PRIMS Full-text transcription (HTML)
Der Prophet.
Hiſtoriſcher Roman aus der Neuzeit Nord-Amerikas.
Zweiter Theil.
Jena,Friedrich Luden. 1846.

Motto:

Bei Privatunternehmungen findet ein Fortſchreiten Statt und man kann nach Gefallen dem Glücke mehr oder minder anvertrauen. Wer aber nach der Ober - herrſchaft ſtrebt, der hat nur den Gipfel oder den Abgrund vor ſich.

(Tacitus Geſchichtsbücher, II. Buch. )
[1]

Erſtes Kapitel.

Das erſte Geſchäft Arnolds, als er wieder in ſeiner Wohnung angekommen, war, Dina’s Papiere einzuſiegeln und an einem ſichern Orte aufzubewahren.

Er athmete erſt wieder auf, als er ſich dem bis - herigen Zwange entriſſen und allein in ſeinem Zimmer ſah; denn ſein Verhältniß zu Marien war ihm, je länger es gedauert, um ſo unerträglicher geworden. Daß ſie ihn liebte, ſich ihm mit voller Seele hin - gegeben, daran hatte ihm kein Zweifel mehr bleiben können, auch gab ſie ſich nicht einmal die Mühe, es vor ihm zu verbergen, da ſie ſeine Schüchternheit be - ſiegen zu müſſen glaubte, um an das Ziel ihrer Wün - ſche zu gelangen; denn daß ein Mann, und oben - drein ein junger, ihren Reizen gegenüber kalt bleiben könne, gegen dieſe Annahme ſträubte ſich ihre Eitel - keit. Dieſes Entgegenkommen Mariens mußte aber nothwendig etwas Peinliches für einen Mann von Zartgefühl haben und hätte ſein Herz, wie es einmalII. 12war, ſelbſt dann erkältet, wenn er ihr Neigung ent - gegengetragen, wie viel mehr aber mußte es dies nicht jetzt thun, wo er ſie durchſchaute und ſich weit mehr von ihr abgeſtoßen, als angezogen fühlte. Trotz dem hatte er, der Mann der Frau gegenüber, den Ton der Höflichkeit, ja ſelbſt einer gewiſſen Galanterie, da ſie jung und ſchön war, gegen ſie annehmen müſſen und eben dieſer Zwang war ihm auf die Länge über - aus läſtig geworden.

Ueberdies flößte ihm ihre Unwiſſenheit, der gänz - liche Mangel an allen den Kenntniſſen, die einiger - maßen gebildete Frauen ſich anzueignen bemüht ſind, damit ſie, wie Leonore im Taſſo ſagt: ver - ſtehen können, was kluge Männer ſprechen, ſo wie die Frivolität, womit ſie alle menſchlichen Zuſtände behandelte, einen immer größern Ekel gegen eine Con - verſation ein, bei der weder der Geiſt noch das Ge - müth betheiligt war und die eben nur das Oberfläch - lichſte berührte. Wie hatte er ſich nicht oft, dieſer ſchönen Bornirten gegenüber, nach der tiefſten Ein - ſamkeit oder nach dem friſchen Leben und Verkehr mit ſeinen Wilden geſehnt, der allemal ſein Herz mit neuen Gefühlen, ſeinen Geiſt mit neuen Anſichten und Jdeen bereicherte!

Ja, ſeine Ungeduld, ſich den ihm angelegten Feſſeln entriſſen zu ſehen, endlich wieder einmal frei3 aufzuathmen, war mit jedem Tage größer geworden und hatte ſelbſt eine ſolche Herrſchaft über ihn ge - wonnen, daß er ſeinen Mißmuth kaum mehr verber - gen konnte. Marie aber, deren Eitelkeit einen ſol - chen Zuſtand, ihren Reizen gegenüber, niemals hätte zugeben können, deutete ſich die Wolken auf der Stirn des geliebten Mannes ganz nach ihren Wünſchen und ſuchte dem vermeintlich Schüchternen durch noch mehr Zuvorkommen Muth und Selbſtvertrauen einzuflößen.

Nur Eins war unſerm Freunde an der Koketten unerklärlich: wie konnte ein ſo völlig geiſt - und ge - müthloſes Weſen, wie Marie war, ſo ſingen und ſpielen? Es waren alſo gewiſſermaßen zwei Naturen in ihr, wovon die eine völlig gemein und erbärmlich, die andere groß, ja erhaben war, denn wie ſie konnte kein gewöhnliches Geſchöpf ſingen. Hätte ſie ahnen können, welche Gewalt ſie auf dieſe Weiſe über ihn ausübte, ſo würde ſie ihn öfter durch Geſang und Spiel entzückt und dadurch vielleicht gänzlich gefeſſelt haben; allein ſie erfüllte ſeine Wünſche in dieſer Hin - ſicht nur mit großem Widerſtreben und nur, wenn er gar nicht mit Bitten nachlaſſen wollte. Auch ihr Talent für die Malerei mußte er bewundern, wenn er gleich ihre Trägheit in Ausübung deſſelben zu ta - deln nicht umhin konnte; das von ihr angefangene, ſehr hübſche Gemälde rückte während ſeiner Anweſen -1 *4heit nicht weiter fort und ſo oft er ſie daran mahnte, ein ſo ſchönes Talent zu cultiviren, hatte ſie irgend einen Vorwand zur Hand, ſich der Ausübung deſſel - ben zu entziehen und endlich verſchwand die Malerei gänzlich aus dem Zimmer.

Gern hätte unſer Freund, verſtimmt wie er durch den längern Aufenthalt in der Wohnung des Prophe - ten und durch den Umgang mit Marien war, ſeine Zuflucht wieder zum reinen Naturleben, zu dem herz - erquickenden und ſinnerfriſchenden Verkehr mit ſeinen geliebten Sioux genommen, wenn nicht einige ihm übertragene, ſehr dringende geometriſche Arbeiten, die er zu liefern verſprochen, ihn zurückgehalten hätten. Er beeilte ſich aber, ſie zu beendigen, um ſich endlich die erſehnte Freude gewähren zu können, und da er ſchnell arbeitete, ſah er ſich endlich ſo weit, ſein Ge - wehr unter dem Arm, die Jagdtaſche auf der Hüfte und ſeinen treuen Bruno zur Seite, der Stadt ent - fliehen und die traute Einſamkeit der Wälder und der Prairie aufſuchen zu dürfen, in denen er ſicher war, ſich ſelbſt und Ruhe für ſein Herz wieder zu finden.

Faſt ohne daß er es wußte, lenkten ſich ſeine Schritte dem Weſten zu, wo ſeine Sioux das Leben der Freiheit und des Glücks lebten, wo, wie er mit Gewißheit annehmen durfte, ihm ſo viele gute Her - zen in aufrichtiger Zuneigung entgegenſchlugen und5 ſein Erſcheinen für den ganzen Stamm eine Freude ſeyn würde.

Der Weg war, zumal für einen Fußgänger, weit und ermüdend, die Luft in der baum - und ſtrauch - loſen Prairie um dieſe Jahreszeit erdrückend heiß; allein alles Dieſes ſchreckte ihn nicht von ſeiner Wan - derung ab und ihm war inmitten aller dieſer Be - ſchwerden und Mühſeligkeiten, ja ſelbſt der Gefahren, die den einſamen Wanderer in der Prairie durch ihre wilden Bewohner erwarten, ſo wohl, ſo behaglich, wie ſeit langer Zeit nicht.

Wie ſchön war es auch nicht, wenn er, ermüdet durch die Sonnenhitze und einen angeſtrengten Marſch durch die grüne Wüſte, endlich am kühlen Fluſſe an - langte und ſeine ermatteten Glieder durch ein Bad er - friſchen konnte; oder wenn eine Strecke duftigen Ur - walds ſich am Rande des Horizontes zeigte und er ſeine kühlen Schatten nach unſäglicher Anſtrengung er - reichte und ſeinen Leib auf den üppigen Gräſern und Mooſen ausſtreckte; wenn der Geſang der Waldvögel und das melancholiſche Girren der Ringeltauben ihn in Schlummer wiegte, dem er ſich ohne Furcht hin - geben konnte, da Brunos Wachſamkeit der ſicherſte Schutz für ihn war.

Auch das treue Thier ſchien allmählig wieder aufzuleben und munterer zu werden, als es, getrennt6 von ſeinem geliebten Herrn, bisher geweſen war; denn Arnold hatte es nicht für ſchicklich gehalten, den Hund mit ſich in den Tempel zu nehmen und ihn da - her unter John Adams Obhut in ſeiner eigenen Woh - nung zurückgelaſſen. Jetzt ging er ſeinem geliebten Gebieter wieder zur Seite und durfte, ſich hart an denſelben legend, ſeine müden Glieder neben ihm aus - ſtrecken oder gar ſein Bad im Fluſſe theilen, und das war Glückſeligkeit genug für das treue Thier.

Gegen Abend des dritten Tags, den unſer Freund in der Einſamkeit zugebracht hatte, erreichte er das Ende der Prairie und betrat einen Urwald, der aus himmelhohen Eichen, Fichten, Pechtannen und Pla - tanen beſtand und mit ſeinen üppig wuchernden Far - renkräutern und Mooſen ihm Schutz und zugleich ein ſchwellendes Nachtlager darbot.

Mit den Gefahren der Gegend, beſonders wäh - rend der Nacht, vertraut, wo die wilden Thiere ihre Höhlen und Schlupfwinkel verlaſſen, wo der graue und ſchwarze Bär, der beuteſüchtige Prairiewolf, der ſelbſt ohne Hunger auf Mord ausgeht, und der blut - dürſtige Puma oder rothe Panther aus den Wäldern in die Prairie hinausbrechen und auf Raub ausgehen; mit allen dieſen Schrecken und Gefahren vertraut, ſa - gen wir, würde unſer Freund ſich der Nachtruhe im Walde, trotz Brunos Wachſamkeit, nicht ohne Be -7 ſorgniß haben hingeben dürfen, wenn nicht der klar und unverſchleiert am Himmel ſtehende Vollmond ſein ſicherer Schutz geweſen wäre. Denn ſo ſehr ſcheuen dieſe Beſtien das Licht, daß man beim Mondſchein völlig ruhig vor ihnen ſeyn kann.

Das wußte Arnold durch ſein längeres Verwei - len unter den Wilden und daher unterließ er auch die ſonſt übliche Vorſicht, ein großes Feuer anzu - machen und ſich ganz in der Nähe deſſelben zur Ruhe niederzulegen.

Die Sonne war bereits untergegangen, als er den Wald erreichte und ein ſo tiefes Schweigen herrſchte nach dem Verſtummen aller Vögel darin, daß man das Schlüpfen eines Froſches oder einer Eidechſe hätte hören können.

Bruno hatte ſich behaglich neben ſeinem Gebieter ausgeſtreckt und ſchloß, die zottige Schnauze auf die vorgeſtreckten Pfoten gelegt, die Augen zum Schlafe; plötzlich aber richtete er ſich, durch irgend ein nur von ſeinem ſcharfen Gehör wahrgenommenes Geräuſch aufgeweckt, hoch empor, ſtellte ſich auf ſeine Füße und ſah ſich nach allen Seiten um, als wittere er das Herannahen eines ihm unheimlichen Gegenſtandes, wobei er einige knurrende Laute ausſtieß. Arnold, der die Wachſamkeit und Klugheit des Thiers kannte, er - hob ſich bei dieſer Erſcheinung augenblicklich von der8 Erde, griff nach ſeinem doppelläufigen Gewehr und machte, ſich vorſichtig nach allen Seiten umſehend, ſchußfertig.

Seine Blicke trafen auf die zweier dunkler, fun - kelnder Augen, die aus einem Gebüſche hervorblitz - ten, und in demſelben Augenblick theilte ſich das Ge - büſch und mehre Wilde, die er an verſchiedenen Kenn - zeichen für Chippewa-Jndianer erkannte, boten ſich ſeinen Blicken dar. Alle waren bewaffnet und ihre Mienen ſchienen nichts Gutes anzudeuten; beſonders zornig blickten ſie auf das Gewehr in ſeiner Hand und auf ſeine ſchußfertige Stellung. Er ſah ein, daß, bei der überlegenen Anzahl der Wilden, die obendrein mindeſtens ſo gut bewaffnet waren, wie er ſelbſt, an Widerſtand nicht zu denken ſei und er ſich allein durch ihnen gezeigtes Vertrauen auf ihre Groß - muth der ihn bedrohenden Gefahr entziehen könnte. Er legte zu dem Ende ſein Gewehr auf den Boden nieder, brachte den ſich grimmig geberdenden Bruno zum Schweigen, brach einen Zweig von einem in ſei - ner Nähe befindlichen Strauch ab und trat ihnen furchtlos mit dieſem Friedenszeichen entgegen. Au - genblicklich ſenkten auch ſie die drohend geſchwungenen Waffen und traten ihm entgegen.

Was führte dich in unſer Revier, Bleich - geſicht? fragte ihn einer der Wilden, den er, ſei -9 ner die der Andern überragenden Größe und ſeines reichen Scalpſchmucks wegen, für einen Anführer hielt, in der Sprache des Stammes, die er zum Glück ver - ſtand, da ſie von der der Sioux nur ſehr wenig abwich.

Jch bin auf dem Wege, meine Freunde, die Rothhäute, zu beſuchen, antwortete Arnold un - erſchrocken, und da dieſe jetzt auch eure Freunde und Bundesgenoſſen ſind, hoffe ich, daß ihr mich in Frie - den ziehen laſſen werdet.

Friede dem, der Frieden hält, war die Antwort; du haſt nichts von uns zu befürchten, Bleichgeſicht, ſeit du dein Gewehr niedergelegt und dich uns mit dem Friedenszweige genaht haſt. Du willſt alſo zu den alten Feinden und neuen Freunden unſeres Stammes, den Sioux?

So will ich, verſetzte Arnold, ſofern ihr mir den Durchgang durch euer Gebiet geſtatten wollt.

Mir ſcheint, ich ſollte dich kennen? nahm der Anführer, näher zu Arnold hintretend, das Wort.

Nanawa, rief jetzt plötzlich ein Anderer, wohl kennen wir dieſes gute Bleichgeſicht: es iſt der Freund unſerer Brüder, derſelbe, welcher ſo groß - müthig ſeine Schätze hergab, um die Blutrache von White-hawk, dem Sioux, abzuwenden.

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Auch ich erkenne ihn jetzt, antwortete der Häuptling, und ganz dicht zu Arnolden hintretend, bot er ihm zutraulich ſeine Hand zur Begrüßung dar. Die Stunde ſoll eine glückliche genannt werden, fügte er mit liebevollem und ſanftem Tone hinzu, in der wir dich hier trafen, und wenn dir unſer Wunſch und unſre Bitte etwas gilt, ſo ſei fortan auch unſer Freund und Bruder. Jch habe es ge - ſagt!

Von Herzen! erwiederte Arnold, vergnügt über den glücklichen Ausgang des ſo drohend begonne - nen Abenteuers, indem er den Händedruck des wilden Häuptlings erwiederte. Aber ſprecht, meine Brü - der, fügte er hinzu, wie kommt es, daß ihr jetzt hier eure Wohnungen aufgeſchlagen, da ihr doch frü - her hinter den Hügeln wohntet?

