PRIMS Full-text transcription (HTML)
Der Prophet.
Hiſtoriſcher Roman aus der Neuzeit Nord-Amerikas.
Zweiter Theil.
Jena,Friedrich Luden. 1846.

Motto:

Bei Privatunternehmungen findet ein Fortſchreiten Statt und man kann nach Gefallen dem Glücke mehr oder minder anvertrauen. Wer aber nach der Ober - herrſchaft ſtrebt, der hat nur den Gipfel oder den Abgrund vor ſich.

(Tacitus Geſchichtsbücher, II. Buch. )
[1]

Erſtes Kapitel.

Das erſte Geſchäft Arnolds, als er wieder in ſeiner Wohnung angekommen, war, Dina’s Papiere einzuſiegeln und an einem ſichern Orte aufzubewahren.

Er athmete erſt wieder auf, als er ſich dem bis - herigen Zwange entriſſen und allein in ſeinem Zimmer ſah; denn ſein Verhältniß zu Marien war ihm, je länger es gedauert, um ſo unerträglicher geworden. Daß ſie ihn liebte, ſich ihm mit voller Seele hin - gegeben, daran hatte ihm kein Zweifel mehr bleiben können, auch gab ſie ſich nicht einmal die Mühe, es vor ihm zu verbergen, da ſie ſeine Schüchternheit be - ſiegen zu müſſen glaubte, um an das Ziel ihrer Wün - ſche zu gelangen; denn daß ein Mann, und oben - drein ein junger, ihren Reizen gegenüber kalt bleiben könne, gegen dieſe Annahme ſträubte ſich ihre Eitel - keit. Dieſes Entgegenkommen Mariens mußte aber nothwendig etwas Peinliches für einen Mann von Zartgefühl haben und hätte ſein Herz, wie es einmalII. 12war, ſelbſt dann erkältet, wenn er ihr Neigung ent - gegengetragen, wie viel mehr aber mußte es dies nicht jetzt thun, wo er ſie durchſchaute und ſich weit mehr von ihr abgeſtoßen, als angezogen fühlte. Trotz dem hatte er, der Mann der Frau gegenüber, den Ton der Höflichkeit, ja ſelbſt einer gewiſſen Galanterie, da ſie jung und ſchön war, gegen ſie annehmen müſſen und eben dieſer Zwang war ihm auf die Länge über - aus läſtig geworden.

Ueberdies flößte ihm ihre Unwiſſenheit, der gänz - liche Mangel an allen den Kenntniſſen, die einiger - maßen gebildete Frauen ſich anzueignen bemüht ſind, damit ſie, wie Leonore im Taſſo ſagt: ver - ſtehen können, was kluge Männer ſprechen, ſo wie die Frivolität, womit ſie alle menſchlichen Zuſtände behandelte, einen immer größern Ekel gegen eine Con - verſation ein, bei der weder der Geiſt noch das Ge - müth betheiligt war und die eben nur das Oberfläch - lichſte berührte. Wie hatte er ſich nicht oft, dieſer ſchönen Bornirten gegenüber, nach der tiefſten Ein - ſamkeit oder nach dem friſchen Leben und Verkehr mit ſeinen Wilden geſehnt, der allemal ſein Herz mit neuen Gefühlen, ſeinen Geiſt mit neuen Anſichten und Jdeen bereicherte!

Ja, ſeine Ungeduld, ſich den ihm angelegten Feſſeln entriſſen zu ſehen, endlich wieder einmal frei3 aufzuathmen, war mit jedem Tage größer geworden und hatte ſelbſt eine ſolche Herrſchaft über ihn ge - wonnen, daß er ſeinen Mißmuth kaum mehr verber - gen konnte. Marie aber, deren Eitelkeit einen ſol - chen Zuſtand, ihren Reizen gegenüber, niemals hätte zugeben können, deutete ſich die Wolken auf der Stirn des geliebten Mannes ganz nach ihren Wünſchen und ſuchte dem vermeintlich Schüchternen durch noch mehr Zuvorkommen Muth und Selbſtvertrauen einzuflößen.

Nur Eins war unſerm Freunde an der Koketten unerklärlich: wie konnte ein ſo völlig geiſt - und ge - müthloſes Weſen, wie Marie war, ſo ſingen und ſpielen? Es waren alſo gewiſſermaßen zwei Naturen in ihr, wovon die eine völlig gemein und erbärmlich, die andere groß, ja erhaben war, denn wie ſie konnte kein gewöhnliches Geſchöpf ſingen. Hätte ſie ahnen können, welche Gewalt ſie auf dieſe Weiſe über ihn ausübte, ſo würde ſie ihn öfter durch Geſang und Spiel entzückt und dadurch vielleicht gänzlich gefeſſelt haben; allein ſie erfüllte ſeine Wünſche in dieſer Hin - ſicht nur mit großem Widerſtreben und nur, wenn er gar nicht mit Bitten nachlaſſen wollte. Auch ihr Talent für die Malerei mußte er bewundern, wenn er gleich ihre Trägheit in Ausübung deſſelben zu ta - deln nicht umhin konnte; das von ihr angefangene, ſehr hübſche Gemälde rückte während ſeiner Anweſen -1 *4heit nicht weiter fort und ſo oft er ſie daran mahnte, ein ſo ſchönes Talent zu cultiviren, hatte ſie irgend einen Vorwand zur Hand, ſich der Ausübung deſſel - ben zu entziehen und endlich verſchwand die Malerei gänzlich aus dem Zimmer.

Gern hätte unſer Freund, verſtimmt wie er durch den längern Aufenthalt in der Wohnung des Prophe - ten und durch den Umgang mit Marien war, ſeine Zuflucht wieder zum reinen Naturleben, zu dem herz - erquickenden und ſinnerfriſchenden Verkehr mit ſeinen geliebten Sioux genommen, wenn nicht einige ihm übertragene, ſehr dringende geometriſche Arbeiten, die er zu liefern verſprochen, ihn zurückgehalten hätten. Er beeilte ſich aber, ſie zu beendigen, um ſich endlich die erſehnte Freude gewähren zu können, und da er ſchnell arbeitete, ſah er ſich endlich ſo weit, ſein Ge - wehr unter dem Arm, die Jagdtaſche auf der Hüfte und ſeinen treuen Bruno zur Seite, der Stadt ent - fliehen und die traute Einſamkeit der Wälder und der Prairie aufſuchen zu dürfen, in denen er ſicher war, ſich ſelbſt und Ruhe für ſein Herz wieder zu finden.

Faſt ohne daß er es wußte, lenkten ſich ſeine Schritte dem Weſten zu, wo ſeine Sioux das Leben der Freiheit und des Glücks lebten, wo, wie er mit Gewißheit annehmen durfte, ihm ſo viele gute Her - zen in aufrichtiger Zuneigung entgegenſchlugen und5 ſein Erſcheinen für den ganzen Stamm eine Freude ſeyn würde.

Der Weg war, zumal für einen Fußgänger, weit und ermüdend, die Luft in der baum - und ſtrauch - loſen Prairie um dieſe Jahreszeit erdrückend heiß; allein alles Dieſes ſchreckte ihn nicht von ſeiner Wan - derung ab und ihm war inmitten aller dieſer Be - ſchwerden und Mühſeligkeiten, ja ſelbſt der Gefahren, die den einſamen Wanderer in der Prairie durch ihre wilden Bewohner erwarten, ſo wohl, ſo behaglich, wie ſeit langer Zeit nicht.

Wie ſchön war es auch nicht, wenn er, ermüdet durch die Sonnenhitze und einen angeſtrengten Marſch durch die grüne Wüſte, endlich am kühlen Fluſſe an - langte und ſeine ermatteten Glieder durch ein Bad er - friſchen konnte; oder wenn eine Strecke duftigen Ur - walds ſich am Rande des Horizontes zeigte und er ſeine kühlen Schatten nach unſäglicher Anſtrengung er - reichte und ſeinen Leib auf den üppigen Gräſern und Mooſen ausſtreckte; wenn der Geſang der Waldvögel und das melancholiſche Girren der Ringeltauben ihn in Schlummer wiegte, dem er ſich ohne Furcht hin - geben konnte, da Brunos Wachſamkeit der ſicherſte Schutz für ihn war.

Auch das treue Thier ſchien allmählig wieder aufzuleben und munterer zu werden, als es, getrennt6 von ſeinem geliebten Herrn, bisher geweſen war; denn Arnold hatte es nicht für ſchicklich gehalten, den Hund mit ſich in den Tempel zu nehmen und ihn da - her unter John Adams Obhut in ſeiner eigenen Woh - nung zurückgelaſſen. Jetzt ging er ſeinem geliebten Gebieter wieder zur Seite und durfte, ſich hart an denſelben legend, ſeine müden Glieder neben ihm aus - ſtrecken oder gar ſein Bad im Fluſſe theilen, und das war Glückſeligkeit genug für das treue Thier.

Gegen Abend des dritten Tags, den unſer Freund in der Einſamkeit zugebracht hatte, erreichte er das Ende der Prairie und betrat einen Urwald, der aus himmelhohen Eichen, Fichten, Pechtannen und Pla - tanen beſtand und mit ſeinen üppig wuchernden Far - renkräutern und Mooſen ihm Schutz und zugleich ein ſchwellendes Nachtlager darbot.

Mit den Gefahren der Gegend, beſonders wäh - rend der Nacht, vertraut, wo die wilden Thiere ihre Höhlen und Schlupfwinkel verlaſſen, wo der graue und ſchwarze Bär, der beuteſüchtige Prairiewolf, der ſelbſt ohne Hunger auf Mord ausgeht, und der blut - dürſtige Puma oder rothe Panther aus den Wäldern in die Prairie hinausbrechen und auf Raub ausgehen; mit allen dieſen Schrecken und Gefahren vertraut, ſa - gen wir, würde unſer Freund ſich der Nachtruhe im Walde, trotz Brunos Wachſamkeit, nicht ohne Be -7 ſorgniß haben hingeben dürfen, wenn nicht der klar und unverſchleiert am Himmel ſtehende Vollmond ſein ſicherer Schutz geweſen wäre. Denn ſo ſehr ſcheuen dieſe Beſtien das Licht, daß man beim Mondſchein völlig ruhig vor ihnen ſeyn kann.

Das wußte Arnold durch ſein längeres Verwei - len unter den Wilden und daher unterließ er auch die ſonſt übliche Vorſicht, ein großes Feuer anzu - machen und ſich ganz in der Nähe deſſelben zur Ruhe niederzulegen.

Die Sonne war bereits untergegangen, als er den Wald erreichte und ein ſo tiefes Schweigen herrſchte nach dem Verſtummen aller Vögel darin, daß man das Schlüpfen eines Froſches oder einer Eidechſe hätte hören können.

Bruno hatte ſich behaglich neben ſeinem Gebieter ausgeſtreckt und ſchloß, die zottige Schnauze auf die vorgeſtreckten Pfoten gelegt, die Augen zum Schlafe; plötzlich aber richtete er ſich, durch irgend ein nur von ſeinem ſcharfen Gehör wahrgenommenes Geräuſch aufgeweckt, hoch empor, ſtellte ſich auf ſeine Füße und ſah ſich nach allen Seiten um, als wittere er das Herannahen eines ihm unheimlichen Gegenſtandes, wobei er einige knurrende Laute ausſtieß. Arnold, der die Wachſamkeit und Klugheit des Thiers kannte, er - hob ſich bei dieſer Erſcheinung augenblicklich von der8 Erde, griff nach ſeinem doppelläufigen Gewehr und machte, ſich vorſichtig nach allen Seiten umſehend, ſchußfertig.

Seine Blicke trafen auf die zweier dunkler, fun - kelnder Augen, die aus einem Gebüſche hervorblitz - ten, und in demſelben Augenblick theilte ſich das Ge - büſch und mehre Wilde, die er an verſchiedenen Kenn - zeichen für Chippewa-Jndianer erkannte, boten ſich ſeinen Blicken dar. Alle waren bewaffnet und ihre Mienen ſchienen nichts Gutes anzudeuten; beſonders zornig blickten ſie auf das Gewehr in ſeiner Hand und auf ſeine ſchußfertige Stellung. Er ſah ein, daß, bei der überlegenen Anzahl der Wilden, die obendrein mindeſtens ſo gut bewaffnet waren, wie er ſelbſt, an Widerſtand nicht zu denken ſei und er ſich allein durch ihnen gezeigtes Vertrauen auf ihre Groß - muth der ihn bedrohenden Gefahr entziehen könnte. Er legte zu dem Ende ſein Gewehr auf den Boden nieder, brachte den ſich grimmig geberdenden Bruno zum Schweigen, brach einen Zweig von einem in ſei - ner Nähe befindlichen Strauch ab und trat ihnen furchtlos mit dieſem Friedenszeichen entgegen. Au - genblicklich ſenkten auch ſie die drohend geſchwungenen Waffen und traten ihm entgegen.

Was führte dich in unſer Revier, Bleich - geſicht? fragte ihn einer der Wilden, den er, ſei -9 ner die der Andern überragenden Größe und ſeines reichen Scalpſchmucks wegen, für einen Anführer hielt, in der Sprache des Stammes, die er zum Glück ver - ſtand, da ſie von der der Sioux nur ſehr wenig abwich.

Jch bin auf dem Wege, meine Freunde, die Rothhäute, zu beſuchen, antwortete Arnold un - erſchrocken, und da dieſe jetzt auch eure Freunde und Bundesgenoſſen ſind, hoffe ich, daß ihr mich in Frie - den ziehen laſſen werdet.

Friede dem, der Frieden hält, war die Antwort; du haſt nichts von uns zu befürchten, Bleichgeſicht, ſeit du dein Gewehr niedergelegt und dich uns mit dem Friedenszweige genaht haſt. Du willſt alſo zu den alten Feinden und neuen Freunden unſeres Stammes, den Sioux?

So will ich, verſetzte Arnold, ſofern ihr mir den Durchgang durch euer Gebiet geſtatten wollt.

Mir ſcheint, ich ſollte dich kennen? nahm der Anführer, näher zu Arnold hintretend, das Wort.

Nanawa, rief jetzt plötzlich ein Anderer, wohl kennen wir dieſes gute Bleichgeſicht: es iſt der Freund unſerer Brüder, derſelbe, welcher ſo groß - müthig ſeine Schätze hergab, um die Blutrache von White-hawk, dem Sioux, abzuwenden.

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Auch ich erkenne ihn jetzt, antwortete der Häuptling, und ganz dicht zu Arnolden hintretend, bot er ihm zutraulich ſeine Hand zur Begrüßung dar. Die Stunde ſoll eine glückliche genannt werden, fügte er mit liebevollem und ſanftem Tone hinzu, in der wir dich hier trafen, und wenn dir unſer Wunſch und unſre Bitte etwas gilt, ſo ſei fortan auch unſer Freund und Bruder. Jch habe es ge - ſagt!

Von Herzen! erwiederte Arnold, vergnügt über den glücklichen Ausgang des ſo drohend begonne - nen Abenteuers, indem er den Händedruck des wilden Häuptlings erwiederte. Aber ſprecht, meine Brü - der, fügte er hinzu, wie kommt es, daß ihr jetzt hier eure Wohnungen aufgeſchlagen, da ihr doch frü - her hinter den Hügeln wohntet?

Das Rothwild fing an, ſeltener zu werden, ſeit die Trappers ihr Weſen dort trieben, war die Antwort des Nanawa oder Häuptlings. Wir konn - ten und mochten ihnen das Jagen nicht verwehren, da das Wild für Rothhäute und Bleichgeſichter da iſt und Jeder eſſen muß, um leben zu können, und ſo haben wir den Entſchluß gefaßt, auszuwan - dern und uns andere Jagdplätze zu ſuchen. Der gute Geiſt hat uns geführt und wir ſind mit dem Tauſche vollkommen zufrieden.

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Wir haben Rothwild und Büffel vollauf, auch einen ſchönen Lagerplatz und Waſſer genug ge - funden, nahm ein Anderer das Wort. Du wirſt das ſehen, wenn du mit uns kommſt, denn wir hof - fen, daß du unſer Gaſt ſo gut ſeyn wirſt, wie du ſchon mehre Male der der Sioux wareſt: haſt du uns doch auch deine Brüder genannt, und ſind wir die deinigen!

Jch nehme gern euren Vorſchlag an, war die Antwort des jungen Weißen, und hoffe, daß auch wir einander lieb gewinnen werden.

Wer wollte daran zweifeln? verſetzte der Nanawa. Aber jetzt komm mit uns, Bleichgeſicht: unſre Wigwams ſind nicht fern und die Mustangs werden uns ſchnell hinführen. Sie graſen keine tau - ſend Schritte von hier und du ſollſt das beſte Pferd von allen haben.

Dieſer Vorſchlag ward von unſerm jungen Freunde mit Vergnügen und um ſo lieber angenommen, da er die Nachtruhe in der Hütte eines Jndianers der im Walde immer doch vorziehen mußte, ſchon weil erſtere völlig gefahrlos war, und ſo eilte man raſchen Schritts der Stelle zu, wo die Mustangs, ſchöne, ſtolze, aber noch ziemlich wilde Thiere, mit geſperr - ten Füßen weideten; denn dieſe Vorſicht mußte man trotz dem anwenden, daß man einen Wächter bei12 ihnen zurückgelaſſen hatte, weil ſonſt die Liebe zur Freiheit in den nur halbgezähmten Thieren erwacht ſeyn und ſie zerſtreut haben würde; ſo aber, wo ſie an dem einen Vorder - und dem einen Hinterfuße ge - feſſelt waren, konnten ſie die Flucht nicht verſuchen, ſondern mußten ſich mit der ihnen dargebotenen Weide begnügen.

Die den Roſſen abgenommenen Sättel und Zäume lagen auf einem Haufen; Jeder griff nach dem ſeinigen und in wenigen Minuten waren die muthi - gen Thiere mit einer Geſchicklichkeit und Schnelligkeit geſattelt und gezäumt, daß der geſchickteſte europäiſche Stallknecht es dieſen Wilden nicht hätte zuvorthun können. Man übergab dem jungen Deutſchen ein ſehr ſchönes, reich geſchmücktes Pferd, und obgleich er ſich aus Höflichkeit ſträubte, es zu beſteigen, weil dann einer der Wilden unberitten bleiben müßte, zwang man ihn doch, dieſe Artigkeit anzunehmen.

Der Zug ſetzte ſich jetzt in Bewegung. Die Chippewas, obſchon ſie erſt ſeit kurzer Zeit, vielleicht erſt ſeit wenigen Wochen, in dieſer Gegend lebten, kannten ſo genau die Wege und Stege im Walde, daß ſie ſich auch nicht ein einziges Mal in der einzu - ſchlagenden Richtung irrten, obgleich die Nacht bereits hereingebrochen war und der Mondſchein ihnen in dem dichten Urwalde wenig oder gar nichts half, und ſich13 ihnen faſt auf jedem Schritte durch die Schmarotzer - pflanzen, welche, von einem Baume zum andern hin - überklimmend, gleichſam grüne Wände und Verhaue bilden, die größeſten Hinderniſſe darboten. Mit den Schlägen ihrer Tomahawks durchhieben ſie dieſes Pflan - zengewirr und bahnten ſich Schritt für Schritt den Weg, wobei zugleich die Kraft ihres Arms und ihre Geſchicklichkeit zu bewundern war.

Der Zug mochte ſich etwa zwei Stunden im Walde fortbewegt haben, als dieſer ſich zu lichten an - fing und nach einer nur noch kurzen Wanderung langte man in einem ſchönen, ringsum von Hügeln umſchloſ - ſenen Thale an, in dem die Wigwams des Stammes, kegelförmige, von gegerbten Thierfellen gemachte Hüt - ten, mit ſo niedrigem Eingange, daß man nur tief gebückt in dieſelben hineingehen konnte, vom ſchön - ſten Mondſchein beſtrahlt, in friedlicher Ruhe vor den Blicken der nächtlichen Wanderer da lagen; denn alle Bewohner dieſer Hütten, bis auf die, welche jetzt von der Jagd zurückkehrten, hatten ſich bereits längſt zum Schlafe niedergelegt, was bei den Wilden mit Anbruch der Nacht zu geſchehen pflegt, damit der erſte Strahl des erwachenden Tages ſie wieder munter und gekräftigt finde. Mit der Nacht wiſſen ſie nichts anzu - fangen, als ſie zu verſchlafen, dagegen ſind ſie während der hellen Stunden unausgeſetzt und unermüdlich thätig.

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Die Wigwams lagen einzeln, oft in weiten Zwi - ſchenräumen von einander, zerſtreut umher und Jeder hatte ſich ſeinen Platz nach Laune gewählt, bald un - ten im Thale, an dem Bache, von dem dieſes durch - ſtrömt wurde, an dem zwar nicht großen, aber fiſch - reichen Creek oder Landſee, am Fuße der das Thal einſchließenden Hügel oder am Saum des Waldes, oft auch ziemlich hoch hinauf, nahe der Spitze der Hügel. So hatte ſich Jeder nach Gefallen und Be - dürfniß angeſiedelt und Keiner beengte den Andern. Von Feld - und Gartenbau fand man keine Spur; die Wilden würden die Beſchäftigung damit für ſchimpf - lich halten und beſchränken ſich allein auf die Jagd und den Fiſchfang. An Vegetabilien genießen ſie nur die wildwachſenden, in jenen Gegenden größtentheils ziemlich herben Früchte und einige Wurzelarten, zu denen ſie aber nur im äußerſten Nothfalle und ge - drängt vom Hunger ihre Zuflucht nehmen.

Faſt mitten im Thale, hart am Ufer des Creek, lag ein Wigwam, der ſich vor allen andern durch ſeine Größe auszeichnete: es war, wie Arnold gleich vermuthet hatte, die des Nanawa oder Häuptlings und in dieſe wurde er auch von ſeinem Gaſtfreunde geführt, um neben ihm, auf einem weichen Lager von Fellen, noch einige Stunden der Ruhe zu pflegen. Jhr Eintritt ſchien von den Schläfern in der Hütte15 gar nicht bemerkt zu werden, denn Niemand be - wegte ſich, Niemand erkundigte ſich nach den Ankom - menden.

Arnold war ſehr müde und ſo fand ihn der er - ſehnte Schlaf bald. Als er erwachte, ſchien die Sonne ſchon hell durch die Thür herein und die Hütte war bereits von allen ihren Bewohnern verlaſſen, die früher aufgewacht und aufgeſtanden waren als er. Als er ſich erhoben hatte und vor die Thür des Wigwams hinausgetreten war, zeigte ſich ſeinen Blicken ein Bild des bunteſten, bewegteſten Lebens. Vor je - der Hütte waren die Weiber mit dem Abfellen der erlegten Jagdbeute und der Zubereitung des Morgen - imbiſſes beſchäftigt, wobei die Männer die unthätigen Zuſchauer abgaben; denn dieſe würden es für ſchimpf - lich halten, ſich um ſolche Geſchäfte zu bekümmern, die von den Weibern verrichtet werden können. Sie beſchränken ſich einzig und allein auf Jagd und Fiſch - fang und überlaſſen ſelbſt letztere, als zu leicht und unmännlich, den Weibern, die ſich auch ſehr gut dar - auf verſtehen und den ſtummen Bewohnern der Ge - wäſſer mit vieler Liſt und Beharrlichkeit nachſtellen.

Als unſer Freund aus dem Wigwam trat, bot ſich, wie geſagt, ſeinen Augen ein allerliebſtes Schau - ſpiel dar. An der einen Seite der Hütte war das Weib des Nanawa, der den Namen des großen16 Pelikans führte, mit der Zubereitung des Früh - ſtücks beſchäftigt, das aus einem leckern Stücke von dem am Tage zuvor erlegten Rothwilde beſtand, wel - ches ſie in einer mit Steinen ausgelegten und zuvor erhitzten Erdgrube gahr briet und das einen Appetit erweckenden Duft verbreitete. Dem Eingange des Wigwams gerade gegenüber ſpielte ein Häufchen ganz nackter, recht hübſcher Kinder mit Bruno, der ſich ihre Neckereien geduldig gefallen ließ und nur dann und wann, wenn ſie es ihm allzu arg machten, einen knurrenden Ton von ſich gab. Hart am Creek ſaß, auf einem umgefallenen Baumſtamme, der Vater und ſchaute mit dem ſichtbarſten Vergnügen auf die ſpie - lenden Kinder; er rauchte gemüthlich ſeine Pfeife und warf dann und wann einen lüſternen Blick auf die Grube, in der das mit einiger Sehnſucht von ihm erwartete Frühmahl gebraten wurde. Vor den um - liegenden Hütten ſah es faſt eben ſo aus, wie vor der, in welcher Arnold ſeine Nachtruhe gehalten hatte, und der goldene Sonnenſchein eines ſchönen Sommer - morgens verſchönerte durch den Goldglanz, womit er Alles überkleidete, dieſes anmuthige Bild des Frie - dens und des genügſamen Glücks. Alle gehäſſigen Leidenſchaften ſchienen hier zum Schweigen gebracht zu ſeyn: Jeder hatte was er eben bedurfte und ver - langte nichts mehr, als während des Laufes des Ta -17 ges das Nothwendigſte zu haben; für den folgenden wollte er dann ſchon wieder ſorgen, und ſo fort, bis der Tod jedem Bedürfniſſe ein Ende machte.

Sobald die Kinder des Fremdlings anſichtig wur - den, erhoben ſie ſich mit einiger Furcht vom Erdbo - den, auf dem ſie bisher geſeſſen und mit dem gedul - digen Bruno geſpielt hatten. Es war vielleicht das erſte Bleichgeſicht, deſſen ſie anſichtig wurden, und ſo flößte es ihnen einige Furcht ein.

Als der Vater dieſe Bewegung der Kleinen wahr - nahm, erhob er ſich von ſeinem Sitze, trat auf die zitternde Gruppe zu und ermunterte ſie, keine Furcht vor dieſem bleichen Manne, ſeinem und ihrem Freunde, zu haben; zugleich küßte er Arnold und umarmte ihn, worauf er den Kindern befahl, daſſelbe zu thun; ſie gehorchten, aber an allen Gliedern zitternd. Bald jedoch legten ſie ihre Furcht ab und machten ihn auch zu ihrem Freunde, wie zuvor ſchon den zottigen Bruno.

Das Frühſtück war indeß fertig geworden. Die lecker gebratene, ſaftreiche Rehkeule würde ſelbſt dem verwöhnteſten Gaumen gemundet haben und Arnolden ſchmeckte ſie vortrefflich.

Nach dem Frühſtück ließ der große Pelikan ein mächtiges Horn erſchallen und gleich darauf verſam - melten ſich die Bewohner aller im Thale zerſtreut lie -II. 218genden Wigwams vor dem ihres Häuptlings, um ſeine Befehle zu vernehmen.

Brüder, Freunde, Stammgenoſſen, redete ſie der Nanawa mit ſeiner volltönenden Stimme an, ihr ſeht hier ein Bleichgeſicht, dem ich den Namen Bruder gegeben habe und den ich von euch geliebt und geehrt ſehen will, wie ihr mich liebt und ehrt. Er iſt nicht in feindlicher Abſicht zu uns gekommen, nicht, um uns unſre Büffelfelle und die Häute des Rothwilds gegen verderbliches Feuerwaſſer abzutau - ſchen, wie es die Fußkrämer, zu unſerm Unglück, thun; nicht wie die Trappers, die den Moſkotajs in der Prairie ſo lange nachſtellen, bis keine mehr vor - handen ſind und wir entweder des Hungertodes ſter - ben oder mit unſern Wigwams weiter wandern müſ - ſen; nicht wie die Schwarzröcke, die uns Verachtung gegen unſere einheimiſchen Götter und dafür Ver - ehrung für ihre falſchen aufdringen möchten, wenn wir ſo unſinnig wären, auf ihre Reden, die nichts als Lügen enthalten, zu hören; nein, in keiner feind - lichen und verderblichen Abſicht irgend einer Art iſt dieſes gute Bleichgeſicht zu uns gekommen, ſondern allein, um mit uns Freundſchaft zu ſchließen, wie es ſie zuvor ſchon mit unſern Brüdern, den Sioux, ge - ſchloſſen, bei denen ſein Name, als Wohlthäter, im beſten Anſehen ſteht; es will auch unſer Freund, und19 wenn wir je ſeiner bedürfen ſollten, auch unſer Wohl - thäter ſeyn. Jhr werdet begreifen, daß man einem ſolchen Manne nicht Ehre genug anthun, ſeine Zunei - gung nicht hoch genug anſchlagen kann, und ſomit fordre ich euch, ihr Männer und Krieger, auf, zur Bekräftigung unſeres Freundſchaftsbündniſſes mit ihm die Friedenspfeife mit ihm zu rauchen, und euch, ihr Jünglinge, den Friedenstanz vor ihm aufzuführen. Wenn mein Mund Weiſes und euch Wohlgefälliges geredet, ſo thut, wie ich euch geſagt habe.

Dieſe Worte wurden mit ſtürmiſchem Beifalle von der Verſammlung aufgenommen; die Männer und Greiſe drängten ſich an Arnold, um ihm, zum Zei - chen des Bündniſſes, das ſie mit ihm ſchloſſen, die Hand zu reichen, während die Jünglinge, die es nicht wagen durften, ſich einem Manne und einem von den Kriegern hochgeehrten Fremdlinge vertraulich zu - hern, beſcheiden von Ferne ſtanden und ihre Zuſtim - mung nur durch Kopfnicken und Gemurmel zu er - kennen gaben.

Die Männer ließen ſich jetzt, einen großen und regelmäßigen Kreis bildend, in deſſen Mitte Arnold und der große Pelikan Platz nahmen, auf den ſchwel - lenden Raſen nieder und ein Jüngling, einer von denen, die ſchon in der nächſten Zeit unter die Zahl der Krieger aufgenommen werden ſollten, holte das2 *20Calumet oder die Friedenspfeife aus der Hütte des Nanawa und überreichte ſie ihm, nebſt einem glim - menden Feuerbrande, mit einer ehrerbietigen Verbeu - gung; dann zog er ſich beſcheiden wieder aus dem Kreiſe der Männer, den er nur auf ausdrücklichen Befehl des Häuptlings hatte betreten dürfen, zu den andern Jünglingen zurück, die in einiger Entfernung ſtanden und mit neidiſchen Blicken auf das Thun der Männer ſchauten.

Der große Pelikan überreichte darauf ſeinem Gaſt - freunde, den er beſonders ehren wollte, zuerſt das Calumet und den Feuerbrand, mit dem er den Taback in der Pfeife anzünden ſollte. Dieſer, ſchon mit den Gebräuchen der Wilden vertraut, that nur einen Zug daraus, nachdem er ſie in Brand gebracht, und überreichte ſie dann dem Nanawa, aus deſſen Hand ſie in die des ihm an Ehren und Würden Zunächſt - ſtehenden überging, bis Alle geraucht hatten und ſie zu Arnolden zurückkehrte, der ſie wieder weiter gab. Als der Taback völlig aufgebrannt war, erhoben ſich die Männer, umringten nochmals den Fremdling und boten ihm den Handſchlag an, wodurch ſie Frieden und Freundſchaft auf die bündigſte Weiſe mit ihm beſiegelten. Er durfte ſich von dieſem Augenblick an als ihren Stammgenoſſen, ſie als ſeine Brüder an -21 ſehen, die jeden Augenblick bereit wären, ihm in Noth und Tod beizuſtehen.

Wie kommt es, wandte ſich der Europäer fragend an ſeinen Gaſtfreund, daß ich Opiska Toaki nicht mehr unter euch erblicke und du ſeine Stelle als Häuptling eingenommen haſt?

Jhm iſt ein großes Unglück begegnet, ant - wortete ihm der Wilde, und dies hat ihn ſo ſehr entmuthigt, daß er ſeinen Stamm verlaſſen und ſich in die Wildniß begeben hat, um durch heiße Gebete den guten Geiſt anzuflehen, ihm im Traume den Räu - ber des Kleinods zu zeigen, das er von dir, als Blut - preis für White-hawks Leben, empfangen hatte und das er höher hielt, wie ſonſt irgend Etwas, das er beſaß.

Wie, er hätte das Bildniß meiner Mutter verloren? fragte ihn Arnold überraſcht.

Nicht verloren hat er es, ſondern es iſt ihm auf unbegreifliche Weiſe während der Nacht ge - raubt oder vielmehr wider ſeinen Willen abgetauſcht worden, war die Antwort des Wilden, und da man, da er den Talisman auf ſeiner Bruſt trug und ſich keinen Augenblick davon trennte, dieſe Beraubung als ein Wunderwerk anſehen muß, haben unſre Ma - kota Konayas (Prieſter) ihm den Rath ertheilt, ſich in der Wildniß, die allein von den Gottheiten be -22 wohnt wird, mit dieſen zu berathen und ſo lange dort zu bleiben, bis ſie ſein Flehen erhört und ihm den Schuldigen angezeigt haben werden; da aber der Stamm nicht ohne Häuptling ſeyn kann, ſo hat man mich während ſeiner Abweſenheit zum Nanawa ge - macht.

Arnold wußte nicht, was er von dieſem ſelt - ſamen Vorfalle denken ſollte, der auch ihm höchſt unangenehm war, da er noch immer die Hoffnung ge - hegt hatte, das Bildniß ſeiner Mutter durch irgend Etwas, das dem Chippewahäuptlinge noch beſſer ge - fiele, auslöſen zu können; wo aber ſollte er es jetzt ſuchen, da der Räuber, in der Furcht vor der Rache der Chippewas, ſich wohl hüthen würde, ſich zu der That zu bekennen?

Die Jünglinge hatten ſich indeß, gehorſam dem Befehle des Häuptlings, zum Tanze geſchmückt und aufgeſtellt. Sie hatten ihre beſten Kleider, von ſchnee - weißem, ſauber gegerbtem Dammhirſchleder angezogen und ihre Füße mit zierlichen Mocaſſins, buntbemalten Halbſtiefeln, ohne Sohlen, die oben am äußerſten Rande mit einem glänzenden Metallringe umgeben ſind, bekleidet. Ueber dem eng anliegenden Hemde von wei - ßem oder roth oder blau gefärbtem Leder trugen ſie eine Art von Ueberwurf, der nur bis zum Knie hin - abging und aus langhaarigem Büffelfell gemacht war. 23Die Bruſt war mit einer Art von Halsband, das aus an einander gereihten Bärenklauen gemacht war, der Kopf mit einer helmartigen Zier, auf der bunt - gefärbte Reiher - und Adlerfedern prangten, und die Ohrläppchen mit bunten Glasperlen oder kleinen Stück - chen Silber oder Gold geſchmückt. Die Geſichter wa - ren zur Hälfte grün, zur Hälfte roth bemalt, welche beiden die Friedensfarben ſind, und der Körper, ſo viel man davon ſehen konnte, über und über täto - wirt. Aber die ſchönſte Zierde, die, worauf ſie nur mit dem größeſten Neide ſehen konnten, die der Män - ner und Krieger, fehlte ihnen: die genommenen Kopf - häute der Feinde am Saume ihres Gewandes; denn mit dieſen dürfen ſich nur die Krieger und allein Solche ſchmücken, die bereits den Feind erlegt und ſeinen Scalp erobert haben. Aber den Tomahawk und den Wurfſpeer, ſo wie auch Bogen und Pfeile, und auf der Jagd des Moſkotaj den Laſſo oder Fangriem, durften auch ſie ſchon führen, weil die Jagd ihnen erlaubt iſt, ſo wie ſie die Kraft und Geſchicklichkeit dazu haben.

Auf ein Zeichen des Nanawa ſchaarten ſie ſich zum Friedenstanze. Jn der einen Hand den Toma - hawk, in der andern eine Art von Rohr, ähnlich ei - nem Pfeifenrohre, tragend und ſie wechſelsweiſe ſchwingend, fielen ſie einander mit einem furchtbaren24 Geſchrei, im wildeſten Durcheinander an und verſetz - ten ſich bald mit dem Rohr, bald mit der Streitaxt ſo derbe Streiche, daß Der, dem zu Ehren dies Alles geſchah, jeden Augenblick fürchten mußte, daß Blut fließen und aus dem Spaße Ernſt werden würde. Sie aber wußten dieſe ſo drohend ausſehenden Streiche doch ſo zu handhaben und die Kraft ihres Armes der - maßen zu mäßigen, daß Keiner dem Andern eine ernſtliche Wunde beibrachte, aber an empfangenen Streichen und Quetſchungen fehlte es Keinem.

Endlich ſchienen ihre Kräfte völlig erſchöpft zu ſeyn und zwar dermaßen, daß bald hier, bald dort Einer, wie in tödtlicher Ermattung, zu Boden ſank. Der Letzte, welcher ſich aufrecht erhielt, wurde als Sieger angeſehen und ihm von allen Seiten aufmun - terndes Lob geſpendet. Arnold freute ſich nicht wenig, als dieſe Feſtlichkeit, die durchaus nicht nach ſeinem Geſchmacke war, ihr Ende erreicht hatte. Um ſich aber dankbar für die ihm angethane Ehre zu bewei - ſen, machte er dem Nanawa ein Geſchenk mit etwas Pulver aus ſeinem Pulverhorne und gab dem Sieger überdies eine ganz neue Silbermünze, zum Schmuck für ſeine Ohren; mit dieſer Freigebigkeit ärntete er nicht geringe Bewunderung von Seiten ſeiner genüg - ſamen Gaſtfreunde ein.

Das, was der junge Europäer am meiſten an25 dieſen Kindern der Natur bewunderte und früher ſchon an den Sioux bewundert hatte, war die bis in’s Kleinliche getriebene Reinlichkeit und der Geſchmack, den ſie in Hinſicht ihrer Kleidung zeigten. Dem letz - tern widerſpricht allein das Tätowiren und Bemalen ihres Geſichts, deſſen natürliche Farbe nur dann zum Vorſchein kommt, wenn ihnen weder Freudiges noch Trauriges begegnet. Wenn ſie Krieg haben, malen ſie ſich, wahrſcheinlich um den Feinden Schrecken ein - zuflößen, das Geſicht ganz ſchwarz; bei Trauer zur Hälfte ſchwarz und bei fröhlichen Gelegenheiten, wie z. B. bei Friedensſchlüſſen, Feſtgelagen u. ſ. w., grün und roth. Wenn ſie dieſer Unſitte, die ihre Erſchei - nung für den Europäer höchſt widerwärtig macht, ab - legten, ſo würde man ſie, trotz ihrer kupferfarbenen Hautfarbe, für ſchöne Menſchen erklären müſſen, da ihre Züge ausdrucksvoll ſind und ihr hoher, ſchlan - ker, das gewöhnliche Maß überſteigender Wuchs ſie zu imponirenden Erſcheinungen macht. Um dieſen vor - theilhaften Eindruck zu vermehren, iſt ihre Stimme volltönend und ihre an Vokalen reiche Sprache über - aus wohllautend.

Schon in wenigen Tagen fühlte ſich Arnold eben ſo heimiſch unter ſeinen neuen Freunden, wie früher unter den Sioux. Man beſchenkte ihn mit trefflichen, ſelbſt verfertigten Waffen und einem jungen Pferde26 von außerordentlicher Schönheit; bereitete ihm die weichſte Lagerſtätte und ſetzte ihm allemal die lecker - ſten Biſſen vor. Selbſt die Kinder, welche ſich zu Anfang vor ſeiner bleichen Farbe gefürchtet hatten, waren nicht nur zutraulich gegen ihn geworden, ſon - dern empfingen ihn, wo er ſich ihnen zeigte, mit ei - nem Freudengeſchrei, und auch die Squaws boten Alles auf, den werthen Gaſt zu ehren und mit der Bewirthung zufrieden zu ſtellen, ſchon um den Zorn der Männer nicht zu reizen, die ihren bleichen Bru - der auf alle Weiſe geehrt ſehen wollten.

Bewundern mußte unſer Freund auch noch die Geſchicklichkeit, womit die Weiber, ſowohl Frauen als Jungfrauen, mit den Waffen umzugehen wußten und daß ihre Hand beim Schwingen des Tomahawks, beim Werfen des Laſſo und beim Abſchießen des Pfeils faſt eben ſo kräftig und ſicher war, wie die der Männer. Jn Kriegszeiten lag ihnen auch die Jagd ob und mußten ſie alle für die Krieger erforderliche Nahrung herbeiſchaffen. Aus dieſem Grunde übte man ſie von früheſter Jugend auf in der Führung der Waffen und ſo würde eine wilde Schöne vom Ufer des Miſſiſippi oder Huron den geübteſten europäiſchen Jäger durch ihre Geſchicklichkeit beſchämen.

