze geladen, damit es, ſelbſt im Fall einer Extremitaͤt, doch nicht gleich das Leben gelte. Denn die Kerle haben ja Geld gekoſtet!

Die Weiber und die Unmuͤndigen, deren Schwaͤche ſie weniger furchtbar macht, haben bei Tage ihren Aufenthalt hinter der Wand auf dem halben Deck und koͤnnen ihre maͤnn - lichen Ungluͤcksgenoſſen zwar nicht ſehen, aber doch hoͤren. Allen ohne Ausnahme wird des Morgens, etwa um 10 Uhr, das Eſſen gereicht, indem je Zehn einen hoͤlzernen Ei - mer, der ebenſoviel Quart faſſen mag, voll Gerſtgraupen empfangen. Die Stelle, wohin jede ſolche Tiſchgeſellſchaft ſich ſetzen muß,84 iſt durch einen eingeſchlagenen eiſernen Nagel mit breitem Kopfe genau bezeichnet, und Alles ſitzt rings umher, wie es zukom - men kann, um das Gefaͤß mit Gruͤtze, welche mit Salz, Pfeffer und etwas Palmoͤl durch - geruͤhrt iſt; doch Keiner langt um einen Augenblick fruͤher zu, als bis dazu durch den lauten Schlag auf ein Brett das Zeichen gegeben worden. Bei jedem Schlage wird gerufen: Schuckla! Schuckla! Schuckla! Den dritten Ruf erwiedern ſie Alle durch ein gellendes Hurrah! und nun holt der Erſte ſich ſeine Handvoll aus dem Eimer, dem der Zweite, Dritte u. ſ. f. in gemeſſener Ordnung folgen.

Anfangs geht dabei Alles ſtill und friedlich zu. Neigt ſich aber der Vorrath im Gefaͤße allmaͤhlig zu Ende, und die Letzten muͤſſen beſorgen, daß die Reihe nicht wieder an ſie kommen duͤrfte: ſo entſteht auch Hader und Zwieſpalt. Jeder ſucht dem Nachbar die Koſt aus den Haͤnden und beinah aus dem Munde zu reiſſen. Da nun dieſe Scene jedesmal und bei jedem Gefaͤße ſchier in dem nemlichen Moment zu - trifft, ſo kann man ſich den Laͤrm und Spek - takel denken, der dann auf dem Schiffe herrſcht, und wobei die Peitſche den letz - ten und wirkſamſten Friedensſtifter abge - ben muß. Dieſe wieder hergeſtellte Ruhe wird dazu angewandt, ihnen den ledigen Ei -85 mer mit Seewaſſer zu fuͤllen, damit ſie ſich Mund, Bruſt und Haͤnde abwaſchen. Zum Abtrocknen giebt man ihnen ein Ende auf - getrieſeltes Tau, (Schwabber genannt) wor - auf ſie Paarweiſe zu der Suͤßwaſſer-Tonne ziehen, da ein Matroſe Jedem ein Gemaͤß, etwa ein halb Quart enthaltend, reicht, um ihren Durſt zu ſtillen.

Nach ſolchergeſtalt geendigter Mahlzeit, und nachdem das Verdeck mit Seewaſſer an - gefeuchtet worden, laͤßt man das ganze Voͤlkchen reihenweiſe und dicht neben ein - ander ſich niederkauern; und Jeder bekoͤmmt einen hollaͤndiſchen Ziegelſtein (Mopſtein) in die Hand, womit ſie das Verdeck nach dem Takte und von vorne nach hinten zu ſcheuern angewieſen werden. Sie muͤſſen ſich dabei Alle zugleich wenden; und indem ſie bald vor - bald ruͤckwaͤrts arbeiten, wird ihnen un - aufhoͤrlich neues Seewaſſer uͤber die Koͤpfe und auf das Verdeck gegoſſen. Dieſe etwas anſtrengende Uebung waͤhrt gegen zwei Stun - den und hat bloß den Zweck, ſie zu beſchaͤf - tigen, ihnen Bewegung zu verſchaffen und ſie deſto geſunder zu erhalten.

Hiernaͤchſt muͤſſen ſie ſich in dichte Hau - fen zuſammenſtellen; wo denn noch dichtere Waſſerguͤſſe auf ſie herabſtroͤmen, um ſie zu erfriſchen und abzukuͤhlen. Dies iſt ihnen eine wahre Luſt; ſie jauchzen dabei vor86 Freude, und in der brennend-ſchwuͤlen Son - nenhitze, der ſie, ohne alle Bedeckung, den ganzen Tag ausgeſetzt ſind, muß es ihnen auch wirklich fuͤr eine wahre Erquickung gel - ten. Noch wohlthaͤtiger aber iſt fuͤr ſie die nun naͤchſtfolgende Operation, indem einige Eimer, halb mit friſchem Waſſer angefuͤllt, und mit etwas Zitronen-Saft, Branntwein und Palm-Oel durchgeruͤhrt, auf’s Verdeck geſetzt werden, um ſich damit den ganzen Leib zu waſchen und einzureiben, weil ſonſt das ſcharf geſalzene Seewaſſer die Haut zu hart angreifen wuͤrde.

Fuͤr die maͤnnlichen Sklaven ſind ein paar beſonders luſtige und pfiffige Matroſen ausgewaͤhlt, welche die Beſtimmung haben, fuͤr ihren muntern Zeitvertreib zu ſorgen und ſie durch allerlei auf die Bahn gebrachte Spiele zu unterhalten. Zu dem Ende wer - den auch Tabacksblaͤtter unter ſie ausgetheilt, welche, nachdem ſie in lauter kleine Fetzen zerriſſen worden, als Spielmarken dienen und ihre Gewinnſucht maͤchtig reizen. Zu glei - chem Behuf erhalten dagegen die Weiber allerlei Arten Korallen, Nadeln, Zwirnfaͤden, Endchen Band und bunte Laͤppchen; und Alles wird aufgeboten, um ſie zu zerſtreuen und keine ſchwermuͤthigen Gedanken in ihnen aufkommen zu laſſen.

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Spiel, Poſſen und Gelaͤrm waͤhren fort bis um drei Uhr Nachmittags, wo wieder - um Anſtalten zu einer zweiten Mahlzeit ge - macht werden; nur daß jetzt, ſtatt der Gerſt - graupen, große Saubohnen gekocht, zu einem dicken Brei gedruͤckt und mit Salz, Pfeffer und Palm-Oel gewuͤrzt ſind. Die Art der Abſpeiſung, des Waſchens, Trocknens, Trin - kens und Abraͤumens bleibt dabei die nem - liche; nur wird mit Allem noch mehr geeilt, weil unmittelbar darauf die Trommel zum luſtigen Tanze geruͤhrt wird. Alles iſt dann, wie elektriſirt; das Entzuͤcken ſpricht aus jedem Blicke; der ganze Koͤrper geraͤth in Bewegung, und Verzuckungen, Spruͤnge und Poſituren kommen zum Vorſchein, daß man ein losgelaſſenes Tollhaus vor ſich zu ſehen glaubt. Die Weiber und Maͤdchen ſind in - deß doch die Erſeſſenſten auf dies Vergnuͤ - gen; und um die Luſt noch zu mehren, ſprin - gen ſelbſt der Kapitain, die Steuerleute und die Matroſen mit den Leidlichſten von ihnen zu Zeiten herum; ſollte es auch nur der Eigennutz gebieten, damit die ſchwarze Waare deſto friſcher und munterer an ihrem Be - ſtimmungsorte anlange.

Gegen fuͤnf Uhr geht endlich der Ball aus; und wer ſich dabei am meiſten ange - ſtrengt hat, empfaͤngt wohl noch einen Trunk Waſſer zu ſeiner Labung. Wenn dann die88 Sonne ſich zum Untergang neigt, heißt es: Macht euch fertig zum Schlafen unter Deck! Dann ſondert ſich Alles nach Geſchlecht und Alter in die ihnen unter dem Verdeck ange - wieſenen, aber gaͤnzlich getrennten Raͤume. Voran gehen zwei Matroſen und hinterdrein ein Steuermann, um Acht zu haben, daß die noͤthige Ordnung genau beobachtet werde: denn der Raum iſt dermaaſſen enge zuge - meſſen, daß ſie ſchier wie die Heringe zu - ſammengeſchichtet liegen. Die Hitze in dem - ſelben wuͤrde auch bald bis zum Erſticken ſteigen, wenn nicht die Luken mit Gitterwerk verſehen waͤren, um friſche Luft zur Abkuͤh - lung zuzulaſſen.

Zu dieſem Gitter fuͤhrt eine Leiter zu einer Oeffnung in demſelben, die nur gerade weit genug iſt, um zwei Menſchen durchzu - laſſen, und vor welcher die ganze Nacht hin - durch ein Matroſe mit blankem Hauer die Wache haͤlt, der immer nur Paarweiſe aus - und einlaͤßt, was durch irgend ein Beduͤrf - niß hervorgetrieben wird. Da indeß die Ruͤckkehrenden ſelten ihre Schlafſtelle ſo ge - raͤumig wiederfinden, als ſie dieſelbe verlaſ - ſen haben, ſo nehmen Laͤrm und Gezaͤnke die ganze Nacht kein Ende; und noch un - ruhiger geht es, begreiflicher Weiſe, bei den Weibern und Kleinen zu. Gewoͤhnlich muß89 daher zuletzt auch die Peitſche den Frieden vermitteln.

Aus Bewegungsgruͤnden, auf deren naͤ - here Entwicklung ſich hier nicht einzulaſſen iſt, werden gewoͤhnlich 6 bis 8 junge Ne - gerinnen von huͤbſcher Figur zur Aufwar - tung in der Kajuͤte ausgewaͤhlt, und erhal - ten auch ihre Schlafſtelle in der Naͤhe der - ſelben, ſo wie ihre Bekoͤſtigung von den uͤber - bleibenden Speiſen an des Kapitains Tiſche, die zu dem Ende ſaͤmmtlich durcheinander geruͤhrt werden. Beguͤnſtigt vor ihren Schweſtern, ſammlen ſie nicht nur allerlei kleine Geſchenke an Kattun - Schuͤrzchen, Baͤndern, Korallen und kleinem Kram ein, womit ſie ſich, wie die Affen, ausputzen, ſon - dern der Matroſen-Witz giebt ihnen auch den Ehrennamen von Hof-Damen , ſo wie den Einzelnen dieſe oder jene ſpaßhafte Benen - nung. Bei Tage aber miſchen ſie ſich gerne unter ihre Gefaͤhrtinnen auf dem Deck; wo es mit Verwunderung anzuſehen iſt, wie Jede ſofort einen bewundernden Kreis um ſich her verſammlet, in deſſen Mitte ſie ſtol - zirt und ſich den Hof machen laͤßt.

Bekanntlich kommen all dieſe ungluͤcklichen Geſchoͤpfe beiderlei Geſchlechts ganz ſplin - kernacket an Bord; und wenn ſie gleich ſelbſt wenig darnach fragen, ſo hat doch der An - ſtand (Wieſehr er auch ſonſt auf dieſen90 Sklaven-Schiffen verletzt werden mag) ihre nothduͤrftige Bedeckung geboten. Die Wei - ber und Maͤdchen empfangen daher einen baumwollenen Schurz um den Leib, der bis an die Knie reicht, und die Maͤnner einen leinwandenen Gurt, der eine Elle in der Laͤnge und acht Zoll in der Breite haͤlt, und den ſie, nachdem er zwiſchen den Beinen durchgezogen worden, hinten und vorne an einer Schnur um den Leib befeſtigen.

Wenn ſie nun gleich auf dieſe Weiſe im eigentlichſten Verſtande nichts mit ſich auf das Schiff bringen, ſo vergehen doch kaum einige Wochen oder Monate, und ſie haben alleſammt, beſonders die weiblichen Perſo - nen, ein Paket von nicht geringem Um - pfange, als Eigenthum, erworben, womit ſie ſich uͤberall unterm Arme umherſchleppen. Wie man ſich indeß leicht denken kann, be - ſteht dieſer ganze Reichthum in nichts, als allerlei Lappalien, die ſie zufaͤllig auf dem Verdecke gefunden und aufgehoben haben abgebrochenen Pfeifenſtengeln, beſchriebenen und bedruckten Papierſchnitzeln, bunten Zeug - flicken, Stuͤckchen Beſenreis und dergleichen Schurrpfeifereien. Hiezu erbitten ſie ſich nnn von den Schiffsleuten den Zipfel eines Hemdes oder ſonſt eines abgetragenen Klei - dungsſtuͤcks, um ihren Schatz dahinein zu buͤndeln.

91

Aber nur zu oft begnuͤgt ſich ihre Be - gehrlichkeit nicht an dem, was ihnen das Gluͤck auf dieſem Wege zuwirft, ſondern ſie beſtehlen ſich unter einander; und da ent - ſteht denn Klage uͤber Klage, als waͤren ih - nen alle Kleinodien der Welt vonhanden gekommen. Der wachhabende Steuermann verwaltet ſodann das geſtrenge Richteramt; veranſtaltet Unterſuchungen, wobei Jeder ſein Buͤndel vorweiſen und auskramen muß, und wobei es ſeiner Gravitaͤt oft ſchwer ge - nug wird, ſich des Lachens zu enthalten, und verfuͤgt endlich uͤber den ertappten Dieb ei - nige gelinde Peitſchenhiebe. So geht es heute; ſo morgen, und ſo alle uͤbrigen Tage waͤhrend der Dauer der Reiſe; nicht an - ders, als ob man mit lauter Affen und Nar - ren zu thun haͤtte.

Ueber unſre diesmalige Fahrt, queer durch den atlantiſchen Ocean, weiß ich nur wenig zu ſagen, wenn ich nicht die nemli - chen Erſcheinungen wiederholen ſoll, deren hundert Reiſebeſchreiber vor mir bereits zur Genuͤge erwaͤhnt haben. Dahin gehoͤrt das Leuchten des Meerwaſſers in manchen dunkeln Naͤchten, das Emporflattern ganzer Rudel von fliegenden Fiſchen, wie wir’s bei uns zu Lande an den Sperlingen zu ſehen gewohnt ſind, und Manches mehr, das ich mit Stillſchweigen uͤbergehe. Dagegen be -92 merke ich, was, meines Wiſſens, Andre noch nicht angezeigt haben, daß, wenn man ſich von der Kuͤſte von Guinea etwa zehn oder mehr Meilen entfernt hat, ſich das See - waſſer ploͤtzlich veraͤndert. Es wird klarer, blauer und durchſichtiger. Giebt es nun zugleich eine vollkommene Meerſtille, wie ſie in dieſem Striche nicht ungewoͤhnlich iſt, und ebnet ſich dann die Fluth zu einer Spiegelflaͤche; ſo giebt es einen unbeſchreib - lich wunderbaren Anblick, in das kryſtall - helle Gewaͤſſer, wie in einen dichteren Him - mel unter ſich, zu ſchauen und es von un - zaͤhligen Fiſchen und Seegeſchoͤpfen in tau - ſend verſchiedenen Richtungen wimmeln zu ſehen. Man faͤngt Jhrer auch von allen Arten, ſoviel man will: doch haben ſie, den fliegenden Fiſch ausgenommen, alle ein har - tes unſchmackhaftes Fleiſch und werden fuͤr wenig geſund gehalten.

Die Sklavenſchiffe beobachten auf dieſer Ueberfahrt die Gewohnheit, das Boot, wo - mit ſie den Nebenhandel auf der afrikani - ſchen Kuͤſte betrieben haben, nicht wieder einzunehmen und auf’s Deck zu ſetzen, weil es dort den Raum fuͤr die Neger zu ſehr beengen wuͤrde. Wenn es daher die Witte - rung nur irgend geſtattet, faͤhrt es fort, neben dem Schiffe her zu kreuzen und wird gebraucht, mit den Schiffen, die auf dem93 Wege aufſtoßen, naͤhere Gemeinſchaft zu pflegen. Man beſetzt es daher fortdauernd, und von 8 zu 8 Tagen, mit 7 Mann, unter denen wenigſtens Einer ſich etwas auf Kurs und Steuerkunſt verſteht; und dieſe erhal - ten zugleich hinreichende Proviſionen, um auch im uͤbelſten Falle einer Trennung von ihrem Schiffe ſich helfen zu koͤnnen.

Ohne einigen widrigen Zufall langten wir, gegen die Mitte des Decembers, in dem Fluſſe Suriname an, wo wir jedoch, in einer Entfernung von 4 bis 5 Meilen von Paramarido, ankerten, um die Geſundheits - Commiſſion von dorther zu erwarten, weil dieſe zuvor unterſucht haben muß, ob nicht etwa anſteckende Krankheiten am Borde des neu angekommenen Schiffes herrſchen, be - vor demſelben die Erlaubniß zum Einlaufen geſtattet werden kann. Dies war gleich - wohl unſer Fall nicht, da wir (was ver - haͤltnißmaͤßig ſehr wenig ſagen will) binnen den vier Monaten, die ich mich nunmehr auf dieſem Schiffe befand, nicht mehr, als 4 von unſern Matroſen und 6 Sklaven, verloren hatten. Als daher jene Herren uns am naͤchſten Tage beſuchten, fanden ſie auch kein Bedenken, uns in die Kolonie zu - zulaſſen.

Jch, an meinem Theile, hatte indeß noch einen beſondern Grund mehr, ihrer Erſchei -94 nung mit einigem Verlangen entgegen zu ſehen; und um dies gehoͤrig zu erklaͤren, ſehe ich mich genoͤthigt, hier, als an dem angemeſſenſten Orte, etwas aus meiner fruͤ - heren Lebensgeſchichte nachzuholen.

Jm Jahre 1764, als ich noch in Koͤ - nigsberg wohnte und mich im beſſerm Wohl - ſtande befand, geſchah es, daß ich eines Tages einen Faden Brennholz vor meiner Thuͤre ſpalten ließ. Der aͤltliche Mann, der zu dieſem Geſchaͤft herbeigeholt worden, ſchien es weder mit ſonderlicher Luſt, noch mit großer Geſchicklichkeit, zu verrichten. Jch ließ mich mit ihm (wie ich wohl pflege) in ein Geſpraͤch ein, und gab ihm wohl - meynend zu verſtehen, daß es mir ſchiene, als wuͤrd er mit dieſer Handthierung in der Welt nicht viel vor ſich bringen. Ob er ſich auf nichts Andres und Beſſeres verſtaͤnde? Seine Antwort war: Er habe es in der Welt mit viel und man - cherlei verſucht, ohne dabei auf einen gruͤ - nen Zweig zu kommen. Aber was einmal zum Heller ausgepraͤgt ſey, werde nimmer - mehr zum Thaler. Nun, nun! ver - ſetzte ich ſcherzend Das hinderte gleich - wohl nicht, daß Jhr nicht noch einmal ein großer Herr wuͤrdet und in der Kutſche fuͤhret! Aber an Eurer Mundart vernehm ich, daß Jhr nicht von Kind auf Koͤnigs -95 bergiſch Brodt gegeſſen habt. Vielleicht ſind wir gar Landsleute? Koͤnnte wohl ſeyn Jrgend ein Ungluͤckswind hat mich einmal hieher nach Preuſſen verſchla - gen. Eigentlich bin ich ein Pommerſch Kind und aus Belgard. Ei, aus Bel - gard? und Euer Name? Kniffel. Kniffel? Kniffel? wiederholte ich nachſinnend, indem mir etwas auf’s Herz ſchoß Und habt Jhr noch Bruͤder am Leben? Ein paar wenigſtens, die aber ſchon vor vielen Jahren, gleich mir, in die weite Welt giengen, ihr Gluͤck zu ſu - chen; und von denen ich weiter nicht weiß, wohin ſie geſtoben oder geflogen ſind.

Jetzt ließ ich mir noch die Vornamen der Verſchollenen nennen; und nun war ich meiner Sache gewiß! Es waren die nemlichen Gebruͤder Kniffel, die ich vormals in Suriname kennen gelernt und die ſich dort zu ſo bedeutendem Wohlſtande empor - gearbeitet hatten, waͤhrend dieſer dritte Bruder ſo gut, als ein Bettler, geblieben. Ohne ihm daruͤber einen Floh in’s Ohr zu ſetzen, gieng mir doch das Ding je laͤnger je mehr im Kopfe herum. Jch erfuhr, auf weiteres Befragen, daß er verheirathet ſey und eine einzige Tochter, ein Maͤdchen von 16 oder 17 Jahren, habe. Bald auch ſtellte ich bei andern Leuten Erkundigung96 nach dieſer Familie an, die den Vater als einen halben Narren bezeichneten, von der Mutter auch eben nicht ſonderlich viel Gu - tes zu ruͤhmen wußten, aber der Tochter das Zeugniß eines gutartigen lieben Ge - ſchoͤpfes, doch ohne Bildung und feinere Sitten, beilegten.

Nun wußte ich, daß die reichen Bruͤder in Suriname ohne Kinder waren; und ich kannte ſie als ſo rechtliche Leute, daß ich ihnen mit Gewißheit zutrauen durfte, ſie wuͤrden gerne bereit ſeyn, etwas fuͤr ihre arme Verwandte zu thun, ſobald ſie mit der bedraͤngten Lage derſelben bekannt waͤ - ren. Kurz, es ließ mir keinen Frieden, bis ich wieder der gutherzige Thor gewor - den, der es nicht laſſen konnte, ſich in an - drer Leute Haͤndel zu miſchen, ſobald er glaubte, daß es zu irgend etwas Guten fuͤhren koͤnne. Jch ſetzte mich alſo hin; ſchrieb an jene Herren in Suriname, wie ich zufaͤlliger Weiſe mit ihrem Bruder be - kannt geworden, und uͤberließ es ihrem Er - meſſen, ob ſie die duͤrftige Lage der Familie nicht in etwas erleichtern wollten?

Der Brief gieng uͤber Holland an ſeine Beſtimmung ab. Da es jedoch leicht Jahr und Tag dauern konnte, bevor eine Ant - wort darauf zu erwarten war, ſo nahm ich mich denn derweile der Leutchen an, ſo gutich97ich vermochte, um ſie vor druͤckendem Man - gel zu ſchuͤtzen. Das Maͤdchen ließ ich et - was beſſer kleiden und den fruͤher verſaͤum - ten Unterricht nach Moͤglichkeit wieder ein - bringen; wobei es denn auch nicht an guten Ermahnungen zu einem ehrbaren chriſtlichen Wandel mangelte, die nicht ohne Eindruck blieben. So gieng das fort, bis endlich Briefe an mich einliefen, worinn meine al - ten Goͤnner und Freunde mir herzlich dank - ten, daß ich ihnen behuͤlflich geweſen, einen lang gehegten Wunſch zu befriedigen und ihnen ihren vorlaͤngſt todt geglaubten Bru - der wieder zuzuweiſen. Sie hatten die Veranſtaltung getroffen, demſelben durch ein nahmhaftes Koͤnigsberger Handelshaus eine jaͤhrliche Leibrente auszahlen zu laſſen, wovon ſie glaubten, daß er ſeine uͤbrigen Lebenstage damit bequem und gemaͤchlich wuͤrde ausreichen koͤnnen.

Hiernaͤchſt aber eroͤffneten ſie mir zu - gleich ein Verlangen, worinn ſie wuͤnſchten und mich aufforderten, ihnen noch naͤher die Haͤnde zu bieten. Mir ſey bewußt, daß ſie unbeerbt lebten; und doch moͤchten ſie gerne die Freude genieſſen, einen Blutsver - wandten um ſich zu ſehen und einſt ihr Vermoͤgen in deſſen Haͤnde zu uͤbergeben. Jch moͤchte alſo dahin ſehen, ob es thun - lich ſeyn wolle, die Tochter ihres Bruders,11. Bändchen. (7)98mit Einwilligung der Eltern, dahin zu ver - moͤgen, daß ſie ſich entſchlieſſe, die Reiſe zu ihnen nach Suriname zu unternehmen. Es ſey ihre Abſicht, ſie an Kindesſtatt anzu - nehmen; und ſie wuͤrden ſie mit offenen Armen und Herzen aufnehmen. Sey ſie dazu nicht abgeneigt, ſo wuͤrde ich dahin zu ſorgen haben, ſie auf eine ſichre und bequeme Weiſe nach Amſterdam an das Haus ihres dortigen Korreſpondenten zu adreſſiren, von wo ihre weitere Reiſe uͤber Meer in gleicher Art veranſtaltet werden ſollte. Daß dieſe Auftraͤge zugleich mit reichlichem Erſatz fuͤr meine aufgewandte Muͤhe und Auslagen ver - bunden waren, bedarf kaum noch einiger Er - waͤhnung. Die Gebruͤder hatten ſich auch hierinn, nach ihrer gewohnten Weiſe, eben ſo großmuͤthig, als rechtlich, erwieſen.

Man kann ſich leicht denken, mit welcher freudigen Ueberraſchung die Eltern die Zei - tung von dem hellen Gluͤcksſtern empfiengen, der ihnen ſo unverhofft jenſeits des Meeres aufgegangen; aber auch daß die Wohlhaben - heit, in welche ſie ſich ſo auf einmal ver - ſetzt ſahen, ihnen mehr oder weniger die Koͤpfe verruͤckte. Leicht auch entſchloſſen ſie ſich, in die Trennung von ihrem Kinde zu willigen; ſo wie dieſes ſelbſt an Sinn und Neigung noch zuſehr ein Kind war, um nicht mit leichtem Muthe in den Aufruf ſo99 guͤtiger Verwandten einzuſtimmen, die es zu ſich entboten. Jndeß war doch auch, in der Zwiſchenzeit, in des Maͤdchens aͤuſſerm Weſen eine, ihr ſehr vortheilhafte Aenderung vorgegangen, und es ſchien mir keinem Zwei - fel unterworfen, daß ſie ſich in der Zunei - gung ihrer Oheime behaupten wuͤrde. Es fand ſich Gelegenheit, ſie der Obhut Eines meiner Freunde, der ein Schiff nach Am - ſterdam fuͤhrte, anzuvertrauen. Jch wußte, daß ſie dort gluͤcklich angekommen war und eben ſo wohlbehalten die Ueberfahrt nach Suriname gemacht hatte. Von dort hatte ich die ſchriftlichen Dankſagungen meiner innigſt erfreuten Freunde empfangen: aber ſpaͤterhin war unſer briefliches Verkehr un - terbrochen worden; ſo daß ich ſeit meh - reren Jahren nicht wußte, wie es um ſie und ihr angenommenes Kind zuſtehen moͤchte. Beides hoffte ich nunmehr von den, an Bord erſchienenen Geſundheits-Commiſſarien zu vernehmen.

Leider erfuhr ich auf dieſem Wege, daß die Gebruͤder Kniffel beiderſeits ſchon vor einigen Jahren mit Tode abgegangen. Aber was iſt mit einem Frauenzimmer einer Anverwandtinn aus Deutſchland geworden, die vor nicht gar zu langer Zeit in die Kolonie gekommen und als die muth - maßliche Erbinn ihrer Oheime angeſehen100 wurde? Ei, das iſt ſie auch wirklich ge - worden, fiel die Antwort und nicht nur im vollen Beſitz des ganzen ungeheuern Kniffelſchen Vermoͤgens, ſondern auch ge - genwaͤrtig die Gemahlinn des Banco-Direc - tors, Mynheer van Rooſe, und zu Parama - ribo wohnhaft Schmerz und Freude wechſelten bei dieſen Nachrichten in meinem Gemuͤthe; doch war ich voller Begierde, mich der Frau van Rooſe auf eine gute Art vor - zuſtellen.

Dazu fand ſich Gelegenheit gleich am naͤchſten Tage, als wir uns im Angeſichte der Stadt vor Anker gelegt hatten, indem ich meinem Negerjungen von einer Anzahl mitgebrachter blauer Papageien, wie ſie hier unter die Seltenheiten gehoͤren, den ſchoͤnſten auf die Hand und einen Affen auf den Kopf nehmen, dann aber vor mir hin nach dem, mir noch von Alters her gar wohl bekann - ten Kniffelſchen Hauſe traben ließ, und wo auch gegenwaͤrtig die reiche Erbinn noch wohnen ſollte. Jetzt wimmelte es in dem - ſelben von ſchwarzen Sklavinnen zur herr - ſchaftlichen Aufwartung. Durch Eine der - ſelben ließ ich der Frau van Rooſe mein Verlangen melden, ihr aufwarten zu duͤrfen.

Alsbald trat ſie aus ihrem Zimmer her - vor; und mein erſter Blick auf ihre Geſtalt ließ mich ſie ungezweifelt wieder erkennen,101 obwohl ſie ſeither groß und ſtattlich ausge - wachſen war. Jch darf indeß wohl geſte - hen, daß mir, als ſie ſo leibhaftig vor mir ſtand, doch etwas wunderlich um’s Herz war, und daß mir’s einigermaaſſen den Athem verſetzte, als ich die Frage an ſie richtete: Ob es ihr nicht beliebe, etwas von meinen afrikaniſchen Raritaͤten zu kaufen? An - ſtatt mir darauf zn antworten, faßte ſie mich nicht wenig er ſcharf in’s Auge, als das meinige auf ihr haftete. Mein Gott! rief ſie endlich Geſicht und Stimme kommen mir ſo bekannt vor Es iſt unmoͤglich, daß ich Sie nicht ſchon irgend einſt geſehen haben ſollte

Ei freilich wohl! gab ich zur Ant - wort. Den alten Nettelbeck aus Koͤnigs - berg werden Sie ſo ganz und gar nicht vergeſſen haben!

Nun entfuhr ihr ein lauter Freudenſchrei; ſie fiel mir mit beiden Armen um den Hals; die hellen Thraͤnen ſtuͤrzten ihr aus den Au - gen, (und mir war’s auch nicht weit davon!) bis ihr endlich, im Uebermaaß der Ruͤhrung, in meinen Armen beinahe die Sinnen ſchwan - den. Daruͤber erhob ſich ein Geſchrei und Laͤrmen unter ihrer ſchwarzen Dienerſchaft, das weit umher erſcholl und endlich auch den erſchrocknen Hausherrn herbeifuͤhrte. Dieſer ſtutzte nicht wenig, ſeine Gattin, in102 halber Ohnmacht, am Halſe und in den Ar - men eines unſcheinbaren Fremden zu erblicken. Er ſprang herzu; fragte, was es gebe, und fand ſie eben ſo wenig im Stande, ihm eine Antwort zu ſtammlen, als ich ſelbſt mich, vor inniger Ruͤhrung, vermoͤgend fuͤhlte, ihn zu befriedigen. Endlich erholte ſie ſich in dem Maaſſe, ihm zuzurufen: Mein Kind, dies iſt der Mann, von dem ich dir ſo oft er - zaͤhlt habe der erſte Urheber meines Gluͤcks der ehrliche Nettelbeck, der ſich in Koͤnigsberg Meiner annahm. O Gott!

Mehr konnte ſie nicht ſagen, weil eine neue Schwaͤche ſie anwandelte. Der Gatte und ich nahmen ſie unter beide Arme und fuͤhrten ſie in das anſtoßende Zimmer zu ei - nem Kanapee, wo denn der Aufruhr in ihrer Seele ſich allmaͤhlig wieder beruhigte. Nun jagten ſich tauſend verwirrte Fragen Wie es mir gehe? was ich treibe? wie ich hieher nach Suriname komme? und war nicht eher befriedigt, als bis ich ihr in der Kuͤrze meine neueſten Lebensſchickſale erzaͤhlt hatte. Eben ſo unerſaͤttlich war ſie in Er - kundigungen nach dem Ergehen ihrer Eltern, von denen ſie ſeit zwei Jahren keine Kunde erhalten habe. Jch war zwar ſelbſt bereits ſeit vier Jahren von Koͤnigsberg abweſend, und konnte ſie hieruͤber nur wenig befriedi - gen: doch ſagte ich, was ich wußte: Daß103 ihr Vater den wunderlichen Einfall gehabt, ſich den Titel als Licent-Rath zu kaufen, und daß er Dieſes und Jenes treibe, was man ihm zugute halten muͤſſe. Jene Standeser - hoͤhung hatte er ihr wohlweislich verſchwie - gen; und ſie konnte nicht umhin, recht herz - lich daruͤber zu lachen; bis ſie denn endlich hinzuſetzte: Ei, und warum auch nicht? Laßt doch dem alten Manne die naͤrriſche Puppe!

Jetzt duͤnkte mir’s Zeit, wieder aufzu - brechen: aber ich ward mit liebreichem Un - geſtuͤm zuruͤckgehalten. Vergebens ſuchte ich mich mit meinen Verhaͤltniſſen, als Ober - Steuermann, zu entſchuldigen, die keine gar zu lange Entfernung vom Schiffe zulieſſen. Doch auch dem wußten ſie zu begegnen, in - dem ſie nach meinem Kapitain ausſandten und ihn gleichfalls freundlich zur Tafel ein - luden. Dieſer, der aus meinen fruͤheren Unterhaltungen wußte, was fuͤr eine Erken - nungs-Scene mich am Lande erwartete, ſchlug es nicht aus, zu erſcheinen; und ſeine Ge - genwart diente nur dazu, unſer geſelliges Vergnuͤgen noch zu erhoͤhen.

Unter dem lebhafteſten Hin - und Herfra - gen, bemerkte endlich Frau van Rooſen, daß auf den Sklavenſchiffen oftmals einige Ver - legenheit um die Herbeiſchaffung friſcher Mundvorraͤthe zu entſtehen pflege. Dieſe fuͤr uns zu beſeitigen, wuͤrde ſie Befehl ſtel -104 len, daß von allen ihren drei Plantagen taͤg - lich ſoviel Lebensmittel an Bord geſchafft wer - den ſollten, als wir irgend beduͤrfen moͤch - ten. Den Werth dafuͤr koͤnne der Kapitain mir nach einem billigen Maaßſtabe zugute ſchreiben. Da dies nun auch waͤhrend der vierzehntaͤgigen Dauer unſers hieſigen Auf - enthalts zur wirklichen Ausfuͤhrung kam, ſo erwuchs mir dadurch ein kleiner Vortheil von 140 Gulden: doch noch mehr verpflichtet fuͤhlte ich mich durch die liebevolle und freund - liche Aufnahme, deren ich mich binnen dieſer Zeit in dem Rooſenſchen Hauſe ſchier taͤglich zu erfreuen hatte.

Unſer Hauptgeſchaͤft beſtand hier indeß im Verkauf unſrer ſchwarzen Waare: wor - uͤber ich mich hier doch auch mit einigen Worten zu erklaͤren habe Gewoͤhnlich er - laͤßt der Schiffs-Kapitain, bei ſeiner Ankunft in der Kolonie, ein Circulare an die Planta - gen-Beſitzer und Aufſeher, worinn er ihnen ſeine mitgebrachten Artikel anempfiehlt und die Kaͤufer zu ſich an Bord einladet. Bevor jedoch Dieſe anlangen, wird eine Auswahl von 10 bis 20 Koͤpfen, als der Erleſenſten unter dem ganzen vorhandenen Sklavenhau - fen, veranſtaltet; man zeichnet ſie mit einem Bande um den Hals, und ſo oft ein Beſuch ſich naht, muͤſſen ſie unter das Verdeck kriechen, um unſichtbar zu bleiben. Denn105 die Politik des Verkaͤufers erfordert, daß nicht gleich vom Anfang herein das beſte Kaufgut herausgeſucht werde und dann der Reſt, als ſey er bloßer Ausſchuß, in boͤſen Verruf komme.

Haben ſich nun kaufluſtige Gaͤſte auf dem Schiffe eingefunden, ſo werden die maͤnn - lichen, wie die weiblichen Sklaven angewie - ſen, ſich in zwei abgeſonderten Haufen in die Runde zu ſtellen. Jeder ſucht ſich dar - unter aus, was ihm gefaͤllt und fuͤhrt es uͤber Seite; und dann erſt wird daruͤber ge - handelt, wie hoch der Kopf durch die Bank gelten ſoll. Gewoͤhnlich koͤmmt dieſer Preis fuͤr die Maͤnner auf 400 bis 450 Gulden zu ſtehen. Auch junge Burſche von 8 oder 10 Jahren und druͤber erreichen dieſen Preis ſo ziemlich; ein Weibsbild wird, jenachdem ihr Anſehen beſſer oder geringer ausfaͤllt, fuͤr 200 bis 300 Gulden losgeſchlagen; hat ſie aber noch auf Jugend, Fuͤlle und Schoͤn - heit Anſpruch zu machen, ſo ſteigt ſie im Werthe bis auf 800 oder 1000 Gulden, und wird oft von Kennern noch ausſchweifender bezahlt.

Jſt nun der Handel ſolchergeſtalt abge - ſchloſſen, ſo wird der Preis entweder zur Stelle baar berichtigt, meiſt aber durch Wech - ſel ausgeglichen, oder es findet auch ein Aus - tauſch gegen Kolonie-Erzeugniſſe an Zucker,106 Kaffee u. ſ. w. ſtatt; und wenn die Kaͤufer ihre erhandelten Sklaven nicht gleich mit ſich hinwegfuͤhren, ſo bedingen ſie auch wohl ein, daß der Kapitain ſie im Boot oder in der Schaluppe an die bezeichnete Plantage ab - liefern laͤßt.

Zuletzt bleibt denn nun, nachdem allmaͤh - lig auch die erleſenere Waare zum Vorſchein gekommen iſt, wirklich nur der ſchlechtere Bodenſatz zuruͤck; und um ſich deſſen zu ent - aͤuſſern, muß nun zu einer neuen Maaßregel geſchritten werden; und dies iſt der Weg des oͤffentlichen Ausgebots an den Meiſtbie - tenden. Zu dem Ende werden dieſe Neger an dem dazu beſtimmten Tage an Land und auf einen eigenen Platz gebracht, wo ein Arzt jeden Sklaven einzeln uͤber ſeine Tauglichkeit unterſucht. Dieſer muß ſodann auf einen Tiſch treten; der Arzt legt Zeugniß ab, daß er fehlerfrei ſey, oder daß ſich dieſer oder je - ner Mangel an ihm finde. Nun geſchehen die Gebote der Kaufluſtigen; und ſo wird, nach erfolgtem Zuſchlage, bis zu dem Letzten aufgeraͤumt.

Wir indeß hatten diesmal bei unſerm Handel nur wenig Gluͤck; was auch nicht fehlen konnte, da nur kurz zuvor zwei Skla - ven-Schiffe hinter einander hier geweſen wa - ren und den Markt uͤberfuͤllt hatten. Die ſchlechte Erfahrung der erſten 14 Tage, die107 wir hier zubrachten, uͤberzeugte uns daher bald von der Nothwendigkeit, einen vortheil - haftern Platz aufzuſuchen; und unſre Wahl fiel auf die benachbarte hollaͤndiſche Kolonie Berbice. Bei unſerm Abgange befand ſich Herr van Rooſe und ſeine Gemahlin gerade abweſend auf Einer von ihren Plantagen; ſo daß wir uns, zu meinem innigen Bedauern, kein Lebewohl ſagen konnten. Am erſten Januar 1773 ſtachen wir demnach wieder in See.

Doch ſchon am naͤchſten Tage verſpuͤrten wir ploͤtzlich einen Leck von ſolcher Bedeu - tung, daß wir im vollen Ernſt das Sinken fuͤrchteten und uns mit der angeſtrengteſten Arbeit an den Pumpen kaum uͤber Waſſer erhalten konnten. Wir befanden uns hier ei - nem unangebauten Strich der Kuͤſte und der Muͤndung des Fluſſes Kormantio gegenuͤber, die 15 Meilen noͤrdlich von Suriname liegt und bis dahin noch von keiner europaͤiſchen Macht in Beſitz genommen war. Wollten wir nun nicht unſer augenblickliches Grab in den Wellen finden, oder auf den Strand laufen und auch hier es darauf wagen, Alles zu verlieren: ſo blieb uns nur der Verſuch uͤbrig, in den gedachten Fluß einzulaufen und unſern Schaden, wo moͤglich, auszubeſſern.