Das Rothwild fing an, ſeltener zu werden, ſeit die Trappers ihr Weſen dort trieben, war die Antwort des Nanawa oder Häuptlings. Wir konn - ten und mochten ihnen das Jagen nicht verwehren, da das Wild für Rothhäute und Bleichgeſichter da iſt und Jeder eſſen muß, um leben zu können, und ſo haben wir den Entſchluß gefaßt, auszuwan - dern und uns andere Jagdplätze zu ſuchen. Der gute Geiſt hat uns geführt und wir ſind mit dem Tauſche vollkommen zufrieden.

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Wir haben Rothwild und Büffel vollauf, auch einen ſchönen Lagerplatz und Waſſer genug ge - funden, nahm ein Anderer das Wort. Du wirſt das ſehen, wenn du mit uns kommſt, denn wir hof - fen, daß du unſer Gaſt ſo gut ſeyn wirſt, wie du ſchon mehre Male der der Sioux wareſt: haſt du uns doch auch deine Brüder genannt, und ſind wir die deinigen!

Jch nehme gern euren Vorſchlag an, war die Antwort des jungen Weißen, und hoffe, daß auch wir einander lieb gewinnen werden.

Wer wollte daran zweifeln? verſetzte der Nanawa. Aber jetzt komm mit uns, Bleichgeſicht: unſre Wigwams ſind nicht fern und die Mustangs werden uns ſchnell hinführen. Sie graſen keine tau - ſend Schritte von hier und du ſollſt das beſte Pferd von allen haben.

Dieſer Vorſchlag ward von unſerm jungen Freunde mit Vergnügen und um ſo lieber angenommen, da er die Nachtruhe in der Hütte eines Jndianers der im Walde immer doch vorziehen mußte, ſchon weil erſtere völlig gefahrlos war, und ſo eilte man raſchen Schritts der Stelle zu, wo die Mustangs, ſchöne, ſtolze, aber noch ziemlich wilde Thiere, mit geſperr - ten Füßen weideten; denn dieſe Vorſicht mußte man trotz dem anwenden, daß man einen Wächter bei12 ihnen zurückgelaſſen hatte, weil ſonſt die Liebe zur Freiheit in den nur halbgezähmten Thieren erwacht ſeyn und ſie zerſtreut haben würde; ſo aber, wo ſie an dem einen Vorder - und dem einen Hinterfuße ge - feſſelt waren, konnten ſie die Flucht nicht verſuchen, ſondern mußten ſich mit der ihnen dargebotenen Weide begnügen.

Die den Roſſen abgenommenen Sättel und Zäume lagen auf einem Haufen; Jeder griff nach dem ſeinigen und in wenigen Minuten waren die muthi - gen Thiere mit einer Geſchicklichkeit und Schnelligkeit geſattelt und gezäumt, daß der geſchickteſte europäiſche Stallknecht es dieſen Wilden nicht hätte zuvorthun können. Man übergab dem jungen Deutſchen ein ſehr ſchönes, reich geſchmücktes Pferd, und obgleich er ſich aus Höflichkeit ſträubte, es zu beſteigen, weil dann einer der Wilden unberitten bleiben müßte, zwang man ihn doch, dieſe Artigkeit anzunehmen.

Der Zug ſetzte ſich jetzt in Bewegung. Die Chippewas, obſchon ſie erſt ſeit kurzer Zeit, vielleicht erſt ſeit wenigen Wochen, in dieſer Gegend lebten, kannten ſo genau die Wege und Stege im Walde, daß ſie ſich auch nicht ein einziges Mal in der einzu - ſchlagenden Richtung irrten, obgleich die Nacht bereits hereingebrochen war und der Mondſchein ihnen in dem dichten Urwalde wenig oder gar nichts half, und ſich13 ihnen faſt auf jedem Schritte durch die Schmarotzer - pflanzen, welche, von einem Baume zum andern hin - überklimmend, gleichſam grüne Wände und Verhaue bilden, die größeſten Hinderniſſe darboten. Mit den Schlägen ihrer Tomahawks durchhieben ſie dieſes Pflan - zengewirr und bahnten ſich Schritt für Schritt den Weg, wobei zugleich die Kraft ihres Arms und ihre Geſchicklichkeit zu bewundern war.

Der Zug mochte ſich etwa zwei Stunden im Walde fortbewegt haben, als dieſer ſich zu lichten an - fing und nach einer nur noch kurzen Wanderung langte man in einem ſchönen, ringsum von Hügeln umſchloſ - ſenen Thale an, in dem die Wigwams des Stammes, kegelförmige, von gegerbten Thierfellen gemachte Hüt - ten, mit ſo niedrigem Eingange, daß man nur tief gebückt in dieſelben hineingehen konnte, vom ſchön - ſten Mondſchein beſtrahlt, in friedlicher Ruhe vor den Blicken der nächtlichen Wanderer da lagen; denn alle Bewohner dieſer Hütten, bis auf die, welche jetzt von der Jagd zurückkehrten, hatten ſich bereits längſt zum Schlafe niedergelegt, was bei den Wilden mit Anbruch der Nacht zu geſchehen pflegt, damit der erſte Strahl des erwachenden Tages ſie wieder munter und gekräftigt finde. Mit der Nacht wiſſen ſie nichts anzu - fangen, als ſie zu verſchlafen, dagegen ſind ſie während der hellen Stunden unausgeſetzt und unermüdlich thätig.

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Die Wigwams lagen einzeln, oft in weiten Zwi - ſchenräumen von einander, zerſtreut umher und Jeder hatte ſich ſeinen Platz nach Laune gewählt, bald un - ten im Thale, an dem Bache, von dem dieſes durch - ſtrömt wurde, an dem zwar nicht großen, aber fiſch - reichen Creek oder Landſee, am Fuße der das Thal einſchließenden Hügel oder am Saum des Waldes, oft auch ziemlich hoch hinauf, nahe der Spitze der Hügel. So hatte ſich Jeder nach Gefallen und Be - dürfniß angeſiedelt und Keiner beengte den Andern. Von Feld - und Gartenbau fand man keine Spur; die Wilden würden die Beſchäftigung damit für ſchimpf - lich halten und beſchränken ſich allein auf die Jagd und den Fiſchfang. An Vegetabilien genießen ſie nur die wildwachſenden, in jenen Gegenden größtentheils ziemlich herben Früchte und einige Wurzelarten, zu denen ſie aber nur im äußerſten Nothfalle und ge - drängt vom Hunger ihre Zuflucht nehmen.

Faſt mitten im Thale, hart am Ufer des Creek, lag ein Wigwam, der ſich vor allen andern durch ſeine Größe auszeichnete: es war, wie Arnold gleich vermuthet hatte, die des Nanawa oder Häuptlings und in dieſe wurde er auch von ſeinem Gaſtfreunde geführt, um neben ihm, auf einem weichen Lager von Fellen, noch einige Stunden der Ruhe zu pflegen. Jhr Eintritt ſchien von den Schläfern in der Hütte15 gar nicht bemerkt zu werden, denn Niemand be - wegte ſich, Niemand erkundigte ſich nach den Ankom - menden.

Arnold war ſehr müde und ſo fand ihn der er - ſehnte Schlaf bald. Als er erwachte, ſchien die Sonne ſchon hell durch die Thür herein und die Hütte war bereits von allen ihren Bewohnern verlaſſen, die früher aufgewacht und aufgeſtanden waren als er. Als er ſich erhoben hatte und vor die Thür des Wigwams hinausgetreten war, zeigte ſich ſeinen Blicken ein Bild des bunteſten, bewegteſten Lebens. Vor je - der Hütte waren die Weiber mit dem Abfellen der erlegten Jagdbeute und der Zubereitung des Morgen - imbiſſes beſchäftigt, wobei die Männer die unthätigen Zuſchauer abgaben; denn dieſe würden es für ſchimpf - lich halten, ſich um ſolche Geſchäfte zu bekümmern, die von den Weibern verrichtet werden können. Sie beſchränken ſich einzig und allein auf Jagd und Fiſch - fang und überlaſſen ſelbſt letztere, als zu leicht und unmännlich, den Weibern, die ſich auch ſehr gut dar - auf verſtehen und den ſtummen Bewohnern der Ge - wäſſer mit vieler Liſt und Beharrlichkeit nachſtellen.

Als unſer Freund aus dem Wigwam trat, bot ſich, wie geſagt, ſeinen Augen ein allerliebſtes Schau - ſpiel dar. An der einen Seite der Hütte war das Weib des Nanawa, der den Namen des großen16 Pelikans führte, mit der Zubereitung des Früh - ſtücks beſchäftigt, das aus einem leckern Stücke von dem am Tage zuvor erlegten Rothwilde beſtand, wel - ches ſie in einer mit Steinen ausgelegten und zuvor erhitzten Erdgrube gahr briet und das einen Appetit erweckenden Duft verbreitete. Dem Eingange des Wigwams gerade gegenüber ſpielte ein Häufchen ganz nackter, recht hübſcher Kinder mit Bruno, der ſich ihre Neckereien geduldig gefallen ließ und nur dann und wann, wenn ſie es ihm allzu arg machten, einen knurrenden Ton von ſich gab. Hart am Creek ſaß, auf einem umgefallenen Baumſtamme, der Vater und ſchaute mit dem ſichtbarſten Vergnügen auf die ſpie - lenden Kinder; er rauchte gemüthlich ſeine Pfeife und warf dann und wann einen lüſternen Blick auf die Grube, in der das mit einiger Sehnſucht von ihm erwartete Frühmahl gebraten wurde. Vor den um - liegenden Hütten ſah es faſt eben ſo aus, wie vor der, in welcher Arnold ſeine Nachtruhe gehalten hatte, und der goldene Sonnenſchein eines ſchönen Sommer - morgens verſchönerte durch den Goldglanz, womit er Alles überkleidete, dieſes anmuthige Bild des Frie - dens und des genügſamen Glücks. Alle gehäſſigen Leidenſchaften ſchienen hier zum Schweigen gebracht zu ſeyn: Jeder hatte was er eben bedurfte und ver - langte nichts mehr, als während des Laufes des Ta -17 ges das Nothwendigſte zu haben; für den folgenden wollte er dann ſchon wieder ſorgen, und ſo fort, bis der Tod jedem Bedürfniſſe ein Ende machte.

Sobald die Kinder des Fremdlings anſichtig wur - den, erhoben ſie ſich mit einiger Furcht vom Erdbo - den, auf dem ſie bisher geſeſſen und mit dem gedul - digen Bruno geſpielt hatten. Es war vielleicht das erſte Bleichgeſicht, deſſen ſie anſichtig wurden, und ſo flößte es ihnen einige Furcht ein.

Als der Vater dieſe Bewegung der Kleinen wahr - nahm, erhob er ſich von ſeinem Sitze, trat auf die zitternde Gruppe zu und ermunterte ſie, keine Furcht vor dieſem bleichen Manne, ſeinem und ihrem Freunde, zu haben; zugleich küßte er Arnold und umarmte ihn, worauf er den Kindern befahl, daſſelbe zu thun; ſie gehorchten, aber an allen Gliedern zitternd. Bald jedoch legten ſie ihre Furcht ab und machten ihn auch zu ihrem Freunde, wie zuvor ſchon den zottigen Bruno.

Das Frühſtück war indeß fertig geworden. Die lecker gebratene, ſaftreiche Rehkeule würde ſelbſt dem verwöhnteſten Gaumen gemundet haben und Arnolden ſchmeckte ſie vortrefflich.

Nach dem Frühſtück ließ der große Pelikan ein mächtiges Horn erſchallen und gleich darauf verſam - melten ſich die Bewohner aller im Thale zerſtreut lie -II. 218genden Wigwams vor dem ihres Häuptlings, um ſeine Befehle zu vernehmen.

Brüder, Freunde, Stammgenoſſen, redete ſie der Nanawa mit ſeiner volltönenden Stimme an, ihr ſeht hier ein Bleichgeſicht, dem ich den Namen Bruder gegeben habe und den ich von euch geliebt und geehrt ſehen will, wie ihr mich liebt und ehrt. Er iſt nicht in feindlicher Abſicht zu uns gekommen, nicht, um uns unſre Büffelfelle und die Häute des Rothwilds gegen verderbliches Feuerwaſſer abzutau - ſchen, wie es die Fußkrämer, zu unſerm Unglück, thun; nicht wie die Trappers, die den Moſkotajs in der Prairie ſo lange nachſtellen, bis keine mehr vor - handen ſind und wir entweder des Hungertodes ſter - ben oder mit unſern Wigwams weiter wandern müſ - ſen; nicht wie die Schwarzröcke, die uns Verachtung gegen unſere einheimiſchen Götter und dafür Ver - ehrung für ihre falſchen aufdringen möchten, wenn wir ſo unſinnig wären, auf ihre Reden, die nichts als Lügen enthalten, zu hören; nein, in keiner feind - lichen und verderblichen Abſicht irgend einer Art iſt dieſes gute Bleichgeſicht zu uns gekommen, ſondern allein, um mit uns Freundſchaft zu ſchließen, wie es ſie zuvor ſchon mit unſern Brüdern, den Sioux, ge - ſchloſſen, bei denen ſein Name, als Wohlthäter, im beſten Anſehen ſteht; es will auch unſer Freund, und19 wenn wir je ſeiner bedürfen ſollten, auch unſer Wohl - thäter ſeyn. Jhr werdet begreifen, daß man einem ſolchen Manne nicht Ehre genug anthun, ſeine Zunei - gung nicht hoch genug anſchlagen kann, und ſomit fordre ich euch, ihr Männer und Krieger, auf, zur Bekräftigung unſeres Freundſchaftsbündniſſes mit ihm die Friedenspfeife mit ihm zu rauchen, und euch, ihr Jünglinge, den Friedenstanz vor ihm aufzuführen. Wenn mein Mund Weiſes und euch Wohlgefälliges geredet, ſo thut, wie ich euch geſagt habe.

Dieſe Worte wurden mit ſtürmiſchem Beifalle von der Verſammlung aufgenommen; die Männer und Greiſe drängten ſich an Arnold, um ihm, zum Zei - chen des Bündniſſes, das ſie mit ihm ſchloſſen, die Hand zu reichen, während die Jünglinge, die es nicht wagen durften, ſich einem Manne und einem von den Kriegern hochgeehrten Fremdlinge vertraulich zu - hern, beſcheiden von Ferne ſtanden und ihre Zuſtim - mung nur durch Kopfnicken und Gemurmel zu er - kennen gaben.

Die Männer ließen ſich jetzt, einen großen und regelmäßigen Kreis bildend, in deſſen Mitte Arnold und der große Pelikan Platz nahmen, auf den ſchwel - lenden Raſen nieder und ein Jüngling, einer von denen, die ſchon in der nächſten Zeit unter die Zahl der Krieger aufgenommen werden ſollten, holte das2 *20Calumet oder die Friedenspfeife aus der Hütte des Nanawa und überreichte ſie ihm, nebſt einem glim - menden Feuerbrande, mit einer ehrerbietigen Verbeu - gung; dann zog er ſich beſcheiden wieder aus dem Kreiſe der Männer, den er nur auf ausdrücklichen Befehl des Häuptlings hatte betreten dürfen, zu den andern Jünglingen zurück, die in einiger Entfernung ſtanden und mit neidiſchen Blicken auf das Thun der Männer ſchauten.

