PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Das deutſche Gaunerthum.
Zweiter Theil.
[II][III]
Das Deutſche Gaunerthum in ſeiner ſocial-politiſchen, literariſchen und linguiſtiſchen Ausbildung zu ſeinem heutigen Beſtande.
Mit zahlreichen Holzſchnitten.
Zweiter Theil.
[figure]
Leipzig:F. A. Brockhaus.1858.
[IV][V]

Jnhalt des zweiten Theils.

Dritter Abſchnitt. Das moderne Gaunerthum.

  • A. Die Repräſentation des Gaunerthums. Seite
    • Erſtes Kapitel.
      • 1) Die perſönlichen und ſocialen Verhältniſſe1
    • Zweites Kapitel.
      • 2) Pſychologiſche Wahrnehmungen15
  • B. Das Geheimniß des Gaunerthums.
    • 1) Das Geheimniß der Perſon33
      • Drittes Kapitel. a) Die gauneriſche Erſcheinung
      • Viertes Kapitel. b) Die Simulationen38
        • Fünftes Kapitel. α) Die körperlichen Entſtellungen und künſtlichen Merkmale39
        • Sechstes Kapitel. β) Die Schwangerſchaft41
        • Siebentes Kapitel. γ) Die Epilepſie42
        • Achtes Kapitel. δ) Die Taubſtummheit45
        • Neuntes Kapitel. ε) Die Schwerhörigkeit48
        • Zehntes Kapitel. ζ) Geiſteskrankheiten49
        • VI
        • Seite
        • Elftes Kapitel. η) Affecte50
    • 2) Das geheime Verſtändniß51
      • Zwölftes Kapitel. a) Die Gaunerſprache
      • Dreizehntes Kapitel. b) Das Zinkenen52
        • Vierzehntes Kapitel. α) Die Jadzinken54
        • Funfzehntes Kapitel. β) Die Kenzinken55
        • Sechzehntes Kapitel. γ) Die graphiſchen Zinken58
        • Siebzehntes Kapitel. δ) Die phoniſchen Zinken65
        • Achtzehntes Kapitel. ε) Der Sſlichnerzinken66
        • Neunzehntes Kapitel. ζ) Die Gaunernamen68
        • Zwanzigſtes Kapitel. η) Der Zinkplatz72
      • Einundzwanzigſtes Kapitel. c) Der Vertuſſ73
        • Zweiundzwanzigſtes Kapitel. α) Das Schrekenen76
        • Dreiundzwanzigſtes Kapitel. β) Das Meiſtern
        • Vierundzwanzigſtes Kapitel. γ) Das Zuplanten79
      • Fünfundzwanzigſtes Kapitel. d) Das Brennen82
      • Sechsundzwanzigſtes Kapitel. e) Das Maremokum83
      • Siebenundzwanzigſtes Kapitel. f) Das Kaſſpern85
        • Achtundzwanzigſtes Kapitel. α) Das Piſschen-pee87
        • Neunundzwanzigſtes Kapitel. β) Das Challon-Kaſſpern88
        • VII
        • Seite
        • Dreißigſtes Kapitel. γ) Die Kutſche90
        • Einunddreißigſtes Kapitel. δ) Die Kaſſiwer91
        • Zweiunddreißigſtes Kapitel. ε) Das Hakeſen97
      • Dreiunddreißigſtes Kapitel. 3) Das Baldowern106
      • Vierunddreißigſtes Kapitel. 4) Die Kawure112
  • C. Die Gaunerpraxis.
    • Fünfunddreißigſtes Kapitel. 1) Die allgemeine Praxis und Terminologie118
    • 2) Die ſpecielle Praxis122 a) Das Schränken
      • Sechsunddreißigſtes Kapitel. α) Der Verſchluß im weitern Sinne
      • Siebenunddreißigſtes Kapitel. β) Der Einbruch, Unterkabber, Aufbruch und die Hülfsmittel dazu123
      • Achtunddreißigſtes Kapitel. γ) Das Pegern136
      • Neununddreißigſtes Kapitel. δ) Die Zeit, die Kohlſchaft und die goldene Choſchech137
      • Vierzigſtes Kapitel. ε) Die Schmiren und Lampen138
      • Einundvierzigſtes Kapitel. ζ) Das Maſſemattenhandeln140
      • Zweiundvierzigſtes Kapitel. η) Der Rückzug144
      • Dreiundvierzigſtes Kapitel. ϑ) Die Kawure, der Jntippel und die Cheluke145
      • Vierundvierzigſtes Kapitel. τ) Specielle Arten und Terminologien des Schränkens147
      • Fünfundvierzigſtes Kapitel. κ) Das Pleitehandeln und Challehandeln149
      • Sechsundvierzigſtes Kapitel. λ) Der Schutz gegen das Schränken150
    VIIISeite
    • b) Das Makkenen153
      • Siebenundvierzigſtes Kapitel. α) Der Verſchluß im engern Sinne. Das Makkenen und ſeine Terminologien
      • Achtundvierzigſtes Kapitel. β) Das Schloß, der Schlüſſel und ſeine Bewegung159
      • Neunundvierzigſtes Kapitel. γ) Die Kunſt und die Kunſtmittel der Makkener165
      • Funfzigſtes Kapitel. δ) Die Verbeſſerungen von Chubb, Bramah und Newell176
      • Einundfunfzigſtes Kapitel. ε) Das Makkenen auf Kittenſchub180
    • c) Das Kittenſchieben182
      • Zweiundfunfzigſtes Kapitel. α) Definition und Terminologien
      • β) Arten des Kittenſchiebens183
        • Dreiundfunfzigſtes Kapitel. 1) Die Zefirgänger
        • Vierundfunfzigſtes Kapitel. 2) Die Erefgänger187
        • Fünfundfunfzigſtes Kapitel. 3) Die Kegler189
        • Sechsundfunfzigſtes Kapitel. 4) Die Merchitzer190
    • Siebenundfunfzigſtes Kapitel. d) Das Schottenfellen192
    • Achtundfunfzigſtes Kapitel. e) Das Chalfenen200
    • Neunundfunfzigſtes Kapitel. f) Das Ennevotennemachen oder Chaſſimehandeln205
    • Sechzigſtes Kapitel. g) Das Neppen207
      • Einundſechzigſtes Kapitel. α) Der Viaſchmähandel oder das Polengehen210
      • Zweiundſechzigſtes Kapitel. β) Das Merammemooſſmelochnen oder Linkemeſummemelochnen211
      • Dreiundſechzigſtes Kapitel. γ) Der Konehandel oder das Blütenſchmeißen213
      • Vierundſechzigſtes Kapitel. δ) Das George-Plateroon215
      • IX
      • Seite
      • Fünfundſechzigſtes Kapitel. ε) Der Piſchtimhandel219
    • Sechsundſechzigſtes Kapitel. h) Das Stippen221
    • Siebenundſechzigſtes Kapitel. i) Das Torfdrucken oder Cheilefziehen223
    • Achtundſechzigſtes Kapitel.
      • k) Das Stradehandeln, Goleſchächten und Golehopſen234
      • l) Das Jedionen245
        • Neunundſechzigſtes Kapitel. α) Etymologiſche Erklärung
        • Siebzigſtes Kapitel. β) Das Wahrſagen249
        • Einundſiebzigſtes Kapitel. γ) Das Kelefen258
        • Zweiundfiebzigſtes Kapitel. δ) Das Schocher-majim261
        • Dreiundſiebzigſtes Kapitel. ε) Der Erbſchlüfſel264
        • Vierundſiebzigſtes Kapitel. ζ) Das Sefelgraben266
        • Fünfundſiebzigſtes Kapitel. η) Die Nochlim270
          • Sechsundſiebzigſtes Kapitel. ϑ) Das Zchokken oder Freiſchuppen274
            • Siebenundſiebzigſtes Kapitel. 1) Das Haddern277
              • Achtundſiebzigſtes Kapitel. [א]) Das Kelofim-Zinkenen280
              • Neunundſiebzigſtes Kapitel. [ב]) Das Kelofim-Mollen281
              • Achtzigſtes Kapitel. [ג]) Die neue Fahrt283
            • 2) Das Kuwioſtoffen285
              • Einundachtzigſtes Kapitel. [א]) Das Würfelſchleifen
              • Zweiundachtzigſtes Kapitel. [ב]) Das Jung und Alt286
              • Dreiundachtzigſtes Kapitel. [ג]) Die Sanduhr287
              • X
              • Seite
              • Vierundachtzigſtes Kapitel. [ד]) Der Scheffel290
          • Fünfundachtzigſtes Kapitel. 3) Das Deckeles
          • Sechsundachtzigſtes Kapitel. 4) Das Riemenſtechen oder Bandſpiel291
          • Siebenundachtzigſtes Kapitel. 5) Die Glücksbuden292
    • Achtundachtzigſtes Kapitel. m) Das Fleppenmelochnen296
    • Neunundachtzigſtes Kapitel. n) Das Schärfen und Paſchen316
    • Neunzigſtes Kapitel. o) Der Jntippel und die Spieſſe326
  • D. Die Paralyſe des Gaunerthums. Einundneunzigſtes Kapitel.
    • 1) Die franzöſiſch-deutſche Polizei341
      • Zweiundneunzigſtes Kapitel. a) Der Widerſpruch zwiſchen der franzöſiſchen Polizei - gewalt und dem Volke342
      • Dreiundneunzigſtes Kapitel. b) Das Verſtändniß des deutſchen Bürgerthums mit der Polizeigewalt347
      • Vierundneunzigſtes Kapitel. c) Die Verſetzung der deutſchen Polizei mit der fran - zöſiſchen Polizei350
    • 2) Die Aufgabe der deutſchen Polizei354
      • Fünfundneunzigſtes Kapitel. a) Der allgemeine Nothſtand
      • Sechsundneunzigſtes Kapitel. b) Die Aufrichtung von Lehrſtühlen des Polizeirechts356
      • Siebenundneunzigſtes Kapitel. c) Die Centraliſation und Repräſentation der Polizei - gewalt358
      • Achtundneunzigſtes Kapitel. d) Die Modification der militäriſchen Organiſation der Polizei360
      • Neunundneunzigſtes Kapitel. e) Die Reform der Bureaux362
      • XI
      • Seite
      • Einhundertſtes Kapitel. f) Die Beſeitigung des Vigilantenweſens366
      • Einhundertunderſtes Kapitel. g) Die Geltung des Chefs und die Befähigung der Sub - alternen367
      • Einhundertundzweites Kapitel. h) Die Verſtändigung der Polizei mit dem Bürgerthum369
      • Einhundertunddrittes Kapitel. i) Die Verfolgung des Gaunerthums371
    • Einhundertundviertes Kapitel. 3) Die Gaunerunterſuchung374
    • Einhundertundfünftes Kapitel. Schlußwort387
[1]

Dritter Abſchnitt. Das moderne Gaunerthum.

A. Die Repräſentation des Gaunerthums.

Erſtes Kapitel. 1) Die perſönlichen und ſocialen Verhältniſſe.

Nach der bisherigen Darſtellung des Gaunerthums als hiſtori - ſcher Erſcheinung ſieht man, wie das Gaunerthum in der Aneig - nung und Ausbeutung aller Formen des ſocial-politiſchen Lebens als ein krankhafter Anwuchs dieſes Lebens hervortritt, der um ſo leichter und reichlicher ſeine Nahrung von ihm gewinnt, je mehr die Verkünſtelung des Lebens zugenommen und deſſen ſelbſtprüfen - den Scharfblick getrübt hat. Das Gaunerthum iſt ein ſecundäres Uebel am ſiechenden Körper des Bürgerthums, das nicht eher vertilgt werden kann, als bis der Körper ſelbſt geheilt wird, wozu die immer gewaltiger zunehmende materielle Richtung der gegen - wärtigen Zeit die Ausſicht je mehr und mehr trübt, ungeachtet Riehl in ſeiner Naturgeſchichte des Volks eine ſo treffende Diagnoſe des Siechthums gegeben hat, hinter welchem die ernſte Gefahr geſpenſtiſch drohend hervorblickt, und ungeachtet, zum Zeichen der bittern Noth, die bislang in ſo mancher Hinſicht von der chriſtlich-kirchlichen Richtung ſich abneigende Polizei doch noth - gedrungen Hand in Hand mit dieſer gehen muß1)Dieſe Verbindung tritt am ſichtbarſten in England hervor, wo der, um mit ihrAvé-Lallemant, Gaunerthum. II. 12in Kleinkinderſchulen, Rettungsanſtalten für ſittlich verwahrloſte Kinder, Fabrikſchulen, wohlfeilen Speiſeanſtalten und andern ähnlichen Jnſtituten ein ſittliches Waiſenthum zu verkündigen und dem abgeſtorbenen Familienleben ein trübes Mauſoleum zu er - richten. Mit ſchwerer Sorge nimmt der Polizeimann wahr, wie großen Zuwachs das Gaunerthum erhält aus der Zahl von Kin - dern bürgerlich unbeſcholtener Aeltern, die aber daheim weder Familie, noch Herd, noch Familienzucht haben, und zu wie fertigen Gaunern die bloße Lebensverkünſtelung jugendliche Verbrecher, auch ohne Belehrung des Gaunerthums, ausbildet, das dieſen jugendlichen Zuwachs freudig willkommen heißt. So iſt inmitten des Friedens ein Gaunerthum documentirt, das fertiger und ge - fährlicher als jemals daſteht, und bei einer Erſchütterung der be - ſtehenden Ordnung ſich noch furchtbarer erheben wird, als das zu Ende des vorigen Jahrhunderts die niederländiſchen Räuberbanden vermocht haben. Die Staatspolizei hat daher jetzt Aufgaben zu löſen, wie fie kaum je ähnlich zur Löſung geſtellt worden ſind. 1)Dem deutſchen Polizeimann gebührt der Hinblick auf das ihm nicht allein dem Stamme nach, ſondern auch in vielfacher anderer Hinſicht ver - wandte England. Die londoner Polizeiſtatiſtik gibt erſchreckende Reſultate. Ungeachtet London 530 Wohlthätigkeitsanſtalten beſitzt, für die aus freiwilli - gen Beiträgen jährlich nahe an zwei Millionen Pf. St. zuſammenfließen, er - werben noch 4000 Landſtreicher in London allein durch Betteln jährlich 50,000 Pf. St. Jn den Jahren 1848 und 1849 wurden in die londoner Arbeitshäuſer 143,069 Landſtreicher aufgenommen. Jn der londoner Polizei - ſtatiſtik von 1851 figuriren 217 Hauseinbrecher, 38 Straßenräuber, 773 Ta - ſchendiebe, 3675 gewöhnliche Diebe, 11 Pferdediebe, 141 Hundediebe, 3 Fäl -Hier handelt es ſich jedoch zunächſt darum, das Gaunerthum darzu - ſtellen, wie es ſich in der Gegenwart herausgebildet hat.

1)kirchliche Sinn mit der praktiſchen Richtung der Polizei zu einer Menge der verſchiedenartigſten Jnſtitute ſich einigt. Der Engländer kann dabei aber auch das Rechnen nicht laſſen; er calculirt, daß in den Rettungsanſtalten der Kopf auf jährlich 13 Pf. St. zu ſtehen kommt; er berechnet dazu, daß das Jndivi - duum auf freien Füßen jährlich gegen 100 Pf. St. ſtehlen würde, ungerechnet die Captur - und Gerichtskoſten, die auf 62 Pf. St. veranſchlagt werden. Der Engländer kann ſeinen praktiſchen Sinn nirgends verleugnen, und was er als praktiſch erkannt hat, ſetzt er durch mit einer Willenskraft, Conſequenz und mit Opfern, wie kein zweites Volk Aehnliches aufzuweiſen hat.

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Aus der bisherigen Darſtellung ergibt ſich ferner, daß der Gauner nur ein Gewerbe, gleichſam als ſeinen Beruf, treibt. Von einem Stande, als einer geſonderten ſocial-politiſchen Abſchich - tung, oder gar von einer geſonderten volksthümlichen Gruppe, kann nicht die Rede ſein. Das Gaunerthum repräſentirt vielmehr vom verdrängten Thronerben mit dem Stern auf der Bruſt, vom verabſchiedeten Offizier, vom abgeſetzten Geiſtlichen, vom abge - brannten Bürger an bis zum elendeſten Bettler, das verbrecheriſche Proletariat aller Stände, und der fürſtliche Stern des verdrängten Prinzen, das ehrbare beſcheidene Aeußere des vertriebenen Geiſt - lichen oder verunglückten Bürgers iſt ebenſo viel Gaunerkunſt wie der verſteckte Klamoniß des Makkeners, oder die Lumpen und das äußere Elend des Bettlers, welchem Lumpen und alles andere Gepräge des Elends als Handwerksgeräthe zu ſeinem Fortkommen dienen. 1)Jn einer Gaunerherberge fand ich einmal ſpät nachts ein Vaganten - paar in einem elenden Bette mit Lumpen bedeckt liegen; zu den Füßen einen in Lappen gehüllten halbverkommenen Säugling. Neben dem Bett auf dem bloßen Fußboden lagen nebeneinander drei Kinder von 4 7 Jahren, mehr nackt als mit Lumpen verhüllt und von der kalten Decemberluft und dem zahl - reichen Ungeziefer, ſelbſt im feſten Schlafe, ſtets in convulſiviſcher Bewegung erhalten. Als Neuling tief erſchüttert von dem nicht zu ſchildernden Anblicke fand ich andern Tags barmherzige Frauen ſogleich bereit, die ganze Familie vollſtändig und warm zu bekleiden. Zwei Tage ſpäter wurde die weiterge - wieſene Familie wieder eingebracht. Die treffliche Kleidung war verkauft und die erſtarrten Kinder trugen wieder die alten Lumpen als Handwerksgeräthe zum Fortkommen der ruchloſen Aeltern.So wenig wie ſich aber ein zutreffendes Bild des Pro -1)ſcher, 28 Falſchmünzer, 317 Verbreiter falſchen Geldes, 323 Betrüger unter falſchen Angaben, 343 Diebshehler, 2768 Gewohnheitsruheſtörer, 1235 Land - ſtreicher, 50 Bettelbriefſchreiber, 86 Bettelbriefträger, 6371 liederliche Stra - ßendirnen und 470 andere nicht klaſſificirte gefährliche Subjecte. Die Zahl der Kinder unter den Verbrechern aller Art, ſogar ſchon vom ſechsten Jahre an, iſt grauenerregend hoch. Seit etwa zehn Jahren hat England Rettungs - häuſer für fittlich verwahrloſte Kinder eingeführt und hat jetzt ſchon Platz für 15,000 Kinder. Der Werth der bei der londoner Polizei im Jahre 1853 ge - meldeten Diebſtähle beläuft ſich auf 53,000 Pf. St. Von den Verbrechern Englands find 11 Procent unter 17 Jahren, 25 Procent zwiſchen 17 und 20 Jahren alt.1*4letariers zeichnen läßt, ſo wenig läßt ſich eine Zeichnung des Gauners geben. Die Gaunerphyſiognomie iſt jedoch noch immer eine Bezeichnung im Munde des Volks. Betrachtet man die Holzſchnitte und Kupferſtiche in den alten Gaunerbüchern, ſo gibt man es ſofort auf, in dieſen fratzenhaften Zügen, die wie eine Darſtellung anatomiſcher Merkwürdigkeiten oder Misgeburten vor die Augen treten, ein anderes Porträt zu finden als das der kahlen ſittlichen Entrüſtung des Zeichners oder Kupferſtechers. 1)Selbſt die Holzſchnitte früherer Jahrhunderte ſind zum Theil viel beſſer als die ſpätern Kupferſtiche bis weit in das 18. Jahrhundert hinein. Man vergleiche z. B. nur den gehängten Juden in Münſter’s Kosmogra - phie bei der Beſchreibung der Stadt Baſel aus dem 16. Jahrhundert mit den ſcheußlich markirten Bildniſſen der rehburger Räuber und Spitzbuben aus dem 18. Jahrhundert. Eine rühmliche Ausnahme machen jedoch die treff - lichen berliner, dresdener und koburger Kupferſtiche ſchon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts.Vergleicht man damit die meiſtens gut gerathenen Kupferſtiche zu Anfang dieſes Jahrhunderts, ſo findet man im Geſichte des Heſſel, Streitmatter und ſelbſt des kahlköpfigen Juden Schmaye Nathan keinen eigenthümlichen Typus. Daſſelbe iſt der Fall bei den Grolman’ſchen Porträts, bei denen meiſtens ſogar die idiote Schädelbildung vorherrſcht. Jm Geſicht des Oberlander iſt bei weitem mehr Zug der Leidenſchaft als originelle Typusbildung; Abraham Moſes zeichnet ſich mehr durch ſein negerartiges Profil, als durch irgendeinen andern Typus aus, und bei Konrad An - ſchuh iſt nur der ſchielende Blick abſtoßend. Jn der widerlichen Darſtellung der vier abgehauenen Räuberköpfe bei Pfiſter findet man den Räuberzug einzig und allein nur zwiſchen Bret und Hals, da wo dieſer vom Schwerte durchſchnitten iſt. Jn der Polizei - und Jnquirentenpraxis wird man völlig über die Phy - ſiognomik enttäuſcht, und wem es an Erfahrung fehlt, der mag in den vielen Photographien, welche die heutigen Polizeiblätter, und namentlich der dresdener Polizeianzeiger, in trefflichſter Weiſe bringen, die meiſtens gutmüthigen Geſichter mit den raffinirteſten Gaunereien vergleichen.

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Allerdings findet man unter den Gaunern entſchieden jüdiſche und zigeuneriſche Geſichtsbildungen. Dieſe ſind jedoch nur zufäl - lige nationale Typen und keineswegs dem Gaunerthum eigenthüm - lich. Der Gauner iſt und bleibt für den Ethnographen verloren. Seine Erſcheinung geht nicht über den gewöhnlichen Alltagsmen - ſchen hinaus, wie ihn die Natur geſchaffen hat, mag auch viel - leicht Krankheit, Leidenſchaft und Sünde ſeine Erſcheinung mis - geſtaltet haben. Daher kommt die Verwegenheit, mit welcher das Gaunerthum ſich alle Formen des ſocial-politiſchen Lebens anzu - eignen und in ihnen ſich zu bewegen verſucht, und die Schwie - rigkeit, den Gauner unter dieſen Formen zu entdecken. Nur eine ganz genaue Kenntniß der vielfachen und verſchiedenen Formen und feinen Nüancirungen jenes Lebens kann daher allein den Polizeimann in Stand ſetzen, den Gauner in den verſchiedenſten Erſcheinungen zu entlarven.

Eine Statiſtik des Gaunerthums nach Perſonenzahl, Anzahl der Verbrechen, Höhe des angerichteten Schadens u. ſ. w. läßt ſich bei dem ſchlüpfend beweglichen Wechſel des Gaunerthums nicht mit Sicherheit geben. Sie iſt aber ſo erſchreckend hoch, daß man ſich ſcheuen muß, auch nur in annähernder Weiſe Zahlen anzugeben. Nach ungefährer Berechnung ergibt ſich, daß ſeit den Hugenottenkriegen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, mit Ausſchluß der frei umherziehenden Zigeunerhorden, weit über eine Million profeſſionirter Gauner in Deutſchland exiſtirt und ihren weſentlichen Unterhalt von Raub und Diebſtahl gezogen hat. Dieſe enorme Summe frappirt nicht, wenn man die Zahl und Aufklärungen der zur Unterſuchung gezogenen Gauner in dieſem Zeitraume berückſichtigt und auf die ungeheuern Räuber - horden des Dreißigjährigen Kriegs ſieht, deren offene Verjüngung und Verzweigung zu weitern Räuberbanden von Generation zu Generation erſt vor noch nicht einmal 40 Jahren abgeſchnitten iſt. So überraſcht es auch nicht, wenn Schäffer im Jahre 1793 in dem kleinen Schwaben, dem zehnten Theile Deutſchlands, minde - ſtens 2726 profeſſionirte Gauner nachweiſt, Schwencken im Jahre 1820 noch 650 jüdiſche und 1189 chriſtliche Gauner ſignaliſirt,6 und Thiele nach einem in der That ſehr geringen Anſchlage die Zahl der in Deutſchland1)Zimmermann, a. a. O., S. 9, veranſchlagt die Zahl der eigentlichen profeſſionirten Diebe in Berlin, die ſich je immer auf freiem Fuße befinden und principiell die öffentliche Sicherheit in jedem Augenblick bedrohen, auf 600 1000 Köpfe, die jährlich 150,000 Thlr. ſtehlen. und den ſprachverwandten Nachbar - ländern lebenden Gauner auf 10,000 Jndividuen angibt, welche Zahl andere auf das Doppelte veranſchlagen. Der durch das Gaunerthum angerichtete materielle Schaden2)Schäffer veranſchlagte den jährlichen Schaden, den die Gauner in Schwaben anrichteten, auf 186,588 Gulden, Thiele den der Gauner in Deutſch - land auf anderthalb Millionen Thaler; beide Anſchläge ſind äußerſt gering. Vgl. Stuhlmüller, a. a. O., Vorrede, S. xxxv. läßt ſich gar nicht berechnen, ſeitdem die Gaunerkunſt es ſo weit gebracht hat, die Spuren ihrer Unternehmungen ſo weit zu verdecken, daß ein Dieb - ſtahl häufig zu ſpät, häufig aber gar nicht einmal bemerkt, ge - legentlich aber doch der Vermiß plötzlich ins Auge gefallen und einem Verſehen oder Verbrechen eines Dritten, ſogar des Dam - nificaten ſelbſt zugerechnet worden iſt. Auf dieſe Weiſe hat man - cher öffentlicher Kaſſenbeamter, um Namen und Amt zu retten, ſeine ganze Habe hergegeben, ja leider ſchon mancher Unglückliche in der Verzweiflung über ſeine vermeinte Nachläſſigkeit ſich entleibt. Es iſt unglaublich, wie ungeheuer viel z. B. in den Seiden - und Ausſchnittläden geſtohlen wird, und wie wenig die Kaufleute ſich überzeugen laſſen wollen, daß ſie von Gaunerinnen um das vor ihren Augen beſtohlen ſind, was ſie als verkauft oder höchſtens als Vermeſſung oder Verſpillung in den Büchern notiren. 3)Noch in neuerer Zeit iſt mir der Fall vorgekommen, daß in einem ſolchen großen Geſchäft eine weibliche Schottenfellerchawruſſe von drei Jndi - viduen den Vorrath von Wollmuſſelinſtücken eines beſtimmten Muſters ſo gänzlich aufgeräumt hatte, daß das Ladenperſonal das Muſter der vorgelegten Kleider durchaus nicht kannte und erſt nach wiederholtem Nachſchlagen im Probenbuche ſich überzeugte, daß der Stoff dieſes Muſters im Lager wirklich vorräthig geweſen war.

Auch in den geſellſchaftlichen Verhältniſſen des deut - ſchen Gaunerthums findet ſich nirgends eine nationale Eigen -7 thümlichkeit, obſchon der Aberglaube mit ganz entſchiedenem Ein - fluß dem deutſchen Gaunerthum eine ſehr eigenthümliche Rich - tung und Färbung gegeben hat, und in dieſem noch immer einen Hauptträger findet, wie ſpäter gezeigt werden ſoll. 1)So findet ſich, daß ſchon in den Zeiten des bitterſten Judenhaſſes und der ſchmählichſten Exceſſe des Pöbels gegen die Juden gerade der Aberglaube es war, der die chriſtlichen Gauner zur herablaſſenden Verbrüderung mit Juden führte, indem es von Alters her der noch bis in die neueſte Zeit herabreichende Gaunerglaube war, daß ein Kirchendiebſtahl nicht anders gelingen und unent - deckt bleiben könne, als wenn mindeſtens ein Jude ſich bei demſelben betheiligte.Selbſt die mit unvertilgbarer Zähigkeit feſtgehaltene, namentlich durch die polniſchen Juden, beſonders auch in den drei erſten Decennien dieſes Jahrhunderts, ſcharf repräſentirte, urſprünglich leibliche und geiſtige Eigenthümlichkeit der Juden macht ſich in den gauner - geſellſchaftlichen Verkehrsverhältniſſen weniger geltend, obſchon der jüdiſche Gauner mit viel mehr Ruhe, Ueberlegung und Conſequenz zu Werke geht, und überhaupt die Gaunerei ganz beſonders mit dem vollen Ernſt eines geſchäftlichen Betriebes ausübt, und, weit entfernt, das Geſtohlene ſo ſinnlos wie die chriſtlichen Gauner zu verſchleudern, lieber ſich der Gefahr aus - ſetzt, daſſelbe, ohne Vermittelung Dritter, ſelbſt zu verwerthen, um den möglichſten Gewinn ſeines Fleißes und ſeiner Anſtrengung ungetheilt zu erhalten. Auch werden einzelne Gaunermanöver, zu denen ſelten eine Chriſtenhand geſchickt genug iſt, wie z. B. das Linkwechſeln oder Chilfen, faſt ausſchließlich von Juden be - trieben. Die ſocialen Verhältniſſe der jüdiſchen und chriſtlichen Gauner ſind aber einander gleich, ohne daß die Genüge, welche erſtere den Formalitäten ihres Cultus leiſten, weſentlichen Ein - fluß auf dieſe Verhältniſſe ſelbſt ausübt. Die ſchon lange und mit vieler Mühe und großen Opfern unternommene Coloniſation und Cultivirung der Zigeuner hat zum mindeſten den Erfolg ge - habt, daß die Zigeuner nicht mehr als nationalgeſonderte eigen - thümliche Gruppe im deutſchen Gaunerthum erſcheinen, in welches ſie vielmehr ſoweit gänzlich aufgegangen ſind, als ſie ſich noch immer an Gaunereien betheiligen.

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Die geſellſchaftlichen Verhältniſſe des Gaunerthums bieten daher keinen beſondern ethnographiſchen Stoff dar. Das Gauner - leben bewegt ſich nur im tiefſten ſittlichen Elend des niedrigſten Volkslebens, aus deſſen Sphäre es mit ſeiner Kunſt in alle obern Schichten zu dringen verſucht; und hat nur das Eigenthümliche, daß es in dieſem ſittlichen Elend ſeine Vereinigung ſucht. Bei der Flut und Ebbe des zu - und abziehenden Geſindels lagert ſich der Schlamm der verworfenſten Entſittlichung in den Wohnungen und in den Gaunerherbergen (Cheſſen-Spieſen oder Kochemer - Pennen) ab. Das unſtete Leben und Umherſchweifen des Gau - ners gibt ihm volle Freiheit, ſeiner ungeheuer wuchernden Sinn - lichkeit im weiteſten Begriffe ungebändigt nachzugehen und ſomit die am heimatlichen Wohnort einigermaßen mögliche polizeiliche Controle zu eludiren. Selbſt der an die furchtbarſten Erſcheinun - gen des ſittlichen Elends täglich gewohnte Polizeimann ſchreckt zurück, wenn er die Höhlen des Laſters betritt, in denen die Weihe und der Stempel des Elends ertheilt und hingenommen wird. Aber doch bringt der Gauner Behagen mit in dieſen furcht - baren Aufenthalt, wenn er tief in der Nacht von ſeinen Aus - flügen zurückkehrt; ihn erwartet der behagliche Verſteck unter ſeinesgleichen und die Wolluſt auf der, wenn auch mit Unge - ziefer überſäeten Streu; und alles Ekle ſchüttelt er von ſich wie das Ungeziefer, wenn er den Fuß von dannen hebt, um weiter zu ſchweifen, ſein Glück zu verſuchen, zu praſſen und wieder in andern Höhlen bei ſeinesgleichen auszuruhen.

Die Genußſucht und Sinnlichkeit des Gauners ſowie ſeine Verſchwendung grenzt an Raſerei. Mancher Gauner hat zu verſchiedenen malen ſchon ein bedeutendes Vermögen erworben gehabt, von deſſen Renten er ein bequemes ruhiges Leben hätte führen können. Aber in kurzer Zeit wird der Reichthum ver - praßt. Der Gauner begreift ſein Spiel und deſſen Gefahr und Ausgang, und darum klammert er ſich mit krankhafter Luſt an das Leben an, das ihn hin - und herwirft und ihm eine amphi - biſche Natur verleiht, ſodaß es nur ihm allein möglich wird, im höchſten Genuß und im höchſten Elend zu leben. Der Zweck der9 Ehe iſt ihm fremd, obgleich er die geſchlechtliche Vereinigung ſucht, ſobald der frühgeweckte Naturtrieb dazu anreizt. Der Bei - ſpiele ſind unzählige. Des Sonnenwirthles Frau, Chriſtine Schat - tinger, gab ſich ſchon als zwölfjähriges Kind preis. 1)Aehnliche trübe Beiſpiele habe auch ich in meiner Polizeipraxis noch ganz neuerlich erlebt. Es ſcheint ſogar, als ob die Kindlichkeit in den ver - dorbenen niedern Schichten nur noch als künſtliche Erſcheinung benutzt wird, um hinter ihr das verworfene Laſter zu verſtecken. Wer ſucht in verkrüppel - ten oder unreifen Kindern die Erwerbsquellen kuppleriſcher Mütter!Der Gegenſtand der Wahl muß unverwüſtlich in der Wolluſt, unver - droſſen in Verrichtung der, den Weibern allein zur Laſt fallenden, häuslichen Arbeit, kräftig und ausdauernd zum Tragen von Ge - päck und Kindern auf der Reiſe, ſchlau zum Baldowern und geneigt und geſchickt zum Handeln, d. h. Stehlen, ſein. Gegen dieſe Vorzüge ſchwindet die ſtrenge Forderung körperlicher Schön - heit, obgleich ſie als angenehme Beigabe willkommen iſt. Ent - ſprechende Forderungen ſtellen die Dirnen und Weiber: der kräf - tige, beherzte, verſchlagene und renommirte Freier iſt der will - kommenſte. Nur äußerer Zwang führt zur Ehe, die aber keines - wegs ein Hinderniß iſt, anderweitige Verbindungen einzugehen. 2)Schäffer erwähnt des Gauners Sichler, der gerade zwölf Beiſchlä - ferinnen zugleich hatte; ſo auch einer gleichzeitigen, mit ſcheußlichem Spitznamen benannten Gaunerin, die zwei Ehemänner und eine Menge Beiſchläfer hatte. Die Beiſchläferinnen werden übrigens mit Schikſe, Schikſel, beſonders aber mit Pilegeſch, Pilegſche bezeichnet, vom hebräiſchen〈…〉〈…〉, Plural〈…〉〈…〉 Bei - ſchläferin und Beiſchläfer (worin das griechiſche ὁ und ἡ πάλλαξ und das lateiniſche Femin. pellex), das jedoch in der Gaunerſprache nur als Femin. gebraucht wird. Für den Beiſchläfer wie für den Ehemann wird der Ausdruck Kaffer (Cha - ver), auch wohl Bal, Jſch und Freier gebraucht. Meiſtens nennt die Gaunerin ihren Beiſchläfer Kröner, welcher Ausdruck des Liber vagatorum ſich bisjetzt noch erhalten hat für Ehemann, wie Krönerin, Ehefrau, wahr - ſcheinlich von〈…〉〈…〉, keren, Horn, Haupt, Machthaber, während Erlat, Er - latin des Liber Vagatorum, wahrſcheinlich der hebräiſche Ausdruck für Chri - ſten, Orel (〈…〉〈…〉), Fem. Orelte, außer Brauch gekommen iſt. Jm Jüdiſch - Deutſch iſt für Ehemann Baliſcho, für Ehefrau Jſche, Baile. Von Sug, das Ehepaar, iſt Sugo, Sugas, Sugos, Ehefrau und Benſog, Ehemann, Bethſog, Ehefrau. Vgl. Stern, Medr. Seph .. , S. 78. Vgl. das Weitere beim Schärfenſpielen und Eintippeln, Kap. 89 und 90.10Vielfach halten Verheirathete mit Ledigen zuſammen, auch lebt oft genug der Vater mit der Tochter1)Beiſpiele der Art finden ſich ſehr viele. So vertrat die Sibylle Schmidt die Stelle der Beiſchläferin ihres Vaters, des ſogenannten großen oder Her - zogs Keßler, obwol die Mutter, Madline, noch mit dem Vater zuſam - menlebte. Vgl. Sulzer Gaunerliſte von 1801 , S. 4, Nr. 7, und Gau - nerliſte von 1787 , S. 51, Nr. 235., ſeltener jedoch Bruder und Schweſter in blutſchänderiſchem Concubinate. Auch werden die Eheweiber häufig gegenſeitig nach dem Contracte der Männer vertauſcht, und oft wird ein Draufgeld gegeben. Schäffer erzählt Beiſpiele, daß ein Ehemann bei einem Weibertauſch einen Pudel und ein anderer fünf Gulden als Draufgeld erhielt. Ein förm - licher Tauſchcontract, der zwiſchen den Gaunern Maw und Wells unterzeichnet und unterſiegelt wurde, iſt bei Smith, Straßen - räuber u. ſ. w. , S. 395, abgedruckt; Maw gibt danach eine Dohle für Well’s Weib weg; beide bezeichnen die Tauſchobjecte als unnützen beſchwerlichen Hausrath und entſagen feierlich allen und jeden Einreden gegen den Tauſchcontract. Vielfach werden die Weiber ſelbſt von ihren Zuhältern oder Männern als Dappelſchikſen an wittſche Leute verkuppelt, wobei die Weiber ſich als geübte Diebinnen erweiſen. Noch häufiger kommt es vor, daß die Weiber in Verabredung mit ihren Beiſchläfern ſich in flagranti mit den herbeigelockten Männern ertappen laſſen und dabei mit den Beiſchläfern den Angelockten gewaltſam berauben, oder von ihnen eine Geldbuße für den beleidigten angeblichen Ehemann erpreſſen. Meiſtens herrſcht ungeſtörte Freundſchaft zwiſchen dem Mann und dem notoriſchen Zuhälter ſeiner Frau oder Concubine. Oft hat aber auch der heimliche Betrug die blutigſte Rache zur Folge, wovon die ſchon erwähnte grauſame Ermordung des Toni durch Hannikel ein ſchreckliches Beiſpiel iſt. Noch entſetzlicher iſt die in Rheiniſche Räuberbanden , I, 59, erzählte Rache des Johann Müller wider einen an der Untreue ſeiner Frau völlig unſchuldigen franzöſiſchen Fuhrknecht. Nicht ſelten kommt es vor, daß eine einzige Weibsperſon der ganzen männlichen Genoſſen - ſchaft Liebesdienſte erweiſt, ohne die Eintracht zu ſtören; und11 trotz dieſer nie verſagten Gelegenheit zur Befriedigung thieriſcher Luſt ſind die öffentlichen und Winkelbordels ebenſo beſuchte Ver - kehrsorte der Gauner wie die Kochemerpennen, obſchon auch in dieſen die Wolluſt mit ihrer ganzen Bereitwilligkeit zur Hand iſt. Die prieſterliche Copulation iſt bei den gauneriſchen Verbindungen Nebenſache1)Eine ebenſo oft veranſtaltete wie gottloſe Vergnügungsſcene in den Pennen iſt das Chaſſnemelochnen (Hochzeitmachen), wobei ein Gauner die Rolle des Geiſtlichen, ein anderer die des Kirchners u. ſ. w. übernimmt, und ein gauneriſches Paar förmlich copulirt wird. Die ganze ruchloſe Scene wird nur geſpielt, um eine Gelegenheit zu den verworfenſten und ſchamloſeſten Or - gien und zur Herbeiſchaffung der Ausſteuer und Hochzeitskoſten durch einen Maſſematten herbeizuführen. Ueber〈…〉〈…〉, schiddach, er hat verheirathet, ſiehe die Derivata, Kap. 90, in der vorletzten Note. und wird nicht eher nachgeſucht, als bis obrigkeit - licher Zwang oder ſonſtige äußere Vortheile ſie zur Nothwendig - keit machen. Die Ausſteuer, die Koſten des bevorſtehenden Ver - lobungs - oder Hochzeitsmahls geben Anlaß, vorher einen Maſſe - matten zur Beſtreitung des Aufwandes zu handeln. Wie wenig Frieden und wahres Glück eine ſolche Verbindung bringt, läßt ſich denken. Namentlich hat das nur zum gemeinen Magddienſte und zur bloßen Befriedigung thieriſcher Sinnlichkeit erniedrigte Weib alle Gemeinheiten, Verwünſchungen und Mishandlungen zu tragen, welche von der Roheit des Mannes auf ſie fallen, und dazu auch noch zu gewärtigen, daß jener ſie mit den Kindern im Stiche läßt, beſonders wenn die Zahl der letztern ſo groß geworden iſt, daß er ſie nicht ernähren kann, oder daß ſie ihn ſonſt in ſeinen Gaunereien hinderlich ſind, wobei denn oft rüh - rende Züge von Mutterliebe hervortreten. Bei aller Aufopferung der Mütter für die Kinder iſt an Erziehung und ſittliche Ausbil - dung nicht zu denken. Was den Aeltern ſelbſt fehlt, halten ſie auch für die Kinder entbehrlich. Dem Schulzwang entziehen ſich die Gauner durch ihr unſtetes Umherſchweifen. Was aber die Aeltern können und treiben, ſehen und lernen die Kinder bald, und in dieſer trüben Gemeinſamkeit wird die Erziehung ſo weit vollendet, bis die Knaben, oft ſchon im ſiebenten und achten Jahre,12 zum Baldowern und Torfdrucken reif ſind und in die Genoſſen - ſchaft der Männer eintreten, die Mädchen mit ihren noch kind - lichen, aber durch das Zuſammenliegen mit den Brüdern oder Er - wachſenen andern Geſchlechts und durch die fortgeſetzt vor den Augen ſtehenden ſchmuzigen Beiſpiele und Erlebniſſe früh geweckten Reizen ihr Glück verſuchen. 1)Von den zahlloſen Zügen weiblicher Roheit und Schamloſigkeit nur ein Beiſpiel, das bei Grolman, a. a. O., S. 409, erzählt wird: Von der Wetterauer Bande hatten die beiden Werner mit Ludwig Vielmetter und deſſen lediger Schweſter Anna Margaretha im März 1810 die Kirche zu Herren-Haag erbrochen, um die Kirchenglocke zu ſtehlen, welche jedoch nicht zu löſen war, weshalb ſich die Diebe mit dem Schwengel behalfen. Darauf wurde die Orgel zerſtört und deren Windladen zerſchnitten. Dabei wurde ein Pfarrermantel, zwei Leichentücher, der Klingbeutel und zwei Geſangbücher entwendet, jedes Glockenſeil abgeſchnitten und der Altar umgeworfen. Einer verrichtete von der Kanzel ſeine Nothdurft, während er mit umgehängtem Mantel den Prediger affectirte, und während die andern die Zoten und Läſter - reden anhörten und ſämmtlich den Koth in der Kirche ließen unter ihnen eine ledige Dirne mit ihrem Bruder! Welchem Polizeimann kommen aber nicht ähnliche Züge von Roheit vor, die man zu erzählen gerechtes Bedenken tragen muß!

Dieſe trübe Skizze dieſer einen Seite der geſellſchaftlichen Gaunerverhältniſſe zeigt vor allem das Weib und die Ehe mit ihrer Bedeutſamkeit und ihren Zwecken tief in den Staub getreten. Sie verliert nicht an innerer Wahrheit, wenn derjenige, der nicht hochmüthig negirt, wo das Unheil ſo ſichtlich aus dem Boden her - vorwuchert, in den meiſten Zügen dieſer Skizze auch das Elend unſerer unterſten Volksſchichten überhaupt gezeichnet findet, die, in Noth und Unwiſſenheit befangen, immer dicht neben dem Ver - brechen einhergehen.

Mit dem ganzen Geheimniß und mit der ganzen Kunſt ſeines Weſens verdeckt aber der Gauner ſein ſittliches Elend als un - mittelbare Folge und Verrath ſeiner Verbrechen, und dies Beſtreben bringt jene innige Verbindung hervor, die, des Namens der Freundſchaft und Verbrüderung unwerth, vom ſchmuzigſten Egois - mus geſchaffen, von Verfolgung und Tod bewacht, ſeit Jahr - hunderten, wie ein geheimnißvolles Räthſel, überall ſichtbar und13 doch unbegriffen, vernichtend und unvernichtet, mitten in das ſo - cial-politiſche Leben hineingeſchritten iſt, das geſunde Leben in - ficirt hat und deſſen beſten Kräfte fortwährend zur Erhaltung ſeiner verderblichen Exiſtenz abſorbirt. Jn der Verbindung, weit weniger in der Kunſt, beruht die ganze furchtbare Gewalt des Gaunerthums. Darum wird auch die Verbindung durch das Ge - heimniß geſchützt, und das Geheimniß den Geweihten durch alles, was Kunſt und Sprache dazu hergeben kann, offen und deutlich erhalten. Kein Opfer iſt zu groß, um das Geheimniß zu bewahren und den Verrath zu verhüten und zu beſtrafen. Sogar Gefäng - niſſe wurden geſtürmt, um gefangene Kameraden zu befreien und mit ihnen das Geheimniß zu retten. So befreite Picard einen Kameraden, der Geſtändniſſe zu machen angefangen hatte (einen Wittſchen Maſſer), aus dem Kerker, ging gleich darauf mit ihm auf einen Raub aus und ſchoß ihn unterwegs nieder. 1)Vgl. Rheiniſche Räuberbanden , II, 448, wo noch ein anderer Fall der Art erzählt wird vom ſchelen Jickjack, gleichfalls von der Merſener Bande, der vorher ein Grab grub und dann den Verräther zu einem Raube einlud, abholte, bei dem Grabe niederknien, beten, ſich zum Tode vorbereiten ließ, den Unglücklichen, alles Flehens um Gnade ungeachtet, niederſchoß und den Körper in das Grab verſcharrte.Entſetzlich war die Rache, welche Hann-Baſt Hartmann von der Wetterauer Bande mit ſeinen Genoſſen an ſeinem Kameraden Bröſchlers nahm, welcher bei einem Diebſtahl im März 1807 nur zwei Thaler untermackelt hatte. Der Unglückliche wurde mit einem Piſtolenhieb zu Boden geſtreckt, mit Meſſern in die Dick - beine und Waden geſtochen, aus dem Wirthshaus in den Hof geſchleift, dort auf einen Trog gelegt und ihm eine Sehne nach der andern ausgelöſt, bis der ſo ſchrecklich Gemishandelte nach zweiſtündiger entſetzlicher Qual ſtarb. 2)Vgl. Grolman, a. a. O., S. 245.Ein ähnlicher Unterſchleif war der Anlaß zur Todfeindſchaft zwiſchen Picard und Schin - derhannes, welcher letzterer daher die kaum geſchloſſene Ver - bindung mit jenem wiederaufhob und ſich mit ſeinen Genoſſen zurückzog. 3)Vgl. Rheiniſche Räuberbanden , II, 326.Vorgänge der Art ſind nicht antiquirt. Bei der14 großen, jetzt beendigten holſteiniſchen Unterſuchung iſt der Haupt - angeber nach Amerika befördert worden, um ſein Leben vor Ver - folgungen zu ſchützen, das aber ſelbſt in der Neuen Welt nicht hinlänglich vor blutiger Rache geſchützt ſein mag. Zum mindeſten wird der Sſlichener gezinkt, in die Wange geſchnitten, um ihn kenntlich zu machen, und jeden vom Verrathe abzuſchrecken. Auch habe ich in meinen Verhören die überraſchendſten Erfah - rungen gemacht über die enorme Gewalt, welche die bloße Er - ſcheinung, das bloße Athemholen eines Räubers, auf ſeinen zum Geſtändniß geneigten Genoſſen zu machen im Stande iſt.

Von dieſen furchtbaren Banden wird das Ganze zuſammen - gehalten, in welchem jeder einzelne ſich hin und her bewegt, wie ſein Jntereſſe, ſeine Neigung und Sinnlichkeit ihn treibt. Weit untergeordneter ſind die ſtets geſuchten und geförderten verwandt - ſchaftlichen Verhältniſſe, welche bunt und wirr durcheinander laufen. Man braucht nur den Stammbaum eines Gauners, wie den des Vielmetter bei Grolman, a. a. O., S. 226 fg., oder die inter - eſſanten verwandtſchaftlichen Beziehungen bei Pfeiffer und Eber - hard anzuſehen, um einen Begriff von dieſer ungeheuern Ver - wandtſchaft zu bekommen, durch welche faſt das ganze Gauner - thum unter ſich verbunden iſt. Bei der tiefen Entſittlichung ſind dieſe Bande jedoch nur locker und laſſen nach, ſo oft Jntereſſe oder Leidenſchaft ins Spiel tritt. Aeltern mishandeln ihre Kinder auf barbariſche Weiſe und werden von ihren Kindern häufig in gleicher Weiſe behandelt. Die Kinder ziehen davon und laſſen die Aeltern hülflos im Stiche, ſobald der Trieb zum Stehlen oder zur Sinnlichkeit erwacht. Die durch Trunkenheit geförderten und geſteigerten rohen Ausbrüche des Zorns, der Eiferſucht, der Rache führen zu den ſchmählichſten Exceſſen, wobei häufig Meſſer und Piſtole den Ausſchlag geben. Aber unmittelbar nach dem Ex - ceß tritt das alte vertraute Verhältniß ein, und Spuren und Folgen des Tumults werden ſorgfältig verdeckt und verhehlt, um dem Verrath des Ganzen vorzubeugen. Die ſorgfältige Pflege ſeiner verwundeten oder erkrankten Genoſſen, welche ſich der Gauner angelegen ſein läßt, iſt bei weitem weniger auf Liebe und15 Freundſchaft begründet, als auf der Furcht, daß der ſchwache und bewußtloſe Genoſſe zu irgendeinem Verrath Anlaß geben könnte. Der Todte wird mit Gleichgültigkeit, ja mit Furcht und Abſcheu verlaſſen, obſchon auch hier rührende Züge von Mutterliebe vor - liegen. Es gibt Beiſpiele, daß eine Mutter tagelang mit der Leiche ihres Kindes von Ort zu Ort zog, und ſich nicht eher von derſelben trennte, als bis ſie ihr mit Gewalt abgenommen wurde.

Soviel zur allgemeinen Skizzirung der geſellſchaftlichen Ver - hältniſſe der bunten, beweglichen, ſchlüpfenden Maſſe, die erſt recht begriffen werden können, wenn man zu dem bereits in hiſtoriſcher und literariſcher Hinſicht Gegebenen den Gauner in ſeinen ein - zelnen Unternehmungen thätig ſieht, und vor allem in das wun - derbare Geheimniß ſeiner charakteriſtiſchen Sprache und Verſtän - digungsweiſe eindringt.

Zweites Kapitel. 2) Pſychologiſche Wahrnehmungen.

So bunt und wirr das Gaunertreiben ſeit Jahrhunderten vor den Augen des geſchichtlichen Forſchers ſteht, ſo geheim und künſtlich das Weſen des Gaunerthums waltet, ſo deutlich erſieht man doch aus den geſchichtlichen, inquiſitoriſchen und ſprachlichen Offenbarungen, die im Laufe der Jahrhunderte kund geworden ſind, daß das in ſo vielen Atomen bewegliche Geſammtganze doch immer einen von dem allmählichen Fortſchreiten der ſocial-politi - ſchen Verhältniſſe abhängigen Gang genommen hat, in welchem ſich das Gaunerthum recht eigentlich zum Gewerbe conſtituirt hat, und den man als Conjunctur des Gaunerthums bezeichnen kann. So begann im frühen Mittelalter des Räuberthum mit der Wegelagerei auf die Waarenzüge des monopoliſtiſchen Han - dels, bis es, durch die Zeit des Fauſt - und Fehderechts hindurch, bei den unabläſſigen Kriegsbewegungen ſeine hauptſächlichſten Repräſentanten in den Landsknechten fand, während ſchon der16 feinere Betrug durch Simulation eines Gebrechens oder äußer - lichen Nothſtandes auf die chriſtliche Barmherzigkeit ſpeculirte oder, bei der dominirenden Gewalt der Hierarchie, durch den Vorſchub kirchlicher Pönitenz ſich den Weg in das Haus des Bürgers und Landmanns bahnte. So gibt es in der ſpätern Geſchichte unter den unzähligen Ereigniſſen keine politiſche Bewegung, keine Um - geſtaltung des ſocial-politiſchen Lebens, bei welchem nicht auch das Gaunerthum ſeine Conjunctur gefunden hätte. So ſind denn auch in neuerer Zeit, ſeitdem das Kapital immer weiter und mächtiger zu arbeiten angefangen hat, die Nachſchlüſſel - und Geld - diebſtähle, ſowie das Chilfen viel häufiger geworden, und auch in kürzerm periodiſchen Wechſel werden einzelne Jnduſtrien gleich - zeitig an verſchiedenen Orten cultivirt, als gäbe es eine beſtimmte Saiſon für dieſe oder jene Jnduſtrie. So waren z. B. die Zefir - gänger im Sommer 1856 vorherrſchend im Gange, und zwar gleichzeitig beſonders in Berlin, Dresden, Hamburg, Lübeck u. ſ. w. Bei dieſer beweglichen Conjunctur, in welcher man das Gauner - thum recht deutlich als Totalität hervortreten ſieht, werden aber auch beſtimmte allgemeine Charakterzüge des Gaunerthums ſicht - bar, die man weniger an den einzelnen Jndividuen als im pe - riodiſchen Fortleben des Ganzen beobachten, und die man als allgemeine pſychologiſche Momente bezeichnen kann. So charakteriſirt ſich das moderne Gaunerthum gegen das frühere auf - fällig durch den Mangel an wirklichem moraliſchen Muth. Zur Zeit des Fauſt - und Fehderechts machte der romantiſche Kampf gegen das bewaffnete Geleite der Waarenzüge die Wege - lagerei ſogar mit der Ritterehre verträglich, und die Parteigänge der Landsknechte und der Soldaten des Dreißigjährigen Kriegs1)Die vom Grafen von Merode dem Wallenſtein zugeführten Soldaten zeichneten ſich beſonders durch Diebereien und Gewaltthätigkeiten aus, und ſind daher dem Weſen und Namen nach die Stammväter der modernen Ma - rodeurs. wurden als kühne Abenteuer betrieben, bei den es immer auf Entſchloſſenheit und Tapferkeit ankam. Nachdem es aber der17 Landespolizei gelang, das offene Räuberthum zurückzudrängen, welches ſich darauf in das bürgerliche Leben flüchtete, ſeitdem treibt das Gaunerthum ſeine Kunſt wie ein friedliches bürgerliches Ge - werbe, bis die Gelegenheit es zur Vereinigung in groere und offene Gruppen wieder zuſammenruft. Seitdem das Gaunerthum den Glauben an die Kraft und Gewalt der Landespolizei ge - wonnen hat, ſeitdem wagt der Gauner nicht leicht mehr den offenen räuberiſchen Angriff. Heimlich, zur Nachtzeit, mit geſchwärzten Geſichtern, dicht vermummt, überfielen häufig ſelbſt die Wüthriche der Niederländiſchen Banden die ſchlafenden Bürger und wichen vor der muthigen Gegenwehr zurück. Der Gauner ſpionirt jetzt die Gelegenheit aus, wo er muthig ſein darf. Nur in Geſell - ſchaft ſeiner Genoſſen und im Verlaß auf ſie iſt er muthig gegen die Schwachheit bis zur brutalſten Grauſamkeit. Darum ſind ihm große erſchütternde Begebenheiten mit der begleitenden Aen - derung oder Lähmung der gewohnten Ordnung willkommen. Nirgends tritt das Gaunerthum ſichtbarer hervor als bei Kriegs - bewegungen, Auflaufen, Feuersbrünſten und ſonſtigen Unglücks - fällen. 1)Von jener Feigheit und elenden Ausbeutung des Unglücks enthält unter anderm auch das auf dem baſeler Staatsarchiv befindliche Rothe Buch von Baſel , vom Jahre 1357, interefſante Notizen über beſtrafte Diebereien bei dem großen Erdbeben am 18. October 1356. Dort heißt es unter anderm S. 1 u. 5: § Heintzman der ſvn von friburg, Hanneman Hefinger der Bermender, Meiſterli der kannengieſſer ſwuorent an dem Cinſtag nach dem Jnganden Jare fünf Jar ein mile von der ſtat, vmbe daz ſi den lüten ir Jſen in dem Ert - pidem abbrachen vnd daz verkouften. Und ferner: § Wisherli ſol ein Jar leiſten, das er vnd Hirte in dem Ertpidem dem ... Berner ſin laden vf brachen. Vgl. Baſel im 14. Jahrhundert , S. 226.Ja, die Brandfackel iſt ſogar ein furchtbares Mittel in der Hand des Gauners, um im Tumult des Unglücks die feige Gaunerkunſt zu üben. So ſchleicht der Gauner ſchwach und muthlos als Lieferant und Marketender hinter den Heeren einher, um in ihren gewaltigen Spuren ſeine Ernte zu halten; ſo läßt der Gauner ſich als Freiſchärler oder Soldat in Uniform kleiden,Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 218um unter dem Nimbus ſoldatiſcher Ehre, Zucht und Pflicht ſein feiges Gewerbe zu treiben.

Auf dieſen Mangel an moraliſchem Muth beruht we - ſentlich die Theorie des Baldowerns und die Eintheilung in jene flüchtigen Gruppen und ſinguläre Aufgebote der Chaw - ruſſen1)Chawruſſe, auch Chäwre, von〈…〉〈…〉 (Chawer), der Genoſſe, Kame - rad; Femininum〈…〉〈…〉 (Chaweress);〈…〉〈…〉 (Choweress), die Verbindung, Genoſſenſchaft, Diebsgeſellſchaft, Diebsverbindung., um einzelne beſtimmte Unternehmungen auszuführen und nach der Ausführung ſich wieder behende in die Maſſe zu - rückzuziehen. Die Chawruſſen ſind ſtets ſo groß, daß den Chäwern Muth und Gelingen geſichert iſt, und ſtets ſo klein, daß ſie nicht als größere Maſſe in die Augen fallen und nicht eine zu gering - fügige Dividende der Diebsbeute für den Einzelnen bedingen, ob - wol die letztere Rückſicht die untergeordnetere iſt. Jene Wahr - nehmung iſt auch für das ſogenannte Brennen wichtig. Obwol das Sſlichnen (der Genoſſenverrath), wie ſchon gezeigt iſt, furcht - bar geſtraft wird, ſo hat doch weſentlich die Furcht vor Verrath das Branntweinsgeld zu einer Art Ehrenſache und das Brennen zu einem zunftmäßigen Grußgeben gemacht. Deshalb zahlt der glückliche Cheſſen dem fremden Kochemer, der ihn, ſein Unter - nehmen und deſſen Erfolg meiſtens ſchon eher kennen gelernt hat, als der Diebſtahl ruchbar wird, ohne Anſtand dieſe läſtige und häufig beträchtliche Steuer ſeiner gauneriſchen Thätigkeit, nament - lich wenn die Brenner Vigilanten ſind, denen jener nicht ganz trauen kann.

Charakteriſtiſch iſt noch für das heutige Gaunerthum, daß die Meuchelmorde und Raubmorde, mit denen früher bei Unter - nehmungen größerer Räuberbanden gewöhnlich ſogleich, ohne die Gegenwehr abzuwarten, der Anfang gemacht wurde, mindeſtens in Norddeutſchland ſelten oder gar nicht mehr vorfallen2)Eines einzigen Falls neuerer Zeit erinnere ich mich, daß ein von einer Chawruſſe unternommener Diebſtahl und Einbruch mit einem Morde begann, der jedoch wol mehr durch Zufall als durch Vorſatz und Verab - redung herbeigeführt wurde. Die ſpäter am 12. April 1844 zu Stockelsdorf, ſo19 gering auch nach der heutigen Gaunerpolitik die Perſonenzahl einer Chawruſſe, und je leichter eine Gegenwehr zu erwarten iſt. Zwar haben die Gauner ſtets Meſſer (Kaut), Piſtole (Glaſeime), Stricke (Chewel), Brecheiſen (Schabber) und ſtarke Knittel (Jad - drong) zur Hand. Dieſe Sachen werden jedoch höchſtens nur zum Schrecken 1)Bezeichnend dafür iſt der gauneriſche Ausdruck für Piſtole: Glaſeime, Klaſeime, Kleſeime, von〈…〉〈…〉 (kle), Geſchirr, Geräth, und〈…〉〈…〉 (emo, eimo), Furcht, Schreck, alſo Geräth zur Furcht, Schreckgeräth. Entſpre - chende Ausdrücke ſind: Knaller, Puffer für Piſtole, Terzerol., auf der Flucht und als Defenſivmittel gebraucht. Nie habe ich bei bewaffneten Gaunern gute Piſtolen, faſt immer nur kümmerliche Terzerole, wenn auch doppelläufige, und nie beim Herausziehen der Ladung etwas anderes als höchſtens Enten - oder Haſenſchrot, kein einziges mal aber eine Kugel gefunden. Die Meſſer, welche mir vorgekommen ſind, waren meiſtens ge - wöhnliche Einſchlagemeſſer, und gerade bei den verſuchteſten und verwegenſten Schränkern habe ich ganz elend ſchlechte abgenutzte Taſchenmeſſer neben den Terzerolen, Nachſchlüſſeln und Uhrfeder - ſägen getroffen. Man kann nicht von einer humanern Geſinnung des Gaunerthums ſprechen, wenn die in die Enge oder zur Flucht getriebenen Gauner alles verzweifelt niederſchlagen, was ſie auf - hält, und wenn ſie gerüſtet und gefaßt ſind, durch Brandſtiftung die Spuren eines ſchweren Verbrechens zu verwiſchen. Eine Un - zahl neuerer Beiſpiele beweiſt, daß die Gauner bei dem leiſeſten Geräuſch die Flucht ergreifen und alles im Stiche laſſen. Jhr ganzer Muth liegt weſentlich nur im Verlaß auf die Genoſſen - ſchaft, auf die feine Kunſt und auf die genau erſpähte Gelegen -2)unweit Lübeck hingerichteten Mörder waren durch den Hauswirth, in deſſen Behauſung ſie eingebrochen waren, überraſcht worden, und ſchlugen ihn meuch - lings nieder, als er am Feuerherde ſtand, um an den Kohlen Licht anzuzünden, ohne der Einbrecher gewahr worden zu ſein. Freilich zeigt aber das öſterreichiſche Polizeicentralblatt leider noch eine Menge brutaler Raub - morde an, die jedoch meiſtens in Ungarn, Kroatien und Siebenbürgen verübt werden.2*20heit. Wo alles dies nicht genügt, weicht der Gauner zurück. Wichtig iſt dieſe Wahrnehmung für das Verhör, in welchem dem Jnquirenten, der keine Schwäche und Leidenſchaft dem verſchla - genen Gauner gegenüber zeigt, durch Beachtung dieſes charakteri - ſtiſchen Gaunerzuges außerordentliche Vortheile in die Hand ge - geben werden, wie weiter gezeigt werden ſoll.

Ein anderer mit vorſtehendem zuſammenhängender charakteri - ſtiſcher Grundzug des Gaunerthums iſt der Aberglaube. Es iſt auffallend, daß der Gauner auf den Aberglauben anderer ſpe - culirt, ihn alſo objectiv aufzufaſſen weiß, und ſubjectiv doch ſelbſt tief befangen iſt im Aberglauben. 1)Eins der merkwürdigſten Beiſpiele iſt Franz Joſeph Streitmatter, deſſen Leben und Tod nur eine Kette von abergläubiſchen Anſichten und Thaten war. Vgl. Rebmann, Damian Heſſel .Dieſe Wahrnehmung ver - deutlicht ſich aus der Geſchichte des deutſchen Aberglaubens, der tief in die ganze deutſche Sitten - und Culturgeſchichte einſchneidet und deſſen Geſchichte einen weſentlichen und wichtigen Abſchnitt der deutſchen Polizeigeſchichte überhaupt bildet.

Der perſönliche Teufel namentlich ſpielt, wie in der ganzen Anſchauung des Volks, ſo auch ganz beſonders im Gaunerthum eine ſehr wichtige Rolle. Alles was in der myſtiſchen Betrach - tung des Anachoreten - und Mönchsthums Jrrthum, alles was ſeit dem erſten Auftreten der arabiſchen Aſtrologen in Spanien, bei der Unbekanntſchaft mit den Naturgeſetzen, Selbſttäuſchung, und in den Formen dunkler Dogmen und der Scheinwiſſenſchaften der Aſtrologie, Mantik, Nativitätſtellung, Alchymie, Nekromantie, Chiromantie, Metopoſkopie u. ſ. w. zum Vorſchein gebracht war, blieb dem Volke noch unklarer, als den Anhängern und Jüngern jener Dogmen und Scheinwiſſenſchaften ſelbſt. Daran wucherte die Dämonologie ſo raſch und prägnant zur poſitiven Wiſſen - ſchaft und ſtatuirten Wahrheit herauf, daß auf dieſer unfehlbaren Baſis im Hexenhammer ein Corpus juris der Dämonologie ge - ſchrieben werden konnte, wie ein ähnliches Werk von menſchlicher Verirrung kaum weiter geſchaffen werden kann. Der perſönliche21 Teufel war nunmehr nicht nur dogmatiſch, ſondern auch juriſtiſch ſtatuirt, und was jene Dogmen und Scheinwiſſenſchaften zum Vorſchein gebracht und verbreitet hatten, wurde nun von ihnen ſelbſt fürchterlich gerichtet. Jede auffällige Erſcheinung, jede be - ſondere Fertigkeit, jedes unverſtändliche Wort hatte den Schein und Verdacht des Teufelsbündniſſes, und war auch der Teufels - juſtiz verfallen. Die Chiromanten, Alchymiſten u. ſ. w. glaubten an den Teufel und betrogen mit ihm. Kein Wunder, wenn die Bauchredner und Wettermacher des 15. u. 16. Jahrhunderts des Teufels waren, kein Wunder, daß man den Betrug vor dem Aberglauben unbeachtet ließ, und kurz und bündig jeden Verdäch - tigen auf der Tortur zwang, ſich zum Teufelsverbündeten zu be - kennen. Es iſt bemerkenswerth, daß der raffinirteſte und ſchlaueſte Exeget und Protector des Hexenhammers, del Rio, die Zigeuner, welche noch zu ſeiner Zeit als die weſentlichſten Repräſentanten des Gaunerthums galten, gerade in der Quäſtion von der Chiro - mantie abhandelt, nicht zu gedenken der zahlloſen Zauber -, Teufels - und Geſpenſtergeſchichten des 17. u. 18. Jahrhunderts, in denen meiſtens ſchon die Gauckelei offen zu Tage gelegt wird. 1)Eine Menge Beiſpiele gibt Horſt, Zauberbibliothek , beſonders III, 233 fg., und IV, 245 fg. Vgl. in der Literatur Schauplatz der Be - trieger , Wunderſeltzame Hiſtorien u. ſ. w. Ganz beſonders merkwürdig iſt noch das 1587 zu Frankfurt bei Peter Schmid erſchienene Theatrum dia - boli , das auf 1366 Folioſeiten den Teufel in allen Formen und Beziehungen abhandelt, und den herrſchenden ſittlichen Verfall, die Gebrechen und die Verbrechen der Zeit als Teufelswerk und mit einer Teufelsterminologie be - zeichnet, die ſogar bis zum Hoſenteufel hinabgeht.Kein Räuber im Dreißigjährigen Kriege war ohne Bündniß mit dem Teufel. 2)Bemerkenswerth iſt, daß in der heutigen Volksſprache der Ausdruck: verteufelter Kerl oder Teufelskerl nicht ſo ſehr die moraliſche Schlech - tigkeit als die Verwegenheit, Unternehmungsluſt und Geſchicklichkeit bezeichnet. Eckoldt, der Genoſſe Lips Tullian’s, hatte, als er am 7. Juni 1714 verhört werden ſollte, ſechs Kugeln in ſeiner Hutkrämpe, die vom Amts - phyfikus gar genau unterſucht wurden. Es heißt weiter in den gedruckten Acten, II. 158: Vermuthlich ſolten dieſe Kugeln des Teufels Hülffs-Mittel in der Tortur und vor die Schmertzen derſelben ſein. Noch vor hundert Jahren führte der Hundsſattler22 gegen ſeine Richter in Baireuth an, daß er gerade an dem Tage ſeiner Jnhaftirung das neunte ſchwangere Weib habe ermorden wollen, wie er das ſchon bei acht Weibern gethan habe, um ihnen die Frucht aus dem Leibe zu reißen und das Herz derſelben roh zu verzehren, damit er fliegen könne wie ein Vogel. 1)Vgl. in der Literatur Sammlung merkwürdiger Rechtsfälle , S. 235. Die Scheußlichkeit wird ſchon früh erwähnt, z. B. L. Sal. III, 67; Georgiſch, Corpus Juris Germ., S. 127, und Rotharis leg. 379. Noch andere Bei - ſpiele führt Jakob Grimm an ( Deutſche Mythologie , S. 611), der aber irrt, wenn er ſagt, daß das Herz aus dem Leib freſſen in unſern Hexenſagen ſchon zurücktritt. Ueber das Opfern, das Blut und das Einmauern von Kindern vgl. Grimm, a. a. O., S. 665.Noch vor funfzig Jahren trieb der ſchöne Karl allen ſeinen Beiſchläferinnen die Frucht ab, um aus dem Fette derſelben die ſogenannten Schlaf - lichter zu machen, bei deren Scheine die Beſtohlenen vom Schlummer befallen bleiben. 2)Falkenberg, welcher in der Horſt’ſchen Unterſuchung weſentlich thätig war, erzählt I, 31, daß Horſt’s Concubine, Luiſe Delitz, frühere Beiſchläferin des ſchönen Karl, verdächtig war, ſogar ſelbſt ihr eigenes Kind zu dem Zwecke geſchlachtet zu haben. Nach Schäffer’s Jaunerbeſchreibung (Sulz am Neckar 1801), S. 85, trieb der Laubheimer Toni ſeiner Concubine mit ſtarken Sachen das Kind ab, ſchnitt dem Kind den Bauch auf, fraß das Herz und ſchnitt beide Hände ab. Vor dem Einbruch hätten ſie dann allemahl die zehn Fingerlein hiervon angezündet, ſoviel nun davon gebrannt, ſoviel Leute haben auch in dem Haus, in welchem der Einbruch geſchehen ſollen, ſchlafen müſſen; wenn hingegen ein Fingerlen nicht gebrannt, ſo ſeye eine Perſon weiter in dem Haus gelegen, davon ſie nichts gewußt, und die hernach auch nicht ge - ſchlafen .Noch immer, wie zu Zeiten der Rheiniſchen Räuberbanden, muß ein dem Teufel verfallener Jude bei einem Kirchendiebſtahl zugegen ſein, damit der Dieb - ſtahl unentdeckt bleibe, und noch im vorigen Jahre hielt ich Leichen - ſchau ab über eine zweiundſechzigjährige Weibsperſon, die früher Bordelldirne, dann Kartenſchlägerin geweſen, und mit einem ge - ſchriebenen Zauberſegen auf der Bruſt und mit einer in einem Beutel um den Leib gebundenen lebendigen Katze ins Waſſer geſprungen war, um, nach dem Zauberſegen zu ſchließen, das alte Leben in neuer Sphäre, wo möglich noch wucherlicherer, wieder23 beginnen zu können. Andere ganz ähnliche Beiſpiele in meiner Praxis haben mich belehrt, daß dieſer Aberglaube aber auch in ſociale Schichten dringt, wo man ihn nimmermehr vermuthen ſollte. Was ſoll man ſagen, wenn noch in dieſem Jahrhunderte geſchehen konnte, was Rebmann ( Damian Heſſel , S. 46) mit Verſchweigung des Landes und Richters erzählt, daß nämlich der Räuber Weiler, nachdem er auf unerwartete und kühne Weiſe aus dem Gefängniß gebrochen war und ſich dazu ſeiner Feſſeln auf unbegreifliche Weiſe entledigt hatte, bei ſeiner Wiederverhaftung mit neuen Feſſeln, die ein herbeigeholter Kapuziner beſprochen hatte, gefeſſelt, und in jedem Verhör auf einen Teppich geſetzt wurde, damit er als Hexenmeiſter die Erde nicht berühre! Bei ſolchem Befunde iſt denn nun auch nicht zu verwundern, daß manche nähere Forſchung unterblieben iſt, die gewiß merkwürdige Reſultate ergeben hätte. So findet ſich z. B. nirgends eine Spur, daß Schinderhannes jemals nach der Bedeutung der myſtiſchen Kreuze und der wunderlichen Verſe in ſeinen Briefen, die offen - bar eine dämonologiſche Beziehung gehabt haben, befragt worden wäre. Auffallend erſcheint beſonders die myſtiſche Nachſchrift unter ſeinem an den Pächter Heinrich Zürcher, auf dem Hofe Neudorf bei Bettweiler, geſchriebenen Drohbrief, welche dicht unter ſeinem Namen ſich befindet:

Herr menſ Geiſt be,
Herr mein Geiſt be,
Wer nur den lieben Gott,
Wer nur den lieben Gott,
W. W. W. W.
Wer nur den lieben,
Wer nur den lieben,
Wer nur den lieben,
Johaß Reiſt heer beer.
1)Vgl. Actenmäßige Geſchichte der Rheiniſchen Räuberbanden , II, 116.
1)

Man darf ſich endlich vom Ekel nicht abhalten laſſen, auf die wichtige Rolle zu ſehen, welche die mumia spiritualis in24 der Geſchichte des Aberglaubens und des Gaunerthums ſpielt. Jn allen alten Zauber - und Gaunerbüchern figurirt dies Mittel, den Teufel zu bändigen und abzufertigen, der in ſeinem ohnmäch - tigen Grimm, namentlich wenn er davon fahren muß, auch ſeiner - ſeits damit zu imponiren ſucht. Dieſes Mittel wurde ſchon im früheſten Mittelalter gebraucht, und dies erklärt auch den derben Ausdruck für täuſchen oder betrügen, deſſen auch Luther häufig und namentlich am Schluß ſeiner Vorrede zum Liber Vagatorum ſich bedient, und der noch heute im ſüdlichen Deutſchland volks - gebräuchlich iſt. 1)Eine ähnliche Analogie findet bei dem Ausdruck beſefeln ſtatt. Jm Zuſammenhang damit ſteht auch das hebräiſche〈…〉〈…〉 (schess), das Geſäß (Schos); ſ. das Wörterbuch.Sogar wurde die ekle Materie mit dem ganzen Ernſt und Ton der Wiſſenſchaft von Aerzten abgehandelt2)z. B. in Dr. J. Chriſtiani Francisci Paullini Heylſame Dreckapo - theck (1687 und in mehreren ſpätern Auflagen), worin vom Verfaſſer mit rohem und beſchränktem Wiſſen die mumia spiritualis als das rechte Ge - heimniß, alle Zauberſchäden zu heylen u. ſ. w. abgehandelt wird. Auffallend iſt das S. 263 von Luther und S. 263 von Dr. Bugenhagen (Pommeranus) angeführte Beiſpiel, ſowie S. 258 die Cur eines von Liebe gegen eine feile Perſon entbrannten Cavaliers. Von der weiten Verbreitung dieſer abergläu - biſchen Doctrin gibt noch einen überraſchenden Beleg die Sammlung medi - ziniſcher Recepte einer hohen Frau, der Herzogin von Troppau, Eleonore Marie Roſalie, Freywillig Auffgeſprungener Granat-Apffel des Chriſtlichen Samaritans (Wien 1715, u. in mehreren Auflagen erſchienen). Das Werk, in welchem alle Thiergattungen zur Pharmakopöe herbeigezogen werden, endet ſogar mit einem Kochbuch, welches 531 Küchenrecepte enthält. Noch merk - würdiger ſind die auf dem papierdurchſchoſſenen Exemplar, welches ich beſitze, offenbar von ärztlicher Hand herrührenden, handſchriftlichen Zuſätze, Recepte und Bemerkungen, die ſogar über das Jahr 1768 hinausreichen., und hat noch lange, bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts, An - hänger unter den Aerzten gefunden. Auch noch heutigen Tags hat der Koth bei dem gemeinen Volke eine nicht geringe Aucto - rität als Hausmittel.

Dieſe mumia spiritualis ſpielt aber noch heutigen Tags, mindeſtens im nördlichen Deutſchland, dieſelbe weſentliche Rolle im Aberglauben der Gauner, wie man ſie in ältern Acten vielfach angedeutet findet. Bei Einbrüchen, beſonders auf dem Lande, die25 von profeſſionirten Dieben verübt ſind, trifft man faſt immer in der Nähe der Einbruchſtelle auf friſche menſchliche Excremente. Die Gauner haben den Glauben, daß die Schläfer im an - gegriffenen Hauſe nicht erwachen, und daß der Einbruch überhaupt nicht bemerkt und geſtört wird, ſo lange die Excremente noch die animaliſche Wärme haben. Die Wahrnehmung iſt in neueſter Zeit wieder häufig gemacht worden. 1)Sie ſcheint vernachläſſigt worden zu ſein, obgleich auch ſchon Falken - berg, a. a. O., I, 30, hierauf aufmerkſam gemacht hat, mit der Bemerkung, daß die Gauner auch noch einen Topf oder Hut anwendeten zur Bedeckung und Warmhaltung der Excremente.Die oben in der Note erwähnten, im Jahre 1844 hingerichteten ſtockelsdorfer Raub - mörder hatten dieſelbe Vorbereitung gemacht. Jn meiner bewegten Praxis weiß ich nur ſehr wenig Fälle auf dem Lande, wo ich nicht bei der Localinſpection dieſelbe Wahrnehmung hätte machen müſſen.

Endlich muß, der weiten Verbreitung wegen, noch erwähnt werden, daß der ſcheußliche Aberglaube, durch Beiſchlaf und Be - rührung jungfräulicher Perſonen, namentlich noch unreifer Mäd - chen, von der Syphilis befreit zu werden, ebenſo tief im Gauner - thum wie im gemeinen Volk haftet, und daß in der Geſchichte des Gaunerthums bis zu dieſer Stunde die Fälle von ſchänd - lichen, oft tödlich verlaufenden brutalen Mishandlungen leider nicht die ſeltenſten ſind.

Ueber andere Formen des Aberglaubens vergleiche man Grimm’s Deutſche Mythologie , S. 639 fg., 689, und im Anhange S. xxix clxii, wo ſich des Jntereſſanten viel findet. Specielleres wird bei der Wahrſagerei, Kap. 69 u. fg., ab - gehandelt werden.

Der Beſitz ſo vieler Hülfsmittel, Fertigkeiten, Geheimniſſe und die vielen glücklichen Erfolge und Erfahrungen bringen im Gauner ferner eine ſehr ſtarke Eitelkeit und Prahlſucht hervor, mit der er ſchon überhaupt geringſchätzig auf den Nichtgauner, den Hautz, Kaffer, Wittſchen, Wittſtock u. ſ. w. herabſieht. Wie26 ſchon in mehreren Beiſpielen erzählt iſt, geht auch die Prahlerei der einzelnen Gruppen gegeneinander, und die Renommiſterei der einzelnen Gruppenmitglieder unter ſich in das Unglaubliche, und hat zum Theil zu verwegenen Wettkämpfen, aber auch zu den grauſamſten und blutigſten Händeln der Gauner untereinander Anlaß gegeben. Einer ſucht es dem andern zuvor zu thun, um als größerer Meiſter zu erſcheinen. Der Unentſchloſſene, Zaghafte wird als Hauhns verhöhnt und ſelbſt gemishandelt, ja, wie frühere Fälle beweiſen, als unbrauchbar und gefährlich beiſeite geſchafft. So ſind lediglich aus Prahlerei eine Menge ſchmählicher Mordthaten verübt worden, die keineswegs zu den beabſichtigten Räubereien oder Diebſtählen verabredet, nöthig oder dienlich waren. So erhielt Matthias Weber den Spitznamen Fetzer, weil er bei allen Räubereien wie ein Wüthrich bramarbaſirte, und alles zerfetzen wollte. Selbſt im Gefängniß, im Verhör, wie ja Thiele frappante Fälle genug anführt, verläßt den Gauner die Eitelkeit und Prahlerei nicht. Die Schwäche iſt ſo groß, daß der Gauner dadurch dem beſonnenen Jnquirenten eine wichtige Waffe gegen ſich in die Hand gibt, obſchon es auch hierbei der größten Vor - ſicht bedarf, da mancher Gauner ſogar ſo weit von der Eitelkeit ſich hinreißen läßt, daß er ſich Thaten berühmt, an denen er ent - weder nur geringen oder vielleicht gar keinen Antheil gehabt hat, ſobald nur die That pikant und mit ſchlauer Gaunerkunſt aus - geführt war. 1)Auch darin iſt große Vorſicht anzuwenden, daß man über das Ge - ſtändniß einer ſolchen That die Erforſchung anderer Gaunereien, die der geübte Gauner durch jenes renommiſtiſche Geſtändniß zu verdecken ſucht, nicht hintenan ſetzt.

Mit dieſer Eitelkeit und Prahlſucht iſt der Hang zur wider - ſinnigſten Verſchwendung verbunden, die wieder theils aus der brutalen Genußſucht und Lebensluſt des rohen Gauners, theils aber aus der Eigenthümlichkeit ſeiner Erwerbsweiſe ſich erklärt. Wenn der Gauner nicht einmal den vom Rechte geſchützten Beſitz anderer achtet, wieviel weniger hat er Achtung vor dem Beſitz27 überhaupt und vor dem eigenen Beſitz, den er nur mit dem Wag - niß des raſchen Unternehmens, ohne langwierige ſaure Arbeit er - wirbt. Er genießt nicht den Beſitz, ſondern er bewältigt ihn wie ein Hinderniß an ſeiner weitern gauneriſchen Thätigkeit, und trägt dabei ſeiner rohen Sinnlichkeit volle Rechnung. Dieſer Zug und die bewußte Nothwendigkeit, des verrätheriſchen Diebſtahlsobjects ſo raſch als möglich entledigt zu ſein, beſtimmt den Gauner, das geſtohlene Gut ohne langen Handel an die Schärfenſpieler, die als ſichere Vertraute ſeinem Schritt und Tritt folgen, häufig für ein Spottgeld zu verkaufen, wenn er es nicht in äußerſt mannichfacher geſchickter Weiſe kawure gelegt hat, wo dann die Noth des Augen - blicks nicht drängt und Zeit zu einem vortheilhaftern Handel ge - wonnen wird. Das fataliſtiſche Sprichwort: Unrecht Gut ge - deiht nicht gut hat ſomit bei dem Gauner auch eine innere Noth - wendigkeit. Am Ausgeben erkennt man überhaupt, wie der Menſch den Erwerb verſteht. Der ſolide reiche Mann bringt der Sphäre, in welcher er lebt, genau ſoviel an pecuniären Opfern, wie ihm die wohlbegriffene Nothwendigkeit vorſchreibt, um ſich auf dieſer Sphäre zu halten. Dies Maß iſt ihm natürlich und indivi - duell, und verleiht ihm daher die natürliche volle Würde des reichen Mannes. Der als vornehmer Herr reiſende Gauner macht aber umgekehrt glänzende Ausgaben, um damit die Würde zu gewinnen. Er verſteht das Ausgeben nicht, weil er nicht mit jener Natür - lichkeit und jenem Takt ausgibt, mag er ſonſt noch ſo ſehr die Formen der höhern ſocialen Sphäre ſich angeeignet haben. Eine einzige ungeſchickte Ausgabe verräth den Gauner an den Polizei - mann, der jenes Maß kennt und zu beobachten und zu würdigen weiß. Bei jener Haſt des Erwerbs, des Beſitzes und Verthuns beſtimmt des Gauners rohe Sinnlichkeit ihn, alles zuſammen zu raffen, um in Maſſe zu genießen, was ihn durch den Mangel an Maß, Wahl und Wechſel mehr betäubt als erfreut. Daher die brutalen Orgien und die ſchändlichen Laſter in den Cheſſen - pennen, in die der Blick des Polizeimanns nur ſelten fallen kann, da dieſe Cheſſenpennen, deren Jnhaber vertraute Freunde und Genoſſen der Gauner ſind, unter dem Schein ſchlichter ehrbarer28 Bürgerlichkeit leben und beſtändig deren vollſten Schutz auf die empfindlichſte Weiſe in Anſpruch nehmen, zu verſteckt und ſelbſt bei der ſorgfältigſten Vigilanz ſehr ſchwer zu entdecken ſind. 1)Gerade in unbedeutenden Städtchen und Flecken, denen man kaum irgenderheblichen Verkehr zumeſſen ſollte, ſind verhältnißmäßig mehr Gauner - herbergen zu finden, als in größern Städten. Die Wirthe haben und halten den guten Schein ſo für ſich, daß ſelbſt bei dem beſtimmteſten Nachweis von außen her die Behörde dieſer kleinen Ortſchaften anfangs keinen rechten Glauben haben, bis denn eine energiſche Nachforſchung die Enttäuſchung her - beiführt. Ebenſo ſind es nicht immer einzeln gelegene Hirtenhäuſer, ſondern häufig mitten in Dörfern gelegene Behauſungen, wohin ſich der gauneriſche Verkehr auf dem Lande zieht.Daher die freche Völlerei ſogar bei den Diebſtählen ſelbſt, bei denen ſie in den Häuſern der Beſtohlenen die gefundenen Lebens - mittel und Getränke ohne Wahl durcheinander mit brutaler Gierig - keit verſchlingen und ſich der Gefahr ausſetzen, in ſinnloſer Trun - kenheit, wie davon ſchon Beiſpiele angeführt ſind, entdeckt und verhaftet zu werden. Daher die volle Rechnung, welche des Gauners rohe Wolluſt in den Bordells findet. Jn dieſen Orten, wo die Schande der Brutalität dient, iſt die einzige Legitimation und Wahl das Geld. Auch der ſchmuzige oder häßliche Gaſt iſt der mit Plunder und Schminke überzogenen Luſtdirne will - kommen, ſobald er ſein Geld zeigt, um die handwerksmäßig ge - botene Schande für den Genuß zu kaufen. Gerade in dieſen Bordells ſchwelgt der Gauner am liebſten und am meiſten, ſelbſt bis zur Erſchöpfung und bis zum Ruin ſeiner phyſiſchen Exiſtenz, weil er hier am ſicherſten ſchwelgen kann. Wenn auch nicht die Scham, ſo ſchreibt die gebotene Ordnung doch die Heimlichkeit des Genuſſes vor, und ſomit ſchläft der Gauner in den Armen der Luſtdirne mit behaglicher Sicherheit, während die für die Mel - dung jedes einzelnen Fremden ſtrenge verantwortlichen Gaſtwirthe keinen Gaſt, ohne Legitimation und Meldung bei der Polizei, aufnehmen dürfen. Dieſe Sicherheit der Bordells bietet den Gaunern ein verläſſiges Aſyl, und wenn auch ſchon ganz beſon - ders die Geſchichte der Rheiniſchen Räuberbanden zum Ueberfluß29 die Bordells als Hauptherde des Gaunerthums nachweiſt, ſo hat die, wenn auch in der Sanitätscontrole ſtrenge Polizei noch immer keine beſſere oder mindeſtens keine der in den Wirths - häuſern geübten gleichkommende Gaſtcontrole in den Bordells finden können, weil ſie in der Erkenntniß des weit verbreiteten ſittlichen Siechthums, dem ſie nicht mit allen ihren Mitteln ent - gegenzutreten wagt, fürchten muß, heute eine Reſpectsperſon in den Armen einer Luſtdirne zu finden, in denen geſtern ein ſteck - brieflich verfolgter Gauner gelegen hat. Aus dieſem Mangel an Verbindung der Sanitätspolizei mit der Sicherheitspolizei iſt der eclatante Fall bekannt geworden, daß in einem gewiſſen Orte eine ſteckbrieflich verfolgte Luſtdirne Monate lang in einem Bordelle ihre ſichere Zufluchtsſtätte fand. Dieſelbe Genußſucht führt auch die Töchter von Gaunern, ehe ſie ſich dem unſteten und beſchwer - lichen Vagantenleben ergeben, bei dem erſten Erwachen der Sinn - lichkeit in die Bordells, oder wo das Geſetz eine Bordellmündig - keit vorſchreibt, in die gefährlichen Winkelbordells, in denen ſogar alle Sanitätscontrole zum Schutz beider Geſchlechter fehlt. Jn den Bordells, wo mancher heimliche Gaſt den erlittenen Verluſt lieber verſchmerzt als denuncirt, findet die vielfach auch mit Gaunern in directer Verbindung ſtehende Luſtdirne reichliche Ge - legenheit, für die handwerksmäßige Hingebung ſich außer der Taxe noch durch Betrug und Diebſtahl zu entſchädigen, bis ſie am Ende misliebig, abgenutzt oder ruinirt und mit Schulden über - häuft, vom fühlloſen Bordellwirth entlaſſen, von der Polizei aus - gewieſen und ſomit zum Vagantenthum übergeführt wird, mit welchem erſt die eigentliche Gaunerlaufbahn beginnt. Wer ſich zum feſten Grundſatz gemacht hat, alle eingebrachte Vagantinnen ohne Ausnahme1)Noch ganz kürzlich iſt mir eine Dappelſchickſe von 63 Jahren vor - gekommen, welche abends auf öffentlichen Promenaden Männer anhielt und ſyphilitiſch befunden wurde. Aus dem Umherſtreifen liederlicher Weibs - perſonen im Freien erklärt ſich auch, daß im Sommer die Syphilis weit ärger hauſt, als im Winter. einer ärztlichen Unterſuchung zu unterwerfen,30 wird bald Aufſchluß darüber bekommen, wo weſentlich die Pro - paganda der jetzt auch auf dem Lande mehr und mehr um ſich greifenden Syphilis ſteckt, und wie theuer mancher reiche Bauer - burſche ſeine Prahlerei, mit einer feinen Mamſell oder feinen Kunſtmacherin ſchön gethan zu haben , bezahlen muß.

Bei der Entſittlichung des Gaunerthums kann ſchwerlich von irgendeiner Religiöſität die Rede ſein. Die namentlich im 17. und 18. Jahrhundert von Geiſtlichen vielfach nicht ohne Selbſt - gefälligkeit dargeſtellte Reue und Bußfertigkeit zum Tode verur - theilter Räuber und Gauner erſcheint meiſtens nur als mürbe Verzagtheit, die nicht durch den reumüthigen Rückblick auf das vergangene ſündige Leben, ſondern durch den Hinblick auf das nahe Schaffot geweckt wurde. Man findet Gauner bei Proceſ - ſionen, Wallfahrten, in dichtgefüllten Kirchen, um Diebſtahls - gelegenheiten zu erſpähen; man findet bei Gaunern Roſenkränze, man ſieht ſie beten in den Kirchen, aber Roſenkranz und Gebet iſt der Schein, unter dem der Gauner ſeinen erkorenen Opfern näher zu rücken ſucht, um ſie zu beſtehlen. Jn den Kirchen be - finden ſich ebenſo wol wie an Aborten die Stätten und Zeichen, an denen die Gauner ihre geheimen Verabredungen auf die man - nichfaltigſte Weiſe treffen. 1)Schon im Mittelalter hatten beſonders die franzöſiſchen Gauner in irgendeinem Winkel der beſuchteſten Kirchen von Thon zuſammengedrückte Würfel liegen, welche der zuerſt in die Kirche kommende Gauner ſo hinlegte, daß die Eins oben ſtand. Der zweite kehrte den Würfel auf Nummer zwei und ſo fort, damit jeder Nachfolgende wußte, wie viele Kameraden der Ge - noſſenſchaft ſich in dem Gedränge zur Ausführung der verabredeten Gaunerei eingefunden hätten.Um des Scheines willen gehen manche Gauner zur Beichte und zum Abendmahl, nebenbei aber auch oft wirklich um Abſolution zu erhalten für künftige Diebſtähle. Ja die Fälle ſind nicht ſelten, wo Gelübde gethan werden2)Bezeichnend iſt die Aeußerung des zu Buchloe hingerichteten Gottfried Frei ( Sulzer Liſte , 1801, S. 71): Unſer lieber Herr Gott und liebe Mutter Gottes ſollen ſo große Helfer und Fürbitter ſein; dieſe thun uns aber nie in ein Bauernhaus, Wirthshaus oder Amtshaus, wo viel Geld iſt, helfen. für das31 glückliche Gelingen einer verabredeten Gaunerei. Merkwürdig genug werden dieſe Gelübde pünktlich erfüllt, wie aus Furcht, daß auch vom Heiligen der Contract nicht gehalten werden könne. Ein intereſſantes Beiſpiel ſind die Gelübde des Manne Friedrich bei Pfiſter, deren ſchon früher erwähnt iſt.

Die Geſchichte des Gaunerthums wimmelt von Beiſpielen, daß Gauner, welche zum Tode verurtheilt und auf den letzten geiſtlichen Troſt und Zuſpruch angewieſen waren, gar und ganz keine Kenntniß vom chriſtlichen Glauben, von den Geboten und den verſchiedenen Confeſſionen hatten. So kommt es nicht ſelten vor, daß ein ſolcher armer Sünder einen katholiſchen, dann einen proteſtantiſchen Geiſtlichen, zuweilen beide zugleich, ja ſogar dazu noch einen jüdiſchen Rabbiner verlangte, und dann wieder alle drei verwarf. 1)Auch Damian Heſſel verlangte, nachdem er unter Fluchen und Toben ſein Todesurtheil angehört hatte, einen Rabbiner, um als Jude zu ſterben, verſprach dem Unterſuchungsrichter in nächſter Mitternacht nach ſeinem Tode zu erſcheinen, und ſprach von dem Geſetze der Natur, nach welchem er gelebt habe und auch ſterben wolle u. ſ. w. Vgl. Rebmann, Damian Heſſel , S. 106 (dritte Auflage). Borgener, von der Wetterauer Bande, ſagte im Verhör am 22. Mai 1812, über ſeine Religion befragt: Mit Religion habe ich mich nicht viel abgegeben. Jch weiß von Religion eigentlich nur ſoviel, daß ich kein Jude bin. Grolman, a. a. O., S. 422. Aehnliche Beiſpiele von ſittlicher Roheit gibt es eine große Menge, und gerade in jetziger Zeit ſieht man in erſchreckender Weiſe, daß der rohe Materialismus wie ein ſen - gender Wüſtenwind über Sitte und Religion hinfährt und den Boden nivel - lirt, als ob man an der Urbarkeit dieſes unſers Bodens verzweifeln ſollte.Dieſe tief in das Mittelalter zurückreichende und noch heutigen Tages zu machende Wahrnehmung iſt nicht nur in ſitten - geſchichtlicher, ſondern ganz beſonders in ſprachgeſchichtlicher Hin - ſicht merkwürdig. Bei aller Fügigkeit und Behendigkeit des jüdi - ſchen Volks, ſich die ihm auch am entfernteſten liegenden Volks - eigenthümlichkeiten anzueignen, hat es doch die Grundzüge ſeiner urſprünglichen Eigenthümlichkeit mit aller Zähigkeit feſtgehalten. Der das ganze bürgerliche und häusliche Leben des Juden beherr - ſchende religiöſe Cultus namentlich iſt auch von den jüdiſchen2)Die Walachen haben die ſtehende Redensart, daß die Kirche der Zigeuner von Speck gebaut und von den Hunden gefreſſen ſei .32 Gaunern niemals, wie der chriſtliche Cultus von chriſtlichen Gau - nern, misachtet worden. Jn der Gemeinſchaft dieſer ſchmuzigen Elemente mit den jüdiſchen haben letztere, wenn auch von erſtern mit aller Roheit und Verachtung angeſehen, doch in der conſe - quenten Beobachtung ihrer religiöſen Gebräuche eine ſo entſchiedene Wirkung auf jene gehabt, daß, wenn auch dadurch die gleich tief verſunkenen ſocialen Verhältniſſe beider Factoren gewiß nicht ge - hoben werden konnten, doch ein ſehr bedeutender Einfluß der jüdiſchen religiöſen Cultusweiſe auf das geſammte chriſtliche Gaunerthum ſich geltendmachte, ſodaß, wenn irgendeine Cultus - form an dem geſammten deutſchen Gaunerthum bemerklich wird, dieſe Form vorherrſchend die jüdiſche iſt1)Merkwürdig iſt das in dieſer Hinſicht von Thiele aus der Löwenthal - ſchen Unterſuchung mitgetheilte Begehren der chriſtlichen Jnquiſiten, an den Religionsübungen der jüdiſchen Jnquiſiten theilnehmen zu dürfen. Ueber den zum katholiſchen Prieſter beſtimmten und erzogenen Damian Heſſel und ſeinen Genoſſen Streitmatter vgl. das was ſchon oben nach Rebmann, a. a. O., angeführt iſt., wogegen ſich die chriſt - lichen Cultusformen, mit den obenangegebenen geringen Ausnahmen, faſt gänzlich verläugnen. Dadurch wurde auch vielen hebräiſchen und rabbiniſchen Wörtern der Eingang in die geheime Sprache des nach Verſteck und Geheimniß lüſternen Gaunerthums ge - bahnt, und das um ſo eher und mannichfaltiger, als die ſchon conventionell herangebildete jüdiſch-deutſche Sprache ſogar als lite - rariſch abgerundetes Ganzes erſchienen war, und in der deutſchen Nationalliteratur ſich eine bedeutſame Stelle erworben hatte.

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B. Das Geheimniß des Gaunerthums.

1) Das Geheimniß der Perſon.

Drittes Kapitel. a) Die gauneriſche Erſcheinung.

Seitdem die Landespolizei anfing, ſelbſtändig aufzutreten und die beſonders ſeit dem Dreißigjährigen Kriege mit offener Gewalt hauſenden Räuberbanden ernſtlich zu verfolgen, ſieht man, wie das hart bedrohte und bedrängte Gaunerthum ſich immer mehr von der offenen Räubergruppirung entfernt, dafür aber mitten in das Herz aller ſocial-politiſchen Schichten eindringt, und in ihrem Scheine die offene Gewalt mit der geheimnißvollen Kunſt ver - tauſcht. Bezeichnend für dieſen Wechſel und ſeine Zeit iſt, daß gerade in der erſten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der eigene, freilich etymologiſch rohe Kunſtausdruck link , im Gegenſatz von rechts, recht, rechtlich, wahr, vom Gaunerthum erfunden wurde, um die verſteckte Täuſchung auszudrücken. So entſtand Linker, der Fälſcher, Täuſcher, Gauner; Linke-Meſſumen, falſches Geld; Link-Chalfen oder Link-Wechsler, falſcher Wechsler, Dieb beim Geldwechſeln; linken, auf einen Betrug ſpähen, be - obachten, und die ganze Wortfamilie, die man im Lexikon findet. Je mehr die Polizei zur rationellen Wiſſenſchaft hinſtrebte, deſto mehr unternahm dies auch das Gaunerthum mit ſolcher feinen Berechnung und mit ſolchem Erfolg, daß man nur durch die genaueſte Berückſichtigung alles deſſen, was in der hiſtoriſchen Ausbildung aller ſocial-politiſchen Verhältniſſe geſchehen und ge - geben iſt, ſich erklären kann, woher die weite und tiefe Verbrei - tung des Gaunerthums in die heutigen Verhältniſſe gekommen iſt. Schon vor mehr als hundert Jahren zählte der wackere Hönn in ſeinem Betrugslexikon mit dem ganzen Eifer ſittlicher Ent - rüſtung dreihundert verſchiedene Gewerbe und Lebensverhält - niſſe auf, in denen die Verſuchung lauert, und in denen Täuſchung oder Betrug möglich iſt. Jene Verhältniſſe ſind ſeitdem noch vielAvé-Lallemant, Gaunerthum. II. 334zahlreicher und künſtlicher geworden, und liegen noch bunter und wirrer durcheinander. Wenn man jetzt ein Betrugslexikon ſchreiben wollte, ſo würde es eine ungeheuere Encyklopädie geben, die ſelbſt bei der größten und umfangreichſten Ausführlichkeit jährlich mit beträchtlichen Supplementen ergänzt werden müßte. Alle Stände und Berufsarten ohne Ausnahme werden, ſogar auch in den fein - ſten Nuancirungen, vom Gaunerthum repräſentirt; keine Form iſt ſo alt und bekannt, daß ſie nicht immer wieder und mit neuer Täuſchung ausgebeutet würde. Es hilft wenig, daß der vorzüg - lichſte Vorſchub gauneriſcher Bewegung, das handelsmänniſche Reiſen, ſo ſehr beſchränkt und überaus ſcharf controlirt wird: der Handel hat zu viel Strömungen, als daß man dieſe bändigen könnte. Je mehr man aber auf Koſten und zur Beläſtigung des Verkehrs, deſſen Beſchränkung ſtets auch eine Mitleidenſchaft des reellen Ganzen mit ſich führt, die Handelsbewegung controlirt, deſto behender ſpringt das Gaunerthum auf andere Verkehrsformen über. So iſt es gekommen, daß das Zunftweſen, welches Jahr - hunderte lang der Anhalt der ſittlichen Volksentwickelung geweſen iſt, indem es den Lehrling an Zucht, Ordnung und Gehorſam gewöhnte, und dadurch die Anbildung und Erhaltung des ehr - ſamen Bürgerſtandes mächtig förderte, jetzt, nachdem die vermeint obſoleten Zunftformen der materiellen Richtung und freien Be - wegung haben weichen müſſen, und damit auch das ſittlich-ge - ſunde innere Weſen der Zünfte geſchwunden iſt, zum hauptſäch - lichen Verſteck des Gaunerthums dient, das in reiſenden Hand - werksburſchen und zu Fabrikarbeitern herabgeſetzten Zunftgeſellen ſeine Jünger auf die Landſtreicherei, anſtatt auf die ehrbare Wan - derſchaft ausſendet, und ſchon lange die Stimmen ernſter Mahnung geweckt hat, welche vergebens in dem Tumult des wüſten Ver - kehrslebens verhallen. Bei dem durch die Eiſenbahnen mächtig geförderten Fremdenverkehr in Wirthshäuſern zählt das Gauner - thum eine überaus ſtarke Jüngerſchaft in Kellnern, Hausknechten und Stubenmädchen, die den unrechtfertigen Erwerb ſchon durch ihre oft ſinnloſe Vergeudung und Putzſucht verrathen. Neben dieſem Zunft - und Domeſtikenproletariat iſt das Gelehrten - und35 Künſtlerproletariat im Gaunerthum am ſtärkſten vertreten, ſodaß das fahrende Schülerthum des Mittelalters in ſeiner ganzen Aus - dehnung wieder aufgelebt zu ſein ſcheint. Nicht nur daß der Polizeimann ſich mit allen vier Facultäten herumſchlagen muß, um ſogar im Doctor der Philoſophie und Profeſſor der Theologie den Gauner zu entlarven, er muß auch den Nimbus und die Staffagen aller Künſte und Gewerbe durchdringen, um auf Gauner aller Art zu gerathen, und hat doch dabei alle feinen Rückſichten vorſichtig zu beobachten, die in den prätendirten ſocialen Formen ihm entgegengeſchoben werden. / Dieſe Rückſichten nimmt das in Gouvernanten, Geſellſchafterinnen und Offiziers - und Beamten - witwen jetzt beſonders ſtark vertretene weibliche Gaunerthum vor - züglich in Anſpruch, wobei oft ſchmerzlich zu bedauern iſt, daß alles, was weibliche Feinheit, vorzügliche Erziehung und Bildung an Rückſicht und Achtung verdient, an der verdorbenſten gaune - riſchen Geſinnung und Führung verloren gegangen iſt. Nicht mehr der Hauſirer, nicht der in Lumpen gehüllte vagirende Bettler, nicht mehr der Keſſelflicker, Scherenſchleifer, Leiermann, Puppen - ſpieler und Affenführer allein iſt es, der die Sicherheit des Eigen - thums gefährdet: alle äußern Formen des ſocial-politiſchen Lebens müſſen zur Maske der gauneriſchen Jndividualität dienen.

Zwei Factoren ſind es beſonders, welche in neuerer Zeit dem perſönlichen Verſteck und der Beweglichkeit des Gaunerthums großen Vorſchub leiſten: die Eiſenbahnen und das Paßweſen. Die Eiſenbahnen heben die Entfernung und Räumlichkeit auf. Was früher bei den beſchränktern Communicationsmitteln ſich nur langſamer dem Auge der wachſamen Polizei entziehen und darum immer wieder leichter zurückgeführt werden konnte, taucht plötzlich an einem entfernten Orte als völlig unverdächtige Erſchei - nung auf, kann ſich als ſolche frei bewegen und ebenſo raſch wieder entfernen. Jn der Paßgeſetzgebung hat es trotz aller bis an das Ungeheuerliche grenzenden Ausführlichkeit und peinlichen Genauig - keit, welche Reiſende und Controlbeamte gleichläſtig drückt, noch immer nicht gelingen wollen, in den Päſſen Urkunden herzuſtellen,3*36in denen die beurkundende Behörde und der beurkundete Paß - inhaber mit voller Verläſſigkeit beglaubigt iſt. Dieſer offenliegende Mangel hat ſchon lange im Gaunerthum eine eigene Kunſt, das Fleppenmelochnen hervorgerufen, welche die vorhandenen Mängel ſo lange ausbeuten wird, bis ſie durch entgegenwirkende Paßein - richtungen, mit welchen die neueſte preußiſche Polizeigeſetzgebung beſonders glückliche Anfänge gemacht hat, paralyſirt wird. Es wird von dieſer Kunſt und von den Mängeln, auf denen ſie auf - gebaut iſt, in einem eigenen Kapitel (88) geredet werden. Selbſt bei der unzweifelhaften Echtheit und Unverfälſchheit der Paß - urkunde und der völlig bewieſenen Berechtigung des Jnhabers zu ihrer Führung iſt doch noch immer keine Sicherheit der Perſon, welche den Paß führt, gegeben, da nur die äußere Erſcheinung, in welcher der Jnhaber auftritt, oder in welcher er der ausſtel - lenden Behörde legitimirt oder bekannt iſt, beglaubigt wird, wobei kaum in irgendeiner Weiſe oder durch ein Geheimzeichen die Ver - dächtigkeit eines Jndividuums angedeutet werden kann, ob nicht ſeine Erſcheinung die bloße Larve einer ganz andern Jndividuali - tät iſt. Dieſe große Schwierigkeit und Bedenklichkeit iſt es, welche die ſcharfe und ſo überaus läſtige Paßcontrole einigermaßen recht - fertigt, obſchon es aber auch immer angemeſſener erſcheint, auch den abgehenden Reiſenden mindeſtens ebenſo ſcharf zu contro - liren, wie den ankommenden. Die Ungleichheit dieſer Con - trole wird recht unmittelbar an und neben den Eiſenbahnen aus - gedrückt durch die Telegraphendrähte, die an ihrem Auslaufe un - zählige mal ſchon das gut gemacht haben, was bei ihrem An - fange verfehlt war.

Die Controle in der Heimat und die Unverdächtigkeit in der Ferne iſt der Hauptanlaß, weshalb das Gaunerthum in ſteter Beweglichkeit iſt, um unter dem bürgerlichen Scheine, fern von der hinderlichen Beobachtung, ſeiner verbrecheriſchen Thätigkeit nachzugehen. Wie trüglich der bürgerliche Schein iſt, in welchem ſogar ein Gauner mit dem andern unerkannt zuſammentreffen kann, beweiſt das bei Thiele, a. a. O., II, 169, erzählte Beiſpiel des Schmulchen Frankfurter, der einmal im Gaſthofe zu Helm -37 ſtädt in das Zimmer eines daſelbſt logirenden emigrirten hollän - diſchen Kanonikus brach und aus dem Koffer deſſelben 125 Louis - dor nebſt einer Menge Prätioſen ſtahl, im Koffer aber auch einige Terzerols, eine zur Säge zugerichtete Uhrfeder, ein Brecheiſen, vier Ennevotennekäſtchen und mehrere bezeichnete Gelddüten acqui - rirte, in welchem ſich ſtatt des notirten Geldes 46 ſauber gearbeitete Dietriche vorfanden. Dieſe Beweglichkeit und Trüglichkeit des Gaunerthums rechtfertigt die ſtrenge Controle der Wirthshäuſer, bei der jedoch die Wirthe leider in den wenigſten Fällen der Po - lizei behülflich ſind, bis ſie für ſich ſelbſt Gefahr vom Gaſte wittern, oder ſchon von ihm hintergangen ſind. Auch eludirt die Polizei ſelbſt ihre Fremdencontrole ſehr weſentlich durch die Unter - laſſung einer auch auf die Bordells ſich erſtreckenden Gaſtcontrole. Würden aus allen Wirthshäuſern die Beobachtungen, welche die Wirthe zu machen Gelegenheit haben, der Polizei kund, ſo würde dem Gaunertreiben weſentlich mehr Einhalt gethan werden können. So aber ſpeculiren die Gauner mit Sicherheit auf die Erwerbs - luſt der Wirthe, und laſſen gerade in Wirthshäuſern ſo viel auf - gehen, daß ſchon durch das Uebermaß der Verdacht rege werden müßte. Je mehr die Controle auf den Eiſenbahnhöfen gegen die Ankommenden verſchärft wird, deſto mehr entzieht ſich der Gauner dieſer Controle dadurch, daß er eine oder ein paar Stationen vor dem Ausgangspunkt ſeiner Reiſe die Bahn verläßt, und im un - ſcheinlichen Fuhrwerk1)Auch die ihren Urſprung wol von den Marketenderfahrzeugen der letzten franzöſiſchen Kriege datirenden Agolen, mit und ohne Michſe (Plan), kommen, bei der weſentlich auf die Bahnhöfe gerichteten Aufmerkſamkeit der Polizei, mehr als in der Zeit unmittelbar vor der Entſtehung der Eiſenbahnen, wo ſie nur noch ſparſam geſehen wurden, wieder zum Vorſchein. Auf meinen amtlichen Fahrten in enclavirten Gebietstheilen habe ich des Nachts häufig Gelegenheit gehabt, auf Wald - und Feldwegen den unheimlichen Fuhrwerken zu begegnen, deren Führer in geheimnißvoller Geſchäftigkeit vorüberfahren., auch mit der vernachläſſigten Fahr - oder Omnibuspoſt einfährt, oder auch zu Fuß ſeinen Einzug hält. Der Controle auf der Landſtraße entgeht der verdächtige Gauner dadurch, daß er den Weg ganz beſonders auf oder neben den Eiſenbahn -38 tracten einſchlägt. Vor nicht langer Zeit geſtand mir ein aus dem Zuchthauſe eines Nachbarſtaats ausgebrochener gefährlicher Räuber, daß er größtentheils am lichten Tage in der kenntlichen Züchtlingskleidung eine ſechs Meilen lange Strecke auf und neben der Eiſenbahn zu Fuß zurückgelegt hatte, bis er im Abenddunkel ſich bei einem Trödler andere Kleidungsſtücke kaufte, mit denen er ſeinen Einzug in Lübeck hielt, wo er in einem Wirthshauſe zur Haft gebracht wurde.

Viertes Kapitel. b) Die Simulationen.

Der ſchärfſte Ausdruck der Sicherheit und Verwegenheit, mit welcher das verkappte Gaunerthum ſich mitten im ſocial-politiſchen Leben bewegt, iſt die vermeſſene Simulation von Krankheiten und Gebrechen1)Schürmayer, Lehrbuch der gerichtlichen Medicin (Erlangen 1854), rechnet §. 532 zu den Krankheiten, welche der Erfahrung zufolge Gegen - ſtand der Simulation zu ſein pflegen: Fieber, Hautausſchläge, Geſchwüre, ſtinkende Ausdünſtung, Epilepſie, Veitstanz. Starrſucht, Tetanus, Krämpfe und Convulſionen, Waſſerſcheu, Schlafſucht, Nachtwandeln, Ohnmacht und Scheintod, Schmerzen, Lähmung, Verkrümmung der Wirbelſäule, Contrac - turen der Extremitäten, Hinken, krummer Hals, Kopfgrind, Augenentzündung, Störung des Sehvermögens, Schwerhörigkeit und Taubheit, Stammeln, Stimm - loſigkeit, Stummheit, Verſtümmelung der Zunge, Taubſtummheit, Kropf, be - ſchwerliches Schlucken, Blutſpeien, Lungenſchwindſucht, Herzkrankheiten, Er - brechen und Wiederkäuen, Blutbrechen, Ruhr und Durchfall, Gelbſucht, Auf - treibung des Unterleibes, Eingeweidebrüche, Hämorrhoidalknoten, Umſtülpung des Afters, Afterfiſteln, Lähmung des Afterſchließmuskels, Unvermögen den Harn zu halten, Blutharnen, Strictur der Harnröhre, Waſſerbruch des Scro - tums, Steinkrankheit. , mittelſt welcher der Gauner es wagt, die all - gemeine Aufmerkſamkeit abſichtlich auf ſeine äußere Erſcheinung zu lenken, um unter dieſer Maske die gauneriſche Jndividualität deſto ſicherer zur Geltung zu bringen. Dieſer verwegene Betrug iſt ſo alt, wie die chriſtliche Barmherzigkeit, auf die er von An -39 beginn an ſpeculirt hat. Ueber dieſen Betrug klagt ſchon der heilige Ambroſius in ſeinen Briefen an den Symmachus; ſchon die Kapitularien warnen vor den Betrügern: qui nudi cum ferro prodeunt; der Liber Vagatorum zeichnet eine Menge ſimulanter Siechen; die Epilepſie, das böſe Weſen wurde in der Zeit der wüthenden Hexenverfolgungen als Betrug geahnt, und als Teu - felswerk mit Exorcismus oder dem Scheiterhaufen paralyſirt, während die Kinder der Gauner im vorigen Jahrhundert abge - richtet waren, ebenſo geſchickt den Taubſtummen zu ſpielen, als auf die Pille zu ſchnorren , wie der bekannte Gauner, welcher noch heutiges Tags unter der Larve eines Gärtners ſchon ſeit mehreren Jahren ganz Deutſchland durchzieht, und von der ſimu - lirten Epilepſie ſeinen ganzen Lebensunterhalt zieht.

Fünftes Kapitel. α) Die körperlichen Entſtellungen und künſtlichen Merkmale.

Das gauneriſche Jntereſſe macht es für den Gauner zur Hauptaufgabe, ſeine äußere Erſcheinung ſo zu geben, daß, wenn ſie in einer Urkunde polizeilich fixirt und documentirt iſt, ihm doch immer eine Aenderung der perſönlichen Erſcheinung möglich bleibt, um gerade nach der von ihm vorgenommenen Aenderung den Unterſchied ſeiner jetzigen perſönlichen Erſcheinung mit der frühern documentirten darlegen, mithin für eine ganz andere Jndividualität gelten zu können. Die gauneriſche Kunſt hat daher beſonders die in den gedruckten Paß - und Steckbriefſchematen enthaltenen Per - ſonalien zu einem wahren Kunſtkatalog gemacht, an deſſen Ver - vollkommnung ſie raſtlos arbeitet, und mit täglich neuen Verbeſſe - rungen hervortritt. Selbſt die gemeſſene Körperlänge iſt, wie die Erfahrung zeigt, einer Variation fähig. Beſonders gelingt es Weibern, bei nicht ſehr genau controlirter Meſſung die Knie zu beugen und den Körper ſo zuſammen zu drücken, daß eine erheb - liche Abweichung ſtattfindet. Jn den ſechs verſchiedenen ſteckbrief -40 lichen Signalements einer hier zur Unterſuchung gezogenen Gau - nerin fanden ſich Abweichungen zwiſchen der hier und auswärts nach demſelben Maßſtabe gemeſſenen Körperlänge von 3 5 Zoll. Die gewöhnlichen Toilettenkünſte werden vom Gaunerthum in vorzüglicher Weiſe vervollkommt. Die Färbung der Kopfhaare, Augenbrauen, des Barts, die Befeſtigung falſcher Haare geſchieht mit ausgezeichneter Fertigkeit. Auch habe ich Gauner geſehen, welche mit defecten Zähnen ſignaliſirt waren, mit ſo herrlichen künſtlichen, und ſo ausgezeichnet durch Schrauben in den Zahn - wurzeln befeſtigten Zähnen, daß ſelbſt ſehr geſchickte Aerzte damit getäuſcht wurden. Eine hier in Lübeck zur Unterſuchung gezogene Gaunerin hatte früher einmal in der Vorausſicht, daß ihr doch einmal des Entſpringen gelingen werde, ſiebzehn Monate lang mit bewundernswürdiger Conſequenz und Ausdauer eine erhöhte Schulter und einen ſteifen Finger ſo geſchickt ſimulirt, daß ſie ſelbſt den Scharfblick des ſehr erfahrenen Arztes täuſchte, und ſpäter nach zwei Jahren, als ſie wirklich entſprang, in weiter Ent - fernung entdeckt und nach jenen beſondern Kennzeichen be - ſchrieben wurde, die zu ihrer Captur requirirte auswärtige Behörde ſo vollſtändig zu hintergehen wußte, daß ſie auf freien Fuß bleiben und ſich davonmachen konnte. Dieſelbe Perſon hatte ihre defecten Haare und Zähne ſo ausgezeichnet ergänzt, wie es in ähnlicher Vollkommenheit nicht leicht wieder nachgeahmt werden kann. 1)Vgl. den intereſſanten Fall 28, S. 90 u. 107, in Johann Ludw. Kasper’s herrlichem Handbuch der gerichtlich mediciniſchen Leichen-Diagno - ſtik. Nach eigenen Erfahrungen. Mit einem Atlas von neun colorirten Tafeln (Berlin 1857). Beſonders vgl. man überhaupt §. 29 33, S. 102 fg. Das ganze Werk iſt für Juriſten und Polizeimänner überhaupt eine äußerſt reiche Quelle der mannichfachſten Belehrung.Sehr häufig vorkommende, vorzüglich aber dann, wenn die zu ſig - naliſirende Perſon ſelbſt darauf aufmerkſam gemacht hat, ver - dächtige, und daher genauer zu unterſuchende, beſondere Kenn - zeichen ſind die vielfach abſichtlich mit Höllenſtein geätzten Muttermale, Leberflecke u. dgl. an Geſicht und Händen, die ſich zur gelegenen Zeit ebenſo leicht wieder entfernen laſſen, wie ſie41 ſich anbringen ließen. Ueberraſchend und ebenſo intereſſant wie wichtig iſt die von Kasper1)Auch über Verſchwinden oder Unvertilgbarkeit von Narben ſowie über die Sichtbarmachung verſchwundener Brandmale werden in ſeinem Handbuch , S. 113 115, höchſt intereſſante Mittheilungen gemacht. Jedoch vermißt man bei Kaspar, wie bei Schürmayer ( Lehrbuch der gerichtlichen Medicin und Handbuch der mediciniſchen Polizei ) und Bergmann ( Medicina forensis ) eine für die Polizeiwiſſenſchaft ſehr wichtige Belehrung über die Möglichkeit der Vertilgung von ſogenannten Leberflecken, Muttermalen und anderer Hautflecken. in Berlin gemachte und nach ihm beſonders von den franzöſiſchen Aerzten Hutin und Tardieu durch zahlreiche Beobachtungen geprüfte Entdeckung, daß Tätowirungen, welche im Leben vorhanden waren, an der Leiche bis zur völligen Unſichtbarkeit ſpurlos verſchwunden ſein können. Noch merk - würdiger iſt die durch eine Menge Unterſuchungen als unzweifel - haft bewieſene Thatſache, daß der Färbeſtoff der Tätowirungen von den Lymphganglien abſorbirt wird, und daß der Färbeſtoff der Tätowirungen am Arme ſich in den Achſeldrüſen unverkenn - bar deutlich wiederfindet, wie ja denn in dem beim Kasper’ſchen Handbuch befindlichen Atlas, Taf. 8, Fig. 25, eine ſolche Achſeldrüſe mit eingeſprenkeltem Zinnober dargeſtellt iſt. So be - hauptet auch derſelbe, a. a. O., S. 118, daß ſchon bei Jndivi - duen, welche erſt vor kurzem tätowirt waren, ſich Zinnober, Kohle u. dgl. in den Lymphdrüſen fand. Ebenſo intereſſant iſt der von ihm, S. 119, mitgetheilte, vollkommen gelungene Ver - ſuch Tardieu’s, Tätowirungen künſtlich ſchwinden zu machen.

Sechstes Kapitel. β) Die Schwangerſchaft.

Die Vorſchützung der Schwangerſchaft2)Mir iſt eine Perſon der Art vorgekommen, die 14 Monate lang an - gab, im achten Monat ſchwanger zu gehen, und darauf hin viel Almoſen und Kinderkleidung zuſammengebracht und letztere verkauft hatte. Vagirende Gaunerinnen ſchützen beſtändig Schwangerſchaft vor, wie die Dutzbetterinnen iſt eine nament - lich von verhafteten Gaunerinnen zunächſt faſt regelmäßig42 geübte Simulation, um aus der ſtrengen Haft und Hausordnung der Unterſuchungsgefängniſſe in die leichtere Detention der Kranken - häuſer überzugehen, in denen das Entſpringen ſehr erleichtert wird, und ſehr häufig gelingt. / Die auch im Gefängniß ebenſo gut anzuſtellende Beobachtung des Arztes muß hier allein ent - ſcheiden, und die Ueberſiedelung darf nur auf die beſtimmteſte An - ordnung des Arztes geſchehen, da die Gaunerinnen mit nichts mehr und feiner Jntriguen ſpinnen, als mit der Debilität der weiblichen Natur. Erfahrene und legitimationslos umherziehende Gaunerinnen ſäugen ihre Kinder ſehr lange, und ſorgen, ſelbſt wenn das Kind geſtorben iſt, dafür, daß ihnen die Milch nicht vergeht, indem ſie auf die Sorgloſigkeit der Behörden, und auf die läſtige Umſtändlichkeit der Kinderverpflegung rechnen, wenn ſie bei einer Verhaftung auf Verdacht angeben, daß ſie im be - nachbarten Orte einen hülfloſen Säugling zurückgelaſſen hätten, wobei denn die allenfalls angeſtellte ärztliche Unterſuchung die Exiſtenz des Säuglings wahrſcheinlich macht, und wozu denn auch wol nöthigenfalls aus der erſten beſten Cheſſenpenne irgendein Kind von den vertrauten Genoſſen zur Aushülfe herbeigebracht wird. Jn ſolcher Weiſe werden nicht ſelten Gaunerinnen über die Grenze geſchoben mit ganz fremden Kindern, für welche ſie keine Mutterliebe haben, und die ſie hinter dem nächſten Bauern - hauſe ausſetzen, wenn ſie ihnen nicht ſogleich von den Lieferanten abgenommen werden.

Siebentes Kapitel. γ) Die Epilepſie.

Eine der am meiſten cultivirten Betrügereien iſt die Simu - lation epileptiſcher Zufälle (Tippel, Pille, Fallſucht). 2)des Liber Vagatorum, weil ſie die Scheu der Behörde vor den Wochenbetten legitimationsloſer Perſonen kennen.43Sie iſt theils ein Mittel, Mitleid zu erregen, und Unterſtützung und Pflege zu erhalten1)Vgl. Eberhardt’s Polizeianzeiger , Bd. 42, Jahrgang 1856, S. 461, Nr. 1672, woſelbſt eins der merkwürdigſten Exemplare der Neuzeit gekenn - zeichnet iſt., theils um bei öffentlichen Gelegenheiten, in Verabredung mit Taſchendieben, die allgemeine Aufmerkſamkeit zu fixiren, und einen Zuſammenlauf zu veranlaſſen2)Vgl. Kap. 21 vom Vertuſſ., theils aber auch im Verhör den plötzlichen Abbruch einer, für den in die Enge getriebenen Gauner gefährlich gewordenen Situation zu bewirken. Eine genaue Kenntniß der Symptome iſt daher weſentlich förder - lich, die Simulation von der Wirklichkeit zu unterſcheiden. Be - ſtimmt und treffend zeichnet Schürmayer, a. a. O., die Unter - ſchiede: Das wirkliche Vorhandenſein der Epilepſie hat immer einen beſondern Ausdruck in den Geſichtszügen, welche den mehr oder weniger deutlich ausgedrückten Stempel von Traurigkeit, Furchtſamkeit und Dummheit an ſich tragen, inſofern die Krank - heit ſchon einige oder längere Zeit dauert, was durch Betrug nicht wohl nachzuahmen iſt. Bei dem wahren Epileptiker zeigt ſich die Neigung der obern Augenlieder ſich zu ſenken, und man bemerkt die Gewalt, die ſich der Epileptiker anthut, um die Augen offen zu halten, wenn er etwas betrachten will; auch ſprechen ſolche Kranke nur ungern von ihrer Krankheit, ſuchen ſie ſogar zu ver - heimlichen. Die ſimulirten Convulſionen ſind ſich, da die Betrüger ihre Rollen gewiſſermaßen auswendig lernen, in allen Paroxysmen faſt ganz ähnlich, haben auch etwas Grimmaſſenartiges, was bei der Epilepſie nicht der Fall iſt. Jn den wahren epileptiſchen An - fällen ſind faſt immer die Augen offen, die Pupille iſt meiſtens erweitert oder auch krampfhaft zuſammengezogen, die Jris in einer zitternden Bewegung; bei manchen Kranken rollen die Augen fürchterlich in ihren Höhlen umher, ſind aber auch wol in ein - zelnen Momenten faſt wie leblos fixirt. Dieſer Zuſtand iſt nicht nachzuahmen, und der verſtellte Anfall wird beſonders dadurch er - kennbar, wenn bei ſchnellem Anbringen eines Lichts vor die44 Augen die Pupille ſich gleich zuſammenzieht. Das beſchwerliche und röchelnde Athemholen, meiſt mit bläulicher Auftreibung des Geſichts gepaart, kann anhaltend nicht nachgeahmt werden, ebenſo wenig der Schaum vor dem Munde in einem gewiſſen Grade, wenn nicht Seife dazu verwendet wird1)Vgl. Kap. 8 des Liber Vagatorum: und nemen Seiffen in den mund das jnen der ſcheim einer fauſt gros auff geet vnd ſtechen ſich mit eim halm jn die naßlocher das ſie bluten werden, vnd iſt Buben teiding . Der obenerwähnte ſimulante Epileptiker, der ſeit Jahren durch Deutſchland um - herzieht, weiß durch raſches Saugen am gereizten Zahnfleiſch Blut unter den Schaum zu bringen; auch ſind an den Seiten der Zunge deutliche Bißnarben vorhanden., und das Herzklopfen mit dem kleinen unterdrückten Pulſe. Bei den wahren Anfällen iſt eine ungewöhnliche Körperkraft zugegen, die Betrüger, wenn ſie nicht von Natur aus ſtark ſind, nicht nachzuahmen vermögen. Wenn Epileptiſche ſchreien, ſo geſchieht dies vor dem Fallen, nach - her tritt völliges Schweigen mit Bewußtloſigkeit und Verluſt des Gefühlsvermögens ein. Betrüger verſtoßen ſich oft hierbei, zu - mal wenn ihnen Anlaß gegeben wird. Tritt namentlich auf An - wendung von Kitzeln, Nießmitteln u. dgl. Reaction ein, ſo iſt Simulation als gewiß anzunehmen. Endlich unterſcheidet ſich der gleich nach dem Anfall eintretende Zuſtand des Körpers und Geiſtes bei ſimulirenden Epileptiſchen oft augenſcheinlich von den wirklich Epileptiſchen, indem erſtere die als nothwendige Folge daſtehende Abſpannung nicht zeigen, oder nicht nachhaltig genug.

Dieſe Unterſcheidungen ſind ſehr wichtig und genau zu be - achten, wenn man nicht nach ſtundenlangen Verhören gerade im wichtigſten Moment durch den in die Enge getriebenen Gauner mit ſeiner ſimulirten Epilepſie um die Reſultate angeſtrengter Mühe gebracht ſein will. Es gibt Gauner, die ſchon vor dem Ausbruch eine Schwäche ſimuliren und eine Prädispoſition be - merkbar zu machen wiſſen, nur um zu ſondiren, ob der Jnquirent ängſtlich iſt, wonach denn der epileptiſche Anfall entweder aus - bleibt oder zum Vorſchein kommt. 2)Mehr als einmal habe ich bei ſolchen Sondirungen mich vor derglei -Sehr beachtenswerth aber45 iſt die Bemerkung, die Schürmayer, a. a. O., §. 531, macht, daß nämlich erfahrungsmäßig gewiſſe anfangs ſimulirte Krank - heiten zuletzt in wirkliche übergehen können, daß dies jedoch im - mer nur ſolche krankhafte Zuſtände ſind, die ſich in ſogenannten nervöſen Zufällen, wie Krämpfen, Zuckungen u. dgl., kund geben. 1)Jn meiner Praxis glaube ich dieſelbe Erfahrung gemacht zu haben. Von zwei diebiſchen liederlichen Dirnen aus einem benachbarten holſteini - ſchen Dorfe, welche öfters wegen verbotenen Betretens des lübeckiſchen Ge - biets zur Unterſuchung und Strafe gezogen wurden, litt die ältere Schweſter notoriſch ſeit ihrer Kindheit an Epilepſie und mußte deshalb rückſichts - voller behandelt werden. Die jüngere, eine robuſte derbe ſechzehnjährige Dirne, welche niemals an jenem Uebel gelitten hatte und ſehr oft hier angehalten wurde, fing ebenfalls bald an, in epileptiſche Zufälle zu ge -Die Wahrheit dieſer merkwürdigen Behauptung ſcheint ebenſo wol in ſomatiſcher, als ſogar auch in pſychiſcher Hinſicht ſich zu beſtätigen, wie ja denn jeder aufmerkſame Jnquirent reich - liche Gelegenheit findet, Beobachtungen der Art zu machen.

Achles Kapitel. δ) Die Taubſtummheit.