Jch gieng mit der Schaluppe voraus und unterſuchte die Einfahrt. Die Muͤndung des108 Stromes war beinahe anderthalb Meilen breit, und in der Mitte vor derſelben lag eine kleine Jnſel, von nur maͤßigem Umfange, niedrig und mit Rohr und Strauch bewach - ſen. Das Fahrwaſſer fand ich bei der hoͤch - ſten Fluth nur 13 Fuß tief Fuͤr uns ein leidiger Umſtand, da unſer Schiff etwas uͤber 14 Fuß tief gieng. Es galt demnach, daſſelbe mindeſtens noch um anderthalb Fuß zu er - leichtern; und zu dem Ende bedachten wir uns ebenſowenig, unſern geſammten einge - nommenen Vorrath von friſchem Waſſer wie - der uͤber Bord laufen zu laſſen, als unſre uͤberzaͤhligen Stengen und Raaen in’s Waſſer zu laſſen, ſie zu einem Floſſe zu vereinigen und Alles, was nur irgend dem Verderb nicht ausgeſetzt war, auf daſſelbe auszuladen.

Dennoch lief uns mit der Ebbe eine ſo gewaltige Stroͤmung entgegen, daß wir uns der Muͤndung nicht naͤhern durften, ſondern unter Furcht und Sorge die naͤchſte Fluth erwarten mußten; und dieſe fuͤhrte uns denn doch ſoweit hinein, daß wir Schutz vor den Wellen fanden und das Schiff dicht am Lande auf den Grund ſetzen konnten. Bei der nie - drigſten Ebbe hingegen ſtand es voͤllig trocken auf einem Sandgrunde, und das hineinge - drungene Waſſer lief dann wieder zum Bo - den hinaus. Auf dieſe Weiſe machte es uns denn auch wenig Muͤhe, die eigentliche Stelle109 des Lecks aufzufinden und gehoͤrig wieder zu verſtopfen. Doch hielt uns dieſe Ausbeſſe - rung hier 5 bis 6 Tage auf, waͤhrend wel - cher Zeit uns an dieſem Orte, trotz unſerem fleiſſigen Streifereien in der ganzen Gegend umher, auch nicht ein einziges menſchliches Weſen zu Geſichte kam; ſo daß wir dieſen Fluß und ſeine Ufer durchaus fuͤr unbewohnt halten mußten.

Unter den Urſachen dieſer gaͤnzlichen Ver - oͤdung mochte wohl der Mangel an friſchem trinkbaren Waſſer obenan ſtehen: denn das Waſſer im Fluſſe war auch bei der niedrig - ſten Ebbe bitter geſalzen; hineinfallende kleine Baͤche gab es nicht, und was wir in den, von uns gegrabenen Brunnen fanden, war ſo dick und lehmigt, daß wir es zwar im Nothfall gebrauchen, aber doch unſre ausge - zapften Waſſertonnen nicht wieder damit an - fuͤllen mochten. Dieſemnach fuhr ich den Strom mit der naͤchſten Fluth in der Scha - luppe gegen 4 Meilen weiter hinauf, wo er immer noch die Breite von einer Viertel - meile zeigte; wartete, bis die Ebbe voͤllig ab - gelaufen war, und gedachte nunmehr friſches und taugliches Waſſer zu ſchoͤpfen. Aber auch hier fand ich es noch ſo geſalzen, daß es vergebliche Muͤhe geweſen ſeyn wuͤrde; ſo daß ich den nemlichen Verſuch, unter glei - chen Umſtaͤnden, noch etwa 3 Meilen hoͤher110 aufwaͤrts, wiederholen mußte, wo ich end - lich meinen Zweck nach Wunſch erreichte. Selbſt hier betrug indeß die Entfernung bei - der Ufer immer noch gegen 500 Schritte.

Jn dieſer Gegend des Fluſſes war es auch, wo wir, zum Erſtenmal an dieſer Kuͤſte, ein Kanot mit drei Jndianern ent - deckten, die ſich mit dem Fiſchfang beſchaͤf - tigten. So wie ſie uns gewahr wurden, ergriffen ſie die Flucht und verſteckten ſich im Rohr und Schilf. Wir waren ihnen nach - gefolgt, um, wo moͤglich, einiges Verkehr mit ihnen anzuknuͤpfen; fanden aber nur das Kanot, worinn ſie ihr ganzes Fiſchergeraͤth zuruͤckgelaſſen hatten; ſie ſelbſt waren an’s Land geſprungen und in den dickſten Buſch gefluͤchtet. Jch bewog meine Leute, mit mir ihre Taſchen auszuleeren, und was wir dar - inn an Meſſern, Feuerzeugen und andern Kleinigkeiten mit uns fuͤhrten, (unter Ver - heiſſung einer hinreichenden Entſchaͤdigung bei unſrer Wiederkehr an’s Schiff) als Ge - ſchenk fuͤr die Entflohenen in dem Fahr - zeuge zuruͤckzulaſſen.

Meine Abſicht, dieſe Menſchen gegen uns etwas zutraulicher zu machen, gelang auch voll - kommen. Denn als wir des naͤchſten Tages in zwei Fluthen, mit beiden Booten nach jener Gegend zuruͤckkehrten, um unſre Waſ - ſerfaͤſſer zu fuͤllen, ſtieſſen wir auf dieſe nem -111 lichen drei Jndianer und ſuchten eine Unter - haltung mit ihnen anzuknuͤpfen. Allein es gelang uns, bei der gaͤnzlichen Unkunde ihrer Sprache, ſo wenig, uns auch nur einiger - maaſſen mit ihnen zu verſtaͤndigen, daß wir durch ſie uͤber die Beſchaffenheit dieſes Lan - des und ſeiner Bewohner um nichts kluͤger wurden. Auch ſtieſſen uns binnen den 15 Tagen, die wir hier verweilten, keine Andere von ihren Landsleuten auf; und da wir, nach ergaͤnztem Waſſervorrath, hier weiter nichts zu ſuchen hatten, ſo ſaͤumten wir auch nicht laͤnger, wieder in See zu gehen.

Jn Berbice, wo wir mit dem letzten Januar anlangten, fanden wir leider! eben ſo ſchlechten Markt, indem bereits zwei Skla - ven-Schiffe in gleicher Abſicht dort vor An - ker lagen. Wir hielten uns alſo auch nur drei Tage auf, und ſteuerten nach St. Euſtaz; erreichten dieſe Jnſel in der Mitte Februars, und hatten das Gluͤck hier verſchiedene Skla - venkaͤufer von den ſpaniſchen Beſitzungen auf der Terra firma anzutreffen, an welche wir unſre Ladung ſammt und ſonders binnen drei Tagen mit Vortheil losſchlugen.

Hier war es auch, wo wir mit dem Skla - ven-Schiffe, welches mein wackrer Freund und Landsmann Mick fuͤhrte, wieder zuſammen - ſtieſſen. Er war auf der Ueberfahrt von Afrika verſtorben! und ſein Steuermann ge -112 traute ſich nicht, allein mit dem Schiffe nach Holland zuruͤckzugehen. Man warf daher die Augen auf mich, dieſe Fuͤhrung zu uͤberneh - men, und des Bittens und Beſtuͤrmens war ſo lange kein Ende, bis ich mich dazu ent - ſchloß und auch Kapitaiu Sandleven einwil - ligte, mich von ſeinem Schiffe zu entlaſſen. Wir ſchieden als Freunde und mit einem Herzen voll gegenſeitiger Liebe und Achtung; ich gieng in den letzten Tagen des Februars von St. Euſtaz ab und warf um die Mitte Aprils vor Vlieſſingen, wohin das Schiff gehoͤrte, gluͤcklich die Anker. Die Rheeder bewilligten mir, außer meiner gebuͤhrenden Gage, noch ein beſondres Geſchenk von 100 Gulden und wuͤrden mich auch gerne in ih - rem Dienſte behalten haben, wenn ich nicht geglaubt haͤtte, einer anderweitig eroͤffneten Ausſicht folgen zu muͤſſen.

Es war nemlich gerade um dieſe Zeit, daß eine engliſche Transport-Flotte mit 1500 Seeſoldaten nach der Kuͤſte von Gui - nea abgehen ſollte, um die Beſatzuungen in den dortigen engliſchen Forts abzuloͤſen. Zugleich aber ſuchte man auch fuͤr dieſe Ex - pedition Seeleute, und zumal Steuermaͤn - ner, welche jener Weltgegend kundig waͤ - ren. Bei mir, als mir ein ſolcher Antrag geſchah, bedurfte es keines langen Zuredens, um mich zu einer ſolchen Fahrt zu ent -ſchlieſſen.113ſchlieſſen. Jch kam nach Portsmouth, wo jenes Geſchwader ausgeruͤſtet wurde, und man ſetzte mich, als Schiffslieutenant, auf den Jupiter von 64 Kanonen, und gefuͤhrt von Kapitain Cappe, welcher dieſer Convoy zur Bedeckung dienen ſollte. Es ſchien mir ſchon der Muͤhe werth, auch einmal den engliſchen Seedienſt zu verſuchen.

Schon im halben Merz 1774 ſegelte die Flotte, auſſer uns in 6 Transport-Schiffen beſtehend, von Portsmouth aus, langte in den erſten Tagen des Mai Monats auf der Kuͤſte von Guinea an; ſchiffte nach und nach ihre eingenommenen Truppen in den engliſchen feſten Plaͤtzen aus; nahm die Reſte der alten Garniſonen wieder an Bord und ſtach zuletzt, etwa in der Mitte des Junius, von Cap Coaſt, queer uͤber den Ocean, nach Jamaika hinuͤber. Hier langten wir nach 6 oder 7 Wochen gluͤcklich an, verweilten auf dieſer Station noch einen Monat; lieſſen gleichwohl unſre bisherige Begleitung, die ihre Frachten ſo ſchnell nicht einnehmen konnte, dort hinter uns zuruͤck und erreich - ten im November England wieder, ohne daß uns uͤberall irgend ein denkwuͤrdiges Er - eigniß aufgeſtoßen waͤre.

Meine Luſt, mich im engliſchen Dienſt umzuſehen, hatt ich mit dieſer Reiſe voll -11. Bändchen. (8)114ſtaͤndig und fuͤr immer gebuͤßt. Dieſe Ver - haͤltniſſe und Lebensweiſe waren nicht fuͤr meinen nuͤchternen deutſchen Sinn gemacht. Schwerlich auch kann man ſich eine Vor - ſtellung davon machen, wie rauh und un - gefuͤgig es auf den Schiffen dieſer Na - tion hergeht. Da iſt keine Ehre und kein Reſpect; man hoͤrt nichts anders, als Goddam! und brutale Reden ohne Zahl. Alles, vom geringſten Matroſen an, iſt gegen die Officiere im Widerſpruch; wie - wohl ich nicht zweifle, daß ſie dennoch, wenn es irgend zum Schlagen koͤmmt, unter einander einig und brav ſind. Von der noͤthigen Ordnung hab ich uͤbrigens auf dieſen Schiffen nur wenig verſpuͤrt. Selbſt Eſſen und Trinken hat keine beſtimmte Zeit. Nicht ſelten haͤngt ein gekochtes Stuͤck Fleiſch von 10 bis 20 Pfund am Maſt, wo - von ſich ein Jeder abſchneidet, wann und wieviel er will. Zu beiden Seiten daneben ſteht das Brodt-Faß und das Gefaͤß mit Grog, (Waſſer mit etwas Rum vermiſcht) um die offne Tafel vollſtaͤndig zu machen. Dies Leben gieng mir denn freilich auf die Laͤnge zu bitter ein. Jch bat um meine Ent - laſſung, erhielt ſie, und begab mich, wenige Wochen nach meiner Heimkehr, nach Amſter - dam heruͤber.

115

Waͤhrend ich hier den Winter uͤber, wo es nichts fuͤr mich zu thun gab, bis in den Merz 1775 verweilte, hatt ich genuͤgliche Muße, uͤber meine Lebenslage, und was ich ferner thun und treiben ſollte, reiflich nach - zudenken. Jch hatte jetzt meine vollen 37 Jahre auf dem Nacken; hatte, unter tauſend Gefahren und Muͤhſeligkeiten und unter allen Himmelsſtrichen, meine beſten Jahre und Kraͤfte im Dienſt von Fremden ver - ſchwendet, und ſah immer deutlicher ein, wie wohl ich thun wuͤrde, mit meinen Erfahrun - gen, und was ich ſonſt irgend vermoͤchte, meinem Vaterlande und mir ſelbſt zu dienen. Dies brachte mich denn auch zu dem Ent - ſchluſſe, mein ferneres Gluͤck und Fortkom - men am liebſten in meiner Vaterſtadt, an der ich noch immer mit ganzer Seele hieng, zu ſuchen; und demzufolge begab ich mich auch ſofort, nach wieder eroͤffneter Schiffahrt, als Paſſagier von Amſterdam nach Swinemuͤnde, von wo ich mich ſodann nach Colberg ver - fuͤgte.

Eigentlich aber kam ich doch ſchon fuͤr dies Jahr zu ſpaͤt, um eine Anſtellung im Seeweſen zu finden, wie ſie mir am gemuͤth - lichſten geweſen waͤre. Jch begnuͤgte mich alſo, nach alter Weiſe, wieder eine Naviga - tions-Schule zu eroͤffnen, um junge Leute fuͤr den Seedienſt zu bilden: denn an ſolchen116 Anſtalten fehlte es damals noch gar ſehr in unſerm Vaterlande. Auch darf ich mir wohl das Zeugniß geben, daß aus meinem Unter - richte nicht wenige Schiffs-Kapitaine und Steuermaͤnner hervorgegangen ſind, welche ſich des, in ihre Geſchicklichkeit und Anſtelligkeit geſetzten Vertrauens uͤberall werth erwieſen haben, und jetzt ſoviel Jhrer noch leben, auch ſchon mit Ehren graues Haar tragen. Einige von ihnen haben auch in der Folge hier in Colberg meine Stelle erſetzt und ſich als Lehrer in der Steuermannskunſt verdient ge - macht.

Da inzwiſchen die Lehrlinge in ſolchen Schulen den Sommer hindurch den prakti - ſchen Uebungen des Erlernten obzuliegen pfle - gen und der zu empfangende Unterricht meiſt nur ihre muͤßigen Wintermonate ausfuͤllt, ſo gab derſelbe auch mir nicht hinreichende Be - ſchaͤftigung, deren mein unruhiger Geiſt den - noch ſoſehr bedurfte. Kurz, ich fuͤhlte hier Langeweile; fuͤhlte aber auch zugleich, daß ich an Geiſt und Leib noch keinesweges ſo fluͤ - gellahm geworden, um unthaͤtig hinter dem Ofen hocken zu muͤſſen. Auf die Gefahr alſo, fuͤr wetterwendiſch gehalten zu werden, will ich nur geſtehen, daß mich nebenher doch immer wieder nach der eignen Fuͤhrung eines tuͤchtigen Schiffs verlangte, und daß, da ſich’s damit nicht nach meinem Sinne117 ſchicken und fuͤgen wollte, meine Gedanken abermals auf Holland und die juͤngſt ver - laſſene Lebensweiſe ſtanden.

Wer weiß auch, was geſchehen waͤre, wenn einige Freunde, die es mit anſahen, wie mich der Thaͤtigkeits-Trieb verzehrte, mich nicht aufgeredet haͤtten, daß ich mir das Verdienſt um meine Vaterſtadt erwerben moͤchte, ſie, den Sommer hindurch, aus der Ferne, vom Stettinſchen Haff her, und reichlicher, als es bisher der Fall geweſen, mit lebendigen Fiſchen zu verſorgen. So ganz zwar wollte dies Project mir ſelbſt nicht gefallen; indeß ich ließ mich dazu uͤberreden; kaufte ein Haus am Waſſer, welches die, zu dieſer Handthierung paſſende Gelegenheit beſaß, und war nun drauf aus, mir auch ein, zu ſolchem Handel eingerichtetes Fahrzeug (Man nennt es eine Quatze) anzuſchaffen. Zu dem Ende begleitete ich meinen guten Freund, den Schiffer Blank, der eben nach Swinemuͤnde ſteuerte, weil ich dort, oder in der Nachbarſchaft, mich zu meinem neuen Gewerbe am beſten zu verſehen hoffte.

Ein ſteifer Suͤdweſt-Wind wollte uns an jenen Hafen nicht ſogleich herankommen laſ - ſen, ſondern trieb uns zwei oder drei Mei - len weiter an die Kuͤſten der Jnſel Uſedom und in die Gegend, wo einſt die alte wen - diſche Handelsſtadt Wineta im Meere ver -118 ſunken ſeyn ſoll. Natuͤrlich drehte ſich, in ſolcher Naͤhe, das Geſpraͤch zwiſchen mei - nem Freunde und mir um dieſen Gegenſtand. Man muß ſagte Jener bei der Schiffahrt ſich um ſo Vieles und ſo genau bekuͤmmern; und dieſer merkwuͤrdige Fleck iſt uns uͤberdem ſo nahe gelegen, daß es doch fuͤrwahr eine Schande waͤre, wenn wir daruͤber nicht mit Was und Wie und Wo ſollten richtige Auskunft geben koͤnnen.

Das koͤnnt ich wohl, war meine Ant - wort aber doch nur auf Treu und Glaubens des hollaͤndiſchen Schiffers, mit dem ich meine letzte Reiſe, als Paſſagier, von Amſterdam nach Swinemuͤnde machte. Dieſer erzaͤhlte mir, als wir dieſen nem - lichen Strich hier hielten, er ſey vor vier Jahren bei jener verſunkenen Stadt auf den Grund gerathen und habe ſein Schiff verloren. Um ſo ſorgfaͤltiger habe er ſich die Merkzeichen der Kuͤſte bekannt gemacht, um ſich kuͤnftig vor Schaden zu huͤten. Seht dorten ſprach er iſt ein ſchwarzer Berg in Weſten; und weiter oſt - waͤrts liegt ein andrer Berg von gleicher Farbe. Zwiſchen Beiden entdeckt Jhr ei - nen weiſſen Sandhuͤgel; und gerade vor Dieſem, eine halbe Meile vom Lande, iſt das verwuͤnſchte Steinriff, das mich bald zum armen Mann gemacht haͤtte. Jrr119 ich aber nicht, ſo ſtehen uns ſeine angege - benen Merkzeichen dort gerade im Geſichte; und es moͤchte wohlgethan ſeyn, einwenig aufzupaſſen.

Kaum noch war mir das Wort uͤber die Lippen, ſo ſtieß unſer Schiff ſo ploͤtz - lich und ſo hart auf den Grund, daß uns die Fuͤße unter’m Leibe entglitten und wir unwillkuͤhrlich auf das Verdeck hinſtuͤrz - ten. Jndem wir uns ſchnell beſannen und um uns ſchauten, uͤberzeugten wir uns, daß wir auf der nemlichen Stelle feſt ſaßen, die den Gegenſtand unſers Geſpraͤchs ausge - macht hatte. Denn etwa 20 Klafter noͤrd - lich vom Schiffe entdeckten wir eine ebene Platte, die faſt mit dem Waſſerſpiegel gleich ſtand, und deren Daſeyn uns nur darum entgangen war, weil der Wind gerade vom Lande kam und alſo ſchlichtes Waſſer machte, daß keine Brandung auf der Untiefe entſte - hen konnte.

Was war indeß zu thun? Der Schif - fer ließ flugs das Boot ausſetzen, um ei - nen Anker auszubringen und daran das Schiff von der Bank wieder abzuwinden. Jch ſelbſt ſtieg hinein, um dies in’s Werk zu richten, und fuhr ſuͤdlich, von der Un - tiefe, die wir im Norden liegen ſahen, ab - waͤrts. Jn einer Entfernung von etwa 80 Klaftern ließ ich den Anker fallen; erſtaunte120 aber nicht wenig, als er noch uͤber’m Waſ - ſer ſtehen blieb indem die See hier an dieſer Stelle nicht uͤber 4 bis 6 Fuß Tiefe hatte. Der Anker mußte wieder em - porgebracht und nach dem Schiffe gezogen werden.

Jetzt begann ich, (Was freilich fruͤher haͤtte geſchehen ſollen!) rings umher zu ſon - diren, um ein Fahrwaſſer von hinreichender Tiefe zu finden. Es gab aber uͤberall nichts, als Klippen und Steine, dicht unter Waſſer; nur hinter uns war es offen, und ich ſah, wir wuͤrden uns des nemlichen We - ges zuruͤck arbeiten muͤſſen, den wir gekom - men waren. Demnach ward der Anker ge - rade nach hinten ausgebracht und die Schiffswinde in Bewegung geſetzt: allein das Fahrzeug wollte weder wanken noch weichen. Da wir nun mit Sand-Ballaſt fuhren, ſo ward Deſſen eine ziemliche Menge uͤber Bord geſchafft, um das Schiff zu er - leichtern, welches noch immerfort auf den Grund ſtieß; jedoch ohne einigen Schaden zu nehmen.

Waͤhrend jener Anſtrengungen ſtieg ich abermalen in’s Boot, um den ganzen Um - fang dieſer Bank noch ferner zu ſondiren. Zufoͤrderſt begab ich mich nach der Stelle, die am hoͤchſten und mit dem Waſſer gleich lag; beſtieg dieſelbe und fand, indem ich121 mit den Fuͤßen tiefer ſcharrte, daß der Grund aus grobem Sande beſtand, der mit einzel - nen Brocken von Dachziegeln untermiſcht war. Meines Vermuthens mochte hier wohl fruͤ - her ein Schiff, mit ſolcherlei Ziegeln geladen, geſtrandet ſeyn und dieſelben zu ſeiner Er - leichterung uͤber Bord geworfen haben.

Beim weitern Umherfahren befand ſich’s, daß dieſe Bank durchgehends aus großen Steinbloͤcken beſtand, die mit 4 bis 5 Fuß Waſſer uͤberfloſſen waren. Zwiſchen denſel - ben gab es eine Tiefe von 6 bis 7 Fuß; und da das Waſſer ziemlich klar war, ließ ſich die Lage der Steine ſehr wohl unter - ſcheiden, aber in derſelben durchaus keine abſichtliche Anordnung und Regelmaͤßigkeit entdecken. Dieſe ganze Steinplatte mag vielleicht 600 Klaftern in der Laͤnge und Breite haben. Zugleich aber fallen ihre Raͤnder ſo ſteil ab, daß, waͤhrend jene Bloͤcke nur auf die bemerkte geringe Tiefe unter Waſſer ſtehen, unmittelbar daneben der See - grund ſich auf 15 und mehr Fuß vertiefte.

Es waͤhrte faſt ſechs Stunden, bevor es uns gelang, hier wieder flott zu werden. Waͤhrend dieſer Zeit trieb der ſtarke Wind ein Boot vom Lande herbei, worinn ſich zwei Bauerknechte, aber ohne Ruder, befan - den. Statt derſelben waren ſie mit ein paar Stangen verſehen, womit ſie ihr Fahr -122 zeug, ſo gut es angehen wollte, zu ſteuern verſuchten, um bei uns an Bord zu gelan - gen. Jn der That ſtieſſen ſie auch ſo un - vorſichtig und heftig gegen unſer Schiff an, daß wir fuͤrchteten, ihr Fahrzeug wuͤrde davon in Stuͤcken gehen; ſo wie es denn auch wirklich ſehr beſchaͤdigt wurde. Jndeß mochten ſie immer noch von Gluͤck ſagen, daß wir ihr Boot feſthielten und ſie dadurch verhinderten, an unſerm Schiffe vorbei in die hohe See zu treiben.

Erſt, als wir ſie an Bord genommen hatten, wurden wir gewahr, daß ſie ſich in ihrem beſten Sonntags-Staat befanden und mit einem gewaltigen Blumenſtrauß vor der Bruſt im Knopfloch prangten; ich haͤtte nem - lich ſchon fruͤher bemerken ſollen, daß es eben an einem Sonntags-Vormittage war. Auf unſer neugieriges Woher? und Wohin? nannten ſie uns ihr nicht weit entlegenes Wohn-Dorf und berichteten, ſie ſeyen ſo eben auf dem Wege uͤber Feld nach der Kirche begriffen geweſen, als ſie unſer Schiff auf dem Grunde ſitzend erblickt haͤtten; und da ſich zufaͤllig in ihrer Naͤhe ein leeres Boot am Strande vorgefunden, ſo waͤren ſie in Gottes Namen hineingeſtiegen, um zu ſehen, ob und wie ſie uns damit einige Huͤlfe leiſten koͤnnten. Da es jedoch in dem Fahrzeuge an Rudern gefehlt, mit denen ſie ohnehin nicht123 umzugehen wuͤßten, ſo haͤtten ſie gemeynt, ſich mit den vorraͤthigen Stangen wohl nothduͤrftig fortzuhelfen.

War das aͤcht-pommerſch brav und gut - herzig gemeynt, ſo muß man doch daneben geſtehen, daß es auch herzlich dumm berathen und ausgefuͤhrt war. Denn hatten ſie nicht das Gluͤck, vom Winde gerade gegen unſer Schiff getrieben zu werden, ſo kamen ſie immer weiter landabwaͤrts, waren ohne Barmher - zigkeit verloren, und kein Menſch haͤtte auch nur einmal gewußt, wo ſie hingeſtoben waͤren. Sie ſahen endlich ſelbſt ein, daß ſie einen einfaͤltigen Streich unternommen; und da wir indeß auch vom Grunde gluͤcklich wieder abgekommen waren, ſo banden wir ihr Boot an unſerm Schiffe feſt und nahmen ſie mit uns nach Swinemuͤnde, wo es ih - nen denn uͤberlaſſen bleiben mochte, wie ſie wieder ihren Heimweg finden wollten.

Jch Meinerſeits gieng von hier nach Ca - ſeburg, wo ich eine Quatze, wie ich ſie brauchte, fuͤr 400 Thaler erſtand und, nach - dem ich zugleich eine Ladung lebendiger Fi - ſche eingenommen, mich nach dem Swine - muͤnder Hafen, und ſo uͤber See, nach Col - berg auf den Ruͤckweg machte. Kaum aber war ich aus der Swine und uͤber die Rheede hinaus, und es an der Zeit, daß mein Koch Feuer anmachen ſollte: ſo befand ſich’s, daß124 der Lootſe, der uns in See gebracht, zufaͤl - lig unſre Zunderbuͤchſe, womit er ſeine Pfeife in Brand geſteckt, mit ſich genommen habe. Wir ſahen uns dadurch, trotz allen von mir angewandten Verſuchen, dieſem Mangel anderweitig abzuhelfen, in die Ver - legenheit geſetzt, auf unſrer Fahrt, die durch widrigen Wind uͤber zwei Tage und drei Naͤchte verzoͤgert wurde, ohne Feuer und Licht zu ſeyn. Beſonders unangenehm fiel es mir dabei, daß ich bei Nacht, aus Man - gel an Erleuchtung, auch von meinem Kom - paß keinen Gebrauch machen konnte.

Als ich endlich in Colberg anlangte, klagte ich zufaͤllig jene ausgeſtandene Noth meinem Nachbar, einem Schmidt, der mich gleichwohl derb auslachte, und mich zugleich aufforderte, ihm in ſeine Eſſe zu folgen, wo er mir zeigen wolle, wie man, auch ohne die gewoͤhnlichen Verkehrungen, ſich zu al - len Zeiten Feuer verſchaffen koͤnne. Jch folgte dem Herrn Gevatter, und ſah, wie er in die rechte Hand einen Hammer nahm, in welcher er zu gleicher Zeit auch einen Schwe - felfaden zwiſchen die Finger ſteckte. Jn der Linken hielt er einen neuen eiſernen Na - gel, deſſen Spitze er auf den Amboß legte, und nun mit dem Hammer einen tuͤchtigen Streich darauf vollfuͤhrte. Die Nagelſpitze ward dadurch dergeſtalt erhitzt, daß es jetzt125 nur der moͤglichſt ſchnellen Annaͤherung des Fadens bedurfte, um dieſen alſobald in lichte Flammen zu ſetzen.

Dies noch nie geſehene und doch ſo ein - fache Kunſtſtuͤck erregte bei mir eine billige Verwunderung. Jch hatte dem Herrn Nachbar nur dagegen einzuwenden, daß ſich das zwar auf ſeinem ſtaͤhlernen Amboß trefflich wohl machen laſſe; daß man den aber auf der See nicht immer gleich in der Naͤhe habe Potz! ſo habt Jhr doch eiſerne Anker! fiel er mir eifrig in die Rede und werdet doch drauf los zu pauken verſtehen! Zu noch beſſe - rer Bekraͤftigung gieng er, auf mein Bit - ten, mit mir nach meinem Fahrzeuge, um dort auf dem Bootsanker gleich die Probe zu machen. Jeder zweite oder dritte Schlag gab auch hier richtig Feuer. Jch verſuchte es ebenfalls; und auch mir ge - rieth es, obwohl nach einigen Schlaͤgen mehr, weil ich den rechten Zug nicht, wie Jener, in der Fauſt hatte. Die Kunſt iſt an ſich von keiner Bedeutung; ich habe hier aber gleichwohl ein paar Worte drum ver - lieren wollen, weil ſie doch Dieſem oder Je - nem einſt zufaͤllig zu ſtatten kommen koͤnnte; ſo wie ich ſie darum auch ſpaͤterhin beſon - ders jungen Seefahrenden beiſpielsweiſe mit - getheilt habe.

126

Nun machte ich mit meiner Quatze zwar noch mehrere Ausfluͤge: aber dieſe Fahr - ten und die ganze Handthierung waren, je laͤnger, je weniger nach meinem Sinn. Ue - berdem war der Abſatz meiner Waare kei - nesweges ſo reiſſend, als man mir vorge - ſpiegelt hatte; und da zudem die Fiſche durch das heftige Schlingern des Fahrzeugs in den Wellen haͤufig abſtanden, ſo hatt ich bei jeder Reiſe nur Verluſt und Schaden. Jch gab alſo meinen Kram bei Zeiten wie - der auf; brachte meine Quatze nach Stet - tin und bot ſie dort zum Verkaufe aus. Das gelang mir aber erſt nach Jahr und Tag, und ich litt auch bei dieſem Handel eine empfindliche Einbuße. So kam alſo auch das Jahr 1776 heran und fand mich wieder als Lehrer in der Steuermannskunſt, wobei ich mich, da ich tuͤchtige und lern - begierige Schuͤler hatte, immer noch in mei - nem angemeſſenſten Elemente befand. Auch im Winter 1777 trieb ich dieſe nuͤtzliche, wenn auch eben nicht ſonderlich eintraͤgliche Beſchaͤftiguug.

Am 28ſten April dieſes Jahres ſtand ich hier in Colberg, etwa um die Mittags - zeit, eines abzumachenden Geſchaͤfts wegen, beim Herrn Advocat Krohn am Fenſter, als, mitten in unſerm Plaudern, ploͤtzlich ein ganz erſchrecklicher Donnerſchlag geſchah,127 ſo daß Jener vor Schrecken neben mir nie - derſtuͤrzte und wie ohne Leben und Beſin - nung ſchien. Jn der That glaubte ich auch nichts gewiſſer, als daß er von dem Blitz - ſtrahl getroffen worden, bis mein Ruͤtteln und Schuͤtteln ihn endlich doch wieder auf die Beine brachte. Wo hat es eingeſchla - gen? fragte er, immer noch hochbeſtuͤrzt. Jch hoffe, nirgends; war meine Ge - genrede oder mindeſtens doch nicht ge - zuͤndet, da Regen, Schnee und Hagel die Luft erfuͤllen und alle Daͤcher triefen.

Allein im nemlichen Augenblick auch ſtuͤrzte der Kaufmann, Hr. Steffen, welcher ſchraͤg gegenuͤber wohnte, aus ſeinem Hauſe hervor; ſchlug die Haͤnde uͤber’m Kopfe zuſammen; ſchrie aus Leibeskraͤften, und richtete dabei den Blick immer nach dem Kirchthurme empor, den er jenſeits wahrnehmen konnte. Jch ahndete Unheil; lief alſo ſtracks hin - uͤber; mußte aber lange auf ihn einreden, bevor ich’s von ihm herauskriegte: Mein Gott! Unſre arme Stadt! Sehn Sie denn nicht? Der Thurm brennt ja lichter - loh! So war es denn auch wirklich. Die helle Flamme ſpruͤtzte bei der Wetter - ſtange, gleich einem feurigen Springbrun - nen, empor; aus den Schallloͤchern ſpruͤh - ten die Funken umher, wie Schneeflocken,128 und flogen bereits bis in die Domſtraße hinuͤber.

Jch, herzlich erſchrocken, rannte nach der Kirche und die Thurmtreppe hinan! Jm Hinaufſteigen uͤberdachte ich mir’s, wie groß das Ungluͤck werden koͤnne und muͤſſe, da wohl ſchwerlich Jemand ſich’s unternehmen werde, bis in die hoͤchſte Spitze hinan - zuklimmen, wo er in den finſtern Winkeln nicht einmal ſo bekannt ſey, als ich, der ich ſie in meiner Jugend ſo vielfaͤltig, und oft mit Lebensgefahr, durchkrochen hatte. Alſo nur friſch drauf und dran! rief eine Stimme in mir Du weißt hier ja Beſcheid!

Jn der That wußt ich auch, daß dro - ben auf dem Glockenboden ſtets Waſſer und Loͤſcheimer bereit ſtanden: aber an einer Handſpritze, die hier hauptſaͤchlich Noth thun wuͤrde, konnt es leichtlich fehlen. Dies erwaͤgend, macht ich auf der Stelle rechtsum; draͤngte mich mit Muͤhe neben den vielen Menſchen voruͤber, die Alle nach oben hinauf wollten; flog gleich in’s erſte naͤchſte Haus und rief um eine Spruͤtze, die aber hier die auch im zweiten Hauſe nicht zu finden war und meiner ſtei - genden Ungeduld erſt im dritten gereicht wurde.

Jetzt129

Jetzt wieder (Die Angſt und der Eifer gaben mir Fluͤgel!) zum Thurme hinauf! Jn der ſogenannten Kunſtpfeifer-Stube, die dicht unter der Spitze iſt, fand ich bereits mehrere Maurer und Zimmerleute, mit ih - ren Meiſtern an der Spitze, die indeß Alle nicht recht zu wiſſen ſchienen, was hier zu thun oder zu laſſen ſey. Lieben Leute, ſprach ich, indem ich unter ſie trat Hier iſt freilich nichts zu beginnen. Wir muͤſſen hoͤher hinauf nach oben. Folgt mir! Leicht geſagt, aber ſchwer ge - than! antwortete mir der Zimmermeiſter Steffen. Wir haben es ſchon ver - ſucht: aber es geht nicht. Sobald wir die Fallthuͤre uͤber uns heben, faͤllt ein dich - ter Regen von Flammen und gluͤhenden Kohlen hernieder und ſetzt auch hier die Zimmerung in Brand.

Das war freilich eine ſchlimme Nach - richt! Ei, es muß ſchon etwas drum ge - wagt ſeyn! rief ich endlich Jch will hinan! Helft mir durch die Lucke. Jch will ſehen, was ich thun kann! Sie oͤffne - ten mir die Fallthuͤre; ich ſtieg hindurch, ließ mir einen Eimer voll Waſſer und die Handſpruͤtze reichen und Nun die Lucke hinter mir zu, damit das Feuer keinen Zug bekoͤmmt! befahl ich; und indem ſie das thaten, ſah ich zu, was oben paſſirte. Eine11. Baͤndchen. (9)130Menge Feuerkohlen praſſelte nieder; ſo daß ich mir den Kopf mit dem Waſſer aus mei - nem Eimer anſeuchten mußte, um nicht aus meinen Haaren ein Feuerwerk zu machen. Um zugleich die Haͤnde frei zu bekommen, ſchnitt ich ein Loch vorne in den Rock, durch welches ich die Spruͤtze ſteckte; den Buͤgel des Eimers nahm ich in den Mund und zwiſchen die Zaͤhne; und ſo ward denn die fernere Reiſe angetreten!

Die Thurmſpitze iſt inwendig mit un - zaͤhligen Holz-Riegeln durch-verbunden, die mir zur Leiter dienen mußten. Allein wo - hin ich griff, um mir empor zu helfen, da fand ich Alles voll gluͤhender Kohlen; nur hatt ich nicht Zeit, an den Schmerz zu den - ken, oder machte mich gegen ihn fuͤhllos, indem ich Kopf und Haͤnde zum oͤftern wie - der anfeuchtete. Mit alledem hatt ich mich endlich ſo hoch verſtiegen, daß mir in der engen Verzimmerung kein Raum mehr blieb, mich noch weiter hindurch zu winden; und hier ſah ich denn den rechten Mittelpunkt des brennenden Feuers annoch 8 oder 10 Fuß uͤber mir ziſchen und ſpruͤhen.

Jetzt klemmte ich den Waſſer-Eimer zwiſchen die Sparren feſte; zog meine Spruͤtze daraus voll und richtete ſie getroſt gegen jenen Feuer-Kern, wo das Loͤſchen und Erſticken am nothwendigſten ſchien. 131Nur begieng ich die Unvorſichtigkeit, dabei unverruͤckt in die Hoͤhe zu ſchauen, weil ich auch die Wirkſamkeit meines Waſſerſtrahls beobachten wollte: daruͤber aber bekam ich die ganze Beſcheerung von Waſſer, Feuer und Kohlen ſo praſſelnd in’s Angeſicht zu - ruͤck, daß mir Hoͤren und Sehen vergieng; bis ich, ſobald ich mich wieder ein wenig beſonnen hatte, das Ding geſchickter anfieng und bei den zwei oder drei naͤchſten Hand - habungen meiner Spruͤtze die Augen fein abwaͤrts kehrte. Auch hatt ich die Freude, daß ſich bei jedem Zuge das Feuer merklich verminderte.

Nun aber war auch der Eimer geleert! Neue Verlegenheit! Denn das leuchtete mir allerdings wohl ein, daß, wenn ich hinab - ſtiege, weder ich, noch ſonſt ein Menſch hier je wieder nach oben gelangte. Jch ſchrie indeß aus Leibeskraͤften: Waſſer! Waſſer her! bis der vorbenannte Zimmermei - ſter die Fallthuͤre aufſchob und mir zurief: Waſſer iſt hier: aber wie bekoͤmmſt du es nach oben hinauf? Nur bis uͤber den Glockenſtuhl ſchafft mir’s. Da will ich mir’s ſelber langen; war meine Antwort; und ſo geſchah es auch. Jene wagten ſich hoͤher und ich kletterte ihnen von Zeit zu Zeit entgegen, um die vollen Waſſer-Eimer in Empfang zu nehmen, von denen ich denn132 auch ſo fleiſſigen Gebrauch machte, indem ich den Brand tapfer kanonirte, daß ich endlich das Gluͤck hatte, ihn zu uͤberwaͤltigen und voͤllig zu loͤſchen. Wo es aber noch irgend zu glimmen ſchien, da kratzte ich mit meinen Haͤnden die Kohlen herunter, ſoweit ich ir - gend reichen konnte.

Jetzt erſt, da es hier nichts mehr fuͤr mich zu thun gab, gewann ich Zeit, an mich ſelbſt zu denken. Jch ſpuͤrte, wie mir mit jeder Minute uͤbel und immer uͤbler zu Muthe ward: denn das zuruͤckſpruͤtzende Waſſer hatte mich bis auf die Haut durch - naͤßt, und zugleich war eine Hitze im Thurme, die je laͤnger je unausſtehlicher wurde. Zwar eilte ich nun hinunter: aber indem ich gegen die Schalloͤcher kam, gab es einen ſo ſchnei - denden Luftzug, daß mir ploͤtzlich die Sinne vergiengen. Auch weiß ich nicht, ob ich auf meinen eignen Fuͤßen Gottes Erdboden erreicht, oder ob mich die Leute hinabgetra - gen haben.

Als ich mich wieder beſann, lag ich auf dem Kirchhofe; und mir zur Seite ſtanden die Chirurgen Wuͤſthof und Kretſchmer, die mir an beiden Armen eine Ader geoͤffnet hatten. Auſſerdem gab es noch einen dich - ten Haufen von Menſchen um mich her, welche von Theilnahme oder Neugierde her - beigefuͤhrt ſeyn mochten. Mit meinem wie -133 derkehrenden Bewußtſeyn begann ich nun aber auch erſt meine Schmerzen zu fuͤhlen. Meine Haͤnde waren uͤberall verletzt; die Haare auf dem Kopfe zum Theil abgeſengt; der Kopf ſelbſt wund und voller Brandbla - ſen, wo denn auch in der Folge nie wie - der Haare gewachſen ſind. Nicht minder ſind mir die beiden aͤußerſten Finger an der rechten Hand, die vom Feuer am meiſten ge - litten hatten, bis auf dieſe Stunde krumm geblieben; und ſo werde ich ſie auch wohl mit in mein Grab nehmen muͤſſen.