Der große Pelikan überreichte darauf ſeinem Gaſt - freunde, den er beſonders ehren wollte, zuerſt das Calumet und den Feuerbrand, mit dem er den Taback in der Pfeife anzünden ſollte. Dieſer, ſchon mit den Gebräuchen der Wilden vertraut, that nur einen Zug daraus, nachdem er ſie in Brand gebracht, und überreichte ſie dann dem Nanawa, aus deſſen Hand ſie in die des ihm an Ehren und Würden Zunächſt - ſtehenden überging, bis Alle geraucht hatten und ſie zu Arnolden zurückkehrte, der ſie wieder weiter gab. Als der Taback völlig aufgebrannt war, erhoben ſich die Männer, umringten nochmals den Fremdling und boten ihm den Handſchlag an, wodurch ſie Frieden und Freundſchaft auf die bündigſte Weiſe mit ihm beſiegelten. Er durfte ſich von dieſem Augenblick an als ihren Stammgenoſſen, ſie als ſeine Brüder an -21 ſehen, die jeden Augenblick bereit wären, ihm in Noth und Tod beizuſtehen.

Wie kommt es, wandte ſich der Europäer fragend an ſeinen Gaſtfreund, daß ich Opiska Toaki nicht mehr unter euch erblicke und du ſeine Stelle als Häuptling eingenommen haſt?

Jhm iſt ein großes Unglück begegnet, ant - wortete ihm der Wilde, und dies hat ihn ſo ſehr entmuthigt, daß er ſeinen Stamm verlaſſen und ſich in die Wildniß begeben hat, um durch heiße Gebete den guten Geiſt anzuflehen, ihm im Traume den Räu - ber des Kleinods zu zeigen, das er von dir, als Blut - preis für White-hawks Leben, empfangen hatte und das er höher hielt, wie ſonſt irgend Etwas, das er beſaß.

Wie, er hätte das Bildniß meiner Mutter verloren? fragte ihn Arnold überraſcht.

Nicht verloren hat er es, ſondern es iſt ihm auf unbegreifliche Weiſe während der Nacht ge - raubt oder vielmehr wider ſeinen Willen abgetauſcht worden, war die Antwort des Wilden, und da man, da er den Talisman auf ſeiner Bruſt trug und ſich keinen Augenblick davon trennte, dieſe Beraubung als ein Wunderwerk anſehen muß, haben unſre Ma - kota Konayas (Prieſter) ihm den Rath ertheilt, ſich in der Wildniß, die allein von den Gottheiten be -22 wohnt wird, mit dieſen zu berathen und ſo lange dort zu bleiben, bis ſie ſein Flehen erhört und ihm den Schuldigen angezeigt haben werden; da aber der Stamm nicht ohne Häuptling ſeyn kann, ſo hat man mich während ſeiner Abweſenheit zum Nanawa ge - macht.

Arnold wußte nicht, was er von dieſem ſelt - ſamen Vorfalle denken ſollte, der auch ihm höchſt unangenehm war, da er noch immer die Hoffnung ge - hegt hatte, das Bildniß ſeiner Mutter durch irgend Etwas, das dem Chippewahäuptlinge noch beſſer ge - fiele, auslöſen zu können; wo aber ſollte er es jetzt ſuchen, da der Räuber, in der Furcht vor der Rache der Chippewas, ſich wohl hüthen würde, ſich zu der That zu bekennen?

Die Jünglinge hatten ſich indeß, gehorſam dem Befehle des Häuptlings, zum Tanze geſchmückt und aufgeſtellt. Sie hatten ihre beſten Kleider, von ſchnee - weißem, ſauber gegerbtem Dammhirſchleder angezogen und ihre Füße mit zierlichen Mocaſſins, buntbemalten Halbſtiefeln, ohne Sohlen, die oben am äußerſten Rande mit einem glänzenden Metallringe umgeben ſind, bekleidet. Ueber dem eng anliegenden Hemde von wei - ßem oder roth oder blau gefärbtem Leder trugen ſie eine Art von Ueberwurf, der nur bis zum Knie hin - abging und aus langhaarigem Büffelfell gemacht war. 23Die Bruſt war mit einer Art von Halsband, das aus an einander gereihten Bärenklauen gemacht war, der Kopf mit einer helmartigen Zier, auf der bunt - gefärbte Reiher - und Adlerfedern prangten, und die Ohrläppchen mit bunten Glasperlen oder kleinen Stück - chen Silber oder Gold geſchmückt. Die Geſichter wa - ren zur Hälfte grün, zur Hälfte roth bemalt, welche beiden die Friedensfarben ſind, und der Körper, ſo viel man davon ſehen konnte, über und über täto - wirt. Aber die ſchönſte Zierde, die, worauf ſie nur mit dem größeſten Neide ſehen konnten, die der Män - ner und Krieger, fehlte ihnen: die genommenen Kopf - häute der Feinde am Saume ihres Gewandes; denn mit dieſen dürfen ſich nur die Krieger und allein Solche ſchmücken, die bereits den Feind erlegt und ſeinen Scalp erobert haben. Aber den Tomahawk und den Wurfſpeer, ſo wie auch Bogen und Pfeile, und auf der Jagd des Moſkotaj den Laſſo oder Fangriem, durften auch ſie ſchon führen, weil die Jagd ihnen erlaubt iſt, ſo wie ſie die Kraft und Geſchicklichkeit dazu haben.

Auf ein Zeichen des Nanawa ſchaarten ſie ſich zum Friedenstanze. Jn der einen Hand den Toma - hawk, in der andern eine Art von Rohr, ähnlich ei - nem Pfeifenrohre, tragend und ſie wechſelsweiſe ſchwingend, fielen ſie einander mit einem furchtbaren24 Geſchrei, im wildeſten Durcheinander an und verſetz - ten ſich bald mit dem Rohr, bald mit der Streitaxt ſo derbe Streiche, daß Der, dem zu Ehren dies Alles geſchah, jeden Augenblick fürchten mußte, daß Blut fließen und aus dem Spaße Ernſt werden würde. Sie aber wußten dieſe ſo drohend ausſehenden Streiche doch ſo zu handhaben und die Kraft ihres Armes der - maßen zu mäßigen, daß Keiner dem Andern eine ernſtliche Wunde beibrachte, aber an empfangenen Streichen und Quetſchungen fehlte es Keinem.

Endlich ſchienen ihre Kräfte völlig erſchöpft zu ſeyn und zwar dermaßen, daß bald hier, bald dort Einer, wie in tödtlicher Ermattung, zu Boden ſank. Der Letzte, welcher ſich aufrecht erhielt, wurde als Sieger angeſehen und ihm von allen Seiten aufmun - terndes Lob geſpendet. Arnold freute ſich nicht wenig, als dieſe Feſtlichkeit, die durchaus nicht nach ſeinem Geſchmacke war, ihr Ende erreicht hatte. Um ſich aber dankbar für die ihm angethane Ehre zu bewei - ſen, machte er dem Nanawa ein Geſchenk mit etwas Pulver aus ſeinem Pulverhorne und gab dem Sieger überdies eine ganz neue Silbermünze, zum Schmuck für ſeine Ohren; mit dieſer Freigebigkeit ärntete er nicht geringe Bewunderung von Seiten ſeiner genüg - ſamen Gaſtfreunde ein.

Das, was der junge Europäer am meiſten an25 dieſen Kindern der Natur bewunderte und früher ſchon an den Sioux bewundert hatte, war die bis in’s Kleinliche getriebene Reinlichkeit und der Geſchmack, den ſie in Hinſicht ihrer Kleidung zeigten. Dem letz - tern widerſpricht allein das Tätowiren und Bemalen ihres Geſichts, deſſen natürliche Farbe nur dann zum Vorſchein kommt, wenn ihnen weder Freudiges noch Trauriges begegnet. Wenn ſie Krieg haben, malen ſie ſich, wahrſcheinlich um den Feinden Schrecken ein - zuflößen, das Geſicht ganz ſchwarz; bei Trauer zur Hälfte ſchwarz und bei fröhlichen Gelegenheiten, wie z. B. bei Friedensſchlüſſen, Feſtgelagen u. ſ. w., grün und roth. Wenn ſie dieſer Unſitte, die ihre Erſchei - nung für den Europäer höchſt widerwärtig macht, ab - legten, ſo würde man ſie, trotz ihrer kupferfarbenen Hautfarbe, für ſchöne Menſchen erklären müſſen, da ihre Züge ausdrucksvoll ſind und ihr hoher, ſchlan - ker, das gewöhnliche Maß überſteigender Wuchs ſie zu imponirenden Erſcheinungen macht. Um dieſen vor - theilhaften Eindruck zu vermehren, iſt ihre Stimme volltönend und ihre an Vokalen reiche Sprache über - aus wohllautend.

Schon in wenigen Tagen fühlte ſich Arnold eben ſo heimiſch unter ſeinen neuen Freunden, wie früher unter den Sioux. Man beſchenkte ihn mit trefflichen, ſelbſt verfertigten Waffen und einem jungen Pferde26 von außerordentlicher Schönheit; bereitete ihm die weichſte Lagerſtätte und ſetzte ihm allemal die lecker - ſten Biſſen vor. Selbſt die Kinder, welche ſich zu Anfang vor ſeiner bleichen Farbe gefürchtet hatten, waren nicht nur zutraulich gegen ihn geworden, ſon - dern empfingen ihn, wo er ſich ihnen zeigte, mit ei - nem Freudengeſchrei, und auch die Squaws boten Alles auf, den werthen Gaſt zu ehren und mit der Bewirthung zufrieden zu ſtellen, ſchon um den Zorn der Männer nicht zu reizen, die ihren bleichen Bru - der auf alle Weiſe geehrt ſehen wollten.

Bewundern mußte unſer Freund auch noch die Geſchicklichkeit, womit die Weiber, ſowohl Frauen als Jungfrauen, mit den Waffen umzugehen wußten und daß ihre Hand beim Schwingen des Tomahawks, beim Werfen des Laſſo und beim Abſchießen des Pfeils faſt eben ſo kräftig und ſicher war, wie die der Männer. Jn Kriegszeiten lag ihnen auch die Jagd ob und mußten ſie alle für die Krieger erforderliche Nahrung herbeiſchaffen. Aus dieſem Grunde übte man ſie von früheſter Jugend auf in der Führung der Waffen und ſo würde eine wilde Schöne vom Ufer des Miſſiſippi oder Huron den geübteſten europäiſchen Jäger durch ihre Geſchicklichkeit beſchämen.

Die Behandlung der Frauen von Seiten der Männer iſt gut, ſanft und achtungsvoll und würde27 man es einem Manne zum größeſten Schimpfe an - rechnen, wenn er ſeine körperliche Ueberlegenheit dem ſchwächeren Weibe gegenüber mißbrauchte. Hier weiß man nichts von den Erniedrigungen und Mißhand - lungen, denen die Frauen des Orients größtentheils ausgeſetzt ſind. Nur das iſt der Vorzug, den der Mann vor der Frau hat, daß er in den Krieg gehen darf, während ſie zu Haus bleiben und ſich der Wirthſchaft widmen, für die Bereitung der Speiſen, für die Kleidung, die Kindererziehung und die Ord - nung im Wigwam ſorgen muß.

Der große Pelikan, Arnolds Gaſtfreund, konnte nicht müde werden, ſich bei dieſem nach europäiſchen Sitten und Gebräuchen zu erkundigen, denn er war ein überaus wißbegieriger Mann und wollte gern Al - les wiſſen. Jm Laufe eines ihrer Geſpräche erkun - digte er ſich auch nach Arnolds Beſchäftigungen, wenn er daheim wäre, und dieſer ſuchte ſie ihm, ſo weit es anging, begreiflich zu machen.

Nimm es mir nicht übel, mein bleicher Bruder, ſagte der große Pelikan bei dieſer Gelegen - heit zu ihm, aber es ſcheint mir, du könnteſt Nütz - licheres und Beſſeres thun, als die große Erde, die der gute Geiſt ja allen ſeinen Menſchen gemeinſchaft - lich verliehen hat, auszumeſſen und in kleine Theile zu theilen, wodurch Jeder arm wird oder wobei, was28 noch ſchlimmer, Einige bevorzugt, Andere beeinträch - tigt werden. Bei uns gehört Alles Allen an und Jeder nimmt ſich, was er eben zur Nothdurft bedarf. Bin ich heute glücklicher auf der Jagd geweſen, als einer meiner Brüder, ſo ſetzt er ſich mit zu meinem Mahle, und morgen ſetze ich mich vielleicht zu dem ſeinigen: ſo wird Alles jeden Tag ſatt, und Armuth kennen wir nicht, weil es nur da Arme geben kann, wo es Reiche giebt. Und aus welchem Grunde, ich frage dich, ſoll der Eine mehr haben, als der An - dere? da Alle auf gleiche Weiſe geboren werden und zu gleichen Anſprüchen berechtigt ſind. Beantworte mir dieſe Frage, wenn du es vermagſt, denn meine Einſicht iſt ſchwach, ich weiß es, und ich mag mich gern belehren laſſen.

Jch kann deiner Anſicht nicht widerſpre - chen, verſetzte Arnold mit einem Seufzer, denn der Wilde hatte in ſeiner Einfalt den wunden Fleck un - ſerer ſocialen Verhältniſſe ſo gut getroffen, daß er ihn nicht zu widerlegen vermochte, und was er ihm etwa darüber hätte ſagen, womit dieſe Mißſtände viel - leicht entſchuldigen können, würde nicht von ihm ver - ſtanden worden ſeyn.

Wenn du mir in Dem, was ich eben ſagte, Recht giebſt, fuhr der große Pelikan fort; wenn die Bleichgeſichter nicht ſo frei, ſo reich, ſo glücklich29 ſind, wie wir Rothhäute, ſo höre auf meine Ermah - nungen und bleibe bei uns, denn dieſer Vorſchlag iſt der Zweck meiner Rede. Nimm dir ein Weib du kannſt unter unſern ſchönſten und geſchickteſten Jung - frauen wählen erbaue dir einen Wigwam, wobei wir dir behülflich ſeyn wollen; theile unſre Vergnü - gungen, unſer Mahl, unſre Jagden und unſre Kriege, kurz, ſei unſer Bruder, unſer Freund und Lehrer, denn wir horchen gern auf weiſe Worte und ſind nicht ſo eingebildet auf unſer Wiſſen, daß wir wähnten, nichts mehr lernen zu können.

Es kommt vielleicht eine Zeit, antwortete ihm der Europäer nach einer ziemlich langen Pauſe, in der ich Gebrauch von deinem großmüthigen An - erbieten machen werde; aber für den Augenblick kann ich noch nicht darauf eingehen. Ein mir ſelbſt uner - klärliches Etwas treibt mich noch wieder in alle die verkehrten und naturwidrigen Verhältniſſe zurück, die du mit wenigen weiſen Worten bezeichnet haſt, und es iſt mir, als hätte ich noch eine Pflicht zu erfüllen, eine bedeutende Aufgabe zu löſen, bevor ich an Glück und Ruhe denken darf. Auch iſt der Bruch mit dem Gewohntgewordenen ſchwerer, als du dir vorzuſtellen vermagſt, denn ſonſt würden ja Viele, die, wie ich, die Zuſtände in der civiliſirten Welt verabſcheuen, weil ſie widernatürlich und auf der ſchreiendſten Un -30 gerechtigkeit baſirt ſind, ihre Feſſeln zerbrechen und ſich in das Naturleben ſtürzen.

