Jn demſelben Verlage ſind ferner erſchienen:
Roſalie, die Luftſchifferin und deren wahrhaftige Geſchichte.
Wie oft, mein guͤtiger Leſer, haben wir in dieſem Buͤchlein unſeren Helden ſchon beobachtet, wenn er wieder zu wandern begann. Jch wage nicht zu behaupten, aber ich wuͤnſche, daß es mir gelungen waͤre, deutlich darzuſtellen, wie er von Jahr zu Jahr an Einſicht und Verſtande reifer, aus vielen Pruͤfun - gen immer beſſer aus mancherlei unſauberen Ver - haͤltniſſen und Umgebungen immer gereinigter her - vorging. So wollt’ ich ihn an Dir, mein Leſer, voruͤberfuͤhren; doch wie geſagt, ich weiß nicht, ob ich es vermocht habe. Mag mir aber bisher Vieles in meiner Schilderung mißrathen, das Beſte mit - unter in der ſchwachen Feder ſitzen geblieben ſein; Eines wirſt Du mir, bei’m ſtrengſten Tadel zugeſte - hen muͤſſen: daß Anton durch die letzten Ereigniſſe einen großen Schritt in reife, maͤnnliche Selbſtbeherr -Die Vagabunden. IV. 12ſchung gethan, daß er nun ſchon Rechte erworben habe, ſich Mann zu nennen. So geleiten wir den jungen Mann mit der Theilnahme, die wir ſeinen Jrrwegen bisher widmeten, auf dem letzten, den er in dieſer Weiſe antritt; der ihn, will’s Gott, zum Ziele fuͤhren ſoll, wenn die Hinderniſſe beſiegt ſind, die ſich ihm noch entgegenſtellen werden.
Geht er doch eigentlich zum Erſtenmale, ſeitdem er wandert, einem beſtimmten Ziele entgegen. Weiß er doch eigentlich zum Erſtenmale, ſeitdem wir ihn kennen, wohin er will.
Und zwei Genien umſchweben ihn; zwei ſanfte Frauenbilder begruͤßen ihn taͤglich. Wenn die Fruͤh - lingsſonne den Morgen heraufbringt, ſieht er Hedwig im Geiſte vor ſich, hoͤrt aus bluͤhenden Gebuͤſchen ihre Stimme ihm zurufen: hoffe nur! Wenn der Abend in gruͤner Ferne daͤmmert, iſt es der Mutter bleiches Angeſicht, aus Wolken laͤchelnd, welches ihm wiederholt: ja, hoffe!
Warum ſollt’ er nicht hoffen?
Auch wachten mit jeder Meile, die er weiter in’s Land, in den Fruͤhling hinein that, jugendliche Hei - terkeit, angeborner Frohſinn, dankbare Lebensluſt in Anton’s Herzen mehr und mehr auf. Krankenlager,3 Todtenbahre mit all’ ihren ſchwarzen Trauerfloͤren blieben bei jedem Schritte ſeines Weges undeutlicher hinter ihm zuruͤck; die zuͤrnenden Worte, die Hed - wigs Vater gegen ihn ausgeſtoßen, verhallten wie ferner Donner. Er vernahm nur der Tochter Lie - besſchwuͤre, hoͤrte nur der Mutter ſegnende Verhei - ßungen, empfand nur Hoffnung und Zuverſicht.
Wenn ſeine Seele im vergangenen Winter zwi - ſchen ahnungsvollem Antheil fuͤr eine kranke Frau und zwiſchen ſchwaͤrmeriſcher Liebe fuͤr ein vorwurfs - freies Maͤdchen getheilt, einen hoͤheren Schwung genommen, ſich ſo zu ſagen der irdiſchen Sinnenwelt enthoben hatte, ſo kehrte ſie jetzt, aus ſolchem ſeltſam bedraͤngenden Widerſpruche befreit, zu ihren fruͤheren weltlichen Anforderungen zuruͤck; freute ſich des jun - gen, kraͤftigen Koͤrpers, den ſie beherrſchte und ſtrebte, von ihm getragen, behaglichem Daſein entgegen. Das alte Wort, daß einer ſchoͤnen Seele am wohl - ſten ſei in einem ſchoͤnen Leibe, durfte an unſerem Freunde ſeine ganze Wahrheit bewaͤhren.
Wer ihn ſo ruͤſtig daher wandeln ſah, konnte ihn fuͤr einen Halbgott halten.
Fuͤr etwas dergleichen ihn anſehen zu wollen, ſchienen denn auch die Weiber und Maͤdchen, die ihn1*4willkommen hießen, wenn er nach ruͤſtiger Wande - rung die Herberge ſuchte. Die freundlichſten Worte wurden vor allen Gaͤſten ihm gegoͤnnt, das Beſte ihm gebracht, das reinſte Lager ihm bereitet. Schon regte ſich wieder des Vagabunden Uebermuth in ihm, nur daß der Gedanke an eine ſchwere Stunde ſich laſtend darauf legte und ihn niederdruͤckte. Dieſe Stunde, wo er der Frau Graͤfin ſeiner verſtorbenen Mutter Brief in eigene Haͤnde zu uͤbergeben gelobt hatte, war der ſchwarze Fleck in freier Wandertage Sonne; vor dieſer Stunde fuͤrchtete ſich Anton. Doch die Furcht war ihm dienlich; ſie hielt ihn in Maaß und Gewicht; ſie verlieh ihm den milden Ernſt, welcher einen jungen Mann ſo trefflich kleidet.
Daß er aber nicht ohne Abentheuer bleibe, daß der Gegenwart ein buntes Zeichen wildbewegter Ver - gangenheit nicht fehle; auch dafuͤr ſorgte das Schick - ſal. —
Er hatte des eigentlichen Vaterlandes Grenzen bereits uͤberſchritten und berechnete ſchon mit bangem Vorgefuͤhl den Tag, wo er die Stadt erreichen wuͤrde, die er ſich auserſehen, um, ſeiner Mutter Anweiſung gemaͤß, die Kunſt eines Schneiders in Anſpruch zu nehmen, der ihn bekleide, wie er geziemend vor der5 Graͤfin erſcheinen ſolle. Die Hauptſtadt wollte er durchaus nicht beruͤhren, aus Beſorgniß, ſich dort unnuͤtz aufzuhalten und dadurch die gefuͤrchtete ſchwere Stunde noch weiter hinauszuſchieben, die ihm jetzt ſchon ſo ſchwarz drohte, daß er ſie nicht raſch genug herbeiwuͤnſchen konnte, damit ſie nur uͤberſtanden werde; — gut, oder uͤbel! Er ließ alſo das alte Br. mit ſeinen Thuͤrmen zur Seite und ſchlug einen Feld - pfad ein, der ihn in gerader Linie auf die Straße braͤchte, die zu ſeinem Ziele fuͤhrte. Es war gegen Abend, doch immer noch heller Tag. Ein Sonntag. Auf den Feldern lag feierliche Stille, nur von der Lerche Vesperlied belebt; kein Menſch zu ſehen, ſo weit das Auge reichte. Anton ſpuͤrte ſchon die weiche, wehmuͤthige Stimmung uͤber ſich kommen, die gegen Abend ſich bei ſo vielen Menſchen anmeldet und zwar, im Verkehre der Geſelligkeit uͤberſchrieen, in ungeſtoͤr - ter Einſamkeit deſto maͤchtiger zu werden pflegt. Sein Blick verfolgte eine hochaufſteigende Lerche, ſo weit, daß ſie ihm beinahe ſchon entſchwand, als er uͤber ihr einen groͤßeren Gegenſtand im blauen Raume wahrnahm, den er fuͤr einen Raubvogel hielt. Doch zeigte die Lerche nichts von aͤngſtlicher Beſorgniß, wirbelte vielmehr ihren Hymnus muthig fort. Erſt6 als ſie ſatt von Singen war, ließ ſie ſich zu ihrem Neſte nieder. Der Gegenſtand in der Hoͤhe nahm immer zu an Umfang — das war kein Raubvogel ... er ſenkte ſich ... ſeine Formen traten deutlicher her - vor ... Anton erkannte einen Luftball. Nach und nach ſonderte ſich das Schiff, welches dieſer Ball trug, vor ſeinen Blicken deutlich ab ... Fahnen flat - terten, ... eine menſchliche Geſtalt bewegte die Fah - nen ... das Geſicht wurde kenntlich ... es war ein Frauenzimmer!
Eine Luftſchifferin! rief er aus; eine Luftſchifferin, die aus der zweiten Reſidenz des Landes in die Wol - ken emporſtieg und ſich nun zu mir herablaͤßt; zu mir ganz allein! Denn ſo viel ich ſehen kann, iſt außer mir Niemand hier zu ſehen. Wie raſch ſie ſinkt! — Ja, das iſt nicht anders; mit dem Steigen geht es nicht ſo geſchwind. — Jetzt bin ich ſchon im Stande, ihre Zuͤge zu unterſcheiden; — ſie iſt huͤbſch — nun wirft ſie einen Anker aus, — er greiſt nicht ein, — ſchnell ihr zu Huͤlfe!
Anton hing ſich an den herabgeworfenen Strick. Der Ballon machte Miene, ſich noch einmal zu heben, trug auch die neu hinzugekommene Laſt wirklich ein paar Schritte uͤber den Boden hin; doch Anton ließ7 nicht los und bald hatte ſich die letzte Spur von Widerſetzlichkeit verloren. Die Gondel wurde an einen Feldbirnbaum befeſtiget, die ſchoͤne Luftſchifferin erreichte, uͤber Antons Kopf, Schultern, Ruͤcken klet - ternd, unverſehrt den Erdboden.
Das war Huͤlfe in der Noth! rief ſie aus; waͤret Jhr, guter Freund, nicht herbeigekommen, wer weiß, ob der Oſtwind mich nicht bis nach jenem Gehoͤlz getrieben und mir den Ballon in den Baumzweigen beſchaͤdiget haͤtte. Nun aber ſetzt Eurem guten Werke die Krone auf und rennt nach dem naͤchſten Dorfe, mir einen Bauerwagen und einige Arbeitsleute her - beizurufen, damit wir vor Nacht in’s Reine kommen. Jch werde Euch fuͤr Eure Muͤhe anſtaͤndig bezahlen.
„ Womit? “fragte Anton.
Womit? die Frage klingt verzweifelt naiv; womit bezahlt man ſonſt, als mit Gelde? Oder herrſcht hier zu Lande ein anderer Brauch?
„ Es kommt darauf an, Madame, wen man bezahlt, und wer bezahlen ſoll. “
Seht doch! Jhr ſpitzt Eure Redensarten gewal - tig zu. Seid Jhr ein Schneider?
„ Jhr meint, weil ich mein Raͤnzel auf dem Buckel trage, muͤßt’ ich ein Handwerksburſche ſein? Aber ſo8 gut iſt’s nicht mit mir beſtellt. Jch bin nur ein Landſtreicher von Profeſſion und gegenwaͤrtig ohne Gewerbe. “
Und was fuͤr Laͤnder habt Jhr neuerlich durch - ſtrichen? Von wannen kommt Jhr? wohin geht Jhr?
„ Nicht alle Leute ſind ſo gluͤcklich, auf derlei Fra - gen erwiedern zu koͤnnen: vom Himmel auf die Erde! wie eine gewiſſe Dame. Jch muß geſtehen, daß ich von Paris uͤber Turin und Nizza geraden Weges hierher ſtiefelte, Euch an dieſem Platze die Hand zu bieten. “
So habt Jhr mich erwartet? Nicht uͤbel. Jhr ſcheint beſſer unterrichtet vom Strom der Luͤfte, als ich, die ihm Folge leiſten muß. Sollt’ es mich doch nicht wundern, wenn Jhr mir einreden wolltet, wir waͤren alte Bekannte?
„ Und das ſind wir, in der That. Jch glaube, Euren Namen zu kennen, — und Euch. “
Leicht moͤglich: Jhr habt in irgend einem Nacht - quartier ein Zeitungsblatt erwiſcht, welches meine heutige Luftfahrt verkuͤndet.
„ Mit nichten. Davon hab’ ich nichts gehoͤrt, noch geleſen. Auch bin ich nicht im Stande, Euch zu ſagen, wie Euer jetziger Name lautet; denn ich ſehe einen9 Trauring an Eurer Hand, und ſo vermuth’ ich, daß Jhr nach Eurem Gatten heißet. Doch in der Taufe empfingt Jhr den Namen Roſalia und nach Eurem Vater wurdet Jhr Sanchez genannt. Wer Roſalie Sanchez einmal geſehen hat, wer von ihr angeblickt wurde, wie ich Unwuͤrdiger, der kann ſie unmoͤglich vergeſſen; der muͤßte ſie wieder kennen, und wenn ſie auf einem feurigen Drachen angeritten kaͤme, mit einer Suite von Allem, was die liebe Hoͤlle an nied - lichen Teufelchen beſitzt. “
Wenn’s noch lange ſo fortgeht, holdſeliger Land - ſtreicher, bin ich geneigt, Dich ſelbſt fuͤr einen Teufel zu halten. Das iſt die originellſte Entrevue, das ſonderbarſte Rendez-vous, deſſen ich mich aus meiner Praxis erinnere. Aber Deiner, mein Unerklaͤrlicher, kann ich mich wahrhaftig nicht erinnern. Haͤtten wir uns naͤher gekannt, — ich will nicht nein ſagen, denn ich bin meiner Sache nicht gewiß, — ſo wird ſich das ſpaͤter finden. Fuͤr jetzt wiederhol’ ich meine Bitte; der Tag geht zu Ende.
„ Jch eile zu gehorchen. Bald ſehen Sie mich wieder mit Wagen, Pferden, Eſeln und andern Men - ſchen. Bewahren und bewachen Sie ſo lange, wenn ich auch eine Bitte wagen darf, die Laſt meiner10 Schultern. Dort rauchen Schornſteine; das halbe Meilchen iſt bald zuruͤckgelegt. “
Anton warf ſein Felleiſen zu Roſaliens Fuͤßen und flog queerfeldein dem fernen Doͤrflein zu.
Wie er auch ſeine Schritte foͤrdern mochte, doch war die Dunkelheit ſchon eingebrochen, bis er mit den nur muͤhſam aus der Schenke zu holenden Bauern angefahren kam. Roſalie, die ſich aus ſeinem Fell - eiſen ein Kopfkiſſen gemacht, ſchlief ruhig unter dem alten Birnbaum, deſſen Bluͤthen wie Schnee im reinen Oſtwinde auf ſie herabſaͤuſelten. Das Wiehern der luſtigen Pferde, das Raſſeln des Leiterwagens, das Geſchrei, womit die ſtaunenden Landleute den noch immer in der Luft ſchwankenden, wenn auch ſchon hoͤchſt abgemagerten Ballon begruͤßten, erweckte ſie nicht. Erſt als Anton ihr einen herzhaften Kuß auf die im Schlafe laͤchelnden Lippen druͤckte, ermun - terte ſie ſich. Jhre erſte That nach dem Erwachen war dieſe, daß ſie dem Kuͤſſenden eine derbe Ohrfeige gab; dann ſagte ſie freundlich: nun, Landſtreicher, ſeid Jhr wieder da?
11Unter ihrer Leitung, und indem ſie thaͤtig half, wurde der Luftball bei Sternenſchein voͤllig entleert, zuſammengepackt, aufgeladen; die ganze Geſellſchaft nahm auf Strohbuͤndeln Platz; dann ging es guter Dinge dem Dorfwirthshauſe entgegen, wo eine Schaar muͤſſiger Sonntagsgaffer des ungewoͤhnlichen Beſu - ches harrte.
Sie warf das Geld mit vollen Haͤnden aus, han - delte nicht mit den Leuten, entließ Alle, die ihr Bei - ſtand geleiſtet, zufrieden und dankbar.
Wie ſteht es aber jetzt mit meinem Landſtreicher? fragte ſie; in welcher Muͤnze ſoll ich dieſen befrie - digen?
„ Jch habe Euch, “erwiederte Anton, „ eine Probe des Muͤnzfußes, der in meinen Staaten gilt, auf die Lippen gepraͤgt; in dieſer Gattung moͤgt Jhr weiter zahlen. “
Nicht doch, mein Lieber; das waͤre Falſchmuͤnzerei und mein Gemal —
„ O der — der iſt nicht hier! “
Freilich nicht. Und Euch die Wahrheit zu geſte - hen, er iſt uͤberhaupt nicht mehr vorhanden.
„ Jhr ſeid Wittwe? “
Seit einem Jahre. Mein armer Mann hat den12 Hals gebrochen, indem er aus derſelben Gondel her - abſtuͤrzte, die mich heute trug.
