PRIMS Full-text transcription (HTML)
Eine Aegyptiſche Königstochter.
Hiſtoriſcher Roman
Dritter Band.
Stuttgart. Druck und Verlag von Eduard Hallberger. 1864.
Eine Aegyptiſche Königstochter.
Hiſtoriſcher Roman
Dritter Band.
Stuttgart. Druck und Verlag von Eduard Hallberger. 1864.
[1]

Erſtes Kapitel.

Prexaspes, der Botſchafter des Königs, einer der vornehmſten Hofbeamten, hatte Gaumata, den Geliebten der Mandane, deſſen Aehnlichkeit mit Bartja in der That ſtaunenswerth genannt werden mußte, krank und verwun - det wie er war, nach Babylon gebracht. Hier wartete er im Kerker des Richterſpruches, während Boges, ſein Ver - führer, trotz aller Bemühungen der Sicherheitsbehörde, nirgends aufzufinden war. Das Volksgedränge in den Straßen von Babylon hatte ſeine Flucht, welche ihm durch jene Fallthür auf den hängenden Gärten möglich geworden war, erleichtert. Die Reichthümer, die man in ſeiner Wohnung vorfand, waren ungeheuer. Ganze Kiſten voll Gold und Schmuckſachen, die er ſich in ſeiner Stellung leicht verſchaffen konnte, wurden in den königlichen Schatz, dem ſie entſtammten, zurückgeführt. Aber Kambyſes hätte gern, um des Verräthers habhaft zu werden, den zehn - fachen Betrag dieſer Reichthümer hingegeben.

Zwei Tage nach der Freiſprechung der Angeklagten ließ er, zu Phädymes Verzweiflung, alle Bewohnerinnen des Weiberhauſes, ſeine Mutter, Atoſſa und die mit dem Tode ringende Nitetis ausgenommen, nach Suſa ſchaffen. Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. III. 12Mehrere vornehme Eunuchen wurden ſofort ihrer hohen Stellen entſetzt. Die Kaſte ſollte für das Verbrechen ihres der Strafe entronnenen Mitgliedes büßen.

Oropaſtes, welcher ſein Amt als Stellvertreter des Königs bereits angetreten und ſeine Unſchuld an dem Verbrechen ſeines Bruders vollkommen klar bewieſen hatte, belehnte ausſchließlich Magier mit den erledigten Würden. Die Demonſtration, welche von Seiten der Babylonier zu Bartja’s Gunſten ſtattgefunden hatte, wurde dem Könige erſt bekannt, nachdem das Volk ſchon längſt auseinander gelaufen war. Trotz ſeiner Sorge um Nitetis, die ihn faſt ausſchließlich in Anſpruch nahm, ließ er ſich genauen Bericht über dieſe geſetzwidrigen Vorfälle abſtatten, und befahl die Rädelsführer ſtreng zu ſtrafen. Er glaubte dem Geſchehenen entnehmen zu können, daß Bartja um die Gunſt des Volkes werbe, und würde demſelben vielleicht ſchon jetzt ſein Mißfallen thätlich bewieſen haben, wenn ihm nicht ein beſſeres Gefühl geſagt hätte, daß nicht er dem Bartja, ſondern Bartja ihm zu vergeben habe. Trotz dem konnte er den Gedanken, Bartja ſei wiederum, wenn auch ohne ſein Zuthun, an den traurigen Ereigniſſen der letzten Tage Schuld geweſen, ebenſo wenig unterdrücken, als den Wunſch, ihn ſo vollkommen als möglich zu beſei - tigen. Darum ſchenkte er dem Wunſche des Jünglings, ſofort nach Naukratis zu reiſen, vollen Beifall.

Nach einem zärtlichen Abſchiede von ſeiner Schweſter und Mutter machte ſich Bartja, zwei Tage nach ſeiner Freiſprechung, auf den Weg. Gyges, Zopyros und ein zahlreiches Gefolge, welches koſtbare Geſchenke von Seiten des Kambyſes für Sappho mit ſich führte, begleiteten ihn. Darius folgte ihm nicht, da ihn ſeine Liebe für Atoſſa zurückhielt. Auch war der Tag nicht fern, an welchem er3 Artyſtone, die Tochter des Gobryas auf Befehl ſeines Vaters heimführen ſollte.

Bartja trennte ſich mit ſchwerem Herzen von ſeinem Freunde, dem er, in Bezug auf Atoſſa, zur größten Vor - ſicht rieth. Kaſſandane wußte jetzt um das Geheimniß der Liebenden und verſprach, Darius bei dem Könige das Wort zu reden.

Wenn Einer, ſo durfte der Sohn des Hyſtaspes ſei - nen Blick zur Tochter des Kyros erheben; war er doch eng mit dem regierenden Hauſe verſchwägert, gehörte er doch, wie Kambyſes, zu den Paſargaden; war doch ſein Stamm eine jüngere Linie der herrſchenden Dynaſtie 1). Sein Vater nannte ſich das Oberhaupt des geſammten Reichsadels und verwaltete als ſolches die Provinz Perſien, das Mutterland, dem das ungeheure Weltreich und deſſen Beherrſcher ihren Urſprung verdankten. Nach dem Aus - ſterben der Familie des Kyros hatten die Nachkommen des Hyſtaspes ein wohlbegründetes Erbrecht auf den perſiſchen Thron. Darum war Darius, ganz abgeſehen von ſeinen perſönlichen Vorzügen, ein ebenbürtiger Freier für Atoſſa. Dennoch konnte man jetzt noch nicht wager, um die Ein - willigung des Königs zu bitten. Bei der düſteren Stim - mung, in welcher ſich derſelbe ſeit den letzten Vorfällen befand, konnte er leicht eine abſchlägige Antwort geben, und eine ſolche mußte unter allen Umſtänden als unwider - ruflich betrachtet werden. So zog Bartja, ohne über die Zukunft des ihm ſo theuren Paares beruhigt zu ſein, in die Ferne.

Kröſus verſprach, auch hier als Vermittler aufzutreten, und führte Bartja, kurz vor ſeiner Abreiſe, mit Phanes zuſammen.

Der Jüngling kam dem Athener, von dem er durch4 ſeine Geliebte nur Schönes und Gutes gehört hatte, mit großer Freundlichkeit entgegen und gewann ſich ſchnell die Zuneigung des vielerfahrenen Mannes, der ihm manchen nützlichen Wink und ein Empfehlungsſchreiben 2) an den Mileſier Theopompos zu Naukratis auf den Weg gab und ihn ſchließlich um ein Geſpräch unter vier Augen er - ſuchte.

Als Bartja mit dem Athener wiederum zu den Freun - den trat, erſchien er ernſt und nachdenklich; bald aber hatte er die Sorge vergeſſen und ſcherzte mit den Genoſſen beim frohen Abſchiedsbecher. Bevor er am Morgen des nächſten Tages ſein Roß beſtieg, ließ ihn Nebenchari um eine Audienz bitten. Der Augenarzt wurde vorgelaſſen und erſuchte ihn, eine umfangreiche Briefrolle für den - nig Amaſis nach Aegypten mitzunehmen.

Dieſelbe enthielt eine ausführliche Schilderung des Leidens der Nitetis und endete: So wird dieſes arme Opfer Deines Ehrgeizes durch das Gift, welches ſie, um nicht zu verzweifeln, einnahm, in wenigen Stunden einem zu frühen Tode verfallen. Wie der Schwamm ein Bild von der Tafel, ſo wiſcht die Willkür der Mächtigen dieſer Erde das Glück eines Menſchenlebens aus. Verbannt von Heimat und Beſitz verkümmert Dein Knecht Nebenchari; als Selbſtmörderin ſiecht die unſelige Tochter eines ägyp - tiſchen Königs dahin. Jhr Leichnam wird von Hunden und Geiern, nach perſiſcher Sitte, zerriſſen werden. Wehe denen, welche die Unſchuldige des Glückes der Erde und der Ruhe im Jenſeits beraubten!

Bartja verſprach dem finſteren Manne, dieß Schrei - ben, deſſen Jnhalt er nicht kannte, mitzunehmen, ſtellte, von einer jubelnden Volksmenge umgeben, vor den Thoren der Stadt die Steine auf, welche ihm, nach dem perſiſchen5 Aberglauben 3) eine glückliche Reiſe ſicherten, und verließ Babylon.

Jndeſſen ſchickte ſich Nebenchari an, auf ſeinen Poſten am Sterbelager der Aegypterin zurückzukehren.

An der ehernen Pforte der Mauer, welche den Gar - ten des Weiberhauſes mit den Höfen des großen Palaſtes verband, trat ihm ein weiß gekleideter Greis entgegen. Kaum hatte er denſelben erblickt, als er zurückbebte und den hageren Alten wie eine Erſcheinung anſtarrte. Da ihm derſelbe jedoch vertraulich und freundlich zulächelte, beſchleunigte er ſeine Schritte, ſtreckte ihm mit einer Herz - lichkeit, welche ihm keiner ſeiner perſiſchen Bekannten zu - getraut haben würde, die Hand entgegen und rief in ägyptiſcher Sprache: Darf ich denn meinen Augen trauen?! Alter Hib 3 a), Du hier in Perſien? Eher hätte ich des Himmels Einſturz, als die Freude, Dich hier am Euphrat zu ſehen, erwartet! Jetzt aber ſage mir, in Oſiris Namen, was Dich alten Jbis bewegen konnte, Dein warmes Neſt am Nil zu verlaſſen und die weite Reiſe gen Oſten zu unternehmen?

Der Alte, welcher ſich während dieſer Worte mit herunterhängenden Armen tief verbeugt hatte, ſchaute jetzt den Arzt mit unbeſchreiblicher Glückſeligkeit an, betaſtete die Bruſt deſſelben mit zitternden Händen und rief, ſein rechtes Knie beugend und ſeine Arme gen Himmel erhe - bend: Habe Dank, große Jſis, die Du den Wandrer beſchirmſt, daß Du mich meinen Herrn alſo finden läßt! Ach, Kind, welche Angſt hab ich um Deinetwillen aus - geſtanden! Abgezehrt, wie einen verhungerten Gefangnen aus den Steinbrüchen, verhärmt und elend dachte ich Dich anzutreffen, und ſehe Dich jetzt wieder in blühender Ge - ſundheit, ſchön und ſtattlich wie immer! Ach wenn der6 arme, alte Hib an Deiner Stelle geweſen wäre, ſo würde er ſich längſt zu Tode gegrämt und geärgert haben!

Glaub Dir’s Alterchen! Auch ich habe die Heimat nur gezwungen und mit blutendem Herzen verlaſſen. Die Fremde gehört dem Typhon*)Siehe I. Theil_Anmerkung_143.; die wahren Götter woh - nen nur in Aegypten, nur am heiligen, geſegneten Nil!

Hat ſich was mit dem Segen! brummte der Alte.

Du erſchreckſt mich, Väterchen. Was iſt denn vorge - fallen, daß? ...

Vorgefallen? Hm Schöne Dinge ſind vor - gefallen! Nun, Du wirſt ſchon zeitig genug davon hören! Glaubſt Du denn, daß ich unſer Haus und meine Enkel - chen verlaſſen und mich in meinem achtzigſten Jahre, wie ſolch ein helleniſcher oder phönikiſcher Landſtreicher auf Reiſen und unter die heilloſen Fremden, welche die Götter vernichten mögen, begeben haben würde, wenn es in Aegypten noch auszuhalten wäre?

Aber ſo rede doch!

Später, ſpäter! Jetzt mußt Du mich für’s Erſte mit in Deine Wohnung nehmen, die ich nicht verlaſſen will, ſo lange wir in dieſem typhoniſchen Lande bleiben.

Der Greis hatte dieſe Worte mit ſo lebhaftem Ab - ſcheu ausgeſprochen, daß ſich Nebenchari eines Lächelns und der Frage: Jſt man Dir denn gar ſo übel begeg - net, mein Alterchen? nicht erwehren konnte.

Das will ich meinen! polterte der Greis. All dieſe Perſer ſind die nichtswürdigſte Typhonsbrut auf Er - den! Mich wundert nur, daß ſie nicht alleſammt rothköpfig und ausſätzig geboren werden! Ach Kind, ich bin ſchon zwei Tage in dieſer Hölle und habe eben ſolange mitten7 unter den Götterverächtern leben müſſen! Man ſagte mir, es ſei unmöglich, Dich zu ſprechen, denn Du dürfteſt das Lager der kranken Nitetis nicht verlaſſen. Die arme Kleine! Jch hab’s gleich geſagt, daß dieſe Heirath mit einem Fremden übel ablaufen würde. Na, es geſchieht Amaſis ſchon recht, wenn ihm ſeine Kinder Kummer ma - chen! Er hat’s um Dich allein verdient!

Schäme Dich, Alter!

Ei was! Einmal muß es doch heraus! Jch haſſe dieſen hergelaufenen König, der, als er noch ein armer Junge war, Deinem Vater die Nüſſe von den Bäumen ſchlug und die Schilder von den Hausthüren riß! O, ich hab ihn damals wohl gekannt, den Taugenichts! ’s iſt eine Schmach, daß man ſich von ſolchem Menſchen, der

Gemach, gemach Alter! unterbrach Nebenchari den ſich ereifernden Greis. Wir ſind nicht Alle von einem Holze gemacht, und wenn Amaſis als Knabe wirklich nicht viel mehr war als Du, dann iſt es Deine Schuld, wenn Du als Greis ſo viel weniger biſt, als er.

Mein Großvater war Tempeldiener, mein Vater war es, darum mußte ich natürlich daſſelbe werden 4) ...

Ganz recht, ſo befiehlt es das Geſetz der Kaſten, dem zu Folge Amaſis nichts Anderes ſein dürfte, als höch - ſtens ein armer Kriegshauptmann.

Nicht Jeder hat ein ſo weites Gewiſſen, wie dieſer Glückspilz!

Jmmer der Alte! Schäme Dich Hib! So lang ich lebe, und das dauert nun ſchon ein volles halbes Jahr - hundert, iſt jedes dritte Wort, das Du redeſt, ein Schelt - wort. Als ich noch ein Kind war, mußte ich unter Dei - ner üblen Laune leiden; jetzt trifft dieſelbe den König.

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Und mit Recht! O, wenn Du wüßteſt! Sieben Mo - nate iſt es her, ſeitdem ...

Jch kann Dich jetzt nicht hören! Beim Aufgange des Siebengeſtirns will ich aber einen Sklaven ſchicken, der Dich in meine Wohnung führen ſoll. Bis dahin bleibſt Du in Deinem bisherigen Quartiere, denn ich muß nothwendiger Weiſe zu meiner Kranken.

So, Du mußt? Gut, geh nur und laß den alten Hib ſterben! Jch komme um, ich vergehe, wenn ich nur noch eine Stunde bei dieſen Menſchen bleiben ſoll!

Aber, was willſt Du eigentlich?

Jn Deinen Gemächern warten, bis wir wieder ab - reiſen.

Hat man Dich denn gar ſo unglimpflich behandelt?