Die Behandlung der Frauen von Seiten der Männer iſt gut, ſanft und achtungsvoll und würde27 man es einem Manne zum größeſten Schimpfe an - rechnen, wenn er ſeine körperliche Ueberlegenheit dem ſchwächeren Weibe gegenüber mißbrauchte. Hier weiß man nichts von den Erniedrigungen und Mißhand - lungen, denen die Frauen des Orients größtentheils ausgeſetzt ſind. Nur das iſt der Vorzug, den der Mann vor der Frau hat, daß er in den Krieg gehen darf, während ſie zu Haus bleiben und ſich der Wirthſchaft widmen, für die Bereitung der Speiſen, für die Kleidung, die Kindererziehung und die Ord - nung im Wigwam ſorgen muß.

Der große Pelikan, Arnolds Gaſtfreund, konnte nicht müde werden, ſich bei dieſem nach europäiſchen Sitten und Gebräuchen zu erkundigen, denn er war ein überaus wißbegieriger Mann und wollte gern Al - les wiſſen. Jm Laufe eines ihrer Geſpräche erkun - digte er ſich auch nach Arnolds Beſchäftigungen, wenn er daheim wäre, und dieſer ſuchte ſie ihm, ſo weit es anging, begreiflich zu machen.

Nimm es mir nicht übel, mein bleicher Bruder, ſagte der große Pelikan bei dieſer Gelegen - heit zu ihm, aber es ſcheint mir, du könnteſt Nütz - licheres und Beſſeres thun, als die große Erde, die der gute Geiſt ja allen ſeinen Menſchen gemeinſchaft - lich verliehen hat, auszumeſſen und in kleine Theile zu theilen, wodurch Jeder arm wird oder wobei, was28 noch ſchlimmer, Einige bevorzugt, Andere beeinträch - tigt werden. Bei uns gehört Alles Allen an und Jeder nimmt ſich, was er eben zur Nothdurft bedarf. Bin ich heute glücklicher auf der Jagd geweſen, als einer meiner Brüder, ſo ſetzt er ſich mit zu meinem Mahle, und morgen ſetze ich mich vielleicht zu dem ſeinigen: ſo wird Alles jeden Tag ſatt, und Armuth kennen wir nicht, weil es nur da Arme geben kann, wo es Reiche giebt. Und aus welchem Grunde, ich frage dich, ſoll der Eine mehr haben, als der An - dere? da Alle auf gleiche Weiſe geboren werden und zu gleichen Anſprüchen berechtigt ſind. Beantworte mir dieſe Frage, wenn du es vermagſt, denn meine Einſicht iſt ſchwach, ich weiß es, und ich mag mich gern belehren laſſen.

Jch kann deiner Anſicht nicht widerſpre - chen, verſetzte Arnold mit einem Seufzer, denn der Wilde hatte in ſeiner Einfalt den wunden Fleck un - ſerer ſocialen Verhältniſſe ſo gut getroffen, daß er ihn nicht zu widerlegen vermochte, und was er ihm etwa darüber hätte ſagen, womit dieſe Mißſtände viel - leicht entſchuldigen können, würde nicht von ihm ver - ſtanden worden ſeyn.

Wenn du mir in Dem, was ich eben ſagte, Recht giebſt, fuhr der große Pelikan fort; wenn die Bleichgeſichter nicht ſo frei, ſo reich, ſo glücklich29 ſind, wie wir Rothhäute, ſo höre auf meine Ermah - nungen und bleibe bei uns, denn dieſer Vorſchlag iſt der Zweck meiner Rede. Nimm dir ein Weib du kannſt unter unſern ſchönſten und geſchickteſten Jung - frauen wählen erbaue dir einen Wigwam, wobei wir dir behülflich ſeyn wollen; theile unſre Vergnü - gungen, unſer Mahl, unſre Jagden und unſre Kriege, kurz, ſei unſer Bruder, unſer Freund und Lehrer, denn wir horchen gern auf weiſe Worte und ſind nicht ſo eingebildet auf unſer Wiſſen, daß wir wähnten, nichts mehr lernen zu können.

Es kommt vielleicht eine Zeit, antwortete ihm der Europäer nach einer ziemlich langen Pauſe, in der ich Gebrauch von deinem großmüthigen An - erbieten machen werde; aber für den Augenblick kann ich noch nicht darauf eingehen. Ein mir ſelbſt uner - klärliches Etwas treibt mich noch wieder in alle die verkehrten und naturwidrigen Verhältniſſe zurück, die du mit wenigen weiſen Worten bezeichnet haſt, und es iſt mir, als hätte ich noch eine Pflicht zu erfüllen, eine bedeutende Aufgabe zu löſen, bevor ich an Glück und Ruhe denken darf. Auch iſt der Bruch mit dem Gewohntgewordenen ſchwerer, als du dir vorzuſtellen vermagſt, denn ſonſt würden ja Viele, die, wie ich, die Zuſtände in der civiliſirten Welt verabſcheuen, weil ſie widernatürlich und auf der ſchreiendſten Un -30 gerechtigkeit baſirt ſind, ihre Feſſeln zerbrechen und ſich in das Naturleben ſtürzen.

Das Alles verſtehe ich nicht, verſetzte der Wilde, der ihm mit geſpannter Aufmerkſamkeit zuge - hört hatte; aber ich wiederhole meinen Vorſchlag, und ſteht Etwas der augenblicklichen Annahme deſſel - ben im Wege, ſo komm zu einer dir beſſer gelegenen Zeit zu uns, und wann du auch kommen magſt, ſollſt du uns willkommen ſeyn.

Arnold, der wußte, wie aufrichtig und herzlich die Einladung ſeines wilden Freundes gemeint war, reichte dieſem innig bewegt die Hand. Er, der Hei - mathloſe, hatte jetzt gleichſam eine Heimath gefun - den, und dies gab ihm ein Gefühl von Sicherheit und Beruhigung, das er ſeither oft ſchmerzlich ent - behrt hatte.

Die Ankunft eines der Kinder des großen Peli - kan, welches ihnen ankündigte, daß das Mahl berei - tet ſei und ihrer warte, unterbrach die Unterhaltung, und da Beide einen gehörigen Appetit verſpürten, leiſteten ſie gern der an ſie ergangenen Einladung Folge.

31

Zweites Kapitel.

Schon nach wenigen Tagen nahm Arnold Ab - ſchied von ſeinen Gaſtfreunden, ſo ſehr dieſe ihn auch baten, noch länger bei ihnen zu verweilen.

Man hatte das ihm geſchenkte edle Roß, ein Thier von außerordentlicher Schönheit und ſo behen - den Laufs, daß es mit ſeinem Hufe kaum die Spitzen des hohen Moskitograſes zu berühren ſchien, auf das Beſte geſattelt und gezäumt und demſelben eine Menge ſilberner Zierathen angehängt, denn dieſe Art von Putz lieben die Wilden für ihre Mustangs, und das Allen liebgewordene Bleichgeſicht ſollte auf alle Weiſe geehrt werden, damit es des Wiederkommens nicht vergäße.

Zugleich mit Arnolds Pferd ließ der große Peli - kan ein anderes für ſich ſelbſt ſatteln; auf die Frage des Europäers, was dies zu bedeuten habe? erhielt er zur Antwort, daß er ihn bis zu Ende der Prairie, wo er ſich weder mehr verirren könne, noch Gefahr von reißenden Thieren zu befürchten haben würde, be - gleiten wolle, und vergebens war es, daß ſich Arnold gegen die Annahme dieſes großmüthigen Anerbietens ſträubte.

Mein Bruder, ſagte der große Pelikan32 bei dieſer Gelegenheit, die Ehre unſeres Stammes würde es ſchon erheiſchen, wenn es auch nicht die Zu - neigung thäte, die wir dir ſchenken, daß wir dich wohlbehalten den Deinen wieder zuführen. Man weiß, oder vermuthet doch, daß du dich zu den Rothhäuten verfügt, weil du gewohnt biſt, ihre Gaſtfreundſchaft anzuſprechen, und wenn dir daher ein Unglück be - gegnete, wenn du in der Prairie von einer Büffel - heerde ereilt und todtgeſtampft würdeſt, oder im Walde dem ſchwarzen Bären, dem Prairiewolfe oder dem Pumo begegneteſt und im Kampfe mit ihnen unter - lägeſt, dann würde es bei deinen Brüdern, den Bleich - geſichtern, heißen, die Rothhäute hätten dich, den Friedlichen, den Gaſtfreundſchaft Suchenden, erſchla - gen, aus Haß oder um Beute zu gewinnen, und un - ſer Name würde nur noch mit Schimpf und Abſcheu genannt werden; ja man würde dies vielleicht zum Vorwande nehmen, uns auf’s Neu den Krieg zu er - klären, und wir wollen den nicht mit den Bleichge - ſichtern, da wir wiſſen, daß ſie, wenn auch nicht tapferer, doch liſtiger und mächtiger als wir ſind. Aus allen dieſen Gründen dulde, daß ich dich be - gleite und dich gegen die dir drohenden Gefahren be - ſchütze.

Wie wirſt du aber letzteres vermögen? antwortete ihm Arnold. Können wir nicht zugleich33 von mehren reißenden Thieren angegriffen, nicht Beide von einer Heerde Moſkotajs ereilt und zu Tode ge - ſtampft werden?

Einmal, antwortete ihm ſein Gaſtfreund, bin ich vertrauter mit allen dieſen Gefahren und ge - ſchickter in ihrer Abwendung, als du, und dann würde man mir auch nicht den ſchimpflichen Vorwurf machen können, daß ich die Geſetze der Gaſtfreundſchaft aus den Augen geſetzt habe. Alſo mache keine Widerrede mehr und dulde, daß ich zugleich meiner Zuneigung und meinen Pflichten gegen dich Genüge leiſte.

Er beſtieg mit dieſen Worten den ihm zugeführ - ten Mustang, Arnold den ſeinigen und bald verloren ſich Beide im Walde.

Sie hatten die erſte Tagereiſe zurückgelegt und ſchickten ſich eben an, ſich eine paſſende Lagerſtätte zur Nachtruhe zu ſuchen und zugleich eine Menge dürres Holz auf einen Haufen zuſammenzutragen, um ein großes Feuer machen zu können, zum Schutze ge - gen die reißenden Thiere, als ſie durch das Anſchla - gen Brunos auf eine ſich ihnen nahende Gefahr oder doch etwas Ungewöhnliches aufmerkſam gemacht wur - den; ſie hielten mit ihrer Beſchäftigung inne und horchten.

Jch vernehme Hufſchläge, flüſterte der Wilde, deſſen Ohr weit feiner war, als das des Eu -II. 334ropäers, ſeinem Begleiter zu; ſeyn wir auf unſerer Huth und halten wir die Waffen bereit. Es könn - ten Schwarzfüße ſeyn, die, wie ich gehört habe, durch ihnen feindliche Stämme überwunden und vertrieben, ſich mit den Waffen in der Hand andere Wohnplätze ſuchen ſollen, und wären ihrer Viele, ſo würden ſie uns ein übles Spiel bereiten, denn ſie machen ſich nichts aus Raub und Mord und Friedensbruch.

Er horchte wieder; dann aber nahmen ſeine Mie - nen wieder einen ruhigern Ausdruck an und er ſagte:

Wir haben nichts zu befürchten, mein blei - cher Bruder: es iſt nur ein einzelner Reiter, der ſich uns naht.

Arnold hörte noch gar nichts, während der Chip - pewa und Bruno, beide gleich ſcharfen Gehörs, ſchon ihrer Sache gewiß waren. Erſterer, der ſich jetzt nicht mehr vor Ueberfall und Gefahr fürchtete, ſetzte die begonnene Beſchäftigung fort und Bruno ließ nicht ab mit Knurren und Bellen. Endlich ver - nahm auch Arnold den ſchon ſo lange vorher von ſeinen Begleitern gehörten Hufſchlag und eben in dem Augenblick, wo die Flamme luſtig aus dem zuſam - mengetragenen Holzſtoße hervorloderte, ließ ſich die Geſtalt eines zu Roſſe ſitzenden Wilden, der aus dem Dickicht hervorbrach, ſehen. Er hatte zwar ſein Ge - wehr ſchußfertig in der Hand, denn der Anblick der35 aus dem Holzſtoße hervorlodernden Flamme hatte ihn auf vielleicht nahe Gefahr aufmerkſam gemacht; aber ſein halb grün, halb roth bemaltes Geſicht, das auf friedliche Abſicht und eine Friedensſendung deutete, benahm den beiden Andern alle Furcht und ohne Waf - fen gingen ſie ihm entgegen, während Bruno, wie närriſch vor Freude, dem Ankommenden entgegen - ſprang und ſich an die Beine des Roſſes ſchmiegte, auf dem Jener ſaß.

Es erfolgte jetzt augenblicklich eine Erkennungs - ſeene: der Neuangekommene ſchwang ſich vom Roſſe und ſtürzte auf Arnold zu, den er mit ſtürmiſchem Entzücken in ſeine Arme ſchloß.

Es war White-hawk, der Sioux, welcher ſeine Freude über das Wiederfinden ſeines Freundes und Lebensretters auf dieſe Weiſe an den Tag legte. Auch Arnold, und mehr faſt noch Bruno, der den jungen Sioux nächſt ſeinem Herrn am meiſten liebte, freute ſich des unverhofften Wiederſehens und Fragen und Antworten wurden zwiſchen den Beiden gewechſelt, während ſich der Chippewa, vielleicht etwas neidiſch auf den älteren Freund, mit dem Feuer zu thun machte und ſich in das Geſpräch der Beiden nicht miſchte, bis Arnold, White-hawk an die Hand neh - mend, den Jüngling zu ihm führte und zu ihm ſagte:

3 *36

Liebe ihn, denn ich liebe ihn! Er ſei dein Bruder, denn er iſt der meinige!

Dieſe Aufforderung genügte, um den Chippewa zur Freundlichkeit gegen den Neuangekommenen zu be - wegen und bald herrſchte die größte Liebe und Zu - traulichkeit unter den Dreien, von der auch Bruno ſeinen Antheil forderte, denn er ſchmiegte ſich bald an ſeinen Gebieter, bald an White-hawk und gab ſeine Freude auf alle Weiſe zu erkennen.

Als die Flammen eine angenehme Gluth verbrei - teten, lagerte man ſich in der Nähe derſelben und dachte zunächſt an die Bereitung eines Mahles, das für Alle gleich erwünſcht ſeyn mußte. Der große Pelikan zog aus einer Art von Jagdtaſche von ſau - ber gegerbtem Büffelleder einige in große Blätter ein - gewickelte Schnitte aus der ſaftigen Lende eines am Tage vor der Abreiſe erlegten Büffels, ſteckte ſie an einen zugeſpitzten Stab und hielt ſie an die Flamme, die ſie bald gahr machte. Das ſo bereitete Fleiſch ſchmeckte vortrefflich und man löſchte den ſich melden - den Durſt auf eine angenehme Weiſe durch eine Menge von White-hawk geſammelter Stachelbirnen, eine in jenen Gegenden häufig wachſende, etwas ſaure und herbe, aber zugleich kühlende und ſaftige Frucht.

Während des Mahles richtete der Chippewa, der jetzt ganz zutraulich gegen den jungen Sioux gewor -37 den war, dieſe und jene Frage, über die Abſicht ſei - ner Reiſe u. ſ. w., an White-hawk und dieſer, der als reines Kind der Natur der Verſtellung nicht fähig war, antwortete ihm mit ſichtbarer Befangenheit dar - auf; doch ſagte er ihm, daß der Zweck ſeiner Reiſe ein Beſuch bei ſeinem bleichen Freunde in Nauvoo geweſen ſei.

Unſer Bruder, fügte er ſeiner Antwort hinzu, hatte uns beim Scheiden verſprochen, bald wieder kommen zu wollen, und da er Wort zu hal - ten pflegt, beunruhigte uns ſein langes Ausbleiben. Da wollte ich denn ſehen, wie es ihm ginge und machte mich zu ihm auf den Weg; denn um ſeine Freunde zu ſehen, muß man weder die Länge, noch die Beſchwerden einer Reiſe ſcheuen.

So dachte auch ich, antwortete ihm Arnold, und hätten die neuen Freunde mich nicht durch ihre Güte und Gaſtfreundſchaft gefeſſelt, ſo würdet ihr mich bei euch geſehen haben, denn ich war auf dem Wege zu euch.

Und du wirſt noch jetzt kommen, nicht wahr? fragte ihn White-hawk, ihn bittend an - ſehend.

Für diesmal nicht, war die Antwort; aber bald werdet ihr mich ſehen.

So werde ich dich nach Nauvoo begleiten,38 wenn mir dein neuer Freund ſein Amt abtreten will, wandte er ſich fragend halb an Arnold, halb an den Chippewa.

Wenn ich dir eine Freude damit mache, verſetzte dieſer, ſo kehre ich morgen mit Anbruch des Tages um, da ich wegen unſers bleichen Bruders Geleit in deiner Geſellſchaft ruhig ſeyn darf.

Jch danke dir, antwortete ihm der Sioux, und das Geſpräch wendete ſich auf andere Gegen - ſtände, namentlich auf die räuberiſchen Ueberfälle der Schwarzfüße, eines Jndianerſtammes, der von den andern Stämmen gleich ſehr gefürchtet und verabſcheut wird, weil die Mitglieder deſſelben Hinterliſt und Bosheit mit Mord - und Raubſucht vereinigen und man keine einzige der Tugenden bei ihnen findet, durch die ſich die übrigen Wilden des Nordweſtens ſo ſehr auszeichnen.

Die Schwarzfüße hatten unbedachtſamerweiſe mit einer überaus mächtigen und kriegeriſchen Nation, den Shoſhones, angebunden und ſie ſo lange geneckt und beraubt, bis dieſe ſich gegen ſie rüſteten und ſie aus ihrer Niederlaſſung vertrieben. Jn der Furcht vor ihrer Rache waren ſie, mit der Zurücklaſſung aller ihrer Habe, weit weg geflohen und ſo in die Nähe der Sioux und Chippewas gekommen.

Wir werden uns ihrer nur dadurch erledi -39 gen können, nahm der große Pelikan, der den Er - zählungen White-hawks von den Grauſamkeiten und der Raubſucht der Schwarzfüße mit Aufmerkſamkeit zugehört hatte, daß wir unſere Kriegsmacht gegen ſie vereinigen, und wenn es dir recht iſt, mein Bru - der, ſo will ich das bei meinen Brüdern in Vor - ſchlag bringen; du magſt dann bei den Deinigen Daſ - ſelbe thun.

So will ich, war die Antwort des Jüng - lings, denn Weisheit hat dein Mund geredet, großer Pelikan! Und du, mein Bruder, wandte er ſich an Arnold, der ſeither ihren Geſprächen ſchweigend zu - gehört hatte, du wirſt, ſo hoffe ich von deiner Zu - neigung, deinen Brüdern deinen Rath und deine thä - tige Beihülfe in der Zeit der Noth und Gefahr nicht entziehen; du wirſt mit mir kommen, und um ſo mehr, da Waupee, mein Vater, krank im Wig - wam darniederliegt, getroffen durch den Pfeil eines Schwarzfußes, der tückiſch aus dem Gebüſche auf ihn ſchoß, als er ſich ermüdet von der Jagd im Walde gelagert hatte. Zwar tödtete er den frechen Angrei - fer, aber ſeine Wunde iſt tief und Krankheit hält ihn auf dem Lager gefeſſelt, ſo daß er den Sei - nen weder ſeinen Arm, noch ſeinen weiſen Rath lei - hen kann.

Unter dieſen Umſtänden, war Arnolds40 Antwort, gehe ich mit dir, White-hawk, um Ruhm und Gefahren mit meinen Brüdern zu theilen.

Jch wußte, daß du nicht nein ſagen wür - deſt, verſetzte der Jüngling, und freue mich auf die Freude des Vaters bei deinem Anblick. Er liebt dich wie einen Sohn und deine Gegenwart wird ihn ſchneller geneſen machen, als die Zauberſprüche der Makota Konayas (Prieſter) und alles zerquetſchte Gib - ſonkraut, womit die Mutter die Wunde belegt.

Die Unterhaltung ſtockte nach und nach, denn Jeder war von dem ſcharfen Ritte und der Nähe des Feuers ſchlaftrunken geworden; doch mußte immer Ei - ner wach bleiben, um das Feuer in Gang zu halten, während die Andern ſchliefen, und Arnold ließ es ſich nicht nehmen, die erſte Stunde Wache zu halten. Später löſte ihn der große Pelikan und dieſen endlich White-hawk ab, bis der bereits heraufdämmernde Tag, der die reißenden Thiere in ihre Höhlen und ſonſtigen Schlupfwinkel zurückſcheuchte, dieſe Vorſicht überflüſſig machte und alle Drei ſich noch ein paar Stunden der Ruhe überlaſſen konnten.

Die Sonne ſtand ſchon ziemlich hoch am Him - mel, als der Chippewa Abſchied von den beiden An - dern nahm, um zu den Seinen zurückzukehren.

Lange noch, nachdem der große Pelikan ſich ent - fernt hatte, horchte der Sioux und legte ſich ſogar,41 nach Verlauf einer ziemlich langen Zeit, mit dem Ohr auf die Erde, um zu horchen, ob er den Huftritt des Pferdes auch noch vernehme; dann erhob er ſich mit vergnügter Miene, ſchritt auf Arnold zu und umarmte ihn nochmals.

Dieſer wußte nicht, was er von dem ſeltſamen Benehmen White-hawks denken ſollte, und ſah ihn mit einiger Verwunderung an.

Hier, ſagte der junge Wilde, in deſſen dunklen Augen ſich die lebhafteſte Freude abſpiegelte; hier! wiederholte er und zog unter ſeinem Leder - hemde etwas Glänzendes hervor, das er Arnolden darreichte: dir dies zu bringen, gutes Bleichgeſicht, war ich auf dem Wege!

Arnold blieb einige Augenblicke ſtumm vor Ueber - raſchung und Freude: denn das, was er in Händen hielt, war das Bildniß ſeiner Mutter, eben jenes, womit er das Leben des jungen Sioux erkauft hatte. Sobald er ſich einigermaßen gefaßt hatte, drückte er es mit Ehrfurcht und dem unverkennbarſten Entzücken an ſeine Lippen und fragte den jungen Wilden mit vor innerer Bewegung bebender Stimme:

Woher haſt du das, White-hawk?

Jch hab’s geraubt, antwortete ihm dieſer mit eben der Ruhe, womit man ſagen würde: ich hab’s gekauft. Jch war auf dem Wege, es dir nach42 Nauvoo zu bringen, fügte er nach einer Pauſe hin - zu, als ich dich, zu meiner nicht geringen Freude, hier im Walde traf.

Wie aber war es möglich, daß du es Opiska Toaki rauben konnteſt, da er es, wie ich noch vor wenigen Tagen bei den Chippewas hörte, immer, ſo Tag als Nacht, auf ſeiner Bruſt trug?

Es war ſchwer, verſetzte der Sioux, aber wer ſein Leben an eine Sache ſetzt, dem iſt nichts unmöglich. Jch werde dir auf dem Wege er - zählen, wie ich es anfing; denn du kommſt doch mit mir?

Jch habe es dir verſprochen und bin ge - wohnt, mein Wort zu halten.

Jch weiß es, und eben deshalb liebe ich dich ſo. Willſt du, daß ich unſre Mustangs ſatteln ſoll und wollen wir die Reiſe beginnen?

Thue das; aber dann erzähle mir auch, wie du es anfingſt, dem Chippewa das Bildniß von der Bruſt zu rauben: ich brenne vor Begierde, das zu erfahren.

Du ſollſt es wiſſen; ſofern dir aber mein und dein eigenes Leben lieb iſt, verbirg den Talis - man ſorgfältig vor den Blicken der Chippewas, und auch vor denen aller Andern, denn die Rothhäute, und vor allen Dingen Opiska Toaki, würden Leben43 und Freiheit daran ſetzen, es dir wieder zu rauben, da ſie jetzt wiſſen, welcher Zauber in dem Amulet ſteckt.

Er verließ mit dieſen Worten Arnold, der ſich mit Entzücken der Betrachtung des theuren Bildniſſes hingab und nicht ſatt werden konnte, die geliebten Züge ſeiner ewig unvergeßlichen Mutter zu betrachten, um die beiden Roſſe einzufangen, die in einiger Ent - fernung von ihnen mit geſperrten Beinen graſeten, und ſie zu ſatteln und zu zäumen. Als er damit fer - tig war, führte er Arnolden das ſeinige zu und Beide ſchwangen ſich in den Sattel.

Arnold, der vor Begierde brannte, in Erfahrung zu bringen, wie der Sioux zum Beſitze des Portraits gelangt ſei, forderte dieſen, als ſie neben einander herritten, zum Erzählen auf.

Noch nicht, flüſterte ihm der Jndianer zu: der Wald könnte Ohren haben; ich erzähle dir das erſt, wenn wir aus demſelben heraus und in der Prairie ſind, denn dort kann man uns nicht belau - ſchen. Die größeſte Vorſicht iſt nöthig und ſelbſt kein Sioux darf dich im Wiederbeſitze des Zauberbildes wiſſen, weil die Begierde nach demſelben vielleicht größer als die Redlichkeit ſeyn und dir das Leben ko - ſten würde.

Arnold wußte nicht, was er von dieſen ſelt -44 ſamen Reden denken ſollte, indeß mußte er, wohl oder übel, noch ſeine Neugierde zügeln, zumal da er die Vorſicht White-hawks nur billigen konnte.

Man ritt noch ein paar Stunden durch den kühlen und duftigen Wald; dann lichtete ſich dieſer nach und nach und endlich lag eine unabſehbare Wüſte, die Prairie, vor ihnen da. Wenn der Anblick der - ſelben, ſelbſt wenn ſie mit hohen Gräſern, üppigem Jmmergrün, mit hie und da ſich zeigenden Gruppen von Farrenkräutern bedeckt iſt, im höchſten Grade traurig und in ihrer grünen Einförmigkeit ermüdend für das Auge genannt werden muß, ſo bot die, welche beim Austritte aus dem Walde vor ihnen lag, einen noch weit traurigern, ja ſogar furchtbaren, Anblick dar. Kein einziges grünes Hälmchen war, ſo weit der Blick reichte, zu ſehen; der Boden erſchien, mit der Aſche der verbrannten Gräſer und Kräuter be - deckt, wie eine dunkelgraue Wüſte, aus der jede Spur von Leben verſchwunden war, und darüber hing ein glühend heißer Himmel, denn es war einer der heiße - ſten Tage des Jahres.

Was iſt denn das? fragte Arnold, der die Prairie noch das letzte Mal, wo er ſie durchwan - dert, mit üppigem Grün bedeckt geſehen hatte, faſt erſchrocken ſeinen Begleiter.

Wahrſcheinlich das Werk deiner bleichen45 Brüder, der Trappers, verſetzte White-hawk. Sie trieben in dieſer Prairie, wie ich weiß, eine Zeitlang die Büffeljagd und werden nicht vorſichtig genug mit dem Feuer geweſen ſeyn. Wenn eine Rothhaut ein ſolches zum Schutze gegen die Thiere der Wildniß an - zündet, trägt er, namentlich in der Prairie, Sorge dafür, es vor ſeinem Weggehen wieder auszulöſchen, damit kein Prairiebrand entſtehen könne, der das Le - ben von Menſchen und Thieren in die größeſte Gefahr bringt. Anders aber denken die Bleichgeſichter dich nehme ich aus, mein Freund, denn du biſt beſſer als deine Brüder und faſt jedesmal folgt ihrem Aufenthalte in einer Gegend ein Prairiebrand, deſſen Opfer ſie nicht ſelten ſelbſt werden, wenn es ihnen nicht gelingt, die Schatten des Waldes zu erreichen, an deſſen Saume der Brand gewöhnlich ſeine Grenze findet. Aber laß uns, bevor wir uns in die halm - loſe Wüſte hinauswagen, uns ſelbſt und unſern Thie - ren einige Raſt und letztern auch Futter gönnen, wel - ches ſie lange werden entbehren müſſen.

Er ſchwang ſich mit dieſen Worten vom Pferde, nahm demſelben Sattel und Zaum ab und überließ es, nachdem er ihm die Beine gefeſſelt, der Freiheit; Arnold that Daſſelbe mit ſeinem Thiere und Beide lagerten ſich unter dem kühlen Schatten eines weißen Bergahorns, der gleichſam als Vorpoſten des Waldes46 ausgeſtellt war, indem er, allen andern Bäumen deſ - ſelben voraus, vereinzelt hart an der Grenze des Prairiebrandes ſtand, der, als habe er Reſpect vor dem Rieſen des Waldes gehabt, ſeinem ungeheuren Stamme ſich nicht zu nahen getraut zu haben ſchien.

Jetzt, nahm White-hawk wieder das Wort, nachdem er zuvor alle Zweige des Baumes, bis zum Gipfel hinauf mit ſeinem ſcharfen Auge durch - ſpäht hatte, jetzt will ich deine Neugier befriedigen, mein bleicher Bruder, und dir erzählen, wie ich es anfing, in den Wiederbeſitz des Talismans zu gelan - gen, den du, großmüthig wie kein anderer Menſch, zur Rettung meines Lebens aufgeopfert hatteſt und deſſen Werth wir erſt erkennen lernten, als wir die Wunder vernahmen, die dadurch verrichtet wurden.

Wunder? fragte Arnold und ſah ſeinen Begleiter erſtaunt an: es verrichtete Wunder? fügte er hinzu.

Als ob du das nicht wüßteſt, mein Bru - der! antwortete ihm White-hawk. Wozu Ver - ſtellung, mir, deinem Freunde, gegenüber? Habe ich es dir nicht wieder gebracht und dir dadurch gezeigt, daß mir dein Glück tauſendmal mehr gilt, als das eigene? Habe ich es nicht mit Gefahr meines Lebens geraubt, und für dich? Hatte nicht auch Waupee, mein Vater, bemerkt, welchen Kampf es dir koſtete,47 es für die Rettung meines Lebens hinzugeben? und hörten wir nicht faſt jeden Tag, daß Opiska Toaki, ſeit er im Beſitze deſſelben, glücklich in Allem war, was er unternahm, und ohne Furcht den größeſten Gefahren Trotz bieten konnte, ſeit er den Talisman auf ſeiner Bruſt trug?

Da ſprach eines Tages mein Vater zu mir, fuhr der Sioux nach einer kleinen Pauſe in ſeiner Rede fort: White-hawk, ſagte er, es kommt jetzt an den Tag, welches Opfer uns das gute Bleichge - ſicht, unſer Freund, gebracht hat, und er iſt vielleicht in eben dem Grade unglücklich, als Opiska Toaki jetzt im Beſitze des Zauberbildes glücklich in Allem iſt, was er unternimmt; denn verfehlt wohl ſein Pfeil jetzt noch ein Rothwild, ſein Laſſo den Nacken eines Moſ - kotaj mehr? Hat er nicht im Kampfe mit dem blut - gierigen Puma geſiegt und ihn ſogar was nie zu - vor gehört wurde in ſeinen Armen erdroſſelt? Verkünden die Makota Konayas ihm, dem Glückſeli - gen, nicht alles Glück der Welt, ſeit er im Beſitze des Schatzes iſt, deſſen ſich unſer Freund aus Liebe zu uns entäußerte? und dürfen wir, ohne ungerecht und undankbar gegen einen ſo treuen Freund zu ſeyn, es ruhig mit anſehen, daß er vielleicht in Unglück durch ſeine Großmuth und Liebe gegen uns geräth? Jch habe geredet, was ſagſt du, mein Sohn White-hawk?

48

Jch antwortete: Nicht dulden dürfen wir, Vater, daß ein Freund, ein Bruder, ſich ſo für uns beraube; daher will ich trachten, ihm ſeinen Schatz wieder zu verſchaffen, und ſollte ich das Leben daran ſetzen müſſen.

Thue das, mein Sohn, und Manitou, der gute Handlungen belohnt und böſe beſtraft, er, der ein Feind der Undankbaren iſt, wird dir beiſtehen, ſagte mein Vater und wir redeten nicht weiter von der Sache.

Jch aber hatte ſie immer vor Augen und ſie ließ mir weder Tag noch Nacht Ruhe. Eifriger denn je ſtellte ich jetzt dem Rothwilde und dem Büf - fel auf der Jagd nach, nicht des Fleiſches wegen, denn wir hatten deſſen im Ueberfluſſe im Wigwam und ich ſpeiſte die Raubthiere damit, ſondern um viele Felle zu erhalten, für die man von den Trap - pers haben kann, was man will. Die ſchönſten hob ich auf, die ſchlechteren vertauſchte ich gegen Feuer - waſſer, Pulver, Blei und andere Dinge, auf die man wegen ihrer Nützlichkeit Werth ſetzt, und als ich ge - nug zu haben glaubte, belud ich meinen Mustang, ein ſtarkes und munteres Thier, damit und ritt fort aus der Niederlaſſung, ohne Jemanden zu ſagen, wohin.

Nachdem ich zwei Tagereiſen gemacht, langte49 ich in dem Walde an, der das Thal begrenzt, in dem ſich die Chippewas jetzt angeſiedelt haben, und da mir die Gegend von früherer Zeit her, wo ich ſie oft durchſtreift hatte, bekannt war, fand ich leicht eine geräumige, tief in den Berg eingeſprengte Höhle wie - der, deren Eingang ich einſt durch Zufall entdeckt hatte, indem ich einen grauen Bären verfolgte, der ſich darin verkroch, weil er zu feig war, ſich mir ge - genüber zu ſtellen und den Kampf mit mir anzuneh - men; denn du mußt wiſſen, daß der graue Bär kein ſo furchtbarer Feind als der ſchwarze iſt. Auch er - reichte ich ihn glücklich in der Höhle und erlegte ihn, zum Zeichen des Sieges ſein Fell mit mir nehmend.

Jn dieſe Höhle, die vielleicht, außer den wilden Thieren, nur mir allein bekannt war, führte ich den Mustang mit ſeiner Laſt und verweilte dort bis zum Anbruch der Nacht mit ihm, wo ich ſicher ſeyn durfte, daß ſich die Chippewas zur Ruhe nieder - gelegt haben würden. Behutſam führte ich dann mein Pferd bis zum Eingange des Thales, band es feſt und nahm ihm ſeine Laſt ab, die ich dann ſelbſt bis zum Wigwam Opiska Toakis trug; denn da er der des Nanawa war, konnte ich ihn beim Leuch - ten des nächtlichen Geſtirns leicht an ſeiner Größe er - kennen.

II. 450

Und zu welchem Ende, unterbrach der Europäer den Erzähler, legteſt du alle jene Sachen neben dem Wigwam des Nanawa nieder?

Kannſt du dir dieſe Frage nicht ſelbſt be - antworten, Bleichgeſicht? erwiederte ihm der Sioux. Wollte ich denn, gleich einem diebiſchen und hinter - liſtigen Schwarzfuß, Opiska Toaki beſtehlen? Abtau - ſchen wollte ich ihm den Talisman, den ihm zu rau - ben meine Abſicht war, und deshalb legte ich eine Menge der ſchönſten Felle und Alles, was ich von den Fußkrämern und Trappers eingetauſcht hatte, neben dem Wigwam des Nanawa nieder, damit er es beim Erwachen fände und zum Erſatze für das Vermißte an ſich nähme; auch war ich ihm ja ein Blutgeld für das Leben ſeines durch meine Unvorſich - tigkeit getödteten Bruders ſchuldig.

Gute, redliche Seele! rief Arnold, dem Jndianer ſeine Hand reichend, und dieſer fuhr fort:

Das Leichteſte war gethan, das Schwerſte und Gefährlichſte ſtand mir noch bevor: ich mußte mich in den Wigwam ſchleichen und dem ſchlafenden Opiska Toaki, inmitten ſeiner neben ihm ruhenden Kinder und ſeiner Squaw, die ihm hart zur Seite lag, das Kleinod von der Bruſt nehmen.

Und das wagteſt du?! rief Arnold, ihn mit erſchrockenen Blicken anſehend.

51

Jch wagte es, aus Liebe zu dir, mein Bruder, war die Antwort des Sioux. Auch war Manitou ſichtbar mit mir, denn ſonſt hätte ich es nicht vollbracht.

Wie aber fingſt du es an?

Das wirſt du gleich hören. Wie die Schlange, wenn ſie durch das Gras der Prairie ſchleicht, um eine von ihr auserſehene Beute zu über - raſchen, kroch ich auf meinem Bauche in den Wig - wam und ſo nahe an den Nanawa hinan, daß ich ihm an der einen Seite eben ſo nahe lag, als die Squaw an der andern. Der Mond fiel zum Glück durch die offen gelaſſene Thür denn es war eine ſehr ſchwüle Nacht und man hätte es vor Hitze nicht aushalten können, wenn man den Eingang nicht bloß mit einem vorgehangenen Netze, zum Schutze gegen die Schlangen und anderes kriechendes Gewürm, be - ſchützt und die Thür offen gelaſſen hätte der Mond ſchien, wie ſchon geſagt, durch die offen gelaſſene Thür in den Wigwam hinein und warf ſeine Strahlen ge - rade auf das Geſicht des ſchlafenden Nanawa, der, von der Jagd ermüdet, tiefe und ſchwere Athem - züge that.

Jch lag einige Augenblicke unbeweglich; dann löſte ich mit leiſer Hand den Riemen, womit er ſein Unterkleid von Dammhirſchfell zugebunden4 *52hatte, denn ich mußte ſeine Bruſt entblößen, um zu dem darauf bewahrten Kleinod gelangen zu können. Es glückte mir und hell vom Mond beſchienen, leuch - tete es mir bald in ſeinem wunderbaren Schimmer, der mir die Augen faſt verblendete, entgegen.

Die Hand, mit der ich es berührte, zit - terte; ſie zitterte auch, als ich die Kette, an der Opiska Toaki den Talisman auf ſeiner Bruſt trug, leiſe, in vorſichtigen und langſamen Zügen, ihm un - ter das Haupt zog, denn um die Beute zu erlangen, mußte ich die Kette über den Kopf wegziehen, weil ich es nicht wagen durfte, ſie zu zerbrechen.

Jch mußte doch nicht leiſe und vorſichtig genug geweſen ſeyn, denn plötzlich, in eben dem Au - genblick, wo ich den letzten Zug that und das Kleinod in meiner zitternden Hand hielt, erhob der Nanawa das Haupt, öffnete die Augen und fuhr ſich mit der Hand nach der Bruſt.

Jch gab mich ſchon verloren und erwartete den Augenblick, wo er vollends erwachen und den an ihm begangenen Raub entdecken, mich aber als den Räuber erkennen und tödten würde. Manitou ſtand mir jedoch bei: der Schläfer erwachte nicht völlig, legte das Haupt wieder nieder, kehrte ſich nach der Seite um, an der ſein Weib lag, und ſchlief weiter.

53

Jch blieb, den Athem an mich haltend, noch eine Weile neben ihm liegen, fuhr der Erzäh - ler fort; dann, als ich ſicher war, daß der er wie - der feſt ſchliefe, kroch ich auf dem Bauche wieder aus der Hütte, hing das vorher herabgenommene Netz wieder vor, um die Schläfer nicht einer tödtlichen Gefahr auszuſetzen, und eilte, mit dem Kleinode auf der Bruſt, meinem Pferde ſo ſchnell als mög - lich zu.