„ Und Jhr wagt ... “
Thorheiten! Seid Jhr ein rechtſchaffener Vaga - bund, ein tapferer Landſtreicher, und wollt nach ſol - chen Kleinigkeiten fragen? Schweigen wir davon. Fahrt lieber in Euren Erzaͤhlungen fort, die Jhr auf dem Leiterwagen ſo heiter begonnen. Wir ſtanden eben bei Laura, die Euch neidiſch in die Seite ſtieß, als ich Euch einige unſchuldige Onilladen lanzirte. Was iſt aus dem ſchoͤnen Weibe geworden? Habt Jhr Euch wieder geſehen?
„ Das ſind lange Geſchichten, reizende Roſalie; lange, langweilige, traurige Geſchichten, zu denen dieſe Nacht nicht ausreichen duͤrfte. Und morgen muͤſſen wir uns trennen; Jhr kehrt in die Hauptſtadt zuruͤck, — ich habe ein ernſtes, ſchweres Geſchaͤft zu beſtellen, von deſſen Erfolg meine ganze Zukunft abhaͤngt. Dann hat der Spaß ein Ende. Laßt mich dieſe Stunden noch heiter verbringen; erzaͤhlt mir von Euch, von Euren Triumphen, Liebſchaften, Eurer Ehe; wie Jhr vom Seil in die Gondel geſtiegen ſeid; wo Euer Vater, Eure Schweſtern geblieben ſind? Setzt Eure Lippen in Bewegung. Dieſe muͤſſen mich13 nun einmal bezahlen, und darf’s nicht mit Kuͤſſen ſein, laßt es mit Worten geſchehen. “
Roſalie ſchwieg einige Minuten, waͤhrend welchen ſie Anton betrachtete. Dann hub ſie in ernſthafterem Tone, wie bisher, an:
Jch weiß nicht, warum es mir unmoͤglich iſt, die Verſtellung, ja die Luͤge, worein ich mich vor allen Menſchen huͤlle, die ich auch Jhnen entgegentrug, jetzt laͤnger fortzuſetzen. Eine Empfindung eigener Art, — weiß ich doch kaum, ob ich ſie Mitleid nennen ſoll? — draͤngt mich, gegen Sie aufrichtig zu ſein. Vielleicht entſpringt ſie aus einer Ahnung, daß die Frivolitaͤt, die Sie zu zeigen erſtreben, nicht minder erheuchelt ſei, als jene, mit welcher ich prahle; daß auch Jhr Herz von heißen Schmerzen zerriſſen iſt, daß auch uͤber Jhr junges Haupt Jammer, Noth, Elend und Verzweiflung ſchon ihre gluͤhenden Scha - len ausgegoſſen haben, wie uͤber das meine. Fort mit der Luͤge! Fort mit erquaͤlter Luſtigkeit, mit frechen Witzen. Sehen Sie mich, wie ich bin, und wenn es Jhnen weh’ thut, in einen ſolchen Abgrund des Gra - mes zu ſchauen, dann um ſo beſſer fuͤr Sie. Mir iſt nicht mehr zu helfen. Jhnen kann ich vielleicht nuͤtzen, waͤr’ es auch nur dadurch, daß, mit meinem Ungluͤck14 verglichen, das Jhrige Jhnen wie Gluͤck erſchei - nen wird.
Als Sie mich in D. ſahen, kann ich beinahe vier - zehn Jahre alt geweſen ſein. Das Jahr zuvor hatte mein Vater mich an einen reichen Ruſſen verkauft. Jn dieſen wenigen Worten iſt die Geſchichte meiner Jugend enthalten. Jch fuhr fort, zu ſuͤndigen, nicht, weil mich Leidenſchaft oder Neigung trieb, ſondern nur aus Eitelkeit, aus Luſt am Schlechten, Gemeinen, Niedrigen. Es fehlte nicht an Verehrern, die ich, Einen wie Alle, verhoͤhnte, denen ich Geſchenke abſchwatzte und uͤber die ich mich, je vornehmer und reicher ſie waren, deſto lieber und ausgelaſſener luſtig machte in vertrautem Umgange irgend eines kecken Schulknaben, eines Lehrjungen, eines Jokei’s. Mit ſechszehn Jahren ſtand ich auf einer ſo niedrigen Stufe der Verderbtheit, daß ich kaum noch tiefer haͤtte ſinken koͤnnen. Dabei wurd’ ich immer ſchoͤner. Es ſcheint Naturen zu geben, die im Laſter aͤußerlich gedeihen und ſich nur kraͤftiger bluͤhend daraus ent - falten, wie manche uͤppige Frucht am goldenſten und duftigſten aus Miſt emporwaͤchst. Jch ward ange - ſtaunt wie ein Wunder von Schoͤnheit, Gewandtheit, Koͤrperkraft, Bravour auf dem Seile und Korruption. 15Mehr als die vorhergehenden Eigenſchaften brachte die letzte mich en vogue. Es gab einen foͤrmlichen Wettſtreit unter den Maͤnnern von Ton, jungen wie alten, wer zuerſt und zumeiſt erproben ſolle, wie weit meine Frechheit reiche. Mitten in dieſe Nacht und Finſterniß eines verworfenen Daſeins fiel ein Strahl des Lichtes und der Liebe; ein Engel, der Mitleid und Erbarmen gefuͤhlt, weil ſo viel Schoͤnheit und Geiſt — (das klingt Jhnen ſehr anmaßend, nicht wahr? dennoch hab’ ich ein Recht, es zu ſagen); — im Koth untergehen ſolle, fuͤhrte mir ein Herz ent - gegen: ein Herz! Das Einzige, was mir noch Nie - mand geſchenkt, niemand nur gezeigt hatte. Rohe, ſelbſtſuͤchtige Begierde hatte mir Gold uͤber Gold geboten, welches ich verachtete, nahm, verſchwendete, um verachtet zu werden. Hier forderte beſcheidene Liebe ein Herz fuͤr das ihre, — und mit Schauder mußte ich entdecken, daß ich des Tauſches unwuͤr - dig ſei.
Der junge Mann, deſſen Bekanntſchaft ich in einer belgiſchen Stadt machte, war von Geburt und Bildung ein Deutſcher, nach ſeiner Eltern Tode von einer hier verheiratheten, kinderloſen Tante aufgenom - men worden und ſtand im Begriff, ſeine Studien als16 Phyſiker, Chemiker, Techniker zu vollenden, wonach er eine Stellung in Bruͤſſel, oder gar Paris zu finden dachte. Er ſah mich und faßte fuͤr mich jene gluͤhende Paſſion, die mit verderblicher Gewalt ſich bisweilen eines jungen Mannes um ſo furchtbarer bemaͤchtiget, wenn er ſelbſt noch ganz unverdorben iſt. Da er keinen Begriff haben konnte von meiner Schlechtig - keit, weil er uͤberhaupt nicht zu ahnen vermochte, daß es Teufel meiner Gattung in dieſer Geſtalt und in ſo zarter Jugend auf Erden gebe, ließ er kein Mittel unverſucht, ſich mir zunaͤhern. Jch, ſeine Schuͤch - ternheit durchſchauend, kam ihm ſittſam entgegen, war ſchlau genug, ihn uͤber mich und meine Eigen - ſchaften zu taͤuſchen, ſpielte die Vorwurfsfreie, die nur aus Liebe fuͤr ihn ſich ſchwach zeige und ſchloß auf dieſe Art ein Buͤndniß, welches ihn begluͤckte, welches er fuͤr ein unaufloͤsliches betrachtete. Dies that ich, weil ein ſolches Spiel mir neu war; anfaͤng - lich ohne tiefere Empfindung. Ja, ich verſpottete ſeine Leichtglaͤubigkeit, indem ich ihm Treue ſchwur. Aber das dauerte nicht lange. Der wahren, aufrich - tigen Feuergluth heißer Liebe widerſteht fuͤhlloſe Haͤrte zuletzt doch auch nicht. Waͤhrend ich noch waͤhnte, dies Verhaͤltniß zu beherrſchen und ihn von mir zu17 ſtoßen, ſobald es mir noͤthig ſcheinen wuͤrde, war Reinhard ſchon der Herr meines Willens geworden. Jch ging ernſtlich mit mir zu Rathe und ich entdeckte, daß ich fuͤr ihn empfand, was ich noch nie empfunden. Zuerſt erſchrak ich vor mir und meinen Gefuͤhlen: ſah ich doch meine wilde Freiheit gefaͤhrdet! Jch wollte mich losreißen; ich verſuchte, ihm untreu zu werden. Vergebliche Muͤhe! Die Wahrheit brach durch, das Reich der Luͤge war zerſtoͤrt, die Suͤnde lag blos und nackt in ihrem Schlamme zu meinen Fuͤßen — ich gehoͤrte ihm! Doch zugleich begriff ich, daß ich ſeiner Achtung, ſeiner Treue, daß ich Seiner nicht wuͤrdig ſei! Und dies durft’ ich ihm nicht verſchweigen. Der Arme! Wie bleich und erſchuͤttert ſtand er vor mir, als ich meine Bekenntniſſe ihm ablegte, als ich ihm enthuͤllte, wen er Geliebte nenne!? Nein, ich ſchonte mich nicht. Tritt mich in den Koth, aus dem Du mich erhoben haſt, rief ich ihm zu; wirf mich zuruͤck in den Pfuhl, dem ich entſtiegen bin, Deine reine Seele durch den Hauch dieſes Athems zu beflecken; toͤdte mich, — aber verzeihe mir! Und er hob mich auf und ſagte nur: „ Was Du warſt, bevor Du mich kannteſt, darf ich nicht richten, noch verdammen; die Frage iſt nur, was Du warſt, ſeitdem ich Dich liebe,Die Vagabunden. IV. 218was Du wurdeſt, ſeitdem Du mich liebſt; was Du ſein wirſt und willſt, ſo lange wir uns lieben werden? Und deshalb frag’ ich Dich: biſt Du mir treu gewe - ſen von der Stunde an, wo Du mein warſt? Willſt Du mir treu ſein und bleiben, aus frohem Herzen und freiem Willen, bis zum Tode? Und kannſt Du dieſe Frage mit einem entſchiedenen Ja beantworten, jetzt, zu dieſer Stunde, ſo werd’ ich um ſo ſicherer an Dich glauben, je ungeheurer Deine freiwilligen Geſtaͤndniſſe ſind; werde um ſo feſter an Dir halten, je hoͤher Du Dich zu erheben vermochteſt durch Deine und meine Liebe. Trennen von Dir kann ich mich nicht mehr. Erwiederſt Du Nein, dann ſprichſt Du mein Todesurtheil, doch ſterbend will ich Dich noch ſegnen, daß Du Wahrheit geſprochen. Kannſt Du Ja ſagen, dann iſt es unſer beider Leben. “
— Jch ſagte Ja! Jch durfte es ſagen, mit gutem Gewiſſen. —
Mein Vater ſah die Liebſchaft, die ſeine „ eintraͤg - lichſte “Tochter mit einem unbemittelten Studenten unterhielt, nicht guͤnſtig an. Noch unguͤnſtiger mußte eine Geliebte, die ſich allabendlich auf dem Seile ſchwang und ihre Reize unweiblich zur Schau trug, Reinhards religioͤſen, buͤrgerlichen Verwandten erſchei -19 nen. Gedruͤckt, geſcholten, geſtoͤrt von beiden Seiten, entſchloſſen wir uns zur Flucht. Reinhard hatte ſchon fruͤher mancherlei Verſuche gemacht, ſich gewagten Theorieen hingegeben, die Luftſchifffahrt betreffend. Einem Charakter von ſeiner Energie war das Buͤcher - Leben ſtets laͤſtig geweſen. Jhn trieb es, zu wagen, zu gewinnen! Ein beſtimmter Zweck nur hatte ihm gefehlt, nach Auſſen zu ſtreben. Dieſer zeigte ſich nun. Er brach ſeine Ketten, ich die meinen, wir ent - wichen miteinander. Was wir an Geld und Geldes - werth beſeſſen, wurde verwendet, ſeine Plaͤne auszu - fuͤhren. Jn einer franzoͤſiſchen Grenzſtadt, wo wir einen ſtillen Zufluchtsort gefunden, begann und voll - endete der in allen mechaniſchen Geſchicklichkeiten geuͤbte Reinhard ſeinen großen Luftballon, mit viel - faͤltigen neuen Verbeſſerungen ausgeſtattet, die er ſelbſt erſonnen. Seine erſte Probefahrt unternahm er, ohne ſie vorher oͤffentlich anzukuͤndigen. Da ſie uͤber alles Erwarten guͤnſtig ausfiel, ließ er ihr bald eine zweite folgen, welche ein anſehnliches Publikum verſammelte und uns eine gute Einnahme brachte. Von nun ſchien uns Alles gelingen zu wollen. Wir durchreiſeten ganz Frankreich, England, und in allen Staͤdten erndtete Reinhard Geld und Ruhm. Die Beſorgniſſe, die ich2*20anfaͤnglich gehegt, wenn ich ihn ſein Leben einem ſo gebrechlichen, duͤnnen Fahrzeuge anvertrauen ſah, ſchwand gaͤnzlich durch die Macht der Gewohnheit. Wie zu einem Spaziergange durch Feld und Flur ſah ich ihn zu jeder neuen Luftfahrt ſich ruͤſten, winkt’ ich ihm laͤchelnd: „ viel Vergnuͤgen “nach, wenn er von muthiger Freude ſtrahlend emporſtieg. Jch liebte ihn mit einer Jnnigkeit, die ſich durch Worte nicht beſchrei - ben laͤßt; ich lebte nur in ihm, nur in meiner Anhaͤng - lichkeit fuͤr ihn. Seine Sanftmuth legte meinen uͤblen Gewohnheiten den mildeſten Zwang auf: ich beſſerte mich, ich wurde gut, weil es mich gluͤcklich machte, ihm zu gehorchen, ihm nachzuſtreben. Jch glaube nicht, daß auf dieſer Erde noch zwei Menſchen leben, die ſo gluͤcklich mit einander ſind, als ich mit ihm war. Wir waren nie getrennt, auch nicht auf Viertelſtun - den, außer wenn er in die Luft ſtieg. Und daß ich, waͤhrend er die blauen Raͤume durchflog, auf der Erde weilen mußte, ohne ihn, blieb die einzige Einwendung, die ich gegen ſeine Wagniſſe vorzubringen wußte. Jch beneidete die Wolken, durch welche er drang, ich fuͤhlte Eiferſucht gegen die Adler, die ſich ihm naͤhern durften. Da ſchlug er mir vor, ihn zu begleiten, halb ſcherzend, und war nicht wenig erſtaunt, als ich ſeinen21 Vorſchlag feurig ergriff. Er durfte ſein Anerbieten nicht mehr zuruͤcknehmen, ich ließ ihm keine Ruhe. Wir gingen ohne Aufſchub an die Arbeit, einen zwei - ten groͤßeren Ballon zu bauen; ſchon der naͤchſte Sommer fand uns bereit, die gemeinſchaftliche Reiſe anzutreten. Jch zaͤhlte vor Ungeduld Stunden und Minuten: der Gedanke, mit ihm vor Aller Blicken mich erheben, mir ſagen zu duͤrfen, er iſt Dein, Du biſt ſein und ſo ſchwebt ihr, ein ſeliges Paar, zu den Sternen hinauf, machte mich ſchon im Voraus raſend vor Entzuͤcken. Wenn ich dabei, wider Willen, an Gefahr denken mußte, ſo dacht’ ich nichts als meinen — unſern Tod. Und Tod mit ihm! Was konnte das Anderes ſein, als Leben? Jch fuͤrchtete nicht den Tod an Reinhards Seite; ich forderte ihn hoͤhniſch her - aus ... und er uͤbte die furchtbarſte Rache.
Wir ſtiegen vor einer unermeßlichen Schaar von Gaffern, die dem jugendlich-ſchoͤnen Paare laute Bewunderung zollten. Jm Augenblicke, wo man die Stricke losließ und der umfangreiche Luftball ſich maͤchtig hob, umſchlang ich mit dem linken Arme den Geliebten, mit dem rechten ſchwenkt’ ich uͤber den Rand der Gondel hinaus eine Fahne, wie triumphi - rend uͤber unſer Gluͤck.
