PRIMS Full-text transcription (HTML)
Urika, die Negerin.
Aus dem Franzöſiſchen der Herzogin von ***.
This is to be alone, this, this is solitude! (Byron. )
Frankfurt am Main,Verlag von Heinrich Wilmans. 1824.
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Einleitung.

Jch war ſeit wenigen Monaten von Montpel - lier zurück, und ausübender Arzt in Paris gewor - den, als ich eines Morgens in die St. Jakobs Vor - ſtadt gerufen wurde, um eine junge Ordensſchwe - ſter in einem Kloſter zu beſuchen. Der Kaiſer Napoleon hatte, ſeit Kurzem, die Wiederherſtel - lung einiger dieſer Klöſter erlaubt; dasjenige, wohin ich mich begab, war der Erziehung der Jugend gewidmet, und gehörte zum Orden der Urſelinerinnen. Ein Theil des Gebäudes warUrika. 12durch die Revolution verwüſtet. Das Kloſter lag, durch die Niederreißung der alten Kirche, von welcher man nur noch einige Bogen ſah, auf einer Seite ganz frei da. Eine Nonne führte mich ein, und unſer Weg ging, indem wir es durchwandelten, über lange Steinplatten, welche das Pflaſter der Gänge bildeten. Jch bemerkte, daß es Grabſteine waren, denn ſie hatten ſämmt - lich Jnſchriften, welche durch die Zeit größten - theils erloſchen waren. Einige dieſer Steine wa - ren während der Revolution zertrümmert worden; die Schweſter machte mir ſie bemerklich, indem ſie mir ſagte, daß man noch nicht Zeit gehabt habe, ſolche wieder herſtellen zu laſſen. Jch hatte noch nie das Jnnere eines Kloſters geſe - hen; dieſes Schauſpiel war fuͤr mich etwas ganz3 Neues. Aus dem Kloſter kamen wir in den Garten, wo die Nonne mir ſagte, daß man die kranke Schweſter hingebracht habe. Wirklich nahm ich ſie am Ende eines Laubenganges wahr. Jch fand ſie ſitzend, und ein langer ſchwarzer Schleier verhüllte ſie beinahe gänzlich. Hier iſt der Arzt , ſagte die Schweſter, und entfernte ſich in demſelben Augenblicke. Jch nahte mich furchtſam, denn der Anblick ſo vieler Gräber beengte mein Herz, und ich ſtellte mir vor, daß ich ein neues Opfer der Klöſter vor mir ſehen ſollte. Die Vorurtheile meiner Ju - gend erwachten, und mein Antheil an derjeni - gen, die ich zu beſuchen gekommen war, erhöhte ſich nach dem Grade ihres vermeintlichen Un - glücks. Sie drehte ſich nach mir um, und ich1*4war ſeltſam überraſcht, eine Negerin zu ſehen. Mein Erſtaunen vermehrte ſich noch durch die Artigkeit, womit ſie mich empfing, und die Wahl der Ausdrücke, deren ſie ſich bediente.

Sie ſehen , ſagte ſie zu mir, eine ſehr kranke Perſon. Jch wünſche jetzo zu geneſen, allein ich habe es nicht immer gewollt, und dieſes iſt vielleicht ſo nachtheilig für mich ge - weſen. Jch befrug ſie über ihre Krankheit. Jch fühle , ſagte ſie, eine beſtändige Beklem - mung, ich habe keinen Schlaf mehr, und das Fieber verläßt mich nicht.

Jhr Anblick beſtätigte mir nur zu ſehr dieſe traurige Beſchreibung ihres Zuſtandes: ſie war außerordentlich abgemagert; ihre feurige, ſehr große Augen, ihre blendend weiße Zähne waren5 die einzigen Lichttheile ihres Geſichts; die Seele war noch lebendig, aber der Körper war zerrüt - tet, und ſie trug alle Merkmale eines langen und heftigen Kummers an ſich.

Unausſprechlich gerührt beſchloß ich alles zu verſuchen, um ſie zu retten. Jch fing damit an, ihr von der Nothwendigkeit zu reden, ihre Ein - bildungskraft zu beruhigen, ſich zu zerſtreuen und ſchmerzhafte Empfindungen von ſich zu ent - fernen.

Jch bin glücklich , ſagte ſie zu mir, ich habe nie noch ſo viele Beruhigung und Glück gefunden, wie jetzt. Der Ton ihrer Stimme verrieth Aufrichtigkeit; eine ſo ſanfte Stimme konnte nicht betrügen wollen. Allein mein Er - ſtaunen wuchs mit jedem Augenblicke. Sie ha -6 ben nicht immer ſo gedacht , ſagte ich zu ihr, und Sie tragen die Zeichen langer Leiden an ſich. Es iſt wahr , erwiederte ſie, ich habe die Ruhe meines Herzens ſehr ſpät gefunden; doch jetzo bin ich glücklich. Wohlan, wenn es ſo iſt; ſo muß man das Vergangene heilen, wir wollen hoffen, daß es uns gelingt; allein dieſes Vergangene kann ich nicht heilen, ohne es zu kennen. Ach! erwiederte ſie, es ſind Thorheiten! Bei dieſen Worten benetzte eine Thräne ihre Wimper. Und Sie ſagen, daß Sie glücklich ſind! rief ich. Ja, ich bin’s , erwiederte ſie mit Entſchloſſenheit, und ich möchte mein Glück nicht mit dem Looſe ver - tauſchen, welches ich einſt ſo ſehr beneidete. Jch habe kein Geheimniß; mein Unglück iſt die7 Geſchichte meines ganzen Lebens. Jch habe bis zu dem Augenblicke, wo ich in dieſes Haus trat, ſo viel gelitten, daß meine Geſundheit nach und nach zerrüttet wurde. Jch ſah mich mit Freuden dahin welken, denn die Zukunft ließ mich keine Hoffnung erblicken. Dieſer Ge - danke war ſtrafbar; Sie ſehen mich dafür be - ſtraft, und endlich wo ich zu leben wünſche, kann ich es vielleicht nicht mehr. Jch beru - higte ſie; ich flößte ihr Hoffnung einer nahen Geneſung ein; allein indem ich ihr alſo tröſtend zuſprach, und ihr zu leben verhieß, weiß ich ſelbſt nicht, welches Vorgefühl mir es verkündete, daß es zu ſpät ſey, und der Tod ſein Opfer be - reits erkoren habe.

Jch beſuchte dieſe junge Schweſter mehrmals. 8Sie ſchien von dem Antheile gerührt, den ich ihr bewies. Eines Tages kam ſie ſelbſt auf den Gegenſtand zurück, worauf ich ſie zu bringen ge - wünſcht hatte. Die Leiden, die ich erduldet habe , ſagte ſie, müſſen ſo ſonderbar erſchei - nen, daß ich immer einen großen Widerwillen empfunden habe, ſolche mitzutheilen. Es kann niemand über die Leiden Anderer urtheilen, und Vertraute ſind faſt immer Ankläger.

Fürchten Sie dieß nicht von mir , ſagte ich zu ihr; ich ſehe zu ſehr, welche Zerſtörung der Kummer bei Jhnen hervorgebracht hat, um den Jhrigen nicht für aufrichtig zu halten. Sie mögen ihn wohl aufrichtig finden , erwie - derte ſie , allein er wird Jhnen nicht vernünftig vorkommen. Und zugegeben, was Sie ſagen ,9 verſetzte ich, ſollte dieß denn das Mitgefühl ausſchließen? Faſt immer, antwortete ſie; wenn es Jhnen indeſſen, um mich zu heilen, nöthig iſt, mit den Leiden bekannt zu ſeyn, welche meine Geſundheit untergraben haben, ſo werde ich ſie Jhnen mittheilen, ſobald als wir uns ein wenig beſſer werden kennen gelernt haben.

Jch machte nun immer häufigere Beſuche im Kloſter. Die Behandlung, welche ich vorſchrieb, ſchien einige Wirkung hervor zu bringen. End - lich, da ich letzten Sommer ſie eines Tages wie - der allein in derſelben Laube und auf der nem - lichen Bank fand, wo ich ſie zum erſten mal ge - ſehen hatte, knüpften wir dieſelbe Unterhaltung wieder an, und ſie erzählte mir was folgt.

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Urika.

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Urika.

Jch wurde in einem Alter von zwei Jah - ren, durch den Herrn Chevalier von B., aus Senegal, wo derſelbe Gouverneur war, mitge - bracht. Er erbarmte ſich meiner eines Tages, als er Sclaven auf einem Negerfahrzeuge ein - ſchiffen ſah, welches bald den Hafen verlaſſen ſollte. Meine Mutter war todt, und man brachte mich, ohngeachtet meines Schreiens, zu Schiffe. Herr von B. kaufte mich, und bei ſeiner Ankunft in Frankreich, übergab er mich der Marſchallin14 von B., ſeine Tante und die liebenswürdigſte Frau ihrer Zeit, welche die erhabenſten Eigen - ſchaften mit der rührendſten Güte zu verbinden wußte.

Mich aus der Sclaverei zu retten, mir Frau von B. zur Wohlthäterin zu geben, hieß mir zweimal das Leben ſchenken. Jch wurde undank - bar gegen die Vorſehung, daß ich nicht glücklich war; und doch, iſt das Glück immer ein Erzeug - niß der Gaben der Jntelligenz? Jch möchte vielmehr das Gegentheil glauben. Die Wohl - that der Erkenntniß muß man mit dem Wunſche bezahlen, unwiſſend geblieben zu ſeyn, und die Fabel ſagt uns nicht, ob Galathe das Glück fand, nachdem ſie Leben empfangen hatte.

Jch erfuhr erſt lange nachher die Geſchichte15 meiner erſten Jugendzeit. Meine entfernteſten Er - innerungen erſtreckten ſich nicht über das Zimmer der Frau von B. hinaus. Dort brachte ich meine Tage hin, geliebt von ihr, geſchmeichelt und verdorben durch alle ihre Freunde, mit Geſchen - ken überhäuft, gerühmt, und als das geiſtreichſte und liebenswürdigſte Kind erhoben. Man hielt in dieſer Geſellſchaft feſt auf ſeinen Grundſätzen, allein mit einer ſolchen Feſtigkeit, daß ihr gu - ter Geſchmack Alles auszuſchließen wußte, was einer Uebertreibung ähnlich ſah. Man lobte, was zu loben war, man entſchuldigte Alles, was Gelegenheit zum Tadel darbot, und oft, mit liebenswürdiger Geſchicklichkeit, wandelte man ſelbſt Fehler in gute Eigenſchaften um. Der Erfolg macht Muth. Man galt bei16 Frau von B. alles, was man gelten konnte, und vielleicht etwas mehr; denn ſie legte, ohne es ſelbſt zu wiſſen, ihren Freunden ihre eignen Eigenſchaften bei. Wenn man ſie hörte, wenn man ſie ſah, glaubte man ihr ähnlich zu ſeyn.