Vom Kirchhofe trug man mich nach meiner Wohnung, wo eine gute und ſorg - faͤltige Pflege mir denn auch bald wieder auf die Beine half. Einige Wochen ſpaͤter behaͤndigte mir der Herr Kriegs-Commiſſair Donath eine goldene Denkmuͤnze in der Groͤße eines Doppel Friedrichsd’or, nebſt einem Be - lobungsſchreiben, die ihm beide von Berlin zugeſchickt worden, um ſie mir, gegen meine Quitung, zu uͤberliefern. Das Gepraͤge die - ſer Denkmuͤnze ließ ich mir in meinem Pett - ſchaft nachſtechen; ſie ſelbſt aber, nebſt dem Schreiben, uͤbergab ich in die Haͤnde des Magiſtrats, mit dem Erſuchen, ſie, bis auf meine weitere Verfuͤgung, im rathhaͤusli - chen Archiv verwahrlich niederzulegen. Doch als ich, nach Verlauf einiger Jahre, dieſer - halb eine gelegentliche Nachfrage anſtellte,134 war das Eine, wie das Andre, verſchwun - den! Es hieß: Das ſey noch bei des Buͤr - germeiſters R fs Zeiten geſchehen; und daran mußte ich mir genuͤgen laſſen!

Jm folgenden Jahre 1778 erhielt ich vom Kaufmann, Herrn Hoͤpner zu Ruͤgen - walde eine ſchriftliche Aufforderung, Eines ſeiner Schiffe unter meine Fuͤhrung zu neh - men. Jch ſchlug ein, weil ſich nicht gleich ein beſſeres Engagement fuͤr mich finden wollte; und ſo machte ich denn, fuͤr ſeine Rechnung, eine Reihe gluͤcklicher Fahrten nach Danzig, Nantes und Croiſic, und war von hier wiederum nach Memel beſtimmt; konnte aber, der ſpaͤten Jahrszeit wegen, dieſen Hafen nicht mehr erreichen, ſondern ſah mich genoͤthigt, in Pillau einzulaufen und dort zu uͤberwintern, wo ich, aus Langer - weile, wiederum eine Steuermanns-Schule eroͤffnete.

Hier war es, wo der Commercien-Rath Herr B r zu Colberg mir in wieder - holten Brieſen anlag, in ſeinem Auftrage nach England zu gehen, fuͤr ihn ein Schiff zu kaufen und mit demſelben fuͤr ſeine Rech - nung zu fahren. Dieſe Speculation ſchien nicht uͤbel erſonnen: denn in dem damali - gen Kriege Englands mit ſeinen nordameri - kaniſchen Kolonieen hatt es um dieſe Zeit auch bereits mit Frankreich und Spanien135 gebrochen und ſeine Kaper hatten ſich ei - ner ſo großen Anzahl feindlicher Schiffe be - maͤchtigt, daß alle brittiſche Haͤfen damit an - gefuͤllt waren und als gute Priſen erklaͤrt wurden. Es ſtand demnach zu erwarten, daß ſie beim Verkauf wuͤrden ſpottwohlfeil losgeſchlagen werden.

Jch trug demnach kein Bedenken, mich auf den mir gemachten Vorſchlag einzulaſ - ſen, und forderte nur, Herr B r moͤge mir fuͤr dies Geſchaͤft eine genaue Jnſtruc - tion, ſo wie eine Adreſſe an ſeinen Corre - ſpondenten in London ertheilen und mir bei demſelben den noͤthigen Kredit bis zu einer beſtimmten Summe offen machen. Demzu - folge verwies er mich an das Londoner Handelshaus Schmidt und Weinholdt, bei welchen ich auch bei meiner Ankunft die ver - langte Jnſtruction vorfinden wuͤrde. Mit Herrn Hoͤpners Bewilligung verließ ich alſo deſſen Schiff, nachdem ich ihm einen andern tuͤchtigen Schiffer in meine Stelle vorge - ſchlagen hatte, und ſchickte mich zu meiner Reiſe nach England an; wobei es jedoch meine Privat-Geſchaͤfte erforderten, zuvor noch einen kleinen Abſtecher nach Koͤnigsberg zu machen.

Jndem ich hier nun eines Tages meinen Weg zur Boͤrſe nahm, fiel es mir zufaͤllig bei, mit einem nicht zu großen Umſchweif136 links ab uͤber den Neuen-Graben zu gehen, wo das Haus ſtand, in welchem ich in fruͤ - herer und beſſerer Zeit gewohnt hatte. Nach - denklich blieb ich demſelben gegenuͤber ſtehen, und indem ich es betrachtete, fiel es mir ſchwer auf’s Herz, wie ich hier doch fuͤnf Jahre lang in Leid und Freude aus - und eingegangen, mit ſo manchem Biedermann in Verkehr und Freundſchaft geſtanden und froh und muthig in’s Leben hineingeſchaut habe. Und wie war das nun ſo ganz anders! Auf dieſem nemlichen Fleck ſtand ich nun als Fremdling; Niemand hier, dem mein Wohl oder Weh noch zu Herzen gieng Jch ſelbſt ein wunderlicher Spielball des Schick - ſals und nach allen Himmelsgegenden um - hergeworfen! Warlich, es war kein Wunder, daß mir in dieſen Gedanken ein paar ſchwere Thraͤnen in die Augen traten!

Herr Jemine! Sieh doch! Kapitain Net - telbeck und kein Andrer! rief ploͤtzlich eine weibliche Stimme aus einem geoͤffneten Fen - ſter des nemlichen Hauſes deſſen Anblick dieſe truͤbe Wehmuth in mir hervorgernfen hatte. Jndem ich nun, aus mir ſelbſt aufgeſchreckt, emporſchaute, bemerkte ich ein Frauenzimmer, welches im Begriffe geweſen zu ſeyn ſchien, einen Teller mit Fiſchgraͤten auf die Straße hinauszuſchuͤtten. Jch ſtutzte, konnte mich aber des veralteten und verzerrten Geſichts137 in keinem Winkel meines Gedaͤchtniſſes beſin - nen. Jn eben dem Moment aber war ſie auch bereits zu mir herunter geeilt, ergriff mich an beiden Haͤnden, und betheuerte: Sie laſſe mich nicht; ich muͤſſe kommen und bei ihr und ihrem Manne einſprechen. Jetzt erſt ſchoß es mir mit Einemmale auf’s Herz, daß hier von dem Kniffelſchen Ehepaare die Rede ſeyn moͤge. Und ſo war es auch wirklich!

Schon in Pillau hatt ich, auf gelegent - liche Erkundigung, von dieſem Paare ſo mancherlei vernommen, was mich nach der Ernenrung dieſer alten Bekanntſchaft eben nicht luͤſtern machte. Sie hatten mit denen ihnen ausgeſetzten Geldern uͤbel gewirthſchaf - tet, und waren uͤberall betrogen worden und ſteckten tief in Schulden, weil die reiche Ver - wandtſchaft in Suriname immer noch dieſen und jenen Wucherer lockte, ihnen Kredit zu geben. Auſſer dem Hauſe, daß er bewohnte, und wovon ihm vielleicht auch kein Ziegel mehr eigen gehoͤrte, beſaß der alte Tropf nichts mehr, als ſeinen gekauften Titel Li - cent-Rath, den aber der Poͤbelwitz allgemein in den Spottnamen Licent-Rekel verkehrt hatte. Kurz, bei dieſen Leuten, die mit ihrer braven Tochter gar nichts Aehnliches beſaßen, war wei - ter weder Freude noch Ehre zu holen; und es verdroß mich ſogar, daß ſie mein altes liebes Ei - genthum durch ihre Gegenwart verſchimpfirten.

138

Jndeß mußt ich mich ſchon mit hinauf - ſchleppen laſſen, und fand dort den Titular - Rath huſtend auf einem Bette ſitzen. Jch ſah mich nun in dem Stuͤbchen um, wo Alles ein aͤrmliches beklommenes Anſehen hatte, und konnte mich nicht enthalten, aus - zubrechen: Leute, wie habt Jhr gewirth - ſchaftet! Was habe ich gehoͤrt? und was ſehe ich jetzt ſelbſt? Seyd Jhr’s wohl werth, daß Euch das Gluͤck einmal ſo freundlich angelacht hat? Beide weinten und ſag - ten: Dann wuͤrde ich auch gehoͤrt haben, wie ſie von ihren beſten Freunden betrogen worden. Nun warlich doch nicht ohne Eure Schuld! gab ich ihnen unmuthig zur Antwort Haͤttet Jhr die Naſe nicht ſtets hoͤher getragen, als Euch zukam; haͤttet Jhr Gott ſtill und demuͤthig gedankt, daß er Euch einen ruhigen Nothhafen fuͤr Eure alten Tage eroͤffnet; haͤttet Jhr fein zu Rathe gehalten, was mehr, als genuͤglich, fuͤr Euer Nothwendiges ausreichte Und wie denn der derbe Levite weiter lautete, den ich glaubte, ihnen leſen zu muͤſſen.

Sie geſtanden ihr Unrecht ein und ge - lobten Beſſerung, wenn ich ihnen nur jetzt behuͤlflich ſeyn wollte, einen Brief an ihre Tochter zu beſorgen, worinn ſie derſelben ihre aͤuſſerſte Noth vorſtellig machen und ſie um eine letzte Unterſtuͤtzung bitten wollten. 139Mehrmals haͤtten ſie dies bereits auf andern Wegen verſucht, aber niemalen Antwort er - halten. Die Papiere moͤchten wohl nicht in ihre Haͤnde gelangt ſeyn. Gut, ſo ſchreibt denn! rief ich Aber ſpudet Euch damit: denn morgen bin ich nicht mehr in Koͤnigsberg. Jch logire

Aber aus Sorge, daß ich ihnen ent - ſchluͤpfen moͤchte, wollten ſie mich lieber nicht aus der Stelle laſſen und ſchickten gleich zu einem alten abgedankten Hauptmann, der in Allem ihr Sekretair und Rathgeber zu ſeyn ſchien. Der ſetzte ſich denn ſofort an das Stuͤck Arbeit, welches mir auch endlich mit der angehaͤngten Bitte uͤberliefert wurde, daß ich es mit einigen Worten zur beſſern Empfehlung begleiten und ihrem Kinde treu - lich ſchildern moͤchte, in welchem Elend ich ſie angetroffen haͤtte. Jch verſprach Alles, was ſie wollten, um nur von ihnen loszu - kommen; habe aber fernerhin nie Gelegenheit gefunden, zu erfahren, was weiter aus ihnen geworden und ob ſie ſich in der Zukunft beſ - ſer gebettet. Auch von der Tochter iſt mir keine fernere Kunde zu Ohren gekommen.

Gleich darauf gieng ich, fruͤh im Jahre 1779, von Pillau als Paſſagier nach Lon - don, und meldete mich ſofort bei den dorti - gen Correſpondenten meines neuen Princi - pals und empfieng nun aus deren Haͤnden140 die Jnſtruction, wie ich bei meinem Einkauf verfahren ſollte. Dieſe war aber leider! von der Art, daß ich, waͤre ſie mir fruͤher in Pillau zugekommen, keinen Schritt vor die Thuͤre darum gegangen ſeyn wuͤrde. Nur die wunderlichſte Laune konnte dem Manne alle die tauſend Bedingungen eingegeben haben, von denen ich kein Haar breit ab - weichen ſollte. Das Schiff, das ich erſtaͤnde, ſollte von 150 Laſten ſeyn, nicht groͤßer und nicht kleiner; es durfte kein hoͤheres Alter, als von zwei, oder hoͤchſtens drei Jahren zaͤhlen; es mußte eine Bauart haben, daß es nindeſtens mit der halben Laſt zum Col - berger Hafen ein - und auspaſſiren koͤnnte; ja ſogar ein vollſtaͤndiges Jnventarium war vorgeſchrieben, daß man bei dem Schiffe zu finden erwartete; Aber vor Allem durfte es nicht hoͤher, als 400 Pfund Sterling im Preiſe zu ſtehen kommen. Warlich, ich haͤtte Tauſende anfeilſchen koͤnnen, ohne ei - nen ſolchen Phoͤnix von Schiff zu finden, als hier verlangt wurde! Selbſt die Herren Schmidt und Weinholdt, an die ich gewieſen war, lachten uͤber dies unſinnige Begehren.

Jndeß ich hatt es einmal angenommen, und ſollte und wollte meine Schuldigkeit thun. So reiſte ich denn ganz England mit der Poſt in die Runde, nach allen Haͤfen, wo nur Priſen aufgebracht worden. Jch141 gieng nach Hull, nach Newcaſtle, nach Leeds, nach Liverpool, nach Briſtol, nach Plymouth, nach Portsmouth, nach Dover: aber eben ſo gut haͤtt ich auch zu Hauſe blei - ben moͤgen! Endlich ſtieß ich in London ſelbſt auf ein Schiff, daß mir in jedem Betracht anſtand und das ich, ruͤckſichtlich alles Deſ - ſen, was ihm etwa noch mangelte, auf meine eigne Verantwortung zu kaufen beſchloß.

Jndem ich nun den Herren Schmidt und Weinholdt dieſe meine Abſicht eroͤffnete und den mir bei ihnen gemachten Kredit geltend machen wollte, erhielt ich die nimmer erwar - tete Antwort: Lieber Nettelbeck, um Jhnen klaren Wein einzuſchenken, muͤſſen wir Jhnen gerade heraus ſagen, daß wir fuͤr B rs Ordre auch nicht ein Pfund zu zahlen geſon - nen ſind. Wollen Sie aber das Schiff fuͤr ſich allein und auf Jhren Namen erſtehen und uns die Correſpondenz und Aſſecuranz daruͤber uͤberlaſſen: ſo iſt hier unſre Hand Wir zeichnen fuͤr Sie, ſo - viel Sie verlangen. Nur mit B r wollen wir nichts zu thun haben.

Meine Antwort iſt leicht zu errathen. Jch bin vor Zeiten ſagte ich Herr eines eignen Schiffs geweſen; habe aber ſo ausgeſuchtes Ungluͤck damit gehabt, daß ich mir’s heilig angelobt, mich nie wieder mit dergleichen zu befaſſen. Es taugt auch fuͤr142 keinen Schiffer, ſein eigner Rheeder zu ſeyn, wenn er gleichwohl die Correſpondenz, und was dazu gehoͤrt, einem Fremden uͤberlaſſen muß. Nur, mein Himmel! ſetzte ich hinzu Warum, meine Herren, haben Sie mir von dem Mißkredit, in welchem mein Principal bei ihnen ſteht, nicht fruͤher einen Wink gegeben? Wieviel Zeit, Muͤhe und Koſten waͤren da zu erſparen geweſen!

Sie geſtanden mir nun, daß ſie nimmer vermuthet haͤtten, ich wuͤrde ein ſolches Schiff, wie mir vorgeſchrieben worden, aufzutreiben im Stande ſeyn, und daß ſie es darum mit ihrer Erklaͤrung lieber bis auf’s Aeuſſerſte haͤtten wollen ankommen laſſen. Jch mußte mir das gefallen laſſen, eroͤffnete ihnen aber gleich des naͤchſten Tages, daß ich eine be - queme Schiffsgelegenheit nach Stettin ge - funden und von da nach Colberg abzugehen gedaͤchte, um dem Commerzien-Rath Bericht zu erſtatten, was ich ausgerichtet und nicht ausgerichtet.

Nach Stettin? ward mir geantwortet O, ſchoͤn! Das trifft ſich, wie gerufen: denn wir haben ein Anliegen an Sie, lieber Nettelbeck, das Sie uns nicht abſchlagen muͤſſen. Da iſt in Stettin der Kaufmann Groß, mit dem wir, in Aſſecuranz-Angelegen - heiten wegen Schiffer Lickfeld verwickelt ſind, ſchon ſeit Jahr und Tag in Briefen hin und143 her ſcharmuͤtzeln und je laͤnger je weniger uͤbereinkommen koͤnnen. Wir ſind des Han - dels nachgerade herzlich uͤberdruͤſſig; und unſer in Sie geſetztes Vertrauen laͤßt uns wuͤnſchen, daß Sie es uͤbernehmen moͤchten, mit ihm muͤndlich zuſammenzutreten und, Namens Unſrer, den Zwiſt ſo gut, als moͤg - lich, auszugleichen. Sie ſollen uͤber den Stand der Dinge alle erforderliche Auskunft erhalten; und da wir uns Alles, was nur nicht geradezu unbillig iſt, gefallen laſſen wollen, ſo machen Sie es mit ihm ab, ſogut Sie wiſſen und koͤnnen. Jhre Vollmacht ſoll Jhnen auf der Stelle ausgefertigt werden, und unſer ganzes Verlaß ſteht auf Jhnen.

Gut und aller Ehren werth, was Sie mir anvertrauen und von mir erwarten! erwiederte ich Aber kennen Sie den Mann auch, mit dem Sie mir zu thun ge - ben wollen? Dieſer Groß, meine Herren, iſt ein ganz abſonderlicher Patron und faͤngt gar leicht Feuer unter der runden Peruͤcke. Jch entſinne mich Seiner gar wohl von Anno 1764 her, wo er noch ſelbſt als Schiffer fuhr und einen Winter bei uns mit ſeinem Schiffe in Koͤnigsberg lag. Hatt er damals doch mit allen Leuten, mit denen er zu ver - kehren kriegte, Krakeel und Proceſſe; und hat er ſich ſeitdem, wie ſchwerlich zu hoffen iſt, nicht geaͤndert, ſo moͤcht ich lieber ein144 Kreuz vor ihm ſchlagen, als mir mit ihm zu ſchaffen machen.

Wie ich aber auch dieſen mißlichen Auf - trag von mir abzulehnen ſuchte, ſo ward doch ſo anhaltend in mich gedrungen, daß ich mir endlich die bisher gefuͤhrten Verhandlungen vorlegen ließ; und da die Sache feſten Grund hatte und der ganze Zwieſpalt nur auf einem Mißverſtande beruhte, fand ich auch minde - res Widerſtreben in mir, in derſelben den Mittelsmann zu machen. Jch einigte mich alſo mit meinen Herren Committenten, wie weit ich zu gehen haben ſollte; empfieng ge - nuͤgende Vollmacht und machte mich in Got - tes Namen nach Stettin auf den Weg, wo ich es mein Erſtes ſeyn ließ, Hrn. Groß aufzuſuchen und den Strauß mit ihm, wie hitzig er auch ausfallen moͤchte, zu verſuchen.

Der Mann empfieng mich mit Herzlich - keit, als einen alten Bekannten; machte in - deß große Augen, als ich ihm den Grund meines Hierſeyns eroͤffnete und ihm meine Beglaubigung vorlegte. Hoͤrt, Nettelbeck, ſagte er, mir auf die Schulter klopfend Nun heiß ich Euch doppelt und von Her - zen willkommen! Truͤgt mich nicht Alles, ſo ſeyd Jhr mein guter Engel, der mir endlich einmal den fatalen Sorgenſtein, vor dem ich bereits ſo manche Nacht nicht habe ſchlafen koͤnnen, unterm Kopfkiſſen hinweg raͤumenwird.145wird. Topp! Was ein ehrlicher Mann thun und leiſten kann, um ſich das Herz leicht zu machen: dazu biet ich freudig die Hand. Morgen um die und die Stunde machen wir die Sache ab: heute aber kein Wort mehr davon, damit wir uns dies gute Glas Wein nicht verderben.

So geſchah es denn auch am naͤchſten Tage. Wie erſtaunte ich, zu ſehen, daß der Mann Vernunft annahm und Gruͤnde gelten ließ, trotz Einem. Eine Schwierigkeit nach der Andern verſchwand, und in weniger, als drei Stunden war eine Vereinigung getrof - fen, wie beide Theile ſie nur immer wuͤnſchen konnten, das Londoner Haus aber ſie nim - mer erwartet hatte. Jch forderte nun die ge - richtliche Beſtaͤtigung, die gleich in den naͤch - ſten 24 Stunden durch den Hrn. Notarius Bourwig ausgefertigt und mittelſt Brief und Siegels bekraͤftigt wurde. Eben ſo ſchnell packt ich meine Papiere zuſammen, ſchickte ſie nach London, erhielt die unbedingteſte Ge - nehmigung meines Verfahrens und eine freund - ſchaftliche Vergeltung, wie ſie dem erwieſenen Dienſte nur immer angemeſſen ſeyn mochte.

Noch vergnuͤgter und zufriedner aber war Hr. Groß, der mir von Stund an ein ſichtbares Wohlwollen zuwandte. Aber wo nun hinaus? fragte er mich, als ich kam, ihm meinen Abſchiedsbeſuch zu machen. 11. Bändchen. (10)146 Nach Colberg, gab ich zur Antwort um meinem Prinzipal B r Red und Antwort zu ſtehen. Was es dann weiter giebt, wird die Zeit lehren. Hoͤrt, lie - ber Nettelbeck, fiel er mir ein Die Herren Kaufleute dort, die kenne ich! Das iſt nichts fuͤr Euch! Aber einen Mann von Eurem Schlage den haͤtt ich mir ſchon laͤngſt auf mein beſtes Schiff gewuͤnſcht. Wuͤßt ich auch nicht ſchon laͤngſt, was in Euch ſteckt, ſo haͤtt ich es doch bei unſerm neulichen Geſchaͤft erfahren. Da! Die Hand eines ehrlichen Mannes Schlagt ein! Nehmt das Schiff, das ich hier jetzt auf dem Stapel ſtehen habe.

Was ſoll ich’s laͤugnen, daß die Art, wie mir dieſer Antrag geſchah, meiner Ei - genliebe ſchmeichelte. Dennoch gieng mir’s, wie mancher zimperlichen Braut; ich hatte meine Bedenken und konnte und wollte nicht gleich zutappen. Denn war dieſer Mann, der mir von jeher ſo boͤſe und wunderlich ausgeſchrien worden, allerdings auch ſeit kurzen in meiner beſſern Meynung geſtiegen: ſo blieb es doch ganz ein anderes, und viel - leicht ein ſehr gewagtes Ding, mich von ihm auf ſolche Weiſe abhaͤngig zu machen und all ſeinen Launen bloßzuſtellen. Lieber Herr Groß, erwiederte ich demnach ſo ein Schritt will uͤberlegt ſeyn. Goͤnnen Sie147 mir dazu eine Stunde; und wenn ich dann wiederkomme, bringe ich Jhnen mein Ja oder Nein. Er war es zufrieden.

Voll Sinnens ſuchte ich demnach einen alten Bekannten, den Schmidt Luͤdtke, auf, mit dem ich bereits im Jahr 1770, auf Veranlaſſung der Ausruͤſtung der Koͤnigl. Fregatte, zu thun gehabt hatte, und der auch jetzt, wie ich wußte, die Eiſenarbeit fuͤr das auf dem Stapel ſtehende Schiff, deſſen Hr. Groß erwaͤhnt hatte, beſorgte. Er ſollte mir ſagen, was hier zu thun oder zu laſſen ſey; und ſo trug ich ihm gleich warm vor, was mir auf dem Herzen druͤckte. Hm! hm! gab er mir kopfſchuͤttelnd zur Antwort Es mit dem zu wagen, koͤnnt ich nur mei - nem aͤrgſten Feinde rathen! Jhr ſeyd Beide ein Paar Hitzkoͤpfe. Gleich iſt bei Euch Feuer im Dache! Jhr werdet Euch keine 24 Stun - den mit einander vertragen. Und wenn auch Jhr, ſo doch nicht der Groß! Mit dem iſt noch Keiner fertig geworden. Bleibt alſo fein auseinander; das iſt das Geſcheuteſte.

Jch konnte ſelbſt nicht anders, als ihm Recht geben, und war ſchon wieder auf dem Wege, den Handel aufzuſagen, als ich vor dem Hauſe eines Segelmachers, Namens Kruut, vorbeimußte, deſſen Bekanntſchaft mit mir ſich von der nemlichen Zeit und Veran - laſſung, wie vorerwaͤhnt, herſchrieb. Auch148 dieſes Mannes Rath und Meynung wollt ich in meiner Unentſchloſſenheit mitnehmen. Jch trat zu ihm ein, trug ihm mein Anlie - gen und Bedenken vor und uͤberließ ihm die Entſcheidung. Hoͤrt, Freund Rettelbeck, entgegnete dieſer hinwiederum Jch kenne Euch und kenne Groß inwendig und aus - wendig. Jhr ſeyd Beide ein paar herzens - gute Leute brav, ehrlich und erfahren Jhr Beide werdet Euch in einander ſchicken und paſſen, oder Keiner in der Welt! Wie ſchlimm Jener auch verſchrien ſeyn mag, ſo koͤmmt es doch nur darauf an, daß Jhr ſeine erſte tolle Hitze voruͤber toben laßt. Jn der naͤchſten Viertelſtunde darauf koͤnnt Jhr ihn wieder um den Finger wickeln, wie ein Wachs. Was iſt da alſo noch lange zu bedenken? Jhr bekommt ein ſchoͤnes neues und großes Schiff von 320 Laſt unter die Fuͤße, womit ein Mann von Eurer Welt-Erfahrung ſchon etwas Rechtſchaffenes anzufangen wiſſen wird.

Das klang nun freilich ganz anders, aber keinesweges unverſtaͤndig. Jch ließ es mir geſagt ſeyn; ſetzte meinen Weg mit erleich - tertem Herzen fort; trat zu Hrn. Groß in das Zimmer und mit drei raſchen Schritten auf ihn zu; reichte ihm die Hand, und rief mit leuchtenden Augen: Gluͤck gebe Gott uns Beiden, mein Herr Patron! Ja? Jſt’s wahr? Hab ich Euch? fuhr er Seinerſeits149 auf, druͤckte mich an die Bruſt und kuͤßte mich herzlich ab. Der Notarius Helwig, welcher bei dieſem Auftritt zugegen war, wurde aufgefordert, zur Stelle einen Contract aufzuſetzen, welchen mein neuer Prinzipal ſelbſt dictirte und wobei meines Vortheils keines - weges vergeſſen ward.

Nunmehr gieng ich auf einige Tage nach Colberg, um mich mit B r zu berechnen und auseinander zu ſetzen; war aber bereits in der Mitte des Junius wieder in Stettin, wo ich den Ausbau meines neuen Schiffes eifrig betreiben half. Dieſes war eigentlich zu ei - nem Zweidecker beſtimmt und wuͤrde, in ſolcher Geſtalt ausgefuͤhrt, in allen Preuſſi - ſchen Haͤfen ſeines Gleichen geſucht haben. Allein daſſelbe ſollte auch, auf jede Bedin - gung, und um von den damaligen hohen Frachten zu vortheilen, noch vor Winters in See gehen; und um hiezu keine Zeit zu ver - lieren, fiel endlich der Rath dahin aus, nur Ein Verdeck aufzuſetzen. Dennoch konnt es erſt im October vom Stapel laufen; doch war auch bereits mit dem Commerzien-Rath eine Fracht von Balken und Stabholz abge - ſchloſſen, die ich unverzuͤglich nach Bordeaux fuͤhren ſollte. Den kleinern Theil derſelben nahm ich auf der Stelle ein, und gieng dann in der Mitte des Novembers auf die Swi -150 nemuͤnder Rheede hinaus, um auch den Reſt der Ladung zu empfangen.

Doch dies war in der ſchon ſo weit vorgeruͤckten Jahrszeit ein aͤuſſerſt muͤhſeliges und langweiliges Geſchaͤft, weil der Hafen ſelbſt bereits mit Eiſe zugelegt war und jede Bootsladung Stabholz ſich vom Weſtſtrande her erſt einen Weg durch das Eis nach dem Schiffe bahnen mußte; ſo daß volle vier Wochen uͤber dieſer Arbeit verliefen. Mit dem letzten Boote gieng auch ich ſelbſt an Bord, um nun unmittelbar darauf in See zu ſtechen; waͤhrend bereits um das Schiff her Alles mit ſchwimmendem Eiſe fluthete und mit jedem Augenblick ein voͤlliges Einfrieren zu befuͤrchten ſtand.

Neben mir lag auf der Rheede noch ein Fregatt-Schiff, welches gleichfalls erſt in dieſem Sommer in Stettin fuͤr Schwediſche Rechnung ganz neu gebaut worden und nach Gothenburg beſtimmt war. Jch ſah, daß es ſich eben fertig machte, ſeinen Anker aufzu - winden und die Rheede zu verlaſſen. Mir ſelbſt lag zu dem gleichen Geſchaͤfte noch die letzte Bootsladung Stabholz auf dem Ver - deck im Wege, die zuvor noch uͤber Seite geſtauet werden mußte, bevor ich mich bei meiner Ankerwinde frei ruͤhren konnte; und doch waͤre ich, bis zum Sunde hin, gerne in der Geſellſchaft des Schweden geblieben, um151 deſto leichter, wenn es Noth that, Huͤlfe zu leiſten oder zu empfangen. Jch fuhr dem - nach hurtig iu der Schaluppe zu jenem Schiffe hinuͤber und forderte den Kapitain deſſelben auf, noch eine kleine Stunde auf mich zu warten. Das wollte er aber nicht, lichtete ſeinen Anker vollends und gieng ab.

Kaum war er eine Meile weſtwaͤrts von mir entfernt und ich gleichfalls unter Segel, ſo gieng der Wind nach Nordoſten um. Es gab einen ſtarken fliegenden Sturm der zwar maͤchtig foͤrderte, aber auch die Luft mit einem dicken Schneegeſtoͤber erfuͤllte, ſo daß ich meinen vorausgeeilten Gefaͤhrten bald aus dem Geſichte verlor. Dies Wetter mit dicker Schneeluft hielt bis zum andern Morgen um 9 Uhr an, wo wir dicht an das Land von Stevens kamen und, mit nicht geringer Verwunderung, jenes nemliche Schiff auf dem Strande ſtehend erblickten, wo die Sturzwellen ſich unaufhoͤrlich druͤber her brachen, die Mannſchaft aber kuͤmmerlich in den Maſten hieng.

Jch ſelbſt hatte alle Noth und Muͤhe, einem gleichen Schickſal zu entgehen und uͤber die Landſpitze von Stevens hinauszu - kommen. Endlich zwar gelang es, und ich erreichte die Kioͤger-Bucht: doch ſah ich mich genoͤthigt, vor ſtehenden Segeln zu ankern, und, da dies dem gewaltigen Andrang auf152 die Laͤnge nicht gewachſen ſchien, nach und nach mich vor drei Anker zu legen. So dauerte dieſe peinliche Lage bis zum naͤchſten Morgen, wo der Wind durch Oſten nach Suͤden lief, und ich meine Nothflagge auf - ſteckte, um Huͤlfe vom Lande zu erhalten: denn mit meinen Leuten allein wußt ich mir laͤnger nicht zu rathen. Gluͤcklicher Weiſe eilten auch, auf dies Zeichen, zwei Boote mit 15 Mann von Dragoe herbei, mit deren Beiſtand ich, nachdem ich ſaͤmmtliche Anker - taue kappen muͤſſen, die Rheede von Kopen - hagen gluͤcklich erreichte. Waͤhrend ich mich hier nun wieder in Stand ſetzte, langte auch das Volk von dem ſchwediſchen Schiffe an, welches gaͤnzlich verloren gegangen und da - durch zum Beweiſe dient, wieviel beim See - weſen oft an einer einzigen Stunde haͤngt.

Jndeß ſetzte ich meine Fahrt ohne wei - tern Unfall fort, erreichte Bourdeaux am 28. Februar 1780, loͤſchte meine Fracht, und war ſtracks daruͤber aus, eine neue nach Amerika habhaft zu werden, wie ich’s zuvor mit meinem Rheeder verabredet hatte: denn unter der neutralen Preuſſiſchen Flagge war beſonders dahin ein ungeheures Geld zu verdienen. Bald kam ich auch mit einem Kaufmann aus Oſtende, und alſo, da dieſer ein oͤſterreichiſcher Unterthan war, fuͤr voͤllig neutrale Rechnung, wegen einer Ladung nach153 der franzoͤſiſchen Jnſel St. Grenada in Weſt - indien uͤberein. Der Contract war bis zur Unterzeichnung ſertig, und ich erſuchte den Kaufmann, welcher die Reiſe in Perſon mitmachen wollte, zu mir an Bord zukom - men und ſich mit eignen Augen von der Guͤte und Dauerhaftigkeit des Schiffs, ſo wie von der netten Einrichtung der ihm zu - gedachten Kajuͤte zu uͤberzeugen.

Als er des andern Tages in dieſer Abſicht bei mir erſchien, bemerkte ich freilich an ſeiner Miene, daß er ſich in irgend einer Erwartung getaͤuſcht ſehen muͤſſe, ohne jedoch errathen zu koͤnnen, woran er eigent - lich einen Anſtoß genommen. Dies ſollte ich erſt, nachdem er wieder an Land gegangen war, von meinen Correſpondenten, Hrn. We - ſenberg, erfahren. Die ganze Fracht war nemlich zuruͤckgegangen, weil der Kaufmann geſehen hatte, daß mein Schiff nur ein Ein - decker ſey, welchem er weder die gehoͤrige Sicherheit, noch genugſame Bequemlichkeit zutrauen mochte. Hiergegen half kein Pro - teſtiren; und ich konnte mich auch um ſo leichter zufrieden geben, da ich unmittelbar darauf eine Fracht von Wein und Zucker auf Hamburg gewann und mit der Ladung bereits 14 Tage nach meiner Ankunft fertig ward.

154

Zu meiner Herzens-Erleichterung muß ich hier das Geſtaͤndniß ablegen, daß ich mich nirgends beklommener und widerhaͤaͤriger ge - fuͤhlt habe, als in den franzoͤſiſchen Haͤfen und hier zu Bordeaux inſonderheit. Denn wie weit ich auch in der Welt herumgekom - men, ſo habe ich doch keine Nation ſo voll Liſt, Betrug und Raͤnke gefunden, als unter den Franzoſen. Jeder mit dem ich zu thun bekam, haͤtte nichts lieber gemocht, als mich recht tuͤchtig uͤber’s Ohr zu hauen; und ſo legten ſie’s alſo auch gar nicht darauf an, das fruͤhere unguͤnſtige Vorurtheil in mir zu zerſtoͤren, welches ich, ſchon ſeit meinem Ren - contre mit ihrem Landsmann Delatre, gegen ſie eingeſogen hatte. Jetzt vollends ſollte mir noch, bei meinem Abzuge von hier, ein Stuͤckchen von ihrer Art widerfahren, das einen noch unverwuͤſtlicheren Groll bei mir zuruͤckgelaſſen hat.

Jn dem Augenblicke nemlich, da ich die Anker lichten wollte, gieng ich, wie es die Ordnung iſt, in das Lootſen-Comptoir und bat um einen Piloten, der mich zur Garonne hinaus in See bringen ſollte. Der Lootſe kam an Bord; aber ſo betrunken, daß ich Bedenken fand, ihn anzunehmen und ihm in dieſem Zuſtande die Leitung des Schiffes an - zuvertrauen. Der Menſch wollte nicht gehen, ward grob, und ich complimentirte ihn ſo155 etwas unſanft (jedoch ohne irgend Hand an ihn zu legen) in ſein Boot und an Land zu - ruͤck. Dagegen hielt ich abermals in dem Comptoir, mit Angabe der Urſachen, um einen andern nuͤchternen Lootſen an. Auch der Trunkenbold erſchien dort und machte ſich treflich unnuͤtz; doch ward mir mein Ver - langen gewaͤhrt; ich nahm den neuen Piloten mit mir und lichtete den Anker.

Wie ich nun den Strom abwaͤrts fuhr, ſo bemerkte ich bald, daß ich an einem an - dern Fahrzeuge einen unzertrennlichen Be - gleiter bekommen hatte. Machte ich Segel, ſo that es desgleichen; ließ ich den Anker fallen, ſo legte es ſich mir in dem nemlichen Augenblick zur Seite. Das Ding machte uns, je laͤn - ger, je groͤßern Spaß, und wir kitzelten uns daran, daß der Franzoſe ohne uns den Weg gar nicht finden zu koͤnnen ſchiene. So kamen wir endlich an das Fort am Ausfluß der Garonne, wo unſre Paͤſſe viſirt werden muß - ten. Auch da war jenes Fahrzeug flink bei der Hand; und nun wurde uns eroͤffnet, daß ich fuͤr die Begleitung deſſelben bis hie - her die Summe von Eintauſend Livres zu entrichten habe.

Jch war bei dieſer Forderung, wie aus den Wolken gefallen. Fuͤr ſeine Begleitung? Eintauſend Livres? Und wozu dieſe ganz unerbetene Begleitung? Die156 Antwort hieß: Zu Beſchuͤtzung des Lootſen an meinem Borde gegen beſorgliche Gewalt - thaͤtigkeiten. Natuͤrlich weigerte ich mich der Zahlung und forderte dieſen Menſchen auf, mir zu bezeugen, ob ihm irgend eine Ungebuͤhr von mir widerfahren ſey? Er wußte nur alles Liebes und Gutes zu ſagen. Dennoch ward, ohne weiteres, ein Arreſt auf mein Schiff gelegt. Jch ſah das, wenn gleich nicht ſehr ruhig, bis zum naͤchſten Tage mit an. Der Arreſt blieb, und meine Ein - reden fanden kein Gehoͤr. Wollt ich nun an meiner Reiſe nichts verſaͤumen und wegen Schiff und Ladung nicht in Verantwortung kommen, ſo war es immer noch das Gera - thenſte, dieſe ungerechte Forderung zu bezah - len und ſie mir, als eine aͤcht franzoͤſiſche Geldſchneiderei, zur Warnung fuͤr die Zu - kunft hinter’s Ohr zu ſchreiben.

Zu dieſem Verdruß geſellte ſich, ſobald ich endlich in See gelangt war, ein anderer und noch groͤßerer. Mein Schiffsvolk nem - lich, durchaus dem Soff ergeben, wollte an der Gelegenheit nichts verſaͤumen, den Wein - faͤſſern, die einen Theil unſrer Ladung aus - machten, auf’s fleiſſigſte zuzuſprechen. Als ich dem zu wehren gedachte, rottirten ſich die Kerle zuſammen, ſchlugen mit Ge - walt die Luken auf, zapften die Oxhoͤfte an und lieſſen den Wein ſtromweiſe in ihre157 Waſſereimer und Huͤte rinnen. Jn wenig Stunden hatte ſich Alles toll und voll ge - ſoffen. Von nun an hatt es aber auch mit allem Kommando ein Ende. Die Vollzapfe waren wie wuͤthend und ich und der Steuer - mann unſers Lebens unter ihnen nicht mehr ſicher.

Und ſo gieng es fortan Einen Tag, wie den Andern. Wir Beide mochten zuſehen, wie wir konnten, damit das Schiff wenig - ſtens einigermaaſſen ſeinen Kurs hielt. War es auch geradezu nicht Rebellion zu nennen, ſo blieb es doch ein wuͤſtes Tollmanns-Le - ben, wobei weder gute noch boͤſe Worte an - ſchlugen und wir paar Vernuͤnftige die groͤßte Gefahr und Noth vor Augen ſahen, ſo oft Segel ſollten beigeſetzt oder eingenommen werden. Endlich half Gott, wiewohl unter Angſt und Schrecken, daß wir bei Cuxhaven, vor der Muͤndung der Elbe, anlangten. Ge - rade hier aber konnte ich mich auch mit die - ſen Menſchen unmoͤglich weiter wagen, da man in den Engen des Stromes immer - fort zu laviren hatte oder die Anker fallen laſſen mußte. Jch beſchloß alſo, an Land zu gehen und 8 oder 10 tuͤchtige Menſchen an - zunehmen, die mir nach Hamburg hinauf helfen ſollten.