Das Alles verſtehe ich nicht, verſetzte der Wilde, der ihm mit geſpannter Aufmerkſamkeit zuge - hört hatte; aber ich wiederhole meinen Vorſchlag, und ſteht Etwas der augenblicklichen Annahme deſſel - ben im Wege, ſo komm zu einer dir beſſer gelegenen Zeit zu uns, und wann du auch kommen magſt, ſollſt du uns willkommen ſeyn.

Arnold, der wußte, wie aufrichtig und herzlich die Einladung ſeines wilden Freundes gemeint war, reichte dieſem innig bewegt die Hand. Er, der Hei - mathloſe, hatte jetzt gleichſam eine Heimath gefun - den, und dies gab ihm ein Gefühl von Sicherheit und Beruhigung, das er ſeither oft ſchmerzlich ent - behrt hatte.

Die Ankunft eines der Kinder des großen Peli - kan, welches ihnen ankündigte, daß das Mahl berei - tet ſei und ihrer warte, unterbrach die Unterhaltung, und da Beide einen gehörigen Appetit verſpürten, leiſteten ſie gern der an ſie ergangenen Einladung Folge.

31

Zweites Kapitel.

Schon nach wenigen Tagen nahm Arnold Ab - ſchied von ſeinen Gaſtfreunden, ſo ſehr dieſe ihn auch baten, noch länger bei ihnen zu verweilen.

Man hatte das ihm geſchenkte edle Roß, ein Thier von außerordentlicher Schönheit und ſo behen - den Laufs, daß es mit ſeinem Hufe kaum die Spitzen des hohen Moskitograſes zu berühren ſchien, auf das Beſte geſattelt und gezäumt und demſelben eine Menge ſilberner Zierathen angehängt, denn dieſe Art von Putz lieben die Wilden für ihre Mustangs, und das Allen liebgewordene Bleichgeſicht ſollte auf alle Weiſe geehrt werden, damit es des Wiederkommens nicht vergäße.

Zugleich mit Arnolds Pferd ließ der große Peli - kan ein anderes für ſich ſelbſt ſatteln; auf die Frage des Europäers, was dies zu bedeuten habe? erhielt er zur Antwort, daß er ihn bis zu Ende der Prairie, wo er ſich weder mehr verirren könne, noch Gefahr von reißenden Thieren zu befürchten haben würde, be - gleiten wolle, und vergebens war es, daß ſich Arnold gegen die Annahme dieſes großmüthigen Anerbietens ſträubte.

Mein Bruder, ſagte der große Pelikan32 bei dieſer Gelegenheit, die Ehre unſeres Stammes würde es ſchon erheiſchen, wenn es auch nicht die Zu - neigung thäte, die wir dir ſchenken, daß wir dich wohlbehalten den Deinen wieder zuführen. Man weiß, oder vermuthet doch, daß du dich zu den Rothhäuten verfügt, weil du gewohnt biſt, ihre Gaſtfreundſchaft anzuſprechen, und wenn dir daher ein Unglück be - gegnete, wenn du in der Prairie von einer Büffel - heerde ereilt und todtgeſtampft würdeſt, oder im Walde dem ſchwarzen Bären, dem Prairiewolfe oder dem Pumo begegneteſt und im Kampfe mit ihnen unter - lägeſt, dann würde es bei deinen Brüdern, den Bleich - geſichtern, heißen, die Rothhäute hätten dich, den Friedlichen, den Gaſtfreundſchaft Suchenden, erſchla - gen, aus Haß oder um Beute zu gewinnen, und un - ſer Name würde nur noch mit Schimpf und Abſcheu genannt werden; ja man würde dies vielleicht zum Vorwande nehmen, uns auf’s Neu den Krieg zu er - klären, und wir wollen den nicht mit den Bleichge - ſichtern, da wir wiſſen, daß ſie, wenn auch nicht tapferer, doch liſtiger und mächtiger als wir ſind. Aus allen dieſen Gründen dulde, daß ich dich be - gleite und dich gegen die dir drohenden Gefahren be - ſchütze.

Wie wirſt du aber letzteres vermögen? antwortete ihm Arnold. Können wir nicht zugleich33 von mehren reißenden Thieren angegriffen, nicht Beide von einer Heerde Moſkotajs ereilt und zu Tode ge - ſtampft werden?

Einmal, antwortete ihm ſein Gaſtfreund, bin ich vertrauter mit allen dieſen Gefahren und ge - ſchickter in ihrer Abwendung, als du, und dann würde man mir auch nicht den ſchimpflichen Vorwurf machen können, daß ich die Geſetze der Gaſtfreundſchaft aus den Augen geſetzt habe. Alſo mache keine Widerrede mehr und dulde, daß ich zugleich meiner Zuneigung und meinen Pflichten gegen dich Genüge leiſte.

Er beſtieg mit dieſen Worten den ihm zugeführ - ten Mustang, Arnold den ſeinigen und bald verloren ſich Beide im Walde.

Sie hatten die erſte Tagereiſe zurückgelegt und ſchickten ſich eben an, ſich eine paſſende Lagerſtätte zur Nachtruhe zu ſuchen und zugleich eine Menge dürres Holz auf einen Haufen zuſammenzutragen, um ein großes Feuer machen zu können, zum Schutze ge - gen die reißenden Thiere, als ſie durch das Anſchla - gen Brunos auf eine ſich ihnen nahende Gefahr oder doch etwas Ungewöhnliches aufmerkſam gemacht wur - den; ſie hielten mit ihrer Beſchäftigung inne und horchten.

Jch vernehme Hufſchläge, flüſterte der Wilde, deſſen Ohr weit feiner war, als das des Eu -II. 334ropäers, ſeinem Begleiter zu; ſeyn wir auf unſerer Huth und halten wir die Waffen bereit. Es könn - ten Schwarzfüße ſeyn, die, wie ich gehört habe, durch ihnen feindliche Stämme überwunden und vertrieben, ſich mit den Waffen in der Hand andere Wohnplätze ſuchen ſollen, und wären ihrer Viele, ſo würden ſie uns ein übles Spiel bereiten, denn ſie machen ſich nichts aus Raub und Mord und Friedensbruch.

Er horchte wieder; dann aber nahmen ſeine Mie - nen wieder einen ruhigern Ausdruck an und er ſagte:

Wir haben nichts zu befürchten, mein blei - cher Bruder: es iſt nur ein einzelner Reiter, der ſich uns naht.

Arnold hörte noch gar nichts, während der Chip - pewa und Bruno, beide gleich ſcharfen Gehörs, ſchon ihrer Sache gewiß waren. Erſterer, der ſich jetzt nicht mehr vor Ueberfall und Gefahr fürchtete, ſetzte die begonnene Beſchäftigung fort und Bruno ließ nicht ab mit Knurren und Bellen. Endlich ver - nahm auch Arnold den ſchon ſo lange vorher von ſeinen Begleitern gehörten Hufſchlag und eben in dem Augenblick, wo die Flamme luſtig aus dem zuſam - mengetragenen Holzſtoße hervorloderte, ließ ſich die Geſtalt eines zu Roſſe ſitzenden Wilden, der aus dem Dickicht hervorbrach, ſehen. Er hatte zwar ſein Ge - wehr ſchußfertig in der Hand, denn der Anblick der35 aus dem Holzſtoße hervorlodernden Flamme hatte ihn auf vielleicht nahe Gefahr aufmerkſam gemacht; aber ſein halb grün, halb roth bemaltes Geſicht, das auf friedliche Abſicht und eine Friedensſendung deutete, benahm den beiden Andern alle Furcht und ohne Waf - fen gingen ſie ihm entgegen, während Bruno, wie närriſch vor Freude, dem Ankommenden entgegen - ſprang und ſich an die Beine des Roſſes ſchmiegte, auf dem Jener ſaß.

Es erfolgte jetzt augenblicklich eine Erkennungs - ſeene: der Neuangekommene ſchwang ſich vom Roſſe und ſtürzte auf Arnold zu, den er mit ſtürmiſchem Entzücken in ſeine Arme ſchloß.

Es war White-hawk, der Sioux, welcher ſeine Freude über das Wiederfinden ſeines Freundes und Lebensretters auf dieſe Weiſe an den Tag legte. Auch Arnold, und mehr faſt noch Bruno, der den jungen Sioux nächſt ſeinem Herrn am meiſten liebte, freute ſich des unverhofften Wiederſehens und Fragen und Antworten wurden zwiſchen den Beiden gewechſelt, während ſich der Chippewa, vielleicht etwas neidiſch auf den älteren Freund, mit dem Feuer zu thun machte und ſich in das Geſpräch der Beiden nicht miſchte, bis Arnold, White-hawk an die Hand neh - mend, den Jüngling zu ihm führte und zu ihm ſagte:

3 *36

Liebe ihn, denn ich liebe ihn! Er ſei dein Bruder, denn er iſt der meinige!

Dieſe Aufforderung genügte, um den Chippewa zur Freundlichkeit gegen den Neuangekommenen zu be - wegen und bald herrſchte die größte Liebe und Zu - traulichkeit unter den Dreien, von der auch Bruno ſeinen Antheil forderte, denn er ſchmiegte ſich bald an ſeinen Gebieter, bald an White-hawk und gab ſeine Freude auf alle Weiſe zu erkennen.

Als die Flammen eine angenehme Gluth verbrei - teten, lagerte man ſich in der Nähe derſelben und dachte zunächſt an die Bereitung eines Mahles, das für Alle gleich erwünſcht ſeyn mußte. Der große Pelikan zog aus einer Art von Jagdtaſche von ſau - ber gegerbtem Büffelleder einige in große Blätter ein - gewickelte Schnitte aus der ſaftigen Lende eines am Tage vor der Abreiſe erlegten Büffels, ſteckte ſie an einen zugeſpitzten Stab und hielt ſie an die Flamme, die ſie bald gahr machte. Das ſo bereitete Fleiſch ſchmeckte vortrefflich und man löſchte den ſich melden - den Durſt auf eine angenehme Weiſe durch eine Menge von White-hawk geſammelter Stachelbirnen, eine in jenen Gegenden häufig wachſende, etwas ſaure und herbe, aber zugleich kühlende und ſaftige Frucht.

Während des Mahles richtete der Chippewa, der jetzt ganz zutraulich gegen den jungen Sioux gewor -37 den war, dieſe und jene Frage, über die Abſicht ſei - ner Reiſe u. ſ. w., an White-hawk und dieſer, der als reines Kind der Natur der Verſtellung nicht fähig war, antwortete ihm mit ſichtbarer Befangenheit dar - auf; doch ſagte er ihm, daß der Zweck ſeiner Reiſe ein Beſuch bei ſeinem bleichen Freunde in Nauvoo geweſen ſei.

Unſer Bruder, fügte er ſeiner Antwort hinzu, hatte uns beim Scheiden verſprochen, bald wieder kommen zu wollen, und da er Wort zu hal - ten pflegt, beunruhigte uns ſein langes Ausbleiben. Da wollte ich denn ſehen, wie es ihm ginge und machte mich zu ihm auf den Weg; denn um ſeine Freunde zu ſehen, muß man weder die Länge, noch die Beſchwerden einer Reiſe ſcheuen.

So dachte auch ich, antwortete ihm Arnold, und hätten die neuen Freunde mich nicht durch ihre Güte und Gaſtfreundſchaft gefeſſelt, ſo würdet ihr mich bei euch geſehen haben, denn ich war auf dem Wege zu euch.

Und du wirſt noch jetzt kommen, nicht wahr? fragte ihn White-hawk, ihn bittend an - ſehend.

Für diesmal nicht, war die Antwort; aber bald werdet ihr mich ſehen.

So werde ich dich nach Nauvoo begleiten,38 wenn mir dein neuer Freund ſein Amt abtreten will, wandte er ſich fragend halb an Arnold, halb an den Chippewa.

Wenn ich dir eine Freude damit mache, verſetzte dieſer, ſo kehre ich morgen mit Anbruch des Tages um, da ich wegen unſers bleichen Bruders Geleit in deiner Geſellſchaft ruhig ſeyn darf.

Jch danke dir, antwortete ihm der Sioux, und das Geſpräch wendete ſich auf andere Gegen - ſtände, namentlich auf die räuberiſchen Ueberfälle der Schwarzfüße, eines Jndianerſtammes, der von den andern Stämmen gleich ſehr gefürchtet und verabſcheut wird, weil die Mitglieder deſſelben Hinterliſt und Bosheit mit Mord - und Raubſucht vereinigen und man keine einzige der Tugenden bei ihnen findet, durch die ſich die übrigen Wilden des Nordweſtens ſo ſehr auszeichnen.

Die Schwarzfüße hatten unbedachtſamerweiſe mit einer überaus mächtigen und kriegeriſchen Nation, den Shoſhones, angebunden und ſie ſo lange geneckt und beraubt, bis dieſe ſich gegen ſie rüſteten und ſie aus ihrer Niederlaſſung vertrieben. Jn der Furcht vor ihrer Rache waren ſie, mit der Zurücklaſſung aller ihrer Habe, weit weg geflohen und ſo in die Nähe der Sioux und Chippewas gekommen.

Wir werden uns ihrer nur dadurch erledi -39 gen können, nahm der große Pelikan, der den Er - zählungen White-hawks von den Grauſamkeiten und der Raubſucht der Schwarzfüße mit Aufmerkſamkeit zugehört hatte, daß wir unſere Kriegsmacht gegen ſie vereinigen, und wenn es dir recht iſt, mein Bru - der, ſo will ich das bei meinen Brüdern in Vor - ſchlag bringen; du magſt dann bei den Deinigen Daſ - ſelbe thun.

So will ich, war die Antwort des Jüng - lings, denn Weisheit hat dein Mund geredet, großer Pelikan! Und du, mein Bruder, wandte er ſich an Arnold, der ſeither ihren Geſprächen ſchweigend zu - gehört hatte, du wirſt, ſo hoffe ich von deiner Zu - neigung, deinen Brüdern deinen Rath und deine thä - tige Beihülfe in der Zeit der Noth und Gefahr nicht entziehen; du wirſt mit mir kommen, und um ſo mehr, da Waupee, mein Vater, krank im Wig - wam darniederliegt, getroffen durch den Pfeil eines Schwarzfußes, der tückiſch aus dem Gebüſche auf ihn ſchoß, als er ſich ermüdet von der Jagd im Walde gelagert hatte. Zwar tödtete er den frechen Angrei - fer, aber ſeine Wunde iſt tief und Krankheit hält ihn auf dem Lager gefeſſelt, ſo daß er den Sei - nen weder ſeinen Arm, noch ſeinen weiſen Rath lei - hen kann.

Unter dieſen Umſtänden, war Arnolds40 Antwort, gehe ich mit dir, White-hawk, um Ruhm und Gefahren mit meinen Brüdern zu theilen.