Jn morgenländiſche Tracht gekleidet, und zu den Füßen der Frau von B. ſitzend, hörte ich ohne ſie noch zu verſtehen, die Unterredung der ausgezeichneteſten Männer jener Zeit zu. Jch hatte nichts von dem Ungeſtüme anderer Kinder; ich war nachdenkend, ehe ich denken konnte; ich war glücklich an der Seite der Frau von B. Meine Wonne war es dort zu ſeyn, ſie zu hören, ihr zu gehorchen, und mehr noch, ſie an - zublicken. Es konnte meine Verwunderung nicht rege machen, mitten im Aufwand zu leben; nur17 von den geiſtreichſten und liebenswürdigſten Men - ſchen umgeben zu ſeyn; ich kannte nichts Ande - res. Allein, ohne es ſelbſt zu wiſſen, faßte ich eine große Geringſchätzung für alles, was nicht dem Kreiſe zugehörte, in welchem ich lebte. Der gute Geſchmack iſt für den Geiſt das, was für die Töne ein richtiges Gehör iſt. Schon als Kind war mir der Mangel an Geſchmack zuwider; ich fühlte ihn, ehe ich mir ihn erklären konnte, und die Gewohnheit hatte mir ihn noth - wendig gemacht. Dieſe Anlagen würden mir gefährlich geweſen ſeyn, wenn ich eine Ausſicht in die Zukunft gehabt hätte; allein für mich gab es eine ſolche Zukunft nicht, und ich ahnete es ſelbſt nicht.

Jch erreichte ein Alter von zwölf JahrenUrika. 218ohne nur die Jdee gehabt zu haben, daß man auch anders glücklich ſeyn könne, als ich es war. Es that mir nicht leid, eine Schwarze zu ſeyn; man ſagte mir, ich ſey allerliebſt; nichts ließ mich hierin einen Nachtheil ſehen. Andere Kin - der ſah ich faſt nicht; ein einziges war mein Freund, und meine ſchwarze Farbe hinderte ihn nicht, mich lieb zu haben.

Meine Wohlthäterin hatte zwei Enkel; ſie waren die Kinder einer frühe verſtorbenen Toch - ter. Karl, der jüngſte, war beinahe gleichen Alters mit mir. Mit mir auferzogen, war er mein Vertheidiger, mein Rathgeber und mein Helfer bei allen kleinen Verſehen, die ich beging. Mit ſieben Jahren kam er ins Kolleg. Jch weinte, als er uns verließ; dieß war mein er -19 ſter Kummer. Jch dachte oft an Karln, allein ich ſah ihn faſt nicht mehr. Er ſtudierte, und ich meiner Seits lernte, Frau von B. zu Gefallen, alles, was zu einer vollkommnen Erziehung ge - hört. Sie wollte, daß ich alle Talente beſitzen ſollte. Jch hatte eine gute Stimme; die geſchick - teſten Meiſter bildeten ſie aus. Jch fand Ge - ſchmack an der Malerei; ein berühmter Maler und Freund der Frau von B. leitete meine Verſuche. Jch lernte Engliſch, Franzöſiſch, und Frau von B. bekümmerte ſich ſelbſt um meine Lectüre. Sie leitete meinen Verſtand, und bil - dete meine Urtheilskraft aus. Wenn ich mit ihr ſprach, und den Reichthum ihrer Seele entdeckte, fühlte ich die meinige ſich erheben, und die Be -2*20wunderung eröffnete mir die Wege der Erkennt - niß. Ach! ich ahnete es nicht, daß dieſe ange - nehme Studien ſo bittere Tage zur Folge haben würden. Jch gedachte nur Frau von B. zu ge - fallen; ein beifälliges Lächeln auf ihren Lippen war meine ganze Zukunft.

Jch las indeſſen immer mehr. Die Dichter hauptſächlich ſprachen meine jugendliche Einbil - dungskraft an; allein ohne Zweck, ohne Plan ließ ich meinen ausſchweifenden Gedanken freien Lauf, und mit dem der Jugend eigenen Selbſt - vertrauen ſagte ich mir, daß Frau von B. mich wohl glücklich zu machen wiſſen würde. Jhre Zärt - lichkeit, das Leben, welches ich führte, ſelbſt, al - les hielt mich im Jrrthume hin, und entſchuldigte21 meine Verblendung. Jch will Jhnen ein Beiſpiel der Sorgfalt und Auszeichnung anführen, deren Gegenſtand ich war.

Es wird Jhnen vielleicht, indem Sie mich jetzt ſehen, Mühe koſten zu glauben, daß ich wegen der Schönheit meines Wuchſes berühmt war. Frau von B. rühmte oft, was ſie Anmuth an mir nannte, und ihren Wünſchen gemäß, ſollte ich vollkommen tanzen lernen. Um mein Talent recht glänzen laſſen zu können, hatte meine Wohl - thäterin einen Ball veranſtaltet, zu welchem ihre Enkel als Vorwand dienten, deſſen eigentlicher Zweck aber war, mich in einer Quadrille der vier Welttheile, und worin ich Afrika vorſtellen ſollte, mit Vortheil zeigen zu können. Man zog Reiſebeſchreibungen zu Rath, man durchblätterte die22 Bücher, welche über die Völkertrachten geſchrieben waren; man las gelehrte Werke über die Afri - kaniſche Muſik nach, und wählte endlich eine Komba, welche ein Nationaltanz meines Landes iſt. Mein Tänzer nahm einen ſchwarzen Flor vor das Geſicht; ich hatte es, ach! nicht nöthig einen vor das meinige zu nehmen; allein damals kam mir eine ſolche Betrachtung nicht. Ganz dem Vergnügen des Balles hingegeben, tanzte ich die Komba, und mit ſo gutem Erfolg, als man nur immer von der Neuheit des Schau - ſpiels und der Wahl der Zuſchauer erwarten konnte, deren größter Theil, Freunde der Frau von B., ſich bis zur Begeiſterung für mich hin - geriſſen fühlten, und ihr ein Vergnügen zu machen glaubten, indem ſie ſich dieſem Gefühle23 mit aller Lebhaftigkeit hingaben. Der Tanz war übrigens ſehr anziehend. Er beſtand aus einem Wechſel ſchöner Stellungen und abgemeſſenen Schritten; man ſtellte die Liebe, den Schmerz, den Triumph und die Verzweiflung vor. Jch kannte von dieſen heftigen Bewegungen der Seele noch keine; allein ich weiß nicht, welcher Jnſtinkt mich ſie errathen ließ; genug, daß es mir gelang. Man klatſchte mir Beifall zu; man umringte mich; nichts konnte damals noch die Sicherheit beunruhigen, in welcher ich mich wiegte. Es war einige Tage nach dieſem Balle, daß eine Unterredung, welcher ich zufällig zu - hörte, mir die Augen öffnete und meiner Kind - heit ein Ende machte.

Es befand ſich im Anſprachzimmer der Frau24 von B. eine große, lackirte ſpaniſche Wand. Dieſe verdeckte eine Thüre, reichte aber auch bis zu einem der Fenſter, und zwiſchen der Wand und dem Fenſter ſtand ein Tiſch, an welchem ich bisweilen zeichnete. Jch hatte eines Tages mit beſonderer Aufmerkſamkeit ein Miniaturge - mälde vollendet. Jn meine Arbeit vertieft, war ich lange unbeweglich geblieben, und Frau von B. glaubte ohne Zweifel, daß ich hinaus gegan - gen ſey, als man eine ihrer Freundinnen, die Marquiſe von *** ankündigte. Es war eine Dame von kalter Vernunft, ſcharfem Verſtande, und bis zur Trockenheit zuverläſſig.

Sie entwickelte denſelben Charakter in ihren freundſchaftlichen Verhältniſſen. Aufopferungen, zum Wohl und zum Beſten ihrer Freunde, koſte -25 ten ſie nichts; allein ſie ließ ihnen ihre große Anhänglichkeit theuer zu ſtehen kommen. Alles ausforſchend und wunderlich, glich ihre Anma - ßung ihrer Zuneigung, und ſie war, unter den Freundinnen der Frau von B., die minder lie - benswürdigſte.

Jch fürchtete ſie, ob ſie gleich gütig gegen mich war; allein ſie war es auf ihre Weiſe. Jemand auszufragen, und ſelbſt ſtrenge auszufragen, war bei ihr ein Zeichen des Antheils. Ach! ich war ſo an das Wohlwollen verwöhnt, daß die Gerech - tigkeit ſelbſt mir immer nur fürchterlich vorkam.

Während wir allein ſind , ſagte die Mar - quiſe zur Frau von B., will ich mit Jhnen von Urika ſprechen. Sie wird reizend, ihr Ver - ſtand iſt völlig ausgebildet. Sie ſpricht wie Sie;26 ſie iſt voller Talente, anziehend, natürlich; allein was ſoll aus ihr werden? Ach! ſagte Frau von B., dieſer Gedanke beſchäftigt mich oft, und ich geſtehe es Jhnen, immer mit Kum - mer. Jch liebe ſie, als wenn ſie meine Toch - ter wäre, und werde alles thun, um ſie glück - lich zu machen, und dennoch wenn ich über ihre Lage nachdenke, ſo finde ich, daß ſolche ohne Rettung iſt. Arme Urika! Jch ſehe ſie allein, ich ſehe ſie verlaſſen ſtehen, für ihr ganzes Leben.

Es wäre mir ohnmöglich, die Wirkung zu ſchildern, welche dieſe wenigen Worte in mir hervorbrachten. Schneller iſt der Blitz nicht. Jch ſah alles; ſah mich als Negerin, abhängig, verſchmäht, ohne Vermögen, ohne Stütze, ohne27 ein Weſen meiner Art, an welches ich mein Schickſal knüpfen könne; bis jetzt ein Spielzeug, zur Unterhaltung meiner Wohlthäterin, bald aber von einer Welt zurückgeſtoßen, für welche ich nicht gemacht war.

Ein fürchterliches Herzklopfen befiel mich, meine Augen verdunkelten ſich, und die Schläge meines Herzens machten mich einen Augenblick unfähig, weiter zuzuhören. Jch erholte mich endlich ſo weit, daß ich den Verfolg des Ge - ſprächs hören konnte.

Jch fürchte , ſagte die Marquiſe, daß Sie ſie unglücklich machen. Wen wollen Sie, daß ſie befriedigen ſoll, nachdem ſie ihre Lebenstage in dem traulichen Vereine Jhrer Geſellſchaft zugebracht hat? Nun, ſie mag darin blei -28 ben , ſagte Frau von B. Ja , verſetzte die Marquiſe, ſo lange ſie noch ein Kind iſt. Allein, ſie iſt fünfzehn Jahre alt; an wen wol - len Sie ſie verheurathen, mit der Ausbildung und der Erziehung, welche Sie ihr gegeben haben? Wer wird je eine Schwarze heura - then wollen? und wenn ſich auch einer gegen Geld dazu verſtünde, ſchwarze Kinder zu be - kommen, ſo könnte es nur ein gemeiner Menſch, ein Menſch in niedrigen Verhältniſſen ſeyn, mit welchem ſie nur unglücklich ſeyn würde. Sie kann nur ſolche haben wollen, welche ihrer nicht begehren.

Dieß iſt alles wahr , ſagte Frau von B., allein noch ahnet ſie es nicht, weil ſie glücklich iſt, und ich hoffe, daß die Anhänglichkeit, welche29 ſie für mich hat, ſie noch lange von der Beur - theilung ihrer Lage abhalten wird. Um ſie glücklich zu wiſſen, hätte ich ein gemeines Weib aus ihr machen müſſen. Jch glaube aufrichtig, daß dieſes ohnmöglich war. Wohlan denn! vielleicht macht ſie ſich hinlänglich bemerklich, um ſich über ihr Schickſal zu erheben, da ſie nicht darunter bleiben konnte.

Sie machen ſich leere Hoffnungen , ſagte die Marquiſe, die Philoſophie erhebt uns über die Mißgeſchicke. Allein ſie vermag nichts ge - gen diejenigen Uebel, welche aus Ueberſchrei - tung der Ordnung entſpringen, welche die Na - tur vorgeſchrieben hat. Urika hat ihr Geſchick nicht erfüllt. Sie hat ſich ohne Erlaubniß in30 die Geſellſchaft gedrängt; die Geſellſchaft wird ſich an ihr rächen.