Jndeß durfte ich den geraden Weg zu un - ſerer Niederlaſſung nicht einſchlagen, weil dies ſicher zur Entdeckung des Thäters geführt haben würde; denn wir Rothhäute ſind in der Auffindung der Spu - ren Flüchtiger ſchlauer und erfahrener als ihr Bleich - geſichter, ſondern ich mußte die Verfolger durch Liſt irre zu leiten und zu täuſchen ſuchen. Jch ritt alſo dem Ufer des großen Fluſſes (Miſſiſippi) zu, warf mich, als ich ihn erreicht hatte, mit meinem Mus - tang, den ich ſchwimmend am Zügel mit mir führte, hinein und langte glücklich am jenſeitigen Ufer an. Jetzt erſt durfte ich mich als gerettet anſehen und brachte einen ganzen Tag und eine Nacht im Walde zu, theils um mir ſelbſt und meinem Thiere etwas Ruhe zu gönnen, theils mir einige Nahrung zu ver - ſchaffen, denn der Hunger tödtete mich faſt, da ich ſeit mehren Tagen nicht das Mindeſte genoſſen hatte. 54Jch war ſo glücklich, ein junges Reh zu erlegen, das mir eine treffliche Mahlzeit gab; mein Pferd fand reichliches Futter, wir Beide eine Quelle, um unſern Durſt zu löſchen, und am nächſten Tage konnten wir geſtärkt unſere Reiſe fortſetzen.

Der große Fluß, ſchloß White-hawk ſeine Erzählung, mußte noch einmal durchſchwommen wer - den, um an das gegenüberliegende Ufer zu gelangen, und obſchon das Waſſer hier viel breiter, die Strö - mung weit ſchneller iſt, gelangten wir doch glücklich hinüber. Als ich aber mit meiner Beute beim Vater anlangte, traf ich dieſen, verwundet von dem Pfeil eines tückiſchen Schwarzfußes, auf dem Lager im Wig - wam liegend, und obgleich ich meiner Pflicht gegen ihn Genüge leiſten und zu ſeiner beſſern Verpflegung bei ihm bleiben wollte, litt er es doch nicht, ſondern ſandte mich gleich wieder fort, dich aufzuſuchen und dir das Kleinod wieder zuzuſtellen.

Mit dieſen Worten endete der Sioux ſeine Er - zählung, der Arnold zugleich mit Erſtaunen, Rührung und Dankbarkeit zugehört hatte; denn würde wohl je ein Freund in der civiliſirten Welt ſo Viel für den Freund, um ſo geringen Preis, gewagt haben? Der Sioux aber fand das, was er gethan hatte, nur ganz natürlich und wollte von Dank nichts hören. Groß aber war ſeine Freude, als er Arnold das ge -55 liebte Bildniß oft wieder hervornehmen und mit un - verkennbarem Entzücken betrachten ſah.

Die Roſſe hatten ſich jetzt gehörig ſatt gegeſſen und auch ihre Gebieter, nebſt Bruno, der niemals leer ausging, wo es eine Mahlzeit gab, ſich durch einige mitgenommene Schnitte geröſteten Fleiſches und einen Trunk Waſſer aus einer von Bruno entdeckten Quelle geſtärkt, ſo daß man es wagen durfte, ſich den Strapazen durch die verbrannte Prairie auszu - ſetzen, deren Ausgang man aber erſt mit Anbruch der Nacht erreichte. Man ruhte am Fuße eines - gels, neben einem tüchtigen Feuer aus und traf am folgenden Tage gegen Abend wohlbehalten in der Nie - derlaſſung der Sioux ein. Groß war die Freude der guten Jndianer, als ſie ihres Freundes, des guten Bleichgeſichts, wie ſie Arnold nannten, anſichtig wurden, und mit Jubel wurde er in Waupees Wig - wam geführt.

Drittes Kapitel.

Mit dem gegen die Schwarzfüße beabſichtigten Kriege war es nichts; dieſe räuberiſchen Jndianer hat - ten ſich, vielleicht ihre Schwäche fühlend, gänzlich56 aus der ſeither von ihnen beunruhigten Gegend zurück - gezogen und ſich weiter nach Nordweſt begeben, wo es ihnen nicht an Jagd und Weideplätzen fehlen konnte. Sie hatten wahrſcheinlich auf die ſeither zwiſchen den Sioux und Chippewas herrſchende Feindſchaft ge - rechnet und darauf gehofft, ſich dem einen oder an - dern dieſer Stämme anſchließen zu können; als ſie aber in Erfahrung brachten, daß eine vollſtändige Ausſöhnung zwiſchen beiden ſtatt gefunden, es nicht gewagt, länger in der Nähe derſelben zu bleiben, da ſie durch die vereinte Macht der Sioux und Chippe - was, die ſie beide gleich ſehr haßten und verachteten, leicht gänzlich hätten aufgerieben werden können.

Mit dieſer Nachricht, die für den feurigen White - hawk nicht eben eine willkommene war, weil er ſchon auf einige Scalps zur Zierde ſeines Gewandes ge - rechnet hatte, empfing Waupee die beiden Reiſenden.

Unter dieſen Umſtänden kürzte Arnold ſeinen Aufenthalt bei den Sioux ab und trat ſchon nach wenigen Tagen die Rückreiſe an, was er um ſo be - ruhigter that, da ſich die Wunde Waupees, Dank ſei es den heilenden Kräften des Gibſonkrautes, in ei - nem ſehr guten Zuſtande befand.

White-hawk ließ es ſich nicht nehmen, ihn eine gute Strecke zu begleiten und einige andere Jünglinge, die ſich gleichfalls um die Freundſchaft des guten57 Bleichgeſichts bewarben, ſchloſſen ſich ihnen an, ſo daß die Reiſe eine überaus heitre und angenehme war.

Als unſer Freund in Nauvoo wieder anlangte, fand er die über den Desmoines zu ſchlagende Brücke, zu der er den Riß und Plan geliefert hatte, ſchon ziemlich vollendet und mußte ſich über die Schnellig - keit, womit dieſer ſchwierige Bau beſchafft worden war, nicht wenig wundern. Dieſer würde unter an - dern Umſtänden dem Staate ſehr bedeutende Summen gekoſtet haben, koſtete aber dem von Nauvoo nicht einen einzigen Cent. Nach den von Joe Smith ein - geführten Geſetzen mußte jeder Arbeitsfähige jeden fünften Tag unentgeltlich für den Staat arbeiten, und da man Holz, Steine, ja ſelbſt Kalk, Eiſen u. ſ. w. im Ueberfluſſe fand, brauchte man auch für das Bau - material nichts auszugeben, und ſo ſah man Erſtau - nen erregende Baulichkeiten in unglaublicher Schnellig - keit, und ohne alle Koſten, in dieſem Wunderſtaate emporſteigen.

Das war, es ließ ſich nicht läugnen, Joe Smiths Verdienſt, und ſo ſehr Arnold dieſen Mann auch ſonſt verachtete, ſo konnte er doch nicht umhin, ihn in vielen ſeiner Einrichtungen und wegen ſeines wirk - lich großartigen Genies zu bewundern, das durch den Hebel des Fanatismus ſo viele Kräfte in Bewegung zu ſetzen verſtand.

58

Als er in ſeiner Wohnung angelangt war, trat John Adams mit noch finſterer Miene, als gewöhn - lich, zu ihm und kündigte ihm für den folgenden Monat das Logis auf. So wenig Gutes und Freund - liches er ſich auch von dem alten Fanatiker verſehen hatte, ſo ſetzte ihn dieſe Aufkündigung doch in Ver - wunderung, da der Alte geizig war, er einen nicht ganz unbedeutenden Miethzins bezahlte und ein ſehr bequemer Einlogirender, ſchon wegen ſeiner häufigen Abweſenheit, war.

So verdrießlich ihm dieſe neue Feindſeligkeit von Seiten John Adams denn dafür hielt er die un - erwartete Aufkündigung auch war, weil er ſich in der Wohnung behaglich gefühlt hatte, ſo antwor - tete er ihm doch nur: Es iſt gut, ich werde aus - ziehen.

Der Gärtner, welcher erwartet hatte, daß er eine Erklärung von ihm fordern würde, blieb noch einige Augenblicke ſtehen, dann, als ſie nicht erfolgte und Arnold ſich mit ſeinen Büchern und Papieren zu ſchaffen machte, ohne weiter Notiz von ihm zu nehmen, ſagte er:

Jch würde Sie gern noch länger in meiner Wohnung behalten haben, Sir; allein ich kann nicht ferner für die Jhnen zukommende Bedienung ſor - gen.

59

Und weshalb nicht? fragte ihn der junge Deutſche, indem er ſich nach ihm umwandte. Jch verlange keine mehr, als mir die bisher geleiſtet wurde und euer Weib klagte nie, daß ſie zu große Mühe von mir habe.

Darüber klagte ſie nie, Sir, und hatte auch keine Urſache dazu; allein ſie kann Jhnen ſelbſt die wenigen geforderten Dienſte nicht mehr leiſten, weil ſie nicht mehr im Hauſe iſt.

Nicht mehr bei euch? und wo iſt ſie denn ſonſt, wenn ich fragen darf?

Jm Tempel, bei dem Herrn Generallieu - tenant, war die kurze Antwort.

So wäre Dina todt? fragte Arnold und wurde ſo bleich bei dieſer Frage, daß ſeine große in - nere Bewegung den Blicken des Alten nicht entging.

Man fand ſie vor etwa acht Tagen am Morgen todt in ihrem Bette, antwortete der Ge - fragte; da man ihr Ende noch nicht ſo nahe ge - glaubt hatte, obgleich ſie immer kränkelte, können Sie ſich den Schrecken über dieſen plötzlichen Todes - fall vorſtellen, Sir. Sie war eine treue Dienerin und ſo hat ſie unſer Prophet, obgleich ſie nicht öffentlich zu unſerm Glauben übertrat, doch im Tode ſo geehrt, wie wenn ſie zu den Unſrigen gehört hätte, und ſo wird ſie mitten unter den Gläubigen60 auf dem ſchönen neuen Gottesacker ruhen, mit deſſen Anlage man ſo eben erſt fertig geworden iſt. Zwar erhoben ſich mehre Stimmen in der Gemeinde dage - gen, daß er durch eine Ungläubige gleichſam ein - oder vielmehr entweiht werden ſolle; allein der Prophet gab uns die Verſicherung, daß die Verblichene im Herzen eine ſo gute Gläubige geweſen ſei, wie es nur irgend Einer von uns Andern ſeyn könne, und ſo mußte man ſich beruhigen.

Arnold antwortete dem Alten nicht, der wider ſeine Gewohnheit geſchwätzig war: er war zu bewegt dazu, Worte finden zu können und was ſein Herz empfand, was er dachte, hätte er ja doch nicht vor dem alten Fanatiker ausſprechen können.

Dinas Tod erfreute und betrübte ihn zugleich auf’s Jnnigſte. Wie ſehr gönnte er ihr, der Dul - derin, die ſo lange ſchon von ihr erſehnte Ruhe im Grabe, und doch war ihm der Gedanke ſchmerzlich, ſie nicht mehr unter den Lebenden zu wiſſen, nie wie - der in ihr ſchönes, ſanftes Auge blicken, nie den Ton ihrer Stimme, der ſo beruhigend auf ſeine Seele wirkte, hören zu ſollen. Mit ihr hatte man die ein - zige Perſon begraben, für die er ſich noch in der ei - viliſirten Welt lebhaft intereſſirt, an der er warmen Antheil genommen, für die er Gebete zum Himmel emporgeſchickt hatte, der er, weil er ihr aufrichtig61 wohl wollte, etwas ſeyn, der er durch ſeine Theil - nahme und ſein Mitleid Troſt bringen konnte. Mit ihr ſchien auch das letzte Band zerriſſen zu ſeyn, das ihn noch an die Civiliſation knüpfte und der Gedanke, dieſer für immer Lebewohl zu ſagen, auf immer mit ihr abzuſchließen und fortan unter ſeinen geliebten Wilden nur noch ein Naturleben zu führen, trat ihm wieder näher denn je. Ja, hätte er Dinas Tod ſchon während ſeines letzten Beſuchs bei den Chippewas und Sioux erfahren, ſo würde er wahrſcheinlich nicht wie - der nach Nauvoo zurückgekehrt ſeyn: ſie allein, die Hoffnung, ihr beim Sterben noch einigen Troſt brin - gen zu können, hatte ihn wohl dahin zurückgeführt, denn alles Andere in der Colonie ſtieß ihn weit mehr ab, als es ihn anzog.

Mit dieſen Gedanken und Vorſtellungen beſchäf - tigt, bemerkte er den Wiedereintritt John Adams kaum und wurde erſt durch die Anrede deſſelben auf ſeine Anweſenheit aufmerkſam gemacht.

Es iſt ein Reiter draußen vor der Thür, Sir, nahm der Alte das Wort, der einen Brief an Sie abzugeben und Jhre Antwort darauf ent - gegenzunehmen hat: darf ich ihn zu Jhnen hinein - führen?

Thut das, war die Antwort und nach wenigen Minuten trat ein ſchon etwas ältlicher Mann62 in anſtändiger, aber etwas beſtäubter Reiſekleidung zu ihm ein.

Jch habe die Ehre, Mr. Arnold vor mir zu ſehen? fragte er dieſen in engliſcher Sprache.

Wenn Sie an den eine Botſchaft auszurich - ten haben, Sir, ſo richten Sie ſie an mich. Was ſteht zu Jhren Dienſten?

Hier iſt ein Brief von Mr. Boggs, dem Herrn Gouverneur des Staates Miſſouri, war die Antwort des Boten, und zu gleicher Zeit öffnete er eine ihm an der linken Seite hängende, ziemlich große Ledertaſche, nahm mehre Papiere und Briefe aus der - ſelben hervor und reichte Arnolden den für ihn be - ſtimmten mit einer höflichen Verbeugung dar.

Wenn Sie erlauben, Sir, fügte der Bote, nachdem unſer Freund den Brief von ihm in Empfang genommen hatte, hinzu, ſo beurlaube ich mich jetzt bei Jhnen und komme in einigen Stunden wieder vor, um Jhre Antwort auf den Brief des Herrn Gou - verneurs entgegenzunehmen. Jch habe in Nauvoo noch einige andere Geſchäfte zu beſorgen und auch ei - nen Brief an Mr. Joe Smith, den Herrn General - lieutenant der Milizen von Jllinois, abzugeben und muß auch meinem Pferde einige Ruhe gönnen, denn wir haben einen ſcharfen Ritt gemacht.

Jch werde meine Antwort in Bereitſchaft63 halten und Sie dürfen darauf rechnen, Sir, daß Sie ſie bei Jhrer Rückkehr vorfinden, war Arnolds Ant - wort, worauf ſich der Bote entfernte.

Der junge Deutſche war nicht wenig verwun - dert, einen Brief von einem ihm, bis auf den Namen, völlig unbekannten Manne zu erhalten und öffnete ihn daher nicht ohne Neugierde; er enthielt Folgendes:

An Mr. Arnold, Civil-Jngenieur zu Nau - voo, Esquire.

Durch einen höchſt unangenehmen Vorfall in große Verlegenheit geſetzt, erlaubt es ſich Mr. John Boggs, Gouverneur von Miſſouri, ſeine Zuflucht zu Ew. Wohlgeboren zu nehmen. Die Sache iſt in aller Kürze dieſe:

Ein ſehr geſchickter Civil-Jngenieur, welcher ſeither die Arbeiten in St. Louis und deſſen Um - gegend leitete, iſt plötzlich durch Krankheit außer Stand geſetzt worden, ſeinen bisherigen Geſchäften vorzuſtehen und dies trifft den Staat und mich um ſo ſchmerzlicher, da gerade eine Menge der wichtig - ſten und nothwendigſten Arbeiten der Vollendung harren.

Durch Mr. Joe Smith, deſſen perſönlicher64 Bekanntſchaft ich mich zu erfreuen habe, von Jhren Kenntniſſen und Talenten unterrichtet, erlaube ich mir die ergebenſte Anfrage an Sie: ob Sie viel - leicht geneigt ſeyn ſollten, wenigſtens auf einige Zeit, mir Jhre Hülfe bei den vorhabenden Ausmeſſungen und Nivellirungen zu leihen? wofür ich mich Jhnen, wie ſich von ſelbſt verſteht, auf jede Weiſe nach Kräften dankbar bezeigen würde.

Um weder Sie, Sir, noch mich ſelbſt in eine üble Stellung zu Mr. Joe Smith zu bringen, habe ich dieſem auch meinen Wunſch in Hinſicht Jhrer vorgetragen und hoffe, daß Sie, Sir, ſo wie Mr. Smith, meine Zudringlichkeit mit den Umſtän - den entſchuldigen werden. Nur in der allerdrin - gendſten Noth konnte es mir in den Sinn kommen, Sie dem Kreiſe Jhrer bisherigen Beſchäftigungen entziehen und Sie Jhren gewiß angenehmen und in jeder Hinſicht ehrenvollen Verhältniſſen auf einige Zeit entreißen zu wollen, und nur indem ich auf Jhre und Mr. Joes Nachſicht rechnete, durfte ich einen Schritt wagen, der, wenn man die obwalten - den Umſtände nicht gütig in Betracht zöge, leicht mißdeutet werden könnte.

Da die Sache große Eile hat, bitte ich dem Ueberbringer dieſes Schreibens eine beſtimmte Antwort mitgeben und, ſollte ſie meinen Wün -65 ſchen gemäß ausfallen, ſich ſobald als möglich nach St. Louis auf den Weg machen zu wollen.

Jch bin u. ſ. w. John Boggs, Gouverneur.

Nicht ohne Vergnügen las Arnold dieſen Brief, der ſeine Zweifel endete, ob er noch länger in Nau - voo, wo ihn im Grunde Alles anekelte, bleiben oder ſich entfernen und ſich neue Lebensverhältniſſe ſuchen ſollte. Mehr denn je freute er ſich darüber, daß er ſich durch die ihm früher von dem Propheten gemach - ten, für ſeine Umſtände glänzenden Anerbietungen nicht hatte verlocken laſſen, ſich durch Annahme eines Amtes zu binden. Jetzt war er vollkommen Herr ſeiner ſelbſt und Gebieter ſeiner Beſchlüſſe, und Nichts konnte ihn davon abhalten, die ehrenvollen Anträge eines Mannes anzunehmen, von dem der Ruf nur das Allerbeſte ſagte.

Die Luft in Nauvoo lag überdies ſchon lange drückend auf ihm. Der Umgang mit den fanatiſchen Mormons konnte für einen Mann von ſeinem Geiſte und Verſtande nur im höchſten Grade langweilig ſeyn, ja gewiſſermaßen, wenn er noch länger fortgeſetzt würde, deprimirend auf ſeine geiſtigen Fähigkeiten ein - wirken, und ſo ſtand er nicht an, ſelbſt ohne denII. 566Propheten zuvor befragt zu haben, dem Gouverneur zuzuſagen und dieſem die beſtimmte Zuſicherung zu ge - ben, daß er ſchon in wenigen Tagen nach St. Louis aufbrechen und mit Vergnügen die ihm zu übertra - genden geometriſchen Arbeiten übernehmen würde.

Dieſen Brief übergab er dem ſich nach einigen Stunden wieder bei ihm einſtellenden Boten und fühlte ſich, als er ihn damit fortreiten ſah, gleichſam er - leichtert, da er durch den ihm gemachten Antrag des Gouverneurs zum Einſchlagen einer neuen Lebensrich - tung und zum Aufgeben alter, ihm widerwärtig ge - wordenen Verhältniſſe getrieben worden war. Denn es ergeht uns damit, wie es uns oft im Schlafe er - geht, wo wir das unangenehme Gefühl einer üblen Lage haben, ohne uns doch ſo weit ermuntern zu können, ſie zu verändern; hier ſind es die Nerven, die noch nicht Spannkraft genug geſammelt haben, daß wir uns ganz wieder unſerer bewußt werden könnten, dort iſt es eine uns angeborene Jndolenz, vielleicht auch die Furcht, daß es uns noch ſchlimmer als ſeither ergehen dürfte, die uns in unpaſſenden La - gen und drückenden Verhältniſſen fortleben läßt, und ſo müſſen wir es immer dem Geſchick Dank wiſſen, wenn es uns durch dieſen oder jenen Zufall zu Hülfe kommt.

Der Tag hatte, theils durch den ſcharfen Ritt,67 den unſer Freund am Morgen deſſelben gemacht, theils durch die Aufregung, welche die Nachricht von dem Tode der unglücklichen Dina in ihm hervorgerufen, und endlich den Entſchluß, ſeine bisherigen Verhält - niſſe aufgeben und gegen neue vertauſchen zu wollen, ſehr viel Ermüdendes ſowohl für Geiſt als Körper gehabt, ſo daß er ſich innig nach Ruhe, nach Schlaf ſehnte. Allein die Nerven des Gehirns waren durch das Alles in ſolche Spannung gerathen und vibrirten noch ſo ſtark, daß an Schlaf nicht für ihn zu denken war, ſo ſehr ſein Körper deſſelben auch bedurfte. Er machte den Verſuch, die Aufrühreriſchen zur Ruhe zu bringen, warf ſich auf ſein Lager und ſchloß die Au - gen; allein Alles war vergeblich und er hielt es end - lich für beſſer, wieder aufzuſtehen und ſich an das offene Fenſter zu ſetzen.

Die draußen in der Natur herrſchende Stille, das gänzliche Verſtummen jeglichen Geräuſches des ge - ſchäftigen Lebens, wirkten bald auf ſeinen aufgereg - ten Nervengeiſt und die ihn quälende Spannung ließ allgemach nach.

Es war eine tiefdunkle Nacht, eine von jenen, wo der durch Regenwolken verſchleierte Himmel wie ein ſchwarzes Bahrtuch über dem Erdkreiſe liegt; eine jener wunderbaren Nächte, in denen die Natur in er - wartungsvoller Stille des Segens und der Erquickung5 *68harrt, der ihr aus den verdichteten Wolken zuſtrömen und den durch die heiße Sonnengluth in ihrem Schooße entzündeten Brand abkühlen ſoll. Kein Blatt am Baume bewegte ſich, nicht einmal das gefiederte, ſo leicht bewegliche Laub der Akazien zitterte an den fei - nen, ſchlanken Zweigen; kein Vogel ſchüttelte das farbige Gefieder unter dem Laubdache der Magnolien; kein Nachtſchmetterling ſchwirrte, da ſein Jnſtinkt ihm ſagte, daß der zarte Schmelz ſeiner Flügel durch den jeden Augenblick zu erwartenden Regen bedroht würde; Alles ſchwieg, Alles ruhte und eine Stille lag über der ganzen Natur, als ob der Tod ſeine Schwingen über alles Geſchaffene gebreitet hätte.

Arnolden that dieſes Schweigen, ihm that ſelbſt die tiefe Dunkelheit wohl. Es war ihm recht, daß keins der himmliſchen Geſtirne ſeine Strahlen auf den Schauplatz ſo vieler Gräuel, ſo vielen Jammers und Elends niederſandte; daß der Mond nicht, gleichſam lächelnd und unbekümmert um das, was unter ihm vorging, durch den tiefblauen Aether hinſchiffte. Denn dieſer Contraſt zwiſchen den ſich nach ewigen Geſetzen gleichmäßig bewegenden Weltkörpern und der ewigen Unruhe, Unſtätigkeit und Zerriſſenheit der Menſchen - ſeele war ſchon oft ein ſchmerzlicher für ihn geweſen. Wie verhaßt iſt uns nicht der Sonnenſchein, der auf das Grab der Geliebteſten fällt und dort andere Le -69 benskeime weckt, während es ſelbſt die äußere Form deſſen zerſtört, das ſo innig mit uns verbunden war, das wir mit der ganzen Liebesgluth unſerer Seele umfaßten. Wir möchten bei ſolchen Verlüſten ſich die ganze Natur in Trauer kleiden ſehen und ſie lächelt uns und unſern Schmerz, gleichſam wie zum Hohne, an.

Dieſe tiefdunkle, ſchweigende Nacht lag auf Di - nas Grabe: der Gedanke that Arnolden wohl. Auch in ihr war es ſtill und dunkel geworden, wie in der Natur; auch in ihr waren alle Kämpfe geendet, alle verwirrenden Leidenſchaften zum Schweigen gebracht, und ein neues Daſeyn, gleichviel in welcher Form, ihr aufgegangen. Er dachte jetzt ohne allen Schmerz an ihren Tod; er wäre nicht egoiſtiſch genug geweſen, ſie, wenn er es vermocht hätte, wieder in’s Leben zurückzurufen, obgleich ſie ihm lieb, ſehr lieb in der kurzen Zeit ihres Beiſammenlebens geworden war und ſeine Seele die Ahnung hegte, daß in ihr vielleicht das Weſen zu Grunde gegangen, das mit der vollen Kraft ſeines Herzens zu lieben, ſeine Beſtimmung ge - weſen ſei; denn ſo wie ſie, die dem Tode ſchon Ge - weihte, die Geknickte, Verblühte, hatte bis dahin noch kein Weib auf ihn gewirkt. Es war, als ob etwas Magnetiſches, hervorgerufen durch die Sym - pathie ihres Nervengeiſtes, zwiſchen ihnen geherrſcht habe, denn auf keine andre Weiſe vermochte er ſich70 die Gewalt zu erklären, die ſie über ihn und, wie ihm eine innere Stimme ſagt, er auch auf ſie ausgeübt hatte.

Er hätte jetzt, wo ihn doch der Schlaf floh und er ſich unaufhörlich mit ihr beſchäftigen mußte, ihr Vermächtniß hervornehmen und die ihm hinterlaſſenen Papiere leſen können, denn jetzt durfte er es ja ihrer Beſtimmung nach; allein trotz dem unterließ er es, weil er dazu eine Zeit abwarten wollte, wo es in ſeinem eigenen Jnnern ruhiger als jetzt war. Mit dem erſten falben Scheine des erwachenden Tages meldete ſich auch ſo gebieteriſch das Bedürfniß des Schlafes bei ihm, daß er ſich völlig angekleidet auf ſein Lager warf und ſchon nach wenigen Minuten feſt einſchlief.

Das Aufgehen ſeiner Thür erweckte ihn endlich wieder. Die Sonne ſtand bereits ziemlich hoch am Himmel und warf ihre glänzenden Strahlen auf ſein Lager. Die Regenwolken hatten ſich ihres ſegens - reichen Ueberfluſſes in der Frühe entladen und die er - quicklichſten Düfte drangen durch das offen gelaſſene Fenſter zu ihm ein.

Verzeihen Sie, wenn ich Sie ſtörte, ſagte Joe Smith, denn dieſer war es, der, nachdem er auf wiederholtes Klopfen keine Einladung zum Eintritt vernommen hatte, zu ihm eintrat. Sie noch jetzt71 ſchlafend zu finden, fuhr er fort, durfte ich um ſo weniger glauben, da Sie ſonſt ein Frühaufſteher ſind, einer von Denen, die durch Abkürzung des Schlafs ihre Lebenszeit auf’s Doppelte bringen.

Jch habe mich erſt ſehr ſpät zur Ruhe nie - dergelegt, antwortete ihm Arnold, der ſich indeß erhoben und dem Propheten einen Stuhl angebo - ten hatte, und aus dem Grunde die Zeit ver - ſchlafen.

Mein Weg führte mich an Jhrer Wohnung vorüber, nahm Joe wieder das Wort, und ich wollte nicht unterlaſſen, Jhnen einen guten Morgen zu ſagen.

Jch bin Jhnen unendlich für ſo viel Güte verbunden, Sir, erwiederte Arnold, fühle mich aber zugleich beſchämt, daß Sie mir zuvorkommen: es wäre meine Pflicht geweſen, Sie zuerſt nach meiner Rückkehr zu beſuchen und zu begrüßen.

Marie wird Jhnen dieſe Höflichkeit nicht erlaſſen, Sir, antwortete ihm Smith; unter Män - nern, und zumal unter Freunden, nimmt man es aber nicht ſo genau, und ſo habe ich keinen Anſtand genommen, Sie zuerſt aufzuſuchen. Sie erzeigen uns doch die Ehre, zum Mittagseſſen bei uns zu erſchei - nen? Jch rechne um ſo feſter darauf, da es noch eine Menge Sachen zwiſchen uns zu beſprechen giebt,72 bevor Sie Nauvoo auf längere Zeit verlaſſen; denn ich denke, daß Sie den Wunſch Sir Johns, meines Freundes, erfüllen und auf einige Monate, bis er ſich mit einem andern Jngenieur verſehen haben wird, nach St. Louis gehen werden.

Dies iſt allerdings mein Entſchluß, ver - ſetzte Arnold.

Sie verſprechen mir aber, zurückzukehren? fragte ihn der Prophet; nicht wahr, Sie verſprechen es mir? Auch habe ich Sir John geſchrieben, daß ich Sie ihm nur auf eine kurze Zeit abtrete; wird es mir doch ſchon ſo ſchwer fallen, Jhrer Kenntniſſe und Talente auf ſo lange zu entbehren, hier, wo noch Alles im Werden und noch große Anlagen und Pläne zur Ausführung kommen ſollen, bei denen ich noth - wendig Jhrer bedarf.

Sie könnten mich eitel und ſtolz durch ſo viele Güte machen, Sir, verſetzte Arnold, die Be - antwortung der Frage Joes geſchickt umgehend.

Wir reden von allem Dieſen nach Tiſche, ſagte der Prophet, nach ſeinem Hute greifend und ſich erhebend. Jetzt muß ich zu den Arbeitern an der Brücke, um einige nothwendige Anordnungen zu treffen. Alſo auf Wiederſehen, mein junger Freund! Er reichte ihm mit dieſen Worten die Hand zum Ab - ſchiede und entfernte ſich.

73

Arnold war unſchlüſſig, ob er die an ihn er - gangene Einladung annehmen ſollte, oder nicht; end - lich aber entſchloß er ſich, da man ihm durch Nichts das Recht gegeben hatte, ſich unhöflich zeigen zu dür - fen, zu Erſterem und fand ſich um die beſtimmte Stunde, durch den Garten gehend, zu dem er noch immer den Schlüſſel hatte, vor der hintern Thür des Tempels ein.

Es machte einen widerwärtigen, faſt erſchrecken - den Eindruck auf ihn, als ihm diesmal, ſtatt der frühern Pförtnerin, jetzt das ihm ohnehin unange - nehme Weib John Adams auf ſein Schellen die Thür öffnete, denn einen ſchneidendern Contraſt konnten zwei Menſchengeſtalten nicht gegen einander bilden, als dieſes faſt coloſſale Weib, mit dem rothen, aufgedun - ſenen Geſichte und den kleinen ſchwarzen, liſtigen Au - gen gegen die ätheriſche Dina bildete, deren Züge be - reits vom Verklärungsglanze während ihres Lebens umfloſſen waren, ſo daß ſie nicht mehr als Bürgerin dieſer, ſondern ſchon als die einer höhern Welt er - ſchien.

Beliebt Jhnen, einzutreten, Sir? fragte das Weib, als Arnold, von dieſen Gedanken ergrif - fen, zögernd am Eingange ſtehen geblieben war und ſich zu beſinnen ſchien, ob er eintreten oder wieder umkehren ſollte; denn das Herz war ihm ſo voll, daß74 Thränen zwiſchen ſeinen Wimpern zitterten, die erſten, die er der Geſchiedenen weihete.

Dieſe, mit jener rauhen und fetten Stimme, wie ſie Mannweibern eigen zu ſeyn pflegt, an ihn gerich - tete Frage, weckte ihn aus ſeinen Träumereien auf und er trat ein, ohne der Fragerin zu antworten. Am Eingange der Treppe blieb er nochmals ſtehen, denn hier erinnerte ihn wieder Alles lebhaft an Dina. Er ſah ſich im Schiff der Kirche um und ihm war, als müſſe die theuere Geſtalt hinter einem der coloſſa - len Pfeiler hervortreten, die die Kuppel ſtützten, und ihm ein letztes Lebewohl zuwinken; aber Alles blieb ſtill und leer. Dann folgte er dem Weibe, das, ſich nicht weiter um ihn bekümmernd, nachdem es ihn ein - gelaſſen, vor ihm die Treppe hinangeſtiegen war.

Er fand den Propheten bei ſeinem Eintritt in das Arbeitszimmer mit Zeichnen beſchäftigt; die - ſer erhob ſich jedoch ſogleich, um ihn zu bewill - kommnen.

Sie ſollen mir aufrichtig Jhre Meinung über dieſes von mir entworfene Denkmal ſagen, nahm er nach der erſten Begrüßung Arnolds das Wort und führte dieſen an den Tiſch, auf dem das Reißbrett ſtand.

Arnold betrachtete die eben ſo ſaubre als cor - recte Zeichnung und konnte nicht umhin, das von Joe75 entworfene Denkmal überaus ſinnig und geſchmackvoll zu finden.

Jhr Lob genügt mir; ich weiß aus Er - fahrung, fügte Smith mit einem feinen Lächeln hinzu, daß Sie eben kein Schmeichler ſind, und ſo ſoll das Denkmal nach dieſer Zeichnung ausgeführt werden.

Es iſt ein Grabdenkmal, ſagte Arnold: darf ich fragen, für wen Sie es beſtimmt haben?

Wie, Sie errathen das nicht? verſetzte der Prophet. Hat man Jhnen denn noch nicht ge - ſagt, daß unſre gute Dina todt, daß ſie während Jhrer Abweſenheit geſtorben iſt?

Für dieſe? fragte jetzt Arnold ſeinerſeits und das lebhafteſte Erſtaunen mochte ſich in ſeinen Zügen ausdrücken, denn Joe nahm wieder das Wort und fragte:

Hielten Sie dieſes edle Weſen, dieſe ſtille Dulderin, nicht für würdig, durch einen ſolchen Be - weis der Achtung und Zuneigung geehrt zu werden? Sie haben ſie freilich nur kurze Zeit gekannt, fuhr er fort, ſie nur in einem Zuſtande gekannt, der Sie daran verhindern mußte, ſie nach Gebühr zu wür - digen; aber ich, mein Freund, wußte, welches Herz, welches reine Gemüth in dieſem zuletzt ſo hinfälligen Körper wohnte, welche reiche Gaben des Geiſtes Dina76 einſt ſchmückten, und ſo kommt es mir zu, ſie auch nach dem Tode noch zu ehren; denn Undankbarkeit ſoll man mir nie vorwerfen können.

Arnold wußte nicht, ob er träumte oder wachte, als er den Propheten, den herz - und gemüthloſen Peiniger Dinas denn ihn dafür zu halten, war er durch Alles, was er geſehen und gehört hatte, be - rechtigt dieſe Worte mit dem Tone der vollſten Wahrheit und des innigſten Gefühls ausſprechen hörte. Trotz dem ließ er ſich nicht dadurch täuſchen und ſein Abſcheu gegen dieſen Mann ſteigerte das Gehörte bis zu einem Grade, daß er mehre Male auf dem Punkte ſtand, loszubrechen und ihm zu ſagen, daß er ihn durchſchaue und in Folge deſſen auf das Höchſte ver - achte. Aber er war in der Höhle des Löwen und es wäre eine unſinnige Verwegenheit von ſeiner Seite geweſen, dem Propheten hier Trotz zu bieten, da er ſich, waffenlos wie er war, gänzlich in ſeiner Gewalt befand. Wurde er doch auch ſchon in wenigen Ta - gen von dem Verkehr mit dieſem Menſchen für im - mer erlöſt, denn ſein Entſchluß ſtand feſt, unter keiner Bedingung nach Nauvoo zurückkehren und das Verhältniß zum Propheten für immer löſen zu wollen.

Joe Smith änderte die Unterhaltung, als er ſah, daß ihm Arnold die Antwort auf ſeine pathe -77 tiſche Lobrede der Verſtorbenen ſchuldig blieb, und ging erſt auf Geſchäftliches, dann auf Marie über.

Sie werden einen ſchweren Stand mit dem Mädchen haben, mein Freund, ſagte er, und nicht allzu leicht Verzeihung für Jhre ſchnelle Abreiſe ohne Abſchied erlangen. Marie iſt nicht ohne Eitelkeit und die haben Sie, Sie müſſen es zugeben, durch dieſe Rückſichtsloſigkeit verletzt.

Jch war nicht ſo eitel, zu glauben, daß meine Abweſenheit von Miß Marie bemerkt werden würde, antwortete Arnold, durch dieſen directen Angriff in einige Verlegenheit geſetzt.

Sie ſind in der That zu beſcheiden, Sir, war die Antwort des Propheten, und ſelbſt auf die Gefahr hin, dieſer Jhrer an ſich löblichen Tugend zu ſchaden, muß ich Jhnen ſagen, daß meine Tochter empfindlich, recht ſehr empfindlich über dieſen Mangel an Höflichkeit von Jhrer Seite geweſen und ſelbſt jetzt noch iſt. Machen Sie ſich alſo darauf gefaßt, ſie verſtimmt, launend zu finden und haben Sie vor allen Dingen eine gute Ausrede zur Hand, wenn Jhnen anders daran gelegen iſt, den Frieden mit ihr wieder herzuſtellen.

Er warf bei dieſen letzten Worten einen ſchnel - len, durchdringenden Blick auf Arnolden, der die -78 ſem nicht entging, obgleich er mit der Schnelligkeit des Blitzes über ſeine Züge gefahren war.

Es ſollte mir in der That leid thun, Sir, antwortete er nach kurzem Beſinnen, wenn ich durch mein Benehmen Miß Marie dazu berechtigt hätte, über Mangel an Höflichkeit ihr gegenüber klagen zu dürfen; ich hoffe mich aber gegen ſie rechtfertigen zu können, und zwar durch den Umſtand, daß es meine Abſicht nicht war, ſo lange wegzubleiben, denn im entgegengeſetzten Falle wäre es allerdings meine Pflicht geweſen, mich bei Jhnen Beiden zu beurlauben. Durch Zufall traf ich im Walde auf einige Chippewa-Jn - dianer, die ihren Wohnſitz verändert haben und - her zu uns gezogen ſind, und nachdem ſie zu An - fang Luſt bezeigt, meinen Scalp zu nehmen, ſchloß ich endlich meinen Frieden dadurch, daß ich einwil - ligte, mit ihnen zu gehen und mich eine kurze Zeit unter ihnen aufzuhalten. Dies iſt der wahre Her - gang der Sache und ich darf alſo hoffen, Miß Ma - riens Verzeihung wegen einer unfreiwillig begangenen Unhöflichkeit zu erlangen.

Jch zweifle nicht daran, verſetzte Joe, und jetzt laſſen Sie uns zu ihr gehen; ſie wird ſchon mit einiger Ungeduld auf uns warten. Wir können nach Tiſche, oder auch morgen, noch über79 einige Geſchäftsſachen, die ich vor Jhrer Abreiſe noch mit Jhnen zu beſprechen wünſche, reden.

Er legte mit dieſen Worten zutraulich ſeinen Arm in Arnolds und Beide begaben ſich in das Wohn - zimmer.

Viertes Kapitel.

Marie ſaß bei ihrem Eintritte vor ihrer Ma - lerei am Fenſter, legte aber ſogleich den Pinſel nie - der und erhob ſich, um Arnolds Begrüßung zu erwie - dern. Sie war geſchmackvoll gekleidet, aber zugleich im höchſten Grade einfach, denn Arnold hatte ſich während ihres Beiſammenlebens einmal darüber aus - geſprochen, daß er eine einfache Kleidung einer ge - putzten vorziehe, und keins ſeiner Worte war für Marie verloren gegangen.

Jhr ſonſt ſo roſiges Geſicht war merklich blei - cher geworden und in ihren Augen zeigte ſich ein Aus - druck von Melancholie, der ihrem Geſichte einen neuen Reiz verlieh; Arnold mußte ſich ſagen, daß er ſie nie ſo ſchön, ſo verführeriſch geſehen habe, als in dieſem Augenblick.

Sie erwiederte ſeine Begrüßung nur mit einer kal - ten Verbeugung und ſuchte ihren Mienen einen Ausdruck80 von Strenge zu geben; indeß entging es weder Arnol - den, noch dem Propheten, daß ſie ſich Zwang anthun mußte, um dem Manne ihrer Liebe gegenüber die Rolle einer Zürnenden zu ſpielen, da doch ihr ganzes Herz ihm entgegenſchlug, da ſeine Gegenwart es mit Freude, ja mit Entzücken erfüllte.

Jſt dir nicht wohl, Marie? nahm der pſeudo Vater, nachdem er Beide einige Augenblicke ihrer Verlegenheit überlaſſen und ſich daran geweidet hatte, das Wort. Du ſiehſt ungewöhnlich blaß und ſogar leidend aus.