Zufaͤllig trat ich in dem Oertchen zu ei - nem Barbier ein, um mich unter ſein Scheer -158 meſſer zu liefern. Jch ward aber nicht bloß geſchoren, ſondern auch daneben ſo kunſtmaͤßig ausgefragt, daß mir die Noth und das Elend, worinn ich mit meinem gar nicht mehr zu ernuͤchternden Schiffsvolke ſteckte, gar bald in lauter Klage uͤber die Lippen trat. Vor allen erwaͤhnt ich zweier Kerle, die ſich im eigentlichen Sinne raſend geſoffen zu haben ſchienen und ganz, wie von Sinn und Verſtand gekommen waͤren. Nun, der Verſtand waͤre ihnen wohl leicht wieder einzutrichtern; verſetzte der Barbier mit einer ſchlauen Miene wenn ihnen nur zuvor der Unverſtand und die tollen Af - fecten hinlaͤnglich abgezapft worden. Er meynte nemlich, (wie er ſich daruͤber, auf mein Befragen naͤher erklaͤrte) ein tuͤchtiger Aderlaß, bis zur Ohnmacht, ſollte dieſe be - ſtialiſche Tollheit, wenn ſie bloß im Soff ihren Grund hatte, ſchon zur Ordnung bringen.

Zwar nahm ich von dieſem mediciniſchen Gutachten keine weitere Notiz: doch als ich am andern Morgen wieder an Land wollte, um die gedungenen Leute an Bord zu neh - men, fiel mir der Barbier und ſein Heil - mittel wieder ein. Mag es den Verſuch gelten! dacht ich, und wandte mich in un - befangener Vertraulichkeit an die beiden Toll - haͤusler, die mir eben auf dem Verdeck in den Wurf kamen: Hoͤrt, Kinder, ich will159 hier heut am Lande zur Ader laſſen. Jhr Beide ſeht mir beſtaͤndig ſo roth und vollbluͤtig aus, daß es euch gleichfalls wohl gutthun ſollte. Kommt mit; dann machen wir das gleich in Geſellſchaft ab.

Die beiden Kerle ſchoͤpften kein Arges aus dem Vorſchlage, der ihnen vielmehr ganz inſtinktmaͤßig zuſagen mochte. Waͤhrend ſie nun nach meinem Geheiß, auf der Haus - flur des Barbiers verweilten, trat ich lachend in deſſen Zimmer und verkuͤndigte ihm die Gegenwart meiner hirnwuͤthigen Patien - ten, an denen er nunmehr ſeine Kunſt erpro - ben moͤge. Sobald auch nur ſoviel Friſt verlaufen war, als zu Vollendung einiger Aderlaͤſſe erforderlich ſcheinen mochte, kam ich wieder zum Vorſchein, indem ich mich mit einem dazu paſſenden Geſichte an den Arm faßte, und rief: Das war fertig; nun, Jakob, iſt die Reihe an dir! Herein! der Burſche kam.

Jetzt gieng aber die Operation an ſeinem Arm im Ernſte vor ſich. Eine große Schuͤſſel fuͤllte ſich mit Blut, und der Jakob ward immer bleicher um die Naſe. Jch gab dem Mann mit dem Schnepper einen verſtohlnen Wink, daß es nun wohl Zeit ſeyn duͤrfte, einzuhalten: allein er ſchuͤttelte verneinend mit dem Kopf und ließ auch die zweite Schuͤſſel vollrinnen; bis Jakob endlich beſin -160 nungslos umſank und durch einen vorge - haltenen Spiritus wieder zu ſich gebracht werden mußte. Das nemliche widerfuhr hiernaͤchſt auch ſeinem Zechkameraden, dem Peter; und Beide ſchwankten dem Schiffe ſo matt und entkraͤftet wieder zu, daß ſie gefuͤhrt werden mußten und auch die fol - genden 14 Tage hindurch auf ihren Fuͤßen nicht ſtehen konnten. Zur Arbeit blieben ſie mir alſo, binnen dieſer Zeit, allerdings un - brauchbar: aber auch ihre Tollheit war gaͤnz - lich von ihnen gewichen, und des Barbiers Kunſtſtuͤck hatte ſich als vollkommen probat erwieſen.

Jch brauche wohl nicht hinzuzuſetzen, wie ſehr ich, ſobald ich Hamburg erreicht hatte, beeilt war, mir all dies widerſpenſtige Ge - ſindel vom Halſe zu ſchaffen. Es iſt wahr, ich haͤtte Fug gehabt, ſie wegen ihrer ſchlech - ten Auffuͤhrung vor den dortigen Seegerich - ten anzuklagen; und ſo wie ich mich nach den dort geltenden Rechten erkundigte, wuͤrde Staupbeſen und Brandmark Jhrer gewartet haben. Das wollt ich aber nicht, weil Einige darunter in und um Stettin zu Hauſe ge - hoͤrten und Frau und Kinder hatten. Jch machte ihnen alſo nur die Hoͤlle tuͤchtig heiß; gab ihnen eine ſcharfe Ermahnung mit auf den Weg und ließ ſie in Gottes Namenlau -161laufen. Sie ſchienen geruͤhrt: aber wer weiß, wie lange es mag vorgehalten haben?

Hier in Hamburg fand ſich eine neue Ladung fuͤr mich nach Liſſabon, mit welcher ich jedoch erſt am letzten Auguſt auf den Weg zu kommen vermochte. Die Reiſe ſelbſt bietet mir nichts Erhebliches fuͤr die Erzaͤh - lung dar: doch mag ich wohl eines Schrecks erwaͤhnen, der mir noch ganz fuͤr das Ende derſelben vorbehalten blieb. Als ich nemlich etwa 7 Meilen noͤrdlich von der Muͤndung des Tajo gekommen war, ſah ich ein Fahr - zeug mir entgegenſteuern, das mit unge - woͤhnlich vielen Menſchen beſetzt zu ſeyn ſchien. Unter andern Umſtaͤnden wuͤrde mich dieſe Begegnung ziemlich gleichguͤltig gelaſſen haben. Allein ſchon waͤhrend unſrer ganzen Reiſe ſpukte es mir und meinen Leuten im Kopfe herum, daß wir gegen die Barbares - ken und Marockaner eine unfreie Flagge hatten; und unſer einziger Troſt beſtand darinn, daß von einem Raubzuge derſelben, ſoweit noͤrdlich hinauf, doch ſeit geraumer Zeit nichts verlautet habe.

Jetzt indeß ſchoß mir bei jenem Anblicke das Blatt: denn wie leicht war es, bei alle - dem, moͤglich, daß ein Korſar, verwegener, als ſeine Genoſſen, ſich hier, an einem ſo vielbeſuchten Punkte, auf die Lauer gelegt haben moͤchte! Je genauer ich mir das Segel11. Bändchen. (11)162durch mein Fernrohr anſah, deſto mehr ſchoͤpfte ich Verdacht. Jch veraͤnderte mei - nen Kurs, um mich naͤher am Lande zu halten: die Barke that desgleichen. Jch ſetzte Segel uͤber Segel auf: ſie that auch Jhrerſeits alles Moͤgliche, um uns naͤher zu kommen. Offenbar war ihr Abſehen auf uns gerichtet: und ich uͤberzeugte mich immer ge - wiſſer, daß Friß, Vogel; oder ſtirb! hier die Loſung ſeyn werde.

Jn dieſer kritiſchen Lage rief ich mein Schiffsvolk zuſammen, und ſagte: Kinder, ihr ſeht da haben wir die Beſcheerung! Die tuͤrkſchen Hunde haben es offenbar auf uns gemuͤnzt, und unſre Paͤſſe helfen uns hier nicht durch. Was meynt ihr? Sol - len wir uns von ihnen ſo mir nichts, dir nichts, entern laſſen und vor dem Pack zu Kreuze kriechen? Jch, meines Parts, zoͤge lieber den Tod vor, als mich zeitlebens in der Sklaverei unter die Peitſche zu ducken. Oder habt ihr groͤſſere Luſt dazu? Sprecht! Die Kerle ſahen mir das Feuer aus den Augen leuchten, und wurden ſelber warm. Sie meynten, es mußte wacker drein ge - ſchlagen werden, und zugleich lief Alles, die Gewehre, ſoviel wir deren hatten, zur Hand zu nehmen und in Stand zu ſetzen.

Unter dieſen kriegeriſchen Vorbereitungen war uns aber auch das Fahrzeug ſo nahe163 auf den Leib gekommen, daß es uns zurufen konnte: Ob wir keinen Lootſen nach Liſſabon zu haben verlangten? Da hatten wir nun auf Einmal die Aufloͤſung des bangen Raͤth - ſels! Es war eine portugieſiſche Fiſcherbarke; und wir hatten uns ganz umſonſt gefuͤrch - tet! Wenigſtens wurde unſre Bravour nun auf keine weitere Probe geſtellt. Allein aus einem kleinen Reſt von Beſorgniß und Miß - trauen wollten wir uns dieſe dienſtfertigen Leute lieber doch nicht gar zu nahe kommen laſſen; lehnten ihr Erbieten hoͤflich ab, ſuch - ten mit guter Manier von ihnen abzukommen und warfen gleich darauf am letzten Sep - tember im Tajo die Anker.

Jn Liſſabon war ich an den alten Cor - reſpondenten des Großiſchen Hauſes, Hrn. John Bulkeley adreſſirt, und eines Tages auf dem Wege, eine Einladung deſſelben zur Mittagstafel zu befolgen. Jch mußte uͤber einen großen Marktplatz hinwegſchreiten, wo ich bereits aus der Ferne ein großes Ge - draͤnge von zuſammengelaufenen Menſchen bemerkte. Jn der Meynung, daß es dort wohl eine oͤffentliche Hinrichtung geben moͤchte, trat ich einige Schritte naͤher; erkannte aber bald meinen Jrrthum, da ich ein auf - geſchlagenes großes Zelt anſichtig ward, von deſſen Spitze herab, zu meiner ſeltſamſten164 Verwunderung, die Preuſſiſche Flagge luſtig im Winde wehte.

Nun mußte ich doch natuͤrlich genauer zuſehen, was es hiermit fuͤr eine Bewand - niß hatte. Jch draͤngte mich mit Muͤhe durch den dickſten Haufen, bis ich am Eingang des Zeltes ſtand, zu deſſen beiden Seiten ein paar baumhohe Preuſſiſche Grenadiere in ihren hohen blanken Spitzmuͤtzen ſtattlich ſchilderten. Faſt haͤtt ich Luſt gehabt, die braven Landsleute hier unter fremden Him - mel treuherzig zu begruͤßen, als ich noch zu rechter Zeit inne ward, daß mich ein paar Wachspuppen getaͤuſcht hatten, und daß ich hier wahrſcheinlich am Eingange eines Wachs - Figuren-Kabinettes ſtand, dem dieſe mar - tialiſchen Geſichter nur zu einem Aushaͤnge - Schilde dienten. Jndeß, meine Neugier war nun einmal geweckt; und ich beſchloß, hin - einzutreten: denn hinter ſolchen Thuͤrhuͤtern, dacht ich, muͤſſe wohl noch mehr ſtecken, woran ein Preuſſiſches Herz ſich erlaben koͤnne.

Und ſo war es auch wirklich! So getreu und natuͤrlich, als ob er lebte und ſchwebte, ſtand mitten inne der alte Koͤnig Friedrich, mit einem Richterſchwerdt in der Hand, und vor ihm lag ein Mann mit Weib und Kin - dern auf den Knieen, die um Gerechtigkeit zu flehen ſchienen. Jhm zur Rechten war eine große Wage angebracht, in deren Einen165 Schale eine Bildſaͤule der Gerechtigkeit thronte und die Andre, die mit Papieren und Acten angefuͤllt war, hoch in die Hoͤhe wog. Zur andern Seite eine Gruppe Preuſſiſcher Ge - nerale und Juſtiz-Perſonen; und im Hinter - grunde in großen leuchtenden Buchſtaben die Portugieſiſche Jnſchrift: Gerechtigkeits - Pflege des Koͤnigs von Preuſſen; drun - ter aber der Name Arnold. Man ſieht alſo, daß hier der beruͤhmte Proceß des Muͤllers Arnold gemeynt war, der damals, als Neuigkeit des Tages, durch ganz Europa das hoͤchſte Aufſehen erregte. Wem den - noch das Ganze haͤtte unverſtaͤndlich bleiben moͤgen, dem half ein beſtellter Ausrufer zu - recht, der die Geſchichte laut und pathetiſch herzuerzaͤhlen wußte.

Alles horchte und ſchien tief davon er - griffen; auch mir armen Narren haͤmmerte das Herz unterm dritten Knopfloch, daß ich mich vor patriotiſcher freudiger Wehmuth kaum zu laſſen wußte. Nein, es mußte her - aus! Jch mußte mich in den innerſten Kreis hervordraͤngen; und ſogut oder uͤbel ich die fremde Sprache zu radebrechen verſtand, rief ich aus: Mein Koͤnig! Jch bin Preuſſe! War zuvor der dichte Haufe noch nicht in lebendiger Bewegung geweſen, ſo fielen doch jetzt dieſe wenige Worte wie ein elek - triſches Feuer in alle Herzen. Die ganze166 Schaar umringte mich, ſank um mich her auf die Kniee und hob gleichſam anbetende Haͤnde zu mir empor. Gloria dem Koͤnig von Preuſſen! rief der Eine: Heil ihm! der Andre Heil fuͤr die ſtrenge Gerechtigkeit! und die volle Menge ſetzte ſchwaͤrmeriſch hinzu: Leuchtendes Beiſpiel fuͤr alle Regenten der Erde! Heil ihm! Mit jedem Augenblicke vermehrte ſich das Geſchrei und Getuͤmmel.

Soll ich noch erſt ſagen, wie tief mich dieſer Auftritt erſchuͤtterte? Die Thraͤnen draͤngten ſich mir unaufhaltſam aus den Augen. Jch neigte mich rings herum; ich legte die Hand auf’s Herz; ich dankte ſtam - melnd und ſuchte einen Ausweg durch die immer gedraͤngter zuſammenſtuͤrzende Menge. Zwar machten ſie mir willig Platz: aber ſie folgten mir auch mit anhaltendem Freuden - geſchrei: Vlvat der gerechte Koͤnig! Jn der That, nie in meinem Leben fuͤhlte ich mich geehrter und gluͤcklicher, ein Unterthan des großen Friedrichs zu ſeyn, als in dieſem Augenblicke! Mein Herz ward mir zu ſchwer; ich ſchwankte, konnte nicht weiter und mußte mich erſchoͤpft an eine Straßenecke lehnen. Nur meine erhobenen Haͤnde, die ich unwillkuͤhrlich, wie zum Segnen, nach dem Volke ausſtreckte, vermochten meinen Dank auszuſprechen; und es ſchien mir auch167 wirklich, als koͤnnt ich gar nicht weniger thun, da Kopf an Kopf rund um mich her ſich auf den Knieen draͤngte.

Endlich wankte ich wieder die Gaſſe hin - auf; aber mit einem Schweife von Menſchen hinter mir, der ſich mit jedem Augenblick vergroͤſſerte und den Koͤnig von Preuſſen laut hochleben ließ. Jm Hauſe meines Correſ - pondenten, in welches ich mich mit Muͤhe fluͤchtete, waren alle Thuͤren und Fenſter auf - geriſſen und mit verwunderten Zuſchauern beſetzt. Umſonſt fragte man mich, was dies zu bedeuten habe. Mein bewegtes Gemuͤth fand keine Stimme und keine Worte, mich verſtaͤndlich zu machen. Drauſſen aber ſtieg der freudige Tumult immer hoͤher und hoͤher; und um nur das Volk zu beruhigen und vom Platze zu bringen, blieb mir endlich nichts uͤbrig, als hinaus auf den Balkon des Hauſes zu treten, und mich ihm noch einmal zu zeigen. Jch dankte mit Mund und Haͤnden; und all - maͤhlig verlief nun der Menſchenſtrom ſich wieder. *)Der Her., dem ſich, wie wohl jedem Leſer, in dieſem einfachen Berichte dennoch Manches, als nicht ganz erklaͤrbar aufgedraͤngt hat, er - laubt ſich’s, mit dem wackern Verf. uͤber den zureichenden Grund von dieſem hohen Volks - Enthuſiasmus abweichender Meynung zu ſeyn. Dieſe jubelnde Menge mußte wie leicht beweglich am Geiſte man ſich den Suͤdlaͤnder auch denken mag, doch einen naͤhern und noch

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Hierauf erzaͤhlte ich meinen Tiſchgenoſſen das wunderſame Begebniß, welches ich ſo eben erlebt hatte, und auch die erſte Veran - laſſung dazu, die Arnoldſche Proceß-Geſchichte ſo gut ſie mir bekannt war. Einer von den*)ſinnlicher ergreifenden Anlaß zu dieſem ſchwaͤr - meriſchen Gefuͤhls-Ausbruche haben, als ſeine ſimple Verſicherung, daß er ein Unterthan dieſes gerechten Koͤnigs ſey. Aber wie? Wenn ſie ſich zu dem Wahne hingeriſſen ge - funden haͤtte, ſie ſehe den anbetenswerthen Monarchen in eigner leibhafter Perſon vor ſich? Wie und woher Dieſer ſo ploͤtzlich in die Straßen von Liſſabon hineingeſchneit ſeyn ſolle: darnach fragte die aufgeregte Phantaſie in der Ueberraſchung nicht. Schon Rettelbecks wenige, und wahrſcheinlich noch unrichtig ausgeſprochene Worte waren im Stande einen ſolchen Jrrthum zu erzeugen. Seine kleine Geſtalt, ſeine Haltung und man - ches Andre, worinn das Auge beim fluͤchtigen Ueberblick eine fluͤchtige Aehnlichkeit mit dem Koͤnige entdecken moͤchte, wurden vielleicht von Einigen mit der gegenuͤberſtehenden Wachs-Figur verglichen und beguͤnſtigten den Mißverſtand. Nur Einer, nur Zwei durften es denken und ausſprechen Er iſt es! und die uͤberraſchte Menge, gewohnt, uͤberall Mirakel zu ſehen und daran zu glauben, hatte kein Arges daraus, es mit Extaſe nach - zurufen. Die naͤchſten, ſich herbei draͤngenden Haufen vernahmen wohl nur ein verwirrtes, aber Alles vergroͤſſerndes Geruͤcht von der ſeltſamen Erſcheinung, und ſchloſſen ſich, wenn auch nur aus Neugierde, in immer dichteren Schaaren an. Selbſt Nettelbecks eignes exal - tirtes Benehmen, wie ſehr es auch ſeinem Her - zen zur Ehre gereicht, war wenigſtens nicht dazu gemacht, den Wahn, nachdem er einmal entſtanden war, zu entkraͤften.169 anweſenden Comptoiriſten verſicherte jedoch, uͤber dieſen Gegenſtand noch genauere Aus - kunft geben zu koͤnnen; gieng hin und holte eine kleine portugieſiſche Flugſchrift, die in einer treuen geſchichtlichen Darſtellung dem Gerechteſten der Koͤnige auch bei einem ent - fernten Volke ein verdientes Ehrenmal ſetzte. Hieran ſpiegelt euch, ihr Preuſſen!

Einige Tage ſpaͤter trat ein portugieſi - ſcher Kaufmann, in Begleitung eines deut - ſchen Handlungsdieners, mich auf der Boͤrſe an und bat mich hoͤflichſt, zu Mittage ſein Gaſt zu ſeyn; nach Verlauf der Boͤrſenzeit werde er mir einen Wink geben, mit ihm zu gehen. Jch ſagte zu, und hatte den Ehren - mann im Gewuͤhle kaum aus den Augen verloren, als mehrere Schiffs-Kapitaine von meiner Bekanntſchaft, die das mit angeſehen hatten, mich mit Fragen beſtuͤrmten, ob die - ſer Mann mir etwa bekannter ſey, als ihnen Allen, die er gleichwohl, wie mich, zu Tiſche geladen habe. Jch mußte das ſchlechterdings verneinen und war, gleich ihnen, uͤber ſeinen Einfall einigermaaſſen verwundert.

Das hinderte jedoch nicht, daß wir, nach geendigter Boͤrſenſtunde, zuſammen gerufen wurden. Es waren Unſrer neun Schiffs-Ka - pitaine, im bunteſten Gemiſch, wie die Maͤn - ner in der Pfingſt-Epiſtel Daͤnen, Ham - burger, Luͤbecker, Schweden, Schwediſch-Pom -170 mern und Danziger. Auch fanden wir, als wir im Hauſe unſers Gaſtgebers anlangten dort bereits mehrere Kaufleute verſammlet und ein ſchmackhaftes Mahl bereitet, wobei zugleich tapfer getrunken wurde: denn unſer Wirth verſtand die Kunſt des Zunoͤthigens aus dem Grunde; und ſo artete es, nach aufgehobener Tafel, bald in ein Bacchanal aus, wo weder Maaß noch Anſtand mehr beobachtet wurde. Bei mir, der ich genau das Maaß kannte, welches ich nicht uͤber - ſchreiten durfte, um bei Verſtand und Ehren zu bleiben, gieng jedoch bald jedes gute, wie jedes boͤſe Wort des Gaſtgebers verloren. Baſta! und keinen Tropfen mehr! war und blieb mein letzter Trumpf, der endlich auch gelten mußte. Weniger gut kamen die uͤbrigen Herren Collegen weg, die ſich der - geſtalt uͤbernahmen, daß ſie zuletzt ſammt und ſonders unter den Tiſch ſanken. Jch meines Theils hatte mich inzwiſchen mit den anweſenden Kaufleuten unterhalten; bis ich, des beſtialiſchen Anblicks ſatt und muͤde, mich empfahl und mich an Bord meines Schiffes begab.

Gleichwohl rieb ich mir am andern Mor - gen etwas verdutzt die Augen aus, als ich unſern geſtrigen Wirth in Begleitung jener Kaufleute, welche Theilnehmer des Gelages geweſen waren, bei mir eintreten ſah. Sie171 ſchuͤttelten mir treuherzig die Hand und er - oͤffneten mir lachend: Das geſtrige Trinkfeſt ſey abſichtlich von ihnen angeſtellt worden, um ſich unter uns Neunen den rechten Mann auszuſuchen, dem ſie, als dem ſolldeſten und beſonnenſten, eine Ladung von Werth anver - trauen koͤnnten. Einſtimmig waͤre ihre Wahl auf mich gefallen; und ſo fruͤgen ſie mich, ob es mir anſtaͤnde, eine volle Ladung Thee nach Amſterdam zu uͤbernehmen?

Leicht kann man denken, daß ich nicht Nein! ſagte. Es war damals leicht eine der reichſten Frachten, die auf Brettern ſchwamm, und die nur einer neutralen Flagge, wie die meinige war, anvertraut werden konnte, da nach und nach auch Holland in den amerika - niſchen Freiheitskrieg verwickelt worden war, und die Englaͤnder Alles kaperten, was die Beſtimmung nach einem hollaͤndiſchen Hafen hatte und nicht eines ſolchen Frei-Paſſes ge - noß. Ob ich aber in jener Behauptung zu - viel geſagt, wird man ermeſſen, wenn ich hinzufuͤge, daß wir, zu beiderſeitiger Zufrie - denheit um ein Frachtgeld von 35,000 ſchreibe: Fuͤnf und dreiſſig tauſend Thaler Preuß., 5 Procent Habarie und 10 Procent Kapplaken-Gelder einig wurden. So wie auch mein Schiff nur ledig war, fieng ich an, den Thee einzuladen.

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Waͤhrend dieſer Zeit ſuchte ein hollaͤndi - ſcher Schiffs-Kapitain, Namens Klock, mich an meinem Borde auf, um mich zu erſuchen, daß ich ihn, ſammt ſeinem Schiffsvolk, aus 14 Koͤpfen beſtehend, als Paſſagiere mit mir nach Holland nehmen moͤchte. Da ich ſein gutes und rechtliches Weſen erkannte, ſo geſtand ich ihm nicht nur ſein Geſuch von Herzen gerne zu, ſondern erbot mich auch, da er mir unterweges von mannichfachem Nutzen ſeyn konnte, ihm und ſeinen Leuten, von nun an, bis zu unſrer Ankunft in Am - ſterdam, die freie Koſt, ſo gut ich ſie ſelber haͤtte, zu reichen. Freilich war das Men - ſchen - und Chriſten-Pflicht; aber auch mein Patriotismus kam hier auf eine wunder - liche Weiſe mit in’s Spiel, weil ich nicht ſchlechter an den armen Leuten handeln wollte, als der Kaiſer von Marocko ge - than hatte. Dies hieng nemlich folgender Geſtalt in einander, wie ich es hier aus des Kapitains jetzigem Berichte und ſeinen ſpaͤ - teren Erzaͤhlungen waͤhrend der Reiſe, in’s Kurze zuſammendraͤnge.

Kapitain Klock, der in Amſterdam zu Hauſe gehoͤrte, und deſſen Schiff nach den kanariſchen Jnſeln beſtimmt war, fand es, zufolge der damaligen politiſchen Conjunctu - ren, auch fuͤr rathſamer, lieber unter der Preuſſiſchen, als unter ſeiner vaterlaͤndiſchen173 Flagge zu fahren. Er gieng alſo zuvor nach Emden; gewann dort um eine Kleinigkeit das Buͤrgerrecht und genoß von dem Augenblicke an die Rechte und den Schutz eines Preuſ - ſiſchen Unterthans. So geſichert, ſtach er in See; hatte aber das Ungluͤck, ſein Schiff an der Marockaniſchen Kuͤſte durch einen Sturm zu verlieren. Nur kuͤmmerlich rettete er ſich, ſammt ſeinen Gefaͤhrten, ans Land, wo er freilich ſein Schickſal um nichts ge - beſſert fand, da es nur Ketten und Banden waren, was ſie Alle in Mogador, wohin ſie zunaͤchſt geſchleppt wurden, zu erwarten hat - ten. Ein ſchreckliches Loch war ihr Gefaͤng - niß, wo ſie bei Mais-Koͤrnern und Waſſer zwiſchen Tod und Leben, aber in noch ſchreck - licherer Angſt uͤber die weitere Entſcheidung ihres Schickſals, hinſchmachteten. Denn ſo - viel hatte man ſie verſtaͤndigt: Man wiſſe nicht, was man aus ihnen und ihrer an’s Land getriebenen Flagge machen ſolle. Es ſey daher die letztere an das, 30 Meilen entfernte Hoflager des Kaiſers geſandt wor - den; und von dorther erwarte man Jhret - wegen eine hoͤhere Verfuͤgung.

Nach neun Tagen endlich erſchien vor ihrem Kerkerloche ein gewaltiger Trupp be - waffneter Mauren; ihre Banden loͤſten ſich, und ſie wurden Jeder auf einen Eſel geſetzt, um eine Reiſe anzutreten, deren Ziel ſie174 nicht zu errathen vermochten; wiewohl ſie ahndeten, daß man ſie tiefer landeinwaͤrts zu verkaufen gedenke. Dieſe Furcht endigte ſich aber, als ſie die Hauptſtadt Marocco er - reichten, wo ein deutſcher Jude, als Dol - metſcher, ſich zu ihnen geſellte und ſie, laut erhaltenem Befehl, alsbald vor den Kaiſer Muley Jsmael fuͤhrte. Hier wurden ſie, nach einigen gleichguͤltigeren Fragen, aufge - fordert, ſich auszuweiſen, ob ſie Unterthanen des Koͤnigs von Preuſſen waͤren? Sie ſtanden nicht an, zu bejahen und ſich auf ihre Flagge zu berufen.

Wohl! lautete die, durch den Dolmet - ſcher ertheilte Antwort des Fuͤrſten Von euerm Monarchen, ſeiner Weisheit und ſei - nen Kriegen ſind ſo viele Wunderdinge zu meinen Ohren gekommen, daß es mich mit Liebe und Bewunderung gegen ihn erfuͤllt hat. Die Welt hat keinen groͤßern Mann aufzuweiſen, als ihn; als Freund und Bru - der hab ich ihn in mein Herz geſchloſſen. Jch will darum auch nicht, daß ihr, die ihr ihm angehoͤrt, in meinen Staaten als Ge - fangene angeſehen werden ſollt. Vielmehr habe ich beſchloſſen, euch frank und frei in euer Vaterland heimzuſchicken; auch meinen Kreuzern anbefohlen, wo ſie Preuſſiſche Schiffe in See antreffen, ihre Flagge zu reſpectiren und ſie ſelbſt nach Moͤglichkeit zu beſchuͤtzen.

175

Des andern Tages wurden ſie, auf kaiſer - lichen Befehl, nach mauriſcher Weiſe, und wie ſie auch noch in Liſſabon auftraten, neu gekleidet, und ihnen eine anſtaͤndige Woh - nung angewieſen. Den Kapitain aber ließ Muley Jsmael faſt taͤglich zu ſich fordern, um eine Unzahl von Fragen an ihn zu richten, die ſich ausſchließlich auf den großen Preuſſen - Koͤnig bezogen; z. B. von welcher Statur er ſey? wie lange er ſchlafe? was er eſſe und trinke? wieviel Soldaten auch wieviel Frauen er halte? und dergl. mehr. Der gute Klock geſtand, er habe luͤgen muͤſſen, wie er nur immer gekonnt, um der kaiſerli - chen Neugierde nur einigermaaſſen zu genuͤ - gen, da ihm von all dieſen Dingen herzlich wenig bewußt geweſen.

So hielt es bis in die dritte Woche an, da endlich der Kapitain, durch jene Fragen immer mehr in die Enge gebracht, um ſeine Entlaſſung anhielt; wozu er ſich des Vor - wandes gebrauchte, daß er eilen muͤſſe, ſei - nem Koͤnige Rede und Antwort zu geben, wie gnaͤdig der Kaiſer ſeine ſchiffbruͤchigen Unterthanen behandelt habe, und was fuͤr freundſchaftliche Geſinnungen derſelbe gegen ihn hege. Muley Jsmael billigte dieſe Aeuſſe - rungen; entließ ſie einige Tage darauf in Frieden, und ſandte ſie, unter ſicherer Be - gleitung, und abermals auf Eſeln reitend,176 nach dem Hafen St. Croix, wo bereits dem mauriſchen Befehlshaber aufgegeben war, ſie auf das erſte abgehende europaͤiſche Fahr - zeug zu verdingen und die Fracht fuͤr ſie zu bezahlen; woneben ſie zugleich mit Mund - Proviſionen fuͤr einen Monat verſehen wur - den. So gelangten ſie nach Liſſabon und in meine Bekanntſchaft.

Wer mich kennt, ermißt auch leicht, wie groß das Jntereſſe ſeyn mußte, welches ich an einem Ereigniſſe nahm, worinn die Ehre meines geliebten Monarchen ſo eng verfloch - ten war. Darum drang ich denn auch ſpaͤ - terhin, waͤhrend der Reiſe nach Amſterdam, in den Kapitain Klock, ſein ganzes marocka - niſches Abentheuer in einen ſchriftlichen Be - richt zu verfaſſen und, nach unſrer Ankunft an genanntem Orte ſammt ſeinen Gefaͤhrten, auf dem Stadthauſe uͤber die Wahrheit des Jnhalts eine eidliche Verſicherung abzugeben. Dies geſchah auch wirklich, und ich ſchickte die daruͤber aufgenommene gerichtliche Ver - handlung an meinen Patron, Hrn. Groß in Stettin, ein, mit dem Erſuchen, ſolche an Se. Majeſtaͤt unmittelbar gelangen zu laſſen. Auch hatte dies den Erfolg, daß ich, etwa nach vier Wochen, aus des Koͤnigs Kabinette ein Dankſagungs-Schreiben erhielt, mit Beile - gung eines, auf feinſtem Poſtpapier abge - druckten Berliniſchen Zeitungsblattes, worinndieſe177dieſe ganze Begebenheit dem Publikum mit - getheilt worden.

Doch, ich kehre zu meinen eignen Erleb - niſſen zuruͤck, und bitte den geneigten Leſer, ſich zu erinnern, daß ich mich mit meinem Schiffe noch in Liſſabon befinde.

Hier war es einige Tage vor meinem beſchloſſenen Abgange, als der hollaͤndiſche Conſul (deſſen Namen mir nicht mehr erinner - lich iſt) mich von der Boͤrſe mit ſich nach ſeiner Wohnung nahm, weil er mir etwas Hochwichtiges zu eroͤffnen habe. Nach ge - endigter Mahlzeit, und unter vier Augen, zeigte er mir ein kleines Paͤckchen, etwa in der Geſtalt und Groͤße eines Spiels Karten, vor, und ſetzte hinzu, es ſey mit rohen Dia - manten angefuͤllt, die in Amſterdam geſchlif - fen werden ſollten. Sein Wunſch und Ab - ſicht ſey, mir dieſen Schatz auf mein ehrlich Angeſicht zur ſichern, aber auf’s ſtrengſte ge - heimzuhaltenden Ueberbringung dahin anzu - vertrauen. Es ſeyen dabei, nach Uſance, 115 holl. Gulden Fracht fuͤr mich zu ver - dienen; ich muͤſſe aber das Paͤckchen unab - laͤſſig an meinem Leibe tragen und mein Schiffsvolk davon durchaus nichts ahnden laſſen; ſo wie mir denn noch eine Menge andrer Vorſichtsregeln eingepraͤgt wurden.

Die Sache ſchien mir leicht, und der anerbotene Gewinn wohl mitzunehmen. Jch11. Bändchen. (12)178ward alſo des Handels einig, und verſprach, Tages vor meiner Abreiſe mich einzufinden, um jenes koſtbare Paͤckchen in Empfang zu nehmen. Demzufolge ward es mir denn auch, Angeſichts des Conſuls, in meine Uhr - taſche eingenaͤht, mir die gute Verwahrung auf Leib und Seele eingebunden, und ſodann ein Connoiſſement uͤber richtigen Empfang vorgelegt, das ich zu unterzeichnen hatte. Dies geſchah auch mit leichtem Herzen: allein in eben dem Augenblick, da ich uͤber die Schwelle des Hauſes meinen Ruͤckweg nahm, gieng auch meine heimliche Angſt und Sorge an, die dieſe ganze Reiſe hindurch nicht von mir wich. Jch waͤhnte, Jeder, der mich anſah, wiſſe um mein Geheimniß, und gehe mit dem Gedanken um, mich zu berauben, oder gar zu ermorden. Selbſt im Schlafe griff ich, ſo wie oft auch unwillkuͤhrlich im Wachen, nach dem Paͤckchen, um mich zu uͤberzeugen, daß es noch an ſeiner Stelle ruhte; und wohl kann ich ſagen, daß ich nie ein Geld mit groͤßerer Unruhe meines Herzens verdient habe.

Nachdem ich nun gegen Ende Octobers in See gegangen war, gab es eine zwar langſame, doch uͤbrigens nicht unguͤnſtige Fahrt, die mich am 23. November auf die Hoͤhe des Texels fuͤhrte. Hier hatten zwei engliſche Kreuzer ihre Station, bei deren179 Einem ich mit meinen Schiffs-Papieren an Bord kommen mußte. Jndeſſen konnte die Unterſuchung derſelben nicht anders, als vor - theilhaft, fuͤr mich ausfallen: denn das Schiff war Preuſſiſch; die Ladung fuͤr portugieſiſche Rechnung; Beide alſo neutral und frei. So ward mir alſo auch geſtattet, in den Texel hinein zu ſegeln; zugleich aber gab mir der Kapitain des engliſchen Linien-Schiffes den Auftrag, wenn ich dort hineingekommen waͤre, dem hollaͤndiſchen Admiral Kinsberger, der dort mit einer Kriegs-Flotte von 11 Segeln lag, mit ſeinem Gruße auch ſeinen Wunſch zu vermelden, ſich mit ihm je eher je lieber in offner See zu beſprechen. Jn der That war es unbegreiflich, wie dieſer ſonſt ſo wackre Seemann ſich von jenen beiden Schif - fen im Texel dergeſtalt einſperren laſſen konnte!

Jnzwiſchen war der Wind, zu meinem großen Verdruſſe, nach Oſten umgeſprungen; und mir blieb nichts uͤbrig, als mit der naͤch - ſten Fluth, gerade gegen denſelben an, in jenen Hafen hinein zu laviren. Jndem ich mich nun bei dieſem Manoeuvre dem erſten hollaͤndiſchen Kriegsſchiffe naͤherte, kam von demſelben eine Schaluppe hinter mir drein gerudert, die mir gebieteriſch zurief: Braßt auf! Braßt auf! Mein hollaͤndiſcher Lootſe, den ich an Bord genommen, hatte Luſt, dem Befehl zu gehorchen: ich hingegen180 bedeutete ihn, daß wir in dieſem Augenblick dem Oſt-Strande zu nahe waͤren, um der - gleichen wagen zu koͤnnen; wir wollten aber das Schiff wenden, wo dann die Schaluppe fuͤglicher bei uns an Bord kommen wuͤrde.

Noch waren wir in der Wendung begrif - fen, als Letzteres ſchon geſchah und ein Schiffs-Lieutenant zu uns auf’s Deck ſtieg, der mich ziemlich barſch und patzig zur Rede ſtellte: Warum ich auf ſein Commando nicht aufgebraßt haͤtte? Mynheer, erwiederte ich wenn Jhr ein Seemann ſeyd, ſo ſeht da den nahen Oſt-Strand, und fragt Euch ſelbſt, ob ich mich muthwillig auf den Grund ſetzen ſollte? Darauf war wenig mehr zu antworten; er aͤnderte alſo ſeine Fragen nach meinem Woher und Wohin, und erhielt darauf richtigen und gebuͤhrenden Be - ſcheid; verlangte aber demohngeachtet noch naͤhere Auskunft, wer ich ſey und wie ich heiſſe? An meinem Namen ver - ſetzte ich kann wenig gelegen ſeyn; und aus meiner Flagge, die uns uͤber den Koͤpfen weht, iſt zu erſehen, daß ich ein Preuſſe bin. Ob ich engliſche Kreuzer in See getroffen haͤtte? wollt er weiter wiſſen. Da moͤgt Jhr, war meine Antwort Eure eignen Augen brauchen. Jch bin ein neutraler Mann; und mir koͤmmt nicht zu, Eure Feinde an Euch zu verrathen.

181

Nun beſtand er darauf, mit mir in meine Kajuͤte zu gehen, um mich unter vier Augen zu ſprechen. Das kann ich jetzt nicht; verſetzte ich, kurz angebunden. Mein Schiff iſt im Laviren begriffen. Jch muß auf dem Deck bleiben und es im Auge be - halten. Binnen einer Stunde gehe ich zwi - ſchen Eurer Flotte vor Anker; und dann wird es noch Zeit ſeyn, Euch in Allem, was Noth thut, Rede zu ſtehen. Wie? Jhr wollt nicht gleich dieſen Augenblick in die Kajuͤte kommen? Jetzt ſicherlich nicht. Da ward das Buͤrſchchen hitzig; griff nach der Plempe, die es an der Seite haͤngen hatte; zog blank, und verſetzte mir damit flach einen Streich uͤber die Schulter.

Hui! das war ein Funke in eine offne Pul - vertonne! Denn im nemlichen Augenblick auch packte meine Fauſt das Sprachrohr, das neben mir ſtand, und legte es ihm ſo unſanft zwiſchen Kopf und Schulter, daß das untere Ende deſſelben uͤber Bord flog und ich das bloße Mundſtuͤck in der Hand be - hielt. Zugleich griff ich ihm in das Gefaͤß ſeines Degens; rang ihm denſelben aus der Hand; packte ihn unſaͤuberlich am Kragen und ſchob ihn uͤber Bord die Treppe hinab, ſo daß er ſchwerlich ſelbſt gewußt hat, wie er in ſeine Schaluppe gekommen ſeyn mag. Dann langte ich ihm ſeine vergeſſene Klinge182 nach; ſeine Leute ſtieſſen ab, und die ferne - ren Komplimente hatten ein Ende.

Unmittelbar darauf kam ich unter die Flotte und ließ den Anker fallen. Eine andre Schaluppe kam zu mir herangerudert; der darauf befindliche Officier war ein ver - nuͤnftiger Mann; ſeine Fragen hatten Hand und Fuß, und eben ſo waren auch meine Antworten ausreichend und beſcheiden.

Am andern Morgen gieng ich, da mir der Wind noch immer entgegen ſtand, mit der Fluth abermals unter Segel, um noch weiter in den Texel hinein zu lavieren. Mein Lootſe wollte, daß wir unſre Flagge wieder aufhiſſen ſollten; ich jedoch war andrer Mey - nung. Hatten wir doch den ganzen geſtrigen Tag zwiſchen der hollaͤndiſchen Flotte um - hergekreuzt und geankert, und unſre Flagge wehen laſſen; ſo daß ihnen unmoͤglich unbe - kannt ſeyn konnte, weß Geiſtes Kinder wir waͤren. Eigentlich aber wollt ich meine Flagge ſchonen, die bei dem Wenden hin und wieder arg zerpeitſcht wurde.