Sicher iſt ſie dann ſehr unſchuldig an die - ſem Vergehen , ſagte Frau von B.; allein Sie ſind ſtrenge gegen dieſes arme Kind.

Jch meyne es beſſer mit ihr, als Sie , ver - ſetzte die Marquiſe ***, ich wünſche ihr Glück zu befördern, und Sie ſtürzen ſolche ins Ver - derben.

Frau von B. antwortete heftig, und ich ſollte eben die Veranlaſſung eines Streites zwiſchen den beiden Freundinnen werden, als man einen Beſuch ankündigte. Jch ſchlich mich hinter der ſpa - niſchen Wand fort, und entwiſchte. Jch eilte nach meinem Zimmer, wo eine Thränenfluth meinem ar - men Herzen einen Augenblick Linderung gewährte.

31

Es war eine große Veränderung mit meinem Leben vorgegangen, daß das Blendwerk, womit ich bis jetzt umgeben geweſen, von meinen Augen gefallen war. Es gibt Täuſchungen, welche dem Licht des Tages gleichen, wenn man ſie verliert, ſo verſchwindet Alles mit ihnen.

Jn dem Gewirre der neuen Jdeen, welche auf mich einſtürmten, fand ich nichts mehr von al - lem, was mich bisher beſchäftigt hatte; es[war ein] Abgrund mit all ſeinen Schrecken. Dieſe Verach - tung, womit ich mich verfolgt ſah; dieſe Geſell - ſchaft, in welche ich nicht gehören ſollte; dieſer Menſch, der vielleicht für Geld einwilligen würde, ſchwarze Kinder zu bekommen; alle dieſe Gedan - ken ſtiegen wie Geſpenſter hinter einander in mir auf und klammerten ſich wie Furien an mich32 an; vorzüglich der, dieſer Abgeſchiedenheit, dieſer Ueberzeugung, daß ich allein ſtand in dieſem Leben, für immer allein; Frau von B. hatte es geſagt, und jeden Augenblick wiederholte ich es mir: allein! für immer allein! Noch am vor - herigen Tage, was lag mir daran, allein zu ſeyn? ich wußte es nicht; ich fühlte es nicht; ich brauchte etwas, das ich liebte; ich dachte nicht daran, daß das, was ich liebte meiner nicht bedürfe. Aber nun waren mir die Augen geöffnet, und das Unglück hatte ſchon das Miß - trauen in meine Seele geworfen.

Als ich zur Frau von B. zurück kam, war jedermann über meine Veränderung erſtaunt. Man frug mich. Jch ſagte, daß ich krank ſey, und man glaubte mir. Frau von B. ließ Bar -33 thes rufen, der mich ſorgfältig ausforſchte, mir den Puls fühlte, und barſch äußerte; es fehle mir nichts. Frau von B. beruhigte ſich, und verſuchte, mich zu zerſtreuen und zu unterhalten. Jch wage es nicht zu geſtehen, wie undankbar ich gegen dieſe Aufmerkſamkeit meiner Wohlthä - terin war, mein Herz hatte ſich gleichſam in ſich verſchloſſen.

Die Wohlthaten, welche zu empfangen ange - nehm ſind, ſind diejenigen, welche das Herz zu vergelten vermag. Das meinige war voll einer zu bitteren Empfindung, um ſich nach außen er - gießen zu können. Eine Unendlichkeit verwand - ter Jdeen beſchäftigten mich immerwährend, ſie erzeugten ſich unter tauſend verſchiedenen Formen wieder. Meine Einbildungskraft lieh ihnen dieUrika. 334finſterſten Farben. Jch brachte oft die ganze Nacht mit weinen hin. Jch erſchöpfte mein Mit - leiden an mir ſelbſt. Meine Geſtalt flößte mir Abſcheu ein, und ich wagte es nicht, mich in einem Spiegel zu beſchauen. Wenn meine Augen auf meine ſchwarzen Hände fielen, glaubte ich diejenigen eines Affen zu ſehen. Jch vergrößerte meine Häßlichkeit, und dieſe Farbe erſchien mir als das Zeichen meiner Verworfenheit. Sie war es, die mich von allen Weſen meiner Gat - tung abſchied, welche mich verdammte allein zu ſeyn; immer allein! nimmer geliebt! Ein Menſch ſollte ſich vielleicht, für Geld, dazu verſtehen, ſchwarze Kinder zu bekommen! Mein Herz em - pörte ſich mit Unwillen bei dieſem Gedanken.

Jch hatte einen Augenblick die Jdee, Frau35 von B. darum zu bitten, mich in mein Vater - land zurück zu ſchicken. Allein auch hier wäre ich allein geweſen; wer würde mich gehört, wer mich verſtanden haben? Ach! ich gehörte ja nie - manden an; ich war ein Fremdling für das ganze menſchliche Geſchlecht.

Erſt ſehr ſpät nachher begriff ich die Mög - lichkeit, mich in ein ſolches Schickſal zu ergeben. Frau von B. war keine Betſchweſter. Jch ver - dankte einem ehrwürdigen Geiſtlichen, welcher mich zur erſten Communion vorbereitet hatte, alle meine religiöſen Geſinnungen. Sie waren aufrichtig, wie mein ganzer Charakter; allein ich wußte nicht, daß die Frömmigkeit, um frucht - bringend zu ſeyn, mit all unſern Handlungen verwebt ſeyn muß. Die meinige hatte mich nur3*36einige wenige Augenblicke des Tags beſchäftiget, allein allem Uebrigen war ſie fremd geblieben. Mein Beichtvater war ein heiliger, nicht ſehr argwöhniſcher Greis. Jch ſah ihn zwei oder drei mal jährlich, und da ich mir nicht einbil - dete, daß es ein Vergehen ſey, ſich zu grämen, ſo ſagte ich ihm von meinem Kummer nichts.

Nach und nach fühlte ich deſſen nachtheilige Einwirkung auf meine Geſundheit; allein, ſon - derbar! meine Verſtandeskräfte nahmen zu. Ein Weiſer des Orients ſagte: Wer nicht ge - litten hat, was weiß er?

Jch ſah ein, daß ich vor meinem Unglücke nichts gewußt hatte. Die Eindrücke wurden in mir zum Gefühle; ich urtheilte nicht, aber ich liebte. Reden und Handlungen, wie Perſonen,37 gefielen oder mißfielen meinem Herzen. Jetzt war mein Verſtand von dieſen unwillkürlichen Ge - müthsbewegungen getrennt. Der Kummer wirkt, wie die Entfernung, er läßt uns die Gegenſtände im Zuſammenhange beurtheilen. Seitdem ich mich allem fremd fühlte, war ich ſchwieriger ge - worden, und tadelnd unterſuchte ich jetzt faſt alles, woran ich bisher Gefallen gefunden hatte.

Dieſe Stimmung konnte der Frau von B. nicht entgehen. Jch habe nie erfahren, ob ſie deren Urſache errieth. Sie fürchtete vielleicht meinen Kummer zu vermehren, wenn ſie mir er - laubte ihn auszuſchütten; allein ſie erwieß mir noch mehr Güte wie vorher. Sie ſprach mit gänzlicher Hingebung mit mir, und um mich in38 meinen Sorgen zu zerſtreuen, unterhielt ſie mich mit ihren eigenen.

Sie hatte mein Herz richtig beurtheilt; denn nur die Jdee meiner Wohlthäterin nothwendig, oder wenigſtens nützlich zu ſeyn, konnte mich wieder an das Leben knüpfen. Der Gedanke, der mich am meiſten verfolgte, war der: allein auf dieſer Welt zu ſtehen, und daß ich würde ſterben können, ohne jemandes Bedauern zu er - regen. Jch war ungerecht gegen Frau von B., ſie liebte mich, ſie hatte es mir bewieſen; allein ſie hatte Jntereſſen, welche mir bei weiten vor - gingen. Jch beneidete die Zärtlichkeit nicht, die ſie für ihre Söhne, vorzüglich Karln, hatte, allein ich hätte wünſchen mögen, ebenfalls wie ſie, Mutter! zu ihr ſagen zu können.

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Familien-Verhältniſſe machten überhaupt ſchmerzliche Eindrücke auf mich, die ich nie, we - der Schweſter, noch Gattin, noch Mutter von jemand ſeyn ſollte. Jch ſtellte mir dieſe Bande vielleicht ſüßer vor, als ſie es in der Wirklich - keit ſind, und vernachläßigte jene, die mir erlaubt waren, blos weil ich erſtere nicht erreichen konnte.

Freundinnen hatte ich nicht; niemand beſaß mein Zutrauen. Was ich für Frau von B. fühlte war vielmehr eine unbegrenzte Verehrung, als Neigung, allein ich glaube, daß ich für Karln alles empfand, was man für einen Bruder empfin - den kann.

Er war noch auf der Schule, welche er bald verlaſſen ſollte, um ſeine Reiſen zu beginnen. 40Er reiſete mit ſeinem älteſten Bruder und ſeinem Hofmeiſter ab, und ſie ſollten Deutſchland, Eng - land und Jtalien ſehen; ihre Abweſenheit aber ſollte zwei Jahre dauern.

Karl war über ſeine Abreiſe ſehr erfreut, und ich betrübte mich nur im letzten Scheidungs - Momente, denn ich freute mich über das, was ihm Vergnügen machte. Jch hatte ihm nichts von den Jdeen geäußert, welche mich beſchäftig - ten. Jch ſah ihn niemals allein, und ich hätte geraume Zeit gebraucht, ihm die Urſachen meiner Leiden zu erklären. Jch bin gewiß, daß er mich damals verſtanden hätte.

Allein bei einer ſanften und ernſten Miene, hatte er eine Anlage zur Spöttelei, welche mich furchtſam machte. Jn Wahrheit übte er ſie nur41 gegen lächerliche Anmaßungen aus, alles Ernſte entwaffnete ſie. Jch ſagte ihm demnach nichts. Seine Abreiſe war übrigens eine Zerſtreuung für mich, und ich glaube, daß es mir wohl that, mich über einen andern, als meinen gewöhnlichen Schmerz zu grämen.

Es war kurz nach der Abreiſe Karls, daß die Revolution einen ernſteren Charakter annahm. Jch hörte in dem Anſprachzimmer der Frau von B. den ganzen Tag von nichts, als den großen moraliſchen und politiſchen Jntereſſen reden, welche die Revolution bis in ihren Urſprung in Bewegung ſetzte. Es handelte ſich um das, was die größten Geiſter aller Zeiten beſchäftiget hatte. Nichts war fähiger, meine Jdeen zu erweitern und auszubilden, als das Schauſpiel dieſes Kampf -42 platzes, wo die ausgezeichnetſten Männer jeden Tag aufs Neue Fragen verhandelten, die man bis dahin als entſchieden betrachtet hatte. Sie erſchöpften alle Gegenſtände, und ſtiegen bis zum Urſprung aller Jnſtitutionen hinauf, allein nur zu oft um alles zu erſchüttern, um alles zu zerſtören.