22Obwohl wir mit ungemeiner Schnelligkeit empor - flogen, regte ſich doch in mir nicht eine Spur von Beſorgniß; je hoͤher wir drangen, deſto wohler fuͤhlt’ ich mich und in dieſem Gefuͤhle uͤberſah ich, daß Rein - hard unruhig, ja aͤngſtlich wurde. Endlich aber konnte mir, trotz meiner uͤbermuͤthigen Stimmung, nicht laͤnger entgehen, wie er ſich vergebens bemuͤhte, das Ventil, welches hoch oben am Ballon angebracht iſt, zu oͤffnen. Auf meine Frage, wozu, erklaͤrte er mir, der Ballon ſei zu ſtark gefuͤllt, es habe ein Verſehen ſtattgefunden und nun koͤnne er die Klappe, durch welche der Ueberfluß an Gas ausſtroͤmen ſolle, nicht oͤffnen, weil die Schnuͤre ſich verwickelt haͤtten. Was kann uns geſchehen? fragt’ ich, ohne mit der Stimme zu beben.
„ Wir fliegen immer hoͤher, “ſpracher, und indem er ſich zu truͤbſeligem Laͤcheln zwang, fuhr er fort: „ moͤglicherweiſe gelangen wir in die Sonne! “ Laß’ uns im Monde bleiben, rief ich ihm zu, der Mond iſt der Stern der Liebe — doch kaum hatt’ ich dieſe Worte geſprochen, als auch ſchon unſer Flug gehemmt ſchien und wir, zuerſt langſam, dann immer ſchneller, ſanken. Jch ſah Reinhard forſchend an. Er wies23 nach oben — der Ballon war geborſten, durch einen großen Riß entleerte er ſich unglaublich ſchnell.
Wir ſchwebten uͤber einer oͤden, menſchenleeren Waldſtrecke. Um dieſe zu vermeiden, und wo moͤglich eine freie Flaͤche zu gewinnen, bevor wir den Boden erreichten, wurde aller Ballaſt ausgeworfen; doch vergebens: die Erleichterung der Laſt ſtand in keinem Verhaͤltniß zur Abnahme der tragenden Kraft; dieſe wurde von Augenblick zu Augenblick geringer; unſer Fallen glich beinah’ einem Sturze; mir vergingen faſt die Sinne, Reinhard behielt vollkommene Faſſung. Er band ſich das Ende eines Strickes, nachdem er das entgegengeſetzte an die Gondel befeſtiget, um den Leib, erſah den Moment, wo wir eine Luͤcke im Walde unter uns hatten, ſprang tollkuͤhn hinab, erreichte mit ſeinen Fuͤßen gluͤcklich den Erdboden und wendete jetzt alle Kraͤfte an, den Ballon bis zum naͤchſten Baume zu zerren, an deſſen Stamm er ſich klammern und ſodann den Strick befeſtigen wollte. Doch er hatte nicht berechnet, daß von dem Gewicht ſeiner eigenen Schwere befreit, daß zerriſſene Gewebe ſich noch ein - mal erheben koͤnne. Dies geſchah, und mit ſo tuͤckiſcher Gewalt, daß der Ungluͤckliche in fruchtloſem Wider - ſtreben vom Boden aufgezogen wurde. Jch ſtreifte24 uͤber die Wipfel der hohen Baͤume hin und zerrte den gemißhandelten Leib meines Geliebten hinter mir her; ehe ich noch mit blutenden Fingern den Knoten geloͤ - ſet, den er in ſeiner Todesangſt fuͤr mich doppelt feſt um die Gondel geſchlungen, war ſein Haupt ſchon zerſchellt an den Aeſten der ſtarren, fuͤhlloſen Baͤume. Die Gondel blieb in Zweigen haͤngen. Jch kletterte hinab. Jch band den Leichnam los. Jch warf mich uͤber ihn ...
Das Uebrige ergiebt ſich von ſelbſt. Jch brauche Jhnen nicht zu erklaͤren, hoff’ ich, warum ich die Luftſchifferei fortſetze. Die Leute waͤhnen, weil es ein eintraͤgliches Gewerbe ſei fuͤr eine ſo junge, ſchoͤne Wittwe. Was kuͤmmern mich die Leute? Sie haben geſehen, wie gering ich das Geld achte. Jch wage mein Leben in der Erinnerung an den, der auf dieſe Weiſe das ſeinige verlor; ich wuͤnſche zu ſterben, gleich ihm. Jch denke nur Seiner, wenn ich abge - ſchieden von dieſem Erdgewuͤhl, hoch uͤber Eurem Jammer in Luͤften hauſe. Dann glaube ich, ſeine Naͤhe zu fuͤhlen und eines Tages, mein’ ich, wird er kommen, mich zu ſich zu rufen. Vor den Menſchen zeig’ ich mich luſtig, keck, vielleicht frech! Warum ſoll ich mich dem Geſindel zeigen, wie ich bin? Sie ver -25 ſtehen mich nicht; ich habe als Kind ſchon gelernt, Jung und Alt zu verachten. Daß ich Jhnen mein Herz geoͤffnet ... kaum weiß ich ſelbſt, warum. Viel - leicht verdienen Sie’s nicht? Doch es iſt geſcheh’n! Und nun leben Sie wohl. Jch danke Jhnen noch einmal fuͤr Jhren Beiſtand; er war mir willkommen. Denn, ſuch’ ich ſchon den Tod, ſiegt doch in ſolchen Augenblicken immer wieder des Lebens eingeborener Trieb. Auch will ich nicht unten, nicht auf dem ſchlechten Erdboden enden. Mein Reich iſt die freie Luft. Hoͤrt Gott mein Gebet, dann ſendet er mir einen ſeiner Blitze, der mich in Feuer huͤllt, wenn um mich her die ſchwarzen Wolken krachen. — Viel Gluͤck, Vagabund, auf die Reiſe! Jetzt geh’ ich ſchlafen.
Wie Anton wirklich auf’s Schloß Erlenſtein gelangt und ſeinen leiblichen Vater kennen lernt. — Antoinettens Brief an Graͤfin Julia. — Der junge Graf ſtellt ſich zur Unzeit ein. — Anton entſagt jeder Hoffnung.
Anton ſtand vor den eiſernen Gittern des Schloſſes Erlenſtein. Gewiß waren es die Urenkel jener großen Hunde, von denen ſeiner Mutter Handſchrift berich - tet, die ihn heute ſchmeichelnd begruͤßten, wie deren26 menſchenfreundliche Vorfahren dereinſt die arme Antoi - nette begruͤßt hatten.
Auch das Geſchlecht der Beſitzer hat ſeitdem gewechſelt und wenn es nicht Urenkel ſind, denen er entgegentreten ſoll, iſt es doch der Sohn jener ſtren - gen, edlen Graͤfin, welchem er nun (als Sohn) Vater - liebe abgewinnen will.
Den Wanderburſchen hat er im Gaſthauſe gelaſſen. Jn ſchwarzem Kleide, wie man zum Feſte geht, mit der Haltung eines fein gebildeten Mannes, naͤhert er ſich den Stufen, vor denen damals ſeine Mutter um Einlaß bat.
Er fragt zunaͤchſt nach der Graͤfin, fuͤr die das Schreiben der Verſtorbenen beſtimmt iſt. Ein Kam - merdiener — nicht mehr der graue, treue Diener und Vertraute der Familie, denn er iſt laͤngſt geſchieden, ſeiner alten Herrſchaft zu folgen, — giebt ihm kund, daß die Graͤfin abweſend ſei, auf einem Ausflug nach ihrem lieben Sophienthal begriffen. Der Graf ſei zu Hauſe und er koͤnne gemeldet werden, obwohl Seine graͤflichen Gnaden leidend waͤre.
Anton ſchwankt. Seine zuckenden Fingerſpitzen halten das Schreiben, welches er ſchon, wie eine vor - zuzeigende Beglaubigung in Bereitſchaft hat; der27 Kammerdiener ſieht es, erbietet ſich, es dem Grafen einzuhaͤndigen. Anton zoͤgert; er duͤrfe es nur in die Haͤnde der Graͤfin legen, ſagt er. Dem Diener kommt ſein Benehmen befremdlich vor; ehe noch ein beſtimm - ter Entſchluß ausgeſprochen wurde, erfaͤhrt Anton, daß er angemeldet ſei und daß der Graf ihn erwarte.
Jn einem großen Eckzimmer des oberen Stock - werkes, mit offener Ausſicht nach einem friſch-gruͤnen - den Park, den Krankenſtuhl an’s Fenſter geſchoben, von Hunden umlagert, ſitzt, liegt vielmehr Graf Guido auf Erlenſtein, ein Mann von etlichen und vierzig Jahren und begruͤßt den von ſtreitenden Empfindun - gen faſt betaͤubten Anton mehr erſtaunt, als unfreund - lich, obgleich die Zuͤge des maͤnnlich-ſchoͤnen, durch einen uͤberlangen Reiterbart abgetheilten Angeſichtes, deutlich zeigen, daß gerade in dieſer Stunde die Fuß - gicht einen heftigen Anfall auf des Leidenden gute Laune unternimmt. Was dem Kammerdiener gleich bei Antons Erſcheinen auffiel, verfehlt jetzt auch nicht, ſichtbare Wirkung auf den Gebieter zu machen: es iſt die Aehnlichkeit zwiſchen Vater und Sohn. Der letztere, deſſen unſtaͤter Blick in einen großen Wand - ſpiegel faͤllt und ſich darin neben dem Grafen erblickt, faͤhrt erſchrocken zuruͤck, ohne paſſende Worte fuͤr eine28 Anrede zu finden. So ſchauen ſich Beide ſchweigend an, bis der Kammerdiener ſich zuruͤckgezogen und die Thuͤre hinter ſich geſchloſſen hat.
Sie haben, wie ich hoͤre, einen Brief fuͤr meine Gemahlin? Von wem kommt er? Und was will er?
„ Es iſt ein Brief, den meine Mutter kurz vor ihrem Tode ſchrieb, den ich perſoͤnlich uͤberreichen ſoll, nach ihrem letzten Willen. “
Hieß Jhre Mutter Antoinette? Antoinette Hahn?
„ Ja, Herr Graf! “
So biſt Du mein Sohn!
Bei dieſen, nicht ohne Ruͤhrung ausgerufenen Worten hielt der Graf dem jungen Manne die Hand entgegen, wie wenn er ſie ihm reichen wollte. Anton trat einen Schritt vor, ergriff die Hand und fuͤhrte ſie ehrerbietig an ſeine Lippen.
Graf Guido betrachtete ihn lange, als ob er ihn im Geiſte mit einem Abweſenden vergleichen wollte, dann ſchuͤttelte er wehmuͤthig den Kopf, ſtieß einen tiefen Seufzer aus und verſank in trauriges Nach - ſinnen, woraus er ſich mit unverkennbarer Muͤhe aufraffte.
Jch habe kein Geheimniß vor meiner Frau, Anton; Graͤfin Julie weiß Alles, was ich von Dir und Deiner29 Mutter ihr zu ſagen wußte. Du begehſt alſo keine Verletzung gegen den Wunſch der Verſtorbenen, wenn Du mir das Schreiben mittheilſt, welches ſie Dir hinterließ. Jch will es leſen, ehe wir weiter mit ein - ander verhandeln.
Anton uͤberreichte den Brief ſeinem Vater. Als dieſer die Aufſchrift erblickte, ſchien er ſich der Hand - ſchrift zu erinnern, die ihm dereinſt ſo theuer geweſen. Er ſagte leiſe: armes Maͤdchen! Dann las er:
„ Graͤfin Julia! Wenn Jhre Freundin, die Frau des Paſtors in Sophienthal, noch am Leben iſt, wie ich hoffe, mag ſie Jhnen beſtaͤtigen, daß nicht lange Zeit vor Jhrer Vermaͤhlung ein verlorenes Maͤdchen im Paſtorhauſe uͤbernachtete und von dort aus ein Briefchen an den Grafen Guido, Jhren damaligen Braͤutigam, richtete. Dieſes Maͤdchen, welches Jhnen als eine arme Verwandte der Paſtorin vorgeſtellt ward, bin ich. Nach Sophienthal war ich gekommen, um Sie zu ſehen; um zu erfahren, ob die begluͤckte Nebenbuhlerin, der ich weichen muͤſſen, meinen Haß verdiene! ob meine Liebe! Jch hoͤrte Sie, Graͤfin, ich ſah Sie, — und ich entſagte. Voll von Jhrem Bilde, desgleichen ich zu jener Zeit noch nicht geſehen hatte, desgleichen mir auch im Laufe meines elenden Lebens30 nicht weiter begegnet iſt, ſchrieb ich Jhrem kuͤnftigen Gatten und gab ihm ſeine Schwuͤre zuruͤck, ſeine Frei - heit, mit dem einzigen Vorbehalte, daß er ſich beſtrebe, Jhrer wuͤrdig zu werden.
Jch zweifle nicht, daß er dieſe meine Bedingung redlich erfuͤllt hat; an Jhrer Seite konnte er ja nicht anders. Und da eine gluͤckliche Ehe volles Vertrauen bedingt, ſo wird Guido Jhnen unfehlbar von den Verirrungen ſeiner Jugend, wird Jhnen auch von mir erzaͤhlt haben. Deshalb darf ich nicht fuͤrchten, Zwietracht zu erregen, wenn ich jetzt von meinem Sterbebette zu Jhnen rede; wenn ich Jhnen meinen Sohn — den Sohn Jhres Gatten — empfehle! Jch habe in unweiblichem Hochmuth, in eitlem Zorn, Eltern und Kind verlaſſen; habe das Daſein einer liebloſen Mutter, einer undankbaren Tochter, unter gold’nen Flittern und glaͤnzendem Elend, im Wider - ſtreit mit meines Herzens beſſerer Stimme gefuͤhrt, bis zuletzt Krankheit und Lebensuͤberdruß, an der Hand des Mangels, mich dem offenen Grabe uͤber - lieferten. An ſeinem Rande ſtehend, wurde mir noch ein Zeichen ewiger Gnade und Erbarmung zu Theil: Gott ſandte mir meinen Sohn, daß er die letzten Tage der Sterbenden durch ſeine Naͤhe, durch ſein31 Mitleid verklaͤre. Gott ſandte ihn mir, ich ſende ihn der Graͤfin Julia! Er hat in unſtaͤten Wanderungen, in Thorheiten und Jrrthuͤmern ein reines Herz bewahrt. Er iſt wuͤrdig, durch Graͤfin Julia ſeinem Vater an’s Herz gelegt zu werden. Gott hat es alſo gefuͤgt. Sie verkennen dieſe Fuͤgung nicht; deſſen bin ich gewiß und ſo ſterb’ ich ruhig und gern. Der Segen einer armen Suͤnderin dringe aus duͤrftiger Todtenſtube in Jhres Schloſſes Hallen.
Antoinette. “
Guido hatte dieſen Brief laut vorgeleſen, mit feſter Stimme, gleichſam um ſich den Jnhalt und die Bedeutung deſſelben recht in’s Gemuͤth zu fuͤhren. Er ſagte dann zu Anton:
Es war nicht unſere Schuld, daß von unſerer Seite nichts fuͤr Dich geſchehen konnte; weder meine Schuld, noch meiner ſeligen Mutter, am allerwenig - ſten meiner guten Frau, die, nachdem ſie durch mich von Deiner Exiſtenz erfuhr, tief bekuͤmmert war, nicht fuͤr Dich ſorgen zu duͤrfen. Deine Mutter hatte es alſo gewollt: die furchtbarſte Drohung ward durch ſie an jeden Verſuch geknuͤpft, den wir gewagt haͤtten, Dir huͤlfreich zu ſein. Auch waͤhnte ich Dich, mit ihr, in weiter Ferne. Jetzt biſt Du hier und ich freue32 mich deſſen. Daß Julia Dir Mutter werde, bedarf es der dringenden Mahnung dieſes Briefes nicht. Du ſelbſt ſollſt beſtimmen, was wir fuͤr Dich thun, in welche Formen wir unſere Pflichten fuͤr Dich klei - den duͤrfen. Fuͤr’s Erſte bleibe einige Tage hier, daß ich Dich, daß ich Deine Vergangenheit kennen lerne. Unterdeſſen kehrt die Graͤfin aus Sophienthal heim, und dann ... “
Dieſe Rede ward unterbrochen durch das Geraͤuſch eines am Schloſſe vorfahrenden Wagens, dem der Graf aufmerkſames Gehoͤr zuwendete, wobei der Ausdruck aͤngſtlicher Beſorgniß ſeine bisher freund - lichen Mienen verduͤſterte. Er hieß Anton nach dem Vorzimmer gehen und einen Diener herbeirufen; als dieſer kam, fragte er haſtig: wer war’s? und als der Diener entgegnete: der junge Graf! warf ſich Guido halb zornig, halb niedergeſchlagen in ſeinen Lehnſtuhl zuruͤck, laut ausrufend: Den fuͤhrt ein boͤſer Geiſt um dieſe Stunde nach Hauſe!