Die Hitze war überaus groß in dieſen Ta - gen, verſetzte ſie, und eine brennende Röthe färbte für einen Augenblick ihre Wangen, und ich ertrage ſie nicht gut, wie dir bekannt iſt.

Und dann haſt du dich noch immer nicht von dem Schrecken über der armen Dina Tod er - holt, ſagte der Prophet, zu ihr tretend und ihr mit ſeiner Hand die dunklen Locken aus der Stirn ſtreichend. Es war dies der erſte große Schmerz, der meinem armen lieben Kinde nahte, wandte er ſich an Arnold, und es iſt daher nicht zu verwun - dern, daß dieſes Ereigniß einen tiefen, ja einen nach - haltigen Eindruck auf Marie machte.

Und der Anblick einer Leiche, ſagte dieſe, zuſammenſchaudernd, iſt etwas Fürchterliches! Jch81 hatte nie zuvor Leichen geſehen; ich fürchtete mich im - mer davor; ich ſchaudre noch jetzt beim Andenken an den Augenblick, wo ich, als Dina am Morgen nicht erſchienen war, in der Meinung, daß ſie kränker ge - worden ſei, in ihre Kammer ging, um zu ſehen, wie es um ſie ſtände, und ſie entſeelt fand.

Schien ſie ruhig geſtorben zu ſeyn? oder verriethen ihre Geſichtszüge, daß ſie einen harten Kampf gekämpft habe? fragte Arnold, der nur mit der größeſten Anſtrengung ſeine innere Bewegtheit vor den Blicken Derer zu verbergen vermochte, vor denen er ſie nicht zeigen wollte.

Jch glaubte, daß ſie ſchliefe, ſo ruhig lag ſie da, war Mariens Antwort. Die Bläſſe ihres Geſichts konnte mir nicht auffallen, da ſie, beſonders in der letzten Zeit, immer ausſah, als ſei ſie aus dem Grabe erſtanden; ich wurde erſt gewahr, daß ſie todt ſei, als ich mit meiner Hand ihre marmorkalte berührte und in ihr halbgeſchloſſenes, mich ſtarr an - blickendes Auge ſah. O, es iſt etwas Entſetzliches um ein Auge, das noch blickt, ohne mehr zu ſehen, fügte ſie zuſammenſchaudernd hinzu, und nie, nie will ich wieder mit Leichen zu thun haben!

Laſſen wir dieſes Thema fallen, nahm der Prophet das Wort: es greift dich zu ſehr an, mein armes Kind, fügte er, Marie zärtlich anblickend, hinzu.

II. 682

Ja, erzählen Sie uns lieber etwas von Jhren Sioux, Mr. Arnold, wandte ſie ſich an dieſen; denn ich vermuthe, Sie waren wieder bei Jhnen?

Ein erzwungenes Lächeln umſpielte bei dieſen Worten ihren Mund und ſie ſuchte unter demſelben ihre innere Aufgeregtheit zu verbergen. Jhre faſt an Wahnſinn grenzende Leidenſchaft für Arnold hatte ihr nämlich den Gedanken eingegeben, daß es irgend ein ſchönes Sioux-Mädchen ſei, das ihn immer wieder zu dieſen Jndianern zurückführe, denn auf andere Weiſe vermochte ſie ſich ſeine Vorliebe für dieſe Wil - den nicht zu erklären, nicht ſeine Zurückhaltung ihr gegenüber, und ſo erfüllte die wüthendſte Eiferſucht gegen dieſe muthmaßliche Nebenbuhlerin ihr Herz.

Unſer Freund machte auf dieſer Reiſe wenn man einen bloßen Ausflug ſo nennen darf die Bekanntſchaft eines andern Stammes, der Chippe - was, antwortete der Prophet, der den Frieden zwi - ſchen Beiden wieder hergeſtellt zu ſehen wünſchte, ſtatt des Gefragten. Jch denke, fügte er lächelnd hin - zu, wir haben aus ſeiner Feder ein Buch mit den vollſtändigſten Nachrichten über das Leben, die Sitten und Gebräuche der Wilden des Nordweſtens zu er - warten, und ich freue mich ſchon darauf.

Sie waren bei den Chippewas, Sir, 83fragte Marie, und ihre Mienen erheiterten ſich ſichtbar.

Die Anzeige von Seiten des Weibes John Adams, daß aufgetragen ſei, unterbrach die Unterhaltung für den Augenblick; Arnold bot Marien den Arm und führte ſie zu Tiſche. Das Geſpräch war angenehm und belebt, denn der Prophet war geſchickt genug, im Laufe deſſelben Marien mitzutheilen, daß Arnolds längere Abweſenheit nur erzwungen geweſen ſei und dadurch ſtellte er den Frieden zwiſchen Beiden ſo voll - ſtändig wieder her, daß Marie ganz ſo heiter und geſprächig als ſonſt wurde.

Nach dem Kaffee entfernte ſich Joe unter dem Vorwande dringender Geſchäfte. Er hielt es für gut, die Beiden allein zu laſſen, weil er hoffte, daß es zwiſchen ihnen zu der gewünſchten Erklärung kommen würde, ſowie ſie ſich allein befänden.

Arnold, der ſich unbehaglich und in einer ſchie - fen Stellung Marien allein gegenüber fühlte und die Unbeſonnenheit bereute, ſich ohne Noth in eine ſolche verſetzt zu haben, ſah keinen andern Ausweg vor ſich, als wieder den Ton der leichten Galanterie ge - gen das verliebte Mädchen anzuſtimmen, womit er ſich während ihres längern Beiſammenlebens gegen ſie ab - zufinden geſucht hatte. Zum Ernſte, zur Sentimen - talität, zur Erklärung durfte er es nicht kommen6 *84laſſen, denn das würde ihn in die größeſte Verlegen - heit geſtürzt und ſeine Lage noch ſchlimmer gemacht haben.

Marie war ganz glücklich, gänzlich zufrieden ge - ſtellt; ſie ſah ihn wieder ſo, wie ſie ihn früher ge - ſehen hatte; er ſagte ihr Artigkeiten; er erzählte ihr allerliebſte Anecdoten, und auch er ſchien ſich ganz glücklich in ihrer Nähe zu fühlen. Jhre Eitelkeit und geringe Welterfahrung ließen ſie Alles für baare Münze nehmen, was ihr der geliebte Mann an Ar - tigkeiten ſagte. Ja, ſie zweifelte nicht mehr daran, daß auch ſie von ihm geliebt ſei und bedauerte nichts ſo ſehr, als daß ſeine Schüchternheit oder Beſcheiden - heit ihr beiderſeitiges Glück verzögerte, dem, nach ihrer Meinung, Nichts mehr im Wege ſtand, ſeit ſie die Erklärung mit Joe gehabt und deſſen Verzeihung für die an ihm begangene Untreue erlangt hatte.

Jn dieſer Anſicht glaubte ſie Arnolden durch Zu - vorkommen Muth machen zu müſſen, denn ihre lie - bende Ungeduld ertrug die Verzögerung des heiß erſehn - ten Glücks nicht länger; dadurch verſetzte ſie aber den jungen Mann in eine Lage, die nicht peinlicher ſeyn konnte, weil es, wenn ſie ihm nur noch einen Schritt weiter entgegen that, zu einer Erklärung zwi - ſchen ihnen kommen mußte, und dieſe wollte er ver - meiden.

85

Unter dieſen Umſtänden blieb ihm kein anderes Mittel als die Flucht übrig, und er ergriff ſie unter dem Vorwande, daß er noch nothwendige Geſchäfte abzumachen habe.

Marie, die von dieſer Stunde Alles, das Glück ihres Lebens, erwartet hatte, beſaß ſo wenig Selbſt - beherrſchung, daß ſie ihren Schmerz, ihre Ueber - raſchung nicht vor ihm zu verbergen wußte; er aber ſtellte ſich, als bemerke er ſie nicht, küßte ihr die Hand und entfernte ſich ſo eilig, als wäre ein großes Unglück auf ſeinen Ferſen, dem er nicht ſchnell genug entfliehen könne.

Als Joe zu Marien zurückkehrte, fand er ſie in Thränen.

Du weinſt? fragte er ſie voll Verwun - derung. Jch hoffte dich in Freude ſchwimmend, ganz glücklich zu finden. Hätteſt du dich vielleicht gar ernſtlich mit Mr. Arnold entzweit? Jch bat dich, be - vor ich ihn zu dir führte, deiner Empfindlichkeit ſo viel als möglich zu gebieten, ſchon um der Weiblich - keit nichts zu vergeben, und du befolgteſt dieſen Rath nicht?

Du irrſt, Joe, wenn du glaubſt, daß ein Zank zwiſchen uns vorgefallen iſt; auch war Arnold ja entſchuldigt vor meinen Augen; aber ....... Sie hielt hier inne und ihre Thränen floſſen heftiger.

86

Nun .....? fragte ſie der Prophet und ſah ſie erwartungsvoll an.

Jch glaube, Joe, daß er mich nicht liebt, ſchluchzte ſie. Es hätte, nach den Schritten, die ich ihm entgegen that, zur Erklärung zwiſchen uns kom - men müſſen; aber er entfloh in dem Augenblick, wo ich ſie erwarten, ihn zu meinen Füßen liegen zu ſe - hen hoffen durfte, denn an meiner Liebe konnte er nicht mehr zweifeln.

Haſt du, fragte ſie der Prophet, nach - dem er eine Zeitlang nachgedacht hatte, einen inni - gern Verkehr zwiſchen dieſem jungen Deutſchen und Dina bemerkt, als er während meiner Abweſenheit meine Stelle hier vertrat?

Niemals! betheuerte Marie. Und dann, welch ein Einfall, Joe, fügte ſie hinzu, wie hätte ſich wohl ein Mann noch in die verblühte, todtkranke, ja ſterbende Dina verlieben können?

Es iſt nicht das, was ich meine, ver - ſetzte er; es wäre in der That Unſinn, ſo Etwas anzunehmen; aber ......

Was aber dann? fragte ſie, ihn geſpannt anſehend. Erkläre dich doch deutlicher, Joe!

Jch werde mir Auskunft über dieſes Alles zu verſchaffen ſuchen; ich muß wiſſen, wie ich mit87 ihm daran bin, ſagte er, ohne ihre Frage zu be - antworten, wie vor ſich hin.

Du willſt offen mit ihm reden? willſt ihn fragen, Joe .....?

Ja, es muß zur Erklärung zwiſchen uns kommen! antwortete er ihr. Jch bin es dir, bin es deiner Ruhe ſchuldig, Marie, fügte er nach ei - ner Pauſe, mit verſtellter Zärtlichkeit auf ſie blickend, hinzu: du biſt wahr, offen gegen mich geweſen; dein Herz hat es verſchmäht, mich täuſchen zu wollen und ich ſchulde dir Dank für dein edles Vertrauen zu mir. Meine Rolle als Liebhaber war mit deinen Ge - ſtändniſſen beendigt werde nur nicht roth, denn ich allein, meine Unvorſichtigkeit einzig und allein, trägt alle Schuld! aber nicht mein Wunſch, dich glücklich, ganz glücklich in einer deiner würdigen Liebe zu ſehen. Dieſer Wunſch erlegt mir heilige Pflichten auf und ich werde ſie erfüllen, Marie, ſchon aus Dankbarkeit für das mir früher durch dich zu Theil gewordene Glück.

O, du biſt edel, biſt groß! rief die Ge - täuſchte aus und ergriff voll Dankbarkeit ſeine Hand, um ſie zu küſſen; er drückte einen Kuß auf ihre ſchöne Stirn und verließ ſie dann, ohne ſich weiter gegen ſie zu erklären.

Arnold beunruhigte ihn in der That. Er konnte,88 trotz aller ſeiner Menſchenkenntniß und Lebenserfah - rung, nicht klug aus dieſem jungen Manne werden, der, ſo wie er ihn zu faſſen, zu durchſchauen glaubte, ihm wieder entſchlüpfte; der in gewiſſer Hinſicht ſich ganz offen, aber doch auch wieder verſteckt gegen ihn zeigte und den er, was ihm noch niemals begegnet war, trotz unausgeſetzter Bemühung, nicht für ſich zu gewinnen vermochte. Er konnte ſich kein deutliches Bild von dieſem Character machen, und das beun - ruhigte, ja, es ängſtigte ihn ſogar zu Zeiten, da, ſeltſam genug, eben dieſer junge Mann, trotz ſeines ſchroffen, ihn abſtoßenden Weſens ihm gegenüber, eine Anziehungskraft für ihn hatte, die ihm ſelbſt räthſel - haft war. Mit jedem Andern, der ſich ihm ſo ge - genüber geſtellt hätte, wie Arnold, wäre er leicht fer - tig geworden und hätte ihn entweder fallen laſſen oder vernichtet, jenachdem es die Umſtände oder ſein Vortheil geboten. Das aber vermochte er bei Jenem nicht und das Jntereſſe, das er wider ſeinen Willen an Arnolden nehmen mußte, grenzte faſt an Liebe. Der Blick ſeines Auges, der Ton ſeiner Stimme, ſein Lächeln hatten etwas ſo Anziehendes für ihn, etwas ſo Bekanntes, ihn an frühere Zeiten unwillkürlich Er - innerndes, daß er ihm gewogen bleiben, ſich fort - während mit ihm beſchäftigen mußte. Was würde er nicht darum gegeben haben, das Vertrauen, die Zu -89 neigung dieſes, gleichſam einen Zauber auf ihn aus - übenden, jungen Mannes zu gewinnen; was nicht aufgeboten, ihn ganz glücklich zu machen!

Es kamen ſogar Augenblicke, in denen er, der gegen Gewiſſensbiſſe völlig abgehärtete Mann, ſich in - nere Vorwürfe darüber machte, Arnolden mit Marien betrügen, ihm die überdrüſſig gewordene Geliebte zur Gattin geben zu wollen; in andern aber lachte er ſich ſelbſt über dieſe zarten Bedenklichkeiten aus, und da die Sache einmal eingeleitet war, wollte er ſie auch zu Ende führen, um ſo mehr, da ihm Mariens Ge - genwart, ſeiner neuen Liebe wegen, mit jedem Tage läſtiger wurde.

Arnold hatte von dieſer wirklichen Zuneigung Smiths keine Ahnung und konnte ſie nicht haben, da er Nichts für wahr an dieſem Manne hielt. Sein Verſtand, ſeine Klugheit ſagten ihm, daß der Pro - phet irgend eine Abſicht, einen ihm zur Zeit noch ver - borgenen Plan mit ihm habe, und da er das Recht zu haben glaubte, ihn zu verachten, mißtraute er ihm natürlich in Allem, was er that, beſonders aber in Bezug auf die Beweiſe von Zuneigung und Wohl - wollen, die er von ihm erhielt.

Daß der Prophet eine Annäherung zwiſchen Marie und ihm, ja ſogar ihre unauflösliche Verbin - dung wünſchte, war ihm vollkommen klar, und da90 ihm das Verhältniß Jener, durch von Marien began - gene Unvorſichtigkeiten, die im Laufe des Geſprachs ihren vorgeblichen Vater oft Joe nannte, kein Ge - heimniß mehr war, erfüllte es ihn mit noch bittererem Haſſe gegen Smith, der ihn offenbar zum Deckman - tel ſeiner Laſter brauchen und ſeine ganze Zukunft da - durch vernichten wollte, daß er ihm eine Entehrte zur Gattin aufdränge. Dieſen Plan durchſchaute er; aber er vermuthete, daß der Prophet noch andere mit ihm hatte, über die in’s Reine zu kommen er ſich zur Aufgabe gemacht haben würde, wenn er noch länger in Nauvoo geblieben wäre.

Er durfte hoffen, über alles Dieſes Aufſchluß in den ihm von Dina hinterlaſſenen Papieren zu finden, und obgleich er, entſchloſſen wie er war, Nauvoo zu verlaſſen und niemals wieder dahin zurückzukehren, für ſich keine Gefahr mehr von dem Propheten und ſeinen Machinationen zu befürchten zu haben glaubte, ſo trieb ihn doch ſchon das lebhafte Jntereſſe, das er an Dinas Schickſalen nahm, vielleicht auch eine ſich ſelbſt nicht geſtandene Neugierde, ſich baldigſt mit dem Jnhalte dieſer Papiere bekannt zu machen.

Er würde wahrſcheinlich ſchon gleich dazu ge - ſchritten ſeyn, allein er verſpürte eine faſt unüber - windliche Müdigkeit, theils wegen des Mangels an Schlaf in der vorhergehenden, faſt gänzlich durch -91 wachten Nacht, theils in Folge der gezwungenen Un - terhaltung, die er mit Marien geführt hatte; denn Nichts ermüdet zugleich Geiſt und Körper ſo ſehr, als eine Converſation, bei der man jedes Wort auf die Waagſchale legen muß.

Er ſuchte alſo zeitig ſein Lager auf und ver - ſchob es bis zum Anbruch des folgenden Tages, die ihm von Dina hinterlaſſenen Papiere zu leſen.

Da er ſich früh zur Ruhe niedergelegt und gut geſchlafen hatte, erwachte er faſt mit Aufgang der Sonne, kleidete ſich an und ſetzte ſich an das offene Fenſter, durch das die friſcheſte, erquicklichſte Mor - genluft in das Zimmer ſtrömte. Mit einer Bewe - gung, der er nicht Herr zu werden vermochte und die die Hände zittern machte, mit denen er das Con - volut Papiere öffnete, ging er an die Lectüre. Es waren die kleinen, überaus zierlichen Schriftzüge ei - ner Frauenhand, die ihm entgegenleuchteten, ſo ſchöne und regelmäßige, wie er noch nie zuvor er - blickt hatte. Er konnte, im liebenden Andenken an die theure Geſchiedene, nicht unterlaſſen, ſeine Lippen auf dieſes Vermächtniß zu drücken und mit nie zuvor gekannten Empfindungen ſchritt er zu dieſer für ihn ſo verhängnißvollen Lectüre.

92

Fünftes Kapitel. Dina’s Geſtändniſſe.

Jch muß, ſo ſehr ſich auch mein Glaube an die Gerechtigkeit Gottes dagegen ſträubt, an Prädeſtina - tion glauben.

Schon meine Geburt beſtimmte mich zum Un - glück und dieſes iſt nicht müde geworden, mich bis zum Rande des Grabes, an dem ich jetzt ſtehe, zu verfolgen.

Bevor ich in daſſelbe hinabſteige, will ich noch einen Blick auf die Erlebniſſe meines unglückſeligen Lebens, auf mein eigenes Herz, auf ſeine Verirrun - gen und meine Sünden werfen, denn dieſes Wühlen in den eigenen tiefen Wunden wird ja auch ein Werk der Buße ſeyn, und ich will mir keins erſparen, will den Gallenbecher des Schmerzes bis auf den letzten Tropfen leeren, um mit mehr Hoffnung, mit größe - rem Vertrauen der ewigen Vergeltung entgegengehen zu können.

Dann iſt auch dem Menſchen zugleich mit dem Vermögen der Sprache das Bedürfniß der Mitthei - lung gegeben, und ich, die ich längſt alle Bande, die93 mich früher mit den Menſchen im Zuſammenhange hielten, zerriſſen habe; ich, die ich gänzlich verwaiſt, gänzlich vereinzelt in der weiten Schöpfung daſtehe, zu wem ſollte, dürfte ich reden, als zu mir ſelbſt? Es will der körperliche Schmerz ſein Aechzen, ſeinen Schrei ſich nicht nehmen laſſen, und eben ſo will auch die Seele den ihrigen aushauchen, um nicht daran zu erſticken. Aus dieſem Grunde vertraue ich dem ver - ſchwiegenen Papiere an, was ich Keinem ſagen dürfte noch möchte. Jch fürchte mich nicht davor, daß dieſe unter dem Einfluſſe der größeſten phyſiſchen und mo - raliſchen Leiden geſchriebenen Zeilen Jemanden zu Ge - ſichte kommen, ich wünſche es vielmehr und bete nur darum zu Gott, daß ſie in die rechten Hände fallen, daß ſie irgend einem Weſen nützen, es warnen, be - lehren und vom Fortwandeln auf dem Pfade der Sünde abſchrecken mögen. Wenn das geſchieht, werde ich ein Häufchen Staub und Aſche, die zu Gott zu - rückgekehrte Seele wird geläutert und erhaben über Verachtung, Spott und Hohn ſeyn; nicht mehr wird das Drohen der irdiſchen Gerechtigkeit ſie erſchrecken und ſelbſt das furchtbarſte aller Leiden, die Selbſt - verachtung, wird von ihr genommen ſeyn.

Wem aus der Thränenſaat der Reue die Hoff - nung auf die ewige Barmherzigkeit emporblühte, der glaubt nicht genug weinen zu können. Jch werde viel94 weinen müſſen, indem ich die Begebniſſe meines Le - bens, meine Verirrungen und die Urſachen der letz - tern, niederſchreibe, und eben deshalb ſchreibe ich ſie nieder.

Jch habe meine Mutter nie gekannt. Wenige Jahre, nachdem ſie mir das Leben gegeben hatte, und noch bevor ich meinem aufkeimenden Gedächtniſſe ihr Bild hatte einprägen können, ereilte ſie der Tod, in - dem ſie meinem Bruder das Leben gab.

Jhre Ehe mit meinem Vater, einem zwar reichen und angeſehenen, ja ſelbſt geachteten Manne, war keine glückliche geweſen. Nur wider ihren Willen, faſt gezwungen von ihren Eltern und mit einer an - dern Liebe im Herzen, hatte ſie meinem Vater ihre Hand gegeben. Daß eine unter ſolchen Umſtänden geſchloſſene Ehe keine glückliche ſeyn konnte, verſteht ſich von ſelbſt, und ſchon der finſtre, zum Mißtrauen und zur Jſolirung geneigte Character meines Vaters ſtand dem Glücke des Paares im Wege.

Trotz dem liebte er ſeine Gattin mit der vollſten Zärtlichkeit ſeines Herzens, wie ich aus vielen ihm in ſpäteren Jahren entſchlüpften Aeußerungen entnehmen konnte. Jndeß war dieſe Liebe doch der Art, daß ſie das Herz einer Frau nicht ausfüllen konnte, die nur gezwungen in das Bündniß gewilligt und ſeit längerer Zeit ſchon einen Andern geliebt hatte, und95 ſo war es ein großes Unglück für ſie, daß dieſer noch immer unvergeſſene frühere Geliebte, ein Officier, mit ſeinem Regimente nach dem Wohnorte meiner Eltern verlegt wurde und ſogar in geſellige Berührungen mit ihnen kam.

Nach dem frühzeitigen Tode meiner Mutter fand ihr Gatte nicht nur Briefe vor, die aus dem frü - heren Verhältniſſe der beiden Liebenden herrührten, ſondern auch noch andere, die den unumſtößlichen Be - weis lieferten, daß Beide noch eine ſehr ſtrafbare Verbindung nach der Ehe meiner Mutter unterhalten hatten.

Hätte mein Vater dieſe Entdeckung bei Lebzeiten ſeiner ſchuldigen Gattin gemacht, ſo würde, bei ſei - nem heftigen Character, eine Kataſtrophe unausbleib - lich geweſen ſeyn; ſo aber mußte er ſeinen an Ra - ſerei grenzenden Zorn, ſeine Rachſucht in ſich ver - ſchließen, oder vielmehr, er mußte für beide andere Opfer ſuchen, und ich und mein Bruder waren es, auf die das volle Gewicht derſelben fiel; doch mehr faſt noch auf letztern, als auf mich, da er den ar - men Knaben für die Frucht jenes ſtrafbaren Verhält - niſſes und nicht für ſeinen Sohn hielt, während meine Geburt vor der Zeit der Rückkehr des Liebhabers ſei - ner Gattin fiel.

Jndeß war ich er machte es mir oft zum96 Vorwurfe das getreueſte Ebenbild meiner Mutter und da er dieſe jetzt haßte, noch über das Grab hin - aus haßte, wie er ſie einſt geliebt hatte, brachte es ihn auch gegen mich auf, daß ich ihn durch jeden Zug meines Geſichts an den Gegenſtand ſeines Haſſes erinnerte. Nie empfing ich eine Liebkoſung, nie einen Beweis väterlicher Zärtlichkeit von ihm, und wie ſchmachtete doch mein liebebedürftiges Herz darnach!

Das einzige Weſen, an das ich mich mit der vollen Zärtlichkeit meiner Seele hing, war mein ar - mer kleiner Bruder; doch mußte ich mich wohl in Acht nehmen, in Gegenwart meines Vaters dieſe Liebe an den Tag zu legen, denn er haßte dieſes unglück - liche Kind dermaßen, daß ich für jede an daſſelbe ver - ſchwendete Liebkoſung beſtraft worden ſeyn würde, und wenn er es nicht Baſtard nannte, es nicht gänz - lich verſtieß, ſo hatte das allein ſeinen Grund darin, daß einestheils die Geſetze es ihm nicht erlaubten, an - derntheils er zu ſehr auf ſeine Ehre hielt, als daß er die Welt mit den zwiſchen ihm und meiner Mutter ſtattgehabten Verhältniſſen hätte bekannt machen wol - len. Er ſah in der Untreue ſeiner Frau eine Schande für ſich ſelbſt und verſchwieg ſie allein aus dem Grunde. Daß er den Sohn nicht liebte, daß er ihn ſogar haßte, wußte man, denn es ging über ſeine Kraft hinaus, dies zu verbergen; allein man glaubte97 allgemein, daß es nur deshalb geſchähe, weil ſeine Geburt ſeiner Mutter das Leben gekoſtet hatte.

Unter ſolchen Verhältniſſen, unter ſolchen Leiden darf ich wohl ſagen, wuchs ich auf und was jugend - liche Heiterkeit und Unbefangenheit heißt, habe ich nie gekannt. Beſtändig mußte ich vor der üblen Laune meines Vaters zittern, der mit dem zunehmenden Al - ter immer finſterer, immer mehr abſtoßend in ſeinem Weſen wurde. Seine Beamtenſtelle hatte er in Folge häufiger Zänkereien, die er mit ſeinen Vorgeſetzten und Collegen gehabt, niedergelegt und ſich mit einer alten Magd, die ihn ſchon als Kind gewartet und die die einzige Perſon war, zu der er noch Vertrauen hatte, in ein, mitten in einem Garten belegenen, von der Stadt ziemlich entferntes Haus zurückgezogen. Er wollte von der Welt, von dem Treiben in derſelben nichts mehr wiſſen und das Erſte, was er nach An - kauf jenes iſolirt liegenden Hauſes that, war, daß er den Garten rundum mit einer ziemlich hohen Mauer umziehen ließ, ſo daß wir in einer Art von Burg lebten.

Da ich, als ich heranwuchs, einigen Unterricht haben mußte, er aber keine Lehrer zu uns in das Haus kommen laſſen wollte, unterrichtete er mich ſelbſt. Er beſaß nicht nur bedeutende Kenntniſſe in manchen Fächern des Wiſſens, ſondern ſogar Talente,II. 798und das kam mir zu ſtatten. Bald fand er eine Art von Erheiterung, wenigſtens eine angemeſſene Beſchäf - tigung, darin, für meine Bildung zu ſorgen und ſo erwarb ich mir nach und nach nicht nur mancherlei Kenntniſſe, die man ſonſt nicht bei Frauen anzutreffen pflegt, ſondern bildete auch meine Anlagen für Muſik und Malerei unter ſeiner Anleitung aus.

Heimlich unterrichtete ich dann wieder meinen armen kleinen Bruder, um den ſich im Grunde Rie - mand bekümmerte; denn auch Brigitte ſo hieß die alte Perſon, welche unſerm Hausweſen allein vor - ſtand hegte, von meinem Vater in die ſchmerz - lichen Geheimniſſe ſeines ehelichen Verhältniſſes einge - weiht, weit eher Ab - denn Zuneigung gegen das un - glückliche Kind und ſo würde daſſelbe ohne mich gänz - lich vernachläßigt worden ſeyn.

Als Georg dieſen Namen hatte man mei - nem Bruder gegeben ſieben Jahre alt geworden war, entzog man ihn meiner ſchweſterlichen Liebe und Sorgfalt, indem er in Penſion gethan wurde, und raubte mir dadurch mein einziges Glück, den einzigen Gegenſtand, den ich mit der ganzen Kraft meines Herzens liebte. Dieſer Schlag traf mich um ſo här - ter, ja um ſo vernichtender, da er mich völlig un - vorbereitet traf, und er hätte mich faſt getödtet;99 wenigſtens verfiel ich in eine ſchwere Krankheit, von der ich erſt nach längerer Zeit genas.

Von dieſem Augenblick an fühlte ich mich wahr - haft unglücklich. Jch war bisher zwar nicht glücklich geweſen, aber daß ich es nicht ſei, davon hatte ich bis dahin keine Ahnung gehabt, weil ich mein Loos mit dem anderer, glücklicherer Kinder nicht hatte vergleichen können, da ich mit Niemanden umgehen durfte. Unaufhörlich mußte ich an den armen Georg denken, unaufhörlich um ihn weinen, und erſt als ich ihn in den Schulferien, wo man ihn, gleich andern Knaben der Anſtalt, nach Hauſe zurückſandte, wieder ſah, ihn heiterer, vergnügter und ſelbſt blühender als früher fand; erſt als er mir ſagte, daß er jetzt weit glücklicher ſei, als im Vaterhauſe, beruhigte ich mich einigermaßen; ja, ich wurde ſogar heiter, als er mir Dieſes und Jenes von dem Leben in der Welt er - zählte, die mir ganz fremd war und von der ich im eigentlichſten Verſtande nichts kannte, als was unſre hohe Gartenmauer umſchloß.

Georg war ein hübſcher, lebhafter, aber, wie ſich ſpäter zeigte, zugleich auch etwas leichtſinniger Knabe. Er beſaß ſchöne Fähigkeiten und lernte leicht; er hatte das beſte Herz von der Welt, war aber ſehr dazu geneigt, muthwillige Streiche zu ſpielen, wovon dann die in den Ferien mitgebrachten Cenſuren7 *100Meldung thaten und ihm, außerdem daß er ſchon in der Schule beſtraft worden war, die grauſamſten Züch - tigungen zuzogen; denn unſer Vater war nicht ge - neigt, Nachſicht und Milde gegen ihn zu üben.

Einmal, als ich mich ſchon herzlich auf ſeine Ankunft in den Ferien gefreut, blieb er aus. Mein Vater, welcher glauben mochte, man habe ihn, zur Beſtrafung eines neuen Muthwillens, in der Anſtalt zurückbehalten, bekümmerte ſich nicht um ſein Aus - bleiben und ich wagte es nicht, ihn nach der Urſache zu befragen, ſo beſorgt ich auch, ſo ſchwer mir auch das Herz war.

Etwa acht Tage nach Ablauf der Ferien traf ein Brief von dem Vorſteher der Anſtalt ein, worin die - ſer ſich bei meinem Vater erkundigte: ob Georg wohl erkrankt, da er noch nicht zurückgekehrt ſei? Alſo war mein Bruder nicht in der Penſion geblieben? Bei uns war er auch nicht angelangt; wo alſo war er? Jch habe es nie erfahren und nie wieder Etwas von ihm gehört. Wahrſcheinlich hatte er aus Furcht vor der ihn zu Haus erwartenden Strafe die Flucht ergriffen; vielleicht Dienſte auf einem Seeſchiffe ge - nommen; vielleicht gar in der Verzweiflung ſeinem Daſeyn ein Ende gemacht?

Armer Georg! noch jetzt fließen meine Thränen101 beim Andenken an dich und das unglückliche Schickſal deines Lebens!

Jch war unter zunehmenden Leiden, welche ihren Urſprung in der immer finſterer werdenden Gemüths - ſtimmung meines Vaters hatten, achtzehn Jahre alt geworden, ohne die Freude, das Glück, die Jugend kennen gelernt zu haben. Das Einzige, womit ich mich aufzuheitern, meinen Trübſinn zu zerſtreuen ver - mochte, waren meine Talente und ſo betrieb ich Mu - ſik und Malerei, ſo oft es mir geſtattet war, mit Leidenſchaft. Denn nicht immer konnte mein Vater Geſang und Spiel ertragen, da auch ſie ihn, ebenſo - wohl als meine äußere Aehnlichkeit mit derſelben, an meine Mutter erinnerten, die eine Virtuoſin auf dem Fortepiano geweſen war und unübertrefflich geſungen hatte. Wenn ſich daher der Gemüthszuſtand meines Vaters durch das Hinzutreten körperlicher Leiden ver - ſchlimmerte, durfte ich keine Taſte anrühren und hatte ſelbſt davor mich zu hüthen, ihm ungerufen vor die Augen zu treten.

Endlich artete die ſeitherige Kränklichkeit meines Vaters in eine heftige Krankheit aus, die mich, ob - ſchon ich ihn nicht lieben konnte, doch auf’s Aeußerſte erſchreckte, weil ich ihn zu verlieren glaubte. Der Gedanke, was aus mir werden ſollte, wenn ich mich durch ſeinen Tod der letzten Stütze beraubt ſähe, ich,102 die ich von Welt und Leben gar nichts wußte, be - unruhigte meine Seele in ſolchem Maße, daß ich ſelbſt in Gefahr war, krank zu werden.

Mein Vater, der ſich zu Anfang dagegen ge - wehrt hatte, einen Arzt herbeizurufen, weil ein al - ter Arzt, ſein ehemaliger Freund, mit Tode abge - gangen war, wurde mit jedem Tage bedenklicher krank und es kam endlich ſo weit, daß er ohne Beſinnung im heftigſten Fieber lag.

Jetzt zögerte ſelbſt die alte Brigitte, die ſonſt gewohnt war, ſich dem Willen meines Vaters blind - lings zu fügen, nicht länger, auf die Nachbarſchaft zu gehen und ſich nach dem geſchickteſten Arzte zu er - kundigen. Man nannte ihr einen, deſſen Kenntniſſe man außerordentlich pries, und ſie lief zu ihm, um ihn zu beſtellen.

Herr Braun ſo nannte er ſich war zu Hauſe, als Brigitte zu ihm kam, und folgte ihr ſo - gleich, da ſie ihm den Zuſtand des Kranken als ſehr bedenklich ſchilderte.

Jch ſaß in Schmerz und Nachdenken verloren neben dem Bette meines Vaters, als Braun eintrat.

Jch habe, faſt immer in der Einſamkeit und Ab - geſchiedenheit lebend, nur wenige Männer geſehen; trotz dem glaube ich aber behaupten zu dürfen, daß es unmöglich ſei, daß auch nur ein einziger Mann103 den bei jener traurigen Veranlaſſung zu mir eintreten - den an Schönheit übertreffen könnte. Nicht ein Menſch, ſondern eine der Geſtalten aus der Götter - und He - roenzeit ſchien er zu ſeyn. Sein hoher Wuchs, ſeine zugleich edle und ſtolze Haltung; ſeine regelmäßigen Geſichtszüge; ſein glühendes dunkles Auge, das gleich ſchön war, wenn es gebieteriſch oder freundlich blickte; ſein ſanft gelocktes, ſeidenweiches dunkles Haar; ſeine hohe Stirn, ſeine zugleich freundliche und doch auch wieder ernſte Miene, verſetzten mich in ein Erſtaunen, daß ich im erſten Augenblick gänzlich vergaß, zu wel - chem Zwecke ich ihn hatte rufen laſſen und den Blick nicht von ihm abzuwenden vermochte. Wie unſchick - lich es für eine weibliche Perſon ſei, auf ſolche Weiſe einen Mann, gleich einem ſchönen Portrait, anzuſehen, wie doppelt unſchicklich dies für ein junges Mädchen ſei, davon wußte ich nichts, und hätte ich es gewußt, ſo würde ich es mir doch nicht haben verſagen können.

Jhm, dem Sieggewohnten, dem Lebenserfahrenen, konnte es nicht entgehen, welchen Eindruck er auf mich machte und das Lächeln, welches ſeinen feinen Mund umflog und ihn unendlich verſchönerte, hätte mir ver - rathen können, daß er ſich durch mein naives Erſtau - nen über ſeine Perſönlichkeit geſchmeichelt fühlte, wenn ich nur einen kleinen Theil meiner Beſonnenheit ihm gegenüber bewahrt hätte.

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Nachdem er einige Augenblicke auch mich vom Kopf bis auf die Füße mit ſeinem prüfenden Blick gemuſtert hatte, trat er zum Lager des Kranken, um den Puls deſſelben zu unterſuchen. Dann richtete er einige Fragen über das Entſtehen und die Dauer der Krankheit an mich, nahm ſein Taſchenbuch hervor und verſchrieb Etwas. Als das Recept fertig war, neigte er ſich an Brigittens ziemlich taubes Ohr, und befahl ihr, die Arzenei machen zu laſſen und ſo lange in der Apotheke zu bleiben, bis ſie fertig ſeyn würde. Sie ging und ich blieb allein mit Braun zurück, allein ſage ich, denn mein Vater, der in einem völlig be - ſinnungsloſen Zuſtande dalag, zählte ja nicht.

Wie ſchön Sie ſind! nahm Braun das Wort, nachdem er mich eine Weile mit brennenden Blicken betrachtet und dadurch zum lebhafteſten Errö - then, zum Niederſenken der Augen gezwungen hatte; wie ſchön Sie ſind! wiederholte er, und ich bin ſeit einem Jahre in dieſer Stadt, ohne daß man mir von Jhnen redete?

Jch wußte nicht, was ich ihm antworten ſollte; meine Lippen bewegten ſich, ohne einen Laut hervor - bringen zu können und hätte ich ihm geantwortet, ſo würde ich ohne Zweifel etwas Unſchickliches geſagt ha - ben, denn die Bezauberung, die dieſer außerordent - liche Mann auf mich ausübte, war ſo groß, als die105 Verwirrung, die er durch ſeine Blicke in mir hervor - brachte. Jch zitterte zugleich vor Furcht und Verlan - gen, dieſen Blicken mit den meinigen zu begegnen; ich war völlig außer mir und hatte alle Haltung, jegliche Beſonnenheit dieſem Manne gegenüber ver - loren, ja, ich möchte ſagen, jegliche Erinnerung an die Vergangenheit, jeglichen Gedanken an die Zukunft; mein ganzes Daſeyn concentrirte ſich in dem gegen - wärtigen Augenblick.

Sind Sie denn erſt ſeit ſo kurzer Zeit hier, daß ich noch nie von Jhnen reden hörte? fuhr er, ohne Rückſicht auf den Kranken zu nehmen, fort, nach - dem er ſich einige Augenblicke an meiner ſich mit je - der Minute ſteigernden Verwirrung ergötzt hatte.

Jch bin hier geboren und aufgewachſen, antwortete ich ihm, allen meinen Muth zuſammen - nehmend, mit bebender Stimme.

So kamen Sie nie unter die Menſchen? fragte er weiter; ſo ſah Sie kein anderes Auge, als das Jhres Vaters und das halb blinde der alten Wär - terin? denn ſonſt vermöchte ich mir nicht zu erklä - ren, daß man mir nie von Jhnen redete, daß Keiner gegen mich eine Schönheit pries, die ſelbſt das käl - teſte Herz entzünden und einen Stoiker zum Lobe hätte begeiſtern müſſen.

Unwillkürlich wandten ſich bei dieſen Worten meine106 Blicke auf den mir gegenüber hangenden großen Spie - gel. Jch hatte nie eine Ahnung davon gehabt, daß ich ſchön ſei und konnte ſie nicht haben, da Keiner es mir ſagte und ich mich mit Andern auch nie hatte vergleichen können.

Ja, ja! ſagte er, mich lächelnd anblickend, denn mein Blick in den Spiegel war ihm nicht ent - gangen, ja, Sie ſind ſchön! Wie aber nenne ich Sie, holde Göttin?

Dina, antwortete ich ihm tief erröthend.

Ein hübſcher Name, war ſeine Antwort; doch würde Cythere beſſer für Sie paſſen. Es iſt eine Albernheit, daß man den Kindern ſchon gleich bei der Geburt einen Namen giebt; hätte man bei Jhnen damit gewartet, ſo würde man Jhnen kei - nen andern als den der Liebesgöttin haben geben können.

Das war eine ziemlich triviale Schmeichelei, ich aber, unbekannt mit allen ſolchen Dingen, gerieth in die höchſte Verlegenheit dadurch, denn aus der My - thologie kannte ich die Venus und die ihr gegebenen Beinamen.