Werden Sie mir es wohl glauben, daß, jung wie ich war, fremd allen Jntereſſen der Geſellſchaft, und im Stillen meine geheime Wunde nährend, die Revolution eine Veränderung in meine Jdeen brachte, und einen Augenblick mich meiner Leiden vergeſſen machte, indem ſie mein Herz mit einigen Hoffnungen erfüllte? So ſuchen wir emſig, was uns zum Troſte gereichen kann. Es ſchwebte mir dunkel vor, daß ich in der43 großen Unordnung meinen Platz finden könne; daß wenn alle Reichen geſtürzt, alle Stände in ein - ander verſchmolzen, alle Vorurtheile verſchwun - den ſeyen, vielleicht ein Zuſtand der Dinge her - beigeführt werden könne, in welchem ich weniger fremd bliebe; und daß, wenn ich einige Ueber - legenheit des Verſtandes, oder irgend eine ver - borgene Eigenſchaft beſäße, man ſie zu ſchätzen wiſſen würde, wenn meine Farbe mich nicht mehr wie bisher mitten in der Geſellſchaft ab - ſondere. Allein nur zu bald widerſtrebten dieſe Eigenſchaften ſelbſt, die ich an mir zu finden hätte hoffen dürfen, der Täuſchung, welcher ich mich hingab; denn nicht lange konnte ich wünſchen, daß ſo viel Böſes geſchähe, meines kleinen per - ſönlichen Nutzens halber. Auf der andern Seite44 ſah ich das Lächerliche aller jener Menſchen ein, welche ſich zu Herren der Begebenheiten aufwer - fen wollten. Jch ſah das Kleinliche ihres Cha - rakters; ich errieth ihre geheimen Abſichten; ihre falſche Philantropie hörte auf mich zu täuſchen, und ich gab die Hoffnung auf, indem ich ſah, daß mitten unter ſo vielen Widerwärtigkeiten für mich noch viel der Verachtung übrig blieb. Jch nahm indeſſen noch immer den größten An - theil an dieſen lebhaften Erörterungen, allein ſie verloren bald das, was ihren größten Reiz aus - machte.

Die Zeit war ſchon nicht mehr, wo man nur zu gefallen wünſchte, und wo die erſte Bedin - gung des Gelingens die war, die Triumphe der Eigenliebe zu vergeſſen. Als die Revolution auf -45 hörte eine ſchöne Theorie zu ſeyn, und die in - nigſten Jntereſſen aller berührte, arteten die Ge - ſpräche in Zänkereien aus, und Erbitterungen und Perſönlichkeiten nahmen die Stelle der Ver - nunft ein. So traurig ich auch war, ergötzten mich dennoch bisweilen alle dieſe heftigen Aus - brüche, welche im Grunde faſt nie etwas Ande - res, als Anmaßungen, Verſtellung, oder Furcht waren. Allein die Fröhlichkeit, die in der Auf - findung des Lächerlichen ihren Grund hat, thut dem Herzen nicht wohl. Es liegt zu viel Bos - heit in dieſer Fröhlichkeit, um ein Herz erfreuen zu können, das nur an unſchuldigen Freuden Gefallen findet. Man kann dieſe ſpöttelnde Fröh - lichkeit beſitzen, ohne daß man aufhört, unglück - lich zu ſeyn. Vielleicht macht uns das Unglück46 hierzu noch aufgelegter, denn die Bitterkeit, wo - von ſich die Seele nährt, macht die gewöhnliche Nahrung dieſes traurigen Vergnügens aus.

Die ſo bald zerſtörte Hoffnung, welche mir die Revolution eingeflößt hatte, hatte meine Ge - müthsſtimmung nicht verändert. Jmmer mißver - gnügt mit meinem Schickſale, wurden meine Lei - den mir durch das Zutrauen und die Güte der Frau von B. verſüßt. Mitten unter dieſen poli - tiſchen Unterhaltungen, deren Heftigkeit ſie nicht Einhalt zu thun vermochte, ſah ſie mich biswei - len traurig an. Dieſer Blick war ein Balſam für mein Herz; er ſchien mir zu ſagen: Urika, du allein verſtehſt mich!

Man fing an von der Befreiung der Neger - ſclaven zu reden. Es war ohnmöglich, daß mich47 eine ſolche Frage nicht lebhaft berührte. Es war eine Täuſchung, der ich mich abermals ſo gerne hingab; ich hatte doch wo meines Gleichen. Sie waren unglücklich, darum hielt ich ſie für gut, und nahm an ihrem Schickſal Antheil. Ach! ich wurde nur zu bald enttäuſcht. Die Metzeleien auf St. Domingo verurſachten mir einen neuen, heftigen Schmerz. Bis hierhin hatte es mich gekränkt, einer geächteten Men - ſchenklaſſe anzugehören; jetzt ſchämte ich mich der Verwandtſchaft mit einer Race von Barbaren und Mördern.

Die Revolution machte indeſſen ſchnelle Fort - ſchritte. Man war erſchreckt, die heftigſten Menſchen ſich aller Plätze bemächtigen zu ſehen. Bald ſchien es, daß dieſe Menſchen entſchloſſen48 ſeyen, nichts mehr zu achten. Die fürchterlichen Tage des 20. Junius und 10. Auguſts mußten auf alles vorbereiten. Was von der Geſellſchaft der Frau von B. übrig geblieben war, zerſtreute ſich bei dieſer Epoche. Die Einen flüchteten ſich vor den Verfolgungen in fremde Länder, die Andern verſteckten ſich oder zogen ſich in die Provinz zurück. Frau von B. that weder das Eine, noch das Andere. Sie war mit ihrem Herzen beſchäftiget, an ihre Heimath gekettet; ſie blieb theuren Erinnerungen getreu, in der Nähe eines Grabmals.

Wir lebten ſeit einigen Monaten in der Ein - ſamkeit, als gegen Ende des Jahres 1792 das Dekret zur Einziehung der Emigranten-Güter er - ſchien. Mitten in dieſem allgemeinen Unglück49 würde Frau von B. den Verluſt ihres Vermö - gens für nichts gezählt haben, hätte es nicht ihren Enkeln angehört; allein vermöge einer Familien-Uebereinkunft, hatte ſie hiervon nur den Nießbrauch. Sie entſchloß ſich alſo Karln, den jüngſten der beiden Brüder, zurückkommen zu laſſen, und den älteſten, welcher ohngefähr zwan - zig Jahre zählte, zur Condeiſchen Armee zu ſchicken. Sie waren damals in Jtalien, die, unter ganz verſchiedenen Umſtänden, vor zwei Jahren unternommene Reiſe zu vollenden. Karl kam zu Anfang Februars 1793, kurz nach dem Tode des Königs, nach Paris zurück.

Dieſes große Verbrechen hatte der Frau von B. den lebhafteſten Schmerz verurſacht. Sie überließ ſich ihm ganz, und ihre Seele war ſtarkUrika. 450genug, das Abſcheuliche dieſer Frevelthat nach ſeiner Unermeßlichkeit ſelbſt zu beurtheilen. Schwere Bekümmerniſſe haben an dem Alter etwas Auffallendes; ſie haben das Anſehen der Vernunft für ſich. Frau von B. litt mit aller Heftigkeit ihrer Karakterſtärke. Jhre Geſundheit hatte gelitten; allein ich bildete mir nicht ein, daß man verſuchen könne, ſie zu tröſten, oder ſelbſt ſie zu zerſtreuen. Jch weinte; ich ſchloß mich ihren Geſinnungen an; ich ſuchte meine Seele zu erheben, um ſie der ihrigen näher zu bringen, und wenigſtens eben ſo viel wie ſie zu leiden.

Jch dachte, ſo lange die Schreckenszeit dauerte faſt nicht an meinen eigenen Kummer; ich würde mich geſchämt haben, mich in Gegenwart ſo51 großer Mißgeſchicke unglücklich zu finden; ich fühlte mich überdieß nicht mehr allein, ſeitdem alles um mich her unglücklich war.

Die Meynung gleicht in dieſem Stücke einem Vaterlande; ſie iſt ein Gemeingut, deſſen man ſich zuſammen erfreut; man wird zum Bruder um ſie zu behaupten, oder zu vertheidigen. Jch ſagte mir bisweilen: daß ich, obgleich eine arme Negerin, dennoch durch das Bedürfniß der Ge - rechtigkeit, welches ich mit ihnen gemeinſchaftlich fühlte, an alle großen Seelen gemeinſchaftlich geknüpft ſey; der Tag, an welchem die Tugend und die Wahrheit triumphire, würde ein Tag des Triumphs für mich und ſie ſeyn; allein ach! dieſer Tag war noch ſehr ferne.

Sobald Karl angelangt war, reiſte Frau von4 *52B. aufs Land. Alle ihre Freunde hielten ſich damals entweder verborgen, oder hatten ſich geflüchtet. Jhre Geſellſchaft war beinahe auf einen alten Abbé beſchränkt, den ich ſeit zehn Jahre alle Tage die Religion beſpötteln hörte, und der jetzt zornig wurde, daß man die geiſt - lichen Güter verkauft habe, weil er hierdurch zwan - zig Tauſend Livres Renten verlor. Dieſer Abbé ging mit uns nach St. Germain. Sein Umgang war ſanft, oder vielmehr ruhig; denn es lag in ſeiner Ruhe gerade keine Sanftmuth; ſie war eher das Erzeugniß ſeiner Denkweiſe, als ſeines Seelenfriedens.

Frau von B. war von jeher in der Lage geweſen, viele Dienſte zu erweiſen. Jn freund - ſchaftlichen Verhältniſſen mit Herrn von Choiſeul,53 vermochte ſie, während deſſen langen Miniſte - riums vielen Menſchen nützlich zu werden. Zwei dieſer Menſchen, die einflußreichſten in der Schreckenszeit, waren Frau von B. Verbindlich - keiten ſchuldig; ſie erinnerten ſich derſelben und waren erkenntlich. Sie ſtets im Auge behaltend, ließen ſie ſolche keiner Gefahr ausſetzen; ſie wagten ſelbſt einigemal ihr Leben, um das ihrige von der Wuth der Revolutionsmänner zu retten; denn man muß bemerken, daß in dieſer traurigen Periode ſelbſt die heftigſten Partheihäup - ter, ohne Gefahr für ſie ſelbſt, auch nicht ein wenig Gutes ausüben konnten. Es ſchien, als wenn auf dieſer verheerten Erde man nur durch das Uebel regieren könne; da es allein die Ge - walt gab oder nahm. Frau von B. kam nicht54 in’s Gefängniß; ſie wurde unter dem Vorwande mißlicher Geſundheitsumſtände in ihrem Hauſe bewacht. Karl, der Abbé und ich blieben um ſie, und widmeten ihr unſere ganze Sorgfalt.

Nichts vermag den Zuſtand der Angſt und des Schreckens der Tage zu ſchildern, die wir damals zubrachten, wo wir jeden Abend in den Tagblättern die Verurtheilung und Hinrichtung der Freunde der Frau von B. laſen, und wo wir jeden Augenblick zitterten, daß ihre Be - ſchützer nicht die Gewalt gehabt hätten, ſie vor dem nämlichen Schickſale zu bewahren. Wir erfuhren, daß ſie wirklich nahe daran geweſen war, umzukommen, als der Tod Robespierre’s ſo vielen Gräueln ein Ende machte. Man ath - mete wieder, die Wachen verließen das Haus55 der Frau von B., und wir blieben, alle vier, in der nämlichen Einſamkeit, ſo, wie man ſich, denk ich, nach großen Plagen wieder findet, denen man mit einander entgangen iſt. Man hätte glauben ſollen, alle Bande wären durch das Unglück enger geknüpft worden; ich hatte fühlen lernen, daß ich da wenigſtens keine Fremde war.