Und wie! O, dieſer Ekel! Sie haben mich gezwun - gen mit ihnen aus demſelben Topfe zu eſſen und mein Brod mit ihrem Meſſer zu ſchneiden. Ein heilloſer Per - ſer, der lange in Aegypten geweſen und mit mir gereiſt iſt, hat ihnen Alles mitgetheilt, was uns verunreinigt 5). Als ich mich ſcheeren wollte, nahmen ſie mir das Meſſer fort. Eine nichtswürdige Dirne küßte mich, eh ich mich deſſen verſah, auf die Stirn. Du brauchſt nicht zu la - chen! Jch bedarf wenigſtens eines Monats, um mich von all dieſen Befleckungen zu ſäubern. Als endlich das Brech - mittel, welches ich genommen, ſeine Wirkung that, ver - höhnten ſie mich. Aber das war noch nicht Alles. Ein verwünſchter Küchenjunge ſchlug in meiner Gegenwart ein heiliges Kätzchen halb zu Tode. Ein Salbenreiber, der erfahren hatte, daß ich Dein Diener ſei, ließ mich durch denſelben verruchten Bubares, mit dem ich hergekommen, fragen, ob ich mich auch auf Augenheilkunde verſtehe? Jch9 habe dieſe Frage vielleicht bejaht; denn, weißt Du, in ſechzig Jahren ſieht man ſeinem Herrn ſchon etwas ab. Da klagt mir der elende Menſch, Bubares dolmetſchte mir Alles, daß er ſich wegen eines ſchrecklichen Uebels an ſeinen Augen beunruhige. Als ich ihn frage, worin dieß beſtehe, läßt er mir antworten, daß er im Dunkeln nichts zu er - kennen vermöge!

Du hätteſt ihm antworten ſollen, das einzige Mittel gegen dieſe Krankheit ſei, Licht anzuſtecken!

O, wie ich dieſe Böſewichter haſſe! Wenn ich noch eine Stunde lang bei ihnen bleiben muß, ſo gehe ich zu Grunde!

Nebenchari lächelte und gab ſeinem Diener zurück: Du wirſt Dich den Fremden gegenüber wunderbar genug geberdet und ihren Uebermuth gereizt haben. Die Perſer ſind im Allgemeinen ſehr artige, höfliche Leute 6). Ver - ſuch’s nur noch einmal mit ihnen! Heute Abend will ich Dich gern bei mir aufnehmen; eher aber kann ich nicht.

Dacht ich’s doch! Auch er hat ſich verändert! Oſiris iſt todt, und Typhon herrſcht wieder auf Erden!

Gehab Dich wohl! Wenn das Siebengeſtirn auf - geht, ſo erwartet Dich der Sklave Nebununf, unſer alter Aethioper, an dieſer ſelben Stelle.

Nebununf, der alte Spitzbube, den ich nicht ſehen mag?!

Derſelbe!

Hm, ’s iſt immer noch was Gutes, wenn man bleibt wie man war. Jch kenne freilich Leute, die das nicht ge - rade von ſich ſagen können, die ſtatt ſich auf ihre Kunſt zu beſchränken, auch innere Krankheiten heilen wollen, die einem alten treuen Diener ...

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Befehlen ſeinen Mund zu halten und den Abend in Geduld zu erwarten.

Dieſe letzten mit Ernſt geſprochenen Worte verfehlten ihren Eindruck auf den Alten keineswegs. Derſelbe ver - neigte ſich nochmals und ſagte, ehe ſein Herr ihn verließ: Jch bin unter dem Schutze des früheren Söldner-Ober - ſten Phanes hierher gekommen. Derſelbe hat dringend mit Dir zu ſprechen.

Das iſt ſeine Sache; er möge mich aufſuchen!

Du ſteckſt ja den ganzen Tag bei dieſer Kranken, deren Augen ſo geſund ſind ...

Hib!!

Meinetwegen mag ſie den Sta[a]r auf beiden haben! Darf Phanes heut Abend mit mir kommen?

Jch wünſchte mit Dir allein zu ſprechen.

Und ich mit Dir; der Hellene ſcheint aber ſehr eilig zu ſein und weiß faſt Alles, was ich Dir zu erzählen habe.

Haſt Du geplaudert?

Das gerade nicht, aber ...

Bis dahin kenne ich Dich nur als einen verſchwie - genen Menſchen.

Das war ich auch immer. Dieſer Hellene wußte aber ſchon viel von dem, was ich weiß, und das An - dere ...

Nun?

Das Andere hat er aus mir herausgeholt, ich weiß ſelbſt nicht wie! Trüge ich nicht dieß Amulet gegen den böſen Blick, ſo würde ...

Jch kenne den Athener und verzeihe Dir! Es würde mir lieb ſein, wenn Dich derſelbe heut Abend begleitete. Wie hoch die Sonne ſchon ſteht! Die Zeit drängt! 11So erzähle in kurzen Worten, was ſich zugetragen hat ...

Jch denke, heut Abend ...

Nein, ich muß wenigſtens eine allgemeine Kenntniß von dem Vorgefallenen haben, ehe ich mit dem Athener rede. Mach es kurz!

Du biſt beſtohlen worden.

Weiter nichts?

Wenn Du das nichts nennſt!

Antworte! Weiter nichts?

Nein!

Dann lebe wohl!

Aber, Nebenchari! ...

Der Augenarzt hörte dieſen Ruf nicht mehr, denn ſchon hatte ſich die Pforte, welche zu dem Hauſe der Weiber des Königs führte, hinter ihm geſchloſſen.

Als das Siebengeſtirn aufgegangen war, ſaß Neben - chari in einem der prächtigen Zimmer, die er auf der öſt - lichen Seite des Palaſtes, unweit der Wohnung Kaſſan - dane’s, inne hatte. Die Freundlichkeit, mit der er ſeinem alten Diener begegnet war, hatte wieder jenem Ernſte Platz gemacht, der ihn unter den leichtblütigen Perſern in den Ruf eines finſteren Griesgrams brachte.

Er war ein ächter Aegypter, ein ächtes Kind jener Prieſterkaſte, deren Mitglieder ſelbſt in ihrer Heimat, ſo - bald ſie ſich öffentlich zeigten, feierlich und würdevoll ein - herzugehen und niemals zu ſcherzen pflegten, während ſie im Kreiſe ihrer Genoſſen und Familie den ſelbſtauferleg - ten Zwang abſch üttelten und vollkommen heiter, ja aus - gelaſſen ſein konnten.

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Nebenchari empfing Phanes mit kalter Höflichkeit, obgleich er denſelben von Sais her kannte, und befahl dem alten Hib, nach einer kurzen Begrüßung, ihn mit dem Oberſten allein zu laſſen.

Jch habe Dich aufgeſucht, begann der Athener in ägyptiſcher Sprache, deren er vollkommen mächtig war, weil ich wichtige Dinge mit Dir beſprechen muß

Von denen ich unterrichtet bin! lautete die kurze Antwort des Arztes.

Daran möchte ich zweifeln, erwiederte Phanes mit anmuthigem Lächeln.

Du biſt aus Aegypten verjagt, von Pſamtik, dem Thronerben bitter verfolgt und gekränkt worden, und kommſt jetzt nach Perſien, um Kambyſes zum Werkzeuge Deiner Rache gegen mein Vaterland zu werben.

Du irrſt! Deinem Vaterlande ſchulde ich nichts; deſto mehr habe ich jedoch dem Hauſe des Amaſis heim - zuzahlen.

Du weißt, daß in Aegypten Staat und König Eins ſind.

Jch glaube vielmehr die andre Bemerkung gemacht zu haben, daß ſich die Prieſter Deiner Heimat gern dem Staate gleichſetzen.

So biſt Du beſſer unterrichtet, als ich. Jch hielt bis dahin die ägyptiſchen Könige für unbeſchränkt.

Das ſind ſie, ſoweit ſie ſich dem Einfluſſe Deiner Standesgenoſſen zu entheben verſtehen. Auch Amaſis beugt ſich jetzt vor den Prieſtern.

Seltſame Neuigkeit!

Die man Dir ſchon längſt mitgetheilt haben wird.

Meinſt Du?

Ganz beſtimmt! Aber noch beſtimmter weiß ich, daß13 es ihm einmal, hörſt Du, einmal gelungen iſt, den Willen ſeiner Lenker dem ſeinigen unterzuordnen.

Jch erfahre nur wenig aus der Heimat und weiß nicht, was Du meinſt.

Das glaube ich; denn wenn Du es wüßteſt und ballteſt jetzt nicht Deine Fäuſte, dann wäreſt Du nicht beſſer als ein Hund, der ſich winſelnd treten läßt und ſeinem Quäler die Hände leckt!

Der Arzt erbleichte bei dieſen Worten und ſagte: Jch weiß, daß ich von Amaſis beleidigt worden bin; bitte Dich aber, zu bemerken, daß ich die Rache für ein zu ſüßes Gericht halte, um es mit einem Fremden theilen zu mögen!

Wohlgeſprochen! Was aber meine Rache anbetrifft, ſo vergleiche ich dieſelbe mit einem Weinberge, der ſo voll iſt, daß ich ihn nicht allein abzuernten vermag.

Und Du biſt hierhergekommen, um hülfreiche Winzer anzuwerben?

So iſt’s; gebe ich doch die Hoffnung immer noch nicht auf, daß Du die Ernte mit mir theilen wirſt.

Du irrſt! Meine Arbeit iſt vollbracht; die Götter ſelbſt haben mir dieſelbe abgenommen. Amaſis iſt dafür, daß er mich aus der Heimat, von Freunden und Schülern verbannte und eigennütziger Pläne wegen in dies unreine Land ſchickte, hart genug beſtraft worden.

Etwa durch ſeine Blindheit?

Vielleicht.

So weißt Du nicht, daß Dein Kunſtgenoſſe Petam - mon eine Haut, die den Sehſtern des Amaſis bedeckte, durchſchnitten und ihm das Tageslicht wieder gegeben hat?

Der Aegypter zuckte zuſammen und knirſchte mit den Zähnen; aber er gewann ſchnell ſeine Faſſung wieder und14 gab dem Athener zurück: Dann haben die Götter den Vater in ſeinen Kindern beſtraft.

Wie meinſt Du das? Pſamtik behagt dem - nige in ſeiner jetzigen Stimmung ganz wohl; Tachot leidet zwar, betet und opfert jedoch um ſo fleißiger mit dem Vater. Was endlich Nitetis betrifft, ſo wird ihm der wahrſcheinliche Tod derſelben nicht allzunahe gehn; das weißt Du ſo gut als ich.

Abermals kann ich Dich nicht verſtehen.

Das iſt natürlich, ſo lange Du wähnſt, daß ich die ſchöne Kranke für eine Tochter des Amaſis halte.

Der Aegypter erbebte wiederum; Phanes aber fuhr fort, ohne ſcheinbar auf ſeine Erregung zu achten: Jch bin beſſer unterrichtet, als Du vermuthen kannſt. Nitetis iſt die Tochter Hophra’s, des entthronten Vorgängers Deines Königs. Amaſis hat dieſelbe auferzogen, als wäre ſie ſein eigenes Kind, um Deinen Landsleuten erſtens den Glauben beizubringen, der geſtürzte Pharao ſei ohne Nach - kommen geſtorben; zweitens aber, um Nitetis aller An - ſprüche auf einen Thron, der ihr von Rechtswegen zukommt, zu berauben. Am Nil ſind ja auch Weiber regierungsfähig! 7)

Dieß ſind Vermuthungen

Die ich durch unumſtößliche Beweiſe zu bekräftigen vermag! Unter den Papieren, welche Dein alter Diener Hib in einem Käſtchen bei ſich führte, müſſen ſich Briefe eines gewiſſen Sonnophre, eines berühmten Geburtshelfers 8), Deines Vaters, vorfinden

Wenn dem ſo wäre, dann ſind doch in jedem Falle dieſe Schreiben mein Eigenthum, das ich nicht herauszugeben geſonnen bin; zweitens aber möchteſt Du in Perſien ver - geblich nach einem Manne ſuchen, der die Schrift meines Vaters zu entziffern verſtände.

15

Verzeih mir, wenn ich Dich abermals auf einige Jrrthümer aufmerkſam mache. Erſtens befindet ſich jenes Käſtchen, wie geſagt, in meinem Gewahrſam und wird Dir, ſo hoch ich ſonſt das Recht des Eigenthümers zu achten gewohnt bin, nicht eher zurückerſtattet werden, bis mir der Jnhalt deſſelben zu meinen Zwecken gedient hat; zweitens verweilt in der That, durch die wunderbare - gung der Götter, ein Mann zu Babylon, welcher jede Schriftart, die ein ägyptiſcher Prieſter nur immer kennen mag, zu leſen verſteht. Erinnerſt Du Dich zufällig des Namens Onuphis?

Der Arzt erbleichte zum drittenmale und fragte: Biſt Du ſicher, daß dieſer Mann noch immer unter den Leben - den wandelt?

Geſtern hab ich mit ihm geſprochen. Er war, wie Du weißt, Oberprieſter zu Heliopolis und darum in all eure Geheimlehren eingeweiht. Mein weiſer Landsmann Pythagoras von Samos kam nach Aegypten, erlangte, nachdem er ſich einigen eurer Ceremonien unterworfen hatte 9), die Erlaubniß, an dem Unterrichte der Prieſter - ſchule von Heliopolis Theil zu nehmen, gewann ſich durch ſeine großen geiſtigen Vorzüge die Liebe des trefflichen Onuphis, wurde durch denſelben in alle Geheimlehren 10) ein - geweiht und machte dieſelben der Welt nutzbar. Jch ſelbſt und meine treffliche Freundin Rhodopis nennen uns mit Stolz ſeine Schüler. Als Deine Standesgenoſſen erfuhren, daß Onuphis zum Verräther der Myſterien geworden ſei, beſchloſſen die prieſterlichen Richter, ihn umzubringen. Er ſollte durch ein Gift getödtet werden, das man aus den Kernen des Pfirſichbaumes, der eurem Gotte des Schwei - gens 11) geweiht iſt, gewinnen kann. Der Verurtheilte hörte von dem, was ihn bedrohte, und floh nach Naukratis,16 woſelbſt er im Hauſe der Rhodopis, von deren Trefflichkeit ihm Pythagoras erzählt hatte, einen durch den Freibrief des Königs geſicherten Verſteck fand. Hier wurde er mit Antimenidas, dem Bruder des Dichters Alkäos*)S. 1. Theil Anm. 16 (Alkäos). von Lesbos bekannt, der viele Jahre lang, während er durch Pittakos, den weiſen Herrſcher von Mitylene, aus der Heimat verbannt geweſen, zu Babylon gelebt und bei Nebukadnezar, dem damaligen Könige von Aſſyrien, Kriegs - dienſte genommen hatte. Dieſer Antimenidas gab ihm Empfehlungen an die Chaldäer. Onuphis reiste zum Eu - phrat, ließ ſich zu Babylon nieder und mußte ſich, da er als armer Mann ſeine Heimat verlaſſen hatte, nach einem Broderwerb umſehen. Einen ſolchen erhielt er durch den Empfehlungsbrief des Antimenidas. Heute noch friſtet er, der einſtmals zu den Mächtigſten in Aegypten gehörte, ſein Leben, indem er den Chaldäern bei ihren aſtronomi - ſchen Berechnungen auf dem Thurme des Bel mit ſeinen überlegenen Kenntniſſen hülfreiche Hand leiſtet. Onuphis iſt beinahe achtzig Jahr alt, doch vollkommen friſchen Geiſtes. Als ich ihn geſtern ſprach und um ſeinen Beiſtand bat, ſagte er mir denſelben mit leuchtenden Augen zu. Dein Vater war einer ſeiner Richter; er will aber nicht ſeinen Groll von dem Erzeuger auf den Sohn übertragen und läßt Dir ſeinen Gruß entbieten.