Wir waren daruͤber noch im Rathſchla - gen begriffen, als ein blinder Schuß nach meiner Seite her abgefeuert wurde die gewoͤhnliche Mahnung, Wimpel und Flagge zu zeigen. Da ich nun ſah, daß es ſo ge - meynt ſey, befahl ich ſtracks, ihnen den Wil - len zu thun: allein wieſehr meine Leute ſich183 auch damit haſteten, erfolgte doch zu gleicher Zeit ein zweiter ſcharfer Schuß, deſſen Kugel dicht vor mir in’s Waſſer aufſchlug. Dann aber fand ſich auch, ehe ich mich deſſen ver - ſah, eine Schaluppe an meinem Borde ein, deren Officier mir einen Dukaten fuͤr den erſten, und zwei dergleichen fuͤr den andern Kugelſchuß abforderte, und hinzuſetzte, daß dies auf Befehl des Admirals Kinsbergen geſchehe.

Jch geſtehe, daß meine Antwort, in wel - cher ich meine, ſchon vorerwaͤhnten Recht - fertigungs-Gruͤnde anfuͤhrte, etwas unmanier - lich lautete: denn ich ließ ihm ſagen, er moͤchte ſein Pulver und Blei auf ſeine Feinde und nicht auf eine reſpectable neutrale Flagge, die ſich ihm genugſam kund gegeben, ver - ſchieſſen. Jch betrachtete ſeine Schuͤſſe als einen, meinem Souverain erwieſenen Affront, uͤber welchen ich gehoͤrigen Orts Beſchwerde zu fuͤhren wiſſen wuͤrde. Da ich jetzt nach Holland hinein und nicht hinaus gienge, ſo wuͤrde er mich, wie ich ihn, in Amſterdam zu finden wiſſen, ohne daß ich um Rede und Antwort verlegen waͤre. Hier aber gedaͤcht ich auch nicht Einen Stuͤber zu bezahlen.

Der Lieutenant, der meinen entſchloßnen Sinn ſah, verlangte, daß ich ihm dieſe Ant - wort ſchriftlich geben ſollte. Jch gieng mit ihm in die Kajuͤte, und that ihm ſeinen184 Willen; fuͤgte aber zugleich auch den Gruß hinzu, den mir der Kapitain des engliſchen Kreuzers an den Admiral aufgetragen hatte. Waͤhrend dem Schreiben muſterte Jener einen Berg Zitronen, die in einem Winkel der Kajuͤte lagen, mit luͤſternen Augen. Jch bat ihn, ſich davon auszuwaͤhlen, ſoviel er irgend zu laſſen wuͤßte Eine Hoͤflichkeit, die er mit Dank annahm und benutzte, und wornach wir Beiderſeits freundlich auseinander ſchie - den. Aber auch ſpaͤterhin iſt von dieſem Handel auf keine Weiſe wieder etwas zur Sprache gekommen.

Jch ſelbſt vergaß dieſen Vorgang alsbald uͤber der Noth, die ich hatte, bei dem, noch immer kontrairen Oſtwinde, in dem engen Fahrwaſſer, mit Laviren in kurzen Schlaͤger, und unter Beihuͤlfe der jedesmaligen Fluth, langſam genug fortzuruͤcken; hinwiederum aber mit jeder Ebbe die Anker fallen zu laſſen. Hierbei fror es zu gleicher Zeit ſo heftig, und es kam mir ſoviel Treibeis auf den Hals, daß ich mich oftmals vor zwei oder auch wohl drei Anker legen mußte, um dem An - drang gehoͤrig zu widerſtehen. So waͤhrte es drei Tage hinter einander, ohne daß es ſich zu einem Beſſeren anließ; und ich mochte mich allein damit troͤſten, daß es vor und hinter mir noch eine Menge von Schiffen gab, die eben ſo angeſtrengt und vergeblich trach -185 teten, trotz dem Eiſe, noch Amſterdam zu erreichen. Selbſt aber als dieſe, nach und nach, die naͤheren Nothhaͤfen Medemblyck, Enkhuizen und Staveren zu gewinnen ſuch - ten, beharrte ich bei meinem Vornehmen, und hoffte, daß endlich doch Wind und Wetter ſich zu meinem Vortheil aͤndern wuͤrden.

Als ich mich nun ſolchergeſtalt, von allen Andern verlaſſen, abmuͤhte, dem Schickſal mein Reiſeziel gleichſam abzutrotzen, traten mein Schiffsvolk und der eingenommene Lootſe mich an, um mir vorzuſtellen, wie die Gefahr, des Eiſes wegen, ſich ſtuͤndlich mehre, und wie rathſam es ſeyn werde, nach dem Beiſpiel unſrer bisherigen Gefaͤhrten, in ei - nen andern nahen Hafen einzulaufen. Das war nun gar nicht auf mein Ohr. Jun - gens, entgegnete ich ihnen wo denkt ihr hin? Haben wir nicht ein ſtarkes dichtes Schiff? Sind unſre Anker und Taue nicht haltbar? Fehlt es uns an Eſſen und Trinken? Und wenn die in den andern Schiffen furcht - ſame Memmen ſind, die gleich beim erſten Froſtſchauer zu Loche kriechen: wollen wir uns ihnen darinn gleich ſtellen? Jch meyne, wir ſehen es noch eine Weile mit an; und wenn es dann immer noch keinen beſſern Anſchein gewinnt, ſo bleibt es ja Zeit genug, uns nach einem Nothhafen umzuſehen. Dieſe Vor -186 ſtellungen wirkten; und ſie verſprachen, auch ferner ihr Beſtes zu thun.

Des nemlichen Nachmittags kam mir ein kleines Fiſcherfahrzeug von Enkhuizen zur Seite. Drinnen ſaß ein alter Mann, nebſt ſeinem Jungen, und rief mir zu: Wie ſteht’s, Kapitain? Wollt Jhr auch Huͤlfe haben? Jch gab wenig auf ſein Erbie - ten: denn ſeine Flunder-Schuite ſah mir nicht darnach aus, als ob ſie mir ſonderliches Heil bringen koͤnnte, oder das Eis uͤber Seite ſchieben wuͤrde, wovon die Zuyder-See vor uns voll ſtand. Fahrt mit Gott! rief ich ihm zu Mit Eurer Huͤlfe wird mir wenig gedient ſeyn!

Doch zu gleicher Zeit zog mich der Lootſe bei Seite und gab mir zu bedenken, daß es gleichwohl nicht uͤbelgethan ſeyn wuͤrde, fuͤr den Fall, daß wir uns dennoch zu irgend einem Nothhafen bequemen muͤßten, einen Mann am Borde zu haben, der dieſer Ge - waͤſſer ungezweifelt noch beſſer, als er ſelbſt kundig waͤre, und an welchem er dann eine um ſo gewiſſere Unterſtuͤtzung finden wuͤrde. Jmmerhin! verſetzte ich Wenn wir von dem alten Manne, der mir gar nicht darnach ausſieht, nur reellen Beiſtand zu erwarten haben. Dieſer, der ſchon von uns abgeſtoßen hatte, ward alſo zuruͤck - gerufen, kam an Bord und wurde befragt,187 ob ihm die naͤchſtgelegene nordhollaͤndiſche Kuͤſte hinreichend bekannt ſey, um uns im Nothfall als Lootſe zu dienen?

Faſt ſchien der alte Burſche mir meine Frage uͤbel zu deuten. Er nahm eine pa - thetiſche Stellung an und betheuerte: Von Jugend auf habe er hier alle Winkel her - umgekrochen; kenne jeden Grund und jeden Stein, und wolle hier wohl die ganze hollaͤn - diſche Flotte bei ſtockdunkler Nacht ſicher vor Anker bringen. Gut! erwiederte ich So moͤgt Jhr am Borde bei mir bleiben! Allein auf welchen Vergleich ſoll ich mich mit Euch einigen? Dringen wir durch nach Am - ſterdam, wie ich’s hoffe, ſo koͤnnt Jhr mir keine Dienſte thun: muß ich mich aber nach einer andern Zuflucht umſehen, ſo weiß ich wieder nicht, wie lange das waͤhren kann, und wie ich Eure Huͤlfe anſchlagen ſoll? Darum ſchlag ich Euch vor, daß wir, nach beendigter Fahrt, vier Schiedsmaͤnner, Jeder zur Haͤlfte, erwaͤhlen, und daß wir uns dem fuͤgen, was dieſe als recht und billig be - ſchlieſſen werden. Seyd Jhr das zufrieden?

Ja; war ſeine Antwort aber gebt mir das ſchriftlich, Kapitain! Dies ge - ſchah auch ſofort; worauf er das Papier dem Jungen behaͤndigte, um mit demſelben und der Schuite wieder an Land zu ſteuern. Er ſelbſt aber war von dem Augenblick an bei uns,188 wie zu Hauſe; hatte tauſend unnuͤtze Dinge zu fragen und zu erzaͤhlen, und brachte ein ſo unerſchoͤpfliches Mundwerk zu Markte, daß er meine Leute uͤberall in ihren Verrich - tungen hinderte und mir ſelbſt dadurch uͤber - aus laͤſtig und unangenehm fiel. Satt und genug, Alter! fiel ich ihm endlich in die Rede Euer Geplauder bringt mir mein Volk aus dem Texte. Da geht hinein in die Com - buſe, und raucht Euer Pfeifchen in Frieden, bis ich Euch rufen laſſen werde. Mur - rend that er meines Gebots; huͤllte ſich in eine Schmauchwolke, und legte ſich endlich aufs Ohr, ohne zu wiſſen oder zu fragen, was weiter um ihn her vorgieng.

Jnzwiſchen trieb, waͤhrend der Nacht und Ebbezeit, wo wir vor Anker lagen, ſo ungeheuer viel Eis auf uns zu, daß wir das Schiff kaum vor drei Kabeltauen halten konn - ten, indem die Schollen ſich immer hoͤher uͤber denſelben emporthuͤrmten und auf den Bug eindrangen, daß das Schiff vorne auf eine bedenkliche Weiſe niedertauchte, und jeden Augenblick zu erwarten ſtand, es werde von den Eismaſſen uͤberwaͤltigt werden und untergehen. Zugleich auch waren die Stoͤße, die es empfieng, ſo heftig, daß es Muͤhe koſtete, auf dem Verdeck das Stehen zu be - halten. Doch gab Gott Gnade, daß wir uns in dieſer gefaͤhrlichen Lage erhielten, bis189 endlich die Fluth eintrat und das Schiff ſich wieder erholte; waͤhrend auch das Tageslicht eintrat und die Gegenſtaͤnde ſicherer erkennen ließ.

Nach einer ſolchen gemachten Erfahrung waͤre es vermeſſen geweſen, wenn ich auf meinem fruͤheren Vorſatz noch ferner haͤtte beſtehen wollen. Vielmehr wurden wir ſchluͤſſig, in den naͤchſten, den beſten Hafen einzulau - fen; und ſo war es jetzt an der Zeit, un - ſern alten Lootſen hervorzurufen, der ſich die Augen wiſchte und die Gefahr, die uns drohte, gluͤcklich verſchlafen hatte. Jch be - fragte ihn, welcher Hafen, nach ſeiner Mey - nung, am bequemſten zu erreichen ſeyn moͤchte? Er entſchied ſich fuͤr Enkhuizen und ſtellte ſich an’s Steuer; hielt aber einen ſo ver - kehrten Kurs, daß mir und dem Lootſen aus dem Texel die Haare zu Berge ſtanden und wir zu der augenſcheinlichen Ueberzeugung ge - langten, der alte Kerl werde das Schiff bin - nen weniger, als fuͤnf Minuten, auf die Sandbaͤnke ſetzen und uns Alle in’s Ungluͤck bringen, um vielleicht ſeinen Landsleuten an dem geſtrandeten Wrack eine erwuͤnſchte Priſe zuzufuͤhren.

Jhm ſein Concept zu verruͤcken, erklaͤrte ich alſo, die Gewaͤſſer von Medemblyck waͤren mir einigermaaſſen bekannt, und ich zoͤge es vor, meinen Weg dorthin zu nehmen und190 das Noͤthige ſelbſt anzuordnen. Dem erſten Lootſen gebot ich, das Bleiloth zur Hand zu nehmen; dem Alten aber, der immer noch des Plauderns kein Ende fand, ſich flugs vom Verdeck nach der Combuſe zu ſcheeren. Andre Segel wurden aufgeſetzt, das Schiff umgelegt, und ſo gelang es uns, Nachmit - tags gluͤcklich vor Medemblyck anzulangen.

Kaum hatt ich hier einen Fuß an Land geſetzt, ſo bat ich die umſtehenden Leute, mir den angeſehenſten und wohlberufenſten Kauf - mann im Orte nachzuweiſen. Sie nannten mir einen Herrn Schweiger, der allgemein fuͤr einen Ehrenmann gelte, und ehedem auch ein Schiff gefuͤhrt habe. Jch ließ mich auf der Stelle zu ihm fuͤhren; gewann auch flugs das Vertrauen, daß er der Mann ſeyn werde, wie ich ihn ſuchte, und trug ihm, mit Darlegung meiner Umſtaͤnde, den Wunſch vor, meine beiden Lootſen, Namens Meiner, nach Recht und Gebuͤhr zu befriedigen. Denn obwohl der Enkhuizer, meines Beduͤnkens, nicht den mindeſten Anſpruch fuͤr ſeine un - verſtaͤndige und verkehrte Dienſtleiſtung zu machen hatte, ſo hatt ich ihm dennoch, aus Mitleid mit ſeinen grauen Haaren, ein Ge - ſchenk von 10 bis 15 Guldeu zugedacht.

Beide wurden ſofort gerufen; und es bedurfte nur, daß der Lootſe vom Texel ſeine Ordonnanz vorwies, um darnach ſeine191 Forderung nach Fug und Billigkeit auszu - mitteln. Er ſtrich ſein Geld ein; und als er demnaͤchſt auf eine beſcheidene Weiſe be - merkt hatte, daß er waͤhrend mehrerer Tage ungewoͤhnlich viel Noth und Muͤhe an mei - nem Borde ausgeſtanden, um ſich vielleicht Rechnung auf eine auſſerordentliche Verguͤ - tung machen zu koͤnnen, unterbrach ich ihn durch die Erklaͤrung: Das iſt allerdings wahr, Herr Schweiger. Geben ſie dem Manne noch zwei Dukaten, als williges Anerkenntniß ſeiner Treue und angeſtrengten Fleißes. Der Lootſe bedankte ſich; und das war ab - gethan.

Nun aber kam auch die Reihe an den alten Fiſcher von Enkhuizen. Sagt an, Vater, was habt Jhr verdient? fragte mein Bevollmaͤchtigter. Der Kerl ſetzte ſich aber - mals in Poſitur, und ließ ſich vernehmen: Mynheer, ich habe ein Schiff gerettet, das, wie ich weiß, eine Million werth iſt, und deſſen Kapitain eine Fracht von huudert - tauſend Gulden macht. Derowegen ver - lange ich nicht mehr und nicht weniger, als funfzehnhundert Gulden an Lootſen - gebuͤhr; und ich hoffe, die ſollen mir werden.

Jch lachte dem alten Knaben in’s Ange - ſicht, und fragte: ob er ſich vielleicht nur verſprochen und fuͤnf oder funfzehn Gulden192 gemeynt habe? Er aber verneinte ernſt - haft, und vermeynte, daß er wohl ein Narr ſeyn muͤßte, ſich damit abſpeiſen zu laſſen. Nun, fiel ich ihm ein an Eurer Narrheit hat es wohl keinen Zweifel: denn die habt Jhr bei mir am Borde durch all Eure Handlungen klar genug erwieſen. Laut unſerm ſchriftlichen Accord mag der Ausſpruch auf vier Schiedsmaͤnnern beruhen, oder Jhr moͤgt mich, wenn es Euch beliebt, verklagen. Polternd und ſcheltend verließ er auf dieſe meine Erklaͤrung das Zimmer; und ſo kamen wir fuͤr diesmal in Unfrieden ausein - ander.

Um jedoch meine gute Sache zu wahren, ſaͤumte ich nicht, des naͤchſten Tages mich und meine Schiffsmannſchaft uͤber die letzten Ereigniſſe unſerer Reiſe, nach allen Einzel - heiten, gerichtlich und eidlich vernehmen zu laſſen; und inſonderheit wie ungeſchickt und widerſinnig ſich der vorgebliche Lootſe ange - ſtellt und zu Allem untauglich erwieſen. Dies gethan, brannte mir die Stelle unter dem Leibe, den Weg nach Amſterdam vollends zuruͤckzulegen, damit ich mein Diamanten - Paͤckchen los wuͤrde. Sobald ich es mittelſt angetretener Landreiſe, dort in die rechten Haͤnde abgeliefert hatte, war ich, wie ein neugebohrner Menſch; und da ich zugleich alle Connoiſſements von meiner Ladung mit mirge -193genommen, ließ ich es meinen naͤchſten Gang ſeyn, den Kaufmann Floris de Kinder auf - zuſuchen, dem ich mich aus einer fruͤheren Le - bens-Periode dankbar verpflichtet hielt, und mir daher auch jetzt zum Commiſſionair erſehen hatte. Jhm uͤbergab ich meine Papiere, um dieſelben den Empfaͤngern meiner Ladung vorzulegen, bei denen des andern Tages auf der Boͤrſe uͤber meine gluͤckliche Ankunft in Medemblyck eine große Freude entſtand.

Auf gleiche Weiſe hatt ich, gleich beim Einlaufen in den Texel, dies erwuͤnſchte Er - eigniß nach Hamburg an meinen dortigen Correſpondenten, Herrn Klefecker, berichtet, von welchem die Aſſecuranz meines Schiffes beſorgt worden war. Jn Amſterdam fand ich bereits ſeine Antwort vor, worinn er mir meldete, wie meine Nachricht auch auf der Hamburger Boͤrſe die angenehmſte Senſation erregt habe, indem die dortige dritte Aſſecu - ranz-Compagnie die Verſicherung auf Schiff und Ladung gezeichnet hatte.

Nach Verlauf einiger Tage die ich in Amſterdam zubrachte, meldete mir Hr. Schwei - ger, daß der Alte aus Enkhuizen wirklich geklagt habe, und daß ein Termin zur Ver - nehmung angeſetzt ſey, wo meine Gegenwart erforderlich werden moͤchte. Jch hatte dieſe wunderliche Geſchichte ſchon meinem Correſ - pondenten zum Beſten gegeben, der ſie, gleich11. Bändchen. (13)194mir, als eine Kinderei betrachtete. Jndeß gieng ich doch nach Medemblyck ab, und fand dort eine Gerichts-Verſammlung, aus fuͤnf Perſonen beſtehend; ſo wie auch mein Widerſacher nicht fehlte und ſeine Klage an - haͤngig machte. Meinerſeits uͤbergab ich die ſchon aufgenommene und eidlich bekraͤftigte Verhandlung uͤber den wahren Hergang der Sache, mit hinzugefuͤgter Erklaͤrung, daß, wiewenig mir dieſer Menſch auch irgend ei - nige Dienſte geleiſtet, ich dennoch einer billi - gen Feſtſetzung ſeines Lohnes nicht entgegen ſeyn wolle. Man fragte mich: Wieviel ich dem Manne gutwillig zu verabreichen ge - daͤchte? und ich wiederholte meine fruͤ - here Beſtimmung, daß ich, bloß in Erwaͤ - gung ſeines hohen Alters, 10 Gulden, um nichts und wieder nichts, an ihn verlieren wolle. Der alte durchtriebene Fuchs hin - gegen beharrte urſinnig auf ſeiner erſten ausſchweifenden Forderung.

Nach langem Hin - und Wiederreden muß - ten wir abtreten und der richterlichen Ver - ſammlung Zeit und Ruhe zum Deliberiren laſſen. Das bedurfte laͤnger, als eine Stunde, wo endlich Klaͤger und Beklagter wieder vor - gefordert wurden, um das, in hoher Weis - heit ausgeheckte Urtel zu vernehmen. Es lautete dahin, daß Letzterer ſchuldig und ge - halten ſeyn ſolle, dem angenommenen Loot -195 ſen von Enkhuizen, ſowohl fuͤr ſeinen, dem Schiffe geleiſteten Beiſtand, als wegen un - verzagter Daranwagung ſeines Leibes und Lebens, die volle Summe von Eintauſend fuͤnfhundert Gulden Holl. baar auszuzahlen; uͤberdem aber ſolange, bis dieſe Zahlung wirklich geleiſtet worden, fuͤr jeden Tag eine Buße von zwei Gulden zu entrichten. Alles von Rechts wegen.

Es war natuͤrlich, daß ich ſchlechte Luſt bezeugte, mich in dieſem, alle Gerechtigkeit verhoͤhnenden Ausſpruche zu beruhigen. Viel - mehr berief ich mich auf meinen, mit dem alten Schelme ausdruͤcklich getroffenen Ver - gleich, und wollte die Sache an vier gewaͤhlte Schiedsrichter und Obmaͤnner gebracht wiſſen. Allein man bedeutete mich, mein Gegenpart habe jenen Accord nicht mit unterzeichnet, daher demſelben auch alle geſetzliche Guͤltig - keit ermangele. Wolle ich jedoch mich in die Sentenz des Gerichts nicht fuͤgen, ſo bleibe mir allerdings unbenommen, an den Hof von Holland zu appelliren.

Jn der That aber kannte ich dies Gericht, das ſich ſo unvermuthet zum Herrn meines Beutels aufwarf, gar noch nicht einmal; und es ſchien mir doch der Muͤhe werth, deshalb einwenig genauer nachzufragen. Auch blieben mir die Herren die Antwort hierauf nicht ſchuldig; und ſo erfuhr ich denn, daß die196 vier Buͤrgermeiſter von Hoorn, von Enk - huizen, von Medemblyck, von Edam, und noch ein Procurator, ſich die Muͤhe genommen, dieſen hochwichtigen Fall in ihrer Weisheit zu entſcheiden. Je weniger mir aber von dieſer Weisheit einleuchten wollte, deſto min - der konnt ich mich auch entbrechen, ihnen zu erwiedern: Jhr Herren insgeſammt ver - ſteht vom Seeweſen keinen Pfifferling und haͤttet alſo immer zu Hauſe bleiben moͤgen. Jn Enkhuizen liegt aber, wie ich hoͤre, ein hollaͤndiſches Kriegsſchiff: warum habt Jhr den Kapitain deſſelben zu Euern Rathſchla - gungen nicht mit zugezogen? Jn Eurer Ent - ſcheidung vermiſſe ich alle Billigkeit und Ge - rechtigkeit; und darum werd ich an erleuch - tetere Richter appelliren! Das geſagt, kehrt ich ihnen den Ruͤcken, und ſchied von dannen.

Allernaͤchſt aber ſchrieb ich an Hrn. Flo - ris de Kinder nach Amſterdam; machte ihn mit der ſaubern Sentenz bekannt, und trug ihm auf, die Sache mit den Empfaͤngern der Ladung, welche nach Uſanz vornehmlich den Beutel wuͤrden haben ziehen muͤſſen, in genauere Ueberlegung zu nehmen und mir wegen der Appellation naͤhere Jnſtruction zuzufertigen. Mocht es nun aber ſeyn, daß Dieſe an ihrem Thee einen ſo erklecklichen Gewinn hatten, um 1500 Gulden mit leich -197 tem Sinn an’s Bein zu binden, oder daß ſie Gang und Weiſe der hollaͤndiſchen Rechts - pflege beſſer kannten: genug; ſie ertheil - ten mir den Beſcheid: Jch ſollte nur in Gottes Namen die geforderte Summa zahlen, indem ſie ſich, ihres Theils, die Sentenz ge - fallen lieſſen. So war denn alſo das Lied am Ende!

Nach geleiſteter Zahlung druͤckte mir’s gleichwohl auf dem Herzen, mich bei den ge - ſtrengen Herren zu befragen, auf welch Ge - ſetz, rechtlichen Grund oder Herkommen ihre gefaͤllte Entſcheidung ſich denn eigentlich ſtuͤtze? Mir ward die Antwort: Es habe alſo und nicht anders geſprochen werden muͤſſen, damit, wenn hinfuͤhro Schiffe in Noth kaͤmen, bei andern Leuten Muth und Wille erweckt werde, den Ungluͤcklichen mit Huͤlfe beizu - ſpringen. Hol Euch der T. mit Eurer Huͤlfe! dacht ich, und ſchuͤttelte den Staub von meinen Fuͤßen. Jndeß ſchlug das Froſtwetter im December wieder um; ſo daß ich am 29. von Medemblyck abgehen konnte, den 2. Januar 1781. vor Amſterdam anlangte, und den Anfang machte, meine Ladung zu loͤſchen.

Gegen den 24. Januar, den Geburtstag unſers großen Monarchen, trieb es mich mit unwiderſtehlicher Gewalt, dieſen Tag von allen Preuſſiſchen, im Hafen ankernden Schif -198 fen durch Aufziehung aller Flaggen und Wimpel und Abfeurung unſers Geſchuͤtzes feierlich begangen zu ſehen. Mein Vorſchlag hiezu fand bei meinen wackern Landsleuten allgemeinen und freudigen Eingang. Aber einen haͤrteren Strauß gab es mit dem hol - laͤndiſchen Courant-Schreiber in Amſterdam auszufechten, der die Ankuͤndigung dieſer Feier in ſeinem Zeitungsblatt, entweder aus aͤcht hollaͤndiſchem Phlegma, oder aus unver - nuͤnftiger Abneigung gegen den Koͤnig, auf eine ſo beleidigende Weiſe verweigerte, daß ich mit dem Grobian ſchier handgemein ge - worden waͤre, endlich aber, durch Huͤlfe des Preuſſiſchen Conſuls, ihn zur Raiſon brin - gen und fuͤr ſeine ausgeſtoßenen ſchmaͤhlichen Laͤſterungen zur gebuͤhrenden Strafe ziehen ließ.

Dieſe widrige Stimmung, die ſich da - mals in Holland ſo allgemein aͤuſſerte, em - poͤrte mein treues Preuſſen-Herz um ſo mehr, als die Preuſſiſche neutrale Flagge in dem ausgebrochenen Kriege mit England der Na - tion die entſchiedenſten Vortheile fuͤr ihren Handel darbot, und ſelbſt die hollaͤndiſchen Schiffs-Kapitaine, welche ſich derſelben bedien - ten, durch nichts zu bewegen waren, unſerm Beiſpiele zu folgen und ihren Wohlthaͤter und Beſchuͤtzer nach Wuͤrden zu ehren. Solch ein Urian lag mir unmittelbar zur Seite199 vor Anker; und daß er ſich Preuſſiſche Certi - ficate zu verſchaffen gewußt hatte, lag dar - aus klar am Tage, daß er zu Zeiten unſern ſchwarzen Adler von ſeinem Hintertheile hatte wehen laſſen.

Am Morgen des koͤniglichen Geburtsta - ges war bei dieſem meinem Nachbar Alles in tiefſter Ruhe, und weder Flagge, noch Wim - pel, bei ihm zu verſpuͤren. Erſt ſpaͤt hatt er ſich den Schlaf aus den Augen gerieben: aber ſobald er ſich auf dem Verdeck zeigte, warf ich ihm die Frage in den Bart: Ob er, gleich mir und ſo vielen Andern rings um uns her, den Koͤnig von Preuſſen nicht auf herkoͤmmliche Weiſe wolle hoch leben laſſen? Das werd ich wohl bleiben laſſen! gab er zur Antwort Was geht mich euer Koͤnig an? Meine Erwiede - rung fiel, wie ſich leicht denken laͤßt, deutſch und derbe aus: allein ohne etwas drauf zu geben, wandte er mir den Ruͤcken und ließ ſich an Land ſetzen.

Topp! gelobte ich mir ſelbſt Was der Schuft zu thun nicht Luſt hat, ſoll den - noch von mir und in ſeinem Namen geſche - hen! Jch beſaß zwei Geſtelle Flaggen und Wimpel, wovon das ſeidene bereits ſeit Sonnenaufgang in meinem Tauwerk prangte und flatterte; das andre baumwollene nahm ich jetzt zur Hand, ſtieg mit ein paar Leuten200 an Bord des Hollaͤnders, und machte An - ſtalten, daſſelbe an ſeinen Maſten aufzuzie - hen, ohne daß das Schiffsvolk, das ſich an einfaͤltigem Maulaufſperren begnuͤgte, meiner Keckheit Einhalt zu thun verſuchte. Und ſo weheten meine Flaggen den ganzen Tag, ohne daß Jemand ſich unterſtanden haͤtte, ſie herabzureiſſen, oder daß der Kapitain ſich ſehen laſſen oder um den Vorgang zu kuͤm - mern geſchienen. Mir aber diente mein ge - kuͤhltes Muͤthchen nur zu deſto freudigerer Erhoͤhung meines patriotiſchen Jubels.

Jndeß war nicht nur meine eingebrachte Ladung in der Mitte Februars geloͤſcht, ſon - dern vier Wochen ſpaͤter hatt ich auch be - reits wieder eine neue Fracht nach Liſſabon eingenommen, die in 100 Laſt Weizen, 200 Tonnen ſchwediſchen Theers und einigen tau - ſend Edammer Kaͤſen, von 5 bis 6 Pfund an Gewichte, beſtand. Gleich darauf machte ich Anſtalten, in See zu gehen, und war eben im Begriff, meine Anker aus dem Grunde empor zu winden, als ich mich gegen den Steuermann aͤuſſerte: Nun, Gott ſey von Herzen gedankt, daß wir hier los ſind: denn nie hab ich, nach ſchon vollendeter Reiſe, ſo - viel Wunder, Verdruß und Unannehmlichkeit erfahren, als diesmal unter den Hollaͤndern! Aber wiewenig ahndete ich, daß mir ſchon in der naͤchſten halben Stunde eine weit201 groͤßere Widerwaͤrtigkeit begegnen ſollte, als alle fruͤheren, uͤber die ich mich ſo bitter be - klagt hatte!

Jndem ich nemlich eben meine Segel aufgezogen, die Anker aber nur ſoweit em - porgewunden hatte, daß ſie noch vor dem Bug unter Waſſer hiengen, das Schiff aber in die flieſſende Fahrt gelangte, kam eine ledige T’Gelke*)Eine Art, auf der Zuider-Zee gebraͤuchlicher Fahrzeuge, von etwa 20 Laſten groß, die ſehr flach gebaut ſind. gegen meine Seite in einer Richtung angeſegelt, daß wir unausbleiblich zuſammenſtoßen mußten, woferne ſie nicht noch bei Zeiten abſteuerte. Jch machte meine Leute aufmerkſam, ergriff aber zugleich auch das Sprachrohr, lief damit nach vorne, und rief dem Fahrzeuge zu: Haltet ab! Holt euer Ruder nach Steuerbord! Auf dies Rufen ſahen ſich endlich die beiden Menſchen auf demſelben, die mir bisher den Ruͤcken ge - kehrt, nach meinem Schiffe um; erkannten die Gefahr, worinn ſie ſchwebten, holten aber in der Beſtuͤrzung das Ruder auf die Back - bord-Seite; wodurch ſie, anſtatt mir auszu - weichen, gerade auf meinen Bug geriethen.

Jetzt ward das Ungluͤck mit jedem Au - genblick groͤßer. Mein Bogſpriet verwickelte ſich in das Segel und die Takelage der T’Gelke; meine Anker, die noch unter Waſſer202 waren, mochten wohl unter ihre Kimmung gerathen; und da mein Schiff ſich bereits in ziemlichem Schuſſe befand, ſo druͤckte es jenes kleinere Fahrzeug auf die Seite, uͤberſegelte es endlich und fuhr rumpelnd druͤber hin, als ob es uͤber eine Klippe hinweggeſtreift waͤre. Eine halbe Minute ſpaͤter kam die T’Gelke hinten in meinem Kielwaſſer wieder zum Vorſchein; aber gekantert und das Un - terſte zu oberſt ſchwimmend.

Jch war von Herzen erſchrocken; und das um ſo mehr, da ich fuͤrchten mußte, daß mein Schiff an ſeinem Boden betraͤchtlichen Schaden gelitten haben moͤchte. Sofort ließ ich zu den Pumpen greifen: doch Alles war und blieb dicht und gut; nur an meinem Bogſpriet und der Takelage deſſelben war eine ſo arge Verwuͤſtung angerichtet, daß ich auf der Stelle wieder den Anker fallen laſſen mußte, um zur Ausbeſſerung zu ſchreiten. Jnzwiſchen waren auch von allen herumlie - genden Schiffen Boͤoͤte und Fahrzeuge ab - geſtoßen, um die beiden Menſchen zu bergen und zu der verungluͤckten T’Gelke zu ſehen. Jch aber konnte mich, mit meinem eignen Schaden beſchaͤftigt, darnach nicht aufhalten, ſondern eilte, wieder unter Segel zu kommen.

Als ich nun einige Tage nachher im Texel anlangte, fand ich einen Brief von meinem Correſpondenten, Hrn. Floris de203 Kinder, vor, worinn mir berichtet wurde, daß der verungluͤckte T’Gelken-Schiffer gegen mich klagbar geworden und Schaden-Erſatz von mir verlange. Er rieth mir alſo, vor dem Gericht im Texel zu erſcheinen und, ſammt meiner Mannſchaft, eine eidliche Er - klaͤrung uͤber den ganzen Hergang abzulegen; dieſe aber an ihn einzuſenden, damit jenen Anſpruͤchen gehoͤrig begegnet wuͤrde. Dies geſchah; und aus der gerichtlichen Verneh - mung gieng genuͤglich hervor, daß jener Schiffer nicht nur ſein Ungluͤck ſich ſelbſt zugezogen, ſondern auch mir ſelbſt Noth und Schaden verurſacht habe. Der endliche Er - folg war, daß Jener ſeiner Anſpruͤche weiter nicht verfolgte, daß ich aber auch meine eigne erlittene Einbuße verſchmerzen mußte.

Jch gieng inzwiſchen aus dem Texel in See, und hatte in den erſten drei Wochen mit widrigen und ſtuͤrmiſchen Winden zu ſchaffen, die mich in der Nordſee umher - warfen. Als ich jedoch Dover paſſirt war, wurden ſie mir guͤnſtiger, obwohl ſie bald in den ſtaͤrkſten anhaltenden Sturm ausarte - ten. Mein Schiff lief vor demſelben in flie - gender Fahrt mit ſo unglaublicher Schnelle einher, daß ich was vielleicht zuvor nie erhoͤrt worden den Weg von Dover nach Liſſabon binnen vier Tagen zuruͤcklegte, und alſo in jeder Stunde, im Durchſchnitt, viert -204 halb Meilen zuruͤcklegte. Ein portugieſiſcher Kapitain, den ich als Paſſagier an Bord hatte, und der, wegen Unpaͤßlichkeit, waͤh - rend dieſer ganzen Zeit nicht aus der Kajuͤte hervorgekommen war, wollte ſeinen Augen nicht trauen, als er das Verdeck beſtieg und die Ufer ſeines vaterlaͤndiſchen Tajo bluͤhend vor ſich liegen ſah. Nur in unſrer Eigen - ſchaft, als Ketzer, und unſrer, daraus herge - leiteten naͤheren Verbindung mit dem Fuͤrſten der Finſterniß, vermocht er ſich eine Fahrt zu erklaͤren, die nicht durch die Wellen, ſon - dern durch die Luft, bewerkſtelligt ſeyn muͤſſe.

Ein ſolcher Wahn mochte einem Manne verziehen werden, dem fruͤh eingeſogene reli - gioͤſe Vorurtheile den Sinn befiengen: allein was ſollt ich ſagen, als ich des andern Tages an der Tafel meines Correſpondenten, Hrn. John Bulkeley, mit mehreren engliſchen und amerikaniſchen Schiffs-Kapitainen zuſammen - traf, denen ich von dieſer Schnelligkeit mei - ner letzten Reiſe erzaͤhlte, und dabei deutlich an ihren verzogenen Geſichtern und blinzeln - den Blicken bemerkte, wiewenig ſie zumal in Erwaͤgung der ſchweren Befrachtung mei - nes Schiffes, Glauben in meine Verſicherung ſetzten? Jm ſtillen Aerger konnt ich kaum des naͤchſten Tages erwarten, wo wir wie - derum beiſammen waren, um dieſen ſchnoͤden Zweiflern mein mitgebrachtes Schiffs-Journal205 vor Augen zu legen und dadurch, zu ihrer Aller Beſchaͤmung, aber auch deſto hoͤherer Verwunderung, meine Wahrheitsliebe zu recht - fertigen.

Bald darauf kam ich an’s Ausladen mei - ner eingenommenen Guͤter; und nachdem ich des Theers ledig geworden, traf nunmehr die Reihe meinen bedeutenden Kaͤſe-Vorrath. Hierbei aber miſchte ſich die Hafen-Polizei von Liſſabon auf eine, mir unbegreifliche Weiſe in’s Spiel, indem ſich zwei portugie - ſiſche Barken, deren Eine mit Militair be - ſetzt war, mir zu beiden Seiten legten. Der Kaͤſe ward, Stuͤck fuͤr Stuͤck, aus dem Raume hervorgelangt, aber auch von den beſtellten Aufſehern ſorgfaͤltig unterſucht, befuͤhlt und berochen, ob ſich nicht irgendwo eine faule oder verdaͤchtige Stelle zeigte. Jedes der Art warf man ſofort in die be - waffnete Barke; und als ich, erſtaunt, nach der Urſache eines ſo wunderlichen Verfah - rens forſchte, ward mir der Beſcheid: Kein Kaͤſe, der einen angekommenen oder gedruͤck - ten Fleck an ſich habe, werde, als der Ge - ſundheit hoch nachtheilig, im Lande zugelaſſen, ſondern ſofort in’s Waſſer geworfen. Ver - gebens erwiederte ich, daß in aller uͤbrigen Welt gerade der angefaulte Kaͤſe ſeine beſon - dern und haͤufigen Liebhaber finde: denn man meynte, dazu gehoͤre auch ein ketzeriſcher206 Magen; in Portugal hingegen muͤſſe aus ſolchem Genuſſe alſobald die Peſt entſtehen.

Allmaͤhlig hatte ſich die, als verdaͤchtig ausgemerzte Waare in der Kriegsbarke zu einem anſehnlichen Haufen angeſammlet. Dieſe machte ſich demnach von meinem Borde los; entfernte ſich einige hundert Klafter abwaͤrts, und begann nun, den confiseirten Kaͤſe in’s Waſſer zu werfen. Ueberall trieben die Stuͤcke umher; aber eben ſo bald auch machten alle Schaluppen und Fahrzeuge in der Naͤhe Jagd auf eine ſo willkommene Beute. Die Soldaten in der Barke ſuchten zwar dieſe Kapereien zu verhindern, ſchrieen, ſchimpften, und machten ſogar Miene, Feuer zu geben: doch demohngeachtet ward ein großer Theil von dieſem Peſt-Kaͤſe gluͤcklich wieder aufge - fiſcht, und hoffentlich auch ohne weitern Nach - theil fuͤr Leben und Geſundheit verzehrt.

Aber auch ſelbſt mein eingeladener Weizen machte den Polizei-Officianten eine aͤhnliche Unruhe und Beſorgniß. Denn ihrer Sieben an der Zahl fanden ſich, als derſelbe geloͤſcht werden ſollte, an meinem Borde ein, um ſeine Beſchaffenheit zu unterſuchen. Ungluͤck - licher Weiſe fanden ſich nun einige zwanzig Weizen-Saͤcke, die zu aͤuſſerſt an den Seiten gelegen hatten und von dem feuchten Dunſt im Raume auswendig beſchimmelt waren. Sofort war auch ihnen das Todesurtel ge -207 ſprochen! Sie wurden aufgeſchnitten und der Jnhalt kurzweg uͤber Bord geſchuͤttet. Jch bewies ihnen durch den Augenſchein, daß der Weizen in dieſen Saͤcken nicht den min - deſten Schaden gelitten; ich klopfte ihnen ſo - gar auf ihre Schubſaͤcke, die ſie mit dieſem nemlichen, fuͤr verpeſtet ausgeſchrienen Korne dick auszuſtopfen nicht verabſaͤumt hatten. Sie ſchuͤttelten bloß die Koͤpfe, und entgeg - neten, die eingeſackten Proͤbchen ſeyen nur zum Futter fuͤr ihre Huͤhner beſtimmt, die ſich ja, als ein unvernuͤnftiges Vieh, den Tod nicht daran freſſen wuͤrden.