Anton begriff, daß er in einem Sohne ſeines Vaters, den eine ſolche Aeußerung empfing, keinen Bruder zu erwarten habe, und fragte beſcheiden, ob er ſich entfernen ſolle?
Graf Guido winkte ihm, zu bleiben.
33„ Geſchehen muß es doch, erfahren muß er doch, daß Du lebſt und Anſpruͤche haſt, zu leben. Beſſer heut als ſpaͤter! Vielleicht kommen wir mit einem Sturme durch! Anton, Du wirſt in dieſem Hauſe etwas erblicken, was ſelten iſt: einen Sohn, den ſeine eigene Mutter (gegen alle Welt nur Huld und Guͤte) geringſchaͤtzt, meidet, haßt, ſo weit ſie haſſen kann! einen Sohn, den ſein Vater abgoͤttiſch liebte, verzog, ſich uͤber den Kopf wachſen ließ, und den er nun fuͤrchtet, wie man nur einen grauſamen Tyrannen fuͤrchten kann, weil die Affenliebe fuͤr ihn noch nicht beſiegt iſt; einen Sohn endlich, der, die Selbſtſucht in Perſon, fuͤr keinen Menſchen ein Herz hat, fuͤr ſeine Eltern am Wenigſten; der in Muͤßiggang und Wildheit die Zeit verſchwendet und ſich hier nur blik - ken laͤßt, wenn er Geld braucht. Jch hatte nur noch eine Hoffnung fuͤr ihn; er ſollte die Tochter aus einer Familie heirathen, mit der ich verwandt bin; einer Familie, wo ſtrenge Sitte und frommer Ernſt vor - herrſchen. Dort ſollte er die weitlaͤuftigen, etwas derangirten Beſitzthuͤmer uͤbernehmen, mit meinem Gelde nachhelfen, durch Thaͤtigkeit und Fleiß, unter ſeiner Schwiegereltern Obhut auf eine andere Bahn geleitet werden; wir hofften, das wuͤrde ihn erman -Die Vagabunden. IV. 334nen und zu ſich ſelbſt bringen; ihn ſchien es auch anzulaͤcheln, daß er dadurch ſein eigener Herr, Herr eines Hauſes und einiger großer Landguͤter werden koͤnne. Doch Alles zeigte ſich als kurzer Traum, aus welchem ſeine ploͤtzliche Ruͤckkehr, verbunden mit der determinirten Erklaͤrung: die Braut gefalle ihm nicht, uns erweckte. Seitdem treibt er es aͤrger als je. “
Anton hatte ſchon im Sinn, nach dem Tauf - namen des ungerathenen Soͤhnchen zu fragen, weil er ſich Gewißheit ſchaffen wollte, ob eine duͤſtre Ahnung, die ihm bei dieſer Schilderung durch’s Ge - daͤchtniß zog, wahr werden koͤnne. Doch wurde ihm dieſe unangenehme Muͤhe erſpart, denn Graf Louis trat haſtig ein.
Was will dieſer Menſch? rief er, mit der Reit - gerte auf Anton deutend, eh’ er noch einen Gruß fuͤr ſeinen Vater gefunden. Der Vater entgegnete mit faſt erkuͤnſtelter Heftigkeit: Dieſer Menſch iſt Dein Bruder!
„ War Graf Erlenſtein ſchon einmal verheirathet, eh’ er meiner Mutter die Hand reichte? Wie? “
Graf Guido verſtummte vor Gram und Zorn.
Einen Baſtard ſoll ich doch nicht etwa Bruder nennen? Jch begreife nicht, mein Vater, wie ſie mir35 eine Zumuthung dieſer Art machen moͤgen! Noch weniger aber kann ich begreifen, wie Sie einem Bur - ſchen ſeiner Art hier Eintritt geſtatten? Ein Her - umtreiber und Gaukler, ein Knecht und Menagerie - Waͤrter; ein Vagabund, der ſchlechter Streiche hal - ber vor der Polizei aus einer Stadt in die and’re flie - hen muß, der ſich in vornehme Haͤuſer ſtiehlt, als Muſikant, als Tanzmeiſter, und dann entweicht, wenn er ſich erkannt ſieht?! Schicken Sie ihn fort, mein Vater, ſonſt laſſ’ ich ihn binden und unſere Amtsdiener bringen ihn nach der Kreisſtadt. “
Graf Guido warf ſeine Augen von Louis auf Anton, von Anton auf Louis, als wenn er beide fra - gen wollte, ob und woher ſie ſich kennten. Louis ſchaͤumte vor Wuth. Anton fand Kraft ſich zu beherrſchen, zu ſchweigen; doch war er noch nicht ſo weit Herr uͤber ſich, ruhig zu ſagen, was ſagen zu wollen, er ſich bereits entſchloſſen fuͤhlte.
Der Vater hatte unterdeſſen Antoinettens Brief zuſammengefaltet und denſelben, um ihn den Blicken ſeines „ rechtmaͤßigen “Sohnes und Erben zu ent - ziehen, unter anderen Papieren verborgen.
Noch einmal hub Louis an: wird der Landſtrei - cher nun bald ſeiner Wege gehen?
3*36Noch einmal wendete Guido einen bittenden Blick auf Anton, der ſo viel ſagen ſollte, als: recht - fertige Dich!
Dieſer nahm das Wort:
Herr Graf, ich habe nur die Befehle meiner ſter - benden Mutter ausgefuͤhrt, da ich hier, mit innerli - chem Widerſtreben eindrang. Sie haben mich liebe - voll aufgenommen, ich danke Jhnen fuͤr die vaͤterlich - edlen Abſichten, die Sie mir kund gethan; ich nehme, ſcheidend, Achtung und kindliche Verehrung fuͤr Sie in meinem Herzen mit mir fort; aber ich muß ſchei - den. Jch kann und darf mich zwiſchen Sie und Jhren Sohn nicht draͤngen. Die Theilnahme, die Sie mir, nah oder fern goͤnnen wollten, muͤßte ewigen Zwieſpalt herbeifuͤhren. Von Verſoͤhnung zwiſchen ihm und mir kann niemals die Rede ſein. Er haßt mich auf Leben und Tod; er weiß, warum er es thut; er hat Recht mich zu haſſen. Jch geb’ es ihm von ganzer Seele zuruͤck. Doch er iſt Jhr Sohn, er iſt der Sohn der Graͤfin Julia, und ich weiche ihm. Leben Sie wohl mein — mein Herr Graf!
„ Anton, bleibe, bleibe bei mir! Er liebt uns nicht. Du haͤtteſt mich geliebt und ich Dich. Rei -37 nige Dich von den Anklagen, die er gegen Dich vor - gebracht und bleibe bei uns! “
Jch kann ihn nicht Luͤgen ſtrafen. Es iſt wahr, daß ich eines Vagabunden leben fuͤhrte; es iſt wahr, daß ich mir als Knecht und Gaukler mein Daſein friſtete. Wenn ich dennoch mehr werth bin, als er, wenn ich meine Ehre dennoch beſſer bewahrte, als er, ſo ſind meine Ehre und mein Werth zu hoch uͤber ihm, um mich auf einen Wort ſtreit mit ihm einzu - laſſen. Einen andern jedoch darf ich in dieſen Raͤu - men mit ihm nicht beginnen, denn er iſt der Sohn des Hauſes. Jſt es ihm an jedem andern Orte gefaͤl - lig ... er weiß, wie ich meine Sachen ausfechte, auch ohne Waffen. Gewiſſen Helden gegenuͤber genuͤgt der Stock. Noch einmal, Herr Graf, leben Sie wohl und ſein Sie gewiß, daß ich Jhnen in Liebe und dankbarer Anhaͤnglichkeit ergeben bleibe. —
Anton hoͤrte noch im Vorzimmer den Grafen mit ſchmerzhafter Anſtrengung „ Anton, Anton! “rufen. Aber er kehrte nicht mehr zu ſeinem Vater zuruͤck und verließ das Schloß.
Worin Anton niedergeſchoſſen wird und ſich beinahe verblutet. — Herr Schkramprl tritt noch einmal auf und gerade im rechten Augenblicke. — Anton’s Wunde iſt nicht toͤdtlich. — Schkramprl legt ſich auf die Diplomatie.
Anton brachte eine ſchlafloſe Nacht im Dorf-Gaſt - hauſe zu. Doch erhob er ſich, nachdem er ſein ganzes Geſchick ernſt und ruhig durchgedacht, mit vollkomm - ner Reſignation vom ſchlechten Lager und ſchaute gefaßten Muthes in den goͤttlichen Fruͤhlingsmorgen hinaus. Was iſt’s weiter, ſprach er zu ſich ſelbſt, eine getaͤuſchte Hoffnung mehr! Und hab’ ich nicht dennoch dabei gewonnen? Meiner armen Mutter letz - ten Willen hab’ ich erfuͤllt, ſo gut ich vermochte; — denn daß Graͤfin Julie abweſend, iſt nicht meine Schuld; — und einen Mann, der mir das Leben gab, den ich beinahe haßte, vor dem ich mich fuͤrchtete, hab’ ich nun kindlich lieb; trage ſein Andenken mit mir, wie das eines guthmuͤthigen, gefuͤhlvollen Men - ſchen, den ſeine Schwaͤche ungluͤcklich macht, den ich mehr bemitleiden als anklagen darf. Jch kann mei -39 nen Vater lieben, ich kann meine Mutter ſelig prei - ſen, weil ſie’s uͤberſtanden hat, folglich bin ich reicher als ich jemals war; — und fuͤr das Uebrige wird der Vormund weiter ſorgen, dem ich mich anvertraute, da ich Liebenau verließ. — Aber Hedwig? Der Weg den ich jetzt wieder einſchlagen muß, fuͤhrt mich nicht zu ihr. Diesmal hat der Blick einer Sterbenden nicht den Schleier der Zukunft zu durchdringen ver - mocht; Deine Prophezeiung, Du arme Mutter, geht keineswegs in Erfuͤllung und Deines unſtaͤten Sohnes Erbtheil bleibt der alte Fluch, welcher ſtaͤrker wirkt, als Dein Segen, als meines Vaters guter Wille.
Mit aͤhnlichen Gedanken ging Anton munter durch die Waldungen, ohne recht zu wiſſen wohin. War es ihm doch gleichguͤltig. Lag ihm doch nur daran, ſo ſchnell wie moͤglich aus dem Gebiete der graͤflichen Beſitzungen ſich zu entfernen. Er fragte einige Holz - leute, die ihm einzeln begegneten, wie weit er noch habe? Sie bezeichneten ihm die Grenze, die er binnen einer Viertelſtunde erreichen werde, wenn er maͤßig fortſchreite. Je naͤher ſie ruͤckte, deſto dringender wurde ſeine Beſorgniß; eine Angſt, die er ſich gar nicht zu erklaͤren wußte, ſchnuͤrte ihm die Bruſt zu -40 ſammen; eine Ahnung, als drohe ihm etwas Furcht - bares. Er athmete leichter auf, als er am Grenz - pfahle ſtand, der die graͤflichen Farben und oben auf eine Tafel trug mit den Worten: Herrſchaft Erlen - ſtein. Unter dieſem Pfahle machte der Wanderer Halt, ließ die Laſt von ſeinen Schultern gleiten und wollte eben am Rande eines gruͤnbewachſenen Gra - bens ſich zur Ruhe niederlaſſen, als er, etwa dreißig Schritt von ſich, hinter einem Wachholdergeſtraͤuch das Geſicht des Grafen Louis hervorblicken ſah. Zwiſchen den Zweigen, von der Fruͤhlingsſonne beſchienen, flimmerte der Lauf einer Kugelbuͤchſe.
Anton’s erſter Gedanke war, ſich hinter den Grenzpfahl zu fluͤchten, doch augenblicklich verwarf er ihn. Vor einem ſolchen Gegner flieh ich nicht, war der naͤchſte Gedanke. Nach jenem Geſtraͤuch gewendet, bot er gleichſam die Bruſt dar, auf welche ſchon der Buͤchſenlauf ſich richtete.
„ Hund, jetzt will ich Dir zeigen, wie ich meine meine Haͤndel ausfechte! “
Dieſe Worte vernahm Anton noch, .... ein Blitz vom Schießgewehre ... ein heftiger Schmerz in der Naͤhe des Herzens ... Nacht um ihn ... und er lag blutend am Boden.
41„ Du verſprachſt mir Ruhe, Mutter; Gottlob, nun find’ ich ſie. “
Nachdem er es gemurmelt, verlor er die Beſinnung.
Als er wieder zu ſich kam, ſtand die Sonne ſchon ziemlich hoch. Seine Wunde blutete, er fuͤhlte ſich unendlich matt, aber dabei fuͤhlte er auch, daß er nicht daran ſterben duͤrfe, wenn ihm Huͤlfe zu Theil werde, eh’ es zu ſpaͤt ſei. Doch woher ſollte hier die Huͤlfe kommen? Kein lebendiges Weſen zeigte ſich, außer den kleinen Waldvoͤgelein, die neugierig um ihn herflatterten und ſanfte Klagetoͤne ausſtießen, wie wenn ſie Mitleid mit ihm haͤtten. Der Schmerz, den die Wunde ihm verurſachte, wurde mit jeder Minute heftiger, ſchien aber gering, gegen den Schmerz ver - glichen, den ſeine Seele fuͤhlte uͤber des feigen Moͤr - ders That.
Jeder Verſuch, ſich aufzurichten, mißlang. Ein Tuch, gegen die Wunde gepreßt, ſaugte ſich an und hemmte die Blutung.
So lag er nun und ergab ſich in’s Unvermeid - liche. Ohne bewußtlos zu ſein, verfiel er in jene Apathie der Entſagung, wo jedes Beſtreben endet, wo jeder Wunſch erliſcht, wo froͤſtelndes Fieber mit halb42 wolluͤſtigem Schauer durch alle Glieder rieſelt, wo die Außenwelt verſchwindet und im Uebergang vom Wachen zum Traume unſere Einbildungskraft thun kann, was ihr beliebt. Dieſe nun fuͤhrte an ſeinem innern Auge alle Perſonen voruͤber, mit denen er in Beruͤhrung geſtanden, zeigte ihm Freund und Feind; erweckte ihm Abneigung oder Wehmuth, je nachdem die Erſcheinungen waren. Sein alter Arzt fand ſich, der ihn nach ſeinem Sturze gepflegt, und unterſuchte die Wunde; Adele verband ſie mit kunſtfertigen Haͤn - den; Kaͤthchen labte ihn durch einen Schluck friſchen Waſſers, wonach ſeine Zunge lechzte; Amelot trieb Laura mit Schlaͤgen von des Verwundeten Seite; Antoinette, an des Grafen Guido Arm, beugte ſich muͤtterlich uͤber ihn; Adelheid lief voruͤber und lachte; Baͤrbel zeigte ihm jammervoll ihre blutigen Arme, der ſchwarze Wolfgang riß ſie fort; Hedwig blickte hinter jenem Geſtraͤuche hervor, aus welchem Louis nach ihm geſchoſſen und neben ihr ſtand eine ſchoͤne Frau in tiefer Trauer, die Anton nie geſehen, die er aber ſogleich fuͤr Graͤfin Julie erkannte; Theodor ſteckte das erdfahle Todtenantlitz aus einem Grabhuͤ - gel und rief ihm zu: Liebenau iſt Dein! Die kleinen Voͤgel um ihn her verwandelten ſich in große Kraͤ -43 hen, die ihn verfolgten, weil ſie ihn fuͤr Koko hielten; der indianiſche Baͤr brach aus dem Dickicht hervor, ſeinen Freund zu ſchuͤtzen, doch der wilde Tiger zer - riß den Baͤren; ſchon hob er eine Tatze, um auch in Anton’s verwundete Bruſt die ſcharfen Krallen zu ſchlagen, da erſchien mit einer Keule bewaffnet der Rieſe Schkramprl, ſchmetterte den Tiger zu Boden, kniete neben Anton hin und rief ſo laut, daß alle kraͤchzenden Kraͤhen entflogen: „ Bei den zwei Koͤpfen meines hoffnungsvollen Sohnes, hier liegt Freund Antoine! “
Anton oͤffnete die Augen, alle Bilder ſeiner Fie - berphantaſie verſchwanden; nur Schkramprl blieb in Wirklichkeit neben ihm, denn er war es.
Mein langer Goͤnner, von wannen kommt Jhr, mich ſterben zu ſehen? fragte der Verwundete mit laͤchelndem Gefluͤſter.