Eine Bewegung, die der bis dahin wie in einem tiefen Schlummer da liegende Kranke machte, unter - brach das Geſpräch und lenkte die Aufmerkſamkeit des Arztes wieder auf dieſen. Er trat an’s Bett und107 unterſuchte auf’s Neu den Puls, den er eine ziemlich lange Zeit zwiſchen ſeinen Fingern hielt.

Man hat viel zu lange gezögert, einen Arzt zu rufen, nahm Braun dann wieder das Wort; das Fieber hat einen ſo heftigen Character angenommen, daß ......

Er hielt inne und griff wieder nach der Hand des Kranken.

Sie fürchten ...? fragte ich und die Worte, welche ich hinzufügen wollte, erſtarben mir auf den Lippen.

Daß es bald zu ſpät geweſen wäre, noch Hülfe herbeizurufen, ſagte er, als er an meinem Erbleichen abnahm, wie ſehr er mich erſchreckt hatte. Doch hoffen Sie, fügte er hinzu: noch ſcheint mir Rettung möglich.

Brigitte kehrte jetzt mit der Arzenei zurück und Braun gab dem Kranken ſelbſt davon ein, erneuerte ſeine Vorſchriften, wie derſelbe von uns behandelt werden ſollte und entfernte ſich dann, nachdem er noch einen Blick auf mich geworfen hatte, der jede Fieber an mir erbeben machte.

Von dem Augenblick an und, o Entſetzen! bis zu meinem Ende wird es ſo bleiben, hatte ich keinen andern Gedanken, als an dieſen Mann, keinen andern Wunſch, keine Hoffnung mehr, als ihn zu108 ſehen, als den Ton ſeiner Stimme zu hören, als in ſein Auge zu blicken.

Schon nach den erſten Beſuchen wußte er, wie er mit mir daran war, daß ich ihm gänzlich hingege - ben, daß er mit mir machen konnte, was er wollte. Auch wendete er die gewöhnlichen Verführungskünſte bei mir nicht an; es bedurfte ihrer bei mir nicht, denn ich beſaß nicht die mindeſte Kraft, ihm Wider - ſtand leiſten zu können. Jch gehorchte ſeinen Win - ken, wie die Somnambüle den gegen ſie ausgeſtreck - ten Fingerſpitzen des Magnetiſeurs folgt; ich würde ihm ohne Widerrede in die Hölle gefolgt ſeyn, wenn er es verlangt hätte.

Er gelobte mir nicht, nach Art gewöhnlicher Männer, ewige Liebe und Treue; aber ſeine Blicke, ſeine Küſſe ſagten mir, daß er mich liebte, und hätte er mir geſagt, daß er mich haſſe, verabſcheue, ſo würde ich mich doch ſeinen Befehlen haben unterwer - fen müſſen. Jch hatte aufgehört, für mich zu be - ſtehen, mein Weſen war in dem ſeinigen ſo vollkom - men aufgegangen, daß ich als Einzelnweſen nicht mehr exiſtirte.

Nur das erſte Mal, als er ſich eine unſchickliche Freiheit gegen mich herausnehmen und mich ohne Wei - teres beim Hinausgehen umarmen und küſſen wollte, ſträubte ſich meine jungfräuliche Sittſamkeit dagegen109 und tief erröthend ſuchte ich mich ſeinen Armen zu entwinden und in das Krankenzimmer zurückzu - fliehen.

Es geht nicht, ſagte er lächelnd, mich noch feſter an ſich ſchließend; es geht nicht! Meine Arme ſind ſtark wie Eiſen, und ſelbſt wenn ich Sie losließe, würden Sie müſſen, was ich will: Sie ſind mein, unverweigerlich mein! Wagen Sie, das Ge - gentheil zu behaupten!

Er hatte Recht, ich war ſein, unverweigerlich ſein, nichts vermochte mich vor ihm zu retten!

Er ließ mich wirklich aus ſeinen Armen los; er kreuzte ſie über ſeiner Bruſt und ſtand mir lächelnd gegenüber; ich hätte fliehen, mich ihm entziehen kön - nen; aber ich blieb, wie durch einen Zauber gebannt, vor ihm ſtehen.

Sehen Sie, ſagte er, ſich mir wieder nähernd und mich küſſend, ſehen Sie, daß es nicht geht? Dann ging er; in ſeinen Blicken lag ein triumphirender Ausdruck.

Als er ſich am folgenden Tage wieder vom Kran - kenbette entfernt hatte und in den Vorſaal hinaus - gegangen war, folgte ich ihm nicht. Ein geheimes Gefühl, über das ich mir aber keine Rechenſchaft ab - zulegen wußte, ſagte mir, daß ich ihm keinen Schritt entgegen thun dürfte, wenn ich der Sittſamkeit nicht110 zu nahe treten wollte. Er hatte es am Bett des Va - ters nicht gewagt, mich wie ſonſt zu behandeln, d. h. mir Schmeicheleien zu ſagen, weil der Kranke bereits lichte Augenblicke hatte und er als Arzt die Gefahr am beſten kannte, der er ſich dadurch ausſetzen würde. Er blieb aber in der geöffneten Thür ſtehen und be - deutete mir durch einen Wink, daß ich zu ihm kom - men ſollte. Mein Herz flog ihm entgegen, mein Wille war ihm unterthan, allein trotz dem hatte ich doch noch ſo viele Kraft und Selbſtbeherrſchung, ſo viele Einſicht von meiner Lage dieſem Manne gegen - über, daß ich ihm nicht gehorchte, ſondern neben dem Bette des Kranken ſtehen blieb.

Als aber ſein eben noch ſo heiteres Auge ſich verfinſterte; als ſeine eben noch lächelnden Mienen ei - nen traurigen Ausdruck annahmen; als er beide Hände, wie flehend, kreuzweis auf ſeine Bruſt legte, da wi - derſtand ich nicht länger, ſondern eilte zu ihm, wie von einer unwiderſtehlichen Macht zu ihm hingezogen, und folgte ihm in die Tiefe des Zimmers.

Sie fürchten ſich vor mir, Dina? fragte er mit einem Tone und einem Ausdruck der Stimme, der vor allen Menſchen nur ihm allein zu Gebot ſtand.

Jch vermochte ihm vor Furcht, vor innerm Be - ben, nicht zu beantworten. Er betrachtete mich mehre111 Minuten lang und in ſeinem Blick lag Etwas, wie tiefes Mitleid; dann ſagte er:

Sie haben Recht, mich zu fürchten, armes Kind! Jch bin ein gefährlicher Menſch: hüthen Sie ſich vor mir!

Wie, Sie könnten mich verderben, mich un - glücklich machen wollen? rief ich von Entſetzen er - griffen aus.

Er antwortete mir nicht und verſank in Nach - ſinnen. Vielleicht regte ſich in dieſem Augenblick Mit - leid gegen mich, die ihm völlig wehrlos Hingegebene, in ſeiner Seele; vielleicht kämpfte er mit dem Ent - ſchluſſe, mich loszulaſſen, deren Unſchuld, deren Hülfloſigkeit und Unkenntniß ihrer ſelbſt und aller Verhältniſſe, ihn, ja ſelbſt ihn, rühren mußten. Denn wie er mit mir daran war, das wußte er be - reits. Er hatte ſich nach den Verhältniſſen, in denen ich aufgewachſen, erkundigt, und durfte ſo nicht daran zweifeln, daß er kein bereits verderbtes, ſondern viel - mehr ein völlig unſchuldiges Mädchen vor ſich habe, ein Weſen, über das den Sieg davon zu tragen nicht einmal eines Kraftaufwandes von ſeiner Seite bedurfte.

Dina, fragte er dann plötzlich, Dina, könnten Sie mich auf immer von ſich ſcheiden ſehen, ohne daß es Jhnen Schmerz machte? Bejahen Sie dieſe Frage und ich gehe, um nicht wieder zu kehren!

112

Ein Strom von Thränen, der meinen Augen entfloß, war meine einzige Antwort.

Dann trat er zu mir, ſchloß mich in ſeine Arme, bedeckte mich mit glühenden Küſſen, überhäufte mich mit Liebkoſungen, und ich litt es ohne Widerſtreben, ohne mich in ſeinen mich immer feſter und feſter um - ſchlingenden Armen zu ſträuben.

Jch wußte wohl, ſagte er darauf, mich einige Augenblicke loslaſſend, daß es ſchon zu ſpät ſei, daß du mich nicht mehr laſſen könnteſt! So ſollſt du, wenn ich dir auch nicht den Schmerz werde er - ſparen können, doch auch das Glück kennen lernen! Ja, du ſollſt glücklich ſeyn, Dina, ich gelobe es dir! Aber wenn deine Lippen es mir geſtanden haben werden, daß du es wareſt, dann mache mir auch nie Vorwürfe, es möge kommen, was da wolle!

Jch verſtand ihn nicht; wie hätte ich ihn wohl verſtehen können?

Er umarmte und küßte mich nochmals; dann ging er.

Wo nähme ich Worte her, um das zu beſchrei - ben, was in mir vorging? Auch iſt mir ſelbſt, trotz der Lebhaftigkeit der Erinnerung, nur ein dunkles Bild davon geblieben, weil ſich mein armes Gehirn wie im Kreiſe drehte, weil ich mir ſelbſt über Nichts, was ich dachte und empfand, Rechenſchaft abzulegen113 vermochte. Jch hatte mich ſelbſt bisher eben ſo wenig, als die Welt außer mir gekannt, ich war mir ein Räthſel geblieben und war es mir auch jetzt noch. Nur das Eine wußte ich: daß ich ohne den Geliebten nicht würde fortleben können. Alle ſeither mit Gewalt in meinem Herzen unterdrückte Liebe brach jetzt mit verdoppelter Macht hervor und richtete ſich nur auf den einen Gegenſtand.

Wie ſchwach, wie hingebend Braun mich unter dieſen Umſtänden finden mußte, wird man ſich vor - ſtellen können. Bald hatte ich ihm Nichts mehr zu verweigern. Ein Jahr, ein volles Jahr dauerte die Glückſeligkeit, die ich in ſeinen Armen fand, und nur auf kurze Zeit, nur auf wenige Tage, wo er, wie er ſagte, eine nothwendige Geſchäftsreiſe machen mußte, wurden unſere Zuſammenkünfte unterbrochen.

Braun hatte einen Schlüſſel zur Gartenpforte, er hatte einen zu der nach dem Hofe hinausgehenden Hinterthür; die meines Zimmers blieb offen, und ſo ſtand es ihm frei, ungehindert zu mir zu kommen, und er blieb, wie ſchon geſagt, nur ſelten aus.

Mein Vater war, Dank ſei es den großen Kennt - niſſen und der Kunſt ſeines Arztes, bis auf einige nachgebliebene Schwäche, völlig wieder hergeſtellt und ſo beſuchte Braun am Tage nicht mehr unſer Haus; Niemand konnte alſo Ahnung von unſerm Verhält -II. 8114niſſe haben, und, da wir die größeſte Vorſicht ge - brauchten, nicht einmal mein Vater, obgleich ſein Zimmer ſich unmittelbar unter dem meinigen befand.

Da gingen ſeltſame Veränderungen mit mir vor: ich, früher immer ſo kräftig und geſund, fing an zu kränkeln, mich unbehaglich zu fühlen; die Roſen auf meinen Wangen erbleichten nach und nach und mich befiel oft eine Mattigkeit, die nahe an Ohnmacht grenzte. Unerfahren wie ich war, hatte ich keine Ahnung von dem Zuſtande, worin ich mich befand und um Braun nicht zu ängſtigen, verbarg ich ihn möglichſt vor ihm. Doch ertappte ich ihn trotz dem oft auf ängſtlichen Blicken, die er verſtohlen auf mich heftete, glaubte aber, daß ihm, als Arzt, trotz mei - nes Schweigens, mein Uebelbefinden kein Geheimniß mehr ſei und dieſes ihn mehr ängſtigte, als er mir geſtehen wollte.

Einſt, als er länger als gewöhnlich von mir weggeblieben war doch hatte er mir zuvor geſagt, daß er auf ungewöhnlich lange Zeit abweſend ſeyn würde, und ſo ängſtigte es mich nicht fühlte ich ſich Etwas unter meinem Herzen dehnen und bewegen und dadurch erwachte zuerſt der Gedanke in mir, daß ich eine Frucht unſerer geheimen Verbindung darunter trage. Jch weiß nicht, ob ich mehr über dieſe Ent - deckung erſchrak oder mich darüber freute; wahr -115 ſcheinlich vermiſchten ſich beide Empfindungen ſo in meiner Seele, daß ich nicht zu unterſcheiden vermochte, welches das ſtärkere war.

Jn der folgenden Nacht kam Braun wieder zu mir; mir aber fehlte der Muth ich weiß ſelbſt nicht, warum? ihm die von mir gemachte Ent - deckung mitzutheilen, und erſt nach mehren Tagen ver - mochte ich es über mich.

Sein heftiges Erſchrecken bei dieſer Nachricht ent - ging mir nicht: er erbleichte und ein ganz eigener, nie zuvor an ihm wahrgenommener Ausdruck zeigte ſich in ſeinen Geſichtszügen. Erſt nach einer ziemlich langen Pauſe ſagte er:

Du wirſt dich irren ich hoffe es! Was weißt denn du davon?

Jch ſchwieg, weil ich ihn ſo aufgeregt und er - ſchrocken ſah.

Beide blieben wir dann eine Weile einander ge - genüber ſtumm; ich weinte; er ſtarrte vor ſich hin.

Dann erhob er ſich plötzlich und durchmaaß mit ſchnellen Schritten das Zimmer, wie Einer thut, der etwas in ſich überlegen will. Wir Beide dachten nicht an die Unvorſichtigkeit, die er durch dieſes kräftige und männliche Auftreten beging, da meines Vaters Schlafzimmer unter dem meinigen war. Wir wur - den erſt aufmerkſam auf das, was er gethan hatte,8 *116als wir Tritte auf der zu meinem Zimmer führen - den Treppe hörten.

Die Stubenthür war verſchloſſen; es wurde an - gepocht; wir regten uns nicht; leiſe aber öffnete Braun ein Fenſter und ſchaute aus demſelben auf den darunter liegenden Hofplatz hinab, ob Flucht nicht möglich ſei: ſie war unmöglich, denn er würde, da wir uns im zweiten Stockwerk befanden, ſich auf dem Steinpflaſter zerſchmettert haben, wenn er den Sprung gewagt hätte. Einen andern Ausgang als dieſen aber hatte das Zimmer nicht.

Wir blickten uns verzweiflungsvoll an. Selbſt Braun ſchien die Faſſung verloren zu haben.

Vor der Thür wurde das Pochen immer ſtärker und die Drohworte, die mein Vater ausſtieß, ver - mehrten unſer Entſetzen. Jch weiß nicht, wie es kam, daß ich jetzt, ſonſt ſo ſchwach und hinfällig, in die - ſer grauſamen Situation nicht ohnmächtig wurde.

Macht auf, oder ich ſchlage mit der mit - gebrachten Axt die Thür ein! rief mein Vater mit vor Wuth bebender Stimme.

Wir antworteten noch immer nicht; doch ſah ich Braun in die Taſche ſeines Rocks greifen und ein Pi - ſtol daraus hervornehmen, deſſen Hahn er aufzog.

Was willſt du?! rief ich bei dieſem An - blick, von einem nie zuvor gekannten Entſetzen er -117 griffen; Unglücklicher, willſt du meinen Vater töd - ten?

Oeffne jetzt, rief er mir mit gebietendem Tone zu und die Waffe, die ich ihm zu entreißen ſtrebte, ſo hoch emporhaltend, daß ich ſie nicht zu erreichen vermochte. Oeffne ihm die Thür! gebot er nochmals: der Unſinnige weckt ſonſt am Ende Brigitte auf und läßt die Nachbarſchaft zuſammen - rufen.

Wirklich rief mein Vater die alte Magd bereits mit lauter Stimme zu ſich her und allein ihre große Taubheit konnte ſie daran verhindern, ihn zu hören.

Zitternd gehorchte ich, mein Leben verloren ge - bend, dem Befehle Brauns: ich drehte den Schlüſſel um, die Thür flog auf und mit geſchwungenem Beile ſtand mein Vater, ſchäumend vor Wuth, vor uns.

Seine Blicke glitten über mich hinweg und ſuch - ten Braun; er wollte reden, aber der furchtbare Zorn, dem er hingegeben war, erſtickte die Worte in ſeiner Kehle; er ſtieß nur ein dumpfes Gemurmel aus.

Er machte Miene, mit der geſchwungenen Axt auf Braun einzudringen. Dieſer hatte jetzt ſeine Faſ - ſung völlig wieder gewonnen und ſich vor mich ſtel - lend, um mich mit ſeinem Körper zu decken, fragte er meinen Vater, ihm die Mündung des Piſtols ent - gegen haltend, mit feſter Stimme:

118

Was wollen Sie? Keinen Schritt weiter, oder ich drücke ab!

Was ich will, Schurke? was ich will? kreiſchte mein Vater, trotz des Verbots Brauns doch weiter in das Zimmer hineintretend: Dein Blut und das deiner Metze will ich, um mich von der Schande rein zu waſchen, die ſie und ihre Mutter über mich gebracht haben! Dein Blut will ich, Hund! Dein Blut, ſchändlicher Verführer! und dann das meinige, wenn es ſeyn muß, auf dem Schaffot vergießen!

Er drang abermals wüthend auf ihn ein; aber Braun, ſtatt zurückzuweichen, ſtürzte gerade auf ihn zu, entriß mit einer raſchen und kräftigen Be - wegung das Beil ſeiner Hand und ſchleuderte es tief unter das Bett hinunter, ſo daß es nicht anders zu erreichen war, als daß man unter das Bett kröche.

Was wollt ihr nun, Raſender? fragte ihn Braun, den Hahn des Piſtols in Ruhe bringend und es in die Taſche ſteckend, denn er war ſich ſeiner körperlichen Ueberlegenheit über den noch von der Krankheit immer nicht völlig erholten Greis ja be - wußt, und bedurfte ſo keiner Waffen gegen ihn.

Er wollte antworten, aber die Stimme verſagte ihm ihre Dienſte; er wollte den Verführer ſeines Kin - des vernichten, aber er hatte keine Waffen!

Jch benutzte dieſen Augenblick, mich zu ſeinen119 Füßen zu ſtürzen und, die Hände zu ihm empor - ſtreckend, um Gnade zu flehen.

Du?! ſagte er, mich mit einem Blick anſehend, den ich nie vergeſſen werde. Dann erhob er ſeine Hand und verſetzte mir einen Schlag, der mich umſtürzte.

Halt, Wahnſinniger! donnerte ihm jetzt Braun entgegen, halt ein! Nicht dir gehört ſie mehr, ſondern mir, und ich werde ſie, gegen wen es auch ſei, zu beſchützen wiſſen!

Ja, nimm ſie! Nimm ſie! und mit ihr meinen Fluch zugleich! ſtammelte mein Vater, und möge ſie dir thun, was ihre Mutter mir that: Baſtarde in dein Haus bringen, von denen du dich Vater nennen laſſen mußt!

Vater! Vater! rief ich, nochmals vor ihm auf die Kniee ſinkend; Vater, Erbarmen oder Tod!

Jch ſollte Erbarmen mit dir haben? hohnlachte er; hatteſt du es denn mit mir? War es nicht genug daran, daß deine Mutter durch ihre Untreue mich um das ganze Glück meines Lebens be - trog, mußteſt du auch noch meine grauen Haare be - ſchimpfen, damit ich, der in Gram lebte, auch noch in Verzweiflung in’s Grab ſänke? Jch fordre euch Beide, dich und ſie, vor den Richterſtuhl des Ewi - gen! Erbarmen? wer hatte es mit mir .......?

120

Er wollte noch mehr ſagen, aber ſeine Zunge verſagte ihm den Dienſt. Nur noch unarticulirte Laute entſchlüpften ſeinen Lippen; ſeine Geſichtszüge verän - derten ſich und nahmen einen ſo furchtbaren Aus - druck an, daß das Entſetzen mich ohnmächtig zu Bo - den warf.

Als ich wieder zu mir kam, umwehte die friſche Nachtluft meine Stirn. Jch lag auf dem feuchten Raſen im Garten und neben mir kniete Braun, der mich durch geiſtige Eſſenzen in’s Bewußtſeyn zurück - zubringen bemüht war.

Komm, ſagte er, ſo wie ich die Augen aufſchlug und mich etwas emporrichtete, komm au - genblicklich mit mir, wenn es deine Kräfte irgend zu - laſſen!

Wohin? fragte ich, und was iſt aus meinem Vater geworden?

Er iſt im Hauſe, antwortete er mit ei - ner ſeltſam veränderten Stimme.

Und wohin ſoll ich? fragte ich weinend und händeringend.

Jch werde dich in Sicherheit bringen, war ſeine Antwort; wirſt du mir folgen können?

Jch verſuchte, mich emporzurichten, allein meine Schwäche war noch zu groß: ermattet, wie gelähmt an allen Gliedern, ſank ich zurück.

121

Das iſt ein Unglück! ſagte Braun wie vor ſich hin; das verdirbt ſie und mich!

Dich? rief ich und erneute den Verſuch, mich zu erheben; dich, Adalbert? O, ich bin ſtark, ich kann dir folgen, wohin du willſt!

So iſt es recht, ſagte er, mir den Arm gebend. Sei mein ſtarkes Mädchen, und du wirſt uns Beide retten.

Jch hatte jetzt Kraft zu Allem: die Liebe ver - lieh ſie mir, die Furcht, den geliebten Mann mit in’s Verderben zu ziehen.

Wir verließen den Garten, deſſen Pforte Braun ſorgfältig wieder hinter ſich verſchloß, und gingen in’s Thal hinaus, dann in’s Gebirge hinein. Jch, die ich nie Haus und Garten verlaſſen hatte, war völlig un - bekannt in der Gegend und da ich nie zuvor einen Berg erſtiegen hatte, wurde mir das Bergſteigen ſo ſauer, daß Braun mich mehr tragen, als führen mußte.

Es ging immer noch bergaufwärts; endlich lang - ten wir in einer waldigen Bergſchlucht an. Der Pfad war ſo rauh und ſteil und ich des Steigens ſo un - gewohnt, daß jeden Augenblick die Kniee unter mir zuſammenzubrechen drohten.

Nur noch wenige Minuten, bat Braun, dem mein Zuſtand nicht unbekannt ſeyn konnte, weil122 ich mich immer mehr auf ihn ſtützen mußte; nur noch wenige Minuten, meine Dina, halte deine Kräfte zuſammen und wir ſind am Ziele!

Jch raffte mich von Neuem auf und eben als ſich der erſte falbe Schimmer des neuen Tages im Oſten zeigte, hielt Braun ſeine Schritte an, theilte einige Brombeerranken mit einem abgebrochenen Aſte aus einander und bat mich, in die auf dieſe Weiſe ge - machte Oeffnung, in eine ſich meinen Blicken zeigende Höhle zu treten.

Jetzt ſind wir gerettet! ſagte er, tief Athem ſchöpfend und ſich den Schweiß von der Stirn trocknend; ich erſchrak über die Bläſſe ſeines ſonſt ſo blühenden Geſichts.

Jch gehorchte ihm mit der letzten Anſtrengung meiner Kräfte. Die Höhle, in die er mich führte, war tief in den Felſen eingeſprengt und dunkel und feucht. Jch warf mich, nicht mehr im Stande, mich aufrecht zu erhalten, auf den harten Boden derſelben nieder und meine Erſchöpfung war ſo groß, daß ich zu ſterben glaubte.

Hier bleibe, hier ruhe, ſagte jetzt Braun, und erwarte mich, ohne auch nur auf einen Augen - blick dieſen Zufluchtsort zu verlaſſen.

Du willſt nicht bei mir bleiben?! rief ich entſetzt aus.

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Jch darf nicht, wenn ich nicht Verdacht auf mich lenken will, verſetzte er; aber ich kehre noch heute, wenn auch erſt mit Anbruch der Nacht, zu dir zurück, und dann ſollſt du es beſſer haben, armes, liebes Kind! fügte er mit mitleidigem Tone hinzu.

Du kommſt aber doch gewiß? du läſſeſt mich hier nicht verlaſſen ſterben? weinte ich, ſeine Hand ergreifend.

Jch gelobe dir, mit Anbruch der Nacht wieder bei dir zu ſeyn, betheuerte er; während des Tages kann ich nicht kommen, weil die Hirten ihre Heerde in dieſer Gebirgsſchlucht weiden. Sei ſtark, Dina, fügte er, ſich zu mir niederbeugend und meine Stirn küſſend, hinzu, ſei ſtark und Alles wird noch gut werden!

Er verließ mich mit dieſen Worten und ich blieb allein an dem grauſenvollen Orte, der nur durch eine Felsſpalte ein ſchwaches Licht empfing, zurück. Mit welchen Empfindungen, unter welchen Befürchtungen, brauche ich wohl nicht zu ſagen. Trotz der großen Aufgeregtheit, in der ich mich befand, forderte doch die Natur ihre Rechte und nicht lange, ſo ſchlief ich und wurde erſt wieder durch einen Geſang erweckt, der von der hellen Stimme eines Knaben, ganz in der Nähe meines Verſtecks, herzurühren ſchien, denn124 ich konnte die Worte des ländlichen Liedes unterſchei - den. Das Geläut der Glocken ein ganz neuer Klang für mein Ohr die man der Heerde am Halſe befeſtigt hatte, damit ſie ſich nicht verlaufen könnte, ließ mich errathen, daß es der Hirt ſei, der ſang.

Welchen Contraſt bildete dies fröhliche Lied aus jugendlicher Bruſt gegen den Schmerz in der meini - gen! Mein Auge fand durch dieſen Gedanken zuerſt Thränen; ſie floſſen in heißen Strömen über meine Wangen, erleichterten aber mein Herz. Das thaten mehr noch die Worte Brauns, deren ich mich jetzt wieder erinnerte: ſei ſtark, Dina, und Alles wird noch gut werden!

Ja, ich vertraute ihm und ſeiner Liebe; ach, ich vertraute ihm mehr als ich Gott vertraute, und ich liebte ihn auch mehr!

Die Nähe des jungen Sängers, wenn ſie mich gleich einerſeits mit Furcht erfüllte, war doch auch wieder ein Troſt für mich: ich fühlte mich nicht gänz - lich, nicht von aller Kreatur in dieſer rauhen, mir ganz fremden Gegend verlaſſen; ich freute mich, wenn ich den Knaben ſeine Thiere anrufen, ihn mit ſeinem Hunde ſprechen hörte; ich wäre ſo gern zu ihm ge - treten, hätte mich zu ihm in das ſchwellende Moos geſetzt und vom Gipfel des Bergs hinaus in die ſchöne,125 mir noch ſo völlig fremde Welt geſchaut; allein Brauns Verbot hielt mich davon ab und ſo ſehr ich mich nach Wärme, Licht und Luft ſehnte, ſo hielt ich mich doch ruhig in meinem Verſteck. Als aber der Abend kam und der Knabe ſeine Heerde nach Hauſe trieb; als das immer ſchwächer werdende und endlich gänzlich er - löſchende Licht mir den Anbruch der Nacht verrieth, da kam eine wahrhaft entſetzliche Angſt über meine Seele: wenn er nicht wiederkäme? nicht wiederkom - men könnte? wenn ich die Nacht, die ganze Nacht, vielleicht noch länger, hier an dieſem Orte des Schreckens allein bleiben müßte? Dieſer Gedanke ſträubte mir das Haar empor, und um meine Qua - len zu vermehren, meldete ſich auch noch ein brennen - der Durſt.

Jch hatte mich auf den harten und feuchten Bo - den niedergelegt und weinte. Da, als ich mich ſchon den grauſamſten Befürchtungen hingab, raſchelte es in den den Eingang der Höhle verkleidenden Ranken und mein Name wurde leiſe gerufen.

Hier! rief ich mich aufrichtend mit freu - digem Tone.

Siehſt du, daß ich Wort hielt? antwor - tete mir Braun, denn er war es. Da bin ich, und du ſollſt es von nun an beſſer haben, armes, liebes Kind! Mit dieſen Worten warf er Etwas auf den126 Boden nieder, zog unter dem Mantel eine Blend - laterne hervor und der volle Schein des Lichts fiel auf mein Geſicht.

Du haſt wohl große Angſt ausgeſtanden? ſagte er, mir das feuchte Haar aus der Stirn ſtreichend.

O, nun iſt Alles gut! rief ich, mit mei - nen Armen ſeinen Nacken umſchlingend.

Er machte ſich ſanft aus meiner Umarmung los, breitete ſeinen Mantel auf dem Boden aus und bat mich, mich darauf ſetzen zu wollen. Dann öffnete er das mitgebrachte Paquet, das aus einigen wollenen Decken und Lebensmitteln, letztere in einen Korb ge - packt, beſtand. Er legte behutſam Alles aus einander, zerſchnitt ein gebratenes Huhn, füllte einen mitge - brachten Becher mit Limonade an und bat mich, mich erquicken zu wollen. Jch griff nicht ohne einige Be - gierde nach dem mir auf ſo liebevolle Weiſe Darge - botenen und mein guter Appetit ſchien ihm einige Freude zu machen. Er hatte ein neues Wachslicht in die Laterne geſteckt und die eben noch ſo ſchauerliche Höhle war für mich ein Tempel des Glücks gewor - den, da ich ihn, den über Alles geliebten Mann, neben mir darin erblickte.

Jetzt, fragte ich, nachdem ich mich geſät - tigt hatte, jetzt verlaſſen wir dieſen Ort, nicht wahr, mein Adalbert? Bevor du mir aber dieſe Frage be -127 antworteſt, fügte ich hinzu, ſag mir vor allen Dingen, wie es um meinen Vater ſteht?

Wir haben hier nichts von ihm zu befürch - ten, antwortete er ausweichend; alſo beruhige dich, Dina!

Aber du, Adalbert, der du nach *** zu - rückkehren mußt, haſt du dich nicht vor ſeiner Rache zu fürchten?

O, ſeit ich dich in Sicherheit gebracht, fürchte ich gar nichts! war ſeine Antwort. Was ſollte er mir auch anhaben können?

Wird er nicht Himmel und Erde gegen dich aufbieten, Adalbert? Wie zittre ich bei dem Gedan - ken, daß du das Opfer ſeiner Rachſucht werden könn - teſt! O, er iſt furchtbar in ſeinem Zorne!

Jch fürchte mich nicht vor ihm, war die Antwort; er kann mir nichts anhaben. Aber laß mich jetzt deine erſte Frage beantworten, Dina, fügte er nach einer Pauſe hinzu: du wirſt dieſen Aufent - halt noch nicht verlaſſen; deine und meine Sicherheit erheiſcht, daß du ſo lange hier weileſt, bis ich einen beſſern für dich ausgemittelt haben werde.

So wirſt du bei mir bleiben? fragte ich, ihn mit ängſtlichen Blicken anſehend; o ich fürchte mich ſo hier allein, Adalbert!

Jch kann dieſen Wunſch nicht erfüllen, 128ſagte er; ich muß wieder fort: meine Geſchäfte ru - fen mich nach *** zurück, und mehr noch, daß ich vor allen Dingen eine zugleich ſichere und bequeme Zufluchtsſtätte für dich zu ſuchen habe. Du mußt ſtark ſeyn und mir gänzlich vertrauen, Dina!

Jch weinte, allein ich war bemüht, meine Thrä - nen vor ihm zu verbergen, weil ich fürchten mußte, ihn dadurch zu betrüben. Eine Stunde blieb er bei mir, bereitete mir ein Lager von ſeinem Mantel und den mitgebrachten Decken, legte die Lebensmittel wie - der in den Korb, damit ich während des nächſten Ta - ges nicht Hunger zu leiden brauchte, küßte mich beim Abſchiede zärtlich und verließ die Höhle, um ſein in einiger Entfernung von derſelben angebundenes Pferd wieder zu beſteigen.

Auf ſolche Weiſe brachte ich einen ganzen Monat in der Abgeſchiedenheit zu. Dann ſagte mir Braun, zu meiner nicht geringen Freude, daß er einen ſichern und angenehmen Zufluchtsort, tiefer im Gebirge, für mich gefunden habe, hob mich auf ſein Pferd, das er am Zügel führte, und wir traten den Weg nach dem mir verheißenen Aſyle an.

Wie er mir erzählte, war er ſo glücklich gewe - ſen, einer noch ziemlich jungen Wittwe, einer Pach - terfrau, durch ſeine Geſchicklichkeit das einzige, von andern Aerzten bereits aufgegebene Kind zu retten129 und hätte von ihrer Dankbarkeit und dem ihm gelei - ſteten feierlichen Schwure eine gute Aufnahme für mich und zugleich die ſtrengſte Verſchwiegenheit zu er - warten. Ueberdies habe er mich für die heimlich ver - mählte Gattin eines im Felde ſtehenden Officiers, ſei - nes Freundes, bei ihr ausgegeben, ſo daß ſie es auch nicht an der ſchuldigen Achtung gegen mich fehlen laſſen würde.

Du wirſt vollkommen ſicher dort ſeyn, ſchloß er ſeine Mittheilung, und um ſo mehr, da das Pachtgütchen von allen andern Wohnungen abge - ſondert, auf einem Gebirgskamme liegt.

Wir waren mehre Stunden unterwegs und lang - ten erſt mit Anbruch des Morgens auf dem Plateau an, auf dem die Pachtwohnung lag. Sie bot, von den erſten Strahlen der aufgehenden Sonne beſchienen, einen reizenden Anblick in ihrer Umzäunung von Lin - den und duftendem Flieder dar. Als ich in den Hof hineinritt, erblickte ich eine kleine rundliche Frau im ländlichen, aber reinlichen Anzuge, welche die von allen Seiten auf ihren Ruf herbeieilenden Hühner fütterte. Sobald ſie unſerer gewahr wurde, ſtellte ſie aber das Gefäß auf die Erde nieder, worin ſie das Futter gehalten hatte, und trat uns mit gewinnen - der Freundlichkeit entgegen.

Jch erwartete Sie ſo früh noch nicht, HerrII. 9130Doctor, wandte ſie ſich an Braun; aber trotz dem iſt Alles zum Empfange der lieben Dame bereit. Belieben Sie nur einzutreten; ich will dem hungrigen Völkchen erſt das Futter hinſtreuen, dann komme ich nach.

Wir folgten ihrer Einladung; eine robuſte Magd, die Verwandte der Pächterin, öffnete uns die Thür des Wohnzimmers und wir traten in das reinliche, hell von der goldenen Morgenſonne beleuchtete Ge - mach, deſſen Fenſter offen ſtanden, um der friſchen, erquicklichen Bergluft den Eingang zu geſtatten.

Nach wenigen Minuten erſchien die Pachterin mit einem einfachen, mir aber vortrefflich ſchmeckenden Frühſtück. Jch ſaß Adalberten gegenüber, ich durfte in ſein ſchönes Auge ſehen; er lächelte mir heimlich freundlich zu denn vor der Pachterin nannte er mich Sie und gnädige Frau; ich hörte den Ton ſeiner geliebten Stimme o, ich war ei - nige Augenblicke ganz glücklich!

Nach dem Frühſtück führte er mich in das für mich bereitete, zwar kleine, aber durch Reinlichkeit und Sonnenſchein reizende Zimmer, das mit ſchönen Blumen, theils in Scherben, theils in Blumengläſern, auf das Anmuthigſte geſchmückt war.

Hier nahm Adalbert Abſchied von mir, nach - dem er mir vorgeſchrieben hatte, wie ich mich zu be -131 nehmen habe, um unſer Verhältniß vor der Pachterin nicht zu verrathen. Auf meine Frage: wann ich ihn wiederſehen würde? antwortete er mir: Sobald ich kann und ſo oft es die Umſtände mir nur irgend er - lauben werden. Du mußt aber vernünftig ſeyn und bedenken, Dina, fügte er hinzu, daß *** ſechs Stunden von hier entfernt iſt und ich mir nicht die mindeſte Unvorſichtigkeit erlauben darf, wenn unſer Geheimniß nicht gefährdet werden ſoll. Ueberdies habe ich aber auch noch Pflichten gegen die ſich mir anver - trauenden Kranken zu erfüllen.

So werde ich dich alſo wohl nur ſehr wenig ſehen und die mir hier erträumte Glückſeligkeit wird ſich in ihr Gegentheil umwandeln? ſagte ich traurig.

Was hälfe es, wenn ich dich darüber täuſchte? verſetzte er; aber ich wiederhole mein Verſprechen, daß ich ſo oft kommen will, als ich kann.

Jch mußte mich damit beruhigen; aber mit mei - ner Freude über den mir zuvor ſo reizend erſchiene - nen Aufenthalt war es aus, denn nur wo Er war, blühte mir das Glück. Sogar die Thranen, die ich ihm nachweinte, als meine Blicke ihn nicht mehr er - reichten, mußte ich vor meiner freundlichen Wirthin zu verbergen ſuchen und das erlegte mir einen läſti - gen Zwang auf. Unter dem Vorwande großer Er -9 *132müdung verſchloß ich mein Zimmer und legte mich auf’s Bett, nicht um zu ſchlafen, ſondern um unge - ſtört und ungeſehen weinen zu können.

Jch verlebte ſo abwechſelnd meine Tage zwiſchen Schmerz und mir bisher ganz neuen Genüſſen. Jch war frei, ich durfte gehen, wohin ich wollte; meine gute Wirthin war immer gleich freundlich, gleich lie - bevoll und zuvorkommend gegen mich; ich genoß un - geſtört der zugleich reizendſten und erhabenſten Aus - ſicht; mir wurde kein unfreundliches Wort geſagt; ich hatte mich vor keiner üblen Laune zu fürchten; aber Er fehlte mir, Er, der mir Alles war!

Endlich kam er doch. Wie flog ihm meine ganze Seele entgegen, und welches Glück, daß ich ihn ohne läſtige Zeugen zuerſt begrüßen konnte; denn die Pach - terin war in die mehre Stunden entfernte Stadt ge - fahren, um einige Einkäufe zu beſorgen, und die Magd auf dem Felde mit dem Melken der Kühe be - ſchäftigt. Der Knabe meiner Wirthin, kaum zwei Jahre alt, war nicht zu fürchten: ſo hatte ich Jhn allein; ſo durfte ich vor Freude und Entzücken an ſeinem Halſe weinen, ſo ihm alle die ſüßen Namen geben, die ich ihm zu geben gewohnt war.

Er blieb nicht lange; aber er war unausſprech - lich freundlich und liebevoll gegen mich, auch tröſtete er mich mit baldigem Wiederkommen.

133

Erſt gegen Abend kehrte die Pachterin zurück. Auch ſie war vergnügt, denn nicht nur hatte ſie nach Wunſch eingekauft, ſondern auch einen günſtigen Han - del in der Stadt mit den von ihr gewonnenen länd - lichen Producten abgeſchloſſen. Sie war überaus be - redt und ich mußte die von ihr gemachten Einkäufe beſehen und bewundern. Ein Zeitungsblatt, das ich, weil mein Vater es hielt, für ein vaterſtädtiſches auf den erſten Blick erkannte, fiel mir in die Augen und unwillkürlich griff ich darnach. Es war Etwas darin gewickelt geweſen und alſo ſehr zerknittert; ich ebnete es wieder und bat die Pächterin, es mit mir nehmen zu dürfen, um es zu leſen, was ſie mir freundlich bewilligte. Als ich mich damit in mein Zimmer be - geben hatte, fiel mir der nahſtehende Artikel, weil er der erſte im Blatte war, in die Augen.