Wenn ich einige ſüße Augenblicke in meinem Leben kennen gelernt habe, ſeitdem ich die Täu - ſchung meiner Kindheit verlor; ſo iſt es jener Zeitraum, welcher auf dieſe verhängnißvollen Tage folgte. Frau von B. beſaß im höchſten Grade, was den Reiz des häuslichen Lebens ausmacht. Sie war nachſichtig und verträglich, man durfte in ihrer Gegenwart alles äußern;56 ſie errieth, was man ſagen wollte, was man geſagt hatte. Nie erkältete eine ſtrenge oder falſche Auslegung das Zutrauen, die Gedanken galten für das, was ſie gelten ſollten, man war für nichts verantwortlich. Dieſe Eigenſchaft der Frau von B. hätte ihre Freunde ſchon beglückt, wenn ſie auch nur dieſe eine beſeſſen hätte. Al - lein wie viele andere Vorzüge beſaß ſie nicht noch überdieß. Wenn man ſich mit ihr unter - hielt, fühlte man nie Leere oder Langeweile, al - les diente ihr, die Unterhaltung zu beleben. Der Antheil an geringfügigen Dingen, welcher bei gemeinen Menſchen zur Nichtswürdigkeit wird, iſt bei ausgezeichneten Perſonen die Quelle man - nichfaltigen Vergnügens; denn es iſt das Eigene überlegener Köpfe, etwas aus nichts zu machen. 57Die gewöhnlichſte Jdee wurde fruchtbar, indem ſie durch den Mund der Frau von B. ging; ihr Verſtand wußte ſie mit tauſenderlei neuen Far - ben auszuſchmücken.

Karl hatte Charakterähnlichkeit mit Frau von B., auch glich ſein Verſtand dem ihrigen, das heißt, er war, was der ihrige geweſen ſeyn mochte, gerecht, entſchloſſen und ausgebreitet, allein ohne Beſchränkungen; die Jugend kennt ſie nicht. Für ſie iſt alles gut oder bös, wäh - rend es die Klippe des Alters iſt, nichts, weder vollkommen gut, noch ganz ſchlecht zu finden.

Karl beſaß die zwei ſchönen Leidenſchaften ſeines Alters, nämlich: Gerechtigkeit und Wahr - haftigkeit. Jch habe geſagt, daß er ſelbſt den Schatten einer Verſtellung vermied; er hatte den58 Fehler, ſie bisweilen da zu ſehen, wo ſie nicht war. Gewöhnlich zurückhaltend, war ſein Zu - trauen ſchmeichelhaft; man ſah, wer es gab; daß es die Frucht ſeiner Hochſchätzung war, und nicht der Neigung ſeines Charakters. Was er bewilligte, hatte Werth, denn faſt nichts war unwillkührlich bei ihm, und daher alles natür - lich. Er hielt ſo viel auf mich, daß er nicht Einen Gedanken hatte, den er mir nicht ſogleich mittheilte. Abends, wenn wir um einen Tiſch verſammelt ſaßen, waren unſere Geſpräche man - nichfaltiger Art. Unſer alter Abbé nahm dabei ſeinen Platz ein. Er hatte ſich ein ſo vollſtän - diges Gewebe falſcher Jdeen gebildet, und be - hauptete ſie mit ſo vieler Treuherzigkeit, daß er eine unerſchöpfliche Quelle der Beluſtigung für59 Frau von B. war, deren ſcharfſinniger, heller Geiſt die Albernheiten des armen Abbe’s vor - trefflich herauszuheben wußte, welcher nie dar - über aufgebracht wurde. Jhr Witz brachte nem - lich ſeiner Jdeen-Ordnung ſolche Querhiebe bei, daß man ſie den berühmten Säbelhieben des Ritter Rolands oder denen von Charlemagne vergleichen könnte.

Frau von B. war eine große Spaziergänge - rin. Sie ging jeden Morgen nach dem Walde von St. Germain, in Begleitung des Abbé’s, der ihr den Arm lieh. Karl und ich folgten ihr von weitem. Es war dann, daß er mit mir von allem ſprach, was ihn beſchäftigte, von ſeinen Plänen, ſeinen Hoffnungen, über - haupt von Dingen, Menſchen und Begeben -60 heiten. Er verhehlte mir nichts, ohne nur daran zu denken, daß er mir etwas anvertraue. Er zählte auf mich ſchon ſeit ſo langer Zeit her, daß ihm meine Freundſchaft zur Gewohnheit ge - worden war, wie das Leben; er genoß ihrer, ohne es zu empfinden; er verlangte von mir we - der Antheil, noch Aufmerkſamkeit; denn er wußte wohl, daß, wenn er mit mir von ſich ſelbſt ſprach, dieß ſo gut war, als wenn er mit mir von mir ſelbſt geſprochen hätte, und daß ich mehr er war, als er ſelbſt. Der Reiz eines ſolchen Zutrauens erſetzt alles; das Glück ſelbſt.

Jch dachte nie daran, Karln etwas von dem zu ſagen, was mir ſo viele Leiden verurſacht hatte. Hätte er mich darum gefragt, ſo würde er mich daran erinnert haben, dann hätte ich61 ihm alles geſagt; aber er bildete ſich nicht ein, daß ich auch ein Geheimniß habe. Man war es gewohnt mich leiden zu ſehen, und Frau von B. that ſo viel für mein Glück, daß ſie glauben konnte, ich ſey glücklich. Jch hätte es ſeyn ſol - len; ich ſagte mir es oft; ich klagte mich der Undankbarkeit oder der Thorheit an. Jch weiß nicht, ob ich es gewagt haben würde zu geſte - hen, bis zu welchem Grade dieſes unheilbare Uebel, meine Farbe, mich unglücklich machte.

Es iſt etwas Demüthigendes, wenn es einem ſelbſt widerſtrebt, ſich der Nothwendigkeit zu un - terwerfen; auch nehmen dieſe Schmerzen, wenn ſie ſich der Seele bemächtigen, alle den Charak - ter der Verzweiflung an.

Was mich auch bei Karln furchtſam machte,62 war ſeine etwas ſtrenge Jdeenrichtung. Das Geſpräch war eines Abends auf das Mitleiden gerichtet worden, und man frug ſich, ob der Kummer mehr in ſeinem Reſultate oder ſeiner Urſache Antheil erwecke. Karl hatte ſich für die Urſache ausgeſprochen; er glaubte alſo, daß alle Schmerzen vernünftig ſeyen. Allein wer ſagt uns, was die Vernunft iſt? Jſt ſie die - ſelbe für die ganze Welt? Haben alle Herzen daſſelbe Bedürfniß? und iſt das Unglück nicht eine Entbehrung desjenigen, weſſen das Herz bedarf?

Selten jedoch führten unſre Abendunterhal - tungen mich auf dieſe Weiſe zu Betrachtungen über mich ſelbſt zurück; ich trachtete ſo wenig wie möglich daran zu denken. Jch hatte alle63 Spiegel aus meinem Zimmer entfernt, ich trug beſtändig Handſchuhe; meine Kleider verbargen meinen Hals und meine Aerme, und zum Aus - gehen trug ich einen großen Hut mit einem Schleier, welchen ich auch oft zu Hauſe nicht ablegte. Ach! ſo betrog ich mich ſelbſt; wie die Kinder verſchloß ich die Augen, und glaubte, man ſähe mich nicht.

Gegen das Ende des Jahres 1795 war die Schreckenszeit vorüber, und man fing an, ſich wieder zu finden. Die Trümmer der Geſell - ſchaft der Frau von B. vereinigten ſich wieder um ſie. Mit Schmerzen ſah ich den Kreis ihrer Freunde ſich erweitern. Meine Stellung in die - ſer Welt war ſo mißgriffen, daß, jemehr die Geſellſchaft in ihre natürliche Ordnung zurück -64 kehrte, ich mich deſto mehr daraus verſtoßen fand. So oft ich neue Perſonen bei Frau von B. ein - treten ſah, empfand ich eine neue Qual. Der mit Verachtung gemiſchte Ausdruck des Erſtau - nens, welchen ich in ihrem Geſichte wahrnahm, fing an mich zu beunruhigen. Jch ward ſicher bald der Gegenſtand geheimen Flüſterns in den Fenſterniſchen; denn man mußte ſich es wohl erklären laſſen, wie eine Negerin dazu kam, in die auserwählte Geſellſchaft der Frau von B. aufgenommen zu werden. Jch litt während dieſer Erklärung das Märtyrthum. Jch haͤtte in mein barbariſches Vaterland zurück gebracht ſeyn mögen, mitten unter die Wilden, die es bewoh - nen, und ich hätte ſie minder gefürchtet, als die Geſellſchaft, welche grauſam genug war, mich65 für ein Uebel verantwortlich machen zu wollen, wovon ſie die alleinige Urſache war. Mehrere Tage hindurch verfolgte mich immer die Erinne - rung dieſer höhniſchen Geſichter; ich ſah ſie im Traume; ſie erſchienen mir jeden Augenblick, ſie ſchwebten mir vor, wie mein eigenes Bild. Es war, leider! eine von den Chimären, von denen ich mich hinreißen ließ. Mein Gott! du hatteſt mich noch nicht gelehrt, dieſe Fantome von mir zu bannen; ich wußte noch nicht, daß ich meine Ruhe nur in Dir ſuchen ſollte.

Nur in dem Herzen Karl’s ſuchte ich jetzt Troſt. Jch war ſtolz auf ſeine Freundſchaft, ich war es noch mehr auf ſeine Tugenden. Jch bewunderte ihn als das Vollkommenſte[,]was ich auf Erden kannte. Jch hatte ehemals geglaubt,Urika. 566Karln als einen Bruder zu lieben; allein ſeitdem ich litt, kam es mir vor, als ob ich gealtert habe, und daß meine Liebe für ihn nur einer Mutterliebe gliche. Wirklich konnte nur eine Mutter dieſes leidenſchaftliche Verlangen empfin - den, ihn glücklich zu wiſſen; denn ich würde gerne mein Leben hingegeben haben, um ihm einen Augenblick Kummers zu erſparen. Jch ſah lange vor ihm den Eindruck, den er auf Andere hervorbrachte; er war zu glücklich, um ſich darum zu bekümmern. Dieß iſt ganz natür - lich. Er hatte von ihnen nichts zu fürchten; nichts konnte ihm dieſe beſtändige Unruhe ein - flößen, die ich über die Gedanken anderer Men - ſchen empfand. Alles harmonirte in ſeinem Schick - ſale, in dem meinigen war alles Mißſtimmung.

67

Eines Morgens kam ein alter Freund von Frau von B. Er war mit einem Heiraths-An - trag für Karln beauftragt. Fräulein von The - mines war auf eine grauſame Weiſe eine reiche Erbin geworden. Sie hatte an einem Tage ihre ganze Familie auf dem Schaffote verloren; es blieb ihr nur noch eine Großtante übrig, welche eine Nonne geweſen war, und welche, da ſie Vormünderin des Fräuleins von Themines ge - worden war, es für ihre Pflicht hielt, ſie zu verheirathen. Sie glaubte ſich eilen zu müſſen, weil ſie ſchon über die achtzig Jahre zählte, und deshalb zu ſterben, und ihre Nichte allein und hülflos in der Welt zurück zu laſſen fürchtete. Fräulein von Themines vereinigte alle Vorzüge der Geburt, des Vermögens und der Erziehung5 *68in ſich. Sie war ſechszehn Jahre alt, und ſchön wie der Tag. Es war gegen dieſelbe nichts einzuwenden.