Die Simulation der Taubſtummheit iſt einer der am häufigſten vorkommenden gauneriſchen Verſuche, um dem entſtan -2)chen epileptiſchen Störungen mit Erfolg verwahrt dadurch, daß ich mit ent - ſchiedenem trockenen Ernſt mir jeglichen Anfall von Schwäche oder Epilepſie verbat, wobei denn namentlich Gaunerinnen gerade durch ihren ſchlecht ver - hehlten Unmuth und durch plötzlichen Abbruch aller Demonſtrationen den Ver - ſuch der Simulation eben ſelbſt recht deutlich zu Tage legten. Der genaue Blick auf den Simulanten entdeckt ſofort den Betrug. So wurde denn auch die Simulation des ſchon mehrfach erwähnten Gärtners durch den richtigen Blick zweier Polizeidiener ſofort entdeckt, noch ehe er nach der Lithographie im Eberhardt’ſchen Polizei-Anzeiger recognoscirt war. Auch bekam er wäh - rend ſeiner vierzehntägigen Haft nicht ein einziges mal epileptiſche Anfälle, weil er überall mit trockenem Ernſt behandelt wurde. Vgl. Böcker, Memo - randa der gerichtlichen Medicin (Jſerlohn u. Elberfeld 1854), S. 67, wo auch der Nieſemittel, Acupunctur und des Auftröpfelns von heißem Siegellack erwähnt wird.46 denen Verdachte die Argloſigkeit und Unbeholfenheit des Taub - ſtummen entgegenzuſetzen. Viele Gauner wiſſen jene eigenthüm - liche Lebendigkeit der Geberden und Bewegungen der Taubſtum - men, denen die Hauptwege der pſychiſchen Ausbildung, Gehör und Sprache, verſagt ſind, und welche dafür nur durch das Auge Erſatz finden, meiſtens mit vielem Glücke zu copiren und ſogar ſich das Anſehen zu geben, als läſen ſie die vom Jnquirenten geſprochenen Worte von deſſen Lippen, wobei ſie auch in jener rauhen unmodulirten Sprachweiſe mit oſtentirter Anſtrengung zu antworten ſuchen. Der Betrug iſt nicht ſchwer zu entdecken. Der Simulant kann nicht den Unglücklichen nachahmen, der auf der niedrigſten Stufe der menſchlichen Bildung ſteht. Der Taubſtumme beſitzt , wie Friedreich1) Syſtem der gerichtlichen Pſychologie (Regensburg 1852), S. 332. treffend ſagt, ſo lange man ſeine Kräfte nicht ausbildet, ſeine Fähigkeiten nicht übt, keine Kenntniſſe ihn lehrt, nichts als Empfindung der Gegenwart ohne augenblickliche (momentane) Eindrücke, faſt gar keine Er - innerung der Vergangenheit und ebenſo wenig Erwartung der Zukunft . Jn Stellung, Haltung, Miene, Blick und Weſen kann der Simulant durchaus nicht, mindeſtens nicht conſequent, ſo über ſich gebieten, daß er eine ſo augenfällig eigenthümliche äußere Erſcheinung darſtellt, wie jener Zuſtand nothwendig bedingt. Er kann ſich mindeſtens für nicht weniger darſtellen, als für einen unterrichteten Taubſtummen, der ein Verſtändniß haben und wiedergeben kann. Er muß alſo die eigentliche ſchulmäßige Taub - ſtummencultur kennen, die ihn allein zum Verſtändniß fähig1)rathen, deren Simulation am Tage lag. Als ſie endlich, bei der letzten Jn - haftirung im vorigen Jahre, ſtatt der bisherigen Gefängnißſtrafe die angedrohte geſchärftere Zuchthausſtrafe erwarten mußte, verfiel ſie wieder in epileptiſche Zufälle, die jedoch diesmal weſentlich von den frühern in Erſcheinung und Form abwichen und, trotz dem entſchiedenen Vorurtheile gegen die Perſon, für wirkliche epileptiſche Zufälle gelten mußten. Vielleicht konnte doch auch eine Familiendispoſition und wirkliche Angſt mit eingewirkt haben. Vgl. die Ge - ſchichte einer convulſivichen Krankheit u. ſ. w., in Henke’s Zeitſchrift für Staatsarzneikunde , 1856, drittes Vierteljahrsheft, S. 61 fg.47 machen konnte, oder muß ſeine Unkenntniß und damit die Simu - lation verrathen. Dem Experten gegenüber iſt daher ſein Spiel raſch verloren. Ja meiſtens bedarf es kaum des Experten. Der Jnquirent, ſobald er nur den Schein gutmüthigen Glaubens und Mitleidens bewahrt, und ohne Zurüſtung und Verabredung in Gegenwart des Simulanten mit einer Ueberraſchung gegen ihn hervortritt, vermag ſehr häufig ſchon ohne Experte den Simu - lanten zu entlarven. Dieſer iſt vollſtändig entlarvt, wenn er das Hauptmittel ſeiner erlangten Cultur, das Schreiben, nicht ver - leugnet, und zu ſchreiben anfängt. Dem Taubſtummen iſt jedes Wort ein Bild. Sein Unterricht, ſeine ganze geiſtige Cultivirung beſtand in der Auffaſſung von richtig vorgezeichneten Wortbildern, die in ihrer bloßen richtigen Form ihm den Begriff verliehen. Daher gibt der Taubſtumme ſeine Begriffe genau in den erlernten richtigen Formen wieder, und ſchreibt daher die ihm gelehrte reine correcte Schriftſprache ohne Provinzialismen und ohne ſolche Fehler, die aus falſcher Ausſprache entſtehen, wenn e[r]auch in der Anordnung der einzelnen Formen Fehler begeht, und einzelne Buchſtaben in einem Worte, oder Worte in einem Satze, zuweilen unrichtig hinſtellt.

Eine richtige und ruhige Behandlung des Simulanten wird bald zu ſeiner Entlarvung führen1)Jn der Wahl phoniſcher Mittel muß man ſehr vorſichtig ſein. Jch habe einen wirklichen Taubſtummen vernommen, der, während ich ihn mit Schreiben beſchäftigte, von der Lufterſchütterung eines hinter ihm explodiren - den Zündhütchens in die Höhe fuhr. Andere wirkliche Taubſtumme fühlten im Zimmer der Bel-Etage die Erſchütterung des Schlagens einer einzelnen Trom - mel auf der Straße; noch andere konnten fühlen, daß im Nebenzimmer Forte - piano geſpielt wurde u. ſ. w. Ueberraſchend iſt die im Wächter , Jahrg. 20, 1857, Nr. 57, S. 224) gemachte Mittheilung von Anwendung der Ae - theriſirung zur Entlarvung eines Simulanten. Von zwei eines Diebſtahls angeklagten Jndividuen, Namens Lerch und Daubner in Brüſſel, hatte Daubner ſich taubſtumm und blödſinnig geſtellt. Man wußte jedoch, daß er von Geburt an nicht ſtumm ſei und daß er ſeine Lage vollkommen begreife, da er im Gefängniß bereits einen Selbſtmordverſuch gemacht hatte. Lerch wurde zu Zwangsarbeit verurtheilt, Daubner aber, von dem die Aerzte be -, obſchon dieſer es immer bis48 auf das äußerſte ankommen läßt, da er nicht nur die Strafe für ſeine Simulation, ſondern auch für das Vergehen zu fürchten hat, welches er mit der Simulation zu verdecken ſuchte und für wel - ches er durch dieſe ein bedeutendes Jndicium gegen ſich ſelbſt vorbringt. Der Verluſt dieſes doppelten Spiels iſt es aber auch, der, wie kaum ſonſt in ähnlicher Weiſe, einen ganz eigenthümlichen Eindruck auf den Jnquirenten macht, ſobald der Simulant mit einem mal die geläufige Sprache gewinnt und ſich, im ſchneidenden Contraſt mit dem bisherigen ſimulirten beſchränkten Weſen, urplötz - lich als eine Jndividualität von freier, ja raffinirter Geiſtigkeit hinſtellt, in welcher er einen neuen friſchen Kampf mit raſchem Angriff beginnt. Es iſt wenig, den Simulanten zum Abſtehen der Simulation gebracht zu haben, wenn der Jnquirent nicht ſeinen Triumph vollkommen zu unterdrücken, und kalt und nüchtern die Beſeitigung der Simulation ganz als Nebenwerk zu behandeln und ruhig auf das geſteckte Ziel, auf die Entlarvung des Gauners, weiter zu gehen weiß.

Neuntes Kapitel. ε) Die Schwerhörigkeit.

Wol die verdrießlichſte Simulation, dem Jnquirenten gegen - über, iſt die ſimulirte Schwerhörigkeit, da ſie meiſtens auf das Chikaniren des Jnquirenten abgeſehen iſt. Der Gauner weiß recht gut, daß die Schwerhörigkeit ihn keineswegs als argloſen und unverdächtigen Menſchen exculpirt, ſo wenig wie ſie ihn bei Verübung und Verhehlung ſeiner Gaunerei von irgendeinem1)haupteten, er ſimulire, der Aetheriſirung unterzogen. Beim Eintritt ihrer Wirkungen begann er ſogleich ſehr geläufig franzöſiſch zu ſprechen, obwol er bei ſeiner Verhaftung in Holland vorgegeben hatte, nur deutſch zu verſtehen. Aus dem Aetherrauſche erwacht, wollte er, wie früher, die Rolle eines taub - ſtummen Blödſinnigen ſpielen, wurde aber nichtsdeſtoweniger ſchuldig er - kannt und zu zehnjähriger Zwangsarbeit verurtheilt.49 Nutzen ſein kann; aber im Verkehr mit Beamten und in Verhören treibt er ſein boshaftes Spiel damit, den Fragenden abſichtlich falſch zu verſtehen, und auf die an ihn gerichteten Fragen mit dem vollen Scheine des unbefangenen Misverſtändniſſes beißende und malitiöſe Antworten zu geben. Erfahrene Gauner können dies Spiel mit großer Conſequenz und ſtoiſcher Ruhe fortſetzen, auch wiſſen viele ſogar jene klangloſe gedämpfte Sprachweiſe, welche den wirklich Schwerhörigen eigen iſt, ſehr gut zu copiren. Der Jnquirent ſchont ſich am meiſten und den Simulanten am wenigſten, wenn er unabläſſig durch einen Subalternen mit kräf - tigem Sprachorgane ſeine Fragen dem Simulanten dicht und laut ins Ohr rufen läßt, was mindeſtens auf die Länge dem Simu - lanten unerträglich wird, den wirklich Schwerhörigen aber wenig afficirt.

Zehntes Kapitel. ζ) Geiſteskrankheiten.

Geiſteskrankheiten werden von Gaunern nur ſelten und in ganz beſondern Fällen ſimulirt, da die Erſcheinung geiſtiger Störung zu auffällig und bedenklich iſt, als daß nicht die Behörden ein mit ſolchen Symptomen auftretendes Jndividuum jedenfalls berückſichtigen und verfeſtigen ſollten. Jndeſſen wird oft, um Ver - tuſſ zu machen, beſonders auf Jahr - und Viehmärkten, von Gaunern Albernheit ſimulirt, wobei denn ſeine Genoſſen zu ſchottenfellen und zu torfdrucken ſuchen. Selten tritt ein ſolcher Simulant ſelbſt als Haupthändler, ſondern meiſtens als Neben - perſon, Muſikant, Gepäckträger u. dgl. auf, der, wenn er ge - hänſelt wird, und ſeine ſchlechte Geige zerſchlagen läßt, ſich ſehr häufig durch geſchicktes Torfdrucken reichlich für den ihm zugefüg - ten Schimpf und Schaden zu erholen weiß. Auch bei dem Schmire - ſtehen ſpielen die Gauner häufig neben dem Betrunkenen auch den Albernen, um herzukommende Wächter und Beſtohlene aufzuhal - ten und zu täuſchen. Jn der Unterſuchungshaft und StrafhaftAvé-Lallemant, Gaunerthum. II. 450kommen jedoch häufiger Simulationen geiſtiger Störungen vor1)So wußte der berüchtigte Johann Andreas Bamberg durch verſtellten Wahnſinn ſeine Unterſuchung und Hinrichtung acht Monate länger hinzuhalten, als ſeine Complicen Voigt, Rehman und Hahn ſchon hingerichtet waren. S. die Literatur Actenmäßiger Verlauf der Peinlichen Unterſuchung gegen die Kunziſche u. ſ. w. Bande , S. 219 260. Johann Schäfer von der Neu - wieder Bande ſpielte mehrere Monate lang ſo geſchickt den Wahnſinnigen, daß er am 20. März 1802 vom Specialgericht des Ruhrdepartements freigeſpro - chen wurde, ungeachtet die Doctoren Beſt und Dahmen entſchieden das Ge - bahren des Schäfer für Simulation erklärt hatten. Vgl. Geſchichte der Rheiniſchen Räuberbanden , II, 333. Aehnliche Beiſpiele kommen bis auf die neueſte Zeit vor., welche durchaus von Experten ſorgfältig beobachtet, und von wirk - lichen Störungen unterſchieden werden müſſen, die leider eine ebenſo häufige wie traurige Folge ſtrenger Jſolirhaft ſind. 2)Vgl. hierüber Schürmayer, Lehrbuch der gerichtlichen Medicin , S. 341 412; Bergmann, Lehrbuch der med. for. , S. 318 368; Bö - cker, Memoranda , S. 63 72. Vorzüglich Friedreich, Syſtem der ge - richtlichen Pſychologie , S. 149 163. Minder bedeutend iſt Schnitzer, Die Lehre von der Zurechnungsfähigkeit bei zweifelhaftem Gemüthszuſtande (Ber - lin 1840). Ausgezeichnetes liefert die Vierteljahrsſchrift für gerichtliche und öffentliche Medizin von Joh. Ludw. Casper, und die Allgemeine Zeitſchrift für Pſychiatrie und pſychiſch gerichtliche Medicin von Damerow, Flemming und Roller.

Elftes Kapitel. η) Affecte.

Affecte endlich werden ſehr häufig von Gaunern in Ver - abredung mit ihren Genoſſen ſimulirt, beſonders um bei Markt - diebſtählen die Aufmerkſamkeit der Menge auf einen Punkt und von den handelnden Gaunern abzulenken (ſ. Vertuſſ, Kap. 21). Beſonders aber im Verhöre und in der Gefangenſchaft ſpielt der Gauner mit allen Affecten, und läßt keine Rolle und keine Situa - tion unverſucht, um dem Jnquirenten zu imponiren und ihn irre51 zu leiten. Darüber wird ſpäter, Kap. 104, noch weiter geſpro - chen werden.

2) Das geheime Verſtändniß.

Zwölſtes Kapitel. a) Die Gaunerſprache.

Bei dem tiefen Geheimniß, auf welchem der ganze Organis - mus des Gaunerthums begründet iſt, ſind die durch Jahrhunderte hindurch zuſammengetragenen, immer verbeſſerten Verſtändigungs - mittel ſehr zahlreich und mannichfaltig. Sie tragen alle Spuren ihrer Schöpfung und Vervollkommung durch Convention an ſich, und geben ſowol von der Verworfenheit, als auch von dem Scharf - ſinn und dem Uebermuth ihrer Erfinder Zeugniß. Vor allem erkennt man in der wüſten und wirren Gaunerſprache, die durch alle Jahrhunderte hindurch wie ein trüber Bodenſatz in beſtändi - ger gährender Bewegung gehalten iſt, den geiſtigen Ausdruck der gemiſchten ſchmuzigen Volkselemente, welche dieſe Sprache zu - ſammentrugen und mit immer neuen Zuſätzen bereicherten. Die Gaunerſprache iſt daher nicht nur in linguiſtiſcher, ſondern auch in culturhiſtoriſcher Hinſicht eine Merkwürdigkeit, der leider bis - her nur wenig Aufmerkſamkeit geſchenkt iſt. Nur in neueſter Zeit hat Hoffmann von Fallersleben im Weimariſchen Jahrbuch , I, 328 fg., einige jedoch nur ſehr dürftige Andeutungen gegeben, welche keineswegs ein tieferes Eingehen in die Gaunerſprache verrathen. Was Maßmann in Berlin über die Gaunerſprache geſchrieben hat, iſt noch nicht zur Oeffentlichkeit gelangt, was um ſo mehr zu bedauern iſt, als nach brieflichen Mittheilungen zu ſchließen, ſeine Anſchauung und Behandlung geiſtvoll iſt. Nur Pott hat in ſeinem Werke über die Zigeuner, II, 1 60, ſehr intereſſante und zum Theil treffend gelungene Wortunterſuchungen veröffentlicht, die zum weitern Nachforſchen anregend ſind. Alle ältern Verſuche ſind kümmerlich und ungenügend, namentlich da die tiefe ſprachgeſchichtliche Bedeutſamkeit des ſogenannten Juden -4*52deutſch und vieler älterer und neuerer Sprachen für die Gauner - ſprache niemals in ihrer großen Wichtigkeit hervorgehoben iſt. 1)Aufmerkſamkeit verdient das neu erſchienene Werk: Etudes de phi - lologie comparée sur l’argot et sur les idiomes analogues parlés en Europe et en Asie par Francisque-Michel (Paris 1856), worin der Ver - faſſer S. 443 453 das argot allemand ou Rothwelsch, obſchon mit eini - ger Kenntniß der ältern Literatur, nur oberflächlich abhandelt, und ſelbſt auch in der franzöſiſchen Gaunerſprache, trotz ſeiner herrlichen Beleſenheit, nicht tief genug in das eigentliche Volksleben hineingedrungen iſt, das in ſeiner geheimnißvollſten Tiefe dem Philologen in der Studirſtube ſich ſchwerlich ganz erſchließt. Sehr beachtenswerth iſt noch der tiefer in die franzöſiſche und deutſche Volksſprache eingedrungene H. Barbieux, Antibarbarus der franzöſiſchen Sprache (Frankfurt a. M. 1853).Bei dieſem Vermiß iſt die linguiſtiſche Aufgabe für vorliegendes Werk zu umfaſſend, als daß ſie nicht in einem beſondern Ab - ſchnitt ausführlicher behandelt werden ſollte.

Dreizehntes Kapitel. b) Das Zinkenen.

Das Wort: der Zink, oder Zinken, bedeutet allgemein jede geheime Verſtändigung durch Laute, Geſten, Mienen und gra - phiſche Merkzeichen, und wird daher von Thiele mit: Wink, Zei - chen, Bezeichnung, richtig überſetzt. Es iſt wol nicht anders als vom zigeuneriſchen Sung2)Vgl. die etymologiſche Erklärung des Wortes sung bei Pott, a. a. O., II, 226, 227. Bemerkenswerth iſt dazu, daß auch noch in der heutigen Volks - ſprache das Wort Zinken häufig für Naſe gebraucht wird., Geruch, abzuleiten, in welchem das S als dem Jndiſchen eigenthümlicher palataler Ziſchlaut sz er - ſcheint, und welches auch in ſeiner Bedeutung die des Zinken (wovon das Zeitwort Zinkenen3)Zigeuneriſch sungáf, riechen, duften, z. B. Ada blúma ßungela schukker, dieſe Blume riecht ſchön. Vgl. Pott, und Biſchoff, Zigeuneriſches Wörterbuch unter Riechen ., riechen laſſen, zu riechen oder zu verſtehen geben, winken, zeichnen) am deutlichſten macht. Der53 Bedeutung des Wortes Zinken entſprechend1)Das Wort Zink iſt dem Liber Vagatorum und der alten Rotwelſchen Grammatik fremd. Auch bei Moſcheroſch und bei Schottelius kommt der Ausdruck nicht vor. Man findet ihn zuerſt in dem Hildburghauſer Verzeichniß von 1753 als Compoſitum, Zinkenplatz, d. h. Ort, wo ſich die Diebesbande hinbeſtellt, und Zinkenſtecken, d. h. Lärmen zum Abmarſch machen, rufen, einem et - was zu verſtehen geben, auf einen gewiſſen Ort hinbeſtellen. Die Rotwelſche Grammatik von 1755 hat dieſe Terminologie aufgenommen. Dem Juden - deutſch iſt der Ausdruck fremd, obgleich er den jüdiſchen Gaunern vollkommen geläufig iſt. Auch wird noch heute durchgehends die ganze Perſonalbeſchrei - bung ein Zinken, das Signaliſiren einer Perſon abzinkenen und ein Steck - brief eine Zinkfleppe genannt. iſt das mit dem deutſchen Schreck in Verbindung zu ſetzende jüdiſch-deutſche schreko (vom hebräiſchen〈…〉〈…〉 und dies von〈…〉〈…〉, er hat ge - ziſcht, gelockt, gewinkt), wovon Schreckenen, auch ſrikenen, ziſchen, durch Ziſchen herbeirufen, winken, und Schreckener und Srikener, der zur Unterſtützung des Schottenfellers (Ladendie - bes) mit in die Läden geht.

Schon aus der etymologiſchen Bedeutung des Zinken ſieht man, welch großer Complex von Verſtändigungsmitteln das Zin - kenen iſt. Man kann kaum alle dieſe Mittel darſtellen und claſſi - ficiren, zu deren Kenntniß dem Polizeimann oder Gefängnißbe - amten vorzügliche Gelegenheit geboten wird. Gerade in der Be - drängniß wuchert der gauneriſche Geiſt an Behelfen herauf, von denen man auf den erſten oberflächlichen Anblick keinen Begriff hat, und gerade in Vorhalten, oder bei den immer höchſt gewagten Confrontationen gauneriſcher Jnquiſiten nimmt der ſcharfe Beobach - ter pſychologiſche Momente wahr, die ihn zum Erſtaunen, ja oft zur Bewunderung hinreißen. Trotz der gleichmäßigen Schule und Ausbildung, trotz des feinſten Verſtändniſſes aller Gauner unter ſich, iſt und bleibt jeder einzelne Gauner nach ſeiner Jndividua - lität immer doch noch ein eigener Lehrſatz, der von dem genau beobachtenden Polizeimann ſo klar begriffen werden kann, daß er jeden Gauner für ein Original erklären muß, und kaum eine Analogie von einem Gauner auf den andern zu ziehen wagen darf. Ein Gauner verſteht am andern jede Bewegung des Au -54 ges, Mundes, jede Stellung der Füſſe, jede Regung eines Fin - gers, jeden Griff an Hals, Mund, Haar, jedes Räuspern, Hu - ſten, Nieſen, wie ſcheinbar unwillkürlich und wie natürlich alles zum Vorſchein gebracht wird. Einem Räuber, den ich zum Ge - ſtändniß gebracht, und der mir auch den wirklichen Namen ſeines mitgefangenen Complicen genannt hatte, wußte letzterer bei der Confrontation, ungeachtet der ſchärfſten Beobachtung, ſo ſehr durch ein ſtarkes Athemholen zu imponiren, daß jener die gemachten Geſtändniſſe in ſeiner Gegenwart nicht zu wiederholen wagte, aus Furcht, wie er ſpäter eingeſtand, daß er einmal als Sſlich - ner ermordet werden würde.

Vierzehntes Kapitel. α) Die Jadzinken.

Unter den Zinken, welche eine gleichmäßige und ſyſtematiſche Redaction haben, ſind zunächſt die Jadzinken (Fehmzinken oder Grifflingzinken) zu merken. Es ſind die Zeichen, welche mit der Hand oder eigentlich mit den Fingern gemacht werden. Dieſen Jadzinken liegt das einhändige Alphabet der Taubſtum - men1)Die Zeichen mit beiden Händen, ſowie die vielen lebhaften Geſten der Taubſtummen werden von den Gaunern nicht leicht benutzt, da ſie nicht heim - lich und verſteckt gegeben werden können. Wol aber ſind ſie den Gaunern be - kannt, und werden von Simulanten oft ſehr täuſchend nachgeahmt. (Vgl. Kap. 8.) zu Grunde. Man findet viele Gauner, welche ohne taub - ſtumm zu ſein, ſich der Handſprache vollſtändig bemeiſtert haben, da die Hand mit ihrer ſtillen und doch lebendigen Sprache, ſelbſt in Gegenwart dritter, ein genaues Verſtändniß vermitteln und wo der tönende Mund geſchloſſen bleiben muß, durch eine geringe Oeffnung, durch Fenſter und Gitter2)Auch hier empfiehlt ſich die dichte Fenſterverblendung nach unten und zu den Seiten der Fenſter, ſowie die doppelte Vergitterung der letztern, da - mit der Gauner nicht an die Fenſter gelangen und durch ſie lautlos kaſſpern kann. lautlos kaſſpern kann. 55Das Jadzinkenen iſt die optiſche Telegraphie des Gaunerthums, welche der Polizeimann genau kennen muß, um ſie beobachten und verhindern zu können. Auf umſtehender Tafel iſt daher das gewöhn - liche Taubſtummenhandalphabet dargeſtellt, das ſich ſelbſtverſtänd - lich mit der rechten und linken Hand geben und ſehr leicht erler - nen läßt. Weiterer Bemerkungen bedarf es nicht. Jn meiner Polizeipraxis hat mir dieſe Kenntniß manchen Nutzen, namentlich bei Entlarvung von Simulanten gebracht, welche nicht auf dieſe Verſtändigungsform eingehen konnten. Auch die ganze Menge der mit eigenthümlicher Lebendigkeit und mit ſcharfer Form vor - gebrachten Geſten und Manipulationen der Taubſtummen iſt dem raffinirten Gauner bekannt. 1)Unter den neuerlichen Simulanten dieſer Art tritt der erſt 25 Jahr alte Heinrich Dittrich aus Klein-Borowitz, Bezirk Trautenau in Böhmen, mit ſo großer Virtuoſität auf, daß er ſelbſt die ärztlichen Beobachtungen zu pa - ralyſiren gewußt hat. Vgl. Eberhardt, Allgemeiner Polizei-Anzeiger , Bd. 43, Nr. 42, Nr. 1649 vom J. 1856.Beſonders wird noch als Zinken ausgebeutet das Schreiben von Wörtern mit dem Finger in die Luft, ſodaß der Genoſſe die Buchſtaben als Spiegelſchrift er - blickt, oder auch das Schreiben mit dem Finger in die offene Hand des Genoſſen, in welche die Buchſtaben ſtreifend hineinge - ſchrieben und durch das Gefühl aufgefaßt werden, was beſonders im Dunkeln und in Gegenwart dritter ein vollkommen ausreichen - des Communicationsmittel iſt.

Funfzehntes Kapitel. β) Die Kenzinken.

Von der Kenntniß des Handalphabets der Taubſtummen, welche das heutige Gaunerthum beſitzt, iſt ein Beweis der allge - mein gewordene Kenzinken2)Ken, jüdiſch-deutſch bejahende Partikel; iſt alſo nicht etwa vom deut - ſchen Kennen abzuleiten. oder Kundezinken, der beſonders[56]

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57 in wittſchen Wirthshäuſern, wo der Gauner ſeine Umgebung nicht kennt, und beſonders beim Haddern (Kartenſpiel) und ſonſtigen Spielen, Wetten und Kunſtſtücken angewandt wird. Will der Gauner einen Genoſſen ausfindig machen, ſo ſchließt er die Hand zur Fauſt, ſodaß die Daumenſeite nach oben kommt, ſtreckt den Daumen gerade aus gegen den gekrümmten Mittelfinger und hält den Zeigefinger in leichter Krümmung über dem Daumen, ohne jedoch dieſen damit zu berühren. Damit wird nach nebenſtehender Tafel der Buchſtabe C gebildet, und aus der in dieſer Haltung wie abſichtslos auf den Tiſch gelegten Hand weiß jeder anweſende Gauner, daß er einen Genoſſen, Cheſſen, vor ſich hat. Undeut - licher (wahrſcheinlich aus dem F, G oder K verſtümmelt) iſt das andere allgemeine Erkennungszeichen, welches darin beſteht, daß der ſpähende Gauner mit dem gekrümmten Zeige - und Mittel - finger die Spitze des geſtreckten Daumens berührt, und den Ring - finger und kleinen Finger gerade und frei ausſtreckt.

Noch ein wichtiger Kenzinken, namentlich auf der Straße, iſt der Scheinlingszwack oder das Scheinlingszwickeln1)Vom deutſchen zwicken, zwacken. Vgl. Pott, a. a. O., II, 37. der eigenthümliche Blick mit einem Auge. Beim Begegnen eines aus - zuforſchenden Unbekannten ſchließt der Gauner das Auge auf der Seite, an welcher der Begegnende geht, und blickt mit dem andern Auge über die Naſenwurzel hinüber2)Oft wird dazu auch noch der Mundwinkel unter dem geſchloſſenen Auge aufgezogen., worauf der kundige Gau - ner dieſe Fratze erwidert, ſich mit Sicherheit nähert, und die per - ſönliche Bekanntſchaft unter den Auſpicien der Kunſt abſchließt. Auf Landſtraßen, beſonders aber auf Jahrmärkten und Meſſen hat man häufig Gelegenheit, dieſe komiſche Fratze zu ſehen, die von Vielen als bloßes Product des Muthwillens oder der Trun - kenheit gewürdigt und mit verwundertem Lächeln aufgenommen wird. Andere Kenzinken, wie das Tragen des Stocks unter dem linken Arm, oder das Einſtecken des Stocks quer durch oder über den Reiſeſack, ſind weniger verläſſig und üblich, und führen, da58 ſie andern volksthümlichen, beſonders zünftiſchen Bräuchen ähneln, häufig zu Jrrungen, welche für den Gauner bedenklich ſind. 1)So z. B. pflegen die Zimmergeſellen nur mit dem quer durch den Reiſeſack geſteckten Stock und mit einem gelöſten Riemen des Reiſeſacks in eine Stadt einzuwandern. Die Drechslergeſellen legen in der Herberge oder Werkſtätte die Hand auf den Tiſch oder auf die Drehbank, ſtecken den Hut auf den Stock, legen die Hand flach an den Kopf und ſprechen: Hui Ge - ſelle! u. ſ. w. Faſt jede Zunft hat ähnliche Gebräuche und geheime Kenn - zeichen. Beſonders geheime Zeichen habe ich bei Unterſuchungen wegen ver - botener Verbindungen unter den Maurergeſellen gefunden. Bei einem zur Un - terſuchung gezogenen Vehmgericht mehrerer Schneidergeſellen erfuhr ich, daß die Vehmgenoſſen ſich an finſter zuſammengezogenen Augenbrauen erkann - ten, trotzdem die ganze moderne luſtige Vehme weſentlich die Herbeiſchaffung von Getränken zu gemeinſchaftlichem heitern Zechen, durch muthwillige Ver - urtheilungen in die Vehmkoſten, abzweckte. Unterſuchungen der Art führen meiſtens auf wahre Lappalien, dienen aber zum Beweiſe, wie die Polizei ſehr häufig ihre wahre Aufgabe ſo wenig, wie den rechten Feind kennt und, darum in Angſt geſetzt, überall Geſpenſter ſieht und Angriffe ins Blaue hinein unternimmt, welche die Polizei in ihrer Schwäche bloßſtellen und immer wi - derwärtiger in den Augen des Bürgerthums machen. Vgl. Adr. Beier, Der Meiſter bei den Handwerken, der Handwerksgeſell, der Lehrjung (3 Thle., Jena 1719).Somit ſind denn auch jene alten Bonmots, die ohnehin in ihrer Bedeutſamkeit allgemein bekannt geworden ſind, mehr und mehr abgekommen, wie z. B. beim Zutrinken oder beim Anbieten einer Priſe die leicht hingeworfene Frage: Kunde? oder Ken Cay? worauf die Antwort iſt: Ken Matthies oder Ken Cay , obſchon dieſe und ähnliche Bonmots nach Gelegenheit immer noch hier und da wieder auftauchen.

Sechszehntes Kapitel. γ) Die graphiſchen Zinken.

Außer dieſen ſyſtematiſchen Zinken, welche unmittelbar von Perſon zu Perſon gebraucht werden, gibt es noch eine Menge anderer Zinken, die einen mehr allgemeinen monumentalen Cha -59 rakter tragen, jedoch ebenſo genau wie jene directen Zinken das Verſtändniß vermitteln. Jeder Gauner hat ſein beſtimmtes Zei - chen, gleich einem Wappen, welches von ſeinen Genoſſen ſo re - ſpectirt wird, daß keiner es nachzuahmen wagt, da er ſich ſonſt der blutigſten Rache für die ſchwere Ehrenkränkung ausſetzen würde. 1)Die ſchwerſte Beleidigung iſt das Hinzeichnen eines Gaunerzinkens an einen Galgen, Schandpfahl oder Halseiſen, während hinwiederum die Ab - tritte und andere ekle Orte gerade am meiſten zum Zeichnen der Zinken dienen, und auch zu dieſem Zwecke frequentirt werden.Bald iſt es ein Thier, wie ein Pferd, Hund, Fuchs, Ziege, Schwein, Schaf, Hahn, Ente, Eule u. ſ. w.; bald ein Kreis, Oval, Viereck, Dreieck; bald ein Kreuz mit dieſer oder jener Staffage, wie z. B. mit einer Schlangenlinie durchwunden. So enthalten z. B. die Acten des Juſtizcollegiums zu Erlangen von 1765 66, in der großen Unterſuchung wider die Gaunerin Kirſchner und deren Sohn Günner, das rohe Zeichen der Kirſchner:2)Jn art. Verhör der Kirſchner, art. 497, 500, und des Günner, art. 141, 146.

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Bei dem Einbruch im Hauſe des Bauernhausbeſitzers Mat - thias Diete zu Gerſtberg, Bezirk Amſtetten in Niederöſterreich, am 28. Juli 1856, hatte der Einbrecher unterhalb des Fenſters,

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deſſen Gitter weggeriſſen worden war, beiſtehenden Zinken mit Rothſtift aufgezeichnet. 3)Vgl. Oeſterreichiſches Central-Polizei-Blatt , herausgegeben von der k. k. oberſten Polizeibehörde, Jahrg. 1856, Bl. 102, Nr. 3368.

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Der allgemeine Diebszinken iſt ein Schlüſſel, durch den ein Pfeil geht:

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Es finden ſich aber auch einzelne landsmannſchaftliche Zinken, wie z. B. der ſtuttgarter Zinken:

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Auch für einzelne Gaunergewerbe finden ſich Zinken. So kommt noch in der Unterſuchung gegen die Kirſchner ein unbe - kannter, wahrſcheinlich aber allgemeiner Bettlerzinken vor:

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Als Zinken für Hochſtappler auf Adelsbriefe findet ſich nach - ſtehende Figur:

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Der Zinken für fechtende Studenten ſind zwei Hieber mit einem Pfeil gekreuzt:

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Die auf falſche Würfel reiſenden Spieler (Kuwioſtoſſen) haben nachſtehenden Zinken (Fig. a); die falſchen Kartenſpieler (Freiſchupper), den Zinken (Fig. b). Auch gibt es Zinken, die einen allgemeinen Begriff oder eine ſpecielle Beſorgniß aus - drücken, z. B. die Befürchtung der Gefangenſchaft (Fig. c).

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Der Zinken, der die gelungene That anzeigt, iſt meiſtens ein Strich mit einer Schlangenlinie durchwunden, deren Ende ge - wöhnlich auf die Richtung deutet, welchen die abziehenden Gau -

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ner genommen haben1)Vgl. Chriſtenſen, Alphabetiſches Verzeichniß S. 14 u. 24: Zuweilen wird auch noch der Tauf - oder Spitzname des Gauners hinzugeſetzt., oder ein Anker, deſſen Kabelende dazu dient, die Wegerichtung anzudeuten. Dieſer Zinken wird gewöhn -

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lich dicht am Thore der Stadt oder des Gehöftes oder am Aus - gange, den die Gauner aus dem erbrochenen Verſchluß genom - men haben, gezeichnet. Auch wird endlich wol noch das Datum der That oder der Paſſage neben den Zinken geſetzt, z. B.

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wie dieſer Zinken von der oberſten Polizeibehörde zu Wien, im Oeſterreichiſchen Central-Polizeiblatt , unter dem 20. Jan. 1854, Nr. 10, S. 105, mitgetheilt wird.

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Die Zinken werden mit Kohle, Kreide, Rothſtift, Bleiſtift an den Gebäuden, Kirchen, Klöſtern, Kapellen, Scheunen, Wirths - häuſern, welche an der Landſtraße liegen, angebracht. 1)Auch auf Petſchafte und Siegelringe werden Zinken mit heraldiſchen Staffagen geſtochen. Die Gravirungen werden von Gaunern ſelbſt gefertigt, welche mit dieſer ihrer Kunſt auch vielfach die Jahrmärkte beziehen, wo ſie mit vieler Leichtigkeit die beſtellten Gravirungen ſofort ausführen, wenn man auch die Sauberkeit und die von gründlich gebildeten Graveurs ſtets berück - ſichtigten allgemeinen heraldiſchen Regeln daran vermißt. Das ſchon erwähnte Siegel des Krummfinger Balthaſar war nach Schwarzmüller’s Beſchreibung (vgl. Hildburghauſer Acten , S. 41) von der Größe eines Kayſer-Guldens und hatte, ſtatt der Armaturen, Piſtolen, Pulverhorn, Funckſchure, Schober - bartel u. dgl., in der Mitte aber einen Mann mit einem Diebsſack. Die Um - ſchrift lautete: Bin ein tuaf Cafer, der dem Cafer ſein Schure beſtieben kan. Das mir jüngſt in einer Unterſuchung vorgekommene Siegel einer als Gräfin reiſenden Gaunerin iſt einen halben Zoll hoch und drei Achtelzoll breit, achteckig mit franzöſiſchem Schilde, durch deſſen Pfahlſtelle der Pfeil gerade auf - ſteigt. Das Herz des Schildes iſt mit einem runden Kreis bedeckt, durch welchen der Pfeil geht, und über den auch, gegen die Regel, die rothen Li - nien des ganzen Schildes laufen. Auf dem Schilde iſt ein königlicher Helm, der als Schmuck einen Fuchs trägt. Das Siegel iſt übrigens ſchlecht und un - regelmäßig geſtochen.Jn den Wirthshäuſern und Herbergen findet ſich der Zinken oft an oder neben der Thür. Oft wird der Zinken in einen Balken des Wirthshauſes, oder in einen nahen, oder auf dem Felde, oder iſolirt nahe am Wege ſtehenden Baum oder auch Meilenzeiger, Chauſſee - und Schlagbaum eingeſchnitten. Am meiſten werden die Zinken in den Abtritten der Wirthshäuſer und Bahnhöfe ge - zeichnet, ebenſo an einzeln ſtehenden Pavillons, Balcons, Baken oder Thürmen an den Enden öffentlicher Gärten und Beluſtigungs - orte. Auch in und an Kirchen, Kapellen und Klöſtern, beſonders wo in letzteren am meiſten Almoſen verabreicht werden, dienen die Mauerwände zum Aufzeichnen von Zinken. Vorzüglich noch werden an der Theilung von Wegen mit dem Stocke Zinken im Sande gezeichnet. Jm Winter werden ſie in den Schnee gezeich - net. Der Auslauf einer Schlangenlinie, oder beſonders die Spitze eines Pfeils, deutet die Richtung des eingeſchlagenen Wegs an. 63Ein oder mehrere Knoten in den Weidenzweigen am Wege, ein flatterndes Band oder Bindfaden mit Knoten, oder ein Stück Papier mit Strichen, eine oder mehrere Strohſchleifen an Ge - büſch und Baum in der Nähe des Wegs, namentlich kurz vor Dörfern und Städten, zeigt den Vorübergang und die Zahl der vorübergezogenen Genoſſen an. Sehr häufig wird neben den Weg ein abgeſchnittener Buſch oder Zweig hingelegt, deſſen Schnitt - ende auf die eingeſchlagene Richtung zeigt, und in deſſen Stamm jeder Genoſſe eine Kerbe ſchneidet, um den Nachfolgenden die Zahl der bereits Vorübergegangenen anzugeben, wie das bei dem Bande oder Papier durch Knoten und Striche angezeigt wird. Häufig wird nahe bei der Schnittſpitze noch ein länglicher Stein mit dem ſpitzen Ende nach der eingeſchlagenen Richtung hin bei - gelegt. Will ein Gauner, der mit ſeiner Chawruſſe verſprengt war, oder aus dem Zuchthauſe entlaſſen iſt, ſeine Rückkehr und Anweſenheit anzeigen, ſo zeichnet er ſeinen Zink an irgendeine bekannte Stelle mit dem Datum hin, und verläßt ſich darauf, zur beſtimmten Zeit oder mindeſtens bei dem nächſten Neumonde ſeine Kameraden oder doch einen Theil von ihnen an dem Platze zu finden. Will er andeuten, wohin er ſich gewandt hat, ſo fügt er ſeinem Zinken den Pfeil oder die Schlangenlinie hinzu. Schon Schäffer gibt eine intereſſante Zeichnung und Beſchreibung eines complicirten Gaunerzinkens, wodurch die Gegenwart des Gauners, ſeine Begleitung und Wegsrichtung detailirt angegeben wird. Neben dem Gaunerzinken wird der die Wegsrichtung be - zeichnete Strich gezogen. Die oberhalb des Strichs angebrachten Haken bedeuten die Männer, die untern die Weiber; die Kinder werden mit Nullen bezeichnet. 1)Vielfach werden aber auch die Männer mit kleinen Querſtreichen und die Weiber mit Nullen bezeichnet.Die oberhalb des Strichs ge - zeichneten Nullen ſind die Kinder des Wappeninhabers, die unter - halb des Strichs Kinder anderer Gauner. Die auf nächſter Seite ſtehende Zeichnung befindet ſich bei Schäffer, a. a. O., S. 303.

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Der Strich a neben dem Zinken des Gauners bedeutet ſeine Perſon, b iſt ſeine Frau oder Concubine, c ein Kamerad, d eine

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mit ihm nicht verbundene Gaunerin, e und f ein anderes Gauner - paar, g und h die Kinder des Gauners, i und k die Kinder eines andern Gauners. Bei den niederländiſchen Banden war es üblich, daß an jedem Kreuzwege der erſte vorübergehende Gauner einen langen Strich in den Weg zog und einen kleinern daneben, wobei der kleinere dazu diente, die eingeſchlagene Rich - tung zu bezeichnen. Jeder der Nachfolgenden machte ebenfalls einen Strich, ſodaß der neu Herankommende immer ſehen konnte, wie viele ſchon vor ihm waren.

Dieſe monumentalen Zinken ſind ſchon ſehr alt. 1)Sie laſſen ſich ſchon nach den lombardiſchen Noten bei Vulcanius bis in das 5. Jahrhundert zurückdatiren, von woher Vulcanius aus den Ueber - reſten eines uralten Manuſcriptcoder höchſt intereſſante Charaktere mittheilt, die mit ihrer Bezeichnung allgemeiner, appellativer und topiſcher Begriffe weit über alphabetiſche Abbreviaturen hinausgehen, und ſchon der heraldiſchen Deutung ſich nähern. Aehnliche heraldiſche Zeichen figuriren in alten Hand - ſchriften und in typographiſchen Jncunabeln, wo meiſtens ſie allein es ſind, welche Auskunft über Drucker und Druckzeit geben. Man darf auch nicht die zahlloſen kabbaliſtiſchen und Zaubercharaktere überſehen, in welchen die Zeichen vorzüglich ausgebildet erhalten und meiſtens auch zum Betruge ausgebeutet worden ſind. Man findet in den alten Zauberbüchern für jeden Dämon ein beſtimmtes Zeichen, das vom Erfinder ſehr geheim gehalten und oft für eine ungeheuere Summe verkauft wurde. Noch jetzt findet man auf den fliegenden Blättern der heutigen Bänkelſänger und Taſchenſpieler, die zumeiſt ihre be - ſondern Holzſchnitte bei ſich führen, eine Andeutung geheimer oder mindeſtens ſpecifiſch eigenthümlicher Zeichen.Auf dem dritten Blatt des Ludwigsburger Gaunerverzeichniſſes von 1728 findet ſich ſchon ein förmlicher Gaunerzinken dargeſtellt. Sie werden, natürlich in verſchiedenartigſter Form, noch heute in An - wendung gebracht. Der abergläubiſche Bauersmann geht ſcheu65 an dieſen Zinken vorüber; theils erblickt er in den Knoten der Weidenzweige ein ſympathetiſches Mittel gegen das Wechſelfieber1)Jn Norddeutſchland iſt es ein durchgängiges ſympathetiſches Volks - mittel, daß der Fieberkranke ſtillſchweigend drei mal eine Schlinge in den Zweig einer grünenden Weide ſchürzt, durch jede Schlinge drei mal haucht und dieſelbe dann zum Knoten zuſammenzieht, wodurch das Fieber weggeſchnürt wird., theils irgendeine andere ſympathetiſche Cur, bei deren Störung er die gebannte Krankheit anzuerben fürchtet, theils findet er in den an Kreuzwegen im Sand oder Schnee gezeichneten Zinken Zauber - und Hexenkreiſe, deren Berührung ihm Gefahr oder Tod bringen könnte. Deshalb werden die Zinken von niemand mehr beſchützt, als vom abergläubiſchen Landmann, zu deſſen Schaden ſie doch gerade weſentlich dienen. Die Zerſtörung ſolcher Zinken, ſelbſt wenn ſie noch ſo unſcheinbar ſind, muß jedem Sicherheitsbeamten zur Pflicht gemacht werden. Selbſt das Beſchreiben der Kirchen - wände u. ſ. w., welches von den Handwerksburſchen mit beſon - derer Liebhaberei betrieben wird, ſollte, ganz abgeſehen von der Ungebührlichkeit der Beſudelung, ſtrenger als bis jetzt geſchehen, verboten und beſtraft werden. Sogar in Gefängniſſen finden ſich ſolche Jnſchriften und Zinken, welche, theils ihrer mühſamen, theils ihrer häufig ſaubern Darſtellung wegen, von den Gefangenwärtern mit einer Art Pietät conſervirt werden, ohne daß bei der ſchein - baren Unverfänglichkeit oder Unverſtändlichkeit derſelben (ich habe ſogar jüdiſch-deutſche Currentſchrift gefunden) die Verfänglichkeit in einzelnen, beſonders gezinkten Lettern bemerkt wurde.

Siebzehntes Kapitel. δ) Die phoniſchen Zinken.

Auch die Nachahmung von Thierſtimmen iſt noch ein unter den Gaunern gebräuchlicher Zinken, beſonders zur Nachtzeit und zum Ferneſignal in Feld und Wald. Von den Chouans iſtAvé-Lallemaut, Gaunerthum. II. 566durch die Niederländiſchen Banden das Eulengeſchrei, welches ja auch das hauptſächlichſte Signal der Jndianer in den Wal - dungen Nordamerikas iſt, nach Deutſchland übergeführt worden. Das Pfeifen, Rufen oder Räuspern verräth den Menſchen nur zu deutlich, während das geſchickt nachgeahmte Eulengeſchrei bei ſeiner Unheimlichkeit den Hörer eher verſcheucht als zur Nachfor - ſchung und zum Angriff herbeizieht. Andere Thierſtimmen, z. B. der Wachtelruf, das Hahnengeſchrei, Hundegebell u. ſ. w. werden zwar auch, jedoch ſeltener und immer mit großer Vorſicht ge - braucht. Noch andere akuſtiſche Zinken, wie das Schnalzen mit der Zunge, Händeklatſchen, Huſten, Nieſen u. dgl., auch der kurze Ruf Lampen! , oder Heraus! , oder Lewon! , oder auch, beſon - ders in Norddeutſchland: Mondſchein! , Mahndſchien! 1)Das niederdeutſche Mahndſchien (Mondenſchein) iſt als Redensart Proſ’t Mahndſchien in den Volksgebrauch übergegangen, zur ſpöttiſchen Be - zeichnung der Vergeblichkeit oder Vereitelung oder des Abſchlags irgendeiner Abſicht. Ebenſo bezeichnet die wegwerfende Redensart: Du kannſt mir im Mondſchein begegnen , ſoviel als: Jch fürchte dich nicht, du kannſt nichts ausrichten . Jn der Bande des engliſchen Gauners William Ogden war die ſtehende Parole: Der Mond ſcheint helle! Vgl. Smidt, a. a. O., S. 826., oder wie früher bei den Niederländiſchen Banden: Huſar du Stroh! u. ſ. w. ſind verabredete Parolen, welche für jedes einzelne Unter - nehmen oder für eine beſtimmte Verbindung verabredet und an - gewandt werden, um die Aufmerkſamkeit der Genoſſen zu erregen, oder ſie zur Flucht bei nahender Gefahr aufzufordern.

Achtzehntes Kapitel. ε) Der Sſlichnerzinken.

Es iſt ſchon erwähnt worden, wie blutig der Genoſſenver - rath am Sſlichner2)Sſlichner von〈…〉〈…〉 (Ssolach), er hat vergeben. Bekanntlich ſagen die Juden acht Tage vor dem Neujahr (Roſch Haſchono) beſtimmte Gebete, geſtraft wird. Dieſe Ermordungen fielen noch im erſten Viertel dieſes Jahrhunderts ſehr häufig vor. Ein67 ſolcher Ermorderter hatte den eigenthümlichen Namen Horeg . 1)Bei Thiele figurirt das Wort Honech, welches er ſchwerlich in der Löwenthal’ſchen Unterſuchung gefunden, ſondern dem von ihm arg getadelten Grolman wol nachgeſchrieben hat. Dieſer hat den Honech der rotwelſchen Grammatik von 1755 abgewonnen, wo der ſchlimme Druckfehler auf S. 11 für das richtige Horeg aufgeführt iſt, mit der Bedeutung Ermordeter, da ein Dieb den andern oder ein Verräther heimlich umbringet . Das Wort Honech exiſtirt in der ganzen jüdiſch-deutſchen Philologie nicht. Horeg (vom hebräiſchen Stamm〈…〉〈…〉 [horag], er hat gemordet), oder Haurg, iſt der Mörder, Todtſchläger, aber auch der Gemordete, während im Jüdiſch-Deutſchen für Mörder der Ausdruck〈…〉〈…〉 (Rozeach, Razchon), Femininum〈…〉〈…〉 (Razchoniss), gebräuchlich iſt (vgl. im dritten Bande die Maaſe von den regensburger Maurern). Von Horag ſind Derivata: Hereg und Ha - rego, das Tödten; Nehrog, der Getödtete, Ermordete; Nehrog werden, getödtet werden; Haureg ſein und hargenen, tödten. Obſchon nun der Honech mir nirgends anders vorgekommen iſt als bei Thiele und ſeinen ver - druckten Gewährsſtellen, ſo iſt es doch nicht unmöglich, daß der Honech ſich durch hundertjährigen ungeſtörten Beſitz eine Stelle im Gaunerlexikon erſeſſen hat, wie die Geſchichte anderer Druckfehler zeigt, wonach z. B. bei Luppe (lupa) aus Hur die Uhr, und bei Auſen, Oſſne, das Ohr, gleichfalls Uhr gemacht, und in ſolcher Bedeutung vollkommen geläufiger Sprachgebrauch geworden iſt. S. das Wörterbuch.Die Gaunerpraxis iſt jedoch hierin milder geworden, und die Rache begnügt ſich meiſtens damit, den Sſlichner zu zinken, das heißt, ihn derb in die Wange zu ſchneiden, damit an der zurück - bleibenden Narbe der ſo gezinkte Sſlichener der ganzen übrigen Genoſſenſchaft als Verräther gekennzeichnet bleibe. Dieſes Sſlichner - zinkenen ſcheint jedoch ebenfalls in Abnahme gekommen und einem derben Durchprügeln gewichen zu ſein. Von letzterer Praxis ſind mir manche ſchwere Fälle bekannt geworden; aber nur ein ein - ziges mal habe ich einen alten jüdiſchen Vaganten getroffen, deſſen ſtarke Narbe auf der linken Wange die Vermuthung eines Sſlich - nerzinkens zuließ.

2)Sſlichos, her um andauernde Vergebung der Sünden. Das Sſlichnen ent - ſpricht der chriſtlichen Beichte, und iſt vom Gaunerthum auf das Geſtändniß vor Gericht und überhaupt auf den Verrath der Gaunergeheimniſſe über - tragen.

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Neunzehnles Kapitel. ζ) Die Gaunernamen.

Wie jedes beſondere Kennzeichen1)Selbſt das Brandmal (Chaſſime) wird zu den Zinken gerechnet. an der Perſon des Gauners als Zinken angeſehen und benannt wird, ſo geben auch beſondere Kennzeichen, Fehler, Gebrechen, ja auch die beſondere Herkunft oder beſondere Ereigniſſe und Erlebniſſe, Anlaß, jeden einzelnen Gauner mit einem eigenen Spitznamen zu zinkenen, von denen jeder Gauner mindeſtens einen hat. So hieß der zum Studiren beſtimmte Damian Heſſel das Studentchen oder Bocherle, bis eine ekle Krankheit ihm einen andern Schmuz - namen verſchaffte; Matthias Weber von ſeiner bramarbaſirenden Wildheit Fetzer; die beiden Schifferſöhne Franz und Jan Bor - beck het Scheppertje. So gibt es den Beinamen Parrach (Grindkopf), Einäugiger, Einohr, Dicker, Langer, Schiefbein, Kurz - arm, Schnut u. ſ. w. Auch werden, wie im gemeinen Leben, die Geburtsörter zur Namensbezeichnung gebraucht, z. B. Hamburger, Frankfurter, Dresdener, Lübecker, Moislinger, Berliner, Stutt - garter, Franzos, Pollack u. ſ. w. Auch ein bürgerliches Gewerbe dient zur Bezeichnung, z. B. der Schuſter, Spengler, Scheren - ſchleifer, Keßler, Weber u. ſ. w. Die Kenntniß aller dieſer Namen in Verbindung mit der Perſon, welche ſie führt, iſt für den Polizeimann von großer Wichtigkeit, da alle Gauner ſolche Spitz - namen führen, und hinter dieſem Verſteck ihre Perſon und Ante - cedentien zu verbergen ſuchen. Die Namen, unter denen die Gauner öffentlich auftreten, ſind gewöhnlich falſch, ſo ſtrenge auch die Geſetzgebungen die Führung eines falſchen Namens zu be - ſtrafen angefangen haben. So oft ein Gauner einen Paß auf einen andern Namen erſchleichen, anfertigen, ſtehlen oder kaufen kann, verändert er den Namen nach dieſem Paß. Solange dies nicht gelingt, ſolange führt er ſeinen einmal angegebenen Namen unfreiwillig fort. Auf die Namen, unter welchen die Gauner frei69 auftreten, oder auf die urſprünglichen richtigen Namen iſt weit weniger Werth zu legen, als auf die Namen, unter welchen der Gauner in der Gaunerwelt bekannt iſt. Es iſt daher ein großes Verdienſt der neuern Polizeiliteratur, namentlich der Zeitſchriften, daß ſie beſtändig auf die verſchiedenen Namen, welche dieſes oder jenes Subject führt, aufmerkſam machen, da hierdurch die wahre Perſon und die Verhältniſſe viel leichter ermittelt werden können.

Die Führung mehrerer Namen bei den Juden, welche ihnen jetzt von den meiſten Geſetzgebungen unterſagt iſt, rührt bekannt - lich von der Namensänderung her, welche Abraham (urſprünglich Abram) und Sarah (Sarai) nach Geneſ., Kap. 17, V. 5 und 15, und Jſrael (Jakob), Geneſ., Kap. 32, V. 28, auf göttlichen Be - fehl vornahm, ſowie auch von den Beinamen, welche der ſterbende Jſrael (Geneſ., Kap. 49) beim letzten Segnen ſeinen Söhnen beilegte. 1)z. B. Juda, Arje, Löwe; Benjamin, Seew, Wolf u. ſ. w.Die Aenderung des Namens galt bei den Juden ſeit undenklichen Zeiten als ein Mittel, ein unglückliches Geſchick in ein günſtigeres zu verwandeln, weshalb in ſolchen Fällen bis auf die neueſte Zeit, z. B. bei ſchweren Krankheiten, die Reconvale - ſcenten entweder auf dem Krankenbette oder in der Synagoge vom Rabbiner ſich benſchen (ſegnen) und einen andern Namen beilegen ließen. Sehr häufig laſſen die Juden auch ihren Ge - ſchlechtsnamen, namentlich die Namen Kohen und Levi, fort, und begnügen ſich mit dem ſpeciellen Vornamen.

Zu dieſen uralten Willkürlichkeiten, denen erſt, wie bemerkt, in neueſter Zeit Einhalt gethan iſt, kommt aber die von den jüdi - ſchen Gaunern ſtark ausgebeutete allgemeine Verſtümmelung der urſprünglichen Namen, welche aber auch wieder in der ſchlechten Ausſprache ihren Grund hat. Dieſe Verſtümmelungen ſind ſo arg und durchgreifend, daß ſie dem Polizeimann geläufig ſein müſſen, weshalb denn nach den ſchon von Selig in ſeinem Lehr - buch der jüdiſch-deutſchen Sprache , S. 62, und von Schwencken, a. a. O., S. 27, gegebenen Verzeichniſſen die hauptſächlichſten Verſtümmelungen hier angeführt werden ſollen:

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  • Aaron,Arend, Arendchen.
  • Abigdon,Victor.
  • Abraham,Aberl, Afrom, Afroemche.
  • Aſcher,Anſchel, Maſchil.
  • Baruch,Boruch, Borach.
  • Benedict,Bendet.
  • Benjamin,Seef, Wolf, Wulf.
  • Chanoch,Hennig, Haendel.
  • Dowid,David, Dovidchen.
  • Elieſer,Eleaſſer, Leeſer, Leyſer, Loeſer, Laſer, Lazarus.
  • Elija,Elias, Elie.
  • Emanuel,Manuel, Mendel.
  • Ephraim,Fraime.
  • Feibel,Philipp.
  • Feidel,Feitele, Veitele, Veudt.
  • Feiſt,Feis.
  • Gabriel,Gafril, Gefril.
  • Gerſon,Geronam, Geronymus.
  • Gideon,Gedide.
  • Gumpel,Gumperts, Gumprecht, Gumperich.
  • Heinemann,Heim, Chaium, Chaimche, Heimann, Hermann.
  • Heſſekiel,Cheskel, Heskel.
  • Jakob,Jacof, Jecof, Jocof, Jaincof.
  • Jehudah,Juda, Juidel, Judchen, Löwe, Löb, Leo.
  • Jeremias,Jeremie.
  • Jeſajas,Jeſſel, Jees, Jeschaje.
  • Jiſſroel,Jſrael, Jſril, Jſrul, Jſſerl.
  • Jitzchak,Jſaak, Eiſech, Jtzek, Eiſſig, Jckzack, Jtzok, Gitzok.
  • Joachim,Jochime, Jochine, Jochum.
  • Joël,Jool, Jolchen, Jaulchen, Julius.
  • Jonas,Jone, Jonichen.
  • Kain (Chaijim),Chaium, Heyne, Heinemann.
  • Katz,Kahn.
  • Levi,Leib, Löb, Löw, Löbel, Lion, Leopold.
  • Lucas,Lickes.
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  • Manaſſes,Mones, Mannes.
  • Manus,Magnus, Mannes, Mantje.
  • Marcus,Mark, Mordchen, Mottchen.
  • Mataſſiohu,Matteus.
  • Mauſche,Moſes, Moſche, Moritz.
  • Michel,Machol, Macholchen.
  • Mordechai,Markus, Merkel.
  • Naphthali,Zewi, Hirſch, Hirſchel, Höſchel.
  • Nathan,Nathgen, Nahtje, Natiche, Noſen.
  • Sacharja,Zacharias.
  • Schimon,Simeon, Schimme, Schiman, Simschen.
  • Schimſchon,Samſon, Simſon.
  • Schlomo,Salamo, Salman.
  • Schmuel,Samuel, Sanwil.
  • Sender,Sendel, Alexander.
  • Tobias,Dubie, Debele.

Als die bekannteſten und gewöhnlichſten Judennamen hat Selig, a. a. O., S. 63, noch angeführt: Aaron, Uri, Efraim, Jttomer, Eljokim, Elchonan, Jckal, Brocho, Boruch, Berachia, God oder Gad, Gedalja, Gawriel (Gabriel), Don oder Dan, Hillel, Hendel, Hillmann, Walk oder Falk, Sußmann, Serach, Cheſkija, Febel, Joſſef oder Joſeph, Jachiel, Jaunoſſon oder Jo - nathan, Joir, Jainkof oder Jakob, Jokor, Jeruchom, Kaſſriel, Lemel, Moril, Moſchil, Meier, Michal, Monis, Mono, Mnachem, Meſchallem, Nauach oder Noah, Nachmann, Niſſan, Noſſon oder Nathan, Sender, Auſer, Aikiwa, Aſriel, Enſel, Feibeſch, Feibel oder Philipp, Peretz, Zemach, Koppel, Kaddiſch, Ruben, Schabſſe oder Schebſſel, Schallum, Schauel oder Saul, Schmaija, Tan - chem, welche Namen auch vielfach von jüdiſchen Gaunern geführt werden, und unter welchen ſich dann alle Gauner genau kennen.

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Zwanzigſtes Kapitel. η) Der Zinkplatz.

Endlich werden auch beſtimmte Oerter und Stellen von den Gaunern gezinkt, welche davon den Namen Zinkplätze füh - ren. Zinkplatz jüdiſch-deutſch Wiatzef, von〈…〉〈…〉 (jazaf, hizif), er hat aufgerichtet, hingeſtellt , wovon〈…〉〈…〉 [matzewo], Monument, Statue, Grabmal), oder Emet, Emmeſſ1)Das Wort〈…〉〈…〉 iſt eine kabbaliſtiſche Bildung aus den drei letzten Buchſtaben der drei erſten Worte der Thora (mit Bezug auf Pſalm 119, V. 160, wo es heißt:〈…〉〈…〉 der Anfang deiner Worte iſt Wahr - heit ), um die Wahrheit der Schöpfung durch Gott nachzuweiſen, und daß die Wahrheit obenan ſteht:〈…〉〈…〉 (bereschit bara elohim) im Anfange ſchuf Gott . Die drei letzten Buchſtaben in der Anordnung〈…〉〈…〉 bilden das Wort emet, emmess, die Wahrheit. Dies Wort iſt voll - ſtändig in die Gaunerſprache aufgenommen worden und bedeutet die Wahr - heit, ganz beſonders aber das Geſtändniß im Verhör. Emmeſſ machen, ſchmuſen, dabbern, dibbern, medabbern, Geſtändniß ablegen; auch Emmeſſ pfeifen, als verächtliche, erbitterte Bezeichnung des verrätheriſchen Geſtändniſſes (Sſlichnens).,〈…〉〈…〉, die Wahrheit, Beſtimmtheit heißt jeder von Gaunern beſonders bezeichnete und beſtimmte Ort, und kann daher ſowol jede Be - hauſung als auch jede Stelle im Freien auf Wegen, im Feld und Wald ſein. Der Zinkplatz, Wiatzef oder Emmeſſ, dient zur Ver - mittelung der gauneriſchen Communication, wie auch zum beſon - dern Verſammlungsort vor oder nach einem Handel. Auf dem Wiatzef, der jedesmal ſchon bei dem Baldowern, ſpäteſtens nahe vor Ausübung des einzelnen Diebſtahls, beſtimmt wird, verſam - melt ſich die Chawruſſe, und zieht ſich auch wieder auf denſelben nach vollbrachter That zurück, wenn nicht dafür ein anderer Wiatzef als Jntippel (ſ. d.) beſtimmt, oder das Unternehmen ge - ſtört und die Chawruſſe auf die Flucht gejagt iſt. Beſteht der baldowerte Maſſematten aus ſchwer zu transportirenden Gegen - ſtänden, die nicht bequem in Tragſäcken, Kiſſimer (von〈…〉〈…〉, Beutel, Säckel) fortzuſchaffen ſind, ſo bleibt ein Chäwer auf dem73 Zinkplatz mit dem Fuhrwerk, Agole, Michſegole, zurück. Zum Zinkplatz, wo das Fuhrwerk die Diebe erwartet, wird eine ver - ſteckte Stelle hinter einem Gebäude der Vorſtadt, hinter einem Stall, oder einer Scheune oder unweit des Thors, zur Seite einer dunkeln Allee, gewählt, wobei denn die Geſchicklichkeit des Fuhrmanns darin beſteht, dem Begegnenden oder Beobachtenden irgendeinen unverfänglichen Vorwand anzudeuten, warum er hier hält, z. B. daß er dem Pferde zupfeift oder auch vom Wagen ſteigt und am Geſchirr umherſchnallt, als ob etwas daran ſchad - haft geworden iſt, oder auch die Pferde füttert. Mislingt ihm dies Bemühen, und kann er, ohne Verdacht bei dem Beobachtenden zu erregen, nicht bleiben, ſo iſt er abgezinkt, und er muß weg - fahren. Abgezinkt iſt überhaupt jeder Dieb, der bemerkt und be - obachtet, und daher in ſeinem Unternehmen verhindert iſt, oder auch nach vollbrachtem Diebſtahl Spuren nachgelaſſen hat, an denen er erkannt und entdeckt werden kann. Vgl. im Wörter - buch: zinken und abzinken.

Einundzwanzigſtes Kapitel. c) Der Vertuſſ.

Vertuſſ vom Mittelhochdeutſchen tüſchen, täuſchen, Niederdeutſch tüſchen und tüſſen1)Jm Niederdeutſchen iſt das Tüſchen und Tüſſen auch jetzt noch durch - gehender Sprachgebrauch. Tüſſ, tüſſ! iſt die begütigende und abweiſende Zuſprache bei ausbrechender Leidenſchaft oder unrechtfertigen Handlungen und bedeutet: Still doch! Dieſe Ableitung erſcheint natürlicher als die vom ſüdiſch-deutſchen〈…〉〈…〉 (teschuoss), der donnernde polternde Lärmen. Vgl. das hebräiſche〈…〉〈…〉, Sturm, Donnerwetter, Verwüſtung., verdecken, zudecken, beſchöni - gen, beſänftigen bedeutet, dem Sinne des heutigen volksthümlichen Worts vertuſchen entſprechend, die Verdeckung einer Handlung durch Vornahme einer andern, welche die Aufmerkſamkeit der An - weſenden in Anſpruch nimmt. Der Vertuſſ iſt ſomit jede Hand - lung, welche dazu dient, die Aufmerkſamkeit von jener Haupt -74 handlung abzulenken, und darf deshalb nicht mit Thiele blos als Gedränge1)Der Schrekener wird ja auch Vertuſſer genannt, und wird ſchwerlich in einem Gewölbe oder Laden Gelegenheit und nöthig haben, ein Gedränge zu machen. S. weiter unten Das Schrekenen . überſetzt werden, da das verabredete Gedränge nur eine der vielen ſecundären vertuſſenden Handlungen iſt. Der Vertuſſer oder Vertuſſmacher hat, zur Unterſtützung ſeines Kameraden, bei öffentlicher Gelegenheit einen Freier, das heißt die Perſon, die beſtohlen werden ſoll, nach Verabredung, nach gemeinſamer Kunſtregel und nach Ort und Gelegenheit ſo zu beſchäftigen, daß des Freiers Aufmerkſamkeit auf ihn gelenkt und vom Diebe abgeleitet wird. So macht der Gauner Vertuſſ, wenn er vor einem Schauladen auffallende Bemerkungen macht, auf - ſehenerregende Handlungen begeht, z. B. wie durch Zufall eine Fenſterſcheibe einſtößt, damit, im Aufſehen auf ihn, ſein Kamerad einem Nebenſtehenden in die Taſche langen kann. Vertuſſ macht der Gauner, der den Freier an irgendeinem öffentlichen Ort wie einen alten Bekannten umarmt, hält und beſchäftigt, während ſein Kamerad jenem oder auch einem nahen andern die Uhr oder Doſe nimmt; oder der Gauner, der ſein Kind öffentlich mis - handelt und die Aufmerkſamkeit auf ſich und das Kind zieht; oder der mit Jemanden auf öffentlichem Wege Streit anfängt, oder epileptiſche Zufälle ſimulirt, den Betrunkenen ſpielt, als ſcharfer Reiter ſein Pferd ſtraft u. ſ. w., ohne daß jedoch gerade ein Ge - dränge dabei nothwendig wäre. Freilich wird oft verſucht, ein Gedränge zu bewirken, namentlich bei Zuſammenfluß einer größern Menſchenmenge, was auf Jahrmärkten, im Theater und bei öffentlichen Verſammlungen beſonders der Fall iſt, vorzüglich wenn kein ſpecieller Vertuſſ verabredet iſt, und der Dieb, der einen guten Freier in der Nähe hat, plötzlich den Zink zum Vertuſſ gibt. Bei dem Vertuſſ mit Gedränge fallen häufig arge Prügeleien vor, und der dienſtgefällige Vertuſſmacher muß die alte ſilberne Spindel - uhr, die ſein Kamerad dabei ſtiehlt, meiſt immer mit ſchmerzhaften Beulen und aufgelaufenem Geſichte bezahlen, wenn er nicht gar75 überdies noch als Händelmacher zur Haft und Unterſuchung gezogen wird. Der Dieb kann aber auch ſelbſt, ohne Beihülfe eines Dritten, Vertuſſ machen, z. B. durch Simulation von Trunkenheit oder Albernheit, oder durch Provocation ſonſtiger Auffälligkeiten, welche die lebhafte Aufmerkſamkeit nach einer be - ſtimmten Richtung lenken, wie dies z. B. durch Feuerruf in Thea - tern und zahlreichen Verſammlungen geſchieht. Auf alle Fälle iſt es klug und geboten, jeden, der öffentliches Aufſehen erregende auffällige Handlungen begeht, oder Händel anſtiftet, ſofort anzu - halten, zu unterſuchen, und nach Befinden zu ſtrafen, wozu ſchon der bloße Bruch des Friedens auf Märkten und offenen Wegen und Stegen genugſame Veranlaſſung gibt, wenn man auch nicht immer im Stande iſt, die öffentlich dargelegten Affecte und Ge - brechen gleich auf der Stelle als Simulation und Vertuſſ zu unterſcheiden. Jn dieſer Beziehung zählt ſchon der Liber Vaga - torum eine Menge Vertuſſarten auf, die auch noch heutiges Tages in Anwendung kommen. Mehr als einmal hat wol jeder Polizei - mann verfolgte Bettler und Hauseinſchleicher die Krücken weg - werfen und eiligſt davon laufen ſehen, daß, wie der Liber Vaga - torum ſagt, ein Pferd ihn nicht möcht erreichen . Ein faſt täglich und beſonders von Kindern gemachter und immer noch nicht ſogleich richtig gewürdigter Vertuſſ iſt das laute Weinen und Jammern auf den Straßen unter dem Vorgeben, Geld ver - loren oder ein Geräth zerbrochen zu haben, um die Vorüber - gehenden zum Mitleid zu bewegen, die meiſtens auch ſehr raſch eine oft überreichliche Collecte veranſtalten. Jn dieſer Weiſe gibt es noch unzählige Vertuſſarten, die zumeiſt auf das Mitleid be - rechnet ſind, und gegen die man ſich nur durch kalte Beſonnen - heit ſchützen kann.

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Zweiundzwanzigſtes Kapitel. α) Das Schrekenen.

Obſchon, nach der bereits angeführten Etymologie1)Die Ableitung von〈…〉〈…〉 (sorak), werfen, bei Thiele, iſt falſch und gibt auch keinen Sinn., das jüdiſch-deutſche Wort Schreko gleichbedeutend iſt mit dem Worte Zinken, ſo wird das davon abgeleitete Schrekener, ſchrekenen oder Srikener, ſrikenen, doch nur im beſchränktern Sinne des Vertuſſers, und zwar auch dabei wiederum in der Beſchränkung auf Diebſtähle in offenen Läden und Gewölben, und vor den Augen des Verkäufers, beſonders beim Schottenfellen und Chilfen, gebraucht. Der Schrekener oder Srikener begleitet den Ladendieb (den Schautenpicker) oder den Chalfen in die Gewölbe und Läden, und hat dabei die Aufgabe, Vertuſſ zu machen (weshalb der Srikener auch Vertuſſer genannt wird), oder, wie das Vertuſſ - machen ſpeciell in Läden und Gewölben heißt, zu ſrekenen, d. h. des Verkäufers Aufmerkſamkeit zu feſſeln, damit ſein Kame - rad, der Schautenpicker, deſto unvermerkter ſtehlen kann. Ueber dieſes Srekenen wird bei dem Kapitel vom Schottenfellen und Chilfen weiter geſprochen werden.

Dreiundzwanzigſtes Kapitel. β) Das Meiſtern.

Eine ſehr ſchwierige und feine Art des Vertuſſ iſt das Mei - ſtern. Darunter verſteht man die von dem Begleiter eines Diebes, oder von dem letztern ſelbſt bei Verübung eines Diebſtahls aus - gehende Beſchäftigung und Bannung der Aufmerkſamkeit des unerwartet herannahenden Freiers oder einer dritten Perſon, da - mit das ſchon begonnene Unternehmen verborgen bleibe, oder die Vollendung deſſelben nicht geſtört, auf alle Fälle aber mindeſtens77 der Rückzug geſichert werde. Man begreift, welche Geiſtesgegen - wart und Verwegenheit dazu gehört, ein ſo plötzliches Dazukommen, den Aufſtoß, nicht nur zur Sicherheit der Gauner, ſondern auch zur Fortſetzung und Vollendung des Verbrechens zu paralyſiren. Gerade hierin enthält die Geſchichte des Gaunerthums zahlreiche Beiſpiele von erſtaunlicher Geiſtesgegenwart und Frivolität. 1)Als Lips Tullian nach dem großen Brande in Wurzen in die Dom - kirche gebrochen war und die Wächter auf das Geräuſch, welches beim Auf - brechen der Sakriſteithür entſtand, herbeieilten, den im Fenſter ſitzenden Lips Tullian jedoch nicht bemerkten, ſich aber dem Fenſter gegenüber unter einen Baum ſetzten, trat Tullian’s Kamerad Zimmermann, der Schmire geſtanden hatte, heran, ſpielte den ſchwer Betrunkenen und hockte dicht bei den Wächtern nieder, indem er ſeine Nothdurft verrichtete, worauf ſich die Wächter lachend und murrend zurückzogen. Vgl. Lips Tullian , I, S. 165 u. 166.Vorzüglich fällt den Schmiren das Meiſtern zu, weshalb denn auch die geübteſten Gauner zu Schmiren ausgeſtellt zu werden pflegen. Außerhalb des Hauſes iſt es den Schmiren meiſtens nicht ſehr ſchwer, den in ſpäter Nacht vielleicht aus fröhlicher Geſellſchaft zurückkehrenden Freier durch Fragen, Bemerkungen u. dgl. aufzuhalten. Auch läßt ſich die Aufmerkſamkeit der Nacht - wächter leicht auf Nebendinge lenken, indem nach der Uhr gefragt und ein Geſpräch angefangen, in einiger Entfernung vielleicht von einem andern Kameraden Geräuſch als Vertuſſ gemacht wird, um die Aufmerkſamkeit der Wächter dorthin zu ziehen. 2)Die Rheiniſchen Banden hatten ein beſonderes Geſchick, die Aufmerk - ſamkeit der Nachtwachen auf Stadttheile zu richten, welche gerade in entgegen - geſetzter Richtung von den Stadttheilen lagen, wo der Maſſematten gehandelt werden ſollte.Es ſind neuere Fälle bekannt, daß mit einem aus dem Fenſter blicken - den Hausmädchen ein Liebesgeſpräch begonnen wurde, während um die Ecke des Hauſes der andere Dieb die Fenſterſcheibe aus - ſchnitt. Jn einem andern Falle wurde bei einem Ständchen mit Guitarrebegleitung im Nachbarhauſe eingeſtiegen, um dem das Rou - leau aufziehenden Freier die Gegenwart zweier als Schmiren auf - geſtellter Perſonen auf der Straße zu motiviren. Sehr bedenklich iſt das Meiſtern beim Aufſtoß im Hauſe, namentlich zur Nacht -78 zeit, in welchem Falle meiſtens die Flucht verſucht, wenn nicht zur Gegenwehr und Gewalt gegriffen wird. Am Tage iſt die Gegenwart eines Fremden, der beim Aufſtoß ſogleich nach einem Herrn Müller, Meyer oder Fiſcher u. ſ. w. fragt, einigermaßen unverdächtig anzuſehen, namentlich wenn er ſich als Geſchäfts - mann zu irgendeinem Gewerbe, als zum Zahnausziehen, Friſiren, Raſiren, Klavierſtimmen, Tapeziren, Uhrenaufziehen, oder die weibliche Gaunerin als Hebamme, Lavementſetzerin, Putzhändlerin beſtellt, in Gaſthöfen auch wol fich ſogar für eine disponible Perſon ausgibt. Selbſt im ſchon aufgeſchloſſenen Zimmer kann der Dieb beim Aufſtoß ſich als für ein ſolches Gewerbe beſtellt geltend machen und ſein Eintreten durch die offengefundene Thür artig entſchuldigen. 1)Einen ſolchen ſehr pikanten Fall erzählt Thiele, a. a. O., I, 37. Hirſch Salomon Wohlauer, der im Jahre 1830 das Logis eines in Berlin anweſenden fremden Leinwandhändlers aufgeſchloſſen, aus einer Schublade 62 Thaler entwandt hatte, und ſchon im Begriff war fortzugehen, wurde vom unerwartet dazu kommenden Beſtohlenen noch im Zimmer betroffen. Ohne die mindeſte Verlegenheit redete Wohlauer jenen an, wie er ſo unvorſichtig ſein könne, die Thür offen zu laſſen, die er offen gefunden habe, als er gekommen ſei, um Leinwand zu kaufen. Wohlauer kaufte hierauf dem Beſtohlenen noch ein Stück Leinwand ab, bezahlte es mit dem geſtohlenen Gelde und entfernte ſich unangefochten.Aus gleicher Vorſicht geht der ſchon mit geſtohlenen Sachen bepackte Dieb ſtets rückwärts die Treppen hinab, indem er bei herannahendem Geräuſch ſofort die Treppen hinanſteigen kann, als ob er Sachen an Herrn Müller, Meyer, Fiſcher u. ſ. w. bringen will, wobei er denn meiſtens von dem Beſtohlenen ſelbſt als in eine falſche Wohnung gerathen, aus dem Hauſe gewieſen wird, das er denn auch mit einer flüchtigen Ent - ſchuldigung raſch verläßt. Andere feſte Regeln können kaum an - geführt werden. Die jedesmalige Situation gibt die Rorm, beim Aufſtoß den Freier zu meiſtern, damit der Maſſematten vollſtändig gehandelt werde.

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Vierundzwanzigſtes Kapitel. γ) Das Zuplanten.

Mit der Vollendung des Diebſtahls iſt der Beſitz des ge - ſtohlenen Guts noch nicht gleich geſichert und die Gefahr der Entdeckung noch nicht gleich beſeitigt. Der Gauner weiß, daß der Beſitz einer geſtohlenen Sache ein ſchweres Jndicium gegen ihn iſt. Deshalb iſt ſeine erſte Sorge, das Geſtohlene ſofort aus ſeinen Händen in die der Genoſſen zu geben, deren Gegenwart oder Betheiligung beim Diebſtahle gar nicht oder doch ſchwieriger zu beweiſen iſt. Dieſes raſche und heimliche Fortgeben in die Hände der Genoſſen heißt zuplanten1)D. h. zupflanzen, in die Hand eines Dritten pflanzen. Dies Wort ſteht der Bedeutung nach mit der Kawure in enger Beziehung, ſ. das Ka - pitel Kawure. Die ſpaniſche Gaunerſprache, Germania genannt, hat Plantar, eingraben, kawure legen., und geht äußerſt behende und raſch von ſtatten, da bei allen gewagtern Unter - nehmungen, die ein Zuplanten nöthig und nützlich machen, ſich die Genoſſen jedesmal dazu bereithalten, das Geſtohlene dem Diebe raſch abzunehmen. So iſt oft ſchon eine Uhr oder Doſe längſt aus dem Theater, ehe der noch bei dem Diebe ſitzende Beſtohlene (Balhei) dieſelbe vermißt. Der Balhei hat nun ſelbſt bei dem dringendſten Verdacht keinen Beweis gegen den Dieb, und ſetzt ſich bei einer Anſchuldigung den gröbſten Beleidigungen oder ſogar einer läſtigen gerichtlichen Procedur aus. Oft iſt aber auch der Verdacht ſo raſch und dringend, daß der Gauner das Geſtoh - lene nicht ſchnell genug den Genoſſen zuſtecken kann. Hier kommt es nun darauf an, dem Balhei ſelbſt oder dem erſten beſten in der Nähe befindlichen Unbekannten unvermerkt das Geſtohlene zu - zuplanten, was häufig bei der erſtaunlichen Fertigkeit der Gauner glänzend gelingt, und dann den anſchuldigenden Balhei in die peinlichſte Situation verſetzt. Frappant ſind die Fälle, welche Thiele bei Gelegenheit der Löwenthal’ſchen Unterſuchung erzählt. 2)Jn dem einen Falle wußte der Gauner Wolff Moſes am 18. Mai 183080Das Zuplanten und das Chilfen erfordert die äußerſte Gewandt - heit, und gilt daher bei den Gaunern als Bravourſtück, deſſen ſie ſich gern und laut unter ihresgleichen berühmen, ſobald ihnen ein ſolches Geſchäft gelungen iſt. Es iſt auch die Hauptgrund - lage bei der Taſchenſpielerkunſt, womit eine Unzahl reiſender Gauner das Publikum in Erſtaunen zu ſetzen weiß. Das Ein - verſtändniß der Gauner zeigt ſich aber am gefährlichſten bei den Beſuchen, zu denen ſich die wirklichen und angeblichen Angehörigen des gefangenen Gauners in die Gefängniſſe zu drängen ſuchen, um letzterm Geld und Fluchtmittel zuzuplanten. Ungeachtet der Gegenwart des Gefängnißbeamten und ſeiner genaueſten Auf -2)nicht weniger als 30 Thaler, die er einem Handelsmann beim Wechſeln aus der Geldkatze geſtohlen hatte, dieſem wieder zuzuplanten, als derſelbe ihn anhielt, ihm ins Quartier folgte und dort auf Wolff Moſes Verlangen ſein Geld nachzählte, welches er nun mit Staunen ganz richtig fand. Jn einem andern Falle wußte Jakob Bernhardt, aus dem lübeckiſchen Dorfe Moisling, in einem berliner Laden, wo er Medaillen ſtehlen wollte, und von dem zuvor gewarnten Ladenbeſitzer nebſt zwei im Laden verſteckten Polizeibeamten ſcharf beobachtet wurde, nicht nur dennoch vier Medaillen zu ſtehlen, ſondern auch bei ſeiner Arretirung unvermerkt dem ihn begleitenden Polizeicommiſſarius in die Taſche zuzuplanten. Vgl. Thiele, a. a. O., II, 111. Unübertroffen bleibt jedoch die Gewandtheit und Frechheit des Cartouche. Als er nämlich am meiſten in Paris von ſich reden machte, äußerte der König einmal bei der Abendtafel, er möchte den Cartouche doch wol einmal ſehen. Andern Morgens auf dem Wege nach dem Audienzſaal, in Begleitung zweier Kammerherren, bemerkte der König in einem Zimmer einen Menſchen, der die filbernen Wandleuchter zu poliren ſchien. Die Leiter, auf welcher er ſtand, drehte ſich ſowie der König ſich näherte, und wollte umfallen. Der König ſprang ſogleich hinzu und hielt ſie mit den Worten: Nehmen Sie ſich in Acht, Sie konnten leicht verunglücken . Cartouche ſtieg jetzt von der Leiter, machte dem Könige ſeine Verbeugung mit den Worten: Ew. Majeſtät ſind ein zu gnädiger Monarch, unter deſſen Schutz ich nie verunglücken werde. Der König lächelte über dieſe Worte des vermeinten Leuchterputzers, und ging in den Audienzſaal, in welchem er ſofort in die Taſche nach ſeiner Doſe griff. Zu ſeinem Erſtaunen lag in der Doſe ein Billet: Cartouche hat die Ehre gehabt mit Ew. Maje - ſtät zu ſprechen. Er konnte die filbernen Wandleuchter nehmen und auch Ew. Majeſtät Doſe, denn ſie waren in ſeinen Händen; allein Cartouche raubt ſeinem Könige nichts. Er wollte nur Ew. Majeſtät Wunſch erfüllen. Na - türlich hatte Cartouche ſich ſogleich aus dem Staube gemacht. Vgl. Neueſtes Räuber -, Diebs - und Gaunerarchiv (Quedlinburg 1812), S. 138.81 merkſamkeit kann es nicht verhindert werden, daß der gefangene Gauner dem ihm vielleicht ganz ferne ſtehenden, aber durch den erſten Blick und Zink als Gauner nahe verbundenen Beſucher weinend mit affectirter Leidenſchaft um den Hals fällt, daß er ihm im unendlichen Schmerze mit den Händen an den Kopf faßt, ihn herzt, und inzwiſchen ihm aus dem Halstuch, Haar, Ohr oder Bart eine feine Feder oder Feile herauszieht, während ſein feſt auf den Mund des Beſuchers gepreßter Mund einen Klamo - niſſ oder ein Goldſtück in Empfang nimmt. Vorzüglich drängen ſich in dieſer Weiſe die Weiber und Concubinen in die Gefängniſſe, und bringen auch Kinder mit, die oft dem Gauner ganz fremd ſind, an deren Gegenwart er jedoch gleich bemerkt, daß in der Flöte, Trompete oder dem andern unverdächtigen Spielzeug des Kindes ein Gegenſtand ſteckt, den er im unſchuldigen Scherzen und Spielen mit dem Kinde geſchickt herauszuholen weiß. Auch drängt ſich häufig ein getreuer Pudel oder Spitzhund mitherein, ſpringt an den lang vermißten Herrn wedelnd in die Höhe, der ihn gerührt umarmt und liebkoſt, dabei aber unter dem Schwanz, Halsband oder aus dem dichten Haar zwiſchen den Vorderbeinen des Thiers die Klamoniſſ, Feilen u. dgl. herauszieht, die ſeine Genoſſen daran befeſtigt haben. Die Hunde ſpielen überhaupt eine wichtige Rolle bei den Gaunern. Abgeſehen von dem merk - würdigen, faſt hiſtoriſch gewordenen Hunde des Bairiſchen Hieſel, der in der That die tapferſte und gefürchtetſte Begleitung des Hieſel war, findet man die beſtdreſſirten Hunde bei Gaunern, die ja auch häufig mit ihnen zur Schau umherziehen. Die Hunde ſind nicht nur dazu abgerichtet, alles, was der Herr hinwirft, auf - zugreifen und an niemand als an dieſen abzulaſſen1)Als der Gauner Tom Gerhard am 24. Auguſt 1711 zu Tyburn ge - henkt wurde, lief ſein ſehr hübſcher Bologneſerhund dem presbyterianiſchen Geiſtlichen Dr. Burges zu, welcher ſich des verwaiſten Thieres annahm. Zum Schrecken des geiſtlichen Herrn zeigte der Hund jedoch bald bei den Gängen durch die Straßen, daß er ſehr geſchickt den Leuten die Geldbeutel aus der Hand wegzuſchnappen wußte, welche er ſeinem Herrn brachte. Dieſer ließ nun aus Furcht, daß auch im Verſammlungshauſe einmal das bedenkliche Talent: ſie rennenAvé-Lallemant, Gaunerthum. II. 682auch auf einen Wink des Herrn davon, wenn er ihnen bei einem Taſchendiebſtahl das Geſtohlene hinwirft, ja ſie ſpringen, auf einen Wink des Herrn, hurtig auf einen bezeichneten Gegenſtand zu und rennen damit fort, während der Gauner hinter ſeinen Hund herläuft, als ob er ihm das Geſtohlene abjagen wollte, und mit ihm ver - ſchwindet. Ueber andere Arten des Zuplantens wird gelegentlich weiter geſprochen werden.

Fünſundzwanzigſtes Kapitel. d) Das Hrennen.

Der innige Zuſammenhang des Gaunerthums, die gemein - ſame Kenntniß der gewerbsmäßigen Kunſtgriffe, der geübte Blick, den unter dem Schein bürgerlicher Ehrlichkeit einhergehenden gaune - riſchen Genoſſen alsbald unter der Maske zu erkennen, das raſche Auffinden aller geheimen Schlupfwinkel im fremden Orte, und der ſcharfe Ueberblick des Verkehrs in demſelben, befähigt den Gauner, nicht nur ſehr bald, alle ihm verwandten Elemente auszuſpähen, ſondern auch raſche Kunde von allen vollführten Unternehmungen zu erlangen. Die Gauner, welche einen glücklichen Handel ge - macht haben, erhalten daher ſofortigen Zuſpruch von Genoſſen, die an dem Handel ſelbſt nicht theilgenommen haben, und werden theils beglückwünſcht, theils erhalten ſie Winke und Anerbietungen, das Geſtohlene beiſeite zu bringen und That und Thäterſchaft zu verhehlen, theils endlich ſucht die geſchäftige Eigennützigkeit eine drohende Gefahr darzuſtellen, Verſchwiegenheit und Beihülfe zu geloben und ſonſt ſich wichtig zu machen. Meiſtens ſind dieſe Gratulanten Gauner, die am Orte ſelbſt wohnen, und daher an dieſem nicht leicht ſelbſt ein Unternehmen wagen dürfen, häufig1)zum Ausbruch kommen möchte, das verfängliche Erbſtück auf dieſelbe Weiſe aus der Welt befördern, wie dem Erblaſſer geſchehen war. Vgl. Smith, a. a. O., S. 373.83 auch beſtechliche Vigilanten, oft aber auch fremde Gauner, denen die Kunſtreiſe misglückt iſt, indem ſich ihnen keine günſtige Ge - legenheit zu einem Handel darbot. Beſuche der Art ſind den glücklichen Gaunern ſo läſtig wie gefährlich, da dieſe rührige Be - wegung des Gaunerthums dem ſcharfen Blicke des geübten Poli - zeimanns nicht leicht entgeht, weshalb denn auch ein Grund mehr für den Dieb vorhanden iſt, zur Sicherheit ſeiner Perſon und des Geſtohlenen ſich ſo raſch wie möglich aus dem Staube zu machen. Oft können jedoch die glücklichen Gauner der läſtigen Gratulation dennoch nicht entgehen, und müſſen daher die durch Herkommen eingeführte, nach Umſtänden unverſchämt dreiſt und hoch geforderte Gewerbsſteuer, das Branntweingeld1)Jüdiſch-deutſch Schibbauleſſ, von〈…〉〈…〉, die Kornähre, wie über - haupt jeder Antheil an der Diebsbeute genannt wird, den ein Vertrauter für irgend geleiſtete Dienſte erhält, der nicht ſelbſt direct den Maſſematten mit - gehandelt hat. Vgl. Schränken, Cheluke halten. , den Gratulanten, Bren - nern, bezahlen, welche ſie um das Branntweingeld brennen. 2)Die Etymologie iſt wol am richtigſten von berennen (insilire), nicht wol von brennen (urere), wofür der Ausdruck ſarfenen der gebräuch - liche iſt. Das Wort Branntweingeld iſt erſt eine neuere Ableitung.

Sechsundzwanzigſtes Kapitel. e) Das Maremokum.

Das geheime Verſtändniß und die verſteckte Verbindung des Gaunerthums wird auch ſelbſt im Gefängniſſe nicht unterbrochen, ſo ſehr alle Mittel von der Behörde angewandt werden, die Ver - bindung zu verhindern. Das geſammte gauneriſche Jntereſſe er - fordert, den gefangenen Gauner ſobald als möglich wieder auf freien Fuß zu bringen. Wo dieſe Befreiung nicht durch äußere Gewalt, durch Beſtechung der Gefangenwärter, oder durch Zu - planten von Befreiungsmitteln erreicht werden kann, wird der Weg des Alibibeweiſes eingeſchlagen. Der hartnäckig leugnende6*84Gauner kann beſtimmt darauf rechnen, daß ſeine Genoſſen baldigſt Zeugen ſtellen werden, welche ſeine Gegenwart an einem fern - liegenden Aufenthalte zur Zeit des verübten Verbrechens bereit - willig beſchwören. Dieſer gewerbs - und pflichtmäßige Alibibeweis wird das Maremokum genannt, von〈…〉〈…〉 Mare, das Sehen, die Erſcheinung, perſönliche Erſcheinung, Geſtalt, und〈…〉〈…〉 (mokom), Ort, Wohnort, Ortſchaft, Stadt, Dorf, in der Compoſition Maremokum, Ortsanzeiger (auch Buchregiſter), der falſche Beweis des Alibi und der falſche Alibizeuge1)〈…〉〈…〉, Eed oder Eid, der Zeuge; Eed ſcheker, der falſche Zeuge; Eduſſ, das Zeugniß; Eduſſ machen, Zeugniß ablegen. ſelbſt; daher die Redensarten: Maremokum dafnen, Maremokum auſſe ſein, Maremokum geben, Maremokum thun oder machen, ein falſches Alibi einzeugen; Maremokum ſtellen, die falſchen Alibizeugen ſtellen.

Gewöhnlich wird ſchon, vor der Ausübung des Verbrechens, auf alle Fälle im voraus beſtimmt, wo der Gauner ſich auf - gehalten haben ſoll, ſodaß ſeine gerichtliche Ausſage mit der der Zeugen in Uebereinſtimmung gebracht werden kann. Meiſtens iſt das die Behauſung des Gauners ſelbſt, wenn dieſe nicht allzu weit vom Orte des Verbrechens liegt. Jn dieſem Falle ſtellen die Weiber und Angehörige ſofort und ohne weiteres die Zeugen. An entferntern Orten, wo der Gauner ſchon ſelbſt oder auf der Reiſe geſehen worden iſt, beſchwören, ſobald die Gefangenſchaft und die Zeit des Diebſtahls bekannt worden iſt, die von der Ge - noſſenſchaft oder Begleitung gekauften Zeugen das Alibi. Ein einziger von den unzähligen Zinken genügt, um den Gefangenen zu einer übereinſtimmenden Angabe zu befähigen, oder die bisher nur theilweiſe Verſtändigung vollkommen zu ergänzen. An Zeugen fehlt es nie. Es iſt eine herbe Wahrheit, daß ſich beſonders chriſt - liche Zeugen immer bereit finden laſſen, für Geld das Maremokum zu beſchwören, ja daß manche ein ſtehendes Gewerbe davon machen, während die Zahl der Juden dagegen immer nur ſehr gering iſt. Frappant iſt das von Thiele aus der Löwenthal’ſchen85 Unterſuchung, I, 113, angeführte Beiſpiel, daß ſogar der Bürger - meiſter zu Betſche zu Gunſten des Moſes Levi Altenburger be - ſchwor, daß er denſelben am 28. Mai 1830, an welchem Tage Altenburger einen großen Nachſchlüſſeldiebſtahl zu Strehlen be - gangen hatte, des Morgens mit einer brennenden Pfeife in Betſche geſehen habe. Gleich überraſchend iſt Thiele’s ſtatitiſche Notiz, daß in jener Unterſuchung achtundzwanzig ſolcher fal - ſcher Zeugen implicirt waren, unter denen ſich nur ein einziger Jude befand. 1)Wie kann man über den ſittlichen Verfall im chriſtlichen Deutſchland ſich noch wundern, wenn der Eid als handwerksmäßiges Beweismittel von Advocaten und Richtern in faſt jedem Civilproceß gebraucht und, höchſtens nur nach einer mechaniſch von Actuar hergeleſenen Verwarnung vor Meineid, ge - leiſtet, und ſo wenig oder gar nichts von demſelben Gerichte, das doch auch den Meineid als ſchweres Verbrechen beſtraft, gethan wird, um die Erhaben - heit und Heiligkeit der eidlichen Verſicherung dem leichtſinnigen oder rohen Zeugen recht einleuchtend zu machen und einer gottesdienſtlichen Feierlichkeit zu nähern. Wie wenig wird bei der oft maſſenhaften gleichzeitigen Beeidigung einer Menge Zeugen die concrete Jndividualität und die Möglichkeit ihres Verfalls in tiefen Aberglauben berückſichtigt, der eine Menge gottloſer Mittel an die Hand gibt, ſelbſt den wiſſentlichen Meineid für das Gewiſſen ohne ſtörenden Einfluß zu belaſſen. Wie feierlich und würdig iſt dagegen die Förmlich - keit bei Ableiſtung eines Judeneides! Man vergleiche hierzu die Verhandlungen des Thüringer Kirchentags zu Waltershauſen vom 20. u. 21. Juli 1857, bei welchen der Kirchenrath Schwarz aus Gotha hervorhob: daß die Religion nicht im Dienſte des Staats ſtehe, folglich auch nicht der Eid, der nicht in den Händen der Obrigkeit als Unterſuchungsmittel ſein dürfe .Das Maremokum erſcheint ſomit als ein bitteres Kriterium unſerer zerfahrenen bürgerlichen und chriſtlich-kirchlichen Zuſtände, ſowie nicht minder als ein leicht erklärlicher Ausfluß des handwerksmäßigen Gebrauchs des Eides vor den Gerichten.

Siebenundzwanzigſtes Kapitel. f) Das Kaſſpern.

Das Kaſſpern, die Kaſſperei, von〈…〉〈…〉 (kosaw), jemand belügen, heucheln, täuſchen, durchſtechen, bedeutet jeden geheimen86 mündlichen aber auch ſchriftlichen Verkehr1)Die Kaſſiwe oder der Kaſſiwer bedeutet überhaupt jeden Brief, auch jedes zur Legitimation dienende Document, Paß, Heimatsſchein, Geburts - ſchein u. dgl., iſt aber nicht von〈…〉〈…〉, ſondern von〈…〉〈…〉 (kosaw), er hat geſchrie - ben, herzuleiten. Vgl. die Kaſſiwer und das Fleppemelochnen, Kap. 31 u. 88, wie auch die Etymologie des Jedionen in Kap. 69, wo das ähnliche〈…〉〈…〉 erläutert iſt. der Gefangenen unter ſich oder mit andern in der Freiheit befindlichen Gaunern, iſt mithin der allgemeine Ausdruck für die geſammte dem Gauner im Gefängniß mögliche Verſtändigung mit ſeinesgleichen, zu welcher auch in mehrfacher Hinſicht das bereits abgehandelte Zinkenen und Zuplanten gehört.

Wer das Treiben in den Gefängniſſen, namentlich in den Unterſuchungsgefängniſſen beobachtet hat, in denen durchgängig eine mildere Behandlung der Gefangenen ſtattfindet, der muß geſtehen, daß gerade alles, was im Gefängniſſe ſich befindet, und was in dieſelben hineingeräth oder aus denſelben herauskommt, dem ſcharfen erfinderiſchen Geiſte des Gauners zum Kaſſpern dient. Das Genie des Gauners ſpottet aller Wachſamkeit, und feiert Triumphe, die eines beſſern Gegenſtandes würdig wären. Die Kaſſperei iſt in der That die ſpecielle Gaunerei im Gefängniß, und ein ganz eigenes Feld und Studium, bei welchem es gilt, die Unterſuchung um ihre wichtigſten Momente zu beſtehlen, und den Jnquirenten ſelbſt zum Balhei darin zu machen. Niemals ſollte ein Jnquirent, dem die anvertraute Unterſuchung und mit ihr der Gefangene und ſeine ganze Behandlung vollſtändig ſo lange angehören muß, bis die Unterſuchung beendigt iſt, ſich die genaueſte Oberaufſicht in den Unterſuchungsgefängniſſen nehmen laſſen; nie ſollte irgendetwas anderes angeordnet werden, als was mit ſeinen genaueſten Weiſungen übereinſtimmt; denn durch das Kaſſpern und durch ſeine leichte Möglichkeit wird die Unter - ſuchungshaft zu einer fortgeſetzten Gegenbeweisführung gegen alle Jndicien gemacht, die der fleißige und eifrige Jnquirent mit ſaurer Mühe und ſcharfem Nachdenken ſammelt. Jn den Mängeln der Unterſuchungsgefängniſſe liegt ein Hauptgrund, weshalb auch87 hinter dicken Mauern Leben, Weſen und Kunſt des Gaunerthums perennirt, daß das Gaunerthum ſo wenig an ſeiner Jntenſität als an ſeiner Propaganda verliert, und daß Gaunerinquiſitionen ſo wenig zufriedenſtellende Reſultate liefern.

Achtundzwanzigſtes Kapitel. α) Das Piſschen-pee.

Schon mit der Thüre fängt das erſte und natürlichſte Ge - legenheitsmittel zum Kaſſpern an. Die Thür bietet mindeſtens im Schlüſſelloch einen freien Durchgang für das leiſe Wort. Das Flüſtern durch das Schlüſſelloch wird ſehr bezeichnend Piſs - chen-pee genannt, von Peſſiche, das Schlüſſelloch (〈…〉〈…〉, er hat aufgethan; davon Peſſach, die Thüre), und Pee (〈…〉〈…〉), der Mund. Davon wird überhaupt jede heimliche Verabredung, und jede dadurch vermittelte übereinſtimmende Ausſage Piſschen-pee genannt, mag ſie nun durch Worte oder Zinke conform gemacht ſein. 1)Die älteſte Stelle, an welcher dies Wort gebraucht iſt, habe ich auf S. 48 und 49 des Ceremoniel der Gawdieb oder Sonderliche Curieuse Hiſtorie von Jſaak Winckelfelder , von Niklaus Ulenhart (neue Auflage 1724), gefunden, wo der Ausdruck bisgepent und bispenen (etwa das neuhoch - deutſche Wispern für flüſtern?) für bekennen (pfeifen, ſlichnen) vorkommt.Zu dieſer allgemeinern Deutung ſcheint auch der that - ſächliche Umſtand Anlaß gegeben zu haben, daß ſeit der Aufmerk - ſamkeit, die man auf die bauliche Einrichtung der Gefängniſſe verwandt hat, mit der Sicherung der Thüren und Schlöſſer, mit der Anwendung von Doppel - oder Schallthüren, und mit den Corridorwachen u. ſ. w. die Communication durch das Schlüſſel - loch faſt gänzlich paralyſirt und für den Gefangenen ſogar gefähr - lich gemacht worden iſt. Somit hat das Piſschen-pee mehr ſprach - geſchichtliche Bedeutſamkeit als praktiſche Geltung, zu der es jedoch immer noch in ſchlecht eingerichteten Gefängniſſen gelangt.

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Neunundzwanzigſtes Kapitel. β) Das Challon-Kaſſpern.

Die mannichfaltigſte und am ſchwierigſten zu bekämpfende Kaſſperei iſt die durch das Fenſter, Challon1)Plural: Challonim und Challones, wovon corrumpirt: Gal - lonen und Gallones. (〈…〉〈…〉). Sie geſchieht durch Zinkenen, Zuplanten, Sprechen, Singen, Beten, Pfeifen, Huſten, Räuspern u. ſ. w. Das Zinkenen iſt dann möglich, wenn der Gefangene das Fenſter erreichen oder eine Ausſicht auf andere Fenſter, Gebäude oder Paſſagen gewinnen kann, von denen her er Zinken bekommen und wohin er Zinken wiedergeben kann. Es iſt nicht leicht, Gefängniſſe der Art herzuſtellen, welche das reciproke Zinkenen durchaus unmöglich oder mindeſtens ſchwierig machen. Man ſollte aber mindeſtens zu Unterſuchungsgefäng - niſſen nicht jedes abgängige Gebäude hergeben, das weiter keinen Vorzug hat, als daß es für die Behörde disponibel iſt. Auch iſt es eine kurzſichtige Humanität, die noch nicht überführten Ge - fangenen ohne Unterſchied in einem ſolchen abgeſetzten Gebäude den vollen Comfort einer bürgerlichen Wohnung in einer zur ebenen Erde2)Es iſt nicht lange her, daß ein im Auslande beſtrafter lübecker Vagant auf Schub hier ankam, und bei ſeiner am Abſchube verſäumten Viſitation, hierorts im Beſitze mehrerer ſauber geſchnittenen Holz - und Knochenmodelle von Schlüſſelbärten zu den Zellen zurückgebliebener Unterſuchungsgefangenen befunden wurde, nach denen er hier Schlüſſel machen laſſen, und in die Fenſter der zur ebenen Erde belegenen Zellen werfen ſollte. oder im erſten Stock gaſſenwärts belegenen Stube nahe an der Straße oder Paſſage genießen zu laſſen, und dabei noch die Gelegenheit einer Verſtändigung durch Zinkenen, oder gar zum Zuplanten von Fluchtmitteln zu bieten, welche von dem Gauner ſofort in vollſtändigſter Weiſe ausgebeutet wird.

Jſt aber durch die baulichen Einrichtungen und genaue Be - wachung der Rapport durch optiſche Zeichen und Wahrnehmungen beſchränkt und verhindert, ſo bietet die Sprache das verſchieden - artigſte Mittel zum Kaſſpern durch das Fenſter dar. Der in ein89 Gefängniß geführte Gauner hat nicht nur in der erſten Stunde die Zelle und ihre Lage und Umgebung unterſucht, ſondern lernt auch ſehr bald ſeine Nachbarſchaft kennen. Er tritt an oder unter ſein Fenſter, räuspert ſich, pfeift oder ſingt, und ſofort bekommt er eine Antwort. Er ruft den Nachbar oben, unten, links, rechts u. ſ. w., nennt Nummer oder Namen ſeiner Zelle, ſeinen eigenen Gaunernamen oder irgendeine Beziehung, und empfängt dafür dieſelbe Auskunft von dem Unbekannten, an deſſen erſter Antwort und Weiſe er, ohne zu ſehen und geſehen zu werden, erkennt, mit wem er zu thun hat, und ob jener ein Wittſcher iſt, oder ob er mit ihm Kochemer ſchmuſen kann. Ein einziges Nieſen oder Räuspern oder auch das Stillſchweigen auf eine Frage be - nachrichtigt ihn, daß das Geſpräch belauſcht wird. Wird das Schmuſen aus den Fenſtern nach der Hausordnung ſcharf con - trolirt und beſtraft, ſo fängt der Gauner an zu ſingen oder zu beten, als ob er zu ſeiner Erbauung einen chriſtlichen Geſang oder ein jüdiſches Gebet anſtimmt, und ſingt in der Gaunerſprache, nach Art des im erſten Theil, S. 210, gegebenen Vogelsberger Vaterunſer, ſeinem Genoſſen zu, was er ihm im proſaiſchen Geſpräch nicht mit - zutheilen wagen darf, oder pfeift eine bekannte Gaunermelodie. 1)Auch das Pfeifen in den Gefängniſſen muß auf das ſchärfſte unterſagt und beſtraft werden, damit nicht mittels beſtimmter verabredeter Pfeifſignale (wie man ſie, in Nachahmung der Tirailleurſignale, unter den Gaunern üblich findet) Colluſionen vorkommen können.Rückſichtsloſe Durchführung einer ſtrengen Hausordnung und nach Befinden vorſichtiger Zellenwechſel kann einigermaßen dem Unfug ſteuern. Jntereſſante Challon-Kaſſpereien werden von Thiele, a. a. O., I, 62 66, mitgetheilt.

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Dreißigſtes Kapitel. γ) Die Kutſche.

Jſt es dem Gauner nicht möglich, oder erſcheint es ihm der Umgebung und Bewachung wegen nicht rathſam, durch Wort, Geſang und andere Stimmittel mit ſeinem Genoſſen in Verbin - dung zu treten, oder hat er ihm ſonſt irgendetwas zuzuplanten, ſo wird die Zuflucht zur Kutſche, Agole, genommen. Die Kutſche iſt eine Schnur oder ein Faden, welcher von einem Fenſter zum andern gelaſſen, und nicht etwa allein gerade herunter, ſondern auch ſchräge und zur Seite nach einem Fenſter geführt werden kann. Aus dem Garn der Strümpfe, aus den Fäden der Hem - den, Strohſäcke und Decken werden mit großem Geſchick leichte und ſtarke Schnüre zuſammengeſetzt; ja ſelbſt von Strohhalmen habe ich feine, ſauber geflochtene, lange Schnüre geſehen. Ein Stückchen Brot oder der Knäuel am untern Ende des Fadens führt den Faden ſenkrecht in das untere Zellenfenſter, ſehr häufig wird der Faden in pendelmäßige Schwingung gebracht, daß er das ſeitlich unten gelegene Fenſter erreicht, zu welchem Zwecke auch wol der Faden an einem ſteifen Ende Strohſeil befeſtigt wird, um die Schwingung zu verſtärken. Häufig bei hohen Gefäng - niſſen, an deren Mauerflächen der Luftzug ſcharf vorbeiſtreift, flattert der loſe Faden ſeitlich weg, namentlich wenn ein Blatt Papier aus dem ſtets geforderten Erbauungsbuch am untern Ende befeſtigt iſt, wobei denn die mittels eines Strohhalms oder Splitters mit Blut markirten Buchſtaben zugleich die Mittheilung erhalten. 1)Mir ſind Stücke Leinwand vorgekommen, die eine Gaunerin von ihrem Hemde abgeriſſen und mit Blut beſchrieben hatte. Auf einem Butterbrot waren einzelne aus einem Erbauungsbuch geriſſene Buchſtaben zu einer Notiz zuſammengeklebt und im Gefangenhof unter einen Ziegelſtein gelegt; ebenſo in Wecken und kleinen Brötchen auf Papier geſchriebene Notizen.Jſt die Kutſche erſt von einem Fenſter zum andern geführt, ſo dauert die Verbindung der Gauner ſo lange, bis die Kutſche entdeckt wird, was bei der Feinheit und meiſtens dunkeln91 Farbe des Fadens und bei der Höhe der Gefängniſſe oft erſt ſpät geſchieht, oder bis die Kutſche reißt. Die Enden der Kutſche werden ſo lang in jedes der correſpondirenden Fenſter geführt, daß ſie nachgelaſſen werden können, wenn ein Kaſſiwer oder eine Megerre oder Pezire nach dem andern Fenſter gezogen wird, ſodaß alſo der mitzutheilende Gegenſtand in der Mitte der Kutſche mit einer Schlinge feſt gebunden wird, und beſtändig als Ge - meingut hin - und hergezogen werden kann. Die Enden der Kutſche werden gewöhnlich außerhalb des Fenſters an einem Fenſterhaken befeſtigt, auch ſonſt verſteckt unten um eine Gitter - ſtange gelegt, damit ſie der Aufmerkſamkeit der viſitirenden Ronde womöglich entgehe. Es iſt kaum glaublich, mit welcher Mühe und Geduld die Kutſchen gearbeitet werden, und welche Sorgfalt angewandt wird, um das Ausreißen der Fäden an Strohſäcken und Kleidung der Wachſamkeit der Beamten zu verbergen. Jch habe mehrere mal ganze Knäuel unter Zellfenſtern im Garten - raume gefunden, die wahrſcheinlich beim Zuſchnellen abgeriſſen waren, und die aus einer erſtaunlich großen Menge ganz kurzer, mürber Garn - und Wollenfäden beſtanden, und mit außerordent - licher Mühe zuſammengeknotet waren. Die Mühe wird aber auch reichlich belohnt durch die ungemein großen Erfolge, welche die einmal hergeſtellte Verbindung durch die Kutſche liefert.

Einunddreißigſtes Kapitel. δ) Die Kaſſiwer.

Bei der ſchon oben, S. 86, Note 1, angegebenen Etymologie des Wortes Kaſſiwer iſt angedeutet worden, daß das Wort Kaſſiwer jede ſchriftliche Mittheilung der Gefangenen unter ſich und mit dritten außerhalb des Gefängniſſes bedeutet. Nur bei grober Nachläſſigkeit iſt es möglich, daß dritte Perſonen dem Gefangenen von außen her Kaſſiwer durch die Kutſche zukommen laſſen können. Aber in anderer verſchiedenartiger Weiſe können dennoch Briefe92 von außen in die Gefängniſſe gelangen, und zwar gerade durch die Gefängnißbeamten ſelbſt. Solange es elend beſoldete Beamte gibt, ſolange wird es auch pflichtvergeſſene, beſtechliche Gefängniß - beamte geben, bei denen für Geld viel zu erlangen iſt. 1)Der vollkommenſte Sieg, den je ein Gauner über einen Gefangen - wärter durch Verſprechungen und Beſtechungen davongetragen hat, iſt die von Thiele, a. a. O., II, 245 fg., frappant dargeſtellte Reiſe des Marcus Joël mit ſeinem Gefangenwärter von Freyenwalde nach Berlin am 5. Nov. 1826.Aber auch der ſtrengſte Beamte wird häufig getäuſcht, und gegen ſeinen Willen zum Vermittler der Verbindung gemacht, wenn er zuläßt, daß dem Gefangenen Wäſche oder Speiſen u. dgl. von angeb - lichen Verwandten oder ſonſtigen Glaubensgenoſſen zukommen. 2)Nicht einmal weißes oder ſonſt ſcheinbar unverfänglich beſchriebenes Papier darf, als Umſchlag um kleine Gegenſtände, von außen in die Zellen gebracht werden, da den Gaunern zu viele Arten ganz einfacher ſympathetiſcher Tinten bekannt ſind, welche durch einfache Erwärmung am Ofen oder über Licht ſichtbar werden. S. das weitere beim Fleppemelochnen, Kap. 88.Beſonders bevorzugt ſind hierin jüdiſche Verbrecher, welche grund - ſätzlich alle chriſtliche Gefangenkoſt als treife verſchmähen, und ſich darauf verlaſſen, Koſcher von ihren Glaubensgenoſſen zuge - ſchickt zu bekommen, ſobald ihre Gefangenſchaft bekannt iſt. Man ſollte überall feſt darauf halten, daß durchaus keine andere Ver - pflegung und Wäſche geliefert würde, als unmittelbar durch die Hausverwaltung ſelbſt. Bei der genaueſten Beſichtigung der Wäſche kann noch immer in einer Naht oder Falte irgendein eingenähtes Papierſtreifchen unbemerkt bleiben. Jm Brote, in einer Kartoffel, einem Kloße, unter dem Mark eines Fleiſch - knochens, im Maule eines gebackenen Fiſches, in einer Rübe, Birne u. ſ. w. kann irgendein geöltes Papierröllchen oder ein Kügelchen eingeſchoben ſein; unter dem metallenen Teller, der Schüſſel, auf dem Grund der Suppenſchale können Notizen gekritzelt ſein; ſelbſt unter dem Boden des porzellanen Suppen - tellers kann mit wäſſeriger oder öligter Tinte etwas geſchrieben ſein, welches der Gefangene, ſobald er es geleſen, leicht mit dem Finger wegwiſchen kann. Auf dem Boden, oder unter dem Boden93 des Speiſetragkorbes, oder unter dem Geflechte des Henkels, auf der innern Seite des Tragriemens können Notizen ins Gefäng - niß getragen werden. Zwiſchen die Sohlen der Fußbekleidung werden beſonders gern Briefe und Fluchtmittel genäht. Ja, mir iſt ein Fall bekannt, daß ein Gefangener ſein noch gutes Fuß - zeug abſichtlich zerriß, um ſich nur anderes Fußzeug zuſchicken laſſen zu können. Es ſind ſoviel Möglichkeiten da, daß man durchaus keinerlei Zulaſſungen von außen dulden darf. 1)Vgl. Kap. 88, vom Fleppemelochnen, wo von ſympathetiſchen Trocken - druck auf dem weichen Holz eines Stocks, Käſtchens oder einer Schachtel u. dgl. die Rede iſt.Hat man Rückſichten zu nehmen, ſo reinige die Verwaltung die Wäſche in der Anſtalt, ohne ſie aus derſelben zu geben, und nie - mals laſſe man andere Eßbeſtecke und anderes Eßgeſchirr zu, als das der Anſtalt, in welches das zugeſchickte, ſorgfältig unterſuchte Eſſen unerlaßlich übergefüllt werden muß. Der Kunſt, die beſtändig operirt und ſich täglich vervollkommt, kann nur das principielle Mistrauen, der Glaube an jede Möglichkeit und unerſchütterlich feſte Conſequenz entgegengeſtellt werden, wenn man ſie einiger - maßen mit Erfolg bekämpfen will. Ein genaues Augenmerk iſt auf Briefe zu richten, welche der Gauner beſtändig an ſeine An - gehörige zu ſchreiben begehrt. Man ſollte ſolche Briefe gar nicht erlauben, ſondern nur das unerlaßlich Nöthige nach der Gefangenen Mittheilung durch Beamte, und zwar nie nach dem wörtlichen Dictamen des Gefangenen, ſondern nur paraphraſtiſch, dem Sinne nach, ſchreiben laſſen. Der gefangene Gauner weiß die bedeut - ſamſten Winke in die unverfänglichſten Redensarten zu kleiden. Das iſt für alle Briefe, auch die an Gefangene gerichtete, ganz beſonders zu beachten. Vorzüglich bedenklich erſcheinen Briefe von jüdiſchen Gaunern, einmal, da ſie beſonders gern in der bis - lang von Chriſten ſchwer oder gar nicht zu verſtehenden, und daher in und aus Gefängniſſen gar nicht zuzulaſſenden jüdiſch-deutſchen Currentſchrift geſchrieben werden, und ferner, ſelbſt auch wenn ſie in deutſcher Currentſchrift geſchrieben ſind, doch eine Menge94 jüdiſcher eigenthümlicher und ritualer Terminologien1)Vgl. z. B. den bei Rebmann, Damian Heſſel , S. 89 (dritte Auflage), abgedruckten Brief aus dem Gefängniß mit dem Schlüſſel aus dem Juden - deutſch überſetzt . enthalten, in denen faſt durchgehends eine beſtimmte Deutung verſteckt liegt. So iſt z. B. die ſchon ganz von der chriſtlichen abweichende jüdiſche Zeitrechnung dadurch noch ſchwieriger zu verſtehen, daß die Juden noch jetzt häufig ihre Data in Briefen und Docu - menten nach ihren Feſttagen berechnen und anführen, und ſogar dabei die Monate weglaſſen. So z. B. iſt das Datum Schwuoſſ (Pfingſtfeſt) der ſechste Tag des Monats Siwan; das Peſſach (Oſtern) fällt auf den vierzehnten Tag des Monats Niſan; vom zweiten Oſtertag an bis zum Schwuoſſ werden 49 Tage gerechnet, und dieſe Zeit, Sphiraſſ Aumer genannt, dient ebenfalls als Baſis für die Berechnung der Daten, ſodaß es alſo mit Auslaſſung des Monats heißt: am fünften, vierundzwanzigſten, dreiundvierzigſten Tag nach der Zählung des Aumer; außerdem wird auch noch (wie das entſprechend auch bei dem Laubhüttenfeſt der Fall iſt) nach den ſogenannten Mitteltagen gerechnet, da das achttägige Oſterfeſt nur an den zwei erſten und zwei letzten Tagen ganz gefeiert wird, während die vier Mitteltage, Chol Hammoed, nur halb gefeiert werden, ſodaß alſo z. B. der zweite Tag nach der Sphiraſſ Aumer auch der erſte Tag des Chol Hammoed genannt wird u. ſ. w. Mit Hülfe dieſer eigenthümlichen und ſchwer zu verſtehenden Berechnung läßt ſich ſehr leicht vom jüdi - ſchen Gauner ein Maremokum zinkenen, zumal durch andere theils jüdiſch-deutſche Terminologien, theils durch beſtimmte Wendungen, Redensarten und Umſchreibungen, ſich ein vollkommen klares Verſtändniß mit dem Adreſſaten erreichen läßt. Schon aus einer krummgeſchriebenen Zeile, entweder auf der Adreſſe oder im Briefe ſelbſt, erſieht der Adreſſat, daß er den Jnhalt nur als eine aus Zwang geſchriebene Mittheilung anzuſehen hat, der verſchiedenen Zeichen und Züge im Briefe und ſelbſt auf der Adreſſe nicht zu gedenken, welche unter einzelnen näher95 verbundenen Mitgliedern einer Einzel - oder Verwandtſchaftsgruppe verabredet ſind.

Widerſteht auch der Gefangenwärter aller Verlockung durch Schmeichelei, Vertraulichkeit, affectirte Kümmerniß, Gefälligkeit, Verſprechungen und Gold, ſo wird er doch oft gegen ſeinen Wil - len und ungeachtet aller Wachſamkeit zum Träger der Geheimniſſe des Gauners gemacht. Der geriebene Gauner kritzelt auf dem Trink - und Eßgeſchirr, ſei es von Metall oder Holz, mit leichten Zügen ſeine Notizen hin, und benutzt ſelbſt das Nachtgeſchirr dazu, in der Berechnung, daß dies Geſchirr von einer Zelle zur andern gewechſelt werden kann. 1)Beſonders wird dabei darauf gerechnet, daß bequeme Beamte ſich von Gefangenen allerlei Dienſte und Handreichungen leiſten laſſen, wobei dann durch Vermittelung der dazu verwandten Gefangenen der Kaſſperei Thür und Thor geöffnet iſt.Um des Wärters Aufmerkſamkeit zu täuſchen, reinigt er alles Geſchirr ſelbſt vor deſſen Augen, damit jener es nicht weiter anſieht, ſondern ſorglos weglegt und weiter - bringt. Selbſt auf dem Holz zwiſchen den Borſten eines Hand - fegers oder einer Bürſte kann ein Papierkügelchen mit Brot an - geklebt ſein. Jmmer ſollte daher jegliches Geräth und Geſchirr einer Zelle mit der Zellennummer verſehen, und nur für den Ge - brauch dieſer Zelle, niemals aber für den Gebrauch einer andern Zelle hergegeben werden. Andere Beiſpiele der Ueberliſtung ein - fältiger Gefangenwärter ſind in nicht geringer Zahl vorhanden, und aus dem Umſtande zu erklären, daß der Gauner ebenſo gut den Gefangenwärter ſtudirt als den Jnquirenten, und oft ſchon vor der perſönlichen Berührung mit ihm weiß, mit wem er es zu thun hat. Ein guter Jnquirent und ein guter Gefangenwär - ter erwirbt ſich bei weitem raſcher unter den Gaunern einen Namen, als in der Beamtenwelt.

Jſt die Beförderung der Briefe ein Gegenſtand der raffinirte - ſten Schlauheit und gewandteſten Benutzung der Gelegenheit und Perſonen, ſo iſt doch auf alle Fälle auch ſtets der Jnhalt der Briefe an ſich ſo fein und myſtiſch gehalten, daß es einer ge - nauen Kenntniß der Gaunerſprache und Gaunergeheimniſſe bedarf,96 um durch den dichten Schleier des Geheimniſſes zu dringen. Je - der Brief eines Gauners iſt des Studiums werth, und gerade Briefe, wie ſie von Rebmann ( Damian Heſſel , S. 89 fg. ) und von Thiele (I, 35 fg. ) angeführt ſind, verdienen die genaueſte Beachtung, weil man namentlich mit den hinzugefügten Noten und Schlüſſeln den Ton und die Bedeutſamkeit dieſer gefährlichen Schriftſtellerei daraus recht anſchaulich kennen lernt.

Bislang iſt vom Kaſſpern in Jſolirhaft geredet worden. Es ſollte kaum die Rede ſein dürfen von mehreren zuſammenſitzenden Un - terſuchungsgefangenen. Denn in keiner Weiſe iſt es zu dulden, daß überhaupt mehrere Unterſuchungsgefangene in einer Zelle zuſammen - gehalten werden. Schon der tiefe Ernſt der Einſamkeit mit dem Be - wußtſein des Verbrechens, und dem Bewußtſein, in der Hand der ſtra - fenden Gerechtigkeit ſich zu befinden, übt auf den Verbrecher einen gewaltigen Einfluß, der häufig viel zu wenig beachtet wird, der aber auch auf den routinirten Gauner einwirkt, weshalb dieſer ja denn auch ſogleich mit allen Mitteln eine Verbindung in der unerträglichen Einſamkeit herzuſtellen ſucht. Der mit andern Gefangenen zuſammengeſperrte Jnquiſit verkürzt ſich die Zeit im Geſpräch, und denkt nicht über ſeine Handlungen und Lage nach, erholt ſich vielmehr von ſeinem Kameraden Raths, ſticht mit ihm durch, und ſteht ſomit für alle wichtige Momente der Unterſuchung völlig gerüſtet da, wenn er ſich ihr überhaupt nicht ſchon durch die Flucht entzieht. Noch weniger zu rechtfertigen iſt es, daß man auf kurze Haft verurtheilte Strafgefangene mit Unterſuchungsgefangenen zuſammenſperrt. Ganz abgeſehen von der ſittlichen Corruption, der man den einen oder den andern dadurch ausſetzt, ſo iſt es als gewiß anzunehmen, daß der zuerſt entlaſſene Gefangene mit Aufträgen ver - ſehen wird, welche die Flucht des Zurückbleibenden fördern, mindeſtens aber höchſt nachtheilig auf den Gang der Unterſuchung einwirken können. 1)Viſitationen der Sträflinge bei dem Austritt aus der Anſtalt ſind daher ebenſo nothwendig, wie bei Einbringung von Verbrechern. Wie wenig wird dies beachtet, und was bringen ſolche Entlaſſene, außer ihrer moraliſchen Verderbtheit, noch ſonſt mit in ihre Heimat!Jn dieſen Taktloſigkeiten iſt weit mehr der Grund97 der Erfolgloſigkeit von Gaunerinquiſitionen zu ſuchen, als im Genie des Gaunerthums, das in ſeiner Paraſitenwüchſigkeit immer nur an der Schwäche emporwuchert. 1)Auch das Zuſammenſetzen eines verläſſigen Jndividuums mit einem andern zur Ausforſchung und zum Verrath iſt unwürdig, und bei der Vor - ſicht des Gauners meiſtens zwecklos, aber auch inſofern für die Unterſuchung verderblich, als der Gauner bei dieſem unwürdigen Mittel auch bald merkt, daß der Jnquirent mehr dem Verrathe traut, als ſeinem eigenen Blick und Geſchick.Welche Fülle der trau - rigſten Erfahrungen liegen in dieſer Weiſe vor! Man könnte ganze Unterſuchungen wieder zur Unterſuchung ziehen, die als Verbrechen gegen den Staat, aus Unwiſſenheit, Sorgloſigkeit und Nachläſſigkeit von Beamten begangen ſind.

Zweiunddreißigſtes Kapitel. ε) Das Hakeſen.

Ein ſehr gefährliches, in allen Gefangenanſtalten, namentlich in Unterſuchungsgefängniſſen, ſchon ſehr lange bekanntes und prakticirtes Communicationsmittel iſt das Hakeſen, Klopfen der Gefangenen. Es iſt von jeher der geheimnißvolle Schlüſſel zu vielen und feinen Jntriguen beſonders jüdiſcher Gauner geweſen. Alle Verſuche, durch umſtändliche und koſtſpielige Baueinrichtun - gen dieſes Communicationsmittel zu beſeitigen, haben zu keinem Reſultate geführt. 2)Während meiner Studienzeit in Jena 1833 zeigte mir der verdienſt - volle Criminalrath Wenzel im Criminalgebäude zu Weimar eine eigenthüm - liche Vorrichtung gegen das Hakeſen der Jnquiſiten, das in der ſonſt trefflichen Lokalität überhandgenommen hatte, und nicht durch neu angebrachte Schall - thüren paralyſirt werden konnte. Es war nämlich mitten in dem Corridor ein großes Thurmuhrwerk aufgehängt, deſſen lauter Pendelſchlag beſtändig weithin durch das Gebäude tonte. Jndeſſen bewährte ſich auch dieſe Einrich - tung ſehr bald nicht weiter, und mußte beſeitigt werden.Selbſt die vielgerühmten Scheck’ſchen Zellen, in welchen die Gefangenen durch drei Steinwände mit Zwiſchen -Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 798räumen voneinander getrennt ſind, können das Hakeſen nicht paralyſiren. Eine der überraſchendſten Erfahrungen der neuern Zeit war die während des großen Polenproceſſes in Berlin ge - machte Entdeckung, daß zwei Gefangene in der mit ausgezeich - neter Umſicht und mit genauer Berückſichtigung ſtrenger Jſolirung eingerichteten, neuen königlichen Strafanſtalt aus den Zellen ver - ſchiedener Etagen miteinander in ſolcher Verbindung ſtanden, daß ſie ſogar Schachpartien unter ſich ſpielten. Bei der aus - gezeichneten Verwaltung und Aufſicht in dieſer Muſteranſtalt ſcheint kein anderes Verbindungsmittel als das Hakeſen möglich geweſen zu ſein. 1)Bei einem ſpätern Beſuche der Anſtalt zeigte mir der wackere Director Bormann jene beiden Zellen, welche nicht einmal unmittelbar übereinander, ſondern ſeitlich voneinander im erſten und zweiten Stock liegen.

So alt und bekannt dieſe Art der Kaſſperei iſt, ſo oft ſie wahrgenommen, und ſo eifrig ſie beobachtet worden iſt, ſo wenig iſt doch das unleugbar zu Grunde liegende förmliche Syſtem die - ſes Verbindungsmittels entdeckt worden. Der Hauptgrund, wa - rum dieſe Kenntniß nicht erreicht iſt, liegt wol darin, daß man, nicht mit Unrecht, es ſtets für wichtiger gehalten hat, die Ver - ſtändigung ſelbſt zu unterbrechen, als das Syſtem mit Zulaſſung einer vollſtändigen und ungeſtörten Communication zum Nachtheil der Unterſuchung zu erforſchen. Wer aber, ſo weit thunlich und möglich war, Beobachtungen angeſtellt hat, wird bei dem Klopfen entweder einen gleichmäßigen Schall mit raſcher oder langſamer combinirten Schlägen oder auch einen Wechſel zwiſchen leiſen und lauten, oder auch zwiſchen hellen und dumpfen Schlägen ge - funden haben, gleich dem unterſchiedlichen Schall, den das Klopfen mit dem Knöchel des gekrümmten Fingers und dem fleiſchi - gen Theil der untern Fauſt, oder eines Schuhes oder Pantoffels und der nur mit dem Strumpf bekleideten Ferſe gegen den Fuß - boden, gegen eine Thür oder gegen eine Wand hervorbringt. Die detailirteſten Verſtändigungen beweiſen auf das beſtimmteſte das Vorhandenſein eines vollſtändigen alphabetiſchen99 Syſtems, das wiederum in verſchiedenartiger Weiſe ausgebildet ſein kann. Das documentirt am intereſſanteſten Franz von Spaun, welcher im März 1826 zu München ſtarb. Spaun war bis zum Jahr 1788 vorderöſterreichiſcher Regierungsrath und Landvogt im Breisgau. Jn dieſem Jahre wollte Spaun, damals 35 Jahre alt, als neugewählter Reichskammergerichtsaſſeſſor nach Wetzlar abreiſen, als er wegen einer für ſtaatsgefährlich gehaltenen Schrift verhaftet wurde, und als Staatsgefangener zuerſt nach Mungatſch, dann nach Kufſtein kam, in welcher Gefangenſchaft er zehn Jahre lang gehalten wurde, ohne Bücher und Schreib - material erlangen zu können. Jn den letzten Jahren ſeiner Ge - fangenſchaft bekam Spaun einen Unglücksgefährten zum Nachbar, von dem ihn jedoch eine dicke Mauer ſchied. Da fiel er auf den glücklichen Gedanken, ſich durch Pochen verſtändlich zu machen, und erfand zu dieſem Behufe eine Pochzeichenſprache, die nach der Mittheilung eines ſeiner langjährigen Freunde überaus ſinnreich war. Das Schwierigſte blieb aber hier immer, dem Nachbar, der vielleicht gar nicht der deutſchen Sprache kundig war, den Schlüſſel mitzutheilen. Spaun fing damit an, vierundzwanzig mal an die Mauer zu klopfen, und ſetzte dies Manöver ſo lange un - verdroſſen fort, bis der Unbekannte endlich merkte, daß die vier - undzwanzig Buchſtaben damit gemeint ſeien und zum Zeichen ſeines Verſtändniſſes das Klopfen erwiderte. Jn wenig Wochen konnten ſie ſich ſchnell und fertig mittheilen, und ſich gegenſeitig ihre Schick - ſale erzählen. 1)Vgl. Morgenblatt für gebildete Stände , Jahrg. 1826, S. 320. Der Nachbar war Herr M., ſpäter franzöſiſcher Staatsſecretär und Herzog von B., der auch edel genug war, ſeinen Unglücksgefährten nicht zu vergeſſen, und, früher in Freiheit geſetzt als Spaun, dieſem eine Penſion auswirkte, von welcher Spaun bis zu ſeinem Tode lebte. C’est Spaun ou le diable! rief der Miniſter zehn Jahr ſpäter, als bei ſeiner Anweſenheit in München Spaun ihn zu beſuchen kam, und vor der Zimmerthür das alte Manöver begann.Leider hat Spaun, ſoviel erkundet iſt, über jene ſeine Klopfſprache und deren Schlüſſel nichts hinterlaſſen, und mehr als vorſtehende Notiz ſeines Freundes tz iſt darüber nicht bekannt geworden. Selbſt der Ausdruck Hakeſen iſt nur ſpecifiſch7*100jüdiſch-deutſch und kaum weiter als unter den jüdiſchen Gau - nern bekannt. Es iſt vielleicht von〈…〉〈…〉, im Hiphil〈…〉〈…〉, im Piel〈…〉〈…〉, Nacho, hikko, hakke herzuleiten, wovon auch Makko, (der Schlag) herſtammt, und bedeutet ſchlagen, hacken, klopfen, beſonders zu einer beſtimmten Form, prägen, was auch aus dem wahrſcheinlich davon abzuleitenden Haker (auch Chaker), der Du - katen1)Leicht kann man verſucht werden, das Wort Haker (Dukaten) wel - ches gewöhnlich mit Hagri (ungariſche Münze, Dukaten), in Verbindung gebracht wird, von hikko oder hakke abzuleiten, zumal Rabbi Mair das ſchon ſehr früh gebrauchte Chaker als durchaus falſch verwirft, und Rabbi Abarbanel dies Wort ebenfalls nicht gebraucht, ſondern dafür ausdrücklich Dukote ſohof ſetzt. Die Bezeichnung der Münzen iſt überhaupt im Jüdiſch - Deutſchen äußerſt künſtlich und geſucht. Vgl. Jüdiſcher Sprachſchatz von 1742 , S. 67 69., noch deutlicher wird2)Die Wörter Hackfenne (Art) und Hackfenche (Beil) find unmit - telbar von dem deutſchen hacken hergeleitet, das aber doch wol auch mit dem hebräiſchen in Beziehung ſteht., während makkeinen, mekaji - nen, ſchlagen, prügeln, mishandeln bedeutet. 3)Vgl. Stern, Medraſch Sepher , S. 22; Selig, Lehrbuch der jü - diſch-deutſchen Sprache , S. 218; Prager Handlexikon der jüdiſch-deutſchen Sprache , S. 98.