Nebenchari hatte während dieſer Erzählung ſinnend zu Boden geſchaut. Als Phanes ſchwieg, ſah er denſelben durchdringend an und fragte: Wo ſind meine Papiere?

Jn Händen des Onuphis, der in ihnen nach dem Belege ſucht, deſſen ich bedarf.

Das konnte ich denken! Sei ſo gut, mir zu ſagen,17 wie die Kiſte ausſieht, welche Hib nach Perſien zu bringen für gut fand.

Es iſt ein Köfferchen von ſchwarzem Ebenholz.

Nebenchari athmete auf und ſagte: Dasſelbe enthält nichts, als einige Aufzeichnungen meines Vaters.

Die meinen Zwecken vielleicht genügen werden. Jch weiß nicht, ob man Dir erzählt hat, daß ich mich der höchſten Gunſt des Kambyſes erfreue.

Um ſo beſſer für Dich! Jch kann Dich verſichern, daß die Papiere, welche Dir am ſicherſten dienen könn - ten, in Aegypten geblieben ſind.

Sie lagen in einer großen, bunt bemalten Syko - moren-Kiſte.

Woher weißt Du das?

Weil ich, merke wohl auf, Nebenchari, weil ich Dir jetzt ſage, ich ſchwöre nicht, denn Pythagoras, der Meiſter, verbietet den Eidſchwur, daß eben dieſe Kiſte mit ſammt ihrem ganzen Jnhalt, im Haine des Neith - Tempels zu Sais, auf Befehl des Königs, verbrannt wor - den iſt.

Dieſe Worte, welche Phanes langſam, Sylbe auf Sylbe ſcharf betonend, ausſprach, trafen den Aegypter wie ebenſoviele Blitzſchläge. Die kalte Ruhe und Gemeſſenheit, die er bis dahin bewahrt hatte, wich einer unbeſchreiblichen Erregung. Seine Wangen glühten, und ſeine Augen flammten. Aber nur während einer einzigen Minute. Dann verwandelte ſich die Erregung in eiſige Ruhe, die glühenden Wangen entfärbten ſich, und der bebende Mund ſprach kalt und gelaſſen: Du willſt mich, um mich zu Deinem Bundesgenoſſen zu machen, mit Haß gegen meine Freunde erfüllen. Jch kenne euch Hellenen! Ränkevoll und liſtig, verſchmäht ihr kein Mittel des Truges undEbers, Eine ägyptiſche Königstochter. III. 218der Lüge, wenn euch daran liegt, eure Zwecke zu för - dern.

Du beurtheilſt mich und meine Landsleute nach ächt ägyptiſcher Art; das heißt, Du hältſt uns, als Fremde, für ſo ſchlecht als möglich; dießmal täuſcheſt Du Dich aber in Deinem Verdachte! Laß den alten Hib kommen und Dir von demſelben beſtätigen, was Du mir nicht glau - ben willſt.

Nebenchari’s Stirn verfinſterte ſich, als Hib, ſeinem Rufe folgend, in das Zimmer trat.

Komm näher! herrſchte er dem Alten zu.

Hib folgte achſelzuckend dem Befehle.

Haſt Du Dich von dieſem Manne beſtechen laſſen? Ja oder nein! Jch verlange die Wahrheit, denn es gilt das Wohl oder Wehe meiner Zukunft. Biſt Du in die Schlingen dieſes Meiſters in allen Liſten gegangen, ſo verzeih ich Dir, weil ich Dir, einem alten treuen Diener, Vieles zu danken habe. Sage die Wahrheit, ich be - ſchwöre Dich im Namen Deiner oſiriſchen Väter!

Das gelbliche Geſicht des Alten war während dieſer Worte ſeines Herrn erdfahl geworden. Mehrere Minuten lang konnte er ſchluckend und ſchnaufend keine Antwort finden. Endlich, nachdem es ihm gelungen war, die Thrä - nen, welche ſich mit aller Gewalt in ſeine Augen drängen wollten, hinunterzuwürgen, rief er halb zornig, halb weinerlich: Hab ich’s nicht gleich geſagt? Er iſt in dieſem Lande der Schmach und des Unheils verzaubert und verderbt worden. Weſſen man ſelber fähig iſt, das traut man auch Andern zu! Sieh mich nur zornig an, ich mache mir nichts daraus. Was kann es mich überhaupt noch kümmern, wenn man mich, einen alten Mann, der ſechzig Jahre lang demſelben Hauſe treu und redlich gedient hat,19 für einen Schurken, einen Spitzbuben, einen Verräther, wenn’s euch gefällig iſt, auch für einen Mörder hält!

Bei dieſen letzten Worten floßen die Augen des Grei - ſes, ſehr gegen ſeinen Willen, von heißen Thränen über.

Der leicht gerührte Phanes klopfte ihm auf die Schulter und ſagte, ſich an Nebenchari wendend: Hib iſt ein treuer Menſch. Nenne mich einen Schurken, wenn derſelbe einen Obolos von mir angenommen hat.

Der Arzt hätte dieſer Worte des Atheners nicht be - durft, um von der Unſchuld ſeines Dieners vollkommen überzeugt zu ſein. Er kannte denſelben ſo lange und ſo genau, daß er in den keiner Verſtellung fähigen Zügen des Alten wie in einem offenen Buche zu leſen verſtand; darum näherte er ſich demſelben und ſagte begütigend: Jch habe Dir nichts vorgeworfen, Alter. Wer wird über eine bloße Frage ſo böſe werden!

Soll mich wohl noch über Deinen ſchändlichen Ver - dacht freuen?

Das nicht; wohl aber geſtatte ich Dir jetzt, zu erzählen, was ſich während meiner Abweſenheit in unſerem Hauſe zugetragen hat.

Schöne Geſchichten! Die Galle ſteigt mir zu Kopfe, wenn ich daran denke.

Du ſagteſt vorhin, man habe mich beſtohlen.

Und wie! So iſt noch gar kein Menſch vor uns beſtohlen worden! Wenn die Spitzbuben noch Strolche von der Diebeskaſte geweſen wären 12), ſo könnte man ſich tröſten, denn erſtens würden wir dann den beſten Theil unſres Eigenthums wieder bekommen haben, und zweitens nicht ſchlimmer dran geweſen ſein, als viele Andre; wenn aber

Bleibe bei der Sache, denn meine Zeit iſt gemeſſen!

20

Weiß ſchon! Der alte Hib kann Dir hier in Per - ſien nichts recht machen; aber ſei es drum! Du biſt der Herr und haſt zu befehlen; ich bin nichts als der Diener, der gehorchen muß. Will mir’s merken! Na, es war alſo grade in der Zeit, wo die große perſiſche Geſandtſchaft nach Sais kam, um Nitetis zu holen und ſich von aller Welt wie Wunderthiere angaffen zu laſſen, als die Schänd - lichkeit vor ſich ging. Jch ſitze, gerade eh die Sonne unterging, auf dem Mückenthürmchen und ſpiele mit meinem Enkel, dem älteſten Knaben mein er Tabainofre*)Gute Palme., ’s iſt ein prächtiger, dicker Junge geworden, der für ſein Alter merkwürdig klug und kräftig iſt. Der Schlingel erzählt mir eben, ſein Vater habe, wie die Aegypter thun, wenn ihre Frauen die Kinderchen zu viel allein laſſen, die Schuh ſeiner Mutter verſteckt 13), und ich lache aus vollem Halſe, weil ich der Tabainofre, die keins der Enkelchen bei mir wohnen laſſen will, dieſen Streich ſchon gönnte, ſie ſagen immer, ich verzöge die Kleinen, als es plötzlich mit dem Klopfer ſo heftig an die Hausthür pocht, daß ich ſchon denke, es ſei Feuer ausgebrochen, und den Jungen von meinem Schooße fallen laſſe. So ſchnell ich kann, ſpring ich die Treppe hinunter, nehme mit meinen langen Beinen immer drei Stufen auf einmal und ſchiebe den Riegel zurück. Die Thür fliegt auf, und eine Schaar von Tempeldienern und Sicherheitsbeamten, es waren we - nigſtens fünfzehn Mann, dringt, ehe ich noch Zeit habe, nach ihrem Begehr zu fragen, ins Haus. Pichi, der un - verſchämte Tempeldiener der Neith, Du kennſt ihn ja, ſtößt mich zurück, riegelt die Thür von innen zu und befiehlt den Schaarwächtern, mich zu binden, wenn ich ſeinen21 Befehlen nicht Folge leiſten würde. Jch werde natürlich grob, denn ich kann nicht anders, wenn mich etwas ärgert, das weißt Du, Herr; da läßt er mich, bei unſerem Gotte Thoth, der die Wiſſenſchaft beſchirmt, ich rede die Wahrheit, Herr, da läßt der Grünſchnabel mir die Hände binden, verbietet mir, dem alten Hib, den Mund und theilt mir mit, daß er vom Oberprieſter den Auftrag habe, mir fünfundzwanzig Stockprügel geben zu laſſen, wenn ich mich nicht ohne jede Widerrede ſeinen Anert - nungen fügen würde. Dabei zeigt er mir den Ring des Oberprieſters. Nun mußt ich, ob ich wollte oder nicht, dem Befehle dieſes Schuftes gehorchen! Derſelbe beſtand in nichts Geringerem, als ihm ſofort alle Schriftſtücke, die Du in Deinem Hauſe zurückgelaſſen, einzuhändigen. Aber der alte Hib iſt nicht ſo dumm, daß er ſich gleich fangen läßt, wenn auch Manche, die ihn beſſer kennen ſollten, meinen, daß er ein beſtechlicher Menſch und der Sohn eines Eſels ſei. Was werde ich alſo thun? Jch ſtelle mich, als wär ich ganz zerknirſcht von dem Anblicke des Siegelrings, erſuche Pichi ſo höflich als ich eben kann, mir die Hände loszubinden, und ſage, daß ich die Schlüſſel holen wolle. Man nimmt die Stricke von meinen Händen, ich eile die Treppe hinauf, immer fünf Stufen mit einem Schritte nehmend, reiße, oben angekommen, die Thür Deines Schlafzimmers auf, ſchiebe meinen Enkel, der vor derſelben ſtand, hinein und ſtoße den Riegel vor. Dank meinen langen Beinen war ich den Andern ſo weit voraus, daß ich Zeit behielt, dem Jungen das ſchwarze Käſtchen, welches Du meiner beſondern Obhut empfohlen hatteſt, in den Arm zu geben, den kleinen Kerl durch das Fenſter auf den Altan, der das Haus an der dem Hofe zugekehr - ten Seite umgibt, zu heben und ihm zu befehlen, dasſelbe22[][] ſofort in den Taubenſchlag zu ſtecken. Dann öffne ich die Thür, als wäre nichts geſchehen, mache dem Pichi weis, der Junge habe ein Meſſer im Munde gehabt, und ich ſei darüber ſo entſetzt geweſen, daß ich vor lauter Angſt die Treppe ſo raſch hinaufgeſprungen ſei und den Buben nun zur Strafe an die Luft geſetzt habe. Der Bruder eines Nilpferds glaubte mir und ließ ſich dann durch das ganze Haus führen. Erſt fanden ſie die große Sykomoren-Kiſte mit den Papieren, welche Du mir gleich - falls ſorgſam zu bewachen anbefohlen hatteſt, dann die Papyrusrollen auf Deinem Arbeitstiſche, und nach und nach alles Geſchriebene, was nur im Hauſe aufzutreiben war. Das ſteckten ſie ohne Auswahl in die große Kiſte und trugen ſie hinunter; das ſchwarze Käſtchen aber lag unverſehrt im Taubenſchlage. Mein Enkel iſt der klügſte Junge in ganz Sais!

Als ich die Kiſte zum Hauſe hinaustragen ſah, erwachte meine mühſam hinuntergekämpfte Wuth von neuem. Jch drohte den unverſchämten Eindringlingen, ſie bei den Richtern, ja, wenn es Noth thäte, beim Könige zu verklagen, und würde auch das Volk gegen ſie auf - gehetzt haben, wenn die verdammten Perſer, denen die24 Stadt gezeigt wurde, nicht gerade in dieſem Augenblicke die ganze Aufmerkſamkeit der zuſammengelaufenen Menge in Anſpruch genommen hätten. Am ſelben Abende ging ich zu meinem Schwiegerſohne, der, wie Du weißt, gleich - falls Tempeldiener der Göttin Neith iſt, und bat ihn, Alles aufzubieten, um ſich Kenntniß von dem Schickſale der geraubten Schriften zu verſchaffen. Der gute Menſch iſt Dir noch immer dankbar für die reiche Mitgift, welche Du meiner Benra ſchenkteſt, und kam drei Tage ſpäter zu mir, um mir zu erzählen, daß er Zeuge geweſen ſei, wie man Deine ſchöne Kiſte und alle in ihr befindlichen Rollen verbrannt habe. Jch bekam vor Aerger die Gelb - ſucht, ließ mich aber von meiner Krankheit nicht abhalten, bei den Richtern eine Klageſchrift einzureichen. Dieſe Elenden wieſen mich, gewiß nur weil ſie ſelbſt Prieſter ſind, mit meiner Beſchwerde ab. Jetzt gab ich in Dei - nem Namen ein Bittſchreiben beim Könige ein, wurde aber auch von dieſem mit der ſchnöden Drohung, man werde mich als Staatsverräther betrachten, wenn ich jener Papiere noch einmal erwähnen würde, abgewieſen. Nun war mir meine Zunge zu lieb 14), um weitere Schritte zu thun. Der Boden brannte mir unter den Füßen. Jch konnte nicht in Aegypten bleiben, denn ich mußte Dich ſprechen; ich mußte Dir erzählen, was man Dir ange - than; ich mußte Dich, der Du mächtiger biſt, als Dein armer Diener, auffordern, Dich zu rächen; ich mußte Dir auch den ſchwarzen Kaſten, den man mir ſonſt viel - leicht gleichfalls abgejagt hätte, überliefern. So verließ ich denn mit blutendem Herzen die Heimath und mein Enkelchen, um, ſo alt ich bin, in die typhoniſche Fremde zu ziehen. Ach, der kleine Junge war ſo klug! Als ich25 ihn beim Abſchiede küßte, ſagte er: Bleib bei uns, Großvater! Wenn die Fremden Dich verunreinigen, ſo darf ich Dich nicht mehr küſſen. Benra grüßt Dich herzlich, und mein Schwiegerſohn läßt Dir ſagen, er habe in Erfahrung gebracht, daß Pſamtik, der Thronfolger, und Petammon, der Augenarzt, Dein alter Nebenbuhler, ganz allein an dieſer fluchwürdigen Frevelthat ſchuld wären. Weil ich mich nicht dem typhoniſchen Meere anvertrauen wollte, ſo reiste ich zuerſt mit einem Zuge arabiſcher Handelsleute bis nach Thadmor, der palmen - reichen Wüſtenſtation der Phönizier 15), und von dort mit ſidoniſchen Händlern bis Karchemis am Euphrat, woſelbſt ſich die von Phönizien nach Babylon führende Straße mit derjenigen verbindet, die von Sardes aus hierher führt. Schwer ermüdet ſaß ich dort in dem Wäldchen vor dem Stationshauſe, als ein mit königlichen Poſt - pferden reiſender Fremder ankam. Jch erkannte in ihm ſofort den früheren Oberſten der helleniſchen Söldner.