„ Hier handelt ſich’s nicht darum, woher ich komme, ſondern einzig wie wir Euch fortbringen. Wohin? das weiß ich ſchon. Heilige Barmherzig - keit, liegt der ſchoͤnſte Reiter hier in ſeinem Blute wie ein wildes Schwein, und wenn ich nicht voruͤber kam, war’s vielleicht geſchehen um ihn! Allons, Peterl, mach lange Beine, reiß aus, und ſchnurſtracks44 zuruͤck zum Herrn Foͤrſter; ich laß ihn beſchwoͤren bei den Geiſtern aller Ratzen und Maͤuſe, die ich in ſei - nem Hofe getoͤdtet, er ſoll Knecht und Magd mit einer großen Miſttrage herausſchicken; und lege Stroh darauf und ſtiehl ihm ein Paar Federkiſſen aus ſeinem Bett! Lauf, Peterl, was Du kannſt; der Herr iſt mein beſter Freund! — Seht Jhr, wie der Junge fliegt? Die fuͤrſtliche Foͤrſterei liegt ganz in der Naͤhe. Und das Pferdegluͤck: der Pflaſterkaſten vom Schuͤtzenbataillon, des Foͤrſters leiblicher Bru - der, iſt auf Beſuch dort. Es konnte ſich gar nicht ſchoͤner zuſammenpaſſen. O, Schkramprl iſt ein großer Mann, er trifft zu rechter Zeit ein, Tod und Leben liegen in ſeiner Hand. Gift fuͤr die Verbre - cher, Balſam fuͤr die Tugendhaften. Blickt auf die - ſen Ranzen, Antoine: Arſenik, um eine ganze Raͤu - berbande an Bauchgrimmen verrecken zu laſſen. Soll er ſchlucken, ſoll er zappeln, Euer Moͤrder! Sagt mir, wer Euch angeſchoſſen! Jch finde ihn und wenn er im tiefſten Mauſeloche ſteckte! “
Jch kenn’ ihn nicht, ich weiß nicht, wer es war! — Dieſe Luͤge ſtieß Anton mit heftigſter Anſtrengung aus. Dann ließ er ſein Haupt in Schkramprl’s Schoos zuruͤckſinken, wo er ruhig lag, bis der aus45 dem Foͤrſterhauſe erbetene Beiſtand anlangte. Der Foͤrſter und deſſen Bruder, der Bataillonsarzt, begleiteten die Traͤger. Unter ihrer Aufſicht wurden die beſten Anſtalten getroffen, die Wunde jedoch vor - her ſorgſam beſichtigt, ehe man den Leidenden in eine andere Lage brachte. Der Bataillonsarzt, mit jenem ſcharfen Blick, den eine auf Schlachtfeldern angeuͤbte Sicherheit gewaͤhrt, rief luſtig aus: das nenn’ ich mir doch eine Kugel, die Lebensart verſteht; dringt in der Naͤhe des Herzens ein (wo ſie allerdings einen tuͤch - tigen Preller gegeben und zuruͤck empfangen haben mag), ſchleicht ſich dann zwiſchen Rippen und Haut beſcheiden durch, und als ob ſie wuͤßte, daß ſie inwendig nichts zu ſuchen hat, macht ſie ſich gleich wieder einen Ausweg ins Freie.
Alſo keine Lebensgefahr, Bruder? fragte der Foͤr - ſter. Keine, war die Antwort. Sechs Wochen, oder ſo etwas, unter guter Pflege, das iſt Alles.
Und Anton’s Wunden wurde nach allen Regeln der Kunſt verbunden. Dann ſetzte ſich der Zug lang - ſam in Bewegung.
Schkramprl drang mit flehentlichen Bitten in den Foͤrſter, er moͤge ihm geſtatten, als Krankenpfleger ſo lange im Forſthauſe zu weilen, bis Herr Antoine46 wieder auf den Beinen ſei. Dabei pries er Antoine’s Talente und Vorzuͤge, ſtellte ſeine Liebenswuͤrdigkeit in das hellſte Licht und wurde nicht muͤde von jenen Zeiten zu erzaͤhlen, wo ſie Beide, Antoine und Schkramprl als Sterne reinſten Lichtes am Himmel der reiſenden „ Kuͤnſtlerwelt “glaͤnzten. Der Foͤrſter, ein braver, ſchlichter Waldmenſch, der bei all’ ſeiner praktiſchen Tuͤchtigkeit und inmitten eines abgeſchloſ - ſenen Lebens, heitern Sinn und froͤhliche Friſche bewahrte, nahm des naͤrriſchen Schwaͤtzers gutmuͤ - thige Uebertreibungen freundlich auf. Er hatte ſich ſchon geſtern, wo der wandernde Kammerjaͤger — denn bis zu dieſem „ ſoliden Beruf “war unſer Rieſe erniedriget worden, — ihm ſeine Dienſte angeboten, nicht wenig an ihm erluſtiget; hatte auch einen Ver - trag mit ihm abgeſchloſſen, vermoͤge deſſen Herr Schkramprl den vollen Preis fuͤr ſeine „ totale Ver - tilgung ſaͤmmtlichen hochfuͤrſtlichen Ungeziefers “im Forſthofe erſt dann empfangen ſolle, wenn nach Ab - lauf einiger Monate die Prozedur ihre unzweifelhafte Nachwirkung bewaͤhrt habe. Zu dieſem Endzweck haͤtte Schkramprl ja doch bisweilen wieder einſpre - chen und zum Rechten ſchauen muͤſſen. Auf einen Eſſer mehr kommt es in einer großen Landwirthſchaft47 ohnedies nicht an und der bleiche, maͤnnlich duldende, freundlich leidende Anton, hatte durch ſein ſtoiſches Verhalten bei’m Unterſuchen der Wunde, wie durch ſeine beſcheidenen, dankbaren Worte den Foͤrſter ſchon fuͤr ſich gewonnen. Es wurden alſo gar keine Schwierigkeiten gemacht. Anton’s Lager bereitete man in einem Dachſtuͤbchen, neben jenem, welches die Jaͤgerburſchen bewohnten; Schkramprl erhielt ein Bett bei Anton; Peter wurde ausgeſendet, um in der ganzen Nachbarſchaft umherzuſpuͤren, wo Maͤuſe und Ratten zu vertilgen ſeien und empfing den Auftrag Berichte daruͤber an ſeinen Herren abzuſtatten, der ſein Amt als menſchenfreundlicher Krankenwaͤrter mit ſeinem Geſchaͤft als mauſefeindlicher Zauberer zu ver - einen hoffte; des Foͤrſters Bruder unterwies ihn auf das Genaueſte in allen Huͤlfeleiſtungen, die beim Rei - nigen und Verbinden der Wunde noͤthig waren und verſprach außerdem, einen Tag um den andern aus ſeiner Garniſon einen Spazierritt zum Forſthauſe zu machen, ſo lange es noͤthig ſei. Der Foͤrſter aber ſetzte ſogleich einen Bericht an die Behoͤrde auf, den er ſeinem Bruder, dem Arzte, zur baldigen Beſorgung, mitgab.
Gegen Abend ſtellte ſich das heftigſte, als unver - meidlich vorherverkuͤndigte Wundfieber ein, gegen48 welches der ſcheidende Arzt alle zweckmaͤßigen Vor - kehrungen und Milderungsmittel angeordnet hatte; welches alſo Niemand erſchreckte. Anton phanta - ſirte heftig und mengte wunderliche Dinge durchein - ander, behielt aber dennoch, ſogar im exaltirteſten Zuſtande, Willenskraft uͤbrig, keine Silbe ſich ent - ſchluͤpfen zu laſſen, die ſein Verhaͤltniß zu der graͤfli - chen Familie auf Erlenſtein andeuten konnte. Da - gegen ergingen ſich ſeine lebhaften Traͤume, gleichſam luſtwandelnd, in allen Richtungen des verfloſſenen Lebens, von Luſt zu Gram, von Gluͤck zu Leiden uͤberſpringend. Dadurch regte er, weil er die Namen von Perſonen und Orten im bunteſten Wechſel durch - einander warf, den redeluſtigen Schkramprl auf, mit hineinzuſchwatzen, ſeine eigenen Abentheuer mit den Phantaſieen des Kranken zu vermiſchen, ihn an Toll - heit zu uͤberbieten. Die Jaͤgerburſchen, nur durch eine duͤnne Wand von ihnen getrennt, wußten zuletzt nicht, wer groͤßeren Unſinn ſchwatzte, ob der Kranke im Fieber, ob der Waͤrter, der dem Kranken Luͤge uͤber Luͤge erzaͤhlte.
Gegen Morgen ſtellte ſich Ruhe ein, mit ihr, durch ſie der Schlaf. Und als die Gerichtsperſonen, durch der Foͤrſters Rapport entboten, in den Hof ein -49 fuhren, erwachte unſer Freund zu neuem, klaren Leben.
Jede Gefahr ſchien beſeitiget.
Jn dem Verhoͤre, welches man mit ihm anſtellte, blieb er dabei, daß der Menſch, der nach ihm geſchoſ - ſen, den er nur undeutlich durchs Gebuͤſch geſehen, ihm fremd ſei; daß er ihn durchaus nicht beſchreiben oder bezeichnen koͤnne; daß er keine Ahnung habe, welche Abſicht dieſer That zum Grunde gelegen; und daß von ſeinen Habſeligkeiten, die er unberuͤhrt beim Erwachen neben ſich gefunden, nichts fehle. Der Richter, deſſen Schreiber, der Foͤrſter ſchuͤttelten die Koͤpfe, und beruhigten ſich endlich bei der Anſicht, es koͤnne wohl ein Raubanfall beabſichtiget, die Aus - fuͤhrung deſſelben aber durch Dazwiſchenkunft des Zeuge Schkramprl verhindert worden ſein, welche den Raubmoͤrder veranlaßt habe, die Flucht zu ergrei - fen. Dieſe Meinung fand um ſo mehr Beifall, da Anton ſich wohl huͤtete, beizubringen, welch’ eine Friſt zwiſchen Louis’ Schuß und Schkramprl’s Erſcheinen gelegen. Das Reſultat der Unterſuchung lautete auf einen in dieſen Gegenden umherſchweifen - den, hoͤchſt gefaͤhrlichen, gaͤnzlich unbekannten Boͤſe - wicht, fuͤr deſſen Habhaftwerdung die ForſtbeamtenDie Vagabunden. IV. 450außergewoͤhnliche Mittel anzuwenden, auch ſich des - halb mit dem graͤflich Erlenſtein’ſchen Wirthſchafts - Amt in’s Einvernehmen zu ſetzen haben wuͤrden.
Welchen Erfolg dieſe „ außergewoͤhnlichen Mit - tel “ſammt ihren Patrouillen, Streifereien, naͤcht - lichem Aufgebot umliegender Gemeinden und aͤhnlichen Unternehmungen erzielten, brauchen wir, als Einge - weihte, nicht erſt anzudeuten. Der Thaͤter blieb unentdeckt, wurde bald vergeſſen und es redete ſchon Niemand mehr von ihm, als Anton’s Wunde lange noch nicht geſchloſſen war.
Schkramprl ging ab und zu, verfolgte Meilen - weit in die Runde, Alles was Maus und Ratte heißt, kehrte treulich zu Anton zuruͤck, benahm ſich als Ge - huͤlfe des Wundarztes ſo vorſichtig, exakt und puͤnkt - lich, daß dieſer, wenn er Zeit fand, ſelbſt zu kom - men, dem Rieſen alle moͤglichen Lobſpruͤche ertheilte; ihm ſogar einen Platz im Lazareth anbot, welches Anerbieten jedoch ſchnoͤde zuruͤckgewieſen wurde, weil eine ſolche Stelle mit der „ perſoͤnlichen Freiheit “nicht vereinbar ſei. „ Als Vagabund bin ich geboren, hab’ ich gelebt, will ich ſterben; auf einem Flecke verbleiben, iſt meinen Anlagen und Faͤhigkeiten zu - wider; ich wuͤrde ſogar hier, wo Freundſchaft und51 Cameraderie mich feſſeln, nicht aushalten, wenn ich nicht zwiſchen durch Erlaubniß haͤtte, meine alten Beine in Bewegung zu ſetzen und umherzu - ſchnuͤffeln! “
Dies letztere that Schkramprl wirklich und zwar nicht nur um Ratten, ſondern auch um Neuigkeiten auszuſpuͤren. Anton iſt ſelbſt nicht klar daruͤber geworden, ob es eigene Neugier geweſen, die den Rie - ſen dazu angetrieben, oder ob das Beduͤrfniß bei ihm vorwaltete, Neuigkeiten und Klatſchereien zu erzaͤhlen? Er ſelbſt behauptete das Letztere, indem er verſicherte, ihm ſei es durchaus gleichguͤltig zu wiſſen, oder nicht zu wiſſen, was die Bewohner umliegender Doͤrfer und Schloͤſſer thaͤten. Jhm liege lediglich daran bei ſeiner Heimkehr den Patienten durch leb - haftes Geſpraͤch zu amuͤſiren; der eigene Lebenslauf und eines Rieſen Schickſale waͤren ausgepreßt wie eine Zitrone, deshalb muͤßten nun andere Menſchen und andere Schickſale an die Reihe!
Anton hoͤrte ihm haͤufig zu, ohne auf ihn zu hoͤren; waͤhrend Schkramprl’s Geſchwaͤtz waren Anton’s Gedanken gewoͤhnlich bei Hedwig. Der Erzaͤhler, der die Tugend beſaß, mit Leib und Seele bei der Sache zu bleiben, achtete nicht darauf, ob4*52man ihn hoͤrte, wenn er nur ununterbrochen reden durfte. Damit war beiden Theilen geholfen.
Anders jedoch geſtalteten ſich die Dinge, als der „ Kammerjaͤger “von Schloß Erlenſtein wiederkehrte, wohin ihm ſein in der Nachbarſchaft verbreitetes Renommé eine, durch Peterl uͤberbrachte, Aufforderung zugezogen. Ohne zu ahnen, wie tief ſein Zuhoͤrer da beruͤhrt werde, machte er eine traurige Schilderung der dortigen Verhaͤltniſſe mit welchen er durch Dienſt - boten und Landleute bekannt worden war. Zwiſchen Vater und Sohn ſollten ſchreckliche Auftritte vorge - fallen ſein, deren Schuld von ſaͤmmtlichen Dorfbe - wohnern auf den Sohn geworfen und dem Vater nur in ſofern zugeſchoben wurde, als er viel zu nach - giebig und gut gegen den boͤſen Buben geweſen waͤre. Einzig und allein die Autoritaͤt der Graͤfin, von wel - cher Alle und Jeder wie von einem Weſen hoͤherer Gattung redeten, wende bis jetzt noch das Aeußerſte ab; wozu es jedoch beinahe ſchon gekommen ſein ſollte, nachdem ein fremder junger Herr, waͤhrend ihrer Abweſenheit, auf dem Schloſſe bei’m Grafen war und mit dem Sohne in heftigen Wortwechſel gerieth. Seitdem darf der junge Graf des Vaters Zimmer nicht mehr betreten; er treibt ſich fluchend53 und laut laͤſternd bei den Beamten herum; der Vater iſt kraͤnker geworden, ſo daß man fuͤr ſein Leben be - ſorgt ſein muß; die Mutter, mit himmliſcher Sanft - muth und Wuͤrde, ſucht zwiſchen beiden zu vermit - teln; das ganze Hausperſonale iſt in verſchiedene Partheien zerſpalten, die ſich wechſelſeitig auch an - feinden; die Wirthſchaft geht d’ruͤber und d’runter; die Hunde ſchleichen mit geſenkten Ohren knurrend vor der Schloßtreppe auf und ab; und die Ratzen ſind ſo frech geworden, daß ſie in vorvoriger Nacht einem im Stalle ſchlafenden Roßwaͤrter die große Zehe des rechten Fußes angefreſſen haben. Fuͤr die Ratten, fuͤgte Schkramprl hinzu, hab’ ich Rath ge - ſchafft und ihnen das Beiſſen einſtweilen vertrieben; aber fuͤr die Herrſchaften weiß ich keinen. Das beſte Mittel waͤre freilich, wie der Kammerdiener meinte, wenn man dem jungen Herren auch ein Rattenpuͤl - verchen in den Wein ruͤhrte? Doch, wer mag ſo etwas riskiren? Es iſt unterſagt, wie ich gehoͤrt habe. Sonſt waͤr’s ſo uͤbel nicht, denn der Patron iſt von einer herausfordernden Unverſchaͤmtheit. Nannte er mich doch „ Er! “ Solch’ ein Buͤrſchchen! Mich, den Rieſen Schkramprl! — Jch hab’ es ihm aber wieder gegeben. Monsieur le Comte, ſagt’ ich —54 und was fuͤr Augen machte der hohlaͤugige, ausge - mergelte Juͤngling, weil ein Rattenfaͤnger, ein Kam - merjaͤger ihn franzoͤſiſch haranguirte, — ich bin weder Jhr Stiefelputzer, noch Jhr Hausknecht; ich bin ein freier Kuͤnſtler, den Seine graͤflichen Gnaden, Dero Herr Vater auf Sein Schloß entbieten laſſen, weil man es daſelbſt vor Ungeziefer nicht mehr aushalten konnte. Jch vermag nicht allein Ratten und Maͤuſe zu vertreiben; ich bin auch Meiſter einiger anderer Geheimniſſe und wo man mich unwuͤrdig behandelt, verſteh’ ich Rache zu uͤben. Ehrlich geſagt, ich dachte mir bei dieſer ſuͤperben Phraſe weiter gar nichts, als ihm einen Schreck einzujagen, indem ich auf die alte Fabel anſpielte, daß die Kammerjaͤger Gewalt beſitzen ſollen, Maͤuſe und Ratten wie eine egyptiſche Landplage zu vermehren. Der junge Herr Graf muß es aber anders ausgelegt haben, denn er ver - faͤrbte ſich ſiebenmal in einer Minute und ging ſeiner Wege, ohne mir zu antworten, woraus ich zu ſchließen geneigt bin, er habe irgend eine Niedertraͤch - tigkeit veruͤbt, deren Entdeckung er fuͤrchtet und von welcher ſein ſchlechtes Gewiſſen ihn glauben laͤßt, ich ſei zufaͤllig dahinter gekommen!