Daß nun in neueſter Zeit bei dem Hakeſen ein beſtimmtes alphabetiſches Syſtem vorhanden und ſogar ſchon von dem Gau - nerthum ausgebeutet iſt, das iſt ſeit der Einführung und ſeit der, durch die Unzahl von Eiſenbahnbeamten und Telegraphiſten bis zur Popularität gediehenen Kenntniß und Verbreitung der Morſe - ſchen elektromagnetiſchen Telegraphie eine unbeſtreitbare Thatſache. 4)Schon längſt iſt aber auch das Hakeſen zum volksthümlichſten Ge - brauch gediehen, wenn auch ein förmlich alphabetiſches Syſtem dabei nicht ausgebildet wurde. Bei vielen Handwerkern, namentlich Metallarbeitern, wird der im Hauſe entfernte Meiſter, Geſelle oder Lehrburſche durch beſtimmte Schläge mit dem Hammer auf den Amboß u. dgl. herbeigerufen. Auch mitten in der Arbeit werden mit dem Hammer Weiſungen gegeben. Jn Straßen, wo ſolche Arbeiter nahe zuſammen wohnen, wiſſen ſie auf eine raſche und ge - ſchickte Art durch Hämmern eine Nachricht raſch und allgemein unter ſich zu verbreiten.Für die ſinnliche Auffaſſung findet zwiſchen dem Hakeſen und der101 Telegraphie eine auffallende Analogie oder ſogar volle Gleich - mäßigkeit ſtatt. Obſchon nämlich in der elektromagnetiſchen Te - legraphie für die ſinnliche Wahrnehmung primär das Gefühl durch die elektriſche Strömung, oder durch die freilich ſehr kleinen aber doch deutlichen elektriſchen Funken das Auge, in Anſpruch ge - nommen wird, ſo iſt doch die nächſte deutlichſte ſinnliche Wahr - nehmung die durch das Gehör, indem durch die Bewegung des magnetiſch gemachten Ankers ſo deutlich hörbare Schläge hervor - gebracht werden, daß geübte Telegraphiſten, ohne die künſtliche ſecundäre, mit der Bewegung des Ankers verbundene, graphiſche Darſtellung zu ſehen, aus der bloßen hörbaren Bewegung des Ankers, im Dunkeln, den Jnhalt einer Depeſche allein durch das Gehör vollkommen deutlich auffaſſen können. Eine Unterſcheidung des monotonen Schalles iſt nur durch die rhythmiſche Combination mehrerer Schläge möglich, und in dieſer Weiſe iſt das allgemein bekannte, und im ganzen deutſch-öſterreichiſchen Telegraphenverein übliche Morſe’ſche Syſtem ebenſo einfach wie ſinnreich zuſammen - geſetzt, welches für die ſinnliche Auffaſſung durch die ſecundäre graphiſche Darſtellung nur noch deutlicher gemacht wird1)Jn der Steinheil’ſchen Nadeltelegraphie geſchieht die graphiſche Dar - ſtellung nur durch die Combination von vier Punkten in zwei Linien, in der franzöſiſchen Telegraphie durch Combination von 1 3 Strichen (ohne Punkte), in der Morſe’ſchen Telegraphie durch Combination von Strichen und Punkten, die bei den Buchſtaben nicht über vier, bei den Zahlen nicht über fünf, und bei den Jnterpunktionszeichen nicht über ſechs Zeichen (Punkte und Striche) hinausgeht. Man vergleiche das treffliche, ſehr klar und populär gehaltene Werk von Dr. H. Schellen, Der elektromagnetiſche Telegraph in den Haupt - ſtadien ſeiner Entwickelung (zweite Ausgabe, Braunſchweig 1854), S. 78, 107 u. 149 fg., als die primäre akuſtiſche ſchon an und für ſich iſt.

Das Syſtem mag hier nach S. 152 des untengenannten Werks von Dr. H. Schellen Platz finden. Die Striche und die Punkte deuten graphiſch die längere oder kürzere Dauer der Zeit an, in welcher der magnetiſch gemachte Anker angezogen iſt.

102

a) Die Buchſtaben.

abcchdef
ghijklm
nopqrst
uvwxyz
aeoe

b) Die Ziffern.

1234
5678
90

c) Die Jnterpunctation.

. Punkt

; Semikolon

, Komma -

: Kolon

? Fragezeichen

! Ausrufungszeichen

Apoſtroph

/ Bruchſtrich

Man erkennt hieraus, daß dieſem Syſtem1)Wie überhaupt die Geſchichte der Telegraphie, iſt insbeſondere auch die ihres Schreibſyſtems intereſſant. Es liegt dieſem vielleicht die hebräiſche Vocali - ſirung zu Grunde. Morſe gebrauchte anfänglich für ſein Schreibſyſtem 26 Drähte, die er ſpäter auf 6 Drähte reducirte, bis er ſpäter auf einer Reiſe von New-York nach Liverpool auf ſein jetziges Syſtem gerieth, zu welchem es nur eines Drahtes bedarf. Nicht minder intereſſant iſt die Vergleichung mit dieſelbe rhyth - miſche Bemeſſung zu Grunde liegt, wie dem muſikaliſchen Noten -103 ſyſtem, wonach z. B. der Buchſtabe a ( ) in Noten ſich aus - drücken läßt:[ ], oder b ( ) [ ], oder c ( ) [ ]u. ſ. w., oder auch mit metriſcher Be - zeichnung a: ̮ ̱; b: ̱ ̮ ̮ ̮; c: ̱ ̮ ̱ ̮ u. ſ. w. Geht man dabei zurück auf die einfachen Behelfe in der phoniſchen und gra - phiſchen Darſtellung des Tones, wie ſie in den erſten Stadien der theoretiſchen Entwickelung der Muſik bei Alypius und Boë - thius1)Boëthius, V libri de musica (Baſel 1546 50). Die Isagoge musica von Alypius iſt von Marcus Meibom 1652 am vollſtändigſten im griechiſchen Urtext mit lateiniſcher Ueberſetzung und Anmerkungen (11 Bogen und 3 Tabellen) herausgegeben worden. Viel Belehrendes hierüber enthält noch das Dictionnaire de musique des wackern Sebaſtian Broiſſard (1660 1790), S. 80 fg. u. 155 fg. vorliegen, ſo findet man, daß das muſikaliſche Streben weſentlich mit darauf hinausging, Wortbegriffe durch Töne auszu - drücken, wie denn auch Boëthius, a. a. O., Buch 1, Kap. 9, ganz eigen - thümlich das Thema behandelt: Non omne judicium dandum esse sensibus, sed amplius rationi esse credendum , während auch er, nach dem griechiſchen Vorbilde, die funfzehn erſten Buchſtaben des Alphabets zu ebenſo viel Noten verwendet, um die Modulationen darzuſtellen. Faßt man dazu die gleichzeitig mit Boëthius im 6. Jahrhundert entſtandene hebräiſche Vocali - ſirung und Accentuirung in das Auge, ſo begreift ſich leicht, wie nahe man Wortbegriff und Tonzeichen aneinander zu bringen ſuchte, wie leicht mindeſtens der erſtere durch die letztern, ſelbſt im Monoton, mit bloßem rhythmiſchen Wechſel gegeben werden konnte, und daß das Morſe’ſche Schreibſyſtem ebenſo gut für einen merkwürdigen Palimpſeſt, wie für eine höchſt geiſtreiche neue Er - findung gelten kann.

1)der, nach Abſterben der hebräiſchen Sprache als lebender Volksſprache, von jüdiſchen Gelehrten erfundenen und von den Grammatikern des Mittelalters vervollſtändigten hebräiſchen Vocaliſirung, welche bekanntlich durch Striche und Punkte dargeſtellt wird, z. B. _ (a, Patach), .. (e, Zere), ֶ (e, Segol),. (i, Chirek und o, Cholem), ֻ (u, Kibbuz) u. ſ. w. und vielleicht auch dem Steinheil’ſchen Nadeltelegraphieſyſtem (der Combination von vier Punkten in zwei Reihen), wie gleichfalls dem Morſe’ſchen zum nächſten Grunde gedient haben kann.

104

Aus dieſen einfachen Wahrnehmungen erſcheint es erklärlich, wie in der Einſamkeit und Noth der wuchernde menſchliche Geiſt, bei der Entbehrung aller künſtlichen Mittel zu einem geiſtigen Rapport, durch die kümmerlichſten Mittel, wie das bei Franz von Spaun der Fall war, auf die einfachſten Formen gewieſen werden konnte, um durch ſie geiſtiges Leben mit andern auszu - tauſchen. Ein Schuh oder Pantoffel, ein hölzernes Trinkgefäß, ein Löffel, eine Bürſte, oder der gekrümmte Finger genügt, um den Gedanken Form und Sprache zu geben. So alt die Klage über das Hakeſen der Gefangenen iſt, ſo alt und ſo einfach iſt die Kunſt. Aber eben dieſe unſcheinbare Einfachheit war der geſchick - teſte Deckmantel der Kunſt, die vom verkünſtelten Leben gerade in Gefangenzellen und in dieſer ihrer Einfachheit nicht eher ge - ahnt wurde, als bis der kunſtgewandte Gauner die glänzenden Erfolge davongetragen hatte. Man findet nur dieſe Erfolge, niemals aber das Syſtem der Verſtändigung in den Zuchthaus - annalen verzeichnet, und die wieder ergriffenen Gauner ſind höch - ſtens über den gemeinſchaftlichen Ausbruch und Verbleib, ſelten oder gar nicht über das Syſtem ihrer vorgängigen Verſtändigung inquirirt worden, das kaum bemerkt und nie begriffen wurde, immer aber mit der Zufälligkeit körperlicher Bewegungen entſchul - digt und verdeckt werden konnte, wenn je der forſchende Scharf - blick des Jnquirenten auf das Geheimniß gefallen war. Es iſt ſehr möglich, daß es ſchon mehrfache Syſteme auf dieſer Baſis gegeben hat. 1)Auch findet man S. 86 u. 87 der Actenmäßigen Belege und Bei - lagen zur anonymen Broſchüre: Der Tod des Pfarrers Dr. Friedr. Ludw. Weidig (Zürich und Winterthur 1843), mehrere Klopfſprachen erwähnt, mittels welcher politiſche Gefangene in einem deutſchen Gefängniſſe unter ſich communicirten, und deren ſich ſogar der Jnquirent zur Ausforſchung und Täu - ſchung eines der Gefangenen bemächtigt hatte.Seitdem aber das Morſe’ſche Schreibſyſtem ſo allgemein bekannt und unter Tauſenden von Telegraphiſten und Eiſenbahnbeamten, und durch zahlreiche Schriften und Jnſtructionen bis zur Popularität in ganz Deutſchland verbreitet iſt, ſeitdem iſt jene einfache Grundlage aller akuſtiſcher Verſtändigung in ihrer105 ureinfachen Anwendung von neuem wie eine eigene Kunſt her - vorgetreten und, wie die Sprache, eine gemeindeutſche Verſtän - digungsbaſis geworden, die noch weit über den Bereich des Deutſch-Oeſterreichiſchen Telegraphenvereins hinausreicht. So iſt dem geſammten Gaunerthum eine geheime Sprache erhalten, die jetzt nach ihrer ſyſtematiſchen Organiſation nicht mehr zum Schweigen zu bringen iſt, man müßte denn jenen ſcheußlichen vor hundert Jahren in wirklichem Ernſte gemachten Vorſchlag, allen gefangenen Gaunern das Trommelfell in den Ohren zu durchbohren 1)Vgl. den erſten Theil, S. 81, Note 3., zur Ausführung bringen und damit die ganze mittelalterliche Barbarei der Körperverſtümmelungen wieder einführen!

Wie in allen Begegnungen des Gaunerthums, ſo auch hier gilt es, die genaueſte Aufmerkſamkeit und Vorſicht anzuwenden. Scharfe Beobachtungen werden glückliche Erfolge liefern, und den Fingerzeig zur Verhütung von Colluſionen geben, die auch bei den beſten Einrichtungen doch immer noch möglich bleiben. Um demjenigen, welcher noch keine eigenen Beobachtungen hat an - ſtellen können, ein Beiſpiel zu geben, wie nach obigem Syſtem etwa der aus dem Verhör zurückkommende Gauner, welcher dem neben, unter oder über ſeiner Zelle befindlichen Complicen mit - theilen will, daß er nichts eingeſtanden habe, ſich durch Klopfen verſtändlich macht, ſtehe hier zum Exempel die hier einſchlagende Redensart: Jch bin unſchuldig . Dies drückt der Gauner ent - weder im unterſchiedlichen Wechſel von weichen Schlägen (mit dem untern weichen Theil der Fauſt), wozu als Bezeichnung der Strich () dient, und von harten kurzen Schlägen (mit dem Fingerknöchel), wozu der Punkt () dient, durch Klopfen an die Thür, an die Wand oder auf den Fußboden ſo aus:

ichbinunſ
chuldig
106

oder auch, ohne weichen und harten Wechſel, mit monotonen Schlägen eines und deſſelben harten Gegenſtandes, wie eines Stück Holzes oder des Pantoffelabſatzes gegen Fuß - boden, Wand, Thüre, oder mit dem Finger gegen die Fenſter - ſcheibe, ſodaß zwei einander raſch folgende Schläge den weichen Schlag erſetzen:

ichbinunſ
chuldig

Man erkennt hieraus, auf wie mancherlei andere Weiſe eine Verſtändigung durch das Klopfen möglich iſt, wie aber auch aus der Ferne her, in das Gefängniß hinein, durch weitſchallende Tonmittel, z. B. durch eine Trompete, Pfeife, Trommel, Glocke oder Metallzungeninſtrument eine Communication eröffnet werden kann, und welche genaue Aufmerkſamkeit man anwenden muß, um in Unterſuchungs - und Strafgefängniſſen und in deren weiteſter Umgebung Colluſionen zu verhüten.

Dreiunddreißigſtes Kapitel. 3) Das Baldowern.

Baldower (von〈…〉〈…〉, Baal, Herr, Beſitzer, Mann, Sach - kundiger, Künſtler, abgeleitet von〈…〉〈…〉, er hat beſeſſen, geherrſcht [geheirathet], und〈…〉〈…〉 Dabar, Wort, Sache u. ſ. w.) bedeutet zunächſt den Herrn einer Sache, der eine Sache in der Gewalt hat1)So faßt auch die koburger Deſignation (als Vorläufer des jüdiſchen Baldobers) das Wort Baldower richtig auf, während im letztern, den act. crim., das Wort Baldower als Anführer der Achproſchen aufgefaßt iſt. Dagegen figurirt im Hildburghauſer Wörterbuch Baldofer ſchon allein als Augeber der Diebſtähle. Die Rotwelſche Grammatik von 1755 faßt, der ein Unternehmen leitet, daher den Anführer eines107 Unternehmens, der die Rollen austheilt, die weſentlichſte Thätig - keit übernimmt und die Beute vertheilt. Da aber dieſe Leitung eine genaue Kenntniß des Orts und der Gelegenheit vorausſetzt, ſo hat Baldower auch ganz beſonders die Bedeutung des Aus - ſpähers, Kundſchafters erhalten, und baldowern bedeutet daher vorzüglich eine Diebſtahlsgelegenheit ausſpähen, erkunden und den Gaunern mittheilen. Zu dieſer Bedeutung iſt der Ausdruck baldowern ſo weſentlich übergegangen, daß für den primitiven Begriff des Baldowers der eigene Name Balmaſſematten1)Jm gleichen Sinne wird auch das Wort Bahnherr (corrumpirt Bohnherr) gebraucht, d. h. der Führer, der die Bahn bricht, das weſent - lichſte thut beim Diebſtahl. (von〈…〉〈…〉, Baal, und〈…〉〈…〉 Maſſo Umattan, Diebſtahl, Diebſtahlsobject, als Herr, Leiter und Ordner des Diebſtahls, Anführer der Genoſſenſchaft und Vertheiler der Beute) aufgekom - men iſt, und Baldower2)Vollkommen gleichbedeutend mit baldowern iſt noch der Ausdruck aus - kochen, richtiger wol auskochemen, von Chochom; ein ausgekochter Maſſematten iſt gleich dem baldowerten Maſſematten, ein vollſtän - dig ausgekundſchafteter Diebſtahl. Auch wird auskochen noch ſpeciell für Blindemachen gebraucht. Vgl. weiter unten, und Thiele, a. a. O., I, 228. jetzt nur noch den Ausſpäher, Gelegen - heitsmacher zum Stehlen bedeutet.

Das Baldowern iſt die Einführung der praktiſchen Gauner - kunſt in das Verkehrsleben. Es iſt der feinſte Theil der Kunſt; es iſt die Pſychologie und Logik der Gaunerei, die beobachtet und Schlüſſe zieht, um dann handeln zu können. Eine genaue Kennt - niß der Oertlichkeit, der Perſonen und Verhältniſſe, des Terrains, auf dem der Gauner ſeine verderbliche Thätigkeit entwickeln will, iſt daher ſeine erſte Aufgabe. Schon del Rio, an der ſchon an - geführten Stelle, wundert ſich über den Zigeunerhäuptling, den er in Spanien traf, welche genaue Kenntniſſe aller Perſonen und Verhältniſſe, aller Hülfsquellen und aller Schlupfwinkel1)wieder beide Begriffe auf, und überſetzt: ein Mann von der Sache, Ange - ber, Director oder Anſtifter der Diebſtähle u. ſ. w. Seit den Niederländi - ſchen Banden ſteht aber der Sprachgebrauch feſt, daß der Baldower nur der Auskundſchafter, Diebſtahlsgelegenheitsmacher iſt.108 Spaniens dieſer hatte, und wie er ſogar das Spaniſche trotz dem geborenen Toledaner ſprechen konnte. Welche Geheimniſſe, Oert - lichkeiten und Perſonalverhältniſſe lernt nicht aber noch heutzutage der Polizeimann gerade durch das Gaunerthum kennen, die un - ter andern Umſtänden ihm durchaus unbekannt geblieben wären. Er wird in eine ganz neue Welt eingeführt, die Millionen gänz - lich verſchloſſen und fremd bleibt.

Es gibt keinen beſſern Topographen und Statiſtiker als den Gauner. Nicht nur jedes Land, jeden Ort, an welchem er nur kurze Zeit verweilt hat, kennt er genau; er weiß auch alle ſeine Schlupfwinkel, kennt die Einrichtung jedes Hauſes, welches er betreten hat, und hat genaue Kunde von den Verhältniſſen ſeiner Bewohner. Er kennt das Gerichtsverfahren, das Magiſtratsper - ſonal, die Jnquirenten, die Polizei und wie viel oder wie wenig er von ihnen zu fürchten hat, die Gefangenanſtalten, Gefangen - wärter, die Hausordnung, Behandlung der Gefangenen u. ſ. w. Denn niemals unternimmt der Gauner irgendetwas, wenn er nicht ſicher iſt, daß ihm die That vollſtändig gelingt, und er ſelbſt unentdeckt bleibt, bis er ſich zurückgezogen hat. Was der eine Gauner erkundet hat, das weiß auch ſeine Genoſſenſchaft, denn die Kenntniß des einen iſt Gemeingut des Ganzen. Un - zählige Vorwände dienen ihm, dieſe und jene Kenntniß zu erlan - gen. Sowie ein Gauner in einen Ort kommt, ſo erkundigt er ſich nach allen Perſonen und Verhältniſſen, die er ausbeuten kann. Eine der erſten Fragen im Wirthshaus iſt die nach dem Adreßbuch oder Staatshandbuch. Faſt alle fremden Gauner, die ich verhört habe, hatten nach ſehr kurzem Aufenthalt ſchon eine ganze Liſte diſtinguirter Perſonen notirt; manche Wohnung war nach einer alten Ausgabe des Adreßbuchs mit der frühern Straße oder Hausnummer aufgezeichnet. Häufig kommen Gauner ſchon mit ſolchen Liſten an, die ſie bereits auswärts nachgewieſen er - halten hatten. Keine Schwäche iſt ſo unbekannt, daß ſie, von einem Gauner entdeckt, nicht auch von mehreren gekannt ſein ſollte. Der vornehme alte Wollüſtling, der eine Maitreſſe bezahlt hat, kann darauf rechnen, daß er auch von fahrenden Dappel -109 ſchickſen heimgeſucht und betrogen wird, die ſich ihm als pauvres honteuses, unglückliche Beamten - oder Offizierswitwen, durch - reiſende Gouvernanten oder Künſtlerinnen vorſtellen. Es gibt Stellen, wo junge Mädchen als Bonnen, Erzieherinnen und Ge - ſellſchafterinnen erzogen, und mit guten und gefälſchten Papieren und Empfehlungen fortgeſchickt werden, um in weiter Ferne ein Unterkommen zu erlangen, dem Hauptzwecke nach aber, um Maſſe - matten zu baldowern, die denn auch durch ihren Nachweis und mit ihrer Hülfe gehandelt werden, ohne daß auch nur der Schein des Verdachts auf die verkappte Gaunerin im Hauſe fällt. Die menſchenfreundliche chriſtliche Werkthätigkeit der innern Miſſion iſt zum Gegenſtand einer eigenen Speculation geworden. Liederliche Dirnen verlaſſen das Bordell, ſpielen die Reuige, werfen ſich der innern Miſſion in die Arme, werden bald als gebeſſert entlaſſen, und erhalten nun Empfehlung und Unterkommen in chriſtlichen Familien, wo ſie bald ihren Genoſſen die alten Dienſte durch Baldowern leiſten, und auch wol gar endlich mit ihnen verſchwinden. Der Colporteur, der Bettler, der Krüppel, der Sieche, der Blinde mit ſehenden Augen, der ſich von einem Kinde führen läßt, geht in die Häuſer, um die Lokalität und die Schlöſſer zu beſehen, ob dieſer oder jener Klamoniſſ anzuwenden iſt. Das weinende Kind, das von der Noth der Aeltern erzählt; der kecke Knabe, der mit ſchlauem Lächeln den Fremden im Gaſthofe fragt, ob ſeine Schweſter oder Couſine ihn beſuchen darf; das ſchüchterne junge Mädchen, das ihn um Weißzeugnäherei oder Wäſche bittet, um eine alte Mutter und die Geſchwiſter durchzubringen, baldowert, ſelbſt auch wenn ihre Schüchternheit plötzlich in Preisgebung um - ſchlägt. Der verkappte Polizeidiener, der nach der Legitimation des Reiſenden fragt; der Commiſſionär, der ſeine Vermittelung zu Geſchäften, der Lohndiener, der ſeine Dienſte anbietet, will nichts weiter als den Platz erſpähen, wo Koffer und Kaſſe des Fremden ſteht. Das alte Mütterchen, das beim Wechsler einen Kaſſenſchein umſetzt, erſieht ſich, wo und wie die Geldladen ſtehen, und zählt im Davontrippeln die Schritte von dem Fenſter nächſt der Lade bis zur Thür. Der Handelsreiſende, der mit dreiſten110 Manieren dem Geſchäftsmann im Comptoir oder Verkaufsladen Proben anbietet; der Handwerksburſche, der halb erſtarrt beim Wirthe um Quartier bittet; der Fleiſcher oder Viehhändler, der bei dem Landmann Vieh erhandelt; der Aufkäufer, der mit dem Müller oder Gutsbeſitzer Korngeſchäfte entrirt, baldowert unter dem Schein des täglichen Verkehrs, Handels und Wandels u. ſ. w. Nicht minder weiß der Gauner alle Jahrmärkte und Meſſen, wo es beſonders Gelegenheit zum Handeln gibt. Er weiß auch die Hebungs - und Zahlungstermine, zu welchen Pächter, Förſter, Kaſſenführer und andere Beamte größere Summen bereit halten; er weiß auf Woll - und Kornmärkten, welche Bankiers vorzüglich viel Geld zum Zahlen ſtehen haben, und wer davon Geld mit in die Heimat bekommt; er erſpäht, wer mit der Poſt und den Dampfſchiffen Contanten empfängt, und weiß, wo eine Hochzeit nahe iſt, und wo die Ausſteuer dazu liegt, da, wenn er nicht ſelbſt heimlich die Beobachtung gemacht hat, ſeine vertrauten Genoſſen und Bekannten, platte Leute, meiſtens am Orte oder in der Nähe wohnende Gaunerwirthe, alte abgeſtumpfte, zum Stehlen nicht mehr taugliche Gauner und deren Angehörige und Bekannte, ihn davon unterrichten, wo ein Maſſematten ſteht. Zum Bal - dowern gehört auch die genaue Erſpähung, wie viel männliche und weibliche Bewohner das zu beſtehlende Gebäude hat, ob junge Eheleute, die zeitig das Bett ſuchen und bald einſchlafen, oder ob unruhige kleine Kinder oder alte Leute, welche an Schlafloſig - keit leiden, darin wohnen; ob Widerſtandswaffen zur Hand ſind; wo die Schlafſtuben liegen; wie weit dieſe vom Platz, wo das Geld oder die Waare liegt, oder von den gelegenſten Einbruch - ſtellen entfernt ſind; wo Knechte und Mägde ſchlafen; ob Hunde im Hauſe oder in deſſen Nähe ſind; ob und welche Nachtwächter im Orte, und ob ſie jung oder alt ſind; ob im Orte viel und ſpäter Wirthshaus - oder Geſellſchafts - und Poſtverkehr iſt u. ſ. w.

Unzählig ſind die verſchiedenen Formen des Baldowerns; ſie ſind dazu ſo unſcheinlich, wie die meiſten Ereigniſſe des alltäg - lichen Lebens, und behalten um ſo mehr die Unſcheinlichkeit, je feſter der Grundſatz ſteht, daß der Baldower ſelten oder niemals111 den baldowerten Maſſematten ſelbſt handelt, und daß er zwiſchen Baldowern und Handeln längere Zeit, oft Jahre verſtreichen läßt, um allen Verdacht ſchwinden zu laſſen. Dafür geht der Gauner denn auch bei ſeiner Kunſt ſo ſicher, daß er oft einen ſchon erreichten Maſſematten längere Zeit liegen läßt und davongeht, bis er ver - muthen kann, daß er ſich gebeſſert hat und der Mühe mehr ver - lohnt. Beiſpiele der Art ſind nicht ſelten; eins der merkwürdigſten führt Thiele, a. a. O., I, 37, vom Gauner Wohlauer an.

Häufig wird auch beim Baldowern ſchon ein indirecter An - fang des Diebſtahls ſelbſt unternommen, z. B. ein Schlüſſel ab - gezogen oder ein Wachsabdruck von ihm oder vom Schlüſſelloch gemacht, ein Ueberfallhaken vor irgendeinem Fenſter abgehängt, eine zum Einſteigen gelegene Fenſterſcheibe wie durch Zufall oder Ungeſchicklichkeit eingeſtoßen, um bald darauf den friſchen Kitt der neueingeſetzten Scheibe deſto leichter mit dem Meſſer löſen zu können, ein Hund vergiftet, Entfernungen mit Auge oder Schritt gemeſſen. Um eine möglichſt genaue Kenntniß der ganzen Gelegenheit und die möglichſte Sicherheit des Unternehmens zu gewinnen, wird unmittelbar vor der Ausführung des Diebſtahls ein Mitglied der Chawruſſe, oft auch eins nach dem andern, an den Ort des Diebſtahls geſchickt, um eine Blinde zu machen, d. h. nochmals überall genau nachzuſehen, und eine Probe abzu - halten, wie nun unmittelbar vor der Ausübung die ganze Situa - tion iſt. Der Ausgeſchickte beginnt den Scheinangriff, um zu ſehen, ob alles für das Unternehmen geſichert iſt, bricht und klopft leiſe an der Einbruchſtelle oder an den Fenſterſchaltern (Blinden), ob jemand erwacht oder bei der Hand iſt, und wie es überhaupt augenblicklich mit der Bewachung des Hauſes und ſeiner Umgebung durch Wächter oder Hunde ausſieht. Jſt die Ueberzeugung des Gelingens gewonnen, ſo wird raſch an das Werk gegangen. Jſt die Gelegenheit bedenklich, ſo machen ſich mehrere oder wol auch alle Genoſſen der Chawruſſe nacheinander daran, die Blinde zu machen. Gewöhnlich entſcheidet darauf die Majorität für oder gegen die Ausführung des Handels. Der gefaßte Beſchluß bindet dann auch die Minorität, obſchon nicht112 ſelten ein heimliches Davonſchleichen Einzelner vorgekommen, im - mer aber auch dann ſchwer geſtraft iſt. Ein in ſolcher Weiſe ſicher geſtellter und als ausführbar erkundeter Diebſtahl heißt ein ausgekochter (ausgekochemter) Maſſematten . 1)Thiele, a. a. O., I, 80, hat hierfür die nicht beſonders in ſein Wör - terbuch aufgenommene, ſondern nur nebenher, I, 235, unter Blinde machen aufgeführte Redensart: Erſt eine Blinde, dann eine Schande machen . Dieſe Redensart iſt mir niemals, weder in meiner Unterſuchungspraxis, noch ſonſt in einem Wörterbuch vorgekommen. Wahr - ſcheinlich hat Thiele auch den Ausdruck nicht aus Gaunermunde ſelbſt gehört, ſondern entweder incorrect geſchrieben gefunden oder falſch geleſen. Das Wort Schande kommt nirgends in der Gaunerſprache vor. Wahr - ſcheinlich wird in dieſer Redensart Schaude oder Schaute für Schande gelten ſollen, was allerdings Sinn hat und die ſpecifiſche Thätig - keit der Gauner beim Blindemachen verdeutlicht, auch im Schautenpicken beim Schottenfellen eine analoge Erklärung findet. Vgl. Kap. 57.

Vierunddreißigſtes Kapitel. 4) Die Kawure.

Die Kawure (jüdiſch-deutſch kwuro, von〈…〉〈…〉, keber, Grab, Grube) bedeutet im Jüdiſch-Deutſchen das Begräbniß, Grab, Grabmal, wird aber in der Gaunerſprache für jeden Verſteck, Verſteckort und für das Verſteckte ſelbſt gebraucht. Kawure legen heißt daher: verſtecken, verbergen, verſcharren; die Kawure erheben heißt: das Verſteckte, Vergrabene hervorholen, heraus - graben.

Dem Gauner muß natürlich daran liegen, die That mit ihren Anzeigen zum mindeſten bis zur Beſeitigung der Gefahr zu verbergen. Da er die Gewichtigkeit der Anzeigen vor, bei und nach der That kennt, ſo richtet er beſonders ſeinen Scharfblick darauf, daß er ſich aller ſeiner Diebsinſtrumente entäußert, und in gleicher Weiſe auch das Geſtohlene kawure legt. Dies Ka - wurelegen geſchieht auf die verſchiedenartigſte Weiſe. Keinen113 Theil des Hauſes von der Krone des Schornſteins bis zum Brunnen im Keller, keine Wand, keinen Stein, keinen Balken, keinen Fußboden, keine Fußplatte, keinen Abort, keinen Stall, keine Scheune, keinen Stroh - und Miſthaufen, keinen Graben, keine Brücke, kein Hausgeräth, kein Kleidungsſtück, ja kaum eine Körperöffnung oder Körperhöhlung gibt es, welche nicht zur Ka - wure benutzt werden könnte. 1)Unlängſt wurde hier in Lübeck eine Gaunerin nach geſtohlenen ſchwe - diſchen Banknoten vergeblich viſitirt, bis ſich dieſelben bei der Viſitation ihrer vierjährigen Tochter in deren Mäntelchen eingenäht fanden. Ein Falſcher hatte hier in Lübeck an der lebhafteſten Paſſage hart am Holſteinthor unter einer Birke in einem Gartenbeet ſein Geräth und eine bedeutende Menge ge - fälſchter Kaſſenſcheine verſteckt. Löwenthal hatte unter dem Schieber eines Vogelbauers und unter der Erde eines Blumentopfs geſtohlenes Gold ver - ſteckt. Ein aus einem benachbarten Zuchthauſe ausgebrochener Räuber geſtand mir, daß er die bei ihm gefundenen Klamoniſſ ſofort nach ſeiner Entweichung aus der Nähe ſeiner ſchon längſt verkauften väterlichen Dorfwohnung, wo er ſie mehrere Jahre vorher kawure gelegt hatte, wieder hervorgeholt habe, um ſie abermals in Gebrauch zu ſetzen.Man bekommt einen Begriff von den tauſend und aber tauſend Gelegenheiten, wenn man erſt mehrere Recherchen mitgemacht hat. Die Gelegenheit der Kawure iſt meiſtens ſo ſcheinlos, daß man ebenſo oft kaum begreift, wie der Gauner einen ſolchen Verſteck wählen mochte, als man ſich wundern muß, daß man doch an jenem Ort das Verſteckte finden konnte. Aber aus der Gelegenheit des Fundes und Verſtecks be - greift man faſt immer die ganze Situation des Verbrechers beim Diebſtahl. Man kann auch aus der Combination der bei dem Verbrechen und dem Orte des Verbrechens hervortretenden Um - ſtände ziemlich ſichere Schlüſſe auf die Thäterſchaft und Kawure ziehen, obwol ſich dabei keine Regeln geben laſſen, als den ſchar - fen Blick auch auf das Unſcheinliche zu richten und ſich keine Mühe verdrießen zu laſſen.

Die auffällige Gegenwart eines fremden Menſchen auf einem Vorplatze oder in einem verſchloſſen gehaltenen Raume gibt Ver - dacht gegen ihn, und ſogar wol Anlaß, ihn zu viſitiren. Das weiß der Makkener und hat daher den Grundſatz, ſeine Klamo -Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 8114niſſ, ſobald er damit einen Verſchluß geöffnet hat, kawure zu legen. Die Durchſuchung der dem geöffneten Verſchluß nächſten Um - gebung, der hohlen Füße unter den Schränken, der Gurten unter Stuhlpolſtern, der Tiſchſchubladen u. ſ. w., wohin der vorſichtige Gauner die Schlüſſel für den Fall des Aufſtoßes hinlegt, um ſie beim ungefährdeten Hinweggange wieder mitnehmen zu können, iſt daher ebenſo nothwendig wie die perſönliche Viſitation.

Die Kawure an ſeinem Körper iſt dem Gauner die nächſte und behendeſte. Sie gewährt ihm zugleich den Vortheil, in der dringendſten Gefahr die verdächtigen Sachen am unſchein - lichſten verſtecken zu können, ohne auch darum die Hoffnung auf die Wiedererlangung aufgeben zu dürfen. Der letztere Umſtand macht daher den Transport von Gaunern, bevor ſie viſitirt ſind, namentlich im Dunkeln, ſehr bedenklich, da ſie auf dem Wege zum Gefängniß, ſobald ſie nicht zu entkommen hoffen können, heimlich alles Verdächtige von ſich werfen. 1)Auf dem Fußtransporte geſchieht das beſonders in Goſſen und Sielen. Meiſtens ſteckt der Gauner die Hand in die Beinkleidertaſche, zerreißt dieſe mit den Fingern und läßt die verdächtigen Sachen im Beinkleid herunter - gleiten. Auf dem Wagen, namentlich bei unebenen Landwegen, iſt ein raſches Wegwerfen durch eine Armbewegung noch ſcheinloſer und ſchwieriger zu ent - decken; auch bietet der Wagenſitz oder der Strohſack genug Gelegenheit, etwas kawure zu legen, was vielleicht herabfällt, oder vom Fuhrmann zu ſpät gefunden oder nicht abgeliefert wird.Man kann daher nie genug die Aufmerkſamkeit der Subalternen auf die ſchleunigſte und gründlichſte Viſitation gefangener Gauner lenken. Das Durchſuchen der Taſchen eines Kleidungsſtücks genügt nicht allein: das Futter, jede Naht, jeder Rockkragen und jede Falte, Stiefel - oder Schuhſohle, jeder Strumpf, Handſchuh, Hut und Mütze, beſonders aber die zum Verſteck von Feilen, Sägen und Klamo - niſſ ſehr geeigneten Bruchbänder, müſſen auf das ſorgfältigſte durchſucht werden, da namentlich Geld und die zur äußerſten Fein - heit gearbeiteten Sägen und Feilen darin verborgen ſein können. Beſonders wichtig iſt eine genaue Unterſuchung der Knöpfe, da ſie das Mittel ſind, wodurch vorzüglich Geld und namentlich Gold115 zur Beſtechung der Gefangenwärter in die Gefängniſſe kommt. Ein Louisdor auf einen Knopf gelegt, der mit einem Stück La - ſting, Seide oder Tuch geſchickt übergebunden oder überzogen wird, iſt unter dieſer Hülle ſicher geborgen, wenn man nicht den Knopf aufſchneidet. Ebenſo ſind vorzüglich die Stiefelſohlen, beſonders wenn ſie nicht mit Stiften geheftet, ſondern genäht ſind, ſo auch die Binſennähte und Kappen ſorgfältig zu durchſuchen, da in ihnen meiſtens Geld, Feilen, Sägeblätter und Klamoniſſ[v]er - borgen werden. Beſondere Aufmerkſamkeit iſt dabei auch auf die Bekleidung der den verdächtigen Gauner begleitenden Kinder zu verwenden. Auch im doppelten Boden der Reiſekoffer und Taſchen, in hohlen Stöcken, in Schirmen und Schirmüberzügen, in ver - ſiegelten Geld - und Goldrollen, Raſir - und Reiſebeſtecken finden ſich vielfache Verſtecke für Diebsinſtrumente, die auch in Geld - beutel und Portemonnaies angebracht werden können. Von den verſchiedenen Taſchen männlicher Kleidungsſtücke1)Es iſt gar nicht zu verkennen, daß das Gaunerthum direct und indirect Einfluß auf Mode und Schnitt der Kleidung gehabt hat, namentlich in Be - zug auf die Anbringung der Taſchen und auf deren verſchiedenſte Sicherung gegen Taſchendieberei. Vgl. unten das Torfdrucken. und von den Fuhren und Golen auch der Weiber wird beim Schottenfellen weiter die Rede ſein. Kein Widerwille und Ekel darf den ſubal - ternen Beamten abhalten, alles, auch das ſchmuzigſte Stück Leib - wäſche, nachzuſuchen. Namentlich rechnen Weiber darauf, daß ihre in ekelhafter Weiſe beſudelte Leibwäſche, welche ſie oft monatelang ungewaſchen im Gepäck oder am Leibe führen, aus Discretion oder Ekel nicht ſcharf genug unterſucht werde; weshalb ſie denn meiſtens ſolche Wäſche zur Kawure gebrauchen.

Jedoch nicht die Kleidung allein, ſondern auch der nackte Körper dient zur Kawure. Nicht nur unter Toupets, Perrüken, falſchen Locken und Flechten wird Geld und Diebsgeräthe ver - ſteckt, auch im natürlichen Haar und Bart kann im Nu ein feines Laubſägenblatt mit behendem Drehen ſo gut befeſtigt werden, daß8*116ſogar beim Durchkämmen des Haars mit dem Strich häufig die Säge durch den Kamm gleitet und unentdeckt bleibt, weshalb denn auch immer gegen den Strich gekämmt werden muß. Ebenſo werden ſolche Gegenſtände in den Ohrmuſcheln, Naſenlöchern, im Munde, unter den Achſelhöhlen, unter den gekrümmten Fußzehen, an und in den Geſchlechtstheilen, beſonders in der Vagina und im After verborgen. 1)Vor nicht langer Zeit kam mir der Fall vor, daß ein auf Verdacht eingezogener Dieb einen kleinen ledernen Beutel, worin mehreres Courantgeld nebſt vier Stück preußiſchen Thalern ſich befand, mit der ledernen Zugſchnur auf eine gefährliche Weiſe feſt hinter das Scrotum gebunden hatte.Die Niederländiſchen Räuber hatten tage - lang Schlüſſel, Feilen und Sägen im After, und beſonders Da - mian Heſſel ertrug dabei die heftigſten Schmerzen mit ſtandhaftem Muthe. Die beſonders jetzt in Maſſe und zu verſchiedenen Zwecken immer mehr gefertigten Kautſchukröhren, beſonders die ganz unverdächtig ſcheinenden Kautſchuck-Cigarrenſpitzen dienen für kleinere Feilen, Sägen und Goldſtücke zu bequemen Futteralen, um eine ſchmerzhafte Verwundung und Entzündung der innern Theile zu verhüten. Meiſtens verräth ſich dieſe Verſteckweiſe am geſchränkten langſamern Gange, am zurückgehaltenen Athem, und noch deutlicher beim unbehülflichen Niederſetzen, das ſtets langſam und nach einer Seite hin geſchieht. Dieſer Verſteck dauert ſo lange bis die Viſitation vorüber, oder im Gefängniß ein Ort ermittelt iſt, wo jene Gegenſtände ſicher verwahrt werden können. Der Verſteck wird jedoch bald entdeckt, wenn man den Gefangenen gleich bei der Captur nicht aus den Augen läßt, namentlich ſobald er ein Bedürfniß befriedigt, welches man bei dringendem Verdachte ſogleich durch Anwendung eines Klyſtiers mit etwas Eſſig oder ſchwacher Tabacksinfuſion befördern kann; ein Mittel, welches auch ſchon Rebmann ( Damian Heſſel , S. 81) empfiehlt.

Reiſen Gauner mit eigenem Fuhrwerk, ſo haben ſie am Wagen unter den Achſen, zur Seite derſelben, zwiſchen dem dop - pelten Boden, mancherlei Verſtecke angebracht, nach denen ebenſo gut geſucht werden muß, wie nach denen am Pferdegeſchirr. 117Selbſt unter den häufig zierlich aufgeflochtenen Mähnen und in den aufgeknoteten Schwänzen der Pferde kann man Klamoniſſ finden. Nichtsdeſtoweniger bleibt der Raum hinter der Pferde - krippe immer zu beachten, da trotz der mannichfachſten Ent - deckungen doch dieſe Stelle beſtändig ihren alten erſten Rang unter den Kawuren behauptet.

Jn den Gefängniſſen bieten ſchlecht gearbeitete oder ſchadhaft gewordene Fußböden, namentlich an den Enden, Seiten und da, wo ſie gegen die Wand ſtoßen, ſowie auch die Rähme und Füße von Oefen, Gelegenheit zum Kawure legen. Beſonders ſind aber die Strohlager und Strohſäcke den Gefangenen ſehr willkommene Verſteckmittel. Man ſollte, abgeſehen von dem Material, welches das Stroh zu Stricken bietet1)Unglaublich iſt die Behendigkeit gefangener Gauner, aus dem Stroh derbe und dauerhafte Stricke zu flechten. Damian Heffel befreite ſich aus dem mehr als ſechzig Fuß hohen Thurme zu Uerdingen mittels eines von ihm in den erſten Augenblicken ſeiner Einſamkeit zu einer gleichen Länge geflochtenen Strohſeiles., alle Strohlager und Strohſäcke, ſchon der Koſtſpieligkeit wegen aus den Gefängniſſen verbannen. Zudem iſt das Stroh eine ſtete Schmuzerei im Gefängniß und ſehr ſchwierig zu durchſuchen, ſodaß bequeme Gefangenwärter höch - ſtens die obere Schichte nachleſen und auflockern, während das Stroh in den Ecken zu dichtem feuchten Miſt zuſammenfault. Auch iſt das Auftrennen und Durchſuchen der Strohſäcke eine zu umſtändliche Arbeit, als daß es täglich vorgenommen werden könnte. Ausgezeichnet bewähren ſich die in den trefflichen ham - burger Gefangenanſtalten ſchon ſeit Jahren eingeführten Säcke mit Buchweizenſpreu. Dieſe halb mit dieſer gutgeſiebten Spreu gefüllten Säcke können äußerſt leicht revidirt und durchfühlt, bei jeder Ronde des Nachts, wo der Gauner ſich ſicher fühlt, um - getauſcht werden, und eignen ſich deswegen ſehr ſchlecht zum Kawure legen. Sie ſind zudem ſehr elaſtiſch, weich, bequem, und das billigſte Material für Gefängniſſe, da ſie überaus lange vor - halten und auch ſehr wohlfeil herzuſtellen ſind.

Von der Kawure am Körper anderer Perſonen und an118 Thieren, welche von dem gefangenen Gauner im geheimen Ein - verſtändniß erhoben wird, iſt ſchon oben beim Zuplanten geredet worden. Von andern Arten wird noch gelegentlich geſprochen werden. Der Schärfenſpieler und Kochemerſpieße, welche den Gaunern das Geſtohlene abnehmen, und ſomit die eigentliche lebendige Kawure der handelnden Gauner bilden, wird ebenfalls noch beſonders gedacht werden. Das Untermakkeln (das Unter - ſchlagen von Diebsbeute), welches dem Sſlichnen gleichgeſtellt und beſtraft, dennoch aber faſt immer entweder ſchon beim Dieb - ſtahl oder bei der Theilung der Beute exercirt wird, beruht we - ſentlich auf der Geſchicklichkeit, den Kameraden gegenüber, etwas geſchwinde kawure legen zu können, oder wenn es, was ſeltener gewagt wird, im Einverſtändniß mit einem andern verſucht wird, im geſchickten Zuplanten. Von der blutigen Ahndung ſolcher Wagniſſe ſind ſchon Beiſpiele angeführt worden.

C. Die Gaunerpraxis.

Fünſunddreißigſtes Kapitel. 1) Die allgemeine Praxis und Terminologie.

Die bisher dargeſtellten allgemeinen Grund - und Charakter - züge des Gaunerthums geben weniger ein Zeugniß von einer wirklichen Originalität des Gaunerthums, als von ſeiner Befähi - gung und Beſtrebung, das bürgerliche Leben objectiv aufzufaſſen und auszubeuten. Daſſelbe iſt auch mit der Technik des Gauner - thums der Fall. Es gibt eigentlich keine wirklich originelle Tech - nik und keine beſondere Kunſtoriginalität im Gaunerthum. Die armſelige, ohnehin der Vogelleimruthe analoge Stippruthe iſt bei - nahe ſchon antiquirt. Das Gaunerthum kann es auch mit techniſchen Mitteln nicht wagen, in irgendeiner offenen Originalität aus ſeinem Verſteck hervorzutreten. Es beutet nur die Technik des gewerblichen Lebens aus, hat dieſelbe aber in vieler Hinſicht119 ſo fein ausgebildet, daß es dieſelbe in ihrer bürgerlichen Praxis weit hinter ſich gelaſſen hat, und daß man gerade nur in dieſer Verfein[erung]die gauneriſche Thätigkeit erkennt. Jnſofern kann aber alle[rd]ings von einer eigenen Gaunertechnik die Rede ſein. Eine geſonderte Darſtellung dieſer Gaunertechnik würde aber auch eine Darſtellung der ganzen Gewerbstechnik erforderlich machen, und ſomit die dem vorliegenden Werke geſetzte Grenze weit über - ſchreiten. Die Technik erklärt ſich am kürzeſten und deutlichſten in ihrer Anwendung bei den einzelnen gauneriſchen Unternehmun - gen, deren Darſtellung nunmehr erfolgen ſoll.

Alle praktiſche gauneriſche Thätigkeit wurde urſprünglich mit dem Ausdruck Fetzen bezeichnet. Jm Liber Vagatorum finden ſich die verſchiedenartigſten Zuſammenſetzungen, als Claffotfetzer, Schneider; Fladerfetzer (Pflaſtermacher), Bader, Barbier; Schö - cherfetzer, Wirth; Klingfetzer, Leiermann; Boſſerfetzer, Schlachter u. ſ. w. Die ſchon von Pott, a. a. O., II, 32, an - geführte Ableitung vom lateiniſchen facere iſt ohne Zweifel rich - tig. 1)Auch in der portugieſiſchen Gaunerſprache, Calaõ genannt, hat das Wort Faxar ganz die Bedeutung des facere und fetzen. Von Fetzen bil - dete ſich im 16. u. 17. Jahrhunderte der volksthümliche Ausdruck pfetzen, pfitzen, mit der Bedeutung zupfen, kneifen, abkneifen, klemmen, ſtehlen, welche noch ſpäter auf das ſpecifiſch-gauneriſche Fetzen übergegangen zu ſein ſcheint. Vgl. Kap. 66, Note 1, Stipitzen beim Stippen. Vgl. von Stieler, Sprachſchatz , S. 1442, u. Schottelius, S. 1373.Jn der heutigen Gaunerſprache iſt der Begriff jedoch ſehr beſchränkt, indem Fetzen nur noch das Lostrennen, Losſchneiden einer Sache zu ihrer Habhaftwerdung oder Vernichtung, alſo ſchneiden, ſtechen, ermorden, abſchneiden, zerſchneiden u. ſ. w. be - deutet. Statt deſſen iſt aber das Wort Handel als deutſche Ueberſetzung des facere aufgekommen, und Handel heißt daher allgemein jedes Raub - oder Diebſtahlsunternehmen, einen Han - del machen oder handeln, ſtehlen. Dazu kommt noch in ganz gleicher Bedeutung der ſchon angeführte jüdiſch-deutſche Ausdruck Maſſematten, der jedoch, neben der Bedeutung des Diebſtahls ſelbſt, auch noch die des Diebſtahlsobjects hat, und in der pleo -120 naſtiſchen Zuſammenſetzung einen Maſſematten handeln (einen Handel handeln), ſtehlen, am häufigſten vorkommt. Jn etymolo - giſcher Hinſicht iſt noch zu bemerken, daß auch dur[chgehe]nds der Plural Händel in dieſer Bedeutung bei frühern Juriſten ge - bräuchlich geweſen iſt, z. B. bei Steigerwald in den Res furci - ferorum von allerlei Diebshändel ; ebenſo im Schauplatz der Betrüger , ohne daß der Begriff von Streitigkeit damit verbunden iſt, der im Grund genommen auch nicht einmal in den noch heute gebräuchlichen Ausdrücken: Rechtshändel, Kriegshändel, politiſche Händel u. ſ. w. liegt, ſondern nur allgemein die That und Thä - tigkeit bezeichnet. Doch iſt der Plural Händel als Bezeichnung einzelner Gaunerinduſtriezweige in der Gaunerſprache nicht ge - bräuchlich. Ueberhaupt geht der Gaunerſprache die ſubſtantiviſche Bezeichnung für den allgemeinen Begriff des Metiers faſt ganz ab. Maſſematten heißt allgemein der Diebſtahl und das Diebſtahls - object, im Gegenſatz von Eſek oder Eiſek, das Geſchäft, die Ar - beit, der Fleiß, Gewinn, Antheil im ehrlichen Sinne. Jeder ein - zelne Gauner hat vielmehr nach ſeinem ſpeciellen Jnduſtriezweig beſondere Namen, z. B. Schränker, Makkener, Kittenſchieber, u. ſ. w. und ſein Metier wird paraphraſtiſch bezeichnet, indem er ſagt: Ploni1)Ploni,〈…〉〈…〉, und Almoni,〈…〉〈…〉, wird, unſerm N. N. entſpre - chend, zur Bezeichnung einer ungenannten Perſon gebraucht. iſt Kittenſchieber, Makkener, oder handelt als Schränker oder Makkener u. ſ. w. Selten oder wol gar nicht handelt ein Gauner in einem Jnduſtriezweige allein, wenn er auch einen ſpeciellen Zweig mit beſonderer Liebe und Geſchicklichkeit cultivirt; er iſt vielmehr bereit, alle und jegliche Gelegenheit auszubeuten, die ſich ihm darbietet, und kaum gibt es einen Gauner, der nicht fertig mit den Klamoniſſ umzugehen wüßte und nicht ſolche faſt immer bei ſich führte.

Zur Bezeichnung der gauneriſchen Thätigkeit gibt es eine Menge Stammwörter, welche in der Zuſammenſetzung mit andern Wörtern je nach Zeit, Thätigkeit und Ort eine beſtimmte Gauner - induſtrie bezeichnen. Dahin gehört: Gänger, Geier, oder jüdiſch -121 deutſch: Halchener, Lekicher, Latchener, Springer, Hopſer, z. B. Chaſſnegänger, der mit Sturm einbrechende nächtliche Räuber; L[aile]gänger, Fichtegänger, der Dieb zur Nachtzeit; Tchillesgänger, Erefhalchener, der Dieb zur Abendzeit; Trararumgänger, Poſtdieb; Zefirogänger, Dieb zur Mor - genzeit; Schuckgänger, Marktdieb; Medinegeier, Landhau - ſirer; Jomlekicher, Dieb bei Tage; Sſuſſimlatchener, Pferdedieb; Scheinlatchener, Dieb zur Tageszeit; Schein - ſpringer, ebendaſſelbe; Golehopſer, der Dieb, der die Koffer von den Wagen während des Fahrens ſchneidet. Ferner: Händler, Fetzer, Spieler, Macher, Makker, Melochner, Zieher, z. B. Schwärze - oder Fichtehändler, Nachtdieb; Jerid - händler, Marktdieb; Jaskehändler, Kirchendieb; Tchilles - händler, Dieb zur Abendzeit; Kracherfetzer, Kofferdieb; Reiwechfetzer, Schwindler, Beutelſchneider; Stoſſenſpieler, Schärfenſpieler, Ankäufer geſtohlener Sachen; Vertuſſmacher, der Gauner, der dem Genoſſen Gelegenheit zum Diebſtahl macht; Fallmacher, der zum Spiel anlockt; Jommakker, Dieb zur Tageszeit; Kaſſiwe - oder Fleppemelochner, der Anfertiger falſcher Päſſe; Cheilefzieher, Taſchendieb. Ferner: Schieber und Stappler (Stabuler des Liber Vagato - rum, von Stab, Stecken), z. B. Kittenſchieber, Hausein - ſchleicher; Hochſtappler, Bettler von angeblichem Stande; Linkſtappler, Bettler auf falſche Documente. Endlich wird auch noch zur Bezeichnung der geſammten gauneriſchen Thätig - keit zu einer beſondern Zeit oder an einem beſtimmten Ort der Ausdruck Abhalten, gebraucht z. B. den Schuck, den Jerid abhalten, den Markt oder die Meſſe wahrnehmen, auf derſelben gegenwärtig ſein, etwas machen.

Jn den folgenden Kapiteln folgt nun die Darſtellung der wichtigſten Gaunerinduſtriezweige, wie ſolche heutigen Tags in Brauch und Blüte ſind.

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2) Die ſpecielle Praxis. a) Das Schränken.

Sechsunddreißigſtes Kapitel. α) Der Verſchluß im weitern Sinne.

Schränken, vom deutſchen Wort Schranke, heißt das gewaltſame Angreifen einer Schranke, um eine durch dieſe ge - geſchützte Sache zu ſtehlen, daher mittels Einbruchs ſtehlen, und Schränker der Einbrecher. Noch ziemlich tief in den An - fang dieſes Jahrhunderts hinein wurden alle Räuber Schrän - ker genannt, weshalb die Einbrecher, welche keine Gewalt an Perſonen verübten, zum Unterſchiede zierliche Schränker ge - nannt wurden. Dieſe Bezeichnung iſt jedoch veraltet. 1)Vgl. Thiele, a. a. O., I, 311, Note.

Das Recht und der Wille des Menſchen, ſein Eigenthum gegen fremde Angriffe zu ſchützen, hat ihn dazu geführt, durch techniſche und mechaniſche Mittel ſein Eigenthum zu umgeben, ſodaß jeder dritte von demſelben abgehalten werden kann, ſobald die ſchützende perſönliche Gegenwart dazu nicht vorhanden und möglich iſt. Jene Mittel werden aber unter dem Begriff Ver - ſchluß2)Daher die alte juriſtiſche Metapher des ausſchließlichen Beſitzes. Die Subſtitution des Verſchluſſes für die perſönliche Schutzgewalt ſcheint auch der Grundgedanke zur geſchärftern Beſtrafung des Diebſtahls mittels Einbruchs und Einſteigens geweſen zu ſein. Als Analogon des Raubes iſt dieſer quali - ficirte Diebſtahl auch immer der Strafe des Raubes annähernd gleich behan - delt werden. bezeichnet. Verſchluß im weitern Sinne iſt die techniſche Umgebung durch Mauern, Wände und Geländer, welche über - haupt den Zugang verhindern; Verſchluß im engern Sinne der mechaniſch bewegliche Theil des weitern Verſchluſſes, durch wel - chen der Zugang zum eingeſchloſſenen Eigenthum hergeſtellt wird.

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Siebenunddreißigſtes Kapitel. 3) Der Einbruch, Unterkabber, Aufbruch und die Hülfsmittel dazu.

Niedrige Verſchlüſſe, Mauern, Holz - und Plankwerk, Gelän - der, welche leicht zu überſteigen und nicht mit eiſernen Zinken oder Stachelwalzen geſchützt ſind, bieten dem Schränker kein Hinderniß. Hohe hölzerne geſchützte Planken bieten ein ſolches ſchon eher, und werden daher, wenn nicht einzelne Breter ſich geräuſchlos abreißen laſſen, mit dem Bohrer und dem Meſſer durchſchnitten und eingelegt, ſodaß ſchon in dieſer Weiſe vom Einbruch, Lekiche1)Lekiche, von〈…〉〈…〉 (lokach), nehmen, vorzüglich von Feindes Beute, heißt eigentlich jeder Diebſtahl, beſonders aber der gewaltſame Diebſtahl mit Einbruch, wofür übrigens noch der beſondere Ausdruck: Lekiche bekauach, corump. perkooch, vom jüdiſch-deutſchen〈…〉〈…〉 (kauach), Stärke, Kraft, Ge - walt,〈…〉〈…〉 (bekauach), mit Gewalt. Daher Lekiche machen oder auſſe - nen, ſtehlen, mit Einbruch ſtehlen. Ebenſo lekichnen, was aber beſonders in Compoſitionen auch nehmen heißt, z. B. Schauchad lekichnen, Ge - ſchenke annehmen zur Beſtechung. Lekicher Dieb, Lekicher perkooch, Einbrecher, Schränker. Peſſuch, von〈…〉〈…〉, iſt gleichfalls die Oeffnung, der gewaltſame Einbruch, während Paſſung allgemein den Eingang, ſei es durch Einbruch oder mit Nachſchlüſſel, bedeutet. Peſſuch melochnen heißt daher einbrechen, Peſſucher Einbrecher, Paſſung machen, den Eingang auf eine oder die andere Weiſe herſtellen., die Rede ſein kann. Ernſtern Widerſtand bieten die Mauern. Die ſogenannten Schachtwände (Leim-Chaume, Leim-Kauſ - ſel, Leim-Kir), welche beſonders im nördlichen Deutſchland, namentlich bei Scheunen und Ställen, aber auch bei Wohnhäu - ſern, der Leichtigkeit und Billigkeit wegen, zu Wänden gebraucht werden, bereiten dem Schränker geringere Schwierigkeit. Sie be - ſtehen aus Holzſtäben (Schächten, Staken), welche in die Stän - der und Riegel des Gebäudes eingeklemmt und mit einem An - wurf von Lehm und kurzem Stroh verſehen werden. Sie ſind die ſchlechteſten Umfaſſungsmauern, und verrathen ſich, ſelbſt wenn ſie mit Kalk übergeſetzt ſind, durch die überall hervortretenden124 Strohhalme, können auch ſehr leicht durch das Wegkratzen des bröcklichen und mürben Lehms mit einem Brecheiſen oder ſpitzen Stück Holz, und durch Herausbiegen oder Zerſchneiden der Holz - ſtäbe mit dem Meſſer1)Jm Jüdiſch-Deutſchen: Sſackin; davon corrumpirt Sackum, Sackem, Sacken, Zackum, Zacken; auch beſonders Kaut, Hertling, Herterich, Kanif, oder das zigeuneriſche Tſchurin und Tſchuri. eingelegt werden. Dieſe Wände ſind daher immer die bevorzugten Angriffsſtellen der Schränker. Man ſollte dieſe Wände ganz verwerfen, da ſie obendrein der Witterung ſchlechten Widerſtand leiſten. Mit kaum geringerer Leichtigkeit ſind die Fachwände2)Das Fach einer ſolcher Wand wird Schild genannt, das Heraus - brechen oder Herausnehmen eines ſolchen Faches: Schild einlegen, was überhaupt auch für Einbrechen genommen wird., namentlich wenn ſie mit ungebrannten Ziegelſteinen (Klutſteinen) hergeſtellt ſind, einzulegen. Selbſt tüch - tig gebrannte Ziegelſteine ſichern, beſonders wenn ſie mit Lehm ſtatt des Kalks vermauert ſind, wenig gegen den Schränker, da der bündige Zuſammenhang zwiſchen dem Holzwerk und den Steinen fehlt; das Holzwerk wirft ſich, ſchwindet oder fault zu - ſammen, wodurch an den Seiten der Ständer und namentlich unter den Riegeln mehr oder minder breite Fugen entſtehen, welche das Herausnehmen der Steine mit dem Brecheiſen weſentlich er - leichtern. Faſt immer fängt der Schränker den Einbruch einer Fachwand unterhalb eines Riegels an, und nimmt die Steine von oben nach unten heraus, und zwar ſo, daß eine Ständerſeite ganz frei gelegt wird, und die Einbruchſtelle die Geſtalt eines rechtwinke - ligen, auf einen ſpitzen Winkel geſtellten Dreiecks gewinnt. Nur wenn keine Thür oder kein Fenſter von innen zur Flucht oder zum Transport größerer Sachen geöffnet werden kann, und die Einbruchſtelle die einzige Durchgangſtelle bleibt, wird ein ganzes Fach (Schild) eingelegt. Der erfahrene Schränker ſchichtet auch die behutſam gelöſten Ziegel neben der Einbruchſtelle gegen die Wand auf, theils um die Aushebung des Fachs für den etwa herzutre - tenden Wächter oder ſonſtigen Dritten als die unvollendete Tages - arbeit eines Maurers erſcheinen zu laſſen, theils um das Poltern125 der unordentlich übereinander liegenden Steine zu verhüten, beſon - ders aber, um auf der Flucht kein Hinderniß an der Einbruchſtelle zu finden. Nur dann dürften Fachwände eine größere Sicherheit bieten, wenn man an die gegen Riegel und Ständer zu ver - mauernden Steine Zapfen anhaut und dieſe in Nuten des Holz - werks hineinlegt, oder Holzwerk und Steine, da wo ſie ſich berühren, durch Federn oder Zapfen von tüchtigem Holz verbindet.

Maſſive Mauern (Ewen-Chaume, Ewen-Kauſſel, Ewen-Kir) bieten den meiſten Widerſtand, beſonders wenn ſie mit gutem Mörtel aufgeführt ſind. Sind ſie jedoch mit Lehm vermauert, ſo laſſen ſich die Steine ſogar mit einem ſpitzen harten Stück Holz aus den Fugen löſen. 1)Ein vollkommen gelungener Durchbruch durch eine in Kalk gemauerte ſtarke Wand mit dem geſpaltenen Stiel eines Handfegers iſt mir vor nicht langer Zeit wirklich vorgekommen.Der Angriff einer gut in Mörtel aufgeführten Wand erfordert, wenn nicht das große Brech - eiſen, den Krummkopf2)Krummkopf, wahrſcheinlich verſtümmelt von der Benennung des Buchſtaben〈…〉〈…〉 krumme Koff, welchem der obere Theil des Krummkopfs an Geſtalt ähnlich iſt., Reb-Mauſche, Reb-Tauweie3)Beides von〈…〉〈…〉 (rabbo), groß, viel; Mauſche von〈…〉〈…〉 (moschal), er hat geherrſcht, und〈…〉〈…〉 (towa), er hat mit Gewalt gefordert., auch Groß-Klamoniſſ, doch mindeſtens das kleine Brecheiſen, Schabber, Jadſchabber4)Schabber, von〈…〉〈…〉 (schobar), er hat zerbrochen, abgebrochen, und Jad,〈…〉〈…〉, die Hand. Die Etymologie von Klamoniſſ und Purim, ſ. bei dem Makkenen. , Groß-Purim, Kleinklamoniſſ. Der Schabber iſt ein gewöhnliches kleineres Maurerbrecheiſen, ein Stemmeiſen, das beſonders auch bei Aufbrechen von Schränken, Koffern, Kiſten und kleinern Verſchlüſſen vielfach in Anwendung kommt. Der Krummkopf dagegen iſt eine derbe dicke eiſerne Brechſtange von verſchiedener Größe, 1 ½ bis 3 Fuß lang, unten ſpitzzulaufend, oben im Kopf in breiter hakenförmiger Geſtalt ge - bogen, und gewöhnlich in der Mitte des Kopfs mit einem Ein - ſchnitt verſehen, der dem Kopf das Anſehen einer Rindsklaue126 gibt, weshalb in Norddeutſchland eine ſolche Stange1)Bei einem beabſichtigten Einbruch iſt mir eine ganz gerade Stange, 13 Zoll lang und ¾ Zoll dick, oben etwas breit und ohne Haken auslaufend, mit einer ſcharfkantigen, 2 Zoll langen und Zoll breiten Vertiefung in der Mitte, und in dieſer wieder mit einem Einſchnitt von 1 Zoll Länge und ¼ Zoll Breite verſehen, vorgekommen. Die Länge und Schwere des Krumm - kopfs, wie auch ſeine auffällige Geſtalt, macht den Transport, ſelbſt zu Wagen, unbeholfen und bedeuklich. Die Schränker wiſſen aber namentlich auf dem Lande die meiſtens ſehr ſorglos in offenen Remiſen, Ställen und Haukammern aufbewahrten Brechſtangen aufzufinden und zu benutzen, und nehmen auch wol die Pflugeiſen aus den offen auf Aeckern und Höfen liegenden Pflügen zur Hand, oder auch einen eiſernen Eggenzinken. auch Kuh - fuß genannt wird. Mittels des Einſchnittes laſſen ſich ſehr ſtarke Nägel, Hängen und Krampen leicht faſſen und ausziehen. Der Krummkopf in ſeiner eigenthümlichen Conſtruction iſt eine furcht - bare Waffe, ſowol zum Herausbrechen von Steinen, als auch beſonders zum Aufſprengen von Verſchlüſſen. Mit Kopf oder Spitze läßt ſich leicht ein Loch oder eine Spalte bewerkſtelligen, wodurch der Krummkopf einen Stützpunkt für ſeine ungeheuere Hebelkraft gewinnt. Jn Seeſtädten werden vorzüglich noch die ſogenannten Marmlpfriemen, ſtarke, ſtählerne, ſehr ſpitzzulaufende, runde, glatte, gegen 1 Fuß lange, oben 3 bis 4 Zoll im Umfange haltende Pfriemen, deren ſich die Matroſen zum An - ſpliſſen von Kabeln und beim Segelwerk bedienen, zum Schrän - ken gebraucht. Sie ſind ihrer Spitzigkeit, Rundung und Stärke wegen ein höchſt gefährliches Schränkwerkzeug, mit welchem Hänge - ſchlöſſer leicht abgewürgt und Breter und Mauern raſch und ſicher weggebrochen werden können. Sie ſind meiſtens mit einem Knopf oder Loch am Kopfende verſehen, und werden von den Ma - troſen an einem Bande getragen, wenn ſie die Takelung damit beſteigen.

Mit ſolchen gefährlichen Jnſtrumenten beginnt der Schränker, ganz anders wie bei der Fachwand, die Ewenchaume von unten, wo am Fundamente die Steine2)Mit Granitſtein fundamentirte Mauern bieten daher größern Wider - ſtand. gewöhnlich am eheſten verwit -127 tern, zu durchbrechen, indem er zuerſt einen einzelnen Stein, dann die ſeitlichen Steine heraushebt und nun von unten nach oben das Loch (Peſſuch, Paſſung, auch Rekef) zum Durchgange erweitert. Jſt die Wand in dieſer Weiſe durchbrochen, ſo bieten etwa vorhandene Panälwände verkroſchente1)Von〈…〉〈…〉 (keresch, Plural kroschim), Bret. oder vertä - welte Wände noch einen Widerſtand, welcher dadurch beſeitigt wird, daß mit dem Bohrer, Brunger2)Von der Brauchbarkeit des Brungers, der übrigens jetzt meiſtens als Centrumbohrer angewandt wird, hat ſchon der berüchtigte, am 6. Januar 1720 zu Frankfurt a. d. O. hingerichtete Kirchenräuber Jakob Neumann durch eine lange Reihe der ſchwierigſten und verwegenſten Einbrüche Zeugniß ab - gelegt. Der Brunger iſt bei der Geräuſchloſigkeit, Geſchwindigkeit und Kraft ſeiner Wirkſamkeit unbezweifelt eins der furchtbarſten Jnſtrumente in der Hand des Gauners, der im Nu jedes Schloß zu umbohren weiß. Jch habe oft die ſchönſten Mobilien auf dieſe Art ruinirt gefunden. Vgl. weiterhin Lewone legen. , in das Holzwerk ganz nahe nebeneinander Löcher im Umfange der Einbruchſtelle gebohrt und die Zwiſchenräume zwiſchen den Bohrlöchern mit dem Meſſer durchſchnitten werden, ſodaß eine entſprechende Oeffnung, Lewone, im Holzwerk zum Durchgange hergeſtellt wird. Die Panäle bieten nur dann vollkommen Widerſtand, wenn ſie, was man nie - mals in Kaſſengewölben und Comptoirs vernachläſſigen ſollte, mit Eiſenblech oder Bandeiſen gefüttert ſind. Die geübteſten Schränker haben erklärt, daß ſie nicht im Stande ſind, dieſe des - halb ſehr empfehlenswerthe Sicherung zu vernichten. 3)Ueberhaupt empfiehlt es ſich, die Rähme und Füllungen von Thüren, namentlich in der Umgebung der Schlöſſer, Riegel u. ſ. w. mit Eiſenblech, Bandeiſen, Drahtſtiften u. dgl. zu futtern, indem dadurch das Ausbohren und Ausſchneiden des Holzwerks wirkſam gehindert wird. Vgl. Hirt, Der Dieb - ſtahl . S. 4 fg.

Haben die Schränker den Krummkopf oder Schabber nicht zur Hand, oder wollen ſie die Wand nicht durchbrechen, ſo ver - ſuchen ſie, wenn jene leicht fundamentirt und auf der andern Seite kein feſtverbundener Fußboden befindlich iſt, einen Unter - kabber zu machen oder die Wand zu unterkabbern4)Untergraben. Vgl. die Etymologie oben bei Kawure, Kap. 34., d. h.128 mit dem Spaten (Gruber) hart an der Wand ein Loch zu graben, um unter der Wand hindurch auf die andere Seite zu gelangen. Dies geſchieht meiſtens bei Gartenmauern, die auf der andern Seite mit Spalieren beſetzt ſind, oder bei dicken Plank - und Paliſ - ſadenwänden, ſowie bei Blockwänden, die nur langſam und mit zu großer Anſtrengung und zu großem Geräuſch zu durchbrechen oder zu durchagen ſein würden. 1)Einen merkwürdigen Unterkabber, durch welchen ein in Unterſuchung befindlicher Räuber ſeine Flucht bewerkſtelligt hatte, habe ich in einem benach - barten Patrimonialgefängniſſe geſehen. Der Räuber hatte den mit Urin ge - feuchteten Breter-Fußboden mit einem Nagel durchſchnitten, die Erde unter dem Mauerfundament in einer Nacht herausgegraben, und das außen befind - liche Erdreich von unten in die Höhe gehoben, indem er rückwärts in das Loch gekrochen war und mit dem Geſäß gegen das Erdreich gedrückt hatte.

Soll durch eine Thür gebrochen werden, ſo wird, wenn ſie nur von innen verriegelt oder verknebelt iſt, durch Drücken in den äußern Ecken unterſucht, wo die Hängen und wo die Riegel (Manul, zigeuneriſch Glitſchin, Glitſch) ſitzen. Durch dies Drücken erforſcht der Schränker zugleich, ob der Riegel ſtark oder ſchwach iſt; im letztern Falle wird durch geräuſchloſes fortgeſetztes Drücken2)Jm Niederdeutſchen exiſtirt dafür der eigenthümliche Ausdruck Jö - keln, offenbar vom lateiniſchen Jocus, da Jökeln beſonders ſcherzen, Albernheiten begehen, bedeutet. häufig ein ſchlecht angenagelter Riegel oder Knebel gelöſt, oder auch mit durchgeſtecktem Kaut oder Schabber zur Seite oder in die Höhe gehoben. Sonſt wird der Riegel Lewone gelegt3)Lewone, Mond, Mondſchein, von〈…〉〈…〉 (lowon), weiß. Wird ein Stück Bret an der Kante nur von drei Seiten ausgebohrt, ſo heißt die aus - gebohrte Stelle Halbe oder Choze-Lewone; wird aber mitten im Bret oder der Tafel ein meiſt kreisförmiges Loch gebohrt und ausgeſchnitten, ſo heißt die Stelle eine volle Lewone, oder ſchlechthin Lewone. , d. h. das Holz ringsumher wird mit dicht nebeneinander geſetzten Löchern durchgebohrt und mit dem Meſſer ausgeſchnitten, ſodaß der Riegel mit dem Holz, woran er befeſtigt iſt, heraus - fällt. Daſſelbe geſchieht bei Schlöſſern, Haken und Knebeln, um ſie aus der Thür zu löſen. Häufig wird in der Nähe der Stelle,129 wo ein Riegel oder Haken vermuthet wird, eine Lewone gelegt, um mit dem Arm nach innen langen und den Riegel aufziehen zu können. Bei den Rheiniſchen und ſpätern Räuberbanden, welche durch ihre Maſſe offenen Trotz bieten konnten, wurden mit dem nächſten beſten Stück Bauholz, Balken oder Hebebaum, dem Drong1)Vom deutſchen Drang, dringen, impetum facere, cogere. Vgl. von Stieler, a. a. O., S. 336, und Schottelius, a. a. O., S. 1304., die Thüren durch heftiges Stoßen auf das Schloß gewaltſam aufgeſprengt und ganze Fachwände eingerannt, was jetzt, bei der Regſamkeit der Gensdarmerie und bei der Leichtigkeit der Communication, höchſtens noch bei ganz abgelegenen Gebäu - den und auch nur ſehr ſelten gewagt wird.

Soll das Eindringen durch Fenſter, jüdiſch-deutſch Challon, Plural Challauneſſ2)Auch ſonſt Gallones, Scheinling, Scheibeling, Feneter und Fenette genannt. Das jüdiſch-deutſche Eſchnob (〈…〉〈…〉) iſt ein kleines Fenſter, Guckloch, kleines Gitterfenſter., bewirkt werden, ſo kommt es zunächſt darauf an, die Ueberfallhaken von innen abzuhängen. Hat das Fenſter Bleifaſſung, ſo wird das Blei um die Scheibe, Blöde, mit dem Meſſer zurückgebogen und ausgeſchnitten3)Eine Scheibe herausnehmen heißt überhaupt die Blöde ausme - lochnen. Die Bleifaſſung und Scheibe wird von geübten Schränkern ſo ſehr wie möglich geſchont, damit die Scheibe nach vollführtem Diebſtahl wieder eingeſetzt, ſomit auch der Kunſt vollkommen Genüge geleiſtet und auch der Eingang durch das Fenſter nicht ſogleich bemerkt werden kann. Bei amtlichen Beſichtigungen müſſen daher vor allem auch die Fenſter genau ins Auge ge - faßt werden. Sehr leicht kann der[Ver]rdacht einer Nachläſſigkeit oder Schuld - barkeit des Hausgeſindes entſtehen, wenn nicht einmal eine Spur im Staube der Fenſterbank, oder Schmuz, Streifen oder Schrammen von den Fußſohlen der Schränker gefunden werden. Das Wiederzuſtreichen der Bleifaſſung läßt, namentlich da es immer im Dunkeln und raſch geſchehen iſt, ſich ebenſo deut - lich erkennen, wie die Schnitte in den Ecken der Bleieinfaſſung., die Scheibe herausgenommen und durch die Oeffnung mit durchgeſteckter Hand, oft noch mit dem Stocke, der Ueberfallhaken abgehängt.

Eingekittete Fenſterſcheiben werden mittels eines auf die Scheibe gebreiteten, mit fettigen Subſtanzen4)Talg, Theer, auch wol Lehm, Koth, friſcher Kuhdung u. ſ. w. Ter -, namentlich Schmier -Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 9130ſeife, beſtrichenen Lappens oder Papierbogens eingedrückt, um das Klirren des ſpringenden Glaſes zu dämpfen. Erfahrene und ge - übte Gauner vermeiden jedoch das Eindrücken, da es keineswegs leicht iſt, ohne feſten kurzen Druck, den man mit der freien Hand nur ſehr ſchwer bewirken kann, die elaſtiſche Scheibe zum Sprin - gen zu bringen, was aber immer und unter allen Umſtänden von einem dumpfen Knall begleitet iſt, den man deutlich hören und unterſcheiden kann. Dieſer Knall macht es nöthig, daß der Schränker eine Zeit lang warten muß, um zu erforſchen, ob nicht etwa der Knall von den Hausbewohnern gehört worden iſt. Die - ſelbe Vorſicht iſt auch bei dem Herausnehmen der Glasſcherben aus den Rahmen nöthig, da die Scherben faſt immer lebhaft dabei kniſtern und beim Herausbrechen laut klingen. Der routi - nirte Schränker zieht es daher vor, die Scheibe ganz herauszu - nehmen, indem er den entweder friſchen oder verwitterten und namentlich auf dem Lande beſonders nach der Sonnenſeite hin bald mürbe und brüchig werdenden Kitt mit dem Kaut losſchneidet, wobei ihm die höchſt elende Verſtiftung der Scheiben mit dünnen Drahtſtiften faſt gar keine Schwierigkeit darbietet. Beim Bal - dowern ſind die Fenſter mit ihrer Verkittung ſchon immer ein hauptſächlicher Gegenſtand ſcharfer Beobachtung. Vielfach werden aber auch die Ueberfallhaken der Fenſter mit dem Brunger aus - gebohrt, was ſich raſch und leicht bewerkſtelligen läßt.

Werden die Fenſter durch Schalter von außen geſichert, die von innen angeſchroben werden, ſo werden die Schraubenmütter, wenn ihre Niete oder Stifte nicht mit der ſcharfen Kneifzange, dem Beißer, abgekniffen, und mit der Mutter abgedreht werden können, lewone gelegt. Schalter mit durchlochten Querſtangen, die mit Bolzen und Splinten von innen befeſtigt werden, bieten ſehr große Schwierigkeiten, namentlich wenn die Bolzen innen4)pentinpflaſter habe ich in meiner Praxis noch nie gefunden, auch wenig von deren Anwendung gehört. Ob etwa der ſcharfe Geruch, den der Terpentin weithin verbreitet und der die Hunde beunruhigt, die Anwendung unrathſam macht? Mindeſtens iſt auch Terpentin nicht immer ſo leicht und unverdächtig zur Hand als die obengenannten fettigen Subſtanzen.131 durch gute Schnappfedern gehalten werden, oder wenn die Splinte gut gefedert ſind, oder zwiſchen Stiften laufen, daß ſie nicht durch Drehen des Bolzenkopfs zum Herausfallen gebracht werden können. Der Schränker hat ſelten ſo viel Zeit, unbeachtet unter der Stange eine Lewone zu legen, die Scheibe einzudrücken und die Splinte mit der Hand auszuziehen, obgleich dieſe ſchwierige Operation nicht ſelten mit raſcher Kunſtfertigkeit gewagt wird, ſobald nur der Schränker ſich einigermaßen ſicher weiß. Sind die Schalter von innen angebracht, ſo können die von innen übergelegten Rie - gel oder Stangen nach Oeffnung des Fenſters leicht mittels einer Lewone, oder mit dem Kaut oder Schabber in die Höhe geſchoben werden. Ein weit gefürchteteres Hinderniß bieten aber die auf den Fenſterbänken befindlichen Blumentöpfe, die beim Zurückſchieben der Schalter herunterfallen und durch ihr Geräuſch die Schränker verrathen, weshalb man nie verſäumen ſollte, abends nach Schlie - ßung der Schalter, die Blumentöpfe wieder auf die Fenſterbänke ſtellen zu laſſen.

Jſt das Fenſter mit Eiſenſtäben oder Gittern, Barſel1)〈…〉〈…〉(barsel), das Eiſen, eiſernes Werkzeug, eiſerne Feſſeln, Gitter., Barſeilim, verſehen, ſo werden dieſe entweder gewaltſam her - ausgebrochen, geſchwächt, oder auch, wenn die Zeit und Ge - legenheit es erlaubt, mit der Säge, Magſeira2)〈…〉〈…〉(magsera), eigentlich die Axt zum Holzfällen., Megerre, Maſcher, oder der Feile, Pezire3)〈…〉〈…〉, eigentlich Stumpfheit, Scharte, ſchartiges ſtumpfes Schwert., Barſelsſchärfe durch - ſchnitten, gefetzt; das Schwächen wird beſonders dann vorge - nommen, wenn das Gitter außerhalb der Fenſterſcheiben angebracht iſt. Ein tüchtiger Strick4)Die Stricke wickeln ſich die Schränker gewöhnlich unter dem Rocke um den Leib, und legen auch wol noch darunter die zum Wegtragen des geſtoh - lenen Gutes dienenden Säcke, Kiſſimer (von〈…〉〈…〉 [kis], Beutel, Geldbeutel). 〈…〉〈…〉, chebel (Kabel), Gewel, Ka - bohl, Längling, Regierung wird durch die Mitte des Git - ters geſchlungen, um einen tüchtigen Hebebaum oder Wieſenbaum (Drong) geknüpft, und das Gitter durch Wuchten des Baumes herausgeriſſen, wobei entweder das Gitter aus der Zarge bricht9*132oder die Zarge mit herausreißt. Dieſe Procedur geht bei der ungeheuern Hebelkraft des Drong meiſtens ohne große Schwie - rigkeit vor ſich, und wird theils durch die häufig ſchlechte Ver - mauerung der Gitter und Zargen, theils durch die ſchlechte Be - feſtigung der Gitter in den Zargen ſelbſt ſehr erleichtert. 1)Meiſtens werden die Stangenden umgeſchmiedet, durchlocht und von innen gegen das Zargenholz genagelt, oder auch nur in die halbe Holzdicke eingelaſſen, wobei die Gitter ſehr leicht aus der Zarge geriſſen werden können.Einzelne Stangen laſſen ſich noch leichter herausbrechen. Am ſicherſten wählt man verbundene Gitter, bei denen das Eiſenwerk ſich gegen - ſeitig ſteift und trägt, verwirft die hölzernen Zargen ganz, wählt dafür eine ſteinerne Einfaſſung, oder vermauert die dicken hölzernen Zargen wenigſtens ſo, daß ſie gehörig tief und in der Mitte des Mauerwerks zu ſtehen kommen, um weder nach innen, noch nach außen bewegt werden zu können. Zu aller Vorſicht iſt es gut, das Eiſenwerk ſtets in Oelfarbe zu halten, da der geübte Blick des Schränkers an dem matten faſerigten Anſehen das gute nnd an dem glänzenden glatten Anſehen das ſchlechte Eiſen ſehr wohl zu unterſcheiden weiß.

Soll ein Vorhängeſchloß, eine Tole (von〈…〉〈…〉 [tolo], aufhän - gen), erbrochen werden, ſo wird der Schabber oder Krummkopf durch den Hals oder Bügel des Schloſſes geſteckt und das Schloß, deſſen Riegel und Niete leicht der großen Gewalt nachgeben, abgedreht, gewürgt. Bei ſehr ſtarken und ſchweren Schlöſſern, welche dieſer Gewalt etwa Widerſtand leiſten ſollten, wird der Bügel mit der Säge durchſchnitten oder mit der Feile durchgefeilt. Die Billig - keit und Feinheit, mit welcher die Feilen jetzt gearbeitet werden, macht es möglich, daß die Schränker, welche früher ſelbſt aus Uhrfedern2)Eine ſolche noch aus einer Uhrfeder hergerichtete Säge wurde hier in Lübeck noch vor drei Jahren einem gefährlichen Schränker abgenommen. Die Zähne waren unregelmäßig angehauen wie bei Feilen, und griffen ſehr ſtark in Eiſen hinein. nur unvollkommene Sägen zurichteten, oder ſich mit groben Feilen oder Bruchſtücken davon behelfen mußten, mit den verſchiedenſten Sorten feiner Feilen und Sägen reichlich verſehen133 ſind, welche ſie mit großer Leichtigkeit verſtecken können. Die feinen Laubſägenblätter, die man in vielen verſchiedenen Sorten, das Dutzend für drei Silbergroſchen und billiger, in jedem Eiſenwaaren - laden kaufen kann, ſind äußerſt gefährliche Jnſtrumente, da man mit ihnen, wie ich das ſelbſt verſucht habe, in kurzer Zeit zoll - dicke Eiſenſtangen ſehr behende durchſchneiden kann.

Zum Aufbrechen von Verſchlüſſen aller Art dient noch ferner das den Krummkopf und Schabber vielfach erſetzende Kardem (〈…〉〈…〉[kardom], Beil, Axt), auch Kotener1)Von〈…〉〈…〉 (koton), klein; Mühlkracher bedeutet die größere Axt. Kardem, oder Ko - tener Mühlkracher genannt. Das ſcharfe, mit einem ſtarken Stiele von Weißbuchen - oder Apfelbaumholz verſehene Kardem wird ſowol als Hebel zum Einſetzen in Spalten und Fugen, als zum Wegbrechen und Wegſchneiden von Verſchlägen, Schlagleiſten u. dgl. gebraucht, und läßt ſich viel bequemer führen als Krumm - kopf und Schabbeṙ, indem es unter dem Rocke mit dem Stiel durch das Weſtenärmelloch geſteckt wird, ſodaß das eiſerne Blatt flach gegen die Bruſt liegt. Dadurch, daß ſich das Beil auch leichter und unverdächtiger wegſetzen läßt, und auch im Nothfall zu einer gefährlichen Vertheidigungswaffe dient, findet es bei dem Schränken immer größere Aufnahme und Anwendung.

Zum Aufbrechen von Geldkiſten, deren Transport auf das freie Feld, um ſie dort mit der Axt oder ſchweren Steinen zu - ſammenzuſchlagen, nicht möglich oder thunlich iſt, bedienten ſich in früherer Zeit die Schränker (wie Thiele, a. a. O., I, 79, er - zählt) der Kaffemühle, d. i. einer gewöhnlichen Wagenwinde, mit welcher die Deckel der Kiſten aufgeſchroben wurden. Schon der umſtändliche und auffällige Transport dieſes ſchwerfälligen Jnſtruments macht ſeine Anwendung ſchwierig und bedenklich. Die Kaffemühle ſcheint ſeit der Beſeitigung offener Räuberbanden gänzlich obſolet geworden zu ſein. Gilt es, wenn keine Nach - ſchlüſſel oder Dietriche zur Hand ſind, nach Abdrehung oder Ab - ſchneidung der Tolen, den Deckel der Lade zu erbrechen, ſo wird an einer Ecke der Verſuch gemacht, mit dem Schabber, Krumm -134 kopf oder Kardem unterzufaſſen, was bei ſehr vielen Geldladen gelingt. 1)Den Aufbruch einer ſolchen eiſernen Geldkiſte, welche an jeder Seite mit vier Schloßriegeln verſehen war, durch einen geſchickten Schloſſermeiſter, dem der Auftrag dazu ertheilt wurde, da der Schlüſſel verloren gegangen war, habe ich einmal geſehen, und die Fertigkeit bewundert, mit welcher der ganz vortrefflich und künſtlich gearbeitete Verſchluß in einer Viertelſtunde, ohne Dietriche, geöffnet wurde.Jn die entſtandene Spalte wird der Schenkel der Kneifzange oder ein Schabber, oder auch ein keilförmiges Stück Holz, der Vorleger, geſteckt, und mit dem Brechinſtrumente weiter vorgefaßt. Jſt übrigens der Deckel nur ein wenig auf einer Seite gehoben, ſo können die Schließriegel und Haken der furchtbaren Hebelgewalt des Krummkopfs ſchwerlich lange widerſtehen. Das von Thiele, a. a. O., S. 85, erwähnte Zu - ſammendrücken der Geldladen wird von den Schränkern mit richtigem Blick auf den Umſtand, daß die eiſernen Bänder und vielen Nieten das Holzwerk der Laden für den Druck von außen nach innen eher ſchwächen als verſtärken, und daß das dünne Eiſen der Ladenwände ſich nach innen biegen läßt, während es durch den übergreifenden Rahmen des Deckels eigentlich nur vor dem entgegengeſetzten Druck geſchützt wird, deſto eifriger cultivirt. Das Zuſammendrücken mittels eines um die Lade gelegten und durch Drehen eines eingeſteckten Knittels zuſammengezogenen Taues ſetzt allerdings eine ſchwache Conſtruction der Lade voraus. Neuer - dings ſollen auch ſtarke, durch eine mit Stricken um die Geld - lade befeſtigte Flügelmutter laufende eiſerne Schrauben, welche gegen das Schlüſſelloch geſetzt werden, zum Zuſammendrücken von Geldladen gebraucht worden ſein. Dieſe Schrauben habe ich jedoch nicht ſelbſt geſehen. Jn ziemlich ähnlicher Weiſe werden die Räder der Eiſenbahnwagen mittels einer ſtarken Schraube auf die Achſen getrieben. Eine eiſerne Schraube von etwa Fuß Länge und 2 Zoll Dicke müßte ſchon eine unwiderſtehliche Gewalt auf eine Geldladenwand üben. Die Durchziehung einer Mittelwand innerhalb der Geldlade und die Beſetzung des Deckels mit einem innern Rahmen, gegen welche der von außen bewirkte135 Druck der Ladenwände ſich lehnt, ſcheint ein ziemlich ſicheres Schutzmittel gegen dieſe neuauftauchende Methode zu ſein. 1)Eine ſolche trefflich conſtruirte Geldlade findet man auf Tafel 37 des Atlas zu Joh. König’s Grundriß der Schloſſerkunſt (Weimar 1856) dar - geſtellt.

Die vorſtehend genannten Geräthſchafte werden unter dem Collectivnamen Schränkzeug begriffen. Wahl und Gebrauch des Schränkzeugs nach der dargeſtellten Methode wird ſchon bei dem Baldowern beſtimmt, und beſonders auch noch wenn die Blinde gemacht wird, das heißt, wenn kurz vor der Ausfüh - rung des Diebſtahls eine nochmalige ſpecielle Ueberſicht und Durchforſchung der ganzen Oertlichkeit und Gelegenheit durch eins oder durch mehrere Mitglieder der Chawruſſe genommen wird (ſ. oben Baldowern, S. 111).

Oft wird das Schränkzeug nur wenig, oder gar nicht ge - braucht, je nachdem ſich eine andere günſtige Gelegenheit dar - bietet. Die Katzenlöcher in den Thüren, beſonders auf dem Lande, ſparen den Schränkern manche Lewone, da durch dieſe Löcher mittels eines Stocks die hinderlichen Knebel, Riegel und Haken leicht weggeſchoben werden können. Die Schränker finden auch auf dem Lande vielfach Gelegenheit, mit Wagenleitern oder andern Bodenleitern in offenſtehende oder ſchlecht verwahrte Fenſter und Speicherluchten einzudringen, oder auf Dachrinnen zwiſchen Ge - bäuden zu gelangen, von welchen ſie, durch Zurückſchieben oder Aufheben der innern Knebel und Haken der gewöhnlich ſchlecht und loſe ſchließenden Luchten mit dem Kaut oder Schabber, in die Gebäude dringen2)Jn dieſer Weiſe gerieth ein Jndividuum hier in Unterſuchung, das einen ganzen Winter hindurch mittels einer Wagenleiter auf einen Korn - ſpeicher geſtiegen war, und durch die Windenluchte mittels Zurückſchiebung des Knebels mit dem Meſſer den Weg auf den Speicher gefunden hatte, von welchem das Korn ſackweiſe geſtohlen wurde. Die Wagenleiter hing beſtändig an der nahen Scheunenwand., ſomit Arbeit und Zeit ſparen, und dabei auch der Gefahr der Entdeckung leichter entgehen. Oft werden von den Dachrinnen aus Dachziegel zum Einſteigen ausgenommen. 136Dazu wird auch zuweilen der Weg über das Dach eines oder mehrerer benachbarter Häuſer gewählt, wenn an das zu beſtehlende Haus nicht ſicher anzukommen iſt. Letzteres geſchieht beſonders dann, wenn das Haus von guten Hunden bewacht wird, welchen kein Gift beizubringen iſt.

Achtunddreißigſtes Kapitel. γ) Das Pegern.

Gewöhnlich verſuchen die Schränker vor dem Diebſtahl, oft ſchon mehrere Tage vorher, die ihnen hinderlichen Hunde zu pegern, zu vergiften. Der den Hunden vorgeworfene vergiftete Teig, Kuchen und ſonſtiges Gebäck, namentlich auch Fleiſch und am häufigſten Wurſt1)Vergiftete Wurſt ſieht am unverfänglichſten aus, und wird ſelten unterſucht, wenn ein Gauner damit angehalten wird, da ſich die Ausrede wie von ſelbſt verſteht, daß er das Stückchen Wurſt als ſeinen Mundproviant bei ſich führe. wird Sam, (〈…〉〈…〉, Gewürz, Gift) oder Peiger genannt. 2)Von〈…〉〈…〉 (peger), Leichnam, Aas, Luder; im Jüdiſch-Deutſchen im verächtlichen Sinn für chriſtliche Leichen und crepirtes Vieh gebraucht, wie z. B. von dem Leichnam des chriſtlichen diebiſchen Maurers zu Regensburg, in der Maaſe; bei Wagenſeil, Jüdiſch-Deutſche Belehrung (Königsberg 1699), S. 327 u. 328. Das Pegern der Hunde läßt ſich vielleicht einigermaßen da - durch verhindern, daß man ihnen des Nachts dichte Maulkörbe umlegt. Aber doch auch auf andere Weiſe wiſſen die Schränker die Hunde zu kirren, beſon - ders durch Hinwerfen von Lappen mit dem Schweiß hitziger Hündinnen, oder durch mitgebrachte Hündinnen ſelbſt, welche man faſt immer bei Gaunern findet und welche ſie ſogar auf ihre Unternehmungen ſehr häufig mitnehmen. Das Halten von Hündinnen auf dem Lande iſt jedenfalls rathſamer als das Halten männlicher Hunde, da ſie ſich nicht ſo leicht durch jene gauneriſchen Mittel beſchwichtigen laſſen, wie letztere.

Das Gift beſteht nicht immer aus der allerdings am leichte - ſten von allen Giften aus Droguenhandlungen und Apotheken unter irgendeinem Vorwande3)Vgl. Thiele, a. a. O., I, 78. zu kaufenden Nux vomica, ſon -137 dern auch aus Kupferoxyd, das leicht aus ſchmuzigem Meſſing - oder Kupfergeſchirr zuſammenzukratzen oder auch aus trockenen gif - tigen Farben zu gewinnen iſt. Auch iſt die tödliche Eigenſchaft der phosphorhaltigen Streichſchwefelhölzer den Schränkern ſehr wohl bekannt. Häufig werden auch, wenn es nicht auf eine ſehr raſche Tödtung ankommt, die Hunde mit Badeſchwamm, der in Stücke geſchnitten und mit Fett und Salz zuſammengebacken iſt, ge - tödtet, wie man ja denn auch in dieſer Weiſe den Ratten und Mäuſen einen qualvollen Tod bereitet, in deren Eingeweide der mit den Verdauungsſäften durchzogene Schwamm wieder aufquillt.

Neununddreißigſtes Kapitel. δ) Die Zeit, die Kohlſchaft und die goldene Choſchech.

Die paßliche Wahl der Zeit für die auszuführenden Schränk - maſſematten iſt eine wichtige Rückſicht. Es gibt im allgemeinen eine Gaunerjahreszeit, die Monate nämlich im Herbſt und im Frühling, welche lange finſtere Nächte, Stürme und Regenſchauer mitbringen, und wegen dieſer ihrer günſtigen Gelegenheit die Kohlſchaft (〈…〉〈…〉, kohol, die Verſammlung, Gemeinde), d. i. die Verſammlungszeit, Gaunerſaiſon, oder auch wegen ihrer Ergie - bigkeit die goldene Choſchech (〈…〉〈…〉, die Finſterniß) genannt werden. Zum Handeln des einzelnen Maſſematten wird jedoch die günſtigſte Zeit und Gelegenheit mit beſtimmter Berückſichtigung aller Umſtände abgewartet. Kein Moment wird außer Acht ge - laſſen, in welcher der Freier etwa abweſend, krank oder ſonſt in einer Lage ſich befindet, wo er nicht geneigt und befähigt iſt, ſeine Aufmerkſamkeit auf die äußere Umgebung zu richten1) Ein geſchickter Dieb muß wiſſen, wo die Leute ſchlafen, ob ſie alt oder jung ſind, denn alte Leute wachen leicht auf, zumal nach Mitternacht; jungen Eheleuten hingegen kann man eine Stunde nach dem Schlafenlegen ohne Furcht eine Viſite abſtatten. Streitmatter im Verhör; bei Rebmann, Damian Heffel , S. 164 (zweite Auflage), oder S. 117 (dritte Auflage)., wie bei138 Erkrankungen oder ſonſtigen trüben Ereigniſſen, von denen der Baldower Kunde erlangt hat. Mehr als ein mal iſt es daher vor - gekommen, daß Schränker in eine Wochenſtube oder in ein Leichen - zimmer gerathen ſind. Aber auch dann beſonders, wenn freudige Ereigniſſe oder geſellſchaftliche Erheiterungen, wie eine Soirée oder ein Ball, die Hausbewohner und Dienerſchaft auf einen beſtimm - ten Theil des Hauſes concentrirt, vorzüglich aber unmittelbar nach ſolchen Feſtlichkeiten, wenn alles im Hauſe ermüdet ſich zurückgezogen hat, und das Meiſte unordentlich und unverwahrt umherliegt, werden die meiſten Einbrüche mit Erfolg verübt. Alle einzelnen Situationen und Gelegenheiten, ſelbſt die perſönlichen Eigenſchaften, Alter und Zahl der Hausbewohner, von denen ſchon oben beim Baldowern die Rede geweſen iſt, werden mit ſcharfem Blick aufgefaßt, um auch das unſcheinlichſte Moment ausbeuten zu können.

Selten und nur unter ganz günſtigen Umſtänden wird bei Tage, bei Schein, ba jom (〈…〉〈…〉, der Tag), in der Regel bei Nacht - zeit, ba leile (〈…〉〈…〉[lail], die Nacht), oder, wie es auch heißt, Baiſchon lailo (〈…〉〈…〉), in der ſchwarzen Nacht, oder bei Schwärze oder in der Fichte geſchränkt.

Vierzigſtes Kapitel. ε) Die Schmiren und Lampen.

Eine Hauptaufgabe iſt, die als günſtig erkannte Gelegenheit ſo lange günſtig zu erhalten und jede Störung von ihr zu ent - fernen oder mindeſtens den handelnden Chawern ſofort mitzu - theilen, bis der Maſſematten gehandelt und der Rückzug gedeckt iſt. Dieſe ſchwierige Aufgabe haben die Schmiren zu erfüllen, zu denen für jeden einzelnen Maſſematten gewöhnlich die erfahren - ſten und gewandteſten Gauner von dem Balmaſſematten gewählt werden. Die rohe Auffaſſung des Wortes Schmire vom jüdiſch -139 deutſchen Schmiro1)Davon Laileſchmir, der Nachtwächter., Schmiruſſ (von〈…〉〈…〉, er hat bewacht, behütet), die Wache, Wacht, Wachthaus, Wachtpoſten, hat nicht nur die falſche Schreibweiſe Schmiere, ſondern auch die dieſem ſinnverwandten Wörter Butter und Käs (auch ſogar Chäs) mit gleicher Bedeutung von Schmiro geſchaffen, ſodaß man für den Begriff Wache ſtehen und Wache ausſtellen ebenſo wol ſagen kann: Schmire ſtehen, Schmire ſtellen, als Butter oder Käs ſtehen oder ſtellen. Je nachdem Oertlichkeit und Gelegenheit es vorſchreibt, ſtellt ſich die Schmire offen in der Gegend des Einbruchs zur Beobachtung der etwa zu befürchten - den Störung auf, und hat dabei die Aufgabe, die Störung auf - zuhalten und, wie z. B. durch das Meiſtern, wovon ſchon oben geſprochen iſt, zu paralyſiren, aber auch, wenn das nicht gelingen will, den verabredeten Zinken zum Rückzug zu geben. Sehr oft müſſen ſich aber die Schmiren verſteckt aufſtellen, namentlich wenn in der Nähe ein Militärpoſten ſteht, oder Nachtwächter und Pa - trouillen häufig paſſiren; dieſe verſteckten Schmiren werden mit dem Kunſtausdruck betuchte Schmiren2)Von〈…〉〈…〉 (betach), Vertrauen, Sicherheit, wovon das jüdiſch-deutſche Adjectiv〈…〉〈…〉 (betuach), ſicher, zuverläſſig, geborgen. bezeichnet. Von den Zinken, welche gegeben werden, wenn ein Wächter oder der Beſtohlene, oder ein Dritter, ein Lampen3)Eigentlich Lamden, von〈…〉〈…〉, er hat ſich gewöhnt, gelernt, wo - von das jüdiſch-deutſche〈…〉〈…〉 (Lamdon), der Gelehrte, Geweckte, Aufpaſſer; aber auch der verfolgende Beſtohlene (Balhei) und jede andere verfolgende Perſon. herzukommt, iſt ſchon oben im Abſchnitt vom Zinkenen geredet worden. Die Zinken werden, wenn ſie nicht ſchon in einer Chawruſſe ein für alle mal, oder für eine beſtimmte Zeit feſtgeſetzt ſind, vor Beginn des Unter - nehmens verabredet, ſodaß ein Zinken, gewöhnlich ein Schnalzen mit der Zunge, den von ferne nahenden Wächter oder Beſtohlenen als ſtillen Lampen, ein anderer Zinken den ſchon nahen und Unternehmen und Unternehmer ernſtlich bedrohenden Wächter u. ſ. w., den vollen Lampen, bezeichnet, bei welchem letztern140 Zinken, der gewöhnlich in dem lauten Rufe Lampen! beſteht, alles die Flucht ergreift. Das Geſtörtwerden des Unternehmens in dieſer Weiſe nennt der Schränker: Lampen bekommen.

Einundvierzigſtes Kapitel. ζ) Das Maſſemattenhandeln.

Sowie der Einbruch hergeſtellt, durch die Schmiren gedeckt und der Eingang in das Gebäude gewonnen iſt, begeben ſich die Schränker auf Strümpfen, in Filzſchuhen, oder auch wol bar - fuß in das erbrochene Gebäude. 1)Von der Behendigkeit, mit der geübte Schränker ſich unbemerkt neben Schläfern und ſogar Hunden vorbeiſchleichen können, iſt das bei Thiele, a. a. O., I, 164, erzählte Beiſpiel des Meyer Tiller ein erſtaunlicher Beleg. Bei einem Einbruch nahe bei Lübeck fand ich, daß der Schränker eine Uhr, welche auf einer Fenſterbank gelegen hatte, von dort weggenommen und den Weg zum Fenſter und von da zurück durch die ganze Schlafſtube zwiſchen den nur vier Fuß breit voneinander getrennten Betten des beſtohlenen Ehepaars hindurch genommen hatte. Noch dazu war das Kind des Beſtohlenen krank, und eine Wärterin ſchlief im Vorzimmer, durch welches der Schränker gehen mußte.Nicht ſelten, namentlich wenn die Beſorgniß vorhanden iſt, daß die Schränker im Hauſe be - lauert werden, wird auf einem Stocke zunächſt eine Mütze durch die Einbruchſtelle geſteckt, um zu erwarten, ob etwa ein Hieb auf dieſelbe geführt wird. 2)Dieſe Vorſicht, welche der Konſtanzer Hans einmal auf den Rath des berüchtigten Schleiferbärbele bei einem Einbruch anwandte, bei welcher Ge - legenheit im Dunkeln ein ſchwerer Hieb auf ſeine durchgeſteckte Mütze fiel, rettete dem Konſtanzer Hans das Leben. Das war auch der Anlaß, warum der dankbare Konſtanzer Hans ſich an das Schleiferbärbele gebunden erachtete, das auf ſein ganzes Leben einen faſt unbegreiflichen Einfluß übte.Jſt alles ſoweit ſicher, ſo beſteht die erſte Sorge der durchgekrochenen Schränker darin, den ſchleunigen Rückzug auf alle Fälle dadurch zu ermöglichen, daß die Haken und Riegel gelegener Thüren oder Fenſter abgehängt und zurück - geſchoben werden. Das hat auch den Zweck, daß, wenn erforder - lich, die draußen befindlichen Chawern Eingang finden, oder die141 geſtohlenen Sachen in Empfang nehmen und nöthigenfalls mit ihnen ſofort entfliehen können. Zum behendern Durchgang durch das Fenſter wird gewöhnlich von innen ein Stuhl unter die Fen - ſterbank geſtellt. Nahet ſich im Hauſe ein Widerſtand, ſo ziehen ſich die Schränker zurück, ſobald ſie eine Ueberlegenheit oder einen Succurs zu fürchten haben. Fühlen ſie ſich dem Widerſtande gewachſen, ſo wird auch zur Gewalt geſchritten, der Widerſtand Leiſtende zu Boden geworfen, geknebelt und ihm unter ſchweren Drohungen Schweigen geboten, und dies auch wol durch Ver - ſtopfen des Mundes mit einem Tuche erzwungen. Obwol der Schränker auf alles gefaßt iſt, auch faſt immer Waffen führt1)Fragt man den Schränker im Verhör, zu welchem Zwecke er das ge - ladene Piſtol bei ſich führe, ſo bekommt man gewöhnlich zur Antwort: zum Schrecken (vgl. die Etymologie von Glaſeime, S. 19). Ebenſo dienen die ſchweren eichenen Handſtöcke dazu, den Angreifern und Verfolgern eins auf den Schnabel zu geben . Bei einem Einbruche unweit Lübeck bewirkte ein einziger Schlag mit einem ſolchen Handſtocke ſofortige Bewußtloſigkeit und nach einigen Stunden den Tod., ſo kommen abſichtliche Tödtungen jetzt nur ſelten vor. Die mei - ſten Todesfälle ſind nur die unbeabſichtigte Folge erlittener Mis - handlungen bei der Gegenwehr oder ſtarken Aufregung der Ueber - wältigten, welche meiſtens in leichter Nachtkleidung geknebelt auf dem Fußboden oder der Hausflur zurückgelaſſen werden. 2)Ein Schränker, deſſen Hinrichtung ich beiwohnte, hatte mit ſeinen Chä - wern in einer kalten Novembernacht eine alte Frau mit ihren Strumpfbändern geknebelt und im Hemde auf die Hausflur hingelegt, wo ſie morgens, wahr - ſcheinlich vom Schlage gerührt, todt gefunden wurde.Kaum ſind die Schränker, wie das doch früher immer der Fall war, jetzt irgendeinmal mit Knebelſtricken verſehen. Strumpfbänder, abgeſchnittene Uhrſchnüre, Waſchleinen, Handtücher, Pferdehalfter u. dgl. werden bei dem unvermuthet gefundenen Widerſtand mei - ſtens im Hauſe ſelbſt angetroffen und benutzt. Eine oft befolgte Vorſicht der Schränker iſt, die Schlafſtubenthüren leiſe zu ver - ſetzen durch vorgeſtellte Tiſche, Koffer, Kiſten, oder auch dadurch, daß ſie eigene Schmiren davor ſtellen, obgleich ſie ſehr wohl wiſſen,142 daß ſie im Hauſe bei weitem weniger Gefahr laufen1)Die Schränker zählen nicht mit Unrecht darauf, daß derjenige, welcher im Hauſe ihre Gegenwart merkt, und in der Dunkelheit über ihre Zahl und Stärke ſich nicht unterrichten kann, lieber ſein Hab und Gut auf das Spiel ſetzt, als ſein Leben und ſeine Geſundheit. Kaum glaublich erſcheinen die manchen auffälligen Züge von Muthloſigkeit auf der einen und der dadurch provocirten übermüthigen Dreiſtigkeit auf der andern Seite, welche man in der Praxis erfährt. Kaum ein Hülferuf aus dem Fenſter in die Nachbarſchaft wurde gewagt, während die Schränker in den Stuben ſich gütlich thaten mit den Speiſen und Getränken, die ſie zuſammengetragen hatten. Bei einem Ein - bruche hierſelbſt hatten die noch ſehr jungen Schränker in einem Schankkeller mit richtiger Schmeckerfolge zuerſt Bordeaux, dann Rheinwein und zuletzt Champagner getrunken, und der eine ſogar die Guitarre dabei zur Hand ge - nommen. als bei dem Einbruche von außen her, weshalb dann auch die Schmi - ren mit großer Vorſicht gewählt werden und zu Werke gehen.

Sobald nun die Vorbereitungen ſo weit getroffen ſind, wird an den Maſſematten ſelbſt gegangen. Die Verſchlüſſe werden mit dem Klamoniſſ geöffnet, mit dem Schabber geſprengt2)Das Brechen und Sprengen wird ſoviel wie möglich vermieden und gewöhnlich dann mit raſchem Nachdruck vorgenommen, wenn ein Geräuſch auf der Straße, wie z. B. durch einen vorüberfahrenden Wagen, entſteht., oder mit dem Brunger lewone gelegt. Meiſtens ſind die Verſchlüſſe ſchon bei dem Baldowern den Schränkern genau bekannt geworden. Die bei den Niederländiſchen Räubern durchgängig gebräuchliche Be - leuchtung der Gebäude mit eigens dazu vorgerichteten Lichtern, Neireſſ3)Jüdiſch-deutſcher Ausdruck vom hebräiſchen〈…〉〈…〉 (ner, Plural neross oder jüdiſch-deutſch neiress)., iſt mit dem offenen Ueberfall und Sturm jetzt beinahe gänzlich aus der Praxis der Schränker verſchwunden, und kommt nur noch da vor, wo noch offene Räuberbanden exiſtiren können. Jſt etwas ſeit dem Baldowern verändert oder verſetzt, ſo wird mit dem chemiſchen Streichholz behutſam hingeleuchtet, oder auch ein Stümpfchen Talglicht4)Das Wachslicht verräth zu ſehr den Schränker, wenn er damit be - treten wird. Das Stück Talglicht wird immer als Mittel ausgegeben, um harte Schwielen an den Füßen zu erweichen, und hat daher das Wachslicht faſt ganz verdrängt. angeſteckt. Finden die Schränker143 nichts von dem Maſſematten vor, ſo wird oft aus Rache und Uebermuth alles im Hauſe auf vandaliſche Weiſe geſprengt und ruinirt, auch wol der Freier mit Drohungen und Mishandlungen zum Nachweis des Verborgenen gezwungen. Das gefundene wird in Säcke, Kiſſimer1)Auch wol Klumnick, welches eigentlich den ſchon mit geſtohlenen Sachen gefüllten Sack, Packen bedeutet. verpackt, und den Chawern zuge - langt, welche damit zum Zinkplatz eilen, oder es auch ſofort ka - wure legen. Jſt der Maſſematten gehandelt, ſo wird der Rückzug angetreten, Thür und Fenſter angelehnt und überhaupt jede Spur des Einbruchs ſo gut wie möglich verwiſcht, um die Entdeckung möglichſt lange aufzuhalten, und die möglichſte Zeit zur Bergung der Perſon und des Geſtohlenen zu gewinnen. Oft wird, wie das noch im Juli 1856 bei dem obenerwähnten Einbruch im Bezirk des Unterſuchungsgerichts Amſtetten in Niederöſterreich der Fall geweſen iſt, der Zinken eines der handelnden Schränker aus Uebermuth oder zur Notiz für die abweſenden Genoſſen bei der Einbruchsſtelle hingemalt. Für den Fall, daß der Schränker im Hauſe geſehen oder beobachtet werden ſollte, pflegen die Geſichter mit Kohle oder Lampenſchwärze, durch angeklebte Bärte, an deren Stelle auch ein dunkles Tuch oder auch ein dunkler wollener Strumpf, wie ein Backenbart vom Kinn bis zu den Ohren ge - bunden wird, ſeltener durch ſchwarze Wachstuchlarven unkenntlich gemacht zu werden. 2)Am 20. Dec. 1856, abends gegen 7 Uhr, drangen ſechs zum Theil verlarvte Räuber bei einem Pächter zu Oháng in Siebenbürgen ein, und zwan - gen denſelben mit ſchußfertigen Waffen zur Herausgabe ſeiner aus 8000 Gulden beſtehenden Baarſchaft. Vgl. Oeſterreichiſches Central-Polizeiblatt , Jahrg. 1857, Nr. 2, 39.Auch werden die Stimmen verſtellt und wo möglich fremdartige Dialekte affectirt, Brocken fremdländiſcher Sprachen, auch wol Gaunerausdrücke eingemiſcht, und niemals Namen, ſondern immer die Ausdrücke Kamerad, Bruder, Junge u. ſ. w. gebraucht. Doch wird aber zuweilen ein ortsbekannter Name genannt, um den Verdacht des Diebſtahls auf nahe Orts - eingeſeſſene zu lenken.

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Zweiundvierzigſtes Kapitel. η) Der Rückzug.

Haben die Chawern Lampen bekommen, ſo flüchtet1)Von Kraut (das Grün, das freie Feld; im Gegenſatz von Gefäng - niß), die Flucht, iſt: Krauten, Kraut picken, die Krautſuppe eſſen, abkrauten, ſich krauten, flüchten, ausbrechen, davongehen. Vom hebräi - ſchen〈…〉〈…〉 (polat), glatt, polirt ſein, entwiſchen, entkommen, ſtatt: Polit, Plural Pletim, der Ueberläufer, Deſerteur, Entſprungener; Pleto oder Pleite, die Flucht. Pleite treten oder halchenen, davonlaufen, entfliehen, ausbrechen; ebenſo Pleite melochnen, davongehen, Bankrott machen. Da - von noch das im Niederdeutſchen ſehr gebräuchliche Fleiten gahn, fliehen, davongehen, Bankrott mächen, ſterben. Pleitehandeln, vgl. Kap. 45. ſich jeder ſo gut er kann, und ſucht den Zinkplatz zu erreichen, auf welchem das Fuhrwerk hält, um den dort zurückgebliebenen Ge - noſſen zu warnen. Werden die Schränker verſprengt, ſo finden ſie ſich an einem andern ein für alle mal oder ſpeciell verabrede - ten Zinkplatz leicht wieder zuſammen. Bekommen ſie Nachjagd, das heißt, werden ſie verfolgt vom Beſtohlenen (Balhei), oder von ſonſtigen Perſonen, Lamden, ſo halten ſich die Schränker zum Widerſtande und zur gegenſeitigen Befreiung zuſammen, bis die Verfolgung und Gefahr aufhört. Zu dieſem Zwecke werden be - ſonders die Waffen geführt und um jeden Preis für die Befreiung angewandt. Die Geſchichte des Gaunerthums enthält zahlreiche Beiſpiele ſowol der muthigſten Gegenwehr2)Eine der merkwürdigſten Begebenheiten der Art war die unter Leitung von Adolf Weyers Overtuſch, Damian Heſſel und Karl Heckmann bei dem Einbruch zu Daden einer Zahl von 1000 Bauern und franzöſiſchen Sol - daten gelieferte zweiſtündige Schlacht im Mai 1798, bei welcher zwanzig der berüchtigteſten Räuber gefangen wurden. Ebenſo großartig war die Vertheidi - gung des Bairiſchen Hieſel, als er am 14. Januar 1771 in dem Wirthshauſe zu Oſterzell von fürſtlich dillingiſchen Truppen belagert und gefangen wurde. Vgl. Der Bairiſche Hieſel , S. 126 fg., als auch der ver - zagteſten Feigheit und gemeinſten Treuloſigkeit. Jn allen Zügen erkennt man aber nur den nackten Egoismus, der in der Kamerad - ſchaft nur die eigene Perſon zu ſichern ſucht und keine Spur von145 wahrer Freundſchaft verräth. Die Verhaftung von Gaunern, namentlich durch den einzelnen, nicht weiter unterſtützten ſubalternen Beamten, iſt jener oft verzweifelten Gegenwehr wegen äußerſt ſchwierig, und ſollte vom Vorgeſetzten immer anerkannt werden, der hinter dem Verhörtiſch kaum einen Begriff davon hat, wie gefährlich die Verhaftung der ihm vorgeführten Arreſtaten war.

Dreiundvierzigſtes Kapitel. θ) Die Kawure, der Jntippel und die Cheluke.

Das Geſtohlene wird ſo raſch und weit wie möglich vom Diebſtahlsorte in Sicherheit gebracht. Häufig erlaubt die Menge und Schwere des Geſtohlenen, namentlich wenn kein Fuhrwerk1)Meiſtens halten die Schränker ſich auf gemeinſchaftliche Koſten ein ſolches Fuhrwerk, Agole, Michſegole genannt, theils zum raſchern Reiſen und Flüchten, theils zum behendern Transport des Geſtohlenen. Vgl. weiter un - ten das Stradehandeln, Kap. 68. zur Hand iſt, keinen weiten Transport. Die nächſte Cheſſenpenne bietet daher die erſte Zufluchtsſtätte, bis die Schränker ander - weitige Verfügungen über das Geborgene treffen; häufig wird aber auch das Geſtohlene hinter Zäunen, in Stroh - und Heu - diemen, in Miſt2)Ein hier oft in Unterſuchung gerathener Schränker hatte ſogar ein - mal geräuchertes und gepöckeltes Fleiſch, das er geſtohlen, ohne Emballage in den feuchten Miſt ſeines Ziegenſtalles kawure gelegt!, in Waldungen, Buſchkoppeln, hohlen Bäu - men, Wegeſielen, Gräben, Brücken, Mergel - und Sandgruben, Fuchs - und Dachsbauten vorläufig kawure gelegt, nicht ſelten aber auch in Teiche und Sümpfe verſenkt, bis die Gelegenheit zum Hervorholen und Theilen ſicher geworden iſt. Der Ort, die Cheſſen - oder Kochemerpenne, Spieſe, wohin die Beute geborgen und getheilt wird, heißt der Jntippel3)Vom hebräiſchen〈…〉〈…〉 (〈…〉〈…〉), tapap, ſchnell beweglich ſein, kleine ſchnelle Schritte machen, kokett trippeln, beſonders von Frauenzimmern, wovon das, wovon intippeln,Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 10146ſich mit dem geſtohlenen Gute in den Jntippel oder Eintip - pel begeben. Die Theilung, Cheluke1)Von〈…〉〈…〉 (chelek), Theil, Antheil, beſonders an der Kriegsbeute; Cheluke halten und chelkenen, theilen., geſchieht zu gleichen Theilen, wobei auch der Wirth, der Cheſſenſpieß, und der Bal - dower berückſichtigt wird2)Der Chelek, den ein ſolcher Chawer erhält, der nicht ſelbſt mitgeſtohlen hat, heißt Schibbauleſſ (〈…〉〈…〉, die Kornähre). Auch das Branntwein - geld wird ſo genannt. Vgl. Brennen, Kap. 25.. Gewöhnlich wird das Geſtohlene an den Cheſſenſpieß, der faſt immer auch Schärfenſpieler iſt, oder an beſtellte Schärfenſpieler verſchärft, und das Geld getheilt. Seltener iſt die Naturaltheilung, bei welcher jedes einzelne Stück abgeſchätzt, auch wol dem Meiſtbietenden zugeſchlagen wird. Häufig entſcheidet der Würfel, das Los oder der Meſſerwurf. Ein größerer Antheil des Balmaſſematten kommt ihm gewöhnlich nur dann zugute, wenn er beim Baldowern oder beim Handel ſelbſt beſondere Dienſte geleiſtet hatte. 3)Allerdings finden aber auch abweichende Grundſätze in einzelnen Gauner - gruppen hinſichtlich der Theilungsquote ſtatt, die häufig ſehr verſchieden und ſehr veränderlich ſind. Jntereſſant ſind die Mittheilungen darüber aus der großen berliner Unterſuchung bei Thiele, a. a. O., II, 41.Jn den Rheiniſchen Ban - den maßten ſich freilich die auch von ihren Chawern gefürchteten Koryphäen einen Löwenantheil an.

Ungeachtet der blutigſten Rache und Strafe wird bei faſt allen Maſſematten, der von mehreren Chawern gehandelt wird, das eine oder andere untermakkelt4)Untermakkeln, gleichbedeutend mit: eine Challe ſchlagen, un - terſchlagen, einen Theil der Diebsbeute verheimlichen. Vgl. weiter unten: Challe handeln, Kap. 45., da jeder möglichſt ſeinen Vor - theil wahrnimmt. Wird einem Chawer nach der Theilung ſein Antheil von Gensdarmen oder Polizeibeamten abgenommen, oder von andern gar geſtohlen5)Jn die Wohnung des kurz vorhin erwähnten berüchtigten Schränkers,, ſo wird ihm, oder wenn er krank3)jüdiſch-deutſche〈…〉〈…〉 (tippo), der Tropfen und das gauneriſche Tippeln, gehen, laufen, fallen; Tippel, die Epilepſie, Dappelſchickſe, die Luſtdirne, Tippen, concumbere, u. ſ. w.147 (gefangen) iſt, ſeiner Familie, ein verhältnißmäßiger Erſatz. Der Gewinn wird mit ſinnloſer Verſchwendung und in brutaler Völlerei raſch verthan, ſodaß der Schränker ſehr bald ſo arm wird, wie er vor dem Maſſematten war. Die größten Vortheile von dem Maſſematten haben die Schärfenſpieler, denen das Ge - ſtohlene immer um ein wahres Spottgeld zugeſchlagen und bei denen, als Cheſſenſpießen, meiſtens auch das Geld von den Cha - wern verthan wird. Von den Cheſſenſpießen und Schärfenſpielern wird noch beſonders geſprochen werden. (Vgl. Kap. 89 u. 90.)

Vierundvierzigſtes Kapitel. ι) Specielle Arten und Terminologien des Schränkens.

Ueberſieht man nun die dargeſtellte, in vollem Flor befind - liche Praxis der Schränker, ſo muß man geſtehen, daß, wenn auch die etymologiſche Unterſcheidung zwiſchen Schränkern und zierlichen Schränkern obſolet geworden iſt, doch in Weſen und That das ganze alte Räuberthum fortbeſteht, nur mit dem Unter - ſchiede, daß, wo früher die Räuber mit offener Gewalt und in frecher offener Rottirung die Häuſer ſtürmten, jetzt der Räuber heimlich hineinſchleicht und heimlich daſſelbe Verbrechen gegen das Eigenthum und gegen die widerſtandleiſtende Perſon ausübt, welches die Räuber vor vierzig und funfzig Jahren mit lautem Getümmel und ſtürmender Hand verübten. Die auch noch heute andauernde Exiſtenz derſelben hiſtoriſch nachgewieſenen Elemente iſt nicht wegzuleugnen1)So vermag z. B. ſelbſt nicht die herrliche öſterreichiſche Polizei und; dieſe ſind von manchen trefflichen Einrich -5)wurde, während er im hieſigen Zuchthauſe ſaß, von einem andern eingebro - chen und ſeiner Frau die geringe Baarſchaft und Lebensmittel geſtohlen. Wahr - ſcheinlich kannte der Einbrecher eine Kawure im Hauſe ſeines kochemer Cha - wer, welche jener aber ſchon vorher gehoben haben mußte. Denn der gehan - delte Maſſematten dieſes Einbruchs war nicht der Mühe werth.10*148tungen der Polizei, namentlich von der Gensdarmerie, nur im offenen Treiben behindert, aber nicht aufgehoben, ſondern nur verſprengt; ſie haben ſich als Paraſiten an das Bürgerthum ge - hängt, und haben für alle deſſen Schwächen ihre augenblickliche Bereitſchaft zum alten offenen Aufſtand, ſodaß man ſich nicht wundern darf, wie raſch und wie nachhaltig die Räuberbanden vor unſern Augen zuſammentreten, ſobald irgendeine große oder ſtürmiſche Bewegung den mühſam und mit großen Opfern auf - rechterhaltenen Gang der gewohnten Ordnung unterbricht. Trotz der obſolet gewordenen Unterſcheidung zwiſchen Schränkern und zierlichen Schränkern exiſtiren, zum Zeugniß der unvergeſſenen Praxis, alle Räuberterminologien fort, von welchen hier noch die weſentlichſten angeführt werden ſollen.

Chaſſne, eigentlich Chaſſune, vom hebräiſchen〈…〉〈…〉, Ver - mählung, Hochzeit und Kofcheſſ1)Nach dem Zahlenwerthe von Kofcheſſ (28) wird der Einbruch zur Nachtzeit in der oben angegebenen Weiſe auch Achtundzwanziger ge - nannt., Jnitialbuchſtaben (krumme Kof,〈…〉〈…〉, Krummkopf, und Cheſſ,〈…〉〈…〉) von Cheſſen oder Chaſſne, iſt der lärmende offene nächtliche Ueberfall, wie er von den Rhei - niſchen Banden verübt wurde, durch Einrennen der Thüren mit dem Drong, mit Erleuchtung des erſtürmten Hauſes durch Lichter (Neireſſ) und mit Knebelung, Mishandlung oder Er - mordung der Bewohner. Chaſſnegänger ſind die Räuber, welche auf dieſe Weiſe verfahren. Koochegehen (vgl. oben be - kauach) von Kauach, die Gewalt, auf nächtlichen Einbruch, auf Räuberei ausgehen. Perkoochhändler, Peſſucher, Einbrecher, Schränker. Gaſlan, von〈…〉〈…〉, wegreißen, rauben, iſt allgemeiner Ausdruck für Räuber, Gaſel, der Raub, Gaſlonuſſ, die Räuberei. Kuffer (von Kippe, Kuppe, Schrank, Verſchluß) iſt allgemeiner Ausdruck für Räuber, aber auch für Nachſchlüſſeldieb1)Gensdarmerie in Ungarn, Kroatien, Siebenbürgen, die mit offener Gewalt in die einzeln gelegenen Pachthöfe und Dörfer dringenden Räuberbanden auszu - rotten, wie ja denn noch jetzt im Centralpolizeiblatte ſolche Ueberfälle nicht ſelten angezeigt werden.149 (vgl. Makkener, Kap. 47). Dorfkuffer iſt der Einbrecher auf dem Lande. Rozeach, Rezeich, von〈…〉〈…〉, todtſchlagen, der Raub - mörder; Rezach oder Roziche, der Raubmord; Serfer oder Sar - fener, von〈…〉〈…〉 (saraf), brennen1)Davon ſarfenen, wofür auch brandſtiften, flakkern. , der Räuber welcher Feuer legt, um im Feuertumult zu ſtehlen; Rezicheſarfener, der Mordbren - ner; Stradekehrer, vom niederdeutſchen Straat, die Straße, Landſtraße, der Straßenräuber; Stradekehren, Straßenraub treiben, wohl zu unterſcheiden von Stradehandeln, auf der Strade handeln und Strade halten (vgl. Kap. 68) und dgl. mehr.

Fünfundvierzigſtes Kapitel. κ) Das Pleitehandeln und das Challehandeln.

Endlich gehört noch hierher das Pleitehandeln2)Von〈…〉〈…〉 (polat), flüchten, davongehen. Plete oder Pleite, die Flucht. Vgl. Kap. 42., wel - ches vorzüglich auf dem Lande und in Wirthshäuſern geſchieht. Finden die Schränker keine Gelegenheit zum Einbruch, ſo ſucht ein Chawer ein Nachtquartier in dem zu beſtehlenden Hauſe zu bekom - men. Dieſer iſt ihnen dann des Nachts behülflich, durch Oeffnen der Verſchlüſſe in das Haus zu gelangen, und geht nach vollzogenem Diebſtahl mit ihnen davon. Jſt die Diebſtahlsgelegenheit der - art, daß der Quartiernehmer den Hausbeſitzer heimlich und allein beſtehlen kann, ſo geht er erſt andern Morgens, mit Wiſſen des Beſitzers und mit Zahlung der Zeche fort. Dieſe Art des Steh - lens und Verabſchiedens wird eine Challe handeln3)Challe, von〈…〉〈…〉, der Opferkuchenteig. Von dem Kuchen wird be - kanntlich ein Stück abgebrochen und ins Feuer gelegt zum Opfer, während das Uebrige zum Genuſſe verbleibt. Jm gleichbedeutenden Sinne iſt die Re - densart: eine Challe backen, gebräuchlich, d. h. heimlich, unvermerkt ſoviel ſtehlen, daß es der Beſtohlene nicht gleich merkt, alſo auch: nicht alles ſteh - ge - nannt.

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Sechsundvierzigſtes Kapitel. λ) Der Schutz gegen das Schränken.

Bei der Frage nach den Mitteln, mit welchen dem gewalt - ſamen Ueberfall und Einbruch wirkſam entgegenzutreten ſei, möge man, ſtatt aller Raiſonnements über das offenliegende und viel - beſprochene Misverhältniß der Polizei zum Bürgerthum, einmal einen kurzen Blick in die Geſchichte zurückthun. Sehr merkwür - dig ſind die alten einfachen Bauordnungen, welche vorzüglich auf eine derbe und ſolide Conſtruction der Häuſer hinwieſen, und ſchlicht und recht das Bürgerhaus als Burg und Hort der Fa - milie darſtellten. Zur Befeſtigung dieſes ſeines Hauſes trug der Bürger nun auch gern das Seine bei, conſtruirte Mauer, Thür und Fenſter maſſiv und ſolide, und verſah alles mit derben Schlöſſern, Riegeln und Gittern. 1)Vgl. Guſtav Klemm, Allgemeine Culturgeſchichte der Menſchheit , IX, 118 fg.Der ganze durch Concurrenz weſentlich veränderte Verkehr, die billige fabrikmäßige leichte Arbeit an Stelle der alten zünftiſchen wahren Kunſt, das künſtlichere Leben, die große Lebensluſt und die vielen Lebensgenüſſe haben jene ſolide freiwillige bürgerliche Zuthat, zum eigenen Nachtheil des Bür - gers, bedeutend, ja faſt gänzlich beſeitigt und damit dem Verbrecher durch die leichtgearbeiteten Fenſter mit großen Fenſterſcheiben, durch die behenden Thüren von Föhrenholz mit leichten Füllungen und ſchlechten Fabrikſchlöſſern den Weg in das Haus gebahnt, bei deſſen Feſtigkeit in früherer Zeit der Räuber vorüberging, ohne an Einbruch zu denken. Die heutigen Bauordnungen ſind weſentlich3)len, ſondern etwas übrig laſſen. Ebenſo gibt es: eine Challe ſchlagen, gleich untermackeln, von der Diebsbeute den Genoſſen heimlich etwas ent - wenden, unterſchlagen, verheimlichen. Jm Zigeuneriſchen iſt der beinahe gleichbedeutende Ausdruck Challu, für Lüge, Betrug, Unterſchleif; im Sans - krit tshhala. Vgl. Pott, a. a. O., II, 202. Grolman bezeichnet den oben unter Challe handeln dargeſtellten Diebſtahl mit Schrendefegen, von Schrende, Stube, wahrſcheinlich nach Schäffer, a. a. O., S. 2, obwol auch Schäffer den Begriff mit Recht weiter ausdehnt als Grolman.151 auf denſelben alten ſoliden Grundlagen ſtehen, aber doch wieder auch im Rückſtande geblieben. Von der einen Seite ſind die Bauord - nungen ſtrenge, in andern Beziehungen ſind dagegen manche alte wohlbedachte Einrichtungen und Rückſichten geſchwunden, und für das Geſchwundene nichts Ausreichendes ſubſtituirt worden. So ſind mit der frühern Verpflichtung zur feſten und ſichern Con - ſtruction der Häuſer die ſtrengen Nachbarrechte als läſtige Beſchränkungen faſt gänzlich aufgehoben worden, ohne daß man bedeutend in Anſchlag brachte, daß jene allen gemein - ſame Rechte gerade auch allen gemeinſame Pflichten enthiel - ten und auf gegenſeitigen Schutz berechnet waren. Wenn ein Hausbeſitzer jetzt ſein leichtgebautes Haus ſchlecht in Verſchluß hält, und dem Diebe Gelegenheit gibt, in ſein Haus und durch daſſelbe an und in des Nachbars Haus zu dringen, ſo wird letzterer ebenſo ſehr durch die Nachläſſigkeit des erſtern an Hab und Gut bedroht, wie wenn er ſelbſt nachläſſig und feuergefährlich baut und wirthſchaftet? Welchen Schutz gewährt der Staat dem Bürger gegen die ſchlechte Bewachung ſeines Nachbarhauſes, das für die ganze Nachbarſchaft ebenſo gefährlich ſein kann, wie eine aller - dings gemeingefährliche Feuersbrunſt, die doch aber auch immer zunächſt erſt die Nachbarn bedroht? Ein Weitergehen der Bau - und Wohnungspolizei, mindeſtens in Bezug auf die äußere Solidität und Bewachung der Häuſer, iſt dringend nothwendig, zumal der Bürger, der ſein Haus nicht feſt genug gegen den Einbruch ſichert, beſtändig und ungeſtüm von der Polizei Schutz gegen den Einbruch fordert, und ſie laut und ſcharf in ihren Ein - richtungen tadelt, wenn ein Einbruch geſchehen iſt. Mit welcher Empfindlichkeit wird aber jede Warnung oder gar Beſtrafung von demjenigen zurückgewieſen, welcher über Nacht ſein Haus oder ſonſtige Verſchlüſſe offen ließ, und ſich und die Nachbarſchaft in Gefahr ſetzte! Unzweifelhaft darf der Staat aus denſelben Grün - den, mit welchen er gegen den Verſchwender, Trunkenbold und Geiſtesſchwachen einſchreitet, dem Bürger zur Pflicht machen, daß er das ſtets von ihm eiferſüchtig in Anſpruch genommene haus - herrliche Recht auch wirklich und mindeſtens inſoweit ausübe,152 daß er dadurch das Jntereſſe Dritter oder des Ganzen nicht in Gefahr bringt.