Und ich, unterbrach Phanes den Erzähler, er - kannte ebenſo ſchnell in Dir, Alter, den längſten und zänkiſchſten Menſchen, der mir je begegnet iſt. Hundert - mal hatte ich zu Sais über Dich lachen müſſen, wenn Du auf die Kinder ſchalteſt, die Dir nachliefen, ſo oft Du mit dem Arzneikäſtchen unter dem Arme Deinem Herrn durch die Straßen folgteſt. Ja, ich erinnerte mich, ſobald ich Dich ſah, eines Scherzes, den ſich der König nach ſeiner Art auf Deine Koſten erlaubt hatte. Als ihr Beide eines Tages vorbeikamet, rief er: Der Alte kommt mir vor wie eine grimmige Eule, die von kleinen neckſüchtigen Vögeln umflattert wird, und Nebenchari ſoll ein böſes Weib haben, das ihm zum26 Lohne für all die Augen, welche er ſehend macht, ſeine eigenen auskratzen wird!

Solche Schändlichkeit! rief der Alte, in Ver - wünſchungen ausbrechend.

Der Arzt hatte ſchweigend und ſinnend der Er - zählung ſeines Dieners zugehört. Von Zeit zu Zeit wechſelte die Farbe ſeines Angeſichts. Als er hörte, daß man ſeine Papiere, die Frucht vieler mühſam durch - arbeiteter Nächte, verbrannt, mit dem Willen ſeiner Standesgenoſſen und des Königs freventlich zerſtört habe, ballten ſich ſeine Fäuſte und ſein Körper erbebte, als überkomme ihn ein harter Froſt.

Dem Athener war keine Bewegung des Saïten ent - gangen. Er kannte die menſchliche Natur und wußte, daß häufig ein Wort des Spottes die Seele des Ehr - geizigen tiefer verletzt, als harte Beleidigungen. Darum wiederholte er gerade jetzt jenen leichtfertigen Scherz, den ſich Amaſis in Wahrheit einſtmals, ſeiner ſchalkhaften Neigung folgend, erlaubt hatte. Auch war ſeine Rech - nung richtig geweſen, denn er bemerkte, daß Nebenchari bei ſeinen letzten Worten eine Roſe, welche vor ihm auf dem Tiſche lag, mit der flachen Hand zerdrückte. Ein wohlgefälliges Lächeln unterdrückend, ſah Phanes zu Boden und fuhr fort: Jetzt wollen wir aber die Er - zählung der Reiſeabenteuer des braven Hib ſchnell be - ſchließen. Jch lud ihn ein, meinen Wagen zu theilen. Erſt weigerte er ſich, mit einem ſo verruchten Fremden, wie ich bin, auf einem Polſter zu ſitzen; doch gab er endlich meinen Bitten nach, hatte auf der letzten Station Gelegenheit, an dem Bruder des Oberprieſters Oropaſtes die Handgriffe, welche er Dir und Deinem Vater abgeſehen,27 der Welt zu zeigen, und langte glücklich zu Babylon an, woſelbſt ich ihm im Königspalaſte ſelbſt ein Unter - kommen verſchaffte, weil wir Deiner, wegen der traurigen Vergiftung Deiner Landsmännin, nicht habhaft werden konnten. Das Andere weißt Du.

Nebenchari ſenkte bejahend ſein Haupt und befahl Hib mit einem ernſten Winke, das Zimmer zu verlaſſen.

Der Alte gehorchte brummend und leiſe vor ſich hin ſcheltend. Als ſich die Thür hinter ihm geſchloſſen hatte, näherte ſich der Heilkünſtler dem Kriegsmann und ſagte: Jch fürchte, Hellene, daß wir trotz alledem keine Bundesgenoſſen ſein können!

Und warum nicht?

Weil ich vermuthe, daß Deine Rache im Vergleich zu derjenigen, die mir zu üben obliegt, zu gelinde aus - fallen möchte.

Jn dieſer Beziehung haſt Du nichts zu beſorgen! antwortete der Athener. Darf ich Dich meinen Bundes - genoſſen nennen?

Ja; unter einer Bedingung!

Laß ſie hören!

Du mußt mir Gelegenheit verſchaffen, mit eigenen Augen das Werk unſerer Rache zu ſehen.

Das heißt, Du willſt, wenn Kambyſes nach Aegypten zieht, das Heer begleiten?

Ja! Und wenn meine Feinde in Schmach und Elend ſchmachten, dann will ich ihnen zurufen: Seht, ihr Feiglinge, dies Unheil verdankt ihr dem armen, ver - bannten Augenarzte! O, meine Bücher, meine Bücher! Sie waren mir Erſatz für Weib und Kind, die ich Beide verloren. Aus ihnen ſollten Hunderte lernen, den Blinden28 aus ſeiner Nacht zu erlöſen und dem Schauenden die ſüßeſte Göttergabe, die Blume des Angeſichts, das Gefäß des Lichtes, das ſehende Auge, zu erhalten. Nun meine Bücher zerſtört ſind, hab ich umſonſt gelebt; mit meinen Werken haben die Elenden mich ſelbſt verbrannt! O meine Bücher, meine Bücher! Bei dieſen Worten ſchluchzte der unglückliche Mann ſchmerzlich auf; Phanes aber näherte ſich ihm, ergriff ſeine Rechte und ſprach: Dich, mein Freund, haben die Aegypter geſchlagen, ich aber bin von ihnen gemißhandelt worden; Dir ſind Diebe in die Scheune gedrungen, mir haben Mordbrenner Haus und Hof eingeäſchert. Weißt Du, Mann, weißt Du, was man mir gethan hat? Wenn ſie mich verjagten und verfolgten, ſo hatten ſie ein Recht dazu, denn ich war nach ihren Geſetzen des Todes ſchuldig. Um meinetwillen hätte ich ihnen vergeben können, denn ich hing an dieſem Amaſis, wie ein Freund an dem Freunde hängt. Das wußte der Elende, und dennoch litt er das Unglaubliche. O, das Gehirn ſträubt ſich, das Entſetzliche zu denken! Wie die Wölfe drangen ſie bei Nacht in das Haus eines wehrloſen Weibes und raubten meine Kinder, ein Mädchen und einen Knaben, den Stolz, die Freude, den Troſt meines heimathloſen Lebens. Und was thaten ſie mit ihnen? Das Mädchen hielten ſie gefangen, wie ſie vorgaben, um mich zu verhindern, Aegypten an die Fremden zu ver - rathen; den Knaben aber, das Bild der Schönheit und Güte, meinen einzigen Sohn, hat Pſamtik, der Thronerbe, vielleicht mit Wiſſen des Amaſis, ermorden laſſen. Mein Herz war in Gram und Verbannung zuſammengeſchrumpft, jetzt aber fühle ich, wie es in der Hoffnung nach Rache anſchwillt und in freudigeren Schlägen pocht!

27

[]

Nebenchari ſah mit düſterglühenden Blicken in die flammenden Augen des Atheners und ſprach, indem er ihm die Hand reichte: Wir ſind Bundesgenoſſen!

Der Athener ergriff die Rechte des Arztes und ſagte: Jetzt gilt es zunächſt, uns der Gunſt des Königs zu ver - ſichern!

Jch werde Kaſſandane ſehend machen.

Du könnteſt?

Jene Operation, welche Amaſis das Licht wieder gab, iſt meine Erfindung. Petammon entwandte mir die - ſelbe aus meinen verbrannten Schriften.

28

Warum haſt Du aber Deine Kunſt nicht früher bewährt?

Weil ich nicht gewohnt bin, meinen Feinden Ge - ſchenke zu machen.

Phanes fühlte bei dieſen Worten einen leiſen Schau - der; faßte ſich aber ſchnell und ſagte: Auch mir iſt die Gunſt des Königs gewiß. Die Geſandten der Maſſageten ſind heute ſchon heimwärts gezogen. Man hat ihnen den Frieden bewilligt und

Jn dieſem Augenblick wurde die Thür aufgeriſſen und ein Eunuch Kaſſandane’s ſtürzte in das Zimmer, indem er Nebenchari zurief: Die Herrin Nitetis will ſterben! Schnell, ſchnell! Mach Dich auf und folge mir!

Der Arzt winkte ſeinem Bundesgenoſſen zu, zog die Sandalen an und folgte dem Eunuchen an das Lager der hinſcheidenden Königsbraut.

[29]

Zweites Kapitel.

Schon verſuchte die Sonne, ſich durch die dichten Vorhänge, welche das Fenſter des Krankenzimmers der Aegypterin verſchloſſen, Bahn zu brechen, als Nebenchari noch immer an dem Lager derſelben ſaß. Bald befühlte er ihren Puls, bald beſtrich er ihre Stirn und Bruſt mit duftenden Salben, bald ſtarrte er träumeriſch vor ſich hin. Die Leidende ſchien nach einem Krampfanfalle in tiefem Schlummer zu liegen. Am Fußende ihres Bettes ſtanden ſechs perſiſche Heilkünſtler und murmelten Beſchwörungen, während Nebenchari zu Häupten der Kranken ſaß und von dort aus den Aſiaten, die ſeine überlegenen Kenntniſſe anerkannten, Vorſchriften diktirte.

So oft der Aegypter den Puls der Kranken berührte, zuckte er mit den Achſeln, eine Bewegung, welche ſeine perſiſchen Collegen ſofort einhellig nachahmten. Von Zeit zu Zeit öffnete ſich der Vorhang des Zimmers und ließ einen blühenden Mädchenkopf ſehen, deſſen blaue Augen den Heilkünſtler fragend anſchauten, um von demſelben jedesmal mit demſelben bedauerlichen Achſelzucken abgefertigt zu werden. Zweimal hatte ſich die Fragerin, Atoſſa, die Schweſter des Königs, den ſchweren Teppich von mileſiſchem30 Wollengewebe kaum mit den Füßen berührend, bis an das Lager ihrer kranken Freundin geſchlichen, um einen leiſen Kuß auf die von einzelnen feuchten Perlen bethaute Stirn derſelben zu hauchen; war aber jedesmal von dem ägyp - tiſchen Arzte mit ſtreng verweiſenden Blicken in das Neben - zimmer heimgeſandt worden.

Hier lag Kaſſandane, den Ausgang der Dinge er - wartend, während Kambyſes, als die Sonne aufgegangen und Nitetis in Schlummer verſunken war, die Kranken - ſtube verlaſſen und ſich auf ein Roß geſchwungen hatte, um, von Phanes, Prexaspes, Otanes, Darius und vielen aus dem Schlaf geweckten Höflingen begleitet, den Thier - garten in einem wilden Ritte zu durchmeſſen. Er wußte, daß er jede Gemüthsbewegung am beſten auf dem Rücken eines unbändigen Hengſtes ſitzend überwältigen oder ver - geſſen konnte.

Als Nebenchari den dröhnenden Hufſchlag aus der Ferne vernahm, ſchrack er zuſammen. Jhm träumte mit offenen Augen, der König ziehe mit unüberſehbaren Reiter - ſchaaren in ſeine Heimat, werfe Brandfackeln in die Städte und Tempel derſelben und zermalme mit gewaltigen Fauſt - ſchlägen die Rieſenbauten der Pyramiden. Jn dem Schutte der eingeäſcherten Städte lagen Weiber und Kinder, aus den Gräbern ſchrieen mit klagenden Stimmen die Mumien der Verſtorbenen, die ſich gleich Lebenden bewegten; und Alle: Prieſter, Krieger, Weiber, Kinder, Todte und Ster - bende, riefen ſeinen Namen aus und fluchten ihm, dem Verräther ſeines Vaterlandes. Kalte Fieberſchauer durch - bebten ſein Herz, welches krampfhafter ſchlug als die Adern der Sterbenden an ſeiner Seite. Wiederum öffnete ſich der Vorhang des Nebenzimmers, wiederum ſchlich Atoſſa herbei und legte ihre Hand auf ſeine Schulter. Er ſchrack31 zuſammen und erwachte. Nebenchari hatte drei Tage und drei Nächte faſt ohne jede Unterbrechung an dieſem Lager geſeſſen. Jene Träume waren wohl berechtigt, den Ueber - müdeten aufzuſuchen.

Atoſſa ſchlich zu ihrer Mutter zurück. Tiefes Schwei - gen lagerte in der ſchwülen Luft des Krankenzimmers. Der Aegypter gedachte ſeines Traumes; er ſagte ſich, daß er im, Begriff ſei, zum Verräther und Verbrecher zu werden. Nochmals zog Alles, was er im Halbſchlummer geſchaut hatte, an ſeinen Blicken vorüber; dießmal aber drängte ſich ein andres Bild vor jene ſchrecklichen Geſichter. Nebenchari ſah ſich neben den mit Ketten belaſteten Geſtalten des Amaſis, der ihn verbannt und verſpottet, des Pſamtik und der Prieſter, die ſeine Werke vernichtet hatten, ſtehen. Seine Lippen bewegten ſich leiſe; ſie durften an dieſer Stätte den unbarmherzigen Worten, die er im Geiſte ſeinen um Gnade flehenden Feinden zurief, keine Sprache geben. Dann wiſchte ſich der harte Mann eine Thräne aus dem Auge. Vor ſeiner Seele zogen die langen Nächte vorüber, in denen er, mit dem Schreiberohr in der Hand, bei’m matten Schein der Lampe dageſeſſen und ſeine Gedanken und Erfahrungen, jeden Buchſtaben ſorglich malend, in den feinſten hieratiſchen Zeichen niedergeſchrieben hatte. Für manche Krankheit des Auges, welche die heilige Ambres unheilbar nannte, hatte er ein Rettungsmittel gefunden. Aber er wußte wohl, daß ſeine Amtsgenoſſen ihn des Frevels bezüchtiget haben würden, wenn er ſich heraus - genommen hätte, das geweihte Buch verbeſſern zu wollen. Darum hatte er als Ueberſchrift ſeines Werkes die Worte gewählt: Einige neue von Nebenchari, dem Augenarzt, aufgefundene Schriften des großen Thoth 16), die Heil - kunde des Geſichts betreffend. Nach ſeinem Tode wollte32 er die Arbeit der Bibliothek zu Theben 17) vermachen, da - mit ſeine Erfahrungen all ſeinen Nachfolgern nützlich werden und der ganzen Schaar der Leidenden Früchte tragen möchten. Anerkennung nach dem Tode wünſchte er für ſich, während er der Wiſſenſchaft den Schlaf ſeiner Nächte opferte; Ruhm durch ſeine Mühen für die Kaſte, der er angehörte. Da ſtand jetzt ſein alter Nebenbuhler Petammon, nachdem er ihm die Erfindung des Sta[a]rſchnittes geraubt, an der Seite des Thronfolgers, im Haine der Neith, und ſchürte das vernichtende Feuer. Rothe Gluten färbten die boshaften Züge der Beiden, und ihr hämiſches Gelächter ſtieg mit den Flammen, Rache heiſchend, gen Himmel. Dort drüben reichte der Oberprieſter dem Amaſis die Briefe ſeines Vaters. Hohn und Spott ſprühte von den Lippen des Königs, triumphirende Freude aus den Zügen Neithotephs. So ſehr war er in ſeinen Träumen verſunken, daß ihn einer der perſiſchen Aerzte auf das Erwachen der Kranken aufmerkſam machen mußte. Er nickte demſelben, auf ſeine müden Augen deutend, lächelnd zu, befühlte den Puls der Leidenden und fragte dieſelbe in ägyptiſcher Sprache: Haſt Du gut geſchlafen, Herrin?