Jch wußte, daß du nicht nein ſagen wür - deſt, verſetzte der Jüngling, und freue mich auf die Freude des Vaters bei deinem Anblick. Er liebt dich wie einen Sohn und deine Gegenwart wird ihn ſchneller geneſen machen, als die Zauberſprüche der Makota Konayas (Prieſter) und alles zerquetſchte Gib - ſonkraut, womit die Mutter die Wunde belegt.

Die Unterhaltung ſtockte nach und nach, denn Jeder war von dem ſcharfen Ritte und der Nähe des Feuers ſchlaftrunken geworden; doch mußte immer Ei - ner wach bleiben, um das Feuer in Gang zu halten, während die Andern ſchliefen, und Arnold ließ es ſich nicht nehmen, die erſte Stunde Wache zu halten. Später löſte ihn der große Pelikan und dieſen endlich White-hawk ab, bis der bereits heraufdämmernde Tag, der die reißenden Thiere in ihre Höhlen und ſonſtigen Schlupfwinkel zurückſcheuchte, dieſe Vorſicht überflüſſig machte und alle Drei ſich noch ein paar Stunden der Ruhe überlaſſen konnten.

Die Sonne ſtand ſchon ziemlich hoch am Him - mel, als der Chippewa Abſchied von den beiden An - dern nahm, um zu den Seinen zurückzukehren.

Lange noch, nachdem der große Pelikan ſich ent - fernt hatte, horchte der Sioux und legte ſich ſogar,41 nach Verlauf einer ziemlich langen Zeit, mit dem Ohr auf die Erde, um zu horchen, ob er den Huftritt des Pferdes auch noch vernehme; dann erhob er ſich mit vergnügter Miene, ſchritt auf Arnold zu und umarmte ihn nochmals.

Dieſer wußte nicht, was er von dem ſeltſamen Benehmen White-hawks denken ſollte, und ſah ihn mit einiger Verwunderung an.

Hier, ſagte der junge Wilde, in deſſen dunklen Augen ſich die lebhafteſte Freude abſpiegelte; hier! wiederholte er und zog unter ſeinem Leder - hemde etwas Glänzendes hervor, das er Arnolden darreichte: dir dies zu bringen, gutes Bleichgeſicht, war ich auf dem Wege!

Arnold blieb einige Augenblicke ſtumm vor Ueber - raſchung und Freude: denn das, was er in Händen hielt, war das Bildniß ſeiner Mutter, eben jenes, womit er das Leben des jungen Sioux erkauft hatte. Sobald er ſich einigermaßen gefaßt hatte, drückte er es mit Ehrfurcht und dem unverkennbarſten Entzücken an ſeine Lippen und fragte den jungen Wilden mit vor innerer Bewegung bebender Stimme:

Woher haſt du das, White-hawk?

Jch hab’s geraubt, antwortete ihm dieſer mit eben der Ruhe, womit man ſagen würde: ich hab’s gekauft. Jch war auf dem Wege, es dir nach42 Nauvoo zu bringen, fügte er nach einer Pauſe hin - zu, als ich dich, zu meiner nicht geringen Freude, hier im Walde traf.

Wie aber war es möglich, daß du es Opiska Toaki rauben konnteſt, da er es, wie ich noch vor wenigen Tagen bei den Chippewas hörte, immer, ſo Tag als Nacht, auf ſeiner Bruſt trug?

Es war ſchwer, verſetzte der Sioux, aber wer ſein Leben an eine Sache ſetzt, dem iſt nichts unmöglich. Jch werde dir auf dem Wege er - zählen, wie ich es anfing; denn du kommſt doch mit mir?

Jch habe es dir verſprochen und bin ge - wohnt, mein Wort zu halten.

Jch weiß es, und eben deshalb liebe ich dich ſo. Willſt du, daß ich unſre Mustangs ſatteln ſoll und wollen wir die Reiſe beginnen?

Thue das; aber dann erzähle mir auch, wie du es anfingſt, dem Chippewa das Bildniß von der Bruſt zu rauben: ich brenne vor Begierde, das zu erfahren.

Du ſollſt es wiſſen; ſofern dir aber mein und dein eigenes Leben lieb iſt, verbirg den Talis - man ſorgfältig vor den Blicken der Chippewas, und auch vor denen aller Andern, denn die Rothhäute, und vor allen Dingen Opiska Toaki, würden Leben43 und Freiheit daran ſetzen, es dir wieder zu rauben, da ſie jetzt wiſſen, welcher Zauber in dem Amulet ſteckt.

Er verließ mit dieſen Worten Arnold, der ſich mit Entzücken der Betrachtung des theuren Bildniſſes hingab und nicht ſatt werden konnte, die geliebten Züge ſeiner ewig unvergeßlichen Mutter zu betrachten, um die beiden Roſſe einzufangen, die in einiger Ent - fernung von ihnen mit geſperrten Beinen graſeten, und ſie zu ſatteln und zu zäumen. Als er damit fer - tig war, führte er Arnolden das ſeinige zu und Beide ſchwangen ſich in den Sattel.

Arnold, der vor Begierde brannte, in Erfahrung zu bringen, wie der Sioux zum Beſitze des Portraits gelangt ſei, forderte dieſen, als ſie neben einander herritten, zum Erzählen auf.

Noch nicht, flüſterte ihm der Jndianer zu: der Wald könnte Ohren haben; ich erzähle dir das erſt, wenn wir aus demſelben heraus und in der Prairie ſind, denn dort kann man uns nicht belau - ſchen. Die größeſte Vorſicht iſt nöthig und ſelbſt kein Sioux darf dich im Wiederbeſitze des Zauberbildes wiſſen, weil die Begierde nach demſelben vielleicht größer als die Redlichkeit ſeyn und dir das Leben ko - ſten würde.

Arnold wußte nicht, was er von dieſen ſelt -44 ſamen Reden denken ſollte, indeß mußte er, wohl oder übel, noch ſeine Neugierde zügeln, zumal da er die Vorſicht White-hawks nur billigen konnte.

Man ritt noch ein paar Stunden durch den kühlen und duftigen Wald; dann lichtete ſich dieſer nach und nach und endlich lag eine unabſehbare Wüſte, die Prairie, vor ihnen da. Wenn der Anblick der - ſelben, ſelbſt wenn ſie mit hohen Gräſern, üppigem Jmmergrün, mit hie und da ſich zeigenden Gruppen von Farrenkräutern bedeckt iſt, im höchſten Grade traurig und in ihrer grünen Einförmigkeit ermüdend für das Auge genannt werden muß, ſo bot die, welche beim Austritte aus dem Walde vor ihnen lag, einen noch weit traurigern, ja ſogar furchtbaren, Anblick dar. Kein einziges grünes Hälmchen war, ſo weit der Blick reichte, zu ſehen; der Boden erſchien, mit der Aſche der verbrannten Gräſer und Kräuter be - deckt, wie eine dunkelgraue Wüſte, aus der jede Spur von Leben verſchwunden war, und darüber hing ein glühend heißer Himmel, denn es war einer der heiße - ſten Tage des Jahres.

Was iſt denn das? fragte Arnold, der die Prairie noch das letzte Mal, wo er ſie durchwan - dert, mit üppigem Grün bedeckt geſehen hatte, faſt erſchrocken ſeinen Begleiter.

Wahrſcheinlich das Werk deiner bleichen45 Brüder, der Trappers, verſetzte White-hawk. Sie trieben in dieſer Prairie, wie ich weiß, eine Zeitlang die Büffeljagd und werden nicht vorſichtig genug mit dem Feuer geweſen ſeyn. Wenn eine Rothhaut ein ſolches zum Schutze gegen die Thiere der Wildniß an - zündet, trägt er, namentlich in der Prairie, Sorge dafür, es vor ſeinem Weggehen wieder auszulöſchen, damit kein Prairiebrand entſtehen könne, der das Le - ben von Menſchen und Thieren in die größeſte Gefahr bringt. Anders aber denken die Bleichgeſichter dich nehme ich aus, mein Freund, denn du biſt beſſer als deine Brüder und faſt jedesmal folgt ihrem Aufenthalte in einer Gegend ein Prairiebrand, deſſen Opfer ſie nicht ſelten ſelbſt werden, wenn es ihnen nicht gelingt, die Schatten des Waldes zu erreichen, an deſſen Saume der Brand gewöhnlich ſeine Grenze findet. Aber laß uns, bevor wir uns in die halm - loſe Wüſte hinauswagen, uns ſelbſt und unſern Thie - ren einige Raſt und letztern auch Futter gönnen, wel - ches ſie lange werden entbehren müſſen.

Er ſchwang ſich mit dieſen Worten vom Pferde, nahm demſelben Sattel und Zaum ab und überließ es, nachdem er ihm die Beine gefeſſelt, der Freiheit; Arnold that Daſſelbe mit ſeinem Thiere und Beide lagerten ſich unter dem kühlen Schatten eines weißen Bergahorns, der gleichſam als Vorpoſten des Waldes46 ausgeſtellt war, indem er, allen andern Bäumen deſ - ſelben voraus, vereinzelt hart an der Grenze des Prairiebrandes ſtand, der, als habe er Reſpect vor dem Rieſen des Waldes gehabt, ſeinem ungeheuren Stamme ſich nicht zu nahen getraut zu haben ſchien.

Jetzt, nahm White-hawk wieder das Wort, nachdem er zuvor alle Zweige des Baumes, bis zum Gipfel hinauf mit ſeinem ſcharfen Auge durch - ſpäht hatte, jetzt will ich deine Neugier befriedigen, mein bleicher Bruder, und dir erzählen, wie ich es anfing, in den Wiederbeſitz des Talismans zu gelan - gen, den du, großmüthig wie kein anderer Menſch, zur Rettung meines Lebens aufgeopfert hatteſt und deſſen Werth wir erſt erkennen lernten, als wir die Wunder vernahmen, die dadurch verrichtet wurden.

Wunder? fragte Arnold und ſah ſeinen Begleiter erſtaunt an: es verrichtete Wunder? fügte er hinzu.

Als ob du das nicht wüßteſt, mein Bru - der! antwortete ihm White-hawk. Wozu Ver - ſtellung, mir, deinem Freunde, gegenüber? Habe ich es dir nicht wieder gebracht und dir dadurch gezeigt, daß mir dein Glück tauſendmal mehr gilt, als das eigene? Habe ich es nicht mit Gefahr meines Lebens geraubt, und für dich? Hatte nicht auch Waupee, mein Vater, bemerkt, welchen Kampf es dir koſtete,47 es für die Rettung meines Lebens hinzugeben? und hörten wir nicht faſt jeden Tag, daß Opiska Toaki, ſeit er im Beſitze deſſelben, glücklich in Allem war, was er unternahm, und ohne Furcht den größeſten Gefahren Trotz bieten konnte, ſeit er den Talisman auf ſeiner Bruſt trug?

Da ſprach eines Tages mein Vater zu mir, fuhr der Sioux nach einer kleinen Pauſe in ſeiner Rede fort: White-hawk, ſagte er, es kommt jetzt an den Tag, welches Opfer uns das gute Bleichge - ſicht, unſer Freund, gebracht hat, und er iſt vielleicht in eben dem Grade unglücklich, als Opiska Toaki jetzt im Beſitze des Zauberbildes glücklich in Allem iſt, was er unternimmt; denn verfehlt wohl ſein Pfeil jetzt noch ein Rothwild, ſein Laſſo den Nacken eines Moſ - kotaj mehr? Hat er nicht im Kampfe mit dem blut - gierigen Puma geſiegt und ihn ſogar was nie zu - vor gehört wurde in ſeinen Armen erdroſſelt? Verkünden die Makota Konayas ihm, dem Glückſeli - gen, nicht alles Glück der Welt, ſeit er im Beſitze des Schatzes iſt, deſſen ſich unſer Freund aus Liebe zu uns entäußerte? und dürfen wir, ohne ungerecht und undankbar gegen einen ſo treuen Freund zu ſeyn, es ruhig mit anſehen, daß er vielleicht in Unglück durch ſeine Großmuth und Liebe gegen uns geräth? Jch habe geredet, was ſagſt du, mein Sohn White-hawk?

48

Jch antwortete: Nicht dulden dürfen wir, Vater, daß ein Freund, ein Bruder, ſich ſo für uns beraube; daher will ich trachten, ihm ſeinen Schatz wieder zu verſchaffen, und ſollte ich das Leben daran ſetzen müſſen.

Thue das, mein Sohn, und Manitou, der gute Handlungen belohnt und böſe beſtraft, er, der ein Feind der Undankbaren iſt, wird dir beiſtehen, ſagte mein Vater und wir redeten nicht weiter von der Sache.

Jch aber hatte ſie immer vor Augen und ſie ließ mir weder Tag noch Nacht Ruhe. Eifriger denn je ſtellte ich jetzt dem Rothwilde und dem Büf - fel auf der Jagd nach, nicht des Fleiſches wegen, denn wir hatten deſſen im Ueberfluſſe im Wigwam und ich ſpeiſte die Raubthiere damit, ſondern um viele Felle zu erhalten, für die man von den Trap - pers haben kann, was man will. Die ſchönſten hob ich auf, die ſchlechteren vertauſchte ich gegen Feuer - waſſer, Pulver, Blei und andere Dinge, auf die man wegen ihrer Nützlichkeit Werth ſetzt, und als ich ge - nug zu haben glaubte, belud ich meinen Mustang, ein ſtarkes und munteres Thier, damit und ritt fort aus der Niederlaſſung, ohne Jemanden zu ſagen, wohin.

Nachdem ich zwei Tagereiſen gemacht, langte49 ich in dem Walde an, der das Thal begrenzt, in dem ſich die Chippewas jetzt angeſiedelt haben, und da mir die Gegend von früherer Zeit her, wo ich ſie oft durchſtreift hatte, bekannt war, fand ich leicht eine geräumige, tief in den Berg eingeſprengte Höhle wie - der, deren Eingang ich einſt durch Zufall entdeckt hatte, indem ich einen grauen Bären verfolgte, der ſich darin verkroch, weil er zu feig war, ſich mir ge - genüber zu ſtellen und den Kampf mit mir anzuneh - men; denn du mußt wiſſen, daß der graue Bär kein ſo furchtbarer Feind als der ſchwarze iſt. Auch er - reichte ich ihn glücklich in der Höhle und erlegte ihn, zum Zeichen des Sieges ſein Fell mit mir nehmend.

Jn dieſe Höhle, die vielleicht, außer den wilden Thieren, nur mir allein bekannt war, führte ich den Mustang mit ſeiner Laſt und verweilte dort bis zum Anbruch der Nacht mit ihm, wo ich ſicher ſeyn durfte, daß ſich die Chippewas zur Ruhe nieder - gelegt haben würden. Behutſam führte ich dann mein Pferd bis zum Eingange des Thales, band es feſt und nahm ihm ſeine Laſt ab, die ich dann ſelbſt bis zum Wigwam Opiska Toakis trug; denn da er der des Nanawa war, konnte ich ihn beim Leuch - ten des nächtlichen Geſtirns leicht an ſeiner Größe er - kennen.

II. 450

Und zu welchem Ende, unterbrach der Europäer den Erzähler, legteſt du alle jene Sachen neben dem Wigwam des Nanawa nieder?