Auch der nächtliche Schutz des Bürgerhauſes und der ſtädti - ſchen Gemeinde, welche früher der Bürger ſelbſt ſich dringend an - gelegen ſein ließ, iſt gegen früher ganz vernachläſſigt vom Bür - ger. Seitdem der Poteſtas zu Bologna 1271 die zünftiſchen Waffenausſchüſſe vermochte, ſich der öffentlichen Sicherheit und Wohlfahrt anzunehmen, und jene Fähnlein der Lombarden , von der Klaue und vom Greiffen bildete1)Vgl. Hüllmann, Städteweſen des Mittelalters , IV, 7 fg., fand dieſe rühmliche Einrichtung auch in Deutſchland raſche Verbreitung und bis in die neuere Zeit eine ſo conſequente Beibehaltung, daß ſogar die mittelalterliche Coſtümirung der Nachtwachen mit Helle - barde oder Spieß u. ſ. w. an vielen Orten ſich noch bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Dieſe directe Betheiligung des Bürgerthums an der öffentlichen Sicherheit hat gänzlich aufgehört. Dafür fordert der Bürger ſogar vom Staate auch den äußern Schutz ſeines ohnehin leicht oder nachläſſig gebauten und ver - ſchloſſenen Hauſes, und betrachtet es als eine läſtige und un - motivirte Forderung, wenn ihm zugemuthet wird, daß er im Ge - meindeverbande ſelbſt für die nächtliche Sicherheit ſorge. Jmmer genügt er dieſer Forderung denn nun auch, zum eigenen Schaden, läſſig und unfreiwillig, und nur dann, wenn er ihr nicht aus - weichen kann. Nirgends kommen häufiger Einbrüche vor, als in kleinen Städten und Dörfern, nicht ſo ſehr weil dieſe Ortſchaften offen liegen, als weil die Nachtwache ſchlecht eingerichtet iſt, und häufig aus einem einzigen alten ſtumpfen, halb blödſinnigen Hirtenknecht beſteht, der für einen erbärmlichen Lohn ſich dazu hergibt, einige male des Nachts in der Dorfgaſſe auf - und abzu - gehen. Wie wenig Widerſtand findet das Verbrechen mit ſeiner verwegenen Kunſt, wie reichlich kann es ſich nähren von der ſo vielfach gebotenen Gelegenheit, und wie wen[ig]darf das Bürger - thum die Ausrottung der überdies allzeit zum offenen Aufſtande bereiten Verbrechermaſſe hoffen, wenn es ſich nicht bald mit der153 Polizei verſtändigt, wozu die ſchon immer mehr begriffene Noth beider Theile zuletzt doch noch zwingen wird. 1)Von dieſer alten Verſtändigung hat ſich in den Freien Städten noch manches Treffliche erhalten. So üben z. B. in Lübeck beeidigte, aus der Zahl der Bürger gewählte, ſogenannte Medebürger die Beaufſichtigung der Grenzen, Gräben, Anpflanzungen u. ſ. w. in allen Vorſtädten. Bis vor wenigen Jah - ren hatte ſich nur noch in fünf Dörfern das alte Jnſtitut der Feuergreven er - halten, welche zur Vermeidung von Feuersgefahr eine polizeiliche Aufſicht über Feuer und Licht in allen Dorfwohnungen ausübten. Dieſe Feuergreven ſind jetzt vom Polizeiamte in allen lübeckiſchen Dörfern wiedereingeführt, ohne den geringſten Widerſtand der Dorfeingeſeſſenen. Ja, das Amt eines Feuer - greven wird ſogar für ein wichtiges Ehrenamt gehalten, und gerne geſucht und übernommen.

b) Das Makkenen.

Siebenundvierzigſtes Kapitel. α) Der Verſchluß im engern Sinne. Das Makkenen und ſeine Terminologien.

Der Verſchluß im engern Sinne (d. h. der mechaniſch be - wegliche Theil des bisher dargeſtellten Verſchluſſes im weitern Sinne), durch welchen der Zugang zu der verſchloſſenen Sache vermittelt iſt, wird vorzugsweiſe durch das Schloß hergeſtellt, deſſen Gebrauch man ſchon bei den alten Griechen und Römern findet. 2)Jn Bernard de Montfaucon’s Antiquité expliquée et représentée (Paris 1722), Bd. 3, Tafel 54 u. 55, S. 105 u. 106, findet man eine An - zahl alter Schlüſſel dargeſtellt, bei denen man deutlich erkennt, daß den Alten ſchon die innere Schloßbeſatzung und der Mittelbruch bekannt war.Seine allmähliche Verbeſſerung iſt ein intereſſanter Be - weis von dem raſtloſen Fortſchreiten des Gaunerthums, das gerade in ſeiner unabläſſigen Operation gegen das Schloß weſentlich die Kunſt hervorgerufen hat, die man am Schloſſe bewundert. Den - noch iſt der Sieg der Schloſſerkunſt, ganz abgeſehen von der Ge - walt, der jedes Schloß zuletzt doch unterliegen muß, bis auf die154 neueſte Zeit noch ſehr zweifelhaft geblieben, wie das aus der Darſtellung des Nachſchlüſſeldiebſtahls erhellen wird.

Das Makkenen iſt der Diebſtahl aus Verſchlüſſen ohne Einbruch, oder ohne ganze oder theilweiſe Zerſtörung der Ver - ſchlüſſe mit Anwendung von Schlüſſeln, welche dem für das Schloß urſprünglich gearbeiteten Schlüſſel mehr oder minder voll - ſtändig nachgearbeitet ſind, und daher Nachſchlüſſel, Diebsſchlüſſel oder auch Dietriche genannt werden. Die Kunſt des Makkenens hat daher die zwiefache Aufgabe, die Herſtellung der Nach - ſchlüſſel, und die heimliche und geſchickte Anwendung der Nach - ſchlüſſel. Beide Aufgaben weiß das Gaunerthum vollſtändig zu löſen. Keine gauneriſche Kunſt iſt verläſſiger und ergiebiger, keine Kunſt hat eine einfachere Baſis und eine breitere Cultur als das Makkenen. Es iſt wol das Gaunerthum geweſen, welches zu - erſt über das Princip des Schloſſes und ſeiner einfachen Be - wegung nachgedacht hat, während der bürgerliche Betrieb das alte, durch viele Jahrhunderte auf die neueſte Zeit gelangte Gewerbe wie eine alte Erbſchaft hingenommen hat, ohne es für die An - forderungen des inzwiſchen in materieller und ſittlicher Hinſicht unendlich künſtlicher gewordenen Verkehrs genau und ausreichend zu berechnen und auszubeuten. Eine einfache Beſchreibung des Schloſſes, ſeiner Conſtruction und Bewegung wird den Scharf - blick des Gaunerthums, aber auch die Einfachheit des Makkenens in ein helleres Licht treten laſſen. Vorher jedoch eine kurze Er - läuterung der weſentlichſten, beim Makkenen vorkommenden gauner - techniſchen Ausdrücke.

Makkenen iſt allgemeiner Ausdruck für den Nachſchlüſſel - diebſtahl überhaupt, ſowie für die Operation des Oeffnens von Verſchlüſſen mit Nachſchlüſſeln; Makkener, der Nachſchlüſſeldieb, beides von〈…〉〈…〉 (nakach), Hiphil〈…〉〈…〉 (hikko), er hat geſchlagen, davon〈…〉〈…〉 (makko), der Schlag, Streich, Plage, Sünde, Fehler, falſcher Stich der falſchen Spieler (Freiſchupper) im Kartenſpiel; daher auch im Kartenſpiel: makkenen, das Stechen einer Karte, beſonders das falſche Stechen. Ferner Jommakkener, auch Jommakker (von〈…〉〈…〉 [jom], der Tag), der Dieb, der bei Tage155 (mit Nachſchlüſſeln) ſtiehlt, im Gegenſatz von Lailemakkener, der Makkener zur Nachtzeit; Kaudemmakkener, Zefiromakkener, Nachſchlüſſeldiebe, welche zur frühen Morgenzeit, Erefmakkener, Tchillesmakkener, Nachſchlüſſeldiebe, welche zur Abendzeit han - deln; Dorfmakkener, Nachſchlüſſeldiebe, die auf dem Lande, Erntemakkener, Nachſchlüſſeldiebe, die beſonders während der Erntezeit, wo alles auf dem Felde beſchäftigt iſt, handeln.

Klamoniſſ, von〈…〉〈…〉 (keli), das Geräth, und〈…〉〈…〉 (umo - noss), das Handwerk; allgemeiner Ausdruck für alles beim Mak - kenen gebräuchliche Geräth, beſonders Nachſchlüſſel, Diebsſchlüſſel, Dietriche, Haken und Abſtecher. Speciell wird aber das große Brecheiſen (Krummkopf, Rebmauſche, Rebtauweie) noch Groß - klamoniſſ genannt, im Gegenſatz von Kleinklamoniſſ, dem Schabber, kleineren Brecheiſen, Jadſchabber, Abſtecher, Nach - ſchlüſſel; Schaſſ-Klamoniſſ1)Von〈…〉〈…〉 (schass), Singular, vom Plural〈…〉〈…〉, eigentlich Säulen, Pfeiler; daher das Hauptſächlichſte, auch Hohe und Niedrige zuſammen; Groß und Klein. das vollſtändige Bund Diebsſchlüſſel aller Art durcheinander.

Klein-Purim, im Gegenſatz von Groß-Purim (welches das zum Schränken erforderliche kleine Brecheiſen, Schabber, Jadſchabber, Kleinklamoniſſ bedeutet), iſt wie das Schaſſ - Klamoniſſ, ein Bund Diebsſchlüſſel, deutet jedoch, ohne Rück - ſicht auf die Vollſtändigkeit, mehr die Verſchiedenartigkeit der Schlüſſel an. 2)Die ganze Etymologie iſt frivol. Purim (Plural vom urſprünglich perſiſchen〈…〉〈…〉 [pur], Loos) iſt das am 14. des Monats Odor gefeierte Ha - mansfeſt, da Haman (Buch Eſther, Kap. 3, Vers 7) an dieſem Tage das Los geworfen hatte, alle Juden auszurotten. Das Purim iſt (nach der Pa - römie: Kadochus iſt kein Kränk und Purim kein Jom tov , d. h. das Fie - ber iſt keine Krankheit und das Purim kein Feiertag), kein gebotener Feier - tag, wird aber an genannten Tagen nach Kap. 9, Vers 22, des Buchs Eſther (Stücke in Eſther, Kap. 7, Vers 7: μετὰ συναγωγῆς καὶ χαρᾶς καὶ εὐφροσύνης) als lautes Jubelfeſt gefeiert, an welchem alles bunt durcheinander geht; weshalb man denn auch Purim häufig mit Fafching überſetzt findet. Jn der Völlerei des Purims ſoll man, nach dem Tractat Megillo des Talmud,

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Taltel,〈…〉〈…〉 (taltal), hin - und herbewegen (davon Plural〈…〉〈…〉 [taltalim], die ſchwankenden Palmenzweige, z. B. im Hohenliede, 5, 11) allgemeiner Ausdruck für Nachſchlüſſel. Tal - talmiſch (〈…〉〈…〉[isch], der Mann), der Nachſchlüſſeldieb, Makke - ner. Taltel-Nekef (〈…〉〈…〉[nekef], Loch), das Schlüſſelloch.

Ein Zeitwort von Taltel gibt es nicht; dafür iſt, nach der treffenden Ueberſetzung des Taltel mit Drehrum, der Ausdruck: auf Drehrum handeln, mit Nachſchlüſſeln ſtehlen; auf Dreh - rum bei Schwarz handeln, mit Nachſchlüſſeln bei Nachtzeit ſtehlen. Dem Taltel entſpricht das zigeuneriſche Glitsch, Schlüſſel, Riegel; glitschinèskero cheȃchhéw, Schlüſſelloch, wovon Glit - ſcher, Nachſchlüſſeldieb, Glitſchen, ſchließen, mit Nachſchlüſſeln ſtehlen.

Echoder, Echeder von〈…〉〈…〉 (echod), Eins, der Eine iſt der am Rohrende ſtatt des Bartes mit einem einfachen Stifte oder Haken verſehene Schlüſſel, Dietrich; Deutſch-Echeder, auch Aſchkenas-Echeder, der Dietrich mit hohlem Rohr; Welſch-Echeder, auch Zarfeſſ-Echeder, der Dietrich mit vollem Rohr zu franzöſiſchen Schlöſſern. Je nachdem der Stift in eckigem Winkel nach vorn oder nach hinten gebogen iſt, wird er Vorderſchieber oder Hinterſchieber genannt, mit dem Zuſatz Welſch oder Deutſch, je nachdem das Rohr voll oder hohl iſt. Ebenſo, wenn der Stift in rundem Haken gebogen iſt, Hinterbogen, Vorderbogen, Deutſch-Vorderbogen, Welſch-Hinterbogen.

Dalmer und Dalme, allgemeiner Ausdruck für Schlüſſel, Nachſchlüſſel; Dalmerei, das Schloß; Dalmernekef, das Schlüſſelloch. Dalme iſt weder deutſchen noch jüdiſch-deutſchen Urſprungs, ſcheint aber doch mit dem hebräiſchen〈…〉〈…〉 (tolo), hän - gen, oder〈…〉〈…〉 (dolo), oder〈…〉〈…〉 (deless), Thür, zuſammenzu - hängen.

Mafteach,〈…〉〈…〉, ſpecifiſch hebräiſcher und jüdiſch-deutſcher2)den orur Haman uboruch Mordchai (den verfluchten Haman vom gebenedei - ten Mardochai) nicht unterſcheiden können.157 allgemeiner Ausdruck für Schlüſſel, der aber auch in die Gauner - ſprache übergegangen iſt; von〈…〉〈…〉 (possach), er hat aufgethan. Gleiche Ableitung hat Peſſach, die Thür, auch der Gelaß, in welchen die Thür führt, Kammer, Stube; Peſſiche, das Schlüſ - ſelloch, aber auch das Schloß, verdorben: Beſiche, Beſeiach, auch platte Beſiche; Miftoch, die Oeffnung, Schlüſſelloch; poſſchenen, ſchließen, beſonders mit dem Nachſchlüſſel ſchließen; Poſſchener, Nachſchlüſſeldieb; Mafzer und Mifzer, das Schloß; Paſſung, der durch Einbruch oder durch Nachſchlüſſel bewirkte Zugang; Paſſung machen, den Zugang durch Ein - bruch oder durch Nachſchlüſſel bewirken; vgl. oben unter Schrän - ken: Peſſuch.

Von Sſauger ſein (〈…〉〈…〉[ssogar], er hat geſchloſſen), zu - ſchließen, verſchließen: Maſſger, der Verſchluß; Meſſager, der Schloſſer, wofür meiſtens Barſelmelochner, Taltelme - lochner und Duſſemelochner gebraucht wird. Zigeuneriſch von buklo, Schloß: buklengero gatscho, der Schloſſer.

Tole, von〈…〉〈…〉, er hat gehängt, das Vorhängeſchloß. Duſſe, das Schloß, Hängeſchloß; duſſen, ſchließen; Duſſe - melochner, der Schloſſer; Chozer (eig. das Vorhaus), das Schloß.

Abſtecher jüdiſch-deutſch〈…〉〈…〉 (marzea) iſt ein Spitz - bohrer oder ſtählerner Pfriemen, der meiſtens als Pfeifenräumer an Taſchenmeſſern oder Feuerſtählen angebracht iſt, und zur Sonde der Schlöſſer, vorzüglich aber zum Schieben des Schloß - riegels von außen am Stulp gebraucht wird, wenn die Zuhal - tung des Schloſſes durch den Echoder aufgehoben iſt.

Endlich ſind beim Makkenen zu bemerken die jüdiſch-deut - ſchen Ausdrücke Oron, auch Orum oder Orehm, der Schrank, Kaſten, die Truhe, Lade, Kiſte. Kippe, Kife, Kuppe, Kuffe und Kuff1)Jüdiſch-deutſch〈…〉〈…〉 (kippe, kippo, kuppo). Davon die nieder - deutſche Bezeichnung Kuf für kleines Wirthshaus, Bordell, Bett, beſonders das Schrankbett; in de Kuf gan, zu Bette gehen; vgl. M. Kramer, Nider -, der Kaſten, Koffer, Kramladen, Handelsgewölbe. 158Mooskuppe, der Geldkaſten. Kuffer, der Nachſchlüſſeldieb. Chenwene, der Kram, die Kramkiſte, Kramladen, beſonders die Jahrmarktsbude. Tiefe, Schrank, Kaſten, Kiſte, Koffer. Schilchemer, Schrank, Kaſten, Schublade. Lesfinne, der Ladenſchubkaſten, in welchem ſich das Geld befindet, Ladenkaſſe.

Schon aus der weiten und unbeſtimmten techniſchen Termi - nologie erſieht man, daß von einer genau beſtimmten Anzahl von Klamoniſſ beim Makkenen nicht die Rede ſein kann, und daß es kein doctrinäres vollſtändiges Schaſſklamoniſſ von 28 oder 80 Schlüſſeln gibt. Die Größe oder Kleinheit der Schlöſſer, ihre Conſtruction und Beſatzung ſind die weſentlichſten Grundlagen, nach welchen die Klamoniſſ angefertigt werden. Ebenſo apokryph iſt die Exiſtenz von eigenen cheſſen Taltelmeloch - nern, welche ausſchließlich die Klamoniſſ anfertigen und ſich ihr Fabrikat mit Geld aufwiegen laſſen ſollen, wie denn ja in Nord - deutſchland der Glaube herrſcht, daß namentlich in Poſen und Stuttgart ausgezeichnete Barſelmelochner exiſtiren ſollen. Der Makkener von Fach macht ſeine Klamoniſſ ſelbſt aus alten abgezogenen oder bei dem Trödler erhandelten, oder auch aus den in den Eiſenwaarenhandlungen nach allen Größen für ein ſehr billiges Geld verkäuflichen Schlüſſeln mit unausgearbei - teten Bärten, deren Verkauf nicht allein der Schloſſerkunſt gro - ßen Abbruch thut, ſondern auch die Verſuchung überall weckt, und die Sicherheit des Eigenthums ſehr bedeutend gefährdet. Wer die Feile und Laubſäge nur einigermaßen führen kann, begreift am beſten, wie leicht jene keineswegs künſtlichen, ſondern höchſt einfach geſtalteten Klamoniſſ ſich herſtellen laſſen. Es genügt aber auch ſchon ein Blick auf das Bund Dietriche, welche jeder1)teutſches Dictionarium von 1719 , I, 165. Kiffe, ein ſchlechtes elendes Häuschen; vgl. Richey, Hamburger Jdioticon : Horn-Kippe, Bordell; angelſächſiſch Cip, und cambro-britiſch Cyfod. Der ebenfalls in der nieder - deutſchen Volks - und Gaunerſprache gebräuchliche Ausdruck Kabuf, für ein kleines ſchlechtes Häuschen, kleinen Laden, auch Bett und Bettſchrank, hängt wahrſcheinlich auch mit dem jüdiſch-deutſchen〈…〉〈…〉 zuſammen, oder auch mit dem hebräiſchen〈…〉〈…〉, gebogen, gewölbt, hohl ſein.159 Schloſſer führt, um mit dieſen einfachen Jnſtrumenten ſeine künſt - lich und mühſam gearbeiteten Schlöſſer behende zu öffnen und damit ſelbſt ſeine eigene Kunſt zu paralyſiren.

Achtundvierzigſtes Kapitel. β) Das Schloß, der Schlüſſel und ſeine Bewegung.

Der Mechanismus des Schloſſes beſteht in der horizontalen oder verticalen Bewegung des Schloßriegels, um die bewegliche Thür oder den Deckel eines Verſchluſſes mit dem ganzen Ver - ſchluſſe zu verbinden. Die Kunſt dieſes Mechanismus beſteht aber darin, die durch den Schlüſſel bewirkte Bewegung des Rie - gels für jede andere Bewegungskraft außer dem dazu beſtimmten Schlüſſel unthunlich zu machen. Um hiervon einen klaren Begriff zu bekommen, bedarf es einer nähern Kenntniß der Conſtruction und Bewegung eines Schloſſes. Auf umſtehender Tafel II. befindet ſich Figur 1 die Zeichnung eines von einem tüchtigen Meiſter verfertigten gewöhnlichen, ſogenannten eingeſteckten1)Jm Gegenſatz vom Kaſtenſchloß, welches nicht in das Holz einge - laſſen, ſondern gegen daſſelbe geſchroben wird. Zimmer - thürſchloſſes mit abgehobener Decke; Figur 2 iſt der dazu ge - hörige Schlüſſel.

A B D E iſt das Schloßblech, auf welchem der ganze Mecha - nismus befeſtigt iſt. Das Schloßblech iſt von B A E D mit einem Blechrahmen, dem Umſchweif umgeben, um Staub und Holz - ſplitter vom Schloſſe abzuhalten. An dem vordern Streif C C, dem Stulp, iſt das Schloßblech befeſtigt. Der durch Schrauben bei z z in das volle Holz des Rahmens geſchrobene Stulp dient zur Befeſtigung des Schloſſes, und läßt durch eine entſprechende Oeffnung die Falle F und den Schloßriegel K durchlaufen, damit dieſe in die entſprechenden Oeffnungen des in der Thürzarge be - feſtigten Schließbleches eingreifen können. Auf das Schloßblech wird zu gleichem Zwecke vorn ein entſprechendes Blech, die Decke,160

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161 aufgelegt und aufgeſchroben. Zur Einführung des Schlüſſels be - findet ſich in der Decke ein Schlüſſelloch, welches dem Schlüſſelloch im Schloßbleche L entſpricht.

Der obere Theil des Schloſſes enthält die Vorrichtung zum Oeffnen der Thüre durch Zurückziehen der Falle F. Die Falle bewegt ſich im Stulp und in dem Einſchnitt des feſtgenieteten Hinterſtudels G. Sie wird durch die unter dem Riegel und der Zuhaltung flach auf dem Schloßblech laufende Feder ſf ſtets nach außen gedrückt und durch Drehung der Nuß, durch welche in der Oeffnung I die Stange des Thürgriffs läuft, nach der ent - gegengeſetzten Seite geſchoben. Die Bewegung der Falle enthält alſo nichts beſonders künſtliches, und kann ſelbſt dann durch ein bei I eingeſchobenes eckiges Eiſen oder Stück Holz hervorgebracht werden, wenn der Thürgriff gänzlich abgenommen iſt.

Deſto künſtlicher iſt aber der Mechanismus des untern Theils. Der Riegel K läuft durch den Stulp C C und außerdem mittels der in ihn gefeilten Oeffnung O O auf den Zapfen P, welcher auf dem Schloßblech feſtgenietet iſt, ſodaß der Riegel frei ſeit - wärts hin - und herbewegt werden kann. Dieſe Bewegung wird nun durch die zirkelförmige Bewegung des durch das Schlüſſelloch L geſteckten Schlüſſels, oder vielmehr des Schlüſſelbarts, hervor - gebracht, der in den Riegeleinſchnitt M eingreift und dadurch in Stand geſetzt iſt, den Riegel willkürlich hin - und herzuſchieben. Um nun aber dem Stande des Riegels Feſtigkeit zu geben, und zu verhüten, daß der Riegel nicht willkürlich hin - und hergeſcho - ben werden oder ſchlottern könne, iſt unmittelbar über den Riegel die in dem Zapfen S ſich bewegende, durch die Feder R feſt nie - dergehaltene Zuhaltung q angebracht, die bei x einen in die Riegeleinſchnitte einfallenden Haken bildet, und von dieſem an abgeflacht in einer Bogenlinie hinter dem Riegel ausläuft, welche die vom Schlüſſelbart beſchriebene Kreislinie ſchneidet, ſodaß alſo der Bart, indem er in den Einſchnitt M des Riegels K eingreift, um dieſen wegzuſchieben, zugleich auch die Zuhaltung q mit dem Haken oder Zapfen bei x, der durch ſein Eingreifen in den Ein - ſchnitt x die Bewegung des Riegels hindert, in die Höhe hebtAvé-Lallemant, Gaunerthum. II. 11162und ſomit der Bewegung des Riegels freien Spielraum ge - währt. Dieſe zwiefache Operation kann demnach ohne beſondere Vorrichtung von jedem Schlüſſel verrichtet werden, deſſen Bart lang genug iſt, um in den Einſchnitt M hineinzureichen und mit ſeiner äußern Kreislinie den Bogen der Zuhaltung q bei qq zu ſchneiden. Es würden dazu eine Menge Schlüſſel im Stande ſein, die nöthigenfalls ſchon nach bloßem Augenmaße der Form des Schlüſſellochs mit leichter Mühe angepaßt werden könnten. Die in ihrer Weiſe geiſtreiche Erfindung der ſogenannten Be - ſatzung verhindert jedoch, wenn auch nicht abſolut, doch meiſtens, die Anwendung jeglichen Schlüſſels, deſſen Bart auch die ſoeben dargeſtellte äußere Form und Länge hat.

Ehe jedoch von der Beſatzung geredet werden darf, müſſen die Beſtandtheile des Schlüſſels bemerkt werden. Jn Figur 2 iſt b die Reithe, welche beim Schließen mit der Hand gefaßt wird. Die Länge a b b iſt das Rohr, das entweder hohl1)Neuerdings kommen mit den deutſchen Schlöſſern auch die hohlen Nach - ſchlüſſel und Echoder mehr und mehr außer Brauch. Selten haben dieſe Diebsſchlüſſel eine vollſtändige ganze Röhre, ſondern ſind nur rinnenförmig gearbeitet, ſodaß das Schlüſſelrohr wie ein Löffelbohrer geſtaltet iſt, und ſich mit der Höhlung behende um die Schloßdorne bewegt., oder, wie in Figur 2, dicht (voll) iſt. Das Ende des Schlüſſels a heißt der Knopf. Der Theil c c d d heißt der Bart, deſſen Länge von d bis zum Rohr die Höhe, und von c c die Breite genannt wird. Die Einkehlung des Rohrs bei i, das Geſenk, iſt mehr Zierath und nicht ſo weſentlich, wie bei den ſogenann - ten engliſchen Schlüſſeln der Anſatz, das heißt die in einiger Ent - fernung vom Bart am Rohre angebrachte Verſtärkung des Rohrs, um das zu tiefe Eindringen des Schlüſſels in das Schloß zu verhindern.

An dem Barte des Schlüſſels, Figur 2, bemerkt man meh - rerlei Einſchnitte. Zunächſt iſt er in der Mitte bei h, bis an das Rohr, der Höhe nach mit einem geraden Einſchnitte, dem Mittelbruch, verſehen. Sodann finden ſich zu beiden Seiten des Mittelbruchs die Einſchnitte (Kreuze) e e und gg. Dieſe163 ſämmtlichen Einſchnitte dienen dazu, den Schlüſſel für die durch die Beſatzung gegebene beſondere Conſtruction des Schloſſes ge - eignet zu machen. Um nämlich die Bewegung jedes der äußern Form nach zum Schloſſe paſſenden Schlüſſels zu verhindern, wird ein zu beiden Seiten rechtwinkelig gebogenes Stück Blech U in der Höhe einer halben Bartbreite über dem Schlüſſelloch ange - bracht und bei W an dem Schloßblech vernietet, auch über dem Schlüſſelloch L in geeigneter Weite (h h h) ausgeſchnitten, ſodaß, wenn der Schlüſſel in das Schloß geſteckt und gedreht wird, dies ſo angenietete Blech, der Mittelbruch genannt, in den mittel - ſten langen Einſchnitt des Barts, welcher auch Mittelbruch ge - nannt wird, geräth, der ſo zweigetheilte Bart ſich zu beiden Sei - ten dieſes Blechs bewegt, und das zwiſchen dieſem Mittelbruch und der Decke befindliche Bartſtück den Riegel in dem Einſchnitt M faßt und hin - und herſchiebt. Der Mittelbruch hindert alſo ſchon den Gebrauch jedes Schlüſſels, der nicht mit dem ihm an - gepaßten Einſchnitt (Mittelbruch) verſehen iſt. Da nun aber die - ſer Einſchnitt ſehr leicht mit der Bogenfeile oder Laubſäge in den Bart zu machen iſt und ſomit nur ein geringes Hinderniß bietet, ſo hat man den Mittelbruch mit noch andern Vorrichtungen ver - ſehen, welche die Bewegung jedes fremden Schlüſſels verhindern. Dieſe Vorrichtungen, Beſatzungen, ſind überaus zahlreich und künſtlich, und laſſen der Erfindung einen reichen Spielraum. Da es ſich aber hier nur darum handelt, einen Begriff von der Be - ſtimmung und Conſtruction der Beſatzung zu geben, ſo wird hier nicht einmal die allgemeinſte Eintheilung der Beſatzungen ange - führt, ſondern nur einfach die Beſatzung der Figur 1 deutlich ge - macht. Auf und unter dem Mittelbruch U ſind nun die kreis - runden Stückchen Blech e und g ſo genau aufgelöthet, daß die Kreuze e e und g g des bewegten Schlüſſels in ſie eingreifen. Somit wird für jeden fremden Schlüſſel, der nicht mit dem Mittel - bruch und mit den Kreuzen genau nach der ganzen Beſatzung eingerichtet iſt, die Bewegung im Schloſſe unthunlich gemacht. Dieſe Beſatzungen werden nun auf höchſt mannichfache und zum11 *164Theil ſehr künſtliche und ſinnreiche Weiſe1)So hat man unter anderm das ganze lateiniſche große Lapidaralpha - bet in die Schlüſſelbärte eingefeilt und die Beſatzungen danach entſprechend conſtruirt, anderer Spielereien nicht zu gedenken. angebracht. Auch ſind ſowol auf dem Schloßbleche ſelbſt, als auch auf der Decke ähn - liche Beſatzungen aufgelöthet, ſodaß äußerlich auf beiden Breiten des Schlüſſelbarts entſprechende Einſchnitte ſich befinden.

Eine andere Vorrichtung, den Eingang eines fremden Schlüſſels in das Schloß zu verhindern, beſteht darin, daß man die Figur des Bartes, vom Knopf aus geſehen, ſo geſtaltet, daß die Bärte mit geraden, in Winkeln gebogenen Linien, oder auch mit rundgebogenen Linien geſchweift werden. 2)So würde Tafel II, Figur 1, der Zapfen f im Schlüſſelloche L den Eingang des Schlüſſels Figur 2 verhindern, wenn nicht der Bart bei f ent - ſprechend zu einer ſogenannten Rippe eingefeilt wäre, was auch in entgegen - geſetzter Weiſe bei der Decke der Fall iſt.Die Schlüſſelbärte erhalten dadurch eine bunte Form, und die Spielerei hat auch hier ſich darin gefallen, den Bärten die Ge - ſtalt von Zahlen und von Buchſtaben zu geben. Dieſe Ge - ſtaltung hat jedoch nur Werth in Bezug auf das Eindringen des Schlüſſels durch die Decke oder durch das Schloßblech, durch - aus aber nicht für ſeine Bewegung im Schloſſe ſelbſt. Schloß - blech und Decke werden der Form des Bartes entſprechend ausge - feilt, und bieten in ihren Schweifungen ein nur beſchränkteres Hinderniß, das ſich leicht durch Ausbiegen oder Wegfeilen beſei - tigen läßt, wenn gar dieſe eigenthümliche Form dem Eingang des Echeder, Klamoniſſ oder Abſtechers überhaupt ein wirkliches Hinderniß iſt. Endlich hat man noch für die hohlen deutſchen Schlüſſel, welche mit dem Rohre über einem auf das Schloßblech des, ſelbſtverſtändlich nur von einer Seite ſchließenden, Schloſſes aufgenieteten Stift, dem Dorn, ſich drehen, außer den einfachen runden Dornen, auch noch runde und überdies noch eckige, be - ſonders dreieckige oder achteckige Röhren, nach denen das Schlüſſel - rohr entſprechend eingekehlt iſt. Dieſe eckigen Röhren drehen ſich mit dem eingebrachten Schlüſſel herum, und bieten, ebenſo wie165 die Dorne ſelbſt, bei weitem nicht ſolche Hinderniſſe wie tüch - tige Beſatzungen, da ſie leicht mit einer Drahtzange oder einem Abſtecher oder Jadſchabber ausgebrochen werden können.

Das in Tafel II, Figur 1, dargeſtellte Schloß iſt von bei - den Seiten ſchließbar. Die zu Schränken und Kaſten u. ſ. w. dienenden Schlöſſer ſind natürlich nur von der einen Außenſeite her verſchließbar. Jhre Einrichtung entſpricht aber der in Figur 1 dargeſtellten Conſtruction. Nur hat das Schloßblech nicht den Einſchnitt des Schlüſſellochs wie bei der Decke, ſondern nur ein rundes Loch, in welchem der Schlüſſel mit dem Knopf ſich dreht, oder auch, wenn der Schlüſſel ein hohles Rohr hat, einen Dorn, über welchen der Schlüſſel greift und ſich bewegt. Auch die Vor - hängeſchlöſſer haben im allgemeinen die entſprechende Conſtruction, obgleich auch bei ihnen vielerlei Kunſt angewandt wird, die aber in Bezug auf den Gauner inſofern verſchwendet iſt, als ihr durch Krampen, Stangen oder Riegel gezogener freiliegender und ſelten über einen halben Zoll Dicke hinausgehender Bogen oder Hals ſtets mit der Laubſäge behende und raſch durchgeſchnitten werden kann, wodurch das oft mühſamere und zeitraubendere Aufſchließen geſpart wird.

Neunundvierzigſtes Kapitel. γ) Die Kunſt und die Kunſtmittel der Makkener.

So künſtlich und ſinnreich auch alle oben angedeuteten Vor - richtungen ſind, ſo können ſie doch ſämmtlich durch die einfach - ſten Mittel vom Makkener paralyſirt werden. Der Grund dazu liegt darin, daß die Bewegung des Schloßriegels immer die alte einfache geblieben iſt, während die Schloſſerkunſt einſeitig darauf ſich beſonders beſchränkt hat, die Einbringung und Bewegung des Schlüſſels im Schloſſe durch die kunſtreichſten Conſtructionen zu erſchweren. Der Schlüſſel iſt ein einfacher Hebel, deſſen Stütz - punkt im Rohre a bb (Fig. 2) und deſſen Endpunkte in der Reithe bei bbb und am Ende der Barthöhe bei dd liegen. Die166 Zuhaltung q wird durch den Schlüſſelbart gehoben und zugleich der dadurch völlig frei und beweglich gemachte Riegel hin - und herbewegt. Um nun die Zuhaltung zu heben, bedarf es nur eines Drucks von unten. Dieſer Druck wird am leichteſten durch den Echeder (Dietrich) bewirkt. Der Echeder iſt eine in einen rechten Winkel gebogene Eiſendrahtſtange welche ſich leicht in das

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Schlüſſelloch und durch die Beſatzung hindurch gegen die Zuhal - tung bringen läßt, um dieſe zu heben und dann zugleich durch Drehen den Riegel zu bewegen. Oft aber reicht der Echeder nur dazu aus, die Zuhaltung allein zu heben. Dann wird gewöhn - lich mit dem Abſtecher entweder im Schloſſe ſelbſt oder außerhalb deſſelben durch die Thürſpalte, welche ſich bei dem Stulp befindet, der durch Aufhebung der Zuhaltung beweglich gemachte Riegel zurückgeſchoben, während die eine Hand mittels des Echeders die Zuhaltung in die Höhe gehoben hält. Jn dieſer Weiſe können auch die tüchtigſten Thürſchlöſſer ungemein behende geöffnet werden. Jch habe Echeder ganz vorzüglich aus dünnen Fenſterſtangen (Windeiſen) ohne beſondere Reithe improviſirt geſehen in der Geſtalt:

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Auch läßt ſich jeder Sturmhaken oder, ſehr unverdächtig, jeder Stiefel - haken ſehr leicht zum Echeder umgeſtalten, während bei kleinern Kaſtenſchlöſſern häufig ſchon ein Nagel oder bloßer Eiſendraht aus - reicht, der meiſtens erſt bei dem Diebſtahl ſelbſt vor dem Schloſſe mit der Drahtzange zurechtgebogen wird. Das Heben und Halten167 der Zuhaltung erfordert den beim Makkenen überhaupt wichtigen Handgriff, daß man den mit der rechten Hand gefaßten und in das Schlüſſelloch eingebrachten Echeder in das erſte Gelenk des hart an das Schlüſſelloch gedrückten Zeigefingers der linken Hand legt und mit dieſem Zeigefinger den Echeder feſt in die Höhe gegen den obern Theil des Schlüſſellochs drückt, wodurch der Echeder eine feſte Lage und ſeine Bewegung große Sicherheit ge - winnt, auch die einmal gehobene Zuhaltung ſtehen bleibt, ſodaß die rechte Hand frei wird, und mit dem Abſtecher oder ſchmalem Stammeiſen frei operiren und den Schließriegel zurückſchieben kann. Dieſer äußerſt ſichere Handgriff läßt ſich ſchon durch ge - ringe Uebung erwerben, und macht auch die Echeder mit hohlem Rohr (deutſche Echeder) immer entbehrlicher und ſeltener, da die Dorne mit leichter Mühe mittels einer ſpitzen und inwendig plat - ten Drahtzange weggebogen werden können, wenn nicht der Eche - der ſchon allein den Dorn beim Einbringen umgeht, wegbiegt oder wegbricht. Hat das Schloß keine beſondere Zuhaltung, ſon - dern, wie meiſtens bei kleinern und namentlich Fabrikſchlöſſern der Fall iſt, eine einfache Feder über dem Riegel, ſo ſchließt ſchon der Echeder allein das Schloß mit vollkommener Leichtigkeit auf, und es bedarf des Abſtechens und einer andern Operation nicht wei - ter. Der Echeder hat auch noch den Vortheil, daß mit ihm be - ſonders leicht der Riegel auf halben Schluß geſtellt, d. h. nur ſo weit zurückgeſchoben werden kann, daß das Schloß zwar ge - öffnet wird, die Zuhaltung aber nicht in den zweiten Riegelein - ſchnitt fällt, indem der Riegel nicht völlig bis zum Einfallen des Zuhaltungshakens zurückgeſchoben wird. Somit kann nach voll - endetem Diebſtahl die Hauptaufgabe des Makkeners, das Wieder - zuſchließen des Schloſſes durch einfaches Vorſchieben des Riegels leicht bewirkt und die Entdeckung des Diebſtahls ſehr hingehalten und erſchwert werden.

Kann der Echeder nicht ſelbſt zum Heben der Zuhaltung oder zum Schieben des Riegels verwandt werden, ſo bleibt er doch immer die beſte Sonde eines Schloſſes, mittels welcher man ſich durch das bloße Gefühl ziemlich genau von der innern Conſtruc -168 tion und Beſatzung eines Schloſſes unterrichten kann. Zum Son - diren iſt ſchon der Abſtecher oder auch ein dünner Echeder von Draht am geeigneteſten, um zu beſtimmen, welcher Nachſchlüſſel zur Anwendung kommen kann. Geübte Makkener wiſſen jedoch ſchon gleich mit dem bloßen Echeder hinlänglich zu ſondiren, und überlaſſen die Drahtſonde den minder Geübten, die indeſſen ſehr bald die Conſtruction des aufzuſchließenden Schloſſes begreifen und überhaupt auch ſchon bei dem Baldowern ſich möglichſt ge - nau davon zu unterrichten ſuchen.

Hat der Makkener ſich überzeugt, daß nur der Mittelbruch eine Beſatzung hat, ſo ſchließt er ſchon mit dem Echeder das Schloß auf. Jſt der Echeder aber vielleicht zu kurz oder zu dünn im Bart, Winkel oder Rohr, oder überhaupt nicht anwendbar, ſo wählt der Schränker bei dieſer Beſatzung den Hauptſchlüſſel Engliſch-Welſch, Haupter. 1)Vgl. Tafel II, Figur 3, den Haupter zum Schloß Figur 1.

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Der Bart eines Haupters iſt inwendig ausgefeilt, und hat nur Seitenſchenkel, die auf der Höhe des Barts im Winkel zu - ſammenſtoßen und nur für den Mittelbruch durch einen Einſchnitt d getrennt ſind. Beim Drehen greift der Schlüſſel durch den Einſchnitt (Mittelbruch) zu beiden Seiten des Mittelbruchs, geht mit dem ausgefeilten Raume c über die ganze Beſatzung des Mittelbruchs fort, hebt mit der Höhe d die Zuhaltung und ſchiebt den Riegel mit großer Leichtigkeit hin und her. Die Verbindung zweier Hauptſchlüſſelbärte an einem Rohr, die ſich gegenſeitig zur Reithe dienen, iſt ſehr bekannt und üblich:

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Die ſehr beliebten, mit Ausnahme von Kunſt - und Gauner - hand nicht leicht zu öffnenden billigen Schlöſſer ohne Mittelbruch jedoch mit Beſatzung auf dem Schloßblech und der Schloßdecke, die einen Schlüſſelbart, etwa von der Geſtalt der Figur erfordern:

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ſind, wie man ſieht, durch den Echeder nicht leicht zu öffnen, da die durch c laufende Beſatzung des Schloßblechs durch die Be - ſatzung der Decke bei d gedeckt wird. Es bedarf daher eines eigenen Nachſchlüſſels, der folgende Geſtalt hat, alſo dem

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Barte der obigen Figur im Aeußern gleicht, jedoch die Einſchnitte c und d bedeutend erweitert hat, wodurch er aber auch für mehrerlei Schlöſſer ähnlicher Größe anwendbar iſt. Liegt die Beſatzung

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der Decke höher als die des Schloßblechs, ſo hat der Klamoniſſ die umgekehrte Geſtalt:

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Hat nun ein Schloß ohne Mittelbruch die Beſatzung nur auf einer Seite, ſo iſt zu unterſcheiden, ob die Beſatzung auf der170 Decke oder auf dem Schloßblech iſt. Jm erſtern Falle wird der Hinterſchieber gebraucht von dieſer Form, der gleich dem

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Engliſch-Welſch in dem ausgefeilten Raum c über die Deckenbe - ſatzung ſich wegdreht. Hat das Schloßblech allein die Beſatzung, ſo wird der Vorderſchieber gebraucht, deſſen leerer Raum c über

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die Schloßblechbeſatzung ſich dreht. Hinter - und Vorderſchieber werden auch in ſehr praktiſcher Weiſe an einem und demſelben Rohr vom Makkener conſtruirt. Der nachſtehende Klamoniſſ a b hat nämlich durch das Rohr bei c ein rundes, beſſer viereckiges, Loch. Das Rohrende a c iſt mit einem Schraubengewinde ver - ſehen, in welches die Schraube a c paßt, die im Knopf a

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einen Einſchnitt zum Schrauben hat. Der Winkel (Bart) d e c wird in das Loch c geſteckt und mit der Schraube feſtgeſchroben, und bildet ſo den Vorderſchieber. Umgekehrt kann er auch in der andern Figur c e d eingeſteckt und feſtgeſchroben werden, und bildet ſo den Hinterſchieber. Die weſentlichſten Vortheile hierbei ſind, daß die Bärte mittels Hin - und Herrückens durch c ver - längert und verkürzt werden können, ſoweit der obere Theil des Schlüſſellochs beim Einſchieben des Schlüſſels dies geſtattet. 171Ferner erſpart man ſich dadurch das verrätheriſche Führen eines größern Schlüſſelbundes, da ſich in dieſer Weiſe eine Menge Bärte, die leicht im Geldbeutel oder in den Uhr - und Weſten - taſchen zu verbergen ſind, auf ein einziges Schlüſſelrohr anbrin - gen laſſen. Selbſtverſtändlich läßt ſich durch Einſetzung eines bloßen Stifts jeder beliebiger Echeder an dieſem Rohr herſtellen. Man hat auch Schlüſſel, welche vorne am Knopfende mit einem Schraubengewinde verſehen ſind, in das ſich die einzelnen Bärte

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hineinſchrauben laſſen. Sie haben bei dem Transport und Ver - ſteck der Schlüſſel dieſelben Vortheile, die oben gezeigt ſind, bei der Anwendung aber den Uebelſtand, daß ſie zwar die Schlöſſer aufſchließen, nicht aber (wenn jene nicht ſehr leicht ſchließen), daß ſie die Schlöſſer wieder ebenſo leicht zuſchließen, da, je nach dem Schnitt der Schraube, die Bärte rechts oder links ſich leicht abſchrauben. Auch bedarf es ſtets zweierlei ſolcher Schrauben - ſchlüſſel mit den paſſenden Bärten, je nachdem die Schlöſſer links oder rechts ſchließen. Uebrigens habe ich gerade in dieſer Art äußerſt ſauber gearbeitete Schlüſſel gefunden.

Hat ein Schloß gleichzeitig Beſatzungen auf dem Schloß - blech oder der Decke, und den Mittelbruch, oder alle drei zu - gleich, ſo wird dem Nachſchlüſſel immer die Grundform des Hauptſchlüſſels gegeben, und dabei die Form der Bartſchenkel nach den Beſatzungen geſchweift. Jn ſolcher Weiſe können die mannich - fachſten Schlüſſel hergeſtellt werden, je nach Beſchaffenheit der Schlöſſer, deren genaues Studium eine Hauptaufgabe der Mak - kener iſt. Dazu werden alle möglichen Schlöſſer zum Studiren ihres Mechanismus und ihrer Zuſammenſetzung auseinanderge -172 nommen, wie z. B. Damian Heſſel und Fetzer ſich tagelang übten, Schlöſſer mit Dietrichen, Nägeln und Haken zu öffnen. Ja, Heſſel rühmte von ſeinem Kameraden, Johann Müller, gegen den er ſich einen Lehrling nannte, daß Müller ein Schloß nur anzublaſen brauche, um es zu öffnen. 1)Heſſel öffnete zum Belege ſeiner Fertigkeit mit einem Bindfaden und einem Stückchen Holz die innere ſtarke Thür ſeines Kerkers, wie Rebmann, Damian Heſſel (2. Ausg. ), S. 15, erzählt. Das iſt ſchwer zu glauben; und doch habe ich ebenfalls von einem Raubmörder geſehen, daß er mit einem zuſammengedrillten Bindfaden ein ſogenanntes Schneckenſchloß an ſeiner Kette wie im Nu öffnete, ſodaß er in Feſſeln geſchmiedet werden mußte.

Die Anfertigung ſolcher Schlüſſel, über deren Einfachheit man erſtaunen muß, wenn man ſie mit der künſtlichen und müh - ſamen Arbeit des Schloſſes und Schlüſſels, den jene paralyſiren, vergleicht, iſt ſehr leicht mit einigen guten Feilen und einer Laub - ſäge zu erreichen. Die Hauptrückſicht beim Anfertigen von Kla - moniſſ iſt: die Barthöhe als Endpunkt des einen Hebel bildenden Schlüſſels, muß nothwendig in feſter Verbindung mit dem Stütz - punkt und dem andern Hebelende ſtehen. Es kommt nur darauf an, dieſen, wie gezeigt iſt, leicht zu findenden Verbindungsgang zu ermitteln, der bei allen Schlüſſeln vorhanden iſt und ſich leicht paſſend herſtellen läßt. Meiſtens findet man, wie ſchon oben er - wähnt, bei den Trödlern eine Menge alter Schlüſſel vorräthig2)Es iſt bemerkenswerth, daß man unter den bei Schränkern angetrof - fenen Schlüſſeln ſelten andere als alte Schlüſſel findet, mit vorne dünn ge - feiltem Rohr und eigens zugefeiltem Bart. Jch habe in meiner Praxis im ganzen nur wenig Schlüſſel gefunden, die gleich von Anfang her zu Nach - ſchlüſſeln gearbeitet zu ſein ſchienen., bei deren paſſender Auswahl man ſchon viel vorgearbeitet finden kann. Auch kann man bei jedem Eiſenwaarenhändler Schlüſſel aller Größen mit nicht ausgearbeitetem Bart, die in den Fabriken unter Druckſchrauben zu vielen Tauſenden hergeſtellt oder gegoſſen werden, für geringes Geld bekommen, um ſie zum beliebigen Ge - brauch zuzurichten. Bei der Billigkeit und flüchtigen Arbeit der Fabrikſchlöſſer bedarf es oft nur weniger Feil - oder Sägenſtriche, um die Nachſchlüſſel zu verfertigen. Die Einförmigkeit der Schlöſſer173 und Schlüſſel, die in den Fabriken zu Tauſenden nach einem und demſelben Modelle gemacht werden, ſpart dem Makkener viele Mühe, und erleichtert ihm den Weg in unglaublich viele Ver - ſchlüſſe. Die Nachtheile, die ſomit auch in dieſer Rückſicht aus den Fabriken für die Sicherheit des Eigenthums und für die Moralität entſtehen, ſind außerordentlich groß, und ſchon ſcheint es zu ſpät zu ſein, durch eine rege Begünſtigung und Förderung der Schloſſerkunſt, und durch ihre Wiedereinſetzung als wahre Kunſt gegen den leichtfertigen und demoraliſirenden Behelf der maſſenhaften Fabrikproduction dem Unheil zu ſteuern. Die Schloſſerei hat ihren weſentlichſten Verlaß nur noch in ihrer reellern Arbeit, und ihre Hauptkunſt beſteht nur noch in Anbringung von Vexiren und andern Künſteleien, die jedoch vom Scharfblick des profeſſionirten Makkeners bald durchſchaut werden. 1)Ueber dieſe Kunſtſchlöſſer gibt ſchon Jakob Zipper in ſeiner Anweiſung zu Schloſſerarbeiten mit Zeichnungen (Leipzig, ohne Jahreszahl) ſehr hübſche deutliche Zeichnungen und leichtfaßliche Erklärungen.

Endlich ſei noch eines praktikablen Klamoniſſ erwähnt, der bei einer Unterſuchung in Lübeck einem Makkener abgenommen wurde, der ſelbſt Barſelmelochner war. Dieſer Klamoniſſ hatte dieſe Geſtalt:

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Durch die viereckige, mit einer Flügelſchraube b verſehene Nuß a liegen zwei nach außen abgerundete, inwendig platt gegeneinander - laufende Stangen c d und e f, die bei c und e in einen rechten Winkel zu Echedern, bei d und f ebenfalls in rechte Winkel ge - bogen, mit einem nach innen gerichteten Haken verſehen ſind, und beliebig nebeneinander geſchoben werden können, ſobald die Flügel - ſchraube b gelöſt iſt. Die Stange c d iſt bei l etwas geſchweift, ebenſo die Stange e f bei m, damit die Winkel reſpective bei c und f in gleicher gerader Linie mit den Winkeln e und d ſtehen. 174Es kann dadurch auf beiden Seiten der Bart zu einer Menge von Hauptſchlüſſeln von verſchiedener Breite, z. B. g h i k, geſchoben werden. Außerdem können die Stangen c d und e f aus der Nuß herausgenommen und auf den Enden c oder e zu Echedern, auf den Enden d und f zu Vorder - und Hinterſchiebern gebraucht wer - den. Dieſer Klamoniſſ iſt Zoll lang, und ſchließt, wie ich das oft ſelbſt verſucht habe, eine ſehr große Menge Schlöſſer. Einfacher iſt der praktikable Hauptſchlüſſel. Jn der hohlen Röhre

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a b, welche unter a mit dem feſten Bartſchenkel g und bei b mit dem Handgriff h i verſehen iſt, läuft die Stange c d, welche bei c in den Bartſchenkel c e und bei d in den Handgriff d k gebogen iſt, aus dem Ausſchnitt c f herausragt, und in dieſem Ausſchnitt durch Hin - und Herſchieben bei d bewegt und zu verſchiedenen Breiten eines Hauptſchlüſſels geſtellt werden kann.

Auf ähnliche Weiſe laſſen ſich noch eine Menge anderer Klamoniſſ je nach der Form und Einrichtung der Schlöſſer her - ſtellen. Die Klamoniſſ werden nach der Beſchaffenheit des Schloſſes gewählt, auch vorher eigens zu einem beſtimmten Schloſſe zu - gerichtet. Der Makkener läßt ſich nicht verdrießen, das zu be - ſtehlende Lokal vorher zu beſuchen, ehe der Maſſematten ſelbſt ge - handelt wird, um ſeinen Klamoniſſ gehörig zuzurichten. Er ſon - dirt dabei das Schloß viel lieber mit dem Echeder, als daß er vom Schlüſſelloch einen Abdruck in weichgeknetetem Wachs nimmt. Dies Abdrücken des Schlüſſellochs in Wachs iſt ſehr unterge - ordnet, und dient höchſtens nur zu Meſſung der Höhe, Breite und Schweifung des Schlüſſelbarts. Der erfahrene Gauner weiß, daß das Blech des künſtlich ausgefeilten Schlüſſellochs, wenn es nicht von ungewöhnlicher Dicke iſt, ſich leicht zurückbiegen oder ſonſt beſeitigen läßt, und daß es weſentlich nicht darauf ankommt, die Schweifung des Schlüſſelbarts zu copiren, da man aus der175 bloßen Schweifung auch nicht entfernt auf den Mittelbruch und die verſchiedenen Beſatzungen folgern kann. Vermag der Makke - ner nicht das Schloß mit dem Echeder gehörig zu ſondiren, und ſich durch das Gefühl von der Conſtruction deſſelben zu unter - richten, ſo überzieht er den Bart eines in das Schlüſſelloch paſ - ſenden Schlüſſels mit Wachs, oder ſchneidet, nachdem er die Tiefe des Schloſſes ſondirt hat, einen paſſenden hölzernen Schlüſſelbart, überzieht denſelben mit Wachs, und dreht dieſen in das Schloß geſteckten hölzernen Schlüſſel gegen die Beſatzung, welche ſich nun deutlich auf das Wachs abdrückt. Glückt es aber dem Schränker beim Baldowern ſogar den Schlüſſel des zu öffnenden Verſchluſſes auch nur einen kurzen Moment in die Hand zu bekommen, ſo wird ein raſcher Abdruck auf eine in der Handfläche verborgene weiche Wachsplatte1)Es werden dazu auch wol auf Leinen oder Leder geſtrichene und daher unverdächtig erſcheinende harzige Pflaſter genommen. genommen, was ſchon durch einen leichten Druck möglich wird, da es nicht auf ein vollſtändiges Modelliren, ſondern nur auf ein leichtes Markiren der Form und der Ein - ſchnitte des Barts ankommt. Es iſt daher unvorſichtig, wichtige Schlüſſel frei hängen zu laſſen, oder gar jemand auch nur einen Augenblick in die Hand zu geben. Oft genügt ſchon der bloße Blick auf den Schlüſſel, um den geübten Makkener zu zei - gen, wie dem Schloſſe beizukommen iſt.

Wie bei den Schränkern die Klugheit und die Kunſtehre er - fordert, die Spuren eines Einbruchs möglichſt zu verbergen, ſo auch leidet die Makkenerehre nicht, daß der aufgeſchloſſene Ver - ſchluß, nachdem der Maſſematten gehandelt iſt, unverſchloſſen bleibe. Die Schlöſſer werden daher vom Makkener ſoviel wie möglich geſchont und wieder zugeſchloſſen. Zum raſchern Wieder - zuſchließen ſucht der Makkener, wenn er mit dem Echeder operirt hat, ſoviel wie möglich jedes namentlich größeres Schloß auf halben Schluß, d. h. den Schließriegel ſo zu ſtellen, daß die Zuhaltung beim Aufſchließen nicht in den letzten Riegeleinſchnitt (Tafel II, Figur 1 x) fällt, worauf ſich der Schließriegel viel176 raſcher und leichter mit dem Echeder wieder zuſchieben läßt. Wie endlich die Schränker immer mit Klamoniſſ verſehen ſind, ſo führen auch die Makkener, namentlich wenn ſie belaile han - deln, mindeſtens einen Jadſchabber, oder auch einen Brun - ger, Vorleger, oder Pezire und Magſeire bei ſich. Auch haben ſie meiſtens um den bloßen Leib oder unter dem Rock Leilekiſſimer gewickelt und noch andere Schränkerrequiſite, welche bei Baldowern als etwa nützlich erkannt worden ſind.

Funfzigſtes Kapitel. δ) Die Verbeſſerungen von Chubb, Bramah und Newell.

Jn dem Wettkampf, in den die Schloſſerkunſt mit dem Mak - kenen gerathen iſt, hat ſie in neueſter Zeit endlich eine Verbeſſe - rung gemacht, welche, ſtatt der bisherigen auf die Erſchwerung der Schlüſſelbewegung beſchränkten Kunſt, nunmehr auch die Be - wegung des Riegels ſelbſt genauer berückſichtigt, und bei zuneh - mender Vervollkommung einen immer vollſtändigern Sieg über das Gaunerthum verheißt. Es ſind die Schlöſſer, welche die eng - liſchen Mechaniker Chubb und Bramah, ſowie der Nordamerikaner Newell (mit ſeinen Permutation bitt-keys) erfunden haben. Alle drei Arten Schlöſſer haben ganz vorzüglich die Kunſt auf die Bewegung des Riegels verwandt, wobei der Schlüſſel in höchſt einfacher Conſtruction erſcheint. Die nebenſtehende, mit der Zeichnung (Taf. III) aus dem Grundriß der Schloſſerkunſt , von Johann König, S. 78, entlehnte Beſchreibung gibt einen deut - lichen Begriff von der trefflichen Conſtruction des von Chubb erfundenen Schloſſes.

Das Chubbſchloß beſteht aus ſechs verſchiedenen und genau doppeltourigen Sperrungen (tumblers), mit Hinzufügung eines Angebers, durch welchen jeder Verſuch des Nachſchlüſſels beim Gebrauche des rechten Schlüſſels verrathen wird. Die umſtehende Abbildung iſt eine Darſtellung eines nach folgenden Principien gebauten Schloſſes.

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A iſt der Riegel, B die viereckige Studel, welche inwendig vernietet iſt und einen Theil des Riegels bildet; C ſind die Sper - rungen, ſechs an der Zahl, welche ſich auf dem Centralkegel D bewegen; ſie ſind eine über die andere gelegt, aber vollſtändig iſolirt und geſondert, um jeder Sperrung zu erlauben, in verſchie - dener Höhe emporgehoben zu werden; E iſt eine getheilte Feder mit ſechs verſchiedenen Sprüngen, die auf die Enden der ſechs Sperrungen treffen; F iſt die Anzeigefeder. Es muß bemerkt werden, daß der Grundſperrer einen Zahn nahe der Anzeigefeder hat; G iſt eine Studel oder Schraube, inwendig befeſtigt und einen Theil der unterſten Sperrung bildend, und O iſt der Schlüſſel.

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Nun iſt es erſichtlich, daß alle Sperrungen genau zu der ver - ſchiedenen erforderlichen Höhe gehoben werden müſſen, um der viereckigen Studel B zu erlauben, durch die Längendurchſchnitte der Sperrungen zu paſſiren, ſo, daß der Riegel fortgezogen werden kann. Wir brauchen nicht zu ſagen, was geſchieht, wenn eine oder die andere Sperrung zu hoch, oder nicht hoch genug gehoben wird; noch weniger kann die Combination dieſer ſechs Sperrungen entdeckt werden, und wenn ein falſcher Schlüſſel eingebracht wird, und eine der Sperrungen ſollte übermäßig gehoben werden, ſo fängt die Anzeigefeder F den Grundſperrer C und hält ihn feſt,Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 12178ſodaß der Riegel nicht paſſiren kann, und bei der nächſten An - wendung des wahren Schlüſſels, wird man alſo bald ſehen, daß der Verſuch einer widerrechtlichen Oeffnung des Schloſſes gemacht wurde, da man mit dem richtigen Schlüſſel das Schloß nicht mit dem gewöhnlichen Verfahren auf einmal öffnen kann. Dreht man jedoch den Schlüſſel in umgekehrter Weiſe, ſo wird der Sperrer wieder in ſeine vorige gewöhnliche Lage kommen, dem Riegel er - lauben ſich vorwärts zu bewegen und die Studel B in die Kerbe I zu faſſen. Der abgeſchrägte Theil des Riegels A wird ſodann die Anzeigefeder F aufheben, und dem Bodenſperrer C erlauben, in ſeinen alten Platz zu fallen. Das Schloß iſt nun zu ſeiner gewöhnlichen Stellung zurückgebracht und kann wie ſonſt geſchloſſen und geöffnet werden. Es iſt erſichtlich, daß, wenn das Schloß angezeigt hat, es ſei falſch berührt, nur der wahre Schlüſſel daſ - ſelbe wieder in den gewöhnlichen Zuſtand bringen kann.

Bei Schlüſſeln, nach dieſer Art conſtruirt, können ungemein viele Wechſel der Formen angewandt werden. Der klein gezeich - nete Schlüſſel L, welcher aus ſechs Stufen und Einſchnitten be - ſteht, iſt 720 Abänderungen fähig, während, da bei den größern Schlüſſeln dieſe Zacken 30 mal und die Riegeleinſchnitte 20 mal verändert werden können, ſich die Summe von 7,776,000 mög - licher Abänderungen ergibt.

Das Chubbſchloß iſt 1846 und noch ſpäter vom Erfinder verbeſſert worden, wie aus der von König gemachten Beſchreibung, S. 80 und 81, und aus Tafel 40 des dazu gehörigen Atlas er - hellt. Die Verbeſſerung beſteht zunächſt in einem, aus vier ver - ſchiedenen Schlöſſern zuſammengeſetzten Schloß, das durch einen mit vier verſchiedenen Bärten verſehenen Schlüſſel geſchloſſen wird, und ferner in der Anbringung einer Metallblende, welche im Jnnern hervortritt, und Schlüſſelblech und Werk deckt, ſobald ein falſcher Schlüſſel eingebracht wird. Das von Bramah erfundene Schloß iſt der Kleinheit wegen beſonders zu Schreibtiſchen, Käſt - chen, Portefeuilles, Vorhängeſchlöſſern u. ſ. w. geeignet, und hat eine ganz eigenthümliche Riegelbewegung und Zuhaltung, auf welcher letztern die großen Vorzüge des ganzen Schloſſes weſent -179 lich beruhen. Eine Beſchreibung iſt bei König, a. a. O., S. 82 fg., enthalten.

Auf ähnlicher Grundlage hat Newell ſeine Permutation bitt - keys conſtruirt, zugleich aber dadurch, daß er auch den Schlüſ - ſelbart theilweiſe beweglich machte, das Vollkommenſte erreicht, was bis dahin die Schloſſerkunſt aufzuweiſen hat. Der Bart des Schlüſſels, Fig. 1 u. 2, a c, b d, iſt vorn am Rohre

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feſtgeſchweißt. Durch den Vorderzapfen b d geht bei e eine Schraube bis in f auf den Zapfen a c. Die mit einem Schrau - benloch verſehenen ſechs Zapfen von verſchiedener Länge ſind zum Herausnehmen, und können zwiſchen e und f in den verchieden -12 *180ſten Combinationen willkürlich verſetzt und feſtgeſchroben werden, wie z. B. in Figur 3. Das mit einer beſtimmten Bartzapfen - ſtellung geſchloſſene Schloß, wie z. B. in Figur 3, läßt ſich auch nur mit derſelben Zapfenſtellung aufſchließen. Bei dem Verſuche mit einer andern Zapfenſtellung aufzuſchließen, ſpringen die Federn (indicators) vor und vereiteln nicht nur das Aufſchließen, ſon - dern ſchließen auch nicht einmal mehr auf die richtige Zapfen - ſtellung des richtigen Schlüſſels, wenn nicht mit dieſer die Dre - hung des Schlüſſels ſo gemacht wird, als ſolle das zugeſchloſſene Schloß nochmals zugeſchloſſen werden, worauf die Federn in die richtige Lage ſpringen und ſomit das Aufſchließen möglich wird. Die Combinationen dieſer Schlußweiſe ſind wie bei den Chubb - ſchlüſſeln außerordentlich zahlreich, namentlich da es Schlüſſel gibt, die ſtatt der dargeſtellten ſechs Zapfen, acht und zehn Zapfen ent - halten, alſo um ſo mannichfacher gewechſelt werden können. Selbſt der völlig gleich nachgebildete Nachſchlüſſel vermag nicht, das Schloß zu öffnen, wenn nicht dabei die Zapfenſtellung bekannt iſt, die der Schlüſſel beim Zuſchließen hatte. 1)Eine nähere Beſchreibung dieſer wichtigen Erfindung, die auf der lon - doner Jnduſtrieausſtellung großes Aufſehen erregte, findet man in The illu - strated London News , 1851, S. 182.

Einundſunſzigſtes Kapitel. ε) Das Makkenen auf Kittenſchub.

Allerdings ſind dieſe wichtigen Verbeſſerungen noch zu neu und zum Theil noch zu wenig bekannt, auch wol noch zu theuer, als daß ſie ſchon die verdiente allgemeine Verbreitung gefunden hätten. Dabei wuchert das Makkenen denn auch noch immer als eine der lucrativſten Künſte fort, die ihren Jünger vollauf ernährt und ihn häufig zum reichen Mann macht. Die Leichtig - keit, mit welcher die Klamoniſſ herzuſtellen und anzuwenden ſind, hat das Makkenen zur populärſten Gaunerkunſt gemacht, und den181 Makkenern von Fach in der Perſon von Geſellſchafterinnen, Er - zieherinnen, Hausgeſinde, Comptoirleuten, ja ſogar Eleven und zehnjährigen Kindern, eine Concurrenz geſchaffen, die den Makke - ner zwingt, ſein ſo verkümmertes tägliches Brot mit mehr Wag - niß, aber auch mit mehr Meiſterſchaft zu verdienen, und ſich auf den Kittenſchub (vgl. das folgende Kapitel) zu legen, um im Verkehrsgetümmel bei lichtem Tage die Sorgloſigkeit auszubeuten, die meiſtens nur für die Nachtzeit ernſterer Sorgſamkeit und Vorſicht weicht. Jn Gaſthöfen, und namentlich während der Meſſen und während der Badeſaiſon, findet der Makkener denn noch die meiſte Gelegenheit, ſeine Kunſt zu üben. Meiſtens ſteigt er in den erſten Gaſthöfen ab unter dem anſtändigen Aeußern eines Rittergutsbeſitzers, Offiziers, hohen Beamten oder eines Bankiers, während ſeine Chawern unter ähnlichem Scheine in andern Hotels logiren und ſich dort ebenfalls nach Gelegenheit umſehen, auch ihn beſuchen und mit ihm viel aufgehen laſſen im Gaſthofe, um die Umgebung zu blenden. Jſt ein Maſſematten baldowert, ſo ſucht der Makkener, meiſtens unterſtützt von einem Vertuſſer oder einer Schmire, die beſonders den Freier zu mei - ſtern hat, die Zimmerthüre des baldowerten Maſſematten zu öffnen. Wird er dabei von einem Gaſte oder Kellner betroffen, ſo weiß er ſich das Anſehen eines der im Gaſthofe logirenden Fremden zu geben, von deren Perſon bei dem großen Verkehrs - getümmel ſelten genauere Notiz genommen wird, ſodaß kaum einmal eine bloße Anrede vorkommt. Hat er noch nicht das Zimmer aufgeſchloſſen, und bemerkt er Aufmerkſamkeit auf ſich, ſo geht er dem Aufmerkenden entgegen, thut eine Frage, z. B. nach dem Bewohner des Zimmers, deſſen Name und Stand er vorher erkundet hat u. ſ. w. und entfernt ſich für dies mal (er geht koſcher oder kaſchert ſich). Ebenſo verfährt er, wenn er gleich beim Eintritt in das Haus Verdacht bemerkt. Er geht dann in die Etage oder an das Zimmer, wo er ſtehlen will, jedoch wo - möglich ohne Klamoniſſ, falls er angehalten und viſitirt würde, und begibt ſich, ohne irgendetwas zu unternehmen, wieder fort, ſucht aber ſobald als möglich heimlich wiederzukommen, ſobald182 er den Verdacht geſchwunden glaubt. Jſt die Thür aufgeſchloſſen, ſo legt er mit derſelben Vorſicht die Klamoniſſ hinter den Füßen der meiſtens auf den Vorplätzen ſtehenden Schränke oder auf den Geſimſen derſelben, oder auch in Tiſchſchubladen oder ſonſt in der Nähe kawure, bis der Handel gemacht iſt, worauf die Thüre wieder verſchloſſen wird. Bekommt er im Zimmer Aufſtoß, ſo hat er die Thür nachläſſigerweiſe unverſchloſſen gefunden und fragt nach irgendeiner Perſon, die hier logiren ſoll. Bei dringen - der Gefahr iſt hier auch wol eine glänzende Gelegenheit zum Zu - planten oder Verſarkenen. Beim Weggange beobachtet der Mak - kener alles, was ihm etwa begegnet, ob er etwa ſelbſt beobachtet wird, wobei er auch auf der Straße nach den gegenüberliegenden Häuſern blickt, ob er von dort aus bemerkt iſt. Jſt das der Fall, ſo kleidet er ſich in ſeinem Quartiere oder in einer Cheſſenpenne um, oder entfernt ſich wol gar mit dem Geſtohlenen aus dem Orte, wenn er es nicht platten Leuten anvertrauen oder kawure legen kann. Handelt der Makkener ohne Vertuſſer oder Schmire, oder hat, was ſelten der Fall iſt, der Vertuſſer den Freier nicht meiſtern können, und bekommt der Makkener nun Aufſtoß, ſo hilft er ſich mit großer Geiſtesgegenwart in der Weiſe, wie oben unter dem Kapitel von Meiſtern angeführt iſt, bis er ſich dann ka - ſchern kann.

c) Das Kittenſchieben.

Zweiundfunfzigſtes Kapitel. α) Definition und Terminologien.

Kittenſchieben, einen Kittenſchub halten, von〈…〉〈…〉 (kisse), Seſſel, beſonders bedeckter Sitz, Thronſeſſel, tectum, Dach, Haus1)Jm Niederdeutſchen iſt Kit, Femininum, ein gängiger Ausdruck für ein Krughaus, Bordell. Vgl. Matth. Kramer, Hoch-Nider - und Nider - Hoch-Teutſches Dictionarium (1719), S. 146, Col. 3. U. (von〈…〉〈…〉, bedecken) und ſchieben (〈…〉〈…〉, schuf, zu -183 rückkehren, wiederkehren, umkehren, ſich wenden), gehen, ſchleichen, bedeutet allgemein das Hauseinſchleichen der Gauner in der Ab - ſicht zu ſtehlen, ohne ſpecielle Rückſicht auf eine beſtimmte Weiſe wie der Maſſematten dabei gehandelt wird, und zu welcher Tages - zeit dies geſchieht. 1)Thiele bezeichnet Kittenſchieber als Diebe, welche zur frühen Mor - genzeit im Sommer als Einſchleicher ſtehlen, während Grolman das Kitten - ſchieben als Küchendiebſtahl mittels Einſchleichens bezeichnet, wofür Thiele wieder den Ausdruck Hohſen gebraucht. Beide Reſtrictionen ſind aber nicht richtig. Für beiderlei Art und Zeit des Einſchleichens exiſtiren beſtimmte tech - niſche Terminologien.Ein Kittenſchub kann daher zu jeder Tageszeit, mit und ohne Schränken und Makkenen gehalten werden, und Kittenſchieber2)Synonym iſt der Ausdruck Scheinſpringer, Scheinſewecher. iſt daher allgemein der Hauseinſchleicher. Gleichbedeutend iſt der Hoſen (vom deutſchen Haus, Hauſer, hauſiren), Hauseinſchleicher, welches Thiele, a. a. O., I, 257, vom leiſen Tritt (?) ableitet und unrichtig auf den Küchenein - ſchleicher beſchränkt. Endlich iſt noch gleicher allgemeiner Bedeu - tung mit Kittenſchieber und Hoſen der Ausdruck Zgocker, eigent - lich Zugucker, vom deutſchen Gucken, Sehen, Zuſehen, zu unterſcheiden von Zchocker, Spieler (vgl. Kap. 76).

β) Arten des Kittenſchiebens.

Dreiundfunfzigſtes Kapitel. 1) Die Zefirgänger.

Nach der Zeit, zu welcher der Kittenſchub gehalten wird, unterſcheidet man verſchiedene Arten von Kittenſchiebern. Die Kaudemhalchener3)Vom hebräiſchen〈…〉〈…〉 (kedem), vorn, Oſten, Oſtwind, Sonnenauf - gang, Morgen., Kaudemgänger, oder Zefirhalche - ner4)Von〈…〉〈…〉 (Zefiro), Kopfſchmuck, frühe Morgenzeit., Zefirgänger, ſind Diebe, welche beſonders zur Morgen - zeit ſich in die vom Geſinde offen gelaſſenen Hausthüren ſchleichen,184 und, während das Geſinde auf dem Gange zum Bäcker oder ſonſt innerhalb und außerhalb der Wohnungen beſchäftigt iſt, und die Herrſchaft noch im Bette liegt, aus den Zimmern, oft auch mit Makkenen ſtehlen. 1)Jm verfloſſenen Winter wurden hier in Lübeck ſogar mehrere mal hintereinander Theekeſſel mit dem ſiedenden Waſſer vom Feuerherd, in verſchiedenen Straßen, geſtohlen.Beſonders operiren die Zefirgänger, welche wie alle profeſſionirte Kittenſchieber mit leichtem Fußzeug bekleidet ſind, in Gaſthöfen, namentlich zur Meßzeit oder Badezeit. Jn der frühen Morgenzeit iſt in den Gaſthöfen die wenigſte Con - trole. Somit gelingt es dem Zefirgänger leicht auf einen Corridor zu gelangen, und entweder an eine Thür, wo ein Maſſematten baldowert iſt, oder an die erſte beſte Thür anzuklopfen. Erfolgt kein Hereinruf auch auf das wiederholte Anklopfen, ſo öffnet er die Thüre und tritt mit leiſem Morgengruß herein. Den Blick beſtändig auf den Schlafenden gerichtet und mit gedämpfter Stimme den Morgengruß wiederholend, rafft er Geld, Uhr, Ringe, Bruſt - nadeln, welches der Reiſende gewöhnlich auf dem Tiſche neben dem Bette liegen hat, zuſammen, durchſucht auch die Kleidungs - ſtücke, auch wol die offene Schreibklappe oder Kommode, und geht, rückwärts, langſam und mit beſtändigem Morgengruß und Blick auf den Schläfer aus dem Zimmer, deſſen Thür er jedes mal wieder in die Falle klinkt. Der Reiſende, der etwa im Halb - ſchlummer und bei herabgelaſſenem Rouleau den Eintretenden hört, iſt gewohnt, daß früh morgens der Hausknecht die Kleider zum Reinigen abholt und wiederbringt2)Jn Privatwohnungen figuriren die Kaudemgänger vielfach als Stiefel - putzer mit Klopfſtock und Bürſte in der Hand. Dabei ſtehlen ſie den im Hauſe ſchon befindlichen wirklichen Stiefelputzern die oft nachläſſig auf den Hausfluren und Vorplätzen abgelegten Stiefel und Kleidungsſtücke, und fallen auf der Straße nicht beſonders auf, da früh morgens manche Leute der Art in den Straßen zu finden ſind., weshalb er meiſtens unbekümmert um die eintretende und dreiſt guten Morgen wün - ſchende Perſon bleibt. Jſt der Reiſende wach, und fragt er nach dem Begehr des Eingetretenen, ſo gibt er ſich für einen beſtellten185 Barbier, Leichdornſchneider, Lavementſetzer, Zahnarzt u. dgl. aus, und führt auch wol deshalb Scherbeutel, Beſteck oder Spritze bei ſich. Vielfach figuriren Frauenzimmer als Zefirgängerinnen, da nicht leicht von einem vorübergehenden Kellner oder Fremden angenommen wird, daß ein Frauenzimmer, ohne beſtellt zu ſein, zu ſo früher Zeit in ein Fremdenzimmer tritt, namentlich wenn ſie die Attribute einer helfenden Kunſt halb verhüllt blicken läßt, oder wo die Liederlichkeit eines Orts oder die Schamloſigkeit eines Wirths ſoweit gerathen iſt, daß feile Dirnen ungeſcheut in die Fremdenzimmer gehen und ſogar ſich anbieten dürfen. Unglaub - lich iſt es, wie beſtändig und wie viel durch das Zefirhalchenen in Gaſthöfen geſtohlen wird, und wie die Sorgloſigkeit der Wirthe ſo wenig auf den Ruf ihrer Gaſthöfe, auf den ſie ſonſt ſo über - aus eiferſüchtig ſind, in dieſer Beziehung Rückſicht nimmt, und ſo wenig für den vollſtändigen Schutz des Gaſtes thut. Die ge - druckten Affichen in den Gaſtzimmern, mittels welcher der Wirth ſich von ſeiner Haftung aus dem receptum cauponis bequem zu befreien ſucht, indem er ſich als beſonderer Depoſitar anbietet und nur als ſolcher haften will, können ihn rechtlich nicht von der all - gemeinen Haftung befreien, da der Gaſt ihm nicht allabendlich im Nachtkleide auch ſeine ihm für die Nacht unentbehrliche Uhr, oder ſeinen Geldbeutel und andere Werthſachen übergeben und von ihm einen Empfangſchein dafür fordern kann. Eine eigene ſichere Wache auf mindeſtens jedem Corridor, und die ſtrenge Ver - pflichtung derſelben, jeden einlaßbegehrenden Fremden zu beob - achten und dem Jnhaber des Zimmers zu melden, dürfte ſchon beſſere Abhülfe gewähren, und namentlich gegen die Gauner ſchützen, welche verkappt in demſelben Gaſthof logiren, des Nachts oder früh morgens Beſuche abſtatten und ſogar dabei den Nach - ſchlüſſel anwenden, wie das die Erfahrung häufig gezeigt hat. Am ſicherſten iſt es in Gaſthöfen, die Stube von innen abzu - ſchließen, den Schlüſſel im Schloſſe ſtecken zu laſſen und durch die Reithe des Schlüſſels die Spitze des mit einem Bindfaden an den Thürgriff zu befeſtigenden Stocks oder Schirms zu ſtecken, damit nicht der Schlüſſel von außen her mit einem Echeder oder186 einem gehärteten hohlen, inwendig ausgezahnten Schlüſſelrohr, das von den Makkenern feſt auf den Knopf des von innen ein - ſteckenden Schlüſſels geſetzt wird, herumgedreht und aus dem Schlüſſelloch in das Zimmer geſtoßen werden kann, um dem Klamoniſſ Platz zu machen. Hirt1) Der Diebſtahl, deſſen Verhütung und Entdeckung , ſ. d. Literatur. empfiehlt, S. 107 ſeines trefflichen Werkchens über den Diebſtahl, den auf Fußreiſen in zweifelhaften Dorfgaſthöfen logirenden Reiſenden, einen eiſernen Keil und eiſernen Winkel mit Schrauben zum Anſchrauben an Stubenthüren, welche kein Schloß und Riegel haben. So zweck - mäßig dieſe Vorrichtung auch erſcheint, ſo umſtändlich iſt doch immer die Anfertigung und der Transport. Ohnehin iſt man nicht vor der Reiſe von der Nothwendigkeit ihrer Anwendung unterrichtet, um dieſe Dinge anfertigen zu können, und zum Jm - proviſiren von Verſchlüſſen oder Mitteln zum Wecken iſt in jeder Lokalität genug Gelegenheit vorhanden, wie man ja denn durch Verſetzen der Thüre mit Stühlen, einer Bank, die man mit dem Schnupftuch oder einem Band oder Riemen feſt an den Thür - griff bindet, und vielleicht eine Flaſche oder Waſchſchale auf Stuhl oder Bank ſtellt, um durch deren Herabfallen aus dem Schlaf geweckt zu werden, ſeine Beſorgniß als Fußreiſender einigermaßen beſchwichtigen kann. Will man eine einfache mechaniſche Vor - richtung für aus - und einſchlagende Thüren, ſo genügen zwei eiſerne Ringſchrauben von der Geſtalt und Größe nachſtehender Figur:

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die man das Stück für einen halben Silbergroſchen in jedem Eiſenwaarenladen und ſogar bei jedem Landkrämer vorräthig findet, und in der Weſtentaſche oder am Schlüſſelbunde bequem führen kann. Die eine Schraube wird in die Thürzarge, die andere nahe dabei in die Thür ſelbſt geſchroben, und durch beide ein ſtarker187 Bindfaden gezogen. Fürchtet man ein Zerreißen oder Durch - ſchneiden des Bindfadens, ſo biegt man durch die eine Schraube einen kleinen eiſernen Haken, der bei einſchlagenden Thüren als Riegel ſich ſteift, bei ausſchlagenden Thüren als Haken bindet. Jedenfalls iſt dieſe Vorrichtung viel leichter herzuſtellen und auch behender zu transportiren, als die von Hirt vorgeſchlagenen eiſernen Keile.

Vierundſunſzigſtes Kapitel. 2) Die Erefgänger.

Die Erefhalchener1)Von〈…〉〈…〉 (erew), Abend und〈…〉〈…〉 (halach), gehen., Erefgänger, Erefhändler oder Tchilleshalchener2)Von〈…〉〈…〉 (techillo), der Anfang, nämlich des Abends, der Nacht., Tchillesgänger, Tchilleshändler ſind Kittenſchieber, welche zur Abendzeit in die Häuſer ein - ſchleichen. Mit Eintreten der Dunkelheit pflegt man vorſichts - halber die am lichten Tage bewachten und leicht zu beaufſichtigenden Hausthüren mindeſtens in die Falle zu legen, und ſich bei Ein - tritt eines Fremden auf die Hausthürglocke zu verlaſſen. Eine Hauptaufgabe und Uebung der Erefhalchener iſt daher, die Haus - thür ſo leiſe und vorſichtig zu öffnen, daß der oben an der Haus - thür befindliche eiſerne Arm an der in ſchwingender Feder hän - genden Hausthürglocke vorbeiſtreicht, die Glocke langſam zur Seite biegt, und daß nach Vorüberführen des Armes die Thür mit dem Arm gegen die Glocke gedrückt wird, um die beim Abgleiten des Armes entſtehende Schwingung der freigewordenen Glocke zu ver - hindern. Bei der ſchlechten Beſchaffenheit und Befeſtigung der in den Läden feilgehaltenen Glockenfedern iſt das geſchickte un - hörbare Oeffnen der Hausthüren auf dieſe Weiſe mit nur ge - ringer Uebung zu erlernen. Auch wird dies Oeffnen noch ſehr dadurch erleichtert, daß der Erefhalchener mit dem Stock unten in die Glocke faßt, ſie auf die Seite drückt und dadurch auch ihren188 Schall dämpft. Um dieſem Kunſtgriff zu begegnen, hat man die Federn von Hausglocken in einem platten Schlokaſten, über wel - chem die Glocke feſtſteht, ſo angebracht, daß die Feder in einen hervorragenden Arm ausläuft, der von einem andern an der Hausthür befeſtigten Arm geſtreift und zum ſtarken einmaligen Zurückſchlagen an die Glocke gebracht wird. Allein auch dieſe Vorrichtung reicht nicht aus, da der Federarm am Schloſſe mit einem Draht oder Stockhaken gefaßt und nach Oeffnen der Thür langſam zurückgeſetzt werden kann, ſodaß die Feder nicht auf die Glocke ſpringt. Aber auch abgeſehen hiervon gibt dieſe Vorrich - tung immer nur einen einzigen, häufig auch noch mit dem Stocke zu dämpfenden Klang, der namentlich bei dem Geräuſch eines vorüberfahrenden Wagens oder bei ſonſtigem Lärmen ſehr leicht überhört werden kann.

Zur weitern Vorſicht pflegt man abends die Hausthürkette überzulegen, um das willkürliche und heimliche Eintreten in das Haus zu verhindern. Dieſe Ketten haben ſoviel Spannung, daß ſie eine Bewegung der Hausthür zulaſſen, damit die Hausthür - glocke zum Klingeln gebracht werden und der Eintretende ſich bemerk - lich machen kann. Häufig ſind dieſe Ketten an ſich ſo ſchwach oder ſo ſchwach befeſtigt, daß ſie bei einem feſten Drucke nachgeben; auch laſſen ſie ſich oft mit der durchgeſteckten Hand abhaken, oder ſind zu lang, ſodaß eine ſchlanke oder kleine Perſon behende unter der Kette weg durch die klaffende Thür in das Haus gelangen und die Kette von innen abhängen kann. Man findet deshalb, daß die meiſten Tchillesgänger junge Dirnen und Buben ſind, die übrigens auch vielfach von Erwachſenen zum bloßen Durchkriechen und Abhängen der Kette verwandt und dann fortgeſchickt werden. Sehr oft werden dieſe Kinder aber auch unter die Ketten durch - geſchoben, um zunächſt zu erkunden, ob und welche Perſonen zu Hauſe ſind, und ob mit oder ohne Gewalt ein Diebſtahl aus - zuführen iſt. Die Anweſenheit ſolcher Kinder hinter zugehängten Hausthüren erheiſcht daher ſtrenge Aufmerkſamkeit. Bei einem Aufſtoß geben ſich die Tchillesgänger meiſtens für verſchämte Arme aus, oder fragen nach einem Rechtsanwalt, einem Arzt,189 einer Hebamme, irgendeinem Beamten, Geiſtlichen u. ſ. w., und ſind keck und verwegen genug, wie die Zefirgänger auf das Ge - rathewohl an Stuben - und Küchenthüren zu klopfen, und, wenn keine Antwort erfolgt, einzutreten und zu ſtehlen. Die bewährte - ſten Jndicatoren an Hausthüren werden dadurch hergeſtellt, daß man zwei hölzerne Scheiben von 6 8 Zoll Durchmeſſer mit 4 6 Zoll langen Stäbchen zu einem Cylinder verbindet, in den man einige gegoſſene Metallſchellen legt, den Cylinder über eine Welle ſteckt und eine an der Hausthüre befeſtigte Lothſchnur über den Cylinder laufen läßt. Bei jeder noch ſo langſamen Be - wegung der Hausthür rollen die Schellen durcheinander und machen ein lebhaftes Geräuſch, das dann erſt beſonders laut wird, wenn die Schnur bei der Hausthür abgeſchnitten werden ſollte, wogegen man ſich übrigens durch ein Drahtende an der Haus - thür verwahren kann. Dieſe Schellencylinder haben noch den Vortheil, daß ſie nicht unmittelbar an der Hausthür, wo ſie mit einem Haken oder Stock gehalten werden könnten, befeſtigt zu werden brauchen, ſondern weit nach der Mitte und hinten im Hauſe, oder durch Vermittelung von Rollen in jedem andern Theile eines Gebäudes angebracht werden können. Ueberdies läßt ſich die Lothſchnur, falls am Tage das Schellengeräuſch läſtig ſein ſollte, beliebig abhängen, und abends, oder wenn es gilt, wieder überlegen.

Fünfundfunfzigſtes Kapitel. 3) Die Kegler.

Eine beſondere Art der Kittenſchieber ſind ferner die Kegler, richtiger Gacheler, Gachler1)Das Wort iſt wol nur von dem hebräiſchen Stammwort〈…〉〈…〉 (gachal), er hat Feuer angezündet, wovon〈…〉〈…〉 (gecholim), brennende Kohlen, abzu - leiten; im Niederdeutſchen iſt der Ausdruck kakeln, mit Licht oder Feuer ka - keln, für ſpielen mit Licht, leichtfertig mit Feuer umgehen , ſehr gebräuchlich. Von den Schriftſtellern über Gaunerthum hat nur Falkenberg, a. a. O.,, auch Gackler, Kakler, die190 beſonders in die Küchen und Domeſtikenſtuben zu gelangen ſuchen, um das dort von den Domeſtiken nach dem Frühſtück, Mittags - oder Abendeſſen zum Reinigen hingelegte Silbergeräth zu ſtehlen, während die Bedienung noch mit dem Abhub in den Speiſezim - mern oder ſonſt außerhalb der Küche beſchäftigt iſt. Da offenbar hier faſt immer eine Nachläſſigkeit der Bedienung zu Grunde liegt, ſo muß darauf gehalten werden, daß der Domeſtik, dem das Silbergeräth anvertraut iſt, daſſelbe nicht aus den Augen läßt, bis er es gereinigt und an ſeinen angewieſenen Ort aufbe - wahrt hat.

Sechsundfunfzigſtes Kapitel. 4) Die Merchitzer.

Die verwegenſte Art der Kittenſchieber ſind die Merchitzer (von Merchaz, das Waſchen, die Wäſche, und dies von〈…〉〈…〉 [rachaz], er hat gewaſchen), auch Margitzer, Marchetzer, das heißt Hauseinſchleicher, welche ſich durch das ganze Haus hinauf - ſchleichen bis auf die Böden, wo ſie vorzüglich die zum Trocknen aufgehängte Wäſche ſtehlen. Gewöhnlich wird die vorn an der1)I, 74 fg., den Begriff Kegler mit ſpeciellem Bezug auf das Einſchleichen in die Küchen richtig aufgefaßt. Der Ausdruck Gackler mag vielleicht auch der Anlaß ſein, daß der Suppenlöffel mit den kleinern Eßlöffeln in der Gauner - terminologie als Glucke mit Kücken (Küchlein) bezeichnet wird. Die Kitten - ſchieber jedoch, welche in Cafés, Reſtaurationen und Wirthshäuſern für den Fall einer Viſitation, die von ihnen geſtohlenen Löffel, Meſſer und Gabeln mit einem Stück weichen Wachſes oder einem Streifen Pech - oder Heftpflaſter unter die Tiſchplatten oder Stuhlpolſter kleben, um ſie bei ſpäterm Wieder - kommen mitzunehmen, dürften jedoch wol nicht zu den Keglern zu rechnen ſein. Das Ankleben ſolcher geſtohlenen Sachen kann ſchon unbeſehens durch Rücken der nicht mit Rollen verſehenen Tiſche, oder durch einen Fauſtſchlag auf den Tiſch entdeckt werden, wobei die angeklebten Sachen leicht herunterfallen. Ueberhaupt möchten ſich aber auch ſchon in dieſer Rückſicht durchſichtige Rohr - geflechte auf Stühlen und Wandbänken in Cafés empfehlen.191 Treppe hängende Wäſche an ihrem Platz gelaſſen, damit man die hinten weggeſtohlene Wäſche nicht ſogleich vermiſſen kann. Die geſtohlene Wäſche wird in Bettſäcke gepackt und vom Merchitzer rückwärts die Treppe hinuntergetragen, damit er bei einem Auf - ſtoß ſogleich die Treppe hinaufſteigen kann, als ob er einen Packen bringen wolle1)Nur in Bezug auf dieſe Weiſe über die Treppen zu gehen und aufzu - halten wird der Kittenſchieber auch Hockweiler genannt. Eine eigene Klaſſe von Kittenſchiebern bilden aber die Hockweiler nicht. Einen pikanten Kitten - ſchub verübte einmal der Gauner William Getting bei einem Arzte in Wils - Cloſe. Getting hatte ein koſtbares Bett aus einer Bodenkammer des Arztes zuſammengepackt und fiel damit die Treppe hinunter. Er hatte, obgleich ſchmerzhaft gequetſcht, die Geiſtesgegenwart, dem mit ſeinem Sohn auf das Geräuſch herbeieilenden Arzte ein Compliment von einem Mr. Hugh Hen aus - zurichten, um ein Packet im Hauſe des Arztes einzulegen, wurde aber von dem Arzte, der den Mr. Hen nicht kannte, in vollem Zorne zur Thür hinaus - gewieſen, nachdem der Arzt dem Gauner den ſchweren Packen noch auf die Schulter geholfen hatte. Vgl. Smith, Straßenräuber , S. 567. fg., wobei er denn auch nach irgendeinem Namen fragt und ſich als irre gegangen gerne zurecht und aus dem Hauſe weiſen läßt. Jn den Bettſack wird denn auch alles mit hinein - gepackt, was im Hauſe dem Merchitzer ſich darbietet und der Mühe verlohnt. Die höchſt verwegene Art, das ganze Haus zu durchgehen bis auf den Boden, hat den Namen Merchitzer zu einem allgemeinen Ehrennamen gemacht, mit welchem der Gauner jeden raffinirten und beſonders geſchickten Genoſſen belegt, wenn er auch nicht ſpeciell das Wäſcheſtehlen betreibt. 2)Daher im norddeutſchen Volksmunde, zur Bezeichnung vorzüglicher Befähigungen und Eigenſchaften, die Redensart: Der (das) hat ſich ge - waſchen , das heißt, der iſt ganz vorzüglich, tüchtig, gerieben.

Wie endlich der Kittenſchub, je nachdem er in der Stadt oder auf dem Lande gehalten wird, als Kittenſchub in Mokum, oder auf der Medine unterſchieden wird, ſo gibt es auch Kaudem - halchener, Zefirgänger, Tchilleshalchener, Erefgänger und Kegler in Mokum oder auf der Medine, je nachdem zur Morgen - oder Abendzeit in der Stadt oder auf dem Lande, in einer oder der andern Weiſe, Kittenſchub gehalten wird. Jm Uebrigen192 vergleiche Kap. 68, vom Stradehalten, und S. 121: Schuck - abhalten, ſowie das Wörterbuch.

Siebenundfunfzigſtes Kapitel. d) Das Schottenfellen.

Schottenfellen (Schautenfällen) von〈…〉〈…〉 (schoto), närriſch werden, wovon Schote, Schaute, der Narr, und dem wahrſcheinlich aus dem Lateiniſchen fallere herzuleitenden fällen1)Vgl. Stieler, Sprachſchatz , S. 424 u. 425, und Schottelius, a. a. O., S. 1312. (wovon Falle), herabwerfen, fangen, betrügen, alſo eigentlich Narren - betrug iſt das Stehlen von Waaren aller Art2)Thiele, a. a. O., I, 87, beſchränkt irrig das Schottenfellen auf die Entwendung von Schnittwaaren. Aber auch das Stehlen von allen andern Waaren, Gold - und Silberſachen, kurzen Waaren, Lebensmitteln u. ſ. w. aus Läden und Buden iſt Schottenfellen, wenn es im Laden vor den Augen des Verkäufers während des Behandelns geſchieht. Falkenberg, a. a. O, I, 48, Kap. 3, von Marktdieben, hat dieſe Beſchränkung nicht, ſon - dern bezieht das Schottenfellen auf das allgemeine Stehlen von Waaren auf Jahr - und Wochenmärkten, beſonders in Kaufmannsläden. Derſelbe führt auch noch die im Publikum gebräuchlichen, jetzt veralteten oder nur noch an einzelnen Plätzen üblichen bezeichnenden Ausdrücke Weiskäufer und Frei - käufer für Schottenfeller an, welche jetzt in der Ueberſetzung Lowenſchurer unter den Gaunern aufkommen; vom Jüdiſch-Deutſchen lowon, weiß, und dem Zigeuneriſchen tschorr, Dieb. in offenen Han - delsläden, Gewölben, Buden, Boutiquen vor den Augen des Verkäufers und während des Beſehens und Behandelns von Waaren; Schottenfeller, der Dieb, der auf die angegebene Weiſe ſtiehlt.

Das Schottenfellen iſt eine ſchwere Steuerauflage, unter deren Druck die Kaufleute und Detailiſten ganz außerordentlich leiden. Die jährliche Ausbeute der Schottenfeller iſt ungeheuer, obſchon die von den Schottenfellern mit dem keineswegs ſchmeichelhaften Namen Schaute belegten Kaufleute ungern geſtehen mögen,193 daß ſie in ihrer unmittelbaren Gegenwart und vor ihren Augen ſo arg beſtohlen werden, wobei ſie den unleugbar vorhandenen Lagerdefect bei der Jahresinventur auf jegliche andere Urſache ſchieben, als auf das Schottenfellen. 1)Oft haben mir Kaufleute mit großer Zuverſicht ausgeſprochen, daß es ganz unmöglich ſei, in ihrem Laden beſtohlen zu werden, da ſie mit ihren Commis beſtimmte Zeichen verabredet hätten, um gegenſeitig die beſondere Auf - merkſamkeit auf verdächtige Jndividuen zu lenken. Dahin gehört das Zurufen einer ſcheinbaren Packſignatur, wie z. B. D. C. S. Die Canaille ſtiehlt! oder P. A. D. C. Paß auf die Canaille! u. dgl. Aber die raffinirten Schottenfeller geben ſich gerade das unverdächtigſte Aeußere, wiſſen ſehr genau, was alle jene Zurufe zu bedeuten haben, und verdoppeln dabei nur ihre Ge - ſchicklichkeit erſt recht aus Uebermuth.Kein Jnduſtriezweig des Gaunerthums hat ſich in das Handelsleben ſo tief und unſchein - bar eingebürgert wie das Schottenfellen, das ebenſo gut unter der Maske einer ſchlichten Bürgerfrau und manierirten Gouvernante betrieben wird, welche Leinwand zu einer Schürze oder ein ſeidenes Kleid kaufen, als von der Baronin oder dem Grafen, welcher in der Equipage vorfährt und um die theuerſte Waare handelt. Das Schottenfellen hat keinen ſichtbaren techniſchen Apparat, keine Ge - waltthätigkeit, keine andere Manipulation als das geſchickte, heim - liche Verſchwindenmachen unter dem Gange des alltäglichen Scheins, Geſprächs und Handelns. Dieſer Umſtand gerade iſt es, der dem Verkäufer noch immer Vertrauen zu rechtlicher Kund - ſchaft und dem Schottenfeller ſo große Sicherheit gibt, daß er ſchon bei einiger Uebung und Erfahrung den Vertuſſer oder Schre - kener ganz beiſeite läßt, und auf eigene Hand und Gefahr Schätze aus den Läden hebt, die in das Unglaubliche gehen, und von deren Größe man eine Ahnung bekommen kann, wenn man auf die Spottpreiſe ſieht, für welche eine Unzahl der verſchieden - ſten Waaren aus den Läden wie auf der Hauſirkarre, unter der Hand, durch beſondere Gelegenheit, unter Einkaufspreis, im Ausverkauf, als Bergegut, aus Aſſecuranzauction , oder wie ſonſt die Redensarten lauten, verkauft wird.

Beſonders wird von Frauenzimmern das Schottenfellen be -Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 13194trieben. Die meiſten weiblichen Gauner ſind Schottenfellerinnen. Doch vernachläſſigen die Männer keineswegs dies ergiebige Ge - werbe. Gewöhnlich geht der Schottenfeller in Begleitung eines oder mehrerer Genoſſen in die Läden. Der Routinirte iſt ſich indeſſen ſelbſt genug. Sein Aeußeres iſt mindeſtens ehrbar und anſtändig. Er begehrt dies oder jenes zu kaufen, läßt ſich vom Kaufmann die Waaren in verſchiedenen Qualitäten und Muſtern vorlegen, prüft, macht Ausſtellungen, lobt, handelt, kauft, und bezahlt auch etwas, verlangt noch mehr, und beſchäftigt die Auf - merkſamkeit des Verkäufers, der ſich bei Vorlage der verſchiedenen begehrten Waaren von einem Waarenfache zum andern tummeln, bald ſich bücken und bald dem Käufer den Rücken zuwenden muß. Dieſen Moment nimmt der Schottenfeller wahr, um unvermerkt Waaren vom Ladentiſch in ſeine Taſche gleiten zu laſſen, was um ſo unvermerkter und leichter gelingt, je mehr er den Tiſch zwiſchen ſich und dem Verkäufer voll Waaren hat aufhäufen laſſen.

Zum Verbergen der Waaren an ſeinem Leibe hat der mit einem Mantel, Sackrock, Paletot, oder langem Ueberrock bekleidete Schottenfeller in dem Unterfutter des Bruſttheils und der Schöße ſeiner Oberkleidung weite und lange Taſchen (Golen, Fuhren) in welche ſich eine Menge Packete verbergen laſſen. Um das ſchwere Herunterhängen der Oberkleidung zu vermeiden, wodurch Verdacht entſtehen könnte, fangen die Schottenfeller an, wie die Matroſen, um den Leib einen Gurt mit einem kleinen Ringe an der Seite zu tragen, in den ein an der Taſche befindlicher Haken gehängt wird, ſodaß der Rock frei und leicht herunterfallend bleibt und vorne ſogar aufgeknöpft werden kann, wenn auch die Taſche ſchwer gefüllt iſt. 1)Somit braucht der Vertuſſer nicht mehr wie früher hinter oder zur Seite des Schautenpickers zu gehen, um ſeine bauſchende und hängende Ober - kleidung vor den Augen des Nachblickenden zu verdecken. Dieſe früher durch - gehends gebräuchliche Weiſe, welche zu bekannt und daher zu gefährlich geworden iſt, mag beſonders auch darum abgeſchafft ſein, weil bei der Kennt -Die weibliche Kleidung iſt noch geeigneter,195 ſolche Golen zu verbergen. Gewöhnlich werden zwei Unterröcke zur Gole zuſammengenäht und vorne im faltenreichen Oberkleide und im Unterrocke wird ein langer Schlitz gelaſſen, um die Waare einſtecken zu können. Doch tragen auch erfahrene Weiber, beſon - ders wenn ſie Nachjagd fürchten, ſehr häufig eine eigene ſackartige, aus einer doppelten Schürze zuſammengenähte, mit einem Schlitz und oben mit einem ſtarken Bande zum Vorbinden um den Leib verſehene Gole, weil dieſe den Vortheil hat, daß ſie raſch abge - worfen, verſarkent werden kann, wenn die Schottenfellerin ſich bei Verdacht oder Verfolgung koſchern will. Meiſtens figuriren die Schottenfeller als Standesperſonen, laſſen die behandelten Waaren, von denen ſie häufig, namentlich wenn ſie meinen, ver - dächtig angeſehen zu werden, einen Theil bezahlen, zur Aufbe - wahrung bis auf den andern Tag, oder zur Abſendung in einen anſtändigen Gaſthof zurück, entfernen ſich mit aller Unbefangen - heit, verſprechen das Geld dem Ueberbringer der Waaren im Gaſt - hofe auszuzahlen, und erſuchen dazu immer, eine quittirte Rech - nung mitzuſchicken.

Um ganz ſichern Vertuſſ, namentlich in größern Handlungen, zu machen, wo mehrere Verkäufer hinter dem Laden ſtehen, geht der Schottenfeller mit einem Chäwer, zu dem auch, je nach Ge - legenheit, noch ein dritter oder vierter nach und nach, wie durch Zufall, hereintritt, ohne daß einer die Bekanntſchaft mit dem andern irgendwie verräth, in den Laden. Bei dieſer Verbindung macht der eine den Vertuſſ, indem er des Kaufmanns Aufmerkſamkeit feſſelt, weshalb er auch Vertuſſer oder Schrekener1)Die Ableitung bei Thiele, I, 299, von〈…〉〈…〉 (sorak), werfen, iſt nicht richtig. Vgl. oben das Zinkenen, Kap. 13. Auch wird das Zeitwort ſri - kenen niemals als Tranſitivum gebraucht; vgl. Thiele, S. 311, ſowenig wie der Gauner ſagt: Jemanden vertuſſen., Sri - kener, Schmuſer (Sprecher) genannt wird, während der Be -1)lichkeit des gelungenen Diebſtahls die Schottenfeller gewöhnlich ſogleich von Schärfenſpielern und Brennern auf zudringliche Weiſe beläſtigt und der Gefahr ſofortiger Entdeckung ausgeſetzt wurden.13 *196gleiter als Schautenpicker1)Von Schaute, Narr (ſ. oben), und picken oder bicken, aufpicken, wie die Vögel die Körner aufpicken, eſſen, verſpeiſen, genießen. handelt, d. h. die zur Hand liegenden Waaren ſtiehlt und verbirgt. Hat der Schautenpicker den Maſſe - matten gehandelt, ſo gibt er dem Schrekener einen Zink, worauf ſich beide auf gute Manier entfernen. Vielfach nehmen die Schot - tenfellerinnen außer männlicher Begleitung auch wol eine Geſell - ſchafterin, Kammerjungfer, oder am liebſten eine als Amme coſtü - mirte Genoſſin mit einem Kinde zum Vertuſſen mit. Die Amme hat häufig die Aufgabe, durch geheime Mishandlung das Kind zum Schreien zu bringen, damit die Aufmerkſamkeit des Verkäu - fers auf Kind und Amme gerichtet wird und die angebliche Herr - ſchaft unterdeß als Schautenpicker agiren kann. Das ſpielende oder weinende Kind wird von der Amme tändelnd auf den Laden - tiſch geſetzt, wo es mit ſeinem langen Kleide ein Waarenpacket bedeckt, das dann mit dem Kinde aufgenommen und von deſſen weiten Kleide vollkommen bedeckt wird. Auch größere Kinder werden zu Unarten, Albernheiten und Unfug abgerichtet, um da - durch Vertuſſ zu machen. Von der Schottenfellerin wird auch wol in gleicher Abſicht eine verabredete Ohnmacht affectirt, wie denn die Verſchlagenheit der Gaunerei unzählige Situationen her - beizuführen und auszubeuten verſteht, die immer neu und originell ſind. 2)Zu den ſchon früher angeführten Beiſpielen nur noch einen Zug von einer der größten Gaunerinnen, die mir bisjetzt vorgekommen ſind. Jn einer bedeutenden Seidenhandlung hatte ſie einmal als Baroneſſe n für nahe an 300 Thaler gekauft, eine Kleinigkeit bezahlt, und gebeten, die Waaren bis zum andern Tage zurückzulegen, wo ſie mit ihrem Manne, dem Baron, kommen und bezahlen wolle. Andern Tags kam ſie allein wieder, gab vor, daß ſie noch einiges kaufen wolle, ehe ſie morgen mit dem Baron komme, und erhandelte noch ſo viel, daß die Rechnung auf 300 Thaler completirt wurde. Bei dieſem letztern Beſuche däuchte es dem Kaufmann, als ob die Baronin ein Packet Seide unter dem Mantel habe. Er faßte die Dame ſchärfer ins Auge, und da einer der Ladendiener auch einige auffällige Bewegungen in der Haltung der Käuferin bemerkt hatte, näherte ſich dieſer derſelben ſogar mit vorſichtiger Betaſtung ihres Mantels. So heimlich dies auch geſchah, ſo entging es doch der Käuferin nicht. Mit Empfindlichkeit redete ſie den Kaufmann an: JchKleinere Packete werden auch in die wie unabſichtlich197 auf den Ladentiſch gelegten Muffe, oder in Schachteln und Körbe mit doppeltem Boden geſteckt. Auch werden in den gegen die Ladentiſche geſetzten Regenſchirmen, ſeitdem ſtatt der äußerlichen runden Schiebringe zum Zuſammenhalten des Schirms, oben unter die Griffe Schnappfedern angebracht ſind, welche in den Schieber ſpringen und das Auseinanderfallen des Schirms verhindern, während der ſchlotternde Ueberzug eine Menge faltiger Diebs - taſchen bildet, unglaublich viel Waaren weggetragen, wie mir denn ein Fall vorgekommen iſt, in welchem eine Schottenfellerin zwei ganze Stücke Wollmuſſelin, jedes von einigen dreißig Ellen, in ihrem Regenſchirm aus einem Ausſchnittladen davongetragen hatte. Die neuere Mode der weiten Rockärmel, mit locker gehef - teten weiten Manſchetten, dient ebenfalls den Schottenfellern zu geheimen Taſchen für kleinere Waare, namentlich Gold - und Silberſachen. Zu gleichem Zwecke dienen kleinere Taſchen inner - halb der Halsbinden, unter dem Rockkragen, innerhalb der Weſte, hinter dem Vorhemde, und zwiſchen den gefütterten Hoſenträgern. Kleinere werthvolle Gegenſtände werden von Schottenfellerinnen auch wol heimlich auf die Erde geworfen, mit den Zehen geſchickt gefaßt und in den Schuh gelegt. Viele Schottenfeller beſitzen2)weiß nicht, wie man dazu kommt, mich ſo verdächtig zu betrachten und zu be - handeln. Sie ſind ſchon ein älterer Mann, und weil ich als Frauenzimmer mich offener gegen ſie ausſprechen kann, als gegen die anweſenden jungen Leute, oder in deren Gegenwart, ſo muß ich Sie bitten, mich in ein beſonderes Zimmer zu führen, wo ich mich offen gegen Sie ausſprechen werde. Der Kaufmann führte die Dame höflich in ein Zimmer, woſelbſt ſie ihm entdeckte, daß ſie ſich augenblicklich in einer Situation befinde, in der das Reißen einer Leibbinde ſie doppelt verlegen mache. Nach einem flüchtigen Arrangement er - bot ſich die Dame ihre Kleider viſitiren zu laſſen, hob einen Theil auf, reichte den abgenommenen Mantel dem Kaufmanne dar, der mit vielen Entſchul - digungen und unter Ablehnung der weitern Unterſuchung die Dame aus dem Hauſe begleitete, jedoch noch immer nicht den Argwohn unterdrücken konnte und kurze Zeit darauf die Hülfe der Polizei in Anſpruch nahm, die noch den - ſelben Abend ermittelte, daß die verſchlagene Schottenfellerin vor den Augen des Kaufmanns nicht nur das unter dem Mantel erblickte Stück Seidenzeug, ſondern auch drei verſchiedene andere Stücke Seidenzeug und ein ganzes Stück Mouſſeline de laine geſtohlen und in ihre Gole prakticirt hatte.198 auch die angeübte beſondere Geſchicklichkeit, mit einem zwiſchen die Schenkel geſteckten Packete nicht nur behende gehen, ſondern auch ſogar laufen zu können. Die Schottenfeller, welche auf dieſe Weiſe Waaren transportiren, werden Rachwener (Reiter) ge - nannt, von〈…〉〈…〉 (rachaf), er hat geritten.

Je lebhafter der Verkehr in einem Laden, je dichter das Ge - dränge vor Meß - und Jahrmarktsbuden iſt, deſto leichter gelingt es dem Schottenfeller, Waaren von den Verkaufs - und Schau - tiſchen herabzulangen und in die Gole zu ſtecken. Man kann nun vom Kaufmann, deſſen ganze Aufmerkſamkeit beim Verkaufe begreiflich nur eine ſehr materielle Richtung hat, nicht verlangen, daß er pſychologiſche Beobachtungen anſtellt: inzwiſchen muß ihm doch jeder geſchwätzige Fremde, der viel zu ſuchen und zu mäkeln hat, als verdächtig erſcheinen, namentlich wenn er die er - handelten Waaren nicht gleich bezahlt, ſondern zurücklegen läßt. Gewöhnlich zieht der Schottenfeller gleich anfangs, ſobald er ſich Waaren vorlegen läßt, den oft mit Kupfermünzen oder Jetons ſtark gefüllten Geldbeutel, und legt ihn auf den Ladentiſch, theils um mit einer wohlgefüllten Börſe zu prahlen, ganz beſonders aber, um nicht beim Hineingreifen in die Beinkleidertaſchen, wenn er etwas bezahlt, den Rock zurückſchlagen zu müſſen und die gefüllten Golen im Unterfutter zu zeigen. Meiſtens führen die Schottenfeller daher auch das Portemonnaie oder den Geldbeutel in der Bruſt - taſche, und das Hervorlangen deſſelben aus letzterer macht ſchon immer verdächtig. Die niedrigen, höchſtens 36 42 Zoll hohen Ladentiſche begünſtigen aber auch das heimliche Wegziehen der Waaren ungemein, indem mit Händen, Unterarm und Elnbogen beim Ueberbeugen über den Ladentiſch leicht ein Stück Waare zwiſchen die Schenkel, oder gar ſchon direct in die Gole des Schot - tenfellers geſchoben werden kann. Reichen die Ladentiſche nur etwas über die Elnbogenhöhe eines erwachſenen Menſchen hin - aus, was ohnehin das Bücken erſpart, und das Beſehen der Waare erleichtert, ſo kann der Unterarm nicht leicht ohne augen - fällige Bewegung des Oberarms agiren. Namentlich iſt dann der Mantel dem Schottenfeller hinderlich. Aus einer Erhöhung199 der Ladentiſche entſpringt für den Kaufmann die Bequemlichkeit, daß er unter ihnen weite und geräumige Fächer einrichten kann zur Aufnahme von Waaren, welche mit den in den hohen Wand - fächern gegenüber befindlichen correſpondiren, ſodaß er ſich nicht nach den Wandfächern umzudrehen braucht, ſondern das in letztern Bemerkte und Verlangte ſogleich auch unter dem Ladentiſch her - vorlangen kann, ohne den verdächtigen Käufer aus den Augen zu laſſen. Unerlaßlich iſt aber an Ladentiſchen die Anbringung eines Geſimſes, einer Leiſte oder eines kleinen Geländers von etwa 1 2 Zoll Höhe, auf der Seite, wo der Käufer ſteht. Die etwaige Unbequemlichkeit läßt ſich durch geſchmackvolle Zierlichkeit der Anlage ausgleichen. Der Schottenfeller hebt niemals ein Stück Waare vom Ladentiſch, ſondern bringt es mit der Hand oder dem Unterarm zum Gleiten auf der glatten Fläche, indem er es leiſe zupft oder ſchiebt. Jſt eine kleine Leiſte vorhanden, ſo muß er das Stück heben und ſeine Manipulation ſchon bemerkbarer machen. Sehr zweckmäßig iſt es, die Stücke aller weichen Stoffe, wie das meiſtens auch ſchon bei den franzöſiſchen Seidenſtücken geſchieht, auf dünne Bretchen oder ſtarke Pappen zu wickeln, weil dann die Stücke, anſtatt auf der Käuferſeite ſchlaff herunterzuhängen, beim Herab - zerren, der Steifigkeit wegen, aufſchlagen, und viel ſchwieriger vom Tiſch in die Gole zu bringen ſind. Paſſend an den Wänden an - gebrachte und nicht durch Waaren verdeckte Spiegel und Spiegel - ſtreifen, wie man ſolche mit Geſchmack und Geſchick in den Ge - ſimſen der Wandrepoſitorien anbringen könnte, ſodaß der Kauf - mann den Käufer mit ſeinen Bewegungen im Auge zu behalten vermag, wenn er ihm auch den Rücken zuwendet, dürften dem Kaufmann manchen Verluſt erſparen. Gardinen an Ladenfenſtern ſind geradezu Lockungen für Schottenfeller, die am liebſten ſolche Läden aufſuchen, deren Fenſter mit Gardinen und zur Schau ge - ſtellten Stoffen verdunkelt ſind. Erfahrene Kaufleute laſſen minde - ſtens die obere Hälfte der Fenſter frei, und hängen dabei nur dünne durchſichtige Stoffe nach oben. Wer übrigens ſeine Waaren auf der Käuferſeite, oft ſogar an, oder in und außerhalb der200 Thüre aufhängt, dem möchte es eine nicht unverdiente Strafe ſeiner Nachläſſigkeit ſein, wenn er beſtohlen wird. Die erfahrenen Schottenfeller wenden ſolchen bis zur Thür drapirten Läden mit beſonderer Vorliebe ihre Aufmerkſamkeit zu, nicht ſo ſehr um die draußen hängenden, oft unbedeutenden Waaren zu ſtehlen, als darum, weil ſie in dieſer Ausſtellung, oft wol nicht mit Un - grund, einen ſorgloſen Verkäufer erblicken, bei dem ſchon etwas zu unternehmen iſt. Jn der Meſſen - und Jahrmarktszeit, oder wo ein lebhafter Ladenverkauf iſt, lohnt ſich die Anſtellung eines Portiers und anderer Bedienung im Laden, zur Aufbewahrung von Schirmen und zu ſonſtigen Handreichungen auf der Käufer - ſtelle überreichlich, wie mir das auch ſchon mit Dank für den gegebenen Rath ausgeſprochen iſt.

Auch in Gold - und Silberläden, Conditorläden, Delicqteſſen - läden1)Namentlich von jungen Burſchen und Dirnen wird beſonders abends in der Meſſen -, Jahrmarkt - und Weihnachtzeit außerordentlich viel Naſchwerk geſtohlen, während mehrere zugleich in die Läden treten und für eine Kleinig - keit, dieſer das und jener etwas anderes, zu kaufen begehren. Mir ſind ganze Banden von Burſchen dieſer Art vorgekommen, die auch in die Jahr - marktsbuden geſchickt um die Ecken langen konnten, während der Genoſſe den Verkäufer mit dem Ankauf einer Kleinigkeit beſchäftigte. u. ſ. w. wird der Verkäufer hinter ſeinem Ladentiſche als Schaute behandelt und mit derſelben Frivolität und Virtuoſi - tät beſtohlen, wie in den Ausſchnittläden. Gewöhnlich bietet dabei des Abends die helle Erleuchtung der Läden Gelegenheit, den günſtigen Moment von außen durch das Fenſter zu erſpähen, bevor der Schottenfeller in den Laden tritt.

Achtundfunfzigſtes Kapitel. e) Das Chalfenen.

Chalfenen2)Vom hebräiſchen〈…〉〈…〉 (chalaf), er hat gewechſelt, vertauſcht, von Klei -, oder Chilfen und Chillefen, jüdiſch-deut - ſcher Ausdruck für wechſeln im gewöhnlichen guten Sinne, iſt in201 der Gaunerſprache das Stehlen von Geld bei einem Geldwechſel - geſchäft vor den Augen des Wechslers, entſpricht alſo dem Schot - tenfellen. Chalfan, Chalfen, Chilfer iſt der Wechsler, jedoch in der Gaunerſprache nur der Wechsler, welcher beim Wechſeln ſtiehlt, nicht etwa der beſtohlene Kaufmann oder der Bankier, obwol Chalfen im Jüdiſch-Deutſchen immer auch der Wechsler im guten Sinne iſt. Jn der deutſchen Gaunerſprache wird auch der Aus - druck Linkchalfenen, Linkchalfen gebraucht, wobei die Silbe link den Betrug, den Diebſtahl beſonders bezeichnet. Auch iſt der Ausdruck Linkwechſeln, Linkwechsler als deutſche Ueber - ſetzung von Chalfenen, Chalfen, unter den Gaunern gebräuchlich.

〈…〉〈…〉Das freche Manöver des Chalfen beſteht darin, daß er den Wechsler dahin bringt, ihm einen Haufen Geld, beſonders Gold, vorzulegen, aus welchem er vor dem Auge deſſelben heimlich Goldſtücke herausſtiehlt. Zu dieſem Zwecke geht der Chalfen als ehrſamer Landmann, Viehhändler, als anſtändiger Kaufmann, Offizier, Baron u. ſ. w., zum erkorenen Kaufmann an das Comp - toir oder vor den Laden, und bittet, ihm ein beſtimmtes Gold - ſtück, Dukaten, Louisdor, gegen Silbermünze, die er, oft mit dem Anerbieten eines guten Agios, ſofort aufzählt, wechſeln zu wollen. Eine beſcheiden und freundlich vorgebrachte Bitte ſchlägt man nicht füglich ab; der Kaufmann gibt das gewünſchte Stück Gold her, bei deſſen Anblick der Chalfen bittet, ihm doch ein anderes Gold - ſtück, etwa einen Jmperialen, Napoleondor, holländiſchen oder däniſchen Dukaten u. ſ. w., kurz ein Stück Gold von anderm Ge - präge als er erhalten hat, zu wechſeln. Der gefällige und arg - loſe Kaufmann durchſieht ſeinen Vorrath und ſchüttet die Kaſſe aus auf den Tiſch, um das bezeichnete Goldſtück zu ſuchen. Dies iſt gerade das, was der Chalfen will. Jm ſcheinbaren Suchen nach der verlangten Münze fährt er ſortirend und emſig forſchend im Goldhaufen mit dem Zeigefinger umher, und weiß durch raſches2)dern, Geld. Davon gechalfent, gewechſelt; einchalfenen, einwechſeln; ver - chalfenen, verwechſeln; Chalfan, Chalfener, der Wechsler; Chilluf, der Wechſel, der Tauſch; Chillufkeſſaf, der Wechſel, die Wechſelverſchreibung.202 und geſchicktes Schnellen ein Goldſtück nach dem andern gegen den Daumen, und mit Hülfe des letztern gegen den halb und beweglich gekrümmten Mittelfinger und ſodann unter den loſe geſchloſſenen vierten und fünften Finger zu bringen, welche die in die Hand geſchnellten Geldſtücke feſthalten. 1)Das Manöver, das eigentliche Stippen, iſt ganz einzig in ſeiner Art und gar nicht zu beſchreiben. Man hat früher wohl geglaubt, daß die Chalfen Pulver von Kolophonium oder Gummi arabicum in der Weſtentaſche führten, oder auch die Fingernägel eigenthümlich ſchnitten. Dem iſt aber nicht ſo. Die Finger ſind ganz frei und die Nägel gewöhnlich geſchnitten. Auch ſtiehlt der Chalfen nie ein Stück, das flach auf dem Tiſch liegt, ſondern immer aus dem Haufen, wo alſo das Geld hoch oder hohl liegt. Die ganze Fertig - keit beſteht in der Schnellkraft des Zeigefingers und des Daumens und in der helfenden Bewegung des Mittelfingers, welcher der nächſte eigentliche Empfänger des Geldſtücks iſt, und mit dem Daumen auf einen Moment zuſammenfällt. Nur ein einziges mal iſt es mir mit unſaglicher Mühe, und weſentlich durch Stimuliren der Eitelkeit eines gefangenen Chalfen gelungen, das Manöver zu ſehen, das mit Blitzesſchnelle geſchieht und außerordentliche Uebung erfordern muß. Merkwürdig iſt, daß man niemals von andern als jüdiſchen Chalfen hört. Es gibt Chalfen, die ſogar mit beiden Händen chalfenen können. Der 1707 zu London gehenkte John Hall chilfte in der Weiſe, daß er ſich gegen Goldſtücke kleine Silbermünzen geben ließ und beim Aufzählen der letztern mehrere Stücke in die flache Hand zu kleben wußte. Verſuche der Art ſind auch neuerdings vorgekommen und entdeckt worden.Uebung und Ge - ſchicklichkeit machen dies Manöver ſo behende wie unmerklich. Eine weſentliche Förderung dabei iſt aber die Stellung des Chalfen, der ſtets ſo ſich hinſtellt und die Hand ſo hält, daß der Be - ſtohlene ihm nicht in und unter die Hand ſehen, ſondern nur die obere Handfläche von der Seite des kleinen Fingers her überblicken kann. 2)Mir iſt ein Chalfen vorgekommen, der auf ſehr verwegene Weiſe in einem Materialwaarenladen hannöveriſche Thaler mit gutem Agio gegen klein Courant wechſelte. Der Kaufmann öffnete bereitwillig ſeine Kaſſenſchub - lade unter der Platte des Ladentiſches. Der Chalfen lehnte ſich über den breiten Ladentiſch hinweg über die offene Schublade und ſtahl, wie ſpäter her - auskam, in dieſer gewagten Stellung, in welcher der argloſe Kaufmann minde - ſtens doch den Daumen theilweiſe erblicken mußte, indem er ſich ebenfalls über die Schublade beugte, vier Thalerſtücke in einem Momente.Hat der Chalfen auf dieſe Weiſe geſtohlen, ſo leert er die Hand in eine Taſche, zum Schein nach der Börſe,203 der Uhr, Doſe, dem Taſchentuche oder dem Schnupftuch grei - fend. 1)Falkenberg, I, 64, erwähnt noch von eigenen Taſchen, innerhalb der Rockärmel, in welche die Goldſtücke geſchnellt werden. Dieſe Weiſe iſt jedoch unzuverläſſig und zu gewagt, auch deshalb wol nie recht in Gebrauch gekommen, wie das plumpe Hineinwerfen in Hut oder Stiefel; mindeſtens habe ich davon nie etwas ſelbſt erfahren oder geleſen.

So verwegen und gefährlich dieſer Diebſtahl iſt, ſo häufig gelingt und ſo gewinnbringend iſt er. Die Sicherheit des Chalfen wird aber noch geſteigert durch die leichte Möglichkeit ſich zu ko - ſchern, indem er das Geſtohlene dem Kaufmanne behende wieder zuplantet, d. h. wieder in den Geldhaufen fallen läßt, über wel - chem er die Hand hält, in dem Augenblick, wo der argwohn - ſchöpfende Kaufmann rückſichtslos und raſch die Hand des an - ſtändig gekleideten Fremden feſthält, welches das einzige, aber auch bei der angegebenen leichten Möglichkeit des Zuplantens ge - wagte und compromittirende Mittel iſt, den Chalfen zu entlarven, der ſonſt ſchon längſt fort iſt, wenn der Kaufmann ſeine Kaſſe überſchießt und ſeinen Verluſt bemerkt. Wird der Chalfen ange - halten, und kann er den Diebſtahl nicht verſtecken, ſo hat er in der Regel vergoldete Jetons zur Hand, die er dem Kaufmann vor die Füße oder gar ins Geſicht wirft, der nun lieber ſein Geld aufzuſammeln, als den ſich losreißenden und davoneilenden Chal - fen zu verfolgen ſucht.

Sieht der Chalfen, daß der Kaufmann eine Geldrolle zum Wechſeln anbricht, alſo die Stückzahl in der Rolle weiß, oder merkt er, daß der Kaufmann den Beſtand ſeines herbeigeholten Geldbeutels kennt, ſo bittet er ihn, das Geld zu zählen und ab - gezählt und eingeſiegelt für ſeine Rechnung bis zum andern Tage, wo er ſeine Kaſſe bringen will, aufzuheben. Geht der Kaufmann darauf ein, ſo weiß der Chalfen bei dem Zuzählen, der Zwiere2)Zwiere, verdorben, von Sſfire, auch Sſippur, jüdiſch-deutſch die Zahlung, von〈…〉〈…〉, er hat gezählt, wovon ſſippern, zippern, zwie - ren, zählen., des einzuwechſelndes Geldes einen Theil wegzuchalfenen, ſei es,204 daß er das Geld ſelbſt nachſchießt, oder auch nur ſonſt hülfreiche Hand beim Einwerfen in den Geldbeutel leiſtet.

Erfahrene Kaufleute, namentlich Wechsler, wiſſen ſchon; wen ſie vor ſich haben, wenn ein Fremder nach einem beſtimmten Goldſtück fragt. Sie laſſen ſich daher nicht auf das Geſchäft ein, oder ſie nehmen das Silbergeld mit dem Agio, geben das Gold ab und zeigen ihren Vorrath weiter nicht. Deſto ſchlimmer ergeht es aber den Unerfahrenen, namentlich Frauenzimmern, welche in Putz - und Modeläden, Conditorläden u. dgl. als Verkäuferinnen die verſchiedenſten Geldſorten einnehmen, und nebenbei nicht gleich - gültig gegen die Galanterien höflicher Chalfen bleiben. Auch den Landleuten und Viehhändlern auf den Korn -, Woll - und Vieh - märkten werden von Chalfen oft ganz bedeutende Summen ab - gechilft, da auch ſie das angebotene hohe Agio nicht gern ver - ſchmähen. Der Gewinn, den der Chalfen von ſeinem Handel zieht, iſt enorm, weil er meiſtens in Gold Geſchäfte macht, obwol er, je nachdem er die Gelegenheit dazu findet, auch in Silbergeld, vom Viergroſchenſtück bis ſogar zu Doppel - und Kronthalern, arbeitet, von welchen größern Münzſorten er oft eine beträchtliche Menge in der Hand bergen kann, wie denn Thiele, a. a. O., I, 139, aus der großen berliner Unterſuchung den Fall erzählt, daß Moſes Simon Bernhardt am 22. Nov. 1819 dem Krüger Hoffmann zu Peterwitz beim Geldzählen nicht weniger als 18 Thaler in ein paar Secunden weggechilft hatte, welchen Diebſtahl, als er nach Jahren zur Sprache kam, der Beſtohlene gar nicht be - merkt haben und zugeben wollte. Die Chalfen ſind ſo gewandt und ſicher bei ihrem Betriebe, daß gerade das Chalfenen auf Reiſen und bei augenblicklicher Verlegenheit das erſte und ſicherſte Hülfs - mittel iſt, raſch zu Gelde zu kommen.

Häufig nehmen endlich die Chalfen noch einen Chawer als Vertuſſer, Schrekener oder Schmuſer mit, der dann ganz die in - tereſſante Rolle zu ſpielen hat, die dem Schrekener beim Schotten - fellen zugewieſen iſt. Da jedoch in dieſem Falle Cheluke gehalten werden muß, ſo operirt der nur einigermaßen routinirte Chalfen lieber auf eigene Hand, um die Früchte ſeiner Kunſt allein zu205 genießen. Ueber das Verwechſeln von verſiegelten Beuteln und Rollen mit Geld, Chaſſimechalfenen, ſehe man das folgende Kapitel.

Neunundfunfzigſtes Kapitel. f) Das Ennevotennemachen oder Chaſſimehandeln.

Das Ennevotennemachen von Pluralis〈…〉〈…〉 (Dualis〈…〉〈…〉), en, von〈…〉〈…〉 (ajin), das Auge, und〈…〉〈…〉 (ot, oss), Zei - chen, Abzeichen, auch Chaſſimehandeln, von〈…〉〈…〉 (chassam)1)Davon Chaſſmenen, ſiegeln; gechaſſment, geſiegelt; Chaſſime, das Siegel, die Beglaubigung, Unterſchrift; Chaſſom oder Chauſſom, das Petſchaft; Chauſſomwachs, Siegellack., er hat geſiegelt, auch ein Puddelche2)Puddelche, wahrſcheinlich verdorben vom Stammwort〈…〉〈…〉 (bodal), er hat abgetheilt, ausgeſchieden, geſondert, wovon Bedil, Zinn. handeln iſt der heimliche Umtauſch verſiegelter Werthſachen gegen werthloſe oder geringfügige Gegenſtände, welche von gleichem Aeußern, oder mit gleichem Verſchluß und Siegel wie jene verſehen ſind. Zu dieſem Zwecke geht der Ennevotennemacher, oft mit einem Schrekener, Vertuſſer oder Schmuſer, zu einem Juwe - lier oder Geldwechsler, behandelt dieſe oder jene Waare, oder wechſelt eine Münzſorte ein, thut ſolche in ein mitgebrachtes Käſt - chen, Beutel oder Papierrolle, verſiegelt dieſe Verſchlüſſe in Gegen - wart des Verkäufers, und bittet unter irgendeinem Vorgeben, daß z. B. ſeine Kaſſe nicht reiche und er nicht erſt das Geld heute aus dem Gaſthofe holen wolle (wobei er jenen oft noch durch Zahlung eines Angeldes oder Agios ſicher macht), die ſo verſiegelten Werthſachen bis zum andern Tage zurückzulegen. Bei der Ver - handlung weiß der Ennevotennemacher die verſiegelten Gegen - ſtände mit bereit gehaltenen, an Form, Packung und Siegel gleichen Behältern, welche mit werthloſen Dingen gefüllt ſind, geſchickt zu verwechſeln und jene Werthſachen an ſich zu nehmen. Dies Manöver, das allerdings ſorgfältige Vorbereitung und große Geſchicklichkeit erfordert, iſt, da es ſich oft um bedeutende Schmuck -206 ſachen und mehrere Goldrollen handelt, ſehr lucrativ, und wird weit mehr als das Chalfenen von Frauenzimmern und zwar immer in ſehr eleganter Toilette und faſt jedesmal mit Anwen - dung von Siegelringen, auf welchen adeliche Wappen gravirt ſind, beſonders in Gold und Silberhandlungen ausgeübt. Die Enne - votennemacher führen im Reiſekoffer oft ganze Sätze von Käſt - chen oder Schachteln (jüdiſch-deutſch Schkedele), in Doubletten bei ſich, deren Beſitz bei einer Recherche immer mit der Benutzung zum Aufbewahren von Seide, Nadeln, Band u. dgl. von Wei - bern gerechtfertigt wird, während die Kaſten von Männern ge - wöhnlich für Probekaſten ausgegeben werden.