Jch weiß nicht, antwortete die Kranke mit kaum vernehmbarer Stimme. Mir war zwar, als wenn ich geſchlummert hätte; dennoch ſah und hörte ich Alles, was hier im Zimmer vorging. Jch fühlte mich ſo müde, daß ich den Traum nicht vom Wachen unterſcheiden konnte. Jſt nicht Atoſſa mehrmals bei mir geweſen?

Ganz recht!

Und Kambyſes verweilte, bis die Sonne aufging, bei Kaſſandane; dann ging er ins Freie, beſtieg den Hengſt Rekſch und ritt in den Thiergarten.

Woher weißt Du das?

33

Jch hab es geſehen.

Nebenchari ſchaute beſorgt in die glänzenden Augen der Jungfrau, welche fortfuhr: Auch hat man viele Hunde in den Hof hinter dieſem Hauſe geführt.

Der König will ſeinen Schmerz über Dein Leiden vielleicht durch eine Jagd betäuben.

O nein, das weiß ich beſſer! Oropaſtes hat mich gelehrt, daß jedem ſterbenden Perſer Hunde 18) zugeführt werden, damit der Diw des Todes in dieſelben fahre.

Du biſt ja noch am Leben, Herrin, und

O, ich weiß, daß ich ſterben werde! Hätt ich auch nicht geſehen, wie Du und die andern Aerzte, indem Jhr mich anſchautet, die Achſeln zucktet, ſo wüßte ich dennoch, daß ich nur noch wenige Stunden zu leben habe. Das Gift iſt tödtlich!

Du ſprichſt zu viel, Herrin; das Reden wird Dir ſchaden.

Laß mich, Nebenchari! Jch muß Dich um etwas bitten, eh ich ſterbe.

Jch bin Dein Diener!

Nein, Nebenchari, mein Freund ſollſt Du ſein, mein Prieſter! Nicht wahr, Du zürnſt mir nicht mehr, weil ich zu den perſiſchen Göttern gebetet habe? Jſis und Hathor ſind doch immer meine beſten Freundinnen geblieben. Ja, ich ſeh Dir’s an, daß Du mir vergibſt. Nun mußt Du mir aber auch verſprechen, mich nicht von Hunden und Geiern zerreißen zu laſſen*)Siehe I. Theil Anmerk. 107.. O, der Gedanke iſt gar zu ſchrecklich! Nicht wahr, Du wirſt meinen Leichnam balſamiren und ihn mit Amuleten ſchmücken?

Wenn der König es geſtattet.

Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. III. 334

O gewiß! Wie könnte Kambyſes meine letzte Bitte abſchlagen?

Meine Kunſt gehört Dir!

Jch danke Dir; aber ich habe noch eine Bitte.

Faſſ Dich kurz! Meine perſiſchen Genoſſen deuten mir an, daß ich Dir Schweigen auferlegen müſſe.

Kannſt Du dieſelben nicht auf einen Augenblick ent - fernen?

Jch will es verſuchen.

Nebenchari näherte ſich den Magiern. Wenige Mi - nuten ſprach er mit denſelben, dann verließen ſie das Zimmer. Er hatte vorgegeben, eine große Beſchwörung, der kein Dritter beiwohnen dürfe, vornehmen und ein neues geheimes Gegengift anwenden zu wollen.

Als die Beiden allein waren, athmete Nitetis freudig auf und ſagte: Gib mir Deinen Prieſterſegen zur langen Reiſe in die Unterwelt und mach mich fertig für die Wanderung zum Oſiris!

Nebenchari kniete an ihrem Lager nieder und mur - melte leiſe Geſänge, denen Nitetis mit andächtiger Stimme antwortete. Der Arzt ſtellte Oſiris, den Herrn der Unter - welt, dar; Nitetis die Seele, welche ſich vor demſelben rechtfertigt 19).

Nachdem dieſe Ceremonien beendet waren, hob ſich die Bruſt der Kranken in volleren Athemzügen. Nebenchari ſah nicht ohne Rührung auf die junge Selbſtmörderin. Er war ſich bewußt, den Göttern ſeiner Heimat dieſe Seele gerettet, einem guten Geſchöpfe die letzten, ſchweren Stunden erleichtert zu haben. Während dieſer Augenblicke hatte er in reinem Mitleid und wahrer Menſchenliebe jedes bittere Gefühl vergeſſen; als aber der Gedanke, Amaſis habe das Unglück auch dieſes lieblichen Geſchöpfes verſchuldet, in35 ihm äufſtieg, verfinſterten ſchwarze Gedanken von Neuem ſeine Seele. Nitetis, welche eine Zeit lang ſchweigend dagelegen hatte, wandte ſich wiederum freundlich lächelnd ihrem neuen Freunde zu und fragte: Nicht wahr, ich werde vor den Todtenrichtern Gnade finden?

Jch hoffe und glaube es!

Vielleicht werde ich Tachot am Throne des Oſiris finden, und mein Vater

Dein Vater und Deine Mutter erwarten Dich! Segne in Deiner letzten Stunde diejenigen, welche Dich erzeugten, und fluche denen, welche Dir Eltern, Thron und Leben raubten.

Jch verſtehe Dich nicht.

Fluche denen, Mädchen, welche Dir Eltern, Thron und Leben raubten! rief der Arzt zum andern Male, ſich hoch aufrichtend und mit tiefen Athemzügen auf die Ster - bende herniederſchauend. Fluche den Böſen, Mädchen, denn dieſer Fluch wird Dir höhere Gnade vor den Todten - richtern verſchaffen, als tauſend gute Werke! Der Arzt griff, indem er dieſe Worte ausrief, nach der Hand der Kranken und drückte dieſelbe mit Heftigkeit.

Nitetis ſchaute den Zürnenden ängſtlich an und lis - pelte in blindem Gehorſam: Jch fluche!

Fluche denen, die Deinen Erzeugern Thron und Leben raubten!

Denen, die meinen Erzeugern Thron und Leben raubten! O ach mein Herz!

Entkräftet ſank ſie auf das Lager zurück.

Nebenchari beugte ſich über die Leidende, drückte, ehe die Aerzte des Königs das Zimmer betreten konnten, einen leiſen Kuß auf die Stirn der Sterbenden und murmelte: Sie ſtirbt als meine Bundesgenoſſin. Die Götter ver -36 nehmen den Fluch der ſterbenden Unſchuld! Nicht nur als mein eigner, nein auch als Rächer König Hophra’s trage ich das Schwert nach Aegypten!

Einige Stunden ſpäter ſchlug Nitetis noch einmal die Augen auf.

Dießmal ruhte ihre kalte Rechte in den Händen Kaſſandane’s. Zu ihren Füßen kniete Atoſſa; Kröſus ſtand zu Häupten des Bettes und unterſtützte mit ſeinen ſchwachen Armen den gewaltigen König, welcher im Ueber - maß des Schmerzes gleich einem Trunkenen hin - und herwankte. Die Sterbende ſchaute ſich ſtrahlenden Blickes in dieſem Kreiſe um. Sie war unſagbar ſchön. Kam - byſes nahte ſich den erkaltenden Lippen und drückte einen Kuß auf dieſelben, den erſten und letzten, den er ihr geben durfte. Da entquollen zwei volle, warme Freuden - thränen ihren brechenden Augen, der Name Kambyſes klang leiſe von ihrem erbleichenden Munde, ſie ſank in Kröſus Arme zurück und war nicht mehr.

Wir übergehen die Schilderung der nächſten Stunden, denn es widerſteht uns, zu beſchreiben, wie auf ein Zeichen des oberſten perſiſchen Arztes alle Anweſenden außer Ne - benchari und Kröſus in großer Eile das Zimmer ver - ließen; wie man Hunde in das Krankenzimmer führte, um die klugen Köpfe derſelben der Verſtorbenen zuzuwenden und die Drukhs Naçus zu veranlaſſen, in die Thiere zu fahren; wie, nach dem Ableben der Jungfrau, Kaſſandane, Atoſſa und alle ihre Diener ſofort ein andres Haus be - zogen, um von dem Leichnam nicht verunreinigt zu werden, wie man alle Feuer in der alten Wohnung verlöſchte, damit das reine Element den befleckenden Geiſtern des37 Todes entrückt werde 20), wie man Beſchwörungsformeln murmelte 21), wie ſich endlich Jeder und Alles, was dem Leichnam nahe gekommen war, zahlreichen Waſchungen mit Waſſer und Rinderurin unterziehen mußte.

Kambyſes verfiel am Abende in ſeine alten epilepti - ſchen Krämpfe. Zwei Tage ſpäter ertheilte er Nebenchari die Erlaubniß, den Leichnam der Verſtorbenen, ihrem letzten Wunſche gemäß, in ägyptiſcher Weiſe zu balſamiren. Er ſelbſt überließ ſich ſchrankenlos ſeinem Schmerze, zer - fleiſchte ſeine Arme, zerriß ſeine Kleider und ſtreute Aſche auf ſein Haupt und ſein Lager. Alle Großen des Hofes mußten ſeinem Beiſpiele folgen. Die Wachen zogen mit zerriſſenen Fahnen, bei gedämpftem Trommelſchalle, auf. Die Cymbeln und Pauken der Unſterblichen waren mit Flor umwunden; die Roſſe, die der Verſtorbenen gedient hatten, ſowie diejenigen, welche bei Hofe benutzt wurden, mußten blau gefärbt und ihrer Schweife beraubt werden; das ganze Hofperſonal ging in dunkelbraunen, bis zum Gürtel zerriſſenen Trauerkleidern umher*)Siehe II. Theil Anmerk. 116., und die Ma - gier mußten drei Tage und drei Nächte lang ohne Unter - brechung für die Abgeſchiedene beten 22), deren Seele in der dritten Nacht bei der Brücke Chinvat**)Siehe II. Theil Anmerk. 100. den Richter - ſpruch für die Ewigkeit erwartete.

Auch der König, Kaſſandane und Atoſſa entzogen ſich jenen Reinigungen nicht und ſprachen, wie für eine nächſte Anverwandte, dreißig Sterbegebete, während Nebenchari die Todte in einem vor den Thoren der Stadt gelegenen Hauſe nach allen Regeln der Kunſt, in der koſtbarſten Weiſe, zu balſamiren begann 23).

38

Neun Tage lang verweilte Kambyſes in einem Zu - ſtande, der dem Wahnſinn glich. Bald wüthend, bald ſtumpf und theilnahmslos, geſtattete er ſelbſt nicht ſeinen Anverwandten und dem Oberprieſter, ihm zu nahen. Am Morgen des zehnten Tages ließ er den Oberſten der ſieben Richter kommen und befahl demſelben, das Urtheil über Gaumata, den Bruder des Oropaſtes, in ſo milder Weiſe als möglich zu ſprechen. Nitetis hatte ihn auf dem Kran - kenlager gebeten, das Leben des unglücklichen Jünglings zu ſchonen.

Eine Stunde ſpäter überbrachte man ihm den Wahr - ſpruch zur Beſtätigung. Derſelbe lautete: Sieg dem Könige! Nachdem Kambyſes, das Auge der Welt und die Sonne der Gerechtigkeit, in ſeiner Milde, die ſo weit iſt als der Himmel, und ſo unerſchöpflich als das Meer, uns befohlen hat, die Verbrechen des Magierſohnes Gau - mata nicht mit der Strenge des Richters, ſondern mit der Nachſicht der Mutter zu beurtheilen und zu beſtrafen, ſo haben wir, die ſieben Richter des Reiches, beſchloſſen, ſeines verwirkten Lebens zu ſchonen. Weil aber durch den Leicht - ſinn dieſes Jünglings die Höchſten und Beſten im Reich gefährdet worden ſind, und befürchtet werden könnte, daß er ſein Angeſicht und ſeine Geſtalt, welche die Götter in ihrer Huld und Gnade denen des edlen Kyros-Sohnes Bartja wunderbar ähnlich machten, noch einmal zum Scha - ben der Reinen und Gerechten mißbrauchen könnte, ſo haben wir beſchloſſen, ſein Haupt alſo zu entſtellen, daß der Unwürdigſte vom Würdigſten im Reiche leicht zu un - terſcheiden ſein möge. Darum ſollen dem Gaumata, mit Willen und auf Geheiß des Königs, heute, am Açtad des Monats Chordâd*)Mai. 24) beide Ohren abgeſchnitten werden,39 zur Ehre der Gerechten und zur Schmach des Un - reinen!

Kambyſes beſtätigte ſofort dieſes Urtheil, welches in der That am ſelbigen Tage vollſtreckt wurde.

Oropaſtes wagte nicht, für ſeinen Bruder Fürſprache einzulegen; die demſelben angethane Schmach kränkte aber ſeine ehrgeizige Seele tiefer, als wenn man ihn zum Tode verurtheilt haben würde. Er fürchtete, durch den Ver - ſtümmelten an Anſehen einzubüßen, und befahl demſelben deßwegen, Babylon ſobald als möglich zu verlaſſen und ein Landhaus, welches er auf dem Berge Arakadris 25) beſaß, zu beziehen.

Während der letzten Tage hatte ſich ein dürftig ge - kleidetes Weib, deſſen Angeſicht von einem dichten Schleier bedeckt war, Tag und Nacht an dem großen Eingangsthore des Palaſtes aufgehalten und ſich weder von den Dro - hungen der Wachen, noch den rohen Späſſen der könig - lichen Dienſtleute von ihrem Poſten vertreiben laſſen. Keiner der Unterbeamten, der das Thor paſſirte, entging ihren neugierigen Fragen, erſt nach dem Befinden der Aegyp - terin, dann nach dem Ergehen Gaumata’s. Als ihr ein geſprächiger Lampenanzünder das über den Bruder des großen Oberprieſters verhängte Urtheil, ſchadenfroh lachend, mittheilte, geberdete ſie ſich wie eine Unſinnige und küßte das Gewand des erſtaunten Mannes, der ſie für eine Geiſteskranke hielt und ihr ein Almoſen anbot. Sie lehnte daſſelbe ab und verharrte auf ihrem Poſten, indem ſie ſich von dem Brode, das ihr mitleidige Speiſevertheiler zu - warfen, nährte. Als Gaumata drei Tage ſpäter in einer verſchloſſenen Harmamaxa, mit feſt verbundenem Haupte, zum Thore des Palaſtes herausfuhr, eilte ſie dem Wagen nach und lief ſo lange ſchreiend neben demſelben her, bis40 der Fuhrknecht ſeine Maulthiere anhielt und nach ihrem Begehren fragte. Nun ſchlug ſie den Schleier zurück und zeigte dem kranken Jünglinge ihr hübſches, tieferröthendes Geſicht. Gaumata ſtieß, als er daſſelbe erkannte, einen leiſen Schrei aus, ſammelte ſich aber bald wieder und fragte: Was willſt Du von mir, Mandane?