Frau von B. beſprach ſich mit Karln dar - über, welcher im Anfange erſchrack, daß er ſich ſo frühe verheirathen ſollte. Bald jedoch wünſchte er Fräulein von Themines zu ſehen. Die Zu - ſammenkunft fand Statt, und von nun an war er nicht mehr unentſchlüſſig. Anais von The - mines beſaß wirklich alles, was Karln gefallen konnte. Sie war artig, ohne es zu wiſſen, und von einer ſo ruhigen Beſcheidenheit, daß man ſah, daß ſie nur der Natürlichkeit dieſe herrliche Tugend verdankte. Fräulein von Themines er - laubte Karln ſie zu beſuchen, und bald wurde er leidenſchaftlich verliebt in ſie. Er unterhielt69 mich von den Fortſchritten ſeiner Liebe. Jch war ungeduldig dieſe ſchöne Anais zu ſehen, die Karls Glück machen ſollte. Sie kam endlich nach St. Germain. Karl hatte ihr von mir ge - ſprochen; ich hatte dieſe verächtlichen, forſchen - den Blicke von ihr nicht zu ertragen, welche mir immer ſo wehe thaten; ſie hatte vielmehr die Miene eines Engels der Güte. Jch gelobte ihr, daß ſie mit Karln glücklich ſeyn würde; ich be - ruhigte ſie über ſeine Jugend; ich ſagte ihr, daß er im ein und zwanzigſten Jahre die Vernunft eines reiferen Alters beſitze. Jch beantwortete alle ihre Fragen, und ſie that deren viele an mich, weil ſie wußte, daß ich Karln von Jugend auf kannte. Auch war es mir ſo ſüß, Gutes70 von ihm zu erzählen, daß ich nicht müde wurde, von ihm zu ſprechen.

Die Berichtigung der vorläufig hierzu nöthi - gen Geſchäfte verſchob den Abſchluß der Heirath um einige Wochen. Karl fuhr fort Fräulein Themines zu beſuchen, und oft blieb er zwei bis drei Tage hinter einander in Paris. Dieſe Abweſenheit betrübte mich, und ich war unzu - frieden mit mir ſelbſt, da ich ſah, daß ich mein Glück demjenigen Karls vorzog; ſo zu lieben, war ich nicht gewohnt. Die Tage, wo er zurück kam, waren Feſttage. Er erzählte mir, was ihn beſchäftiget habe, und wenn er in dem Herzen ſeiner Anais neue Fortſchritte gemacht hatte, ſo freute ich mich darüber.

Eines Tages jedoch erzählte er mir von der71 Weiſe, wie er leben wolle: Jch werde, ſagte er mir, ihr ganzes Zutrauen zu verdienen ſuchen, ſo wie ſie das meinige haben ſoll. Jch werde ihr nichts verhehlen, alle meine Gedan - ken ſoll ſie wiſſen, alle Bewegungen meines Herzens kennen lernen; ich wünſche, daß zwi - ſchen ihr und mir ein Zutrauen herrſche, wie das unſrige, Urika! Wie das unſrige? Die - ſes Wort that mir wehe; es erinnerte mich, daß Karl um das einzige Geheimniß meines Lebens nichts wußte, und er benahm mir die Luſt, es ihm anzuvertrauen.

Nach und nach dauerte Karls Abweſenheit längere Zeit; er verweilte beinahe nur noch wenige Augenblicke in St. Germain. Er kam zu Pferde, um weniger Zeit unterwegs zuzubrin -72 gen, und kehrte Nachmittags nach Paris zurück; ſo, daß wir die Abende jetzt alle ohne ihn zu - brachten. Frau von B. ſcherzte oft über ſeine lange Abweſenheit; ich hätte gewünſcht es eben ſo machen zu können, wie ſie.

Eines Tages gingen wir in dem Walde ſpazie - ren. Karl war beinahe die ganze Woche abwe - ſend geweſen. Jch gewahrte ihn plötzlich an dem Ende der Allee, wo wir gingen; er kam zu Pferde und ſehr eilfertig. Als er uns erreichte, ſtieg er ab und ging mit uns. Nach einigen Minuten allgemeiner Unterhaltung, blieb er mit mir zurück, und wir fingen an, uns zu unter - halten wie ſonſt. Jch machte ihm die Bemer - kung. Wie ſonſt! rief er, ah! welch ein Unterſchied! Hatte ich denn damals etwas zu73 ſagen! Es ſcheint mir, als wenn ich ſeit zwei Monaten erſt zu leben angefangen hätte. Urika! ich kann es nicht ſagen, was ich für ſie empfinde! Bisweilen glaube ich zu fühlen, daß meine Seele in der ihrigen verſchmilzt. Wenn ſie mich anblickt; ſo athme ich nicht mehr; wenn ſie erröthet; ſo möchte ich mich zu ihren Füßen werfen und ſie anbeten. Wenn ich dar - an denke, daß ich der Beſchützer dieſes Engels ſeyn werde, daß ſie mir ihr Leben, ihr Schick - ſal anvertraut; dann bin ich ſtolz auf das mei - nige. Jch werde ſie glücklich machen; ich werde ihr Vater und Mutter erſetzen, die ſie verloren hat; aber auch Gatte und Liebhaber ſeyn. Sie wird mir ihre ganze Liebe ſchenken, und ihr Herz ſich in das meinige ergießen; wir74 werden nur ein Leben führen, und ich werde nicht zugeben, daß ſie im Laufe unſerer langen Jahre ſage, ſie habe eine Stunde mit mir verlebt, ohne ſich glücklich zu fühlen. Welche Wonne, Urika! zu denken, daß ſie die Mutter meiner Kinder werden wird, daß ſie im Schooße meiner Anais ihr Leben empfangen werden! Sie werden mild, ſie werden ſchön werden wie ſie! Was that ich, o Gott! um ein ſolches Glück zu verdienen?

Ach! ich richtete zum Himmel in dieſem Augen - blicke eine Frage ganz entgegen geſetzter Art. Dieſe leidenſchaftlichen Worte weckten in einigen Augenblicken unerklärbare Gefühle in mir. Guter Gott! du biſt Zeuge, daß ich mich in dem Glücke Karl’s glücklich fühlte; allein warum haſt du75 der armen Urika das Leben gegeben? Warum ſtarb ſie nicht auf dem Negerfahrzeuge, dem ſie entriſſen wurde, oder auf dem Schooße ihrer Mutter? Ein wenig Afrikaniſcher Sand hätte ſie bedeckt, und dieſe Laſt würde ſehr leicht ge - weſen ſeyn. Was konnte der Welt daran liegen, daß Urika lebte? Warum wurde ſie zu leben verurtheilt? Es war alſo darum, daß ſie allein leben ſollte, immer allein, nimmer geliebt! O mein Gott! gieb dieß nicht zu. Nimm die arme Urika von der Erde! Niemand bedarf ihrer; ſteht ſie nicht einſam in dieſem Leben?

Dieſer fürchterliche Gedanke ergriff mich jetzt heftiger, wie nie noch zuvor. Jch wankte; ich fiel auf meine Kniee; meine Augen ſchloſſen ſich, und ich glaubte zu ſterben.

76

Jndem ſie dieſe Worte endigte, ſchien die Beklemmung der armen Nonne zuzunehmen, ihre Stimme wurde ſchwach, und einige Thränen rollten über ihre verwelkten Wangen. Jch wollte ſie bitten, ihre Erzählung zu verſchieben; ſie wei - gerte ſich deſſen. Das iſt nichts , ſagte ſie zu mir; der Kummer iſt in meinem Herzen nicht mehr anhaltend; ſeine Wurzel iſt abgeſchnitten. Gott hat Mitleiden mit mir gehabt. Er hat mich dem Abgrunde entzogen, in welchen ich nur darum gefallen war, weil ich ihn nicht kannte und liebte. Vergeſſen Sie alſo nicht, daß ich glücklich bin, aber, ach! fügte ſie hinzu, damals war ich es nicht.

Bis zu dem Zeitraume, wovon ich Jhnen ſprach, hatte ich meine Leiden ertragen; ſie hat -77 ten meine Geſundheit geſchwächt, allein ich hatte eine Art Herrſchaft über mich ſelbſt behauptet. Mein Kummer, wie der Wurm, der die Früchte zernagt, hatte in meinem Herzen angefangen; in meinem Jnnern trug ich den Keim der Zerſtö - rung, da äußerlich noch alles Leben ſchien. Die Unterhaltung gefiel mir, eine Streitfrage belebte mich; ich hatte ſelbſt eine Art Fröhlichkeit bei - behalten; aber die Freuden des Herzens waren für mich verloren gegangen. Bis zu dieſem Zeit - raume alſo, wovon ich mit Jhnen ſprach, war ich ſtärker wie meine Leiden; jetzt fühlte ich, daß meine Leiden die Oberhand über mich gewinnen würden.

Karl brachte mich in ſeinen Armen bis nach Hauſe; hier wurde mir alle Hülfe geleiſtet, und78 ich kam wieder zu mir ſelbſt. Als ich meine Augen aufſchlug, ſah ich Frau von B. an der Seite meines Bettes. Karl hielt meine Hand. Sie hatten mich ſelbſt bedient, und ich las in ihrem Geſichte eine Miſchung von Bangigkeit und bis in das Jnnere gehendem Schmerze. Jch fühlte das Leben wiederkehren; meine Thränen floſſen. Frau von B. trocknete mir ſie ſanft; ſie ſagte mir nichts; ſie that keine Fragen an mich. Karl überhäufte mich damit. Jch weiß nicht, was ich ihm antwortete; ich ſchrieb meinen Zufall der Hitze, der Länge des Weges zu. Er glaubte mir, und die Bitterkeit kehrte in mein Herz zurück, da ich ſah, daß er mir glaubte. Meine Thränen trockneten ſich. Jch ſagte mir, daß es leicht ſey diejenigen zu täuſchen, deren79 Theilnahme anderswo gefeſſelt ſey; ich zog meine Hand zurück, die er noch hielt, und verſuchte ruhig zu ſeyn.

Karl reiſete, wie gewöhnlich, um fünf Uhr ab; dieß verwundete mich; ich hätte wünſchen mögen, daß er meinethalben unruhig geweſen wäre; ich litt ja ſo viel. Er wäre dennoch ab - gereiſet, ich hätte ihn dazu gezwungen; allein, ich würde mir geſagt haben, daß er das Glück des Abends mir verdanke, und dieſer Gedanke hätte mich getröſtet. Jch hütete mich wohl, Karln dieſe Bewegung meines Herzens ſehen zu laſſen. Zarte Gefühle haben eine Art Scham - haftigkeit, ſie bleiben unvollſtändig, wenn ſie nicht errathen werden. Man möchte ſagen, man kann ſie nicht empfinden, als nur zu zwei.