Stiehlt der Ennevotennemacher baares Geld in dieſer Weiſe, ſo wird dieſer Handel mit dem Ausdruck Chaſſime chalfenen bezeichnet, da er ja auch mit dem Chalfenen viel Aehnlichkeit hat. Abgezählte Gold - und Silberrollen ſind während des Geſchäfts am geſchickteſten zu chalfenen. Nicht ſelten ſind aber Gauner, namentlich wenn ſie von einem Vertuſſer gut unterſtützt werden, verwegen genug, ziemlich ſchwere Geldbeutel mit Silbergeld gegen gleichgeſiegelte mit Kupfergeld zu verwechſeln.

Auch andere Privatperſonen, namentlich Wirthe, welche ſich in argloſer Gutmüthigkeit dazu hergeben, Geld als Depoſitum aufzubewahren, werden auf dieſe Weiſe oft um bedeutende Sum - men geprellt, wenn ſie über die ihnen zugeſtellten Geldbeträge Empfangſcheine ausgeſtellt haben, da der verübte Betrug natür - lich vom Gauner ſogleich bei der Rücklieferung dem Depoſitar zugeſchoben, und die vollwichtige Valuta nach dem Empfangſchein gefordert wird. Man thut daher am beſten, ſich in keiner Weiſe zum Depoſitar eines Fremden herzugeben, ohne das deponirte Geld ſelbſt genau nachzuzählen, zu prüfen und in Gegenwart von Zeugen oder mit einem Beamtenſiegel oder aber auch mit des Fremden Siegel, jedoch immer nur ſelbſt zu verſiegeln und ſofort ſicher zu verwahren, niemals aber dem Fremden das Siegeln zu überlaſſen, und niemals nach der Verſiegelung ihm das Verſiegelte in die Hand zu geben.

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Sechzigſtes Kapitel. g) Das Neppen.

Das Neppen iſt eine der älteſten Gaunerkünſte, deren der Liber Vagatorum umſtändlich erwähnt, indem er Notabilie 7 vor den Wiltnern1)Auch ſchon die älteſte Ausgabe der Rotwelſchen Grammatik von Dekk, warnt vor den Wiltnern und hat das Wort in den Vocabular aufgenommen. Es entſpricht vollſtändig dem heutigen Nepper. Die Etymo - logie iſt unklar; vielleicht iſt Wiltner mit dem mittelhochdeutſchen wildenaer (Jäger) wegen der unſteten Lebensweiſe, in Verbindung zu bringen. Das Wiltner iſt gänzlich obſolet geworden. Dafür kam aber ſpäter der Ausdruck Feling (Krämer) des Liber Vagatorum auf, welches Pott, a. a. O., II, 37, von feil ableitet. Die Felinger ſpielten als umherziehende Tabulethändler oder Hauſirer ſchon am Schluß des Mittelalters eine außerordentlich große und gefährliche Rolle, bis tief in das 19. Jahrhundert hinein, weshalb denn auch Schäffer, S. 84 132, ſich weitläufig über ſie ausläßt. Namentlich trieben die Felinger im 17. u. 18. Jahrhundert den ärgſten Betrug als Quackſalber, Zauberer und Beſchwörer, und tauchen auch jetzt noch auf, obſchon eine Menge trefflicher Verordnungen, namentlich in medicinal-polizeilicher Hinſicht, gegen ſie zum Vorſchein gekommen ſind. Das Wort Neppen kommt zuerſt bei Krü - nitz (Encyklopädie, CXXVIII, 39), und bei Grolman (Wörterbuch, S. 51) vor. Letzterer bezeichnet mit Neppes Koſtbarkeiten, Halsſchmuck, Perlen, wonach es wol mit dem franzöſiſchen nippes und nipper zu verbinden ſein würde. Grolman bezeichnet aber das Wort als jüdiſch-deutſchen Urſprungs, obwol es im Jüdiſch-Deutſchen überall nicht zu finden iſt, wenn man nicht die ſchmuzige Bedeutung bei Krünitz adoptirt, und Neppe, freilich mit Zwang, identiſch mit Naffke nimmt, welches im Jüdiſch-Deutſchen die gemeinſte Sorte der Proſtituirten bedeutet (vgl. das Wörterbuch). Jn der franzöſiſchen Gaunerſprache gibt es nep als Bezeichnung einer gewiſſen jüdiſchen Gauner - ſorte, welche Francisque Michel in ſeinen Études de philologie comparée sur l’argot (Paris 1856), S. 291, erwähnt, ohne ſelbſt klar darüber zu ſein. Der ſonſt unterrichtete Barbieux, im Antibarbarus der franzöſiſchen Sprache (Frankfurt a. M. 1853), kennt den Ausdruck nicht. Ebenſo wenig kommt das Wort in einer andern lebenden Sprache, oder in der Zigeuner - oder irgendeiner Gaunerſprache vor. Neppen ſcheint aber direct aus dem Hochdeutſchen hergeleitet werden zu müſſen und identiſch mit dem beſonders auch im Schwäbiſchen gängigen Nippen, necken, pla - gen, zu ſein; davon das ſchwäbiſche nippig, neckſüchtig; Nüpen, ver - ſteckte Bosheiten; Geneff, Hader, Neckerei; vernefft, geneckt. Vgl. warnt, welche fingerlin von kunterfey gemacht ,208 zum Verkauf als Silber anbieten, deſſelben gleichen pater noſter oder ander zeychen, die ſie vnder den mentlen tragen , und welche ſie beſonders den einfeltigen hutzin anbieten. Neppen iſt die betrügliche Veräußerung unechter werthloſer Gegenſtände, Nepp - ſſchaure1)Sſchore oder Sſchaure, Waare, von〈…〉〈…〉 (ssochar), im Lande um - herziehen, beſonders in Handelsgeſchäften; davon Sſocher oder Sſaucher,〈…〉〈…〉, der Kaufmann, Handelsmann., als echte, werthvolle Gegenſtände, ſei es durch Ver - kauf, Verſatz, Verpfändung, Depoſition oder Tauſch. Nepper iſt der Gauner, welcher in dieſer Weiſe betrügt. Auch das Zeitwort neppen iſt gebräuchlich, obwol der Ausdruck eine Neppe han - deln geläufiger iſt.

Während die bisher dargeſtellte Gaunerinduſtrie weſentlich auf die gewaltſame oder heimliche Entwendung fremden Eigen - thums gerichtet iſt, erſcheint das Neppen als offenes Dargebot von Gegenſtänden des täglichen Bedarfs und Gebrauchs. Dieſe Gegenſtände ſind jedoch an ſich werthlos und nicht zu dem vollen Gebrauche geeignet, zu welchem ſie nach der ihnen betrüglicher - weiſe gegebenen äußern Form geeignet ſcheinen, und vom Nepper hergerichtet und ausgeboten werden. Der Betrug liegt alſo in der Fälſchung des dargebotenen Gegenſtandes, und findet ſeine häufigſte und gewöhnlichſte Vermittelung im Schacher - oder Hau - ſirhandel, wie dieſer denn ja auch ſeit Jahrhunderten von den Wiltnern, Felingern und Paſchkuſenern in ausgedehnteſter Weiſe betrieben worden iſt. Die Feinheit und Sauberkeit, mit welcher, namentlich in gegenwärtiger Zeit, eine Menge Gegenſtände des täglichen Bedarfs und Luxus angefertigt werden, beſonders die ausgezeichnete Verarbeitung von Bronze und Neuſilber, dazu die behende kalte und galvaniſche Vergoldung u. ſ. w., gibt dem Nepper, namentlich der immer mehr auch auf dem Lande und in1)Schmid, Schwäbiſches Wörterbuch (Stuttgart 1831); Schmeller, Bairi - ſches Wörterbuch (Stuttgart u. Tübingen 1828), Thl. 2, die Reihe Nap und Nep, S. 699 fg. Schmeller führt auch noch, S. 700, noppen und noppeln an, und allegirt aus einem Jngolſtädter Druck von 1588: Hausnopper, als Cumpan der Diebe, Mörder und Mausköpff .209 den untern Volksſchichten um ſich greifenden Putz - und Glanz - ſucht gegenüber, reichliche Gelegenheit, zahlloſe Betrügereien aus - zuüben, deren Entdeckung nur durch den Sachkenner und meiſtens erſt dann gelingen kann, wenn der Betrug ſchon vollendet iſt. Die unglaublich vielen und mannichfaltigen Täuſchungen, die faſt bie allen nur denkbaren Handelsgegenſtänden mit ebenſo viel Verſchlagenheit, wie mit Gefahr für Geſundheit und Leben ſeit Jahrhunderten betrieben werden, und bis auf die neueſte Zeit in ganz ungemeiner Progreſſion zugenommen haben, ſind der Haupt - anlaß zur Verfolgung und Unterdrückung des ſo überaus ſchäd - lichen Hauſirhandels geworden, namentlich auf dem Lande, wo die polizeiliche Controle und die kennermäßige Prüfung der an - gebotenen Waare am ſchwierigſten iſt. Die raffinirten Betrü - gereien haben ſogar eine eigene Literatur hervorgerufen, in wel - cher auch die Wiſſenſchaft mit deutlicher Aufklärung und Belehrung ſich dem Betruge gegenüberſtellt und ihn bekämpfen hilft. Zur vollſtändigen Würdigung des Betrugs, und um einen Begriff zu bekommen von der Feinheit und Mannichfaltigkeit der Täuſchun - gen im Handel und Wandel, muß man ſich mit dieſer Literatur1)Beſonders iſt zu bemerken: J. B. Friedreich, Ueber Handels - und Gewerbs-Objecte in Beziehung auf Verwechſelung, Verunreinigung, Verfäl - ſchung und Betrug (Ansbach 1853); Dr. A. B. Percy, Allgemeines che - miſch-techniſch-ökonomiſches Recept-Lexikon (Nürnberg 1856); M. A. Che - vallier, Wörterbuch der Verunreinigungen und Verfälſchungen der Nahrungs - mittel, Arzneikörper und Handelswaaren, nebſt Angabe der Erkennungen und Prüfungsmittel. Frei nach dem Franzöſiſchen bearbeitet und mit Zuſätzen ver - ſehen von Dr. A. H. L. Weſtrumb (2 Thle., Göttingen 1856 57). Letz - teres Werk iſt beſonders für den Polizeimann brauchbar und empfehlenswerth. ſorgfältig vertraut machen, und dazu die dem Polizeimann noch immer häufig genug gebotene Gelegenheit nicht vorüberlaſſen, den bunten Jnhalt eines Tabuletkaſtens oder einer Jahrmarkts - und Glücksbude genau zu durchmuſtern. Wie man aber erſtau - nen muß über die reißenden Fortſchritte, welche die Kunſt ge - macht hat, ſchlechte, werthloſe und unbrauchbare Gegenſtände aller Art in einer glänzenden beſtechlichen Form und Hülle darzuſtellen,Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 14210ſo muß man aber auch gerade beim Neppen vollkommen über - zeugt davon werden, daß der Hauſirhandel, abgeſehen von allem andern Vorſchub, den er faſt aller übrigen Gaunerinduſtrie leiſtet, niemals ſtrenge genug überwacht und beſtraft werden kann.

Einundſechzigſtes Kapitel. α) Der Viaſchmahandel oder das Polengehen.

Ungeachtet der Gauner weiß, daß es ihm leicht gelingen kann, dem Unkundigen und Unerfahrenen eine Tombackuhr oder eine vergoldete Silberuhr für eine goldene, einen Löffel von Neu - ſilber für einen ſilbernen, einen in Gold gefaßten böhmiſchen Stein für einen Brillanten aufzuſchwatzen und für echt zu ver - kaufen, ſo gebraucht er dennoch, um jedem möglichen Argwohn entgegenzutreten und das Verbot und die polizeiliche Controle des Hauſirhandels zu umgehen, eine Menge ſyſtematiſcher Jntriguen, die ihm das Gelingen ſeines Betrugs erleichtern. Dahin gehört das unter mehreren Gaunern verabredete Auftreten unter der Maske eines unglücklichen, reiſenden oder verfolgten Mannes, meiſt von höherm Stande, der in Flucht und Noth ein ihm theures und werthvolles Kleinod dem Wirthe oder Landmann verkaufen oder verſetzen muß, um weiter zu kommen und das Leben zu fri - ſten. Bei notoriſchen großen, und namentlich unglücklichen Ereig - niſſen findet ſich für den Gauner reichliche Gelegenheit, als eines der zahlreichen Opfer dieſer Begebenheiten zu figuriren. Ein in Begleitung eines angeblichen Dieners, mit eigener Equipage oder Extrapoſt, voraufgereiſter Chawer, welcher den reichen Mann ſpielt, und dem zum Opfer erkorenen Wirth oder Landmann durch ſein Auftreten zu imponiren weiß, trifft mit dem Unglück - lichen, dem ſpäter nachkommenden Nepper, den er natürlich ganz fremd behandelt, zuſammen, und erklärt das zufällig erblickte falſche Stück dem beiſeite gezogenen Wirth für ein werthvolles Kleinod. Gewöhnlich wird der Landmann oder Wirth, bei dem die Scene211 geſpielt wird, überredet oder von Gewinnſucht verlockt, das an - gebliche Kleinod zu kaufen, oder gegen Darlehn in Pfand zu nehmen, wobei er zu ſpät, wenn die Ermittelung des davonge - reiſten Gauners ſchwer oder unmöglich iſt, ſeine thörichte Leicht - gläubigkeit bereuen lernt. Dieſes Manöver, der Viaſchma - handel1)Das Wort Viaſchma oder richtiger Viatzma iſt polniſchen Ur - ſprungs und bedeutet Zeugniß, Beſcheinigung., kam beſonders ſeit den franzöſiſchen Kriegen dieſes Jahrhunderts in Schwung. Die Viaſchmahändler traten beſon - ders als polniſche Offiziere oder Edelleute auf, und wurden des - halb Polenhändler oder Polengänger genannt. Nach Stuhl - müller, a. a. O., S. xxiii u. 85, ſoll der in der Plaſſenburger Unter - ſuchung figurirende Baruch Benjamin der Erfinder oder Haupt - verbreiter des Viaſchmahandels geweſen ſein, wie denn auch Stuhlmüller ſogar das Coſtüm beſchreibt, in welchem die Viaſchma - händler beſonders in Baiern und Würtemberg aufzutreten und zu prellen pflegten. 2)Einen ſolchen Betrug, ſagt Stuhlmüller, a. a. O., S. xxiv, nennt man eine Viaſchma, oder auch eine Neppe; den, welcher den Kaufmann ſpielt, den Chaium (Juden); den, welcher mit ihm iſt, ſeinen Meſchores (Knecht), und denjenigen, welcher den Deſerteur ſpielt, und dazu einen eigenen Anzug, nämlich gewöhnlich eine weißwollene Jacke, eine Gattien von ungebleichter oder gebleichter Leinwand, eine Holzkappe hat, und einen leinenen Bündel unter dem Arme oder auf dem Rücken trägt, in welchem ſeine andern Kleider ſich befinden, nennt man den Balmachonen (Soldaten).Einen intereſſanten Viaſchmahandel erzählt Thiele, Jüdiſche Gauner , II, 1, aus dem Bericht des Polizei - departements des Cantons Thurgau zu Frauenfeld in der Schweiz.

Zweiundſechzigſtes Kapitel. β) Das Werammemooſſmelochnen oder Linkemeſumme - melochnen.

Die Falſchmünzerei als Jnbegriff mehrerer Verbrechen gegen das Münzregal oder gegen öffentliche Treue und Glauben3)Den neuern Geſetzgebungen liegt wol durchgehends die Jdee des iſt,14*212ihrer Natur nach, nur zum Theil und nur in untergeordneter Weiſe zu den gauneriſchen Fertigkeiten zu zählen, da namentlich die unbefugte Anfertigung von Geld, bei der eigenthümlichen umſtändlichen Weiſe der Herſtellung des Geldes, und bei der ſehr genauen und ſtrengen Ueberwachung des Münzregals, eine fortge - ſetzte gewerbmäßige Betreibung des Falſchmünzens nicht behende genug macht, und daher nicht leicht thunlich und möglich, und im - mer zu gewagt, auch der Entdeckung zu ſehr preisgegeben iſt. Nur die Münzfälſchung, d. h. die täuſchende Veränderung echten Geldes, um dieſem einen höhern Werth zu geben durch Verſilberung oder Vergoldung, und die Verſilberung und Vergol - dung von Zahl - oder Rechenpfennigen, um ſie als Silber - oder Goldſtücke auszugeben, oder die Entwerthung echten Geldes mit - tels Beſchneidung, Durchbohrung oder Aushöhlung, um dieſes ſo entwerthete Geld zu currentem Nennwerthe auszugeben, iſt Ge - genſtand der Gaunerkunſt, welche in dieſem Umfange mit den jüdiſch-deutſchen Ausdrücken Merammemooſſmelochnen1)Von Meramme ſein (〈…〉〈…〉[romo], er hat hingeworfen), betrügen;〈…〉〈…〉 (mooss), baares Geld, und melochnen (〈…〉〈…〉[melocho], die Arbeit), machen, bereiten, bearbeiten. oder Linkemeſummemelochnen2)Meſummon, vom chaldäifirendem Stamme〈…〉〈…〉 (somman), im Piel〈…〉〈…〉 (simmen), er hat zubereitet (zum Gericht citirt), zubereitet, baar, abgezählt, und〈…〉〈…〉 (mooss), Geld, und melochnen (vgl. Note 1), machen, arbeiten. bezeichnet und von den Gaunern in großem Umfange und mit glücklichem Erfolge betrieben wird. Selbſt die plumpſte Art der Münzfälſchung, die leicht herzuſtellende Vergoldung echten Kupfer - oder Silbergeldes und deſſen Verausgabung als Goldgeld gelingt dem Gauner nur zu gut, obſchon der Werth des Stückes immer deutlich in der Präge angegeben iſt. Noch mehr glückt ihm die Verausgabung vergol -3)Verbrechens gegen öffentliche Treue und Glauben zu Grunde. Man vergleiche die Criminal-Geſetzbücher von Preußen, §. 121 124, 340; Oeſterreich, §. 118 121, 325, 329; Sachſen, §. 268 274; Baiern, §. 341 346, 428 431; Hannover, §. 200 204; Würtemberg, §. 206 215; Baden, §. 509 532; Heſſen-Darmſtadt,. 204 217; Weimar, §. 260 268; Braunſchweig, §. 126 129; Naſſau, §. 198 211.213 deter Rechenpfennige als Goldgeld. Der gemeine Mann oder der Landmann, dem weniger Goldgeld als Silbergeld vor die Augen kommt, weiß den Werth des erſtern nicht abzuſchätzen und läßt ſich durch die glänzende Vergoldung eines ſolid geprägten Zahlpfennigs nur zu oft irre leiten. Beſonders werden ſeit eini - ger Zeit die in Größe und Dicke eines Louisdor geprägten Zahl - pfennige mit dem Bildniß und der Umſchrift Victoria regina und auf der Aversſeite mit dem heiligen Georg1)Bei näherm Hinblick auf dieſe Zahlpfennige erkennt man freilich, daß der heilige Georg eine Königskrone trägt und in einer Dragoneruniform mit Epauletten ſteckt. Auch hat die Aversſeite die Jahreszahl 1837, während die Vorderſeite die Jahreszahl 1849 hat. Was überſieht aber der unkundige ge - meine Mann nicht, wenn die äußere Vergoldung neu und ſchön erſcheint? und dem Lindwurm mit der Umſchrift to Hannover, ſehr viel vergoldet und ſtark in Curs geſetzt, wie man das leider nur zu oft bei dem Kone - handel wahrnimmt.

Dreiundſechzigſtes Kapitel. γ) Der Konehandel oder das Blütenſchmeißen.

Erſcheint die Verausgabung ſolcher falſcher Münzen nun im täglichen Handel und Verkehr, wo man ſchon aufmerkſamer zu ſein pflegt2)Dennoch iſt mir vorgekommen, daß ein Metallarbeiter, welcher ham - burger und lübecker Vierſchillingsſtücke, Sechslinge und Dreilinge in Weiß - blech auf echte Münzen dieſer Art ſo geſchlagen hatte, daß die Prägung zwar verkehrt, aber doch ziemlich deutlich in das Blech abgedrückt war, mehrere ſolche Stücke wirklich verausgaben konnte., und bei der Ruchtbarkeit des viel geübten Betrugs allerdings gewagt und bedenklich, ſo hat die Gaunerinduſtrie ein eigenes Manöver ausgedacht, dieſe vergoldeten Zahlpfennige, Blüten3)Das Wort Blüte wird in der Gaunerſprache aber auch für das echte Goldſtück, beſonders für den Dukaten (Haker, Chaker) gebraucht. Das in Nord - deutſchland volksbräuchliche Plattiren, d. h. das leichte Verſilbern von Meſ - ſing oder Bronze, ſcheint mit Blüte zuſammenzuhängen und aus blütiren oder plitiren entſtanden zu ſein., ſicherer an den Mann zu bringen. Das Manöver214 wird Blütenſchmeißen, auch Blütenſtechen (Pliteſtechen ſogar Pleiteſtechen), oder Konehandel oder Kaunehandel1)Von〈…〉〈…〉 (kono), erwerben, kaufen, weil ja die Blüte wirklich ver - kauft wird vom Gauner, Konehändler. genannt, und beſonders in Dörfern an dem unerfahrenen Land - mann, und auf den Landſtraßen an Fußreiſenden, vorzüglich reiſenden Handwerksgeſellen, verſucht. Jn Wirthshäuſern, beſon - ders auf dem Lande, ſucht der Konehändler, unter dem Vorgeben, daß ſein Silbergeld verausgabt ſei, mit einem Goldſtück zu be - zahlen und ſich den Ueberſchuß ſeiner Zeche in Silbergeld aus - wechſeln zu laſſen. Der Wirth, welcher den Werth oder Curs des Goldſtücks nicht kennt, wird gewöhnlich vom Konehändler, welcher gleiche Unkenntniß vorſchützt, gebeten, den Curs eines vom Konehändler dargereichten echten Goldſtücks bei dem Orts - geiſtlichen, Schulmeiſter oder Landkrämer erkunden zu laſſen. Jſt dies geſchehen, ſo weiß der Konehändler das echte Goldſtück mit einem vergoldeten Zahlpfennig geſchickt umzutauſchen, und prellt ſomit den Wirth in zwiefacher Hinſicht. Bietet der Konehändler einen kleinen Abzug von dem angegebenen Werthe des Goldſtücks, ſo iſt der gewinnluſtige Wirth oder Landmann gern bereit, auch noch mehrere Goldſtücke zu wechſeln, wie denn ſolche arge Un - wiſſenheit namentlich in Norddeutſchland noch häufig genug aus - gebeutet wird. Jn anderer Weiſe handelt der Gauner auf Kone dadurch, daß er auf der Landſtraße ſich einem fußreiſenden Hand - werksgeſellen anſchließt, und einen entweder von ſeinem ihm vor - aufgegangenen Chawer oder von ihm ſelbſt heimlich hingeworfe - nen Geldbrief von der Straße aufrafft, für guten und ganzen Fund2)Das Blütenſchmeißen iſt namentlich in unſerm Norddeutſchland, und ganz beſonders in der mit ſo vielen verſchiedenen Grenzen umgebenen Gegend von Lübeck, vorzüglich in früherer Zeit, ſo arg im Gange geweſen, daß die gauneriſche Fundformel: Fund’s hehl, Fund’s hehl, geit nix vun af! (Der Fund iſt heil ganz, untheilbar , es geht nichts davon ab!), ehe der Be - gleiter ſagt: Half af, half af! (Halb ab!), noch immer im Munde aller Bauer - und Gaſſenjungen iſt, wenn ſie irgend etwas finden. erklärt, und endlich auf Bitten des Reiſenden dazu ſich215 verſteht, den Fund mit ihm zu theilen, wobei er ihm aber ſtets das im Briefe eingeſchloſſene Goldgeld, vergoldete Jetons, gegen Zahlung des Halbparts in Silbergeld ganz überläßt. Jn gleicher Weiſe werden auch unechte Ringe und andere kleine vergoldete unechte Schmuckſachen in Briefe und Käſtchen gelegt und als Fund von der Straße aufgenommen und auf Halbpart verkauft. So abgeſchmackt und abgedroſchen dies platte Manöver iſt, ſo unglaublich oft wird es noch immer mit Erfolg ausgeführt. Oft ſucht der Betrogene bei ſeiner Ankunft auf der nächſten Viſir - ſtation Auskunft und Hülfe bei der Polizei, ohne zu bedenken, daß er ſich ſelbſt als Theilnehmer an einem Funddiebſtahl ſtraf - bar gemacht hat. Nur dadurch, daß man jeden Kläger der Art als Funddieb conſequent und unerbittlich beſtraft, ſcheint dieſer unbegreiflicherweiſe noch faſt täglich vorkommende Betrug mehr und mehr beſeitigt werden zu können.

Vierundſechzigſtes Kapitel. δ) Das George-Plateroon.

Die Entwerthung eines Goldſtücks durch Beſchneiden cultivirt der Gauner von Fach wenig oder gar nicht. Die Operation iſt zu mühſam und zu wenig lohnend gegen das behendere und lucrativere Vergolden von Zahlpfennigen. Auch bringt der lebens - luſtige Gauner lieber das ganze Goldſtück in Völlerei und Lieder - lichkeit durch, als daß er ſich mit dem kümmerlichen Betrage des abgeſchnittenen oder abgefeilten Randes begnügen möchte. Jn - deſſen gibt es auch ſparſame und nüchterne Gauner, die ſich in den Ferien oder in ſtiller Zeit noch immer nützlich zu beſchäftigen wiſſen. Die Beſchneidung geſchieht namentlich bei Goldſtücken mit ſcharfen Nagelſcheren aus freier Hand. Mit der Feile wird nachgeholfen, und durch ſchräge Striche oder auch mit einem ſtäh - lernen Durchſchlag der Rand angeſtoßen. Große Silbermünzen ohne Randgepräge werden im Schraubſtock mit grobgehauenen216 Feilen bearbeitet. Die Verausgabung ſolcher entwertheter Geld - ſtücke iſt jedoch, beſonders bei geringen Zahlungen oder im Einzel - wechſel, immer ſchwierig, da die Verkleinerung des Volumens ſchon immer für das prüfende Auge auffällig iſt, und ſomit das entſcheidende Nachwägen kaum noch nöthig wird. Dieſe Schwie - rigkeit hat nun aber wieder auf eine alte Operation zurückgeführt, vermöge welcher die beiden Prägeſeiten eines größern und dicken echten Silbergeldſtücks in ſehr dünnen Platten abgeſchnitten, und nach Herausnehmen des Mittelſtücks auf eine entſprechende Scheibe unedeln Metalls befeſtigt und mit einem Silberblechrand umlöthet werden. Durch die geſchickte Behandlung der Münzen wird die Täuſchung vollkommen, und es befindet ſich eine ſehr große Menge Münzen der Art im Umlauf. Zwei der bedeutendſten deutſchen Polizeiblätter haben gleichzeitig im Sommer 1856 auf dieſen raſch aufgekommenen Betrug aufmerkſam gemacht, welcher jedoch keines - wegs eine neuere Erfindung, ſondern ſchon ſehr alt iſt. Smith in ſeinen Lebensbeſchreibungen berühmter engliſcher Straßenräu - ber (vgl. die Literatur) erzählt S. 221, daß der am 22. Sept. 1704 zu London gehenkte berüchtigte Gauner Tom Sharp mit einer Falſchmünzerbande, außer der Anfertigung falſcher Münzen von engliſchem Zinn oder Compositum , auch noch eine Kunſt, George-Plateroon, betrieben habe, Münzen (black dogs) herzu - ſtellen, welche inwendig lauter Kupfer ſeien und auswärts nur ein dünnes Blechlein hätten u. ſ. w.

Dieſe alte Kunſt ſcheint entweder vom Gaunerthum längere Zeit uncultivirt liegen geblieben, oder von der Polizei unbeachtet gelaſſen worden zu ſein. Bei den behendern techniſchen Mitteln der Neuzeit iſt ſie aber wieder lebhaft in Schwung gekommen, hat aber trotzdem in der deutſchen Gaunerſprache noch keinen be - ſondern Namen erhalten. Jn keiner mir bekannten Gauner - ſprache habe ich einen ſpeciellen Namen für das George-Plateroon finden können. Es ſcheint daher im Weſen und Namen eine ſpecifiſch engliſche Erfindung zu ſein.

Zu dieſer Operation werden durchaus nur echte und neue Silbermünzen mit breitem Rande gewählt. Wahrſcheinlich wer -217 den ſie auf der Drechſelbank durchgeſägt, an welcher ſie ſich leicht, wie bei allen Abdrechſelungen von Scheiben aus harten Subſtanzen, mit Pech auf die Patronen befeſtigen laſſen. Die abgeſchnittenen Blechſcheiben mit dem Gepräge ſind ſehr dünn, ſodaß man beim Biegen derſelben den eigenthümlichen knatternden Laut hört, wie bei dünnen Weißblechſtücken. Bei einem in mei - nem Beſitz befindlichen Fünffrankenſtück von 1830 ſind die beiden Prägeplatten von dem innern Kupferſtück abgelöſt. Unter dem deutlich wahrnehmbaren Schnellloth und der fettig anzufühlenden Schmuzſchichte der Silberplatten, welche mit Alkohol und Sal - miakgeiſt löslich iſt, und alſo auf die Anwendung von Löthwaſſer ſchließen läßt, ſind ſogar deutliche Feilſtöße von den verſchieden - ſten Richtungen her ſichtbar, ſodaß unverkennbar mit der Feile nachgeholfen iſt, weil vielleicht die Scheiben noch zu dick abge - ſchnitten waren. Die für das ausgeſchnittene Mittelſtück der Münze eingeſetzte runde kupferne Scheibe trägt deutliche Spuren von Löthwaſſer und Schnellloth, und hat vollkommen gleiche und glatte Flächen. Die Kupferſcheibe wiegt 250 Gran (nürnberger Apothekergewicht), wogegen die beiden abgeſchnittenen Blechplatten zuſammen gerade nur 100 Gran wiegen, woraus man auf die bedeutende Entwerthung der Münze und auf den Gewinn ſchlie - ßen kann, den die auf der Drechſelbank raſch und behende aus - zuführende Arbeit abwirft. Der um die Kupferſcheibe befeſtigte Rand iſt von ſehr dünnem Silberblech und außerordentlich feſt und gleichmäßig umgelöthet, ſodaß er nicht abzulöſen iſt, obwol er mit der Laubſäge an verſchiedenen Stellen durchgeſchnitten wurde. Die Buchſtaben der Umſchrift: DOMINE SALVUM FAC REGEM ſind ungleich und unregelmäßig aufgeſchlagen. Bei einem preußiſchen Thaler (ebenfalls von 1830) iſt dagegen der Rand ſo ſchlecht angelöthet, daß er ſich als ganzer Ring abnehmen läßt. Sehr deutlich erkennt man hinter dem Worte UNS der Randſchrift die nachläſſige unebene Zuſammenlöthung und des Reifs unter dieſem Reife, auf dem Rande der zwiſchen die Prägeplatten ein - geſetzten Bleiſcheibe, die ganze unordentlich ausgeführte Randſchrift GOTT MIT UNS eingetrieben, woraus man ſchließen kann, daß218 die Umſchrift erſt nach Auflöthung des Ringes auf den Rand der entwertheten Münze aufgeſchlagen wurde. Bemerkenswerth iſt, daß die ziemlich dicken Blechplatten dieſes Thalers ſo feſt auf der innern Bleiplatte ſitzen, daß ſie bei einer dem Schmelzen des Bleies beinahe gleichgebrachten Glühhitze ſich nicht löſen. Sehr auffallend iſt dabei, daß die Münze auf der rech - ten Seite des Wappens beträchtlich dünner iſt, als auf der linken. Wahrſcheinlich iſt alſo das Blei geſchmolzen zwiſchen die ungleich nebeneinander geſtellten Blechplatten hin - eingegoſſen worden.

Während ſchon ſeit mehreren Jahren beſonders viele bairiſche Gulden1)Ganz kürzlich iſt mir auch ein Silberrubel (von 1842) vorgekommen. Ein ruſſiſcher Jude hatte ihn bei der Abreiſe einem Marqueur in einem hie - ſigen Hotel als Trinkgeld gegeben, und ſoll einen beträchtlichen Vorrath Silber -[rubel]mit ſich geführt haben, welche wahrſcheinlich in gleicher Weiſe ent - werthet waren. in ſolcher Weiſe entwerthet und in Umlauf geſetzt wor - den ſind, iſt dieſer Betrug neuerdings ganz vorzüglich an preußi - ſchen Einthalerſtücken von 1855 verſucht worden. Zweithalerſtücke ſind weniger bemerkt worden. Die Platten ſcheinen auch von dieſen größern Münzen ſchwieriger herabgeſchnitten werden zu kön - nen. Jedenfalls läßt ſich die friſche Löthung an neuen Münzen beſſer verbergen als an ältern. Dennoch kann man den Be - trug ziemlich leicht und ſicher erkennen. Alle entwerthete Münzen der Art fallen ſchon beim Zählen zwiſchen den Fingern durch ihren ſehr ſcharfen Rand auf, der ſich ſchon im bloßen flüch - tigen Gefühl merklich von dem Rande ungefälſchter Geldſtücke unterſcheidet. Ebenſo unterſcheidet ſich die ſtets unordentlich und unregelmäßig angebrachte Randumſchrift entwerthe - ter Münzen ſehr augenfällig von der accuraten und ſaubern Randumſchrift ungefälſchter Geldſtücke. Ein leichter Feilſtrich auf der Randecke der verdächtigen Münze, oder ein leichtes Wegſchlei - fen auf einem gewöhnlichen Wetzſtein, legt den gefährlichen Be - trug unverkennbar bloß, welcher oft ſogar von Silberarbeitern erſt dann erkannt wird, wenn ſie ſolche Münzen einſchmelzen.

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Fünſundſechzigſtes Kapitel. ε) Der Piſchtimhandel.

Eine der großartigſten und ärgſten Neppen wird namentlich auf Jahrmärkten und im Hauſirhandel, beſonders auf dem Lande mit dem Leinwandhandel, getrieben. Leider verſchwin - det Spinnrad und Webſtuhl immer mehr aus der ländlichen Behauſung und der Landmann, der höchſtens noch den Flachs baut, ohne ihn noch ſelbſt zu verarbeiten, hört auch damit auf, Kenner der Leinwand zu ſein, ſodaß gerade er jetzt am meiſten mit dem Leinenhandel, Piſchtimhandel, betrogen wird. Der Be - trug geht nicht von den Fabriken aus, welche zur Herſtellung eines billigern Preiſes Seide, Wolle, Leinen und Baumwolle miteinander verweben, ſondern von den Händlern, welche den Unkundigen den gemiſchten Stoff als rein und echt verkaufen und ſo abſichtlich damit betrügen. Piſchte, Piſchtim wird von den Piſchtimhändlern die reine Leinwand genannt; Meſchi, Me - ſchech, Seide; Zemer die reine Wolle, Zemergefen die Baum - wolle, und Schaatnes, Schatnes oder Schetnes, Stoffe, die aus Wolle und Leinen, Wolle und Baumwolle, oder Baumwolle und Leinen, auch aus Seide mit Baumwolle u. ſ. w. gewebt, alſo gemiſcht, unrein oder unecht ſind. Jn dem Muſter und der Appretur wird auch den Schatnes ein glänzendes und täuſchen - des Aeußere gegeben. Daher geht und gelingt denn auch die Uebervortheilung hierbei aufs äußerſte, ſodaß der Piſchtimhändler ſeine Schatnes oft zum drei - bis vierfachen Preis des wahren Werths bei dem Unkundigen anbringt. Die Piſchtimhändler haben meiſtens Fuhrwerk bei ſich, und ſpielen dabei faſt immer die Ausländer, welche der deutſchen Sprache nicht mächtig ſind, während ſie auf die unverſchämteſte Weiſe untereinander kochemer ſchmuſen und mit eingeſtreuten holländiſchen und franzöſiſchen Brocken den verdutzten Landleuten die Güte und den Preis der von ihnen ſelbſt aus den beſten Fabriken bezogenen Waare be - greiflich zu machen wiſſen. 1)So war kürzlich ein Piſchtimhändler, ein holſteiniſcher Jude, amBei der beſtändigen Gefahr, wel -220 cher der Käufer von Leinwand ausgeſetzt iſt, verdienen die ein - fachen Mittel zur Entdeckung des Betrugs, welche neben com - plicirtern und daher ſchwierigern aber vollkommen ſichern Prü - fungsmitteln von Friedreich, a. a. O., S. 168, und Percy, a. a. O., S. 391 fg. übereinſtimmend empfohlen werden, hier einer kurzen Erwähnung. Um Leinen und Baumwolle in Wollen und Seiden - ſtoffen zu erkennen, ſchneidet man von dem Gewebe ein viereckiges, 1 Zoll großes Stückchen ab, fädelt es der Quere und Länge (der Kette und dem Einſchlag) nach aus, und verbrennt einen Faden nach dem andern am Kerzenlicht. Die Baumwollen -, Hanf - und Leinenfäden verbrennen mit lebhafter Flamme, hinter - laſſen keinen Rückſtand und geben den echten Geruch verbrannten Leinens; die Wollen - und Seidenfäden hingegen brennen ſchlecht und bilden an der Spitze eine ſchwammige Kohle, welche ihre weitere Verbrennung aufhält; es entwickelt ſich dabei ein ſtarker und unangenehmer Geruch, der zu charakteriſtiſch iſt, um auch nur einen Augenblick einen Jrrthum zuzulaſſen. Es laſſen ſich mithin die Anzahl der Wollen - und Seidenfäden und die der Baumwollenfäden leicht zählen.

Um Baumwollenfäden in der Leinwand zu erkennen, gibt man mittels der Feder einen Tropfen Tinte auf die zu prüfende Leinwand. Fließt die Tinte ſymmetriſch, das heißt, nach je zwei Richtungen übereinſtimmend aus, ſo iſt der Stoff halbleinen; fließt derſelbe verworren, das heißt, nach allen Seiten aus, ſo iſt der Stoff ganz leinen oder baumwollen; durch Baumwollenſtoffe1)Polizeiamte in Lübeck in Unterſuchung, der unter vielen andern Waaren auch ein für 11 Mark 8 Schillinge eingekauftes Tiſchgedeck einem reichen Bauer für 36 Mark verkauft hatte, welcher letztere, obſchon er vom Betruge unterrichtet wurde, von dem glänzenden Aeußern des Gedecks verlockt, dennoch den Kauf gelten ließ. Der Piſchtimhändler ließ den Handel durch einen gemietheten be - kannten Judenburſchen vermitteln, der als Kutſcher figurirte und die Pferde halten mußte, und hatte unter anderm zur draſtiſchen Bezeichnung, daß er weither auf der Eiſenbahn gekommen, komiſcherweiſe mit dem Arme Rad geſchlagen und laut dabei gepfiffen, während er ſowol das ihm vollkommen geläufige Niederdeutſche als auch das Hochdeutſche gänzlich vor den erſtaunten Bauern verleugnete.221 aber, die es ganz ſind, wird ſich wol niemand täuſchen laſſen. Fließt die Tinte gar nicht, ſo hat der Stoff zu viel Appretur, die man erſt durch Sieden und Waſchen entfernen muß. Macht man ſtatt des Kleckſes einen Ring auf den Stoff, ſo tritt der Unterſchied noch deutlicher hervor. 1)Nach den Zeitungen ( Hamburger Correſpondent , Nr. 153 vom 30. Juni 1857) wird jetzt von der dresdener Leinenhandlung R. Winter eine Flüſſigkeit, Linarin, debitirt, von welcher einige Tropfen auf die zu un - terſuchende Leinwand hinreichen ſollen, die baumwollenen Fäden ſofort weiß und auffallend von den übrigen dunklern und vollkommen durchſichtig wer - denden leinenen Fäden erſcheinen zu laſſen. Reinleinene Waare ſoll gleich - artig gefärbt und durchſichtig erſcheinen wie geöltes Papier. Die Wirkſamkeit und Bewährung dieſes Mittels iſt mir noch nicht weiter bekannt geworden.

Dieſe einfachen Mittel geben ſchon eine ziemliche Sicherheit gegen den Betrug, der übrigens noch durch eine Menge anderer, wenn auch umſtändlicherer Proceſſe mit Evidenz entdeckt werden kann. Durch das Mikroſkop oder auch ſchon durch eine einfache Lupe läßt ſich die Leinenfaſer als ein gerader, rundlicher, wenig oder gar nicht hohler Faden erkennen, der bei weitem derber und maſſiver erſcheint als die Baumwolle, welche aus hohlen, dün - nen, durchſichtigen Faſern beſteht, die eben, weil ſie hohl, zu - ſammengefallen, zuſammengedrückt ſind, und weil ſie keinen feſten Halt haben, bald rechts, bald links gewendet, etwa wie ein Haufen durcheinander geworfener und zuſammengedrückter Bänder ausſehen.

Ueber den Markt - und Hauſirhandel ſehe man das weitere in Kapitel 89, vom Schärfen.

Sechsundſechszigſtes Kapitel. h) Das Stippen.

Das niederdeutſche Wort Stip, Stippel, Stipje, bedeutet einen Punkt, Tupf; davon ſtippen, tunken, eintauchen, in der222 Gaunerſprache durch heimliches Hineinlangen wegnehmen, na - mentlich von kleinern Gegenſtänden1)Jn dieſer Bedeutung iſt auch der Ausdruck ſtipitzen in die Volks - ſprache übergegangen, der vielleicht zunächſt von dem mittelhochdeutſchen pfe - tzen, pfitzen, zupfen, kneifen, abkneifen, herzuleiten iſt, aber auch wol mit dem gauneriſchen Ausdruck fetzen und Stip zuſammenhängt. Vgl. Kap. 35, unter dem Ausdruck fetzen.; wie denn auch das heim - liche Wegnehmen des Geldes bei dem Chalfenen ſtippen genannt wird. Beſonders wird mit Stippen das Stehlen von Geld aus Ladenkaſſen, Lesfinne2)Finne, corrumpirt von Penne oder Pinne, welches von〈…〉〈…〉, ſich wenden, einkehren, abzuleiten iſt, und Behauſung, Einkehr bedeutet. Vgl. un - ten Kap. 89, das Schärfen. Vielleicht iſt das Les vom jüdiſch-deutſchen lutz〈…〉〈…〉, auslachen, verhöhnen, abzuleiten, wovon letz〈…〉〈…〉, Plural letzim〈…〉〈…〉, Spötter, Höhnender. Uebereinſtimmend iſt das deutſche: die Letz, Ergötzung, Poſſen, Schabernack. Vgl. Schmeller, a. a. O., II, 529., durch die Geldritze (Nekef) mittels der Stippruthe bezeichnet. Die Stippruthe iſt eine dünngeſchabte Stange Fiſchbein, 1 Fuß lang, die mit Vogelleim beſtrichen und in die Geldritzen geſteckt wird, ſodaß das in der Kaſſe be - findliche Geld an der Ruthe anklebt, welche dann mit dem Gelde herausgezogen wird. Das Stippen wird oft unter Beiſtand eines Vertuſſers oder Schmuſers vorgenommen, iſt aber immer ein ge - wagtes und wenig lohnendes Unternehmen, da nur kleine Mün - zen feſt an der Ruthe bleiben, während die größern leicht an - ſtoßen und durch ihr Abfallen verdächtiges Geräuſch erregen. Die Stippruthe wird daher meiſtens nur von unerfahrenen Anfängern angewandt, bis ſie bei der leidigen Operation ertappt und vor - ſichtiger werden. Jm Fall der Entdeckung bleibt dem Gauner nur die raſche Flucht übrig, die er häufig dadurch erleichtert, daß er dem Entdecker die Stippruthe ins Geſicht ſchlägt, um ihn für den erſten Augenblick zu conſterniren. Die Stippruthe iſt eine alte Erfindung, die beſonders von John Hall ( 1707) und von Koch, dem Genoſſen des Lips Tullian, angewendet wurde, wie man denn auch den Koch in den gedruckten Acten (vgl. die Literatur, Lips Tullian) mit der Stippruthe abgebildet findet. Die Opferſtöcke223 wurden früher ſehr arg mit der Stippruthe beſtohlen, bis man inwendig um die Geldritze eine Schürze von Drahtringen oder Tuch legte, welche man bei allen mit Geldritzen verſehenen Geld - behältern anwenden ſollte. Jn neueſter Zeit, nach der Bekannt - machung des k. k. Provinzialtribunals zu Como vom 17. Nov. 1856, iſt ein hauſirender Goldarbeiter mit ſeiner Frau wegen Führung von 10 Stippruthen nebſt Lederbeutel, worin ein klebriger Stoff enthalten, und wegen Verdachts der Beſtehlung von Opfer - ſtöcken, in Como zur Unterſuchung gezogen worden (vgl. Ko - burger Polizeianzeiger von 1856 , Stück 92, Nr. 902.) 1)Vgl. Eberhardt, Allgemeiner Polizeianzeiger , Bd. 45, Stück 22, Nr. 1003, woſelbſt ein anderer in Hildesheim zur Unterſuchung und Strafe gezogenen Stipper genannt wird.Das Stippen wird auch wol von Kindern ohne Stippruthe durch Hin - einlangen in die Geldritzen mit den zur ſogenannten Schere (vgl. Kap. 67) gebildeten Fingern ausgeführt, namentlich in Läden, wo die alten Ladentiſchplatten keine mit Metall gefutterte Geld - ritzen haben, und ungeachtet ihrer Abgängigkeit und Aufweitung nicht erſetzt werden. 2)Mir iſt ein elfjähriges Kind vorgekommen, das mehrere mal mit der Spitze des Zeigefingers und Mittelfingers unter einem auf den Ladentiſch ge - breiteten Tuche mehrere preußiſche Thalerſtücke durch die Geldritze einer Laden - kafſe herausgelangt hatte.

Siebenundſechzigſtes Kapitel. i) Das Torſdrucken oder Cheilefziehen.

Torf vom hebräiſchen〈…〉〈…〉 (toraph), er hat zerriſſen, zerfleiſcht, namentlich von wilden Thieren, wovon〈…〉〈…〉 (teref), Beute, Speiſe, und〈…〉〈…〉 (trefo), das von wilden Thieren Zer - riſſene3)Trefe oder Treife iſt das von wilden Thieren zerriſſene Fleiſch, deſſen Genuß den Juden verboten iſt, daher überhaupt alle verbotene Speiſe; Trefenekelim das (verbotene) Geſchirr, in welchem ſolches Fleiſch oder Eſſen iſt in der Gaunerſprache die durch Raub, Ueberfall224 und Ueberraſchung gemachte Diebsbeute, beſonders die aus dem Taſchendiebſtahl gewonnene Beute. Das Wort drucken kommt einzeln nicht in der Gaunerſprache vor, ſondern iſt nur in der Zuſammenſetzung mit Torf gebräuchlich. Es iſt offenbar nur eine Verſtümmelung des niederdeutſchen Worts Trekken1)Davon das niederdeutſche Trek oder Treek, Zug, Streich, Poſſen, Manier, Weiſe, Redeweiſe. Jemant eene ſlimme treek ſpeelen, je - mand einen ſchlimmen Streich ſpielen (vgl. Kramer, a. a. O., I, 400 u. 401). ziehen, was ſich auch aus der früher üblichen hochdeutſchen Bezeichnung Beutelzieher für Torfdrucker ergibt.

Von der behenden Operation werden die Torfdrucker auch Cheilefzieher (von〈…〉〈…〉 [chelef], Fett, Talg), und in ſchlechter Ueberſetzung auch Seifenſieder genannt, ohne daß mit dieſer Benennung eine beſondere Art der Taſchendieberei bezeichnet wird. Jn der berliner Gaunerſprache heißt der Torfdrucker auch Pad - dendrücker. 2)Von Padde, die Geldbörſe. Eine Padde drücken, eine Börſe aus der Taſche ziehen. Padde iſt der Gegenſatz von Tafel oder Platt - mulje, der Brieftaſche. Das loſe in der Taſche befindliche Geld (Pich) wird loſes Pulver genannt. Padde iſt vom Niederdeutſchen abzuleiten, wo es Kröte, beſonders Schildkröte bedeutet, daher das Wort Schildpatt. Ebenſo werden im Niederdeutſchen die Klappen, welche äußerlich die Rocktaſchen bedecken, Padden oder Patten genannt.

Das Torfdrucken iſt der raſche heimliche Diebſtahl gegen Per - ſonen an Gegenſtänden, welche die Perſon in ihrem unmittelbaren körperlichen Verwahr hat, alſo nicht allein der Diebſtahl aus der Taſche einer Perſon, ſondern auch an allen den Sachen, welche eine Perſon unmittelbar am Körper hält oder trägt, wie der Dieb - ſtahl aus und nebſt dem Armkorbe, aus und nebſt der Trage - taſche, das heimliche Wegziehen eines Packets unter dem Arme oder aus dem Bruſttheile eines Rocks u. ſ. w. Der Zefirgänger,3)aufbewahrt iſt. Die Schreibart Dorf iſt falſch (vgl. Waldheimer Wörter - buch , unter Geldbeutel). Bemerkenswerth iſt die in Norddeutſchland volks - bräuchliche Redensart, vorzüglich beim Spielen den Torf bringen , d. h. den Gewinn bringen . So ſagt der übermüthige, des Gewinnes ſichere Kartenſpieler: He ſall mi den Torf wol bringen! d. h. Er ſoll mir den Gewinn wol bringen, laſſen! 225welcher dem ſchlafenden Reiſenden die Taſchen ſeiner auf dem Stuhle vor dem Bette liegenden Kleidung leert, iſt ſo wenig Torf - drucker, wie der Räuber, der auf der Landſtraße dem Reiſenden mit Anwendung phyſiſchen oder pſychologiſchen Zwanges die Taſchen plündert.

Solange ſchon und ſo arg dieſer eigentliche geſellſchaftliche Diebſtahl getrieben iſt, ſo wenig eigentlichen techniſchen Apparat erfordert er. Die Hauptrequiſite ſind die unverdächtige Annähe - rung, ein behender heimlicher Griff und ſubſidiär ein raſches Zu - planten des Geſtohlenen an die Genoſſen, falls ein Verdacht rege werden ſollte. 1)Allerdings gehört große Fertigkeit und Uebung dazu. Es mag mög - lich ſein, daß früher die Beutelſchneiderlehrlinge vor ihren Meiſtern ſich mit einem Fuß auf eine Drehſcheibe ſtellen und im Herumdrehen einen von der Decke an einem Strick herabhängenden Geldbeutel abſchneiden mußten, ohne daß die daran befeſtigten Schellen ertönen durften, oder daß des Cartouche Lehrmeiſter ſeine Zöglinge an Gliederpuppen mit männlicher und weiblicher Kleidung übte, die in alle Stellungen und Lagen gebracht werden konnten, und aus deren engen Taſchen allerlei Gegenſtände geſtohlen werden mußten, ohne daß eine der vielen Glocken an den Puppen ertönte: actenmäßig iſt nichts davon conſtatirt, als daß höchſtens hier und da ein Gauner mit ſeiner Lehrſchule und Geſchicklichkeit prahlte.Eine der Gelegenheit angemeſſene äußere Er - ſcheinung ſeiner Perſon iſt daher die nächſte Sorge des Torf - druckers, der ſich ebenſo wol zum feinen Elegant im Theater und andern öffentlichen Orten, als auch zum derben Viehhändler und Bauersmann auf den Märkten herauszuſtaffiren, oder als ſoliden Kaufmann auf den Meſſen, oder als frommen Andächtler in den Kirchen ſich darzuſtellen weiß.

Dieſe ſo vollkommen leichte und unverdächtige Annäherung und behende Ausbeutung aller ſocialen Formen, in deren bunter Zahl und Bewegung die raſche und ſichere Unterſcheidung immer ſchwieriger geworden iſt, hat auf das geſammte bürgerliche Leben einen bedeutſamen Einfluß geübt, und jene kalte Zurückgezogen - heit und Etikette weſentlich gefördert, die zwar im vertrauten Kreiſe gern wie ein läſtiger Zwang abgeworfen wird, aber doch immer das Geſammtleben beherrſcht und ſehr häufig den ScheinAvé-Lallemant, Gaunerthum. II. 15226der Kaltherzigkeit und Fühlloſigkeit annimmt. Jn der maſſenhaft gedrängten Bewegung der großen Städte, namentlich Englands und Frankreichs, in welchen der Taſchendiebſtahl beſonders ſeine Rechnung findet, tritt jene Abgeſchloſſenheit gegen alles Fremde am ſichtbarſten hervor, ſodaß der Unbekannte nirgends verlaſſener iſt, als mitten in der großen Maſſe von Menſchen um ihn herum. Aber auch einen ganz entſchiedenen Einfluß auf die Kleidung1)Vgl. die treffliche Darſtellung von Guſtav Klemm, Allgemeine Cul - turgeſchichte der Menſchheit , IX, 100 116. So auch Hüllmann, Städte - weſen des Mittelalters , IV, 134 fg. und deren Schnitt und Taſchen hat von jeher der Taſchendiebſtahl geübt. Jn früherer Zeit, wo die Taſchen nicht in der Kleidung befeſtigt waren, ſondern an Riemen und Bändern über die Schul - tern oder Bruſt, oder um den Leib getragen wurden, konnten die Beutelſchneider oder Schnapphähne2)Erſt gegen Ende des 17. Jahrhunderts ſcheint der Ausdruck Schnapp - hahn für Taſchendieb gebräuchlich geworden zu ſein. Die urſprüngliche Bedeutung iſt wol eine andere geweſen. Den älteſten Nachweis, den ich finden konnte, gibt Kaspar von Stieler (der Spaten) in ſeinem Teutſchen Sprachſchatz (1691), woſelbſt er S. 749 ſagt: Schnapphähne dicuntur rustici sylvarum recessus occupantes atque in transeuntes milites sae - vientes , alſo etwa Buſchklepper. Jm Niederdeutſchen heißt Snap-haan eine Flinte, Flintenbüchſe, und danach auch, wie Kramer, a. a. O., I, 353, anführt, ein Räuber mit einer Flinte zu Kriegszeiten , alſo ziemlich übereinſtimmend mit Stieler. mit einem kurzen Ruck oder Schnitt im haſtigen Laufe ſich der ganzen Taſche leicht bemäch - tigen. Seitdem die Taſchen aber an und in der Kleidung be - feſtigt ſind, iſt der Kunſt eine ſchwierigere Aufgabe geſtellt, die aber immer mit täglich neuen Kunſtgriffen, oft zum ſchweren Nachtheil für Geſundheit und Leben3)So erzählt Smith, a. a. O., S. 710, daß der berüchtigte Simon Fletſcher einmal einen Landmann auf der londoner Brücke, welcher auf ſeinen Stock vorn übergelehnt, mehreren Sängern zuhörte, gänzlich verſtümmelte, als er ihm die Geldtaſche vor dem Beinkleid wegſchneiden wollte. des Beſtohlenen, gelöſt wird, da zum Aufſchlitzen und Abſchneiden der ſichernden Taſchen vielfach auch ſcharfe Scheren und Meſſer in Anwendung kommen, wie denn auch zum Durchſchneiden der feinen Uhr - und Halsketten kleine227 und feine Beißzangen gebraucht, und auch ſonſt Fingerringe, Brochen und Ohrringe mit raſcher Gewalt weggeriſſen werden.

Kaum irgendeine Gaunerinduſtrie iſt mit dem ſocialen Leben ſo direct und innig verbunden wie das Torfdrucken, weil das Verbrechen immer erſt eine beſtimmte Situation und Bewegung dieſes Lebens abwartet oder herbeiführt, um ſich in ſie hinein - zudrängen und ſie auszubeuten. 1)So benutzte Jonathan Sympſon, der ein vortrefflicher Schlittſchuh - läufer war, und das ſogenannte holländiſche Laufen ſehr gut innehatte, den 13 Wochen lang anhaltenden Froſt des Winters 1683, um ſogar auf Schlitt - ſchuhen Taſchendiebeteien unter dem Volk auszuüben, welches die Themſe zwi - ſchen Fulham und Kingſtone-Bridge auf dem Eiſe paſſirte, wobei Sympſon große Beute machte (vgl. Smith, a. a. O., S. 688). Zu den pikanteſten ſocial-politiſchen Anekdoten gehören die kecken Taſchendiebſtähle, beſonders von fein gekleideten Frauenzimmern, mit Anwendung des Chloroforms. Das Werfen von Sand, Schutt, Kalk, Pfeffer, Schnupftaback u. dgl. in die Augen des zu Beſtehlenden kommt noch immer vor. Das letztere iſt auch ein viel verſuchtes Wagniß gefangener Gauner, um neben dem arglos in die Zelle tretenden Ge - fangenwärter vorbeiſchlüpfen zu können.Daher iſt der Taſchendiebſtahl in allen nur denkbaren Lebensſituationen möglich und wird ebenſo wol von Weibern und Kindern, als von Männern ausgeübt. 2)Keineswegs gehört die Betheiligung des weiblichen Geſchlechts beim Torfdrucken erſt der neueſten cultivirtern Zeit an. Schäffer erzählt, S. 67, von der 1788 zu Ober-Tiſchingen hingerichteten Gaßners Liſel, daß ſie bei Anweſenheit des Großfürſten zu Ludwigsburg 1782 dem Grafen Schenck von Caſtell unter der Thür der Schloßkapelle einen Béutel mit 1700 Gulden aus der Taſche ſtahl und glücklich damit entkam. Jm Theater zu Jnnsbruck ſtahl ſie an einem Abend vier Taſchenuhren, vier ſilberne Tabacksdoſen und 13 Schnupftücher. Hundert Jahre vorher zeichnete ſich die Falſette (Meyers) in Lübeck, Hamburg, Roſtock u. ſ. w. durch ähnliche Virtuoſität aus; ſo auch in Köln und Spaa die deutſche Prinzeſſin, in England die Mary Hawkins, Anna Hollandia, Anna Harris, Debora Churchill, Mary Frith (Mol Cut - purſe), Anna Hereford u. a. Von der Virtuoſität der umherziehenden Sa - voyardenjungen enthält ſchon die ältere franzöſiſche Gaunergeſchichte eine Menge Beiſpiele. Beſonders wird das Torfdrucken jetzt auch von Jungen geübt, welche ſich vor Schauſpielhäuſern u. ſ. w. an die Wagen drängen und beim Aus - und Einſteigen ihre Hülfe anbieten.Jeder Taſchendiebſtahl iſt eine pikante ſocial-politiſche Anekdote, in welcher das Gaunerthum frappante Siege feiert. Deshalb15 *228exiſtiren dieſe ungemein vielen Sammlungen wahrer und falſcher Anekdoten, beſonders aus der engliſchen und franzöſiſchen Gauner - welt, welche in Erſtaunen ſetzen, ſobald man ſie auf der Folie des alltäglichen ruhigen Lebens betrachtet, und nicht zugleich dabei auf die Schwachheit, Eitelkeit oder Unbedachtſamkeit der Betrogenen blickt. Wollte man die verſchiedenen Kunſtgriffe aufzählen, ſo müßte man ſie immer mit einer Anekdote verbinden, und ſo viel Anekdoten wiedergeben, als unzählige Situationen des ſocial - politiſchen Lebens ſchon ausgebeutet wurden. Dennoch würden jene Aufklärungen wenig nützen; denn wenn auch irgendeine Si - tuation unter dieſen und jenen Verhältniſſen mit ihren gefahr - vollen Momenten deutlich gezeichnet wird, ſo kann gerade dadurch, daß dieſe beſtimmten Momente nun beſonders genau beobachtet werden, eben durch die Vertiefung in ſie, irgendein anderes, neues Moment deſto geſchickter zum Diebſtahl ausgebeutet werden. Die bekannten Gaunergriffe, daß der ſeinen Nachbar im Theater um eine Priſe bittende Gauner in die geöffnete Doſe eine kleine Bleikugel mit einem Seidenfaden fallen läßt, an dem er ſpäter die Doſe aus der Taſche zieht; oder die Oſtentation falſcher Hände mit Handſchuhen, welche ſichtbar auf den Knien ruhen, während der Gauner ſeinem Nachbar im Poſtwagen oder im Eiſenbahn - coupé heimlich die Taſchen ausplündert; das gefällige Abſtäuben von Schnupftaback, Cigarrenaſche oder Staub vom Rocke, wäh - rend ein im Siegelringkaſten verſtecktes ſcharfes Einſchlagemeſſer - chen den Rock über der Bruſttaſche aufſchlitzt u. ſ. w.: alle dieſe Gaunergriffe können noch ſo bekannt und veraltet ſein, ſie kommen doch immer wieder zum Vorſchein. Jn dieſer Weiſe wird kein Kunſtgriff alt, während noch immer neue Zuſätze hinzukommen. Unlängſt war ein ſechzehnjähriger Burſche am hieſigen Polizei - amte in Unterſuchung, welcher bei einem Volksfeſte vor den Schaubuden den Zuſchauerinnen auf das Kleid trat, und in dem kurzen Moment, in welchem die Zuſchauerin mechaniſch mit der Hand das Kleid aufzog, ohne die ganze Aufmerkſamkeit auf die gefährliche Nachbarſchaft zu wenden, mit äußerſter Behendigkeit in die Taſchen des ſtraffgezogenen Kleides griff und in dieſer229 Weiſe reiche Ausbeute machte. Eine Dirne wußte auf den Marktplätzen den Käuferinnen unter dem gefälligen Anerbieten, ein gelöſtes Schuhband wieder zu befeſtigen, ſogar in kniender Stellung die Kleider mit einer Hand niederzuziehen und mit der andern Hand die Portemonnaies aus den Taſchen zu ſtehlen. 1)Der eigenthümliche Griff der Hand heißt die Schere. Zur Schere dient der Zeigefinger und Mittelfinger, welche ſeitlich voneinander bewegt und wie die Schneiden einer Schere zuſammengeführt werden, um das in der Taſche des Freiers befindliche Portemonnaie u. ſ. w. zu faſſen. Der Torf - drucker führt die Hand gewöhnlich ſo in die Taſche, daß der Rücken ſeiner Hand gegen den Körper des Freiers gewendet iſt, damit er deſto leichter die Taſche vom Körper abbiegen und jede körperliche Berührung vermeiden kann; der Daumen, der vierte und fünfte Finger liegen leicht in der innern Hand, und werden nach Bedürfniß zur Ausweitung der Taſchenfalten bewegt, um ſo den Durchgang und die Operation der Schere zu erleichtern.Noch eine ganz junge Dirne beobachtete abends durch die Laden - fenſter, an welcher Seite des Kleides die Käuferinnen ihre Geld - beutel in die Taſche ſteckten, und wußte, unter unbefangenem, tän - delndem Kindergeſchwätz, neben den ihr ganz unbekannten Perſonen eine Zeit lang einherzutrollen, bis ſie unvermerkt den Geldbeutel aus der Taſche geſtohlen hatte. Rennende Jungen wiſſen ſo ge - ſchickte Griffe in die Körbe oder gegen die in der Hand getragenen Beutel und Taſchen zu machen, daß der Diebſtahl oft erſt ſpät bemerkt, oder, wenn der Verluſt bemerkt, doch an den Diebſtahl zunächſt nicht geglaubt, vielmehr, durch Suchen nach dem Verloren - geglaubten, dem Diebe erſt recht Gelegenheit zur unverdächtigen oder raſchen Entfernung gegeben wird. Unglaublichen Ertrag geben die Taſchendiebſtähle in den Bordells, in welchen die ver - worfenen Geſchöpfe bei der Preisgebung mit deſto größerer Zu - verſicht ſtehlen, als ſie wiſſen, daß der Beſtohlene ſeinen Verluſt, wenn er auch ſpäter den Diebſtahl ahnet, lieber verſchmerzt, als ſeine Ausſchweifung der Polizei verräth. Beſonders kecke Taſchen - diebinnen ſind die ſich in Verſtecken preisgebenden Gaſſendirnen (Dappelſchickſen), die ſpäter ſchwer oder gar nicht einmal aufge - funden werden können. Nicht minder frech iſt das Ausplündern230 aufſichtsloſer Kinder, welche zu dem Zwecke beſonders von Wei - bern beiſeite, in Thorwege, auf Hausfluren u. ſ. w. gelockt, oft aber auch auf der Gaſſe ſelbſt, am lichten Tage, ihrer Ohrringe, Tücher oder Körbchen beraubt werden. Hierher gehört beſonders auch alles, was ſchon früher vom Vertuß und Meiſtern ge - ſagt iſt, und beſonders das Wandmachen, d. h. das verabredete Verdecken des Diebes vor dem Beobachter oder vor dem Beſtoh - lenen, durch Vorſchieben einer Perſonengruppe oder eines andern Gegenſtandes, welches, wie ſchon geſagt iſt, auf Meſſen und Märk - ten ganz beſonders cultivirt wird.

Der Taſchendiebſtahl iſt wegen ſeiner Heimlichkeit, Apparat - loſigkeit, Behendigkeit, ſeiner ausgeſuchten Gelegenheit in der arg - loſen Lebensbewegung, und beſonders wegen der durchgängigen Kleinheit und Gleichmäßigkeit ſeines Objects, äußerſt ſchwer in flagranti zu entdecken, ſelbſt wenn der Beſtohlene den Muth hat, den Verdächtigen auf friſcher That anzugreifen. Der Torfdrucker weiß im Nu das Geſtohlene ſeinen Genoſſen zuzuplanten, das raſch von Hand zu Hand geht, und oft ſchon weit außer dem Bereich der ganzen Umgebung iſt, wenn der Diebſtahl bemerkt wird. Jm Fall der Bedrängniß und des Alleinſeins verſarkent der Torfdrucker den Maſſematten oder Kiſſ1)Von〈…〉〈…〉 (sorak), er hat geſtreut, geſprengt, geworfen. Kiſſ (〈…〉〈…〉) iſt der Beutel, Säckel, Geldbeutel, baares Geld, Courantgeld, Scheidemünze, z. B. den Dalles bekiſſ haben, Armuth im Beutel haben, ein armer Schlucker ſein. Das Wort Kies iſt nur durch falſche Ausſprache und Schrei - bung entſtanden und bedeutet nichts anderes als Kiſſ, obwol Kies ganz beſon - ders zur Bezeichnung von baarem Geld, Scheidemünze, Courantgeld, dient (vgl. Thiele, I, 265). Man ſagt jedoch nicht etwa kein Kies bekiſſ haben , ſondern kein Kies bemulje haben . Von Kiſſ iſt noch abgeleitet Kißler, für Torfdrucker. Das Wort Mulje oder Mulle, Taſche, beſonders die ge - füllte Taſche, kommt wol nicht vom hebräiſchen〈…〉〈…〉 (mole), voll, die Fülle, her, ſondern vom hochdeutſchen Mulle, Wanne, Trog, zum Aufbewahren von Getreide, Mehl, Teig und Brot (vgl. bei Schmid, a. a. O., S. 393 u. 394, die Formen: Milde, Molle, Mollje, Molge, Molde, Molter [Malter] und Mulde)., d. h. er wirft das Geſtohlene heim - lich fort, damit ihm der Beſitz deſſelben nicht nachgewieſen werden231 und er alſo den Diebſtahl deſto kecker leugnen kann. Beſteht der Diebſtahl in Geld, ſo wirft der Torfdrucker das Behältniß, Beutel, Portemonnaie, baldthunlichſt von ſich, und iſt gewiß, daß ihn der Beſitz des bloßen Geldes nicht mehr verdächtigen oder überführen kann, als jeden Andern in der Nähe, welcher Geld in der Taſche hat. 1)Natürlich feiert aber auch hier die Kunſt ihre Triumphe im Zuplanten der geleerten Geldbörſen. Die faſt jedem großen Taſchendieb nacherzählte be - rühmte Anekdote von der Verwandelung des Geldes in Koth ſtammt von dem 1707 zu Tyburn hingerichteten John Hall her, der auf dem Viehmarkt zu Smithfield einem Viehhändler einen Beutel mit 30 Pfund Sterling ſtahl, und ihm den darauf, zur Ehre der Kunſt, mit Koth gefüllten Beutel wieder ſo geſchickt in die Taſche zu prakticiren wußte, daß der Viehhändler hoch und heilig ſchwur, noch vor einer kleinen Weile 30 Pfund gehabt zu haben, und ſteif an die Einwirkung des Teufels glaubte.Werthvolle kleinere Sachen, wie Brillantſteine, Perlen u. ſ. w., werden auch wol in den Mund geſteckt, oder gar ver - ſchluckt2)Als der berüchtigte Sawney Douglas einmal der Tochter des Apo - thekers Knowles in Weſtminſter 32 Perlen geſtohlen und verſchluckt hatte, wurde er gezwungen zwei heroiſche Doſen eines Vomitivs einzunehmen, wo - durch er denn freilich mit der qualvollſten Anſtrengung die Perlen, von denen die letzte beſonders hartnäckig war, wieder in den Beſitz der Damnificatin brachte (vgl. Smith, S. 714 fg., der die Geſchichte mit großem Humor in der Biographie des Douglas erzählt)., oder auch wol in die Naſenhöhlen oder in die Ohren und ſonſtige Cavitäten geſteckt3)Vgl. Kapitel 24, 34 u. 58., oder heimlich dem wohldreſſirten Hunde hingeworfen, der damit fortläuft und nur von ſeinem Herrn oder deſſen bekannten Genoſſen ſich anhalten läßt.

Dem offenen geſelligen deutſchen Weſen widerſtrebt der Zwang, den ihm die Sorge für die Sicherheit der Perſon und des Ei - genthums im ſocialen Verkehr auflegt. Es erfüllt den Deutſchen vor allem mit Misbehagen, wenn er an Bahnhöfen, Meßplätzen und an andern öffentlichen Orten, ja ſelbſt in Gaſthöfen, die ihm das eigene ſichere Haus erſetzen ſollen, auf den gedruckten War - nungstafeln die Unſicherheit und Schutzloſigkeit des ſocialen Lebens proclamirt findet, deſſen behaglichen Frieden er gerade von der warnenden Perſon oder Behörde zunächſt verlangt. Aber eben -232 dies Misbehagen und Verlangen documentirt, daß der Deutſche, der die Polizei mehr in Anekdoten als in der directen Berührung liebt, zu wenig von ſeiner behaglichen Sorgloſigkeit opfern mag, und zu wenig ſelbſt für ſeine Sicherheit thut. Er trägt die Uhr, welche vielleicht nur 20 30 Thaler koſtet, an einer Kette um den Hals und ſeine Brieftaſche mit Kaſſenſcheinen und Aſſignaten von mehreren tauſend Thalern Werth in der Rockſchoßtaſche oder in der klaffenden Bruſttaſche. Er macht ſogar erſt Bekanntſchaft durch Anbietung einer Priſe aus ſeiner ſilbernen oder goldenen Doſe, die ihm bald nach dem Wegſtecken geſtohlen wird. Er hält es für eine Beleidigung, wenn er ſogar dem geringen Mann das Feuer ſeiner Cigarre abſchlägt1)Jm Niederdeutſchen hat ſich ſogar die Parömie gebildet: Een Smöker is den annern Für ſchüllig , d. h. Ein Raucher iſt dem andern Feuer ſchuldig ., und bleibt ſelbſt im raſchen Ge - ſchäftsgange gefällig ſtehen, während der Taſchendieb ihm die Uhr oder Plattmulje zupft. Die kalte Abgeſchloſſenheit des Engländers, mit welcher er durch das ſocial-politiſche Leben ſchreitet, ſichert ihn ebenſo ſehr vor der ungewünſchten Annäherung, wie dem Franzoſen dieſen Schutz ſeine feine Höflichkeit verleiht, mit wel - cher er ſelbſt die Entfernung abmißt, welche dritte gegen ihn zu beachten haben. Der engliſche Comfort findet in Deutſchland eine ebenſo ſtarke Nachahmung wie ſchlechte Ueberſetzung. Die praktiſche Nützlichkeit des unkleidſamen Sackrocks zum Beiſpiel, mit welchem der Engländer ſeine Perſon und Taſchen wie mit einer Schutzmauer überzieht, wenn er auf der Straße oder auf Reiſen geht, iſt in Deutſchland bedeutend paralyſirt durch die Taſchen, die noch dazu von außen angebracht, alſo auch für den Taſchendieb leicht zugänglich ſind. Der Engländer wickelt ſeinen klafterlangen ſtarken Plaid feſt um die Hüften, ſteckt die Enden zwiſchen die Beine, und wärmt dadurch ſowol den Körper, als er auch den Taſchen eine größere Bedeckung und Sicherheit verleiht, wenn er im Eiſenbahncoupé einſchlafen ſollte. Der angliſirende deutſche Handlungsreiſende legt denſelben Plaid hohl über die Schenkel und läßt die Enden hinten zurückſchlagen oder zur Seite herab -233 hängen, ohne eigentlichen Nutzen von dieſem äußerſt praktiſchen Reiſeſtück zu haben u. ſ. w.

Die Sicherheitsvorſchläge, welche Hirt in ſeinem vortrefflichen kleinen Buch, S. 32 fg., macht, ſind genau nach den angeführten Rückſichten bemeſſen1)Freilich laſſen ſich nicht alle Maßregeln, die der Engländer nach Ge - legenheit in ſeiner ſonderbaren Weiſe auszudenken weiß, nachahmen und em - pfehlen, ſo praktiſch ſie auch ſind. Einer der größten engliſchen Taſchendiebe Tom Taylor wurde einmal wirklich geangelt. Jm Drurylanetheater hatte nämlich Taylor eines Abends einem neben ihm im Parterre ſitzenden Eng - länder 40 Guineen aus der Rocktaſche geſtohlen, und war verwegen genug, am andern Abend wiederzukommen und, da er den Beſtohlenen wieder auf dem - ſelben Platz erblickte, ſich zu ihm zu ſetzen. Der Engländer, welcher den Tay - lor trotz ſeiner Verkleidung wiedererkannte, ſtellte ſich ganz arglos und ſteckte eine bedeutende Menge Guineen in die Rocktaſche, in welche Taylor bald dar - auf ſeine Hand prakticirte. Die Taſche war jedoch am Eingange mit Fiſcher - haken beſetzt, die das Zurückziehen der Hand verhinderten. Nach einer Weile ſtand der Engländer, dem der geangelte Taylor gezwungen folgen mußte, kalt - blütig auf und ging über die Straße in einen Gaſthof, wo er Taylor zum Erſatz alles Geſtohlenen zwang, ihn derb durchprügelte und dann dem herbei - gelaufenen Volk überließ, welches ihn ſchwemmte und ſo arg mishandelte, daß er einen Arm und ein Bein dabei brach., und empfehlen ſich als praktiſch und nütz - lich. Die Befeſtigung der Portemonnaies an Schnüren oder Stahlketten, wie Hirt vorſchlägt, iſt dem Taſchendieb gewiß in den meiſten Fällen ein Hinderniß. Ebenſo ſicher ſind die tie - fern Taſchen in Beinkleidern, Weſten und Röcken. Die durch - gehende Befeſtigung der hintern Rocktaſchen an das Unterfutter verhindert das raſche Abſchneiden. Brieftaſchen, Doſen und Werth - ſachen ſollte man vernünftigerweiſe nie anders als in den innern Bruſttaſchen tragen, welche unerlaßlich mit einer Klappe zum Zu - knöpfen verſehen ſein müſſen. Gegen das Aufſchneiden der Bruſt - taſchen von außen her im Gedränge ſchützen die Wattirungen noch beſſer, wenn man ſie mit dünnen, elaſtiſchen Federn von rund gewickeltem Draht quer durchziehen läßt. Dem Fußreiſenden, der erwarten muß, daß er mit fremden Leuten zuſammen auf einer gemeinſamen Streu ſchlafen und vielleicht das Aufſchneiden ſeines Reiſeſacks fürchten muß, iſt allerdings die von Hirt vorgeſchlagene,234 auf dem bloßen Leibe oder doch mindeſtens unter dem Beinkleide zu tragende Gurttaſche von ſicherm Nutzen. Für Markteinkäufer - innen ſind ebenfalls Ledertaſchen mit ſtählernem Bügel und Kett - chen anſtatt der leicht abzuſchneidenden Schnürbeutel, ſowie das Tragen von Leibtaſchen unter dem mit einem Schlitz verſehenen Kleide1)Solche Leibtaſchen trugen früher die Gaunerinnen ſelbſt als ſicherſtes Schutzmittel auf dem bloßen Leibe. Marie Agnes Brunnerin, Concubine des berüchtigten Stanus-Frey, trug ſolche Taſche, die ſie ihren Hamelſack nannte, beſtändig auf dem bloßen Leibe, und hatte immer 100 150 Gulden darin (Sulzer, Gaunerliſte , 1801, S. 67). Dagegen iſt das Tragen der Geldbörſen in der Hand oder in Körben, ſelbſt wenn letztere mit Deckeln oder Decken verſehen ſind, in keiner Weiſe rathſam, da ein Schlag, Griff oder Druck auf die Hand ebenſo leicht die Börſe herausſchleudert, wie ein Schlag, Griff oder Stoß gegen den Korb dies vermag. Beſonders wiſſen kleine Jungen mit einem eigenen Anlauf unter die Körbe hindurch zu rennen, ſodaß ſie dieſelben im Nu mit dem Rücken aufheben und in eine ſchräge Lage brin - gen, damit das Geld herausfällt und von den Genoſſen raſch von der Erde aufgerafft werden kann. zu empfehlen. Für Reiſende iſt es allerdings noch beachtens - werth, daß der Umhangriemen der Geldtaſchen mit weichem Draht beſetzt wird, um ihn gegen das raſche Durchſchneiden zu ſichern.

Achtundſechzigſtes Kapitel. k) Das Stradehandeln, Goleſchächten und Golehopſen.

Das Wort Stradehandeln, richtiger Straathandeln, iſt von dem niederdeutſchen Straat2)Die Rotwelſche Grammatik (1755) hat Stroda, einen der vielen von Sommer in ſeinem Wörterbuch nachgeſchriebenen Druckfehler für Strada, welches auch das Hildburghauſiſche Wörterbuch , wol nach dem italieniſchen strada, hat (vgl. Pott, a. a. O., II, 17); in der hamburger niederdeutſchen Mundart wird Straat, mit gedehntem o, Stroot ausgeſprochen. Jm Waldheimer Wörterbuch kommt das Wort Strehle und Strahle für Straße vor, welches Pfiſter und Grolmann ebenfalls aufführen. Jm Althoch - deutſchen und Mittelhochdeutſchen kommt der Ausdruck nicht vor, ſo wenig wie herzuleiten, welches Straße,235 Gaſſe bedeutet. Jn der Gaunerſprache wird jedoch Straat, Strat oder Strade ausſchließlich für die Straße außerhalb eines Orts gebraucht, und bedeutet ſomit die Landſtraße, Chauſſee, Heer -, Land - und Feldweg, im Gegenſatz von Rechof1)Rechof (〈…〉〈…〉), in derſelben Etymologie wie πλατεῖα und platea, iſt die Erweiterung des Raums zwiſchen Häuſern zur Straße, und daher beſon - ders eine breite Straße und bei den Morgenländern der breite Platz außer - halb der Stadt, wo Gericht und Markt abgehalten wurde., die Straße in der Stadt, und Schuck, welches beſonders noch die belebte fre - quente Stadtſtraße, den Marktplatz und Markt bedeutet. 2)Schuck von〈…〉〈…〉, Plural〈…〉〈…〉 (sehewokim), vom gleichlauten - den Verbum ſchuck, laufen, ſtrömen, nachlaufen bezeichnet eigentlich am beſtimmteſten die Straße in der Stadt (vgl. Sprichwörter Sal., K. 7, V. 8), iſt jedoch in der Gaunerſprache vorzugsweiſe in die Bedeutung von Markt, Viehmarkt, Krammarkt übergegangen, wie z. B. Schuckgänger, der Markt - dieb; den Schuck abhalten, den Markt beſuchen, um Gaunergeſchäfte zu machen. Das Wort〈…〉〈…〉 (derech) iſt der allgemeine Ausdruck Weg auch in metaphoriſcher Bedeutung; Haliche dagegen iſt der Schleichweg, Diebsweg.Strade - handeln, oder auf der Strade handeln, iſt der allgemeine Ausdruck für den gauneriſchen Diebſtahl auf oder an der Land - ſtraße3)Auch der Schränker, der die an oder nahe bei der Landſtraße belegenen Dörfer, Höfe, Mühlen u. ſ. w. heimſucht, handelt auf der Strade. Das Um - herziehen, namentlich Hauſiren auf dem Lande, wird Medinegehen, auf der Medine gehen (geien) genannt, wovon Medinegeier, der Land - hauſirer., im Gegenſatz von dem allgemeinen Ausdruck: in Mo - kum oder auf dem Schuck handeln, d. h. in der Stadt, auf dem Markte Gaunereien verüben. Jm gleichen Gegenſatze zu dem Ausdruck: den Schuck abhalten, d. h. auf den Märkten er - ſcheinen, um die Gelegenheit zu Gaunereien wahrzunehmen, ver - hält ſich die Redensart: die Strade halten, oder kurzweg Stradehalten, d. h. auf den Landſtraßen reiſen, um die Gelegen - heit zu Diebſtählen auf derſelben wahrzunehmen. Strade -2)im Niederdeutſchen; doch hat Richey im Hamburger Jdioticon , S. 293, Strahl-Hore als pöbelhaftes Scheltwort. Als Jdiotismus in der Unter - pfalz kommt (Bibra’s Journal von und für Deutſchland , 1787, Nr. 9, S. 216) Strähl, Kamm, und ſtrählen, kämmen, vor, welches wol von Striegel (niederdeutſch Strägel) oder ſtriegeln abzuleiten iſt.236 kehrer1)Vgl. oben beim Schränken das analog zuſammengeſetzte Schrende - feger (bei Pleitehandeln und Challe handeln, Kap. 45). Großes Aufſehen hat die, freilich nur in Zeitungen erwähnte, bislang unerhörte Ver - wegenheit einer Räuberbande gemacht, welche im November 1856 durch Auf - ziehen der Haliſignale einen von Rom kommenden Eiſenbahnzug zum Stehen gebracht und ausgeplündert haben ſoll; doch ſcheint die Geſchichte wol nur eine Zeitungsente geweſen zu ſein. Noch andere ſchändliche Verſuche ſind ſchon gemacht worden durch Auflegen von Balken und Steinen auf die Eiſen - bahnzüge, ohne daß bisjetzt ein vollſtändiges Gelingen der dabei gehegten Ab - ſichten erreicht worden wäre. Jedenfalls mahnen die bisher gemachten Er - fahrungen dringend dazu, die Eiſenbahnſtrecken nicht ferner allein der unzurei - chenden Aufſicht der Bahnwärter zu überlaſſen, ſondern auch einer ſtrengen poli - zeilichen Ueberwachung zu unterſtellen. Am 28. Febr. 1854, abends Uhr, wurde auf den Abendzug der Lübeck-Büchen-Hamburger Eiſenbahn bei dem lauenburgiſchen Orte Friedrichsruhe geſchoſſen. Eine Kugel fuhr durch beide Fenſterſcheiben eines Coupés hindurch, zum Glück ohne jemand zu verletzen. Der Thäter konnte nicht ermittelt werden. Vereinzelte Raubanfälle auf Poſten kommen noch heute vor. So wurde z. B. am 24. Jan. 1857, abends 9 Uhr, die von Verona nach Tirol abgehende Mallepoſt bei Parona von 14 bewaffneten Räubern angefallen und um 40,000 Gulden beraubt. Die Räuber wurden jedoch mit dem Raube bald von der trefflichen öſterreichiſchen Gensdarmerie entdeckt und angehalten. Vgl. Oeſterreichiſches Centralblatt , 1857, Nr. 383, S. 13. ſind dagegen Straßenräuber, welche Fuhrwerke und Perſonen auf der Landſtraße anfallen und berauben.

Das Stradehandeln iſt im Grunde nur die moderniſirte Wegelagerei. Die Raubritter des Mittelalters, welche vom Sattel oder Stegreif lebten, hatten an den ſchlechten Wegen, die kaum etwas anderes waren als unordentliche gewundene Fußſteige oder Reitſteige, und bei den ſchlechten unbeholfenen Karren, welche lang - ſam und ſchwerfällig aus den ſchmalen und niedrigen Stadtthoren auf den holperigen Wegen einherfuhren, allerdings eine leichtere Arbeit, ſich ganzer Waarenzüge zu bemächtigen und das bewaffnete Geleite niederzuwerfen oder in die Flucht zu ſchlagen. Die ſchlech - ten Wege in Deutſchland haben dem Straßenraub ſehr lange Vorſchub geleiſtet, und erklären auch die vielen Poſtberaubungen, welche noch bis tief in das jetzige Jahrhundert hinein ſo verwe - gen wie häufig unternommen wurden. Die ſehr ſpäte und wol237 erſt von der Napoleoniſchen Zeit her zu datirende Herſtellung von wirklichen Kunſtſtraßen, welche mit Chauſſee - und Poſthäuſern, ſowie mit Gensdarmerieſtationen beſetzt und geſichert ſind, hat auch behendere Gefährte und eine beſchleunigtere Bewegung derſelben hervorgebracht, ſodaß auch die Gaunerkunſt ein Uebriges thun mußte, um gleichen Schritt mit dieſen Vervollkommnungen zu halten. An Stelle der frühern ſtationären Wegelagerei iſt das Stradehandeln eine ambulante Praxis geworden, deren rührige Bewegung ganz außerordentlich iſt und auch außerordentliche Wach - ſamkeit nöthig macht.

Zur raſchen Bewegung und zum behendern Transport der von den Fahrzeugen auf der Landſtraße geſtohlenen Gegenſtände dienen den Stradehaltern die Agolen, Michſegolen1)Agole (〈…〉〈…〉), der Wagen, Frachtwagen, Reiſechaiſe, auch verdorben Eglo ausgeſprochen; davon die Ausdrücke Goleſchächter und Golehopſer. Jm Jüdiſch-Deutſchen kommt noch vor:〈…〉〈…〉 (merchof) und〈…〉〈…〉 (rechof), in der allgemeinen Bedeutung von Wagen. Dagegen heißt in der deutſchen Gaunerſprache der Frachtwagen die Laatſche, von der langſamen Bewegung (latſchen). Die Laatſche belatchenen oder beſſachern, den Frachtwagen beſtehlen. 〈…〉〈…〉(michse), iſt die Decke des Zelts, Schiffs, Hauſes, Dach, Verdeck, Frachtwagenplan. Michſegole iſt der mit einem prakticabeln Leinen - plan überſpannte Gaunerwagen, aber auch Frachtwagen. Golemichſe oder Agolemichſe iſt der Wagenplan an Gauner - und Frachtwagen., von deren Urſprung ſchon oben2)Vgl. S. 37, Note 1. die Rede geweſen iſt. Es ſind ge - wöhnliche leichte Stuhl -, Leiter - oder Korbwagen3)Neuerdings kommen auch Hundefuhrwerke auf, welche ihrer Behendig - keit wegen ein ſehr gefährliches Transportmittel ſind, unter die geſchloſſenen Chauſſeebäume durchfahren, und ſich ſchlecht nachſpüren laſſen. Sie verdienen ſehr genaue Aufmerkſamkeit der Sicherheitsbeamten. mit einem zum Niederſchlagen eingerichteten Leinenplan, nach Art der Fracht - wagen, mit einem oder zwei nicht auffällig gezeichneten Pferden, welche von der Genoſſenſchaft auf gemeinſchaftliche Koſten unter - halten werden. Der Plan wird bald auf -, bald niedergeſchlagen, je nachdem die Chawruſſe ſich ſehen laſſen zu dürfen oder ver - bergen zu müſſen glaubt. Die Agolen haben meiſtens einen238 Korb, verſteckten Behälter oder doppelten Boden zum Verbergen des nöthigen Schränkzeuges.

An den Hafenkais, Packhöfen, Speichern und Wirthshäu - ſern erfährt die Chawruſſe durch ihre Baldower, welche Waaren auf den Latſchen geladen ſind. Jedes Mitglied der Chawruſſe kennt die Stauregeln trotz dem beſten Fuhrmann, und weiß daher, welche Waaren in der Latſche oben, hinten und an die Seiten geladen werden müſſen. Ebenſo weiß ſie die Richtung und nächſte Station, wo der Fuhrmann übernachtet. Sehr häufig fährt aber die Chawruſſe auf das Gerathewohl in der Dunkelheit die Land - ſtraße entlang, und erſieht ſich das weiterfahrende oder abgeſpannte Fuhrwerk und die Gelegenheit, wie ihm beizukommen iſt. Bewegt ſich der Frachtwagen auf der Landſtraße, und ſcheint Zeit und Gelegenheit günſtig, namentlich das Wetter ſchlecht, ſo fährt die Agole raſch vorbei und läßt an einem verſteckten Orte, in einem Graben, Buſch oder hinter einem Steinhaufen, unter einer Brücke, einen oder zwei Chäwern zurück, fährt beiſeite auf einen Zink - platz, während nun einer der vorher abgeſetzten Chäwern hinter dem Frachtwagen oder an der Seite aufſteigt, auf die Gole h’opſt (wovon er den Namen Golehopſer hat), den Plan zer - ſchneidet1)D. i. die Gole (eigentlich die Michſe) ſchächtet, wovon der Name Goleſchächter. Der Ausdruck fetzen wird nur vom Aufſchneiden der Packen, Waarenballen und Kiſten gebraucht. So wird auch hier das Meſſer beſonders der Kaut genannt. Die übrigen Benennungen des Meſſers vgl. Kap. 37, Note 2. und ſo leiſe wie möglich Packen und Kiſten auf den Weg fallen laßt, worauf er ſelbſt vom Wagen ſteigt, mit ſeinem Chawer die herabgeworfenen Sachen beiſeite ſchleppt, und der mit der Agole auf dem Wiatzef wartenden Chawruſſe einen Zink gibt, welche nun heranfährt und die Sachen aufladen hilft, worauf alle auf einem Nebenweg davonfahren.

Gewöhnlich hält der Frachtfuhrmann die abgerundete, trockene und ebene Mitte der Chauſſee, und geht auch meiſtens neben dem Sattelpferde, an der linken Seite, einher. Die Chawruſſe fährt daher gewöhnlich an der rechten Seite des Frachtwagens vorbei,239 und überzeugt ſich durch einen Schlag mit der Peitſche, oder auf ſonſtige Weiſe, durch luſtiges Rufen und Jauchzen, ob ein Hund in oder bei dem Wagen ſich befindet. Jn letzterm Falle wird eine Strecke voraus auch wol der Peiger (vgl. Kap. 38) für den Hund ausgeworfen. Das dunkle, regnichte Wetter, das Klappern und Raſſeln des ſchwerfälligen Frachtwagens, namentlich auf gepfla - ſterten Dämmen oder neu oder ſchlecht gebeſſerten Chauſſeen, er - leichtert das Golehopſen und Goleſchächten ganz bedeutend, nament - lich in ſolchen Gegenden, wo der Weg durch ein coupirtes oder waldiges Terrain läuft.

Jn ſolchen Gegenden, und beſonders noch, wo wenig Kunſt - ſtraßen ſind, beſchränkt ſich das Golehopſen und Goleſchächten nicht allein auf die Latſchen, ſondern erſtreckt ſich auch auf alle Reiſewagen. Jm Dunkeln wiſſen die Golehopſer bei waldigen und ſchlechten Wegeſtellen geſchickt hinten auf die Packbreter und Koffer zu ſpringen, und die letztern entweder ganz abzuſchneiden oder doch aufzubrechen, und den Jnhalt auf die Chauſſee ihren nachfolgenden Genoſſen zuzuwerfen. An Poſtwagen werden dieſe, im vorigen Jahrhunderte ſehr viel und verwegen verſuchten Dieb - ſtähle jetzt weniger verübt, weil die hinter den Wagen angebrach - ten Magazine gewöhnlich durch Blechfutterung und ſtarkes Stan - gen - und Schließwerk gut geſichert ſind, was bei anderm Reiſe - fuhrwerk, ſelbſt bei den Extrapoſten und Beichaiſen, keineswegs immer der Fall iſt. Deſto häufiger kommen jedoch dieſe Dieb - ſtähle bei Privatfuhrwerk vor, namentlich bei Equipagen von Gutsbeſitzern, ſobald ſie von den immer doch durch den lebhaften Verkehr geſchütztern Chauſſeen auf die Seitenwege abfahren.

Auch die vor den Wirthshäuſern haltenden Latſchen ſind vorzugsweiſe dem Goleſchächten ausgeſetzt. Der Fuhrmann hat meiſtens einen eigenen Hund, den er des Nachts unter den Frachtwagen anbindet, oder auch in den Frachtwagen ſelbſt placirt. Sehr oft muß aber auch der unter den Frachtwagen gebundene Hund des Wirths den Wachtdienſt verrichten. Die Latſche wird gewöhnlich dicht vor die Fenſter der zur ebenen Erde befindlichen Gaſtſtube, deren Schalter offen bleiben, und in welcher der Fuhr -240 mann mit andern Gäſten auf der Streu liegt, aufgefahren und von einem in das Fenſter geſtellten Lichte, oder auch von einer Wagenlaterne erleuchtet. Erblicken die Goleſchächter im Vorüber - fahren ſolche Sicherheitsmaßregeln, ſo laſſen ſie in einiger Ent - fernung einen Chawer abſteigen und im Wirthshauſe Quartier nehmen, damit er die Hinderniſſe wegräumen kann, zu denen übrigens die ſchlechte, und immer nur von einer Seite fallende Beleuchtung keineswegs abſolut gehört. Meiſtens beſchränkt ſich dieſe Beihülfe auf das Pegern des Hundes. Sehr oft findet aber der Chawer dazu noch Gelegenheit, als Torfdrucker gegen den Fuhrmann oder deſſen Schlafkameradſchaft zu agiren, oder gegen den Wirth eine Pleite oder Challe zu handeln. Jſt ein Wächter im Dorfe, ſo hat ein anderer Chawer dieſen zu beobachten und zu meiſtern, während die handelnden Chawern die Latſche ſchäch - ten, welches oft mit ungemeinem Uebermuth und mit koſtbarem Ertrage geſchieht. Für den Fall der Ueberraſchung wird wol noch die Hausthüre zugebunden oder das Schlüſſelloch durch einen Pflock verſtopft, damit der gewöhnlich auch im zugeſchloſſe - nen Schloſſe innen ſteckengebliebene Hausſchlüſſel nicht gedreht werden kann, und die Chawruſſe Zeit findet, mit ihrem Maſſe - matten davonzugehen.

Die gehörige Bewachung der abgeſpannten Frachtwagen er - fordert durchaus einen eigenen Wächter, welcher die Nacht hin - durch bei dem Wagen zu bleiben hat. Auf Hunde iſt kein voller Verlaß, ſelbſt auch wenn man ſie gegen das Peigern durch einen Maulkorb ſichert, oder ſie in einen dichten Latten - oder Drahtkäfig unter oder in den Wagen einſperrt. Bei lebhaftem Verkehr auf der Landſtraße ſchlägt der wache Hund jedesmal an, wenn ein Wagen, Reiter oder Fußgänger vorüberkommt, und macht den Fuhrmann ſicher, daß er nicht bei jedem Geräuſch aufſteht und nachſieht. Die Goleſchächter verſuchen auch durch wiederholtes Hin - und Herfahren, ob ein Hund überhaupt da, ob er wach und ob er eingeſperrt, angebunden und mit einem Maul - korbe verſehen iſt, und nehmen danach ihre Maßregeln, wie ſchon beim Schränken angegeben iſt. Die Dorfwächter, wozu verkehrte241 Sparſamkeit meiſtens alte, ſtumpfe, oft halb blödſinnige Hirten - knechte wählt, welche ohnehin auch von ihrer Tagearbeit ermüdet ſind, werden überaus leicht gemeiſtert1)Somit kommt denn auch jetzt noch vor, daß ſo ein Wächter ſein Horn wie das ja unter anderm dem Afrom Mey von der Niederländiſchen Bande einmal ſo vollkommen gelang an einen Gauner abtritt, der damit in der Nähe des Wirthshauſes bläſt und den Fuhrmann ſicher macht, während vielleicht noch ein Genoſſe den Wächter mit Zutrinken und Erzählen meiſtert und die übrigen die Latſche beſſachern. Fälle der Art ſind auch noch ganz neuerlich bekannt geworden., wie das auch ſchon beim Schränken erwähnt iſt.

Auch während des Fahrens der Latſchen iſt auf den Land - ſtraßen kein Verlaß auf die Hunde, ſobald ſie zwiſchen den Pfer - den oder neben dem Fuhrmann einherlaufen. Am beſten iſt es noch, den durch einen Maulkorb gegen das Peigern geſchützten Hund hinter dem Frachtwagen anzubinden. Viele Hauderer haben deshalb auf den hinter dem Reiſewagen in den Packkörben ſtehenden Koffern einen Platz für ihre kleinen wachen Spitzhunde eingerichtet, die aber für den Dienſt, den ſie leiſten, auch manches Läſtige für den Reiſenden haben durch ihr beſtändiges Gekläffe und Beſchmuzen der Koffer und Reiſeſäcke. Der beſte Schutz gegen die Golehopſer iſt der, daß der Fuhrmann, dem eine werthvolle Fracht anvertraut iſt, einen Fuhrknecht hinter dem Wagen ein - hergehen läßt, und ebenſo des Nachts einen eigenen rüſtigen und zuverläſſigen Wächter bei ſeinem Wagen aufſtellt. Bei Reiſewagen ſchützt die Anbringung der Koffer unter dem Bedientenſitz am beſten. 2)An den Poſtwagen befinden ſich die hinten angebrachten Magazine während der Fahrt ohne alle Aufſicht. Der Conducteur, der letztere führen ſoll, ſetzt ſich immer neben den Poſtillon oder in das Cabriolet, oder gar, wie das auf gewiſſen Poſtſtrecken regelmäßig vorkommt, ohne Umſtände in den Wagen zu den Paſſagieren, mit ſeiner brennenden, mephitiſche Dünſte verbrei - tenden Pfeife. Warum wird der Conducteur nicht hinter den Poſtwagen placirt, wie das bei Eiſenbahnwagen und Omnibus eingeführt iſt? Gewiß würden dadurch die wenn auch jetzt nur noch ſelten vorkommenden Poſtdieb -Jſt ein ſolcher Sitz nicht vorhanden, ſo müſſen dieAvé-Lallemant, Gaunerthum. II. 16242Koffer1)Es iſt hier nur von hölzernen Koffern die Rede. Lederne Koffer laſſen ſich ſchwer an den Wagen befeſtigen, und ſind immer leicht ab - oder aufzu - ſchneiden. Am beſten ſind für die Unterbringung von ledernen Koffern und Reiſeſäcken hölzerne Magazine, welche an dem Wagen gut befeſtigt und äußer - lich geſichert ſind. unter dem Kutſcherſitz angebracht werden, wenn nicht im Wagen ſelbſt unter den Sitzen, oder in einem mit dem Wagen verbundenen, nur von innen zugänglichen, mit Blech gefutterten Magazin hinter dem Wagenkaſten. Jſt die Anbringung der Koffer auf dem Packbrete hinter dem Wagen nicht zu vermeiden, ſo ſind mit ſpitzen Zinken verſehene eiſerne Gliederſtangen, welche über den Koffer gelegt und mit einer ſchließbaren Querſtange befeſtigt werden, ein ſicheres Mittel, dem Golehopſer das Aufſpringen und Aufſetzen unmöglich zu machen, weil das Stoßen des Wagens dem Golehopſer keinen feſten Sitz auf dem Koffer gewährt und ihn daher ſchweren Verwundungen ausſetzt, ohne daß er ſeinen Zweck erreicht. 2)Unter allen Umſtänden erſcheint es bedenklich, unterwegs Reiſenden die Bitte um Aufnahme zur Mitfahrt auf dem Bocke neben dem Kutſcher zu ge - währen. Bei oſtentirter Hülfloſigkeit mache man jedenfalls lieber Anzeige im nächſten Orte oder Hauſe. Die Geſchichte der Poſt - und Reiſewagenberau - bungen lehrt nur zu eindringlich, daß die Aufnahme ſolcher angeblicher Hülf - loſer oder ſogenannter blinder Paſſagiere nichts weiter war, als ein Vertuſſ, der zur Förderung eines räuberiſchen Ueberfalls durch eine nahe lauernde Bande gemacht wurde. Beſonders wimmelt die franzöſiſche und engliſche Gauner - geſchichte von Beiſpielen hülfloſer Frauenzimmer auf der Landſtraße, welche ſich ſpäter als verkleidete Räuber auswieſen. Noch ganz neuerlich brachten die Zeitungen einen ſolchen Fall aus der Nähe von Paris, in welchem der Beſitzer eines Cabriolets die aus Mitleid von ihm aufgenommene Dame als - bald als Räuber erkannte, durch liſtiges Niederwerfen ſeines Schnupftuchs zum Abſteigen bewog, und ſodann eiligſt davon floh. Zum mindeſten kann ein ſogenannter blinder Paſſagier den Kutſcher meiſtern, daß er den Golehopſer hinten auf dem Wagen nicht bemerkt.

Zum Goleſchächten ſind noch die Diebſtähle zu rechnen, welche auf den Eiſenbahnen während der Fahrt in den Gepäckwagen an2)ſtähle noch mehr beſchränkt werden. Ueber die Sicherheitsmaßregeln gegen Poſträuber ſagt Falkenberg, a. a. O., I, 172 184, viel Vortreffliches und Beherzigenswerthes. Vgl. Hirt, Der Diebſtahl , S. 88 103.243 Reiſeeffecten vorkommen. Dieſe Diebereien, welche namentlich im Jahre 1854 auf der Sächſiſch-Schleſiſchen, auf der Main-Weſer - und der Niederſchleſiſch-Märkiſchen Eiſenbahn einige Zeit als ſy - ſtematiſches Gewerbe betrieben, jedoch endlich entdeckt wurden, ſind zwiefach ſtrafbar, da ſie wol nur von Beamten dieſer öffentlichen Beförderungsanſtalten ſelbſt verübt werden können, deren Aufſicht und Schutz der Reiſende ſich mit ſeinem Vermögen anvertraut. Die erwähnten wahren gewerbsmäßigen Gaunereien ſind denn auch beſonders ſcharf geſtraft worden.

Die Schwierigkeit, welche die ſtrenge Bewachung der Gepäck - räume auf den Eiſenbahnhöfen und die geſchwinde Bewegung der Bahnzüge den Golehopſern bereitet, hat nun aber auch neuer - dings zur verwegenen Beraubung der Fahrzeuge auf den Strecken von den Bahnhöfen bis zum Gaſthofe oder Privathauſe Anlaß gegeben. Die Bahnhöfe liegen meiſtens außerhalb der Vorſtädte, ja oft noch weit über dieſelben hinaus. Die angeſtellten und vereidigten Gepäckträger geben allerdings eine Garantie für die richtige Ablieferung des Gepäcks. Auch die Wirthe, welche eigene Omnibus zwiſchen den Bahnhöfen und ihren Gaſthöfen unter Schutz eines Conducteurs und Hausknechts fahren laſſen, ſichern durch dieſe ihre Leute den Reiſenden und ſein Gepäck. Für den Reiſenden, der jedoch eilig von einem Dampfſchiff oder Bahnhof zum andern oder in ein Privathaus will, und dazu ſich der näch - ſten beſten Droſchke am fremden Orte bedient, iſt allerdings ſchon Gefahr für ſein Gepäck vorhanden, wenn er es durch einen an - dern als durch einen Gepäckträger in die Droſchke ſelbſt abliefern läßt, oder wol gar dem nächſten ihm unbekannten Bummler über - gibt, der ſich hervordrängt, ſich auch wol zum Kutſcher, einem alten Kameraden, ſetzt, und gelegentlich auf dem langen oder ab - ſichtlich verlängerten Wege zum Abſteigequartier mit einem Packen verſchwindet. Nur eine ſehr genaue polizeiliche Controle der Droſchkenführer und Dienſtleute auf den Hafenkais, Perrons und deren Nähe, und die Zurückhaltung aller Müßiggänger und verdächtigen Bummler kann den Reiſenden gegen dieſe Golehopſer16*244ſichern, welche in neuerer Zeit ihr Weſen in höchſt verwegener Weiſe zu treiben angefangen haben. 1)Jm Dampfſchiffshafen und auf dem Eiſenbahnhofe in Lübeck führen eigene Polizeibeamte die Aufſicht auch über die Reihenfolge der Droſchken, welche ſtets notirt wird. Außer den Gepäckträgern wird nur beſtelltes Privat - dienſtperſonal zum Tragen von Reiſeeffecten zugelaſſen, und durchaus nicht das Aufſitzen eines Unbekannten oder Unbeſtellten zum Kutſcher auf den Bock ge - duldet. Noch niemals iſt bei dieſer Einrichtung irgendein Verluſt oder Dieb - ſtahl auf der ziemlich langen Strecke zur Stadt ruchtbar geworden, wie doch ſolche anderer Orten nicht ſelten vorkommen, wo auch durch öffentliche Pla - kate vor Taſchendieben gewarnt wird.

Aehnliche freche Diebſtähle an Poſtgut ſind in neuerer Zeit auch auf den Strecken zwiſchen den Poſthäuſern und Bahnhöfen und zwiſchen den einzelnen Poſtſtationen vorgekommen. Ge - wandte Gauner haben den Moment wahrgenommen, in welchem die Poſtwagenverſchlüſſe noch offen ſtanden und von nachläſſigen Beamten ohne Aufſicht gelaſſen waren, wie das beſonders auch noch auf den Zwiſchenſtationen der Fall iſt, auf welchen die Ver - ſchlüſſe geöffnet werden. Jedesmal ſind jedoch in ſolchem Falle Nachläſſigkeiten der Beamten, ſeltener Mängel in den poſtaliſchen Einrichtungen ſelbſt, nachgewieſen worden, welche bei der jetzigen Vortrefflichkeit des deutſchen Poſtweſens kaum noch hier und da zu finden ſind, und ſchwerlich noch irgendwie jene gewerbsmäßige Beraubung durch die Trararumgänger der frühern Zeit mög - lich machen dürften, von denen Falkenberg, a. a. O., I, 88 94, eine ausführliche Darſtellung gibt, und unter welchen der 1814 zur Unterſuchung gezogene Karl Grandiſſon oder Grosjean einer der größten Koryphäen war. 2)Die Trararumgänger (bloße Wortimitation des Poſthornklanges) reiſten gewöhnlich als Kaufleute oder Handlungsreiſende unter falſchen Namen mit der Poſt, um in den Poſthäuſern, auf den Stationen, durch Makkenen, Ennevotennemachen oder Schränken u. dgl. werthvolle Poſtſtücke zu erbeuten. Grosjean war lange Zeit als Trararumgänger in Frankreich und Deutſch - land gereiſt, und hatte ſehr bedeutende Summen geſtohlen, bis in Heidelberg eine Unterſuchung gegen ihn eröffnet und er ſelbſt in Berlin zur Haft gebracht wurde, wo er in der Stadtvogtei in der Nacht vom 20. 21. Mai 1814 ſich an ſeinem Schnupftuche erhenkte, ehe er noch eigentlich ſelbſt verhört war.Doch dürfte der Poſtexpedient a. D.245 Waſſerlein, welcher am 2. Aug. 1858 durch ſein verwegenes Auf - treten als höherer Poſtbeamter den niedern Poſtbeamten auf der Niederſchleſiſch-Märkiſchen Eiſenbahn ſo zu imponiren wußte, daß ſie ihm zur angeblichen Reviſion bedeutende Poſtcontanten über - gaben, ſchwerlich zu den Trararumgängern zu zählen ſein, ſondern muß als frecher Betrüger gelten, welcher durch ſeine verwegene Anmaßung und Ausbeutung höherer Beamtenſtellung den mehr an unbedingten Gehorſam gegen die Uniform als an eigenes Nach - denken und Aufblick gewohnten Subalternen zu imponiren verſtand, und ein vereinzeltes Verbrechen beging, das weniger wegen der Größe des Betrags als wegen ſeiner culturhiſtoriſchen Bedeut - ſamkeit und wegen ſeiner raſchen und behenden Entdeckung durch die eifrige berliner Polizei merkwürdig erſcheint.

l) Das Jedionen.

Neunundſechzigſtes Kapitel. α) Etymologiſche Erklärung.

Jedioner1)Von〈…〉〈…〉 (joda), wiſſen, kennen, erkennen, merken, erfahren, denken, vermuthen, ſich um etwas kümmern; euphemiſtiſch: ein Weib erkennen (be - ſchlafen), einſehen, wiſſen machen, wiſſen laſſen, anzeigen, beſtellen, ſich zu erkennen geben u. ſ. w. Davon Jedia und Jediaſſ, die Kenntniß, Wiſſen - ſchaft. Deo, Daaſſ, Kenntniß, Wiſſenſchaft. Mode oder Maude ſein, bekennen. Modia ſein und Modich ſein, kund machen, bekennen, bekannt machen, wahrſagen. Jedioner (〈…〉〈…〉), der Wahrſager. Vgl. Callenberg, Jüdiſch-Deutſches Wörterbuch , S. 135; Selig, Jüdiſch-Deutſches Wör -, ſpecifiſch jüdiſch-deutſcher, aber ſehr früh in die deutſche Gaunerſprache übergegangener Ausdruck, welchen ſchon2)Pfiſter, der die Unterſuchung in Heidelberg führte, hat den ſehr intereſſanten Fall im zweiten Theile ſeiner merkwürdigen Criminalrechtsfälle dargeſtellt. Auch iſt der Proceß beſonders gedruckt unter dem Titel: Karl Grandiſſon oder Grosjean, der berüchtigte Poſtwagendieb und Betrüger. Eine crimina - liſtiſche Novelle (Heidelberg 1816). Vor dem Titel befindet ſich ein ſchlecht lithographirtes Porträt des Grandiſſon.246 der Vocabular des Liber Vagatorum in der contrahirten Form, Joner , Spieler1)Das Baſeler Rathsmandat hat nach den drei Handſchriften Kne - bel’s, Ebener’s und Brückner’s das Wort Jnnen, welches Hoffmann, Weimariſches Jahrbuch , IV, 76, mit Recht als Schreibfehler anſieht und mit Junen verbeſſert. Bei dem Abdruck der Brückner’ſchen Handſchrift, Thl. 1, S. 131, iſt Zeile 20 u. 21 der Schreibfehler Jnnen unverändert beibehalten worden., aufführt, iſt, im weiteſten Sinne, dem ſpä - tern Kochemer oder Cheſſen gleich, und bedeutet den gewerblich ausgebildeten Gauner überhaupt, im Gegenſatz von Wittſcher, Nichtgauner2)Jnſofern würde die Ableitung des Wortes Gauner von Jonen und die Schreibung Jauner gerechtfertigt ſein, wenn nicht die zutreffendere Ablei - tung von Aegytiani und Zigauner hiſtoxiſch nachgewieſen wäre. Vulcanius, a. a. O., gibt S. 108 den Ausdruck Jonen geradezu mit fallere. Vgl. den erſten Theil, S. 5 fg., in engerer Bedeutung jedoch beſonders den Gauner, welcher unter dem offenen Schein der Wiſſenſchaft oder Kunſt ſeine Betrügereien ausübt. Aber auch dieſer Begriff be - ſchränkte ſich ſchon zu Anfang des 16. Jahrhunderts auf die ſpecifiſche Wahrſagerei und ſchwarze Kunſt, welche nach Kap. 7 des Liber Vagatorum beſonders von den Vagierern oder Farn Schülern (ein beſtimmter gaunerſprachlicher Ausdruck fehlt), ſo - wie von den Stabulern und von denen, die in der Mumſen oder vbern Sontzen gangen , als Hochſtapplern3)Vgl. Kap. 2, 20 u. 21 des Liber Vagatorum, wo auch beſonders in Kap. 2 die treffende Definition der Stabuler gegeben iſt: denen der Bettelſtab erwarmt iſt in den Grifflingen (Fingern). gelegentlich geübt wurde, während die Quackſalberei und Schatzgräberei und die damit verbundenen Betrügereien den ambulanten Felingern (Tiriakskremern)4)Vgl. die Notabilien des Liber Vagatorum. Felinger (von feil) Krämer; vgl. oben Kap. 60, u. Rochlim, Kap. 75. und das Jonen beſonders den eigentlichen Spielern (den ſpätern Freiſchuppern, Hadderern und Kuwioſtoſſen) zufiel. Doch ſind dieſe Unterſcheidungen nicht feſt durchgreifend,1)terbuch , S. 191; Prager, Jüdiſch-Deutſches Wörterbuch , S. 64; Voll - beding, Jüdiſch-Deutſches Wörterbuch , S. 41; Jtzig Feitel Stern, Medr. Seph. , S. 133. Vgl. auch den erſten Theil, S. 6 u. 7.247 ſondern ſchwanken im Sprachgebrauch der verſchiedenen Zeiten. So hatte ſich der jetzt faſt ganz außer Sprachgebrauch gekommene Ausdruck Felinger im 17. u. 18. Jahrhundert weſentlich für den ganzen Begriff und Ausdruck des Jedioners im weiteſten Sinne ſubſtituirt, nachdem die äußere Erſcheinung der fahrenden Schüler, Stappler u. ſ. w. vor der Vigilanz der Polizei noch raſcher verſchwinden mußte, als der, ſeiner ſcheinbaren Unſchädlich - keit oder Nützlichkeit wegen weniger controlirte, ja ſogar häufig begünſtigte Hauſirhandel.

Der Liber Vagatorum ſpricht noch in Kap. 23 über die Veranerinnen, welchen Ausdruck die älteſte Rotwelſche Gram - matik von Rud. Dekk, im Kapitelinder, Bl. 4b, O. 3, als ge - taufft Judin, Wahrſagerin überſetzt, aber ſowenig wie der Liber Vagatorum in den Vocabular aufgenommen hat. Der Ausdruck iſt eine augenſcheinlich geſuchte Verſtümmelung1)Freilich ungeſchickt genug dem deutſchen Wahrſagen mit dem lateini - ſchen Ausdruck verus nachgebildet, gleichſam verum dicere, ebenſo falſch, wie wenn man in der Gaunerſprache ſagt: Emmes dibbern, wahrſagen, für die Wahrheit ſagen. Das völlig ohne Kenntniß und Kritik der Gaunerſprache geſchriebene Wörterbuch des v. Train enthält unter Wahrſager ohne Um - ſtände die beiden Ausdrücke Veraner und Kaſchperer (von〈…〉〈…〉 [kosaw], Jemandem lügen, heucheln, trügen, zum Nachtheil der Wahrheit durchſtechen, vgl. oben Kaſſpern, Kap. 27) nebeneinander, alſo dort: die Wahrheit ſagen, hier: die Lüge ſagen. Niemals iſt der Ausdruck kaſſpern für wahrſagen in der Gaunerſprache üblich geweſen. Schäffer, S. 126, ge - braucht den Ausdruck in ganz anderer Beziehung bei dem Chriſtophelsgebet, in der Bedeutung betrügen. Noch treffender hebt ſich der Gegenſatz S. 99 hervor, wo Schäffer den[F]enkel Caſpar als Betrug (Caſpar) mit Hexerei (Fenkel) darſtellt und erläutert. Wahrſcheinlich iſt bei v. Train der Kaſch - perer aus der Verwechſelung mit〈…〉〈…〉 (koschaph) entſtanden, welches beten, Zauberformeln ſprechen, murmeln, gleich dem φαρμακεύεσϑαι bedeutet, wovon das jüdiſch-deutſche Kiſchuv, Zauberei, Kiſchuvmacher oder Meka - ſchev, Zauberer, Mekaſchev ſein und bekaſchphenen, bezaubern, be - hexen. Das Wort Vermerin iſt vom deutſchen mär abzuleiten. Märinn iſt auch noch heute im Pinzgau die Ausſchwätzerin beſonders von Liebesver - hältniſſen. Vermären, vermeren, iſt: durch Reden, Plaudern, bekannt machen, verkünden (vgl. Schmeller, a. a. O., II, 607). des im Baſeler Rathsmandat vorkommenden, in der Ebener’ſchen und Brückner -248 ſchen Handſchrift in gleicher Schreibung enthaltenen, in der Kne - bel’ſchen Handſchrift ganz fehlenden Ausdrucks Vermerin. Das Mandat (und nach ſeinem Vorgange der Liber Vagatorum und die Rotwelſche Grammatik ) erklärt Vermerin als beſunder allermeiſt Frowen, die ſprechent, ſy ſient getoffet Juden und ſient Chriſten worden und ſagent den Lüten ob ir Vatter oder Mutter in der Helle ſient oder nit . 1)Nach dieſer Erklärung iſt die Wahrſagerei der Veranerinnen auch nur ſehr beſchränkt. Die Gauner des 15. Jahrhunderts verſtanden auch die volks - bekannte, eigenthümliche, jüdiſche Lehre von der Hölle (〈…〉〈…〉), auszubeuten, in welche der Lebende Blicke thun und wo er ſogar Geſpräche mit den Ver - dammten führen konnte, wie die letzte intereſſante Maaſe bei Wagenſeil, Jü - diſch-deutſche Belehrung , S. 332, das Zwiegeſpräch des königlichen Lauten - ſchlägers mit ſeinem frühern Kunſtgenoſſen (Cha[wer]) in der Hölle enthält. Vgl. Eiſenmenger, a. a. O., II, Kap. 6.Der Ausdruck Veranerin iſt je - doch niemals ſpäter für Wahrſagerei gebraucht worden, obgleich alle ſpätern Auflagen der Rotwelſchen Grammatik , Moſcheroſch und viele andere Nachtreter der Rotwelſchen Grammatik ihn aufgenommen haben.

Noch iſt bemerkenswerth, daß die zigeuneriſchen Ausdrücke durker oder durgeaf, wahrſagen, durgepaskro, Wahrſager, und durgepaskri, Wahrſagerei2)Vgl. Pott, Die Zigeuner , II, 317; Biſchoff, a. a. O., S. 103, und Beytrag zur Rotwelſchen Grammatik , S. 34. obſchon gerade die Wahrſagerei, be - ſonders die Chiromantie, die Hauptvermittelung war, durch welche die Zigeuner des 15. Jahrhunderts ſich den Eingang in alle ſo - cial-politiſche Schichten zu verſchaffen wußten in keiner Weiſe von der deutſchen Gaunerſprache aufgenommen oder auch nur nach - geahmt worden ſind. So bleibt denn in etymologiſcher Hinſicht nur der einzige ſpecifiſch jüdiſch-deutſche Ausdruck Jedionen3)Doch exiſtiren noch die ebenfalls jüdiſch-deutſchen Ausdrücke〈…〉〈…〉, Kauſſem, der Wahrſager, und〈…〉〈…〉, Keſſem, Plural〈…〉〈…〉, kſſomim, das Wahrſagen, das Orakel. Bemerkenswerth iſt, daß der dem hebräiſchen Stammworte〈…〉〈…〉 (kassam) anklebende Begriff des Tadels, der Verächtlich - keit, des Verbotenen und des Verlogenen auch in dieſen Terminologien bei - behalten iſt. für den Begriff des Wahrſagens übrig, welcher denn nun gelegentlich249 von Hochſtapplern, Medinegeiern, Paſchkuſenern u. ſ. w. (wie von den frühern Felingern) betrieben wird, wenn ſie den Schuck ab - halten oder Strade halten.

Siebzigſtes Kapitel. β) Das Wahrſagen.

Der ſchon im fernſten Alterthum erkennbare, zu einer Menge von Mitteln und Formen der verſchiedenſten Art greifende Hang des Menſchen, zukünftige Dinge vorherzuſehen und dazu eine vor - zugsweiſe Begabung zu erlangen, welche beſonders den mit der Gottheit näher in Verbindung ſtehenden Prieſtern und Prieſterin - nen zugeſchrieben wurde, iſt auch ſchon im älteſten deutſchen Heidenthume ſichtbar, wo nicht nur die Alrunen1)Vgl. Jakob Grimm, Deutſche Mythologie , S. 224 fg. aus dem Blute der geopferten Gefangenen, ſondern auch die Familienväter aus dem Looswerfen, Vogelflug, Pferdewiehern, Begegnen von Thieren u. ſ. w. weiſſagten. Neben dieſem Göttercultus bildete ſich jedoch, wie Grimm, a. a. O., S. 579, treffend bemerkt, ausnahms - weiſe, nicht als Gegenſatz, die Zauberei aus, welche höhere ge - heime Kräfte ſchädlich wirken läßt. Die Zauberei wurde im ger - maniſchen Heidenthum vorzugsweiſe den Frauen zugeſchrieben, welche ſich zuſammenthaten und in größern Verſammlungen ihr Weſen trieben. Das Chriſtenthum bildete dieſe vorgefundene, durchaus heidniſche Erſcheinung weiter aus, und gab manche Zu - thaten dazu. 2)Merkwürdig iſt Lex Salic. , Tit. 67, wo zuerſt von Zuſammen - künften der Hexen und vom Kochen im Hexenkeſſel die Rede iſt (I) und wo (III) die stria, quae hominem comederit, 200 solidi büßen ſoll. Georgiſch, C. J. G. A., S. 126 u. 127. Grimm beweiſt a. a. O., S. 587 fg., daß bis auf die jüngſte Zeit in dem ganzen Hexenweſen noch ein offenbarer Zu - ſammenhang mit den Opfern, Volksverſammlungen und der Geiſterwelt der alten Deutſchen zu erkennen iſt.Allmählich drängte ſich die dem deutſchen Heiden -250 thum fremde Jdee des Teufels ein, woraus zunächſt ſeit dem 13. Jahrhundert die Ketzerverfolgungen und dann die buhleriſchen Bündniſſe zwiſchen dem Teufel und jeder einzelnen Hexe ent - ſtanden. 1)Vgl. Grimm, a. a. O., S. 599. Doch ſcheint, nach Kanon 24 des Ancyr. Concils, die Jdee der Teufelsbündniſſe ſchon viel früher aufgekommen zu ſein. Der Kanon 24 lautet: Οἱ καταμαντευόμενοι καὶ ταῖς συνηϑείαις τῶν χρόνων ἐξακολουϑοῦντες ἤ εἰςάγοντές τινας εἰς τοὺς ἑαυτῶν οἴκους ἐπὶ ἀνευρέσει φαρμακειῶν ἤ καὶ καϑάρσει, ὑπὸ τὸν κανόνα πιπτέτωσαν τῆς πεν - ταετίας κατὰ τοὺς βαϑμοὺς ὡρισμένους, τρία ἔτη ὑποπτώσεως καὶ δύο ἔτη εὐχῆς χωρὶς προςφορᾶς. Das χρόνων mit der alten varianten Marginallesart ἐϑνῶν iſt jedoch wol nur dann richtig zu verſtehen, wenn man es für αἰώνων oder geradezu für δαιμόνων nimmt.

Dieſe vom roheſten Aberglauben des Mittelalters geſchaffene und getragene Anſicht von den Teufelsbündniſſen war der Anlaß zu den ſcheußlichen Hexenverfolgungen, die erſt gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts völlig aufgehört haben. Sie war aber auch die blutige hemmende Schranke gegen die Ausbildung vieler Wiſſenſchaften, bei denen man, wenn auch ihre Conſequenzen viel - fach auf unwichtige, läppiſche, ja ſchmuzige und gottloſe Dinge hinausliefen, doch in der geiſtigen Operation ſelbſt vielfach großen Scharfſinn, raſtloſen Fleiß und tiefe Gelehrſamkeit bewundern, aber dabei auch bedauern muß, daß ſo viel geiſtige Arbeit als ganz nutzlos verloren ging, anſtatt was bei gehöriger Beſchützung, Förderung und Läuterung zu erwarten ſtand ſich zur deut - lichen Wiſſenſchaft abgeklärt und gedeihliche Früchte getragen zu haben. So haben faſt alle unſere heutigen phyſikaliſchen und chemiſchen Wiſſenſchaften, oft ſogar ſchon im fernſten Zeitalter, eine oft reiche und viel verheißende Kindheit gehabt, in welcher ſie aber, von dem giftigen Miasma des Aberglaubens umdüſtert, langſam dahinſtarben, oder doch in einem elenden ſiechen Zu - ſtande hinvegetirten, wo ſie aus dem hellen Leben flüchten mußten, und in den Klöſtern und Gelehrtenſtuben ein anachoretiſches Aſyl gefunden hatten. Jn dieſen Aſylen und auf jenen kränkelnden Grundlagen entſtand das Heer jener ſpeciellen Scheinwiſſen - ſchaften, deren Begründer und Jünger das Unverſtandene noch251 unverſtändlicher machten durch weitläufige Bearbeitung in myſti - ſchen verworrenen Formen, um demſelben menſchlichen Geiſte Ge - nüge zu leiſten, der ebenſo wol ſchon vom grauen Alterthum her, in unbefangener Anſchauung göttlicher und natürlicher Offenbarung, nach höherer Erforſchung ſtrebte, wie er heutzutage der kahlen Empirie der Naturwiſſenſchaften, meiſt ohne wahres ſittliches und religiöſes Streben, verfallen iſt.

Daraus wird aber auch klar, daß, ungeachtet die zum Be - truge ausgebeutete Wahrſagerei und Zauberei niemals gewerb - lich, ſondern höchſtens nur gelegentlich von dem Gaunerthum betrieben wurde, dennoch ſo viele Gauner unter dem Schein der Zauberei den ſchmählichen Hexentod ſterben mußten. Ein kurzer Blick auf die Ausbildung des deutſchen Zauberweſens macht dies noch deutlicher. Nicht allein die deutſch-heidniſchen und chriſt - lichen Anſichten waren die Grundlage zu dieſer Ausbildung. Ein ſehr weſentlicher, ſchon vor dem Eingang des Chriſtenthums auf deutſchem Boden erſchienener und mit geheimem ſtarken Nachdruck wirkender Factor iſt weſentlich überſehen oder mindeſtens nicht in ſeiner vollen Bedeutſamkeit hervorgehoben worden: die jüdiſche myſtiſche Tradition, die Kabbala. 1)〈…〉〈…〉, Tradition, geheime Lehre, von〈…〉〈…〉 (kobal), oder〈…〉〈…〉 (kibel), er hat empfangen, angenommen; wovon das jüdiſch-deutſche〈…〉〈…〉 (kablan) und〈…〉〈…〉 (mekubol), der Kabbaliſt. Die Grundlage der Kabbala iſt der Sepher Jezirah (〈…〉〈…〉), welcher, trotz der vielen Chaldäismen, ſogar dem Abraham zugeſchrieben wird. Später legte der wegen ſeiner tiefen kabba - liſtiſchen Weisheit als Wunderthäter geprieſene Rabbi Schimon Ben Jochai mit ſeinem Sohne Eliaſar den Grund zu jener höchſt merkwürdigen kabbali - ſtiſchen Auslegung der fünf Bücher Moſes, dem Buche Sohar (〈…〉〈…〉, die Läuterung). Zu bemerken iſt übrigens, daß das Wort Kabale oder Cabale zur Bezeichnung von Ränkeſchmiedereien eine durchaus andere und zwar eine ſpe - ciell hiſtoriſche Ableitung hat. Der Ausdruck Cabal iſt aus den Anfangs - buchſtaben der fünf engliſchen Miniſter Clifford, Arlington, Buckingham, Aſh - ley und Lautendale unter Karl II. ( 1685) zuſammengeſetzt. Nach dem Sturze Clarendon’s ſah ſich das Volk den Bedrückungen dieſes verhaßten Cabalminiſteriums ausgeſetzt, und erfand den künſtlichen Namen Cabal zur Bezeichnung der Jntriguen und Ränke dieſes Miniſteriums. Vgl. Dittmar, Geſchichte , Bd. 4, Thl. 1, S. 805.Die Kabbala hat252 ihren erſten Urſprung wol nur mit einer linguiſtiſchen Spielerei begonnen. Schon in den älteſten Zeiten hatten die jüdiſchen Ge - lehrten eine eigene Chiffreſprache und ganz beſondere Arten von Alphabeten. Aber auch die 22 Buchſtaben des gewöhnlichen he - bräiſchen Alphabets wurden auf mancherlei Weiſe durcheinander verſetzt, z. B. im Ath Basch, bei welchem der erſte und letzte, der zweite und einundzwanzigſte, der dritte und zwanzigſte füreinander gebraucht werden:〈…〉〈…〉 alſo〈…〉〈…〉 für〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 für〈…〉〈…〉; ferner〈…〉〈…〉 für〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 für〈…〉〈…〉;〈…〉〈…〉 für〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉 für〈…〉〈…〉 u. ſ. w. 1)So iſt z. B. nur durch die Kabbala, ſpeciell durch das Ath Basch, die Stelle im Jeremias, Kap. 25, V. 26, erklärlich:〈…〉〈…〉 welches Luther überſetzt: Und König Seſach ſoll auch dieſen (den Becher) trinken . Jeremias ſcheute ſich vor dem König von Babel, den Namen Babel auszuſprechen, und wählte dafür nach dem Ath Basch den Namen Scheſchach (Seſach), nämlich〈…〉〈…〉 und〈…〉〈…〉. Beiſpiele der Art finden ſich äußerſt zahlreich.Aehnlich wird das Al Bam gebildet, in welchem der erſte Buchſtabe gleich dem zwölften, der zweite gleich dem dreizehnten, der dritte gleich dem vierzehnten, und umgekehrt der vierzehnte gleich dem dritten u. ſ. w. geſetzt wird, alſo:〈…〉〈…〉

Ebenſo wird das Ath Bach des Rabbi Chija2)Vgl. 〈…〉〈…〉von Sal. Ephr. Blogg. (Hannover 1831), S. 10 u. 11. aus gepaar - ten Buchſtaben gebildet, je nachdem das Aggregat ihres Zahlen - werths 10, 100 oder 1000 anzeigt; oder es wird aus den An - fangs - oder Endbuchſtaben einer Wortgruppe ein beſtimmtes Wort gebildet3)Wie z. B. das Wort〈…〉〈…〉 (emet), Emmeſſ, die Wahrheit, aus den Endbuchſtaben der drei erſten Wörter der Geneſis (vgl. S. 72, Note 1)., oder auch aus einem oder mehreren Wörtern, nach der Summe des Zahlenwerths der einzelnen Buchſtaben ein anderes oder mehrere Wörter, deren Buchſtaben in der Summe den gleichen Zahlenwerth haben u. ſ. w. Dieſe wunderlichen253 Spielereien ſind, ganz abgeſehen von ihrer myſtiſchen Ausbeutung, für die Gaunerlinguiſtik ſehr wichtig; denn nicht nur in der jüdi - ſchen, ſondern ſogar auch in der deutſchen Gaunerſprache finden ſich ähnliche Transpoſitionen, welche durchaus als analoge kabba - liſtiſche Formationen erſcheinen. Jm Abſchnitt von der Gauner - ſprache wird näher darauf eingegangen werden.