Ueberhaupt ſollte mein diesmaliger Auf - enthalt in Liſſabon nicht ſo geeignet, als jener fruͤhere, ſeyn, mir eine vortheilhafte Meynung von den Portugieſen beizubringen. Als ich eines Tages mit meinem Sohne, der mich auf dieſer Fahrt begleitete, durch eine abge - legene Gaſſe gieng, erblickten wir unter einem Bogengewoͤlbe ein Muttergottesbild, vor wel - chem mehrere Lichter brannten. Vor der - gleichen pflegt kein guter Katholik voruͤber zu gehen, ohne ſeine Kniee zu beugen und ſeinen Roſenkranz abzubeten. Zu Beidem ſpuͤrten wir keine Luſt in uns. Jch blickte daher ſorgſam vor und hinter mich; und da ich nirgend eine menſchliche Seele gewahrte, rief ich meinem kleinen Begleiter zu, tapfer mit mir fortzuſchreiten, bevor uns Jemand208 hier erblickte und uns vielleicht ein boͤſes Spiel bereitete.

Doch in dem nemlichen Augenblick fuͤhrte unſer Unſtern einen liederlichen Gaſſenbuben herbei, der unſern Mangel an Andacht wahr - genommen haben mochte, und ſofort mit Halloh und Geſchrei hinter uns drein lief, Steine aus dem Pflaſter aufriß und uns mit Wuͤrfen verfolgte. Gleich in der naͤchſten Minute hatte ſich ein ganzer Menſchenſchwarm geſammlet, der auf uns einſtuͤrmte, uns mit Unflath bewarf und aus vollem Halſe den Ausruf Ketzer! Ketzer! hinter uns her er - toͤnen ließ. Gluͤcklicher Weiſe konnten wir um eine Straßenecke, und dann wieder um eine Ecke einbeugen, wodurch wir dem raſen - den Poͤbel aus dem Geſichte kamen. Zu noch beſſerer Sicherheit traten wir in einen, uns eben aufſtoßenden Gewuͤrzladen, wo ich eine Kleinigkeit kaufte und den aufgeregten Sturm vollends voruͤberziehen ließ.

Alles dies vermehrte meinen Wunſch, dieſen Hafen je eher je lieber wieder zu ver - laſſen. Auch fand ich binnen kurzem eine anderweitige Ladung, aus Zucker, Kaffee, Wein u. ſ. w. beſtehend, die auf Hamburg beſtimmt war, und mit deren Einnehmung ich mich ſofort auf’s fleiſſigſte beſchaͤftigte. Hier aber traf mich alſobald ein Verdruß an - drer Art, der mich um all meine gute Launezu209zu bringen drohte. Es gab nemlich eine Menge von daͤniſchen, ſchwediſchen und hol - laͤndiſchen Schiffen auf dem Platze, welche mir dieſe vortheilhafte Fracht beneideten und ſie, wo moͤglich, gerne ruͤckgaͤngig gemacht haͤtten. Da ſie nun alleſammt mit den Bar - baresken in Friede lebten, ich aber, als Preuſſe, keine Tuͤrken-Paͤſſe aufzuweiſen hatte: ſo ſprengten ſie an der Boͤrſe die luͤgenhafte Zeitung aus, daß zwei Algierer vor der Muͤndung des Tajo kreuzten und auf gute Beute lauerten.

Jn der That erreichten ſie inſofern ihren Zweck, daß meinen Abladern unheimlich bei der Sache wurde, da ſie bei mir auf keine freie Flagge zu rechnen hatten; und Einer von ihnen, der mir bereits zwei Kiſten mit ſpaniſchen Thalern, als Frachtgut, in meine Kajuͤte gegeben hatte, ließ ſie zuruͤckfordern, und zog es vor, ſich mit mir um Erlegung der halben bedungenen Fracht zu einigen. Dagegen wußt ich die uͤbrige, ſchon einge - nommene Ladung ſtandhaft zu behaupten; ſtach mit Ausgang des Julius in See, ohne einen Korſaren zu erblicken, und erreichte, ſonder alles weitere Abentheuer, die Elbe gluͤcklich und wohlbehalten.

Jndeß ſchien es mir gleichwohl vom Schickſal beſtimmt, daß ich immer auf’s neue mit Liſſabon zu ſchaffen haben ſollte: denn11. Bändchen. (14)210gleich meine naͤchſte Fahrt, mit allerlei Stuͤck - guͤtern von Hamburg, war wieder auf die - ſen Platz gerichtet. Jch gieng dahin im September ab; konnte aber erſt in der Mitte Novembers im Tajo den Anker werfen. Deſto hurtiger gieng es aber mit meiner naͤchſten, wiederum nach Hamburg beſtimmten Ruͤck - reiſe, wo ich bereits nach Verlauf von vier Wochen anlangte, aber nun auch, des in - zwiſchen eingetretenen ſtarken Froſtes wegen, mich entſchlieſſen mußte, zu uͤberwintern. Jch geſtehe aber gerne, daß ich, an raſtloſe Thaͤ - tigkeit gewoͤhnt, mich mit dieſer gezwungenen Winterruhe je laͤnger je weniger auszuſoͤhnen vermochte.

Jm naͤchſten Fruͤhling 1782 neigte ſich der amerikaniſche Krieg immer mehr zum Ende. Ein Ereigniß, welches ſofort auch einen ſehr bemerkbaren unguͤnſtigen Einfluß auf den, bisher ſo lebhaft betriebenen Handel der Neutralen aͤuſſerte, und wovon ich ſelbſt unmittelbar die Folgen ſpuͤrte, indem ich beinah den ganzen Sommer auf der Elbe liegen blieb, ohne irgend eine, mir convenable Fracht zu finden. Dieſen, mir aufgedrun - genen Muͤßiggang benutzte ich dazu, meine Papiere in Ordnung zu bringen und mich mit meinem Patron, Hrn. Groß in Stettin, uͤber ſaͤmmtliche Reiſen, die ich bisher fuͤr ihn gethan hatte, zu berechnen. Sobald dies211 Stuͤck Arbeit fertig war, ſchickte ich es, mit ſaͤmmtlichen Belaͤgen uͤber Einnahme und Ausgabe, an ihn ein, und machte ihm bemerklich, wie ich mit ſeinem Schiffe, nach Abzug aller Ausruͤſtungs - und Unterhaltungs - koſten, aller Volksloͤhnungen, angeſchafften und verbrauchten Proviſionen, Aſſecuranz - Praͤmien, auſſerordentlichen Koſten u. ſ. w., reine 35,000 Thaler fuͤr ihn verdient habe. Was jedoch den letztern Artikel der extraor - dinairen Ausgaben betreffe, ſo beruhigte ich mich in ſeiner eignen langen Erfahrung im Schiffsweſen, daß er den Unterſchied der Zei - ten nicht uͤberſehen werde, und wie, nach Umſtaͤnden, ſo manches, kaum glaubliche Opfer habe gebracht werden muͤſſen, um nur hurtig wieder in Gang und Verdienſt zu kommen.

Dieſen Rechnungen ſchloß ich nun zu - gleich eine Ueberſicht meiner eigenen, bei ihm gut habenden Forderungen bei, die ſich auf 1771 Thaler und einige Groſchen beliefen, mit der Bitte, mir daruͤber einen Revers zu - kommen zu laſſen, den ich, um Lebens, und Sterbenswillen, bei Joh. Daniel Klefecker in Hamburg niederzulegen gedaͤchte. Meine Papiere aber wuͤnſchte ich, nachdem ſie von ihm durchgeſehen und gutgeheiſſen worden, von ſeiner Guͤte zuruͤckzuempfangen.

Hr. Groß ſchien jedoch bei dieſem Allen keinesweges die Eile zu haben, welche meine212 Ungeduld bei ihm vorausſetzte. Seine ge - hoffte Antwort blieb mir bald gar zu lange aus; und dies erweckte in mir die Sorge, daß er wohl gar in meinen Rechnungen ei - nigen Anſtoß gefunden und deshalb erſt noch mit Andern conferiren moͤchte. Alles, was mir fruͤher von ſeiner unvertraͤglichen Ge - muͤthsart geſagt worden, ſtieg mir wieder zu Kopfe; und da ich noch verſchiedene Poſt - tage wieder vergeblich geharrt hatte, konnt ich mich laͤnger nicht entbrechen, ihm ſchrift - lich mein Befremden zu aͤuſſern, daß er mich in dieſer peinigenden Ungewißheit laſſe. Er - regten ihm meine Rechnungen einiges Miß - trauen, und zweifle er an meiner Redlichkeit, ſo moͤge er hier in Hamburg einen andern Schiffer beſtellen, damit ich mich in Stettin perſoͤnlich ausweiſen, jeden Zweifelsknoten loͤſen und meine Ehre ſicher ſtellen koͤnne.

Kaum war dies Document meines Un - muths auf den Weg gegeben, als mit naͤch - ſter Poſt ein Schreiben von Hrn. Groß ein - lief, das mich in der innerſten Seele be - ſchaͤmte. Er aͤuſſerte ſich darinn: Mein lieber Sohn, ich bin mit Jhnen, wie mit Jhren Rech - nungen und Handlungen, herzlich zufrieden. Fuͤr Jhre treuen und ehrlichen Dienſte uͤberſende ich Jhnen hierneben, als Geſchenk, einen Wech - ſel von 1000 Mark Hamb. Banco, den Sie ſogleich ziehen moͤgen, damit Sie Geld fuͤr213 ſich in Haͤnden haben. Demnaͤchſt erhalten Sie den verlangten Revers uͤber 1861 Tha - ler, die Sie bei mir zugute haben.

Hier gab es jedoch eine Differenz von 90 Thalern in dem letztern Poſten, die, ſoſehr auch alles Uebrige mich freute, nur in einem Rech - nungsfehler meines Patrons ihren Grund haben konnte und alſo ehebaldigſt ausge - glichen werden mußte. Jndem ich mein Buch zu Huͤlfe nahm, konnt ich ihm ſogar auch die Gelegenheit nachweiſen, wo ich dieſen, ſich doppelt angerechneten Vorſchuß von 90 Thalern in Stettin verausgabt hatte. Jch machte ihn alſo ſchriftlich hierauf auf - merkſam, und bat, mir einen andern, um ſoviel niedriger geſtellten Revers zu behaͤn - digen. Er aber antwortete mir: Allerdings habe ich mich in meiner Rechnung verſehen: allein nicht in Jhrer Rechtſchaffenheit; und ſo ſoll es mit meinem zuerſt ausgeſtellten Re - verſe ſein Bewenden behalten.

Jnzwiſchen hatt ich dieſem Ehrenmann, als bereits der Julius herangelaufen war, gemeldet, daß mir’s unertraͤglich fiele, mit ſeinem Schiffe hier noch laͤnger unthaͤtig auf der Baͤrenhaut zu liegen und es im Hafen verfaulen zu ſehen. Er moͤchte mir dem - nach geſtatten, Ballaſt einzunehmen und nach Memel zu gehen, wo ich eine Ladung fichte - ner Balken fuͤr eigne Rechnung einzunehmen214 und dieſe in Liſſabon abzuſetzen gedaͤchte, die dort, meiner Erfahrung nach, mit Vortheil abzuſetzen ſeyn wuͤrde. Als Ruͤckfracht lieſſe ſich, im ſchlimmſten Falle, wiederum eine La - dung Seeſalz einnehmen und nach Riga ver - fuͤhren.

Herr Groß ſtand nicht an, dieſe Vor - ſchlaͤge zu genehmigen. Jch nahm, da ich meine Leute ſchon im Winter entlaſſen, neues Hamburger Schiffsvolk an und trat, in der Mitte Auguſts, die Reiſe nach Memel an. Als wir zur Elbe hinaus und gegen Helgo - land kamen, gieng der Wind in Weſtnord - weſt, und es ward regnichtes und ſtuͤrmi - ſches Wetter. Mein Steuermann hatte, wie ich mit Leidweſen bemerkte, etwas zu tief in die Flaſche geſehen. Jch wollte dem Dinge abhelfen; ließ einen Theekeſſel mit Waſſer und Wein aufſetzen, und reichte ihm davon einige Taſſen zur Ernuͤchterung: allein das ſchien ihn faſt noch mehr zu benebeln. Um 8 Uhr Abends theilte ich die Wachen ein; demzufolge der Steuermann und das halbe Volk die Erſte bis Mitternacht uͤbernehmen ſollten, und wobei ich den Erſtern anwies, auf keinen Fall oͤſtlicher, als Nordoſt, zu ſteuern, um nicht auf Land zu gerathen; bei dem allermindeſten Vorfall aber, der ſich er - eignen koͤnnte, mich ſofort zu wecken.

215

Zwar begab ich mich hierauf in meine Kajuͤte zur Ruhe: doch war mein Gemuͤth zu voll von Unruhe und boͤſer Ahndung, als daß ich haͤtte Schlaf finden koͤnnen. Jch warf mich hin und her im Bette; horchte nach jedem Geraͤuſch, das auf dem Verdecke ober mir laut ward, und hoͤrte endlich den Mann am Ruder in die Worte ausbrechen: Nein, es geht doch toll auf dieſem Schiffe her! Kein Licht beim Kompaß; kein Steuer - mann auf dem Deck Jch weiß ſelbſt nicht mehr in der Finſterniß, welchen Strich ich halten ſoll.

Es war mir bei dieſen angehoͤrten Stoß - ſeufzern, als ob mich der Donner ruͤhrte. Jch fuhr mit gleichen Fuͤßen aus dem Bette und ſprang auf’s Verdeck. Was ſteuert ihr auf dem Kompaß? fragt ich den Men - ſchen, und erhielt eine confuſe Antwort, aus welcher ich jedoch vernahm, daß ihm der Wind das Licht, welches ſonſt regelmaͤßig neben dem Kompaß in einer Laterne brennt, ausgeweht habe. Daneben ſpuͤrte ich deut - lich, daß uns der Wind von hinten kam, anſtatt daß er hoͤchſtens den Backbord haͤtte treffen ſollen. Wo iſt der Steuermann? Der lag in ſeiner Koje, ſchnarchte und wußte von ſeinen Sinnen nicht!

Faſt haͤtte eine ſo raſende Unordnung mich auch um die meinigen gebracht! Jch machte Laͤrm unter dem Volk; es mußte216 Licht gebracht werden, und als ich damit den Kompaß beleuchtete, erſah ich mit Todes - ſchrecken, daß das Schiff gegen Suͤdoſten, gerade auf die Kuͤſte zu, anlag. Ohne einen Augenblick zu verlieren, griff ich zur Ruder - pinne; wandte das Schiff durch Suͤden nach Weſten, und ließ gleich darauf das Bleiloth auswerfen, welches mehr nicht, als vier Klafter Tiefe, anzeigte. So lag es denn am Tage, daß wir nur noch ein paar Mi - nuten laͤnger in jenem verkehrten Kurs haͤtten fortſteuern duͤrfen, und wir waͤren ohne Rettung auf den Strand gegangen, wo wir vielleicht Schiff, Leib und Leben eingebuͤßt haͤtten.

Aber auch jetzt noch blieb es fuͤr die erſten Augenblicke zweifelhaft, ob all unſre Anſtrengungen uns aus dieſer dringenden Gefahr wieder loshelfen wuͤrden. Sobald ich jedoch endlich dieſe gluͤckliche Ueberzeu - gung gewonnen hatte, ſchien es mir noͤthig, ein Beiſpiel zu ſtatuiren. Jch holte den Tau - genichts von Steuermann bei den Haaren aus ſeiner Kammer hervor; trat und ſtampfte ihn mit Fuͤßen, wie er’s verdient hatte, und hielt zugleich auch der uͤbrigen Mannſchaft eine Strafpredigt, woran ſie ſich ſpiegeln und meinen Ernſt abnehmen mochte. Was es aber fruchten werde, mußte ich dahinge - ſtellt ſeyn laſſen.

217

Von jetzt an gab es nichts, als widrige Winde, die uns, volle 14 Tage hindurch, noͤ - thigten, in der Nordſee und bei Schaagerack umherzukreuzen. Was aber meinen Unmuth noch hoͤher ſteigerte, war der duͤnkelvolle und widerſpenſtige Sinn meines Schiffsvolks, der ſich, je laͤnger, je ungeſcheuter, offenbarte. Kam es zu verdienten Verweiſen und Er - mahnungen, ſo hieß es immer: Pah! Wir ſind Hamburger, und keine Preuſſen! Wir kennen unſre Geſetze und Rechte; und ſo muß man uns nicht kommen! Was mich jedoch am meiſten verſchnupfte, war eine, gegen allen Seemannsbrauch ſtreitende Gewohnheit, die ſie unter ſich, und gegen meinen Willen, in Gang zu bringen ſuchten. Sie lagen nemlich bei Tag und Nacht uͤber ihren Thee - und Kaffee-Keſſeln; und ſo oft ich in die Combuſe ſah, hiengen oder ſtanden 8 oder 10 ſolcher Maſchinen bei einem Feuer, woran man vielleicht einen Ochſen haͤtte bra - ten koͤnnen. Ein Unweſen, wobei nicht nur unſer Kohlenvorrath unnuͤtz verſchwen - det, ſondern auch dem Schiffe die beſtaͤndige Gefahr eines beſorglichen Ungluͤcks durch ver - wahrloſetes Feuer bereitet wurde.

Als mir dieſer Unfug endlich zu arg ward, that ich ihnen ernſtliche Vorhaltung, daß dies gegen alle gute Ordnung ſtreite und fortan abgeſtellt bleiben muͤſſe. Es ſolle218 dagegen mein eigner großer Keſſel fortwaͤh - rend am Feuer ſtehen, und was ich ſelbſt nicht gebrauchte, moͤchten ſie nehmen und unter ſich eintheilen. Allein auch das war in den Wind geredet; und mit dem Thee - und Kaffee-Geſoͤff blieb es beim Alten. Faſt gewann es ſogar den Anſchein, als ob man Luſt habe, ſich um meine Gebote und An - ordnungen gar nicht mehr zu kuͤmmern. Wie mir dieſer bewieſene Trotz im Herzen kochte und ſprudelte, wird man ſich leichtlich vorſtellen koͤnnen.

Eines Abends, nach Endigung des Ge - bets, hieß ich der Mannſchaft, noch etwas ſtille ſitzen zu bleiben, weil ich ihnen etwas vorzuſtellen haͤtte; und mit ebenſoviel Ernſt, als Guͤte, deutete ich ihnen meinen feſten Willen an, daß das Kunkeln mit den vielen Theekeſſeln von Stund an ein Ende haben ſolle. Sie hingegen pochten, unter Laͤrm und Geſchrei, nach gewohnter Weiſe, daß ſie Hamburger waͤren, und keine Preuſſen, und ſich ihr Recht nicht nehmen laſſen wuͤrden. Jch hielt jedoch an mich, und ſagte mit moͤg - lichſter Ruhe: Jhr wißt nun meinen Willen; und das iſt genug!

Am naͤchſten Morgen um 8 Uhr, ſtieg ich, meiner Gewohnheit gemaͤß, in den Maſt - korb, mich umzuſehen. Jndem ich dabei meine Blicke zufaͤllig nach unten richtete,219 nahm ich wahr, daß mein ganzes Volk, den Bootsmann und den Koch an der Spitze, wie verabredet, in Einer Reihe, und Jeder ſeinen Theekeſſel in der Hand, von hinten nach der vorderen Lucke zuſchritten, um ſich im Raume mit friſchem Waſſer zu verſehen. Dies ſehen, und mich am naͤchſten beſten Tau an den Haͤnden hinunter laſſen, war das Werk Eines Augenblicks. Gluͤcklich ge - langte ich ſo auf’s Verdeck, bevor ſie noch die Lucke erreichten; und mit feſter Stimme rief ich: Was iſt das? Was ſoll das? indem ich zugleich dem Bootsmann, wie dem Koch, die Theekeſſel aus den Haͤnden riß und weit hinaus uͤber Bord in’s Meer ſchleuderte.

Hui, das hieß in ein Weſpenneſt ge - ſtochen! Die Kerle ſchloſſen einen dichten Kreis um mich her, und ſchrieen, wie un - ſinnig: Schlagt zu! Schlagt zu! doch Keiner hatte das Herz, der Erſte zu ſeyn. Dieſe bemerkte Unſchluͤſſigkeit gab mir Zeit und Raum, mit der groͤßten Behendigkeit mich durch ſie hindurch zu winden und mit ſtarken Schritten nach meiner Kajuͤte zu eilen; wiewohl alſobald auch der helle Haufe, mit einem fuͤrchterlichen Halt auf! Schlag zu! Halt feſt; mich auf dem Fuße dahin ver - folgte. Doch gelang mir’s die Kajuͤten - Thuͤre hinter mir zuzuſchlagen und den Rie - gel von innen vorzuſchieben.

220

Jn der That war nun meine Lage be - denklich genug; und ich durfte von den er - hitzten Meuterern leicht das Aergſte erwar - ten: denn mein Leben ſowohl, als die Er - haltung des Schiffs, ſtanden hier auf dem Spiele. Sinnend und in ſtuͤrmiſcher Bewe - gung gieng ich in der Kajuͤte mit großen Schritten auf und nieder, um uͤber irgend eine durchgreifende Maaßregel zu meiner Rettung mit mir einig zu werden. Jch erinnerte mich endlich, daß ich, einige Rei - ſen fruͤherhin, in Hamburg einen Abdruck des dort geltenden Schiffs - und See-Rechts gekauft und bei mir an Bord hatte; ſowie, daß ich daſſelbe zum oͤftern durchblaͤttert und mir mehrere Punkte angeſtrichen hatte, wor - uͤber Volk und Schiffer am leichteſten und gewoͤhnlichſten mit einander zu zerfallen pfle - gen; falls ich irgend einmal in einen aͤhn - lichen Zwiſt gerathen ſollte.

Ungeſaͤumt holte ich dies Buch aus ſei - nem Winkel hervor; ſchlug den geſuchten Artikel nach, und fand Folgendes verzeichnet:

Einem Schiffer ſteht frei, ſeine Leute zu zuͤchtigen; und es darf keine Gegen - wehr geſchehen. Sollte aber ein Schiffs - mann ſich unterſtehen, ſeinen Schiffer zu ſchlagen oder ſonſt zu mißhandeln: ſo wartet Seiner der Galgen, nach Ham - burger Recht. Ebenſo nach Engli -221 ſchem und Hollaͤndiſchem Seerecht. Nach Daͤniſchen und Schwediſchen Ge - ſetzen wird der Verbrecher mit der Hand an den Galgen genagelt, um 6 Stun - den daran zu ſtehen, bis ihm das Meſſer, womit er angenagelt iſt, wieder heraus - gezogen worden. Nach Preuſſiſchem Seerecht wird er 6 Monat in Eiſen an die Karre geſchmiedet.

Jch zeichnete nunmehr dieſe Geſetzſtelle; legte das Titelblatt mit den großgedruckten Worten Hamburgiſches Schiffs - und See - Recht aufgeſchlagen auf den Tiſch, und meinen kurzen, aber gewichtigen Rohrſtock daneben, und zog nun die Glocke, die den Kajuͤten-Jungen mit ſeiner Frage: Was zu Dienſt? herbeirief. Der Bootsmann ſoll zu mir kommen. Eine Minute ſpaͤter trat der Geforderte zuverſichtlich in die Ka - juͤte, die ich ſofort hinter ihm in’s Schloß warf.

Kannſt du Deutſch leſen, Burſche? fragt ich ihn, indem ich ihm dicht auf den Leib trat. Hm, ich werde ja! Was ſoll’s damit? lautete die Antwort. So tritt her, und ließ dieſen Titel. Das ſind die Geſetze, wornach deine Vaterſtadt dich und Deines - gleichen richtet. Und nun lies und beher - zige hier auch dieſen Artikel. Er ſah den Paragraphen uͤberhin an, und fuhr dann222 heraus: Hoho, das iſt nur Wiſchewaͤſche! So, guter Kerl? Nun, ſo will ich dir zeigen, was Wiſchewaͤſche iſt; und damit griff ich nach dem ſpaniſchen Rohr und walkte ihn durch, aus Leibes Kraͤften. Das boͤſe Gewiſſen erlaubte dem Buben nicht, ſich thaͤtlich zu widerſetzen; ſondern er tau - melte nur ſtoͤhnend aus Einem Winkel in den Andern, um meinen Streichen zu ent - gehen. So geſchah es, daß mein Strafge - richt in dem engen Raum der Kajuͤte eben - ſowohl die umher angebrachten Glasſchraͤnke, ſammt den darinn befindlichen Glaͤſern und Taſſen, traf; was ich aber in meinem bren - nenden Eifer nicht achtete.

Endlich, da ich meinen Arm erlahmt fuͤhlte, ſtieß ich den Taugenichts mit den Fuͤßen zur Kajuͤte hinaus; riegelte die Thuͤre hinter mir zu, und nahm mir nun etwas Zeit zum Verſchnaufen. Der Anfang zur Wiederherſtellung meiner Autoritaͤt war gluͤck - lich gemacht, und damit zugleich ein ſchwerer Stein von meinem Herzen gefallen. Die Kerle ſteckten in keinen reinen Schuhen und fiengen an, bei meiner Entſchloſſenheit per - plex zu werden. Jch durfte nun aber auch nicht auf halbem Wege ſtehen bleiben; ſondern ſie mußten noch gewichtiger fuͤhlen, daß ich ihnen gewachſen war. Sobald ich mich dem - nach einwenig erholt hatte, zog ich aber -223 mals die Schelle, und ließ nunmehr auch den Koch vor mich fordern.

Der Schelm mochte nun wohl ſchon er - fahren haben, was Seiner wartete. Er leiſtete alſo zwar Gehorſam; beobachtete aber die kluge Vorſicht, die Thuͤre nur gerade ſo - weit zu oͤffnen, daß mir Naſe und Augen ſichtbar wurden. Naͤher, Schurke! donnerte ich ihm entgegen; er hingegen ſuchte mich zu beguͤtigen, und bat: O, lieber Kapitain, laßt es doch gut ſeyn! Jch wiederholte mein Gebot: da er aber gleichwohl die Thuͤre in der Hand behielt, warf ich ihm mein Rohr an den Kopf, und er ſah dabei ſeine Gele - genheit ab, die Thuͤre zuzuſchnappen und ſich auf’s Verdeck zuruͤckzuziehen. Auch der zweite Feind war nun aus dem Felde ge - ſchlagen: jetzt kam es noch darauf an, einen entſcheidenden Hauptſchlag zu vollfuͤhren und die Kerle durch ploͤtzlichen Schreck vollends zu unterjochen.

Jch uͤberlegte im Auf - und Abgehen, daß, je laͤngere Zeit ich, bei dem anhaltenden Ge - gen-Winde, beduͤrfen wuͤrde, um den Sund zu erreichen und mein rebelliſches Volk durch obrigkeitlichen Beiſtand zu Paaren zu treiben, leicht in den naͤchſten Augenblicken ſich etwas ereignen koͤnnte, was den geſunkenen frechen Muth deſſelben wieder hoͤbe und uͤbel aͤrger machte. Am geſcheuteſten alſo ſchien mir’s,224 den naͤchſten norwegiſchen Nothhafen aufzu - ſuchen und dort Recht und Gerechtigkeit zu fordern.

Hiezu entſchloſſen, nahm ich meinen Schiffs - hauer unter den Arm; kam feſten Schrittes auf das Verdeck hervor, und gebot dem Mann am Ruder: Paß auf, Junge, und ſteure Nordnordoſt! Das geſammte Schiffs - volk ſtand auf einem Haufen verſammlet und ſteckte die Koͤpfe zuſammen. Als ich ihnen aber zurief, nach vorne zu gehen und die Segel nach dem Winde zu ziehen, verrichte - ten ſie dieſe Arbeit puͤnktlich und in ſichtbarer Gemuͤthsbewegung. Nur der Steuermann, der ſich bei dem ganzen Vorgange, wie ein Dummbart, abſeits gehalten, trat jetzt mit der verwunderten Frage zu mir heran: Ei, Kapitain! Wo denn nun hin? Wie? rief ich in Gift und Galle Jhr ſeyd Steuermann, und begreift das nicht? Nach Norwegen geht der Kurs, und dort geradezu auf den Galgen los. Will ich meines Lebens und Schiffes ſicher ſeyn, ſo muͤſſen binnen hier und drei Tagen ein paar Rebellen hoch in der Luft baumeln.

Das ſaͤmmtliche Volk hatte dieſe Dro - hung, wie es meine Abſicht war, mit ange - hoͤrt. Jch hoͤrte ihr Gefluͤſter, und ſah, wie ſie unter einander etwas ernſtlich zu bereden ſchienen. Noch konnt ich nicht errathen,was225was ſie im Schilde fuͤhrten. Um aber auf Alles gefaßt zu ſeyn, zog ich meinen Hauer blank, trat mitten unter ſie, und fragte ge - bieteriſch: Was ſie wollten? Der Boots - mann nahm fuͤr ſie das Wort, dem ſie nach und nach Alle beifielen, und geſtand mit Zer - knirſchung: Sie haͤtten ſich uͤbereilt und ver - gangen; baͤten mich um Vergebung, und ver - ſpraͤchen, ſich hinfuͤhro beſſer gegen mich zu betragen.

Ei wohl! entgegnete ich ihnen Re - ſpect und Gehorſam gegen mich verſtehen ſich wohl von ſelbſt. Aber was ich wegen des Vergangenen uͤber euch beſchlieſſe, daruͤber werde ich mich allerdings noch beſinnen muͤſſen. Jetzt an die Arbeit! Fuͤr mich ſelbſt aber zog ich nunmehr in Erwaͤgung, daß, da die Kerle dergeſtalt zu Kreuze gekrochen, die Fahrt nach Norwegen nur eine unnoͤthige Zeitverſplitterung ſeyn und es beſſern Vortheil verſprechen werde, in See zu bleiben und meine Reiſe moͤglichſt zu beſchleunigen. Jn - dem ich ſie alſo auf’s neue zuſammen berief, erklaͤrte ich ihnen, daß ihr boͤſer Handel fuͤr’s erſte mit dem Liebesmantel zugedeckt, wenn gleich nicht ganz vergeben ſeyn ſolle; was ſich zu ſeiner Zeit weiter ausweiſen werde.

Demnach aͤnderte ich meinen Kurs wie - der nach Oſten gegen das Kattegat, bis mich, in der Nacht vom 2. zum 3. September, ein11. Bändchen (15)226dermaaſſen ſchrecklicher Sturm aus Nordoſten uͤberfiel, wie ich ihn kaum jemals erlebt habe, und wie er in dieſer beengten Meeresgegend verdoppelte Gefahr drohte. Am Abend vor - her zaͤhlte ich in meinem Geſichtskreiſe, auf etwa 2 Meilen umher, nicht weniger, als 42 Segel, die, gleich mir, nach dem Sunde ſteu - erten. Der Sturm verſtaͤrkte ſich aber von Stunde zu Stunde; ſo daß ich endlich keinen einzigen Lappen Segel fuͤhren konnte und mit jeder Woge fuͤrchten mußte, auf eine blinde Klippe zu ſtoßen, welche hier Meilenweit vom Lande zu Hunderten umhergeſaͤet ſind. Doch Gott erhielt uns wunderbarlich; des naͤchſten Morgens aber waren von jenen 42 Schiffen nah und fern nicht mehr als 14 zu erblicken; und gewiß gieng der groͤßte Theil der fehlenden in dieſer entſetzlichen Nacht zu Grunde. Fuͤr uns Geretteten hin - gegen ſtieg alſobald wieder ein freundliches Wetter auf, das uns gluͤcklich nach dem Sunde fuͤhrte.

Hier nicht laͤnger, als unumgaͤnglich noth - wendig war, zu verweilen, gab es noch einen geheimen, aber meinem Herzen angelegenen Grund fuͤr mich. Jch hatte meinem Vater, ſchon von Hamburg aus, nach Colberg ge - ſchrieben, daß ich auf dieſer Reiſe Alles dranſetzen wuͤrde, mich der Rheede meiner Geburtsſtadt dergeſtalt zu naͤhern, daß ich227 die Freude haben koͤnnte, ihn und die Meinigen im Voruͤberfahren auf einige Stunden bei mir am Borde zu begruͤßen. Jch wollte dabei an einem rothen Stender kenntlich ſeyn, den ich vom Vordertop wuͤrde wehen laſſen, und ich bat ihn und alle gute Freunde, mir dieſen gehofften Genuß nicht zu verderben.

Jn der That wollten mir auch Wind und Wellen ſo wohl, daß ich, obgleich erſt zum 29. September, mich auf der Colberger Rheede zeigen konnte. Da es gerade ein Sonntag war, ſo befanden ſich nicht bloß meine erbetenen Gaͤſte, ſondern auch noch anderweitige zahlreiche Bekannte, auf der Muͤnde, welchen der Beſuch an meinem Schiffe eine gelegene Luſtparthie ſchien, und die mir daher, vielleicht hundert Koͤpfe ſtark, gern geſehen, an meinem Borde zuſprachen. Bei dem ſchoͤnen Wetter gieng ich gar nicht ein - mal vor Anker, ſondern blieb mit Hin - und Herkreuzen unter Segel. Kajuͤte und Ver - deck wimmelten von bekannten Geſichtern und froͤhlichen Menſchen bis endlich Abends Alles wieder zu Lande fuhr; und ich darf mit Wahrheit ſagen, daß ich dieſen Tag fuͤr einen der vergnuͤgteſten meines ganzen Lebens achte.

Nach genommenem traulichen Abſchiede erhielt ich einen guten ſteifen Wind, der mich ſchon zu Abend des andern Tages in’s An -228 geſicht von Memel brachte. Hier aber hatt er ſich allmaͤhlig in einen Sturm verwandelt, der es den Lootſen unmoͤglich machte, zu uns heranzukommen; und keck, wie ich war, un - ternahm ich mir’s, auf meine eigne Gefahr auf den Hafen zuzuſetzen. Das Wagſtuͤck ließ ſich auch gut genug an, bis ich zwiſchen die beiden Haken kam, wo ſich’s fand, daß das Fahrwaſſer viel zu weſtlich lief, als daß ich mich mit dieſem Winde gegen daſſelbe wenden konnte. Zwar machte ich, da hier Noth an Mann gieng, den verzweifelten Verſuch: allein das Schiff wollte dem Steuer nicht laͤnger folgen und trieb augenſcheinlich gerade auf den Nord-Haken zu.

Jetzt ſtand, mit der Entſchlieſſung des naͤchſten Augenblicks, unſer Leben und Alles auf dem Spiel. Jch ergriff ein Beil, kappte flugs das Bogreep und die uͤbrigen Leinen, woran der Anker ſich hielt, und der nun mit ſeinem ganzen vollen Gewicht in den Grund fiel. Nun hatte das Schiff fuͤr den Moment den fehlenden feſten Stuͤtzpunkt gefunden; es ſchwang ſich um den Anker, und kaum hatt es ſich, auf dieſe Weiſe, nach Wunſch ge - wandt, ſo hieb ich mit einem kraͤftigen Streiche auch das Ankertau entzwei; ließ den Anker ſtehen, und kam gluͤcklich und ohne Schaden wieder in See; bis des andern Tages der229 Wind noͤrdlicher gieng und ich nun in aller Gemaͤchlichkeit den Hafen erreichte.

Obwohl nie ein Freund tyranniſcher Haͤrte in meinem Kommando, und auch hier nicht von einer beſondern Rachſucht getrieben, glaubte ich es doch ſowohl mir ſelbſt, als dem gemeinen Beſten, ſchuldig, meine Schiffs - mannſchaft wegen ihrer angezettelten Meu - terei bei dem Seegericht in Memel, ſofort nach meiner Ankunft, anzuklagen. Die Sache ward unterſucht, und der Spruch fiel dahin aus, daß dem Bootsmann, als Raͤdelsfuͤhrer, hundert Stockpruͤgel in zwei Tagen, dem Koch funfzig, und noch einem Matroſen fuͤnf - undzwanzig zugezaͤhlt werden und ſie ihrer verdienten Gage verluſtig gehen ſollten, welche den ſeefahrenden Armen zuerkannt wurde. Nach empfangener Strafe aber ſollten ſie uͤber die naͤchſte Preuſſiſche Grenze ge - bracht werden.

Laut dieſes Urtels wurden ſie ſogleich in die Militair-Wache abgefuͤhrt, und an dem beſtimmten Tage ein paar Unterofficiere beordert, die Sentenz an ihnen zu vollziehen. Jch meines Theils erachtete es fuͤr gut und wohlgethan, mein uͤbriges Schiffsvolk mit herbeizufuͤhren, um Zeugen der Execution zu ſeyn und ſich daran zu ſpiegeln. Die drei Kerle traten ziemlich keck aus dem Wachloche hervor und ſchienen den Korporal-Stock230 wenig zu fuͤrchten, bis man ſie bis auf’s Hemde entkleidete und daneben der warmen Fuͤtterung beraubte, wodurch ſie ſich zu ſchuͤtzen vermeynt hatten. Hoffentlich drang nun der wohlverdiente Denkzettel durch die neunte Haut; ich aber, froh, ihrer los und ledig zu ſeyn, nahm wieder in ihre Stelle drei engliſche Matroſen an, welche von einem Schiffe in Liebau heimlich abgegangen waren.

Gehoͤrte jenes Strafgericht zu den Unan - nehmlichkeiten meines Aufenthalts in Memel, ſo war mir hier doch auch eine zwiefache herzliche Freude, durch lebhafte Ruͤckerinne - rung an meine Jugendzeit, vorbehalten Nicht nur fand ich, ganz unvermuthet, in dem Poſt - und Banco-Director W〈…〉〈…〉 meinen einſtmaligen treuen Taubenfreund wieder, deſſen ich Eingangs dieſer meiner Lebensge - ſchichte, unter einem bei weitem nicht ſo ſtattlich klingenden Titel, gedacht, und der mich mit voller alter Herzlichkeit aufnahm: ſondern auch mit dem ehemaligen Colberger Kaufmann Seeland traf ich hier zufaͤllig zu - ſammen, deſſen Doͤrtchen mir einſt, nach meinem verungluͤckten Thurmritt, eine un - vergeßliche Semmel zugeſteckt hatte, und die ihn auch jetzt auf dem Wege nach der Jnſel Oeſel begleitete, wo der gute verarmte Mann bei ſeinem Sohne, einem dort wohnen - den Prediger, Zuflucht und Unterſtuͤtzung231 ſuchte. Wie dauerte mich, um meiner ju - gendlichen Wohlthaͤterinn willen, das Schick - ſal dieſer Familie! Aber wie machte mich’s jetzt auch gluͤcklich, daß ich meinem dankbaren Herzen ſeinen Willen laſſen konnte!

Uebrigens macht ich in Memel fuͤr mei - nen Patron ein noch beſſeres Geſchaͤft, als ich gehofft hatte, indem ich, anſtatt eine La - dung fuͤr eigene Rechnung einzunehmen, Ge - legenheit fand, mit Hrn. Kaufmann Wachſen (auch einem Colderger) eine leidlich gute Fracht auf Liſſabon uͤber eine Parthie Schiffs - maſten, fichtene Balten und Stangeneiſen abzuſchlieſſen. Zufaͤllige Umſtaͤnde verhinder - ten jedoch, daß ich vor Anfang Novembers nicht klar werden konnte; und dann, hatte ich, des fruͤh eingetretenen Winters wegen, Muͤhe, durch das Eis in See zu gelangen. Ueberdem noch trieben mich widrige Winde faſt drei Wochen in der Oſtſee umher, bevor ich in den Sund kam; nun aber, mit guͤn - ſtigerer Fahrt, die Nordſee erreichte.