Kannſt du dir dieſe Frage nicht ſelbſt be - antworten, Bleichgeſicht? erwiederte ihm der Sioux. Wollte ich denn, gleich einem diebiſchen und hinter - liſtigen Schwarzfuß, Opiska Toaki beſtehlen? Abtau - ſchen wollte ich ihm den Talisman, den ihm zu rau - ben meine Abſicht war, und deshalb legte ich eine Menge der ſchönſten Felle und Alles, was ich von den Fußkrämern und Trappers eingetauſcht hatte, neben dem Wigwam des Nanawa nieder, damit er es beim Erwachen fände und zum Erſatze für das Vermißte an ſich nähme; auch war ich ihm ja ein Blutgeld für das Leben ſeines durch meine Unvorſich - tigkeit getödteten Bruders ſchuldig.

Gute, redliche Seele! rief Arnold, dem Jndianer ſeine Hand reichend, und dieſer fuhr fort:

Das Leichteſte war gethan, das Schwerſte und Gefährlichſte ſtand mir noch bevor: ich mußte mich in den Wigwam ſchleichen und dem ſchlafenden Opiska Toaki, inmitten ſeiner neben ihm ruhenden Kinder und ſeiner Squaw, die ihm hart zur Seite lag, das Kleinod von der Bruſt nehmen.

Und das wagteſt du?! rief Arnold, ihn mit erſchrockenen Blicken anſehend.

51

Jch wagte es, aus Liebe zu dir, mein Bruder, war die Antwort des Sioux. Auch war Manitou ſichtbar mit mir, denn ſonſt hätte ich es nicht vollbracht.

Wie aber fingſt du es an?

Das wirſt du gleich hören. Wie die Schlange, wenn ſie durch das Gras der Prairie ſchleicht, um eine von ihr auserſehene Beute zu über - raſchen, kroch ich auf meinem Bauche in den Wig - wam und ſo nahe an den Nanawa hinan, daß ich ihm an der einen Seite eben ſo nahe lag, als die Squaw an der andern. Der Mond fiel zum Glück durch die offen gelaſſene Thür denn es war eine ſehr ſchwüle Nacht und man hätte es vor Hitze nicht aushalten können, wenn man den Eingang nicht bloß mit einem vorgehangenen Netze, zum Schutze gegen die Schlangen und anderes kriechendes Gewürm, be - ſchützt und die Thür offen gelaſſen hätte der Mond ſchien, wie ſchon geſagt, durch die offen gelaſſene Thür in den Wigwam hinein und warf ſeine Strahlen ge - rade auf das Geſicht des ſchlafenden Nanawa, der, von der Jagd ermüdet, tiefe und ſchwere Athem - züge that.

Jch lag einige Augenblicke unbeweglich; dann löſte ich mit leiſer Hand den Riemen, womit er ſein Unterkleid von Dammhirſchfell zugebunden4 *52hatte, denn ich mußte ſeine Bruſt entblößen, um zu dem darauf bewahrten Kleinod gelangen zu können. Es glückte mir und hell vom Mond beſchienen, leuch - tete es mir bald in ſeinem wunderbaren Schimmer, der mir die Augen faſt verblendete, entgegen.

Die Hand, mit der ich es berührte, zit - terte; ſie zitterte auch, als ich die Kette, an der Opiska Toaki den Talisman auf ſeiner Bruſt trug, leiſe, in vorſichtigen und langſamen Zügen, ihm un - ter das Haupt zog, denn um die Beute zu erlangen, mußte ich die Kette über den Kopf wegziehen, weil ich es nicht wagen durfte, ſie zu zerbrechen.

Jch mußte doch nicht leiſe und vorſichtig genug geweſen ſeyn, denn plötzlich, in eben dem Au - genblick, wo ich den letzten Zug that und das Kleinod in meiner zitternden Hand hielt, erhob der Nanawa das Haupt, öffnete die Augen und fuhr ſich mit der Hand nach der Bruſt.

Jch gab mich ſchon verloren und erwartete den Augenblick, wo er vollends erwachen und den an ihm begangenen Raub entdecken, mich aber als den Räuber erkennen und tödten würde. Manitou ſtand mir jedoch bei: der Schläfer erwachte nicht völlig, legte das Haupt wieder nieder, kehrte ſich nach der Seite um, an der ſein Weib lag, und ſchlief weiter.

53

Jch blieb, den Athem an mich haltend, noch eine Weile neben ihm liegen, fuhr der Erzäh - ler fort; dann, als ich ſicher war, daß der er wie - der feſt ſchliefe, kroch ich auf dem Bauche wieder aus der Hütte, hing das vorher herabgenommene Netz wieder vor, um die Schläfer nicht einer tödtlichen Gefahr auszuſetzen, und eilte, mit dem Kleinode auf der Bruſt, meinem Pferde ſo ſchnell als mög - lich zu.

Jndeß durfte ich den geraden Weg zu un - ſerer Niederlaſſung nicht einſchlagen, weil dies ſicher zur Entdeckung des Thäters geführt haben würde; denn wir Rothhäute ſind in der Auffindung der Spu - ren Flüchtiger ſchlauer und erfahrener als ihr Bleich - geſichter, ſondern ich mußte die Verfolger durch Liſt irre zu leiten und zu täuſchen ſuchen. Jch ritt alſo dem Ufer des großen Fluſſes (Miſſiſippi) zu, warf mich, als ich ihn erreicht hatte, mit meinem Mus - tang, den ich ſchwimmend am Zügel mit mir führte, hinein und langte glücklich am jenſeitigen Ufer an. Jetzt erſt durfte ich mich als gerettet anſehen und brachte einen ganzen Tag und eine Nacht im Walde zu, theils um mir ſelbſt und meinem Thiere etwas Ruhe zu gönnen, theils mir einige Nahrung zu ver - ſchaffen, denn der Hunger tödtete mich faſt, da ich ſeit mehren Tagen nicht das Mindeſte genoſſen hatte. 54Jch war ſo glücklich, ein junges Reh zu erlegen, das mir eine treffliche Mahlzeit gab; mein Pferd fand reichliches Futter, wir Beide eine Quelle, um unſern Durſt zu löſchen, und am nächſten Tage konnten wir geſtärkt unſere Reiſe fortſetzen.

Der große Fluß, ſchloß White-hawk ſeine Erzählung, mußte noch einmal durchſchwommen wer - den, um an das gegenüberliegende Ufer zu gelangen, und obſchon das Waſſer hier viel breiter, die Strö - mung weit ſchneller iſt, gelangten wir doch glücklich hinüber. Als ich aber mit meiner Beute beim Vater anlangte, traf ich dieſen, verwundet von dem Pfeil eines tückiſchen Schwarzfußes, auf dem Lager im Wig - wam liegend, und obgleich ich meiner Pflicht gegen ihn Genüge leiſten und zu ſeiner beſſern Verpflegung bei ihm bleiben wollte, litt er es doch nicht, ſondern ſandte mich gleich wieder fort, dich aufzuſuchen und dir das Kleinod wieder zuzuſtellen.

Mit dieſen Worten endete der Sioux ſeine Er - zählung, der Arnold zugleich mit Erſtaunen, Rührung und Dankbarkeit zugehört hatte; denn würde wohl je ein Freund in der civiliſirten Welt ſo Viel für den Freund, um ſo geringen Preis, gewagt haben? Der Sioux aber fand das, was er gethan hatte, nur ganz natürlich und wollte von Dank nichts hören. Groß aber war ſeine Freude, als er Arnold das ge -55 liebte Bildniß oft wieder hervornehmen und mit un - verkennbarem Entzücken betrachten ſah.

Die Roſſe hatten ſich jetzt gehörig ſatt gegeſſen und auch ihre Gebieter, nebſt Bruno, der niemals leer ausging, wo es eine Mahlzeit gab, ſich durch einige mitgenommene Schnitte geröſteten Fleiſches und einen Trunk Waſſer aus einer von Bruno entdeckten Quelle geſtärkt, ſo daß man es wagen durfte, ſich den Strapazen durch die verbrannte Prairie auszu - ſetzen, deren Ausgang man aber erſt mit Anbruch der Nacht erreichte. Man ruhte am Fuße eines - gels, neben einem tüchtigen Feuer aus und traf am folgenden Tage gegen Abend wohlbehalten in der Nie - derlaſſung der Sioux ein. Groß war die Freude der guten Jndianer, als ſie ihres Freundes, des guten Bleichgeſichts, wie ſie Arnold nannten, anſichtig wurden, und mit Jubel wurde er in Waupees Wig - wam geführt.

Drittes Kapitel.

Mit dem gegen die Schwarzfüße beabſichtigten Kriege war es nichts; dieſe räuberiſchen Jndianer hat - ten ſich, vielleicht ihre Schwäche fühlend, gänzlich56 aus der ſeither von ihnen beunruhigten Gegend zurück - gezogen und ſich weiter nach Nordweſt begeben, wo es ihnen nicht an Jagd und Weideplätzen fehlen konnte. Sie hatten wahrſcheinlich auf die ſeither zwiſchen den Sioux und Chippewas herrſchende Feindſchaft ge - rechnet und darauf gehofft, ſich dem einen oder an - dern dieſer Stämme anſchließen zu können; als ſie aber in Erfahrung brachten, daß eine vollſtändige Ausſöhnung zwiſchen beiden ſtatt gefunden, es nicht gewagt, länger in der Nähe derſelben zu bleiben, da ſie durch die vereinte Macht der Sioux und Chippe - was, die ſie beide gleich ſehr haßten und verachteten, leicht gänzlich hätten aufgerieben werden können.

Mit dieſer Nachricht, die für den feurigen White - hawk nicht eben eine willkommene war, weil er ſchon auf einige Scalps zur Zierde ſeines Gewandes ge - rechnet hatte, empfing Waupee die beiden Reiſenden.

Unter dieſen Umſtänden kürzte Arnold ſeinen Aufenthalt bei den Sioux ab und trat ſchon nach wenigen Tagen die Rückreiſe an, was er um ſo be - ruhigter that, da ſich die Wunde Waupees, Dank ſei es den heilenden Kräften des Gibſonkrautes, in ei - nem ſehr guten Zuſtande befand.

White-hawk ließ es ſich nicht nehmen, ihn eine gute Strecke zu begleiten und einige andere Jünglinge, die ſich gleichfalls um die Freundſchaft des guten57 Bleichgeſichts bewarben, ſchloſſen ſich ihnen an, ſo daß die Reiſe eine überaus heitre und angenehme war.

Als unſer Freund in Nauvoo wieder anlangte, fand er die über den Desmoines zu ſchlagende Brücke, zu der er den Riß und Plan geliefert hatte, ſchon ziemlich vollendet und mußte ſich über die Schnellig - keit, womit dieſer ſchwierige Bau beſchafft worden war, nicht wenig wundern. Dieſer würde unter an - dern Umſtänden dem Staate ſehr bedeutende Summen gekoſtet haben, koſtete aber dem von Nauvoo nicht einen einzigen Cent. Nach den von Joe Smith ein - geführten Geſetzen mußte jeder Arbeitsfähige jeden fünften Tag unentgeltlich für den Staat arbeiten, und da man Holz, Steine, ja ſelbſt Kalk, Eiſen u. ſ. w. im Ueberfluſſe fand, brauchte man auch für das Bau - material nichts auszugeben, und ſo ſah man Erſtau - nen erregende Baulichkeiten in unglaublicher Schnellig - keit, und ohne alle Koſten, in dieſem Wunderſtaate emporſteigen.

Das war, es ließ ſich nicht läugnen, Joe Smiths Verdienſt, und ſo ſehr Arnold dieſen Mann auch ſonſt verachtete, ſo konnte er doch nicht umhin, ihn in vielen ſeiner Einrichtungen und wegen ſeines wirk - lich großartigen Genies zu bewundern, das durch den Hebel des Fanatismus ſo viele Kräfte in Bewegung zu ſetzen verſtand.

58

Als er in ſeiner Wohnung angelangt war, trat John Adams mit noch finſterer Miene, als gewöhn - lich, zu ihm und kündigte ihm für den folgenden Monat das Logis auf. So wenig Gutes und Freund - liches er ſich auch von dem alten Fanatiker verſehen hatte, ſo ſetzte ihn dieſe Aufkündigung doch in Ver - wunderung, da der Alte geizig war, er einen nicht ganz unbedeutenden Miethzins bezahlte und ein ſehr bequemer Einlogirender, ſchon wegen ſeiner häufigen Abweſenheit, war.

So verdrießlich ihm dieſe neue Feindſeligkeit von Seiten John Adams denn dafür hielt er die un - erwartete Aufkündigung auch war, weil er ſich in der Wohnung behaglich gefühlt hatte, ſo antwor - tete er ihm doch nur: Es iſt gut, ich werde aus - ziehen.

Der Gärtner, welcher erwartet hatte, daß er eine Erklärung von ihm fordern würde, blieb noch einige Augenblicke ſtehen, dann, als ſie nicht erfolgte und Arnold ſich mit ſeinen Büchern und Papieren zu ſchaffen machte, ohne weiter Notiz von ihm zu nehmen, ſagte er:

Jch würde Sie gern noch länger in meiner Wohnung behalten haben, Sir; allein ich kann nicht ferner für die Jhnen zukommende Bedienung ſor - gen.

59

Und weshalb nicht? fragte ihn der junge Deutſche, indem er ſich nach ihm umwandte. Jch verlange keine mehr, als mir die bisher geleiſtet wurde und euer Weib klagte nie, daß ſie zu große Mühe von mir habe.

Darüber klagte ſie nie, Sir, und hatte auch keine Urſache dazu; allein ſie kann Jhnen ſelbſt die wenigen geforderten Dienſte nicht mehr leiſten, weil ſie nicht mehr im Hauſe iſt.

Nicht mehr bei euch? und wo iſt ſie denn ſonſt, wenn ich fragen darf?

Jm Tempel, bei dem Herrn Generallieu - tenant, war die kurze Antwort.

So wäre Dina todt? fragte Arnold und wurde ſo bleich bei dieſer Frage, daß ſeine große in - nere Bewegung den Blicken des Alten nicht entging.

Man fand ſie vor etwa acht Tagen am Morgen todt in ihrem Bette, antwortete der Ge - fragte; da man ihr Ende noch nicht ſo nahe ge - glaubt hatte, obgleich ſie immer kränkelte, können Sie ſich den Schrecken über dieſen plötzlichen Todes - fall vorſtellen, Sir. Sie war eine treue Dienerin und ſo hat ſie unſer Prophet, obgleich ſie nicht öffentlich zu unſerm Glauben übertrat, doch im Tode ſo geehrt, wie wenn ſie zu den Unſrigen gehört hätte, und ſo wird ſie mitten unter den Gläubigen60 auf dem ſchönen neuen Gottesacker ruhen, mit deſſen Anlage man ſo eben erſt fertig geworden iſt. Zwar erhoben ſich mehre Stimmen in der Gemeinde dage - gen, daß er durch eine Ungläubige gleichſam ein - oder vielmehr entweiht werden ſolle; allein der Prophet gab uns die Verſicherung, daß die Verblichene im Herzen eine ſo gute Gläubige geweſen ſei, wie es nur irgend Einer von uns Andern ſeyn könne, und ſo mußte man ſich beruhigen.