Schon bei einer nur oberflächlichen Kenntniß von dem Bau der hebräiſchen Sprache begreift man, wie ungemein fügig dieſelbe für ſolche linguiſtiſche Spielereien iſt, und welche reiche Reſultate die mit der ganzen Gewalt üppiger orientaliſcher Phantaſie ver - einigte ſcharfſinnige Forſchung der Kabbaliſten erbringen mußte. Die Kabbala war das geheimſte Studium jüdiſcher Gelehrter, und wurde nur den jüdiſchen Jüngern mitgetheilt, welche ſie immer mehr als traditionelle Myſtik cultivirten, und in ihren geiſtreich - ſten und ſcharfſinnigſten Forſchungen ebenſo viele erhabene wie auch kleinliche, ja nicht ſelten ſchmuzige und verworfene Anſchau - ungen zum Vorſchein brachten. Während die kümmerliche deutſche Gelehrſamkeit des Mittelalters mit roher Verachtung auf das ſich ihr ganz abſchließende geheime Fortleben der jüdiſchen Gelehrſam - keit herabblickte, wurde doch mit der aufkommenden humaniſtiſchen Richtung des 15. Jahrhunderts mindeſtens die hebräiſche Sprache einiger Aufmerkſamkeit gewürdigt, obgleich ihr tieferes wiſſenſchaftliches Studium, und namentlich die wunderbare Kab - bala, ſpecifiſches Eigenthum der Juden verblieb, oder nur höchſt wenigen chriſtlichen Gelehrten theilweiſe, nie aber gänzlich, klar oder überſchaulich-faßlich gemacht wurde. Aus dieſen verworrenen Aphorismen, zu denen nun eine Menge Zuthaten aus den grie - chiſchen, römiſchen und andern Alterthümern hinzukamen, bildete ſich, in hochmüthiger ſelbſttrügeriſcher Weiſe, mit unverſtandenen und unverſtändlichen Formen, die geiſtloſe, platte und verworrene chriſtliche Zaubermyſtik aus, welche die ſiechſte und ekelſte Stelle in der Geſchichte der ſonſt überall ernſt, tief und wahr forſchenden deutſchen Gelehrſamkeit iſt. Selbſt die ungeheuerſten Bilder, ſelbſt die abgeſchmackteſten Parabeln, Allegorien und Symhole der jüdi - ſchen kabbaliſtiſchen Myſtik haben Sinn und Bedeutung, ſo geſucht254 und gezwungen dieſe auch ſehr oft erſcheint. Die chriſtliche Zauber - myſtik war und blieb aber eine ungeheuere Verblendung und Verwirrung, ſodaß kaum ein einziger geſunder klarer Gedanke aus ihr herausgezogen werden kann. Die ganze Menge deutſcher Zauberbücher, und die aus dieſen entſprungene, ungeheuere, ſinn - verwirrende Literatur iſt daher völlig unverſtändlich. Nur in einzelnen Formen und Charakteren erkennt man hier und da die kabbaliſtiſche Form und Eigenheit, aber ohne Beziehung, ohne Zuſammenhang zu und mit einem Ganzen. Gerade in dieſen einzelnen, unverſtandenen und verſtümmelten kabbaliſtiſchen Apho - rismen liegt der Beweis, wie tief das Geheimniß der Kabbala von den jüdiſchen Gelehrten bewahrt, und wie wenig die Kabbala außer ihnen gekannt und verſtanden wurde. 1)So ſehr auch der Schem hamphorasch regis Salamonis mit chriſt - lich-zaubermyſtiſchen Zuthaten verſetzt iſt, ſo entſchieden verräth er doch ſeinen Urſprung aus der Kabbala und iſt daher, mindeſtens in vielen einzelnen For - men, faßlicher und erklärlicher als jedes andere im 16. Jahrhundert und ſpäter zum Vorſchein gekommene Zauberbuch.Jene kümmerlichen Brocken konnten aber ſo wenig der chriſtlichen Zaubermyſtik Halt und Conſiſtenz, wie dem Gaunerthum eine überall beſtimmte Ge - legenheit geben, ſich darin feſtzuſetzen und die ungeheuere Schwäche gewerblich auszubeuten. Selbſt die von den Jndiern, Arabern und Chaldäern cultivirte, und als fertige Wiſſenſchaft beſonders durch die Zigeuner repräſentirte und ausgebeutete Chiromantie verfiel ſo ſehr der verworrenen deutſchen Zaubermyſtik und ihrer breitgelehrten Behandlung, daß ſie, obſchon ſie ſogar als beſon - dere Wiſſenſchaft auf deutſchen Univerſitäten noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts gelehrt und in Lehrbüchern, wie z. B. von Chriſtian Schalitz2) Die Vom Aberglauben, Vanitaeten und Teuſcherey gereinigte Chi - romantia und Physiognomia Chriſtian Schalitzens, L. L. A. A. Cultori (Frankfurt und Leipzig 1729). (1724) als vom Aberglauben, Vanitäten und Teuſcherey gereinigte Wiſſenſchaft , oder noch ſpäter (1769) von C. A. Peuſchel3) Abhandlung der Phyſiognomie, Metopoſkopie und Chiromantie (Leipzig 1769). mit der Phyſiognomie, Metopoſkopie u. ſ. w.255 als Gewißheit der Weiſſagungen dargeſtellt wurde, vom ſcharfen Blick des Gaunerthums doch immer als nichtig und un - brauchbar erkannt und misachtet blieb, gelegentlich aber, wie zur Luſt, und zur verdienten Züchtigung blödſinnigen Aberglaubens, in verſchiedenſter Weiſe ausgebeutet wurde. Viel ſpäter als das Gaunerthum begriff die gelehrte Forſchung die Nichtigkeit der ganzen Zauberlehre, und gerade die zu Anfang des vorigen Jahr - hunderts ſich breitmachende rationelle Belehrung und Bearbeitung, wie das angeführte Werk von Schalitz eine ſolche unternahm, machte ſich ſelbſt noch lächerlicher als den Aberglauben, von wel - chem ſie die Lehre reinigen wollte. 1)Selbſt da, wo man der Arbeit Nachdenken und Scharfſinn nicht ab - ſprechen kann, erſcheint die Gelehrſamkeit, um des faden und unwürdigen Gegenſtandes willen, geradezu ekel. Das iſt beſonders mit den lateiniſchen Hexametern der Fall, welche nach ihren beſtimmten Eintheilungen und Ver - ſetzungen den Schlüſſel zu allen beliebigen Prophezeiungen geben, und welche der müßig gelehrte Fleiß aus alten lateiniſchen Dichtern zuſammengeſucht hat. Man findet dieſe Hexameter bei Peuſchel, a. a. O., S. 396 fg.Merkwürdig und nicht ohne Beziehung iſt der Umſtand, daß, ſobald die unverſetzte Kab - bala und der auf ihr beruhende jüdiſche Myſticismus in Deutſch - land bekannt und klar wurde, die chriſtlichen Zauberbücher in der Geltung zu ſinken2)So hat gerade das in Deutſchland zuerſt 1684 zu Sulzbach gedruckte Buch Sohar des Rabbi Schimon Ben Jochai durch ſeine offene Erſchei - nung bei weitem mehr zur Aufklärung beigetragen, als ſolche verhindert., die Hexenproceſſe abzunehmen, und an Stelle der ſcheußlichen Judenverfolgungen jene milden, wenn auch unge - lenken orthodoxen Proſelytenmachereien aufzukommen begannen, welche letztere wenigſtens das eine gute Zeugniß haben, daß man das Judenthum und ſeine Sprache und Literatur einer genauern Aufmerkſamkeit und Literatur zu würdigen ſich bequemte.

Von dieſem Standpunkte aus wird die bereits ausgeſprochene Anſicht deutlicher, daß die Gaunerproceſſe vom 15. bis 17. Jahr - hundert faſt gänzlich in die Hexenproceſſe auf - und untergegangen ſind, trotzdem die Zaubermyſtik zuerſt bei dem Gaunerthum außer Credit gekommen iſt. Somit wird man ſich bei genauerm256 Aufblick auf die Menge Hexenproceſſe, Geſpenſtergeſchichten und Zauberbücher klarer, und begreift die vielen abgeſchmackten feier - lichen und geheimnißvollen Plattheiten, zu welchen das Gauner - thum, wie zum Spott und aus Jronie, ſowol gegen den blöd - ſinnigen Aberglauben des Volks, als auch gegen den lächerlichen Abſchluß der geheimen Zaubergelehrſamkeit ſich herbeiließ. So darf man ſich denn auch nicht wundern, wie äußerſt wenige platte und elend kümmerliche Reſte aus Dr. Hartlieb’s (Leibarztes des Herzogs Albrecht von Baiern) Buch aller verboten Kunſt ungelaubens vnd zauberei (1455) vgl. Grimm, Mythologie , Anhang lviii und aus der Goetie des Arztes Georg Pictor von Villingen (geb. 1500), welcher alle Gattungen der Cere - monialmagie aufzählt1)Einen kurzen Auszug findet man in Scheible’s Kloſter , Bd. 3, Abth. 2, S. 615 fg. Jn Horſt’s Dämonomagie und Zauberbibliothek iſt viel Material zerſtreut, jedoch ſehr unklar und mit wenig Geiſt behandelt., übriggeblieben ſind, welche ſich aus dem gelehrten myſtiſchen Nimbus heraus endlich in das platte Kartenſpiel und in den dicken Kaffeeſatz geflüchtet haben!

Eine Aufzählung aller dieſer trivialen und ſinnloſen Dogmen und Kunſtſtücke, die man bei Hartlieb, Pictor, Schalitz, Peuſchel und unzähligen andern ältern und neuern Schriftſtellern findet, kann nicht die Aufgabe ſein. 2)Vgl. auch die ſehr intereſſante und reichhaltige Sammlung bei Grimm, Deutſche Mythologie , S. 639 fg., und beſonders im Anhange, S. xxix fg., cxxvi fg. u. cli fg. Unter der wüſten Maſſe ſolcher Zauberſchriften zeichnet ſich das in niederdeutſcher Sprache geſchriebene, in recht eigenthümlicher Friſche, wenn auch im Geiſte der damaligen Zeit befangenen Weiſe gehaltene Werk aus: De Panurgia lamiarum, sagarum, strigum ac Veneficarum to - tiusque cohortis Magicae Cacodaemoniae libri tres. Dat ys: Nödige vnd nütte vnderrichtinge I van der Töverſchen geſchwinden liſt vnd geſchicklicheit quadt tho donde. II Vnde, dat Töverye eine düvelſche Sünde ſy, de wedder alle teyn Gebade Gades ſtrydet. III Vnde, wo eine Chriſtlike Ouvericheit mit ſodanen Fienden Minſchlikes geſlechtes ummerghan ſchöle, durch M. Samuelem Meigerium, Paſtoren tho Nordtorp in Holſtein (Hamburg 1587). Es be - findet ſich auf der lübecker Stadtbibliothek.Je platter die ganze Weiſe iſt, deſto mehr gefällt ſich aber auch der moderne Spott in der unab - läſſigen verſchiedenartigſten Darlegung und Ausbreitung des ver -257 derblichen Unſinns durch die Maſſe alberner und abgeſchmackter, in immer neuen Auflagen von buchhändleriſcher Speculation zum Vorſchein gebrachter Traumbücher, Punktirbücher, Wahrſagebücher u. dgl. Je breiter aber ſich der frivole Spott macht, deſto mehr blickt doch auch der Dämon hinter ihm hervor. Denn eben unſere nivellirende Zeit iſt es auch gerade, welche der Rhabdomantie und dem Tiſchrücken eine Aufmerkſamkeit und Anhänglichkeit be - wieſen hat, vor der man erſchrecken muß. So iſt es denn nicht zu verwundern, wenn der aufmerkſame Blick der Polizei in den zahlreichen Verſtecken, in welchen beſonders alte Kupplerinnen und abgeſetzte Luſtdirnen die rohe Unwiſſenheit, den perennirenden Aberglauben und die tolle Genußſucht ausbeuten1)Ein trauriges, aber ſchlagendes Kriterium dafür iſt die Thatſache, daß ſolche Wahrſagerinnen ihren Erben oft unerwartete Erſparniſſe aus den Tri - buten des Aberglaubens hinterlaſſen, obſchon ſie ſelbſt in ihrer verſteckten Be - haglichkeit keineswegs ſich Lebensgenüſſe zu verſagen pflegten., noch immer die ſchmählichſten Betrügereien aufdeckt, durch welche ſchon viel - fach der vollſtändige ſittliche und bürgerliche Ruin und der Weg in das Armenhaus, Zuchthaus und Jrrenhaus angebahnt, und häufiger Selbſtmord herbeigeführt wurde. Wo iſt ein Polizeibe - zirk in Deutſchland, der z. B. infolge der ſchändlichen Prophe - zeiung vom Weltuntergang am 13. Juni 1857 nicht mindeſtens ein dem bürgerlichen oder geiſtigen Ruin verfallenes Opfer auf - zuweiſen hätte?

Nie iſt das Jedionen zur ſpecifiſchen Gaunerkunſt geworden. Das Gaunerthum ſelbſt war niemals eine myſtiſche, ſondern im - mer eine durchaus rationelle Kunſt. Die rohe Unwiſſenheit und Habgier des Volks drängte ſich aber zu oft und arg, wie im Bedürfniß zum Betruge, hervor, als daß die Gelegenheit zur Ausbeutung vom Gaunerthum hätte verſchmäht werden können. So wird denn auch das ſpecifiſche Jedionen niemals eine förm - liche Gaunerkunſt werden, aber doch unabläſſig ſeine Opfer ſuchen und finden, ſobald nicht wahre Aufklärung im Volke herbeigeführt, die geheime Wahrſagerei überall ſcharf überwacht und beſtraft,Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 17258vor allem aber nicht länger geduldet wird, daß auf Jahrmärkten und Volksfeſten öffentlich, wenn auch in ſcheinbar unverfänglicher Form und Weiſe, die elende Kunſt gehandhabt wird, für welche der große Haufe immer noch Glauben und Geld genug hat, welche aber auch für den Spott zu ernſt iſt, da um ihretwillen ſchon Millionen auf der Folter und dem Scheiterhaufen die ſchrecklich - ſten Qualen erlitten haben.

Einundſiebzigſtes Kapitel. γ) Das Kelefen.

Die Spielkarten, deren ſtarker Gebrauch und Misbrauch zu Glückſpielen und Wetten man ſchon im 14. Jahrhundert aus den mannichfachſten zu Regensburg, Augsburg, Angers, Avignon, Bergamo u. a. erlaſſenen Verboten1)Vgl. Hüllmann, Städteweſen , IV, 257 fg. ; Guſtav Klemm, All - gemeine Culturgeſchichte , IX, 193. erkennt, wurden von den Zigeunern ſogleich bei ihrem erſten Auftreten zum Wahrſagen ge - braucht, und dadurch wurde auch das Gaunerthum gelegentlich zum Wahrſagen mit Karten angeleitet, ſoweit es ſich überhaupt zur Wahrſagerei herbeiließ. Bemerkenswerth iſt, daß deſſenungeachtet die ſpecielle techniſche Bezeichnung der einzelnen Karten zigeune - riſch Pelcki oder Pelski2)Vgl. Pott, a. a. O., S. 361; Biſchoff, Zigeuneriſches Wörterbuch , S. 60. ſowol in der Zigeunerſprache3)Sogar der zigeuneriſche Ausdruck kellaf für ſpielen ſcheint aus dem Jüdiſch-Deutſchen aufgenommen zu ſein. Vgl. Biſchoff, a. a. O., S. 85 und die folgende Note., als auch in der ſpecifiſchen deutſchen Gaunerſprache fehlt, mindeſtens nicht im gängigen Sprachgebrauch iſt, und nur die jüdiſch-deutſchen Bezeichnungen von der Gaunerſprache recipirt ſind. Auch be - ſchränken ſich dieſe Bezeichnungen urſprünglich nur auf die deut -259 ſchen Karten. 1)Die Karte iſt Kelef, Plural Kelofim, von〈…〉〈…〉, eigentlich Pa - pier, Pergament. Kelefen, mit der Karte ſpielen, allgemeiner Ausdruck, aber auch das Wahrſagen aus Karten. Vgl. das Weitere Kap. 76.Die franzöſiſchen Karten ſind erſt viel ſpäter zum Kartenlegen gebraucht worden, und erſt, nachdem ſie die deut - ſchen Karten und meiſten deutſchen Spiele verdrängt, und ſeitdem die moderne Jnduſtrie und flache Luſtigmacherei eine Menge will - kürlicher und ſpaßhafter Methoden im Kartenlegen zum Vorſchein gebracht hatte.

So verſchiedenartig nun auch der lächerliche Hokuspokus iſt, den auch noch die heutigen Kartenleger der alten Schule anwen - den, ſo iſt doch die Bedeutung der Karten noch immer ziemlich durchgreifend dieſelbe alte geblieben. Die Grundlage bilden die vier Farben. Danach bedeutet:

Grün: Betrübniß, Krankheit und Verdruß, beſonders mit Geiſtlichen, was beſonders bei dem grünen Daus der Fall iſt.

Roth: Liebe, Verlöbniß, Hochzeit. Das rothe Daus iſt beſonders glückbringend.

Ecker: Glück, gute Freunde, gutes Auskommen, Geſchenke. Beſonders bedeutet das Eckerdaus Geſchenke; die Zehn baares Geld, welches man bekommen ſoll.

Schellen: Falſchheit, Betrug, Misgunſt. Schellendaus und Zehn bedeuten zu erwartende Briefe.

Neben dieſer Grundbedeutung der Farben gelten die Könige für hohe Gönner, die Oberbuben für weniger einflußreiche Per - ſonen und Gönner, die Unterbuben für gewöhnliche Herren ohne beſondere Bedeutung. Die Zehnen ſind in allen Farben Weiber, die Neunen Witwen, die Sieben junge Mädchen. Die Achten und Sechſen haben keine beſondere Bedeutung. Die Sechſen werden ſogar beim Kartenlegen nicht gebraucht, ſondern beiſeite gelegt. 2)Vgl. den angeführten C. A. Peuſchel, S. 384 fg.

Die Manipulation beſteht im Miſchen und dreimaligen Ab - heben zu drei Haufen. Dann wird beim Aufſchlagen der zuſam -17*260mengelegten Karten ſtillſchweigends von Sieben bis zum Daus gezählt. Die beim Aufſchlagen zutreffenden Blätter werden nach der Reihenfolge, ohne Unterſchied der Farbe, nebeneinander hin - gelegt, und die übrig gebliebenen Karten immer aufs neue durch - gezählt und aufgeſchlagen, bis alle zweiunddreißig Karten auf - liegen, worauf nun der Anhalt zur Beantwortung der geſtellten Fragen gegeben iſt.

Um dieſes Grundthema dreht ſich eine Menge willkürlicher Variationen bis nahe zur völligen Unkenntlichkeit der Grundlage. Der Anhalt an die alte poſitive Geltung und Bedeutung der ein - zelnen Farben und Karten hat noch die ganze Kartenwahrſagerei aus dem Ruin der zaubermyſtiſchen Wiſſenſchaften gerettet, aber damit auch einen weſentlichen Theil der Zaubermyſtik ſelbſt auf - recht erhalten, und ſomit dem Aberglauben und Betruge das Feld offen gelaſſen, auf welchem die Habgier und Thorheit noch im - mer arg ausgebeutet wird. Aber nicht nur der ſittliche und bür - gerliche Ruin der Betrogenen iſt das Beklagenswerthe1)Bei weitem weniger iſt der Verluſt an Hab und Gut, als die Stö - rung des gemüthlichen und geiſtigen Lebens dabei in Anrechnung zu bringen, welche die viel häufigere und ſchlimmere Folge der unſeligen Propheterei iſt. So wurde noch Ende Auguſt 1858 eine Kartenlegerin vom Polizeiamt in Lübeck geſtraft, welche (für Geld) einem jungen Mädchen aus der Nachbar - ſchaft (welches hier conditionirte und Braut eines wackern jungen Mannes war) prophezeit hatte, ſie werde fort und auf Reiſen gehen müſſen, worüber das lebensfriſche beklagenswerthe Geſchöpf in Tiefſinn gerieth. Mag es die unwillkürliche hiſtoriſche Erinnerung oder die eitle Hoffnung von der Zukunft ſein: immer liegt etwas Dämoniſches in der Wahrſagerei, das unheimlich faßt und verderblich wirkt, weshalb man denn auch die Wahrſagerei nicht einmal im geſelligen Scherz treiben, und weshalb man auch die jährlich neu über das Volk ſtrömende Flut von Wahrſager -, Traum - und Punktirbüchern ſtrenge überwachen und einſchränken ſollte. bei dem ſchmählichen Gewerbe: wer in die Verſtecke und Geheimniſſe jener Prieſterinnen des Aberglaubens näher eingedrungen iſt, dem kann die Wahrnehmung nicht entgangen ſein, daß der poſitive Anhalt, den jene in der feſtſtehenden Bedeutung der Karten fin - den, eine ſo unheimliche Gewalt auf die Jndividualität der Karten -261 legerinnen ſelbſt ausübt, daß dieſe nach und nach ihre Orakel für das Reſultat myſtiſcher Offenbarung und für poſitive Gewiß - heit halten, und dadurch faſt durchgehends in eine wunderliche geiſtige Zerfahrenheit gerathen, welche ſich durch die auffälligſten Kundgebungen im bürgerlichen Leben verräth, und vielfach mit Jrrſinn oder Selbſtmord der Kartenlegerin endet. 1)Zu auffällig iſt die Beobachtung, welche bei näherer Aufmerkſamkeit ſich vielleicht auch noch anderweitig beſtätigen wird, daß ich bei den vielen von mir vorgenommenen Leichenbeſichtigungen und Explorationen der Verhält - niſſe weiblicher Selbſtmörder noch kein Frauenzimmer über funfzig Jahre aus den unterſten Volksſchichten gefunden habe, welche nicht Kartenſchlägerin, und deren mindeſtens letzte Lebenszeit nicht von zwar meiſtens bürgerlich tadelfreier, doch entſchieden auffälliger Führung geweſen iſt. Auch war der Tod, meiſtens Waſſertod, faſt immer von höchſt eigenthümlichen myſtiſchen Vorbereitungen begleitet. Entſprechende Erſcheinungen bieten ſich auch noch bei den Quack - ſalbern und Wundärzten dar, von denen Kap. 75 noch weiter geredet werden wird.Die meiſtens leichthin angeſehenen und daher vernachläſſigten Unterſuchungen gegen ſolche Kartenlegerinnen geben merkwürdige Bilder und Be - weiſe von jener eigenthümlichen geiſtigen Zerfahrenheit, deren Er - kennung zu den intereſſanteſten, aber auch trübſten Erfahrungen auf dem Gebiete polizeilicher Thätigkeit gehört.

Zweiundſiebzigſtes Kapitel. δ) Das Schocher-majim.

Der weit durch das Volk verbreitete Drang nach poſitiven Grundlagen in der Wahrſagerei griff, bei dem feſten Abſchluß der geheimen Zauberwiſſenſchaften und Künſte, ſchon früh und viel - fach zu den gewöhnlichſten und trivialſten Dingen, und ſanctionirte namentlich die ſo nahe gegebenen Gegenſtände des täglichen Haus - gebrauchs als Mittel zur Erforſchung der Zukunft. Die ſchon erwähnte Goetie Georg Pictor’s gibt treffende Belege dafür. 262Von den vielen ſpeciellen Künſten der Goetie machte ſich beſon - ders noch die Cäromantie1)Vgl. Pictor, Goetie , Kap. 21; Agrippae ab Nettesheym opera (Leyden 1570), S. 484 fg. ; Scheible, Kloſter , Bd. 3, Abth. 2, S. 618. geltend, bei welcher geſchmolzenes Wachs in kaltes Waſſer gegoſſen und aus den durch die raſche Erkaltung gebildeten Figuren die verſchiedenartigſte Deutung ge - geben wurde. 2)Von dem ſtarken Gebrauch und Begehr des Wachſes nicht nur zu ge - weihten Kerzen, bei allen Krankheiten, Wochenbetten u. dgl. ſondern auch zu allem übrigen Hausgebrauch gibt auch ſchon der Liber Vagatorum Zeugniß, z. B. Kap. 13 u. 15.Während die ganze Kunſt, nur mit Veränderung des Wachſes in Blei, ſich noch lange vollſtändig erhalten hat3)Jm ruſſiſchen Volke hat ſich das Gießen mit Wachs noch vollſtändig erhalten. Beſonders an den Weihnachts - und Neujahrsabenden ſuchen ſich die Mädchen, vorzüglich auf den Dörfern, durch Wachsgießen zu vergewiſſern, ob〈…〉〈…〉 im nächſten Jahre verheirathet werden oder mindeſtens vorläufig einen Bräutigam acquiriren. Auch ſchwangere Weiber erkennen in den Wachs - figuren, ob ſie einen Knaben oder ein Mädchen zur Welt bringen werden., und ſogar auch jetzt noch das Wachs bei gewiſſen Prophezeiungen, z. B. bei der Beſtimmung der Lebensdauer, als Material zu brennenden Lichterchen verwandt, und mindeſtens in der Neujahrs - nacht auch noch jetzt von abergläubiſchen Perſonen Blei gegoſſen wird, gab der Zufall ſeit der Einführung des Kaffees4)Der Kaffee iſt erſt weit nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts in Deutſchland populär geworden. Jm 17. Jahrhundert wurde er erſt in Frank - reich eingeführt, und erſt zu Ende deſſelben Jahrhunderts in Deutſchland, wo 1694 der erſte Kaffee nach Leipzig kam und 1696 das erſte Kaffeehaus zu Nürnberg hinter dem Rathhauſe errichtet wurde., oder vielmehr ſeitdem der Kaffee populär geworden iſt, der Langeweile und dem Betruge das nahe liegende und einfache Mittel an die Hand, aus den Figuren, welche ſich zufällig aus dem getrockne - ten Kaffeeſatz bilden, eine beſtimmte Deutung zu ziehen, und auf dieſer harmloſen und wohlfeilen Baſis eine neue Orakelkunſt zu begründen, welche bei dem ungemein großen und namentlich in den untern Volksſchichten noch weit mehr als in den höhern Ständen ſtattfindenden Kaffeeconſum noch immer in großem Credit bei dem gemeinen Manne ſteht, ungeachtet die Findung und263 Deutung der Figuren das Platteſte und Geiſtloſeſte iſt, was es geben kann. Es ſcheint beinahe, als ob die ganze trügeriſche Albernheit ſich lediglich hinter dem Geheimniß aufrecht erhalten hat, das von keiner Wahrſagerin verrathen wird, weil der Grundſatz oben anſteht, daß die ganze Prophetengabe verloren geht, wenn ſie einem andern, der nicht Kunſtaſpirant iſt, offenbart wird ; wobei denn die meiſten Wahrſagerinnen vorgeben, das Geheimniß bei Verluſt der Prophetengabe beſchworen zu haben.

Die platte Operation und die Auslegung dabei verdient kaum eine oberflächliche Andeutung: der Kaffee1)Jn etymologiſcher Hinſicht iſt zu merken: Schocher-majim,〈…〉〈…〉, jüdiſch-deutſch eigentlich ſchwarzes Waſſer, Kaffee, auch kurzweg Schocher, deutſch-gauneriſch: Schwärzling, beides für ungekochten (Bohne) und gekochten Kaffee. Miſchke,〈…〉〈…〉 von〈…〉〈…〉, ſinken, verſinken; hebräiſch der Ort, wo ſich das Waſſer geſetzt hat; im jüdiſch-deutſchen Sprachgebrauch der Satz, Bodenſatz. Schocher Miſchke, der ſchwarze Satz, Kaffeeſatz. Scho - chersroll, Kaffeemühle, bei Grolman. Schochersgordel, Kaffeekeſſel. Für Kaffeetaſſe hat Grolman Schokerts-Dinkets, ein Ausdruck, der nur bei ihm allein vorkommt; der gewöhnliche Ausdruck für Kaffeetaſſe iſt Schocherfin - chen oder Schwärzlingsfinchen. Vgl. Biſchoff, Choch. Loſchen , S. 69. wird nicht filtrirt, ſondern gekocht. Das Kaffeemehl muß fein gemahlen ſein. Die Prophetin trinkt aus einer gefüllten Taſſe den Kaffee bis auf den geringen Satzreſt ab, und gießt dieſen Reſt in die leere Taſſe des Orakelſuchenden, welcher dreimal in die Taſſe hauchen muß. Dann ſchwenkt die Wahrſagerin den Kaffee in der Taſſe umher, daß ſich der Satz möglichſt weit vom Boden aus in der Taſſe verbreitet und ſtürzt dann die Taſſe um in die Unterſchale. Nach einiger Zeit trocknet der an den innern Wänden der Taſſe herab - gelaufene Kaffeeſatz feſt. Die Taſſe wird umgekehrt, und die durch das Abtriefen der Feuchtigkeit angetrockneten Ueberbleibſel bilden nun allerlei Figuren, aus denen ſowol die alberne Phantaſie wie der nüchterne Betrug eine Menge verſchiedenartiger Figuren heraus - zudeuten weiß. Das ganze lange Verzeichniß dieſer abgeſchmack - ten und ſinnloſen Figuren und Deutungen findet man bei Peuſchel, a. a. O., S. 340 fg., aufgeführt. 2)Z. B. Vögel = gute Freunde; Hunde = gute Botſchaften; Füchſe =Die Haupteintheilung baſirt264 auf offenen (glückbedeutenden) und geſchloſſenen (unglückbe - deutenden) Wegen. Offene Wege ſind die Streifen, welche, ohne zuſammenzulaufen, bis an den Rand der Taſſe gehen; geſchloſſene Wege: die Streifen, welche zuſammenlaufen oder durch Querlinien verbunden ſind. Je näher dem Rande die Fi - guren ſtehen, deſto früher tritt die Erfüllung ein; je näher jene dem Boden, deſto ſpäter dieſe. Doch genug von der platten Kunſt, welche aber doch, ihres noch immer häufigen Betriebs und ihrer leider nur allzu ſchlimmen Folgen wegen, ein ernſtes Aufſehen der Sicherheitsbehörden erfordert.

Dreiundſiebzigſtes Kapitel. ε) Der Erbſchlüſſel.

Noch eine von den Wahrſagereien, welche Pictor in ſeiner Goetie , Kap. 21, anführt, die Coſcinomantie (τὸ κόσκινον, das Sieb), hat ſich genau mit derſelben Manipulation, doch mit etwas verändertem Material und moderniſirtern Formeln erhalten. Bei Scheible, Kloſter , Bd. 3, Abth. 2, S. 621, findet ſich die Operation bildlich dargeſtellt: eine Schafſchere oder Zange, welche von außen mit den Schneiden ein hölzernes Sieb faßt, und mit ihrem kreisförmigen federnden Handgriff auf den Spitzen zweier Finger ſchwebt. Der Zweck dieſer Manipulation war, be - ſtimmte Perſonen zu bezeichnen, um ſie in Beziehung zu einer gewiſſen Begebenheit oder Handlung zu bringen, ganz beſonders aber Diebe zu ermitteln. Dazu ließen zwei einander gegen - überſtehende Perſonen die runde Endfeder, oder den Handgriff der Schere oder Zange, welche mit den Schneiden oder Armen2)Hinterliſt; Punkte = Briefe; Weintrauben = Glück und Freude; Roſen = Ehre und Glück; Tauben = Glück im Spielen; Fiſche = üble Nachrede, Ver - leumdung; Anker = gute Hoffnung; hohe Thürme = langes Leben, glückliches Alter u. ſ. w.265 ein Sieb gefaßt hielt, auf der Spitze der gerade geſtreckten rechten Zeigefinger ſchweben, und ſprachen dann die völlig unverſtändlichen ſechs Wörter: Dies Mies Jeschet Benedoefet, Dovvima, Enite - maus . Dadurch ſollte der Dämon in das Sieb getrieben wer - den, und bewirken, daß, ſobald der Name des Diebes genannt wurde, das Sieb, zum Zeichen der Schuld, ſich herumdrehte und mit der Schere oder Zange von den Fingern herabfiel.

Dieſe geiſtloſe Propheterei hat ſich noch heute, mindeſtens in Norddeutſchland, ſtark in Gebrauch erhalten. Sie wird aber gerade von den Gaunern ſelbſt, beſonders unter dem aber - gläubiſchen Landvolke, cultivirt, um den Verdacht der von ihnen ſelbſt verübten Diebſtähle deſto ſicherer auf andere zu ſchieben. Die Kunſt beſteht darin, daß man einen großen Schlüſſel ſo in ein Buch legt, daß der Schlüſſel mit der Reithe und etwa dem dritten Theil des Rohres oben aus dem Buche herausragt. Beide Stücke, Buch und Schlüſſel, dürfen aber nicht neu, ſondern müſſen alt und ererbt ſein, daher der Name Erbſchlüſſel. Um das Buch wird ſtillſchweigends beliebigemal ein Band gewickelt, und nun laſſen zwei Perſonen, A. und B., auf der Spitze der unter die Reithe geſetzten rechten Zeigefinger den Schlüſſel mit dem Buche ſchweben. A. ſagt nun, indem er den Namen des erſten Verdächtigen nennt: NN. hat den Geldbeutel (u. dgl. ) ge - ſtohlen , worauf B. antwortet: Das hat er nicht gethan. Dies wird bei jedem Verdächtigen funfzehnmal geſagt und beantwortet, bis die ganze Reihe der Verdächtigen durchgemacht iſt, oder der Schlüſſel von den Fingern gleitet, wodurch der beim Abgleiten Genannte als Schuldiger angezeigt iſt. So läppiſch dieſe ganze Procedur iſt, ſo verdient ſie doch, wo ſie nach einem Diebſtahle vorgenommen wird, genaue Beachtung der Sicherheitsbeamten, da, wie erwähnt, meiſtens die diebiſchen Gauner ſelbſt die Erbſchlüſſelpropheten zu ſpielen pflegen. 1)Wie alt die Metamorphoſe der Coſcinomantie in dieſe Erbſchlüſſel - operation iſt, habe ich nicht ermitteln können. Wahrſcheinlich war wol zuerſt ein Getruden - oder Zauberbuch, oder wol auch ein Gebetbuch dazu erforder -

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Vierundſiebzigſtes Kapitel. ζ) Das Sefelgraben.

Jn der ſcharfen Beobachtung und Erkenntniß der nichtigen Zaubermyſtik, ſowie der Habgier und Leichtgläubigkeit des Volks, faßte das Gaunerthum ſchon frühe die thatſächlich bewieſene Möglichkeit auf, Schätze zu finden, welche durch Menſchenhand oder von ungefähr verborgen waren. Es bildete das Schatz - graben als eine eigene, mit kümmerlichen und willkürlichen myſti - ſchen Formeln ſtaffirte Wiſſenſchaft aus, welche es ſelbſt in frivoler Anerkenntniß ihrer Nichtigkeit und ihres Trugs mit dem frechen Namen des Sefelgrabens1)Von〈…〉〈…〉 (sewel), Miſt, Koth, Dreck, chaldäiſcher im Talmud häufig gebrauchter Ausdruck, der ſehr früh in das Jüdiſch-Deutſche und in die deutſche Gaunerſprache übergegangen iſt, wie denn auch der Liber Vagatorum und die Rotwelſche Grammatik , Kap. 25, ſchon der Seffer als gemalt Sie - chen erwähnt, und im Vocabular die Ausdrücke Sefel, Sefeln, Sefel - boß, anführt, denen die Rotwelſche Grammatik noch Sefelgräber als Schatzgräber beifügt. Specifiſch jüdiſch-deutſch iſt: Meſabel ſein und das auch gaunerſprachlich gewordene Sefeln, die Nothdurft verrichten, und Be - ſefeln, ſchmuziger Ausdruck für Betrügen. Endlich heißt im Jüdiſch-Deutſchen noch Seffel ein ſchwacher charakterloſer Menſch, Pinſel. bezeichnete. Der Betrug geht auf die Verleitung der durch den Schatzgräber von dem Daſein eines Schatzes überredeten und zu deſſen Hebung verlockten Perſonen, welche zur Löſung des immer unter der Wache Belial’s oder eines böſen Geiſtes ſtehenden Schatzes, oft bedeutende Summen Geldes zuſammenſchießen müſſen, zum Opfern für den Geiſt, zur Zahlung eines Honorars für Nachweiſung und Hebung des Schatzes und zur Herbeiſchaffung nothwendiger geheimnißvoller Zauber - und Drudenbücher, beſonders des Chriſtophelesgebets2)Mittels der Rufung des heiligen Chriſtoph oder des ſogenannten und der ſoge - nannten Weimariſchen Bibel von 1505 mit den ſieben Büchern1)lich. Ebenſo mochte wol der Schlüſſel eine myſtiſche Allegorie ſein für das Aufſchließen der Wahrheit. Erſt vor wenig Jahren konnte ich mir in einer Unterſuchung mit vieler Mühe Aufſchluß von einer betagten Jnculpatin ver - ſchaffen, welche die Sache äußerſt ernſthaft und geheimnißvoll behandelte.267 Moſes u. ſ. w.1)Vgl. Schäffer, a. a. O., S. 125, Note, wo von einer aus 30 40 Perſonen beſtehenden Gaunergeſellſchaft die Rede iſt, welche mit dem Suchen der Weimariſchen Bibel und Fauſt’s Höllenzwang ſo bedeutende Geſchäfte machte, daß ſie in einem kurzen Zeitraum gegen 200 Bauern im Schwarz - walde jeden auf einmal um 50 bis 300 Gulden betrog, indem ſie ihnen vor - ſpiegelte, daß der heilige Chriſtoph ihnen 500,000 Gulden herbeitragen müſſe., zu deren Aufſuchung und Ankauf der Schatz - gräber mit dem zuſammengeſchoſſenen Gelde fortreiſt, um nicht wiederzukommen. Bleibt der Schatzgräber zur Stelle, weil er das zuſammengebrachte Geld nicht eher als bei der Beſchwörung ſelbſt in die Hand bekommen kann, ſo geht er erſt bei oder gleich nach der Beſchwörung mit dem Gelde durch, während die Be - trogenen mit ſauerer Mühe nach dem Schatze graben müſſen. Be - ſchwörungsformeln, mit Zeichnungen und Beſchreibungen der Zau - berkreiſe und Amulette dabei, findet man in Horſt’s Zauber - bibliothek und Scheible’s Kloſter in reicher Menge und Auswahl.

So platt, läſterlich und betrüglich alle dieſe widerlichen For - meln ſind, und ſo beſtimmt jedesmal der Betrug aufgedeckt wurde, ſo iſt doch die Sefelgräberei noch immer ein oft und mit Glück verſuchtes Unternehmen des Gaunerthums. Gerade die aufklärenden, faſt täglich neu zum Vorſchein kommenden Ent - deckungen auf dem Gebiete der Chemie und Naturwiſſenſchaften2)Denn nicht allein mehr die als Engel, Geiſter, Teufel, Zauberer und Hexen vermummten Gauner geben die citirte Erſcheinung ab: ſeit dem Fort - ſchreiten der Wiſſenſchaft, aber auch ſeit der praktiſchen Erfahrung, daß man - cher citirte Geiſt von beherzter Hand durchgeprügelt oder lebensgefährlich mis - handelt wurde, wie ſolche Beiſpiele bei Schäffer, a. a. O., S. 102 132, genug aufgezählt werden, ſind auch die optiſchen Täuſchungen durch die magiſche Laterne und durch cylinderiſche und koniſche Spiegel zur Hervorbrin - gung katoptriſcher Anamorphoſen in Praxis und Flor gekommen., welche dem gemeinen Manne unbekannt bleiben, geben dem Be -2)Chriſtophelesgebets wird der heilige Chriſtoph als guter Geiſt und Schatz - hüter beſchworen, dem Beſchwörer 99,000 Dukaten zu bringen. Man findet das frömmelnde ſchändliche Gebet mit allen Formeln und dem dreifachen Zau - berkreis vollſtändig bei Scheible, Kloſter , Bd. 3, Abth. 1, S. 343 fg., abgedruckt. Vgl. dazu Schäffer, Abriß , S. 126 fg.268 truge immer reichere Mittel und Gelegenheit an die Hand, den Aberglauben und die Unwiſſenheit des gemeinen Mannes auf die ſchmählichſte Weiſe auszubeuten. So iſt denn die Schatz - gräberei geradezu als eine beſondere Art des Betrugs auch von den meiſten deutſchen Strafgeſetzgebungen, freilich mit verſchieden - artiger Auffaſſung, behandelt worden. 1)Während das Preußiſche und Badiſche Geſetzbuch die Schatzgräberei ohne beſondere Auszeichnung als gemeinen Betrug behandelt, ſtraft das Sächſiſche §. 253, das Heſſen-Darmſtädtiſche §. 345, das Weimariſche §. 240, und Naſſauiſche §. 389 die Schatzgräberei dann als qualificirten Betrug, wenn was faſt durchgehends bei der Schatzgräberei der Fall iſt Reli - gion oder religiöſe Handlungen und Gegenſtände dabei misbraucht werden. Andere Geſetzgebungen, wie die Bairiſche §. 263, Oeſterreichiſche §. 201, Hannoveriſche §. 315, Würtembergiſche §. 353 und Braunſchweigiſche §. 226 nehmen ſchon den qualificirten Betrug an, wenn durch ihn eine abergläubiſche oder hinterliſtige Verblendung zu Wege gebracht wurde.Aber gerade weil die Betrogenen die geſetzliche Strafe oder mindeſtens den Spott bei Kundgebung des erlittenen Betrugs auch ihrerſeits zu fürchten haben, wuchert die Schatzgräberei noch immer ungeſtraft fort, und ſomit erfährt der eifrig forſchende und ſcharfblickende Polizeimann noch immer Züge des roheſten Aberglaubens und der ſtumpf - ſinnigſten Unwiſſenheit, welche nachzuerzählen er beinahe Bedenken tragen muß. Sogar auch der Verkauf von Erdmännchen, Geld - männchen2)Es werden dazu vorzüglich Kröten, Fröſche, Eidechſen und kleine Reptilien, auch große Käfer, beſonders die Gryllotalpa benutzt, denen man rothes Tuch mit Schaumgold anklebt oder auch durch die Haut heftet. Dieſe Geldmännchen werden in kleinen phantaſtiſch beklebten Schachteln geführt, welche dem Abergläubigen ein wenig geöffnet wird, ſodaß er durch die Spalte das ungeheuerliche Geſchöpf im Dunkel der Schachtel nicht deutlich unterſchei - den kann. Nur zu oft gelingt es noch heutzutage, dieſe Waare für bedeuten - des Geld abzuſetzen., Alraunen u. dgl. kommt noch immer bei dem heim - lichen Hauſirhandel vor.

Noch andere grobe Betrügereien werden mit metalliſchem Streu - ſand, namentlich mit Zinn -, Meſſing - und Kupferſpänen zum Gold - machen und Metallverwandeln getrieben; kaum begreiflich würde es erſcheinen, wie ſolche Betrügereien auch in höhern Ständen vorkom -269 men, wenn nicht zugleich auch zu Tage läge, daß Aberglaube und Unwiſſenheit auch in dieſen Ständen noch immer den alten Platz hartnäckig behauptet. Die Wünſchelruthe hat noch gar nicht aufge - hört, ihre alte Rolle zu ſpielen; ſie iſt die Baſis der modernen Rhab - domantie, über welche man das Nähere in jedem Converſationslexikon nachleſen kann, und welche, wenn ſie kein Glück mehr macht beim Auffinden von Metallen, doch noch mindeſtens dazu dienen muß, Waſſeradern zu Brunnen unter der Erde zu finden, wie denn Bei - ſpiele genug ſehr nahe liegen, daß ſolche Rhabdomanten in weite Ferne zum Waſſerſuchen verſchrieben werden, und von dem Ertrage ihrer frei und öffentlich betriebenen Praxis ihren weſentlichen Lebens - unterhalt ziehen. 1)Ein ſolcher renommirter Rhabdomant lebt in einer der lübecker Vor - ſtädte, und wird viel auf das Land geholt, woſelbſt er mit kundigem Blick in quellenreichen Gegenden, jedoch niemals ohne den unvermeidlichen gabelförmi - gen Zweig (Waſſerſchößling) eines Apfel - oder Pflaumenbaumes in der Ge - ſtalt eines Y in den Händen, Waſſeradern zu finden weiß, wofür ihm häufig 5 bis 10 Thaler gezahlt werden. So wenig dieſer Jünger der Wiſſenſchaft ein Geheimniß aus ſeiner Kunſt und Manipulation macht, ſo wenig Halt und Sinn läßt ſich in der mir mehr als einmal dargelegten Theorie und Mani - pulation finden. Der friſchgeſchnittene gabelförmige Zweig, niederdeutſch Dweele, wird an den beiden Gabelzweigen zwiſchen dem dritten und vierten Finger jeder Hand gefaßt, ſodaß das lange Zweigende nach unten hängt. Die geſchloſſenen Hände werden auf die Knie gelegt, ſodaß die Zweigſpitze nahe über dem Erdboden ſtreicht. Jn dieſer gebückten Stellung ſchreitet der Rhab - domant langſam einher, und will oberhalb einer Waſſerader eine ſtarke Nei - gung der Zweigſpitze gegen die Waſſerader empfinden, und von einem Fröſteln, Zittern, Angſt und nervöſen Prickeln befallen werden, von welchem allen ein nichtinſpirirter Laie auch nicht die geringſte Spur empfindet. Eine weitläufige Beſchreibung der Wünſchelruthe und ihrer Wirkungen findet man in dem reich - lich mit Kupferſtichen verſehenen Neu-auffgerichteten Zeughaus der Natur (Frankfurt a. M. 1714), wo im zweiten Anhange, S. 113 228, die tollſten Dinge und Begebenheiten mitgetheilt werden.

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Fünfundſiebzigſtes Kapitel. η) Die Rochlim.

Das durch die heimlichen Hauſirer, Paſcher oder Paſch - kuſener, Medinegeier (vgl. die Etymologie, Kap. 89) in die - ſem oder jenem Kunſtzweige mehr oder minder cultivirte Jedionen wird auch noch als beſondere Quackſalberei von den Rochlim betrieben. Rochel oder Rauchel1)Das jüdiſch-deutſche〈…〉〈…〉 (rochel), Plural〈…〉〈…〉 (rochlim), iſt vom hebräiſchen〈…〉〈…〉 (rogal), herumlaufen, verleumden, zwiſchentragen, auskund - ſchaften, abzuleiten und bedeutet zunächſt den Verleumder, Zwiſchenträger, Klätſcher, und davon, weil die Tabuletkrämer in ihrer Beweglichkeit ſchon frühe als beſondere Neuigkeitskrämer und Zwiſchenträger auftraten und ange - ſehen wurden, den Hauſirer, Tabuletkrämer, beſonders Olitätenhändler. Für Apotheker iſt im Jüdiſch-Deutſchen das vom hebräiſchen〈…〉〈…〉 (rokach), wür - zen, Oel, Salben bereiten, abzuleitende Raukeach mit den übrigen Deriva - ten: Maiſſe raukeach, Apothekergeſchäft; Raukach und Rikkuach, Sal - ben; Rakkach, Plural Rakkochim, Salbenbereiter; Rikkocho, Plural Rikkochoſſ, Salbenbereiterin; Rekach, und Merkocho, Confitüren; Mer - kachoſſ, wohlriechende Salben und Merkochim, Apothekerwaaren, Con - fitüren u. ſ. w. Vgl. Selig, a. a. O., S. 290 u. 294. Ueber das Hauſiren vgl. Kap. 89., Plural Rochlim, iſt der umherziehende Kräuter -, Olitäten - und Spezereihändler, ambu - lanter Apotheker, Quackſalber, Wunderdoctor. Schon im Mittel - alter, und ganz beſonders ſpäter im 17. und 18. Jahrhundert bis tief in das 19. Jahrhundert hinein, ſpielten die ambulanten Ta - buletkrämer unter dem Namen Felinger (vgl. Kap. 60) eine große Rolle, und trieben den ärgſten Betrug als Quackſalber, Zauberer, Schatzgräber, Beſchwörer u. dgl., welchem Treiben freilich ſeit der Einführung einer beſſern polizeilichen Aufſicht, und beſonders durch die neuerliche Einführung tüchtiger Medicinal - ordnungen, allerdings ſehr bedeutender Abbruch gethan iſt, während noch zu Anfang dieſes Jahrhunderts die Staatsfelinger , von Komödianten, Seiltänzern, Gauklern, Affen und Hunden be - gleitet, in Equipagen einherfuhren, und mit Atteſtaten und Con - ceſſionen verſehen, mitten in den Städten auf offenen Plätzen ihre271 marktſchreieriſche Quackſalberei betreiben durften1)Vgl. Schäffer, Abriß S. 84 fg., Stadt und Land mit ihren ſchlechten und ſchädlichen Medicamenten überſchwemm - ten2)Die Medicamente beſtanden gewöhnlich aus: Terpentin, Theriak, Skor - pionöl, Glieder -, Lebens - und Nägelensbalſam, Schwefelbalſam, Magen - tropfen, grüner, ſchwarzer und gelber Waldſalbe, allerlei Pulvern von Minium, Blauſtein und Gorcum, verſchiedenen Wurzeln, Assa foetida, Rauch - kerzen u. dgl., und nicht nur mit innern und äußern Mitteln, ſondern auch mit ſympathetiſchen Curen die leichtgläubige Menge betrogen.

Mit den ſcharfen Verboten der neuern Zeit trat auch die Medicinalpolizei als aufklärende Wiſſenſchaft zur Bekämpfung des vom Betruge mit den verderblichſten Folgen für das phyſiſche und moraliſche Wohl des Bürgerthums verbreiteten und ausge - beuteten ſchweren Uebels raſch und kräftig hervor. Doch iſt dieſe Wiſſenſchaft noch zu neu, als daß ſie ſchon, wie noth iſt, ganz populär ſein könnte, um namentlich dem leicht zu betrügenden und noch immer viel und arg betrogenen Landmanne hinreichend Aufklärung und Schutz zu gewähren. Die Apotheken ſind überall einer weiſen und ſtrengen Controle unterworfen. Dagegen aber fallen in dem ſtets ſeine volle Freiheit beanſpruchenden Handel die ärgſten Exceſſe gegen die Medicinalpolizei vor, und beſonders ſind es jetzt die Droguiſten und Materialiſten, welche unter dem Banner und Schutz des Handels ihre Waaren und Präparate in Maſſen an Hauſirer abſetzen, welche damit in geheimem und offenem Hauſirhandel das alte Unheil immer wieder von neuem verbreiten. Dazu kommt noch der äußerſt fühlbare Mangel einer Veterinärpharmakopöe und einer ſtrengen Aufſicht der Veterinär - praxis, welche in ihrem jetzigen Zuſtande noch immer nicht ver - hindert, daß Scharfrichter und Schinder mit denſelben Recepten, mit denen ſie das Vieh behandeln, auch wahre Pferdecuren mit der ihnen zahlreich zuſtrömenden Menſchenmenge vornehmen kön - nen. Unglaublich groß iſt das Anſehen und die Praxis ſolcher Scharfrichter, nicht allein als Heilkünſtler, ſondern auch als Be - ſitzer geheimer ſympathetiſcher und Zaubermittel, zu denen nicht272 nur der rohe ungebildete Haufe, ſondern auch eine große Zahl aus den ſogenannten gebildeten Ständen noch immer ſeine Zu - flucht nimmt.

Während ſo die Scharfrichter, Viehärzte und Hirten noch immer die ſtabilen Vertreter der Quackſalberei ſind, bilden die als Olitätenhändler, Leichdornſchneider, Zahnärzte, Jäger, Kammer - jäger u. dgl. umherziehenden Rochlim die ambulante Jüngerſchaft. Nicht nur werden überhaupt ohne alle richtige Kenntniß der von den Leidenden dargeſtellten Krankheit, und der Eigenſchaft und Wirkung der vom Händler dafür gegebenen Mittel, die gefähr - lichſten draſtiſchen Medicamente verkauft: es werden oft ſogar äußerliche Mittel als innerliche gegeben. Der auf die Unwiſſen - heit und den Aberglauben des Volks ſich ſtützende Betrug gibt auch für ſchweres Geld häufig die nichtswürdigſten und ekelhaf - teſten Mittel, wie Seifenwaſſer mit Sandelholz gefärbt zum Reinigen des Geblüts , wie auch eben dazu Branntwein mit Blauſtein oder Guyak -, oder Franzoſenholz oder Nägelein; ferner mit einem Stück Placenta uterina gekochtes Bier zur Ordnung der Menses; Hunde - und Katzenfett, Pillen und Latwergen aus den ekelhafteſten Sachen1)Z. B. drei Pillen von Brotteig mit drei lebendigen Läuſen gegen das kalte Fieber; auf gedörrte Hundeexcremente abgezogenes Gurgelwaſſer, welche Mittel in Norddeutſchland (wie in Rußland) beim Volke ſehr ange - ſehen ſind., von denen man nur dann den rech - ten Begriff bekommt, wenn man den Arzneikaſten oder die Nieder - lage eines Rauchel genau unterſuchen läßt.

Die lediglich von den Droguiſten und Materialiſten, und aus alten mediciniſchen und Zauberbüchern wie z. B. dem früher auf allen Jahrmärkten feilgebotenen, bei Scheible, Kloſter , Bd. 3, Abth. 2, S. 489 fg., abgedruckten Romanus-Büchlein in der Heilkunſt zunächſt unterrichteten Rochlim bieten aber noch dadurch eine deſto gefährlichere Erſcheinung dar, daß ſie nach und nach in den Beſitz einer Menge roher und zuſammenhangloſer wiſſen - ſchaftlicher Formeln und Floskeln gelangen, deren Geläufigkeit273 ihnen bei dem gemeinen Manne ohnehin ſchon einen immer ſich vergrößernden Ruf und Credit verſchafft, ihnen ſelbſt aber auch eine ſo hohe Meinung von ſich einflößt, daß ſie ſich ſelbſt in der That für wirkliche Heilkünſtler halten und mit unvertilgbarer Zähigkeit, trotz aller Vigilanz und Strafen, doch das alte ver - botene Gewerbe, wie aus innerlichem Berufe, immer wieder von neuem beginnen.

Somit bieten ſich denn auch häufig bei den Rochlim dieſelben pſychiſchen Abweichungen und Sonderbarkeiten dar, welche man bei den Kartenlegerinnen findet. Jn ihrem ganzen Weſen und Walten erſcheinen die Rochlim heutigentags als die Hauptträger und Förderer des, beſonders auf dem Lande, noch immer weit und tief verbreiteten Zauber - und Aberglaubens, in welchem das ſtabile Dogma der Verhexung von Menſchen und Vieh obenan ſteht, und nach welchem Menſchen und Vieh mit denſelben Mitteln, kaum mit Unterſchied der Doſen, gegen Verhexung behandelt werden. Das Geheimniß der vielen noch heute bei dem Land - mann in Anſehen und Brauch ſtehenden ſonderbaren, oft unerklär - lich ſcheinenden Hausmittel und Arcana, namentlich die ſeltſam - ſten und ekelſten Räucherungen, welche durch ihre hundertjährige Vererbung eine gewiſſe Sanction erhalten haben, beruht weſent - lich auf dieſem Dogma, ſoweit entfernt jene auch in ihrer heuti - gen Form und Anwendung davon zu ſein ſcheinen.

Auch die unſelige Quackſalberei zeigt ſich als eine directe verderbliche Folge des überall ſchädlich wirkenden Hauſirhan - dels. Eine unerbittlich ſtrenge polizeiliche Controle und Be - ſtrafung des letztern, namentlich auf dem Lande, und eine ſcharfe Aufſicht über das Treiben der Droguiſten und Materialiſten, welche der beſtehenden Aufſicht über die Apotheken entſpricht, ſowie eine ſtrenge Regelung und Beaufſichtigung der Veterinär - und Scharfrichterpraxis wird dem nichtswürdigen Betruge mit grö - ßerm Erfolge ſteuern können, als die nach den meiſten deutſchen Medicinalordnungen lediglich den Bezirksärzten übertragene, kaum mit einigem Nachdruck, faſt niemals aber mit energiſcherAvé-Lallemant, Gaunerthum. II. 18274Nachhaltigkeit, von dieſen zu übende Aufſicht auf die Quackſalberei das bisjetzt vermocht hat.

Sechsundſiebzigſtes Kapitel. ϑ) Das Zchokken oder Freiſchuppen.

Wenn auch ſchon der Gebrauch der Würfel dem fernſten Alterthum bekannt war, ſo findet ſich doch zunächſt erſt im 13. Jahrhundert, daß Würfel - und Kugelſpiele, für welche es zu dieſer Zeit ſchon Unterrichtsanſtalten in Languedoc1)Vgl. die bei Hüllmann, a. a. O., IV, 247, angeführten Urkunden Lud - wig’s IX. vom Jahre 1254, und ebendaſelbſt, S. 248, die ſpätern Urkunden Karl’s IV. u. VI. aus den Jahren 1319 und 1369. Merkwürdig iſt die Ver - ordnung des Raths von Florenz von 1396, nach welcher der im Würfelſpiel Verlierende drei Jahre lang das Recht behielt, den Verluſt zurückzufordern, und nach welcher die nächſten Verwandten zu dieſer Rückforderung befugt waren, wenn der Verlierende binnen zwei Monaten nach dem Verluſte keinen Gebrauch davon gemacht hatte. gab, als verderbliche Glücksſpiele, gleich den ſpätern Glücksſpielen mit Karten, verboten waren. Jn Bologna wurde zu jener Zeit dem Spieler mit falſchen Würfeln der Daumen der rechten Hand ab - gehauen. 2)Statuta Bononiae, I, 500 fg. ; Hüllmann, a. a. O., IV, 249.Jn Zürich wurde der falſche Würfelſpieler durch den See geſchwemmt, das heißt an einen Kahn gebunden und eine Strecke durch das Waſſer gezogen. 3)Vgl. den Richtebriev bei Hüllmann, a. a. O., IV, 249. Vgl. auch ebendaſelbſt die Beſtimmungen der ſtädtiſchen Behörden zu Regensburg, Frank - furt a. M., Arnheim und Köln.Das Kartenſpiel ſcheint um jene Zeit jedoch noch nicht ſo ſehr wegen falſchen Spieles, als wegen des Hazardirens und Wettens verboten geweſen zu ſein. Aber ſchon die Notabilien des Liber Vagatorum warnen ausdrücklich vor den Jonern, den falſchen Karten - und Würfel - ſpielern, die mit beſeflerey vmb geen vff den brieff (Karten) mit275 abheben einer dem andern (Volte ſchlagen) mit dem gefetzten Brieff (falſche gezeichnete Karte) vff dem Reger (Würfel) mit dem Geburſten (Borſten) mit dem Abgezogen (Abſchleifen oder Abſchaben der Haut des Daumens und der Würfelecken) u. ſ. w., ſodaß in der That faſt alle heutigen Karten - und Würfelbe - trügereien ſchon mindeſtens gegen Schluß des Mittelalters in den Hauptgrundlagen bekannt geweſen zu ſein ſcheinen. Von der außerordentlichen Menge Glücksſpieler und Glücksſpiele gibt die bei Hüllmann, a. a. O., IV, 251, angeführte Verfügung von 1386 Zeugniß, nach welcher, in der Kriegsnoth, das Spielen freigegeben wurde, um nur die Landſtreicher und Glücksfahrer zu locken, daß ſie ſich als Söldner anwerben ließen.

Jn etymologiſcher Hinſicht ſind die techniſchen Ausdrücke be - zeichnend und bemerkenswerth. Freiſchupper, falſcher Spieler überhaupt, iſt erſt eine ſpätere Compoſition. Schupper iſt herzuleiten von Schuppe (squama) und Schuppen, Beſchuppen; desquamare, abſchuppen, den Rock, die Schaube oder Juppe1)Schaube, Schup, Schuppe, Jop (noch jetzt im niederdeutſchen üblich), Jup, Joppe, Juppe, die gefütterte Jacke, beſonders Frauenjacke, hängt wol genau mit Schuppe zuſammen. Vgl. v. Stieler, a. a. O., S. 892 u. 1781. Schottelius, S. 1341 u. 1395. ausziehen, ausplündern, betrügen, und ſcheint nicht außer Be - ziehung mit dem bei Hüllmann, a. a. O., IV, 251, erwähnten Verbot des regensburger Raths aus dem 14. Jahrhundert zu ſtehen, in welchem es den Spielern unterſagt wurde, mehr Geld zu leihen als ihre Kleidung werth ſei, welche letztere alſo aus - hülfsweiſe als Sicherheitspfand oder Spielſchilling gedient haben mag. Die Zuſammenſetzung mit Frei iſt der des Freikäufers analog in der Bedeutung von Erwerben ohne Entgeltung, oder auch in dem Sinne, in welchem der Betrogene oder Beſtohlene überhaupt als Freier bezeichnet wird.

Allgemeiner Ausdruck für Spielen iſt Jonen, deſſen Etymologie ſchon bei dem Jedionen gedacht iſt, mit der Neben - bedeutung des betrüglichen Spielens. Ferner Ratſchen, eigentlich18*276ratzen, wovon Ratſcher, Ratzer1)Ratſchen (von Ratze, der Ratz, der Rätzer, der Jltis) gebräuch - licher Volksausdruck vorzüglich des 17. Jahrhunderts, für ſtehlen, rauben, an ſich bringen. Vgl. v. Stieler, S. 1524., Spieler, welches Biſchoff Kochem. Loſch. , S. 51, fälſchlich für den Kartenſpieler allein gebraucht. Zchokken und Sechokken2)Wol zu unterſcheiden von Zgokker, Hauseinſchleicher. Vgl. Kap. 52., vom Hebräiſchen〈…〉〈…〉 (zachak) oder〈…〉〈…〉 (sachak), lachen, ſcherzen, verſpotten, jemand in Schande bringen, ſpielen, beſonders mit link und ſiuf verbunden, falſch ſpielen; Link-Sechokker, falſcher Spieler. Daher das jüdiſch-deutſche Zachkan und Zachkener, der Spieler überhaupt, und Siufer Zachkener, der falſche Spieler. Das jüdiſch-deutſche Kelef (vgl. oben) iſt die Spielkarte, welche im Liber Vagatorum Brief3)Der geſiegelte Brief, Sendbrief wird dagegen im Liber Vagatorum mit Bſaffot bezeichnet, wol vom hebräiſchen〈…〉〈…〉 (sephet; jüdiſch-deutſch sephes), Pech, geſchmolzene träufelnde Flüſſigkeit, Harz, Lack, zum Zuſam - menkleben des Briefs. Der Sendbrief, namentlich die officielle Depeſche, iſt Jggereſſ (〈…〉〈…〉), welches aus dem ſpätern Hebraismus vollſtändig in das Jüdiſch-Deutſche übergegangen iſt. (niederdeutſch Bref, Brev von brevis) genannt wird; Kelefen, überhaupt mit der Karte ſpielen (vgl. oben Kap. 71). Der alte, auch noch jetzt gebräuchliche deutſche Gaunerausdruck für Kartenſpiel, beſonders betrügliches Karten - ſpiel iſt Hadder; für Kartenſpielen Haddern, vom deutſchen Hadern d. i. ſtreiten, um die Wette ſtreiten, welchem analog für Würfel das Wort Ribling im Liber Vagatorum vorkommt, vielleicht vom Hebräiſchen〈…〉〈…〉 (rib, riw), welches ganz die Be - deutung des deutſchen Haderns oder Hadderns hat, und wobei, wie das ſo bei äußerſt vielen hebräiſchen Wörtern der Fall iſt, die deutſche Endigung dem hebräiſchen Stammwort angehängt iſt. Für Würfel ſind noch die alten Ausdrücke Reger (motor, con - cutiens) und Rührling, beide deutſchen Urſprungs, gebräuch - lich. Jm Jüdiſch-Deutſchen iſt noch Kuwio (〈…〉〈…〉), Plural Kuwjooſſ (〈…〉〈…〉), wahrſcheinlich wegen der Höhlung der Würfel oder des Würfelbechers, vom chaldäiſchen〈…〉〈…〉, wölben, oder auch von〈…〉〈…〉, Helm, und Kuwojoſtoſſ (〈…〉〈…〉), der Würfelſpieler und277 der Bretſpieler. 1)Vgl. G. Selig, Jüdiſch-deutſches Wörterbuch , S. 269.Der Ausdruck Derling oder Tarling iſt niederdeutſchen Urſprungs. 2)Vom niederdeutſchen Tarrel, Würfel. Jn Tarreln ſpeelen, Würfel ſpielen. Brot in Tarreln ſniden, Brot in Würfel ſchneiden. Tarreln-Tüg, gewürfeltes Zeug. Richey, Hamburger Jdiotikon , S. 305.Dagegen iſt Doppelen, nieder - deutſch Doppeln, Dobbeln, Duppeln wol mit dem alten Tuopeln3)Vgl. v. Stieler, Sprachſchatz , S. 325; Schottel., a. a. O., S. 1303., aus dem Lateiniſchen von duplus, abzuleiten. Jm Niederdeutſchen iſt Dabeler, Spieler, beſonders Bret - und Wür - felſpieler, und Dabelſteen4)Richey, a. a. O., S. 32; und Kramer, Niederdeutſches Wörter - buch , S. 67., Bretſtein, noch jetzt ebenſo ge - bräuchlich wie im Hochdeutſchen Doppeler, Spieler. Der Aus - druck Knepperling oder Knöpperling für Würfel ſcheint nicht von Knoppeln, ſondern vom niederdeutſchen Kneep, Kniffe, Ränke, herzukommen5)Die Zinken oder Wappen der Freiſchupper ſind Kap. 16, S. 61, graphiſch dargeſtellt..

Siebenundſiebzigſtes Kapitel. 1) Das Haddern.

Bei dem Haddern, dem betrüglichen Kartenſpiel der Freiſchupper (Link-Zchokker oder Link-Zachkener), haben die Karten die alten urſprünglichen jüdiſch-deutſchen Benennungen behalten, welche den deutſchen Karten beigelegt wurden. Dieſe Benennungen ſind jedoch ſowol hinſichtlich der Farben, als auch der Geltung der einzelnen Karten, ebenfalls auch auf die franzö - fiſchen übergegangen. Die Benennungen der deutſchen Karten ſind:

  • ,Chaſſer, Eſſ.
  • König,Melach.
  • Ober,Kofri.
    6)Von Kapher, Kaffer (〈…〉〈…〉), der Bauer, eigentlich das Dorf.
    6)
278
  • Unter,Tachet.
    1)Von Tachat, Tachas (〈…〉〈…〉), unten.
    1)
  • Sechſer,Wuver.
  • Siebener,Sojener.
  • Achter,Cheſſer.
  • Neuner,Teſſer.
  • Zehner,Juſſer.
    2)Die franzöſiſchen Karten werden auch mit den einfachen Zahlen be - nannt, alſo: Zwei = Beß; Drei = Gimel; Vier = Dollet; Fünf = Heh; Sechs = Wov; Sieben = Sojin; Acht = Cheſſ; Neun = Teſſ; Zehn = Jud; Bube = Kaffer; Dame = Malka; König = Melach; = Eſſ oder Chaſſer (〈…〉〈…〉, [chasir], Schwein, wovon die Redensart: Schwein haben, für: Glück haben).
    2)
  • Grün (pique),Schocher.
    3)Schochor (〈…〉〈…〉) ſchwarz ſein.
    3)
  • Eichel (trefle),Zelem.
    4)Zelem (〈…〉〈…〉) Bild, Götzenbild, Kreuz.
    4)
  • Herz (coeur),Lef.
    5)Lef (〈…〉〈…〉) das Herz.
    5)
  • Schellen (carreau),Efen.
    6)Ewen (〈…〉〈…〉), Stein, Edelſtein, Fels, Gewicht.
    6)
  • Trumpf ( tout),Guttelzeife.
    7)Guttelzeife, corrumpirt aus〈…〉〈…〉 (godel zewa), die große (beſte) Farbe.
    7)

Karten miſchen: magbia ſein (von〈…〉〈…〉 [goba], hoch ſein, abheben, erheben, erhöhen). Karten geben: Naſſenen oder Nauſſe ſein (von〈…〉〈…〉 [natan], geben, legen, von ſich legen). Karten rauben, umtauſchen: gaſſeln (von〈…〉〈…〉 [gasal], wegneh - men, wegreißen, rauben). Die Karte ſtechen: Makke ſein oder mekajenen (von〈…〉〈…〉 [nacho], ſchlagen, vgl. S. 154). Paſſen: Hivreſch ſein (von〈…〉〈…〉 [porasch], trennen, unterſcheiden, ſich abſondern). Draußen ſein (ſeine Zahl Points haben): Dajene haben (von〈…〉〈…〉 [dai], genug, die Menge, das Bedürfniß).

Würde man es unternehmen wollen, alle Betrügereien dar - zuſtellen, deren ſich die Zchokker bei den verſchiedenen Karten - ſpielen bedienen, ſo müßte man eine weitläufige Beſchreibung279 aller Kartenſpiele geben, welche nicht nur in den verſchiedenen Ländern Deutſchlands, ſondern auch in den einzelnen Städten und Dörfern, in den mannichfachſten Variationen üblich ſind. Es gilt hier nur vorzugsweiſe, die weſentlichen techniſchen Mittel dar - zuſtellen, deren ſich die Zchokker bedienen.

Das Volteſchlagen, eigentlich nichts anderes als ein be - trügliches Miſchen1)Das falſche Miſchen: Siuf magbia ſein; ein eigener Ausdruck für Volte exiſtirt in der Gaunerſprache nicht. der Karten, iſt die betrügeriſche Fertigkeit, beſtimmte Karten, welche der Zchokker ſich gemerkt hat, heimlich an die Stelle im Kartenſpiel zu bringen, wohin er ſie haben will. Man findet die Beſchreibung der Volte in ihren verſchiedenen Arten, mit zwei Händen, oder mit einer Hand, welche letztere Art jedoch die merklichere iſt, in allen Kartenkünſtlerbüchern, in welchen ſich aber jede Beſchreibung unbeholfen macht2)Am deutlichſten iſt ſie in dem anonymen Werke: Der verrathene und von allen ſeinen Geheimniſſen entblößte falſche Spieler (zwei Theile; ohne Druckort 1776), und beſonders in dem kleinen Buche: Der Kartenkünſtler von Chriſt. Ludwig Hoffmann (Hamburg 1843) beſchrieben., wenn man die eminente Praxis dieſes, ſelbſt bei angeſtrengter Beobachtung kaum in einer unſcheinlichen kurzen Handbewegung wahrnehmbaren, ungemein geſchickten Kunſtſtückes ſieht. Doch entgeht dem auf - merkſamen Blicke jene leichte Handbewegung nicht in dem Mo - mente, wenn der Zchokker gleich nach dem Abheben die beiden Kartenhaufen aufeinander legt und die Karten in die Hand nimmt. Weniger Uebung koſtet das verſchieden - artige künſtliche Miſchen, bei welchem die von dem Zchokker ge - wählten Karten mit dem Winkel des Daumens und Zeigefingers vor oder hinter den zum Miſchen bewegten Karten feſtgehalten und nach oben und unten gelegt, und nach dem Abheben mittels der Volte an die beabſichtigte Stelle gebracht werden. Bei ſcharfer Aufmerkſamkeit, namentlich in dem Moment, wenn der Spieler die Karte nach dem Abheben wieder in die Hand nimmt, wird auch dieſer Trug nicht unentdeckt bleiben können. 3)Wie überhaupt in Bezug auf alles falſche Spiel, ſo auch auf die

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Achtundſiebzigſtes Kapitel. 〈…〉〈…〉) Das Kelofim-Zinkenen.

Aus den Andeutungen der Notabilien des Liber Vagatorum ſieht man, daß die noch heutigen Tages unter den Zchokkern an - gewandten Methoden die Karten zu zeichnen1)Kelofim (Plural von Kelef, vgl. Kap. 71), Zinkenen (vgl. Kap. 13)., ſehr alt ſind. Dahin gehört beim Hazardſpiel2)Hazard, das italieniſche Zara, Zarda oder Azarra. Vgl. Hüllmann, a. a. O., IV, 247. das Zeichnen, Zinkenen, der Haupt - karten mit feinen Nadelſtichen in der rechten obern Ecke der Karten. 3)Doch geht der Stich nicht durch die Karte, damit er nicht durchſcheint. Es kommt nur darauf an, der Karte auf dem Rücken eine kleine merkliche, durch die Punktirung noch mehr verdeckte, feine leichte Erhöhung zu geben.Gewöhnlich pflegt nur ein Stich in dieſer Winkelecke zu ſtehen; doch werden, je nach der Geltung der Karten, auch zwei bis drei, ja bei manchen Spielen ſogar fünf bis ſechs Stiche angebracht, welche für das Auge kaum ſichtbar und nur durch ein ſehr feines geübtes Gefühl auf der Rückſeite der Karte zu entdecken ſind. Zu dieſem Zwecke ſchaben die Zchokker die Haut des obern Gliedes an dem Daumen mit einem ſcharfen Feder - meſſer bis auf die unter der Epidermis liegende feine Hautlage ab, wodurch der Daumen äußerſt feinfühlig wird. Dieſe Opera - tion wird den Daumen abziehen genannt. 4)Dieſe Operation ſcheint ſchon ſehr früh betrieben worden zu ſein, und die ſchon oben Kap. 76 erwähnten Statuta Bononiae , I, 500 fg., ſcheinen auch gerade mit Beziehung auf dieſe betrügeriſche Zurichtung und Fertigkeit des Daumens die Strafe des bloßen Daumenabhauens für den falſchen Karten - ſpieler feſtgeſetzt zu haben.Der Daumen ruht beim Halten der Karten mit dem Ballen auf den Karten, und ſomit kann der Zchokker leicht an den Stichnarben fühlen, welche Karte oben aufliegt. Hat der Gegenſpieler eine Karte zu3)Volte und auf die nachſtehend dargeſtellten Betrügereien mit Karten, iſt die ſchon im vorigen Kapitel angeführte Stelle aus den Notabilien des Liber Vagatorum: Jtem hüt dich vor den Jonern u. ſ. w. höchſt merkwürdig.281 fordern, ſo wird die obere günſtige Karte mit Behendigkeit etwas zurückgeſchoben und dem Gegner eine andere weiter unten liegende Karte gegeben.

Eine andere Art des Kelofim-Zinkenens beſteht darin, daß der Zchokker feingepulverten Bimsſtein in ein Beutelchen von Lein - wand thut, damit den Rücken der geringen Karten beſtäubt und nun mit dem Finger oder einem Läppchen die Karte etwas rauh auf dem Rücken ſchleift, ohne daß dadurch die punktirten Ver - zierungen auf dem Rücken angegriffen werden. Dadurch wird die Karte beſonders für den abgezogenen Daumen leicht kennbar. Die Hauptkarten: , König u. ſ. w., werden hingegen auf dem Rücken mit guter trockener venetianiſcher Seife gerieben und mit einem Glättkolben geglättet. Mit der Volte kann der Zchokker nun auch beim Abheben die leicht kennbaren Karten hinbringen, wohin er will.

Neunundſiebzigſtes Kapitel. 〈…〉〈…〉) Das Kelofim-Mollen.

Endlich iſt noch das Mollen1)Die Kelofim mollen, oder eigentlich die Kelofim mauhel ſein, die Karten beſchneiden, vom hebräiſchen〈…〉〈…〉 beſchneiden; mohel oder Mauhel ſein oder mollen gilt von allen Arten des Verſchneidens, auch ſogar vom Verſchneiden des (flüſſigen) Weines., d. h. Beſchneiden der Karten, zu bemerken. Der Zchokker ſchneidet von allen Karten bis auf die Hauptkarten entweder an der ſchmalen oder an der langen Seite, jenachdem er weiß oder merkt, daß ſein Gegenſpieler die Karten beim Abheben an den Breitſeiten oder Langſeiten faßt, um eine Linie breit mit einem ſcharfen Meſſer oder einer Schere ab. Durch das Beſchneiden der Karten kommt es, daß die Hauptkarten etwas hervorragen, alſo beim leichten Abheben als untere Karte des abgehobenen Haufens gefaßt werden, und ſomit dem Karte282 gebenden Zchokker zugute kommen. 1)Je nach dem Spiele, welches vorgenommen wird, z. B. in der Comorre beim Baſſet, werden an der ſchmalen Seite alle Piques und Carreaux, alſo 26 Karten, beſchnitten. Beim ſogenannten Riegeln im Pharo werden die Karten jedoch mit der Nadel gezinkt.Endlich werden auch noch beſtimmte Karten, wenn ſie nicht ſchon in der Kartenfabrik be - ſonders dazu hergerichtet ſind, durch Radiren oder Aufmalen ſo gefälſcht, daß ſie für zweierlei Karten gebraucht werden können. Der Zchokker radirt z. B. von der Pique-Drei das untere Pique weg, ſodaß die Karte das Anſehen gewinnt:

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Soll dieſe Karte für eine Drei gelten, ſo zeigt der Zchokker die Karte beim Abziehen ſo vor, daß er den Daumen auf die radirte Stelle bei c hält. Soll ſie für ein gelten, ſo zeigt er die Karte vor mit dem Daumen auf a. Ebenſo wird die Sechs in

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eine Vier verwandelt, wenn die auf b radirte Karte mit dem283 Daumen auf a gehalten wird. Dieſe Betrügerei erfordert jedoch große Vorſicht des Zchokkers, daß er nicht die ganze Karte offen hinlegt oder aus der Hand gibt.

So alt und bekannt dieſe zum Theil platten Betrügereien ſind, ſo ſehr ſind ſie doch noch, namentlich in Wirthshäuſern nie - dern Ranges, und vor allem auf Dorfjahrmärkten, im vollen Gange. Sie ſind aber auch da, wo ſie angewandt werden, den Wirthen bekannt, welche ſehr oft gefälſchte Spiele aller Art im Vorrath bei der Hand haben, wenn der Zchokker, um ſeine Mitſpieler durch den Wechſel ganz arglos und ſicher zu machen, ein neues Spiel Karten fordert. 1)Dieſer Wechſel geſchieht aber vorzüglich dann, wenn der Zchokker be - merkt hat, daß ſein Gegenſpieler die Karten beim Abheben entweder in der Breite oder in der Länge faßt. Danach verlangt er von dem mit ihm ein - verſtandenen Wirth dieſe oder jene Art gemollter Karten.Meiſtens können dieſe Betrügereien nur bei Hazardſpielen in Anwendung kommen, deren es leider eine Unzahl gibt, und welche, trotz aller Verbote und ſo mancher un - glücklicher Opfer, noch ungemein ſtark im Geheim von Leidenſchaft, Habſucht und Betrug getrieben und gefördert werden.

Achtzigſtes Kapitel. 〈…〉〈…〉) Die neue Fahrt.

Die Scheu vor Verluſt und Strafe, von welcher ſich noch manche abhalten laſſen, auf verbotene Spiele einzugehen, wird von den Zchokkern weniger durch directe Ueberredung, als durch künſtliche Verführung überwunden. Dieſe ſyſtematiſche Verlockung wird die neue Fahrt genannt. Gewöhnlich iſt eine ganze Chawruſſe Zchokker vereinigt, welche aber nicht zuſammen gehen, ſondern wie durch Zufall in dem Wirthshauſe zuſammentreffen und ſich durchaus fremd gegeneinander ſtellen. Der Hauptſpieler heißt der Premier, die Uebrigen ſind die Eintreiber oder Fallmacher. Sind Gäſte im Zimmer vorhanden, ſo macht284 ein Fallmacher zum Scheine Bekanntſchaft mit dem Premier und ladet ihn zu einem Spiel ein. Der Premier bezeigt anfangs keine Luſt, ſtellt ſich einfältig, verliert eine Partie nach der andern und will endlich aufhören, da er ſeinen Meiſter gefunden hat . Der Eintreiber überredet den Premier zu einem andern Spiele, gewöhnlich zum Häufeln, wobei ſchon zugleich gezinkte oder ge - mollte Karten in Anwendung kommen, und läßt nun den Premier gewinnen und verlieren, worauf nun die übrigen Eintreiber, wie von Neugierde gelockt, nach und nach an den Tiſch treten, ſich durch Wetten am Spiel betheiligen, nach gegebenen Zinken ge - winnen und nun die übrigen unkundigen Zuſchauer ebenfalls zum Wetten und Spielen ermuntern, was denn auch meiſtens gelingt, und wobei die miteinander einverſtandenen Zchokker bedeutenden Gewinn machen.

Die Eintreiber oder Fallmacher haben jedoch nicht die einzige Aufgabe, zum Spielen und Wetten anzulocken. Sie treten auch zu den Spielenden, und verrathen dem Premier und ihren Chawern durch Zinken mit der Hand, dem Fuße, durch Räuspern, Pfeifen, Singen, durch ein hingeworfenes Gaunerwort, durch Zinken gegen den Spiegel u. ſ. w., welche Karten der Gegenſpieler hat, oder wenn der Eintreiber ſelbſt mitſpielt, welche Karten er ſelbſt hat. Beim Spielen wird überhaupt die Kunſt des geheimen Verſtänd - niſſes im weiteſten Umfange und in den feinſten Nuancen aus - gebeutet. Sehr oft werden Bekanntſchaften, welche im Wirthshauſe mit Landleuten, Fußreiſenden, Fuhrleuten u. dgl. gemacht ſind, erſt im Freien fortgeſetzt und ausgebeutet. Wenn nämlich die Zchokker die Aufſicht im Wirthshauſe zu ſehr ſcheuen, und den erkorenen Freier dort nicht hinlänglich ausplündern können, ſo gehen ſie den Weg vorauf, und fangen am Wege an, unter ſich zu haddern, wozu ſie den ſpäter Nachkommenden einladen, und wobei ſie ihn ſelten ohne Verluſt ſeiner ganzen Baarſchaft u. dgl. von ſich laſſen.

Da die Zchokker gewöhnlich auch Merammemooſſmelochner, oder mindeſtens eifrige Sammler falſchen Geldes ſind, ſo hat der etwa gewinnende Freier durchaus keinen Vortheil von ſeinem285 etwaigen Gewinn, ſondern noch alle Widerwärtigkeiten, welche aus der ſpätern Verausgabung falſchen Geldes entſpringen.

2) Das Kuwioſtoſſen.

Einundachtzigſtes Kapitel. 〈…〉〈…〉) Das Würfelſchleifen.

Auch die Betrügereien mit den Würfeln, Kuwio, Ribling, Rührling, Reger, Derling, Knöpperling (vgl. oben Kap. 76), ſind nach der Warnung am Schluſſe der Notabilien des Liber Vagatorum ſchon ſehr alt. Der älteſte Betrug iſt wol das Würfelſchleifen. Ein richtig bezeichneter Würfel1)Ueber die Combinationen und Wahrſcheinlichkeitsrechnung beim Würfel - ſpiel findet man Jntereſſantes bei J. P. Grüſon: Enthüllte Zaubereyen und Geheimniſſe der Arithmetik (Berlin 1796), II, 185 fg. Danach hat bei zwei Würfeln die Zahl 7, bei drei die Zahl 10 und 11, bei vier die Zahl 14, bei fünf die Zahl 17 und 18, und bei ſechs Würfeln die Zahl 21 die meiſte Wahrſcheinlichkeit für ſich. iſt ſo geauget, daß die Augen der einander gegenüberſtehenden Seiten zuſammen - addirt gerade Sieben ausmachen, alſo 1 6, 2 5, 3 4. Das jetzt nur noch wenig gebräuchliche Schleifen2)Doch ſind gerade noch bei dem lübecker Volksfeſte im Juli 1858 in einer Glücksbude bei einem Zachkan drei ſolcher geſchliffener (abgezogener) Würfel vorgekommen und confiscirt worden, welche obendrein nur je eine Zahl hatten, deren Fläche gerade die breiteſte Seite des Würfels bildete. geſchah in der Weiſe, daß der Kuwioſtoſſ an einer Seite des Würfels die Ecken auf einem feinen Sandſtein abſchliff, und mit Bimsſtein und Kreide nachpolirte. Drei Würfel wurden auf die Eins (Fehler) und drei auf die Sechs (Treffer) geſchliffen und nach Gelegenheit, wie es galt, vertauſcht. Die Würfel fallen begreiflicherweiſe viel leichter auf die breite als auf die ſchmaler geſchliffene Seite. Jn - deſſen iſt das Schleifen faſt gänzlich in Abgang gerathen, weil der Kuwioſtoſſ ſeiner Würfel nur dann ſicher iſt, wenn die Seiten286 ſehr ſtark abgeſchliffen ſind, was aber doch ſchon leicht in die Augen fällt.

Zweiundachtzigſtes Kapitel. ב) Das Jung und Alt.

Eine zweite Art der Würfelfälſchung iſt das Futtern der Würfel, in der Gaunerſprache Jung und Alt genannt. Das Futtern geſchieht auf zweifache Weiſe. Die eine, welche wol des - halb in Abgang gerathen iſt, weil die Würfel meiſtens nicht mehr aus dem Becher, ſondern unmittelbar aus der Hand geworfen werden, beſteht darin, daß um die Ecken der Fehler - oder Treffer - ſeiten kurze ſchwarze Schweinsborſten1)Liber Vagatorum, Notabilien 11: vff dem Reger mit dem Ge - burſten . eingebohrt und eingekittet ſind, ſodaß dieſe jedoch nur zum Gebrauch auf Mänteln, Billardtafeln oder Teppichen beſtimmten Würfel durch die Bor - ſten beim Rollen aufgehalten und auf die berechnete Seite geſetzt werden. Dieſe Fälſchung, welche jetzt nur noch ſelten vorkommt, iſt leicht zu entdecken, wenn man mit den Fingerſpitzen zart gegen die Ecken des Würfels, oder auch mit dem Würfel über die Wange ſtreicht, wobei ſich die Borſten durch ihr Stechen verrathen.

Deſto häufiger iſt aber die zweite Art des Jung und Alt. Sie erſcheint um ſo unverdächtiger, da ſie nur bei maſſiv aus Knochen oder Elfenbein u. dgl. gearbeiteten Würfeln vorkommt. Die Würfel werden ebenfalls auf zweierlei Weiſe gefälſcht, für die Treffer und für die Fehler. Legt man einen Würfel auf die Eins, ſodaß die Sechs oben und die Drei gerade vor dem Blicke ſteht, ſo hat man links die Fünf und rechts die Zwei. Gewöhn - lich wird nun von dem untern Auge der Zwei, nahe unter der Fläche der Eins hindurch, nach dem ſchrägen gegenüberliegenden untern Auge der Fünf ein röhrenförmiges Loch, Kanal, gebohrt287 und mit einem Bleidraht ausgefüllt, deſſen Enden, weil ſie in Augen auslaufen und in den Augenhöhlungen ausgeſchnitten und ſchwarz überlackirt werden, nicht zu entdecken ſind. Jn gleicher Weiſe wird für die Fehler von dem untern Auge der Drei ſchräg unter der Fläche der Sechs hindurch bis zum untern Auge der Vier ein Bleidraht gezogen. Auf dieſe Art werden drei Treffer - würfel und drei dem Aeußern nach jenen gleiche Fehlerwürfel hergerichtet und zur paſſenden Gelegenheit beim Wetten angewandt. Die Bleidrähte, welche beim Rollen der Würfel die Fläche der - ſelben, über welcher ſie unmittelbar durchgezogen ſind, vermöge ihrer Schwere nach unten bringen, laſſen ſich auch noch in andern Richtungen ziehen, je nachdem die Drähte dicht oberhalb der - jenigen Fläche durchgezogen werden, welche beim Werfen unten zu liegen kommen ſoll.

Dieſe Betrügerei iſt, weil ſie bei dem vollen oder maſſiven Material der Würfel am wenigſten zu ahnen iſt, gerade die am meiſten cultivirte. Auf Jahrmärkten wird, beſonders in den Glücksbuden, ungeheuerer Betrug damit geübt. Die Prüfung der Würfel iſt leicht. Man darf nur mit einem ſpitzen Meſſer oder Nagel in ein verdächtiges Würfelauge ſchaben, um nach Entfer - nung des ſchwarzen Lackes das blinkende Blei zum Vorſchein kommen zu ſehen. Noch beſſer dient dazu ein Spitzbohrer oder ein Schuſterpfriemen, mit welchem man die Bleiſtange von einem verdächtigen Auge her mit Leichtigkeit aus dem gegenüberſtehenden Auge herausſchieben kann.

Dreiundachtzigſtes Kapitel. ג) Die Sanduhr.

Eine noch künſtlichere Betrügerei iſt die Sanduhr, welche ebenfalls vielfach von den Kuwioſtoſſen in Anwendung gebracht wird. Die Sanduhr läßt ſich nur bei hohlen Würfeln anbringen. Dieſe Würfel ſind aus einem hohlen Thierknochen zugeſchnitten288 und gefeilt. Jn die beiden einander gegenüberſtehenden Oeffnungen ſind ein paar runde Knochenſcheiben eingeſchroben. Meiſtens ſind dieſe Scheiben gerade die Sechs und die Eins. Die Kuwioſtoſſen bringen nun mitten in der Höhlung des Würfels ein Blech oder eine Knopfform an, welche in der Mitte ein kleines Loch hat. Dieſes Loch verbindet die beiden durch die Knopfform getrennten Höhlungen des Würfels miteinander. Die untere Höhlung des etwa auf Sechs ruhenden Würfels wird mit feinem Uhrſand gefüllt und dann die Platte mit der Eins auf den Würfel auf - geſchroben. Legt man nun den Würfel auf die Eins, ſo fällt der Sand durch das Loch der Scheidewand in die Höhlung zwiſchen der Eins und der Scheidewand. Wirft man jetzt den Würfel raſch fort, ſo wird die Sechs oben kommen, da der Sand, welcher während des Wurfes nicht ſo raſch aus der Höhlung weichen konnte, dieſen Theil des Würfels bedeutend ſchwerer macht und nach unten drückt. Beim Wetten faßt der Kuwioſtoſſ die Würfel ſo, daß die Sechs oder die Eins nach oben ſteht, je nachdem ſeine Gegenſpieler auf dieſe oder jene Zahl pariren. Nach Befin - den wendet der Zchokker, mit dem Anſchein, als ob er die Einſätze nachſieht, ſeine die Würfel faſſende Hand ſo, daß der Sand auf die Eins oder Sechs abläuft und wirft dann die Würfel raſch ab.

Bei der Sanduhr iſt nicht einmal eine Vertauſchung der Würfel nöthig. Dieſer Umſtand macht daher die Anwendung der Sanduhr ſehr geläufig. Man kann den Betrug leicht entdecken, wenn man den eine kurze Zeit auf die Eins oder Sechs geſtellten Würfel leicht zwiſchen Daumen und Zeigefinger an zwei entgegen - geſetzten Ecken faßt, wobei der Würfel mit der gefüllten Höhlung ſich nach unten ſenken wird. Hier und da ſind auch mit Queck - ſilber gefüllte Würfel vorgekommen. Das Queckſilber läuft jedoch beim Werfen zu raſch durch das Loch der Mittelwand, macht ſomit den Wurf unſicher, und klappert auch beim prüfenden Schütteln des Würfels, was bei der Sandfüllung wenig oder gar nicht der Fall iſt.

Dagegen wird endlich noch das Queckſilber bei den Dreh - würfeln angewandt. Die Drehwürfel haben bekanntlich oben289 einen runden Handgriff zum Schnellen oder Drehen, und unten eine Spitze, auf welcher der kreiſelnde Würfel läuft. Der Würfel hat gewöhnlich 7 12 Seitenflächen mit Nummern nach willkür - licher Ordnung. Dieſe Würfel ſind ebenfalls hohl, und Hand - griff und Spitze ſind einander gegenüber eingeſchroben. Die Kuwioſtoſſen theilen nun den Würfel der Länge nach durch ein Blech oder Holzblättchen in zwei Höhlungen, ſodaß gegen die eine Höhlung draußen die kleinen, gegen die andere Höhlung draußen die großen Zahlen ſtehen. Die innere Querwand iſt nun unten in einer Ecke mit einem Loche verſehen. Nachdem nun der Würfel mit einer nur kleinen Quantität Queckſilber ge - füllt iſt, wird er durch Aufſchrauben des Handgriffs geſchloſſen. Je nachdem nun der Würfel gedreht wird, bleibt das Queckſilber in der einen Höhlung zurück, wenn es durch das Drehen in die Ecke der Höhlung geſchnellt wird, wo das Verbindungsloch der Scheidewand ſich nicht befindet, oder tritt in die andere Höhlung, ſobald die entgegengeſetzte Drehung das Queckſilber auf die Seite der Scheidewand ſchnellt, auf welcher es durch das Verbindungsloch in die andere Höhlung treten kann. Der Kuwioſtoſſ, welcher die Einrichtung ſeines Würfels kennt, weiß genau, in welcher Höhlung das Queckſilber ſich befindet, wenn er den Würfel in die Hand nimmt, und dreht nun nach rechts oder links, wie es ſein Jntereſſe beim Spiel erfordert. Den Betrug entdeckt man ebenfalls dadurch, daß man den Würfel leicht an den Spitzen zwiſchen Daumen und Zeigefinger faßt, worauf die mit Queckſilber gefüllte Höhlung nach unten ſinkt. Aeußerlich erſcheinen die Drehwürfel ſchon dadurch verdächtig, daß die Zahlen meiſtens nicht in regelmäßigem Wechſel, ſondern ſo angebracht ſind, daß die kleinen Zahlen den großen gegenüber, die Zahlen alſo in fortlaufender Reihenfolge auf dem Würfel ſtehen.

Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 19290

Vierundachtzigſtes Kapitel. ד) Der Scheffel.

Nicht minder als das falſche Karten - und Würfelſpiel ver - dienen beſonders in Wirthshäuſern und auf Jahrmärkten und Volksfeſten noch andere Betrügereien beim Spiel die ſchärfſte Ueberwachung. Dahin gehört noch der Scheffel. Der Scheffel iſt eine runde hölzerne, von einer Bande umſchloſſene Scheibe mit flachen, runden, roth und ſchwarz gemalten und numerirten Ver - tiefungen, welche kreisförmig um den Mittelpunkt, das Martſch, den Haupttreffer, laufen. Jn den Scheffel wird eine Kugel ge - worfen, die eine Zeit lang darin umherläuft, bis ſie in einer Ver - tiefung liegen bleibt. Der Scheffel wird gewöhnlich auf einen etwas loſe geſetzten Tiſch geſtellt, ſodaß er während des Laufes der Kugel durch heimliches Heben und Senken in ſeiner horizon - talen Lage verändert werden, und ſomit der Kuwioſtoſſ immer ſeinen Vortheil dabei finden kann. Beim Pariren auf Roth oder Schwarz werden die Löcher dieſer oder jener Farbe auf verſchie - denen, dem Kuwioſtoſſ allein bekannten Stellen oder Kreiſen des Scheffels mit trockener Seife ausgerieben und nachgewiſcht, ſodaß die Kugel leicht wieder aus der geſeiften Höhlung heraus in eine andere minder glatte läuft. Der Kuwioſtoſſ kennt die Löcher genau nach den Nummern, und hilft durch heimliches Heben und Senken des Scheffels nach. Wenn auch der Scheffel ziemlich aus der Mode gekommen iſt, ſo figurirt er doch noch häufig auf Jahr - märkten, wo er genauer Aufſicht bedarf.

Fünfundachtzigſtes Kapitel. 3) Das Deckeles.

Obſchon das Deckeles, Deckeln, Deckelſpiel, Finger - hutſpiel ein ſo plattes wie verrufenes Kunſtſtück iſt, ſo findet es doch noch immer auf Jahrmärkten ſein Publikum, da dies291 Spiel immer nur in Chawruſſe geſpielt wird, dem Deckeler oder Premier alſo genug Leute durch die Eintreiber oder Fall - macher zugeführt werden. Der Deckeler hat drei große Finger - hüte oder kleine Becher von Holz oder Metall vor ſich auf dem Tiſche ſtehen, und dazu ein kleines weiches Kügelchen von Seide, Baumwolle, Papier oder Wachs. Mit einem der Becher wird im raſchen Wechſel das hin - und hergeſchnellte Kügelchen bedeckt. Der Premier ſetzt eine Summe aus für den, welcher auf einmal die Kugel unter dem Becher erräth. Zunächſt wird das Spiel ganz langſam gemacht, um die Vorübergehenden zu kirren. Die Eintreiber laſſen ſich zuerſt auf das Spiel ein, pariren und ge - winnen, bis nun auch andere zum Spiele verlockt werden. Jetzt werden allerlei Betrügereien vorgenommen. Während des Decke - lens weiß der Premier die kleine Kugel zwiſchen dem langgewach - ſenen Nagel des Mittel - oder Zeigefingers geſchickt einzuklemmen und aus dem Spiel zu entfernen. Oder er läßt recht ſichtbar einen Becher über die Kugel fallen, oder ſtößt, wie aus Unge - ſchicklichkeit, die Kugel unter dem Becher hervor, bedeckt die Becher raſch mit dem Hute oder Tuche, und ſchlägt eine neue Wette vor, während er heimlich unter Hut oder Tuch die Kugel unterſchiebt oder entfernt, oder auch einen andern Becher einſchiebt. Aehnliche Betrügereien können noch mehrfach bei dieſem elenden Spiele vorkommen. Zuweilen werden die Betrüger vom kundigen Gegenſpieler dadurch wieder betrogen, daß letzterer heimlich ein fei - nes Kopfhaar an die Kugel klebt, welches unter dem Becher hervorragt und die Kugel verräth.

Sechsundachlzigſtes Kapitel. 4) Das Riemenſtechen oder Bandſpiel.

Das in Norddeutſchland weniger bekannte, aber in Mittel - und beſonders Süddeutſchland1)Das betrügeriſche Riemenſtechen wurde in Oeſterreich ſchon durch das deſto häufiger noch in Wirths -19 *292häuſern und auf Jahrmärkten vorkommende Riemenſtechen oder Bandſpiel iſt eine ſehr platte gemeine Gaukelei. Der Riemen - ſtecher führt einen langen, etwa einen Zoll breiten, an den Enden zuſammengenähten Riemen, den er in mehrere, allmählich verkürzte Falten nebeneinander legt, welche er mit dem langen übrig blei - benden Riemenende dicht umwickelt und feſthält, ſodaß er mit dem Daumen und den erſten Fingern den Riemen gerade an deſſen Doppelenden in der Hand hält. Bei der abfallenden Kürze der Lagen entſtehen Höhlungen in dem Gewinde, welche innerhalb der Weitung des ganzen Riemens zu gehören ſcheinen, in der That aber außerhalb derſelben oder blind ſind. Der Unkundige wird nun durch die Eintreiber des Riemenſtechers, welche zuerſt vor ſeinen Augen gewinnen, leicht verlockt, mit dem Pfriemen oder Meſſer durch eine Höhlung des Riemens auf den Tiſch zu ſtechen, um den zuſammengenähten Riemen darauf feſtzuhalten, wird aber immer getäuſcht und um ſeinen Einſatz gebracht, wenn der Riemenſtecher den Riemen abzieht, da die nicht von der Hand des Riemenſtechers bedeckten Höhlungen ſämmtlich blind ſind.

Siebenundachtzigſtes Kapitel. 5) Die Glücksbuden.

Außer den Würfelſpielen und dem Scheffel kommen in den Glücksbuden noch die verſchiedenartigſten Nachäffungen der Lotterie vor, deren Aufzählung ermüdend iſt. 1)Vgl. Das Lotto in allen ſeinen Spielformen von W. J. Dainecke (Wien 1857).So genau auch die Con - trole über dieſe Glücksbuden iſt, ſo ſehr werden die beaufſichtigen - den Beamten durch die mit dem Glückshäfner in geheimer Ver - abredung ſtehenden Eintreiber getäuſcht, welche zum Anlocken1)allerhöchſte Patent vom 12. Dec. 1752 und verſchärft durch das allerhöchſte Patent vom 1. Mai 1784, neuerdings aber durch das Hofkanzleidecret vom 16. Oct. 1840 verboten. Vgl. unten die Strafgeſetzgebung.293 der Menge die markirten Treffer geſchickt aus dem Glückstopf zu holen, und dafür wiederum beim Eingreifen eine Menge Nieten in den Glückstopf zu prakticiren wiſſen, wie denn überhaupt die geſammte Taſchenſpielerei gerade in den Glücksbuden am ärgſten ihr verſtecktes Weſen treibt.

Der Verkehr auf den Jahrmärkten und vor allem das ſtabile Wirthshausleben, welchem leider die untern Stände bei weitem mehr verfallen ſind, als die höhern, fördert die Berührung des Gaunerthums mit dem Bürgerthum in immer umfangreichere[r]und bedenklicherer Weiſe. Es gibt kaum ein Spiel in den Wirths - häuſern, bei welchem das Gaunerthum mit ſeinem Betruge ſich nicht einzudrängen gewußt hätte. Die Habſucht der Wirthe wird von den Betrügern durch eine ſtarke Zeche, hohes Spielgeld und einen erklecklichen Antheil am Gewinn befriedigt, und ſomit der ſchon ſo ſehr verfärbte, alte, hospitale, ſchützende und gemüthliche Charakter des Wirthsthums mehr und mehr, bis zur gänzlichen Ausmärzung verdorben. Wenn es Wirthe genug gibt, welche jede Art gezinkter und gemollter Karten, gefälſchte Würfel und ſogar falſche Wurfkugeln beim Kegelſpiel1)Selbſt das ſo harmloſe Kegelſpiel wird, im Einverſtändniſſe mit dem Wirthe, von den Gaunern ausgebeutet, welche das Niveau der Bahn und alle ihre Unregelmäßigkeiten genau kennen. Dabei halten ſich manche Wirthe auch eine oder ein paar Kugeln, welche an einer Seite ausgehöhlt und mit etwa einem Pfund Blei ausgegoſſen ſind. Nur dann, wenn die den Gaunern be - kannte Bleiſtelle genau in der Mitte, oben oder unten, beim Wurfe gefaßt wird, iſt der Wurf ſicher, während unausbleiblich ein Fehlwurf kommt, ſobald die Stelle beim Wurfe zur Seite ſich befindet. Die Hauptperſon iſt jedoch der mit dem Gauner einverſtandene Aufſetzer, der unter Begünſtigung des blendenden Sonnenſcheins oder eines Schlagſchattens, vorzüglich abends beim Lichte, die Kegel für jene ſehr locker, oder ſchief, auf Bindfaden, und ungenau auf die eiſernen Spiegelſtellen, oder für die Gegner einen ſchweren Reſerve - kegel an die Vorderecke ſetzen kann. u. dgl. zur Hand haben, ſo wird dadurch die Aufgabe der ahnenden oder wiſſenden Polizei ungemein groß, ſchwierig und undankbar. Der Bürger ſollte aber bei dem Ernſte der Sache nicht über Verkümmerung ſeines un - ſchuldigen Vergnügens und ſeiner harmloſen Erholung ſich be -294 klagen, wenn er doch ſieht, daß die Polizei ihm ſein Vergnügen und ſeine Erholung frei von Betrug und Gefahr zu halten ſtrebt, indem ſie eine ſcharfe Controle über die Wirthshäuſer übt. Wer die ungeheuere Menge ſchmählicher Betrügereien kennen gelernt hat, welche vom Gaunerthum bei allen, auch den unverfänglichſten und harmloſeſten Spielen der Erholung ausgeübt werden, der wird ferner nicht von der Bevormundung ſelbſtändiger Bürger reden, wenn man ihnen die vom Betruge geleiteten, und von den ver - derblichſten materiellen und ſittlichen Folgen bedrohten Glücks - ſpiele überhaupt verbietet, wie ſolches das vortreffliche öſterreichiſche Strafgeſetzbuch, §. 522, und das würtembergiſche Polizeiſtrafgeſetz vom 2. Oct. 1839, Art. 81 geradezu gethan hat. 1)Der §. 522 des öſterreichiſchen Geſetzbuchs ſagt: Das Spiel aller Hazard - oder reinen Glücksſpiele, ſowie aller derjenigen Spiele, welche durch beſondere Vorſchriften namentlich verboten ſind, unterwirft ſowol alle Spielen - den, als denjenigen, der in ſeiner Wohnung ſpielen läßt, für jeden Fall dieſer Uebertretung der Strafe von 10 bis 900 Gulden, wovon das eingebrachte Drittheil dem Anzeiger zufällt, und wäre er ſelbſt im Falle der Strafe, auch dieſe ganz nachgeſehen wird. Ausländer, welche wegen dieſer Uebertretung in Strafe verfallen, ſind aus dem Reiche abzuſchaffen. Das auf die allerhöchſte Ent - ſchließung vom 12. Oct. 1840 ſich gründende, und in die Juſtizgeſetzſammlung aufgenommene Hofkanzleidecret vom 16. Oct. 1840 erklärt nachſtehende Spiele ausdrücklich als verboten: Pharao, Baſſette, Würfeln, Passadieci, Lansquenet, Quinze (Quindici), Trenta, Quaranta, Rauſchen, Färbeln, Strachak sincère, Brennten, Molina, Walacho, Maccao, Halbzwölf (Mezzo dodici, undici e mezzo), Vingt-un, Biribis (Wirbiſch), Oka (Geſpenſt), Häufeln, das Zupferl - ſpiel (Trommel-Madame), Rouge et noir, das Hanſerlſpiel auf Kegelbahnen, das Krügel - und das Hirſchelſpiel, das Schiffziehen, das Billard-Kegelſpiel, wo der Lauf der Kugel durch eine Feder oder Maſchine bewirkt wird, Zwicken oder Labet, Riemſtechen und Zapparln; endlich in öffentlichen Schank - und Kaffeehäuſern das Lotto, Lotto-Dauphin und Tarteln. Vgl. Herbſt. Hand - buch des allgemeinen öſterreichiſchen Strafrechts , II, 238. Der Art. 81 des würtembergiſchen Polizeigeſetzbuchs lautet: Spiele, bei welchen der Gewinn vom bloßen Zufalle abhängt (Hazardſpiele), ziehen für jeden Theilnehmer mit Rückſicht auf die Zahl der Uebertretungen, ſowie auf die verhältnißmäßige Höhe des Spiels eine Geldbuße von 5 bis 50 Gulden nach ſich. Mit gleicher Geldbuße werden diejenigen belegt, welche ein Glücksſpiel in ihrer Wohnung geſtatten. Das preußiſche Strafgeſetzbuch, §. 266, ſtraft nur den gewerbs - mäßigen Betrieb des Hazardſpiels, jedoch ſehr ſtrenge, mit 100 2000 Thlr.

295

Wie das Torfdrucken mit dem ſocialen Lebensverkehr durch Abwarten und Herbeiführung irgendeiner äußern Bewegung oder Situation ſich zu verbinden ſucht, um gelegentlich den heimlichen Diebſtahl zu verüben, ſo machen die Zchokker es ſich zur Aufgabe, mit ſcharfer Beobachtung die geiſtige Schwäche der Einzelnen in den gegebenen Situationen zu erforſchen, und bei ſcheinlich freier Selbſtändigkeit der erkorenen Opfer auszubeuten. Auch hier hat es der Betrug ganz vorzüglich auf die deutſche Offenheit und Redlichkeit abgeſehen, welcher nur erſt die Thatſache des Diebſtahls und der Vermiß des Geſtohlenen begreiflicher iſt, als der fein rüſtende und operirende Betrug, deſſen Annäherung und Weiſe ſie nicht zu erkennen, und deſſen Folgen ſie meiſtens als ein hart - näckiges Unglück anzuſehen pflegt. Die Beſtimmungen des öſter - reichiſchen Strafgeſetzbuchs in Bezug auf die Hazardſpiele ſind daher äußerſt treffend und charakteriſtiſch für die deutſche Eigen - thümlichkeit1)Conſequent verbietet daher die oberſte Polizeibehörde zu Wien am 16. Aug. 1857 (vgl. Oeſterreichiſches Central-Polizeiblatt, 1857, Nr. 84), auf Grund des §. 22 der Preßordnung, Bücher wie das oben angeführte von W. J. Daineke., wie denn auch die Beſtimmungen des Code pénal in dieſer Hinſicht bezeichnend genug ſind für die leichte franzöſiſche Natur, welche ſich entweder dem Glücke preisgibt, oder mit ihrer gewandten Bewegung im ſocialen Leben deſſen Betrug und Ge - fahr erkennt und ausweicht.

Die ſogenannten Promeſſenſpiele haben endlich in neueſter Zeit die Aufmerkſamkeit der Behörden auf ſich gezogen, und ſind theilweiſe als Betrug angeſehen und geahndet worden. Solange aber der Promittent nicht einen poſitiven Gewinn verheißt, und ſolange er ſich nur auf die Möglichkeit eines Gewinnes bei1)Nach §. 267 werden die Jnhaber öffentlicher Verſammlungsörter, welche Ha - zardſpiele an dieſen Orten geſtatten, oder zur Verheimlichung mitwirken, mit 20 500 Thlr., im Rückfalle mit Entziehung der Gewerbsconceſſion beſtraft. Dabei ſcheint Rückſicht auf den Code pénal, Art. 475, Nr. 5, genommen zu ſein, nach welchem mit nur 5 10 Francs beſtraft werden: Ceux, qui auront établi ou tenu dans les rues, chemins, places ou lieux publics (?) des jeux de loterie ou d’autres jeux de hasard .296 ſeinen Nachweiſen gegen eine baare Einlage beſchränkt, ſo lange kann auch die Promeſſe nicht als Betrug geahndet und das Unter - nehmen nicht als gaunermäßiger Betrieb angeſehen werden. Doch erfordert die nach Beſchaffenheit der einzelnen Promeſſen, Perſonen und Gelegenheit immerhin vorhandene Möglichkeit des Betrugs ein ſcharfes Aufſehen der Sicherheitsbehörden.

Achtundachtzigſtes Kapitel. m) Das Fleppenmelochnen.

Das niederdeutſche Flep, Fleppe, Fleppen, Flebbe, Flebken oder Flöbken bedeutet die auf die Stirn fallende Spitze oder Schnippe der früher allgemein gebräuchlichen Weiber - oder Kindermützen oder Kopftücher (driekantig hoofd-dök), welche be - ſonders von Witwen getragen wurden, und bei denen auch wol die Länge der Schnippe den höhern Grad der Trauer ausdrückte. 1)Vgl. Kramer, Nederd. Dict. , I, 84, U., wo Flep für gleich - bedeutend mit Sleep, Schnippe, Schleppe, genommen wird; und Richey, Hamburger Jdioticon , S. 59. Die Fleppen waren von feiner Leinwand, Sammet oder Flor. Von der Augenfälligkeit der Fleppen wird auch noch heute im Niederdeutſchen alles Auffallende im Geſichte, ganz beſonders aber ein dicker hervorſtehender Mund Flap, Flaps, Flappe oder Flabbe ge - nannt, und auch zu Flabbſnui (Schnauze, Dickſchnauze) zuſammengeſetzt, wofür denn aber auch die bloße Abkürzung Snut für Flappſnut gebraucht wird, wie denn der berüchtigte Jtzig Muck von der niederländiſchen Bande wegen ſeines misgeſtalteten Mundes Jtzig Schnut oder Snut genannt wurde. (Vgl. Schwencken, a. a. O., Nr. 292, und Becker, a. a. O., II, 184, 265, 302, 465, Nr. XXX.) Auch heißt Flap oder Flaps noch eine entſtellende Wunde im Geſichte, auch wol ſelbſt der Schlag in das Geſicht und wird end - lich noch als Flaps und ſogar in der Verſtümmelung Laps als Schimpfwort für einen ungeſchlachten Menſchen gebraucht; ebenſo flapſen, ſich küſſen. Dagegen iſt das gleichbedeutende niederdeutſche Schimpfwort Schlaps wol vom jüdiſch-deutſchen Schimpfworte Schallef, niederdeutſch Schleef, lang aufgeſchoſſener Burſche, abzuleiten (und dies vom hebräiſchen〈…〉〈…〉, herausziehen, das Schwert, beſonders aber die Schuhe ausziehen; davon wieder das nieder - deutſche Schlappen, ausgezogene, hinten niedergetretene Schuhe, Pantoffeln).297Jn der Gaunerſprache bedeutet der auch in das Jüdiſch-Deutſche aufgenommene Ausdruck Fleppe oder Flebbe jeden ſchriftlichen Vorweis, Ausweis, Zeugniß, Brief, öffentliches und privates Document, beſonders auch den Paß, wovon linke Fleppe, ge - fälſchtes Papier, falſcher Paß, Zinkfleppe, Steckbrief; Fleppen - melochner, jeder welcher überhaupt Documente neu geſtaltet oder umgeſtaltet, ganz beſonders aber auch der Urkunden fälſcher, anſtatt des ausdrücklichen Linkefleppenmelochner. Der Aus - druck Kaſſiwemelochner iſt mit dem Fleppenmelochner von gleicher Bedeutung, wenn er auch nicht ſo gebräuchlich iſt wie dieſer. 1)Auch iſt neuerlich der Ausdruck Findchen - oder Pfindchenme - lochnen für Fleppenmelochnen in Aufnahme gekommen. Findchen oder Pfindchen iſt in der Gaunerſprache beſonders der Paß, das Wanderbuch, und wol nur eine Verſtümmelung vom jüdiſch-deutſchen〈…〉〈…〉 (pinkas), Notizen - buch, Tagebuch, Schuldbuch, Handelsbuch, welches man in der Verſtümme - lung Pintes, zuerſt im Wörterbuch von Sommer (Krafft) findet.

Da aus innern Gründen und nach beſtehenden Geſetzen Urkunden einen beſondern Glauben in Anſpruch nehmen dürfen, durch ihre ganze oder theilweiſe Fälſchung aber große und un - rechtmäßige Vortheile erlangt und Treue und Glauben verletzt werden, auch der Verkehr und Credit große Störungen erleiden kann, ſo hat die Geſetzgebung die Urkundenfälſchung beſonders genau und ſcharf berückſichtigt, und auch die Wiſſenſchaft ſich eifrig bemüht, die Fälſchungen möglichſt zu erſchweren und zu verhindern, oder, wenn begangen, doch leicht und ſicher zu ent - decken, ehe der beabſichtigte Vortheil vom Fälſcher erreicht iſt. 2)Jn dieſen Unterſuchungen findet man die größten Chemiker vereinigt. Weſtrumb in dem ſchon citirten Wörterbuch führt (I, 317) neunzehn der be - deutendſten Namen auf.Aber auch das Gaunerthum, welches in den Fleppen beſonders die wichtige Sicherung ſeiner äußern Erſcheinung findet, hinter welcher es ſeine gauneriſche Jndividualität verſteckt, iſt nicht zurückgeblieben, und hat ſeit dem 16. Jahrhundert, in welchem ſchon, wenn auch nur kümmerliche, Schriftfälſchungen mit Anwen -298 dung von Säuren und Alkalien vorgenommen wurden, mit Hülfe derſelben Wiſſenſchaft, welche den Betrug bekämpft, die Fälſchungs - kunſt auf einen ſolchen Standpunkt gebracht, daß ſie mit der vollen Sicherheit einer gewerblichen Kunſt, mithin als wahre Gauner - induſtrie, betrieben wird, und unzählige Fälſchungen mit den ver - ſchiedenartigſten Documenten vorgenommen, leider aber auch meiſtens überſehen werden, da bei der Maſſe ſolcher umlaufenden Schrift - ſtücke nur die wichtigern einer genauern Prüfung unterworfen zu werden pflegen. 1)Ein Zeugniß von dem maſſenhaften Betriebe dieſer Jnduſtrie gibt die Menge von Unterſuchungen wider Fälſcher, welche, trotz aller ſchlauen Kunſt und Vorſicht, dennoch in die Hände der Polizei geriethen. So wurden in Frankreich von 1825 31 nicht weniger als 2471 Jndividuen wegen Fäl - ſchung zur Unterſuchung gezogen und 1296 davon überführt. Jn England wurden von 1820 31 nicht weniger als 477 Jndividuen wegen Fälſchung zum Tode verurtheilt und 64 wirklich hingerichtet. Jn Schottland wurden von 64 zum Tode Verurtheilten 31, und in Jrland von 144 Verurtheilten 39 Perſonen innerhalb jenes Zeitraumes hingerichtet. Vgl. Weſtrumb, a. a. O., I, 327, U.

Die Technik des Fleppenmelochnens erfordert viel Studium und Uebung. Jede Handſchrift hat, wenn auch ſchwerlich wie jetzt eine moderne Liebhaberei zu finden ſucht eine zutreffende Charakteriſtik der einzelnen Jndividualität aus ihrer Handſchrift gegeben werden kann, etwas ſpecifiſch Subjectives, auf deſſen Entäußerung es zunächſt beim Fleppenmelochnen ankommt, um deſto behender und geſchickter die graphiſche Ausdrucksform dritter Perſonen objectiv genau aufzufaſſen und nachzubilden. Dieſe Fertigkeit wird nicht durch kalligraphiſche Uebung, ſondern durch genaues Studium und ſcharfes objectives Auffaſſen fremder Hand - ſchriften erworben. Daher findet man auch nur ſelten unter den Fleppenmelochnern wirkliche Schreibmeiſter oder Schreibkünſtler2)Die Herbeiziehung von Schreibkünſtlern zur Beurtheilung von Handſchriften iſt daher nicht immer ein durchaus verläſſiges Ueberführungs - mittel. Der Schreibkünſtler weiß vollkommen die Schönheit und Methode einer Handſchrift zu beurtheilen; die Ermittelung gefälſchter Handſchriften er - fordert aber eine ſcharfe Beobachtung des Charakteriſtiſchen, Abweichenden und Congruenten in den zu vergleichenden Handſchriften, wobei gerade der Blick,299 ſondern zumeiſt ſolche Jndividuen, deren Beruf ihnen Gelegenheit gibt, eine Menge verſchiedenartiger Handſchriften zu ſehen und zu ſtudiren, alſo Kupferſtecher, Steindrucker, Copiſten, Comptoiriſten, Regiſtratoren u. dgl. Dabei iſt die eigene Handſchrift des Flep - penmelochners ſelten ſchön, meiſtens aber von eigenthümlichem, wenn auch ſehr verſchiedenem Ausdrucke, wie man ja denn über - haupt in der Mehrzahl von Handſchriften bei weitem eher Geiſt und Charakter, als Schönheit findet. Von Wichtigkeit iſt die Wahrnehmung, daß die Nachahmung von Schriftzügen um ſo leichter und beſſer gelingt, je weniger der Nachahmende die ein - zelnen Schriftcha[rak]tere ihrer Bedeutung nach verſteht, oder je mehr die Züge von ihm als bloßes materielles Bild, ohne ſein eigenes ſubjectives Verſtändniß aufgefaßt, alſo blos mechaniſch nachgebildet werden. Daher gelingt die Nachahmung von Schrift - zügen, welche als dürres Spiegelbild aufgefaßt und nachgeahmt werden, bei weitem beſſer und genauer, als in directer verſtänd - licher Nachahmung ohne Spiegel, weshalb denn auch Kupferſtecher und Lithographen außerordentlich leicht Handſchriften nachahmen lernen. Noch deutlicher überzeugt man ſich, wenn man einen Schreiber Schriftſätze oder Wörter aus fremden Sprachen mit eigenthümlichen Buchſtaben, die er nicht kennt und verſteht, z. B. Griechiſch, Hebräiſch, Jüdiſch-Deutſch (Syriſch) oder Ruſſiſch u. ſ. w. copiren läßt. Man wird dabei die treffendſte Aehnlichkeit, ja man kann ſagen, vollkommene Gleichheit beider Handſchriften finden, und ſich davon überzeugen, wie wichtigen Einfluß die Entäuße - rung der ſubjectiven Handſchrift mit ihrem ſubjectiven Verſtändniß auf das Gelingen ſolcher Schriftnachahmungen hat1)Darum ſollte man die vorzüglich von Beamten und Kaufleuten bis zur völligen Unleſerlichkeit getriebenen ſogenannten coulanten Namensunter -, und wie2)des Schreibkünſtlers, der nach beſtimmter Methode lehrt und darin leicht be - fangen werden kann, nicht immer vollkommen ausreicht. Vortrefflich iſt daher die ausdrückliche Beſtimmung der Oeſterreichiſchen Strafproceßordnung (§. 272, 274), daß der Richter mit Rückſicht auf die übrigen Umſtände zu ermeſſen habe, ob das Ergebniß der Schriftvergleichung den rechtlichen Beweis über die Echtheit der Urkunde herſtelle . Vgl. die Criminalproceßordnung von Preußen §. 385, Würtemberg §. 323, Baden §. 257 u. a.300 wenig bei entſtandenem Verdacht entſcheidend ſein darf, ob der Verdächtige Schreiber von Fach iſt oder nicht.

Das Fleppenmelochnen oder Kaſſiwemelochnen1)Vgl. die Etymologie, Kap. 27 und 31. Von Kaſſiwer ſind die Verſtüm - melungen Korſiwe und Korſiwerei jetzt die üblichſten, namentlich in der Bedeutung von Paß und Wanderbuch. iſt die im eigenen Jntereſſe oder im Jntereſſe dritter Perſonen entweder ganz oder theilweiſe auf künſtliche Art vorgenommene Aenderung oder Tilgung des urſprünglichen Wortlautes oder Jnhaltes eines Do - cuments (Fleppe). Die Documente können wiederum entweder öffentliche, d. h. von einer öffentlichen Behörde ausgeſtellte Urkunden, oder private, d. h. von Privatperſonen ausgeſtellte Urkunden ſein, wie Wechſel, Contracte, Schenkungen u. ſ. w. Für die Gaunertechnik kommt jedoch dieſer Unterſchied nicht in Betracht. Wichtiger iſt die Unterſcheidung zwiſchen allgemeinen und partiellen Fälſchungen, je nachdem dieſelben den ganzen Jnhalt oder nur einzelne Stellen eines Documents betreffen.

Vorweg iſt zu bemerken, daß alles Papier, deſſen man ſich zum Schreiben bedient, geleimt iſt. Von dem ſogenannten Hand - oder Formenpapier wird jeder einzelne Bogen in eine dünne Auflöſung von Thierleim getaucht. Das ſogenannte Ma - ſchinenpapier wird ſchon bei der Miſchung des ſogenannten Zeugs mit Stärke, Alaun und einer harzigen Seife leimig gemacht. Deshalb kann der Leim aus dem Handpapier leichter als aus dem Maſchinenpapier ausgewaſchen werden. Auch kann der Leim im Handpapier erſetzt werden, nicht aber im Maſchinenpapier. 2)Eben in dieſem Umſtande liegt, nach Weſtrumb, a. a. O., I, 319, auch der Grund, weshalb jede durch Auswaſchen des Maſchinenpapiers her - vorgebrachte Veränderung ungleich leichter ſich nachweiſen läßt, als dies beim Handpapier der Fall iſt. Mag nämlich die gewaſchene Stelle mit einem harzigen Leime wieder überleimt, oder dieſelbe mit Gallertleim überleimt ſein,

1)ſchriften ganz aufgeben, und zur feſten Regel machen, die Namensunterſchriften, mit voller Beibehaltung der graphiſchen Eigenthümlichkeit, leſerlich deutlich zu ſchreiben, da ſie ſich ſo bei weitem ſchwerer nachahmen laſſen, als das künſt - lichſte Geſchnörkel, und, falls nachgeahmt, doch leichter als Fälſchung zu charakteriſiren ſind.

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Die partiellen Fälſchungen ſind die ſchwierigſten und gewagteſten, da ſie eine äußerſt vorſichtige Entfernung der zu ändernden vereinzelten Schriftſtelle und eine an Form und Material dem übrigen Originaltexte vollkommen gleiche Ergänzung erfordern, mit welchem ſie beſtändig zur unmittelbarſten Vergleichung zu - ſammenſtehen. Die partiellen Fälſchungen, welche, wenn gelungen, ohnehin bei der unzweifelhaften Echtheit der übrigen Theile der Urkunde, namentlich der Unterſchrift und des Siegels, von großer Wichtigkeit ſind, bilden daher den feinſten und am meiſten culti - virten Gegenſtand des Fleppenmelochnens.

Der im gew[öh]nlichen Leben üblichſte unverfängliche Behelf bei einer partiellen Schriftänderung, das Radiren mit dem Meſſer, Radirgummi oder Radirpulver1)Das gewöhnlichſte Radirpulver beſteht aus gleichen Theilen von ge - pulvertem Alaun, Bernſtein, Schwefel und Salpeter. Dieſe Miſchung wird mit einem feinen Läppchen auf die Schrift gerieben, die jedoch nur dann wiewol immer mit weſentlicher und leicht ſichtbarer Verdünnung der geriebenen Papierſtelle dadurch entfernt wird, wenn die Schrift noch friſch iſt. , wird von den erfahrenen Fleppen - melochnern nur wenig und äußerſt behutſam zur Anwendung ge - bracht, weil jede, auch die geſchickteſte, Radirung das Papier ſchwächt, gegen das Licht transparent macht und ſelbſt bei ſchlecht gearbeitetem, an ſich ſchon fleckigem Papiere2)Wenn auch das Papier in den Fabriken vielfach ungleich und fleckig verarbeitet wird, ſo muß doch immer die Farbe des Papiers genau beobachtet werden, ob dieſe ſich überall gleich und ohne ſolche Flecke iſt, welche durch Alter und ſonſtige Einflüſſe entſtanden ſein können, oder ob die Flecken Ueber - bleibſel von Buchſtaben und Zeilen ſind. leicht erkennbar wird. Gewöhnlich werden ſolche dünn radirte Stellen, oft auch das ganze Blatt, auf dem Rücken mit Papier überklebt, um das ſcheinbar durch Gebrauch und Alter faltig, brüchig oder mürbe gewordene Document zuſammenzuhalten. Gerade dieſe, auf den erſten An - blick bemerkbare Beklebung erregt ſchon ſogleich den Verdacht einer2)ſo werden beide Fälſchungen ſich ſehr leicht mittels des Jods durch die Farben - veränderung erkennen laſſen. Dieſes Reagens färbt nämlich die mit Gallert - leim geleimten Stellen gelb, und die Stellen, auf welche Stärkeleim aufgetragen iſt, blau. 302 Fälſchung. Zur genauern Unterſuchung muß das aufgeklebte Papier durch Eintauchen in Waſſer erweicht und vorſichtig ent - fernt werden. 1)Das gelingt meiſtens leicht, da die Beklebung gewöhnlich durch leicht lösliche ſchlechte Bindemittel, am häufigſten mit Mehl und Waſſer, vorgenom - men wird, um ihr den möglichſten Schein der Unverfänglichkeit zu geben. Sogar mit gekautem Brot vorgenommene Beklebungen radirter Stellen ſind mir ſchon vorgekommen.Schon durch das bloße Befeuchten des radirten Papiers mit deſtillirtem Waſſer entdeckt man leicht, ob eine Stelle radirt iſt, und ob dieſelbe nach dem Radiren, um das Fließen der Tinte darauf zu verhüten, mit Radirgummi oder Radirpulver nachgerieben iſt, da dieſe ſo nachgeriebenen Stellen das Waſſer nicht annehmen. Jſt die radirte Stelle mit Leim überſtrichen worden, ſo hat das Papier um dieſe Stelle eine weniger weiße Farbe. Jſt auch die Farbe und Schwärze der Tinte2)Die Farbe der Tinte verdient unter allen Umſtänden genaue Beach - tung. Dieſelbe Tinte kann, je nachdem ſie früher oder ſpäter auf das Papier gebracht iſt, weſentlich verſchiedenes Anſehen haben. Auch üben die chemiſchen Mittel, mit welchen die radirten Stellen zur Vermeidung des Fließens der Tinte nachgerieben ſind, einen weſentlichen Einfluß auf die Fär - bung der Tinte., ſowie die Schrift3)Selten ſind die gefälſchten Schriftzüge den ungefälſchten vollkommen gleich. Die gefälſchten Wörter nehmen, wenn ſie mit den übrigen Buchſtaben und Zügen vollkommen gleich dargeſtellt werden ſollen, entweder zu viel oder zu wenig Platz ein, und werden daher entweder gedrängter, wenn nicht gar verkürzt, oder mit gedehntern Zügen geſchrieben. Daher werden die gefälſchten Züge ſelten gleich frei und voll, und die Striche verfließen auch vermöge der Radirung und nachfolgenden Verleimung oder Einreibung mit den harzigen Subſtanzen, wie Sandarack (Gummiharz). Bei der Nachbehandlung der ra - dirten Stelle durch Leim werden die Buchſtaben leicht markiger und dicker, während dieſelben Striche auf der mit Harzſubſtanzen nachbehandelten Stelle wegen des ſchwerern Tintenfluſſes dünner und zuſammengezogener werden. Vgl. Weſtrumb, a. a. O., I, 318. der gefälſchten Stelle mit der Originalſchrift durch - aus gleich, ſo kann man doch meiſtens durch die Lupe die durch das Radiren rauh geſchabte und zerriſſene Stelle entdecken. Die Unterſuchung mit der Lupe iſt wichtig, namentlich wenn das hinter die verdächtige Schrift geleimte Papier ſich nicht durch Erweichen trennen laſſen ſollte.

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Wegen der Uebelſtände, welche das Radiren mit ſich bringt, wählen die Fleppenmelochner zur Vertilgung der betreffenden Stellen viel lieber chemiſche Agentien, beſonders die javelli - ſche Lauge (den gasförmigen Grundſtoff Chlor, das vom Waſſer imbibirt wird), Salzſäure (chemiſche Verbindung von Chlor und Waſſerſtoff), und Oxalſäure oder Kleeſäure (die Säure des Sauerkleeſalzes, welches ſich, natürlich gebildet, im Safte der oxalis acetosella findet), mit welchen Flüſſigkeiten ſich die Tinte gänzlich wegwaſchen läßt, ſodaß ſogar auch ganze beſchriebene Stempelbogen, mit Schonung des darauf befindlichen Stempels, durchaus frei von der Schrift gewaſchen und als neue Stempel - bogen verkauft werden.

Zunächſt kommt es hier zur Entdeckung der Fälſchung, wie bei dem Radiren, ebenfalls auf die genaue Unterſuchung an, ob die Schriftzüge vollkommen gleich, frei, unverfloſſen und rein ſind. Vorzüglich wichtig iſt aber hier die Unterſuchung des Papiers, ob es ſich an Farbe überall gleich iſt. 1)Wenn das Stempelpapier eine beſtimmte geſetzliche Größe hat, ſo iſt auch auf die Größe des verdächtigen Documents zu ſehen, ob es nicht etwa beſchnitten oder verwaſchen iſt. Durch das Waſchen leidet ſehr oft der beſchnittene Rand des Documents, ſodaß er in Faſern ausläuft und neu be - ſchnitten werden muß.Ungleichfarbige Stellen, Flecke mit gefärbten oder mit weißer als das übrige Papier her - vortretenden Rändern oder Höfen deuten ſchon auf eine Anwen - dung ſolcher chemiſcher Mittel

Zur Entdeckung dieſer Betrugsweiſe hat die Wiſſenſchaft eine Reihe von Hülfsmitteln in Bereitſchaft, von denen mindeſtens die einfachern, deren Anwendung leicht und behende iſt, Erwähnung verdienen. Eine ſtarke Erwärmung des verdächtigen Papiers führt ſchon meiſtens mit Sicherheit auf die Entdeckung der Fäl - ſchung. Legt man das verdächtige Papier zwiſchen zwei Bogen Löſchpapier und fährt mit einem wie zum gewöhnlichen Plätten mäßig ſtark erhitzten Plätt - oder Bügeleiſen darüber hin, ſo kom - men, wenn auch das Papier ein noch ſo weißes Anſehen hat,304 gefärbte Stellen1)Oft iſt es leichter und bequemer, das Papier nahe gegen einen heißen Ofen oder über eine Argand’ſche Lampe zu halten, wobei man ſich jedoch vor Verbrennung oder Beſchmuzung des Papiers mit Lampenruß zu hüten hat. Das Papier darf nicht ſtärker erhitzt werden, als bis es eine leichte gelb - bräunliche Färbung annimmt. Auch muß man das Papier vorher genau unterſuchen, ob die darauf befindlichen Flecken nicht etwa durch Alter, Rauch oder Ofenſott entſtanden ſind. Durch letztere Stoffe, welche Eſſigſäure ent - halten, wird das Papier ſehr ſtark angegriffen, mürbe und brüchig, und widerſteht allen Agentien. Selbſt das Chlor kann die Farbe nicht vertilgen. zum Vorſchein, und namentlich treten die Spuren der weggewaſchenen Tinte in röthlich-gelber Färbung ſo deutlich hervor, daß man die frühere Schrift leſen kann, ſobald man ſie mit einer Abkochung von Gallapfel benetzt. Jn dieſer Weiſe laſſen ſich beſonders auch bereits benutzte Stempelbogen, deren alte Jnſchrift weggewaſchen war, leicht unterſuchen.

Dieſes Verfahren empfiehlt ſich durch ſeine Einfachheit, Be - hendigkeit und Sicherheit ſo ſehr, daß man namentlich in allen Paßbureaur Apparate in dieſer oder jener Weiſe beſtändig zur Hand halten ſollte, um eine zahlreiche Menge von Paß - und Paßviſafälſchungen zu entdecken, die bei dem häufig ſorgloſen mechaniſchen Geſchäftsgange in den Bureaux bislang unentdeckt geblieben ſind, und dem verwegenen Gauner die freie Bewegung überall hin offen gehalten haben.