Die Unglückliche hob ihre Hände flehend empor und rief: O verlaß mich nicht, Gaumata! Nimm mich mit Dir! Jch verzeihe Dir all das Unglück, in welches Du mich und die arme Herrin geſtürzt haſt. Jch liebe Dich ja ſo ſehr und will Dich pflegen und für Dich ſorgen, wie Deine niedrigſte Magd!

Der Jüngling kämpfte in ſeinem Jnnern einen kurzen Kampf. Schon wollte er die Thür des Wagens öffnen und die Geliebte ſeiner Kindheit in ſeine Arme ſchließen, als er den Hufſchlag nahender Roſſe vernahm. Er ſah ſich um, erblickte einen Wagen voll Magier, welche zum Gebet nach dem Schloſſe fuhren, und erkannte in ihnen mehrere frühere Genoſſen aus der Prieſterſchule. Seine Scham erwachte; er fürchtete, von denſelben, die er, als Bruder des Oberprieſters, oftmals ſtolz und hochfahrend behandelt hatte, geſehen zu werden, warf Mandane einen Beutel voll Gold, den ihm ſein Bruder beim Abſchied ge - ſchenkt hatte, zu und befahl dem Fuhrmann, in aller Eile fortzufahren. Die Maulthiere jagten in wilder Flucht davon. Mandane ſtieß den Beutel mit den Füßen von ſich, lief dem Geſpanne nach und hielt ſich an dem Kaſten des Wagens feſt. Ein Rad erfaßte ihr Kleid und riß ſie zu Boden. Mit der Kraft der Verzweiflung ſprang ſie auf, überholte die Mäuler, welche, da die Straße einen Berg hinaufführte, langſamer gehen mußten, und warf ſich denſelben in die Zügel. Der Fuhrknecht brauchte ſeine41 dreiſchnürige Geißel, die Thiere bäumten ſich, riſſen das Mädchen um und jagten davon. Jhr letzter Angſtſchrei drang wie ein Lanzenſtich in die Wunden des Verſtümmelten.

Am zwölften Tage nach dem Tode der Nitetis begab ſich Kambyſes wieder auf die Jagd. Das Waidwerk mit ſeiner Anſtrengung, ſeinen Gefahren und Erregungen, ſollte ihn zerſtreuen. Die Großen und Würdenträger em - pfingen ihren Herrſcher mit donnerndem Zurufe, den er freundlich dankend hinnahm. Die wenigen Tage des Grams hatten den des Leides ungewohnten Mann ſehr ver - ändert. Sein Angeſicht war bleich, ſein rabenſchwarzes Haupt - und Barthaar grau geworden. Die frühere Siegesgewißheit ſtrahlte nicht mehr ſo leuchtend, wie ſonſt, aus ſeinen Blicken; hatte er doch ſchmerzlich erfahren, daß es einen ſtärkern Willen gab, als den ſeinen, daß er zwar Vieles vernichten, aber auch nicht das ärmſte Leben er - halten konnte. Ehe man aufbrach, muſterte Kambyſes die Jäger, rief Gobryas herbei und fragte nach Phanes.

Mein König hat nicht befohlen

Er iſt ein - für allemal unſer Gaſt und Gefährte. Rufe ihn und folge uns nach!

Gobryas verneigte ſich, ſprengte zum Palaſte zurück und hielt nach einer halben Stunde wiederum mit Phanes beim Gefolge des Königs.

Mancher freundliche Gruß der Jagdgenoſſen wurde dem Athener zu Theil; ein Umſtand, der um ſo befrem - dender erſcheinen mußte, weil Niemand neidiſcher zu ſein pflegt als Höflinge, und kein Menſch der Mißgunſt ſichrer ſein darf, als der Günſtling eines Herrſchers. Nur Phanes ſchien eine Ausnahme von dieſer Regel bilden zu wollen. 42Er war allen Achämeniden ſo anmuthig entgegengekommen, hatte jedem Einzelnen ſo fein zu ſchmeicheln, durch hinge - worfene Andeutungen auf einen großen Krieg, der nicht ausbleiben könne, ſo viele Hoffnungen zu erregen und durch trefflich erzählte, den Perſern ganz neue Scherze ſo große Heiterkeit zu erwecken verſtanden, daß Alle, mit wenigen Ausnahmen, das Erſcheinen des Atheners freudig begrüß - ten. Als ſich derſelbe von dem Jägerzuge getrennt hatte, um mit dem Könige einen wilden Eſel zu verfolgen, ge - ſtand Einer dem Andern zu, noch niemals einen ſo voll - kommenen Mann wie Phanes geſehen zu haben. Man bewunderte die Klugheit, mit der er die Unſchuld der Gefangnen an den Tag gebracht, die Feinheit, mit welcher er den König gewonnen, die Schnelligkeit, mit der er die perſiſche Sprache erlernt hatte. Dabei wurde er von keinem der Achämeniden durch Schönheit und Ebenmaaß der Geſtalt übertroffen. Auf der Jagd bewährte er ſich als vollkommener Reiter, und im Kampfe mit einem Bären als ausnehmend kühner und geſchickter Jäger. Während die Höflinge bei der Heimkehr all dieſe Eigenſchaften des neuen Günſtlings in den Himmel erhoben, rief der alte Araspes: Jch gebe gerne zu, daß dieſer Hellene, welcher ſich übrigens auch ſchon im Kriege beſtens bewährt hat, ein ſeltener Mann iſt; ihr würdet ihm aber nicht halb ſoviel Lob zu Theil werden laſſen, wenn er kein Fremder, wenn er euch nichts Neues wäre!

Phanes hatte dieſe Worte vernommen, denn er be - fand ſich, von dichtem Strauchwerk verſteckt, in unmittel - barer Nähe des Redners. Als derſelbe ſchwieg, geſellte er ſich zu den Plaudernden und ſagte lächelnd: Jch habe Dich verſtanden und danke Dir für Deine freundliche Ge - ſinnung. Der zweite Theil Deiner Rede berührte mich43 beinahe noch angenehmer als der erſte; fand ich doch in demſelben meine eigne Bemerkung beſtätigt, daß ihr Perſer das großmüthigſte aller Völker ſeid, da ihr den Tugenden fremder Menſchen daſſelbe, ja beinahe größeres Lob als euren eignen zu Theil werden laſſet.

Alle Anweſenden lächelten geſchmeichelt, Phanes aber fuhr fort: Wie anders ſind z. B. die Juden! Sie halten ſich für das einzige den Göttern wohlgefällige Volk und machen ſich dadurch allen Weiſen verächtlich und der ganzen Welt verhaßt. Und nun erſt die Aegypter! Jhr glaubt nicht, wie verkehrt dieſe Menſchen ſind! Wenn es auf die Prieſter, welche ausnehmend mächtig ſind, allein ankäme, ſo würden alle Ausländer getödtet und das ganze Reich des Amaſis jedem Fremden unzugänglich gemacht werden. Ein ächter Aegypter hungert lieber, als daß er aus einem Topfe mit unſer Einem ſpeist. Es gibt nirgends ſo viel Seltſamkeiten, ſo viel Befremdliches und Staunenerregen - des, als dort! Doch um gerecht zu ſein, muß ich auch geſtehen, daß Aegypten mit Recht als reichſtes und wohl - bebauteſtes aller Länder der Welt bekannt iſt. Wem dieſes Reich gehört, der braucht ſelbſt die Götter ihrer Schätze wegen nicht zu beneiden! Und es iſt kinderleicht zu erobern, dieß ſchöne Aegypten! Jch kenne die dortigen Verhältniſſe aus zehnjähriger Erfahrung und weiß, daß die ganze Kriegerkaſte des Amaſis einer einzigen Schaar, wie euere Unſterblichen, nicht widerſtehen könnte. Nun, wer weiß, was die Zukunft bringt! Vielleicht machen wir noch Alle zuſammen einen Ausflug nach dem Nil. Jch meine, daß eure guten Schwerter ziemlich lange geraſtet haben!

Allgemeine ſtürmiſche Beifallsrufe begleiteten dieſe wohlberechneten Worte des Atheners.

Kambyſes hatte den Jubel ſeines Gefolges vernommen,44 wandte ſein Roß und fragte nach der Urſache deſſelben. Phanes nahm ſchnell das Wort und ſagte, die Achämeni - den hätten gejauchzt beim Gedanken an die Möglichkeit eines bevorſtehenden Krieges.

Welchen Krieges? fragte der König, zum Erſten - Male ſeit langen Tagen heiter lächelnd.

Wir redeten nur von der allgemeinen Möglichkeit, antwortete Phanes leichthin. Dann lenkte er ſein Roß dicht an die Seite des Königs. Seine Stimme nahm einen geſangreichen, zum Herzen gehenden Ton an; mit innigem Ausdrucke ſchaute er in die Augen des Königs und ſprach: O, mein Fürſt, zwar bin ich nicht als Dein Unterthan in dieſem ſchönen Lande geboren, zwar darf ich erſt ſeit kurzer Zeit mich rühmen, den Mächtigſten aller Herrſcher zu kennen, und dennoch vermag ich mich des vielleicht frevelhaften Gedankens nicht zu erwehren, daß die Götter mein Herz von Geburt an zu inniger Freund - ſchaft mit Dir beſtimmt haben. Nicht jene großen Wohlthaten, welche Du mir erwieſen, haben mich Dir ſo ſchnell und innig genähert. Deren bedarf ich nicht, denn ich zähle zu den Reicheren meines Volkes und habe keinen Sohn, keinen Erben, dem ich erworbene Schätze vermachen könnte. Einſtmals nannte ich einen Knaben mein, ein ſchönes, liebliches Kind; aber das wollte ich Dir ja nicht ſagen, ich ... Zürneſt Du meiner Freimüthigkeit, o König?

Wie ſollte ich! antwortete der Herrſcher, zu dem noch Niemand vor dem Athener in ähnlicher Weiſe geredet hatte, und der ſich mächtig zu dem ſeltſamen Fremden hingezogen fühlte.

Bis zum heutigen Tage war mir Dein Schmerz zu heilig, um denſelben zu ſtören; jetzt aber iſt die Zeit45 gekommen, Dich dem Grame zu entreißen und Dein er - kaltendes Herz mit neuer Glut zu erfüllen. Du wirſt Dinge vernehmen, welche Dich kränken müſſen.

Es gibt Nichts mehr, was mich betrüben könnte!

Meine Worte werden nicht Deinen Schmerz, ſondern Deinen Zorn erregen!

Du ſpannſt meine Neugier!

Man hat Dich ſchnöde betrogen; Dich, wie jenes liebliche Weſen, das vor wenigen Tagen einem zu frühen Tode verfiel.

Kambyſes ſchaute den Athener mit blitzenden Augen fragend an.

König Amaſis von Aegypten hat ſich erlaubt, mit Dir, dem mächtigen Herrn der Erde, ein freventliches Spiel zu treiben. Jene holde Jungfrau war nicht ſeine Tochter, obgleich ſie ſelber glaubte, das Kind des Amaſis zu ſein; ſie

Unmöglich!

So ſollt es ſcheinen, und dennoch rede ich die reine Wahrheit! Amaſis hat ein Gewebe von Lügen geſponnen, mit dem er alle Welt, und auch Dich, o König, beſtrickte. Nitetis, das holdeſte Weſen, welches jemals von einem Weibe geboren wurde, war ein Fürſtenkind; aber nicht Amaſis, nein, der entthronte König Hophra erzeugte dieſe Perle! Runzle die Stirn, mein Herrſcher; Du haſt ein Recht dazu, denn es iſt grauſam, von Freunden und Bundesgenoſſen betrogen zu werden!

Kambyſes gab ſeinem Hengſte die Sporen und rief, nachdem Phanes, um ſeine letzten Worte tief wirken zu laſſen, eine Zeit lang geſchwiegen hatte: Das Nähere! Weiter! Jch will Näheres wiſſen!

Der entthronte Hophra hatte zwanzig Jahre 26) lang46 in leichter Gefangenſchaft zu Sais gelebt*)Siehe die Vorrede., als ſich ſeine Gattin, welche drei Kinder geboren und ebenſoviele begraben hatte, zum andern Male ſchwanger fühlte. Hophra war glücklich und wollte, um ſich für dieſe Gnade zu be - danken, in dem Tempel der Pacht**)Siehe I. Theil Anmerk. 53., einer ägyptiſchen Göttin, der man den Kinderſegen zuſchreibt, Opfer bringen, als ein früherer Großer ſeines Hofes, Namens Patar - bemis 27), den er im Zorn ungerechter Weiſe ſchmählich verſtümmelt hatte, ihn mit einer Schaar von Sklaven überfiel und niedermetzelte. Amaſis ließ die klagende Wittwe ſofort in ſeinen Palaſt bringen und derſelben ein Gemach neben dem Zimmer ſeiner Gattin Ladike anweiſen, welche gleich ihr einer baldigen Niederkunft entgegenſah. Die Wittwe des Hophra ſchenkte dort einem Mädchen das Leben, gab aber ſelbſt in der ſchweren Stunde den Geiſt auf. Ladike genas zwei Tage ſpäter gleichfalls eines Kindes. Aber da ſind wir im Schloßhofe. Wenn Du mir geſtatteſt, ſo werde ich Dir den Bericht des Geburts - helfers, welcher den Betrug vermittelte, vorleſen laſſen. Verſchiedene Aufzeichnungen deſſelben ſind durch eine wun - derbare Fügung, von der ich Dir ſpäter erzählen werde, in meine Hände gekommen. Onuphis, ein früherer Ober - prieſter von Heliopolis in Aegypten, lebt hier zu Babylon und kennt alle Schreibarten 28) ſeines Volkes. Nebenchari, der Augenarzt, wird ſich, wie natürlich, weigern, einen Betrug, der ſeinem Vaterlande ſichres Verderben bringen muß, aufdecken zu helfen.

Jch erwarte Dich in einer Stunde mit jenem Manne. Kröſus, Nebenchari und alle Achämeniden, welche in Aegyp -47 ten waren, ſollen gleichfalls erſcheinen. Bevor ich handle, muß ich Gewißheit haben. Dein Zeugniß reicht nicht aus, denn ich weiß von Amaſis ſelbſt, daß Du Grund haſt, ſeinem Hauſe zu zürnen.

Zur feſtgeſetzten Zeit ſtanden die Befohlenen vor dem Könige.

Der frühere Oberprieſter Onuphis war ein Greis von achtzig Jahren, deſſen abgezehrtes Haupt einem Todten - ſchädel geglichen haben würde, wenn nicht aus demſelben zwei große, graue Augen hell und geiſtvoll geblickt hätten. Er ſaß, da er ſeiner gelähmten Glieder wegen nicht anders konnte, auch vor dem Könige, in einem Lehnſeſſel und hielt eine große Papyrusrolle in der abgemagerten Hand. Seine Kleidung war ſchneeig weiß, wie ſich dieß für den Prieſter ziemte, zeigte aber hier und dort Flicken und Riſſe. Früher mochte er groß und ſchlank geweſen ſein; jetzt aber war er ſo gebeugt und zuſammengezogen von Alter, Ent - behrungen und Leiden, daß ſeine Geſtalt winzig klein, ſein Haupt dagegen viel zu groß für den zwerghaften Leib erſchien.