80

Kaum war Karl abgereiſet, als ich einen heftigen Fieberanfall bekam, welcher die beiden folgenden Tage immer zunahm. Frau von B. ver - pflegte mich mit gewohnter Güte, ſie war über meine Lage und die Unmöglichkeit, mich nach Paris bringen zu laſſen, wohin ſie Karls Hoch - zeit des andern Tages zu gehen nöthigte, äußerſt bekümmert. Die Aerzte ſagten der Frau von B., daß ſie für mein Leben ſtünden, wenn ſie mich in St. Germain laſſe. Sie entſchloß ſich hierzu, und bezeugte mir bei ihrem Abſchied eine ſolche zärtliche Liebe, daß ſie einen Augenblick mein Herz beruhigte. Allein die gänzliche Abgeſchie - denheit, in welcher ich mich, nach ihrer Abreiſe, zum erſtenmal in meinem ganzen Leben befand, verſetzte mich in eine verzweifelte Stimmung. 81Jch ſah diejenige Lage ſich verwirklichen, welche mir meine Einbildungskraft ſo oft vorgemalt hatte, weit von denen zu ſterben, die ich liebte, und deren Ohr nicht einmal mein trauriges Stöhnen vernehmen würde. Ach! es würde ihre Freude geſtört haben. Jch ſah ſie, ferne der ſterbenden Urika, ſich der Wonnetrunkenheit ihres Glücks überlaſſen. Urika hatte in dieſem Leben niemand wie ſie; aber ſie hatten Urika nicht - thig; niemand bedurfte ihrer. Es iſt dieſes fürchterliche Gefühl des Ueberflüſſigſeyns, wel - ches das menſchliche Herz am meiſten zerreiſſet. Es gab mir einen ſolchen Abſcheu vor dem Le - ben, daß ich aufrichtig wünſchte, an der Krank - heit, an welcher ich darnieder lag, zu ſterben. Jch ſprach nicht, ich gab faſt kein LebenszeichenUrika. 682von mir, nur der einzige Gedanke ſchwebte mir klar vor: ich will ſterben.

Jn andern Momenten war ich bewegter, ich erinnerte mich dann aller Worte jener letzten Unterhaltung, die ich mit Karln in dem Walde gehabt hatte; ich ſah ihn, in dem Meer dieſer Wonne ſchwimmend, die er mir geſchildert hatte, während ich verlaſſen ſtarb; einſam in dem Tode, wie in dem Leben. Dieſe Jdee war mir pein - licher wie die Schmerzen, welche ich erduldete. Jch erſchuf mir eitle Träumereien, um dieſem neuen Gefühle zu entſprechen. Jch ſtellte mir Karln vor, nach St. Germain zurückkommend. Man ſagte ihm: ſie iſt todt. Werden ſie es glauben, daß ich mich ſeines Schmerzes freute? Derſelbe rächte mich, und wofür? großer Gott!83 dafür, daß er der ſchützende Engel meines Le - bens geweſen war? Dieſes grauſame Gefühl flößte mir bald Abſcheu ein. Meine Jdeen nah - men hiernach eine andere Richtung; ich verſuchte mich zu überwinden, in mir die Stärke zu fin - den, die Gefühle zu bekämpfen, welche mich be - wegten; allein ich ſuchte dieſe Stärke nicht, wo ſie zu finden war. Jch ſchämte mich meiner Un - dankbarkeit. Jch werde ſterben, ſagte ich mir, ich will ſterben; allein ich werde nicht dulden, daß gehäſſige Leidenſchaften ſich meinem Herzen nähern. Urika iſt ein enterbtes Kind; allein die Unſchuld bleibt ihr noch, ſie ſoll nicht durch Un - dankbarkeit in mir entweihet werden. Jch werde über die Erde wandeln, gleich einem Schatten - bild; allein im Grabe wird mir Friede werden. 6 *84O, Gott! ſie genießen ſchon der Seligkeit; wohlan, ſo gib ihnen auch noch Urika’s Antheil, und laß mich hinſterben wie ein Blatt, das in dem Herbſte dahin ſinkt. Habe ich denn nicht genug gelitten?

Jch genas nur vor dieſer Krankheit, welche mein Leben in Gefahr geſetzt hatte, um in einen Zuſtand von Siechthum zu fallen, woran der Kummer großen Antheil hatte. Frau von B. ließ ſich, nach Karls Hochzeit, in St. Germain nieder. Er kam oft in Begleitung von Anais dahin, niemals ohne ſie. Jch litt immer mehr, wenn ſie da waren. Jch weiß nicht, ob das Bild ihrer Glückſeligkeit mir mein eigenes Unglück fühlbarer machte, oder ob die Gegenwart Karls das Andenken unſerer alten Freundſchaft erneuerte. 85Jch ſuchte ihn bisweilen wieder zu finden, aber ich erkannte ihn nicht mehr. Dennoch ſagte er mir ohngefähr alles, was er mir ſonſt geſagt hatte; allein ſeine jetzige Freundſchaft glich der vergan - genen, wie die künſtliche Blume der natürlichen gleicht. Sie iſt daſſelbe, das Leben und den Wohlgeruch ausgenommen.

Karl ſchrieb der Zerrüttung meiner Geſund - heit die Veränderung in meinem Charakter zu. Jch glaube, daß Frau von B. meinen traurigen Gemüthszuſtand beſſer beurtheilte, daß ſie errieth, was mich insgeheim quälte, und darüber lebhaft bekümmert war; allein die Zeit war vorbei, wo ich andere tröſtete; ich hatte mit niemand mehr Mitleiden, als mit mir ſelbſt.

Anais wurde ſchwanger und wir kehrten nach86 Paris zurück. Meine Traurigkeit nahm mit je - dem Tage zu. Dieſes innere ſo friedliche Glück; dieſe ſüßen Familienbande; dieſe Liebe in Un - ſchuld, immer eben ſo zärtlich wie leidenſchaft - lich, welches Schauſpiel für eine Unglückliche, die beſtimmt war, ihr trauriges Leben in der Abgeſchiedenheit hinzubringen, zu ſterben ohne geliebt worden zu ſeyn, ohne andere Bande ken - nen gelernt zu haben, als diejenigen der Abhän - gigkeit und des Mitleidens. Die Tage, die Monate floſſen ſo dahin; ich nahm an keiner Unterhaltung Theil; ich hatte die Ausübung al - ler meiner Talente aufgegeben; wenn ich ja eine Lectüre leiden mochte: ſo war es eine ſolche, worin ich das unvollkommene Gemälde der Lei - den wieder zu finden glaubte, welche an mir87 nagten. Jch bereitete mir ein neues Gift dar - aus; ich berauſchte mich in meinen Thränen, und überließ mich, einſam auf meinem Zimmer, ganze Stunden lang meinem Schmerz.

Die Geburt eines Sohnes ſetzte Karls Glücke die Krone auf; er eilte, mich davon zu benach - richtigen, und in dem Rauſche ſeiner Freude er - kannte ich einige Anklänge der alten Vertraulichkeit. O! wie weh ſie mir thaten! Ach! es war die Stimme des Freundes, den ich verloren hatte, und alle Erinnerungen der Vergangenheit kehr - ten mit dieſer Stimme zurück, um aufs Neue meine Wunde aufzureiſſen.

Karls Kind war ſchön wie Anais; das Ge - mälde dieſer jungen Mutter mit ihrem Sohne rührte jedermann; ich allein war durch mein88 ſonderbares Schickſal verdammt, es mit Bitter - keit zu betrachten. Mein Herz verſchlang dieſes Bild einer Glückſeligkeit, die ich nie kennen ler - nen ſollte, und der Neid nagte wie ein Geier an meinem Jnnern. Was hatte ich denen ge - than, welche mich zu retten glaubten, indem ſie mich in dieſes Land der Verbannung führten? Warum ließ man mich meinem Schickſale nicht folgen? Nun wohl! ich würde vielleicht die Ne - gerſclavin irgend eines reichen Koloniſten gewor - den ſeyn; von der Sonne verbrannt, baute ich das Land eines Andern: allein ich würde meine kleine Hütte haben, um mich am Abende darin zu bergen; ich würde einen Gefährten meines Lebens, ich würde Kinder meiner Farbe haben, welche mir: Mutter! zuriefen; ohne Abſcheu wür -89 den ſie ihren kleinen Mund auf meine Stirne drücken; ihr Kopf würde an meinem Buſen ru - hen, und ſie würden in meinen Armen einſchlum - mern! Was that ich, um verdammt zu wer - den, nie jener ſüßen Bande mich zu erfreuen, für welche allein mein Herz geſchaffen iſt! O mein Gott! nimm mich von dieſer Welt; ich fühle, daß ich das Leben nicht mehr ertragen kann.

Jn mein Zimmer hingeknieet, richtete ich die - ſes gottloſe Gebet zu dem Schöpfer, als ich meine Thüre öffnen hörte. Es war die Freun - din der Frau von B., die Marquiſe von ***, welche ſeit Kurzem aus England zurück gekom - men war, wo ſie mehrere Jahre zugebracht hatte. Jch ſah ſie mit Schrecken bei mir; ihr Anblick90 erinnerte mich beſtändig, daß ſie mir zuerſt mein Schickſal verkündet hatte; daß ſie es war, die mir zuerſt die Leidensquelle öffnete, aus welcher ich bisher ſo reichlich geſchöpft hatte. Seit ſie in Paris war, erregte mir ihr Anblick nur ſchmerz - liche Gefühle.