Das Befeuchten mit reinem deſtillirten Waſſer läßt ebenfalls ſehr häufig eine Fälſchung entdecken. Man legt das verdächtige Document auf einen Bogen weißes Papier, oder noch beſſer auf eine Glastafel, und befeuchtet das Papier mittels eines reinen feinen Pinſels. Die radirten Stellen ſaugen das Waſſer leichter ein, die ausgekratzten Buchſtaben erſcheinen ſehr oft wieder und laſſen ſich dann, ſobald man das Document gegen das Ltcht hält, deutlich leſen, da ſie durch das Waſſer transparent werden, namentlich wenn die Urkunde mit ſaurer Tinte geſchrieben war, und das Papier kohlenſaures Salz enthielt, wobei das Papier durch Einwirkung der Tinte ſtark angegriffen wird.

Ueber dieſe Unterſuchungsweiſe, ſowie über das ſehr intereſſante305 Verfahren mit Alkohol, reagirenden Papieren, Reagentien und Joddämpfen findet man bei Weſtrumb, a. a. O., I, 322, aus - führliche Mittheilungen und intereſſante Beiſpiele angeführt. 1)Vgl. auch D. A. R. Percy, Allgemeines chemiſch-techniſch-ökono - miſches Recept-Lexikon , S. 525.

Seitdem in neuerer Zeit die Urkundenfälſchungen immer ärger und häufiger getrieben worden ſind, haben unmittelbar die Regierungen ſelbſt, beſonders in Frankreich und England, ſich eifrig bemüht, dem ſchmählichen Betruge durch prophylaktiſche Maßregeln zuvorzukommen. Beſonders forderte das Miniſterium der Juſtiz in Frankreich ſeit 1825 die Akademie der Wiſſenſchaften in Paris zu Vorſchlägen auf, infolge deſſen es denn auch an zahlreichen Verſuchen und Vorſchlägen nicht gefehlt hat. Es han - delte ſich vorzüglich um Herſtellung unauslöſchlicher Tinten und um Herſtellung ſogenannter Sicherheitspapiere, deren Farbe bei jedem Verſuche, die Schrift auszulöſchen, ſich verändert. Jn er - ſterer Hinſicht hat es noch immer nicht glücken wollen, eine völlig unauslöſchliche Tinte herzuſtellen. 2)Vgl. Weſtrumb, a. a. O., 328. Die daſelbſt unter 1 und 2 ange - führten Tintenrecepte haben ſich nicht bewährt; über die Tinte Chimico - spécimut , welche die Farbe verändern ſoll, ſobald der Verſuch gemacht wird, ſie durch chemiſche Agentien zu ändern, zu löſchen und zu fälſchen, ſind die Erfolge der damit angeſtellten Verſuche noch nicht bekannt. Ueber die neuer - lich von Profeſſor Trail in Edinburg bekannt gemachte Tinte fehlen ebenfalls noch genügende Erfahrungen. Doch wird ſie von mehreren großen Handels - häuſern in Schottland ſowie auch von der Schottiſchen Bank gebraucht. Das Recept findet man bei Weſtrumb, a. a. O., I, 329 U. Wichtig wäre die Herſtellung einer unauslöſchlichen Tinte oder Schwärze, auch um die Reinigung bereits benutzter und übergeſtempelter Briefmarken zum abermaligen Gebrauche unmöglich zu machen, welches bis dahin noch nicht gelungen zu ſein ſcheint, und ſomit immer noch ein lucratives Geſchäft für die Fleppen - melochner bleibt. Jene im Frühjahr 1857 ſo großes Aufſehen und weitver - breitete Theilnahme erregende angebliche Verſprechung einer großen Geldſumme an einen Waiſenknaben ſeitens eines Engländers für die Lieferung einer großen Menge bereits benutzter Freimarken zum Decoriren eines Zimmers, ſcheint, wenn ſie wirklich mehr iſt als eine bloße Myſtification, die Specula - tion eines unternehmenden Fleppenmelochners geweſen zu ſein, welcher die Briefmarken vom Stempel reinigen und wieder verkaufen wollte.Glücklicher iſt man jedochAvé-Lallemant, Gaunerthum. II. 20306in der Herſtellung von Sicherheitspapieren geweſen, bei deren Bereitung es weſentlich darauf ankommt, daß bei jedem Verſuche, die Schrift auszulöſchen, zugleich auch die Farbe des Papiers verändert wird. Eine tüchtige Darſtellung der vielen verſchiedenen Verſuche findet man bei Weſtrumb, a. a. O., I, 329 fg. Unter letztern bewährt ſich wol das von Grimpe erfundene, von Seguier 1848 empfohlene Sicherheitspapier als das beſte. Beide Seiten des Papierbogens werden mittels eines Cylinders, auf welchem eine Zeichnung gravirt iſt, mit gewöhnlicher und zugleich gegen die Wirkung aller zur Löſchung der Handſchriften benutzter chemi - ſcher Stoffe ſehr empfindlicher Tinte bedruckt. Die Feinheit der die Zeichnung bildenden Linien und die Beſchaffenheit der ange - wandten Tinte macht nicht nur die Nachahmung mit der Hand, ſondern auch jede Herſtellung durch Nachdruck oder durch irgend - eine andere Weiſe unmöglich. Dieſes Verfahren hat überdies den Vortheil, daß es ſich ebenſo gut bei Handpapier als auch bei Maſchinenpapier anwenden läßt. 1)Auch das Sicherheitspapier von Lemercier empfiehlt ſich, da es billig herzuſtellen und der Nachdruck ſchwierig iſt. Auch laſſen ſich auf dieſem Papier kaum Fälſchungen der Handſchrift vornehmen, da das Papier mit einer auf lithographiſchen Steinen en relief gravirten Zeichnung und mit gewöhnlicher Schreibtinte bedruckt wird. Weſtrumb, a. a. O., S. 334. O.

Die Verläſſigkeit der Sicherheitspapiere hat ihrer Verwen - dung, namentlich zu Reiſepäſſen, in neueſter Zeit immer mehr die Bahn gebrochen. An Stelle der frühern kümmerlich gedruckten Paßblankets geben die neueſten preußiſchen, bairiſchen und badiſchen Päſſe inſoweit eine vollſtändige Sicherheit, indem zu ihnen ein treffliches Sicherheitspapier verwandt wird, welches ſeiner ganzen Beſchaffenheit nach eine Fälſchung äußerſt ſchwierig, ja wol kaum noch möglich macht. 2)Auf der erſten Seite eines ſolchen preußiſchen Reiſepaſſes habe ich in feinen lateiniſchen Lapidarbuchſtaben die Wörter Königlich Preußiſcher Reiſe - paß 1068 mal gefunden; auf den kleinern bairiſchen die entſprechenden Wörter 835 mal. Beide Drucke ſind mit feiner empfindlicher röthlicher Farbe ausgeführt.Doch ſcheint es wünſchenswerth, daß307 mindeſtens zu Päſſen, bei denen eine große Menge Viſa voraus - ſichtlich zu erwarten ſteht, nicht allein auf der erſten, ſondern auch, wie das bisjetzt nur bei den, mit einer einfachen empfind - lichen rothen Färbung auf allen vier Seiten grundirten, badi - ſchen Päſſen der Fall iſt, auf allen vier Seiten die empfeh - lenswerthe ſichernde Behandlung des Papiers1)Die großherzoglich badiſchen Wanderbücher haben durchgehends zartes, röthlich grundirtes, ſehr empfindliches, gepreßtes Papier, auf welchem eine vorgenommene Radirung oder chemiſche Wegwaſchung ſogleich zu entdecken iſt. vorgenommen würde, damit nicht hinter den ſonſt ſo vollkommen ſichern Docu - menten doch noch immer eine Fälſchung der Viſa möglich bleibt. Dringend iſt es aber im Jntereſſe der geſammten Sicher - heitspolizei in ganz Deutſchland zu wünſchen, daß, den Verträgen über die gemeinſame Benutzung der Paßkarten entſprechend, auch hinſichtlich der Anwendung von Sicherheitspapieren zu Reiſepäſſen, Conventionen unter den deutſchen Staaten abgeſchloſſen, und überall Reiſepäſſe nach einem gemeinſamen Conventionsmuſter eingeführt werden.

Der Fleppenmelochner beſchränkt ſich nicht allein auf die ganze oder theilweiſe Tilgung und Umänderung von Documenten, ſondern weiß auch und das iſt beſonders für die Controle des Verkehrs der Gauner unter ſich ſehr genau zu beachten zur Vermittelung einer geheimen Verſtändigung, mittels ſympathe - tiſcher Tinte, auf weißem Papiere, ſei es eine noch ſo unver - fänglich ſcheinende Enclave, ein Couvert oder ein ſonſtiges unver - fänglich ſcheinendes, beſchriebenes oder bedrucktes Papier, eine unſichtbare Geheimſchrift herzuſtellen, zu welcher ihm eine große Anzahl verſchiedener Miſchungen bekannt, welche aber meiſtens ſchon durch bloße einfache Erwärmung zu entdecken ſind. So geben die verdünnten Auflöſungen des ſalzſauern, eſſigſauern und ſalpeterſauern Kobaltoxyds mit dem vierten Theile Seeſalz eine Tinte, welche, wenn die mit ihr geſchriebenen Buchſtaben ein - getrocknet ſind, durchaus unſichtbar iſt, aber in blauer Färbung20 *308hervortritt, ſobald das Papier nur gelinde erwärmt wird. 1)Die Farbe verſchwindet allmählich wieder, ſowie der Kobalt Waſſer in ſich aufnimmt, kann aber durch Wärme wiederum hervorgebracht werden. Weſtrumb, a. a. O., I, 335.Ebenſo gibt durch Erwärmung eine grüne Farbe: eine Miſchung aus ſalzſauerm Kobaltoxyd und ſalzſauerm Eiſenoxydul, oder auch eine Miſchung von Nickel. Sehr verdünnte Schwefelſäure läßt anfangs die Buchſtaben unſichtbar, welche aber durch Erwärmung ſchwarz werden, und nicht zu vertilgen ſind, weil die Schwefel - ſäure nach Verdunſtung des Waſſers das Papier verkohlt. Etwas umſtändlicher wird die Schrift mit ſympathetiſcher Tinte aus Eiſenvitriolauflöſung durch eine ſchwache Gallapfelauflöſung, oder eine mit ſchwefelſaurer Kupferauflöſung geſchriebene Schrift durch Ammoniakdämpfe ſichtbar gemacht. Dieſe ſympathetiſchen Tinten und das Verfahren zur ſichtbaren Herſtellung der damit geſchrie - benen Schrift findet man ausführlich von Weſtrumb, a. a. O., I, 334, beſchrieben.

Die Correſpondenz mit ſympathetiſcher Tinte wird viel zur Verſtändigung mit gefangenen Gaunern von außen her benutzt. Daher iſt jedes von außen her in die Gefangenanſtalten gelan - gende Papier, ob als weiße Enclave, Enveloppe, Couvert, oder beſchrieben oder bedruckt, und jeder noch ſo unverfänglich ſchei - nende Brief verdächtig, und auf das ſorgfältigſte zu prüfen, da ſonſt dem Gefangenen die wichtigſten Mittheilungen von außen her kund werden können, ſobald er das ihm zugeſandte Papier über das Licht oder gegen den Ofen hält. Eine ſehr alte, rohe, geheime Schreibweiſe der Gefangenen unter ſich, von einer Zelle zur andern, beſteht darin, daß mit einem geſpitzten Stück trockenen Talg auf Papier geſchrieben wird, welches der Empfänger auf einen Tiſch oder den Fußboden legt und ſtark mit einem geknote - ten Tuche oder Lappen ſchlägt, wodurch die bis dahin unſichtbare Schrift ziemlich deutlich hervortritt. So unbeholfen dieſe Mit - theilungsweiſe an ſich iſt, ſo karg nur ſtets die Mittheilung ſelbſt ſein kann, da begreiflich nur mit ſehr großer Schrift dabei ge -309 ſchrieben wird, ſo häufig wird ſie doch noch immer in Gefäng - niſſen benutzt, und bleibt bei aller Unſcheinlichkeit immer gefährlich, da ja oft ein einziges Wort oder Zeichen zu einem vollkommenen Verſtändniß ausreicht.

Noch verdient hier endlich der trockene Druck auf Holz er - wähnt zu werden, welcher unter den Buchdruckern ſehr bekannt iſt. Die Mittheilung wird mit gewöhnlichen Drucklettern geſetzt und ohne Schwärze oder Farbe auf ein Stück weiches Holz, wie z. B. Linden -, Weiden -, Föhren -, Cedern -, Kaſtanien - oder Pappelholz, ſcharf aufgedruckt. Dadurch wird der Druck tief in das Holz eingetrieben. Um nun dem dritten die Mittheilung verborgen zu halten, wird das Holz mit einem Ziehling, Glas - ſcherben oder feinem Doppelhobel genau bis auf die Tiefe des Drucks weggeſchabt oder gehobelt, ſodaß der Druck vollſtändig verſchwindet. Der in das Geheimniß eingeweihte gefangene Em - pfänger benetzt nun das Holz mit Waſſer oder einer ſonſtigen Feuchtigkeit, worauf an dem Holze die unterhalb des ſichtbar ge - weſenen aber abgeſchabten Drucks zuſammengepreßten Letterſtellen herausquillen, ſodaß die Mittheilung nun in ziemlich deutlicher Erhabenheit erſcheint. 1)Verſuche im kleinen kann man ſchon mit den meiſten von Cedernholz gefertigten Bleifedern machen, wenn man den freilich oft ſehr haſtig und ſchlecht eingepreßten Fabrikſtempel mit einem Glasſcherben wegſchabt und die Bleifeder in Waſſer ſteckt. Bei der Menge kleiner Handdruckpreſſen, welche in Spielwaarenlagern verkauft werden, genügt eine ſolche Preſſe ſchon vollkommen zu ausführlichen Mittheilungen, welche von außen her an Gefangene gemacht werden ſollen.Jn dieſer Weiſe laſſen ſich auf einem Lineal, Stock, dem Boden oder Deckel einer Schachtel oder eines Käſtchens, auf einer Nadelbüchſe u. dgl. ziemlich ausführliche Mit - theilungen machen, von denen der Uneingeweihte umſoweniger eine Ahnung hat, als der Glanzlack, mit welchem ein ſo bedrucktes Holzſtück zu mehrerer Täuſchung überzogen wird, das Aufquillen des Holzes durchaus nicht verhindert.

Die ſehr große Menge von Urkunden, welche in den Bu - reaux ausgeſtellt werden, und in dieſelben gelangen, erfordert auch310 eine Menge von Schreibern zur Ausfertigung der Urkunden oder zur Ausfüllung der Urkundenblankets. Man iſt daher gewohnt, gleichgültig auf die Handſchrift ſelbſt zu ſehen, von der man nur Deutlichkeit und Sauberkeit verlangt, und ſucht die Beglaubigung der Urkunden weſentlich in der Unterſchrift, in dem Siegel und Stempel. Dieſer Umſtand hat nun aber auch die Kunſt der Fleppenmelochner auf die Nachbildung von Siegel - und Stempel - formen geführt, und das Chaſſimemelochnen1)Chaſſime von〈…〉〈…〉 (chatam), ſiegeln, vollenden, einprägen iſt die Unterſchrift, das Siegel, die Beglaubigung. Chaſſimaſſ hakſſav, Unterſchrift und Siegel. Choſſom (Chauſſom) das Siegel. Pittuche Chauſſom, Siegelſtempel, Petſchaft. Choſſomwachs, Siegellack. Chaſſ - menen, ſiegeln, unterſchreiben; gechaſſment, geſiegelt, unterſchrieben. zu einer Aus - bildung gebracht, die kaum einmal ſo groß zu ſein braucht, wie ſie iſt, da ökonomiſche Behörden ſowol bei Anfertigung ihrer Stempel - und Siegelformen ſehr wenig für ihr weniges Geld vom Graveur verlangen, als auch bei dem Gebrauch und der Controle der Stempel - und Siegelformen im raſchen Geſchäfts - gange vielfache Nachläſſigkeiten ſich zu Schulden kommen laſſen. 2)Noch im Auguſt 1858 wurde vom Polizeiamt in Lübeck ein Fleppen - melochner beſtraft, der ein volles Jahr mit einem gefälſchten Atteſt um - hergezogen war, welchem er auf bräunlichrothem Lack das in rothem Lack abgedruckte, eng beſchnittene Wappenſchild eines wahrſcheinlich auf einem verworfenen Couvert befindlich geweſenen echten öffentlichen Siegels beigefügt hatte. Mit ihm wurde in flagranti ein verwegener Kittenſchieber verhaftet, welcher hier als Kachler und Merchitzer gehandelt hatte, und ein halbes Jahr lang mit einer Fleppe umhergezogen war, die nach den eingezogenen Erkundigungen durchaus gefälſcht, und unter anderm mit einem Viſum eines deutſchen Städtchens verſehen war, dem der Gauner ein franzöſiſches Douaneſiegel mit dem kaiſerlichen Adler beigedruckt hatte!Man findet heutzutage nicht ſelten zu den currenteſten amtlichen Urkunden noch Siegel benutzt, welche außer der Jahreszahl auch noch durch ihre arge Abgenutztheit ihr zwei - bis dreihundert - jähriges Alter ſehr ſtark verrathen, oder wenn auch neue, doch ſo einfach, ſchlecht und unordentlich geſtochene Stempel, daß man ſie ſofort für das Fabrikat der auf Jahrmärkten umherziehenden Graveurs erkennt, welche gerade die gefährlichſten Chaſſimeme -311 lochner ſind. Ferner bedient man ſich zum Siegeln gerade in den größten Bureaux am meiſten des ſchlechteſten weichen Siegel - lacks von ſchmuziger brauner Farbe, welches gar nicht einmal das Siegel deutlich und anſtändig ausdrückt. Zeichnung und Jnſchrift wird auch ſchon durch den geringen Druck des Falzens oder durch die Poſtverpackung verunſtaltet, und das Siegel ſogar mit andern Briefen in unzertrennliche Gemeinſchaft zuſammengeklebt. Auch die Farbedrucke ſind ſelten leſerlich, weil die Stempel nicht ordent - lich aufgeſetzt, ſondern, zu ihrem raſchen vollſtändigen Ruin, haſtig aufgeſchlagen werden, und dazu auch die Farbe auf den Tupfballen ſelten ordentlich behandelt und gehalten wird.

Alle dieſe offenbaren, nur ſcheinbar unbedeutenden Nachläſſig - keiten machen den Fleppenmelochnern das Chaſſimemelochnen ſehr leicht, ſodaß nur zu oft ſogar ganz plumpe Siegelfälſchungen unbeachtet bleiben. Der Beſitz eines Siegelabdrucks oder Gips - abguſſes genügt dem als Graveur auf den Jahrmärkten umher - reiſenden Chaſſimemelochner, um in unglaublich kurzer Zeit ein Petſchaft beſonders auf Zinn und Schiefer1)Bei dem am 17. Juli 1852 zu Bremen verhafteten Fleppenmelochner Stahlheuer fand die bremer Polizei an Siegeln, welche zum Schwarzdruck auf Schiefer gravirt waren: das Siegel des königlichen preußiſchen Miniſteriums des Jnnern; der Polizeidirection zu Bremen, der Stadt Greifswald, der Stadt Stade; der königlichen Regierung zu Potsdam; des königlichen Polizeipräſi - diums zu Berlin; des Polizeiamts zu Wittenberge; der Polizeidirection zu Baſel, München, Köln; des Kammergerichts zu Berlin; der königlichen preußi - ſchen Regierung zu Stralſund; der Polizeidirection zu Trier; des mecklenburgi - ſchen Amts Mirow; der Polizeibehörde zu Hamburg; der Stadt Woldegk und Neubrandenburg. Allerdings verdient auch die Sapographie, d. h. die von Ferguſon Branſon in Sheffield erfundene Kunſt, mit großer Leichtigkeit Zeich - nungen in gewöhnliche Seife zu ſchneiden und davon Abgüſſe von Guttapercha oder Siegellack zu nehmen, oder auf galvanoplaſtiſchem Wege Abdrücke auch zum Schwarzdruck zu erhalten, große Beachtung (vgl. Percy, a. a. O., S. 517). Nicht minder beachtenswerth iſt das bei Percy, S. 789, dargeſtellte Verfahren, mittels der Thermographie Gegenſtände durch directes Abdrucken abzubilden. herzuſtellen, das für eine Menge linker Fleppen ausreicht. Beſonders viel werden die Siegel größerer Bureaux nachgeſtochen, weil von dieſen die meiſten Legitimationsurkunden ausgehen, und im raſchen Geſchäfts -312 gange der Blick weniger auf die ſpeciellen Einzelheiten gelenkt, auch gewöhnlich des maſſenhaften Gebrauchs wegen das ſchlechteſte Lack verwendet wird, welches ſelten oder gar nicht eine genaue Vergleichung und Prüfung der Siegel zuläßt. Noch undeutlicher und gefährlicher iſt das, meiſtens noch dazu haſtig betriebene Siegeln auf Papier mit untergelegter großer ſogenannter Notar - oblate, einem ärmlichen mürben Teig1)Ueber Bereitung der verſchiedenen Oblaten vgl. Percy, a. a. O., S. 441 fg. Ueber die Verſetzung der Oblaten mit Giften vgl. Weſtrumb, a. a. O, II, 176. aus Weizenmehl und Brunnenwaſſer. Das Siegel drückt ſich ſelten gut aus; entweder wird bei haſtigem ſchiefen Druck nur ein Theil des Siegels deut - lich, oder bei geradem aber zu ſcharfem Druck reißt der Deckman - tel, ſodaß der Oblatenteig durchquillt und das feuchte Siegel beim Hinlegen oder Verpacken der Documente platt gedrückt und ſogar auch wol kleberig wird. Obendrein iſt nichts leichter, als ein ſolches Oblatenſiegel von einer Urkunde durch allmähliches Be - feuchten der Rückſeite loszulöſen, um es auf ein anderes zu über - tragen, da die Oblaten, noch dazu eklerweiſe mit Speichel, mei - ſtens nur flüchtig befeuchtet werden und ſehr kümmerlich haften.

Noch leichter gelingt die Fälſchung und Nachahmung ſoge - nannter Farbe - oder Schwärzeſiegel. Aus falſcher Sparſamkeit werden ſelbſt die täglich zu hundertmal gebrauchten Stempel anſtatt auf gutem Stahl nur auf bloßem Meſſing geſtochen und anſtatt mit einer Schrauben - oder behenden Hebelpreſſe mit der Hand auf die Urkunden, Päſſe u. dgl. haſtig geſchlagen, nachdem ſie auf den ſtaubigen zerriſſenen Tupfballen mit zuſammengetrock - neter zäher Färbemaſſe eilig und aufs Gerathewohl aufgeſtoßen werden, wobei auch wol die einmalige Färbung oft zu zwiefachem Abdruck ausreichen muß. So kommt es, daß ſelbſt die ſorgfältig gearbeiteten Siegel ſehr bald abgenutzt werden und bei der nach - läſſigen Färbung und Handhabung ſehr ſchlecht und undeutlich auf das Papier kommen. Daher genügen denn auch die von kunſtgeübten Fleppenmelochnern mit ſpielender Leichtigkeit und313 Schnelligkeit gefertigten Nachſtiche in Meſſing, Schiefer und Zinn faſt immer zum vollſtändigen Betruge, und es kommt dabei nicht einmal groß auf die Sauberkeit und Schärfe der Umriſſe und Jnſchriften an. So werden denn nicht ſelten ſolche Siegel in Holz, ja ſogar in Kork ausgeſchnitten, und geben kaum ſchlech - tere Abdrücke als die nachgeahmten Originale ſelbſt.

Zum Copiren der Färbeſiegel nehmen die Fleppenmelochner auch oft noch ein Stückchen geöltes Papier, befeſtigen es mit einigen kleinen Streifchen ſogenannten engliſchen Pflaſters auf das zu copirende Färbeſiegel, und zeichnen mit Bleiſtift das Siegel genau durch. Nach Abnahme des Oelpapiers wird auf dem Rücken deſſelben mittels einer Schwärze von Kienruß, Leinöl oder dünnen Talg, oder mit einer fettigen ſchwarzen Kreide, auch wol mit feiner Lindenholzkohle, die in Spiegelſchrift durchſcheinende Zeichnung nachgezeichnet, darauf das Oelpapier mit der Rückſeite der Zeich - nung auf das gefälſchte Document gelegt, und mittels eines Glätt - kolbens aufgerieben, oder mittels eines ſtarken Drucks oder Schlags aufgepreßt. 1)Jn dieſer Weiſe hatte der obenerwähnte, hier in Lübeck im Auguſt 1858 angehaltene Kittenſchieber das Stadtſiegel des Städtchens, wo ihm ſein falſcher Paß ausgeſtellt ſein ſollte, recht gut copirt.Dem geſchickten Fleppenmelochner, welcher gut zeichnet und ſich Zeit läßt, gelingen dieſe Siegel ſehr gut; auch kann er ſie durch neue Schwärzung des Oelpapiers vervielfältigen. Mei - ſtens werden aber dieſe Durchzeichnungen in den Herbergen und Spieſſen ziemlich haſtig vorgenommen, und glücken dann oft nicht durchaus. Erfahrene Fleppenmelochner laſſen jedoch dieſe nicht überall gleichmäßig ausgedrückten Siegel ohne Retouche. Un - geſchickte dagegen zeichnen zuweilen die zurückgebliebenen Buch - ſtaben mit Bleiſtift oder Tinte nach. Dadurch kommen aber die Buchſtaben undeutlicher zu ſtehen, und verrathen ſich durch ihre ungleiche Färbung, namentlich wenn man das Papier gegen das Licht hält. Findet man auf dem Documente keinen Eindruck des Stempels im Papier, und läßt ſich beim Reiben mit der Finger - ſpitze die Farbe des Siegels wiſchen, ſo liegt ſchon Verdacht einer314 Fälſchung vor, welcher mindeſtens eine genauere Prüfung der ganzen Urkunde erfordert.

Beklagt man ſich in Deutſchland über die ſowol in ihrer großen Maſſe als in ihrer peinlichen Kleinlichkeit gleich drückende Paßgeſetzgebung und über die läſtige Controle aller Reiſenden ohne Ausnahme, ſo iſt der Grund des Uebels weſentlich in dem Mangel an Umſicht, Genauigkeit und Aufmerkſamkeit in den Bureaux zu ſuchen1)Wie z. B. iſt nur möglich, daß man noch heutzutage zu den an ſich ſchon ſo unſeligen Zwangs - oder Laufpäſſen, die man doch wiſſentlich nur ſchlechten Subjecten ertheilt, das ordinärſte Schreibpapier, ohne Blanketdruck, ohne Grundirung, ohne irgendeine ſonſtige Sicherung gegen Fälſchung hergibt, und von der Hand des erſten beſten Schreibers (es kommen ja derartige Schreibereien erwieſen von Frauen - und Kinderhand vor), vollſchreiben und haſtig und ſchlecht unterſiegeln läßt. Nicht nur aus faſt allen kleinen Bureaux, welche, bei dem Mangel eines allgemeinen Landesformulars und einer Centrali - ſation der Landespolizei, die Druck - und andere Koſten aus ihrer Separatkaſſe ſcheuen, ſondern ſogar auch aus Gefangenanſtalten kommen jene Subjecte mit ſolchen Papieren zum Vorſchein, mit denen ſie alle möglichen Fälſchungen vor - nehmen, und lange Zeit in Kreuz und Quer vagiren, um das Mitleid und das Eigenthum des Städters und Landmanns in Contribution und ernſte Gefahr zu ſetzen., welcher den praktiſchen, außerhalb der Bureaux vigilirenden Beamten ſoviel ſaure und undankbare Mühe macht und gerade bei den vielen ſichtlich hervorgetretenen Uebelſtänden die Geſetzgebung zu jener Menge von einzelnen Be - ſtimmungen veranlaſſen mußte, von welcher ſie ſich neuerlich durch Einführung der einfachen und behenden Paßkarten emancipirt, und wobei ſie zugleich deutlich und treffend angezeigt hat, daß allein in der Aufmerkſamkeit, Genauigkeit und Verantwortlichkeit der ausſtellenden Beamten, alſo in den Bureaux, die Sicherheit und Verläſſigkeit der Perſonenlegitimation zu ſuchen iſt.

Jn Wirklichkeit wird aber auch hierin eine Reform der Bureaux und eine tüchtige Heranbildung und Anleitung der ſubalternen Beamten (vgl. Kap. 95 103) von directem glück - lichen Einfluß auf die geſammte öffentliche Sicherheit ſein, und315 das Fleppenmelochnen weſentlich paralyſiren1)Freilich müßten dann aber auch die Geſandtſchafts - und Conſulats - päſſe beſeitigt werden, mit denen ſchon ſo viel arger Misbrauch getrieben iſt, daß die Stimmen ſchon lange laut dagegen geworden ſind. Wie ſchwer wiegen die ſchlimmen Nachtheile dieſer Päſſe gegen den ſchwachen Beitrag, welchen ſie zum Glanz des ausnehmenden Geſandtſchaftsrechts liefern!, welches, wie das ganze Gaunerthum überhaupt nur an der erſpähten Schwäche emporwuchert, lediglich in den Mängeln der Bureaux die ganze Baſis ſeiner verderblichen Kunſt findet. Die Bereitung der Sicher - heitspapiere iſt auf einen ſo vollkommenen Standpunkt gebracht, daß ihre Anwendung durchaus zu allen Legitimationspapieren, alſo nicht allein zu allen Arten von Päſſen und Wanderbüchern, ſondern auch zu Geburts - und Heimatsſcheinen, Kundſchaften, Sittenzeugniſſen u. dgl. ſtattfinden ſollte. Dazu muß aber auch noch eine feſte Ordnung und Controle bei der Ausfertigung der Documente eingeführt, und darauf geſehen werden, daß die Aus - fertigung der Urkunden, die Ausfüllung der Blankets u. ſ. w. mit genauer Beobachtung aller Formalien, ohne Flüchtigkeit und Fehler, geſchehe. Jn großen Bureaux iſt es thunlich, die Ausfertigungen auch im raſchen Geſchäftsgange durch mehrere Hände gehen und controliren zu laſſen. Auch ſollte ein eigener Beamter für das vielfach nur obenhin angeſehene und betriebene, jedoch ſo überaus wichtige Siegeln eingeübt und angewieſen werden, daß er, mit gutem Material und behenden einfachen Hebelpreſſen ver - ſehen, die tüchtig in Stahl gravirten Siegel genau und ſorgfältig anbringt, ſich durch Anlegung einer Siegelſammlung in Kenntniß mindeſtens der currenteſten Siegel ſetzt, ſowie auch den Jnhalt, die Formalien und Siegel der einkommenden Papiere beſonders genau prüft und nöthigenfalls mit andern vorhandenen Origi - nalien vergleicht. 2)Um den Färbeſiegeln größere Sicherheit zu geben und ihre Fälſchung und Nachbildung leichter zu entdecken, iſt ſchon gerathen worden, daß die Be - hörden eines Landes oder mehrerer Länder ſich zu einem veränderlichen Farben - kalender vereinigen, und ſich verbinden, nach einer im voraus von einem ton - angebenden Polizeiblatte für die nächſten Wochen oder Tage gegebenen Beſtim -

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Neunundachtzigſtes Kapitel. n) Das Schärfen und Paſchen.

Das Wort Schärfen iſt vom niederdeutſchen ſcherven, ſcharben (durch Transpoſition: ſchraben, ſchrapen), hacken, klein hacken, klein machen, herzuleiten, und hängt mit Scherf, Scherflein (ein halber Heller, uncia, aereolus, Schottelius, a. a. O., S. 1397, u. Stieler, a. a. O., S. 1737) zuſammen. Schärfen heißt in der Gaunerſprache die geſtohlenen Sachen im großen Ganzen (im Stooß) ankaufen und im einzelnen wieder verkaufen, zu Gelde machen, beſonders aber ankaufen, während für das Verkaufen ſolcher Sachen der Ausdruck verſchärfen ſprach - gebräuchlich iſt. Der Ankäufer wird Schärfenſpieler, nach neuerm Ausdrucke Stoßenſpieler1)Von Stoßen, welches gleichbedeutend mit Schärfen iſt und mit dem Jüdiſch-Deutſchen in keiner Verbindung ſteht. Es iſt vielleicht vom deutſchen Stoß, niederdeutſch Stoot, herzuleiten, welches auch eine ungezählte Menge, eine Anzahl in Pauſch und Bogen, bedeutet. Die Ableitung vom jüdiſch - deutſchen Stuß oder Schtuß, Narrheit, Scherz, Poſſen, Bagatelle, ſcheint geſucht und ohne rechten Sinn. genannt. Vorausgeſetzt beim Schärfen oder Stoßen wird immer, daß der Schärfenſpieler oder Stoßenſpieler das gekaufte Gut als geſtohlen kennt.

Schon aus der Definition des Wortes Schärfen erſieht man, daß die Schärfenſpieler platte Leute, d. h. vertraute Genoſſen der Gauner ſind. Sie bilden in der That die allergefährlichſte Klaſſe der Gauner, da ſie durch Abnahme und Verwerthung der geſtohlenen Sachen dem Diebſtahl erſt Werth und Jntereſſe ver - leihen. 2)Die Gleichmäßigkeit dieſes Erwerbs mit dem Erwerbe des Diebes iſt treffend durch den gemeinſamen Ausdruck verdienen bezeichnet, den ſowolDie meiſten Schärfenſpieler ſind Gauner, welche früher2)mung, dieſe oder jene Farbe bei den Färbeſiegeln in Anwendung zu bringen. Die Durchführung dieſes Vorſchlags iſt jedoch ſchwierig und könnte den recht - mäßigen und ehrlichen Jnhaber eines Documents in arge Verlegenheit bringen, wenn ein unaufmerkſamer Beamter einmal eine andere Farbe benutzen ſollte, als die für die einfallende Zeit vertragsmäßig beſtimmt geweſene.317 ſchon beſtraft ſind; oder alte abgeſtumpfte Gauner1)Vgl. Abſchnitt I, in der Darſtellung der Niederländiſchen Banden, die Andeutungen über Jakob Moyſes zu Winoshoot bei Gröningen, den Vater des Abraham Jakob und Schwiegervater des Picard (vgl. Rheiniſche Räuber - banden , I, 15 fg.)., oder Krüppel, welche nicht ſelbſt mehr wagen dürfen, einen Maſſematten zu handeln; Weiber, Concubinen und ganz vorzüglich Bordellwirthe, Gaunerwirthe, Aufkäufer, Trödler und Pfandleiher, welche unter dem Schein des bürgerlichen Gewerbes leben, aber hauptſächlich geſtohlene Sachen an ſich bringen und mit unglaublichem Vor - theil verwerthen. Die Vorſicht, Noth und Lebensluſt treibt den Gauner, des Geſtohlenen ſo raſch wie möglich ſich zu entledigen und ſchleunig in Beſitz baaren Geldes zu gelangen. Der Schär - fenſpieler kennt die Gefahr des Diebes und die Nothwendigkeit der raſchen Entäußerung des Geſtohlenen. Daher bietet und zahlt er Preiſe, bei denen er in der That einen ungeheuern Gewinn macht, und ſich unendlich viel beſſer ſteht als der Dieb ſelbſt, da er oft nicht den zehnten oder gar zwanzigſten Theil des wahren Werths zahlt. Die Schärfenſpieler ſind die wahren Tonangeber und Gewalthaber (Mauſchel) der handelnden Diebe, deren Perſon und Jnduſtrie ihnen genau bekannt iſt, und welche ſie im Be - wußtſein ihrer Unentbehrlichkeit und Gewalt ſogleich nach gehan - deltem Maſſematten oft auf eine berechnet zudringliche und gefähr - liche Weiſe umſchwärmen, um ſie zu deſto raſcherm Abſatz des Geſtohlenen zu zwingen. Jener außerordentliche Gewinn iſt der Grund, weshalb die Schärfenſpieler, welche immer mit dem Schein des ehrlichen Verkehrs ſich den Weg durch alle bürgerliche Ver - kehrskreiſe offen halten, die eifrigſten und gefährlichſten Baldower ſind, welche den verbündeten Gaunern nicht nur die gelegentlichen Maſſematten nachweiſen, ſondern auch geradezu beſtimmte Waaren bei ihnen beſtellen, deren Conjunctur augenblicklich günſtig iſt, und welche dem Schärfenſpieler beim Verkaufe den beſten Gewinn ab - werfen. So ſehr man bei Entdeckung eines Schärfenſpielerlagers2)der Dieb für ſein Stehlen, als auch der Schärfenſpieler für ſein Verhandeln des Geſtohlenen gebraucht.318 über die große Menge und Mannichfaltigkeit aller nur denkbarer Handelsgegenſtände erſtaunen muß1)Man kann nichts Bunteres und Jntereſſanteres ſehen, als ein ſolches Lager, das auch an Curioſitäten, Antiquitäten, Kunſtſachen, Hausgeräth, phy - ſikaliſchen, muſikaliſchen und andern Jnſtrumenten, Drucken, Bildern und Stoffen aller Art oft die Cultur und Jnduſtrie mehrerer Jahrhunderte repräſentirt, und für den Sammler eine nicht unwichtige Quelle darbieten würde, wenn dieſe Sachen durch den langen und verderblichen Verſteck weniger ruinirt wären, aus welchem ſie nur gelegentlich zum Vorſchein und Verkauf gebracht werden. Ebenſo ſehr iſt zu bedauern, daß ſolche Sachen auch im Depoſitum der Be - hörden nicht mit der gehörigen Sorgſamkeit erhalten werden, und daß die gelegentliche Aufräumung ſehr oft auch noch das gänzlich ruinirt, was bis dahin noch einigermaßen zuſammenhielt., welche man darin findet, ſo iſt es doch noch erſtaunlicher zu ſehen, wie in ſolchen Lagern, namentlich Manufacturwaarenlagern, ſo vollſtändige Aſſortiments vorhanden ſind, daß man weit eher auf einen bedachten handels - mäßigen Nachkauf des Defecten, als auf die gelegentliche Comple - tirung durch Diebſtahl ſchließen ſollte. Aus Fabriken und Fabrik - lagern werden beſonders in ganz unglaublicher Menge ſolche Diebs - lager begründet und ergänzt. Der Handel der Schärfenſpieler bietet ſogar dem Kleinhandel eine ſehr ernſtliche Concurrenz, welche in kleinern Binnenſtädten, wo der ganze Handel kaum mehr als Detailhandel iſt, ſchwer empfunden wird, während ſie in größern Handelsſtädten, wo der Kleinhandel, als natürlicher und nothwen - diger Ausfluß des Großhandels, von letzterm geſtützt und getragen wird, weniger fühlbar iſt, obgleich auch in den Handelsſtädten die leidige Concurrenz zwiſchen dem Kleinhandel und dem Schärfen - ſpielerhandel den erſtern leicht zur Schleuderei überführt.

Trotz der bunten Reichhaltigkeit der Schärfenſpielerlager findet man ſelten den ganzen Vorrath eines Schärfenſpielers an einem Orte vereinigt. Bei der Gefahr der Entdeckung gebietet die Klug - heit, die Vorräthe zu vertheilen, die oft in irgendeinem Privat - hauſe, in einer nahen Ortſchaft oder auf dem Lande, mit oder ohne Durchſtecherei des Vermiethers, untergebracht ſind. Jn den Gaunerherbergen ſind hinter Panälen, tapezirten Breterwänden, zwiſchen den Zimmerdecken, unter den Fußböden, unter den Steinen319 und Platten in Kellern, ſo verſteckte Räumlichkeiten angebracht1)Nur durch ſehr genaue Unterſuchung und Aufmerkſamkeit können die heimlichen Zugänge zu ſolchen Gelaſſen entdeckt werden. Man muß ſich daran gewöhnen, das Unſcheinliche niemals für unerheblich und geringfügig zu halten, und es nicht von ſich weiſen, Recherchen ſelbſt zu leiten, bei denen man jedes - mal um manche Erfahrungen reicher wird, und immer mehr begreifen lernt, daß die Belehrung wahrlich nicht allein am Verhörtiſch gewonnen wird. Bei Recherchen in Kellern iſt es oft von Nutzen, Waſſer auf den Fußboden zu gießen und an den Stellen, wo die gelockerten Fugen das Waſſer einſaugen und Luftblaſen werfen, die Steine herauszuheben, um den Zugang zu einer Kawure zu finden., daß nur ein ſehr ſcharfes geübtes Auge den geheimen Verſteck entdecken kann. Auf dem Lande werden Scheunen, Ställe, Keller - verſchläge, Heuſchober, Kartoffelgruben u. ſ. w. zu Depots benutzt; ja ſogar hohle Bäume, Fuchshöhlen und Dachsbaue dienen nicht ſelten zu einſtweiligen Verwahrungsörtern. 2)Solche Höhlen haben ſogar zu dem ſpecifiſchen Ausdruck die Lege Anlaß gegeben (vgl. Biſchoff, a. a. O., S. 49).Beſonders arme und iſolirt wohnende Bauern und Tagelöhner wiſſen die Gauner durch Verſprechungen und Geſchenke dahin zu bringen, daß ſie ſich zu Depoſitaren geſtohlener Sachen nur zu oft hergeben. 3)Eigenthümlich iſt dabei, daß die Zigeunerſprache für den Begriff Hehler nur das eine Wort sórŏlo gátscho, d. i. ſtarker, feſter, ſicherer Bauer, hat (vgl. Biſchoff, Zigeuneriſches Wörterbuch , S. 56, und Pott, a. a. O., II, 253, unter Zor). Eine offenbare Nachahmung davon iſt die unter den reußi - ſchen Gaunern übliche Bezeichnung Kochemer Kaffer für Diebshehler (vgl. Biſchoff, Kochemer Waldiwerei , S. 36).

Bei dieſem ſorgfältigen Verſteck hat dennoch der Schärfen - ſpielerverkehr und Umſatz eine unglaubliche unſtete Beweglichkeit, welche, aller ſtrengen Unterdrückung und Verfolgung zum Trotz, gerade im Hauſirhandel ihren reißenden Abfluß findet. Die Dorfjahrmärkte ſind für den Schärfenſpieler nur die Stationen, auf welchen er mit dreiſter Sicherheit ſeine geſcharften Waaren unter dem Schein des ehrlichen erlaubten Verkaufs ausbietet. Hauptſächlich benutzt er aber die Jahrmärkte, um von einem zum andern zu ziehen, und ganz vorzüglich unterwegs, allen Ver - boten, Siegeln und Plomben zum Trotz, aus ſeinen Waarenpacken320 einen ergiebigen Handel, vor allem den Piſchtimhandel zu treiben, bei welchem er an Genoſſen, Weib, Concubine und Kindern ge - wandte und beredte Unterſtützung findet. Aber nicht allein der eigene Hauſirhandel und Vertrieb des Schärfenſpielers iſt der hauptſächlichſte Abfluß: wie der Schärfenſpieler die handelnden Gauner in ſklaviſcher Abhängigkeit von ſich zu halten weiß, ſo übt er auch gegen ſeine zahlreichen Abnehmer, gegen welche er ſich äußerlich als emſiger redlicher Handelsmann zu ſtellen weiß, und welche ſeine verbrecheriſchen Verbindungen und Handlungen nur ahnen, nicht aber nachweiſen können, eine ſcharfe Despotie, indem er ſie durch Credit von ſich abhängig macht, bei welchem er ſich ſtets zu ſichern und ſchadlos zu halten verſteht, ſelbſt auch wenn er durch Unglück oder Betrug eine Einbuße erleiden ſollte. So ſind es denn auch nicht immer Betrüger, welche mit dem ſchweren Hauſirpacken in Wind und Wetter heimlich von Dorf zu Dorf ziehen und ihre Waare feil bieten, ſondern zum großen Theil die unglücklichen Leibeigenen verſteckter Verbrecher, welche, um Weib und Kind durchzubringen, ſich zu dieſer Sklaverei her - geben müſſen, und um ſo elender daran ſind, als bei dem Mangel an augenblicklicher richtiger Unterſcheidung der Schein, und ſomit auch die Verfolgung und Gefahr des Verbrechens, mindeſtens aber des ſchmuzigen und betrügeriſchen Schachers, auch auf ſie fällt. 1)Eins der am tiefſten ergreifenden Beiſpiele dieſer furchtbaren morali - ſchen Gewalt bleibt das in der Sammlung merkwürdiger Rechtsfälle (Nürn - berg 1794), S. 222, dargeſtellte Beiſpiel des vom Hundsſattler verführten armen Leinewebers in Franken (ſ. die Literatur). Empörend iſt die ſklaviſche Behandlung der Savoyardenjungen und Knechte, welche mit Drehorgeln in Begleitung ihrer Herren durch die ganze Welt ziehen.Dieſe moraliſche Gewalt der Schärfenſpieler iſt ſo groß, daß ſie ſelbſt gerade hinter jenem Schein vollen Schutz finden, wie groß und ſchwer der Verdacht auch immer gegen ſie ſelbſt iſt. Jn wie vielen Fällen auch dieſer Verdacht gegen beſtimmte Per - ſonen gerechtfertigt erſcheint, in ſo wenig Fällen darf doch der Polizeimann wagen, den Verdacht auszuſprechen. Nur ſcharfe, lange und mühſame Beobachtungen können ihm nach und nach321 Gewißheit und Gelegenheit zum directen überraſchenden Angriff des ſo ſchlau und ſicher gedeckten Verbrechers geben. Die Beob - achtung darf ſich nicht irre machen laſſen durch den Hinblick auf die Beweglichkeit der Schärfenſpieler und auf die Behendigkeit der jetzigen Communicationsmittel, durch welche letztere der alte gaune - riſche Grundſatz, daß der Verbrecher am Orte des verübten Verbrechens ſicherer iſt als auf der Flucht1)Dieſer gauneriſche Grundſatz verdankt hauptſächlich der allzu geräuſch - vollen und großen Haſtigkeit der Polizei ſeine Entſtehung. Er iſt immer genau zu beobachten, damit man nicht allein lebhaft in die Ferne, ſondern auch ſtill vor ſich hinblicken lerne. Seine Beachtung liefert immer große Vortheile. gerade nur noch mehr an Conſiſtenz gewinnt. Beſteht ein Maſſematten aus einer größern Menge oder aus leicht kenntlichen Gegenſtänden, ſo iſt ein ſofortiger Weitertransport nicht rathſam für den Gauner. Solche Gegenſtände werden ſofort an die Schärfenſpieler am Orte der That, oder in deſſen unmittelbarer Nähe hinterlegt oder ver - ſchärft. Der ſofortige ſchnelle Transport auf den Eiſenbahnen wird durch die bei dieſen erforderliche ſolide Verpackung, förmliche Declarirung, und durch die auf den Bahnhöfen concentrirte ſcharfe polizeiliche Controle verhindert, oder doch erſchwert und gefährdet. Auch iſt der Transport auf beſondern Agolen ſehr bedenklich, da dieſe ebenfalls einer polizeilichen Controle unterliegen und durch Nacht - und Thorwachen, Zoll - und Acciſebeamten u. dgl. leicht angehalten werden können. Am Orte des Verbrechens ſelbſt und in deſſen unmittelbarer Nähe iſt daher vorzüglich die Aufmerkſam - keit der Behörden auf alle des Schärfenſpielens verdächtige Jndi - viduen zu richten, während die dabei allerdings auch niemals zu vernachläſſigende raſche Benachrichtigung in die Ferne nur im - mer für den Fall der Möglichkeit geboten iſt. 2)Den hitzigen telegraphiſchen Depeſchen folgt gewöhnlich bald durch die beſonnenere Poſt die Anzeige des geglückten Anhaltens von Perſon und Sachen, ſelten aber dabei die Angabe, wo und wie dieſelben angehalten wurden. Dieſer verzweifelten Discretion liegt gewöhnlich die Thatſache zu Grunde, daß der Dieb und das Geſtohlene nicht aus dem Diebſtahlsorte oder wenigſtens nicht aus deſſen unmittelbarer Nähe herausgekommen iſt. Davon kommen häufig ſo pikante wie merkwürdige Beiſpiele vor.

Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 21322

Jn ihrem eigenthümlichen Weſen und Walten erſcheinen die Schärfenſpieler geradezu als die intellectuellen Urheber und Hehler der von ihren gauneriſchen Verbündeten und Günſtlingen began - genen Diebſtähle. Es iſt merkwürdig, wie auch dies Treiben der Schärfenſpieler von der Gaunerſprache, welche ſonſt für jede feine Nuance gauneriſcher Thätigkeit einen beſtimmten Kunſtaus - druck hat, ebenſo kurz wie ſcharf bezeichnet wird. 1)Ebenſo bezeichnend iſt, daß auch für den Begriff von Diebsnieder - lage kein concreter Ausdruck exiſtirt, ſondern dafür nur die allgemeinen Aus - drücke für Diebsherberge: Kochemerbajes, Kochemer - oder Cheſſen - ſpieſe, Kochemer - oder Cheſſenpenne, Kochemer - oder Cheſſenkitt, oder auch nur Penne, Spieſe, viel ſeltener Tſchorbajis (vom zigeune - riſchen Tſchor, Dieb) u. ſ. w. gebraucht werden.Die Gauner - ſprache hat für den Begriff Hehler, Trödler und Hauſirer nur den einen und ſelben Ausdruck Paſcher. 2)Vgl. Kap. 75, wo die Rochlim als hauſirende Apotheker und Quack - ſalber dargeſtellt ſind. Der Medinegeier (Geier = Geher, Gänger) bedeu - tet, dem Stradehändler entſprechend, allgemein den auf irgendein Unternehmen das Land durchziehenden Gauner, ſei es zum Hauſiren, Baldowern oder Han - deln (Stehlen).Das Wort Feling oder Felinger des Liber Vagatorum, welches den Krämer und Olitätenhändler bedeutet (vgl. oben Neppen, Kap. 60, Note 1), iſt veraltet. Das allerdings auch vorkommende Wort Kinjer, von Kinjenen (bei Biſchoff, a. a. O., S. 48), iſt keineswegs ausſchließlich der Hehler, ſondern allgemein der Ankäufer, auch in gutem Glauben. Das Wort Verkowerer3)Das Wort iſt bei Grolman, Wörterbuch , S. 89, als Verkomerer verdruckt, dagegen S. 100 als Verkowerer aufgeführt, welches etymologiſch mit dem Verkawwern (bekabern, von〈…〉〈…〉, Grab; vgl. Kap. 34), ver - graben (bei Pfiſter, I, 231) übereinſtimmt. Gleicher Abſtammung iſt Kober, Wirth ( Waldheimer Wörterbuch ) und Kobera, Wirthshaus ( Hildburg - hauſener Wörterverzeichniß )., welches bei Grolman unter der Beſchränkung als Hehler vorkommt, iſt allge - mein jeder, welcher etwas kawure legt. Das Wort Paſcher4)Vielleicht von〈…〉〈…〉 (peschar), weich, lau werden, aufthauen, zer - thauen; das Prager jüdiſch-deutſche Wörterbuch leitet (S. 123) davon her: Mispaſcher ſein, ſich oder andern vergleichen; Peſcher, Peſchoro, der Vergleich in Streitigkeiten; Pſchores, der Gewinn, Verdienſt aus dem Handel.323 iſt von Biſchoff, a. a. O., S. 48, und von Thiele, a. a. O., I, 289, nur einſeitig aufgefaßt, da Biſchoff es mit Hehler überſetzt, Thiele aber in der allerdings gebräuchlichen Verlängerung Paſch - kuſenen (wahrſcheinlich gleichbedeutende Verdoppelung für Paſch - huſenen, von Hoſen, Hauſen, Hauſiren) den Begriff des heimlichen verbotenen Hauſirens damit verbindet.

Aus dieſer Etymologie wird die Hehlerei der Schärfenſpieler erſt recht deutlich, welche danach keineswegs als bloße Depoſitare der Gauner für einen geringen Antheil oder Gewinn an der Diebsbeute, ſondern als handeltreibende Gauner erſcheinen, welche ihre lucrativen Einkäufe aus beſtellter und unbeſtellter Diebsbeute machen. Jn ihrer Gewalt über die diebiſchen Genoſſen geben ſie nur ſelten, und auch dann immer nur äußerſt geringen Vorſchuß für herzugebrachte unbeſtellte Waare; aber mit und ohne Vorſchuß iſt die einmal in ihren Händen befindliche Waare ihnen als ihr Eigenthum verfallen, weshalb die Gauner denn auch viel lieber einen von jenen baldowerten und beſtellten, vorher aber ſo - weit möglich abgeſchätzten und bedungenen Maſſematten handeln. Vorzüglich bei den Rheiniſchen Räuberbanden fanden in ſolcher Weiſe ungeheuere Geſchäfte und Betrügereien ſtatt, trotz der ent - ſchiedenen Uebergewalt, welche die Räuber über alle, mit denen ſie in Berührung traten, alſo auch über die Schärfenſpieler, er - worben hatten.

Der ambulante Trödel, welcher nichts anderes iſt als Hauſir - handel, läßt ſich mit denſelben Mitteln unterdrücken, mit welchen der Hauſirhandel verfolgt und unterdrückt wird, ſoweit dies über - haupt möglich iſt. Einen argen Vorſchub leiſtet aber den Schärfen -4)Selig, Wörterbuch , S. 260, hat das (chaldäiſche) Stammwort〈…〉〈…〉. Rochlitz, Weſen und Treiben der Gauner , hat ebenfalls Paſcher, der Hehler, und Paſcherei, der Trödel. Uebrigens iſt das Wort Paſcher in das Hochdeutſche übergegangen in der Bedeutung Schmuggler, Contrebandier, dürfte aber ſchwerlich vom franzöſiſchen passer abzuleiten ſein, wie Schmeller, a. a. O., I, 299, andeutet, der auch noch daſelbſt die Redensart anführt: päu - ſcheln und mäuſcheln (von〈…〉〈…〉, [moschal], Mauſchel?), päuſcheln und täuſcheln , allerlei kleine Mittel gebrauchen, um im Handel und Wandel zu etwas zu kommen.21*324ſpielern der conceſſionirte feſte Platztrödel. So ſtrenge faſt alle deutſchen Trödelordnungen ſind, nach welchen die Trödler in paginirte und von Zeit zu Zeit durch die Behörde revidirte Bücher jede angekaufte Sache, in chronologiſcher Reihenfolge, mit Angabe des Verkäufers u. ſ. w. eintragen müſſen, ſo iſt es doch nicht möglich, von jedem einzelnen Ankauf vollſtändige Rechenſchaft zu erhalten. Selbſt der ehrliche Trödler, der vom Althandel leben und verdienen will, und die ihm billig angebotene Sache natürlich gern, und ſtets im guten Glauben und häufig aus Mitleid mit der vom Verkäufer ihm dargeſtellten Noth kauft, iſt überhaupt ſchon ſelten im Stande, eine Sache ſo genau zu beſchreiben, daß ſie bei der, ohnehin immer zu ſpät und meiſtens ſchon nach dem Wiederverkauf vorgenommenen, polizeilichen Reviſion als eine der Behörde verdächtige oder geradezu als geſtohlen bezeichnete Sache zu erkennen und zur Stelle zu ſchaffen iſt, und wenn ihm Bedenk - lichkeiten aufſtoßen ſollten, ſo iſt und bleibt die ſichere Ausſicht auf einen guten Verdienſt immer eine Verſuchung, bei welcher er mindeſtens ſich nicht bewogen fühlt, den Verkäufer genau zu ſon - diren und dadurch zu verſcheuchen. Für den gewiſſenloſen Trödler iſt aber die Gelegenheit zur Umgehung des Geſetzes allzu ver - führeriſch1)Die raſche Umſchmelzung gekaufter Metallſachen, deren Stempel und Gravirung häufig abſichtlich nur flüchtig oder gar nicht angeſehen wird, gibt dem Ankäufer die Ausrede der Unwiſſenheit an die Hand, und dürfte nur durch die ſtrenge Vorſchrift einigermaßen zu beſchränken ſein, ſolche angekaufte Metallſachen eine beſtimmte Zeit lang uneingeſchmolzen liegen zu laſſen., ſodaß man geradezu verzweifeln muß, den unter allen Umſtänden bedenklichen Platztrödel praktiſch ſo zu controliren, wie das Geſetz und die öffentliche Sicherheit das verlangt, wenn man nicht den Platztrödel unter die unmittelbarſte und ſtrengſte polizeiliche Controle ſtellt, oder auch für ihn den öffentlichen Leih - häuſern entſprechende, öffentliche Jnſtitute einrichtet.

Ungeachtet der Schärfenſpieler die Freiheit des Bürgers, zu ſeinem Eigenthum zu kaufen und von demſelben zu verkaufen, was ihm beliebt, in der ausgedehnteſten Weiſe auszubeuten, und ſomit die laxe Grenze zwiſchen dieſer Freiheit und dem conceſſionirten325 Gewerbe noch willkürlicher zu ziehen weiß, ſo ſucht er doch in dem gaunerprincipmäßigen Streben nach einem Verſteck hinter irgendeiner beſtimmten Gewerbsform auf das eifrigſte danach, irgendeine ſolche bürgerliche Gewerbsconceſſion zu gewinnen, zu deren Pflichten und Laſten er dann mit dem äußern oſtenſiblen Schein ſtrenger Redlichkeit ſich gerne bequemt. Der als conceſ - ſionirter Trödler verkappte Schärfenſpieler denuncirt unerbittlich den armen Bauarbeiter, welcher ihm alte aus Bauſchutt heraus - geſammelte Rägel zum Verkauf anbietet, damit er nur ſeinem gauneriſchen Verbündeten deſto unverdächtiger das geſtohlene Silber - geräth oder Hausgeräth abkaufen kann.

Keine gewerbliche Form iſt aber dem Schärfenſpieler günſtiger und genehmer, als das Leihen auf Pfänder1)Das Pfand: Maſchkon (〈…〉〈…〉, von〈…〉〈…〉 [schochan]), er hat gewohnt. Davon: Maſchkonoſſ jaſchwenen und verjaſchwenen (von〈…〉〈…〉 [jo - schaw], er hat geſeſſen), ſitzen, ſetzen, ſetzen laſſen, vom Pfandgeber und Pfandnehmer, verſetzen, auf Pfand leihen. Ebenſo maſchkenen, Pfand nehmen und Pfand geben, beſonders aber auch pfänden, auspfänden. Maſch - konbajis, das Pfandhaus, Leihhaus, Lombard. Maſchkonkeim, der Pfand - jude, aber auch allgemeiner gewöhnlicher Ausdruck für Pfandnehmer, auch ſogar für den nichtjüdiſchen., weil hier die perſönliche Beziehung des Pfandleihers zu dem Diebe, der eine geſtohlene Sache verſetzt, namentlich wenn der Verſatz durch dritte Hand geſchieht, leicht verdeckt, oder mindeſtens nicht leicht nachgewieſen werden kann, und weil der Pfandleiher bei einer erwieſenermaßen geſtohlenen Sache und bei ſeiner hartnäckig be - haupteten Unwiſſenheit über dieſe Eigenſchaft der Sache meiſtens nur den Pfandſchilling auf die geſtohlene Sache riskirt, welcher bei der Gefahr des Diebes (der ſelten an eine wirkliche Einlöſung denkt, ſondern den Pfandſchilling meiſtens ſchon als Kaufſchilling hinnimmt), und bei der Vorſicht des Pfandleihers immer nur gering und gegen den anderweitigen außerordentlichen Gewinn des Pfandleihers leicht zu verſchmerzen iſt. Die Entdeckung einer geſtohlenen Sache auf einem ſo bunten Lager, auf welchem der Pfandleiher die geſtohlenen Sachen geſchickt zu verſtecken weiß, iſt326 außerordentlich ſchwer. Der Pfandleiher, welcher durch die Cir - culare der Polizeibehörde regelmäßig und ſofort in Kenntniß von den einzelnen Diebſtählen geſetzt wird, findet gerade aus der ge - nauen Beſchreibung der einzelnen Gegenſtände die Sachen heraus, die er gekauft und zu verbergen hat, und weiß nun immer geſchickt ähnliche Gegenſtände vorzuſchieben und damit ſeine Bereitwilligkeit und Ehrlichkeit zu documentiren, während die geſtohlenen Sachen im ſicherſten Verſteck liegen. Jn der Buchführung iſt ebenſo wenig wie bei den Trödlern die Controle ſo zu führen, wie das Geſetz es verlangt. Der Erfolg hat es gezeigt, daß ſogar auch die öffentlichen Staats - leihhäuſer für den Dieb eine ſichere und gute Gelegenheit ſind, ſeine geſtohlenen Sachen durch Verſatz zu verwerthen, ungeachtet die mit der Polizei eng verbundenen Beamten als Staatsbeamte mit der möglichſten Aufmerkſamkeit und Vorſicht zu Werke gehen. Dadurch iſt aber der ſchlagendſte Beweis gegeben, wie ſchwer eine vollkommen ausreichende Controle zu führen iſt.

Neunzigſtes Kapitel. o) Der Jntippel und die Spieſſe.

Schon oben beim Schränken, Kap. 43, iſt bemerkt worden, daß der Ort, wohin ſich die Schränker nach gehandeltem Maſſe - matten begeben, um Cheluke zu halten, der Jntippel genannt wird. Der Jntippel iſt immer die Behauſung platter Leute, daher auch immer die Behauſung eines Gauners oder Gaunerwirths, welcher regelmäßig auch Schärfenſpieler iſt, ſomit das erſte An - recht zum Schärfen der Maſſematten hat, und dies Recht gegen die gänzlich in ſeine Hand gegebenen Gauner in drückender und despotiſcher Weiſe geltend macht. Treffend wird der Begriff des Gaunerwirths durch das Wort Spieſſ ausgedrückt, welches, eine Verkürzung vom jüdiſch-deutſchen〈…〉〈…〉 (Oschpis oder Ospess,327 auch Hoschpes)1)Hoschpes, Oschpis oder Ospess, der Wirth; Oschpiste und Ospi - sete, die Wirthin; Ospiso baiss und Oschpisa (hospitium), das Wirths - haus. Als Herr und Jnhaber der Oschpisa, verkürzt Spieſſe, wird auch noch Balſpieſſ gebraucht. Für den heimlichen vertrauten Wirth iſt noch der Ausdruck Koberer, Kober (von〈…〉〈…〉) üblich, immer aber mit dem Be - griff des Hehlers verbunden., offenbar das lateiniſche hospes iſt und, wie dieſes, die freiwillig gebotene Gaſtfreundſchaft bezeichnet. Nur im ausdrücklichen Gegenſatz von nichtgauneriſchen Wirthen wird Spieſſ zu den Wörtern Kochemerſpieſſ, Cheſſenſpieſſ, Femininum Kochemer - oder Cheſſenſpiſte, zuſammengeſetzt; auch ſind für die Kinder der Wirthe, wie aber auch für alle Gaunerkinder, die Ausdrücke Kochemerſchekez und Kochemerſchickſe gebräuchlich, welche aber meiſtens zu Schekez und Schickſe2)Jn der Gaunerſprache verſchwindet hier die ſtrenge Unterſcheidung, welche von den Juden gemacht wird. 〈…〉〈…〉(schekez), eigentlich der Greuel, wird der Chriſtenknabe genannt; Plural schkozim. Schikzo und schiksel, Plural schikzoss, das Chriſtenmädchen. Vgl. 3. Buch Moſes, Kap. 11, V. 23, wo von den unreinen Thieren geſprochen wird, vor denen man Abſcheu (schekez) haben ſoll. Dagegen ſind im Jüdiſch-Deutſchen die alten (an - ſtändigen) Ausdrücke: Ben, Sohn, Plural Bonim und Bne; Femininum Bass und Benoss, Tochter; Alam, Knabe; Almo, Mädchen; Naar, Plural Nearim, Knabe; Naaira, Plural naiross, Mädchen u. ſ. w. im Gebrauche. Als Gegenſatz von Schickſe iſt beſonders Bessule (〈…〉〈…〉), Jungfrau, Mädchen, im Gebrauch, wie z. B. Jofe Bſule, hübſches Mädchen. Bſule wird aber auch vom anſtändigen Chriſtenmädchen gebraucht. Specifiſch jüdiſch-deutſch iſt das aus Beſſule verſtümmelte Piltzl (〈…〉〈…〉), noch verdorbener Bilſel, Bilzel und Benzel für Magd, Mädchen. Althebräiſchen Urſprungs iſt: Omo (〈…〉〈…〉), Meſchorſe (〈…〉〈…〉, Meſchorſes; männlich〈…〉〈…〉, Me - ſchores, Diener) und Schiffche (〈…〉〈…〉), die Magd, Mädchen. Für den Ausdruck Dille läßt ſich keine andere Ableitung finden, als etwa von〈…〉〈…〉, der Schöpfkrug, Schlauch zum Waſſerſchöpfen, Eimer. Die Ausdrücke Blümche, Zierlich u. ſ. w. ſind nur Koſewörter, wie das veraltete Wunneberg des Liber Vagatorum für hüpſch jungfrow . vereinfacht werden.

Die Behauſung des Spieß wird im Jüdiſch-Deutſchen Oſchpiſo baiſſ (von〈…〉〈…〉 [bais], Haus; Plural〈…〉〈…〉 [bottim]) oder Oſchpiſa, gauneriſch kurzweg Spieſſe genannt. Zur be - ſtimmtern Bezeichnung wird Kochemerſpieſſe und Cheſſen -328 ſpieſſe, wie Kochemerbajiſſ, Kochemerkitt und Cheſſen - kitt gebraucht (vgl. die Etymologie, Kap. 52). Auch iſt beſonders in Süddeutſchland noch der Ausdruck Cheſſenfinkel1)Finkel, von Funke, funkeln, iſt eigentlich jeder Ort, wo Feuer gehalten wird, Küche, Haus. Die mit dem zigeuneriſchen Tſchor (Dieb) zuſammen - geſetzten Wörter Tſchorbajis, Tſchorkitt findet man nur bei Pfiſter und denen, welche ſein Wörterbuch ausgebeutet haben. Außerdem ſind mir dieſe ungeheuerlichen Wörter in der Praxis nicht vorgekommen, obgleich es ſonſt die wunderlichſten Compoſitionen in der Gaunerſprache gibt, wie z. B. im Hild - burghauſener Verzeichniß: Amtskehrſpeiß, zuſammengeſetzt aus Amt (deutſch), kero (zigeuneriſch) und Spieſſe (jüdiſch-deutſch), das Amtshaus, Gerichtshaus. üblich. Jn gleicher Bedeutung und Zuſammenſetzung, wie Spieſſe, wird auch Penne (von〈…〉〈…〉 [pono]2)Davon der mindeſtens in Norddeutſchland übliche volksthümliche Aus - druck: Jemanden poniren, jemanden im Wirthshauſe freihalten, traktiren, welches ſchwerlich direct vom lateiniſchen ponere abzuleiten iſt., ſich wenden, herzu wenden, ein - kehren) gebraucht, wovon das verdorbene Finne und Finchen, kleines Behältniß, Krug, Glas, und Lesfinne, die Ladenkaſſe, (vgl. Kap. 66), ſowie das niederdeutſche Pinn für Herberge, Verkehr, beſonders Gaunerverkehr. Ebenfalls nur zur beſtimm - tern Bezeichnung dient die Compoſition Cheſſenpenne, Koche - merpenne. Für das Einkehren in die Penne oder Spieſſe wird auch noch das Zeitwort pennen gebraucht.

Allgemeine Ausdrücke für Wirthshaus ohne ſpeciellen Bezug auf Gaunerverkehr ſind: Aules (in analoger Derivation wie Penne von pono, abzuleiten von:〈…〉〈…〉 [olo], aufſteigen, hinauf - ziehen), Krug, Krugwirthſchaft, Wirthshaus. Ferner Schwäche, Schwächaules, Schwächkitt (von〈…〉〈…〉 [sowa], und〈…〉〈…〉 [sowea], ſatt werden, ſich ſättigen mit Speiſe und Trank)3)Nicht füglich vom deutſchen Schwächen, indem das übermäßige Trinken ſchwächt , wie Pott, a. a. O., II, 36, O., als mögliche Ableitung anführt., das Wirthshaus, wovon Schwächer, der Wirth; ſchwächerlich, durſtig; Schwächfinchen, Schwächbecher, das Trinkgeſchirr, Trinkbecher. Endlich Schöcherkitt (von〈…〉〈…〉 [schochar], trinken), das Krughaus, beſonders Bierhaus, Weinhaus, wovon ſchöchern329 trinken; Schöcher, der Wirth, Bierwirth; Schechor, ſtarkes Ge - tränk, beſonders Bier; ſchikker, betrunken, der Säufer; Schik - koron, die Trunkenheit, und Schächerſchurrig, Trinkgeſchirr aller Art, Glas, Taſſe, Kanne, Flaſche.

Je ſicherer der Verſteck in den Spieſſen oder Pennen iſt, deſto freier waltet das Gaunerthum darin. Den Zwang und Bann, den ihm ſein Verkehr im bürgerlichen Leben aufgelegt hat, wirft der Gauner hier wie eine ſchwere Laſt von ſich: hier iſt er der bloße phyſiſche Menſch, der den Genuß wie eine Rache gegen jenen Zwang ſucht, und vom Vergnügen, ſtatt des Reizes, nur das mechaniſche Begängniß hat, in welchem ſelbſt die wildeſte Leidenſchaft, ja ſogar die phyſiſche Exiſtenz erſchöpft und ruinirt wird. 1)Sehr bezeichnend iſt der gauneriſche Ausdruck: die Spieſſe mahane ſein, d. h. das Wirthshaus etwas genießen laſſen, im Wirthshaus etwas verzehren; wobei von dem eigenen Genuß des Zahlenden nicht die Rede iſt. So wird die Redensart auch allgemein gebraucht: Jemanden mahane ſein, jemanden genießen laſſen, traktiren, z. B. bei Callenberg, Wörter - buch , S. 44:〈…〉〈…〉. Einen mahane ſein von ſeinen Nechoſim, jemanden von ſeinem Vermögen genießen laſſen.Auch die Wolluſt iſt hier nur die bloße Thatſache, ohne die geringſte Flitter der Jlluſion, ohne den geringſten Reiz des Geheimniſſes und der Scham, ohne eine andere Vergeltung als den verworfenſten Hohn und Spott, welcher den Genuß mit einer Flut der gemeinſten Ausdrücke zu brandmarken, und dazu die Anzahl nichtswürdiger Spitz - und Ekelnamen zu erfinden weiß, welche wie Schmuz hinter jedes Jndividuum herge - worfen werden, und von denen ſchon die älteſten Gaunerliſten Ausweis geben. Bemerkenswerth iſt, daß die älteſten Bezeich - nungen der Proſtitution, welche im Liber Vagatorum verzeichnet ſind, meiſtens deutſchen Stammes, zum Theil in die Volksſprache übergegangen und noch jetzt im Gebrauch ſind, weshalb ſie in etymologiſcher Hinſicht Jntereſſe haben. Während die hochdeutſche Sprache zu jener Zeit für den Begriff des scortum kaum einen andern Ausdruck hatte, als den der gemeinen Frawe oder ge - meinen Tochter , Amye , Früne (von Phryne [?] oder von330 Frün , niederdeutſche Ueberſetzung von Amye) [?], fahrende Frawe oder Tochter , und beziehungsweiſe Kebsweib (Keb, Käbe, Kebe, Kebs, Käbs), von cava, gleich der fornix der römiſchen Dirnen1)Vgl. Stieler’s Teutſcher Sprachſchatz , S. 912. Vielleicht hängt cava mit dem hebräiſchen〈…〉〈…〉 und Kawure zuſammen. , weiſt ſchon die älteſte Gaunerſprache eine beträchtliche Zahl frivoler Ausdrücke auf. So findet ſich im Liber Vagatorum Schref (Schrefenbos) vom niederdeutſchen schreep, Streif, Strich, wovon die noch heute gängige niederdeutſche Redensart: ut de Schreef gan, aus dem Striche (der Schranke) gehen, über die Schnur hauen, wofür auf den Strich gehen, liederlich umher - ſtreifen, gebraucht wird. 2)Das niederdeutſche Schimpfwort Schraffel, Abfall, Nichtswürdigkeit, gemeine Perſon, ſcheint vom mittelhochdeutſchen ſchrapfen, ſchrabben, ſchrapen, d. h. ſchaben, ſtriegeln, herzukommen. Vgl. Stieler, S. 1917, und Kramer, S. 339. Vgl. auch die Etymologie vom Schärfen im vorigen Kapitel.Eine analoge Etymologie hat Glyde, Gliede (Gliedenfetzer), nicht ſowol von geleiten, als vom nie - derdeutſchen glyden (glyen, glibberen), gleiten, rutſchen, fahren (vagari). Der ſpätere Ausdruck Glunde iſt vom mittelhochdeut - ſchen Klunte, Klunſe, auch Gluntz (vgl. Stieler, S. 966 und 989; Schottelius, S. 1327), rima, apertura, fissura, abzu - leiten, wovon klünſen, rimas agere, deflorare, und entſpricht vollſtändig dem hebräiſchen〈…〉〈…〉 (nakaf), perforavit, wovon〈…〉〈…〉 (nekef), incisio, rima, und〈…〉〈…〉 (nekewa), Frau, im Gegen - ſatz von Mann; wovon wieder die jüdiſch-deutſche Bezeichnung Nekefe und Nekeife für scortum hergeleitet iſt. Das Wort Sonne (Sonnenboß) iſt hebräiſchen Urſprungs (vgl. unten). Andere ſpätere Ausdrücke haben ſich ganz zu allgemeinen Volks - ausdrücken gebildet, wie z. B. dat Strick, niederdeutſch wol von ſtrieken, vagari, die liederliche Gaſſendirne3)Richey, Hamburger Jdiotikon , S. 294., ähnlich wie die Glyden des Liber Vagatorum. Ferner Strunze, von ſtrunzen, discurrere, vagari, concurrere, niederdeutſch strunt, nichtswürdig, ſchmuzig. Nickel (von nicken), niederdeutſch Füllen, junges Schwein, liederliche Dirne; auch Nuckel und Nucke. Auch331 findet ſich die Zuſammenſetzung Struntnickel als gemeinſtes Schimpfwort für die umherlaufende liederliche Dirne (franzöſiſch pierreuse). Das neuere Dappeln, scortari, Dappelſchickſe, meretrix, iſt, wie Tippeln, Tippen und Jntippeln, von〈…〉〈…〉 oder〈…〉〈…〉 herzuleiten; vgl. oben, Kap. 43, Jntippel.

Jm Jüdiſch-Deutſchen ſind die gebräuchlichſten Wörter: Sone, Sonne, Saune,〈…〉〈…〉, meretrix, von〈…〉〈…〉 (sono), buhlen, hinter jemanden herlaufen, wovon Senuſſ und Snuſſ1)Hebräiſch〈…〉〈…〉, davon wahrſcheinlich das niederdeutſche Snuſſen, ſnuſſeln, ſick anſnuſſeln, ſich vertraut und liebkoſend an jemand anklam - mern, auch beſonders vom Koſen der Kinder gebraucht., die Proſti - tution; Roëſonos, der Dirnenjäger; und Senuſſ treiben, mit Dirnen umhertreiben. Chonte, Concubine, Maitreſſe, wol von〈…〉〈…〉 (chono), ſich beugen, niederlaſſen, lieben. Kdeſcho,〈…〉〈…〉, Femininum von〈…〉〈…〉 (kodesch)2)Kodeſch iſt in der jüdiſchen Gaunerſprache beſonders der Kuppler, der liederliche, moraliſch verdorbene Menſch, dem Mamſer entſprechend (Schadchan, vgl. unten, iſt dagegen der Eheſtifter, Ehevermittler, aber auch Kuppler); Kedeſchos, liederliche Metzen, iſt die abſichtliche höhniſche Verwech - ſelung mit Kedoſchos, weibliche Heilige, ehrſame Frauen und Jungfrauen., puer mollis (von der Proſti - tution der Knaben und Mädchen bei dem Götzendienſt der Ara - mäer, beſonders bei dem Dienſte der Aſtarte), beſchimpfender Ausdruck für die Proſtituirte. Ebenſo zur Bezeichnung der ſitt - lichen und körperlichen Unreinigkeit Nide, Nidde, von〈…〉〈…〉, die Unreinigkeit des Blutes, Menſtruation, Abſcheulichkeit, wovon das gemeinſte gauneriſche Schimpfwort Mamſer ben hanide, ver - dorben Mamſerbenette. 3)〈…〉〈…〉(Mamser, Femininum Mamseress), ein uneheliches Kind, aber auch eine gemeine, verſchmitzte, verſchlagene, hinterliſtige Perſon. Mamſer ben hanide iſt der während der Menſtruation concipirte Baſtard.Aehnlich Tmea von〈…〉〈…〉 (tome), körperlich und moraliſch unrein ſein, wegwerfender Ausdruck für die niedrigſte Dirne. Endlich nach Nafke, von〈…〉〈…〉 (nafal), abfallen (davon Nefel und Nefelche, ein vorzeitig geborenes Kind, Abor - tus), die gemeinſte, verworfenſte Proſtituirte, wovon Nafkenen, scortari.

Für Bordell hat die alte Gaunerſprache an Wörtern deutſchen332 Stammes Kandich und Strom, erſteres wahrſcheinlich von Kante, kantig, von der Lage der Freudenhäuſer an den Enden oder Kanten der Städte, wie im Franzöſiſchen le bordel von le bord abgeleitet ſein mag; letzteres von ſtrömen, Strömer, vagari, vagabundus. Mit dem jüdiſch-deutſchen Beth und Bos, Haus, zuſammengeſetzt hat der Liber Vagatorum Gliedenbeth (bos), Sonnebeth (bos), Schrefenbeth (bos). Specifiſch jüdiſch-deutſch iſt〈…〉〈…〉, Kübbe oder Kauwo (vgl. 〈…〉〈…〉, Kippe, oben bei dem Makkenen, Kap. 47.) Außerdem wird im Jüdiſch-Deutſchen der Ausdruck Bestifle von〈…〉〈…〉 (tofel), ungeſalzen, ungereimt, thö - richt; Schofelbajis von〈…〉〈…〉 (schofel), niedrig gemein, und Beskarge1)Die Etymologie von Beskarge iſt zweifelhaft. Wahrſcheinlich kommt es von〈…〉〈…〉 (korach), welches im Chaldäiſchen und Syriſchen umhüllen, um - wickeln bedeutet, alſo geheimes, verſtecktes Haus, Winkelbordell. Jn analoger Weiſe findet man namentlich in den ehemaligen Reichsſtädten treffende Be - zeichnungen der Häuſer für den geheimen, verſteckten oder auch ſchmuzigen Verkehr. So hieß noch im vorigen Jahrhundert in Hamburg ein am Ende der Wallſtraße belegenes Haus Slykuth (Schleich aus). Vgl. Richey, Ham - burger Jdiotikon , S. 262. Noch jetzt wird in Lübeck ein Haus de ſwatte Pott (ſchwarzer Topf), ein anderes de Smutt (der Schmuz), ein drittes de Höll (die Hölle), ein viertes dat fette Elend, ein fünftes Halsen - twei (Hals entzwei), und endlich ein im Februar 1857 zuſammengeſtürztes Haus, eine frühere Bettlerherberge, de Pulterböhn (Polterboden) genannt. Jn Baſel heißt noch heute, wie ſchon erwähnt, eine Gaſſe die Lottergaſſe. gebraucht.

Die Penne oder Spieſſe iſt die Vereinigung alles moraliſchen Elends, aller maßloſen Leidenſchaft. Spiel, Hochzeitmachen, Buh - lerei, Säuferei, Erzählungen verworfener Abenteuer und Händel, Theilung und Verſchärfung der Diebsbeute, Entwürfe neuer Pläne, Zänkereien, Gewaltthaten und Raufereien wechſeln in den dumpfen, qualmenden, verſteckten Räumen miteinander ab. Die wilden Leidenſchaften drängen ſich, wie nach einer innern Nothwendigkeit, zuſammen auf dem Ruin aller Sitte und Zucht, ſodaß ſie ſich mit tödlicher Gewalt in die eine Richtung zur Vernichtung der phyſiſchen Exiſtenz vereinigt zu haben ſcheinen. Wer es nicht von ſich gewieſen hat, mit eigener perſönlicher Gefahr das333 Elend auch in ſeiner Wiege und Schule aufzuſuchen, wird Bilder gefunden haben, bei deren Anblick er den phyſiſchen Tod als den glücklichſten Wechſel menſchlichen Elends1)Jn Hogarth’s Harlot’s progress und Industry and Idleness liegt große Wahrheit. Aber Bild und Erzählung iſt durch Ton und Wort hier doch ſchon Schmuck um die graufige Wahrheit, welcher dieſe mehr ver - hüllt, als ſie in ihrer dürren Furchtbarkeit darſtellt. Wer ſich in die Höhlen einer Weltſtadt gewagt hat, in die er nur mit ſtarkem Geleite hinabzuſteigen unternehmen konnte; wo alles in ihm beleidigt und herabgedrückt wird, was Sinn und Empfindung auffaſſen kann: der muß, wenn er mit zerſetztem Athem, halb bewußtlos, von Ungeziefer bedeckt, wieder in die friſche Nachtluft hinauf - ſteigt und den Blick zurückwirft, muthlos mit dem Dichter ausrufen: Laß alle Hoffnung hinter dir! preiſen lernen mußte.

Die Proſtitution in den Pennen beſchränkt ſich aber nicht auf die Cheſſen allein, welche die Spieſſe mahane ſind , ſie hat auch ihren gefährlichen Auslauf aus den Pennen direct in die bürgerliche Geſellſchaft, wo ſie durch Betrug und körperliche An - ſteckung eine in der That grauenhafte Verwüſtung anrichtet. Die Dappelſchickſen ſuchen beſonders junge Leute auf abendlichen Gängen in die abgelegene Behauſung platter Leute zu locken und ſich im gehei - men Verſteck preiszugeben, wobei, wenn nicht ein Taſchendiebſtahl ausgeführt wird, doch der Jnhaber des Abſteigequartiers oder der erſte beſte Beiſchläfer der Dappelſchickſe als beleidigter Ehemann auftritt, dem überraſchten Gefangenen eine Geldbuße auflegt und ihn, oft unter ſchweren Mishandlungen, ausplündert. 2)So iſt mir eine Perſon vorgekommen, deren Beiſchläfer regelmäßig als beleidigter Ehemann mit dem Beile in der Hand wüthend das Rendezvons unterbrach, und mit ſeiner Concubine eine ziemliche Zeit von ſolcher Ausplün - derung junger Leute lebte, ehe dieſe Jnduſtrie ruchtbar ward. Die Entdeckung wird aber um ſo ſchwieriger, da namentlich in größern Städten manche wirk - lich copulirte Eheleute gemeinſam dieſe Jnduſtrie betreiben, und den Betrogenen noch obendrein mit einer Denunciation wegen Ehebruchs oder gar wegen Gewalt bedrohen.Nur ſelten hat ein in ſolcher Weiſe gemishandelter und beraubter junger Menſch Erinnerung und Muth genug, That, Thäter und Behauſung nachzuweiſen. Kann man auch ſolche geheime Räube - reien als vereinzelt und nur vom jedesmaligen Gelingen abhängig334 bezeichnen, ſo iſt doch die mit dieſer geheimen Proſtitution ver - bundene Gefahr der ſyphilitiſchen Anſteckung ſehr groß, und deſto bedenklicher, da der Jnficirte den Herd der Jnfection nur ſelten nachzuweiſen weiß oder wagt. Alle ſanitätspolizeiliche Aufſicht und Strenge in den conceſſionirten Bordells iſt überall da para - lyſirt, wo nicht die ſtrengſte Aufſicht und Ausrottung des ſoge - nannten Striches gelingt. Die Syphilis wird bei weitem mehr in die Bordells getragen, als aus denſelben heraus.

So verderblich nun auch dieſe geheime Proſtitution auf die bürgerliche Geſellſchaft einwirkt, ſo hat doch die conceſſionirte Proſtitution, mit welcher die Sittenloſigkeit ſo gut ſtatuirt, wie in eine, freilich nur ſehr trügeriſche, äußere Schranke gebannt iſt, ebenſo gefährliche Folgen. Die Bordellwirthſchaft iſt unbedingt als ein integrirender Jnduſtriezweig des Gaunerthums anzuſehen. Die Bordellwirthe treiben unter den Augen der Sitten - polizei einen lucrativen Handel, der ſich kaum vom Sklavenhandel unterſcheidet, und für deſſen Zufuhr Kuppler, Commiſſionäre, Mäkler, Verſchickfrauen und Reiſende mit den infamſten, meiſtens von den Wirthen angegebenen und bezahlten Jntriguen und Künſten ſorgen. 1)So habe ich z. B. gerade jetzt, während vorliegendes Werk gedruckt wird, in einer ſchweren Unterſuchung beiläufig die trübſelige Entdeckung gemacht, daß ein vom Bordellwirth zum Commiſſionär heruntergekommener Ehemann aus einer benachbarten großen Stadt ſein neun Jahre mit ihm verhei - rathetes Weib mit falſchen Legitimationen und Namen als Bordelldirne bei einem hieſigen Bordellwirth untergebracht, und dieſem dabei eine beträchtliche Geldſumme als angebliche Schulden der verworfenen Perſon im vorigen Bordell abgeſchwindelt, auch wenige Wochen darauf ſeine Schwiegerin mit gleichem Betruge in daſſelbe Bordell untergebracht hatte!Die Verworfenheit der Proſtitution liegt viel mehr in ihrer künſtlichen Beförderung, als in der Preisgebung ſelbſt, bei welcher doch immer die Gewalt irgendeiner menſchlichen Leidenſchaft zu Grunde liegt, während jene nur mit kalter Be - rechnung ſpeculirt. Bei aller Sinnlichkeit, Täuſchung, Leichtfertig - keit, Verführung und Noth, welche ein weibliches Geſchöpf in das Bordell geführt hat, läßt ſich doch noch ein Ziel und Ende hoffen: alles ſcheitert aber an der künſtlichen materiellen Noth und335 Abhängigkeit, in welcher die Bordellwirthe ihre Opfer, aller polizeilichen Aufſicht zum Trotz, zu halten wiſſen. Nach dem ge - heimen Gewerbscartel, in welchem die Bordellwirthe miteinander ſtehen, iſt die Aufnahme einer Dirne nichts anderes als ein unter dem Namen der Auslöſung beſtehender Kauf, bei welchem wirklich, oder nur dem Scheine nach, die ſogenannten Schulden einer Dirne bezahlt werden, welche entweder gar nicht oder doch nicht in ſolcher Höhe exiſtiren. Nicht allein ein ungeheueres wöchentliches Koſtgeld, nicht allein 33 bis 50 Procent vom ver - dienten Luſtſolde, nicht allein eine unglaubliche Summe für Wäſche und Bedienung, und ſogar eine ſchmähliche Miethe für das Um - hängen des dem Wirthe abzuborgenden klapperigen Schmucks, und die Menge Geſchenke1)Den größten Vorrath an Gold - und Silberſachen, den ich in bürger - lichem Privatbeſitz getroffen habe, fand ich einmal im Nachlaß einer Vordellwirthin. So unglaublich groß die Menge, ſo dürftig und blechern war doch auch die Mehrzahl dieſer Gegenſtände, deren Werthgehalt nur den Zwang, nicht den freien Willen zu ſchenken, deutlich ausſprach., welche bei den vielen geſuchten Ge - legenheiten dem Wirthe geopfert werden müſſen: das Schlimmſte iſt die künſtliche Creditloſigkeit, in welcher die Dirnen ge - halten, und bei welcher ſie gezwungen werden, alle gewöhnlichen Bedürfniſſe von dem Wirthe ſelbſt zu kaufen, der ſich den billigſten Plunder oft mit dem zehn - und zwanzigfachen Preiſe bezahlen läßt, wobei er häufig geſchärfte, verpfändete und an Zahlungsſtatt angenommene Sachen anbringt. 2)Dieſer materielle Bann iſt ſo groß und ſo furchtbar, daß gerade durch ihn zunächſt die Reue geweckt, aber auch immer wieder gewaltſam erſtickt wird. Was hilft die Geſetzgebung, welche die reuige Gefallene von den Schulden befreit, während die geheime Mahnung und Verfolgung der Wirthe ſie doch ſpäter überall in der neuen qualvoll errungenen Sphäre zu finden weiß, daß ſelbſt nicht einmal die Ehe ſie gegen beſchimpfende Erinnerungen und Mah - nungen ſchützt? Von der Verworfenheit der Vordellwirthſchaft bekommt man erſt dann einen richtigen Begriff, wenn man über die geſchäftliche Correſpon - denz zwiſchen Bordellwirthen geräth. Jn dieſen Briefen wird mit eiſiger Kälte und Geſchäftsmäßigkeit, die ſogar nicht einmal zu einer Zote gelangt, lediglich über die Körperbeſchaffenheit, über Bau, Muskulatur, Statur, Größe, Haar, Alter, Zähne u. ſ. w. verhandelt, als ob die Briefe aus der Schreib -Unglaublich groß336 iſt der Werth der Colonial -, beſonders aber der Manufactur - und Luxuswaaren, welche von knappgehaltenen jungen leichtfer - tigen Commis aus den Lagern ihrer Principale unterſchlagen und in die Bordells getragen werden, wo ſie zum größten Theil nicht einmal den damit beſchenkten Dirnen, ſondern dem Wirthe zugute kommen. Faſt ebenſo groß iſt die Menge von Pfändern, welche leichtſinnigen oder angetrunkenen Gäſten, trotz aller Verbote, ab - genommen, oder von ſonſtigen Gegenſtänden aller Art, die als Fund aufgehoben und verhehlt werden.

Die reiche Gaunerſprache, welche für jede ihrer Künſte min - deſtens eine Bezeichnung aufzuweiſen hat, iſt nicht ohne Bedeut - ſamkeit ſo karg mit der Bezeichnung des Begriffs Bordell, und bezeichnet mit dem allgemeinen Ausdruck Penne oder Spieſſe treffend den Centralpunkt der ganzen verworfenen wuchernden Lebensregung des Gaunerthums. Die Geſchichte der Bordells, namentlich zur Zeit der rheiniſchen und aller ſpätern Räuberbanden, die Flüche der größten Räuber vom Schaffot herab gegen die Bordells als Herd ihrer Verbrechen und erſte Stufe zum Schaffot, die immer wieder auftauchende Entdeckung diebiſchen Verkehrs in den Bordells: alles das muß die unglückliche, ſelbſtgenügſame Anſicht herabſtimmen, daß mit der beſtehenden, oft mit ſo eitelm, ſelbſtgefälligem, großſtädtiſchem Glanz und Gepräge überzogenen Sanitäts - und ſogenannten Sittenpolizei in den Bordells irgend - etwas Ausreichendes gethan ſei. Vielmehr tritt die Nothwendig - keit mit ganzer, gewaltiger, ernſter Mahnung hervor, daß durchaus eine bei weitem tiefer und ſchärfer eingreifende Aufſicht über das geſammte Bordellweſen eingeführt werden muß. Die kunſtvolle und ſcharfe Fremdenpolizei und ihre breite Geſetzgebung iſt ſo lange eine Anomalie, als ſie den Gaſtwirth und Hauswirth zwingt, den aufgenommenen Fremden oder Verwandten und nahen Freund2)ſtube eines Viehhändlers kämen. Jn der That iſt die Dirne im Bordell nur Körper, nach deſſen Seele nicht gefragt wird; dem ſogar der chriſtliche Taufname genommen und, wie dem franzöſiſchen Soldaten der nom de bataille, ein phantaſtiſcher Name gegeben wird, deſſen Klang eine ungeheuere Jronie für die Lage und Umgebung des Opfers iſt.337 bei der Polizei zu melden, während ſie dabei den Bordellwirth, in deſſen Hauſe der Verbrecher in ungeſtörter Ruhe ſchläft, von der Meldung befreit. 1)Sehr ſtrenge iſt Art. 73 des Code pénal gegen die aubergistes und hôteliers. Welche Reſultate würde eine analoge Strenge gegen die Bordell - wirthe liefern! Vgl. Art. 154 des Code. Das leider einmal als ſchmähliche Nothwen - digkeit ſtatuirte Uebel muß aber auch mindeſtens als Uebel erkannt und ſtrenge in den Grenzen der ſo ſtatuirten Nothwendigkeit gehalten und behandelt werden. Auch muß das Uebel und ſein Walten mindeſtens dem in allen ſeinen Formen und Conſequenzen bekannt ſein, welcher das Uebel überwachen ſoll, nicht allein dem Wirth und der Dirne, welche das Uebel repräſentiren und aus - beuten, und bei ihren wöchentlichen Abrechnungen mit großer Ge - nauigkeit jeden Gaſt nennen und den Betrag ſeiner Zahlung gegeneinander aufrechnen können. Die Bereitſchaft der Wirthe vor der Behörde, ſei es infolge von Streitigkeiten, oder infolge einer kategoriſchen Aufforderung, ihre geheimen Liſten vorzulegen, hat ſchon manche große Ueberraſchung bereitet, und endlich doch überzeugt, daß gerade in den Bordells die allergeringſte Discretion waltet, an welche der liederliche verhüllte Gaſt ſo ſicher glaubte. Für den erfahrenen Polizeimann, welcher in den Bordells mehr als den bloßen Herd der Liederlichkeit findet, muß daher endlich die bisher geübte, ohnehin bei der ganzen beſtehenden Bordellein - richtung, und namentlich bei der herrſchenden leichtfertigen Toleranz der ganzen modernen materiellen Richtung gar keine Geltung mehr habende, bis zur Erniedrigung gefällige und ſervile Discretion von Seiten der Polizei als eine arge Schwäche erſcheinen, und dagegen ſich die Nothwendigkeit einer ganz andern Einrichtung und Con - trole der Bordells aufdrängen, um das leider geduldete Uebel in feſter Beſchränkung und Bändigung zu halten. 2)Vgl. Dr. Wichern in der Evangeliſchen Kirchenzeitung (Berlin 1851, Nr. 55), beſonders S. 518 u. 519; Dr. Phil. Loewe, Die Proſtitution aller Zeiten und Völker (Berlin 1852); Th. Bade, Ueber den Verfall der Sitten in den großen Städten (Berlin 1857). Vgl. noch: Dr. A. W. F. Schultz, Die Stellung des Staates zur Proſtitution (Berlin 1857). Wie doch ganz anders iſt das Verhältniß des chriſtlichen Staats zur Proſtitution,

Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 22338

Eine ſchändliche, ſchon lange zum förmlichen Gaunergewerbe gewordene, mit der Proſtitution, namentlich der geheimen, eng verbundene Erpreſſung iſt das Bilbulmelochnen oder Bil - bulmachen, die alte Jnduſtrie der Bilträgerinnen des Liber Vagatorum. 1)Vgl. den Liber Vagatorum, Kap. 18: Biltregerin, das fint die frawen, die binten alte wammes oder Bletz oder Kuſſen vber den leib vnder die Cleider u. ſ. w. Bilbul iſt abzuleiten vom hebräiſchen〈…〉〈…〉 (bolal), er hat vermengt, vermiſcht, verwirrt. Davon Mewallel ſein oder Me - walbel ſein, verwirren, verwirrt machen; mewulbel werden, verwirrt werden. Bilbul, ein verworrener ſchwerer Proceß, ungerechter ſchmuziger Proceß; in ein Bilbul fallen, in einen ſchmuzigen Proceß gerathen. Die Bilbulmacher ſind auch meiſtens Eheprocuratoren, welche von ihren heiraths - luſtigen Kunden Wechſel ausſtellen laſſen, deren Verfallzeit ſogleich mit der Copulation eintritt. Jn den großen Städten, beſonders Frankreichs und Eng - lands, machen dieſe trapper ſehr bedeutende Geſchäfte.Es iſt die Geltendmachung von Anſprüchen auf Dotation und Alimentation angeblich geſchwängerter Dappelſchick - ſen, welche Anſprüche, beſonders im Einverſtändniß mit kuppleri - ſchen2)Von〈…〉〈…〉 (schiddach), er hat verheirathet, iſt im Jüdiſch-Deutſchen Schadchan, der Eheſtifter, Eheprocurator, Kuppler; Schadchonuſſ und Schidduch, Verheirathung, Verlobung; Schadchono, Schadchente, die Eheſtifterin, Kupplerin. Schadchonuſſ iſt auch das Geld für die Copula - tion und Kuppelei. Selig, a. a. O., S. 303; Prager Handbuch , S. 146. Vgl. oben Kodeſch. , unter dem Namen von Bevollmächtigten, Commiſſionären, Vormündern oder Curatoren auftretenden Gaunern, an verhei - rathete oder ſolche junge Männer gemacht werden, welche es am meiſten ſcheuen, vor Gericht oder der Oeffentlichkeit, wegen ge - heimer Ausſchweifung, bloßgeſtellt zu werden. Dieſe Finanz - ſpeculation wird in größern Handelsſtädten, wo viele reiche Kauf -2)las Schultz daſſelbe darſtellt! Wie ganz anders würde er dies Verhältniß auf - gefaßt und dargeſtellt haben, wenn er einen tiefern Blick auf die Geſchichte und Bedeutſamkeit der Frauenhäuſer des Mittelalters, auf die gewaltſame Unterdrückung der Sinnlichkeit des Volks, und auf das Erwachen derſelben im 15. Jahrhundert, und auf ihre Jrreleitung durch Gewalt und Beiſpiel der Geiſtlichkeit jener Zeit geworfen, und ſich dabei der Schwäche der Obrigkeiten und der Aufgabe des chriſtlichen Staats bewußt geworden wäre! Wohl dem Polizeimann, der die verworrene Aufgabe löſt, zu welcher die Geſchichte den Schlüſſel gibt!339 leute wohnen, in der frechſten Weiſe ausgeübt, indem die Bil - bulmacher unter dem Erbieten zu discreter und billiger außerge - richtlicher Abmachung ſich heimlich und gleichzeitig von mehreren eine oft nicht unbeträchtliche Summe bezahlen laſſen, und ſomit aus der wirklichen oder angeblichen Schwangerſchaft einer lieder - lichen Perſon ein wahres Actiengeſchäft zu machen wiſſen, deſſen Gewinn ſie mit den Dappelſchickſen mindeſtens zur Hälfte theilen. Beiſpiele der Art kommen in unglaublicher Menge vor; ja ſehr oft wird, wenn das Geld verthan iſt, ein neuer Anlauf bei den - ſelben Perſonen, ſogar zum dritten, vierten male genommen, und zuletzt doch noch wirklich der Bilbul vor Gericht angefangen auf Alimentation irgendeines, wenn auch untergeſchobenen, Kindes der betrügeriſchen Curandin. Dieſer verwegenen Gaunerei, durch welche eine einzige Ausſchweifung oder Untreue oft allzuhart ge - ſtraft wird, iſt ſehr ſchwer durch die Geſetzgebung entgegenzu - treten, da über den Werth von Rechtsanſprüchen nicht eher als nach beendigtem Rechtsverfahren entſchieden, und die Bloßſtellung des Beklagten vor und mitten im Verfahren nicht vermieden, ja ſogar nicht einmal bei einem abſolutoriſchen Abſpruch völlig aus - geglichen werden kann, indem bei der ungeſcheuten Klage immer in gewiſſer Weiſe der Satz Geltung behält: Audacter calumniando semper aliquid haeret. Nur eine ſcharfe polizeiliche Controle, das Verbot und die unnachſichtige Beſtrafung aller Eheprocuraturen, gleich der Kuppelei und Concuſſion, vermag der frechen Gaunerei wenn nicht allen, doch einigen Einhalt zu thun.

Man ſieht, wie alle Elemente und Verbrechen, welche ebenſo wol im Geheimen die ſittlichen Grundlagen des ſocial-politiſchen Lebens erſchüttern, als auch offene, directe, verwegene, zerſtörende An - griffe auf dies Leben machen, in eine einzige große Maſſe vereinigt und wie ein fauler giftiger Kern von der harten undurchdringlichen Schale der hölliſchen Spieſſen oder Pennen umgeben ſind. Man werfe einen Blick auf die neuere deutſche Criminalgeſetzgebung, in welcher, wie kaum in einer andern Wiſſenſchaft, die ganze redliche deutſche Tiefe und raſtlos weiter ſtrebender deutſcher Fleiß ſich ſo herrlich offenbart: wie viel innern Grund hatte dieſe Geſetzgebung,22*340dem urſprünglich ſehr beſchränkten Begriff der Hehlerei eine immer weitere Ausdehnung zu geben, und endlich die ſtrengſten Strafbe - ſtimmungen dafür feſtzuſtellen, wie ja denn auch unter anderm §. 238 des preußiſchen Strafgeſetzbuchs1)Vgl. S. 449 fg. in Beſeler’s Commentar zum preußiſchen Straf - geſetzbuch , §. 237 240. Ferner §. 185, 214 u. 215 des öſterreichi - ſchen Strafgeſetzbuchs mit dem Commentare von Frühwaldt, Handbuch , I, 209 u. 323 fg., und von Herbſt, a. a. O., S. 379 fg. Ferner Sachſen §. 38, Baiern §. 85 u. 86, Hannover §. 303, Würtemberg §. 188, 343, 350 u. 360; Baden §. 142 145; Heſſen-Darmſtadt §. 87 91; Braun - ſchweig §. 47 und andere. Viel weiter geht noch der Code pénal, Art. 61 u. 62, welcher dem Begriff der Hehlerei gewiß die weiteſte Ausdehnung gibt, da er, mit Recht, den Hehler dem Verbrecher völlig gleichſtellt, und Art. 63 ſogar die Todesſtrafe, lebenswierige Zwangsarbeit und Deportation für die Hehler feſtſetzt: autant qu’ils seront convaincus d’avoir eu, au emps du recélé, connaissance des circonstances, auxquelles la loi attache les peines de ces trois genres (la peine de mort, des tra - vaux forcés perpetuité ou de la déportation). eine Zuchthaus - ſtrafe bis zu zehn Jahren zuläßt. Jn dieſer erwieſen hiſtoriſch nach und nach immer weiter gerathenen Ausdehnung des Begriffs und Strafmaßes der Hehlerei ſieht man auch die Steigerung und Propaganda der gauneriſchen Kunſt ausgeſprochen, aber auch zu - gleich die Vergeblichkeit alles pſychologiſchen Geſetzzwangs darge - legt, wo die Polizei in Geſchick und Mitteln zur Entdeckung der Hehlerei zurückgeblieben iſt. Gerade vor dieſem düſtern Herde, auf welchem das ganze Gaunerthum ſich centraliſirt und von welchem aus das Gaunerthum ſich mit dem geſammten ſocial-politiſchen Leben verbindet, um es zu beherrſchen und zu vergiften, gilt es vorzüglich, die concrete Jndividualität hinter ihrer Erſcheinung und in ihrem Verſteck zu erkennen, und dazu die Polizei in ihren Repräſentanten und Jüngern, durch tüchtige Aus - bildung, befähigter und gewandter zu machen.

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D. Die Paralyſe des Gaunerthums.

Einundneunzigſtes Kapitel. 1) Die franzöſiſch-deutſche Polizei.

Somit erblickt man das Gaunerthum als ein am ſiechenden Körper des Bürgerthums haftendes Uebel, welches ſeine Wurzeln tief in die offenen Wunden geſchlagen hat, und den ganzen Kör - per zu entkräften droht, wenn nicht die heilende Hand des Arztes bald hinzutritt und das Uebel gründlich zu heilen anfängt. Je inveterirter das Uebel iſt, deſto intenſiver und gefährlicher iſt es ſelbſt, und wiederum deſto hinfälliger und empfindlicher iſt der ſiechende Körper geworden, welcher die von wohlmeinender, leider aber oft ungeſchickter Hand geführte ſchmerzhafte Sonde ſchon nicht mehr dulden mag. Die Abneigung des Bürgerthums gegen die heutige Polizei iſt zu entſchieden ausgeſprochen, als daß ſie abgeleugnet oder ignorirt werden könnte. Je mehr aber das deutſche Bürgerthum, trotz ſo vieler und harter Prüfungen, die alte kräftige deutſche Volksnatur in ſich bewahrt hat, je würdiger und bedürftiger des Schutzes gegen das an ſeinem innern Marke zehrende gewerbliche Verbrechen dieſes deutſche Bürgerthum iſt, und je mehr dagegen die Polizei des 19. Jahrhunderts in Rückſtand gerathen iſt, deſto weniger darf man es abweiſen, einen kurzen Blick auf die Urſachen zurückzuthun, welche der Entwickelung einer, dem deutſchen Weſen entſprechenden Polizei im Wege ſtanden, und die auffallende Erſcheinung motiviren, daß gleichzeitig mit der neu - begonnenen tiefern philoſophiſchen Behandlung des deutſchen Strafrechts zu Anfang des 19. Jahrhunderts ein fremdartiges Polizeiſyſtem in Deutſchland aufzukommen verſuchen konnte, wel - ches dem deutſchen Weſen durchaus abhold iſt und niemals mit demſelben ſich verſtändigen wird. Dieſe Urſachen liegen ſchon in den Bewegungen des mittelalterlichen Lehnſtaats, welche eine reiche Belehrung geben, und die Verſchiedenartigkeit und den342 Gegenſatz des romaniſch-franzöſiſchen und germaniſch-deutſchen Elements recht deutlich zu Tage legen.

Zweiundneunzigſtes Kapitel. a) Der Widerſpruch zwiſchen der franzöſiſchen Polizeigewalt und dem Volke.

Wenn man mit prüfendem Blicke durch den Glanz, mit wel - chem die franzöſiſche Polizei ſich zu umgeben weiß, auf das Weſen dieſer Polizei tiefer eindringt, ſo findet man, daß in der Geſchichte dieſer Polizei das Volk überall kein zur Polizei thätig mitwirken - der Factor geweſen iſt. Man findet vielmehr das Volk beſtändig in einen unnatürlichen ſcharfen Gegenſatz gegen die Polizei ge - ſtellt, welcher nicht nur die naturgemäße Entwickelung beider Factoren gehemmt, ſondern auch beide in einem fortdauernden gegenſeitigen offenen Widerſtand und Kampf gehalten hat, deſſen Folgen für beide Theile von gleich ſchädlicher Wirkung geweſen ſind. Noch ehe die franzöſiſche Polizei durch Ludwig XIV. ihre abſolutiſtiſche Form erhielt, war ſie ſchon die mehrhundertjährige Geſchichte und Folge eines politiſchen Misgriffs, durch welchen Frankreich ein - für allemal ſeine Einſetzung als Land der Politik und Revolution erhalten hat. Als nämlich zu Ende des 11. Jahr - hunderts in ganz Frankreich die öffentliche Ordnung und Sicher - heit gerade durch die königlichen Beamten ſelbſt und durch den ſtraßenräuberiſchen Lehnsadel auf das äußerſte gefährdet war, und es kaum möglich ſchien, der Gewalt der weltlichen und geiſtlichen Herren Einhalt zu thun, ließ der ſchon ſeit 1092 zum Mitkönige er nannte Ludwig VI. durch ſeine Biſchöfe und Pfarrer die bürger - lichen, nach Kirchſprengeln eingetheilten Gemeinden zu den Waffen gegen den übermächtigen und unbändigen Adel rufen, und be - kämpfte den räuberiſchen Lehnsadel mit dieſer erſten eigentlichen Landwehr, welche mit freudiger Bereitwilligkeit gegen ihre bis -343 herigen Unterdrücker auftrat. 1)Auch gegen äußere Feinde wurden die Bürgerſchaften bald geführt, wie z. B. 1120 die Städte Abbeville, Amiens, Beauvais, Eſtampes, Laon, Soiſſons und Orleans gegen Heinrich V. von Deutſchland. Vgl. Hüllmann, Städteweſen , III, 8.Zum Lohne dafür verlieh der König dieſen Gemeinden das königliche Privilegium der bürger - lichen Gemeinheit, die communia, welche im Grunde kaum ein Privilegium genannt zu werden verdiente2)Die ertheilten Privilegien waren kümmerlich genug: Verbrecher und böſe Schuldner, welche ſich in die Gebäude, Höfe und Burgen geflüchtet haben, ſollen ausgeliefert werden. Weigert ſich deſſen die Herrſchaft, ſo iſt die Gemeinheit befugt, Rache zu nehmen an deren Gütern und Unterthanen. Jſt der Straffällige nicht Bürger, ſondern außerhalb der Stadt, in dem Ge - biete einer ſtädtiſchen Gerichtsherrſchaft anſäſſig, ſo wird dieſe zur Handhabung der Gerechtigkeit aufgefordert; bleibt dies vergeblich, ſo vertreten die Vorſteher der Gemeinheit den Kläger, und dürfen Anſtalt machen, daß dieſer an dem Vermögen des Uebelthäters ſich ſchadlos hält. Ebenſo ſtehen in der Bürger - ſchaft alle für einen, und ihre Beamten halten ſich an die Güter und Bauern eines Großen, wenn derſelbe einen von ihm verurſachten Schaden zu erſetzen ſich weigert. Verbrecher von geiſtlichem Stande ſollen von ihrem geiſtlichen Richter beſtraft werden; dazu ſollen die Vorſteher des Vereins denſelben an - halten. Das war alles, und wenig genug. Vgl. die Beſtätigungsurkunden und Verleihungsurkunden Ludwig’s VI. von 1128 für Laon, Philipp’s II. von 1182 für Beauvais, und von 1192 für St. -Quentin. Vgl. Hüllmann, Städte - weſen , III, 13., wenn ſie nicht die Aufhebung aller willkürlichen grundherrlichen Geldforderungen und die Ablöſung der drückenden dinglichen Verbindlichkeiten, nament - lich der Burgfrohndienſte, des Sterbefalles, der Zwangsheirathen u. ſ. w. zur Folge gehabt hätte. Um dieſen Preis gewannen die Könige die Unmittelbarkeit der Städte und die volle Reichs - hoheit über die großen unmittelbaren Reichslehnsgebiete, und zwar ſo bald und ſo entſchieden, daß unter anderm ſchon im Jahre 1183 der Herzog Hugo von Burgund für die Bürger von Dijon die Gemeinheit vom Könige erbat und zugeſprochen erhielt.

Die gegenſeitige üble Täuſchung offenbarte ſich aber ſehr bald. Mit den Waffen in der Hand war auch dem großen Hau - fen die Gelegenheit zur eigenmächtigen Selbſthülfe, Gewaltthat und zum Aufruhr gegeben. Die blutigen mörderiſchen Aufſtände344 gegen den Biſchof Waldrich von Laon, gegen den Grafen von Amiens, die Aufſtände zu Rheims und Sens, und viele andere Meutereien der Art gaben bald ein lautes Zeugniß von dem weſentlich durch Vernichtung des Adels heraufbeſchworenen Geiſte. Der rohen Maſſe fehlte bei dem Wegfall der Adelsmacht die ver - mittelnde Verbindung mit dem Königthum. Jn der unmittel - baren Berührung der Volksmaſſe mit dem Königthum bilde - ten ſich beide Factoren zum Gegenſatze aus. Das Volk mit den Waffen in der Hand war ſich ſeiner phyſiſchen Uebermacht als Maſſe bewußt geworden, und ſomit war die Ordnung verfallen, der innere Friede geſtört. Mit unerhörter Frechheit hauſten ſowol auf dem Lande als auch ſogar in den Städten mächtige Räuberbanden, wie die ſogenannten Dreißigtauſend Teufel, die Funfzehntauſend Teufel, die Wegelagerer, die Menſchenſchinder u. ſ. w., zum großen Theil unter Führung von Hauptleuten aus dem früher erſten Adel des Landes, wie z. B. Jourdain Dufaiti um 1325, welcher mitten in Paris ungeſtraft mit ſeiner Bande die frechſten Verbrechen be - ging, und die wildeſten Orgien in ſeinem Hotel mit ſeinen Spieß - geſellen feierte. 1)Ein anderer Räuberanführer, Aimerigor, der Schwarze, um 1418, welcher mehrere Schlöſſer in Limoufin und in der Auvergne beſaß, hauſte in der nächſten Umgebung von Paris und machte die frechſten Einfälle in die Stadt.Jn Laon, dem Hoflager des Königs, hatte der Haufe es gewagt, den in die Häuſer gelockten Landleuten mit Gewalt die Baarſchaft abzunehmen, ja ſogar den königlichen Stallknechten die zur Tränke geführten Pferde unter körperlichen Mishandlungen zu rauben. 2)Vgl. Hüllmann, a. a. O., III, 6.Die Entſittlichung und die Un - ſicherheit des Eigenthums wuchs im Verlaufe der Zeit mehr und mehr. Nicht einmal Ludwig IX., einer der edelſten Herrſcher, konnte auch nur einigermaßen die innere Ordnung und Sicherheit wiederherſtellen. Ludwig XI. hatte den Generalprofoß, ſeinen Gevatter , beſtändig in ſeiner Begleitung, und ſuchte unter der Schar der (von ihm maſſenhaft gehenkten) Zigeuner und Räu -345 ber ſeine vertrauteſten und geheimſten Kundſchafter. Auch der ritterliche Franz I. konnte die Räubermaſſe nicht bändigen; in den Hugenottenkriegen brach der Aufſtand des Räuberthums ärger und nachhaltiger als je hervor, und zu Anfang des 17. Jahrhun - derts beherrſchten unter und beſonders nach Heinrich IV. die Rou - gets und Griſons ganz Paris, ja ganz Frankreich, bis die ſpä - tere Polizeiorganiſation Ludwig’s XIV. die noch feinere und mäch - tigere Organiſation der Gaunerbanden des Cartouche und ſeiner Nachfolger in Paris und allen größern Städten Frankreichs her - vorrief, um mitten im Treiben des Hofs und des ſtädtiſchen Lebens ungeheuere Ausbeute zu machen.

Bei dieſer Entſittlichung des Volks und der Zerfahrenheit der ſocial-politiſchen Verhältniſſe ſchien eine Bändigung der Maſſen nur durch die abſolute Gewalt möglich, welche denn auch, namentlich bei dem Wegfall einer natürlichen würdigen und ver - mittelnden Stellung des Adels, zur Politik des Königthums wurde, das ſich ſtets in ſtarkem Gegenſatz gegen das Volk hielt, und Volk und Adel ſo gleichmäßig herunterbrachte, daß man es für eine, wenn auch nicht ſittliche und volksthümliche, doch für eine augenblickliche politiſche Rettung beider halten mußte, wenn Ludwig XIV. mit ſeiner glänzenden Herrſcherindividualität der Jahrhunderte hindurch zwangsmäßig angebildeten Nationalſtim - mung einen formellen objectiven Ausdruck gab, und das autokrate Königthum durch die Perſonification und Jndividualiſirung des Staats im Könige mit einer bis dahin unerhörten Sicherheit der Form proclamirte. Bei dem kümmerlichen Jnhalt der ſtädtiſchen gemeinheitlichen Verwaltung war es ſcheinlich nur wenig, was der König durch das Edict von 1667 zunächſt der, als königliche Hauptſtadt vor allen Städten des Reichs noch bedeutend mit ge - meinheitlichen Einrichtungen bevorzugten Stadt Paris nahm; aber ſehr viel, was er dem Polizeilieutenant in die Hand gab, indem er dieſem die geſammte Polizeigewalt übertrug, und in die einzige Perſon dieſes erſten königlichen Beamten centraliſirte. Jn dem blendenden Glanze des Königthums und der von Ludwig XIV. mit ſo vielem Glücke herangezogenen Jntelligenz blieb, trotz der346 anfänglich kümmerlichen Bewegung dieſer neuen königlichen Polizei, der Umſtand unbeachtet, daß dieſe Polizei mit der freilich ſchon lange arg verkümmerten, aber immer noch rettungsfähigen fran - zöſiſchen Volksthümlichkeit in ebenſo grellem Widerſpruch ſtand, als ſie dem abſoluten Königthum zu entſprechen ſchien, und daß die Stellung des güterärmern Adels, welcher beſonders mit der Verwaltung bedacht wurde, nichts anderes war, als die Miniſteria - lität der alten fränkiſchen Könige in einer neuen gefährlichen Auflage. So trat die franzöſiſche Polizei nicht als befreundete ſegensvolle Ordnung in das Volk hinein, ſondern fremd und feindlich dem Volke gegenüber1)Auf die Zerrüttung im franzöſiſchen Staatsweſen wies Helvetius in ſeinem Buche De l’homme hin, behauptend, Frankreich könne nur durch eine Eroberung gerettet werden, denn die Form der Verwaltung und der Po - lizei führe unfehlbar un abrutissement total. Vgl. Schloſſer, Geſchichte des 18. Jahrhunderts , II, 534. Rouſſeau ſchrieb 1760: Nous appro - chons de l’état de crise et du siècle des revolutions. Vgl. B. J. B. Buchez und P. C. Roux, Histoire de la revolution française , I, 161. Der frivole Voltaire, im Gefühl des Ruins, den er ſelbſt ſo gewaltig her - beiführen half, ſchrieb am 2. April 1764 an Chauvelin: Tout ce que je vois, jète les semences d’une revolution, qui arrivera immanquablement, et dont je n’aurai pas le plaisir (!) d’être témoin. Vgl. Wachsmuth, Ge - ſchichte Frankreichs im Revolutions-Zeitalter , I, 4., wie im Jahre 1852 ein deut - ſcher Polizeimann, ſo unwahr wie ſchmachvoll, auch von der deut - ſchen Polizei ſagte, daß die Polizei nun einmal ihrer Natur nach in ſtetem Kriege mit jedem Einzelnen im Staate lebe! Dieſe Verwaltung Ludwig’s XIV. war nicht anders vorgebildet und nothwendig geworden als durch das mehrhundertjährige Streben der Könige nach abſoluter Gewalt. Dieſe Verwaltungs - form war eine rationell conſtruirte Erfindung der Politik; ſie hatte bei ihrer Einſetzung kein anderes Leben als das königliche Werde, und keinen weitern Lebensunterhalt, als im geheimen Wucher der Bureaukratie, die wie ein giftiges Gewächs heimlich durch alle Fugen und Mauern des Staatsgebäudes ſchlich und den Verband des ganzen Gebäudes lockerte. So konnte dieſe Polizei nicht einmal der vor ihren Augen in allen Schichten des347 Volks wuchernden Sittenloſigkeit, zu welcher König und Adel freilich das ärgerlichſte Beiſpiel gab, und welche auch, wie ein Gifthauch, über die Grenzen Frankreichs nach Deutſchland hinaus - drang, an ihrem Herde einigermaßen entgegentreten; ſie konnte nicht die grenzenloſe materielle Noth des Volks lindern, konnte nicht ſeine ſpätere Erhebung zur Revolution, nicht den Königs - mord verhindern, und wußte nach ihrer Wiedereinſetzung auch nicht den ſpätern Revolutionen vorzubauen, weil ſie niemals gerade und tief mit der Stammwurzel in den Boden der Volks - thümlichkeit gefaßt hatte, ſondern ſtatt deſſen ſich dazu verſtehen mußte, mit den tauſendfach feinen dürren Wurzeln der geheimen politiſchen Polizei unter der Oberfläche des kahlen Bodens entlang zu kriechen, der bei jedem raſch hingeworfenen Zündſtoff wie bei einem Heidebrand in Flammen geräth, die ganze Strecke ver - ſengt und doch nicht einmal durch die Aſche den Boden frucht - barer macht!

Dreiundneunzigſtes Kapitel. b) Das Verſtändniß des deutſchen Bürgerthums mit der Polizeigewalt.

Ein ganz anderes Bild bietet Deutſchland dar, in welchem die natürliche Ausbildung des deutſchen Volksweſens, wenn auch vielfach geſtört, doch niemals ganz unterdrückt worden iſt. Durch das Wiederaufblühen der herzoglichen Macht, welche, an Stelle der abſoluten Lehnsmonarchie Karl’s des Großen, unter ſeinen Nachfolgern weſentlich die Umwandlung dieſer monarchiſchen Regierungsform in eine ariſtokratiſch-monarchiſche förderte, und ſich theils durch Bedürfniß des Schutzes gegen die Grenzfeinde, theils durch die in der Verſchiedenheit der Stämme gegründete Anhänglichkeit an einen Stammfürſten als nothwendig und natur - gemäß herausſtellte1)Vgl. Dittmar, Geſchichte , Bd. 3, Heft 2, S. 36., ſowie beſonders durch das Recht der Her -348 zöge, den Heerbann ihres Landes aufzubieten und die Landtage zu berufen, auf denen ſie Vergleiche ſchließen und Recht ſprechen konnten, wurde die regierende Gewalt auf die verſchiedenen ein - zelnen Staaten vertheilt, ſodaß das Königthum in Deutſchland niemals zur vollen Entwickelung kam1)Der gewaltige Heinrich III. (1039 1056), welcher die Königsmacht zur höchſten Blüte brachte, ſtarb zu früh für die Durchführung des deutſchen Kaiſerthums. Sein Tod brachte einen ganz andern Umſchwung der Dinge hervor., dafür aber die innere Entwickelung des deutſchen Weſens und Lebens bedeutend geför - dert wurde. Die ſichtliche Zunahme dieſer herzoglichen Gewalt machte es zur Politik der Ottonen, die meiſten Herzogsſitze mit ihren Verwandten zu beſetzen, und dazu die Pfalzgrafen aufzu - ſtellen und Markgrafen einzuſetzen, durch welche Politik die her - zogliche Macht zwar zeitweiſe mit dem Kaiſerthum in eine ſtützende Verbindung gebracht, aber auch innerlich nur noch mehr gekräftigt wurde, beſonders unter den ſchwachen Kaiſern in kräftiger Selb - ſtändigkeit hervortrat, und ihren weſentlichen Widerſtand nicht in der Kaiſermacht, ſondern, gleich dieſer, in der raſch emporſtreben - den Gewalt der beſonders ſchon durch die Ottoniſche Politik eben - falls mit bedeutenden Jmmunitäten und Grafſchaftsrechten be - lehnten Geiſtlichkeit fand. Es iſt bereits im hiſtoriſchen Ab - ſchnitte die Rede geweſen von dem Wetteifer, in welchem Hierarchie und Lehnweſen neben -, gegen - und wiederum mit einander jene Unzahl von Formen ſchufen, deren Durchführung und Geltend - machung auf Koſten der Volksnatur den weſentlichen Jnhalt der Geſchichte des Mittelalters ausmacht, ſowie von der Feſtſetzung des deutſchen Weſens in den Freien Städten, welche damit viel - mehr zu Palatien dieſes deutſchen Volksweſens als der Kaiſer - macht wurden, und dies Weſen retteten und pflegten. Neben der Protection der Freien Städte von Seiten der Kaiſer erſcheint die Reichspolizei als ein, vielleicht nicht ohne Hinblick auf Frankreich gemachter, politiſcher Verſuch einer feſtern Centraliſirung der deut - ſchen Macht zur Verſtärkung des geſchwächten Kaiſerthums, wozu349 das politiſche Jnſtitut des Markgrafenthums und Pfalzgrafenthums nicht mehr ausreichte. Wie dieſer Verſuch mislang, zeigt die Ge - ſchichte. Das Kaiſerthum mußte ſeine Hoffnung auf die Reichs - polizei ſofort aufgeben, weil die Reichspolizei ſchon nicht mehr als einfacher kaiſerlicher Jmperativ, ſondern nur als flaues Reſultat eines ſchwerfälligen Transactes mit dem Reich erſcheinen konnte. Wie verworren aber alle politiſche Verhältniſſe, wie gewaltig die Ereigniſſe und Bewegungen waren, welche das deutſche Reich er - ſchütterten, überall ſieht man das Volk mit ſeiner klaren Treue vor und mit ſeinem Fürſten ſtehen, überall mit ſeiner Anhänglich - keit an dem Adel halten, dem es ſeine Stellung bewahrte und als ſocial-politiſchem Factor eine würdige Ausbildung ermöglichte, wie keine andere Nation ſich rühmen kann. Niemals hat die deutſche Volkspoeſie, dieſer zuverläſſige Ausweis des herrſchenden Volks - geiſtes, aufgehört, die deutſche Treue und Heldenſchaft zu feiern. Selbſt in der bedenklichſten Zeit der Bauernkriege blieben die Stimmen laut, und die fliegenden Blätter jener Zeit ſind ein redender Beweis von dem Geiſte, welcher das deutſche Volk be - ſeelte, und von der Fremdartigkeit des Dämons, der von Weſten her nach Deutſchland hineinblickte und zum erſten mal Einzug zu halten drohte. Das deutſche Volk ſah nicht auf ſeine bunten Territorien, ſondern concentrirte den Blick auf den Landesherrn, ſuchte und fand in ihm ſeinen Hort, und befolgte nicht nur ohne Mäkeln und Widerſtand ſeine Anordnungen, ſondern unterſtützte ſie auch bereitwillig, weil es ſeinen Schutz, oder zum mindeſten den guten Willen dazu, in ihnen erblickte. Bei dieſer gegenſeitigen Hingebung fand ſpäter Fürſt und Volk in Deutſchland die künſt - liche Polizei Ludwig’s XIV. bedenklich, weil ſich mit ihr zugleich auch ihre brutale Gewalt, die ganze franzöſiſche Flachheit und arge ſittliche Verderbniß zeigte, welche das Volk unter dem glat - ten, leider aber auch hier und da an die deutſchen Höfe gelang - ten Glanze mit unbefangenem Blick erkannte. Von dem Be - dürfniſſe getrieben fing die ſtets Gründlichkeit erſtrebende deutſche Gelehrſamkeit an, das bislang nur als ein Ausfluß der Gerichts - barkeit angeſehene und herangebildete Polizeirecht auf Grundlage350 des gemeinen Rechts zu bearbeiten, ohne auf das vorhandene, durchaus eigenthümliche, reiche geſchichtliche Material Bedacht zu nehmen. 1)Treffend charakterifirt G. Zimmermann, ( Weſen u. ſ. w. der moder - nen Polizei , S. 30 fg. ) die verſchiedenen Richtungen, welche Juſti, Sonnen - fels, Jacob, Berg und Fiſcher einſchlugen.Dieſe wiſſenſchaftlichen Bearbeitungen blieben jedoch ohne weſentlichen Einfluß auf die Polizei, welche aber, immer von dem praktiſchen Bedürfniß getrieben, nach wie vor mit faſt wunderbarem Takt und glücklichem deutſchen Jnſtinct in der Po - lizei geſetzgebung das deutſche Weſen der Polizei aufrecht zu halten wußte2)Bezeichnend und denkwürdig bleibt immer die bekannte Aeußerung Friedrich’s des Großen, als der Polizeidirector Philippi ihm das entſittlichende Weſen der geheimen franzöſiſchen Polizei im Gegenſatz zur deutſchen dar - ſtellte., wobei vorzüglich das aus allem Ungemach immer wieder neu und kräftig erſtehende Oeſterreich das merkwürdigſte Beiſpiel gab, während auch Preußen in derſelben unzerſetzten Kraft gegen Ende des vorigen Jahrhunderts mit bewunderns - würdiger Energie und im ſchneidenden Contraſte mit den Opera - tionen der franzöſiſchen Behörden die erfolgreichſte Jnitiative gegen die rheiniſchen Räuberbanden, zur wahren Ehre der deutſchen Polizei und Juſtiz, zu ergreifen vermochte.

Vierundneunzigſtes Kapitel. c) Die Verſetzung der deutſchen Polizei mit der franzöſiſchen Polizei.

Mit den Napoleoniſchen Eroberungen in Deutſchland machte aber auch die franzöſiſche Polizei eine mächtige Propaganda in Deutſchland. Sie beherrſchte nicht nur die eroberten Theile Deutſchlands, ſie reichte mit der heimlichen Gewalt ihrer tauſend - fach verzweigten Polypenarme auch gerade noch dahin, wohin die franzöſiſchen Waffen ſelbſt nicht gelangten; ſie konnte, wie durch351 eine nekromante Beſchwörung, ſelbſt den tief in die Bruſt ver - grabenen Gedanken einen lebendigen Ausdruck ohne Sprache ent - locken. Die Bureaukratie der franzöſiſchen Polizei war eine gegen das Leben ſogar des franzöſiſchen Volks ſelbſt völlig abge - ſchloſſene Körperſchaft, wie viel mehr abſolutiſtiſcher zerſtörender Gegenſatz gegen das deutſche Volkselement, wie niemals ein ſolcher dem deutſchen Volke fremd und feindlich ſich gegenüber ge - ſtellt hatte. Sie war ein politiſches gewerbliches Gaunerthum in ihrer Art, mit einer eigenen verſteckten Kunſt, allzeit zu dem per - fiden Miſſionsdienſt bereit, zu welchem die befehlende Gewalt ſie rief, von tiefer Entſittlichung und verrätheriſcher Falſchheit durch - zogen, aber von furchtbarer abſoluter Gewalt beherrſcht und zu - ſammengehalten. So wenig man dieſe Polizeigewalt in ihrer infernalen Rührigkeit äußerlich bemerkte, ſo wenig hatte man eine Ahnung von ihren hölliſchen Mitteln; man vermochte nur zu er - ſtaunen über ihre Erfolge, und glaubte deshalb an ihre ungeoffen - barte innere Tüchtigkeit, ohne zu beachten, daß eben dieſe fran - zöſiſche Polizei aus ihrem Schoſe mit erſtaunlicher Fruchtbarkeit ein eigenes adminiſtratives Proletariat gebar, das im Schlamme tückiſcher Servilität erzogen und gehalten, nach oben und unten eine Zerſetzung aller göttlichen, menſchlichen und politiſchen Bande bewirkte. 1)Wer mit großer Wahrhaftigkeit, Treue und Genauigkeit dargeſtellte frappante Beiſpiele davon leſen will, der möge das bereits erwähnte Werk des Paſtor M. C. Klug zur Hand nehmen: Geſchichte Lübecks während der Vereinigung mit dem franzöſiſchen Kaiſerreiche (Lübeck 1856 57).

Als die franzöſiſche Polizei mit den franzöſiſchen Waffen aus Deutſchland gewichen war, trat es deutlich zu Tage, daß, wie in vielen deutſchen Verwaltungen, ſo auch ganz beſonders in der Polizei das unleugbar richtige Princip der Centraliſation, nach dem Vorgange der franzöſiſchen Polizei, überall in Deutſch - land Wurzel geſchlagen hatte, wenn auch die entſittlichende Praxis und Weiſe der franzöſiſchen Polizei dem deutſchen Sinne durchaus nicht zuſagte, vielmehr ihm immer fremd blieb. Die Centrali -352 ſation verlangte praktiſche Beweglichkeit, ohne daß ſie in Deutſch - land über geübte bewegliche Talente hätte gebieten können. So war denn auch in Deutſchland die Bureaukratie erſtaunlich ſchnell, und ganz beſonders in der Polizeiverwaltung, aufgeſchoſſen, und bot dem klaren prüfenden Blicke die unverborgene Erſcheinung dar, welche in ſtürmiſcher Entrüſtung, aber mit dem ganzen Tiefblick ſtaatsmänniſcher Weisheit, der edle Miniſter von Stein darſtellte: Wir werden , ſagt er, von beſoldeten buchgelehrten, intereſſen - und eigenthumsloſen Bureauliſten regiert; das geht ſo lang es geht. Dieſe vier Worte enthalten den Geiſt unſerer und ähnlicher geiſtloſer Regierungsmaſchinen: beſoldet, alſo Stre - ben nach Erhaltung und Vermehrung der Beſoldeten und Beſol - dungen; buchgelehrt, alſo lebend in der Buchſtabenwelt und nicht in der wirklichen; intereſſenlos, denn ſie ſtehen mit keiner den Staat ausmachenden Bürgerklaſſe in Verbindung, ſie ſind eine Klaſſe für ſich die Schreiberkaſte; eigenthumslos, alſo alle Bewegungen des Eigenthums treffen ſie nicht. Es regne oder ſcheine die Sonne, die Abgaben ſteigen oder fallen, man zerſtöre alte hergebrachte Rechte oder laſſe ſie beſtehen, alles küm - mert ſie nicht. Sie erheben ihren Gehalt nur aus der Staats - kaſſe, und ſchreiben, ſchreiben im ſtillen, in ihren mit ver - ſchloſſenen Thüren verſehenen Bureaux, unbekannt, unbemerkt, unberühmt, und ziehen ihre Kinder wieder zu gleich brauchbaren Staatsmaſchinen heran.