Neben dieſem ſeltſamen Manne ſtand Nebenchari und legte die Kiſſen, welche den Rücken deſſelben ſtützten, zu - recht. Der Arzt verehrte in demſelben nicht nur den in alle Myſterien tief eingeweihten Oberprieſter, ſondern auch den hochbetagten Greis 29). Zur Linken des Alten ſtand Phanes, neben dieſem Kröſus, Darius und Prexaspes.

Der König ſaß auf einem Thronſeſſel. Sein Ange - ſicht war ſtreng und düſter, als er das Schweigen der Anweſenden unterbrechend alſo anhob: Der edle Hellene dort, den ich für meinen Freund zu halten geneigt bin, hat mir ſeltſame Mittheilungen gemacht. Amaſis von Aegypten ſoll mich ſchnöder Weiſe betrogen haben. Meine48 verſtorbene Gattin ſoll nicht ſeine, ſondern ſeines Vor - gängers Tochter geweſen ſein!

Ein Murmeln des Staunens ließ ſich hören.

Der Greis dort drüben iſt erſchienen, uns den Be - trug zu beweiſen.

Onuphis machte eine bejahende Bewegung.

Jetzt richte ich zuerſt an Dich, Prexaspes, meinen Botſchafter, die Frage: Jſt Dir Nitetis ausdrücklich als Tochter des Amaſis übergeben worden?

Ausdrücklich! Zwar hatte Nebenchari der hohen Kaſſandane die andre Zwillingsſchweſter, Tachot, als die ſchönere von beiden Königstöchtern, geprieſen; Amaſis be - ſtand aber darauf, Nitetis nach Perſien zu ſchicken. Jch vermuthete, daß er Dich, indem er Dir ſein ſchönſtes Kleinod anvertraute, beſonders verpflichten wollte, und ließ ab von der Werbung um Tachot, weil mir die Verſtorbene, ſowohl an Schönheit als an Würde, ihre Schweſter zu überragen ſchien. Jn ſeinem Briefe an Dich ſchrieb er auch, wie Du Dich erinnern wirſt, daß er Dir ſein ſchönſtes, liebſtes Kind anvertraue.

Alſo ſchrieb er.

Und ſicher war Nitetis die ſchönere und edlere von Beiden, beſtätigte Kröſus die Worte des Geſandten. Uebrigens kam es mir vor, als wäre Tachot der Liebling des ägyptiſchen Königspaares.

Ganz gewiß! fügte Darius hinzu; Amaſis neckte einſt Bartja beim Schmauſe und ſagte: Sieh nicht zu tief in Tachot’s Augen, denn wäreſt Du auch ein Gott, ſo würde ich Dir doch nicht geſtatten, dieſelbe mit nach Perſien zu nehmen!‘ Der Thronfolger Pſamtik war unbe - greiflicher Weiſe über dieſe Aeußerung ſehr entrüſtet und rief dem Könige zu: Vater, gedenke des Phanes!‘

49

Des Phanes?

Ja, mein König, antwortete der Athener. Amaſis hatte einſt im Rauſche mir gegenüber ſein Geheimniß aus - geplaudert; Pſamtik warnte ihn nun, ſich nicht zum Zwei - tenmale zu vergeſſen.

Erzähle!

Als ich von Kypros ſiegreich nach Sais heimkehrte, wurde ein großes Feſt bei Hofe gefeiert. Amaſis zeich - nete mich in jeder Weiſe aus und umarmte mich, weil ich eine reiche Provinz für ihn gewonnen hatte, zum Entſetzen ſeiner Landsleute. Je trunkener er wurde, deſto wärmere Anerkennung zollte er mir. Als ich ihn endlich mit Pſamtik in ſeine Wohnung zurückführte, und wir an den Gemächern ſeiner Töchter vorüberkamen, blieb er ſtehen und ſagte: Da ſchlummern die Mädchen. Wenn Du Deine Gattin verſtoßen willſt, Athener, ſo gebe ich Dir Nitetis zum Weibe! Du wäreſt mir ein lieber Eidam! ’s iſt ein eigen Ding mit dem Mädchen, Phanes! Du haſt ja von ihrem Vater gehört, dem Hophra‘ ...... So viel ließ Pſamtik den Trunkenen ſagen. Dann legte er ihm die Hand auf den Mund und ſchickte mich mit barſchen Worten in mein Quartier. Dort überdachte ich das Gehörte und reimte mir zuſammen, was ich jetzt aus ſicherer Quelle weiß. Jch bitte Dich, König, dieſem Greiſe zu befehlen, die bezüglichen Tagebuchblätter des Geburts - helfers Sonnophre zu überſetzen.

Kambyſes winkte, und der Greis las mit lauter Stimme, welche Niemand dieſem gebrechlichen Körper zu - getraut haben würde: Am fünften Tage des Monats Thoth 30) wurde ich zum Könige gerufen. Jch erwartete dies, denn die Königin lag in den Wehen. Mit meiner Hülfe genas ſie leicht und glücklich eines ſchwachen Mäd -Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. III. 450chens. Als die Amme daſſelbe übernommen hatte, führte mich Amaſis hinter den Vorhang, der das Schlaf - gemach ſeiner Gattin zertheilt. Dort lag ein zweiter Säugling, in dem ich das Neugeborene der Gattin des Hophra erkannte, die am dritten Tage des Thoth unter meinen Händen geſtorben war. Der König zeigte auf die kräftige Kleine und ſagte: Dies iſt ein elternloſes Weſen; da aber das Geſetz ſagt, man ſolle ſich der ver - laſſenen Waiſen annehmen 31), ſo haben Ladike und ich beſchloſſen, dieſen Säugling aufzuerziehen, als wenn er unſere eigene Tochter wäre. Nun liegt uns daran, der Welt und dem Kinde dieſe Handlung zu verbergen. Da - rum bitte ich Dich, reinen Mund zu halten und zu ver - breiten, Ladike habe ein Zwillingspaar zur Welt gebracht. Vollbringſt Du dies nach unſerm Willen, ſo erhältſt Du heute noch 5000 goldne Ringe*)S. I. Theil. Anmerk. 167. und Jahr für Jahr, ſo lange Du lebſt, den fünften Theil dieſer Summe. Jch verneigte mich ſchweigend, befahl allen Anweſenden, die Wochenſtube zu verlaſſen, und rief dieſelben wieder herein, um ihnen mitzutheilen, daß Ladike eines zweiten Mägd - leins geneſen ſei. Das rechte Kind des Amaſis erhielt den Namen Tachot, das untergeſchobene wurde Nitetis ge - nannt.

Kambyſes ſprang bei dieſen Worten von ſeinem Sitze auf und durchmaß den Saal mit großen Schritten; Onu - phis aber fuhr, ohne ſich ſtören zu laſſen, fort: Am ſechsten Tage des Monats Thoth. Als ich mich heute morgen, um ein wenig von den Anſtrengungen der Nacht auszuruhen, niedergelegt hatte, erſchien ein Diener des Königs, der mir das verſprochene Gold und einen Brief51 überbrachte. Jn demſelben wurde ich gebeten, ein todtes Kind zu ſchaffen, welches als das verſtorbene Töchterlein des Hophra mit großer Feierlichkeit beſtattet werden ſollte. Mit vieler Mühe hab ich vor einer Stunde das Ver - langte von dem armen Mädchen, welches heimlich bei der alten Frau, die am Eingange der Todtenſtadt wohnt, niedergekommen iſt, erhalten. Sie wollte ihren verſtorbe - nen Liebling, der ihr ſo viel Gram und Schande gebracht hatte, durchaus nicht von ſich geben und willfahrte mir nur, als ich ihr verſprach, das Kleine ſollte aufs Schönſte mumiſirt und beigeſetzt werden. Jn meinem großen Arz - neikaſten, den diesmal mein Sohn Nebenchari, ſtatt meines Dieners Hib, tragen mußte, ſchafften wir die kleine Leiche in das Wochenzimmer der Gattin des Hophra. Das Kind des armen Mädchens wird mit aller Herrlichkeit be - graben werden. Dürfte ich ihr doch mittheilen, welches ſchöne Loos ihren Liebling nach dem Tode erwartet. Nebenchari wird ſoeben zum Könige berufen.

Bei der zweiten Nennung dieſes Namens blieb Kam - byſes ſtehen und fragte: Jſt unſer Augenarzt Neben - chari Derſelbe, deſſen dieſe Schrift erwähnt?

Nebenchari, gab Phanes zurück, iſt der Sohn des - ſelben Sonnophre, der die beiden Kinder vertauſchte!

Der Augenarzt blickte düſter zu Boden.

Kambyſes nahm Onuphis die Papyrusrolle aus der Hand, beſchaute die Schriftzeichen, welche dieſelbe bedeck - ten, kopfſchüttelnd, näherte ſich dem Arzte und ſprach:

Betrachte dieſe Zeichen und ſage mir, ob Dein Vater dieſelben geſchrieben?

Nebenchari fiel auf die Kniee nieder und erhob ſeine Hände.

Hat Dein Vater dieſe Zeichen gemalt? frage ich.

52

Jch weiß nicht, ob .... Jn der That .....

Die Wahrheit will ich wiſſen! Ja oder nein?

Ja, mein König; aber .....

Erhebe Dich und ſei meiner Gnade gewiß. Es zieret den Unterthan, wenn er treu zu ſeinem Herrſcher ſteht; vergiß aber nicht, daß Du mich jetzt Deinen König zu nennen haſt. Kaſſandane ließ mir ſagen, Du wolleſt ihr morgen durch eine kunſtreiche Operation das Geſicht wiedergeben. Wagſt Du auch nicht zu viel?

Jch bin meiner Kunſt gewiß, o König!

Noch Eins! Wußteſt Du um dieſen Betrug?

Ja mein Fürſt.

Und Du ließeſt mich im Jrrthum?

Jch hatte Amaſis ſchwören müſſen, das Geheimniß zu bewahren, und ein Schwur .....

Der Schwur iſt heilig! Sorge dafür, Gobryas, daß dieſen beiden Aegyptern eine Portion von unſrer Tafel angewieſen werde. Du ſcheinſt einer beſſeren Nah - rung zu bedürfen, Alter!

Jch bedarf Nichts, als Luft zum Athmen, eine Krumme Brod und einen Schluck Waſſer, um nicht zu ver - hungern und zu verdurſten, ein reines Gewand, um den Göttern und mir ſelbſt angenehm zu ſein, und ein eignes Stübchen, um keinem Menſchen im Wege zu ſtehen. Nie - mals war ich reicher, als am heutigen Tage.

Wie ſo?

Jch bin ſoeben im Begriff, ein Königreich zu ver - ſchenken.

Du ſprichſt in Räthſeln.

Jch habe durch meine Ueberſetzung dargethan, daß Deine verſtorbene Gattin das Kind des Hophra geweſen ſei. Nach unſerm Erbrechte hat, wenn keine Söhne oder53 Brüder vorhanden ſind, auch die Tochter eines Königs Anrecht auf den Thron*)S. III. Theil. Anmerk. 7.. Wenn dieſe wiederum kinder - los ſtirbt, ſo iſt der Gatte derſelben ihr geſetzlicher Nach - folger. Amaſis iſt ein Kronenräuber, während Hophra und ſeine Nachkommen durch das Recht der Geburt An - ſprüche auf die Herrſcherwürde haben. Pſamtik verliert jedes Recht auf das Szepter, ſobald ſich ein Bruder, ein Sohn, eine Tochter oder ein Eidam des Hophra findet. Alſo begrüße ich in meinem Könige den zukünftigen Herrn meines ſchönen Vaterlandes.

Kambyſes lächelte ſelbſtgefällig, und Onuphis fuhr fort:

Auch habe ich in den Sternen geleſen, daß Pſamtik untergehen wird; Dir aber die Krone von Aegypten be - ſchieden iſt.

Die Sterne ſollen Recht behalten! rief Kambyſes; Dir aber, Du freigebiger Alter, befehle ich, einen Wunſch, derſelbe möge lauten, wie er wolle, auszuſprechen.

Laß mich Deinem Heerzuge in einem Wagen folgen. Jch ſehne mich darnach, meine Augen am Nil zu ſchließen.

So ſei es! Verlaßt mich jetzt, ihr Freunde, und ſorgt dafür, daß alle Tiſchgenoſſen zum heutigen Schmauſe erſcheinen. Wir wollen beim ſüßen Weine Kriegsrath halten. Ein Feldzug nach Aegypten ſcheint mir lohnen - der zu ſein, als ein Kampf mit den Maſſageten!

Sieg dem Könige! riefen die Anweſenden mit lautem Jubel und entfernten ſich, während Kambyſes ſeine An - und Auskleider rufen ließ, um, zum Erſtenmale, die Trauergewänder mit den prunkenden Königskleidern zu vertauſchen.

54

Kröſus und Phanes begaben ſich gemeinſam in den Garten, welcher auf der Oſtſeite des Schloſſes mit Baum - und Sträucherpflanzungen, Waſſerkünſten und Blumen - beeten grünte. Die Züge des Atheners ſtrahlten vor Wonne, während der entthronte König ſorgenvoll vor ſich hinblickte.

Haſt Du bedacht, Hellene, begann der Letztere, welche Brandfackel Du ſoeben in die Welt geſchleudert haſt?

Unbedacht zu handeln iſt nur Kindern und Narren eigen.

Du vergißt die von der Leidenſchaft Bethörten.

Zu dieſen gehöre ich nicht.

Und dennoch iſt die Rache die furchtbarſte aller Leidenſchaften.

Nur, wenn ſie in blinder Wallung geübt wird. Meine Rache iſt kühl, wie dieſes Eiſen; aber ich kenne meine Pflicht.

Die erſte Pflicht jedes Tugendhaften iſt, dem Wohle ſeines Vaterlandes ſein eignes unterzuordnen.

Das weiß ich ...

Vergißt aber, daß Du den Perſern mit dem ägypti - ſchen Reiche Deine helleniſche Heimat überlieferſt!

Jch denke anders.

Glaubſt Du, daß Perſien das ſchöne Griechenland unangefochten laſſen wird, wenn alle anderen Küſten des Mittelmeeres ihm gehören?

Keineswegs; wohl aber kenn ich meine Hellenen und glaube, daß ſie allen Barbarenheeren ſiegreich wider - ſtehen, und, naht die Gefahr, größer ſein werden, denn je. Die Noth wird all unſre geſonderten Stämme ver - einen, wird uns zu einem großen, einigen Volke machen und die Throne der Tyrannen ſtürzen.

55

Das ſind Träume.

Die zur Wahrheit werden müſſen, ſo wahr ich auf die Erfüllung meiner Rache hoffe!

Jch kann nicht mit Dir rechten, denn mir ſind die Verhältniſſe Deiner Heimath zu fremd geworden. Uebri - gens halte ich Dich für einen weiſen Mann, der das Schöne und Gute liebt und zu rechtlich denkt, um aus bloßem Ehrgeiz ein ganzes Volk verderben zu mögen. Es iſt furchtbar, daß die Schickung die Schuld des Einzelnen, wenn derſelbe eine Krone trägt, an ganzen Nationen ver - gilt! Jetzt erzähle mir, wenn Dir etwas an meiner Mei - nung gelegen iſt, wech es Unrecht Deine Rachſucht ſo mächtig entflammt hat!