„ Freund Schkramprl, “ſprach Anton, der dieſen55 Vortrag ſeines geſpraͤchigen Pflegers mit beſonderer Aufmerkſamkeit verfolgt hatte, „ ich bin Euch unend - lichen Dank ſchuldig geworden, fuͤr die liebevolle Sorgfalt, ſo Jhr an mich wendet; wollt Jhr aber Eurem Werke die Krone aufſetzen, dann verſprecht und gelobt mir, Euch um die Verhaͤltniſſe in Schloß Erlenſtein weiter nicht zu bekuͤmmern, vorzuͤglich in ſofern dieſelben jenen jungen Grafen Louis betreffen. Jch, — nun ja, ich will’s nicht leugnen, ich kenne ihn; er und ich hatten einſtmals in B. eine unſanfte Begegnung miteinander; ich habe gegen ihn gefehlt und es liegt mir, aus wichtigen Gruͤnden, ſehr viel daran, daß er von mir nichts erfahre; wie ich Euch denn auch erſuche, mir von ihm nichts weiter mitzu - theilen. Glaubt mir, es iſt um ſo beſſer fuͤr mich und ich bitte Euch herzlich, mir dieſe Gefaͤlligkeit zu erweiſen. “
Schkramprl verſprach augenblicklich, was von ihm verlangt wurde. Kaum jedoch hatte er Anton’s Lager verlaſſen und wieder das Freie erreicht, als er ausrief: ſo will ich doch ein Schurke ſein und gehaͤngt werden, wie ein raͤudiger Hund, wenn ich dies Ver - ſprechen halte! Dahinter ſteckt mehr, als auf den erſten Blick ſcheint. Sie kennen ſich .... ſie waren56 Feinde ... Antoine kam aus der Richtung von Erlenſtein, als ich ihn im Graben fand .... Schkramprl, nimm Dich zuſammen!
Anton erklaͤrt, daß er mit dem Leben abgeſchloſſen habe und keinen Wunſch mehr hege, als in ſein Haͤuschen nach Liebenau heimzukehren. Schkramprl billiget dieſen Wunſch und beſtaͤrkt ihn darin.
Anton’s Geneſung machte ſichtbare Fortſchritte. So weit es ihm die ſehr erſchoͤpften Kraͤfte geſtatten wollten, durfte er das Krankenzimmer verlaſſen und im Schatten des kleinen Baumgartens ſich laben an warmer, freier Luft. Auch bezeichnete des Foͤrſters Bruder ſchon die nahe Friſt, wo er, gaͤnzlich geheilt, ſeine Wanderung fortſetzen duͤrfe. Den Foͤrſter ſelbſt anlangend, bekuͤmmerte weder er, noch ſeine Bur - ſchen, ſich um den uͤbrigens mit wahrer Gaſtfreund - ſchaft behandelten Fremden. Sie hatten keine Zeit dazu. Bei’m Gehen und Kommen reichte der bied’re alte Graubart ſeinem Gaſte die Hand, mit einem ſtets gleichen, wohlwollenden: wie geht’s? und zeigte ſich nur verdruͤßlich, wenn Anton der Beſchwerden Erwaͤhnung that, die er in’s Forſthaus gebracht. 57Dann ſuchte Foͤrſter Wolff ſeine furchtbarſten Waid - mannsfluͤche hervor und gebot ihm Ruhe. Jch habe drei Soͤhne, pflegte er zu aͤußern, die ſich durch die Welt ſchlagen muͤſſen; jeder von ihnen kann ehrlicher Leute Beiſtand gebrauchen; und was muͤßte unſer Herrgott in ſeinem himmelblauen Waldrevier von mir halten, wenn ich einem armen Teufel verwei - gern wollte, was ich im Falle der Noth fuͤr meine Jungen von ihm erbitte? Haltet Euer Maul, und thut es nur auf, wenn Jhr Hunger habt, der ſich hoffentlich bald wieder bei Euch einſtellen wird. —
Schkramprl befolgte die ihm gegebene Weiſung ſcheinbar ſehr gehorſam. Er nannte den Namen Erlenſtein nicht mehr und gab ſich das Anſeh’n, wie wenn jeder Verkehr zwiſchen ihm und den Schloß - Ratten abgebrochen waͤre. Auch zeigte er ſich ern - ſter, dabei ergebener, theilnehmender als anfaͤnglich. Er ſchwatzte nicht mehr ſo viel verworrenes Zeug untereinander, gedachte der Vergangenheit nur wenn Anton das Geſpraͤch darauf lenkte, bemuͤhte ſich da - gegen, ſo oft wie moͤglich von der Zukunft zu reden, und Anton gewiſſermaßen auszuforſchen: auf was? und wohin ſeine Gedanken gerichtet waͤren? Was meint ihr wohl, Antoine, fragte er unter Anderem,58 was moͤchtet ihr Euch wohl wuͤnſchen, wenn ein Zau - berer, oder um im Laufe der natuͤrlichen Begebenhei - ten zu bleiben, ein Kaiſer, Koͤnig, Herzog — was es nun waͤre, — Euch unbedingte Erfuͤllung jedes recht herzhaften Wunſches im Voraus zuſagte? Was wuͤrdet ihr dann verlangen? Thut mir die Liebe und ſagt mir das. Nur, daß die Zeit vergeht, die hier im Forſthauſe, ohne Schmeichelei geſagt, niedertraͤch - tig langſam vom Flecke kommt. Sagt mir’s. Jch baue gern Luftſchloͤſſer. Jhr nicht?
„ Jch auch, “erwiederte Anton. „ Und fruͤher liebt ich, ſie aufzurichten bis an die Wolken. Jetzt wuͤrd’ ich mich mit kleineren Wuͤnſchen begnuͤgen; freilich immer noch zu groß, immer noch viel zu hoch und ſtolz, fuͤr die Stellung die mir auf Erden angewieſen bleibt. Jch wuͤrde, — wenn wir denn doch nun einmal wie die Kinder ſpielen, ſo mag es ſein, — wuͤrde mir wuͤnſchen, daß Liebenau, jenes heimliche, traute Dorf, wo ich meine Knabenjahre verlebte, mit ſeinen Feldern und ach, ſeinen Waͤldern, mein waͤre; mein wirkliches Eigenthum. Daß ich dort einzoͤge, als ſchuldenfreier, wohlhabender Beſitzer.
Dann wuͤrde ich (ziemlich weit von hier, doch wenn man Geld hat, kann man ſchnell reiſen) einen59 Beſuch abſtatten, bei einem wuͤrdigen, rechtlichen, wenn auch ſtrengen Manne und dieſen um die Hand ſeiner Tochter bitten. Und wenn er Ja ſagte, — die Tochter ſagt nicht Nein — wuͤrd’ ich ſie heimholen, nach Liebenau, und wuͤrde mich mit ihr trauen laſſen in der kleinen Dorfkirche; und wuͤrde ſie lieb haben; wuͤrde mit ihr vereint, die Armen beſchenken, ihnen im Winter Holz geben und Brot, und warme Roͤcke; wuͤrde ſchoͤne Baͤume anpflanzen; wuͤrde ein ſchlich - ter Landmann ſein, begluͤckt und zufrieden. Wuͤrde meiner alten Großmutter Grab — “
Na, ſeid ſo gefaͤllig, und fangt zu heulen an, daß ich etwa auch weinen muß, was ſich fuͤr einen in Ruheſtand getretenen Rieſen durchaus nicht ſchickt! Deshalb fragt’ ich nicht nach Euren Wuͤnſchen, um auf den Friedhof zu gerathen. Die Ausſicht auf Hochzeit und Ehebett koͤnnte mir ſchon beſſer gefal - len. Alſo, das waͤren Eure Wuͤnſche? Na ſchoͤn, nun weiß man’s doch und kann ſich bei Gelegenheit danach richten.
„ Ja, Schkramprl, das waͤren meine Wuͤnſche, wenn ich noch daͤchte, wie ich vor einigen Monaten, — wie ich ſeit Piſa gedacht habe. Jetzt iſt das hin und todt. Doch dem theuren Liebenau werd’ ich des -60 halb nicht ungetreu. Ein dummer, eitler, unerfah - rener Korbmacherjunge lief ich davon; ein gedemuͤ - thigter, entſagender junger Mann kehr’ ich zuruͤck. Es iſt beſchloſſen, die alberne falſche Schaam iſt beſiegt. Waͤhrend ich hier darniederlag hab’ ich es durchdacht und erwogen nach allen Seiten, ... es iſt das Beſte, was ich thun kann. Großjaͤhrig bin ich jetzt; die Beweiſe vom Tode meiner Mutter, mein Taufzeugniß, Alles hab’ ich, ſchwarz auf weiß. Meiner Großmutter Erbſchaft anzutreten, werden die Gerichte mich nicht mehr hindern; des Kurators bin ich ledig; das kleine Haͤuschen, wo ich Koͤrbe flocht, iſt mein; das Gaͤrtchen dabei. Dort will ich fleißig arbeiten, ruhig leben, wie ein armer Kerl, der ich bin. Moͤgen ſie mich ein Wenig auslachen! Moͤgen ſie mich hohnnecken und verſpotten, daß ich von mei - ner Reiſe um die Welt wie ein Bettelmann wieder - kehre; moͤgen ſie mich Vagabund ſchelten und was ſie wollen, — wenn ſie ſehen, daß ich friedlich mei - nen Weg gehe, Niemand belaͤſtige, werden ſie mich wieder lieb haben, wie ſie damals den ehrlichen An - ton lieb hatten. Jch will ja nichts als Frieden, Ruhe, Einſamkeit. Die Welt iſt todt fuͤr mich. Jch habe genug von der Welt. Und wenn ich in Liebe -61 nau ſterbe, unbeachtet, vielleicht unbeweint, — komm’ ich doch wenigſtens neben diejenige zu liegen, die mir — — “
Himmel ſackerment, Antoine, Jhr ſeid ja wie verſeſſen auf Graͤber. Jch habe nichts gegen Euren Plan; im Gegentheil, ich lobe ihn; ich find’ es char - mant, daß ihr Eure Villa in Beſitz nehmen wollt, und lade mich im Voraus bei Euch ein, auf ein Glaͤs - chen Duͤnnbier; doch bleibt mir mit den Graͤbern vom Halſe! Jn Eurem Grabe koͤnnt’ ich Euch bei’m beſten Willen nicht beſuchen, weil ich nicht Platz darin faͤnde; fuͤr mich muß es eine halbe Elle laͤnger ſein, als fuͤr Euch, kleine Zwerge .... Dabei faͤllt mir mein Huſar ein. Beſinnt Jhr Euch noch auf ihn und ſeine beiden Weiber?
„ Auf Alles, Schkramprl, auf Alles. Jetzt aber goͤnnt mir Ruhe. Der Bau des Luftſchloſſes hat mich angegriffen. Jch will zu ſchlafen verſuchen; will verſuchen zu traͤumen — zu traͤumen, wie ſchoͤn es ſein wird, wenn ich wieder einziehe in meine Huͤtte! “
Kaum ſah er ſeinen jungen Liebling im feſten Schlummer, als der Rieſe mit Rieſenſchritten davon eilte. „ Das wird Jhr willkommen ſein! “rief er aus und verlor ſich im Walde.
Anton verläßt das Forſthaus und deſſen Bewohner und tritt die Wanderſchaft nach Liebenau an. — Raſttage in St. — Ein Deklamator. — Ein Portrait - maler. — Man will ihn durchaus baroniſiren. — Schkramprl’s Peterl.
Zweimal ſchon, im Laufe dieſer Erzaͤhlung, haben wir Anton, unſern Helden, vom Krankenlager ſich erheben ſehen und ihn mit unſern guten Wuͤnſchen in’s neue Streben und Leben begleitet. Heute, wo er zum drittenmale vom Tode erſteht, nimmt er ſelbſt ſo geringe Hoffnungen, ſo anſpruchsloſe Erwartun - gen auf ſeine kleine Reiſe mit, daß wir uns bedenk - lich fragen muͤſſen: laͤuft es darauf hinaus? Jſt der arme Junge darum ſo unſanft hin und hergeworfen worden, hat er darum ſo viel erlebt, geirrt, gelitten, daß er am Ende aller Enden ſich gluͤcklich ſchaͤtzen muß, nur wieder einkriechen zu duͤrfen, von wo er ausging? Sollen die Erfahrungen, die er gemacht, die Bildung, die er gewonnen, die Kenntniſſe die er ſich erwarb, — ſoll das Alles nun vorhanden ſein, damit er in ſeiner Großmutter niederer Huͤtte Koͤrbe flechte? Eine Beſchaͤftigung, die ihm vor ſechs Jahren, wo er in voller Uebung war, unzweifelhaft beſſer gelang, als ſie ihm jetzt gelingen wird?
Und doch, wir muͤſſen es eingeſtehen, was bleibt63 ihm uͤbrig? Thut er nicht am Beſten, ſich in ſtille Vergeſſenheit zu fluͤchten, dem Leben zu entweichen, und dem Laͤrm des Lebens? Scheint er nicht vom Schickſal dazu beſtimmt, jeder Hoffnung entſagen zu muͤſſen? Verfolgt ihn das Ungluͤck nicht bei jedem Schritte, den er, vom Gluͤcke gelockt und getaͤuſcht, zu unternehmen wagte? Jmmer beſſer, daß er auf der kleinen Erdſcholle, die er ſein nennt, das lang - ſam hinwelkende, lebloſe Leben einer verkuͤmmernden Pflanze durchmache, als daß er auf’s Neue in gefaͤhr - liche Konflikte gebracht, ihnen unterliege und ein ſchmachvolles Ende nehme.