Nur in ſofern und nur in ſoweit war auch das franzöſiſche Polizeiſyſtem vollendete Thatſache in Deutſchland geworden, ohne irgendwo anerkannt und recipirt worden zu ſein. Jn dem Kampfe mit den entſittlichenden Elementen, welche die franzöſiſche Herrſchaft in Deutſchland abgelagert hatte, ſchien die Noth der deutſchen Polizei durch eben die behende franzöſiſche Polizei ge - hoben werden zu können, welche doch ſoviel zur Förderung der Entſittlichung im geheimen beigetragen hatte. Der erſte Nothgriff war ein glücklicher Griff: man richtete die Gensdarmerie nach dem Muſter der franzöſiſchen wieder her, und konnte mindeſtens damit die Räubergruppen, freilich erſt nach langem Kampfe, zerſprengen,353 wenn auch nicht ausrotten. Man ſchickte aber dann Polizeimän - ner nach Paris, um die franzöſiſche Polizei zu ſtudiren und eine analoge Polizei in Deutſchland herzuſtellen, ohne mit ganzer Ge - walt auf die in der Vergangenheit liegende reiche und belehrende Geſchichte der deutſchen Polizei zu verweiſen, ohne mit ganzer Gewalt den Gedanken aufrecht zu halten, daß in Deutſchland die kräftige deutſche Volksnatur unvertilgbar und unverloren obenan - ſteht, und ſelbſt nach Schutz und Ordnung verlangt, und zu ihrer Förderung bereit iſt, während in Frankreich die ſchon lange durch mehrhundertjährigen Abſolutismus in ihrer freien Entwickelung gehemmte Volksnatur durch die volksfremde und ſogar volksgegne - riſche Polizei Ludwig’s XIV. ſyſtematiſch herabgedrückt und in einen trüben Gährungsproceß verwieſen war, in welchem natur - gemäß die Feſſeln periodiſch geſprengt werden müſſen. Die deutſche Polizei täuſchte ſich nicht über den ſittlichen Werth der, wenn auch überaus verfeinerten und behenden Mittel der franzöſiſchen Polizei, und blieb rathlos, ungeachtet der vielen und beſten Rathſchläge, und ungeachtet die Polizei geſetzgebung mit treffendem und rich - tigem Maß und Takt, und mit tiefer Erkenntniß des Volksbedürf - niſſes und der Aufgabe der Polizei ſich aufzumachen begann. Die Polizei erhielt ſich im Tumulte des Kampfes, in welchen ſie gegen die beſtändig gehäuftere und verfeinertere Verbrechermaſſe geriſſen wurde, immer als bloße Thatſache, und lernte in dieſer Praxis der Noth das Meiſte und Beſte begreifen. Bei dieſer viel - verſprechenden Regſamkeit glaubte ſich aber wieder die deutſche gründliche Gelehrſamkeit zur rettenden That berufen. Es wurde von Theoretikern ohne Praxis der Geiſt als Geiſt der Polizei dargeſtellt, den ſie begriffen. So kamen Definitionen, Theorien und Syſteme in die Welt, die eher auf eine viſionäre Jnſpiration zurückzuführen ſind, als daß ſie von einem tiefern Blick in die Wahrheit der Geſchichte und in das Leben des Volks Zeugniß geben könnten. Nicht einmal die als Thatſache vorhandene und vom beſten Willen beſeelte Polizei konnte von den Theoretikern als Erſcheinung richtig aufgefaßt, geſchweige denn in ihren hiſto - riſchen Grundlagen erkannt werden, bis der ſcharfſichtige geiſtvolleAvé-Lallemant, Gaunerthum. II. 23354Zimmermann mindeſtens die vorhandene Polizei als gegen - wärtige Erſcheinung unter dem richtig gewählten Namen der deutſchen Polizei des 19. Jahrhunderts auffaßte, durch ſeine geiſtreiche Analyſe zur objectiven Anſchauung brachte, dabei aber auch ausſprach und darlegte, wie nothwendig und möglich eine Reform der deutſchen Polizei ſei. Dieſe Nothwendigkeit und Möglichkeit, die deutſche Polizei aus ihrem unleugbaren Noth - ſtande zu retten, tritt erſt dann recht lebendig hervor, wenn man Zimmermann’s bedeutſame Erſcheinung mit der von ihm ganz verſchiedenen, aber mit ihm zuſammentreffenden, höchſt bedeut - ſamen Erſcheinung des genialen Riehl verbindet. Wie Zimmer - mann eine geiſtvolle Analyſe der Polizei des 19. Jahrhunderts dargeſtellt hat, ſo hat Riehl in ſeiner Naturgeſchichte des Volks das deutſche Volk in geiſtreichen Zügen gezeichnet. Jn beiden Darſtellungen erkennt man, was der gegenwärtige Befund beider Factoren, des Volks und der Polizei, Natürliches und Unnatür - liches behalten hat, und wie viel ſich verſtändigen und ausgleichen muß. Beide Darſtellungen enthalten zuſammen ſo viel poſitive und negative Elemente, daß ſie in ihrer nothwendigen und natürlichen wechſelſeitigen Berührung, wie in einem phyſikaliſchen Proceß, den leuchtenden Funken über die Geſchichte entzündet haben, in welcher die deutſche Volksnatur mit der ganzen Gewalt ihres chriſtlich-ſittlichen Weſens hervortritt, und deutlich zeigt und fordert, was die chriſtlich-deutſche Polizei zu bedeuten und zu gewähren hat.

2) Die Aufgabe der deutſchen Polizei.

Fünfundneunzigſtes Kapitel. a) Der allgemeine Nothſtand.

Sowol der Hinblick auf die Zahl der Verbrechen, welche ſich namentlich ſeit 1848 in grauenhafter Weiſe faſt um das Doppelte vermehrt, auf die ganze gegenwärtige Zeitrichtung, welche355 den roheſten Materialismus zu ihrem Götzen gemacht hat, durch die geſuchteſte Gelegenheit zum raffinirten Genuß aller Art das ſittliche und religiöſe Leben nahezu vernichtet, die Gefängniſſe und Jrrenanſtalten mit Jndividuen jeden Geſchlechts und Alters in ſchreckenerregender Weiſe anfüllt, und ſelbſt den directen Angriff gegen die geheiligten Jnſtitutionen des Staats und der Kirche unternimmt, daß nun auch das von der Borausſicht der Zerſetzung aller poſitiven ſocialen und politiſchen Elemente geängſtigte Bür - gerthum ſich zur innern Miſſion, zu patriotiſchen Geſellſchaften und Vereinen zuſammendrängt, um den zahlloſen ſittlichen Schä - den der Geſellſchaft entgegenzuwirken, deren Entſtehung und Fort - bildung die Polizei nicht zu hindern vermocht hat: alles dies, ſowie ganz beſonders noch die tröſtliche Wahrnehmung, daß wie ein trefflicher Hiſtoriker der Neuzeit ſagt1)Vgl. Dittmar, a. a. O., IV, 2, S. 1133. viele Re - gierende und Regierte ſich demüthigen gelernt und eingeſehen haben, wie ſehr ſie durch Misgriffe und Verſäumniſſe geſündigt hatten, und wie jedem Theile nach oben und unten, nach links und rechts die ernſteſte Buße noth thue : alles dies muß auch die Polizei zur ernſten Selbſtprüfung mahnen, damit auch ſie ihre Misgriffe und Verſäumniſſe erkenne, ſich demüthigen lerne, und es aufgebe, noch länger mit der kahlen äußern Gewalt zu prunken, anſtatt nach innerer Kraft und Geltung zu ſtreben, wäre es auch nur, ſtatt vieler, um der einen Thatſache willen, daß das zum Gewerbe erſtarkte Verbrechen, das Gaunerthum, dem Bürgerthum wie der Polizei über den Kopf gewachſen iſt.

Es gilt nicht, die vielen offenen und geheimen Schwächen der Polizei darzulegen, auf welche der redliche und erfahrene Po - lizeimann mit tiefer Kümmerniß blickt; es gilt auch vor allem nicht, das Geheimniß der geſchloſſenen Bureaux bloßzulegen, welche wie ſtark armirte Citadellen mitten in das ſocial-politiſche Leben hineingeſtreut ſind, mit metallenem und gemaltem hölzer - nen Geſchütz das Leben beherrſchen, und durch deren dumpfe Kaſe - matten ein trüber düſterer Tintenſtrom wie eine Lethe rauſcht, in23*356die eine Unzahl verkommener Schreibergeſtalten tauchen muß, um das Leben zu vergeſſen und endlich ganz berufsmäßig abzuſterben: es kommt allein darauf an, die Urſachen der Schwächen anzu - deuten, welche von vielen trefflichen Polizeimännern Deutſchlands ſchmerzlich empfunden werden, und welchen der einzelne nicht un - verzagt entgegenzutreten wagt, wenn ſie nicht zum allgemeinen Ausdruck kommen und von Allen gemeinſam angegriffen werden.

Sechsundneunzigſtes Kapitel. b) Die Aufrichtung von Lehrſtühlen des Polizei - rechts.

Während in Deutſchland es kaum irgendeinen Gewerbs - zweig, eine Kunſt und Wiſſenſchaft gibt, für welche nicht eine beſondere Lehranſtalt vorhanden wäre, gibt es gerade für die Polizei, welche doch in den ganzen Kreis aller ſocial-politiſchen Verhältniſſe hineinreicht, keine einzige praktiſche Lehranſtalt in Deutſchland. Kaum unternimmt es hier und da ein Profeſſor, eine Theorie der Polizei vom Katheder herab zu dociren, welche, wenn ſie auch die beſten und zutreffendſten Begriffe vom Weſen und der Aufgabe der Polizei dargeſtellt hätte, doch unfruchtbar bleiben mußte, weil der Abgang eigener praktiſcher Erfahrung des Lehrenden die Theorie nicht lebendig machen konnte. Die Polizei iſt vor allem die Wiſſenſchaft der Praxis, welche das Leben bis in ſeine feinſten Adern durchdringt, und aus zahlloſen Erfahrun - gen eine friſche und freie Theorie des Lebens zum Schutz des Lebens conſtruirt, gegen welche die abſtracte Theorie wie eine leere Beſchwörungsformel ſich verhält. Von der andern Seite hat es den Praktikern an Zeit und Muth gefehlt, den Lehrſtuhl zu be - ſteigen, von welchem der Nimbus wohltheoretiſirender Gelehrſam - keit ſchon manches tüchtige Talent zurückgeſchreckt hat, das oft auf eben demſelben Lehrſtuhl viel mehr genützt hätte als jene, hätte es auch nur einen einzelnen Zweig der Polizei, oder irgend -357 ein einzelnes Polizeigeſetz commentirt, und durch die Zuthat eigener praktiſcher Erfahrungen erläutert. Erſt durch die Veranſchaulichung, wie ein Geſetz ſich gegen das Leben verhält, wie das Geſetz im Leben als deſſen nothwendige Ordnung gefunden werden und gel - ten muß, wird das Geſetz dem Polizeimann ganz klar und faß - lich. Welche gediegene Bemerkungen, Winke und Rathſchläge haben gerade Männer wie Schäffer, Rebmann, Brill, Grolman, Schwencken, Stuhlmüller und andere, welche nur Praktiker waren, in ihren ſogar auf nur einzelne Gruppen beſchränk - ten Darſtellungen gegeben! Jhre Winke und Rathſchläge ſind die leitenden Grundſätze unſerer bisherigen Sicherheitspolizeigeſetz - gebung; ſie ſind noch immer die Träger unſerer ganzen heutigen praktiſchen Sicherheitspolizei! 1)Mit großer Meiſterſchaft ſind auch die Vorſchriften des Oberapellations - gerichtspräſidenten von Frankenberg zu Poſen, Ueber den erſten Angriff und das vorläufige Verfahren bei begangenen Verbrechen , aufgeſtellt. Vgl. Si - mon und Rönne, Polizeirecht des Preußiſchen Staats , II, 817 fg.

Es iſt die dringende Aufgabe der Staatsregierungen, dem drückenden Mangel durch Aufrichtung von Lehrſtühlen abzuhel - fen, von denen herab nicht etwa das Polizeirecht mit andern Ver - waltungszweigen vermiſcht, ſondern allein und ſelbſtändig für ſich gelehrt wird. Vom Katheder herab muß beſonders erſt der Blick auf die Geſchichte der Polizei fallen, um die deutſche Natur in ihrer Urweſenheit, in ihrer Verſtändigung und Sättigung mit dem Chriſtenthum, ſowie in ihrer dadurch unvergänglich geworde - nen innern Kraft zu erkennen, und in dem großartigen Leben und Walten dieſer Kraft die ſo eigenthümlichen Polizeiverfügungen in ihren articulirten und oft unarticulirt erſcheinenden, immer aber natürlichen Lauten als gewaltige Ordnungsrufe der Volksſtimme ſelbſt zu verſtehen. Daraus würde Weſen und Bedeutung der Polizei zum klaren Bewußtſein gebracht werden. Es gilt nur jetzt beſonders, den vielen tüchtigen Polizeimännern Deutſchlands Muth zu machen, den Lehrſtuhl zu beſteigen, ſobald eine Staats -358 regierung einen ſolchen errichtet hat. 1)Es ließen ſich ſchon nach Zimmermann’s Leitfaden ſehr füglich Vorleſungen halten. Oder wenn die Maſſe zu groß iſt, ſo müſſen vor der Hand einzelne Abſchnitte oder Zweige genügen, bis die Lehrmethode geläufiger geworden iſt. Nur ein Anfang muß gemacht werden, und zwar bald; denn das Bedürfniß iſt zu groß, als daß ein längerer Aufſchub thunlich und rath - ſam wäre!Jſt die Polizei erſt zu hiſtoriſch-wiſſenſchaftlicher Begründung gekommen, ſo wird von ihr aus auch auf das Criminalrecht und deſſen ganze Pflege ein ſehr bedeutender Einfluß ausgehen, und auch im Criminalrecht vieles zu einer lebendigern Anſchauung und Ausgleichung gebracht werden, was bei der bisherigen ſtreng rationellen Behandlung für Leben und Praxis ſtarr und unbeweglich geblieben, auch durch die dermalige Einführung der Geſchworenengerichte doch noch nicht ausgeglichen iſt.

Siebenundneunzigſtes Kapitel. c) Die Centraliſation und Repräſentation der Polizeigewalt.

Erſt dann, wenn eine ſolche Durchbildung mehr und mehr verbreitet iſt, wird die Polizei als ein in allen ihren Zweigen un - theilbar Ganzes erkannt, und die volle Nothwendigkeit ihrer Ver - einigung in eine Behörde und eine Perſon vollſtändig begriffen werden. Ohne dieſe Centraliſation iſt ihre Wirkſamkeit durchaus gelähmt und unfruchtbar. Die widerlichen, Zeit und Kräfte raubenden Competenzconflicte fallen in ihrer ganzen Plage auf das Bürgerthum zurück, und vereiteln alle beabſichtigten Erfolge der Polizei. Die Coexiſtenz mehrerer gleicher Behörden an einem Orte macht es gerade, daß die Polizei in ihrer Wirkſamkeit ge - hemmt, bloßgeſtellt und als läſtige koſtſpielige Penſionärin des Staats mit Abneigung vom Bürgerthum betrachtet wird. Die landesherrlichen Polizeiinſtitute ſtehen neben der magiſtratualen359 Polizei in den Städten immer im Nachtheil, weil ſie meiſtens nicht als Anfänge der ſo durchaus nothwendigen Centraliſation, ſondern mistrauiſch als abſolutiſtiſche Neuerungen betrachtet werden, welche leicht die alten, bewährten, volksthümlichen, ſtädtiſchen Einrichtungen aufheben könnten, ohne durch das Neue etwas Beſſeres herzuſtellen. Dieſe Abneigung findet zum Theil ihren Grund in der Wahrnehmung, daß die Regierungen, in richtiger Würdigung der Wichtigkeit, welche in der Stellung des Polizei - chefs liegt, ganz vorzüglich auch die äußere Stellung und Re - präſentation des Chefs in das Auge gefaßt haben, ohne jedoch dabei immer eine Garantie für die volle Ausbildung des Chefs als tüchtigen Polizeimannes finden zu können. Der Polizeichef muß nicht allein die volle Würde und Repräſentation des landes - herrlichen Abgeordneten haben, ſondern muß neben dem vollen Bewußtſein ſeiner Würde von echt chriſtlicher, ſelbſtverleugnender Geſinnung durchdrungen ſein, feinen politiſchen Blick und diplo - matiſchen Takt haben, die Jntereſſen des Landes, den Handel, die Künſte und Gewerbe überſchauen und beurtheilen können, und tiefe geſchichtliche und juriſtiſche, beſonders criminaliſtiſche Kennt - niſſe haben, um nicht blos äußerlich zu imponiren, ſondern auch das ganze Polizeigetriebe geiſtig beleben, tragen und fördern, und jeden, auch den geringſten Beamten ſelbſt anweiſen und belehren zu können. Die bloße äußere Repräſentation gibt der Stellung des Polizeichefs immer etwas Figurantes, wie ſehr ſie auch ſonſt noch von der verleihenden Gewalt gefördert und gehoben werden mag, während bei dem auch nicht durch Adjunctur und Subſtitution zu ergänzenden Mangel an wahrem und tiefem polizeilichen Wiſſen und Geſchick alle übrigen Theile der Polizeibehörde, das heißt das Ganze, von ihm ſelbſt, und durch ihn auch von jener Ge - walt ebenſo abgeſchieden daſtehen, wie vom bürgerlichen Leben, welches dieſe ſeine Polizei wie ein koſtſpielig zu unterhaltendes künſtliches Uhrwerk betrachtet, das zahlreiche automate Figuren in Bewegung und durch ſein Klappern und Raſſeln das bürgerliche Leben in Schrecken ſetzt. Weſentlich liegt der Grund der vorhan - denen polizeilichen Defecte in der ſchlimmen fehlgreifenden Anſicht,360 daß ein jeder repräſentationsfähige oder dafür gehaltene Staats - beamte auch Polizeichef ſein könne, während in entgegengeſetzter Hinſicht die ernſte Wahrheit nicht immer genügend berückſichtigt wird, daß mit dem tüchtigen, gründlich gebildeten Polizeichef, welcher mehr iſt als Figurant, der Behörde die Seele genommen und der Organismus des ganzen Körpers zerſtört wird.

Achtundneunzigſtes Kapitel. d) Die Modification der militäriſchen Organiſation der Polizei.

Als ein ganz ſeltſamer Fehlgriff erſcheint die durchgehende militäriſche Organiſation der Polizei, welche ſchon als Civilbe - hörde ja doch nicht einmal unter Militärinſtanzen, ſondern unter Civilinſtanzen ſteht. Die doppelbündige hemmende Form flößt ſchon in der äußern Erſcheinung nicht nur dem Bürgerthum, ſon - dern auch ganz beſonders dem als eigenthümlichen Ehrenſtand ausgezeichneten Soldatenſtande eine ſo tiefe Abneigung ein, daß man zu Gunſten beider wünſchen muß, die Polizei mit dem Sol - datenthum und das Soldatenthum mit der Polizei zu verſchonen. 1)Ueber das Verhältniß beider weſentlich verſchiedener Factoren ver - gleiche man: Der Soldat als Beiſtand der Polizei u. ſ. w., von einem königlich preußiſchen Offizier (Weimar 1802); ferner die vortreffliche preu - ßiſche Jnſtruction für die Wachen in Hinſicht der von ihnen vorzunehmen - den vorläufigen Ergreifungen und förmlichen Verhaftungen vom 27. Juli 1850; Simon und Rönne, Polizeirecht des Preußiſchen Staats , Supple - mentband 2, S. 231 fg.Sie iſt eine entſchieden unfruchtbare Zwitterform, die man in keinem andern Verwaltungszweige auch nur ähnlich findet. Sie verdankt ihren Urſprung dem Princip der figuranten Repräſenta - tion, das in dem Streben nach Darlegung polizeilichen Vermög - niſſes, und in Ermangelung eines innern lebendigen und kräftigen Organismus die glänzende äußere ſoldatiſche Form und Disciplin wählte, dabei aber die Staatsdienſtkleidung nicht von dem Militär -361 rock unterſcheiden und die Waffe nicht ohne Soldaten denken konnte, auch nicht genugſam berückſichtigte, daß ſogar ſchon die hohen ſoldatiſchen Tugenden ſelbſt, wie z. B. die des blinden ſchweigenden Gehorſams, bei misverſtandenen oder nicht genau aufgefaßten Aufträgen oft die bedenklichſten Verlegenheiten und Gefahren hervorbringen können, wenn, wie das leider ſehr häufig der Fall iſt, der Befehligte nicht einmal einen Begriff von den gewöhnlichſten polizeilichen Verrichtungen hat. Das troſtloſe Uebel hat ſo tief Wurzel gefaßt, daß die leider ohnehin ſchon mit zahl - reichen verunglückten Bürgern, abgedienten Jägern und Lakaien, heruntergekommenen Schulmeiſtern, Comptoiriſten u. dgl. verſetzte untere Polizeibeamtenſchaft weſentlich aus abgedienten, zum Theil für den Militärdienſt ſchon abgängig gewordenen Soldaten ver - vollſtändigt wird, denen die bewegliche Polizeipraxis nach dem langjährig geübten ſoldatiſchen Mechanismus ſehr ſchwer fällt und ſehr ſelten geläufig wird. So wenig man vergeſſen darf, daß die Gensdarmerie in jener Zeit, da das Räuberthum in offe - nen bewaffneten Gruppen auftrat, allerdings erhebliche Dienſte leiſtete, ſo wenig darf man überſehen, daß dieſe Waffenmänner jene Räubergruppen nur weſentlich zerſprengten, und daß es nicht der ſoldatiſchen Taktik, ſondern der gelegentlichen polizeilichen Umſicht gelang, die verhältnißmäßig wenigen Räuber zur Haft zu brin - gen, welche von der Juſtiz unſchädlich gemacht wurden. Der militäriſche Organismus und Zwang ſteht der polizeilichen Be - weglichkeit gerade mehr im Wege, als daß er die polizeiliche Macht verſtärkte und förderte. Die vielen Vaganten und Ver - brecher, welche ſich oft viele Meilen weit von Dorf zu Dorf durch mehrerer Herren Länder durchſchleichen, ohne von einem Gensdarm angehalten zu ſein, ſind ein redender Beweis von der Unbeweg - lichkeit und Rathloſigkeit der heutigen Gensdarmerie, welche bei weitem mehr thun und leiſten würde, wenn bei einer neuen Or - ganiſation das militäriſche Element gegen das polizeiliche mehr zurückgeſtellt würde. 1)Die polizeiliche Thätigkeit läßt ſich ſchwer in den militäriſchen Formen

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Neunundneunzigſtes Kapitel. e) Die Reform der Bureaux.

Demſelben Principe der figuranten Repräſentation iſt es auch weſentlich als Schuld zuzubürden, daß in den Bureaux ſo unge - heuer viel Tinte und Papier vergeudet wird. Das Wort Acten iſt das große Loſungswort des Tags in den Polizeibureaux, in denen alles, hoch und niedrig, eifrig ſchreibt und ſchreibt, um darzulegen, wie mächtig das wenige, was practiſch geleiſtet iſt, gefaßt und der archivalen Unſterblichkeit übergeben wird. Alle haben eine Beſchäftigung, alle einen Druck, alle ſind ſich gleich: alle ſchreiben und machen Acten, um durch Acten alle geſunde, lebensvoll wirkende, friſche, organiſche Thätigkeit zu erſetzen!

Die Bureaux ſind die wichtigen. Stätten, durch welche die ganze polizeiliche Strömung geleitet wird, damit ſie wie ein fri - ſcher ſprudelnder Born in das geſammte bürgerliche Verkehrsleben fließe. Dieſe Strömung darf aber nicht in den Bureaux zur1)controliren. Jn den ſchriftlichen Rapporten über die Ronden und Patrouillen ſteht natürlich das viele nicht, was dem Gensdarm entgangen iſt. Auch gibt die Jſolirung der nicht durchgängig genau zu controlirenden Stationen Anlaß zur Trägheit und bodenloſer autokrater Grobheit, von der man erſt dann einen Begriff bekommt, wenn man einmal genauer danach forſcht, warum trotz der ſcharfen Polizeiaufſicht in den Städten noch immer ſo viele Vaganten frei auf den Landesgrenzen umherlaufen. Der Gensdarm, dem es an Geſchick und Luſt fehlt, einen angehaltenen Vaganten zu examiniren, oder an die weit entfernte Hauptſtation zu bringen, prügelt lieber den Vaganten über die Grenze, und verläßt ſich dabei auf die Discretion des Vaganten, der viel lie - ber ſich davonprügeln läßt, als daß er ſich einer langwierigen Unterſuchungs - oder Strafhaft unterzieht. Solche ſchmähliche Roheiten fallen, trotz ſtrenger Verbote, trotz der hier und da eingeführten Capturprämien, vor, und ſind lei - der durchaus nicht abzuleugnen. Aehnliche Exceſſe kommen aber auch bei andern Beamten vor, von denen man am wenigſten wirklichen Mangel an Er - ziehung und Abgang alles Anſtandes erwarten ſollte, zu deſſen Forderung min - deſtens doch jeder Mann von Erziehung und Bildung durchaus berechtigt iſt. Zu dem Rufe der Polizei als Herd der Grobheit haben Viele Bauſteine herbei - getragen.363 Stagnation und fauligen Verſumpfung gebracht werden, durch deren trüben und ungeſunden Niederſchlag ſich ſchädliche Miasmen bilden, und zunächſt die Beamtenſchaft und durch die Berührung mit dem Bürgerthum auch dieſes in ein bedenkliches Siechthum verſetzen. Offenkundig wird die polizeiliche Regſamkeit in den Bureaux durch das viele Schreiben und durch die maſſenhafte Actenfabrikation gehemmt. Doch iſt es gerade die polizeiliche Thätigkeit ſelbſt, welche am deutlichſten das Maß zeigt, wie weit und wie viel geſchrieben werden ſoll. Es iſt unmöglich, über die ganze täglich vorkommende Maſſe von Bagatellſachen förmliches Protokoll zu führen. Den Anhaltspunkt gibt die einfache That - ſache, die einfache ganz kurze ſchriftliche Berichterſtattung, an welche und auf welcher der Vorgeſetzte ſeine kurzen ſchriftlichen Notizen mit dem Abſpruch hinzufügt. 1)Dieſe herrliche Einfachheit iſt eine der Grundlagen, auf welcher die muſterhafte Polizei in Hamburg ſo außerordentlich viel leiſtet. Jeder active Subalterne hat über ſeine einzelnen Wahrnehmungen einen ganz kurzen Be - richt ich habe Berichte von 5 bis 6 Zeilen geſehen auf einen gebro - chenen Bogen zu ſchreiben, wobei auf Form und Stil nicht geſehen, ſondern nur die einfache klare Darſtellung der Thatſache gefordert wird. Auf dieſem Berichte ſelbſt, der die Grundlage der Verhandlung bildet, ſchreibt der Chef, ohne Beiſitzer und Protokolliſten, ſelbſt ſeine kurzen Notizen während der von ihm geleiteten Verhandlung, nebſt dem Abſpruch. Damit ſind die Acten erſchöpft. Jn dieſer ihrer Kürze liegt die ganze Verhandlung mit lebendiger Behendigkeit ausgedrückt, welche durch keine noch ſo weitſchichtige Protokollirung auch nur annähernd erreicht werden kann. So ſieht man mit Bewunderung durch einen einzigen Mann die geſammte Polizei in einer Welt - ſtadt voll ungeheuern Lebens und immer reger Bewegung gehandhabt. Der Chef ſelbſt, obſchon Mitglied des höchſten Staatskörpers, lebt mitten in der Polizei und mit ihren Beamten, denen er durch ſeine eigene geiſtige Belebung eine Friſche, Lebendigkeit und Rührigkeit mitten im bürgerlichen Verkehr zu verſchaffen weiß, welche auf den geſammten bürgerlichen Verkehr von dem heilſamſten Einfluß und auf das ganze Polizeigetriebe und auch auf den Chef ſelbſt von glücklicher Rückwirkung iſt.So viel und nicht mehr darf der Jnhalt der Polizeiacten ſein. Größere, ſchwerere und complicir - tere Sachen werden ſelbſtverſtändlich ausführlich und beſonders vom Chef oder ſeinen nächſten Mitarbeitern behandelt. Nur der364 alte verſauerte gerichtliche Schlendrian, welcher das Polizeiver - fahren von dem gerichtlichen noch immer nicht zu unterſcheiden weiß, oder Trägheit, oder auch die eitle Prunkſucht, hinter einem reichlich und feierlich mit möglichſt vielen Perſonen beſetzten Ver - hörtiſch zu figuriren, auf alle Fälle aber Mangel an polizeilichem Blick und Geſchick verlangt eine durchgreifende ausführliche Pro - tokollführung, wobei der dazu verurtheilte Beamte vergebens alle ſtenographiſche Fertigkeit erſchöpft und athemlos hin - und her - ſpringt, um die einfache, zur förmlichen criminalgerichtlichen Pro - cedur carrikirte Bagatelle an den von eitler Wichtigmacherei ihr künſtlich angeſetzten Polypenarmen zu faſſen, und ſpäterhin mit unverantwortlichem Zeitaufwande und ſauerer Mühe, einzig für das Archiv, eine unbrauchbare Maſſe von Protokollen aus dem Gedächtniß niederzuſchreiben, denen Wahrheit, Leben und Natürlichkeit mangelt.

Jn ähnlicher Weiſe hat das Ungeſchick der eiteln figuranten Repräſentation eine Menge von ſchwülſtigen und unnützen Schrei - bereien zur quälenden Beſchäftigung einer Maſſe unglücklicher Schreiber erfunden. Dieſe Schreibereien ſind unerſchöpflich und laſſen ſich nicht einmal allgemein, ohne ſpecielle Darſtellung und Analyſe der einzelnen Behörden und Bureaux aufzählen und re - giſtriren, da ſie die bunteſten Erfindungen der einzelnen Köpfe ſind und oft nicht einmal mit dieſen abſterben, ſondern häufig aus gewohntem Schlendrian oder ſchlaffer Pietät noch zu andern neuen curioſen Erfindungen beibehalten werden. 1)Den Uebelſtand hat man jetzt in Baiern begriffen und deshalb mindeſtens die Gensdarmerie ſoweit möglich von den vielen unnützen Schreibereien emanci - pirt. Es iſt aber auch die höchſte Zeit, die Polizei überall von dem ihr drohenden Papiererſtickungstod zu retten. Denn es iſt nur zu offenbar, daß bei dem Ver - laß auf das Niederſchreiben aller und jeder Kleinlichkeiten in ausgedehnteſter Weiſe, die Verhandlungen ſelbſt endlich bodenlos flach und leicht - fertig werden, und erſt nachträglich durch Gedächtniß und Hand des Pro - tokollführers Form und Halt gewinnen, worauf jedoch überall kein Ver - laß iſt.

Die Hin - und Herwirkungen dieſer vielen unnützen Schrei - bereien ſind für die Thätigkeit der Polizei im höchſten Grade365 lähmend und bedenklich. Die Maſſe und Monotonie des Schrei - bens hat auch auf die Jndividualität der Schreiber den nach - theiligſten Einfluß, und macht die Polizeibureaux zu wahren Sie - chenſtuben, in denen man Kranke in allen Formen, vom ſtumpfen Marasmus bis zur quicken Albernheit findet. Jeder Bureauliſt wird mit der Zeit vom Uebel inficirt. Jeder hat ſeine beſtimmte Jdioſynkraſie. Alle aber dünken ſich mehr als ſie ſind, und jeder hält ſich für den Wichtigſten. Die Concepte des Untergeordneten werden, um recht gründlich alle friſche Natürlichkeit auszumerzen, von den Vorgeſetzten wie die Arbeiten eines Schulknaben corrigirt, oft von einer Hand, welche nicht einmal ſelbſt der Sprache und Grammatik völlig mächtig iſt. Wehe dem Untergebenen, der eine richtige Correctur einer ſolchen falſchen Correctur oder auch nur eine beſcheidene Bemerkung wagte. Er hat ſich gegen ſeinen Vorgeſetzten vergangen!! Das iſt die ſtehende, myſtiſche, perfide, ekle Redensart, mit welcher alle rohe Gewalt der Vorge - ſetzten gegen den Untergebenen beſchönigt wird, und welche hin - wiederum das infernale Minirſyſtem tückiſcher intriguanter Ser - vilität gegen ſich provocirt, die von unten nach oben kriecht. So - lange nicht der Blick des Chefs mit ganzer und ununterbrochener Aufmerkſamkeit und ſcharfer Genauigkeit in die Bureaux fällt, ſo - lange er nicht ſeine eigene volle freie und friſche Geiſtigkeit und Lebendigkeit in alle ſeine Bureauſtuben hineinbringen kann, ſo lange darf er auch nicht hoffen, daß das giftige Miasma vor einer freiern Luftſtrömung weicht, daß der Bürger von verkommenen Bureauliſten nicht mehr auf die inſolenteſte Weiſe behandelt wird, daß der bei ſeinem elendkümmerlichen Gehalte der Beſtechung leicht zugängliche niedere Beamte nicht immer wieder eine Unzahl heimlicher Pflichtwidrigkeiten begeht, und der verkappte Gauner nicht nach wie vor ſeinen gefälſchten Paß mit kaum verhehltem Hohne den blöden Augen einer geiſtloſen Schreiberſchar in den Paßbureaux unangefochten zum Viſiren vorlegt. Wie viel Beſſe - rung, Belebung, Ermuthigung und Friſche ließe ſich in dieſe trü - ben widerlichen Bureaux hineinbringen, wenn der Chef mit edler offener Selbſtverleugnung ſeine Einrichtungen gewiſſenhaft prüfte366 und ſich nicht ſcheute, ſeine eigenen Fehler zu begreifen und zu beſſern!

Einhundertſtes Kapitel. f) Die Beſeitigung des Vigilantenweſens.

Eine nothwendige Folge des geiſtigen Erſtickungstodes in den Bureaux iſt das vergeblich abgeleugnete, immer aber noch ſtark umherwuchernde Vigilantenweſen. Der zum Wachen und Ent - decken commandirte Subalterne, welcher mit, oder vielmehr trotz ſeiner weitläufigen, tüchtig memorirten Jnſtruction ahnet, daß außer dieſem dürftig inſpirirenden Geiſte noch ein anderer Geiſt über der Sphäre der Jnſtruction ſchwebt, den das berufene Talent leicht begreift und dienſtbar macht, will dieſen Geiſt beſchwören, und greift nach der nächſten Erſcheinung, die er ſichtbar faſſen kann, nach dem Verbrechen ſelbſt. Er provocirt an Verbrecher, die unter dem ſchmachvollen Kunſtnamen der Vigilanten zur zwie - fachen Unthat des Verbrechens und des Verraths conceſſionirt und bezahlt werden, unter dieſer Aegide das Bürgerthum und die Polizei ſich unablöslich tributär machen und wiederum nach oben hin das Feuilleton zu den geheimen Conduitenliſten liefern, welche mit der Entlaſſung des unglücklichen Opfers der eigenen Unwiſſen - heit und Taktloſigkeit abſchließen. Das Vigilantenweſen iſt die dämoniſche Gewalt der Polizei. Sie beobachtet nicht einmal mehr den äußern Schein der Dienſtbarkeit, ſondern beherrſcht ihr Terrain mit ſchamloſem Abſolutismus. Sie ſpukt noch aus der franzöſi - ſchen Zeit in Deutſchland umher, und hat ſo tief um ſich gefreſſen, daß man ſie nachgerade öffentlich desavouirt, während der Geiſt im geheimen doch noch immer als spiritus familiaris beſchworen und dabei doch viel mehr vom Gaunerthum beherrſcht wird, als von der Polizei, welche ſich mit Entrüſtung von dieſem elenden Behelfe abwenden ſollte, der ſie mit Schmach bedeckt, und ihr den letzten Reſt des Vertrauens beim Bürgerthum nimmt.

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Einhundertunderſtes Kapitel. g) Die Geltung des Chefs und die Befähigung der Subalternen.

Es iſt bei dieſem in den Polizeibureaux herrſchenden ſchweren Siechthum eine tröſtliche, das ſittliche Gefühl erhebende und freu - dige Hoffnung erweckende Wahrnehmung, daß die deutſchen Staatsregierungen mit tiefer Einſicht und regem Eifer der ver - wahrloſten und nur noch mit großen Opfern aufrecht gehaltenen Polizei jetzt mehr als ſonſt ihre Aufmerkſamkeit zuwenden und dieſelbe überallhin, beſonders in wiſſenſchaftlicher und ſittlicher Hinſicht, zu heben ſuchen, damit friſches geiſtiges Leben und rüſtige Bewegung in die Polizei komme, und auch von oben herab ein belebender und weckender Strahl in die Bureaux falle, um den verblichenen Subalternengeſichtern wieder friſche Farbe und neuen Lebensmuth zu geben. Nach vielen bittern Erfahrungen und Enttäuſchungen iſt man endlich zu der Ueberzeugung gelangt, daß, wenn der Chef der Repräſentant des ganzen Polizeikörpers iſt, er auch als geiſtiger Träger, als wiſſenſchaftliche Leuchte, als vollendetes Muſter chriſtlich-deutſcher Geſinnung allen voran - ſtehen muß, damit das Ganze von dieſer ſeiner geiſtigen Helden - ſchaft getragen, genährt und gefördert werde, und jeder ſeiner Un - tergebenen frei und willkommen in das bürgerliche Leben hinein - ſchreiten, ſeine Hemmungen und Störungen beſeitigen und un - verloren aus ſeiner Strömung wieder zurückgelangen könne.

Der Mangel an geiſtiger Verbindung des Chefs mit den Untergebenen hat bislang der wünſchenswerthen ſchulmäßigen Be - lehrung und Ausbildung der Subalternen im Wege geſtanden, und ſelbſt nicht einmal die militäriſche Organiſation der Polizei hat auf den Gedanken geführt, wie in den vielen militäriſchen Schulen oder Unterrichtsanſtalten, ſo auch für die niedern Poli - zeibeamten einen entſprechenden Unterricht einzuführen, deſſen Theorie ja doch höchſt vortheilhaft von der Praxis begleitet und belebt wäre. Dieſe Einrichtung iſt ebenſo leicht zu treffen, wie368 ſie ein unabweisliches Bedürfniß iſt. Erfahrene Beamte haben zur Belehrung der jüngern Anfänger ſo viel lebendigen Stoff, daß auch nicht einmal zu befürchten iſt, der Unterricht könne irgendwie zur trockenen Schulmeiſterei ausarten. Bei dieſer Ge - legenheit muß die Maſſe der Jnſtructionen und Geſetze Allen er - läutert, und, da dieſe dann nicht blos memorirt, ſondern auch ihrem wahren Weſen und ihrer tiefern Bedeutung nach aufgefaßt wer - den, in Allen vergeiſtigt und ſomit in das ganze Polizeigetriebe ein höheres Leben hineingetragen werden, welches alles, was ſtarr und mechaniſch war, in geiſtige ſelbſtbewußte, ſelbſtändige Be - weglichkeit bringt. Die Errichtung beſonderer Polizeiſeminarien erſcheint unrathſam, da die polizeiliche Theorie durchaus nur in, aus und neben der Praxis ſelbſt Nahrung finden kann. Wol aber könnten Aufcultanten und Praktikanten zu den verſchiedenen Lehrklaſſen und auch conventionsmäßig die Beamten eines Lan - des zur Jnſtruction bei der Behörde eines andern Landes zeitweilig zugelaſſen und ausgetauſcht werden, wodurch Gang, Weiſe und Beſonderheit des einen und des andern Landes bekannt, das Nützliche adoptirt, das Unpraktiſche ausgeglichen, und ſomit eine allgemein bündige deutſche Polizeipraxis vorbereitet werden kann, welche ungemein noth thut, und wozu der Wunſch nach einer all - gemeinen deutſchen Centralpolizei ſchon laut geworden iſt: ein Wunſch, der mindeſtens ſo lange zu raſch erſcheint, bis die in deutlichen, aber noch ungeordneten Zügen ſich bewegende, unab - weisbar aber zum objectiven Bewußtſein ſich vorbereitende Wiſſen - ſchaft einer Geographie des Polizei - und Strafrechts ſich in klaren Grundſätzen ausgeſprochen hat.

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Einhundertundzweites Kapitel. h) Die Verſtändigung der Polizei mit dem Bürger - thum.

Man muß aufrichtig und unverhohlen ſich der Schwächen der Polizei als Urſache bewußt werden, wenn man die erſichtliche Unfruchtbarkeit ihres angeſtrengten Eifers überhaupt als Folge einer Urſache begreifen will. Jener der Polizei widerſtrebende dichte Abſchluß des bürgerlichen Lebens, in deſſen unzählige For - men das aus dem offenen Räuberthum geflüchtete Gaunerthum mit ſicherm Blick und feinem Geſchick überall hineinzuſchlüpfen gewußt hat, iſt die Folge der durch die theilweiſe Aufdrängung und Adoption des franzöſiſchen Polizeiſyſtems mehr und mehr veranlaßten Abweichung von dem volksthümlichen, volkslebendigen ordnungsſinnigen Charakter, welcher der deutſchen Polizei zu Grunde liegt, und ſogar ſchon in der germaniſchen Gauverfaſſung zu erkennen, auch beſonders in den gemeinheitlichen Einrichtungen und Statuten der Freien Städte zum hellen Ausdruck gekommen iſt. Jn jenen vielfachen ſtädtiſchen Einrichtungen ſieht man überall, wie der Bürger unmittelbar ſelbſt thätigen Antheil nahm an der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung, welche Theil - nahme ihm ſogar zur bürgerlichen Pflicht gemacht wurde. Von ſolchen bürgerlichen Officien ſind in den Freien Städten noch jetzt manche Ehrenämter vorhanden, wie z. B. in Lübeck die ſchon er - wähnten bewährten bürgerlichen Ehrenämter der Feuergreven, Medebürger und eine Menge Ehrendeputationen zu den verſchie - denſten Verwaltungszweigen. So ſehr war die überall früh zum Vorſchein kommende Polizei die unmittelbar aus dem Bürger - thum hervorgegangene, von ihm erſtrebte, beſchützte und geförderte Ordnung des ſocial-politiſchen Lebens ſelbſt, und ſo wenig ein abſtracter, rationell angeſehener und behandelter Verwaltungszweig, daß das mittelalterliche Formenweſen und der Scholaſticismus, welcher alles, was Wiſſenſchaft, Kunſt, Gewerbe oder Officium war, in mehr oder minder ſtarre zünftiſche Formen und Klaſſifi -Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 24370cationen zu bringen ſuchte, doch auf die Polizei ohne allen Ein - fluß blieb, wiewol das Streben der Magiſtrate nach einer ſolchen Klaſſification nicht zu verkennen iſt. Die Polizei war als natür - liche bürgerliche Ordnung in das bürgerliche Leben ſelbſt hinein - getragen, und wurde von deſſen ſocial-politiſchen Gruppen, be - ſonders von den verſchiedenartigſten zünftiſchen Corporationen, ge - handhabt und aufrecht erhalten, bis ſie ganz mit dieſem Leben verwachſen war. Dieſer Lebensproceß der deutſchen Polizei im deutſchen Bürgerthum hat die ſchönſten eigenthümlichen Tugenden deſſelben, Treue, Glauben, Offenheit und Argloſigkeit, bis zur Unvorſichtigkeit, weſentlich erhalten und gefördert, welche ſich jedoch an Stelle des frühern, ſelbſt den ſchneidigſten Polizeiordnungen willig ſich fügenden Gehorſams in Mistrauen und Abneigung bis zum ſittlichen Zürnen und offenen Widerſtand umwandelten, ſobald die deutſche Polizei ſich mit fremdartigen Elementen verſetzte, und durch ihre Ausbildung zur künſtlich conſtruirten Behörde ſich von dem bürgerlichen Leben mehr und mehr abſchied.

Die Aufhebung dieſer Scheidung und die Wiedervereinigung der ſo unnatürlich getrennten Factoren, des Bürgerthums und der Polizei, iſt die dringendſte und die wichtigſte Aufgabe der Gegen - wart. Jhr Aufſchub hat alle Mislichkeit noch vergrößert, und iſt ganz beſonders der Grund, daß das Gaunerthum überall in allen ſocial-politiſchen Schichten wuchert und die Polizei ihm dorthin nicht nachzufolgen vermag. Die Polizei geſetzgebung, welche die von Schäffer, Grolman, Rebmann, Falkenberg, Schwencken, Brill, Stuhlmüller, Eberhardt, u. a. gemachten trefflichen Vorſchläge gegen das Gaunerthum berückſichtigt hat, iſt ſo auffallend vorge - ſchritten, daß außer den ſchon berührten Mängeln kaum noch andere beſeitigt werden zu müſſen ſcheinen. Um ſo größer erſcheint aber auch hierin der Rückſtand der Polizeipraxis, welche billig ſich zu beſtreben hat, der trefflichen Polizeigeſetzgebung gleichzukommen, welche ihr ſo weit vorangeſchritten iſt.

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Einhundertunddrittes Kapitel. i) Die Verfolgung des Gaunerthums.

Der Mangel an genügender Erforſchung der eigentlichen Gaunerkunſt, die Unbeweglichkeit und Jſolirung der Behörden ſelbſt hat den Muth der Polizei zum friſchen directen Angriff auf das Gaunerthum weſentlich herabgedrückt. Man ſieht den Man - gel an gegenſeitiger Willfährigkeit, an Zuſammenhang und Unter - ſtützung der Behörden ſchon mit den nachtheiligſten Folgen in den erſten größern Gaunerunterſuchungen, wie z. B. in der celleſchen Unterſuchung gegen Nicol Liſt1)Bei Hofemann, Fürtreffliches Denkmahl u. ſ. w. (2. Aufl. 1701), S. 322 327. Kaum erklärlich erſcheint der gegenſeitige Widerſtand zwiſchen dem Magiſtrat zu Celle und dem Rathe zu Lübeck. Jn Celle, wo die Unter - ſuchung gegen Nicol Liſt geführt wurde, verlangte man zum Zweck der Con - frontation die Siſtirung des in Lübeck inhaftirten lübeckiſchen Schutzjuden Na - than Goldſchmid, welcher mit Vincenz Niclas, Nicol Liſt und Conſorten im Jahre 1694 dem lübeckiſchen Kaufmann Hübens 24000 Mark mittels Ein - ſteigens entwendet hatte. Lübeck verweigerte die Confrontation ſo hartnäckig, daß es nicht einmal den Goldſchmid nach dem nur drei Meilen von Lübeck entfernten Ratzeburg zur Confrontation mit dem von Celle aus dorthin ge - ſchickten Vincenz Niclas abſandte, der deshalb unverrichteter Sache nach Celle zurückgebracht werden mußte., in der koburgiſchen Unterſuchung gegen Emmanuel Heinemann ( Der entdeckte jüdiſche Baldower ), in welcher die Gaunerverbindung durch ganz Deutſchland bloßge - legt war, aber durch den Mangel an gegenſeitiger Verbindung und Unterſtützung der Behörden kaum bedroht, in keiner Weiſe aber beirrt wurde. Je mehr nun ſpäter das Uebel begriffen wor - den iſt, deſto mehr haben zwar die Behörden eine Einigung an - geſtrebt; aber dieſe durch Jahrhunderte hindurch verabſäumte Eini - gung iſt lange noch nicht ſo innig und feſt, daß ſie allen den un - geheuern Vortheilen auch nur einigermaßen entſpräche, welche das Gaunerthum, vermöge ſeiner Kunſt und ſeines innern Zu - ſammenhangs, und durch die Begünſtigung der vielen deutſchen Territorien und Grenzen beſitzt. Trotz der wohlbegriffenen innern24*372Noth, trotz dem beſten Eifer, fehlt es aber auch auf vielen Stel - len an wahrer Kenntniß des Gaunerthums, ſeiner Kunſt und ſeiner Repräſentanten. Daher erhält man auf Anfragen nach dem Aufenthalt und der Führung dieſes oder jenes Gauners die lei - dige Antwort, daß dergleichen hierorts nicht vorgekommen , oder bekommt die beſten Leumundszeugniſſe der Heimatsbehörden über Gauner, welche doch auf der That ertappt, aber klug genug geweſen ſind, in der Heimat ein ſcheinbar unbeſcholtenes Leben zu führen, um im Auslande deſto ärgere Gaunereien zu treiben. Auf der andern Seite hat man weder Muth noch Mittel, dem wuchernden Gaunerthum mit Nachdruck entgegenzutreten. So kommt es, daß ganz neuerlich der ſchon früher, freilich zur Zeit der offenen frechen Uebergewalt des Räuberthums und großen Rathloſigkeit der Polizei, von vielen, namentlich von Pfiſter, a. a. O., II, 7, gemachte Vorſchlag, zur Errichtung von Special-Gerichten oder eigenen Gerichtsſtellen für Räuber und Gauner, ohne Geſtattung eines Appella - tionszugs von denſelben , wiederholt laut geworden iſt. Abgeſehen von dieſer ſchlimmen Bloßſtellung der Polizei und von der Ungerechtigkeit eines ſolchen criminaliſtiſchen Standrechts, würde das Gaunerthum, wie das ja auch ſchon ſeine Geſchichte ſchlagend beweiſt, außerhalb der Grenzen ſolcher Specialgerichte nur deſto ärger und verwegener hauſen, wenn es überhaupt ſich darin irre machen ließe, ſogar auch unmittelbar unter den Augen dieſer Gerichte die Kunſt mit deſto größerer Keckheit und feinerer Vorſicht zu betreiben.

Ein gleich übles Kriterium für die Stärke des Gaunerthums und für die Schwäche der Polizei liegt endlich noch in den von Zeit zu Zeit von den Behörden eines Landes oder mehrerer be - nachbarten Territorien vorgenommenen gemeinſamen Streifen nach Gaunern, welche, wie ſchon der Name Taterjagd ausweiſt, eine alte Tradition des ſcheidenden Mittelalters ſind, und beſon - ders durch Titel 27 des Reichsabſchiedes zu Augsburg von 1500 veranlaßt ſein mögen, nach welchem ſich die Ziegeuner darauff hie zwiſchen Oſtern nechſtkünfftig aus den Landen Teutſcher373 Nation thun ſollen u. ſ. w., eine Verfügung, die mit denſelben dürren Worten noch oft vergeblich wiederholt worden iſt. Es gibt keine unbeholfenere und undankbarere Maßregel gegen das ſchlüpfend bewegliche Gaunerthum, als dieſe ungelenken nächt - lichen Hetzjagden, zu denen ſich lange Zeit vorher die Behörden verbinden, und auf welchen, wenn ſie auch nicht vorher durch das überall die polizeiliche Wirkſamkeit in Obacht und Schach haltende Vigilantenthum oder durch geſchwätzige und unvorſichtige Beamte verrathen ſind, in den Krügen, Mühlen und einſamen Hirten - und Tagelöhnerhütten nur ſehr wenig Jndividuen ſich finden laſſen, welche letztere man obendrein höchſtens nur als Vaganten, nicht aber als wirkliche Gauner in flagranti ergreifen und ſtrafen kann. Nur den gelegentlichen untergeordneten Vortheil gewähren die Taterjagden , daß ſie auf einige Tage das Geſindel in Be - wegung bringen, das aber auch, gewitzigt und meiſtens vorher gewarnt, ſich gerade für dieſe Zeit vom Lande in die belebten Städte flüchtet, in deren Krügen, Bordells und Kneipen eine gleichzeitige, unverdroſſene, mehrtägige und tüchtige Nach - ſuchung bei weitem größere Reſultate erzielt, als die umſtändliche Taterjagd auf dem ländlichen Revier. Zum Glück verſchwin - den dieſe holperigen Jagden überall mehr und mehr, wo die ein - zelnen Sicherheitsbehörden ihre Untergebenen zur vollen Wahr - nehmung ihrer Pflicht zu befähigen, anzuhalten und zu überwachen verſtehen. So kommt man immer wieder darauf zurück, daß ganz allein eine genaue Kenntniß der Gaunerkunſt und eine verſtändige Heranbildung tüchtiger Polizeibeamten das einzigſte und ſicherſte Mittel iſt, um dem Gauner überall in den Verſteck des bunt bewegten ſocial-politiſchen Lebens nachfol - gen zu können. Alles was von den tüchtigſten Praktikern und Schriftſtellern des erſten Viertels dieſes Jahrhunderts richtig und erſchöpfend zum Vorſchlag gebracht wurde ſpäter iſt kaum etwas Neueres und Beſſeres geſagt worden , alles was von der Geſetzgebung davon berückſichtigt wurde, läuft darauf hinaus, dem fertigen Gaunerthum eine fertige Polizei entgegenzu - ſetzen. Das erkennt man deutlich, wenn man die von jenen374 Praktikern, wie z. B. von Schwencken, Actenmäßige Nachrichten , S. 68 89, gemachten Vorſchläge, beſonders in ihrer Zuſam - menſtellung, durchmuſtert. Daher erklärt ſich auch die Be - ſtimmtheit, mit welcher der auf eigene und von andern gemachte Erfahrungen geſtützte Schwencken, a. a. O., S. 67, allein von dieſen Vorſchlägen heilſamen Erfolg ſich verſpricht. 1)Vergleicht man die Polizeibudgets zu Schwencken’s Zeit (1821) mit den um das vier - und ſechsfache gewachſenen Budgets der Gegenwart, ſo muß man es für ſehr discret halten, wenn Schwencken (S. 89) als ein - ziges Bedenken gegen ſeine Vorſchläge den Koſtenpunkt der erſten vier bis ſechs Jahre anführt. Der Glanz der jetzigen figuranten Repräſentation ver - ſchlingt die größten Summen, ohne daß das Weſen der Polizei ſeit Schwen - cken erheblich gefördert worden wäre. Deshalb iſt denn auch kein Budget bei Kammern und Ständen unliebſamer als gerade das Polizeibudget, und eben dadurch wird die Polizei nur noch immer mehr herabgedrückt.Es be - darf in der That keiner Neuerung, keiner außerordentlichen Maß - regeln gegen das Gaunerthum. Was zu thun iſt, das iſt längſt ausgeſprochen, und gerade darum wird an vielen Stellen ſogar eine Reduction des zahlreichen und koſtſpieligen Polizeiperſonals eintreten können und müſſen, ſobald eine tüchtige Schule und Organiſation der Polizei eingeführt, und ſomit der kräftigſte und kernigſte Widerſtand gegen das Gaunerthum geſchaffen iſt.

Einhundertundviertes Kapitel. 3) Die Gaunerunterſuchung.

Sowie man im Mittelalter den Eingang des Gaunerthums in das ſocial-politiſche Verkehrsleben wahrnimmt, ſo ſieht man auch zugleich, wie zunächſt das vom Betruge ausgebeutete Volk auf das Gaunerthum aufmerkſam, und dadurch erſt auch der rich - terliche Blick auf das Gaunerthum gelenkt und der Verbrecher ab - gethan wird, ſobald das Verbrechen vom Richter wahrgenommen und begriffen war. Sowie aber die Hierarchie alle freie friſche375 Lebensanſchauung durch eine Flut von Cultusformen, durch die ſtarken Feſſeln eines geiſtloſen Mechanismus unterdrückte und zu finſterm Aberglauben überführte, verſchwand auch der geſunde, unbefangene, richterliche Blick auf das Verbrecherleben, während doch gerade zu gleicher Zeit die Kunſt des Gaunerthums von einzelnen ſchärfer blickenden Köpfen deutlicher wahrgenommen und durch Sebaſtian Brant und den Liber Vagatorum offen dargelegt wurde. Die Gaunerunterſuchungen gingen gänzlich in die Hexen - proceſſe auf und unter. Mag man Hunderte von Hexenproceſſen leſen, ſo findet man doch in allen dieſelbe ſtereotype dürre Pro - cedur, dieſelben ſtehenden Fragen und, vermöge des kauſtiſchen Ue - berführungsmittels der Tortur, daſſelbe Geſtändniß, den Pact mit dem Teufel, während in jedem Proceß die zum Grunde liegende That doch eine ganz verſchiedene iſt, von der unſchuldigſten Spie - lerei, Gefälligkeit und Selbſttäuſchung an bis zum raffinirten Be - truge. 1)Von der unglaublichen Befangenheit aller Vernunft und Menſchlich - keit geben beſonders Johann Reiche’s Acta magica (Anhang zu den Un - terſchiedlichen Schrifften Vom Unfug des Hexen-Proceſſes , Magdeburg 1703) eine Menge trüber Zeugniſſe. Noch 1694 wurde wegen Mauſemachens ein Hexenproceß gegen die zehnjährige Ahlheit Ahlers angeſtellt, weil ſie in der Schule aus ihrem Schnupftuche eine mausähnliche Figur zuſammengeknotet hatte. Acta magica, S. 585 fg. Jn dem Proceſſe ſpricht (S. 609) der Fiscal aus, daß das zehnjährige Alter des Kindes daſſelbe weder vor der Jn - quiſition noch vor der Tortur ſchütze, da auch wider Kinder von zwei Jahren, welche der Zauberei beſchuldigt werden, inquirirt werden könne und müſſe . Auch bezieht er ſich auf Manzii decis 82, n. 27, 28 u. 29, wo - nach ein zwölfjähriger Knabe wegen Zauberei mit dem Schwerte abge - ſtraft worden u. ſ. w.Bei dieſer bornirten zelotiſchen Einſeitigkeit begriff das behende Gaunerthum ſehr leicht, wo und wie es ſich von der Juſtiz ferne zu halten hatte, welche ſich ſtets nur in demſelben mechaniſchen Fragencyklus bewegte, und mit der Tortur überführte, bis der freier und friſcher gewordene Volksblick wiederum das Gaunerthum deutlicher zu begreifen begann, und ſeine Kunſt und Erfolge in den vielen Anekdotenſammlungen und Schelmenromanen des 17. Jahrhunderts darlegte. Durch dieſe vom Volke aus -376 gehende Belehrung wurde die Juſtiz befähigt und ermuthigt, aus den verdumpften Gerichtsſtuben wieder heller in das Volk hinein - zublicken und ſelbſt wieder in Begriff und That beweglicher zu werden, von welcher Beweglichkeit die Unterſuchungen gegen die Banden des Nicol Liſt zu Celle, des Lips Tullian zu Dresden, des jüdiſchen Baldowers Emmanuel Heinemann zu Koburg die erſten ehrenvollen Zeugniſſe geben. Trotz dieſer vielverſprechenden Anfänge ſind die Gaunerunterſuchungen dennoch ſogar bis auf die neueſte Zeit immer als vereinzelte Unternehmungen ſtehen ge - blieben, welche von der temporären Noth und von dem Muth der Befähigung einzelner geboten und gewagt wurden. Ungeachtet der reichen Reſultate, welche alle dieſe vereinzelten Feldzüge gegen das Gaunerthum erbracht haben, iſt keine auch nur einigermaßen der Schlüſſigkeit der feindlichen Phalanx gleichkommende bündige Organiſation der Polizei dem Gaunerthum entgegengeſtellt wor - den, das vom ganzen ſocial-politiſchen Leben um ſo ſicherer ge - deckt wird, jemehr es der Polizei überhaupt verſagt iſt, in dies Leben einzudringen. Dieſer Umſtand iſt es beſonders, welcher den Jnquirenten die Luſt und Neigung zu den Gaunerunterſuchungen verleidet und ſolche troſtloſe Anſichten und Wünſche laut werden läßt, wie Wenmohs am Schluſſe ſeines Werks Ueber Gauner ausgeſprochen hat.

Doch gibt es kaum etwas Jntereſſanteres, als die rege geiſtige Lebendigkeit in einer Gaunerunterſuchung. Hier lernt man aber erſt recht begreifen, wie viel dazu gehört, ſich als Polizeimann und Jnquirent zur lebendig-wiſſenſchaftlichen Jndividualität heran - zubilden, wie viel Poſitives und Materielles dazu aus dem Leben beobachtet, erkannt und wiſſenſchaftlich verarbeitet werden muß, um mit ſicherer imponirender Haltung dem ſeit Jahrhunderten fortwuchernden, feſt geſchloſſenen, verbrecheriſchen Gewerbe ent - gegenzutreten. Trotz der gleichen Kunſt iſt doch jeder Gauner eine andere Jndividualität, jede Unterſuchung eine andere neue Lehrſchule, ja jedes Verhör deſſelben Gauners eine andere Pro - cedur und eine beſtändig neue reiche Belehrung, ſodaß man durch dieſe immer friſche Neuheit erſt recht die Vielſeitigkeit der Gauner -377 kunſt und Gaunerpolitik kennen, ſich für jeden folgenden Tag rüften und wahrhaft demüthigen und vor allem einſehen lernt, daß die geſammte Polizei eine ſo durchaus untheil - bare Wiſſenſchaft iſt, daß ſie niemals vollſtändig in einem Zweige begriffen werden kann, wenn man ſie nicht zugleich in allen Zweigen auf das genaueſte und ſorgfältigſte durchdringt, und daß es mithin eine vollſtän - dige Lähmung aller polizeilichen Thätigkeit iſt, wenn man ver - ſchiedene Polizeibehörden in einem Orte nebeneinander beſtehen läßt und jeder einzelne beſtimmte Zweige zuweiſt.

Es exiſtiren keine Lehrbücher über Gaunerunterſuchungskunde. Mit derſelben dankbaren Pietät, mit welcher man auf ein Ele - mentarbuch zurückblickt, aus welchem man die erſten Denkübungen gelernt hat, muß der zu Gaunerinquiſitionen berufene Jnquirent auf Handbücher, wie z. B. Jagemann’s Handbuch der Unter - ſuchungskunde zurückblicken, in denen er den erſten Rath und Anhalt fand. Aber dieſe Handbücher genügen nicht, wo nur ein genaues geſchichtliches Studium, die Kenntniß der geſammten Gaunerliteratur auch in ihrem reichen linguiſtiſchen Theile, eine tiefeingehende Kenntniß aller Gaunerkünſte und praktiſche Uebung und Erfahrung im Jnquiriren überhaupt die nöthige Belehrung und Befähigung geben kann. Es hilft daher nichts, daß man dicke Bände vollſchreibt, wie im Verhör dem Gauner beizukommen ſei. Nur ganz allgemeine Grundzüge laſſen ſich geben, wie man das durch eifriges Studiren und Forſchen und durch mannichfache Uebung im Jnquiriren Gewonnene dem Gauner gegenüber in Anwendung bringen muß.

Jn den drei vorhergegangenen Abſchnitten von der Reprä - ſentation, dem Geheimniß und der Praxis des Gaunerthums ſind die Mittel und Wege angegeben, die gauneriſche That und den Thäter zu erkennen und zu ermitteln. Selten gelingt es, den Gauner in flagranti zu ertappen. Er wird faſt immer nur als der That mehr oder minder verdächtig dem Jnquirenten gegenüber - geſtellt, an dem es nun iſt, ihn zu überführen. Groß iſt von jeher die Verzweifelung der Jnquirenten über dieſe Aufgabe ge -378 weſen, ſelbſt auch derjenigen, welche ausreichende Kenntniſſe von der Kunſt und dem Geheimniß des Gaunerthums hatten, da ſie nach vielen vergeblichen Verſuchen und bittern Enttäuſchungen an die Unüberwindlichkeit des gauneriſchen Grundſatzes nichts zu geſtehen zu glauben angefangen hatten, weshalb denn auch ſie, zum Triumph des über ſolche Concurserklärungen der Juſtiz hohn - lachenden Gaunerthums, den zur Unterſuchung gezogenen Gauner von der Jnſtanz entbinden mußten. Andere unfähige und bequeme Jnquirenten halten es überhaupt mit Wenmohs1) Ueber Gauner , S. 334, U. für höchſt wünſchenswerth, des gerichtlichen Verfahrens gegen den Gauner überhoben zu ſein , und wagen nicht einmal eine ein - gehendere Unterſuchung.

Ganz beſonders bei Gaunerunterſuchungen tritt der unglück - liche Umſtand ſcharf hervor, daß man über das eifrige Hinblicken und Streben nach dem Ende der Unterſuchung, nämlich der Ueber - führung, den Anfang und die Einheit der Unterſuchung ſo wenig berückſichtigt. Die Unterſuchung beginnt ſchon mit der Entdeckung der That, nicht erſt mit der Verdächtigkeit oder Captur des muthmaßlichen Verbrechers. So vollkommen verborgen die Zurüſtungen zur That immer bleiben können, ſo trägt doch ihr Begängniß immer eine Spurenſchrift an ſich, die von dem feſten, ruhigen und klaren Blick deſto deutlicher entziffert werden kann, je friſcher die That iſt, mag auch die Kunſt jene Spurenſchrift ſo ſo fein und ſchlau wie möglich zu verwiſchen bemüht geweſen ſein. Dieſe Spurenſchrift iſt nicht aus Berichten, ſondern nur mittels directer Auffaſſung des Jnquirenten, und nur an Ort und Stelle und mit viel feiner Beobachtung und Combination aus den zer - ſtörten Rudimenten zu leſen. Sie iſt freilich um ſo ſchwieriger, je größer jene Zerſtörung war. Sie iſt und bleibt aber immer der mehr oder minder deutliche Ausdruck der Prämiſſen, aus denen ganz allein auf den Thäter geſchloſſen werden kann. Es iſt nun eine vollſtändige Unterbrechung der ganzen begonnenen geiſtigen Operation und eine Vernichtung ihrer Reſultate, wenn der mit379 der feinſten Action zu Werke gegangene Polizeimann gerade in der Kataſtrophe ſeiner feinen geiſtigen, mühſamen Thätigkeit die Unterſuchung zur förmlichen Unterſuchung an das Gericht ab - geben muß. Gerade auf dieſer intricaten Grenze, über welche die Polizei den verdächtigen Verbrecher dem Gerichte entgegenſchieben muß, entſpringen die meiſten Verbrecher. Jſt auch der Richter fertig und geübt, ſo iſt er doch nicht gleich in der Friſche der That an Ort und Stelle heimiſch mit ſeinem Blicke geworden. Der Bericht mit ſeiner ihn oft nicht anſprechenden friſchen originellen Auffaſſung iſt ihm ein untergeſchobener fremder Grund, den er ſelten mit gleicher Geiſtigkeit weiter führt, ſondern auf dem er mit ſeinem geiſtigen Material meiſtens einen neuen Anfang macht, ohne eine vollkommene Verbindung mit dem bereits Gegebenen her - zuſtellen. Die beengenden feierlichen Formen des Gerichtsganges erdrücken dazu noch oft das, was an beweglichem Leben von der erſten Wahrnehmung auf das Gericht mit übergegangen war; der ſcharfblickende, geübte und erfahrene Gauner, deſſen goldener Hand - werksboden nur die Schwäche anderer iſt, durchſchaut auch dieſe Schwächen; er, welcher die behende Polizei nicht fürchtet, ſpottet der ihm genau bekannten förmlichen Gerichtsprocedur, und nimmt ſogar vielfach vor Gericht zurück, was er vor der Polizei bereits eingeräumt hatte. Das iſt der Grundſatz: Nichts zu geſtehen! Nie ſollte eine Gaunerunterſuchung, bei welcher die That in ihrer erſten genauen Auffaſſung eine ſo feine geheimnißvolle Sprache für den Geweihten hat, vor der vollen Ueberführung aus den Händen der zuerſt entdeckenden Polizei gegeben werden. Die poli - zeiliche plaſſenburger Unterſuchung durch Stuhlmüller, die von Pfeiffer dargeſtellte Unterſuchung des frankfurter Polizeiamts ſind überzeugende Beweiſe, welche große Reſultate auf ſolchem Wege erreicht werden können. Jn allen Gaunerunterſuchungen von Er - giebigkeit war es nicht das Gericht, ſondern die bewegliche Polizei, welche, wenn ſie den von ihr gemachten Anfang nicht aufgab, neben dem Gerichte, für daſſelbe, ein Ende herbeiführte mit gründlichern und reichern Reſultaten, als ſogar ſelbſt die traurige um den Preis des Genoſſenverraths mehrfach verſuchte380 Amneſtirung der gefährlichſten Hauptverbrecher zu erbringen ver - mochte.

Groß und ernſt iſt die Aufgabe des Jnquirenten, welcher den Verbrecher aus Noth, Leidenſchaft oder Unwiſſenheit überführen ſoll. Aber der ungeübte Verbrecher weiß die Spurenſchrift der That weniger geſchickt zu zerſtören und die That im Verhör weniger zu verleugnen. Somit hat der Jnquirent mit ſeinem Scharfblick auf die That und auf den der That verdächtigen Jnqui - ſiten einen feſtern Anhalt in der That und im Jnquiſiten, in ſich ſelbſt und vor allem in dem kräftigenden Bewußtſein der Gerech - tigkeit, um derentwillen er das Verbrechen bloßlegen und den Ver - brecher der Strafe entgegenführen ſoll. Viel ſchwieriger und groß - artiger iſt aber die Ueberführung des Gauners, der das Ver - brechen mit kaltem Bedacht, mit überlegter Kunſt, als ſein gewohntes Tagewerk betreibt, ſeine Haft und Unterſuchung als eine läſtige Unterbrechung ſeines täglichen Nahrungsbetriebs be - trachtet, und, durch Schule und Erfahrung geübt, mit raffinirter Schlauheit und Gewandtheit ſich den Händen der Gerechtigkeit zu entziehen weiß. Da das Leben nur im völleriſchen Genuß Reiz für ihn hat, da er kein Recht, keine Religion, keine Sitte kennt, ſo drückt ihn nur die Haft, nicht das Gewiſſen, und er ſinnt, weiß und hat die mannichfachſten Mittel, von dieſem Drucke ſich zu befreien. Nicht als armer Sünder, ſondern ungebeugt, als ſieggewohnte geiſtige Potenz tritt er vor den Verhörtiſch, vor welchem er jede Situation mit lauernder Schlauheit auffaßt und ausbeutet, und in großartiger Selbſtverleugnung alle Leidenſchaften wie künſtliche Marionetten auf dieſem ſeinen theatrum mundi ſpielen läßt. Wehe dem Jnquirenten, der nicht ahnet, daß der Verhörtiſch die Wahlſtatt iſt, auf welcher der Gauner mit ihm um die geiſtige Herrſchaft kämpft; der nicht weiß, wie, ehe er dem Gegner von Angeſicht zu Angeſicht gegenübertritt, dieſer in der feinen Forſchung und in der ungeheuer ausgedehnten Verbindung des geſammten Gaunerthums ihn ſchon vorher in ſeiner Schwäche kennt, und bei den Antworten, die er gibt, mehr vom Jnquirenten zu erforſchen weiß, als dieſer von ihm in den an ihn geſtellten Fragen!

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Kein Jnquirent kann der Unvermeidlichkeit entgehen, daß er vom Gauner ſtudirt und erforſcht wird. Alles kommt daher dar - auf an, wie der Jnquirent ſich gibt und finden läßt. Hier iſt es, wo auch deutlich hervortritt, was der Vorgeſetzte ſeinen Unter - gebenen iſt, wie weit ſeine geiſtige Gewalt und Zucht ſich über dieſe erſtreckt und ſie zu ihrem Berufe befähigt hat. Der Gauner beginnt ſein Studium des Jnquirenten ſchon in den Subal - ternen. Er beobachtet letztere, ob, wann und wie ſie die von ihm verübte That entdecken und auffaſſen, wie ſie die Spuren verfolgen, die Recherchen vornehmen, die Kawure entdecken oder unentdeckt laſſen, wann und wie ſie ſich ſeiner Perſon als ver - dächtig nähern und ihm bei der Kaptur die Möglichkeit oder Un - möglichkeit laſſen, etwas zu bekabern, wegzuplanten oder zu ver - ſarkenen und Zinken zu geben. Aus der ſofort ſorgfältig ſtudirten Einrichtung des Unterſuchungsgefängniſſes, aus ſeiner Umgebung und Behandlung im Gefängniß erforſcht er, welcher Geiſt das Ganze hält und bindet. So erkennt der Gauner den Jnquirenten ſchon in allen ſeinen Organen und Jnſtituten, noch ehe er ihn ſelbſt geſehen hat, und ſtellt ſich dem Jnquirenten auf deſſen ei - genem Terrain gegenüber, auf welchem er ihm ſchon häufig vor dem erſten Verhör Sonne und Wind für den Zweikampf abge - wonnen hat.

Einem ſo wohlgerüſteten gewandten Gegner und dafür muß der Jnquirent jeden ihm vorgeführten Gauner halten kann aber dennoch der erfahrene und geſchulte Jnquirent ruhig und ſicher gegenübertreten. Auch er hat ſchon im voraus einen Vortheil, der, ſo ſeltſam er erſcheinen mag, doch ſehr wich - tig iſt: er hat einen Ruf im Gaunerthum, das keineswegs mit Feindlichkeit und Haß, ſondern mit einer Art von Bewunderung ſeiner Kenntniſſe, Erfahrung und Gewandtheit auf ihn blickt, ihm aber auch ſcheu aus dem Wege geht, ſodaß ſein bloßer Ruf und ſeine Gegenwart viele Unternehmungen verhindert, während andererſeits das Gaunerthum einen übermüthigen Triumph daran hat, gerade den unfähigen, leidenſchaftlichen und harten Beamten nach allen Regeln der Kunſt zu beſtehlen, wie das ſchon nicht382 ſelten vorgekommen iſt. Eine weitere Stütze hat der Chef in ſeinen zuverläſſigen Subalternen, in denen der Gauner auf den erſten Blick die tüchtigen geſchulten und erfahrenen Beamten er - kennt, und vor allem in der vorſichtigen Unterſuchungs - haft, in welcher der iſolirte Gauner die Unmöglichkeit zu ent - kommen raſch begreift, und bei der Aufmerkſamkeit erfahrener und unbeſtechlicher Gefängnißbeamten verzweifeln muß, Hülfsmittel und Gelegenheit dazu zu erlangen. Nur unter dieſen Vorausſetzungen darf der inquirirende Polizeimann erwarten, daß ſeine geiſtige Operation gegen den Verbrecher von Anbeginn an nicht vergeb - lich iſt, und nicht reſultatlos bleiben wird.

Wer ſich als Jnquirent daran gewöhnt hat, die feinen und wichtigen Unterſchiede zwiſchen Zug und Miene, Blick und Auge, Ton und Stimme, Statur und Haltung, Gang und Bewegung u. ſ. w. zu beachten, dem wird auch das dualiſtiſche Weſen des Gauners in die Augen fallen, in welchem er ſtets ſeine Jndivi - dualität hinter ſeiner Erſcheinung zu verſtecken ſucht. Auch wird er klar unterſcheiden können, was am Gauner der bloßen Er - ſcheinung und was der Jndividualität angehört. Das Gauner - thum ſelbſt iſt ſich ja dieſer Unterſchiede ſo ſehr bewußt, daß es gerade darum ſeine eigene geheime Wortſprache, ſeine eigene künſt - liche Geberden - und Zeichenſprache in den feinſten Nuancirungen erfunden hat, um unter ſich dies Verſtändniß und die Verbindung zu unterhalten. Um den Eingang in das Verkehrsleben zu ge - winnen, bedarf der Gauner der unverdächtigen Erſcheinung, welcher er durch ſeine Legitimation und durch ſein Auftreten den vollen Schein der Unverdächtigkeit zu verleihen und zu erhalten ſucht, damit er ſeine gauneriſche Jndividualität unter dieſem künſtlichen Deckmantel deſto freier walten laſſen kann. Um jeden Preis1)So iſt mir ein alter berüchtigter Schedunner bekannt geworden, wel - cher ſich für den ſeit Jahren verſchollenen Häusling D. aus einem nahen Dorfe ausgab, und, mit der Frau des letztern, einer triefäugigen Megäre, confrontirt, ſofort die ihm ganz fremde, höchſt widerliche alte Perſon als ſeine ſucht er dieſe Erſcheinung feſtzuhalten, weil er weiß, daß,383 wenn er auch mit Leichtigkeit auf eine andere Erſcheinung über - ſpringen kann, er durch den Wechſel doch ſeine Unverdächtigkeit gefährdet, mithin auch ſeine Jndividualität bloßſtellt. Daher das übertrieben markirte und herriſch vornehme Weſen des angeblichen Grafen, Barons, Offiziers, die heuchleriſche Demuth und Ergeben - heit des theologiſchen oder philoſophiſchen Gelehrten, die Präten - ſion und nervöſe ohnmächtelnde Gereiztheit der angeblichen Dame von Rang und Bildung. Je ſchärfer dieſe Erſcheinung vom Jn - quiſiten ſelbſt in ihren Formen anerkannt und hervorgehoben wird, als deſto unechter tritt allmählich die Erſcheinung hervor, und bietet gerade dadurch dem durch Lebensverkehr und Erfahrung geſchul - ten gewandten Jnquirenten faſt in jedem Momente Gelegen - heit, dem Gauner die ganze Schwäche ſeiner Erſcheinung abzu - gewinnen, und ihn ſelbſt von der Haltloſigkeit und Vergeblichkeit ſeiner Prätenſion zu überzeugen. So kann der Jnquirent in die vorgeſchriebenen, vom Gauner ſchon vor vielen Behörden beant - worteten und völlig unverfänglich ſcheinenden ſogenannten Gene - ralfragen ein Leben und eine geiſtige Gewalt hineinlegen, daß ſchon durch dieſe geſchickt angewandten und ausgebeuteten Fragen der Gauner ſtutzig und ſelbſt zuerſt an der Glaubhaftigkeit ſeiner zunächſt prätendirten Erſcheinung irre wird. 1)Das geſchieht faſt immer, ſobald nur der Jnquirent conſequente Ruhe beobachtet. Eine als Gräfin reiſende Perſon, welche ich, nach ihren über ihre Verhältniſſe und Perſon gemachten Angaben, ruhig und beharrlich als Frau Gräfin anredete, und die nach ihrer ganzen Haltung, Weiſe und Bildung ſie ſprach unter anderm geläufig franzöſiſch und engliſch wol die Rolle einer Gräfin durchzuführen im Stande war, bat mich gleich in der erſten Vernehmung, ſie nicht mehr als Gräfin anzureden, die ſie nicht ſei u. ſ. w.So geht ſchon oft im erſten Verhör der vermeinte Baron allmählich vor der Ruhe des Jnquirenten auf einen Seitenzweig ſeiner angeblichen Familie oder zum desavouirten Mitgliede oder ſogar Baſtard über; die Baroneſſe wird eine arme verſtoßene Verwandte oder Milch - ſchweſter, Pflegeſchweſter oder zuletzt Geſellſchafterin; der Profeſſor1)Frau begrußte, worauf auch jene bereitwillig einging, freilich mit der Bemer - kung auch ihrerſeits, daß ihr Niklas ſich allerdings in den Jahren ein bis - chen verändert habe .384 wird zum relegirten Studenten, der Philoſoph zum Literaten, Feuilletoniſten, Schauſpieler u. ſ. w. Es gehört große Selbſt - verleugnung des Jnquirenten dazu, dieſe Ruhe zu gewinnen und, ohne Schwäche zu zeigen, mit ſcheinbarem Glauben auf die prä - tendirte Erſcheinung einzugehen, um ſo gewiſſermaßen die Erſchei - nung faſſen und forciren zu können. Er muß aber nie außer Acht laſſen, daß der ſchlaue Gauner ihn ſtudirt und ihm jede Schwäche ablauert, um ſich darin feſtzuſetzen. Er muß immer bedenken, daß namentlich ſeine erſten Verhöre die Baſis ſind, auf welcher entweder er oder der Gauner feſten Fuß faßt, daß daher der Gauner, um ihm zu weichen, ebenſo gut ihn begreifen muß, wie er den Gauner ganz zu durchdringen ſtrebt.

Daher iſt es denn auch durchaus unpolitiſch, wenn der Jn - quirent gleich von Anfang her die Erſcheinung des Gauners haſtig negirt und direct auf ſeine Jndividualität einzudringen verſucht. Der Gauner bringt dann die Erſcheinung deſto raffinirter und hartnäckiger zur Geltung, und ſchützt damit die bedrängte Jndivi - dualität um ſo nachdrücklicher. Das Taktloſeſte was geſchehen kann, iſt es daher, wenn man den Gauner ſogleich in der Gauner - ſprache anredet, und die Kenntniß ſeiner feinen Künſte vor ihm auskramt. Bei dieſem in der That unklugen, leider aber häufigen Angriff merkt der Gauner die ganze Schwäche der Eitelkeit, die durch bloßes eitles Wiſſen zu imponiren ſucht, ohne mit dem Pfunde wirklich wuchern zu können. Jede ausſprachliche Abwei - chung von ſeiner Mundart iſt dann dem Gauner eine Lächerlich - keit, welche er mit beißendem Spott und bitterer Jronie auf der Stelle züchtigt. Dieſe Eitelkeit liefert den Jnquirenten ganz in ſeine Hände, der dann auch ſeine große Schwäche ſehr bald mit der Verzweiflung an allen gehofften Reſultaten der Unterſuchung büßen muß.

Unendlich vielſeitig, reich und lohnend ſind die Erfahrungen und Reſultate, welche der discrete Jnquirent gewinnt. Sie lohnen ihm nicht nur für die einzelne Unterſuchung, ſondern zeigen ihm auch das ganze Gaunerthum mit allen ſeinen Künſten, Geheim - niſſen, Verbindungen und Jndividualitäten. Sie gewähren ihm385 eine reiche pſychologiſche Ausbeute, welche ihn immer mehr inner - lich befeſtigt, und ihm immer friſchern ſittlichen Muth verleiht, das Verbrechen zu finden und zu bekämpfen, in welcher Geſtalt es auch ſich zeigen möge. An dieſer geiſtigen Feſtigkeit und Abrun - dung findet der Gauner einen Widerſtand, dem gegenüber er bald verzagt, weil er ſieht, daß er ihn nicht bewältigen kann. Das ruhig-ernſte und kurze Fragen des Jnquirenten iſt dem Gauner weit fürchterlicher, als das zornigſte Drohen und die härteſten Strafen. Um ſolcher Leidenſchaft des Jnquirenten willen erträgt er gern eine ſcharfe Strafe, ſogar auch eine körperliche Züchtigung, welche ihm der Zorn des Jnquirenten aufgelegt hat. Hat er doch um dieſe freilich harte, jedoch vorübergehende Buße dem Jnqui - renten eine Schwäche abgewonnen, die er ſicher zu ſeinem Nutzen ausbeutet. Die Beobachtung des Beginns und Fortgangs jener ſeiner Verzweiflung iſt eins der reichſten pſychologiſchen Momente, das man finden kann, wenn man dieſe geiſtige Operation zeitig wahrnimmt, ſie nicht ſtört, im Gegentheil geſchickt zu erhalten, zu nähren und zu gängeln weiß. Es iſt ein ſicheres Symptom der beginnenden Verzagtheit des Gauners, wenn er anfängt geſchwätzig zu werden. Er beginnt dies nur dann aber auch unfehlbar, ſelbſt auch dann, wenn er bisher ſich finſter und ver - ſchloſſen ſtellte , wenn er vollkommen begreift, daß er durch keine Beſtechung im Gefängniß, durch keine künſtliche Einwirkung auf den Jnquirenten, mit ſeiner prätendirten Erſcheinung entweichen kann. Dieſe Geſchwätzigkeit iſt ein unfreiwilliges Erzeugniß der beginnenden Angſt, daß ſeine Erſcheinung durchſchaut iſt und ihn nicht mehr ſchützen kann. Bisher ſuchte er ganz innerhalb der Erſcheinung aufzutreten, jetzt beſchwatzt er ſie und fängt dadurch an ſich ihrer zu entäußern, ſodaß der Jnquirent ſich durch einen einzigen geſchickten Griff leicht der Erſcheinung bemächtigen und ſie als todte Maske hinwerfen kann. Selbſtverſtändlich ſpringt dann der Gauner auf eine andere Erſcheinung über, um eine neue Deckung ſeiner Jndividualität zu gewinnen. Aber es iſt nun um ſo leichter ihm zu folgen, da er bereits ſeine erſte Erſcheinung als Maske aufgegeben und dadurch ſelbſt verrathen hat, daß erAvé-Lallemant, Gaunerthum. II. 25386ſeine Jndividualität verſteckt, und er die neue Erſcheinung nicht mehr in derſelben Fertigkeit durchführen kann, wie er das bei der erſtern konnte. Bei dieſem Nachdringen und bei dieſer vermehrten Gefahr für die Jndividualität fügt ſich der Gauner endlich in die unabweisliche Nothwendigkeit: er geſteht mehr oder minder einen Antheil an dem angeſchuldigten Verbrechen, oder noch lieber an einem früher und ferne verübten Verbrechen, um durch eine ge - ringe Strafe der größern zu entgehen, welche letztere er erleiden würde, wenn ſeine auch jetzt durch das abgelegte Geſtändniß der minder ſtrafbaren That noch immer verſteckte Jndividualität, und mit ihr die ganze Maſſe der begangenen Verbrechen entdeckt würde. Ein ſolches einzelnes und theilweiſes Geſtändniß genügt dem umſichtigen Jnquirenten nicht, der vielmehr jedes Geſtändniß als ein neugewonnenes günſtiges Terrain betrachtet, auf welchem er immer nachhaltiger dem gaukelnden flüchtigen Gauner nach - rückt, und mit dem bisher gemachten Gewinn jede neue vorge - ſchobene Erſcheinung immer leichter zerſtört, bis er endlich auf die Jndividualität geräth, welche ihm nicht mehr ausweichen kann.

Nur auf ſolchem Wege iſt dem Gauner beizukommen. Die haſtige Ungeduld, die Heftigkeit und Leidenſchaftlichkeit, welche ſich nicht verleugnen kann, und, durch die genaue Kenntnißnahme der That und der gauneriſchen Geheimniſſe und Künſte ungeſtüm getrieben, es verfehlt, dem Gauner ruhig auf dem Rückzuge zu folgen, bleibt ohne günſtige Reſultate. Deshalb ſind denn auch die Confrontationen, namentlich mit gauneriſchen Genoſſen, immer ſehr bedenklich. Der Gauner begreift ſehr wohl, daß der Jnqui - rent in dem Reſultat, welches er durch die Confrontation gewinnen oder befeſtigen will, noch nicht ſicher iſt, und hat Geſchick und Keckheit genug, nicht nur dieſe Abſicht des Jnquirenten zu para - lyſiren, ſondern auch bei der außerordentlich ſchwierigen Controle der Confrontationen ganz neuen Stoff und Anhalt durch das geheime Verſtändniß mit ſeinen Genoſſen zu gewinnen. Auch nur mit derſelben feſten Ruhe allein kann man der oft unerhörten Frechheit und Verlogenheit weiblicher Gauner erfolgreich gegen - übertreten, welche mit bodenloſer Unverſchämtheit alle Rückſichten387 der Weiblichkeit in Anſpruch nehmen, von deren Entäußernng doch ihr Auftreten ſelbſt einen ſo trüben Beweis gibt. Beſonders ge - nauer Aufmerkſamkeit bedarf es bei jugendlichen Gaunern. Während bei andern jugendlichen Verbrechern die geiſtige Erfor - ſchung dem Jnquirenten durch das ſo überaus intereſſante Ein - gehen auf die Kindesnatur vielfach gelingt und ihn reich belohnt, nimmt er hier in dem jugendlichen, oft ſchon durch Leidenſchaft und ekle Krankheit vorzeitig verwitterten Geſicht und Körper einen Geiſt wahr, der wie ein ganz fremdartiger, hineingebannter böſer Dämon erſcheint, bei welchem man aber doch noch oft hoffen und glücklich verſuchen kann, ihn mit der Wiedererweckung der gleich - ſam durch gewaltthätige Schändung verloren gegangenen Kind - lichkeit wieder fortzubannen. Ebenſo überzeugt man ſich aber auch leider nur zu oft, wie Geburt, Erziehung und Beiſpiel dem böſen Dämon einen ſo tiefen Eingang verſchafft hat, daß die Kindesnatur gänzlich verloren gegangen, und Geiſt und Körper in eine vorzeitige Nothreife gerathen iſt, welche nur zu raſch der ſittlichen und phyſiſchen Fäulniß verfällt.

Einhundertundfünſtes Kapitel. Schlußwort.

Je mehr man ſich endlich durch tieferes Eingehen in die Kunſt und Jndividualität des Gauners überzeugt hat, nicht nur von dem ſittlichen Ruin des Gaunerthums ſelbſt, ſondern auch von dem ſittlichen Ruin der ſocial-politiſchen Verhältniſſe, welche jenes ausbeutet, deſto mehr wird man inne, daß das bloße Negiren der Sünde und des Verbrechens keineswegs ausreicht, um den Ruin hier wie dort aufzuhalten; daß vielmehr dieſe kahle herzloſe Nega - tion eine der ärgſten Schwächen und Rückſchritte, und ſelbſt der ſchlimmſten Sünde verfallen iſt. Solange die ſeichte hochfahrende Anſicht geltend gemacht wird, daß der Gauner unverbeſſer - lich ſei, ſo lange darf dagegen auch nicht die demüthigende25*388Wahrheit verleugnet werden, daß alle unſere ſocial-politiſchen Zuſtände, unſere Juſtizpflege, Polizei und beſonders unſere Straf - anſtalten auch noch immer ſehr zu verbeſſern ſind. Mit jener Anſicht wären wir denn auch nicht weiter gekommen als jene längſt vergangene Zeit, in welcher die erbarmungsloſe, liebloſe, orthodoxe ſittliche Entrüſtung ihre Triumphe auf den bluttriefenden Schaffots feierte. Die Hinrichtung des Bernhard Matter von Muhen1)Bernhard Matter von Muhen hatte, nach Ergebniß der wider ihn angeſtellten Unterſuchung, 41 Diebſtähle im Geſammtwerthe von 10500 Francs begangen und wurde am 3. Mai 1854 vom Obergerichte zum Tode verurtheilt. Da ſeine Hand rein von Blut geblieben war, bat er um Begnadigung zur Freiheitsſtrafe. Der Große Rath wies jedoch, ohne vorgängige Discuſſion, in geheimer Sitzung, mit 99 gegen 45 Stimmen, das Begnadigungsgeſuch ab, worauf andern Tags die Hinrichtung vollzogen wurde. Vor der Vollſtreckung hielt der vollziehende Regierungsbeamte auf der Richtſtätte die Anrede: Bern - hard Matter, du biſt zum Vollzuge des eben verleſenen obergerichtlichen Ur - theils, und nachdem die von dir angerufene Begnadigung vom Großen Rathe dir abgeſchlagen worden iſt, hierher zur Richtſtätte geführt worden. Es ſind Zweifel darüber entſtanden, ob an einem Verbrecher, der ſich nichts als ge - waltſame Eingriffe in fremdes Eigenthum hat zu Schulden kommen laſſen, in jetziger Zeit die Todesſtrafe vollzogen werden ſolle, oder nicht. Allein, wenn überhaupt das Geſetz nur der Ausdruck des öffentlichen Bewußtſeins über Recht und Strafbarkeit ſein ſoll, ſo biſt du ſchon zum voraus und ehe der Richter geſprochen hatte dem Tode verfallen geweſen. Nicht umſonſt ſind es Bürger geweſen, welche dich ergriffen und dem Arme der Gerechtigkeit über - liefert haben; nicht umſonſt heiſcht die Stimme der vielen Bürger, Land auf, Land ab, deinen Tod. Wer, wie du, in ununterbrochenem Kriege gegen die bürgerliche Geſellſchaft, in unverſöhnlicher Feindſchaft gegen die geſetzliche Ord - nung gelebt und gehandelt hat; wem kein Kerker zu feſt, keine Feſſel zu ſtark war, um wieder auszubrechen, um ſein verbrecheriſches Treiben von neuem an - zufangen, gegen den mußte endlich der Staat zum äußerſten Mittel der Noth - wehr, zur Vertilgung, ſchreiten, um das Anſehen der Geſetze zu retten, und um die ruhigen Bürger vor frechen Angriffen zu ſchützen. Wie der äußere Feind des Landes, der Räuber ſeiner Unabhängigkeit und ſeiner Freiheit, mit den Waffen in der Hand auf den Tod bekämpft und durch das Schwert ver - tilgt wird, wo man ihn findet, ſo wirſt auch du als der geſchworne Feind der Ordnung und des Geſetzes, als der Räuber des Eigenthums, durch das Richt - ſchwert von der Erde vertilgt. Von den Menſchen haſt du nichts mehr zu hoffen; wende dich an die unendliche Gnade und Barmherzigkeit Gottes, daß auf der Richtſtätte bei Lenzburg im Aargau, am 24. Mai389 1854, iſt ein erſchütterndes Ereigniß, nicht wegen der Beſeitigung eines nach dem ſpeciellen Geſetze dem Tode verfallenen gefähr - lichen Verbrechers, ſondern weil ſie einer der neueſten Belege dafür iſt, wie wenig muthig wir mit dem Chriſtenthum, deſſen wir uns rühmen, zu arbeiten unternehmen, wie ſehr wir mit den Gemein - plätzen der Zeit , Cultur oder Zeitrichtung , Zeitgeiſt u. ſ. w., den ſelbſtzufriedenen Abſchluß unſers Rückſtands gegen das immer lebendig ſtrebende und arbeitende Chriſtenthum bezeichnen, und wie wir es doch mit jenem unſerm Chriſtenthum wagen können, den Verbrecher an die unendliche Gnade und Barmherzigkeit Gottes zu verweiſen, die er von Menſchen nicht zu hoffen habe. Gerade in den Gefängniſſen und auf dem Schaffot hat das Chriſtenthum ſeit Jahrhunderten eine Geſchichte, welche leider nur zu oft mit Staunen und Unwillen, anſtatt mit Achtung gegen die einzelnen Pfleger des Chriſtenthums erfüllt, da man in den meiſten Fällen erkennt, daß mit der eifernden Negirung der Sünde im Verbrecher auch der zur Buße und Beſſerung berufene, und bei richtiger Er - faſſung ſeiner Jndividualität auch entſchieden befähigte Ver - brecher ſelbſt für Zeit und Ewigkeit verdammt wurde. Die Auf - gabe der ſtrafenden chriſtlichen Gerechtigkeit endigt nicht mit der Verurtheilung des Verbrechers, ſondern erſt mit ſeiner Entlaſſung aus dem Gefängniß, welche nur mit ſeiner ſittlichen Wiedergeburt möglich iſt. Es iſt chriſtlich nicht möglich, mit dem Urtheil einen Abſchnitt zu machen, bis zu welchem die gewiſſenhafteſte Erfor - ſchung der That in allen ihren kleinſten Umſtänden und die Er - forſchung der Jndividualität des Verbrechers in allen feinen und verborgenen Charakterzügen die ernſte Aufgabe war, und dann dieſen geiſtig ſo tief und ſpeciell durchforſchten Verbrecher in die Strafanſtalt abzuliefern, damit er dort mit ſeiner Geſchichte in die Allgemeinheit das Zuchthauslebens aufgehe, und als neuer Bei - trag zur Empirik ſtarrer ſelbſtgenügſamer Theorien aufgenommen1)dieſe dir zu Theil werden möge; darum bitten wir den Allerbarmer. Bernhard Matter, hiermit übergebe ich dich dem Scharfrichter, damit er dich nach Ur - theil und Recht vom Leben zum Tode bringe. 390und verſtanden werde. Was mit chriſtlicher Gerechtigkeit begonnen wurde, muß auch ganz in demſelben Geiſte fortgeführt werden, bis der Strafzweck der chriſtlichen Gerechtigkeit, die ſittliche Wieder - geburt, vollſtändig erreicht wird. Er kann dabei keine andere Ge - fängnißtheorie geben, als diejenige, mit welcher die genaueſte Er - forſchung und Behandlung der Jndividualität jedes ein - zelnen Verbrechers vereinbar iſt, und welche die phyſiſche und pſychiſche Jntegrität dieſer Jndividualität nicht zerſtört, ſondern dieſelbe mit dem ganzen ernſten Geiſte chriſtlicher Liebe und ge - meſſener Zucht erhält, und in und mit ihr den Verbrecher hebt und zur ſittlichen Wiedergeburt fördert; mag man die Theorie nennen wie man will, und ſie ganz oder getheilt, zeitweiſe oder durchgreifend, in einſamer Zelle oder in freier Natur, an dem einzeln oder gemeinſam mit andern gehaltenen Verbrecher in An - wendung bringen.

Dieſe einfache Wahrheit und Aufgabe des Chriſtenthums findet man überall, namentlich im proteſtantiſchen Norddeutſch - land und in den Niederlanden ſchon zu Ende des 16. Jahrhun - derts, in den erſten, von den damals auch noch zum Theil mit dem Namen Zytenmeiſtere geehrten Magiſtraten ein - gerichteten Gefängniſſen und Zuchthäuſern als echt-chriſtlichen, ja man kann ſagen ſpecifiſch proteſtantiſchen Grundſtein gelegt, über den aber die politiſche und ſittliche Noth mehr als dritthalb Jahr - hunderte lang hinweggegangen, und über den die Gerechtigkeits - pflege unzähligemal geſtrauchelt iſt, bis dieſer Stein jetzt zum Eckſtein geworden iſt, da die aufbauende Kirche nicht einmal gerufen vom Staate, ſondern freiwillig gekommen in innerer Miſſion über die ungeheuere drohende Noth mit dem Staate ſich geeinigt hat zu einer innigen, gegenſeitig ſättigenden und hel - fenden Verbindung, welche, wie alles was auf chriſtlicher Grund - lage gebaut wird, unvergänglich iſt, und wahres Heil und reichen Segen bringen wird!

Der Gauner iſt nicht unverbeſſerlich! Aber ſeine Beſſe - rung iſt ſo ſchwer, wie alle wahrhaft chriſtliche Arbeit ſchwer iſt. Jn jener Zeit, da der deutſche Boden von den erſchütternden391 Schlägen der franzöſiſchen Revolution bebte, da der ungeheuere Aufbruch des Räuberthums allüberallhin Angſt und Schrecken verbreitete, war es Georg Jakob Schäffer, der mit feſtem klaren Blicke das Verbrechen zu finden wußte, durchſchaute und ſeine dämoniſche geheime Kunſt der ſtaunenden Welt offen darlegte; er war es, der mit ſeiner gewaltigen Willenskraft die verwegenen Gaunerbanden zu Paaren trieb und in die Hand der ſtrafenden Gerechtigkeit lieferte. Er war es aber auch, der an einem der furchtbarſten Gauner, an dem Konſtanzer Hans, das Werk chriſtlicher Liebe und Zucht unternahm und durchführte, die Be - gnadigung des dem Henker zehnfach verfallenen Verbrechers zur lebenswierigen Zuchthausſtrafe erwirkte, und, nachdem er das Werk der chriſtlichen Wiedergeburt an dem Verbrecher vollendet hatte, nach wenig Jahren ſeine Entlaſſung aus der Strafanſtalt ermög - lichen konnte.

An ſolchen Beiſpielen mag die Neuzeit ermuthigt aufblicken, und auch die Polizei innewerden, welche Aufgaben ſie zu löſen vermag, wenn ſie ſich innerlich und äußerlich umgeſtaltet zu einer wahrhaft chriſtlich-deutſchen Polizei.

[392]

Alphabetiſches Regiſter zum zweiten Theile.

  • A.
  • Aberglaube der Gauner. Seite30.
  • Abnehmer der Schärfenſpieler .320.
  • Abſtecher .157.
  • Aetherifirung fimulanter Gauner .47.
  • Agentien, chemiſche .303.
  • Agole.37,90,237.
  • Agolemichſe .237.
  • Al Bam .252.
  • Almoni .120.
  • Amye .329.
  • Aſchkenas Echeder .156.
  • Ath Bach .252.
  • Ath Basch .252.
  • Aufbruch .123.
  • B.
  • Ba Jom .138.
  • Ba Laile .138.
  • Bal, Baile, Baliſche .9.
  • Baldowern .106.
  • Balmachon .211.
  • Bandſpiel .291.
  • Barſel .131.
  • Barſelmelochner .157.
  • Barſelsſchärfe .131.
  • Bedil .205.
  • Beiſſer .130.
  • Bekaſchwenen .247.
  • Beklebung der Fleppen .301.
  • Belatchenen .237.
  • Benſog .9.
  • Benzel .327.
  • Beſatzung des Schloſſes .162.
  • Beſefeln .266.
  • Befiche .157.
  • Beskarge .332.
  • Beſſachern .237.
  • Bestifle .332.
  • Bethſog .9.
  • Betuchte Schmire .139.
  • Beutelſchneider .224.
  • Beutelſchneiderlehrlinge .225.
  • Beutelzieher .224.
  • Bicken .196.
  • Bilbul, Bilbulmelochnen .338.
  • Bilſel, Bitzel .327.
  • Black dogs .216.
  • Blinde machen .135.
  • Blöde ausmelochnen .129.
  • Blüte, Blütenſchmeißer, Blütenſtecher .213.
  • Bohrer .127.
  • Bordelldirnen, Wirthe .334.
  • Bordellreform .336.
  • Bramahſchloß.176,178.
  • Branntweinsgeld .83.
  • Brennen, Brenner .82.
  • Briefe des Joh. Bückler .22.
  • in Gefängniſſen .91.
  • Bröſchler’s, Ermordung .13.
  • Brunger .127.
393
  • Bſule .327.
  • Buklo, buklengero gatscho .157.
  • Bureaukratie.346,352.
  • Bureaux, Reform der .362.
  • C.
  • Cabale .251.
  • Cartouche .80.
  • , Lehrübungen des .225.
  • Chalfan, Chalfen, Chalfenen .200.
  • Chaium .211.
  • Challauneſſ, ſ. Challon.
  • Challe, Challebacken .149.
  • Challeſchlagen .150.
  • Challon .129.
  • Challonkaſſpern .88.
  • Chaſſimaſſ hakſſav .310.
  • Chaſſime.205,310.
  • chalfenen .206.
  • handeln .205.
  • melochnen .310.
  • Chaſſmenen .310.
  • Chaſſne, Chaſſune .148.
  • Chaſſnegänger .148.
  • Chaſſne melochnen .11.
  • Chauſſom, Chauſſomwachs .205.
  • Chebel .131.
  • Chelef, Cheilef .224.
  • Cheilefziehen .223.
  • Cheilefzieher.121,224.
  • Cheluke .145.
  • Chenwene .158.
  • Cheſſenfinkel .328.
    • Cheſſenkitt.
    • Cheſſenpenne.
    • Cheſſenſpieſſ.
    322,327,328.
  • Chewel .131.
  • Chilfen, Chilfer, Chillefen .200.
  • Chiromantie .254.
  • Chlor .303.
  • Chloroform .227.
  • Chloroformiren .47.
  • Chol Hammoëd .94.
  • Communia343.
  • Chonte .331.
  • Choſchech, die goldene .137.
  • Choſſom, ſ. Chauſſom.
  • Chozelewone .128.
  • Chozer .157.
  • Chriſtophelesgebet .266.
  • Chubbſchloß .176.
  • Concubinen .9.
  • , Tauſchcontracte über .10.
  • Conſulatspäſſe .315.
  • Coſcinomantie .264.
  • D.
  • Daaſſ .245.
  • Dabeler, Dabelſtein .277.
  • Dalme, Dalmer, Dalmerei, Dalmer - nekef .156.
  • Dappelſchickſen.229,333.
  • Data in Gaunerbriefen .94.
  • Daumen abziehen .281.
  • Deckelen, Deckeles, Deckelſpiel .290.
  • Deo .245.
  • Derech .235.
  • Derling .277.
  • Deutſch Echeder, Deutſch Hinterbogen, Deutſch Vorderbogen .156.
  • Diebsſchlüſſel.154,166,168,169,170,171,173,174.
  • Doppele, Doppeler .277.
  • Dorfdrucker, ſ. Toraph.
  • Dorfkuffer. 149
  • Dorfmakkener .155.
  • Douglas, Sawney .231.
  • Dreckapotheke, heilſame, des Dr. Paullinus .24.
  • Drehrum, auf Drehrum handeln .156.
  • Drehwürfel .288.
  • Droguenhandel .271.
  • Drong .129.
  • Droſchken an Bahnhöfen.243,244.
  • Drudenbücher .266.
  • Drücken, Drücker .224.
  • Durgeaf, durgepaskro, durker .248.
  • Duſſe, Duſſemelochner, duſſen .147.
394
  • E.
  • Echeder, Echoder .156.
  • graphiſche Darſtellung .166.
  • Eed, Eid.84.
  • Eglo, ſ. Agole.
  • Eheleben der Gauner .8.
  • Einbruch .123.
  • Eintreiber.283,291,292.
  • Eiſenbahnen.35,236,242.
  • Eitelkeit der Gauner .25.
  • Emet, Emmeſſ.72,252.
  • Engliſchwelſch .168.
  • Ennevotenne machen .205.
  • - Käſtchen .206.
  • Entſtellungen des Körpers .39.
  • Epilepfie, ſimulirte .42.
  • Erbbuch, Erbſchlüſſel .264.
  • Erdmännchen .268.
  • Eref .187.
  • Erefgänger.121,187.
  • Erefhalchener .187.
  • Erefhändler .187.
  • Erefmackener .155.
  • Erlat, Erlatin .9.
  • Erntemakkener .155.
  • Erſcheinung, die äußere des Gauners .33.
  • Erwärmung gefälſchter Papiere.303 fg.
  • Ewen, Ewenchaume, Ewenkauſſel, Ewenkir .125.
  • F.
  • Fallmacher.121,283.
  • Fälſchung der Spielkarten .282.
  • Fälſchungen, allgemeine, partielle, ſ. Münzfälſchung, Urkundenfälſchung, Fleppenmelochnen.
  • Färbefiegel .312.
  • Fahrt, die neue .283.
  • Falſchmünzerei .211.
  • Falſchſpieler .274.
  • Farn-Schüler .246.
  • Felinger.207,246,270.
  • Feneter .129.
  • Fetzen, Fetzer.119,121,222.
  • Fichte, Fichtegänger, Fichtehändler .121.
  • Findchen, Findchenmelochnen .297.
  • Fingerhutſpiel .290.
  • Finne, Finnchen.222,328.
  • Flap, Flaps, Flapſen, ſ. Flep.
  • Flebbe, Flebken, ſ. Flep.
  • Fleiten gan .144.
  • Flep, Fleppe.121,296.
  • Fleppenmelochnen .296.
  • Fleppenmelochner.121,296.
  • Fletſcher, Simon .226.
  • Flöbken, ſ. Flep.
  • Formenpapier .300.
  • Frankfurter, Schmulchen .37.
  • Freiſchuppen, Freiſchupper .274.
  • Früne .329.
  • Fuhre .194.
  • Fundformel .214.
  • G.
  • Gacheler, Gachler, Gackler.189,190.
  • Gänger .120.
  • Ganze Lewone .128.
  • Galläpfelabkochung .304.
  • Gallones .129.
  • Gaſel, Gaslan, Gaſlonuſſ .148.
  • Gaßners Liſel .227.
  • Gaunerphyſiognomie .4.
  • Gaunerthum, Conjunctur des .15.
  • , geſellſchaftliche Verhältniſſe, Aberglaube, Ehe, Eitelkeit, Genuß - ſucht, Sinnlichkeit, Statiſtik. 132.
  • Gefen .219.
  • Geier .120.
  • Geiſteskrankheiten.49,260,273.
  • Geldfälſchung.212,215.
  • Geldmännchen .268.
  • Gemeine Frauen .329.
  • Gemeine Töchter .329.
  • Gemeinheiten, ſtädtiſche .343.
  • Geneff .207.
395
  • George Plateroon .215.
  • Geſandtſchaftspäſſe .315.
  • Glaſeime, ſ. Kleſeime.
  • Glitſch, Glitſchen, Glitſchin.128,156.
  • Glocken an den Hausthüren .187.
  • Glockenfedern .187.
  • Glucke mit Küken .190.
  • Glücksbuden .292.
  • Glücksſpiele .294.
  • Glunde .330.
  • Goldene Choſchech .137.
  • Gole.194,237.
  • Golehopſen, Goleſchächten.234,238.
  • Golemichſe .237.
  • Grandiſſon, Karl .245.
  • Griffe der Torfdrucker.228,229.
  • Grosjean, ſ. Grandiſſon.
  • Groß-Klamoniſſ.125,155.
  • Groß-Purim.125,155.
  • Gruber .128.
  • H.
  • Haddern.276,277.
  • Hakeſen .97.
  • Halbe Lewone .128.
  • Halchener .121.
  • Haliche .235.
  • Hall, John.222,231.
  • Hamelſack .234.
  • Handalphabet .56.
  • Handel, Handeln .119.
  • Händler .121.
  • Handpapier .300.
  • Handſchriften, Aehnlichkeit der .299.
  • Charakter, Fälſchung der .296.
  • Hartlieb, Buch aller verboten Kunſt .256.
  • Haupter, Hauptſchlüſſel .168.
  • Haufirer.270,323.
  • Haufirhandel.270,273,319.
  • Hausnopper .208.
  • Hausthürglocken .187.
  • Hausthürketten .188.
  • Hautz .25.
  • Hazardſpiele .294.
  • Hehler .322.
  • Hehlerei, Geſetzgebung .339.
  • Herzogs-Keßler .10.
  • Hexenverfolgungen .250.
  • Hochſtappler .121.
  • Hopſer .121.
  • Hoſen .183.
  • Hunde, des Bairiſchen Hieſel, des Tom Gerhard .81.
  • Hundefuhrwerke .237.
  • Hundsſattler .21.
  • J.
  • Jadſchabber .125.
  • Jadzinken .55.
  • Jaſchwenen, ſ. Maſchkon.
  • Jaskehändler .121.
  • Javelliſche Lauge .303.
  • Jedia, Jediaſſ .245.
  • Jedionen, Jedioner .245.
  • Jerid, den Jerid abhalten. 121
  • Jetons, hannoveriſche .213.
  • Jezirah .251.
  • Jickjack, der ſcheele .13.
  • Jnnen .246.
  • Jntippel.145,326.
  • Jökeln .128.
  • Jom .138.
  • Jomlekicher .121.
  • Jommakker.121,154.
  • Jonen, Joner.246,274.
  • Jſch .9.
  • Junen .246.
  • Jung und Alt.286.
  • K.
  • Kabbala .251.
  • Kabbaliſtiſche Alphabete und Deutun - gen .252.
  • Kabel .131.
  • Kaffee, Wahrſagen aus.262,263.
  • Kaffeemühle .133.
  • Kaffer .25.
396
  • Kakeln, Kakler .189.
  • Kandich .332.
  • Kardem .133.
  • Karten .258.
  • , Beſchneiden der .281.
  • , Farben der.259,277.
  • , Radiren der .282.
  • , Zeichnen der .280.
  • - Spiele.276,277.
  • - Wahrſagerei,258.
  • Kaſchern, ſich .181.
  • Kaſſam .248.
  • Kaſſiwe, Kaſſiwer.86,91.
  • Kaſſiwemelochner .121.
  • Kaſſpern.85,247.
  • Kauach .148.
  • Kaudemgänger, Kaudemhalchener .183.
  • Kaudemmahkener .155.
  • Kaune, Kaunehandel .213.
  • Kauſſem .248.
  • Kauwe .332.
  • Kawure.112,145,231.
  • Kdeſcho .331.
  • Kedem .183.
  • Kegelſpiel .293.
  • Kegler .189.
  • Kelef .259.
  • Kelefen .258.
  • Kelofim-Mollen .281.
  • Kelofim-Zinkenen .280.
  • Kenzinken .55.
  • Kereſch .127.
  • Keſſem .248.
  • Kies, Kiſſ .230.
  • Kife, Kiffe .157.
  • Kinjenen, Kinjer .322.
  • Kippe.148,157.
  • Kiſchuv, Kiſchuvmacher .247.
  • Kiſfimer.131,143.
  • Kißler .230.
  • Kitt .182.
  • Kittenſchieben, Kittenſchieber, Kitten - ſchub, Kittenſchub halten .183.
  • Klamoniſſ.125,155.
  • Klaſeime, ſ. Kleſeime.
  • Kleinklamoniſſ.125,155.
  • Kleinpurim .155.
  • Kleſeime .19.
  • Klopfſprache .97.
  • Klünſen .330.
  • Klumnick .143.
  • Klunſe .330.
  • Klunte .330.
  • Knöpperling .277.
  • Koch, Stipper .222.
  • Kochemer Bais .322.
  • Kaffer .319.
  • Kitt.322,328.
  • Penne, Kochemer Spieſſe.326,327,328.
  • Kodeſch .331.
  • Kofcheſſ .148.
  • Kohlſchaft .137.
  • Kone, Konehandel, Konehändler .213.
  • Koochegehen .148.
  • Korfiwe, Korfiwerei .300.
  • Koſchergehen .181.
  • Koten, Kotener Kardem, Kotener Mühlkracher .133.
  • Kracher, Kracherfetzen .128.
  • Kraut, Krauten, Krautſuppe .144.
  • Kröner .9.
  • Kroſchim, ſ. Kereſch.
  • Krummkopf .125.
  • Kübbe .332.
  • Kuff, Kuffe .157.
  • Kuffer.148,158.
  • Kuppe.148,157.
  • Kutſche .90.
  • Kuwjo, Kuwjoſtoſſ.276,285.
  • L.
  • Ladentiſche .198.
  • Lail .138.
  • Laikegänger .121.
  • Lailemakkener .155.
  • Lamden .139.
  • Lampen.138,139.
397
  • Lampen bekommen .140.
  • , ſtiller .139.
  • , voller .139.
  • Latchener .121.
  • Latſche .237.
  • Laufpäſſe .314.
  • Leim im Papier .300.
  • Leim-Chaume, Leim-Kaufſel, Leim - Kir .123.
  • Leile, ſ. Lail.
  • Lekiche, Lekiche auſſenen, - machen .123.
  • Lekicher.121,123.
  • Lesfinne.158,222.
  • Letz .222.
  • Lewone, Lewone legen .128.
  • Link, Linken, Linker .33.
  • Linkchalfen, Linkchalfenen .201.
  • Linkefleppe .297.
  • Linkemeſummemelochnen .211.
  • Linkſtappler .121.
  • Linkwechſeln, Linkwechsler .201.
  • Lowenſchurer .192.
  • Lupe, Anwendung der, bei Fälſchun - gen.221,302.
  • Lutz .222.
  • M.
  • Macher .121.
  • Mafteach .156.
  • Mafzer .157.
  • Magſeire .131.
  • Mahane ſein .329.
  • Makkenen, Makkener.153,154,165.
  • Makkenen auf Kittenſchub .180.
  • Makker .121.
  • Makko .154.
  • Mamſerbenette, Mamſer ben hanide .331.
  • Marchetzer, Marchitzer .190.
  • Maremokum .83.
  • Marmlpfriemen .126.
  • Maſcher .131.
  • Maſchinenpapier .300.
  • Maſchkon, Maſchkenen, MaſchkonbaisMaſchkonkeim, Maſchkonoſſ jaſch - wenen .325.
  • Maſſematten.107,119.
  • , ausgekochter .112.
  • handeln .140.
  • Maſſger .157.
  • Materialwaarenhändler .272.
  • Maude ſein .245.
  • Medicinalordnungen .273.
  • Medine, auf der.191,235.
  • , auf der, gehen .235.
  • Medinegeier .235.
  • Megerre .131.
  • Mekaſchev, Mekaſchev ſein .247.
  • Melochnen .211.
  • Melochner .121.
  • Meramme ſein .211.
  • Merammemooſſmelochnen .211.
  • Merchatz .190.
  • Merchetzer, Merchitzer .190.
  • Merkmale, künſtliche, des Körpers .39.
  • Meſabel ſein .266.
  • Meſchech, Meſchi .219.
  • Meſchores, Meſchorſe.211,327.
  • Meſſager .157.
  • Metallſucher .269.
  • Metallwandlungen .268.
  • Mewalbel, Mewallel ſein .338.
  • Michſe, Michſegole .237.
  • Miftech .157.
  • Mifzer .157.
  • Miſchke .263.
  • Mittelbruch des Schloſſes .162.
  • Mode, Modia, Modich ſein .245.
  • Mokum, in .191.
  • Mole .230.
  • Mollen der Karten .281.
  • Mooskuppe .158.
  • Mooss .212.
  • Mulje, Mulle .230.
  • Mumia spiritualis .23.
  • Münzfälſchung .212.
  • Muth der Gauner .16.
398
  • N.
  • Nachſchüſſel.154,168,169,170,171,173,174.
  • Nachtwachen .152.
  • Nachtwächter, ſ. Lampen.
  • Naffke, Naffkenne.207,331.
  • Nap .208.
  • Nefel, Nefelche .331.
  • Nekef, Nekefe, Nekeife.127,330.
  • Nep.207.
  • Neppe, eine Neppe handeln, Neppen, Nepper, Neppes, Nepſschaure.207,208.
  • Ner, Neiroſſ .142.
  • Neue Fahrt .283.
  • Newell-Schloß.176,179.
  • Nickel .330.
  • Nide, Nidde .331.
  • Nippes, Nipper, Nippig .207.
  • Noppen, Noppeln .208.
  • Notaroblate .312.
  • Nucke, Nuckel .330.
  • Nüpen .207.
  • O.
  • Olitätenhändler .272.
  • Orehm .157.
  • Orel, Orelte .9.
  • Oron, Orum .157.
  • Oſchpes, Oſchpis, Oſchpiſte, Oſpes, Oſpiſo bais .327.
  • Oxalſäure .303.
  • P.
  • Padde, Padde drücken .224.
  • Papier, Papierleim .300.
  • Paſchen, Paſcher, Paſcherei. Paſch - kuſenen.316,322.
  • Paſſung, Paſſung machen.123,127,157.
  • Paßcontrole .314.
  • Paßeinheit .307.
  • Paßfälſchung .296.
  • Paßweſen .35.
  • Patten .224.
  • Pegern, Peiger .136.
  • Penne, pennen .328.
  • Perkochhändler .148.
  • Permutation bitt-keys.176,179.
  • Peſcher, Peſchoro .322.
  • Peſſach, Peſſiche .157.
  • Peſſuch, Peſſucher, Peſſuchmelochnen.123,127,148.
  • Peuſchel, Chiromantie .254.
  • Pezire .131.
  • Pfand, Pfandleiher .325.
  • Pfetzen, pfitzen .222.
  • Pfindchen, ſ. Findchen.
  • Pich .224.
  • Picken.144,196.
  • Pictor von Villingen, Goetie.256,261,262.
  • Pille, ſ. Epilepfie.
  • Pilzel .327.
  • Pinkas, Pintes .297.
  • Pinn .328.
  • Pilegeſch, Pilegſche .9.
  • Piſchtim, Piſchtimhandel .219.
  • Piſschenpee .87.
  • Pittuche Chauſſom .310.
  • Platte Leute.316,326.
  • Plattmulje .224.
  • Platztrödel .324.
  • Pleite, - gehen, - halchenen, - treten, - melochnen .144.
  • Pleitehandeln .149.
  • Pleiteſtechen, Pliteſtechen .214.
  • Ploni .120.
  • Polengänger, Polengehen, Polen - handler .210.
  • Polit.144.
  • Polizei, Centraliſation der .358.
  • , deutſche .347.
  • , deutſch-franzöſiſche.341,350.
  • , Nothſtand der .354.
  • , Repräſentation der .350.
  • , Verſtändigung der mit dem Bürgerthum .369.
  • Polizeibureaux, Reform der .362.
399
  • Polizeichef.358,367.
  • Polizeiſtatiſtik, engliſche .2.
  • Polizeiſubalternen .367.
  • Poſſchenen, Poſſchener .157.
  • Poſtdiebe, Poſtwagenverſchlüſſe .244.
  • Prahlſucht der Gauner .25.
  • Premier.283,291.
  • Promeſſenſpiele .294.
  • Proſtitution.329,333.
  • Puddelche handeln, machen .205.
  • Pulver, loſes .224.
  • Purim .155.
  • Q.
  • Quackſalber .270.
  • Quackſalberei.271,272.
  • R.
  • Rachwener .198.
  • Radiren, Radirgummi, Radirpulver .301.
  • Rakkach .270.
  • Ratſchen .276.
  • Rauchel .270.
  • Raukach, Raukeach .270.
  • Reagentien, chemiſche .302.
  • Rebmauſchen, Rebtauweie .125.
  • Rechof .235.
  • Reform der Polizeibureaux .362.
  • Reiwechfetzer .121.
  • Rekach .270.
  • Religioſität der Gauner .30.
  • Repräſentation des Gaunerthums .1.
  • Repräſentation der Polizei .358.
  • Rezach, Rezeich, Reziche .149.
  • Rhabdomantie .269.
  • Riemenſtechen .290.
  • Ringſchrauben .186.
  • Rochel, Rochlim .270.
  • Roeſonos .331.
  • Romanusbüchlein .272.
  • Rozeach .149.
  • Rückzug .144.
  • S.
  • Sackem, Sackum .124.
  • Salzſäure .303.
  • Sam.136.
  • Sanduhr .287.
  • Sapographie .311.
  • Sarfenen, Sarfener .149.
  • Savoyardenjungen .227.
  • Schaatnes .219.
  • Schabber .125.
  • Schalitz, Chiromantie .254.
  • Schärfenſpieler .316.
  • Schärfenſpielerlager .317.
  • Schärfenſpielerverſtecke .318.
  • Schaſſklamoniſſ .155.
  • Scharfrichtercuren .271.
  • Schatnes .219.
  • Schatzgraben .266.
  • Schaute, Schautenfällen .192.
  • Schautenfäller .192.
  • Schautenpicker .196.
  • Scheffel .290.
  • Scheibeling .129.
  • Schein, bei Schein .138.
  • Scheinlatchener .121.
  • Scheinlingszwack, Scheinlingszwickeln .57.
  • Scheinſewecher .183.
  • Scheinſpringer .183.
  • Schekez .327.
  • Schellencylinder .189.
  • Schem hamphoraſch .254.
  • Schere .229.
  • Scherf, ſcherfen .316.
  • Schetnes .219.
  • Schibbauleſſ.83,148.
  • Schicker, Schikoron .329.
  • Schickſe, Schickſel.9,327.
  • Schieber .121.
  • Schiffche .327.
  • Schilchemer .158.
  • Schild einlegen .124.
  • Schindercuren .271.
  • Schkedele .206.
400
  • Schloß.153,156,159,160,177.
  • , Abbildung.160,177.
  • , Beſchreibung .159.
  • Schloßblech .159.
  • Schloßconſtruction .162.
  • Schloßdecke .159.
  • Schloßfalle .161.
  • Schloßriegel .161.
  • Schloßzuhaltung .161.
  • Schlüſſel .154.
  • Abbildungen.160,166,168,169,170,171,173,174,177,179.
  • Bewegung .159.
  • Conſtruction und Eintheilung .162.
  • Nachſchlüſſel.154,166,168,169,170,171,173,174.
  • Schluß, halber.167,175.
  • Schmidt, Sibylle. 10
  • Schmirn, Schmiere .138.
  • Schmuſer.195,204.
  • Schnapphahn .226.
  • Schnorren, auf die Pille, ſ. Epilepſie.
  • Schnut, Jtzig Schnut, ſ. Flep.
  • Schocher, Schochersdinkets, Schochers - finchen, Schochersgordel .263.
  • Schochermajim .261.
  • Schochermiſchke .263.
  • Schochersroll .263.
  • Schöcher, Schöcherkitt, Schöchern .329.
  • Schofelbais .332.
  • Schote, Schoto .192.
  • Schottenfällen, Schottenfäller .192.
  • Schranke, Schränken, Schränker .122.
  • Schränkzeug .135.
  • Schreef, Schreefenbos .330.
  • Schrekenen, Schrekener.53,195,204.
  • Schreibkünſtler .298.
  • Schuck, Schuck abhalten, auf dem Schuck handeln, Schuckgänger .121.235.
  • Schuppe, Schupper .275.
  • Schwäche, ſchwächen, Schwächkitt .328.
  • Schwärze, bei Schwärze.138,156.
  • Schwärzehändler .121.
  • Schwärzefiegel .312.
  • Schwärzling, Schwärzlingsfinchen .263.
  • Schwangerſchaft, ſimulirte .41.
  • Schwerhörigkeit, fimulirte .48.
  • Sechokker .276.
  • Sefel, Sefelgraben .266.
  • Seffel .266.
  • Seifenſieder .224.
  • Senuſſ, Senuſſtreiben .331.
  • Sepher Jezirah .251.
  • Serfer .149.
  • Sfire .203.
  • Sicherheit gegen Golehopſer .242.
  • gegen Goleſchächter .239.
  • gegen Schränker .150.
  • Sicherheitspapiere .306.
  • Sichler .9.
  • Siegelfälſchung.310,311.
  • Simulationen .38.
  • Siuf Zachkener .276.
  • Snaphaan .226.
  • Snuſſ, Snuſſ treiben, ſnuſſeln .331.
  • Sociale Verhältniſſe der Gauner .1.
  • Sohar .251.
  • Sone, Sonne.330,331.
  • Spaun, Franz von .99.
  • Sphiraſſ Aumer .94.
  • Spieler .121.
  • Spieſſ, Spieſſe.322,326.
  • Springer .121.
  • Sſaucher .208.
  • Sſauger ſein .157.
  • Sſchaure, Sſchore .208.
  • Sſippern, Sſippur .203.
  • Sſlichnerſtrafe .13.
  • Sſlichnerzinken .14.
  • Sſocher .208.
  • Sſrikenen, Sſrikener.53,195.
  • Sſuſſiml atchener .121.
  • Staatsfelinger .270.
  • Stabuler, Stappler.121,246.
  • Statiſtik des Gaunerthums .5.
  • Stempelpapier .303.
401
  • Stip, Stipitzen, Stippje, Stippen, Stipper, Stippruthe.202,222.
  • Stoßenſpieler.121,316.
  • Straat, Straathalten .234.
  • Strade, Stradehalten, Stradehänd - ler, Stradehandeln.149,234.
  • Stradekehren, Stradekehrer.149,235.
  • Strahl, Strähl, ſtrählen .235.
  • Strehle .234.
  • Strick .330.
  • Stroda, ſ. Strade.
  • Strohlager, Strohſäcke, Strohſeile .117.
  • Strom .332.
  • Sug, Sugas, Sugo .9.
  • Sympſon, Jonathan .227.
  • T.
  • Tabuletkrämer .270.
  • Tätowirungen .41.
  • Tafel .224.
  • Talgſchrift .308.
  • Taltalmiſch .156.
  • Taltel, Taltelnekef .156.
  • Tarling .277.
  • Taſchen.226,228.
  • Taſchendieb .223.
  • Taſchendiebſtahl, Sicherung gegen.232,233,234.
  • Taubſtummheit, ſimulirte .45.
  • Taylor, Tom.233.
  • Tchillesgänger.121,187.
  • Tchilleshändler, Tchilleshalchener .187.
  • Tchillesmakkener .155.
  • Tchillo .187.
  • Telegraphie .100.
  • Telegraphenalphabet .102.
  • Teufelsbündntſſe .250.
  • Theilung der Maſſematten .146.
  • Thermographie .311.
  • Tiefe .158.
  • Tinte, ſympathetiſche .307.
  • Tinte zu Urkunden.301,302.
  • Tintenrecepte .305.
  • Tippel, ſ. Epilepſie.
  • Tmea .331.
  • Tole.132,157.
  • Toraph, Torf, Torfdrucken, Torf - drucker .223.
  • Tradition, jüdiſche myſtiſche .251.
  • Trararumgänger.121,244.
  • Treek, Trek, trekken .224.
  • Trefe, Treife, Trefenekelim .223.
  • Trockendruck auf Holz .309.
  • Trödel, Trödler.322,323,324.
  • U.
  • Ueberklebung gefälſchter Urkunden .301.
  • Unterkabber, unterkabbern.123,127.
  • Untermakkeln .146.
  • Unterſchriften .299.
  • Unterſuchung gegen Gauner .374.
  • Urkundenfälſchung .296.
  • Entdeckung durch chemiſche Agen - tien .303.
  • Entdeckung durch Erwärmung .303.
  • Entdeckung mit deſtillirtem Waſ - ſer .304.
  • V.
  • Veraner .247.
  • Verdienen .316.
  • Verfolgung des Gaunerthums .371.
  • Vergiftung der Hunde, ſ. Pegern.
  • Verkawwern, Verkowerer .322.
  • Verkroſchen .127.
  • Vermärin .247.
  • Vernefft .207.
  • Verpaſchwenen .325.
  • Verſarkenen.195,230.
  • Verſchärfen .316.
  • Verſchluß.122,153.
  • Verſchwendungsſucht der Gauner .26.
  • Verſe des Joh. Bückler .23.
  • Verſetzen, Pfänder .325.
  • Verſtändigung zwiſchen Polizei und Bürgerthum .369.
  • Vertäweln .127.
Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 26402
  • Vertuſſ, Vertuſſer, Vertuſſmacher.73,74,195,204.
  • Viaſchma, Viatzmahandel .210.
  • Vielmetter, Ludwig und Anna Mar - garetha .12.
  • Vigilantenweſen, Beſeitigung des .366.
  • Volle Lewone .128.
  • Volteſchlagen .279.
  • Vorleger .134.
  • W.
  • Wahrſagen.247,249.
  • aus Blei .262.
  • aus Kaffeeſatz .261.
  • mit dem Siebe .264.
  • mit Wachs .262.
  • Wandmachen .230.
  • Waſſerlein, Poſtexpedient .245.
  • Waſſerſucher .269.
  • Wege, offene, geſchloſſene .264.
  • Weimariſche Bibel .266.
  • Welſch Echeder, Hinterbogen, Hin - terſchieber, Vorderbogen, Vorder - ſchieber .156.
  • Werner .12.
  • Wildenaer .207.
  • Wiltner .207.
  • Wirthe, Wirthshausleben.37,293,326.
  • Wittſtock .25.
  • Wünſchelruthe .269.
  • Würfel.276,285.
  • Fälſchen.286,287.
  • Füllen mit Sand .287.
  • Füllen mit Blei .286.
  • Füllen mit Queckſilber .288.
  • Futtern .286.
  • Schleifen .285.
  • Würgen .132.
  • Z.
  • Zachkan, Zachkener .276.
  • Zarfeſſ-Echeder .156.
  • Zauberbücher.254,266.
  • Zaubermyſtik .251.
  • Zchokken, Zchokkener .274.
  • Zefire, Zefiro .183.
  • Zefirgänger.121,183.
  • Zefirhalchener .183.
  • Zefiromakkener .155.
  • Zeit zum Handeln .137.
  • Zemer, Zemergefen .219.
  • Zeugen, falſche .84.
  • Zgocken, Zgocker .183.
  • Zieher .121.
  • Zierliche Schränker .122.
  • Zinken, Zinkenen.52,54,55,58,65,66,280.
  • Zippern .203.
  • Zwangspäſſe .314.
  • Zwiere .203.

Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.

Berichtigungen.

  • Seite 10, Zeile 19 v. o., ſtatt: den Angelockten, lies: die Angelockten
  • » 145, » 2 v. u., ſt. : tapap, l.: tapaph
  • » 149, » 8 v. u., ſt. : wofür auch brandſtiften, flakkern., l.: wofür auch flakkern, brandſtiften.
  • » 154, » 6 v. u., ſt.:〈…〉〈…〉 (nakach), l.:〈…〉〈…〉 (nacho)

Jm erſten Theile, Seite 210, Zeile 4 v. u., iſt der bei Grolman vor - kommende Ueberſetzungsfehler Tanz für Gans unberichtigt geblieben.

About this transcription

TextDas Deutsche Gaunerthum
Author Friedrich Christian Benedikt Avé-Lallemant
Extent419 images; 118718 tokens; 22503 types; 888953 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDas Deutsche Gaunerthum in seiner social-politischen, literarischen und linguistischen Ausbildung zu seinem heutigen Bestande Zweiter Theil Friedrich Christian Benedikt Avé-Lallemant. . XI, 402 S. BrockhausLeipzig1858.

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Staatsbibliothek München BSB München, Pol.civ. 7 s-1/2

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Recht; Wissenschaft; Recht; core; ready; china

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Editorial principles

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:28:43Z
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ShelfmarkBSB München, Pol.civ. 7 s-1/2
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