Unſer ſonſt ſo ruhiges Städtchen, in dem ſich, ich möchte ſagen: dem Himmel ſei ge - dankt! ſo wenig Neues zuträgt, denn ſelten iſt das Neue auch zugleich etwas Gutes, iſt durch eine zur Zeit noch nicht aufgeklärte Begebenheit in Allarm geſetzt worden. Die Thatſache iſt folgende:

Ein angeſehener und begüterter Mann, frü - herer Beamter, ſeit einer Reihe von Jahren aber in134 den Ruheſtand zurückgezogen, lebte mit ſeiner allein ihm noch übrig gebliebenen Tochter und einer ſtock - tauben alten Magd in einem von ihm erkauften, ſehr einſam belegenen Hauſe, ohne Umgang mit den übri - gen Bewohnern der Stadt. Eine große Verſtim - mung des Gemüths, vielleicht eine Folge früherer häuslichen Leiden, vielleicht auch die des frühzeitigen Verluſtes einer ſehr geliebten Gattin, hatte Herrn *** zu einem Menſchenfeinde gemacht, wenigſtens hielt man ihn dafür, da er ſich dem Verkehr mit Seines - gleichen gänzlich entzogen hatte und dieſen allein auf den Umgang mit ſeiner Tochter und der alten tau - ben Magd beſchränkte.

Dieſen Mann, der in der letzten Zeit, nach Ausſage der Magd, einer vollkommen guten Ge - ſundheit genoſſen, fand letztere am Morgen des 16. Juni d. J. todt, nicht in ſeinem eigenen, ſon - dern im Zimmer und Bette ſeiner Tochter, die zu gleicher Zeit ſpurlos verſchwunden war, und das aus einem ſorgfältig verſchloſſenen Hauſe, da man alle Schlüſſel an der gewohnten Stelle und auch nicht ein einziges Fenſter offen ſtehend fand.

Das Angſtgeſchrei der Magd, die beim Er - wachen ihren Gebieter wecken wollte und ihn erſt nach langem Suchen todt im Bette der entflohenen Tochter fand, rief an der Gartenmauer vorüberge -135 hende Arbeiter herbei; man drang in das Haus, man ſchickte nach der betreffenden Behörde; man durchſuchte, einen Raubmord befürchtend, das ganze Haus, fand aber alles Geld und alle ſonſtigen werth - vollen Sachen an der gewohnten Stelle und ſonſt nichts Verdächtiges, als eine Axt unter dem Bette ....

Jch konnte nicht weiter leſen; meine Sinne ver - ließen mich und ich ſank ohnmächtig zu Boden. Wie lange ich ſo gelegen, weiß ich nicht; doch erwachte ich von ſelbſt wieder, denn mein Niederfallen war weder von der Frau des Hauſes, noch von der Magd be - merkt worden.

Es war völlig dunkel im Zimmer, als ich wie - der zu mir kam. Ein unnennbares Grauſen erfaßte mich; ich erſchien mir ſelbſt als Vatermörderin und wähnte jeden Augenblick den zürnenden Schatten mei - nes Vaters zu mir eintreten zu ſehen. Trotz dem wagte ich nicht, nach Licht, nach Menſchen zu rufen, aus Furcht, mich zu verrathen. Mein Zuſtand war ein ſo entſetzlicher, daß ich noch jetzt nicht begreife, wie es möglich war, daß ich ihn überleben konnte. Jm Finſtern tappte ich nach meinem Bette und warf mich angekleidet darauf. Was weiter mit mir vor - ging, weiß ich nicht, fragte auch nie darnach, weil ich durch die Furcht, mich zu verrathen, davon abge -136 halten wurde. Eine ſchwere Krankheit war die Folge dieſer ungeheuren Aufregung und meine freundliche Wir - thin ſah ſich genöthigt, Braun zu mir zu berufen, weil ſie es nicht verantworten zu können glaubte, mich ohne Hülfe zu laſſen.

Braun war nicht wenig überraſcht, mich, nach - dem er mich völlig geſund verlaſſen, in einem ſolchen Zuſtande zu finden.

Was iſt geſchehen? fragte er, als wir uns allein befanden, mit ſichtbarer Unruhe. Hier muß etwas vorgefallen ſeyn, und ich will es wiſſen!

Jch zeigte auf das noch auf dem Tiſche liegende Zeitungsblatt, er griff haſtig darnach, ſein Auge fiel auf den fraglichen Artikel und er ſteckte es, da ihm der Jnhalt bekannt war, ungeleſen in die Taſche.

Jch wollte dir das erſparen, nahm er nach einer Weile das Wort; ich verheimlichte dir den jähen Tod des Vaters, weil ich fürchten mußte, daß er einen zu ſchmerlichen Eindruck auf dich machen würde. Wie aber kam das unglückſelige Blatt in deine Hände?

Jch erzählte es ihm.

Du mußt dich zu faſſen, mußt mir zu Liebe auch das noch zu ertragen ſuchen, ſagte er. Du wirſt dich erinnern, fügte er nach längerem Nachdenken hinzu, daß ich dir beim Beginn unſerer Liebe nicht137 lauter Glück verſprach, daß ich dich darauf vorzu - bereiten ſuchte, daß es den Schmerz in ſeinem Ge - folge haben würde: nun iſt dieſer da, aber du kannſt mich nicht der Täuſchung anklagen.

Jch konnte ihm vor Thränen nicht antworten.

Jndeß kann ich dir den Troſt geben, fügte er nach einer ziemlich langen Pauſe hinzu, daß dein Vater auf keinen Fall lange mehr hätte leben kön - nen. Die zum Fortleben nothwendigſten Organe wa - ren krankhaft verändert, und ſo hat die uns bewußte traurige Scene nur ſeinen Tod um eine kurze Zeit be - ſchleunigt, nicht aber unmittelbar herbeigeführt.

Und woher weißt du das Alles? fragte ich ihn unter immer heißer ſtrömenden Thränen.

Weil ich bei der Section gegenwärtig war, verſetzte er. Man rief mich dazu und ich konnte meine Beihülfe nicht verweigern.

Ein Gefühl ergriff bei dieſen Worten meine Seele, das ich nicht zu ſchildern wage, weil die Sprache kei - nen genügenden Ausdruck dafür hat: es war ein Ge - miſch von Abſcheu und Entſetzen; es war nicht mehr der Mann meiner Liebe, den ich vor mir ſah, es war ein Mörder, den mein geiſtiges Auge mit dem Secir - meſſer in der Hand vor der Leiche des Gemordeten ſtehen und in deſſen Eingeweiden wühlen ſah.

Es mochte ſich das, was in dieſem Augenblick in138 meiner Seele vorging, in meinen Blicken und Mie - nen abſpiegeln, denn er fuhr, wie ſich entſchuldigend, fort:

Du, ein ſchwaches, ſentimentales Weib, wirſt nicht begreifen, wie ich das nach dem, was vor - gefallen war, vermochte. Allein einestheils konnte ich meine Beihülfe zu dem Geſchäft nicht, ohne Auf - ſehen zu erregen, verſagen, weil ich amtlich dazu ver - pflichtet war; anderntheils hoffte ich Beruhigung aus dem Leichenbefunde ſchöpfen zu können, und ich fand ſie in der That, indem ich mich davon überzeugte, daß der Geſtorbene an unheilbaren, ihn bald dem Grabe zuführenden Uebeln gelitten hatte. Dann mußt du endlich auch bedenken, daß für uns Aerzte, durch die Studien, die wir auf den Univerſitäten zu machen gezwungen ſind, durch die häufigen Sectionen, denen wir im Jntereſſe der Kunſt beiwohnen müſſen, eine Leiche, ein Cadaver, nichts mehr iſt, wie für den Bildhauer ein Torſo.

Jch hörte dieſe Worte an, ohne ſie verſtehen zu können und erſt ſpäter, erſt als ſich Braun entfernt hatte und ich ſie wieder in mein Gedächtniß zurück - rief, vermochte ich ſie zu verſtehen; aber dieſes Ver - ſtändniß verminderte mein Entſetzen nicht, und in den Fieberphantaſien, die durch die gehabten furchtbaren Aufregungen hervorgerufen wurden, zeigte ſich mir139 unaufhörlich Brauns Bild, wie er mit dem Meſſer in der Hand vor der Leiche meines Vaters ſtand und gleichſam mit Behagen darin wühlte.

Jch rang mehre Wochen lang mit dem Tode und nur die außerordentlichen ärztlichen Kenntniſſe Brauns, nur die liebevolle und unabläßliche Pflege meiner gu - ten Wirthin retteten mir das Leben. Doch war ich geiſtig und körperlich ſchwach wie ein Kind geworden: ich vermochte mich kaum mehr der Vergangenheit zu erinnern; ich konnte keinen Gedanken feſthalten und glaube, daß ſchon damals ſich die ſchreckliche Krank - heit in mir auszubilden begann, der ich ſpäterhin erlag.

Braun beſuchte mich ſo oft, als es die weite Entfernung und ſeine übrigen Geſchäfte zuließen; ich glaube annehmen zu dürfen, daß er mich damals noch liebte, denn ſonſt würde es ihm nicht an Vorwänden gefehlt haben, ſeine Beſuche bei mir zu beſchränken, zumal da ich in der Geneſung begriffen war und zu meiner völligen Wiederherſtellung nur noch der Pflege bedurfte, die von meiner guten Wirthin mir gewährt wurde.

Als er eines Tags bei mir geweſen war, ſah ich nach ſeiner Entfernung einen Brief auf der Erde lie - gen, den er wahrſcheinlich mit dem Schnupftuche aus der Taſche geriſſen hatte. Er war unter einen Stuhl140 geſchleudert und ſo nicht von ihm bemerkt worden. Jch hob ihn auf und würde ihn ungeleſen bis zu ſeiner nächſten Wiederkehr aufbewahrt und ihm wieder zuge - ſtellt haben, wenn mir die überaus ſchöne und zier - liche Frauenhand in der Aufſchrift nicht aufgefal - len wäre.

Zum erſten Mal in meinem Leben bemächtigte ſich das Gefühl der Eiferſucht meiner Seele: ich wollte der Verſuchung widerſtehen, dieſen mich ſo ſehr be - unruhigenden Brief zu leſen, vermochte es aber nicht. Jch öffnete ihn endlich mit zitternder Hand und las:

Ueber Alles Geliebter!

Du haſt mich wieder verlaſſen; Dein ſchönes Auge blickt mich und das Pfand unſerer Liebe nicht mehr mit Entzücken an; das Gemach, welches wäh - rend Deiner Anweſenheit ein Tempel des Glücks war, iſt wieder verödet und die Wände, welche un - ſere Liebesſchwüre vernahmen, widerhallen nur noch von meinen Seufzern. Nichts iſt mir geblieben, als das mir ſo oft als möglich verſtohlen gegönnte Glück, unſer Kind, dieſen Zeugen unſerer heiligen Liebe, ſehen und in meine Mutterarme ſchließen zu können, in ſeinen Zügen die Deinigen aufzuſuchen.

Ja, dieſe Trennung, dieſes Verbergen des höchſten Glücks vor den Augen der Welt, iſt grau -141 ſam, iſt eine Qual, der ich oft erliegen zu müſſen glaube. Wie ſehnt ſich mein Herz darnach, vor Alle hintreten und mit Stolz ſagen zu dürfen: ſeht, die - ſer herrliche Mann iſt mein Gatte; dieſer Mann, von dem Alle geliebt ſeyn möchten, liebt nur mich allein!

Auch würde ich, um dieſe ſchmerzliche Tren - nung zu enden und zugleich die Qualen, die ſie begleiten, keinen Augenblick anſtehen, unſere Verbin - dung bekannt zu machen, wenn nicht heilige Pflich - ten gegen einen zwar ſchwachen, von Vorurtheilen befangenen, aber zärtlichen und edlen Vater mich daran verhinderten und ich nicht die Ueberzeugung hegen müßte, daß ſein Tod dadurch beſchleunigt wer - den würde, wenn ich mich zu einer Liebe bekennte, die in ſeinen Augen ein Verbrechen ſeyn würde, und zwar von uns Beiden begangen: von Dir, mein Adalbert, weil die Pflichten der Dankbarkeit dadurch gegen den Mann verletzt werden würden, der Dich als Säugling von der Bruſt einer ſchwerer Verbre - chen angeklagten Mutter nahm, der Dich erziehen ließ und in der edelſten, menſchenfreundlichſten Ab - ſicht wie ein Vater für Dich ſorgte; von mir, weil ich, obſchon in ariſtokratiſchen Grundſätzen erzogen, durch die Verbindung mit Dir bei ihm den Vorur - theilen des angeborenen Standes Trotz böte.

142

Dem Hohn, dem Geſpött der vornehmen Welt, ja, ihrer Verachtung ſogar, denn ſie iſt in dieſem Punkte unerbittlich ſtreng und lieblos, alle Dem würde ich Trotz bieten und der Verachtung Ver - achtung entgegenſetzen; aber einen im Sterben be - griffenen Vater zu betrüben, das vermag ich nicht; Dich, unſer Kind vielleicht gar zugleich, mit Ver - wünſchungen von den Lippen überhäufen zu hören, die ſeither nur liebevolle, freundliche Worte über Dich ausſprachen, die Deines Lobes ſtets ſo voll waren, das ginge über meine Kräfte hinaus.

Noch neulich ſagte mein Vater zu mir es war nach Deinem vorletzten Beſuche bei uns, wo Du ihm die Arzenei verſchrieben hatteſt, die ihm ſo große Linderung verſchaffte: Wenn ich je über Etwas im Leben Freude gehabt habe, ſo iſt es darüber geweſen, daß ich der Welt den Mann erhielt; denn was wäre wohl aus ihm geworden, wenn ich mich ſeiner nicht angenommen hätte?

So, mein Adalbert, ſoll er Dich und ſein Werk bis zu ſeinem Ende ſegnen, und ihm die Freude an letzterm ungetrübt bleiben!

Als Du mich geſtern verlaſſen hatteſt, war mir das Herz ſo ſchwer und voll, daß es zu zer - ſpringen drohte. Jch bat meinen Vater um die Er - laubniß, in Begleitung meiner Kammerfrau, unſerer143 Vertrauten, einen Spaziergang machen zu dürfen; er gewährte ſie mir um ſo williger, da mein Vetter, Graf Heinrich, bei ihm war und verſprochen hatte, die Nacht über im Schloſſe bleiben zu wollen.

Sobald ich mich im Freien und unbeobachtet ſah, veränderte ich die zu Anfang eingeſchlagene Richtung und eilte dem Pachthofe zu, wo unſer Sohn unter der Aufſicht meiner alten Amme auf - wächſt. Der Knabe ſpielte vor der Thür mit Blu - men und bunten Steinchen und ſein Lächeln ſagte mir, daß er mich ſogleich wieder erkannte. Jch nahm ihn auf den Arm und trug ihn in’s Haus, wo ich mich ungeſtört meiner Mutterſeligkeit über - laſſen durfte. Dies erfriſchte mir das Herz wieder, dies hob mir den Muth, und geſtärkt, beruhigter kehrte ich zu meinen Pflichten und dem kranken Va - ter zurück.

Auf dem Heimwege ja lächle nur, in - dem Du dies lieſeſt! legte ich mir eine ſelt - ſame Frage vor. Würde ich mich, ſo lautete ſie, würde ich mich wohl vor fremden Leuten, ſelbſt vor vertrauten, ſo unverhohlen, mit ſolcher Se - ligkeit im Herzen, meiner Mutterfreude haben über - laſſen können, wenn das Band der Ehe unſere Verbindung nicht heiligte? und ich glaubte ſie verneinen zu müſſen. Jn Deinen Augen mag das144 als Schwäche erſcheinen; aber ich will Dir nicht verhehlen, daß für mich eine große Beruhigung darin liegt, daß der Prieſter ſeinen Segen über uns aus - geſprochen hat, daß ich im Fall der Noth ſagen dürfte: der Vater dieſes Kindes iſt mein rechtmäßi - ger Gatte. Auch vor meinem Vater würde ich die Augen nicht aufzuſchlagen wagen, wenn es anders wäre.

Mein Vetter Heinrich dauert mich mit ſei - ner hoffnungsloſen, unerwiederten Liebe. Er iſt ein guter, edler Menſch, und hätte ich Dich nicht ge - kannt, ſo würde ich vielleicht nichts dagegen gehabt haben, ſeine Gemahlin zu werden. Jetzt aber muß ich immer an die Worte Hamlets denken, wenn ich den Vergleich zwiſchen Dir und dieſem armen Vetter anſtelle:

Seht, welche Anmuth wohnt auf dieſen Brau’n! Apollos Locken, Jovis hohe Stirn, Ein Aug wie Mars, zum Droh’n und zum Gebieten, Des Götterherolds Stellung, wann er eben Sich niederſchwingt auf himmelnahe Höh’n; Jn Wahrheit, ein Verein und eine Bildung, Auf die ſein Siegel jeder Gott gedrückt: Dies war eu’r Gatte. Seht nun her, was folgt: u. ſ. w.

Du kannſt es weiter fortleſen, eitler Mann, wenn145 Dir die Stelle nicht im Gedächtniſſe iſt, und ich weiß, daß Du es thun wirſt!

Jch ſchreibe Dir da Thorheiten und doch liegt das Leben durch die tödtliche Krankheit des Va - ters und die Trennung von Dir und unſerm Kinde ſchwer auf mir, ſo daß ich mir eigentlich Vorwürfe über jeden frohen Augenblick, über jeden Ausbruch heitrer Laune machen müßte; denn könnte es nicht den Anſchein haben, als betrübte ich mich nicht, wie ich ſollte, über den nahe bevorſtehenden Tod des zärtlichſten, des beſten der Väter? Und doch iſt Gott mein Zeuge, wie ſehr ich es thue!

Komm, ſobald Du irgend kannſt; die ſchwere Krankheit des Vaters entfernt ja jeglichen Verdacht, daß Du um mich kommſt. Jch bin eine Thörin, Adalbert, daß ich Dich darum noch bitte, da ich an Deiner Liebe, an Deinem Wunſche, bei mir zu ſeyn, nicht zweifeln darf, ohne Dir Unrecht zu thun. Drei Jahre des, wenn auch nicht ungeſtörten, doch geſicherten Beſitzes haben Deiner Liebe und Zärt - lichkeit keinen Abbruch gethan: glüht doch Dein Auge noch eben ſo, wenn es mich jetzt erblickt, wie da - mals, als wir einander zuerſt ewige Liebe und Treue ſchwuren! Sind Deine Küſſe doch nicht minder inni - ger geworden, und brennen mir noch ganz ſo wie früher auf den Lippen! Hörte ich nicht noch geſternII. 10146 die mich berauſchenden Worte von den Deinigen: O, wie liebe ich dich, meine Sidonie! und ſchwurſt Du mir nicht zugleich, mich ewig ſo lieben zu wollen?

Jch muß jetzt ſchließen, Adalbert; ein - ſteln im Krankenzimmer neben an ſagt mir, daß der Vater erwacht iſt und Liebe und Pflicht rufen mich an ſein Schmerzenslager.

Ewig die Deinige Sidonie.

Der Wahnſinn griff mit ſeinen Krallen nach mir, als ich dieſen Brief geleſen hatte; aber trotz dem be - wahrte ich ihn auf meinem vor Verzweiflung brechen - den Herzen und beſitze ihn noch jetzt.

Was ich in dieſem Zuſtande that, was mit vor vorging, davon erinnre ich nichts mehr; nichts von den Schmerzen, die ich wahrſcheinlich erlitt, als ſich meinem Schooße ein Kind entwand; nichts davon, wie und weshalb ich es tödtete und warum ich es in meinem Bette verbarg.

Wie viele Stunden zwiſchen dieſem Morde und meinem geiſtigen Erwachen zur Vernunft verfloſſen, weiß ich nicht; auch kehrte letztere nur auf einige wenige Augenblicke wieder zurück.

Braun ſaß an meinem Bette und hielt meinen147 Puls zwiſchen ſeinen Fingern; die Sonne warf ihre Strahlen auf ſein verdüſtertes Antlitz; ich erſchrak vor ſeinem Anblick, denn ſo hatte ich ihn nie zuvor geſehen. Schaudernd zog ich meine Hand aus der ſeinigen zurück und doch wußte ich nicht weshalb, da ich in dem Augenblick jegliche Erinnerung an die Ver - gangenheit verloren hatte. Vielleicht erſchreckte mich nun ſein todtenbleiches Geſicht, ſeine zugleich finſtre und erſchrockene Miene.

Unglückliche! flüſterte er mir zu, als er ſah, daß ich die Augen öffnete und ihn ſtarr anblickte, Unglückliche, wo haſt du dein Kind gelaſſen?

Mein Kind? fragte ich und ſah ihn mit Blicken des Wahnſinns an; mein Kind? wieder - holte ich.

Mächte des Himmels! rief er, verzweif - lungsvoll die Hände zuſammenſchlagend, ſie iſt wahn - ſinnig!

Er ſank in ſich zuſammen und blieb lange in dieſer Stellung. Dann richtete er ſich plötzlich wie - der empor, ſah mich mit zärtlichen Blicken an und ſprach mit jenem Tone der Stimme, der mein Herz ſo oft mit Seligkeit, mit unausſprechlichem Entzücken erfüllt hatte:

Dina, geliebte Dina, wo iſt dein, wo iſt unſer Kind?

10 *148

Dieſe auf ſolche Weiſe, mit ſolchem Tone zu mir geſprochenen Worte verfehlten auch jetzt ihre Wir - kung nicht: ſie riſſen mich, wenn auch nur auf wenige Minuten, von den Pforten des Wahnſinns zurück.

Du fragſt nach unſerm Kinde? antwor - tete ich ihm, die Hand an meine Stirn legend, als wolle ich dort die Gedanken, die ſich jeden Augenblick wieder zu zerſtreuen, aus einander zu fließen drohten, zuſammenhalten. Habe ich denn ein Kind geboren? fügte ich nach einer Pauſe hinzu.

Du haſt, verſetzte er haſtig; doch wo iſt es? Beſinne dich, Dina, ich bitte, ich beſchwöre dich, beſinne dich, und ſag mir, wenn du es getöd - tet haben ſollteſt, wo du damit geblieben biſt!

Getödtet? getödtet? wiederholte ich, und kein anderes Wort kam mehr über meine Lippen.

Was dann weiter mit mir vorging, und ſelbſt das, was ich zuletzt über meinen Zuſtand mittheilte, weiß ich nur aus Brauns Munde, der ſpäter ſo grau - ſam war, es mir ausführlich zu erzählen.

Sein Zuſtand, einer Wahnſinnigen, einer von ihm verführten Wahnſinnigen und zugleich einer Mör - derin gegenüber, war furchtbar und hätte leicht einen minder ſtarken Mann, als er war, zur Verzweiflung bringen können. Was ſollte aus mir, was aus ihm ſelbſt werden, wenn das im Wahnſinn von mir be -149 gangene Verbrechen an den Tag käme? und mußte es nicht daran kommen, da die Pachterin um mei - nen Zuſtand wußte?

Nur Flucht, nur eilige Flucht konnte uns Beide retten. Er begriff das, ſuchte und fand den getödte - ten Knaben in meinem Bette, wickelte ihn ein, ver - barg ihn wieder und ging dann zu der gutmüthigen Frau, um ihr zu ſagen, daß die Rettung meines Lebens dringend erheiſche, daß ich ihm näher wohne, als jetzt, und daß er ſie daher bäte, augenblicklich anſpannen zu laſſen. Sie that, was er wünſchte, der Wagen fuhr vor das Haus; er ſelbſt packte die Betten, die ſein Eigenthum waren, da er ſie auf die Pächterei hatte ſchaffen laſſen, meine wenigen Sachen, endlich das todte Kind und mich ſelbſt hinein, und befahl dem Kutſcher, vor ſein Haus zu fahren, wo - hin er mußte, um, was er an Geld und Kleinodien beſaß, an ſich zu nehmen, denn ohne Geldmittel ver - mochte er den entworfenen Plan nicht auszuführen.

Jn der Nacht langten wir in *** an. Braun ließ mich im Wagen zurück, ging allein in das Haus und in ſeine Zimmer, wozu er die Schlüſſel hatte, nahm alles Werthvolle an ſich und eilte dann auf die Poſt, um Extrapoſt zu beſtellen. Als dieſe an - langte, belohnte er den Knecht der Pachterin und ſchickte dieſen zurück, während er mit mir aus einem150 andern Thore hinaus fuhr. So gelangte er von Sta - tion zu Station bis nach Holland, wo er ſich mit mir nach Amerika einſchiffte, mich für ſeine wahn - ſinnige Schweſter auf dem Schiffe ausgebend. Wo er mit der kleinen Leiche geblieben, weiß ich nicht; doch konnte es ihm nicht ſchwer fallen, ſich ihrer während der nächtlichen Fahrt zu entledigen.

Als ich, nach einer Reihe von Jahren, wieder, erſt dann und wann, bald aber häufiger, lichte Au - genblicke hatte, erblickte ich mich in einem kleinen, verſchloſſenen Zimmer, in das zu Anfang nur Braun der ſich hier, wie ich ſpäter erfuhr, Joſeph, oder, nach dem Landesgebrauch, Joe Smith nennen ließ, von Zeit zu Zeit trat, um mich mit den nothdürftigſten Lebensbedürfniſſen zu verſehen. Spä - ter ſandte er auch zuweilen einen gewiſſen Hieram, einen rohen, unangenehmen Menſchen von widerwär - tigem Anſehen, zu mir, der mir äußerſt fatal war und vor dem ich mich, ſo lange mein Wahnſinn dauerte, jedesmal zu verbergen ſuchte. Jn welchen Verhältniſſen, an welchem Orte ich mich befand; was Braun that, wovon er lebte, das erfuhr ich erſt ſpä - ter, als mir von meiner Gemüthskrankheit nichts wei - ter übrig geblieben war, als jene Nervenaufregung, die mich ſelbſt jetzt noch zum Nachtwandeln zwingt und die die furchtbarſte Qual für mich iſt.

151

Es dauerte ziemlich lange, bevor ich Braun wie - der erkannte und unſer früheres Verhältniß in meiner Erinnerung wieder auflebte. Daß ich ein Kind ge - boren, daß ich es getödtet hatte, davon würde ich nichts gewußt haben, wenn Braun nicht die Grau - ſamkeit gehabt hätte, es mir mitzutheilen.

Es lag darin eine furchtbare, aber zugleich kluge Berechnung, daß er es that, daß er Wunden meines Herzens aufriß, die ſonſt für immer vernarbt gewe - ſen wären und deren Daſeyn ich nicht einmal geahnt hätte. Er bedurfte einer Dienerin, einer Sclavin, einer Vertrauten, auf deren Verſchwiegenheit er mit Sicherheit rechnen konnte, und dazu erſah er mich aus, ſeit mir die unglückſelige Gabe der Vernunft wieder gegeben worden war.

Die Rolle eines gottbegeiſterten Propheten, die er ſpielte, nachdem ihm alles Andere mißglückt war, erheiſchte die größeſte Discretion und Verſchwiegenheit von Seiten ſeiner nähern Umgebung. Nichts von alle Dem, was ſich im Jnnern des Hauſes zutrug, durfte nach Außen dringen, beſonders da es um die Sitt - lichkeit des neuen Propheten ſehr ſchlecht ſtand, er namentlich ohne Frauen nicht leben konnte, und über - dies auch noch den Wechſel liebte.

Hieram, auf den er ſich verlaſſen durfte, wahr - ſcheinlich weil er um ein von dieſem Elenden began -152 genes Verbrechen wußte, denn dieſer Menſch zit - terte vor dem Stirnrunzeln ſeines Gebieters, wie im Orient die Sclaven vor dem eines Satrapen Hieram führte ihm die Opfer ſeiner Lüſte zu und entfernte ſie auch wieder, ſowie er ihrer überdrüſſig war. Jch mußte die Dienerin dieſer Geſchöpfe ab - geben und mich ohne Murren allen ihren Launen - gen. Braun hatte mir das, unter Vorwerfung aller der Opfer, die er mir gebracht, zur Pflicht gemacht, und ich gehorchte ihm willig, nicht, weil er es mir, ſondern weil mein eigenes Herz es mir befahl, das allein durch ſtrenge Buße ſich mit Gott zu verſöhnen hoffen durfte. Nicht der durch mich herbeigeführte Tod meines Kindes, denn dieſes ermordete ich ja in einem Zuſtande, der mich vor Gott und Menſchen unzurechnungsfähig machte, ſondern der meines Va - ters iſt es, der mich mit Angſt und Entſetzen er - füllt, wenn ich an den unbeſtechlichen Richter über den Sternen denke. Denn ich darf mir nicht ſagen, daß ich keine Ahnung davon hatte, eine Sünde, oder auch nur ein Unrecht dadurch zu begehen, daß ich mich an Braun hingab: ich zitterte vor der Ent - deckung dieſes Verhältniſſes, folglich wußte ich, daß ich ſündigte.

Dem Vorſtehenden ſchloß ſich ein Tagebuch an,153 dem wir die ſich auf die Begebenheiten beziehenden Stellen entheben wollen.

Wie ſeltſam, daß die Liebe gegen Braun, die mich früher zu ſo großen Verirrungen, ja, zum Ver - brechen geführt hat, ſo gänzlich in meinem Herzen erloſchen iſt, daß mir kaum noch die Erinnerung daran geblieben! Vielleicht würde ich ſie gänzlich ver - geſſen haben, wenn mich die Qualen meines Herzens nicht noch daran erinnerten.

Wir haben wieder unſern Aufenthaltsort geän - dert und wieder hat Braun eine andere Geliebte, die vor den verblendeten Mormons den Namen ſeiner Tochter führt, zu ſich in’s Haus genommen. Sie iſt ſchön, wie es alle ihre Vorgängerinnen waren, aber ein flaches, geiſtig armſeliges Geſchöpf, dem jede Art von Bildung, dem ſelbſt ein oberflächlicher Verſtand fehlt. Sie wird nicht lange herrſchen, denn Braun wird derer am leichteſten überdrüſſig, die ſo flach, ſo völlig geiſtlos ſind, wie es dieſe Marie iſt.

Meine Lage wird, dieſer Marie gegenüber und154 in Folge meines ſich immer mehr verſchlimmernden Ge - ſundheitszuſtandes, mit jedem Tage übler: deſto beſſer!

Nur Eins begreife ich nicht: weshalb Braun mich nicht tödtete, da ich ihm doch zur Laſt, da mein Anblick ihm ein ſich ewig erneuender Vorwurf ſeyn muß? Aber ich glaube, ſeine Seele iſt ſo verhärtet, daß er mich, meine Leiden anſehen kann, ohne das Mindeſte dabei zu empfinden. Und dann kann ich ihm ja auch noch Dienſte leiſten! Wo würde er wohl eine zweite ſo willige, ſo verſchwiegene Sclavin fin - den wie mich: dies iſt es wahrſcheinlich, was mir das Leben noch friſtet.

Marie war heute, wegen eines leichten Verſehens bei ihrer Toilette, ſo hart gegen mich, ſo grauſam möchte ich ſagen, daß ich mich, da ſie zu Schimpf - reden auch noch thätliche Mißhandlungen hinzufügen wollte es kam nicht dazu, ſie drohte nur da - mit der Thränen nicht erwehren konnte. Braun kam in das Zimmer, als ich weinend auf meinen Knieen lag und Gott um die Kraft anflehte, auch das noch erdulden zu können. Was iſt dir? fragte er mit hartem Tone und mich faſt zornig anſehend. 155Jch ſagte ihm, da er es wiſſen wollte, was es ge - geben hatte. Er zuckte die Achſel und ſagte: Es wird dir ſchon nichts weiter übrig bleiben, als dich in dieſe Launen zu ſchicken. Jch weiß, daß mir nichts weiter übrig bleibt, aber welche Härte von ihm, mir das zu ſagen!

Wenn mich ſchon der Betrug, den Braun gegen arme, beſchränkte Menſchen ausübt, die ihn wie ei - nen Heiligen und Gottbegabten verehren und ihm eine faſt göttliche Anbetung weihen, auf’s Höchſte empört, wenn ich ihn ſeiner Laſter und Selbſtſucht wegen mit jedem Tage mehr verachten muß, ſo überſteigt dieſer Abſcheu, dieſe Verachtung doch faſt jedes Maß, wenn ich höre, welchen heilloſen Spott er mit dem frommen Glauben, mit dem ihm von den Gläubigen geſchenkten unbedingten Vertrauen treibt. Wie ein Schauſpieler ſich über die am Abend geſpielte Rolle mit ſeinen Kunſtgenoſſen etwa unterhalten würde, un - terhält er ſich mit Marien über die von Zeit zu Zeit im Tempel von ihm verrichteten Functionen, bei denen er das Amt des Prieſters, des gottbegeiſterten Pro - pheten ausübt, und wie ein Mime vor der Auf - führung ſeine Stellungen vor dem Spiegel ſtudiren, ſeinen Anzug muſtern würde, macht er vor Marien156 zuvor die Probe und läßt ſich von ihr zu ſeiner Rolle ſchmücken, wobei es an Lachen, Scherzen und allen Arten von Frivolitäten nicht fehlt. O Gott, Gott, gehe nicht mit dieſem Sünder in’s Gericht! Läutre ſein Herz durch ernſte, tiefe Reue, bevor du ihn zur Rechenſchaft forderſt!

Ein Tropfen der Erquickung ſtrömte aus dem Urquell aller Gnade heute in mein Herz: ich konnte aus der Fülle der Seele beten, beten auch für Die, die ſo hart, ſo grauſam gegen mich ſind. Dank dir, o Dank dir, mein Vater im Himmel, ſowohl für dieſes Gebet, als für die mir verliehene Kraft, noch ferner dulden, um noch mehr büßen zu können!

Jch habe Blut geſpien und das Athmen wird mir immer beſchwerlicher. Braun reichte mir Tropfen und ich nahm ſie. Mein Entſchluß ſteht feſt, mein unglückliches Leben auch nicht um eine einzige Stunde freiwillig zu verkürzen; Leben iſt ja für mich Büßen, und könnte ich wohl genug büßen?

Welche Abſicht mag Braun wohl mit dieſem jun -157 gen Manne haben, den er bei ſich einführte, dem er die Bewachung Mariens und ſeiner Wohnung anver - traute? Sollte er auch Mariens ſchon überdrüſſig ſeyn und ſie an den Unglücklichen verkuppeln wollen, da er Hieram nicht zur Hand hat, um ſich ihrer ent - ledigen zu können? Dürfte ich dieſen jungen Mann, der mir ein lebhaftes Jntereſſe einflößt, doch vor dem ihn bedrohenden Unglück warnen! Jch werde ihn ſelbſt und Die, welche ihr Spiel mit ihm treiben wollen, genau beobachten, und iſt dieſer Arnold meiner Theil - nahme würdig, ſollte er nicht ſelbſt klug und erfahren genug ſeyn, die ihm gelegte Schlinge zu bemerken und ſie zu vermeiden, ſo will ich ſein Schutzgeiſt wer - den. Jſt er es werth, gerettet zu werden, ſo ſoll er nicht zu Grunde gehen!

Wie hat mich das Singen und Spielen geſtern angegriffen! Welch ein Strom von Blut entquoll meiner armen kranken Bruſt, als ich endlich aufhören durfte! Daß man aber damit umgeht, dieſen Arnold in Liebe für Marie zu entzünden, daß auch ſie ihn erobern will, daran darf ich jetzt nicht mehr zwei - feln; wozu ſonſt dieſes heilloſe Spiel, dieſe Täuſchun - gen? Auch als Malerin wollte ſie vor ihm glänzen: ich mußte ein Gemälde beginnen und ſie ſitzt, wenn158 ſie den Eintritt Arnolds vermuthet, davor, als hätte ſie eben daran gearbeitet. Wenn er aber ſo unglück - lich wäre, in die ihm gelegte Schlinge zu gehen was Gott verhüthen wolle! wenn er dieſe Buh - lerin wirklich zu ſeiner Gattin machte, wie ſollte es dann ſpäter werden, wenn er, was nicht ausbleiben könnte, den ihm geſpielten Betrug entdeckte? Sollte Marie in dem Grade leichtſinnig ſeyn, daß ſie nicht ein einziges Mal daran dächte, nicht vor dem Gedan - ken an die Verachtung, die ſie dann treffen würde, erzitterte? Giebt es denn, wie es Menſchen ohne Ge - wiſſen giebt, auch welche ohne Scham?

Mit jedem Tage werde ich mehr in meiner guten Meinung von dieſem jungen Manne beſtärkt: er ſcheint durchaus edel, gefühlvoll und gebildet zu ſeyn, auch über ſeine Jahre hinaus klug. Jrre ich mich nicht, ſo durchſchaut er das Spiel der Beiden, denn obgleich ich nicht länger daran zweifeln kann, daß Marie ihn auf ihre Art liebt, und obgleich ſie ihm auf alle Weiſe entgegenkömmt, ſo gewinnt ſie doch kein Ter - rain in ſeiner Reigung und er ſteht ihr noch eben ſo gegenüber, wie zu Anfang ihrer Bekanntſchaft. Sollte er bereits gewarnt ſeyn? aber durch wen? denn wer kennt außer mir dieſe Menſchen und dieſe Verhält -159 niſſe? Vielleicht iſt es ſein Schutzgeiſt, eine innere Stimme, die ihn vor dem ihn bedrohenden Unheil warnt. Sollten aber die wirklich ſeltenen Reize die - ſer Marie ihn doch nach und nach beſtricken; ſollte ich Gefahr für ihn wittern, dann ſchweige ich nicht länger; dann ſetze ich den mir noch gebliebenen klei - nen Reſt von Leben daran, ihn zu warnen, zu ret - ten. Hat er es doch um mich verdient durch ſein Mitleid mit meinem Zuſtande, durch die menſchen - freundliche Theilnahme, die er jeden Augenblick gegen mich an den Tag legt und die ſich noch mehr in ſei - nen Blicken, als in Worten ausſpricht.

Jetzt weiß ich, denn wenn man da ſteht, wo ich ſtehe, löſen ſich dem forſchenden Verſtande nach und nach ſolche Räthſel jetzt weiß ich, wes - halb ich noch leben, dieſen ſiechen, elenden, zum Tode müden Körper noch länger mit mir umherſchleppen mußte: zum Werkzeuge der Rettung eines guten, edlen Menſchen war ich noch von der ewigen Gnade auserſehen, bevor ich in mein ſtilles Grab, in den Ruheport nach ſo vielen Leiden, hinabſteige. O Dank, Dank dir, mein gnädiger Gott, der du mir dadurch gezeigt haſt, daß du mich nicht gänzlich verworfen, daß du dich meiner erinnert und vielleicht gar erbarmt160 haſt, denn wie würdeſt du mir ſonſt noch eine Freude gewähren? Ja, ich will dieſen Arnold warnen, denn wenn Braun erſt zurückgekehrt, wird die Ge - fahr doppelt groß für ihn werden und ungewarnt vermöchte er ihr nicht zu entrinnen.

O, welche Schmerzen durchzucken mir die Bruſt, als wenn ein zweiſchneidiges Meſſer darin umgewen - det würde! Welche tödtliche Ermattung, welche Hin - fälligkeit!

Jch konnte nicht ſingen, ich wollte es nicht, denn ich muß es mir zur Sünde anrechnen, dieſen jungen Mann täuſchen zu helfen; ich erklärte Marien, daß ich nicht im Stande ſei, ihrem Willen zu gehor - chen; allein ſie ließ nicht ab, bis ich mich an das Jnſtrument ſetzte; ſie, die mich noch nie um irgend Etwas gebeten, die immer nur mit Härte befohlen hatte, ſie ließ ſich ſogar zur Bitte gegen mich herab. Die Folge dieſer Anſtrengung war ........

Hier brach das Manuſcript ab. Wahrſcheinlich war die Schwäche der Schreiberin ſo groß geworden, daß ſie nicht einmal den Satz vollenden konnte. Das Uebrige und auf welche Weiſe das Manuſcript in die Hände Arnolds gekommen, wiſſen wir.

161

Sechſtes Kapitel.

Still legte Arnold, mit unausſprechlichen Gefüh - len, die Blätter wieder zuſammen, deren Jnhalt ihm alles Das beſtätigte, was er ſich über das zwiſchen Joe Smith und Marie herrſchende Verhältniß gedacht hatte. Die furchtbarſte Verachtung gegen Beide erfüllte ſein Herz, und daneben ein Haß gegen den Propheten, wie er noch nie ſeine Bruſt erfüllt hatte. Es war ihm klar, daß dieſer allein, um ſich einer überdrüſſig gewordenen Concubine zu entledigen, Zuneigung und Wohlwollen gegen ihn geheuchelt; vielleicht hatte er gar noch andere Pläne mit ihm gehabt, die er zur Zeit noch nicht zu durchſchauen vermochte.