Allein auf die Dauer eines ſolchen er - wuͤnſchten Wetters war in dieſer vorgeruͤck - ten Jahrszeit freilich nicht zu rechnen; und wirklich gab es auch ſchon in den erſten Tagen des Decembers wieder contrairen Wind und Sturm, wobei wir rings um uns her man - cherlei Schiffstruͤmmer, Maſten, Stengen, Ruder und ein umgekehrtes Boot treiben232 ſahen. Roch auffallender aber war uns der Anblick eines Schiffes, etwa eine Meile noͤrd - lich vor uns, dem der große Maſt fehlte, und das noch mancherlei andre ſichtbare Spuren von Zertruͤmmerung zeigte; weshalb wir auch urtheilten, daß jene ſchwimmende Truͤmmer wohl von demſelben herruͤhren moͤchten.

Abends um 8 Uhr, als wir des widrigen Windes wegen, uns gegen Norden legen mußten, und ich eben die Wache hatte, meldete mir der Auskucker, daß er nahe vor uns ein Schiff gewahr werde. Jch ließ ſofort eine Laterne bei mir aushaͤngen, und erwartete, daß auch Jenes, wie es der Gebrauch iſt, ein Gleiches thun werde, damit wir nicht zu - nahe an einander geriethen und uns beſchaͤ - digten. Es geſchah aber nicht; ich aber lief inzwiſchen ſo dicht an demſelben voruͤber, daß ich, trotz der Dunkelheit, deutlich erkennen konnte, wie ihm der große Maſt und die Vor - ſtenge fehlten und die See ſchaͤumend uͤber Bord hinſtuͤrzte. Es war alſo ohne Zweifel das nemliche Schiff, welches wir ſchon Tages zuvor erblickt hatten, und daͤuchtete mir von ziemlicher Groͤße zu ſeyn, aber ſteuerlos auf ſeiner Laſt zu treiben.

Jm Voruͤberſegeln rief ich es zu wieder - holten Malen durch das Sprachrohr mit Holla! Holla! an; erhielt jedoch keine Ant - wort, und mußte daraus ſchlieſſen, daß es233 von ſeiner Beſatzung verlaſſen worden. Dies regte nun allmaͤhlig allerlerlei wunderliche Gedanken bei mir auf, die ſich endlich in die Vorſtellung aufloͤſeten, wie es wohl des Verſuchs nicht unwerth ſeyn moͤchte, das herrenloſe Wrack mit dem grauenden Morgen wieder aufzuſuchen, es in’s Schlepptau zu nehmen und nach Norwegen zu fuͤhren, von deſſen Kuͤſten wir nur einige und zwanzig Meilen entfernt waren. Der Wind zur Fahrt dahin wehete guͤnſtig, und fuͤr die aufge - wandte Zeit und Muͤhe ſchien ein ſo bedeu - tender Fund, auch ohne Ruͤckſicht auf die etwannige Ladung, uns genuͤglich entſchaͤdigen zu koͤnnen.

Bei dem Wechſel der Wache um Mitter - nacht theilte ich dieſen Anſchlag dem Steuer - mann mit, der meiner Meynung beiſtimmte, und mit dem ich nunmehr fuͤr die uͤbrige Nacht einen ſolchen Kurs verabredete, daß wir hoffen konnten, uns bei Tages-Anbruch wieder in der Naͤhe jenes Schiffes zu befinden. Jn der That auch erblickten wir daſſelbe kaum eine halbe Meile vor uns unter dem Winde. Obwohl nun das Wetter ziemlich ſtuͤrmiſch war, ſetzten wir doch ſofort unſer großes Boot aus; und indem wir uns mit unſerm eignen Schiffe, unter zum Theil feſtgemachten Segeln, dem Wrack bis auf eine Entfernung von etwa 80 Klaftern234 naͤherten und mit dem Boote ein Kabeltau auslaufen lieſſen, verſuchte ich, nebſt den, mit mir genommenen 6 Matroſen, unſer moͤglichſtes, dort an Bord zu gelangen.

Freilich ward dies Wagſtuͤck bald um ſo ſchwieriger, da wir’s nicht verhindern konn - ten, hinten unter dem Schiffe voruͤber ge - trieben zu werden, waͤhrend dieſes von den Wogen auf’s heftigſte gewaͤlzt wurde und wir jeden Augenblick befuͤrchten mußten, mit unſerm Boote und dem ſchweren verhinder - lichen Ankertau in den Grund zu verſinken. Endlich gelang es uns zu entern, das Ende des Taues zu befeſtigen, und uns, waͤhrend ein Mann zur Wache im Boote zuruͤckblieb, auf unſrer Priſe einwenig genauer umzuſehen. Es war eine greuliche Zerſtoͤrung auf der - ſelben vorgegangen; und ſicherlich haͤtte ſie laͤngſt ſinken muͤſſen, wenn ſie nicht, wie ich fand, mit Holz und Balken geladen geweſen waͤre, die ſie knapp uͤber dem Waſſer erhielten.

Nachdem wir auf dieſem Schiffe, bei moͤglichſt abgekuͤrztem Aufenthalt, Alles be - ſchickt hatten, was unſre naͤchſte Abſicht er - forderte, kehrten wir nach unſerm eigenen zu - ruͤck; hiengen das andre Ende des Schlepp - taues in unſer Hintertheil, und richteten nun - mehr mit unſrer neuen Laſt den Kurs auf Norwegen zu. Freilich hatten wir, da der Wind von hinten kraͤftig in unſre Segel235 blies, uns Rechnung gemacht, den Weg da - hin raſch zuruͤckzulegen: allein unſre nachge - ſchleppte Priſe gieng ſo tief und druͤckte ſo ſchwer, daß wir binnen einer Stunde kaum eine Viertelmeile fortruͤckten. Doch beharrten wir den ganzen Tag und die darauf folgende Nacht in unſerm Beginnen.

Mit meiner Morgenwache aber, in der Stille der Daͤmmerung, ſtiegen mir wiederum allerlei Grillen in den Kopf, die mir dieſen Handel je laͤnger, je bedenklicher machten. Jch erwog, was fuͤr eine langſame und muͤh - ſelige Schlepperei dies abzugeben drohte; wie kurz in dieſer Jahrszeit die Tage, und wie es gleichwohl, wenn wir nach Norwegen herein wollten, unumgaͤnglich erforderlich ſeyn werde, ſchon zur fruͤheſten Morgenzeit nahe am Lande zu ſeyn, um nicht unſer eignes Schiff den Klippen preiß zu geben, die ſich meilenweit, laͤngs der Kuͤſte, in dichter und ſtarrer Saat hinziehen. Ueberdem war auf den Beſtand von Wind und Wetter keinen Augenblick zu rechnen; und ſo ſchien es am gerathenſten, ein Unternehmen lieber freiwillig aufzugeben, welches, ſelbſt im gluͤcklichſten Falle, ein unangemeſſenes Zeitverſaͤumniß er - forderte, leicht aber auch mich gegen meinen Rheeder und Befrachter einer ſchweren Ver - antwortlichkeit bloß ſtellen konnte.

236

Jch eroͤffnete, beim Wechſel der Wache, dem Steuermanne auch dieſe meine veraͤnderte Anſicht, ſammt ihren Gruͤnden, und beſchloß nun, mit ihm gemeinſchaftlich, das Schlepp - tau ſofort wieder abzuloͤſen und das Wrack ſeinem Schickſal zu uͤberlaſſen. Die Ausrich - tung war zwar nicht leicht, da das Wetter noch ſtuͤrmiſcher geworden: doch machte ich mich getroſt daran und hatte auch, wiewohl nicht ohne gefahrvolle Anſtrengung, das Gluͤck, meinen Zweck zu erreichen. Noch waͤhrend der Abloͤſung fiel es mir indeß bei, daß es doch wohl recht und billig waͤre, uns fuͤr unſre viele vergebliche Muͤhe und Zeit - verluſt durch irgend etwas, daß uns nutzen koͤnnte und hier doch nur den Wellen ſchmaͤh - lig preißgegeben war, ſchadlos zu halten. Mir fielen die Anker, welche noch alle unver - ſehrt am Buge hiengen, in’s Auge. Jch be - fahl demnach, unſer Tau in den Ring des groͤßeſten derſelben einzuknuͤpfen, die Leinen und Reepe, die es hielten, zu kappen, und es fallen zu laſſen, damit es jenſeits von unſerm Schiffe wieder emporgewunden wer - den koͤnnte.

Dies geſchah; wir ſtiegen in unſer Boot zuruͤck und lieſſen das Wrack treiben, ohne daß uns moͤglich geweſen waͤre, weitere Kund - ſchaft von ſeinen naͤheren Umſtaͤnden einzu - ziehen. Nur ſoviel hatten wir bemerkt, daß237 es ein großes hollaͤndiſches Fluͤtſchiff war, hinten den Namen Dambord und auch ein angemahltes Damenbrett im Spiegel fuͤhrte. Einige Tage ſpaͤter, wo Wind und Wetter, zuſammt unſerm Kurſe, zum oͤftern wechſel - ten, trafen wir auf einen Hollaͤnder, der nach dem Texel wollte, und dem ich zurief, daß ich in der und der Gegend ein Schiff ſeiner Nation, als ein Wrack, treibend ge - ſehen, welches den Namen Dambord fuͤhrte. Er moͤge ſolches, wenn er nach Amſterdam kaͤme, an der Boͤrſe bekannt machen, damit der Eigenthuͤmer erfahre, was aus ſeinem Schiffe geworden. Mir ſelbſt aber iſt hier - uͤber keine ſpaͤtere Kunde zugekommen.

Ohne ferneres denkwuͤrdiges Begebniß langten wir, in der Haͤlfte des Januars 1783, gluͤcklich zu Liſſabon wieder an, und ankerten zufaͤllig neben einer amerikaniſchen Fregatte von 44 Kanonen, deren Kapitain mir einige Tage ſpaͤter, geſpraͤchsweiſe, als ein Deutſcher, Namens Johann Ollhof, ge - nannt wurde. Wunderſam fiel dieſer Name mir auf, da ich mich erinnerte, im Jahre 1764 einen Matroſen Johann Ollhof im Dienſte gehabt zu haben, der mir in Amſter - dam, mit meinem guten Willen, entlief, und von dem ich ſeitdem nie wieder gehoͤrt hatte. Wie ſich das damals begab, mag mir hier,238 obwohl geringfuͤgig an ſich, mit wenig Wor - ten zu erzaͤhlen erlaubt ſeyn.

Jch war zu jener Zeit im Begriff, mit meinem Schiffe von Amſterdam wieder nach der Heimath zuruͤckzukehren, als der gedachte Menſch, der ein ſehr guter Junge und vom Treptower Deep gebuͤrtig war, an einem Sonnabend zu mir in die Kajuͤte trat und mich von Himmel zu Erde beſchwor, ihn hier frei zu laſſen: denn wenn er wieder in ſeine Heimath muͤſſe, erwarte ihn der leidige blaue Rock: und dann ſey er zeitlebens eine ungluͤckliche und verlorne Creatur. Hoͤrt, Johann, war meine Antwort ich mag Euer Ungluͤck nicht; will aber uͤbrigens von dem, was Jhr thut, oder nicht thut, nichts wiſſen. Er verſtand mich, und erwaͤhnte noch ſeiner Monats-Gage von 21 Gulden, die er bei mir gut habe. Nun, unter - brach ich ihn morgen iſt ja Sonntag, wo wohl Einige von unſern Leuten werden an Land gehen und auch Geld fordern wollen. Dann laͤßt ſich weiter davon ſprechen.

Der Sonntag-Morgen kam; mit ihm drei meiner Matroſen, denen auch Johann ſich angeſchloſſen hatte, um ſich Urlaub zum Erluſtiren, und auch Geld dazu, von mir zu erbitten. Jch entließ ſie mit der Ermahnung, keine Haͤndel anzufangen und bei guter Zeit ſich wieder am Borde einzuſtellen. Jeder239 erhielt ein paar Gulden; doch als Johann ſeinen vollen Lohn forderte, ſtellte ich mich, zum Schein, befremdet, bis er mir erklaͤrte, daß er ſeinen Geſchwiſtern daheim allerlei Geſchenke zugedacht habe, die er dafuͤr einzu - kaufen gedenke. Allein am Abend kamen zwar die Uebrigen Alle, nur mein Johann Ollhof nicht, zum Vorſchein. Natuͤrlich gab ich mir auch keine ſonderliche Muͤhe, Seiner wieder habhaft zu werden; und ſo blieb er ſeinem guten oder boͤſen Geſchick uͤberlaſſen.

Jetzt, da ich mich eben im Gewuͤhl der Liſſaboner Boͤrſe befand, hoͤrt ich einen Kauf - mann laut nach dem Kapitain Johann Ollhof rufen, den ich ſelbſt in dem dichten Haufen nicht gewahr zu werden vermochte. Doch ſah ich gleich darauf eine Figur nach Jenem ſich hinwenden, in welcher ich, mit freudigem Erſchrecken, trotz der glaͤnzenden Uniform, des Degens und der Schaͤrpe, augenblicklich meinen ehemaligen Deſerteur erkannte. Wie haͤtt ich mich enthalten koͤnnen, mit raſcher Bewegung und der Frage auf ihn zuzutreten: Jſt’s moͤglich? Johann Ollhof, ſeyd Jhr es? Verwundert ſah er mir ſcharf in’s Geſicht; erkannte mich im naͤchſten Moment nicht minder, und fiel mir mit dem Freu - denruf um den Hals: Kapitain Nettelbeck Sie find ich hier wieder? O, tauſend Mal willkommen in meinen Armen!

240

Nun gab es unzaͤhlige Fragen und Er - kundigungen gegen einander auszuwechſeln, die mir ſeine mancherlei Gluͤckswechſel, ſeine Verſchlagung nach Nordamerika und ſein ſchnelles Steigen im Seedienſt der jungen Republik erklaͤrten. Er drang in mich, am Nachmittage zu ihm an Bord zu kommen, wohin er mich abholen laſſen wolle. Dagegen berichtete ich ihm, daß uns das Ohngefaͤhr dermalen zu nahen Nachbarn gemacht, und beſtand darauf, daß es ihm, dem Juͤngeren, wohl geziemen wuͤrde, mir den erſten Beſuch zu machen. Auch haͤtte ich ein Schiff unter den Fuͤßen, auf welchem ich mich nicht ſchaͤ - men duͤrfte, einen ſo lieben Gaſt zu empfan - gen. Er gab mir Recht, und verſprach, bei mir zu erſcheinen.

Jn der That legte ſeine Schaluppe, mit 12 ausgeputzten Ruderern verſehen, zur be - ſtimmten Zeit an meine Seite, und er kam, von Einigen ſeiner Officiere begleitet, zu mir an Bord, wo das Verdeck zum Theil mit, in der Ausladung begriffenen Eiſenſtangen angefuͤllt lag; ſo wie denn uͤberhaupt mein Schiff einwenig tief gieng. Kaum angekommen, machte er hieruͤber ſeine Bemerkung, und rief: Mein Gott, Freund, wie koͤnnen Sie doch Jhr Leben auf ſo einem Kaſten wagen? Jch will nicht laͤugnen, daß dieſer Hoch - muth (wofuͤr ich es hielt) mich einwenig ver -droß,241droß, und daß ich mein Schiff nicht verach - ten laſſen wollte. Drum verſetzte ich: Jo - hann Ollhof, mir daͤucht, daß Jhr, ſolange Jhr noch ein Preuſſe hieſſet, wohl nie das Gluͤck gehabt, auf einem ſolchen Schiffe, wie Dieſes, zu fahren.

Er nahm es hin; ich aber, obwohl ich es in der ſtattlichen Aufnahme meiner Gaͤſte an nichts ermangeln ließ, fuͤhlte mich doch ver - ſtimmt. Ja, ſelbſt als er beim Abſchiede freundlich bat, ſeinen Beſuch auf’s baldigſte zu erwiedern, brach der innere Groll unauf - haltſam hervor in dem Geſtaͤndniſſe: Jch bin nicht gut auf Euch zu ſprechen, Kapitain: denn Jhr habt mir meine Puppe, mein Schiff, verachtet. Demohngeachtet wie - derholte er ſeine Einladung nur um ſo herz - licher, und bat zugleich um Verzeihung we - gen ſeiner unſchuldigen Aeuſſerung: allein Herz und Sinn hatten ſich bei mir von ihm abgekehrt; ich konnte mich nicht entſchlieſſen, zu ihm an Bord zu gehen, und hab ihn auch nicht wiedergeſehen. Mag wohl ſeyn, daß dieſe widrige Empfindung bei mir noch tiefer lag, und daß mein Matroſe Johann Ollhof und der amerikaniſche Fregatten-Kapi - tain in meinem Hirne nicht zu Einer Perſon zuſammenſchmelzen wollten.

Ueberdem gab es bald allerlei Verdruͤß - lichkeiten, die meinen Sinn auf andre Dinge11. Bändchen. (16)242lenkten. Gerade damals lag eine ſtarke eng - liſche Kriegsflotte im Tajo; ich aber hatte, wie bereits geſagt, drei in Memel angenom - mene engliſche Matroſen im Dienſt, welche am Lande mit ihren Landsleuten von jener Flotte haͤufig zuſammenkamen und von Die - ſen ſich ohne Zweifel ihre gute und bequeme Lage verleiden lieſſen. Denn eines Tages traten ſie unerwartet zu mir in die Kajuͤte, mit der Erklaͤrung, daß ſie es vorzoͤgen, unter ihren Freunden und Landsleuten auf der Flotte zu dienen; daher ſie ihre Entlaſſung von meinem Schiffe, aber auch ihre ruͤckſtaͤndige Loͤhnung (fuͤr Jeden wohl uͤber 60 Thaler) forderten.

Kinderchen, erwiederte ich ihnen Jhr ſteht alleweile auf einem Preuſſiſchen Schiffe und im Preuſſiſchem Dienſte; ſeyd alſo auch vor der Hand nicht Englaͤnder, ſondern Preuſſen. Daß ich Euch Eure Loͤh - nung auszahle, oder gar, daß ich Euch frank und frei gebe: daran iſt gar nicht zu den - ken. Freilich mochten ſie ſich durch dieſen Beſcheid nicht ſonderlich befriedigt fuͤhlen; und ſo geſchah es denn wohl auf ihren Be - trieb, daß wenige Tage nachher ein Officier von der brittiſchen Flotte an meinem Borde erſchien, mit dem Auftrage von ſeinem Ad - miral, die augenblickliche Auslieferung von drei gebohrnen engliſchen Unterthanen von243 mir zu verlangen, die ſich, wie er erfahren habe, auf meinem Schiffe befaͤnden, und de - ren voͤllige Entſchaͤdigung fuͤr den bisherigen Dienſt zugleich erfolgen muͤſſe.

Jch beobachtete bei dieſem ſonderbaren Vortrage ein ruhiges Schweigen; ließ aber in der Stille die Preuſſiſche Flagge uͤber unſern Koͤpfen aufziehen, die ich meinem Gaſte zeigte, indem ich hinzufuͤgte: Sehen Sie, mein Herr, unter dieſer Flagge ſtehen jene drei Leute in Dienſt; und ich kenne kein Geſetz, das mich verpflichtete, ſie hier, in einem fremden Hafen, daraus zu entlaſſen. Jede weitere Procedur des Herrn Admirals werde ich erwarten.

Eine Citation vor das portugieſiſche See - gericht gieng bald darauf an mich ein, um meine Sache, im Beiſeyn des Admirals, der gleichfalls erſcheinen wuͤrde, zu verantworten. Jetzt ward alſo der Handel ernſthaft; und ich hielt es fuͤr gerathen, zu unſerm Preuſſi - ſchen Geſandten, dem Herrn v. Heidecamp, zu gehen, dem ich die Lage der Dinge vor - trug, und um Verhaltungs-Regeln bei ihm nachſuchte. Sein Ausſpruch war: Daß, falls ich nicht gutwillig wollte, Niemand mich zwingen koͤnnte, die Leute freizugeben; noch weniger, ihnen ihre Loͤhnung auszuzahlen, welche, nach Recht und Geſetz, dann erſt faͤllig ſey, wann mein Schiff wieder einen244 Preuſſiſchen Hafen erreicht habe. Zugleich unterrichtete er mich genau, wie ich mich vor Gericht zu verhalten haͤtte, und fuͤgte hinzu: Jn Anſehung alles Uebrigen ſollt ich ihn gaͤnzlich ſorgen laſſen, indem er geſon - nen ſey, bei dem Termine gleichfalls in Perſon zu erſcheinen.

Dies geſchah nun gleich am naͤchſten Tage. Wir fanden den engliſchen Admiral (Schade, daß mir ſein, nicht unbekannter Name wieder entfallen iſt!) mit zwei Flotten - Kapitains bereits vor, und er eroͤffnete die Verhandlung durch das beſtimmte Begehren, die drei brittiſchen Unterthanen in ſeinen Dienſt ausgeliefert zu erhalten. Meine ver - weigernde Antwort ſtuͤtzte ſich auf die Gruͤnde, welche ich ſchon angefuͤhrt habe. Ja, ich war ſo keck, gegen ihn zu bemerken: Ohne Zweifel befaͤnden ſich auf ſeiner Flotte viele gebohrne Preuſſiſche Unterthanen: gleichwohl ſtaͤnde noch dahin, ob er ſich fuͤr verpflichtet halten wuͤrde, dieſe, auf mein Verlangen, ihres Dienſtes zu entlaſſen?

Topp! rief er feurig aus Jch gebe drei Preuſſen von meiner Flotte in die Stelle der drei Englaͤnder! Ein Er - bieten, entgegnete ich das aller Ehren werth iſt, wenn ich nur hoffen duͤrfte, an - ſtatt der tuͤchtigen Leute, die mir abgefor - dert werden, etwas Beſſeres, als den Aus -245 ſchuß von der ganzen Flotte, zuruͤck zu em - pfangen; und mit dem iſt mir nicht gehol - fen. Sofort auch nahm der Geſandte das Wort; und da ich ſah, daß der Handel anfieng, zu einer Ehrenſache zwiſchen ihm und dem Admiral auszuſchlagen, ſo konnt ich den fernern lebhaften Wortwechſel mit deſto beſſerer Seelenruhe anhoͤren; bis zu - letzt das Gericht ſeinen Ausſpruch that, der die Matroſen ſchuldig erkannte, auf meinem Schiffe zu verbleiben, bis ſie in dem naͤch - ſten erreichten Preuſſiſchen Hafen abgeloͤhnt werden koͤnnten.

So war nun zwar dieſer Strauß gluͤck - lich und mit Ehren ausgefochten: allein einige Tage nachher erfolgte ein Ding, das eben ſo ſehr zu erwarten, als ſchwer zu ver - hindern war. Die drei Kerle machten ſich heimlich aus dem Staube und giengen auf die Flotte zu ihren Landsleuten uͤber, ohne auf ihre, im Stiche gelaſſene Monatsgelder zu achten. Mochten ſie laufen! Jch konnte Jhrer entrathen!

So wie ich nun meine Ladung in dieſem Hafen loͤſchte, entſtand auch die Verlegenheit, in dieſer unguͤnſtigen Jahrszeit (es war mitten im Winter) nicht ſofort wieder eine vortheilhafte Fracht zu finden. Nach Suͤden, in’s mittellaͤndiſche Meer, durft ich mich, aus Mangel an Tuͤrken-Paͤſſen, nicht wagen;246 und in der Nord - und Oſtſee hatte der Froſt die Schiffahrt geſchloſſen. Jch mußte alſo, bis in den Monat Merz, die Haͤnde nothge - drungen in den Schooß legen, und, da mir auch dann noch keine Fracht nach meinem Sinne angeboten wurde, mich entſchlieſſen, eine Ladung Salz fuͤr eigne Rechnung zu kau - fen und nach der Oſtſee zu verfuͤhren.

Hiermit war ich noch beſchaͤftigt, als ſich ein Sturm aus Weſten erhob, der mehrere Schiffe, und unter dieſen auch ein unbeladenes portugieſiſches Schiff, welches uns einige hundert Klafter weit uͤber dem Winde lag, von den Ankern trieb. Dies letztere ruͤckte dem meinigen gerade auf den Hals; und da es ſo gut, als ganz ſich ſelbſt uͤberlaſſen war, (denn nur zwei Jungen befanden ſich am Borde) ſo hatten wir Noth und Muͤhe, es nur ſoweit abzulenken, daß es endlich uns zur Seite zu liegen kam. Gleichwohl war, bei dem anhaltenden Unwetter, nicht zu ver - hindern, daß es unaufhoͤrlich gegen unſern Bug ſtieß und draͤngte; wodurch bei mir die gerechte Beſorgniß entſtand, daß beide Schiffe davon großen Schaden nehmen koͤnnten, wenn Jenes nicht bald ſeine Stellung veraͤnderte und unter Windes von uns gebracht wuͤrde.

Dies ſtellte ich meinem Schiffsvolk vor; und wir beſchloſſen, alſogleich Hand an ein247 ſo noͤthiges Werk zu legen. Jndem wir aber hiezu insgefammt an den portugieſiſchen Bord hinuͤberſprangen, ergriff jene beide Jungen, die von unſrer Abſicht nichts wuß - ten, ein Todesſchrecken. Sie erhuben ein Geſchrei aus voller Kehle, welches auch nicht ermangelte, ihre Landsleute von fuͤnf oder ſechs der naͤchſtgelegenen Fahrzeuge im Hui! auf ihr Verdeck herbei zu locken. Dies Ge - ſindel nahm ſich nicht die Zeit, uns anzuhoͤ - ren, oder ſich mit uns zu verſtaͤndigen: ſon - dern augenblicklich galt es ein wildes Zuſchla - gen auf uns mit Knuͤtteln, Handſpaten und Bootshaken; ſo daß wir genoͤthigt waren, auf unſer Schiff zuruͤckzufluͤchten.

Doch auch hiermit nicht zufrieden, ver - folgten uns unſre uͤbermaͤchtigen Gegner auf unſer eignes Verdeck und trieben uns, je laͤnger je mehr, in die Enge. Mein Steuer - mann erhielt einen Schlag, daß er zu Boden ſtuͤrzte und ich nicht anders glaubte, als daß ihm der Reſt gegeben worden. Jch ſelbſt mußte mein Heil in der verriegelten Kajuͤte ſuchen; ſo wie meine Leute genoͤthigt waren, ſich im Raume zu bergen und in ihrem Roof zu verſchlieſſen, um nicht ferne - ren Gewaltthaͤtigkeiten ausgeſetzt zu ſeyn. Endlich ſtieß nun zwar die wilde Rotte wie - der nach ihren Schiffen ab: aber der Portu - giefe blieb zu meiner Seite liegen und fuhr248 fort, die ganze Nacht hindurch ſich gegen mein Schiff abzuarbeiten und an der Ver - kleidung deſſelben zu reiben.

Die Folgen zeigten ſich, gleich Morgens, an ihm ſelbſt, indem ganze Planken in Stuͤk - ken von ſeiner Seite hinwegtrieben, der Fock - maſt aber uͤber Bord gefallen war, und das ganze Gebaͤude, wie ein zerſchelltes Wrack, ſich ſeitwaͤrts neigte. Allein auch ich ſelbſt bemerkte an dem meinigen mehrere Beſchaͤdi - gungen, die mir um ſo mehr Galle in’s Blut trieben, je leichter ſich dies Alles haͤtte vermeiden laſſen, wenn das Recht und die Vernunft nicht der verſtandloſen Gewalt haͤtten weichen muͤſſen.

Hoͤher noch ſtieg freilich dieſe Galle, als einige Stunden ſpaͤter der portugieſiſche Ka - pitain des Schiffes zu mir an Bord kam. Es fand ſich, daß ich ihn einigermaaſſen kannte, indem er verſchiedentlich mit mir im Comptoir meines Correſpondenten, Hrn. Bulkeley, zuſammengetroffen war und an deſſen Tiſche geſpeiſet hatte. Sein Name war Sylva. Pochend und mit ſchaͤumenden Munde fuhr er auf mich ein, ihm fuͤr den, an ſeinem Schiffe erlittenen Schaden gerecht zu werden; und nur mit Muͤhe maͤßigte ich mich zu der gelaſſenen Antwort: Daß, wenn er es mit der gehoͤrigen Mannſchaft beſetzt gehalten, Schaden und Ungluͤck entweder249 nicht ſtatt gefunden haben, oder doch geringer ausgefallen ſeyn wuͤrden. Er war aber nicht in der Verfaſſung, Vernunft anzunehmen, ſondern fuhr drohend und ſcheltend wieder an Land.

Kaum aber waren ein paar Stunden verlaufen, ſo ließ er ſich abermals bei mir blicken, und war diesmal von einer Art Gerichtsperſon oder Notarius begleitet, der mir einen langen ſchriftlichen Aufſatz von anderthalb Bogen vorlegte, mit dem Anſin - nen, daß ich meinen Namen unterzeichnen moͤchte. Unter eine Schrift in einer Sprache, die ich nicht verſtehe? gab ich zur Antwort. Mit nichten, meine Herren! Geht damit, wenn es Euch beliebt, zum Preuſſiſchen Conſul. Dort werd ich mich gleichfalls finden laſſen.

Jn der That war ſofort mein naͤchſter Gang zu dieſem Conſul, Namens Schuh - macher, gerichtet, um ihn von dem unange - nehmen Vorfalle vollſtaͤndig zu unterrichten und mich mit ihm zu berathen. Sein Gutachten fiel dahin aus, daß ich Nachmit - tags mit meinem Schiffsvolk vor ihm er - ſcheinen ſolle, um in Gegenwart eines No - tarius, uͤber den wahren Verlauf der Sache eidlich vernommen zu werden. Auf dem Ruͤckwege ſtieß ich auf meinen Correſpon - denten Bulkeley; und nachdem ich in deſſen Comptoir getreten, benachrichtigte er mich,250 daß ſo eben Kapitain Sylva ihm uͤber das bewußte Ereigniß eine ſchriftliche Erklaͤrung vorgelegt, die er auch unbedenklich mit meiner Namens-Unterſchrift verſehen habe.

Wie? rief ich, hoch verwundert Unterſchrieben mit meinem Namen? Un - terſchrieben ohne mein Wiſſen und Ein - willigung? Von dieſem Augenblick an, Herr, hoͤren Sie auf, mein Correſpondent zu ſeyn; und ehe und bevor ich meinen Fuß aus Jhrem Hauſe ſetze, fordre ich, daß Sie mir den Abſchluß meiner Rechnung vorlegen. Er zauderte; ich aber erklaͤrte ihm ſo feſt und beſtimmt, ich wuͤrde ohne Abrechnung nicht vom Platze weichen, daß er ſich endlich meinem Verlangen fuͤgen mußte.

Es war nothwendig, den Conſul augen - blicklich von dieſem Schurkenſtreiche in Kennt - niß zu ſetzen. Wie vollkommen aber ſein Betragen dieſen Namen verdiente, ent - wickelte ſich erſt nachher, da es an den Tag kam, daß dieſer nemliche Bulkeley auch Rhee - der des Schiffes war, welches Kapitain Sylva fuͤhrte. Ruhig, mein Freund! troͤſtete mich der Conſul. Treffen Sie nur ſchleunige Anſtalt zur gerichtlichen Vernehmung Jhrer Leute, und laſſen mich dann fuͤr das Ue - brige ſorgen. Jenes ward auch gleich am naͤchſten Morgen, mit allen Foͤrmlichkeiten, be -251 werkſtelligt; und waͤhrend ich das Original dieſer Erklaͤrung in des Conſuls Haͤnde nie - derlegte, verſaͤumte ich nicht, durch den No - tarius eine beglaubigte Abſchrift ausfertigen zu laſſen, die ich, auf den Fall der Noth - durft, fuͤr mich ſelbſt zuruͤckbehielt.

Noch erklaͤrte ich meinem wackern Be - ſchuͤtzer meine Abſicht, binnen zwei oder drei Tagen die Anker zur Abfahrt zu lichten; daß ich aber von meinem Widerſacher jede Art von Chikane, und alſo auch wohl eine Be - ſchlagnahme meines Schiffes, bis zu ausge - machter Sache, erwarten muͤßte. Dann erwiederte er bin ich es, der Caution fuͤr Sie leiſtet, und, wenn Sie abgeſegelt ſind, den Proceß fuͤr Sie fuͤhrt. So getroͤſtet, nahm ich nun, in aller Gemaͤchlichkeit, den Reſt meiner Salz-Ladung ein, und gieng des dritten Tages darauf unter Segel, ohne daß es auch einem Menſchen nur einfiel, mir etwas in den Weg zu legen.

Jn die Stelle der entlaufenen drei Eng - laͤnder, die mir zu meiner vollen Bemannung fehlten, gluͤckte mir’s, noch am Tage vor meiner Abreiſe, zwei ſchwediſche Matroſen aͤhnlichen Schlags zu erhalten, daneben aber auch noch einen dienſtloſen Englaͤnder auszu - kundſchaften, den ich in ſeiner Schlafſtelle aufſuchte und fuͤr meinen Dienſt annahm. Freilich mußt ich ihn bei ſeinem Wirthe,252 dem er ſchuldig geworden, erſt mit einem vollen Monatsgelde ausloͤſen; doch gerade darauf mochte der Kerl ſpeculirt haben: denn kaum war er mit mir auf der Straße, ſo zeigte er eine ſo entſchiedene Neigung, mir wieder zu entlaufen, daß ich hinter ihm drein ſchreien mußte, bis er von andern Leuten feſtgehalten wurde, ich mich ſeiner ver - ſichern und ihn in meine nahe liegende und mit vier Mann beſetzte Schaluppe bringen laſſen konnte.

Es war begreiflich, daß der Menſch ſich, unter dieſen Umſtaͤnden, auf meinem Schiffe wohl nicht ſonderlich gefallen mochte. Das bewies er auch am naͤchſten |Morgen, wo wir in See gehen wollten, indem er ſich die Laͤnge lang auf’s Verdeck ſtreckte, nicht ar - beiten mochte und krank zu ſeyn vorgab; was ſich aber, bei naͤherer Unterſuchung, als falſch befand. Nun bequemte er ſich endlich, auf ernſtliche Bedrohung, mit Hand anzu - legen und ſeinen ſtoͤrrigen Sinn fahren zu laſſen. Dennoch ſollt ich von ihm, wie man in der Folge ſehen wird, noch ſehr ernſthaften Verdruß erleben.

Als wir zum Tajo herausgekommen wa - ren, machten wir die unangenehme Entdek - kung, daß unſer Schiff viel Waſſer einließ. Anfangs meynten wir, daß, da wir mit demſelben ſo lange ledig gelegen und hohen253 Bord gehabt, die Fugen mancher Planken durch die Sonnenhitze von einander getrock - net ſeyn moͤchten, und daß dieſe Naͤthe unter Waſſer bald wieder zuquellen wuͤrden. Allein der Leck nahm ſo uͤberhand, daß wir das Schiff bald mit beiden Pumpen kaum uͤber Waſſer halten konnten. Zudem ſtand der Wind vom Lande; und es war alſo unmoͤg - lich, wieder in den Hafen zuruͤckzuſteuern.

Jn dieſer Noth lag uns Alles daran, den ſchadhaften Fleck auszufinden, um dem - ſelben, wo moͤglich, beizukommen und ihn zu ſtopfen. Man weiß, wie klar und durch - ſichtig die Gewaͤſſer des atlantiſchen Oceans in dieſer Gegend ſind, und daß man darum ziemlich deutlich auch in eine groͤßere Tiefe ſehen kann. Wir hielten alſo fleiſſige Nach - ſuchung, ob wir nicht auſſerhalb Bords, unter Waſſer, etwas zu erkennen vermoͤchten; und da fand ich denn endlich, daß an der Seite, und ohngefaͤhr 4 bis 5 Fuß tief unter der Oberflaͤche, die Spaͤhne von der aͤuſſern Haut abſtanden. Alſo wohl un - ſtreitig ein trauriges Andenken an unſer Zu - ſammenſtoßen mit jenem portugieſiſchen Schiffe, und die Urſache unſers immer bedenklicher werdenden Lecks!

Je unmoͤglicher es war, daß wir unſer Schiff auf den Pumpen ſo uͤber See tragen konnten, deſto unerlaͤßlicher mußte hier ſchleu -254 niger Rath geſchafft und ein Pflaſter uͤber die wunde Stelle befeſtigt werden. Jch ließ ſogleich Eine von den Zitronen-Kiſten, die wir in Liſſabon eingenommen hatten, zer - ſchlagen, um den biegſamen Boden derſel - ben zu gewinnen; ſchnitt, nach der Groͤße deſſelben meine, mit Baumwolle geſteppte Bettdecke entzwei; theerte und talgte ſowohl dieſe, als jenen Kiſtenboden, an beiden Seiten; heftete Beide mit kleinen Naͤgeln an einander; bohrte am Rande 8 oder 10 Loͤcher umher; ſteckte in jedes der - ſelben einen groͤßeren Nagel, den ich, damit er nicht herausfiele, mit etwas Werg um - wickelt hatte, und ſann nun darauf, wie dieſe Zurichtung an ihre rechte Stelle zu bringen waͤre?

Es gab kein ander Mittel, als daß Einer von meinen Leuten ſich entſchloͤße, ſich ritt - lings auf dem vierarmigen Bootsanker be - feſtigen und unter Waſſer bis zu dem Leck hinab zu laſſen, das praͤparirte Brett auf den zerſtoßenen Fleck zu paſſen und mit dem, an die Hand gebundenen Hammer ſchnell, eh ihm der Athem entgienge, feſtzuklopfen. Jch ſchlug dies der Mannſchaft vor: allein Keiner hatte Ohren zu dieſer halsbrechenden Waſſer - fahrt. Jch bot dem, der es wagen wuͤrde, eine Monats-Gage: Niemand meldete ſich, ſie zu verdienen. Jch ſtellte ihnen auf’s255 nachdruͤcklichſte vor, daß, wenn ſie dies kleine Wagniß ſo ſehr ſcheuten, wir ja doch, ohne Barmherzigkeit, Alle erſaufen muͤßten. Jch bat, ich flehte; ich ſchalt und drohte: aber die feigen Seelen ſahen mich verdutzt an und blieben bei ihrem Kopfſchuͤtteln.

Nun denn! ſagt ich endlich, im innern Jngrimm So will ich ſelbſt der Mann ſeyn, der ſein Leben fuͤr euch H r in die Schanze ſchlaͤgt! Dieſer Entſchluß ent - ſtand auch um ſo weniger aus Prahlerei, da ich, als junger Burſche, mit meinen Spiel - kameraden das Schwimmen und Untertauchen fleiſſig geuͤbt hatte, und oftmals unter dem Waſſer geblieben war, bis die Beiſtehenden langſam Dreiſſig zaͤhlten. Hoffentlich hatt ich dieſe kleine Kunſt in den drei Dutzend Jahren nicht ganz wieder verlernt; und ſollt ich denn doch ertrinken, ſo konnte mir die Art und Weiſe wohl ziemlich gleich gelten.

So nahm ich alſo getroſt meinen Platz auf dem Bootsanker, deſſen Tau meine Leute oben in die Haͤnde faſſen und mich daran in die bezeichnete Tiefe hinablaſſen mußten. Nach meiner Anweiſung ſollten ſie, von dem Au - genblick an, wo ich mit dem Munde unter Waſſer kaͤme, ſecundenmaͤßig zu zaͤhlen an - fangen und mich, wenn ſie bis 25 gekommen waͤren, hurtig wieder emporziehen. Jch, meines Theils, haſtete mich, ſoviel ich ver -256 mochte; 2 bis 3 tuͤchtige Schlaͤge auf jeden Nagelkopf, und das Brett ſaß an der rech - ten Stelle feſt; waͤhrend der Zug des Waſſers nach innen das Uebrige that, die Zaſern der Decke in die offenen Fugen dicht einzuſaugen. Kurz, ich war fertig: aber die droben dachten noch immer an kein Hinaufziehen. Endlich, nach einigen Secunden, brachten ſie mich wieder an Gottes freie Luft; und ſo war das Aben - theuer gluͤcklich beſtanden!