Ja, ich verſtehe ſeine Sehnſucht nach Liebenau, nach ſeinem Haͤuschen, nach Einſamkeit! Jch begreife ſeinen Ueberdruß an Allem was Menſchen heißt, und Welt, und Leben! Jch hoͤre deutlich den Wiederhall eines Liedchens, welches er ſummte und ſang, waͤh - rend er, noch matt und ſchwach, ſein Buͤndel ſchnuͤrte und deſſen letzte Zeile ſich immer wiederholte: „ Bin müde, bin müde, laßt ſchlafen mich geh’n! “
Schkramprl hatte ihm bereits Lebewohl geſagt, und er hatte nur fluͤchtigen Abſchied genommen, unter dem Vorwande, daß unzaͤhlige Beſtellungen und Einladungen ihn riefen, daß Milliarden von Ratten64 und Maͤuſen, dem Verderben geweiht, ſeiner myſtiſchen Todesurtheile harreten. Anton aber war der Mei - nung, daß dieſer Vorwand eben nur ein Vorwand ſei, durch welchen der gutmuͤthige Rieſe ferneren Dank - ſagungen, vorzuͤglich jedoch der ihm zugedachten Ent - ſchaͤdigung, oder Belohnung habe entgehen wollen. „ Ein zartfuͤhlender, großmuͤthiger Rattenfaͤnger! Vielleicht kann ich’s ihm doch dereinſt vergelten, was er fuͤr mich gethan? Vielleicht ſucht er mein Haͤus - chen auf, um darin zu ſterben! “
Der Foͤrſter und ſeine Burſchen begleiteten Anton bis an ihres Waldes Grenzen. Seit den letzten Tagen wollt’ es ihn beduͤnken, wie wenn ſein Gaſt - freund ein anderes Weſen gegen ihn angenommen haͤtte, als derſelbe waͤhrend der verfloſſenen zwei Monate an den Tag gelegt. Und jetzt, auf dem Wege durch den Wald trat dieſe Veraͤnderung unver - kennbar hervor. Die derbe, treuherzige Freundlich - keit eines von eigener Amtswuͤrde uͤberzeugten Beam - ten war verſchwunden, an ihre Stelle eine faſt ver - legene Artigkeit getreten, die ſich, bei wiederholten Ausbruͤchen von Anton’s Dankgefuͤhl, nicht mehr an grobe Zuruͤckweiſung deſſelben wagte, ſondern ein verbindlich-ablehnendes Schweigen entgegenſtellte. 65Auf ſein dringendes Befragen, ob man ihm zuͤrne, wurden dunkle, unverſtaͤndliche Andeutungen erwie - dert, die von „ wunderbaren Verhaͤltniſſen “ſprachen und zuletzt befuͤrchten ließen, ſein Beſuch bei’m Gra - fen von Erlenſtein koͤnne den Bewohnern des Forſt - hauſes kund geworden ſein. Deshalb gab er ferne - res Befragen auf, ſtattete nochmals den innigſten Dank fuͤr alle Wohlthaten ab und ſchied von dem wackeren Foͤrſter, der ſich, ſcheidend, „ ſeiner Gunſt “empfahl.
„ Meiner Gunſt? — Entweder mein guter alter Goͤnner hat heute fruͤh zu tief in ſein Flaͤſchchen geguckt, — oder Schkramprl, der Schelm, hat einen ſeiner ſchlechten Spaͤße gemacht und den leichtglaͤubi - gen Waldmaͤnnern aufgebunden, ſie beherbergten einen Prinzen, der Jnkognito reiſen will. So etwas ſieht ihm aͤhnlich, dem langen Ungethuͤm! “
Und er wandelte ruͤſtig fort in den bluͤhenden Sommer hinein. Er vergaß, daß er ſo lange Bett und Zimmer gehuͤtet, daß er nur kleine Gaͤnge zur Probe unternommen hatte. Jhn trieb die Ungeduld nach Liebenau; trieb ihn zuruͤck in die alten, halbver - geſſenen, eben deshalb mit jungem Lebensdufte in ſeiner Seele aufbluͤhenden Tage der Kindheit, wieDie Vagabunden. IV. 566wenn es in ſeiner Macht ſtaͤnde, wieder ein Kind zu werden; die Anſpruͤche, die er an ſich, an ſeine Umge - bungen ſtellen gelernt, aufzugeben, an den Nagel zu haͤngen, wo ſein Knabenjaͤckchen hing und wo nun ſein Reiſeranzen haͤngen ſoll.
Armer Anton! Weißt Du denn nicht, daß Du jenen Raͤumen entwachſen biſt; entwachſen auf jede Weiſe? Deinem maͤnnlich-ausgebildeten, ſchlanken Koͤrper wird der Großmutter Stuͤbchen ein Kerker ſein und Deine Seele, die jetzt nur Ruhe traͤumt, wird ſich an dieſes Kerkers Waͤnden ſchwer verletzen, ſobald ſie wieder ſich zu regen beginnt, dem bunten Schmetterlinge aͤhnlich, der mit aͤngſtlichem Geflatter an eines Fenſters Glasſcheiben den feinen Farbenduft von ſeinen Fittigen ſtreift! Warum eilſt Du ſo ſehr Deinem Grabe entgegen? Dem Grabe Deiner Jugend, Deiner noch lange nicht beſiegten Lebensluſt?
Und er wanderte ruͤſtig fort, bis er dieſer unzeiti - gen Anſtrengung unterlag. Nur mit dem letzten Aufgebot ſeiner ganz erſchoͤpften Kraͤfte erreichte er noch das kleine Staͤdtchen St., etwa zwei und eine halbe Meile von Liebenau entfernt, nach ſeiner Be - rechnung. Dort mußte er liegen bleiben; nicht etwa, wie ſeine Abſicht geweſen, uͤber Nacht, um des andern67 Tages ſein Ziel zu erreichen, ſondern wirklich, wie ein Kranker unterweges liegen bleibt, eines Arztes beduͤrftig. Er nahm ein kuͤhles Zimmer im ſchlichten Gaſthofe, machte ſich bequem und war gerade im Begriff, nach einem Diener zu rufen, der ihm den „ Herrn Doktor “herbeiſchaffen moͤge, als die Stu - benthuͤr ſich langſam oͤffnete und Schkramprl’s klei - ner Peterl mit liſtigen Augen hereinſchielte.
So hab’ ich mich doch nicht getaͤuſcht, da ich unterweges Dich einigemale vor und neben mir zu erblicken glaubte! rief Anton aus; zum Teufel, Junge, wo kommſt Du her?
„ Mein Herr hat in der Gegend zu thun, und weil wir im Forſthauſe, wo er Euch noch einmal zu ſprechen wuͤnſchte, erfuhren, daß Jhr ſchon aufge - brochen ſeid, und weil er ſelbſt keine Zeit mehr hatte, hieß er mich Euch nachlaufen und mich erkundigen, wie’s mit der Geſundheit ſteht? Aber Jhr habt ſo lange Schritte gemacht, daß ich mit meinen kurzen, dicken Beinen kaum folgen konnte. Nun bin ich da und ſoll nur fragen, ob Jhr ’was beduͤrft? “
Dein Herr iſt ein großer Narr, Peterl, aber dane - ben der uneigennuͤtzigſte, treu’ſte Freund, den Gott belohnen moͤge; und Du biſt ein braver Burſch. Geh’,5 *68mein Sohn, forſche nach dem beſten Arzt im Staͤdt - chen, und ſollt’ es nur Einen beſitzen, ſo iſt dieſer gewiß der beſte; den bringe mir. Denn mir iſt gar nicht gut und ich moͤchte doch friſch und geſund in meiner Heimath eintreffen.
„ Das hat der Herr gleich geſagt, daß Jhr Euch uͤbernehmen werdet; deshalb hat er mich auf die Lauer geſchickt. Habt keine Sorge; ich beſtelle den Arzt und dann folg’ ich dem Herrn und bring’ ihm Nachricht. “
Damit verſchwand Peterl, der wohlgenaͤhrte.
Bald erſchien ein Arzt, der, verſtaͤndig genug, des Kranken Uebelbefinden fuͤr das erkannte, was es war; ihm ein laues Fußbad verordnete, einfache nie - derſchlagende Mittel verſchrieb, fuͤr einige Tage Ruhe anempfahl und baldigen Wiederbeſuch verſprach; dies Alles in einer Weiſe, wie wenn er den Patien - ten kenne, und ihn im Voraus ſchon von ſeiner Ankunft unterrichtet, erwartet habe.
Gott mag wiſſen, was das wieder bedeutet! ſagte Anton, waͤhrend er ſein Nachtlager beſtieg; bald werd’ ich mir vorkommen, wie die Hauptperſon eines recht unnatuͤrlichen Romanes, die uͤberall beobachtet, verfolgt, begleitet, uͤberwacht, als Mittel fuͤr unbe -69 kannte Zwecke benuͤtzt wird, ohne jemals zu erfahren, was mit ihr geſchieht. Es giebt ſolche Romane, und wenn ich vom Geſchick auserſehen war, einen ſolchen mit mir ſpielen zu laſſen, bedau’re ich nur, daß der Beginn ſich bis jetzt verſpaͤtet hat, wo ich auf dem naͤchſten Wege nach Hauſe mich befinde. Romantik waͤre mir dienlich und lieb geweſen, da mir der Ver - ſucher vom Eichberg herab die Schaͤtze des Landes zeigte; von nun an muß ich mir die Romantik vom Halſe halten und die Romane. — Aber was zerbrech’ ich mir den ſchwachen Kopf mit Muthmaßungen, wenn ich die Loͤſung zur Hand habe. Schkramprl hat ſich wieder ein Spaͤschen gemacht; ſein Bote war es ja, der den Arzt herbeirief. Ja, ja, Schkramprl iſt ein ſeltener Freund — aber ein großer Narr!
Dieſe Wahrheit wiegte unſern ermatteten Freund in Schlaf.
Doch ſchon mit dem fruͤhen Morgen wurd’ er aufgeweckt durch ſeltſame Toͤne im benachbarten Zim - mer, von denen er, noch ſchlaftrunken, anfaͤnglich kaum zu entſcheiden vermochte, welchem Gebiete der Thierkunde jenes Weſen angehoͤren duͤrfte, dem ſie entſtiegen. Es war dabei im Spiele das Geſchnatter des Staares, das Gekraͤchz des Raben, das Gebruͤll70 des Eſels, das Meckern des Ziegenbocks, das Geſtoͤhn’ der Unke und das Gebell des Hundes. Erſt nachdem der Halberwachte hin und wieder einzelne Worte, dann ſogar ganze Zeilen verſtand, die alten Freunden gleich ſein Gedaͤchtniß mahnten, fing er zu begreifen an, daß er ſich eines Nachbars erfreue, welcher mit allen Modulationen des umfaſſendſten Sprechorganes, deklamatoriſche Morgenuͤbungen anſtelle.
Schiller ward nicht geſchont, Tiedge heftig gemiß - handelt, Koſegarten mußte mit einigen Naturſchilde - rungen herhalten, A. W. Schlegels Arion lieferte einen großmuͤthigen Delphin, durch welchen Anton an Herrn Zara’s Robbe erinnert wurde; ſogar die Braut von Korinth ſtieg aus ihrem Grabe, und wollte nicht weichen, bis das Geklapper des Kaffee - geſchirres ſie vertrieb, wo ſie verſtummte vor der Dienſtmagd des Gaſthauſes. Letztere ſtellte ſich denn auch bald bei Anton ein, nach ſeinen Beduͤrfniſſen zu forſchen; auf ſein Befragen vernahm dieſer aus ihrem Munde, daß ſein Nachbar ein ſogenannter „ Theekla - mater “ſei, der heute allhier in St. eine „ Sauaree “veranſtalten werde, zu welcher ſich ſaͤmmtliche Hono - ratioren einfinden, auch viele Gutsbeſitzerfamilien aus der Nachbarſchaft erſcheinen wuͤrden.
71Wieder eine Sorte von Vagabunden, die mir noch nicht begegnet iſt, ſagte Anton. Ein reiſender Dekla - mator: Nach dem Proͤbchen zu urtheilen, wie es durch die Waͤnde zu mir drang, muß er ein gewalti - ger Kuͤnſtler ſein, denn von Natur war nichts zu ſpuͤ - ren, waͤhrend er ſich uͤbte. Aber ich will ihn hoͤren, heute Abend. An weiter gehen iſt bei meiner Mat - tigkeit noch nicht zu denken; ſo mag dies die letzte oͤffentliche Schauſtellung ſein, der ich noch beiwohne, bevor ich mich wieder hinter meine Koͤrbe verſchanze. Gewiß, ich will ihn hoͤren, — und ſein Publikum ſehen.
Der Arzt, der, wo moͤglich, noch artiger auftrat, als geſtern, billigte Anton’s Vorſatz, mindeſtens noch einen Tag der gemaͤchlichſten Ruhe zu widmen und fragte ihn, was fuͤr einer Gelegenheit er ſich ſpaͤter bedienen wolle, um weiter zu reiſen?
Dieſer hier, antwortete Anton, indem er auf ſeine Fuͤße zeigte.
Der Arzt laͤchelte pfiffig vor ſich hin und meinte, der Poſthalter beſitze eine ſehr bequeme gelbe Chaiſe, in guten Federn.
Kann ſein, entgegnete Anton, aber ich habe nicht ſo viel Geld uͤbrig, um mit Extrapoſt zu fahren.
72„ Erwarten vielleicht eigene Gelegenheit? “
Habe ſie ſchon, Herr Doktor, wie geſagt; habe ſie ſchon in dieſen Beinen.
„ Belieben zu ſcherzen! “
Herr, was wollen Sie mit Jhren Andeutungen? Mit dieſen verſteckten Winken? Halten Sie mich fuͤr etwas Anderes, als ich bin, das heißt, fuͤr etwas Anderes als einen armen, hergelaufenen Burſchen, der jeder Eitelkeit und jedem Anſpruch entfliehend, die nied’re Huͤtte ſeiner Heimath aufſucht, ſo ſind Sie im Jrrthum. Jch bin ein Korbflechter, der Arbeit braucht, und wenn Sie in Jhrer Wirthſchaft zerbrochene Koͤrbe haben, die ich ausbeſſern kann, dann laſſen Sie mich Jhr Honorar fuͤr aͤrztliche Bemuͤhungen abarbeiten; Sie ſollen ſehen, wie ich es ernſtlich meine.
Der Arzt wurde ſtutzig. Die innerſte Ueberzeu - gung in Anton’s Worten ſing an, ihn irre zu machen. Schon ſtand er im Begriff, ſich auf Erklaͤrungen ein - zulaſſen, da ging die Stubenthuͤr auf, eine aben - theuerlich aufgetakelte Frauenperſon trat ein; ſie begann mit feierlich-tremulirender Stimme:
„ Der Ruf Jhrer Huld, gnaͤdiger Herr, dringt, roſenduftigen Zephiren gleich, in die Laubengewinde73 der Kunſt, deren Prieſter mit wonnereicher Zuverſicht erlabend; ſo drang er auch zu uns und von ihm ermuthiget, ſendet mein Gatte, der, angegriffen von den erſchuͤtternden Morgenſtudien, einer nothwendi - gen Schlummerſtunde ſich hingiebt, mich, die liebende Gattin, mit dieſem Programme zu Jhnen, um Sie einzuladen, daß Sie ihm heute Abend Jhrer Gegen - wart Ehre goͤnnen moͤgen. Obwohl partheiiſch fuͤr ihn, — und wehe der Gattin, die es nicht waͤre fuͤr den Gefaͤhrten ihres Lebens, — darf ich doch, ohne Partheilichkeit, behaupten, daß er das Ueberſchwaͤng - liche leiſtet als deutſcher Kunſtredner, als Veredler heiligſter Gefuͤhle, als Verbreiter poetiſcher Schoͤnhei - ten. Leider noch ſind die Behoͤrden, deren Sorgfalt oͤffentliche Geſchmacksbildung anvertraut wurde, tief im Dunkeln uͤber die Verdienſte meines Gatten; lei - der noch muß er als Beguͤnſtigung von einzelnen Schulvorſtehern erbitten, daß ſie ihm erlauben, die junge Welt durch ſeiner Donnertoͤne Gewalt zu erſchuͤttern, wofuͤr jeder Zuhoͤrer die geringe Summe von zwei Groſchen entrichtet, waͤhrend alle Bierfied - ler beſſer bezahlt werden. Aber lange kann das nicht mehr dauern. Wir reiſen jetzt nach der Reſidenz; dringende Empfehlungen werden bewirken, daß mein74 Gatte, mein Mortimer, bei Hoſe deklamire und dann, — o nein, — lang lebe der Koͤnig, es freue ſich, was oben athmet im roſigten Licht, — nein, dann kann es nicht fehlen, daß ihm Auszeichnung, Belohnung und Rang zu Theil werden; er wird, ich zweifle nicht, — feſt gemauert in der Erden ſteht mein Glaube, — eine Anſtellung erhalten als koͤniglicher Kunſtredner und wirklicher Ober-Gefuͤhls-Veredler fuͤr Gymna - ſien und Buͤrger-Schulen. Um dies erreichen, um in der ſtolzen Reſidenz unſerer wuͤrdig auftreten zu koͤnnen, machen wir gegenwaͤrtige Kunſtreiſe und rechnen auf Maͤcene, die Jhnen aͤhnlich, gnaͤdiger Herr — ... “
Madame, unterbrach ſie Anton, es war ohnedies mein Wille, das Deklamatorium dieſes Abends zu beſuchen; und ich hoffe, ich werde dies duͤrfen, ohne die Titel zu fuͤhren, mit denen Jhre freigebige Ein - bildungskraft mich ſchmuͤckt. Gewiß werd’ ich mich einſtellen und mein Scherflein zu Jhrer glorreichen Ausſtattung fuͤr die Reſidenz um ſo ſicherer beitragen, als wir alte Bekannte ſind.