Jch komme Sie zu beſuchen und Sie zu ſprechen, meine liebe Urika! ſagte ſie zu mir. Sie wiſſen, wie ſehr ich Sie ſeit Jhrer Kind - heit her liebe, und ich kann ohne wahrhaften Kummer die Schwermuth nicht ſehen, in welche Sie ſich verſenken. Jſt es möglich, daß Sie, mit einem Verſtande wie der Jhrige, keine beſ - ſere Parthie aus Jhrer Lage zu ziehen wiſſen? Der Verſtand, Madam! antwortete ich, dient meiſt nur dazu, die wahren Uebel zu vermeh -91 ren; er läßt ſie uns unter ihren mannichfalti - gen Geſtalten ſehen! Allein , erwiederte ſie, wenn das Uebel unheilbar iſt, iſt es dann keine Thorheit, uns nicht darein zu fügen und gegen die Nothwendigkeit ankämpfen zu wollen? denn wir ſind doch die Stärkeren nicht. Das iſt wahr , ſagte ich, allein es ſcheint mir, daß in dieſem Falle die Nothwendigkeit ein Uebel mehr iſt. Sie werden aber doch zu - geben, Urika! daß uns alsdann die Vernunft räth zu verzichten und uns zu zerſtreuen. Ja, Madam! allein um ſich zu zerſtreuen, muß man ſonſtwo eine Hoffnung erblicken. Sie könnten wenigſtens verſuchen, Beſchäftigungen Geſchmack abzugewinnen, um Jhre Zeit auszu - füllen. Der Geſchmack, Madam! den man92 der Beſchäftigung erſt abgewinnen muß, iſt eine Anſtrengung und kein Vergnügen. Aber , ſagte ſie weiter, Sie beſitzen viele Ta - lente. Wenn die Talente eine Hülfsquelle werden ſollen , antwortete ich ihr; ſo muß man ſich einen gewiſſen Zweck vorſetzen; meine Ta - lente würden der Blume des engliſchen Dich - ters gleichen, welche ihren Wohlgeruch in die Wüſte ausduftet. *)Born to blush unseen And wast its sweetness to the desert air. Gray. Sie vergeſſen Jhre Freunde, die Sie damit erfreuen könnten. Jch habe keine Freunde, Madam! ich habe nur Beſchützer, und das macht einen Unterſchied. Urika! ſagte ſie, Sie machen ſich ſehr un -93 glücklich, und unnützer Weiſe. Jn meinem Leben iſt alles unnütze, ſelbſt mein Schmerz. Wie können Sie ein ſo bitteres Wort aus - ſprechen, Urika! Sie, die Sie ſich ſo hinge - bend bezeigten, als Sie, während der Schrek - kenszeit, allein bei Frau von B. blieben? Ach, Madam! ich bin wie jene böſe Genien, die nur zur Zeit des Unglücks Gewalt haben, und die das Glück vertreibt. Vertrauen Sie mir Jhr Geheimniß, theure Urika! öffnen Sie mir Jhr Herz; denn niemand nimmt an Jhnen einen größern Antheil als ich, und viel - leicht kann ich Gutes für ſie wirken. Jch habe kein Geheimniß, Madam! antwortete ich ihr, meine Lage und meine Farbe ſind mein einziges Unglück, wie Sie wiſſen. Weg94 damit , erwiederte ſie, können Sie es läugnen, daß Sie in dem Jnnerſten Jhrer Seele einen ſchweren Kummer bergen? Man darf Sie nur ſehen, um ſich hiervon zu überzeugen. Jch beſtand darauf, ihr zu wiederholen, was ich ſchon geſagt hatte. Sie wurde ungeduldig und hob ihre Stimme. Jch ſah, daß das Wetter losbrechen ſollte. Jſt das Jhre Wahrhaftig - keit? ſagte ſie, jene Aufrichtigkeit, worum man Sie ſo gerühmt hat? Urika! nehmen Sie ſich in Acht; die Zurückhaltung führt bisweilen zur Falſchheit. Nun, was könnte ich Jh - nen anvertrauen , ſagte ich zu ihr, Jhnen hauptſächlich, die Sie ſchon ſo lange voraus - geſehen haben, welches Unglück aus meiner Lage entſpringen würde? Jhnen am wenigſten95 habe ich etwas Neues hierüber zu ſagen. Das werden Sie mich niemals glauben machen , erwiederte ſie; da Sie mir aber Jhr Zutrauen verſagen, und verſichern, Sie hätten kein Ge - heimniß, wohlan denn, Urika! ſo nehme ich es über mich, Jhnen zu ſagen, daß Sie eins ha - ben. Ja, Urika! all Jhr Gram, all Jhre Schmerzen rühren nur von einer unglücklichen Leidenſchaft her, einer thörichten Leidenſchaft, und wenn Sie nicht in Karln auf ein tolle Weiſe verliebt wären; ſo würden Sie ſich wohl darin zu finden wiſſen, eine Negerin geworden zu ſeyn. Leben Sie wohl, Urika! ich gehe, und ich erkläre Jhnen, mit weit minderer Theil - nahme, als ich für Sie mitbrachte. Bei die - ſen Worten verließ ſie das Zimmer. Jch war96 vernichtet. Was hatte ſie mir entdeckt! Wel - ches fürchterliche Licht hatte ſie über den Ab - grund meiner Leiden geworfen. Großer Gott! es war wie das Licht, welches einmal in die Tiefe der Hölle drang, um ihren unglücklichen Bewohnern die Finſterniß deſto fühlbarer zu ma - chen. Wie! Jch hegte eine verbrecheriſche Lei - denſchaft! Sie war es, die bisher an meinem Herzen genagt hatte! Dieſes Verlangen, einen Platz in der Kette der Weſen einzunehmen, die - ſes Bedürfniß der Bande der Natur, dieſer Schmerz des Alleinſeyns war nur der Gram einer frevelhaften Liebe geweſen! und wenn ich das Vorbild des Glücks zu beneiden glaubte; ſo war es das Glück ſelbſt, welches der Gegenſtand meiner gottloſen Wünſche geweſen war! Allein97 was that ich denn, daß man mich von dieſer hoffnungsloſen Leidenſchaft befallen glauben konnte? Jſt es denn ohnmöglich etwas mehr, als ſein Leben in Unſchuld zu lieben? Welche Gefühle ſind es denn, die jene Mutter beſeelten, welche ſich dem Löwen in den Rachen ſtürzte, um ihren Sohn zu retten? Dieſe Geſchwiſter, welche mit einander auf dem Schaffot zu ſterben wünſch - ten, und zu Gott beteten, ehe ſie es beſtiegen; hatte eine frevelhafte Liebe ſie vereiniget? Er - zeugt die Menſchlichkeit nicht täglich erhabene Beiſpiele der Hingebung? Warum konnte ich Karln, den Geſpielen meiner Kindheit, nicht ebenſo lieben? und dennoch weiß ich nicht, welche Stimme mir aus dem Jnnern zuruft, daß man Recht hat, und daß ich ſchuldig bin. Urika. 798Großer Gott! ſo will ich denn auch die Gewiſ - ſensbiſſe in mein troſtloſes Herz aufnehmen! Urika ſoll den Kelch aller Bitterkeiten trinken, alle Leiden ſchmecken! Wie! meine Thränen ſoll - ten in Zukunft verbrecheriſch ſeyn? es wäre mir verboten an ihn zu denken? wie! ich ſollte es nicht mehr wagen dürfen, mich zu härmen?

Dieſe grauſamen Betrachtungen warfen mich in einen, dem Tode ähnlichen, Zuſtand. Dieſelbe Nacht bekam ich das Fieber, und in weniger als drei Tagen verzweifelte man an meinem Le - ben. Der Arzt erklärte, daß man keinen Augen - blick Zeit zu verlieren habe, wenn ich die heili - gen Sakramente empfangen ſollte. Man ſchickte nach meinem Beichtiger, er war ſeit wenigen Ta - gen todt. Frau von B. ließ alſo einen Geiſt -99 lichen der Pfarre rufen. Er kam und gab mir die letzte Ölung, denn ich befand mich außer Stand, das Viaticum zu empfangen; ich lag ohne Bewußtſeyn, und man erwartete meinen Tod jeden Augenblick. Ohne Zweifel hatte Gott damals Erbarmen mit mir; er erhielt mir das Leben; gegen alle Erwartung dauerten meine Kräfte aus. Jch litt auf dieſe Weiſe ohngefähr vierzehn Tage; wornach ich meine Beſinnung wieder erhielt.

Frau von B. verließ mich nicht, und Karl ſchien ſeine ehemalige Liebe gegen mich wieder gefunden zu haben. Der Geiſtliche fuhr fort, mich jeden Tag zu beſuchen, denn er wollte den erſten Augenblick benutzen, mich Beichte zu hören. Jch verlangte es ſelbſt. Jch weiß nicht, welche7 *100innere Bewegung mich zu Gott hintrieb und mir es zum Bedürfniſſe machte, mich in ſeine Arme zu werfen und dort Ruhe zu ſuchen. Der Prieſter hörte das Geſtändniß meiner Vergehen; er wurde nicht erſchreckt über den Zuſtand meiner Seele. Er kannte, gleich einem alten Steuer - manne, alle Stürme. Er fing damit an, mich über dieſe Leidenſchaft zu tröſten, worüber man mich anklagte. Jhr Herz, ſagte er mir, iſt rein, Sie haben ſich ſelbſt nur wehe gethan, allein Sie ſind darum nicht weniger ſtrafbar. Gott wird Jhnen von dem Glück Rechenſchaft abfordern, das er Jhnen anvertraut hatte. Was haben Sie damit gethan? Dieſes Glück lag in Jhren Händen, denn es beſteht in der Erfüllung unſerer Pflichten. Haben Sie ſie101 auch nur gekannt? Gott iſt des Menſchen Endzweck; was war der Jhrige? Verlieren Sie aber den Muth nicht; bitten Sie Gott, welcher gegenwärtig iſt, daß er Sie in ſeine Arme aufnimmt; für ihn giebt es weder ſchwarze noch weiße Menſchen; vor ſeinen Augen ſind alle Herzen gleich, und das Jhrige verdient ſeiner würdig zu werden. Auf dieſe Weiſe war es, daß der ehrwürdige Geiſtliche der armen Urika Muth einſprach. Dieſe ſchlichten Worte goſſen in meine Seele, ich weiß nicht, welchen Frieden, wie ich ihn nie noch gekannt hatte. Jch dachte anhaltend darüber nach, und wie aus einer fruchtbaren Ader, gingen mir immer neue Betrach - tungen daraus hervor. Jch ſah in Wahrheit, daß ich meine Pflichten nicht gekannt hatte;102 Gott hat deren den Einſamen, wie jenen Men - ſchen vorgeſchrieben, welche in der großen Welt leben. Wenn er ihnen die Bande des Blutes verſagte, ſo hat er ihnen die ganze Menſchheit zur Familie gegeben. Die barmherzige Schwe - ſter, ſagte ich mir, iſt nicht allein in dieſem Leben, ob ſie gleich allem entſagt hat; ſie hat ſich eine Familie ihrer Wahl geſchaffen; ſie iſt die Mutter aller Waiſen, die Tochter aller armen Greiſe, die Schweſter aller Unglücklichen. Haben Weltmänner nicht oft eine freiwillige Einſamkeit gewählt? Sie wollten allein ſeyn mit Gott; ſie verzichteten auf alle Vergnügungen, um in der Einſamkeit die reine Quelle alles Guten und alles Glücks anzubeten; ſie arbeiteten in ihren geheimen Gedanken daran, ihre Seele103 würdig zu machen, vor dem Herrn erſcheinen zu können. Für dich, o Gott! iſt es ſchön ſein Herz ſo zu veredeln und mit allen dir wohl - gefälligen Tugenden, wie zu einem Feſttage aus - zuſchmücken. Ach! was habe ich gethan? Ein unbeſonnenes Spielzeug der eigenwilligen Bewegungen meines Herzens, war ich den Freu - den der Welt nachgejagt, und hatte darüber mein Glück vergeſſen. Allein es iſt noch nicht zu ſpät. Gott, der mich in dieſes fremde Land führte, wollte vielleicht mich für ihn beſtimmen. Er entzog mich der Erniedrigung der Sclaverei, und ließ mich ſein Gebot kennen. Dieſes Gebot zeichnet mir alle meine Pflichten vor; es bezeich - net mir den Weg, den ich gehen ſoll. Jch werde deine Wohlthaten nicht mehr dazu mißbrauchen,104 um dich, o Gott! zu beleidigen, ich werde dich nicht mehr meiner eigenen Vergehungen wegen anklagen.

Dieſer neue Geſichtspunkt, unter dem ich meine Lage betrachtete, brachte in mein Herz bald Beruhigung zurück. Jch wunderte mich des Friedens, der auf ſo viele Stürme folgte. Man hatte dem Strom einen Ausweg verſchafft, wel - cher ſein Ufer verwüſtete, und der jetzt ſeine beſänftigte Wogen in das ruhige Meer trug.

Jch entſchloß mich eine Nonne zu werden. Jch ſprach mit Frau von B. davon. Sie be - trübte ſich darüber, aber ſie ſagte mir: Jch that Dir ſo viel Böſes, indem ich Dir Gutes thun wollte, daß ich nicht das Recht zu haben glaube, mich Deinem Entſchluſſe zu widerſetzen.

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Karl war heftiger in ſeinem Widerſtand; er bat, er beſchwor mich zu bleiben; ich ſagte ihm: Laß mich, Karl! an den einzigen Ort gehen, wo es mir erlaubt iſt, beſtändig an dich zu den - ken.

Hier brach die Nonne auf einmal ihre Er - zählung ab. Jch fuhr fort, ihr meine Sorgfalt zu widmen, allein unglücklicher Weiſe vergeblich. Sie ſtarb mit Ende Octobers; ſie fiel mit den letzten Blättern des Herbſtes.

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Buchdruckerei von Heinrich Wilmans und Naumann in Frankfurt a. M.

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About this transcription

TextUrika, die Negerin
Author Claire de Durfort de Duras
Extent119 images; 12108 tokens; 3069 types; 81043 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationUrika, die Negerin Claire de Durfort de Duras. Ehrenfried Stöber (ed.) . [1] Bl., 105 S., [2] Bl. WilmansFrankfurt (Main)1824.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Berlin SBB-PK, 50 MA 26148

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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