Ha! rief er im gänzlichen Selbſtvergeſſen mit lauter Stimme aus, dieſer Elende ſoll an mir ſeinen Mann, Dina’s durch ihn hingemordetes Glück an mir einen Rächer gefunden haben! Alle Qualen, die er auf dieſes ſanfte, edle, im Dulden ſo große Herz in ſeiner Grauſamkeit und bodenloſen Verrucht - heit häufte, ich ſchwöre, ich gelobe es im Namen der ewigen Gerechtigkeit, ſollen auf ihn doppelt zurück - fallen, und nicht eher will ich ruhen, bis ich ihm den erborgten Heiligenſchein vom Haupte geriſſen und der durch ihn getäuſchten und verdummten Menge dieſenII. 11162elenden Heuchler in ſeiner ſcheußlichen Nacktheit ge - zeigt habe!

Bei dieſen Worten öffnete ſich ſeine Thür, ohne daß vorher angeklopft worden war, und ſeinen Blicken zeigte ſich Joe Smith in ſeiner vollen, überaus glän - zenden Generalsuniform, denn er war eben auf dem Wege, die Miliz von Nauvoo zu inſpiciren.

Sie declamiren und das ganz auf eigene Hand, Sir? fragte ihn der Eintretende mit einem perfiden Lächeln.

Jch ſtudirte meine Rolle, Sir, antwor - tete ihm Arnold, der keinen Augenblick daran zweifelte, daß er Alles gehört habe, mit bedeutſamem Tone.

So ſind Sie auch Schauſpieler? fuhr Joe fort, einen Schritt näher zu dem Tiſche tretend, auf dem noch Dina’s ſchriftlicher Nachlaß lag. Man entdeckt täglich neue Talente an Jhnen, Sir, fuhr der Prophet mit ſpottendem Tone fort. Sie ſpielen wohl gar, wie ich, nach dem, was ich ſoeben ge - hört, vermuthen muß, die Heldenrollen?

Sie haben es errathen, Sir, antwortete ihm Arnold, der jetzt ſeine Partie ergriffen hatte, in - dem er zwiſchen den Propheten und die auf dem Ti - ſche liegenden Papiere trat, von denen Joe, der Di - na’s Schriftzüge auf den erſten Blick erkannt hatte, kein Auge verwandte.

163

Joe, der begriff, daß er es mit einem entſchloſ - ſenen Gegner zu thun habe, änderte plötzlich den Ton, und die Hand an den Degen legend, ſagte er mit gebietender Stimme:

Die Papiere, die dort auf dem Tiſche lie - gen, ſind von Jhnen geraubt worden, ſind mein Eigenthum, und ich fordre ſie von Jhnen zurück. Sie werden ſich ſpäter darüber zu verantworten haben, auf welche Weiſe Sie dazu gelangten.

Auf die rechtmäßigſte von der Welt, ant - wortete Arnold mit einer Ruhe und Furchtloſigkeit, die Jenem imponirte, denn er war ein Mann, der ſolche Eigenſchaften zu ſchätzen verſtand.

Sie wollen ſie alſo nicht herausgeben? fragte der Prophet, den Degen halb aus der Scheide ziehend und ihn zugleich mit einem drohenden Blick anſehend.

Laſſen Sie den Degen ſtecken, Sir, ant - wortete ihm Arnold, indem er ſich mit einer raſchen Bewegung zweier hinter ihm auf dem Büreau liegen - den Piſtolen bemächtigte, deren Mündung er ihm ent - gegenhielt. Laſſen Sie Jhren Degen ſtecken, wie - derholte er mit gebieteriſchem Tone, oder es fließt Blut!

Führen wir hier wirklich Komödie auf, Sir? fragte Smith mit kleinlautem Tone, indem11 *164ſich ſeine Züge veränderten, ſo ſehr er ſie auch ſonſt in ſeiner Gewalt hatte.

Tragödie, wenn Sie nicht augenblicklich ge - horchen, Sir, verſetzte Arnold: ich befehle Jhnen, den Degen nicht nur ſtecken zu laſſen, ſondern ihn ſogar abzulegen.

Der Prophet ſtand wie betäubt; er gab ſich ei - nen Augenblick verloren, denn er zweifelte nicht daran, daß dieſer Verwegene ihm Wort halten würde, wenn er ſich ſeinem Befehle widerſetzte. Bald aber faßte er wieder Hoffnung, ſich retten zu können und in dieſer Abſicht zog er ſich, rückwärts gehend, als wolle er ſich der allzu großen Nähe der ihm entgegengehal - tenen Mordwaffen entziehen, weiter zur Thür zurück. Aber Arnold errieth ſeine Abſicht augenblicklich und vereitelte ſie dadurch, daß er dem ruhig auf der Erde liegenden Bruno einen Wink gab, den dieſer ſogleich verſtand und ſich knurrend vor die Thür ſtellte.

Rühren Sie ſich jetzt nicht, nahm unſer Freund wieder das Wort, oder Sie ſind verloren; das Thier kennt ſeine Pflicht und verſteht meine Be - fehle; Sie würden, ohne daß ich es Jhnen erlaubte, nicht lebend dieſes Zimmer verlaſſen. Aufgepaßt, Bruno! wandte er ſich dann an dieſen und das Thier zeigte dem Propheten fletſchend ſein furchtbares Gebiß.

165

Jch bin, wie ich ſehe, in eine Mörderhöhle gerathen, nahm Joe kleinlaut das Wort, indem er ſich den Schweiß von der Stirn trocknete.

Wenn Sie dieſes Gemach ſo zu nennen be - lieben, wurde ihm geantwortet, ſo dürfen Sie doch nicht ſagen, daß ich Sie hineinlockte: ihr böſer Stern war es, der Sie dazu verführte, mein Selbſtgeſpräch zu belauſchen und in Folge deſſen, was Sie auf dieſe unwürdige Weiſe erſchnappt, mir drohen zu wollen. Aber laſſen wir alle dieſe überflüſſigen Erörterungen, denn die Zeit drängt. Wir kennen einander jetzt, denke ich: Sie werden wiſſen, was Sie von mir zu erwarten hätten, wenn Sie ſich meinen Befehlen wi - derſetzten, und ich kenne Sie aus Dina’s mir hinter - laſſenen Papieren hinlänglich, um ſicher zu ſeyn, daß ich verloren wäre, wenn ich Sie aus meiner Gewalt ließe, bevor ich mich in Sicherheit gebracht. Wir ſtehen wie zwei Schachſpieler einander gegenüber, wo - von jeder auf den nächſten Zug matt ſeyn würde: ich kenne meine Stellung, der erſte Zug iſt an mir und Sie werden gehorchen.

Was wollen Sie, das ich thun ſoll? fragte ihn Joe nach einer ziemlich langen Pauſe mit kleinlautem Tone und zu Boden geſenkten Blicken.

Das Erſte, was ich Jhnen befehle, iſt, daß Sie Jhren Degen ablegen.

166

Hier iſt er!

Jetzt unterziehen Sie ſich der Mühe, Geld, Wäſche und Kleidungsſtücke, ſo viel nur in dieſen Mantelſack hineingeht, aus dieſer Kommode in jenen zu packen.

Der Prophet gehorchte ſchweigend und bald war der Mantelſack gepackt.

Was nun? fragte er, noch immer nicht wagend, das Auge zu ihm zu erheben.

Wir werden jetzt vereint dieſes Zimmer, dieſes Haus verlaſſen, war die Antwort; Sie wer - den dem Sohne des alten Gärtners befehlen, mir den Mantelſack nachzutragen, mein Pferd im Stalle zu ſatteln; wir werden wie die beſten Freunde über den Hofplatz gehen, durch die Stadt ſogar; ich werde die Hände mit den Piſtolen in der Taſche haben und Bruno wird Jhren Schritten wie das frömmſte Thier folgen.

Beim Himmel, Sie ſind groß, Sir! rief jetzt plötzlich Smith, der ſeine Abſicht durchſchaute. Weshalb capriciren Sie ſich, mein Feind ſeyn zu wollen? weshalb wollen Sie nicht mein Freund ſeyn? Die Welt wär unſer, wenn wir uns auf Treu und Glauben mit einander verbinden könnten. Ein Mann wie Sie fehlte mir; ich hatte eine Ahnung davon, was Sie wären, unter Umſtänden ſeyn könnten, und167 deshalb ſuchte ich Sie ſo gefliſſentlich auf, deshalb allein drängte ich mich, obſchon von Jhnen zurückge - ſtoßen, doch immer wieder an Sie.

Nicht doch! antwortete ihm Arnold mit einem Lächeln, das ihn in Verzweiflung brachte: Sie ſuchten einen Gatten für Jhre Buhlerin, deren Sie überdrüſſig geworden, und mir war die Ehre zuge - dacht, dieſem verächtlichen Geſchöpfe meinen Namen zu geben. Aber nichts mehr von dieſem Allen: ich kenne Sie und, mich zu täuſchen, würde, nachdem ich dieſe Papiere geleſen, ſelbſt dann unmöglich ſeyn, wenn ich der dümmſte Teufel wäre.

Er raffte mit dieſen Worten die Papiere zuſam - men und ſteckte ſie in den Buſen.

Jetzt kommen Sie, Sir, nahm Arnold wieder das Wort; aber laſſen Sie ſich warnen, be - vor wir von hier gehen: ein einziges zweideu - tiges Zeichen, ein einziger Wink, ein Zucken mit den Augenwimpern nur, und Sie ſind des To - des!

Er öffnete mit dieſen Worten die Thür und Beide traten erſt in das Haus, dann auf den Hof hinaus, wo Joram Adams mit dem Ausbeſſern eines Schieb - karren beſchäftigt war, wobei er ein frommes Lied ſang, denn er war, wo möglich, ein noch größerer Fanatiker, als ſein Vater.

168

Du wirſt einen ſchon gepackten Mantelſack von Mr. Arnolds Zimmer holen, ſein Pferd ſatteln, den Mantelſack darauf befeſtigen und es wohin wollen Sie es geführt haben Sir? wendete ſich der Prophet, der die vorhergehenden Befehle an Joram gerichtet hatte, an ſeinen Begleiter.

Vor das Südthor, antwortete dieſer.

Gut, du wirſt es vor das Südthor führen, Joram, ſagte Smith.

Wohin wir indeß vorausgehen, nahm Arnold das Wort. Jſt Jhnen gefällig, Sir, mir Jhren Arm zu geben?

Mit Vergnügen!

Beide gingen Arm in Arm, anſcheinend im freundlichſten Geſpräche, mit einander durch die lan - gen Gaſſen der Stadt. Alle ihnen Begegnenden grüß - ten ehrerbietig, beſonders thaten ſie dies bei dem Pro - pheten, und Keiner hatte eine Ahnung davon, daß dieſer gleichſam der Gefangene ſeines Begleiters war. Bruno heftete ſich auf einen Wink ſeines Gebieters an Smiths Ferſen und verließ dieſen nicht mit den Augen.

Außerhalb des Thores angelangt, nahmen Beide neben einander unter einem großen Ahornbaume Platz und Bruno lagerte ſich dicht neben ihnen. Sie rede - ten jetzt, wo ſie von Niemanden mehr geſehen wur -169 den, nicht mehr mit einander; Jeder überließ ſich ſei - nen eigenen Betrachtungen und Gedanken, bis Joram mit dem geſattelten und gezäumten Pferde anlangte.

Joe Smith, welcher glaubte, daß ſein Peiniger ſich damit begnügen würde, das Pferd zu beſteigen und von dannen zu reiten, und der ſchon Pläne in ſeinem Kopfe umherwälzte, wie er dieſen wieder ein - holen und zurückführen laſſen könnte, reichte Arnol - den, wie zum Abſchiede, die Hand und machte Miene, dem nach der Stadt zurückkehrenden Joram zu folgen.

Wir ſind noch nicht mit einander fertig, nahm Arnold das Wort, als er dieſe Bewegung ſei - nes unfreiwilligen Begleiters wahrnahm.

Noch nicht? fragte der Prophet verwun - dert. Haben Sie nicht Jhr Pferd und können in fünf Minuten aus meinem Bereiche ſeyn? Was ver - langen Sie denn noch mehr?

Vollkommene Sicherheit vor Jhnen und den mir wahrſcheinlich nachgeſandten Verfolgern, war die Antwort. Jch bedaure aufrichtig, Jhre koſtbare Zeit ſo ſehr in Anſpruch nehmen zu müſſen, Sir, allein trotz dem muß ich Sie erſuchen, mir noch auf eine Stunde, oder auf ein paar Stunden, Jhre Be - gleitung ſchenken zu wollen.

Sie ſind in der That übertrieben vorſichtig,170 Sir! Was könnte mir, bedenken Sie das doch! an Jhrem Tode gelegen ſeyn? Unſre Wege ſcheiden ſich, wenn wir uns diesmal getrennt haben, für immer aus einander; Sie werden nicht nach Nauvoo zurück - kehren und ich Sie nicht an andern Orten aufſuchen; wozu mich alſo unnützerweiſe quälen? wozu den Haß und Zorn eines Mannes noch mehr gegen ſich auf - reizen, der Jhnen doch, ſo ſtark Sie ſich auch glau - ben, früher oder ſpäter gefährlich werden könnte? Oder .......

Er ſtockte und ſah ſeinen Begleiter mit miß - trauiſchen Blicken an.

Was meinen Sie, Sir? fragte ihn dieſer, indem er einen Augenblick ſeine Schritte anhielt.

Jch meine, antwortete ihm Smith nach kurzem Bedenken, daß ein Mann, der mir einen ſolchen Haß, eine ſolche Feindſchaft geſchworen hat, wie Sie, Sir, mich leicht nur aus dem Grunde in die Wildniß locken könnte, um mich ungehinderter, ungeſehen, ermorden zu können.

Das haben Sie abzuwarten, Sir, ant - wortete ihm Arnold ruhig; jetzt gehorchen Sie mir aber!

Beide redeten von dieſem Augenblick an nicht mehr zu einander. Nachdem ſie eine Stunde noch ſo fortgegangen waren, blieb Arnold plötzlich ſtehen, rief171 Bruno zu ſich, zeigte auf den von ihnen zurückge - legten Weg und ſagte:

Jetzt dürfen Sie umkehren, Sir!

Smith, der ſich ſeines Lebens bereits begeben hatte, ſah ihn mit Verwunderung an und ſchaute ihm ſelbſt noch eine Weile nach, als er, der ſich auf ſein Roß geſchwungen hatte, ſchon durch die Prairie hin - ſprengte. Dann kehrte er langſam und in Gedanken vertieft zur Stadt zurück.

Arnold war der erſte Menſch geweſen, der ihm imponirt hatte und ſelbſt jetzt, wo dieſer ihm ſo ge - rechte Urſache zum Haſſe gegeben, fühlte er ſich doch noch zu ihm hingezogen, mußte er ſich noch die Frage vorlegen: ob er ihn vernichtet haben würde, wenn er gekonnt hätte? und er bejahte ſie nur, weil er die größeſte Gefahr für ſich und ſeine weit ausſehenden Pläne von dieſem Manne zu befürchten hatte, der, obſchon noch ſo jung, doch ſo viel Character, Ent - ſchloſſenheit und Klugheit an den Tag legte. Er ſah ein, daß, wenn ihm Einer gefährlich werden könnte, es dieſer Arnold ſeyn würde und ſagte im Fortwan - deln mehre Male vor ſich hin: Ja, er muß ſter - ben! Will er es doch nicht anders!

Als er wieder zu Marien zurückkehrte, fand er dieſe in Thränen und der Anblick derer, der er ſich durch Arnolden hatte entledigen wollen, regte den172 Zorn gegen letztern noch heftiger in ihm auf; doch ſuchte er ſowohl dieſen, als den Widerwillen, den ihm das einſt geliebte Mädchen jetzt einflößte, unter der Maske der Freundlichkeit zu verbergen.

Was iſt dir, Marie? fragte er ſie mit dem ſanften, theilnehmenden Tone, der ihm immer das Herz des Hörers gewann; du weinſt? fügte er hinzu, indem er näher trat und ihre Hand ergriff.

Du warſt bei Arnolden? fragte ſie unter immer heftiger ſtrömenden Thränen; du haſt mit ihm geredet ? ihn gefragt? .....

Jch ging allerdings in der Abſicht zu ihm, antwortete ihr Smith nach kurzem Beſinnen.

Und was antwortete er dir?

Jch ſprach ihn nicht.

Er iſt wieder fort?

Ja!

Wieder fort? und wohin? hat man es dir geſagt, Joe?

Nein! Er ließ keinen Beſcheid zurück; doch vermuthe ich, daß ihn ſeine ſeltſame Vorliebe für die Wilden wieder zu ihnen geführt hat.

Er kehrte erſt eben von ihnen zurück?

Es muß ein mächtiger Magnet ſeyn, der ihn immer wieder dahin führt, antwortete ihr Joe, der ſeinen Entſchluß bereits gefaßt hatte, ſich der173 Unglücklichen um jeglichen Preis entledigen zu wollen; vielleicht ein hübſches Sioux-Mädchen, fügte er nachläßig hinzu. Man ſagt, daß es, trotz ihrer ro - then Haut, ſehr ſchöne, verführeriſche Mädchen unter dieſen Wilden geben ſoll.

Du glaubſt, daß Arnold .....?

Ein junger Mann iſt und Sinne hat, wie andre junge Männer, verſetzte der Prophet. We - nigſtens kann ich mir auf keine andere Weiſe ſeine häufigen Entfernungen und ſein längeres Verweilen unter dieſen Wilden erklären.

Aber warum? ..... Sie ſtockte und weinte heftiger.

Was wollteſt du ſagen, Marie? fragte ſie Smith mit dem Tone der innigſten Theinahme; hätteſt du ſelbſt jetzt noch, wo Alles ſchon zwiſchen uns zur Sprache gekommen iſt, Geheimniſſe vor dei - nem beſten Freunde? vor dem Manne, der keinen Wunſch mehr hat, als wenigſtens dich ganz glücklich zu ſehen, da er ſelbſt es, ſeit dem Verluſte deiner Liebe, nicht mehr ſeyn kann? Rede offen, ganz offen, zu deinem Vater, Marie, denn als ſolchen betrachtete ich mich von dem Augenblick an, wo du mich zum Vertrauten deiner neuen Liebe machteſt.

Warum verſchmähte er denn meine Liebe? ſchluchzte ſie; durfte er doch nicht länger daran zwei -174 feln, nach den Schritten, die ich ihm entgegen that!

Sein Zartgefühl, ſeine Rechtlichkeit werden ihn davon abgehalten haben, die ihm von meinem Vertrauen eingeräumte Stellung dir gegenüber zu miß - brauchen, und dies erwartete ich von ihm, deshalb ſtand ich keinen Augenblick an, auf die mir von dir angebotene Wette einzugehen. O, er iſt kein gewöhn - licher Menſch, dieſer junge Deutſche, und nur er konnte rein aus dieſer Frauenprobe hervorgehen; jeder gewöhnliche junge Mann würde ihr unterlegen ſeyn.

Aber du glaubſt trotz dem, daß ein Sioux - Mädchen? .....

Nun ja! und was wäre denn dabei? Jſt er nicht noch jung? hat er nicht ſo gut Sinne, wie wir Andern? und jene Mädchen ſollen wirklich über - aus verführeriſch ſeyn.

Jch will wiſſen, wie ich mit ihm daran bin! ſagte Marie nach kurzem Nachſinnen, denn ihre durch den Propheten aufgeſtachelte Eiferſucht hatte eine ſolche Gewalt über ſie erlangt, daß ſie vor der größeſten Extravaganz nicht mehr zurückbebte.

Du wollteſt ihn offen darum befragen? antwortete ihr Joe, ſie verwundert anſehend.

Ja, das will ich! antwortete ſie mit ent - ſchloſſenem Tone.

175

Jch fürchte, daß das nicht mehr möglich, daß er für immer für dich verloren ſeyn wird, ant - wortete er ihr. Er hat ſeine Wohnung gekündigt und alle ſeine Sachen zu Pferde mit ſich genommen.

Und ohne Abſchied von mir zu nehmen? ohne deine Erlaubniß dazu einzuholen, Joe?! rief ſie mit von Thränen erſtickter Simme. O, ich kann das nicht glauben! So hart, ſo grauſam konnte er nicht gegen Die ſeyn, von der er ſich geliebt wußte, ſo rückſichtslos auch nicht gegen dich!

Doch iſt dem ſo, verſetzte der Prophet; doch darf ich nach dem, was ich von John Adams gehört habe, nicht daran zweifeln, daß er nicht wie - der zurückkehren wird. Was unſer Verhältniß ſeines zu mir anbetrifft, ſo ſtand es ihm frei, es jeden Augenblick zu löſen, nachdem er die ihm von mir angetragene Anſtellung ausgeſchlagen, und ich habe kein Recht, ihm wegen ſeines plötzlichen Fort - gehens zu zürnen; was aber dich anbetrifft, Marie, ſo mochte er ſich vor dem Abſchiede von dir, er mochte ſich davor fürchten, ſeine Gefühle dir in dem Augenblick gegenüber nicht beherrſchen zu können, und allein deshalb ging er, ohne Abſchied von dir zu nehmen.

Du glaubſt alſo doch, daß er mich liebt? Aber das Sioux-Mädchen. Joe? .....

176

Wenn dem ſo wäre, wie ich vermuthe, ſo würde jedenfalls die Bekanntſchaft von früherer Zeit herrühren; erſt ſpäter ſah er dich, liebte er dich denn wie wäre es wohl möglich, daß er deinen Rei - zen gegenüber hätte kalt bleiben können? aber die Furcht vor mir hielt ihn davon ab, dir ſeine Liebe zugeſtehen. Durfte er doch annehmen, daß ich höher mit meiner vermeintlichen Tochter hinaus wollte, als ſie einem jungen Manne ohne Stand und Vermögen, ja ſogar ohne Namen, zur Gattin zu geben, und ſein Edelmuth, ſein Stolz verhinderten ihn daran, ſich heimlich um deinen Beſitz zu bewerben. So er - kläre ich mir ſein Benehmen, denn auf andere Weiſe iſt es nicht zu erklären.

Wie weit iſt es bis zur Niederlaſſung der Sioux? fragte jetzt die Betrogene von einem plötz - lichen Gedanken getroffen.

Jn vier bis fünf Tagereiſen kann man auf guten Pferden bei ihnen ſeyn; aber wozu dieſe Frage, Marie?

Wozu dieſe Frage? Jch will zu ihm ich will mit eigenen Augen ſehen, mit eigenen Ohren hören, wie ich mit ihm daran bin. Du tödteſt mich, Joe, wenn du mir das verſagſt!

Jch ſollte dich den Gefahren einer ſolchen Reiſe ausſetzen, Marie, dich, die ich ſo heiß liebte,177 die ich noch jetzt liebe, trotz dem, daß du mich nicht mehr lieben kannſt, mich einer andern Neigung auf - geopfert haſt? Nimmermehr!

So laß nur auch mir ein Grab auf deinem neuen Kirchhofe, neben dem Dina’s, graben! rief ſie mit dem Tone der höchſten Leidenſchaft: ich kann nicht ohne ihn, nicht ohne ſeine Gegenliebe leben! O, wenn du wüßteſt, Joe, was ich gelitten, was empfunden habe, ſeit du ..... Sie ſtockte.

Du wollteſt mir einen Vorwurf machen; genire dich nicht, Marie! ſagte er in einem etwas gereizten Tone. Du haſt das Recht dazu, fuhr er nach einer Weile in mildererm fort; ich trage in der That allein alle Schuld an dieſem Unglück: ich mußte wahnſinnig ſeyn, indem ich dir dieſen jungen Mann zuführte und ihn ſo lange allein mit dir ließ. Aber ich vertraute deiner Liebe, deinen Schwüren ewiger Treue .....

O, keine Vorwürfe, Joe! unterbrach ſie ihn mit flehender Stimme. Jch ſelbſt mache ſie mir und heftigere, als du vielleicht glaubſt. Aber das Unglück iſt nun einmal da: du haſt mir ein Geſtänd - niß abgelockt; du haſt mir großmüthig verziehen: jetzt hilf, jetzt rette mich, errette mich von Verzweiflung!

Gut! ſagte er nach einer ziemlich langen Pauſe, während welcher er mit ſich ſelbſt gekämpft zuII. 12178haben ſchien: du ſollſt nicht über meine Großmuth zu klagen haben und ich will ſelbſt, da dich das allein beruhigen kann, in dieſe abenteuerliche Reiſe willi - gen; aber nur unter der Bedingung, daß du dir die Begleitung eines ganz ſichern, zuverläſſigen Mannes gefallen läßt. Es iſt ein gewiſſer Hieram; du kennſt ihn vielleicht nicht mehr, da er mehre Jahre abweſend und in England und Jrland für meine Zwecke thätig war, ich aber weiß, was ich an ihm habe, und wäre er nicht vor einigen Tagen zurückgekehrt, könnte ich ihm dich nicht anvertrauen, ſo würde ich nimmermehr in dieſe Reiſe willigen.

Die Betrogene dankte ihm unter heißen Thränen für ſeine vermeinte Güte und Großmuth und er ent - fernte ſich, um, wie er ſagte, das Nöthige mit Hieram zu verabreden.

Außer ſich vor Freude, war Marie kaum im Stande, die zur Reiſe nöthigen Anſtalten zu treffen; auch war ſie in allen ſolchen Dingen höchſt unge - ſchickt und durch Dina ſo verwöhnt geworden, daß ſie Nichts recht anzufaſſen wußte. Sie wurde aber doch, wohl oder übel, mit ihren Einrichtungen fertig und mit Anbruch des Tages, als noch Alles in Nau - voo im tiefſten Schlafe lag, führte Hieram, in dem ſie, ſowie ſie ihn erblickte, eben Den erkannte, der ſie dem Propheten in die Arme geführt, zwei gute179 Roſſe vor, wovon das eine mit einem Damenſattel geſattelt war; das wenige Gepäck wurde aufgeſchnallt und der Prophet hob das unglückliche Opfer ſeiner Hinterliſt ſelbſt in den Sattel; Marie reichte ihm vom Pferde nochmals die Hand zum Abſchiede und verſprach ihm, ſo bald als möglich zurückkehren zu wollen; dann ſetzten ſich die beiden Roſſe, auf einen leichten Peitſchenſchlag, den ihnen Mariens Begleiter mit der Reitgerte verſetzte, in Bewegung und ſie ſprengten davon.

Glückliche Reiſe! rief der Prophet der Unglücklichen höhnend nach, und kehrte dann ſichtbar erleichtert in ſeine Wohnung zurück. Nichts ſtände jetzt mehr, ſo wähnte er, der Ausführung ſeiner großen Pläne und ſeiner neuen Liebe im Wege!

Siebentes Kapitel.

Hieram, in deſſen Character Bosheit und Scha - denfreude vorherrſchend waren und der das Böſe aus reiner Luſt daran that, war wider ſeine Gewohnheit heiter und beredt auf dem Wege, den er mit Marien zurücklegte. Nicht nur beantwortete er alle ihre Fra - gen über die Wohnplätze und die Lebensweiſe der12 *180Sioux, die er genau kannte, weil er ſich ſchon lange vor ſeiner Bekanntſchaft mit dem Propheten in die - ſen Gegenden umhergetrieben hatte, ſondern er erzählte ihr auch ungefragt Mancherlei und machte ſich ein be - ſonderes Vergnügen daraus, der Leichtgläubigen und Unwiſſenden die abgeſchmackteſten Mährchen aufzuhef - ten, denn dies vertrieb ihm die Zeit, die ihm ſonſt ſehr lang geworden ſeyn würde.

Sie vertraute ihm unbedingt in Allem, was er that und ſagte, ſchon weil der Prophet ſich für ihn verbürgt hatte, dann aber auch, weil er, ſo lange es ihm nöthig ſchien, auf’s Beſte auf der Reiſe für ſie ſorgte. Daß er ſie, ſtatt ſie nach Nordweſten in den Siouxdiſtrict zu führen, nach Nordoſten führte, davon hatte die in allen ſolchen Sachen Unkundige keine Ahnung, ſondern ſie vertraute ſich ohne Furcht der Leitung des Elenden an, der ſich, wie in allen ſonſtigen Dingen, auch den auf das Verderben der Unglücklichen ausgehenden Plänen ſeines Herrn und Meiſters willig hergeliehen hatte und auch nicht ei - nen einzigen Augenblick Mitleid mit ſeinem Schlacht - opfer fühlte.

Sind wir denn noch nicht bald am Ziele? fragte ihn Marie gegen Abend des ſechſten Tages, nachdem ſie im Laufe deſſelben mit immer größer wer - denden Mühſeligkeiten und Beſchwerden zu kämpfen181 gehabt hatten. Denn immer rauher wurde die Land - ſchaft, immer ſteiler ſtrebten die Berge zum Himmel empor; immer kälter, immer ſchneidender wurde die Luft und faſt fing Marie ſchon zu bereuen an, die Reiſe unternommen zu haben.

Morgen, ſo hoffe ich, antwortete ihr Hieram mit einem ſeltſamen Lächeln; für dieſe Nacht aber werden Sie ſich noch unter freiem Himmel be - helfen müſſen, Lady Marie.

So ſind wir alſo an der Grenze des Sioux - diſtricts? fragte ſie wieder. Jch hätte nicht ge - glaubt, daß dieſe Wilden in einer ſo wüſten, ſchau - derhaften Gegend lebten. Mr. Arnold wußte mir nicht genug von den Annehmlichkeiten ihrer Wohnſitze zu erzählen.

Da hinter den Bergen, antwortete er ihr, auf eine vor ihnen liegende Bergkette zeigend, deren Spitzen faſt bis die Wolken hinaufreichten, da hin - ter den Bergen wird das Land beſſer und freund - licher.

Gott gebe es! ſagte ſie, mit einem tie - fen Seufzer in der Einöde umherblickend; hier iſt es wild und ſchauerlich und nicht begraben möchte ich hier ſeyn!

Freilich, freilich, Miß, antwortete er ihr mit einem verzerrten Lächeln, iſt es in Nauvoo beſſer182 und Gegenden wie dieſe, ſind nicht zum Aufenthalte für junge und zarte Ladys, wie Sie ſind, ſondern nur zu dem der wilden und reißenden Thiere beſtimmt, deren es genug in jenen Bergen geben mag.

Wißt ihr, Hieram, daß ich mich hier fürchte? ſagte ſie, ängſtliche Blicke umherwerfend; denn die Traurigkeit und Oede dieſer Gegend, durch die der Weg über lauter Felstrümmer führte, einer Gegend, in der kein Baum, kein Strauch zu er - blicken war und wo der wie verbrannte, bald roth, bald ſchwarz gefärbte Boden nur noch hie und da einige dürftige Kryptogamen hervorbrachte, leidet kaum eine Beſchreibung und erfüllte die Seele zugleich mit Furcht und Niedergeſchlagenheit.

Glaub’s recht gern, Lady, verſetzte der Jrländer denn das war er von Geburt glaub’s recht gern! und wenn Sie wollen, ſo kehren wir wie - der um, fügte er, Spott und Hohn ſeiner Grau - ſamkeit und Verrätherei beifügend, hinzu.

So nahe dem Ziele? rief ſie, die ſeine Worte für baare Münze nahm. Nein, guter Hieram, ſind wir ſo weit gekommen, ſo kommen wir auch ſchon noch weiter, und da hinter den Bergen, ſagt ihr ja, wird es beſſer?

Wenn wir die erſt hinter uns haben, wird’s beſſer, verſicherte er. Aber treiben Sie ihr Pferd183 ein wenig ſtärker an, Lady, fügte er hinzu, denn wir müſſen vor noch Dunkelwerden die Berge erreichen, weil wir hier nicht übernachten könnten, ohne den Raubthieren zur Beute zu fallen. Dort oben im Ge - birge finden wir aber Holz, um uns ein gutes Feuer anzumachen, und ſchon deshalb müſſen wir ſie zu er - reichen ſuchen.

Er verſetzte mit dieſen Worten dem Pferde Ma - riens einen Schlag mit ſeiner Reitgerte, ſpornte das ſeinige an und beide Thiere ſetzten ſich wieder ſchneller in Bewegung. Es war ein Glück für Marie, daß ſie ſich von früheſter Jugend an das Reiten gewöhnt hatte, denn ſonſt würde ſie dieſe lange und oft ſo gefahrvolle Reiſe nicht haben machen können. Jhr Vater war in England Kunſtreiter geweſen; von ihm weggelaufen, hatte ſie ſich bei einer vagirenden Schau - ſpielertruppe, die nach Amerika ging, engagirt und war bei dieſer von Hieram aufgeſpürt worden, der ſich eben wieder nach einer neuen Sultanin für den Propheten umthat.

Man langte mit Anbruch der Nacht am Fuße des Gebirges an. Dieſes war, bis zu einer gewiſſen Höhe, ſchön bewaldet und die Vegetation fing an, wieder üppiger zu werden.

Hierams nächſte Sorge war, trockenes Holz zu einem tüchtigen Feuer zuſammenzutragen, neben dem184 ſich Marie, ſobald die Flammen luſtig emporloderten, im hohen weichen Graſe hinſtreckte, während Hieram erſt für die todtmüden Roſſe ſorgte, denen er Sattel und Zaum abnahm, damit ſie weiden könnten, und dann erſt daran dachte, auch für ſich und Marie ei - nen Jmbiß zuzubereiten. Er hatte am vorhergehen - den Tage ein paar Prairiehunde erlegt, deren Fleiſch mit dem unſerer Kaninchen große Aehnlichkeit hat, entfellte ſie mit großer Geſchicklichkeit und briet Stücke davon, nachdem er ſie an einen langen hölzernen Spieß geſteckt, an der hell emporlodernden Flamme.

Das Gericht ſchmeckte Marien, obgleich ſie beſ - ſerer gewohnt geworden war, vortrefflich und eben ſo der Trunk Waſſer, den Hieram ihr aus der Feld - flaſche reichte, denn von dem mitgenommenen Weine war nichts mehr übrig und man mußte Gott danken, als man nicht allzu fern vom Lagerplatze einen Berg - quell entdeckt hatte, aus dem ſich jetzt Menſchen und Thiere mit Wohlgefallen ſatt tranken.

Jetzt, nahm Hieram das Wort, als er ſah, daß ſeine Begleiterin geſättigt war, jetzt legen Sie ſich getroſt zur Ruhe nieder, Lady: ich werde zu - gleich Sie und das Feuer bewachen, denn letzteres dürfen wir, der Raubthiere wegen, nicht ausgehen laſſen.

Werde ich wohl je im Stande ſeyn, euch185 eure große Güte und Sorgſamkeit vergelten zu kön - nen? ſagte ſie, einigermaßen gerührt, indem ſie ihre kleine, ſchneeweiße Hand auf ſeine harte, ſtark gebräunte und knochige legte.

Quälen Sie ſich darum nicht, Miß Ma - rie, antwortete er ihr; es iſt Alles ſchon im Vor - aus von Mr. Smith bezahlt, und Sie wiſſen, daß der kein Knauſer iſt.

Ja, Hieram, er iſt gut und groß zu - gleich, erwiederte ſie, und wenn ich es recht be - denke, ſo muß ich mir ſagen, daß ich nicht gut an ihm handelte, an ihm, der mir, trotz meiner großen Undankbarkeit, noch fortwährende Beweiſe ſeiner Liebe giebt; er bezeigte ſie beſonders dadurch, daß er mir euch zum Begleiter gab. Sollte ich ihn im Leben noch wieder ſehen und ich hoffe es! ſo werde ich euch nach eurem Verdienſte gegen ihn zu loben wiſſen.

Thun Sie das, Lady, wenn Sie ihn wie - derſehen, antwortete er ihr zweideutig; jetzt aber ſchlafen Sie, ich bitte, damit wir uns mit Anbruch des Tages wieder auf den Weg machen können. Sie ſind auch müde, denke ich?

Sehr müde! ſagte ſie, das Haupt auf den Sattel ihres Pferdes zurücklegend, den er ihr186 unter daſſelbe geſchoben hatte. Es dauerte kein zehn Minuten, ſo ſchlief ſie.

Hieram ſaß am Feuer und warf von Zeit zu Zeit ſeltſame Blicke auf die Schlafende. Dann zog er einen blanken, ſpitz geſchliffenen Dolch aus ſeinem Buſen hervor, beſah ihn, prüfte die Spitze mit ſei - nem Finger und legte ihn neben ſich nieder. Mit geſpannter Aufmerkſamkeit horchte er auf die Athem - züge ſeines Opfers; dann, als dieſe ihm ſagten, daß ſie tief und feſt ſchliefe, griff er nach dem Dolche, erhob ſich und trat dicht an ſie hinan, augenſchein - lich in mörderiſcher Abſicht, wenigſtens verriethen ſeine Geſichtszüge eine ſolche.

Verdammt! ſagte er dann vor ſich hin. Dies iſt ſchon das ſechſte Mal, daß ich könnte und es doch nicht vermag! Bin ich denn eine Memme ge - worden? Daß ſie aber auch eine ſo große Aehnlich - keit mit meiner armen Nelly haben muß, beſonders wenn Sie ſchläft! Gerade ihr Alter hatte Nelly, und eben ſo ſchön wie ſie, als Lord Cambden ſie ver - führte und ſie ſich im Waſſer den Tod gab, weil ſie ihre Schande und ſeine Treuloſigkeit nicht über - leben konnte. Die Hand, mit der ich ihm, dem Ver - räther, dem Ehr - und Gewiſſensloſen, den Stahl tief in die Bruſt bohrte, zitterte nicht; aber ſie würde zittern, wenn ich ihr, die meiner armen Nelly ſo187 ähnlich ſieht, wie ein Tropfen Waſſer dem andern, den Dolch in die Bruſt ſtoßen wollte. Könnte ich’s mit geſchloſſenen Augen, mit abgewandtem Geſicht thun, ſo ginge es vielleicht; ſo aber, verdamm mich Gott! kann ich’s nicht!

Er ließ die Hand mit dem Dolche ſinken und und blieb lange im Anſchauen der Schlafenden ver - loren ſtehen; dann kehrte er zum Feuer, an ſeinen früheren Platz, zurück und verſank in ein tiefes Nach - ſinnen.

Wozu denn auch? ſagte er endlich; kann ich es denn nicht den wilden Beſtien überlaſſen, mit ihr fertig zu werden? Sie iſt geliefert, ſo wie ich ſie verlaſſe und wird die nächſte Nacht nicht überleben. Sicherer wär’s freilich, wenn nur ihre Leiche hier zu - rückbliebe, und auf keinen Fall darf ich Joe ſagen, daß ich ſeinen Befehl nicht ausgeführt. Es kann aber auch zu viel von Einem verlangt werden, und mich dünkt, ich erkaufte ſein Schweigen bereits theuer ge - nug! Bin ich doch ſo gut wie ſein Sclave, und habe ich doch ſelbſt nach Jrland in ſeinen Angelegenheiten zurückkehren müſſen, wo ich in der größeſten Gefahr war, mit dem Galgen die allernächſte Bekanntſchaft zu machen! Jch brauche ihm nicht in Allem ſeinen Willen zu thun, nicht in ſolchen Dingen, die über meine Kraft hinausgehen! Sie wird nicht wieder188 zu ihm zurückkehren, ihn nicht mehr beläſtigen; was könnte er denn weiter wollen?

Er warf ſich mit dieſen Worten in das Gras nieder und ſchloß die Augen; aber er ſchlief nicht, theils aus Furcht vor den wilden Thieren, theils weil der Kampf in ſeinem Jnnern noch nicht beendigt war. Zwei Stunden lag er etwa ſo; dann richtete er ſich auf, blickte zum Himmel empor, erhob ſich, als er den Mond, der indeß aufgegangen war, über ſeinem Haupte erblickte, warf noch einen letzten Blick auf die Schlafende, raffte den neben ihm liegenden Dolch, den Sattel und das übrige Pferdegeſchirr auf, ſattelte und zäumte ſein Pferd, zäumte das, worauf Marie bisher geritten und führte beide Thiere hinter ſich her, den Bergabhang hinunter. Als er in der Ebene an - gelangt war, beſtieg er ſein Roß und jagte mit ſol - cher Schnelligkeit davon, als fürchtete er ſich vor ſich ſelbſt.