Arnold antwortete dem Alten nicht, der wider ſeine Gewohnheit geſchwätzig war: er war zu bewegt dazu, Worte finden zu können und was ſein Herz empfand, was er dachte, hätte er ja doch nicht vor dem alten Fanatiker ausſprechen können.

Dinas Tod erfreute und betrübte ihn zugleich auf’s Jnnigſte. Wie ſehr gönnte er ihr, der Dul - derin, die ſo lange ſchon von ihr erſehnte Ruhe im Grabe, und doch war ihm der Gedanke ſchmerzlich, ſie nicht mehr unter den Lebenden zu wiſſen, nie wie - der in ihr ſchönes, ſanftes Auge blicken, nie den Ton ihrer Stimme, der ſo beruhigend auf ſeine Seele wirkte, hören zu ſollen. Mit ihr hatte man die ein - zige Perſon begraben, für die er ſich noch in der ei - viliſirten Welt lebhaft intereſſirt, an der er warmen Antheil genommen, für die er Gebete zum Himmel emporgeſchickt hatte, der er, weil er ihr aufrichtig61 wohl wollte, etwas ſeyn, der er durch ſeine Theil - nahme und ſein Mitleid Troſt bringen konnte. Mit ihr ſchien auch das letzte Band zerriſſen zu ſeyn, das ihn noch an die Civiliſation knüpfte und der Gedanke, dieſer für immer Lebewohl zu ſagen, auf immer mit ihr abzuſchließen und fortan unter ſeinen geliebten Wilden nur noch ein Naturleben zu führen, trat ihm wieder näher denn je. Ja, hätte er Dinas Tod ſchon während ſeines letzten Beſuchs bei den Chippewas und Sioux erfahren, ſo würde er wahrſcheinlich nicht wie - der nach Nauvoo zurückgekehrt ſeyn: ſie allein, die Hoffnung, ihr beim Sterben noch einigen Troſt brin - gen zu können, hatte ihn wohl dahin zurückgeführt, denn alles Andere in der Colonie ſtieß ihn weit mehr ab, als es ihn anzog.

Mit dieſen Gedanken und Vorſtellungen beſchäf - tigt, bemerkte er den Wiedereintritt John Adams kaum und wurde erſt durch die Anrede deſſelben auf ſeine Anweſenheit aufmerkſam gemacht.

Es iſt ein Reiter draußen vor der Thür, Sir, nahm der Alte das Wort, der einen Brief an Sie abzugeben und Jhre Antwort darauf ent - gegenzunehmen hat: darf ich ihn zu Jhnen hinein - führen?

Thut das, war die Antwort und nach wenigen Minuten trat ein ſchon etwas ältlicher Mann62 in anſtändiger, aber etwas beſtäubter Reiſekleidung zu ihm ein.

Jch habe die Ehre, Mr. Arnold vor mir zu ſehen? fragte er dieſen in engliſcher Sprache.

Wenn Sie an den eine Botſchaft auszurich - ten haben, Sir, ſo richten Sie ſie an mich. Was ſteht zu Jhren Dienſten?

Hier iſt ein Brief von Mr. Boggs, dem Herrn Gouverneur des Staates Miſſouri, war die Antwort des Boten, und zu gleicher Zeit öffnete er eine ihm an der linken Seite hängende, ziemlich große Ledertaſche, nahm mehre Papiere und Briefe aus der - ſelben hervor und reichte Arnolden den für ihn be - ſtimmten mit einer höflichen Verbeugung dar.

Wenn Sie erlauben, Sir, fügte der Bote, nachdem unſer Freund den Brief von ihm in Empfang genommen hatte, hinzu, ſo beurlaube ich mich jetzt bei Jhnen und komme in einigen Stunden wieder vor, um Jhre Antwort auf den Brief des Herrn Gou - verneurs entgegenzunehmen. Jch habe in Nauvoo noch einige andere Geſchäfte zu beſorgen und auch ei - nen Brief an Mr. Joe Smith, den Herrn General - lieutenant der Milizen von Jllinois, abzugeben und muß auch meinem Pferde einige Ruhe gönnen, denn wir haben einen ſcharfen Ritt gemacht.

Jch werde meine Antwort in Bereitſchaft63 halten und Sie dürfen darauf rechnen, Sir, daß Sie ſie bei Jhrer Rückkehr vorfinden, war Arnolds Ant - wort, worauf ſich der Bote entfernte.

Der junge Deutſche war nicht wenig verwun - dert, einen Brief von einem ihm, bis auf den Namen, völlig unbekannten Manne zu erhalten und öffnete ihn daher nicht ohne Neugierde; er enthielt Folgendes:

An Mr. Arnold, Civil-Jngenieur zu Nau - voo, Esquire.

Durch einen höchſt unangenehmen Vorfall in große Verlegenheit geſetzt, erlaubt es ſich Mr. John Boggs, Gouverneur von Miſſouri, ſeine Zuflucht zu Ew. Wohlgeboren zu nehmen. Die Sache iſt in aller Kürze dieſe:

Ein ſehr geſchickter Civil-Jngenieur, welcher ſeither die Arbeiten in St. Louis und deſſen Um - gegend leitete, iſt plötzlich durch Krankheit außer Stand geſetzt worden, ſeinen bisherigen Geſchäften vorzuſtehen und dies trifft den Staat und mich um ſo ſchmerzlicher, da gerade eine Menge der wichtig - ſten und nothwendigſten Arbeiten der Vollendung harren.

Durch Mr. Joe Smith, deſſen perſönlicher64 Bekanntſchaft ich mich zu erfreuen habe, von Jhren Kenntniſſen und Talenten unterrichtet, erlaube ich mir die ergebenſte Anfrage an Sie: ob Sie viel - leicht geneigt ſeyn ſollten, wenigſtens auf einige Zeit, mir Jhre Hülfe bei den vorhabenden Ausmeſſungen und Nivellirungen zu leihen? wofür ich mich Jhnen, wie ſich von ſelbſt verſteht, auf jede Weiſe nach Kräften dankbar bezeigen würde.

Um weder Sie, Sir, noch mich ſelbſt in eine üble Stellung zu Mr. Joe Smith zu bringen, habe ich dieſem auch meinen Wunſch in Hinſicht Jhrer vorgetragen und hoffe, daß Sie, Sir, ſo wie Mr. Smith, meine Zudringlichkeit mit den Umſtän - den entſchuldigen werden. Nur in der allerdrin - gendſten Noth konnte es mir in den Sinn kommen, Sie dem Kreiſe Jhrer bisherigen Beſchäftigungen entziehen und Sie Jhren gewiß angenehmen und in jeder Hinſicht ehrenvollen Verhältniſſen auf einige Zeit entreißen zu wollen, und nur indem ich auf Jhre und Mr. Joes Nachſicht rechnete, durfte ich einen Schritt wagen, der, wenn man die obwalten - den Umſtände nicht gütig in Betracht zöge, leicht mißdeutet werden könnte.

Da die Sache große Eile hat, bitte ich dem Ueberbringer dieſes Schreibens eine beſtimmte Antwort mitgeben und, ſollte ſie meinen Wün -65 ſchen gemäß ausfallen, ſich ſobald als möglich nach St. Louis auf den Weg machen zu wollen.

Jch bin u. ſ. w. John Boggs, Gouverneur.

Nicht ohne Vergnügen las Arnold dieſen Brief, der ſeine Zweifel endete, ob er noch länger in Nau - voo, wo ihn im Grunde Alles anekelte, bleiben oder ſich entfernen und ſich neue Lebensverhältniſſe ſuchen ſollte. Mehr denn je freute er ſich darüber, daß er ſich durch die ihm früher von dem Propheten gemach - ten, für ſeine Umſtände glänzenden Anerbietungen nicht hatte verlocken laſſen, ſich durch Annahme eines Amtes zu binden. Jetzt war er vollkommen Herr ſeiner ſelbſt und Gebieter ſeiner Beſchlüſſe, und Nichts konnte ihn davon abhalten, die ehrenvollen Anträge eines Mannes anzunehmen, von dem der Ruf nur das Allerbeſte ſagte.

Die Luft in Nauvoo lag überdies ſchon lange drückend auf ihm. Der Umgang mit den fanatiſchen Mormons konnte für einen Mann von ſeinem Geiſte und Verſtande nur im höchſten Grade langweilig ſeyn, ja gewiſſermaßen, wenn er noch länger fortgeſetzt würde, deprimirend auf ſeine geiſtigen Fähigkeiten ein - wirken, und ſo ſtand er nicht an, ſelbſt ohne denII. 566Propheten zuvor befragt zu haben, dem Gouverneur zuzuſagen und dieſem die beſtimmte Zuſicherung zu ge - ben, daß er ſchon in wenigen Tagen nach St. Louis aufbrechen und mit Vergnügen die ihm zu übertra - genden geometriſchen Arbeiten übernehmen würde.

Dieſen Brief übergab er dem ſich nach einigen Stunden wieder bei ihm einſtellenden Boten und fühlte ſich, als er ihn damit fortreiten ſah, gleichſam er - leichtert, da er durch den ihm gemachten Antrag des Gouverneurs zum Einſchlagen einer neuen Lebensrich - tung und zum Aufgeben alter, ihm widerwärtig ge - wordenen Verhältniſſe getrieben worden war. Denn es ergeht uns damit, wie es uns oft im Schlafe er - geht, wo wir das unangenehme Gefühl einer üblen Lage haben, ohne uns doch ſo weit ermuntern zu können, ſie zu verändern; hier ſind es die Nerven, die noch nicht Spannkraft genug geſammelt haben, daß wir uns ganz wieder unſerer bewußt werden könnten, dort iſt es eine uns angeborene Jndolenz, vielleicht auch die Furcht, daß es uns noch ſchlimmer als ſeither ergehen dürfte, die uns in unpaſſenden La - gen und drückenden Verhältniſſen fortleben läßt, und ſo müſſen wir es immer dem Geſchick Dank wiſſen, wenn es uns durch dieſen oder jenen Zufall zu Hülfe kommt.

Der Tag hatte, theils durch den ſcharfen Ritt,67 den unſer Freund am Morgen deſſelben gemacht, theils durch die Aufregung, welche die Nachricht von dem Tode der unglücklichen Dina in ihm hervorgerufen, und endlich den Entſchluß, ſeine bisherigen Verhält - niſſe aufgeben und gegen neue vertauſchen zu wollen, ſehr viel Ermüdendes ſowohl für Geiſt als Körper gehabt, ſo daß er ſich innig nach Ruhe, nach Schlaf ſehnte. Allein die Nerven des Gehirns waren durch das Alles in ſolche Spannung gerathen und vibrirten noch ſo ſtark, daß an Schlaf nicht für ihn zu denken war, ſo ſehr ſein Körper deſſelben auch bedurfte. Er machte den Verſuch, die Aufrühreriſchen zur Ruhe zu bringen, warf ſich auf ſein Lager und ſchloß die Au - gen; allein Alles war vergeblich und er hielt es end - lich für beſſer, wieder aufzuſtehen und ſich an das offene Fenſter zu ſetzen.

Die draußen in der Natur herrſchende Stille, das gänzliche Verſtummen jeglichen Geräuſches des ge - ſchäftigen Lebens, wirkten bald auf ſeinen aufgereg - ten Nervengeiſt und die ihn quälende Spannung ließ allgemach nach.

Es war eine tiefdunkle Nacht, eine von jenen, wo der durch Regenwolken verſchleierte Himmel wie ein ſchwarzes Bahrtuch über dem Erdkreiſe liegt; eine jener wunderbaren Nächte, in denen die Natur in er - wartungsvoller Stille des Segens und der Erquickung5 *68harrt, der ihr aus den verdichteten Wolken zuſtrömen und den durch die heiße Sonnengluth in ihrem Schooße entzündeten Brand abkühlen ſoll. Kein Blatt am Baume bewegte ſich, nicht einmal das gefiederte, ſo leicht bewegliche Laub der Akazien zitterte an den fei - nen, ſchlanken Zweigen; kein Vogel ſchüttelte das farbige Gefieder unter dem Laubdache der Magnolien; kein Nachtſchmetterling ſchwirrte, da ſein Jnſtinkt ihm ſagte, daß der zarte Schmelz ſeiner Flügel durch den jeden Augenblick zu erwartenden Regen bedroht würde; Alles ſchwieg, Alles ruhte und eine Stille lag über der ganzen Natur, als ob der Tod ſeine Schwingen über alles Geſchaffene gebreitet hätte.

Arnolden that dieſes Schweigen, ihm that ſelbſt die tiefe Dunkelheit wohl. Es war ihm recht, daß keins der himmliſchen Geſtirne ſeine Strahlen auf den Schauplatz ſo vieler Gräuel, ſo vielen Jammers und Elends niederſandte; daß der Mond nicht, gleichſam lächelnd und unbekümmert um das, was unter ihm vorging, durch den tiefblauen Aether hinſchiffte. Denn dieſer Contraſt zwiſchen den ſich nach ewigen Geſetzen gleichmäßig bewegenden Weltkörpern und der ewigen Unruhe, Unſtätigkeit und Zerriſſenheit der Menſchen - ſeele war ſchon oft ein ſchmerzlicher für ihn geweſen. Wie verhaßt iſt uns nicht der Sonnenſchein, der auf das Grab der Geliebteſten fällt und dort andere Le -69 benskeime weckt, während es ſelbſt die äußere Form deſſen zerſtört, das ſo innig mit uns verbunden war, das wir mit der ganzen Liebesgluth unſerer Seele umfaßten. Wir möchten bei ſolchen Verlüſten ſich die ganze Natur in Trauer kleiden ſehen und ſie lächelt uns und unſern Schmerz, gleichſam wie zum Hohne, an.

Dieſe tiefdunkle, ſchweigende Nacht lag auf Di - nas Grabe: der Gedanke that Arnolden wohl. Auch in ihr war es ſtill und dunkel geworden, wie in der Natur; auch in ihr waren alle Kämpfe geendet, alle verwirrenden Leidenſchaften zum Schweigen gebracht, und ein neues Daſeyn, gleichviel in welcher Form, ihr aufgegangen. Er dachte jetzt ohne allen Schmerz an ihren Tod; er wäre nicht egoiſtiſch genug geweſen, ſie, wenn er es vermocht hätte, wieder in’s Leben zurückzurufen, obgleich ſie ihm lieb, ſehr lieb in der kurzen Zeit ihres Beiſammenlebens geworden war und ſeine Seele die Ahnung hegte, daß in ihr vielleicht das Weſen zu Grunde gegangen, das mit der vollen Kraft ſeines Herzens zu lieben, ſeine Beſtimmung ge - weſen ſei; denn ſo wie ſie, die dem Tode ſchon Ge - weihte, die Geknickte, Verblühte, hatte bis dahin noch kein Weib auf ihn gewirkt. Es war, als ob etwas Magnetiſches, hervorgerufen durch die Sym - pathie ihres Nervengeiſtes, zwiſchen ihnen geherrſcht habe, denn auf keine andre Weiſe vermochte er ſich70 die Gewalt zu erklären, die ſie über ihn und, wie ihm eine innere Stimme ſagt, er auch auf ſie ausgeübt hatte.