Nun kam es darauf an, zu erfahren, was wir damit gewonnen hatten? Wir eilten an die Pumpen, die nunmehr das eingedrungene Waſſer bemeiſterten und ſichtbar verminderten. Der Leck hatte wirklich ſo abgenommen, daß wir uns getrauen durften, mit Einer Pumpe die See zu halten. Wunderbar aber blieb unſre Rettung nicht minder, als wenn, wie mir ein Beiſpiel bekannt geworden, ein aͤhn - licher Leck durch eine, in die offene Fuge eingeklemmte Flunder geſtopft ward; oder wenn ein Schiffer von meiner Bekanntſchaft im Danziger Neufahrwaſſer, nach mehrma - ligem vergeblichem Aus - und Umladen, den ſeinigen nur dadurch unſchaͤdlich machte, daß er, vorbedaͤchtig, laͤngs den Seiten des Schiffs, eine Menge Torf-Mull in’s Waſſer ſchuͤtten ließ, welches ſich durch den unmerklichen Waſſerzug in alle Ritzen und Spalten der Planken feſtſetzte.

Jndeß257

Jndeß foͤrderten wir, mit getroſtem Sinn, unſre Reiſe, bis wir in den Kanal gelangten, wo wir auf ein engliſches Kriegs - ſchiff ſtießen, welches meine Schiffspapiere zu ſehen verlangte. Jch erwiederte, daß ich zu Vorzeigung derſelben, aber nur an meinem eignen Borde, bereit waͤre. So kam denn ein Officier in der Schaluppe zu mir heruͤber: doch waͤhrend er in der Ka - juͤte die geforderte Unterſuchung anſtellte, machte ſich mein oben erwaͤhnter engliſcher Matroſe an ſeine Landsleute in der Scha - luppe, die zum Theil auch auf das Verdeck gekommen waren; und in welchem Sinne er mit ihnen geſprochen, ergab ſich, als ich mei - nen Gaſt aus der Kajuͤte zuruͤckbegleitete, da jene Englaͤnder ihrem Lieutenant meinen Ma - troſen vorſtellten, der wider ſeinen Willen hier an meinem Borde zuruͤckgehalten wuͤrde, und der auch ſelbſt erklaͤrte, daß er Luſt haͤtte, auf jenem engliſchen Schiffe zu dienen.

Den Menſchen nehm ich auf der Stelle mit; wandte ſich der Officier an mich Jhr habt kein Recht an ihn. Nun, war meine Antwort ſo will ich doch ſehen, wer mir, in offener See, auch nur meinen ſchlechteſten Kajuͤten-Jungen, wider meinen Willen, wegnehmen ſoll. Dazu fehlt es Jhnen an Fug und Recht. Doch der Matroſe hatte nicht fuͤr gut gefunden,11. Bändchen. (17)258das Ende unſers Wortwechſels abzuwarten, ſondern war bereits, ſammt ſeinen Lands - leuten, in die Schaluppe geſprungen. Jch bedachte mich indeß keinen Augenblick, ihm dahin nachzufolgen, und war druͤber her, ihn, wie ſehr er ſich auch ſtraͤubte, an Bord zu - ruͤckzuziehen; bis auch der Lieutenant herab - kam und von mir verlangte, daß ich die Schaluppe verlaſſen ſollte.

Natuͤrlich weigerte ich mich einer ſolchen Zumuthung; und ſelbſt als er drohte, daß er abſtoßen und nach ſeinem Schiffe fahren werde, verſicherte ich, daß ich geſonnen ſey, ohne meinen Matroſen, nicht vom Flecke zu welchen. Schleppe er mich dann aber nach dem Kriegsſchiffe hinuͤber, ſo bliebe das meinige, und Alles was demſelben begeg - nen koͤnne, auf ſeine Gefahr und Ver - antwortung. Jndeß ſetzten ſie wirklich mit der Schaluppe ab; und ich behielt kaum die Zeit, meinem Steuermanne zuzurufen, daß er ſich, ſo lange ich nicht wieder an Bord kaͤme, in der Naͤhe des Kriegsſchiffes halten moͤchte.

Sobald wir auf dieſem letzteren ange - kommen und der Handel dem Kapitain vor - getragen war, erklaͤrte Dieſer, (ganz im Geiſte jenes Admirals) der Kerl ſey ein Britte, und er werde ihn auf ſeinem Schiffe behalten. Dann, mein Herr, entgegnete ich ihm 259 moͤgen Sie auch mich in den Kauf hier behalten: denn ich bleibe, wo mein Matroſe iſt; und mein Schiff dort ſchwimmt oder ſinkt, von dieſem Augenblick an, auf ihr Ri - ſico. Thun Sie nun, was Jhnen beliebt! Todt koͤnnen Sie mich nicht ſchlagen vor ſo vielen Augen; und alles Uebrige werde ich erwarten.

Dieſer feſte Sinn ſchien den Kapitain doch einigermaaßen ſtutzig zu machen. Er gieng mit einigen Officieren abſeits in die Kajuͤte wahrſcheinlich, um ſich mit ihnen naͤher zu berathen; dann aber, als ſie wieder zum Vorſchein kamen, ſtieß der Eine und Andre von ihnen meinem aufſaͤtzigen Matro - ſen in die Zaͤhne und in die Rippen, und ſo wieder in die Schaluppe hinein, worauf ich ungenoͤthigt folgte und mit meinem Aus - reiſſer wieder an mein Schiff gebracht wurde. Damit jedoch Dieſem ſein Frevel nicht ganz ungenoſſen ausgienge, ward ich mit meinem Steuermanne einig, ihn mit Haͤnden und Fuͤßen an die große Spille feſt zu binden, und ſo ſein Gat durch Jeden von unſern Leuten mittelſt eines Endchens Tau, mit einer Anzahl wohlgemeſſener Hiebe heimſuchen zu laſſen. Die Cur ſchien auch fuͤr die fortge - ſetzte Reiſe nicht ohne gute Wirkung zu bleiben.

260

Seitdem wir die Kuͤſten von Dover und Calais aus dem Geſichte verloren, und ab - wechſelnde, aber meiſt ſtuͤrmiſche Winde uns 11 Tage lang in der Nordſee umhergewor - fen hatten, waͤhrend welcher wir weder Juͤt - land, noch Norwegen oder ſonſt ein Land erblickten, wagten wir es dennoch, im guten Glauben an unſre gefuͤhrte Schiffsrechnung und einige angeſtellte aſtronomiſche Beobach - tungen, uns, mit dem Senkblei in der Hand, um die gefaͤhrliche Spitze von Skaagerak in’s Kattegat hinein zu taſten. Es gluͤckte: aber gerade hier uͤberfiel uns nunmehr auch ein ſchrecklicher Sturm aus Norden, der ſo hart in unſer dicht eingerefftes Fock - und Vormarsſegel blies, daß bald die Fetzen davon in den Luͤften umherflogen.

Nach dieſem Verluſte wollte ſich unſer Schiff nicht mehr vor dem Winde ſteuern laſſen, ſondern ward unter den Wind gedreht. Es ſollte eine andre neue Focke untergeſchla - gen werden: allein das Schiff arbeitete und ſchlenkerte in der brauſenden kochenden See voll blinder Klippen ſo gewaltig, und der Sturm hielt mit ſoviel Ungeſtuͤm an, daß wir Alle kaum die Augen aufſchlagen konn - ten. Das neue Fockſegel ward zwar aus der Segelkammer hervorgezogen und an die Raa geſchlagen: allein ſo wie dieſe in die Hoͤhe gieng, peitſchte auch Jenes mit ſeinen261 Zipfeln dergeſtalt um ſich, daß es in den naͤchſten Augenblicken ebenfalls in Lappen da - vongefuͤhrt wurde. Jch ſchrie; ich bat; ich fluchte meinem Volke entgegen, das oben auf den Maſten ſaß, die Faͤuſte, wie brave Kerle zu ruͤhren und das Segel unter die Raa zu bringen. Endlich ſtieg ich ſelbſt in die Hoͤhe, und uͤberzeugte mich, daß es ſchlech - terdings unmoͤglich ſey, dieſe Abſicht zu er - reichen.

Jn dieſem Augenblick ward geſchrieen: Brandung leewaͤrts! (d. i. unterm Winde) Das war die Minute der Entſcheidung! Denn da das Schiff dem Ruder nicht mehr folgen mochte, ſo ward hier alle Kunſt des Steuerns zu Schanden! Wir wurden mit ſichtlichen Augen in unſern Untergang hin - eingetrieben, und ſtanden nach wenig Au - genblicken auf einem Steinfelſen feſt. So - gleich auch ſtuͤrzte die ſtuͤrmende See in furchtbaren Wogen uͤber unſer Schiff hinweg, daß der Schaum bis hoch an die Maſtkoͤrbe emporſpruͤtzte, indeß Jenes durch die gewal - tigen Stoͤße am Boden durchloͤchert wurde und voll Waſſer lief. So war denn an ein Wiederabkommen von dieſer Klippe und an Rettung des Schiffes gar nicht mehr zu ge - denken!

Dies Ungluͤck traf uns am 11. Mai, Abends um 9 Uhr. Auf dem Verdeck konn -262 ten wir uns, der uͤberfluthenden Brandung wegen, nicht mehr erhalten, ſondern waren alſogleich ſaͤmmtlich auf die Maſten gefluͤch - tet. Jch ſelbſt und 6 Mann hiengen oben am Beſaan-Maſt; waͤhrend die uͤbrigen 8 Mann den großen Maſt erklettert hatten. Ein Wunder waͤre es wohl nicht geweſen, wenn wir Alle die Beſinnung verloren ge - habt; indeß blieb mir doch ſoviel Gegen - wart des Geiſtes, daß ich unſre Lage richtig in’s Auge faſſen und den einzig moͤglichen Ausweg zu unſrer Errettung gewahr wer - den konnte. Jch ſtellte demnach meinen bei mir habenden Ungluͤcksgefaͤhrten vor, wie unſer Aller Heil darauf beruhe, daß wir unſre Schaluppe in unſre Gewalt bekaͤmen. Einige von ihnen, die die Ruͤſtigſten waͤren, ſollten ſich ein Herz erfaſſen, hernieder zu ſteigen und die Taue, woran dieſelbe auf dem Verdeck feſtgebunden ſtehe, zu zerhauen, nachdem ſie Ein oder mehrere laͤngere Taue dran feſtgeknuͤpft haben wuͤrden, deren Enden wir Uebrigen oben am Maſte ſicher zu halten gedaͤchten. Braͤche dann gleich das Schiff und die Schaluppe wuͤrde uͤber Bord ge - ſpuͤlt, ſo koͤnnte ſie uns dennoch von den Wellen nicht entfuͤhrt werden. Oder moͤchte ſie ſich auch voll Waſſer gefuͤllt, oder gar das Unterſte nach oben gekehrt haben, ſo wuͤrden wir ſie gleichwohl nahe zu uns her -263 anziehen, ausſchoͤpfen und zu unſrer moͤg - lichen Bergung in Stand ſetzen koͤnnen.

Durch dieſe Vorſtellungen gewonnen, klet - terten auch ſofort drei wackre Kerle hinab; loͤſeten die Schaluppe vom Verdecke ab, und Jeder von ihnen verſah ſie hinwiederum mit ſeinem dazu mitgenommenen Tau, deren ent - gegengeſetzte Enden ſie gluͤcklich wieder zu uns in die Hoͤhe brachten. Nun aber ver - zog es kaum noch eine Stunde, als eine ungewoͤhnlich hohe Sturzwelle uͤber das Ver - deck hinſchlug, das Fahrzeug weit mit ſich hinaus uͤber Bord ſchleuderte, den Boden nach oben umkehrte, aber die Gegenkraft der Angſt, womit wir, koſte es, was es wolle, die Taue feſt hielten, nicht zu uͤberwaͤltigen vermochte.

Um 11 Uhr brach, wie wir laͤngſt ge - fuͤrchtet hatten, unſer Schiff in der Mitte auseinander; der Fock - und große Maſt ſtuͤrzten uͤber Bord Letzterer jedoch in einer ſo gluͤcklichen Richtung, daß er auf das Hintertheil zufiel und dergeſtalt dicht neben uns hinſtreifte, daß die an demſelben kleben - den 8 Menſchen zu uns heranklettern konn - ten. So war denn die volle Mannſchaft von 14 Koͤpfen hinten bei mir auf dem Beſaan-Maſte beiſammen. Durch das Berſten des Schiffsrumpfes aber hatte ſich das Hin - tertheil, worauf wir uns befanden, dergeſtalt264 geloͤſet, daß es in eine ſtarke Bewegung gerieth, und, mit jeder Sturzwelle, wechſelsweiſe, bald ſich ſeitwaͤrts weit auf’s Waſſer legte, bald wieder in die Hoͤhe hob. Man mag daraus ermeſſen, wie uͤbel uns dabei oben auf dem ſchwanken Maſte zu Muthe geworden!

Jn dieſer hoͤchſten Noth ſchien denn kein laͤngeres Zaudern rathſam. Wir zogen die Schaluppe an ihren Tauen naͤher zu uns heran; kehrten ſie, nicht ohne große Muͤhe, wieder um; holten ſie mit ihrem Vordertheil ſoweit in die Hoͤhe, daß ein Theil des Waſ - ſers, womit ſie erfuͤllt war, ſich daraus ver - lief; und indem wir, ſo wie wir, der Reihe nach, hineinſtiegen, den Reſt mit unſern Huͤten vollends hinausſchoͤpften, ſchnitten wir endlich alle Taue, die uns noch am Schiffswrack feſthielten, in Gottes Namen los, und kamen gluͤcklich aus dem Labyrinth voll brandender Klippen, in offnes Waſſer zu treiben; nachdem wir die vier, in der Schaluppe feſtgebundenen Ruder zur Hand genommen und uns dadurch in Stand geſetzt hatten, nothduͤrftig vor dem Winde zu ſteuern.

Oft zwar fuͤllten ungeſtuͤme Schlagwellen unſer Fahrzeug, faſt bis zum Sinken, mit Waſſer an: doch waren wir unermuͤdet und auch zahlreich genug, es augenblicklich mit unſern Huͤten wieder hinauszuſchaffen; zwar ſtets unſern Tod dicht vor Augen ſehend,265 aber auch einmuͤthig entſchloſſen, unſre letzte angeſtrengte Kraft zu ſeiner Abwehr aufzu - bieten. So trieben wir demnach von 1 Uhr Nachts bis zum Vormittag des 12. Mai, wohin Wind und Wellen wollten; bis wir endlich die Jnſel Anholt vor uns zu Geſichte bekamen und hier an der Oſtſpitze, ohnweit des Feuerthurmes, wiewohl mit neuer drin - gender Lebensgefahr, gegen 1 Uhr Nachmit - tags auf den Strand ſetzten.

Mein Erſtes war, mich in den trocknen Uferſand auf die Kniee zu werfen und dem Barmherzigen droben mit heißgluͤhender Seele fuͤr die wunderbare Erhaltung meines Lebens wie meiner Gefaͤhrten, zu danken. Dann aber ſtiegen freilich auch, im Sinnen uͤber mein Schickſal, allmaͤhlig allerlei truͤbe Ge - danken bei mir auf, die wohl faͤhig waren, mein Herz mit Wehmuth zu erfuͤllen. Mein ſchoͤnes gutes Schiff war verloren! Waͤre mir ein Freund abgeſtorben, ſo haͤtte mir ſein Verluſt nicht naͤher abgehen koͤnnen: denn meine Anhaͤnglichkeit und Liebe zu dem - ſelben war mit jedem Tage ſtaͤrker gewor - den. Jn einem ungluͤcklichen Sinne wird mir daher auch der Steinfelſen, genannt der Thronſitz, merkwuͤrdig bleiben, an wel - chem es zerſcheiterte, und der mitten im Fahrwaſſer des Kattegat liegt.

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Doch, wie Manches gieng zugleich in dieſer ungluͤcklichen Nacht und mit meinem Schiffe verloren! Zwar mein Rheeder in Stettin war zu allen Zeiten ein zu umſich - tiger Mann geweſen, um ſich nicht auch gegen ein Ereigniß dieſer Art moͤglichſt zu decken. Jch hatte von dem Augenblick an, da ich die Fuͤhrung des Schiffes uͤbernahm, den Auftrag von ihm erhalten, daſſelbe, ſo oft ich aus einem Hafen abgieng, durch Be - ſorgung des Hauſes Joh. Dav. Klefecker in Hamburg, aſſecuriren zu laſſen. Es war demnach auch jetzt fuͤr eine Summe von 20,000 Thaler, oder 40,000 Mark Hamb. Banco, verſichert. Da nun dies Schiff, mit ſeinem vollen Zubehoͤr und Ausruͤſtung, neu nur 22,000 Thaler gekoſtet hatte, die Ladung von Seeſalz aber fuͤr eigne Rechnung nur einen Werth von 1,500 Thalern betrug: ſo ließ ſich wohl abſehen, daß der Verluſt des Schiffes ihm keinen weſentlichen Schaden zufuͤhren wuͤrde.

Anders aber fiel die Sache fuͤr mich ſelbſt; und ich durfte wohl geſtehen, daß dieſer Schiffbruch mein eignes, eben wieder aufkeimendes Gluͤck voͤllig zertruͤmmerte. Mei - nen Erwerb am feſtem Gehalt, als Schiffer, hatt ich ſtets bei meinem Patron ſtehen laſſen; und dieſer war mir nun allerdings unverloren: allein ein Schiffs-Kapitain hat,267 auf vollkommen rechtmaͤßige Weiſe, noch ſo mancherlei Gelegenheit zu allerlei Nebenver - dienſt; ihm kommen Kajuͤtenfracht und Kapp - lacken*)Dieſes Wort bedeutet eine Gratification, welche der Schiffer von dem Empfaͤnger der Ladung erhaͤlt und gewoͤhnlich 5 Procent der Frachtgel - der betraͤgt. zu gute; und nicht leicht verlaͤßt er einen Hafen, ohne zugleich auch auf ir - gend einen kleinen Handel zu ſeinem Privat - Vortheil ſpeculirt zu haben, und der um ſo beſſer einſchlagen kann, da er ebenſowohl die Frachtgelder als die Aſſecuranz-Praͤmien, daran erſpart. Alle dieſe kleinen Erſparniſſe hatt ich immer wieder auf’s Neue in Waaren angelegt: und ſo war nach und nach mein Privat-Verkehr zu dem Umfange gediehen, daß ich diesmal beinahe den Werth von 11,000 holl. Gulden am Borde fuͤhrte. Alles dies gieng nun mit dem Schiffe unwieder - bringlich zu Grunde! Jch hatte mir’s alle dieſe Jahre ganz vergeblich ſauer werden laſſen!

Als wir demnaͤchſt auf dem betretenen Boden etwas genauer um uns ſahen, er - blickten wir auf der Landſpitze, neben dem Feuerthurme, ein einzelnes Haus, auf welches wir zuſchritten und darinn den Feuer-Jn - ſpector, ſeine Frau und zwei, zur Unterhal - tung des Feuers erforderliche Knechte vor -268 fanden. Erſchoͤpft von ſoviel Anſtrengungen und niedergedruͤckt von Sorge und Kummer, ſank ich, gleich nach der erſten Begruͤßung, auf ein daſtehendes Bette und verfiel in ein halbwaches Hinbruͤten, aus welchem ich mich mehrere Stunden lang nicht zu ermuntern vermochte Gleichwohl hoͤrt ich es, waͤhrend dieſes fieberhaften Zuſtandes, wie im Traume mit an, daß die Wirthsleute ſich mit mei - nem Volk uͤber unſre Umſtaͤnde unterhielten; daß dabei erwaͤhnt wurde, unſer Schiff habe nach Stettin zuhauſe gehoͤrt, und daß dar - auf die Hausfrau ſich fuͤr meine Landsmaͤn - ninn erklaͤrte.

Jhre dadurch geweckte naͤhere Theil - nahme gab ſie mir kund, indem ſie mit einer Schuͤſſel voll gekochten und gebratenen Gefluͤgels an mein Bette trat, und mich einlud, davon zu meiner Erquickung zu ge - nieſſen. Wie? rief ich, mich ermunternd Federwild auf dieſer Jnſel, wo uͤberall kein Strauch, kein Grashalm, ſondern nur der nackte Flugſand ſich zeigt? Das iſt doch wunderbar! Bei weitem ſoſehr nicht, als ich glaubte; ward mir zur Antwort. Auf den Abend ſollte mir das Raͤthſel ge - loͤſt werden, wie ſie im Stande waͤren, in den Wintermonaten ganze Koͤrbe voll davon nach Kopenhagen zu ſchicken.

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Aber auch das Raͤthſel unſrer Lands - mannſchaft, bat ich die gefaͤllige Frau, mir zu erklaͤren; und ſo erfuhr ich, daß ſie in Berlin gebohren, in ihrem vierzehnten Jahre nach Kopenhagen bei der Silberdienerei auf dem Schloſſe in Dienſt gekommen und dann mit dem koͤniglichen Silberdiener verheirathet worden ſey, als Dieſer, durch Anſtellung zum Feuer-Jnſpector auf Anholt, ſeine le - benslaͤngliche Verſorgung erhalten habe. Wirk - lich auch ſchien es dieſem Ehepaare, trotz ſeiner oͤden Abgeſchiedenheit von der Welt, nicht an Gluͤck und Zufriedenheit zu fehlen.

Abends, als das Feuer auf dem Leucht - thurme angezuͤndet worden, ſah ich nun frei - lich, wie von Zeit zu Zeit, von dem hellen Scheine angelockt, zahlreiche Schwaͤrme von Voͤgeln aller Art herbei flogen und, von dem Feuer geblendet, demſelben ſo nahe flatter - ten, daß ſie, mehr oder weniger an Fluͤgeln und Federn verſengt, zu Boden fielen und mit Haͤnden gegriffen werden konnten. Meine Leute, von der Neuheit dieſes Schauſpiels gereizt, machten eifrige Jagd auf die armen Thiere, bis ich es ihnen unterſagte, um das genoſſene Gaſtrecht nicht zu beleidigen. Mor - gens trieb mich gleichwohl die Neugierde, unſre Wirthe wieder dahin zu begleiten und Zeuge des reichen Fanges zu ſeyn, der wirk - lich mehrere Koͤrbe fuͤllte.

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Nachdem wir uns hier zwei Tage lang von unſern erlittenen ſchweren Muͤhſeligkei - ten bei dieſen freundlichen Gaſtgebern erholt, aber ſie auch beinahe rein ausgezehrt hatten, wofuͤr ich ihnen eine angemeſſene Anweiſung nach Kopenhagen ausſtellte) ward es freilich wohl hohe Zeit, unſern Stab weiter zu ſetzen. Auf dem oͤſtlichen Ende der Jnſel, wo ſie am breiteſten iſt, lag noch das einzige hier vorhandene Fiſcherdoͤrfchen von etwa 15 Huͤtten, dem ein Schulz, hier Droſt ge - nannt, vorſtand. An dieſen hatt ich bereits Tages zuvor geſchrieben, daß wir, als Schiff - bruͤchige, auf ſeinen obrigkeitlichen Beiſtand zu unſerm weitern Fortkommen rechneten. Jch wuͤrde zu einer beſtimmten Zeit mit einem Gefolge von 14 Koͤpfen bei ihm er - ſcheinen, und eine bereit gehaltene tuͤchtige Mahlzeit, ein Fahrzeug zur Ueberfahrt nach Helſingoͤr und ausreichenden Proviant fuͤr drei Tage Alles gegen Bezahlung vorzufinden erwarten.

Statt deſſen wurden wir von dieſem Manne mit einer ſo abſchreckenden Gleich - guͤltigkeit und Kaͤlte empfangen, und fuͤr all unſre Beduͤrfniſſe war ſowenig irgend einige Sorge getragen, daß es mir als eine, in dieſem Falle ſehr verzeihliche Eigenmacht erſchien, wenn wir zufoͤrderſt, auf gut ſol -271 datiſch, ſeinen wohlgefuͤllten Speiſeſchrank in Requiſition ſetzten, ſeiner Rauch - und Brodt - kammer fuͤr den uns noͤthigen Seeproviant zuſprachen und endlich das groͤßte unter denen, am Strande liegenden Fiſcherbooten zu unſrer Reiſe in Beſchlag nahmen und mit den vorgefundenen Geraͤthſchaften zu - takelten Alles das im Beiſeyn ſowohl des beſtuͤrzten und zitternden Droſten, der ſeine gelieferten Lebensmittel ſelbſt ſchaͤtzen mußte und dafuͤr ſchriftliche Anweiſung em - pfieng, als des Boots-Eigeuthuͤmers, der, gern oder ungern, mit uns an Bord gieng, um uns nach Helſingoͤr zu fuͤhren und dort ſeine Bezahlung zu empfangen. Dieſer war es denn auch, der uns unterweges uͤber jene unwirthliche Aufnahme aus dem Traume half, indem er geſtand, uns ſey das Geruͤcht vorausgegangen, daß wir eine Bande See - raͤuber waͤren, die nicht das Kind in Mut - terleibe verſchonten.

Am 18. Mai erreichten wir Helſingoͤr, wo ich, um die Zahlung der Aſſecuranz zu ſichern, ſofort darauf bedacht war, im Ge - folge meiner geborgenen Mannſchaft vor Gericht eine eidliche Erklaͤrung uͤber die Umſtaͤnde des uns betroffenen Ungluͤcks nie - derſchreiben zu laſſen. Meine Leute empfien - gen ihre Loͤhnung, die ihnen nach den See - rechten gebuͤhrte; und ſo gieng Alles, da272 wir aus mehrerlei Nationen beſtanden, nach allen Himmelsgegenden aus einander; nackt und bloß freilich, wie wir aber gien - gen und ſtanden: denn von dem Schiffe hat - ten wir keine Faſer gerettet. Jch ſelbſt mußte mich, bevor ich von Helſingoͤr abrei - ſete, von Haupt zu Fuß neu bekleiden, wenn ich mich vor Leuten wollte ſehen laſſen koͤnnen.

Jch wuͤrde mir's nicht verzeihen koͤnnen, wenn ich hierbei mit Stillſchweigen uͤber - gienge, was mir mit einer Juͤdinn begegnete, in deren Troͤdelbude ich ein neues Hemde zu kaufen im Begriffe ſtand. Den geforder - ten Preis aufzaͤhlend, beantwortete ich ihr zugleich einige Fragen, welche ihre Neugier an mich richtete, durch Hindeutung auf mei - nen neulichen Schiffbruch, aus welchem ich nicht einmal meine Kopfbedeckung gerettet haͤtte. Meine Erzaͤhlung lockte ihr Thraͤnen in's Auge; ſie ſchlug die Haͤnde zuſammen, und rief: So ſoll mich doch Gott bewahren, daß ich Geld von Jhnen fuͤr das Hemde naͤhme! Vergebens verſicherte ich ihr, daß es, nun ich erſt am Lande waͤre, keine Noth mit mir habe: ſie ſteckte mir das zu - ſammengeraffte Geld in die Hand, und das Hemde in den Buſen; und als ich Jenes dennoch auf den Ladentiſch legte und mit Dank meines Weges gieng, lief ſie mir nach, um es mir wieder aufzunoͤthigen; ſo daß ichſie273ſie endlich bitten mußte, auf der Straße kein Aufſehen zu erregen, und mit einem ge - ruͤhrten Haͤndedruck von ihr ſchied.

Nun gieng ich baldmoͤglichſt, als Paſſa - gier, mit einem Schiffe nach Stettin, um meinem Patron der Ueberbringer der unan - genehmen Nachricht von dem Verluſte ſeines Schiffes zu ſeyn und ihm uͤber Alles Rede und Antwort zu geben. Wir rechneten dar - auf mit einander ab; ich empfieng von ihm meine ruͤckſtaͤndigen Gelder, und begab mich nun nach Colberg, um uͤber mein weiteres Thun und Laſſen zu einem feſten Entſchluſſe zu kommen. Es wurden mir verſchiedene Schiffe zur Fuͤhrung angeboten: allein die naͤchſten Jahre nach dem amerikaniſchen Kriege waren fuͤr Handel und Schiffahrt uͤberhaupt ſo unguͤnſtig, daß Unſer Einer bei ſeinem Handwerk ferner weder Ehre einlegen, noch ſeinen Vortheil abſehen konnte. So gab ich denn, in Erwaͤgung, daß die beſſere Halb - ſchied meines Lebens bereits hinter mir lag, lieber das ganze Seeweſen auf, und war darauf bedacht, mich in meiner lieben Va - terſtadt auf eine ſtille buͤrgerliche Nahrung mit Bierbrauen und Branntweinbrennen, wie es mein Vater ſeither getrieben hatte, einzurichten.

Nach dreiviertel Jahren etwa, als ich allen Seegedanken laͤngſt entſagt hatte, auch mein werther Patron und Freund Groß bereits mit Tode abgegangen war, kam mir11. Bändcher. (18)274ein Schreiben von deſſen Schwiegerſohne und Nachfolger in ſeinen Geſchaͤften, dem Kauf - mann Hrn. Boneß, zu, der mich auf Einmal wieder in die alten Angelegenheiten und Sorgen zuruͤckſtuͤrzte. Er meldete mir, es ſey von Liſſabon ein Wechſel auf ihn, zu dem Belauf von beinahe dreitauſend Thalern ein - gelaufen, als Erſatz-Summe fuͤr das Schiff des Kapitains Sylva, welches ich uͤberſegelt und zu Grunde gerichtet haben ſollte; daher ich doch hieruͤber einige naͤhere Auskunft mit - theilen moͤchte.

Man kann leicht denken, wie ich erſtaunte, daß man jenem Vorfall auf dem Tajo eine ſolche Wendung zu geben gedachte. Das Vorgeben mit der Ueberſegelung war eine offenbare grobe Erdichtung. Hatte das por - tugieſiſche Schiff Schaden genommen, oder war es endlich daruͤber zu Grunde gegangen, ſo mochte der Kapitain lediglich ſeine eigene Nachlaͤſſigkeit und ſeinen Mangel an Aufſicht anklagen; und ſollte von einem Schaden - Erſatz die Rede ſeyn, ſo waͤre ich, auf den jenes Schiff zugetrieben kam, waͤhrend ich ſelbſt ruhig vor Anker lag, dergleichen zu fordern ungleich mehr berechtigt geweſen. Dieſerwegen berief ich mich auf die gericht - liche Ausſage meiner Mannſchaft, wovon das Original in den Haͤnden des Preuſſiſchen Conſuls zuruͤckgeblieben; waͤhrend meine mit - genommene beglaubigte Abſchrift mit meinem275 verungluͤckten Schiffe leider! ein Raub der Wellen geworden war.

Nicht aber zufrieden, dies mit der noͤ - thigen Ausfuͤhrlichkeit zuruͤckberichtet zu haben, reiſete ich ſelbſt nach Stettin, um jede noch etwa mangelnde Auskunft zu ertheilen. Der Wechſel ward demnach mit Proteſt zuruͤck - geſandt|, und wir hielten den Sturm fuͤr abgeſchlagen. Jn der That veraͤnderte man nun auch in Liſſabon die Art und Weiſe des Angriffs: denn nach Verlauf eines halben Jahres lief von dort eine Aufforderung an den Magiſtrat in Colberg ein, mich, den Schiffer Nettelbeck, in dieſer ſchon ange - fuͤhrten Sache zu einer zu zahlenden Ent - ſchaͤdigung von dreitauſend und einigen hun - dert Thalern obrigkeitlich anzuhalten. Da dieſe Summe, nach portugieſiſchem Gelde, in Rees ausgedruͤckt war, deren 300 auf einen Preuſſiſchen Thaler gehen, ſo paradirte demnach in jener Eingabe eine Forderung von beinahe einer Million Rees, welche das Pu - blikum meiner guten Vaterſtadt treuherzig mit ebenſoviel Thalern verwechſelte, und nun billig die Haͤnde uͤber den Koͤpfen zuſammen - ſchlug, daß der Nettelbeck tauſend Mal mehr ſchuldig ſey, als er Haare auf dem Kopfe habe! Meine gegebene naͤhere Erklaͤrung machte nach und nach dieſer Verwunderung ein Ende.

Es verſteht ſich wohl, daß ich bei meiner gerichtlichen Vernehmung gegen jene Anmu -276 thung die nemlichen Gruͤnde geltend machte, welche ich bereits Hrn. Boneß an die Hand gegeben hatte. Damit aber noch nicht be - friedigt, reiſte ich abermals nach Stettin, um ihm wiederholt zu rathen, daß er, da doch die Sache ernſtlicher zu werden ſcheine, ſich nach Liſſabon an den Preuſſiſchen Ge - ſandten wenden und die dort niedergelegte eidliche Erklaͤrung einziehen laſſen moͤchte, um den Proceß auf dieſen feſten und ſichern Grund zu fuͤhren. Dies hatte er bisher, ich weiß nicht, warum? unbefolgt gelaſſen und ſich dadurch weſentlich geſchadet.

Den Proceß aber leiteten nunmehr die Liſſaboner Jhrerſeits bei dem Seegericht zu Stettin in erſter Jnſtanz ein; die Sache ward inſtruirt, und der Spruch fiel dahin aus, daß wir Beklagte zur Bezahlung eines Schadens, den das Gegenpart ſelbſt verurſacht habe, nicht anzuhalten waͤren. Es ward von dieſer Sentenz an die Koͤnigl. Kriegs - und Domainen-Kammer appellirt, welche je - doch dieſelbe in zweiter Jnſtanz beſtaͤtigte. Auch hierinn aber begnuͤgten ſich unſre Geg - ner nicht, ſondern giengen an die dritte Jn - ſtanz, in das Reviſorium. Endlich, nach ei - nem halben Jahre, ſchickte mir Hr. Boneß den Reviſions-Spruch zu, der dahin lautete: Die Rheeder des Stettiner Schiffes haͤtten den, durch daſſelbe angerichteten Schaden (der ſich nun bereits auf 3,500 Thaler be -277 lief) zu verguͤten; uͤbrigens aber wiederum Regreß an ihren Schiffer zu nehmen.

Wie mich ein ſo unerwarteter und, nach allen vorliegenden Umſtaͤnden auch durchaus nicht zu rechtſertigender Ausgang dieſes Pro - ceſſes in Erſtaunen, Unwillen und gerechten Aerger ſetzen mußte, iſt leicht zu begreifen. Hrn. Boneß verbarg ich meine Empfindlich - keit nicht, daß er verabſaͤumt hatte, die ſpre - chendſten Beweismittel herbeizuſchaffen, und daß ich allein nunmehr, wie es ſchiene, un - ter dieſer Vernachlaͤſſigung leiden ſollte. Aus meinen Papieren koͤnne ich darthun, daß ich ſeinem Schwiegervater mit dieſem Schiffe reine 41,000 Thaler verdient haͤtte; und ſo moͤge denn ſein Billigkeits Gefuͤhl entſcheiden, ob und welche Anſpruͤche er noch ferner an mich zu machen gedenke? zumal da mein Gewiſſen mich von aller Schuld in jener Sache losſpreche. Muͤßte es jedoch zwiſchen uns zu einem Proceſſe hieruͤber kommen, ſo wuͤrde ich mich zu verantworten wiſſen.

Bei alledem war mir doch in dem Han - del nicht gar wohl zu Muthe. Jch ward endlich ſchluͤſſig, mich in Perſon nach Liſſa - bon zu begeben und dem Documente, auf welchem hier Alles beruhte, an Ort und Stelle nachzuforſchen. Vorlaͤufig aber gab ich dem Maͤkler Broͤdermann in Hamburg, den ich kannte, den Auftrag, ſich bei den, zuletzt von Liſſabon eingekommenen Schif -278 fern nach Leben oder Tod des dortigen Preuſ - ſiſchen Geſandten und Conſuls genau zu er - kundigen, und mir zugleich auf einem, etwa binnen Monatsfriſt dahin abgehenden Schiffe einen Platz als Paſſagier zu beſtellen. Seine Antwort fiel in jeder Art befriedigend aus; und nun ruͤſtete ich mich, die Reiſe nach Ham - burg und ſo weiter unverweilt anzutreten.

Mein braver Patron Groß hatte, auſſer dem Kaufmann Boneß, noch drei andre Schwiegerſoͤhne, ſaͤmmtlich Schiffer, als Erben ſeines bedeutenden Vermoͤgens hinterlaſſen. Dieſe Alle kannten mich ſeit langen Jahren und hatten mir ſtets Beweiſe ihrer Zunei - gung und Achtung gegeben. An dieſe nun wandte ich mich jetzt ſchriftlich und erſuchte ſie um eine beſtimmte Erklaͤrung, ob die Großiſchen Erben geſonnen waͤren, einen Proceß gegen mich anzuſtrengen? Solchenfalls aber moͤchten ſie damit nicht ſaͤumen, indem ich auf dem Sprunge ſtaͤnde, nach Liſſabon zu gehen und mir neue und hinreichende Beweismittel zu verſchaffen.

Die Ehrenmaͤnner gaben mir zur Ant - wort: Sie kenneten mich, und glaubten mir auf’s Wort, daß ich eine gerechte Sache haͤtte, und Bulkeley ſo gut, als Sylva, ein paar Schurken waͤren. Jch moͤchte die Liſ - ſaboner Reiſe nur unterlaſſen, indem ſaͤmmt - liche Großiſche Erben unter ſich uͤbereinge - kommen waͤren, jeden Proceß und Anforde -279 rung gegen einen Mann aufzugeben, der ihrem Hauſe ſo thaͤtig und redlich gedient und ihm ſo anſehnliche Summen erworben habe. Wir wollten und muͤßten Freunde bleiben, und dieſe unangenehme Verwickelung ſey hiermit fuͤr immer beendigt und aufgehoben.

So mag ſich denn nun auch hier die Geſchichte meiner Seereiſen und Abentheuer ſchlieſſen. Wohl aber mag ich auch ſagen: Gott hat große Dinge an mir gethan; der Name des Herrn ſey gelobet!

Nun bin ich denn alſo aus einem See - manne ein Landmann und ehrſamer Colber - giſcher Pfahlbuͤrger geworden; und was einem Landmanne begegnen kann, iſt in der Regel nicht ſo abwechſelnd und ausgezeichnet, als daß es eine ausfuͤhrlichere Erzaͤhlung verdiente oder beduͤrfte. Sind in der Folge meines Lebens Verhaͤltniſſe eingetreten, wo mein Name fuͤr einige Augenblicke aus der Dunkelheit hervorgetreten zu ſeyn ſcheint, wozu Natur und Schickſal mich wohl eigentlich beſtimmt hatten: ſo fuͤhle ich doch gar wohl, wie - wenig es gerade mir geziemen wuͤrde, uͤber dieſe Periode und uͤber mich ſelbſt zu ſprechen, wo das, was mir Schuldigkeit und Buͤr - gerpflicht zu thun geboten, leicht als Prahlerei erſcheinen koͤnnte.

Findet ſonſt irgend Jemand Sey er Freund oder Feind Neigung und Beruf,280 von mir zu ſchreiben, ſo ſage er, was Wahr - heit iſt. Mir ſelbſt genuͤgt an dem Bewußt - ſeyn, fuͤr mein Vaterland, fuͤr meinen Koͤnig und fuͤr jeden Menſchen gethan zu haben, was die ſchwachen Kraͤfte eines Einzelnen vermochten. Waͤre ein Wenigeres geſchehen, ſo wuͤrde ich mir’s zum Vorwurf rechnen. Meinen heimlichen Feinden und Mißgoͤnnern muß ich es geſtatten, im Stillen uͤber mich zu richten und mich zu verurtheilen. Oeffent - lich aber werden ſie ſchwerlich gegen mich auftreten, um meine Ehre anzutaſten, die ich bis zu meinem letzten Athemzuge darinn ſetzen werde, ein begeiſterter Verehrer meines guten und mannlichen Koͤnigs und des geſammten Preuſſiſchen Regenten-Hauſes, ein getreuer Unterthan, ein dankbarer Sohn meiner ge - liebten Vaterſtadt, ein exemplariſcher Buͤrger, der Freund meiner Freunde, und im Großen, wie im Kleinen, ein ehrlicher Mann zu ſeyn.

Ende des Zweiten Theils.

Stettin, gedruckt bei H. G. Effenbart’s Erben.

About this transcription

TextJoachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg
Author Joachim Nettelbeck
Extent284 images; 53252 tokens; 9959 types; 367592 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationJoachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg Eine Lebensbeschreibung, von ihm selbst aufgezeichnet Zweites Bändchen Joachim Nettelbeck. Johann Christian Ludwig Haken (ed.) . 280 S. BrockhausLeipzig1821.

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Staatsbibliothek München BSB München, Biogr. 843-1/2

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; (Auto)biographie; Belletristik; (Auto)biographie; core; ready; china

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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