Als die Verlaſſene nach einem langen und er - quicklichen Schlaf erwachte, war der Tag angebrochen, das Feuer erloſchen und ſie allein. Trotz dem begriff ſie eine ziemlich lange Zeit ihre hülfloſe Lage nicht, ſondern wunderte ſich nur, daß Hieram, den ſie bei den Pferden glaubte, ſie ſo lange allein ließ und we - der für die Unterhaltung des Feuers, noch für einen Morgenimbiß geſorgt hatte. Sie wartete ziemlich189 lange auf ſeine Rückkehr; als er dann noch immer ſich nicht zeigte, fing die tiefe Einſamkeit und Stille um ſie her ſie einigermaßen zu ängſtigen an und ſie zürnte ihrem Begleiter, daß er ſie ſo lange allein laſ - ſen konnte. Erſt als eine Stunde und darüber ſeit ihrem Erwachen verfloſſen war und furchtbare Raub - vögel, die ihre Neſter auf dem Gipfel des hohen Ge - birges haben mochten, ſie umkreiſten und ſie durch ihren gewaltigen Flügelſchlag und ihr Geſchrei er - ſchreckten, denn ſie mochten die faſt unbeweglich Da - liegende für eine Leiche halten und ſie zu ihrer Beute auserſehen haben, erſt da befiel ſie eine unausſprech - liche Angſt zugleich mit der Ahnung ihres Unglücks, und theils um die geflügelten Raubthiere zu ſchrecken, die ſie in immer nähern Kreiſen umflogen, theils um ſich davon zu überzeugen, ob ihre Furcht begründet ſei, ließ ſie ihre Stimme erſchallen und erhob ſich zu gleicher Zeit, um ihren verrätheriſchen Begleiter zu ſuchen. Vergebens! er war weder zu erblicken, noch zu errufen!

Trotz dem konnte ſie noch lange ihr Unglück nicht faſſen und erſt als die Sonne ihr im Scheitelpunkte ſtand, und Hieram noch immer nicht da war, über - ließ ſie ſich der Verzweiflung, indem ſie jetzt nicht länger an dem an ihr begangenen Verrath zweifeln konnte. Zu Anfang warf ſie ſich auf den Boden nie -190 der und war entſchloſſen, den ſichern Tod zu erwar - ten, ohne einen, wie ſie wähnte, fruchtloſen Verſuch zu ihrer Rettung zu machen; dann raffte ſie ſich auf und alle ihre Kräfte zuſammennehmend, erklomm ſie den Gipfel des hohen Berges, an deſſen Fuße ſie ihr treuloſer Führer verlaſſen hatte. Von hieraus über - ſchaute ihr Blick eine mit hohen Gräſern und andern Kräutern bedeckte, unabſehbare Ebene, deren äußer - ſten Rand der Horizont begrenzte. Kein Weg, kein Pfad führte durch dieſes grüne Meer; kein Laut ließ ſich in ihm vernehmen; kein Vogel flog darüber hin; kein Lüftchen bewegte die Gräſer und hohen Farren - kräuter, womit es bedeckt war, und dieſe Einförmig - keit, dieſe Stille hatten etwas ſo Entſetzliches, daß ihr Gemüth mit der furchtbarſten melancholie dadurch erfüllt wurde.

Marie wußte nicht, ob ſie auf dem Gipfel des Berges bleiben, ob ſich in die troſtloſe Prairie hinab - wagen ſollte; auch war die Gefahr von Hunger, Durſt und reißenden Thieren hier und dort gleich groß.

Endlich ſtieg ſie doch hinab und war, des Berg - kletterns ungewohnt, mehr als zehnmal in Gefahr, auszugleiten und in den Abgrund hinabzuſtürzen. Bald aber mußte ſie bereuen, nicht lieber oben ge - blieben zu ſeyn, denn ihre bereits erſchöpften Kräfte191 reichten nicht aus, die hohen, ihr auf jeden Tritt den Weg verſperrenden Kräuter und Gräſer zu durch - ſchreiten, und ſchon nach einer halbſtündigen Wan - derung blieb ihr nichts weiter übrig, als ſich auf den Boden niederzuwerfen und den, nach ihrer Meinung unvermeidlichen, Tod zu erwarten.

Welcher Zorn gegen den Propheten, auf deſſen Befehl ſie zweifelte nicht länger daran ihr treuloſer Führer ſie dem Tode überliefert hatte, welche Angſt, welche Verzweiflung erfüllten wechſelsweiſe ihr Herz; welche Flüche ſtießen ihre vom Durſte vertrock - neten Lippen gegen Beide aus! Sie durchſchaute das von Joe Smith mit ihr getriebene Spiel zwar nicht, denn dazu war ſie zu unerfahren und zu beſchränkt, allein ſo viel ſagte ſie ſich, daß ſie in eine Falle von ihm gelockt und dem Verderben geweiht ſei.

Mit jeder Stunde, ja mit jeder Minute nahm ihre Angſt zu; denn die Sonne, die bisher ihr ein - ziger Troſt geweſen war, neigte ſich bereits zum Un - tergange und ſo durfte ſie jeden Augenblick erwarten, die Beute der Raubthiere zu werden, gegen die ſie nicht den geringſten Schutz hatte.

Die Nacht brach endlich wirklich an; die Sterne funkelten hell, in dem ungetrübteſten Glanze, am Himmel; ein ſanfter Nachtwind hatte ſich erhoben und koſete mit den Gräſern der Prairie; ein ſtarker192 Thau fiel ſie auf nieder und machte ihre leichte Beklei - dung ſo feucht, als ob ſie aus dem Waſſer gezogen wäre, und während in Folge des Durſtes ihr Jnneres vom Brande verzehrt wurde, zitterten ihre zarten Glieder vor Froſt. Jeder Ton, jeder Laut, jegliches Säuſeln der Nachtluft in den hohen Gräſern er - ſchreckte ſie und die aufgeregte Phantaſie malte ihr die ſchauderhafteſten Bilder vor: ſie glaubte den Ra - chen eines Raubthieres ſchon geöffnet vor ſich zu ſe - hen, den Hauch deſſelben zu fühlen; ſie wähnte jeden Augenblick, dies ſei ihr letzter und dieſe Angſt, dieſe beſtändige Furcht riefen endlich ein Fieber in ihr her - vor, das ſie bald völlig unempfindlich gegen die ſie umgebenden Schreckniſſe machte, indem es ſie der Be - ſinnung gänzlich beraubte.

Als ſie aus dieſem Zuſtande erwachte, erblickte ſie ſich auf einem zwar ärmlichen, aber reinlichen La - ger in einer ihr gänzlich unbekannten Umgebung. An einem großen und plump gearbeiteten Tiſche von Fich - tenholz faſt ein junges Weib, das einem Säuglinge die Mutterbruſt reichte; ein Knabe von vier bis fünf Jahren ſtand neben ihr und breitete bunte Steinchen, Schneckengehäuſe u. dergl. m. auf ihrem Schooße aus, wobei er in einer Marien fremden Sprache, die ſie aber für die deutſche hielt, weil viele Worte Aehnlich - keit mit der engliſchen hatten, mit der Mutter redete.

193

Wo bin ich? fragte die Kranke, ſich et - was emporrichtend, mit matter Stimme, indem ſie ſich in der ärmlichen Wohnung, einem ſogenannten Blockhauſe, mit verwirrten Blicken umſah, denn Alles kam ihr hier wie ein Traum vor.

Bei guten Leuten, antwortete ihr die junge Frau in gebrochenem Engliſch, indem ſie ſich mit ih - rem Säuglinge erhob und zu ihr an das Lager trat.

War ich denn nicht in der Prairie? fragte Marie weiter.

Wohl, Miß; aber mein Mann und einige ſeiner Freunde, die auf die Jagd ausgegangen waren, fanden Sie im heftigſten Fieber, ohne Beſinnung und brachten Sie hieher, wo Sie gut aufgehoben ſind. Faſſen Sie Muth, Sie werden bald völlig wieder her - geſtellt ſeyn, arme Miß, und uns dann erzählen, auf welche Weiſe Sie in die grauſame Lage kamen, in der man Sie fand.

Sie hatte kaum dieſe Worte ausgeſprochen, ſo trat ein Mann von mittlerem Alter, mit ſehr ange - nehmen Zügen, aber von der Sonne ſtark gebräun - tem Geſicht, zu den Beiden ein.

Fritz, rief ihm die Frau mit vergnügtem Tone entgegen, unſre liebe Kranke hat geſprochen und iſt, wie es mir ſcheint, vollkommen wieder bei Beſinnung.

II. 13194

Dafür ſoll Gott geprieſen ſeyn und deine treue Pflege, meine gute Eleonore! verſetzte er und trat zugleich näher an das Lager.

Wie iſt Jhnen, Fräulein? wandte er ſich an die Kranke.

Du mußt engliſch mit Jhr reden, ſagte die Frau; Sie ſcheint unſere Sprache nicht zu ver - ſtehen.

Der Mann wiederholte die Frage im reinſten Engliſch und Marie war nicht wenig erfreut, ſich mit ihm unterhalten zu können. Er erzählte ihr, wie er ſie in der Prairie gefunden und mit Hülfe einiger Nachbarn und Freunde in ſein Haus gebracht, daß er ein deutſcher Anſiedler ſei und ſie ſich gegenwärtig im Staate Miſchigan befinde.

Jn Miſchigan?! rief ſie voll Erſtaunen aus; alſo nicht im Sioux-Diſtrict?

Wenn Sie dahin wollten, antwortete ihr Erretter lächelnd, ſo haben Sie einen ganz verkehr - ten Weg eingeſchlagen und ihr Führer, ſofern Sie ei - nen hatten, muß überaus unwiſſend geweſen ſeyn. Woher aber kamen Sie, wenn ich ſo frei ſeyn darf, zu fragen?

Aus Jllinois, von Nauvoo, in der Graf - ſchaft Hancock, war ihre Antwort und zugleich floß ein Strom von Thränen über ihre Wangen. 195 O, ich bin ſchändlich behandelt, ſchändlich verrathen worden! fügte ſie ſchluchzend hinzu.

Reden wir jetzt nicht weiter darüber, ſagte ihr gutmüthiger Wirth, der ihre große Aufgeregtheit wahrnahm; Sie erzählen uns ſpäter davon, wenn es Jhnen Bedürfniß iſt; jetzt aber ſchlagen Sie ſich Alles aus dem Sinn, was Sie betrüben und beun - ruhigen könnte. Wir werden Sie hegen und pflegen, als ob Sie unſre Schweſter wären, denn Gott hat Sie ja ſichtbar in unſern Schutz gegeben, und wir kennen unſre Pflicht. Werden Sie nur erſt gänzlich wieder geſund, dann wird ſich alles Andere ſchon finden.

Marie wollte ihm antworten, ihm danken, viel - leicht auch erzählen, allein ihre Thränen floſſen ſo heftig, daß ſie nicht dazu im Stande war. Jhre guten Wirthsleute ſuchten ſie auf alle Weiſe zu trö - ſten und zu beunruhigen, und wirklich gelang ihnen dieſes. Die Kranke faßte ſich nach und nach und nahm die ihr von der Frau dargebotene Erquickung dankbar an.

Schon nach einigen Tagen konnte ſie das Lager verlaſſen und nach Verlauf eines Monats war ſie gänzlich wieder die Frühere, d. h. völlig geſund, kräf - tig und ſchön.

Wir wollen ihre Geſchichte, unſeren ſonſtigen Mit - theilungen vorgreifend, hier beendigen.

13 *196

Es konnte nicht fehlen, daß ihre ſeltene Schön - heit einen tiefen Eindruck auf die ihre Gaſtfreunde von Zeit zu Zeit beſuchenden Männer, die gleichfalls Anſiedler waren, machen mußte. Unter ihnen war ein hübſcher, rüſtiger junger Burſche, mit Namen Georg, der, da ſein Vater ſich ſchon in Miſchigan angeſiedelt gehabt hatte, im Beſitze einer ſchönen Farm oder Pächterei war, die er durch ſeinen Fleiß und ſeine genaue Kenntniß des Bodens mit jedem Jahre verbeſſerte. Auch er bewohnte, gleich ſeinen Nach - barn, nur ein Blockhaus, allein es war das beſtge - bauteſte und größeſte von allen und eben ſo zeichne - ten ſich ſein Viehſtand und ſeine Ackerwirthſchaft vor denen ſeiner Nachbarn vortheilhaft aus. Er galt für den Kröſus unter den Anſiedlern; aber trotz dem be - neidete man ihn nicht, weil er die Gutmüthigkeit ſelbſt und ſtets freundlich und hülfreich war, wo es nur irgend Noth that.

Dieſer junge Mann warf ein Auge auf Marien, und da ſie von aller Welt verlaſſen war, da ſie nicht wußte, wohin ſie ihre Schritte lenken, wo einen Zu - fluchtsort ſuchen ſollte, ließ ſie ſich endlich, nach ſchwe - rem Kampfe mit ſich ſelbſt denn immer liebte ſie noch Arnold die Bewerbungen des wackern Georg gefallen und aus Beiden wurde beim nächſten Beſuche des vagirenden Predigers ein ehrbares Ehepaar.

197

Georg wurde durch den Beſitz der ſchönen, ſo heiß von ihm geliebten Marie der glücklichſte Mann von der Welt und ſetzte ſeine junge Gattin niemals durch die Frage nach ihrer Vergangenheit in Verlegen - heit. Er ſchwieg, weil ſie ſchwieg: daß ſie ihn liebe, deſſen glaubte er gewiß zu ſeyn und die Vergangen - heit beunruhigte ihn nicht. Nach und nach gewöhnte die junge Frau ſich auch an das einſame Anſiedler - leben und ſuchte ſich mit ihren Pflichten als Haus - frau nach Kräften abzufinden, ſo daß man die Ehe dieſer Beiden zu den glücklichſten im Staate Miſchi - gan zählen durfte.

Achtes Kapitel.

Wenden wir jetzt wieder unſern Blick auf den vor der Rache des Propheten fliehenden Arnold.

Sein flinkes und kräftiges Roß trug ihn faſt mit Windeseile vorwärts. Jung, friſch, wohlbewaffnet und vertraut mit den Gefahren ſolcher Reiſen, wie er war, eilte er ohne Furcht durch Wälder und Prai - rien, über Berge und durch Thäler dahin.

Ein eigenthümliches, behagliches Gefühl, wie es uns nur die vollſtändigſte Freiheit gewährt, hatte ihn198 ſeit ſeiner Trennung von dem Propheten erfaßt; denn obgleich er ſich durch dieſen, ihm erſt im höchſten Grade verdächtigen, dann, als er ihn näher kennen gelernt, von ihm verachteten Mann nicht hatte - dern und durch eine feſte Anſtellung binden laſſen, ſo war ihm der Aufenthalt in Nauvoo, beſonders in der letzten Zeit, doch im höchſten Grade widerwärtig geweſen und er konnte die Stadt kaum anders als ein nur etwas größeres Gefängniß anſehen.

Dazu geſellten ſich noch die geheimen Machina - tionen des Propheten, der ihm ſeine ihm verhaßte Freundſchaft aufzudringen ſuchte, ſo wie ſein Ver - hältniß zu Marien, an deren Liebe er nicht mehr zweifeln durfte, ohne ſie doch erwiedern zu können. Als Mann einer Frau gegenüberſtehend, hatte ihn dies in die ſchwierigſte Lage gebracht, da ihm die Rit - terlichkeit ſeines Weſens nicht erlaubte, Marie mit ihrer Neigung ſo abzuweiſen, wie er Joe Smith mit ſeiner Zuvorkommenheit abgewieſen hatte.

Von allen dieſen Feſſeln und Unbequemlichkeiten ſah er ſich jetzt durch einen raſchen Entſchluß befreit und überdies durch Muth und Beſonnenheit einer großen Gefahr entriſſen. Die ganze große Welt ge - hörte wieder ihm an: er durfte ſeine Schritte lenken, wohin er wollte und ſich von der ſchönen Erde neh - men, ſo viel er zu ſeiner Behaglichkeit bedurfte. 199Denn in dem Theile derſelben, worin er ſich befand, hatte nicht ſchon jeder Fußbreit Erde ſeinen Herrn, wie in Europa, und ſich König der Wüſte zu dünken, ſtand Jedem frei.

Seine angenehme und behagliche Stimmung wurde noch durch den Gedanken erhöht, daß es ihm gelun - gen ſei, einen ſo verſchmitzten und gewaltigen Men - ſchen, wie es der Prophet war, überliſtet und zu - gleich tief gedemüthigt zu haben: er, der ſeither die ihn umgebenden Menſchen zu willigen Sclaven zu ma - chen gewußt hatte; er, der die Verhältniſſe beherrſchte, weil er Herr ſeiner ſelbſt war, er hatte die Segel vor einem noch ſo jungen Manne ſtreichen und ſich dem Willen deſſelben in Demuth fügen müſſen! Mit Vergnügen ſtellte Arnold ſich die Beſchämung Joe’s beim Andenken an das zwiſchen ihnen Vorgefallene vor und an die Achtung, die er einem Manne abge - zwungen, der ſonſt Nichts mehr achtete.

Vor den Verfolgungen Smiths glaubte er ſich geſichert, da dieſer die Nutzloſigkeit derſelben einſehen mußte, er auch entſchloſſen war, Jllinois, in dem die Mormons bereits eine ſo bedeutende Rolle ſpiel - ten, für immer zu verlaſſen. Dazu bot ſich ihm durch die an ihn ergangene Einladung des Gouverneurs von Miſſouri die beſte Gelegenheit jetzt dar, und durch den mitgenommenen Brief Sir John Boggs an ihn200 konnte er ſich überdies vollkommen als der von die - ſem Erwartete legitimiren.

Die Gegenden, durch die er auf dieſer Reiſe kam, waren ihm zum Theil ſchon bekannt. Faſt von Meile zu Meile ſtieß man auf hübſche Farms, deren wohl - habende und gaſtfreie Bewohner jeden Reiſenden mit der edelmüthigſten Gaſtfreundſchaft, ja, mit Freuden, aufnahmen, ſchon weil ein Gaſt Wechſel in die große Einförmigkeit ihres Lebens brachte. Mit einem ſol - chen kehrte allemal ein Feſttag in die Blockhauſer und niedern Lehmhütten ein und das Beſte wurde dem - ſelben vorgeſetzt, das weichſte Bett ihm, die ſauberſte Streu ſeinem Roſſe, bereitet.

Alle dieſe Anſiedler leben nicht nur ohne Sor - gen, ſondern haben ſich ſelbſt einiger Wohlhabenheit zu erfreuen. Der Boden iſt gut, iſt dankbar, das Land koſtet ſo gut wie gar nichts und für das Bau - material braucht der Farmer durchaus nichts zu be - zahlen, wenn er ſeine Arbeit nicht in Anſchlag bringt. Wälder und Prairie bieten reiche Weideplätze, die zahlreichen Creeks oder Landſeen Fiſche in Menge dar; die wilden Vienen verſorgen die Wirthſchaft mit Süßigkeiten, die Kühe mit Milch, das Federvieh mit Eiern und leckern Braten, die Kornfelder mit Brot und die Jagd des Büffels und Rothwilds füllt zu an - dern Bedürfniſſen die Kaſſe. Hier kann der Fleiß nie201 darben, hier es Keinem an dem zum Leben Noth - wendigen fehlen, und das macht Alle ſo heiter, ſo glücklich, ſo aufgelegt, Gaſtfreundſchaft gegen Nach - barn und Reiſende zu üben.

Auch gewähren dieſe Farms einen freundlichen, ihre Bewohner einen ſtattlichen Anblick. Die Män - ner ſind in der Regel kräftig, ſtrotzend von Geſund - heit und die Frauen ſogar ſchön zu nennen.

Auf ſeinem Wege nach St. Louis, der Haupt - ſtadt Miſſouris, das die Reſidenz des Gouverneurs und der Sitz der Regierung iſt, traf unſer Freund auch oft auf von Mormons bewohnte Farms, denn dieſe Secte beſchränkt ihren Aufenthalt nicht bloß auf den Staat Jllinois und darin beſonders auf die Graf - ſchaft Hancock, ſondern ſie ſiedelt ſich überall da an, wo es ihr eben am beſten gefällt. Dazu wurden die Anhänger Joes beſonders durch den Propheten ſelbſt veranlaßt, der zwar ſeine Hauptmacht in Jllinois concentriren und ſeine bereits bedeutenden Streitkräfte um ſich in der Grafſchaft verſammeln wollte, aber trotz dem einzelne Niederlaſſungen in benachbarten Staaten aus dem Grunde begünſtigte, weil ihm alle - mal dadurch eine Menge Proſelyten zugeführt wurde. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß er da, wo ſich nur eine Mormonfamilie angeſiedelt hatte, bald auf mehre Anhänger rechnen konnte, und ſo wider -202 ſetzte er ſich den Auswanderungen der Seinen nicht nur nicht, ſondern munterte ſogar dazu auf.

Es muß zugegeben werden, daß die Mormons ſich vor allen andern Anſiedlern durch Fleiß, Fröm - migkeit, Reinlichkeit und Geſchicklichkeit auszeichneten, daß der Anblick ihrer Farms der lachendſte war und für Muſterwirthſchaften gelten konnten; dies bewog die Nachbarn bald, Umgang mit ihnen zu ſuchen und da nichts ſo anſteckend iſt, als der Fanatismus, ſo konnte es nicht an Proſelyten fehlen.

Daß unter dieſen Umſtänden, ſelbſt nach dem Scheitern der coloſſalen Pläne des Stifters der Secte, den Mormons im Norden Amerikas eine große Zu - kunft bevorſteht, daß ſie noch Viel von ſich reden machen werden, iſt gewiß.

Unſer Freund, der gegen dieſe fanatiſche Secte nicht gerecht ſeyn konnte, ſchon weil er ihrem Stifter einen eben ſo großen als gerechten Haß weihen mußte, fühlte ſich nicht wohl, nicht behaglich in den von Mormons bewohnten Häuſern und eilte ſie, ſo ſchnell als möglich wieder zu verlaſſen, obſchon die Auf - nahme in denſelben ganz ſo gaſtfreundlich, als in an - dern war. Er fühlte ſich in denſelben gleichſam auf feindlichem Grund und Boden und ihm war, als dürfte es dem Propheten leichter ſeyn, ihn darin, als in an - dern Wohnungen, zu erhaſchen.

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So wie Arnold die Grenze von Jllinois und den die beiden Staaten trennenden Miſſiſippi hinter ſich hatte, wurde die Gegend immer freundlicher, an - gebauter und ſchöner. Der faſt ebene Boden Miſ - ſouris, welches nur in der Mitte durch eine mäßig - hohe Gebirgskette durchzogen wird, die von Oſten nach Südweſten ſich erſtreckt, gehört zu den beſten und fruchtbarſten Landſtrichen Nord-Amerikas und zeugt für den Fleiß Derer, die ſich darauf angeſiedelt haben. Hier trifft man bereits unermeßlich große Maisfelder, die das koſtbare, ſelbſt nach Europa ver - ſchiffte amerikaniſche Mehl liefern. Jn unabſehbaren Triften weiden zahlloſe Heerden unter der Aufſicht der Rancheros oder Viehzüchter; die aus ſtolzen Ei - chen, Platanen, Akazien, Magnolien und Ahorn - und Tulpenbäumen in reizendſter Mannigfaltigkeit zu - ſammengeſetzten Wälder bieten köſtliche Hölzer dar und ſind ſo reich an wilden Bienen, daß man allen von dieſen eingetragenen Honig unmöglich einſammeln kann. Die Luft iſt mild und mit Wohlgerüchen an - gefüllt, der den ſchneeweißen Blüten der Akazien und Magnolien in ſolchen Maſſen entſtrömt, daß man faſt betäubt davon wird; auch iſt die Cultur bereits ſo weit vorgeſchritten, daß man auf ſehr guten Land - ſtraßen fortreiſen kann, die ſelbſt durch unermeßliche Waldungen geführt ſind.

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Statt der einzelnen, oft meilenweit von einan - der liegenden Farms, die man in den benachbarten Staaten antrifft, erblickt man hier ſchon hie und da Weiler, Dörfer, ja ſelbſt beginnende Städte und die heitre und zufriedene Miene der glücklichen Bewohner derſelben zeigt deutlich, daß der Kampf um die Exi - ſtenz nur ein ſehr leichter iſt.

Jeder Mann, jeder Knabe faſt, hat ſein Roß und verſteht es zu regieren; jeder Sattel iſt dieſen kühnen und kräftigen Reitern gerecht, kein Pferd ih - nen zu jung und zu muthig. Jhr Hauptvergnügen iſt die Jagd; ſelbſt der Kampf mit den reißenden Thieren der Wildniß, mit dem grauen und ſchwarzen Bären, mit dem Prairiewolf und ſogar mit dem furchtbaren Puma, wird von noch unbärtigen Kna - ben für ein Vergnügen gehalten, und wer ſich einer ſo gefährlichen Jagd entzöge, würde für einen elen - den Feigling gelten, wenn er noch nicht zu den Al - ten gehörte.

Dieſen Namen führen nämlich alle Familenva - ter, ſie mögen nun jung oder alt ſeyn. Den Al - ten liegt die Verpflichtung ob, ſich für ihre Frau, für die heranwachſenden Kinder zu erhalten und man würde es ſündhaft finden, wenn ſie ihr Leben, das ſie den Jhrigen ſchuldig ſind, leichtſinnig auf’s Spiel ſetzten; das dürfen nur Die thun, die keine Pflichten205 der Art zu beobachten haben. Durch frühzeitige Ge - wöhnung beben aber auch jene vor keiner ſich ihnen ungeſucht darbietenden Gefahr zurück und bewähren ſich ſtets als kühne Reiter und Jäger.

Die Mädchen ſind in der Regel in der Jugend ſchön, ſchlank und äußerſt wohlgebaut und dabei doch kräftig. Der freie Blick ihres dunklen, ausdrucks - vollen Auges; ihre ſtolze, edle Haltung; ihr lebhaf - tes Colorit und ihr einfacher, aber überaus kleid - ſamer Anzug, machen ſie zu ſehr ſchönen Erſcheinun - gen. Die Reize verſchwinden jedoch in der Negel, ſo wie ſie Frauen und Mütter geworden, ſo wie ſie nicht mehr ſo viel arbeiten, als zuvor: eine mit den Jahren zunehmende Wohlbeleibtheit thut ihrer äußern Erſcheinung Abbruch und ſie erinnern dann lebhaft an unſre norddeutſchen Bäuerinnen und Pächterinnen, nur daß ſie vor dieſen das brennende dunkle Auge und das ſeidenweiche, kohlſchwarze Haar voraus haben.

Eine laute Fröhlichkeit herrſcht in dieſen Farms und Dorfhütten. Sie wird ſelbſt von den armen Schwarzen geäußert, die zwar noch immer von den reichen Farmers gehalten werden, deren Loos aber in der That beſſer iſt, als man es ſich in Europa denkt; wenigſtens würden ſie das ihrige nicht mit dem der armen Bauern in Mittel - und Süddeutſchland,206 namentlich in den Weingegenden, vertauſchen, da ſie gut gehalten, genährt und gekleidet werden. Wie ihre Gebieter, hört man ſie den ganzen Tag über la - chen, ſingen und pfeifen; ſie gehen tanzend zur Ar - beit und zeigen ſtets ein heiteres, lachendes Geſicht, eine völlig zufriedene Miene.

Nichts kann dieſen Farmers erwünſchter kommen, als die Veranlaſſung zu einem Feſte. Dazu wird die ganze Nachbarſchaft, die entferntere durch reitende Bo - ten, eingeladen und Alles kommt mit Sack und Pack an, und eben ſo gern, als man ſie freundlich einge - laden hatte.

Um den Gäſten alle nur erdenkliche Ehre anthun zu können, nehmen die jungen Burſche die Flinte unter den Arm und gehen auf die Jagd. Eine Menge von Rothwild, wilden Truthähnen, Feldhühnern u. ſ. w. wird erlegt und nach Haus geſchafft; die Frauen ſcho - nen weder die Speiſekammer, noch den zahmen Vieh - ſtand, die Männer nicht den Weinkeller; die Netze werden in den Fluß oder Creeck geworfen, im Walde wird den Waben der wilden Bienen nachgeſtellt und auf dem Herde werden ſo große Kuchen gebacken, daß es unmöglich ſeyn würde, ſie zu bewältigen; auch dürfen die angefertigten Speiſen nicht alle verzehrt werden, wenn der Feſtgeber nicht für knauſerig gel - ten will.

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Die Einſicht in dieſes heitre, gemüthliche und ſorgenfreie Leben that Arnolds Herzen unausſprech - lich wohl, denn wie oft war nicht daſſelbe in dem überfüllten Europa auf’s Schmerzlichſte durch den An - blick des Mangels am Nothwendigſten und durch den eines fruchtloſen Kampfes um eine nur einigermaßen genügende Exiſtenz berührt worden! Hier, wo jede Arbeit den gehofften Lohn fand, jede Anſtrengung ſicher ihre Frucht trug, waren Arbeit und Anſtren - gung nur Luſt und nirgends erblickte man verdrieß - liche Geſichter oder unter der ihnen aufgebürdeten, allzu ſchweren Laſt erliegende Menſchen. Der noch nicht erſchöpfte Boden war freigebig und lohnte hun - dertfältig die auf ſeinen Anbau verwandte Mühe.

Jn der Nähe von St. Louis, einer zwar noch im Werden begriffenen, aber hübſchen Stadt, nahm die Cultur mit jedem Schritte zu. Die häßlichen Blockhäuſer und Lehmhütten machten hübſcheren Ge - bäulichkeiten Platz; man ſah ſorgfältig beſtellte Obſt - und Gemüſegärten, geregeltere Ackerfelder, mit Ab - zugsgräben durchzogene Wieſenpläne und ſelbſt die Bewohner dieſer hübſchen Häuſer hatten bereits einen eleganteren Anſtrich, ſowohl in Manieren als Klei - dung, gewonnen.

Die Stadt liegt am Miſſiſippi, unfern der Mündung des gleichfalls ſchiffbaren Miſſouri in208 den erſteren Fluß, und bietet einen hübſchen An - blick dar.

Auf ſeine Frage nach dem Präſidio, wie man das vom Gouverneur des Staates bewohnte Ge - bäude in jenen Gegenden nennt, erbot ſich ein freund - licher Knabe, neben ſeinem Roſſe hergehend, ihn da - hin zu führen. Es war ein ſtattliches, pallaſtähn - liches Haus, das durch weißen Anwurf und grüne Jalouſien ein einladendes Anſehen erhalten hatte.

Auf ſeine Frage nach Mr. Boggs meldete ein Schwarzer ihn bei ſeinem Gebieter an und er wurde augenblicklich zu ihm beſchieden, indem man ihn durch einen der ſchönſten Gärten führte, die er je geſehen hatte. Faſt hätte unſer Freund ſich verſucht gefühlt, ſeine Schritte anzuhalten, um die ihn umgebende Blu - menpracht gehörig in Augenſchein nehmen zu können; denn wohin das Auge blickte, wechſelten reizende Bos - quets, mit dem ſaftigſten Grün bekleidete Boulingrins und Blumenparterres mit einander ab. Man hätte glauben ſollen, die Blumen aller Zonen hier verſam - melt zu ſehen und das Auge wurde nicht bloß durch die Pracht der Farben geblendet, ſondern zugleich durch die ſinnreichſte Anordnung und Zuſammenſtel - lung derſelben entzückt.

Mitten auf einem großen Raſenplatze, deſſen fri - ſches Grün einem Sammtteppiche glich, erhob ſich209 eine geräumige Voliere, deren Drähte reich vergoldet waren. Sie hatte die ſchönſten Vögel in reicher Aus - wahl zu Bewohnern und der ſüßeſte Wohllaut drang aus ihr hervor. Zu beiden Seiten waren Spring - brunnen angebracht, die ihre Waſſergarben hoch in die Luft emportrieben und ſie dann wieder in zwei ſchöngeformten Bogen in ein Marmorbaſſin nieder - fallen ließen, das vermittelſt einer daran angebrachten Röhre ein drittes, innerhalb der Voliere befindliches Marmorbecken mit Waſſer füllte, in dem ſich die farbigen Sänger badeten und erfriſchten.

Ein anderer Waſſerbehälter, an dem unſer Freund auf ſeiner Wanderung durch dieſen eben ſo großen, als ſchönen Garten vorüberkam, enthielt eine Menge Gold - und Silberfiſche, die, indem ſie durch den auf das Waſſer fallenden Sonnenſtrahl nach der Ober - fläche gelockt wurden, den Anblick eines ewig beweg - ten Silber - und Goldmeeres gewährten.

Eine ſehr lange Allee, aus himmelanſtrebenden Magnolien gebildet, führte zu einem Luſthauſe, das im auserleſenſten Geſchmack und gefälligſten Styl er - baut war. Nach der Mittagsſeite zu hatte es eine mit Reben umſponnene Veranda, und unter dem Schatten dieſes Laubdaches erblickte Arnold eine weib - liche und eine männliche Geſtalt. Die erſtere, ein dem Anſcheine nach noch ſehr junges Mädchen, ſaßII. 14210in einem ſogenannten Schaukelſtuhle, wie er von der Bequemlichkeitsliebe der Amerikaner erfunden wor - den iſt und deſſen Füße auf einem Geſtelle ruhen, welches dem der Schaukelpferde der Kinder nachgebildet iſt. Das junge Mädchen wiegte ſich behaglich darin und blickte von Zeit zu Zeit bald auf die ſchneeweiße Aſche der Cigarrita, die ſie in kurzen Pauſen immer wieder zu den Lippen führte, bald auf einen Papa - gey, der auf der Lehne des Stuhles ſaß und ſich die ſchaukelnde Bewegung deſſelben gern gefallen zu laſ - ſen ſchien.

Der neben dieſer jungen Perſon an einem Tiſche ſitzende Mann erhob ſich, ſo wie er des Fremden am Eingange der Allee anſichtig wurde, und ging ihm mit gewinnender Freundlichkeit entgegen. Es war Mr. John Boggs, der derzeitige Gouverneur des Staates Miſſouri. Er ſchien ein Mann hoch in den Vierzigen zu ſeyn und ſowohl ſeine edle, etwas mili - täriſche Haltung, als ſeine offene Miene und die ge - gewinnende Freundlichkeit, die im Blick ſeines Auges lag, als in dem Lächeln, das ſeinen wohlgeformten Mund umſpielte, nahmen unſern Freund ſehr für ihn ein.

Mr. Arnold, wenn ich recht gehört habe? ſagte er, dem Ankommenden nach der treuherzigen amerikaniſchen Manier die Hand zum Gruße darreichend.

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Arnold antwortete mit einer Verbeugung.

Seyn Sie mir herzlich willkommen, Sir, fuhr er fort, um ſo willkommener, da ich nach Jhrem Briefe, in Antwort auf den meinigen, fürch - ten mußte, Sie noch ſo ſchnell nicht hier zu ſehen und auch mein ehrenwerther Freund, Mr. Joe Smith, Sie nur ungern aus ſeiner Nähe miſſen zu wollen ſchien. Deſto größer iſt aber meine Dankbarkeit ge - gen Sie Beide, fügte er hinzu, daß Sie ſo ſchnell meinen Wünſchen Gewähr leiſteten.

Arnold gerieth durch die Erwähnung des ihm verhaßten Propheten in einige Verlegenheit und dieſe wurde noch dadurch vermehrt, daß ſich der Gouver - neur auf das Angelegentlichſte nach dem Befinden und ſonſtigen Wohlergehen ſeines ehrenwerthen Freundes bei ihm erkundigte und ſich überhaupt in den wohl - wollendſten Ausdrücken über Joe Smith äußerte; denn was ſollte er auf alles Dieſes antworten? Zwar war er ſchon vor ſeiner Ankunft entſchloſſen geweſen, Sir John mit ſeinem wahren Verhältniſſe, dem Pro - pheten gegenüber, bekannt zu machen, ſchon weil es ihm ſeine Redlichkeit nicht erlaubt haben würde, für den Freund und Schützling eines Mannes gelten zu wollen, den er haßte und verachtete und dem er aus dieſem Grunde nichts verdanken konnte; aber damit im erſten Augenblick der neuen Bekanntſchaft hervor -14 *212zutreten, würde nicht ſchicklich geweſen ſeyn und ſo mußte er ſich mit ſeinen Antworten, ſo gut es gehen wollte, aus der Schlinge zu ziehen ſuchen.

Man war unter ſolchen Geſprächen bei dem Luſt - hauſe angelangt.

Meine Tochter Flora! ſagte der Gou - verneuer, auf das junge Mädchen im Schaukel - ſtuhle zeigend, und zu gleicher Zeit erhob ſich dieſes, um den Angekommenen zu begrüßen. Mr. Arnold! wandte ſich der Vater an die Tochter, ihr dieſen vor - ſtellend.

Unſer Freund blieb wie vom Blitze getroffen der wahrhaft himmliſchen Erſcheinung dieſes jungen Mäd - chens gegenüber ſtehen; denn welche Gebilde der Pin - ſel großer, von der göttlichen Schönheit begeiſterter Maler auch hervorgerufen, wie viele ſchöne und rei - zende Frauen Arnold auch ſchon, theils lebend, theils in Kunſtgebilden geſehen hatte, nichts von Allem kam Floren auch nur entfernt nahe. Er glaubte jeden Augenblick, daß ihren Schultern Flügel entſprießen und ſie ſich in die höhern Regionen erheben würde, denen ſie angehörte. Die Geſtalt war mehr klein als groß, und von ſolcher Zartheit der Bau der Glie - der, daß ſie eher einem Kinde, denn einer erwach - ſenen Perſon anzugehören ſchienen. Das über alle Beſchreibung reizende Geſicht zeigte das vollkommenſte213 Oval; Naſe, Stirn, Mund, Colorit ließen keinen Wunſch übrig und aus den großen dunklen Augen ſtrahlten zugleich himmliſche Güte, Unſchuld und jene Art von Melancholie, die, indem ſie die Gluth des Blicks dämpft, auf Tiefe der Seele ſchließen läßt. Die Kleidung Florens war die einfachſte und doch wieder reichſte, die man ſich denken kann. Sie be - ſtand in einer Art von Blouſe von ſchwerem weißen Seidenzeuge, die züchtig bis zu dem ſchöngeformten Halſe hinaufging und unter dem keimenden Bu - ſen durch eine ſtarke Seidenſchnur zuſammengehalten wurde. Alle Falten dieſes ſeltſamen Gewandes, an dem die Mode nicht den geringſten Antheil hatte, ſondern das eine Erfindung der Trägerin war, fielen ganz natürlich und hätten trotz dem von der größe - ſten Kokette nicht ſchöner geordnet ſeyn können, in - dem ſie die ſchlanke Taille auf das Reizendſte be - zeichneten und hervorhoben. Die kleinen Füße ſtaken in weißen ſeidenen Strümpfen und weißen Atlasſchu - hen; das dunkle Haar fiel in reichen, natürlichen Locken auf Hals und Nacken hernieder; den Buſen ſchmückte eine äußerſt ſchöne, ſeltene Blume, deren feuriger Farbenglanz gegen die Weiße des Gewandes angenehm abſtach.

Dem Gouverneur ſchien der Eindruck nicht zu entgehen, den ſeine auch von ihm bewunderte, ja an -214 gebetete Tochter durch ihre außerordentliche Schönheit auf den jungen Mann machte, und er konnte ſich ei - nes väterlichen Stolzes nicht erwehren; den Gegen - ſtand ſeiner Liebe und Zärtlichkeit wie eine Gottheit bewundert, angeſtaunt zu ſehen, konnte ihm nur an - genehm ſeyn und ſo mißfiel ihm Arnolds Verwirrung und Verſtummen Floren gegenüber keineswegs, ſon - dern nahm ihn vielmehr für jenen ein.

Ende des zweiten Theils.

About this transcription

TextDer Prophet
Author Amalie Schoppe
Extent223 images; 40873 tokens; 7430 types; 275965 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDer Prophet Historischer Roman aus der Neuzeit Nord-Amerikas Zweiter Theil Amalie Schoppe. . [1] Bl., 214 S. LudenJena1846.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Berlin SBB-PK, 37 MA 12862

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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