Er hätte jetzt, wo ihn doch der Schlaf floh und er ſich unaufhörlich mit ihr beſchäftigen mußte, ihr Vermächtniß hervornehmen und die ihm hinterlaſſenen Papiere leſen können, denn jetzt durfte er es ja ihrer Beſtimmung nach; allein trotz dem unterließ er es, weil er dazu eine Zeit abwarten wollte, wo es in ſeinem eigenen Jnnern ruhiger als jetzt war. Mit dem erſten falben Scheine des erwachenden Tages meldete ſich auch ſo gebieteriſch das Bedürfniß des Schlafes bei ihm, daß er ſich völlig angekleidet auf ſein Lager warf und ſchon nach wenigen Minuten feſt einſchlief.

Das Aufgehen ſeiner Thür erweckte ihn endlich wieder. Die Sonne ſtand bereits ziemlich hoch am Himmel und warf ihre glänzenden Strahlen auf ſein Lager. Die Regenwolken hatten ſich ihres ſegens - reichen Ueberfluſſes in der Frühe entladen und die er - quicklichſten Düfte drangen durch das offen gelaſſene Fenſter zu ihm ein.

Verzeihen Sie, wenn ich Sie ſtörte, ſagte Joe Smith, denn dieſer war es, der, nachdem er auf wiederholtes Klopfen keine Einladung zum Eintritt vernommen hatte, zu ihm eintrat. Sie noch jetzt71 ſchlafend zu finden, fuhr er fort, durfte ich um ſo weniger glauben, da Sie ſonſt ein Frühaufſteher ſind, einer von Denen, die durch Abkürzung des Schlafs ihre Lebenszeit auf’s Doppelte bringen.

Jch habe mich erſt ſehr ſpät zur Ruhe nie - dergelegt, antwortete ihm Arnold, der ſich indeß erhoben und dem Propheten einen Stuhl angebo - ten hatte, und aus dem Grunde die Zeit ver - ſchlafen.

Mein Weg führte mich an Jhrer Wohnung vorüber, nahm Joe wieder das Wort, und ich wollte nicht unterlaſſen, Jhnen einen guten Morgen zu ſagen.

Jch bin Jhnen unendlich für ſo viel Güte verbunden, Sir, erwiederte Arnold, fühle mich aber zugleich beſchämt, daß Sie mir zuvorkommen: es wäre meine Pflicht geweſen, Sie zuerſt nach meiner Rückkehr zu beſuchen und zu begrüßen.

Marie wird Jhnen dieſe Höflichkeit nicht erlaſſen, Sir, antwortete ihm Smith; unter Män - nern, und zumal unter Freunden, nimmt man es aber nicht ſo genau, und ſo habe ich keinen Anſtand genommen, Sie zuerſt aufzuſuchen. Sie erzeigen uns doch die Ehre, zum Mittagseſſen bei uns zu erſchei - nen? Jch rechne um ſo feſter darauf, da es noch eine Menge Sachen zwiſchen uns zu beſprechen giebt,72 bevor Sie Nauvoo auf längere Zeit verlaſſen; denn ich denke, daß Sie den Wunſch Sir Johns, meines Freundes, erfüllen und auf einige Monate, bis er ſich mit einem andern Jngenieur verſehen haben wird, nach St. Louis gehen werden.

Dies iſt allerdings mein Entſchluß, ver - ſetzte Arnold.

Sie verſprechen mir aber, zurückzukehren? fragte ihn der Prophet; nicht wahr, Sie verſprechen es mir? Auch habe ich Sir John geſchrieben, daß ich Sie ihm nur auf eine kurze Zeit abtrete; wird es mir doch ſchon ſo ſchwer fallen, Jhrer Kenntniſſe und Talente auf ſo lange zu entbehren, hier, wo noch Alles im Werden und noch große Anlagen und Pläne zur Ausführung kommen ſollen, bei denen ich noth - wendig Jhrer bedarf.

Sie könnten mich eitel und ſtolz durch ſo viele Güte machen, Sir, verſetzte Arnold, die Be - antwortung der Frage Joes geſchickt umgehend.

Wir reden von allem Dieſen nach Tiſche, ſagte der Prophet, nach ſeinem Hute greifend und ſich erhebend. Jetzt muß ich zu den Arbeitern an der Brücke, um einige nothwendige Anordnungen zu treffen. Alſo auf Wiederſehen, mein junger Freund! Er reichte ihm mit dieſen Worten die Hand zum Ab - ſchiede und entfernte ſich.

73

Arnold war unſchlüſſig, ob er die an ihn er - gangene Einladung annehmen ſollte, oder nicht; end - lich aber entſchloß er ſich, da man ihm durch Nichts das Recht gegeben hatte, ſich unhöflich zeigen zu dür - fen, zu Erſterem und fand ſich um die beſtimmte Stunde, durch den Garten gehend, zu dem er noch immer den Schlüſſel hatte, vor der hintern Thür des Tempels ein.

Es machte einen widerwärtigen, faſt erſchrecken - den Eindruck auf ihn, als ihm diesmal, ſtatt der frühern Pförtnerin, jetzt das ihm ohnehin unange - nehme Weib John Adams auf ſein Schellen die Thür öffnete, denn einen ſchneidendern Contraſt konnten zwei Menſchengeſtalten nicht gegen einander bilden, als dieſes faſt coloſſale Weib, mit dem rothen, aufgedun - ſenen Geſichte und den kleinen ſchwarzen, liſtigen Au - gen gegen die ätheriſche Dina bildete, deren Züge be - reits vom Verklärungsglanze während ihres Lebens umfloſſen waren, ſo daß ſie nicht mehr als Bürgerin dieſer, ſondern ſchon als die einer höhern Welt er - ſchien.

Beliebt Jhnen, einzutreten, Sir? fragte das Weib, als Arnold, von dieſen Gedanken ergrif - fen, zögernd am Eingange ſtehen geblieben war und ſich zu beſinnen ſchien, ob er eintreten oder wieder umkehren ſollte; denn das Herz war ihm ſo voll, daß74 Thränen zwiſchen ſeinen Wimpern zitterten, die erſten, die er der Geſchiedenen weihete.

Dieſe, mit jener rauhen und fetten Stimme, wie ſie Mannweibern eigen zu ſeyn pflegt, an ihn gerich - tete Frage, weckte ihn aus ſeinen Träumereien auf und er trat ein, ohne der Fragerin zu antworten. Am Eingange der Treppe blieb er nochmals ſtehen, denn hier erinnerte ihn wieder Alles lebhaft an Dina. Er ſah ſich im Schiff der Kirche um und ihm war, als müſſe die theuere Geſtalt hinter einem der coloſſa - len Pfeiler hervortreten, die die Kuppel ſtützten, und ihm ein letztes Lebewohl zuwinken; aber Alles blieb ſtill und leer. Dann folgte er dem Weibe, das, ſich nicht weiter um ihn bekümmernd, nachdem es ihn ein - gelaſſen, vor ihm die Treppe hinangeſtiegen war.

Er fand den Propheten bei ſeinem Eintritt in das Arbeitszimmer mit Zeichnen beſchäftigt; die - ſer erhob ſich jedoch ſogleich, um ihn zu bewill - kommnen.

Sie ſollen mir aufrichtig Jhre Meinung über dieſes von mir entworfene Denkmal ſagen, nahm er nach der erſten Begrüßung Arnolds das Wort und führte dieſen an den Tiſch, auf dem das Reißbrett ſtand.

Arnold betrachtete die eben ſo ſaubre als cor - recte Zeichnung und konnte nicht umhin, das von Joe75 entworfene Denkmal überaus ſinnig und geſchmackvoll zu finden.

Jhr Lob genügt mir; ich weiß aus Er - fahrung, fügte Smith mit einem feinen Lächeln hinzu, daß Sie eben kein Schmeichler ſind, und ſo ſoll das Denkmal nach dieſer Zeichnung ausgeführt werden.

Es iſt ein Grabdenkmal, ſagte Arnold: darf ich fragen, für wen Sie es beſtimmt haben?

Wie, Sie errathen das nicht? verſetzte der Prophet. Hat man Jhnen denn noch nicht ge - ſagt, daß unſre gute Dina todt, daß ſie während Jhrer Abweſenheit geſtorben iſt?

Für dieſe? fragte jetzt Arnold ſeinerſeits und das lebhafteſte Erſtaunen mochte ſich in ſeinen Zügen ausdrücken, denn Joe nahm wieder das Wort und fragte:

Hielten Sie dieſes edle Weſen, dieſe ſtille Dulderin, nicht für würdig, durch einen ſolchen Be - weis der Achtung und Zuneigung geehrt zu werden? Sie haben ſie freilich nur kurze Zeit gekannt, fuhr er fort, ſie nur in einem Zuſtande gekannt, der Sie daran verhindern mußte, ſie nach Gebühr zu wür - digen; aber ich, mein Freund, wußte, welches Herz, welches reine Gemüth in dieſem zuletzt ſo hinfälligen Körper wohnte, welche reiche Gaben des Geiſtes Dina76 einſt ſchmückten, und ſo kommt es mir zu, ſie auch nach dem Tode noch zu ehren; denn Undankbarkeit ſoll man mir nie vorwerfen können.

Arnold wußte nicht, ob er träumte oder wachte, als er den Propheten, den herz - und gemüthloſen Peiniger Dinas denn ihn dafür zu halten, war er durch Alles, was er geſehen und gehört hatte, be - rechtigt dieſe Worte mit dem Tone der vollſten Wahrheit und des innigſten Gefühls ausſprechen hörte. Trotz dem ließ er ſich nicht dadurch täuſchen und ſein Abſcheu gegen dieſen Mann ſteigerte das Gehörte bis zu einem Grade, daß er mehre Male auf dem Punkte ſtand, loszubrechen und ihm zu ſagen, daß er ihn durchſchaue und in Folge deſſen auf das Höchſte ver - achte. Aber er war in der Höhle des Löwen und es wäre eine unſinnige Verwegenheit von ſeiner Seite geweſen, dem Propheten hier Trotz zu bieten, da er ſich, waffenlos wie er war, gänzlich in ſeiner Gewalt befand. Wurde er doch auch ſchon in wenigen Ta - gen von dem Verkehr mit dieſem Menſchen für im - mer erlöſt, denn ſein Entſchluß ſtand feſt, unter keiner Bedingung nach Nauvoo zurückkehren und das Verhältniß zum Propheten für immer löſen zu wollen.

Joe Smith änderte die Unterhaltung, als er ſah, daß ihm Arnold die Antwort auf ſeine pathe -77 tiſche Lobrede der Verſtorbenen ſchuldig blieb, und ging erſt auf Geſchäftliches, dann auf Marie über.

Sie werden einen ſchweren Stand mit dem Mädchen haben, mein Freund, ſagte er, und nicht allzu leicht Verzeihung für Jhre ſchnelle Abreiſe ohne Abſchied erlangen. Marie iſt nicht ohne Eitelkeit und die haben Sie, Sie müſſen es zugeben, durch dieſe Rückſichtsloſigkeit verletzt.

Jch war nicht ſo eitel, zu glauben, daß meine Abweſenheit von Miß Marie bemerkt werden würde, antwortete Arnold, durch dieſen directen Angriff in einige Verlegenheit geſetzt.

Sie ſind in der That zu beſcheiden, Sir, war die Antwort des Propheten, und ſelbſt auf die Gefahr hin, dieſer Jhrer an ſich löblichen Tugend zu ſchaden, muß ich Jhnen ſagen, daß meine Tochter empfindlich, recht ſehr empfindlich über dieſen Mangel an Höflichkeit von Jhrer Seite geweſen und ſelbſt jetzt noch iſt. Machen Sie ſich alſo darauf gefaßt, ſie verſtimmt, launend zu finden und haben Sie vor allen Dingen eine gute Ausrede zur Hand, wenn Jhnen anders daran gelegen iſt, den Frieden mit ihr wieder herzuſtellen.

Er warf bei dieſen letzten Worten einen ſchnel - len, durchdringenden Blick auf Arnolden, der die -78 ſem nicht entging, obgleich er mit der Schnelligkeit des Blitzes über ſeine Züge gefahren war.

Es ſollte mir in der That leid thun, Sir, antwortete er nach kurzem Beſinnen, wenn ich durch mein Benehmen Miß Marie dazu berechtigt hätte, über Mangel an Höflichkeit ihr gegenüber klagen zu dürfen; ich hoffe mich aber gegen ſie rechtfertigen zu können, und zwar durch den Umſtand, daß es meine Abſicht nicht war, ſo lange wegzubleiben, denn im entgegengeſetzten Falle wäre es allerdings meine Pflicht geweſen, mich bei Jhnen Beiden zu beurlauben. Durch Zufall traf ich im Walde auf einige Chippewa-Jn - dianer, die ihren Wohnſitz verändert haben und - her zu uns gezogen ſind, und nachdem ſie zu An - fang Luſt bezeigt, meinen Scalp zu nehmen, ſchloß ich endlich meinen Frieden dadurch, daß ich einwil - ligte, mit ihnen zu gehen und mich eine kurze Zeit unter ihnen aufzuhalten. Dies iſt der wahre Her - gang der Sache und ich darf alſo hoffen, Miß Ma - riens Verzeihung wegen einer unfreiwillig begangenen Unhöflichkeit zu erlangen.

Jch zweifle nicht daran, verſetzte Joe, und jetzt laſſen Sie uns zu ihr gehen; ſie wird ſchon mit einiger Ungeduld auf uns warten. Wir können nach Tiſche, oder auch morgen, noch über79 einige Geſchäftsſachen, die ich vor Jhrer Abreiſe noch mit Jhnen zu beſprechen wünſche, reden.

Er legte mit dieſen Worten zutraulich ſeinen Arm in Arnolds und Beide begaben ſich in das Wohn - zimmer.

Viertes Kapitel.

Marie ſaß bei ihrem Eintritte vor ihrer Ma - lerei am Fenſter, legte aber ſogleich den Pinſel nie - der und erhob ſich, um Arnolds Begrüßung zu erwie - dern. Sie war geſchmackvoll gekleidet, aber zugleich im höchſten Grade einfach, denn Arnold hatte ſich während ihres Beiſammenlebens einmal darüber aus - geſprochen, daß er eine einfache Kleidung einer ge - putzten vorziehe, und keins ſeiner Worte war für Marie verloren gegangen.

Jhr ſonſt ſo roſiges Geſicht war merklich blei - cher geworden und in ihren Augen zeigte ſich ein Aus - druck von Melancholie, der ihrem Geſichte einen neuen Reiz verlieh; Arnold mußte ſich ſagen, daß er ſie nie ſo ſchön, ſo verführeriſch geſehen habe, als in dieſem Augenblick.

Sie erwiederte ſeine Begrüßung nur mit einer kal - ten Verbeugung und ſuchte ihren Mienen einen Ausdruck80 von Strenge zu geben; indeß entging es weder Arnol - den, noch dem Propheten, daß ſie ſich Zwang anthun mußte, um dem Manne ihrer Liebe gegenüber die Rolle einer Zürnenden zu ſpielen, da doch ihr ganzes Herz ihm entgegenſchlug, da ſeine Gegenwart es mit Freude, ja mit Entzücken erfüllte.

Jſt dir nicht wohl, Marie? nahm der