Höre denn und verſuche niemals wieder, mich von meinem Vorhaben abzuhalten! Du kennſt den Thronerben von Aegypten, Du kennſt auch Rhodopis. Erſterer war mein Todfeind, aus mehreren Gründen, Letztere die Freundin aller Hellenen, und ganz beſonders die meine. Als ich Aegypten verlaſſen mußte, bedrohte mich Pſamtik mit ſeiner Rache. Dein Sohn Gyges rettete mich vor dem Tode. Einige Wochen ſpäter kamen meine Kinder nach Naukratis, um mir von dort aus nach Si - geum zu folgen. Rhodopis nahm dieſelben in ihren freundlichen Schutz. Ein Elender hatte das Geheimniß erſpäht und dem Thronfolger verrathen. Jn der folgen - den Nacht wurde das Haus der Thrakerin umſtellt und durchſucht. Man fand meine Kinder und nahm dieſelben gefangen. Amaſis war unterdeſſen erblindet und ließ ſei - nen elenden Sohn gewähren, der ſich nicht entblödete, meinen einzigen Knaben zu ....

Er ließ ihn tödten?

Du ſagſt es.

56

Und Dein andres Kind?

Das Mädchen iſt heute noch in ſeiner Gewalt.

Aber man wird der Armen ein Leid anthun, wenn man erfährt ....

Sie möge ſterben. Lieber kinderlos, als ohne Rache zu Grabe gehen!

Jch verſtehe Dich und kann Dir nicht mehr zürnen. Das Blut Deines Knaben muß gerochen werden.

Bei dieſen Worten drückte der Greis die Rechte des Atheners, der, nachdem er ſeine Thränen getrocknet hatte und ſeiner Gemüthsbewegung Herr geworden war, aus - rief: Komm jetzt zum Kriegsrathe! Niemand darf den Schandthaten des Pſamtik dankbarer ſein, als Kambyſes. Dieſer Mann der ſchnellen Leidenſchaft paßt nicht zum Friedensfürſten.

Und doch ſcheint mir die höchſte Aufgabe eines Königs die zu ſein, an der inneren Wohlfahrt ſeines Reiches zu arbeiten. Aber die Menſchen ſind einmal ſo, daß ſie ihre Schlächter höher preiſen, als ihre Wohlthäter. Wie viele Geſänge ertönten dem Achill; wem aber iſt es eingefallen, die weiſe Regierung des Pittakos in Liedern*)S. I. Theil. Anmerk. 16 u. 17. zu feiern?

Es gehört eben mehr Muth dazu, Blut zu ver - gießen, als Bäume zu pflanzen.

Aber mehr Güte und Klugheit, Wunden zu heilen, als Wunden zu ſchlagen. Doch ehe wir die Halle be - treten, muß ich Dir eine dringende Frage vorlegen. Wird Bartja, wenn Amaſis die Pläne des Königs erfährt, ohne Gefahr zu Naukratis bleiben können?

Keineswegs. Jch habe ihn jedoch gewarnt und ihm57 gerathen, verkleidet und unter falſchem Namen dort auf - zutreten.

Zeigte er ſich willfährig?

Er ſchien mir folgen zu wollen.

Jedenfalls wird es gut ſein, wenn man ihm einen Boten nachſendet, der ihn warnt.

Wir wollen den König darum bitten.

Komm jetzt. Dort fahren ſchon die Wagen aus der Küche, welche die Mahlzeit für den Hofſtaat enthalten.

Wieviel Menſchen werden vom Könige ernährt?

Etwa 15,000 32).

So mögen die Perſer den Göttern danken, daß ihre Herrſcher nur einmal des Tages zu ſpeiſen pflegen!

[58]

Drittes Kapitel.

Sechs Wochen nach dieſen Ereigniſſen trabte eine kleine Reiterſchaar den Thoren von Sardes entgegen.

Roſſ und Leute waren von Schweiß und Staub be - deckt. Erſtere, welche die Nähe der Stadt mit ihren Ställen und Krippen ahnten, nahmen ihre letzte Kraft zu - ſammen, ſchienen aber für die Ungeduld der beiden Män - ner, die in beſtaubter perſiſcher Hoftracht an der Spitze des Zuges ritten, viel zu langſam zu gehen.

Die wohlgehaltene Königsſtraße, welche ſich über die Vorberge des Tmolos-Gebirges hinzog, war von Aeckern mit ſchwarzem Fruchtboden und Bäumen von mancherlei Art umgeben. Oliven -, Citronen - und Platanenhaine, Maul - beer und Weinpflanzungen zogen ſich am Fuße der Berge hin, während in größerer Höhe Pinien, Cypreſſen und Nußbaumwälder grünten. Auf den Aeckern ſtanden Feigenſträucher und Dattelpalmen voller Früchte. Jm Graſe der Wieſen und am Boden der Wälder blühten farben - und duftreiche Blumen. Dann und wann zeigten ſich ſorgſam eingefaßte Brunnen mit Ruheſitzen und ſchatti - gem Strauchwerk am Rande der Straße, die über Schluch - ten und Bäche, welche durch die Hitze des Sommers halb59 vertrocknet waren, führte. An ſchattigen feuchten Stellen blühte die Lorbeerroſe, während ſich da, wo die Sonne am heißeſten brannte, ſchlanke Palmen wiegten. Ein tief - blauer, vollkommen wolkenloſer Himmel lag über dieſer üppigen Landſchaft, deren Horizont im Süden von den ſchneeigen Spitzen des Tmolosgebirges, im Weſten von den bläulich ſchimmernden Sipylos-Bergen begrenzt war.

Die Straße führte jetzt durch ein Birkenwäldchen, um deſſen Stämme ſich traubenreiche Weinreben bis zu den Gipfeln rankten, thalabwärts. An einer Krümmung des Weges, welche einen Blick in die Ferne bot, hielten die Reiter. Vor ihnen lag die Hauptſtadt des einſtigen lydiſchen Reiches, die frühere Reſidenz des Kröſus, das goldne Sardes 33), im viel berühmten Hermusthale.

Ein ſteiler ſchwarzer Felſen, auf deſſen Gipfel ſich weithin ſichtbare Bauten von weißem Marmor erhoben, die Burg, um deren dreifache Mauer der König Meles vor vielen Jahrhunderten einen Löwen getragen hatte, damit ſie uneinnehmbar werde, beherrſchte die Schilfdächer der zahlreichen Häuſer der Stadt 34). Nach Süden hin war der Abfall des Burgberges weniger ſteil und mit Häuſern bebaut. Jm Norden deſſelben erhob ſich am Goldſand führenden Paktolos der frühere Palaſt des Krö - ſus. Ueber dem Marktplatz, der den bewundernden Reiſen - den wie ein unbewachſener Fleck inmitten einer blühenden Wieſe erſchien, rauſchte der röthliche Fluß, der ſich nach Weſten zu in ein ſchmales Gebirgsthal ergoß, um dort den Fuß des großen Tempels der Kybele zu beſpülen.

Nach Oſten hin erſtreckten ſich weite Gärten, in deren Mitte der ſpiegelhelle Gygäiſche See erglänzte. Bunte Luſtfahrzeuge, begleitet von vielen ſchneeweißen Schwänen, bedeckten denſelben. Etwa eine Viertelſtunde von den60 Waſſern entfernt erhoben ſich zahlreiche, von Menſchen - händen aufgeſchüttete Hügel, unter denen ſich drei, ihrer bedeutenden Größe und Höhe wegen, beſonders auszeich - neten 35).

Was haben dieſe eigenthümlich ausſehenden Erd - berge zu bedeuten? fragte Darius, der Anführer jener Schaar, den an ſeiner Seite reitenden Mann, Prexaspes, den Botſchafter des Kambyſes.

Es ſind die Gräber der früheren Könige von Ly - dien, lautete die Antwort. Das größte derſelben, dort drüben links, nicht das mittlere, welches einem fürſtlichen Ehepaare, der Panthea und dem Abradat geweiht wurde*)S. II. Theil. Anmerk. 108., iſt das dem Vater des Kröſus, Alyattes, errichtete Denk - mal. Die Handelsleute, Handwerker und Dirnen von Sardes haben daſſelbe ihrem verſtorbenen Könige aufge - ſchüttet. An den fünf Säulen, welche auf dem Gipfel ſtehen, kann man leſen, wie viel jeder Theil zuwege brachte. Die Dirnen ſind am fleißigſten geweſen 36). Der Großvater des Gyges ſoll ein beſondrer Freund derſelben geweſen ſein.

Dann iſt der Enkel ſehr aus der Art geſchlagen!

Was um ſo wunderbarer erſcheinen muß, da auch Kröſus in ſeiner Jugend durchaus kein Feind der Weiber geweſen iſt, und die Lyder den Freuden der Liebe ſehr er - geben zu ſein pflegen. Dort drüben im Paktolos-Thale, unweit der großen Goldwäſcherei, ſteht der Tempel der Göttin von Sardes 37), die man Kybele oder Ma be - nennt. Du ſiehſt das weiße Gemäuer aus dem Haine, der ihn umgibt, hervorleuchten. Da findet ſich manches ſchattige Plätzchen, wo ſich die jungen Leute von Sardes61 zu Ehren der Göttin, wie ſie ſagen, in ſüßer Liebe ver - einen.

Grad wie zu Babylon am Feſte der Mylitta *)Her. I. 200..

An den Küſten von Kypros herrſcht dieſelbe Ge - wohnheit 38). Als ich dort auf meiner Heimfahrt von Aegypten landete, empfing mich eine Schaar der ſchönſten Mädchen mit ſüßen Geſängen und führte mich, tanzend und Cymbeln ſchlagend, in den Hain ihrer Göttin. Dort mußte ich einige Goldſtücke niederlegen und wurde dann von dem holdſeligſten Kinde, das Du Dir denken kannſt, in ein duftendes Zelt von Purpurſtoff geführt, woſelbſt ein Lager von Roſen und Lilienblättern uns aufnahm.

Zopyros wird der Krankheit des Bartja nicht zür - nen.

Und ſich länger im Haine der Kybele, als an der Seite des Leidenden aufhalten.

O nein! Zopyros iſt der treuſte, aufopferungs - fähigſte Freund!

Aber der treuloſeſte aller Liebhaber.

Leider; und doch freue ich mich ſehr darauf, den heiteren Kumpan wiederzuſehen.

Er wird jene trüben Launen, denen Du jetzt ſo oft verfällſt, nicht mehr aufkommen laſſen.

Jch werde mich mit aller Kraft bemühen, dieſelben zu unterdrücken.

Das wird ſchwer halten!

Sei es! Jene Stimmungen, welche Du mit Recht tadelſt, haben, wie Du weißt, ihren Grund, und dennoch bin ich ſicher, dieſelben überwinden zu können. Kröſus ſagt, man ſei nur übel gelaunt, wenn man zu träge oder62 kraftlos wäre, gegen Mißhelligkeiten anzukämpfen. Unſer Freund hat Recht. Man ſoll Darius weder einer Schwäche noch einer Trägheit zeihen dürfen. Wenn ich nicht die Welt beherrſchen kann, ſo will ich wenigſtens Herr meiner ſelbſt ſein!

Der ſchöne Jüngling richtete ſich bei dieſen Worten in ſeinem Sattel hoch empor. Sein Begleiter ſah ihn ſtaunend an und rief:

Wahrlich, Sohn des Hyſtaspes, ich glaube, daß Du zu großen Dingen beſtimmt biſt. Die Götter haben ihrem Lieblinge Kyros, als Du noch ein Knabe wareſt, nicht von ungefähr jenen Traum geſchenkt, um deßwillen Dich derſelbe von Deinem Vater in Gewahrſam bringen ließ.

Und dennoch ſind mir noch keine Flügel gewachſen!

Nicht Deinem Körper, wohl aber Deinem Geiſte. Jüngling, Jüngling, Du wandelſt eine gefährliche Straße!

Braucht der Geflügelte den Abgrund zu fürchten?

Ja; wenn ſeine Kräfte verſagen!

Jch aber bin ſtark!

Doch Stärkere werden verſuchen, Deine Schwingen zu brechen!

Sie mögen kommen! Jch weiß, daß ich nur das Rechte will, und vertraue meinem Stern!

Weißt Du auch, wie derſelbe heißt?

Er beherrſchte die Stunde meiner Geburt und Anahita 39) iſt ſein Name.

Jch glaube ihn beſſer zu kennen. Heißer Ehrgeiz nennt ſich die Sonne, deren Strahlen Deine Handlungen leiten. Hüte Dich, Jüngling! Auch ich bin einſtmals jene Straße gewandert, welche entweder zum Ruhm oder in die Schande, aber nur ſelten zum wahren Glücke führt. 63Der Ehrgeizige gleicht dem Dürſtenden, welcher Salzwaſſer trinkt! Je mehr Ruhm er erntet, deſto durſtiger wird er nach Ruhm und Größe! Jch bin aus einem ge - ringen Soldaten der Botſchafter des Kambyſes geworden; was bleibt Dir zu erſtreben übrig, da es jetzt ſchon, außer dem Könige, keinen Größeren gibt, als Dich?

Aber trügen mich nicht meine Augen, ſo reitet dort Zopyros und Gyges an der Spitze jener Reiterſchaar, die uns von der Stadt her entgegenzieht. Der Angare, welcher vor uns die Herberge verließ, muß unſere An - kunft gemeldet haben.

Ja, ſie ſind es!

Wahrlich! Sieh nur, wie der muthwillige Zopyros mit dem Palmenblatte, das er ſoeben abbrach, winkt und wedelt!

Jhr Leute, ſchneidet uns ſchnell ein Paar Zweige von dieſem Strauche! So iſt’s recht! Laß uns mit pur - purner Granate der grünen Palme antworten!

Wenige Minuten ſpäter umarmten Darius und Pre - xaspes ihre Freunde. Dann zogen die vereinten Reiter - ſchaaren durch die Gärten, welche den Gygäiſchen See umgaben, den Erholungsplatz der Bewohner von Sardes in die volkreiche Stadt, deren Bürger, da ſich die Sonne zum Untergange neigte und kühlere Lüfte zu wehen begannen, in hellen Haufen den Thoren entſtröm - ten, um ſich im Freien zu ergehen. Lydiſche Krieger mit reich verzierten Helmen und perſiſche Soldaten, welche cylinderförmige Tiaren trugen, gingen geſchminkten und bekränzten Dirnen nach. Wärterinnen führten Kinder zu dem See, um ſie die Schwäne füttern zu laſſen. Unter einem Platanenbaume ſaß ein blinder Sängergreis, der ſeinen zahlreichen Zuhörern wehmüthige Lieder, die er mit64 der zwanzigſaitigen lydiſchen Laute, der Magadis, be - gleitete, vorſang. Kegel und Würfel ſpielende 40) Jüng - linge ergötzten ſich im Freien und halberwachſene Mädchen kreiſchten erſchrocken auf, wenn der geſchleuderte Ball eine Genoſſin traf oder von ungefähr in den See fiel.

Die perſiſchen Ankömmlinge achteten kaum dieſes bunten Bildes, welches ſie zu andrer Zeit ergötzt haben würde. Jhre ganze Aufmerkſamkeit wandte ſich den Freun - den zu, die ihnen von Bartja und deſſen glücklich über - ſtandener Krankheit erzählten.

Der Satrap von Sardes, Oroetes, ein ſtattlicher Mann in überladen glänzender Hoftracht, deſſen kleine ſchwarze Augen durchdringend und ſtechend unter buſchigen