„ Waͤr’ es moͤglich? Haͤtten die Schlangenwin - dungen meiner Laufbahn die Jhrige ſchon einmal durchkreuzt? “
75Jch glaube nicht zu irren, wenn ich mir die Frei - heit nehme, Sie an einen jungen Burſchen zu erin - nern, deſſen Waͤſche Jhrer beſonderen Sorgfalt ſich erfreuen durfte, waͤhrend er als Diener in einer Menagerie angeſtellt war. Oder ſollte die alte, beruͤhmte Stadt D. nicht das Gluͤck haben, Jhre Vaterſtadt zu ſein?
Madame wurde feuerroth, ſtammelte ſehr verle - gen die Verſicherung heraus, daß ſie niemals in D. geweſen ſei, daß es taͤuſchende Aehnlichkeiten gebe, daß ihr Gemal ſie erwarte u. ſ. w. Dann warf ſie noch einen pruͤfenden Blick auf den „ gnaͤdigen Herrn, “ſchien ſich des ehemaligen Antoine bei Madame Simonelli wirklich zu erinnern, und eilte beſchaͤmt in die Arme ihres Mortimer’s.
Der Arzt, offenbar ſtutzig gemacht in ſeinen zuverſichtlichen Vorausſetzungen, wußte doch nicht recht, wie er einen Menageriewaͤrter, der die an einen gefuͤhlsveredelnden Kunſtredner verehelichte Waͤſche - rin aus D. kannte und von ihr erkannt wurde, mit dem geheimnißvollen Kranken in Eines verflechten ſolle, dem er Ehrfurcht gezollt und zog ſich, nachdem er ſeine Rathſchlaͤge beſtens wiederholt und ein Hono - rar empfangen hatte, ebenfalls vom Schauplatze fort.
76Doch ſo gut war es nicht gemeint, daß Anton des - halb ſich ungeſtoͤrt erſehnter Einſamkeit, ernſtem Nach - ſinnen haͤtte hingeben duͤrfen. Bald meldete ſich ein reiſender Portraitmaler, der ebenfalls auf den „ gnaͤ - digen Herrn Baron “ſpekulirte, uͤber deſſen Anrede ſich aber der Angeredete nicht mehr aͤrgerte, weil er nun außer Zweifel war, daß Peterl, um wie ein wuͤr - diger Schuͤler Schkramprl’s auf - und abzutreten, ihn geadelt habe.
Der Maler kuͤndigte ſich mit eigenem Munde als ein „ luͤderliches Genie “an. Jch weiß, ſo aͤußerte er ſich gleich bei ſeinem Eintritt, es muß uͤbles Vor - urtheil erwecken, wenn der Kuͤnſtler ſich in den Knei - pen kleiner Staͤdte Durchreiſenden anbietet; der Fremde iſt berechtiget, einen Kleckſer zu erwarten, einen talentloſen Pfuſcher, unfaͤhig an groͤßeren Orten mit Ehren zu beſtehen. Jch bin eine Ausnahme. Jch meide große Staͤdte, nicht weil ich den Vergleich mit anderen Portraitmalern fuͤrchten muͤßte, ſondern lediglich deshalb, weil es mich anekelt mit ihren Anmaßungen und Prahlereien in die Schranken zu treten. Dieſe geleckten und geſchleckten Pinſel, die vierundzwanzig Sitzungen brauchen fuͤr ein langwei - liges Oelbild, welches Sie gut gemalt nennen, in77 welchem aber ſogar der eigene Hund ſeinen Gebieter nicht wieder erkennt, es vielmehr anbellt wie den Mann im Monde, wohnen in ſchoͤnen moͤblirten Zim - mern, haben Atteliers, ſeidene Schlafroͤcke, geben vor, Hiſtorienmaler zu ſein, laſſen ſich mitunter Profeſſo - ren ſchimpfen, haben Schuͤler und heißen Akademiker. Mir ſind dieſe Charlatanerieen zuwider. — Jch halte, — da nun einmal die großen Meiſter Todes verbli - chen, um nicht wieder aufzuſtehen, — keinen von uns Lebendigen fuͤr wuͤrdig, Bilder zu malen mit der Anmaßung auf lange Dauer; halte kein Geſicht, wie ſie jetzt herumlaufen, fuͤr wuͤrdig, mit dem Anſpruch auf Verewigung kontrefeit zu werden, bin vielmehr der Meinung, unſere miſerable Gegenwart ſolle ſich mit der Gegenwart begnuͤgen, dem Augenblick ſein Recht thun und damit Baſta! Deshalb mal’ ich in Waſſerfarben, friſch, bunt, keck, aber raſch, in fuͤnf - undvierzig Minuten; dabei treff’ ich wie aus dem Spiegel geſtohlen. Wenn ein jugendliches Antlitz, wie das Jhrige, ſich auf meinem Bildchen erblickt, freut es ſich uͤber ſich ſelbſt, verſchenkt ſich mit Luſt und hat den Troſt, nach einigen Jahren, wo dem Original die Jugend und Schoͤnheit zu entweichen beginnt, keine niederſchlagenden Vergleiche mehr zu78 fuͤrchten, denn bis dahin iſt meine Malerei laͤngſt an Luft und Sonne verblichen, verloͤſcht, unkenntlich geworden. Folglich triumphirt das Original uͤber die Kopie. Wie gefaͤllt Jhnen das? Drei Thaler zahlt der Plebs, Standes-Perſonen zahlen nach Belieben. Nehmen Sie Platz, ſetzen wir uns; Sie bleiben, auch ſitzend, in meinen Augen eine Standes-Perſon.
„ Jch bin noch niemals portraitirt worden, “ant - wortete Anton, „ und wenn auch meine Kaſſe ungleich mehr der duͤnnen Boͤrſe des fußwandernden Hand - werksburſchen, als der eiſernen Chatouille einer reiſen - den Standes-Perſon aͤhnelt, moͤcht’ ich doch, pour la rareté du fait, Jhren Pinſel in Anſpruch neh - men. Legen Sie, bitt’ ich, das Bildchen ſo klein als moͤglich an, damit es ... “
Jn Briefform verſendet werden koͤnne? Verſtehe! Ein Wort genuͤgt. Nur bitt’ ich um fuͤnfzehn Minu - ten mehr, als ackordirt war. Jn einer Stunde ſind Sie erloͤſet. — So, dies Blatt wird paſſend ſein. Unten eines Fingers Breite leerer Raum, damit etliche Worte darunter geſchrieben werden koͤnnen, nicht wahr? O ich kenne mein Handwerk. Sie waren krank, will mich beduͤnken. Angenehme, ſchmachtende Blaͤſſe, ſehnſuͤchtige Hingebung! Jch ſpare an theu -79 rer rother Geſichtsfarbe. Die Augen ſind die Haupt - ſache bei Jhnen. Wiſſen Sie, daß Sie wunderbar ſchoͤne Augen fuͤhren, Herr Baron? Viel zu tief, viel zu geiſtreich fuͤr einen Baron.
„ Der Teufel iſt ein Baron, Herr! “
Jch weiß, ich weiß, ich kenne meinen Goͤthe ſo gut wie mein Handwerk. Der Teufel iſt Baron, „ ſieh’ her, das Wappen, das ich fuͤhre; “es ſteht feſt, jeder Teufel von einiger Bedeutung muß Baron ſein, ſonſt waͤr’ er nicht hoffaͤhig in der Hoͤlle; aber nicht jeder Baron iſt umgekehrt ein Teufel, wie der Augenſchein lehrt.
„ Sie koͤnnten mir einen Dienſt erweiſen, Beſter, wenn Sie mir ehrlich ſagen wollten, wer Jhnen geſagt hat, daß es ein Barons-Angeſicht ſei, dem Sie gegen - waͤrtig Aufmerkſamkeit widmen. “
Wer? Je nun, er; Jhr Diener, Jhr Heiduck, Jhr Leib-Rieſe; der alte Mann mit der jugendlichen Quaͤkſtimme: er ſandte mich zu Jhnen.
„ Schkramprl? der Kerl iſt toll. “
Doch wohl nur bei Nordnordweſt? Wenn der Wind ſuͤdlich iſt, kann er einen vornehmen Herrn von einem Vagabunden unterſcheiden.
„ Sie ſind mir zu gelehrt, Herr Maler. “
80Shakſpeare — Hamlet!
„ Schon recht. Schkramprl iſt ein Schlingel, der ſich ſchlechte Spaͤße mit mir erlaubt und ſeinem Pagen Peterl will ich die Ohren abreißen, wenn er mir noch einmal in die Haͤnde geraͤth. “
Welche Jammertoͤne in Jhrer Nachbarſchaft!
„ Ein reiſender Deklamator, der ſich fuͤr heut’ Abend uͤbt. Kennen Sie ſeine Gemahlin? “
Jhn und ſie! Das edle Paar wirkte jenſeit des Waſſers, — ich meine auf der polniſchen Seite, — bei einer reiſenden Schauſpielertruppe mit, wo ich ſie mehrmals bewundert habe. Die Truppe hat ſich aufgeloͤſet, in Folge innerlicher Zerſetzung. Herr Mortimer treibt ſein Weſen ſelbſtſtaͤndig fort. Hoͤren Sie nur, wie er’s treibt!?
„ Und die Gattin? Giebt ſie den Hoͤrern nichts zum Beſten? “
Sie ſitzt an der Kaſſe. — Mein Himmel, lieber Baron, — bitte, die Augen ein Wenig nach Oben! — wir wollen Alle leben; der Eine gut, der And’re ſchlecht. Sie begreifen das nicht. Aber ich .... wahrhaftig, mir iſt ſogar ein ſolcher Deklamator begreiflich. Das heißt: von ſeiner Seite. Weniger von der Seite Derer, die ſich einſtellen, ihn zu hoͤren.
81„ Und giebt es Deren? “
Es giebt Deren. Glauben Sie mir, bei der Mehrzahl jener zweibeinigen Geſchoͤpfe, die ſich das Recht anmaßen, Menſchen genannt zu werden, kommt es nur darauf an, ſie einzuſchuͤchtern, ihnen frech ent - gegen zu treten, ſie in Grund und Boden zu ſprechen. Geſchmack, eigenen, ſelbſtſtaͤndigen Geſchmack beſitzen und uͤben die Wenigſten; ſogar unter denen, die ſich fuͤr gebildete Leute halten, iſt er ſelten. Das kommt einem rohen, unverſchaͤmten Luͤmmel, von Jhres Nachbars Gattung, zu Gute. Er redet ihnen ein, daß er ein Kunſt redner ſei und Niemand fragt, ob es wahr iſt. Die Zeit wird ihnen freilich fuͤrchterlich lang waͤhrend ſolchen Deklamatoriums, aber ich fuͤrchte, ſie wuͤrde ihnen noch laͤnger werden, wenn der Mann wirklich gut, einfach und natuͤrlich vor - truͤge, waͤhrend er jetzt gerade das Gegentheil thut. Jch habe gefunden, daß verhaͤltnißmaͤßig alles Nie - dere, Schlechte, Gemeine auf Erden die beſte Auf - nahme findet.
„ Das iſt aber eine traurige Anſicht von der Welt; und gar fuͤr einen Kuͤnſtler. “—
Die Welt iſt auch nicht luſtig, Herr Baron; ich finde ſie ſehr traurig fuͤr einen Kuͤnſtler: warum ſollDie Vagabunden. IV. 682ich ſie nicht traurig anſeh’n? Daß heißt: warum ſoll ich nicht eine traurige Anſicht von ihr hegen, voraus - geſetzt, daß dieſe Anſicht meiner Froͤhlichkeit keinen Eintrag thut. Und das thut ſie nicht; denn ich bin immer guter Dinge, ſogar dann, wenn ich kein Geld habe. Das will viel ſagen, wie? Doch das kennen Sie nicht.
Anton brach in ein ſo herzliches Lachen uͤber dieſe Behauptung aus, daß der Maler ihn dringend erſu - chen mußte, ſeinen Bewegungen Einhalt zu thun. Es wird ohnedies bald uͤberſtanden ſein, ſetzte er hinzu.
Auch war die erbetene Stunde kaum verſtrichen, als ein handgroßes, heit’res Bildchen vollendet war, dem nur ein Blinder den Vorzug lebendigſter Aehn - lichkeit haͤtte abſprechen koͤnnen. Natuͤrlich war es nur ſkizzirt, aber ſo ſicher und feſt ſtand es da .... man konnte nichts Vollendeteres in dieſer hingewor - fenen Manier denken.
„ Wie leid thut es mir, “ſagte Anton, „ daß ich nicht bin, wofuͤr mich zu halten, Jhnen beliebte. Jch wuͤrde dies reizende Spiel Jhrer geſchickten Hand mit Goldſtuͤcken bedecken, um Sie wuͤrdig zu bezahlen. Aber wahrlich, wenn ich Jhnen entrichte, was Sie83 vorhin Jhren feſtſtehenden Preis nannten, ſo empfan - gen Sie gerade die Haͤlfte meines Kapitals. “
Und bin damit zufrieden, — ohne jedoch der Großmuth Hinderniſſe in den Weg werfen zu wollen. Laſſen Sie uns einen Vertrag ſchließen. Heute uͤber ein Jahr, oder ſpaͤter, wie mich der Wind treibt, beſuch’ ich Sie auf Jhrer — Beſitzung und hole mir die Summe nachtraͤglich ab, deren Sie mein fluͤchti - ges Talent heute wuͤrdig fanden. Sind Sie damit einverſtanden? Ja? So empfehl’ ich mich und wandle fuͤrbaß, denn ich habe noch einige heimliche Buͤrger - toͤchterangeſichter zu liefern. Alſo, auf Wiederſehen in Liebenau!
Wie unſer Held wieder dahin zurückkehrt, von wo wir ihn ausgehen ſahen. — Tieletunke und die Turteltaube. — Der neue Gutsherr von Liebenau.
Jch erlaſſe meinen Leſern großmuͤthig das unver - meidliche Deklamatorium. Hat ſich Anton doch auch die groͤßere Haͤlfte deſſelben geſchenkt und noch vor Tagesanbruch, mit neugeſtaͤrkten Kraͤften, aber nichts deſto weniger vorſichtig und langſam gehend, ſeine letzte Tagereiſe nach der Heimath angetreten.
Er beruͤhrte jetzt, bei der Wiederkehr, die Grenzen6 *84des Liebenauer Forſtes nicht von der Seite des Fuchs - winkels, wo er ausgegangen; vielmehr bog er in jenen Fußpfad ein, der mit der Straße zur Hauptſtadt in Verbindung ſteht. Dort hatte Onkel Naſus ein Jahr vor Antons Flucht kleine Birken anpflanzen laſſen. Die jungen Staͤmmchen, die man zeitig abgeſchnitten, waren bereits in dicke Geſtraͤuche umgewandelt, welche voll belaubt, den großen Hau mit laͤchelndem Gruͤn bedeckten. Unzaͤhlige Finken ſangen dort ihr Morgenlied. Ueber die Schonung hinaus drehte bei ſanften Winde die alte wohlbekannte Muͤhle ihre breiten Fluͤgel. Der Muͤller ſteckte den weißbeſtaub - ten Kopf zum kleinen Guckloche heraus. Von dem Flecke wo Anton dies ſah, iſt noch ein halbes Stuͤnd - chen bis an’s Dorf. Es war ihm unmoͤglich, dieſes kurze Stuͤck Weges jetzt gleich zuruͤckzulegen. Seine innere Bewegung uͤberwaͤltigte ihn. Er ſetzte ſich an den Rand des Grabens, welcher die Birkenſchonung von einem Stuͤck Brachfeld trennte. Ueber dieſes kamen Schaafe gezogen, hinter ihnen Schaͤfer und Hunde. Der Schaͤferknecht mit ſeinem langen, blaſ - ſen Geſicht und den weißlich-blonden Locken konnte kein anderer ſein, als des alten Schaͤfers juͤngſter Sohn, Gottlieb, einſt Gottliebel genannt, ein Geſpiele85 aus der Kinderzeit. Er gruͤßte Anton wie einen Fremden und ging voruͤber; die Hunde knurrten und Gottlieb mußte ſie beſchwichtigen.
Es wird mich Niemand mehr erkennen, im gan - zen Dorfe nicht, ſeufzte Anton, ſo wenig wie Schaͤ - fers Gottliebel. Meine Großmutter, die wuͤrde mich erkennen, aber die iſt begraben. Es iſt auch freilich bald ſieben Jahre her, daß ich fortlief, —